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Full text of "Archiv fur Anatomie, Physiologie und Wissenschaftliche Medicin"

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ARCHIV 


FÜR 


ANATOMIE, PHYSIOLOGIE 


UND 


WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN, 


IN VERBINDUNG MIT MEHREREN GELEHRTEN 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


Dr, JOHANNES MÜLLER, 


ORD. ÖFFENTL. PROF. DER ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGL, 
ANATON, MUSEUMS UND ANATOM. THEATERS ZU BERLIN, 


JAHRGANG 1849. 


Mit neun Kupfertafeln. 


BERLIN. 


VERLAG VON VEITET COMP, 


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Inhaltsanzeige. 


Seite 
Bericht über die Fortschritte der mikroskopischen Anatomie im 
Jahre 1848. Von K. B. Reichert in Dorpt . . 2... 1 


Beschreibung der Muskeln des Tümmler’s (Delphinus phocaena). 
Von Prof. Dr. 'Stannius . m 
Transplantation der Hoden. Vom Prof. Berthold in Göttingen. 42 


Fehlt den Wespen- oder Hornissenlarven ein After oder nicht? 
Abermalige Untersuchungen von Prof. Dr. Ed. Grube. (Hierzu 
PRRTEIGEND GEN SER ZONEN. „Yiro- Voglende. Anl amlanı ansehe, = 2ER 

Ueber die genetische Bedeutung und Entwickelung des oberen 
Keimblatts im Ei der Wirbelthiere von R. Remak . . . . 75 

Ueber die Entwicklung der Asterien. Von E. Desor. (Hierzu 


TRENIL, Fig, DAS EL Mic ta an ann u, dd 
Ueber die Bipinnarien und die Metamorphose der Asterien. Von 
Von Müller der. Diinlini: os en Mae eg 


Die Entstehung des Arachnideneies im Eierstocke; die ersten Vor- 
gänge in demselben nach seinem Verlassen des Mutterkörpers, 
Von Dr, v, Wittich in Königsberg in Pr.. (Hierzu Taf. I.) 113 


ıv 


Seite 
Zur Bindegewebsfrage. Von Prof. Ludw. Fick in Marburg . . 151 
Ueber den Bau der Leber. V. A. Retzius, (übersetztv. Creplin) 154 


Ueber die Schädelform der Peruaner. Von A. Retzius, (aus dem 
Schwedischen von Creplin) . . * 2 22... 00, 44 


Ueber das Ligamentum pelvioprostaticum oder den Apparat, durch 
welchen die Harnblase, die Prostata und die Harnröhre an 
der untern Beckenöffnung befestigt sind. Von A. Retzius (aus 
den Schwedischen von Fr. Creplin) . :-. 2.2.2... 18 


Ueber die Laterne des Aristoteles. Von Prof. Hermann Meyer 
in Zürich. (Hierzu Taf. I. Fig. I-V) . . . 2... 49 


Beobachtungen über eine eiweissartige Substanz in Krystallform. 
Von K. B. Reichert in Dorpat, (Hierzu Taf. II. Fig. VI.) 197 
Ueber die Hautnerven des Frosches. Von Johann N. Czermak. 
(Hierzu Taf. IV. und V.) m . .. 2 202 000 0 AB 


Nachtrag zum Aufsatz: Ueber eigenthümliche Moschusdrüsen der 
Schildkröten, in diesem Archiv, 1848, pag. 495, von Dr. W. 
WesenBs = ae a Mn nv a EZ 

Beweise, dass nur die Tastorgane fähig sind, uns die Empfindun- 
gen von Wärme, Kälte und Druck zu verschaffen. Von E. H. 
Weber. , „.00445u0 wind Jul uni Suede 


Bemerkungen über einige Versuche zur Erläuterung der Mechanik 

des Herzens. Von Prof. Dr. Ludwig Fick . . . 2... 283 
Ueber das Verhalten des Nabelbläschens (Vesica umbilicalis) bei 

Pferde-Embryonen. Von Dr. Franz Müller. .. . . „286 
Der Knorpel und seine Verknöcherung. Von Professor Hermann 

Meyer. (Hierzu Taf. NL). u. 005 0 ne 
Ueber den Bau rhachitischer Knochen. Von Prof. Herm. Meyer 358 
Ueber die Larven und die Metamorphose der Holothurien. Von 

Jon. Müller. 207 Pe ren u  see 
Ueber die Larve der Comatula. Von Dr. Wilh. Busch. Brief- 

liche Mittheilung an den Herausgeber. (Hierzu Taf, VII. 

Lift ch) A De RE > 5" ne en. 
Beitrag zur Lehre von dem Röhrensystem der Zähne und Knochen. 

Von Dr. A. Krukenberg in Braunschweig. (Hierzu Taf. VII. 

EMI) „Ta ee NT RR 405 


Ueber eine sehr vortheilhafte Methode der Zubereitung von Zahn- 
und Knochendurchschnitten für die mikroskopische Beobach- 
tungen. Von Dr. A. Krukenberg 


Ueber den Bau der Hautdrüsen der Kröten und die Abhängigkeit 


der Entleerung ihres Sekretes vom centralen Nervensystem. 
NonnG. Eckhard. . 4% Yengenieerie 


Ein der Violdrüse gleichartiges Gebilde beim Wolfe. ( Öfversigt 
af Kgl. Vet.-Ak.-Förhandlingar, 1848, p. 46) Von A. Retzius 


Ueber den Aufenthalt lebender Amphibien im Menschen. Von 
Prof. Berthold in Göttingen . . .». 2 2.2... 


Beobachtungen über einige niedere Thiere. Von Dr. Wilhelm 
Busch. (Briefliche Mittheilung an den Herausgeber) . . 


Zur Kontroverse über den Primordialschädel. Von K.B. Reichert 
SIT AO Ba rece <" 


Die glatten Muskelfasern in den Blutgefässwandungen. Von K. 
B. Reichert in Dorpat. (Hierzu Taf. VII. Fig. 1—3.) 


Ueher das Verhältniss der Centralgefässe des Auges zum Gesichts- 
felde. Von B. Gudden, Assistenzarzt in der Provinzial-Irren- 
heilanstalt zu Siegburg . I... 2 2 2 00 


Ueber die Deckknochen und die integrirenden Ossificationen der 
Wirbel einiger Knochenfische. Von Dr, H. Stannius. (Hier- 
REN — ONE, N rn aus un 


Bemerkungen über Schädel von Guarani-Indianern aus Brasilien. 
Von Andr. Retzius. Aus der Ofversigt af K. Vet. - Ak’s 
Förhandlingar etc. för är 1849, p. 142 ff., übersetzt von Fr. 
BREPUN 4 ne 


Kraniologisches, Von Andr, Retzius. Aus dem Schwedischen 
wonEr. CGreplin. . . , © 


Ueber das Becken des Delphins, Von Prof. Mayer in Bonn 


Fortgesetzte Untersuchungen über Muskelreizbarkeit. Von Prof. 
Dr Bkanpins u.a wine AR 


420 


430 


439 


443 


517 


522 


333 


543 


554 
583 


588 


Ya 


Ueber die richtige Deutung der Seitenfortsätze an den Rücken- 
und Lendenwirbeln beim Menschen und bei den Säugethie- 
ren. Von A. Retzius. (Aus dem Schwedischen von Fr. 
Grepiiymm van Camel. rue =... 0 

Ueber den Uterus masculinus, Weber, bei dem Menschen und 
den Säugethieren von Fredrik Wahlgren. (Hierzu Tafel IX) 
(Aus dem Schwedischen) . . - » ee 


Seite 


593 


683 


BERICHT 


über die Fortschritte in der mikroskopischen 
Analomie 


des Jahres 1848. 


Von 


K. B. Reichert in Dorpat. 


Ueber die organisirten Formelemente im All- 
gemeinen. 


Schon seit einer Reihe von Jahren hatten die Angaben D u- 
jardin’s über die Struktur der Infusorien und Rhizopoden 
(Histoire naturelle des Zoophytes. Infusoires. Par. 1841.) die 
Aufmerksamkeit der Naturforscher, besonders der Zootomen, 
erregt. Dujardin trat gegen die Ansicht Ehrenberg’s von 
dem komplizirten Bau der Infusorien auf und behauptete, 
dass der Körper dieser Thiere durchweg aus einer homoge- 
nen, halbflüssigen, gallertartigen Substanz (Sarcode) bestehe, 
die eine grössere oder geringere Anzahl von Körner oder 
Körnchen führe und im Innern mit Höhlungen (Vaeuoles) 
versehen sei. Selbst eine besondere Hülle an der Oberfläche 
der Infusorien sei nicht nachzuweisen, und der scharfe Kon- 
tour daselbst werde vielmehr durch die Erhärtung der ober- 
flächlichen Körpersubstanz gebildet. Alle uns bekannten Le- 
benserscheinungen mussten hiernach dieser anscheinend formlo- 
sen Substanz übertragen werden. Namhafte Gelehrte (v. Sie- 


Müller's Archiv, 1849, A 


2 


bold u. A.) hatten sich der Ansicht Dujardin’s zugewendet 
und nur an dem angeblichen Mangel einer selbstständigen Hülle 
der Infusorien und Rhizopoden Anstoss gefunden. Man machte 
sich alsbald, auf Grundlage der bekannten, so zahlreichen Erfah- 
rungen, mit der Annahme vertraut, dass jene einfachen thieri- 
schen Geschöpfe der Vermittelung einer oder doch nur weniger 
Zellen ihre Struktur oder Textur verdanken. So lange indess 
die Entwickelungsgeschichte keine genauere Auskunft über 
die organisirte Beschaffenheit jener räthselhaften Sarcode zu 
geben vermochte, schien, wenigstens nach des Referenten An- 
sicht, die Histologie kaum einiges Interesse daran zu haben. 

Inzwischen haben die fortlaufenden Jahresberichte zur 
Genüge dargethan, wie zu wiederholten Malen von verschie- 
denen Forschern, namentlich durch Henle angeregt, Ver- 
suche gemacht worden sind, dem bisher bekanuten einfach- 
sten organisirten Körper, der elementaren organischen Zelle, 
ein wo möglich noch einfacheres Substitut zu geben, und 
waren es auch nur Körnchen und Kügelchen, oder ein Kon- 
glomerat davon, oder ein Klümpchen, oder eine sogenannte 
Umhüllungskugel nach Kölliker. Von diesem Standpunkte 
aus ist nunmehr auch die Sarcode von Wichtigkeit für die 
Histologie geworden durch eine Arbeit von A. Ecker: „Zur 
Lehre vom ‚Bau und Leben der kontraktilen Substanz der 
niedersten Thiere. (Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie 
von Siebold und Kölliker. Bd. I. S.219 u.f.; Abdruck 
einer Gelegenheitsschrift vom Jahre 1848.) Der Verfasser 
hat besonders den-grünen Wasserpolypen zum Gegensiand 
seiner Untersuchung gemacht. Der Körper des Polypen be- 
steht hiernach durchweg aus einer gleichförmigen, theils kla- 
ren, theils körnigen, weichen, dehnbaren, elastischen und 
kontraktilen Substanz, die von Hohlräumen, gefüllt mit mehr 
oder minder klarer Flüssigkeit. derartig durchbrochen ist, 
dass die ganze Masse wie ein Schwamm erscheint. In der 
äussersten Schicht ist diese Substanz durch grössere Hohl- 
räume und durch die Angel- und Nesselorgane ausgezeichnet, 
in der mittleren durch die grünen Körner, in der innersten 
durch braune Exkretkörnchen und verschiedene während der 
Verdauung aufgenommene Stoffe, Fetttropfen u. dgl. Die 
mittlere Schicht mit grünen Körnern in der Grundsubstanz 
zeigt sich ganz deutlich kontraktil; seltener ist dieses mit 
Deutlichkeit an der äusseren Schicht zu beobachten; doch 
ist es wahrscheinlich, dass alle Schichten in gleichem Masse 
kontraktil sind, da ihr Bau im wesentlichen übereinstimmt. 
Ecker prüft nun weiter die fragliche Substanz mit Rücksicht 
auf ihre Textur und sucht zunächst darzuthun, dass eine Zu- 
sammensetzung aus Zellen, woraus Corda, Baumgärtner 


3 


und zum Theil auch v. Siebold die ganze Hydra bestehen 
lassen, in keinem Theile derselben, weder des Körpers noch 
der Arme, nachzuweisen sei. Bei Zerrung und Druck des 
Polypen könne man sich überzeugen, dass die stark ausgezo- 
genen netzförmigen Züge der Grundsubstanz zwischen den 
Hohlräumen nach einem Riss wieder zurückschnurren, worauf 
dann die Rissränder vollkommen abgerundet erscheinen, und 
die Rissenden (etwa wie die ausgezogenen Fäden eines 
Tropfen Speichels oder Terpentins nach dem Abreissen) in 
die abgerundeten Ränder der Substanz sich zurückziehen. 
Daraus ergiebt sich, dass die fragliche Substanz eine gallert- 
artige, elastische Beschaffenheit habe und keine Spur einer 
Textur zeige. Die Hohlräume ferner erscheinen nicht von 
Membranen ausgekleidet, sondern seien durch Wassereinsau- 
gung oder durch Trennung löslicher Bestandtheile von un- 
löslichen auf Kosten der Grundsubstanz entstanden, etwa so, 
wie nach Henle in dem Gerinsel der Lymphe die mit Was- 
ser oder löslichem Eiweiss gefüllten Höhlungen sich bilden. 
(Allg. Anat. S. 169.) Diese letztere Ansicht stützt der Ver- 
fasser besonders durch die Beobachtung, dass in losgerisse- 
nen Theilchen, Kugeln der Sareode, nachträglich Höhlungen 
neu entstehen. Die Körnchen und Körner endlich lassen 
gleichfalls von Textur Nichts wahrnehmen, und eine eigene 
Haut oder Membran ist weder an der Aussen- noch an der 
Innenfläche des Polypenkörpers bemerkbar. Hiernach stimmt 
die Körpersubstanz des Polypen vollkommen mit der Sar- 
code der Infusorien nach Dujardin überein und wird mit 
dem Ausdruck „‚ungeformte kontraktile Substanz‘* benannt. 
Sowohl aus dieser Benennung, als auch aus den weiteren 
Deduktionen über die Natur dieser Substanz, in welcher die- 
selbe mit den Fibrillen*) gestreifter Muskelfasern verglichen 
wird, ergiebt sich, dass der Verfasser jede Betheiligung einer 
Zellenmembran, ja, wie es dem Ref. erschien, jede Vermit- 
telung von Zellen überhaupt an der Bildung der kontraktilen 
Substanz ausgeschlossen haben will. Dem entsprechend wer- 
den auch vier Formen konträktiler Substanz unterschieden: 
1) die ungeformte kontraktile Substanz, 2) durchsichtige, ho- 
mogene Substanz olıne alle Faserung, aber in muskelähnliche 
Massen getrennt (junge Insektenlarven), 3) die geformte kon- 
traktile Substanz (Muskelsubstanz), 4) kontraktile Zellen und 
Flimmerzellen. Zugleich wird darauf hingewiesen, dass die 


*) Ref. setzt hier voraus, dass der Verfasser mit Kölliker die 
Fibrillen der gestreiften Muskelfasern gegen die Beobachtungen Holst's 
und Reichert’s durch Niederschlag des Zelleninhaltes entstehen lässt, 


A? 


4 


ungeformte kontraktile Substanz sowohl im Thierreiche, als 
während der Entwickelung des einzelnen Individuum allmälig 
in die geformte, d.h. in den Muskel übergehe. 

Ecker’s Arbeit hat uns in der Kenntniss von der räth- 
selhaften Natur der sogenannten Sarcode nach des Referen- 
ten Ermessen nicht wesentlich weiter gebracht. Wenn aber 
Ehrenbergder Vorwurf gemacht wurde, dass derselbe die un- 
zugänglichen Erscheinungen von der Substanz niederer Thiere 
nach dem Schema des Baues höherer Thiere deutete; so ver- 
mag Referent den Verfasser obiger Schrift nicht ganz davon 
freizusprechen, in seinen Folgerungen einerseits zu wenig 
anerkannte Thatsachen berücksichtigt und anderseits über die 
Erscheinungen hinaus in das beliebte Thema der, wenn man 
so sagen darf, ungeformten Bildungen sich verloren zu haben. 
Die Physiologen und Zoologen mögen mit dem Verfasser 
darüber rechten, dass derselbe ihnen selbstständige thierische 
Geschöpfe, ja ganze Thiergruppen zu blosser ungeformter, 
kontraktiler Substanz, dem angeblichen Vorläufer wirklicher 
Muskeln bei höheren Thieren, gemacht hat, obschon der frag- 
lichen Substanz anerkannter Maassen noch viele andere und 
höchst wichtige Eigenschaften zugestanden werden müssen. 
Die Histologie aber kann nach wie vor die Sarcode, soweit 
sie uns bekannt geworden, nur als eine räthselhafte Substanz 
betrachten, die zu Vergleichungen mit anderen, nachweislich 
aus Zellen sich entwickelnden Gebilden, wie die Fibrillen der 
gestreiften Muskelfasern, oder zur Anwendung auf die Theorie 
von organisirten Bildungen ohne Vermittelung von Zellen 
keine irgendwie gerechtfertigle Stütze darbielet. Gegen die 
Ansicht, dass die Substanz des Polypenkörpers eine „‚unge- 
formte‘* sei, spricht übrigens schon die bekannte Thatsache, 
dass die Polypen aus befruchteten Eiern sich entwickeln, die 
den Furchungsprozess durchmachen und mithin in einem 
Haufen Zellen sich verwandeln, an welchem die weitere 
Bildung vorschreitet. Wird uns diese bekannt werden, so 
wird die Sarcode uns entwickelt, organisirt und dem 
entsprechend geformt sich därstellen, und dann wird man 
schwerlich von einer „‚ungeformten, kontraktilen Substanz“ 
sprechen oder an die Möglichkeit eines Ueberganges einer 
solchen Substanz in wirkliche Muskelfasern denken. Wie 
beifällig daher auch die Folgerungen Ecker’s aufgenommen 
sein mögen, Referent vermochte seine Bedenken um so we- 
niger zurückzuhalten, als leider schon von anderen Seiten im 
Sinne jener Folgerungen nach einseitigen und unrichtigen 
Beobachtungen weitere, ganz nutzlose und nur Verwirrung 
stiftende Kombinalionen gemacht werden. Wir werden Ge: 


b) 


legenheit haben, noch in einem späteren Berichte darauf zu- 
rück zu kommen. 

Die Literatur über die Genesis der Zelle und deren 
Bestandlheile bietet auch in diesem Jahre wenig erfreuliche 
Ausbeute dar. Man vermeidet es, die Bildung der Zelle mit 
ihren Bestandtheilen an den leider noch sehr vereinzelt da- 
stehenden Orten zu studiren, wo es unter den günstigsten 
Umständen geschehen kann, und verschwendet vielmehr seine 
Mühe auf Beobachtungen dieses Gegenstandes unter Verhält- 
nissen, wo der besonnene Forscher sehr bald von den ver- 
geblichen Bemühungen überzeugt wird. Mit einer gewissen 
Hartnäckigkeil behandelt man auch fortdauernd die Zelle hin- 
sichtlich ihrer Bildung wie ein Artefakt; — man will ab- 
solut eine Zelle machen! So hat man ehedem die zusam- 
mengesetzten Organismen nach Art von Kunstprodukten er- 
zeugt und entwickelt werden lassen; ganz so, wie ein Haus, 
oder ein Schiff ete. von Menschenhänden verfertigt wird. Aber 
wie hier, so wird man dereinst auch die Zeugung und Ent- 
wickelung der Zelle, als eines organisirten Körpers, durch 
einen Akt der Differenzirung geschehen lassen müssen, die 
nieht ein Akt der Zusammensetzung, eines Aufbaues oder 
einer Aggregation ist, sondern ein Prozess, in dessen Ge- 
folge nun ein Ding wie aus den durch die Differenzirung 
herausgelretenen Momenten oder Bestandtheilen zusammen- 
gesetzt erscheint. 

Nach Barry (Ueber den thierischen und vegetabilischen 
Zellkern. Schleid. und Fror. Notiz. No. 140. 1848; Edin- 
burgh new philosophical journal 1847.) sieht man zuerst bei 
der Zellenbildung ein durchsichtiges, nicht scharf umgrenztes 
Körperchen, die Hyaline. Um dasselbe lagern sich eine Menge 
kleiner Körperchen; diese verschwinden nach und nach und 
an ihrer Stelle entsteht eine Membran, während im Innern 
ein rundliches Körperchen sichlbar wird. Das Ganze stellt 
einen Cyloblasten dar, der in seiner äusseren Partie körnig 
wird, und dessen Körperchen im Inneren des Kern-Körper- 
chen ist. Der Cyloblast wird nun grösser und in seinem 
Inneren um den Nucleolus bildet sich eine zweite Umlagerung 
von Elementarmasse, die in eine Membran übergeht; so wird 
der Cyloblast zur Zelle, der frühere Nucleolus zum Nucleus 
und in diesem entsteht ein neuer Nucleolus; zwischen der 
Membram des früheren Cyloblasten, jetzigen Zellenmembran, 
und dem Nucleus, früheren Nueleolus, findet sich der Zellen- 
inhalt ein. So kann der Prozess ohne Ende fortgehen. 

Cramer, der die Keimflecke in dem Keimbläschen 
der Froscheier für Zellen hält und sie mit Vogt auch in den 
bekannten Kernen der Furchungskugelzellen wiederfindet, hat 


6 


den Bildungsprozess dieser Körperchen folgender Maassen 
verfolgt. Im Anfange ist das Keimbläschen mit seinen hellen 
Körnchen gefüllt, die allmälig an Zahl und Grösse zunehmen. 
Diese Körnchen werden rundlich oder von mehr unregel- 
mässiger Form, scheinen solide, erreichen die Grösse von 
menschlichen Blutkörperchen und lieben es dann, zu 3 und 4 
an einander zu haften und, wie es scheint, zu verschmelzen. 
Zu diesen Konglomeraten stossen ferner neue kleinere und 
grössere Körperchen, so dass ein Klümpchen gebildet wird, 
und um ein solches Klümpchen findet sich später eine durch- 
sichtige Zellenmembran (?). Die Körperchen, grosse und kleine, 
unterliegen später einem Schmelzungsprozess, so dass bald 
nur 3—4 grössere Körperchen zurückbleiben und schliesslich 
auch diese hinschwinden, wonach das Ansehen der reifen 
Keimflecke (leuchtende Bläschen nach dem Verfasser) zu 
Tage tritt. ' 

Während des Furchungsprozesses der Batrachier- 
Eier verfolgte der Verfasser eine andere Art von Zellenbil- 
dung. Zunächst bemerkt Cramer, dass alle Furchungsku- 
geln von Membranen umhüllt seien und als Kerne die unter 
sie vertbeilten Keimflecke (? Ref.) enthalten. Die Anwesen- 
heit der Membranen an den Furchungskugeln wird theils aus 
der grossen elastischen Geschmeidigkeit (? Ref.), theils aus 
Diffusionserscheinungen, theils aus den Faltenbildungen an 
der Oberfläche der grösseren Furchungskugeln in der Umge- 
bung der neu entstehenden Trennungslurche erschlossen. Bei 
den Diffusionserscheinungen verwahrt sich der Verfasser ge- 
gen den Verdacht (Bischoff ete.), dass die sich erhebenden 
Membranen durch die Berührung der Körper mit Wasser erst 
neu entstanden seien. Die Art ferner, wie dıe Membranen 
bei Berührung mit Wasser sich abheben, immer stärker und 
stärker sich ausdehnen, mit einem Ruck plötzlich platzen und 
im schnellen Strom die molekulären Körperchen heraustreten 
lassen, lassen wohl füglich nicht daran denken, dass der 
Verfasser, wie Henle in seinem Jahresberichte meint, es 
mit in Wasser austretenden ‚Eiweisstropfen zu thun gehabt 
habe. Vor Allem macht Cramer mit vollem Recht, doch 
leider den Parteibestrebungen gegenüber immer noch vergeb- 
lich, darauf aufmerksam, dass K. E. von Bär ohne alle 
theoretische Voruriheile bereits im ersten Jahrgange dieses 
Archivs erzählt habe, wie sich beim Werfen und Einschnei- 
den der ersten Furche die Wände in zarte Falten gekräuselt 
haben, und später noch hinzufügte: ‚„‚der Ueberzug faltet sich 
wirklich ein“. Noch Niemand hat es gewagt, gegen solche 
Thatsachen aufzutreten, aber — man ignorirt sie. (Vergl. 
Henle: Jahresbericht. 1849. 8. 29.) — Der Verfasser denkt 


7 


sich den Vorgang der Zellenbildung so, dass beim Zerfallen 
einer Furchungskugel in zwei die umhüllende Membran mit 
in die Furche hineingezogen würde und, immer tiefer ein- 
dringend, die neu entstehenden Furchungskugeln umkleide. 
In der Abhandlung des Referenten über den Furchungspro- 
zess der befruchteten Eier von Strongylus aurieularis, wo der 
Zellenbildungsprozess bisher noch am klarsten in seinen ein- 
zelnen Momenten verfolgt werden kann, wurde darauf hin- 
gewiesen, dass die Lageveränderung und der Uebergang in 
die Kugelform der von eigenen Membranen umhüllten Toch- 
terzellen (nächste durch scheinbare Theilung entstehende Fur- 
chungskugeln) nach der allmäligen Verkümmerung der Mut- 
terzellenmembran den Anschein eines solchen Zellenbildungs- 
prozesses, wie ihn Cramer beschreibt, leicht gewähren 
könne. (Müller’s Archiv: 1848. S. 21 u. f.: Bemerkungen 
über das Zellenleben in der Entwickelung des Froscheies.) 
Noch eine andere, bisher ganz unbekannte und unter 
homologen Verhältnissen bei anderen Thieren nicht vorkom- 
mende Zellenbildung hat H. Meyer bei der Entwickelung 
der Saamenelemente und Eier von Lepidopteren be- 
schrieben. In den Hodenschläuchen entstehen nach dem Ver- 
fasser zuerst freie Kerne. Um diese bilden sich auf eine 
nicht weiter näher begründete Weise Zellen. Später nimmt 
die Zahl der Kerne in diesen Zellen bedeutend zu, und schliess- 
lich bildet sich um jeden dieser Kerne eine Tochterzelle 
(Membran znd Inhalt Ref.), denen die Sonnenfäden ihre Ent- 
stehung verdanken. In den Schläuchen des Ovarium geht 
die Zellenbildung auf ähnliche Weise vor sich. Die so ent- 
standenen Tochterzellen stellen hier die Keimbläschen dar, 
um welche herum später die Eier gebildet werden (?). (Ueber 
die Entwickelung der inneren Geschlechtstheile bei den Le- 
pidopteren: Aus den Mittheilungen der Züricher naturh. Ge- 
sellsch. No. 26; später ausführlicher in Siebold’s und Köl- 
liker’s Zeitschrift für Zoologie: Bd, I. S. 175 — 197.) 
Die sogenannte Spaltbarkeit der Kerne von Eiterkör- 
u. s. w. bei Anwendung von Essigsäure, welche 
ekanntlich von Henle in abenteuerlicher Weise zur Begrün- 
dung der Kernbildung aus Verschmelzung einzelner Stücke 
benutzt wurde, ist von neuem Gegenstand der Untersuchung 
für Reinhardt geworden. (Virchow’s und Reinhardt’s 
Archiv: 1848. Bd. I. S. 328 u, f.) Der Verfasser bestreitet 
die angenommene Thatsache, dass die Kerne der Eiter-, 
Chylus- und farblosen Blutkörperchen nach Zusatz von 
Wasser- oder Essigsäure in einzelne Stücke zerfallen. Er 
weiset zunächst darauf hin, dass die Kerne in Elementar- 
zellen mit durchsichtigem Inhalt, wie in den Zellen der Epi- 


8 


thelien seröser und mancher Schleimhäute, häufig auch der 
Mb. granulosa, desgleichen des Sarcom’s und Krebses, wo 
eine Verwechselung mit anderen Erscheinungen nicht mög- 
lich sei, bei Zusatz von Wasser und Essigsäure nur Difflu- 
sions und Aufquellungs-Phänomen auftreten, nirgend aber 
eine Substanzablösung von der Peripherie aus oder ein Ein- 
reissen und Zerfallen in mehrere getrennte Körner beobachtet 
werde. Sodann bemerkt der Verfasser, dass man in den 
jüngeren Eiterkörperchen, welche keineswegs, wie viele For- 
scher meinen, anfangs als körnige Klumpen auftreten, son- 
dern vielmehr einen durchsichtigen Inhalt führen, der hier 
deutliche Kern bei Behandlung mit Wasser und Essigsäure 
niemals in einzelne Körner sich spalte oder zerfalle. Er fügt 
ferner hinzu, dass in jungen Eilerzellen mit durchsichtigem 
Inhalte mehrfache Kerne, auch biseuit- und kleeblatt-ähnliche 
Kernformen, wie sie nach Henle durch Anwendung von 
Essigsäure entstehen sollen, auch ohne Anwendung von Rea- 
genzien vorzufinden seien. Schliesslich zeigt er dann, dass 
auch in den mit granulirtem Inhalt gefüllten Eiterkörperchen 
jene Kernformen verdeckt liegen und durch Wasser und Es- 
sigsäure nach dem dadurch bedingten Lichterwerden des kör- 
nigen Inhaltes als solche nunmehr einfach zu Tage treten 
und gesehen werden. Der Irrihum Henle’s soll dadurch 
entstanden sein, dass derselbe den anfangs durch das diffun- 
dirle Wasser von der Membran zurückgedrängten, granulirten 
und die noch nicht sichtbaren Kerne einschliessenden Zellen- 
inhalt für den ganzen Kern genommen habe und die später 
sichtbaren Kerne durch Umwandlung dieses Zelleninhaltes 
entstanden dachte. 

Henle hat bereits auf diese Abhandlung Reinhardt’s 
eine Erwiderung folgen lassen. (Canstatt’s und Eisen- 
mann’s Jahresb. Bd. I. S. 28.) Der Verfasser versichert, 
dass die Vorwürfe Reinhardt’s völlig aus der Luft ge- 
griffen seien. Er behauptet, dass der Zelleninhalt nach Was- 
serzusatz in der Regel (?) klar genug sei, um den Kern durch- 
scheinen zu lassen, dass derselbe bei Anwendung von Essig- 
säure erst gross und blass, dann kleiner und dunkler, späterhin 
eingebogen und gelappt erscheint. Es kommt bei der Ent- 
scheidung der Frage darauf an, dass man bei der Beobach- 
tung ein bestimmtes Eiterkörperchen im Auge behalte, zur 
Untersuchung. ferner ganz frischen, neutral oder alkalisch 
reagirenden Eiter wähle, einen Tropfen desselben mit einer 
gleichen Menge destillirten Wassers auf das Objektglas bringe, 
endlich an den Rand des Deckgläschens einen Tropfen Was- 
sers träufele, in welchen man die Spitze einer mit Essigsäure 
befeuchteten Nadel taucht, Den ganzen Vorgang indessen 


9 


deutet Henle jetzt, wo er „mit besseren Mikroskopen** ar- 
beitet als vor 10 Jahren, anders als früher. Er scheint ihm 
demnach besser, mit Zimmermann, als Ein- und Abschnü- 
rung, denn als Einreissen und Spaltung bezeichnet werden 
zu müssen. 

Referent hat die Versuche mit Eiterkörperchen so wie- 
derholt, wie es Henle angegeben. Es ist ihm leider nicht 
geglückt, klar und deutlich eine ein- oder mehrmalige Ein- 
schnürung eines einfachen Kerns zu verfolgen. Wohl aber 
hat er sich wiederholentlich überzeugt, dass, wie Reinhardt 
es angiebt, während des Lichterwerdens der die Kernformen 
umgebenden Masse die kräftlig kontourirten Körner allmälig 
deutlicher zu Tage treten. Man sieht während der Beobach- 
tung, dass die bis dahin verdeckten Körner anfangs noch un- 
deutlich, nach und nach aber, und zwar in dem Grade, als 
die in der Umgebung befindliche Substanz lichter wird, deut- 
lich und mit scharfen Kontouren sichtbar werden. Ob alle 
die dann hervortretenden Körper mit scharfen Kontouren 
von gleicher Beschaffenheit sind, ist aus dem Grunde zu be- 
zweifeln, weil einige unter Anwendung von Kalisolution nicht 
anschwellen, sondern allmälig kleiner werden und vergehen. 
Dieses deutel auf eine fettarlige Beschaffenheit. Es wäre 
dann auch denkbar, dass bei Anwendung der Essigsäure durch 
den Zusammenfluss kleinerer Felttropfen grössere Tropfen 
sich bilden. Jedenfalls ist das gewiss, dass die besprochenen 
Erscheinungen mit der Kernbildung Nichts zu thun haben, 
und Henle selbst scheint jetzt in dieser Beziehung kein Ge- 
wicht mehr auf dieselben zu legen, obwohl sie früher zur 
Feststellung von Partei-Ansichten über Zellenbildung hinläng- 
lich ausgebeutet worden sind. 


Eier und Saamenkörperchen. 


Die durch das eigenthümliche Flinnmerorgan bekannt ge- 
wordenen Saamenkörperchen der Molche hat J. N. Czer- 
mak zum Gegenstände einer genauen Untersuchung gemacht. 
(Abgedruckt aus der Uebersicht der Arbeiten und Verände- 
rungen der Schlesischen Ges. für vaterländische Kultur im 
Jahre 1848.) Der Verfasser beobachtete insbesondere die 
bisher noch nicht genau bekannten Saamenkörperchen von 
Salamandra atra. Man unterscheidet an ihnen den Kopf und 
den Schwanz. Der Kopf ist im Mittel 0,00347 W. Z. lang 
und an der Verbindungsstelle mit dem Schwanze 0,00015 
W.'Z. dick, gegen sein freies Ende verjüngt er sich allmälig 
und läuft dann ziemlich plötzlich in ein ungemein feines, 
0,00035” langes Stielchen aus, welches fast immer, wie es 


10 


R. Wagner von Salam. maculata und Triton palmipes an- 
gegeben, ein kleines Knöpfchen trägt oder mit kaum sicht- 
barer Spitze endigt. An dem Schwanze bemerkt man den 
Hauptfaden und das accessorische flimmernde Gebilde. Der 
Hauptfaden beginnt am Kopfende in fast birnförmiger Gestalt 
und ist nur undeutlich durch einen Querstrich vom Kopfe 
selbst abgegrenzt. Am Kopfende ist er fast eben so dick, 
wie die Basis des Kopfes selbst; dann verschmälert er sich 
etwas und geht durch einen plötzlichen Absalz in das viel 
dünnere, über zwei Drittel der ganzen Schwanzlänge betra- 
gende Mittelstück über, welches durch eine jähe Verjüngung 
in das dünne, stumpf auslaufende Endstück sich fortsetzt. 
Die ganze Länge des Schwanzes beträgt 0,0054 W. Z. Das 
accessorische Flimmergebilde stellt sich auch hier, wie es bei 
Tritonen von Pouchet, Panizza und dem Referenten an- 
gegeben wurde, als eine überaus dünne, glashelle, 0,0003” 
und darüber hohe Membran dar, die an dem Kopfende des 
Schwanzes sich zu erheben beginnt und senkrecht auf der 
Mittellinie der Rückenseite des Hauptfadens mit dem einen 
Rande festsitzt, während der andere etwas verdickte (? Ref.) 
Rand in einer Wellenlinie hin und her gebogen frei fortziebt. 
Am stumpfen Ende des Hauptfadens nimmt die Höhe der 
Membran wieder so ab, dass der verdickte, freie Rand das- 
selbe unter einem spilzen Winkel berührt und sogar als ein 
zarter Ausläufer von 0,0005” frei darüber hinausragt. Dieser 
freie Rand der Membran ist es, den man als selbstständigen, 
spiralig gewundenen Faden aufgefasst hat. Der Umstand je- 
doch, dass derselbe parallel mit und neben dem Hauptfaden 
des Schwanzes, stets in geringer Entfernung von der kon- 
vexen Seite desselben verläuft und bei gehöriger Dämpfung 
des Lichtes durch zarte Schatten mit dem Hauptfaden in 
Verbindung stehend beobachtet werde, lässt über die obigen An- 
gaben keine Zweifel aufkommen. In Betreff des inneren Baues 
der Saamenkörperchen bemerkt der Verfasser, dass eine all- 
gemeine äussere Umhüllungshaut den Hauptfaden des Schwan- 
zes und den Kopf als zarte, strukturlose und durchsichtige 
Haut allenthalben umkleide und am Rücken des Schwanzfa- 
dens eine senkrecht stehende Duplikatur — die accessorische 
Membran — bilde. Unter dieser Umhüllungshaut* liege am 
Kopf die Schlauchhaul, welche, angefüllt von einer das Licht 
stark brechenden Flüssigkeit, den Kopf darstelle. Von dieser 
Anordnung überzeugt man sich, wenn zufällig der Schwanz 
abgerissen ist oder auch bei Berstungen des Schlauchs. Der 
Hauptfaden des Schwanzes scheint solide zu sein. Die Um- 
hüllangshaut macht sich besonders in früheren Entwicke- 
lungsstadien der Körperchen dadurch bemerkbar, dass sie 


al 
nach Zusatz von Wasser an der Bauchseite des Kopfes und 
Schwanzes in Form von Blasen abgehoben wird, die allmälig 
kuglig anschwellen und sich weiter ausdehnen. Diese blasen- 
förmigen Erhebungen scheinen nach Czermak jenen räthsel- 
haften Anschwellungen zu entsprechen, die Kölliker an den 
unreifen Saamenläden so vieler Thiere beobachtet hat. 

Ausführlich und mit der nöthigen Sachkenntniss lässt 
sich der Verfasser über die Bewegung der Saamenkörper- 
chen der Molche aus. Die accessorische Membram bewegt 
sich in fortschreitenden Undulationen von vorne nach hinten 
gegen das freie Schwanzende. Zur besseren Beurtheilung 
dieser Bewegung kann man sich die accessorische Membran 
wie durch Verwachsung einer gradlinigen Reihe von Flim- 
merhaaren, welche nach einander pendelartig (? Ref.) schwin- 
gen, entstanden denken. Die langsamen und oft unmerklich 
erfolgenden Bewegungen des Kopfes und Schwanzes bestehen 
darin, dass diese Theile bestimmte Krümmungslinien anneh- 
men und dieselbe eine Zeitlang starr beibehalten. Die acces- 
sorische Membran flimmert immer auf der konvexen Seite 
dieser Krümmungen. Die Ortsveränderungen der ganzen Saa-. 
menkörperchen resultiren aus den beiden hervorgehobenen 
Momenten, die in gleichen Maasse die Möglichkeit und Art 
der Bewegung bedingen. 

H. Meyer hat in der bereits oben erwähnten Abhand- 
lung seine Resultate über die Entwiekelung der Eier und 
Saamenkörperchen bei Lepidopteren mitgetheilt. Die Ent- 
wieckelung beider Formelemente wird während der Raupen- 
periode vollendet und hat schon vor der Einpuppung ihr 
Ende erreicht. 

In den Ovariumschläuchen (Saturnia Carpini) finden sich 
in sehr früher Zeit eine grosse Menge von Kernen mit deut- 
lichen Kernkörperchen in eine zähe, eiweissartige Masse ein- 
gebettet. Ihr Durchmesser war verschieden von 0,0018 bis 
0,0049‘. Um diese Kerne bilden sich Zellen, von welchen 
diejenigen mit kleineren Kernen, nach einer Grössenzunahme 
bis 0,007” im Durchm., unverändert bleiben, während die 
Zellen mit grösseren Kernen zur Grundlage für die Bildung 
der Eier werden. Dieses geschieht so, dass diese Zellen sich 
allmälig mit einer grösseren Anzahl von Kernen füllen, in- 
dem, wie der Verfasser glaubt, die Vermehrung der Kerne 
durch Theilung des ursprünglichen Kerns nach vorangegan- 
gener Tlreilang des Kernkörperchens vor sich gehe. Nach- 
dem die Zahl der Kerne bei verschiedenen Thieren von 2 bis 
auf 91 sich vermehrt hat, umgeben sie sich oder vielmehr 
verwandeln sie sich zu Zellen, und diese Zellen stellen dann 
das Keimbläschen der künftigen Eier dar. Jedes Keimbläschen 


12 


umgiebt sich nämlich wie ein Kern mit einer Zelle, und ist 
nun das junge Ei, dessen anfänglich heller Inhalt mit der 
Grössenzunahme des Eies körnig wird. Die entfernter vom 
Ausführungsende des Schlauches gelegenen Eier erreichen 
nicht den vollkommenen Entwickelungszustand, sondern wer- 
den zu abortiven Eiern. Nach dieser Darstellung wäre also 
das Keimbläschen eine Zelle, der Keimfleck der Kern, das 
Ei selbst eine Tochterzelle, die in ihrem Kern (Keimbläschen) 
ihre eigene Mutterzelle mit sich führt. (Ref.) 

Auch in dem Hodenschlauch ( Cossus ligniperda) sieht 
man zuerst eine krümelige Masse, in welcher einzelne Kerne 
beobachtet werden. Die folgenden Entwickelungsstadien ver- 
folgte der Verfasser bei der Seidenraupe, der Raupe von 
Hyponomenla variabilis und von Papilio Brassicae. Die 
Kerne vermehren sich,. erscheinen nach und nach granulirt 
und, doppelrandig, mit einem Kernkörperchen (bis 0,001” im 
Durchm.) versehen und erreichen eine Grösse von 0,005 
im Durchm. Um diese Kerne herum entstehen Zellen von 
0,008” —. 0,009” im Durchm. In diesen Zellen, die schliess- 
lich eine Grösse von 0,025 —0,028‘ erreichen, vermehren 
sich die Kerne, wie oben bei den Grundlagen für die Eier. 
Nachdem auf diese Weise die Zellen mit einer grossen An- 
zahl von blassen Kernen gefüllt sind, umgeben sich die letz- 
teren mit Zellen von 0,008 —.0,009“ im Durchm. In den 
letzteren Zellen entwickeln sich die Saamenfäden; sie wer- 
den Saamenfadenzellen genannt, in Gegensatz zu den Mut- 
terzellen, in welchen sie sich gebildet haben. Die Saamen- 
fadenzellen reihen sich unterdess in einfacher Schicht an die 
innere Oberfläche der grossen Mutterzelle, so dass in deren 
Mitte ein freier nur mit eiweissartiger Flüssigkeit gefüllter 
Raum zurückbleibt. Die Saamenfaden enketichel sich nun 
in ihren einzelnen Zellen, wobei der Verfasser bemerkt, dass 
er nicht näher untersucht habe, ob dieselben aus dem Inhalt 
der Zelle oder aus dem Kern oder in diesem sich bilden. 
Die fertig gebildeten Saamenfaden werden frei und legen sich 
bündelförmig aneinander. Später findet sich an den Polen 
der Saamenfadenbündel ein Kern vor, von dem der Verfasser 
nicht weiss, woher er gekommen. Die Mutterzelle bleibt als 
Umhüllung für die Saamenfadenbündel und verändert dem 
entsprechend ihre Form. Nach seiner Untersuchung hält es 
der Verfasser für wahrscheinlicher, dass das Bindemittel der 
Saamenfadenbündel eine Membran und nicht eine eiweiss- 
artige Substanz sei. (Zeitschrift für wissensch. Zoolog. von 
Siebold und Kölliker. Bd. I. S. 187 u. £) — Referent be- 
dauert, dass der Verfasser nicht Gelegenheit genommen hat, 
die Entwickelung der Saamenkörperchen und Eier bei den 


13 


Lepidopteren mit jener bei Ascaris acuminata und Strongylus 
auricularis, wo sie bisher noch immer am deutlichsten und 
bei einem und demselben Thiere in ihrem ganzen Verlauf ver- 
folgt werden kann, zu vergleichen. Die Unterschiede in der 
Entwickelung dieser an sich so homologen Bestandtheile sind 
zu bedeutend, als dass man nicht vermuthen solle, es werde 
sich hei vollkommener Uebersicht der Entwickelungserschei- 
nungen bei den Lepidopteren eine wesentlichere Uebereinstim- 
mung herausstellen. 


Fettgewebe. 


H. Meyer verdanken wir auch eine Untersuchung des 
Fetikörpers bei Insekten-Larven (a. a. O.). Bei ausgebildeten 
Raupen besteht der Fettkörper aus einer grossen Menge ein- 
zelner Lappen, die nach verschiedenen Seiten hin in Zipfel 
ausgewachsen sind, mittelst welcher sie unter einander zu- 
sammen hängen und ein unregelmässiges Maschenwerk dar- 
stellen. Die einzelnen Lappen erscheinen gebildet aus einer 
strukturlosen Haut, in deren Höhle eine grössere oder klei- 
nere Zahl von Fetitropfen enthalten ist. Die spitzen Enden 
der freien Zipfel zeigen gewöhnlich keine Fetttropfen. — Die 
Entwickelung dieser Fettkörperlappen sull nach dem Verfasser 
in folgender Weise vor sich gehen. Ursprünglich finden sich 
runde Zellen vor. Diese wachsen zu sternförmigen Zellen 
aus, deren Enden (Zipfel der Fettkörperlappen) sich errei- 
chen, verwachsen und nach Resorption der Trennungswände 
schliesslich mit ihren Höhlen communiciren. Es ist also die- 
selbe Bildungsweise, welche ehedem von Schwann für die 
Entwickelung der Kapillargefässe, in neuerer Zeit’von Köl- 
liker auch für die Bildung der primitiven Muskel- und Ner- 
venscheiden, von H. Meyer auch für die Tracheen in An- 
spruch genommen wird, An jüngeren Fettkörperlappen, 
welche noch nicht mit Fetltröpfchen erfüllt sind, sind. die 
Kerne der verschmolzenen Zellen noch sichtbar. Die Anfül- 
lung der Fettkörperlappen mit Fetttropfen scheint in zweierlei 
Weise vor sich zu gehen, entweder unmittelbar oder durch 
Vermittelung von Tochterzellen. Wenn die Tochterzellen sich 
mit Fetttröpfehen füllen, verschwinden die Kerne; späterhin 
m: auch die Zellenwandung verloren, und die Felltropfen 


iegen in der Hülle des Fettkörperlappens. 


Epithelialgebilde. 


Die gewöhnlichen Epithelien sind von Bowman in 
Urei Abtheilungen gebracht, die den Henle’schen Klassen 


14 


entsprechen: in die lamellen- oder schuppenlörmigen, in die 
prismatischen (eylinderf.) und in die sphäroidalen Epithelien, 
welche letztere namentlich in Drüsenschläuchen angetroffen 
werden. Unterabtheilungen werden nach der Anwesenheit 
und dem Mangel der Cilien bestimmt, (Todd: The eyelo- 
paed. of anat, and phys. Volum. III. p. 489. Mucous mem- 
brane.) — Die Eintheilung Bowman’s leidet an denselben 
Mängeln, wie die Henle’sche: sie ist eine willkürliche Zu- 
sammenstellung ohne durchgreifenden Eintheilungsgrund. Sie 
begeht auch einen Fehler darin, dass sie die polyedrische 
Begrenzung, die überall im normalen Verhalten an den wirk- 
lichen Epithelialzellen vorkommt, nur bei einer bestimmten 
Abtheilung hervorhebt und bei anderen Epithelien läugnet. 
Polyedrische Begrenzungen fehlen allerdings oder sind doch 
nur die Ausdrücke des gegenseitigen Druckes bei denjenigen 
Zellen, aus welchen sich Eier und Saamenkörperchen ent- 
wickeln und die von manchem Forscher für Epithelialzellen 
gehalten werden, wenn namentlich die keimbereitenden Ge- 
schlechtsorgane wirkliche Drüsen darstellen sollen. Die In- 
konsequenzen einer solchen Ansicht liegen zu Tage für den- 
jenigen, der da weiss, dass die, auch unter anderen Verhält- 
nissen auftretende, Röhren- und Kapsel-Form, oder die Ab- 
und Anwesenheit von zu- und abführenden Kanälen nicht 
allein den morphologischen und physiologischen Charakter 
einer Drüse zu bestimmen vermögen. Ebenso darf man bei 
Beurtheilung der polyödrischen Form der Epithelialzellen 
nicht durch die abgestossenen und vielleicht veränderten oder 
durch die noch in der histologischen Entwickelung begriffe- 
nen Drüsenzellen sich irre leiten lassen. Nach des Referenten 
Ansicht lassen sich die Epithelien, wie es Jaesche (De telis 
epith, p. 21.) angegeben, am durchgreifendsten nach den Aus- 
dehnungsverhältnissen der Zellen in der epithelialen Membran 
eintheilen. Dann giebt es 1) Epithelien, deren Zellen nach 
keiner Richtung in der Membran vorherrschend ausgewachsen 
sind (Henle’s Uebergangs-Epith.), und 2) solche, deren Zellen 
entweder nach der Dicke (sog. Cylinder-Epith.) oder nach 
der Fläche der Membran, und zwar einseitig (z. B. das spin- 
delförmige Epith. der Gefässe) oder allseitig (Epith. lamelli- 
forme), sich ausgebildet haben. Die weiteren Unterabthei- 
lungen der Epithelien nach der An- und Abwesenheit der 
Cilien, nach der Beschaffenheit des Kerns, Inhalts, nach ge- 
wissen nicht kontraktilen Fortsetzungen der Zellenmembran 
sind jetzt schon so zahlreich, dass man am zweckmässigsten 
davon absieht. Die Eintheilung der Epithelien in einfache 
und geschichtete hat einen ganz anderen Sinn, als die eben 
besprochene; sie berücksichtigt nicht die histologische Ent- 


15 


wieckelung und Ausbildung der Zellen in den epithelialen Mem- 
branen, sondern die Wachsthums- und Regenerations-Erschei- 
nungen der letzteren in der Zusammensetzung mit anderen 
Gebilden im Organismus. Henle macht in seinem Jahres- 
berichte (Canst. u. Eis. 1849. S. 32.) von Neuem gegen Vir- 
chow die Thatsache geltend, dass die Cylinderepithelien der 
Gallenwege keine Zellenkerne hätten. Auch Referent hat 
sich, sowohl mit als ohne Anwendung von Essigsäure, von 
der Anwesenheit der Kerne nicht überzeugen können, 

Die Epithelien der Gelenkkapseln untersuchte Fre- 
richs. (Handwörterb. der Phys. von R. Wagner. Bd. II. 
S. 463 u.f) Die Epithelialschicht der Gelenkhäute, welche 
der Verfasser nur an den vorspringenden Bändern, Fettläpp- 
chen und Zwischenknorpelu übereinstimmend mit neueren 
Untersuchungen vorgefunden, zeichnet sich von derjenigen, 
welche die übrigen serösen Membranen bekleidet, durch ihre 
grössere Dicke aus; die Dicke beträgt bei jenen „ug — 47 > 
bei den Synovialkapseln 45, — 74°. Die Zellen sollen hier, 
wie (öfters Ref.) auf den Schleimhäuten in mehrfachen, ver- 
schiedenen Entwickelungsstufen angehörigen Schichten über- 
einander liegen. Die unterste Schicht soll nur aus Kernen von 
#40 — is. bestehen; sodann folgen rundliche Zellen von 

—z45'', endlich polyedrische gestaltele Kerne. In der 
Synovia selbst zeigen sich bei der mikroskopischen Untersu- 
chung abgestossene Theile des Epithelialüberzuges der Kapsel 
in verschiedenen Stadien der Entwickelung und Rückbildung: 
als längliche oder unregelmässig polyedrische platte Zellen, 
meistens mit granulirten Kernen, theils einzeln, theils zu 
grösseren Lamellen, Flöckchen, vereinigt; ferner runde Zellen 
von ZI,‘ im Durchm., auch Kernbildungen, welche in ihren 
Eigenschaften mit den sog. Schleim- und Eiterkörperchen 
übereinkommen. 

Der Ueberzug an der freien Fläche der Gelenkkapseln 
ist in neuerer Zeit öfters zum Gegenstande der Untersuchung 
Bmaeht worden. Bekanntlich hatte Henle (Allg. Anat. S. 

69.) an der Innenfläche der Gelenkkapseln überall Epithe- 
lium gefunden; ja, er giebt sogar an, dass dasselbe an den 
Gelenkknorpeln durch eine Biudegewebeschicht streng von 
dem unterliegenden Knorpelgewebe abgegrenzt sei. Brücke 
hat dagegen sehr richtig bemerkt, dass zwar eine einfache 
Schicht von äusserst zarten Epithelium-Plättehen an den 
Synovialkapseln vorzufinden, dass dieselbe aber an Wen Ge- 
en ornch unmittelbar auf der Knorpelsuhstans elegen sei. 
Bowman (Plıysiologieal anatomy. p. 90.), Kölliker (histo- 
Inaieche Unters.) und später Gerlach (Handbuch ete. S. 118) 
haben sogar die Anwesenheit von Epilhelien an den Gelenk- 


16 ; 


knorpeln bestritten. Gerlach vermuthet, dass die periphe- 
rische Schicht der Knorpelsubstanz mit den plattgedrückten, 
runden Knorpelkörperchen und geringer Grundsubstanz die 
Veranlassung zu der Annahme von Epithelium-Zellen an den 
Gelenkknorpeln gegeben hätten. 

Referent nahm Gelegenheit, zur Beurtheilung der Kontro- 
versen die Gelenkkapseln mit Rücksicht auf die Ausbreitung 
und Beschaffenheit des Epilhelium zu untersuchen. Iım Fötal- 
zustande des Menschen und der Haussäugethiere liess sich 
an der ganzen inneren Oberfläche der Synovialkapseln Epi- 
thelium nachweisen. Auf dem Gelenkknorpel lag dasselbe un- 
mittelbar auf der Knorpelsubstanz auf. In der Form glich 
es ganz denı innersten Epithelium an den Gefässen. Von 
einer Verwechselung desselben mit Knorpellamellen konnte 
füglich keine Rede sein. Bei Erwachsenen dagegen vermochte 
Referent nur an denjenigen Stellen der Gelenkkapseln Epi- 
thelium vorzufinden, die sich der Reibung mehr entziehen, und 
hier hatte das Epithelium dasselbe Ansehen, wie im Fötal- 
zustande. An den Gelenkknorpeln und der nächsten Umge- 
bung fehlte es; wogegen in der Gelenkschmiere nicht ganz 
selten ganz feine abgestossene Knorpellamellen sichtbar wa- 
ren, die sich in zierliche Falten legten und dadurch das An- 
sehen eines faserknorpligen Gewebes gewannen. iese ver- 
schieden grossen Lamellen waren so gleichmässig dick und 
fein, dass sie zu der auch durch andere Erscheinungen wahr- 
scheinlich zu machenden Ansicht führen: es bestehe der hya- 
linische Knorpel aus über einander geschichteten Lamellen, 
deren gegenseitige Abgrenzung unter dem Mikroskop vor der 
Verknöcherung zwar nicht sichtbar, die aber bei der Reibung 
in den Gelenken sich in einzelnen oder mehrfachen Schich- 
tung ablösen lassen. Referent untersuchte übrigens die Ge- 
lenkkapseln solcher Leichen, bei welchen vorausgesetzt wer- 
den musste, dass die Gelenke noch kurz vor dem Tode im 
Gebrauch gewesen waren. Es wäre aber wohl möglich, dass 
in Fällen, wo dieses lange Zeit hindurch nicht stattgefunden 
hätte, die epitheliumfreien Stellen der Gelenkkapseln sich 
wieder mit Epitheliumzellen bedecken. 

Die Textur des Haares und seiner Umgebungen hat 
Hessling studirt. (Schleid. und Fror. Notizen. No. 113. 
1848.) In Betreff der Rindensubstanz weiset der Ver- 
fasser Qarauf hin, dass zuerst Reichert (Müll. Arch. 1841 
bei Gelegenheit des Berichts über Henle’s Untersuchungen; 
Jäsche: De telis epithelialibus ete. 1847. p. 14.) die Textur 
derselben richtig gedeutet habe, obschon Günther, Kohl- 
rausch, Kölliker keine Notiz davon genommen haben. 
An Haaren, welche drei bis vier Wochen in concentrirter 


17 


Schwefelsäure gelegen hatten, liess sich die Rindensubstanz 
nach Entfernung des Epithelium durch schwache Reibung in 
einzelne Schichten zerlegen, deren jede aus einander stos- 
senden, spindelförmigen Zellen bestand, welche zwischen 
sich an manchen Stellen längliche Spalten zeiglen. Die ein- 
zelne Faserzelle ist in der Regel glashell, seltener in's Hell- 
bräunliche spielend, spröde, leicht brüchig, zuweilen mit 
einem Kern, selbst Kernkörperchen versehen; wo der Kern 
fehlt, ist er durch einen dunkleren Fleck oder kleine Anhäu- 
fungen von Pigmentmolekülen angedeutet. Ihre Länge ist 
schwierig zu messen, weil sie immer bei der Präparation 
abbrechen. Die Breite variirt von 0,002 — 0,005’. Durch 
Druck und Zerrung mit feinen Nadeln trennen sich die Zellen 
der Länge nach, wodurch die verschiedensten Formen von 
Flechtwerken, Einschnitten oder Furchen entstehen; die ein- 
zelnen Splitter trennen sich öfters zu weithin verlaufenden 
Fasern ab. Nur ein Mal sah der Verfasser an mens£hlichen 
Haaren die von dem Referenten angegebene Textur der Rin- 
densubstanz, nämlich glashelle in einander steckende Röhren, 
in welche bisweilen längliche Risse oder Striche eingezeichnet 
waren. Hessling vermulhet, dass die Unterschiede von des 
Referenten Ansicht der Textur der Rindensubstanz wahr- 
scheinlich dem Umstande zuzuschreiben seien, dass von uns 
beiden Haare verschiedenen Alters untersucht worden seien. 
An den schlichten Haaren von Haidschnucken konnte der 
Verfasser keine gesonderte Zellen in den einzelnen Schichten 
der seltner und äusserst fein gestreiften) Rindensubstanz 
vorfinden. 

Henle hat in seinem Jahresbericht (Canstalt und Ei- 
senmann: 1849. Bd. I. S. 34.) den Lesern mitgetheilt, dass 
die erwähnten Beobachtungen Hessling’s mit des Refe- 
renten Angaben vielmehr im Widerspruch als im Eın- 
klange sich befänden. Ein solches Verfahren ist bei der Stel- 
lung, welche Herr Henle gegen den Referenten eingenom- 
men, mindestens unpolitisch. Referent hat sich in vorliegen- 
den Jahresberichten (1841 und 1846), desgleichen in der 
Jaesche’schen Dissertation zu wiederholten Malen ausge- 
sprochen. Nach seiner Ansicht besteht die Rindenschicht aus 
eoneentrischen Schichten epithelialer Membranen, in welchen 
feine Risse, Längsspalten (an den Stellen der dunkeln Striche) 
entstanden seien. Diese Schichten werden an dem Wurzel- 
ende des Haares bei ihrer Entstehung aus spindellörmigen, 
epithelialen, gekernten Zellen gebildet, deren Begrenzungs- 
linien und auch die Kerne später verschwinden, während 
die feinen Einrisse sichtbar werden. Hessling hat nur ein 
Mal beim Menschen in der Rindensubstanz Membranen mit 

Müllers Archiv, 1849, B 


18 


Einrissen beobachtet, und sonst gewöhnlich noch die spindel- 
förmigen Zellen erkennen wollen, woraus derselbe geschlos- 
sen, dass seine Beobachtungen wahrscheinlich an jüngeren 
Haaren gemacht seien. Des Referenten Beobachtungen sind 
stets an grauen, verhältnissmässig recht dicken Haaren eines 
weiblichen Individuum angestellt worden. Dass übrigens 
Alter, Straffheit, Weichheit, verschiedene Dieke des mensch- 
lichen Haares mit einigen Unterschieden in der Beschaffenheit 
der Rindensubstanz zusammenhängen mögen, ist dem Refe- 
renten später wahrscheinlich geworden; namentlich scheinen 
zuweilen die feinen Spalten zu fehlen. Dagegen ist es dem 
Referenten nicht gelungen, an dem freien Theile des Haar- 
schafts in den Schichten der Rindensubstanz die Kontouren 
der spindelförmigen Zellen wieder aufzufinden, noch weit 
weniger die Zellen selbst darzustellen. Bekannt ist, dass 
man durch Zerrung der Rindensubstanz, namentlich nach Be- 
handlung mit Schwefelsäure, Splitter von den unregelmäs- 
sigsten Formen, oft auch mit zugespitzten Enden, sehr leicht 
gewinnen kann. Referent vermochte um so weniger sich für 
die Annahme zu entscheiden, dass jene unregelmässigen For- 
men als solche isolirt in die Zusammensetzung der einzelnen 
Schichten eingehen, da eine derartige Zersplitterung an glas- 
hellen, spröden, aus spindelförmigen Zellen entstandenen und 
vielleicht mit Einrissen und Spalten versehenen Membranen 
gar zu leicht gelingt, und überdiess die Verschmelzung der 
spindelförmigen Zellen an der Haarwurzel — bei der Unter- 
suchungsmethode des Referenten (Müll. Arch. 1846. Jahresb.) 
— auf das deutlichste verfolgt werden kann. Obgleich übri- 
gens Hessling die spindelförmigen Zellen, wie man diesel- 
ben an der Haarwurzel beobachtet, auch für die Rindensub- 
stanz höher hinauf abzeichnet, so bemerkt er doch ausdrück- 
lich, dass er die Länge der Zellen niemals vollständig über- 
sehen habe, um sie messen zu können. — Aus diesen Mit- 
theilungen ergiebt sich 'ein Urtheil über Henle’s Bericht von 
den Widersprüchen, in die Hessling bei der Bestätigung 
meiner Beobachtungen gerathen sei. 

Hessling unterscheidet mit den meisten neueren For- 
schern zwei Wurzelscheiden des Haares, die äussere und 
die innere. Die äussere Wurzelscheide, das Rete Malpighii 
der eingestülpten Cutis, welche darum, wie Referent glaubt, 
wohl besser als Epidermis des Haarsackes, denn als Scheide 
des Haarschaftes aufzufassen wäre, besteht aus mehreren 
Schichten von Zellen, die bei ausgezogenen Haaren theils an 
der inneren Haarwurzelscheide, theils am Haarbalge hängen 
bleiben. Gegen den Haarbalg hin liegen die ovalen, kernhal- 
tigen Zellen der Haaraxe parallel; gegen die innere Wurzel- 


19 


scheide hin sollen sie mehr senkrecht auf jener stehen. — 
An der inneren Wurzelscheide unterscheidet der Verfasser 
zwei Schichten, eine äussere, der von Henle eigentlich be- 
zeichneten inneren Wurzelscheide, und eine innere, die, wie 
es scheint, der von Huxley beschriebenen entspricht. Die 
äussere Schicht ist bis zur Mitte des Haarbalges äusserst dünn 
und weich, und wird von aneinander liegenden, platten, 
kernlosen, länglichen Zellen gebildet, die bald längliche, bald 
rundliche Spalten oder Löcher zwischen sich lassen (gefen- 
sterte Membran). Weiterhin wird sie dicht, rigide; die Zel- 
len rücken mehr aneinander; die Spalten werden schmäler, 
spitziger, gleichen langen Rissen, verlieren sich endlich ganz, 
so dass diese Schicht als wasserhelle, strukturlose, brüchige 
Membran sich darstellt, die mit der zweiten Schicht voll- 
ständig verwachsen soll. Die innere Schicht der in Rede ste- 
henden Wurzelscheide umschliesst den Haarschaft vom Haar- 
knopfe an bis zur Einmündungsstelle der Talgdrüsen. Sie 
besteht aus von oben nach unten sich deckenden, unten brei- 
teren, oben schmäler und spilzer werdenden kernlosen Zel- 
len, welche an keiner Stelle Lücken zwischen sich lassen, 
sondern sich ineinander verschieben. Gegen die Ausmündung 
des Haares hin verwachsen diese Zellen nicht selten zu einer 
soliden Membran. Sie ist nach dem Grunde des Haarbalges 
hin nicht so weit als selbstständige Membran zu verfolgen, 
als die gefensterte Membran. — Die an der Innenfläche der 
inneren Wurzelscheide sichtbaren, wolligen, queren Linien, 
die Kohlrausch für einen Abdruck des Oberhäutchens des 
Haarschaftes gehalten, erklärt der Verfasser für eine Schicht 
des Oberhäutchens selbst, die sich beim Abtrennen der in- 
neren Wurzelscheide auf diese zurückzieht, 

Referent vermag nicht in allen Stücken den Angaben 
Hessling’s über die innere Haarwurzelscheide beizustimmen. 
Es ist kaum einem Zweifel unterworfen, dass die innere 
Wurzelscheide aus mehreren, der Zahl nach jedoch nicht 
sicher zu bestimmenden, epithelialen Zellensehichten besteht, 
und dass an der Innenlläche derselben, wenn sie von dem 
Haarschaft abgetrennt daliegt, ganz deutlich ein dem Ober- 
häutchen des Haarschaftes ganz ähnliches Epithelium als Be- 
deckung erkannt werden kann, während der Schaft selbst 
sein Epithelium, wie Referent früher glaubte, keineswegs an 
den entsprechenden Stellen verloren hat, Dass dieses Epi- 
thelium aber der inneren Haarwurzelscheide nicht als inte- 
grirender Theil angehöre, sondern von dem Oberhäutchen 
des Schaftes abgerissen sei, davon konnte Referent sich nicht 
überzeugen. In jenen, die eigentliche Substanz der inneren 
Wurzelscheide bildenden, Zellenschichten verfolgte Referent 


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grade an der innersten am deutlichsten und jedenfalls am 
frühesten den Uebergang in die gefensterte Membran, wäh- 
rend in derselben Gegend an den gegen den Haarbalg hinge- 
wendeten Schichten noch rhomboidale Zellenplättchen sicht- 
bar waren. Ob die letzteren weiterhin in durchlöcherte 
Membranen sich verwandeln, konnte nicht mit Sicherheit er- 
mittelt werden, da die Trennung der einzelnen Schichten hier 
nicht gelingt, wenn es auch, wenigstens nach des Referenten 
Ansicht, unwahrscheinlich ist, dass sie unter einander zu 
einer einzigen Masse verschmelzen sollten. Die Angabe Hess- 
ling’s, dass die Löcher in den gefensterten Membranen auf 
Lücken zwischen den einzelnen Zellenplättchen einer epithe- 
lialen Membran zu beziehen seien, ist dadurch entstanden, 
dass der Verfasser die rhomboidalen Zellenplättchen anderer 
Schichten auf die Lücken der gefensterten Membran bezogen 
hat, was namentlich. leicht an dem abgerissenen Ende der 
Wurzelscheide geschehen kann Wenn man sich nach der 
von dem Referenten angegebenen Methode recht feine Theil- 
chen der inneren Wurzelscheide verschafft, so überzeugt man 
sich auf das deutlichste: dass die rhomboidalen Plättchen 
der Membrau vor dem Auftreten der Löcher überall so innig 
an einander hängen, dass sie oft genug vielmehr milten 
durch, als im Verlauf der sich berührenden Ränder beim 
Reissen sich trennen; dass ferner eine kleine Strecke weiter 
hinauf die Kontouren der Zellen gar nicht mehr sichtbar sind 
und dass dann erst die Löcher in der scheinbar strukturlos 
gewordenen epithelialen Memhran auftreten. (Vergl Jäsche: 
De telis epithelial. Fig. 1 und 2.) Was endlich die Beobach- 
tung betrifft, dass die Löcher nach der Oefluung des Haar- 
balges hin allmälig schwinden , so beruht diese Erscheinung 
darauf, dass die Löcher der Membran unten, wo der Haar- 
schaft anschwillt, zu ovalen mit ihrer Längsaxe der Axe des 
Haares parallelen Oeflnungen ausgedehnt sind, dass sie aber 
weiter binauf mit der Abnahme des Umfanges des Haar- 
schaftes sich verkleinern und zu Längsspalten sich verwan- 
deln. An dem freien Ende der Scheide sind dann die schein- 
bar kleiner gewordenen Spalten nicht mehr so deutlich zu 
sehen, weil die einzelnen Schichten gleichsam zu einer com- 
pacten Masse vereinigt daliegen. 

In Betrefl des Schuppenüberzuges des Haarschaftes 
ist die Beobachtung Hessling’s hervorzuheben, dass sie 
nach unten dicker ist und nach oben dünner wird. In der 
unteren Partie sind zwei Schichten zu unterscheiden, von 
welchen die eine, wie schon angegeben, sich leicht mit der 
inneren Haarwurzelscheide zurückziehen soll. Das Schuppen- 
Epithelium reisst leicht von seiner weicheren unteren Partie 


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ab und umzieht mit feinen queren Liuien und quer-ovalen 
Kernen den Haarknopf. Dieses ist jedenfalls die Membran, 
welche Referent früher für eine eigene Scheide des Haares 
angesehen hat, als er der Ansicht war, dass das Schuppen- 
Epithelium an der inneren Fläche der inneren Wurzelscheide 
dem Haarschaft abgenommen sei. Nachdem jedoch nunmehr 
Hessling gezeigt, dass beide Theile ihr Schuppen-Epithelium 
besitzen, so vermuthet Referent, dass die bezeichnete Scheide 
nur die jüngeren Zellenplättchen des Schuppen - Epitheliums 
vom Haarschaft darstellen, obschon er den unmittelbaren 
Uebergang noch nicht beobachten konnte. 

An dem Haarbalge unterscheidet Hessling mit Köl- 
liker drei Schichten: eine innere, strukturlose Membran, die 
unten am Balge fast ganz herumgeht; eine mittlere Schicht 
von Ringfasern, die nach Einwirkung von Essigsäure breite 
Kerne erkennen lässt, und eine äussere Schicht von Längs- 
fasern, die dem Zellgewebe des Corium angehören und nach 
Behandlung mit Essigsäure schmale, längliche Kerne zeigt. 

Griffith schliesst aus dem Verhalten der Marksub- 
stanz von Querschnittchen der Haare des Zobels, Dachses 
u. s. w. bei Digestion mit Wasser oder Alkohol oder war- 
men Terpentinöl, dass die Körnchen in derselben, die man 
für Pigmentanhäufungen gehalten, Luftbläschen seien. Die 
genannten Flüssigkeiten dringen in die Marksubstanz ein, die 
Luft entweicht in Bläschen, der Anschein körniger Pigmenti- 
rung schwindet, und es bleiben nur Spuren von Zellenwän- 
den sichtbar. Beim Trocknen stellt sich die Luft und das 
frühere Ansehen wieder ein. Referent kann noch hinzufügen, 
dass bei grauen und weissen Haaren die Marksubstanz unter 
der Lupe als ein weisslicher Streifen sich markirt, obgleich 
das Ansehen unterm Mikroskop ebenfalls zur Ansicht von 
Pigmentanhäufungen verleilen kann. (On Ihe colour of the 
hair, in Lond. med. Gaz. p. 844.) 

Eine grosse Anzahl Messungen der Haare von Englän- 
dern, Süd-Amerikanern und einem Neuseeländer hat Wilson 
angestellt. (On the management on the skin. Lond. 1847.) 

Das Jahr 1848 hat uns zwei Arbeiten gebracht, die es 
sich zur Aufgahe machen, die gesetzliche Bildungsweise 
schwieriger und complieirter Haargebilde zu erläutern: 
„De textura et formatione spinarum et partium similium; 
Diss. inaug Dorpati Liv. 1848“ von G. Bröcker; und 
„De formatione pennae; Diss, inaug, Dorpat. 1848“ von G. 
Schrenk. Obgleich diese Arbeiten auf Veranlassung des Re- 
ferenten unternonmen wurden, so mag derselbe von dem 
Aussprache des Urtheils sich nicht zurückhalten lassen, dass 
es Bröcker und Schrenk gelungen sei, ihre Aufgahe dem 


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heutigen Stande und den Anforderungen der Wissenschaft 
entsprechend zu lösen. Referent darf noch hinzufügen, dass 
er in allen wesentlichen Punkten mit den Angaben der ge- 
nannten Verfasser aus eigener Anschauung und Prüfung sich 
einverstanden erkläre. 

Bröcker untersuchte den Stachel von Hystrix crislata 
und Erinaceus europaeus; und dann zur Vergleichung die 
Haare von Hystrix cristala, von Dieotylis torquatus, die 
Stacheln von Echidua, die Borsten von Sus seropha und 
Phacochoerus Aelianus; ferner die Tasthaare von Phoca vi- 
tulina, Trichecus Rosmarus, der Katze und des Hundes; des- 
gleichen die Haare vom Schwanze des Myrmecophaga jubata, 
die Stacheln von Erethizon, die Haare des Kinnes von Cer- 
vus Alces, endlich auch menschliche Haare und Wolle. 

An Quer- und Längsschniltchen studirte der Verfasser 
die Beschaffenheit des Stachels von Hystrix. Als Resultat 
dieser Untersuchungen ergab sich, dass der Stachel eine cy- 
lindrische, nach oben und unten allmälig spitz auslaufende 
Röhre darstelle, deren Höhle durchweg von der vertrockne- 
ten Pulza (Seele) eingenommen werde. Joh. Müller ist 
bisher der Einzige gewesen, der aus seinen Untersuchungen 
es für wahrscheiulich hielt, dass die Matrix des Stachels zum 
Theil in denselben sich verlängere. Bröcker hat gleichfalls 
die Matrix vom Grunde des Balges aus bis zur Länge von 
einem Zoll herauspräpariren können; der complicirte Bau 
der Matrix gestatlel es nicht, den Stachel seiner ganzen 
Länge nach von der Matrix abzutrennen. An Querschnitt- 
chen wird die vertrocknete Matrix von der etwa vorhande- 
nen Marksubstanz hier und in anderen Fällen daran erkannt, 
dass sie bei Behandlung mit einer saturirten Kalilösung und 
nachträglichem Zusatz von Wasser nur wenig sich verändert 
und namentlich keine Textur aus Zellen walrnehmen lässt, 
welches an der Marksubstanz, wenn die Verhältnisse nicht 
gar zu ungünstig sind, stets beobachtet wird. Eine Ver- 
wechselung der vertrockneten Matrix mit der Riudensubstanz 
kann wohl kaum stattfinden. Für die Vorstellung von der 
Bildung des Stachels ist es nun unumgänglich nothwendig, 
eine genaue Kenntniss der Form der Matrix, namentlich deren 
Oberfläche, so wie der sie umgebenden Stachelröhre, insbe- 
sondere der der Matrix zugewendeten Innenfläche zu haben, 
da letztere als ein Abdruck der ersteren anzusehen ist. Des 
Verfassers Untersuchungen haben nun ergeben, dass die Ma- 
trix in der Spitze des Stachels die Kegelform besitzt, dass 
weiter abwärts an ihr Kanten hervortreten, die sich zur 
Wurzel des Stachels hin allmälig zuspitzen, zu Lamellen ver- 
wandeln und an Zahl (bis auf 6) zunehmen. Die Matrix 


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erhält dem entsprechend bald eine gefurchte Oberfläche ; man 
kann an ihr unterscheiden die centrale Axe und die vor der- 
selben sich erhebenden Längslamellen, zwischen welchen 
Furchen liegen. Auf dem Querdurchschnitt gewährt sie das 
Bild eines Sterns, von dessen Centrum sechs Schenkel, die 
Lamellen, ausgehen. Noch weiter abwärts erscheint die Ma- 
trix auf ihrer Oberfläche feiner gefurcht, die Lamellen haben 
sich vermehrt, so zwar, dass jede einzelne Lamelle beim 
weiteren Wachsthum an ihrem Rande in zwei Lamellen aus- 
läuft, bis endlich auch diese (Referent möchte sie die „,se- 
eundären*‘ nennen) in der Mitte des Stachels, wo letzterer 
am dicksten ist. auf gleiche Weise in zwei Endlamellen, die 
„tertiären‘, auswachsen. Auf dem Querdurchschnitt zeigt 
nunmehr die Matrix jenes Sternbild auf die Weise, dass die 
von der Axe auslaufenden sechs Schenkel zunächst in zwei 
Aeste und diese wieder in die vierundzwanzig Endzweige 
(tertiären Lamellen) sich ramifieiren. Man bemerkt dabei zu- 
gleich, dass die centrale Masse der Matrix unter der Ver- 
mehrung der Lamellen an Umfang abnimmt. Unterhalb der 
Mitte des Stachels, wenn letzterer nach dem Grunde des 
Balges hin allmälig sich verjüngt, beginnen die Lamellen all- 
mälig von der Peripherie aus zu verkümmern, es schwinden 
die terliären, dann die secundären, endlich auch die primären 
oder Hauptlamellen, die Substanz in der Axe nimmt an 
Masse zu, wird eylindrisch mit glatter Oberfläche und setzi 
sich mit einer eingeschnürten Stelle auf den Grund des Sta- 
chelbalges fest. 

Was nun die Stachelröhre betrifft, in deren Höhle 
die Matrix liegt, so kann man einstweilen, um sich ein to- 
tales Bild von der Form vorzustellen, von ihrer Zusammen- 
setzung aus zwei verschiedenen Substanzen absehen und 
auch die Matrix hinwegdenken. Sie stellt dann eine cylin- 
drische, nach den Enden hin verjüngt auslaufende Röhre dar, 
deren äussere Oberfläche fast glatt ist, deren Innenfläche da- 
gegen in den verschiedenen Gegenden ein verschiedenes Ver- 
halten zeigt, überall aber als ein genauer Abdruck der Matrix 
sich darstellt. An der freien Spitze ist die Innenfläche glatt 
und umgiebt eine fast cirkelförmige Höhle. Nach abwärts 
treten, indem die Röhre breiter wird, Vorsprünge an der 
Innenfläche hervor, zwischen welchen Lücken bleiben. Die 
Lücken sind schmal, erweitern sich etwas nach der Höhle 
hin und nehmen die Lamellen der Matrix auf; die Vor- 
sprünge sind stärker, laufen nach der Höhle hin mehr zuge- 
spitzt aus und senken sich in die Furchen zwischen den La- 
mellen der Matrix. Nach der Mitte hin vermehren sich diese 
Vorsprünge und Lücken oder Spalten, vollkommen entspre- 


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chend an Zahl und Form den Furchen und Lamellen der 
Matrix, so dass in der Mitte des Stachels selbst zwölf grös- 
sere Vorsprünge, die zwischen die primären und secun- 
dären Lamellen, zwölf kleine Vorsprünge, die zwischen die 
terliären Lamellen vordringen, und vierundzwanzig grössere 
und kleinere Spalten für die Aufnahme der verschiedenen 
Lamellen der Matrix unterscheiden kann. Unterhalb der 
Mitte des Stachels nehmen die Vorsprünge und Spalten wie- 
der ab, bis zuletzt die Innenfläche der Röhre wieder glatt 
erscheint und eine cylindrische Höhle umgiebt. — Die Wan- 
dung der Stachelröhre besteht aber nicht aus einer gleichför- 
migen Hornsubstanz. sondern man unterscheidet an ihr ausser 
dem epithelialen Ueberzuge die nach aussen gelegene, festere, 
aus plattgedrückten Hornplättchen gebildete Rindensub- 
stanz, und die nach Innen gelagerte, aus poly@drischen 
Hornzellen zusammengesetzte Marksubstanz. Nur an den 
beiden Enden besteht die Wandung der Röhre allein aus 
Rindensubstanz. Die Marksubstanz nimmt nach der Mitte 
des Stachels hin an Dicke zu; die Rindensubstanz dagegen 
vermindert ihre Dicke nicht mehr, sobald an ihrer Innen- 
fläche Marksubstanz sichtbar wird. Die oben beschriebenen 
Veränderungen an der Innenfläche der Stachelröhre bezogen 
sich also zunächst auf die Marksubstanz, da diese der Höhle 
der Stachelröhre zugewendet ist. Inzwischen bemerkt man 
an Querschnittchen, wie der Verfasser zeigt, dass die Innen- 
fläche der Rindensubstanz im Wesentlichen dieselben Verän- 
derungen durch die Länge des Stachels hindurch erleidet, 
wie dieses an der Innenfläche der ganzen Röhre und zunächst 
der Marksubstanz beschrieben wurde, Auch die Rindensub- 
stanz zeigt schliesslich in der Mitte des Stachels zwölf grös- 
sere und zwölf kleinere Vorsprünge an ihrer gegen die Mark- 
substanz hingewendeten Innenfläche; doch sind die Vor- 
sprünge dünner und kürzer, und die Räume zwischen den- 
selben entsprechend breiter. Die Marksubstanz füllt überall 
diese Zwischenräume aus und, wie sie demnach an ihrer 
Innenfläche Vorsprünge und Spalten besitzt zur Vereinigung 
mit der Matrix, so nimmt sie nach aussen hin die Lamellen 
der Rindensubstanz auf und senkt sich in die Zwischenräume 
zwischen denselben. 

Nach diesem Befunde beschreibt nunmehr der Verfasser 
die Bildung des Stachels. Es wird hier genügen, auf fol- 
gende Momente aufmerksam zu machen. Der Stachel ver- 
hält sich hinsichtlich seiner Matrix bei der Bildung, wie die 
Feder; d.h. 1) die Matrix wächst zugleich mit dem hervor- 
tretenden und allmälig an Länge zunehmenden Stachel auf- 
wärts, und, wenn das Horn gebildet ist, verkümmert sie 


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und bleibt als ‚Seele‘ in der Höhle zurück. 2) Die Matrix 
verändert während ihres Wachsthums und, während sich 
auf ihr das Horn bildet, fortdauernd ihre Form. Sie tritt 
als konischer Hügel auf und wächst im Allgemeinen dem Sta- 
chel entsprechend zu einem, an beiden Enden sich verjün- 
enden Cylinder aus. Desgleichen treten allmälig an ihrer 
Oberfläche von der freien Spitze abwärts jene Formverän- 
derungen auf, die oben geschildert wurden, und die sich als 
Abdruck auf der Innenwand der Stachelröhre gleichfalls zu 
erkennen geben. Endlich 3) da die um sie gelagerte Wan- 
dung der Stachelröhre aus zwei verschiedenen übereinander 
gelagerten Haarschichten besteht, von welchen jede im We- 
sentlichen der Abdruck der entsprechenden Stelle der Matrix 
zeigt, so folgt, dass beide Haarschichten nacheinander auf 
einer und derselben Oberfläche der Matrix gebildet werden, 
und zwar zuerst die Rindenschicht und dann die Marksub- 
stanz. Die Abdrücke an der Innenfläche beider Haarschichten 
sind aber nicht ganz entsprechend; die Rindenschicht hat 
dünnere Fortsälze und weitere Zwischenräume, die Mark- 
substanz umgekehrt. Daraus ergiebt sich, dass die Matrix, 
wena sie die Bildung der Rindenschicht abschliesst, schmale 
Furchen und breite Vorsprünge (die späteren Lamellen) be- 
sitzen muss, und dass, während der Bildung der Marksub- 
stanz, die Furchen allmälig breiter, auch tiefer, die Vor- 
sprünge aber dünner, zu Lamellen werden müssen. Diese 
Erscheinungen deuten nach des Referenten Ansicht darauf 
hin, dass die Bildung der Marksubstanz in dem Moment auf- 
tritt, wo die Matrix ihrer allmäligen Verkümmerung ent- 
gegen geht. Da die Rindensubstanz an der äusseren Ober- 
fläche überall fast glatt ist, eine gewisse Dicke hat und nur 
an der Innenfläche die Abdrucksform der Seele der Matrix 
zeigt, so lässt sich übersehen, — was übrigens durch die 
Bröcker’schen Beobachtungen an verschieden in der Bil- 
dung vorgeschrittenen Stacheln erwiesen ist, — dass die 
nachwachsende Matrix immer zuerst eylindrisch ist und eine 
glatte Oberfläche besitzt, während welcher Zeit das Epithe- 
liam und die anstossende Partie Rindensubstanz gebildet wird. 
Später, d. h. also weiter hinauf wachsend, verändert sie ihre 
Oberfläche in die Form, welche der Innenfläche der Rinden- 
substanz entspricht, und noch weiter hinauf beginnt sie zu 
verkümmern und entsprechend wieder die Form zu ändern, 
und dann zeigt sich die Marksubstanz, 

Der Stachel des Igels unterscheidet sich hinsichtlich 
seiner Struktur und Bildung ganz auffallend von dem Sta- 
chel des Stachelschweins. Er stellt einen nach den beiden 
Enden hin allmälig spitz auslaufenden Horneylinder dar, der 


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nur an dem Wurzelende in einer kleinen Strecke hohl ist 
und hier allein die Matrix aufnimmt. An Querschnittchen 
überzeugte sich der Verfasser, dass der Horneylinder fast 
überall (mit Ausnahme der Spitze) aus zwei Hornsubstanzen 
besteht, aus einer äusseren von Epithelium umkleideten, ver- 
hältnissmässig dünneren Schicht, der Rindensubstanz, 
deren gekernte Hornzellen kleiner sind und dichter und plalter 
zusammengedrängt liegen, und aus einer inneren, die grössere 
Masse des Cylinders bildenden Marksubstanz, von der- 
selben Beschaffenheit, wie beim Stachelschwein. Die gegen- 
seitige Begrenzung beider Substanzen ändert sich jedoch fort- 
laufend durch die ganze Länge des Stachels. An der freien 
Spitze ist sie auf Querdurchschnittchen mehr oder weniger 
elliptisch, weiter abwärls wird sie eckig, und noch weiter- 
hin treten die Vorsprünge stärker hervor und vermehren sich 
an Zahl. Es treten mithin an der Begrenzungslinie Verän- 
derungen auf, wie sie auch zwischen Rinden- und Marksub- 
stanz beim Stachel des Stachelschweins beobachlet werden. 
Es bilden sich demnach an der Innenfläche der Rindensub- 
stanz etwas zugeschärfte Vorsprünge, die sich allmälig ver- 
grössern, an Zahl (in der Mitte des Stachels bis auf 20) ver- 
mehren, alle jedoch von gleicher Höhe sind, und zwischen 
sich weitere Furchen mit abgerundetem Grunde lassen. Die 
Marksubstanz zeigt auf der Oberfläche dem entsprechend 
schmale, spitz zulaufende Furchen zur Aufnahme der Vor- 
sprünge der Rindensubstanz und den Furchen der lelzteren 
entsprechende Vorsprünge mit abgerundetem Rande. Von 
der Mitte des Stachels abwärts nehmen die Vorsprünge und 
Furchen an Höhe und Tiefe allmälig ab und schwinden dann 
gänzlich. Wenn man mehrere Tage hindurch den Stachel 
mit Kalilösung (102) behandelt, so trennt sich leicht die fast 
zerstörte Rindensubstanz von der Marksubstanz und letztere 
zerfällt in regelmässige dünne Scheiben, aus denen dem- 
nach der Cylinder der Marksubstanz zusammengesetzt sich 
darstellt. 

Der Verfasser hatte nicht Gelegenheit, die Matrix am 
Grunde des Balges frisch oder an Spiritus-Präparaten zu un- 
tersuchen. Gleichwohl kann man aus den Formverbhältnissen 
des Stachels zurück auf die wahrscheinliche Form der Matrix 
und ebenso auf die Art der Bildung schliessen. Hiernach 
lässt sich zunächst übersehen, dass, da die Matrix mit dem 
Stachel nicht hervorwächst, die Bildung des Igel-Stachels 
durch fortdauernde, die Vergrösserung in der Längsaxe des- 
selben bedingende Juxtaposition von’ Haarschichten auf und 
an einer im Grunde des Haarbalges zurückbleibenden Matrix 
geschehen müsse. Es muss ferner diese Matrix ursprünglich 


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konisch geformt sein, um die nur aus Rindensubstanz be- 
stehende Spitze des Stachels zu bilden. Da weiterhin der 
Stachel aus zwei Substanzen, Mark- und Rindensubstanz, 
besteht, so muss später von der mehr nach Innen gelegenen 
Oberfläche an der Spitze der Matrix die Marksubstanz und 
weiter abwärts und gegen den Grund des Balges hin — also 
mehr nach Aussen — die Rindensubstanz gebildet werden. 
Die Marksubstanz zerfällt aber nach Behandlung mit Kali- 
lösung der Länge nach in Scheiben. Hieraus lässt sich weiter 
schliessen, dass die Marksubstanz auf einer planen Fläche 
abgesetzt werde. Die kegelförmige Spitze der Matrix muss 
demnach abgestumpft werden, und auf dieser Endfläche bildet 
sich dann die Marksubstanz, auf der Seitenfläche die Rinden- 
substanz. Damit aber die Rindensubstanz auf dieser Ober- 
fläche sich nicht bloss verdicke, sondern fortdauernd über 
dieselbe hinweg zur Verlängerung des Stachels verwendet 
werden könne, müssen besondere Bedingungen vorhanden 
sein, und der Verfasser sucht diese in dem Wachsthum der 
äussersten, von Epithelium überdeckten Iaarschicht der Rin- 
densubstanz, welche an der Basis der Matrix beim Ueber- 
gange in den Balg gebildet aufwärts geschoben werde und 
dadurch die auf der Seitenfläche gebildeten Schichten mit 
sich fort und aufwärts bewege. Vielleicht besitzt nach des 
Referenten Ansicht die Seitenfläche der abgestumpften kegel- 
förmigen Matrix kleine, schräg aufwärts gerichtete Papillen, 
durch welche, wie in anderen dem Referenten bekannten 
Fällen, die Aufwärtsbewegung dieser Haarschichten unter- 
stützt werden würde. Da endlich der Stachel einen nach 
beiden Enden hin sich allmälig zuspitzenden Cylinder darstellt, 
und die Begrenzung der Rindenschicht mit der Marksubstanz 
durch die Länge des Stachels hindurch die bezeichneten 
Veränderungen erleidet, so wird geschlossen, dass während 
der Bildung desselben die Matrix entsprechenden Verände- 
rungen, wie bei der Matrix des Stachels von Hystrix, unler- 
liegt; — sie wird im Allgemeinen an Umfang anfangs zu- 
und dann abnehmen; ihre seitliche Oberfläche wird anfangs 
glatt sein, dann eckig und gefurcht werden; die Furchen 
werden sich zur Mitte des Stachels hin vermehren und dann 
allmälig eine zurückschreitende Metamorphose eingehen. 

Die beiden eben besprochenen Stächelgebilde sind die 
Grundlage für die Einsicht und Beurtheilung der übrigen ver- 
wandten, öfters einfacheren Formen, hinsichtlich deren Re- 
ferent auf die Abhandlung selbst verweisen muss. Schliess- 
lich möge hier die Eintheilung der Haar- und Stächel- 
gebilde nach dem Verfasser oe, in welcher zugleich das 
allgemeine Resultat seiner Untersuchungen übersehen werden 


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kann. Alle Stachel- und Haargebilde lassen sich hinsichtlich 
ihrer Bildungsweise an der Matrix in zwei Hauptgruppen 
ordnen. Zu der einen gehören diejenigen, deren Matrix mit 
dem Horn zugleich herorwächst, und schliesslich im ver- 
trockneten Zustande „„Seele‘ genannt wird, Die Matrix kann 
hier 1) nach einander sowohl Rindensubstanz als Marksub- 
stanz bilden und zwar a) mit Verönderung ihrer Form (die 
Stacheln, Haare, Borsten von Hystrix eristata, die Haare von 
Dieotyles torquatus) oder 5) ohne Veränderung derselben 
(Stacheln der Echidna); oder 2) die Matrix dient nur zur 
Erzeugung einer einzigen Hornsubstanz, wobei dann ihre 
Form niemals verändert wird. (Borsten von Sus scropha, 
die Barthaare des Hundes, der Phoca vitulina, des Triche- 
chus, die langen Haare von Myrmecophaga jubata ete.) In 
der zweiten Hauptgruppe wächst die Matrix nicht mit, son- 
dern bleibt auf dem Grunde des Haarbalges zurück. Hier 
kennt man solche Formen, in welchen von der Matrix an 
verschiedenen Stellen der Oberfläche gleichzeitig Rinden- und 
Marksubstanz gebildet wird. Dieses kann entweder a) so 
geschehen, dass die Matrix während der Bildung des Haar- 
Gebildes fortwährend ihre Form ändert (die Stacheln des 
Erinaceus europaeus), oder b) dass dieses nicht stattfindet. 
(Stacheln von Erethizon, die Haare von Cervus Alces, die 
Haare des Menschen [? Ref.] und die Wolle [? Ref.].) 

In der zweiten Arbeit, von Dr. Schrenk, wird die Bil- 
dung der Feder, namentlich der Schwungfeder, behandelt. 
Bekanntlich haben namhafte Forscher, wie Meckel, Cu- 
vier, Th. Schwann, Nitzsch, Burmeister, auch Du- 
trochet sich mit diesem Gegenstande beschäftigt, ohne in 
allen Stücken es nachweisen zu können, wie die Feder als 
Abdruck einer ihrer Form entsprechenden Matrix hervorgehe. 
Auch die neueste Arbeit von Reclam hatte, wie der Be- 
richt vom Jahre 1846 zeigte, die wichtigsten Fragen nicht 
allein unerledigt gelassen, sondern selbst nicht einmal be- 
rührt. Schrenk’s Untersuchungen geben die erwünschte 
Auskunft über die Bildung der Feder, und es ist nur zu be- 
dauern, dass sie in einer Sprache niedergeschrieben, die ihrer 
baldigen Verbreitung zum Theil wenigstens entgegen treten 
wird. Referent, zugleich gestützt auf eigene Anschauungen, 
will hier versuchen, das Resultat der Beobachtungen des 
Verfassers, soweit es der Bericht gestattet, zusammen zu 
fassen. Man unterscheidet an jeder Feder den hohlen, die 
Federseele enthaltenden Kiel oder die Spule, ferner den Schaft 
(Rhachis), als Fortsetzung des Kiels, und die zu beiden Sei- 
ten des Schafts abgehende Fahne; die beiden letzten Theile 
sind bei der fertigen Feder in einer Ebene ausgebreitet. Die 


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Fahne besteht aus dicht von oben (von der Spitze des 
Schafts) nach abwärts auf einander folgenden, lanzettförmi- 
gen, primären Strahlen, die mit ihrem breiten Ende quer 
an dıe Seitenflächen des Schafts geheftet sind. Von dem 
schräg abgeschnittenen, dickeren, äusseren (in der natürlichen 
Lage der Feder dem Körper abgewendeten) Rande der pri- 
mären Strahlen gehen nach auf- und abwärts, doch nicht 
parallel dem Schafte, die doppelte Reihe der feinen secun- 
dären oder Neben-Strahlen ab, die sich zuweilen auch auf 
den Schaft fortsetzen. Der Schaft stellt eine vierseitige, 
spitz zulaufende Pyramide dar, an deren Seilenflächen die 
primären Strahlen so sitzen, dass sowohl nach Aussen eine 
dünnere, als nach Innen eine allmälig abwärts sich vergrös- 
sernde Partie des Schafts frei bleibt. Die äussere, vom Kör- 
per abgewendete Fläche ist glatt; an der innern bemerkt man 
in einiger Entfernung von der Spitze eine Furche, die nach 
abwärts tiefer und breiter wird, und durch den oberen Nabel 
an der Spuhle in der Höhle der letzteren ausläuft. Durch 
eine Linie in der Mitte derselben wird hier der Schaft in 
zwei gleiche Abtheilungen getheilt, die als abgerundele, an- 
fangs flache, später stärker hervortretende Erhabenheiten an 
der inneren Fläche fortgehen. An Querschnittchen überzeugt 
man sich, dass der Schaft unten eine deutliche, von der ver- 
trocknelen Matrix angefüllte Höhle besitzt, die in die Höhle 
des Kieles unmittelbar übergeht und nach aufwärts allmälig 
kleiner wird. Was aber bisher nicht bekannt und gleich wohl 
für das Verständniss der Bildungsgeschichte der Feder ganz 
nothwendig zu wissen ist, besteht darin, dass diese Höhle 
zunächst unten durch eine feine, oft nur durch die Lupe und 
mit Hülfe des Mikroskops zu erkennende Spalte mit dem 
oberen Nabelgange und mit der feinen Linie auf dem Boden 
der Furche an der inneren Fläche des Schaftes, in konti- 
nuirlicher Verbindung steht. Die feine Spalte wird vollstän- 
dig von einer feinen Lamelle der vertrockneten Matrix ein- 
genommen, die öfters auch noch in der fertigen Feder mit 
der vertrocknelen Matrix (in dem oberen Nabelgange und 
etwas drüber) im kontinuirlichen Zusammenhange steht. Aber 
auch näch aufwärts hört die Höhle nicht auf, sondern setzt 
sich, grade in der Mitte des Schaftes durch die Marksubstanz 
hindureh, als feine, mit einer vertrockneten Lamelle der Ma- 
trix angefüllte, Spalte fort, die auf dieselbe Weise mitten in 
die Furche ausmündet. Es reicht diese Spalte noch eine 
er Strecke weiter nach aufwärts über die Mitte des Schaftes 
inaus, Sie ist auch hier an der fertigen Feder nur an Quer- 
schnittchen, oft nur mit Hilfe von Vergrösserungsgläsern, 
sichtbar; desto deutlicher erscheint sie während der Bildung 


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derselben. Für die Bildungsgeschichte der Feder ist es wich- 
tig, eine äussere Partie des Schaftes von der inneren zu un- 
terscheiden, wiewohl keine durchgehende Trennungsgränze 
vorhanden ist. Die äussere Partie des Schaftes umfasst die 
dünne Sehicht desselben, die nach aussen über die äussere 
Anheftungsgrenze der primären Strahlen hervorsteht und mit 
einer seitlichen Ausbreitung (Fortsatz des Verfassers) über 
die Seitenwände des Schaftes etwas hervorragt. Die innere 
Partie hat zu ihren Seiten die Fahne, und tritt mit den bei- 
den erwähnten Längserhabenheiten, welche die Furche bil- 
den, an der Innenfläche des Schaftes hervor. Die nach un- 
ten, zum unteren Nabel, sich etwas zuspitzende Spuhle be- 
darf keiner Erörterungen. 

In histologischer Beziehung lassen sich an der Feder 
zwei Substanzen unterscheiden, die dichtere, mehr aus plat- 
ten, oft schwer von einander zu trennenden Hornzellen be- 
stehende Rindensubstanz, und die aus poly@drischen, oft 
mit Luft und, wie es scheint, auch mit Oeltröpfehen gefüll- 
ten Hornzellen zusammengesetzte Marksubstanz. Der Kiel 
besteht nur aus Rinudensubstanz. An der Fahne gehören die 
Nebenstrahlen zur Rindensubstanz, und hier bemerkt der 
Verfasser, dass die Fortsätze an denselben nicht, wie Bur- 
meister angiebt, blosse Verdiekungen, sondern vielmehr Er- 
weiterungen der Zellenmembranen seien, wie sich aus den 
Anschwellungen nach Behandlung mit Kalilösung erschliessen 
lasse. Die primären Strahlen bestehen an ihrem verdickten 
äusseren Rande, wo die Nebenstrahlen abgehen, aus Rinden- 
substanz; der übrige Theil ist Marksubstanz. Der Schaft 
endlich enthält an der Spitze nur Rindensubstanz; im übri- 
gen Theil liegt zunächst seiner Höhle Marksubstanz, die noch 
von Rindensubstanz umgeben ist. Diese ist an den Seiten- 
flächen am dünnsten, wird stärker an den Erhabenheiten der 
inneren Fläche und ist am dicksten an der Aussenseite. Hier 
tritt sie ausserdem nach innen mit zugeschärften Vorsprün- 
gen, welche abwärts an Zahl zunehmen und zwischen sich 
entsprechende Furchen lassen, gegen die Marksubstanz her- 
vor. Von ihnen erscheint die glatte Aussenfläche öfters wie 
gestreift. Nach abwärts, beim Uebergange zur Spuhle, hören 
die Vorsprünge und Furchen allmälig wieder auf. In Betrefl 
der beiden früher unterschiedenen Partieen des Schaftes be- 
steht die äussere nur aus Rindensubstanz. Die innere Parlie 
umfasst nach aussen (gegen die äussere Partie hin) gerade 
den gefurchten Theil der daselbst gelegenen Rindensubstanz. 
Ihre nach innen hervortretenden beiden Abtheilungen sind 
seitlich und gegen die Furche hin mit Rindensubstanz um- 
kleidet, und enthalten die Marksubstanz des Schaftes, die in 


31 


der Mittellinie die feine nach abwärts sich allmälig zur Höhle 
erweiternde Spalte mit der vertrockneten Matrix enthält. 
Um aber die Bildung der Feder leichter übersehen zu 
können, muss man sich diese einzelnen Bestandiheile in jene 
Lage zurückbringen, in welcher sie als Abdruck der Matrix 
hervorgehen. Schaft und Fahne liegen dann nicht in einer 
Ebene ausgebreitet, sondern zu einer Röhre so zusammenge- 
schlagen vor uns, dass die beiden Theile der Fahne vor der 
inneren Fläche des Schaftes in einer „‚Raphe‘* vereinigt zu- 
sammentreflen. Die ganze Feder stellt nun eine gleichför- 
mige, cylindrische Röhre dar, deren Enden konisch zuge- 
spitzt sind. Ihre kürzere untere Abtheilung (vergleichbar 
dem Basilarstücke der Matrix, Ref.) wird durch die Spuhle 
gebildet; der längere obere durch den Schaft mit der Fahne. 
An dieser oberen Abtheilung der Röhre liegt demnach nach 
Aussen der Schaft. Diesem gegenüber nach innen die Raphe, 
zu den Seiten die beiden Hälften der Fahne, deren primäre 
Strahlen, unter sehr spitzen Winkeln vom Schaft ausgehend, 
nach Aufwärts steigen. In der Betheiligung an der Bildung 
der Wanduhg dieser Röhren Abtheilung überwiegt oben und 
in der Mitte die Fahne, nach unten, zum Kiel hin, der Schaft. 
Die Wandung dieser Röhren-Abtheilung ist ferner in der Ge- 
gend der Raphe, wo die primären Strahlen lanzettförmig 
auslaufen, am dünnsten, nimmt an Dicke nach dem Schaft 
zu und ist am Schaft selbst, namentlich in der unteren 
Hälfte, am dicksten. Es haben ferner auch die Nebenstrahlen 
in der fertigen Feder eine andere Lage, als während ihrer 
Bildüng. Sie liegen dann nicht ausgebreitet, sondern zusam- 
mengeklappt an dem äusseren Rande der respecliven primä- 
ren Strahlen, so dass sie die Breite der letzteren um ihre 
Länge erweitern. Wenn demnach in der fertigen Feder die 
Zwischenräume zwischen den primären Strahlen durch die 
ausgebreiteten Nebenstrahlen ganz verschlossen werden, so 
bleiben sie während der Bildung der Feder offen und gestat- 
ten Zugänge zu der Ilöhle der Federröhre. — Die Höhle 
der Federröhre ist nur in der Spuhle und etwa am oberen 
Drittheil der oberen Abtheilung einfach; dazwischen zerfällt 
sie in zwei Abtheilungen, in die äussere (des Verf. hintere) 
in dem Schaft verborgene (Falhnenhöhle Ref.) und in die 
innere (vordere, Verf.), vorzugsweise von der Fahne umge- 
bene (Schafthöhle Ref.), welche beide jedoch an der bezeich- 
neten Mittellinie der inneren Furche des Schaftes durch eine 
feine Spalte communieiren, Man kann sich also denken, dass 
jene beiden oben besprochenen Erhabenheiten der inneren 
artie des Schaftes ( welche die erwähnte Furche bilden) 
durch allmähliges Vordringen nach dem Centrum der ur- 


32 


sprünglich einfachen Höhle den zwischen ihnen gelegenen 
Raum der Höhle als äussere Abtheilung von dem übrigen 
Raume, als innere Abtheilung derartig geschieden haben, dass 
nur eine feine Communications-Spalte übrig geblieben. Die 
innere Abtheilung ferner ist oben weit, erscheint fast als 
alleinige Fortsetzung des oberen, einfachen Theiles der Feder- 
Röhre, und wird nach unten allmälig enger und enger, bis 
sie endlich durch den engen oberen Nabelgang in die Höhle 
der Spuhle ausläuft. Die äussere Abtheilung fängt unten weit 
an, erscheint hier als alleinige Fortsetzung der Höhle des 
Kieles, wird aufwärts enger und verwandelt sich in eine 
Spalte, die sich durch Vermittelung der Communications- 
Spalte zwischen beiden Höhlen - Ablheilungen auch in die 
obere, einfache Höhle der Federröhre fortsetzt. Durch die 
Zwischenräume zwischen den primären Strahlen öffnet sich 
die Höhle der oberen Abtheilung der Federröhre nach aussen. 
-— Hinsichtlich des Verhaltens der beiden Hornsubstanzen 
zur Höhle der Federröhre ist nunmehr Folgendes hervorzu- 
heben: Am Basilarstücke (Kiel) grenzt Rindensubstanz unmit- 
telbar an die Höhle. In der oberen Abtheilung dagegen liegt 
die Rindensubstanz der Aussenwand des Schaftes, die ver- 
deckten äusseren Ränder der primären Strahlen mit den 
Neben-Strablen nach aussen; gegen die Höhle selbst wendet 
sich. die Marksubstanz des Schaftes und die der primären 
Strahlen. Doch auch Rindensubstanz ist an den Seitenflä- 
chen des Schaftes und an der inneren Fläche desselben ge- 
gen die Höhle hierselbst gekehrt. 

Die Höhle der Federröhre wird nun durchweg von der 
Matrix ausgefüllt, so zwar, dass von derselben auch Vor- 
sprünge (primäre Lamellen) in die Zwischenräume zwischen 
den primären Strahlen und ihren Neben-Strahlen (als feinere 
secundäre Lamellen) vortreten. In der fertigen Feder mit 
ausgebreiteter Fahne ist sie im vertrockneten Zustande nur 
noch in der Höhle des Kieles, des Schaftes, in dem oberen 
Nabelgange und angrenzendem Theile der Fahnenhöhle, und 
endlich in der Communieationsspalte zwischen Schaft- und 
Fahnenhöhle vorzufinden. Aus dem übrigen Raum der Feder- 
röhre ist sie bei der Ausbreitung der Fahne verloren gegan- 
gen; es sei denn, dass vielleicht zwischen den primären 
Strahlen einzelne Lamellen, die sogenannten „Septa‘“, sich 
erhalten. Wollte man davon absehen, dass die Feder von 
der Spitze nach dem Kiele hin allmählig und wahrscheinlich 
in 'einzelnen Absätzen gebildet wird, und stellte man sich 
vor, dass die Wandung überall aus einer homogenen, über- 
einander geschichteten Hornsubstanz bestehe; so ‘würde die 
Matrix die allgemeine Form der Federröhre haben und — 


33 


indem sie die Höhle der letzteren ausfüllt — an ihrer Ober- 
fläche überall den Umgrenzungen der Höhle der Federröhre 
entsprechen und Fortsetzungen zwischen die Strahlen der 
Fahne aussenden. Sie würde demgemäss da glatt sein, wo 
die Innenwand der Federröhre glatt ist; sie würde da Vor- 
sprünge zeigen, wo jene Vertiefungen hat, und umgekehrt. 
Solche Form hat in der That die Matrix überall an Ort und 
Stelle, wo gerade die Bildung der Feder zum Abschluss 
kommt, und hiernach wäre die Vorstellung, dass die Feder 
ein Abdruck ihrer Matrix sei, leicht zu gewinnen. Aber die 
Wandung der Federröhre zeigt an der oberen Abtheilung 
verschiedene Hornsubstanzen, die sogar in den einzelnen 
Schichten, wie sie nacheinander von aussen nach innen ge- 
bildet werden, ein abweichendes Verhalten in ihren Begren- 
zungen zueinander und nebeneinander darlegen. Dieses deu- 
tet darauf hin, dass die Matrix, namentlich der oberen Ab- 
theilung der Federröhre, während ihres Hervorwachsens vom 
Grunde des Balges aus bis zu ihrer Verkümmerung fort- 
dauernden Veränderungen unterliegen muss; ähnlich, doch 
viel komplizirter, als die beschriebene Matrix des Stachels 
vom Stachelschwein. Auf eine solche Veränderung der Ma- 
trix weiset endlich auch jene, aus einer der Rindensubstanz 
ähnlichen Hornsubstanz bestehenden Scheide, von welcher 
die Feder während ihrer Bildung umgeben ist, und die von 
dem Verfasser weniger berücksichtigt worden. Referent wird 
nun im Folgenden das Verhalten der Matrix von dem ersten 
Auftreten bis zur Verkümmerung beschreiben und zur Ueber- 
sicht gleichzeitig hinzufügen, welche Schichten und Be- 
standtheile der Federröhre und deren Scheide bei der ent- 
sprechenden Form der Matrix gebildet werden. 

Die Matrix der Feder tritt als konische Papille auf, die 
mit einer eingeschnürten Stelle auf dem Grunde des Feder- 
balges wurzelt. Sie ist anfangs auf ihrer Oberfläche glatt 
und in diesem Zustande bildet sich auf ihr das obere Ende 
der Scheide. Sodann verändert sie sich, während gleich- 
zeitiger Verlängerung von unten auf, an dem weiter aufwärts 
geschobenen Theile in der Art, dass um sie herum, gleich- 
sam als Abdruck, zunächst die Plumula entstehen kann. Der 
Verfasser ist auf die Bildung der viel einfacheren Plumula 
nicht näher eingegangen. Doch musste ihrer zunächst ge- 
dacht werden, da nach Schrenk’s Beobachtungen die Fe- 
der mit ihrer Matrix nicht allein, wie Reelam angiebt, an 
derselben Stelle später erscheint, wo die Plumula mit ihrer 
Matrix voraufgegangen, sondern durchaus als eine unmittel- 
bare und kontinuirliche Fortsetzung der letzteren anzusehen 
ist. Die Matrix der Penna ist also ein Nachwuchs der ur- 

Müllers Archiv. 1849. © 


34 


sprünglichen Matrix der Plumula, und ihre allgemeine Form 
nähert sich mehr der eylindrischen mit etwas verjünglem, 
abgerundetem freien Ende; nach unten zu geht sie etwas an 
Dicke zunehmend, mit der eingeschnürten Stelle in den Balg 
über. Was aber zunächst nachwächst ist nicht die Matrix der 
ganzen Feder, sondern nur eines ihrer Länge entsprechenden 
Stückes, von der Spitze der Feder an gerechnet. Für die 
weitere Bildung der Feder wächst fortdauernd neue Matrix 
von unten hervor, so dass auf diese Weise die Matrx all- 
mählig die Länge der ganzen Feder erreicht. Alles, was da- 
her in einem queren Abschnitte der Scheide und Feder liegt, 
wird von einem, diesem Abschnitte entsprechenden Stücke 
der Matrix gebildet. Während aber neuer Zuwachs von un- 
ten hervortritt, verändert sich das bestehende, nach aufwärts 
geschobene Stück der Matrix entsprechend dem Verhalten 
de um sie gelagerten Hornschichten, und schliesslich, nach- 
dem sie ihre Funktion erfüllt, stirbt sie ab und vertrocknet. 
Daher ist die jedesmal vorliegende, thätige Matrix einer 
Schwungfeder der Gans selten über drei Zoll lang, und stets 
ist an ihr ein Theil, der nachgewachsene, dann der bestehende, 
und, wo nöthig, in Veränderung begriffene, und endlich 
noch der vertrocknete Abschnitt zu unterscheiden. So lange 
die Fahne und der Schaft der Feder gebildet wird, sind die 
noch thätigen beiden Abtheilungen der Matrix schon mit 
blossem Auge, noch besser mit der Lupe leicht aufzufinden. 
Der jüngste Nachwuchs der Matrix nämlich ist in allen Fäl- 
len zuerst mit einer glatten Oberfläche versehen und auf ihm 
erfolgt zunächst die Ablagerung derjenigen Hornsubstanz, 
welche die Scheide der Feder bildet und vergrössert. (Ref.) 
Es nimmt derselbe nur einen kleinen unteren Theil der Ma- 
trix, die untere Abtheilung oder das Basilarstück, ein. Wird 
diese Abtheilung durch neuen Nachwuchs weiter aufwärts 
bewegt, so zeigen sich auf ihrer Oberfläche (während der 
Bildung des Schaftes und der Fahne) schräge und Längs- 
furchen, und dann bildet sie den von dem Verfasser bezeich- 
neten oberen Abschnitt der Matrix, der später verkümmert. 
An diesem oberen Abschnitt unterscheiden sich durch die 
verschiedene Zeichnung auf der Oberfläche zwei Abtheilun- 
gen, die des Schaftes (hintere Verf.) und die der Fahne (vor- 
dere Verf.). 

Für die Bildung des Schaftes erscheint an der be- 
treffenden Stelle der Matrix anfangs eine, der allgemeinen 
Form des Schaftes entsprechende Furche, die spitz und seicht _ 
an dem freien Ende beginnt und der Längsaxe der Matrix 
parallel abwärts laufend an Breite zunimmt. Sie wird in 
ihrem Verlaufe etwas tiefer und flacht sich bei dem Ueber- 


35 


gange zum Basilarstücke wieder ab. Die Ränder der Fur- 
chen laufen über dem Basilarstücke bogenfürmig so aus, wie 
die Seitenränder der äusseren Partie des Schaftes gegen den 
oberen Nabel und die Raphe an der Feder. In dieser ein- 
fachen Form bildet sich der einfache obere Theil des Schaf- 
tes und die äussere Partie desselben auch überall in den- 
jenigen Gegenden, wo er komplizirter ist, d. h. also, jeder 
neue Zuwachs der Matrix erscheint bei seiner nächsten Ver- 
änderung für die Schaftbildung zuerst in dieser Form; und 
zwar mit steter Zunahme in der Breite der Furche, wie es 
die Form des Schaftes erfordert. Sobald jedoch die innere 
Partie des Schaftes mit den beiden Erhabenheiten und der 
dazwischen gelegenen Höhle gebildet werden soll, so erhebt 
sich der Boden der Furche, zu den Seiten schmälere Neben- 
furchen zurücklassend. In die letzteren dringen die Erha- 
benheiten der inneren Partie des Schaftes; die durch die 
Erhebung des Bodens entstandene Erhabenheit liegt zwi- 
schen diesen in der Schafthöhle. Auch dieser Zustand der 
Matrix des Schaftes vermindert sich. Die seitlichen Furchen 
werden tiefer, entsprechend der Dicke des Schaftes, und ihr 
abgerundeter Boden erweitert sich anfangs stärker und stär- 
ker gegen die mittlere Erhabenheit namentlich vordringend. 
Diese gewinnt dadurch nahe zu eine dreiseitige, pyramidale 
Gestalt, deren äussere Fläche gegen die Aussenwand des 
Schaftes, deren beide andere Flächen gegen die seitlichen 
Furchen und die darin befindlichen Erhabenheiten der inne- 
ren Partie des Schaftes gekehrt sind; und in der diese Flä- 
chen verbindenden Kante steht sie durch eine dünne Verbin- 
dungslamelle mit der Fahnen-Abtheilung der Matrix im kon- 
tinuirlichen Zusammenhange. Diese Verbindungslamelle fin- 
det sich in der Kommunikationsspalte zwischen der Fahnen- 
und Schafthöhle der Feder im vertrockneten Zustande wie- 
der. An der Aussenfläche der pyramidalen Erhabenheit zei- 
gen sich dann auch, so lange Vorsprünge an der entspre- 
chenden Rindensubstanz des Schaftes gebildet werden, feine 
Längsfurchen, die sich abwärts an Zahl vermehren, bei der 
Verkümmerung der Matrix jedoch wieder schwinden. Wäh- 
rend der beschriebenen Veränderung der Schaft- Abtheilung 
der Matrix wird anfangs auf der Aussenfliche der pyrami- 
dalen Erhabenheit Rindensubstanz gebildet, zur Verdickung 
der Rindensubstanz an der Aussenwand des Schaftes. In 
den seitlichen Furchen lagert sich gleichfalls Rindensub- 
stanz ab, für die seitlichen Wände und für die Innen- 
wand des Schaftes. An derjenigen Fläche der pyramida- 
len Erhabenheiten, die den seitlichen Furchen zugekehrt sind, 
wird gleich anfangs, wie später bei der Verkümmerung der 


Cc2 


36 


Matrix auch an ihrer Anssenfläche Marksubstanz gebildet, 
die später auch als Umgebung der vertrockneten Matrix in 
der Schafthöhle und der Kommunikationsspalte mit der Fah- 
nenhöhle gefunden wird. Während den geschilderten Ver- 
änderungen der Matrix wird also die innere Partie desSchaf- 
tes gebildet. Im Allgemeinen nimmt die Schaft-Abtheilung an- 
fangs, wie dieses auch aus der Federröhre hervorgeht, nur 
einen kleinen Bezirk der Oberfläche der allgemeinen Matrix 
ein. Je weiter die Bildung der Feder von der Spitze nach 
dem Kiel vorschreitet, um so mehr breitet sich diese Abthei- 
lung aus, und nimmt schlisslich den bei weitem grössten 
Theil der allgemeinen Matrix in Anspruch, während die Fah- 
nen-Abtheilung auf die Umgrenzung des oberen Nabels und 
dessen Ganges reducirt wird. So scheint dann die Matrix 
anfangs, wenn man namentlich auch die Plumula berück- 
sicht, an ihrer Oberfläche vielmehr ausschliesslich für die 
Fahnenbildung eingerichtet zu sein, während sie bei der 
Bildung des Stieles fast als alleinige Fortsetzung der Schaft- 
Abiheilung sich darstellt. 

Die Fahnen-Abtheilung des oberen Abschnittes der 
Matrix ist für die Bildung der Fahne mit schräg, unter 
spitzen Winkeln von der Schaft-Abtheilung aufwärts steigen- 
genden Furchen und den diese trennenden Scheidewänden 
versehen, die von beiden Seiten gegenüber der Furche des 
Schaftes in die glatt von oben nach abwärts laufende Raphe 
zusammenstossen. In den Furchen, den „‚primären,' liegen 
die primären Strahlen mit ihren Nebenstrahlen, und die Ra- 
phe entspricht dem gleichbenannten Theile an der Feder- 
röhre. Die primären Furchen schneiden zum grössten Theil 
in die Furche des Schaftes ein, so dass die Seitenwände der 
letzteren (die sogenannten Flügel früherer Schriftsteller) am 
Rande wie gezähnelt erscheinen. Es wird hieraus erklärlich, 
wie die primären Strahlen der Fahne während der Bildung 
an die Seitenwände des Schaftes fixirt werden. Die primä- 
ren Furchen entsprechen ihrer Form nach genau den in ih- 
nen gelegenen primären Strahlen, doch sind sie tiefer und 
zwar gerade um so viel, als die Höhe der auf den äusseren 
Rande der primären Strahlen sitzenden Nebenstrahlen be- 
trägt. An den Wandungen (den primären Lamellen oder 
Septa) der primären Furchen befinden sich, wie der Verfas- 
ser zuerst gezeigt hat, gegenüber den Nebenstrahlen ganz 
entsprechende Nebenfurchen mit den sie trennenden, niedri- 
gen Nebenlamellen. In ihnen haben die Nebenstrahlen ihre 
Lage. Wie jeder primäre Strahl zwei Reihen Nebenstrahlen 
besitzt, so hat demnach jede primäre Furche zwei Reihen 
Nebenfurchen, die in der Nähe der Schaft-Abtheilung am 


37 


meisten vom sich zuspitzenden Boden der primären Furche 
entfernt sind, nach der Raphe hin dagegen mehr und mehr 
demselben sich nähern. Die primären Furchen werden aber 
im Allgemeinen nach abwärts niedriger und unmittelbar 
oberhalb des Basilarstückes der Matrix sind sie am niedrig- 
sten. In dieser Gegend sieht man auch, dass die primären 
Furchen zum grössten Theile nur in Bruchstücken vorhan- 
den sind, die an Länge von der Raphe zur Schaftfurche zu- 
nehmen, bis sie endlich vollkommen ausgebildet die Schaft- 
furche erreichen. Die Bruchstücke der primären Furchen, 
welche in das Basilarstück schräg auslaufen, bilden mit ih- 
ren unteren Endpunkten eine nach unten konvexe Linie, 
etwa so, wie die kleineren primären Strahlen in der Um- 
gebung des oberen Nabels es thun. — Diese Betrachtungen 
nun führen uns zu den Veränderungen, welche die Fahnen- 
Abtheilung der Matrix, je mehr sie aufwärts geschoben wird, 
allmählig erleidet; wobei zu erinnern ist, dass der neue Zu- 
wachs jedesmal zur Bildung eines bestimmten Querschnittes 
der Federröhre verwendet wird, und dass zuerst die äusse- 
ren Theile derselben und später die inneren gebildet werden. 
Wenn demnach das Basilarstück mit glatter Oberfläche, an 
welcher sich die Scheide abgelagert hat, durch neuen Zu- 
wachs aufwärts geschoben wird, so zeigen sich erst niedrige 
primäre Furchen, deren Wandungen durch die ganze Breite 
oder Tiefe von den Nebenfurchen eingenommen werden; — 
es entsteht zuerst der äusserste Theil der primären Furchen 
eines bestimmten Querschnittes, und entsprechend werden 
gebildet die Nebenstrahlen. Kommt neuer Zuwachs her- 
an, so entstehen auf gleiche Weise primäre Furchen, die 
zum Theil zur Verlängerung der bestehenden dienen und ein- 
zelne bis zur Schaftfurche hinführen, während nach der Ra- 
he hin neue auftreten, die den in einen Querschnitt gege- 
enen Enden der primären Strahlen angehören, u. s. w. Die 
inzwischen aufwärts geschobenen Furchen nehmen an Tiefe 
mehr und mehr zu, und dann bilden sich zunächst die aus 
Rindensubstanz bestehenden äusseren Ränder der primären 
Strahlen und weiterhin die Marksubstanz bis zur Vollendung, 
worauf die Matrix abschnittsweise verkümmert und dann 
gewöhnlich wegen ihres gestreiften Ansehens die innere ge- 
streifte Haut (Cuvier) genannt wurde. Mit der „äusseren 
gestreiften Haut bezeichnete Cuvier die innere Hornschicht 
der Scheide, an welcher sich das gestreifte Wesen der Fahne 
abgedrückt hat, Die zwischen äusserer und innerer gestreif- 
ter Haut gelegenen Septa sind die primären Lamellen der 
Fahnen-Abtheilung der Matrix, zwischen welchen die primä- 


38 


ren Furchen mit den primären und secundären Strahlen sich 
befinden. 

Hinsichtlich der Verkümmerung der ganzen oberen 
Abtheilung der Matrix ist, abgesehen von dem abschnitts- 
weisen Vorrücken derselben von der Spitze nach abwärts, 
ein Moment hervorzuheben, das, wie es scheint, mit der Be- 
schaffenheit der Federröhre in Verbindung zu bringen ist, 
dass die Wandung derselben vom Schaft her gegen die Ra- 
phe hin allmählich an Dicke zunimmt. Es verkümmert näm- 
lich die Matrix in einem gegebenen Querschnitt immer zu- 
erst an der Raphe, und diese Verkümmerung schreitet dann 
allmählich durch die Dicke des Querschnities zum Schaft 
hin, so dass am längsten die pyramidale Erhabenheit in der 
Schafthöhle sich erhält. Ausserdem nimmt die Verkümmerung 
noch den allgemeinen Gang, der sich auch in der Reihen- 
folge der Bildung der einzelnen Hornschichten der Feder- 
röhre zu erkennen giebt; sie schreitet stetig von der Peri- 
pherie gegen die Axe der Matrix vor. Aus beiden geseizli- 
chen Vorgängen in der Verkümmerung ergiebt sich (bei all- 
mählig fortschreitendem Wachsihum der Matrix), dass die 
Spitze der verkümmernden Matrix, wie es wirklich der Fall 
ist, eine schräg von der Raphe nach dem Schaft hin auf- 
wärts steigende, abgerundete Endfläche darbieten müsse. 
(Ref.) In dieser Form erscheinen auch die einzelnen Abthei- 
lungen der Federseele in der Fahne. Man übersieht leicht, 
dass unter solchen Verhältnissen die Dicke der Federröhren- 
Wandung von der Raphe nach dem Schaft hin allmählig zu- 
nehmen müsse, 

Ist Fahne und Schaft gebildet, so verändert sich das 
Basilarstück der Matrix durch neuen Zuwachs aufwärts ge- 
schoben nicht mehr an der Oberfläche; es verlängert sich 
nur allmählig, um für die Bildung des Kieles verwendet zu 
werden. Die neuabgelagerten Hornschichten für den Kiel 
erscheinen als Verdickungen der Scheide, oder, wie man 
sagt, die Scheide verschmilzt mit dem Kiel. Auf dem Ueber- 
gang des Basilarstückes zum oberen Abschnitt der Matrix 
erhält sich die Begrenzung und das Ansehen, wie während 
der Bildung der Fahne und des Schaftes, nur dass die Fah- 
nen-Abtheilung mit ihren Bruchstücken von primären Furchen 
sehr klein, die Schaft-Abtheilung sehr gross geworden ist. 
Dieses Uebergangsstück der Matrix wird auch, weiter auf- 
wärts geschoben, nicht mehr verändert; es verkümmert viel- 
mehr frühzeitig, ohne bedeutende Marksubstanz abzusetzen. 
Diesen Verhältnissen entsprechend zeigt sich auch die Feder- 
röhre in der Gegend des oberen Nabels mit einem dicken 


39 


hohlen Schaft und einer kleineren, nur aus Bruchstücken 
von primären Strahlen bestehenden Fahnenröhre. 

Das Hauptresultat der Untersuchung lässt sich in 
folgenden Sätzen zusammenfassen: 1) die eylindrische Feder- 
röhre mit der sie umgebenden Scheide bildet sich, wie die 
Stachelröhre des Stachelschweins, an einer mit ihr gleich- 
zeitig fortwachsenden, zum Abdruck der Hornsubslanz ent- 
sprechend geformten Matrix, die nach Vollendung ihrer Thä- 
tigkeit verkümmert, und im vertrockneten Zustande zum 
Theil bei der Ausbreitung der Fahne abgeworfen wird, zum 
Theil aber auch in den Höhlen und Spalten des Schaftes 
und Kieles nachzuweisen ist. 2) Die Bildung der Matrix mit 
dem um sie gelagerten Horngebilde schreitet allmählig von der 
Spitze nach abwärts vor; zuerst wird so Fahne und Schaft, 
dann der Kiel gebildet. 3) Die Matrix und ihre Feder sind 
unmittelbare Fortsetzungen der Matrix mit der Plumula. 4) 
Alle Theile der Federröhre mit ihrer Scheide, welche in 
einem gegebenen Querschnitt von aussen nach der Höhle 
hin (also nach der Dieke der Wandung) auf einander folgen, 
desgleichen solche Theile, welche nebeneinander an dem 
Querschnitt als verschiedene aufgefasst werden, bilden sich 
an einem und demselben entsprechenden Stück der Matrix. 
5) Die Bildung schreitet ferner von aussen nach innen (ge- 
gen die Höhle der Röhre hin) vor, und das entsprechende 
Stück der Matrix nimmt nacheinander die einem jeden Theile, 
einer jeden Schicht zum Abdruck entsprechende Form an. 6) Es 
bilden sich also an der Fahuen- und Schaftröhre der Feder zu- 
erst die Scheide, dann die Nebenstrahlen der Fahne und die 
äussere Partie des Schaftes (Rindensubstanz), dann die Rin- 
densubstanz des äusseren Randes der primären Strahlen und 
die Rindensubstanz der inneren Partie des Schaftes, endlich 
die Marksubstanz-Schicht der primären Strahlen und des 
Schaftes.. An dem Kiel entsteht zuerst die Scheide, dann 
die Rindensubstanz des Kieles. 7) Die Verkümmerung der 
Matrix schreitet im Allgemeinen, wie aus dem Vorhergehenden 
erhellt, von der Spitze nach abwärts vor, Ausserdem beginnt 
sie zuerst an der Peripherie und dringt gegen die Axe vor, 
und zugleich (an dem oberen Abschnitt der Matrix) von der 
Raphe aus gegen die Schaft-Abtheilung hin. Dem entspre- 
chend nimmt die Wandung der Horuröhre von der Raphe 
zum Schaft hin in jedem Querschnitt allmählig an Dicke zu. 
8) Au jeder in der Bildung begriffenen Feder findet man an 
der Spitze einen schon gebildeten Abschnitt der Feder mit 
vertrockneter Matrix, auf dem Grunde des Balges den neuen 
Zuwachs mit einer glatten Matrix und der diese umgeben- 
den Scheide, und endlich dazwischen die verschiedenen Zu- 


40 


stände zur Vollendung des Bildungsprozesses an Matrix und 
Feder. 9) An jeder Feder sind endlich diejenigen Formen 
des Horns, welche aus dem Organikationsrerhälinies zur Ma- 
trix hervorgehen und Abdrücke dieser Matrix darstellen, von 
anderen, den histologischen, zu unterscheiden, die unabhän- 
gig von der Form der Matrix dem Horn als einem epithelia- 
len Gebilde zukommen. Dahin gehören die histologischen 
Formen der Rindensubstanz, der Marksubstanz, die eigen- 
thümlich mit Häkchen und Fortsätzen versehenen Epithelial- 
zellen der Nebenstrahlen etc. 


Gebilde der Bindesubstanz. 


Gegenüber den vergeblichen Bemühungen, die bisherige 
Ansicht von der Textur des Bindegewebes zu halten und zu 
rechtfertigen, vermehren sich fast jährlich die Thatsachen, 
welche einen jeden unbefangenen Forscher zu der Ansicht 
des Ref. hinführen müssen. Bereits im Jahresberichte vom 
Jahre 1846 hatte Ref. auf das Verhalten des Bindegewebes 
bei Behandlung mit Essigsäure aufmerksam gemacht, aus 
welchem hervorging, da&s die Zusammensetzung desselben aus 
präformirten und isolirten Fäserchen nicht haltbar sei. Ein 
ähnliches Resultat hat sich bei den, auf Veranlassung des 
Ref. unternommenen Beobachtungen des Dr. Paulsen über 
die mikroskopischen Veränderungen mehrerer Gewebe nach 
Behandlung mit Säuren und Alkalien ergeben. (Observationes 
microchemicae circa nonnullas animalium telas. Dorpat. 1848. 
päg. 3. seqq.; pag. 34 segqq.). Wird ein Stückchen Sehne 
durch 24 Stunden mit einer zehnprozentigen Kalilösung be- 
handelt, so verwandelt es sich in eine zähe, hyalinartige 
Masse, die so durchsichtig ist, dass sie von der umgebenden 
Flüssigkeit kaum unterschieden werden kann. Die Substanz 
kann nach jeder beliebigen Richtung hin gleichmässig leicht 
ausgezogen werden; faserähnliche Gebilde sind auf keine 
Weise darzustellen. Unter dem Miskroskop ist die Masse 
ganz durchsichtig und zeigt keine Spur der bekannten 
Streifung. Gleichwohl ist um diese Zeit das Bindegewebe 
keineswegs gelöst und so die Textur vernichtet. Wird das 
Kali durch Essigsäure und diese selbst, wenn sie im Ueber- 
schusse vorhanden, durch Auswässerung entfernt, so stellt 
sich die frühere. Textur wieder her. Der Verfasser bemerkt 
mit Recht, dass bei der Voraussetzung, es bestehe das Bin- 
degewebe aus isolirten Fäserchen, die Unmöglichkeit, diese 
Fäserchen im aufgequollenen Zustande zu isoliren, auf keine 
Weise erklärt werden könne. Es ist aber wohl begreiflich, 
dass in Folge solcher Veränderung des Bindegewebes die 


4 


Spaltbarkeit vermindert oder gana aufgehoben werde, wo- 
durch auch die Darstellung von faserähnlichen Gebilden ver- 
eitelt wird. — Paulsen weist auch darauf hin, dass die- 
jenigen chemischen Agentien, welche statt das Volumen der 
organischen Substanz zu vergrössern, dasselbe vielmehr ver- 
ringern oder doch die Konsistenz der Gewebe rigide machen, 
keineswegs zu Gunsten der Ansicht sprechen, dass das Bin- 
degewebe aus isolirten Faserelementen bestehe. So gelingt 
es in keiner Weise, ein Stückchen Sehne, das mit fünfzig- 
prozentiger Kalilösung behandelt und dadurch rigide gewor- 
den ist, der deutlich erhaltenen Streifung enisprechend in 
Faserelemente zu zerlegen, obgleich dieses z. B. beim Liga- 
ment. nuchae nach ähnlicher Behandlung sehr leicht von 
statten geht. Referent mag noch hinzufügen, dass sich auch 
nach Behandlung des Bindegewebes mit Salpetersäure 208 
oder mit Salzsäure 20%, wodurch das Bindegewebe gleich- 
falls sich etwas kontrahirt und rigide wird, keine Spur von 
Fäserchen darstellen lassen. Es ist aber namentlich ein Ver- 
dienst der Paulsen’schen Beobachtungen, nachgewiesen zu 
haben, dass die aus wirklich isolirten Fasern bestehenden 
Gewebe, wie das quergestreifte und ungestreifte Muskelge- 
webe, bei längerer Behandlung mit der Salpetersäure oder 
Salzsäure ausserordentlich leicht in ihre Faser-Elemente zer- 
fallen, wie es scheint, in Folge des aufgehobenen, innigen 
Kontaktes der Fasern untereinander nach der Einschrumpfung 
durch die Säuren. 

Referent ergreift die Gelegenheit, als Ergänzung seiner 
Ansicht von den Gebilden der Bindesubstanz einige Worte 
über die Schiehtbildung in denselben hinzuzufügen. In 
welcher Forn oder in welchem Zustande auch die Gebilde 
der Bindesubstanz uns entgegentreien mögen, ob als gewöhn- 
liches Bindegewebe, oder Faserknorpel oder hyalinischer 
Knorpel, überall lassen sich bereits Erscheinungen nach wei- 
sen, die zum Theil direkt, zum Theil indirekt zu der Ansicht 
nöthigen, dass die oft scheinbar kompakte Masse jener Ge- 
bilde aus übereinander gelagerten dünnen Schichten oder La- 
mellen bestehe. Bei dem gewöhnlichen Bindegewebe ist die- 
ser Nachweis am leichtesten. In den Vater’schen Körper- 
chen sieht man diese Lamellen von kaum messbarer Dicke 
in den einzelnen Kapseln durch Flüssigkeit auf natürlichem 
Wege getrennt vor sich. In jeder Aponeurose und membran- 
artig ausgebreiteten Bindegewebemasse spricht sich die Schicht- 
bildung in den verschiedenen Richtungen aus, welche die den 
Faltenzügen entsprechende Streifung in verschiedener Dicke 
der Membran verfolgt. Es soll hiermit aber nicht gesagt 
sein, dass die verschiedene Streifung jedesmal nur auf ein- 


42 


fache Schichten zu beziehen seien; es können vielmehr auch 
mehrere Schichten eine und dieselbe Richtung in ihren Fal- 
tenzügen verfolgen. In der Richtung der Streifung liegen 
ferner auch die, nach Behandlung mit Essigsäure oder Kali- 
lösung (102) deutlich hervortretenden, Zellen- und Kernrudi- 
mente mit ihrem Längsdurchmesser und nach der etwa sicht- 
bar werdenden Anordnung. Auch der Umstand, dass man 
nach Zerrung dicker, membranöser und selbst auch strang- 
förmiger Bindegewebepartieen die Ränder der Präparate öf- 
ters in dünn, fein gestreifte oder auch nur grannlirt gezeich- 
nete Lamellen auslaufen sieht, deutet auf eine solche Zusam- 
mensetzung hin, da man wohl nicht erwarten kann, dass 
diese feinen Lamellen in ihrer Entstehung allein von den 
mechanischen Manipulationen abhängig seien. Dass auch die 
Sehnen in ihren einzelnen Abtheilungen aus aneinander ge- 
schichteten Lamellen gebildet seien, wird dem Ref. aus dem 
Verhalten der Längsschnittchen halbgetrockneter Sehnen ge- 
genüber dem der (uerschnittchen wahrscheinlich. An den 
Querschnittehen sieht man nur die durch den Messerzug be- 
wirkte Streifung und, wie es scheint, in Folge der sehr dicht 
zusammengedrängten Schichten, keine Spur von Begrenzungs- 
linien zwischen ihnen. An den Längsschnittchen dagegen 
beobachtet man auf der Oberfläche des Präparates in klei- 
nen Abständen abgehobene, zerfaserte und sich aufrollende 
Parlieen oder Lamellen des Sehnengewebes, die in querer 
Richtung, doch häufig in unregelmässiger Stellung nebenein- 
ander die vom Messerzuge herrührende Streifung durchschnei- 
den. Referent hat früher diese Erscheinung dem sägeartig 
fortschreitenden Messerzuge zugeschrieben. Der Umstand je- 
doch, dass diese abgehobenen Partikelchen öfters unregel- 
mässig nebeneinander liegen und an den Querschnittchen 
gänzlich fehlen, lässt eine solche Deutung nicht gut zu. 
Wenn man sich aber vorstellt, dass die Sehne aus überein- 
ander geschichteten Lamellen bestehe, so werden dadurch, 
dass man mit dem Messer zwischen diese Lamellen geräth 
und beim weiteren Fortzuge ganz unvermeidlich von der 
Fläche einer Lamelle auf eine unmittelbar darunter liegende 
übergeht, durch einen solchen Uebergang machanische Bedin- 
gungen gegeben, die auf die Zerrung und theilweise Abhe- 
ei derjenigen Lamellen wirken, die das Messer eben ver- 
ässt. 

Grössere Schwierigkeiten für die Untersuchung zur Ent- 
scheidung der angeregten Frage bietet der Faserknorpel und 
Knorpel dar. Beim Faserknorpel ist jedoch Zerlegung in 
feinere Lamellen, die an den Rändern der durch Zerrung ge- 
wonnenen Präparate auftreten, ebenso, wie beim gewöhn- 


43 


lichen Bindegewebe möglich. Desgleichen weiset auf die 
Schichtbildung beider Substanzen die Anordnung der Knor- 
pelkörperchen hin. Vom Knorpel ist ferner aus älteren Zei- 
ten bekannt, dass er bei Fäulniss zuweilen in Lamellen zer- 
fällt. Auch hat Referent bereits in diesem Jahresbericht bei 
Besprechung der Epithelien in den Synovialsäcken darauf auf- 
merksam gemacht, dass in der Synovia die zierlichsten, fei- 
nen Lamellen von den Gelenkknorpeln vorzufinden sind. Sie 
haben eine grosse Neigung sich zu runzeln und in Falten zu 
legen. Eine solche in Folge des Druckes der Gelenkknorpel 
aufeinander bewirkte lamellöse Abblätterung der Knorpel- 
substanz deutet sehr wahrscheinlich auf eine lamellöse Struk- 
tur. Bekannt ist endlich auch die Schichtbildung im ver- 
knöcherten Knorpel. Der Netzknorpel setzt leider durch 
seine filzige, in die hyalinartige Grundsubstanz eingebettete 
Fasermasse der Untersuchung unüberwindliche Schwierigkei- 
ten enigegen. 

Wenn man sich demnach das complieirte Höblensys- 
tem, welches sämmtliche Gebilde der Bindesubstanz als um- 
hüllendes Gewebe von anderen Formelementen, von Organ- 
theilen, ganzen Organen und Systemen bilden, vorstellt, so 
würden die nächsten Wandungen der Höhlen und Röhren 
aller Orts aus weniger oder mehr oder weniger zahlreichen 
Schichten von gewöhnlichem Bindegewebe, oder faserknor- 
pliger, knorplicher oder knöcherner Substanz bestehen; und 
nur an einzelnen Stellen, wie an der primitiven Nerven- und 
Muskelscheide, an der Tunica propria der einfachsten Drüsen- 
kanälchen und Höhlen ete. tritt uns gewöhnliches Bindege- 
webe in einfacher Lamelle entgegen. 

Während der Entwickelung lässt sich in frühster Zeit 
weder an dem gewöhnlichen Bindegewebe, noch an dem 
Knorpel in der Intercellular- oder Grundsubstanz eine Er- 
scheinung bemerken, die auf eine solche Schichtbildung zu 
beziehen wäre. Wo Bindesubstanz später in dickeren Mas- 
sen auftritt, ist die Grundsubstanz scheinbar homogen und 
ohne Schichtung; sie ist dann aber auch von mehr zäher 
Beschaffenheit, und dieses dürfte eine solche Erkenntniss er- 
schweren. Dagegen kann man nicht selten aus den in der 
Grundsubstanz eingebetteten Zellen, sowohl hinsichtlich der 
Richtung ihres Längsdurchmessers als nach ihrer Anordnung, 
auf eine Schichtbildung schliessen. Wollte man hierzu sich 
nicht verstehen, so wäre man gezwungen, nachträglich eine 
solche Spaltung der Grundsubstanz eintreten zu lassen, die 
dann doch auf die Anordnung und Richtung der ursprüng- 
lichen Zellen Rücksicht genommen hätte. 

Ueber das Verhältniss der Verbindung zwischen Sehne 


44 


und Muskel bemerkt Gerlach (a. a. ©. S. 111), dass er 
an feinen Längsschnittehen, genommen an Uebergangsstellen 
getrockneter Muskeln in Sehnen, sich überzeugt habe, dass 
die Muskelfäden abgerundet endigen, und dass die Bindege- 
webefasern des Sehnengewebes zunächst ihren Ursprung von 
den Scheiden der Muskelfäden nehmen. Der Muskelfaden 
wird dann plötzlich statt von einer Scheide von den weiter 
nicht bewiesenen, sondern ohne Weiteres angenommenen 
Bindegewebefasern umgeben. Ob an der Stelle, wo die 
primitive Scheide des Muskels mit der gestreiften Sehnen- 
substanz zusammentrefle, Kontakt oder Kontinuität statt- 
finde, wird nicht weiter an der bezeichneten Stelle berück- 
sichtigt. An einem anderen Orte (a. a. O. S. 83) äussert 
sich jedoch der Verfasser über den von dem Ref. beobach- 
teten unmittelbaren Uebergang der primitiven Muskelscheide 
in das anstossende Sehnen- und Bindegewebe bei dem pin- 
selförmigen Kiefermuskel des Flusskrebses, dass er glaube, 
Ref. habe die strukturlose Zwischensubstanz des Bindege- 
webes mit den Elementarfasern verwechselt, und vielmehr 
den kontinuirlichen Uebergang dieser Zwischensubstanz in 
die primitive Scheide des Muskelfadens beobachtet, der nicht 
zu bezweifeln sei. Ueber eine solche Art wissenschaftlicher 
Erörterungen, und noch dazu in einem Handbuche, ist kein 
Wort zu verlieren. Allen unbefangenen Forschern kann 
Ref. den pinselförmigen Kiefermuskel zur Untersuchung über 
den fraglichen Punkt empfehlen. 

Gerlach bringt die Faserknorpel in zwei Unterab- 
theilungen: zu der einen gehören die Netzknorpel und (? Ref.) 
das Gewebe der Zwischenwirbelbänder, der Synchondrosen 
und des Kiefergelenkknorpels; zu der zweiten das Gewebe 
der Cartilagines interarliculares, der Labra carlilaginea und 
des Augenliedknorpels. Die Cartilagin. interart. des Sterno- 
Claviculargelenkes sollen den Uebergang bilden. Die zur 
zweiten Unterabtheilung gehörenden Gebilde bestehen hanpt- 
sächlich aus Bindegewebe, dessen angebliche Bündel nach 
Art des fibrösen Gewebes sehr dicht gedrängt und parallel 
verlaufen. Zwischen diesen Bündeln sind mehr oder weni- 
ger zahlreich Knorpelzellen eingestreut. Sie stellen sich dem- 
nach in die Mitte zwischen Knorpel- und Bindegewebe, wer- 
den jedoch vielleicht besser zu den Knorpeln gerechnet. Man 
sieht, dass die Beobachter gleichsam mit Gewalt zu der Ver- 
wandtschaftsreihe der Gebilde der Bindesubstanz, wie sie 
von dem Ref. aufgestellt worden ist, hingedrängt werden. 
Aber ein gewisser Schrecken lähmt jede freiere Bewegung; man 
entschliesst sich lieber, die an ihre Grundsubstanz noth wendig 
gebundenen Knorpelkörperchen in ein angeblich fremdartiges 


45 


Gebilde (das Bindegewebe) sich verkriechen zu lassen, als an- 
zuerkennen, dass jene in Bindegewebe eingestreuten Knor- 
pelkörperchen nichts Anderes sind. als die im Bindegewebe 
so häufig vorkommenden Rudimente von Zellen und Kern. 
Man hat also nicht ein Gebilde vor sich, das von einem an- 
deren ein heterogenes Element geliehen hat, sondern ein 
Gebilde, das, wie das Bindegewebe und der Knorpel, aus 
Grundsubstanz (Intercellularsubstanz) und Zellenrudimenten 
oder vielleicht noch ganzen Zellen besteht; die Grundsub- 
stanz stimmt aber im Wesentlichen mit der Grundsubstanz 
des Bindegewebes überein, während die ursprünglichen Zel- 
len den Charakter der Knorpelkörperchen beibehalten haben. 

Die Textur der Knorpelsubstanz an den Knorpel- 
enden rhachitischer Knochen fand Kölliker im Wesent- 
lichen übereinstimmend mit den normal ossificirenden Epi- 
physen. (Ueber die Verknöcherung bei Rhachitis. Notiz. 
von Fror. und Schleid. 1848. No. 96.) In der dem knö- 
chernen Theile zunächst liegenden Schicht sind die Knorpel- 
körperchen reihenweise gelagert, und haben eine deutliche 
(? Ref.), mässig dicke Wandung. Die Grundsubstanz zwi- 
schen ihnen sei meist faserig (? Ref... In der äusseren 
bläulich-weissen Schicht sind die Knorpelkörperchen kleiner 
und unregelmässig gelagert; sie haben keine erkennbare Mem- 
branen und stellen gleichsam nur Höhlen in einer fein gra- 
nulirten, gleichförmigen Grundsubstanz dar. Nach Untersu- 
chungen, die Dr. Bergmann auf Veranlassung des Ref. ge- 
macht hat, (De cartilaginibus hyalinis. Dorpat. 1850.) hat 
sich herausgestellt, dass in keinem ausgebildeten, hyalinischen 
Knorpel Membranen an den Knorpelkörperchen nachzuwei- 
sen sind, und dass die Erscheinungen, welche zu der An- 
nahme von verdickten Zellenmembranen der Knorpelkörper- 
chen veranlasst haben, von den reflektirten und gebroche- 
nen Lichtstrahlen an den sphärischen Flächen der Knorpel- 
höhlen und des darin reslirenden Zelleninhaltes herrühren. 
Der Inhalt der Knorpelhöhlen zieht sich nach K. durch Ein- 
wirkung von Wasser und Essigsäure meistentheils enger zu- 
sammen und bildet einen rundlichen oder länglichen Haufen 
mit gekörnter, gekerbter oder zackiger Oberfläche, Der Ver- 
fasser beobachtete auch zahlreiche, den Gelässen angehörende 
Knorpelkanäle, die auch Bergmann öfters verfolgte. Köl- 
liker's Ansicht von der Entstehung der Knochenkörperchen 
wurde schon im vorjährigen Jahresbericht berührt. Er hält 
sie ihrer Entstehung und Bedeutung nach für Zellen, deren 
verdickte von Porenkanälen durchsetzte Membran (? Ref.) mit 
der Grundsubstanz des Knochens verschmolzen ist. Er un- 


46 


terscheidet einfache und zusammengesetzte Knochenkörper- 
chen, je nachdem sie aus einem einfachen oder mit Tochter- 
zellen (? Ref.) versehenen Knorpelkörperchen hervorgehen. 

In seinen „‚Berichten von der Königlichen zootomischen 
Anstalt zu Würzburg“ (Leipzig. 1849. 4°. S. 42.) beschreibt 
Kölliker den Verknöcherungsprozess hyalinischer 
Knorpel abweichend von dem aus Membranen oder häutigen 
Theilen (d. h. Bindegewebe mit eingestreuten Zellen ohne 
Zwischensubstanz (!) nach K. Ref.) entstehenden Knochen. 
Im hyalinischen Knorpel finde sich in allen Fällen eine vor- 
läufige Ablagerung von Kalksalzen in Gestalt von undurch- 
sichtigen, grösseren und kleineren, unregelmässigen Körnern 
am Verknöcherungsrande, welche später wieder aufgelöst 
worden, um chemisch mit den organischen Theilen des Kno- 
chens sich zu vereinigen. Bei der Verknöcherung der aus 
Membranen oder häutigen Theilen entstehenden Knochen 
(sog. Belegknochen des Primordialknorpels des Schädels Ja- 
cobs.) dagegen zeige sich niemals eine vorläufige Deposi- 
tion von unregelmässigen Körnern, sondern es werden die 
Kalksalze gleich chemisch mit den organischen Theilen der 
ossifieirenden Membranen verbunden. Die eben erst gebil- 
dete Knochensubstanz zeige daher sogleich die Charaktere 
der fertigen Knochenmasse und ist durch keine scharfe 
Grenze von der häutigen Grundlage geschieden; sie geht 
vielmehr, immer weicher und biegsamer und ärmer an Kalk- 
salzen werdend, kontinuirlich in dieselbe über, öfters in ein- 
zelnen Strahlen. Die Verknöcherung in den häutigen Grund- 
lagen verhält sich demnach wie nach Sharpey die Verknö- 
cherung an der Rindenschieht der Extremitäten-Knochen. 
Kölliker hat die von Sharpey mitgetheilte Beobachtung 
über die Verknöcherungsweise der Extremitätenknochen noch 
erweitert. Nach ihm wachsen alle hyalinisch-knorplig prä- 
formirten Knochen, wohl ohne Ausnahme, auf eine doppelte 
Weise. Sie vergrössern sich einmal auf Kosten der mit ih- 
nen fortwachsenden Reste des ursprünglichen hyalinischen 
Knorpels und zweitens durch Knochenmasse, welche an der 
inneren Seite ihrer Beinhaut unmittelbar aus häutigen Thei- 
len hervorgeht. Diese Knochenmasse verknöchert im We- 
sentlichen so, wie die häutige Grundlage der sog. Belegkno- 
chen des Schädel. Man finde auch hier an der inneren 
Seite der dieken Beinhaut eine weiche, häulige Masse, die 
durchweg aus Bindegewebe und in dasselbe eingestreuten, 
kernhaltigen, von Knorpelzellen ganz verschiedenen Zellen 
bestehe, und die in gleicher Weise, wie oben beschrieben, 
verknöchere. Das Wachsthum solcher knorplich präformir- 
ten Knochen werde demnach in der Längsaxe durch Knor- 


47 


pel, in der Queraxe des Leibes (! Ref.) durch häutige Theile 
besorgt; die Vergrösserung in die Dicke geschehe auf Rech- 
nung der Beinhaut (? Ref.). Endlich sollen auch die Abla- 
gerungen an den Wänden der Markkanälchen nie von knorp- 
lichen Theilen aus stattfinden, sondern auf Rechnung der 
weichen Theile des ursprünglichen Knochenmarks kommen 
? Ref.). 

- en hat bereits an einem anderen Orte („Ueber den 
sog. Primordialschädel.“ Müll. Archiv, 1849) Gelegenheit 
gehabt, sich über mehrere Angaben Kölliker’s nach eige- 
nen Untersuchungen auszusprechen. Es zeigt sich allerdings, 
namentlich bei vergleichenden Beobachtungen, deutlich und 
war auch früher nicht gänzlich unbeachtet geblieben, dass 
die Rinden- und Marksubstanz eines Knochens bei der Ver- 
knöcherung aus ihrer Grundlage zuweilen eine gewisse Un- 
abhängigkeit darlegen. Die Verknöcherung beginnt häufig in 
der Mitte der hyalinisch- oder häutig-knorplichen Grundlage, 
es entsteht zuerst Marksubstanz und daran schliesst sich die 
Verknöcherung der peripherischen gegen die Beinhaut ge- 
wendelen Schicht zur Bildung der Rindenschicht. In ande- 
ren Fällen verknöchert zuerst die Rinden-Partie der knorpli- 
gen Grundlage, und dringt nach der Mitte mehr oder weni- 
ger weit vor, oder die milllere Masse des Knorpels verknö- 
chert auch gar nicht. Auch ist bekannt. dass die platten 
Schädelknochen aus einer häutig-knorpligen Grundlage und 
zwar wie A. Bidder nachwies, in der Art hervorgehen, 
dass hier zuerst die mitilere Substanz mit strahligem Ge- 
füge gebildet würde, und dass die kompaktere Rindensub- 
stanz nachträglich gleichsam aufgelegt werde. Desglei- 
chen dürfte man mit Kölliker die verknöcherte Grund- 
lage der platten, kompakten Schädelknochen in gewissen Be- 
ziehungen mit der peripherischen Schicht eines hyalinischen 
Knorpels vergleichen können. Dagegen ist die förmliche 
Trennung der Rindenschicht eines hyalinischen Knorpels und 
der häutig-knorplichen Grundlagen platter Schädelknochen 
von der centralen Masse eines Hyalinknorpels nach der hi- 
stologischen Beschaffenheit und der Art und Weise der Ver- 
knöcherung eine gänzlich willkürliche, und kann nur dazu 
dienen, Gleichartiges zu trennen und in Folge dessen fast im- 
mer Helerogenes zusammenzuwerfen. Auch die weichere 
x Agrar Rindenschicht eines Ilyalinknorpels, so wie die 
säulig-knorpliche Grundlage platter Schädelknochen besteht 
histologisch aus Grundsubstanz, die, ähnlich dem Faserknor- 
pel, gestreift und grob gekörnt (von den Falten und Run- 
zeln) erscheint, und dadurelı das Aussehen der Grundsubstanz 
des gewöhnlichen Bindegewebes erhält, und aus den in 


48 


diese Grundsubstanz eingebetteten Knorpelkörperchen, wahr- 
scheinlich Kölliker’s Zellen, die den Knorpelkörperehen 
nicht ähnlich sein sollen. Letztere werden durch die Dun- 
kelheit der Grundsubstanz sehr verdeckt und können oft erst 
nach Behandlung mit Kalilösung (102) sichtbar gemacht wer- 
den. Die Ablagerung der Kalksalze geschieht in beiden Sub- 
stanzen durchaus auf gleiche Weise. Bei der faserknorpligen 
Grundlage lässt sich dieses gleichfalls nach Anwendung von 
Kalilösung am besten übersehen. Noch vor Kurzem beob- 
achtete Ref. die Verknöcherungsgrenze eines Röhrenknochens 
an feinen Längsschnittchen, und sah hier nicht eine Spur 
von einer vorläufigen Kalksalz-Ablagerung; der Knochen lief 
aus in ästige Strahlen, wie an den platten Knochen des 
Schädels. Es ist wahrlich nicht nöthig, freie, ihrer Grund- 
substanz beraubte Knochenkörperchen entstehen und in Bin- 
degewebe sich verstecken zu lassen. 

J. Tomes hat seine Untersuchungen über Knorpel 
und Knochengewebe in Todd’s Cyelop. (Osseous tissue. 
Volum. III, pag. 847 segqq.) milgetheilt. Nach dem Ver- 
fasser besteht, wie auch andere Forscher und Ref. nachge- 
wiesen, die Anlage einer Knorpelsubstanz (der Wirbelkörper 
beim Hühnchen nach sechs und dreissigstündiger Bebrütung) 
aus klaren, kernhaltigen Zellen, zwischen welchen noch 
keine Intercellular- oder Grundsubstanz bemerkbar ist. Diese 
letztere stellt sich als durchsichtige, strukturlose Masse bei 
weiterer Entwickelung des Embryo ein und drängt dann die 
Zellen auseinander. Die Knochenkörperchen, welche zwi- 
schen je 2 oder 3 Systemen der concentrischen Lamellen 
um die Markkanälchen liegen, stehen öfters durch ihre Strah- 
len mit den Knochenkörperchen der angrenzenden Lamellen- 
systeme in Verbindung. In der Regel ferner wenden sich 
sämmtliche Strahlen der äussersten Knochenkörperchen eines 
Lamelleusystems gegen das Markkanälchen hin. Die Mark- 
kanälchen sollen als feinste Kanälchen sich frei an der Ober- 
fläche öffnen. Nach dem Verhalten dünner Knochenplätt- 
chen, die sich überdies zwischen Glasplatten zu Pulver zer- 
reiben lassen, schliesst der Verfasser auf die Zusammenset- 
zung der Knochensubstanz aus kleinen Körnchen. . Die Ver- 
knöcherung tritt als Ablagerung von Körnchen in der Grund- 
substanz auf; die Wände (? Ref.) der Knorpelkörperchen 
verknöchern später. Die Markkanälchen entstehen durch 
Resorption der, zwischen den reihenweise geordneten Knor- 
pelkörperchen abgesetzten oder gebildeten Knochenmaterie 
und sollen demnach als vereinigte Knorpelhöhlen der Knor- 
pelkörperchen anzusehen sein. Wenn dann durch Ablage- 
rung von Knochenmaterie die Unebenheiten der so entstan- 


49 


denen Kanälchen ausgeglichen werden, so zeigen sich darin 
die ersten Knochenkörperchen. 


Blut. 


Von Donders und Moleschott haben wir Untersu- 
chungen über die Blutkörperchen, namentlich des Fro- 
sches erhalten. (Zell, Beiträge: Bd. I, Heft 3. S. 360 379.) 
Die Verfasser unterscheiden mit Wharton Jones Köm- 
chenzellen, farblose und gefärbte Blutkörperchen. Zwischen 
den Körnchenzellen und den farblosen Blutkörperchen giebt 
es, wenn auch nicht so regelmässig, Uebergangsstufen. 
Die gefärbten Blutkörperchen sind jedoch nicht alle von 
gleichem Verhalten. Bei einzelnen nämlich vermisste man, 
wenn der aufgefangene Blutstropfen sogleich von der Luft 
abgesperrt wurde, den Kern. Ausserdem finden sich regel 
mässig neben den elliptischen farbigen Blutkörperchen ein- 
zelne runde, glänzende, intensiv gefärbte, kernlose, und auch 
an der Luft und bei Behandlung mit Wasser kernlos blei- 
bende Zellen. Diese leisten dem Wasser den kräftigsten 
Widerstand, und bleiben daher oft allein noch neben den 
Körnchenzellen sichtbar. Sie scheinen die höchst entwickelte 
Form der Blutkörperchen zu sein. 

Die Verfasser haben bei hungernden Fröschen das Ver- 
hältniss der Kernchenzellen zu den gefärbten Blutkörperchen 
durch Zählung zu ermitteln gesucht. Aus den gewonnenen 
Zahlen der ersten 17 Tage ergab sich das Resultat: 1) Dass 
die Menge der runden, glänzenden, kernlosen Körperchen im 
Verhältnisse zu den übrigen Formelemeuten des Blutes ab- 
nimmt; 2) dass die Anzahl der ovalen, kernhaltigen, dem 
Wasser widerstehenden Körperchen im Verhältniss zu der 
runden, kernlosen zunimmt; 3) dass die Zahl der ovalen, 
kernhaltigen, dem Wasser widerstehenden Körperchen im 
Verhältnisse zu der Summe der durch das Wasser durch- 
sichtig gewordenen farbigen Körperchen und der weissen 
Kernzellen zunimmt; 4) dass im normalen Zustande das 
Verhältniss der weissen Körnchenzellen zu den gefärbten 
Körperchen, wie 1:8 ist; und dass 5) die Zahl der weis- 
sen Körnchenzellen durch den Einfluss des Hungerns ab- 
nimmt. Der zur Zählung benutzte Blultropfen wurde dem 
Herzen entuommen und ohne Zusatz, vom Glasplättchen be- 
deckt, untersucht, — Am 22. Tage des Hungerns zeigten 
sich viele blasse Kernzellen, deren Kernchen (nucleoli ? Ref.) 
rund waren; an einigen fehlte die Membran, die zurückge- 
bliebenen Kerne waren meist „4; — „4, ” "- breit und „4, "- m 
lang. Auf eine weisse Körnchenzelle kamen 2,75 freie Kerne 

Müller's Archiv, 1849, D 


50 


und 40 farbige Blutkörperchen. — Am 28. Tage war die 
Zahl der freien Kerne sehr vermehrt. — Bei Fröschen, die 
von Ende August bis zum 24. Februar gehungert hatten, 
war auffallender Weise das Verhältniss der Körnchenzellen 
zu den farbigen Blutkörperchen wieder, wie 1:8 und 
1:42, 7 » 

Aus den mikrochemischen Beobachtungen der Verfasser 
über geschlagenes Ochsenblut, das zu gleichen Theilen mit dem 
Reagens in ein Proberöhrchen gebracht und wiederholt ge- 
schüttelt worden war, haben sich nach 4 — 5stündiger Ein- 
wirkuug folgende Resultate herausgestellt. Alkalien und 
Säuren (Essigsäure, Schwefelsäure, Salzsäure, Salpetersäure, 
sämmtlich in ziemlich concentrirtem Zustande) lassen, wenn sie 
eoncentrirt angewendet werden, die Blutkörperchen ungelöst. 
Ammoniak und Kalilösung (1 Kali auf 3 Wasser) lösen die 
Körperchen nach 5 Stunden auf; desgleichen die Schwelel- 
säure und Essigsäure bei stärkerer Verdünnung. Salzsäure 
und Salpetersäure dagegen bewirken bei siebenfacher Ver- 
dünrung der Mischung, dass die Körperchen blasser und 
grösser werden. Nach Ammoniak wird die Farbe der Mi- 
schung des Blutes kirschroth mit einem Stich in's Bräun- 
liche; von den Körperchen war nur eine Menge bräunlich 
gelber Körnchen übrig geblieben. Concentrirtes Kali macht 
die Farbe bei durchfallendem Lichte undurchsichtig schwarz, 
bei auffallendem Lichte kastanienbraun. Die zusammenge- 
schrumpften Blutkörperchen quellen bein Zusatz einer kleinen 
Menge Wassers wieder auf. Bei verdünnter Kalilösung ist 
die Mischung schwarzbraun, in der oberen Schicht roth- 
braun. Durch Essigsäure wird das Blut sehr schwarzbraun 
und schmierig.. Die Körperchen sind zusammengeschrumpft 
und in der Regel gelb, Zusatz von Wasser macht sie blass und 
deutlich. Schwefelsäure erzeugt eine schwarzbraune Fär- 
bung, Salzsäure eine braune mit dem Stich in’s Gelbliche, 
Salpetersäure eine olivenbraune Farbe. — Alkohol verändert 
die Blutkörperchen nach 4 Stunden kaum; sie scheinen nur 
etwas intensiver röthlich gelb zu sein; nach 24 Stunden 
zeigten sie sich elwas zusammengeschrumpft und platter. 
Durch Aether wird das Blut dunkel-kirschroth. 

Von den in Wasser löslichen Salzen wurden vorzugs- 
weise die im Blute vorkommenden in ihrem Verhalten gegen 
die Blutkörperchen studirt. Es wurden angewendet eine 
gesättigte Lösung (immer 1 Theil Blut auf 1 Theil Lösung), 
eine Lösung von 1 Theil Salz auf 11 Theile Wasser und 1 
Theil des Salzes auf 25 Theile Wasser, um auf diesem Wege 
die Unterschiede, welche von den verschiedenen Wasser- 
mengen abhängen, die die gesättiglen Lösungen enthielten, 


51 


kennen zu lernen. Aus einer grossen Anzahl von Versuchen 
erklären die Verfasser folgende Scalen für konstant. 1) Bei 
Anwendung der concentrirten Reagentien bilden die Salze 
nach dem Grade der stärkeren Runzelung der Körperchen 
folgende Reihe: Chlornatrium, Chlorkalium, dreibasich phos- 
phorsaures Natron, kohlensaures Natron, salpetersaures Kali, 
gewöhuliches phosphorsaures Natron, schwefelsaures Kali, 
endlich schwelelsaures Natron, bei welchem die Runzelung 
am stärksten ist, 2) War die Mischung mit der 7fachen 
Wassermenge verdünnt, so ergab sich folgende Reihe: am 
schwächsten werden die Körperchen gerunzelt bei Anwen- 
dung des kohlensauren Natron; sodann folgen gewöhnliches 
phosphorsaures Natron, Chlornatrium, salpetersaures Kali, 
schwelelsaures Kali, schwefelsaures Natron. 3) Nach der 
auflösenden Wirkung auf die Blutkörperchen ordnen sich 
die Salze in folgende Reihe, in welcher das zuerst genannte 
am leichtesten, das zuletzt genannte am schwersten diese 
Wirkung ausübt: kohlensaures Natron, gewöhnliches phos- 
phorsaures Natron, schwefelsaures Natron, salpersaures und 
schwefelsaures Kali, Chlorkalium, Chlornatrium. Aus dem 
Vergleich dieser Scalen ergiebt sich, dass die Schnelligkeit 
der Auflösung und der Grad der Runzelung leider keinen 
durchgreifenden Parallelismus gestalten. Man sollte erwar- 
ten, dass die Körperchen in dem Reagens am schnellsten 
sich lösen würden, in welchem sie am meisten aufquellen 
und rund werden. Das kohlensaure und phosphorsaure Na- 
tron bestätigen diese Erwartung; die Chlorüre zeigen das 
Gegentheil. Der Salzgehalt des Blutes kann auf diesen Aus- 
fall der Versuche nicht von Einfluss gewesen sein, da für 
jede Skale die Versuche mit demselben Blute vorgenommen 
warden, und die Mischungen unmittelbar nacheinander be- 
reitet wurden. Deshalb kann die erste Skale zugleich als 
eine solche angesehen werden, welche das endosmotische 
und exosmolische Verhältniss der Blutkörperchen gegen die 
angewandten Salze beleuchtet, Bei den schwefelsauren Sal- 
zen {ritt am meisten Wasser exosmolisch aus den Körperchen 
heraus, währgud bei den Chlorüren und dem phosphorsau- 
ren und kohlensauren Natron am meisten Wasser endos- 
molisch eintritt. Hinsichtlich der Farbe der Mischung ist im 
Allgemeinen zu bemerken, dass dieselbe um so weiter vom 
Steinrothen sich entfernt und dem dunkel Weinrothen sich 
nähert, jemehr die Körperchen gelöst wurden. 

Die Umwandlung des venösen Blutes in arlerielles soll 
nach Owen Rees zufolge seiner Versuche in folgender 
Weise stallfinden: die Blutkörperchen des venösen Blutes 
enthalten ein mit dem Hämatosin verbundenes phosphorhal- 


D2 


92 


tjges Fett; in den Lungenzellen komme dieses mit dem at- 
m osphärischen Sauerstolf in Berührung, das Fett zerfalle, 
der Phosphor oxydire sich, es entstehe Kohlensäure und 
Wasser, die ausgeathmet werden, und Phosphorsäure, die 
sich mit dem Alkali der Blutflüssigkeit zu dreibasisch. phos- 
phorsauren Natron verbinden. Diese Vereinigung geschehe 
wahrscheinlich auf Kosten eines Natron-Albuminats. Daher 
soll der Sauerstoff zwar die mittelbare, ein neutrales Salz 
aber, das sich während der Respiration durch Aufnahme 
von Sauerstoff bilde, die unmittelbare Ursache der hellen Farbe 
des Blutes sein, (The London etc. philosophical Magaz. No. 219. 
1848. — Schleid. und Fror. Notiz. No. 153. Septbr. 1848.) 

Nach Andrew Smith und Gulliver verhalten sich 
die Blutkörperchen des Lepidosiren, wie die der schuppen- 
losen Amphibien; der Grösse nach stehen sie zwischen de- 
nen des Siren und des Triton. Ihr längster Durchmesser 
beträgt „4; Engl. Zoll, der kürzeste „1, Engl. Z.; der Längs- 
durchmesser des Kerns —1;; E. Z.; der Durchmesser der Breite 
zo: E. Z. (The annals and magaz. of natur. hist. No. 10, 1848.) 
(ef. Peters, Müll. Archiv. 1845, Taf. III, Fig. 3.) 

Gerlach hat die sogenannten Blutkörperchen enthalten- 
den Zellen der Milz nicht in der Pulpa, wie Kölliker und 
Ecker, sondern nur in den Malpighischen Bläschen gefunden, 
die der Verfasser mit Huschke für Erweiterungen von 
Saugaderästen hält, welche aus einer strukturlosen Haut mit 
eigenthümlichen dünnen und langen Fasern und dazwischen 
verlaufenden kapillaren Blutgefässen bestehen. Es sollen die 
fraglichen Zellen Mutterzellen der farbigen Blutkörperchen 
darstellen. (Henle’s und Pfeufer’s Zeitsch. Bd. VII. Heft. I. 
S. 75 — 83.) 

Dass auch Blutzellenbildung in der Leber statt- 
habe, ist eine neuerdings wieder von E. H. Weber verthei- 
digte Ansicht. (Annotationes anat. et physiolog. Prol. X.) 
Der Verfasser hat seine Beobachtungen an der Leber von 
Fröschen gemacht, die beim Beginn des Frühlings durch 
reichliche Fettablagerung sich auszeichnet, Auf eine solche 
Fettablagerung in der Leber der Froschlarven während der 
Larvenmetamorphose hatte auch Ref. aufmerksam gemacht. 
(Entwickelungsleben etc. S. 76.) Bevor die Fettablagerung 
sich einstellt, hat die Leber eine bräunliche Färbung, und 
diese rührt von sehr kleinen braunen Kügelchen concentrir- 
ter Gallenmaterie in den feinsten Gallengängen her. Ausser- 
dem sieht man sowohl an der Oberfläche als an Schnittchen 
der Leber viel grössere, dunkelbraune und durchsichtige Kü- 
gelchen von „ti, — „1,“ P. im Durchmesser, die aus jenen 


Br h 108 } 
kleinen Kügelchen („15” P.) zusammengesetzt erschienen 


53 


und bald zerstreut, bald in Haufen, oder in einfachen oder 
ramifieirten Reihen geordnet dalagen. Der Verfasser hält 
diese Körperchen für Leberbläschen, mit concentrirter Galle 
gefüllt, die als frei mit den Gallengängen kommunizirende 
Anhänge derselben angesehen werden sollen und in einer 
Anzahl von vier und mehr in der Circumferenz des Kanäl- 
chens gelagert seien. Nach der Feltablagerung sind nun die 
bezeichneten Endigungen der Leberkanäle von sehr kleinen 
gelben Fetttröpfen gefüllt; die kleinsten haben einen Durch- 
messer von 45 — 745", die grösseren „45 — 1,” P. im 
Durchmesser. Von ihnen rührt die gelbe Farbe der Früh- 
jahrsleber der Frösche her. An feinen Leberschnittchen 
konnte Weber jeduch sechs verschiedene Formen von Kör- 
perchen unterscheiden: 1) Blutkügelehen und Lymphkörper- 
chen aus den betreffenden Gefässen, 2) dunkelbraune Kör- 
perchen, einfach oder in Konglomeraten, Partikelchen con- 
centrirter Galle, 3) intensiv gelbe, kleinere und grössere 
Feltkügelchen, ohne Kerne, die aus den feinsten Gallen- 
kanälchen herausgefallen waren, 4) sehr durchsichtige, runde 
Körperchen von der Grösse des Kerns der Leberzellen an- 
derer Beobaclıter, die zuweilen ein oder mehrere Körnchen 
einschlossen und oft nur dadurch sichtbar wurden, dass 
gelbe Kügelchen sich in der Umgebung gelagert hatten; 5) 
gelbe, oval geformte Konglomerate, die aus vielen gelben 
Kügelehen zusammmengeselzt waren und einen kernähnlichen 
Körper von dem Ansehen der durchsichtigen, runden Kör- 
perehen (sub No. 3.) enthielten; 6) gelbe, ovale Körper mit 
einem durchsichtigen, runden Kern; sie erscheinen wie ge- 
bildet durch die Verschmelzung der oben beschriebenen gel- 
ben Körperehen in den Konglomeraten, Diese letzteren Kör- 
per nun glichen farbigen Blutkörperehen, doch waren sie 
mehr gelb und zäher, veränderten im Wasser weder Form 
noch Farbe und enthielten nicht einen ovalen, sondern einen 
runden Kern. Aus einigen Konglomeraten, die zur Hälfte 
aus gelben Körperchen, zur Hälfte aus 'gleichförmiger gelber 
Materie gebildet waren, ergeben sich die Uebergangsstufen 
für die Metamorphose zu Blutzellen. Hiernach soll es wahr- 
scheinlich sein, dass in den Leberbläschen, die zur Früh- 
jahrszeit mit einer grossen Menge gelber Körperchen erfüllt 
seien, ein runder, durchsichtiger Kern entstehe und durch 
Verschmelzung der gelben Körperchen die Blutzellen gebildet 
würden. Ungewiss sei es noch, ‚ob die gelben Körperchen 
um den Kern sich anhäufen, so ein ovales Körperchen kon- 
stituiren, das anfangs noch der Membran‘ entbehrt, oder ob 
die durchsichtigen kernähnlichen Körperchen auf die Weise 
in. Zellen verwandelt werden, dass sie die gelben Tröpfchen 


54 


resorbiren und später einen Kern bilden. Der Uebergang 
der Blutkörperchen, die auf die bezeichnete Weise nach des 
Verfassers Ansicht entstehen, in die Blutgefässe, geschehe auf 
dieselbe Weise, wie der Austritt der Eier aus dem Eier- 
stock in die Tuben, 


Muskelfaser. 


Paulsen hat in der schon erwähnten Dissertation 
(Obs. mieroch. circa nonnul. animal. telas. Dorpati 1848.) 
auch die mikroskopischen Veränderungen beschrieben, welche 
glatte und gestreifte Muskelfasern während längerer Behand- 
lung mit Säuren (Schwefelsäure, Salzsäure, Salpetersäure, 
Essigsäure und Kalilösungen (1%, 102, 502) erleiden. Refe- 
rent beschränkt sich darauf, einzelne Resultate von histolo- 
gischem Werth hervorzuheben. Der Verfasser macht in die- 
ser Beziehung zunächst darauf aufmerksam, dass die glatten 
Muskellasern und die Fibrillen der gestreiften Muskelfaser oder 
des primitiven Muskelbündels eine grosse Uebereinstimmung 
im mikroskopischen Verhalten bei Anwendung der genann 
ten Reagentien darlegen. So zeigt sich bei Anwendung der 
funfzigprozeutigen Kalilösung, dass die Querstreifen des pri- 
mitiven Muskelbündels ausserordentlich deutlich hervortreten, 
und dass auch die glatten Muskelfasern einen wellenförmi- 
gen Verlauf annehmen und auf diese Weise unter dem Mi- 
kroskop ein quer gestreiftes Ansehen gewiunen. Desgleichen 
zerfallen die Fibrillen der gestreiften Muskelfaser bei dersel- 
ben Behandlung nach 24 Stunden in kleine Kügelchen, de- 
ren Durchmesser der Entfernung zwischen zwei Streifen ent- 
spricht. Die glatten Muskelfasern thun dasselbe, doch muss 
die Kalilösung (50%) hier drei Tage eingewirkt haben, Paul- 
sen weist gelegentlich darauf hin, dass diese Uebereinstim- 
mung in dem chemischen Verhalten auch für die Gleichar 
tigkeit beider Formelemente spräche, was bereits durch die 
übereinstimmende Entwickelung derselben (aus einer Zelle 
Ref.) nach Holst’s und des Ref, Beobachtungen gezeigt 
worden sei. Das Zerfallen der glatten Muskelfasern der 
Länge nach in Kügelchen bietet noch ein anderes Interesse 
dar. Man hat nämlich aus dem Zerfallen der Fibrillen 'ge- 
streifter Muskelfasern bei der Fäulniss auf eine Zusammen- 
setzung derselben aus solchen Kügelchen und auf eine vari- 
köse Textur der Fibrillen geschlossen, von welcher die Quer- 
streifen als optisches Bild herrühren sollten. Da nun die glat- 
ten Muskelfasern mit Hülfe von Kalilösung (50%) gleichfalls 
in Kügelchen-Reihen zerfallen, ohne die Annahme einer va- 
rikösen Textur zu gestatten, so kann dieselbe auch für die 


59 


Fibrillen der gestreiften Muskelfasern durch das Zerfallen in 
Kügelchen nicht füglich begründet werden. Man wird viel- 
mehr die Querstreifung von dem wellenförmigen Verlauf der 
Fibrillen herleiten müssen. Als ein besonders wichtiges Re- 
sultat für die Histologie hat Referent die Mittheilung Paul- 
sens über die Veränderung der glatten Muskelfasern durch 
zwanzigprozentige Salpeter- und Salzsäure hervorzuheben. 
Unmittelbar nach Anwendung dieser Säuren wird die Farbe 
der glatten Muskeln nur dunkler und gelblich. Nach 24 
Stunden bemerkt man, dass die Muskeln schon leicht in ihre 
Faserelemente sich trennen lassen. Dauert die Einwirkung 
der Säuren noch länger, etwa drei Tage, wie Ref. sich über- 
zeugte, so genügt schon die Erschütterung des Objectgläs- 
chens, um die Trennung in die einzelnen Fasern zu bewir- 
ken. Dabei beobachtet man an den Muskeln des Darms und 
der Gebärmutter, dass die meisten Fasern einen wellenför- 
migen Verlauf angenommen haben und mit ihren Enden oft 
in den zierlichsten Spiralen fortlaufen. Diese Veränderungen, 
von welchen die ersteren am konstantesten sind, sind um 
so wichtiger, als es jedem Mikroskopiker bekannt ist, wie 
schwer oft die glatte Muskelfaser-Substanz von andern strei- 
figen Geweben zu unterscheiden ist, und als nunmehr auf 
diesem Wege jedes Mal mit Sicherheit die Erkenntniss er- 
möglicht wird. 


Nervenfaser und Nervenkörperchen. 


Axmann hat die innere Struktur des Gangliensystems 
zum Gegenstande seiner Inaugural-Dissertation gemacht (De 
angliorum systematis structura penitiori ejusque funclioni- 
Bun Berol. 1847. 4°. e. tab I.) An den Ganglienkörper- 
chen unterscheidet der Verf. eine deutliche Membran, die 
sich an dem scharfen Kontour und daran zu erkennen gebe, 
dass sie nach Entleerung des Inhalts unversehrt zurückbleibe ; 
in dem körnigen Inhalte soll ferner zuweilen eine Zusam- 
menselzung aus Zellen sich aussprechen. Es ist wahrschein- 
lich, dass Axmann zu diesen Ansichten durch Ganglienkör- 
erchen verleitet worden ist, an welchen die oft zahlreiche 

erne enthaltenden bindegewebigen Scheiden nicht vollkom- 
men abgetrennt waren; seine Zeiehnungen deuten darauf hin. 
Die Verbindung der Ganglienkörper mit Nervenfasern hat 
der Verfasser an den verschiedensten Thieren oft beobach- 
tet. Er hält die Verbindung einer Faser mit dem Nerven- 
körperehen für die gewöhnlichste und glaubt auch zuweilen 
deutlich eine Fortsetzung des Marks der Nervenfaser, wie Har- 
less, 'als lichten Streifen bis zu dem Kern des Ganglien- 
körperchens hin verfolgt za haben, Nervenkönperchen in 


96 


Verbindung mit zwei Nervenfasern hat Axmann. nicht al- 
lein in den Spinalganglien und in dem Gasser’schen Gan- 
glion der Frösche und Kaninchen gefunden, sondern auch 
in dem Rückenmark der Frösche und des Triton eristatus 
in der Art beobachtet, dass die eine Faser nach dem Gehirn 
hin, die andere in entgegengesetzter Richtung, ihren Lauf 
fortsetzten, 

Auch Ludwig. hat beim Verfolge der Nerven in der 
Scheidewand des Froschherzens Gelegenheit gehabt, von der 
Verbindung der Nervenfasern mit den Ganglienkörperchen 
sich zu überzeugen, obgleich er gesteht, dass das Objekt we- 
nig geeignet sei, eine klare Einsicht in die Elementar-Ver- 
hältnisse des Nervensystems zu gestatten. Die meisten Gan- 
glienkörper zeigen nach ihm nur einen Fortsatz, der sich 
im weiteren Verlauf als Nervenfaser zu erkennen gab, Mit 
Hülfe des Mikroskops war es nicht zu unterscheiden, ob der 
entgegengeseizte Fortsatz abgerissen worden, oder ursprüng- 
lich nicht vorhanden war. Dieses ist nach des Ref. Ansicht 
der richtige Ausspruch, den man in Betreff der Verbindung 
nur, einer Nervenfaser mil dem Nervenkörperchen gegenwär- 
tig so lange haben muss, als die Kontroverse nur an Prä- 
paraten entschieden werden kann, die zuvor gezerrt werden. 
Sehr selten konnte sich Ludwig Ganglienkörper verschaf- 
fen, die in einer Anschwellung der Primitivröhre lagen, was 
überall dann stattfindet, wenn man es mit Ganglien und 
Nerven zu thun hat, die reichlich mit Bindegewebe versehen 
sind und zu dem Ende bei der Zurechtlegung eines geeigne- 
ten Präparates stark gezerrt werden müssen. (Ref.) Häufig 
fand Ludwig gar keinen Zusammenhang zwischen einzel- 
‚nen Ganglienkörperchen und primitiven Nervenröhren, und 
meint, dass eine kühne Hypothese dazu gehöre, diesen Zu- 
sammenhang zu erläutern. Ref. kann sich mit diesem Aus- 
spruche nicht einverstanden erklären. (Müll, Arch. 1848. S. 
139 seqq.) 

Ueber die Theilung sympathischer Nervenfasern er- 
hielten wir eine Mittheilung von F. Kilian (Zeitschrift für 
rat. Mediz. Bd. VII. S. 221 segq.). Der Verfasser sah eine 
einzige Nervenfaser (in der Gebärmutter) in weiter Entfer- 
nung von einem Faserbündel quer durch ein, aus Bindege- 
websbündeln bestehendes, Gewebe verlaufen; sie hatte alle 
Charaktere einer feinen Nervenfaser, machte starke zickzack- 
förmige Biegungen und hatte keine andere, Nervenfaser in 
der Umgebung. , Nach einem weiten Verlauf erfolgte eine 
dichotomische Theilung, wobei die beiden Schenkel fast in 
einem rechten Winkel auseinander wichen.,. Die Hauptfaser 
endete in einem etwas angeschwrollenen Knopf (! Ref.), und 


57 


daran leglen sich mit ebenfalls abgerundeten Enden (! Ref.) 
die beiden Aeste. Später hat Kilian eine solche Theilung 
öfters, wenn auch nicht immer so deutlich, beobachtet. Auch 
innerhalb kleiner Faserbündel zeigte sich in ganz gleicher 
Weise eine Vermehrung der primitiven Nervenröhren durch 
Theilung. 

Ueber die Vater’schen Körperchen ist eine mono- 
graphische Arbeit von G. Herbst erschienen (Die Pacini- 
schen Körper und ihre Bedeutung. Ein Beitrag zur Kennt- 
niss der Nervenprimitivfasern. Mit 16 lithographirten Ta- 
feln. Göttingen. 1848. 8.)! Sie ist besonders ausgezeichnet 
durch die vergleichend-anatomischen Thatsachen und durch 
die Mittheilung zahlreicher Varietäten in der Form. In hi- 
stologischer Beziehung schliesst sie sich 'meistentheils an 
Henle an. Die Zahl der Vater’schen Körper in der Hand 
des Menschen schätzt Herbst auf 600, im grossen Ballen 
des Vorderfusses beim Hunde auf 58, im Vorderfusse beim 
Marder auf 30, beim Reh auf mehr als 100, in einer Hälfte 
des Vorderfusses bei der Ziege auf 300, beim Schafe nur in 
einem der drei Konglomerate daselbst auf 90, beim Ochsen 
eben daselbst auf 80, beim wilden Schwein in einer Fuss- 
hälfte über 140. Bei den Wiederkäuern muss man, um die 
bezeichneten Konglomerate aufzufinden , den Fuss in zwei 
Hälften theilen und dann den dadurch sichtbar gewordenen 
Nervenstamm verfolgen. Bei der Katze zählte der Verfasser 
an der Basis der obern, hackenförmigen Hervorragung am 
Vorderbein 14, im grossen Ballen des Vorderfusses 50, an 
jeder Fusszeheö— 9, im Mesokolon 2 — 6 — 20— 26 —59 — 79, 
im Mesenterium 20 — 160, an den mesaraischen Drüsen 
40— 50, auf dem Pankreas 40—60 Vater’sche Körperchen ; 
auf dem Peritonealüberzuge des Dünndarms konnten sie nicht 
aufgefunden werden. Bei einem Leoparden waren die Vater- 
scheu K. an den Zehen leicht nachzuweisen. Die Unter- 
suchung des Mesenterium, Pankreas und der mesaraischen 
Drüsen lieferte ein unerwarteles, negalives Resultat. Beim 
Wiesel konnten weder in den Füssen, noch an anderen 
Stellen die Vat. K. entdeckt werden, obschon sie beim Mar- 
der vorkommen. Beim Pferde liegen dieselben nicht in der 
Fusssohle, sondern nur an der hinteren Seite des Carpus 
und Tarsus, in dem Zellgewebe zwischen der grossen Selıne 
und dem Knochen. Beim Schwein werden sie gleichfalls 
am leichtesten gefunden, wenn man den Fuss durchsägt und 
die Richtung des Nerven verfolgt, wobei sich denn heraus- 
stellt, dass die K. auch hier in drei grösseren Konglomera- 
ten zusammenliegen. « Die Vat, K. fehlen nach des Verfas- 
sers sorgfältigsten Untersuchungen an den Extremitäten: des 


58 


Maulwurfs, des Igels, des Eichhörnchens, des Siebenschlä- 
fers, der Ratte, Maus, des Hasen und Kaninchens. Beim 
Menschen sind die grössten Körp. 1,5 —%“’ lang; beim 
neugebornen Kinde sind sie gewöhnlich 0,25 — 0,266‘ lang 
und 0,116 — 0,125‘ breit. — Aus den vergleichenden Be- 
obachtungen über die Grösse der V at. Körper ergab sich 1) dass 
sie bei einem und demselben Individuum in der Grösse mehr 
oder weniger beträchtlich von einander abweichen, dass sich 
aber doch eine mittlere Grösse für die meisten Körper eines 
Individuums festselzen lässt; 2) dass sie in der Grösse bei 
den Individuen einer Thierart zwar sich gleichen, dass je- 
doch auch Ausnahmen stattfinden (die Katze hat grössere 
als der Leopard); 3) dass die Grösse derselben zu dem all- 
gemeinen körperlichen Umfange der verschiedenen Tbierar- 
ten und der einzelnen Individuen nicht im geraden Verhält- 
niss stehe; 4) dass der Unterschied der mittleren Grösse der 
Vat. Körper weniger beträchtlich ist, als die äussere Verschie- 
denheit der Thiere es erwarten lässt; 5) dass der Umfang 
der Vat. K. während der Dauer des Lebens Schwankungen 
unterworfen ist, welche von der Menge der intercapsulären 
Flüssigkeit abhängen. — Die ovale oder länglich ovale Grund- 
form erleidet manche Abweichungen. Die vorzüglichsten sind: 
Die rundliche und längliche Form, die Umbiegung und Fort- 
setzung des peripherischen Endes in eine Spitze, die halb- 
scheibenförmige oder halbmondförmige Gestalt in verschie- 
denen Graden, indem bald nur der obere Theil des Körper- 
chens hackenförmig umgebogen ist, bald die Umbiegung ge- 
nau die Mitte des Körpers betrifft; die halbdreieckige Form 
mit abgestumpften oder abgerundeten Ecken und Kanten in 
verschiedenen Modificationen, die geschlängelle Form und 
die unregelmässige Form, bei welcher die gegenüberstehen- 
den Flächen nicht harmoniren. — Die Anordnung der Blut- 
gefässe hat sich nach zahlreichen Injektionen sehr konstant 
gezeigt. An beiden Seiten der Körperchen liegen zwei Blut- 
gefässe , ein grösseres und ein um 1 kleineres; zahlreiche 
Aeste dringen in die peripherischen Kapseln und von dem 
grösseren Gefässe ein Hauptzweig quer über die Mitte des 
Körperchens. Ausserdem begiebt sich ein ansehnliches arte- 
rielles Gefäss als Begleiter der Nervenfaser in den’ Stiel, 
nimmt an allen Biegungen der Nervenfaser Theil und kehrt, 
nachdem es capillär geworden, mit schlingenförmig ‘sich um- 
biegenden ‚Aesten wieder zurück. Ihm entgegen tritt in das 
peripherische Ende des Körpers ein viertes Gefäss an das 
innerste Kapselsystem, anastomosirt mit dem vorhergenann- 
ten und giebt auch zahlreiche Aeste an die äussern Kapseln. 
An jedem Vat. Körp. liegt: an einer oder an beiden Seiten 


59 


ein ansehnliches Lympbgefäss. Es liegt nahe an dem Stiel 
und nimmt die aus dem Körperchen entspringenden Zweige 
auf. — 

In Betreff der innern Einrichtung der Vater'schen 
Körperchen, unterscheidet der Verf. das System der äusse- 
ren oder peripherischen, das System der mittleren, das Sy- 
stem der inneren Kapseln und endlich das System der Cen- 
tralkapsel. Das System der äusseren Kapsel umgiebt die in- 
neren Theile gleichsam kranzförmig, und macht sich nament- 
lich bei den zusammengesetzien und unregelmässigen Formen 
der Körperchen durch den mit den tieferen Schichten nicht 
eorrespondirenden Lauf seiner Lamellen bemerklich. Ihre 
Zahl beträgt sellen über 25—30. Von einer Kapsel zur an- 
dern treten häufig Intercapsularmembranen. Ihr Abstand be- 
trug beim neugebornen Kinde 0,0025', bei einer fünfjähri- 

en Katze bis 0,0055’, bei einem zweijährigen, sehr grossen 
ater 0,0083’, bei einem zehnmonatlichen Kater 0,013‘, 
bei einem andern IOmonatlichen Kater 0,116. Sämmtliche 
Kapseln setzen sich geradezu am Stiel in das Neurilem der 
Nervenfaser fort. Das System der miltleren Kapseln zeich- 
net sich durch grössere Feinheit seiner Lamellen, durch dich- 
teres Zusammenliegen und noch dadurch aus, dass die Rich- 
tung des Verlaufs und die Form der Kapseln häufig von dem 
äusseren Kapselsystem abweicht und ungleich genauer mit 
dem inneren Kapselsystem übereinstimmt. Ihre Zahl beträgt 
bei einer Anzahl von 40—50 Kapseln des ganzen Körper- 
chens etwa 15--20. Das System der innern Kapseln be- 
steht aus ungleich feineren, inniger untereinander verbunde- 
nen, gerade und parallel verlaufenden 10—12 Kapseln, die 
nur bei starken Vergrösserungen einzeln zu erkennen sind 
und schon innerhalb des Körperchens die dunkle Couleur 
der Markfaser bedingen (? Ref.). Das System der Central- 
kapsel umgiebt die Centralhöhle unmittelbar und soll aus 
6—8 Kapseln bestehen. An dem Stiel vereinigen sie sich 
zu einer anscheinend einfachen Lage und bilden die innerste 
Neurilemschicht der Nervenfaser. Die innerste Kapsel die- 
ses Systems wird die eigentliche Centralkapsel genannt, und 
an ibr der Hauptkörper, der Halstheil und das Kopfende (an 
dem peripberishien Ende der Nervenfaser) unterschieden. Das 
Kopfende macht entweder eine einfache oder doppelte oder 
schlingenförmige Biegung. In einem sehr langen Körperchen 
eines Hundes fand der Verfasser die Länge der Centralhöhle 
0,383”, beim Steinmarder 0,105‘, beim Baummarder 0,266, 
beim Pferde 0,166“ — 0,233, beim Reh 0,24 — 0,583’, 
beim Rinde 0,183. Die Breite der Höhle betrug beim Reh 
0,015, beim Rinde 0,025’ Viele Messungen wurden auch 


60 


bei Katzen angestellt. Man hat es wahrscheinlich dem Studium 
der Henle’schen Schrift zu verdanken, dass der Verfasser 
die an den Kapseln auftretende Quer- und Längsstreifung 
ohne weitere gründliche Untersuchung für eine. Quer- und 
Längsfaserschicht genommen hat. . Für den Stielfortsatz 
(Prolongamento conico P.,. process. pedunculi H, et K.) ge- 
braucht der Verfasser den Ausdruck „„Markfaserlortsatz“; er 
ist die Verlängerung des centralen Nervenfadens mit den 
dicht zusammengelagerten Fortsetzungen aller Kapseln der 
Vat. Körp. Das intercapsuläre Ligament Pacini’s hat 
Herbst beim Menschen und den verschiedensten Thierarten 
wahrgenommen. Es ist eine konische Verlängerung des Kopf- 
theils der Centralkapsel, die bei weiterer Ausbildung des 
Körperchens den um dasselbe herum entstehenden, übrigen Kap- 
seln als peripherischer Axentheil dient und später öfters sich 
mehr oder weniger undeutlich zu erkennen giebt. Die Ner- 
venfaser mit dem Neurilem, als Fortsetzung sämmlicher Kap- 
seln des Vat. K., an welcher das Vat. Körp, gleichsam zu 
hängen scheint, wird zwar auch von dem Verf, Stiel genannt, 
doch findet er den Ausdruck unpassend, da er das periphe- 
rische Ende der Nervenfaser als den Anfang betrachtet. Der 
Stiel enthält einen einfachen, oder zwei und mehrere (zu- 
sammengesezte Körp.) Nervenfasern. _ Die centrale Nerven- 
faser endet überall knopfförmig und spaltet sich öfters; diese 
Endiguugsweise hält der Verfasser für die überhaupt einzige 
bei allen Nerven und leugnet jede Schlingenbildung. _ Der 
Axencylinder fehle gänzlich und der feine Ueberzug der Fa- 
ser soll aus einer (Quer- und Längsfaserschicht . bestehen 
(! Ref.) 

Der Verfasser unterscheidet endlich einfache, zusammen- 
gesetzte, verschmolzene und unvollkommene Vat. Körperchen. 
Das zusammengesetzte Körperchen besteht aus zwei. oder 
mehreren vollständigen Centralseiten mit den dazu gehöri- 
gen inneren und mittleren Kapselschichten, deren Höhlen 
besonders Markfasern führen, und die von einer gemein- 
schaftlichen Lage peripherischer Kapseln in ewöhnlicher An- 
zahl umhüllt sind. Der Unterschied von den einfachen Körp. 
besteht vorzüglich darin, dass die einzelnen Nervenfasern, 
ohne sich zu vereinigen, sich in den Stiel fortsetzen, so dass 
also das Vat. Körp. eigentlich an einem Nervenstämmehen 
hängt, dessen einzelne Fasern mit dem betreffendem Neuri- 
lem zu Vat. Körp. sich, verwandelt haben, und das sie 
gemeinschaftlich umhüllende Neurilem in das System der 
gemeinschaftlichen peripherischen Kapseln übergegangen ist. 
Sehr mannigfaltige Formen zusammengesetzter Körperchen 
wurden bei der Ziege beobachtet. Verschmelzung der Vat. 


EEE 


61 


Körp. bezeichnet den Zustand, in welchem zwei oder meh- 
rere derselben, die im Uebrigen alle Eigenschaften der Selbst- 
ständigkeit an sich tragen, theilweise und zwar von der 
Oberfläche her so miteinander verbunden sind, dass sie ohne 
Verletzung nicht getrennt werden können. Sie trifft alle 
Male das Stielende und kann sich verschieden weit ausdeh- 
nen, und dem entsprechend gehen die peripherischen Kap- 
seln der verschmolzenen Körper ineinander über. Die ge- 
meinschaftliche Umhüllung erstreekt sich demnach nur auf 
den Stiel, das centrale Ende und die Seitenwände der peri- 
pherischen Kapseln. Zu den unvollkommenen Vat. Körp. 
werden besonders die „rosenkranzförmigen Aneinanderreihun- 
gen“ derselben gerechnet, bei welchen an einer Nervenfaser 
das Neurilem in kürzeren oder weiteren Abständen in Form 
der Kapselsysteme abgehoben ist, so dass also diese Nerven- 
faser durch einzelne Kapselsysteme hindurch geht und erst 
in dem letzten endigt. Der Verfasser hat hier die mannig- 
falligsten Formen beschrieben. 

Eine Tabelle über die Verbreitung der Vater’schen 
Körperchen bei den Säugethieren durch alle Ordnungen hin- 
durch hat Osann mitgetheilt. (Kölliker’s Bericht von der 
Königl. zool. Anstalt in Würzburg. 1849. S. 91.) 

Auch von Strahl haben wir einige Beobachtungen über 
die Struktur der Vater’schen Körperchen erhalten. (Müll. 
Archiv. 1848. S. 165 seggq.) In Betreff des primitiven Ner- 
venfadens bemerkt der Verfasser, dass denselben bei seinem 
Eintritt in das Körperchen und durch den Stielfortsatz des 
letzteren hindurch eigenthümliche Veränderungen begleiten. 
Es tritt nämlich das Neurilem von der Nervenfaser in fast 
regelmässigen Ausbuchtungen zurück und bildet dadurch um 
dieselbe eine Scheide von rosenkranzförmigen Anschwellun- 
gen, die, aus optischen Phänomenen zu schliessen, mit Fett 
erfüllt zu sein scheint. Obgleich der Inhalt dieser Scheide 
frei mit der centralen Höhle kommunicirt, so zeigt sich doch 
der Inhalt der letzteren nicht von derselben Beschaffenheit. 
An dem Neurilem des Stielfortsatzes hat der Verfasser keine 
so deutliche faserige Struktur wahrnehmen können, wie sie 
Henle und Kölliker beschreiben. Strahl glaubt sich fer- 
ner vollkommen überzeugt zu haben, dass das Neurilem des 
Stielfortsatzes in scharfer Begrenzung endet und nie in die 
centrale Höhle eindringt. Wenn man unter dem Mikroskop 
alle Kapseln eröffnet und von dem matt grauen Centralfa- 
den abstreift, so bekommt letzterer doppelte Contouren und 
zeigt die gewöhnlichen Veränderungen einer breiten Nerven- 
faser. Der Verfasser fand ferner, dass der centrale Nerven- 
faden olıne Anwendung von Druck nicht so deutlich knopf- 


62 . 


förmig endige, wie es die früheren Abbildungen angeben. 
Nach dem. Druck dagegen oder Entfernung aller umhüllen- 
den Kapseln wird das kolbenförmige Ende jedesmal deutlich, 
Die Kapseln sollen sich in das Neurilem des Nerven nicht 
fortsetzen, sondern von demselben sammt den Nerven Jdurch- 
bohrt werden. An dem peripherischen Pole verschmelzen 
oft zwei Kapselwandungen; dieses bedingt die Erscheinun- 
gen, welche Pacini zur Annahme eines Lig. intercapsul, 
veranlasst haben. In den Kapselwandungen vermochte der 
Verfasser selbst mit starken Vergrösserungen keine faserige 
Struktur zu beobachten; am wenigsten aber liess sich ein 
Unterschied von Längs- und Querfasern wahrnehmen. Sie 
bestehen aus strukturlosem Bindegewebe, in welchem Kerne 
eingebettet liegen. Dieser Auspruch ist Henle unangenehm ge- 
wesen; er sieht darin eine Contradictio in adjecto (!) Canst, 
und Eis. 1349. S. 45.). 

Die Entwickelung der Nerven des elektrischen Or- 
gans von Torpedo Galvanii ist von A. Ecker beobach- 
tet (Zeitsch. für wissenschaftl. Zoologie: Bd. I. S: 38.) Der 
Verfasser bemerkt zunächst, dass alle für das elektrische Or- 
gan bestimmten dunkelrandigen Nervenfasern sehr deutlich 
die Scheide mit stellenweise eingebetleten, feinkörnigen Ker- 
nen erkennen lassen. Bei der wiederholten Theilung der 
Nervenfaser auf den Plättehen des elektrischen Organs gehen 
die dunkelrandigen Fasern in ganz feine Fasern über, die 
stellenweise an den Theilungsstellen und im Verlauf der Fa- 
ser anschwellen und an diesen Anschwellungen bei jüngeren 
Thieren Kerne, bei erwachsenen feinkörnige Masse besitzen. 
Die feinen Nervenfasern sind nach dem Verfasser nichts an- 
deres als die über den markigen Inhalt hinaus fortgesetzte 
kernhaltige Scheide der Nervenröhren (! Ref). Bei Einbryo- 
nen, von welchen die kleinsten 1—11' Länge besassen, hat 
sich nun folgender Entwicklungsgang der Nerven des elek- 
trischen Organs entnehmen lassen. In der feinkörnigen Grund- 
substanz des Organs bilden sich Zellen. Diese wachsen nach 
zwei oder, sternenförmig, nach drei Richtungen in feine Fa- 
sern aus, die mit entsprechenden Fasern anderer Zellen ana- 
stomosiren, so dass dadurch ein vielfach vertheilter knorpli- 
cher Stamm und in manchen Gegenden selbst ein Netzwerk 
von stellenweise angeschwollenen Fasern entsteht. In den 
Nervenästen scheinen die Nerven durch Verschelzung von 
Zellen zu entstehen, die nur nach zwei Richtungen auswach- 
sen. Es scheint fast nach den ausführlichen Mittheilungen, 
als habe es der Verfasser ebenso, wie vor ihm Kölliker, 
mit Erscheinungen zu thun gehabt, die im unreifen Binde- 


Br WEN 


ee EEE 


63 


gewebe öfters wahrgenommen werden und auf welche Ref. 
wiederholeutlich aufmerksam gemacht hat. 


Glaskörper. 


Die Struktur des Glaskörpers untersuchte W. Bow- 
man. (Dubl. Quarterly Journ. of medical seience, Aug. 1848; 
Fror. N. Not. 1849. Bd. X1. S. 273.) Menschenaugen län- 
ger als ein Jahr in strohgelber Chromsäure aufbewahrt, zeig- 
ten an dem halb undurchsichtigen Glaskörper nach manchen 
Richtungen hin auffallendere, dunkle Züge. An quer durch 
die Sehaxe geführten Schnittchen verliefen solche dunklen 
Linien parallel der Netzhaut etwa bis zum letzten Drittheil 
des Abstandes vom Mittelpunkt des Glaskörpers; daun folg- 
ten gerade oder etwas wellenförmige Streifen, die mehr oder 
weniger gegen den Mittelpunkt hin konvergirten. Im Mit- 
telpunkt selbst befand sich überall eine unregelmässige Höhle, 
die, wie es schien, durch einen Riss in der Substanz ent- 
standen war. In einigen Fällen fehlte die mit der Retina 
concentrisch verlaufende Streifung, und durchsichtige Linien 
von z',—z%5; Zoll Breite durchsetzten die sonst homogene 
Substanz von der Mitte her gegen die Hyaloidea hin. Sie 
waren gerade oder schwach gekrümmt und erwiesen sich 
beim Querschnitt als Röhren. Jene mit der Netzhaut paral- 
lel verlaufenden Linien näherten sich gegen den Ciliarkörper 
hin der Oberfläche des Glaskörpers nahe und schienen sich 
daselbst mit der an die Zonula Zinnii herantretenden Hyaloi- 
dea zu verbinden, wie es Brücke beschrieben. Sodann le- 
gen sie sich nach dem Rande und der Rückseite der Linse, 
ohne dass sie deutlich weiter verfolgt werden konnten. In 
der Richtung der ‘Linien zerriss der Glaskörper ziemlich 
leicht. Doch zeigten die Schichten keine Membranbildung 
(? Ref.); es liess sich nur feinkörnige Masse unterscheiden. 
An horizontalen Schnirtflächen von Augen eines todtgebor- 
nen Kindes war eine Streifung nicht zu verkennen, die auf 
die radieuartige Vertheilung der Lamellen nach Hannover's 
Ansicht hindeutete. Bei 300facher Vergrösserung liessen 
diese Präparate des Glask. eine eigenthümliche faserige Struk- 
tur erkennen; die Fasern vereinigten sich an vielen Punkten, 
woselbst dann winzige, Oelkügelchen ähnliche Kerne be- 
merkt wurden. 

Die bei Behandlung mit Bleisalzen nach Brücke’s Me- 
thode hervortretende Schichtung hält Bowman für eine 
Wirkung physikalischer und chemischer Verhältnisse, da man 
durch Bleisalz nach Belieben die Schichtung nach dieser oder 
jener Richtung an einzelnen Stücken des Glaskörpers zur 


64 


Anschauung bringen könne. Dagegen hält der Verfasser die 
Schichtung des Glaskörpers in der Nähe der Linse, nach 
Behandlung mit Chromsäure, für eine die natürlichen Ver- 
hältnisse andeutende Erscheinung. An Fischaugen zeigt der 
Glaskörper eine ganz entschiedene, blättrige Struktur; die 
Streifung geht hier von der Gegend der Ora serrata nach der 
Seite und dem Hintertheil der Krystallinse hin. Die einzel- 
nen Schichten divergirten, indem sie sich von ihrem Aus- 
gangspunkt entfernten. 


Drüsen... 


Die Struktur der Niere, namentlich mit Rücksicht auf 
die Glomeruli Malp., deren fragliche Kapseln und ihr Ver- 
hältniss zu den Harnkanälchen, haben besonders Gerlach 
(Müll. Arch. 1848. S. 102.) und Hessling (Schleid. und 
Fror. Not. 1848. Bd. VI. S. 1. seggq. und a. a. ©. Bd. VIM. 
S. 257. seqq.) besprochen. 

Gerlach vertheidigt von neuem seine Ansicht, dass die 
Glomeruli M. die ampullenartig erweiterten Harnkanälchen 
durchdringen und von einem Epithelium umkleidet seien, 
dass diese erweiterten Stellen der Harnkanälchen demnach 
wirkliche Kapseln der Gefässkanälchen darstellen und mit 
den Harnkanälchen in offener Kommunikation stehen. Diese 
Kommunikation ist beim Schafe und Pferde seitlich, bei Frö- 
schen dagegen mehr terminal. In vier Punkten fasst der 
Verfasser den Beweis für seine Ansicht zusammen. 1) Durch 
Injection vom Harnleiter aus ist es ihm in einzelnen Fällen 
gelungen, die Kapseln mit Injectionsmasse zu füllen. Auch 
Schröder van der Kolk zeigte dem Verfasser solche In- 
jeetionen von der Niere eines Krokodils. 2) Durch Injection 
von den Arterien aus lassen sich leicht die Harnkanälchen 
mit Masse füllen, was sich einfach nur durch direkte Kom- 
munikation zwischen Kapseln und Harnkanälchen erklären 
lasse, indem der Injeclionsmasse bei Zerreissung des Gefäs- 
ses kein anderer Weg, als der in die Harnkanäle übrig bleibe. 
3) Für die Kommunikation sprechen besonders die von J. 
Müller gemachten Beobachtungen bei Myxinoiden. 4) Die 
Kommunikation zwischen Kapsel und Harnkanälchen invol- 
vire keine physiologische Unmöglichkeit, wie dieses Bidder 
und namentlich Ref. behauptet haben. Denn der Gefässkör- 
per sei von Zellen umgeben, wie dieses auch Kölliker und 
Hyrtl bestätigt hätten. Ausserdem habe ja auch Henle be- 
hauptet, dass man sich das Parenchym der Leber als eine 
kompakte, von Gelässen durchzogene Masse von Zellen den- 
ken solle, welche nur auseinander weichen, um cylindrische 


65 


Hohlräume frei zu lassen, in welchen das Exkret sich 
sammle (! Ref). Die Bidder'sche Ansicht, nach welcher 
der Malp. Gefässkörper nicht innerhalb der Kapsel, sondern 
ausserhalb derselben und nur durch Bindegewebe mit ihr ver- 
bunden gelegen sei, hält der Verfasser für unrichtig. Denn 
er glaubt, dass es nicht einzusehen sei, warum gerade im- 
mer die Gefässkörper an eine Kapsel und nicht an jedes an- 
dere Harnkanälchen angeheftet sei. (! Ref) Auch zeige sich 
bei Anfüllung der Kapseln vom Ureter aus, dass ein Drit- 
theil derselben, wo gerade der Gelässkörper liege, von der 
Injeetionsmasse frei bleibe. Auch behauptet Gerlach, ge- 
nau (? Ref.) nach der Methode Bidder’s die Niere männli- 
cher Tritonen untersucht zu haben, ohne sich von den An- 
gaben Bidder’s zu überzeugen. 

Ref. hat in diesem Frühjahr von neuem die Tritonniere 
untersucht und hält es für seine Pflicht, dringend die Natur- 
forscher aufzufordern, genau nach der Methode Bidder’s 
und mit der nöthigen Umsicht diese Untersuchungen zu wie- 
derholen. Gerlach hatte die richtige Methode nicht ange- 
wendet und es ist zu bewundern, dass er überhaupt noch 
Etwas gesehen, denn man legt ein schmales Deckplättchen 
nicht zwischen die Hoden, sondern zwischen Hoden und 
Vas deferens.. Die Sache liegt dann klar und einfach vor 
unsern Augen, und wer guten Willen hat — der leider auch 
in wissenschaflichen Fragen oft genug vermisst wird — der 
wird sich von der Richtigkeit der in der vortrefflichen Ar- 
beit Bidder’s mitgetheilten Angaben überzeugen können. 
Die Gefässkanälchen liegen als mehr platt gedrückte Körper 
zur Seite der ampullenartig erweiterten Harnkanälchen, die 
durch diese erweiterte Stelle mit einem Kanälchen kommu- 
nieiren, welches. in den, die Vasa eflerentia testis aufneh- 
menden Samengang führt. Die Ampulle des Harnkanäl- 
chens erscheint nun als Kapsel der Glomeruli, ist es aber 
wirklich nicht, wie dieses aus den mannigfachen Verschie- 
bungen des Glomeruli leicht ersichtlich wird, Die Glomeruli 
besitzen keine Spur von Epithelium, wie dieses schon Buw- 
man angab; sie können ihrer Lage nach bei angeschwolle- 
ner Ampulle diese letztere mechanisch eindrücken, doch 
sind sie nicht in dieselbe eingestülpt. Dass demnach die 
vermeintliche Kapsel und die Harnkanälchen kommuniciren, 
ist ganz in der Ordnung; auch ist es nach den Erfahrungen 
bei Injectionen von Drüsen ganz begreiflich, dass sich bei 
den Nieren von den Arterien aus die Harnkanälchen leicht 
anfüllen. Auch kann es geschehen, dass die Glomeruli die 
vollständige Ausfüllung der Ampullen der Harnkanälchen bei 
Injectionen vom Ureter aus behindern, wenn sie auch nur 

Müller’s Archiv, 1849, E 


66 


von aussen her mechanisch auf die Ampullen einen Druck 
ausüben. Warum die Natur gerade zur Seite der Ampullen 
die Glomeruli angebracht habe, darüber müssen wir uns vor- 
läufig beruhigen und können uns damit trösten, dass in einem 
andern Falle, bei den Froschlarven, sämmtliche Glomeruli 
gar nicht in den Wolff’schen Körpern liegen, sondern zur 
Seite derselben als ein frei liegendes ovales Körperchen 
angebracht sind. Die von Bidder und namentlich von dem 
Ref. erhobenen physiologischen Bedenken gegen die freie 
Lage der Glomeruli in den Ampullen (früheren Kapseln ) 
bezog sich bekanntlich auf die ausdrückliche nei 
Bowman’s, dass die Glomeruli kein Epithelium besäs- 
sen und mithin Kapillargefässe frei zu Tage liegen sollten. 
Wenn endlich die Frage vorliegt, ob die schwieriger zu er- 
mittelnde Struktur der Niere höherer Thiere nach den klar 
zu übersehenden Verhältnissen der Tritonniere oder nach 
dem von J. Müller beobachteten anatomischen Verhalten 
der Niere der Myxinoiden beurtheilt werden solle, so glaubt 
Ref. sich für das Erstere entscheiden zu müssen. 

Hessling hat sich in seiner ersten Abhandlung an 
Bidder, in der zweiten dagegen eben so entschieden an 
Gerlach angeschlossen. 


Handbücher und Hülfsmittel. 


Gerlach: Handbuch der allgemeinen und speciellen Gewebelehre des 
menschlichen Körpers. Mit Holzschn. Mainz. 1848. Lif. I. 

A. H. Hassal: The microscopic anatomy of the human body in hea'th 
and disease. Illust. with numerous drawings in colour. Vol. I. 1849. 

J. Budge: Memoranda der speciellen Physiologie des Menschen, Wei- 
mar. 8. 9. Taf. 1848. 

Robert. B. Todd: The cyclopaedia of anatomy and physiology. Vol. 
III. Ias— Pla. London. 1847, 8. 

Observationes microchemicae circa nonnullas animalium telas: sc, F. 
Paulsen, Dorpati, 1848. 


Beschreibung der Muskeln des Tümmlers 
(Delphinus phocaena). 


Von 
Prof. Dr. Stannıus, 


Die nachstehenden Mittheilungen über das Verhalten der 
meisten Muskeln des Delphins — denn einige kleinere 
Muskeln der Geschlechtstheile, des Schlundkopfes ete. sind 
unberücksichtigt geblieben — sind die Frucht wiederholter 
Untersuchungen, welche noch vervollständiget werden soll- 
ten. Seit ein Paar Jahren hat sich keine Gelegenheit dazu 
geboten; die Delphine, welche mir früher reichlich zukamen, 
bleiben aus. Ich beabsichtigte seit langer Zeit eine anato- 
mische Monographie dieser Thiere; dass ich sie werde lie- 
fern können, erscheint mir jetzt unwahrscheinlich. Den 
dazu erforderlichen Kostenaufwand können nur reiche Na- 
turforscher oder ganze Akademieen machen; mir ist das nicht 
vergönnt. — Somit mag das bisher Erforschte in einzelnen 
Abhandlungen mitgetheilt werden. 

Das Verhalten der Muskulatur des Rumpfes bei den 
Delphinen ist interessant genug, um beachtet zu werden; 
schon in meinem Lehrbuche der vergl. Anatomie habe ich 
auf einzelne Punkte aufmerksam gemacht, 

Einige Notizen über das Verhalten einzelner Muskeln 
beim Manati finden sich eingeschaltet, 

Müller's Archiv. 1519, 1 


41. Der Hautmuskel. !) 


Nach Wegnehmen der Haut und der unterhalb derselben 
liegenden dicken Speckschicht gelangt man auf den Haut- 
muskel, welcher von den unter ihm liegenden Muskeln 
wieder durch eine dünnere Speckschicht getrennt ist. Er 
umhüllt Hals, Brust, Bauch und Rücken, geht aber hinter 
dem After in eine die Schwanzmuskeln überziehende Apo- 
neurose über. Während der an der Bauchseite des Thieres 
gelegene Theil des Muskels den Zwischenraum zwischen den 
beiden Bogen des Unterkiefers ausfüllt, und bis zu dessen 
Spitze reicht, bildet die Crista oceipitalis transyersa die vor- 
derste Grenze seines Rückentheiles.. Nur einzelne schwache 
Fortsätze des Muskels erstrecken sich in die Gegend des 
Jochfortsatzes des Schläfenbeines und andere umschlingen 
einen Theil des engen äusseren Gehörganges. 

Der Rückentheil des Muskels zerfällt durch eine Aponeurose, 
welche oberhalb der Dornfortsätze der Wirbel von vorn nach 
hinten sich erstreckt, in zwei seitliche Hälften. Diese Apo- 
neurose ist vorn, hinter.dem Kopfe, am schmalsten, und 
wird nach hinten hin allmählig breiter. In der Mitte des 
Bauches findet sich zwar keine eigentliche Aponeurose, aber 

wir begegnen hier einer Längslinie, an welcher die zu bei- 
den Seiten des Rumpfes aufsteigenden Fasern des Muskels 
unter sehr spitzem Winkel zusammentreffen. So lassen sich 
sehr bestimmt zwei Seitenhälften des Bauchtheiles des Haut- 
muskels unterscheiden. — Bauch- und Rückentheil des Haut- 
muskels werden in dem zwischen den Vorderextremitäten 
und der Aftergegend eingeschlossenen Raume jederseits wie 
der durch eine Seiten-Aponeurose geschieden, die etwas 
schmaler ist, als die Rücken-Aponeurose. Jede Seiten-Apo- 
neurose erstreckt sich von der Gegend der Brustflosse aus 


1) S. Rapp. Cetaceen $. 88. 


3 


gerade nach hinten und gewinnt von vorn nach hinten all- 
mählig ‚an Breite. 

Es geben sich also, wenigstens zwischen den Vorder- 
extremitäten und dem After, vier durch Aponeurosen ge- 
trennte Abtheilungen des Hautmuskels sehr bestimmt zu er- 
kennen, von welchen zwei der Rückenhälfte und zwei der 
Bauchhälfte angehören. R 

Am Halse findet sich keine mittlere Trennungslinie der 
Muskelfasern beider Seiten, vielmehr erstrecken sich hier die 
querlaufenden muskulösen Fasern ohne mittlere Unterbrechung 
von einem Bogen des Unterkiefers zum andern. Der Brust- 
theil des Muskels zerfällt durch einen sehr schmalen mittle- 
ren, von Muskelfasern entblössten Theil des Brustbeines in 
zwei Seitenhälften. Seine Fascikel gehen nach vorn in den 
Halstheil, nach hinten in den eigentlichen Bauchtheil des’ 
Hautmuskels ununterbrochen über. Von der Mitte des Brust- 
beines aus erstrecken sich die starken Bündel dieses Muskels 
quer oder etwas schräge aufsteigend, an die Basis der Brust- 
flosse und befestigen sich an die abwärts gerichtete Fläche 
des mit tendinösem Gewebe reichlich überzogenen Humerus. 
Neben diesen Bündeln des Brusttheiles, und zwar besonders 
an den hinteren Rand des Ilumerus, inseriren sich schräg 
vorwärts verlaufende -Bündel des Bauchtheiles des Haut- 
muskels, Durch diese Muskelbündel kann also die Brust- 
flosse sowohl abwärts, als auch nach hinten gezogen werden. 

Die Muskelbündel des Nackentheiles erstrecken sich von 
der Rücken-Aponeurose aus anfangs ziemlich schräg abwärts 
und hinterwärts, dann aber quer abwärts. Sie gehen nur 
theilweise unmittelbar in den Halstheil des Hautmuskels. über, 
indem zahlreiche sehnig gewordene Fasern an ‚die obere 
Fläche der Basis der Brustflosse, also an die obere dem Rük- 
ken entsprechende Fläche des Humerus sich inseriren. Diese 
Muskelbündel heben die Brustflosse, sind also Antagonisten 
der vom Brusttheile stammenden, die Brustflosse niederzie- 
- henden Muskelbündel, 


1* 


Wie vom Bauchtheile des Muskels Bündel schräg auf- 
wärts und vorwärts zum hinteren Rande der Brustflosse ver- 
laufen, so erstrecken sich eben dahin von der Rücken-Apo- 
neurose schräg abwärts und vorwärts gerichtete Bündel. 
Die Einen sind wieder Antagonisten der Anderen; wirken 
sie zusammen, so vermögen sie die Brustflosse nach hinten 
zu ziehen. e 

Von der Mittellinie des Bauches aus erstrecken sich die 
Muskelbündel schräg vorwärts und aufwärts zur Seiten-Apo- 
neurose; hier treffen sie unter spitzem Winkel die von der 
Rücken-Aponeurose schräg vorwärts und abwärts gerichteten 
Fascikel. Stellenweise beobachtet man an der Seiten- Apo- 
neurose eine Kreuzung der absteigenden und aufsteigenden 
Bündel und Fasern, 


2. Von den Muskeln des Gesichtes. 


1) Der M. orbicularis palpebrarum !) ist beim 
Delphin vorzugsweise für das untere Augenlid ausgebildet. 
Er erscheint daher als ein bogenförmiger Muskel, der unter- 
halb des Bulbus vom innern Augenwinkel zum äusseren sich 
erstreckt und nur sehr schwache Fasern über das obere Au- 
genlid von einem Augenwinkel zum andern sendet. 

2) Der M. malaris externus 2) ist ein schwacher 
Muskel, welcher vom Jochfortsatze entspringt, schräg vor- 
wärts zum äussern Augenwinkel sich erstreckt und hier in 
die Fascikel des M. orbicularis palpebrarum übergeht, 

3) Zur Erweiterung des Einganges in die Nasenhöhle 
und der membranösen Beutel der letzteren dient ein grosser, 
ziemlich flacher, runder, unpaarer Muskel, M. nasalis ®), 


1) Rapp S. 92. leugnet seine oberen Fasern. 
2) Von Rapp nicht erwähnt, 
3) $S. Rapp S. 106. 


EV 


b) 


welcher von dem ganzen Umfange der Crista ocecipitalis 
transversa, von der Crista temporalis, von dem Margo orbi- 
talis des Oberkieferbeines, so wie auch von dem hintersten 
Theile des Alveolarfortsatzes des Oberkieferbeines entspringt. 
Seine Fascikel erstrecken sich strahlenförmig einwärts zur 
Nase und befestigen sich theilweise an der Haut, welche 
die Spritzlöcher umgiebt, theilweise aber an den beutelför- 
migen Ausstülpungen des membranösen Theiles der Nasen- 
höhle. 

4) M. cutaneus maxillae superioris. !) Er liegt, 
vielfach mit Fett durchzogen, auf dem Alveolarstücke des 
Oberkieferbeines unter der Haut. Er erstreckt sich von der 
über der Augenhöhle liegenden breiteren Fläche des Ober- 
kieferbeines aus, von hinten nach vorn an Dicke allmählig 
abnehmend, bis zum vordersten Theile des Schnabels. Hin- 
ten ist er mit dem M. buccinatorius verschmolzen. 

5) Der M. buccinatorius 2) ist ein schwacher, stark 
mit Fett durchzogener Muskel. Seine Fascikel entspringen 
von dem Theile des Oberkieferbeines, welcher zwischen den 
hintersten Zähnen und dem dünnen Jochbeine liegt. Sie ver- 
laufen schräg abwärts und etwas vorwärts zum Unter- 
kiefer, an dessen äussere Fläche, unterhalb des Alveolar- 
randes sie sich anselzen. 


3. Von den Kaumuskeln. 


1) Der M. masseter?) ist sehr schwach. Er entspringt 
beinahe membranös vom Bogen des Jochbeines, erhält jedoch 
stärkere muskulöse Fascikel vom Jochfortsatze des Schläfen- 
beines, erstreckt sich schräg nach hinten, nimmt dabei an 


1) Von Rapp nicht beschrieben. 
2) Von Rapp erwähnt S. 84., doch nicht benannt. 
3) S. Rapp S. 55. 


6b 


Masse zu und heftet sich an die Aussenseite des hintersten 
Theiles des Unterkiefers, in der Nähe des Winkels dieses 
letzteren. 

2) Ziemlich stark ist der M. temporalis.t) Er nimmt 
seinen Ursprung aus der Schläfengrube längs der ganzen 
Crista temporalis, tritt unter den vom Processus zygomati- 
eus des Stirnbeines und dem gleichnamigen Fortsatze des 
Schläfenbeines gebildeten Bogen durch und befestigt sich im 
Umkreise des Processus coronoideus des Unterkiefers. 

3) Der M. pterygoideus internus ?2) ist ein aus 
zwei Lagen bestehender ziemlich starker Muskel. Er ent- 
springt vom Processus pterygoideus des Keilbeines, nimmt 
aber zugleich ein ziemlich beträchtliches Muskelbündel in sich 
auf, das weiter hinten von der Faserknorpelmasse entspringt, 
womit das Felsenbein überzogen ist. Er befestigt sich längs 
der Innenseite des hinteren Theiles des oberen Unterkiefer- 
randes. ; 

4) Der ziemlich dicke M. pterygoideus externus ®) 
entspringt von der Innenfläche des Gaumenbeines und heftet 
sieh mit starker Sehne. an die Innenseite des Processus co- 
ronoideus des Unterkiefers. 


4. Von den Muskeln des Zungenbeines und 
der Zunge. 


1) Der M. mylohyoideus®) ist ein sehr dicker, star- 
ker Muskel, der eigentlich unpaar ist, indem die Faserbündel 
beider Seiten in der Mittellinie fast vollständig zusammen- 
fliessen. Er entspringl längs des ganzen inneren Theiles des 


) 8. Rapp S. 54, 
2) S. Rapp 8. 54. 

) $. Rapp 8. 84, 

) 8. Rapp-$. 132, 


7 


unteren Randes des Unterkiefers. Seine durchaus fleischigen, 
nirgend tendinösen Bündel erstrecken sich von vorn und 
aussen schräg nach hinten und innen und inseriren sich längs 
des unteren Hornes und des Körpers des Zungenbeines in 
der Weise, dass sie die Ansatzlinie des M. sternobyoideus 
in ihrer ganzen Ausdehnung begrenzen. 

2) Der M. geniohyoideus !) ist gleichfalls ein un- 
paarer Muskel. Er entspringt von der inneren, dem Kinn 
entsprechenden Fläche des Unterkiefers mit schmaler Sehne, 
wird sogleich fleischig, gewinnt an Stärke, verläuft nach 

„hinten und befestigt sich endlich mit breiterer Sehne an den 
Körper des Zungenbeines. 

3) Auch die beiden M. genioglossi 2) berühren sich 
in der Mittellinie auf das Innigste. Die Muskeln entspringen 
längs der Innenseite des vordersten Theiles des Unterkiefers 
mit breiter Ansatzfläche und begeben sich von vorn und aus- 
sen nach hinten und innen verlaufend zur unteren Fläche der 
Zunge und zur vorderen oder unteren Wand des Pharynx. 

4) Der M. oceipito-hyoideus ?) ist ein ziemlich 
schwacher, kurzer, rundlicher Muskel, der von der Grenze 
des Hinterhauptbeines und Felsenbeines seinen Ursprung 
nimmt. Er verläuft schräg nach innen und hinten und be- 
festiget sich an die Spitze des hinteren oder unteren Zun- 
genbeinhornes, entsprechend dem hinteren Bauche des M, 
digastricus, 

5) M. stylohyoideus. ?) Er entspringt längs des 
ganzen hinteren Randes des zweiten Stückes des vorderen 
Zungenbeinhornes, erhält aber auch Faseikel vom ersten 
Stücke desselben. Seine Bündel begeben sich schräg von 


1) S. Rapp S. 132. 
2) S. Rapp S. 132, 
3) $. Rapp $. 132. 
4) 8. Rapp S. 132. 


8 


vorn und innen nach hinten und aussen und befestigen sich 
theils an die Oberfläche des Zungenbeinkörpers, theils an 
den hinteren Rand seines hinteren oder unteren Hornes. 
Dieser Muskel füllt den Raum, welcher einerseits von dem 
vorderen Horne und andererseits von dem Körper des Zun- 
genbeines und dessen hinterem Horne begrenzt wird, voll- 
ständig aus. 

6) M. styloglossus. 1) Ein rundlicher Muskel, wel- 
cher vom zweiten Stücke des vorderen Zungenbeinhornes, 
dicht neben dessen Insertion am Felsenbeine, entspringt. Er 


verläuft vorwärts und tritt neben dem M. hyoglossus seitlich 


an die Zungenwurzel. 

7) Der gemeinschaftliche M. hyoglossus 2) und hyo- 
pharyngeus entspringt sehr breit vom vordersten Theile 
des Zungenbeinkörpers und vom vorderen Rande und der 
oberen Fläche des unteren Zungenbeinhornes. Sein vom 
Körper des Zungenbeines entspringender dickerer Theil er- 
streckt sich schräg über das obere Zungenbeinhorn eng von 
binten und innen nach vorn und aussen und begiebt sich in 
Gemeinschaft mit dem M. styloglossus zur Wurzel der Zunge. 
Die vom unteren Horne entspringenden dünneren und flache- 
ren Bündel verlaufen noch schräger auswärts und aufwärts 
und befestigen sich längs der hinteren oder oberen Wand 
des Pharynx. An dieser hinteren Wand des Schlundes ver- 
schmelzen die Fascikel der beiden seitlich sich entsprechenden 
Muskeln mit einander. 

8) Die beiden Musculi sternohyoidei 3) liegen so 
dicht an einander, dass sie in der Regel nur künstlich von 
einander zu trennen sind. Es sind sehr dicke, fleischige, 
keilförmige Muskeln, welche von hinten nach vorn beträcht- 


1) S. Rapp $. 132. 
2) S. Rapp S. 132. 
3) $. Rapp S. 132 u. S. 85. 


9 


lich an Breite gewinnen. Jeder nimmt seinen Ursprung vom 
vordersten Theile der Fläche des Brustbeines und vom vor- 
deren Rande desselben und einwärts auch von dem knorpe- 
ligen Anhange des Sternum, verläuft ziemlich gerade vor. 
wärts und etwas auswärts und inserirt sich längs dem gan- 
zen unteren Zungenbeinhorne und längs dem Zungenbein- 
körper. 

Folgende Abweichung dieses gewöhnlichen Verhaltens 
wurde einmal beobachtet: Jeder Muskel theilte sich ungefähr 
in der Mitte seines Verlaufes in zwei Köpfe, einen ober- 
flächlichen dünneren und einen tiefen stärkeren. Dieser 
letztere befestigte sich auf die oben angegebene Weise an 
das Zungenbein; jener aber erstreckte sich über der Inser- 
tionsstelle des tieferen Kopfes weg und ging theils in die 
innere Partie des M. mylohyoideus, theils in die Sehne des 
M. geniohyoideus unmerklich über. 


5. Von den Muskeln des Kehlkopfes. 


1) M. oceipito-thyreoideus. Längs des scharfen 
Randes des Seitentheiles des Hinterhauptbeines, der einwärts 
vom Felsenbeine liegt, setzt sich breit ein flacher Muskel an, 
dessen Bündel einwärts sich erstrecken, um sich theils in 
den Winkel, der von der Cartilago thyreoidea und der Epi- 
glottis gebildet wird, an jener zu befestigen, theils aber an 
den Seitenrand des Schildknorpels sich zu inseriren. 

2) Der M. sterno-thyreoideus !) ist 4 bis 5mal 
schwächer als der M. sternohyoideus, welcher ihn ein wärts 
theilweise bedeckt. Er entspringt von dem ersten knorpe- 
ligen Fortsatze des Brustbeines, verläuft schräg vorwärts 
und etwas auswärts und befestigt sich seitlich am Schild- 
knorpel. 


1) S. Rapp S. 55. 


10 


3) Die beiden M. hyothyreoidei !) liegen bei ihrem 
Ursprunge vom Zungenbeinkörper dicht neben einander und 
werden bedeckt von den Musculis sternohyoideis. Es sind 
ziemlich flache, breite, fleischige Muskeln. Jeder derselben 
verläuft: etwas schräg von innen nach aussen und hinten 
zum Schildknorpel, an welchem er dicht über und etwas 
einwärts von der Insertionsstelle des M. sternothyreoideus 
sich befestigt. 

4) Der M. hyo-epiglotticus ?) ist ein unpaarer 
Muskel, welcher aus zwei Schenkeln entsteht, deren jeder 
vom ersten Stücke des vorderen Zungenbeinhornes seinen 
Ursprung nimmt. Beide Schenkel verschmelzen schon unter- 
halb des Zungenbeinkörpers zu einem einzigen fleischigen 
Muskel, der an den mittleren Theil des oberen scharfen 
Randes der Epiglottis sich begiebt. 

5) M.thyreo-pharyngeus. Vom absteigenden Horne 
des Schildknorpels erstrecken sich abwärts steigende Mus- 
kelbündel zum Schlundkopfe. 

6) M. crico-thyreoideus ®). Starke Muskeln, deren 
jeder sehnig und fleischig vom Innenrande und der Vorder- 
fläche jedes Ringknorpels entspringt und an den unteren 
Rand des Seitenhornes, sowie an den Innenrand des abstei- 
genden Hornes des Schildknorpels sich befestigt. 

7) M. thyreo-arytaenoideus. Jeder dieser Muskeln 
erstreckt sich von der Innenfläche des Körpers der Cartilago 
thyreoidea schräg zur Basis des Schnabels des Giesskannen- 
knorpels. 

8) M. crico-arytaenoideus lateralis. Jeder dieser 
Muskeln geht vom Seitentheile des Ringknorpels aus unter 


1) S. Rapp S. 132. 

2) S. Rapp S: 148, 

3) Dieser Muskeln 6 — 10 werden erwähnt von Rapp S. 147, 
Ich habe sie auch beim Manati untersucht und keinen vermisst. 


11 


dem absteigenden Horn des Schildknorpels zur Basis des 
Schnabels der Cartilago arytaenoidea. 

9) M. crico-arytaenoideus posticus. Ein ziem- 
lich starker Muskel, der von der ganzen hinteren Fläche des 
Ringknorpels seinen Ursprung nimmt und gerade aufwärts 
zur unteren (hinteren) Hälfte des Schnabels der Cartilago 
arytaenoidea sich erstreckt. 

10) Der M. arytaenoideus transversus verläuft 
von dem vorigen Muskel bedeckt, vom Innenrande eines 
Giessbeckenknorpels zum andern. 


6. Von den Augenmuskeln, 


1) Der äusserste unter den Muskeln der Augenhöhle ist 
der hohle, trichterförmige M. palpebralis !), der im Um: 
kreise des foramen opticum entspringt und in den Augen. 
lidern sich ausbreite. Innerhalb des von ihm gebildeten 
Trichters liegt zunächst die ringförmige Thränendrüse, wel- 
che nur an einer Stelle, nämlich in der Gegend des vorde- 
ren oder inneren Augenwinkels, aus dem muskulösen Trich- 
ter sich hervordrängt. Dies wird dadurch möglich gemacht, 
dass der M. palpebralis an der eben genannten Stelle in 
eine aus Zellgewebe gebildete Aponeurose übergeht, welche 
die Muskelsubstanz unterbricht und die Hervorstülpung der 
Thränendrüse überkleidet. Jederseits von diesem membra- 
nösen Theile besitzt der M. palpebralis einen Schlitz, be- 
stimmt zum Durchtritte des. M obliquus superior und infe- 
rior, welche anfangs ausserhalb des muskulösen Trichters 
liegen. 

2) In dem Trichter des M. palpebralis eingeschlossen 
liegen die 4 Museculi reeti 2). Diese Muskeln befestigen 
sich mit ihren 4 getrennten, an der Ansatzstelle sehnig wer- 
denden Köpfen an die Sclerotica. 


1) S. Rapp 8. 92. 
2) 5. Rapp $. 92. 


12 


3) Die beiden Musculi obliqui !) liegen anfangs aus- 
serhalb des Trichters des M. palpebralis, Der starke M. 
obliquus superior tritt durch den schon oben ‚erwähnten 
Schlitz in die vom M. palpebralis umschlossene Höhle, ver- 
läuft bogenförmig schräg abwärts, tritt über die Insertion 
des M. rectus superior und unter die Thränendrüse und be- 
festigt sich über der Insertionsstelle des eben genannten Mus- 
kels und etwas auswärts von derselben an die Sclerotica. 

Der M. obliquus inferior tritt gleichfalls durch einen 
Schlitz in den Trichter des M. palpebralis, biegt sich um, 
verläuft bogenförmig längs der Sclerotica und tritt dann un- 
ter den M. rectus inferior, um sich unter seiner Insertions- 
stelle an die Sclerotica zu befestigen, 

4) Aeusserlich umgeben von den Musculis rectis und bei 
seinem Ursprunge mit den Ursprungsstellen dieser Muskeln 
fast verschmolzen liegt der M. choanoides 2), welcher das 
Wundernetz der Arteria ophthalmica und den von diesem 
zunächst umgebenen N. opticus umschliesst. Dieser Muskel 
spaltet sich in 4 Köpfe, von denen sich je 2 neben einan- 
der an die Sclerotica befestigen. Die Ansatzstelle der zwei 
oberen Köpfe liegt zwischen dem äusseren Rande des M. 
rectus internus und dem innern des M. rectus externus; die 
beiden unteren Köpfe befestigen sich zwischen dem äusseren 
Rande des M. rectus externus und dem innern des M. rectus 
internus, Die Ansatzpunkte dieser Muskelköpfe an die Scle- 
rotica liegen nicht so weit vorwärts, als die der Musculi 
recti. Die beiden oberen Köpfe werden vom M. rectus su- 
perior, die beiden unteren vom M. reetus inferior bedeckt. 


7. Von den Muskeln des Brustbeines, der Schulter 
und der Vorderextremiltät. 

1) Der M. sterno-mastoideus 3) entspringt neben 

und etwas vor dem M. occipito-humeralis vom Hinterhaupts- 


1) S. Rapp S. 92. 
2) S. Rapp S. 2. 
3) S. Rapp S. 55. 


13 


beine, mit einer starken Sehne. Er wird. bald muskulös, 
erhält Verstärkungsbündel von der Spitze des unteren Hor- 
nes des Zungenbeines, steigt von vorn und aussen schräg 
nach hinten und innen und inserirt sich mit flacher sehniger 
Ausbreitung am vordersten Theile der Fläche des Brust- 
beines. 

2) Der M. levator anguli scapulae !) ist kurz und 
ziemlich flach. Er entspringt sehnig vom Processus trans- 
versus des Atlas, erstreckt sich schräg etwas nach aussen 
und hinten, um sich am vorderen Winkel des Schulterblat- 
tes zu befestigen. Ein Theil seiner Fasern breitet sich in 
eine Aponeurose aus, welche an der äusseren Oberfläche 
des Schulterblattes gegen dessen hinteren und unteren Win- 
kel verläuft. 

3) Der M. rhomboideus superior 2?) nimmt seinen 
Ursprung bald hinter dem Hinterhaupte von der oberfläch- 
lichen Aponeurose der Rückenmuskeln und begiebt sich, et- 
was schräg von vorn und innen nach hinten und aussen 
verlaufend, zum vorderen Winkel und zum vordersten Theile 
des obern Randes der Scapula. 

4) Der M. rhomboideus inferior ®) ist 4- bis 6mal 
breiter, als der vorige Muskel, welcher seinen vordersten 
Theil bedeckt. Er entspringt gleichfalls von der Aponeurose 
der Rückenmuskel und vom vorderen Rande der vier ersten 
Rippen, an der Stelle, wo diese sich umbeugend einen Win- 
kel bilden. Er erstreckt sich fast quer von der Gegend der 
Wirbelsäule zum oberen (inneren) Rande des Schulterblattes 
und inserirt sich längs dieses Bandes. 

5) Der M. serratus anticus major *) besteht aus 
einem flachen, sehnıgen vorderen und einem stärkeren, flei- 


1) S. Rapp S. 88. 
2) S. Rapp S. 88. 
3) S. Rapp S. 88 
4) S. Rapp S. 89. 


14 


schigen hinteren Theile. Jener entspringt von den beiden 
ersten Rippen, welche er kreuzt. Schräg verlaufend tritt er 
unter die Scapula und befestigt sich an ihren oberen Rand. 
Dieser mehr aponeurotische Theil des Muskels wird ver- 
stärkt durch einen fleischigen Theil, welcher mit A Zacken 
zwischen der ersten und zweiten, der zweiten und dritten, 
der dritten und vierten und der vierten und fünften Rippe, 
in der Nähe des Ueberganges dieser Rippen in ihre Knorpel 
entspringt und am hinteren Winkel des Schulterblattes sich 
befestigt. Die Zacken des M. serratus greifen ein in die 
des M. obliquus abdominis externus. 


6) Der M. pectoralis minor 1) ist kurz und flei- 
schig. Er entspringt vom vorderen Rande des Brustbeines, 
dicht unterhalb des Ansalzpunktes des M.- sternothyreoideus 
und neben dem M. costo-humeralis. Er befestigt sich am 
Processus coracoideus des Schulterblattes. 


7) Der M. deltoideus ?) bedeckt, mit Sehnenfasern 
reichlich durchzogen, fast die ganze äussere Oberfläche des 
Schulterblattes, mit Ausnahme seines hintersten Theiles, den 
der M. infraspinatus einnimmt. Anfangs ist der Muskel flei- 
schig, ‚wird dann, erst oberflächlich, später aber völlig seh- 
nig. Seine Bündel convergiren gegen den Oberarm hin und 
endlich umfasst er mit breiter bogenförmiger Sehnenmasse 
Kopf und Hals des Humerus, um an dessen äusserer Fläche 
unterhalb seines Halses sich zu befestigen. 


8) Der M. teres major °) entspringt fleischig von 
dem ganzen hinteren Rande des Schulterblattes, erstreckt 
sich schräg nach vorn und. unten und bildet eine starke 
Sehne, welche, in Gemeinschaft mit der Sehne des M. latis- 


1) S. Rapp S. 89, 

2) S. Rapp S. 89. 

3) S. Rapp S. 90. Beim Manatus ist dieser Muskel verhältniss- 
mässig stärker. Er verschmilzt mit dem Muskelbauche des M. latissi- 
mus dorsi und befestigt sich mit ihm an das Collum humeri. 


EEE 


45 


simus dorsi am hinteren und inneren Rande des Collum hu- 
meri sich befestigt. 

9) Der kleine, dicke, fleischige M. supraspinatus !) 
wird vom M. deltoideus bedeckt. Er entspringt aus der un- 
bedeutenden Fossa supraspinata in dem Zwischenraume zwi- 
schen Acromion und Processus coracoideus, füllt den Aus- 
schnitt des Schulterblattes aus und begiebt sich zum vorde- 
ren Theile des Oberarmes, an dessen Tuberculum er sich 
inserirt, | 

10) Der M. infraspinatus 2) ist ein ziemlich gros- 
ser,, flacher, dreiseitiger Muskel, der jedoch nur die hintere 
Hälfte der Fossa infraspinata ausfüllt und nur zum Theil 
vom M. deltoideus bedeckt wird. Er entspringt vom obe- 
ren und hinteren Rande des Schulterblattes, sowie auch von 
dessen Aussenfläche. An seiner Oberfläche wird dieser Mus- 
kel bald sehnig. Er erstreckt sich von hinten etwas schräg 
nach vorn und befestigt sich mit starker Sehne auswendig 
am Collum humeri. Sein Ansatz wird umfasst von den 
Fasern des tiefer am Oberarme sich inserirenden M. del- 
toideus. 

11) Der M. coraco-brachialis 3) ist kurz und mit 
Sehnensireifen durchzogen, Er nimmt seinen Ursprung vom 
Processus coracoideus und liegt hier dicht am M. supraspi- 
natus, mit dem er hier theilweise verschmolzen ist. Er er- 
streckt sich schräg abwärts zum Tuberculum humeri, 

12) Der M. subscapularis ®) bedeckt die ganze in- 
nere Fläche des Schulterblattes und befestigt sich am vor- 
dersten Theile des Tuberculum humeri. 

13) Der dem M. cleidomastoideus anderer Säugethiere 
entsprechende M. oceipito-humeralis 5) ist ein langer 


1) $. Rapp $. 89. 
2) S. Rapp $. 89. 
3) S. Rapp S. 90. 
4) S. Rapp S. 90. 
5) $S. Rapp 8. 80. 


16 


Muskel mit rundem Bauche. Er entspringt sehnig vom Pro- 
cessus mastoideus des Hinterhauptbeines, wird bald fleischig 
und steigt von vorn schräg und etwas nach innen zum Hu- 
merus, an dessen Tuberculum er sich sehnig befestigt. 

44) Der M. latissimus dorsi !) ist schmal, drei- 
eckig und flach. Er entspringt mit schmalen, sehnigen Kö- 
pfen von der vierten und fünften und mit breiter Sehnen- 
fläche von der sechsten Rippe. Er verläuft schräg vorwärts 
und einwärts hinter dem hinteren Winkel des Schulterblat- 
tes und befestigt sich neben dem M. teres major an den hin- 
teren und inneren Theil des Collum humeri. h 

15) Der M. costo-humeralis 2), der wohl ohne 
Zweifel dem M. subelavius entspricht, ist kurz und fleischig. 
Er entspringt vom hinteren Rande des Knorpels der ersten 
Rippe dicht unter der Insertion des M. scalenus anticus, ist 
bei seinem Ursprunge beinahe verschmolzen mit dem M. 
pectoralis minor, trennt sich von ihm jedoch später völlig, 
verläuft zum Oberarm und befestigt sich sehnig an der In- 
nenseite seines Tuberculum. 

16) M. pectoralis major 3). Bedeckt von dem Theile 
des Hautmuskels, welchen Rapp als pectoralis major be- 
zeichnet, entspringt er vom Sternum in der Gegend der In- 
sertion der dritten und vierten Rippe ein dreieckiger, flei- 
schiger, ziemlich starker Muskel, welcher schräg zu der 
Brustflosse aufsteigt und an dem hinteren scharfen Fortsatze 
der Ulna sehnig sich befestigt. Er zieht den hinteren Rand 
der Vorderextremität zur Brust. 

17) Mit dem Namen M. triceps *) hat man einen seh- 
nigen, wenig Muskelfasern enthaltenden, kurzen Streifen be- 
legt, welcher vom hinteren Rande des Humerus zum Ole- 


1) S. Rapp S. 89. Beim Manatus, wo er verhältnissmässig stär- 
ker ist, entspringt er von der dritten bis siebenten Rippe. 

2) S. Rapp S. 90. 

3) S. Rapp S. 89. 

4) S. Rapp S. 9%. 


17 


cranon sich erstreckt. Ich habe oft keine Spur von Muskel- 
fasern in dieser Masse enldecken können. 


8. Von den Bauchmuskeln. 


1) Der M. obliquus abdominis externus !) ist ein 
absteigender Seitenmuskel, welcher sich schräg von der 
Aussenseite der Rippen zur Mittellinie des Bauches begiebt. 
Er beginnt mil einer starken Zacke vorn an der ersten Rippe 
in der Nähe ihres Ueberganges in den Rippenknorpel. AIl- 
mählig erhält er Bündel von allen Rippen und zwar na- 
mentlich von deren hinteren Rändern; jedoch entfernt sich 
die Abgangsstelle dieser Bündel von vorn nach hinten mehr 
und mehr von dem Uebergangspunkte der Rippen in die 
Rippenknorpel. Seine ersten Zacken greifen ein in die des 
Serralus anlicus major; von diesem Muskel ist er übrigens 
ganz vorn noch durch einen flachen Sehnenstreifen geson- 
dert. Von den Querfortsälzen der Lendenwirbel erhält 
der Muskel keine Verstärkungsbündel. Der Verlauf des Mus- 
kels ist von vorn und aussen schräg nach hinten und innen. 
In der Mittellinie des Bauches geht er über in eine schwache 
Aponeurose. Seine hinlersten Fasern erreichen das Becken- 
rudiment nicht, sondern lassen sich nur bis in die Mitte zwi- 
schen der Oeflnung für die männlichen Geschlechtstheile und 
den After verfolgen, hören also etwa 6—7 Zoll vor dem 
Becken auf. 

Bei seinem Ursprunge von den Rippen ist der Muskel 
Nleischig; am slärksten ist er ganz vorn am Brustkasten und 
wird mehr nach hinten schwächer und dünner. Nur die 
von den falschen Rippen kommenden Ursprünge sind ober- 
Nächlich mit Sehnen durchzogen. 

An den Rändern der falschen Rippen wird der Muskel 
durchaus sehnig, wird jedoch späler, etwa 4 Zoll von der 
Mittellinie des Bauches entfernt, wieder fleischig. Sobald 

1) S. Rapp 8. 87. 

Müller's Archiv, 1849. 2 


18 


er aber den Musc. rectus abdominis erreicht hat, nimmt er 
plötzliche die sehnige Textur wieder an. 

Seine flachen, dünnen, sehnigen Faserbündel gehen hier 
schräg über die Sehnenhaut des M. obliquus abdominis in- 
ternus weg zur Mittellinie des Bauches und selbst ein we- 
nig über diese hinaus, um sich mit denen des gleichnamigen 
Muskels der entgegengesetzten Seite zu kreuzen. 

2) Der M. obliquus abdominis internus 1) beginnt 
weit hinter dem hinteren Ende des vorigen Muskels und 
geht vorn über in Muskelbündel, welche an der sechsten, 
fünften und vierten Rippe sich anheften. 

Seine hintersten Ansatzpunkte sind die Querfortsätze 
des 20sten und 49ten Lendenwirbels.. Vom 18ten Lenden- 
wirbel an erreicht er die Querfortsätze nicht mehr, sondern 
beginnt von der Lenden-Rücken- Aponeurose. Weiter vorn 
entspringt er von den hintern Rändern des freien Endes aller 
falschen Rippen. 

Seine vorderste Partie nimmt aber ihren Ursprung von 
dem hinteren Rande der sechsten, fünften und vierten Rippe 
in der Nähe ihres Ueberganges in die Rippenknorpel. 

Seine hintersten Bündel steigen sehr steil vorwärts und 
einwärts; die von der Lenden-Rücken-Aponeurose und den 
falschen Rippen entspringenden, etwas dünneren, gleichfalls 
fleischigen Fascikel erstrecken sich minder steil schräg einwärts 
und vorwärts; die an der sechsten bis vierten Rippe befestig- 
ten Bündel begeben sich dagegen fast gerade hinterwärts. 

Zur Seite des M, rectus abdominis angekommen, wird 
der Muskel aponeurolisch und spaltet sich in ein vorderes 
und ein hinteres Blatt. Diese beiden Blätter nehmen den 
M. rectus zwischen sich und gehen endlich in der Mittel- 
linie des Bauches in die Linea alba über. 

Die Spaltung des Muskels in zwei Blätter ist in dem 
vordersten Theile des Muskels, der von den Rippen ent- 


1) S. Rapp S, 87. 


19 


springt, nicht blos auf die dem M. reetus zunächst liegende 
Parlie beschränkt, sondern ist schon früher in dem eigent- 
lich muskulösen Theile deutlich wahrnehmbar. 

3) Der M. rectus abdominis !) entspringt von dem 
knorpeligen Forlsatze der zwischen der Insertion des ersten 
und zweiten Rippenknorpels vom Sternum ausgeht, ferner 
von der Vorderfläche des Sternaltheiles aller Knorpel der 
wahren Rippen und von der Seitenfläche des Sternum selbst 
und erstreckt sich als dicker fleischiger Muskel gerade nach 
hinten. 

Anfangs liegen die beiden Musculi recti unmittelbar ne- 
ben einander; in der Gegend der Genitalien trennen sie sich 
jedoch und werden durch die Linea alba geschieden. Jeder 
Muskel geht zur Seite der Genitalien dünn und zugespitzt 
über das Beckenrudiment weg, ohne an dasselbe sich anzu- 
setzen und endet mit einer ziemlich starken Sehne, die sich 
auswärts vom Beckenknochen an den Processus transversus 
des 19ten Lendenwirbels und an die Faseia der Muskeln der 
Vorderfläche des Rumpfes anheftet. 

4) Der M. transversus abdominis 2) ist ein flacher 
unpaarer Muskel, dessen Fascikel vor der Brust- und Bauch- 
höhle quer ausgespannt sind. Sein vorderster Theil ent- 
springt vom Rande und der Innenfläche der eigentlichen 
knöchernen ersten Rippe und füllt den Bogen grossentheils 
aus, ‘welchen vorn diese Rippe mit deren Sternocostalkno- 
chen (Knorpel) bildet. Anfangs sehnig wird dieses Muskel- 
bündel an der Innenseite des Sternocostalknochens oder 
Rippenknorpels fleischig, heftet sich aber mit flachen queren 
Sehnen an die Innenfläche des Brustbeines. So entspringen 
successive von dem vorderen Rande der Innenfläche des 
Sternaltlieiles der zweiten bis sechsten Rippe sehnige und 
Sleischige Fascikel; welche quer zum Brustbeine sich erstrek. 


1) 5. Rapp S. 56. 
2) $S. Rapp S. 87. 
2 * 


20 


ken. Hier werden sie sehnig; die Sehnen beider Seiten be- 
rühren sich aber nicht in der Mittellinie des ganzen Brust- 
beines, sondern nur am vordersten und hintersten Theile 
desselben. 

Der Bauchtheil des Muskels entspringt von der Innen- 
fläche des freien Endes aller falschen Rippen, weiter hinter- 
wärts aber mit queren oder schrägen glänzenden Sehnen 
von der Bauchseite der Spitzen des Processus transversi. 
Diese Sehnen werden an der Seite des Rumpfes fleischig. 

Der hinterste Theil des Muskels ist ganz sehnig und 
ist der Quere nach zwischen den inneren Rändern beider 
Beckenknochen ausgespannt. 

In der Mittellinie des Bauches, wo der Muskel von der 
innern Lamelle des M. obliquus internus bedeckt ist, wird 
er wieder sehnig. 


9. Von dem Zwerchfell). 


Der Lendentheil desselben nimmt seinen Ursprung je- 
derseits mit mehren starken Sehnen von den Körpern des 
neunten, achten, siebenten und sechsten Lendenwirbels. Der 
Rippentheil beginnt fleischig von dem inneren Theile der 
Spitze aller falschen Rippen. Nur die an die beiden letzten 
Rippen angehefteten Bündel sind sehnig und gehen theilwveise 
über in die Fascia, welche die Muskeln der Vorderseite des 
Rumpfes bekleiden. Alle übrigen Anheftungen sind rein 
fleischig oder enthalten nur wenige Sehnenfasern. 

Die zwischen dem Rippen- und Lendentheile jeder Seite 
liegende Partie hat eine dreieckige Gestalt und ist angeheftet 
an der Fascia, welche die Muskeln der Vorderseite des Rumpfes 
überzieht. Sie steigt rechterseits etwas tiefer hinterwärts 
oder abwärts, als links. Jederseits hat sie eine membranöse 
Lücke, welche an der rechten Seite eig ist, als 
an der linken. 


1) S. Rapp S. 87. 


21 


Der Sternaltheil des Zwerchfelles ist eigentlich nicht 
am Brustbeine befestigt, vielmehr beginnt er von der Mitte 
der Innenfläche der Linea alba, also von der Innenfläche der 
Sehne des M. transversus in Gestalt eines oder zweier flei- 
schiger Schenkel. 

Ein eigentliches Centrum tendineum fehlt dem Zwerch- 
fell ganz. Nur zwischen dem Foramen oesophageum und 
dem Foramen quadrilaterum, so wie auch links vom Fora- 
men oesophageum finden sich tendinöse Stellen, die auch 
noch einzelne Muskelfasern enthalten. 

Der zwischen dem Foramen oesophageum und der Wir- 
belsäule liegende Theil ist in der Brusithöhle durch eine Du- 
pliecatur der Pleura an die Wirbelsäule geheftet. Daher 
kommt es, dass das Zwerchfell von der Bauchhöhle aus be- 
trachtet die Form eines Trichters hat, in dessen Mittelpunkte 
ungefähr das Foramen oesophageum liegt. 

Der Hiatus aorticus liegt zwischen den beiden von den 
Körpern der Lendenwirbel ausgehenden sehnigen Schen- 
keln. 


10. Von den Muskeln der Rückenhälfte der Wir- 
belsäule, 


1) Der M. splenius capitis !) ist bei seinem Beginne 
von der Wirbelsäule zum Theil bedeckt durch die Aponeu- 
rose, von welcher der M. rhomboideus seinen Ursprung 
nimmt. Er entspringt aponeurotisch von den Dornfortsätzen 
der ersten Rückenwirbel, erstreckt sich schräg vorwärts und 
auswärts zum Kopfe, wird dabei fleischig und verschmilzt 
aussen und unten mit Fascikeln des unter ihm liegenden 
Kopfes des M. longissimus dorsi. Er befestigt sich endlich 
am Hinterhauptsbeine an der Grenze des Schuppentheiles 
des Schläfenbeines mit einer starken, flachen Sehne über der 
Inserlion des M. oceipito-humeralis. 


1) Von Rapp nicht erwähnt, 


22 


2) Der M. transversarius superior !) liegt unter 
den eigentlichen Läugsmuskeln der ganzen Wirbelsäule am 
meisten nach aussen. Seinen Bereich bilden einmal die 
Querfortsätze der -Wirbel und zwar besonders deren äussere 
freie Enden und dann auch die Rippen. 

Er beginnt mit einer starken Sehne an der Seite der 
letzten Schwanzwirbel, welche noch keine Querfortsätze be- 
sitzen. Diese Sehne erstreckt sich aber an dem Theile die- 
ser Schwanzwirbel vorwärts, von welchem an den weiter 
nach vorn gelegenen Wirbeln die Querfortsätze abgehen. 
Sobald seine Ursprungssehne zu den mit Querfortsätzen ver- 
sehenen Schwanzwirbeln gelangt ist, erhält sie Verstärkungs- 
sehnen. Es geht von jedem der sieben letzten Querfortsätze 
eine kurze, von hinten nach vorn und zugleich schräg nach 
oben gerichtete Sehne in sie über. Zugleich heften sich an 
die Sehne Fleischbündel, welche von der Oberfläche der 
Querfortsätze entspringen und schräg von vorn nach hinten 
zu ihr treten. Bis zum 22sten Lendenwirbel hin ruhet der 
Muskel blos auf der äussern Hälfte der Querfortsätze und 
erreicht die Basis der letzteren. Von jetzt an wird er völ- 
lig fleischig und liegt eine kurze Strecke weit auf der gan- 
zen Oberfläche der Querfortsätze der nächst vorderen Len- 
denwirbel. Indem er aber bald sich verschmälert, beschränkt 
er sich auch wieder auf die Spitzen der Querfortsätze und 


1) S. Rapp S. 51 transvers. superior u. $. 85 M. costalis. ' Die- 
ser Muskel, den ich für ein sehr stark entwickeltes Aequivalent des 
M. quadratus lumborum anderer Säugethiere halte, findet sich gleich- 
falls bei Manatus. Auch hier hat er einen Schwanztheil, Lendentheil 
und Rippentheil. Sein Schwanztheil verläuft aber nicht sowohl auf 
den Querfortsätzen, als vielmehr zur Seite derselben, auswärts von 
ihnen. Er beginnt hinten mit starken Sehnen, welche auswärts in die 
häutig-sehnige ‚breite Schwanzplatte übergehen, ‚gewinnt, indem er 
vom Schwanze an die Lumbargegend tritt, an Breite, geht über die 
Spitze der kurzen letzten Rippe weg, und erstreckt sich als ein % Zoll 
breiter (beim Fötus) flacher Muskel auswärts vom Sacrolumbalis über 
alle Rippen, an jede derseiben sich auleftend. 


23 


den äussersten Theil der Spatia intertransversalia. Seine 
mit wenig Sehnenfasern untermischten fleischigen Faseikel 
sind von hinten nach vorn gerichtet. Man erkennt deutlich 
Bündel, welche von der Mitte oder vor der Mitte der Ober- 
fläche hinterer Querfortsätze entspringen, schräg nach vorn 
aufsteigen und sich umschlagen, um an die Spitze der Quer- 
fortsätze weiter vorwärts gelegener Lendenwirbel sich zu 
inseriren. 

Indem in der Rippengegend der M. sacro-lumbalis die 
Querfortsätze der Wirbel verlässt und auf den den Wirbeln 
zunächst gelegenen Theil der Rippen tritt, bleibt auch der 
auswärts von ihm liegende M. transversarius superior nicht 
auf den Processibus transversis, sondern erstreckt sich jetzt 
an der Oberfläche der Rippen vorwärts. 

Von der Gegend des ersten Lendenwirbels an erfährt 
übrigens der Muskel noch andere Veränderungen. Schon an 
einem grossen Theile der Lendenwirbel reichte der äussere 
Theil desselben etwas über die Spitzen der Querfortsätze 
hinaus. Vom Querforisatze des zweiten Lendenwirbels an 
wird dieser die Spitze der Processus transversi überragende 
Theil allmählig breiter und flacher, als der mehr eimwärts 
liegende, dickere, wulstige Theil des Muskels und an dem 
Rippentheile des Muskels kann man eine innere etwas dik- 
kere Portion, die als schmaler Saum den Rippentheil des 
M. sacro-lumbalis begrenzt und eine äussere, breite, flache 
Portion des M. transversarius superior unterscheiden. Beide 
sind eng und unzertrennlich mit einander verbunden. 

Die innere Portion ruhet unmittelbar auf dem Winkel 
der Rippen, der dadurch gebildet wird, dass ihr Rückentheil 
in den Seitentheil sich umbiegt. Die äussere Portion er- 
streckt sich dagegen, als sehr breite, flache Muskelmasse 
über den ganzen äusseren Theil der Oberfläche der Rippen 
und reicht an dem Sternaltheile derselben bis zu den Ur- 
sprüngen des M. obliquus abdominis superior. Die fleischi- 
gen Fascikel diesos Rippentheiles heften sich an die hinteren 


24 


Ränder der Rippen und werden fort und fort durch Bündel 
verstärkt, welche von der Oberfläche der Rippen und deren 
Rändern ihren Ursprung nehmen. Dieser Rippentheil ‘des 
M. transversarius endet an der ersten Rippe. Meckel hat 
ihn als Theil des M. transversarius, Rapp aber mit Unrecht 
als eigenen Muskel unter der Benennung M. costalis ' be- 
schrieben. 

Die innere, dickere Portion, welche, wie schon er- 
wähnt ist, eine Strecke lang sehr schmal ward, 'nimmt schon 
in der Gegend der dritten Rippe wieder sehr an: Masse zu, 
erstreckt sich nach und nach auswärts, vorwärts und ab- 
wärts und erreicht als ziemlich breiter und starker Muskel 
den oberen Bogen des Atlas. Er befestigt sich theilweise 
an dessen Spitze, empfängt aber auch von diesem Theile 
des Atlas neue Fascikel, tritt so verstärkt weiter nach vorn 
und inserirt sich endlich an den oberen Theil des. Processus 
mastoideus des Hinterhauptsbeines. 

Der M. transversarius superior ist in seinem ganzen 
Verlaufe vollständig geschieden vom M. saerolumbalis durch 
eine ihn überziehende Aponeurose, welche an. den Spitzen 
der Querfortsätze der Winkel beginnt und in die gemein- 
schaftliche ‚Faseia des M. sacrolumbalis und longissimus 
dorsi übergeht. Von’der Rückenaponeurose des Hautmuskels 
ist: sie durch eine schwache Lage von Fett geschieden. Die 
Aponeurose des M. transversarius ist besonders 'stark und 
derb in seinem hintersten Theile. Sie umhüllt seine von 
den Schwanzwirbeln kommende Sehne, so wie seine an den 
Querfortsätzen : der Wirbel liegende Masse, erhält sich 
aber nur spurweise an seinem Brust - und Halstheile. 

3) Mit dem Namen M. caudalis superior !) belege 
ich einen Muskel, welcher an den hintersten Schwanzwir- 
beln sehnig beginnt, einwärts vom M. transversarius supe 


1) Von Rapp nicht beschrichen. 


25 


rior, auswärts vom M. longissimus dorsi liegt, weiter nach 
vorn bedeckt wird vom M. sacrolumbalis und endlich: in der 
Gegend des achten Lendenwirbels vollständig in den lelztge- 
nannten Muskel übergeht. Er füllt den Raum zwischen den 
Processibus accessoriis und den von der Mitte der Quer- 
fortsätze entspringenden Bündeln des M. transversarius 
superior aus. Der Musculus caudalis superior beginnt 
mit 8 starken Sehnen, welche an der oberen. Fläche 
der hintersten Schwanzwirbel angeheftet sind. Diese star- 
ken Sehnen liegen ganz hinten in einer gemeinschaftlichen 
Scheide mit der Sehne des M. longissimus dorsi. Aus die- 
ser Scheide tritt an der Seite der oberen Dornen der 
Schwanzwirbel eine Sehne des M. caudalis allmählig nach 
der anderen hervor. Jede Sehne wird dann erst zu einem 
halbgefiederten, dann zu einem gefiederten Muskel, indem 
aussen von der Oberfläche der Processus transversi, innen 
von der Basis der Processus spinosi Fleischbündel von vorn 
etwas schräg nach hinten an die Sehne treten. Nachdem 
so eine Menge gefiederter Muskeln entstanden sind, verschmel- 
zen dieselben mit einander zu einer einzigen fleischigen Mus- 
kelmasse, in welcher keine Sehnen mehr zu erkennen sind, 
In der Gegend des achten Lendenwirbels geht dieser Muskel 
über in die Fleischmasse des ihn bedeckenden M. sacrolum- 
balis, mit dem er vollkommen verschmilzt, 

4) Wir gehen zunächst über zur Schilderung des M. 
longissimus dorsi, !) um nachher erst den auswärts von 

ihm liegenden M. sacrolumbalis zu betrachten. 

Zur Seite der hintersten Schwanzwirbel, unmittelbar 
neben den Rudimenten ihrer Dornfortsäte nimmt eine starke 
Sehne ihren Ursprung, welche später in einen sehr dicken, 
bis zur Mitte des Rückens an Umfang allmählig zunehmen- 
den Muskel übergeht, der in dem grössten Theile seines Ver- 


1) S. Rapp $. 81. mit Einschluss von Rapp’s M. spinalis dorsi 
8, 80. 


26 


laufes nach dem Kopfe hin unmittelbar neben den Processi- 
bus spinosis der Wirbel gelegen ist, vom zehnten Rücken- 
wirbel an jedoch die Seiten der Dornfortsätze nicht mehr 
unmittelbar berührt, indem er nach aussen rückt, und end- 
lich an die Schuppe des Hinterhauptsbeines längs der Crista 
fleischig sich befestigt. j 

Der Muskel ist, so lange er unmittelbar neben den 
Dornfortsätzen der Wirbel liegt, oberflächlich von glänzen- 
den Sehnenbündeln dicht überzogen, welche, von den Spiz- 
zen der Processus spinosi sämmtlicher mit wahren Dorn- 
fortsätzen versehener Schwanzwirbel, aller Lendenwirbel 
und der hintersten beiden Rückenwirbel entspringend, von 
hinten und innen schräg nach aussen und vorn verlaufen 
und eine Art Scheide um den Muskel bilden. Wenn diese 
sehnige Umbüllung an der Aussenseite des Muskels, längs des 
Ansatzes des M. sacrolumbalis oberflächlich nicht mehr zu 
erkennen ist, setzt sie sich doch noch unterhalb der Anhef- 
tnng des Sacrolumbalis an den Longissimus fort und trennt 
in der Tiefe diese beiden an einander liegenden Muskeln. 

Ausser diesen von den Spitzen der Processus spinosi 
entspringenden Sehnen erhält der M. longissimus von dem 
Processus accessorius eines jeden Dornfortsalzes eine starke, 
schräg nach vorn gerichtete Sehne, die seitwärts in seine 
Masse eintritt. Von jeder dieser Sehnen gehen feinere seh- 
nige Fäden ab, welche in die unmittelbar neben den Proces- 
sibus spinosis gelegene Fleischschicht des Longissimus sich 
erstrecken. 

Sobald der Muskel vom zehnten oder elften Rücken- 
wirbel an die Processus spinosi nicht mehr unmittelbar be- 
rührt, indem von jetzt an andere Muskeln zwischen ihm und 
den Seitenflächen und Spitzen der genannten Fortsätze sich 
einschieben, erhält er auch keine Sehnen mehr von den 
Spitzen der Dornfortsätze. Ihm verbleiben jedoch die von 
den Processibus accessoriis entspringenden Sehnen. Gleich 
diesen letztgenannten Fortsätzen verändert auch der M. lon- 


Dee ee ee ES ee Be aa Senn 


27 


gissimus seine Lage. Da nämlich die Processus accessorii 
in dieser Gegend der Wirbelsäule allmählig von den Dorn- 
fortsätzen auf die Querfortsätze rücken, tritt mit ihnen auch 
der M. longissimus mehr auswärts. Von dem Processus ac- 
cessorius eines jeden Querfortsatzes erhält er Sehnen. 

Von jedem Processus accessorius entspringt eigentlich 
nur eine Sehne, welche sich aber sogleich in eine äussere 
und eine innere theilt. 

Jede äussere Sehne spaltet sich abermals in eine äussere 
und eine innere, von denen diese in den M. longissimus, 
jene in den auswärts von ihm liegenden M. sacrolumbalis 
eintritt, 

Jede innere Sehne spaltet sich ebenfalls, ihre Schenkel 
gehen einerseits in den M. longissimus über, andererseits 
aber in Muskeln, welche in der Tiefe zwischen den Quer- 
fortsätzen und der Basis der Dornfortsätze auf dem oberen 
Bogen der Rückenwirbel liegen. 

Betrachtet man diese letzteren Muskeln als Theile des 
M. longissimus, so sieht man, dass dieser auch in, der vor- 
dersten Partie der Wirbelsäule seine Beziehungen zu den 
Dornfortsätzen der Wirbel nicht ganz verliert. 

Die eigentliche Fortsetzung des M. longissimus erstreckt 
sich aur als starke Muskelmasse vorwärts; giebt Fascikel an 
die Milte des oberen Bogens des Atlas und erreicht endlich 
als starker fleischiger Muskel das Hinterhauptsbein, an des- 
sen Schuppe er längs der ganzen Crista transversa sich an- 
setzt. 

5) M. sacrolumbalis. *) Von dem äusseren Theile 
der sehnigen Oberfläche des vorigen Muskels entspringt in 
der Gegend des achtzehnten Lendenwirbels ein anderer sehr 
starker fleischiger Muskel, der von hinten nach vorn an 
Stärke allmählig zunimmt. Seine Bündel erstrecken sich 


*) 5. Rapp $. 81 


28 


schräg von hinten und innen nach vorn und aussen und be- 
festigen sich fleischig an die Querfortsätze der Wirbel. Wei- 
ter. nach vorn rückt der Muskel von den Querfortsätzen 
auf den Wirbeltheil der Rippen und erstreckt sich nach aus- 
sen bis zu deren Winkel oder Umbeugungsstelle. In dieser 
Gegend befestigen sich seine Fascikel nicht allein an die En- 
den der Querfortsätze der Rückenwirbel, sondern auch ‘an 
alle Rippen. 

Vom achten Rückenwirbel an erhält der M. sacrolum- 
balis von dem Processus accessorius eines jeden Querfort- 
satzes Sehnen, in dem die von diesen Fortsälzen stammen- 
den Sehnen des M. longissimus gleich nach ihrem Ursprunge 
sich heilen und ihre äusseren Schenkel für den M, sacro- 
lumbalis abgeben. 

So steigt der Muskel vorwärts, befestigt sich mit einem 
starken Kopfe an einen Höcker des oberen Bogens des Atlas 
und zuletzt mit zwei ziemlich starken Sehnen, von denen 
Eine die Andere theilweise deckt, an den Schädel und zwar 
einmal an das Hinterhauptsbein dicht neben der Pars squa- 
mosa des Schläfenbeines und 2) an die Basis des Jochfort- 
satzes des Schläfenbeines. 

6) Der M. spinalis dorsi !) ist schwach und unbe- 
deutend und besteht aus einem System von Sehnen, welche 
von den Dornfortsätzen hinterer Rückenwirbel zu denen 
weiter vorwärts gelegener Processus spinosi sich erstrecken. 
Vom Processus spinosus des elften Rückenwirbels entsprin- 
gen Sehnen, welche längs der Dornfortsätze der vorderen 
Wirbel verlaufen und von ihnen gehen Muskelfasern ab, 
welche sich an den Spitzen aller weiter nach vorn gelege- 
nen Dornfortsätze befestigen. Diese Muskelmasse endet vorn 
am Atlas. In der Tiefe verschmilzt sie mit dem M. multi- 
fidus. 


1) Von Rapp nicht beschrieben. 


en ET 


29 


7) Unter der Benennung M. multifidus spinae 1) 
fassen wir ein System kleiner, in inniger Verbindung ste- 
hender Muskeln zusammen, welehe mit Sehnen beginnen, 
die von den Processibus accessoriis der Querfortsätze der 
Rückenwirbel ihren Ursprung nehmen, schräg vorwärts und 
einwärts verlaufen, fleischig werden und an die Seite des 
Wurzeltheiles der Dornfortsätze mehr vorwärts gelegener 
Rückenwirbel sich anheften. Der vorderste dieser Muskeln 
befestigt sich zur Seite des kleinen Dornfortsatzes des Atlas. 

Fast unzertrennlich verbunden mit dem eben geschilder- 
ten M. multifidus ist eine tiefere Schicht von Muskelbündeln. 
Es sind Fascikel, welche von der Basis jedes Dornfortsatzes 
und vom Bogentheile jedes Rückenwirbels sehnig entspringen, 
fleischig werden, schräg nach aussen und hinten absteigen 
und sich endlich an die Querfortsätze weiter hinterwärts ge- 
legener Rückenwirbel befestigen. 

8) Unter den eben genannten Muskeln liegen die M. ro- 
tatores dorsi 2) d. h. kleine Muskeln, deren Sehnen von 
den Proc. accessoriis der Querlortsätze der Rückenwvirbel 
entspringen, fleischig werden und sich mit Muskelmasse an 
den Bogentheil nächst vorderer Rückenwirbel befestigen. 

9) M. semispinalis und reetus capitis posticus.®) 
Von der Seite der Dornfortsätze der zehn vordersten Rük- 
kenwirbel und von deren Spitze beginnt ein Muskel, dessen 
Faseikel schräg abwärts und vorwärts steigen. Der Muskel 
wird allmählig breiter und befestigt sich neben dem kleinen 
Dornfortsatze des Atlas, wird hier durch neue Bündel ver- 
stärkt, welche vom mittleren Theile des oberen Bogens des 
Atlas kommen und tritt dann an das Hinterhauptsbein, an 
dessen Linea semieireularis inferior er breit sich anheftet. 


1) Von Rapp nicht beschrieben. 
2) Desgleichen, 
3) Desgl. 


30 


10) Einwärts von diesem Muskel findet sich an den 
Dornfortsätzen der Rückenwirbel noch ein System von dün- 
nen Sehnen und Muskelbündeln, 1) welche schwer zu isoli- 
ren sind, aber das Gemeinsame haben, dass sie von den 
Spitzen der Dornfortsätze hinterer Rückenwirbel schräg ab- 
wärls und vorwärts sich erstrecken, um an die oberen Bo- 
gen und an die Basis der Dornfortsätze weiter vorn gelege- 
ner Rückenwirbel sich anzusetzen. 


11. Von den an der vorderen oder unteren Fläche 
der Wirbelsäule gelegenen Muskeln. 


1) Der M. rectus capitis anlicus major ?) nimmt 
seinen Ursprung unterhalb des M. scalenus anticus quer von 
der unteren Fläche des Seitenfortsatzes des Hinterhauptsbei- 
nes mit einer starken, lachen Sehne. Er erstreckt sich hin- 
terwärts, heftet sich mit wenigen Faseikeln an den vorde- 
ren oder unteren Bogen des Atlas und steigt dann längs der 
Seite des Körpers des ersten, zweiten und. dritten Rücken- 
wirbels nach hinten. Hier ist er auf das Innigste mit dem 
M. longus colli verbunden. 

Bei seinem Ursprunge vom Hinterhauptsbeine sind ein- 
zelne seiner Bündel mit denen des Scalenus antieus verfloch- 
ten. Auch steigen unterhalb des unteren Bogens des Atlas 
einige Fascikel des Rectus anticus major hinterwärts zu dem 
innersten, der Wirbelsäule zunächst liegenden Theile der er- 
sten Rippe, an deren vorderen Rand sie hier sich anheften. 


2) Der M. rectus capitis anticus minor ?) wird 
fast ganz von dem vorigen Muskel bedeckt und hat einen 


4) Von Rapp nicht beschrieben. 
2) S. Rapp S. 82. 
3) S. Rapp $. 82. 


31 


ihm gleichen Ursprung vom Hlinterhauptsbeine; nur reicht er 
bei seinem Ursprunge etwas weiter auswärts. Er ist flei- 
schig und ziemlich diek und befesligt sich am ganzen unte- 
ren Bogen des Atlas und selbst an den vorderen Theil sei- 
nes Processus transversus. 


3) Der M. longus colli!) ist kurz, schwach und seh- 
nig. Er wird theilweise bedeckt vom M. rectus anticus 
major und verschmilzt besonders auswärts mit einem Theile 
der Fascikel desselben. Er entspringt sehnig vom Körper 
des dritten, zweiten und ersten Rückenwirbels. Seine Seh- 
nen erstrecken sich gerade vorwärts und befestigen sich 
an die kleinen Fortsätze, welche sich an der Bauchseite der 
hinteren Halswirbel finden und an den Knorren, der neben 
der Mitte der unteren Fläche des Atlas paarig vorhanden ist. 


Von grossem Interesse ist die Muskelmasse, 2) 
welche an der Vorderfläche der Wirbelsäule von 
der Spitze des Schwanzes bis in die Brusthöhle 
hinein sich erstreckt. 


Von der Schwanzepitze an, bis zum After hin liegen 
die Muskelmassen beider Seiten dicht neben einander. In 
der Aftergegend weichen sie unter spitzem Winkel aus ein- 
ander und lassen eine tiefe Furche zwischen sich, in wel- 
cher die grossen Gefässslämme liegen. Einwärts ruhet der 
vordere Theil dieser Muskelmassen auf den Körpern der Len- 
denwirbel und an jeden Wirbelkörper befestigen sich ein 
oder einige schräg nach innen gerichtete fleischig - sehnige 
Köpfe, die von diesen Muskeln ausgehen. Die gesammte 
Muskelmasse ist von einer Scheide eingeschlossen, welche 


1) Von Rapp nicht beschrieben. 

2) Grösstentheils Rapp's M. psoas major, $. 82, — Ganz: analog 
sind die Verhältnisse dieser Muskelmasse beim Manati, wie bereits in 
meinen Beiträgen zur Kenntniss des amerikanischen Manatis angegeben 
wurde. 


32 


hinten von den Körpern, weiter vorn von den Querfort- 
sätzen der Wirbel entspringt. 

Wie an den Schwanzwirbeln der Cetaceen die untere, 
abwärts gerichtete Fläche genau der oberen oder Rücken- 
Näche entspricht, so herrscht auch rücksichtlich der’ Anord- 
nung der Muskeln die vollkommenste Uebereinstimmung 
zwischen der Rücken- und der Bauchseite. !) 

1) Wir finden zunächst aussen einen M.transversarius 
inferior, 2) der genau dem schon beschriebenen oberen 
transversarius entspricht. 

Seine Sehne liegt an der Seite der hintersten Schwanz- 
wirbel, parallel derjenigen des M. transversarius superior. 
Sie erhält 6 kurze, von hinten nach vorn und zugleich ab- 
wärts gerichtete Verstärkungssehnen von den Spitzen der 
Querfortsätze eben so vieler Schwanzwirbel. Seine fleischi- 
gen Fascikel zeigen die nämlichen Verhältnisse, wie die des 
M. transversarius superior, Anfangs ruhet die Muskelmasse 
auf den Spitzen der Querfortsätze der Schwanzwirbel, wei- 
ter nach vorn eine kurze Strecke weit auf der ganzen Fläche 
dieser Querfortsätze, um alsbald wieder auf die freien En- 
den der nächst vorderen sich zu beschränken, die er nach 


4) Bei keinem Säugethiere lässt sich leichter die Analogie der an 
der Unterfläche der Schwanzgegend liegenden Muskeln mit den an der 
Rückenseite gelagerten nachweisen, als bei den Cetaceen und Sirenen. 
Diese ganze Muskelmasse repräsentirt die Bauchhälfte des Seitenmuskels, 
die wir bei der Mehrzahl der Fische ausgebildet antreifen. Ich sage 
bei der Mehrzahl der Fische — denn auch in dieser Thierklasse kom- 
men Beispiele von Verkümmerung der vorderen Hälfte des Bauchthei- 
les des Seitenmuskels vor. Beispiele dieses letzteren Verhaltens liefern 
die Diodon und Tetrodon unter den Plectognathen, wo eine ähnliche 
Anordnungsweise, wie bei den Cetaceen angetroffen wird, indem die 
erweiterungsfähige Bauchhöhle von einem vom Rücken absteigenden 
Hautmuskel umschlossen wird, ausser welchem noch gerade Bauchmus- 
keln vorkommen. 


2) S. Rapp $. 83. 


| 
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33 


aussen ebenfalls etwas überragt. Er reicht jedoch als ge- 
sonderter Muskel lange nicht so weit nach vorn, als der 
M. transversarius superior, verschmälert sich schon in der 
Gegend des fünfzehnten Lendenwirbels bedeutend und geht 
endlich, ganz rudimentär geworden, über in den über den 
Enden der Processus transversi vorragenden Theil des M. 
transversarius superior. er 

Die weiter einwärts gelegene Muskelmasse ist von Rapp 
als einem einzigen Muskel angehörig bezeichnet worden, den 
er mit dem Namen Psoas belegt hat. Allein bei aufmerksa- 
mer Untersuchung lassen sich in dieser Masse die 3 Haupt- 
muskeln, welche an der Rückenseite der Wirbelsäule vor: 
kommen, wieder erkennen. 

2) Dem M. caudalis inferior gehören fast alle die 
zahlreichen und starken Sehnen an, welche von der unteren 
Fläche der hintersten Schwanzwirbel, in einer gemeinschaft- 
lichen Scheide eingeschlossen, entspringen, nach einander 
diese Scheide verlassen und zu gefiederten Muskeln werden, 
die allmählig mit der übrigen Muskelmasse verschmelzen. 

3) Als dem M. longissimus angehörig zu betrachten 
hat man nicht nur die innerste der Sehnen, welche von der 
unteren Fläche der hintersten Schwanzwirbel entspringen, 
sondern auch alle die glänzenden, dicht neben einander lie- 
genden Sehnen, welche hinten von den Spitzen aller Pro- 
cessus spinosi inferiores und weiter vorwärts noch von der 
Mittellinie der Körper einiger Lendenwirbel entspringen und 
schräg von innen und hinten nach aussen und vorn sich 
erstrecken. Diese Sehnen verhalten sich zum Longissimus 
inferior ganz so, wie die von den oberen Dornen entsprin- 
genden Sehnen des Longissimus superior zu diesem. Sie 
überziehen anscheinend nur die einwärts gelegene Hälfte des 
Muskels. In der That aber setzen sie sich noch viel weiter 
nach aussen hin fort und trennen so den eigentlichen M. 


longissimus inferior von dem mehr auswärts gelegenen, ihm 
Müllers Archiv, 1849. 3 


34 
aufliegenden M. sacrolumbalis inferior, der diese Sehnenschicht 
verdeckt. f 

4) Dieser M. sacrolumbalis inferior liegt also aus- 
wendig auf der durch Sehnen gebildeten Scheide des M. lon- 
gissimus. Seine durchaus fleischigen Fascikel erstrecken sich 
von hinten und innen nach vorn und aussen zu den Quer- 
fortsätzen der Lendenwirbel. 

Vollständig lassen sich die so eben beschriebenen drei 
Muskeln nur in ihrer am meisten nach hinten gelegenen 
Hälfte von einander sondern. Sie verschmelzen nämlich. all- 
mählig zu einer einzigen, sehr dicken Muskelmasse, welche 
von hinten nach vorn immer mehr an Umfang gewinnt, in 
der Gegend der letzten Rippe aber breiter wird und an Dicke 
verliert und welche vorn sehr verflacht in die Brusthöhle 
hineinreicht. 

Der innere Theil dieser Muskelmasse befestigt sich aus- 
sen an die Processus transversi der Lendenwirbel und innen 
mit muskulös-sehnigen Bäuchen an die Bauchfläche der Wir- 
belkörper. Er erstreckt sich in die Brusthöhle und endet 
mit einer schmalen Sehne am Körper des achten Rücken- 
wirbels. 

Der äussere Theil der Muskelmasse wird sehr flach und 
überzieht mit fleischigen Längsbündeln, welche reichlich mit 
Sehnenfasern untermischt sind, die Innenfläche der Rippen 
und der Intercostalmuskeln. Seine Fascikel heften sich ziem- 
lich breit und fleischig an den mittleren Theil der 4 letzten 
Rippen, während an die achte und siebente Rippe nur we- 
nige glänzende Sehnenfasern, als Fortsetzungen des Muskels 
in geringerer Breiten- Ausdehnung sich inseriren, 

Berücksichtigt man dieses Verhalten, so kann man nicht 
umhin in der inneren auf die Wirbelkörper und die, Quer- 
fortsätze beschränkten Portion der Muskelmasse eine Fort- 
setzung des M. longissimus inferior zu erkennen, während 


derjenige Theil, welcher die Innenfläche der Rippen und der- 


Intercostalmnskeln überzieht unverkennbar der Portio costalis 


ni 


N 


35 


des Sacrolumbalis superior entspricht. Es besteht also die 
ganze untere Muskelmasse aus einem Longissimus und einem 
Sacrolumbalis inferior. 

5) Nach Entfernung der eben geschilderten Muskelmas se 
gelangt man noch auf schräge, lache Sehnenbündel, welche 
selten spärliche Muskelfasern enthalten. Sie erstrecken sich 
von der Basis eines Querfortsatzes zur Seite des Körpers 
des nächst folgenden Wirbels. 


12. Von den Muskeln der Beckenrudimente. 


Der M. retractor ischi s. ischio-caudalis !) ist 
ein starker, langer, fleischiger und paariger Muskel. Er liegt 
an der Bauchseite, einwärts von dem M. longissimus infe- 
rior, ausserhalb der Fascia desselben, neben den unteren 
Dornen der Schwanzwirbel. Er entspringt von der Spitze 
der 9 vordersten Processus spinosi inferiores und erstreckt 
sich, allmählig an Breite zunehmend, von hinten nach vorn. 
Anfangs liegen die Innenflächen beider Muskeln dicht anein- 
ander; in der Nähe der Beckenknochen divergiren sie aber. 
Jeder Muskel befestigt sich fast an den ganzen inneren Rand 
des Beckenknochens seiner Seite, von hinten an, bis bei- 
nahe zu dessen vorderstem Theile hin. 

Nachdem die beiden M. retractores ischii vor ihrer An- 
heftung an die Beckenknochen aus einander gewichen sind, 
erstreckt sich von der Innenseite des einen Muskels zu der 
des anderen eine transverselle sehnige Brücke, auf welcher 
der hinterste Theil des Mastdarmes zum After verläuft, 

Der vordere Theil des Aussenrandes jedes Sitzbeines 


1) S. Rapp S. 83. Ich habe ihn auch beim Manatus angetrof- 
fen; dünn und schwach entspringt er von den Processus spinosi infe- 
riores der beiden ersten Schwanzwirbel und befestigt sich an das Sitz- 
beinrudiment. 

3 %* 


36 


wird durch straffe sehnige Fascikel, welche von ‘der Len- 
den-Rücken-Aponeurose aus von aussen und vorn schräg 
nach hinten und innen herabsteigen, in seiner Lage erhalten, 


13. Von den Muskeln der Rippen. 


1) Der M. scalenus antieus ) ist sehr stark. Er 
entspringt vom Processus transversus des Hinterhauptsbeines, 
mit einem dicken, sehnigen Kopfe, wird bald fleischig, er- 
streckt sich fast gerade von vorn nach hinten, nimmt da- 
bei an Breite zu und befestigt sich mit flacher, sehniger 
Ausbreitung längs dem concaven Rande des grössten Theiles 
des ersten Rippenknorpels und der knöchernen ersten Rippe. 


2%) Der M. scalenus posticus 2) ist ein ziemlich 
starker, dreieckiger Muskel. Er entspringt sehnig vom Pro- 
cessus transversus des Atlas. Sein Ursprung wird bedeckt 
von der Insertion des M. levator scapulae. Er wird bald 
fleischig, gewinnt an Breite, erstreckt sich nach hinten und 
befestigt sich an der äusseren Fläche und am hinteren Rande 
der ersten Rippe, mehr nach dem Rücken zu, als der M. 
scalenus anticus. Einige seiner Fascikel treten über die 
erste Rippe weg und setzen sich an den vorderen Rand der 
zweiten. 


3) Die Musculi levatores costarum®) sind schwach. 
Jeder entspringt sehnig von der Spitze des Querfor!salzes 
eines Rückenwirbels, verläuft über das Tuberculum der ent- 
sprechenden Rippe und breitet sich gegen den vorderen Rand 
der nächstfolgenden Rippe, an den er sich anheltet, aus. 


1) S. Rapp S. 86. Er scheint bei Manatus zu fehlen. 


2) S. Rapp S. 86. Ein ganz übereinstimmendes Verhalten zeigt 
er bei Manatus. 


3) S. Rapp S. 86. 


37 


4) M. sterno-costalis. !) Von dem ersten knorpe- 
ligen Anhängsel des Brustbeines entspringt ein flacher, mit 
Sehnenstreifen durchzogener Muskel, dessen Faseikel schräg 
verlaufen und der die Concavität, welche die erste Rippe 
mit ihrem Knorpel vorn bildet, ausfällt, und sich theils 
längs des Knorpels der ersten Rippe, besonders aber an den 
Theil der knöchernen ersten Rippe, ‘welcher dem Knorpel 
zunächst liegt, befestigt. 

Bedeckt von diesem Muskel liegt der vorderste Theil 
der Portio sternalis des M. transversus sierni et abdominis. 

Auch von der Spitze des zweiten, zwischen der ersten 
und zweiten Rippe gelegenen knorpeligen Anhängsels des 
Brusibeines entspringen einige flache, aber fast ganz sehnige 
Faseikel, welche sich unter dem Brusttheile des M. obli- 
quus abdominis externus schräg zum Knochen der zweiten 
Rippe begeben und an diesen kurz vor seinem Uebergange 
in den Rippenknorpel, einwärts vom Ursprunge des M. ser- 
ratus sich befestigen. 

Diese Muskeln ziehen die erste und zweite Rippe zum 
Brustbein. 

5) Die Musculi intercostales externi 2) sind 
‚starke Muskeln, welche sehnig und fleischig vom hinteren 
Rande einer vorderen Rippe entspringen und sehr schräg 
von innen nach aussen zum vorderen Rande der nächst hin- 
teren Rippe sich erstrecken. Sie sind eigentlich Fortsetzun- 
gen der M. levatores costarum, in ‘die sie fast ohne alle 
Grenze übergehen. 

In der Nähe des Ueberganges der ersten Rippe in ihren 
Knorpel ist der M. intercostalis externus primus sehr stark. 
Er erstreckt sich hier fleischig über den Vorderrand der 
zweiten Rippe weg, um an deren äussere Fläche sich 


4) Von Rapp nicht beschrieben. 
2) S. Rapp S. 56. 


38 


anzusetzen. Auch die M. intercostales externi secundus und 
tertius erstrecken sich in dieser Gegend über die Vorderrän- 
der der ihnen zum Ansatze dienenden Rippen weg bis zu 
deren Aussenfläche. 

6) Die Museculi intercostales interni !) sind etwas 
schwächer als die vorigen und haben eine ihnen enigegen- 
gesetzte Richtung. Sie erstrecken sich vom hinteren Rande 
einer vorderen Rippe schräg von aussen nach innen zum 
vorderen Rande einer hinteren Rippe. Ihre Fascikel kreuzen 
sich also mit denjenigen der Musculi intercostales externi. 

Die M. intercostales interni nehmen aber nicht den gan- 
zen zwischen zwei knöchernen Rippen gelegenen Raum ein, 
indem sie an dem Wirbeltheile der Rippen, vor ihrem Win- 
kel, so lange die Rippen in der Richtung der Querfortsätze 
der Wirbel fortlaufen, fehlen. 

Sowohl die M. intercostales externi, als die interni fin- 
den sich nur in den Zwischenräumen der eigentlich knöcher- 
nen Theile der Rippen, nicht aber zwischen deren Knor- 
peln. 

7) Diese Zwischenräume werden ausgefüllt durch eigene 
Musculi ossium sterno - costalium. 2) Zwischen je 
zwei Rippenknorpeln liegt nämlich ein eigener, ziemlich dik- 
ker, fleischiger Muskel, der am Innenrande des Brustbeines 
und ferner am hinteren Rande jedes Rippenknorpels ent- 
springt und dessen Fascikel von vorn und innen schräg nach 
hinten und aussen gehen. Sie haben also eine Richtung, welche 
derjenigen der Musculi intercostales externi gerade entgegen- 
gesetzt ist. Mit den Fascikeln dieser Muskeln stehen ihre 
Bündel an den Uebergangsstellen der Rippen in ihre Knor- 
pel unter spitzem Winkel zusammen. 

Die Bündel dieser Muskeln haben die nämliche Richtung, 


1) S. Rapp S. 86. 
2) Von Rapp nicht beschrieben. 


3) 


wie die der Muskuli intercostales interni, Sie sind aber viel 
dicker als diese und durch Zwischenräume vollständig von 
ihnen getrennt. 

Dicht unter diesen Zwischenrippenknorpelmuskeln lie- 
gen die Fascikel des Sternaltheiles des M. transversus sterni 
et abdominis. 


14. Von den zwischen den Fortsätzen der Wirbel 
gelegenen Muskeln. 


1) Museuli intertransversarii.!) Zwischen den 
Querfortsätzen der überhaupt mit denselben versehenen 
Schwanzwirbel, der sämmtlichen Lendenwirbel und der hin- 
tern fünf oder sechs Rückenwirbel liegen glänzende Sehnen, 
welche vom hinteren Rande des Processus transversus eines 
vorderen Wirbels zum vorderen Rande des Querfortsatzes 
des nächst hinteren Wirbels sich erstrecken. 

Zwischen den Querfortsätzen der vorderen Rückenwir- 
bel, vom siebenten an, fehlen diese M. intertransversari. 

An den meisten Lendenwirbeln finden sich zwei solche 
Sehnenschichten: eine Rückenschicht und eine Bauchschicht, 
welche deutliche Fleischfasern zwischen sich haben. 
Zwischen dem 10ten und 11ten, dem i1ten und 12ten 
Rückenwirbel, dem 12ten Rückenwirbel und dem ersten Len- 
denwirbel, dem ersten und ?ten und endlich dem 2ten und 
dten Lendenwirbel kommen an der Rückenseite noch Seh- 
nenbündel hinzu, welche vom vorderen Rande des Quer- 
fortsalzes eines hinteren Wirbels schräg nach vorn und 
aussen zum hinteren Rande der Spitze des nächst vorderen 
Processus transversus sich erstrecken und zugleich an das 
äusserste Wirbelende seiner Rippe sich anheften. 

2) Die Musculi interspinales superiores ?) sind 
schwache sehnig-fleischige Bündel, welche in der Längs- 


1) S. Rapp S. 54, 
2) S. Rapp S. 82. 


40 


richtung der Wirbelsäule verlaufend, die Zwischenräume 
zwischen je zwei oberen Dornfortsätzen der Wirbel ausfüllen, 
3) Die Musculi interspinales inferiores 1) sind 


stärker, als die vorigen. Es sind kleine, oberflächlich seh-' 


nige Muskeln, welche in der Längsrichtung der Wirbelsäule 
verlaufend die Zwischenräume zwischen den eigentlichen 
unpaaren unteren Dornfortsätzen ausfüllen. 

Die eigentlichen Processus spinosi inferiores entstehen 
aber durch das Zusammentreten zweier Bogenschenkel. Zwi- 
schen den Bogenschenkeln zweier auf einander folgender 
Schwanzwirbel finden sich ebenfalls fleischige mit Sehnen- 
fasern oberflächlich belegte Muskeln. f 

Endlich erstreckt sich von der Aussenfläche der Basis 
jedes solchen Bogenschenkels ein schräges Sehnenbündel zur 
Spitze des nächst vorderen Processus spinosus inferior. 

4) Die Musculi interaecessorii 2) sind sehnige, 
spärliche Fleischfasern enthaltende kleine Muskeln, welche 
in der Längsrichtung der Wirbelsäule von dem Processus 
accessorius eines Dornfortsatzes zu dem des nächst folgen- 
den sich erstrecken. Sobald die Processus accessorii von 
den Dornfortsätzen auf die Querfortsätze übergehen, werden 
diese Muskeln undeutlich und verschwinden an den vorde- 
ren Rückenwirbeln gänzlich. 


5) Von den Processibus accessoriis ?) der Dorn- 


fortsätze der vorderen Lendenwirbel entspringen kleine, mit 
Sehnenfasern untermengte Muskeln, deren jeder von hinten 
nach vorn schräg abwärts steigt und sich an die Fläche des 
nächst vorderen Wirbelbogens heftet. 

Sobald die Processus accessorii auf die Processus trans- 
versi der Rückenwirbel übergegangen sind, entspringt von 
jedem accessorischen Fortsatze ein ähnlicher kleiner Muskel, 


1) S. Rapp S. 83. 
2) Von Rapp nicht erwähnt. 
3) Von Rapp nicht erwähnt. 


4 


der aber zur Oberfläche des nächst vorderen Processus trans- 
versus sich begiebt. 


n 


‘ 45. Von den Muskeln des Afters und der 
Geschlechtstheile. 


1) Der M. sphincter ani !) liegt zwischen den di- 
vergirenden Bäuchen der Musculi retractores ischii und ist 
ziemlich stark. 2: 

2) Der M. ischio-cavernosus 2) ist ein sehr starker 
Muskel, welcher längs des ganzen Innenrandes des Sitzbei- 
nes fleischig entspringt, etwas schräg vorwärts sich erstreckt 
und seitlich an die Wurzel des Penis sich befestigt. 


1) S. Rapp S. 83. Bei Manatus fand ich einen Sphincter exter- 
nus und internus. . . 

2) S. Rapp S. 170. Ich sah ihn auch bei Manatus. Dieser be- 
sitzt auch noch einen vom Processus spinosus des zweiten Schwanz- 
wirbels entspringenden, an die Basis des Penis tretenden Ppaarigen 
Muskel. 


Transplantation der Hoden. 


Vom 


Prof. BERTHOLD in Göttingen. 


Am 2. August v. J. kapaunte ich sechs junge Hähne, näm- 
lich a, b, c von drei, und d, e, f von zwei Monaten, Bei 
keinem dieser Thiere wurden die Halslappen, der Kamm 
oder die Spornen entfernt. Den Hähnen a und d wurden 
beide Hoden genommen; diese Thiere zeigten später ganz 
die Natur der Kapaunen, benahmen sich feige, liessen sich 
mit andern Hähnen nur selten in einen energielosen kurzen 
Kampf ein, und gaben die bekannte eintönige Kapaunen- 
stimme von sich. Kamm und Halslappen wurden blass und 
entwickelten sich nur wenig fort; der Kopf blieb klein. 
Als diese Thiere am 20. December getödtet. wurden, fand 
sich an der Stelle, wo die Hoden gesessen hatten, eine un- 
bedeutende, kaum wahrnehmbare Narbe. Die Samenleiter 
liessen sich als dünne zarte Fädchen erkennen. 

Die Hähne b und e wurden auf dieselbe Weise castrirt, 
jedoch nur der eine Hoden aus dem Körper entfernt, der 
andere aber blieb isolirt in der Bauchhöhle liegen. Bei den 
Hähnen c und f hingegen wurden beide Hoden aus der Bauch- 
höhle extrahirt und darauf ein Hoden des Hahns c in die 
Bauchhöhle des Hahns f, und ein Hoden des Hahns f in die 
Bauchhöhle des Hahns c, zwischen die Gedärme, geschoben. 


a TEE 


43 


Diese vier Hähne (b, e, c, f) verriethen in ihrem all- 
gemeinen Benehmen die Natur uncastrirter Thiere; sie krä- 
heten ganz gehörig, waren häufig unter einander und mit 
andern jungen Hähnen in Kampf verwickelt, und äusserten 
die gewöhnliche Neigung zu den Hühnern; auch entwickel- 
ten sich ihre Kämme und Halslappen wie bei gewöhnlichen 
Hähnen. 

Der Hahn b wurde am 4. Oktober getödtet; der (eine) 
Hoden war, an der ursprünglichen Stelle wieder angeheilt, 
hatte um mehr als die Hälfte an Umfang zugenommen, war 
mit zahlreichen Blutgefässen versehen, zeigte sehr deutlich 
die Samenkanäle, und lieferte beim Durchschneiden eine 
weissliche, mit grössern und kleinern Zellen versehene Flüs- 
sigkeit, welche aber keine Spermatozoiden erkennen liess. 

Den Hähnen c, e, f wurde an demselben Tage der ziem- 
lich stark entwickelte Kamm nebst den Halslappen abge- 
schnitten, und behufs einer Untersuchung des Hoden die 
Bauchhöhle geöffnet. Beim Hahn e fand ich den Hoden an 
der gewöhnlichen Stelle wie beim getödteten Hahn b; ich 
trennte denselben, zog ihn aus der Bauchhöhle hervor und 
fand ihn ebenso beschaffen wie den des Hahns b. Die 
Bauchwunde war bald wieder geheilt, Kamm und Halslap- 
pen vernarbten, reproducirten sich aber nicht wieder. Statt 
des bisherigen Krähens liess das Thier die bekannten Kapau- 
nentöne erschallen; es kümmerte sich von nun an weder um 
die Hühner, noch liess es sich in Kämpfe mit anderen Hähnen 
ein, hielt sich vielmehr von denselben in einer gemessenen 
Eutfernung und zeigte nun überhaupt die Natur eines wah- 
ren Kapauns, 

Bei den Hähnen c und f befand sich an der. Stelle, wo 
die Hoden zu sitzen pflegen, keine Spur von diesen. Kämme 
und Halslappen regenerirlen sich, die Thiere behielten ihre 
Hahnennatur, kräheten nach wie vor und behielten auch ihr 
bisheriges Verhalten gegen Hühner und andere Hähne, bei. 
Diese beiden Hähne wurden am 30, Januar 1849 getödtet. 


44 


An der Hodenstelle war keine Spur von Hoden anzutreffen; 
dagegen zeigte sich beim Hahn c der Hoden an die vom 
Rücken abgewandte Fläche des Colon angewachsen und von 
beiden Seiten von dem Ende der Blinddärme begrenzt, ohne 
jedoch mit letztern verwachsen zu sein. Beim Hahn f fand 
sich dasselbe Verhältniss, jedoch war 'die Anwachsungsstelle 
etwas mehr nach hinten gegen die Mitte der Blinddärme 
hin. Der Hoden hatte bei beiden Individuen eine ovale 
Form, eine Länge von 15, eine Breite von 8 und eine Dicke 
von 6 Linien. Starke Aeste der Mesenterialgefässe traten 
an denselben, drangen an mehrern Stellen ins Innere des 
Hoden ein, und liessen sich zu den Samenkanälen verfol- 
gen. Als ich die Hoden aufschnitt, ‘quoll eine weissliche 
milchige Flüssigkeit hervor, ‘welche ganz die Beschaffenheit 
und den Geruch eines normalen Hahnensamens hatte. "Unter 
dem Mikroskop erkannte ich in dieser Flüssigkeit sehr zahl- 
reiche kleinere und grössere Zellen von „i,—;t; Linien 
Durchmesser, ausserdem aber zahlreiche Spermatozoiden mit 
den schönsten Flimmerbewegungen, welche unter Beimi- 
schung eines Tropfen Wassers bei weitem lebhafter wurden. 

Aus diesen Versuchen ergeben sich nun für die Phy- 
siologie folgende allgemeine Resultate: 

1) Die Hoden gehören zu den verpflanzbaren Organen; 
dieselben heilen wieder an, nachdem sie aus dem Leibe ent- 
fernt worden sind; sogar lässt sich der Hoden aus dem ei- 
nen Individuum in ein anderes verpflanzen, und die Anhei- 
lung geschieht sowohl an der Stelle, von wo die Hoden 
entfernt worden sind, als auch an einer ganz fremden, na- 
mentlich an den Wänden der Gedärme. 

2) Der verpflanzte Hoden wächst, auch sogar an einer 
ganz andern Stelle, in seiner eigenthümlichen Eigenschaft 
als Samenorgan fort, die Samenkanäle erweitern und ver- 
grössern sich und vollführen ihre normale Function, indem 
sie einen ganz gewöhnlichen, durch Spermatozoiden charak- 


45 


terisirten Samen absondern. Wir finden hier ganz dasselbe 
Verhältniss, wie bei den Pflanzen, wo das Pfropfreis in 
seiner specifischen Eigenschaft auf dem Wildlinge fortwächst, 
und nicht dem Wildlinge, sondern ihm selbst entsprechende 
Früchte bringt. 

3) Es ist eine bekannte Thatsache, dass getrennte Ner- 
ven wieder mit einander verwachsen, und dass in Theilen, 
deren Nerven durchschnitten sind, nach der Heilung Em- 
pfindung und Bewegung wieder zurückkehren. Dass sich 
aber bei solchem Verheilen nicht immer die zusammengehö- 
renden Nervenfasern vereinigen können, geht schon aus der 
Anheilung eines von der einen Körperstelle an eine andere 
verpflanzten Hauttheils hervor. Aus der Anwachsung der 
abgetrennten Hoden an ganz andere Körperstellen, nament- 
lich an den Darm, wobei der Hoden als samenerzeugendes 
Organ sich fortentwickelt und wirklichen Samen bereitet, 
geht aber auch hervor, dass es keine specifischen Samen- 
nerven giebt, und dieses ist ein Hauplargument gegen die 
Annahme bestimmter trophischer Nerven, wofür man bis 
in die neueste Zeit das sympathische Nervensystem gehal- 
ten hat. 

4) Das merkwürdige consensuelle und antagonistische 
Verhältniss zwischen Individual- und Gattungsleben, wie es 
sich besunders zur Pubertätszeit einstellt und bis zum vor- 
gerücktern Alter fortdauert, fehlt auch alsdann nicht, wenn 
die Hoden von ihrer ursprünglichen Stelle und von ihren 
Nerven entfernt worden, und an eine ganz andere Körper- 
stelle angeheilt sind. In Ansehung der Stimme, des Fort- 
pflanzungstriebes, der Kampflust, des Wachsthums der Käm- 
me und der Halslappen bleiben solche Thiere wirkliche 
Hähne. Da nun aber an fremde Stellen transplantirte Ho- 
den mit ihren ursprünglichen Nerven nicht mehr in Ver- 
bindung stehen können, und da es, wie aus dem dritten 
Satze einleuchtet, keine specifischen, der Secretion vor- 


46 


stehenden Nerven giebt, so folgt, dass der fragliche Con- 
sensus durch das productive Verhältniss der Hoden, d.h. 
durch deren Einwirkung auf das Blut, und dann durch ent- 
sprechende Einwirkung des Blutes auf den allgemeinen Or- 
ganismus überhaupt, wovon allerdings das Nervensystem 
einen sehr wesentlichen Theil ausmacht, bedingt wird. 


Fehlt den Wespen- und Hornissenlarven ein 
After oder nicht? 


Abermalige Untersuchungen 


von 


Dr. Ep. Gruße. 


(Hierzu Taf. I.) 


Dass der Darmkanal der Wespen- und Hornissenlarven von 
dem Typus der übrigen Insektenlarven auffallend abweiche, 
ist eine Thatsache, welche alle Zootomen entweder durch 
eigene Untersuchungen erkannt oder doch nach dem Vor- 
gange tüchtiger Gewährsmänner angenommen haben. Die 
neuesten Handbücher der vergleichenden Anatomie fügen als 
durchaus in dieselbe Kategorie gehörig die Bienen- und Jch- 
neumonenlarven hinzu, stellen auch wohl in Aussicht, dass 
noch andere Insekten in ihren ersten Zuständen dieselbe 
Bildung der Verdauungsorgane zeigen würden, und wenn 
man zusammenfasst, worin sich das Eigenthümliche ausspre- 
chen soll, so ist es die grosse Zahl der Häute in der Ma- 
genwandung und das Fehlen des Alters, nach einigen sogar 
des ganzen Darms. Diese auffallende Ausnahme von einem 
für die Insekten allgemein gültigen Gesetz latte mich zu 
einer wiederholten Untersuchung dieses Gegenstandes ver- 
anlasst, und ihre Ergebnisse sind der Art, dass im Wesent- 
lichen der Widerspruch ausgeglichen und die vermeinte Ab- 
weichung in das Gesetz zurückgeführt wird. Indem ich es 


48 


für nützlich und nothwendig erachtete, die Literatur über 
diesen Gegenstand genauer zu durchmustern, zeigte sich auch 
hiebei, wie es oft zu geschehen pflegt, dass im Verlauf der 
Zeit gewisse Darstellungen vergessen und entweder ganz in 
den Hintergrund getreten oder doch verwischt und nicht 
genau genug wiedergegeben waren; ich werde dalier zuerst 
darlegen, dass die Beobachter keinesweges über diese Ver- 
hältnisse so einig waren, als es die neueren Handbücher 
anzunehmen scheinen und ich selber geglaubt hatte. 
Diejenige Darstellung, welche Burmeister, J. Fr. 
Meckel, R. Wagner, v. Siebold und mit einigem Be- 
denken auch Frey und Leuckart geben, stimmt mit den 
Untersuchungen von Suckow überein '), dessen Abbildung 
sich auf die Hornissenlarve bezieht, und durchaus keinen 
Darm, sondern nur einen kurzen Oesophagus und einen 
weıten, längs- und quergestreiften, in seinem Pylorustheil 
glattwandigen Magen zeigt, in dessen blindes Ende die vier 
Gallengefässe münden. Diese Abbildung, welche auch Bur- 
meister in seinem Handbuch der Entomologie copirt hat 2), 
ist wiederum nur darin von Ramdohr’s älterer Darstellung 
der Wespenlarve verschieden, dass dieser die Anwesenheit 
einer Speiseröhre leugnet und fünf Gallengefässe zeichnet, 
obwohl er im Text auf die — jedenfalls unrichtige — Zahl 
derselben kein Gewicht legt ®). Alle genannten Naturfor- 
scher theilen die Ansicht, dass Wespen- und Bienenlarven 
in Bezug auf die Verdauungsorgane sich gleich verhalten. 
Swammerdam, nur von Duvernoy ins Gedächtniss 
zurückgerufen, setzte zunächst den Bau des Bienenwurms 
auseinander %); nach ihm folgt auf den SErSUrHTBeR Magen 


4) Heusinger's Zeitschrift für die organische Physik. Bd. II. 
p. 33. Tab. VI. Fig. 130. 

2) Bd. I. p. 139. Tab. IX. Fig. 9. 

3) Ueber die Verdauungswerkzenge der Insekten, p. 133, 138. 
Tab. XII. Fig. 1. a 

4) Bibel der Natur, pag. 166. Tab. XXIV. Fig. 6. 


49 


ein etwa halb so langer dünner, nach aussen mündender 
Darm, in dessen Anfang sich 2 Paar „blinde Gedärme*‘ 
(Gallgefässe Sucko w’s) einsenken, seines Bedünkens ‚‚von 
den Safrangefässen unterschieden, die Malpighi an den 
Seidenwürmern beschrieben.** Eine besondere Anatomie der 
Wespen- oder Hornissenlarve hat Swammerdam nicht 
geliefert, da er jedoch in seine Zergliederung des Bienen- 
wurms Einzelnes aus der Untersuchung jener Thiere als et- 
was Analoges einflicht, und eines durch das andere erläu« 
tert, so muss man wohl voraussetzen, dass er bei den We. 
spen im Wesentlichen zu demselben Resultate gelangt sei, 
nach seiner Ansicht also auch bei ihnen ein kurzer Darm 
existire. So hat auch Cuvier die Sache gefasst, ohne je- 
doch näher darauf einzugehen 1), während Duvernoy den 
Bau der Bienen, und der Wespenmade unterscheidet 2), bei 
jener Swammerdam, bei dieser Ramdohr folgt, und letz- 
ierer also Darm und After abspricht. In dieser Beziehung 
steht Duvernoy vereinzelt da und den Andern gegenüber. 
Eine vierte und, wie es scheint, beinahe ganz vergessene 
Ansicht ist endlich die von Dutrochet ®): er fand sowohl 
bei der Bienen- als Wespenlarve ausser dem Magen einen 
kurzen Darm, diesen aber ohne Ausgang und die innere 
Magenhaut nicht in den Darm fortgesetzt, sondern blind ge- 
endigt, wovon Swammerdam nichts andeute. Auch 
Carus *) leugnet, wenigstens bei der Bienenlarve, einen 
Uebergang von Magen in Darm, die Wespenlarve hat er 
nicht berücksichtigt. 

Meine eignen Untersuchungen begannen mit den Larven 


1) Legons d’Anatomie compar&e. Seconde &dit. Tom. V. p. 309, 
wiederholt von delle Chiaje Istituzioni di anatomia e fisiologia com- 
parativa, I. p. 234. 

2) Cuvier Legons |, c. 

3) Deutsches Archiv für Physiologie, Bd. IV. p. 288. Tab. II. 
Fig. 13. 15, aus Journal de physique, Tom. 86. p. 130. 

4) Lehrbuch der vergleichenden Zootomie, 2. Aufl. Th. II. p, 450. 

Müllers Archiv, 1619. A 


50 


der Hornissen und Wespen, die ich in Königsberg reichlich 
erhalten konnte, wurden aber in Dorpat, wo die ersteren 
ungleich seltener vorzukommen scheinen, nur an den letzie- 
ren, ihrer Kleinheit wegen schwieriger zu zergliedernden, 
sonst aber wesentlich mit jenen übereinstimmenden: fortge- 
setzt, und führten mich zu dem Resultat, dass allerdings 
ein gerader, am Hinterende frei mündender Nah- 
rungskanal vorhanden ist, dass aber nur die Mus- 
kelhaut desselben ein fortlaufendesRohr bildet, die 
innern Häute des Magens blind endigen, die innere 
Haut des Darms dagegen blind anfängt, dass end- 
lich der Darm nur das Sekret der Malpighi’schen Ge- 
fässe aufnimmt, diese also nichts zur Verdauung 
beitragen können, vielmehr, wie sich auch aus der 
Prüfung ihres Inhalts ergiebt, als Harngefässe zu 
betrachten sind. An diese Untersuchungen werde ich ei- 
nige Bemerkungen über die Verwandlung jener Larven und 
die damit verbundenen Veränderungen des verdauenden Ka- 
nals anreihen, und schliesslich auf den Darmkanal der Bie- 
nenlarven und einiger anderer Hymenopteren übergehen, die 
ich minder ausführlich untersucht habe. 

Die Larve der Hornisse und Wespe !) ist eine weisse, 
dicke, vorn weniger als hinten verjüngt zulaufende Made 
mit plattem Bauch und gewölbtem Rücken und gelblichem 
glänzenden Kopf. Dieser trägt nur die Fresswerkzeuge 2), 
zwei kräftige Mandibeln, von der Gestalt ziemlich breiter, 
amı Ende dünnerer, schräg abgestutzter und fein gezähnelter 
‚Zangenarme, eine etwas undeutliche, zuweilen am Rande 
stumpf und ungleich gezähnelte Oberlippe und einen gleich- 
sam nur im Entwurf angedeuteten unteren queren Theil mit 
2 schmalen, eben so kurzen und ungegliederten Seitenthei- 
len, die man als Unterlippe und Maxillenrudimente betrach- 


ten muss; jeder der drei letzteren ist mit 2 winzigen papil- 


1) Fig. 1. 
2) Fig. 2. 


51 


lenartigen braunen Erhöhungen versehen, welche an der 
Unterlippe weit auseinander, an den Seitentheilen dicht zu- 
sammenstehen, nirgends aber den Rand selbst einnehmen. 
Auf der wulstigen weichen Innenfläche der Unterlippe be- 
merkt man eine feine Oeflnung, die Mündung der Spinnge- 
fässe, auf der Stirn rechts und links einen weissen runden 
Fleck und nach aussen davon einen braunen bis zum Schei- 
tel laufenden Strich; jener bezeichnet die Stelle, wo sich 
die Fühler, dieser, wo sich die Augen des vollkommenen 
Insekts bilden. 

Auf den Kopf, den einzigen Körpertheil mit hornig-har- 
ter Bedeckung, folgen 13 Segmente, von denen die vorder- 
sten drei, die Thoraxsegmente, viel kürzer als die andern, 
an erwachsenern Larven unten ein Paar weisser Flecke, die 
durchschimmernden Linien der Beine sehen lassen. Am 
6ten, Tien und dten Segment, den breitesten, erhebt sich 
die Seitenwand unterhalb der Reihe der Stigmata wulstartig 
in Gestalt eines niedrigen abgerundeten Kegels !), das letzte 
nur dünne Segment läuft in 2 parallel neben einander lie- 
gende stumpfe Zäpfchen aus, welche auf der Bauchfläche 
ein unpaariges Läppchen zwischen sichnehmen; vor diesem 
bemerkt man eine unscheinbare Querrinne 2), deren vordere 
Lippe mitten etwas eingekerbt ist, und diese zuweilen grün- 
lich oder gelblich gefärbte Vertiefung, in welche mau leicht 
eine feine Nadel einführen kann, ist der After. Nicht selten 
ist die Bauchwand der nächst vorhergehenden Segmente 50 
durchscheinend, dass man den gleichgefärbten Inhalt des Be- 
hälters wahrnimmt, in den die Harngefässe münden und der 
durch den After entleert wird; auch habe ich einmal das 
Hervortreten jenes Inhalts gesehen. An der Bauchseite des 
12teu Segments endlich schimmert durch die Haut ein paar 
hakig gekrümmter weisser Plättchen durch, die Anfänge der 
äusseren Genitalien. Man zählt 10 paar Stigmata; sie lie- 


1) Fig. 1. (6. 7. 5.) 
2) Fig. 1. u 
4 * 


52 


gen auf der Grenze der Segmente, das erste zwischen dem 
1sten und :?ten, das letzte zwischen dem 10ten und 1ften 
Leibessegment, und sind so gebaut, dass von ihrer hellgel- 
ben ringförmigen Einfassung eine Menge (bis 24) winziger, 
am freien Ende mindestens gabeliger oder mehrästiger Stäb- 
chen ‘gegen die Mitte vorspringen, und so den Eintritt fremd- 
artiger Körper in die Luftwege verhindern. Die Körper- 
wandung ist in der Mitte des Rückens und Bauches, wo 
kein Fett unterliegt, und bei der Zartheit der Muskelschicht 
durchsichtig genug, um sehr deutlich das Rückengeläss und 
den Nervenstrang erkennen zu lassen, und die Haut, ausser 
am Kopf, überall wie eine Raspel dicht mit mikroskopisch 
kleinen Spitzchen bedeckt, welche, da die Zellen der Wes- 
pennester mit der Mündung nach abwärts zu liegen pflegen, 
offenbar zum leichteren Festhalten der Made in ihrer Zelle 
dienen, besonders müssen jene seillichen Wülste der mittle- 
ren Segmente hierzu bestimmt sein. Die Länge der ausge- 
wachsenen Wespenlarve beträgt etwa 714 Linie, die der 
Hornissenlarve, welche ganz ähnlich gebaut, aber auch noch 
am Sten und 9ten Segment mit einem Randwulst versehen 
ist, bis 1 Zoll 1 Linie. Wenn man die Rückenhaut auf- 
schneidet, stösst man zuerst auf die Muskelwandung des 
Leibes, welche aus Quer- und Längsmuskeln gewebt ist; 
doch haben letztere das Uebergewicht 1). In der Mitte 
weicht die Muskellage, der immer auch ein Theil des Fett- 
körpers anhaftet, auseinander, um hier dem Rückengefäss 
und dessen zarten Flügelmuskeln Platz zu machen. Hat man 
diese ganze Lage aufgehoben, so sieht man eine zweite, 
ebenfalls in zwei seitliche Hälften auseinander yweichende 
Decke, welche sich durch die ganze Länge des Leibes er- 
streckt und aus einem eng verbundenen Gewebe von ge- 
wundenen Kanälen, Fettkörper und Tracheen besteht 2). 


53 


Bei genauerer Betrachtung unterscheidet man sogleich zweier: 
lei Kanäle: die einen fallen, durch ihren gelblichen, wie grü- 
melich aussehenden Inhalt, und weil sie sich mehr absetzen, 
leichter ins Auge, und sind. die Harngefässe (Ramdohr's 
und Suckow’s Gallgefässe) 1), die andern, Liefer ins Felt 
eingebetteten und immer nur auf kurze Strecken frei zu Tage 
liegenden, ganz blassen, fast farblosen, die Spinngefässe ?); 
jene begeben sich nach dem Hinter-, diese nach dem Vor- 
derende des Körpers. In der Mitte des Rückens auf der 
Grenze dieser Lagen und dicht an einander. befinden sich 
die noch nicht mit Ausführungsgängen versehenen Genita- 
lien 3). Nachdem man die eben beschriebene, von den seit- 
lich hereintretenden Tracheen durchsetzte Fettlage mit ihren 
Blindkanälen entfernt hat, liegt ein blassrother, beinahe den 
ganzen übrigen Raum einnehmender, ovaler oder stellenweise 
zusammengezogener Sack vor, der Magen, an dem man so- 
’ gleich eine weissliche durchscheinende Hülle *) und einen ganz 
gefüllten Innenbehälter mit straffer, dunkelrother, etwas glän- 
zender Wandung unterscheidet 5). Der Magen geht vorn in 
einen ganz kurzen ziemlich starken Oesophagus °), hinten 
durch eine Einschnürung in einen ebenfalls kurzen, mit einer 
gelblichen Flüssigkeit gefüllten, blasenartig aufgeblähten Darm 
über ?), der zuweilen jedoch so sehr von der hintern Partie 
des Magens überdeckt oder gegen die Leibeswand gedrückt 
ist, dass man ihn anfangs übersieht. Unterhalb des ver- 
dauenden Kanals wiederholt sich die Lage von Feltkörper 
und Blindkanälen und die Muskellage; auch hier weichen 
jene längs der Mittellinie auseinander, um den schon äusser+ 
1) Fig. 5.6. u. 

2) Fig. 5. n. 

3) Fig. 5. g. 

4) Fig. 5. vo. 

5) Fig. 5. v.. 

6) Fig. 3. 0. 

7) Fig. 5.6. i. 


54 


lich durchschimmernden Nervenstrang 1) zwischen sich zu 
nehmen; dieser besteht, den Mundring mit seinen Ganglien 
abgerechnet, . der Zahl der Stigmata entsprechend aus 10 
Paar Ganglien, deren letztes die vorhergehenden an Grösse 
übertreffend auch im 10ten Leibessegment liegt. 

Die Muskelhaut des verdauenden Canals 2) ist wie über- 
all ein ununterbrochen fortlaufendes Rohr, allein sie haftet 
weder am Oesophagus noch am Magen, noch auch am Darm 
der Innenlagen so fest als sonst gewöhnlich an; besonders 
auffallend ist dies am Magen, dessen inneren Sack sie zu- 
weilen so locker umgiebt, dass man sie beim Wegnehmen 
des Rückengefässes oder der seitlichen Fettlagen sogleich 
verletzt und mit dieser abhebt. Innen an der Muskelhaut 
haftet eine Schicht von platten meist lose aneinander liegen- 
den Zellen ®), welche man nur in kleinen Lappen zusam- 


menhängend ablösen kann (Zellenschicht, Membrana cellu- _ 


losa), und darauf folgen die eigentlichen Innen- oder Epithe- 
liumlagen, welche bei den Hornissen- und Wespenmaden 
aus mehreren Blättern bestehen, und wegen des dunkelro- 
then Mageninhalts als ein ebenso gefärbter Sack erscheinen. 
Wurde das Wasser, unter dem ich präparirte, durch einen 
Zufall heftig bewegt, so schälte sich nicht selten dieser Sack 
aus der verletzten Muskelhaut vollkommen heraus, und 
schwamm, indem der Oesophagustheil vorn abriss, davon. 
Was die Muskelhaut anlangt, so scheint sie bei schwacher 
Vergrösserung nur aus Ringmuskeln ?2) zu bestehen, zwi- 
schen denen sich die Tracheen verzweigen; bei stärkerer 
treten auch die Längsmuskeln 5) hervor, die aber freilich 


1) Fig. 1. 
2) Fig. 6. vn. 
3) Fig. 4, a, c. 
4) Fig. A a. tr 
5) Fig. I 


55 


etwa nur halb so dünn als jene sind, und viel weiter aus« 
einander liegen, so dass die Lücken zwischen beiden Rect- 
angel von elwa halb so grosser Höhe als Breite bilden, Das 
umgekehrte Verhältniss findet in der Muskelwand des Leibes 
statt. In beiderlei Wänden erscheinen die Muskeln dicht 
quergestreift und zerfallen in mehrere Bündel; aber die Ring- 
muskeln der Magenhaut haben nur eine Dicke von 0,0006 Zoll, 
die Längsmuskeln der Körperwand dagegen 0,0013 Zoll. 
Die Membran, welche jene Lücken ausfüllt, den Muskeln 
nach innen anhaftet, und mit ihnen die Muskelhaut zusam- 
mensetzt, ist vollkommen durchsichtig und strukturlos. Die 
Zellenschicht besteht aus sehr bestimmt begrenzten, länglich- 
oyalen und, wo sie einander anliegen, polygonalen Blält- 
chen, mit einem helleren runden Fleck, welche bis 0,1 Linie 
im Durchmesser halten und als Zellen mit Kernen zu be- 
trachten sind. Suckow !) hat diese Schicht nicht über- 
"sehen, deutet sie aber als durchgesch witzter Chylus, der nach 
dem Ableben des Thieres erstarre. Ueberhaupt darf man 
auf seine dem damaligen Standpunkt der Wissenschaft an- 
gemessene Darstellung der Magenhäute nicht zu viel Gewicht 
legen. Nach ihm giebt es im Ganzen 5 Häute in der Ma- 
genwandung, in denen allen er Muskeln sieht: „‚die äussere 
(Fig. 131. a) sehr muskulös, ist weit, nimmt an ihrem Ende 
die Gallgefässe auf, und lässt sich einige Zeit in Weingeist 
liegend abermals theilen; beide dicht auf einander gelagert, 
aus starken Kreisfasern zusammengesetzt, werden von schmä- 
leren oder breiteren, mehr oder weniger von einander ge- 
trennten, öfters anastomosirenden Muskelfäden überzogen, 
denen sich noch die darüber herlaufenden Luftgefässe beige- 
sellen. Sämmtliche Fäden von weisser Farbe geben dieser 
Haut unter einem Vergrösserungsglase betrachtet das Ansehn 
von Mousslin. Unter den zwei ersten Häuten folgt eine 


1) Heusinger's Zeitschrift a. a. O. Tab. VI. Fig. 131. 


56 


dritte (e) ebenfalls muskulöse Membran, zwischen‘ denen 
eine Menge aus den innern Magenhäuten durchgeschwitzter 
Chiylus (b) enthalten ist, der nach dem Ableben des Thieres 
erstarrt, Er theilt sich während des Zergliederns der Ma- 
senwände in zusammenhängende Stückchen, so dass er zu- 
letzt völlig geadert durehschimmert. Die vierle Haut (d) 
dick, schwammig, wird hier und da von einzelnen schwa- 
chen Muskelstreifen durchzogen, welche bald in die Länge; 
bald in die Quere treten. Die fünfte oder innerste (e) liegt 
dicht an der vorhergehenden, ist sehr zart und zeigt biswei- 
len auch noch einzelne Muskelfäden, welche gleich schwa- 
chen Strieben auch diese Membran noch durchstreifen. 
Sie umgiebt die Alimente unmittelbar. Die Verbindung 
sämmtlicher Häute verhält sich auf folgende Weise: Die zwei 
innern und zwei äusseren am dichtesten zusammengefügt, 
umgeben die drilte nur locker, am weitesten sind aber die 
beiden äusseren Muskelhäute von der dritten entfernt.“ Da 
nun Suckow’s ersie und zweite Haut unserer Muskelhaut 
entspricht, und er die Zellenschicht (Chyluslage) nicht als 
besondere Haut aufzählt, - so bilden seine drei innern Häute 
den mit rotem Inhalt ‘gefüllten inneren Magensack, Swam- 
merdam’s „‚inwendigen Rock,‘ d. h. das Epithelium, Aber 
schon Ramdohr!) zählte 4 Membranen ausser unserer Mus- 
kelhaut und der Zellenschicht, und man kann sich oftmals 
schon durch die blosse Betrachtung des Vorder- und Hinter- 
endes, wo die Blätter des Epitheliums weiter von einander 
abstehen, deutlich überzeugen, dass ihrer 5 ja bisweilen 6 
und 7 vorhanden sind, so dass sie ein ganzes System von 
eingeschachtelten hinten geschlossenen Säcken bilden 2). Zu 
demjenigen, der unmittelbar die Speise umgiebt, tritt die 
Röhre des Oesophagus, an welche sich dıe Vorderenden 


1) A. a. 0. Tab. XII Fig. 2. D. E. 
2) Fig. 3. 


57 


der anderen anlegen, indem ihre Wandung von aussen nach 
hinten und innen umbiegt 1). Einige dieser Membranen zei- 
gen, am deutlichsten natürlich bei frisch getödteten Thieren, 
aber auch noch bei länger in Weingeist aufbewahrten, ein 
gewisses Muster; da jedoch die Zahl derselben nicht constant 
ist, so kann man sie auch nicht gut ‚der Zahl nach bezeich- 
nen, auch pflegen einige bei weitem zarter als andere zu 
sein, sie schieben sich zwischen diese wie etwa ein Seiden- 
papier zwischen Kupferstiche und können nur bei genauerer 
Untersuchung erkannt werden. Bei allen ist das Gewebe 
gleich strukturlos. Die innerste zeigle mir jedesmal hohe, 
um mehr als das Doppelte ihrer Höhe auseinander liegende, 
in die Höhlung des Sackes hineinragende Längsfalten 2), 
‘welche sich wie breite Binden ausnehmen, mit einer Nadel 
aber deutlich hin- und herbewegen lassen. Hat man den 
aus den Epitheliumblättern gebildeten Sack der Länge nach 
auf- und eine Zone herausgeschnitten, und diese auf einem 
Glastäfelchen ausgebreitet, ohne die Blätter zu trennen, so 
erscheinen die Zwischenräume zwischen den eben beschrie- 
benen Längsfalten quarrirt 3), und zwar bei frischen Exem- 
plaren roth quarrirt, eine Zeichnung, die schon Swam- 
merdam aufgefallen war, merkwürdiger Weise jedoch we- 
der von Ramdohr noch von Suckow oder Dutrochet 
‚besonders erwähnt wird. Diese auffallende Zeichnung ge- 
hört keinem der inneren Epitheliumblätter, sondern nur den 
äusseren an, gewöhnlich, wie es scheint zweien, demjeni- 
gen, welches zunächst an die Zellenschicht ?) grenzt und 
‚dem nächstfolgenden, und rührt davon her, dass sich an 
denselben zarte, einander rechtwinklig durchkreuzende, mit 


1) Fig. 3. o. 
2) Fig. 4, b. pl. 
3) Fig. 4, b. 
4) Fig. A, a. c. 


58 


einem rothen Inhalt gefüllte Kanäle befinden. Man könnte 
glauben, dass man nur quarrirt- gefaltete Membranen vor 
sich habe, deren Falten der rothe Farbestoff anhatce, allein 
ich habe mich sowohl bei Vespa crabro als vulgaris davon 
überzeugt, dass es geschlossene Kanäle sind. Da sich näm- 
lich das rothe Pigment theils in Körnchen oder fettartigen 
Bläschen, theils flüssig zeigt, so müsste es, wenn man die 
betreffenden Membranen isolirt, aus den Falten herausflies- 
sen: dies ist aber nicht der Fall; diese Kanäle sind ferner 
an verschiedenen Stellen ungleich angeschwollen 1), wie 
etwa die Gefässe der Anneliden, ein Ansehen, welches Fal- 
ten nicht zu besitzen pflegen, auch sehe ich überall nur 
2% Contouren, während bei einer Faltung doch leicht, die 
Zahl derselben variiren könnte; endlich erinnere ich mich 
bei Vespa crabro ein paar mal diese Kanäle auf kurze Strek- 
ken von ihrer Membran abgetrennt zu haben, ohne sie sicht- 
lich zu zerreissen. Die Vierecke sind meistens Quadrale 
und von gleicher Grösse, ihr Inneres ist bei der Hornissen- 
made wiederum durch anastomosivende Nebenzywyeige) der 
Hauptstämme und zwar polygonal gefeldert 2), bei der Wes- 
penmade habe ich nur schwache Andeutungen davon bemerkt. 
Zwischen die äusserste dieser Membranen und die Zellen- 
schicht schiebt sich bisweilen noch eine von jenen überaus 
zarten oben erwähnten schleierarligen. Indem nun die Ka- 
näle der Innenseite ihrer Membranen anhaften und sich also 
über deren Ebene erheben, müssen die nach innen folgenden _ 
Lagen Vertiefungen oder Falten bilden, welche sich in Qua- 
draten schneiden, und die Abdrücke jener Falten darstellen; 
doch nimmt jedenfalls die innerste, den Mageninhalt selbst 
umschliessende Membran keinen Theil daran. Da, wie wir 
später sehen werden, die rolhe Färbung desselben von den 


1) Fig. 4, c. 
2) Fig. 9. 


59 


von aussen in den Magen aufgenommenen Stoffen herrührt, 
so wird man die eben beschriebenen Gefässe als aufsaugende 
betrachten müssen, und wohl als diejenigen die zur Ver- 
mehrung des Fettkörpers beitragen. Tritt Fäulniss ein, so 
verwandelt sich die rothe Farbe ihres Inhalts in eine bräun- 
lich-gelbe oder grünliche, und nach längerer Aufbewahrung 
in Weingeist verschwindet sie fast gänzlich; hat man aber 
den Magen einer frisch getödteten Made vor sich, so nimmt 
sich in der That dieses quarrirte Muster prächtig aus, nur 
am Grunde der Säcke häuft sich das Pigment so sehr an, 
dass die Zeichnung undeutlich wird). Ich darf endlich 
nicht unerwähnt lassen, dass ich ein paar Mal ausser diesen 
rothen Gefässen zwischen den betreffenden Membranen von 
Vespa erabro freie am Magenende sitzende braune geschlän- 
gelte Fäden bemerkt habe, welche ebenfalls wie Canälchen 
aussahen, und gewissermaassen ein Bündel zusammensetzten. 
Ueber ihre Bedeutung habe ich nichts ermittelt. 

Den Inhalt des Magens fand ich sowohl bei den Wes- 
pen- als Hornissenmaden beständig roth, fast von der Farbe 
des Kirschsaftes; es ist eine grümelige Masse, in der eine 
Menge Rudimente von Insekten, namentlich feste hornige 
Theilchen ihrer Haut, Härchen und kleine Bruchstücke sehr 
dünner und durchsichtiger netzarlig-gezeichneter Blättchen, 
denen häufig etwas rothes Pigment anhaftete, enthalten sind. 
Ich nehme letztere für die facettirte Haut von Insectenaugen, 
und da alle Beobachter darin übereinstimmen, dass die Wes- 
pen eine Menge Insekten rauben und in ihre Nester tragen, 
so ist mir’s nicht unwahrscheinlich, dass diese einen wesent- 
lichen Theil der Nahrung ausmachen und eben das Pigment 
ihrer Augen der rothe Stoff der Magencontenta ist. Ausser 
diesen thierischen Ueberbleibseln findet man darin zahlreiche 
theils ovale, theils kreisrunde Körperchen von mikroskopi- 
scher Kleinheit, welche nach meines Kollegen Bunge Un- 


1) Fig. 7. f. 


60 


tersuchung- nichts anderes als Pollen sind. Die ovalen er- 
weisen sich bei genauerer Betrachtung abgerundet-dreikantig, 
sehen immer gelb aus, und messen höchstens 0,018 Linie; 
die kreisrunden, kugligen, an denen man einen granulirten 
(ebenfalls kugligen) Innenkörper und eine durchsichtige ihn 
umgebende Zone unterscheiden kann, 0,009 Linie; einige 
waren ganz gelb gefärbt, bei andern der Innenkörper gelb, 
die Zone röthlich, Aller Wahrscheinlichkeit nach befanden 
sie sich in dem verdauenden Kanal der geraubten Insekten, 
und gelangten so in den Magen der Wespenlarven, die da- 
mit gefüttert wurden. Uebrigens können diese Thiere nach 
meinen Erfahrungen mehrere Tage fasten, ohne zu verder- 
ben; die Hornissenmaden pflegten dann mit ihren Mandibeln 
an den Wänden ihrer Zelle herabzufahren, was. einen schar- 
fen kratzenden Ton gab; längere Zeit fütterte ich sie erfolg- 
reich mit Birnen, die Wespenlarven mit den Körpern ihrer 
bereits eingesponnenen Geschwister. Bei ganz jungen noch 
halb-durchsichtigen Hornissenmaden habe ich die von hin- 
ten nach vorn fortschreitenden Contractionen des Magens 
beobachtet: der Magen war hier im Verhältniss zum Körper 
kleiner, der Oesophagüs im Verhältuiss zum Magen länger 
und dicker und, wie er, nicht mit rother sondern mit grauer 
Masse gefüllt, in der man ebenfalls hornige Theile und Här- 
chen von Insekten nachweisen konnte; doch sah ich nur 
1 Epitheliumblatt, und dieses am Hinterende des Magens, 
von dessen Muskelhaut etwas abstehend, besonders wenn 
man ein wenig comprimirle. Von dem Oesophagus der er- 
wachsenen Maden ist noch zu bemerken, dass das Rohr sei- 
nes innersten Epitheliumblattes eine gelbliche Färbung, sehr 
dichte Längsstreifung und eine gewisse Starrheit zeigt, welche 
ich an dem entsprechenden des Magens vermisse. 

Ich habe nicht Anstand genommen, den auf den Magen 
folgenden ovalen, beinahe kugligen Behälter 1) den Darm 


1) Fig. 5. 8. i. 


61 


zu nennen, obschon er während des Larvenlebens nicht alle 
Verrichtungen eines Darms übernimmt. Allein dieselbe Mus- 
kelhaut, die den Magen überzieht, setzt sich auch über ihn 
fort, er zeigt ebenso eine der Muskelhaut anhaftende Zel- 
lenschicht und ein, wenn gleich nicht aus mehreren Blättern 
bestehendes, Epithelium; der Sack, welchen dies Epithelium 
bildet, mündet hinten durch dieselbe Oeflnung, die im voll- 
kommenen Insekt den After darstellt, und dieser Sack nimmt, 
wie der Darm des vollkommenen Insekts an seinem Anfang 
die Malpighischen Gefässe auf; der einzige Unterschied be- 
steht darin, dass er nur ihren Inhalt aufnimmt, nicht aber 
die Contenta des Magens fortleitet, weil er vorn, wie der 
Epithelialsack des Magens hinten, geschlossen ist und zwi- 
schen beiden durchaus keine directe Communication statt- 
findet. Schält man aber den Epithelialsack des Magens aus 
seiner Muskelhülle heraus (wie in Fig. 6. dargestellt ist), 
so fällt die verengle Stelle, durch welche sich diese (und 
auch die ihr innen anliegende Zellenschicht) in die entspre- 
chende des Darms fortsetzt, sogleich in’s Auge; die Umbie- 
gung des Darmepitheliums in die äussere Körperhaut an der 
Afteröffnung lässt sich ebenfalls leicht" nachweisen (Fig. 6. a.). 
An jener verengten Stelle münden die 4 Blindkanäle, welche 
Swammerdam die 4 blinden Gedärme, Ramdohr, Suk- 
kow, Carus, Cuvier und Dutrochet Gallgefässe, die 
übrigen Beschreiber Harngefässe nennen (Fig. 5, 6, u.). Sie 
liegen unmittelbar dem Magen an, eingebettet in die ihn 
zunächst umgebende Feltlage, von der sie sich jedoch viel 
leichter trennen lassen als die Spinngefässe, und laufen in 
einer Schlangenlinie mit nicht zu engen Windungen bis zum 
vordersten Theil desselben, wo sie scharf einwärts umzu- 
biegen und dann obne merkliche Verdickung zu enden pifle- 
gen. Die beiden Canäle jeder Seite, von denen immer der 
eine an der Ober-, der andere an der Unterfläche des Ma- 
gens liegt, verbinden sich bei den Hornissen kurz vor der 
Mündungsstelle zu einem gemeinsamen Ausführungsgange, 


62 


bei den Wespen münden sie gesondert, aber dicht neben 
einander. Ihre Farbe ist von dem flüssigen durchscheinen- 
den Inhalt gelblich, zuweilen mit einem starken Stich in's 
Grüne, die Innenwand mit ziemlich dunkeln oft abgelösten 
Zellen bedeckt und in der Flüssigkeit nicht selten eine Menge 
mikroskopischer Crystalle von der Form regulärer Oktaeder 
vorhanden. Da dieselben nach der Untersuchung des Dr. 
€. Schmidt oxalsaurer Kalk sind, eine Substanz, die so 
häufig im Harn der Wirbelthiere gefunden wird, sich ausser- 
dem auch zuweilen eine Spur von Harnsäure zeigte und je- 
denfalls ‘das Secret dieser Canäle nur aus dem Körper ge- 
schafft wird, ohne mit den Contentis des Magens in Berüh- 
rung zu treten, so sind wir in diesem Falle gewiss berech- 
tigt, jene Canäle als Harnorgane zu betrachten und somit 
anzunehmen, dass der Darm während des Larvenlebens der 
Wespen und Hornissen nur als Harnblase fungirt. 1) Sucht 
man abgesehen von der späteren Verwandlung und der durch 
sie herbeigeführten offenen Verbindung von Magenhöhlung 
und innerem Darmrohr nach einem analogen Fall in der 
Thierreihe, so könnte man zunächst an die Trematoden den- 
ken, bei denen ebenfalls der verdauende Canal blind endigt, 
und besondere Gefässe die flüssigen Exereta des Körpers 
hinausführen. Auffallend war mir, dass bei Wespenmaden, 
welche längere Zeit gehungert hatten, sich zuweilen Con- 
cremente von oxalsaurem Kalk im Fetikörper bemerkbar 
machlen, während derselbe in den Harngefässen fehlte. Dass 
diese verhältnissmässig langen und dicken Canäle sowohl 
durch ihre Zahl als Beschaffenheit gar sehr von denen 'ab- 
weichen, welche im ausgebildeten Insekt am Pylorus sitzen 
und ihn wie ein Kranz kurzer weisser Fäden umgeben, hat 
schon Swammerdam bei den Bienen hervorgehoben, auch 
Ramdohr und Suckew durch Abbildungen erläutert. 2) 


1) Auch in ihm finden sich die Crystalle vön oxalsaurem‘ Kalk, 
2) Ramdohr.a. a, O. Fig. 4, 5, 6, Suckow a. a. 0. Fig. 128. 


63 


Ob die Harngefässe der Made späterhin ganz verschwinden, 
ist schwer zu sagen, doch steht so viel fest, dass sie, nach- 
dem die Made ihre Zelle zugedeckelt, allmählig immer klei- 
ner werden und verkümmern, während die für den vollkom 
menen Zustand bestimmten Malpighischen Gefässe immer 
deutlicher hervortreten. Ramdohr !) stellt die Entstehung 
der letzteren so dar, als ob sie aus dem Fettkörper gleich- 
sam anschössen, ich habe mich indessen bei der Wespen- 
made überzeugt, dass ihre freilich noch sehr unscheinbaren 
Anfänge schon in diesem Stadium und zwar in Gestalt win- 
ziger birnförmiger Hervorragungen am Darm selbst vorhan- 
den sind? sie sitzen an eben der eingeschnürten Stelle zwi- 
schen Magen und Darm, an welcher die 4 grossen Harnge- 
fässe münden, und umgeben sie kranzförmig 2). 

Wir haben nun noch die Spinngefässe zu betrachten >), 
welche mit den Harngefässen in derselben Schicht des Fett- 
körpers eingebettet sind, nur dass sie der Oberfläche näher 
und theilweise ganz unbedeckt liegen. Sie sind überdies durch- 
sichtig, beinahe farblos, und machen auch in ihrem geschlängel- 
ten Verlauf viel zahlreichere und schärfere Biegungen, wobei 
sie sich häufig etwas um ihre Achse drehen und wie umge- 
knickt erscheinen. In diese Biegungen legen sich, von Tra- 
cheen umstrickt, kleine Partieen des Fettkörpers; da letztere 
jedoch unter einander selten durch Zwischenmassen verbun- 
den und daher nicht in grösseren Lappen abzutrennen, auch 
wegen ihrer weissen Farbe und durchscheinenden Beschaf- 
fenheit von den Spinngefässen nicht leicht zu unterscheiden 
sind und ihnen überdies innig anhängen, so koslet es, zu- 
mal bei der Dünnwandigkeit und Zartheit dieser Kanäle, 
viele Mühe, sie vollständig herauszupräpariren. Swammer- 
dam erklärt, dass. es ihm bei der Bienenmade nie geglückt 


1) a. a. 0. p. 134, 
2) Fig. 6. M. 
3) Fig. 5. n. 


64 


sei, sie zu entwickeln; bei älteren Weingeistexemplaren der- 
selben versuchte ich es auch vergeblich; bei der Wespen- 
made ist mir es aber auch dann gelungen, und ich habe 
mich dadurch, obwohl sie nur bis zum Ende des Darms 
laufen und nicht zurückbiegen, von der ansehnlichen Länge 
derselben überzeugt. Es sind ihrer 4 vorhanden, jederseits 
einer an der Rücken-, einer an der Bauchseite. Die Kanäle 
einer jeden Seite vereinen sich, nahe dem vordern Magen- 
ende, zu einem kurzen Stamm, und bald stossen auch die 
beiden Stämme unterhalb der Speiseröhre zusammen und 
bilden einen ebenfalls kurzen gemeinsamen Ausführungsgang, 
welcher, wie schon Swammerdam bei der Bnenmade 
beschrieben, an der Innenfläche der Unterlippe mündet. Die 
Kanäle laufen meist gleichmässig und einfach fort, treiben 
aber doch zuweilen einen kleinen blinden Ausläufer, die 
Stämme selbst finde ich bisweilen beträchtlich angeschwol- 
len. . Ob diese so änsehnlichen Spinngefässe bloss zum Be- 
reiten des Gespinnstes für die Puppe dienen? Auffallend 
war. mir wenigstens, dass, wenn ich die Fresswerkzeuge 
einer hungrigen, an den Wänden ihrer Zelle kratzenden, 
lIornissenmade berührte, reichlich eine klare Flüssigkeit her- 
vorquoll, ähnlich der in den Spinngefässen enthaltenen: viel- 
leicht diente sie zum Einspeicheln des Futters. 

Eine andere Frage könnte darüber erhoben werden, ob 
nun während des Larvenlebens gar keine Ausleerungen des 
Magens erfolgen? Dafür, dass sie nicht durch einen hinte- 
ren Ausgang erfolgen, will ich hier noch einmal die Gründe 
zusammenstellen: 

1) Man kann mit keinem Instrument vom After aus in 
den Epithelialsack des Magens dringen, ohne ihn zu v 
letzen. sis 

2) Wenn man an einer frisch getödteten oder lebenden 
Made die Muskelhaut des Magens verletzt, drängt sich der 


ganze Epithelialsack mit überall geschlossener glatter Fläche 
heraus. 


65 

3) Man kann durch keinen Druck den Magen von sei- 
nem Inhalt hinten hinaus entleeren. 

4) Immer zeigt sich das Contentum des Magens bei er- 
wachsenen Larven roth und compact, das in dem auf den 
Magen folgenden Behälter, wenn er auch noch so gefüllt 
ist, hellgelb, wie das der Harngefässe. 

5) Die Anatomie kann weder an dem der Speiseröhre 
entgegengesetzten Ende des Magens, noch seitlich oder vorn 
die Spuren eines Ausführungsganges nachweisen. Jedenfalls 
müsste er, da er im ausgebildeten Insekt hinten liegt, auch 
hier gesucht werden, er müsste ferner, weil der Magen mit 
festerer Masse gefüllt ist, aller Wahrscheinlichkeit nach, ein 
ansehnlicheres Lumen besitzen. Wäre er aber auch noch 
so enge und nur für den Durchtritt von Flüssigkeiten be- 
stimmt, so müsste er sich doch bei durchfallendem Licht 
als ein durch die Contoure der übrigen Epitheliumblätter 
gleich dem Oesophagus hindurchtretendes Rohr erkennen 
lassen; man bemerkt jedoch nichts dem Aehnliches, selbst 
bei ganz jungen durchscheinenden Larven nicht, bei denen 
man die natürliche Lage und den Zusammenhang der Theile 
in Nichts zerstört hat. Hieraus entnimmt man zugleich, dass 
hier eben so wenig an ein Verhalten des Darımes wie bei 
Tettigonia, an einen theilweisen Verlauf zwischen den 
Schichten der Magenwandung zu denken ist. 

6) Nie habe ich, wenn ich eine Made aus ihrer Zelle 
herauszog, auf dem Boden derselben Exkremente gefunden, 
sie müsste denn bereits früher von einer andern Made zur 
Verspinnung benutzt sein. Das Ausgeschiedene könnte höch- 
steus in Flüssigkeit bestehen, wie sie aus den Harngefässen 
ergossen wird, dass diese aber nicht aus dem Magen kom 
men kann, ist durch das Vorhergehende dargethan. 

Erfolgen Ausleerungen des Magens durch den Mund? 
Hierüber fehlen mir genügende Beobachtungen; die mit dem 
Kopf nach abwärts gerichtete Lage der Maden scheint dafür 
zu sprechen, doch führt Ramdohr ausdrücklich die Erfah 

Müller's Arcbir. 1849. 5 


66 


rung an, dass die Werpenlarven keinen Koth von sich ge- 
ben 1). Dutrochet hält das Gegentheil für wahrscheinli- 
cher 2). Ich habe den Magen der Larven allezeit strotzend 
voll gefunden, auch bei solchen, die ich während einiger 
Tage lebend beobachtete, denen ich aber freilich nicht im- 
mer die natürliche Lage, sondern oft die entgegengesetzte 
gab, niemals bemerkt, dass sie Stoffe durch den Mund aus- 
werfen. Dennoch müsste diese Untersuchung sorgsam fort- 
gesetzt werden, ob nicht etwa die Ausleerungen in längeren 
Zwischenräumen erfolgen, und die Alten das Ausgeworfene 
fortschaflen. 

Dagegen unterliegt keinem Zweifel, dass eine solche 
Entleerung des Magens bei der Verwandlung stattfindet, und, 
wie es scheint, unmittelbar oder doch sehr bald, nachdem 
die Larve ihre Zelle durch einen Deckel verschlossen, Nach 
dieser Zeit bemerkt man auf dem Boden der Zelle eine dun- 
kel rothbraune, compacte, meist schon eingetrocknete Maase, 
welche nichts anderes, als der Mageninhalt ist. Durch Auf- 
weichung derselben überzeugte ich mich, dass es nicht nur 
die Magencontenta waren, welche hier lagen, sondern der 
ganze Epithelialsack mit seinen Einschlüssen. Anfänglich, 
wenn die Ausleerung eben erfolgt ist, steht der Pfropf senk- 
recht, mit dem stärkeren Eintrocknen jedoch, vielleicht auch 
durch die Bewegungen der Made, wird er in der Mitte zu- 
sammengeknickt und bildet einen unregelmässig verdrücklen, 
den Wänden der Zelle eng anhaftenden Ballen. Durch eben 
jenes Mittel kann man auch darthun, dass die Häutung und 
Entleerung des Darmkanals nur durch den After erfolgt. 
Denn, da der Boden des ausgeworfenen Epithelialsackes 
dem Blindende der Zelle anliegt, und die Speiseröhre nach 
der Mündung derselben gerichtet oder wenigstens vom Blind- 
ende entfernter ist, so spricht dies entschieden gegen ein 


1) a.a.0.p 133. 
2) a. a. 0. p. 290. 


67 
Auswerfen durch den Mund, woran ich zunächst gedacht 
hatte, Hiezu kommt noch der Umstand, dass zur Zeit der 
Zudeckelung die Made so dick ist, dass sie ihre Zelle gerade 
ausfüllt, und nur bei den heftigsten Contractionen so viel 
Raum in der Zelle geschafft werden könnte, dass der ganze 
Pfropf seitlich dem Leibe vorbeipassirte. Auf jener rothen 
zusammengetrockneten Masse findet man eine kleinere scharf 
abstechende weisse, in ein paar Fäden auslaufende, welches 
die Spinngefässe sind, doch erfolgt deren Herausschaflung 
erst später, wenn die äussere Körperhaut abgestreift wird. 
Das Erste, was nach der Ausleerung des verdauenden 
Kanals vor sich geht, ist die Auskleidung der Zellenwände 
mit einem Gespinnst; bisher war nur der Deckel gesponnen, 
jetzt, nachdem die Made so viel dünner geworden ist und 
sich zugleich vor dem Herausfallen aus ihrer Zelle, die sie 
lange nicht mehr füllt, gesichert hat, kann sie sich freier 
darin bewegen und nach allen Seiten ihr Gespiunst weiter 
führen ; es bildet eine zarte durchscheinende, nur, wie es ' 
scheint, am Boden selbst nicht geschlossene oder höchstens 
durch spärliche Fäden vertretene Hülse. In Folge der star- 
ken Zusammenziehung des Magens erscheint nun seine Mus- 
kelhaut viel dichter, indem sich die früher ansehnlichen vier- 
eckigen Zwischenräume zwischen den Längs- und Quer- 
muskeln ausserordentlich verkleinert haben, die Zellenschicht 
ist an ihr haften geblieben und wahrscheinlich schon mit 
einem neuen Epithelium ausgekleidet, das nun bei geöffne- 
tem Pylorus ein bis zum After forllaufendes Rohr darstellt. 
Die 4 grossen Harngefässe haben sich merklich verkürzt, 
während die für den vollkommenen Zustand bestimmten 
Malpighischen Gefässe bereits zu kurzen Fädchen verlän- 
gert sind; der früher kurze blasenförmige Darm geht in die 
Form eines Kanals über, bleibt aber noch kurz und gerade; 
die Spinngefässe endlich haben sich ganz entleert, sind äus- 
serst dünn geworden und kaum mehr zusammenhängend 
darzustellen, nur ihr gemeinsamer Name und die nächst an- 
5% 


68 


grenzende Partie zeigt einen festeren Zusammenhang, und 
geht, wie das Epithelium des Oesophagus, leicht mit der 
Haut des Larvenkopfes ab. Bei Maden in diesem Stadium, 
welchem etwa bei Ramdohr die Abbildung Tab. XI. Fig. 
4 entspricht, schimmern schon deutlich, wenn gleich nur 
blassroth, die zusammengesetzten Augen durch die Haut un- 
mittelbar hinter dem Larvenkopfe durch, 

Alsdann streckt sich der bis dahin nur kurze Oesopha- 
gus nicht sowohl dadurch, dass die vordere Grenze des Ma- 
gens in ein mehr nach hinten gelegenes Segment rückt, als 
dadurch, dass sich die drei an der Made durch ihre Kürze 
auffallenden Thoraxsegmente ausdehnen. Während dieser Ver- 
änderungen des Darmkanals hat der Fettkörper seine ur- 
sprüngliche Consistenz und sein lappiges Ansehen verloren 
und ist breiig geworden, so dass bei jedem noch so vor- 
sichtigen Einschnitt in die Leibeshöhle eine milchige Masse 
herausfliesst, in welcher häutige Theilchen und Flocken 
schwimmen. Die alten Harngefässe sind nicht mehr erkenn- 
bar, man erblickt einen Kranz von mehr als 40 weissen 
langen fadenförmigen Blindkanälen am Pylorus; diese Stelle 
reisst leicht durch, und man kann sich dann von der Gegen- 
wart einer engen, die innersie Höhlung des Magens und 
Darms verbindenden, Oeffaung’ überzeugen; auch nimmt man 
wahr, dass sich der Darm bereits verlängert und in eine 
vordere dünnere und eine hintere dickere Abtheilung (den 
Mastdarm) geschieden hat. Die Made selbst, die sich in der 
verdeckelten Zelle anfangs noch lebhaft bewegte, ist regungs- 
los geworden und hat ihre Haut nach vorn und hinten ab- 
gestreift, zeigt deutliche Flügelanfänge, Beine, die vollstän- 
digen Mundtheile, Fühler, dunkler rothe, zusammengesetzte 
und blässere einfache Augen, ist jetzt also eine Puppe. Die 
Speiseröhre hat sich noch länger und dünner ausgezogen, 
und lässt an ihrem Unterende eine etwas blasenförmige Er- 
weiterung (den Honigmagen) sehen, welche wahrscheinlich 


69 


aus ihr selbst, nicht aber etwa durch eine Abschnürung aus 
dem eigentlichen Magen entsteht; dieser, durch die Verlän- 
gerung der Speiseröhre nunmehr nach hinten gedrängt, liegt 
nicht mehr gestreckt, sondern beschreibt, indem er sich um 
seine Achse dreht, eine Spiralwindung; dasselbe gilt vom 
Darm, an welchem sich die dünnere und dickere Abtheilung 
jetzt noch stärker absetzen. 


Wann sich die Speichelorgane zu bilden beginnen, und 
in welcher Form ihr erster Anfang auftritt, ist mir noch 
nicht zu ermitteln gelungen. In einer Puppe von Vespa 
erabro, in welcher der Magen aber noch geradegestreckt 
war, sich auch noch kein Honigmagen gebildet hatte, be- 
merkte ich ganz vorn am Oesophagus rechts und links ein 
kugelrundes, langgestieltes, ihm anhaftendes Bläschen, wel- 
ches man darauf beziehen könnte; bei den Wespen habe ich 
es bisher nicht wiedergefunden. In dem ausgebildeten In- 
sekt bestehen die Speichelorgane aus einer grossen Menge 
winziger, durch kurze Gänge mit einander verbundener Bläs- 
chen, welche eine von feinen Tracheen durchzogene Traube 
bilden. Treviranus giebt an, dass die Wandung der gro:s 
sen Ausführungsgänge wie die Tracheen Spiralfasern ent- 
hielte; so weit ich die Ausführungsgänge verfolgen konnte, 
fand ich sie dünnhäutig und olıne dergleichen Fasern, doch 
war ich freilich noch nicht bis zu den letzten gekommen. 
Die Verwechslung von Ausführung:gängen und Tracheen 
lag nahe, da sich beide so vielfach begleiteten und kreuzten, 


Ich erweiterte den Kreis meiner Untersuchungen, indem 
ich noch einige Hymenopterenlarven hineinzog, zunächst die 
Ameisen. So weit eine kürzere Untersuchung zur Beurtheilung 
hinreicht, zeigt ihr verdauender Kanal die grösste Ueberein- 
slimmung mit den Wespenarten. Ich anatomirte die Made 
von Formica herculeana, und fand am Magen derselben nicht 
weniger als 10 Häute, von denen nur die äusserste, die Mus- 


70 


kelhaut, sich nach hinten über den Behälter, in den die 4 
Harngefässe münden, weiter fortsetzte, alle übrigen aber ein- 
geschachtelte Blindsäcke bilden; auch die Zahl, Lage und 
Anordnung der Spinngefässe war dieselbe. 


Schwieriger war die Lösung der Frage bei den Ichneu- 
‘monen, von denen ich nur einige, 4 Millimeter lange, Maden 
aus einer Kohlraupe zergliederte. Das äussere Ansehen des 
verdauenden Kanals und der ihm anhängenden Blindgefässe 
glieh dem eben beschriebenen, doch konnte ich an dem Ma- 
gen nicht die Contoure mehrerer Membranen, sondern nur 
eine äussere muskulöse Hülle und eine innere mit gelbem 
Inhalt gefüllte, wie es schien, blind endende Röhre unter- 
scheiden. Die Spinngefässe, 4 an der Zahl, waren lebhaft 
gelb gefärbt, und nachdem sie einen halben Tag in starkem 
Branntwein gelegen, ganz starr und beinahe brüchig gewor- 
den. Die Harngefässe sahen verhältnissmässig sehr zart aus; 
obwohl gewiss 4 vorhanden waren, gelang es mir doch nur, 
die beiden auf der linken Seite und eines auf der rechten 
herauszupräpariren; der Behälter, in den sie münden, ist 
oval; seine hintere Oeffnung habe ich nicht deutlich erkannt, 
doch ist sie, nach Allem zu schliessen, an der entsprechen- 
den Stelle vorhanden. 


Nachdem ich so viel Uebereinstimmung gefunden, hegte 
ich natürlich ein besonderes Verlangen, die Verhältnisse des 
Darmkanals in den Bienenmaden und Swammerdam’s 
Darstellung derselben zu prüfen. Ramdohr hat diese Thiere 
nicht selbst untersucht, sondern stützt die Uebereinstimmung 
mit den Wespenmaden und die Behauptung, dass ihnen ein 
After fehle, auf Swammerdam’s Beschreibung, welche 
nicht ausdrücklich sagt, ob der Darm durchbohrt sei oder 
nicht, und auf die Erfahrung, dass die Bienenmaden keinen 
Koth von sich geben !). Mir standen leider nur WVeingeist- 


1) a. a. O. p. 139. 


1 


exemplare zu Gebote, doch konnte ich mich schon an die- 
sen hinlänglich überzeugen, dass Swammerdam Recht 
hat, wenn er auf den Magen einen gekrümmt fortlaufenden 
dünnen Darm folgen lässt, und dass sich auch einige andere 
Verschiedenheiten von der Wespenmade zeigen. Der Magen 
war verhältnissmässig dünner, der Darm nicht blasenförmig, 
sondern länger ausgezogen und wie ein S-förmiges Rohr 
gebogen, sein hinterer längerer Theil dicker als der vordere, 
in welchen der Magen allmählig überging, und von diesem 
vorderen deutlich abgesetzt. An der Magenwand konnte ich 
durchaus nicht die vielen Schichten der Wespen- und Hor- 
nissenmaden wiederfinden, sie war bedeutend dünner, und 
liess nur eine Muskelhant, eine unmittelbar darunter liegende 
Schicht platter, polygonaler Zellen und ein ziemlich dickes 
Epithelium unterscheiden, das nicht weiter in Blätter geson- 
dert war. Es bildete ferner keinen Blindsack, wie bei den 
vorhin betrachteten Larven, sondern war hinten geöffnet, 
und setzte sich durch eine sehr enge Stelle in den Darm 
fort. Obwohl dies meinen Erwartungen durchaus wider- 
sprach, und Dutrochet ausdrücklich sagt !), die innere 
Haut des Magens hänge nicht an der äusseren, bilde einen 
blinden Sack und setze sich nicht in den Darm fort, der 
sie auch seiner Enge wegen nicht aufnehmen könne, so habe 
ich doch an einem Weingeistexemplar ganz deutlich die 
Fortsetzung des Epitheliums in der eben beschriebenen Weise 
gesehen, kann also, wenn die Bienenmaden wirklich wäh- 
rend ihres Larvenlebens keine Exeremente durch den After 
entleeren, aus dem Bau des verdauenden Kanals keinen 
Grund dafür hernehmen. Uebrigens mündeten am Pylorus 
2 Paar grosser Harngelässe, und ausser ihnen sah ich noch 
einen Kranz sehr kleiner Malpighischer Gefässe, die den- 
noch länger, als bei der Larve von Vespa vulgaris waren; 


1) a. a. 0. p. 258. 


72 


Swammerdam hat diese nicht abgebildet '). Der Inhalt 
von jenen war gelb, wie der des Magens, Krystalle von 
oxalsaurem Kalk, wie häufig auch bei den Wespenmaden, 
nicht darin zu entdecken, die Spinngefässe so zart, dass ich 
sie nicht einmal in grösseren Stücken herauspräpariren konnte, 
woran freilich die längere Aufbewahrung in Weingeist Schuld 
sein mochte. Der After lag an der eben beschriebenen Stelle 
und die Umbiegung des Epitheliums in die äussere Haut liess 
sich leicht darstellen. 

Endlich zergliederte ich noch eine Made von Cynips 
rosae. Hier scheint sich die Sache ähnlich als bei den Bie- 
nen zu verhalten: der Magen war ziemlich schlank, ver- 
schmächtigte sich allmählig und ging in einen dünnen, aber 
nicht gekrümmten Darm über; ob der Pylorus offen war, 
konnle ich nicht mit Sicherheit ermitteln, es hatte jedoch 
den Anschein. Die Harngefässe waren gar nicht gewunden, 
sondern gerade und kurz, und stiessen jederseits zu einem 
gemeinschaftlichen Ausführungsgange zusammen. 


Erklärung der Abbildungen. 


Fig. 1. Die Made von Vespa vulgaris, von der Bauchseite ge= 
sehen, 2mal im Durchmesser vergrössert: man sieht in der Mitte den 
durchschimmernden Bauchstrang des Nervensystems. 

a der After, 6. 7. 8. die Randwülste, die zur Befestigung der 
Made in ihrer Zelle dienen. 


Fig. 2. Der Kopf mit den Mundtheilen und das erste Segment 
noch stärker vergrössert, o die Mundöffnung, eine quere Spalte zwi- 
schen den Mandibeln. 


Fig. 3. Der innere hinten geschlossene Magensack von Vespa 
cerabro nach Abstreifung seiner Muskelhaut; man sieht hier 6 in ein» 
ander geschachtelte Epitheliumsäcke, von denen der innerste, den Ma- 
geninhalt zunächst umschliessende, roth colorirte, sich in das innerste 
Rohr des Oesophagus o fortsetzt; die übrigen Säcke legen sich an 
dasselbe an. 


4) a. a. O. Tab. XXIV. Fig. 6. 


73 


Fig. 4. a. Ein Stück von der Muskelhaut des Magens von Vespa 
vulgaris, stark vergrössert von der Innenfläche, welcher die Zellen- 
schicht c anliegt; tr die breiteren Quer- oder Ringmuskeln, | die viel 
dünneren Längsmuskeln. 


Fig. 4. b. Ein Stück von den innern Epitheliumlagen des Magens 
von Vespa vulgaris, stark vergrössert von der Innenlläche; pl die 
Längsfalten, die für die innersten charakteristisch sind; das quarrirte 
Muster rührt von den nächst anliegenden her. 


Fig. 4. c. Kleine Partieen von den Gefässnetzen, welche jenes 
Muster hervorrufen, und an den äusseren Epitheliumschichten liegen, 
vgl. Fig. 8. Ihr Inhalt ist hier nicht roth, sondern bräunlich-grün, 
weil das Individuum, von dem sie genommen sind, schon etwas faulig 
geworden war. 


Fig. 5. Die Made von Vespa vulgaris von der Rückenseite ge- 
öffnet, 35 mal vergrössert, 

m m‘ die zurückgeschlagene Muskelwandung des Körpers; an der 
rechten Hälfte ist das ihr anhaftende Fett gelassen, an der linken fort- 
genommen, so dass hier deutlich die stärkeren, nach innen gelegenen 
Längsmuskeln hervortreten. Beinahe den ganzen Innenraum des Kör- 
pers nimmt der Magen ein, welcher mit Ausnahme der Mittellinie von 
einer gelblichen, aus Spinngefässen, Harngefässen und sie verbin- 
dendem Fett bestehenden Decke p bedeckt ist: auf der rechten 
Seite ist diese Decke, der die neben der Mittellinie des Rückens lie- 
genden Genitalien g anhaften, unversehrt geblieben, auf der linken 
"dagegen gänzlich (fortgenommen, so dass man hier unmittelbar den 
Penn sieht; die blassrothe Partie desselben vm ist diejenige, an 
welcher die Muskelhaut und die ihr innen anklebende Zellenschicht 
erhalten ist; die dunkelrothe Partie v’ zeigt den inneren, aus Epithe- 
lien gebildeten Magensack, durch den der rothe Mageninhalt deutlicher 
durchscheint; an dieser Stelle ist, wie dies beim Präpariren leicht zu 
begegnen pflegt, die den Magensack nur lose umgebende Muskelhaut 
verletzt; n die Spinngefässe, jederseits 2 Kanäle, welche vorn zusam- 
menstossen, um sich mit den entsprechenden der andern Seite zu ver- 
binden, und endlich innen an der Unterlippe zu münden; u die Harn- 
gefässe, ebenfalls auf jeder Seite 2; von dem rechten oberen sieht 
man nur den hinteren Theil, der vordere ist in die auf dem Magen 
liegende Fettdecke gehüllt; i der vorn geschlossene, aber von der 
Fortsetzung der Magenmuskelhaut mit überzogene Behälter, in welchen 
sich die Harngefässe senken, und der durch die Oeflnung a Fig. 1 
nach aussen mündet. M siehe Fig. 6. 


Fig. 6. Die blosse Muskelhaut des Magens vm, dessen Epithelial- 
sack durch eine Längswunde derselben herausgezogen ist; u die vier 
Hurngefässe, welche während des Puppenschlafes verkümmern; m der 
Ring von den jetzt noch äusserst winzigen, während des Puppenschla- 
fes aber auswachsenden Malpighi’'schen Gefässen; i der Behälter, in 
den sich die Harngefässe einsenken, der Darm des vollkommenen In- 
sekts; a die Oeflnung, durch die er nach aussen mündet, der After. 

Fig. 7. Die rothquarrirten äusseren Schichten des Epithelium- 


sackes vom Magen; f der hier nach vorn gelegte etwas abgeplattete 
Boden dieses Sackes. 


74 


Fig. 8. Die Made von Vespa vulgaris vom Rücken geöffnet, 34 
mal vergrössert, um die Lage des Rückengefässes Vd zwischen den 
beiden Fettdecken p, welche sich über den Magen bis an die Mittel- 
linie ausbreiten, zur Anschauung zu bringen; die Flügelmuskeln des 
Rückengefässes sind fortgenommen. Der Magen sieht hier dunkler 
roth aus, weil die Muskelhaut desselben noch unverletzt ist, und von 
dem Epithelialsack weniger absteht, als in Fig. 5; u das vordere 
Ende vom obern Harngefäss der linken Seite. 

Fig. 9. Ein Stück von einer der quarrirten Epitheliumlagen aus 
der Magenwand von Vespa crabro; man bemerkt hier, dass der In- 
nenraum zwischen den sich rechtwinklig kreuzenden Gefässen deut- 
liche von ihnen ausgehende Netze enthält. 


Ueber 


die genetische Bedeutung und Entwickelung des 
oberen Keimblalts im Ei der Wirbelthiere; 


von 


R, Rena, 


(Aus dem Monatsbericht der Akademie der Wissenschaften in Berlin, 
October 1548.) 


Die Veröffentlichung meiner fortgesetzten Untersuchungen 
über die Entwickelung der Wirbelthiere wurde durch den 
Wunsch verzögert, die genetische Bedeutung des oberen 
Keimblattes (des Bär'schen serösen Blattes, der Reichert’- 
schen Umhüllungshaut) zu ermitteln. Erst im Laufe dieses 
Sommers ist es mir, nach siebenjährigen Bemühungen, beim 
Hühnchen gelungen, zu einer Lösung dieser Frage zu gelan- 
gen, und ich erlaube mir, der hochgeehrten Akademie eine 
vorläufige Mittheilung über diesen Gegenstand zu machen. 
Wenn die schildförmige Verdickung der Keimscheibe, 
der Bär’sche Embryonalschild, erscheint, lassen sich an der 
Keimscheibe drei scharf gesonderte Blätter unterscheiden. 
An der Vetdickung betheiligt sich blos das obere und das 
mittlere Keimblatt, nicht aber das untere Keimblatt, welches 
ich, da es nicht blos das Epithelium des Darmrohrs, son- 
dern auch das der Luftwege und das zellige Parenchym der 
Leber, des Pancreas, der Nieren, der Schilddrüse und der 
Thymus liefert, Drüsenblatt nenne, Die schildförmigen 


76 


Centraltheile des oberen und des mittleren Keimblattes ver- 
wachsen in ihrer Längsachse mit einander. Durch diese 
Verwachsung entsteht die Axenplatie, der Bär’sche Primi- 
tivstreifen, aus welchem die Medullarplatte, so wie die Ur- 
wirbelplatten und die Chorda hervorgehen. Die Medullar- 
platte steht dann mit dem freien Theile des oberen Keim- 
blattes, die Urwirbelplatten mit dem freien Theile des mitt- 
leren Keimblattes in Verbindung, Sowohl das obere wie 
das mittlere Keimblatt zeigen eine die Axengebilde umkrei- 
sende Verdickung, den an der Bildung der Axenplatte nicht 
betheiligt gewesenen Rest des Doppelschildes ( Wolff’s la- 
minae abdominales). Ich habe mich nicht überzeugen kön- 
nen, dass eine Fortsetzung des freien Theiles des oberen 
Keimblattes die Medullarplalte überzieht. 

Der die Medullarplatte begrenzende freie Theil des obe- 
ren Keimblattes ist nun weder, wie Pander, Bär und An- 
dere meinten, die Anlage der Leibeswände (seröses oder ani- 
males Blatt), noch auch, wie Reichert aufstellte, eine ver- 
gängliche Umhüllungshaut, sondern so weit er den Embryo 
bekleidet, ist er die Anlage der gefäss- und nervenlo- 
sen Hautdecken, der Epidermis, der Nägel, der Fe- 
dern, des Schnabels. Der peripherische Theil kleidet die 
Amnioshöhle aus und dessen nach dem Schlusse des Amnios 
sich abschnürende, den Dotter umgebende Fortsetzung bildet 
die sogenannte seröse Hülle. Der Name Hornblatt dürfte 
sich am besten für denjenigen Theil des oberen Keimblattes 
eignen, welcher an den Axengebilden keinen Antheil hat. 

Wenn während des dritten Brüttages die Rippenplatten 
sich von dem verdickten Theil des mittleren Keimblattes, 
welcher die Urwirbelplatten begrenzt, abgelöst und an den 
entsprechenden verdickten Theil des Hornblattes angelegt 
haben (wodurch die Bauchhöhle entsteht), so verliert das 
Hornblatt seine Selbständigkeit und wird zu einem Ueber- 
zug der Rippenplatten. Die aus den letzteren hervorwach- 
senden Extremitäten treiben diesen Ueberzug vor sich her. 


77 


Schon am siebenten Tage zeigt derselbe an dem freien Ende 
der hinteren Extremitäten eine ansehnliche Verdickung, wel- 
che der Anlage der Nägel entspricht. 

Es hält nicht schwer, die Umwandlung des Hornblattes 
in Federn, Nägel und Epidermis zu verfolgen. 

Die Federn erscheinen zuerst als warzenförmige Aus- 
wüchse der Haut, welche alsbald eine zotten- oder haarför- 
mige Gestalt annehmen. Ein solcher Auswuchs besteht aus 
einem weichen, durch Zellen gebildeten und Blutgefässschlin- 
gen enthaltenden Polster und aus einem festen, verhältniss- 
mässig dieken, von dem Hornblatt herrührenden Ueberzug. 
Dieser lässt nach der Behandlung mit Wasser an seiner 
Aussenfläche Zellen erkennen. Wenn sich der Auswuchs 
verlängert, so verdickt sich der hornige Ueberzug unverhält- 
nissmässig stark, In demselben zeigt sich schon am zehn- 
ten Tage ein deutlicher Gegensatz zwischen einer inneren 
festen undurchsichtigen Schicht, welche aus säulenförmigen, 
in den gefässhaltigen Axenraum vorspringenden Abtheilun- 
gen besteht, und zwischen einer äusseren durchsichtigen, 
durch Wasser sich auflockernden Zellenschicht. In der in- 
nern Schicht zeigen sich fast immer zahlreiche sternförmige 
Pigmentfiguren: nur in den ganz weissen Federn fehlen sie 
gänzlich. Diese dem gefässhaltigen Hauptpolster zunächst 
liegende Schicht ist die Grundlage der Feder, die äussere 
epitheliale Schieht dagegen die Grundlage des farblosen Bal- 
ges, nach dessen Sprengung die Federfahne zum Vorschein 
kommt, 

Aehnlich ist die Entstehung der Nägel. Am elften Tage 
verdickt sich das Hornblatt an der Spitze der Zehen und 
vom zwölften Tage ab kann man die Sonderung des Horn- 
blattes in die feste (hornige) Nagelplatte und in einen wei- 
chen, sich leicht ablösenden Ueberzug verfolgen. Hierbei 
zeigt sich auch ein auffallender histogenetischer Gegensatz 
zwischen den Zellen der Nagelplatte und zwischen denen 
des häutigen Ueberzuges. In den durchsichtigen, beim Zu- 


78 


satz von Wasser sich aufblähenden Zellen des letzteren er- 
scheinen die Kerne als verhältnissmässig kleine feste Körper- 
chen; dagegen werden gegen den sechzehnten Tag in den 
Zellen der verhärteten Nagelplatte verhältnissmässig grosse 
wasserhelle blasige Kerne bemerkt, welche ein dichter fein- 
körniger Zelleninhalt umgiebt, — In den hornigen Schienen, 
welche die Füsse bedecken, in dem Schnabel und in der 
gesammten Epidermis lässt sich ebenfalls die Sonderung des 
Hornblatts in eine festere Schicht und in einen weicheren, 
sich leicht ablösenden Ueberzug erkennen. 

Da den Vögeln die, den Säugethieren eigenthümlichen 
Schweiss- und Talgdrüsen der Haut fehlen und eine auf die 
Bürzeldrüse gerichtete Untersuchung bisher wenig Erfolg ver- 
spricht, so wird erst die Vergleichung von Säugethierembry o- 
nen zeigen, ob das Hornblatt auch bei der Drüsenbildung be- 
theiligt und auch in dieser Hinsicht mit dem Drüsenblatt des 
Darmrohrs vergleichbar sei 1). Doch lässt sich schon jetzt aus 
den mitgetheilten Wahrnehmungen das überraschend einfache 
Bıldungsgesetz für die höheren Wirbelthiere (aus einer ner- 
ven- und gefässbildenden Mittelschicht, aus dem Centralner- 
vensystem und aus zwei nerven- und gefässlosen Aussen- 
schichten) erkennen. 

Berlin den 20. September 1848. 


1) Ich habe so eben bei Schweinsembryonen ermittelt, dass die 
Talgdrüsen aus den schlauchförmigen Haarkeimen hervorwachsen, wel- 
che ihrerseits Produkte der tieferen pigmentirten Schicht des Horn- 
blatts sind. 

Berlin den 25. November 1848. N Remak, 


Ueber 
die Entwicklung der Asterien. 


Von 
E. Desor, 


(Aus brieflicher Mittheilung an den Herausgeber.) 
(Hierzu Taf. II. Fig. 1— 12.) 


Erst vor kurzem und zwar nur indirekt haben wir hier in 
Boston Kenntniss erhalten von Ihren schönen Arbeiten über 
die Embryologie von Ophiura und Echinus. Obgleich ich 
bis jetzt nur unvollständige Auszüge davon gesehen habe, so 
ist doch das, was ich davon erfahren, hinreichend, um mich 
zu überzeugen, dass damit ein grosser Schritt gethan und 
einem dringenden Bedürfniss der Wissenschaft abgeholfen 
ist. So wäre denn wirklich Ihr Plutus paradoxus eine 
Echinodermenlarve! Dass mir, der ich seit Jahren die Echi- 
nodermen zu meinem Lieblingsstudium gemacht habe, solche 
Resultate höchst erfreulich waren, werden Sie sich ohne 
Mühe vorstellen. Ich selbst hatte es zu wiederholten Malen 
verflossenes Frühjahr versucht, die Embryologie des an der 
Küste New-Englands so häufig vorkommenden Echinus gra- 
nulatus Say zu verfolgen. Es wollte mir aber kein einzi= 
ges Mal gelingen, eine Brut zu erziehen, Die Individuen 
starben sämmtlich, bevor sie ihre Eier gelegt hatten, so dass 
ich meine Untersuchungen auf die Eier im Eierstocke be- 
schränken musste. Dabei muss ich erwähnen, dass bei die- 


80 


ser Species Männchen und Weibchen nicht gesondert vor- 
kommen, wie man es von dem mittelländischen Echinus 
brevispinosus Bl. behauptet hat. Unter den zu wiederholten 
Malen im Monat März in der Nähe von Boston gesammelten 
Exemplaren fand ich in der Regel beide Geschlechter in 
ziemlich gleicher Anzahl. 

Dagegen war ich so glücklich, die Entwickelung der 
Seesterne besonders von Echinaster 1) vollständig verfolgen 
zu können. Unvorhergesehene Umstände haben mich bis 
jetzt verbindert, meine Untersuchungen vollständig auszuar- 
beiten. Was ich darüber bekannt gemacht, beschränkt sich 
auf einige kurze Mittheilungen in der naturhistorischen Ge- 
sellschaft zu Boston, welche ich mir die Freiheit nehme, 
Ihnen beifolgend mit einigen dazu gehörigen Figuren zu über- 
senden. Unvollständig, wie sie sind, dürften sie doch viel- 
leicht von einigem Interesse sein wegen des ausserordent- 
lichen Unterschieds, der sich daraus ergiebt, zwischen der 
Embryologie von Asterias und der von Ophiura und Echi- 
nus. Von einem Larvenzustand und einer Metamorphose, 
wie Sie sie bei diesen Thieren beobachtet haben, kommt 
durchaus nichts bei Asterias vor. Die ganze Entwickelung 
scheint eine viel einfachere zu sein, ein allmähliges, stufen- 
weises Fortschreiten von der sphärischen Gestalt zu der 


1) Die proceedings of the Boston soc. of nat, hist. Febr. 1848 ent- 
halten eine Mittheilung von Desor hierüber. Bemerkungen über die 
Entwickelung dieses Seesterns sind auch von Agassiz in dem Ab- 
druck seiner Vorlesungen „Lectures on embryology by Prof. Agassiz 
before the Lowell Institute“ in dem Nordamerikanischen Tageblatt: 
American Traveller, mitgetheilt und durch Holzschnitte erläutert. Ame- 
rican Traveller, Vol. XXIV. N. 41. Boston 22 Dec. 1848. Fortsetzung 
in Daily evening Traveller, Vol, IV. N. 224. Dec. 22. 1848. Die Me- 
tamorphose anderer Seesterngattungen weicht ausserordentlich ab, und 
schliesst sich an die Metamorphose der Ophiuren und Seeigel an, wie 
aus meiner zweiten Abhandlung über die Echinodermenlarven in den 
Abhandl. der Akademie Zu Berlin zu ersehen. 

Anmerk. von Joh. Müller. 


81 


sternförmigen. Sehr oft ist lelzterer sogar schon im Eie zu 
beobachten. Ein interessantes Moment bildet ohne Zweifel 
der Pedunkel, über dessen Bedeutung sich verschiedene An- 
sichten geltend machen dürften. Eine Zeitlang war ich ge- 
neigt, dieselben als das Analogon des Stiels in den Crinoi- 
den anzusehen, welcher, gleich dem Stiele bei Comatula, 
nur während der ersten Periode des Lebens dem Thiere un- 
entbehrlich wäre. Dagegen lässt sich aber einwenden, dass 
bei Comatula der Stiel auf der dem Munde entgegengesetz- 
ten Seite angeheftet ist, während der Pedunkel auf der Mund- 
seite selbst angebracht ist. Es scheint mir daher einfacher, 
den Pedunkel als eine Dotter- Vorrathskammer für die Er- 
nährung des Embryo anzusehen, ähnlich der Dotterblase bei 
den Fischen und Cephalopoden, die aber ausserdem als vor- 
übergehendes Anheftungsorgan in den ersten Zeiten des Em- 
bryonallebens dient. (In der That, man findet oft ganze 
Haufen von Embryonen, die durch ihre Pedunkel aneinander 
geheftet sind.) 

Der Pedunkel nimmt ab in dem Maasse, als das Thier 
heranwächst, bis er zu einem ganz kleinen Sack redueirt 
ist (Fig. 12), welcher von der Mundecke herabhängt und 
endlich ganz verschwindet. Die Beziehungen dieses merk- 
würdigen Organs zum Embryo scheint Sars nicht verfolgt 
zu haben, wenigstens nicht in seiner ersten Arbeit. (Ich 
habe von einer zweiten Arbeit desselben Naturforschers spre- 
chen hören, die mir aber noch nicht zu Gesichte gekommen 
ist.) ö 

Die Bildung und das Wachsthum des Asterien - Skelets 
bietet auch manches Interessante dar. Die ersten Spuren 
des Skelets zeigen sich ziemlich frühe, ungefähr gleichzeitig 
mit dem ersten Auftreten der Tentakel (Fig. 10), und zwar 
unter der Gestalt von kleinen einfachen Sternchen (Fig. 9a). 
Diese ‘Sternchen vermehren sich allmählig und bilden zu- 
sammenhängende Netze (Fig. 9b). Bei starker Vergrösse- 


rung bemerkte ich eine Art Gliederung in den Netzen, als 
Müllers Archiv, 1649, 6 


82 


ob die Bälkchen der Netze aneinander geschweisst wären 
(Fig. 9c). Diese Art von Gliederung war besonders deut- 
lich bei den jüngsten Sternchen, solchen, die nur aus zwei 
oder drei Bälkchen zusammengesetzt sind (Fig. 9d). Auch 
bemerkte ich neben den Sternchen viele einzelne Bälkchen, 
und ich war nicht wenig erstaunt, als ich bei näherer Be- 
trachtung sah, dass sie meistens von einer zarten durch- 
sichligen Hülle umgeben waren (Fig. 9e), so dass die Bälk- 
chen ursprünglich wohl nichts als Zellenkerne sind, die 
sich im Gange der Entwickelung erhärten, eine knotige Ge- 
stalt annehmen, und endlich sich von ihrer Hülle befreien 
und sodann in Folge einer besonderen Attraction sich zu 
Netzen gruppiren. In wie fern eine ähnliche Bildung auf 
die Genesis der Skelete der übrigen Klassen des Thierreichs 
anwendbar ist, werden Sie selbst am besten entscheiden. *) 
Ich füge hier ein Skelet von einem Asterias-Embryo bei, 
welches Ihnen zur Vergleichung mit andern Typen vielleicht 
willkommen sein dürfte. 

Ich füge ebenfalls diesem Briefe einige Separat-Ab- 
drücke von meiner Abhandlung über die Entwickelungs - Ge- 
schichte von Nemertes bei. Sie werden daraus ersehen, dass 
der Entwickelungsgang dieser Würmer ein ganz verschiede- 
ner ist von demjenigen, welcher bis jetzt bei den übrigen 
Articulaten beobachtet wurde, Am interessantesten ist wohl 
dabei die äussere, aus Dottersubstanz gebildete und mit fei- 
nen Cilien bekleidete Hülle, behufs welcher der Embryo 
seine rolirende Bewegung im Ei ausführt, und welche spä- 
ter abgestreift wird, wenn der Embryo zur Reife gelangt. 

Diesem Aufsatz über Nemertes ist als Anhang eine No- 
tig über die Entwickelung von Polynoe beigefügt. Es bietet 


*) So viel ist gewiss, dass die Embryonalschale mancher Mollus- 
ken, insbesondere von Eolis und Doris aus wirklichen Zellen zusam- 
mengesetzt sind, welche unter dem Mikroskop gleich Glasbläschen er- 
scheinen. 


83 


sich bei diesen Würmern eine ähnliche Erscheinung dar, 
insofern der Embryo auch hier von einer äusseren Hülle 
umgeben ist, welche der Sitz einer raschen rotirenden Be- 
wegung ist. Es ist aber der Unterschied, dass hier die ro- 
tirenden Organe nicht kleine Cilien sind, wie bei Nemertes, 
sondern lange Cirrhen, ähnlich denjenigen in den Larven 
von Actaea und Eolis, und dass die Bewegung im Wasser 
stattfindet, nachdem der Embryo die Eihülle bereits verlas- 
sen hat, so dass sich dieser Zustand vielleicht richtiger mit 
dem Larvenzustand von Echinus vergleichen liesse, obgleich 
die Bewegungen der Larve selbst weniger willkürlich sind 
und in mancher Hinsicht an diejenigen der Conferven -Spo- 
ren erinnern. 


Erklärung der Abbildungen. 


Fig. 1. Das Junge im Ei. 

„ 2. Der ausgeschlüpfte Embryo am ersten Tag. 

„» 3. Der Embryo am zweiten Tag. 

„ 4. Der Embryo am dritten Tag. 

„ 9. Der Embryo am vierten Tag. 

„ 6. Der Embryo vom vierten zum sechsten Tag. 

„ 7. Der Embryo vom achten zum zwölften Tag. 

„ 8. zeigt die Lage der ersten Platten zu einander. 

„ 9. Die ersten und grösseren Ambulacral- Platten sind durch In- 


terpolation neuer Platten gegen das Ende der Strahlen ver- 
drängt. 
‚10 — 12. Senkrechte Durchschnitte des Embryo’'s in den Seren 
denen Perioden der Entwickelung. In Fig. 12 ist der 
Pedunkel beinahe resorbirt. Die Bläschen sind in Ten- 
takel verwandelt, in welchen man einen fortwährenden 
Strudel von Dotterkörnern bemerkt, Die Mundöffnung ist 
deutlich sichtbar, 


6# 


Ueber 
die Bipinnarien und die Metamorphose der 
Asterien; 
von 


Jon. MüLLer. 


In meiner zweiten Abhandlung über die Larven und die 
Metamorphose der Echinodermen, welche über kurz in den 
Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin 
erscheint, sind nach Beobachtungen aus Helsingör und Mar- 
seille vier Gattungen von Echinodermen -Larven beschrieben 
und auf 5 Tafeln in Kupferstich abgebildet. Diese Formen 
bilden eine zusammenhängende Reihe verwandter, aber un- 
ter sich generisch verschiedener Typen, zu welchen zum 
Theil auch mehrere Arten innerhalb der Gattungen beobach- 
tet sind. Eine schon bekannte Form Bipinnaria ist am 
vollständigsten, sowohl in der ersten Jugend, als zur Zeit 
der vollendeten Metamorphose in das Echinoderm unter- 
sucht. 

Die drei anderen Gattungen von Echinodermen - Larven 
sind neu, aber nicht bis zum Endziel der ‚Metamorphose 
verfolgt. Es sind die Gattungen Brachiolaria, Auricu- 
laria und Tornaria. Diese Namen sind ihnen vorläufig 
gegeben, denn es sind schon jetzt kurze Bezeichnungen für 
Formen nöthig, die sich unter sich durch Gattungscharaktere 
unterscheiden und bei welchen verschiedene Species aufzu- 


85 


führen sind; sie sind aber auch nöthig, um ohne Unbequem- 
lichkeit Vergleichungen zwischen den Typen der Echinoder- 
men-Larven anzustellen und den allgemeinen Plan, den die 
Natur bei der Metamorphose der Echinoderinen befolgt hat, 
zu besprechen. 

Nachdem bereits von der ersten Abhandlung über die 
Larven und die Metamorphose der Ophiuren und der See- 
igel das Hauptsächliche im Archiv mitgetheilt ist, lasse ich 
jetzt einen Auszug der oben genannten zweiten Abhandlung 
folgen, nämlich den Abschnitt über die Bipinnarien und die 
Metamorphose der Asterien. 


” 
* > 


Unter dem Namen Bipinnaria asterigera beschrieb 
Sars in seinen Beskrivelser og Jagtagelser, Bergen 
1835. p. 37 (Taf. 15. fig. 40) ein von ihm im Mai bei Florö 
entdecktes räthselhaftes Thier, welches an dem einen Ende 
mit vielen Armen versehen war und hier fast einem Poly- 
pen ähnelte, nach dem andern in einen Schwanz uuslief, 
der mit zwei häutigen Lappen oder Flossen versehen war. 
Das Sonderbarste war aber, dass an dem Theil des Kör- 
pers, der in die Arme ausläuft, ein Seestern befestigt war. 
Sars führte dieses Geschöpf als Anhang bei den Acalephen 
auf, Es war ihm damals noch unbekannt, dass es die Larve 
des Seesterns ist, den er an ihm befestigt und von ihm ab- 
fallen sah. Später ist es Sars gelungen, die Entwickelung 
aus dem Ei und die Larven zweier Asterien, des Echina- 
ster Sarsii M T. und des Asteracanthion Mülleri S. 
zu beobachten. Wiegmann’s Archiv für Naturgeschichte, 
1844, p. 169. Taf, VI. fig 1—22 und Fauna litoralis 
Norvegiae, Christiania 1846. fol. p. 47. Taf. 8, Der Foe- 
tus des Echinaster bat, wenn er aus dem Ei schlüpft, eine 
ovale Gestalt ohne äussere Organe und schwimmt mittelst 
‚sahlloser, den Körper bedeckenden Cilien frei im Wasser 
herum wie Infusorien, oder die Jungen von Medusen, Co- 


86 


u 


rynen, Alcyonien. Nach wenigen Tagen wachsen an dem 
Ende des Körpers, was sich während des Schwimmens als 
das vordere zeigt, Organe, welche zur Anheftung dienen, 
hervor. Es sind vier kolbenförmige Warzen und mitten 
zwischen ihnen eine kleinere. Durch Hülfe dieser am Ende 
abgerundeten Fortsätze hält sich das Junge an der Mutter, 
auf der Bauchseite derselben, fest, in der durch Einbiegen 
der Basen der Arme gegen den Mund gebildeten Bruthöhle. 
Diese Warzen verschwinden wieder, wenn der Körper des 
Thiers sich in die radiale Form entwickelt. Am Schluss der 
Abhandlung von 1844 bemerkt Sars, dass die Entwicke- 
lung anderer Seesterne bedeutend abzuweichen scheine. So 
sei das von ihm ehedem Bipinnaria asterigera genannte 
Thier nach seinen neueren Untersuchungen wahrscheinlich 
ein sich entwickelnder und mit einem grossen Schwimm- 
apparat versehener Seestern. 

Neuerlich haben Koren und Danielssen ihre schätz- 
baren Beobachtungen über die Bipinnaria asterigera 
mitgetheilt, aus welchen klärlich hervorgeht, dass dieses Thier 
die Larve eines Seesterns ist. Nyt magazin for Natur 
videnskaberne, V.B. II. H. Christiania 1847. p. 253. 
Annales des sciences naturelles, Juin 1847. p. 347. 
Sie hatten ihre Beobachtungen im September und October 
angestellt; die von ihnen untersuchten Individuen waren 
auch, wie die von Sars im Mai beobachteten in der Aus- 
bildung des Seesternes begriffen, woraus hervorgeht, dass 
die Zeugung und Verwandlung der Asterien nicht an eine 
bestimmte Periode der wärmeren Jahreszeit gebunden ist. 
Dies wird auch durch meine eigenen Beobachtungen darge- 
than; denn im September sah ich eine Art von Bipinnaria 
in den jüngsten Zuständen bei Helsingör, noch ohne Spur 
vom Seestern, aus ebenso früher Zeit der Entwickelung sah 
ich eine Bipinnaria im Februar und März bei Marseille. 


Obgleich die Bipinnaria asterigera sich durch ihre 
Grösse vor allen bis jetzt beobachteten und namentlich vor ö 


87 


den von mir beschriebenen Echinodermenlarven auszeichnet, 
so ist doch ihr Bau auch durch die letzten Beobachtungen 
nieht hinreichend aufgeklärt worden. Die Verbreitung der 
Wimperorgane in besonderen Wimperschnüren ist bisher 
nicht gesehen worden, und so fehlte dasjenige, worauf sich 
eine erfolgreiche Vergleichung mit den Larven der Ophiuren 
und Seeigel gründen lässt. Dann aber ist auch die Deutung 
der Eingeweide der Bipinnaria und was über ihren Zusam- 
menhang mit dem Seestern bekannt geworden, in mehreren 
wesentlichen Punkten noch mangelhaft. 


1. Bipinnaria von Helsingör und Marseille. 


Man hatte die Bipinnarien bis jetzt noch nicht im rei- 
nen Larvenzustande, d. h. vor der Entwickelung des See- 
sternes gesehen. In diesem Zustande lernte ich eine Bipin- 
naria im September 1847 am Sunde in Helsingör kennen, 
als ich mich dort in Begleitung des Dr. Busch zur Unter- 
suchung der Seethiere einige Wochen aufhielt. Fast täglich 
kamen uns einige Exemplare des Thierchens vor. Sie leben 
wie alle von mir beschriebenen Echinodermenlarven voll- 
kommen selbsständig im offenen Meer, durch Wimperbewe- 
gung schwimmend, übrigens auch der Bewegung ihres glas- 
arlig-durchsichtigen Körpers und seiner Arme fähig, wo- 
durch sie sich von den Larven der Ophiuren und Seeigel 
unterscheiden. Ich hielt die Bipinnaria von MHelsingör 
anfangs für die jüngste Form einer andern Gattung, der 
Brachiolarien, welche ebenfalls in Helsingör vorka- 
men und welche den Bipinnarien verwandt sind, und be- 
zeichnete beide am Schluss meiner Abhandlung wegen ih- 
rer sonderbaren Form als die Roccocolarve von Hel- 
singör. Ich stellte mir nämlich vor, dass die 3 Arme der 
Brachiolaria zuerst nicht vorhanden seien und späler erst 
bervorwachsen, Ablıandl d. Akad. d. Wiss. a. d. J. 1846. 
"p- 305. Anmerkung. Aus der weitern Untersuchung der Bi- 


88 


pinnaria asterigera ergiebt sich aber unzweifelhaft, dass 
die Larven, die ich jetzt beschreibe, Bipinnarien sind. 

Im jüngsten Zustande, so weit ich ihn kenne, war diese 
Larve 1” gross, die grössten dagegen, welche mir vorge- 
kommen, waren 2’, sie sind völlig durchsichtig. An den 
jüngsten ist die eine Seite, welche ich die Rückseite nenne, 
eonvex wie ein starkbauchiges Schiff. Das eine Ende ist 
abgerundet und hier biegt sich die Rückseite gegen die Bauch- 
seite um, und der Umschlag endet vor der Mitte der Bauch- 
seite mit einem freien Rande wie eine Klappe. Das andere 
Ende ist stumpf ohne Umbiegung. Auf der Bauchseite be- 
findet sich auf dieser Hälfte eine schildfürmige Figur, die 
wie das Deck eines Schiffes dem schiffföormigen Rückentheil 
aufgesetzt it. Zwischen dem, was ich die kappenförmige 
Umbiegung und dem, was ich das schildföormige Deck nenne, 
ist eine quere Bucht, welche in den Mund führt. Der Mund 
ist gestaltet, wie in allen den in der vorigen Abhandlung 
beschriebenen und abgebildeten Larven, ebenso der Schlund, 
der sich von Zeit zu Zeit kräftig zusammenzieht, und der 
Magen, welcher letztere in der bauchigen obern !) Hälfte 


1) Ich brauche den Ausdruck oberes und unteres Ende in Bezie- 
hung auf die übereinstimmende Stellung, welche den Abbildungen so- 
wohl in der ersten als zweiten Abhandlung über die Echinodermen- 
larven gegeben ist, so zwar, dass das dem Magen und Darm zuge- 
wandte Ende nach aufwärts, das dem Munde zugewandte Ende nach 
abwärts gestellt ist. Diese Stellung der Figuren, an sich gleichgültig 
und nur wichtig in der gleichen Behandlung derselben, war veranlasst, 
dass ich den Pluteus mit einer Staffelei und die Larve des Seeigels 

miteinem mit Füssen versehenen Uhrkasten verglich. Ich habe schon 
damals bemerkt, dass das dem Munde zugewandte Ende des Thiers 
beim Schwimmen vorausgeht, also das Ende, was in unsern Figuren 
nach unten gerichtet ist. Dasselbe gilt für alle Figuren dieser zwei- 
ten Abhandlung. Das dem Magen und After zugewandte Ende des 
Thiers, welches in unsern Figuren oben ist, ist beim Schwimmen das 
hintere; das entgegengesetzte, in unseren Figuren das untere, ist beim 
Schwimmen voran. 


8 


gelegen ist. Der Mund hat nämlich einen untern concaven 
und obern in der Mitte eingeschnittenen Rand. Oder die 
Unterlippe ist bauchig, die Oberlippe ist wie eine Hasen- 
scharte gestaltet. Nach oben hin setzt sich der Schlund fort, 
der mit einer Fleischlage von Zirkelfasern versehen ist. Der 
Magen ist länglich und wird gegen das Ende plötzlich dün- 
ner, wie wenn er in einen sehr kurzen Darm überginge. 
Dieser biegt sich nach der Bauchseite und endet dicht an 
dem kappenförmigen Theil, ohne dass es jetzt möglich wäre, 
mit Bestimmtheit eine Oeffnung zu sehen. Bei weiterer Ent- 
wickelung lässt sich an der Gegenwart des Afters nicht 
zweifeln. 

Diese kleinen Larven schwimmen und drehen sich be- 
ständig durch die Wimperbewegung an der Oberfläche ihres 
Körpers. Eine besondere Wimperschnur umgiebt ihren Kör- 
per wie ein zierlicher Saum. Oder vielmehr es sind zwei 
durch eine tiefe Furche getrennte Wimperschnüre. Die eine 
säumt die schildförmige untere Bauchhälfte und läuft am 
Rande dieses Schildes in sich selbst zurück. Die zweite 
Wimperschnur begleitet den Rand des ganzen Schiffchens 
bis auf den oberen Bauchtheil, geht am Rande der bauchi- 
gen Kappe über dem Mund von rechts nach links oder um- 
gekehrt quer herüber, läuft also auch in geschlossenem Zir- 
kel in sich selbst zurück. Die eine Schnur geht über, die 
andere unter dem Munde quer vorbei. Zwischen beiden be- 
findet sich die quere zum Munde führende Bucht: An den 
Seiten des Körpers befindet sich zwischen beiden Schnüren 
in gleicher Weise eine Längsfurche, welche amı unteren Ende 
von der einen zur anderen Seite umwvendet, 

Larven, die sich um das Doppelte vergrössert haben, 
sind nicht mehr schiffförmig, sondern mehr abgeplattet, die 
Rückseite schildföormig. Das Rückenschild biegt sich am 
obern stumpfen Theil des Körpers in die den Magen be- 
deekende ventrale Kappe um. Das untere Ende des Kör- 
pers verschmälert sich in zwei durch die Seitenfurchen ab- 


90 


gesonderte, zuletzt ganz von einander getrennte, hintereinan- 
der liegende Platten, eine ventrale und eine dorsale, welche 
die ersten Anfänge der beiden Flossen der Bipinnaria sind. 
Die Bauchplatte ist nichts anderes, als das verlängerte 
Bauchfeld oder Bauchschild mit seiner besondern Wimper- 
schnur; die Rückenplatte, das verlängerte Rückenfeld mit 
seiner Wimperschnur. Beide Platten sind am Munde durch 
den Einschnitt getrennt, wo die Seitenfurchen zwischen bei- 
den Platten und zwischen beiden Wimperschnüren in ein- 
ander übergeben. 

Der sich kräftig zusammenziehende Schlund, der Magen 
und Darm haben sich nicht verändert; der Darm ist deut- 
licher vom Magen abgesondert, der After deutlicher. Im 
ganzen Verdauungsapparat ist Wimperbewegung. 

Die nächste Veränderung ist, dass die Ränder des Rük- 
kenschildes und seiner kappenförmigen Umbiegung sowohl 
als des Bauchschildes einige ohrartige Zipfel entwickeln, 
welche die Wimperschnur mit ausziehen. Kalkstäbe sind in 
diesen Fortsätzen nicht enthalten, Das Thier bewegt sie 
langsam und verändert ihre Gestalt theils aus innerem An- 
trieb, 'theils wenn diese Stellen durch kleine Thierchen ge- 
reizt werden. Diese Zipfel sind ganz symmetrisch rechts 
und links, am vordern und hinteren Rande vertheilt. Einer 
befindet sich ohrartig jederseits am obern Ende an der Um- 
biegung des dorsalen Saums nach der Ventralseite, zwei je- 
derseits am Rückensaum, zwei jederseits am Bauchsaum, 
der eine an der obern, der andere an der untern Hälfte, 
also im Ganzen 5 paar Zipfel. 

Die charakteristischen Eigenschaften der Bipinnarien sind 
bald noch weiter entwickelt. Dahin gehören nämlich ausser 
den Zipfeln an den Seiten des Körpers die an dem untern 
Endiheil sich zeigenden 2 Lappen, welche hinter einander 
liegen, und an welchem jedem die Wimperschnur von rechts 
nach links übergeht: am dorsalen Lappen die Wimperschnur _ 
des Rückensaums, am ventralen Lappen die Wimperschnur 


91 


des Bauchsaums. An der Querfurche zwischen dem obern 
und uniern Bauchtheil und an den Seitenfurchen hat sich 
nichts geändert. Charakteristisch für die Bipinnaria ist also, 
dass die Wimperschnur am obern Ende nicht von rechts 
nach links, sondern an den hier befindlichen obersten ohr- 
artigen Zipfeln auf ihrer Seite vom dorsalen auf den ven- 
tralen Saum umbiegt, während am unteren Ende das Ge- 
gentheil stattfindet, indem die Schnüre an beiden hinter- 
einander liegenden Lappen von rechts nach links umsetzen. 
Dagegen ist es ganz unwesentlich, ob die beiden hinterein- 
ander liegenden Lappen oder Flossen gleich stark entwickelt 
sind oder nicht. Das Wesentliche liegt in den zwei hinter- 
einander liegenden Lappen mit den von rechts oder links 
zur entgegengesetzten Seite übergehenden Wimperschnüren. 
Denn gerade in diesem Punkte weichen andere Gattungen 
von Echinodermen ab. 

An einer Larve wurden neben dem Schlund und Magen 
auch noch zwei blinddarmartige Röhren beobachtet, welche 
unter dem Munde zusammenhingen, In diesen Röhren be- 
wegten sich Kügelchen zitternd. In andern Exemplaren ha- 
ben wir diese Röhren und ihre sich bewegenden kleinen 
Körnchen nicht deutlich wiedersehen können 1). 

Alle in Helsingör beobachteten Bipinnarien sind matt 
glasartig durehsichlig, und ungefärbt; sie scheinen zu einer 
und derselben Species zu gehören. Ein Exemplar zeichnete 
sich durch längliche und unregelmässige, wie Kerne von 
Zellen aussehende Körperchen aus, welche in seiner durch- 
sichligen Substanz zerstreut waren. 

Eiue in Marseille im Februar und März 1849 von mir 


1) In einer im März und April 1849 von Hrn. Van Beneden 
in Ostende beobachteten Echinodermenlarve, wovon er mir brieflich 
Kenntniss giebt, welche von ihm Brachina genannt, nach der Skizze 
ebenfalls zu den Bipinnarien gehört, sind diese Blinddärme und die 
Bewegung von Flüssigkeit in ihnen auch durch Van Beneden ge- 
sehen. 


92 


beobachtete Bipinnaria stimmt mit der Bipinnaria von Hel- 
singör fast in allen Punkten überein, einige Kleinigkeiten in 
der Gestalt der Zipfel abgerechnet, worauf jedoch wenig 
Werth zu legen, vielmehr ist aus den Figuren von Helsingör 
zu sehen, wie sehr die Formen der Zipfel sich ändern. Von 
der Bipinnaria von Marseille war ein Exemplar an allen 
Zipfeln, auch an den untern Lappen oder Flossen, mit einem 
orangefarbnen Fleck versehen. *) 


2. Bipinnaria asterigera Sars. 


Die in Helsingör beobachteten Bipinnarien waren nur 
2’ gross (ebenso diejenigen von Marseille). In diesem Zu- 
stande zeigen sie noch nichts von der Knospe des Echino- 
derms.. Durch die Güte des Hrn. Prof. Steenstrup in 
Kopenhagen erhielt ich zwei Exemplare der gegen 1—14 Zoll 
grossen Bipinnaria asterigera Sars in Weingeist. Die- 
ser hatte sie wieder von Hrn. Danielssen erhalten. Aus 
dem fortgesetzten Studium dieser Thierchen habe ich die 
Gewissheit erhalten, dass die in Helsingör beobachteten und 
gezeichneten Larven unzweifelhafte Bipinnarien, d. h. Lar- 
ven von Asterien aus der Zeit vor der Entwickelung des 
Seesterns sind, und in der Gattung von Asterien mit der 
Bipinnaria asterigera identisch sein müssen, dass sie 


*) Die Gattung Brachiolaria hat die Zipfel der Bipinnaria, auch 
denselben Verlauf der Wimperschnüre, aber statt der Endflossen drei 
mit einem Stern von Papillen gekrönte cylindrische Arme. Die Gat- 
tung Auricularia hat die Zipfel der Bipinnarien, nicht ihre Endflossen, 
und unterscheidet sich ferner von ihr, dass die Wimperschnur am un- 
tern Ende des Körpers nicht von rechts nach links, sondern wie oben 
von dem dorsalen Seitenrand auf den ventralen Seitenrand umbiegt 
und auf ihrer Seite bleibt. Die Gattung Tornaria ist nicht platt, son- 
dern mehr eiförmig, die Furchen und Wimperschnüre verlaufen im 
Allgemeinen wie bei Bipinnaria, aber die Zipfel fehlen und nur die 
Säume der Furchen sind mehr oder weniger aufgeworfen. Die Gat- 
tung Tornaria besitzt noch eine besondere kreisförmige Wimpersehnur 
um ihren runden Scheitel. 


ee 


93 


aber in der Species von dieser verschieden sind. Bei den 
im vorigen Artikel beschriebenen sehr kleinen Bipinnarien 
lässt sich das Thier in den eigentlichen Körper, vom Mund 
bis zum obern Ende, die Verdauungsorgane enthaltend, und 
den Schwanztheil unterscheiden, der von den letzten Seiten- 
zipfeln bis zu denı untern Ende der Flossenlappen reicht. 
Bei der Bipinnaria asterigera ist der letztere Theil sehr 
verlängert; er bildet einen auf den bewimpelten Obertheil 
und den Mund folgenden langen platten, einer kräftigen Be- 
wegung fähigen Anhang, woran die ventrale und dorsale 
Fläche, die Seitenränder und die Endflossen zu unterschei- 
den. Die Zipfel dagegen stehen am oberen Theil des Thiers 
jederseits sehr nahe beisammen. Der bewimpelte obere Theil 
beträgt nur den dritten oder vierten Theil der Länge des 
Ganzen. Der platte überall gleich breite Schwanztheil en- 
digt in zwei hintereinander stehende Lappen oder Flossen, 
wovon die eine ventral, die zweite terminal ist. 

Der zipfelarligen Arme zählte ich 14, also 7 auf jeder 
Seite. Die früheren Beobachter haben 12 angegeben. Die 
kleinen Bipinnarien von Helsingör und Marseille haben 10. 
Nach Koren und Danielssen bewegen sich die Zipfel- 
Arme der Bipinnaria asterigera beständig beim Schwim- 
men des Thiers. 

Zuoberst zwischen den obersten Zipfeln der einen und 
anderen Seite befindet sich der Seestern. 

In der Mitte innerhalb des Zipfelkranzes befindet sich 
eine hufeisenförmige Furche, die Convexität des Bogens nach 
abwärts gerichtet. Die Körperwand der Larve über der 
Concavität des Hufeisens springt deckelartig oder klappen- 
artig vor. Im der hufeisenförmigen Vertiefung, unter diesem 
Dach, befindet sich in der Mitte der Mund, wie gewöhnlich 
bei den Echinodermenlarven gestaltet und schon daran er- 
kennbar. Der Mund ist nämlich nach unten bauchig um- 
gränzt, nach oben hasenschartenartig eingerissen., Ueber 
dieser verlängerten Spalte liegt das Dach. Vom Munde ent- 


94 


springt der fleischige Schlund und geht aufwärts unter dem 
Dach zum Seestern. 

Oberhalb des Dachs oder Deckels ragt eine kurze Röhre 
hervor und ist am Ende offen, so dass man durch sie ein 
Haar einführen kann. Es ist die Afterröhre. Sie ist von 
Sars sowohl, als Koren und Danielssen gesehen. Sars 
nahm die Röhre, die er sich zusammenziehen sah, für den 
Mund der Bipinnaria und sagt, dass der Mund wie ein 
Schnabel vorstehend und hochroth gefärbt sei. Koren und 
Danielssen bezeichnen sie richtig als Afterröhre und sahen 
ihren Zusammenhang mit dem Darmkanal des Seesterns. 

Koren und Danielssen bemerkten auch die andere 
Röhre, die vorher Mund und Schlund genannt wurde, aber 
sie verkannten ihre Bedeutung und nahmen sie für eine in 
die Körperhöhle des Seesterns führende Respirationsröhre. 
Sie führt in der That in den Seestern, aber in den Magen 
selbst. Diese Röhre ist also der gemeinschaftliche Mund 
und Schlund der Larve und des Seesterns; vor der Bildung 
des Seesterns war sie Mund und Schlund der Larve; nach- 
dem der Seestern den Magen der Larve umwachsen und in 
sich aufgenommen, ist sie Mund und Schlund für beide und 
führt dem Magen und Darm im Innern des Seesterns Nah- 
rung zu, durch den Rücken des Seesterns, an einer dem spä- 
tern Mund des Seesterns entgegengesetzten Stelle. 

Koren und Danielssen haben von einem Munde der 
Larve nichts erwähnt und sprechen nur von dem ventralen 
Munde des Seesterns, scheinen also anzunehmen, dass der 
spätere Seesternmund auch für die Zeit, wo der Seestern 
noch nicht entwickelt war, der Mund des Thiers gewesen 
sei. Aber der spätere oder’ ventrale Mund des Seesterns 
bildet sich erst zuletzt an dem schon fertigen Seestern und 
er. ist an den von mir untersuchten beiden Exemplaren der 


Bipinnaria asterigera noch völlig verschlossen, indem 
die Haut des Seesterns conlinno darüber weggeht und ge- 


95 


rade im Centrum eine äusserst kleine punktförmige Erhe- 
bung bildet. 

Die wahre Deutung ergiebt sich einmal aus dem Bau der 
Bipinnarien, aus der Vergleichung mit den andern schon bekann- 
ten Echinodermenlarven und drittens aus der Zergliederung der 
Bipinnaria asterigera selbst. Aus den Jugendzuständen 
der Bipinnarien folgt, dass, was ich den Mund der Bipinna- 
ria asterigera nenne, wirklich der Mund ist, dass die Af- 
terröhre dem After der jungen Bipinnaria entspricht, Aus 
der Vergleichung mit andern Echinodermenlarven folgt diese 
Erklärung ebenfalls. Der Mund ist bei allen in gleicher 
Weise gebildet, unten bauchig, nach oben gegen den Schlund 
nach Art einer Hasenscharte eingerissen; er befindet sich 
immer in der Querbucht, welche hier die Hufeisenform an- 
genommen. Endlich aber entscheidet die Zergliederung der 
Bipinnaria asterigera und ihres Sternes die Sache zur 
völligen Evidenz. Die Schlundröhre inserirt sich in den 
Magen des Seesternes, welcher früher der Magen der Larve 
allein war, ehe der Seestern gebildet; ebenso führt der Darm 
des Seesternes jetzt in die Afterröhre aus, wie bei der jun- 
gen Bipinnaria der Darm der Larve in den After aus- 
mündet. 

Koren und Danielssen erwähnen die Flimmercilien 
nur im Allgemeinen an den Seiten des Schwimmapparates 
und un den Tentakeln.. An den in Weingeist aufbewahrten 
Exemplaren der Bipinnaria asterigera erkannte ich so- 
gleich die Wimperschnüre, wie an den jungen Bipinnarien 
angelegt. Die Wimperschnur ist eine doppelte. Beide 
Schnüre begleiten einander, durch eine Furche getrennt. 
Sie befinden sich an den Seitenrändern des Körpers, am 
dorsalen und ventralen Saume dieser Ränder, über und un- 
ter dem Munde an der hufeisenförmigen Querbucht gehen 
sie ‚quer über die Bauchseite herüber, an den Rändern die- 
ser Furche. Die eine längere Wimperschnur besetzt den 
obern Rand oder Deckel der hufeisenförmigen Bucht und 


96 


geht von da auf die Seiten des Körpers über, wo aus die- 
sem Theil der Wimperschnur Fortsetzungen auf 6 Arme je- 
der Seite ausgezogen sind, welche sie bis ans Ende der 
Arme oder Zipfel doppelt begleiten, um am Ende derselben 
in einander umzubiegen. Diese Wimperschnur geht, nach- 
dem sie die Arme doppelt mit mittlerer Furche besetzt, an 
der Seite des Schwanztheils herab und geht am Rande 
des terminalen Schwanzlappens von dieser zur anderen Seite 
herüber. 

Die zweite Wimperschnur besetzt den untern Rand der 
hufeisenförmigen Querfurche, geht also unter dem Munde 
her, biegt sich von da auf die Seiten des Körpers, duplieirt 
die vorher erwähnte erste Wimperschnur an den Seiten des 
Körpers, durch eine Furche von ihr getrennt, und geht von 
da ebenfalls auf die Seiten des schwanzförmigen Anhanges 
über, läuft hier der andern Wimperschnur parallel, so dass 
eine Farche zwischen beiden bleibt und geht um den zwei- 
ten, nicht terminalen, vielmehr ventralen Schwanzlappen 
herum, zur andern Seite, d. h. dem Rande der Flosse fol- 
gend von der rechten zur linken Seite oder umgekehrt. Man 
muss also an den Seiten des Schwanzes zwei Ränder oder 
Wimperschnüre unterscheiden, die durch die Furche der Sei- 
tenränder getrennt sind, den dorsalen Saum und den ven- 
tralen Saum, erstern die Fortsetzung des obern Saums der 
hufeisenförmigen Querbucht, auf den terminalen Schwanz- 
lappen übergehend, letzteren die Fortsetzung des untern 
Saums der hufeisenförmigen Bucht auf den ventralen Sch wanz- 
lappen übergehend. Von der zweiten oder ventralen Wim- 
perschnur erhält der siebente oder unterste Arm seinen 
Wimperbesatz, indem sich eine Schleife daraus auf diesen 
Zipfel auszieht. Also die obere uud zugleich dorsale Wim- 
perschnur versieht 6 Arme auf jeder Seite, die untere und 
zugleich ventrale Wimperschnur versieht nur einen Arm auf 
jeder Seite. Der letzte Arın unterscheidet sich auch durch 
seine Stellung, durch seinen Ursprung von der Ventralseite 


97 


und durch seine Richtung nach abwärts. In der Abbildung 
ist die Lage der Arme nur so weit verändert, dass man den 
ganzen Verlauf der Wimperschnüre und der Furchen über- 
sehen kann. Die hufeisenförmige Querfurche, in welcher 
die Mundöffnung, erscheint nunmehr selbst als die Fortsez- 
zung und quere Verbindung der mit den Wimperschnüren 
gesäumten andern Furchen. 

Es leuchtet nun die vollkommenste Uebereinstimmung 
mit den in Helsingör und Marseille beobachteten jungen 
Bipinnarien ein, 

Hinsichtlich des feineren Baues der thierischen Masse 
konnte an den in Weingeist aufbewahrten Exemplaren nichts 
mehr ermittelt werden. Koren und Danielssen erkann- 
ten in der Haut unter dem Mikroskope unregelmässige Kalk- 
stückchen. Unter der Haut sahen sie eine Muskelschicht 
von Quer- und Längsfasern, durch welche die Tentakeln und 
der übrige Schwimmapparat sich zusammenziehen können. 

Der Seestern der Bipinnaria asterigera erscheint 
am obern Umfang des Körpers der Larve, über den Armen, 
so wie man die Himmelskugel auf den Schultern des stern- 
kundigen Königs Allas vorstellt. Die Rückseite des See- 
sterns ist schief gegen den Körper der Jarve gekehrt, und 
hängt an einer Stelle, einem Interradialraum des Seesterns 
entsprechend, mit der Larve zusammen. Die Bauchseite des 
Seesterns ist mit dem noch geschlossenen Mund von der 
Larve abgekehrt. Die ideale Axe des Seestern durch sein 
dorsales und ventrales Centrum geht schief von unten nach 
aufwärts rückwärts. Die Afterröhre steht so, dass ihre 
ideale Fortsetzung in den Seestern links vom untern Inter- 
radius des Seesterns, seitwärts der Mitte fällt, wo sich am 
ausgebildeten d. h. erwachsenen Seestern die kleine im Sy- 
stem der Asteriden von Müller und Troschel nach- 
gewiesene Afteröffnung befindet. Die Axe des Seesternes 
kreuzt sich mit der Axe der Larve. Die Bauchseite des 


Seesternes sieht nach oben und hinten zugleich etwas seit- 
Müllers Archiv, 1819, 7 


98 


wärts, ' Die schiefe Stellung des Echinoderms gegen die 
Larve habe ich auch an allen den andern von mir beschrie- 
benen Larven bemerkt. 

Der Seestern der Bipinnaria asterigera, im fti- 
schen Zustande rolh, hat fünf kurze Radien oder Arme, 
einen gewölbten Rücken, den Rand ohne Randplaiten, in 
jeder Armfurche zwei Reihen Füsschen mit kolbigem Ende, 
deren an unseren Exemplaren 8 Paare in einer Armfurche 
entwickelt sind. Er gehört also nicht zur Galtung Astera- 
canthion, welche 4 Fussreihen besitzt; er gehört ferner 
zur Abtheilung der Asterien mit 2 Fussreihen und After. 
Damit stimmt auch die Gestalt der Füsschen, welche bei 
den afterlosen Seesternen konisch sind und spitz endigen, 
bei den mit After versehenen Seesternen aber wit Saugplat- 
ten am Ende versehen sind. Auf der Rückseite sowohl als 
Bauchseite befinden sich zerstreute kurze Stachelchen, wel- 
che nach aussen von den Bauchfurchen sich in eine Reihe 
ordnen, so dass jedes Füsschen nach aussen ein Stachelchen 
neben sich bat. Nach aussen davon bis zum Rande noch 
andere Reihen. Von den Asterien Norwegens mit 2 Tenta- 
kelreihen und After kann es Asteropsis pulvillus nicht 
sein, weil der Körper dieses Sterns nicht mit Stacheln be- 
setzt ist. Eine Bestimmung auf die Gattung von Asterien 
ist dermalen noch nicht möglich; es wird aber an Aste- 
riscus und Pteraster zu denken sein. In Hinsicht der 
Stacheln verweise ich auf Koren und Danielssen. Sie 
geben an, dass jedesmal 4 oder 5 kleine Stachelchen auf 
einem Kalktuberkel sitzen und haben das Kalkskelet der 
Stachelchen abgebildet. In dieser Form finden. sie sich an 
den erwachsenen nordischen Asterien nicht mehr vor. An 
unsern beiden Exemplaren der Bipinnaria asterigera 
sind übrigens die Stacheln noch nicht so weit ausgebildet 
und sehen, von der Haut eingehüllt, mehr cylindrisch aus. 

" Der Seestern der Bipiunaria asterigera besitzt noch 
keine Madreporenplatte, Bei der ersten Mittheilung über die 


99 


Larven der Ophiuren und Seeigel (Bericht über die Ver- 
handlangen der Akad. d. Wissensch. 1846. Oct. p. 310.) habe 
ich zu beweisen gesucht, dass die Ansicht von Sars nicht 
richtig sein könne, dass sich die Madreporenplatte aus den 
vergänglichen Fortsätzen der Larve des Echinaster Sar- 
sii,. womit sich diese Larve in der Bruthöhle der Mutter 
festhält, entwickele, und ich habe meine Meinung auf die 
Beobachtungen über die Seeigellarven mit so vielen an 
den verschiedensten Theilen des Körpers abgehenden Fort- 
sälzen gestützt. Koren und Danielssen haben unterdess 
die Meinung von Sars über den Ursprung der Madreporen- 
platte durch eine andere wahrscheinlichere ersetzt und durch 
ihre Beobachtungen an der Bipinnaria asterigera be- 
gründet. Diese Ansicht von Koren und Danielssen wird 
durch unsere Zergliederung dieses Thieres sowohl: bestätigt 
als modifieirt, 

Die Röhre, welche Koren und Danielssen Athem- 
röhre nennen, und welche zufolge meiner Untersuchung 
nichts anderes als der Larven-Mund und Schlund ist, inse- 
rirt sich in den Seestern. Bei dieser Gatlung von Seester- 
nen trennt sich der ausgebildete Seestern von der übrigen 
Larve, und dieses geschieht nach Koren und Danielssen 
so, dass die genannte Röhre unter starken Contractionen 
abreisst, und mit dem Schwimmapparat oder Larvenrest 
verbunden bleibt. der Seestern aber in der Nähe des Afters, 
da wo die genannte Röhre festgesessen, mit "einer Spalte 
vers ist. Der Schwimmapparat bewegt sich nach der 
ale von dem Seestern noch mehrere Tage. Als sie 
die Trennung bei den Bipinnarien künstlich vornahmen, be- 
merkten sie jedesmal ausser der Afterröhre am Seestern die 
Spalte au der Stelle, wo der Kanal vorher befestigt war. 
Durch die Vernarbung dieser Spalte scheint sich also die 
Madreporenplatte zu bilden. 

Die Bipinnaria asterigera ist gross genug, um sie 
unter einer starken Loupe mit Nadeln zu zergliedern. Hie- 


1 


106 


bei zeigte sich, dass der Larvenschlund, eine sehr fleischige 
und consistente Röhre, in die Rückenseite des Seesterns ex- 
centrisch und interradial eintritt. Die Verbindung des See- 
sternes und der Larve befindet sich nicht in der Mitte des 
Rückens der Asterie, sondern im untern Interradialraum. 
Die Schlundröhre durchbohrt hier nicht nur die Leibeswand 
des Seesterns, sondern die verengte Fortsetzung des Schlun- 
des geht direct in die Wände des Magens über. Reisst man 
den Larvenschlund vom Seesitern ab, so findet sich in der 
Haut des Seesternes und in der Wand des Magens eine kleine 
Oeffnung. Die Afterröhre liegt links von dieser Oeffnung, 
aber ganz nahe dabei; sie befindet sich nicht im untern Inter- 
radialraum, sondern im linken angrenzenden Radialraum 1), 
von’ der Mitte des Scesterns beträchtlich entfernt. Der Ma- 
gen ist zu dieser Zeit noch ein rundlicher Sack, ohne die 
Blinddärme des erwachsenen Seesternes. Koren und Da- 
nielssen haben statt des Magens einen dünnen gewunde- 
nen Darmkanal abgebildet, der von der ventralen Mitte oder 
von der Gegend des spätern Mundes des Seesternes eine 
Kreiswindung bis zur Afterröhre macht, was zu den Ver- 
dauungsorganen des erwachsenen Seesternes durchaus nicht 
passen‘ würde. Ich finde bei der Zergliederung der Bipin- 
naria asterigera in beiden Exemplaren übereinstimmend 
einen den grössern Theil der Leibeshöhle des Seesterns aus- 
füllenden Magen, der sich in einen gewundenen Darm fort- 


1) Man sollte nach Analogie derjenigen Seeigel, bei denen der 
After in einem Interradialraum liegt, gegenüber dem vordern Poren- 
felde oder Radius (Spantangus, Clypeaster, Echinoneus), er- 
warten, dass die Afterröhre auch nicht einem Radial-, sondern einem 
Interradialraum entspreche, Sie steht aber entschieden bei beiden 
Exemplaren der Bipinnaria asterigera auf dem Radius selbst. 
Beim erwachsenen Seestern, wo die Afteröffnung meist links vom Me- 
ridian der Madreporenplatte liegt, ist sie der dorsalen Mitte so nahe 
gerückt, dass es schwer ist zu sagen, ob sie im nächsten linken Ra- 
dial- oder nächsten linken Interradialraum ihren Sitz hat, 


5 101 


setzt. Bei dem am Rücken geöffneten Seestern geht der 
Darm, dicht auf dem Magen aufliegend, nach links, macht 
einen starken Bogen an zwei Radien der Asterie vorbei bis 
zur Afterröhre und geht über dem dritten Radius in die 
Afterröhre über. Wo Magen oder Darm das Innere eines 
der fünf Arme berühren, sind sie dahin ausgebuchtet. Die 
Afterröhre hat zwei Schichten, die innere ist die Fortsetzung 
des Darmes, die äussere hängt mit der Haut des Seesternes 
und der Larve zusammen. 

Vergleichen wir nun hiemit die Anatomie der jungen 
Bipinnarien vor der Entwickelung des Seesternes, so ergiebt 
sich, dass der Magen und Darm der Larve in den sich ent- 
wiekelnden Seesiern mit aufgenommen wird, und dass die- 
ser Verdauungsapparat dann bis zur Trennung des Seesterns 
beiden gemeinsam ist. Es ist der Schlund der Larve, wel- 
cher vom Seestern abreisst. 

Die Stelle, wo der Schlund der Larve vom Seestern 
abgerissen ist und eine Oeffnung im Magen des letztern zu- 
rückgelassen, befindet sich in dem untern der 5 Interradial- 
felder des Seesterns, d. h. in demjenigen, welcher der Larve 
zugewandt war, und zwar in der Mitte zwischen dem dor- 
salen Centrum des Seesterns und dem ventralen Ende die- 
ses Interradius. Ebensoweit vom dorsalen Centrum entfernt 
ist der Austritt der Afterröhre und links von der vorher ge- 
nannten Oefflnuung. Der abgerissene Seestern klafft aber noch 
an zwei andern Stellen: die eine liegt dicht über der Ein- 
trittsstelle des Schlundes, der Mitte näher, die andere dicht 
unter der Eintrittsstelle des Schlundes, dem Rande des See- 
sterns näher; beide in demselben Interradialfeld mit der Ein- 
trittsstelle des Schlundes. Alle drei Stellen sind durch häu- 
tige Säume mit abgerissenen Rändern getrennt, Die obere 
klaffende Stelle führt in die Leibeshöhle des Seesterns zwi- 
schen Magen und Leibeswand und ist in dem einen Exem- 
plar sehr deutlich wahrgenommen, in dem andern Exemplar 
nichts an diesem war die Rückenwand des Seesterns über 


102 “ 


dem Magen entfernt worden, ehe ich auf diese klaffende 
Stelle aufmerksam geworden. Die untere klaffende Stelle 
ist in beiden Exemplaren wahrgenommen. Die obere klaf- 
fende Stelle, welche in die Leibeshöhle des Seesterns führt, 
muss mit einem Theile des Larvenkörpers communieirt ha- 
ben, der vor dem Schlund in der Gegend des Deckels über 
der hufeisenförmigen Querfurche lag. Die unterste klaffende 
Stelle des Seesterns muss mit einem Theile des Larvenkör- 
pers eommunicirt haben, der hinter dem Schlunde an der 
Dorsalseite der Larve lag, wo man auch an der theilweise 
oder ganz abgerissenen Larve eine kleine Lücke wahrnimmt, 
also ein kleiner der Länge nach herablaufender Raum zwi- 
sehen Schlund und Rückenhaut der Larve. 

Die unterste klaffende Stelle im untern Interradialfeld 
der Rückenhaut des Seesterns führt, wie es -scheint. nicht 
in die Leibeshöhle des Seesterns, sondern dicht unter der 
Haut des Seesterns in einen besondern ziemlich weiten Ka- 
nal, der bis zum ventralen Ende des Interradialfeldes geht. 
Dass der Anfang dieses Kanals seine eigenen Wände hat, 
darüber bin ich gewiss; dass er sie in ganzer Länge hat, 
vermuthe ich: konnte es aber bei der Kleinheit der Gegen- 
stände und bei dem Zustande ihrer Erhaltung in Weingeist 
nieht ausmachen. Hierüber Gewissheit zu verschaffen, ist 
weitern Untersuchungen vorbehalten und anempfohlen., 

Dieser Kaual scheint entweder die erste Anlage des 
Steinkanals des erwachsenen Seesterns, oder die zwischen 
dem Säulchen des Steinkanals und der Haut des Seesterns 
befindliche inlerradiale wenig beachtete Höhlung zu sein, 
welche im erwachsenen Seestern im Interradius der Madre- 
porenplatte, von dieser an unler der Haut bis zu dem Mund- 
winkel führt und hier geschlossen aufhört. Sie ist auf bei- 
den Seilen von sehnigen Septa eingeschlossen, welche das 
Säulchen des Steincanals zwischen sich haben; die dorsale 
Wand wird von der Haut des Seesterns gebildet, die innere 
Wand ist häutig; in ‚dieser innern Wand liegt das Säulchen 


Ey 


3 103 
des Steinkanals, welches mit dem einen Ende auf die innere 
Fläche der Madreporenplatte aufgesetzt ist, mit dem andern 
Ende auf die Ventralseite des Seesterns interradial, seitwärts 
am Munde, aufgeselzt ist. v. Siebold (s. dieses Archiv, 
1836. p. 291. Tab. X. fig. 14—18) hat diese Theile genau 
angegeben und auch das Labyrinth von gerollten Kalkblätt- 
chen im Iunern des Steinkanals kennen gelehrt. Vom Stein- 
kanal ist es durch Tiedemann bekannt, dass er mit dem 
Wassergelässsystem des Seesterns für die Fühler durch den 
ringförmigen Kanal um den Mund, in welchen der Steinka- 
nal übergeht, zusammenhängl. Welche Bedeutung dagegen 
die eben bezeichnete Höhle zwischen Haut und Steinkanal 
hat, ist nicht untersucht und nur an frischen Seesternen aus- 
zumitieln, Ich habe diese Höhle in allen Gattungen von 
Seesternen wiedergefunden. Bei Astrogonium phrygia- 
num ist die der fraglichen Höhle zugewandte Seite des Säul- 
chens oder Steinkanals mit mehreren hohen häuligen Falten 
der Länge nach besetzt. An dem Säulchen ist auf der andern 
freien Seite bekanntlich das Herz des Seesternes angeheftet. 

Ich vermuthe, dass der fragliche Raum des Seesterns 
der Bipinnaria mit einem Leibesraum der Larve zusammen- 
hängt, vielleicht mit dem ausserhalb des Verdauungsappara+ 
tes der Larve unterschiedenen System, in welchem die zit- 
ternde Bewegung von Körnchen gesehen wurde, 

Vom Steinkanal liess sich an den zwei zergliederten 
Exemplaren der Bipinnaria asterigera sonst nichts er: 
kennen: er müsste sich, wenn es nicht der beschriebene weite 
Kanal selbst ist, in der innern Wand des untern klaffenden 
Kanals des Seesternes bilden. Bei dieser Gelegenheit will 
ich nicht unterlassen zu erwähnen, dass diejenigen Seesterne; 
welche zwei Madreporenplatien in verschiedenen Interradial- 
feldern besitzen, auch zwei entsprechende Steinkanäle nebst 
allen dazu gehörenden Strukturverhältnissen besitzen. 

Man kann daher mit Zugrundelegung und Verbesserung 
der Beobachtungen von Koren und Danielssen die Ansicht 


104 . 


der leiztern über den Ort der Bildung der Madreporenplatte 
dahin ändern, dass die Madreporenplatte sich bildet an der 
Stelle, wo der Schlund der Larve sich von dem bisher ge- 
meinschaftlichen Magen trennt, und wo ausserdem noch eine 
andere Verbindung ausser den Verdauungsorganen getrennt 
wird und vernarbt. Die Madreporenplatte ist als Nabel zu 
betrachten, wo das Echinoderm durch den Nahrungskanal 
der Larve mit dieser zusammenhing, Der Stern der Bi- 
pinnaria hat zu der Larve zuletzt das Verhältniss, wie ein 
Wirbelthier zu den secundinae (Dottersack, Nabelgefässe, 
placenta), weil die Larve mit ihrem Mund und Schlund 
und noch andern Verbindungen dem Echinoderm und die 
secundinae dem Wirbellhier die Ursache der Nahrung und 
des Wachsthums sind. 

Bei Echinaster Sarsii M. T. und Asteracanthion 
Mülleri Sars stösst sich nicht einmal ein Theil der Larve 
ab, sondern die Larvenreste werden verzehrt und von der 
auftretenden Form des Seesterns absorbirt. Der Bau der 
Larven dieser Echinodermen ist noch nicht bekannt und ich 
konnte an den in Weingeist aufbewahrten Larven von Echi- 
naster Sarsii, welche ich der Güte des Hrn. Stiftsamtmann 
Christie in Bergen verdauke, wegen ihrer tiefrothen Fär- 
bung und Undurchsichtigkeit nichts ermitteln, nieht einmal, 
ob zwischen den vier stumpfen kolbigen Fortsätzen eine 
Mundöffnung ist, wie man es vermuthen sollte, oder nicht. 
Ich glaube hier allerdings einen porus zu sehen. Die kol- 
bigen Fortsätze enthalten in ihrem Innern eine Höhlung. 

Man kann diese letztern Seesterne mit gänzlicher Um- 
wandlung und Absorption der Larvenorgane in die Seestern- 
form der Entwicklung der nackten Amphibien, die Bipinna- 
rien aber den übrigen Wirbellhieren vergleichen, indem bei 
den nackten Amphibien der ganze Dottersack in die Bauch- 
wände und Darmwände des Thiers verwandelt wird und - 
kein Anhang übrig bleibt; bei andern Wirbelthieren aber der 


2 . 105 


Dottersack und noch andere Foetusorgane als Anhang übrig 
bleiben. 

In allen Seesternen bleibt übrigens etwas zurück, wel- 
ches das ursprüngliche Verhältniss der Larve zum Seesterne 
und noch im erwachsenen Seestern die Richtung der Lar- 
venaxe zum Seestern anzeigt. Ich habe hierauf schon in der 
ersten Abhandlung über die Echinodermenlarven (Abhandl. 
d. Akad. a. d. J. 1846. p. 303) aufmerksam gemacht. Es ist 
das von der excentrischen und interradialen Madreporenplatte 
ausgehende den Seestern durchsetzende und auf die Ventral- 
seite interradial und excentrisch stossende Säulchen des 
Steincanals. Wenn sich (ausser den Verdauungsorganen) 
vielleicht noch ein Behälter mit cireulirenden Körnchen in 
den Seestern fortsetzt, so steht dazu der spätere Steincanal 
in Beziehung: wer würde bei dieser Eventualität nicht an 
das ligamentum teres und den Nabel der Wirbelthiere 
denken? 

Der Vergleich mit dem ligamentum teres würde je- 
doch insofern nicht ganz richtig sein, als das ligamentum 
teres ein obliterirter Gefässcanal ist, der Steincanal aber 
in offener Verbindung mit dem Wassergefässsystem der Füh- 
ler steht und sogar durch die poröse Madreporenplätte von 
aussen Wasser empfangen oder nach aussen abscheiden kann. 
Die Madreporenplatte ist nämlich von zahlreichen Poren 
durehbohrt, welche sich in den Steincanal öffnen. Sharpey 
Echinodermata, Lond. 1837. p. 6. Cyelopaedia of 
anatomy and physiology, Vol. II. Lond. 1839. p. 35. 
Agassiz Comptes rendus hebd. de l’acad. des 
sciences, T. XXV. Paris 1847. p. 679. Beim Seeigel 
fehlt zwar der Steincanal an der Madreporenplatte, aber 
diese ist ebenso porös und öffnet sich nach Agassiz in ei- 
nen häutigen Canal des Wassersystems, Sharpey und 
Agassiz betrachten die Madreporenplatie als ein Filtrum 
für das Wassersystem, Dinte dringt schnell durch die Ma- 
dreporenplatte eines trocknen Seesterns in den Steincanal 


106 


und sammelt sich dort an, wenn die Venitraälseite des See: 
sterns nach unten gehalten wird. Nun dringt zwar Dinte 
auch durch alle Kalktheile der Seeigel und Seesterne schnell 
durch, wird aber nicht tropfenweise durchgelassen, sondern 
infiltrirt nur das Kalknetz der Skelettheile. 

Das Filtrtum der Madreporenplatte ist nicht allgemein 
unter den Asteriden und scheint deshalb auch für das Was- 
sergefässsystem eines Echinodermen nicht unentbehrlich zu 
sein. Die Euryalae haben die Madreporenplatte noch und 
zwar ventral, ohne Steincanal, an einer der 5 Mundecken; 
bei den Ophiurae erkennt man in seltnen Fällen noch ei- 
nen Eindruck, ebenso an einem der 5 Mundschilder, niemals 
aber eine Porosität. Dies deutet darauf hin, dass die Ma- 
dreporenplatte weniger eine bestimmte Function hat, als mit 
der Generation der Gattungen und der Art ihrer Verwandlung 
im: Zusammenhange steht. 

Am Schlusse dieser Bemerkungen ist noch darauf auf- 
merksam zu machen, wie der Seestern der Bipinnaria 
asierigera auf das deutlichste beweist, dass der After, 
oder wenn man will, das Hintere an einem Seestern, nicht 
in den Meridian der Madreporenplalte fällt, vielmehr beide 
ganz anderen Meridianen angehören, vras in der vorigen Ab- 
handlung auch für mehrere Gattungen von Seeigeln, nament- 
lich Echinoneus, bewiesen worden ist. 


Anmerkung. Ueber einen nach Art des Echinaster Sarsii 
und nicht aus einer Bipinnaria, also mit rascher Metamorphose des 
Embryon sich entwickelnden Seestern (Echinaster) sind neuerlich 
Beobachtungen in Nordamerika angestellt. Desor Proceedings of 
the Boston soc. of nat. hist. 1848. Febr. Agassiz in seinen 
Lectures on embryology, abgedruckt in dem Nordamerikanischen 
Tageblatt American Traveller Vol. XXIV. n. 41. Boston Dec, 22. 
1848 und die Fortsetzung in Daily evening Traveller Vol. IV. 
n. 224. Dec. 22, 1848 (mit Holzschnitten). Desor in Müller’s Archiv 
für Anat. u. Physiol. 1849. 2s Hft. Es stösst sich kein Theil des jun- 
gen Thieres ab, wenn es die Seesternform annimmt. Von einem Lar- 
venmund ist nichts gesehen. Die ganze Entwickelung vom Ei bis zum 


” 
107 


Seestern geht in wenigen Tagen vor sich. Man unterscheidet eine 
Portion des ausgeschlüpften Embryon, die sich allmählig in die Schei- 
ben- und Sternform umwandelt; eine andere, die als stielförmiger An- 
hang an der Scheibe hängt und zuletzt auf der Ventralseite des Sterns 
nahe dem Munde als Anhang zurückbleibt und allmählig ganz absor- 
birt wird. Mehrere Larvenfortsätze, wie am Echinaster Sarsii, 
waren nicht vorhanden, und namentlich waren solche an der Rückseite 
der Scheibe oder des Sterns nicht. Auch beim Asteracanthion 
Mülleri Sars bleibt ein kolbiger Fortsatz auf der ventralen Seite des 
Sterns zurück und geht hier allmählig ein. Sars Fauna litoralis 
Norvegiae, Christiania 1846. Taf. 8. fig. 42. Agassiz betrachtet 
diesen ventralen Anhang als einen Dottersack-Anhang. Da dieser Fort- 
satz ventral ist, so zeigt sich daran wieder, dass die primitiven Fort- 
sätze der Echinasterlarve von Sars nicht: sämmtlich in die Madrepo- 
renplatte verwandelt werden können. Von zweien dieser Fortsätze 
hat es Sars gesehen, dass sie dahin rücken und da verschwinden, wo 
hernach die Madreporenplatte ist. 

Meines Erachtens lassen sich die Asterien mit schneller und ein- 
facher Umwandlung in den Stern kurz nach dem Ausschlüpfen aus dem 
Ei.also ansehen. Es ist ein äusserst kurzer fast embryonischer Lar- 
venzustand vorhanden, und es könnte daher wohl sein, dass diese Lar- 
ven vor ihrer Verwandlung noch keine Verdauungsorgane und noch 
keinen Mund besitzen. Ich vermuthe jedoch einen zusammengesetztern 
Bau. Dafür spricht schon die Absetzung der Kalkerde, welche vor der 
Oellnung des spätern Seesternmundes in dem Seestern dieser Larven 
zu erfolgen scheint. Das Verhältniss der Larven zu der spätern Form 

scheint aber im Wesentlichen dasselbe zu sein, wie bei den Bipinna- 
rien und andern Echinodermen mit lange dauerndem Larvenzustand und 
vollkommener Organisation der Larven. Die Larvenaxe ist nicht die 
Axe des Seesterns. Als Larvenaxe betrachte ich eine von einem dor- 
salen Interradius des Sterns nach dem entsprechenden ventralen Inter- 
radius gezogene Linie, welche mit dem spätern Steinkanal sammt Ma- 
dreporenplalte zusammenfälit. Die Larve, so einfach sie ist, kann. oben 
oder unten, oder nach oben und unten Fortsätze haben. Diese Fort- 
sätze scheinen bald symmetrisch zwei oben und zwei unten, bald aber 
nur drei öder selbst nur einer sein zu können, und wenn die Scee- 
sternform hervortritt, bleiben diese Fortsätze bald auf beiden Seiten, 
bald auf einer zurück, bei Asteracanthion Mülleri jedenfalls ein 
wentraler, beim Echinaster von Agassiz und Desor nur ein ven- 
traler, der als die Verlängerung der Axe der embryonischen Larve 
betrachtet werden muss, Da dieser ventrale Stiel’, wie von Agassiz 
und Desor abgebildet ist, nicht mit dem spätern Mund zusammenfällt, 


108 


sondern nach Ausbildung des Magens und Mundes, seitwärts vom Mundo 
steht, so scheint mir die Stelle, wo dieser ventrale Stiel hervortritt, 
nichts anderes zu sein, als die Stelle, wo beim erwachsenen Seestern 
der Steinkanal den Seestern durchsetzend auf die Ventralseite stösst 
und in den Ringkanal um den Mund einmündet. 


Sars (Wiegm. Arch. 1844) betrachtet die Verwandlung 
des Echinaster Sarsii und des Asteracanthion Mül- 
leri aus der bilateralen in die Seesternform als eine un- 
vollkommene Metamorphose, und in der That schien es sich 
bei diesen Asteriden (und zugleich bei der von Agassiz 
und Desor beobachteten Species) nur um eine Metamor- 
phose zu handeln, so lange man keine anderen Thatsachen 
kannte. Auch aus. den früheren Beobachtungen über die 
Bipinnaria konnte nichts anderes erschlossen werden. So- 
wohl Sars, als Koren und Danielssen betrachten die 
Bipinnaria asterigera als einen sich entwickelnden See- 
stern mit Schwimmapparat. Wenn man annehmen musste, 
dass der Seestern aus der ursprünglichen Form der Bipin- 
naria hervorgegangen, so lag doch damals nichts weiter vor, 
als eine Metamorphose; niemand war es eingefallen oder 
konnte es einfallen, bei den Echinodermen einen Generations- 
wechsel anzunehmen. In der That, der Seestern konnte 
entstanden sein wie der Schmetterling aus der Raupe, der 
Frosch aus der Froschlarve, und wie die Larvenform des 
Echinaster von der Seesternform absorbirt wird, oder wvie 
der Schwimmapparat, ‘die Larvengebilde vom Seestern sich 
abstossen, so wird die Form der Froschlarve von der Form 
des Frosches absorbirt und theilweise, wie Schwanz, Kie- 
men, aufgegeben. 

Die in meiner ersten Abhandlung niedergelegten Beob- 
achtungen über die Metamorphose der Ophiuren und See- 
igel und ebenso die über Aurieularia zeigen uns dagegen eine 
ganz andere Art von Metamorphose, welche ohne Zweifel 
in der ganzen Klasse der Echinodermen gemein sein wird 
und welche daher auch für die von Sars, Agassiz und _ 


109 


Desor beobachteten Asterien gelten wird. Das \Vesentli: 
che und Neue besteht darin: Die neue Thierform erscheint 
in der alten wie eine Knospe, zuerst sehr klein, an einer 
Stelle bei Seite innerhalb der vollkommen organisirten Larve; 
diese Knospe entwickelt sich auf Kosten des Mutterstam- 
mes, Ich verglich bei der ersten Mittheilung über diese Ge- 
genstände die Larve mit einem Stickrahmen und das Echi- 
noderm mit der darauf ausgeführten Stickerei. Das Echino- 
derm ist lange ein völlig neues Geschöpf in der Larve; ich 
zeigte, dass sein Mund von dem Mund der Larve verschie- 
den ist, von neuem und an einer ganz andern Stelle ent- 
steht, dass die Axe der Larve sich mit der Axe des Echi- 
noderms kreuzt, dass die Seiten des einen und andern ver- 
schieden, die Bauch- und Rückenseite der Larve ein anderes, 
als die Bauch- und Rückenseite des Echinoderms, vorn und 
hinten bei beiden verschieden sind. Ich bewies aber auch, 
dass, indem die Larve verloren geht, ihr Magen und Darm 
das einzige ist, welches in das neue Thier aufgenommen 
wird. 

Auf Grund dieser Beobachtungen bemerkte ich in der 
vorigen Abhandlung am Schlusse über die Natur dieser Me- 
tamorphose, dass dieselbe der Larvenzeugung oder 
der geschlechtslosen Knospenzeugung beim Gene- 
rationswechsel verwandt sei. Am nächsten stehe sie 
der Metamorphose des Monostomum mutabile (siehe 
Siebold Wiegm. Archiv 1835). Das heisst, sobald die Lar- 
venzeugung durch innere Knospen nur eine einzige Knospe 
statt mehrere hervorbringe, so sei sie von der Metamorphose 
der Echinodermen nicht zu unterscheiden. Ob aber eine 
oder mehrere Kuospen erzeugt werden, könne nicht wesent- 
lich sein. Die Bipinnaria asterigera sei nicht als 
Schwimmapparat des Seesternes aufzufassen, wie es die 
Norwegischen Naturforscher angesehen, Die Larve der Aste- 
rien, Opbiuren, Seeigel sei die Amme des Echinoderms in 
doppeltem Sinne des Wortes, einmal im Sinne von Steen- 


110 


strup, d. h. im Sinne des Generationswechsels, dann auch 
im gewöhnlichen Sinne des Wortes: denn die Larve speiset 
das Echinoderm als ihre Knospe. 

In einer kürzlich erschienenen Schrift von Victor Ca- 
raus zur nähern Kenntniss des Generalionswechsels, Leipz, 
1849. 8. wird der Generalionswechsel auch den Echinoder- 
men für bestimmt zugeschrieben und geschlossen, dieses folge 
aus den Untersuchungen von Sars und Müller; es wird 
aber auch der Ausdruck Larven getadelt. Mir scheint hier 
sowohl aus den Beobachtungen von Sars, als von mir zu 
viel geschlossen zu werden. Was Sars betrifft, so hat er 
bekanntlich die ersten auf die Metamorphose der Echinoder- 
men bezüglichen Thatsachen entdeckt; den Generationswech- 
sel der Echinodermen hat er nicht beobachtet, noch aus 
seinen Beobachtungen folgern können; denn es lag damals 
nichts vor, was auf diese Ansicht hätte führen können. 
Was meine Untersuchungen betrifft, so wird von Carus 
auch zu viel daraus gefolgert; ich muss vielmehr dabei ste- 
hen bleiben, wie ich mich in meiner vorigen Abhandlung 
ausgedrückt habe, dass die Metamorphose dieser 
Thiere der Larvenzeugung oder der geschlechts- 
losen Knospenzeugung beim Generationswechsel 
verwandtist. Alle von mir in der vorigen Abhandlung 
angeführten Gründe und alle, welche die in der gegenwär- 
tigen Abhandlung niedergelegten Beobachtungen an die Hand 
geben, beweisen nicht mehr und nicht weniger. Ich hatte 
mir vorbehalten, hierauf in der zweiten Abhandlung zurück- 
zukommen. Das Echinoderm entsteht als eine Knospe, ala 
ein sehr Kleines in dem Leibe der Larve, es wird ein neues 
Wesen angelegt, genährt, ausgebildet; aber ausser dem hier 
offenbaren Generationswechsel kommt etwas vor, welches 
unter das Priueip der Metamorphose gehört und nicht un- 
ter das Prineip des Generationswechsels. 

Das dureli Knospe entstandene neue Wesen umwächst 
den Magen und Darm des alten; auch der After der Larve, 


411 


wenn ein solcher vorhanden war (Bipinnaria), bleibt bei 
dem neuen Thier; der Magen und Darm aber wird ganz 
hinübergenommen. Es geschieht also mit Magen und Darm, 
was mit den meisten Organen, nicht allen, bei der Ver- 
wandlung des Frosches geschieht, dass sie in die neue Form 
mit hinübergenommen werden. Ausser den Verdauungsor- 
ganen besitzt die Echinodermenlarve keine wesentlichen an- 
dern innern Eingeweide; die neue Form nimmt nicht den 
Schlund, aber das Haupteingeweide, bis ans Ende des Ver- 
dauungsapparates mit. Und damit ist bewiesen, dass das 
Princip der Metamorphose ebenso unverkennbar bei der Ent- 
wickelung der Echinodermen auftritt, als das Prineip des 
Generationswechsels. Ich verstehe unter Generationsvwech- 
sel nichts anderes, als die Folge zweier Organismus-For- 
men, wovon die eine in oder an der andern als Minimum 
zuerst enisteht als Knospe; die zweite, nämlich die ent- 
wickelte Knospe erst die zur geschlechtlichen Zeugung be- 
stimmte Form ist, aus welcher durch geschlechtliche Zeu- 
gung die geschlechtslose Form hervorgeht, die wieder zur 
Knospenzeugung bestimmt ist. 

Dass die Larven der Echinodermen von mir Larven ge- 
nannt sind, dürfte nunmehr auch gerechtfertigt sein. Ich 
glaube sogar bewiesen zu haben, und die von mir beige- 
brachten Thatsachen von der Coexistenz des Princips des 
Generationswechsels und der Metamorphose bei der Ent- 
wickelung der Echinodermen führen nolhwendig dazu, dass 
diese beiden Prineipien bis, zu einer gewissen Grenze nicht 
ausschliesslich und vielmehr verwandt sind und dass selbst 
die einfache Metamorphose, wenn sie unabhängig vom Ge- 
neralionswechsel auftritt, doch nicht richtig aufgefasst wer- 
den kann, wenn sie nicht mit den von ihr am meisten ent- ° 
fernten Erscheinungen des vollkommenen Generationswech- 
sels und mit dem einen Uebergang bildenden Generations- 
wechsel der Echinodermen zusammengestellt und verglichen 
wird, 


112 


In der dritten Abhandlung werde ich auf die Entwicke- 
lung der Ophiuren und Seeigel zurückkommen, nämlich die 
amı Mittelmeer angestellten Beobachtungen über die jüngsten 
Larvenzustände bis dahin, wo die Larven die früher be- 
schriebene Form erreicht haben, mittheilen. ?) 


1) Ich habe auch die von Derbes untersuchte Larve in allen 
Entwickelungszuständen gesehen. Diese Larve wird später den in Hel- 
goland beobachteten Larven mit Wimperepauletten sehr ähnlich, sie 
erhält eben so viel Fortsätze und von gleicher Gestalt, die Wimper- 
epauletten treten zuletzt auf. Den hohen Scheitel behält die Larve, 
und dadurch, so wie durch die im Scheitel befindlichen keulenförmi- 
gen Enden der beiden Kalkstäbe unterscheidet sich die Larve allein 
von den Seeigellarven mit Wimperepauletten von Helgoland. Ich habe 
die Larve von Derbes bis zur Anlage der Seeigelscheibe beobachtet. 
Derbes hat nur die jüngsten Formen der Larve gesehen. Was er für 
weitere Entwickelungen gehalten, ist theils noch viel jünger, theils 
monströs, und auch dieses aus jüngerer Zeit. Der E. esculentus 
von Derb&s scheint übrigens E. lividus Lam. zu sein, dessen Brut 
von Krohn nach künstlicher Befruchtung beobachtet ist- 


Die Entstehung des Arachnideneies im Eier- 
stocke; die ersten Vorgänge in demselben nach 
” r ! .. 
seinem Verlassen des Mutterkörpers. 


Von 


Dr, v. Wırrick in Königsberg in Pr. 
(Hierzu Taf. III.) 


Da es mir in vorliegender Abhandlung hauptsächlich nur 
auf die Entwickelung der Eier im Eierstocke der Arachniden 
ankommt, so verweise ich in Betreff des Baues der äussern 
Geschlechtstheile derselben auf die von Treviranus 1) ge- 
machten Beobachtungen, auf die sich auch zum Theil v. Sie- 
bold ?) in seiner vergleichenden Anatomie stützt, und die 
ich nach eignen Beobachtungen nur bestätigen könnte. We- 
niger richtig sind die Schilderungen, die uns Treviranus °) 
vom Bau der Eierstöcke selbst giebt, was zum Theil wohl 


1) Treviranus: Ueber den innern Bau der Arachniden, 1812. 
p- 36 ff. | 

2) v. Siebold: Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der wir- 
bellosen Thiere. Berlin 1848. $. 318. p. 547. 

3) Treviranus (a. a. O.), sowie Rössel (Insektenbelustigung, 
Th. IV.) haben die Ovarien trächtiger Weibchen untersucht, in denen 
das eigentliche Verhältniss bei der Schwierigkeit des Materials noch 
unendlich schwerer zu beobachten ist. Denkt man ‚sich, dass längs 
der röhrigen Verzweigung, deren mittleren Stamm Tr. allerdings: auch 
beobachtet hat, olıne ihn recht deuten zu können, dicht bei dicht Fol- 

Müller's Archiv. 1619. S 


114 


darin seinen Grund zu haben scheint, dass er wie sein Vor- 
gänger Rössel nur bereits trächtige Weibchen beobachtete, 
die, wie wir weiter sehen werden, durchaus ungeeignet dazu 
sind. Da mir andrerseits aber die Resultate meiner Beob- 
achtungen zu wichtig für die Entwickelung und Deutung des 
Eies selbst in seinem ersten Auftreten im Mutterkörper er- 
scheinen, so kann ich nicht umhin, dieselben in ihrem gan- 
zen Umfange hierherzusetzen, bevor ich zu den Entwicke- 
lungsvorgängen im Ei selbst übergehe. 

Meine Beobachtungen sind bei Lycosa saccata, Te- 
genaria, Theridium und einer kleinen Epeira-Art ange- 
stellt, ich glaube aber aus ihnen wohl mit Recht den Bau 
der Ovarien und der Oviducte sämmtlicher zur Klasse der 
Araneen gehörige Spinnen deduciren zu können. Am pas- 
sendsten sind dieselben zur Beobachtung im Winter, oder 
Anfangs Frühling, bevor sie legen, theils weil die Eier zu 
dieser Zeit noch nicht so weit entwickelt, einen tiefern Blick 
in ihre frühesten Stadien gestatten, theils weil sie auch der 
Zahl nach noch geringer, das ganze Ovarium leichter über- 
sehen lassen. 

Oeffnet man den Leib einer Spinne durch zwei seitlich 
von der Mittellinie geführte Schnitte, schlägt die Hautdecken 
zurück, und trägt dann mit einer stumpfen Staarnadel vor- 


likel auswachsen, so können möglicher Weise die einzelnen Aeste so 
verstrichen werden, dass sie hie und da nur das Bild einer Scheide- 
wand bieten. Von einer solchen fächrigen Eintheilung der Ovarien, 
wie sie uns Treviranus schildert, ist eben so wenig etwas vorhan- 
den, als von einer, die Eier gemeinschaftlich, sackartig umschliessen- 
den Hülle. Noch eines Umstandes, den ich im Text zu erwähnen ver- 
gessen, will ich hier gedenken, der noch mehr für die Richtigkeit 
meiner Darstellung spricht: Zuweilen bekommt man nämlich, wenn 
durch Ungeschicklichkeit bei der Präparation ein Follikel abgerissen 
ist, einen senkrechten Blick auf das Lumen des zu demselben führen- 
den Halses, wohl der evidenteste Beweis für die Röhrenform der Ovi- 
ducte und ihrer Verzweigungen. (S. die Abbildungen.) 


E 115 


sichtig den Feltkörper und die andern das Abdomen füllen- 
den drüsigen Organe ab, so bekommt man leicht die noch 
zusammenhängenden Ovarien vollständig zur Beobachtung. 
Jedes derselben stellt ein traubenförmiges Organ dar, deren 
Eileiter mit einer gemeinsamen Scheide nach Aussen mün- 
den. Letztere ist eine, von einer strukiurlosen Haut gebil- 
dete Röhre, die in ihrem Innern von einer Schicht kernhal- 
tiger Epithelialzellen ausgekleidet ist. In nicht weiter Ent- 
fernung von ihrer Ausmündung theilt sie sich, den ‚beiden 
Eierstöcken entsprechend, wie bereits erwähnt, in die bei- 
den Eileiter, die nun bei der Lycosa und Theridium als 
zwei einfache Schläuche sich nach hinten und unten um- 
schlagen, und denen die einzelnen Eierstockfollikel blasen- 
förmig anhängen. Bei andern Arten (Epeira, auch wohl 
bei Tegenaria) theilen sich diese Schläuche in ihrem wei- 
tern Verlauf wieder in zwei oder drei Aeste und bilden so 
mit den ihnen aufsitzenden Follikeln eine traubenförmige 
Drüse. Bei einem kleinen Theridium, das ich Anfangs Früh- 
ling untersuchte, und bei dem ich selbst bei der sorgfältig- 
sten Durchmusterung noch keine Eier fand; lagen seitlich 
von der Mittellinie des Abdomens zwei schlauchartige Or- 
gane, die vollkommen dasselbe Epithelium trugen, ‘wie. die 
Oviducte der erwachsenen Spinne, die ich, da sie sunst eben 
keiner der im Abdomen: gelagerten Drüsen nach ihrer ana- 
tomischen Beschaffenheit beizugesellen waren, nur für noch 
unentwickelte Ovarien halten konnte. Was die Bildung der 
dem Eileiter aufsitzenden Follikel betrifft, ‚so gelang es mir 
mehrmals, sie bei einer kleinen, in Kellergewölben während 
des Winters verweilenden (wie ich glaube, zu Epeira 'gehö- 
rigen) Spiune zu verfolgen. An irgend einer Stelle des Ova- 
rial-Schlauchs tritt zwischen der äussern Haut und der Epi- 
thelialschicht das Keimbläschen auf, und hebt die erstere als 


_ einen kleinen Diverlikel ab. Dasselbe ist in diesen frühe- 


sten Stadien ein runder, scharf begrenzter, homogener. matt 
scheinender Körper, in dem im frischen Zustande und ohne 
g* 


116 Z 


Zusatz irgend einer andern Flüssigkeit noch nicht die ge- 
ringste Andeutung eines Keimfleckes zu beobachten ist. Eine 
Täuschung ist bei der Zierlichkeit und Reinheit des Präpa- 
rates nicht denkbar, da ausserdenr diese ersten Keimbläschen 
immer noch ein zu grosses und deutliches Objekt sind, als 
dass man nicht die geringste Andeutung eines Keimfleckes 
bemerken sollte. Auch spricht schon der Umstand gegen 
die Präexistenz des Fleckes, dass die Bläschen schon zu sehr 
bedeutender Grösse herangewachsen immer noch keinen Fleck 
zeigen. Dass wir es aber bei jenen sehr frühen Stadien 
wirklich mit dem ersten Auftreten des Keimbläschens zu thun 
haben, lehrt die glechzeitige Beobachtung der verschiedensten 
Eutwickelungsstufen in einem Eierstocke. Ausserdem aber 
kommt uns die eigenthümliche Veränderung der Keimbläs- 
chen durch Essigsäure hiebei sehr zu Hülfe. Dieselben be- 
kommen nämlich bei Zusatz von Essigsäure ein vollkommen 
dunkles, fein granulirtes, äusserst scharf begränztes Ansehn 
und unterscheiden sich hierdurch von allen ähnlichen Gebil- 
den im Eierstocke. Oft glückte es mir auf diese Weise, an 
den Wandungen der röhrenförmigen Ausbreitung der Eileiter 
Keimbläschen zu entdecken, die noch ungemein klein, fast 
unmittelbar von der ausgestülplen Wardung umhüllt waren, 
(Fig. 2. A.) Das immer mehr und mehr nun an Grösse und 
Helligkeit zunehmende Keimbläschen schiebt die Wandung 
immer weiter und weiter vor sich her, indem sich gleieh- 
zeitig immer deutlicher eine feinpunktirte Masse um dasselbe 
ablagert. Auf diesem Wege nähert sich der also entstan- 
dene Follikel immer mehr einer vollkommenen Kugelgestalt, 
die dann mit äusserst kurzem MHalse der Röhre aufsitzt. 
Dieser Hals wird von einer Fortsetzung der Epithelialschicht 
ausgekleidet; dem Follikel selbst fehlt jedes Epithelium (bei 
der Durchsichtigkeit des Objekts tritt die scharfe Abgränzung 
des Epitheliums sehr deutlich hervor. Fig 3.). Während nun 
die Dottermasse immer mehr und mehr zunimmt, der Folli- 


kel sich immer weiter ausdehnt, das Keimbläschen immer 


117 


grösser wird, immer deutlicher ‘seine Bläschennalur zeigt, 
erscheint stets excentrisch der Kefmfleck zunächst als ein 
matt gelblicher, nicht immer scharf begränzter, aber durch- 
aus homogener Fleck, wird immer entschiedener rund, ver- 
liert seine Homogenetät, indem er hie und da den Schein 
von unregelmässig rundlichen Aushöhlungen bietet, und ne- 
ben ihm treten zuletzt zerstreut ungleich geformte Körper- 
chen auf, die dem ersteren sehr ähnlich, an Zahl immer 
mehr zunehmen, je mehr sich das Bläschen seinem gänz- 
lichen Schwinden nähert. 1) ' Zerplatzt man in diesem Zu- 
stande ein solches Bläschen, so. fliesst aus der äusserst zar- 
ten Hülle der helle dünuflüssige Inhalt und jene Körperchen 
aus. Mit dem Auftreten des Keimflecks wird auch das che- 
mische Verhalten des Keimbläschens ein andres; Essigsäure 
bringt nur anfangs eine leichte Trübung seines Inhalts hervor, 
löst dasselbe dann aber vollständig und lässt nur die Flecken 
als völlig unlöslich zurück, 2) Die um die frühsten von'mir 


1) Ich kann Siebold nach meinen Beobachtungen keineswegs 
beistimmen, dass sich die Zahl der Keimflecke durchaus streng nach 
den Arten richte. (a. a. 0. $. 316. S. 543.) Denn obgleich, man. bei 
manchen Arten stets den Keimlleck vorlindet, so beweist dies neben 
den im Text angegebenen Beobachtungen eben nur, dass die Rückbil- 
dung des Keimbläschens, d. h. das Ausscheiden des Keimflecks in den 
verschiedenen Arten früher oder später eintritt. Auch bei der Tege- 
naria, der nie der Keimlleck zu fehlen schien, fand ich frühe Bläs- 
chen ohne denselben. Immer aber findet man in ein und demselben 
Ovarium einen und mehrere Flecke. 

2) Aclmlich scheint es sich auch mit den vielen Flecken in den 
Keimbläschen anderer Thierklassen zu verhalten. Untersucht man Eier 
in den Eierstöcken noch sehr junger Frösche, so überzeugt man sich 
nicht allein, dass die Flecken mit der Entwickelung der Eier offenbar 
immer zahlreicher auftreten, schliesslich unzählbar werden, sondern 
man findet in jenen frühen Eiern auch immer einen jener Flecken, 
der die andern entschieden durch seine Grösse übertrilft,, ‚Noch ‚grös- 
ser ist die Achnlichkeit bei Fischeiern, Bei Gasterosteus aculeatus, 
den ich im Winter untersuchte, war die Zahl der ganz lleckenfreien 
Keimbläschen sehr bedeutend; dann sah man einen, zwei, drei, all- 


118 


beobachteten Keimbläschen abgelagerte, fein granulirte Dot- 
termasse gerinnt in veflünnter Essigsäure, und zieht sich in 
äusserst unregelmässiger Form um das Keimbläschen zusam- 
men 1); niemals gelingt es jedoch, weder auf diesem Wege, 
noch durch Imbibition mit Wasser eine eigene, die Dotter- 
masse umgebende Hülle ausser der Follikelwandung in die- 
sen frühen Eiern zu entdecken, Später erst bei schon ziem- 
lich weit vorgeschrittenen Eiern gränzt sich die Dottermasse 
mit einem eigenen scharfen Kontour gegen den durch Imbi- 
bition mit Wasser erzeugten hellen Zwischenraum ab. Al- 
lerdings könnte diese Erscheinung auch in der Zähigkeit der 
Substanz ihren Grund haben, jedoch habe ich mich noch 
auf anderm Wege unzweideutig von der Anwesenheit der 
Dotterhaut in weiter entwickelten Eiern überzeugt. Ich 
zerplatzte nämlich während der Beobachtung einen Follikel; 
während nun die Dottermasse aus dem Riss desselben aus- 
strömte, löste sie sich als eine scharf begränzte Kugel all- 
mählig von der gegenüber liegenden Wandung ab, die in 
ihrer Ausdehnung verharrie; plötzlich aber riss nun auch 
im Follikel dieses scharfe kugliche Kontour an einer kleinen 
Stelle und entleerte jenem ersten Riss grade gegenüber den 
Dotter in jenen leeren Raum des Follikels, und zwar bot 
dieser Strom deutlich das Bild einer aus kleiner Oeffnung 
langsam hervorquellenden zähen Masse dar, 

Ohne nun weiter aus diesen Beobachtungen bereits einen 
für alle Thierklassen gültigen Schluss hinsichts der Entste- 


mählig unzählige, sich gegen Essigsäure ganz so verhaltende Flecken 
auftreten, während das Bläschen immer grösser und zartwandiger 
wurde, 


1) Essigsäure bringt eine eigenthümliche Veränderung der hellen 
Dottermasse hervor; während sie dieselbe nämlich anfangs völlig un- 
durchsichtig und fest macht, scheint sie im Ueberschuss wieder in etwas 
heller zu machen, während gleichzeitig immer mehr Fetttröpfchen aus 
der Masse frei werden; ein Beweis, dass vorher das Fett mit der al- 
buminösen Grundmasse chemisch verbunden war. 


119 


hung des Eies im Ovarium ziehen zu wollen, obwohl mir 
anderweitige Beobachtungen denselben äusserst wahrschein- 
lich machen !), sei es mir erlaubt, kurz den Hergang in 
seinem genelischen Zusammenhange noch einmal vorzufüh- 


1) Im Vogeleierstocke, zu dessen Beobachtung ich mich kleiner, 
zum Geschlechte Fringilla gehöriger Arten bediente, deren Eierstöcke 
im Winter noch ungemein klein und unentwickelt sind, sich deshalb 
vorzüglich zur Untersuchung eignen, ist der Vorgang folgender: In 
dem äusserst schlaffen, aber sehr gefässreichen Bindegewebe, welches 
die Grundlage dieses Organs bildet, sieht man zunächst äusserst helle 
Körperchen, noch nicht einmal von der Grösse menschlicher Blutkör- 
perchen, die wegen ihrer äusserst schwachen Lichtbrechung nur durch 
eine, sich um dieselben anhäufende, bei durchfallendem Lichte voll- 
kommen schwarzbraun erscheinende Masse deutlich werden; diese letz- 
tere bildet so um jene hellen Kerne ein durchaus unregelmässiges Ku- 
gelhäufchen, das noch keine Andeutung einer umschliessenden Hülle, 
nicht einmal eine scharfe Begränzung, die auf sie hindeuten könnte, 
bietet, und durch Zutatz von Essigsäure sich deutlich in grössere Fett- 
tröpfchen umwandelt, die dann allmählig zusammenrücken, den hellen 
Kern verdecken, und so Colostrumkörperchen aufs Täuschendste nach- 
ahmen. Selbst bei der stärksten mir zu Gebote stehenden Vergrösse- 
rung gelang es mir nicht, in jenen hellen runden Kernen, die sich 
übrigens äusserst schwer von der sie umlagernden Masse isoliren las- 
sen, auch nur eine Andeutung eines Fleckens zu finden. Kerne und 
umlagernde Massen nehmen an Umfang allmählig zu, letztere zeigt jetzt 
deutlich zwischen den festen Molekulen eine helle gelbliche, eiweiss- 
artige Grundsubstanz, welche jedoch mehr nach der Peripherie gedrängt 
wird, während die Molekule sich kranzartig um den Kern lagern. Die 
Peripherie verdichtet sich allmählig zu einer die ganze Masse umschlies- 
senden Hülle, wodurch wir vollkommen das Bild einer fertigen Zelle 
erhalten. Dieselbe nimmt aus dem sie umgebenden Stratum immer mehr 
Bildungsmaterial auf, und mit ihrer Grössenzunahme schwindet das in 
ihr befindliche freie Fett, oder mischt sich immer inniger mit dem ei- 
weissartigen Plasma. In dem immer schärfer sich abgränzenden Kerne 
tritt ein meist excentrischer Keimfleck auf, und wir haben so das voll- 
ständige Oyulum, das in diesem Zustande eine einfache in dem Binde- 
gewebe gelagerte Zelle darstellt. Dieselbe umgiebt sich alsdann mit 
einer einfachen Schicht heller Zellen, die anfangs rundlich, sich später 
gegen einander abflachen und das den Follikel auskleidende Epithelium 
darstellen, das mit dem durch den Druck des sich allmählig ausdeh- 


120 


ren, wie er sich eben im Eierstocke der von mir untersuch- 
ten Araneen darbot. Um das Keimbläschen, als den ersten 
sichtbaren Theil des Eies, lagert sich ein zähflüssiges Bla- 
stem, welches mit seiner Zunahme die Wandungen jener 
röhrenförmigen Ausbreitung des Eileiters zu einem Follikel 
ausbuchtet. Später erst, nachdem schon lange das Keim- 
bläschen als erster fester Kern der Dotterkugel fungirt, schei- 
det sich in ihm der Keimfleck aus, dessen Präexistenz hier 
mit der grössten Bestimmtheit geleugnet werden muss. Sein 
Auftreten ist augenscheinlich mehr eine Erscheinung der Rück- 
bildung, des Zerfallens, wofür noch deutlicher das Auftreten 


nenden Eies in der Umgebung sehr verdichteten Bindegewebes eine 
äusserst feste und gefässreiche Kapsel bildet. In keiner Thierklasse 
wurde mir die Verfolgung der verschiedenen Entwickelungsstadien der 
Eier im Ovarium leichter; es bedurfte meist nur eines Präparats, eines 
feinen Schnittes, den ich vom Rande abtrug, um sie alle zu durch- 
mustern. Nirgend aber auch stellte sieh mir die Aehnlichkeit des Eies 
mit in der Entwickelung begriffenen Zellen so dar, wie hier. Mit der 
Bildung der äussern Hülle, mit dem Verschwinden des freien Fettes 
im Zelleninhalt hat die Eizelle die Höhe ihrer Entwickelung erreicht, 
und es tritt nun wieder ein so zu sagender rückschreitender Prozess 
ein. Das Keimbläschen scheidet sich in seine elementaren Substan- 
zen, die Keimflecke erscheinen, und in dem hellen durchsichtigen 
Dotter schlagen sich neue, anfangs feste Molekule nieder. Zum gros- 
sen Theil stimmen diese Beobachtungen mit den von Barry (Philos. 
Transact. 1838. P. II. p. 311.) am Taubeneierstocke angestellten über- 
ein; nur die Entstehung des Follikels deutet Barry anders; nach ihm 
wäre letzterer die ursprüngliche Zellenmembran für das Keimbläschen 
als Kern, und erst später bildete sich in ihm eine neue Dotterhaut. 
Auch in den Ovarien-Schläuchen vieler Insekten beobachtete ich im- 
mer erst das Keimbläschen, um das sich später erst der Dotter anla- 
gerte; doch glückte es mir nie, fleckenfreie Keimbläschen bei ihnen zu 
finden. Aehnlich stellt auch Stein (zur vergleichenden Anatomie und 
Physiologie der Insekten, I. Geschlechtsorgane der Käfer, Berlin 1847. 
p. 64 ff.) die Entstehung der Käfereier dar: Um das Keimbläschen, 
dem er allerdings eine andere Deutung giebt, als ich im Vorhergehen- 
den, bildet sich secundär der Dotter und Seine Hülle. Leider lässt er 
das Verhältniss des Keimflecks zum Keimbläschen ganz unerörtert. 


121 


der mehrfachen Kerne zu sprechen scheint. Der Inhalt wird 
immer dünnflüssiger und scheidet, wie wir eben sahen, die 
auch chemisch verschieden sich verhaltenden Massen von 
einander, die vordem inniger an einander gebunden waren. 
Von den später auftretenden hellen Kernen der Furchungs- 
kügeln unterscheiden sich die Flecken durch ihre Consistenz, 
ihre Grösse, ihre gelbliche Färbung (jene Kerne sind, ‚wie 
wir später sehen werden, wasserhell), so wie endlich durch 
ihr chemisches Verhalten; Essigsäure verändert sie nämlich 
durchaus gar nicht, während sie jene vollständig auflöst. 
In dieser Reaction besteht eine nicht zu verkennende Aehn- 
lichkeit mit den Kernkörperchen erwachsener Zellen, wie 
denn überhaupt ihr ganzes Auftreten und Verhalten diesen 
durchaus analog erscheint. 1) Auf der Oberfläche des sich 
um das Keimbläschen ablagernden Dotters bildet sich später 
erst die Dolterhülle. Will man demnach das Ei einer Zelle 
vergleichen, so entspricht das Keimbläschen dem Kern, die 
Dotterhaut der sich um Kern und Inhalt bildenden Mem- 
bran. Auch an andern Stellen des Körpers begegnen wir 
Zellen, in denen der Kern, nachdem er seine Bedeutung ver- 
loren hat, zerfällt und allmählig verschwindet, sich mit dem 
Zelleninhalt vermischt. Ganz so im Ei: mit der Befruchtung 
geht das Keimbläschen in der beschriebenen Art unter; von 
einer endogenen Zeugung der Kerne der Furchungsku- 
geln, oder wohl gar der Furchungskugeln selbst in dem 
Keimbläschen als Mutterzelle ist nirgend die leiseste An- 
deutung. 

In den Eiern einiger Arten tritt nun, wie ich es bereits 
in meiner Inaugural-Dissertation beschrieb, und wie auch 
seitdem v. Siebold 2) beobachtet hat, neben dem Keimbläs- 


1) Reinhardt: Ueber die Genesis der mikroskopischen Elemente 
jn den Entzündungsprodukten (in Traube's: Beiträge zur experimen- 
tellen Pathologie etc. Heft I. S. 196 u. 197 M.). 

2) a. a. 0. $.316. $.543 und W. de Wittich: Observationes 
quaedam de aranearum ex ovö evolutione, Halis 1845, 


122 


chen noch ein zweiter eigenthümlicher Körper auf, über 
dessen Entstehung ich in meiner Abhandlung eine allerdings 
von Siebold’s Angabe abweichende Ansicht aussprach, bei 
der ich aber nach. vielfältiger Beobachtung doch beharren zu 
müssen glaube. Ob derselbe früher, gleichzeitig oder später 
als das Keimbläschen entsteht, wage ich nicht zu entschei- 
den. Immer sah ich sie nebeneinander, und zwar so, dass 
das Keimbläschen im fundus folliculi, jener zweite. Körper 
aber seinem Halse zu gelagert ist. Hinsichts ihrer Grösse 
halten beide gleichen Schritt. Anfangs homogen, äusserst 
fest, so dass er nur bei sehr starkem Druck strahlig aus- 
einanderplatzt, lagern sich um ihn immer neue körnige Schich- 
ten, die gleichfalls erstarrend ihm ein vielfach concentrisches 
Ansehn geben. In dieser concentrischen Ablagerung liegt 
auch die Deutung des von Siebold erwähnten scheinbaren 
Kernes. Zuweilen platzen bei anhaltendem Druck die ein- 
zelnen Schichten langsam nach einander, so dass man leicht 
die Dicke einer jeden übersehen kann. Essigsäure macht sie 
aufquellen; auch werden sie in ihr gleichmässig hell; in 
Kalilösung quellen sie auf und werden fast ganz gelöst. 
Gleichzeitig mit dem Anwachsen dieses Körpers, das ein 
bestimmtes Maass nicht zu überschreiten scheint, beginnt 
eine allmählige Verflüssigung vom Centrum aus, dieselbe 
greift immer mehr um sich, so dass zuletzt die äusserste 
Schicht eine immer noch dickwandige Kapsel bildet, die erst 
bei fortgesetztem Druck an einer Stelle platzt und ihren 
ganz flüssigen Inhalt entleert. In Eiern (denen übrigens die- 
ser Körper zukommt), die bereits vollkommen entwickelt zu 
sein schienen, fand ich oft kein Keimbläschen mehr, trotz 
der sorgfältigsten Durchmusterung, wohl aber diese Kapsel. 
Einmal !) sogar, als ich eben nur gelegte Eier zu beobach- 


1) Ich habe seitdem in diesem Frühjahr wiederum Gelegenheit 
gehabt, das Vorhandensein dieses concentrischen, in spätern Zeiten 
hohlen Körpers in frisch gelegten Eiern auf das unzweideutigste zu 


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ten Gelegenheit hatte, sah ich bereits bei äusserst schwacher 
Vergrösserung auf der Oberfläche des Dotters ein scharf 
rundes weisses Fleckchen, das sich bei vorsichtiger Eröffnung 
des Eies unter dem Mikroskop deutlich als jene Kapsel dar- 
stellte. Die Bedeutung dieses Gebildes vermag ich bis jetzt 
noch nicht anzugeben. Auffallend bleibt es jedenfalls, dass 
wir es bis jetzt nur in dieser einen Thierklasse, und in ihr 
auch nur bei bestimmten Arten wiederfinden. 

Die schon oben erwähnte, sich um das Keimbläschen 
anlagernde, anfangs helle und feinkörnige Dottermasse wird 
nun bei weiterer Entwickelung des Eies zunächst in der 
nächsten Umgebung des Keimbläschens allmählig dunkler; 
immer deutlicher gestalten sich die in ihr suspendirten Mo- 
lekule zu Fetttröpfchen, die in einer mässig zähflüssigen 
Grundmasse umherschwimmen. Neben ihnen, meist in der 
dem Halse des Follikels zu gelegenen Dotterpartie erscheinen 
aber bald noch grössere, ziemlich resistente, schollenartige 
Körper, die sich durch ihre Lichtbreehung sowohl, wie durch 
ihr chemisches Verhalten von jenen Fetttröpfchen wesentlich 
unterscheiden. Im Allgemeinen rührt von ihnen die ver- 
schiedene Färbung des Dotiers der verschiedenen Arten her. 
(Fig. 6.) Mit der Entwickelung des Eies nehmen sie an 
Zahl und Grösse zu, werden aber auch, indem sie in der 
sie umgebenden Dotterflüssigkeit aufquellen, zugleich ent- 
schieden weicher, und zwar so, dass man sie in ein und 
demselben Ei von der verschiedensten Grösse und Festigkeit 
findet; sie gleichen so, da man an ihnen weder einen Kern, 
noch eine ohne Zusatz von Reagentien sichtbare Hülle wahr- 
zunehmen vermag, durchaus Tropfen einer zähern Substanz, 
die sich mit ihrer dünnflüssigern Umgebung nicht vermischt. 
Uebrigens ist diese Art des Wachsthums und der Verände- 


beobachten. Derselbe lag constant auf der Oberfläche des Dotters und 
stellte eine hohle, mit Flüssigkeit erfüllte, äusserst dickwandige Ka- 
psel dar. 


124 


rung elementarer Körper durch Imbibititm durchaus nichts 
Ungewöhnliches, da ja auch im Ei, wie in dem Bildungs- 
plasma des erwachsenen Körpers, die Fette als feste Mole- 
kule auftreten, und sich erst bei weiterer Entwickelung durch 
Aufnahme flüssiger Fette zu Tröpfchen gestalten. Später 
kommen wir noch einmal auf diese, den Dotterkugeln an- 
derer Eier entsprechenden Gebilde und noch genauer zurück. 
— Ob die Befruchtung des Eies im Eileiter erfolgt, oder 
erst beim Vorbeigleiten derselben bei den an der Ausfüh- 
rungsmündung gelegenen Samentaschen, wage ich nicht zu 
entscheiden; immer aber schwindet das Keimbläschen noch 
während seines Aufenthalts im Eierstockfollikel. Aus dem 
Istztern tritt das so weit vollständig bildungsfähige Ei durch 
den Eileiter, und von dort verlässt es noch mit einer Schicht 
flüssigen Eiweisses und der äussern Hülle umgeben durch 
die Scheide den Mutterkörper. Ob die Hülle übrigens, wie 
es Stein !) bei den Insekten beobachtete, aus der dasselbe 
umgebenden Epitheliumschicht gebildet wird, muss dahin: ge- 
stellt bleiben; dem einzelnen Follikel des Eierstockes fehlt, 
wie wir eben sahen, ein Epithelium, es müsste daher die 
Auskleidung der Oviducte oder der Scheide dazu verwandt 
werden, was mir von vorne herein allerdings äusserst un- 
wahrscheinlich ist, denn mit welcher unglaublichen Schnel- 
ligkeit müsste die Neubildung der Epithelialzellen in diesen 
Organen bei jenen Arten vor sich gehen, die mehrere hun- 
dert Eier mit einem Mal legen! 

Die äussere Hülle des gelegten Eies, das seiner äussern 
Gestalt nach fast kugelig, und nur durch Druck der gemein- 
sam umsponnenen Eier etwas abgeflacht erscheint, ‚bietet 
viele Eigenthümlichkeiten dar, die ich nicht unerwähnt las- 
sen kann, bevor ich zur Schilderung der Vorgänge im Ei 
selbst übergehe. Wie Herold ?) dasselbe schon beschrieben, 


1) A. a. 0. 
2) Herold: de aranearum generatione in ovo. 1824. 


125 


hat es auf den ersten Blick ein sammetartiges, dem Pflau- 
menreif ähnliches Ansehen, das (wie man sich schon bei 
schwacher Vergrösserung überzeugen kann) von einer Masse 
dicht nebeneinander liegender, Fetttröpfehen nicht unähnli- 
cher Kügelchen herrührt. Bringt man ein Stückchen der 
Eischale unter das Mikroskop, so sieht man diese Körper- 
chen, die in den verschiedenen Arten verschieden gefärbt 
erscheinen, und zwischen weiss, hellgelb, gelb, roth, roth- 
braun und violet variiren, isolirt auf einer strukturlosen, 
durchsichtigen, äusserst fein punktirten Haut liegen. Dass 
dieselben übrigens ziemlich lose und scheinbar ohne allen 
organischen Zusammenhang auf der Aussenfläche liegen, be- 
weist der Umstand, dass, wenn man ein noch uneröffnetes 
Ei in Wasser hin- und herrollt, und dabei die Oberfläche 
mit einem weichen Pinsel abspüll, man eine grosse Zahl 
derselben frei in der Flüssigkeit schwimmend erhält, nur 
äusserst selten hängen sie noch an Fetzen der Eischale. Am 
geeignelsten zur Untersuchung dieser Pigmentgebilde, deren 
Färbung übrigens stets mit der Farbe des Dotters überein- 
stimmt, sind die Eier einer Gatlung, die ich im Spätherbst 
auf der Rückseite herabgefallener Eichenblätter in einem fes- 
ten filzigen Gespinnste fand. Dieselben sind fast rothbraun, 
und jene Kügelchen verhältnissmässig sehr gross und schün 
roth gefärbt. Die einzelnen Kügelchen, die, wie schon er- 
wähnt, eine den Felttröpfehen äusserst ähnliche Lichtbre- 
chung zeigen, sind hinsichts ihrer Grösse nicht nur bei den 
verschiedenen Spezies, sondern auch bei demselben Ei äus- 
serst verschieden. Nur die wenigsten, und zwar wie es 
scheint nur die grössten, bewahren ihre vollkommene Kugel- 
form; bei den meisten jedoch zeigt die genauere Beobachtung 
eine Querlinie, welche die Kugel in zwei Hälften theilt, und 
zwar rührt diese dunkle Linie von einer tief bis an den ge- 
genstehenden Rand gehenden Spalte her, von deren Vorhan- 
densein man sieh am leichtesten überzeugt, wenn man sie 
ohne Zusatz von Wasser untersucht Hierbei zeigt sich nun, 


126 


dass die also gespaltenen Körperchen aus zwei linsenförmi- 
gen Hälften bestehen, die wie die Schalen einer Muschel nur 
an einem Theile aneinander haften. Liegen die Körperchen 
nun so, dass man senkrecht in die Spalte hineinsieht, so 
sieht man eben nur eine dunkle Querlinie. Drückt man das 
Deckgläschen fester auf ein von der Seite her zu betrach- 
tendes Körperchen, so verlassen jene beiden Hälften ihre 
gegenseitige Lage, reissen von einander. Auffallend ist ihre 
Beständigkeit; völlig eingetrocknete Eier zeigten noch Mo- 
nate lang jene in Nichts veränderten Körperchen, ganz wie 
auf frisch gelegten Eiern. Auch auf den Schalen, denen die 
jungen Spinnen bereits entschlüpft, fanden sie sich unverän- 
dert; ein Beweis, dass sie mit der Entwickelung des Eies 
weiter nichts zu schaffen haben. Die Reaction t) dieser 


1) Setzt man verdünnte Essigsäure zu, so quellen sie allmählig 
auf, verlieren ihre Kugelform, werden flacher, die beiden Hälften ge- 
hen auseinander und zerplatzen, indem sie einen flüssigen, fast farb- 
losen Inhalt entleeren; zurück bleibt eine ziemlich feste, durchsichtige, 
völlig ungefärbte Hülle, einer leeren Hanfkornhülse nicht unähnlich. 
Die darunter liegende Eischale bleibt unverändert. Schwefelsäure färbt 
die Körperchen noch intensiver roth, sie quellen auf, und während 
schliesslich nur eine blassröthliche Stelle zurückbleibt, schwinden die 
Contouren der Hüllen fast ganz. Setzt man bis zur Sättigung der 
Säure Kali hinzu, so treten die Hüllen wieder hervor und sind mit fein- 
körnigem, röthlichem Inhalt gefüllt. 

Salpetersäure macht die Körper heller, glatter, mit centralem Ein- 
druck und etwas gewulstetem Rande, dabei wird derselbe aber. fester 
und bei stärkerer Compression platzt die Hülle, ohne dass der ans 
Inhalt seine Kugelform aufgiebt. 

Chromsäure macht sie dunkler und fester, die Spalte geht ausein- 
ander, oder die Hülle zerplatzt ohne einen flüssigen Inhalt zu entleeren, 
vielmehr verharrt derselbe in Kugelform. 

In Alkohol werden sie heller, behalten aber ihre runde Form. 

Sublimatlösung macht sie missfarbig, bei Anwendung eines Druckes 
verhalten sie sich wie eine feste Gallerte. 

Bleiessig in geringer Menge macht sie fester, löst aber Hülle und 
Inhalt im Ueberschuss vollständig. 


127 


Pigmentgebilde auf Säuren und Alkalien ergiebt übrigens, 
dass wir es keineswegs, wie man erwarten sollte, mit einem 
an Fett gebundenen Farbstoff zu thun haben, vielmehr be- 
findet sich derselbe an eine proteinige Substanz gebunden, 
in einer deutlichen Hülle, die in ihrem chemischen Verhalten 
vom Inhalte sehr verschieden ist. Den Eiern der Lycosa 
saceata und noch einer andern Species, die ich im Frühjahr 
in einem äusserst künstlichen, sackförmigen Cocon, der birn- 
förmig mit seinem spitzen Theile einem Grashalme angefügt 
war, fand, fehlen diese Kügelchen ganz. Bei beiden Arten 
besteht der Cocon aus einem äusserst festen, filzigen Ge- 
webe, das die Eier ganz eng umschliesst; während er bei 
andern Arten um vieles lockerer und loser die schon an sich 
festzusammengeklebten Eier umhüllt. Dieser Umstand, sowie 
die bedeutende Anhäufung jener Kügelchen in den Furchen 
zwischen den einzelnen Eiern, machen es äusserst wahr- 
scheinlich, dass dieselben eine Art Kitt bilden, welcher die 
einzelnen Eier in ihren loseren Gespinnsten zusammenhält. 

Die Durchsichtigkeit der Eischale, die noch durch Be- 
tupfen derselben mit Oel erhöht wird, macht es möglich, 
uns auch ohne Eröffnung des Eies von dem Lagenverhältniss 
der Formelemente des Dotters und ihrer Veränderungen zu 
überzeugen. Zu diesem Ende legt man das Ei in einen Tro- 
pfen mässig dickflüssigen Oels und bedeckt es dann vorsich- 
tig mit einem Objectglase. Das Oel verhindert hierbei zu- 
gleich das Zerplatzen der Eischale. Rollt man nun das 
darauf liegende Glas vorsichtig hin und her, so kann man 
das mässig comprimirte Ei bequem von allen Seiten her be- 
trachten. Natürlich beobachtet man bei einer nur schwachen 
Vergrösserung und abwechselnd sowohl bei auffallendem als 
durchfällendem Lichte. 


Aether scheint sie gar nicht zu verändern. 

Kalilösung macht sie zunächst aufquellen, die Hülle zerreisst, ent- 
leert ihren völlig farblosen, flüssigen Inhalt und bleibt anfangs als eine 
dünne, schlaffe Hülse zurück, die später auch ganz verschwindet. 


128 


Die erste wesentliche Veränderung, ‚die ‘sich unseren 
Blicken im Ei nun ‚darbielet, ‚ist folgende: der von. einer 
deutlichen Schicht flüssigen ‚Eiweisses umgebene Dotter hat 
seine volle Kugelgestalt verloren, und bietet ein unregelmässig 
gebuchtetes Ansehen dar... Mit dem Hinschwinden des Keim- 
bläschens ist auch zugleich die Dotterhaut zu Grunde. ge- 
gangen, und bei dem Hin- und Herrollen trennen sich ein- 
zelne Theile von der Oberfläche des Dotters ab, während 
die übrigen in ihrer anfänglichen Lagerung verharren, und 
schwimmen in der sie umgebenden hellen, durchsichtigen 
Zone umher. Diese letztere ist-anfänglich überall von glei- 
cher Dicke, und erst bei weiterer Entwickelung tritt auch 
in ihr eine auffallende Veränderung: ein: die ganze Dotter- 
kugel, die, wie wir weiter sehen ‚werden, entschieden, con- 
sistenter wird, nimmt mit der Umlagerung. der ersten Zellen- 
sehicht mehr und mehr eine Linsenform an, . wodurch denn 
natürlich die Entfernung der Hülle von den sich abflachenden 
Polen des Dotters zunimmt, während im Gegentheil in dem 
dadurch entstehenden grössern Durchnesser sich die Masse 
der Hülle mehr nähert (Fig. 7.). Später erst giebt der. Dot- 
ter auch» diese Linsenform auf und nimmt, bevor sich die 
einzelnen Thierlheile deutlich zeigen, noch einmal die vorige 
Kugelgestalt an, gleichzeitig verschwindet aber. auch die flüs- 
sige Eiweissschicht, und die Eihülle liegt ‚alsdann ihrem 
festern Inhalte unmittelbar an. Auf der Oberfläche des, wie 
schon erwähnt, äusserst unregelmässig gebuchteten, ‚glasigen 
und durchscheinenden Dotiers erscheint nun bald nur an 
einer Stelle (I,ycosa, Epeira), bald hie und da auf der gan- 
zen Oberfläche unregelmässig zerstreut, eine scheinbar kör- 
nige, bei aufiallendem Lichte weisse. und undurchsichtige 
Masse, in der man vorläufig noch keine, Andeutung einer 
Gruppirung findet, wenn man eben erst gelegte Eier zu be- 
obachten hat. 

Oeffuet man die Eihülle vorsichtig, bedeckt, den aus- 
fliessenden Inhalt. ohne Zusatz irgend einer andern Flüssig- 


129 


keit mit einem möglichst leichten Deckgläschen, und betrachtet 
sie dann bei einer etwas stärkeren Vergrösserung, so sieht 
man, dass jener glasig durchscheinende Dottertheil aus zu 
grossen Kugeln zusammengeballten Eiweisskugeln (wie ich 
der Kürze wegen jene oben erwähnten, neben den Fett- 
tröpfchen auftretenden Gebilde vorläufig nenne) besteht, und 
durch sie auch sein unregelmässig gebuchtetes Ansehen er- 
hält. Bevor ich aber über das Zustandekommen und über 
die Natur dieser grossen Kugelhaufen spreche, muss ich zu- 
nächst noch das von mir über das physikalische und che- 
mische Verhalten der sie zusammensetzenden Gebilde Beob- 
achtete voranschicken. 

Bringt man dieselben in ihrer nativen Flüssigkeit, von 
einem Deckgläschen leicht comprimirt, unter das Mikroskop, 
so sieht man sie von der verschiedensten Grösse und Festig- 
keit, in den abenteuerlichsten Formen, bald als vollkommene 
Kugeln, bald sich gegenseitig abplattend, bald in langgezoge- 
nen Ovalen, die an einem Ende in eine Spitze ausgehen, 
bald bisquitförmig, bald als kleine unregelmässig geformte, 
aber immer doch abgerundete Schollen, in einer eiweissarti- 
gen Flüssigkeit schwimmen, und je nach dem Drucke des 
Deckgläschens und der Einwirkung der sie umströmenden 
Flüssigkeit aus einer in die verschiedenen andern Formen 
übergehen. Ja in den- spätern Zeiten der Entwickelung ge- 
hen die sehr grossen und un vieles liquideren Kugeln oft 
ineinander über, oder zertheilen sich unter der Einwirkung 
der sie umströmenden Flüssigkeit in zwei und mehrere klei- 
nere, sich ganz gleich verhaltende Körper. Sie sind gleich- 
mässig hell, mattglänzend und zeigen ohne Zusatz irgend 
eines Reagens weder einen Kern, noch eine Membran, son- 
dern scheinen eben nichts weiler, als eine, hinsichts ihrer 
Consistenz von der umgebenden Flüssigkeit verschiedene Sub- 
stanz, die in Tropfenform in ihr suspendirt ist. Zerdrückt 
man sie mit dem Deckglase, so verschwinden sie allınälig, 


ohne gerade eine deutliche Einsicht in die Art und. Weise 
Müller's Archiv, 1649. 9 


130 


zu gestatten, wie sie ihre Tropfenform aufgeben und sich 
der übrigen Substanz beimengen. Nur äusserst selten schien 
es mir, als ob nach einer Seite hin die Masse auseinander 
gehe, und sich in immer kleinere Kugeln zerdrücken liesse. 
Lässt man das Object eintrocknen, so verschwinden sie meist 
ganz und bilden mit der gleichzeilig eingedrückten Dotter- 
flüssigkeit eine Masse; nur hie und da am Rande bleiben sie 
isolirt und haben dann ein falliges, unregelmässig geschrumpf- 
tes Ansehen, das weniger der optische Ausdruck einer ein- 
getrockneten Blase mit zusammengefalteten Wandungen, als viel- 
mehr der Beweis für eine gleichmässig eingetrocknete Scholle 
ist, die selbst nur zu einer dünnen membranösen Schicht 
sich also zusammenfältet. Zuweilen behalten sie ihr glattes 
Ansehn, bersten aber dann an der Peripherie an mehreren 
Stellen, wie jede eingedickte Substanz, die durch die Zähig- 
keit, mit der sie ihrer Unterlage anhaftet, verhindert wird, 
sich gleichmässig und allmälig anf einen kleineren Raum zu- 
sammenzuziehen. Im natürlichen Zustande also fehlt uns 
durchaus ein jeder Beweis für das Vorhandensein einer 
Hülle; denn selbst das Auseinandergehen dieser Kugeln bei 
verstärktem Druck nach einer Seite hin beweist nur, dass 
die sie bildenden Massen auf ihrer Oberfläche dichter und 
fester sind, als in der Mitte; nirgends aber gränzt sich diese 
dichtere Schicht von dem mittlern Theile ab, vielmehr spricht 
alles für ein allmäliges Uebergehen in die verschiedenen Dich- 
tigkeitsgrade. Von einer wirklichen Hülle könnte doch 
eben nur dann die Rede sein, wenn eine solche nach Ent- 
leerung ihres völlig differenien Inhalts zurückbliebe, was 
aber nie stattfindet. 

Setzt man nun allmälig destillirtes Wasser hinzu, und 
verhindert seine allzuschnelle Einwirkung, so gerinnt am 
Rande des Präparats die flüssige Grundmasse, so wie die 
darin befindlichen Eiweiss- oder Dotterkugeln, und zwar 
erstarren letztere zu äusserst festen, braun durchscheinenden 
Kugeln, die beim Druck in einzelne Kugelsegmente zersprin- 


131 


gen, auf deren Bruchllächen, falls man sie zufällig schief zu 
Gesichte bekommt, man die durchgehende Gerinnung der 
ganzen Kugel sieht. Bei längerem Verweilen und damit 
theilweiser Verdunstung des Wassers, ändert sich auch das 
relative Verhältniss der dem Eiweiss durch das Wasser ent- 
zogenen Salze zu dem noch vorhandenen Wasser, und hier- 
durch geht ein Theil des Gerinnsels wieder in seinen vorigen 
flüssigeren Zustand über. So bekonımt der äusserste Rand 
des geronnenen Präparats allmälig wieder einen hellen, durch- 
s’chtigen, aufquellenden Saum, während weiter ab das Ge- 
rinnsel nach wie vor braun und undurchsichtig bleibt. Aehn- 
lich verändern sich aber auch hie und da die einzelnen 
Eiweisskugeln, auch sie werden vom Rande aus wieder 
theilweise gelöst, quellen auf, und zeigen so einen hellen 
Raum um den noch dunkeln festeren Kern. Diese Erschei- 


"nung ist es, die den einzigen Haltpunkt für eine Zellenmem- 


bran um diese Kugeln bietet, gleichwohl spricht die Art ih- 
rer Entstehung, so wie das ganz gleiche Verhalten der gan- 
zen Dottermasse entschieden dagegen, wenn man nicht etwa 
auch für sie eine vorher unsichtbare Membran in Anspruch 
nehmen will, was schon darin seine Widerlegung findet, 
dass sich auch um sehr kleine Dotterparliceen ein solcher 
Saum bildet. der nicht gut von einer noch etwa vorhande- 
nen Dotterhaut, deren Existenz ich oben in spätern Zeiten 
des Eies überhaupt in Abrede gestellt habe, herrühren kann. 

Nach der Mitte des Präparats zu gestaltet sich die Ein- 
wirkung des Wassers einfach deshalb schon anders, als das- 
selbe, bis es zu einer solchen kommt, schon einen Theil der 
dem Dotter eigenthümlichen Salze aufgenommen hat. Die 
Nüssige Zwischenmasse wird liquider unter Freiwerden von 
Fetten ;, die Eiweisskugeln quellen auf, nehmen ihre volle 
Kugelgestalt an, und während sie immer heller, durchsichti- 
ger, die Ränder immer schärfer werden und so völlig das 
Ansehen einer Wasserblase annehmen, scheiden sich in ihrem 
Innern zwei, drei, vier und mehr glänzende, unregelmässige, 

9% 


132 


in Wasser unlösliche Körper aus, und sehen so dem Keim- 
bläschen der Frösche und Fische äusserst ähnlich. In an- 
dern derartigen Kugeln liegen die in Wasser unlöslichen 
Theile mehr am Rande der Kugel in äusserst unregelmässigen 
Formen, umgeben auch wohl als ein mehr oder weniger 
vollständiger Saum die hellere Masse; wird eine solche Ku- 
gel dann durch den Strom der Flüssigkeit forlgetrieben, so 
zerfliesst sie nicht selten, indem jene ungelösten Partikeln 
an irgend einem Widerstande haften bleiben. In noch an- 
dern Fällen tritt statt jener völlig isolirten Körper meist in 
der Mitte ein bald grumöser, bald vollkommen runder, fett- 
glänzender Kern auf; überhaupt zeigt die Art und Weise, 
wie Wasser die in ihm unlöslichen Theile der Eiweisskugeln 
ausscheidet, die mannigfachsten Variationen. Unter längerem 
Einfluss des Wassers verlieren die hellen, scharf begränzten 
Kugeln hie und da ihre scharfen Contouren, und verschwin- 
den dann ganz, so dass zuletzt in der dünnflüssigen Umge- 
bung nur noch jene unlöslichen Theilchen bleiben, die, je 
mehr jene Kugeln verschwinden, immer mehr sich zu einer 
gallertarligen Masse gestalten. Auf den ersten Blick scheint 
dieses Verhalten der Eiweisskugeln allerdings die Anwesen- 
heit einer Hülle anzudeuten, und doch spricht das Verschwin- 
den der Ränder entschieden nur für ein gleichmässiges Auf- 
quellen und Gelöstwerden eines in Tropfenform vorhandenen 
zähen Körpers. Bringt man einen Tropfen frischen Hühner- 
eiweisses in Wasser, so behält derselbe noch lange seine 
ursprüngliche Kugelform, quillt allmählig auf, und mischt 
sich erst ziemlich spät vollständig mit dem umgebenden 
Wasser. Ganz ebenso verhalten sich in vorliegendem Falle 
die Eiweisskugeln, auch sie erhalten so lange ihre Tropfen- 
form, bis sie gleichen Consistenzgrad mit ihrer Umgebung 
haben. 

Es scheint vielleicht gewagt, wenn ich im Vorhergehen- 
den der Aufnahme der der albuminösen Grundmasse eigen- 
thümlichen Salze durch das Wasser eine solche Bedeutun 


133 


für die verschiedene Veränderung derselben Körper an ver- 
schiedenen Stellen des Präparats zuschrieb, und doch, be- 
denkt man die äusserst geringe Quantität des auf dem Ob- 
jektglase zu untersuchenden Körpers, so wie ferner die 
ungemein verschiedene Reaction des Eiweisses gegen ver- 
schiedene Quantitäten ein und desselben Stoffes, so wird 
man bei der ohnehin sehr grossen Unsicherheit mikrochemi- 
scher Versuche, die Möglichkeit dieser Deutung nicht von 
der Hand weisen. Wie sehr aber die Löslichkeit des Albu- 
mins von den richtigen Mengenverhältnissen der auf dasselbe 
einwirkenden Substanzen abhängt, davon überzeugt man sich 
am einfachsten durch folgendes Experiment: Bringt man coa- 
gulirtes Eiweiss in eine sehr verdünnte Lösung von Kochsalz 
oder Kali carbonicum, oder Chlorcaleium, so quillt dasselbe 
zu einer glashellen Masse auf, und löst sich unter bestimm- 
ten noch festzustellenden Verhältnissen vollständig; schon 
ein geringer Ueberschuss dagegen hindert die Lösung und 
führt es wieder in seinen coagulirten Zustand zurück. Schon 
aus diesem einfachen Experiment geht die Unsicherheit aller 
mikrochemischen Bestimmungen zugleich hervor, da wir bei 
der Kleinheit der zu bestimmenden Körper unmöglich die 
richligen Mengenverhältnisse der zuzusetzenden Substanzen 
treffen können, um ein genaues Urtheil über das Verhalten 
des fraglichen Stoffes abzugeben. 

Aus dieser Reaction gewinnen wir also gar keinen Be- 
weis für die Anwesenheit einer Membran. 

Verdünnte Essigsäure bringt ziemlich dieselben Erschei- 
nungen hervor. In eoncentrirter Essigsäure quellen die Ei- 
weisskugeln auf, werden immer heller, dünnflüssiger, und 
lösen sich allmählig ganz auf unter Freiwerden von Felt- 
tröpfehen. Alkohol macht die Zwischensubstanz und jene 
Eiweisskugeln gerinnen, indem letztere auf ein Minimum 
zusammenschrumpfen; und zwar erfolgt diese Veränderung 
s0 ungemein schnell, dass es fast unmöglich erscheint, den 
Hergang zu verfolgen. Einigemal gelang es mir jedoch, den 


134 


Einfluss dadurch sehr zu verlangsamen, dass ich das Objekt 
mit einem sehr grossen Deckglase bedeckte, dann erst einen 
Tropfen äusserst verdünnten Alkohols zusetzte, und letztern 
allmählig verstärkte; in diesen Fällen nun gerannen jene Ei- 
weissmassen gleichmässig ohne eine Membran deutlich zu 
machen, und comprimirte man dieselben, so zerplatzten sie 
strahlig an mehren Punkten der Oberfläche zugleich, ähnlich 
einer unter dem Fingerdrucke nach allen Seiten hin ausein- 
andergehenden Gallerte. Wäre wirklich eine in Alkohol sich 
erhärtende Membran als Hülle vorhanden, so hätte sich, glaube 
ich, diese durch eine doppelte Contour von dem gleichzeitig 
geronnenen Inhalte sondern müssen, wie wir dies z. B. bei 
dem Keimbläschen sehen. Chromsäure in sehr verdünntem 
Zustande unterscheidet sich wenig in ihrer Wirkung von 
verdünnter Essigsäure und Wasser; nur dass die Gerinnung 
am Rande durchgehender, stärker und gelbbraun gefärbt er- 
scheint, nach der Mitte zu aber die Veränderungen sich ganz 
so wie nach Wasserzusatz gestalten, was wohl darin seinen 
Grund hat, dass die in der Lösung enthaltene und äusserst 
geringe Menge Chromsäure durch das Eiweiss am Rande 
völlig gesättigt wird, also nur noch Wasser auf die Mitte 
des Präparats einwirkt; setzt man mehr Chromsäure hinzu, 
so gerinnt auch die Mitte des Präparats und färbt sich braun. 
Salpetersäure macht Zwischensubstanz und Eiweissku- 
geln gleichmässig körnig gerinnen, ohne Abhebung oder Ab- 
grenzung der äussern Schicht als Hülle. Bemerkenswerth 
ist, dass das flüssige Eiweiss meist schneller gerinnt als jene 
Kugeln, so dass sich durch die gleichzeitige Zusammen- 
schrumpfung beider Substanzen, zwischen beiden meistens 
ein freier, scharf begrenzter Raum bildet, der nur zu leicht 
zu der Annahme verleitet, man habe es hier mit einer von 
dem Inhalt abgehobenen Hülle zu thun, von deren Unrich- 
tigkeit man sich jedoch leicht durch Compression des Prä- 
parats überzeugen kann. Sublimatlösung und Acetum plumbi 
macht Zwischensubstanz und Eiweisskugeln gerinnen. 


135 


Aus diesen Reaclionen ergiebt sich, dass wir es mit 
einem albuminösen Körper zu thun haben, an den andere Stoffe 
(Fette) chemisch gebunden sind, und der in Wasser und 
Essigsäure mehr oder weniger löslich, jene darin nicht lös- 
lichen Bestandtheile als scheinbare Gerinnsel zurücklässt, 
der dagegen in Alkohol, Sublimatlösung, Chrom- und Sal- 
petersäure gerinnt. Und zwar scheint dieses in Kugel- oder 
Tropfenform vorhandene Eiweiss, wie ich es aus seiner 
Entwickelung schon zu deduciren suchte, ursprünglich dick- 
flüssiger und widerstandsfähiger sich vom Centrum aus durch 
Imbibition des flüssigen Eiweisses zu verdünnen, so dass die 
äussere Schicht allerdings zu gewissen Zeiten eine Art Hülle 
bilden mag, die aber nie die Bedeutung einer Zellenmembran 
hat. Dass übrigens diese Verflüssigung in bereits gelegten 
Eiern immer noch weiter vorschreitet, sehen wir daraus, 
dass die Eiweisskugeln oder Tropfen in einem und demsel- 
ben Ei ungleiche Consistenzgrade zeigen, und der uranfäng- 
lich äusserst dünnflüssige Dotter zum Theil wohl jedenfalls 
dadurch an Dichtigkeit gewinnt, dass sich jene zähere Masse 
ihm beimengt. Auch möchte diese allmählige Verflüssigung 
die einzige Art sein, wie man sich das Verschwinden dieser 
Dottertheile bei weiterer Entwickelung erklärt.) Von 


1) Rathke (Froriep. Not. 1842. No. 517.) nimmt für die im 
Texte geschilderten Dotterkugeln die Zellennatur ohne Weiteres in 
Anspruch, und lässt sie einen andern Entwickelungsgang durchmachen 
als oben angegeben, Nach seiner Angabe werden dieselben immer 
kleiner und vergehen zuletzt ganz. Allerdings findet man in Eiern, 
in denen der Embryo schon ganz deutlich, schr kleine derartige Ku- 
geln, meist aber sind dieselben uugemein gross, so dass sie fast das 
ganze Schfeld des Mikroskops einnehmen, sich aber immer deutlich 
noch als eine, die übrige Zwischenmasse durch seine Zähigkeit über- 
treffende Substanz darstellen, die sich leicht in kleinere Tropfen zer- 
drücken lässt. Gewiss geschieht diese Vergrösserung nicht nur durch 
Imbibition der primären Kugeln, sondern auch durch ein Ineinander- 
Vebergehen derselben. Gerade das Verhalten derselben in spätern 


136 


Wichtigkeit ist für den weitern Verlauf, dass alle jene Re- 
actionen, die lösliche und unlösliche Verbindungen des 
Albumins bewirken, immer mehr Fett freimachen, das in 
Form feiner Tröpfchen hervoriritt. Mit dem Hinschwinden 
jener Eiweisstropfen bei der Entwickelung des Eies tritt 
nämlich auch immer mehr Fett auf, ja in einigen der Ei- 
weisskugeln sieht man bei weiter entwickelten Eiern sich 
Fett in Tropfenform ausscheiden, die dann vollkommen das 
Ansehen von Colostrumkörperehen annehmen. 

Wir kommen nun zu jenen schon oben erwähnten grös- 
seren Kugelhaufen, denen der Dotter sein unregelmässig ge- 
buchtetes Ansehen verdankt. 1) Dieselben bestehen, wie 
bereits gesagt, aus zusammengehäuften Eiweisskugeln, und 
haben mit der Furchung der Eier, d.h. mit der Einleitung 
zur Zellenbildung, durchaus nichts zu thun; denn nirgends 
sehen wir sie in später auftretende Zellen übergehen, viel- 
mehr verschwinden sie allmählig ganz mit den sie zusam- 
mensetzenden Elementargebilden. In meiner Dissertation 
liess ich es noch unentschieden, ob diese grösseren Kugel- 
haufen eigne sie umhüllende Membranen haben. Durch die 
einfache Betrachtung lassen sich solehe nicht nachweisen, 
immer gehen die Contouren der einzelnen sie zusammen- 
setzenden Kugeln so ganz ineinander über, dass man nirgend 


Stadien spricht noch mehr für meine Auffassung der erwähnten Ge- 
bilde, um so mehr, als man in schon ziemlich weit entwickelten Eiern 
wohl sehr grosse primäre Kugeln, nie aber jene Conglomerate der- 
selben vorlfindet. 

1) Rathke glaubt in diesen Kugelhaufen einzelne Fetttröpfchen 
gesehen zu haben. Bin ich nun auch weit entfernt, einen besondern 
Werth auf diesen Umstand zu legen, so glaube ich mich doch unzwei- 
deutig davon überzeugt zu haben, dass jene Fetttröpfchen auf diesen 
Kugeln in der sie umgebenden Flüssigkeit liegen; gelingt es, einen 
solchen Kugelhaufen möglichst zu isoliren, so sieht man in ihm nie ein 
Fetttröpfchen. Für das Vorhandensein einer gemeinschaftlichen Hülle 
dieser Kugeln bringt Rathke weiter keinen Beweis vor. (a. a. 0.) 


137 


ein Ueberspringen der Membran von einer zur andern be- 
obachten kann; nirgend zeigt sich eine doppelte Contour und 
die in zweifelhaften Fällen zur Entdeckung von Membranen 
so sehr empfohlene Chromsäure lässt uns hier ganz im Stich. 
Die einzelnen Eiweisskugeln gerinnen nämlich und verlassen 
ihre gegenseitige Lagerung, ohne dass sich eine sie umge- 
bende Hülle deutlich macht oder platzt. Da ich jedoch zu- 
weilen nur zwei ziemlich dicht und fest aneinander haftende 
Kugeln sah, warf ich mir die Frage auf: ob vielleicht durch 
Selbsttheilung in immer kleinere aus jenen ursprünglichen 
grossen Kugeln die kleineren entständen? Zu ihrer Beant- 
worlung stellte ich Grössen - Vergleichungen der Eiweissku- 
geln in bereits sehr weit vorgeschrittenen, aber noch nicht 
gelegten Eiern mit jenen Kugelhaufen im gelegten Ei an. 
Niemals erreichen jene die Grösse der letztern, können da- 
her wohl unmöglich die noch ungetheilten grossen Kugeln 
sein, die späler erst durch Selbsttheilung zerfallen. — Ge- 
gen den umgekehrten Entwickelungsgang, das heisst gegen 
die Einkapselung der bereits vorhandenen Eiweisskugeln durch 
eine sich um sie legende Membran, spricht eben der Mangel 
eines jeden Beweises für das Vorhandensein einer solchen, 
Die einzig mögliche Erklärung dieser Erscheinung scheint 
mir daher bis jetzt noch die zu sein, dass bei dem verän- 
derten Dichtigkeitsgrade des ganzen Bildungsmaterials des 
sich entwickelnden Eies, und mit der Ansammlung des flüs- 
sigen Theils desselben auf der Oberfläche, die früher frei 
umherschwimmenden Eiweisskugeln aneinanderhaften, und 
viele an Grösse sehr verschiedene Haufen bilden, die nur 
durch eigne Altraction der elementaren Theile so lange zu- 
sammenhalten, bis sich die letztern allmählig gelöst dem 
flüssigen Dotter beimischen. !) . 


1) Bei einem Hähnerei scheint übrigens eine ähnliche Gruppirung 
der Dotterkugeln statt zu haben; auch hier bekommt man sie oft zu 


138 


Ausser diesen so eben beschriebenen Gebilden lagert 
sich nun, wie schon oben erwähnt, um das Keimbläschen 
eine feinkörnige Substanz, deren einzelne scheinbar solide 
Molekule ebenfalls mit vorschreitender Entwickelung des Eies 
allmählig an Grösse zunehmen, und schliesslich in Form ver- 
schieden grosser Fetttröpfchen in der sehr liquiden Dotter- 
flüssigkeit ordnungslos, wie es scheint, umherschwimmen. 
Die Beantwortung der Frage, ob bereits im ungelegten Ei 
jene Fettmolekule sich zu gruppiren beginnen, erhält durch 
die Dünnflüssigkeit des Dotters seine besondere Schwierig- 
keit, da man die immer doch ziemlich grossen Eier sehr 
gedrückt zur Beobachtung bekommt, wodurch natürlich et- 
waige Gruppirungen schon wieder aufgehoben sein können. 
Beobachtet man jedoch Eier im Ovarium, ohne sie mit ei- 
nem Deckglase zu drücken, so sind sie allerdings um Vieles 
weniger durchsichtig, nirgend aber findet man in ihnen, 
auch bei der sorgsamsten Durchmusterung, die leiseste An- 
deutung einer solchen Gruppirung. Die Grösse dieser Fett- 
molekule, deren Fettnatur durch Aether- Zusatz sich leicht 
beweisen lässt, ist in den Eiern der verschiedenen Spezies 
äusserst verschieden, und wechselt auch in ein und dem- 
selben Ei. 

Sobald das Ei gelegt ist, sammeln sich diese Fettlröpf- 
chen auf der Oberfläche desselben an, und zwar zeigen 
sich in der Art, wie dieses geschieht, in den verschiedenen 


grösseren Kugelhaufen zusammengeballt zur Beobachtung. Auch schei- 
nen sie sich ähnlich denen im Arachnidenei zu verhalten: ursprünglich 
eine helle und homogene, mattglänzende Kugel (ihr körniges Ansehen 
rührt meist von der sie umgebenden körnigen Flüssigkeit her), schei- 
nen sie eben auch, theils sich verflüssigend, der Dottermasse beige- 
mengt zu werden, theils aber, und das entschieden häufiger, scheidet 
sich in ihnen das Fett in Tropfenform aus, und sie bilden dann kern- 
lose Fettzellen. Diese letztere Entwickelungs- oder Veränderungsform 
beobachtet man, wenn auch entschieden seltener, gleichfalls im Spin- 
nenei, wie ich das oben bereits erwähnte. 


139 


Spezies die grössten Verschiedenheiten !J. Bei Lycosa 
und Epeira nämlich tritt die Ansammlung nur an einer 
Stelle auf, von da aus dann der andere durchscheinende 
Dottertheil wie mit einer Kappe umzogen wird; bei andern 
Eiern dagegen (Tegenaria, Clubiona), beginnt sie gleichzei- 
tig auf der ganzen Oberfläche des Eies als ordnungslos 
zerstreute Haufen; bei noch andern (was ich leider nur ein- 
mal bei den Eiern einer mir unbekannten Art sah) geschieht: 
diese Ansammlung über der ganzen Oberfläche scheinbar in 
ganz bestimmten Zwischenräumen, und giebt dann dem Ei 
ein schon mil unbewaflnetem Auge sichtbares, äusserst zier- 
liches punktlirtes Ansehn. In ganz frisch gelegten Eiern 
wollte es mir nie gelingen, in diesen Anhäufungen bereits 
eine bestimmte Gruppirung zu entdecken, auch sah man bei 
ihnen jene später nie fehlenden, bei auffallendem Licht dun- 
keln runden Kerne nicht; gleichwohl möchte ich beides auf 
die sehr grosse Dünnflüssigkeit der sie umgebenden Binde- 
masse schieben, die theils eine so starke Abgränzung der 
einzelnen Gruppen noch nicht möglich macht, theils aber 
auch die Verdeckung des möglicherweise schon vorhande- 
nen Kerns erleichtert. Die nächste Veränderung, die mit 
dieser Masse vorgeht, ist, dass sie sich zu grössern Haufen 
deutlich um einen bei auffallendem Lichte als eine dunkle 
runde Lücke erscheinenden Kern zusammenballt, und in de- 
nen sie durch jene jetzt zäher werdende Bindemasse zusam- 
mengehalten werden. Die ersten derartigen Haufen sind bei 
Lycosa mit unbewaflnetem Auge sichtbar, und geben dem 
Ei, indem sie sich gegenseilig abgränzen und abflachen, ein 
schachbrettartiges oder netzförmiges Ansehn. 

Bringt man nach vorsichtiger Eröffnung des Eies diese 
Kugelhaufen unter das Mikroskop, so zeigen sie sich als 
immer noch ziemlich flüssige, unter dem Druck des Deck- 


1) Rathke schildert diese Ansammlung der Fettmolekule auf der 
Oberfläche ziemlich ähnlich a. a. O. 


140 


gläschens sich abplattende und die verschiedensten Formen 
annehmende, immer aber gegen die flüssigere Grundmasse 
sich scharf abgränzende Gebilde, in deren Centrum ein bald 
mehr oder weniger von den Fettmolekulen verdeckter, bald 
ganz freier runder heller Fleck gelagert ist. Diese Conglo- 
meralionen einzelner Feitröpfchen in zäher Bindemasse um 
einen Kern entsprechen den Furchungskugeln anderer Thier- 
eier; die Eigenthümlichkeit des Bildungsmaterials, seine an- 
fänglich noch sehr bedeutende Dünnflüssigkeit, so wie der 
Umstand, dass nicht alle Dottersubstanz zu gleicher Zeit in 
diese Veränderung übergeführt wird, eignet das Arachnidenei 
vor allen andern, um einen Blick in die Bedeutung dieser 
Vorgänge zu ihun. Bevor ich jedoch dem Leser die nur 
aus ihnen gewonnene Ansicht mittheile, wird es nöthig 
sein, genauer noch auf das physikalische und, soweit es 
eben thunlich und nothwendig erscheint, auf das chemische 
Verhalten dieser ersten Neugebilde, die ich jetzt schlechtweg 
mit dem einmal herkömmlichen Namen Furchungskugeln be- 
zeichnen will, einzugehen. 

Bringt man dieselben ohne Zusatz einer Flüssigkeit in 
ihrer sie umgebenden Grundmasse unter das Mikroskop, so 
wird meistens schon durch den einfachen Druck des Deck- 
gläschens, das natürlich andauernd von selbst das Objekt 
iunmer stärker comprimirt, der Rand der einzelnen Kugel 
immer heller und gleicht vollkommen einer sich vom Inhalte 
abhebenden Zellenmembran (Fig. 9, a.a.). Verstärkt man 
diesen Druck, so dehnt sich dieser helle Theil, meist nur 
nach einer Seite zu, immer weiter und weiter aus, und 
formt sich zu einer nur noch mit ganz kurzem Halse mit 
der Furchungskugel zusammenhängenden flaschenförmigen 
Hervorragung (Fig. 9. a‘); trennen sich, wie das sehr oft 
geschieht, zugleich einzelne jener Fetltröpfehen von der 
Hauptmasse, so treien sie mit in diese vorgequollene Sub- 
stanz, denn als solche, nicht als eine abgehobene Hülle, ist 
sie zu betrachten; schiebt man nun mit gleichzeitigem leich- 


141 


tem Druck das Deckgläschen von der Seite her etwas fort, 
so trennt sich nicht selten jener Theil ab und beide, er so- 
wohl wie die Furchungskugel, nehmen schnell eine voll- 
kommen abgerundete Tropfenform an, ohne dass man an 
irgend einer Stelle etwas von einem Riss beobachtet. — 
Zertheilungen der Art erfolgen oft schon einfach durch das 
Fortschwimmen in der Dotterflüssigkeit, wenn die Fur- 
chungskugel gegen einen festliegenden Theil getrieben wird; 
in welchem Falle sie dann in der Mitte nachgiebt und zu 
beiden Seiten als zwei getrennte vollkommene Kugeln fort- 
rollt. Enthält nun diese von dem Hauptiheil abgetrennte 
Kugel viel Feittröpfehen (oft sind sie ganz damit erfüllt) 
und übertrifft wohl gar an Grösse die ursprüngliche Kugel, 
oder ist der helle Kern mit in die hervorgequollene Substanz 
geschlüpft, so hat man hiemit eine künstliche Form kernlo- 
ser Furchungskugeln, die wie natürlich eine sehr bedeutende 
Fehlerquelle für die Beobachtang abgeben. Durchmustert 
man frische Präparate, die nur wenig oder gar nicht com- 
primirt sind, so vermisst man fast nie die Kerne in den 
Furchungskugeln, und eine hie und da sich zeigende kern- 
lose Kugel kann nach dem vorhin Gesagten nie den Be- 
weis gegen die Präexistenz des Kerns abgeben, da wir 
eben im Stande sind, sie künstlich jeden Augenblick darzu- 
stellen. ? 

Gewöhnlich sieht man die ersten eben noch sehr flüssi- 
gen Furchungskugeln unter der Einwirkung des Drucks und 
des Stromes der sie umgebenden Flüssigkeit die seltsamsten 
Gestalten annehmen; bald sind sie vollkommen rund, bald 
oval, bald einem Quersacke nicht unähnlich, bald laufen sie 
keulenförmig nach einer oder nach mehrern Seiten zugleich 
aus, und alle diese Formen wechseln in jeder Minute, und 
gehen vor unsern Augen die eine in die andere über, Neh- 
men wir alles bisher über sie Gesagle zusammen, ihre leichte 
Theilbarkeit in zwei gesonderte Tropfen, die Veränderlich- 
keit ihrer Form, so scheint mir alles gegen das Vorhanden- 


142 


sein einer sie umschliessenden Hülle zu sprechen, und die 
einzig haltbare Anschauung eben die zu sein, dass wir es 
mit Tropfen zäher Substanz zu thun haben. Eine bedeu- 
tende Unterstützung findet dieselbe noch in folgenden Er- 
scheinungen: Comprimirt man nämlich mehrere nebeneinan- 
derliegende Furchungskugeln, so gelingt es sehr oft, drei, 
vier u. m. (Fig. 9. b.) in eine einzige zusammenzudrük- 
ken, wodurch man dann zwei, drei, vier u. m. kernige Ku- 
geln erhält. Eine die einzelnen umhüllende Membran würde 
ein solches Ineinander - Ueberfliessen sicherlich unmöglich 
machen. Gleichzeitig zeigt uns die zuletzt erwähnte Beob- 
achtung, wie irrig es wäre, wenn man aus der Coexistenz 
zweier Kerne in einer Furchungskugel den Beweis für eine 
endogene Neubildung neuer Kerne in dem alten herleiten 
wollte, Oft liegen in derartig zusammengeflossenen Fur- 
chungskugeln die Kerne so nahe neben einander, dass sie 
täuschend einem eben in der Theilung begriffenen Kerne 
gleich kommen. Bei vorsichtiger Präparation sehr früher, 
so wie schon weiter entwickelter Eier gelang es mir nie, 
in noch vollständigen Furchungskugeln irgend eine Andeu- 
tung für ein Zertheilen des Kerns, behufs Bildung neuer 
Furchungskugeln, aufzufinden. Was nun übrigens die Natur 
dieser hellen Flecke betrifft, die ich kurz als Kerne der Fur- 
chungskugeln schilderte, so sind dieselben bei ihrem ersten 
Auftreten durchaus homogene, äusserst schwach contourirte, 
das Licht nur sehr schwach brechende, mehr oder weniger 
deutliche runde Massen, die in frischem Zustande durchaus 
keine Spur weder einer sie umgebenden Membran, noch 
eines Kernkörperchens zeigen. Hat das Präparat einige Zeit 
unter dem Deckgläschen gelegen, so sieht man in den nur 
äusserst schwer völlig zu isolirenden Flecken eine leichte 
Andeutung einer bald nur centralen, bald allgemeinern Gra- 
nulirung. 

Setzt man zu diesen frühen Furchungskugeln destillirtes 
Wasser, so erstarrt die sie zusammenbaltende Bindemasse, 


143 


löst aber dann beim Vorbeiströmen Theilchen nach Theil- 
chen vom Rande ab, so dass zuletzt oft nur ein einfacher 
Kranz von Fetttröpfehen den Kern umgiebt. Ist der Strom 
nicht stark genug, um die Kugel so allmählig zu zerstören, 
und bleibt letztere vollständig, so haben wir auch hier durch 
den scharfen Contour der ganzen Kugel den Schein einer Mem- 
bran; allmählig quillt jedoch die Bindemasse immer mehr 
auf, und in dem Maasse, in dem dieselbe sich löst, treten 
die Fettkörnchen weiter auseinander, der äussere Contour 
verwischt sich vollständig, und in dem in der Mitte gelager- 
ten hellen Kern, der aber keineswegs an Schärfe gewinnt, 
zeigt sich, ähnlich wie beim Eintrocknen, eine feine Gerin- 
nung, die oft vollkommen das Ansehn eines Kernkörperchens 
hat. Schliesslich verlassen die einzelnen Fetttröpfchen ihre 
gegenseitige Stellung, springen wie Luftbläschen auf der 
Oberfläche einer Flüssigkeit in einander über, werden da- 
durch immer grösser, und von den Furchungskugeln bleibt, 
nachdem auch der helle Kern spurlos verschwindet, zuletzt 
nichts, als mehrere grosse nebeneinander liegende Felttröpf- 
chen. Jene vorher schon erwähnten Erscheinungen an den 
Furchungskugeln, das Zusammenfliessen vorher gesonderter 
in eine, sowie das Zertrennen einer in zwei völlig abge- 
rundete Kugeln treten natürlich bei Verflüssigung der bin- 
denden Masse um so leichter auf. Aehnlich wie destillirtes 
Wasser wirkt die Essigsäure, nur dass sie die Bindemasse 
schneller löst, 

Salpetersäure macht die Bindemasse gerinnen; der vor- 
her homogene helle Kern erhält durch sie schärfere Begrän- 
zung und erscheint fein granulirt; die geronnene Bindemasse 
zieht sich nach der Mitte um den Kern zusammen, so dass 
die Fetttröpfehen am Rande freier werden und zusammen- 
fliessen. Nur selten gerinnt die durch Wasser aufgequollene 
Masse bei Zusatz von Acid. nitr. in Form einer festen fein- 
körnigen Hülle, die dann die Fettkügelchen einhüllt, und die 
ganze Furchungskugel, die vorher ziemlich flach und durch- 


144 


sichtig war, dunkler und fester macht, so dass man kaum 
noch den hellen Kern als eine scharf umgränzte Kugel durch- 
schimmern sieht, Chromsäure wirkt ebenso, nur dass man 
die geronnene Bindemasse als ein gelbgefärbtes Gerinnsel 
zwischen den Fettkügelchen liegen sieht, die meistens grös- 
sern weichen Schollen gleich, das Ansehn von Fetttröpfehen 
verloren haben. Der helle Kern wird durch sie fest, dun- 
kelbraun und körnig. Bei all diesen Reactionen auf mine- 
ralische Säuren wäre noch die chemische Veränderung des 
Fetles wohl zu beachten, die mir bei Anwendung der Chrom- 
säure am deutlichsten in die Augen fiel. 

Doch noch einen Irrihum, den möglicher Weise die Ver- 
änderung der Dotterbestandtheile durch starke Säuren her- 
vorrufen kann, will ich hier nicht unbeachtet lassen. Ge- 
rinnt nämlich das die Furchungskugeln unıgebende flüssige 
Eiweiss, so zieht sich dasselbe immer mehr zusammen, wäh- 
rend auch die Furchungskugeln sich auf einen kleinern Kreis 
zurückziehen, wodurch nun zwischen beiden, also rund um 
die meist ziemlich in der Mitte liegende Kugel ein freier 
Raum entsteht, der durch seine scharfe Umgränzung völlig 
das Bild einer vom Inhalt abgehobenen feinen Hülle bie- 
tet, gegen deren Existenz aber nicht nur die Entstehungsart, 
die man genau verfolgen kaun, sondern auch der Umstand 
spricht, dass man schon durch leichten Druck die geronne- 
nen Massen auseinander pressen kann, wobei dann auch der 
etzte Schein einer Membran schwindet. 

Fassen wir das bisher Mitgetheilte zusammen, so er- 
giebt sich für die Deutung dieses ersten Entwickelungspro- 
zesses im Arachnidenei folgendes, dessen Allgemeingültigkeit 
für die Eier audrer Thierklassen wohl per analogiam' ge-_ 
schlossen werden dürfte, mit den Angaben anderer Beobach- 
ter jedoch scheinbar in manchen Stücken im Widerspruche 
steht. 

Nachdem das Ei mit dem Verlassen des Mutterkörpers 
einen gewissen Grad individueller Selbstständigkeit ‚erreicht, 


145 


und seine ursprüngliche einfache Zellennatur mit dem Hin- 
schwinden des Kerns — Keimbläschens — und der Dotter- 
haut aufgegeben hat, bildet es in der dasselbe umgebenden 
Kapsel gleichsam den Bildungsheerd für das neu zu entwik- 
kelnde Thier. In ihm sind die stickstofllosen und stickstofl- 
haltigen Substanzen, die in dem erwachsenen Körper um 
vieles innigere Verbindungen eingehen, noch ziemlich geson- 
dert, und der nun beginnende Zellenbildungsprozess ist gleich- 
sam das Mittel, durch das jene innigere Mischung eingeleitet 
wird, und mit ihm sehen wir denn auch allmählig jene 
strenge Sonderung verschwinden. Von einer Dotterzerklüf- 
tung, wie wir sie beim Froschei, den Eiern der Entozoen 
und andrer Thiere zu beobachten Gelegenheit haben, ist hier 
nicht die Rede, da ein und zwar der bei Weitem grösste Theil 
des Dotters in seiner ursprünglichen Form zunächst keinen 
Theil an der sogenannten Furchung nimmt, sondern seines 
Theils eine Rückbildung, ein Zerfallen seiner Elemente durch- 
machen muss, bevor er zur Zellenbildung tauglich erscheint. 
Auch bildet sich nicht, wie in jenen Eiern, zunächst eine 
Furchungskugel, und durch deren graduelles Zertheilen die 
spätern, sondern gleichzeilig an ganz gesonderten Stellen der 
Oberfläche sehen wir derartige Gebilde auftreten, so dass 
auch in dieser Beziehung von einer eigentlichen Dotterfur- 
chung, einer sogenannten partiellen Furchung nicht die Rede 
sein kann !). Der ganze Prozess beginnt hier mit der Er- 
scheinung heller, als Kerne anzusehender Körper auf der Ober- 


1) Eine partielle Furchung könnte man wohl den Vorgang im Ei 
der Dipteren nennen, wenn man übrigens diese Bezeichnung festhalten 
will. Hier schnürt sich nämlich der Theil des Dotters, der zur Fur- 
' chung, Zellenbildung zunächst verwandt wird, von dem sogenannten 
' Nahrungsdotter, mit dem er vorher noch eine Form hatte, ab, und 
‘ von den also entstehenden Kugeln theilt sich nur die eine entschieden 
' dunklere, bei durchfallendem Lichte völlig schwarze Kugel weiter, 
während die andre mehr gelbbraune allmählig aufgezehrt wird, ohne 
} dass sie direkt eine Zellenbildung eingeht. 
' Müllers Archiv. 1619. 10 


146 


fläche des Dotters, die keineswegs einfaches Fett sind, sondern 
bereits eine innigere Verbindung des Albumins und des Fettes 
bilden; um diese Kerne lagert sich die eiweissartige Grundmasse 
mit ihren Fettmolekulen in Tropfenform an. Neue, aus der 
übrigen noch unbenutzten Dottermasse sich ausscheidende 
Kerne umgeben sich auch mit dem neu auftretenden Bildungs- 
material, welches Schritt für Schritt mit dem Verschwinden je- 
ner Eiweisskugeln an Quantität zunimmt; und so sehen wir 
immer mehr Furchungskugeln die ganze Dotterkugel umla- 
gern, ohne dass gerade ein Zerfallen der ersten auftretenden 
in je zwei nolhwendig erscheint, um ihr Entstehen zu deu- 
ten. Liesse sich nun allerdings unbeschadet dieser An- 
schauung wohl denken, dass wie in der ganzen Dotiermasse, 
so auch in der die frühesten Furchungskugeln bildenden Sub- 
stanz sich neue Kerne ausscheiden, ohne dass gerade an 
eine endogene Neubildung von Kernen in dem ursprünglichen 
oder an ein Zerlallen desselben in zwei gedacht werden 
dürfte (wofür ich wenigstens in vorliegenden Beobachtungen 
keinen Beweis finden konnte), um welchen Kern sich natür- 
lich ein Theil jenes ersten Tropfens für sich gesondert for- 
miren könnte, so erscheint mir selbst diese Entstehungs weise, 
deren Möglichkeit (so fest sie auch bei andern einfachern 
Eiern steht) ich hier nicht ganz bei Seite schieben will, 
durchaus nicht nothwendig, um die mit der Vermehrung 
auch zunehmende Verkleinerung der Furchungskugeln zu deu- 
ten. Mit der Verkleinerung, mit dem allmähligen Hinschwin- 
den der einzelnen Fettmolekule, die jedenfalls in einer inni- 
gern Verbindung der elementaren Stoffe dieser Gebilde ihren 
Grund hat, gewinnen sie nämlich entschieden an Resistenz; 
eine jede Flüssigkeit nimmt aber bei ihrer Eindickung einen 
kleinern Raum ein. 

Die weitere Entwickelung dieser ersten Gebilde, die wir 
nach der Analogie Furchungskugeln nennen, ist nun kurz 
folgende: Kern und Umgebung wird immer consistenter 
und kleiner, immer deutlicher die Abgrenzung der letzteren, 


147 


während ersterer, je heller und durchsichtiger letztere mit 
dem allmäligen Verschwinden der Fetimolekule wird, immer 
weniger sich durch seine verschiedene Lichtbrechung von 
dem übrigen Theil der Kugel unterscheidet. Anfangs Schol- 
len einer flüssigern Substanz um den Kern bildend, wird 
dieselbe immer consistenter, und bietet durch Aufquellen in 
Wasser auf ihrer Peripherie deutlich das Bild einer ober- 
flächlichen Zellenmembran dar. Der ohne Zusatz irgend 
einer differenten Flüssigkeit vollkommen unkenntliche Kern 
wird auf Zusatz von Wasser ebenfalls sichtbar, und zwar 
hat derselbe alsdann ein unregelmässig körniges, am Rande 
gewulsteies Ansehen, ähnlich den Kernen der Eiterzellen. 
Während mit diesen kleinern Zellen bereits deutlich die 
äussere Formirung des jungen Thieres beginnt, schreitet der 
Zellenbildungsprozess im Innern, und zwar in derselben Art 
wie in der äussern Schicht, weiter fort, und im Abdominal- 
theil des Thiers, der sich bald von dem Kopftheil abschnürt, 
tritt noch eine andere Art von Zellenbildung auf. Man fin- 
det hier nämlich eine grosse Masse von Fetttröpfchenhaufen, 
die um vieles fester als die ersten Furchungskugeln, mit ih- 
nen aber von gleicher Grösse, ohne Andeutung einer Mem- 
bran und eines Kerns, eben aus durch eine zähe Bindemasse 
zusammengehaltenen grossen und kleinern Fetttröpfchen be- 
stehen, !) und den kernlosen Fettzellen der Ieber der Arach- 
niden gleichen, bei denen von einer eigentlichen vom Inhalte 


1) Aehnlich bilden sich auch im Kaninchen- und Katzen -Foetus 
die Leberzellen: in einem ausgetragenen Kätzchen, dessen Leber ganz 
weissgelb aussah, bestand das Parenchym aus lauter kleinen kernlosen 
Fetttröpfchen-Haufen, die erst sekundär sich mit einer Hülle umgeben, 
und einen Kern in ihrem Innern zeigen. Ludwig scheint einen ähn- 
lichen Entwicklungsgang auch für die Nierenzellen in Anspruch zu 
nehmen (Ludwig: Nieren- u. Harnbereitung; in R. Wagners Hand- 
wörterbuch, Bd. Il. S. 631), doch geht das genetische Verhältniss der 
kernlosen kleinern zu den kernhaltigen grössern Zellen aus seiner Dar- 
stellung nicht deutlich hervor. 


10* 


148 


sich differenzirenden Hülle streng genommen auch nicht die 
Rede sein kann. 

Vielmehr bildet auch bei ihnen noch im erwachsenen 
Zustande nur die äussere dichtere Schicht der ganzen Masse 
eine Art Hülle, die sich aber isolirt von einem sogenannten 
Zelleninhalt nicht darstellen lässt; das scheinbare Abheben 
derselben bei Zusatz von Wasser und Essigsäure findet seine 
Erklärung in dem gleichmässigen Aufquellen der ganzen 
Masse, welche jene Kugel darstellt. Zuweilen sind in den- 
selben eine oder zwei grössere Fettkugeln, die ihnen dann 
vollkommen das Ansehen kernhaltiger Zellen geben; von 
wirklichen Kernen aber unterscheiden sich diese eben da- 
durch, dass sie erweislich einfache Fetttröpfehen, die Kerne 
vollkommner Zellen ein einfaches Fett sind. 

Diese letzte Form von Zellenbildung, die von der erstern 
ihrer ganzen Natur nach verschieden zu sein scheint, giebt 
uns schon bei der Entwickelung des Eies den Beweis, dass 
die äussere Aehnlichkeit in der Gestalt dieser elementaren 
Formen noch nicht ihre völlige Identität in sich schliesse, 
diese letztere also auch nicht als ein Grund gegen einen 
verschiedenen Bildungstypus scheinbar ähnlicher Körper vor- 
gebracht werden kann, wie das von vielen Beobachtern noch 
jetzt geschieht. Gewiss wird uns eine spätere Mikrochemie 
und Histogenie noch mehr Beweise für den Satz liefern: 
dass eine analoge Form nicht nothwendig dieselben Quali- 
täten in sich schliesst, also auch nicht nothwendig densel- 
ben physikalischen Entwickelungsprozess durchgemacht zu 
haben braucht. Die gleiche Form, in der die verschieden- 
sten organischen Gebilde in ihren Anfängen auftreten — die 
Zelle — hat ihren Grund in dem gleichen physikalischen 
Verhalten aller ursprünglich zähflüssigen, später zu einer 
Scholle oder zu einem Bläschen erstarrenden Substanzen, 
die sich gleichwohl noch sehr verschieden in ihrem Entste- 
hen verhalten können. 


149 


Ob die weiter oben erwähnten Eiweisskugeln, in denen 
sich mit ‘der Entwickelung des Thieres einzelne Fetttröpf- 
chen ausscheiden, nur vorübergehende Bildungen sind, oder 
ob sie noch eine weitere Verwendung und Fortbildung in 
der Oeconomie des Eies finden, wage ich aus meinen bis- 
herigen Beobachtungen nicht zu entscheiden, obwohl es mir 
allerdings wahrscheinlich ist, dass wir sie nur als retrograde 
Gebilde zu betrachten haben. 

In der ersten den Dotter umgebenden Zellenschicht, ver- 
schmelzen die einzelnen Zellen übrigens vollständig zu einer 
den ganzen Embryo umwachsenden, hellen, strukturlosen 
Hülle, die mit der Cutis-Bildung nichts zu thun hat. Viel- 
mehr gebt unter derselben die Bildung der eigentlichen Haut- 
decken mit ihren Borsten und Haken vor sich, so dass er- 
stere eine Art Amnion bildet, das beim Herauskriechen des 
jungen Thiers in der Schale zurückbleibt. Herold’s An- 
gabe, dass die junge Spinne ohne Borsten und Endhaken 
an den Extremitäten das Ei verlasse, ist unbegründet. 


Erklärung der Abbildungen. 


Fig. 1. Ein Ovarium von Lycosa, dem die endständigen Follikel fehl- 
ten. Alle hier ziemlich gleich entwickelt. (120fache Ver- 
grösserung.) 

Fig. 2. A. Follikel aus dem Ovarium einer kleinen Epeira, in sehr ver- 
schiedenen Entwickelungsstufen; Keimbläschen noch alle ohne 
Fiecken. B. Bereits weiter entwickelte Follikel aus dem- 
selben Ovarium; Keimbläschen mit Flecken. (120fache Ver- 
grösserung.) 


Fig. 3. Follikel aus dem Ovarium einer Lycosa mit Keimbläschen und 
dem concentrischen Körper; Epithelium im Halse des Folli- 
kels. (250fache Vergrösserung.) 

Fig. 4. a. b. ec. d. Keimbläschen aus Fig. 2 in den verschiedensten 
Entwickelungsstadien. (250fache Vergrösserung.) 

Fig. 5. Der concentrische Körper in verschiedenen Stadien, (250fache 
Vergrösserung.) 

Fig. 6. Eierstockfollikel mit Ei; Keimbläschen, Fettmolekule, Eiweiss- 
kugeln (Dotterkugeln). 


Ei von Lycosa; zur Hälfte die Oberfläche bereits mit Fur- 
chungskugeln bedeckt. (S0fache Vergrösserung.) 


a. Conglomerat von Eiweisskugeln. bbbbb Eiweisskugeln 
in verschiedenen Grössen und Formen. c desgleichen mit 
darin auftretenden Fetttröpfehen. (250mal vergrössert.) 


a a Furchungskugeln; a’ eine in der Theilung begriffene Ku- 
gel; b drei zusammengedrückte Furchungskugeln; ce cc 
spätere Stadien der Furchungskugeln. d Fettzelle des Fett- 
körpers. (250mal vergrössert.) 


Fig. 10. Ein Stück Chorion mit den Pigmentkapseln. (250mal ver- 


grössert.) 


nn de 


Zur Bindegewebsfrage:; 
von 
Prof. Lupw. Fıck in Marburg. 


(Aus brieflicher Mittheilung an den Herausgeber.) 


Die noch immer unerledigte Bindegewebsfrage fordert mich 
auf, Ihnen Mittheilung von einer meines Wissens neuen Me- 
thode zur Untersuchung der Membranen und Bindegewebs- 
gebilde zu machen, deren ich mich seit einiger Zeit mit Vor- 
theil bedienee Eine der grössten Schwierigkeiten bei der 
mikroskopischen Untersuchung der genannten Gebilde ist 
bekanntlich das Zerpflücken derselben in kleine Fragmente, 
die sich während des Zerpflückens immer klumpen und bal- 
len. — Um diese Schwierigkeit zu entfernen, spanne ich 
diese Gebilde über einen kleinen Metallring, der in eine läng- 
liche Metallplatte eingesetzt ist, und verstärke beliebig die 
Spannung, indem ich eine zweite Platte mit einer dem Ringe 
entsprechenden Oeflnung über Ring und Präparat mehr oder 
minder fest aufdrücke, wodurch eine sehr gleichmässig nach 
der Peripherie gerichtete Spannung des Präparats ausgeübt 
wird. Die folgende Zeichnung des Instrumentchens in na- 
türlicher Grösse wird dasselbe hinlänglich anschaulich machen, 


152 


Da der Ring nicht hoch ist, so ist, wenn das aufgespannie 
Präparat unter das Mikroskop gebracht wird, Licht genug 
vorhanden. Die beiden Erhöhungen a a über die Fläche bb 
der untern Plalte sind nöthig, damit der rings um den Ring 
herabhängende Ueberschuss des aufgespannten Präparats Platz 
hat, wenn die Deckplatte aufgedrückt wird. — Das Befeuch- 
tungsmittel’ oder Reagens wird bei der Untersuchung im Ue- 
berschuss aufgetropft und bildet dann einen kleinen Wall 
von Flüssigkeit um den niedrigen Rand des Ringes, wodurch 
das schnelle Austrocknen hinlänglich vermieden wird; über- 
dies kann man das Präparat mit einem Oberheuserschen 
Deckplättchen noch bedecken. Zu bemerken ist noch, dass 
man, um ein Gewebstück aufzuspannen, das Instrumentchen 
auf dem langen Rand auf die Stelle auflegt, von welcher 
man das Präparat abnehmen will, dann die gehobene Mem- 
bran oder die lospräparirten Bindegewebschichten oder Seh- 
nenstücke mit zwei Pıncetten fasst und über den Ring zieht, 
wo sie an diesem, den ich absichtlich, wie das ganze In- 
strumentchen, nicht poliren lasse, schon von selbst ziemlich 
festhängen bleiben, worauf man dann erst mit der Scheere das 
Präparat von der Stelle, von welcher man es genommen 
hat, völlig abschneidet. — Hat man es nun durch die zweite 
Platte völlig befestigt und gespannt, so kann man, wenn 
das Präparat noch nicht dünn genug ist, noch Schichten 
von demselben abtragen und es ganz beliebig verdünnen. — 
Ich bediene mich solcher Instrumentchen von verschiedenem 
Kaliber, indem ich die Oeffnungen der Ringe von der Grösse 
des Kreises c bis zu der von d machen lasse. — Die grös- 
sern benutze ich zur Anfertigung trockner mikroskopischer 
Präparate, zur Demonstration der Darmhäule, der Schleim- 
häute ete., welche ich auf diesem Wege von ausgezeichne- 
ter Schönheit erhalle. 

Was nun die Resultate dieser Untersuchungsmethode 
anlangt, so wird sich Jeder, der sich erst mit derselben 
vertraut gemacht hat, überzeugen, dass sie sehr interessante 


153 


Aufschlüsse über die Elementarverhältnisse der Gebilde, wel- 
che sich für dieselbe eignen, liefert. — Da ich jedoch zu- 
nächst nur den Zweck habe, auf die Methode aufmerksam 
zu machen, so will ich hier nur in Beziehung auf die Bin- 
degewebsfrage anführen, dass man sich durch die vorstehend 
beschriebene Untersuchungsart an Mensenterien, Arachnoi- 
den, an lockerm Insterstitialgewebe, wie an dem reinsten 
Flechsengewebe die Anschauung verschaffen kann, dass die 
Reichertsche Ansicht, wo nicht ganz, doch wenigstens in 
so weit richlig ist, dass alle Bindegewebsgebilde wesentlich 
aus einer festen, sehr dehnbaren honıogenen Substanz be- 
stehen, in welcher die andern Gewebselemente unmittelbar 
eingeleimt sind. — Auch lässt sich leicht nachweisen, dass 
die in den Bindegewebsgebilden enthaltenen Feittropfen nicht 
in isolirten specifischen Zellen, sondern zur in Ascherson- 
schen, durch die chemisch-physikalische Verschiedenheit des 
Fettes und des Bindeleims gebildeten Räumen oder Pseudo- 
zellen enthalten sind. 3 
Marburg den 31. Mai 1849. 


Ueber 
den Bau der Leber. 
Von 


A. Rerzıus, 


Bericht aus der Öfversigt af Kongl. Vetenskaps- Akademiens Förhand- 
lingar f. Januari 1849; übersetzt von Fr. Creplin. 


Hr. Retzius zeigte eine Reihe von Leberpräparaten aus 
dem Menschen, dem Hunde, der Katze, dem Kaninchen, 
Eichhorne, Schwein und Ochsen vor, welche mit verschie- 
denen Farben eingespritzt waren. Er hatte in der Haupt- 
sache Kiernan’s treffliche Untersuchungen über die Leber 
bestätigt gefunden. Nach diesem hatten sich mehrere An- 
dere, als Weber, Krukenberg, Theile, Schröder 
van der Kolk u. s. w. mit dem Baue dieser künstlichen 
Drüse beschäftigt; aber dennoch war noch Vieles übrig, das 
dunkel blieb. Ueber die Frage, wie fern die Leber einen 
lobulären Bau besässe, oder nicht, hatte Hr. R. seine An- 
sicht schon bei der Naturforscherversammlung in Kopenha- 
gen ausgesprochen, dass derselbe nämlich im Grunde und 
zu Anfange acinös oder lobulär wäre (er meinte nämlich, 
dass diese Ausdrücke hier synonym wären), dass aber un- 
ter mehrfachen Veränderungen die Acini oder Lobuli mit 
einander verschmelzen könnten; dadurch ginge das lobuläre 
Ansehen verloren, könnte aber unter gewissen Verhältnissen 
wiederkehren u. s. w. 


155 


1. Die Präparate von der Menschenleber waren 
von der eines halbjährigen Kindes gemacht. Vor der In- 
jeetion des Organes erschienen deutliche Acini; aber in den 
injieirten Präparaten, in denen die Capillär- Adern ganz ge- 
füllt waren, zeigte sich keine Spur von interlobulären Dis- 
sepimenten oder Bindegewebe-Alveolen. Die lobuläre Bil- 
dung wurde bloss durch die weisse Injeetion angedeutet, 
welche aus den Venae hepaticae und deren Rami lobulares 
in die centralen Capillär-Adern der Acini eingedrungen war. 
Die Acini wurden dieht von überwiegenden, reichen peri- 
lobulären Capillargefässen aus der Pfortader umschlossen; 
aber auch diese gaben keine deutlichen Gränzen für die 
Acini au, wie es sonst so oft der Fall ist. An mehreren 
Stellen waren die lobulären Capillarnetze ganz von der 
Pfortader aus angefüllt. Es erhellte aus den vorgezeigten 
Präparaten, dass noch im sechsten Monate nach der Geburt 
das Pfortadersystem, welches während des Uterinlebens ei- 
nen Theil des Nabelvenensystems ausgemacht hatte, eine 
Entwicklung besitzt, welche der der Lebervenen weit über- 
legen ist. In grossen Stücken, besonders vom rechten Lap- 
pen, hatte die Injection von der Pfortader aus das ganze 
Parenchym mit Ausnahme der Zwischenräume eingenom- 
men, welche das Netz der Gallengelässe und die Centra 
einnahmen, die die interlobulären Lebervenenzweige zeigten. 
An anderen Stellen war die Injeetion nicht in die feineren 
Pfortaderzweige eingedrungen, wogegen die Leberblutader- 
zweige mit dem ihnen zunächst liegenden Theile des Haar- 
röhrennetzes wohl angefüllt waren. Diese Leberaderzweige 
verliehen an denselben Stellen dem Organe ein lobuläres 
oder acinöses Ansehen. Dies war nämlich vorzüglich der 
Fall an der Oberfläche, wo sich die runderen Enden der 
intralobulären, injieirten Aderplexus in der Gestalt kleiner 
weisser Knötchen erhoben (die Injection in die Venae he- 
paticae war mit Bleiweiss gemacht worden); der Umkreis 
von diesen war theils uninjieirt, theils von dem Gallenröh- 


156 


rennelz eingenommen. An den Stellen, an welchen die pe- 
rilobuläre Injection ganz und gar ausgeblieben war, zeigten 
diese das Ansehn von Lobeln mit grossen Zwischenräumen; 
wo aber dieselbe vollständig Statt fand, waren die intralo- 
bulären kleineren Plexus fast davon überdeckt. An den 
Stellen, an denen der Durchschnitt längs der intralobulären 
Zweige gegangen war, erschienen, wie Kiernan gezeigt 
hat, die Lobuli auf diesen Zweigen (Rami sublobulares Kier- 
nan) sehr dicht sitzend, im Durchschnitt ungestielten Blät- 
tern gleichend, umgeben von Capillarnetzen aus der Pfort- 
ader und Netzen von Gallenröhren. 

Besonders interessant sind an gut eingespritzten Präpa- 
raten die weiten Scheiden der Capsula Glissonii, welche 
den stamm- und zweiglörmigen Fortsetzungen der Pfortader 
durch das ganze Organ hindurch bis dahin folgen, wo diese 
Ader ihre perilobulären Zweige abgiebt. Hr. R. war näm- 
lich im Stande, an diesen Scheiden das merkwürdige Factum 
zu bestätigen, welches Kiernan zwar sehr gut systematisch 
angedeutet, aber im Detail minder gut beschrieben hat, näm- 
lich dass die Gallengänge in den Wänden dieser Scheiden 
ein Netz bilden, welches sich nachher in die lobulären Gal- 
lennetze fortsetzt. Jede solche Scheide der Capsula Glisso- 
ni zeigt im Abschnitt einen weit grössern Durchmesser, 
als die Gefässe, welche sie (an trocknen Präparaten) ein- 
schliesst. Diese Gefässe sind ein grösserer Pfortaderzweig, 
ein etwas kleinerer Gallenröhrenzweig und ein kleiner Le- 
berpulsaderzweig, deren Lumina sich auch durchschnitten 
zeigen. Diese Glissonischen Scheiden scheinen an den Stel- 
len zu liegen, an denen man die Septa perilobularia antref- 
fen würde, falls sie erschienen oder vorhanden wären. Da, 
wo die Gallengänge gut eingespritzt sind, zeigen sich die in 
Rede stehenden Scheiden wie Ringe von der Farbe der Gal- 
lenröhren, und ihre Wände bekleidet oder durchdrungen von 
einem Gallenröhrenplexus mit eben so feinen Maschen, wie 
die Maschen in dem lobulären Gallenröhrennetze sind, 


157 


Kiernan hat unfehlbar diese vaginalen Gallenröhrennetze 
gesehen, da er sie in seine Classification der Verzweigungen 
der Gallengänge unter dem Namen ‚.vaginal branches‘“ auf- 
nimmt und ihnen auch im Vorbeigehen den Namen „Plexus‘ 
beilegt. Von diesen Vaginalplexus aus Gallengängen gehen 
nun im ganzen Umkreise der Glisson’schen Scheiden Gallen- 
röhrennetze nach allen Richtungen aus, welche, so zu sa- 
gen, durch die Capillaradernetze hindurch gewebt sind, in 
die Lobi eindringen und solcherweise, wie Kiernan es dar- 
gelegt hat, sowohl vaginale, perilobuläre, als auch lobuläre 
Ausbreitungen bilden. Das Einzige, was Hr. R. hierbei ge- 
gen den verdienstvollen Kiernan zu bemerken hat, ist, dass 
er sich der Benennung „‚Zweige‘* für eine Röhrenausbreitung 
bedient, welche vollständig netzförmig ist, und bei welcher 
sonach weder Stämme, noch Aeste in Frage kommen kön- 
nen. Die regelmässige Vertheilung von Zweigen äus der 
Pfortader und der Leberarterie, welche so oft in anderen 
Fällen den Grundentwurf zu den die Lappen umgebenden 
Rauten bilden, war nicht vorhanden, sondern die perilobu- 
lären Gefässe zeiglen sich vorzüglich als Netze, und in den 
grösseren Zweigen zeigte sich kein regelmässiger oder peri- 
lobulärer Typus. In zwei anderen Specimina, beide von 
dreijährigen Kindern, erschienen recht hübsche Lobuli, mit 
sechseckigen Seiten. An dem einen war die Einspritzung 
der Arteria hepatica besonders gut geglückt. Ausser den 
feinen, langgestreckten Zweigen an der Oberfläche hatte je- 
der Lobulus sein eigenes capilläres, perilobuläres Netz von 
äusserster Feinheit; aber in keinem zeigten sich noch diesel- 
ben Netze der Pfortader recht deutlich, weil auch in diesem 
Falle die Injection in die Netze der Lobuli selbst eingedrun- 
gen war, wodurch die Peripherie minder deutlich wird. An 
dem einen dieser Präparate zeigte der perilobuläre Theil der 
Pfortader sowohl dreizweigige Eckenzweige, als auch regel- 
mässige, gerade Kantenz weige. 


158 


2. Präparate von der Hundsleber. Auch bei die- 
sen erscheinen keine alveolären Bindegewebsdissepimente 
um die Aeini, welche, so wie im vorigen Präparate, mit 
einander verschmolzen sind. Indessen sind sie doch aus der 
Vertheilung der kleineren Pfortaderzweige deutlicher hervor- 
tretend. Eine eigne Ordnung von diesen lagerte sich um 
die Kanten, an welche die Oberflächen der annehmbar zusam- 
men verschmolzenen Acini traten. Hieraus bilden sich kleine 
5— 6kantige Rauten, die meisten mit einer Lücke an der 
einen Seite. Jede solche Raute bezeichnet den Umkreis ei- 
nes Acinus oder Lobulus, in dessen Mitte sich der intralo- 
buläre Zweig aus den Lebervenen zeigt. In jedem Winkel 
dieser ö- oder 6seitigen, oft etwas unregelmässigen Rauten 
liegt ein etwas gröberer Zweig, welcher sich nach mehre- 
ren Richtungen hin in die Kantenzweige der eben erwähn- 
ten Rauten theilt. Nennen wir diese Kantenzweige, so 
müssen die in den Winkeln liegenden grösseren Zweige 
Eckenz weige heissen, weil sie da liegen, wo die annehm- 
baren Ecken der Lobuli zusammenfallen. Diese Eckenzweige 
sind es, welche die sogenannten sternförmigen Gefässe bil- 
den, indem die Zweige nach gewissen bestimmten Richtun- 
gen auslaufen, um sich den Rändern der Lobuli anzupassen. 
Kiernan, welcher auch „‚Vasa stellata“ erwähnt, bemerkt 
sehr richtig, dass diese Benennung nach Präparaten entstan- 
den sei, welche unvollständig eingespritzt worden. Von ih- 
nen geht eine kleine Anzahl feinerer Zweige aus, welche 
bald in ein dichteres Netz von Capilläradern übergehen, die 
in die Lobuli treten und sich mit dem Capillarnetze von 
dem in jeder Raute liegenden centralen (intralobulären) Zweige 
aus den Lebervenen vereinigen; es sind diese Netze verei- 
nigt, welche Kiernan die lobulären Zweige nennt, welche 
aber, richtig benannt, als lobuläres Netz zu bezeichnen 
sind. Dies Netz wird zuerst an der Oberfläche jedes Lobu- 
lus injieirt und muss dann das perilobuläre, oder vielleicht 
eben so wohl das alveoläre Netz genannt werden. 


159 


Jeder Eckenzweig wird von einer Arterie begleitet, 
welche sich hübsch spiralförmig um den Pfortaderzweig 
schlingt. Dies Verhalten erwähnt Theile als in der Men- 
schenleber vorkommend; er hat dasselbe aber nicht bei Thie- 
ren wiederfinden können. Die Arterienzweige folgen übri- 
gens den Kantenzweigen der Pfortader, während jener Spi- 
ralgang sich mehr ausstreckt und verschwindet. 

Daneben dass der Arterienzweig und der Gallengang die 
Pfortadereckenzweige begleiten, sind sie beim Hunde auch 
von Gallennetzscheiden umwebt, und diese Gallennetze er- 
strecken sich nach allen Richtungen durch die Maschen des 
Blutadernnetzes hindurch in die Loben. 

Beim Hunde konnte Hr. R. jedoch nicht so bestimmte 
und in regelmässigen, eylindrischen oder prismatischen Plä- 
nen liegende Vaginal-Gallennetze, wie beim Menschen und 
mehren anderen Thieren, entdecken. Die Rauten, welche 
beim Hunde die Lobuli hepatis andeuten, sind sehr klein. 

3, Das Präparat aus der Katzenleber zeigt Acini 
von beinahe derselben Grösse, wie beim Hunde, welche auch, 
wie bei diesem, unter einander verschmolzen sind, ohne Bin- 
degewebsalveolen oder Dissepimente. Ihre Form wird gros- 
sentheils durch die Lage und Ausbreitung der sublobulären 
Zweige der Lebervenen bestimmt. An den Stellen, an wel- 
chen die Oberfläche sich quer über das Ende der Intralobu- 
larvenen hinzieht, ist die Form der Lobuli meistens regelmäs- 
sig, 5- oder Ökanlig, gerundet; da, wo sie längs eines sol- 
chen Intralobularzweiges läuft, ist sie länglich und zeigt 
mehrere Formen oder Facen, je nach des Zwveiges mehrerer 
oder minderer Neigung gegen die Oberfläche. 

Im eingespritzten Zustande ist es auch hier die Anord- 
nung der perilobulären Zweige der Pfortader, welche die 
Rauten umschreibt. Die Kantenadern, wenn es erlaubt ist, 
diesen Ausdruck, welcher im Vorhergehenden definirt ward, 
zu gebrauchen, sind hier schwerer klar zu sehen, weil sie 
meistens von Capillarnetzen umgeben sind, welche fast un. 


160 


mittelbar von denselben Adern ausgehen. Diese Capillarge- 
fässe waren an mehreren Stellen so eingespritzt, dass die 
Masse nicht in die Lappen selbst eingetreten war, wodurch 
sie Wände um die Acini herum zu bilden schienen. Sie 
stellten sich solchergestalt als roth injieirte, polygonale Ca- 
pillarnetzalveelen dar und erinnerten an die vielkantigen 
Zellen bei verschiedenen Zellengewächsen. An mehreren 
Stellen der Präparate waren auch die intralobulären Capil- 
larzwveige gefüllt; aber auch an diesen Stellen war die Pe- 
ripherie der Lobuli an einer dichtern und durch einige grö- 
bere Zweige verstärkten Gefässbildung wieder zu erkennen. 
Die Eckenzweige an den Ecken der Rauten sind nicht so 
ausgezeichnet und deutlich, wie beim Hunde. Die sublobu- 
lären und lobulären Zwiege der Lebervenen nehmen ziem- 
lich regelmässig die Centra der Acinirauten. ein und zeigen, 
wie eben angedeutet ward, eine verschiedene Form nach 
ihrer verschiedenen Stellung gegen die Oberfläche, sind aber 
darin sich fast alle gleich, dass sie ohne eine eigentliche 
Verzweigung auf einmal in Capillarnetze übergehen, welche 
zunächst an den kleinen Stämmen etwas gröbere Lumina 
besitzen, als weiter hinaus, wo sie den Capillaradern be- 
gegnen, welche vom Umkreise der Lobuli her aus dem Pfort- 
adersysteme kommen. Von Gallengangszweigen konn- 
ten nur sehr wenige und feine entdeckt werden, wogegen 
die Injection der feinen netzförmigen Ausbreitung dieser 
Gänge um so deutlicher war. In einigen, obzwar wenige- 
ren, Eckenverzweigungen zwischen den Rauten erschienen 
Scheiden von Glisson’schen Capseln, ihre gewöhnlichen Ader- 
zweige enthaltend; aber irgend grössere Gallengefässe liessen 
sich mit Sicherheit in diesen Scheiden nicht entdecken. Da- 
gegen zeigte eine jede solche kleinere Scheide ein dichtes 
und regelmässiges Gallenröhrennetz, welches etwas feiner, 
an Weite der Röhren sowohl, als der Maschen, war, denn 
das Adernetz. Die Eckenzweige der Pfortader, welche so 
klein waren, dass sie nicht mehr von Scheiden aus der 


161 


Glisson’schen Capsel umgeben waren, wurden dagegen dicht 
von Gallenröhrennetzen umschlossen. Da die Präparate ge- 
trocknet und in Canadabalsam gelegt worden waren, so liess 
sich nicht genauer unterscheiden, ob, wie es nicht unwahr- 
scheinlich ist, auch diese Gallenröhrenscheiden in einer Ma- 
trix von Bindegewebe eingebettet lagen. Ferner waren alle 
perilobulären Adernetze, nämlich die Kantennetze und Ecken 
der Rauten von den feinen Gallennetzen durchwirkt, welche 
an vielen Stellen so vollständig mit Chromgelb gefüllt wa- 
ren, dass sie auch das lobuläre Haarröhrennetz bis in die 
sublobulären und centralen intralobulären Lebervenenzweige 
zu darchwirken schienen. 

4. Das Präparat aus der Kaninchenleber hat 
etwas grössere Acinirauten, als das der Katze und des Hun- 
des. Gegen die Oberfläche zeigen sich die meisten ziemlich 
regelmässig sechskantig und von beinahe gleicher Grösse. 
Alveoläre Dissepimente der Capsula Glissonii waren nicht 
zu entdecken. Perilobuläre Zweige der Pfortader kamen 
nicht vor, ungeachtet dass das lobuläre Capillarnetz aus der- 
selben Ader gut mit Cinnoberinjection gefüllt war. Die fei- 
neren Lebervenen, sowohl die sublobulären, als auch die 
interlobulären zeigen ein eignes Ansehen. Sie sind sämmtlich 
in die Länge gleichsam ausgezogen und schmäler als in den 
Lebern der anderen von Hrn. R. untersuchten Gattungen. 
Die kleineren Zweige gehen in ziemlich weitem Abstande 
von einander aus, meistens nach drei Richtungen hin, und 
zwar so ausgesperrt, dass sie, vom Ende angesehen, gegen 
den Stamm hin gleichsam in drei gleich grossen Winkeln 
zusammenstehen. Die Capillarnetze, welche von den inter- 
lobulären Zweigen kommen, gehen nicht unmittelbar ab, son- 
dern von kurzen Zweigen aus. Auch diese Capillarnetze 
haben längliche Maschen und sind weit feiner (unter der 
Hälfte), als die Netze der Lebergänge. Der Antheil des Lo- 
bulärnetzes, welcher von der Pfortader ausgeht, ist eben so 
fein, aber nicht langgezogen. An der Oberfläche der Leber 

Müllers Archiv. 1849, 11 


162 


endigen sich die intralobulären Zweige nicht einfach, son- 
dern theilen sich ein wenig vor der Oberfläche in drei un- 
ter fast gleichen Winkeln divergirende oder ausgesperrte 
Zweige, welche in die Capillarnetzröhren übergehen. Diese 
Zweige stehen sonach schief von innen nach aussen gegen 
die Oberfläche. Tiefer nach innen sieht man sie sich quer 
einwärts in einen grossen Theil der Acini erstrecken, die an 
der Stelle, an welcher der Intralobularzweig hineintritt, eine 
Lücke an dem perilobulären Gallengangnetze haben, 

Nicht weniger eigenthümlich zeigt sich die Verbreitung 
der Gallenröhren. Die Injeetion mit Chromgelb war: beson- 
ders gut geglückt; kleinere Gallenröhrenstämme kamen nur 
innerhalb der Scheiden vor, welche die vaginalen Pfortader- 
zweige umschlossen. Uebrigens zeigten sich die Gallenröh- 
ren theils als Vaginalnetze oder solche, welche in die Vagi- 
nalproductionen der Glisson’schen Capsel um die Pfortader- 
zweige herum eingewirkt waren, theils als Alveolar- oder 
Perilobularnetze, welche sich als Bekleidungen um die viel- 
kantigen, aneinander zusammengedränglen Acini darboten. 
— Wie oben-angedeutet ist, haben die feinsten Gallenröhren 
weit grössere Lumina als die capillären Aderröhren, so wie 
auch die Maschen im Gallenröhrenneize meistens rund und 
kleiner als der Durchschnitt der Röhren sind. Diesem  zu- 
folge sind die Gallenröhrennetze leicht zu erkennen und kön- 
nen mit den Capillarnetzen: der Adern nicht verwechselt 
werden. Wie oben angedeutet ward, umgiebt jeden Acinus 
ein dichtes Gallenröhrennetz, welches durch die Maschen. der 
Capillarnetze eindringt. Da die Acini sechskanlige Seiten 
haben, so zeigt jedes solches (alveoläres) Gallenröhrennetz 
eine entsprechende Form oder ein hohles Vieleck, einge- 
schlossen von 14 sechsseitigen Plänen. Das Netz für jede 
Seite breitet sich gegen zwei nebeneinander liegende ‚Acini 
aus; in jeder Ecke stossen drei Netzpläne unter drei gleich 
grossen Winkeln zusammen. Eine jede solche Ecke bildet 
eine Scheide, welche, quer abgeschnitten, an vielen Stellen 


163 


ein dreiseiliges, an anderen ein rundes Lumen darbietet. In 
den sechs Ecken eines jeden Seitenplanes finden sich bei der 
Mehrzahl auch sechs solehe Lumina, welche die von Glisson- 
schen Scheiden sind, in deren Wänden ein solches Gallen- 
röhrennetz, wie es oben angedeutet ward, sich entwickelt 
hat, An mehreren Stellen zeigen sich die Scheidewände die- 
ser Gallenröhrennetze doppelt und könnten Anlass zur An- 
nahme einer Zusammenverschmelzung geben, oder auch zu 
der, dass jeder Aeinus im Anfange mit seinem eignen Alveo- 
lar- oder Perilobularnetze versehen gewesen, diese aber zu- 
sammengedrängt in ein gemeinschaftliches übergegangen wä- 
ren. An vielen Stellen konnte man indessen unterscheiden, 
dass dies Ansehen daher rührte, dass der Schnitt die Nähe 
einer Eckenverbindung getroffen hatte, und dass so ein Va- 
ginalcanal abgeschnitten oder der Länge nach geöffnet wor- 
den war. r 

5. Das Präparat von der Eichhornsleber zeigt 
sehr kleine TLobuli von wenig regelmässiger Form und oft 
mit einander zusammenlaufend, ohne durch vollständig um- 
schliessende Gefässe, und noch. weniger durch besondere 
Septa. oder unuterscheidbare Bindegewebsalveolen getrennt 
zu sein, Im Innern dieser Leber sind die Oberflächen der 
Lobuli noch weniger ‚begränzt, und oft bei einer flüchtigen 
Betrachtung kaum zu erkennen. Im Verhältnisse hierzu steht 
die Vertheilung der Perilobulärzweige der Pfortader.. Diese 
gehen auch hier von gewissen, etwas grössern Zweigen aus, 
welche, wie beim Kaninchen, zwischen den Aeiniecken, in 
jeder Ecke zu drei, stehen und schnell in die Capillaradern 
übergehen. Sie erscheinen gegen die Oberfläche des Schnit- 
tes oder des ungeschniltenen Organes, wie unvollkommene 
oft abgestutzte, oft gerundele, sechskantige Figuren, deren 
Umkreis bald an einer, bald an mehreren Seiten unterbro- 
chen ist, so dass die innen befindliche Substanz unmittelbar 
aus einer Raute in die andere übergeht. Alle grösseren Ek- 
kenstämme sind auch von Scheiden umschlossen, welche 

11 # 


164 


Gallenröhrennetze enthalten. Im Innern des kleinen Orga- 
nes geht das lobuläre Ansehn dadurch fast verloren, dass 
der Aderbaum sich dort nicht zu seinem rautenförmig- peri- 
lobulären Typus hat entwickeln können. Hier schmiegen 
sie sich um die kleinen lobulären und sublobulären Zweige 
der Vena hepatica, wie es sich am besten schickt. An vie- 
len Stellen, an denen die Zweige der Lebervenen schief oder 
parallel gegen die Oberfläche laufen, gehen kleine sublobuläre 
oder intralobuläre Zweige nach derselben Richtung aus; 
zwei oder mehrere solehe senden mitten über einauder aus- 
gehende kleine Zweige aus, welche mit den Enden einander 
erreichen; dadurch erscheint das Verhältniss als ganz umge- 
kehrt, so dass die Pfortadernetze aussehen, als ob sie von 
Zweigen der Leberadern eingeschlossen wären; dies Verhal- 
ten dürfte jedoch in einem gewissen Grade illusorisch und 
theils auf die hier angedeutete Weise, theils durch Defecte 
in den Wänden der Rauten als Folge eindrängender Leber- 
aderzweige entstanden sein. Die Zweige der Leberadern 
sind im Verhältnisse zu dem kleinen Organe sehr gross und 
wenig zahlreich. Sie gehen schnell nach einigen wenigen 
und kurzen Verzweigungen in Capillarnetze über, so dass 
sie unter dem Mikroskope wie kleine Zweige von Spongien 
oder auch als ob sie mit Moos bewachsen wären aussehen. 
Wie oben angedeutet wurde, treten sie meistens an der 
Oberfläche des Organs regelmässig intralobulär, im Centrum 
der Perilobularnetze, der Pfortader auf. Der langgezogene 
Typus, welcher beim Kaninchen vorkam, fehlt hier. Die 
Maschen sind fast rund und sehr klein. Die Injeclion der 
Gallengefässe war sehr geglückt. Die eigentlichen Zweige 
begleiten die Pfortaderzweige, in deren Glisson’schen Schei- 
den sie, wie in den vorher angeführten Leberformen, dichte 
Netze bilden. In den trockenen Präparaten aus dem Eich- 
horne konnten diese Scheiden gesondert nicht anders, als 
durch jene vaginalen Gallenröhrennetze unterschieden wer- 
den. Ueberall, wo ein kleiner, etwas grösserer Pfortader- 


165 


zweig abgeschnitten ist, sieht man solcherwyeise um dessen 
rothes Lumen einen gelben Ring, von welchem aus sich das 
gelbe Gallenröhrennetz zu den Lobi verbreitet. Da, wo eine 
solche Partie der Länge nach abgeschnitten ist, sieht man 
den Pfortaderzweig und die Arterie in einer gelben Scheide 
liegen, und zwar nicht ganz, sondern selbst durchbrochen 
von Maschen, einem Netze oder einem gestrickten Strumpfe 
gleich. An einigen Scheiben konnte man sehen, dass_ sie 
sich nach drei Richtungen ausbreiteten, um zuerst perilobu- 
läre oder alveoläre Netze, wie beim Kaninchen, zu bilden. 
Die Dicke der Nelzröhren 'st etwas geringer, als die der 
eapillären Blutröhren, ihre Maschen sind etwas kantig, rund- 
lich und verhältnissmässig etwas grösser, so dass sie, durch 
das Blutgefässne:z hindurchgewirkl, eben in die Maschen je- 
des andern passen. Die Injection hatte jede ihrer Röhrenab- 
theilungen mit ihren verschiedenen Farben gut gefüllt, ohne 
dass diese sich mit einander vermengt hätten. 

6. Das Präparat von der Schweinsleber hatte 
von allen die deutlichsten Lobuli, die etwas grösser als die 
vom Menschen, und von eigenen alveolären Hüllen aus der 
Capsula Glissonii umgeben waren, wie dies schon Wepfer, 
Joh. Müller u. M. unwiderleglich dargethan hatten. Auch 
an injieirten und getrockneten Präparaten sieht man von 
diesem, der Glisson'schen Kapsel, alveolären Theile klare, 
interlobuläre Linien, melhrkantige, meistens sechseckige Rau- 
ten um die Lobuli und zwischen ihnen beschreiben. In den 
Zwischenräumen der Lobuli, welche (die Zwischenräume) 
sonach durch die Glisson'sche Capsel angefüllt sind, liegen 
die feineren Stämme der Pfortader, der Leberpulsader und 
der Gallengänge, und geben Netze an die alveolären oder 
perilobulären Theile der Capsel ab, aus welchen sie in das 
Innere der Lobuli hineintreten. — Man sieht somit an Prä- 
paraten, in denen bloss die Pfortader bis in diese alveolären 
Hüllen eingespritzt ist, das Capillarnetz, so wie oben hin- 
eichtlich der Katzenleber angelührt ward, polygonale Cavi- 


166 


täten von der Form der kleinen Lobuli bilden. In den Kan- 
ten und Ecken dieser liegen kleine, gerade (perilobuläre) 
Pfortaderzweige, welche nach einer kurzen, in der Ebene 
der Alveole liegenden Verzweigung in Capillarnetze überge- 
hen. Diese Bildung findet beinahe gleich constant durch das 
ganze Organ- hindurch Statt, wenn gleich die Rauten an 
Grösse und auch mehr oder weniger an Regelmässigkeit und 
Form variiren. In Folge hiervon treten auch in der Schweins- 
leber die intralobulären Zweige der Leberblutader regelmäs- 
siger central auf, als bei den vorher beschriebenen Lebern. 
Diese intralobulären Zweige bieten die Eigenthümlichkeit 
dar, dass ihrer nur einer in jedem Lobulus oder Acinus ist 
und dieser sich stumpf gerundet wie ein Finger endigt und 
unmittelbar in Capillarnetze übergeht. Die Gaullenröhren, 
welche die Pfortaderzweige begleiten, sind dünn, und ihre 
kleinen Zweige treten in weitem Abstande von einander 
heraus. Die vaginalen Gallenröhrennetze, welche die Zweige 
der Pfortader umgeben, kommen nur an wenigen Stellen in 
der Schweinsleber vor. Statt ihrer sieht man am Rande 
meistens eines jeden Lobulas ein feines (Kanten-) Gallenge- 
fäss, welches rund um die Winkel und Seiten des Lobulus 
läuft und nach innen unmittelbar das feine lobuläre Gallen- 
röhrennetz abgiebt, welches in die Capillaradern eingewirkt 
ist. Sonach haben wir hier wiederum ein perilobuläres oder 
alveoläres und ein intralobuläres Gallenröhrennelz für jeden 
Lobulus. — Das alveoläre Gallenröhrennetz ist diehter und 
überwiegend, das intralobuläre lichter. Die Röhren beider 
haben grössere Lumina, aber kleinere Maschen, als die Ca- 
pillarnetze der Adern. - Die perilobulären oder alveolären 
Gallenröhrennetze sind hier deutlicher in den kleinen Lobuli 
und schliessen die Alveolen von der Glisson’schen Capsel 
ein. Diese Alveolen machen zugleich die Interlobularsub- 
stanz des Organs aus, welche deshalb als Alveolen sowohl 
um die Lobuli herum, wie auch als Septa zwischen diesen 


bildend betrachtet werden kann. Da indessen jeder Lobu- . 


ih a u 


167 


lus von seinem eigenen Alveolarnetz umgeben ist und sich 
dies ganz aussen an den meisten Stellen im Schnitte wie 
ein gerade ausgestrecktes lineäres Gefäss,. oder wie die Kante 
einer Alveolarwand, zeigt, so zeigen sich in jedem interlo- 
bulären Dissepimente zwei gelbe Gefässe, eines für ‘jeden der 
beiden neben einander, Seite gegen Seite, liegenden Lobuli. 
Die Ecken der Lobuli sind meistens abgerundet; da, wo 
diese sich begegnen, entstehen solcherweise kleine Felder, in 
denen die Dissepimente zusammen verschmolzen sind, und 
diese — so zu nennende — Eckenfelder scheinen im allge- 
meinen den gerundeten Scheiden der Glisson’schen Capsel 
zu entsprechen, welche sich so allgemein in den vorher be- 
schriebenen Leberformen zeigen, In jedem solchen Ecken- 
felde stehen drei oder bisweilen mehrere Ecken von den al- 
veolären Gallenröhrennetzen mitten übereinander und schei- 
nen die oben beschriebenen vaginalen Gallenröhrennetze zu 
vertreten, 

In den Feldern und den Dissepimenten, welche solcher- 
gestalt zwischen jenen, neben und mitten über einander lie- 
genden alveolären Gallengefässneizen entstehen, liegen die 
Zweig-Ausbreitungen und die alveolären Netze der Pfortader 
und der Leberarterie. Diese sind, so weit Hr. R. es heraus- 
forschen konnte, meistens, wie die Glisson’sche Capsel, un- 
getheilt, und zwar so, dass sie Dissepimentnelze bilden, so 
dass von jeder Dissepimentwänd die Capillarröhren in ent- 
gegengesetzten Richtungen nach zwei millen über einan- 
der liegenden Lobuli laufen. Auf diese Weise werden die 
perilobulären Gefässnetze alle miteinander zusammenhangend, 
während dagegen die Gallengefässnelze in ihnen wie einge- 
schlossene Inseln liegen, welches Verhalten dieser Leber ein 
eignes hübsches Ansehn verleiht. Besonders dürfle es zu 
bemerken sein, dass, obgleich in der Schweinsleber die Lo 
buli im allgemeinen durch eigene, umschliessende Gallenröh- 
rennelze und Bindegewebe — wie auch Gefässdissepimente so 
gut gesondert sind, sich deunoch hier und da Lobuli finden, 


168 


welche deutlich aus zweien oder dreien zusammengewachsen 
sind. Man erkennt dies Verhalten leicht, theils aus der 
sternähnlichen Form, theils daraus, dass Rudimente von pe- 
rilobulären Netzen sich in ihre Kerben hineinbegeben. 

7. Präparate aus einer Kalbsleber. Die Lobu- 


lustheilung ist undeutlich. Die Ausbreitung und die Capil- ' 


larnetze der Pfortader sind überwiegend; ihre perilobulären 
Zweige und Netze bilden nur unvollständige und unregelmäs- 
sige Rauten. Diese richten sich nach der Form und den 
Verzweigungen der intralobulären und sublobulären Zweige 
der Venae hepaticae. Nur wenige eigentliche Zweige erschei- 
nen in den perilebulären Haarröhrennetzen. Die etwas grö- 
beren Stämme sind alle von deutlichen weiten Scheiden der 
Glisson’schen Kapsel umgeben. In diesen Scheiden bilden 
die Leber-Arterien ein lang gezogenes, dünngewebtes, etwas 
grobes Netz von ganz eignem Ansehen. — Die Leberblut- 
adern gehen aus ziemlich groben Zweigen in ein dichtes Ca- 
pillarnetz von denselben Dimensionen, wie die der Pfort- 
adernetze, über; aber diese Capillarnetze scheinen vorzüglich 
scheibenförmig nach zwei einander entgegengesetzien Seilen, 
wie Flügel, nicht gleichmässig rund herum, auszulaufen. Die 
Lobuli dieser Leber sind nicht recht getrennt; sondern es 
hangen ihrer mehrere mit den Basen um das Ende einer 
kleinen Vene zusammen, welche sich mehrentbeils am Ende 
in vier Zweige, einen nach jedem nebenan liegenden Lap- 
pen, theilt. Die Begränzung dieser unvollständigen Lobuli ist 
bei den meisten nur durch die perilobulären Netze angedeu- 
tet, welche dort nur die äusseren Spitzen eines jeden Lo- 
bulus umgeben. An andern Stellen erscheinen jedoch kleine 
unregelmässige Rauten von den Pfortadernetzen, welche ein 
centrales Capillarnetz einschliessen, von den Lebervenen aus 
eingespritzt. 

Die verzweigten Gallengänge folgen den Leberarterien 
und sind fast von derselben Grösse wie diese. Sie bil- 


169 


den sowohl vaginale, als. perilobuläre und lobuläre Netze, 
wie in den vorigen Leberformen. Herr R. sah selbst dies 
Präparat nicht als völlig erläuternd an und wollte, künf- 
tig mehrere Einspritzungen ‚und Untersuchungen mit der 
Leber bei den Wiederkäuern sowohl, als auch bei meh- 
reren anderen Thieren, anstellen. Ungeachtet er sich 
von. Zeit zu Zeit mit Untersuchungen dieses Organs be- 
schäftigt hat, war er doch der Meinung, dass er 'bis- 
her kaum weiter, als bis zum Anfange, mit ihnen ge- 
kommen wäre. 

Die Hauptresultate des von ihm Gefundenen sind indes- 
sen: 1) dass die Leber im Grunde lobulär ist, dass aber 
die lobuläre Form in vielen verschiedenen Stufen, Ent- 
wickelungs- und Rückgangs - Stadien, mit Verschmelzun- 
gen der Lobuli im Vereine mit mehr oder minder regelmäs- 
siger Entwickelung der‘ Lebervenenverzweigungen u. s. w. 
aufiritt.. Das, was am meisten für die Gegenwart des 
lobulären Typus spricht, ist die Beständigkeit der alveolä- 
ren Gallenröhrennetze; 2) dass die Gallengänge vollstän- 
dige, mit ihren eignen Wänden (der „basement-membrane‘* 
der englischen Anatomen), ohne welche sie gewiss nicht in 
der Regelmässigkeit, mit welcher sie in Hrn R.'s Präparaten 
hervortreten, hätten so vollständig injieirt werden können, 
versehene Röhren sind. Hr. R. ist auch im Stande gewe- 
sen, sich auf direktem Wege von der Anwesenheit dieser 
Haut zu überzeugen, und hat sie ganz so befunden, wie sie 
von Schröder van der Kolk dargestellt worden ist, näm- 
lich als eine einfache Haut, welche sowohl die kantigen, als 
die runden Leberzellen umschliesst. Nach Hrn. R.s Erfah- 
rung lässt sich nämlich diese Grundhaut der Gallengänge 
in der Weise darstellen, dass von einer Leber, welche zu- 
erst in Aether macerirt und dann getrocknet worden ist, 
äusserst dünne Scheiben auf eben die Art abgeschnitten wer- 
den, wie es Purkinje, Henle u. M. mit vielen Geweben, 


170 


und Middeldorpf (s. dessen vortreffliche Disquisitio de 
glandulis Brunnianis, Vratisl. 1847,) mit dem Duodenum be- 
werkstelligt haben. Diese dünnen Scheiben werden darauf 
in Wasser gelegt, werden dadurch durchsichtig und zeigen 
die eigene Haut des feinsten Gallenröhrennetzes in einfachem 
Umrisse, die eben erwähnten Zellen umschliessend; 3) dass 
Hr. kein arterielles Netz in den Glisson’schen Scheiden 'ge- 
funden hat. 


2 m 


e 


Ueber 
die Schädelform der Peruaner. *) 


Von 


A. Rerziuvs. 


Aus dem Schwedischen von Fr. Creplin. 


Im Verlaufe dieses Sommers (1848) wurden mir vom Pro- 
fessor Samuel Morton in Philadelphia fünf Peruanerschä- 
del zugesandt, welche in einem Grabhügel in der Nähe der 
Stadt Pisco, an der Küste südlich von Lima, in 130% 46’ 
südl. Br. und 76° 9° westl. L., gelegen, angetroffen worden wa- 
ren. Alle fünf sind ausgezeichnet klein, mit unverknöcherten 
Nähten, ohne Parietalbein. Sie sind sämmtlich kurz, mit fla- 
chem, steil abschüssigem Hinterhaupte, hinten sehr breit, mit 
grossen hoch stehenden Tubera parietalia; Kinunladen vorste- 
hend (prognathisch); Jochbeine nicht sehr herausstehend; 
Augenhöhlen gross. Der charakterislischste Schädel, von 
welchem ich hier eine Zeichnung mittheile, 


1) Aus der Öfversigt af Kongl. Vetenskaps- Akademiens Förhand- 
lingar för den 13. Septbr. 1548. 


172 


Incaperuaner, 


hatte noch seine Kiefermuskeln, einen Theil der Ohren, die 
Haut nebst einigen Haaren auf dem untern Theile des Hin- 
terhaupts, und die Nase, die Schleimhaut des Gaumens und 
obern Theils des Schlundes. Diese erhärteten und gut er- 
haltenen weichen Theile hatten eine helle, braune Farbe, 
ganz gleich der, welche die meisten ägyptischen Mumien be- 
sitzen. Beim Maceriren der mumificirten Theile in Alkohol 
oder Wasser färbten sich diese Flüssigkeiten stark, ohne dass 
die macerirten Stücke dadurch heller wurden. Sie hatten 
keinen salzigen, harzigen oder gewürzhaften Geschmack. Die 
Lösung, in welcher sie macerirt worden waren, war viel- 
mehr etwas zusammenziehend und schleimig; ein graues, 
thonartiges Pulver stand als ein Schlamm auf dem Boden 
der Lösung. Die ehemals weichen Theile waren nicht 
spröde, sondern vielmehr weich. Es zeigte sich deutlich, 
dass die Leiche einer künstlichen Balsamirung unterworfen 
worden war, welche meiner Meinung nach durch das Ein- 
betten in eine pulverisirte Baumrinde bewerkstelligt wor- 
den sein möchte. Das vegetabilische Pulver sass noch in 
der Nase, wie am Gaumen. 

Die Dimensionen des hier abgezeichneten Kopfes sind 
folgende: 


173 


Fronto-oceipital-Länge . 0,150 
Stirnbreite. . . . » .. 0,095 
Hinterhauptsbreite . . . 0,137 


Unkangl. DE) N WORT 
Hohe’"1 lenizirode „ill Yo. ip 
Mastoidalbreitte . . . . 0,128 
Jochbreite . . . 2... 0,128 
Oberkieferhöhe . . . . 0,068 
Kinnhöhe . . . . . 0,035 
Hintere Unterkieferhöle . 0.061 
Orbitalhöhe . . . . . 0,037 
Orbitalbreite . . . . 0,040. 


Nach einer Vergleichting mit den Beschreibungen und 
Zeichnungen von peruanischen Schädeln in Morton's Cra- 
nia americana würden alle diese fünf Schädel Individuen 
vom Incastamme angehört haben, welcher um das Jahr 1100 
unserer Zeitrechnung in Peru einwanderte und sich das Land 
unterwarf. Die Toltecas, Mejico's civilisirtestes Volk, ver- 
schwanden aus diesem Lande um das Jahr 1050 unsrer Zeit- 
rechnung, nachdem sie es vier Jahrhunderte hindurch inne 
gehabt hatten (Morton a.a. O©.). Die Ursachen davon wa- 
ren, nach Garcilaso, mehrjährige grosse Dürre, Misswachs 
und ansteckende Seuchen. Ein grosser Theil der Bevölke- 
rung kam durch Hunger und Krankheiten um. Der Rest der 
Toltecaner flüchtete sich darauf in grossen Haufen nach ver- 
schiedenen Theilen des amerikanischen Festlandes und brei- 
tete sich südlich „„bis nach Yucatan“ aus. Anahauac (Me- 
jieo’s alter Name) blieb hiernach beinahe ein Jahrhundert 
lang ohne Bevölkerung (Clavigero). Es ward oben be- 
meldet, dass das Incavolk glaublicherweise um das Jahr 
1100 n. Chr, nach Peru gekommen sei, aus welcher Ueber- 
einstimmung mit dem eben Gesagten Morton die Meinung 
schöpft, dass es aus geflüchteten Toltecas bestanden habe. 
Dies wird auch theils durch die Aehnlichkeit der Schädel- 
form bei diesen beiden Völkern, wie dieselbe aus Sculptur- 


174 


arbeiten und Schädeln bekannt ist, theils aus der> Aehnlich- 
keit der Bildung und socialer Institutionen, welche zwischen 
dem Incavolke und den Toltecanern Statt gefunden hat, be- 
stätigt. In einem spätern Werke (An inquiry into the di- 
stinelive characteristics of the aboriginal race ‘of; America, 
Ed. 2, Philadelphia 1844) hat der gelehrie Amerikaner diese 
Ansicht ganz aufgegeben, nachdem er das Werk des ausge- 
gezeichneten französischen Reisenden, D’Orbigny, gelesen 
hatte, und nimmt an, dass die amerikanischen Völkerschaf- 
ten im Allgemeinen von ein und derselben Race, und so 
wieder die Incas und die Ur-Peruaner von ein und dem- 
selben Volksstamm gewesen seien. Ich kann keineswegs 
dieser leiztern Ansicht beistimmen. Vier von den hier in 
Rede stehenden Peruanerschädeln und zwei andere, welche 
sich in den Sammlungen des Carolinischen Iustitutes befin- 
den, haben ihre natürliche volle Ausbildung und tragen keine 
Spur von der künstlichen Entstellung,, welche ehemals bei 
Amerika’s Völkerschaften so allgemein Statt gehabt. hat. 
Mehrere mit den hergesandten übereinstimmende Schädel 
sind auch in dem citirten Werke, ‚‚Crania americana,‘“ ab- 
gebildet, und die brachycephalische Form ist an mehreren 
Stellen in Morton's Werken deutlich ausgedrückt. Ich 
kann die Ansicht, welche ich schon lange gehegt und in 
früheren Schriften geänssert, ‚dass die Ur-Peruaner die do- 
lichocephalische Schädelform' besessen haben, nicht aufgeben. 
Es wäre zwar möglich, dass Peru, vor.'der Ankunft der 
Inea's auch einige kleinere zerstreute Volksstämme von bra- 
ehycephalischer Form gehabt, hätte, wie solches der Fall in 
so vielen anderen Ländern gewesen ist und ist; aber wir 
haben es hier mit der herrschenden Form und dem herrschen- 
den Volksstamme zu thun. 

Ich finde mich in meiner Ansicht sowohl durch Tschu- 
di's Reise, als auch durch einige andere Peruanerschädel 
von natürlicher Form und Mumien in den Sammlungen ‚des 
Carolinischen Institutes und durch die reichhaltige Darstel- 


175 


lung über „‚the ancient Peruvians‘‘ in den „‚Crania ameri- 
cana‘ bestärkt. Die interessantesten Specimina dieser Art, 
welche ich gesehen habe, sind im J. 1826 von dem franzö- 
sischen Consul in Lima, Hrn. Chaumette des Fossdes 
nach Schweden an den hochsel. König Carl XIV. gesandt 
worden. Sie bestehen in zwei fast vollständigen Mumien 
und einem einzelnen Schädel. Alle drei Schädel haben ein 
und dieselbe dolichocephalisch -prognathische Form. 

Sie sind alle von mittelmässiger Grösse, regelmässig nor- 
maler Conformation, nicht unbedeutender Breite und Länge, 
und oval-dolichocephalischer Form, versehen mit stark her- 
ausstehendem Hinterhauptshöcker, gewölbten Schläfen, gröss- 
ter Breite über den Schläfen, haben wenig ausgezeichnete 
Tubera parietalia, fast runde, grosse Augenhöhlen, flache 
Jochbogen und vorspringende Kinnladen und Zähne (progna- 
thisch), wie es die hier gezeichnete Figur vor Augen stellt: 


Dolichocephalischer Alt- Peruaner. 


Die Dimensionen dieses Schädels sind: 
Fronto-oceipital-Länge . 0,172 
Stirnbreite . 2 2 ..2..0,092 
Schläfenbreite . » . . 0,132 
Hinterhauptsbreite (über den 

Tub. pariet) . . . , 0,125 


176 


Mastoidalbreite . . . . 0,110 


Höhemios4r, asin lasseaın/ui0,128 

Umfang. . » . 2... 0,515 (sonach etwas 
grösser, als in der 
Mittelzahl bei den 
Lappen.) 

Jochbreite. . . . . . 0,150 (ungewöhnlich 

klein.) 
Oberkieferhöhe . . . .. 0,063 
Kinnhöhe . . . . . 0,023 


Hintere Unterkieferhöhe . 0,045 
Orbitalhöhe und — Breite 0,032. 


Die beiden Mumien haben die Stellung, welche die fol- 
gende Figur zeigt. Der Rückgrat ist gekrümmt, der Kopf 
niedergesenkt, die Kniee sind gegen das Gesicht gezogen, die 
Arme dicht an die Seiten gelegt, die Hände nach den Schlä- 
fen und dem Hinterhaupte ausgestreckt, die Füsse kreuz weise 
über einander gesetzt. Die Haut zeigt Eindrücke von einer 
groben Leinwand, mit welcher der Leichnam in dieser Stel- 
lung vermuthlich straff umwickelt gewesen ist. Die Cavi- 
täten sind nicht geöffnet worden. An der rechten Seite der 
Brust sind die Bedeckungen, wahrscheinlich durch irgend 
eine Unachtsamkeit beim Transporte, abgerieben und so die 
Zwischenräume der Rippen bloss geworden. Zwischen die 
Rippen hindurch erscheinen die Eingeweide der Brust in 
ihrem Zusammenhang erhalten. Eben so erscheinen, durch 
eine Oeflnung im Bauche, dessen Eingeweide in unversehr- 
tem Zusammenhange und unversehrter Lage conservirt. Die 
Schädel sind auch nicht abgetrennt worden; die Hals- und 
Nackenmuskeln sind mit. der Haut unverletzt geblieben. An 
der einen Mumie ist. die Gesichtshaut erhalten, die Augen- 
lieder sind ganz, die Augen noch vorhanden, so auch die 
Nase, die Concha und die Membrana Schneideriana. Hier- 
aus kann man schliessen, dass, eben so wenig wie die Ein- 


177 


geweide der Brust und des Bauchs, das Gehirn herausgenommen 
worden sei. Die Haut der beiden Mumien hat eine hell grau- 
gelbe Farbe, mit kleinen weissen Flecken. Eine Epidermis 
ist nicht zu entdecken. Ein Theil derselben könnte sich, 
wie man glauben möchte, an der Umhüllung festgehängt ha- 
ben; aber diese hat, wie man deutlich sehen kann, zugleich 
die gekrümmten Gliedmaassen und den Rumpf umschlossen. 
Das Ganze hat das Ansehen, als ob es in einer Lösung ge- 
gerbt worden sei. Man weiss aus der Erfahrung, dass sich 
die Epidermis bei mehreren Balsamirungs- und Gerbungs- 
arlen ablöst. Eine besonders eigene Erscheinung ist die, 
dass alle Eingeweide unversehrt sitzen geblieben und so gut 
bewahrt worden sind. Nach Angaben von Reisenden sind 
jedoch dergleichen Mumien nicht künstlich einbalsamirt, son- 
dern nur in trocknender Luft und Winden ausgedörrt worden. 

Meyen äussert (Noya Acta Acad. Caes. Leop. Car. N. 
€., Vol. XVI, Suppl. 1, Brest. et Bonnae, 1834, S. 30.) über 
die Mumien, welche er aus den Andenhochlande um Pasco 
mitgebracht, eben so wie über die, welche er in Lima ge- 
sehen hat, und die bestimmt waren, nach Frankreich ge- 
sandt zu werden: „„Diese Mumien, wenigstens aus verschie- 
denen Gegenden der Hochländer, sind ohne alle Beihülfe der 
Kunst aufbewahrt. Durch die ausserordentlich trockne Luft, 
und besonders durch den stark austrocknenden Wind, der 
in jenen Gegenden zu gewissen Tageszeiten weht, werden 
mit bewundernswürdiger Schnelligkeit alle organischen Kör- 
per ausgetrocknet.“ .... „Die Austrocknung der Körper 
geschieht hier übrigens so vollkommen, dass das Fleisch 
fast ganz verschwindet und nur die leichten Knochen, über- 
zogen mit der Haut, die ein lederarliges, fahles Ansehen an- 
nimmt, zurückbleiben.‘ 

Eine nähere Aufklärung über unsere zwei Mumien habe 
ich noch nicht erhalten; doch steht zu hoffen, dass sie mir 
zukommen werde, Der Umstand, dass sie von dem franzö- 


sischen Generaleonsul in Lima gesendet worden sind und 
Müller's Arcbir, 1849. 12 


118 


so gut mit denen übereinstimmen, welche Meyen in Lima 
gesehen hat, und die bestimmt waren, nach Frankreich ge- 
schickt zu werden, veranlasst mich zu der Vermuthung, dass 
ein und dieselbe Einsammlung sie beiderseits geliefert habe, 
Neben den Mumien selbst kamen noch mehrere Antiquitäten 
an, als künstliche Urnen von Silber u. s. w., welche auf 
dem königlichen Lustschlosse Rosendahl werden aufbewahrt 
werden. Dergleichen Silberurnen werden auch von dem 
eben angeführten Reisenden erwähnt, welcher ferner die 
Grabstätten der alten Peruaner beschreibt. In den Küsten- 
gegenden wurden die Leichen in Sandhügel eingebettet; im 
Hochlande brachte man sie in sogenannte Huacas, kleine 
Grabstätten, von denen einige über, andere unter der Erd- 
oberfläche befindlich sind. Bedachtsame Leute baueten selbst 
die Huacas, in welche sie nach ihrem Tode eingelegt sein 
wollten, so wie es noch jetzt in China gebräuchlich sein 
dürfte. Die Huacas der Ureinwohner waren von viereckiger 
Form, 6 bis 12 Ellen breit, 5 bis 6 Ellen tief, von Stein 
oder Erde, so wie die Stelle das Material darbot. Die Hua- 
cas der Fürstlichen und Reichen, welche nahe zusammenla- 
gen, standen mit einander in Verbindung. An einer solchen 
Stelle entstand ein Labyrinth von Gängen und Räumen, wie 
es z. B. der Fall bei der grossen Huaca in Toledo war, 
Die Wände dieser grossen Huacas waren roth angestrichen 
und mit Hieroglyphen bedeckt. Die Reicheren, sowohl im 
Hochlande, als in den Küstenländern, legten ihre Huacas auf 
kleinen Anhöhen an; minder Bemittelte suchten dazu Berg- 
höhlen aus, wenn solche in der Nähe waren. Die beiden 
von Meyen dem Museum in Berlin zugebrachten Mumien 
waren in solchen Höhlen gefunden worden. 

Die eigenthümliche Stellung dieser Mumien rührt offen- 
bar davon her, dass die Peruaner die Gewohnheit hatten, 
auf dieselbe Art zu sitzen, und von der bei so vielen Völ- 
kerschaften ehemals herrschenden Vorstellung, dass die Ab- 
geschiedenen nach dem Tode dieselben Beschäftigungen, die 


179 


sie während ihrer Lebenszeit trieben, zu treiben fortfahren 
würden. Prof. Nilsson hat (Skandinaviska Nordens Urin- 
vanare) auf dieselbe Weise diese eigenthümliche Stellung der 
Todten in den Gräbern der Eskimo erklärt, wie er auch 
nach Cranz von den Grönländern anführt, dass sie, wenn 
ein Mensch „‚im Begriff ist zu sterben, sie ihm seine besten 
Kleider anlegen und seine Beine unter die Hüften biegen.‘ 
Die Leichname der Grönländer und Eskimo wurden wenig- 
siens vordem in der hier erwähnten Gestalt in ihre Grab- 
kammern gesetzt. Nilsson hat auch darauf aufmerksam 
gemacht, dass die im Jahr 1805 vom Capitän Lindgren 
in Grabkammern auf der Axvallaheide angetroffenen Gerippe, 
welche unzweifelhaft den Urbewohnern des Landes ange- 
hört, auf dieselbe Weise in ihren Nischen zusammenge- 
krümmt gesessen haben. Martius, Meyen und Morton 
führen an, dass eine Menge amerikanischer Völker den Leich- 
namen dieselbe Stellung geben. Der Letztere führt an, dass 
ein solcher Gebrauch in Patagonien, Brasilien, Guiana, bei 
den Caraiben auf den Inseln und dem Festlande, bei den 
Florida-Indianern, in der grossen Kette der Lenape -Natio- 
nen, unter den Einwohnern zu beiden Seiten der „Rocky 
Mountains“ und auch in Canada und der grossen nordwest- 
lichen Region von Amerika vorkomme. (Inquiry into the 
distinetive characteristics of the aboriginal race of America; 
p- 23.) Er betrachtet jedoch diesen Gebrauch als eigenthüm- 
lich und charakteristisch für die amerikanischen Racen. 


180 


Die hier abgebildete Mumie, welche die grösste war, 
wog 74 Pfund, und also eben so viel, wie die Guanchen- 
mumie von den canarischen Inseln, die sich in den Blu- 
menbach’schen Sammlungen zu Göttingen befindet. Sie 
hat einem Weibe von mittleren Jahren angehört, welches 
klein von Statur und nicht ganz 21 schwed. Ellen hoch ge- 
wesen ist. 

Nach einer Vergleichung mit den vielen Schädeln pe- 
ruanischer Mumien, welche in den „‚Crania americana‘ be- 
schrieben und abgebildet stehen, haben diese Mumien Ur- 
Peruanern, von dolichocephalisch - prognathischer Form, an- 
gehört, welche gar nicht verwandt mit der brachycephali- 
schen Völkerschaft waren, von welcher die von Morton 
hergesandten Schädel sind, und die zufolge der von demsel- 
ben Gelehrten im letztgenannten Werke geäusserten Ansicht 


181 


von dem später in das Land gekommenen Toltecas-Stamme 
war und nach dieser Einwanderung in Peru unter dem Na- 
men der Incas bekannt geworden ist. Kurz, die amerikani- 
schen Völkerschaften im Allgemeinen können, wie die Völ- 
kerschaften der alten Welt, in zwei grosse Hauptgruppen 
getheilt werden: in Brachycephalen und Dolichocephalen. 
Diese Formklassen vereinigen, wie man früher z. B. Slaven 
und Germanen vereinigt hat, in Folge sprachlicher Verwandt- 
schaft, heisst sich ausserhalb des Grund und Bodens bege- 
ben, welcher uns sichere naturgeschichtliche Thatsachen dar- 
bietet. So wie in der alten Welt scheinen die zu jenen 
zwei Formgruppen gehörenden Völker an mehreren Stellen 
um einander herum in kleineren Gesellschaften zerstreut ge- 
lebt zu haben, an anderen schärfer in grössere, meistens 
gegen einander feindliche, Nationen abgetheilt gewesen zu 
sein, von denen bald die eine, bald die andere herrschend 
gewesen ist. 


Corrigenda 


In dem Aufsatze „über die Schädel der Griechen und Finnen,‘ 
von A. Retzius, Jahrgang 1848 dieses Archiv's: 


Seite 389 S, 12 v. u. statt orthognatischen lies orthognathischen 
„ 39 „ ®3vw.o. „ Fallmeray lies Fallmerayer 
„7 mW v.o. ,„  Haartimann lies Haartman. 


Ueber 


das Ligameutum pelvioprostaticum ‚oder den 

Apparät, durch welchen die Harnblase, die Pro- 

stata und die Harnröhre an der wntern Becken- 
öffnung befestigt sind. 


Von 


A. Rerzius t), 


Aus dem Schwedischen von Fr, Creplin. 


Man hat längst eingesehen, dass es an einem völligen Auf- 
schluss über den Mechanismus desjenigen Apparates fehle, 
welcher die Urethra an der Stelle umgiebt,. an welcher sie 
unter dem Schambogen durchgeht. Der sprechendste Beweis 
hierfür ist, dass fast jeder Schriftsteller, welcher in dieser 
Hinsicht Forschungen angestellt hat, mit einer eigenen, von 
den meisten übrigen abweichenden Ansicht aufgetreten ist. 
Ein Theildieser Verwirrung entstand unfehlbar daraus, dassman 
einen eignen Constrietor urelhrae annehmen zu müssen meinte 
und dass man, auf die Vorstellung von einem solchen allzu- 
viel Gewicht legte. Man nahm früher an, die Urinblase be- 


1) S. Hygiea, medicinsk och pharmaceutisk Mänadskrift; No. 6. 
Juni 1849; nach einer Mittheilung in der medicinischen Section der 
skandinavischen Naturforscher- Gesellschaft bei der Versammlung zu 
Kopenhagen im Jahr 1847. 


183 


sitze einen Sphinkler wie der Pylorus, bis Santesson vor 
wenigen Jahren zeigte, dass ein solcher nicht existirte. Durch 
J. Müller und Santesson wurde es zu Tage gelegt, dass 
der wesentlichste Schliessapparat für die Blase um die Ure- 
thra selbst liege und aus einem Stratum von circulären Mus- 
kelfasern um diese bestehe, ähnlich dem um den Oesopha- 
gus und den Darmkanal. Beim Menschen ist dies Muskel- 
stratum ganz dunkel, bei den Säugethieren, nach Wahl- 
gren’s Untersuchungen, in hohem Grade ausgebildet. Auf 
diesen einfachen Apparat hat man bis auf die neuesten Zei- 
ten allzu wenig Gewicht gelegt. Dagegen hat man desto 
mehr eigene Constrietoren darzustellen gesucht, welche sich 
am Becken befestigen sollten, 

Wilson nahm bekanntlich zwei Muskeln für die Ure- 
thra an, welche vom Schambogen herabstiegen und sich un- 
ter der Harnröhre vereinigten, und die von anderen Schrift- 
stellern nach ihm als einer, gewöhnlich der Wilson’sche 
Muskel genannt, betrachtet wurden. Dieser Muskel ist nicht 
constant, kann oft ganz und gar fehlen, bald nur an einer 
Seite vorkommen, bald in den transversellen, von Müller 
dargelegten Constrictor, so wie Hyrtl ihn beschreibt (Hand- 
buch der Anatomie des Menschen, Prag, 1846, S. 523), en- 
digen, bald schlingenförmig unter der Urethra vereinigt wer- 
den. Er ist allemal dünn und zwischen den beiden Blät- 
tern des Ligamentum triangulare Colles liegend, welches 
da die Fascia des Muskels bildet. — Johannes Müller ver- 
breitete ein helleres Licht über den Constrietor isthmi ure- 
thralis. Er zeigte auch, dass derselbe dem Santorinus, 
wie auch grösstentheils Guthrie bekannt gewesen sei. Mül- 
ler hatte gefunden, dass dieser Muskelapparat theils von 
querlaufenden Muskelbündeln, einem über und einem unter 
der Harnröhre, welche auf diese wie eine Presse wirkten, 
theils von einem eireulären Stratum um die Röhre herum 
gebildet werde. Santesson bestätigte diese Ansichlen Mül- 
ler'’s durch zahlreiche Dissectlionen, wich aber in verschie- 


184 


denen Punkten von ihm ab. Er beschrieb solcherweise einen 
Theil vom obern Stratum des Constrictors als schlingenför- 
mig vom Rücken der Urethra aus, vor dem Ligamentum 
triangulare, abgehend. Das untere Stratum beschrieb er rei- 
cher als Müller, mit Quer- sowohl, als Längsfasern, die 
letzteren als weit weg, von den aufsteigenden Aesten der 
Sitzbeine herkommend. !) 

Hyrtl nimmt bloss das unter der Urethra laufende Stra- 
tum an nebst dem Wilson’schen, von der hintern Wand 
der Symphysis pubis. Er ist der Meinung, dass die Stelle 
der Urethra, welche durch das Ligamentum triangulare geht 
(‚‚die Durchbohrungsstelle des tiefen Blattes der Mittelfleisch 
binde‘), der Versammlungspunkt für die Befestigung dieser 
Muskelfasern um die Urethra sei, so wie dass die Wilson- 
schen Muskeln sich unter der Urethra vereinigen. 

Als Professor Stein i. J. 1839 Stockholm besuchte, 
kam die Rede auch auf die Musculi urethrales. Er trug da- 
mals die Ansicht vor, dass der sogenannte Constrictor ure- 
thra nach vier Richtungen hin ausginge, mit zwei nach vorn 
zu den Rami descendentes oder dem Arcus pubis und zwei 
nach den Rami adscendentes ossium ischii. 

Ich habe nur in wenigen Fällen den Wilson’schen Mus- 
kel vorhanden gefunden und, wie oben erwähnt ward, auch 
da inconstant in seinem Verlaufe. Müller und Santesson 
läugnen seine Existenz ganz und gar; man kann daraus 
schliessen, dass er bei allen von ihnen untersuchten Speci- 
mina völlig gefehlt habe. Den von Müller und Santesson 
beschriebenen Constriclor habe ich dagegen nie fehlend ge- 
funden, und dies ist auch der Fall mit der circulären Schicht 
gewesen, welche Santesson mit Grund Sphincter ure- 
thra genannt hat, 


1) Utkast till bestämmande af den topographiska anatomiens be- 
grepp, dess studium och förhallande till de öfriga dithörande kunskaps- 
arter, jemte bidrag till anatomien af regio perinaei hos mannen. Aka- 
demisk afhandling etc. Stockh. 1844. p. 57. 


185 


Müller machte in demselben Werke, in welchem er 
den Constrictor isthmi urethralis beschrieben hat (Ueb. d. 
organ. Nerven d. erectilen männl. Geschlechtsorgane des Men- 
schen und der Säugethiere. Berlin 1836), auch auf zwei 
wichtige Ligamente für die Prostata, nämlich die Ligamenta 
ischio-prostatica, aufmerksam. Diese Gebilde sind von be- 
deutender Stärke und gehen von den aufsteigenden Aesten 
der Sitzbeine zum hintern Theile der Seiten der Prostata. 
Santesson hat diese Partien anders als Müller gesehen. 
Er nimmt ihre Anheftungsstelle am Beckenrande unten vom 
aufsteigenden Sitzbeinaste und eine gute Strecke nach oben 
am absteigenden Aste des Schambeines, als einen sehnigen 
Bogen an, wie er sie auch als Sehnen für den Constrictor 
betrachtet. Die Anatomen sind Müller’n vielen Dank da- 
für schuldig, dass er ihre Aufmerksamkeit auf diese wichti- 
gen Theile gerichtet hat; auch er sah sie für etwas mehr, 
als für blosse Ligamente an. Sie sind nämlich die strang- 
förmig und concav-bogenförmig ausgestreckten hinteren 
EckenkAnten einer eigenen fibrösen Capsel, welche so- 
wohl die Prostata, als auch die Pars membranacea urethrae 
umgiebt, eine Capsel, welche zugleich in ihrer Ganzheit als 
ein wichtiges Ligament fungirt und welche gerade in jenen 
strangförmigen Ecken die von Santesson beschriebenen und 
von ihm sogenannten longitudinellen Fasern des Constrictor 
urethrae einschliesst. Es sind vermuthlich dieselben nach hin- 
ten verlaufenden Muskelausstreckungen, welche Stein zu den 
aufsteigenden Aesten der Sitzknochen hat gehen sehen. 

Hyrtl hat danach zu zeigen gesucht, dass der s. g. Con- 
strietor etwas mehr als ein Constrietor sei. Auch ich hege 
die Ueberzeugung, dass die vom Becken zur Urethra gehen- 
den Muskelbündel nicht bloss als Constrictoren zu betrachten 
seien. Sie gehören nämlich einem sehr complieirten Muskel- 
apparate für die Pars membranacea urethrae an, mit einem 
wahrscheinlich eben so zusammengesetzten, zum Dienste für 
die Urethra nöthigen Wirkungsvermögen bei der Ejaculation 


186 


des Samens, bei der Compression der Cowper’schen Drü- 
sen und bei der Harnausleerung. Eher, als dass derselbe ein 
Constrietor urethrae wäre, vermuthe ich, dass er ein Anta- 
gonist des Constrictors sei, welcher vom Stratum musculare 
eirculare urethrae gebildet wird. In nahem Zusammenhange 
mit dem genannten, auf so verschiedene Art aufgefassten 
Muskelapparate steht eine eigne fibröse Fascia oder Capsel, 
welche zunächst der Prostata angehört und, diese umgiebt 
und den hauptsächlichen Apparat bildet, durch welchen der 
Urogenitalapparat an der untern Beckenöffnung befestigt ist. 
Diese Capsel, welche von grosser Wichtigkeit ist, hat man 
bis jetzt nicht richtig präparirt und abgehandelt, Die mei- 
sten topographischen Anatomen, welche sich mit dieser Partie 
beschäftigt, haben sie indessen gesehen und ihre verschiede- 
nen Seiten, aber von einander getrennt, präparirt, ohne das 
Ganze und dessen Bedeutung zu erfassen. Sie haben näm- 
lich die verschiedenen Seiten der Capsel als Theile anderer 
Faseien betrachtet und sich von ihnen durch ein unnatür- 
liches Zerschneiden Wege nach dem Theile, von welchem 
hier die Rede ist, gebahnt. 

Der einzige Schrifsteller welcher ihn beschrieben hat, 
ist Denonvilliers (Propositions et observations d’Anato- 
mie, de Physiologie et de Pathologie; Paris 1837; Article 
3eme, Anatomie du P£rinee), Er tadelt mit Strenge die 
allgemein: befolgte Art und Weise, die Fascien ohne Zusam- 
menhang mit den Theilen, denen sie angehören, zu betrach- 
ten, und sucht zu zeigen, dass jeder Muskel seine Fascia habe, 
eben so wie jeder grössere Blutgefässbüschel und jedes im 
Mittelpunkt einer Körpergegend stehende wichtigere Organ 
die ihrigen besitzen; so der Kehlkopfe im Halse und die Pro- 
stata im Perinäum. Ueber die hier in Rede stehende Capsel 
äussert er: „La prostate et la portion membraneuse de ..l’u- 
retre sont placdes au centre, comprises entre des plans fibreux 
superieur, inferieur ‘et lateraux, enveloppees de toute part, 
et engainees & la maniere des muscles.” An einer andern 


187 


Stelle: ‚on concoit comment la portion membraneuse de l’u- 
retre se trouve contenu dans une sorte de caisse irregulie- 
rement quadrilatere etc.’ Man ersieht aus diesen und meh- 
reren Einzelnheiten in der höchst verdienstlichen Abhandlung, 
dass er den fraglichen Theil als einen der Prostata und der 
Urethra zugehörenden betrachtet hat; dagegen hat er die 
wichtige, diesem Theile übertragene Rolle, das wesentliche 
Anheltungsorgan für den Urogenitalapparat an der untern 
Beckenöflnung abzugeben, nicht recht dargelegt. Ich selbst 
habe seit mehreren Jahren denselben, so wieDenonvilliers 
ihn hier hat andeuten wollen, in meinen Vorlesungen und 
bei den Präparationen auf dem Anatomiesaale in Stockholm 
dargestellt, bekam aber erst Kunde von seiner trefllichen 
Abhandlung bei meinem Aufenthalt in Paris 1846, wo ich 
die kleine Schrift vom Verfasser erbielt. Diese ist als ein 
Specimen für die Prosectorstelle an der medieinischen Schule 
zu Paris erschienen, und, so wie die meisten dgl., im Aus- 
lande so gut als unbekannt geblieben. Andernfalls würden 
gewiss die Anzeichnungen über den fraglichen Gegenstand, 
welche sie enthält, schon für die Wissenschaft fruchtbringend 
gewesen sein, ' Ich habe diesen Apparat 

Ligamentum pelvio-prostaticum capsulare 
benannt. 

Die dünne die -Urinblase bekleidende Haut, welche ge- 
wöhnlich als ein Theil der Fascia pelvis beschrieben wird, 
und die nach aussen in diese an dem von Santesson so 
genannten Arcus tendineus übergeht, setzt sich vom untern 
Theile der Blase über die Prostata hinweg fort. Zu diesem 
Organe hinabgelangt wird sie dick und dicht an der Drüse 
festsitzend. Der vordere Theil der Levatores ani liegt dicht 
längs den Seiten dieser Capsel, ohne Unterlage einer eigenen 
Fascie. An der hintern Fläche der Drüse ist sie am dünn- 
sten, geht zwischen sie und den Mastdarm hinab, setzt sich 
unter der Prostata fort, bekleidet den hintern Theil des 


188 


Muskelapparats der Urethra, nebst den in diesen eingeschlos- 
senen Cowper’schen Drüsen, erstreckt sich an den Seiten 
gegen die aufwärts steigenden Aeste des Sitzbeins, an denen 
sie sich befestigt; zwischen diesen Anheftungsstellen geht 
sie dünn hinab hinter den Bulbus urethrae und endigt sich 
unter einem spitzigen Winkel am s. g. Ligamentum triangu- 
lare. Zu den Seiten der Prostata, wo das capsulare Liga- 
ment am stärksten ist, streckt es sich nach aussen hin, um 
sich an den entgegenstehenden Aesten der Sitz- und Scham- 
beine zu befestigen. Hierdurch werden die Seiten der Cap- 
sel wie ein Zelt ausgespannt, verlassen die Prostata und be- 
decken statt dessen die ihr zu Seiten liegenden reichen Ple- 
xus venosi pudendales nebst den begleitenden Arterien und 
Nerven. Die Anheftungsstelle an den Seitenrändern der Bek- 
kenöffnung erstreckt sich vom horizontalen Aste des Scham- 
beines bis in die Nähe der Sitzhöcker. Die vorderen Rän- 
der dieser Scitenpartieen machen den aponeurotischen Theil 
der Ligamenta pubo-prostatica (pubo-vesicalia) aus, die 
hinteren, welche sich über die von den Sitzbeinen ausgehen- 
den Bündel des Urethralmuskels hinziehen, werden von die- 
sem zur Form zweier strangförmiger Kanten, den Ecken 
eines viereckigen Zeltes gleich, ausgespannt, und gehen in 
die hintere eben beschriebene Seite über. Diese hintere Aus- 
spannung der Capsel ist es, welche Müller so gut abgebil- 
det und Ligamenta ischio-prostatica benannt, und die 
Santesson weiter nach vorn verfolgt und Ligamenta pu- 
bo-ischiadica prostatae zu nennen vorgeschlagen hat. 
Denonvilliers nennt diese Seitentheile Aponeurose late- 
rale de la prostate ou pubio-rectale. Nach oben be- 
rührt die Capselwand nur einen kleinen Theil der Prostata, 
und wird, nachdem sie von der Blase und der Prostata nie- 
dergestiegen ist, um zu der zunächst liegenden Oberfläche der 
Schambeine zu gelangen, durch die Muskelstränge von der 
Muskelhaut der Blase ausgespannt, welche seit älteren Zeiten 


189 


als die Schambeinbefestigungsstelle für den so genannten 
Musculus Detrusor urinae angesehen worden ist. Die hier- 
durch entstehenden gespannten strangähnlichen Kanten sind 
die eben erwähnten, sogenannten Ligamenta pubo-vesicalia. 
Zwischen diesen bildet sie eine tiefe Grube und bedeckt auch 
hier die oben genannten, über der Urethra und Prostata hin- 
ter der Symphysis zusammentretenden Venengeflechte (Plexus 
pubicus impar). Die vordere Wand der Capsel wird vom 
Ligamentum triangulare Colles gebildet. 

Auf diese Weise werden nun die Prostata sowohl, als 
der musculäre Theil der Harnröhre in eine Capsel oder 
eine Theca eingeschlossen, mit vier Seiten und eben so 
vielen Ecken, ferner mit einer breiten, ziemlich ausgedehn- 
ten Basis, stark befestigt an der Beckenöffnung, und mit 
einem weit ausgedehnten Boden, gebildet vom Ligamentum 
triangulare. Die beiden vorderen Ecken der Basis (Lig. 
pubo-ves.) liegen einander nahe, die beiden hinteren (Lig. 
ischio-prostatica) sind stark ausgesperrt. Nicht genug, dass 
dieser Apparat eine starke, ligamentartige Befestigung bildet; 
er enthält nebst der Prostata, der Urethra, Venenplexus, 
Arterien und Nerven, auch den wichtigen Muskelapparat 
für die Urethra. Dieser schon erwähnte Muskelapparat hat 
seine äussersle Befestigung an der Innenseite des langen Ba- 
sillarrandes dieser Capsel; ein Umstand, welcher auch San- 
tesson veranlasst hat, zu äussern, dass die Ligamenta 
ischio-prostatica als die Tendines constrietoris urethrae an- 
zusehen seien. 

Fragen wir uns nun aber, wie dieser bedeutende und 
merkwürdige Apparat der Aufmerksamkeit der Anatomen 
so lange hat entgehen können, so finden wir, dass die 
Schuld davon in der allgemein angenommenen Art und 
Weise, die Fascien darzustellen gelegen hat, wovon die 
Folge gewesen ist, dass man wohl die Theile, aber nicht 
das Ganze im Zusammenhange kennen lernte. So kennt 


190 


man die obere Seite der Capsel als Ligamenta pubo-vesi- 
calia, die Vorderseite oder den Boden als Ligamentum trian- 
gulare Colles, die Seiten-Seiten als die Blätter der Fascia 
pelvis, welche zwischen die Levatores ani und die Pro- 
stata hinabgingen, und die Hinterseite als Fascia recto-ve- 


sicalis. 


Ueber 


die Laterne des Aristoteles. 


Von 


Prof. Hermann Meyer in Zürich, 


(Hierzu Taf. II. Fig. I—V.) 


Der unter dem Namen der Laterne des Aristoteles bekannte 
Kauapparat der Echinus-Arten wird stets, selbst von Va- 
lentin (Anatomie du genre Echinus), in der Weise beschrie- 
ben, dass man denselben, abgesehen von den 5 Zähnen aus 
15 (3mal 5) Stücken zusammengesetzt sein lässt. Die drei 
Stücke, welche sich je 5mal vorfinden, können bezeichnet 
werden, als 

1) Hauptstücke (die zahntragenden Hohlpyramiden), 
(pyramide nach Valentin), 

2) Schaltstücke (die Plättchen, welche zwischen den 
oberen Enden der Hauptstücke gelegen sind), (faux, 
Valentin), 

3) Bügelstücke (die bogenförmigen Stücke, welche auf 
den Schaltstücken liegen), (compas, Valentin). 

An der ganzen Laterne kann man die Basis (den brei- 
teren, nach oben gerichteten Theil) und die Spitze (den 
engern, nach unten gerichteten Theil) unterscheiden. 

Genauere Untersuchung an einem Echinus spec. indef, 
aus Peru hat mich belehrt, dass die Zahl der einzelnen Stücke 


192 


der Laterne 35 (7mal 5) beträgt, oder mit Einschluss der 
Zähne 40. Die seither als einzelne ganze Stücke angesehe- 
nen Stücke zerfallen nämlich in folgende einzelne Theile: 


1) jedes Hauptstück in 
2 Zahnstücke und 
2 Ergänzungsstücke; 

2) jedes Bügelstück in 
1 inneres Bügelstück und 
1 äusseres Bügelstück. 

Es besteht demnach die ganze Laterne aus: 
5mal 2 Zahnstücken . . . 10 Stücken, 
5mal 2 Ergänzungsstücken . 10 Bu 
ö5mal 1 Schaltstück. . . . 5 e 
5mal 1 inneren Bügelstück . 5 » 
5mal 1 äusseren Bügelstück . 5 „ 

35 Stücken, 
dazu noch die 5 Zähne . . 5 = 
“40 Stücken. 


Jedes Hauptstück stellt bekanntlich eine Hohlpyramide 
dar, deren innere Kante oflen ist; es sind demnach an dem- 
selben drei Platten zu unterscheiden, nämlich zwei radial 
gegen die Achse der Laterne gestellte, und eine peripherisch 
im Umkreis der Laterne gestellte. Die der Höhlung der Py- 
ramide zugewandte Seite der radialen Platte ist mit Aus- 
nahme einer später zu erwähnenden Längsleiste glatt. Die 
freie Seite der radialen Platte ist eben, mit vielen wellen- 
förmigen, in der Hauptrichtung parallel der Basis verlaufen- 
den Leisten (eminentiae transversae Valentin) besetzt, 
welche an dem innern freien Rande der Platten Kammzäh- 
nen ähnlich hervorstehen. Jede dieser zahnartigen Endigun- 
gen der Leisten endet mit einer schaufelförmigen Spitze, de- 
ren Flächen seitwärts gerichtet sind. — Die peripherische 
Platte, von der Basis gegen die Spitze hin in einer nach 
aussen gerichteten Konvexität gebogen, hat einen von der 


| 


| 


193 


Basis gegen die Spitze hin gerichteten tiefen Ausschnitt, wel- 
cher in einer nach aussen vorspringenden Mittelleiste mit 
einem spitzigen Winkel endet. Dieser Winkel bezeichnet den 
Anfang einer Spalte, welche durch die ganze Dicke der 
Platte in der Richtung gegen die Spitze der Laterne hin ge- 
nau in der Mittellinie der Platte verläuft und dieselbe da- 
durch in zwei seitliche Hälften theilt (s. Fig. 1.). Die Har- 
monieflächen, mit welchen beide Hälften sich in der Spalte 
berühren, sind durchaus eben und glatt zu nennen. Jede 
Hälfte der peripherischen Platte bildet mit der ihr verbun- 
denen radialen Platte das Zahnstück. Die beiden Zahn- 
stücke, in welche demnach ein jedes Hauptstück seiner Länge 
nach zerfällt, können als rechtes und linkes unterschie- 
den werden, *) 

An der Basis der Laterne ‚ist die peripherische Platte 
des Zahnstückes länger, als die radiale Platte. , Der hervor 
ragende Theil endet in eine gegen den Ausschnitt zwischen 
beiden Zahnstücken hakenförmig gebogene Spitze. Die 
äussere Kante des dadurch gebildeten dreieckigen Fortsatzes 
bildet, von aussen gesehen, einen hohlen Winkel gegen die 
schmale Fläche, welche die der Basis zugewandte Kante der 
radialen Platte bildet. Dieser Winkel wird durch eine dünne 
Platte, das Ergänzungsstück, ausgefüllt. Dieses legt sich 
den beiden bezeichneten Randflächen mit Hülfe zweier klei- 
nen Höcker an, welche sich in entsprechende Grübchen des 
Zahnstückes einfügen. Es bildet mit einem vorspringenden 
Rande eine Einfassung des äusseren Randes an dem Basal- 
fortsatze des Zahnstückes (s. Fig. I. A und B) und seine 
Gränze ist auf der gefurchten Fläche der radialen Platie an 
einer Veränderung in der Zeichnung der Leisten zu erken- 
nen, welche in Fig. II. dargestellt ist. 


*) Der Beschauende denke sich in die Achse der Laterne, auf der 
Basis derselben stehend und nenne rechts, was seiner rechten, links, 
was seiner linken Seite gegenüber ist, 

Müllers Archiv, 1849, 13 


194 


Die freie Oberfläche des Ergänzungsstückes trägt einen 
inneren kleineren und einen äusseren grösseren Höcker (8. 
Fig. II), welche beide sich mit dem seitlichen Rande des 
Schaltstückes verbinden. Für diesen Zweck hat der 
Rand des Schaltstückes einen äusseren tieferen und einen 
inneren flacheren Ausschnitt. Richtiger gesagt, findet sich 
anı Rande des Schaltstückes nahe dem äusseren Ende des- 
selben ein tiefer Ausschnitt, welcher den grösseren äusseren 
Höcker des Ergänzungsstückes aufnimmt, und ein kleiner seit- 
licher Fortsatz, dessen untere, innere Fläche dem kleineren 
inneren Höcker des Ergänzungsstückes anliegt (s. Fig. Il.). 
— Die besondere Gestalt und die Lage der beiden Höcker 
sind am besten aus der Zeichnung (Fig. Il.) zu ersehen. 

Das Bügelstück zerfällt in das innere und das äus- 
sere Bügelstück. Das erstere ist das innere Drittel des 
ganzen Bügelstückes, welches durch eine Spalte von den 
äusseren zwei Dritteln (dem äusseren Bügelstück) abgetrennt 
wird. Diese Spalte, an dem schärferen freien Rande des 
ganzen Bügelstückes beginnend, dringt senkrecht auf die 
Achse desselben ein bis etwa zur Mittellinie, welche jeder- 
seits durch eine Längsfurche bezeichnet ist, und biegt dann 
unter einem Winkel nach aussen ab, indem sie noch die 
andere Hälfte des Körpers trennt. (s. Fig. IV.). 

Die Einfügung des Zahnes auf den beiden Zahnstücken 
geschieht in folgender Weise. In geringer Entfernung von 
der Naht zwischen beiden Zahnstücken auf der inneren Seite 
der peripherischen Platte eines jeden derselben erhebt sich 
eine Längsleiste (linea eminens dentalis, Valentin), welche 
der ganzen Länge der Naht parallel läuft und nach innen 
abgeflacht ist. Beide Leisten lassen eine Rinne (sulcus den- 
talis, Valentin) zwischen sich, in welcher die Naht zu 
finden ist. Auf diesen beiden Leisten gleitet der Zahn ge- 
wissermaassen hinab, indem er sich mit seiner peripherischen 
Platte an dieselben anlegt. Entsprechend der vorderen Kante 


195 


der peripherischen Platte findet sich auf der inneren Ober- 
fläche der radialen Platte des Zahnstückes eine flache Leiste, 
welche die Seitenränder des Zahnes von vorn befestigt. 
Der Zahn ist auf diese Weise ziemlich fest eingeklemmt (s. 
Fig. V.). — In histologischer Beziehung wird der Zahn 
aus Schmelzfasern gebildet, welche in drei Ordnungen gela- 
gert sind. Je eine Ordnung entspricht einem Seitentheile 
der peripherischen Platte, und die dritte der inneren radia- 
len Platte des Zahnes. Die Fasern der drei Ordnungen, 
unter sich parallel, konvergiren nach unten (gegen die Spitze 
der Laterne) und treffen in der Linie zusammen, in welcher 
sich die peripherische Platte mit der radialen vereinigt. 


Erklärung der Abbildungen. 


Fig. 1. — A. Ansicht des Hauptstückes von aussen. — a,a die Zahn- 
stücke, — b,b die Ergänzungsstücke, — « Naht zwischen 
den beiden Zahnstücken. B. Besondere Ansicht des Basal- 
Fortsatzes des Zahnstückes mit dem Ergänzungsstück, mehr 
vergrössert. — a und b wie vorher. 

Fig. II. Ansicht des oberen Theiles der gefurchten Fläche der radia- 


len Platte des Zahnstückes mit dem Ergänzungsstücke, — 
a Zahnstück, — b Ergänzungsstück, — c Naht zwischen 


beiden, — d innerer kleinerer Höcker des Ergänzungs- 
stückes, — e äusserer grösserer Höcker des Ergänzungs- 
stückes. 

Fig. III. Querschnitt durch die Verbindung des Ergänzungsstückes 
mit dem Schaltstücke. — a Ergänzungsstück, — b Schalt- 
stück, — c Verbindung des Schaltstückes mit dem äusse- 


ren grösseren Höcker des Ergänzungsstückes, — d Verbin- 
dung des Schaltstückes mit dem inneren kleineren Höcker 
des Ergänzungsstückes. 

Fig. IV. — A. Seitliche, untere Ansicht des ganzen Bügelstückes., — 
a inneres Bügelstück, — b äusseres Bügelstück, — c Naht 


zwischen beiden. 
13 * 


196 


B. 'Ansicht der Nahtfläche zwischen den beiden Bügel- 
stücken. . 


Fig. V. Querschnitt durch das Hauptstück mit dem Zahn. — 2,a 
Zahnstücke, — b Naht zwischen beiden Zahnstücken, — c, 
ce zahntragende Leisten ‚der Zahnstücke, — d Zahn, — ® 
Zahnleiste der radialen Platte des Zahnstückes. 


(Alle Figuren, mit Ausnahme von Fig. I. A., sind zweimal ver- 
grössert. ) s 


Beobachtungen über eine eiweissartige Substanz 
in Krystallform. 


Von 
K, E. Reicuert in Dorpat, 


(Hierzu Taf. II. Fig. VI.) 


Die organischen Substanzen im engeren Sinne, das Eiweiss, 
der Faserstoff, die leimgebenden Stoffe u. s. w. sind bisher 
in krystallinischer Form nicht beobachtet worden. Man war 
gewohnt, die festen Zustände dieser Stoffe entweder ganz 
formlos, oder als Kügelchen, oder als feste organisirte Be- 
standtheile vorzufinden, und dieser Umstand mag dazu bei- 
getragen haben, die Fähigkeit der bezeichneten Substanzen, in 
krystallinische Bildungen überzugehen, in Zweifel zu ziehen, 
Durch einen Zufall bin ich zur Entdeckung von mikrosko- 
pischen Krystallen gelangt, deren Substanz den chemischen 
Reaklionen gemäss für einen eiweissartigen Stoff gehalten 
werden muss, Auf einer Reise durch Deutschland im Som- 
mer des Jahres 1847 nahm ich Gelegenheit, mehrern Natur- 
forschern diese Krystalle zu zeigen und auf eine ihrer auf- 
fallendsten Eigenschaften, nämlich auf ihre Anschwellung 
und Vergrösserung bei Behandlung mit Essigsäure, aulmerk- 
sam zu machen, Soweit meine Kräfte reichten, habe ich 
seitdem zu wiederholten Malen die Natur dieser Krystalle 
studirt und bin darin von dem auf diesem Gebiete so be- 


195 


wanderten Kollegen, Herrn Dr. €. Schmidt, desgleichen 
auch von Herrn Prof. Buchheim vielfach unterstützt wor- 
den. Bei der Mittheilung der aus diesen Untersuchungen her- 
vorgegangenen Ergebnisse mag ich das Bekenntniss nicht 
unterdrücken, dass es mir in Berücksichtigung des gegen- 
wärtig einzig dastehenden Beispieles namentlich darauf an- 
kam, nur möglichst gesicherte Data der Veröffentlichung zu 
übergeben. 


Erster Abschnitt, 


Die bezeichneten Krystalle fanden sich auf der Ober- 
fläche der Placenta und der Hüllen eines fast reifen Fötus 
vom Meerschweinchen (Cavia cobaya), desgleichen auf der 
an die Placenta zunächst angrenzenden Schleimhaut der Ge- 
bärmutter des Mutterthieres, welches plötzlich gestorben war 
und etwa sechs Stunden nach dem Tode von mir unter- 
sucht wurde. Die Gebärmutter enthielt vier Fötus und bei 
allen vier Mutterkuchen wiederholte sich dieselbe Erschei- 
nung. Auf den ersten Anblick nahm sich die Substanz wie 
trocken gewordenes Blut aus und dieser Umstand unter den 
obwaltenden Verhältnissen, wo alle Theile rund umher feucht 
waren, veranlasste mich, die mikroskopische Untersuchung 
zu unternehmen. Zu meinem grössten Erstaunen zeigte sich 
hier, dass die rothe Substanz aus tetraedrischen Krystallen 
bestand, die mehr oder weniger von Schleim und Epithe- 
lialzellen umgeben waren. 

Bei den so auffallenden, allen bisherigen Erfahrungen wi- 
dersprechenden Eigenschaften der Krystalle war es wichtig, 
darüber gesichert zu sein, dass man es mit wirklichen Kry- 
stallen zu thuu habe. Die glatten, unter ganz bestimmtem, 
unveränderlichem Winkel gegen einander geneigten Aussen- 
flächen geben den Körpern ein so deutliches Krystall-Ge- 
präge, dass kein Naturforscher, der diese Körper gesehen, 
über ihren Habitus als Krystalle gezweifelt hat. Da jedoch 
die willkürliche Herstellung der Krystalle bisher nicht ge- 


199 


glückt ist, so kann zur grössern Sicherheit nicht ganz die 
Frage umgangen werden, ob die vorliegenden tetraedrischen 
Körper nicht etwa als Kunstprodukte anzusehen seien, die 
durch irgendwelche, allerdings sehr günstige Druckverhält- 
nisse erzeugt wären, oder gar vielleicht als tetraedrische 
Zellen daständen. Beides muss ganz entschieden verneint 
werden. Die Krystalle sind nämlich von der verschieden- 
sten Grösse, und unveränderlich zeigt sich nur die Grösse 
der Winkel. An ihrem Fundorte lagen sie zwar öfters 
ziemlich dicht gedrängt, doch fehlte selten eine geringe 
Zwischenmasse von Schleim und Epithelialzellen, so wie 
andrerseits grosse Strecken vorkamen, wo sie ganz zerstreut 
sich vorfanden. Ihre Substanz ist vollkommen homogen, 
durchscheinend, ohne irgend welche Spur oder Andeutung 
einer zellenarligen Beschaffenheit. Es ist mir sogar gelun- 
gen, einzelne grössere Krystalle (etwa -; Linie im Durch- 
messer) mit der Staarnadel zu durchschneiden. Die Stücke 
und Hälften veränderten sich nicht weiter, sie sanken nicht 
zusammen, sie erschienen unter dem Mikroskop ebenso ho- 
mogen und von dem Ansehen solider Körper, wie die gan- 
zen Krystalle. Alles, was ich über .das Verhalten unver- 
sehrter Krystalle bei mechanischen und chemischen Einwir- 
kungen zu berichten habe, das gilt ebenso von den einzelnen 
Stücken derselben. Auch der Gedanke, dass man es hier 
mit Afterkrystallen oder Pseudomorphosen zu thun habe, 
lässt sich durch keine nur einigermaassen haltbare Erschei- 
nung begründen und weiter besprechen. Hiernach wäre zu- 
nächst das Fakltum festzuhalten, dass die Natur der Körper 
als Krystalle nicht bezweifelt werden kann. 

Der chemischen Konstitution nach sind die Krystalle 
für eine eiweissarlige oder proteinarlige Substauz zu halten, 
Es scheint passend, die hauptsächlichsten Momente, auf 
welche sich diese Ansicht stützt, hier voranzuschicken. Zu 
einer quantitativen Elementar- Analyse war nicht hinläng- 
liche Stoffmenge vorhanden. Auf dein Objektträger der Glüh- 


200 


hitze ausgesetzt, schrumpften die Krystalle anfangs zusam- 
men, dann verkohlten sie und endlich verflüchteten sie sich 
um so vollkommener, je weniger fremdartige Masse in der 
Umgebung sich befand. Niemals blieb eine Spur im Rück- 
stande übrig, die mit Säuren aufbrauste. Dr. €. Schmidt 
glühte die Krystalle mit Kalium beim Abschluss von Luft, 
und es zeigte sich ein bedeutender Stickstoffgehalt. Beim 
längeren Sieden in Alkohol, Aether, Schwefelkohlenstofl, 
fetten und älherischen Oelen (Terpentinöl) war keine Ver- 
änderung zu bemerken. Keine Säure, auch keine Basen be- 
wirken eine Zerstörung oder Auflösung der Krystalle, so- 
fern die Einwirkung nur kürzere Zeit andauerte. Auf die 
anderweitigen Veränderungen, welche die Krystalle dabei 
erleiden, kommen wir später zurück. Bei miehrstündiger 
Einwirkung der konzentrirten und rauchenden Salpetersäure, 
desgleichen beim Kochen in einer gesälligten Auflösung von 
Kali werden die Krystalle gelöset. Dr. €. Schmidt hatte 
ferner die Krystalle mit Wasser in eine starke Glasröhre 
eingeschmolzen und bei geschlossener Röhre einer Tempera- 
tur von 140—160° C. ausgesetzt; sie wurden dadurch voll- 
ständig gelöset. Nach der Abdampfung zeigte sich auf dem 
Objektträger ein in dendritischen Formen krystallisirter Rück- 
stand, der gleichfalls bei der Glühhitze verkohlte und sich 
verflüchtete. Geometrische Flächen waren an den sehr klei- 
nen Körnchen, welche die dendrilischen Figuren zusammen- 
setzten, nicht zu unterscheiden; der allgemeine Habitus deu- 
tete auf ein Ammoniaksalz. — Das angeführte chemische 
Verhalten der Krystallsubstanz lässt erkennen, dass ein 
slickstoffhaltiger organischer Stoff vorliege; ja in Betreff der 
Auflösbarkeit in Wasser bei sehr hohen Temperaturgraden 
macht sich schon eine Uebereinstimmung mit den Albumina- 
ten bemerkbar. Was jedoch die eiweissartige Natur unzwei- 
felhaft herausstellt, das ist das Verhalten bei Einwirkung 
konzentrirter Salpetersäure. Die Substanz der Krystalle 
wird dadurch unter Entwickelung von Bläschen in einen 


201 


Stoff umgewandelt, der bei Behandlung mit Kali oder Am- 
moniak eine ziemlich intensive Orange-Farbe annimmt, und 
sich demnach als Xanthoproteinsäure zu erkennen giebt. 
Die Umwandlung der Albuminate in die sogenannte Xantho- 
prolteinsäure durch die konzentrirte Salpetersäure ist eine 
nicht weniger konstante, als ausgezeichnet charakteristische 
Eigenschaft derselben, und die Uebereinstimmung der Sub- 
stanz der Krystalle in dieser Beziehung mit den Albumina- 
ten, namentlich mit den festen eiweissartigen Bestandtheilen 
organisirter Formen so vollkommen, dass der Rückschluss 
auf die eiweissartige Natur der Krystalle, wie mir scheint, 
keinem Zweifel unterliegt. Die Körper, deren genauere Be- 
schreibung wir nun folgen lassen, sind demnach für wirk- 
liche Krystalle einer eiweissarligen Substanz zu halten. 

1. Die Krystalle erweisen sich nach den mikroskopi- 
schen Messungen des Dr. C. Schmidt als vollkommen re- 
gelmässige Tetraeder. Die Neigung der Flächen zu einander 
beträgt 70°, 31‘, 43“, die der Flächen gegen die Kante 54°, 
44‘, 81”. In einigen seltenen Fällen erschien diese Form 
durch eine geringe, senkrecht auf die Axe erfolgte Abstum- 
pfung der Ecken verändert, doch war ich niemals ganz si- 
cher, dass nicht eine äussere mechanische Gewalt diese Ab- 
änderung bewirkt hatte. 

Die Grösse der Krystalle variirt ausserordentlich; die 
Axe erreichte bei einigen die Höhe von -; P. L., bei andern 
etwa „4; P. L.; dazwischen aber lagen alle nur möglichen 
Grössenverhältnisse. Unter den noch als Krystalle unter- 
scheidbaren Körperchen befanden sich öfters sehr kleine 
Körnchen, welche dieselben übrigen Eigenschaften hatten, 
doch wegen ihrer Kleinheit keine Krystallllächen erkennen 
liessen. 

Bei auffallendem Lichte und in grösserer Anzahl bei- 
sammenliegend haben die Krystalle eine bald mehr lichtere, 
bald dunklere blutrothe Färbung. Unter dem Mikroskop ein- 
zelu bei durchfallendem Lichte betrachtet zeigen sie sich so 


202 


durchsichtig, dass die abgewandten Kanten des gerade zur Be- 
obachtung vorliegenden Krystalles, ja selbst die Begränzungen 
darunter liegender Krystalle durch die Substanz hindurch 
leicht erkannt werden. Hinsichtlich der Farbe verhalten sie 
sich dann sehr übereinstimmend mit den Blutkörperchen. 
Die kleineren Krystalle erscheinen einzeln gelblich, gelb- 
röthlich, die grösseren im Allgemeinen um so intensiver roth, 
je grösser sie sind. Nicht selten bemerkt man jedoch, dass 
die intensivere gelbröthliche und rothe Färbung nicht immer 
im gleichen Schritt mit der Grösse des Krystalls fortgeht. 
Gleichgrosse Krystalle zeigten zuweilen einen sehr auffallen 
den Unterschied in der Intensität der rothen Färbung; ein- 
zelne Krystalle, die im anderen Falle bei gleicher Grösse 
schon deutlich ins Rothe schimmerten,, erschienen nur gelb- 
lich. Einige Male konnte ich an kleineren Krystallen nur 
eine schwache Spur selbst der gelblichen Färbung erkennen. 
Hieraus darf man folgern, dass die gelbliche und röthliche 
Färbung nicht der Substanz der Krystalle an sich angehört, 
sondern von einem fremdartigen Pigmentstoffe (Hämatin?) 
herrührt. — Oefters war an der Oberfläche der Krystalle 
eine parallele Streifung wahrnehmbar, eine auch bei andern 
Krystallen bekannte Erscheinung. Deutliche Erscheinungen, 
die auf die Spaltbarkeit des Krystalls hinwiesen, waren nicht 
sichtbar. — Ueber das Verhalten der Krystalle bei polari- 
sirtem Lichte habe ich mich beim Mangel eines geeigneten 
Apparates noch nicht zur Genüge unterrichten können. 

Die Krystalle haben eine festweiche Konsistenz und sind 
elastisch. Sie lassen sich unter dem Kompressorium in die 
Form einer Lamelle zusammendrücken und erheben sich dann 
beim Nachlassen des Druckes ganz allmählig, um in ihre ur- 
sprüngliche Gestalt zurückzukehren ; umgebogene Spitzen 
richten sich wieder grade, Das spezifische Gewicht der Kry- 
stalle hat sich bei der geringen Menge derselben nicht be- 
stimmen lassen; in Wasser, in den Säuren und Alkalien, 


203 


mit welchen sie in Verbindung gebracht wurden, fallen sie 
zu Boden. 

2. Das Verhalten der Krystalle bei Anwendung von 
Säuren und Alkalien. 

Konzentrirte Essigsäure (C,H,O,; 504). Beim 
Zutritt der Essigsäure vergrössern die Krystalle ihr Volu- 
men, ohne dass die Krystallform irgendwie beeinträchtigt 
wird. Sie zeigen dieselbe Schärfe und Bestimmtheit in den 
Kanten und Ecken, dieselbe Grösse der Winkel, denselben 
Grad der Durchsichtigkeit und des homogenen Ansehens, 
wie früher. Die Färbung ist zugleich lichter geworden, so 
zwar, dass die grösseren Krystalle noch einen Stich ins 
Gelbliche oder Gelb-Röthliche behalten, die kleineren dage- 
gen fast ganz farblos erscheinen. Die Einwirkung der Säure 
geschieht schnell, doch lässt sich der Fortschritt derselben 
von Aussen nach dem Innern der Krystalle gemeinhin deut- 
lich genug unter dem Mikroskop verfolgen. Wirkt die Es- 
sigsäure von allen Seiten gleichmässig ein, so gelingt es oft, 
die noch unversehrte Kernmasse des Krystalles an der in- 
tensiven rothen Färbung einen Augenblick zu unterscheiden 
und so das weitere Vordringen der Wirkung zu verfolgen. 
Desgleichen sah ich öfters bei dem Hinzutreten der Säure 
von einer Seite her, wie die Vergrösserung von einer Ecke 
des Krystalls begann und dann nach dem entgegengesetzten 
Ende fortschritt, so dass für eine kurze Zeit verschieden 
grosse und ungleich gefärbte Partien eines und desselben 
Krystalles dem Beobachter sichtbar wurden. Das Lichter- 
werden scheint ziemlich gleichen Schritt mit der Vergrösse- 
rung zu halten, doch wird sich aus dem Folgenden ergeben, 
dass der Farbstoff nicht ganz unverändert geblieben. Das 
Maass der Vergrösserung der Krystalle war zu den ver- 
schiedensten Zeiten im Verlaufe eines Jahres untersucht kon- 
stant dasselbe; es betrug 0,33 des Durchmessers. Dabei 
wäre noch zu erwähnen, dass die Krystalle mit der Gebär- 
mutter gleich nach dem Funde in Weingeist aufbewahrt 


204 


wurden und darin auch bis jetzt geblieben sind. Hinsicht- 
lich der Konsistenz und elastischen Beschaffenheit der Kry- 
stalle ist nach Einwirkung der Essigsäure keine auffallende 
Veränderung zu bemerken gewesen. — Bei der gewöhnlichen 
käuflichen Essigsäure ist die Vergrösserung slärker; sie be- 
trägt 0,5 des Durchmessers. Das Lichterwerden der Färbung 
steht in gleichem Verhältnisse. !) 

Salzsäure (502). ‚Die Krystalle vergrössern sich. bei 
Anwendung dieser Säure um 0,13 des Durchm., und neh- 
men zugleich eine gelbliche, etwas ins Bräunliche spielende 
Färbung an. Die Krystallforn,: die Durchsichtigkeit, die 
Konsistenz und elastische Beschaffenheit erhält sich vollkom- 
men. — Bei der gewöhnlichen konzentrirten Salzsäure be- 
trägt die Vergrösserung fast 0,2 des Durchm , und die gelb- 
liche Färbung wird dabei etwas lichter. 

Schwefelsäure (50%). Aus mehreren Versuchen er- 
gab sich, dass die Krystalle konstant um ‚0,64 des Durchm. 
sich vergrösserten. Die Färbung spielt ins Gelblich -Röth- 
liche, ist aber sehr lichte. Die übrigen Eigenschaften blei- 
ben unverändert, 

Phosphorsäure (50%. Die Vergrösserung beträgt 0,2 
des Durchmessers; die Färbung wird gelbbräunlich; die übri- 
gen Eigenschaften, wie bei. den früheren Säuren, nicht sicht- 
bar verändert. Die zehnprocentige Phosphorsäure zeigt keine 
Unterschiede von der funfzigprozenligen in der Wirkung. 
Alles Uebrige, wie früher. 


1) Die Anwendung mehr verdünnter Säuren muss unmittelbar auf 
den noch nicht durch eine stärkere Säure veränderten Krystall: erfol- 
gen. Setzt man zu einem, durch (905) Essigsäure veränderten Kry- 
stall eine mehr diluirte Essigsäure hinzu, so erfolgt keine Wirkung. 
Auch ist die Wirkung, wie sich später zeigen wird, eine ganz andere, 
wenn man auf den durch Essigsäure (50%) veränderten Krystall nach 
Entfernung der Säure Wasser einwirken lässt. — Dasselbe Verhalten 
tritt konstant überall auf, ‘wo eine mehr verdünnte Säure eine andere 
Wirkung hat, als eine stärkere. 


205 


Salpetersäure. Die rauchende konzentrirte Salpeter- 
säure 1), sowie die 20prozentige, letztere nach längerer Ein- 
wirkung, vergrössern den Krystall um 0,4 des Durchm. un- 
ter Entwickelung von Blasen. Die Färbung ist gelblich. 
Obgleich schon oben bemerkt wurde, dass die Substanz der 
Krystalle durch die Einwirkung der Salpetersäure in Xan- 
thoproteinsäure verwandelt wird, so ist doch in der Kry- 
stallform, in der Durchsichtigkeit, Konsistenz und Elastizi- 
tät keine Aenderung wahrnehmbar. — Die einprozentige Sal- 
petersäure stimmt in ihrer Wirkung am meisten mit der Es- 
sigsäure überein; eine Verwandlung in Xanthoproleinsäure 
findet nicht statt. 

Jodlösung (Jod in Jodwasserstoff). Bei Anwendung 
der verdünnten Jodlösung ist in der Grösse des Krystalls 
keine auffallende Veränderung zu bemerken. Die Farbe da- 
gegen wird dunkelbraun und die Durchsichtigkeit ist in glei- 
chem Grade getrübt. Die Winkel der Krystalle bleiben un- 
verändert; die Ecken und Kanten sind scharf und bestimmt, 
wie auch bei der Anwendung der vorhergehenden Säure, 
gezeichnet, die Konsistenz und Elastizität verhalten sich wie 
im normalen Zustand e. 

Bei der Weinsteinsäure, Oxalsäure, Gerbsäure 
ist die Vergrösserung der Krystalle unbedeutend; die Fär- 
bung geht bei allen mehr oder weniger ins Bräunliche; die 
übrigen Eigenschaften der Krystalle erleiden keine wahr- 
nehmbare Veränderung. — Bei der Anwendung der arseni- 
gen Säure war keine deutlich ausgesprochene Wirkung zu 
beobachten. Die Osmiumsäure giebt dem Krystall eine 
dunkle, ins Schwärzliche spielende Tinction. 

Kalilösung. Die einprozentige Kalilösung vergrössert 
die Krystalle um 0,2 des Durchmessers, die zehnprozentige 
um 0,3 des Durchm., die 50prozentige etwas weniger, als 


1) Die Einwirkung der rauchenden Salpetersäure durfte nur eine 
ganz kurze Zeit erfolgen, weil sonst der Krystall leicht zerstört wird. 


206 


die einprozentige (0,1 d.D.). Die Färbung geht bei, allen 
drei Lösungen ins Gelbbräunliche. Die Form und übrigen 
Eigenschaften der Krystalle zeigen sich nicht verändert. 

Lig. ammonii c. (52 und 20°). Bei Anwendung des 
Ammoniaks nimmt die Grösse der Krystalle etwa um 0,1 
des Durchmessers zu; die Färbung behält einen kleinen 
Stich ins Röthliche. ' Alles Uebrige, wie oben. 

Wasser. Die unmittelbar aus dem Weingeist entnom- 
menen Krystalle verhalten sich zum Wasser ganz indifferent. 
Werden die Krystalle bei gewöhnlicher Temperatur  getrock- 
net, wobei sie zugleich mehr oder weniger zusammenschrum- 
pfen, so quellen sie bei nachträglichem Zusatz von Wasser 
wieder auf, und erlangen die Beschaffenheit wie im norma- 
len Zustande, d. h. in demjenigen, welchen sie bei der Auf- 
bewahrung in Weingeist beibehalten hatten; nur‘ die, Fär- 
bung zeigt sich mehr schmutzig gelbbraun. 

Folgerung. Die Krystalle verbinden sich mit den an- 
geführten Säuren und Alkalien, sie verändern dabei mehr 
oder weniger ihre Färbung, sie verändern zugleich nach ganz 
konstanten Verhältnissen ihr Volumen, ‚sie zeigen sich. je- 
doch ganz unverändert hinsichtlich der Krystallform, . des- 
gleichen nicht wesentlich ‚verändert ia der Konsistenz, "der 
Elastizität und gemeinhin auch mit Rücksicht auf die Durch- 
sichligkeit und das homogene Ansehen; die konzentrirte.Sal- 
petersäure bewirkt die Umwandlung in Xanthoproteinsäure. 

3. Verhalten, der Krystalle gegen Salzlösungen. 

Die Krystalle wurden mit den verschiedensten: Salzlö- 
sungen 'in- Verbindung ‚gebracht, , mit, ‚salpetersaurem .Silber- 
oxyd, Eisenchlorid, Blutlaugensalz, chromsaurem Kali, Sal- 
miak, Chlorkalium, essigsaurer Thonerde, mit den Alkalien 
in ihrer Verbindung mit den oben genannten Säuren; ‚es hat 
sich gleichwohl, selbst nach einer 'einstündigen Einwirkung 
der Lösungen von den genannten Salzen, keine irgendwie 
auffallende Veränderung herausgestellt, obschon einige leicht 
zersetzbare Salzlösungen, ‚so unter anderen namentlich ‚die 


207 


essigsaure Thonerde sich darunter befanden. Es muss da- 
her vorläufig zweifelhaft bleiben, ob die Krystalle über- 
haupt eine Einwirkung auf Salzlösungen auszuüben im Stande 
sind. 

4. Verhalten der Krystalle in ihren Verbindungen mit 
Säuren oder Alkalien zum Wasser. 

Wird von einem Krystall in seiner Verbindung mit der 
Essigsäure, Schwefelsäure, Salzsäure, Phosphorsäure die 
überschüssige Säure entfernt und Wasser auf dem Objekt- 
träger reichlich hinzugeleitet, so kehrt der Krystall augen- 
blicklich auf das ursprüngliche Grössenverhältniss zurück. 
Der Krystall erleidet auch hierbei keine Veränderung; ‘die 
Konsistenz, die Elastizität, der Grad der Durchsichtigkeit 
verhält sich wie bei den in Weingeist aufbewahrten Kry- 
stallen. Auch die Farbe ist wieder roth geworden, doch 
unterscheidet sie sich von dem Blutroth der in Weingeist 
aulbewahrten Krystalle durch eine geringere oder stärkere 
Beimischung einer bräunlichen Färbung. Bei den mit Essig- 
säure verbunden gewesenen Krystallen ist jedoch der Unter- 
schied von der normalen Färbung so gering, dass ich län- 
gere Zeit hindurch sie gar nicht bemerkt hatte. Bringt man 
die auf ihr normales Grössenverhältniss zurückgeführten Kry- 
stalle von Neuem mit den respekliven Säuren in Verbindung, 
so verändern sie sich konstant so, wie wenn unmittelbar 
die Säuren angewendet wären. Wird nun wiederum Was- 
ser hinzugefügt, so erfolgt genau dieselbe Veränderung, die 
eben beschrieben wurde. Diese Experimente lassen sich in 
ganz beliebiger Zahl wiederholen, und man kann stets auf 
denselben Erfolg rechnen. War die Menge der zum Ver- 
suche angewendeten Krystalle bedeutender, so gelingt es 
leicht, sich davon zu überzeugen, dass zu dem hinzugeleite- 
ten Wasser jene Säure hinzugetreten war, die sich mit dem 
Krystall verbunden hatte. Dieser Umstand, so wie die 'ge- 
maue Reduktion des Krystalles auf seine normale Grösse, 
deuten darauf hin, dass die Säuren aus dem Krystall zum 


208 


Wasser übergegangen sind, und der Krystall, von dem ihm 
anhaftenden Pigment abgesehen, seine normale Beschaffen- 
heit wieder erlangt hat. 

Für die co eben gemachte Folgerung sprechen noch fol- 
gende Versuche. Es wurden zu den auf die normale Grösse 
durch das Wasser zurückgeführten Krystallen nicht die frü- 
her mit ihnen verbunden gewesenen, sondern irgend eine 
andere Säure oder auch eine Kalilösung oder Jodlösung hin- 
zugefügt und jedesmal zeigte sich, dass die Krystalle genau 
diejenige Grösse und diejenigen Farbenveränderungen anneh- 
men, welche bei unmittelbarer Anwendung dieser Substan- 
zen beobachtet werden. 

Die mit Jodlösung behandelten Krystalle werden durch 
Wasser nicht verändert. 

Die einprozentige Salpetersäure in ihrer Verbindung mit 
den Krystallen unterscheidet sich nicht in ihrem Verhalten 
zum Wasser von den eben besprochenen Säuren. 

Die rauchende und auch schon die 20prozentige Salpe- 
tersäure haben, wie erwähnt wurde, eine tiefer eingreifende 
Wirkung auf die Krystalle, deren Substanz durch sie in 
Xanthoproteinsäure verwandelt wird. Leitet man zu den 
durch sie veränderten Krystallen Wasser hinzu, so verklei- 
nern sich dieselben um 0,54 des Durchmessers. Die Ver- 
kleinerung beschränkt sich also nicht auf das normale Maass 
der Krystalle, sondern geht reichlich um 0,1 darüber hin- 
aus. Die Färbung spielt stark ins Gelbliche. Die Krystall- 
form bleibt aber auch hier vollkommen erhalten; desgleichen 
ist keine wesentliche Veränderung in der Konsistenz und in 
dem homogenen Ansehen zu bemerken. Setzt man von 
Neuem 20prozentige Salpetersäure hinzu, so tritt bei den 
Krystallen ‘wiederum dieselbe Beschaffenheit auf, wie wenn 
unmittelbar die. Säure angewendet worden wäre. Dabei 
zeigt sich jedoch, dass keine Entwickelung von Blasen stalt 
hat. Dieser Umstand, so wie die über das normale Maass 
hinausgehende Verkleinerung der Krystalle machen darauf 


209 


aufmerksam, dass das Verhalten des Wassers zu den mit 
den konzentrirteren Salpetersäuren behandelten Krystallen 
nicht ganz gleichgestellt werden kann seinem Verhalten zu 
den Krystallen, welche vorher mit den anderen Säuren 
(Schwefelsäure, Essigsäure ete.) in Verbindung getreten wa- 
ren. Man überzeugt sich leicht, dass das Wasser auch hier 
die Säure (Salpetersäure) dem Krystalle entführt; aber die 
normale Grösse kehrt nicht zurück und die erneuerte Ver- 
bindung mit dem Kryställ geschieht nicht unter gleichen Er- 
scheinungen. Das Verständniss dieses Verhaltens der Kıy- 
stalle ergiebt sich aus der durch die Salpetersäure erfolgten 
Umwandlung ihrer Substanz in Xanthoproteinsäure. Fügt 
man nämlich zu den von der Salpetersäure durch Wasser 
befreiten Kryslallen Alkalien hinzu, so färben sich die Kry- 
stalle deutlich orange und beweisen dadurch, dass sie ihre 
Beschaffenheit als Xanthoprolein beibehalten haben. Aber es 
folgt ferner daraus, dass die Krystallsubstanz bei der Be- 
haudlung mit konzentrirter Salpelersäure nicht allein die Na- 
tur von Xanihoproleinsäure angenommen habe, sondern 
zugleich auch mit einem Ueberschuss der Säure eine Verbin- 
dung eingegangen sei. Diese Säure ist es, welche durch 
Wasser ebenso enifernt werden kann, wie die übrigen Säu- 
ren, welche bei ihrer Verbindung mit der Krystallsubstana 
keine weitere Veränderung derselben bewirken. !) 

Die Wirkung des Wassers auf die mit Alkalien verbun- 
denen Krystalle ist eine ganz andere. — Bei den Krystallen, 
die mit denı einprocentigen Kali behandelt waren, bemerkte 
man gar keine wesentliche Veränderung. Diejenigen Kry- 
ställe dagegen, auf welche die zehnprocentige oder fünfzig- 
procentige Kalilösung eingewirkt halle, vergrösserten sich 


1) Auch die eiweisshaltigen Gewebe, die bekanntlich durch konzen- 
trirte Salpetersäure in Xanthoproteinsäure verwandelt werden, sind na- 
fürlich stets bei dieser Umwandlung eine Verbindung der Xanthoprot. 
mit der Salpetersäure. Erst durch Entwässerung lässt sich die reino 
Xanthoproteinsäure darstellen. 

Müllers Archiv, 1649. 14 


210 


ziemlich auffallend, und zwar im ersteren Falle um 0,2, im 
zweiten um 0,4 ihres Durchmessers. Im Verhältniss zur 
normalen Grösse beitrug demnach die Grössenzunahme bei 
beiden 0,5 des Durchmessers. Der Vergrösserung entspre- 
chend waren die Krystalle lichter geworden; sonstige Ver- 
änderungen waren nicht auffällig, Auf die Verbindungen 
mit Ammoniak hatte Wasser keine unmittelbare Einwirkung, 
Bei länger andauerndem Zustrom des Wassers verkleinern 
sich die Krystalle auf das normale Maass, wobei jedoch, wie 
gewöhnlich, die ursprüngliche Färbung etwas verändert er- 
scheint und ins Rothbraune hinüberspielt. Die übrigen Ei- 
genschaften der Krystalle verhielten sich wie vor der Ver- 
bindung mit dem Ammoniak. Man überzeugt sich auch hier 
leicht, wie oben bei den Säuren, dass das Ammoniak nun- 
mehr aus der Verbindung mit den Krystallen getreten. Die- 
ses Flüchligwerden des Ammoniaks zeigt sich auch ohne 
Beisein des Wassers beim Eintrocknen der Krystalle an der 
Luft und dürfte daher nicht auf die Einwirkung des Was- 
sers zu schieben sein. 

Aus den Versuchen ergiebt sich schliesslich: dass die 
Säuren (die Jodlösung ausgenommen) bei Anwendung des 
Wassers aus ihrer Verbindung mit den Krystallen treten, 
und letztere, von einer grösseren oder geringeren Abände- 
rung in der Färbung abgesehen, wesentlich mit derselben 
Beschaffenheit wie im ursprünglichen Zustande wiederherge- 
stellt werden; dass dagegen die zehn- und fünfzigprocentige 
Kalilösung das hinzutretende Wasser aufnelıme und dabei 
die Krystalle jedesmal bis auf ein bestimmtes Volumen (um 
0,5 des ursprünglichen Durchmessers) vergrössern und ent- 
sprechend lichter machen, ohne jeduch in den übrigen Ei- 
genschaften eine wesentliche Veränderung zu bewirken. Das 
Ammoniak scheidet ebeuso unter Wasser, wie an der Luft, 
aus seiner Verbindung mit den Krystallen aus und letztere 
zeigen sich daun, wie bei den Säuren, mit Ausnahme der 
Farbe, nicht wesentlich verändert. 


211 


5) Das Verhalten der Krystalle in der Verbindung mit 
einer Säure bei der Einwirkung einer anderen der genann- 
ten Säuren. — Die Salpetersäure vorläufg ausgenommen. 

Wird ein mit Essigsäure verbundener Krystall der Ein- 
wirkung der Gerbsäure, der Phosphorsäure, der Salzsäure; 
der Schwefelsäure, oder irgend einer stärkeren Säure, wie 
z. B. auch der Jodlösung, ausgeselzt, so nimmt er ganz con- 
stant diejenige Grösse und Färbung an, welche bei unmit- 
telbarer Anwendung der stärkeren Säure auf den Krystall 
zum Vorschein tritt. Diese Veränderung geschieht vor den 
Augen des Beobachters so, als wenn die slärkere Säure von 
Aussen her einseitig oder allseitig in die Substanz des Kry- 
stalls vordringe, wie es bei unmittelbarer Anwendung der 
Säuren und Alkalien der Fall ist. Hat man Jodlösung hin- 
zugeleilet, so wird der Krystall kleiner und färbt sich gleich« 
zeilig in der angegebenen Weise braun; war Schwefelsäure 
im Gebrauch, so wächst der Krystall ohne Weiteres, und 
gleichzeitig stellt sich ebenso die lichte gelb-röthliche 
Farbe ein. Die Gestalt, die Schärfe der Kauten, die Grösse 
der Winkel bleiben dieselben wie im normalen Zustande 
auch das homogene, pellucide Ansehen, die Elastieität und 
Weichheit der Krystalle lassen ebenso, wie bei direkter An- 
wendung der stärkern Säuren, keine irgendwie auffällige Ver- 
änderung gewalren. 

Das Verhalten der Krystalle in der Verbindung mit ir- 
gend einer andern Säure bei Anwendung einer stärkern 
Säure stimmt vollständig mit den Ergebnissen des oben be- 
schriebenen Versuches überein; die Krystalle nehmen kon- 
slant diejenige Beschaffenheit an, welche beim direkten Ge- 
brauch der stärkeren Säuren beobachtet wird. Leite man 
dagegen eine schwächere Säure hinzu, so erfolgt keine Ver- 
änderung. 

Folgerung: Die mit ‚Krystallen verbundenen Säuren 
lassen sich durch stärkere verdrängen, ohne dass die Kry- 
stalle selbst eine andere wesentliche Veränderung erleiden, 

14* 


212 


als die der unmittelbaren Einwirkung der stärkeren Säuren 
entspricht. 

6) Die Alkalien verhalten sich in der besprochenen Be- 
ziehung ganz eben eo wie die Säuren; das Ammoniak wird 
auf ähnliche Weise durch dieKalilösung aus der Verbindung 
mit den Krystallen vertrieben und andrerseits werden die 
mit Kali verbundenen Krystalle durch den Zusatz von Am- 
moniak nicht verändert, 

7) Das Verhalten der Krystalle in ihrer Verbindung 
mit Säuren oder Alkalien, wenn im ersten Falle ein Alkali, 
im zweilen eine Säure hinzugefügt wird. 

Bei der Anwendung eines Alkali auf die mit irgend ei- 
ner Säure (Salpelersäure ausgenommen) verbundenen Kry- 
stalle wird Folgendes beobachtet. Die Krystalle werden re- 
gelmässig plötzlich auf die normale Grösse reduecirt; die von 
der Säure abhängige Färbung schwindet gleichzeitig, ohse 
dass jedoch vollkommen die ursprüngliche, blutrothe Färburg 
wiederkehrt, da immer ein Slich in’s Bräunliche vorhanden 
ist; alle übrigen Eigenschaften zeigen keine irgendwie auf- 
fallende Abweichung vom normalen Zustande; — die Kıy- 
stalle erscheinen grade so wiederhergestellt, wie wenn die 
Säuren durch Wasser ihnen entzogen wären. Dieser Zu- 
stand ist jedoch nur ein augenblicklicher; denn die Krystalle 
verändern sich sogleich wieder und nehmen diejenige Be- 
schaffenheit an, welche auf die unmittelbare Einwirkung 
desjenigen Alkali erfolgt, das zum Versuch angewendet wurde. 
Die Veränderung bezieht sich jedoch auch hier nur auf Vo- 
lumen und Farbe, da die übrigen Eigenschaften sich nicht 
wesentlich vom normalen Zustande entfernen. Beim Ein- 
rocknen des Präparates erkennt man auf dem Objektträger 
häufig genug Kıystalle, welche einer Verbindung der in den 
Krystallen vorhandenen Säuren mit dem angewendeten Al- 
kali angehören, selbst wenn mit aller Vorsicht die überschüs- 
sige Säure von dem Objektträger entfernt worden war. 

Fügt man zu einem, mit einem Alkali verbundenen Kry- 


213 


stalle irgend eine Säure, so wiederholen sich genau diesel- 
ben Erscheinungen. Die Krystalle zeigen plötzlich die nor- 
male Grösse und übrigen Eigenschaften, mit Ausnahme der 
Farbe, die sich auch hier, wie bei Entfernung der Säuren, 
nicht vollkommen wiederherstellt und einen Stich ins Bräun- 
liche erhalten hat; unmittelbar darauf verändern sie sich 
grade so, wie wenn die angewendete Säure unmittelbar auf 
den Krystall eingewirkt hätte. 

Aus diesen Versuchen folgt, dass die Krystalle 
die mit ihnen verbundenen Säuren an Alkalien, und ihre Al- 
kalien an hinzugeleitete Säuren leicht abgeben, indem sie 
gleich darauf mit der etwa überschüssigen Säure oder dem 
Alkali neue Verbindungen eingehen. Die dabei statlfindenden 
Veränderungen beziehen sich auch hier nur auf Farbe und 
Volumen; die Gestalt der Krystalle bleibt vollkommen -die- 
selbe und die übrigen Eigenschaften haben wenigstens keine 
wahrnehmbare Veränderung erlitten. 

8) Wird zu den mit einer Säure oder einem Alkali ver- 
bundenen Krystallen eine selbst leicht zersetzbare Salzlösung 
hinzugeleitet, so wird im Allgemeinen keine Erscheinung 
deutlich bemerkbar, die auf eine gegenseilige Einwirkung 
schliessen lässt. Nur ein einziger Fall macht eine Ausnahme. 
Fügt man nämlich zu Krystalien, die durch zehnprocentige 
Kalilösung vergrössert sind, konzentrirle Glaubersalzlösung, 
so verkleinern dieselben sich plötzlich bis nahe auf die nor- 
male Grösse und zeigen eine ähnliche Färbung, wie bei der 
Verbinduug mit dem fünfzigprocenligen Kali. Es war unter 
diesen Umständen zu vermulhen, dass das Glaubersalz der 
Kaliverbindung des Kryslälles nur Wasser entzogen habe, 
und ein zweiter Versuch bestäligte dieses, Werden nämlich 
die so veränderten Krystalle mit Wasser behandelt, so ver- 
grössern sie sich alsbald um 0,5 des ursprünglichen Durch- 
messers, also grade so, wie wenn ein Krystall in seiner 
Verbindung mit zehn- oder fünfzigprocentigem Kali nachträg- 


21 


lich mit Wasser übergossen wird. Nur das Volumen und 
die Farbe verrathen die Veränderungen der Krystalle. 

9) Verhalten der Krystalle bei abwechselnder Behandlang 
mit den verschiedenen Säuren, mit Alkalien und Wasser. — 
Salpetersäure ausgenommen. 

Die bisherigen Versuche, welche einzeln bei verschie- 
denen Krystallen angestellt waren, lassen sich an einem 
einzigen Krystall in beliebiger Abwechselung durch mehrere 
Stunden hindurch in Anwendung bringen. Um Wirkungen 
zu erzielen hat man darauf zu achten, dass man nach einer 
Säure entweder eine stärkere Säure oder Wasser und Alka- 
lien, nach einem Alkali entweder ein stärkeres Alkali oder 
Wasser und Säuren dem zur Beobachtung vorliegenden Kry- 
stalle zuleitet, Des Beispiels wegen führe ich folgende Ver- 
suchsreihe an. Ein Krystall, durch einprocenliges Kali ver- 
ändert, wurde in einem Zeilraume von vier Stunden nach- 
einander mit folgenden Substanzen in Verbindung gebracht: 
Essigsäure, Wasser, Schwefelsäure, Kali 10pCt., Wasser, 
Jodlösung, Phosphorsäure, Wasser, Gerbsäure, Ammoniak 
10 pCt., Kali 50pCt., Wasser, Essigsäure, Wasser, Die 
Wirkungen der angewendeten Substanzen sind konstant ge- 
nau dieselben wie sie im Vorhergehenden bei unmittelbarer 
Behandlung verschiedener Krystalle mit diesen Stoffen be- 
schrieben wurden. Die Säuren werden durch Alkalien und 
Wasser den Krystallen entzogen und durch stärkere Säuren 
aus der Verbindung geirieben; die Alkalien treten zu den 
hinzugeleitelen Säuren. Das Kali vertreibt das Ammoniak 
und nimmt in der Lösung (10pCt. und 50 pCt.) bis zu einer 
bestimmten Grösse Wasser auf. Nach Entfernung der Säu- 
ren durch Alkalien oder umgekehrt geht der Krystall mit 
der im Ueberschuss zurückbleibenden Substanz eine neue 
Verbindung ein. Die Erscheinungen, aus welchen wir auf 
die Wirkungen der angewendeten Substanzen schliessen, be- 
ziehen sich auch hier nur auf das Grössenverhältniss und die 
Farbe. Es treten jedesmal diejenigen Veränderungen in der 


245 


Grösse und in der Färbung auf, welche bei direkter Anwen- 
dung der Substanz an den Krystallen beobachtet wurden, 
und sichern so den Schluss auf die erfolgte Wirkung. Nicht 
ohne ein gewisses Staunen wird man diese Veränderungen 
des Krystalles mit gleichzeitiger Beibehaltung der Form und 
der übrigen Eigenschaften unter dem Mikroskop gewrahren, 
namentlich in dem obigen Beispiel, wenn der durch die 
Schwefelsäure über die Hällie seines Durchmessers vergrös- 
serte Krystall beim Zusatz der Kalilösung plötzlich auf 
die normale Grösse zurückgeht, dann sogleich wieder an- 
schwillt und unter Hinzuleitung des Wassers nahezu die 
frühere Grösse erreicht; sodann bei Anwendung der Jodlö- 
sung sich wieder auf die normale Grösse verkleinert und 
eine dunkelbraune Farbe annimmt, u.s. w. Richtet man 
die Reihenfolge der angewendeten Substanzen so ein, dass 
eine Säure und Wasser oder auch Essigsäure allein, die sich 
leicht verflüchtet, den Schluss bilden, so sieht man aus allen 
Veränderungen schliesslich einen Krystall hervorgehen, wel- 
cher die ursprüngliche Gestalt besitzt, dieselben Winkel und 
Schärfe der Kanten zeigt, in Rücksicht des homogenen pel- 
lueiden Ansehens, der Elasticilät, der Weichheit nicht irgend- 
wie bemerkbar verändert erscheint, und allein in der Farbe 
durch die leichte Tinktion ins Bräunliche von der ursprüng- 
lichen Beschaffenheit des Krystalls sich unterscheidet. Da 
die Farbe aus den oben angeführten Gründen als ein acci- 
denteller Stoff des Krystalls angesehen werden darf, so lässt 
sich behaupten, dass der Kryslall, unerachlet derselbe mit 
den verschiedensten Stoffen sich verbunden und auch wieder 
von ihnen getrennt halte, schliesslich, so weit die Beobach- 
tung reicht, in seiner ursprünglichen, wesentlichen Beschaf- 
feuheit wiederhergestellt werden kann, 

Schluss: Die mit den verschiedenen Säuren, Alkalien 
und mit Wasser abwechselnd und durch mehre Stunden 
biodurch behandelten Krystalle zeigen dieselben Erscheinun- 
gen, wie wenn sie mit jenen Substanzen nach den frühe- 


216 


ren Versuchen einfach oder in einfacher Abwechselung un- 
mittelbar in Verbindung gebracht worden waren. Die kon- 
etanten Veränderungen beziehen sich auf das Volumen und 
die Färbung; die Form der Krystalle und auch die übrigen 
Eigenschaften bleiben unverändert. Dadurch, dass man in 
der Reihenfolge der angewendeten Substanzen eine Säure 
und nachträglich Wasser oder auch nur die sich leicht ver- 
flüchtigende Essigsäure an das Ende des Versuchs bringt, 
wird man in den Stand geselzt, den Krystall auch nach der 
Grösse wieder vollkommen so herzustellen, wie er ursprüng- 
lich war; nur die rothe Färbung behält einen Stich ins 
Bräunliche. 

10) Werden die Krystalle nach voraufgegangener Be- 
handlung mit Säuren, Alkalien und Wasser einfach oder 
mit den oben beschriebenen Abwechselungen auf dem Object- 
träger an der Luft durch ınehrere Stunden oder auch Tage 
hindurch geirocknet, und sodann von Neuem zu älınlichen 
Versuchen benutzt, so verhalten sie sich genau so, als ob 
man es mit Krystallen, die eben aus dem Weingeist genom+ 
men waren, zu ihun gehabt hätte. Beim Eintrocknen schrum- 
pfen die Krystalle mehr oder weniger zusammen; die Essig- 
säure und das Ammoniak verflüchtigen sich, die durch Kali- 
lösungen und nachträglichen Zusatz von Wasser vergrösserten 
Krystalle verlieren den Theil des Wassers, welcher ihnen 
auch durch concenirirte Glaubersalzlösung entzogen werden 
konnte. 

Das Eintrocknen der gebrauchten Krystalle und die Er- 
neuerung ähnlicher Versuche kann sogar mehrere Male hin- 
ter einander mit gleichem Erfolge wiederholt werden. Eine 
von mir unlernommene Versuchsreihe der Art an einem und 
demselben Krystall war folgende: Am ersten Tage kamen 
in Anwendung: Essigsäure 502, Wasser, Essigsäure 5042, 
Wasser, Kalilösung 502, Wasser, Kalilösung 50%, Essig- 
säure, Wasser —; am ?ten Tage: Kalilösung 10%, Wasser, 
Essigsäure, Wasser, Kalilösung 102, Wasser, Essigsäure, Jod- 


217 


lösung, Kalilösung 502, Wasser, Essigsäure —; am 3ten Tage: 
Wasser, Essigsäure, Wasser, Gerbsäure, Kalilösung 108, 
Wasser, Jodlösung —; am 4ten Tage: Kalilösung 102, Es- 
sigsäure, Salpetersäure 12, Ammoniaklösung 103, Essigsäure, 
Phosphorsäure 102, —; am öten Tage: Phosphorsäure 562, 
Wasser, Salzsäure 202, ‘Schwefelsäure 202, Wasser, Lig. 
Ammon. 52, Essigsäure —; am 6ten Tage: Essigsäure, Am- 
moniaklösung, Essigsäure, Kalilösung 102, Essigsäure, Salz- 
säure 10%, Wasser, Salzsäure, Kalilösung 502, Wasser —; 
am Tten Tage: Wasser, Salzsäure, Kalilösung 502, Essig- 
säure, Schwefelsäure, Wasser —; am $8ten Tage wie am 
siebenten. — In allen diesen Versuchen zeigte der Krystall 
konstant diejenigen Veränderungen, hinsichtlich der Grösse 
und Färbung, welche bei einmaliger Einwirkung der Sub- 
stanzen zum Vorschein treten. Auch die Form, Elastieität, 
Weichheit, erhielt sich bis zum letzten Augenblick. Das ho- 
mogene pellucide Ansehen, so wie die Schärfe der Kanten, 
hatten in den ersten sechs Tagen keine bemerkbare Verän- 
derung erlitten; am siebenten und namentlich am achten 
Tage erschien der Krystall etwas gelockert, die Kanten wa- 
ren nicht so bestimmt und scharf, das homogene, pellucide 
Ansehen war durch ein feines, granulirtes Wesen getrübt. 

Die so eben erwähnte Veränderung in der Beschaffen- 
heit des Krystalls ist in auderen Fällen nicht beobachtet 
wo:den, wenn man namentlich nicht so häufig die Kali- 
lösung (50%) und die Schwefelsäure anwendet, und gleich- 
zeitig vermieden wurde, nach voraufgegangener Behandlung 
der Krystalle mit diesen Stoffen das Eintrocknen eintreten 
zu lassen. Es scheint demuach, als ob grade durch die öf- 
tere Anwendung jener Stoffe in der bezeichneten Weise die 
Auflockerung und Zerstörung der Krystalle allmählig ange- 
bahnt werde. 

11) Verhalten der durch Salpetersäure veränderten Kry- 
ställe bei einfacher oder abwechselnder Behandlung mit Säu- 
ren, Alkalien, Wasser. 


218 


Aus den früher mitgelheilten Versuchen ging hervor, 
dass die Krystalle, wie jeder eiweissartige Körper, durch 
die rauchende, und auch schon durch die zwanzigprozentige 
Salpetersäure in die sogenannte Xanthoproteinsäure umge- 
wandelt werden. Bei dieser Verwandlung geht die im Ueber- 
schuss vorhandene Salpetersäure sogleich wieder mit der 
Xanthoproteinsäure eine Verbindung ein und kann aus der- 
selben, wie-bei allen unmiltelbaren Verbindungen der Kry- 
stalle mit Säuren, durch Wasser entfernt werden. Die nun- 
mehr als reine Xanthoproteinsäure auftretenden Krystalle 
zeigen sich reichlich um 0,1 des Durchmessers kleiner als 
die normalen Krystalle, ihre Farbe spielt ins Braune; alle 
übrigen Eigenschaften dagegen: die elastische, weiche Be- 
schaffenheit, das homogene, pellueide Ansehen, die Form 
nach Grössen der Winkel und die Schärfe der Kanten ha- 
ben keine Aenderung erlitten. 


Mit diesen als reine Xanthoproteinsäure auftretenden 
Krystallen habe ich dieselbe Reihe von Versuchen angestellt, 
wie mit den normal beschaffenen Krystallen. 


a) Wie schon erwähnt, verbinden sich die Krystalle 
mıt den Alkalien, nehmen dabei eine intensive orange Fär- 
bung an und vergrössern ihr Volumen nahezu um 0,1 des 
Durchmessers; die übrigen Eigenschaften bleiben im wesent- 
lichen unverändert. 


b) Mit Säuren in Verbindung gebracht, zeigen die Kry- 
stalle die erlittenen Veränderungen an dem Volumen und 
auch an der Farbe. Bei Anwendung der Essigsäure (502) 
vergrössern sie sich um 0,4 d. D., der Phosphorsäure (10% 
und 502) um 0,14 d. D., der Jodlösung nahezu um 0,2 d. D., 
der Salzsäure (202) um 0,2 d.. D. der Schwefelsäure reichlich 
um 0,6d.D., der Salpetersäure (202 und die rauchende) um 
0,4 d. D. Die Veränderungen in der Farbe entsprechen im 
Wesentlichen jenen, die bei unmittelbarer Anwendung der Säu- 
ren auf die normal beschaffenen Krystalle beobachtet werden, 


219 


mit dem einzigen Unterschiede, dass die Andeutungen einer 
bräunlich-gelben Tinktion etvwras markirter hervortreten. Im 
Uebrigen werden keine irgendwie auffällige Abänderungen in 
der Krystallgestalt, Elastieität, Weichheit ete. bemerkt, 


c) Wird zu den mit Kali verbundenen Krystallen Was- 
ser hinzugefügt, so findet eine sehr auffallende Volumen-Ver- 
grösserung statt, reichlich um 0,8 d.D. — Die Krystalle 
erscheinen fast ganz farblos mit einer sehr geringen Tinktion 
ins Hellgelbe; alles Uebrige bleibt unverändert. 


d) Den mit Säuren verbundenen Krystallen wird durch 
Zusatz von Wasser die Säure entzogen; sie zeigen sich als- 
bald vollkommen in dem Zustande, wie vor der Anwendung 
der Säuren. 

Die Erscheinungen, unter welchen die Krystalle in der 
Verbindung mit Kali das Wasser aufnehmen und in der Ver- 
bindung mit Säuren die letzteren abgeben, sind genau diesel- 
ben wie bei den gleichen Versuchen mit den normal beschaf- 
fenen Krystallen. 


e) Auch hier werden das schwächere Alkali durch das 
stärkere, die schwächeren Säuren durch die slärkeren aus 
der Verbindung mit den Krystallen getrieben und dabei die- 
selben Erscheinungen beobachtet wie bei den Krystallen, die 
nicht in Xanthoproteinsäure verwandelt sind, unter ähnlichen 
Verhältnissen. 


f) Werden die mit Alkalien verbundenen Krystalle mit 
Säuren und die mit Säuren verbundenen mit Alkalien behan- 
delt, so treten konstant unter denselben Erscheinungen, wie 
bei den normalen Krystallen, die Alkalien oder Säuren aus 
der Verbindung heraus, und die im Ueberschuss vorhandene 
hinzugefügte Säure oder Alkalien-Lösung verbindet sich mit 
den nur einen Augenblick restituirten Krystallen. 

9) Es lassen hich endlich auch diese Krystalle mit den 
verschiedenen Säuren, Alkalien und Wasser durch mehrere 
Stunden hindurch abwechselnd behandeln, und der einmal 


220 


gebrauchte Krystall nach ein- oder mehrtägigem Eintrocknen 
von Neuem zu Versuchen benutzen, ohne dass im Wesent- 
lichen ein Unterschied von dem Verhalten der normal be- 
schaffenen Krystalle bei ähnlichen Versuchen hervortritt. 
Wenn man nun zum Schluss der Versuchsreihen eine Säure 
anwvendet, und diese Säure durch Wasser entfernt, so kann 
man den Krystall nach allen seinen Eigenschaften wieder 
so herstellen, wie er beim Beginn der Versuche sich verhielt; 
— Nur in einem Punkle habe ich einen Unterschied von dem 
Verhalten der normalen Krystalle bemerkt. Lässt man die 
Kıystalle in ihrer Verbindung mit Kali eintrocknen, dann 
Wasser hinzutreten und nachträglich irgend eine Säure, so 
löset sich die Krystallmasse zu einer formlosen, zähen Sub- 
stanz auf, die beim Zusatz von Alkalien gleichwohl eine 
orange Färbung annimmt und demnach noch als zum Theil 
gelösele Xanthoproleinsäure anzusehen ist. 

Folgerung. Die Xanthoproteinkrystalle verändern sich 
bei einfacher oder abwechselnder Behandlung mit den ver- 
schiedenen Säuren, Alkalien und Wasser in derselben gesetz- 
lichen Weise, wie die ursprünglichen Albuminal-Krystalle; 
sie verbinden sich mit den verschiedenen Substanzen, sie 
trennen sich von ihnen und verraihen diese Veränderungen 
durch eine constante Zu- oder Abnahme in dem Volumen 
und auch zum Theil durch Färbung. Die übrigen Eigenschaf- 
ten dagegen bleiben im Wesentlichen unverändert; nament- 
lich erhält sich die Krystallform mit derselben Schärfe der 
Kanten und Grösse der Winkel, so zwar, dass die Krystalle 
selbst nach vielen Verbindungen und Trennungen gleichwohl 
in der ürsprünglichen Gestalt, Grösse, ja selbst in der Fär- 
bung des Xanthoproteins wiederhergestellt werden können. 

12) Unerachtet der Uebereinstimmung in dem gesetz- 
lichen Verhalten der Xanthoprotein- und ursprünglichen Al- 
buminal-Krystalle bei Einwirkung von Säuren, Alkalien und 
Wasser zeigen sich einige Unterschiede in dem Grade der 
Vergrösserung bei der Verbindung mit den obigen Substan- 


221 


een, desgleichen in einem Falle wenigstens auffallender in 
der Färbung, und endlich auch mit Rücksicht auf das Ver- 
halten bei Einwirkung verschieden starker Lösungen einer 
und derselben Substanz. 

Die reinen Xanthoproteinkrystalle sind an und für sich 
um 0,1d. D. kleiner als dieselben ursprünglichen Albuminal- 
krystalle.. Mit Rücksicht auf dieses Grössenverhältniss ist 
die Zunahme des Volumen bei den Xanthoproteinkrystallen 
stärker bei Essigsäure um 0,1 d. D., bei Jodlösung um 0,2 
d. D., bei Salzsäure nahezu um 0,1 d. D.; bei dem Kali 
und nachträglichen Zusatz von Wasser um 0,3 d. D. — 
Die Vergrösserung ist dagegen geringer bei der Kali- 
lösung 12 und 102 um 0,1 und 0,2d.D., bei der Phos- 
phorsäure (10% und 50%) um 0,1 d.D. — Bringt man 
die um 0,1 d. D. erfolgte Verkleinerung der Xantho- 
proteinkrystalle in Abrechnung, so zeigt sich die stärkere 
Vergrösserung nur bei der Jodlösung um 0,1 d D. und bei 
der Kalilösung mit Zusatz von Wasser um 0,2 des -Durch- 
messers der normalen Grösse des Krystalls. 

In Betreff der Färbung ist die so auflallende orange 
Farbe bei der Verbindung der Xanthoprotein-Krystalle be- 
sonders hervorzuheben. 

Endlich wäre noch der Umstand bemerklich zu machen, 
dass die Xanthoproteinkrystalle bei der Einwirkung der ver- 
schiedenen starken Kalilösungen, den zehn- und fünfzigpro- 
cenligen, keine Unterschiede in dem Grade der Vergrösse- 
rung, wie bei den ursprünglichen Albuminalkıyslallen zum 
Vorschein treten lassen. 

13) Verhalten der an der Luft getrockneten Krystalle 
bei Anwendung felter und ätherischer Oele. 

Früher wurde mitgelheilt, dass die nicht getrockneten 
Krystalle durch die Oele keine Aenderung erleiden. Wer- 
den dagegen die Krystalle mehrere Tage an der Luft gelrock- 
net und dann Terpentinöl hinzugeselzt, so vergrössern sie 
sich um 0,08 des Durchmessers und nehmen eine schmutzig 


222 


gelbbraune, ins Grünliche spielende Färbung an. Ganz ähn- 
lich ist das Verhalten der Krystalle im getrockneten Zustande 
bei Anwdung von Olivenöl, nur ist die Färbung deutlicher 
grünlich. Inzwischen ist die Veränderung im Volumen wie 
in der Färbung verhältnissmässig gering; bei der Farbe ist 
namentlich auch darauf Rücksicht zu nehmen, dass beim 
Eintrocknen jedes Mal die ursprüngliche Färbung etwas ver- 
ändert wird und mehr in das Schmutzig-gelbbraune hinüber- 
spielt. Gleichwohl habe ich mich in Belreff des Terpentin- 
öls sicher überzeugen können, dass eine Einwirkung auf die 
Alluminal-Krystalle wirklich stattgefunden. Wird nänlich 
ein mit Terpentinöl behandelter Krystall mehrere Wochen 
hindurch an der Luft getrocknet und dann mit Kali- 
lösung (509%) in Verbindung gebracht, so wird derselbe zie- 
gelroth gefärbt. Die Farbe stimmt sehr mit derjenigen überein, 
die das durch den Sauerstoff an der Luft in Harz verwan- 
delte Terpentinöl bei der Verbindung mit Kali annimmt, 
Dass diese Färbung nicht von einer, die Krystalle umhüllen- 
den dünnen Terpentinmasse herrührte, ergab sich daraus, 
dass die ziegelrothen Krystalle bei Zusatz von Wasser und 
Essigsäure sich vergrösserlen und lichler wurden. Bei der 
geringen Menge von Krystallen, die ich noch besitze, war es 
mir nicht möglich, noch weilere Untersuchungen anzustellen. 


Zweiter Abschnitt. 


In dem ersten Abschnitt vorliegender Abhandlung habe 
ich die Eigenschaften der Albuminal-Krystalle und ihr Ver- 
halten im normalen und getrocknelen Zustande nach der 
Einwirkung verschiedener chemischer Substanzen möglichst 
einfach als Ergebniss unmittelbarer, oft wiederholter Beob- 
achtungen darzustellen mich bemüht. Das geringe Malerial 
von Kıystallen, welches nur eine mikroskopische Behandlung 
zuliess und von dem der grösste Theil dem missglückten 
Versuche einer quantitativen, chemischen Elementar- Analyse 
bingeopfert wurde, ist behufs der Feststellung obiger That- 


223 


sache bis auf einen kleinen Rest verbraucht. Diesen Rest 
werde ich aufbewahren, um ilın vielleicht zu Versuchen zu 
benutzen, auf welche ich nach Veröffentlichung dieser Ab- 
bandlung sollte aufmerksam gemacht werden. Hier jedoch 
mag es mir erlaubt sein, meine Ansicht über ein paar rälhsel- 
hafte Erscheinungen an den Albuminal -Krystallen auf Grund- 
lage der mitgelheilten Beobachtungen und mit vergleichender 
Berücksichtigung ähnlicher Zustände näher auszusprechen. 

Es sind aber in dieser Beziehung besonders zwei Mo- 
mente sehr auffällig und bei einer Substanz in Kıystallform 
bisher unerhört: nämlich die erwähnte weiche, biegsame, 
elastische Beschaffenheit, und dann die Verbindungen der Kry- 
stalle mit verschiedenen Subslanzen, ihre Trennungen von 
derselben in einfacher und abwechselnder Weise unter kon- 
stanter gesetzlicher Veränderung des Volumen, zum Theil 
auch in der Farbe, bei gleichzeitiger Erhaltung der übrigen 
Eigenschaften und namentlich der Krystallform, so zwar, 
dass selbst nach vielfachen Verbindungen und Trennungen, 
von der immerlın accidentellen Färbung abgesehen, der Kry- 
stall selbst hinsichtlich des Volumen wieder vollkommen her- 
gestelll werden kann. 


I. 


Die weiche, biegsame, elastische Beschaffenheit der Al- 
buminat-Krystalle ist bei andern Krystallen noch nicht be- 
obachtet worden. So auffallend aber auch die genannten 
Eigenschaften unserer Krystalle sind, so weiss ich doch 
nicht, dass man dadurch bestimmt werden könnte anzuneh- 
men, sie seien überhaupt unvereinbar mit der Natur des 
Kıystalls zu denken. Ein gewisser Grad von Zusammen- 
drückbarkeit kommt jedem Krystall zu, und hier ist sie nur 
im stärkeren Grade vorhanden. Diese Eigenschaft setzt aber 
die Möglichkeit einer Veräuderung und Verschiebung der 
kleinsten Theilchen des Krystalls voraus, und mit ihr ist, 
wie mir scheint, auch die Möglichkeit zugegeben, dass an 


224 


Krystallen die Biegsamkeit und Elastieilät, wie in andern 
festen Zuständen der Materie, auftreten könne. Es theilt 
der Albuminal-Krystall die genannten Eigenschaften mit der 
festen organischen Materie, wie sie an organisirten Körpern 
angetroffen wird, denen wir den sogenannlen durch weich- 
ten Kohäsionszustand zuschreiben. Man hat diesen Zustand 
von einem gewissen Gehalte an Wasser abgeleitet, der sich 
schon beim Trocknen an der Luft enifernt und auch durch 
Druck (Chevreul) abgeschieden werden soll. Auch die 
Albuminal-Krystalle verlieren an der Luft Wasser, so dass 
ihr Volumen sich etwa um 0,1 des Duchmessers verkleinert. 
Die bezeichneten Eigenschaften waren nicht ganz aufgehoben, 
aber bedeutend dem Grade nach verringert. Beim Druck, 
selbst wenn die Krystalle in die Form eines Plättchens zu- 
sammengedrückt werden, habe ich keine Verkleinerung des 
Volumen der Krystalle beobachtet. Aus diesem Grunde, 
und weil im stärksten Alkohol keine Einschrumpfung der 
Krystalle bemerkbar wird, kann der Wassergehalt nur che- 
misch gebunden im Krystall vorhanden sein. Nach der Ab- 
nahme des Volumen der Albuminal-Krystalle beim Eintrock- 
nen zu urlheilen, ist der Wassergehalt viel geringer, als in 
den Geweben, Sehnen, Muskeln etc. Der Vergleich ist übri- 
gens auch nicht ganz zulässig, da man es in dem einen Falle 
ınit einer homogenen, festen, organischen Substanz, in den 
andern mit festen und flüssigen Theilen von Höhlungen und 
Lücken durchzogen bei ähnlichen Versuchen zu thun gehabt 
hat. Daher ist auch aus den Ergebnissen der Versuche über 
den Wassergehalt der sogenannten festen organisirten Be- 
standtheile der Organismen kein Schluss auf den Wasser- 
gehalt der eigentlich homogenen festen organischen Substan- 
zen in ihnen erlaubt. 

Mit den eben besprochenen Eigenschaften des Krystalls 
scheint im engen Zusammenhange der Umstand zu stehen, 
dass er keine Neigung zeigt, sich zu spalten und in Splitter 
beim Druck zu zerfallen. Selbst im eingetrockneten Zustande 


225 


ist es mir niemals gelungen, durch Druck mit einem star- 
ken Glasplättchen Spaltungen zu bewirken. Ich glaube hier- 
aus nicht schliessen zu dürfen, dass die Krystalle in Wirk- 
lichkeit in gewissen Richtungen nicht leichter spaltbar seien ; 
ich halte vielmehr dafür, dass die Kleinheit der Krystalle 
und ihre weiche, elastische Beschaffenheit es nicht gestatten, 
mit den gewöhnlichen Mitteln uns über die Spaltbarkeit zu 
unterrichten. Es fehlt übrigens nicht ganz an Erscheinun- 
gen, die mit dem Vorhandensein der Spaltbarkeit in Ver- 
bindung zu bringen sind. 

Häufig sieht man nämlich auf’ den Flächen der Krystalle 
eine parallele Streifung, und dieses weiset auf ein Wachs- 
thum durch Juxtaposition hin.: Mit diesem Wachsthum 
wäre aber eine leichtere Spaltbarkeit in der Richtung der 
aufeinander geschichtelen Theilchen nothwendig verbunden. 


I. 


Grössere Schwierigkeiten bietet die Erörterung des zwei- 
ten Punktes dar, des eigenthümlichen Verhaltens der Albu- 
minat-Krystalle bei Verbindung mit Säuren, Alkalien u. s. w, 
und den Trennungen von diesen Stoffen. Die dabei statt- 
findenden Erscheinungen sind an den uns bekannten Kry- 
stallen anorganischer und organischer Substanzen gleichfalls 
noch nicht beobachtet worden und dürften auf den ersten 
Anblick als ganz räthselhaft hingestellt werden. Dagegen 
ist selir wohl bekannt, dass die festen Albuminate in den 
organisirten Bestandtheilen des Körpers vollkommen gleiche 
Erscheinungen darbieten, worauf ich später noch zurück- 
kommen werde. Die physiologischen Chemiker haben kei- 
nen Anstand genommen, die Verbindungen der festen Albu- 
minate in den organisirten Bestandtheilen mit Alkalien, Säu- 
ren etc, für chemische Verbindungen zu halten, und auch in 
Betrefl unserer Krystalle sind gleiche Urtheile gefällt.  An- 
drerseits hat man ähnliche Verbindungen bei endosmotischen 


Prozessen, selbst bei der homogenen Zellenmembran, unter 
Müllers Archiv, 1849. 15 


226 


den Ausdrücken „‚Infiltration, Imbibition, Absorption“ für 
die Wirkungen einer Kapillarattraktion und einfachen Ad- 
häsion oder für ein Verbindungsverhältniss erklärt, das sich 
in den einfachen Auflösungen, wie z. B. von einem Salz in 
Wasser (Schwann, Schleiden, H.Meckel) wiederfindet. 
Der Umstand, dass wir es hier mit einem wirklichen Kry- 
stall zu thun haben, und die Genauigkeit, mit der die Er- 
scheinungen bei den Verbindungen desselben mit anderen 
Substanzen und den Trennungen von ihnen studirt werden 
konnten, fordern dazu auf, von jenen beliebten Erklärungs- 
versuchen abzusehen und den Krystall vielmehr in dem be- 
zeichneten Verhalten von Neuem darauf zu prüfen, ob man 
es mit den Wirkungen einer einfachen Kapillarattraktion, 
oder einer einfachen Auflösung oder einer chemischen Attrak- 
tion zu thun babe. Wir wollen dabei den rein empirischen 
Standpunkt annehmen; wir abstrahiren von den Versuchen, 
jene drei Prozesse als Wirkungen einer und derselben phy- 
sikalischen oder chemischen Anziehung zu betrachten; em- 
pirische Unterschiede in dem Entstehen und Bestehen dieser 
Prozesse liegen unzweifelhaft vor, an diese wollen wir uns 
halten, um die Uebereinstimmung des Krystalles in seinem 
Verhalten mit ihnen zu untersuchen. Um die Erörterung 
der Frage sa, viel wie möglich zu vereinfachen, erscheint es 
passend, vorläufig auf das Verhalten der Albuminat-Krystalle 
bei der Umwandlung in Xanthoprotein durch die Salpeter- 
säure keine Rücksicht zu nehmen und nur die übrigen über- 
einstimmenden Erscheinungen ‚der Albuminat- und Xantho- 
protein-Krystalle bei den Verbindungen mit Säuren, Alka- 
lien ete. 'zu beachten. 

a) Nehmen wir also zunächst an, die Verbindungen der 
Krystalle mit den verschiedenen flüssigen Substanzen und 
die Trennungen von ihnen seien Effekte einer einfachen Ka- 
pillar - Attraktion; die Krystalle verhalten sich dabei, wie in 
Flüssigkeit getauchte Schwämme. 


227 


Diese Vorstellung setzt die Anwesenheit von Poren 
oder Kanälchen in den Krystallen voraus, die, obschon bei 
den stärksten Vergrösserungen nicht sichtbar, dennoch die 
Natur von Kapillarröhren besitzen; die Kanälchen müssen 
ferner ganz gleichmässig in der Substanz verbreitet sein, da- 
bei die Volum-Veränderungen, die Winkel durchaus unver- 
änderlich bleiben. Bei dieser Ansicht erscheint es im ersten 
Augenblick so leicht verständlich, dass die Krystalle bei der 
Aufnahme verschiedener Stoffe selbst in verschiedener Weise 
das Volumen verändern und dabei die Krystallform bewah- 
ren. Geht man aber genauer auf das Verhalten der Kry- 
stalle ein, so bleibt Vieles unerklärtt. Anderes steht mit 
dieser Ansicht geradezu im ‘Widerspruch. Die nothwendig 
werdende Annahme von Kanälchen, die den Krystall durch- 
setzen, ist bei der eben so noihwendigen Homogenität des 
Krystalls um so bedenklicher, als gleichzeitig auch das Vor- 
handensein einer die Lücken ausfüllenden, von der Krystall- 
substanz ganz heterogenen Masse statuirt werden muss. 
Diese Füllungsmasse kann nicht Luft oder überhaupt ein 
gasförmiger Körper sein, da die Krystalle in den verschie- 
denen Flüssigkeiten zu Boden sinken, und niemals bei den 
Verbindungen eine Blasen-Entwickelung statt hat. Sie kann 
auch nicht Wasser sein, was aus den früheren Mittheilun- 
gen ‘hervorgeht, Der Umstand ferner, dass die Krystalle, 
auch 'wena sie bis auf eine Lamelle zusammengedrückt wer- 
den, keiue Verkleinerung in Volumen wahrnehmen lassen, 
dürfte es überhaupt zweifelhaft machen, ob eine flüssige 
Füllungsmasse in den Lücken angenommen werden kann. 
Da nun aber eine feste Füllungsmasse die Kapillarröhren 
vernichten würde, so bleibt, um das weitere Verhalten der 
Kryställe mit Rücksicht auf diese Vorstellung zu ‚studiren, 
nichts Anderes übrig, als eine unbekannte flüssige ‚Füllungs- 
masse aus der Umgebung im Uterus anzunehmen, ‚die we- 
gen des gleichen Verhaltens der Krystalle im getrockneten 
Zustande nicht flüchtiger Nalur sein dürfte. Diese Füllungs- 

15% 


228 


masse wird zu jenen, mit den Krystallen sich verbindenden 
Substanzen entweder gar keine Affinität haben, oder sich 
mit ihnen einfach mischen, oder endlich wirklich chemisch 
verbinden können. Prüfen wir nunmehr, wie hiermit das 
Verhalten der Krystalle in Uebereinstimmung sich befindet. 

Ist gar keine Affinität zwischen der Füllungsmasse und 
den in den Krystall eintretenden Substanzen vorhanden, so 
ist der Fall am einfachsten. In Folge der stärkeren Anzie- 
hung zu den Wandungen der kapillaren Räume vertreiben 
die Säuren, Alkalien etc. die Füllungsmasse aus dem Kry- 
stalle und nehmen deren Platz ein. Es musste sich nun die 
vertriebene Masse auf dem Objektträger bemerklich machen, 
was in der That nicht geschieht. Indessen lassen wir auch 
diese Bedenken fallen. Es liegt dann zu Tage, dass die Vo- 
lumen - Vergrösserungen mit Erhaltung der Krystallform bei 
den einmaligen Verbindungen der Krystalle mit den ver- 
schiedenen Substanzen erklärt werden könnten. Auffallend 
ist es aber schon, dass die Krystalle bei der Aufnahme von 
Jodlösung keine Volum-Vergrösserung erleiden, da zu- 
folge der stärkeren Kapillar-Attraktion eine solche Vergrös- 
serung bei der Nachgiebigkeit der Wandungen erwartet wer- 
den muss. Unerklärt bleiben ferner die auffälligen Verände- 
rungen in der Färbung: das Auftreten der Orange- Farbe 
bei der Verbindung der Xanthoprotein-Krystalle mit Alka- 
lien; die intensiv gelbbraune Färbung der Jod-Krystalle, da 
Jodlösung auf dem Objektträger fast farblos erscheint; die 
röthliche Tinktion der Krystalle bei der Aufnahme von 
Schwefelsäure, u. s. w. Die grössten Schwierigkeiten und 
Widersprüche finden sich jedoch ein, sobald man mit dieser 
Ansicht die Erscheinung in Verbindung bringt, welche bei 
nachträglicher Behandlung der nunmehr veränderten Kry- 
stalle mit anderen Säuren, Alkalien, Wasser in einfacher 
oder abwechselnder Weise beobachtet werden. Hat ein 
Krystall eine Säure aufgenommen, so kann eine andere Säure | 
mit stärkerer Kapillar-Attraktion dieselbe aus ihrer Stellung 


229 


vertreiben, und es wird nothwendig eine Vergrösserung des 
Volumen eintreten. Wir sehen dagegen das Jod die Essig- 
säure vertreiben, — und das Volumen des Krystalls ver- 
kleinert sich sogar sehr bedeutend. Wird zu einem Kry- 
stall in Verbindung mit Säuren Wasser hinzugefügt, so wird 
sich das letztere mit der Säure im Krystall vermischen; das 
Volumen des Krystalles wird sich vergrössern. Wir beob- 
achten dagegen, dass das \Vasser die Säure herauszieht, dass 
der Krystall sich verkleinert. Diese Verkleinerung geht so- 
gar bis zur Reduktion des Krystalles auf die normale Grösse, 
obschon die Füllungsmasse in den kapillaren Räumen nicht 
mehr vorhanden, und das angewendete Wasser oder Luft 
keinen Zutritt zu dem Krystall erhalten hat. Setzt man 
Alkalien hinzu, so werden in den kapillaren Räumen die 
entstandenen Salzkrystalle sich eben so, wie ausserhalb des 
Albuminat-Krystalls beim Eintrocknen absetzen; die Albu- 
minat-Krystalle werden undurchsichtig werden, das homo- 
gene Ansehen verlieren und das Volumen wenigstens sich 
nicht verändern. Die Krystalle bleiben aber durchsichtig 
und homogen; in Folge der Einwirkung des Alkali wird ihm 
zuerst die Säure vollständig entzogen; der Krystall verklei- 
nert sich auf die normale Grösse und geht dann eine neue 
Verbindung mit dem Alkali im Ueberschuss sv ein, als ob 
er direkt mit demselben zusammengebracht wäre. Hätte der 
Albuminat - Krystall ursprünglich die Lösung eines Alkali 
aufgenommen, so bietet das Verhalten zu dem nachträglich 
hinzugefügten Wasser weniger Schwierigkeiten dar; im Ue- 
brigen aber stellen sich ähnliche Verhältnisse ein, wie die 
so eben besprochenen. 

Im zweiten Falle gehen die zu dem Krystalle hinzuge- 
leiteten Stoffe mit der flüssigen Füllungsmasse der kapillaren 
Räume eine einfache Mischung ein, Die kapillare Attraktion 
der Wandungen der Krystallsubstanz zu der neuen Füllungs- 
masse und den hinzugeleiteten Stoffen kann hierbei zunächst 
ausser Acht gelassen werden; man hätte es eben nur mit 


230 


einer gefüllten Blase zu thun, deren Flüssigkeit frei nach 
Aussen mit dem umgebenden flüssigen Saft kommunieiren 
und nach den Gesetzen der Diffusion sich‘ mischen kann, 
Die Erscheinungen, die unter solchen Umständen an dem 
Krystall zum Vorschein treten müssten, wenn man ihn an- 
haltend mit einer Säure, oder einer Alkalilösung, oder ab- 
wechselnd mit verschiedenen Säuren, Alkalien, Wasser meh- 
rere Male hintereinander behandeln würde, lassen sich nicht 
in Verbindung bringen mit der bei einem jedem Stoffe ver- 
schiedenen und konstanten Vergrösserung oder Verkleine- 
rung des Volumens der Krystalle, mit der Möglichkeit der 
Restitution derselben, mit dem Verbleiben: des homogenen, 
pellueiden Ansehens, mit den schon oben erwähnten Far- 
ben-Veränderungen. Es würde zu langweilig werden, wollte 
man hier auf das Einzelne noch genauer eingehen. — Lässt 
man dıe kapillare Attraktion der Wandungen des Röhren- 
systems im Krystall auf den Gang der Erscheinungen der 
einfachen Mischung der sich begegnenden Flüssigkeiten von 
Einfluss sein, so kann dieses, wenn die Wirkungen der Mi- 
schung nicht gänzlich gehemmt werden sollen, nur auf die 
Weise zu Stande kommen, dass die zu der Füllungsmasse 
des Krystalles hinzutretenden Stoffe entweder eine schwä- 
chere oder eine stärkere Attraktion zu den Wandungen be- 
sitzen, als die ursprüngliche oder veränderte Füllungsmasse 
selbst. Dann concurriren in den Effekten die Bewegungs- 
momente der kapillaren Attraktion mit jenen, die Diffusion 
und Mischung veranlassen; sie können gegeneinander oder 
miteinander wirken und auf diese Weise in den Verände- 
rungen des Volumen der Krystalle sich geltend machen. 
Gleichwohl würden sich die Krystalle auch hier bei Anwen- 
dung der verschiedenen Substanzen allmählig und gleich- 
mässig vergrössern, so weit es die Nachgiebigkeit der Wan- 
dungen des Krystalles gestattet, und eben so verkleinern, 
was im Widerspruche steht mit der plötzlichen und so kon- 
stant verschiedenen Veränderung des Volumen der Krystalle 


231 


bei Anwendung der verschiedenen Stoffe. Auch die übrigen 
eben bezeichneten Schwierigkeiten bleiben dieselben. 

In dem dritten Falle geht die Füllungsmasse des ange- 
nommenen kapillaren Höhlensystems in den Krystallen che- 
mische Verbindungen mit den verschiedenen Stoffen ein. 
Bei der einmaligen Anwendung dieser Stoffe würden: sich 
die konstanten Volumen- und Farbenveränderungen gut er- 
klären lassen; man wird es auch begreiflich finden, dass die 
Form und übrigen Eigenschaften der Krystalle sich erhalten. 
Das Verhalten der Krystalle jedoch bei abwechselnder, ein- 
maäliger und mehrmaliger Behandlung mit Säuren und Alka- 
lien steht mit dieser Annahme im auffallendsten Widerspruch. 
Denn die Versuche lehrten, dass der Albuminat-Krystall 
eben so mit Säuren, wie mit Alkalien sich verbindet, dass 
ferner jede Verbindung mit einer Säure durch ein Alkali, 
und die Verbindungen mit Alkalien durch jede beliebige Säure 
wieder aufgehoben und der Krystall dabei restituirt wird. 
Denkt man sich diese Wirkungen nicht durch den Krystall 
als homogenes Ganzes, sondern von einer in ein Höhlen- 
system desselben eingeschlossenen heterogenen Substanz voll- 
bracht, so sind die einmal aufgenommenen Säuren oder Al- 
kalien nieht mehr wieder gänzlich herauszubringen; da das 
einzige Mittel, was. dazu verhelfen könnte, nämlich eine stär- 
kere oder geringere kapillare Attraktion zu den Wandungen, 
in Betreff der Säuren und Alkalien, durch die Versuche selbst 
beseitigt ist. Wird daher ein Krystall abwechselnd mit 
Essigsäure oder Schwefelsäure und der Kalilösung (50% 
mehre Stunden hindurch behandelt, so dürfte niemals eine 
Restitution eintreten; die nothwendig sich bildenden Salz- 
krystalle werden in den Höhlen des Albuminat-Krystalls 
beim Eintrocknen deponirt werden, so weit als möglich 
eine allmählige Vergrösserung des Volumens in letzterer be- 
wirken und ihre homogene, pellucide, weiche, elastische Be- 
schaffenheit vernichten. Dies sind die notwendigen und 


232 


mit dem wirklichen Verhalten der Krystalle im vollen Wi- 
derspruch stehenden Konsequenzen dieser Ansicht. 

Die eben geführten Erörterungen beweisen, dass die 
Annahme eines kapillaren Höhlensystems in den Krystallen 
mit den dabei etwa nothwendig werdenden Konsequenzen 
das gesetzliche Verhalten der Krystalle bei den Verbindun- 
gen und Trennungen nicht allein nicht erklärt, sondern so- 
gar grösstentheils auf Widersprüche stösst und eigentlich 
nur die Erhaltung der Form verständlich macht. 

b) Versuchen wir demnach die Prüfung der Ansicht, 
dass das bezeichnete Verhalten der Krystalle mit dem ge- 
setzlichen Verhalten einfacher Auflösungen übereinstimme. 

Es wurde bereits erwähnt, dass mehrere Forscher die 
Aufnahme von Stoffen durch die Zellenmembranen mit der 
einfachen Auflösung von Salz in Wasser verglichen haben. 
Auch bei den Processen, die unter den Namen der „‚Imbi- 
bition, Absorbtion, Infiltration thierischer Häute durch Flüs- 
sigkeiten‘‘ aufgefasst werden, desgleichen selbst bei der En- 
dosmose und Exosmose dürfte sich diese Vorstellung behufs 
der Deutung der Erscheinungen zum Theil wenigstens gel- 
tend machen können. Auf diesem Standpunkte leugnet man 
in den Albuminat-Krystallen die Anwesenheit von Poren, 
die die Natur der kapillaren Röhrchen hätten. Die Substanz 
des Krystalls wird homogen gedacht, aber durchdringlich 
für verschiedene Stoffe, wie bei einer wirklichen chemischen 
Mischung; auch nach der Aufnahme von fremden Stoffen 
bleiben die Krysialle homogen, wie bei einer chemischen 
Verbindung. Es wird demnach bei der Prüfung dieser An- 
sicht besonders zu untersuchen sein, ob bei den Verbindun- 
gen der Krystalle mit den verschiedenen Stoffen und den 
Trennungen von ihnen jene gesetzlichen Erscheinungen sich 
markiren, wodurch die einfachen Auflösungen von den che- 
mischen Verbindungen empirisch unterschieden werden kön- 
nen. Es hat inzwischen die Deutung der Verbindungszu- 
stände des Krystalles mit den Säuren, Basen etc. als ein- 


233 


fache Auflösungszustände etwas: Befremdendes darin, dass 
der Krystall seinen festen Kohäsionszustand beibebält. Man 
kann indess davon absehen, weil doch bei’ einem ähnlichen 
Prozesse, wie z. B. bei der Absorption der Gase durch 
tropfbare Flüssigkeiten, gleichfalls keine Aenderung in dem 
Kohäsionszustand der tropfbaren Flüssigkeit eintritt, weil 
ferner selbst bei wirklichen chemischen Verbindungen zwi- 
schen flüssigen und festen Körpern der Zustand des letzte- 
ren sich erhalten kann, und weil endlich in den einfachen 
Auflösungen sich Gesetzlichkeiten zu erkennen 'geben, bei 
welchen die verschiedenen Kohäsionszustände ganz ausser 
Acht gelassen werden könuen. 

Zu Gunsten dieser: Ansicht sprechen die Homogenität 
der Krystalle, desgleichen die homogene Beschaffenheit der- 
selben nach den Verbindungen mit den verschiedenen Stof- 
fen, endlich noch vielleicht die Erhaltung der Form unter 
denselben Verhältnissen, sofern die obigen Begründungen 
annehmbar befunden werden. Dagegen bleibt unerklärt die 
Farbenveränderung, so weit sie unabhängig von den Farben 
der sich verbindenden Körper und der Volumvergrösserung 
der Krystalle auftritt. Bei einer jeden einfachen Auflösung 
ist ferner der Sättigungszustand veränderlich nach dem Grade 
der Temperatur, und die Quantitätsverhältnisse, in welchen 
sich die Körper bis zur Sättigung verbinden, ganz unbe- 
stimmt. Bei den Krystallen ist es erlaubt, von der genau 
bestimmbaren Veränderung des Volumens der Krystalle auf 
das Verhalten der Mischungsquantitäten und auf den Sätti- 
gungszustand zu schliessen. Hier hat sich nun zunächst ge- 
zeigt, dass die Volumenzunahme oder Abnahme im Sonmer 
bei 18—20° R und im Winter bei 10—14° R. konstant 
dieselbe bleibt. Die Veränderungen des Volumens der Kry- 
stalle geschehen auch plötzlich, und, wenn sie einmal er- 
folgt sind, so erleiden sie keine Abänderung, selbst wenn 
eine halbe Stunde hindurch dieselbe Substanz dem Krystall 
vorüberfliesst. 


234 


Ferner verhalten sich nachweislich die einfachen Auf- 
lösungen bei Aufnahme eines dritten Körpers durchaus an- 
ders, als unsere Krystalle in ihren Verbindungen bei Hinzu- 
leitung eines neuen, wenn man so sagen soll, löslichen Stof- 
fes. Die einfachen Auflösungen nehmen, wofern nicht eine 
chemische Zersetzüng herbeigeführt wird, noch andere lös- 
liche Stoffe auf und lassen höchstens eine Portion des ge- 
lösten Körpers, wie es die Temperatur oder der Sättigungs- 
grad erfordert, entweichen. Wird nun die Verbindung der 
Krystalle etwa mit den Säuren einfacher Auflösungen gleich- 
gestellt, so folgt, dass, wenn zu solchen Krystallen neue 
Säuren hinzugefügt werden, die Aufnahme derselben etwa 
unter Entweichung einer Portion der bereits gelösten Säure 
stattfinden muss. Unsere Versuche hingegen zeigen, dass 
die schwächeren Säuren gar keinen Eingang erhalten, und 
dass die stärkeren Säuren die gelösten schwächeren gänz- 
lich vertreiben. Dasselbe wurde auch in Betreff der Alka- 
lien beobachtet. In diesen Fällen lässt man den Krystall 
die Rolle des Auflösungsmittels übernehmen. Wird zu dem 
Krystall in Verbindung mit einer Säure oder einem Alkali 
Wasser hinzugeleitet, so kann die schon aufgenommene 
Säure oder das Alkali als Auflösungsmittel gelten. Hier 
sehen wir allerdings, dass der Krystall in Verbindung mit 
Kali Wasser aufnimmt, in Verbindung mit der Säure dage- 
gen, nach Entweichung der Säure zum Wasser, auch wenn 
dasselbe reichlich zufloss, vollkommen restituirt wird. — 
Also auch die Ansicht, dass die Verbindungen der Krystalle 
mit den verschiedenen Stoffen der einfachen Auflösungen 
gleichzustellen seien, bietet manche Schwierigkeiten und Wi- 
dersprüche dar. 

c) Es bleibt nunmehr noch übrig, das eigenthümliche 
Verhalten der Krystalle mit Rücksicht auf wirklich chemi- 
sche Aktionen zu prüfen. 

Die chemischen Verbindungen offenbaren nicht durch- 
weg ein und dasselbe gesetzliche Verhalten. Die anorgani- ö 


235 


schen Verbindungen unterscheiden sich unerachtet mehrfacher 
Uebereinstimmungen von den organischen hinsichtlich der 
Zusammensetzung und Anordnung der konstituirenden Ele- 
mente und der dadurch bedingten Eigenschaften; sie unter- 
scheiden sich auch in Betreff der sekundären Verbindungen 
nach Komposition und nach dem qualitativen Verhalten der 
chemischen sekundären Produkte zu den sie konstituirenden 
Faktoren. Die anorganischen Verbindungen lassen sich end- 
lich willkürlich aus den Elementen zusammensetzen, die ei- 
gentlichen organischen Stoffe (Albumin ete.) nicht. Die 
Trennung der chemischen Verbindungen in zwei Lager er- 
scheint dadurch gerechtfertigt, wenn es auch an Ueberläu- 
fern nicht fehlen mag. Dem entsprechend unterscheiden die 
Chemiker, den einen oder den anderen Unterschied festhal- 
tend: die Chemie der einfachen Radikale (anorganische Ch.) 
und die Chemie der zusammengesetzten Radikale (organische 
€h.), — ferner die dualistische Theorie und die Theorie der 
chemischen Typen mit der Substitution (Dumas). Obgleich 
nun der Krystall ein organischer Stoff ist, so halte ich‘ es 
doch für zweekmässig, die Prüfung seines Verhaltens so- 
wohl mit Rücksicht auf die Natur der anorganischen, als 
der organischen Verbindungen zu unternehmen. 

Bei allen chemischen Verbindungen, den organischen, 
wie den anorganischen, ist es ein charakteristisches und 
nothwendiges Gesetz, dass die Vereinigung der chemischen 
Faktoren nach mathematisch bestimmbaren, konstanten, von 
der Temperatur ganz unabhängigen Gewichtsverhältnissen 
geschehe. Hierin stimmen die Verbindungen des Krystalles 
mit anderen Stoffen vollkommen mit der Natur chemischer 
Verbindungen überein, denn die dabei stattfindenden kon- 
stanten Volum- Veränderungen machen den Schluss noth- 
wendig, dass diese Verbindungen auch nur nach bestimmten 
und konstanten Gewichtsverhältnissen erfolgen. Eine jede 
chemische Verbindung trägt ferner den Charakter der Ho- 
mogenität der Substanz an sich, Sowohl die optischen Er- 


236 


scheinungen, als auch der Umstand, dass die von dem Kry- 
stall aufgenommenen Stoffe durch mechanischen Druck nicht 
entfernt werden können, nöthigen uns, auch dieses Postulat 
chemischer Verbindungen dem Verhalten des Krystalls zu- 
zugestehen. Endlich wird uns auch in der gesetzlichen Weise 
des Verhaltens der Krystallverbindungen bei abwechselnder 
Behandlung mit Säuren, Alkalien, Wasser das vollkommene 
Bild: chemischer Zersetzungen und erneueter binärer Verbin- 
dungen vor Augen geführt, und die unter Umständen erfolgte Re- 
stitulion der Krystall-Substanz leicht verständlich gemacht. 
Die erwähnten Uebereinstimmungen in dem gesetzlichen Ver- 
halten der Krystall-Verbindungen und Trennungen mit der 
charakteristischen Natur einer jeden wirklich chemischen 
Aktion ist so gewichtvoll, dass die Chemiker von Fach, die 
davon Kenntniss genommen, an der chemischen Natur der- 
selben nicht zweifeln zu dürfen glaubten. 

Dessen unerachtet findet sich gegen diese Ansicht ein 
wohl gerechtfertigtes Bedenken vor; wir beobachten näm- 
lich, dass der Krystall bei den Verbindungen und Trennun- 
gen seine wesentlichsten Eigenschaften und namentlich die 
Krystallform, so weit die optischen Mittel darüber zu’ ent- 
scheiden vermögen, vollkommen bewahrt. Da in Beirefl 
dieses Punktes die anorganischen und organischen Stoffe 
sich nicht ganz gleich verhalten, so erscheint es nothwen- 
dig, die weiteren Erörterungen gesondert zu führen. 

Bei den chemischen Verbindungen anorganischer Kör- 
per ist es Regel, dass die wesentlichsten Eigenschaften der 
chemischen Faktoren in dem Produkt zu Grunde gehen. 
Das chemische Produkt ist ein neuer, homogener Körper, 
dessen wesentlichste Eigenschaften von denen der einzel- 
nen chemischen Faktoren durchaus verschieden sind. Wird 
ferner eine binäre Verbindung anorganischer Körper zerlegt, 
so. wird die Homogenetät und der wesentliche Charakter 
derselben vernichtet, und die chemischen Factoren treten, 
wiederum mit den ihnen eigenthümlichen Eigenschaften auf 


237 


Es verhalten sich die chemischen Faktoren in den anorgani- 
schen Verbinduugen zu dem chemischen Produkt, ‘wie zwei 
gleichwerthig auf einen Effekt hinzielende Ursachen; der 
Effekt ist die mittlere Resultante, die weder dem einen, noch 
dem andern Faktor entspricht, sondern etwas Neues, von 
beiden wesentlich Verschiedenes, darstellt. Die Vernichtung 
der wesentlichsten Eigenschaften der chemischen Faktoren 
in dem chemischen Produkt, und das Aufhören der wesent- 
lichsten Qualitäten des letzteren nach erfolgter Zerlegung in 
die Faktoren scheint biernach eine nothwendige Forderung 
bei dem Zustandekommen anorganischer chemischer Verbin- 
dungen und Trennungen. Dieses ist, wie mir scheint, ein 
hauptsächlicher Unterschied, der in der dualistischen Theo- 
rie anorganischer Verbindungen gegenüber den in der orga- 
nischen Chemie gebräuchlichen Theorie der Typen mit der 
Substitution enthalten ist. 

Unser Krystall nun verbindet sich mit verschiedenen 
Stoffen, er trennt sich von ihnen; aber die Veränderungen 
beziehen sich, von dem Volumen abgesehen, hauptsächlich 
auf die Färbungen, und auch diese sind nur bei Jod, Sal- 
petersäure in Anschlag zu bringen. Dagegen sehen wir den 
Krystall bei den verschiedensten Verbindungen und Tiren- 
nungen eine mit dem Wesen der Materie und seiner che- 
mischen Konstitution so innig verbundene Eigenschaft, die 
Krystallform, konstant wohl erhalten, so zwar, dass die 
homogene, pellucide Beschaffenheit, die Schärfe der Kan- 
ten, die Grösse der Winkel vollkommen unverändert bleibt. 
Diese Erscheinung ist bei anorganischen Verbindungen un- 
erhört; sie widerspricht gänzlich der Ansicht, dass die che- 
mischen Prozesse, welche wir von dem Krystall kennen 
gelernt haben, dualistischer Natur seien, Es giebt zwar 
Beispiele genug, aus denen hervorgeht, dass bei chemischen 
Verbindungen eines anorganischen festen und flüssigen Kör- 
pers das Produkt unauflöslich ist und fest bleibt, und 
wenn in einem solchen Fälle der eine chemische Faktor 


238 


Krystallform hat, so kann das Produkt diese Gestalt in 
allgemeinen Umrissen beibehalten (Afterkrystalle). Aber 
die homogene, pellueide Eigenschaft des Krystalls wird ‚ge- 
trübt, die Kanten verlieren an Schärfe. Das Alles muss in 
dem Grade sich steigern und eine Vernichtung des Krystalls 
herbeiführen, als solche Verbindungen vielfach auf einander 
folgen und von Trennungen und chemischen Zerlegungen be- 
gleitet sind, Man ‚muss zugestehen, dass die Ansicht von 
chemischen Verbindungen und Trennungen im oben bezeich- 
neten dualistischen Sinne bei den Krystallen nicht durchzu- 
führen ist. 

Die zusammengesetzten Radikale der organischen Kör- 
per verhalten sich mit Rücksicht auf den fraglichen Punkt 
bei chemischen Verbindungen und Trennungen anders. Das 
Amylumkörperchen verbindet sich chemisch mit Jod; aber 
seine Form, seine homogene pellueide Beschaffenheit, über- 
haupt seine wesentlichsten Eigenschaften sind nicht gestört; 
wir sagen, das Amylumkörperchen ist aber nun blau gefärbt 
und gestehen dadurch zu, dass hier zwar eine chemische 
Verbindung 'stattgehabt, dass aber in dem Produkt der 
eine Faktor, das zusammengesetzte  Radikal seine ‚we- 
sentlichste Natur ‚nicht 'eingebüssst, ‚vielmehr den zweiten 
Faktor in seine eigene Komposition ohne wesentliche Stö- 
rung chemisch aufgenommen habe. ‚Ganz in derselben Weise 
befindet sich das Bindegewebe mit der Gerbsäure, die stick- 
stoffhaltigen Zellenmembranen mit Jod unter brauner ‚Fär- 
bung, die Zellen des Horns mit Kali, die durch ‚Einwirkung 
von Salpetersäure in Xanthoprotein verwandelten eiweiss- 
arligen Formbestandtheile mit. Kali unter Annahme ‚einer 
schönen Orange-Färbung und dergl. Dr. Paulsen hat auf 
meine Veranlassung und mit Rücksicht auf die ‚chemi- 
schen Untersuchungen von Donders und Mulder ver- 
schiedene eiweissartige Gewebe, Muskelfasern, Bindegewebe, 
elastisches ‘Gewebe, und: die ‚Gebilde ‚der Tunica media der 
Gefässe mit den verschiedenen Säuren, Alkalien, ‘Wasser, 


239 


einfach und abwechselnd in ganz ähnlicher Weise behandelt, 
wie dieses von mir in Betreff des Albuminat-Krystalls ge- 
schehen ist. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen, die dem 
Naturforscher in der Diss. inaug. ‚‚observationes microche- 
micae circa nonnullas animalium telas’’ zur Berücksichtigung 
empfohlen sein mögen, stimmen so vollkommen mit dem 
überein, was sich bei den Albuminat-Krystallen berausge- 
stellt, dass sie als ein treuer Abdruck desselben angesehen 
werden können.. Ueberall zeigt sich, dass die organisirten 
Albuminate mit den genannten Stoffen sich verbinden, sich 
von ihnen trennen in derselben chemisch gesetzlichen Weise 
wie die Albuminat-Krystalle, und dass dabei die wesentliche 
Natur des Albuminats, namentlich auch die Form, wofern 
nicht starke Kalilösungen und starke mineralische Säuren zu 
lange einwirken, erhalten bleibt. Es kann nicht bezweifelt 
werden, dass das chemische Verhalten der Albuminatkrystalle 
und das der festen organischen Stoffe in der bezeichneten 
Beziehung ein und dasselbe ist. 

Man könnte nun zwar vor weiteren Erörterungen noch 
in Frage stellen, ob man überhaupt berechtigt sei, obigen Ver- 
bindungen organischer Substanzen die chemische Natur .zu- 
zuschreiben, obschon es gewöhnlich geschieht. Wenn man 
ganz streng an der dualistischen Form chemischer Verbin- 
dungen festhalten will, so dürfte man diese Berechtigung 
von.der Hand weisen. Aber man muss gleichwohl zugestehen, 
dass es Verbindungen zwischen organischen Substanzen und 
anderen Körper giebt, die in den wichtigsten Punkten mit 
den chemischen Verbindungen anorganischer Körper überein- 
stimmen und nur in einem einzigen davon abweichen, und 
dass der Vergleich mit der uns sonst bekannten Verbindungs- 
weise zweier Körper (Kapillar-Attraktion, einfache Mischung) 
auf zu frappante Widersprüche führt. Demmach muss man 
es den Chemikern gestatten, die Verbindungen ‘oben erwähn- 
ter Art unter den Chemismus zu stellen, wenn man nur 
den Unterschied von den chemischen Processen in der an- 


240 


organischen Natur festhält, und, wie es auch geschieht, die 
Chemie der einfachen und zusammengesetzten Radikale un- 
terscheidet. Für den Chemismus der zusammengesetzten Ra- 
dikale, deren chemische Natur uns nur nach dem quantita- 
tiven Inhalte der chemischen Elemente, nicht nach ihrer An- 
ordnung bekannt ist, wird dann ferner zugestanden, dass 
hier chemische Verbindungen mit andern Körpern und auch 
Trennungen von ihnen vor sich gehen können, ohne dass 
die wesentliche Natur der zusammengesetzten Radikale mit 
Rücksicht auf die Anordnung der sie constituirenden Ele- 
mente gestört wird. 

Dieses scheint mir auch in der Theorie der Typen mit 
der Substitution enthalten zu sein. Man betrachtet die zu- 
sammengesetzten Radikale als Komplexe chemischer Atome, 
von welchen ein jedes gegen ein anderes chemisches Atom 
oder gegen eine chemische Verbindung sich austauschen kann, 
ohne dass dabei die (immerhin unbekannte) Anordnung und 
damit der wesentliche chemische Charakter des ganzen Kom- 
plexes eine Aenderung erleidet. Wir lassen hier also zwei 
Faktoren zu einem chemischen Produkt zusammenwirken, 
die nicht gleichwerthig in dem Effekt sich verhalten; der 
eine Faktor tritt in die Kategorie wesentlicher, der andere 
in die Kategorie aceidentell wirkender Ursachen. Nach die- 
ser Ansicht fügt sich gleichsam ‘der eine Faktor, der acci- 
dentelle bei der chemischen Verbindung, in die Anordnung 
und Kombination der chemischen Elemente des zweiten we- 
sentlichen chemischen Faktors oder zusammengesetzten Ra- 
dikals; das chemische Produkt wird die wesentlichsten Ei- 
genschaften des letzteren Faktors namentlich auch die von 
der Aenderung der Elemente abhängige Form, Krystall- 
gestalt und Homogeneität bewahren und nur die durch die 
accidentellen Wirkungen des zweiten chemischen Faktors 
bedingten Abänderungen an Volumen, Farbe u. s. w. zeigen. 
Dässelbe wird ferner auch bei chemischen Zerlegungen sol- 
cher binärer Verbindungen stattfinden. 


241 


Von diesem Standpuncte aus, d. h. nach der Theorie 
der chemischen Typen in der bezeichneten Auffassung, scheint 
mir das Verhalten der Krystalle bei ihren Verbindungen 
und Trennungen gedeutet werden zu müssen. Man darf 
hier nicht entgegnen, dass bei der Theorie der Typen mit 
der Substitution ein Austausch von chemischen Stoflen 
gegeben sei, die doch bei den einfachen Verbindungen der 
Krystalle mit Säuren oder Alkalien nicht statifinde. Denn 
in der Theorie ist unzweifelhaft, wenn auch stillsch weigend, 
ein Prineip für den Chemismus geltend gemacht, das, wie 
oben gezeigt wurde, von der Auswechselung von Stoflen 
ganz abseheu kann. Die Verhältnisse, unter denen der be- 
regte Chemismus bei den Krystallverbindungen auftritt, sind 
nur einfacher; sie verhalten sich zu den Fällen, wo derselbe 
von einem Auslausch von Stoflen begleitet wird. wie in der 
dualislischen Theorie einfache Verbindungen zu solchen, bei 
welchen gleichzeitig in Folge von Wahlverwandtschaft die 
Ausscheidung von Stoflen statt findet, Hier, wie dort, wird da- 
durch im Wesen des chemischen Processes nichts geändert; man 
wird nur Veranlassung haben, die chemische Natur des zer- 
legten Stolles genauer kennen zu lernen. Es fehlt übrigens 
auch bei den Albuminat-Krystallen nicht an einem Beispiel 
einer Verbindung, die von einem Austritt von Elementen 
aus ilım begleitet ist, und. die mit dem besprochenen ‚Ver- 
halten der Krystalle bei einfachen, Verbindungen mit Säuren 
oder Alkalien wesentlich übereinstimmt; — ich meine die 
Verwandlung der Albuminat-Krystalle in Xanthoprolein, 
worauf wir jelzt näher eingehen wollen. 

Bei der Verwandlung der Albuminat-Krystalle in Xau- 
thoprotein beobachtet man eine lebhafte Entwicklung von 
Blasen, die von den Krystallen 'entsteigen und eine. lebhafte 
Bewegung derselben veranlassen; glelchzeitig bemerkt man 
die Entwicklung von salpelriger Säure, Nach Mulder (Erd- 
mann’s und Marchäud's Jourval für praktische Chemie, 1839, 
Bd.1. pag. 297 qq.) bildet sieh bei der Einwirkung. der Sal- 

Müllers Arcbir, 1849. 6 


242 


petersäure auf sein sogenanntes Protein: Xanthoproteinsäure, 
Ammoniak, Aepfelsäure oder Oxalsäure und es entwickelt 
eich bei der Digestion des Faserstoffs oder Eiweisses Stick- 
stoff. Für unsere Frage ist jedoch besonders wichtig, das 
Ergebniss der elementaren Analyse des Proleins und Xantho- 
proteins mit einander zu vergleichen. Nach Mulder ist die 
Formel für die Quantitäls-Verhältnisse der elementaren Stoffe 
fürydas Proteine Ct He ORT 
für das Xanthoprotein C,,— 304; Hae-ı2o Nz;6 
O,,_ 112: Werden die Gewichtsverhältnisse auf C = 100 
berechnet, so erhält man: 
für Protein C—100; für Xanthoprotein C—100; 


lid mes haigdrrlls er H— 12,74: 
erab aa, ERIT I - ie N 27,45; 
ur Sieg 1s0fand = zu 0 —54,90. 


Aus der Vergleichung ergiebt sich, dass bei der Ver- 
wandlung des Albumin in Xanthoprotein Stickstoff, etwas 
Wasserstoff und auch Kohlenstoff ausgeschieden, dagegen 
Sauerstoff aufgenommen wird. Bei den Albuminat-Krystal- 
len war ferner deutlich nachweisbar, dass bei ihrem Ueber- 
gange in Xanthoprotein eine konstante Volum-Abnahme statt- 
findet und die accidentelle rothe Färbung gelb-bräunlich wird. 
Dessen ungeachtet erhalten die Krystalle vollkommen und 
mit derselben Schärfe und Grösse der Winkel ihre Form, 
sie bleiben auch homogen und pellueid und zeigen sich hin- 
sichtlich der Elasticität und Weichheit nicht wesentlich oder 
irgendwie auffällig verändert. Die Verbindungen der Xan- 
thoprotein-Krystalle mit Säuren, Alkalien, Wasser und die 
Trennungen von diesen Stoflen geschehen in derselben ge- 
setzlichen und so charakteristischen Weise, wie die Albu- 
minat-Krystalle unter den gleichen Verhältnissen. 

Mit Berücksichtigung dieser Thatsachen und der Aus 
einandersetzung die oben gegeben wurde, erscheint es über 
flüssig, nachweisen zu wollen, dass die Verwandlung der | 
Albuminat-Krystalle in Xanthoproteinsäure nicht für einen 


243 


Effect der Kapillaratiraktion oder der einfachen Auflösung 
gelten kann. Niemand zweifelt, dass hier ein chemischer 
Akt stattgefunden; Sauerstofl ist vom Albumin aufgenommen, 
Stickstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff sind von ihnen ausgetre- 
ten; der ganze Stoffwechsel geschieht, wie auch die von 
der Temperatur unabhängige, konstante Volum - Veränderung 
nachweist, nach bestimmten und konstanten Gewichtsverhält- 
nissen; und das chemische Produkt ist homogen und pellu- 
eid. Dennoch zeigt das chemische Product, das Xanthopro- 
tein, eine grosse Uebereinstimmung in mehreren der wesent- 
lichen Eigenschaften und in dem Verhalten bei weiteren Ver- 
bindungen und Trennungen mit dem Albuminat und nament- 
lich bleibt die Krystallform des letzteren in dem chemischen 
Produkt vollkommen erhalten. Ganz dasselbe Verhalten wird 
bei der Umwandlung der festen, eiweissarligen Substanz or- 
ganisirter Formbestandlheile in Xanthoprotein beobachtet. 
Hiernach schliessen wir, dass das Eiweiss bei der chemi- 
schen Umwandlung in Xanthoprotein in der wesentlichen 
Anordnung seiner chemischen Elemente, von. welcher auch 
die Krystallform nolhwendig abhängt, nicht gestört wird. 
Hat man also, und zwar nothweudigerweise, in dem vorlie- 
geuden Prozess den Ausdruck eines chemischen Aktes aner- 
kannt, so muss man auch fernerhin zugestehen, dass in die- 
sem chemischen Process wesentliche und accidentelle che- 
mische Faktoren coneurriren, und dass das chemische Pro- 
dukt sich nur als eine durch den aceidentellen chemischen 
Faktor bewirkte Umänderung des seiner wesentlichen Natur 
nach unverändert bleibenden Hauptfaktors darstellt; d. h.,, 
der Chemismus erfolgt auch hier nicht im Sinne der duali- 
stischen Theorie, soudern nach der chemischen Theorie der 
Typen mit der Substitution. 

Obgleich hiernach die Umänderung des Albumin in Xan- 
thoprotein im Wesen des Ohemismus mit den Verbindungen 
des Eiweisses mit Alkalien, Säuren u. #. w. übereinstimmt, 
»o unterscheidet sie sich gleichwohl dadurch, dass die Auf- 

16 * 


244 


nahme des Sauerstoffs in die Anordnung der chemischen Ele- 
mente im Albumin, mit einer gleiehzeitigen Ausscheidung von 
Stickstoff, Kohlenstoll, Wasserstolf verbunden ist, und somit 
der ganze Chemismus selbst in Einzelnheiten, so im Sinne 
der Theorie der chemischen Typen mit wirklicher Substitu- 
tion erfolgt, wievihn die französischen Chemiker aufgefasst 
haben. Dieser Unterschied macht sich im chemischen Pro- 
dukte, im Xanthoprotein, auch dadurch bemerkbar, dass die 
Wiederherstellung des Albumin bis jetzt wenigstens nicht 
gelingen wollte, und die Verbindungen des Xanthoproleins 
mit Alkalien, Säuren u. s. w. Abweichungen hinsichtlich 
der konstanten Farben- und Volum-Veränderungen von dem 
Verhalten des Albumin in gleichen Fällen darbieten. 

Darf man daher im gewissen Sinne die Verbindung des 
Albuminats mit Säuren, Alkalien, mit den einfachen binä- 
ren Verbindungen der dualistischen Theorie vergleichen, so 
gestaltet die Umänderung des Albumin in Xanthoprotein ei- 
nen Vergleich mit demjenigen chemischen Prozess anorgani- 
scher Stoffe, bei welchen die chemischen Faktoren Zersetzun- 
gen erleiden. Dessenunerachtet verbleibt der wichtige Un- 
terschied im besprochenen chemischen Verhalten der Albu- 
minat-Krystalle, gegenüber den chemischen Processen im 
Sinne der dualistischen Theorie, dass dort in den chemischen 
Produkten stets die Form und die wesentlichsten Eigenschaf- 
ten des einen chemischen Faktors (des zusammengeselzten 
Radikals) sich erhalten, während sie hier bei beiden chemi- 
schen Faktoren zu Grunde gehen; dass wir es auf der einen 
Seite mit wesentlichen und aceidentellen, auf der andern 
mit gleichwerthigen chemischen Faktoren, die auf das che- 
mische Produkt hinwirken, zu thun haben. Es fragt sich 
daher, wie dieser Unterschied auszugleichen, wie eine Er- 
klärung dafür zu finden sein möchte. Nach meiner Ueber- 
zeugung lässt sich diese Erklärung in der Annahme fin- 
den, dass in der chemischen Konstitution des Albuminats _ 
und der sich ähnlich verhaltenden zusammengesetzlen Ra- 


245 


dikale Hauptbestandtheile und subordinirte, entfernte Bestand- 
theile enthalten seien, welche zusammen zu einem homoge- 
nen Ganzen vereinigt sind. Die subordinirten Bestandtheile 
sind es dann, welche den Chemismus mit aceidentellen und 
wesentlichen. chemischen Faktoren vermitteln; sie werden 
sich verbinden mit Stoffen, sie werden sich von ihnen tren- 
nen, sie können selbst bei den Verbindungen Stoffe abschei- 
den, Alles dieses wird selbst im Sinne der dualistischen 
Theorie geschehen können. Dadurch aber, dass diese che- 


mischen Veränderungen die Hauptbestandtheile nicht direkt 
angreifen, kann die durch dieselbe zunächst bedingte, wesent- 
liche Constitution des Albuminats sich erhalten, und seine 
wesentlichen Eigenschaften und die Form unverändert blei- 
ben. Auf diesem Standpunkte wird also die Komposition 
des Albumin (zusammengesetzten Radikals) aus den Elemen- 
tarstoffen als systemalisch in einer Einheit angesehen. Die- 
ses System kann chemischen Wirkungen unterliegen, wobei 
auch die Hauptglieder betheiligt und die ganze Komposition 
zerstört wird unter dem Auftreten neuer chemischer Pro- 
dukte, wie z. B beim Glühen des Eiweisses. Wenn dage- 
gen die chemische Action sich nur auf die untergeordneten 
und entfernten Bestandtheile erstreckt, so wird die chemische 
Wirkung für das ganze System auch nur als eine acciden- 
telle auftreten können, die die wesentlichen Eigenschaften 
und die etwa vorhandene Form desselben nicht weiter tur- 
bir. Da nun der Chemismus im Sinne der dualistischen 
Theorie in allen wesentlichen Punkten mit der Theorie. der 
chemischen Typen mit oder auch ohne Substitution über- 
einslinmt, der einzige Unterschied aber, nämlich die Erhal- 
tung der wesentlichsten Eigenschaften des einen chemischen 
Faktors in dem chemischen Produkt, in der Betheiligung 
untergeordneter Bestanutheile eines systematisch zusammen- 
gesetzten chemischen Stofles seine Erklärung findet, so 
würde die Nothwendigkeit, beide Theorien hinsichtlich des 
eigentlichen chemischen Processes zu. unterscheiden, aufhö- 


246 


ren; — man kaun auf diesem Standpunkt die Verbindungen der 
entfernten Bestandtheile des systematisch zusammengesetzten 
chemischen Stoffes mit andern Stoffen, die Trennungen von 
ihnen, desgleichen ihre Zersetzungen bei Verbindungen durch- 
aus im Sinne der dualistischen Theorie vor sich gehen lassen, 
was sicherlich sehr zu Gunsten der Ansicht spricht, dass 
das Albumin und noch manche andere zusammengesetzte 
Radikale systematisch zusammengesetzte chemische Stoffe 
darstellen. 

Den Chemikern von Fach mag es überlassen bleiben, 
die so eben vorgetragene Ansicht in ihrer Uebereinstimmung 
mit den Erfahrungen weiter zu prüfen. Das Faktum aber, 
dass es einen Chemismus giebt, bei welchem in dem che- 
mischen Produkt die wesentlichen Eigenschaften und die 
Form des einen chemischen Faktors (zusammengesetzten Ra- 
dikals) sich erhalten, dieses Faktum wird durch das Ver- 
halten des Albuminat-Krystalles bei der Umwandlung in 
Xanthoprolein ausser allen Zweifel gesetzt, und dieser Um- 
stand wird dazu beitragen, den anderweitig schon begrün- 
deten chemischen Charakter der einfachen Verbindungen der 
Albuminat-Krystalle mit Säuren, Alkalien u. s. w. vollkom- 
men anzuerkennen. 


* * 
4 


Wir schliessen diese Betrachtungen, indem wir nach 
genauer Prüfung zunächst zu dem Ausspruch uns genöthigt 
sehen, dass die an dem Albuminat-Krystall sich darbieten- 
den Eigenschaften und das Verhalten bei Verbindungen mit 
anderen Körpern und den Trennungen von ihnen den Er- 
fahrungen der Physik und Chemie, namentlich in Betreff der 
eigentlichen organischen Substanzen, nicht allein nicht wi- 
derstreiten, sondern mit ihnen vollkommen übereinstimmen. 
Neu ist eben nur die Krystallform des Albuminats, und das 
Auftreten der physikalischen und chemischen Erscheinungen 
mit ihrem gesetzlichen Verhalten an einem Krystall, Dass 


' 247 


aber die Natur eines Krystalles, so weit sie uns bekannt, 
dem Auftreten jener Erscheinungen kein Hinderniss in den 
Weg legt, lehrte die Untersuchung, Die Entdeckung des 
Albuminat-Krystalls und das Studium seines Verhaltens hat 
zugleich den Kreis unserer Erfahrungen erweitert, und die 
daraus sich ergebenden wichtigsten Resultate mögen schliess- 
lich kurz mitgetheilt werden. 

1) Durch die Albuminat-Krystalle ist der Nachweis ge- 
liefert, dass auch die eigentlichen organischen Materien kry- 
stallisationsfähig sind. 

2) Die Krystalle der organischen Materie im engeren 
Sinne, wenigstens die des Albumin und Xanthoprotein, ha- 
ben, wie die festen Zustände der organischen Materie in 
den organisirten Bestandtheilen, eine fast weiche, elastische 
Beschaffenheit; sie zeigen den sogenannten „durchweichten” 
Kohäsionszustand. Dieser Kohäsionszustand geht nicht ganz 
verloren, wenn die Krystalle durch mehrere Tage an der 
Luft getrocknet werden, er erhält sich unverändert bei län- 
geren Aufbewahren der Krystalle in starkem Alkohol. Der 
durchweichte Kohäsionszustand ist nicht abhängig von einer 
mechanischen Durchdrivgung der Substanz durch Wasser, 
er wird höchstwahrscheinlich zunächst und wesentlich durch 
die Art und Weise der Lagerung der die Substanz consti- 
iuirenden Molekule bewirkt, kann aber durch chemische Ver- 
bindungen, nach dem Eintrocknen der Krystalle, mit Wasser, 
Säuren, Alkalien etc. dem Grade nach gesteigert werden. 

3) Die Albuminatkrystalle verhalten sich auch chemisch 
völlig so, wie die festen organischen Substanzen in den or- 
ganisirten Bestandtheilen, namentlich in den eiweissartigen 
Formbestandtheilen. 

4) In dieser Hinsicht ist von ganz besonderem Interesse 
das Verhalten der Albuminat-Krystalle bei einfacher oder 
ahwechselnder Behandlung mit Säuren, Alkalien, Wasser, 
und bei der Umwandlung in Xanthoprotein. Die Krystalle 
verbinden sich mit diesen Stoffen, sie trennen sich wiederum 


248 


von ihnen, sie scheiden sogar, bei der Verwandlung ihrer 
Substanz in Xanthoprotein, Stickstoff, Kohlenstoff,” Wasser- 
stof' aus unter Aufnahme von Sauerstoff, und gleichwohl se- 
hen wir in dem chemischen Produkt die wesentlichsten Ei- 
genschaften des Albuminat-Krystalls und namentlich voll- 
kommen die Krystallgestalt mit der ursprünglichen pelluci- 
den, homogenen Beschaffenheit sich erhalten und nur an 
den constanten Volum- und Farben- Veräuderungen dessel- 
ben den Erfolg des chemischen Prozesses markirt. Es er- 
gab sich, dass dieser Chemismus im Sinne der Theorie der 
chemischen Typen mit und ohne Substitution vor sich gehe. 
5) Die Theorie der chemischen Typen mit oder auch 
ohne Substitution hat ferner in dem chemischen Verhalten 
der Albuminat - Krystalle eine nicht mehr abzuweisende 
Begründung erhalten. Wird nämlich behauptet, dass ein 
zusammengesetztes Radikal selbst unter Abscheidung eigner 
ihn konslituirender Elemente mit anderen Stoffen sich che- 
misch verbinden könne, ohne die wesentliche Konstitution 
und Anordnung seiner chemischen Bestandtheile zu stören, 
so war mit der Erhaltung seiner wesentlichsten Eigenschaf- 
ten auch das Verbleiben der etwa vorhandenen Krystall- 
form eine nothwendige Forderung; — und diese Forderung hat 
sich bei den Albuminatkrystallen vollkommen bewährt. Die- 
ser Umstand ist so wichtig, dass man in Zukunft anf einen 
Chemismus in dem angedeuteten Sinne mit Sicherheit wird 
schliessen können, wenn von den coneurrirenden beiden che- 
mischen Faktoren der eine seine etwa vorhandene Krystall- 
form nach erfolgter chemischer Aktion ungetrübt bewahrt. 
6) Die Theorie der chemischen Typen spricht im Grunde 
nur die Thatsache aus, dass gewisse chemische Stoffe und 
namentlich die zusammengesetzten Radikale mit andern Stof- 
fen, selbst unter Abscheidung eiguer Elemente sich chemisch 
verbinden können, ohne in ihrem wesentlichen Atom-Kom- 
plex gestört zu werden; über die Art und Weise der An- 
ordnung der Elemente in dem zusammengesetzlen Radikal 


249 


giebt sie keine den Chemismus erklärende Erläuterung. Das 
Studiam des cheinischen Verhaltens der Albuminat-Krystalle 
hat zu der Ansicht geführt, dass die chemische Komposition 
des Albuminats und wahrscheinlich aller eigentlichen orga- 
nischen Substanzen eine systematische sei, in welcher Haupt- 
bestandtheile und untergeordnete Glieder in eine homogene 
Einheit vereinigt, also nicht etwa systematisch aggregirt zu 
denken wäre. Bei einer solchen chemischen Komposition 
können die untergeordneten Bestandtheile eines zusammen- 
gesetzten Radikals einem chemischen Prozess im ganz ge- 
wöhnlichen Sirne unterliegen, dadurch aber, dass die Haupt- 
bestandtheile zunächst nicht betheiligt sind, werden die che- 
mischen Wirkungen nur als accidentelle an der Gesammt- 
heit des zusammengesetzten Radikals zur Erscheinung treten, 
wie es wirklich geshieht. Auf diesem Standpunkte werden 
wir also der Nothwendigkeit überhoben, die beiden Theorien, 
die dualistische und die der chemischen Typen, als in dem We- 
sen des Chemismus verschieden zu betrachten, und statuiren zu- 
gleich meine Ansicht von der chemischen Komposition der 
eigentlichen organische Radikale, welche mit dem Grundwesen 
eines Organismus, wie sich dasselbe in den morphologischen 
Verhältnissen und nach andern Beziehungen hin so deutlich 
ausspricht, in vollem Einklange steht. 

7) Die vollkommene Uebereinstimmung des physikali- 
schen und chemischen Verhaltens der Krystalle und der fe- 
sten, homogenen, strukturlosen Zustände organischer, na- 
mentlich eiweissarliger Materie in den organisirten Form- 
bestandtheilen berechtigen zu dem Schluss, dass auch die 
Natur des festen Zustandes bei beiden gleichzustellen ist. 
Demnach wären die festen Bestandtheile der organisirten 
Formen in Wirklichkeit ebenso feste Kohäsionszustände 
der organischen Materie, wie die feste Substanz in den Al- 
buminat-Krystallen; in letzteren hat die organische Materie 
unter dem Einfluss der Krystallisation Krystallform erhalten, 
in den erstern ist sie unter Bedingungen, welche eben nur 


250 


die Organismen darbieten, zu Zellenmembranen u. s. w. ge- 
worden. 

8) Die Versuche an den Krystallen beweisen, dass ein 
Stoffwechsel von chemischer Natur im festen Kohäsions- 
zustande der organischen Materie stattfinden könne, ohne 
dass die Form daruntnr leidet, dass eine mechanische Im- 
bibition oder Infiltration nicht stattfindet und dass die Ver- 
bindungen der Krystalle mit den verschiedenen flüssigen 
Stoffen, so lange die Form sich erhält, keine Analogie mit 
einfachen Auflösungen darbietet. Dasselbe haben wir nun- 
mehr auch bei den festen organisirten Bestandtheilen der 
organischen Materie vorauszusetzen. Sie können einem Stoff- 
wechsel unterliegen der chemischer Natur ist und bei wel- 
chen die Form sich erhalten kann. Desgleichen ist nicht 
bewiesen, dass die festen organisirten Bestandtheile homogener 
Beschaffenheit mechanisch durch Imbibition und Infiltration mit 
flüssigen Stoffen sich verbinden oder nach Analogie einfacher 
Ablösungen letztere aufnehmen. Die diesen Ansichten zum 
Grunde liegenden Erscheinungen sind dieselben, die auch 
bei den Albuminat-Krystallen beobachtet werden und lassen 
hier keine andere Beziehung zu als auf einen chemischen 
Prozess. 

9) Wird die feste organische Materie als Scheidewand 
zwischen zwei Flüssigkeiten gestellt, die zu einander und 
zu ihr selbst eine chemische Verwandtschaft besitzen, so 
werden nothwendig die Erscheinungen der Endosmose und 
Exosmose auftreten und es kann und wird schliesslich eine 
Ausgleichung beider Flüssigkeiten eintreten. Die Scheide- 
wand jedoch vermittelt diesen Prozess nicht als poröse Tren- 
nungswand, sondern durch ihre chemische Aktion. Ebenso 
verhält sich auch eine Zelle mit ihrem Inhalt durch ihre 
Zellenmembran zu den umgebenden chemisch auf sie ein- 
wirkenden Stoffen. 

10) Bei den Versuchen über Endosmose, Exosmose, 
Imbibition, Infiltration mit thierischen Häuten ist die Scheide- 


251 


wand zwischen den Flüssigkeiten in ihrem Verhalten zu 
dem Process nicht ganz gleichzustellen einer einfachen ho- 
mogenen Scheidewand aus fester organischer Materie. Denn 
die thierischen Häute bieten bei der Anwesenheit von Ka- 
pillargefässen und in Folge der Zusammensetzung aus ver- 
schiedenen Schichten und Formbestandtheilen Verhältnisse 
dar, unter welchen das Auftreten von kapillaren Räumen 
nothwendig wird. Es werden hier in den Wirkungen der 
Scheidewand auf den ganzen Prozess die chemische Aktion 
der festen Bestandtheile der organischen Materie und die 
Kapillar-Attraktion concurriren können; ob es wirklich ge- 
schieht und wie der Gesammt-Effekt ausfällt, das hängt von 
den gegebenen Umständen ab, 


Ueber 


die Haufnerven des Frosches. 


Von 


JoHAnn N. ÜzERMAK, 


(Hierzu Taf. IV. und V.) 


‚Um sich eine richtige Vorstellung von der Verbreitung der 
Nerven in der Haut des Frosches zu machen, ist es noth- 
wendig, den Bau der Haut zu kennen. Zu diesem Zwecke 
habe ich eine schematische Zeichnung (Fig. 1) entworfen, 
welche einen senkrechten Durchschnitt der Froschhaut dar- 
stellt und anschaulich macht, in welcher Weise dieses Or- 
gan aus seinen verschiedenen histologischen Elementen zu- 
sammengesetzt wird. 

Als Grundgewebe kann das Derma oder Corium 
(Fig. 1, C) — eine ziemlich mächtige Lage von Bindege- 
websfasern, welche nach Behandlung mit Essigsäure völlig 
durchsichtig erscheinen und die bekannten Kernbildungen 
zeigen, — betrachtet werden. Die Fasern liegen, ohne sich 
zu verfilzen, in regelmässigen, horizontalen Schichten bei- 
sammen, treten jedoch an bestimmten Punkten auseinander 
und bedingen so die Entstehung einer grossen Anzahl von 
Kanälchen, welche das Derma senkrecht von innen nach 
aussen durchbohren. Auf einem Durchschnitte der Haut 
(Fig. 1) erscheint demzufolge das Derma zwischen je zwei 
Kanälchen (K—K‘) in vierseitige Felder mit rundlichen Ecken 
abgeschnürt, 


253 


Die nächste Schicht nach aussen bildet ein lockeres Ge- 
webe mannichfach verfilzter Fasern (F), welche einerseits 
in das Derma und dessen Kanälchen (Fig. 1. K) eindringen, 
andererseils aber an die Epidermis grenzen; zwischen ihnen 
finden sich die kugeligen Körper der flaschenförmigen Haut- 
drüsen (D),. deren Ausführungsgänge die Epidermis durch- 
bohren und mit veränderlichen, gewöhnlich dreikanligen Mün- 
dungen an der Hautoberfläche enden, eingebeltet. 

Dort, wo sich die Epidermis scharf gegen die verfilz- 
ten Fasern absetzt, sind jene Pigmentzellen, von denen die 
Färbung der Haut abhängt, in grosser Menge abgelagert (P). 

Die Epidermis selbst (E), welche sich als schützende 
Hülle über die ganze Oberfläche der Haut ausbreitet, besteht 
bekanntlich aus Zellen, die nach dem Alter und der Ent- 
wiekelungsstufe in Schichten übereinander liegen; die jün- 
geren, rundlichen und safligen Zellen bilden die unteren (a, 
al,a2), die alten abgeplatielen und trockenen die oberen 
Schichten (a*. a®). 

Da die Haut des Frosches grösslentheils nicht unmittel- 
bar an den Körper des Thieres angewachsen, sondern nur 
an bestimmte Stellen durch dünne Membranen, welche, wie 
die Mesenterien, Blutgefässe und Nerven führen, und Meso- 
dermen genannt werden können, befesligt ist: so entstehen 
beträchtliche, überall geschlossene, mit einem serösen Ueber- 
zuge ausgekleidete Räume unter der Haut, und es findet sich 
deshalb als unterste Schicht der letzleren eben jener seröse 
Veberzug (Fig. 1.8). Die Mesodermen können mit demsel- 
ben Rechte, wie die Ligamente des Bauchfelles u. s. w. als 
Duplieaturen dieser serösen Auskleidungen betrachtet werden. 

Näheres über di® erwähnten subkulanen Räume findet 
man in Ant, Dug&s's: „„Recherches sur l'osteologie et la 
Myologie des Batraciens.* Paris 1835. pag. 122. und Jos. 
Meyers: Systema Amphibiorum Iymphatieum disquisitioni- 
bus novis examinatum.#* 1545 p. 6 


254 


Nun noch einige Worte über den Bau der Schwimm- 
häute. Sie entstehen durch die Verwachsung der brücken- 
artig von einer Zehe zur andern überspringenden Sohlen- 
und Fussrüdkenhaut. Das Derma und die Schicht der ver, 
fileten Fasern beider Häute sind auf eine unansehnliche 
Lage von Bindegewebfasern reducirt; übrigens finden sich 
die oben beschriebenen Bestandtheile der Haut doppelt vor. 

Dieses Strukturverhältniss, so wie die Zu- oder Abnahme 
der Mächtigkeit des Derma’s und der Schicht der verfilzten Fa- 
sern, je nach der Hautregion sind von einigem Einfluss auf 
die Art der Nervenvertheilung. 

Ich habe von dem Baue der Froschhaut nur so viel 
mitgetheilt, als zum Verständniss der Verbreitung der Ner- 
ven nothwendig schien. Ausführlicheres, namentlich über 
die Hautdrüsen, hat Ascherson in Müller’s Archiv 1840, 
p- 15 veröffentlicht. 

Was das peripherische Verhalten der Nerven betrifft, 
so berrschte hierüber noch viel Dunkelheit, ‘Wohl hat Bur- 
dach den Plexus der Nerven an der unteren Fläche des 
Derma ziemlich genau beschrieben und R. Wagner durch 
die Entdeckung der Theilung einer Nervenfibrille in der Nick- 
haut (Handwörterbuch der Physiolog., B. III. p. 462) unser 
Wissen wesentlich bereichert; allein da ersterer, wie man 
später sehen wird, mehrere wichtige Verhältnisse völlig aus- 
ser Acht gelassen, letzterer jedoch seine Entdeckung nicht 
weiter verfolgt hat, so blieb noch immer genug zu hun 
übrig. Die nachfolgenden Zeilen enthalten einen Beilrag zur 
Ausfüllung dieser Lücke. 

Zunächst will ich die Methode der Untersuchung, auf 
welche hier viel ankommt, kurz mittheilen. Wagner be- 
merkt (l. c. p. 389), dass die Haut des Frosches, auch wenn 
sie mit Essigsäure behandelt wird, viel zu undurchsichtig 
bleibe, um die Frage zur Entscheidung zu bringen. 

Da dies im Allgemeinen richtig ist, obschon selten Fälle 
vorkommen, wo die Haut selbst ohne Behandlung mit Essig- 


255 


säure einen hinreichenden Grad von Durchsichtigkeit besitzt 
(z. B. von manchen wassersüchligen Fröschen); so musste 
von vorn herein versucht werden, diesen Uebelstand zu be- 
seitigen. Es ist klar, dass das viele Pigment dein Lichte 
den Weg absperrt. Die mächtigste Lage von Pigmentzellen 
findet sich — wie oben beschrieben — gleich unter der 
Epidermis (Fig. 1. P); zwar wird später erwähnt werden, 
dass noch an der inneren Fläche des Derma Pigmentzellen 
vorkommen (Fig. 1. p, p. — Fig. 6. P), doch sind dieselben 
nur an wenigen Stellen allzu dicht abgelagert, und es kommt 
somit alles darauf an, jene erste Schicht unschädlich zu ma- 
chen. Bei den Versuchen, dieselbe zu entfernen, bemerkte 
ich bald, dass man die Haut mit geringer Mühe in zwei La- 
mellen spalten könne, in denen die Verbindung zwischen 
der Schicht der verfilzten Fasern und dem Derma trenn- 
bar ist. R 

Die eine Lamelle, welche ich die äussere nenne (Fig. 
1. A), besteht aus der Epidermis, jener hinderlichen Pig- 
mentablagerung und den verfilzten Fasern mit den Hautdrü- 
sen; die andere Lamelle -- die innere (Fig. 1. J) — be- 
greift das Derma mit dem serösen Ueberzuge und den Haupt- 
verzweigungen der Nerven. 

Ich habe auf diese Weise Präparate von beliebig gros- 
ser Ausdehnung erhalten, welche an Durchsichtigkeit nichts 
zu wünschen übrig liessen. Da aber die Essigsäure gewöhn- 
lich angewendet wurde und namentlich die feinen Nerven- 
fibrillen auf die bekannte Art alterirte, so versuchte ich, den 
Nerven durch Härtung in Sublimat einen angemessenen Grad 
von Festigkeit zu geben, 

Diese Härtungsversuche hatten den gewünschten Erfolg. 
Auch erhalten sich solche Präparate längere Zeit unversehrt; 
das Breslauer physiologische Institut besilzt”seit mehr als 
einem halben Jahre deren einige, welche noch immer brauch- 
bar sind, 


556 


Ich komme zur Darstellung der Verbreitung der Nerven 
selbst. 

Die für die Haut bestimmten Nervenbündel treten an 
verschiedenen Stellen zwischen den oberflächlichen Muskeln 
hervor und gelangen durch die erwähnten subkutanen Räume 
an die untere, dem Körper des Thieres zugewendete Fläche 
der Haut. Jedes Bündel besitzt eine eigene, ziemlich weite, 
mit Kerneu versehene Scheide, welche oft sehr regelinässig 
abwechselnd von der einen und von der andern Seite ein- 
geschnürt erscheint (Fig. 4. S) und von den Nerven ansehn- 
lich weit abstehend, wenn sie durch den gelinden Druck 
des Deckgläschens etwas abgeplattet wird. 

Sehneidet man die Haut am Rücken oder an den Seiten 
der Länge nach entzwei und hebt mit Pincelte den einen 
Schnittrand a die Höhe, so bemerkt man nebst den Plalten 
der Mesodermen weisse, cylindrische Fäden, welche sich 
zwischen den Muskeln und der abgehobenen Haut anspan- 
nen; — es sind dies jene Nervenbündel, welche frei die sub- 
kutanen Räume durchsetzen. Man überzeugt sich, dass die 
Nerven entweder eingeschlossen zwischen den Blältern der 
Mesodermen oder auf die eben erwähnte Weise ihren Be- 
slimmungsort erreichen. Im Ganzen findet jedoch kein we- 
senllicher Unterschied zwischen beiden Arten des Verlaufs 
statt. In dem einen wie in dem andern Falle sind die Ner- 
venbündel mit ihren Scheiden, durch Bindegewebsfasern, aus 
denen die Mesodermen sowohl, als die eylindrischen Fäden 
hauptsächlich bestehen, umkleidet. 

Die Blutgelässe der Haut nehmen denselben Weg, wie 
die Nerven und sind meist von Pigmentzellen begleitet. 

In Fig. 4 habe ich einen jener weissen cylindrischen 
Fäden, welcher zufällig weder Gefässe noch Pigmeut führte, 
dargestellt. In der Mitte, umgeben von Bindegeweben (Z), 
befindet sich das Nervenbündel (B). Die Scheide (S) ist 
zwischen je zwei Einschnürungen bauchig hervorgetrieben. 
Werden solche Präparate mit Essigsäure behandelt, so be- 


257 


merkt man nach einiger Zeit nebst den gewöhnlichen Ver- 
änderungen in dem Bindegewebe, dass sich eine zarte, fein 
granulirte, hie und da ein grösseres Körnchen führende Masse 
innerhalb der Scheide auf das Nervenbündel niederschlägt 
(Fig. 4. i, das Körnchen bei n). Ich habe diesen Vorgang 
auch an den feineren Nervenzweigen (Fig. 5. Fig. 2. Fig. 7 
bei i), ja an einzelnen. isolirt verlaufenden Fibrillen (Fig. 3. 
i) beobachtet und glaube daher, dass nebst den Nerven noch 
eine gerinnbare Flüssigkeit innerhalb der Scheiden einge- 
schlossen sei. In den feinern Verzweigungen, welche eben- 
falls innerhalb einer Fortsetzung der gemeinsamen Scheide 
verlaufen, wird dieser coagulirte Inhalt manchmal der Beob- 
achtung hinderlich, weil er öfter ganz die Gestalt von Fa- 
sern annimmt und so der Deutlichkeit der Wahrnehmung 
und der Sicherheit der Deutung Abbruch thut. 

Haben die Nerven auf die angegebene Weise die Haut 
erreicht, so verbreiten sie sich meist von einzelnen, zuwei- 
len auch von vielen Pigmentzellen bedeckt, zwischen dem 
Derma und dem serösen Ueberzuge. 

Jedes Nervenbündel theilt sich meist dichotomisch in 
untergeordnete Aeste, welche sich wieder mehrfach verz wei- 
gen und mit den Verzweigungen der Aeste der benachbar- 
ten Nervenbündel zu -polyedrischen, an verschiedenen Haut- 
stellen verschieden gestalteten Maschen verwebt werden, so 
zwar, dass an der inneren Fläche der Haut ein grosses un- 
unterbrochenes, in sich zurücklaufendes Nervennetz entsteht. 
(Fig. 2.) 

Die Nervenfibrillen der einzelnen an die Haut treten- 
den Bündel bleiben demnach nicht in für sich bestehenden 
abgeschlossenen Maschensystemen beisammen, sondern wer- 
den, indem sie sich an Zweige anderer Stämme anlegen, nach 
längerem oder kürzerem Verlaufe sich ganz oder zum Theil 
wieder trennen, und abermals mit andern Aestchen vereini- 
gen, in der mannichfachsten Weise untereinander gemischt 


und combinirt. Jedes zu einer Masse gehörende Aestchen 
Müllers Archiv. 1819. 17 


258 

besteht in den meisten Fällen aus Nervenfibrillen, welche in 
ganz verschiedenen Bündeln zur Haut gelangt sind. Diese 
Mengung und Mischung der Nervenfasern muss wohl gewisse 
Grenzen haben; doch ist es fast unmöglich, dieselben zu be- 
stimmen, weil man die‘ einzelnen Nerven nur auf verhält- 
nissmässig geringe Strecken genau verfolgen und unter: der 
Menge der andern: herauskennen kann, 

Von den Bündeln des ebenbeschriebenen Nervennetzes 
entspringen sehr viele kleinere und grössere Aestehen, selbst 
einzelne Faseru, welche einen ganz eigenthümlichen Verlauf 
haben (Fig. 2. d. d‘, d2—-d?). Dieselben bleiben nämlich 
ncht auf der inneren Fläche des Derma, sondern dringen 
in die bei der Darstellung des Baues ‘der Haut erwähnten 
Kanälchen ein, gelangen in die Schicht der verfilzten Fasern 
und verzweigen sich zwischen ‘den Hautdrüsen. 

Von diesem Verhalten der Nerven bemerkt Burdach 
nichts; .obschon es leicht ist, sich davon zu überzeugen, 
wenn man die Haut in der angegebenen Weise in die zwei 
Lamellen spaltet und beide genau untersucht. Liegt: das 
Präparat der innern Lamelle mit der dem Körper des Thie- 
res zugewendeten Fläche gegen den Beobachter gekehrt 
(Fig. 2.), so sieht man ein Stück des grossmaschigen Ner- 
vennetzes über dem Derma ausgebreitet und gewahrt eine 
grosse Menge von Aestchen, welche nicht zu Maschen er- 
gänzt werden, sondern plötzlich zu enden scheinen (Fig. 2. 
d, d‘, d2—d?). Dieses plötzliche Enden ist aber in .der 
That nur scheinbar, denn durch Verringerung der Fokaldi- 
stanz erkennt man, dass die Aestchen einen winkligen  Ver- 
lauf haben 'und au solchen ‚Stellen in die Tiefe‘ umbiegen. 
Man kann sie .bis ‚an die entgegengesetzie Seite des Derma 
verfolgen und, wenn das Präparat umgedreht wird, ganz 
deutlich aus den oberen Mündungen der Kanälchen heraus- 
kommen sehen, wo sie aber durch die Trennung der Waut 
in die zwei Lamellen abgerissen sind. Ihr weiterer Verlauf 
muss demnach an der äusseren Lamelle untersucht werden. 


259 


Man findet denn auch zwischen den’ kugeligen Körpern der 
Drüsen einzelne oder ganze Bündelchen von Nervenfasern. 

Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass dieselben die 
unmittelbaren Fortsetzungen der durch die Kanälchen des 
Derma verlaufenden Fibrillen sind. Uebrigens lässt sich der 
Zusammenhang und der ganze Verlauf dieser — wie ich sie 
nennen will — durchtretenden Nerven unmittelbar dar- 
stellen und anschaulich machen; und zwar an ‚senkrechten 
Durchsehnitten der Haut (Fig. 1: N, N!). An solchen Schnit- 
ten können die Nerven von der inneren Fläche des Derma 

une Unterbreehung durch die Kanälchen bis zwischen die 
Drüsenschicht verfolgt werden, und viele Blutgefässe schla- 
gen denselben Weg ein. Es giebt eine solche Menge von 
diesen durchtretenden Nervenfasern. dass die meisten Kanäl- 
chen einzelne oder ganze Bündelchen führen. 

Fasst man das Gesagle zusammen, so ergiebt sich fol- 
gendes Schema der Verbreitung der Nervenbündel: 

Die für die Haut bestimmten Nervenbündel bilden, nach- 
dem sie durch die subkutanen Räume innerhalb der Meso- 
dermen oder der freien eylindrischen Fäden, bis zur Haut 
gelangt sind, an der unteren Fläche derselben ein 'grossma- 
schiges Netz (Plexus nervorum interior seu profundus), von 
welchem viele Bündelchen abgehen, die durch die Kanälchen 
des Derma bis in die Schicht der verfilzten Fasern: gelan- 
gen und sich daselbst zwischen den Hauldrüsen vertheilen 
(Plexus nervorum superficialis). 

Es entsteht nun die Frage: „Wie verhalten sich’ die 
einzelnen Nervenfibrillen, die Primitivfasern, in diesen 
gröberen Verzweigungen und wie endigen sie? 

Was ich auf die erste Frage zu antworten weiss, werde 
ich unten imittheilen; was aber die zweite betrifft, so muss 
ich gestehen, dass ich nicht im Stande war, dieselbe zu lö- 
sen. Die Nervenendigung ist überhaupt noch immer ein 
Problem für die Mikroskopiker. Zwar ist unser Wissen über 
das peripherische Verhalten der Nerven durch die neuerlichst 

17% 


260 

bestätigte und festgestellte Wahrheit der Theilung von Pri- 
mitivfasern bedeutend erweitert worden; — allein über das 
eigentliche peripherische Ende derselben, über das Struk- 
turverhältniss zwischen den letzten Elementen der Nerven- 
substanz und dem Grundgewebe der Organe, ist damit 
noch durchaus kein Licht verbreitet worden. Die Frage hat 
sich im Gegentheile mehr verwickelt. 

Früher, wo die Untheilbarkeit der Nerven als ein un- 
antastbares Gesetz galt, handelte es sich nur darum, ob die 
Nerven [rei endigen oder einfache Schlingen bilden; jetzt, 
nachdem man weiss, dass sich die Primitivfibrillen in meh- 
rere Aeste theilen können, muss entschieden werden, ob 
einige oder alle Aeste einer Fibrille frei endigen oder 
Schlingen bilden und in welcher Weise, ob nur Zweige der- 
selben Fibrille mit einander anastomosiren oder auch Zweige 


verschiedener Fibrillen u. s. w.! Kurz, die Fälle, wie sich 
die Nerven in den Organen möglicherweise verhalten 
können, haben sich vermehrt — die Frage ist verwickelter 
geworden. 


Hier kann nur die direete gewissenhafte und sorgfältige 
Beobachtung den Ausschlag geben. Freilich möchte man 
fast an dem Erfolge von Untersuchungen verzweifeln, wel- 
chen sich so grosse Schwierigkeiten theils durch die Be- 
schaffenheit der von den Nerven versorgten Organe, 1heils 
durch die Qualität der Nervensubstanz selbst entgegenstellten. 
Konnten doch nicht einmal jene Forscher, die die Nerven 
im elektrischen Organ der Rochen studirten, zu einem si- 
chern Resultate über die eigentliche Art der Nervenendigung 
kommen, wo die günstigsten äussern Verhältnisse für die 
Beobachtungen statlfinden! Die letzten dünnen Aestchen 
verloren sich immer ohne bestimmt wahrnehmbare Grenze 
in der Grundsubstanz des betreffenden Organs und machten 
so eine Entscheidung unmöglich. 

Auch ich war bis jetzt aus demselben Grunde nicht 
glücklicher mit den Nerven der Schwimmblase des Hechtes 


261 


(Esox lucius), auf welcher ich im November 1848 Theilun- 
gen der Primitivfibrillen von der überraschendsten Deutlich- 
keit und Ausdehnung entdeckte; obschon die Untersuchung 
wegen des ganz isolirten Verlaufes der Nerven, der Abwe- 
senheit des Pigments und der geringen Menge und Durch- 
sichtigkeit der andern histologischen Elemente ebenfalls nichts 
weniger als schwierig ist. 

Nach solehen Erfahrungen musste die Hoffnung um so 
geringer sein, über die Hautnerven des Frosches etwas Er- 
spriessliches ans Licht zu fördern, als dieselben nur selten 
isolirt genug verlaufen, um deutlich verfolgt werden zu kön- 
nen. Allein der Wunsch, wenigstens die Theilung der 
Primitivfibrillen an Hautstellen aus allen Regionen des Kör- 
pers nachzuweisen und sicher zu stellen, liess mich die 
möglicherweise ganz fruchtlose Mühe nicht scheuen. welche 
ich auf die vorliegende, wie mir scheint, nicht ganz un- 
wichtige Untersuchung verwendet habe. 

Die gesuchten Nerventheilungen fand ich denn auch 
wirklich in genügender Anzahl an den verschiedensten Haut- 
partien. Ich bemerke nur noch, dass ich alle meine Präpa- 
rale einem gewiss competenten Richter, Herrn Professor 
Purkinje, zur Beurtheilung vorgelegt habe, der sich von 
der Richtigkeit der Deutung und Auffassung derselben über- 
zeugt hat, und gehe nun an die Beschreibung des Verlaufs 
und des Verhaltens der Nervenprimitivfibrillen. 

Alle Primilivfasern der an die Haut tretenden Nerven- 
stlämmcehen zerfahren, sobald sie dieselbe erreicht haben, in 
den tiefen Plexus, nehmen an der Bildung mehrerer Maschen 
Theil und werden so an der innern Fläche einer bestimmt 
grossen Hautstelle, in verschiedenen Krümmungen herumge- 
führt. Obwohl ich nun sehr häufig einzelne Fibrillen auf 
bedeutende Strecken verfolgen und unter den übrigen 'her- 
auskennen konnte, so ist mir doch weder ein Zurücklaufen 
derselben in einen oder den andern Iaulnervenstamn zu 


262 


unterscheiden, noch ein unzweifelhaft freies Ende zu ent- 
decken gelungen. 

Ich wage nicht, eine Schlingenbildung der Nerven in 
der Haut des Frosches nach diesen negativen Resultaten so- 
fort zu leugnen; kann sie aber eben so wenig für eine aus- 
gemachte Sache halten. Ueberhaupt, wäre immer bedacht 
worden, dass, um von solchen Sefllingen der Nerven zu re- 
den, der ganze Verlauf derselben klar verfolgt und überse- 
hen werden muss, so wären die Physiologen nicht so frei- 
gebig mit ,„.peripherischen Umbiegungsschlingen der 
einfachen Primitivfasern‘“ beschenkt worden. 

Eine Theilung der Nervenfibrillen hingegen habe ich 
sowohl an den dicken, als an den dünnen mit völliger Si- 
eherheit beobachtet und will im Allgemeinen darüber folgen- 
des bemerken: 

Ich fand bis jetzt nur eine dichotomische Verzweigung, 
welche sich jedoch oft an den neu entstandenen‘ Aesten 
abermals wiederholte. Es schien ein doppelter Typus der 
Theilung vorzukommen, entweder 'spaltete sich eine ‚Fibrille 
in zwei Zweige von gleicher Stärke (Fig. 5. A, B), oder der 
eine der Zweige war viel schwächer, als der andere: (Fig. 
7. N’). Man kann sich der Vorstellung kaum erwehren, 
dass im letztern Falle die Stammfibrille in ihrem Verlaufe 
eben nur einen Ast abgiebt und dann ihren Weg weiler 
verfolgt; während im ersten Falle, wo die zwei Aeste von 
gleicher Dignität sind, eine eigentliche Verdoppelung statt 
zu finden scheint., Etwas Analoges zeigen die Verästelungen 
der Blutgefässe. 

Im Grunde mögen (diese Dimensionsverhältnisse keine 
wesentlichen Unterschiede bedingen, allein da sie auch 
an den Nerven anderer Organe vorkommen, so’ muss ihrer 
doch als einer allgemeineren Erscheinung Erwähnung ''ge- 
schehen, 

* Bemerkenswerth sind auch die Winkel, unter welchen 
die Aeste gegen einander und gegen die Stammfibrille geneigt 


263 


sind. Man findet die grössten Verschiedenheiten: bald sind 
die Winkel stumpf, bald spitz, bald.nahe zu 90°. Auch 
kommen nicht selten Fälle vor, wo der eine Ast in dersel- 
ben Richtung fortläuft, als die Stammfibrille. Wenn in einem 
solchen Falle ‚der erstere einen beinahe ganz gleichen Durch- 
messer mit der letzteren besitzt, der zweite Ast aber sehr 
dünn-ist, dunn ‚hat es »ganz und ‚gar den Anschein, wie 
wenn nur ein Ast abgegeben würde; auch zweigt sich. der 
dünne Ast gewöhnlich unter einem fast rechten Winkel ab. 

Haben die beiden Aeste dieselbe Dicke, so machen sie 
meist auch ‚gleiche Winkel mit der Stammfibrille. 

An eine eigenthümliche und besondere Beziehung zwi- 
schen der Stärke der Fasern und der Grösse der Winkel 
darf man freilich kaum denken, deun es scheint am Ende 
gleichgültig und zufällig zu sein, welehe Neigung die Aeste 
haben, und sich blos darum zu handeln, dass dieselben über- 
haupt an den Ort ihrer Bestimmung gelangen. 

Ich habe oben bemerkt, dass sich die dichotomische 
Verzweigung an den entstandenen Aesten wiederholen könne; 
die Fig. 5, Fig. 6, Fig. 8 und Fig, 2 liefern Belege dafür. In 
Fig. 5 kann man nicht im Zweifel sein, dass sich der Ast A 
des Stammes N bei b‘ eben nur abermals theilt; die in Fig. 
6 und Fig. 5 dargestellten Verzweigungen hingegen imponi- 
ren fast für Anastomosen zwischen zwei selbsständigen Fi- 
brillen, und zwar deshalb, weil die einzelnen Nerven (we- 
nigstens in Fig. 8) ‚einen beinahe gleichen Durchmesser be- 
silzen, und unter fast rechten Winkeln zusammenstossen. 

Es ist gewiss, dass man diese Verhältnisse sehr ver: 
schieden auffassen kann, die wiederholte Theilung der Ner- 
venfasern bleibt aber als Factum unabänderlich stehen. 

Man kann z. B. blos eine der freien Fasern (Fig. 8. A, 
B,C,D) als mit den Centralorganen zusammenhängend an+ 
nehmen und die übrigen in derselben Weise als Aeste erster 
und zweiter Ordnung deuten, wie in Fig.5; und sieht man 
Fig. 5 von der verschiedenen Dicke der Fasern ab und er- 


264 


klärt die Neigung derselben gegen einander für zufällig, so 
entsteht in der That ein ähnliches Bild, wie in Fig. 8 — 

oder man kann sagen, die Fasern N und N‘, Fig. 6, 
sind die zwei Schenkel einer Endumbiegungsschlinge, aus 
welcher ein Aestchen (N?) entspringt, das sich neuerdings 
dichotomisch theilt (N?, N). 

Auch kann man hierin eine Anastomose zwischen zwei 
Endumbiegungsschlingen sehen u. s. w. 

Auch ich überlasse es Jedem, sich die Menge der mög- 
lichen Deutungen auszudenken und kann nur wiederholen, 
dass die directe Beobachtung noch keiner derselben die 
Sanction der Wirklichkeit ertheilt hat. 

Das Wenige, was ich bisher über den Verlauf der Aeste 
feststellen konnte, ist, dass dieselben entweder in den Ma- 
schen des tiefen Plexus fortlaufen, ohne weiter verfolgt 
werden zu können, oder aber und zwar in den meisten Fäl- 
len irgend ein in der Nähe befindliches Kanälchen im Derma 
aufsuchen, um auf diese Weise bis in die Schicht der ver- 
filzten Fasern zu gelangen. ‘Im letztern Falle gehören die- 
selben somit unter jene Fibrillen, welche ich oben durchtre- 
tende Nervenfasern genannt habe. Die beiden Aeste N? und 
N®, Fig. 6, konnte ich nach kurzem Verlaufe in die Kanäl- 
chen eindringen sehen und ihnen bis auf die entgegengesetzte 
Seite des Derma nachgehen; ebenso verhielten sich die Aest- 
chen Fig. 2. bei d‘, d®, d®, d5 und d®. In Fig. 2 und Fig. 
9 habe ich mich bemüht, die unteren Mündungen der Ka- 
nälchen darzustellen (bei d, d‘,....).. Auch an senkrechten 
Durchschnitten der Haut ist es mir gelungen, diesen Verlauf 
der Aestchen wahrzunehmen (Fig. 1 bei b). 

Fig. 2 verdient noch besonders berücksichtigt zu wer- 
den, weil daselbst die wiederholten Theilungen einer Faser 
(FP) skizzirt sind, welche so glücklich gelagert war, dass sie 
eine bedeutende Strecke verfolgt und übersehen werden 
kounte. Die Nervenfibrille F giebt vier Aeste (d’, d®, d*, d5) 
ab und ich muss bemerken, dass in ihrem weiteren Verlaufe 


265 


innerhalb des Bündelehens B noch eine Theilung mit aller 
Deutlichkeit zu erkennen war. 

Ueberhaupt kann man sich durch die Betrachtung dieser 
Zeichnung (Fig. 2) und der schematischen Skizze Fig. 1 das 
eigenthümliche Verhalten der Primitivfasern und ihrer Aeste 
lebhaft veranschaulichen. — 

So fragmentarisch und unvollständig meine Mittheilun- 
gen über das Verhalten der Primitivfasern sind, so wird 
man nicht verkennen, dass dieselben dennoch von einiger 
Bedeutung für die Physiologie des Tastsinnes werden dürf- 
ten. Ich erlaube mir blos einige Andeutungen, die eben für 
nichts weiter genommen sein wollen, als für ein paar ge- 
legentliche Gedanken. 

Wenn, wie allgemein angenommen wird, die sensitiven 
Nerven sich wie Leiter verhalten, bestimmt, den Reiz von 
der Peripherie nach dem Centrum zu tragen, und wenn das 
Seusorium die durch den Reiz erzeugte Empfindung in der 
entgegengesetzten Richtung an das Ende des einfachen und 
ungetheilten Leiters, somit an einen Punkt der Peripherie 
versetzt: so muss, angenommen, der Leiter verästele sich 
(wie dies die sensitiven Nerven wirklich ihun), nach erfolg- 
tem Reiz die Eınpfindung nach den Enden sämmtlicher Aest- 
chen des Leiters, d. h. in eine Fläche verlegt werden. 

Während die Empfindung im ersten Falle bestimmter, 
begrenzter ist, wird sie im zweilen Falle vager. 

Eben so muss das Sensorium, mag das peripherische 
Aestchen A des verzweigten Leiters oder das räumlich da- 
von entfernte Aestehen B gereizt werden, mit einer und 
derselben Empfindung antworten, und wenn beide Enden A 
und B zu gleicher Zeit durch zwei räumlich getrennte Kör- 
per gereizt werden, einen und nicht zwei räumlich ver- 
schiedene Eindrücke pereipiren. 

Denken wir mehrere solcher verästelter Leiter dergestalt 
an der Peripherie angeordnet, dass sich die von ihren Aesten 
beherrschten Flächen interferiren, d. h. theilweise decken, 


266 


wie.eine Reihe von Kreisen, deren Peripherien durch ‚die 
Mittelpunkte der Nachbaren gehen: so müssen wir. /anneh- 
men, dass die gereizten Interferenzflächen, obschon: sie von 
zwei ‘verschiedenen und selbstsändigen Leitern versorgt wer- 
den, dennoch nur eine räumlich-einheitliche Empfindung 
zu erregen im Stande sind, weil das Sensorium auf einen 
durch den’ Leiter A zugeführten Reiz (die Empfindung doch 
nur. dorthin verlegen kann, wo sich der Leiter A verbreitet. 

Wenden wir nun diese Betrachtungen auf die Hautner- 
ven des Frosches an, welche in der That solche verästelte 
eentripetale Leiter /und in ähnlicher Weise, wie.eben vor- 
ausgesetzt, wurde, in der Haut vertheilt sind: ‚so dürfen wir 
glauben, dass in der Haut, sie mag wo; immer durch eine 
Nadelspilze einen Reiz, empfangen, eine einfache räumlich 
mehr oder weniger bestimmte Empfindung entstehen werde, 
dass aber die Eindrücke zweier Nadelspitzen nur dann 
doppelt, .d..i. räumlich gesondert vom. Frosche empfunden 
werden können, wenn sie so weit von einander entfernt 
applieirt werden, ‚dass sie Hautstellen treffen, welche von 
Nerven versorgt sind, ‚deren peripherische Verästelungen ein- 
ander nicht interleriren oder theilweise decken, immer aber 
in dem Maasse zu einer Empfindung verschmelzen müssen, 
als die Nadelspitzen, einander näher gerückt, Hautstellen zu 
gleicher Zeit berühren, an welchen sich mehrere Nerven ver- 
breiten, — Hantstellen somit, die den Interferenzflächen des 
obigen Schema entsprechen, 

Dies Alles auf den Menschen angewendet, gäbe viel- 
leicht eine Erklärung der bekannten Weber’schen Versuche. 

Spinnen wir den aufgenommenen Faden weiter fort, so 
können wir: uns ‚leicht eine Vorstellung der Feinheit‘ oder 
Schärfe des -Gefühls und der. Empfindlichkeit des‘ Hautor- 
gans machen. Schärfe des Gefühls und Empfindlichkeit sind 
zwei sehr verschiedene Dinge, die. wohl zu. trennen sind. 
Die Schärfe: des Gefühls wird durch die Weber’schen Ver- . 
suche geprüft; die Ewpfindlichkeit ‚aber dadurch, dass der 


267 


Grad eines applieirten Reizes mit ‚der Stärke der erzeugten 
Empfindung verglichen wird. Die Haut am Rücken, in den 
Weichen ,- ist: empfindlich , - aber: aller Feinheit des Gefühls 
baar; die Haut an der Streckseite des Ellenbogengelenks ist 
weder feinfühlend, noch bedeutend empfindlich; der rothe 
Theil: der Lippen hingegen im hohen Grade, sowohl fein- 
fühlend als empfindlich. 

Die aufgezählten Beispiele werden hinreichen, das klar 
zu machen, was unter den beiden Bezeichnungen verstanden 
werden soll. 

Wollen wir nun eine Erklärung, eine Aufzählung der Be- 
dingungen dieser beiden Eigenschaften der sensiliven Organe 
versuchen, so haben wir zweierlei zu berücksichtigen: erst- 
lich, die Beschaffenheit des Organs, sodann die Art der Ner- 
venvertheilung. 

Die Empfindlichkeit einer Hautstelle hängt ab‘ er- 
stens von der Feinheit und Zartheit der Haut oder wenig- 
stens der die Nerven deckenden Schicht; zweitens von der 
absoluten Menge der Nerven, einerlei, ob dieselbe durch 
die grosse Zahl der einzelnen Primitivfibrillen, oder von der 
oft wiederholten Theilung und Spaltung weniger Fibrillen 
herrührt; — denn um eine heftige Reaction der sensiblen 
Sphäre auf einen verhältnissmässig geringen Reiz hervorzu- 
bringen, darf 1) die Wirksamkeit des letztern nicht durch 
den Dazwischentritt fremder unempfindlicher Theile allzusehr 
geschwächt und gebrochen werden und 2) kommt Alles dar- 
auf an, eine möglichst grosse Menge der peripherischen Ner- 
vensubstanz zu alteriren, wenn ein energischer Eingriff in 
den Organismus mit geringen Mitteln stattfinden soll. 

Wäre uns demnach die Aufgabe gestellt, ein möglichst 
empfindliches sensitives Organ zu construiren, ‘so müssten 
wir nach diesen Prineipien ein zartes gut leitendes Grund- 
gewebe mit einer absolut grössten Menge von Nerven durch- 
dringen lassen, und zwar das letztere aus demselben Grunde, 


aus welchem die Membrana Schneideri die weit hervor- 


268 


springenden Nasenmuscheln überkleidet und die innerste 
Darmhaut zahlreiche Falten bildet. 

Was die Eigenschaften eines feinfühlenden Organs 
betrifft, so ist zunächst zu erwägen, dass sich die Feinheit 
oder Schärfe des Gefühls nur auf die räumliche Trennung 
und Sonderung gleichzeitiger Reize in der Empfindung beziehe 

Auf die physikalische Qualität und den Bau des Or- 
gans kommt somit gar nichts an, sobald nur Raum und Ge- 
legenheit für die Verbreitung der Nerven da ist; Alles hin- 
gegen hängt von der relativen Menge der Primitivfibrillen 
ab. Jemehr derselben auf einer als Maass angenommenen 
Flächeneinheit vorhanden, welche gesonderte Eindrücke her- 
vorzubringen im Stande sind, desto feinfühlender nennen 
wir ein solches Organ. Es verhält sich hiermit grade so, 
wie mit der Schärfe des Gesichts. — Das vollkommenste Tast- 
werkzeug wird demnach jenes sein, das die grösstmöglichste 
relative und absolute Menge von Primitivfibrillen und ein 
zur Aufnahme und Fortleitung des Reizes geschicktes Grund- 
gewebe besitzt; die erste Eigenschaft deshalb, um feinfüh- 
lend und empfindlich, die zweite, um nicht nur an und für 
sich empfindlich zu sein, sondern auch, um als Tastwerk- 
zeug sich den Eindrücken der Aussenwelt hinzugeben, 
und dieselben activ aufzunehmen. (Ich erinnere hier nur an 
die Zunge, welche, obschon überaus feinfühlend und em- 
pfindlich, dennoch als Tastwerkzeag hinter den Fingerspitzen 
zurücksteht, weil derselben nebst anderem namentlich der 
feste Knochenkern mangelt.) 

Wir wollen uns nur noch aus den bekannten Eigen- 
schaften der Organe einige wenige Schlüsse auf die Structur, 
namentlich auf die wahrscheinliche Menge der Nerventhei- 
lungen erlauben. 

In der Retina dürfen wir kaum, in der Zunge, den Lip- 
pen, den Fingerspitzen Theilungen wenigstens von keiner 
grossen Ausdehnung vermuthen. Zahlreich und von bedeu- 


269 


tender Verbreilung dürften die Nerventheilungen in der Haut 
des Rückens, des Nackens, der Weichen u. s. w. sein. 

Doch genug, ich habe schon allzulange den festen Bo- 
den sicherer Erfahrung unter den Füssen verloren! Zu mei- 
ner Entschuldigung sei nur angeführt, dass derarlige Be- 
trachtungen, welche die Bedeutung und den Einfluss einer 
gemachten Beobachtung nachzuweisen bemüht sind, und aus 
dem Bestreben entspringen, vereinzelte, an und für sich nicht 
vielsagende, empirische Thatsachen in ihrer lebendigen Be- 
ziehung zur bestehenden Gestaltung der Wissenschaft darzu- 
stellen, vielleicht niemals ganz wertblos sind. 

Ichı kehre nach dieser Unterbrechung zur Nerventhei- 
lung in der Haut des Frosches zurück. An den Theilungs- 
stellen sind die Nerven fast immer mehr oder weniger ein- 
geschnürt; doch bin ich der Ueberzeugung, dass diese Ver- 
engerungen blos zufällig, und zwar durch die Gerinnung des 
Nervenmarks entstehen. Die ‚Varicosiläten der Hirnfasern 
sind etwas in gewisser Beziehung ganz Aehnliches. Es hält 
sie aber Niemand mehr für die normale Gestalt, Ueberdies 
habe ich einen Fall beobachtet, wo eine breite, doppelt con- 
tourirte Faser an zwei Stellen (Fig. 6. a, b) Einschnürun- 
gen zeigle, ohne dass abgehende Aeste zu bemerken gewe- 
sen wären. Völlig unzweifelhaft wurde mir die Ansicht für 
die Nerven auf der Schwimmblase des Hechtes, welche un- 
tersucht in völlig frischem Zustande, wenn sie noch einfache 
Umrisse besassen, an den Theilungsstellen durchaus keine 
Vereugerungen wahrnehmen liessen. 

Je weiter die Zersetzung des Nervenmarks fortschreitet, 
welche durch verschiedene Reagentien noch beschleunigt wer- 
den kann, desto tiefer werden die Einschnürungen und es 
erfolgt, namentlich bei den feinern Fasern, endlich eine völ- 
lige Trennung der Aestchen von der Stammfibrille. Dieser 
Vorgang entspricht dem Zerfallen der sogenannten sympa- 
thischen Fasern in längliche Köruchen nach der Einwirkung 
von Essigsäure. 


270 


Die Maschen des tiefen Plexus bestehen grösstentheils 
aus diekeren Bündeln, in denen die Nerven so dicht bei ein- 
ander liegen, dass sie sich völlig decken;. doch sind auch 
dünnere, aus wenigen Fasern zusammengesetzte Bündel nicht 
allzu selten, ja es kommt manchmal vor, dass einzelne Fa- 
sern, einen kürzeren Weg nehmend, milten durch eine Ma- 
sche ganz isolirt verlaufen (Fig. 6. N, Nt). Die beiden letzt- 
genannten Fälle eignen sich gut zur Beobachtung; aber im 
ersten Falle wird 'man nicht oft und dann gewöhnlich nur 
dort, wo die Maschenäste in einem Winkel zusammenstossen, 
und die Fasern in verschiedenen Bahnen auseinander laufen, 
Gelegenheit haben, eine deutliche Wahrnehmung zu machen. 
Dies ist nun der Grund, warum die Zahl der zu beobach- 
tenden Theilungen in keinem Verhältniss zu der ungeheuren 
Menge der Primitivfasern steht. 

Doch unbeschadet dieses Missverhältnisses kaun die 
Theilung der Primitivfasern als ein allgemeingültiges Geselz 
für die Hautnerven des Frosches angesprochen werden; denn 
man muss nicht vergessen, von welchem Gewicht hierbei 
eine sichere, unzweifelhafte Beobachtung (und es sind de- 
ren gewiss keine geringe Anzahl gemacht worden) sei, und 
in welcher Ausdehnung etwa Schlüsse per induclionem an- 
gewendet werden dürfen. 

Breslau im März 1849. 


Erklärung der Abbildungen. 


Fig. 1. Schematische Darstellung eines senkrechten Durchschniltes 
der Froschhaut. E. die Epidermis, a. die jüngste Zell- 
schicht — at, a?, a?, — atdie älteste. F. die Schicht 
der verfilzten Fasern, in welcher die kugeligen, Körper der 
Hautdrüsen, D, eingebettet sind. P. die Pigmentablagerung, 
von der die Färbung der Haut abhängt. C. das Corium 
oder Derma. K. eines jener Kanälchen, welche das Derma 
durchbohren. N, N! durchschnittene Nervenbündel des Ple- 


Fig. 2. 


Fig. 3. 
Fig. 4. 
Fig. 5- 
Fig. 6. 


Fig. 7. 


Fig. 8. 


Fig. 9. 


271 


xus profundus. G. ein durchschnittenes Blutgefäss. p, p 
Pigmentzellen. S. der der Haut angehörende Theil des se- 
rösen Ueberzugs. 

Ein Stück des tiefen Plexus. A, B, C, Ct, C? Nervenbün- 
del. F. eine Primitivfaser, die aus dem Bündel A bis in das 
Bündel B zu verfolgen ist; sie giebt vier Aeste (bei d‘, d®, 
d* und d®) ab. f. eine andere Nervenfibrille, welche sich 
bei ce theil. Der Ast m legt sich später an ein Nerven- 
bündel an. Die dunkeln Stellen, bei d, d!, d?... d? stellen 
die untern Mündungen der Kanälchen des Corium vor, in 
welche die Nerven eindringen, um sich in der Schicht der 
verülzten Fasern zu vertheilen. Mit S werden hier und in 
den folgenden Abbildungen die gemeinschaftlichen Nerven- 
scheiden, mit K die an ihr befindlichen Kerne und mit i der 
geronnene Inhalt der Nervenscheide bezeichnet. 

Eine im Mesoderma isolirt verlaufende Nervenfaser, N. 

Ein Nervenbündel, B, welches frei durch den subkutanen 
Raum verläuft. Z ein Zellgewebsüberzug. 

Neryentheilung in dem tiefen Plexus der Rückenhaut. , Die 
Faser N theilt sich bei b in den Ast A und. B. Der Ast A 
spaltet sich nochmals bei b' in Zweige zweiter Ordnung. 
Bei B, B ist der Raum, den die Verzweigung eines Nerven- 
bündels einnimmt, durch blosse Schattirung angedeutet. P. 
eine Pigmentzelle. _ 

Bei b giebt die Primitivfibrille N ein dünnes Aestchen N! 
ab, welches bald in ein. Kanälchen des Derma eintritt (stark 
vergrössert). . 

Bei b und b' Theilung der Nerven. A, B, C, D die ein- 
zelnen Primitivfasern. 

Die Fibrille N theilt ‚sich, nachdem sie .das Bündel B ver- 
lassen hat, bei b in die Aeste A, B!. Der Ast A legt sich 
nach kurzem Verlauf an ein grösseres Nervenbündel wieder 
an, der Ast B! tritt bei d in ein Kanälchen des Derma ein. 


Nachtrag zum Aufsatz: 


Ueber eigenthümliche Moschusdrüsen der Schild- 
kröten, 
in diesem Archiv, 1848, p. 495, 


von 


Dr. W. PETERS. 


In einer Sendung, welche unser Museum neuerdings durch 
Herrn Agassiz aus Nordamerika erhielt, befanden sich auch 
zwei sehr wohl conservirte Exemplare von Chelydra ser- 
pentina Schweigg. in Weingeist. Meine früher ausgespro- 
chene Vermuthung, dass auch diese Gatlung mit seitlichen 
Moschusdrüsen versehen sein dürfte, hat sich bei Untersu- 
chung dieser Thiere nicht bestätigt. Sie zeigen keine Spur 
davon, und ihr Vorkommen bleibt daher auf die ange- 
führten Gattungen Pelomedusa, Platemys, Chelys, 
Sternotherus, Cinosternon, Staurotypus, Chelo- 
dina beschränkt. 


Beweise, dass nur die Tastorgane fähig sind, 
uns die Empfindungen von Wärme, Kälte und 
Druck zu verschaffen *). 


Von 
E. H. Weser, 


Die Ursache, warum diese Frage nicht schon längst ent- 
schieden ist, liegt darin, dass die Haut, welche der Sitz des 
Tastsinns ist, alle inneren Theile, die nicht Tastorgane sind, 
so umgiebt, dass es schwer ist Wärme, Kälte und Druck auf 
sie einwirken zu lassen, ohne zugleich die Tastorgane zu af- 
fieiren, wobei es dann nicht wohl möglich ist, zu unter- 
scheiden, welchen Antheil die inneren Theile, die nicht zu 
den Tastorganen gehören, an der entstehenden Empfindung 
haben. Nun hat man zwar nach Amputationen der Glieder 
und bei manchen andern chirurgischen Operationen Gelegen- 
heit auf innere Theile unmittelbar einzuwirken. Indessen ist 
nieht bekannt, dass Jemand dieselbe zu einem solchen Zwecke 
benutzt hätte, 

Nach solchen Operationen ist es die Pflicht des Arztes, 
den Kranken so schnell als möglich zur Ruhe zu bringen, und 
der Kranke selbst befindet sich nicht in der Verfassung, um 
über s0 schwache Empfindungen als die, welche mit der 


*) Siehe Berichte über die Verhandlungen der Königl. Sächsischen 


Gesellschaft der Wissenschaften, 1847. Heft X. $. 358 seqgq. 
Müllers Archir. 1849. 18 


274 


Wahrnehmung verschiedener nicht schmerzhafter Temperatu- 
ren oder eines mässigen Druckes verbunden sind, ruhig ver- 
gleichende Beobachtungen machen zu können. Es müssen 
daher solche Experimente auf die Zeit verschoben werden, 
wo die Heilung zwar bis zu einem gewissen Punkte fortge- 
schritten, aber die innern Theile noch nicht wieder mit einem 
neuerzeugten Tastorgane bedeckt sind. Unter diesen Umstän- 
den sind die Patienten nicht nur fähig, sondern sogar sehr 
aufgelegt, solche Beobachtungen zu machen, die ihnen einige 
Unterhaltung gewähren. 

Dieses istalso der erste Weg, dersich uns dar- 
bietet, um zu einer Entscheidung jener Frage zu 
gelangen. Ich habe daher meinen Freund Dr: Günther, 
Professer der Chirurgie in Leipzig, veranlasst, gemeinschaft- 
lich mit mir einige Beobachtungen an drei Kranken anzustel- 
len, bei welchen grosse Stücke der Haut durch eine ‚heftige Ver- 
brennung gänzlich zerstört und noch nicht so weit geheilt 
waren, dass der Tastsinn daselbst wiederhergestellt wor- 
den wäre. 

Es wurden zwei metallische Spatel einige Zeit: in Was- 
ser von verschiedener Temperatur eingetaucht, so dass der 
eine z. B. die Temperatur von 7° bis 10° R. (8°, 7— 129,5 
C.), der andere die von 36° bis 40° R. (45,0 —50°,0 C.) an- 
nahm, und dann die von der Haut entblösste Oberfläche schnell 
mit dem einen und bald darauf mit dem andern in Berüh- 
rung gebracht. _ Die Personen gaben auf die Frage, ob der 
berührende Körper warm oder kalt sei, ebenso oft eine fal- 
sche als eine richtige Antwort, so dass es vorkam, dass ei- 
ner oder der. andere dreimal hintereinander behauptete, dass 
er mit einem kalten Körper berührt werde, während  der- 
selbe warm war, und umgekehrt. 

Wurden aber die Versuche in der Nachbarschaft der 
Wunde an unverletzien Theilen der Haut gemacht, so un- 
terschieden die Kranken die Temperaturen leicht und sicher. 
Als man den Spatel in dem einen. Falle noch etwas wär: 


275 


mer machte und damit die von der Haut entblösste Ober. 
fläche berührte, fühlte der Patient Schmerz, was bei den 
früberen Versuchen nicht der Fall war. Aus diesen Versu- 
chen ergiebt sich also das Resultat, dass diese Kranken 
mit Theilen, an welchen die mit dem Tastsinne 
versehene Haut zerstört war, Wärme und Kälte 
nicht unterscheiden konnten, dassihnen aber wohl 
die Wärme, wenn sie einen gewissen Grad über- 
stieg, Schmerz erzeugte. 

Eine zweite Gelegenheit über die nämlicheFra, 
ge Untersuchungen anzustellen, haben wir, wenn 
wir einem Menschen den Magen oder den Darm- 
kanal mit einer grossen Menge warmer oderkalter 
Flüssigkeit erfüllen lassen, durch Verschlucken 
derselben oder durch Klystiere. Die Lippen, die 
Zunge, die Zähne, der übrige Theil der Mundhöhle, der 
Gaumen und der Schlund, sind mit dem Tastsinne versehen, 
von hier an aber verliert er sich, oder wird wenigstens so 
unvollkommen, dass man daran zweifeln kann, ob er in der 
Speiseröhre, im Magen und in den Gedärmen wirklich vor- 
handen ist. Ich trank ein Trinkglas voll Wasser schnell aus, 
welches ungefähr 8 Une. oder 255 Gramme Wasser enthal- 
ten mochte, und längere Zeit in der Frostkälte gestanden 
hatte und in welches ausserdem noch etwas Schnee gethan 
worden war, so dass man sicher sein konnte, dass es 0° 
Wärme gehabt habe. Ich empfand die Kälte desselben in der 
Mundhöhle, am Gaumen und am Schlunde, aber ich fühlte 
nicht das allmählige Hinabdringen des kalten Wassers in der 
Speiseröhre. In der Magengegend hatte ich zwar ein Gefühl, 
welches ich für ein schwaches Gefühl von Kälte hielt, da 
es aber nur in der Gegend der vorderen und nicht in der 
binteren Magenwand wahrgenommen wurde, so vermüthe 
ich, dass diese Empfindung dadurch entstanden sei, dass die 
grosse Menge kalten Wassers nicht nur der Wand des Ma- 
gens, sondern auch dem Theile der Bauchwand Wärme ent- 

18%* 


276 


zogen habe, der mit dem Magen in Berührung ist, und dass 
sich die dadurch entstehende Erkältung bis zur Haut in der 
Magengegend fortgepflanzt habe. Ich machte auch den ent- 
gegengesetzten Versuch und trank 3 Tassen voll Milch, de- 
ren Menge etwa 9 Unc. oder 270 Gramme betragen mochte, 
so schnell als möglich aus. Die Temperatur derselben in 
der ersten Tasse war + 56°R. (70°C.), in der dritten aber 
+ 50 R. (62,5 C.), in der zweiten stand sie zwischen die- 
sen Temperaturen in der Mitte. Ich fühlte die Wärme im 
Munde, am Gaumen und im Schlunde, nicht aber in der 
Speiseröhre. Im Momente, als die Flüssigkeit in den Magen 
einzudringen schien, hatte ich ein Gefühl, welches längere 
Zeit fortdauerte, aber es war nicht deutlich das Gefühl von 
Wärme, ich hätte es sogar bisweilen mit einem Kältegefühl 
verwechseln können. 

Um zu untersuchen, welche Empfindungen kaltes Was- 
ser hervorbringt, wenn es den Dickdarm erfüllt, wurde zwei 
Personen Wasser von der Temperatur von + 15°R. (180,2C.) 
durch ein Klystier beigebracht. Bei beiden erregte das Was- 
ser, während es eindrang, in der Gegend des Afters eine deut- 
liche Empfindung von Kälte. Im Innern des Bauchs aber 
fühlte der eine, der ungefähr 14 Une. oder 420 Gramme da- 
von aufnahm, als sich die Gedärme mit Wasser füllten, ei- 
nige Bewegung und nur eine sehr schwache, fast unmerkli- 
che Kälte, die allmählig nach der Mitte des Bauchs fortzu- 
schreiten schien, der andere, der davon ungefähr 21 Une. 
oder 630 Gramme empfangen hatte, empfand nichts davon. 
Als aber das Wasser nach einigen Minuten wieder abging, 
erregte es bei beiden am After die Empfindungen beträchtli- 
cher Kälte. 

Auch eine noch stärkere Kälte hatte keine beträchtlichere 
Wirkung. Denn als dem ersteren Beobachter ungefähr 14 
Unc. Wasser von der Temperatur von + 6° R. (7,5C.) bei- 
gebracht wurde, erregte es zwar in der Gegend des Afters 
das deutliehe Gefühl der Kälte, im Innern des Bauchs aber 


277 


entstand bei seinem Einströmen in die Gedärme nur das Ge- 
fühl von einem schwachen Rieseln, aber kein deutliches Ge- 
fühl von Kälte. Nachdem nun aber einige Zeit vergangen 
war, glaubte der Beobachter eine schwache Kälte wahrzu- 
nehmen und zwar mehr in der Gegend der vorderen Wand 
des Bauchs als des Rückens.. Dieses Gefühl dauerte 
auch nachher noch einige Zeit fort, nachdem das Was- 
ser nach einigen Minuten wieder abgegangen war.  Die- 
ser letztere Umstand spricht sehr dafür, dass das Was- 
ser den benachbarten Theilen Wärme entzogen und dass sich 
die Kälte allmählig bis zur Haut verbreitet habe. Ein Ther- 
mometer wurde auf den Theil der Bauchwand gelegt, wel- 
cher mit dem colon sinistrum in Berührung ist, und mit 
Kleidungsstücken bedeckt. Es stieg in längerer Zeit nur bis 
auf + 27° R. (330,7 C.), während es an demselben Orte 
am folgenden Tage bis auf + 28° R. (350,0 C.) stieg. 

Es ist nicht zu bezweifeln, dass die grosse Menge kal- 
ten Wassers bei diesen Versuchen nicht nur auf die Wand 
der Gedärme, sondern auch auf die benachbarten Bauchmus- 
keln, mit welchen das colon sinistrum in Berührung ist, 
in einer grossen Ausdehnung einwirke. Nicht nur also die 
Theile, welche mit organischen Nerven versehen sind, son- 
dern auch die Bauchmuskeln, welche sehr warm sind und 
animalische Nerven besitzen, zeigten sich ungeeignet uns die 
Empfindung der Kälte zu verschaffen. Denn hätten sie eine 
solche Fähigkeit, so hätte unter diesen Umständen die Em- 
pfndung der Kälte ganz unzweifelhaft sein müssen. 

Ich habe neulich die Bemerkung mitgetheilt, dass man 
die Nasenhöhlen vollkommen mit Wasser erfüllen könne ohne 
dass es in dem Schlunde hinabfliesst,*) Bei solchen Versuchen 
überzeugt man sich gleichfalls, dass man nur am Eingange 
der Nase in der Nähe der Nasenlöcher und am Schlunde 
die Kälte des Wassers empfinde, nicht aber in den höheren 
#0 äusserst nervenreichen, dem Geruchsinne dienenden Re- 


*) 8. Berichte etc, pag. 103. 


278 


gionen derselben. In diesem steigt das kalte Wasser all- 
mählig in die Höhe, ohne dass man das geringste davon em- 
pfindet. Die andere Nasenhöhle füllt sich allmählig damit 
an, ohne dass man etwas davon merkt. Nur wenn das 
Wasser sehr kalt, z. B. bei + 4@ R. (5°C.) entsteht in der 
oberen Region der Nasenhöhle ein eigenthümlicher Schmerz, 
der auch die Stirngegend einnimmt und auch in der Gegend 
der canales lacrimales empfunden wird, aber von der 
Empfindung von Kälte ganz verschieden ist. 

Auch diese und ähnliche oft wiederholte Versuche be- 
stätigen also die Annahme, dass wir nur durch die 
Tastorgane Empfindungen von Wärme und Kälte 
und Druck empfangen, denn in der Schleimhaut 
der Nase, welche der Sitz des Geruchs ist, und: 
zugleich ein sehr lebhaftes Gemeingefühl besitzt 
entsteht durch die Berührung eines festen Körpers 
nieht die Empfindung von Druck und durch die 
Berührung von kaltem Wasser nicht die Empfin- 
dung der Kälte. 

Ein dritter Weg über die aufgeworfene Frage 
ins Reine zu kommen ist folgender: 

Ich habe in meinen über den Tastsinn in dem Jahre 
1829 und in den folgenden Jahren herausgegebenen Program- 
men*) Methoden beschrieben und angewendet, die Feinheit 
des Tastsinns an einzelnen Theilen unsers Körpers zu mes- 
sen und zu vergleichen. Es ergab sich aus den von mir ge- 
machten Versuchen, dass der Tastsinn in den’ verschiedenen 
Theilen der Haut in einem sehr verschiedenen Grade ausge-- 
bildet ist. Dass aber dieselben Theile des Tastorgans, mit- 
telst deren wir den Druck zweier Gewichte genauer wahr- 


*) Gesammelt kamen diese Programme später von neuem her- 
aus unter dem Titel: De pulsu resorptione auditu et tactuan- 
notationes anatomicae et physiologicae auctore Ernesto. 
Henrico Weber. Lipsiae. 1834. 4. 


279 


zunehmen, zu vergleichen und die Differenz zu bemerken im 
Stande sind, auch geeigneter sind, um mittelst derselben die 
verschiedenen Temperaturen der Körper zu unterscheiden, 
und dass der Tastsinn in dieser doppelten Hinsicht um so 
feiner sei, je zahlreicher die Nervenfäden, die sich in einem 
gleich grossen Theile der Haut endigen. Auch wurde dar- 
gethan, dass die Wärme einen deutlicheren und stärkeren 
Eindruck mache, wenn die ganze Hand, als wenn nur ein 
Finger in warmes Wasser eingetaucht wird. Tauchten wir 
nämlich einen Finger der einen Hand und die ganze andere 
Hand in 2 Becken mit warmem Wasser von gleicher Tempe- 
ratur ohne die Temperatur vorher zu kennen, so schien uns 
das Wasser, in das wir die ganze Hand eintauchten, wär- 
mer als das andere. Man kann sogar in Wasser von 30°R. 
die eine Hand und in Wasser von 33° R. einen Finger der 
anderen Hand tauchen; dennoch wird uns das Wasser, das 
auf die ganze Hand einwirkt, wärmer zu sein scheinen, nn- 
geachtet es wirklich 3° R. kälter ist. _Derselbe Eindruck 
auf wenig Nervenfäden wirkend, ist schwächer, als wenn er 
gleichzeitig auf mehr Nervenfäden gemacht wird. Dasselbe 
bemerken wir auch im Auge. Eine grosse Wand, die unser 
ganzes Sehfeld einnimmt, scheint uns z. B. deutlich grün, 
während wir die grüne Farbe nicht mehr deutlich wahrneh- 
men, wenn wir dürch eine enge Röhre nach der Wand hin- 
sehen, und daher nur mit einem Auge einen kleineren Theil 
der schwach grün gefärbten Wand sehen. 

Man hat daher ein Mittel, zu prüfen, ob wir mittelst der 
in der Haut liegenden Nervenstämme Druck und Wärme und 
Kälte empfinden können, oder ob dieses nur mit den Enden 
der Nerven möglich ist, die vielleicht in den Tastorganen 
durch besondere Hülfsorgane fähig gemacht werden, so 
schwache Eindrücke in sich aufzunehmen, 

Ein Gewicht, welches wir auf die Stirn eines auf dem 
Rücken liegenden Menschen setzen, übt seinen Druck auch 
uf die Nervenstämme aus, welche wie der nervus supra- 


280 


orbitalis und supratrochlearis in der Haut 
der Stirn liegen und daselbst an die Knochen angedrückt 
werden. 

Wären nun die Hunderte von Nervenfäden, die hie, 
dicht beisammen liegen, fähig, nicht bloss an ihren Endigun- 
“gen, sondern auch in ihrem Verlaufe den Eindruck eines mäs- 
sig grossen Gewichts aufzunehmen, so müsste das Gewicht 
an den Stellen der Stirnhaut einen grossen Eindruck auf die 
Nerven machen und deutlicher und stärker empfunden wer- 
den, wo es zugleich einen Nervenstamm drückt, als wo es 
nur auf der Haut ruhe. Allein man nimmt das durchaus 
nicht wahr. Die Empfindlichkeit benachbarter Theile der 
Haut an der Stirn und in andern Gegenden ist nicht merk- 
lich verschieden, je nachdem Nervenstämme daselbst vorhan- 
den oder nicht vorhanden sind. Da nun also die Empfin- 
dung nicht verstärkt wird, wenn mit der Haut zugleich auch 
die Nervenstämme durch ein Gewicht einen mässigen Druck 
erleiden, so müssen wir annehmen, dass ein schwacher 
Druck nur wahrgenommen werden köune, wenn er auf die 
Enden der Nerven wirkt, die durch besondere Hülfswerkzeuge 
hierzu geeignet zu sein scheinen, dass er aber nicht empfun- 
den werden könne, wenn er auf die Nervenfäden auf ihrem 
Verlaufe wirkt. Wohl aber kann ein starker Druck durch 
die letzteren empfunden werden, wo er dann aber als 
Schmerz, nicht als Druck, empfunden wird. Dieselbe Er- 
fahrung macht man nun aber auch, wie ich in meinen Pro- 
grammen gezeigt habe, hinsichtlich der ‚Empfindung von 
Wärme und Kälte. 

Die Theile der Haut, in welchen grössere Nervenstämme 
liegen, sind gegen eine mässige Wärme und Kälte nicht em- 
pfindlicher als die, in welchen keine grösseren Nervenstämme 
befindlich sind. Wohl aber erregen in den grösseren Ner- 
venstämmen höhere Grade von Wärme und Kälte einen 
heftigeren Schmerz. Ich habe früher gezeigt, dass die Kälte, 
wenn man den Ellenbogen in einen Brei von Eis und Was- 


281 


ser taucht, in 16 Sekunden bis zu dem nervus ulnaris 
dringt, der am Ellenbogen unter der Haut und unter dem 
sehnigen Ueberzuge des Oberarms liegt, und einen: heftigen 
Schmerz verursacht, einen Schmerz, wie er nicht durch die- 
selbe Kälte in anderen Gegenden der Haut entsteht, in wel- 
cher kein grösserer Nervenstamm liegt. Aber jener Schmerz 
hat keine Aehnlichkeit mit der Empfindung der Kälte. 

Viele erfahren es übrigens an sich selbst, dass man am 
entblössten Zahnkeime eines hohlen Zahns kaltes Wasser 
von + 5°R nicht kalt, warmes Wasser von + 40°R nicht 
warm empfindet, sondern dass unter beiden Umständen ein 
Schmerz von derselben Beschaffenheit entsteht, ein Schmerz, 
der auch von dem nicht verschieden ist, welchen man fühlt, 
wenn der Zahnkeim gedrückt wird. 

Nur dann entsteht die Empfindung von Licht, wenn 
die Enden der Sehnerven vom Lichte getroffen oder durch 
Stoss oder Electricität erschüttert werden, nicht aber wenn 
das Licht oder die Electrieität auf andere Nerven wirkt. 
Nur dann entsteht die Empfindung von Schall, wenn die 
Enden der Gehörnerven den Schallschwingungen ausgesetzt 
werden. Dagegen werden die Thiere taub, wenn man, wie 
Flourens that, die Enden ihrer Gehörnerven und deren 
Hülfswerkzeuge in dem Labyrinthe des Ohrs zerstört, unge- 
achtet sich nachweisen lässt, dass auch dann noch der 
Schall unter gewissen Umständen unmittelbar in den Schä- 
del und in das Gehirn eindringen und alle Nerven erbeben 
machen könne. Nur dann entstehen Geruch- und Geschmacks- 
empfindungen, wenn die Enden der Geruch- und Geschmacks- 
nerven, durch besondere Hülfswerkzeuge unterstützt, eine 
Einwirkung von riechenden und schmeckenden Materien er- 
jeiden, nicht aber wenn diese Materien unmittelbar auf die 
Nervenstämme einwirken. Ebenso verhält es sich nun auch 
mit der Empfindung von Wärme, Kälte und Druck. Nur 
die Enden der Tastnerven, welche zu diesem Zwecke durch 
besondere uns noch nicht bekannte MHülfswerkzeuge unter- 


282 


stüzt zu werden scheinen, können die schwachen Einwir- 
kungen der Wärme, der Kälte und des Drucks aufnehmen, 
welche noch keine Verletzung hervorbringen, noch keinen 
Schmerz erregen, aber dennoch empfunden und den verschie- 
denen Graden nach unterschieden werden können. Andere 
Sinnesnerven und die Stämme der Tastnerven sind ungeeig- 
net uns die Empfindung der Wärme, der Kälte und des 
Drucks zu verschaffen, sie können uns höchstens, “wenn die 
sie treffenden Einwirkungen sehr heftig sind, Schmerz er- 
zeugen. 


Bemerkungen über einige Versuche zur Erläu- 
terung der Mechanik des Herzens. 
Von 


Professor Dr. Lupwıs Fick 
in Marburg. 


Bindet man in ein Herz (Menschenherz, Hammelherz, Kalbs 
herz) in die Aorta und Pulmonalis, so wie in eine Vene des 
rechten und in eine Vene des linken Vorhofes je eine Glas- 
röhre von etwa 5 Zoll Länge, alle 4 von gleichem Kaliber 
und etwa so gross, dass sie gerade in das Lumen der Aorta 
passen, legt das Herz in einen flachen Zuber, der ungefähr 
4 Zoll Wasser enthält, so dass die untere Seite des Herzens 
und der Vorhöfe und die in ihnen eingebundenen Röhren 
flach auf dem Boden des Gefässes liegen, die in die Arterien 
eingebundenen Röhren aber aus dem Wasser hervorragen 
(durch einen Gehilfen gehalten): so kann man, indem man 
das Herz mit beiden Händen unter dem Wasser ergreift und 
zwar s0, dass die Spitze des Herzens der Brust zugekehrt 
ist und die Daumen nach der Herzbasis gerichtet sind, durch 
abwechselndes rasches Drücken und Nachlassen, das Wasser 
des Gefässes durch das Herz hindurch, und zwar nur in der 
Richtung des natürlichen Kreislaufes durch die in die Arte- 
rien gebundenen Röhren auspumpen. Dass hierbei die nicht 
mit Glasröhren versehenen Lumina der Vorhöfe zugebunden 
werden, versteht sich von selbst, Der Versuch wird noch 


234 


mehr begünstigt, wenn man vorher durch Eingiessen von 
Wasser in die Glasröhren der Vorhöfe, die beiden Herzhöh- 
len reinigt und mit Wasser anfüllt. — Der Versuch eignet 
sıch sehr got dazu, den Mechanismus der Klappenventile zu 
zeigen, da das einmal in die Arterienröhren emporgedrückte 
Wasser nicht wieder beim Nachlass des Drucks zurück weicht, 
man dasselbe vielmehr bei jedem Druck steigen sieht, bis 
es endlich auszufliessen anfängt; weil man ferner sehr gut 
auch mit einer Scheere durch die Venenlumina der Atria 
die Atrioventricularklappen zerschneiden kann, wodurch denn 
das Pumpen ebenso unmöglich gemacht wird, wie es un- 
möglich wird, wenn man das Herz umgekehrt so untertaucht, 
dass die Arterienmündungen sich unter Wasser befinden, da- 
gegen die in die Atrien eingesetzten Röhren über das Was- 
ser hervorragen. 

Beweist dieser Versuch auch nichts für eine Saugkraft 
des Herzens im Leben, da das todte Herz fast niemals in 
einem vollständig contrahirten Zustande fest wird (es würde 
ja sonst in demselben nichts enthalten sein), weshalb es 
denn auch gewaltsam entleert, vermöge seiner Elastieität 
beim Nachlasse des Drucks unter Wasser, von diesem Was- 
ser aufnehmen wird. Da es ferner bei. einem schlaffen Herzen 
schon möglich ist, dass die Wellenbewegung des ganzen 
Wassers, in’ welche dasselbe durch die kräftige Bewegung 
der das Herz haltenden und abwechselnd drückenden Hände 
versetzt wird, stärker ist als der geringe Widerstand‘ des 
Herzens, und so die Füllung zu Stande kommt: so erschien 
es mir doch der Mühe werth, gerade diesem Versuch gegen- 
über, durch einen exacten Versuch die Rolle zu prüfen, 
welche das Herz bei der, in den letzten grossen Venenbah- 
nen des ihorax doch unleugbar stattfindenden Saugtbätigkeit 
oder wenn man lieber will, Herzaspiration, spielt. Ich nahm 
zu diesem Ende eine kräftige Katze, öffnete den thorax längs 
der Mittellinie, schnitt möglichst rasch Herz und Lungen aus, 
die Lungen vom Herzen ab und band sehr schnell in den 


285 


untern Hohlvenenstumpf (in den Durchtritt durchs Zwerch- 
fell) ein Manometer von dem Kaliber der pulmonalis, ver- 
schloss die obere Hohlvene, brachte das Herz in ein Glas 
mit Salzwasser von 30° und füllte das Manometer ebenfalls 
mit Salzwasser von 30°. — Das schlagende Herz entleerte 
durch die offne pulmonalis zuerst noch Blut, dann blutiges 
Wasser, wobei der Inhalt des Manometers bis auf das Niveaux 
des in das Herz eingebundenen Schenkels herabsank, dann 
aber vollkommen stille stand, obgleich ich noch 35 kräftige 
Pulsationen zählte. — Für das linke Herz wiederholte ich 
den Versuch in gleicher Weise mit dem in den linken Vor- 
hof eingebundenen Manometer mit genau demselben Erfolg. — 
An 5 Katzen wurde der Versuch wiederholt und gab genau 
dasselbe Resultat und zwar völlig gleich, ob man das Herz 
und Manometer aus dem Wasser heraushob, es in der Luft 
pulsiren liess, oder es unter das Wasser senkte; sobald die 
Flüssigkeit des Manometers nicht mehr durch ihr eignes Ge- 
wicht in den Binnenraum des Herzens eindrang, so hörte 
auch bei den kräfligsten Herzschlägen alle und jede Bewe- 
gung des Manometerinhalts auf. 


Ueber 


das Verhalten des Nabelbläschens ( vesica um- 
bilicalis) bei Pferde-Embryonen. 


. 


Von 


Dr. Franz MÜLLER 
im k. k. Thierarznei-Institute zu Wien. 


Bei der anatomischen Untersuchung der Eihäute von Pferde- 
Embryonen fand ich ein merkwürdiges Verhältniss des Na- 
belbläschens zur Lederhaut und zur Uterushöhle selbst, auf 
welches wenigstens weder in den grösseren Werken über die 
Entwicklungsgeschichte (Wagner’s Handwörterbuch der 
Physiologie, Bisch off: Entwicklung des Kaninchen-Eies, Ent- 
wieklungsgeschichte der Säugethiere und des Menschen in 
Soemmerring’s grosser Anatomie), noch in den bekannten 
physiologischen Handbüchern von Valentin, Johannes 
Müller ete. bis jetzt noch nicht aufmerksam gemacht ist, . 
und welches für die Zukunft, wie ich glaube, manche Auf- 
“ schlüsse in der Entwicklungsgeschichte zu geben geeignet 
sein wird. — 

Die Schaafhaut umgiebt den Embryo locker, überzieht 
die Nabelgefässe und setzt sich auf den Embryo selbst als 
Oberhaut fort; der Urachus dringt zwischen den Nabelge- 
fässen nach Aussen, und erweitert sich zur Allantois. Diese 
hüllt scheidenförmig diejenigen Nabelgefäss-Zweige, die zum. 


287 


Chorion und zur Placenta gehen, ein; zwischen diesen Ge- 
fässen liegt das Nabelbläschen, vesica umbilicalis — in 
der Grösse von etwa 34 Zoll Länge und 1 Zoll im Durch- 
messer an der weitesten Stelle. Es befindet sich also beim 
Pferde in einer Abtheilung des Nabelstranges, der von der 
Schaafhaut bis zur Lederhaut reicht, etwa 4 Zoll lang ist, 
und aussen scheidenförmig von der Harnhaut umgeben wird. 
Das Nabelbläschen erscheint von graugelblicher Farbe, und 
besteht deutlich aus zwei Schichten, einer äussern, welche 
gebildet wird aus den Verzweigungen der Nabeldarmgefässe 
(vasa omphalo-meseraica) und einer innern, die ein sehr dün- 
nes, zartes, jedoch ziemlich festes, an der innern Seite rauh und 
flockig aussehendes Häutchen darstellt. Der Nabelblasengang 
— Ductus omphalo-mesentericus — ist schon geschwunden; 
man sieht jedoch das Bläschen gegen den Embryo zu in einen 
länglichen, trichterförmigen Kanal ausgezogen. Die Nabel- 
darmgefässe sind jedoch noch deutlich als blutführende Or- 
gane vorhanden, wie man sie selbst noch als solche bei 41mo- 
natlichen Embryonen antrifft, wo man sie noch durchaus 
sehr leicht bis zur Einmündung in die Gekrösgelässe des 
Embryo verfolgen kann. 

Als ich zur genaueren anatomischen Untersuchung das 
Nabelbläschen aus seinen zelligen Verbindungen mit den Ge- 
fässen und der Harnhaut herauslösen wollte, fand ich das- 
selbe an seinem Grunde (dem dem Embryo entgegengesetzien 
Ende) fest mit der Lederhaut verwachsen; und bei genaue- 
rer Betrachtung zeigte es sich, dass die Lederhaut an 
dieser Stelle durchbohrt ist, und das Nabelbläschen 
frei nach Aussen in die Höhle des Ulerus steht. — Man be- 
merkt nämlich eine trichterförmige Einziehung des Chorion 
von etwa 1 Linie Tiefe und 2 Linien Durchmesser, den 
Grund derselben ausgefüllt vom hineinragenden Nabelbläschen, 
das jedoch von einer graugelblichen körnigen Masse bedeckt 
war. — Nach Entfernung derselben zeigte sich eine etwa 
stecknadelkopfgrosse, etwas zusammengezogene 


288 


Oeffnung, durch welche man eine feine Sende leicht in 
die Höhle des Nabelbläschens führen konnte, und wodurch 
letzteres sich sehr leicht mittelst einer feinen Röhre aufbla- 
sen liess. — Es communiecirt also die Höhlung des 
Nabelbläschens frei mit der Uterinalhöhle, so dass 
sich auch der Inhalt desselben in letztere frei ergiessen kann, 
wie man es im gegenwärtigen Falle auf eclatante Weise sah. 
— Ich konnte leider! keine Eihäute aus noch früheren Pe- 
rioden des Embryonal-Lebens des Pferdes bekommeu, da die 
Thiere umstehen müssen, um den ganzen Uterus herausneh- 
men zu können; und kann daher über den früheren Zustand 
dieser Communications - Oeflnung nichts sagen; jedenfalls 
scheint sie grösser zu sein, da sie in dem von mir unter- 
suchten Falle eine zusammengezogene Oeffnung zeigte. Desto 
vollständigere Aufschlüsse bin ich aber im Stande über das 
spätere Verhalten zu liefern, wozu ich bei den zahlreichen 
pathologischen Sektionen im Thierarznei- Institute während 
der Monate August und September 1. J. ein ausgiebiges und 
sehr erwünschtes Materiale fand. 

Bei einem etwa 4 Monate alten Pferde-Embryo sieht 
man das Nabelbläschen bedeutend kleiner, es reicht nicht 
mehr bis zur Lederhaut, sondern ist mit ihr durch einen 
triehterförmigen Kanal verbunden, dessen weitere Oelfnung 
mit der Uterinalhöhle in Verbindung steht, sein engerer dem 
Grund des Nabelbläschens zustehender und mit ihm verwach- 
sener Theil jedoch blind endet. — Bei der Vergleichung meh- 
rerer Embryonen verschiedenen Alters erkennt man leicht 
den Vorgang der Bildungsweise dieses Trichters. Zuerst 
schliesst sich die Oeffnung des Nabelbläschens selbst; da 
letzteres jedoch bei zunehmendem Wachsthum als Embryo 
kleiner wird, mit dem Chorion aber fest verwachsen ist, so zieht 
es dasselbe in entprechendem Maasse der Verkleinerung als 
einen hohlen, jedoch einerseitt geschlossenen Trichter nach; 
auf dieselbe Weise, wie der Hode bei seinem Herabsteigen 


289 


aus der Bauchhöhle in den‘ Hodensack einen vom Bauchfell 
gebildeten Trichter erzeugt, — der frei mit der Bauchhöhle 
communieirt. ‘Da ich den oben erwähnten, blind endenden 
Kanal zuerst entdeckte, so war ich anfangs der Meinung, 'er 
exislire auch offen 'als. solcher, was sich jedoch später als 
irrig erwies. 

Wenn das Nabelbläschen sich noch mehr verkleinert, so 
wird natürlich der‘ von der Lederhaut gebildete Trichter 
noch länger, ‚aber er verengert sich immer ‚mehr, so\.dass 
man zuletzt kaum ein Haar einführen kann, ja‘ später: ver- 
wandelt er sich in einen derben, fibrösen, soliden Strang, 
den ich in der Länge von 3 Zoll bei einem etwa ‘5 Monate 
alten Embryo in seinem äussersten Stadium antraf; denn da 
um diese Zeit auch das Nabelbläschen beim Pferd meistens 
schwindet, so saugt’ die Natur auch diesen Strang auf, und 
man sieht in späterer Zeit höchstens an der äussern ‚Fläche 
der Lederhaut die Stelle angedeutet, : wo er einmal existirte. 

So weit reichen meine Untersuchungen, da, wie schon 
erwähnt, mir die früheste Periode bis jetzt nicht zugängig 
war; ich will jedoch auf jede mögliche Weise trachten, ganz 
junge Pferde-Embryonen zu erhalten, und werde dann seiner 
Zeit das Resultat mittheilen. 

Schliesslich will ich nur noch einiges über den: Inhalt 
des Nabelbläschens erwähnen: 

Wenn man ein Nabelbläschen aufbläst, so findet man, 
dass es eine spindelförmige Form besitzt und in seiner Höhle 
eine verschiedene Menge von: Flüssigkeit einschliesst. ' Die- 
selbe mag 1—? Drachmen wiegen. — Sie war, besonders 
in den ganz geschlossenen, also ältern Bläschen, von einem 
graugelblichen Ansehen, trübe, und zeigte sehr viele Flocken 
und Körner, die theilweise in ihr herumschwammen, theil- 
weise jedoch sich an der innern Wand des Bläschens ‚prä- 
eipitirt hatten. — Das mit der Höhle des Uterus frei com- 
munieirende Bläschen zeigte einen ähnlichen Inhalt, jedoch 


in geringerer Menge. — Zwischen der. Lederhaut und 
Müllers Archiv 1849, “9 


290 


der innern Fläche des Uterus findet man eine ähn- 
liche schmutziggelbe Flüssigkeit oft in ziemlicher 
Menge ergossen. Dieselbe verdichtet sich zuweilen, schlägt 
sich an verschiedenen Stellen sowohl an die Schleimhaut 
des Uterus als an das Chorion nieder, und bildet schmutzig- 
gelbe oder bräunliche, zähe, wie zerlassenes gelbes 
Pech sich anfühlende, klumpige Massen von der Grösse ei- 
nes Kreuzers oder grösser, 41 bis 1 Linie dick, die oft in 
förmlichen Taschen der Lederhaut abgelagert sind, und zu- 
weilen in ausnehmender Menge gefuuden werden. 

Sowohl der Inhalt der Nabelbläschen, als die zwischen 
Uterus und ©horion ergossene merkwürdige Masse zeigen 
ein ganz ähnliches microscopisch - chemisches Verhalten, beide 
bestehen nämlich aus: 

Kohlensaurem Kalk in mässiger Menge, 

Zerfallener organischer Materie in Form von irregulären, 

granulirten, platten, bräunlichen Körpern, 

Cholestearin in sehr geringer Menge, 

Freiem Fett in grosser Menge und etwas Pigment. 

Diese fast gleiche Zusammensetzung beider lässt auch 
einen gleichen Ursprung vermuthen, und es ist nicht un- 
wahrscheinlich, dass das Nabelbläschen seinen Inhalt frei in 
die Uterinalhöble in frühester Zeit entleere. 

Auch über diese letzteren merkwürdigen Massen. die 
frei in der Uterinalhöhle in der frühesten Embryonal-Pe- 
riode des Pferdes liegen, finde ich nirgends etwas in den 
vergleichend-physiologischen Werken erwähnt, bloss Stan- 
nius (Müller’s Archiv vom Jahre 1848) scheint elwas 
ähnliches bei Kühen gefunden zu haben. 

Ich glanbe, dass dieses interessante Verhalten des 
Nabelbläschens ganz neue Gesichtspunkte in der Ent- 
wicklungsgeschichte bieten kann, dass man namentlich über 
die Bildung der verschiedenen fremdartigen Massen bei Säu- 
gelhieren etwas Näheres möglicherweise erfahren wird; — 
und glaube auch, dass diese Art der Verbindung mit 


291 


dem Chorion, und die Oeffnung in die Uterinal-Höhle beim 
Pferde nicht vereinzelt dasteht. 

Die betreffenden Präparate habe ich aufbewahrt, um 
sie später, wenn die Befunde zahlreicher, besonders aus den 
frühesten Perioden sind, mittelst Zeichnungen als ein Gan- 
zes zu veröffentlichen. 


Wien, im September 1849. 


19* 


Der Knorpel und seine Verknöcherung. 


Von 


Professor HerRMAnN MEYER 
in Zürich. 


(Hierzu Taf. VI.) 


Der Verknöcherungsprozess hat schon viele Arbeiten her- 
vorgerufen; aber das Ergebniss, welches dieselben geliefert 
haben, ist bis jetzt verhältnissmässig sehr unbedeutend ge- 
wesen. Ist es doch erst in der jüngsten Zeit möglich ge- 
wesen, einen genaueren Begriff von der Bedeutung der „Kno- 
chenkörperchen‘“ zu gewinnen. — Die Ursache dieser Er- 
folglosigkeit ist in verschiedenen Momenten zu suchen, denn 
wenn einerseits die Verschiedenheit des ersten Auftretens 
und der späteren Metamorphosen des Knorpels nicht wenig 
dazu beitrug, so wurde sie andererseits noch bedeutend er- 
höht durch die nicht unbedeutende Verschiedenheit in der 
Art, wie sich der Knorpel im Augenblicke seiner Umwand- 
lung in Knochen verhält; aber dennoch ist wohl als Haupt- 
grund die Wahl des Gegenstandes für die Untersuchung an- 
zusehen. Man hielt sich nämlich immer vorzugsweise an 
die Diaphysen der Röhrenknochen von Embryonen und Neu- 
gebornen, wohl in der Meinung, dass man hier, wo der 
Verknöcherungsprozess im vollen Gange ist, am Leichtesten 
werde dessen Hergang erlauschen können; von allen Objek- 
ten jedoch, welche man für die Untersuchung wählen kann, 


293 


habe ich keines ungeeigneter gefunden, als gerade dieses; 
denn die Gestalten und Formen, welche man hier zu sehen 
bekommt, kann man erst verstehen, wenn man durch 
vielfache Untersuchungen an andern Gegenständen gelernt 
hat, sie zu deuten. 

Ich habe diese Schwierigkeiten nur dadurch vermieden, 
dass ich, nicht auf ein Objekt mich beschränkend, die Ver- 
knöcherungsränder aller Knochen und Knochentheile des 
Skeletes in verschiedenen Lebensaltern untersuchte, und den 
Entwickelungszuständen der Knorpel in allen Lebensaltern 
besondere Aufmerksamkeit schenkte. Ich werde in dem Fol- 
genden nicht weitläufig darauf eingehen, alle meine einzelnen 
Untersuchungen darzulegen, sondern werde nur eine Schil- 
derung des Verknöcherungsprozesses geben, wie ich ihn durch 
dieselben kennen lernte. Ich darf dabei wohl unterlassen, 
unrichtige Ansichten früherer Forscher zu widerlegen oder 
die Quelle ihres Irrthums nachzuweisen; denn es wird sich 
solches aus der folgenden Darstellung von selbst ergeben, 
und würde noch dazu die Gränzen eines Aufsatzes in zweck- 
loser Weise weit überschreiten, 


I. Die Knochenzelle. 


Seitdem man angefangen, den Verknöcherungsprozess 
genauer zu untersuchen, hat man die Ansicht hegen müssen, 
dass die charakteristischen Elemente des Knochens aus ver- 
änderten Knorpelzellen hervorgehen und dass die Anzahl 
der sogenannten Knochenkörperchen in Uebereinstimmung 
mit der Anzahl der vorher dagewesenen Knorpelzellen stehe, 
oder mit anderen Worten, dass als Andeutung der früheren 
Knorpelzellen die Knochenkörperchen vorhanden seien, Nach 
dieser Ansicht muss also jeder Knochen zuerst ein Stadium 
durchlaufen haben, in welchem er nur als Knorpel angelegt 
war, Es hat nun zwar in neuerer Zeit Sharpey und nach 


294 


ihm Kölliker) die Meinung aufgestellt, dass auch Knochen 
sich bilden könne, welcher in seinen früheren Entwicke- 
lungszuständen nieht Knorpel, sondern Zellgewebe gewesen 
wäre, — oder, wie sie sich ausdrücken, dass auch Knochen 
sich aus häutiger Grundlage entwickeln können, ohne dass 
auch nur ein Atom von Knorpel in ihre Bildung eingehe?). 
Ich werde jedoch in dem Verlaufe dieser Abhandlung zeigen, 
dass diese Ansicht irrig ist, indem der Satz, dass jeder Kno- 
chen in seiner 'ersten Entwickelung Knorpel gewesen ist, 
unumschränkte Bedeutung behält: — Ich muss, mich darauf 
beziehend, mit Bestimmtheit den Satz aussprechen, dass ein 
jedes ,„‚Knochenkörperchen“, wo es auch vorkomme, einer 
früher vorhanden gewesenen Knorpelzelle entspricht. 

In dem ausgebildeten Knochen sieht man nur die Hyalin- 
substanz und in dieser die „„Knochenkörperchen‘“; in dem 
ausgebildeten Knorpel sieht man Hyalinsubstanz und Knor- 
pelzellen. Welches ist nun das Verhältniss der Knorpelzelle 
zu dem „Knochenkörperchen“ und wie stellt sich danach 
das Verhältniss der Knochenhyalinsubstanz zu der Knorpel- 
hyalinsubstanz heraus? Die drei Ansichten, welche hierüber 
möglich sind, haben alle ıhre Vertheidiger gefunden; es sind 
folgende: 

1) Das Knochenkörperchen ist die ganze Knorpelzelle, 
aber sternförmig ausgewachsen. — Schwann erklärt sich 
ohne darauf bezügliche Untersuchungen zu haben, für diese 
Ansicht, weil ihm die Aehnlichkeit der Knochenkörperchen 
mit sternförmig ausgewachsenen Pigmentzellen zu verführe- 
risch wurde. Weitere Vertreter hat diese Ansicht nicht ge- 
funden, jedoch stimmt Bidder’s®) Ansicht in so fern mit 


1) Zweiter Bericht der zootomischen Anstalt zu Würzburg 1849. 
S. 41. 

2) ibid. S. 51. 

3) Müller’s Archiv 1843. 


295 


ihr überein, als auch er das Knochenkörperchen aus einer 
ganzen Zelle, aber aus einer verschrumpften, entstehen lässt. 

2) Das Knochenkörperchen ist der sternförmig gewor- 
dene Kern der Knorpelzelle, deren übrige Theile durch ge- 
naue Verbindung mit der Hyalinsubstanz unsichtbar gewor- 
den sind. — Diese Ansicht habe ich zu begründen gesucht! ), 
und obgleich dieselbe mehrere Vertreter gefunden hat, muss 
ich doch jetzt bekennen, dass ich mich damals durch das 
Verhalten des Knochenkörperchens, wie ich es an verein- 
zelten Knochenzellen (namentlich im Cäment der Pferdezähne) 
sehen konnte, verführen liess, indem dieses Verhalten dem 
Verhalten eines Kernes zu seiner Zelle oft auffallend ähnlich 
ist, — Ich nehme deshalb diese Ansicht hiermit zurück. 

3) Das Knochenkörperchen ist der Rest der Höhle der 
Knorpelzelle, deren Wandung innere Auflagerungen erfahren 
hat; die ganze Knochenzelle ist daher als eine Zelle mit 
Tüpfelkanälen anzusehen, deren Umrisse durch Verschmelzung 
mit der Hyalinsubstanz verschwunden sind. — Diese Ansicht 
ist zuerst von Schwann neben der unter 1 angeführten 
Ansicht aufgestellt, aber von ihm verworfen worden, weil 
er nicht wagte, sie ohne genauere Untersuchungen zu ver- 
treten, indem noch kein anderes Beispiel einer Tüpfelkanal- 
bildung im thierischen Organismus vorliege. — Später hat 
Henle dieselbe wieder aufgenommen?) und Gründe zu ihren 
Gunsten geltend gemacht. — Die genauen und sorgfältigen 
Untersuchungen von Vötsch?) am neugebildeten Callus 
lassen keine Zweifel über deren Richtigkeit mehr übrig, und 
ich weiss diesen Untersuchungen nichts wesentlich Neues 
mehr beizufügen, Sehr sinnreich erklärt er auch die Ent- 


*) Müller's Archiv 1541. 

») Allgemeine Anatomie $. 635. 

») Die Heilung der Knochenbrüche per primam intentionem. 1847. 
5.28. 


296 


stehung der‘ Kanälchen der Knochenkörperchen und ‚erklärt 
damit zugleich in ansprechender Weise die eigenthümlichen 
Richtungen ihres ' Verlaufes. — Köllikert) glaubte zwar 
an rhachitischen Knochen ein Objekt gefunden zu haben, an 
welchem : man die Metamorphose der Knorpelzelle in..die 
Knochenzelle leicht sehen könne; er befand sich aber darin 
in’ einer Täuschung, denn der karakteristische Zustand ‘der 
rhachitischen Knochen besteht gerade darin, dass ihr Knor- 
pel sich nicht iu Knochen umwvandelt, und K’s. Knochen- 
zellen sind nichts als Knorpelzellen mit verdickten Wandun- 
gen, wie sie auch in’anderen Knorpeln häufig gefunden wer- 
den. Wegen der Begründung dieses Ausspruches . verweise 
ich auf die Mittheilungen, welche ich in dem nachfolgenden 
Aufsatze über die rhachitischen Knochen gebe. 

Man sollte nun glauben, dass mit diesen drei Ansichten 
alle Möglichkeiten erschöpft seien, aber es ist Köstlin2) 
doch gelungen, noch eine vierte Ansicht über die Bedeutung 
der Knochenkörperchen in Aussicht zu stellen; welche. aber 
diese ist, darüber kann man aus seinem Aufsatze nicht klar 
werden. i 
Dass ich auf Grund meiner Untersuchungen mich voll- 
ständig der unter 3 aufgestellten Ansicht anschliessen muss, 
habe ich schon ‘bemerkt; ich darf mich deshalb hierbei nicht 
länger verweilen. Ich mache nur noch darauf aufmerksam, 
dass ich, wie sich im Folgenden zeigen wird, ein leicht zn 
gewinnendes Objekt kennen gelernt habe, in welchem man 
vereinzelte Knochenzellen auf das Schönste sehen kann. 


I. Was ist eine Knorpelzelle? 
Ueberall findet man den Ausdruck „‚Knorpelzelle“ gebraucht 
und doch ist nirgends eine Definition desselben zu finden; 


1) Mittheilungen der naturforschenden Gesellschaft in Zürich. Heft 
I. 1847. S. 168. 
2) Müller's Archiv 1845. 


297 


demnach kann sich ein Jeder mit diesem Worte einen Be- 
griff verbinden, wie es ihm gerade für den Augenblick passt; 
und wreun dann verschiedene Autoren den Begriff der Knor- 
pelzelle verschieden auffassen, oder gar derselbe Autor nach 
Willkür die eine Zelle für eine Knorpelzelle erklärt, die 
andere aber nicht, so ist damit eine sehr fruchtbare Quelle 
für literarische Streitigkeiten geöffnet. Leider hat die Wis- 
senschaft schon häufig solche Streitigkeiten mit Worten statt 
mit Begriffen erleben müssen; und soll nicht durch solche 
eine unnöthige Kraftzersplitterung erzeugt werden, so müs- 
sen sie durch genaue Definitionen vermieden werden. 
Wenn man den Begriff der Knorpelzelle festzustellen 
versucht, so bemerkt man auflallender als irgendwo sonst, 
dass die Histologie aus der allgemeinen Anatomie hervorge- 
gangen ist und deswegen noch an vielen Mängeln zu. leiden 
hat, von welchen sie befreit wäre, wenn sie gleich anfangs 
als selbstständige Wissenschaft erstanden wäre. Eine Knor- 
pelzelle ist dem Wortsinne nach eine Zelle, welche man im 
Knorpel findet. Was ist aber, Knorpel? Selbst hier fehlt 
uns eine Definition; wir suchen eine solche vergeblich bei 
den Autoren. Die Histologie belehrt uns nur, dass ‚der 
Knorpel, als charakteristische Elemente, die Knorpelzellen 
enthalte. Idem per idem! — Wenn wir. wissen wollen, 
was Knorpel ist, müssen wir uns also an den Gebrauch 
dieses Wortes halten und sehen, zur Bezeichnung von wel- 
cher Art von Gebilden dieser Ausdruck. angewandt wird. 
Da finden wir denn, dass von der alten Schule alle Theile 
des Körpers von einer gewissen Konsistenz (Knorpelkonsi- 
stenz) Knorpel genannt werden, wenn sie weder Sehnen, 
noch Muskeln, noch Bänder, noch Ganglien sind. Die Hi- 
stologie hat nun diese „„Knorpel‘ untersucht und gefunden, 
dass in einer gewissen Art derselben sich Zellen mit einer 
festen homogenen Interzellularsubstanz befinden; — diese 
wurden wahre Kuorpel und die sie ‚bildenden Zellen Knor- 
pelzellen genannt. Andere Arten von „Knorpeln‘“ waren, 


298 


ähnlich den Sehnen, nur aus Bindegewebe gebildet, diese 
wurden aus der.Reihe der Knorpel gestrichen und zu den 
bindewebigen Bildungen verwiesen. Nun fand man aber auch 
Bildungen aus elastischem Gewebe oder aus Bindegewebe 
(Varietät: fihröses Gewebe zusammengesetzt, in welchen sich 
zwischen den Bindegewebfasern oder elastischen Fasern Zel- 
len gelagert fanden, und diese Bildungen gehörten auch 
zu den „‚Knorpeln‘, folglich waren die in ihnen enthaltenen 
Zellen auch „Knorpelzellen‘“‘; man nannte diese Bildungen 
in Berücksichtigung ihrer gemischten Zusammensetzung Fa- 
serknorpel oder falsche Knorpel. Nun finden sich aber auch 
ähnliche Zellen in Bildungen, welche, ohne „‚knorpelhart‘ 
zu sein, doch ähnliche mikroskopische Zusammensetzung zei- 
gen, wie die Faserknorpel, z. B. in den Fransen der Syno- 
vialhäute; diese Zellen werden denn auch für „‚Knorpelzellen‘ 
angesprochen. Damit ist denn das einzige leitende Prinzip 
für Bezeichnung einer Zelle als Knorpelzelle verloren gegan- 
gen. Ist aber dagegen ein neues aufgestellt worden? Ist 
ein einziges positives Merkmal gegeben, an welchem wir die 
Knorpelzelle als solche erkennen können? Die Beschaflen- 
heit weder des Kernes, noch der Wandung, noch auch des 
Inhaltes ist karakteristisch. Nur das Vorkommen ist der 
Knorpelzelle eigenthümlich und auch in diesem begegnen wir 
Verschiedenheiten und Schwankungen, welche uns verhindern, 
dieses Vorkommen abgegränzt zu bezeichnen, — oder unter 
welchem Namen, unter welchem Begriff sollen wir alle oben 
genannten Gebilde, in welchen „Knorpelzellen‘“ vorkommen, 
zusammenfassen? Wollen wir wirklich die an allen den 
bezeichneten Orten vorkommenden Zellen als Knorpelzellen 
bezeichnen, so müssen wir uns fast gestehen, dass wir keine 
andere Definition für die Knorpelzelle wissen, als die, dass 
gegenwärtig mit diesem Namen eine jede Zelle bezeichnet 
wird, welche aus Mangel eines karakteristischen Merkmals 
nicht anders bezeichnet werden kann. 

Eine jede ausgebildete Zelle hat aber einen Karakter, 


299 


der sie als ein Spezifisches bezeichnet. Mangel an Karakter 
bezeichnet nur die junge, unausgebildete Zelle. Sollte daher 
die Knorpelzelle vielleicht nur eine junge Zelle sein, deren 
Karakteristik allein in ihrer Zukunft läge? Der Knochen ist 
in seiner ersten Anlage auch Knorpel; das Knochengewebe 
ist ein Gewebe von genau bestimmtem Karakter. Sollte es 
karakteristisch für die Knorpelzelle sein, dass sie. eine Zelle 
ist, welche verknöchern kann oder soll? Wollen wir diese 
Bestimmung annehmen, wollen wir die Knorpelzelle als junge 
Knochenzelle bezeichnen, so haben wir damit allerdings eine 
bestimmte Ansicht von ihrer Natur gewonnen; aber wir be- 
reiten uns auch wieder neue Schwierigkeiten, indem wir 
dann vielen Knorpelzellen eine ewige Jugendzeit beilegen 
müssen, da sie oft auch in dem höchsten Alter nicht ver- 
knöchern. Um diese Schwierigkeit zu lösen, ist der einzige 
Ausweg, dass man die „‚Knorpelgebilde“ genau kennen lernt, 
und die Möglichkeit der Verknöcherung der Zellen in der 
einen oder der anderen Art derselben überhaupt nachweist. 
Man hat damit das Recht gewonnen, diejenigen Zellen, 
welche in derselben histologischen Formation vorkommen, 
von welcher man die Möglichkeit der Verknöcherung nach- 
gewiesen hat, als Knorpelzellen zu bezeichnen. Es ist damit 
jedoch nicht gesagt, dass die Knorpelzelle nicht auch noch 
ein anderes Ende nehmen könne, indem sie auch vor Beginn 
ihrer Verknöcherung auf eine oder die andere Weise zu 
Grunde gehen kann. 

In einem konkreten Falle werden wir uns nur dann da- 
für entscheiden, irgend ein zellenhaltiges Gebilde für Knor- 
pel (reinen Knorpel oder Faserknorpel) zu erklären, wenn wir: 

1) dasselbe oder ein analoges Gebilde schon in anderen 
Körpern verknöchert angetroffen haben, oder 

2) dasselbe in unmittelbarer Kontinuität stehen sehen 
mit Knochen oder doch mit Knorpel, dessen Verknöcherungs- 
fähigkeit uns bereits bekannt ist. 


300 


UI. Ossifieirender und permanenter Knorpel. 
Umwandlung des Knorpels in Fasergewebe. 
Gefässbildung im Knorpel. 


Die Knorpelarten werden, abgesehen von der bereits 
besprochenen Eintheilung in Faserknorpel und wahre Knor- 
pel, noch unterschieden in: ossificirende und permanente 
Knorpel. Diese Eintheilung beruht auf der Voraussetzung, 
dass der Knorpel, wenn er eine histologische Veränderung 
eingeht, keine andere, als diejenige in Knochengewebe er- 
fahren kann. Es ist nun allerdings wahr, dass in vielen 
Fällen die Verknöcherung der Ausgang desjenigen Bildungs- 
prozesses ist, als dessen miltlere Stufe wir die Bildung des 
Knorpels kennen; aber wir sehen eben so häufig, dass ein 
Gebilde, welches wir mit Fug und Recht wegen übereinstim- 
mender Eigenschaften und wegen Kontinuität mit verknöchern- 
dem Knorpel als wahren Knorpel bezeichnen, sich in ein 
Fasergebilde umwandelt, welches dem Rindegewebe ausser- 
ordentlich ähnlich ist und welches wir in seinem ausgebil- 
deten Zustande kaum von dem fibrosen Gewebe zu. unter- 
scheiden vermögen. Die Frage über Permanenz und Nicht- 
Permanenz der Knorpel kann daher nicht allein von dem 
Verknöchern desselben abhängig sein, sondern von dem spä- 
teren Schicksale des Knorpels überhaupt. Ehe ich deshalb 
näher auf dieselbe eintreten kann, muss ich erst bei diesem 
verweilen und zwar, weil die Verknöcherung als eine Art 
der Metamorphose des Knorpels bereits bekannt ist, zunächst 
bei der Bildung von Fasergewebe aus Knorpel und bei den 
damit in Zusammenhang stehenden Erscheinungen. 

Man kann den Prozess dieser Umwandlung am Besten 
an den Rippenknorpeln, aber auch an den Intervertebralknor- 
peln studiren. — Schon an den Rippenknorpeln sehr junger 
(43—14jähriger) Individuen bemerkt man nämlich auf der 
Schnittfläche einzelne Stellen, welche von dem gewöhnlichen 
milchigen Aussehen der Knorpelsubstanz wesentlich abwei- 


301 


chen; sie sind auf dem Durchschnitte rundlich, streifig, öfter 
auch ausgezackt oder sternförmig; ihr Ansehen ist gallertig, 
fast wie das der grauen Hirnsubstanz, oder atlasglänzend. 
Beim Eintrocknen sinken diese Stellen immer bedeutend tie- 
fer ein und erscheinen dann weiss; deshalb werden sie in 
diesem Zustande häufig für Knochenkerne gehalten; — wo- 
her dieses weisse Aussehen rührt, wird aus dem Folgenden 
ersichtlich werden. Untersucht man solche Stellen, so fin- 
det man, dass in-ihnen die Zwischensubstanz des Knorpels 
ihre Homogeneität verloren hat, indem sie in Fasern zerfällt, 
deren Ende ohne Abgränzung in die feste Zwischensubstanz 
übergeht. Anfänglich sind diese Fasern dicker und weniger 
scharfgerandet, später aber sind sie dünner, schärfer geran- 
det und dunkler, meistens gelblich. In dem ersten dieser bei- 
den Stadien, welchem häufig eine gelblich-körnige Trübung 
der Zwischensubstanz vorangeht,. erscheint die, Zerfällung 
mehr als eine streifige Zeichnung in der Zwischensubstanz, 
in dem letzten dagegen erkennt man ein deutliches Faserge- 
webe. Die Fasern liegen zwar alle unter einander parallel, 
velimen aber doch, stellenweise auseinanderweichend, die 
Koorpelzellen zwischen sich auf. Diese sind anfangs unver- 
ändert; später aber findet man sie in sehr verschiedenen 
Zuständen zwischen den Fasern gelagert. Alle Zustände 
derselben weisen aber darauf hin, dass sie in einem Auflö- 
sungsprozesse begriffen sind, welcher durch Verdünnung und 
Auflösung der Wandung zu Stande kommt und welcher in 
den verschiedensten Entwicklungsstadien der Knorpelzellen 
eintreten kann. Die mannichfachen Formen, in welchen 
man einfache Knorpelzellen und Mutterzellen mit Tochter- 
zellen hier findet, lassen sich alle auf Kombinationen zwi- 
schen verschiedenen Entwicklungsstadien und Stadien der 
Auflösung zurückführen. Am längsten bleiben noch die 
Kerne der Knorpelzellen, welche oft, namentlich in den 
Zwischenwirbelbändern, noch in der Zelle während deren 
Rückbildung eine eylindrische, spindelförmige oder dreieckig- 


302 


langgestreckie Gestalt angenommen haben. Liegen dann 
nach 'vollendeter Auflösung der Zellen diese so veränderten 
Kerne frei zwischen den Fasern, dann kann man sie leicht 
für Kernfasern halten, welche zu den Fasern gehören. Dass 
aber diese Kerne endlich auch verschwinden müssen, geht 
daraus hervor, dass man oft sehr grosse Mengen von Fasern 
bei einander findet, ohne dass ein solcher Kern zwischen 
ihnen zu entdecken wäre. — Bei der Bildung der Fasern 
aus der Intercellularsubstanz muss nicht nur eine, Zerfällung 
dieser letzteren vorkommen, sondern auch eine Massenab- 
nahme; darauf wenigstens weisen die sichtbaren Zwischen- 
räume zwischen den Fasern, so wie das Verhalten der so 
veränderten Stellen beim Eintrocknen hin. Sie sinken dabei 
nämlich: viel bedeutender ein, als die übrige Knorpelmasse, 
und dennoch liegen dann noch. nicht, die eingetrockneten 
Fasern dicht an einander, denn: das weisse Aussehen dieser 
Stellen rührt, wie die mikroskopische Untersuchung lehrt, 
davon her, dass zwischen den eingetrockneten Fasern sich noch 
viele mit Luft erfüllte Lücken: vorfinden. — Wahrscheinlich 
bedingt. eine Metamorphose der angegebenen Art in dem Cal- 
lusknorpel das Zustandekommen der Pseudarthrosen, in wel- 
chen .die beiden Bruchenden eines Knochens nur durch Fa- 
sermasse vereinigt werden; ein Verhalten, welches bei Knor- 
pelbrüchen, wo es in gleicher Art auftreten muss, als das 
gewöhnliche angesehen wird, während Heilung der Knorpel- 
brüche 'durch Knochenmasse als Seltneres dasteht. 

Nicht immer erreicht eine eingebildete Faserbildung die- 
ses Ende. Man findet öfters, dass die Zwischensubstanz 
des. Kuorpels, nachdem kaum: der Zerfaserungsprozess in ihr 
begonnen, 'gallertig wird, während die Zellen die oben er- 
wähnte Rückbildung aus verschiedenen Entwicklungsstadien 
zeigen. Man erkennt solche Stellen auf dem Durchschnitte 
des Knorpels daran, dass sie entweder fast ‚durchsichtig gal- 
lertig oder mehr trübe sind, je nachdem noch mehr oder weni- 
ger feste Elemente (unvollkommene Fasern, in der Rückbildung ' 


303 


begriffene Zellen oder Kerne) in der aufgelösten Zwischen- 
substanz gelegen sind. Beim Auftrocknen sinken sie bedeu- 
tend ein und werden weiss, wenn sie im frischen Zustande 
trüb waren. Dieser Prozess endet mit vollständiger Auflö- 
sung der Knorpelsubstanz und mit Höhlenbildung. Was als 
Knorpelmark beschrieben worden ist, ist offenbar nichts an- 
deres, als diese in der Auflösnng begriffene Knorpelsubstanz; 
wenigstens stimmt der Ort des Vorkommens mit den Anga- 
ben über das Vorkommen des Knorpelmarkes überein, und 
ich habe nie und in keinerlei Knorpel irgend etwas anders 
finden können, welcbem ein solcher Name hätte beigelegt 
werden können. Es erhellt daraus zugleich, wie sehr un- 
glücklich gewählt dieser Name sei. — Mau kann den eben 
beschriebenen Hergang am Besten beobachten an den dicken 
noch knorpeligen Gelenkenden der Röhrenknochen oder in 
der Kniescheibe oder am Hand- und Fusswurzelknochen Neu- 
geborner, wo sich Gefässbildung in dem Knorpelgewebe zeigt; 
denn die Höhlen und Röhren, in welchen sich die Gefässe 
bilden, entstehen auf solche Weise, Man findet aber auch 
diese gallertige Auflösung des Knorpels ohne irgend welche 
Beziehung zur Gelässbildung im Inneren’ grösserer Knorpel- 
slücke, deren Verknöcherung spät oder langsam eintritt; so 
fand ich sie in den-Rippenknorpeln, im Schildknorpel, im 
Geleukknorpel, in dem Inneren des os cuboides von Kindern 
kurz nach der Geburt, in dem noch unverknöcherten Theil 
der Körper der drei Beekenknochen bei jüngeren Individuen 
etc. Daraus ist also zu schliessen, dass die bezeichnete Um- 
wandlung eine in der Natur des Knorpels begründete Meta- 
morphose ist, und weder als Vorläufer noch als Begleiter 
oder Folge der Gefässbildung anzusehen ist.  Weım sich Ge- 
füsse in den entstandenen Lücken bilden, 'so ist dieses nur 
als ein Zufälliges anzusehen; und die Möglichkeit dazu scheint 
nur dann stalt zu finden, wenn die so gebildeten Lückensy- 
sieme an gefässreiche Theile stossen; deshalb findet man 
auch eine Gelässentwicklung in den knorpeligen Gelenkenden 


304 


im Schildknorpel, im Rippenknorpel, wenn die Lücken an 
das Perichondrium stossen; niemals dagegen findet man Ge- 
fässe in den erweichten Theilen der Gelenkknorpel, oder in 
solchen erweichten Stellen, welche ringsum mit gesunder 
Knorpelsubstanz umschlossen sind. Diese Beobachtungen 
werden auch dazu beitragen, das Verhältniss der Gefässbil- 
dung zu der Verknöcherung in das rechte Licht zu setzen. 
Man hat nämlich bekanntlich zum Oefteren behauptet, 
und man hört die Behauptung noch immer allgemein äussern, 
dass einer Verknöcherung des Knorpels Gefässbildung in 
demselben vorhergehen müsse. Wenn nun aber nach dem 
eben Gesaglen die Gefässbildung nur ein Zufälliges ist, 'so 
wird man darans schon schliessen müssen, dass dieselbe 
kein nothwendiges Moment zur Einleitung der Verknöcherung 
ist; — und wirklich findet man auch überall die Verknöche- 
rung ohne Gefässbildung entstehen und vorwärtsschreiten; 
und in Beziehung auf das Verhältniss zwischen Verknöche- 
rung und Gefässbildung lässt sich nichts sagen, als dass 
Knorpel, welcher Gefässe hat, ebensogut verknöchern kann, 
als Knorpel, welcher keine Gefässe hat, und dass in dem 
Auftreten :und Fortschreiten der Verknöcherung durch die 
Gefässbildung in dem Knorpel keinerlei Abänderung erzeugt 
wird. Deshalb zeigt sich in den dicken Gelenkenden Neu- 
geborner oder etwas älterer Kinder und in der Patella der- 
selben, und an allen ähnlichen Stellen junger Thiere (Kälber, 
Kaninchen, Hunde, Katzen sind untersucht worden) nirgend 
eine dem Verlaufe der Gefässe folgende Verknöcherung, son- 
dern stets trilt zuerst ein mittlerer Knochenkern auf, wel- 
cher sich allseitig gleichmässig vergrössert und nur an den 
Epiphysen erleidet diese Allseitigkeit eine Abänderung durch 
ein anderes später zu entwickelndes Gesetz. An dem Os 
euboides eines mehrwöchentlichen Kindes, wo ich jene zen- 
trale Erweichung besonders umfangreich fand, und wo in 
dem Umfange der erweichten Stelle die Verknöcherung in 
vollem Gange war, fand ich keine Spur von Gefässbildung 


305 
und‘doch hätte sich solche hier nothwendig zeigen müssen, 
wenn sie in nothwendigem Zusammenhänge zur Erweichung 
oder zur 'Verknöcherung stehen würde. 

Die Schlussstufen der Entwickelung des Knorpelgewe- 
bes können demnach ausser der Verknöcherung sein: die 
Bildung von Fasergewebe oder die gallertige Auflösung, letz- 
tere mit oder ohne Gefässentwicklung. In welchem Ver- 
hältnisse stehen nun aber diese verschiedenen Entwickelun- 
gen des Knorpels zu einander? 

» Will man, wie dies gewöhnlich geschieht, ‘die Verknö- 
cherung; als die normale Schlussumwandlung des Knorpels 
ansehen, so muss man die Zerfaserung und die gallertige 
Erweichung für etwas Abnormes, Pathologisches erklären. 
Die genannten Veränderungen treten aber unter geeigneten 
Verhältnissen regelmässig auf und es ist zu ihrem Eintritte 
nur nothwendig, dass die Knorpelsubstanz 'ein verhältniss- 
mässig höheres Alter erreiche. Wir finden sie deshalb in 
allen Arten des ächten Knorpels (die Faserknorpel müssen 
als gemischte Gebilde hier ausser Rechnung bleiben). Ich 
habe Zerfaserung und gallertige Erweichung gefunden in den 
Rippenknorpeln, in den Kehlkopfknorpeln, in Gelenkknorpeln 
und in Knorpeltheilen, welche im Erwachsenen als Knochen 
auftreten, aber erst spät diese Umwandlung eingehen, z. B 
zwischen und an den Beckenknochen, ‘in Hand- und Fuss- 
wurzelknochen, in den Epiphysen der Röhrenknochen ete.; 
— mit anderen Worten in den Nervenskeletknorpeln und 
den Eingeweideskeletknorpeln. Bedenken wir nämlich, dass 
das ganze Nervenskelet ursprünglich nur in einer knorpeli- 
gen Anlage besteht, so werden wir die Gesammtheit aller 
Theile desselben als ein Knorpelgerüste ansehen können, in 
welchem manche Stücke früher, andere später verknöchern, 
wobei noch in den einzelnen Stücken die Verknöcherung eine 
Zeit lang rasch und eine Zeit lang langsam vorwärts schrei. 
ten kann, und eine Zeit lang sogar gänzlich ruhen kann 


Wir werden einen Röhrenknochen z. B. als ein einziges 
Müller’'s Archiv. 1849, 20 


306 


Knorpelstück ansehen, dessen mittlerer Theil zuerst und rasch 
als Diaphyse die Verknöcherung anfängt, -- dessen End- 
theile, als Epiphysen nachher den Verknöcherungsprozess 
beginnen, — in welchem sodann während des Wachsthums 
die Verknöcherung der Epiphysen und Diaphysen langsam 
vorwärtsschreitet und einige Zeit lang in der Nähe der Ge- 
lenkflächen stehen bleibt, wodurch die Gelenkknorpel entste- 
hen, — bis diese denn zuletzt auch noch verknöchern. Von 
diesem Standpunkte aus sind die Knorpelreste zwischen den 
Epiphysen und Diaphysen, die Knorpelreste zwischen den 
Beckenknochen und zwischen den einzelnen Theilen des 
Brustbeins, diejenigen zwischen den processus costarii der 
Hals- und Lendenwirbel und den Wirbelkörpern, zwischen 
der massa lateralis des Kreuzbeins und dem Körper des 
Kreuzbeins, ferner diejenigen an den noch unvollendeten 
Knochenfortsätzen trochanter, tuber ischii, condylus humeri 
etc., die Nasenknorpel, die Rippenknorpel und Gelenkknor- 
pel — nur unverknöchert gebliebene Theile der ursprüngli- 
chen Knorpelanlage. Der Gelenkknorpel erscheint uns des- 
wegen als kein besonderes Gebilde; und den Rippenknorpel 
dürfen wir beinahe als einen monströs dicken Gelenkknorpel 
ansehen, weil er mit der fovea costalis des Brustbeins ar- 
tikulirend ein Kontinuum mit der Rippe bildet. Es darf uns 
nach diesem nicht wundern, wenn wir in allem ächten Knor- 
pel dieselben Gesetze herrschend finden, dass er nämlich der 
Zerfaserung, der gallertigen Erweichung und der Verknöche- 
rung unterworfen ist. Wir können deshalb den einen oder 
den andern der drei Ausgänge des Knorpels nicht als einen 
für diesen oder jenen Knorpel eigenthümlichen ansehen. 
Es kann aber doch wohl nicht als ein Zufälliges angesehen 
werden, ob die eine oder die andere Verwandlung den Kno- 
chen betrifft und jedenfalls muss sich ein bestimmtes Ver- 
hältniss zwischen ihnen erkennen lassen. Es entsteht dar- 
aus zuerst die Frage: Schliessen sich die drei angeführten 


307 


Schlussverwandlungen des Knochens einander aus? Ich habe 
in dieser Beziehung folgendes gefunden: 

Nach eingetretener Verknöcherung ist natürlich die Zer- 
faserung nicht mehr möglich, dagegen tritt in dem neugebil- 
deten und älteren Knochen eine Erweichung ein, welche 
zuerst den Markräumen Entstehung giebt. Diese Erweichung 
scheint allerdings in den meisten Fällen durch die Gefässe 
vermittelt za werden und trägt deshalb alsdann mehr den 
Karakter der Anfressung. In vielen Fällen dagegen scheint 
sie auch als ein selbstständiger Prozess aufzutreten, indem 
sich Markräume auch in dem Inneren kompakter, gefässloser 
Knochenmassen entwickeln: dieses geschieht z. B. in den 
Zwischenwirbelknochen, in den Schaltknochen zwischen 
den Beckenknochen, und jedenfalls in der ersten Markhöhlen- 
bildung in den anfangs gefässlosen Diaphysen. 

Nach eingetretener Faserbildung ist, wenn diese vollen- 
det ist, keine Verknöcherung mehr möglich; wahrscheinlich 
ist auch die Erweichung ausgeschlossen; ich habe wenigstens 
nie solche an den Zwischenwirbelbändern wahrnehmen kön- 
nen. Dagegen ist im Beginne der Zerfaserung sowohl 
Verknöcherung als Erweichung möglich, denn erstere kann 
noch eintreten, so lange die Zellen keine Rückbildung erfah- 
ren haben; und letztere zeigt in ihrem Beginne häufig vor- 
angehende Zerspaltung der Zwischensubstanz. 

Nach eingetretener Erweichung ist Faserbildung ausge- 
schlossen, wie sich von selbst ergiebt; dagegen ist Verknö- 
eherung noch möglich, so lange die Zellen noch keine ent- 
schiedene Rückbildung erfahren haben. 

Sehen wir nun von der Erweichung und Auflösung 
der Knochensubstanz, als von einem nicht direkt zur Me- 
tamorphose des Knorpels gehörigen Prozesse ab, so finden 
wir, dass die Verknöcherung in einem Knorpel eintreten 
kann, welcher noch kompakte Zwischensubstanz, oder zer- 
faserte, oder erweichte hat, dass dagegen mit dem Eintritte 
der Verknöcherung die Faserbildung und die Erweichung ab- 

20* 


308 


geschnitten sind. Verknöcherung kann aber in einem Knor- 
pel zu sehr verschiedenen Zeiten seines Bestehens eintreten; 
in früh verknöcherndem Knorpel finden wir weder Faserbil- 
dung noch Erweichung, sondern nur in solchem, welcher 
längere Zeit als Knorpel bestehen bleibt. Wir müssen des- 
halb Faserbildung und Erweichung als eigenthümliche Um- 
wandlungen des Knorpels ansehen, deren Auftreten dadurch 
möglich wird, dass die Verknöcherung erst spät erscheint. 
Sollen wir sie aber darum für etwas Pathologisches erklä- 
ren? Ich glaube kaum, dass dieses gestattet sein kann, denn 
es sind regelmässig bei allen Individuen und in allen Knor- 
peln auftretende Veränderungen. Was wir aber regelmässig 
bei allen Individuen antreflen, namentlich wenn es in das 
Gebiet der Histologie gehört, und in Geweben und bei Indi- 
viduen angetroffen wird, bei welchen man noch keine Rück- 
bildung wegen Alters vermuthen darf: — das dürfen wir 
doch ‚als normal ansprechen. 

Wenn wir nun aber einerseits sehen, dass Faserbildung 
und Erweichung in der Zwischensubstanz beginnt und die 
Zellen in die Zerstörung hineinzieht, — und andererseits finden, 
dass der Eintritt der Verknöcherung von der Anvwresenbheit 
unveränderter (nicht rückgebildeter) Zellen abhängig ist, von 
diesen also ohne Zweifel eingeleitet wird, und dann die Zwi- 
schensubstanz mit erfasst, — so muss als Schluss erkannt 
werden, dass das normale Ende der Zwischensubstanz Fa- 
serbildung oder Erweichung und das normale Ende der Zel- 
len ‚die Verknöcherung ist; welcher von den beiderlei Pro- 
zessen nun zuerst und am Kräftigsten eingeleitet wird, der 
überwiegt und zieht die ganze Knorpelmasse in sein Bereich. 

In den Faserknorpeln, gelben und fibrosen, hat die 
Zwischensubstanz einen besonderen Charakter; sie hat. in 
diesem schon eine Bildung. erreicht, welche keine weitere 
Veränderung im Sinne einer Weiterentwicklung mehr zulässt. 
Wenn demnach in den Faserknorpeln sich noch. weitere _ 
Veränderungeu zeigen sollen, so müssen diese nur nächsten 


309 


Bezug auf die anwesenden Zellen haben, und müssen nach 
dem oben Gesagten in Verknöcherung bestehen. Wirklich fin- 
det man auch bei beiden Arten von Faserknorpeln eine Ver- 
knöcherung der Zellen, welche häufig die Zwischensub- 
stanz mit in ihren Prozess hineinzieht und dadurch einer 
kompakten Knochenmasse Entstehung giebt. 

Kommen wir nun nach diesem wieder auf die Frage 
von Permanenz und Nicht-Permanenz der Knorpel zurück, 
so müssen wir, uns auf das bisher Erörterte stützend, die 
folgende Ansicht über dieselbe aufstellen. | 

Der Knorpel ist ein Gebilde im jugendlichen Zustande, 
und kann sich früher oder später umwandeln in Fasermasse 
oder in Kuochenmasse, oder er kann auch, ehe diese Um- 
wandlungen zu Stande kommen, durch Erweichung zu Grunde 
gehen. Bei manchen Knorpelmassen tritt die eine oder die 
andere Umwandlung oft sehr spät, oft auch im ziemlich ho- 
hen Lebensalter gar nicht ein; wie z. B. in den Gelenkknor- 
peln. Da nun nach den gewöhnlichen Begriffen ein perma- 
nenter Knorpel ein solcher ist, welcher nicht verknöchert, 
so käme es sehr auf Zeit des Lebens und auf Individualität 
an, wenn man in einem konkreten Falle ein Urtheil über 
Permanenz oder Nicht-Permanenz der Knorpel stellen sollte. 
Nun hat man zwar die Auskunft, für permanent einen Knor- 
pel zu erklären, welcher im Ausgewachsenen nicht verknö- 
chert ist. Es ist dieses aber jedenfalls eine sehr schlechte 
Unterscheidung, denn ein permanenter Knorpel soll überhaupt 
nie verknöchern können; es sollte in diesem Begrifl' eine 
der betreffenden Art von Knorpel immanente Eigenschaft aus- 
gedrückt sein, nicht das zufällige Zusammentreflen eines ge- 
wissen Entwickelungszustandes mit einer gewissen Zeit des 
Alters. Wenn nun aber nach dem früher Gesaglen, : welches 
später noch weiter auszuführen ist, eine jede Knorpelart, 
auch die fibrosen und gelben Knorpel, verknöchern kann, 
so darf nicht ein einziger Knorpel für permanenten Knorpel 
erklärt werden, ® 


310 


Zeigt sich somit einerseits, dass der Begriff des ‘perma- 
nenten Knorpels in seinem negirenden Theil (Nicht-Verknö- 
chern) unhaltbar ist, so müssen wir andererseits auch aus 
dem Vorhergehenden die Behauptung aufstellen, dass dieser 
Begriff? in seinem ponirenden Theile (Verharren im Knorpel- 
zustande) eben so unhaltbar ist. Wir finden ja, dass aus 
dem Knorpel ausser dem Knochen noch ein anderes ganz an- 
derartiges Gebilde (fibroses Gewebe) hervorgehen kann, — dass 
also der nicht verknöchernde Knorpel darum nicht im Knor- 
pelzustande verharren muss. Man könnte zwar einwenden, 
dass diese Zerfaserung als ein Pathologisches anzusehen sei, 
ich habe mich aber oben bereits darüber ausgesprochen, dass 
dieses als unstatthaft angesehen werden müsse, und es wird 
diese Unstatthaftigkeit noch mehr einleuchten, wenn man 
bedenkt, dass die Bandscheiben zwischen den Wirbeln, 
welche noch Niemand als etwas Pathologisches angesehen 
hat, auch grossentheils aus Knorpel hervorgegangen sind, 
wie die Untersuchung an Embryonen und jungen Individuen 
lehrt, und an dem Erwachsenen die unmittelbare Kontinui- 
tät der Fasern dieser Scheiben mit den den Wirbel noch be- 
deckenden Knorpelscheiben bestätigt. 

Man wird also die Begriffe: ‚permanenter Knorpel“ 
und ‚,‚nicht permanenter Knorpel‘ müssen fallen lassen und 
künftig nur unterscheiden: 

1) Faserknorpel, 

2) ächte Knorpel 
und für den ersteren die Unterscheidung in 

fibrosen Knorpel und 

gelben Knorpel 
beibehalten, und von dem letzteren die beiden Ausgänge in 
fibroses Gewebe und in Knochen anerkennen; wobei nicht 
ausgeschlossen ist, dass der Faserknorpel auch verknöchern 
kann. Vielleicht wird man noch einen Theil der jetzt als fibrose 
Knorpel angesehenen Knorpel noch zu den ächten Knorpeln 
reihen müssen, deren Zwischensubstanz in Fasern zerfallen ist.. 


311 


Ich will zum Schluss noch eine Uebersicht derjenigen 
Veränderungen angeben, welche ich regelmässig in mehr oder 
weniger hohem Alter an den sogenannten permanenten Knor- 
peln gefunden habe, wenn auch Einzelnes davon schon be- 
kannt ist. 

Im Rippenknorpel fand ich Zerfaserung und Verknö- 
cherung, 

im Kehlkopfknorpel fand ich Verknöcherung, seltner 
Zerfaserung, 

im Knorpel des processus xiphoides — Verknöcherung, 

im Symphysenknorpel — Verknöcherung und Zerfaserung 

im Gelenkknorpel — Verknöcherung und Zerfaserung, 

im Nasenknorpel — Verknöcherung, 

im fibrosen Knorpel — Verknöcherung, 

im gelben Knorpel — Verknöcherung. 


IV. Was ist Verknöcherung? 


Die Chemie lehrt uns, dass in sogenannten Knochen 
oder Verknöcherungen, Kalksalze in grosser Menge vorkom- 
men; da wir nun in der Anwesenheit der Kalksalze eine 
hinlängliche Erklärung für die Härte „verknöcherter Theile‘ 
finden, so dürfen wir wohl das Wesen der Verknöcherung 
in der Ablagerung von Kalksalzen in vorhandene Gewebe 
erkennen. Die Histologie hat die Aufgabe die Art dieser 
Ablagerung genauer zu ermitteln, indem sie diejenigen Gebilde 
untersucht, in welche die Ablagerung geschieht und den Ort 
in dem Gewebe ermittelt, an welchem die Ablagerung auf- 
tritt. Wenn die Verknöcherung als ein rein histologischer 
Begriff aufgefasst werden soll, dann dürfen zu derselben nur 
diejenigen Veränderungen gerechnet werden, in welchen die 
Ablagerung der Kalksalze nur in morphologisch genau be- 
zeichnete Gebilde niedergelegt worden, und zwar in gleich- 
mässiger Weise durch das ganze Gebilde, so dass zu erken- 


312 


nen ist, dasa'der Prozess ein mit dem’Leben des ‚Theiles 
eng zusammenhängender ist. — Massenhafte Ablagerung ‘von 
Kalksalzen: in ‚grössere Lücken. der Masse eines‘! Gewebes 
(wie. z. B. in den Arterienhäuten), oder kalkige Niederschläge 
in amorphen Massen (z. B. in Tuberkeln) kann demnach 
nicht als Verknöcherung der betreffenden: Bildungen angese- 
hen werden, und diese Hergänge sind, wie bereils vielfältig 
geschieht, -als ,;Verkreidungen‘“ von! der ‚Verknöcherung zu 
trennen. 

In'der Verknöcherung muss die Ablagerung in! nächste 
Beziehung zu den Elementen eines Gewebes treten. ; Wir 
finden nun aber in einem'jeden Gewebe zweierlei Elemente, 
nämlich die Elementartheile und eine festere oder flüssigere 
Zwischensubstanz.' Es lässt sich schon a priori' sagen, dass 
demgemäss drei Arten von Kalkablagerungen in.'Bezug auf 
den Ort derselben müssen vorkommen können, nämlich: 

Ablagerung in die Elementartheile selbst, 

Ablagerung in die Zwischensubstanz, 

Ablagerung in die Elementartheile und in die Zwischen- 

substanz. 

Ablagerung in die Elementartheile allein kommt selten 
vor, doch scheinen einer solchen der Gehörsand, die Kry- 
stalle im Tapetum der Augen und der Zirbelsand ihre 
Entstehung zu verdanken. An Linsen, welche ihrer Trü- 
bung wegen durch Extraktion entfernt worden waren, habe 
ich ebenfalls als häufige Ursache der Trübung Ablagerung 
von krümeligen Kalksalzen in das Innere der Linsenfasern 
erkannt. 

Ablagerung in die Intercellularsubstanz allein finden wir 
noch seltener, doch habe ich einmal eine solche an der 
Linse eines Auges gefunden, welches wegen Krebs exstirpirt 
worden war. Die Linse war hier auf das Zierlichste radial 
gestreift; bei der mikroskopischen Untersuchung zeigten sich 
die Linsenfasern der Länge nach gespalten, so dass sie an den 
Bruchenden in zwei, drei oder vier einzelne Streifen zerfa- 


313 


serten; ‘und. zwischen den Linsenfasern lagen Kalkkrümel 
von ziemlicher ‚Grösse in bedeutender Menge angehäuft. — 
Hierher ist ohne Zweifel auch ‘eine von mir beobachtete ei- 
genthümliche Form der ,Verknöcherung‘* in den Rippen- 
knorpeln zn rechnen. Die Faserbildung tritt in diesen näm- 
lich vorzugsweise in der Längenachse auf. Wenn nun nach 
vollendeter Faserbildung in deren Umgebung die Verknöcherung 
eintritt, dann lagern sich oft zwischen die Fasern grobe und 
sehr feste Kalkkrümel ab, welche nur lose zwischen den 
Fasern gelegen sind, und deshalb bei einem jeden Versuche, 
einen Schnitt durch diese Substanz zu gewinnen, zerbrök- 
keln, so dass man .nur Krümel zur Untersuchung erhält. 
Auf feinen Schliffen jedoch erkennt man die Streifung der 
Faserung und sieht die Krümel nach Maasgabe derselben an- 
geordnet liegen. 

Ablagerung in die Elementartheile und in die Zwischen- 
substanz findet sich in den Knochen, welche aus Knorpel 
hervorgehen: Elementartheile und Zwischensubstanz zeigen 
dabei mancherlei später zu besprechende Verschiedenheiten, 
namentlich in Bezug auf. die Zeit der Ablagerung. Mag aber 
der Hergang sein, wie er will, der Schluss desselben ist im- 
mer die Bildung einer kompakten Masse aus der imprägnir- 
ten Zwischensubstanz und den imprägnirten Elementartheilen, 
und diese Masse ist: mit Ausnahme "gewisser Lücken (der 
Knochenkörperchen) durchaus homogen für das Ansehen. 

Wollen wir nun bei der Aufstellung des Begriffes der 
Verknöcherung von der Etymologie des Wortes ausgehen, 
so müssen wir als Verknöcherung im engeren Sinne nur 
diejenigen Formen von Imprägnirung mit Kalksalzen: verste- 
hen, in welehen Elementartheile und Zwischensubstanz am 
Ende des Prozesses mit Kalksalzen‘ erfüllt: und: mehr oder 
weniger zu einer homogenen Masse verschmolzen sind. Man 
kann sodann neben dieser Verknöcherung im engeren Sinne, 
oder der Verknöcherung des ganzen Gewebes noch eine 
Verknöcherung der Zwischensubstanz und eine Verknöche- 


314 


rung der Elementartheile unterscheiden. Zu den beiden letz. 
teren Begriffen dürfte übrigens noch als wesentlich ergän- 
zend gehören, dass bei den zu ihnen zu rechnenden Prozes- 
sen die abgelagerten Kalkmassen nicht beweglich und lose, 
sondern mehr oder weniger fest untereinander verbunden 
sein müssen. 


V. Veränderungen der Knorpelzelle in ihrer Ent- 
wickelung. 

In dem Vorhergehenden wurden vorzugsweise die Ver- 
änderungen besprochen, welche die Zwischensubstanz des 
Koorpels in ihrem längeren Bestehen erleidet; es ist aber zu 
erwarten, dass auch die Knorpelzelle, welche längere Zeit 
besteht, ohne zu verknöchern, ebenfalls eine Reihe von Ver- 
änderungen durchläuft, welche ihr eigenthümlich sind, und 
diese sind folgende: 

Die junge Knorpelzelle ist klein, den Kern eng umschlies- 
send und granulirt, so dass der Kern nur schwer zu sehen 
ist, Ihre Gestalt ist rundlich, eckig, spindelförmig. . Ihr In- 
halt ist häufig krümelig und trüb. Von dem letzteren Um- 
stande kann man sich zwar nicht direkt überzeugen, aber 
man kann ihn doch erschliessen, weil man in älteren, ausge- 
wachsenen Knorpelzellen, welche grösser, kugelig und durch- 
sichtig sind, häufig eine krümelige Masse dicht um den Kern 
herum gelagert sieht, welche die Gestalt der naheliegenden 
jüngeren Zellen so genau wiedergiebt, dass man ohne genaue- 
res Zusehen oft glauben kann, noch eine solche junge Zelle 
vor sich zu sehen. Die dunkeln Körper, welche nach Bid- 
der 1) zu Knochenkörperchen werden sollen, sind eben diese 
um den Kern gedrängten Inhaltsmassen; Vötsch?) hat: die- 


1) Müller’s Archiv 1843. 
2) Die Heilung der Knochenbrüche per primam intentionem $. 23 
und Taf. II. Fig. 14. 


315 


selben frei aus den Zellen herausgefallen betrachtet. — Wenn 
nun die ältere Knorpelzelle durchsichtig geworden in den 
beiderlei Gestalten auftritt, dass sie entweder den Kern frei 
in durchsichtiger Umgebung sehen lässt, oder den Kern um- 
schliessende Inhaltsmassen zeigt, so muss entweder ein ver- 
schiedenes Verhalten in den jüngeren Zellen gewesen sein, 
indem ein Theil solchen festen Inhalt hatten, ein anderer 
aber nicht, — oder es muss ein verschiedenes Verhalten des 
Inhaltes der jüngeren Zellen während der Entwickelung’ an- 
genommen werden, so nämlich, dass in den einen der Inhalt 
sich gänzlich auflöst, in den andern aber vereinigt bleibt. 
Keine dieser Ansichten kann ich mit hinreichenden Gründen 
als die einzig richtige bezeichnen, doch habe ich die Meinung 
gewinnen müssen, dass ersteres der Fall sei, und die jungen 
Zellen einen verschiedenen Inhalt haben. 

Die ausgebildete Knorpelzelle kann Mntierzelle für an- 
dere Knorpelzellen werden. Die Zahl und die Anordnung 
ihrer Tochterzellen ist aber gar sehr verschieden. Es kann 
nur eine, es können aber auch zwanzig und mehr Tochter- 
zellen entstehen und diese können linear oder körperlich ne- 
ben einander liegen. Im ersten Falle ist die Mutterzelle sehr 
lang und schmal, im letzteren Falle ist sie mehr kugelig. 
Wird eine Knorpelzelle zur Mutterzelle, dann bilden sich zu- 
erst in ihr die entsprechende Anzahl von Kernen, dann um 
jeden von diesen eine Zelle, und diese wächst bis sie einer 
entwickelten Knorpelzelle gleich rundlich und durchsichtig 
geworden ist, Die Tochterzellen erleiden dann in der Mut- 
terzelle dieselben gleich zu erwähnenden älteren Knorpelzel- 
len, während gleichzeitig die Mutterzelle dieselben Verände- 
rungen eingeht, aber ihre Wandung mit der Zwischensub- 
etanz bis fast zum Verschwinden verschmilzt, ı 

Eine ausgebildete Knorpelzelle, welche längere Zeit in 
diesem Zustände verhärrt, zeigt sodann folgende Verände- 
rungen. Ihre Wandung wird durch innere Auflagerungen 
dicker; die Höhle wird dadurch mehr beschränkt und häufig 


316 


findet man sogar entschiedene Andeutung an Tüpfelkanalbil- 
dung, das letztere kann man am schönsten an rhachitischen 
Knochen sehen. ' Gleichzeitig oder vorher oder nachher zei- 
gen sich grössere und kleinere Fetttropfen in der Zelle, wel- 
che entweder mehr vereinzelt liegen, oder sich um den Kern 
herumdrängen, oder"in einen einzigen Fetitropfeu verschmel- 
zen, welcher entweder frei liegt oder den Kern umschliesst. 
Mit dieser Fettbildung schrumpft dann gewöhnlich der Kern 
und verschwindet zuletzt gänzlich. 

Diese verschiedenen Altersstufen der Knorpelzelle sind 
in ihrem Auftreten an kein bestimmtes Lebensalter gebunden, 
sondern in dem einen Knorpel treten sie früher auf, in’ dem 
anderen später, wie Gleiches auch von der Verknöcherung 
und von den Altersstufen der Zwischensubstanz gilt. 

In einer jeden Entwickelungsform von dem ausgebilde- 
ten Zustande an kann die Knorpelzelle entweder verknö- 
chern, oder sie kann, wie früher erwähnt, durch die Zerfa- 
serung oder Erweichung der Zwischensubstanz in der früher 
beschriebenen Weise rückgebildet werden. 


VI. Wachsthum des Knorpels. 


Nachdem der Knorpel zuerst ‘angelegt ist, ‘besteht der- 
selbe nur aus Kernen oder den "Kern eng umschliessen- 
den Zellen, zwischen welchen sich eine nur sehr unbe- 
deutende Menge von Zwischensubstanz vorfindet. Die hier- 
durch bestimmte Zahl von Zellen scheint in der Folge, 
Mutterzellenbildung ausgenommen, nicht mehr zuzunehmen. 
Ich habe wenigstens in weiter entwickelten Knorpeln nie- 
mals eine Neubildung von Kernen oder Zellen in der Zwi- 
schensubstanz gefunden, und mich auch nie überzeugen kön- 
nen, dass durch Exsudation vom Perichondrium aus eine 
Massenzunahme des Knorpels stattfinde. “Ich hatte um so 
mehr geglaubt, dass das letztere Statt finden müsse, ‚als es 
ja bekannt ist, dass das Perichondrium ebenso ' wie das 


317 


Periosteum bei traumatischer Entzündung ein verknöcherndes 
also knorpliges Exudat liefern kann, welches als Knochen- 
ring die Bruchenden des Knorpels zusammenhält; und nach- 
dem ich das allgemeine Gesetz gefunden hatte, dass die Mas- 
senzunahme des Knochens durch Exsudat des Periosts ver- 
mittelt werde, wurde es mir neuer Grund, diesen Gegenstand 
noch einmal zu untersuchen, da’ ja zwiscben Perichondrium 
und Periosteum kein: wesentlicher Unterschied besteht und 
sie sich nur durch das Zufällige unterscheiden, dass ihr In- 
halt, wenn auch wesentlich derselbe doch verschiedenen Ent- 
wickelungsstufen angehört. — Ich konnte aber mich niemals 
überzeugen, dass dem wirklich so sei. 

Ich kann demnach das Wachsthum (Umfangvergrösse- 
rang) des Knorpels nicht von einer Vermehrung der Ele- 
mentartheile, sondern nur von einer Vermehrung der Zwi- 
schensubstanz und einer Vergrössernng der Zellen mit oder 
ohne Mutterzellenbildung herleiten. Es mag dieses zwar auf- 
fallend erscheinen, wird aber nicht mehr wundern, wenn 
man etwasälteren Knorpel mit jüngerem vergleicht. Die Ele- 
mentartheile desselben (die Zellen) sind noch unverändert, 
eben so klein, wie sie ursprünglich waren, aber die Zwi- 
schensubstanz hat bedeutend zugenommen, so dass sie, frü- 
her kaum erkennbar, jetzt zwischen den Zellen in einer Mäch- 
tigkeit von manchmal dem vierfachen Durchmesser der Zel- 
len gelegen ist. Bedenkt man aber, dass dadurch eine Mas- 
senzunahme des ganzen Knorpels auf beinahe das Fünffache 
gegeben sein muss; so wird man dieses Momeut als ein sehr 
wesentliches wohl berücksichtigen dürfen.  Rechnet man'nun 
noch dazu, dass die Knorpelzellen selbst in ihrer Weiterent- 
wiekelung bedeutend grösser werden, und dabei häufig den 
Karakter von Mutterzellen annehmen, welche oft eine sehr 
grosse Anzahl von Tochterzellen enthalten, und dass damit 
noch ein neues Moment zur Umfangvermehrung des ganzen 
Knorpels gegeben ist, — so wird man in diesen beiden Mo- 
menten hinlängliche Erklärung für das Wachsthum des Kuor- 


318 


pels finden, ohne dass man nöthig hätte, zu einer Vermeh- 
rung der Zellen seine Zuflucht zu nehmen. 

Die Bildung von Mutterzellen in dem Knorpel findet sich 
namentlich da, wo ein stärkeres Wachsthum des Knorpels 
stattfindet und die Gestalt sowie die Grösse der Mutterzelle 
und auch die hiermit zusammenhängende Zahl und Anord- 
nung der Tochterzellen richtet sich wesentlich nach Schnel- 
ligkeit, Grösse und Richtung des Wachsthums. So finden 
sich weniger grosse Mutterzellen mit nur 2—4 Tochterzellen 
in den Nasenknorpeln, schon grössere in den Kehlkopf- und 
Rippenknorpeln, die grössten aber finden sich in der un- 
mittelbaren Nähe der Verknöcherungsränder. — Das allsei- 
tige Wachsthum spricht sich in Nasen-, Kehlkopf- und Rip- 
penknorpeln, sowie in den Verknöcherungsrändern kurzer 
Knochen der Epiphysen ete. durch Bildung rundlicher Mut- 
terzellen aus, — das einseitige Wachsthum an den Verknö- 
cherungsrändern der Diaphysen durch sehr lange Mutter- 
zellen. 

Es ist bemerkenswerth, dass das Wachsthum des Knor- 
pels nicht in seiner ganzen Masse gleichförmig geschieht, 
sondern dass einzelne Stellen in der Entwickelung voranei- 
len, während andere zurückbleiben. Der innere Theil eines 
Knorpels zeigt sich nämlich immer weiter entwickelt, als 
der äussere. Man findet deshalb im inneren (bei langen Kno- 
chen mittleren) Theile der Knorpel schon ausgebildete Zel- 
len oder Mutterzellen, während die äusseren Theile dessel- 
ben noch ganz unentwickelte Zellen zeigen. Mit diesem 
Voraneilen des inneren Theiles der Knorpel hängt auch ohne 
Zweifel innig zusammen, dass sowohl Verknöcherung als 
Zerfaserung der Knorpelmasse stets im Innern beginnen. 
Schon ‚an den knorpeligen Knochenanlagen in den kaum 
1—14” langen‘ hinteren Extremitäten ‘der Froschlarven fin- 
det man den mittleren Theil schon aus hellen, grösse- 
ren, rundlichen Zellen zusammengesetzt, während die beiden 
Enden noch aus ganz unentwickelten, kleinen, granulirten 


319 


Zellen bestehen. Auch in den Rippen- und Kehlkopfknorpeln 
finden sich die Mutterzellen stets im Innern des Knorpels 
und um so ausgebildeter, je weiter nach innen. Diese Aus- 
bildung der Mutterzellen im Innern ist denn ohne Zweifel 
auch mit Ursache, dass die unentwickelteren Zellen mehr 
gegen die Oberfläche gedrängt sind. 

Das auffallendste Verhältniss vom raschen Wachsthum 
durch Mutterzellenbildung findet sich an den Verknöcherungs- 
rändern, wo nur die dem Knochenrande zunächst gelegene 
Knorpelschicht, namentlich an den Diaphysen, ein oft über- 
raschendes Wachsthum zeigt, während der entferntere Theil 
des Knorpels ganz zu ruhen scheint, oder nur durch Zunahme 
seiner Zwischensubstanz dem Wachsthum folgt. An den 
kurzen Knochen und Epiphysen ist dieses Verhältniss we- 
niger auffallend, als an den Diaphysen, wo auch die beiden 
Hauptrichtungen des Wachsthums, die in die Länge und die 
in die Dicke am reinsten von einander getrennt sind. Ich 
will deshalb die Erscheinungen dieses Wachsthums so be- 
schreiben, wie sie sich hier zeigen. In einiger Entfernung 
von dem Verknöcherungsrande findet man viele unentwickelte 
Zellen in vieler Zwischensubstanz eingebettet; je näher man 
dem Verknöcherungsrande rückt, um so mehr stehen die Zel- 
len in der Richtung der Längenachse von einander entfernt; 
noch näher dem Verknöcherungsrande sieht man entwickel- 
tere Zellen, welche heller eind und den Kern deutlicher se- 
hen lassen; noch näher findet man solche Zellen, welche 
mit sehr vielen Kernen erfüllt sind, — dann solche, in wel- 
chen sich um die Kerne junge Zellen gebildet haben, und 
an und in dem Verknöcherungsrande sieht man entwickelte 
Tochterzellen in den Multerzellen reihenweise gestellt; die 
entwiekelteren Tochterzellen näher, die weniger ent- 
wickelten ferner dem Knochenrande. Die Zwischensubstanz 
wird durch diesen Prozess bedeutend verdrängt, so dass sich 
zuletzt die Mutterzellen berühren. Während durch diesen 
Prozess das Längenwachsthum des Knorpels auf die eine 


320 


Stelle an dem Verknöcherungsrande beschränkt ist, wächst 
die ganze Knorpelmasse durch Zunahme ihrer Zwischensub- 
stanz allmählig in die Breite. — Durch die Ausbildung die- 
ser Mutterzellen muss der Knorpel an der bezeichneten Stelle 
eine wesentlich andere Konsistenz erlangen. Die Verdrän- 
gung der festeren Interzellularsubstanz und die Hagegen auf- 
tretende Bildung umfangreicher heller Zellen muss das Aus- 
sehen heller und die Konsistenz geringer machen und dadurch 
ist die weiche graulich-durchsichtige Beschaffenheit des Knor- 
pels am Verknöcherungsrande zu erklären: 

Ich habe soeben die bekannten Zellenreihen am Ver- 
knöcherungsrande der Diaphysen für reihenweise‘ gestellte 
Tochterzellen in ‘sehr langen Mutterzellen erklärt, und ich 
muss,. weil diese Ansicht von der herrschenden bedeutend 
abweicht, noch etwas bei der Begründung derselben verwei- 
len, wenn auch’ eine solche in dem oben Gesagten genügend 
gegeben scheint. Man sieht auf den Längsschnitten, welche 
man zu untersuchen pflegt, gewöhnlich nur die Längsreihen 
der Zellen und beachtet nieht die Wandungen der sie umge- 
benden Mutterzellen; allerdings sind diese auch unter gewöhn- 
lichen Verhältnissen sehr schwer zu sehen. Man kann 'sie 
aber deutlich sehen an sehr dünnen Schnitten, ‘wo man 
nicht durch unterliegende Schichten gestört wird. — Man 
sieht dann nicht nur die seitlichen Begränzungen, sondern 
auch sehr häufig die‘oberen und unteren gerundeten Enden, 
zwischen welchen gewöhnlich ziemlich viele Zwischensub- 
stanz liegt. Am geeignetsten fand ich dazu Schnitte aus 
den Knochen neugeborner Hunde und Katzen; an den Kno- 
chen eines neugebornen Kaninchens, welches schon mehrere 
Tage todt gelegen hatte, gelang es mir sogar, die Zellen ver- 
einzelt zur Anschauung zu bringen, wenn ich sehr‘ feine 
Schnitte zwischen den Gläschen quetschte, oder solche mehr 
schabend als schneidend darstellte. — In dem Neuverknöcher- 
ten treten die Umrisse der Mutterzellen besonders deutlich 
hervor, wie ich später noch näher angeben will. — Kann 


321 


man sich an den Diaphysen nicht hinlänglich von der Natur 
dieser Mutterzellen überzeugen, so sind andere Knochenrän- 
der sehr geeignet, wenn auch an diesen die Mutterzellen eine 
weniger lange Gestalt haben und deshalb die Tochterzellen 
nicht reihenförmig gestellt sind. Man sieht die allmählige 
Entwickelung der Mutterzellen z. B. sehr schön an den Wir- 
belkörpern; am schönsten habe ich sie an dem tuber ischii 
eines fünfzehnjährigen Knaben gefunden, wo ausserdem noch 
der Vortheil die Untersuchung erleichterte, dass die Zwischen- 
substanz bräunlich-gelb granulirt war, als Vorbereitung zum 
Zerfallen in Fasern, welches auch an mehreren Stellen schon 
deutlich wahrnehmbar war; die Zellen, heller und durchsich- 
tiger, grenzten sich nämlich bier sehr scharf gegen die so 
beschaffene Zwischensubstanz ab. Wenn man das Verhält- 
niss einmal deutlich gesehen hat, so kann man es auch an 
dem Rande einer jeden Rippe gegen ihren Rippenknorpel 
selbst bei dem Erwachsenen noch unverkennbar wiederfin- 
den, und gewinnt dadurch noch dazu einen Beweis mehr 
dafür, dass der Rippenknorpel kein besonderes Gebilde, son- 
dern nur der unverknöchert gebliebene Theil der Rippe ist. 


VIL. Die Verknöcherungsformen der Knorpel- 
elemente. 


Bei dem Studium der Umwandlung des Knorpels in den 
Knochen müssen, wie oben schon angedeutet, die beiden 
den Knorpel konslituirenden Elemente, nämlich Zellen und 
Interzellularsubstanz streng auseinander gehalten werden, in- 
dem, wie in der Altersentwickelung, so in der Verknöcherung 
des einen wie in der des anderen gewisse Verschiedenheiten 
vorkommen, welche in verschiedener Weise mit einander 
gruppirt gar mannigfache Gestaltungen des Verknöcherungs- 
modus geben können, Ich will deshalb zuerst die Verknö- 
cherungsformen der beiden genannten Elemente beschreiben 


und in dem folgenden Abschnitte dann die verschiedenen 
Müllers Archir. 1849. 21 


322 


Kombinationen‘ behandeln, welche sich in’ der Reihenfolge 
und Vereinigung beider wahrnehmen lassen. 

Die Interzellularsubstanz des Knorpels ist entwe- 
der eine homogene und dann entweder glasartig oder bräun- 
lich getrübt, oder sie ist faserig. — Die bräunliche Trübung 
der Interzellularsubstanz ist, wie oben ausgeführt wurde, 
Vorläufer des Zerfallens in Fasern. — Die faserige Interzel- 
lularsubstanz ist entweder eine in Fasern zerfallene homo: 
gene, oder sie ist faserig, weil fremdartige Faserelemente 
(fibroser oder gelb-elastischer Natur) ihr beigemengt sind. 

Eine homogene Interzellularsubstanz verknöchert stets 
dadurch, dass Kalksalze sich in ihr ablagern. Meistens sieht 
man diese Ablagerung in Gestalt von Krümeln, häufig aber 
tritt an dem Verknöcherungsrande die verknöcherte In- 
terzellularsubstanz gleich als ‘durchsichtiges Ganze dem 
Beobachter entgegen, ohne dass: man vorhergehenden 
Niederschlag in einzelnen Krüneln gewahren könnte. Die- 
ses ist namentlish der Fall da, wo die Interzellularsubstanz 
getrübt ist als Vorbereitung zur Zerfaserung. Die Zwischen- 
lagerung der Kalkkrümel muss die gestörte Kontiguität der 
einzelnen Theilchen wieder ausgleichen und dadurch das 
glashelle Aussehen wieder herstellen. — Die sichtbaren Kalk- 
krümel sind entweder grobkörnig (wie in den meisten föta- 
len Verknöcherungen) oder sie sind feinkörnig (wie in den 
meisten Verknöcherungen beim Erwachsenen). — In der Art 
ihrer Ablagerung zeigen 'sich zwei wesentliche Verschieden- 
heiten, entweder nämlich schreitet der freie Rand der abge- 
lagerten Kalkmassen in’ einer geraden Linie vorwärts und 
umschliesst dabei allmählig und gewissermaassen nur gelegent- 
lich die vorhandenen Knorpelzellen, seien diese einfache ‘oder 
seien sie Mutterzellen; — oder die Kalkkrümel lagern sich 
mitten in der sonst unveränderten Interzellusarsubstanz um 
einzelne Knorpelzellen herum rindenartlig ab. Die letztere 
dieser beiden Formen findet sich da, wo in einer sonst noch 
unveränderten Interzellularsubstanz Knorpelzellen selbststän- 


323 


dig verknöchern; sie stellt sich da längere oder kürzere Zeit 
nach dem Beginne der Verknöcherung der Zellen eins Die 
erstere der beiden Formen findet sich an dem Verknöche- 
rungsrande der Diaphysen und der Epiphysen der Röhren- 
knochen, an demjenigen des Knochenkernes kurzer spongio- 
ser Knochen, eben so in dem fötalen Knorpel und in der 
später zu besprechenden aufgelagerten Rindesubstanz der 
Knochen. Man findet jedoch sehr häufig eine Abweichung 
von dem oben im Allgemeinen als gradlinig angegebenen 
Fortschreiten der Kalkablagerung; es muss nämlich, wo die 
Interzellularsubstanz zwischen den Zellen einige Breite hat, 
eine Ablagerung in der unmiltelbaren Umgebung der Zellen 
und eine in der übrigen Interzellularsubstanz unterschieden 
werden; die Ablagerung in der unmittelbaren Umgebung der 
Zellen läuft der anderen oft um ein weniges voraus, nie aber 
bleibt sie hinter ihr zurück; die Grösse dieser voraneilenden 
Ablagerung ist übrigens nie bedeutend und betrifft niemals 
den ganzen Umfang einer Zelle, sondern immer nur einen 
kleinen Kreisbogen ihres Durchschnittes. Es wird also da- 
durch das Gesetz nicht gestört, aber es weist dieses Verhal- 
ten darauf hin, dass auch diese Ablagerung in die Interzellu- 
larsubstanz in näherer Beziehung zu der Anwesenheit der 
Zellen stehe, — ein Satz, der schon in einem früheren Theile 
des Aufsatzes (Abschnitt III) aus anderen Gründen aufgestellt 
werden musste. 

Die in Fasern zerfallende Interzellularsubstanz verknö- 
chert auf die gleiche Weise, so lange der Prozess noch nicht 
bis zur Auflösung der Zellen vorgeschritten ist. Wenn aber 
die Zerfällung bereits vollendet ist, so bleiben die faserig 
gewordenen Stellen meistens faserig oder, wenn sich Ver- 
knöcherung rund um sie bildet, werden sie Markräume durch 
Auflösung der Fasern, oder in seltenen Fällen werden sie, 
wie oben beschrieben, durch harte grobkörnige Kalkmasse 
erfüllt, in welcher die Fasern zu Grunde gehen. — Der 
Verknöcherung zerfasender Interzellularsubstanz begegnet man 

ir 


324 


öfter an den Verknöcherungsrändern älterer aber noch nicht 
ausgewachsener Individuen, wo in dem Knorpel, welcher 
seiner Verknöcherung entgegengeht, manchmal schon stellen- 
weise die Zerfaserung eiugeleitet ist; solche Stellen zeigen 
im Beginn ihrer Verknöcherung gern noch ein streifiges 
Aussehen, welches aber bald verschwindet. 

Die Verknöcherung der mit fibrosen Elementen gemisch- 
ten Interzellularsubstanz beobachtet man am Besten an den- 
jenigen Stellen, wo sich in Sehnen oder Gelenkbändern ver- 
knöchervde Knorpelablagerung bildet, also z. B. in der Sehne 
des m. peronaeus longus auf dem os euboides, in den Köpfen 
der m. gastrocenemii, in den Sesambeinen etc. Man findet, 
dass hier die Verknöcherung der Interzellularsubstanz unbe- 
hindert über die anscheinend unveränderten Sehnenfasern 
vorwärts schreitet; die Sehnenfasern scheinen ebenfalls von 
der Kalkmasse imprägnirt zu werden. Anfangs ist dann in 
der frisch- verknöcherten Interzellularsubstanz, wie in dem 
vorher angegebenen Falle, nur deutlicher, eine Streifung im 
Sinne der Faserung der Sehne oder des Bandes wahrzuneh- 
men, bald aber verschwindet dieses Aussehen und macht 
einem ganz homogenen Aussehen Platz; die imprägnirte Seh- 
nenfaser verschmilzt also mit der imprägnirten Interzellular- 
substanz zu einem homogenen Ganzen, ähnlich wie die Wan- 
dungen der Knorpelzelle in der vollständigen Verknöcherung. 

Eine vollständige Verknöcherung der elastischen Fasern 
enthaltenden Interzellularsubstanz des gelben Knorpels habe 
ich noch nicht gesehen, aber doch eine theilweise durch Ab- 
lagerung von Kalkkrümeln zwischen die elastischen Fasern 
in der Nähe der verknöcherten Knorpelzellen. 

Die Verknöcherung der Knorpelzelle zeigt ebenfalls 
einige nicht unwvesentliche Verschiedenheiten. Ihre Ver- 
knöcherung (d. h. die Ablagerung von Kalksalzen in dieselbe) 
kann eintreten, ehe die Verdickung der Wandung sich zeigt, 
‚oder nachdem diese aufgetreten ist; jedenfalls aber muss eine 
Knorpelzelle, ehe sie verknöchern kann, ihr Wachsthum voll- 


325 


endet haben. Tritt die Verknöcherung ein, nachdem die 
Verdickung eingetreten ist, so imprägnirt sich die verdickte 
Wandung mit den Kalksalzen und wird so unmittelbar zur 
dieken Wandung der Knochenzelle. Eine solche Knochen- 
zelle ist in ihrem Inneren meistens leer, d. h. im Leben mit 
einer Flüssigkeit, im trocknen Präparate nur mit Luft erfüllt. 
Dieses Verhältniss findet sich namentlich in denjenigen Knor- 
pelzellen, welche in die Bildung der Diaphysen und Epiphy- 
sen der Röhrenknochen, in die der kurzen Knochen und der 
aufgelagerten Rindensubstanz eingehen, bei welchen allen die 
Verknöcherung der Interzellularsubstanz derjenigen der Knor- 
pelzellen vorauseilt. Bei der Verknöcherung vereinzelter dick- 
wandiger Knorpelzellen, z. B. in der tuba Eustachii, den Rip- 
penknorpeln, den Kehlkopfknorpeln findet sich dagegen öfters 
eine Ablagerung krümeliger Kalksalze in das Innere der 
Höhle. 

Tritt aber die Verknöcherung der Zelle ein, ohne dass 
eine Verdiekung der Wandung vorangegangen ist, .— wie 
dieses z. B. der Fall ist bei den Gelenkknorpeln, in den 
Knorpelscheiben der Symphysen und häufig in den Rippen- 
knorpeln und Kellkopfknorpeln, -—- dann lagern sich die 
Kalksalze in das Innere der Zelle ab und zeigen dann ein 
verschiedenes Verhalten. Man sieht nämlich entweder die 
Kalksalze an die innere Oberfläche der Wandung feinkörnig 
oder grobkörnig abgelagert (z. B. feinkörnig meist im Kehl- 
kopfknorpel, — grobkörnig meist in den Symphysenknor- 
peln); dann verschmelzen die abgelagerten Krümel zu einer 
dieken Knochenzellenwandung, welche eine Höhle umschliesst, 
die leer bleibt oder auch sich mit Kalkkrümeln füllt, — oder 
es füllt sich die ganze Zelle auf einmal mit Kalkkrümeln an, 
Ist dieses letztere der Fall, so leidet öfters die Zelle keine 
wesentliche Veränderung mehr und stellt in ihrer Gesammt- 
heit ein grosses rundes ,,‚Knochenkörperchen * dar, — oder 
es findet eine nachträgliche Verdichtung der peripherischen 
Krümelschichten statt und das „‚Knochenkörperchen“ wird 


326 


dann durch den mit Kalksalzen ‚erfüllten ‚Rest des Zellenrau- 
mes gebildet. ‘Beides findet man in, dem verknöchernden 
Gelenkknorpel und in der verknöchernden Knorpelscheibe 
der Symphysen, auch an den Rippenknorpeln, 

Ob auch eine vollständige Ausfüllung der Knochenzelle 
durch homogene Substanz stattfinden könne, so dass also 
alsdann. gar kein „Knochenkörperchen“ sichtbar wäre, habe 
ich nieht ‚mit Bestimmtheit ermitteln können. 

Verknöchert eine Mutierzelle, so. findet das eben aufge- 
stellte Gesetz der Verknöcherung der einzelnen Zellen für 
eine jede Tochterzelle Anwendung. Meistens füllt, sich der 
Raum zwischen den Tochterzellen mit feinkörnigerem oder 
grobkörnigerem Niederschlage von Kalksalzen an und die 
Tochterzellen verknöchern nach einem der oben angegebenen 
Grundsätze, und zwar nach demjenigen aus der Reihe der- 
selben, welcher für den Verknöcherungsrand, in welchem 
sie sich befindet, maassgebend ist. Die Mutterzelle selbst ver- 
knöchert gleichzeilig nach demselben Gesetze und das Ende 
des Prozesses ist vollständige Verschmelzung ‚der Tochter- 
zellenwandung mit Juhalt und Wandung der Mutterzelle und 
dieser mit der Interzellularsubstanz, so dass von der ganzen 
Zellenkolonie nichts übrig bleibt, als die aus, den Tochter- 
zellen entstandenen Knochenkörperchen in eine homogene 
Grundsubstanz. 

Die Kanälchen zwischen den Knochenkörperchen schei- - 
nen nur da zu entstehen, wo die verknöcherten Zellen ein- 
ander sehr nahe liegen; ich habe. wenigstens in solchen Or- 
ten, wo sie entfernter von einander liegen, nie solche Ka- 
nälchen in der verdickten Wandung gesehen. Natürlich fin- 
den sie sich auch da nicht, wo Zellen ohne Verdickung ih- 
rer Wandung durch blosse Anfüllung mit Kalksalzen zu Kno- 
chenkörperchen werden, 

Durch die eben beschriebenen Beobachtungen findet zu- 
gleich der Streit seine Erledigung, ob die Knochenkörperchen 
Kalkkrümel enthalten oder nicht; es kann nämlich beides der 


327 


Fall sein.‘ Bei dieser Gelegenheit‘ will ich nur noch darauf 
aufmerksam machen, dass solche Beweise für das Leersein 
der Knochenkörperchen, welche hergenommen sind von einer 
künstlichen Färbung derselben ‘durch farbige Niederschläge, 
in keiner Weise stichhaltig sein können. Ein leeres Kno- 
chenkörperchen wird durch Erfüllung mit Berliner Blau al- 
lerdings blau werden, wenn es aber mit Kalkkrümeln er- 
füllt ist und ein Niederschlag von Berliner Blau zwischen 
den Kalkkrümeln erzeugt wird, so wird es ebenfalls ‘blau 
werden; denn die Masse der Kalkkrümel muss dadurch ebenso 
gefärbt werden, wie Gips durch beigemengte Farbestofle, 


VIH. Die Bestandtheile des ausgebildeten Kno- 
chens und deren Entstehung. — Schädelknochen. 


Man unterschied früher an dem: ausgebildeten Knochen 
eine substantia spongiosa und: eine. substantia dura. Die 
neuere Histologie hat auf Grund der mikroskopischen Unter- 
suchung der Knochen geglaubt, diese Unterscheidung um- 
stossen zu müssen; es sei ja die Knochensubstanz überall 
die gleiche, die zufälligen Verhältnisse grösserer oder kleine- 
rer Markräume seien nicht hinreichend, einen Unterschied 
zu begründen. Man übersieht dabei, dass doch noch ein we- 
sentlicher Unterschied zwischen substantia spongiosa und 
substantia dura zu finden ist, nämlich der, dass in dieser die 
Markräume (d. h. richtiger die Knochenkanälchen) von kon- 
zentrischen Schichten von Knochensubstanz umgeben sind, 
in jener aber nicht. Wäre nicht in diesem Umstande schon 
eine genügende Hinweisung auf eine innere Verschiedenheit 
der beiden Substanzen enthalten, so würde sie doch jeden- 
falls durch die Eutwickelungsgeschichte des Knochens fest- 
gestellt, 

Es ist eine bekannte Thatsache, dass: jeder Knochen, 
bevor er als Knochen auftritt, bereits als Kuorpel vorgebil- 
det gefunden wird. Dieser Knorpel, verknöchert, soll den 


328 


künftigen Knochen darstellen. Eine solche Ansicht konnte 
nicht verfehlen, in ihrer Unklarheit, die verschiedensten Mei- 
nungen über das Wachsthum des Knochens zu erzeugen, 
Meinungen, welche kaum durch die zahlreichen Versuche 
über das Wachsthum des Knochens mit eisernen Ringen, 
Goldplättchen, Bohrlöchern, Krapp etc. etwas geläutert wer- 
den konnten. Meine Untersuchungen haben mich über diese 
Verhältnisse hinlänglich belehrt; ich fand, dass sie in folgen- 
der Weise vor sich gehen. 

Alle eigentliche spongiose Knochensubstanz, sowie die 
knorpeligen Theile des Knochens (Gelenkknorpel, Rippen- 
knorpel, Knorpelscheiben der Symphysen, Nasenknorpel) ge- 
hören der ursprünglichen Knorpelanlage des Knochens an; — 
alle harte Knochensubstanz ist eine spätere aufgelagerte Bil- 
dung, welche ihre Entstehung einem verknöchernden Exsu- 
date der Beinhaut verdankt. — Es giebt aber auch eine 
falsche spongiose Knochensubstanz, welche aus einer Um- 
wandelung der harten Knochensubstanz durch stellenweise 
Auflösung hervorgeht; zu dieser gehört die Diplo& der Schä- 
delknochen, die spongiose Substanz des Unterkiefers und ein 
kleiner Theil der spongiosen Substanz der Kuochen des übri- 
gen Skeletes. 

Bekanntlich beginnt die Verknöcherung der knorpeligen 
Anlage eines Knochens an einem oder an mehreren Punkten 
gleichzeitig oder in verschiedenen Zeiten. Je später die Ver- 
knöcherung beginnt, um so grösser ist unterdessen der Knor- 
pel durch sein Wachsthum geworden, je früher desto klei- 
ner ist noch die Knorpelanlage, daher wird z. B, an einem 
Röhrenknochen die Mitte der Diaphyse verhältnissmässig noch 
sehr klein sein, wenn sie auch schon durchaus verknöchert 
ist, wogegen die Epiphysen, wenn sie das Ende ihrer Ver- 
knöcherung erreichen, schon als Knorpel ganz oder fast ganz 
ausgewachsen sind; — rundliche spongiose Knochen vollen- 
den aus demselben Grunde als Knorpel beinahe ihr ganzes 
Wachsthum. 


329 


Sobald die Verknöcherung nach aussen bis zu dem Pe- 
richondrium vorgedrungen ist, wird dieses in demselben Au- 
genblicke zum Periosteum. An welcher Stelle dieses nun 
eintritt, da beginnt in dem ganzen Umfange derselben eine 
Knorpelablagerung aus dem Perioste, welche, verknöchernd, 
den Prozess gewissermaassen beschliesst. An der Mitte der 
Diaphyse der Röhrenknochen erreicht die Knochenbildung 
zuerst in der Peripherie das Perichondrium, daher entsteht 
hier eine ringförmige Auflagerung. An kurzen Knochen und 
den diesen gleichbedeutenden Epiphysen der Röhrenknochen 
erreicht die Verknöcherung ziemlich gleichzeitig alle Punkte 
der Oberfläche mit Ausnahme derjenigen, welche als Gelenk- 
knorpel oder Symphysenknorpel noch längere Zeit im knor- 
peligen Zustande verharren; hier findet dann eine allgemeine 
und allseitige Auflagerung stalt. Da diese letztgenannten Kno- 
chen und Knochentheile damit ihr Wachsthum und ihre Bil- 
dung erreicht haben, so ist damit der Prozess der Knochen- 
bildung geschlossen. Wo er noch nicht ganz abgeschlossen 
ist, indem der betreffende Knochen oder Knochentheil noch 
etwas wächst, da hat dieses Wachsthum in der gleichen 
Weise zu geschehen wie bei dem Miltelstücke der Röhren- 
knochen. 

Bei dem Mittelstücke der Röhrenknochen ist nämlich die 
Vollendung des Verknöcherungsprozesses verzögert bis zur 
Vollendung des Wachsthums in die Länge; dadurch werden 
also die der Mitte der Diaphyse entferntest gelegenen Theile 
des Knorpels durch Wachsthum (sowohl in die Länge als 
in die Breite) die Grösse und den Durchmesser des ausge- 
bildeten Knochens, welcher dann ihre Stelle einnimmt, er- 
reicht haben. Machen wir uns danach ein Bild über die 
Gestalt des verknöchernden Knorpels einer Diaphyse, indem 
wir die einzelnen Knorpeltheile im Augenblicke ihrer Ver- 
knöcherung aneinanderreihen, so bekommen wir eine Gestalt, 
welche mit zwei an ihrer etwas abgestutzten Spitze verei- 
nigten Kegeln Aehnlichkeit hat, also etwa von Sanduhrform. 


330 


Für die Oberarmdiaphyse hätte dieses Bild z. B. folgende 
Gestalt: es wäre etwa 1’ lang, an beiden Enden 1 —14“ dick, 
in der Mitte aber, von den Enden her allmählig verdünnt, 
etwa 1” dick. In dieser Gestalt besteht allerdings der Knor- 
pel des Oberarms' nie, es ist nur ein Bild, welches wir ge- 
winnen, wenn. wir. dieselben Zustände aus verschiedenen 
Zeiten zu einem Ganzen neben einander stellen. In demsel- 
ben Sinne pflegen wir auch zu sagen: „Ursprünglich ist das 
ganze Skelet knorpelig angelegt‘, und doch giebt 'es niemals 
eine Zeit, in welcher man ein ganzes Skelet als Knorpel ge- 
bildet darstellen könnte, indem manche Theile desselben schon 
Knochen sind, während andere Theile desselben sich erst 
noch entwickeln. Wir können uns das Fortschreiten des 
Verknöcherungsprozesses in dem so gestalteten Knorpel so 
denken, dass wir die Verknöcherung in einzelnen queren 
Schichten oder Scheiben dem Ende entgegenrücken lassen. 
Wie nun nach Vollendung der Verknöcherung: des mittelsten 
Theiles eine ringförmige, oder hohlzylindrige Ablagerung auf 
demselben sich bildete, so bildet sich auch eine neue Abla- 
gerung derselben Art: nach vollendeter Verknöcherung einer 
jeden neuen Schicht und diese neue‘ Ablagerung umhüllt al- 
les bis dahin Gebildete wie mit einer Scheide. So entste- 
hen denn, wie ‚die Verknöcherung der Diaphyse schichten- 
weise ‘vorrückt, nach einander eine ganze Reihe konzentrisch 
in einander geschachtelter Knochenröhren, welche zusammen 
die substanlia dura des Röhrenknochens darstellen, _ Aus 
dieser Darstellung erhellt zugleich, warum die substantia dura 
nicht nur der eigentlichen Röhrenknochen, sondern auch aller 
längeren Knochen z. B. des Schlüsselbeins, der Fingerpha- 
langen ete., in der Mitte dicker ist, als an den Enden, — 
und warum die substantia dura der kurzen, rundlichen Kno- 
chen, bei welchen die Verknöcherung zu gleicher Zeit alle 
Punkte der Oberfläche erreicht, überall gleichmässig dick ist. 

Die Schädelknochen zeigen in Beziehung auf diese 
doppelte Zusammensetzung des ausgebildeten Knochens ein 


331 


eigenthümliches Verhalten; indem ein Theil derselben, ' wie 
die übrigen Knochen des Skeletes aus einer Vereinigung der 
verknöcherten Knorpelanlage und der aufgelagerten Knochen- 
masse entstehen, andere dagegen nur aus der aufgelagerten 
Knochenmasse, welche hier gegen die allgemeine Regel von 
dem Perichondrium gebildet, sich auf den Knorpel .ablagert, 
ohne dass dieser verknöchert; der Knorpel verschwindet. so- 
gar unter der neuen Knochenablagerung. 

Der ganze Schädel wird bekanntlich als ein Ganzes in 
knorpeliger Gestalt angelegt. (Jakobson’s Primordialschädel). 
Nach der gewöhnlichen Ansicht soll der Primordialschädel 
nur die untere Hälfte (Basis) des Schädels vorbilden, wäh- 
rend die flachen Schädelknochen sich selbstständig entwickeln, 
so dass sie als Hautknochen angesehen werden dürften. Ich 
muss mich jedoch dafür anssprechen, dass der Primordial- 
schädel eine geschlossene Kapsel bildet, somit eine Vorbil- 
dung des ganzen Schädels enthält. Ich habe mich davon 
an ‚sehr jungen Kaninchen- und Schaffötus überzeugt, an wel- 
chen noch kein Anfang einer Knochenbildung am Schädel 
wahrnehmbar war. Spaltet man. nämlich an solchen den 
Kopf der Länge nach und entfernt dann mit der nöthigen 
Vorsicht nach Beseitigung des Gehirnes alle häutigen Theile, 
welche den Primordialschädel von aussen und von innen 
überziehen, so sieht man, dass die dickere Masse der knor- 
peligen Basis allerdings da endet, wo man sie gewöhnlich 
endigen lässt!); aber in unmittelbarer Fortsetzung derselben 
findet man noch eine dünne Lamelle, welche sich bis zum 
Scheitel binzieht, wo sie mit derjenigen der anderen Seite 
zu einem Ganzen sich vereinigt Die mikroskopische Unter- 
suchung lässt in dieser Lamelle helle kernhaltige Zellen in 
einer homogenen Zwischensubstanz erkennen, welche den 
Zellen der dickeren Knorpelmassen der Basis so durchaus 


’) Vgl. hierüber die Abbildungen von I. Spöndli, diss, über den 
Primordialschädel der Säugethiere und des Menschen. Zürich. 1846. 


332 


gleich sind, dass kein Zweifel übrig bliebe, dass die Lamelle 
dasselbe Gebilde, wie der Knorpel der Basis sei, wenn die- 
ses nicht schon aus der Kontinuität beider Theile hinlänglich 
hervorginge. Der Knorpel der Basis beginnt nun zur geeig- 
neten Zeit von einzelnen Punkten aus zu verknöchern, wie 
dieses bei anderen knorpeligen Vorbildungen der Fall ist; 
aber die aus der knorpeligen Vorbildung entstandene Kno- 
chenmasse bildet ebensowenig, wie an den anderen Knochen 
des Skeletes die einzige Grundlage der späteren Basisknochen, 
sondern sie wird durch äussere und innere Auflagerungen 
(substantia dura, Rindensubstanz) von dem Periost aus er- 
gänzt. Man kann an dem Keilbeinkörper, Hinterhauptskör- 
per, Gelenktheilen und Schuppe des Hinterhauptes, an den 
grossen Flügeln des Keilbeins und an den kleinen Flügeln 
desselben nach der Geburt sehr genau die Gränze der beiden 
Knochensubstanzen erkennen; am Auffallendsten sieht man 
es an der Orbitalplatte des grossen Keilbeinflügels und an 
der Hinterhauptsschuppe; an dem Gelenktheile des Hinter- 
hauptsbeines ist es bemerkenswerth, dass die Auflagerung 
hier so geschieht, dass der Gelenkhöcker von Auflagerung 
frei bleibt; sein Gelenkknorpel ist demnach, wie an den 
übrigen Skeletknochen ein Theil der ursprünglichen Knorpel- 
anlage. Die Auflagerung von aussen wiegt bedeutend über 
die Auflagerung von innen vor. — An anderen Theilen des 
Primordialschädels findet man das auffallende Verhältniss, 
dass die Auflagerung geschieht, ohne dass die ursprüngliche 
Knorpelanlage verknöchert; zwischen der Auflagerung und 
dem Kuorpel findet sich-dann immer eine Schicht Perichon- 
drium. (Ueber dieses Verhältniss s. später.) Während die 
Auflagerung wächst und sich ausbildet, verschwindet der 
darunter gelegene Knorpel und der Knochen wird ganz allein 
von der aufgelagerten Masse gebildet. Sehr deutlich tritt 
dieses an dem Orbitallheile des Stirnbeins hervor, wo sich 
der Knorpel des Primordialschädels noch lange unter der 
Auflagerung erhält; sehr deutlich ist es auch noch an dem 


333 


Vomer des Neugebornen, wo man zu beiden Seiten des Knor- 
pels, durch eine Schicht von Perichondrium getrennt, eine 
Knochenplatte liegen sieht; beide Knochenplatten stossen an 
dem unteren Rande des Vomer zusammen, so dass sie eine 
Rinne bilden; in der weiteren Entwickelung wird dann die 
zwischen ihnen liegende Knorpelplatte verdrängt und den 
Vomer bildet die aufgelagerte Knochenmasse allein, welche 
aber ihrer ursprünglichen Entstehung gemäss vorn in zwei 
Platten auseinander weicht, die den hinteren Rand des vor- 
deren Restes der primordialen Scheidewand der Nase (den 
Scheidewandknorpel) zwischen sich fassen. — In gleicher 
Weise nun bilden sich auch die Scheitelbeine, das Stirnbein, 
die Nasenbeine, die Schläfenschuppe, der Oberkiefer und der 
Unterkiefer nur aus aufgelagerten Massen. Da nun aber, 
wie oben gezeigt, ein jeder Gelenkknorpel aus der ursprüng- 
lichen Knorpelanlage des Knochens hervorgeht, indem es der 
unverknöcherte Rest desselben ist, so wird es hieraus erklär- 
lich, warum weder die Gelenkfläche für den Unterkiefer am 
Schläfenbein, noch auch der Gelenkkopf des Unterkiefers selbst 
mit Gelenkknorpel versehen sind, sondern statt dessen nur 
einen fibrosen Ueberzug (Periost und Synovialhaut) haben. 
So fand auch W. Steinlin!) in seinen Versuchen über die 
Resektion des einen der beiden in einem Gelenke zusammen- 
stossenden Gelenkenden, dass der knorpelartige Ueberzug, 
welcher nach der Heilung die Schnittwunde des resecirten 
Knochens bedeckt, nur aus einer Schicht festen fibrosen 
Gewebes besteht. 

Eine jede einzelne Schicht der aufgelagerten Knochen- 
substanz bildet ein flächenhaftes Netzwerk mit rundlichen 
Maschenräumen in einiger Entfernung von der Knochenober- 
fläche; von diesem Netzwerke gehen in senkrechter Richtung 
kleine Verbindungsstäbe aus, welche sich mit dem schon 
vorhandenen Knochen vereinigen; der Zwischenraum zwischen 


") Ueber den Heilungsprozess nach Resektionen. Diss. Zürich, 1849. 


334 


dem aufgelagerten Netzwerke und dem schon gebildeten 
Knochen wird durch diese Verbindungsstäbe selbst so ge- 
theilt, dass dadurch wieder Maschenräume zwischen den 
Verbindungsstäben entstehen und diese Maschenräume sind 
sowohl in der Richtung der Länge des Knochens als in der 
Richtung der Peripherie des Knochens rundlich. Diese Ma- 
schenräume werden dann durch innere Ablagerungen allmählig 
verengert, bis sie zu den Knochenkanälchen werden. 

Die maschenförmige Gestalt ist überhaupt der aus dem 
Periost aufgelagerten Knochenmasse eigenthümlich, wenn 
diese nicht, wie in der Kallusbildung oder nach Resektionen 
in der Kontinuität der Knochen, massenhaft auftritt. Man 
findet deshalb auch in kleineren Osteophyten, welche flä- 
chenhaft auf dem Knochen lagern, dieselhe Gestalt wieder; 
es giebt häufig Gelegenheit, solche zu beobachten und zwar 
an den verschiedensten Knochen des Skeletes; das puerpe- 
rale Osteophyt des Schädeldaches mag ein Beispiel hierfür 
sein. Auch an den entstehenden Muskellinien und - Höckern 
der Knochen kann man diese nelzförmige Struklur leicht 
wahrnehmen; es sind auch diese die Anheftungspunkte der 
Muskel bezeichnenden Erhabenheiten gewiss als nichts an- 
ders anzusehen, als wie als Osteophyten, ‘welche der be- 
ständigen Reizung des Periostes durch die Muskelzusammen- 
ziehungeu ihr Entstehen verdanken; deshalb steht die Stärke 
ihrer Entwickelung auch stets im Zusammenhang mit der 
Stärke der Muskelentwickelung; denn der stärkere Muskel 
muss eine stärkere Zerrung des Periostes an seinen Anhef- 
tangsstellen veranlassen und dieselbe Ursache, welche den 
Muskel gestärkt hat, häufige und starke Zusammenziehun- 
gen, muss auch eben durch diese Zusammenziehungen stär- 
kere Zerrungen des Periostes erzeugt haben; — wenn nun 
das letztere Moment die Muskelerhabenheiten der Knochen 
vorzugsweise zuerst erzeugen muss, so muss das ersiere 
Moment dieselben unterhalten und vergrössern. 


335 


Die Entstehung und Verknöcherung der aufgelagerten 
Knochenmasse (Rindensubstanz, substantia dura) lässt sich 
beobachten an oberflächlichen, queren und Längsschnitten 
der Rindensubstanz fötaler Knochen und an den Rändern 
der flachen Schädelknochen sehr junger Embryonen. Man 
nimmt am Besten solche dazu, bei welchen die Knochen- 
entwickelung am Schädel noch so unbedeutend ist, dass 
man sie mit blossem Auge noch kaum erkennt. Man hat an 
den Schädelknochen den Vortheil vor der Rindensubstanz 
der Röhrenknochen, dass man hier alle Verhältnisse flächen- 
hafter vor sich sieht und deshalb die Uebergangsformen 
leichter und in vielfacheren Stufen vorfindet. 

An der Rindensubstanz der Röhrenknochen sieht man, 
wenn eine neue Auflagerung sich bilden will, innerhalb des 
Periostes eine Ablagerung von Blastem in der erwähnten 
netzförmigen Gestalt entstehen, und findet in diesem als- 
bald Kerne, dann junge und dann entwickelte Knorpelzellen 
und zuletzt verknöchert die ganze Schicht. Wegen der 
Entstehung der Ablageruug in dem Perioste bleiben die Ma- 
schenräume in dem Netzwerke der Auflagerung mit Resten 
des Periostes erfüllt und auch unter der Auflagerung bleibt 
noch eine Schicht des Periostes übrig. Geschieht die Auf- 
lagerung auf Knochen, so wird diese Schicht des Periostes 
durch die Verbindungsstäbe in ihrer Kontinuität unterbro- 
chen, so dass auch in den Maschenräumen zwischen den 
Verbindungsstäben nur Reste des Periostes übrig bleiben. 
Geschieht dagegen die Auflagerung auf Knorpel, wie dieses 
nach dem früher Gesagten bei den flachen Schädelknochen 
und den Antlitzknochen der Fall ist, dann bleibt wegen 
Mangels der Verbindungsstäbe die unter der Auflagerung be- 
findliche Periosteum- ( oder vielmehr Perichondrium-) Schicht 
ein Kontinuum; -— deshalb findet sich denn auch in 
diesen Fällen immer noch anscheinend das Perichondrium 
unversehrt zwischen Knorpel und Auflagerung. 


336 


Die eben beschriebene Entstehung der Auflagerungen 
in dem Perioste erklärt denn auch zugleich einige Erfahrun- 
gen, welche gewiss schon Jeder gemacht hat und welche 
ihrerseits wieder der obigen Darslellung Unterstützung ge- 
ben. Wenn man nämlich an noch nicht ganz verknöcherten, 
namentlich flächeren Knochen, wo die Auflagerung nicht so 
dick ist, z. B. an den Hüftbeine des Neugebornen, an den 
noch knorpeligen Theilen anfangend das Periost wegreissen 
will, so reisst man damit immer die äusserste (aufgelagerte) 
Schicht des Knochens mit hinweg; versucht man dasselbe 
an der Diaphyse der Röhrenknochen, so reisst man wenig- 
stens einen Theil der aufgelagerten Masse mit fort, — und 
will man einen Schädel eines Neugebornen oder eines Fö- 
tus durch Wegreissen des Periostes skeletiren, so darf man 
sicher sein, dass man dabei zugleich wenigstens die Ränder 
der flachen Knochen losreisst. 

Wenn nun das Neizwerk der Auflagerung vollständig 
entwickelt und verknöchert ist, so lagert sich innen an die 
Wandungen der Maschenräume eine neue Schicht von Blas- 
iem ab, in welcher sich wieder Knorpelzellen entwickeln, 
welche auswachsen und verknöchern. Ist deren Verknö- 
cherung vollendet, so lagert sich wieder eine neue Schicht 
ab und so verdrängt sich durch diese wiederholten sekun- 
dären Ablagerungen das Periost oder dessen Reste in den 
Maschenräumen selbst so sehr, dass endlich nur noch statt 
des Maschenraumes ein feiner Kanal übrig. bleibt, enthaltend 
einige Fasern des Periostes und ein Gefäss desselben, und 
umgeben von den konzentrischen Ablagerungen. Wo die 
primären Ablagerungen rascher geschehen, wie in den in- 
neren oder ersten Schichten der Rindensubstanz, da sind die 
Maschenräume grösser und deshalb im ausgebildeten Zustande 
die konzentrischen Systeme von grösserem Durchmesser; — 
wo sie dagegen langsamer geschieht, wie in den äusseren oder 
letzten Schichten der Rindensubstanz, da sind die Maschen- - 
räume kleiner und deshalb im ausgebildeten Zustande der 


337 


Rindensubstanz die konzentrischen Systeme geringer ‘an 
Durchmesser. 

Was man an Schnitten aus der substantia dura der 
Knochen eines Fötus oder Neugebornen entweder nur auf 
einen kleinen Raum zusammengedrängt sieht und deswegen 
häufig weniger deutlich erkennt oder nur vereinzelt und 
nach und nach zur Anschauung bringen kann, das kann 
man an ganz jungen flachen Schädelknochen (z. B. von 14 
bis 2“ Jangen Schafembryonen) auf einer grösseren Fläche 
ausgebreitet sehen und deshalb leichter auffinden und verste- 
hen. Ich will deswegen die Zusammensetzung solcher Kno- 
ehen noch besonders beschreiben und die Beschreibung des 
Wachsthums der Schädelknochen daran anknüpfen. 

Wenn man ein vollständig rein präparirtes 
Scheitelbein oder Stirnbein angegebener Art unter das Mi- 
kroskop bringt, so sieht man an den Rändern desselben 
Streifen homogener Substanz strahlenartig hervortreten. 
Diese sind die erste Ablagerung des Blastems; sie sind un- 
ter sich netzförmig verbunden; manchmal findet man auch 
in ihnen rundliche Nester entwickellerer Knorpelzellen ein- 
geschlossen, welche wahrscheinlich nach Art der Worm’schen 
Schaltknochen vorschnell dort abgelagert wurden und nun 
nachträglich von dem mit: der übrigen Masse zusammenhän- 
genden Blastem umschlossen ‘werden. Weiler gegen den 
Mittelpunkt der Verknöcherung findet man erst jüngere, 
dann entwickelte helle Knorpelzellen mit Kernen; in der 
Peripherie des verknöcherten Theiles liegen die Knorpelzel- 
len mit verdiekter Wandung in der bereits verknöcherten Inter- 
zellularsubstanz , und noeli weiter nach innen sieht man die Um- 
risse der Zellen allmählig durch ihre eigene Verknöcherung ver- 
schwinden und findet dann nur noch die erst grösseren und 
ründlichen, dann kleineren und sternförmigen „‚Knochenkör- 
perchen‘. Der schon knöcherne Theil hat dasselbe netz- 
fürmige Gefüge wie die erste Anlage durch das Knorpelbla- 


stem, nur sind die Knochenbalken zwischen den Maschen- 
Müllers Archir.. 1649. 22 


338 


räumen dicker wegen der Entwickelung der. Zellen in ih- 
nen. Wo die Verknöchernng schon vollendet ist, da sieht 
man die Räume der Knochenbalken eingefasst mit einem ho- 
mogenen Blasteme, in welchem man je nach dem Stadium 
der Entwickelung mehr oder weniger ausgebildete Knorpel- 
zellen mit Kernen erkennt; dieses sind die ersten Anlagen 
der konzentrischen Systeme, welche die Maschenräume nach 
und‘ nach ausfüllen. 

Die Vergrösserung der flachen Schädelknochen geschieht 
anfangs nur in der Fläche, dann aber durch äussere Aufla- 
gerungen, welche, mit dem Wachsthum des Gehirnes stets 
grösser werdend, sich schalenförmig über die vorhandene 
Knochenmasse legen; deshalb sieht man auch nur auf der 
Aussenfläche das strahlige Gefüge deutlich, während dasselbe 
auf der Innenfläche, wo man nur die Ränder der schalen- 
förmigen Ablagerungen sieht, die strahlige Zeichnung mehr 
zurücktritt; und deshalb ist auch die Stelle der ersten Ver- 
knöcherung stets dicker als die Ränder. Wenn nun die 
Dicke der Mitte einen gewissen Grad erreicht hat, so findet 
auf) diese keine Ablagerung mehr statt und die; Vergrösse- 
rung erfolgt dann nur noch durch ringförmige Ablagerungen 
auf die übrigen Theile des Knochens. ‘So scheint das Wachs- 
thüm sich fortzusetzen bis zu vollendeter Bildung der Näthe, 
und dann scheinen die Knochen nur noch" durch Knorpelab- 
lagerungen auf den Flächen der Nahtränder zu wachsen; dem- 
nach‘ besteht der sogenannte Nahtknorpel an’ nicht ausgewach- 
senen Schädeln aus diesen Knorpelschichten nnd Resten des Pe- 
riostes, an'ausgewachsenen dagegen nur aus Resten des Perio- 
stes d. h.'aus firosem Gewebe, und das periosteum internum 
und periosteum externum der flachen Schädelknochen bilden 
mit den sie verbindenden Fasermassen in den Nähten das 
Perichondrium des Primordialschädels, in dessen Mitte sich, 
dasselbe in zwei Lamellen spaltend, (der Knochen gebildet 
hat. Von diesem letzteren Verhältnisse überzeugt man sich 
besonders deutlich an Schnitten, ‘welche man durch die Dicke 


339 


des ganzen Knochen in der Richtung‘ der Strahlen aus dem 
frischen Scheitelbeine oder Stirnbeine Neugeborner nimmt. 
Man sieht da, wie das Periosteum, "welches die}Lücken 
zwischen den Knochenrändern ausfüllt, sich am Rande der 
Knochenmasse spaltet, um sich über und unter dem Kuo- 
chen fortzusetzen; der Spaltungswinkel wird an seiner Spitze 
durch Knorpel und dann ‚erst durch Knochenmasse ausge- 
füllt; häufig sieht man auch in. der äusseren Periosteum- 
platte die knorpeligen Streifen der neuen Auflagerung mehr ° 
oder weniger entwickelt. ; Es ist rathsam, um dieses Ver- 
hältniss deutlich zu sehen, den Schnitt durch einen Kno- 
chenstrahl selbst zu legen und nicht in die Lücke zwischen 
zwei Knochenstrablen. Die Knorpelschicht des „Nahtknor- 
pels und ihre Verknöcherungsweise sieht man am Schön- 
sten an den Nahträndern von z. B. Scheitelbeinen 14 bis 2 
jähriger Kinder, man sieht sie hier an allen, Schnitten, 
welche senkrecht auf die Fläche des Nahtrandes geführt wer- 
den, am Besien jedoch an solchen, welche parallel dieser 
Fläche genommen werden. 


IX. Die verschiedenen Formen der Verknöche- 
rung in den einzelnen Knorpelarten. Bildung der 
Markräume. 

Der Knorpel bietet, wie aus dem bisher Mitgetheilten 
erhellt, sehr grosse Verschiedenheiten dar in Bezug auf die 
Art seines Auftretens, in Bezug auf Ort und Zeit seines 
Vorkommens und in Bezug auf die Entwicklungsstufen der 
beiden ihn zusammensetzenden Elemente, Zwischensubstanz 
und Zellen. Es ist daher begreiflich, dass nicht ein jeder 
Knorpel sich in dem Verknöcherungsprozesse in gleicher 
Weise verhält, wie der audere, und dass deshalb der Verknö- 
cherungsprozess nicht überall nach dem gleichen Schema vor sich 
gehen kann. Die eben bezeichneten verschiedenen ursächli- 
chen Momente für die Verschiedenheiten unter den einzel- 
nen Knorpelarten und die mehrfachen Verschiedenheiten in 


22% 


340 


der Art der Verknöcherung der beiden Knorpelelemente 
werden vereint eine grosse Mannigfaltigkeit der Verknöche- 
rungsformen erzeugen müssen. Trotz dieser Mannichfaltig- 
keit lassen sich jedoch alle Verknöcherungsformen auf fol- 
gende Hauptformen zurückführen, nämlich 

1) Verknöcherung des fötalen Knorpels, 

2) Verknöcherung des wachsenden Knorpels und 

3) Verknöcherung des ausgewachsenen Knorpels. 

Die beiden ersten Formen haben das mil einander ge 
mein, dass in ihnen die Zwischensubstauz vor den Zellen 
verknöchert, während in der dritten Form erst die Zellen 
und dann die Zwischensubstanz verknöchert. Die erste und 
dritte Form haben das miteinander gemein, dass in ihnen 
der Knorpel gewissermaassen im ruhenden Zustande die Ver- 
knöcherung über sich ergehen lässt, während in der zwei- 
ten Form die Hauptmasse des Knorpels sich immer vor dem 
Verknöcherungsrande zurückzieht und diesem nur immer 
eine durch‘ Mutterzellenbildung stark wachsende Schicht 
entgegen schiebt. 


a. Verknöcherung des fötalen Knorpels. 

Ich habe diese Form so genannt, weil nach ihr der An- 
fang der Verknöcherung in allen fötalen Knorpelanlagen be- 
ginnt und die ersten Knochenkerne in Fötus sich überall nach 
ihr bilden; sie findet sich aber auch als einzige Form in der 
aufgelagerten Knochenmasse, und da die Bildung dieser bis 
zum :ausgewvachsenen Zustande fortdauert, so ist diese Form 
keineswegs auf die Zeit des Fötuslebens in ihrem Vorkom- 
men beschränkt. 

Der Knorpel, welcher nach dieser Farm verknöchert, 
ist stets neugebildeter Knorpel, welcher aus ei.facheu Zel- 
len zusammengesetzt wird, die gerade eben ihre Ausbildung 
zu hellen runden Zellen vollendet haben und nur eine ge- 
ringe Menge von Zwischensubstanz zwischen sich haben: ' 
Knorpel dieser Art befindet sich aber in der Mitte der knor- 


34 


peligen Knochenanlagen im Fötus und in der aufgelagerten 
Knochenmasse. Die Kalkablagerung schreitet, nachdem sie 
einmal begonnen, in einer kontinuirlichen Linie in der spär- 
lichen Zwischensubstantz vorwärts und umschliesst dabei die 
Zellen. Das Vorwärtsschreiten geschieht deshalb anfangs in 
den längeren so wie in ‚den kürzeren Knochen allseitig, 
also im Sinne einer sich stets vergrössernden Kugelfläche; — 
bei den längeren Knochen erreicht es seitlich bald die Ober- 
läche und schreitet dann nur noch in einer Ebene gegen 
die Enden des Knochens vorwärts, also im Sinne eines 
Zylinders, welcher stets in die Länge wächst, — bei der 
aufgelagerten Knochenmasse beginnt die Verknöcherung in- 
nen und schreitet nach aussen fort, und bei den flachen 
Schädelknochen gestaltet sich dies zu einem Fortschreiten in 
stets wachsender Kreislinie. 

Die eingeschlossenen Zellen, wenn sie nicht vorher 
schon vollständig hell geworden waren, werden es während 
ihrer Einschliessung und lassen ihre Kerne deutlich sehen. 
Erst ziemlich weit hinter dem Verknöcherungsrande bemerkt 
man die Verdickung der Zellenwandung durch die innere 
Ablagerung und deren Verknöcherung, so wie die dadurch 
bedingte Knochenkörperchenbildung, wobei die äusseren Um- 
risse der Zellen verschwinden. Oefters jedoch kann man 
noch im ausgebildeten Knochen dieser Art, namentlich z. B. 
in dünnen Osteophytplättchen die Zellen in der Weise wieder 
erkennen, dass man jedes Knochenkörperchen von einem hellen 
Raume der Zelle umgeben sieht, welcher sich ziemlich scharf ge- 
gen eine bräunlich- krümelige Grundsubstanz (die Interzellular- 
substanz) absetzt. 

In den Knochenkernen der Knorpel des .Fötus ist die 
Ablagerung in die Interzellularsubstanz sehr grobkörnig, die 
Körner derselben müssen aber doch ziemlich fest verbunden 
sein, denn es ist nicht sehr schwer, die netzförmige verknö- 
cherte Zwischensubstanz ohne die Zellen darzustellen. Man 
erhält nämlich einzelne Stücke derselben, aus welchen die 


342 


Zellen herausgefallen sind, durch blosses Reiben’ des Präpa- 
rates zwischen den Gläschen. Gelässe sind in dieser Art 
von Knochen nie anzutreffen (vgl. oben), ‚deshalb sind sie 
anch nach dem Auftrocknen stets kreideweiss. 

In der aufgelagerten Knochenmasse ist die Interzellular- 
substanz etwas bedeutender und die in sie stattfindende Ab- 
lagerung lfeinkörnig. Man kann diese Ablagerung am leichte- 
sten an den Rändern der Schädelknochen ganz junger Fötus 
sehen; und auch an den Nahträndern der Schädelknochen 
von ganz jungen Kindern, namentlich wenn man Sehnitte 
parallel der ‚Fläche des Nahtrandes führt. Wegen des Ge- 
fässreichthums der eingeschlossenen Periostreste trocknet 
diese Knochensubstanz stets mit rother Farbe auf. 


b. Verknöcherung des wachsenden Knorpels. 

Wie oben bei Gelegenheit des. Wachsthums des: Knor- 
pels bereits gesagt, wachsen die noch nicht verknöcherten 
Theile eines Knorpels durch Vermehrung ihrer Zwischen- 
substanz 'allseitig. Dagegen findet in der unmittelbaren 
Nähe des Verknöcherungsrandes ein verstärktes, Wachsthum 
im ‚Sinne der. Verknöcherungslinie durch: Mutterzellenbildung 
in der Weise statt, dass diese durch Mutterzellenbildung ver- 
grösserie und in ihrem Aussehen wesentlich veränderte 
Schicht, ‚stets dem  Verknöcherungsrande zunächst liegt. 
So geht denn Schicht um Schicht des Kuorpels erst ‚die 
bezeichnete Vergrösserung und in dieser die Verknöcherung 
ein, bis der ganze Knorpel verknöchert ist, mit-Ausnahme 
des Gelenkknorpels, welcher besonderen Gesetzen gehorcht. 
Die unmittelbar verknöchernden Theile des Knorpels sind 
nach der früher gegebenen Beschreibung dieser Schicht in- 
sofern wieder dem: fötalen Knorpel ähnlich geworden, ‚als 
die Zwischensubslanz sehr gering an Masse oft fast ver- 
schwindend ist; in so fern aber: unterscheidet sie sich wie- 
der von dem Knorpel der fötalen Verknöcherung, als die. 
verknöchernden Zellen nieht einfache ‘Zellen sind, sondern 


343 


Mutterzellen mit einer, grösseren oder geringeren Anzahl von 
Tochterzellen. Diese Mutterzellen sind in den kurzen 
Knochen und in ‚den Epiphysen rundlich, dagegen in den 
Diaphysen, in welchen das Längenwachsthum vorherrscht, 
sehr lang; gestreckt. ‘Dieses: verschiedene Verhalten der Mut- 
terzellen in den Diaphysen und Epiphysen könnte wohl die 
Meinung erwecken, als ob die Epiphysen nicht nach  demsel- 
ben Gesetze verknöcherten, welches man, nachdem es an 
den Diaphysen beobachtet war, zu schnell verallgemei- 
nerte; — warum: man aber die für intrigirend bei, der Ver- 
knöcherung angesehenen „‚Zellenreihen * an den Epiphysen 
vermisst, habe ich schon früher bei Gelegenheit der. Bespre- 
ehung des Wachsthums der Knorpel entwickelt; es ist: dar- 
an nur die Gestalt der Mutterzellen oder vielmehr die diese 
bedingende Richtung des Wachsthums in dem Kuorpel schuld, 

In ihrer Verknöcherung zeigt nun der mit Mutterzellen 
versehene Knorpel ein anscheinend verschiedenes Verhalten 
von dem mit einfachen Zellen versehenen Knorpel’ und doch 
ist'es im Princip wesentlich dasselbe, nämlich eine vorher- 
gehende Verknöcherung der Zwischensubstanz und nachfol- 
gende Verknöcherung der Zellen. Wie im fötalen Knorpel 
nämlich schreitet die Verknöcherung in. einer bestimmten 
Linie in der Zwischensubstanz vorwärts, die Muiterzellen 
zu nachfolgender Verknöcherung umschliessend. Die Ver- 
knöcherung der letzteren geschieht nach dem früher auf- 
gestellten Prinzipe der. Verknöcherung der Mutterzellen. Je- 
doch treten hier noch einige durch die besonderen 'Ver- 
hältnisse bedingte Modifikationen auf. 

Hinter dem Verknöcherungsrande sieht man nämlich so- 
gleich die künftigen Markräume auftrelen und es ist. daher 
auch wohl die Ansicht entstanden, als ob jene „Zellenrei- 
hen‘ (d. h. also Reihen von Tochterzellen in einer Mutter- 
zelle eingeschlossen) diesen Markräumen in ähnlicher Weise 
Entstehung gäben, wie die Zellenreihen im Schlauche der 
Muskelprimitivfaser. Ich will nicht anführen, wodurch 


344 


und in wie weit eine solche Ansicht in den bisherigen 
Kenntnissen über den Verknöcherungsprozess Rechtfertigung 
finden konnte und was von demselben Standpunkte aus ge- 
gen dieselbe angebracht werden könnte; — sondern ich 
will nur mittheilen, wie sich dieses Verhältniss nach mei- 
nen Untersuchungen herausgestellt hat. Ganz geeignet sind 
zum Studium desselben die Verknöcherungsränder der Dia- 
physen der Röhrenknochen, besser diejenigen kurzer Kno- 
chen, deren Wachsthum beinahe vollendet ist, z. B. die 
Symphysenoberfläche eines Wirbels bei einem beinahe aus- 
gewachsenen Individuum. Die Mutterzellen sind hier nicht 
mehr so sehr gross, wie in der Zeit des stärksten 
Wachsthums und man sieht sowohl an flachen als an senk- 
rechten Schnitten, dass dieselben in einer zusammenhängen- 
den Schicht sammt ihren Tochterzellen verknöchert den 
Verknöcherungsrand bilden; man kann die Umrisse beider 
noch mit Bestimmtheit unterscheiden und sieht ihre flächen- 
hafte Nebeneinanderlagerung namentlich an einem flachen 
Schnitte sehr gut; durch wenig Interzellularsubstanz getrennt 
liegen hier die grösseren Ringe der Matterzellen, die kleine- 
ren der Tochterzellen umschliessend. Die Knochenkörper- 
chen können also nur aus diesen letzteren entstanden sein. 
Eine solche zusammenhängende Knochenschichte bildet aber 
überall den Verknöcherungsrand und in jedem Alter, wie 
man auch an mazerirten Knochen von Embryonen und un- 
ausgewachsenen Individuen sehen kann; wenn wir daher 
gleich hinter demselben die Markräume auftreten sehen und 
an diesen in ihrem ersten Auftreten schon bedeutend grös- 
sere Durchmesser finden, als diejenigen der Mutterzellen 
sind, und wenn wir ferner, je weiter vom Verknöcherungs- 
rand um so grössere Markräume antreffen, so muss sich 
uns die Ueberzeugung aufdrängen, dass die Markraumbildung 
ein mit der Verknöcherung als solcher nicht zunächst in 
Zusammenhang stehender Auflösungsprozess der Knochen- 
substanz ist, welche diese bald nach ihrer Bildung erreicht; — 


345 


und wirklich überzeugt man sich davon noch näher durch 
folgende Thatsachen. 

Die Markraumbildung tritt erst auf, nachdem schon eine 
grössere Knochenmasse entstanden ist, die Anfangs ganz ge- 
fässlosen Knochenpunkte der fötalen Knochen und die im 
späteren Leben entstehenden Knochenpunkte an deu ver- 
schiedenen Orten werden erst, nachdem sie ‚eine gewisse 
Grösse erreicht haben, durch Markraumbildung ausgehöhlt 
und diese Aushöhlung schreitet dann im "Verhältnisse des 
Fortschreitens der Verknöcherung hinter dieser her. Sie 
besteht also in einer Auflösung des bereits gebildeten Kno- 
chens. Die Beweise dafür kann man mit besonderer Bezie- 
hung auf das Verhältniss der ‚‚Zellenreihen‘ zu den Mark- 
räumen besonders schön an den Diaphysen  Neugeborner 
sehen; Kinder und Kaninchen sind geeignet für diese Unter- 
suchungen, viel besser jedoch junge Hunde und Katzen. 
Wenn man nämlich an solchen die jüngste Schicht durch 
einen flachen Schnitt abträgt, so erkennt man in dieser die 
verknöcherten Wandungen der Mutterzellen, jede eine auch 
zwei noch unverknöcherte Tochterzellen umschliessend und 
dazwischen die dunkle krümelige Interzellularsubstanz, und 
man überzeugt sich, dass es ein kontinuirliches Knochennetz 
ist. Je tiefer man mit den Schnitten dringt, um so grössere 
Lücken werden in dem Netze sichtbar durch Ineinanderflies- 
sen der Mutterzellenhöhlen. Auf senkrechten ( Längs-) 
Schnitten findet man nun, dass in den zwischen den Mark- 
räumen befindlichen Knochenplättechen nur noch Stücke der 
Umrisse der Mutterzellen zu erkennen sind, in welchen man 
Anfänge und Endigungen und Seitenränder von Mutterzellen 
erkennt, getrennt durch eine trübere, dunklere Interzellular- 
substanz. Die Ränder der Mutterzellen sind an den Zwi- 
chenräumen zwischen den Tochterzellen eingeschnürt; liegen 
dann zwei Mutterzellen so an einander, dass die Einschnü- 
rungen gerade neben einander zu liegen kommen, so entste- 
ben dadurch kleine rhombische Lücken, welche mit der trü- 


346 


beren Interzellularsubstanz ausgefüllt sind und dadurch wohl 
zu der Meinung Veranlassung geben können, als seien .die 
Knochenkörperchen nichts als Spalten in’ der sonst homoge- 
nen Knochensubstanz. Während so die Mutterzellen: theil- 
weise’ durch die Markraumbildung zerstört werden, und mit 
ihnen ein Theil ihrer Tochterzellen, verknöchert der übrig- 
bleibende Theil der Tochterzellen nach den allgemeinen Ge- 
setzen und man sieht in die Umrisse ‚der Mutterzellen einge- 
bettet stets eine grössere oder geringere Anzahl der Tochterzel- 
len in verschiedenen Stadien‘ der Verknöcherung. — Sind die 
Mutterzellen sehr gross und namentlich wie in dem stärksten 
Wachsthum an den Diaphysen der Röhrenknochen , sehr 
lang, dann können, da die Verknöcherungslinie stets’ gleichmäs- 
sig fortschreitet und die Bildung der Markräume ihr ‚auf 
dem Fusse nachfolgt, an ein und derselben Mutterzelle mit 
ihren Tochterzellen oft dreierlei Stadien zugleich. vorkom- 
men; an der einen Seite ist sie noch knorpelig, in.ihrer 
Mitte, mit welcher sie gerade im Verknöcherungsrande liegt, 
ist sie verknöchert, und an dem anderen Ende ist sie bereits 
theilweise anfgelöst und’ es ist an die Stelle des aufgelösten 
Theils ein Theil eines Markraumes getreten, während der 
unversehrt gebliebene Theil die 'Wandung des Markraumes 
bilden hilft. 

In Betreff des Fortschreitens der Verknöcherung in den 
Epiphysen muss ich noch darauf aufmerksam machen, dass 
dieses nicht allseitig (im Sinne einer sich 'vergrössernden 
Kugelfläche) geschieht, sondern nur im Sinne einer sich ver- 
grössernden Halbkugel, indem die der Diaphyse 'zugewändte 
Fläche der Epiphyse nicht gegen die Diaphyse hin wächst, 
sondern gewissermaassen ihr Erreichtwerden durch .die, ver- 
knöchernde Diaphyse erwartet. 

Anm. Wenn man die theilweisen Umrisse der Mutter- 
zellen in den: bereits knöchernen Scheidewänden der 
Markräume sehen will, so bereitet man am Besten das 
Präparat so, dass man den Schnitt etwa einen halben 


347 


Tag auswässert, dann auf dem Gläschen auftrocknet 
und mit Terpenthinöl benetzt untersucht. 


e.; Verknöcherung des ausgewachsenen 
Knorpels. 


Es wurde oben gezeigt, dass, während in dem fötalen 
und in dem wachsenden Knorpel die Verknöcherung: fast 
allgemein eintritt, ein Theil der ursprünglichen Knorpelanla- 
gen des Fötus auch nach vollendetem Wachsthum und ei- 
nen grossen Theil des mittleren Lebensalters hindurch im 
knorpeligen Zustande verharrt. © Diese im ausgewachsenen 
Zustande noch lange als Knorpel bestehenden Theile sind 
ein grosser Theil der „‚permanenten“ Knorpel, es sind: Ge- 
lenkknorpel, Rippenknorpel, Knorpelscheiben der Symphysen, 
Kehlkopfknorpel und Nasenknorpel. — Da diese ach einem 
eigenthümlichen Gesetze verknöchern, so habe ich dieses Ge- 
setz mit dem gewählten Namen bezeichnet. Ihre Verknöche- 
rung tritt oft erst spät ein, unterbleibt aber manchmal ganz, 
oder ist nur durch die mikroskopische Untersuchung zu er- 
kennen; wegen der Regelmässigkeit und Allgemeinheit ihres 
Auftretens ist sie jedoch als ein normales Vorkommen zu 
bezeichnen. Sehr schön ausgesprochen fand ich diese Ver- 
knöcherungsform auch in vereinzelten Knochenkernen, welche 
sich in dem Knorpel zwischen den noch nicht vereinig- 
ten drei Theilen des Beckenbeins fanden. 

In den angegebenen Knorpelarten finden wir in einer 
reichlichen Interzellularsubstanz einfache Knorpelzellen oder 
Mutterzellen in verschiedenen Entwickelungsstadien; sie 
können dünnwandig oder diekwandig sein, kernhaltig oder 
ohne Kern, mit Fett erfüllt, mit einem grossen Fetttropfen 
oder nur mit einigen kleinen Fetttropfen versehen. Ihre In- 
terzellularsubstanz kann noch homogen sein oder bereits bräun- 
lich-körnig getrübt, oder in Fasern zerfallen oder auch erweicht. 

Das Charakteristische für diese Form der Verknöche- 
rung ist, dass zuerst die Zellen verknöchern und nach de- 


348 


ren Verknöcherung erst die Interzellularsubstanz; und ferner 
mag als charakteristisch "angegeben werden, dass da, wo 
solcher Knorpel verknöchert, der in Kontinuität mit Kno- 
chen steht, der erste Knochenkern sich in einiger Entfernung 
von dem Knochenrande bildet (die einzige Ausnahme bildet 
der Gelenkknorpel), so dass also die Verknöcherung dieser 
Knorpelstücke als eine selbstständige anftritt und nicht als 
eine Fortsetzung desjenigen Verknöcherungsprozesses, welche 
an ihren Grenzen stehen geblieben ist. 

Die Verknöcherung der Zellen erfolgt nach dem früher 
aufgestellten Gesetze, und erst nachdem die Zellen verknö- 
chert sind, wobei in der Regel die übrigbleibende Höhle mit 
Kalksalzen erfüllt wird, tritt die Verknöcherung der Inter- 
cellularsubstanz auf und zwar in Gestalt eines körnigen 
Niederschläges und die ferlig gebildete Knochenzelle; durch 
Zunahme dieses Niederschlages wird endlich die ganze In- 
terzellularsubstanz fest und knöchern. Anfangs ist sie noch 
trüb und krümelig und die dicken, hellen Wandungen der 
Knochenzellen stechen gegen sie und ihren eigenen ' krüme- 
ligen Inhalt so 'schön und deutlich ab, wie das Chorion 
(Zona. pellucida) des Säugethier-Eies gegen Dotter und Epi- 
thelium des Graaf’schen Follikels. Ist ein grösserer' Kno- 
chenkern auf solche ‚Weise gebildet, so tritt, wie im fötalen 
Knorpel, dann erst im Inneren Verflüssigung und Bildung 
von Markräumen ein, ‚Kleinere Verknöcherungspunkte dieser 
Art trocknen deshalb ebenfalls mit kreideweisser Farbe auf 
und nur ‘wenige haben aufgetrocknet ein röthliches Ansehen. 

Nach dem angegebenen Gesetze verknöchern nicht nur 
die oben bezeichneten Knorpel, sondern auch die. Faser- 
knorpel, sowohl die im engern Sinne als fibrose bezeich- 
neten als die gelben. 

Anm. Das beschriebene Verhalten giebt Gelegenheit ver- 
einzelte Knochenzellen in reichlicher Menge leicht zur 
Anschauung zu bringen; ‘die schönsten Präparate für 
diesen Zweck erhält man aus den Knorpelscheiben der 


349 


Symphysen (namentlich 'Wirbelkörpersymphyse und 

Schambeinfuge). Man darf hier nur nahe der Ober- 

fläche des Knochens einen flachen Schnitt durch den 

Knorpel nehmen, oder, wenn man schon einen be- 

sonderen Knochenkern findet, auf die Oberfläche dieses 

Man findet in solchen Schnitten oft eine zahllose Menge 

vereinzelter Knochenzellen mehr oder weniger oder gar 

nicht von verknöcherter Interzellularsubstanz umgeben. 

Lässt man nach einigem Auswässern das Präparat aut 

dem Objekiträger eintrocknen und benetzt es dann mit 

Terpenthinöl, dann sieht man die Zellen noch viel 

schöner und kann mit Bals. canadense leicht ein blei- 

bendes Präparat davon anfertigen. 

Die besonderen Eigenthümlichkeiten aller der verschiede- 
nen Knorpelarten, welche dem hier aufgestellten Gesetze gehor- 
chen, macht eine besondere Besprechung derselben noch 
nothwendig. 

In der Achse der Rippenknorpel tritt gewöhnlich frü- 
her die Zerfaserung ein, als die Verknöcherung. Ist dieser Pro- 
zess noch nicht zu weit vorgeschrilten, d h. sind die Zel- 
len noch gut erhalten, dann verknöchern diese in der zerfa- 
serten Interzellularsubstanz und diese verknöchert dann all- 
mählig auch. Sind jedoch die Zellen schon zu Grunde ge- 
gangen, dann findet eine eigentliche Verknöcheruug nur in 
der nächsten Umgebung der Zerfaserung statt, und die zer- 
faserten Stellen bleiben entweder Lücken oder werden in 
der früher beschriebenen Weise inkrustirt. — Man findet an 
den Rippenknorpeln alter Leute häufig auch eine oberfläch- 
liche Verknöcherung und deren Vorkommen scheint gegen 
das ausgesprochene Gesetz zu sprechen. Man überzeugt sich 
aber bald, dass diese Verknöcherung eigentlich der Rippe 
selbst angehört, indem sie nur in Kontinuität mit der Kno- 
chensubstanz der Rippen gefunden wird und daher ohne 
Zweifel ein Produkt des Rippenperiostes (aufgelagerte Kno- 
chenmasse) ist. Bei vielen Säugethieren verknöchern die 


350 


Rippenknorpel schon sehr‘ früh, aber immer nach vollende- 
ter /Verknöcherung der Rippen. Weil der Verknöcherungs- 
prozess hier ebenfalls ein selbständiger im ausgewachsenen 
Zustande eingetretener ist, findet man auch in solchen Rip 
penknorpeln alle daher rührenden Eigenthümlichkeiten vor: 
sie sind im aufgetrockneten Zustande weiss, haben keine 
Rindensubstanz und sind bröckelig, daher sie sich leicht zer- 
malmen lassen. Markräume finden sich erst später in ihnen, 
Die mikroskopische Untersuchung lehrt, dass auch hier 
zuerst die Zellen, und zwar meist vor Verdickung ihrer Wan- 
dungen durch Anfüllung mit Kalksalzen verknöchern und 
dass die Verknöcherung der Intercellularsubstanz nachfolgt. 
Die Knorpelscheiben der Symphysen, namentlich 
der Wirbelkörpersymphysen zeigen oft schon in kaum aus- 
gewachsenem Zustande Verknöcherung ihrer Zellen; bei aus- 
gewachsenen, namentlich älteren Individuen erkennt man die 
Knochenkerne an dem aufgetrockneten Wirbel als weisse 
Massen in der vertrockneten Knorpelscheibe. Sehr beleh- 
rend fand ich senkrechte Schnitte durch den Wirbelrand 
und die Knorpelscheibe kurz nach vollendetem Wachsthum. 
Man überblickt an solchen öfters in dem Gesichisfelde auf 
einen Blick Querschnitte durch folgende Schichten: 
Knochen des Wirbels mit Markräumen, 
Verknöcherungsrand mit verknöcherten Muiterzellen, 
unverknöcherte Mutterzellen, 
Mutterzellen nur mit Kernen erfüllt, 
einfache Knorpelzellen, 
vereinzelte Knochenzellen mit oder ohne äusseren Kalk- 
beschlag, 
Knochenkern des Symphysenknorpels, 
vereinzelte Knochenzellen, 
einfache _Knorpelzellen mit homogener Interzellular- 
substanz, 
einfache Knorpelzellen mit zerfaserter Interzellularsub- 
stanz, 


351 


faserige Interzellularsubstanz (Zwischenwirbelband) mit 

rückgebildeten Knorpelzellen. 

Man hat da gewissermaassen die ganze Geschichte des 
Knorpels in einem Blicke vor Augen. — Bei vielen Thie- 
ren, 2. B.. bei den Kaninchen finden sich sogenannte Inter- 
vertebralknochen an der Stelle der Knorpelscheibe; die voll- 
ständige Analogie, welche sich zwischen diesen und den 
verknöcherten Knorpelscheiben hersfellen lässt, lässt erwar- 
ten, dass man an ihnen dasselbe Gesetz geltend finden müsse; 
dieses ist aber nicht der Fall, denn bei neugebornen Kanin- 
chen findet man schon verknöcherte Intervertebralknochen 
und an deren Rändern die bekannten Erscheinungen , wel- 
chen man an dem Verknöcherungsrande wachsender Knor- 
pel begegnet. Man erkennt daraus deutlich, dass nicht die 
Art des Knochens die Verknöcherungsart bestimmt, sondern 
der Zustand des Knorpels im Augenblick der Verknöcherung, 
indem hier Knochen von ganz derselben Bedeutung nach 
ganz verschiedenen Gesetzen entstehen, weil der eine seine 
Verknöcherung schon während des Wachsthums, der andere 
aber erst nach vollendetem Wachsthum beginnt. 

Den Gelenkknorpel findet man schon ungefähr im 
30ten Lebensjahre theilweise verknöchert. Im höheren 
Lebensalter schreitet die Verknöcher ung sehr häufig stellen . 
weise bis an die Oberfläche der Gelenkfläche fort. Die Ver- 
knöcherung zeigt hier das eigenthümliche, dass sie sich so- 
gleich an den bestehenden Knochen anschliesst und nicht 
erst in einiger Entfernung auftritt. Dass die Markraumbil- 
dung in den verknöcherten Gelenkknorpel von dem Knochen 
aus fortschreite, habe ich nie mit Bestimmtheit sehen kön- 
nen. Die Grenze zwischen den beiden Knochenarten ist 
stets leicht zu erkennen, indem die Substanz des eigentlichen 
Knochens mit einem wellenförmigen Rande endet und gelb- 
lich ist, während die Substanz des verknöcherten Gelenk- 
knorpels weisslich ist, öfters längsgestreift, mit einem zacki- 
gen Rande endet und die bekannten „‚Zellenreihen“ (Mutter- 


352 


zellen) des Gelenkknorpels als Reihen von grossen rundli- 
chen Knochenkörperchen umschliesst; — nur an der freien 
Grenze findet man öfters krümeligen Kalkniederschlag. Bei 
vielen Thieren, z. B. Vögeln, Kaninchen, verknöchert der 
Gelenkknorpel sehr früh und man erkennt seine bekannte 
Struktur in Knochenschliffen aus den Gelenkenden. 

Die Nasenknorpel (Reste des Primordialschädels ) 
verknöchern selten , jedoch habe ich bei älteren Leuten wie- 
derholt,' sowohl im Scheidewandknorpel als in dem 'Seiten- 
knorpel verknöcherte Zellen. und: diese auch zu kleinen 
Knochenkernen durch die verknöcherle Interzellularsubstanz 
vereinigt gefunden. 

Die Kehlkopfknorpel verknöchern gewöhnlich erst 
mit eintretendem Alter und folgen dem allgemeinen Gesetze, 
nur ist bei ihnen häufig‘ der Kalkniederschlag feinkörniger 
als in: anderen Knorpeln. Nach Bildung eines grösseren 
Knochenkernes Ireten in diesem die Markräume auf, und 
wenn die Verknöeherung das Perichondrıum 'erreicht hat, 
so bildet sich aus diesem eine‘ Auflagerung von Rindensub- 
stanz. — An vollständig verknöcherten  Schildknorpeln, 
Ringknorpeln und Giesskannenknorpeln habe ich stets noch 
eine Knorpelschicht unverknöchert an den  Gelenkflächen 'ge- 
funden und es gewinnt dadureh der Satz 'einen neuen Be- 
weis, dass der ‚Gelenkknorpel keine besondere Bildung ist, 
sondern nur der unverknöchert gebliebene Theil ‚der: Knor- 
pelänlage. — Die Kehlkopfknorpel verhalten sich also 'voll- 
ständig wie die Kuoıpelaulagen des 'Skeletes. 

Was den eigentlichen fibrosen Knorpel angeht; so 
findet man: sehr häufig in ihm Verknöcherung. Es ist jedoch 
wohl: zu-beachten, ‘dass nach dem früher Gesagten fibroser 
Knorpel nieht zu verwechseln ist mit Knorpel, dessen In- 
terzellularsubstanz zerfallen ist. «Ueber die’ Verknöcherung 
dieses letzteren ist schon früher gesprochen, es bleibt des- 
halb. nur übrig, von demjenigen Knorpel zu reden, in; wel- 
chem unzweifelhaft fibroses Gewebe mit’ Knorpelzellen (ge- 


308 


mischt ist. Das Verbreitungsgebiet dieses Knorpels ist aber 
sehr unbedeutend, denn es beschränkt sich einzig auf die 
Sehnen- und Bänderstücke, deren Elemente mit Knorpelzel- 
len gemischt sind, wie solche sich in den Anlagen der Se- 
sambeine und in den Köpfen des m. gastrocnemius, so wie 
in der Sehne des m. peronaeus longus vorfinden; die patella 
und das os pisiforme muss ich zwar auch als Sesambeine 
ausehen, bei diesen trilt aber gleich im Anfange eine so 
kompakte Knorpelmasse auf, dass sie in Bezug auf Ver- 
knöcherung ganz den übrigen Knochen gleich kommen, Bei 
den ‚anderen erwähnten Knorpeln findet man dagegen in ganz 
jungen Individuen das Fasergebilde als die Hauptsache fertig 
und es liegen zuerst nur noch wenige Knorpelzellen nahe der 
Oberfläche zwischen den Fasern eingebettet. Untersucht man 
nun an älteren Individuen solche Stellen, in welchen sich 
schon ein kleiner Knochenkern findet, so sieht man in dem 
ganzen Umfange des Knochenkernes vereinzelte Knorpelzel_ 
len zwischen den Fasern; ein Theil dieser Zellen, nämlich 
derjenige, welcher dem Knochenkerne zunächst gelegen ist, 
ist schon verknöchert und man sieht an dem Rande der 
Verknöcherung die Verknöcherung der Interzellularsubstanz 
vorrücken und Sehnenfasern und Knochenzellen gleichmässig 
einschliessen. Zunächst an dem Verknöcherungsrande findet 
man in dem jüngst Verknöcherten noch die streifige Zeich- 
nung der Sehnensubstanz, weiter nach Innen jedoch verwischt 
sich dieselbe, um einem ganz homogenen Aussehen Platz 
zu machen. An ganz grossen Sehnenknochen und Sesam- 
beinen, wie sie im höheren Alter gefunden werden, findet 
man die ganz gleiche Erscheinung auf der Oberfläche, aber 
das Innere des Knochens ist spongiös geworden; es hat dem- 
nach hier eine Auflösung der gebildeten Knochensubstanz 
und dadurch Bildung von Markräumen stattgefunden. Es 
scheint demnach, dass, nachdem einmal die ersten Knorpel- 
zellen verknöchert sind, in dem Umfange des dadurch gebil- 


deten Koochenkernes eine beständige langsam vorwärts ge- 
Nöller's Archir. 1819. 23 


354 


hende Neuerzeugung von Knorpelzellen stattfindet, welche 
durch ihre Verknöcherung, in welche nachher auch die In- 
terzellularsubstanz und die in derselben gelegenen Sehnenfa- 
sern hineingezogen werden, eine beständige Vergrösserung 
des Knochens herbeiführen. — Vielleicht entstehen in ähn- 
licher Weise die Sehnenknochen vieler Vögel z. B. der Reb- 
hühner und die langen processus spinosi der Gänsearten, 
welche wohl auch zu den Sehnenknochen gehören? 

Von dem gelben Knorpel ist es bekannt, dass in 
ihm sich häufig Knorpelzellen mit verdickten Wandungen 
zeigen; zwar wird dieses nur von dem Kehldeckel angege- 
ben, doch habe ich es ebenso in dem Knorpel des äusseren 
Ohres und in demjenigen der Tuba Eustachii gefunden. Es 
zeigt dieser Umstand schon, dass die Knorpelzellen auch in 
diesem Knorpel den allgemeinen Gesetzen gehorchen; es wird 
deshalb nicht wunderbar erscheinen, wenn wir auch ver- 
knöcherte Zellen in dem gelben Knorpel finden. Ich habe 
solche zwar bisher nur in der Tuba Eustachii alter Leute 
finden können, aber hier wiederholt; so dass damit wenig- 
stens bewiesen ist, dass gelber Knorpel verknöchern kann. 
Die verknöcherten Zellen der Tuba Eustachii hatten dicke 
mit Kalksalzen imprägnirte Wandungen, ihre Höhle war mit 
Kalkkrümeln erfüllt und von aussen waren sie mit Kalkkrü- 
meln umlagert. Man darf nicht erwarten, die Tuba Eustachii 
in einem solchen Falle knochenhart zu finden; ihre Substanz 
ist vielmehr anscheinend nicht verändert, weil die reichliche 
Interzellularsubstanz nicht durchaus verknöchert ist; aber auf 
dünnen Schnitten überzeugt man sich von der Veränderung 
und sieht diese namentlich sehr schön, wenn man die Schnitte 
auf dem Objektträger auftrocknen lässt und dann mit Ter- 
penthinöl befeuchtet. — Dass auch an anderen gelben Knor- 
peln noch Verknöcherung gefunden werden könne, daran 
zweille ich gar nicht, ebensowenig auch daran, dass die aus- 
gebreitetere Verknöcherung der Interzellularsubstanz auch zur 


Bildung von wirklichen Knochenkernen führen könne. Bei- 


355 


des habe ich jedoch noch nicht finden können; dagegen 
spricht Rokitansky!) von einer bisweilen vorkommenden 
Verknöcherung des Kehldeckels, sieht solche aber als eine 
Folge der Umwandlung des Gewebes durch vorangegangene 
Entzündung an. Nach den mitgetheillen Beobachtungen über 
die Tuba Eustachii wäre jedoch eine solche Annahme zur 
Erklärung der Erscheinung nicht nothwendig, sondern diese 
würde sich als eine Verknöcherung, wie sie einem jeden 
Knorpel zukommen kann, auflassen lassen, 


X. Wachsthum der Knochen. 


Die vielfachen Versuche, welche über das Wachsthum 
der Knochen angestellt worden sind, haben gelehrt, dass der 
Knochen bis zu einer gewissen Dicke an Masse zunehme, und 
dass ein gegebenes Stück in der Kontinuität des Knochens nicht 
mehr an Länge zunehme, daher das Wachsthum des Kno- 
chens in die Länge nur durch Apposition an den Enden ge- 
schehen könne. Durch die von mir mitgetheillen Beobachtun- 
gen finden diese Thatsachen ihre hinreichende Erklärung 
durch die beständigen Auflagerungen von Knochenmasse un- 
ter dem Periost bis zu vollendetem' Wachsthume, und durch 
das besländige Wachsen des Knorpels in dem Augenblicke 
vor seiner Verknöcherung. 

Weniger Aufmerksamkeit ist der beständigen Auflösung 
der Kuochenmasse im Inneren des Knochens geschenkt wor- 
den und doch spielt diese eine wichtige Rolle in der Ent- 
wickelung der Knochen. Diese Auflösung, mit der Bildung 
der Markräume beginnend, schreitet beständig vorwärts, mehr 
in der Milte des Knochens als an den spongiosen Enden 
desselben. Durch dieselbe wird allmählig der grösste Theil 
der aus der ursprünglichen knorpeligen Knochenanlage ge- 
bildeten Knochenmasse nverzehrl, so dass nur noch die klei- 


') Pathologische Anatomie, Band II. $. 33. 
23 * 


356 


nen Knochenplättchen oder - bälkchen in der spongiosen 
Knochensubstanz übrig bleiben, in dem tubus medullaris der 
Röhrenknochen dagegen alle Knochenmasse verschwindet. — 
Die Markraumbildung erstreckt sich bis zu der aufgelagerten 
Masse und theilweise in diese hinein, und in diesem Zustande 
beharrt der Knochen durch den grössten Theil der Lebens- 
zeit. Dann aber greift die Markraumbildung entschiedener 
die aufgelagerte Substanz an, indem sie zuerst als Erweite- 
rung der Knochenkanälchen sich Bahn macht und so der 
falschen spongiosen Substanz Entstehung giebt. So werden 
denn im Alter die Knochen durch dieses Fortschreiten der 
Markraumbildung von innen heraus mehr und mehr verzehrt 
und dadurch dünner und brüchiger. 

Ich behalte mir vor, bei einer späteren Gelegenheit auf 
diese Verhältnisse weiter einzugehen, wenn mir noch mehr 
Beobachtungen darüber zu Gebote stehen als in diesem Au- 
genblicke. 

Zürich im Juli 1849. 


Erklärung der Zeichnungen. 


Taf. VI. Fig. 1. Vereinzelte Knochenzellen aus der symphysis ossium 
pubis. — a. einfache Zelle, — b. eine Knochenzelle mit 2 Knochen- 
körperchen aus einer Mutterzelle mit 2 Tochterzellen hervorgegan- 
gen. c. und d. Knochenzellen, bei welchen die umgebende Kalk- 
ablagerung soweit fortgeschritten ist, dass der Zwischenraum zwi- 
schen den Zellen durch eine kontinuirliche Kalkkrümelmasse erfüllt 
wird. 

Fig. 2. Eine Knorpelzelle mit unverdickter Wandung ganz mit 
Kalkkrümeln erfüllt — aus einem Rippenknorpel, 

Fig. 3. Tochterzellen, welche in der gleichfalls verknöcherr- 
den Mutterzelle verknöchern — aus der symphysis vertebralis. 

Fig. 4. Verknöcherung des fötalen Knorpels — aus dem Ver- 
knöcherungsrande in dem Oberschenkelbeine eines 2” langen Schaf- 
embryo. — Die Zellen sind im Interesse der Deutlichkeit hier et- 
was zu weit auseinandergehalten. — a. der neue Knochen, in wel- 
chem die Zellen noch unverknöchert liegen, — b. der Knorpel. 


357 


Fig. 5. Verknöcherter Gelenkknorpel von einer Fingerphalanx ei- 


nes alten Mannes. — a. der Knochen, — b. der verknöcherte Ge- 
lenkknorpel, — c. krümelige Ablagerung in die Interzellularsub- 
stanz, — d. der noch unverknöcherte Knorpel, in welchem jedoch 


schon viele Zellen mit Kalkkrümeln erfüllt sind. 

Fig. 6. Ein Stück aus einer Markraumscheidewand an dem 
oberen Ende der Diaphyse des os humeri eines neugebornen Hun- 
des. Man sieht die unvollständigen Umrisse der verknöcherten 
Mutterzellen und die dazwischen gelagerte mit Kalkkrümeln erfüllte 
Interzellularsubstanz; die Tochterzellen, welche noch nicht verknö- 
chert sind, sind nicht sichtbar, weil die Zeichnung nach einem trock- 
nen Präparate gefertigt wurde. — Durch die punktirten Linien sind 
diejenigen Theile der Mutterzellen ergänzt, welche durch die Mark- 
raumbildung zu Grunde gegangen sind. 

Fig. 7. Ein Stück aus einer Markraumscheidewand des Zun- 
genbeins eines Neugebornen. Bei a. bricht die Zeichnung ab; die 
übrigen Ränder sind natürliche. Man sieht immer mehrere Knochen- 
körperchen von einer noch deutlich erkennbaren Mutterzelle um- 
schlossen ; an den Rändern b. c. und d. sind die Mutterzellen durch 
die Markraumbildung theilweise zerstört. 

Fig. 8. Eine junge Schicht aufgelagerter Knochensubstanz von der 
Tibia einer neugebornen Katze; die Knochenkörperchen sind noch 
sehr gross, 

Fig. 9 Querschnitt und Fig. 10 Längenschnitt durch die aufge- 
lagerte Knochensubstanz desselben Knochens. Die ältere Ablagerung 
ist an den ausgebildeteren Knochenkörperchen erkennbar, während 
die jüngere noch grosse Knochenkörperchen zeigt. 

Die künftigen konzentrischen Systeme sind durch punktirte Li- 
nien angedeutet. 

Fig. 11. Schem aeinesRöhrenknochens. Der schattirte Theil bezeich- 

net die ursprüngliche Knorpelanlage in der Gestalt, welche sie nach 
und nach bis zum vollendeten Wachsthume annimmt. In der Dia- 
physe und den Epiphysen ist das Fortschreiten des Verknöcherungs- 
randes durch gezackte Linien angedeutet; der als Gelenkknorpel 
übrig bleibende Theil ist mit Strichen schattirt. An den Seiten ist 
die Art angedeutet, in welcher sich die Aullagerungen über einan- 
der schichten. 


Ueber 
den Bau rhachitischer Knochen, 


Von 


Professor Hermann MEYER 
in Zürich. 


Ueber den histologischen Bau der rhachitischen Knochen 
haben wir zwar in der letzten Zeit zwei Arbeiten erhalten, 
eine von Kölliker!) und die andere von Gurlt2). Beide 
erschöpfen jedoch den Gegenstand keinesweges; und es 
kann auch dann erst möglich sein, einen genauen Begriff 
von der pathologischen Veränderung eines ‘histologischen 
Herganges zu gewinnen, wenn man den normalen Hergang 
genauer kennt, Nachdem ich durch die in dem früheren 
Aufsatze (der Knorpel und seine Verknöcherung) mitgetheilten 
Untersuchungen hinlängliche Belehrung über den normalen 
Verknöcherungsprozess erhalten hatte, durfte ich auch hoffen, 
die Veränderungen desselben in der Rhachitis zu verstehen. 
Es boten sich mir kurz hintereinander zwei Fälle sehr aus- 
gebildeter Rhachitis an ungefähr zweijährigen Kindern; was 
mich die Untersuchung an diesen gelehrt, gebe ich hiermit. 


!) Mittheilungen der naturforschenden Gesellschaft in Zürich. Heft 
1. 1847. S. 168. 

2) Diss. de ossium mutationibus rhachitide effectis, Berol. 1848. 
pag. 19. 


359 


Der rhachitische Knochen ist dieker als. der normale 
und namentlich an seinen Gelenkenden sehr in die Breite 
gedrückt; ‘dabei ist er ganz oder theilweise mehr oder we- 
niger weich und biegsam. Auf dem Längendutchschuitte 
bemerkt man folgende Eigenthümlichkeiten des Baues: . 

Die Markhöhle ist klein, namentlich kürzer als sie sein 
sollte, die Beinhaut ist sehr verdickt und die unter ihr lie- 
gende aufgelagerte Rindensubstanz ist sehr porös, im Gan- 
zen aber dicker als im normalen Zustande; sie hat aber dar- 
um nicht weniger und nicht mehr Schichten, als ihr ei- 
gentlich zukommen, sondern es sind nur die Schichten wei- 
ter von einander entfernt und etwas dicker; deshalb kann 
man auch an dem Durchschnitte eines rhachitischen Kno- 
chens besonders schön sehen, wie die innersten Schichten 
kürzer sind, und die äusseren allmählig länger werden 
(vgl. darüber den oben erwähnten Aufsatz). Gurlt hat 
von diesem Verhältniss in Fig. 1. eine recht gute Darstel- 
lung gegeben. Manchmal findet man mehr nach innen noch 
kompaktere Rindensubstanz, nach aussen dagegen porösere, 
welche letztere dann ohne Zweifel während der Dauer der 
Krankheit abgesetzt wurde, nachdem die erstere vorher 
schon gebildet war. — Näher den Gelenkenden, wo die ur- 
sprüngliche Knorpelanlage des Knochens in der Verknöche- 
rung gefunden wird, sieht man zwischen dem der Gelenk- 
fläche näheren gesunden Knorpel und der schwammigen 
Knochensubstanz, welche das Ende der Markröhre bezeich- 
net, eine Knorpelmasse, welche zwar im Allgemeinen das 
graulich-gallerlige Aussehen bietet, welches der Kuorpel am 
Verknöcherungsrande gewöhnlich zu bieten pflegt, aber die 
Länge der so beschaflenen Stelle ist oft um das Acht- bis 
Zehnfache bedeutender, als im normalen Zustande. In die- 
ser Stelle trifft man anscheinend dreierlei Substanzen; es 
finden sich nämlich in der graulich-durchscheinenden Grund- 
substanz Stellen, welche bräunlich-gelb und trüb erschei- 
nen, bie und da sind dieselben auch rotlı gefärbt; in diesen 


360 


Stellen und auch in der Grundsubstanz sieht man sodann 
noch hie und da weissliche Punkte; die gelblich-trübe Sub- 
stanz ragt manchmal zackenartig von dem verknöcherten 
Theile des Knochens gegen die Gelenkfläche hin hervor. 
Die ganze eben beschriebene Stelle ist sehr weichund weicht 
dem Drucke leicht. 

Die mikroskopische Untersuchung klärt die Ursache die- 
ses eigenthümlichen Aussehens hinlänglich auf und lässt uns 
den Hergang der Umwandlungen in dem rhachitischen Kno- 
chen so auffassen, dass er mit den Worten wiedergegeben 
werden kann: Der Knorpel durchläuft wie im normalen 
Zustande die Veränderungen, welche der Verknöcherung 
vorher zu gehen pflegen und die Markraumbildung schreitet 
in gleicher Weise, wie im normalen Zustande hinter diesen 
Veränderungen her, ohne dass jedoch eine wirkliche 
Verknöcherung durch Kalkablagerung dabei er- 
folgte; nur an ganz einzelnen Stellen zeigt sich eine solche, 
und diese sind die oben erwähnten weisslichen Punkte; 
während die graulich-gallerlige Grundsubstanz die durch 
Mutterzellenbildung veränderte Knorpelmasse ist und die 
gelblich-trüben Stellen diejenigen sind, in welchen die Mark- 
raumbildung gerade im Gange ist. 

Man findet deshalb in der graulich - gallertigen Sub- 
stanz die Mutterzellen, welche der Knorpelrand an der 
Gränze der Verknöcherung gewöhnlich zeigt. 

Es zeigen sich nur die Unterschiede von dem Norma- 
len, dass die Tochterzellen grösser, namentlich breiter sind 
und häufiger wieder Tochterzellen enthalten; dadurch hat 
auch die Mutterzelle eine grössere Breite. Die Interzellular- 
substanz zwischen den Mutterzellen ist ebenfalls bedeutender 
als im normalen Zustande und dunkler gefärbt. 

In den gelblich-trüben Stellen erkennt man, dass hier 
die Markraumbildung nach dem von mir (in dem angeführ- 
ten Aufsatze) aufgestellten Gesetze der Höhlenbildung im 
Knorpel durch Faserbildung und Erweichung vor sich geht. 


361 


Man sieht einzelne Stellen gänzlich in Fasern zerfallen und 
andere, welche schon grössere Höhlen enthalten, deren 
Wände noch mit zerfaserter Masse bekleidet sind. In den 
erwähnten zackenförmig vorspringenden gelblich-trüben Stel- 
len ist im Innern stets ein grösserer Markraum und um den- 
selben herum kleinere noch in der Entwickelung begriffene. 
Wo die Markraumbildung begonnen hat, sieht man, nament- 
lich in der nächsten Umgebung der Markräume die Knorpel- 
zellen, wie dieses bei älteren Knorpelzellen meistens der 
Fall ist, diekwandig und endlich kernlos. Mit der fortschrei- 
tenden Ausbildung der Markräume verschmelzen die dick- 
wandigen Knorpelzellen unter sich und mit der Interzellu- 
larsubstanz so, dass nur noch ihre rundlichen und sternför- 
migen Höhlen sichtbar sind. Solche Stellen haben ganz das 
Aussehen von Knochensubstanz, welche in Salzsäure ihrer 
Erden beraubt sind, nur sind sie dunkler. 

In diesem ganzen krankhaften Theile des Knochens 
kommt Verknöcherung nur hie und da in kleinen Pünktchen 
und Streifchen gewissermaassen versuchsweise vor. Findet 
sich solche Verknöcherung in der graulich - gallertigen Sub- 
stanz, wo die Tochterzellen noch hell und dünnwandig 
liegen, so bietet sie ganz den Charakter der normalen, in- 
dem die Interzellulärsubstanz mit Kalksalzen imprägnirt als 
ein Netzwerk die Zellen umgiebt. — Wo die Zellen schon 
unter sich und mit der Intercellularsubstanz verschmolzen 
sind, lagern sich die Kalksalze in die aus beiden gemein- 
schaftlich gebildete Masse ab; ohne dass man ein früheres 
Verknöchern der Interzellularsubstanz oder der Zellen wahrneh- 
men könnte, — Das Gleiche ist da der Fall, wo die Zellen 
schon diekwandig geworden sind, aber noch einzeln zu er- 
kennen sind; nur in sehr seltenen Fällen findet hier das 
Gesetz der Verknöcherung des ausgewachsen@n Knorpels 
durch frühere Verknöcherung der Zellen statt, Man darf 
sich hier nicht täuschen lassen, und eine Zelle, welche nur 


362 


eine diekwandige Knorpelzelle ist, für eine Knochenzelle an- 
sehen. 

Durch die Markraumbildung werden die Mutterzellen 
so zerstört, dass man ihre Umrisse in den Knorpelbalken 
zwischen den Markräumen nicht mehr erkennt. 

Die Rindensubstanz rhachitischer Knochen zeigt in ih- 
rem histologischen Bau ganz ähnliche Verhältnisse, wie die 
ursprüngliche Knochenanlage. Mangel an Kalksalzen lässt 
sich auch hier nicht verkennen, obgleich er nicht so augen- 
fällig und nicht so bedeutend ist, ‘wie in der spongiosen 
Substanz. Man findet die netzartig verbundenen Knochen- 
balken ziemlich umfangreich und die Maschen zwischen ih- 
nen ziemlich weit; sehr weit sind namentlich die Räume 
zwischen den einzelnen Schichten. Die Ablagerung von 
Kalksalzen ist beschränkt, doch ist sie allgemeiner und re- 
gelmässiger als in der spongiosen Substanz. Die äussersten 
Schichten sind noch deutlich knorpelig und bestehen häu- 
fig aus noch dünnwvandigen hellen Zellen; weiter nach in- 
nen findet man schnell dickwandige Knorpelzellen und nach 
sehr kurzem Uebergange findet man schon die oben beschrie- 
bene Form, in welcher die Zellen nicht mehr einzeln erkenn- 
bar sind und das ganze Präparat einem Schnitt aus Kno- 
chen ähnlich sieht, welcher in Salzsäure mazerirt ist. Der 
so umgewandelte Knorpel verknöchert dann durch Ablage- 
rung von Kalkkrümeln. — Die Weicheit der Rindensubstanz 
rührt daher nnr tbeilweise von ihrer knorpeligen Beschaflen- 
beit her, theilweise ist sie dem weitmaschigen Gefüge bei- 
zumessen und ist in so fern der Weichheit gesunder spon- 
gioser Substanz gleich zu stellen. 

Der Einfluss dieser Veränderungen in dem Verknöche- 
rungsprozesse auf die Gestaltung des ganzen Knochens ist 
leicht einzusehen und das Aussehen der rhachitischen Kno- 
chen erklärt sich leicht aus denselben. 

Die durch die Markraumbildung schwammig gewordene 
Knorpelsubstanz weicht leicht dem vereinten Drucke der 


363 


Muskeln oder$dem Drucke der Schwere darüber gelegener 
Theile. Das erstere Moment allein wırd sich am Arme geltend 
machen, beide Momente zusammen an den Beinen, daher muss 
auch die Gestaltveränderung an den Letzteren bemerklicher wer- 
den, als an den esteren. Durch die genannten Momente werden 
die Knochen in der Nähe der Gelenkenden aufgetrieben und 
diese Auseinandertreibung erklärt denn auch ihrerseits wieder 
die grössere Breite der Mutterzellen und der zwischen densel- 
hen befindlichen Interzellularsubstanz. — Die weitmaschigen 
Ablagerungen der Rindensubstanz bedingen den grösseren Um- 
fang der Knochen in ihrem Mittelstücke, und wenn nicht 
vor Eintritt des Krankheilsprozesses schon eine feste Röhre 
gebildet war, so wird die alsdann sehr lockere Beschaffen- 
heit der ganzen Röhre Ursache werden, dass auch das Mit- 
telstück des Knochens dem Zuge der Muskeln und dem 
Drucke der Schwere nachgiebt und gekrümmt wird; aus 
dem oben schon angegebenen Grunde muss diese Erschei- 
nung ebenfalls stärker an den Beinen hervortreten, als an 
den Armen, 

Die Erscheinnng, dass rhachitisch gewesene Knochen 
nach Heilung der Krankheit verdickt und verhärtet sind, fin- 
det ihre Erklärung in dem Verhalten der Rindensubstanz 
überhaupt (vgl. darüber den mehrmals angeführten Aufsatz), 
nach welchem die Maschenräume derselben durch die kon- 
zentrischen Röhrensysteme erfüllt werden. Wenn daher die 
Maschenräume besonders weil sind und die Anlage der Rinden- 
substanz besonders umfangreich ist, so ist es natürlich, dass 
durch diese Ausfüllung eine Rindensubstanz erzeugt wird, 
die besonders dick ist und im Verhältniss zu ihrer Dicke 
doch nicht mehr Kanälchen enthält, also fester (sklerosirt) ist, 

Zürich im Juli 1849, 


Ueber 


die Larven und die Metamorphose der Holo- 
thurien. 


Von 
Jon. MuELLER, 


Gelesen in der K. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 
am. 15. November 1849, 


Die jüngsten Holothürien, die man bis jetzt gesehen hat, 
waren in ihrer Gestalt und in ihrem Bau mit den erwach- 
senen übereinstimmend, so dass man sie eben hieran als Ho- 
lothurien hat erkennen können. Dalyell sagt, die jungen 
Holotharien gleichen einer weissen Made, wenn sie die 
Grösse eines Gerstenkorns erreicht haben. Der em- 
brione dell’o. tubulosa osservato in setiembre 
su Pulva lattuga, Delle Chiaje, animali senza verte- 
bre, Taf. 116. Fig. 16 —18 ist nichts weniger als ein 
Embryon. Der kleine Wurm der nach den Abbildungen 
21— 31" Länge hat, besitzt schon alle Eigenschaften einer 
Holothurie. Man konnte daran den kalkigen Ring um den 
Mund, die Tentakeln, Darm und baumförmige Lunge, die 
weisse Haut mit braunen Flecken, die rauhen mit kalkigen 
Spicula versehenen Hautpapillen unterscheiden, worauf so- 
gar die Bestimmung der Species gegründet werden konnte. 
Dass die Holothurien, ehe sie ihre definitive Gestalt errei- 
chen, grossen Metamorphosen unterworfen seien, war zu 
erwarten nach dem, was über die Metamorphose der Asteri- 
den und Echiniden bekannt geworden. Ein glücklicher Zu- 
fall hat mich auf die Larven der Holothurien gelührt. 


365 


Sie haben in ihrem ersten Stadium mit einer Holothurie 
nicht die entfernteste Aehnlichkeit. Ich kannte sie schon 
seit einiger Zeit, ehe ich wusste, dass es Holothurienlarven 
sind, und meine Kenntniss reichte nur so weit, dass es 
Echinodermenlarven waren. Ein nicht minder glückli- 
cher Zufall hat mich jezt auf die Metamorphose derselben 
bis zu Gestalten geführt, in welchen die Holothurien nicht 
mehr zu verkennen sind. 

Die Objecte, von denen ich jetzt handeln werde, sind 
nur 4 so gross, als der sogenannte Embryon der Holothuria 
tubulosa von Delle Chiaje und etwas mehr als doppelt 
so gross, als der Dotter eines Eies der Holothuria tubulosa 
(im September). Es sind dem hohen Meer angehörende, durch 
Wimpern ‚sich bewegende Formen. 

In meiner letzten Abhandlung über die Metamorphose 
der Echinodermen beschrieb ich eine neue Gattung von Echi- 
nodermenlärven, die ich Auricularia nannte, nach Beob- 
achtungen, die im Februar und März dieses Jahres zu Mar- 
seille angestellt sind. Die Auricularien gleichen, oberflächlich 
betrachtet, einem Wappenschild mit Roccocoverzierungen 
des Randes. Man” unterscheidet an ihnen die Bauch - und 
die Rückenfläche und die concav- ausgefurchten Seitenflä- 
chen. Da wo die Rücken- und Bauchflächen den Seiten be- 
gegnen, sind die Ränder in einen welligen Saum ausgezo- 
gen, der sich in einige kurze Zipfel verlängert. Die Seiten 
sind also von zwei Säumen begrenzt, einem dorsalen und 
ventralen Saum. Die Länge des Körpers übertrifft die 
Breite fast um das Doppelte, in seinem breiteren Theile ist 
er doppelt so breit als dick, Gegen das eine Ende bilden 
die Rücken- und Bauchflächen und die ausgehöhlten Seiten- 
Nlächen eine vierseitige Pyramide, deren Kanten die saumar- 
tige Verlängerung der Ränder theilen. An dem entgegenge- 
selzten breitern stumpfen Ende geht die Rückseite gebogen 
in die Bauchseite über, so zwar, dass auch der dorsale und 
ventrale Hautsaum in einander umbiegen und bei dieser Um- 


366 


biegung rechts und links einen ohrartigen Zipfel bilden. Die 
Rückenseite ist ohne Einschnitt. Die Bauchseite dagegen 
besitzt eine Querfurche nahe der Mitte der Länge des Kör- 
pers, nämlich zwischen dem kürzern pyramidalen und 
dem längern breiten Theil des Körpers, in der Querfurche liegt 
der Mund. Vom dorsalen Randsaum ist ein Lappen gewöhn- 
lich gegen die Bauchseite und gegen die Querfurche umgebo- 
gen. In dem pyramidalen Theil des Körpers liegen keine 
Eingeweide. Vom Munde beginnt der fleischige Schlund, 
dieser führt in den Magen, daran schliesst sich der Darm, 
welcher in der Mitte des Körpers das stumpfe Ende erreicht 
und gegen die Bauchseite sich biegend, kurz vor dem stum- 
pfen Ende in den After sich endigt. Zur Seite des Magens 
liegt jederseits ein wurstförmiger Körper, der auch in den 
Larven der Ophiuren beobachtet wurde; er ist ohne alle 
Verbindung mit dem Magen. 

Die Wimperschnur bekleidet den Rand der [beschriebe- 
nen Säume, am dorsalen Seitenrande ist sie ununterbrochen, 
an den ohrartigen Zipfeln des breitern Körperendes geht sie 
auf den ventralen Saum ihrer Seite über und geht dann an 
dem Rande der Querfurche von der rechten zur linken über. 
Am pyramidalen Theil des 'Körpers bekleidet die dorsale 
Wimperschnur den dorsalen Seitenrand der Pyramide oder 
dessen häutige Ausbreitung und biegt an der Spitze der Py- 
ramide auf den ventralen Seitenrand derselben um, um dann 
an der Querfurche angelangt, den zweiten Rand derselben 
zu besetzen und auf die andere Seite überzusetzen. Dem- 
nach biegt die Wimperschnur sowohl am oberen als unteren 
Ende von der Rückenseite zur Bauchseite um. Die Umbie- 
gungen am breitern oder stumpfen Ende des Körpers finden 
an den ohrartigen Zipfeln statt, die Umbiegungsschlingen 
sind dagegen am pyramidalen Ende einander genähert und 
berühren sich an der Spitze der Pyramide. (Ueber die Lar- 
ven und die Metamorphose der Echinodermen. II. Abhandl. 
Berlin 1849. Taf. IV. V. Fig- 1—3. 


367 


Die Auricularien ziehen kreisend im Wasser hin, die 
Pyramide voran. Die Bauch- oder Rückenseile ist meist 
nach oben gekehrt. Bald sind ihre Bahnen Kreise, bald, in- 
dem der ideale Mittelpunkt des Kreises selbst vorrückt, sind 
es ebene Spiralen. Dieses Kreisen wird: eintreten, wenn 
die Wimpern auf der rechten oder linken Seite des Körpers 
stärker wirken. Zuweilen erfolgt bei dem Kreisen auch die 
Umdrehung des Körpers um seine Längsachse, und dies ge- 
schieht ganz gewöhnlich, wenn die Längsachse des Thieres 
schief steht oder aufgerichtet ist. Hiebei beschreibt der 
Körper selbst wieder seine Bahnen. Am Körper des Thiers 
erfolgt ausser der Wimperthätigkeit der Wimperschnüre und 
des Darmkanals und ausser der Zusammenziehung des Schlun- 
des nie irgend eine Bewegung. 

Im vorigen Winter beobachtete ich zu Marseille zwei 
Arten von Auricularia, ich fand sie wieder, als ich in die- 
sem Sommer in Nizza die Beobachtungen fortsetzte und 
lernte ihr endliches Ziel kennen. Die Auricularien sind die 
Larven der Holothurien. Die Metamorphose dieser Abthei- 
lung von Echinodermen hat das Ausgezeichnete, dass sie in 
ganz anderer Weise als bei den Ophiuren, Seeigeln und 
Bipinnarien erfolgt. Nicht eine in der Larve als Minimum 
angelegte Knospe entwickelt sich zur Gestalt des Echino- 
derms wie dort, sondern die ganze Larve wird in das Echi- 
noderm umgewandelt, so dass in diesem Fall die Metamor- 
phose alle Aehnlichkeit mit dem Generationswechsel verliert, 
welche sie bei den Ophiuren, Seeigeln und gewissen Aste- 
rien (Bipinnaria) hat, 

Die Metamorphose der Holothurien ist übrigens verwickel- 
ter als bei irgend einem andern Echinoderm. Sie durchgehen 
vom Ei bis zur vollendeten Form mindestens drei Stufen 
der Verwandlung. In der ersten sind sie Auricularien und 
also rein bilateral mit lateraler Wimperschnur; im zweiten 
Stadium sind sie wurmförmig-radial und besitzen kreisför- 
mige Wimperschnüre, wie die Larven der Anneliden. Jetzt 


368 


bewegen sie sich noch allein durch die Wimperbewegung, 
denn ihre spätern locomotiven Organe sind noch nicht her- 
vorgebrochen. Nachdem dies geschehen ist, schwimmen sie 
durch die Wimperbewegung und kriechen zugleich mit den 
Mundtentakeln. In diesem Zustande stimmt ihr innerer Bau 
schon fast ganz mit den erwachsenen Holothurien, aber sie 
haben noch keine Füsse und sie bewegen sich noch schwim- 
mend und kreisend durch die Wimperbewegung. Im drit- 
ten Stadium erst, nachdem sie die Wimperkränze verloren, 
sind sie allein kriechend. 

Die eine Auricularia von Marseille hat das ausgezeich- 
nete, dass sich in ihren Ohrzipfeln kleine Kalkrädehen und auf 
der einen oder andern Seite eben daselbst auch eine rundli- 
che Kalkdruse entwickeln. a. a. ©. Taf. IV. Zuerst soll von 
der Verwandlung dieser Art gehandelt werden. Während des 
Aufenthaltes in Nizza vom 19. August bis Ende September 
kam diese Aurieularia sehr häufig vor. Die mehrsten Indi- 
viduen, bei denen schon diejenige erste Andeutung zur Ver- 
wandlung erkennbar war, die ich in meiner vorigen Ab- 
handlung bezeichnete, hatten -%,‘ Länge, nur selten erreich« 
ten sie eine Grösse bis #,'”. Dem, was über ihren innern 
Bau schon früher bemerkt worden, konnte ich nur weniges 
hinzufügen. In der glasartig durchsichtigen Substanz ihres 
Körpers bemerkte man zerstreute, theils rundliche, theils un- 
regelmässige Kernen ähnlich sehende durchsichtige Körper- 
chen. Der Magen besteht aus einer äussern durchsichtigen 
und einer innern zelligen Schicht. Die Zellen des Magens 
sind grösser als die Zellen, aus deren Anhäufung der Wim- 
perwulst des Körpers zusammengesetzt ist, Letztere sind 
nur4 —4 so gross. 

Die Kalkrädchen in den Obrzipfeln haben 12 — 16 
Speichen. Die Speichen sind leicht gegen den Rand des 
Rades gebogen, der kreisförmige Kalkreifen, der die Spei- 
chen aufnimmt, hat an seinem innern Rande Doppelconturen - 
und man unterscheidet au dem Reifen einen äussern Theil 


369 


auf welchem die Speichen sich inseriren und einen innern 
Saum, der dabei nicht betheiligt ist. Die Bildung der Rädchen 
erfolgt so, dass um den mittlern kalkigen Kern erst die Spei- 
chen sich ansetzen‘, und dann erst der peripherische Reifen 
entsteht. In der vorigen Abhandlung habe ich angegeben, 
wie dieser Reifen aus vielen kleinern Stückchen zusammen- 
gesetzt; wenn die Rädchen vollendet sind, verschwindet 
diese Gliederung wieder und der Reifen ist ganz und unge- 
theilt. Die Zahl der Rädchen in einem Ohrzipfel ist 1 4, 
die in einem der Ohrzipfel vorhandene Kalkdruse ist ‚meist 
nur einmal, zuweilen aber. zu 2 oder 3: vorhanden.’ 

In der vorigen Abhandlung habe ich des in den reifern 
Larven auftretenden ‘Sterns von Blinddärmehen gedacht, der 
die erste Andeutuug auf Verwandlung der Auricularia giebt: 
Er liegt an der Rückseite über dem ' Anfang ‘des Magens 
oder bei Magen und Schlund, und immer etwas nach der einen 
Seite hin. ‘Zwischen den 5 Hauptblättern oder Hauptblind- 
därmehen kommen noch Spuren von 5 kleineren vor, die 
mit jenen alterniren und die ganze Rosette hat das Ansehen 
einer hin und her geschlagenen Membran. So viel war mir 
bei der ersten Mitiheilung bekannt, ich vermuthete ! daraus, 
dass diese Rosette die erste Spur des künftigen Echinoderms 
sei. Dies war nicht richlig: ich weiss jetzt aus direkter 
Beobachtung, dass der Stern "von 'Blinddärmchen nur die 
Anlage der Mundtentakeln des Echinoderms ?) ist. "Auch 
kann ich dem früher milgetheilten hinzufügen, ‘dass die Ro- 
setie von Blinddärmchen jedesmal durch einen von ihrer 
Mitte abgehenden, wie eine Röhre‘ aussehenden Strang an 
die Rückseite der Larve befestigt ist. So wie die Rosette 
nicht in der Mitte, sondern etwas seitwärts liegt, so ist 
auch die Inserlion des Stranges in die Haut des Rückens 


1) Hierdurch wird die Deutung der analogen Roselte von Bra- 
chiolaria zweifelhaft. 
Nüller's Archir. 1549, 24 


370 


nicht in. der Mittellinie. des Rückens, sondern. beträchtlich 
seitwärts am Rücken.‘ 

Der rührige Strang scheint mit der Entwickelung der 
Blinddärmchen im innigsten. Zusammenhange zu stehen. Er 
ist schon: vorhanden, wenn statt der Rosette von Blinddärm- 
chen erst; ein einfaches Bläschen da ist. Dies Bläschen ist an 
den röhrigen Strang befestigt; wo es an der Röhre hängt, ist 
es.offen und zeigt einen freien Rand, aber seine aus Zellen 
oder Körnern bestehenden Wände sind keine unmittelbare 
Fortsetzung der Röhre, sondern nur daran befestigt. Wenn 
sich der Schlund  zusammenzieht, wird der Magen passiv 
mitbewegt, nicht aber die Knospe; vielmehr entsteht zwi- 
schen der Knospe von Blinddärmchen und dem Schlund 
ein: Zwischenraum: so zeigt sich, dass sie weder mit dem 
Schlund noch mit dem Magen zusammenhängt. Die Sub- 
stanz der Rosette von Blinddärmehen erscheint bei starken 
Vergrösserungen aus körnerartigen Zellen zusammengesetzt. 
Einmal wurden auch einige noch ganz ‚geringe Spuren ‘von 
Kalkabsatz unter dem Kranz von Blinddärmchen wahrge- 
nommen. 

Wo die den Mund der Larve enihaltende Querfurche 
in. die Seitenfurchen des Körpers übergeht, befindet sich 
eine der Länge nach verlaufende erhabene Linie oder Leiste, 
welche also das Feld der Querfurche, wo der Mund liegt, 
bestimmter 'abgrenzt. 

Zuweilen gelingt es, die Auricularia bei aufgerichte- 
ter. Achse sich drehend zu sehen, dann ist der pyramidale 
Theil oben, der breitere unten, letzterer wird schon durch 
das Gewicht der Kalktheile in den Ohrzipfeln nach. unten 
gehalten. Auch wenn die-Larve horizontal kreisend 'hin- 
zieht, ist leicht das Ende wo die Ohrzipfel, tiefer gestellt, 
oder die eine Seite dieses Endes tiefer, wenn der eine Ohr- 
zipfel mehr Kalktheile enthält als der andere. 

Zur selbigen Zeit mit dieser Auricularia kamen bei 
Nizza und im Golf von Villa franca wurmförmige Thierchen 


311 


von ‚3‘ Länge vor, welche ich bald für junge Holothurien 
und eben so gewiss für eine Verwandlung der Auricnlaria 
mit’ Kalkrädehen erkannte. Sie gehören wie die Aurieularien 
der liohen See an. In der Gestalt des Körpers hätten diese 
Thierchen nicht die geringste Aehnlichkeit mit der Auricula- 
tra. Das Thier glich einem mit Reifen in regelmässigen 
Abständen umgebenen Fasse, dessen Länge sich zur Breite 
wie 3:2 verhielt. Die Reifen sid schwach erhabene, mit 
Wimpern "besetzte zirkelförmige Leisten oder Bänder; ihrer 
sind 5. Der erste liegt am vordern Rande des Schlauchs, 
oder am Eingang des Füsses, die andern folgen in regelmäs- 
sigen Abständen, der letzte liegt vor dem hintern Ende, 
welches abgerundet ist. Die Wimpern sind schief nach aus- 
wärts rückwärts gerichlet, durch sie bewegt sich das Thier- 
chen vorwärls, indem es sich zugleich um seine Achse dreht. 
Der Körper ist vollkommen durchsichtig, die Wimperreifen 
sind gelb pigmentirt. Was das Innere betrifft, so ist der 
Raum der kleinen Tonne in eine vordere kleinere und hintere 
grössere Abtheilung zu unterscheiden. Die vordere Abthei- 
lung nimmt das erste Dritiel des ganzen ein und bildet ei- 
nen Vorhof der Bauchhöhle; er ist von 5 dicken und lan- 
gen konischen Tentakeln ausgefüllt, welche, im Kreise ste- 
hend, bald in die Aushöhlung des Fässchens zurückgezogen 
sind, ohne den Rand des freien Einganges zu überragen, 
bald auch weit aus diesem Eingang hervorragen und dann 
sich tastend und ansaugend umherbewegen. Im letzten 
Fall ist das hintere abgerundete Ende des Fässchens auf- 
wärts gewandt. Man erkennt dann, dass der Körper nicht 
völlig walzenförmig, sondern leicht pentagonal mit abgerun- 
deten Kanten ist. Bei dieser Stellung sieht man auch die 
Bewegung der Wimpern an den fünf Wimperorganen am 
schönsten, sie erinnert an die re der Wimper- 
organe der Larven der Anneliden. 

Hinter den Basen der 5 Tentakeln, zwischen denen al- 
ternirend die ersten Andeutungen von noch anderen 5 Ten- 

2A * 


372 


takeln sichtbar werden, ist der Eingang in den Darm; die- 
ser beginnt weit und wird nach hinten allmählig enger; 
in: seinem Verlauf biegt er sich um und nachdem er eine 
Schlinge ‚gebildet geht er wieder nach hinten, ‘wo er sich 
nach dem hintern Ende, oder vielmehr bei dem hintersten 
Wimperreifen, also nicht in der hintern Mitte öffnet, die 
vielmehr von später zu beschreibenden Kalkgebilden einge- 
nommen ist. Ob diese Oeffnung hinter dem hintersten Wim- 
perreifen oder kurz vor demselben liegt, ist mir nicht ganz 
sicher. In mehreren Fällen wollte es scheinen, als wenn 
sie noch vor diesem Ringe gelegen wäre. Hinter den Tenta- 
keln, am Anfang des Nahrungkanals erscheint in allen Indi- 
viduen ein Kalkring, gebildet‘ aus 10 aneinander stossenden 
Stückchen; jedes Stück ist eine quere Leiste, welche sich 
an'den Enden gabelig theilt, worauf die Gabeläste mit, einem 
Knauf von kurzen Zweigen endigen. Auswendig an diesem 
Kalkringe hängen in regelmässigen ‚Abständen ringsum 10 
rundliche Bläschen, an denen man 2 Membranen: unterschei- 
det. Im Innern dieser Blasen bewegen sich einige (4—8) 
Doppelkörner ‚zitternd, wahrscheinlich in Folge von Wim- 
perbewegung. Es sind Körperchen, die aus 2 mit einander 
verbundenen Körnern bestehen. Hinter dem Kalkring ist der 
Anfang des Nabrungsschlauehes von einem Cirkelkanal um- 
geben; von diesem gehen: in regelmässigen; Abständen 5 Ka- 
näle nach den 5 Tentakeln; an denselben Ringkanal schliesst 
sich in der entgegengesetzten Richtung ein sackförmiger An- 
hang. Im Iunern der Bauchhöhle erkennt man noch 5 sich 
von Zeit zu Zeit bewegende Längsmuskeln in regelmässigen 
Abständen an den Körperwänden. Endlich ist-noch in allen. 
Exemplaren ein ‚besonderer Kanal sichtbar, der vorn in der 
Nähe des Kalkringes‘ beginnt und sich an die Körperwan- 
dung anlegend weit nach. rückwärts ‚verfolgt werden kann 
und welcher sich dadurch auszeichnet, dass auf seinem vor- 
dern Theile nicht weit hinter dem Kalkringe eine bogenför- 
mige, in der Mitte angeschwollene Kalkleiste aufliegt, ‚was 


373 


sich in allen Individuen wiederholt. Der Ursprung dieses 
Kanals ist mir nicht ganz klar. Es hatte mehrmals das An- 
sehen, als wenn dieser Kanal mit dem Ringkanal zusammen- 
hänge, bei der später zu beschreibenden zweiten Species von 
kleinen Holothurien habe ich ihn aber über den Ringkanal 
hinweg verfolgen können. 

Was die Struktur der Haut betrifft, so besteht dieselbe 
aus kleinen zellenartigen Körnern; auch die Wände der Ten- 
takeln scheinen aus Zellen zu bestehen; man erkennt läng- 
lich-runde Abtheilungen in diesen Wänden, welche senkrecht 
gegen die Flächen des Tentakels gerichtet sind, die ganze 
Masse der Tentakelwände ausmachen, aber nicht so gross 
sind, dass jede Abtheilung durch die ganze Dicke der Ten- 
takelwände durchginge. 

Jeder mit der Anatomie der Holotliurien Bekannte wird 
sogleich die genaue Uebereinstimmung unserer Thierchen mit 
den Holothurien erkennen. Der Kalkring der letztern hat 
dieselbe Zusammensetzung; an ihm befinden sich zehn 
Bläschen oder zwanzig Blinddärme (Holothuria tubulosa), 
die mit dem Wassergefässsystem der Tentakeln zusammen- 
hängen. Der Ringkanal um den Schlund, die von ihm ab- 
gehenden 5 Kanäle zu den Tentakeln und die Polische Am- 
pulle verhalten sich in beiden Fällen gleich. Die fünf 
Längsmuskeln des Körpers sind völlig gleich, auch scheint 
der von der bogenförmigen Kalkleiste umfasste Kanal auf den 
Ausführungsgang der Genitalien bezogen werden zu können. 
Wir haben es also ganz gewiss mit einer jungen Holothuria 
zu thun, die jetzt noch erst 5 Tentakeln hat, aber schon 
die Anlagen von noch 5 andern Tentakeln besitzt. 

Unsere junge Holothuria ist ohne Füsschen, ihre Bewe- 
gungsorgane sind nur die Mundtentakeln und noch vielmehr 
die Wimperreifen; und dies steht schon jetzt fest, dass die 
Holothurien einen Larvenzustand besitzen, in dem sie statt 
der locomotiverr Füsse mit Wimperreifen gleich den Larven 
der Anneliden umgeben sind. 


374 - 


Ich |komme jetzt zu,dem ‚andern Punkt, nämlich ‚zu be- 
weisen, dass die Auricularia nichts ‚anders; als unsere junge 
Holothuria in einer ganz: andern Larvenform ist, und. dass 
die Form der Auricularia sich in die Form der; jungen Ho- 
lothuria mit Wimperreifen verwandelt.: Beide Formen sind 
einander so völlig unähnlich, dass niemand nur auf den Ge- 
danken kommen kann, ihre Gestalt mit einander zu ver- 
gleichen, sobald er sie neben einander sieht. Und dennoch 
besitzt die beschriebene ‚junge Holothuria etwas, das: so- 
gleich auf die Auricularia mit Kalkrädchen ‘ zurückführt, 
nämlich die mikroskopischen Kalkgebilde am hintern abge- 
rundeten Ende der jungen Holothuria; dies sind nämlich die 
Kalkrädehen der Auricularia mit 12—16 Speichen, und auch 
die in einem der Ohrzipfel neben den Kalkrädchen vorkom- 
mende rundliche Kalkdruse. Die Kalkrädchen der jungen 
Holothuria und diejenigen der Auricularia haben genau die- 
selbe Gestalt und Grösse, 0,0170”, und sie sind platterdings 
nicht von einander zu unterscheiden, ebenso gleicht sich die 
Kalkdruse der Holothuria und der Auricularia. Diese Kalk- 
gebilde unterscheiden sich bei beiden Thieren nur: hinsicht- 
lich ihrer Lage. Bei der Auricularia lagen sie zwar in dem 
bintern Theil des Körpers, der den After enthält, aber ganz 
seityärts, nämlich in den Ohrzipfeln; in der jangen Holo- 
thuria, die nichts von diesen Zipfeln aufzuweisen hat, lie- 
gen sie in dem hintern Theil des Körpers, der den After 
enthält, über demselben bei der Mitte, und zwar die Kalk- 
druse regelmässig in der Mitte, die Kalkrädchen, herum grup- 
pirt, in veränderlicher Zahl. Was die Zahl der Rädchen 
betrifft, so zeigen die jungen Holothurien gleiche Verschie- 
denheiten wie die Aurieularien; ich sah junge Holothurien 
mit. 1—6 Kalkrädchen, und es ereignet sich selbst, obwohl 
sehr selten, dass nur erst die Kalkdruse, aber noch nicht 
die Kalkrädchen, vorhanden ist, ein Fall, der mir auch schon 
bei den Auricularien vorgekommen ist, Die Kalkdruse ist 
meist einfach, seltener sieht man mehrere, z, B. 3 rundliche 


375 


Kalkdrusen bei nur einem Rädchen,. Selten fehlt sie ganz; 
ich sah den Fall, dass die Mitte des Hinterendes nur von 
einem einzigen Rä@chen, ‘ohne Kalkdruse, eingenommen war, 
dies ist eine Parallele zu der eben so seltenen Erscheinung 
bei Auricularien, dass einer der Ohrzipfel ein oder mehrere 
Rädchen enthält, dass aber in keinem der beiden Ohrzipfel 
eine Kalkdruse entwickelt ist. 

Indem nun für mich der innere Zusammenhang der Au- 
rieularia mit Kalkrädchen 'und der Holothuria mit Kalkräd- 
chen unabweisslich gegeben war, stellte ich mir die Aufgabe, 
durch directe Beobachtungen den Uebergang der einen in 
die andere Form zu ermitteln. 

Zuerst gelang es, junge Holothurien«in Fässchenform 
mit Wimperreifen aus einer Zeit der Entwickelung aufzufin- 
den, wo die Tentakeln noch nicht frei waren, vielmehr der 
ihnen bestimmte Vorhof noch kuppelförmig geschlossen 'war 
oder abgerundet anfing, in der Mitte eine kleine Oeflnung 
zu bekommen, die vom ersten Wimperreifen umgeben war: 
Diese den Oestruslarven ähnlichen, ‘an beiden Enden abge- 
rundeten, 2,“ langen Gestalten, deren Länge sich zur Breite 
wie 7: 4 verhielt, waren gleichsam die Puppen. Die Thier- 
chen bewegten sich lebhaft, aber nur durch die Wimperbe- 
wegung ihrer Reifen; sie schwimmen behende, indem sie 
sich beständig um die Achse drehen. Die Tentakeln bilden 
jetzt einen in der Höhle vor dem Kalkring liegenden Stern 
von Blinddärmchen. An dem gewölbten Ende, wo sich die 
Oeffuung bildet, erkennt man rechts und links noch die Um- 
biegungsschlinge eines Wulstes, welcher auf die Umbiegungs- 
schlingen des frühern Wimperwulstes der bilateralen Auri- 
eularia zu deuten ist. Werden diese l,arven mit einem Glas- 
plättchen bedeckt, so ändert sich die Gestalt und sie erin- 
nert wieder einigermaassen an die allgemeine Form der Au- 
rieularia. Das obere Ende, vorher abgerundet, erscheint nun 
wieder mehr oder weniger ähnlich dam Fnde der frü- 
bern Pyramide. Diese’ Aenderung der Gestalt durch den 


376 

Druck scheint davon abzuhängen, dass die bilaterale: Wim- 
perschnur und die frühere Körperanlage 'versteckt noch vor- 
handen sind. Beim. Druck mit dem Glasflättchen erscheint 
die frühere bilaterale Wimperschnur an den Seitenrändern, 
Ihre grossen Biegungen sind eingezogen, und ihr Verlauf 
nur wellig. Man sieht jetzt ‚deutlicher die Endumbiegungs- 
schlingen rechts und links am vordern Ende. Die Ohrzipfel 
sind ganz eingezogen, aber die Umbiegung der Wimperschnur 
ist noch zu erkennen. Nahe dabei liegen in dem Hinterende 
des Thiers die Kalkrädchen, näher der Mitte die Kalkdruse, 
zuyveilen aber auch noch elwas zur Seite. Man muss sich den 
Lauf der frühern bilateralen Wimperschnur an der Puppe mit 
5 Wimperreifen so denken, dass die Biegungen: der bilatera- 
len Schnur, welche früher vom Körper abstanden, jetzt auf 
die Oberfläche des Körpers selbst eingezogen sind und hier 
auf dieser Oberfläche nur ‚Wellen bilden. Die neuen Wim. 
perreifen laufen gerade über die Wellengipfel herüber. In ei- 
ner dieser Larven, welche, obgleich schon mit den 5 Wim- 
perreifen versehen, doch. noch von dem Zustand der Auri- 
eularia weniger weit entfernt war, als andere Individuen, 
erschien das Vestibulum, worin die Tentakeln liegen, als ein 
besonderer blasenartig geschlossener Raum, in welchem. der 
von den Tentakeln gebildete Stern gelegen war. Dieser 
Raum erreichte nicht den Gipfel der Pyramide der frühern 
Auricularia,' An der Basis der. 'Tentakelanlagen waren die 
ersten Andeutungen des Kalkringes sichtbar. Vom Mund 
und Schlund der bilateralen Larve war. nichts mehr zu 
sehen, dagegen war das Ende des Magens, in welches 
früher der Schlund überging, nun von der Tentakelanlage 
gekrönt. 

Auf der andern Seite habe ich auch Auricularien 'beob- 
achtet, bei denen sich der Stern von Blinddärmehen, aus 
welchen ‘die Tentakeln entstehen, bedeutend vergrössert 
hatte und bereits. eine grosse Aehnlichkeit: "mit der Anlage 
der Tentakeln in den Holothurienpuppen besass, während 


377 


die Form der Larve im Uebrigen noch alle Eigenschaften der 
Aurieularia, ihre Wimpersäume und noch nichts von den 
Wimperreifen der Holothurienpuppen besass. In diesem Fall 
waren bereits kleine Spuren des Kalkabsatzes an dem Kranz 
der Blinddärmchen sichtbar. 

Wenn es nun erlaubt ist, die Lücken zwischen den Be- 
obachtungen ergänzend auszufüllen, so scheint es, dass die 
Auricularien zur Zeit ihrer Verwandlung aus ihrem Mittel- 
körper die walzige Gestalt der Holothurienpuppen entwik- 
keln, während die seitlichen Verlängerungen desselben und 
der bilaterale Wimperwulst sich verkürzen und einziehen, 
und bis auf die nachgewiesenen geringen Spuren bald ver- 
schwinden, dass zu dieser Zeit aber die neuen Wimperreifen 
entstehen. Von der frühern Querfurche der Auricularia, 
worin ihr Mund, habe ich in den Puppen der Holothurien 
nichts mehr wahrgenommen. Mund und Schlund der Au- 
rieularia scheinen ganz zu verschwinden, wie bei den Lar- 
ven in den andern Abtheilungen der Echinodermen, statt 
deren aber ein neuer Mund im Zusammenhang mit dem Ten- 
takelstern sich zu bilden, und die zuerst noch geschlossene 
Vorhöhle mit den Tentakeln sich zu öffnen, d. h. die Lei- 
beswandungen zu durchbrechen. 

An welcher Stelle die Vorhöhle mit den Tentakeln in 
Beziehung zur frühern Auricularia aufbricht, ist mir nicht 
ganz klar geworden, so wie ob damit der röhrige Strang 
in Zusammenhange ist, der die sternförmige Anlage der Ten- 
takeln in der Auricularia seitwärts der Mitte an den Rücken 
der Larve befestigt. Aus der direeten Beobachtung ergiebt 
sich aber, dass der Aufbruch der Tentakel- Vorhöhle durch 
die Leibeswandungen in der Nähe der Umbiegungsschlingen 
der frühern bilateralen Wimperschnur, d. h. in der Nähe der 
Spitze der Pyramide der Auricularia erfolgt. Denn bei der 
aufgebrochenen Stelle sind die Reste der Umbiegungsschlin- 
gen der bilateralen Wimperschnur zu erkennen. Eben so 
gewiss halte ich, dass der Aufbruch nicht'in der Spitze der 


378 5 


Pyramide selbst erfolgt, denn die Oeffnung der Vorhöhle in 
der Holothurienpuppe befindet sich nicht zwischen den Um- 
biegungsschlingen, sondern liegt so, dass die einander genä- 
herten Reste der Umbiegungsschlingen in der Leibeswand 
selbst liegen. 

Erwägt man nun, dass die sternförmige Tentakelanlage 
in ‚der Auricularia an der Rückseite gelegen ist, nämlich an 
der Rückseite des Anfanges des Magens und des Schlundes 
der Larve, so wird es schon daraus wahrscheinlich, dass 
das neue Echinoderm an der Rückseite des pyramidalen Thei- 
les der Larve, welcher unterdess sich abrundet und wölbt, 
aufbrechen werde. Damit stimmt auch die directe Beobach- 
yung an einer Holothurienpuppe überein, an welcher zu er- 
kennen wär, wie die ganze ventrale Seite der frühern Py- 
ramide der Auricularia mit dem Rest des frühern Wimper- 
wulstes und mit dem Rest der Umbiegungsschlingen dersel- 
ben der Wand des Körpers der Holothurienpuppe angehört, 
wie dagegen die Oeflnung auf dem Scheitel der Holothurien- 
puppe die entgegengesetzte, also dorsale Leibeswand dicht 
vor jenen Umbiegungssehlingen durchbrochen hat. 

Die Gattung und Species von Holothurien für das Thier® 
chen mit Kalkrädchen zu bestimmen, würde unmöglich sein, 
wenn diese Kalkrädehen nicht wieder einen wichtigen An- 
haltpunkt lieferten. Man muss vermuthen, dass die Kalk- 
rädchen, welche an unserer jungen Holothurie dermalen nur 
den hintersten Theil besetzen, sich später überall in der gan- 
zen Haut des Thiers entwickeln werden. Denn bei allen 
Holothurien enthält die Haut eigenthümlich geformte Kalk- 
gebilde.. Einigemal nahm ich an den fraglichen jungen Ho- 
lothurien am vordern Theil des Körpers hinter dem ‚Kalk- 
ring rosettenarlige Körperchen wahr, deren Sitz die Haut zu 
sein schien; sie glichen im Allgemeinen ganz den Kalkrosetten 
am hintern Theile des Körpers, waren aber etwas (4—%) 
kleiner, und obwohl die Mitte und die Radien bereits ange- 
deutet waren, fehlte noch die Verkalkung. Sie lagen, drei 


379 


oder vier in einer einzigeu Querreihe. auf die Breite des 
Körpers vertheilt. 

Bei Untersuchung der mikroskopiscken 'Kalkgebilde in 
der Haut vieler Arteu von Holothurien des Mittelmeers. und 
der nordisch-europäischen Meere wollte es mir: nicht ‚gelin- 
gen, solche Rädchen mit Speichen wiederzufinden; und eben 
so, wenig kommen solche unter den Formen vor, welche 
von Düben und Koren (K. Vet. Akad. Handl. för 1844.) 
und. Frey (über die Bedeckungen der wirbellosen Thiere; 
Gött. 1848.) aus der Haut der Holothurien ‘beschrieben und 
abgebildel haben. Dagegen hat Herr Peters eine analoge 
Form in der Haut einer von ihm von Mozambique mitge- 
brachten Chirodota mit 12 Tentakeln (Ch. violacea Pet. n. 
sp.) beobachtet. Die Kalkrädehen dieser Chirodota befinden 
sich in den Wärzchen der Haut angehäuft. Die übrige Haut 
enibält in ihrer Substanz eine Menge klammerartiger, halb- 
mondförmig gebogener Kalkgebilde, wie sie Hr. Valentin aus 
der Mundröhre des Echinus lividus (Anat. du genre Echinus, 
fig. 65) und wie sie Hr. Ehrenberg aus dem Meeresabsatz 
von Veracruz unter der Bezeichnung Spongolithis unci- 
nata abgebildet haben. (Abh, d. Akad. a. d. J. 1841, Taf. II. 
Nr. VII Fig. 37.) Die Rädchen der Chirodota sind ganz nach 
demselben Typus gebildet, wie die unserer Holothurienlarve 
und. zeigen nur specifische Unterschiede. Das Centrum ist 
verhältnissmässig kleiner, Speichen sind nur 6 vorhanden 
und der Umkreis ist am innern Rande sägeförmig gezähnelt. 
Dagegen sind die Kalkrädchen der Peters’schen Chirodota 
in allen Punkten mit dem Gebilde übereinstimmend, welches 
Hr. Ehrenberg aus dem Meeresabsatz von Veracruz unter 
dem Namen Actinoptycehus? hexapterus abgebildet hat. 
(Abh. d. Akad. a. d. J. 1841. Taf. II. Nr. VIL Fig. 2.) und von 
welchem er selbst schon die Vermuthung ausgesprochen hat, 
dass es zu den Zoolitharien und Kalktbeilen von Echinoder- 
men gehören könne. 


380 


Die nähere Untersuchung. der Organe der Chirodota, 
worin diese Rädchen enthalten sind, bietet noch so viel 
merkwürdiges dar, dass ich einen Augenblick dabei verwei- 
len muss. Bei der Chirodola von Mozambique stehen die 
Wärzchen in einer unordentlichen Reihe zwischen den 
5 Längsstreifen des Körpers, welche den Stellen entsprechen, 
wo inwendig die Längsmuskeln liegen. Schneidel man et- 
was von dem Wärzchen ab, und untersucht es unter dem 
Mikroskop, so sieht man zwar sogleich die wunderlichen 
Kalkgebilde, allein die sonderbare Art, wie sie in dem 
Wärzchen enthalten sind, wird dabei nicht erkannt. Diese 
Einsicht erhält man vielmehr erst durch die Zergliederung. 
Als nämlich die Wärzchen unter einer Lupe aufgeschnitten 
wurden, zeigte sich das Innere hohl und mit einer in Win- 
dungen zusammengelegten Schnur ausgefüllt, welche daraus 
hervorgezogen gegen 4— 6 lang war. An dieser Schnur 
sind die Rädchen befestigt, wie Blumen an einer Guirlande. 
Die Achse der Schnur bildet ein Strang von thierischer 
Masse, der zu der Mitte jedes Rädchens einen Ast als Stiel 
abgiebt. Einige hundert Rädchen hängen an dem Faden 
von 4— 6’ Länge. Ich dachte an Haftorgane, ‘und dass 
die Schnur aus dem Säckchen oder der hohlen Warze her- 
vorgetrieben werden könne. Allein ich habe mich von der 
Existenz einer Oeflnung an den Säckchen nicht überzeugen 
können; auch scheint an den Rädchen das zu fehlen, was 
sie besitzen müssten, wenn sie als Saugnäpfe wirken könn- 
ten. Obgleich nämlich die Speichen ein wenig gebogen sind, 
also ein Gewölbe bilden, so sind die Lücken zwischen den 
Speichen doch nicht ausgefüllt. 

Aus der Gegenwart der Rädchen bei den Chirodota 
scheint zu folgen, dass unsere Aurieularia mit Rädchen und 
die dazu gehörende junge Holothurie der Gattung Chirodota 
angehöre. Mit der allgemeinen Körpergestalt dieser langen 
wurmförmigen Holothurien hat unsere junge Holothurie sonst 
die wenigste Aehnlichkeit. 


381 


Die Anatomie der Chirodota passt zu der Organisation 
unserer jungen Holothurie. Der Kalkring, das Wassergefäss- 
system verhalten sich in den Chirodota, wie in den übrigen 
Holothurien. Der Kalkring ist niedrig, wie in der Gattung 
Holothuria; die ihm anhängenden Säckchen sind nicht blind- 
darmförmig, sondern rund und flach; die Polische Blase ist 
vorhanden, welche dagegen in der Gattung Synapta fehlt. 
Nur die Kürze des Körpers und die grosse Vorhöhle für die 
Tentakeln stimmen nicht zu den langen wurmförmigen Chi- 
rodoten, bei welchen, wie bei den Synapten und eigentlichen 
Holothuria, der Raum vom vordern Rande des Körpers bis 
zum Kalkring sehr kurz ist. Dagegen findet sich eine grosse 
Vorhöhle für die Tentakeln bei den Holothuriae pentactae, 
bei denen der Mundriug weit in den Körper zurückgezogen 
werden kann. 

Die Gattung Chirodota gehört zu der Abtheilung der 
Holothurien ohne locomotive Füsschen. Zu dieser ‚Abthei- 
lung gehören ferner die Gattungen Synapta Esch., Liosoma 
Brandt, Molpadia ?) Cuv.. Haplodaetyla Grube, im Gan- 
zen fünf Galtungen. 2) Von diesen sind die Gattungen Lio- 
soma, Haplodactyla und Molpadia mit. Lungen versehen,: die 
Galtungen Chirodota und Synapta ohne Lungen. Im Mittel- 
meere kommen Thiere der Gattungen Synapta, Molpadia, 
Haplodaetyla und nach Grube auch Chirodoten vor. Die Kalk- 
gebilde in der Haut der Synapta Duvernaea Quatref., wel- 
che mit der von Düben und Koren untersuchten Synapta 
inhaerens (Hololhuria inhaerens Müll.) verwandt, wenn 
nicht idenlisch ist, und diejenigen in‘ der Haut der Molpa- 
dien haben keine Aehnlichkeit mit unseren Kalkrädchen ?). 


1) Cuvier spricht der Gattung Molpadia mit Unrecht die Mund- 
tentakeln ab, welches Blainville berichtigt, 

2) Die Gattungen Chirodota und Synapta brechen leicht in Stücke, 
die Holothuria fava Rathke kann nur ein Bruchstück der Synapta 
inhaerens. sein. 

3) Synapta Beselii Jaeger; ‚von Celebes, ‚die wir:aus derselben 


382 


Die Kalkscheibehen in der Haut einer Molpadia aus Chili 
waren elliptisch, gegittert, wie bei Holothuria tubulosa. ' Die 
Kalkrädchen sind daher der Gattung Chirodota eigenuthüm- 
lich. Ich fand sie auch in keinen andern ausländischen Ho- 
lothurien - Gattungen oder Arten wieder. Die von' Grube 
aufgestellten beiden Arten von Chirodota und die  Haplo- 
dactyla sind noch nicht auf die Kalkgebilde der Haut unter- 
sucht. Die Chirodota Chiaji Grube von Palermo hat 12 
vierfingerige Tentakeln; eben so viel vierfingerige Tentakeln 
hat das von Delle Chiaje abgebildete Thier, wrelches' er 
ohne Grund für ‘die Holothuria inhaerens Müll. hielt, da 
vierfingerige Tentakeln, wenn richtig abgebildet, nicht zu 
dieser Synapta passen. 12 vierfingerige Tentakeln hat auch 
die Chirodota digitata Forbes (Holothuria digitata Mon- 
tagu) aus der Nordsee. Die von einander unabhängigen 
Angaben von Montagu, Delle Chiaje und Grube stim- 
men also darin überein, dass sie einer fusslosen Holothurie 
12 vierfingerige Tentakeln zuschreiben und scheinen sich auf 
dasselbe Thier zu beziehen. Ich kann daher v. Düben und 
Koren nicht beistimmen, wenn sie die Holothuria digitata 
Montagu nicht für eine Chirodota, wofür sie Forbes an- 
genommen, sondern für eine Synapta, identisch mit Synapta 
inhaerens, halten. 

Man muss nunmehr auf die mikroskopische Untersu- 
ehung der Haut der Chirodota Chiaji durch Grube sehr ge- 
spannt sein. Unsere Untersuchungen liefern einen tiefer ge- 
henden Grund dafür, dass im Mittelmeer und in der Nord- 
see eine wahre Chirodota lebe. 

Von der zweiten von Grube aufgestellten Chirodota 
aus dem Mittelmeer, Ch. pinnata Grube, ebenfalls von Pa- 
lermo, ist es zweifelhafter, dass sie eine Chirodota und nicht 
eine Synapta sei, Sie stimmt in der Beschaffenheit ihrer 


Quelle wie Jaeger, nämlich von Schönlein, besitzen, ist keine 
Oncilabes, sondern eine wahre Synapta. 


383 


gefiederten Tentakeln mit der Synapta des Mittelmeers, des 
atlantischen Oceans und der Nordsee überein, die wir aus 
Sieilien und von Neapel besitzen. 

Schliesslich würde die Vermuthung erlaubt ‚sein, dass 
unsere Auricularia mit Kalkrädchen und die daraus hervor- 
gehende junge Holothurie Jugendzustände der Chirodota Chia- 
jü Grube (Ch. digitata Forbes) oder einer audern Art von 
Chirodota oder einer Haplodactyla seien. 

Erst dann, wenn sich ergeben sollte, dass Grube's Ho- 
lothurien keine Kalkrädchen besitzen, oder keine Chirodoten 
sind, würde einer zweiten Vermuthung zugleich Raum gegeben 
werden können, dass die Kalkrädchen in unsern Thierchen 
nur vorübergehende Bildungen seien und dass sich später in 
der Haut dieser Holothurie andere Kalkbildungen entwickeln 
werden. 

Ich wende mich nun zu der zweiten in Marseille und 
Nizza beobachteten Art von Auricularia. Da ihre Beschrei- 
bung und Abbildung schon vorliegt, so reicht es hin, ‘das 
Charakteristische und für die folgende Untersuchung Wich- 
tige hervorzuheben. Bei dieser Art ist der pyramidale Theil 
am Ende abgestutzt, daher die Eudumbiegungsschlingen der 
Wimperschnur sich nicht berühren, sondern durch einen klei- 
nen sattelförmigen Zwischenraum von einander getrennt sind. 
Das entgegengesetzte breitere Ende des Körpers ist in der 
Mitte aufgetrieben; in dieser Hervorragung befindet sich eine 
rundliche Kalkdruse, welche nach innen einige mehr oder 
weniger verästelte Zacken abwirft. Ueber ihr, dicht unter 
der Haut an der hintern Mitte, befindet sich eine graue gra- 
nulirte Stelle. a. a. ©. Taf. V. Fig 1—3. 

Selten kommen statt des einen, 2 oder mehrere Kalk- 
knöpfe in der Mitte beisammen vor. 

Dieses Ende scheint das schwerere zu sein, und steht, 
wenn die Larve im Wasser schwebt, meist mehr oder we- 
niger tiefer. 


384 


Die Obrzipfel enthalten keine Kalktheile. » Die Wimper- 
schnur ist ‘gelb und roth gefleckt und gelbe Tüpfel sind 
über den durchsichtigen Körper zerstreut. In der vorigen 
Abhandlung machte ich schon auf ein paar Längs- und Querli- 
nien aufmerksam, wovon die ersteren den Mittelkörper des 
Thiers gegen die davon abgehenden Hautsäume begrenzen, 
die Querlinien ‚aber von ‚den Längslinien ab über und unter 
der Querfurche auslaufen. : Ich bemerkte, doss diese Linien 
beim Verstellen des Focus sich etwas verschieben, und dass 
die Längslinien mit dem Grunde der Seitenfurchen, die Querli- 
nien mit den inneren Grenzen der ‚Querbucht: zu stimmen 
scheinen. Dieser Deutung widerspreche jedoch die beim Zu- 
sammenhang der: Seitenlängsfurche ‚mit der 'Querbucht fort- 
laufende Längslinie, welche daher wirklich ein Faden zu sein 
schien. Daher war ich geneigt, die Linien als Fäden und 
wegen der kleinen Anschwellungen an der; Verbindung der 
Längs- und OQuerlinien als Nervenfäden’ zu deuten. Die Un- 
tersuchung zahlreicher Exemplare auf diesen Punkt hat mich 
jetzt überzeugt, dass die Linien constant, dass sie aber keine 
Nerven sind. Die vorher genannte andere Deutung ist viel- 
mehr. die richtige. . Die Längslinien bezeichnen die Grenzen 
des Mittelkörpers, die Querlinien die inneren Grenzen. der 
Querbucht, welche von ‘den sie begleitenden Hautsäumen 
noch etwas bedeckt ist und daher grösser ist als 'siesnach 
der Entfernung der Hautsäume und ihrer Wimperschnüre zu 
sein scheint. An der Verbindung der Seitenlängsfurchen mit 
der Querbucht grenzt sich die Querbucht: durch eine erha- 
bene Längsleiste etwas ab, was den» Schein hervorbringt, 
dass die Längslinie hier ununterbrochen 'fortgehe. 

Mund, Schlund, Magen und Darm verhalten sich. wie 
bei der anderen Auricularia. Der After befindet sich auf der 
Bauchseite des hintern breitern Theiles der Larve: 

Bei  der,.Aurieularia mit Kalkrädchen ist: angegeben, 
dass die erste Anlage des Tentakelsterns durch einen 'röhri- 
gen Strang, seitwärts der Mittellinie an die Rückenhaut ge- 


385 


heftet ist. Diese Röhre habe ich auch bei der gegen wärti- 
gen Larve constant beobachtet. 

Die Grösse dieser Aurieularia ist „5; — 75 Linie. 

Was für ‚die Wiedererkennung dieser Jarve während 
ihrer. Verwandlung besonders wichtig ist und die Kalkräd- 
chen des ersten Falls vertrelen kann, ist theils die Kalkdruse 
mit, Zacken am hinteren Ende und die darauf liegende Gra- 
nulakisin; {heils eine bestimmte Anzahl von Blasen, welche 
den Körper garniren. (Siehe Taf. V. Fig. 1—3. der vorigen Ab- 
handlung.) Dieser Blasen sind 11, davon gehören 10 dem 
dorsalen Hautsaume an, 5 für jede Seite, die elfte liegt in 
der Mitte des hintern Endes dicht vor der Kalkdruse. Die 5 
seitlichen sind auf die Seilen so vertheilt, dass die erste in 
der obern Umbiegungsschlinge der Wimperschnur, die untere 
in.der untern Umbiegungsschlivge liegt. Bei den im Winter 
untersuchten Exemplaren dieser Auricularia hatten diese ku- 
gelförmigen Blasen ein blassrothes Ansehen. _ Die in Nizza 
zahlreich  vorgekommenen Individuen dieser Species von 
Auricularia waren noch etwas jünger, sie hatten zwar schon 
die Kalkdruse mit Aesten, aber noch nicht die 11 Blasen 
entwickelt. Gleichwohl müssen diese eine ganz constante 
Erscheinung an den reifern Larveu sein, denn man wird se- 
hen, dass sie sich constant in der Puppe und jungen Holo- 
tburie wiederfinden. Hätte ich die 11 Blasen als Bestand- 
theil der reifern Aurieularia nicht vom vorigen Winter gekannt, 
so würde es mir schwer oder unmöglich gewesen sein, das 
Thier bei seiner Verwandlung in die radiale Wurmform wie- 
derzuerkennen, jetzt ‚aber gaben mir die 11 Blasen und die 
ästige Kalkdruse eine gute Anleitung die Thierchen wieder- 
zuerkeunen. Neben den jungen’ Holothurien mit Kalkrädchen 
kamen nämlich in Nizza andere im allgemeinen gleichgestalz 
tete und gleiehgrosse (77;“) junge Holothurien mit 5 Wim- 
perreifen vor, welche am Jlinterende statt der Kalkrädchen 
einen rundlichen Kalkknopf enthielten, der nach vorn einige 


mehr oder minder ästige Zacken abgab. Einmal war. zwi- 
Müllers Archiv. 1849. 25 


386 


schen ‘diesem Kalkknopf und der Haut der hintern Mitte noch 
der graue Körnerhaufen zu erkennen wie bei der Auricula- 
ria. Trotzdem, dass diese jungen Holothurien die drehrunde 
Gestalt besassen, so gaben sie doch ihre bilaterale Abkunft 
in allen Fällen durch zwei Reihen von durchsichtigen Blasen 
zu erkennen, welche die entgegengesetzten Seiten des Kör- 
pers von vorn nach hinten einnehmen, so dass auf jede 
Seite 5 Blasen kommen; eine elfte Blase befand sich in der 
Mitte am hintern Ende dieht vor der Kalkdruse, von ihren 
Aesten gleichsam gekrönt. So verhielten sich die jungen 
Holothurien, mochten ihre 5 Tentakeln schon frei oder das 
Vorderende des Körpers noch geschlossen sein. Diese Art 
hat auch das eigene, dass ihre Haut bald stark mit gelbem 
Pigment getüpfelt ist, welches also nicht bloss auf die Wim- 
perkreise beschränkt ist, und dass die 10 Kalkstückchen an 
der Basis des Tentakelkranzes, wenn gleich von gleicher Ge- 
stalt wie in der Holothurie mit Kalkrädchen, doch viel zar- 
ter sind. Dagegen entwickeln sich in der Haut der jungen 
Holothurien bald eine Menge von kreuzförmigen Kalkfiguren 
und Kreuze mit gabeligen Aesten. 

Der Tentakeln sind 5, dazwischen mit ihnen alternirend 
bemerkt man die rudimentären Anlagen von noch 5 andern 
Tentakeln.. Die ihnen bestimmte Vorhöhle des Körpers 
nimmt das erste Drittel der Körperhöhle ein, ganz so wie 
bei der ersten jungen Holothurie. Dies erinnert an die Ho- 
lothuriae pentactae, bei denen die Tentakelvorhöhle sehr gross 
ist und, der Mundring weit zurückgezogen werden kann. 
Das Ende der Tentakeln ist abgerundet und geknöpft, nicht 
konisch, wie in der vorigen Art, der Knopf nimmt zuletzt 
gelbes Pigment auf. Das Wassergefässystem, nämlich der 
Ringkanal um den Schlund, die davon abgehenden 5 Canäle 
nach den Tentakeln, die Ampulla Poliana, die am Kalk- 
ring befestigten ruuden Bläschen mit Doppel-Körnern. der 
Darmkanal, alles dies verhält sich durchaus wie in der er- 
sten Art. 


387 


Eigenthümlich ist dagegen wieder der auf das Genital- 
system gedeutete Canal ausgezeichnet, welcher an der Stelle 
wo in der ersten Art” eine halbeirkellörmige Kalkleiste den 
Kanal umfasst, von einem Knauf oder Krone unregelmässig 
gebogener und ästiger Kalkleisten bedeckt ist. Dies Verhalten 
ist ganz constant und ist vielleicht auf das von Kalkleisten in 
seinen Wänden stark durehdrungene accessorische Säckchen 
zu deuten, welches einmal oder mehrmal vorhanden bei 
den Holothurien mit dem ausführenden Geschlechtstheil ver- 
bunden ist.*) Von den Füsschen ist noch keine Spur 'zu 
sehen, aber nıan erkennt bereits 5 Stränge der Länge nach an 
den Körperwandungen herablaufend, welche entweder auf die 
Längscanäle des Wassergefässsystems oder als Muskeln zu 
deuten sind. Die immer stärkere Färbung der Haut und 
die beträchtliche Dicke, welche die Wand im Verhältniss zur 
Leibeshöhle annimmt, machen bald eine weitere Einsicht in 
die innere Organisation schwierig, Die Dicke der Körper- 
wandung beträgt aber jetzt gegen 4 des Querdurchmessers 
der Bauchhöhle. An reiferen Individuen, welche die 5 Wim- 
perreifen noch besitzen, aber mit den Mundtentakeln am 
Boden des Glases umhertasten, bei aufgerichtetem Körper, 
kann man sich leicht überzeugen, dass die 11 Blasen in der 
Dicke der Wand selbst liegen. An diesen Blasen sind ausser 
ihrer Vergrösserung weiter keine Veränderungen zu bemer- 
ken, blassroth wie in den Auricularien vom vorigen Winter 
habe ich die Blasen nicht wiedergesehen, sie waren entweder 
farblos oder gelblich-durchsichtig. Wenn das Thier durch ein 


*) So wie es Tiedemann richtig angegeben. Ich kann die 
diesem Zusammenhange widersprechenden neuern Angaben nicht bestä- 
tigen. Bei Cladodactyla doliolum steigt der Ausführungsgang des 
Bläschens am Schlunde erst herab, wendet sich dann aber am Gekröse 
der Genitalien hergehend gegen den Ausführungsgang der Genitalien 
und inserirt sich in denselben, da wo er eben aus den Blinddärmchen 
der Gemitalien entspringt, Der Canal des Bläschens mit kalkigen 
Wänden ist bei der Cladodactyla sehr lang und wellig gewunden. 

25% 


388 


Glasplättchen comprimirt wird, oder wenn es ohne äussern 
Anlass auf dem Glase aufliegt, nehmen sie immer die beideu 
Seiten ein; es ist also bereits Rücken und Bauchseite, rechts und 
links wie in der erwachsenen Holothurie geschieden, und es 
fehlen nur die locomotiven Füsschen, von denen noch keine 
Spur zu erkennen ist und die sich wahrscheinlich erst dann 
entwickeln, wenn die locomotiven Bewegungsorgane der 
wurmförmigen Larve, die Wimperkränze schwinden. Von 
einer baumförmigen Lunge ‘war in der Regel noch ‘nichts zu 
sehen, nur einmal sah ich etwas, was darauf gedeutet wer- 
den konnte, aber zu undeutlich, als dass es hätte gezeichnet 
werden können. 

Ueber die Umwandlung der Auricularia mit Blasen in 
die Holothuria mit Blasen liegen mir eine Reihe von Beob- 
achtungen und Zeichnungen vor, die keinen Zweifel an die- 
ser Metamorphose übrig lassen, und denen nur wenig fehlt, 
ein fortlaufendes Ganze zu bilden. 

Will man den Zustand Puppe nennen, wo das Thier- 
chen einer Oestruslarve im Allgemeinen ähnlich -walzenför- 
mig geworden, mit 5 kreisförmigen Wimperkränzen verse- 
hen, die Wimpern der bilateralen Wimperschnur eingebüsst 
hat, am Vorderende noch 'rundlich abgeschlossen und un- 
geöffnet ist, so gleicht diese Puppe völlig derjenigen von 
der anderen Species mit alleiniger Ausnahme der Species- 
charactere von den 11 Blasen, der zackigen Kalkdruse und 
der Kalkkrone auf dem bezeichneten Kanal. An solchen 
Puppen lässt sich noch eine Spur der bilateralen Wimper- 
schnur an den Seiten des Körpers erkennen an Exemplaren, 
die mit einem Glasplättchen bedeckt sind; es erscheint dann 
am Seitenrande ein wellig herablaufender Wulst mit den 
dunklern Pjgmentflecken des früheren bilateralen Wimper- 
wulstes, gekreuzt mit den kreisförmigen Wimperreifen der 
gegenwärtigen Entwickelungsstufe. Unter denselben Um- 
ständen erkennt man auch noch die Endumbiegungsschlingen 
des frühern bilateralen Wimperwulstes am vordern abgerun 


z 38) 


deten Ende, dicht an dem vordersten kreisförmigen Wimper- 
reifen, und wenn man die Larven frei um ihre Achse sich dre- 
hend beobachtet und den Augenblick benutzen kann, wo ihr 
Vorderende nach oben gerichtet ist, so sieht man die gedachten 
Endumbiegungsschlingen und den ersten Wimperkreis zugleich 
am abgerundeten, noch geschlossenen obern Ende, im Innern 
aber den Stern der fünf blinddarmförmigen Tentakeln. ‚Bei 
andern Puppen hat sich das abgerundete Ende in der Mitte 
des ersten Wimperreifens schon geöffnet, die Tentakeln fan- 
gen an sich zu bewegen, von nun an wird diese Oeffnung 
bald weiter, mit ihr erweitert sich der erste Wimperreifen. 
Von den 5 Blasen jeder Seite liegt die erste immer am Rande 
der vordern Oeflnung, oder wenn diese; noch nicht aufge- 
schlossen ist, dicht bei dem ersten Wimperreifen. 

Worauf diese Blasen zu deuten, ist nicht ganz gewiss, 
Ich finde in der Haut der Holothuria pudendum regale überall 
an den Seiten, wie am Bauch und Rücken kleine runde 
Blasen von einer braun pigmentirten Membran ‚eingestreut. 
Eine bestimmtere Deutung unserer Holothurie auf Gattung 
und Art ist dermalen unmöglich. 

Künstliche Befruchtungsversuche mit Holothurien im 
Frühjahr veranstaltet, werden die Gegenprobe zu unseren 
Beobachtungen liefern, wie diese bereits für die Beobachtun- 
gen über die Seeigellarven durch die von Derbes und Krohn 
ausgeführten Befruchtungen geliefert ist. Ich selbst hatte 
bei so vorgerückter Jahreszeit wenig Hoflnung dass sie noch 
gelingen könnte. Die Hoden der Männchen der Holoihuria 
tubulosa enthielten zum Theil nur Samen und. Zoosper- 
mien und die Oyarien der Weibchen nur zum Theil noch 
Eier, d. h. einzelne Schläuche waren noch damit ge- 
füllt, Die Eichen waren mit einer dieken Eihaut verse- 
hen. Der gelbröthliche Dotter hatte 0,088 Durchmesser. 
Nach der Vermischung der Eier und des Samens trat bald 
eine bedeutende Auflockerung und Anschwellung der Eihaut 
ein, in deren Substanz die Zoospermien 'eindrangen, aber 


390 


der Dotter veränderte sich nicht und das Keimbläschen 
blieb unversehrt. 

In Marseille habe ich eine eigenthümliche Larvenform 
beobachtet, welche ich Tornaria nannte und in der vo- 
rigen Abhandlung, Tafel V. Fig. 4—10, abbildete. ' Sie 
hat den bilateralen Wımperwulst und zugleich am Hinter- 
theil einen kreisförmigen Wimperreifen, in dessen Mitte der 
After. Am entgegengesetzten Ende befinden sich zwei 
schwarze halbmondförmige Pigmentflecke, wie Augenpunkte. 
Die Wimperschnüre biegen hier um, aber nicht wie bei den 
Auricularien, sondern wie !'bei den Bipinnarien von rechts 
nach links. Ein Strang geht von der Gegend des Innern, 
wo der Schlund, beim Rücken des Schlundes zu dem Ende 
des Körpers, wo die augenförmigen Pigmentflecke und inse- 
rirt sich in einem farblosen birnförmigen Knöpfchen, dessen 
breiteres Ende unter und zwischen den Schlingen der Wim- 
perschnüre zum Vorschein kommt und hier mit den beiden 
Augenpunkten besetzt ist. Diese Larve habe ich häufig in 
Nizza wiedergesehen, aber aus jüngerem Stadium mit wehi- 
ger gebogenem Verlauf der bilateralen Wimperschnur, 'die 
sich ohngefähr wie bei der jüngsten Bipinnaria verhielt, die 
in meiner zweiten Abhandlung Taf. I. Fig. 1—3 abgebildet 
ist, dann war das kreisförmige Wimperorgan noch nieht 
entwickelt. Bei starken Vergrösserungen erschien die Ober- 
fläche des Körpers voll feiner querer Runzeln. Bei diesen 
Larven habe ich mich überzeugt, dass der vorhergenannte 
Strang von der Schlundgegend nach dem oculirten Ende ein 
Muskel ist. Ich habe ihn öfter im Akt der Contraktion 
gesehen, wobei er plötzlich Zickzackform und zugleich Quer- 
runzeln annahm. Das Körperende wurde dann eingezogen, 
ohne dass der Schlund selbst in Bewegung oder Zerrung 
gerieth, so wie auch, wenn der Schlund sich heftig zusam- 
menzog, dieser Strang nicht mitbewegt oder gezerrt wurde. 
Gerade wo das innere Ende dieses Muskels auf die Gegend 
zwischen Schlund und Magen stösst, geht ein zweiter Strang 


391 


nach dem Rücken des Thiers,. Der Muskel und der ebener- 
wähnte Strang stossen unter einem rechten Winkel zusam- 
men. Dieser letztere Strang ist eine Röhre, deren Wände in. 
wendig mit länglichen Kernen besetzt sind, Die Kerne (oder 
Zellen) stehen zertreut auf der Wand und ragen nach innen 
vor, die innerste Grenze der Wand der Röhre scheint noch 
von einer feinen Haut gebildet zu sein, welche auch über die 
Kerne hinzieht. Das Ende der Röhre inserirt sich in der 
Haut des Rückens in der Mitte an einer granulirten runden 
nabelförmigen Stelle, an welcher beim Druck Doppel-Con- 
touren als 2 concentrische Kreise (ob Oeffuung?) zum Vor- 
schein kommen. Von dieser Echinodermen-Larve wissen wir 
also jetzt, dass sie früher nur eine bilaterale Wimperschnur 
besitzt und hernach noch ein kreisförmiges Wimperorgan 


erhält. 


Ich halte sie für die Larve einer Asterie und stütze diese 
Deutung auf die Uebereinstimmung ihrer bilateralen Wimper- 
schnur mit derjenigen der Bipinnaria und ihre Abweichung 
von der bilateralen Wimperschnur der Holothurienlarve. !) 
Die grössten Individuen der Tornaria, die ich in Nizza sah, 
hatten eine Grösse von 4". Kleinere waren häufig (4), 
die kleinsten hatten nicht mehr als 2," 


Bei fortgesetzten Studien über die Metamorphose der 
Tornaria wird besonders auf die Röhre zu achten sein, welche 
einerseits an die Rückenwand, anderseits an den Schlund 
anstösst. Es ist oflenbar dieselbe Röhre, welche schon bei 
der bilateralen Holothurienlarve beobachtet ist, wo sie den 
Stamm für den Stern von Blinddärmchen bildet, aus wel- 
chen sich das Tentakelsystem entwickelt, Es ist daher an- 
zunehmen, dass um diese Röhre auch bei der Tornaria sich 


1) Dass es nicht die Larve der Comatula ist, geht aus der direk- 
ten Beobachtung über die Larve der Comatula hervor. Siehe die fol- 


gende Mittheilung, 


392 


die zum Wassergefässsystem gehörenden Organe der Aste- 
rie bilden werden, die aber jetzt noch nicht vorhanden ‘sind. 
Es bleibt dermalen ungewiss, ob die fragliche Röhre in 
Beziehung steht zu dem spätern Munde der Asterie oder viel- 
mehr Stamm des Wassergefässsystems, nämlich Steinkanal 
wird. Im letztern Fall wird es von Interesse sein zu er- 
fahren, wo das ventrale und wo das dorsale Ende des Stein- 
kanals ist, ob nämlich das innere auf den Larvenschlund 
stossende Ende der Röhre, oder das äussere nabelförmige 
Ende die Stelle ist, wo sich die Madreporenplatte der Aste- 
rie bildet. Wenn aber die Röhre der Tornaria dem Stein- 
kanal der Asterien entsprechen sollte, so würde eine glei- 
che Anlage auch bei den Bipinnarien zu erwarten sein, 
in demjenigen Stadium der Larve, wo sich das Wasser- 
gefäss- und Tentakelsystem zu entwickeln beginnt. "Aus 
dieser Zeit liegen noch keine Beobachtungen von den Bipin- 
narien vor. Endlich würde von den Asterien mit mehrfa- 
chen Madreporenplatten und Steinkanälen zu erwarten sein, 
dass ihre Larven mehrere solche von aussen nach innen 
dringende Röhren, wie Tornaria eine hat, besitzen werden. 


Ich beschreibe nun ein junges Echinoderm, von dem 
es auf den ersten Blick zweifelhaft sein kann, ob es eine 
Holothurie oder ein Seestern ist. Denn es ist ein Wurm 
und ein Stern zugleich, so nahe berühren sich die Typen 
der verschiedenen radialen Entwickelungen. 


Das Thierchen ist 2, “’ lang, seine Länge verhält sich 
zur Breite wie 4:3. Sein wurmförmiger etwas abgeplätteter 
Körper ist vorn und hinten abgerundet und durch 4 quere 
Furchen auf der Rückenfläche in 5 Segmente getheilt, von 
denen das zweite und dritte die grössern sind; das leizte 
Segment ist so kurz, dass es nur von hinten deutlich gese- 
hen werden kann. Die Oberseite ist braun. ins violeite 
stark pigmentirt und dunkel. Die Unterseite ist bis zum 
vierten Segment farblos und gleicht hier einem fünflappigen 


393 


Stern, hinter diesem Stern nimmt der Körper auch unten 
wieder die wurmförmige Gestalt und die Farbe des Rückens 
an. Die Mitte des hintersten Segmentes ist eingedrückt und 
dunkel, ‘es blieb ungewiss ob diese Stelle geöffnet ist. . Auf 
dem sternförmigen Feld der Unterseite, dessen Mitte noch 
keinen deutlichen Mund zeigt,.treten, symmetrisch vertheilt, 
10 lange, farblose, weiche, cylindrische Tentakeln oder Füsse 
mit abgerundeten Enden hervor, so zwar, dass auf jeden der 
fünf Lappen 2 Füsse kommen. ,.Wimperkränze und Wim- 
perschnüre sind nicht vorhanden. Mit den Füsschen tastet 
das Thierchen umher; wenn man es auf den. Rücken umwen- 
det, so sucht es sich miltelst der Füsschen. immer wieder 
umzuwenden. 


Wir haben es also mit einem auf der Rückseite und am 
Hintertheil überall wurmförmigen Körper zu thun, dessen 
Bauchseite auf 2 der ganzen Länge in einen gelappten Stern 
mit 10 Füsschen ausgeprägt ist. Die queren Rückenfurchen 
verlieren sich auf der Bauchseite in die Einschnitte zwischen 
den Lappen oder Strahlen. 


Indem einer der 5 Lappen des Sterns nach vorn gerich- 
tet ist: und die Unterseite des abgerundeten vordern Endes 
des Körpers ausmacht, läuft die erste Querfurche des Rük- 
kens unten jederseits in die Einschnitte zwischen dem vor- 
dern Lappen oder Radius des Sterns und dem ersten oder vor 
dern Seitenradius aus, In gleicher Weise läuft die zweite 
Querfurche des Rückens jederseits in die Einschnitte zwi- 
schen dem vordern und hintern Seitenradius aus. Die dritte 
Querfurche begrenzt ‚den hintern Rand der beiden hintern 
Seitenlappen oder Radien, 


Anfangs glaubte ich, eine Holothurie mit sehr kurzem 
Körper und nach abwärts gekrümmtem Mundtheil: vor mir 
zu haben. Diese Lage des Mundes: nehmen: die erwachsenen 
Holothurien der Gattung Holothuria, mit; ausgeprägtem 
Unterschied des Rückens und Bauches (nicht:die, Pentactae), 


394 


sehr gewöhnlich an, die sehr platte Holothuria  pudendum 
regale hat den Mund und seinen Tentakelkranz im contra- 
hirten Zustande des Thiers ganz auf der untern Seite und 
hinter dem vordern Ende des Thiers. Bei weiterer Unter- 
suchung unseres wurmförmigen Sterns hat sich indess er- 
geben, dass es keine Holothurie, sondern ein Seestern ist. 
Ueber die Eingeweide habe ich zwar wegen der völligen 
Undurchsichtigkeit nichts ermitteln können, beim Zerdrücken 
des Thierchens kommt aber, ausser einem Kalknetz in der 
Haut, eine sternförmige Kalkfigur um die dem Mund ent- 
sprechende Mitte zum Vorschein, und diese Figur passt in 
keiner Weise zu dem Kalkring des Mundes einer Holothu- 
ria. Dieser Stern mit 5 vorspringenden und 5 eintretenden 
Winkeln wird von 10 Kalkstücken gebildet, welche sich mit 
ihren Enden abwechselnd zu Ecken und Winkeln aneinan- 
der legen. Die Kalkgebilde gleichen im Allgemeinen denjeni- 
gen des Mundringes der jungen Holothurien. Jedes besteht 
in seinem mittlern Theil aus einer stärkern Leiste, welche 
sich auf der Aussenseite und noch mehr an den Enden stark 
verzweiget und in ein dichtes Netz endigt. Die Netze zweier 
Stücke sind auch stellenweise mit einander verbunden. In 
dem Netzwerk hinter jeder der 10 Leisten zeichnet sich eine 
grössere Masche aus. Ausser der sternförmigen Figur dieses 
Gebildes ist auch sein Verhalten zu den Lappen oder Ra- 
dien des Sterns für die Asterie entscheidend. Denn bei den 
Holothurien entsprechen 5 von den 10 Kalkstücken des Mund- 
ringes den 5 Ambulacralfeldern des Thiers und die an die- 
sen Feldern anliegenden Längsmuskeln befestigen sich selbst 
oder (Holoihuriae pentactae) mittelst eines abgegebenen 
Fleischbündels an dieselben 5 Kalkstücke. Bei den Seester- 
nen 'hingegen entspricht nicht ein Kalkstück. allein alterni- 
rend einem Ambulacrum, sondern je zwei zu einem vorsprin- 
genden Winkel verbundene. . Dies beruht auf‘ dem Unter- 
schied, dass die Knochenstücke, welche den Mund der Aste- 
rien begrenzen, nichts anders, als die Enden des Ambula- 


395 


eralskeletes sind, dagegen der Kalkring des Mundes der Ho- 
lothurien nicht zu der häutigen Schale des Thiers gehört, 
sondern eine darin aufgehängte Basis der Mundtentakeln ist, 
welche in vielen Holothurien, namentlich in den Pentactae, 
grosser Ortsbewegungen durch Muskeln fähig ist. , Dieser 
Ring ist daher auch nicht den Schalenstücken der Seeigel, 
sondern den Basaltheilen der Kiefer der Seeigel zu ver- 
gleichen, 


Bei weiterer Entwickelung unseres Thierchens wird auch 
die Rückseite pentagonal und entwickelt 5 Ecken, welche 
durch gerade Seiten verbunden sind. Die Querfurchen sind 
auch dann noch vorhanden und eben so das hintere wurm- 
förmige Ende, welches aus der hintern Seite des Pentagons 
hervortritt. In diesem Zustande sah ich das Thierchen nur 
einmal. Die Haut war bis an die Ecken von einem dichten 
Kalknetz durchdrungen. Aus jeder der 5 Ecken ragte aus einer 
Oeflnung ein: weicher Fortsatz hervor, viel kleiner, als die 
Füsschen, dessen Bedeutung, ob Anlage eines Stachels, ob 
Füsschen mir unklar geblieben isf. Er wurde nicht wie 
die Füsschen gekrümmt und zeigle selten nur eine. geringe 
Bewegung. An den 5 Seiten des Pentagons erschienen 1 
oder 2 ganz kurze Spitzen, wie Anlagen von Stacheln, wel- 
che der Unterseite angehörten. 


Dieser Seestern, den ich auf eine bestimmte Gattung und 
Art nicht zu deuten vermag, vermehrt die Typen der sich 
entwickelnden Asterien um eine neue vierte Form. Wir 
kennen nämlich jetzt schon 4 Formen, die unter einander 
keine Aehnlichkeit darbieten. 1) Typus des Echinaster und 
Asteracanthion. 2) Typus der Bipinnarien. 3) Typus der 
Ophiuren, A) Der Typus unserer Asteride. In‘ dieser ent- 
wickelt sich der Stern auf der Seite eines wurmförmigen 
Körpers, dessen Segmente sich zum Theil in einen, zum 
Theil in zwei Arme verlängern. Ob der hintere Theil der 
Wurms das frühere Larvenmaul bildete und das wurmför- 


396 


mige Ende sich in die Madreporenplatte umbildet, oder ob 
es als der After des Seesterns übrig bleibt, ist ungewiss. 


Weiter habe ich dieses Echinoderm nicht verfolgen kön- 
nen. Es ist ohne Zweifel eine Asterie, nicht eine Ophiure, 
und nicht eine Comatula. Bei den Ophiuren entsprechen 
die vorspringenden Kanten des Skelets am Munde deu In- 
terradien, nicht den Radien, wie hier und bei den Asterien. 
Die Form des jungen Sterns ist diejenige einer Asterie, nicht 
einer Ophiure, und nicht einer Comalula. Gegen letztere 
spricht auch das Kalkgebilde um die ventrale Mitte. Die Co- 
matula mediterranea zeigt nichts davon in ihrem ventralen 
Perisom. 


Es ist nun noch anzudeuten, dass der wurmförmige See- 
stern vielleicht die Fortsetzung der Tornaria sein könnte. 
Was dieser Vermuthung einiges Recht giebt, ist erstens der 
Umstand, dass die Tornaria nur die Larve einer Asterie sein 
kann und zweitens deutet der wurmförmig gegliederte Kör- 
per der zuletzt beschriebenen Asterie darauf hin, dass er frü- 
her von Wimperkränzen umgeben war. Es handelt: sich 
also bei der Fortsetzung dieser Untersuchungen darum, ‘ob 
es eine Form von Asterien giebt, welche abweichend von 
der Metamorphose der Bipinnarien, statt zweier, drei Pha- 
sen durchläuft, so dass die anfangs bilaterale Larve in eine 
wurmförmige Larve mit Wimperkränzen wie bei den Holo- 
thurien verwandelt wird. 


Unter den in Nizza vorgekommenen Larven war. die 
häufigste ein Thierchen von „5 — 4" Durchmesser, welches 
man wegen seiner Form wohl für eine junge Meduse hal- 
ten kann; denn man unterscheidet an ihm einen. halb- 
sphärischen, später scheibenförmigen Körper, von dessen 
Mitte ein Schlund herabhängt. Aber diese Larve unterschei- 
det sich von den: jungen Medusen, dass sie sich durch Wim- 
perbewegung kreisend fortbewegt und nie zeigt sie etwas 
von den zuckenden Bewegungen der jungen Medasen. Sie 


397 


besitzt mehrere kolbige Fortsätze, gleich den von Sars be- 
schriebenen Larven von Echinaster ‘und Asteracanthion. 
Diese Fortsätze, deren Zahl (2-6) und Grösse variirt, be- 
finden sich unterhalb der Hemisphäre, zwischen ihr und 
dem Schlund, auf verschiedenen Stellen des Umfanges ver- 
theilt, die Kolben sind mit Wimpern besetzt, ohne Wim- 
perschnüre, auf ihrer Oberfläche sind einige gelbliche Körn- 
chen zerstreut, Durch die Wimperbewegung der Kolben 
entsteht das beständige Kreisen des Thierchens. Am Um- 
fange des Körpers unterhalb der Scheibe stehen auch zwei 
bis vier kurze Röhrchen hervor. auf verschiedene Stellen 
des Umfanges vertheil. Die Scheibe wird hernach eckig, 
und bildete einmal ein Oklagon mit Einschnitten. Kalkah- 
sätze wurden nie gesehen. Wenn diese Larve wegen ihrer 
Aehnlichkeit mit den Larven von Sars zu den Echinoder- 
men gehören sollte, so könnte sie nur unter den vielarmigen 
aufgesucht werden. (Es wird bei wei'erer Beobachtung 
an Asteracanthion tenuispinus zu denken sein, der 6—8 
Arme bei 2— 3 Madreporenplatten besitzt.) 

Abbildungen von allen in dieser Abhandlung beschrie- 
benen Formen wurden der Akademie vorgelegt. 


Beim Schluss der diesjährigen Beobachtungen lassen sich 
die Variationen, welchen die Metamorphose der Echinoder- 
men unterworfen ist, vollständiger übersehen. 


1) Die Verwandlung der bilateralen Larve in das Echi- 
noderın erfolgt zur Zeit, wo die Larve noch auf dem Em- 
bryonentypus steht und allgemein mit Wimpern bedeckt ist, 
ohne Wimperschnüre. Ein Theil des Larvenkörpers nimmt 
die Form des Echinoderms an; der Rest der Larve wird in 
die Gestalt des Echinoderins absorbirt. (Ein Theil der Aste- 
riden. Echinaster. Asleracanthion Mülleri. Sars.) 


2) Die Verwandlung der bilateralen Larve in das Echi- 
noderm erfolgt zur Zeit, wo die Larve vollkommen (organi- 
sirt ist und eine besondere Wimperschnur besitzt. Das Echi- 


398 


noderm wird in dem Plutens, wie ein Gemälde auf einem 
Gestell, eine Stickerei in einem Stickrahmen aufgeführt, und 
nimmt sodann das Verdauungsorgan der Larve in sich auf. 
Hierauf gehen die Larvenreste allmählig zu Grunde (Ophiura, 
Seeigel) oder werden abgestossen (Bipinnaria). 


3) Die Verwandlung der Larve erfolgt zweimal. Das 
erstemal geht sie aus dem bilateralen Typus mit seitlicher 
Wimperschnur in den radialen Typus über und erhält statt 
der früheren Wimperschnur neue locomotive Larvenorgane, 
die Wimperreifen. Aus diesem Zustand entwickelt sich das 
Echinoderm, ohne dass ein Theil der Larve oder Puppe ab- 
gestossen wird. Entweder wird nun das Echinoderm an 
einem Theil der wurmförmigen Larve ausgebildet und der 
Rest der Larve in das Echinoderm absorbirt (Tornaria? wurm- 
förmige Asterienlarve), oder die ganze Larve wird gleichzei- 
tig in das Echinoderm verwandelt (Holothurien). 


Bezeichnen wir als Embryonentypus den Zustand, wie 
das Thier aus dem Ei hervorgeht und wo die innern Or- 
gane noch nicht ausgebildet sind, so erhalten wir vier Sta- 
dien oder Typen, den Embryonentypus, den Larventypus, 
den Puppentypus und den Typus des Echinoderms. Das 
Thier kann von jedem der drei ersten aus sogleich in das 
Echinoderm übergeführt werden, oder sie alle durchlaufen. 


Schon lange hatte ich getrachtet, der Entwickelung und 
Verwandlung der Comatulen auf die Spur zu kommen, um 
einen Begriff von dem Larvenplan eines Crinoids und hie- 
durch einen Standpunkt zu erhalten, geeignet, das Feld der 
Entwickelung und Metamorphose der Echinodermen bis in 
den Naturreichthum der Vorwelt zu übersehen. Da die Eier 
der Comatula im Juli aus den Pinnulae austreten und zu 
dieser Zeit nach Thompson an den Pinnulae klebend ge- 
funden werden, so musste man sie dort aufsuchen und ihre 
Entwickelung verfolgen. Selbst ausser Stande, im Juli ein» 
Gestade zu besuchen, wo Comatulen reichlich vorkommen, 


399 


schrieb ich im Sommer dieses Jahres zur rechten Zeit an 
einen jungen Freund, der mich auf dreien frühern Reisen 
begleitet hatte, und damals die britischen Küsten- besuchte, 
und forderte ihn auf, diese Untersuchung anzustellen. 

Der Erfolg ist aus dem Folgenden zu ersehen. Die 
Larven der Comatula scheinen äusserst rasch das Stadium 
der bilateralen Form zu durchlaufen und in das Stadium der 
Puppenform einzutreten. 


Berichtigung. 


p- 365. Z. 11. statt: etwas mehr als doppelt u. s. w., lies: dreimal 
so gross, als das Ei der Holothuria tubulosa. 


Ueber 
die Larve der Comatula. 


Von 


Dr. Wıru. Busch. 


Briefliche Mittheilung an den Herausgeber. 
(Hierzu Taf. VII. Fig. 7.) 


Kirkwall, den 1. August 1849. 

In Dublin fand ich die Pinnulae der Comatulen eben erst 
im Begriff zu schwellen; im Westen von Schottland fand 
ich die Tbiere überhaupt nicht und erst hier bin ich am 
rechten Platze. Ich überredete den jungen Griechen Zaglas, 
Ihren Zuhörer, den ich in Edinburg traf, diese Excursion 
nach den Orkneys mitzumachen. Es ist zwar hier noch 
eigentlich ein wenig zu früh (vielleicht wegen des Nordens 
und des sehr kalten Sommers); denn von ohngefähr 60 Co- 
matulen haben uns erst zwei mit Eiern beschenkt, so dass 
ich ihre Entwickelung nur noch im Anfang kenne. Aber 
ich schreibe Ihnen doch schon, weil diese Zeilen Sie wohl 
schwerlich vor Ihrer Abreise treffen dürften. 

Wenn die Eier der Comatula austreten, sind sie schon 
befruchte. Man findet schon in denen, welche eben die 
Pinnulae verlassen, eine Veränderung. Die äussere Eihaut 
entfernt sich an einzelnen Stellen von dem Inhalt, welcher 
noch immer seine Kugelgestalt bewahrt. An dem Rande 
desselben lässt sich an den Stellen, wo freier Raum ist, 
schon die Bewegung von ausserordentlich zarten Cilien wahr- 
nehmen, die aber noch nicht im Stande sind, das Eichen zu 
drehen. Histologisch lässt sich wegen der gänzlichen Un- 
durcheichtigkeit (Keimbläschen und Keimfleck verschwinden 
schon in der letzten Zeit des Aufenthaltes in der Pinnula) 
nichts unterscheiden, nur ist der Rand weniger intensiv ge- 
färbt, als das Centrum. Bald fallen nun einzelne Eichen aus 


401 


dem Schleim. welcher sie, ähnlich wie beim Froschlaich, 
umgiebt und an die Pinnula heftet, heraus. Die Eichen, 
welche man jetzt vom Boden des Gefässes aufnimmt, haben 
eine oblonge Form bekommen, jedoch mit einem etwas dik- 
kern und einem etwas schmalern Ende. Oben und unten, 
d.h. in der Querachse des Eichens, hat sich die äussere Ei- 
haut so weit abgehoben, dass ein freier Spielraum entsteht; 
an den Enden der Längsachse hingegen liegt sie beinahe voll- 
ständig an. In dieser äussern Hülle dreht sich nun der Em- 
bryo immer um seine Längsachse mittelst der sehr zarten 
Wimpern, welche seine ganze Oberfläche bedecken. Sehr 
bald nun platzt die Eihaut, so dass das junge Thierchen frei 
im ‘Glase umherschwimmt und zwar mit dem dickern Ende 
nach vorn und beständig sich um seine Längsachse drehend. 
Drei Tage nachdem das Eichen die Pinnula verlassen, treten 
an dem dickern Ende grössere Wimpern, als die bisherigen, 
zu einem Büschel zusammen; nicht weit von diesen bildet 
sich auf der Fläche, welche das Thierchen gewöhnlich nach 
unten kehrt, eine lichtere Stelle, die bald als Loch (vielleicht 
als Mund?) erscheint. An den Seiten des Körpers bilden 
sich in gleichen Abständen von einander rechts und links 
3 Hervorragungen, so dass das Thierchen zwischen diesen 
leicht eingeschnürt erscheint. Am nächsten Tage bemerkt 
man helle Reifen, welche die Hervorragungen der einen Seite 
mit denen der andern verbinden, und so als Querbänder um 
den Körper gehen. An den Hervorragungen selbst treten 
Büschel von Wimpern auf, die bedeutend grösser sind, als 
die übrigen, welche den Körper bedecken. In den nächsten 
Tagen bildet sich hinter dem dritten Ringe noch ein vierter 
mit Wimperbüscheln aus, die Haut fängt an Struktur zu 
zeigen, und nahe hinter dem Munde bildet sich ein neuer 
lichter Fleck, der anfangs kreisrund, nachher länglich- oval 
wird. Dass dieser Fleck ein Loch ist, sieht man am besten 
in der Seitenansicht des 'Thierchens, in welcher ich es Ihnen 


flüchtig gezeichnet habe, wie es heute, gerade eine Woche 
Müllers Arrhir. 1449, 26 


402 


alt, aussieht. Der zweite Ring ist von ihm durchbrochen 
worden. Wohin aber dieses grosse Loch führt und ob die 
dunklere Stelle im Körper eine höhere Bedeutung hat, ist 
mir bis jetzt noch unklar. Die Hervorragungen an den Sei- 
ten des Körpers sind jetzt nicht mehr als solche markirt 
und nur an den grossen Wimperbüscheln zu erkennen. Zwi- 
schen diesen grösseren scheinen die kleineren Cilien jetzt 
ganz verschwunden zu sein, wenigstens wurden sie nicht 
mehr beobachtet. Das Thierchen hat auch insofern seine 
Gestalt verändert, dass es sich gekrümmt hat, während es 
früher ganz flach war. Die Art des Schwimmens ‚ist noch die- 
selbe, mit dem Ende, woran die mundartige Oeffnung sich be- 
findet, voran, und immer sich um die Längsachse drehend. 

Dieses allein ist uns bis jetzt klar geworden. Wir er- 
hielten die ersten Eier erst heute vor’acht Tagen, und die 
künstlichen Befruchtungsversuche, welche Zaglas und ich 
vorher vornahmen, schlugen gänzlich fehl. Auch ist son- 
derbarerweise das Thierchen bis jetzt nicht frei im Meerwas- 
ser anzutreffen gewesen; ich habe Wasser, welches an den ver- 
schiedensten Stellen gesammelt war, ganz genau darauf durch- 
sucht und würde es jedenfalls darin entdeckt haben, wenn 
es sich darin befunden hätte, da es sehr gut mit blossen 
Augen zu erkennen ist (es ist ohngefähr 1,“ lang) und 
durch seine intensiv hochgelve Farbe sehr auffällt. So konn- 
ten bis jetzt nicht verschiedene Stadien zugleich beobachtet 
werden, sondern man war auf die langsam von Tag zu Tag 
fortschreitende Entwickelung der gewonnenen Embryonen be- 
schränkt. Ich wünsche nur, dass es mir möglich sein möge, 
diese durch sorgsame Pflege so lange am Leben zu erhalten, 
bis man genau sehen kann, wohin diese merkwürdige Thier- 
form führen soll; ob sich hieraus ein Pluteusartiges Wesen 
bilden will, oder wie es sonst fortschreiten wird. 

Ich fertige von jedem Stadium, so gut es mir möglich 
ist, Zeichnungen an. 


Beitrag zur Lehre von dem Röhrensystem der 
fähne und Knochen, 


Von 
Dr. A. KrukengeRe in Braunschweig. 


(Hierzu Taf. VII. Fig. 1—6.) 


Wiewohl schon Leuwenhoek die Zahnröhren beobach- 
tet hatte, blieben dieselben den spätern Anatomen doch 
lange unbekannt und selbst E. H. Weber (Hildebrandt’s 
Anatomie I. p. 216) bezweifelte noch, dass in die Zähne er- 
nährende Säfte geführt und aus denselben zurückgeführt 
würden; er hielt den Bau der Zähne für lamellös., Den 
neuern Beobachtern entging die Leuwenboek’sche Entdek- 
kung nicht, und es waren besonders Purkinje und Ret- 
zius, welche dieselbe nicht allein bestätigten, sondern durch 
eigene Forschungen noch erweiterten. Sie lehrten, dass in 
der Elfenbeinsubstanz feine, von der Zahnhöhle auslaufende, 
mehrfach geschlängelte, und gegen die Peripherie endigende 
Röhren vorkämen, welche in ihrem Verlauf sich öfters theil- 
ten und dabei an Durchmesser abnähmen, bis sie endlich 
eine kaum messbare Feinheit erlangten. Schon Retzius 
bemerkt, dass in der Wurzel der Zähne Theilungen und 
Verästelungen häufiger vorkommen, und er wie alle spätern 
Beohachter erwähnen der zahlreichen sehr feinen Theilungen 
an den peripherischen Enden der Röhrchen. Erdl, Valentin, 
Henle, Lessing u. A. beobachteten nicht selten Anasto- 
26% 


404 


mosen zwischen den zahlreichen, oft büschelförmigen feinen 
Zweigen, in welche die Röhren sich zuletzt auflösen: doch 
soviel mir bekannt, hat kein Beobachter in dem der Zahn- 
höhle nähern Verlauf der Röhren und dicht am Ursprung 
derselben dickere Anastomosen zwischen ihnen mit Bestimmt- 
heit gefunden. Henle sagt: „Der Zahnhöhle zunächst 
sind die Zweige sellener und erscheinen oft nur wie kleine 
Unebenheiten oder Spitzen. Es scheint nicht, dass die 
Zweige verschiedener Röhren sich, ausser etwa an ihren 
Enden untereinander verbinden.“ — Valentin, der eben- 
falls nur peripherische Verbindungen kennt, vergleicht diese 
mit den Endumbiegungsschlingen der Nerven. Henle (all- 
gemeine Anatomie p. 854) und Valentin (Handwörterbuch 
für Physiologie p. 728), so wie auch die frühern Anatomen 
meinten, die Zahnröhren seien mit erdiger Kalkmasse gefüllt, 
wofür sie die öfters in ihnen sichtbare körnige Substanz 
hielten. Lessing (Verhandlungen der naturwissenschaftlichen 
Gesellschaft in Hamburg i. J. 1845) widerlegte diese Ansicht, 
indem er darauf aufmerksam machte, dass man die Röhren 
mit Flüssigkeit anfüllen und mit Blei- und Chromsalzen einen 
dichten Niederschlag in ihnen bilden könne. Dasselbe be- 
wies er von den Kanälchen der Knochen, und nahm an, 
dass in dieser, wie in den Zahnröhren eine plasmatische 
Flüssigkeit enthalten sei, welche in dieselben ein- und wie- 
der austrete, und somit eine Art von Kreislauf in ihnen 


bilde. 


I. Zahnröhrensystem. 

So sehr ich mit Lessing darin übereinstimmie, dass 
in den Zahnröhrchen und Markkanälehen nicht Kalkerde, 
sondern eine Flüssigkeit von Iymphatischer Beschaffenheit, 
Zahnsaft und Knochensaft enthalten sei, und so wahrschein- 
lich mir eine Bewegung dieser Flüssigkeit in denselben, be- 
hufs steter Erneuerung erschien, so bedenklich musste mir 
die Annahme eines förmlichen Kreislaufs sein, namentlich 


405 
in Bezug auf die Zahnröhren, an deren äussersten Enden nur 
sehr feine, mit den stärksten Vergrösserungen wahrnehmbare 
Verbindungeu bekannt waren; die zahlreichen Anastomosen 
der Knochenkanälchen liessen einen solchen in ihnen viel 
eher annehmen. Zudem war mir nicht bekannt, dass an 
dem peripherischen Ende zwischen den Röhren der Zahn- 
krone zahlreiche constante Verbindungen beobachtet seien; 
Lessing wenigstens hat unter seinen Abbildungen der Zahn- 
röhren in der Nähe des Schmelzes keine Verbindungen der- 
selben dargestellt, und die Abbildungen anderer Beobachter, 
die ich kenne, stellen nur Verbindungen der peripherischen En- 
den der Röhren aus der Zahnwurzel dar. Lessing meinte, 
die Zahnröhren der Krone setzten sich in den Schmelz fort, 
und hat auch diese Ansicht durch Abbildungen erläutert. 
Bei diesem dürftigen Znsammenhange der Zahnröhren konnte 
ich mir eine lebhafte Circulation des Zahnsaftes nicht den- 
ken, und nur im Fall es mir gelänge, so zahlreiche und 
weite Anastomosen, wie sie unter den Markkanälchen der 
Knochen vorkommen, nachzuweisen, hielt ich die Annahme 
einer förmlichen Cireulation des Zahnsaftes für statthaft. 
Ich unterwarf zu diesem Zweck die verschiedenen Theile 
der menschlichen Zähne einer genauen Untersuchung und 
bin durch eine Reihe hinlänglich deutlicher Präparate zu der 
Ueberzeugung gelangt, dass sämmtliche Zahnröhren durch 
beträchtliche Anastomosen unter einander in Verbindung ste- 
hen, dass aber die Röhren der Zahnwurzel in dieser Bezie- 
hung sich anders verhalten, als die der Zahnkrone. 

a) Dass in dem ganzen Verlaufe der Zahnwurzelröh- 
ren von diesen zahlreiche Nebenäste abgegeben werden, er- 
wähnt schon Retzius; auch führt er an, dass diese Neben- 
äste sich häufig über die nächste Zahnröhre hinweg, zwi- 
schen den folgenden Zahnröhren verlieren; ein Einmünden 
derselben in benachbarte Zahnröhren kannte er nicht, Ich 
habe gefunden, dass keiner dieser Nebenäste in dem 
ganzen Verlauf dieser Zahnröhren blind endigt; 


406 


und dass auch die Nebenäste, welche von den 
Röhren bald nach ihrem Ursprung aus der Zahn- 
höhle abgegeben werden, mit benachbarten Zahn- 
röhren in Verbindung stehen. ‚Um sich hiervon un- 
zweifelhaft zu überzeugen, muss man sich feine Durchschnitte, 
am besten von menschlichen Schneide- und Eckzahnwurzeln 
verfertigen, an welchen viele Querdurchschnitie Yon Zahn- 
röhrchen gleich nach ihrem Ursprunge aus der Zahnhöhle, 
oder wenigstens nahe derselben zur Ansicht kommen, Die 
Anastomosen sind hier nicht etwa am häufigsten, nein sie 
sind hier gerade nicht so zahlreich wie gegen die Mitte oder 
Peripherie hin; aber wie die Röhren selbst, am dicksten, 
und deshalb in ihrem Verlauf besser zu verfolgen, insbeson- 
dere auch, weil sie sich nicht so häufig kreuzen. Auf sol- 
chen Durchschnitten sieht man in dem Raume eines 7J-Mil- 
limelers oft hundert und mehr deutliche Anastomosen, und 
hat zugleich Gelegenheit, sich von dem ganz eigenthümlichen 
Laufe derselben zu überzeugen. Sie finden sich nämlich 
nicht vorwaltend zwischen den benachbarten Röhren, im 
Gegentheil sehr zahlreiche, wenn nicht die meisten Verbin- 
dungen zeigen sich zwischen entfernteren, worauf auch schon 
die vorhin erwähnte Bemerkung von Retzius hindeutet. 
Hänfig sieht man ein Aestchen an ein bis sechs und noch mehr 
ibm näher gelegenen Röhren vorübergehen, um dann in eine 
siebente oder noch weiter entfernte einzumünden. Auch ist der 
Weg, auf welchem die Verbindungsäste zu benachbarten 
Röhrchen gelangen, oft nicht der nächste, indem sie weite 
Bogen um zwei und mehr Röhrchen beschreiben, um zu ih- 
rem Ziele zu gelangen. Nicht selten macht auch die Ana- 
stomose zwischen zwei benachbarten Röhren einen weiten 
Umweg, ohne dass sich ein Grund dafür einsehen lässt, 
wohl aber liegt in diesen merkwürdigen Umwegen, welche 
die Anastomosen machen, der Grund weshalb sie auf fei- 
nen Durchschnitten, die meist der Länge der Röhren nach 
gemacht werden, bisher übersehen sind. Das Auffinden der- 


407 


selben wird nämlich an solchen Durchschnitten auf doppelte 
Weise leicht vereitelt. An den zu dünn geschliffenen Stel- 
len nämlich pflegen die Bogen derselben abgeschliffen zu 
sein, und damit ist ihr Zusammenhang getrennt, sie erschei- 
nen dann, wie Henle sie sah, nur als kleine Unebenheiten 
oder Spitzen. An zu dicken Stellen des Durchschnitts da- 
gegen decken sie sich entweder selbst einander, oder wer- 
den von den darüber oder darunter liegenden Röhren ver- 
deckt; man kann sie nicht in ihrem ganzen Verlaufe deutlich 
verfolgen und kommt zu dem Resultate wie Retzius, der 
sie in einen benachbarten Zwischenraum sich verlieren sah. 
Bei Durchschnitten, welche die Axe der Röhren unter einem 
rechten Winkel schneiden, ist aller Zweifel darüber, ob die 
Queräste in eine andere Röhre einmünden oder nicht, besei- 
tigt, da man ihren ganzen, wenn auch gewundenen Verlauf 
bis zu den Einmündungsstellen übersehen kann, und sie nir- 
gends von den dickern oft sehr dunkel erscheinenden Röh- 
ren verdeckt werden. 

b) In der Zahnkrone sind von den Schriftstellern nur 
Verästlungen der Röhrchen am Ende derselben gegen den 
Schmelz hin beschrieben und abgebildet worden. Anasto- 
mosen dieser Verästlungen sind von ihnen meines Wissens 
nicht ausdrücklich erwähnt, wenigstens nicht genau beschrie- 
ben und bildlich dargestellt.*) Auch in einer Anzahl feiner 
Schliffe, die ich vor der Zahnkrone bisher besass, hatte ich 
dergleichen Anastomosen nicht gefunden, und wie auch die 
Schriftsteller auf diese Eigenthünnlichkeit bisher nicht genauer 
geachtet hatten, war sie auch von mir nicht weiter be- 
rücksichtigt. Indess seit ich die Bedingungen eines in der 
Zahnsubstanz vorkommenden Kreislaufs zum Gegenstand 
meiner Forschung machte, war mir das Fehlen der Anasto- 


*) Valentin und Erdl haben nur Endumbiegungen der Röhr- 
chen in der Wurzel des menschlichen Schneidezahns beobachtet, 8. 
Handwörterbuch für Physiologie. Bd. I p. 728. 


408 


mosen in einem so grossen und wichtigen Theile des Zahns 
eine zu auffallende Erscheinung, um nicht ganz besonders 
meine Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Sollte in 
der Zahnkrone ganz ausnahmsweise keine so vollkommene 
Säftebewegung vorkommen wie in der Wurzel, sollte bei 
der so vollständigen Ausbildung der Röhrchen nicht irgend 
wa eine constante Verbindung derselben vorhanden sein, 
ohne welche eine freiere Cirewlation unmöglich ist?*) In- 
dem ich mit der Lösung dieser Frage beschäftigt, meine äl- 
tern Durchschnilte der Zahnkrone nochmals untersuchte, 
wurde ich auf manche Unterschiede der Röhrchen der Krone 
von denen der Wurzel aufmerksam; ich fand sie in der Nähe 
der Zahrhöhle dichter zusammenliegend, und weniger ge- 
schlängelt als die der Wurzel, und ganz besonders fiel mir 
auf, dass sie an ihrem peripherischen Ende in der Nähe des 
Schmelzes verhältnissmässig nicht so an Durchmesser ab- 
nehmen, wie es mit den Wurzelröhren der Fall ist. Da ich 
sie in ihrem Verlauf sich wenig oder gar nicht theilen sah, 
war mir ihr grösserer Durchmesser am peripherischen Ende 
weniger auffallend. Das Vorkommen zahlreicher Anastomo- 
sen im Verlaufe der Röhren völlig aufgebend, und die Ana- 
stomosen der feinern Verästelungen an ihrem peripherischen 
Ende für nicht genügend haltend zu einer lebhaften Circu- 
lation des Zahnsaftes,. kam ich auf die Idee, dass die ziem- 
lich weiten Enden der Röhren selbst, oder die dickern End- 
äste, in welche sie sich theilen, in der Nähe des Schmelzes, 
durch schlingenarlige Umbiegungen geradezu in einander 
übergehen möchten, und vermuthete, dass die Grösse der 
Bogen, welche diese Schlingen machten, und die starke Bie- 


*) Lessing’s Meinung, dass die Röhrchen der Krone in eigene 
Cänäle des Schmelzes sich fortsetzen, kann ich nicht theilen. Ich 
habe auch öfters die Röhren der Krone scheinbar in den Schmelz 
übergehen sehn, doch halte ich dafür, dass sie hier nur in die Schmelz- 
spalten übergehen, und muss bezweifeln, dass dieses eine normale und 
eonstante Erscheinung sei. 


409 


gung des Endtheils der Röhren selbst, der Grund sei, wes- 
halb sie an feinen Schliffen nicht zu beobachten seien, da 
hier ihre Verbindungen beim Schleifen getrennt würden, 
Es lag mir ja das Beispiel von den Verbindungsästen der 
Wurzelröhren, ven welchen schon die Rede war, zu nahe, 
um nicht dieser Vermuthung Raum zu geben. Um nun das 
Vorhandensein solcher Endumbiegungen zwischen den be- 
nachbarten Röhren, falls sie vorhanden, mit möglichster Si- 
cherheit zu constatiren, fertigte ich mir Durchschnitte der 
Elfenbeinsubstanz an, welche parallel dem Schmelz geschnit- 
ten, und so geschliffen waren, dass auf einem möglichst 
grossen Raume durch dünngeschliflene durchsichtige Stellen 
des Schmelzes die Bogen der Endumbiegungen mir zu Ge- 
sicht kommen mussten. Dadurch vermied ich das Abschlei- 
fen der Bogen, und war zugleich im Stande, auch wenn 
sie entferntere Kanälchen mit einander verbänden, sie in ih- 
rer ganzen Spannung zu überblicken oder durch das Ein- 
stellen des Objekts in verschiedenen Focus zu verfolgen. 
Meine Voraussetzung wurde gleich durch den ersten dieser müh- 
sam verfertigten Durchschnitte bestätigt; ich sah zahlreiche 
Umbiegungen theils der benachbarten, theils auch 
entfernterer Röhrchen, und fand die meisten der- 
selben von bedeutend grösserer Weite, als ich sie 
in den Wurzeln zwischen den Enden der Röhrchen 
gefunden hatte. Ich konnte an den meisten mit starker 
Vergrösserung doppelte Conturen unterscheiden, und manche 
waren so weit wie die Röhren vor der Theilung. Ich sah 
auch verschiedene Bogen durch Querverbindungen Anasto- 
mosen bilden, und ferner Bogen, welche über die Endschlin- 
gen von zwei bis fünf Röhrchen hinweg liefen, und so ent- 
ferntere Röhren in Verbindung setzten. Zugleich bemerkte 
ich, dass die Röhren gegen den Schmelz zumeist eine starke 
Biegung machen, und theils diese Biegung, theils die Grösse 
der Bogen muss als Grund davon betrachtet werden, dass 
man an gewöhnlichen, der Länge der Röhren nach angefer, 


410 


tigten Schliffen die Verbindungen nicht zu sehen bekommt, 
weil sie meist abgeschliffen werden. Nur an dickern Durch- 
schnitten der Art, namentlich an den Stellen, wo die Schmelz- 
rinde über die Elfenbeinsubstanz übergreift, bekommt man 
durch die dünngeschliffene Schmelzlage oft eine grössere An- 
zahl von Endschlingen zu Gesicht, und um so leichter, da 
das Weitauseinanderliegen der Röhren in der Nähe des 
Schmelzes selbst an diekeren Durchschnitten diese Stellen 
eher durchsichtig werden lässt, als andere Theile der Zahn- 
krone. 

Durch den Nachweiss constanter Endumbiegungen der 
Zahnröhrchen in der Krone, durch den Zusammenhang die: 
ser Umbiegungen unter einander, und durch die direkte Ver- 
bindung selbst entfernterer Röhrchen mittelst Verbindungs- 
bögen, glaube ich die bisher nicht gekannte wesentliche Be- 
dingung einer Circulation des Zahnsaftes auch in der Krone 
des Zahns hinlänglich bewiesen zu haben. Bei dem Fehlen 
der Anastomosen in dem übrigen Verlaufe der Kronenröhr- 
chen erlangen sie durch ihren verhältnissmässig grösseren 
Durchmesser*) eine um so grössere Bedeutung. Ihre Dicke 
macht es möglich, sie schon bei einer Vergrösserung von 
80—100 Mal deutlich zu erkennen, während die Verbin- 
dungsäste am peripherischen Ende der Wurzelröhren kaum 
bei einer Vergrösserung von 300—400 Mal so deutlich her- 
vortreten 

Wie kommt nun aber eine Bewegung oder eine förm- 
liche Circulation des Zahnsaftes in den Röhren zu Stande? 
Denkt man sich die Anastomosen hinweg, so: würde das 
fernere Eintreten des Zahnsaftes in die einmal’ angefüllten 
Röhren und besonders sein Zurücktreten aus denselben we- 
gen der starren Wände nur sehr schwierig und unvollkom- 
men von Statten gehen. Es würde eine solche nur durch 


*) Ich fand den Durchmesser derselben ungefähr 35, —z4» Mil- 
limeter weit, 


414 


die Ausgleichung der Mischungsdifferenz erfolgen können. 
Bei dem wirklichen Vorhandensein weiterer Anastomosen der 
verschiedenen, namentlich auch der von einander entfernteren 
Röhren, ist eine regere Bewegung, ja eine Art Kreislauf des 
Zahnsaftes dadurch denkbar, dass auf die Mündungen gewisser 
Röhren in die Zahuhöhle ein stärkerer Druck einwirkt, als auf 
andere. In die ersteren würde dann die seröse Flüssigkeit hin- 
eingetrieben werden, der in ihnen vorhandene Inhalt würde 
durch die Anastomosen entweichen, und aus denjenigen Zahn- 
röhren, deren centrale Mündung unter einem schwächern Drucke 
sich befände, würde der Zahnsaft in die Höhle zurücktreten, 
Erwägt man nun, dass die Pulpe des Zahns aus Gefässen, 
Nerven und einem fasrigen Gewebe besteht, also aller Wahr- 
scheinlichkeit nach kontraktil ist, so wird man die Möglich- 
keit eines von ihr ausgehenden, verschieden starken Druckes 
auf verschiedene Stellen der Zahnwandung zugeben müssen, 
wenn man partielle, oder von der Wurzel nach der Krone 
und umgekehrt fortschreitende Contraktionen der Pulpa an- 
nimmt. Durch das fortwährend in die Arterien derselben 
einströmende Blut wird sie ohnehin schon rhythmische und 
progressive Auschwellungen erleiden, die eine ähnliche Wir- 
kung haben, und vielleicht wirkt auch eine progressive, den 
kleinen Arterien eigenthümliche Kontraktion zu diesem Zwecke 
fördernd mit. Ob gewisse Zahnröhren mit den Säfte zufüh- 
renden Arterien in innigerer Verbindung stehen, während 
andere mit den Säfte wegführenden Venen oder Lymphge- 
fässen in näherem Zusammenhange sind, will ich nicht ent- 
scheiden, doch muss man dieses oder ein ähnliches Verhält- 
niss vermuthen, wenn man nicht das Vorhandensein einer 
regen Säftebewegung im Zahn, für welche so wichtige 
Gründe sprechen, wegleugnen will. Es würde dann der 
Druck, unter welchem das Blut steht, direkt sich dem Zahn- 
saft miltheilen, während er sonst nur indirekt zu seiner Be- 
wegung mitwirken kann. Sollten wir aber Stagnation der 


412 


in den Zahnröhren enthaltenen Flüssigkeit annehmen, da 
sonst im Organismus nirgends eine Stockung der in den Ge- 
fässen befindlichen Säfte vorkommt? Welchen Zweck könn- 
ten auch die Queräste der Röhren haben, die verhältnissmäs- 
sig selten in den benachbarten Röhren enden, sondern häu- 
fig zu entferntern hinlaufen, um in sieeinzumünden, als den, 
eine Communikation der Säfte im Zahn, also eine Bewegung 
derselben zu erhalten und möglichst zu erleichtern? 

Indem ich darauf achtete, ob nicht ein verschiedener 
Bau der einzelnen Röhren auf eine verschiedene Funktion 
derselben hindeutete, z. B. ob manche vielleicht den Zahn- 
saft zuleiteten, während ihn andere wieder zurück führten, 
kam ich zu keinem bestimmten Resultate; doch kann ich 
nicht unerwähnt lassen, dass mir auf Querschnitten der 
Wurzelröhren hier und da dickere Röhren vorkamen, die 
auffallend viele Anastomosen nach benachbarten und ent- 
ferntern Röhren abgaben. Manche dieser Seitenäste waren 
von ungewöhnlicher Dicke und Länge und liefen zu sehr 
entfernten Röhren hin, um mit denselben zu communiciren. — 
Für das Vorhandensein einer Säftecirkulation im Zahn spre- 
chen auch manche physiologische und pathologische Vor 
gänge, auf welche ich an einem andern Orte zurückzukom- 
men gedenke, 


I. Knochenröhrensystem. 


In Bezug auf die theils von den Markröhren, theils von 
den Knochenkörperchen (richtiger Knochenhöhlen) auslau- 
fenden Knochenkanälchen, habe ich auch die bestimmte Ue- 
berzeugung gewonnen, dass keines derselben im nor- 
malen Zustande des ausgebildeten Knochens blind 
endigt, sondern dass sie sämmtlich dazu dienen, 
die verschiedenen Knochenhöhlen mit einander in 
Verbindung zu setzen. Wie bei den Zähnen ist auch 
hier durch diese zahlreichen Verbindungen nur eine möglichst 
vollkommene Cirkulation des in diesen Knochenkanälchen 


413 


enthaltenen Knochensaftes denkbar. An diesen Anastomo- 
sen ist von mehreren mir bekannten Beobachtern ganz ge- 
zweifelt; gegenwärtig sind sie von den meisten in Menge 
gesehen, man hat sie aber nicht für so zahlreich und wich- 
tig gehalten, wie sie in der That sind, wenigstens ist der 
von mir vorhin gelhane Ausspruch, dass Alle anastomo- 
siren, noch nicht zur allgemeinen Geltung gekommen. Un- 
tersucht man verschiedene feine Durchschnitte von Knochen 
einheimischer Thiere, vom Ochsen, Hunde, Kaninchen, der 
Ratte, der Gans, dem Frosch und anderen, so wird man, 
trotz der grössten Feinheit der Schnitle, die man in verschie- 
denen Richtungen führt, nur verhältnissmässig wenige Anasto- 
mosen der Knochenkanälchen verschiedener Knochenhöhlen 
mit genügender Deutlichkeit entdecken. In allen diesen Kno- 
chen nämlich sind die Kanälchen so dünn und liegen meist 
so dicht, dass man an etwas dickern Schliffen wegen ihres 
vielfachen Uebereinanderlaufens sie nur schwer von einer 
Knochenhöble zur andern verfolngen kan; an feinern Schlif- 
fen dagegen findet man sie, da sie meist geschlängelt oder 
wenigstens gebogen verlaufen, in der Regel theilweise weg- 
geschliffen; man sieht von vielen nur die Ursprünge, nicht 
aber ihren vollkommenen Verlauf von einer Knochenhöhle 
zur andern. Nachdem ich vergeblich in Durchschnitten von 
Thierknochen nur so zahlreiche Anastomosen gesucht hatte, 
wie sie auf einigen Abbildungen dargestellt sind, z. B. auf 
der von Valentin (siehe Handwörterbuch für Physiologie 
von Wagner), verferligte ich mir Durchschnitte menschli- 
cher Knochen. Ich war über die Weite, die vielen Anasto- 
mosen der Knochenkanälchen, besonders in den menschlichen 
Kopfknochen, erstaunt, und fand letztere, da die Kanälchen 
hier auch weniger dicht liegen, zur Untersuchung vorzüglich 
geeignet. — Schon v. Bibra erwähnt, dass die Knochenka- 
nälchen der Schädelknochen weiter, als die der Röhrenkno- 
chen seien, doch sind ihm die zahlreichen Verbindungen der- 
selben entgangen, wie seine. vielen Abbildungen beweisen; 


414 


wahrscheinlich weil er die Schliffe im Wasser beobachtete, 
was durch sein Eindringen in die Kanälchen dieselben sehr 
undeutlich macht. — Um nun aber den ganzen Umfang der 
in den Knochen vorkommenden Anostomosen der Kanälchen 
am vollkommensten und deutlichsten zu überblicken, schie- 
nen mir die dünnen platten Knochen der knöchernen Nasen- 
scheidewand und des Siebbeins die besten zu sein. - Es lie- 
gen in ihnen nur wenige Schichten der feinen Knochenla- 
mellen und der Knochenhöhlen übereinander, der Verlauf der 
Knochenkanälchen, die sich nur wenig verästeln, ist auf die 
Fläche beschränkt, sie werden daher bei dem Glattschleifen 
der Oberfläche seltener verletzt, und man kann*sie, wenn 
man die richtige Dieke des Schlilfes trifft, fast sämmtlich 
von ihrem Ursprunge aus einer Knochenhöhle bis zu ihrem 
Einmünden in eine benachbarte andere Knochenhöhle, oder 
in ein anderes Knochenkanälchen, auf das deutlichste ver- 
folgen. Nur solche Knochenkanälchen, welche gegen die 
Oberfläche dieser Knochen verlaufen oder in eine Markröhre 
ausmünden, sieht man nicht anastomosiren. Das Ausmün- 
den in eine Markröhre kommt an den dünnsten Stellen die- 
ser platten Knochen verhältnissmässig nur selten vor, denn 
die Markröhren verlaufen hier meistens nur von einer Fläche 
zur andern, selten zwischen den Lamellen des Knochens; 
sie stellen daher gewöhnlich nur runde Oeffnungen dar, wie 
man sie auf den Querschnitten der Röhrenknochen sieht, 
liegen aber in weit grössern Abständen von einander, als es 
bei letztern der Fall ist. Die Knochenkanälchen zeigen an 
ihren Einmündungsstellen in die Knochenhöhlen in der Regel 
eine kleine trichterförmige Erweiterung, woran man sehr 
leicht sehen kann, dass sie wirklich in die Knochenhöhlen 
eintreten, und nicht bloss darüber ader darunter weggehen. 
Wiewohl die meisten derselben zu den benachbarten Kno- 
chenhöhlen hingehen, so pflegen doch auch mehrere längere 
zu entferntern hinzulaufen, und da sie dabei oft Umwege 
machen, so erinnern sie sehr an die Anastomosen der Zahn- 


415 


röhrchen , bei welchen ein ähnliches Verhältniss obwaltet. 
Ein solches Anastomosiren der Knochenkanälchen, wie man 
es an diesen Knochen auf das bestimmteste wahrnehmen 
kann, findet sicherlich in allen Knochen statt, wenn es sich 
auch nicht durch die direkte Beobachtung darthun lässt; 
und eine freie Circulation des Knochensaftes, der von den 
Gefässen der Markröhren abgesondert, und von diesen in 
die Knochenkanälchen hineingetrieben wird, lässt sich wohl 
nicht bezweifeln. Unter den normalen und krankhaften Vor- 
gängen, welche auf eine lebhafte Circulation des Knochen- 
saftes schliessen lassen, hebe ich vor Allem den Abstossungs- 
prozess von Knochenstücken hervor, der oft so bewunde- 
rungswürdig schnell erfolgt. Die dazu nöthige Resorption 
würde gewiss nicht so rasch vor sich gehen, wenn nicht 
der in die kleinsten Interstlitien eindringende Knochensaft be- 
ständig erneut und damit die Auflösung der Knochenmasse 
befördert würde. Demnach sind die Knochen und Zähne 
ähnlicher, und letztere namentlich höher organisirt, als man 
gewöhnlich annimmt, und die grosse Empfindlichkeit der 
blossliegenden Elfenbeinsubstanz, die bis jetzt nur den Zahn- 
ärzten näher bekannt ist, liefert dafür auch einen Beweis. 
— Ohne mich hier auf die Pathologie der Knochen und 
Zähne genauer einzulassen, kann ich doch nicht umhin, auf 
die Wichtigkeit des Verlaufs und der Verbindungen der Zahn- 
und Knochenkanälchen für dieselbe aufmerksam zu machen. 
Die Aufnahme schädlicher Stoffe in dieselben hat eine wei- 
tere Verbreitung ihrer schädlichen Wirkung zur Folge. Von 
der Zahncaries ist es schon bekannt, dass sie dem Verlaufe 
der Zahnröhrehen in der Krone folgt. Gleichfalls ist es be- 
kannt, dass sie nach Zerstörung eines kleinen Theiles vom 
Schmelze, sobald sie die Elfenbeinsubstanz erreicht hat, rasch 
und auffallend in dieser sich auch nach der Breite ausdehnt, 
ganz besonders aber in der peripherischen Schicht, welche 
an den Schmelz grenzt. Diese schon lange bekannte, aber 
nicht hinlänglich erklärte Erscheinung kann dem nicht mehr 


416 


befremdend sein, welcher die weilen peripherischen Anasto- 
mosen der Zahnröhrchen in der Krone kennt, die ich im 
Vorhergehenden genauer beschrieben habe. Sobald die Ca- 
ries das Bereich dieser Anastomosen überschritten hat, dehnt 
sie sich nicht mehr in die Breite aus; die Zerstörung durch 
dieselbe verlässt vorläufig die einmal ergriffenen Zahnröhren 
nicht, da diese gegen die Zahnhöhlen hin mit den 'benach- 
barten Zahnröhren nicht in direkter Verbindung stehen; der 
erkrankte Zahntheil hat daher eine konische Form, er ist 
an: der Peripherie auffallend breit, während er gegen die 
Zahnhöhle hin zugespitzt ist. Im Verlauf der Caries ist das 
Verhalten der Zahnröhrchen nicht immer dasselbe, doch ge- 
hen in ihnen schon früh ausgedehntere und wichtigere Ver- 
änderungen vor, als man gewöhnlich glaubt. Schon wenn 
sich in der äussersten Grenze der Elfenbeinsubstanz ein klei- 
nes schwarzes Fleckchen zeigt, welches nicht 4, Linie in 
dieselbe hineindringt, und wenn an der schwarzen Stelle 
durchaus noch keine merkliche Erweichung wahrzunehmen 
ist, sieht man einen konischen Theil der Zahnsubstanz sei- 
nen Perlmutterglanz verlieren und eine hornartige Farbe an- 
nehmen. Dieser hornarlige Kegel reicht mehr oder weniger 
nahe bis zur Zahnhöhle heran, und rührt von einer theil- 
weisen oder vollständigen Verstopfung der Zahnröhren her, 
wie man auf feinen Schnitten mit dem Mikroskop wahrneh- 
men kann. An der Stelle, wo die Spitze des durchschei- 
nenden Kegels an die Zahnhöhle grenzte, fand ich auf der 
Wandung der Zahnhöhle Knochenmasse mit deutlichen Kno- 
chenhöhlen abgesetzt; in anderen Fällen fand ich die von einer 
grösseren cariösen Stelle auslaufenden Zahnröhren vollkommen 
wegsam, oder sie waren nur in einer kurzen Sirecke verstopft; 
in letzteremFalle war die cariöse Stelle auf Durchschnitien von 
einem durchscheinenden Bogen umgeben. Hieraus ergiebt sich 
die grosse Leichtigkeit, mit welcher Flüssigkeiten, und demnach 
auch solche, die die Zahnsubstanz verzehren können, in den.. 


417 


Röhren fortgeleitet werden, und selbst in kurzer Zeit auf 
die Pulpa ihre Wirkung äussern können. Die Beschaffenheit 
derselben, namentlich zur Zeit, wenn die Zahnröhrchen zu- 
erst durch den Krankheitsprozess geöffnet werden, übt auf 
den Verlauf desselben. ohne Zweifel einen grossen Einfluss. 
Bringen sie rasch eine Coagulation des Zahnsaftes zu Stande, 
so schliessen die Zahnröhrchen sich wahrscheinlich bald und 
werden in. grösserer Ausdehnung verstopft. Dem Eindrin- 
gen verschiedener Flüssigkeiten von Aussen ist vorläufig ein 
Damm geselzt, der Zahnsaft geräth in dem centralen Ende 
der Röhrchen in Stocken, und in grösserer oder geringerer 
Ausdehnung werden die Zahnröhrchen durch den Absatz 
von Zahnsubstanz völlig ausgefüllt und verschwinden. Es 
bildet sich auf diese Weise die vorhin erwähnte durchschei- 
nende hornarlige Masse, welche die erkrankte Stelle von der 
gesunden Elfenbeinsubstanz scheidet. Ist die zu Anfang in 
die Zahnröhrchen eingedrungene Flüssigkeit nicht im Stande 
den Zahnsaft zu coaguliren, ist sie wohl gar der Coagulation 
hinderlich, wie z. B. Kochsalz- und Zuckerlösung, so dringt 
sie in die geöffneten Zahnröhrchen bis zu deren centralem 
Ende, gelangt zur Pulpa und erregt hier mehr oder weniger 
heftigen Zahnschmerz, ja kann selbst zu Entzündungen der 
Pulpa Veranlassung geben. Dieses wiederholt sich bis auf 
irgend eine Veranlassung eine Verschliessung der Röhren 
herbei geführt wird, sei es nun am centralen Ende durch 
Absatz von Exsudat und Bildung neuer Knochensubstanz, 
oder am peripherischen Ende durch Gerinnung des Zahnsaf- 
tes, die durch concentrirte Säuren, durch Hitze u. s. w. be- 
wirkt werden kann. So erklärt sich der frühzeitige Zahn- 
schmerz bei oberflächlicher Caries, bei welcher an ein Bloss- 
liegen der Zahnnerven noch nicht zu denken ist; auch wird 
es einleuchtend, weshalb in manchen Fällen von oberfläch- 
licher Caries häufiges Zahnweh vorhanden ist, während es 
in andern Fällen fehlt oder nur selten vorkommt, und wes- 


halb die Caries bald langsanı, bald sehr rasch von der Pe- 
Müllers Archir. 1619, ar 


418 


ripherie zur Zahnhöhle fortschreitet. Theilweise ist auch 
der Nutzen des Plombirens hohler Zähne von der dadurch 
bewirkten Verschliessung der Zahnröhrchen abzuleiten. Eine 
Verschliessung der Zahnröhrchen, und die dadurch bedingte 
Verwandlung der Zahnsubstanz in eine hornartig durchschei- 
nende Masse, kommt häufig und zuweilen in grosser Aus- 
dehnung in den Zahnwurzeln vor, selbst wenn die Wurzeln 
nicht cariös sind; am häufigsten fand ich sie in der untern 
Hälfte der Zahnwurzel. In der Regel beginnt die Verschlies- 
sung der Zahnröhrchen an ihrem peripherischen Ende und 
schreitet mehr oder weniger nahe bis zur Zahnhöhle hin 
fort. Es zeigt sich dabei durchaus keine Gleichmässigkeit in 
Bezug auf die verschiedenen Röhren, so dass oft noch Bü- 
schel gesunder wegsamer Zahnröhrchen in die durchschei- 
nende Masse weit hinein ragen. Mitunter findet man auch 
die Röhrchen der einen Zahnhälfte noch wegsam, während 
die der andern verschlossen sind. Wie die feinern Zahn- 
röhrchen, so werden anch die Aeste und Anastomosen der- 
selben am frühesten verschlossen. Entzündliche oder rheu- 
matische Affeetionen der Zahnwurzel und Zahnhöhle, mit 
einem Worte, die mit Zahnschmerz verbundenen Krankhei- 
ten dieser Theile, stehen aller Wahrscheinlichkeit nach mit 
dieser Veränderung der Zahnwurzel in ursächlichem Zusam- 
imenhange. Die geringere Neigung der Zahnwurzeln zur Ca- 
ries hat einestheils ihren Grund in der geschützteren Lage 
ihrer Oberflächen, anderntheils in dem Verlaufe der Zahn- 
röhrchen in denselben. Dass die Caries sich von der Zahn- 
krone nur langsam auf die Zahnwurzel fortsetzt, oder wohl 
gar au derselben ihre Grenze findet, erkläre ich mir aus dem 
mehr horizontalen Laufe der Zahnröhrchen. Nach der ca- 
riösen Zerstörung der Krone bleibt meistens ein horizontal 
abgeschnittener Stumpf der Wurzel über; und da die Zahn- 
röhrchen mit der Oberfläche desselben parallel laufen, und 
sie entweder in ihrem ganzen Verlauf oder an ihrem cen- 
tralen Ende durch Exsudat der Pulpa geschlossen sind, so 


419 


können sie keine zersetzenden Stoffe von Aussen aufneh- 
men, und sollte dies auch wirklich geschehen, so dringen 
dieselben doch nicht in die Tiefe der Zahnsubstanz; es bil- 
den sich keine neuen cariösen Höhlen aus, in welchen zer- 
setzbare animalische Stoffe stagniren können. Jene Höhlen 
sind aber bekanntlich der Heerd einer fortwährenden Zer- 
setzung in der Krone, nnd die Unmöglichkeit oder Schwie- 
rigkeit ihres Entstebens in der Wurzel begründet die grös- 
sere Dauer und, Widerstandsfähigkeit gegen den cariösen 
Krankkeitsprozess, : Die Anastomosen: der querliegenden 
Wurzelröhren sind zu fein, und werden zu früh geschlossen, 
als dass sie eine Fortleitung der zersetzenden Flüssigkeiten 
in die Tiefe der Wurzel bewirkeu könnten. Gelingt es der 
Natur nur, die etwa geöffnete Zahnhöhle durch Knochen- 
substanz frühzeitig zu schliessen, so gewinnt der Zahn- 
stumpf mit der, Zeit eine glatte, wie polirte Oberfläche, 
dient organischen, zersetzbaren Substanzen nicht mehr als 
Haltpunkt und kann selbst noch lange Zeit sich zum Kauen 
nützlich erweisen. 


Air 


Ueber 


eine sehr vortheilhafte Methode der Zubereitung 
von Zahn- und Knochendurchschnitten für die 
mikroskopische Beobachtung. 


Man wählt zu diesen Durchschnitten möglichst gesunde, gut 
macerirte Zähne und Knochen von jugendlichen Individuen: 
Nachdem man. sich davon mit Hülfe der Säge und Feile 
nach verschiedenen Richtungen geschnittene Blättchen ver- 
schafft hat, schleift man sie zwischen zwei glatten ebenen 
Steinen mit Wasser befeuchtet möglichst fein. Die glätte” 
sten Oberflächen erhalten die Schliffe auf einem weichen 
Schiefersteine. Um diese feinen Schliffe nun von Fett zu be- 
freien, welches öfters in den Röhren enthalten ist und sie 
undeutlich macht, lässt man sie eine Zeitlang in Alkohol 
oder Aether liegen, oder kocht sie noch besser damit aus.*) 
Um ihre Oberflächen vollkommen zu reinigen, und ihren 
Glanz noch zu erhöben, reibt man sie zwischen glattem Pa- 
pier gehörig ab. Wenn man dann diese Schliffe zwischen 
zwei Glasplatten trocken unter dem Mikroskop beobachtet, 
so stellt sich das Röhrensystem in denselben vollständig dar; 
indess ein bestimmtes Urtheil über den Verlauf namentlich 
der feineren Röhren und ihrer Verbindungen wird wesent- 
lich beeinträchtigt oder ganz unmöglich gemacht durch das 


*) Dadurch werden normale Röhrchen durchsichtig, wenigstens 
in so weit klar, dass aller Grund wegfällt, in ihnen eine pulverige 
Kalkmasse zu vermuthen. 


421 


Vorhandensein der zahlreichen Schleifstriche, die man. bei 
der hier angewandten Methode nicht zu entfernen im Stande 
ist. Ausserdem haben etwas dickere, zu manchen Zwecken 
nöthige Schliffe noch nicht die genügende Durchsichtigkeit. 
Alle Beobachter stimmen darin überein, dass ein klarer Fir- 
niss oder Balsam den Schliffen die grösste Durchsichtigkeit 
giebt, alle klagen jedoch auch über das rasche Eindringen 
dieser Flüssigkeiten in die Röhrchen, namentlich in die fei- 
neren, wodurch sie bald ihre scharfen Contouren verlieren 
und mehr oder weniger verschwinden. Auf eine Methode 
sinnend, den Schliffen  einestheils solche Durchsichtigkeit 
und Klarheit zu geben, wie es nach dem Befeuchten mit 
Firniss der Fall ist, zugleich aber die Röhrchen in ihrer 
Vollständigkeit zu erhalten, anderntheils die. Schleifstriche, 
welche die Beobachtung letzterer bedeutend stören, vollkom- 
men zu entfernen, bin ich durch folgendes einfache Verfah- 
ren zu einem befriedigenden Resultate gelangt. Ich schmelze 
nämlich die Schliffe in klarem Firniss oder Balsam, der 
vorher durch Erhitzen erhärtet ist, zwischen zwei Glasplat- 
ten rasch ein. Dabei dringt die wieder flüssig gewordene 
Harzmasse in alle kleine Unebenheiten auf der Oberfläche 
der Schliffe, selbst in die Schleifstriche vollständig ein, so 
dass sie verschwinden, und theilt den Schliffen selbst die 
völlige Durchsichtigkeit und Klarheit mit, die sie durch’s 
Einlegen in flüssigen Firniss erlangen, während sowohl die 
in den Röhren eingeschlossene Luft, als auch das beim ra- 
schen Abkühlen des Präparats zugleich erfolgende Erhärten 
der Harzmasse ihr Eindringen in die Röhrchen verhindert. 
Die Röhrchen bieten sich jetzt mit der grössten Klarheit 
und Vollkommenheit der mikroskopischen Beobachtung dar. 
Das technische Verfahren, so einfach es ist, und so leicht 
man sich von seiner Zweckmässigkeit überzeugen kann, ver- 
langt doch, wenn man besonders grössere Schliffe schön 
einschmelzen will, einige Uebung, und ich unterlasse es da- 


422 


her nicht, einige Andeutungen ‘über seine Ausführung bei- 
zufügen. ' 

In Ermangelung eines durchaus klaren Firnisses kann 
ich an dessen Stelle den canadischen Balsam empfehlen. — 
Man nimmt von dem einen oder’andern einen klaren Trop- 
fen, breitet ihn sowohl auf dem Objeet- als Deckglase nach 
Grösse des Priäparates aus, und erwärmt die Gläser entwe- 
der über einer Spiritusflamme, oder hoch besser‘über dem 
Cylinder einer Stubenlampe, da die Hitze über demselben 
gleichmässiger ist. Die bei dem Erwärmen entstehenden 
Blasen verschwinden entweder ‘wenn man es langsam fort- 
setzt, oder kommen’ auf die Oberfläche; wird die Masse här- 
ter, so kann man sie dann dadurch beseitigen, "dass man 
das Glas umkehrt, und die intensive Hitze der Lampe’ rasch 
auf die Oberfläche des fest‘ gewordenen Harzes einwirken 
lässt, wobei sie platzen. Das Eindampfen setzt'man so lange 
fort, bis nach ‘dem Erkalten dasselbe eine glätte durchsichtige, 
mit einem spitzen Instrumente nicht mehr einzudrückende 
Schicht bildet. Zu langes Erhitzen und Eindampfen muss 
man vermeiden, weil das’ Harz dann zu spröde wird und 
gleich nach dem Erkalten Risse bekommt. ° Hat’ man''nun 
beide Gläser mit einer dünnen glatten, erhärteten Harzschicht 
bedeckt, so legt man den Zahn- oder Knochenschliff zwischen 
dieselben und erwärmt ‘das Objectglas allmählig bis das 
Harz anfängt überall flüssig zu werden 'und den Schliff 'ge- 
nauer zu umschliessen. ° Jetzt entfernt man ‘das Glas rasch 
von der Flamme, legt es’ auf 'eine ebene’ Unterlage und 
‘drückt das Deckglas mit der Fingerspitze, "die'mian vor- 
her ‘mit ‘einem »Handschühfinger "bekleidet" hat, "sanft tind 
allmählig gegen das Objectglar, damit das Harz vor dem 
Erkalten sich gleichmässig unı den Schliff vertheilt' und ihn 
mit einer dünnen Schicht ‘umgiebt, und damit ‘auch etwa 
vorhandene Luftblasen zwischen ‘den Gläsern weggepresst 
werden. ‘Dann legt man das Präparat möglichst rasch auf 
einen guten Wärmeleiter, z. B. eine kalte Metallplatte, damit 


423 


die Erstarrung des Harzes schnell erfolge, und es nicht Zeit 
gewinne, in die feinen Röhrchen ‚einzudringen. Letzteres 
geschieht in gewissem Grade leicht, wenn man beim Ein- 
schmelzen zu starke Hitze angewandt hat, oder wenn der 
Firniss nicht fest genug eingedampft war, so dass er selbst 
bei niederer Temperatur noch, weich ‚bleibt. Zu, starkes 
Erhitzen beim Einschmelzen muss man auch deshalb ver- 
meiden, weil das Harz dabei völlig zum Sieden gerathen kann, 
eine Menge Gasblasen entwickelt, und mit der Oberfläche 
des Schliffes nicht in genaue Berührung tritt, wodurch dann 
die Klarheit des Schliffes nicht erreicht wird. — Durch die- 
ses Verfahren giebt man den Schliffen von ‚Zähnen, Kno- 
chen und ähnlichen Gebilden, z. B. feinen Durchschnitten 
von Steinfruchtschalen die grösstmöglichste Durchsichtigkeit ; 
man bemerkt keine Spur mehr von Schleifstrichen, und falls 
die, Präparation gut gelungen ist, sieht man, das, Röhrensy- 
stem 'so vollständig "wie «es vorhanden ist. Die,‚Präparate 
halten sich ‘ganz vorzüglich und sind bequem zum Vorzeigen 
bei Vorlesungen. Ausserdem erreicht man noch den grossen 
Vortheil, dass die Biegungen der feinen Durchschnitte, wel- 
che durch das Auflegen sehr dünner Deckgläser nicht ausge- 
glichen werden, verschwinden. Zwischen die ebenen Glas- 
fläche in eine sehr dünne Harzschicht eingeschmolzen, lie- 
gen die feinen .Schliffe überall in einer Ebene, man hat ein 
überall klares Gesichtsfeld, da alle Theile des Objects so 
viel als möglich in einem Focus liegen. 


Erklärung der Abbildungen. 


Fig. 1. Längendurchschnitt eines menschlichen Eckzahns, in wel- 
chem die Röhren der Zahnwurzel, nahe der Zahnhöhle, quer abge- 
schnitten mit zahlreichen Anastomosen erscheinen. Vergrösserung 300 
mal. 

Fig. 2. Längendurchschnitt eines Schneidezahns vom Menschen, 
in derselben Richtung geführt. Von einem stärkeren Röhrchen gehen 


424 


6 Aeste ab, von denen 5 mit andern und zwar nicht mit den zu- 
nächstliegenden anastomosiren. Vergrösserung 430 mal. 

Fig 3. Längendurchschnitt eines normalen oberen ersten Schnei- 
dezahns. Die Wurzelröhren in der Nähe der Zahnhöhle sind etwas 
schief quer abgeschnitten. Zahlreiche längere und kürzere Anastomo- 
sen der Queräste, welche meistens auf Umwegen zu näheren und ent- 
fernteren Röhren hinlaufen. Vergrösserung 430 mal. 

Fig. 4. Längendurchschnitt einer Schneidezahnkrone, möglichst 
parallel der vorderen Fläche in der Nähe des Schmelzes geführt. 
Zahlreiche Endumbiegungen der Röhrchen mit engeren und weiteren 
Bogen, so wie Anastomosen dieser Umbiegungen. Wegen grösserer 
Dicke des Durchschnitts treten feinere Verästelungen und Verbindun- 
gen nicht hervor. Vergrösserung 430 mal. 

Fig. 5. Darstellung der Endumbiegungsschlingen der Kronenröh- 
ren, wie sie auf feinen Querschnitten ‘der /peripherischen Schicht der 
Elfenbeinsubstanz, welche noch von einer dünnen Schmelzschicht be- 
deckt ist, erscheinen. Vergrösserung 430 mal, 

Fig. 6. Naturgetreue Abbildung einer sehr dünnen Platte aus 
der knöchernen Nasenscheidewand des Menschen. Nur sehr wenige 
Knochenkanälchen, welche zur Glättung der Flächen abgeschliffen 
werden mussten, sieht man ohne Anastomosen endigen, die übrigen 
gehen sämmtlich entweder unter sich, oder mit näheren oder ent- 
fernteren Knochenhöhlen deutliche Verbindungen ein. Alle erscheinen 
mit doppelten Conturen und treten mit einer kleinen trichterförmigen 
Erweiterung in die Knochenhöhle ein. Vergrösserung 430 mal. 


Ueber 


den Bau der Hautdrüsen der Kröten ‘und die 
Abhängigkeit der Entleerung ihres Sekretes 
vom centralen Nervensystem. 


Von 


€. EckHARD, 


1) Die Hautdrüsen der Kröten stehen entweder einzeln 
oder in Häufchen von verschiedener Grösse. Die einzeln 
stehenden kommen hauptsächlich an der Bauchfläche und 
an den übrigen Körperstellen zwischen den Häufchen vor. 
Letztere finden sich vorzugsweise auf dem Rücken, hinter 
den Ohren, wo sie die von Müller beschriebenen glandu- 
lae auriculares bilden, und vorzüglich an den hintern Extre- 
mitäten. Hier liegt an jeder in der Haut über den m. pe- 
roneis lateralibus ein Haufen, der an Grösse oft weit die 
Ohrdrüse übertrifft. *) 

2) Stets liegen sie in der eigentlichen Bindegewebe- 
schicht, welche sie von allen Seiten, mit Ausnahme des in 
der Epidermis liegenden Theils des Ausführungsganges, um- 
giebt. Ihre Form ist im Allgemeinen rund, oder oval; die 
einzelnen Drüschen der Ohrdrüse zeigen, wie bekannt, oft 
a ihrem Grunde eine Art von Einkerbung. Jedes einzelne 
Drüschen hat einen besondern, kurzen Ausführungsgang, der 


*) Besonders bei Bufo Calamita, 


426 


sich stets zwischen den Elementarzellen der Epidermis 
öffnet. Die Präparation der Drüsensäckchen ist wegen der 
Festigkeit des sie umgebenden Bindegewebes, namentlich bei 
den aggregirten, bei welchen sich letzteres zwischen die Sei- 
tenwandungen der benachbarten Drüschen bis zur Pigment- 
schicht hineinschiebt, etwas schwierig. Man kann sich die- 
selbe bedeutend erleichtern, wenn man die Haut wenige Mi- 
nuten in heisses Wasser oder eine concentrirte Kochsalzlö- 
sung taucht, ‘wodurch das Bindegewebe an Zähigkeit ver- 
liert, "die Drüsenwandung etwas einschrumpft und sich da- 
durch etwas’vom umgebenden: Bindegewebe trennt; indess 
gelingt es auch nach einiger Uebung bald, die umgebenden 
Bindegswebsschichten ohne die angegebene Behandlung mit 
einer Staarnadel zu entfernen. 

3) Die von dem umgebenden Bindegewebe befreiten 
Drüsen sind nun zur Untersuchung ihrer Wandung geeignet. 
Die ‚mikroskopische Analyse weist darin nach: Bindege 
webe, glatte Muskelfasern, cerebrospinale Nerven- 
fasern und .auf der innern Fläche ein aus runden Zellen 
bestehendes Epithelium. Die Muskelfasern bilden nicht 
sehr dicke,sich theilende und ‚mit einander anastomosirende 
Fasern, ‚wodurch Bildungen enistehen, ‚die oft täusehende 
Aehnlichkeit: mit Zellen; ‚haben, , ‚Dass dieselben ‚nicht dem 
elastischen Gewebe angehören, ‚geht aus ihrer leichten, Lös- 
lichkeit inıKali hervor. Sympathische Nervenfasern 
habe ich mit Bestimmtheit nicht darin. finden können., ‚In 

dem.chemisch nicht; näher bestimmten flüssigen Inhalt, finden 
sich, kleine Körnchen in reichlicher Menge, 

u 4). Zu „den, ‚Drüsen „gehen, bedeutende, Arterienzweige 
und : ebenso. ‚führen, grosse, Venenzweige das, Blut, zurück. 
In den ‚mit, Bindegewebe ausgefüllten Interstitien, der Drüs- 
elfen.‚verlaufen die.‚letzten; kleinen ‚Gefässzweige, ‚welche; sich 
auf der. äussern;Drüsenyvandung in, Capillaren. auflösen;., Wie 
weit dieselben in die Wandung hineinreichen, ist nicht mit 
Bestimmtheit anzugeben. 


427 


5) Reizung des cerebrospinalen Nervensystems 
oder der Fasern desselben, oder der Drüsen selbst, 
bewirkt Entleerung des Sekrets, welche Thatsache 
sich durch die in den Drüsenwandungen aufgefundenen Ele- 
mente erklärt. Zur Demonstration ist besonders folgender 
Versuch zu empfehlen. Nach Decapitation der Kröte, Ent- 
fernung der Eingeweide und sorgfältigem Abwischen des be- 
reits entleerten Sekretes reise man mit dem Rotationsappä- 
rat den durchschnittenen und isolirten plexus ischiadicus, 
und nach wenigen Sekunden wird man die ganze hintere 
Extremität, namentlich aber die über den m. peroneis late- 
ralibus liegende Haut mit neuem Sekret überzogen finden. 
Durch einen besondern Versuch habe ich mich überzeugt, 
dass die die Entleerung des Sekrets vermittelnden Fasern in 
den vordern Wurzeln der Rückenmarksnerven liegen. Frei- 
lich ist es nicht gelungen, die Contraction der Drüsenwan- 
dung unmittelbar zu beobachten, wahrscheinlich beträgt sie 
aber auch nur ein, mit dem unbewaflneten Auge nicht be- 
obachtbares, Minimum. 

6) Ascherson hat (s. dieses Archiv, 1840, S. 15) die 
analogen Hautdrüsen der Frösche beschrieben. Obgleich er 
die Drüsenwandung als einfache, strukturlose Membrau be- 
schreibt, vermuthe ich, dass, wegen der an derselben beob- 
achteten Contraction, eine wiederholte, genauere Untersu- 
chung auch in ihnen Muskel- und Nervenfasern nachweisen 
wird. 

7) Wahrscheinlich stehen die Schweissdrüsen des Men- 
schen und der Säugethiere in einer ähnlichen Beziehung zum 
centralen Nervensystem. Es spricht für diese Vermuthung 
der beim Tode hervorbrechende Schweiss und pathologische 
Thatsachen. Ich hatte Gelegenheit, zwei hierher gehörige 
Fälle in der Klinik des Herrn Prof. Robert zu beobachten. 
Bei einem Mann, der durch einen Sturz eine Contusion des 
plexus brachialis erlitten hat, findet sich die Oberfläche der 
betreffenden Hand fortwährend in Schweiss; bei einem an- 


428 


dern, der an einer neuralgia n. supraorbitalis leidet, incli- 
nirt die betreffende Gesichtshälfte eben so leicht zu starker 
Schweissbildung. Uebrigens hat Kölliker an den kleinen 
Schweissdrüsen der vola manus die platten Muskelfasern 
bereits entdeckt (s. dessen Zeitschrift für wissenschaftliche 
Zoologie, Bd. 1.). 

8) Noch will ich erwähnen, dass die kleinen Zweige 
der Hautvenen bei Fröschen und Kröten sich sehr: leicht 
auf Reizung mit dem Rotationsapparat contrahiren, Schon 
durch eine mässig vergrössernde Loupe sieht man bei Ap- 
plication der Poldrähte an die Venenzweige das vorher still- 
stehende Blut in diesen fortströmen, 


Ein der Violdrüse gleicharliges Gebilde beim 
Wolfe. 


(Öfversigt af Kgl. Vet.-Ak.-Förhandlingar , 1848, S. 46.) 


In der Sitzung der Stockholmer Akademie der Wissenschaf- 
ten am 9. Februar 1848 führte Herr A. Retzius an, dass 
er kurz zuvor Gelegenheit, einen eben geschossenen Wolf 
zu untersuchen, gehabt, und dabei gefunden habe, dass ein 
der Violdrüse beim Fuchse entsprechendes Gebilde auch bei 
jener Thierart vorkomme, Auch auf dem . Schwanzrücken 
des Wolfes, aber weiter entfernt von der Schwanzwurzel, 
zeigt die Haarbekleidung auf der Oberfläche einen schwar- 
zen Fleck. Theilt man diese aus einander, so findet man 
die Haare ganz grob, steif und weiss, ausser dem Grunde 
von feinem grauem Wollhaare, welcher der übrigen Haar- 
bekleidung angehört. Ganz innen sieht man einen Fleck der 
Haut ohne Wolle und ganz kleine, zerstreute Oeffnungen 
von Hautdrüsen zeigend. Untersucht man die Haut von der 
Innenseite, so trıfft man jedoch keine compacte Drüsen- 
masse, wie beim Fuchse, an. Beim Wolfe liegen die Drü- 
sen dünn ausgesäet in der Lederhaut eingebettet, sind ge- 
spalten, mehrfleckig und sondern einen gelblichen Stoff ab, 
welcher keinen merklichen Geruch von sich verspüren liess, 
Hr. Retzius hat seitdem an mehreren im Museum. ausge- 
stopft stehenden Fuchsarten denselben schwarzen Fleck, 
dieselbe Haarbildung und dasselbe gelbe Secretum gefunden. 


m — 


Ueber 
den Aufenthalt lebender Amphibien im Menschen. 


Vom 


Prof. BERTHOLD in Göttingen. 


Beobachtungen , dass Amphibien ‚namentlich . Eidechsen, 
Schlangen, Frösche, Kröten, Salamänder ‘und Tritonen im 
menschlichen Körper sich befunden, und in demselben eine 
grosse Anzahl von oft sehr langen Leiden 'und Qualen ver- 
ursacht haben sollen, gehören in der naturhistorischen und 
medicinischen Literatur nicht- zu den Seltenheiten. ‘Solche 
Geschöpfe seien dann endlich ‘ausgebrochen oder mit dem 
Stuhlgange ausgeleert, oder man’ habe sie bei Seetionen: im 
Körper selbst angetroffen. * Wenn auch viele solcher Fälle 
nur auf Hörensagen von den Äerzten nacherzählt wurden, 
so tragen ‘doch andere das Gepräge genauester eigener Be- 
obachtung an sich, und manche wurden sogar Gegenstand 
gerichtlicher Untersuchung meist'mit dem Resultat, dass in 
dem vorliegenden Falle keine Täuschung irgend einer Art 
obzuwalten scheine. Aber auch solche zur grössten Wahr- 
scheinlichkeit erhobene Beobachtungen erwiesen sich später 
nicht selten als Irrthum, Täuschung‘ oder Betrug. Verfolgt 
man die Geschichte dieses Gegenstandes bis in die entlegen- 
sten Jahrhunderte, so ergiebt sich die bemerkenswerthe That- - 
sache, dass die Griechen, Römer und Araber, sowie die 


431 


Latino-Barbari zwar davon sprechen, uns aber nur wenige 
derartige Beobachtungen hinterlassen haben; desto zahlrei- 
cher sind die-Beobachtungen aus den letzten drei Jahrhun- 
derten; in unsern Zeiten sind sie aber wieder seltener 'ge- 
worden. Dem Aberglauben, der Sucht zum Wunderbaren, 
dem Mangel an gehöriger Beobachtung, der Verwechselung 
der Amphibien, namentlich der Schlangen mit Würmern, 
und dem absichtlichen Betruge verdanken viele Geschichten 
der Art ihren Ursprung. — Es kann allerdings Fälle geben, 
dass durch absichtliches Verschlucken, oder. auch zufällig; 
Amphibien durch den Mund in den Magen des Menschen 
gelangen. Wenn sich solches ereignet hat, so können die 
Thiere entweder bald und noch lebendig, oder später und 
bereits todt wieder ausgebrochen werden. Erfolgt aber kein 
Erbrechen, so können früher oder später todte Amphibien 
oder deren Theile, als Köpfe, Füsse, Knochen, Epidermis- 
theile u. dgl. mit dem Stuhlgange ausgeleert werden. Auch 
ist es möglich, dass solche Amphibien so gänzlich verdauet 
werden, dass gar keine erkennbare Theile derselben wieder 
zum Vorschein kommen. - Alle die zahlreichen Fälle hinge- 
gen, dass Ampbibien im menschlichen Körper aus verschluck- 
ten Eiern entstanden seien, oder dass sie in demselben lange 
Zeit ihr Leben fortgesetzt hätten, widerstreiten der Natur- 
geschichte dieser Thiere gänzlich. Schon eine gründliche 
vergleichende Anatomie würde in den meisten Fällen durch 
Sectionen haben Aufschluss ertheilen können, ob vermeint- 
lich abgegangene Amphibien im menschlichen Körper lange 
sich aufgehalten haben oder nicht. Denn alle Amphibien, 
in deren Magen oder Darmkanal man das gewöhnliche Am- 
phibienfutter antrifft, haben sicher ihren Aufenthalt nicht 
dauernd im menschlichen Körper gehabt. Wenn jedoch ein 
solches Fulter nicht angetroffen wird, so ist das noch kein 
Beweis dafür, dass das Thier im Menschen gelebt habe, in- 
dem es sich mitunter auch trifft, dass in der freien Natur 
gefangene Frösche, Kröten. Salamander ete. in ihrem Magen 


432 


und Darm nur etwas Schleim, Galle und Koththeile enthal- 
ten. Aeltere sowohl als neuere Aerzte haben zum Theil ge- 
naue Sectionen von Amphibien vorgenommen, welche von 
Menschen abgegangen sein sollten; aber sie haben nur sel- 
ten aus der Beschaffenheit des Magen- und Darminhalts einen 
richtigen Schluss auf den bisherigen Aufenthalt der Thiere 
gemacht. Fast alle bis jetzt gemachten Sectionen lieferten 
den Beweis, dass die Thiere sich nicht im menschlichen 
Körper befunden hatten. Die folgenden Seetionen angeblich 
ausgebrochner, in: dem hiesigen akademischen zoologischen 
Museum aufbewahrten Amphibien habe ich zur Aufklärung 
des Gegenstandes selbst angestellt. 

1) „Ein zweijähriger Triton taeniatus, angeblich am. 2. 
Juni 1843 von der 15jährigen L. in Göttingen ausgebrochen.‘ 
Der Magen enthielt 3 Ascarides leptocephali, der Darmka- 
nal einige dunkle Massen, worin mittelst des Mikroskops 
zahlreiche Closterium acus und einige Charen, aber keine 
Insektenreste sich vorfanden. Wegen des Magen- und Darm- 
inhalts wäre es möglich gewesen, dass das Thier eine kurze 
Zeit in dem Magen des Menschen zugebracht hätte; es stellte 
sich jedoch anderweitig heraus, dass solches nicht der Fall 
gewesen war. 

2) „Ein zweijähriger’ Triton igneus, von einer 20jähri- 
gen Bauersfrau zu Bücken im Hoga’schen nach einvierteljäh- 
rigen Leibschmerzen ausgebrochen. Vom Herrn Hofmedikus 
Taberger in Hannover.“ Der Magen dieses Thiers war 
leer, der Darm enthielt dunkle Massen, in denen viel Sand, 
einige Pilanzenfragmente und Insekten-Flügel und Füsse sich 
zu erkennen gaben. Aus dieser Section geht hervor, dass 
das Thier unmöglich längere Zeit in der Bauersfrau enthal- 
ten gewesen sein und die vierteljährigen Leibschmerzen ver- 
anlasst haben konnte. 

3) „Ein Paar von den 45 Wassermolchen, die ein Schu- 
sterjunge zu Clausthal im Herbst 1811 nach und nach (le-. 
bendig) ausgebrochen, vom Herrn Bergmedikus Mehlis.“ 


433 


Bei diesen beiden einjährigen Exemplaren von Triton taenia- 
tus enthielt der Magen und Darmkanal zahlreiche Reste von 
Cypris und Daphnia, der Darmkanal aber ausserdem noch 
Füsse und Leibfragmente von kleinen Insekten, und der des 
einen Individuums ein ganzes Abdomen von Haliplus im- 
pressus. Auch diese Thiere konnten also keinesweges lange 
in dem Leibe des Schusterjungen sich befunden haben. 

4) „Zwei Ranae eseulentae von einem 27jährigen Mäd- 
chen in Clausthal am Harze den 12. Sept. 1833 ausgebro- 
chen.‘ Diese Frösche, von. etwas verschiedener Grösse, 
sind 2jährige Weibchen. Der eine hatte einen mit Flüssig- 
keiten angefüllten Magen, welcher keine Spur von Insekten, 
aber wohl einige Bacillarienfragmente und sehr schöne Vau- 
cherien enthielt; der Dünndarm war leer, aber im Dickdarm 
fand sich Koth, der zahlreiche Closteriumfragmente enthielt. 
Der grössere hatte einen Mageninhalt von derselben Beschaf- 
fenheit, der Darm enthielt aber zahlreiche Dipternflügelfrag- 
mente, Tarsenglieder und Wasserlinsenstengel. Demnach 
können auch diese Frösche dauernd nicht im Magen der 
Person zugebracht haben. 

Wenn nun anch die Sectionen wohl im Stande sind, 
im einzelnen Falle einen Betrug aufzudecken, so sind sie 
doch nicht ausreichend, überhaupt die Frage zu lösen, ob 
es denn wirklich möglich sei, dass Amphibien im mensch- 
lichen Körper längere Zeit ihr Leben fortsetzen und zu den 
langwierigen Qualen und Leiden Veranlassung geben kön- 
nen, die als Begleiter und Vorläufer des Abganges von Am- 
phibien durch Erbrechen und mit dem Stuhlgange ausgeführt 
werden? Zur Entscheidung dieser Frage habe ich einen  an- 
dern Weg eingeschlagen. Es giebt nämlich ein Agens von 
eonstantem bestimmten Werlhie im lebenden menschlichen 
Körper, welches für diesen ebenso vortheilhaft und noth- 
wendig, als für die meisten kaltblütigen Thiere verderblich 
ist, nämlich eine Temperatur von etwa 29° R, die allen 
dauernd im Menschen enthaltenen Gegenständen sich mit- 

NHüllers Archiv. 1410. 28 


434 


theilt. Demnach muss auch jedes kaltblütige Thier, welches 
dauernd im menschlichen Körper sich aufhalten kann, im 
Stande sein, im Nassen die Temperatur desselben dauernd 
zu ertragen. Solches vermögen aber unsere Amphibien nicht. 
Dagegen können sie in der atmosphärischen Luft, auch wenn 
dieselbe mit Wasserdämpfen geschwängert ist, einer vıel be- 
deutenderen Temperatur widerstehen, und zwar weil sie in 
dem Falle durch Ausdünstung ihre eigene innere Temperatur 
niederer erhalten. Es liegen Versuche von Spallanzani 
(Opusecoli di fisica animale e vegetabile, Vol. I, p. 45) über 
das Vermögen der Frösche und Tritonen, einer höhern nas- 
sen Temperatur widerstehen zu können, vor, wonach diese 
Thiere starben, wenn sie im Wasser bis zu 35° R. erhitzt 
wurden. Indess haben diese Versuche keinen entscheiden- 
den Werth, weil die Temperaturerhöhung zu rasch geschah 
und die Thiere auf kurze Zeit eine noch höhere äussere nasse 
Hitze ertragen können. Bei meinen frühern Versuchen über 
die Temperatur der kaltblütigen Thiere (Göttingen 1825, S. 
25. 30.) halte ich im 12ten Versuch beobachtet, dass ein 
Frosch, welcher im Wasser von 3 bis 38° R. erwärmt wurde, 
am Ende des Versuchs todt war; schon lange vorher war 
er aber asphyktisch. Im 15ten Versuche starb ein Frosch 
schon, als die Temperatur sehr langsam bis zu 25° gestie- 
gen war. Solche Wärmeversuche habe ich nun bei unsern 
inländischen Amphibien weiter verfolgt. Dieselben wurden 
in der Art angestellt, dass ich diese Thiere in ein Glas mit 
Wasser setzte, welches in ein anderes Glas mit Wasser ge- 
stellt wurde. Das Wasser dieses äussern Glases wurde all- 
mählig erhitzt, und aus ihm theilte sich die Wärme dem 
Wasser des innern Glases, worin die Thiere nebst dem Ther- 
mometer enthalten waren, mit. 

Versuch 1. Froschlaich wurde 8 Stunden hindurch 
einer Temperatur von 29° R. ausgesetzt; als derselbe als- 
dann unter solche Bedingungen gebracht wurde, welche übri- - 


435 


gens dessen Entwickelung günstig sind, trat doch schon am 
dritten Tage Fäulniss ein. 

Versuch 2. Laich von Triton eristatus gab dasselbe 
Resultat. 

Versuch 3. Frosch- und Krötenlarven bewegten sich 
bei 14% ganz gehörig; als aber dıe Temperatur ganz allmäh- 
lig bis zu 22° erhöhet wurde, wurden die Bewegungen an- 
fangs lebhafter, nach einer halben Stunde aber langsamer, 
und es traten Zuckungen ein. Bei 26° hörten alle Bewe- 
gungen auf, die Thiere waren asphyktisch; solche jedoch, 
welche eine halbe Stunde lang dieser Temperatur ausgesetzt 
gewesen waren, lebten später nicht wieder auf. 

Versuch 4. Eine Lacerta vivipara und eine Lacerta 
agilis wurden in Wasser von 14° gesetzt; dieselben mach- 
ten grosse Anstrengung, um dem ihnen fremden Elemente 
zu enikommen. Bei allmähliger Erhöhung der Temperatur 
nahmen ihre Bestrebungen an Schnelligkeit und Stärke zu; 
bei 26° wurden sie jedoch matt, und als sie 12 Stunden 
einer Hitze von 29° ausgesetzt gewesen, waren sie bereits 
gestorben. 

Versuch 5. Zwei Blindschleichen wurden in Wasser 
von 20° gesetzt; die sonst so trägen Thiere beweglen sich 
lebhafter, wurden aber bei allmähliger Erhöhung der Tem- 
peratur ganz matt und waren, nachdem sie eine Stunde der 
Hitze von 29° ausgesetzt gewesen, todt. 

Versuch 6. Zwei einjährige und zwei zweijährige 
Ranae esculentae wurden eine Stunde hindurch allmählig 
von &° bis zu 26” erhitzt; die Thiere bewegten sich in dem 
Glase ziemlich stark, und mit zunehmender Erhitzung stieg 
ihre Unruhe. Als sie 6 Minuten in der Temparatur von 27° 
zugebracht hatten, liessen die Bewegungen nach und nur 
ganz schwache Zuckungen der Extremitäten wurden noch 
ausgeführt; alsdann sperrten die Thiere das Maul auf und 
liessen die Zunge hervortreten. Nach 8 Minuten war voll- 


kommene Asphyxie eingetreten und die aus dem Wasser her- 
23% 


436 


ausgenommenen Thiere verhielten sich ganz so, als wenn 
sie mittelst Schwefeläthers oder Chloroforms asphyktisch 
gemacht worden wären. Der Kreislauf in der Schwimm- 
haut hatte aufgehört und das Blut stagnirte in den Venen. 
Zwei Frösche wurden wieder in das Wasser von 28° ge- 
legt und blieben darin eine halbe Stunde, sie kamen spä- 
ter nicht wieder zu sich; die zwei andern aber blieben 
an. der freien Luft liegen und ihre Asphyxie war eine vor- 
übergehende. Das Blut fing ganz langsam wieder an, sich 
zu bewegen und nach zwei Stunden hatten die Thiere ihre 
vorige Energie wieder erlangt. 

Versuch 7. Zwei erwachsene Ranae eseulentae wur- 
den im Wasser von 10° R. gesetzt und die Temperatur all- 
mählig erhöhet. Bei 20° machten sie sehr lebhafte Anstren- 
gungen, um aus dem Gefässe zu entkommen; sie waren bald 
auf dem Grunde, bald an der Oberfläche des Wassers. Bei 
26° wurden sie matt, hatten nur wenig Kraft in den Hin- 
terbeinen , unı sich emporzuheben; nachdem sie 5 Minuten 
in dieser Temperatur zugebracht hatten, waren sie allmäh- 
lig ganz asphyktisch geworden. Nun wurde die Temperatur 
bis auf 28° 'erhöhet, und die Thiere, nachdem sie darin eine 
Stunde sich befunden hatten, herausgenommen. Sie lebten 
nicht wieder auf. 

Versuch 8. Sechs Ranae temporariae und eine Hyla 
arborea in ähnlicher Weise wie in den Versuchen 6 und 7 
behandelt, lieferten dasselbe Resultat. 

Versuch 9. Ein einjähriger und ein ausgewachsener 
Bufo viridis wurden in Wasser von 14° R. gesetzt und das 
Wasser binnen eiuer Stunde allmählig bis auf 28° erhitzt. 
Die Thiere bewegten sich bei 22° ähnlich lebhaft, wie die 
Frösche, und waren bei 27° asphyktisch; nachdem sie drei 
Viertelstunden in einer Wärme von 29% zugebracht hatten, 
lebten sie späterhin nicht wieder auf. 

Versuch 10. Eben so verhielten sich zwei Feuerkrö-- 
ten und zwei gemeine Kröten. 


437 


Versuch 11. Eine Salamandra maculata wurde in 
Wasser von 12° gelegt, und binnen drei Viertelstunden all- 
mählig bis zu 28° erhitzt. Dieses sonst so träge Thier 
wurde bei 24° ziemlich lebhaft, richtete sich ängstlich im 
Glase empor und gab viel Hautdrüsensecret von sich. Nach 
10 Minuten wurde es aber sehr matt und bei 28° vollkom- 
men asphyktisch. Nachdem es eine halbe Stunde in einer 
Temperatur von 29° zugebracht hatte, wurde es aus dem 
Wasser herausgenommen, lebte aber nicht wieder auf. 

Versuch 12. Der angeblich ausgebrochene Triton tae- 
niatus, dessen Section bereits sub No. 1 mitgetheilt ist und 
der sich bis dahin im Wasser von 12° befunden hatte, wurde 
mit diesem Wasser allmählig bis auf 28° erhitzt. Anfangs 
nahm die Lebhaftigkeit seiner Bewegung zu, bei 20° wurde 
er schon matt, bei 24° fiel er auf die Seite, streckte alle 
Extremitäten starr aus und wurde asphyktisch; nachdem er 
5 Minuten in der Temperatur von 28° sich befunden hatte, 
war er vollkommen todt. Wäre dieses Thier wirklich aus- 
gebrochen und hätte es sich zuvor in dem Magen in einer 
Temperatur von mindestens 29° befunden, so hätte es auch 
die vorgenommene Erhitzung ohne Nachtheil ertragen müssen. 

Versuch 13. Zwei zweijährige Kamm-, Feuer- und 
Flecken-Tritonen wurden von 10° an allmählig erhitzt. Die 
Thiere schwammen lebhaft in dem Wasser umher und die 
Lebhaftigkeit nahm mit der Steigerung der Temperatur zu. 
Bei 19° wurden sie matter und bei 25° konnten sie nicht 
mehr die Richtung mit dem Leibe nach unten behaupten 
und wendeten sich auf die Seite und offenbarten bald eine 
vollkommene Asphyxie. Nachdem sie eine Viertelstunde 
einer Temperatur von 27° ausgesetzt gewesen waren, wurde 
das Wasser allmählig wieder abgekühlt, aber die Thiere er- 
holten sich aus dem asphyktischen Zustande nicht wieder, 
sondern blieben todt. 

Versuch 14. Ein Wasser- und ein Landfrosch wur- 
den plötzlich in Wasser von 28° R. gesetzt,und das Was- 


438 


ser in dieser Temperatur erhalten. Die Thiere waren sehr 
unruhig, wurden aber schon binnen einer halben Stunde 
asphyktisch und waren binnen fernern 25 Minuten gestorben. 

Versuch 15. Zwei Kammtritonen wurden eben so be- 
handelt; auch sie bewegten sich sehr lebhaft, waren aber 
schon nach 21 Minuten asphyktisch und lebten nicht wie- 
der auf, nachdem sie überhaupt 45 Minuten in dieser Tem- 
peratur zugebracht hatten. ve 

Aus diesen Versuchen ergeben sich nun folgende Resultate: 

1). Alle Beobachtungen, dass lebende Amphibien längere 
Zeit im Körper des Menschen sich befunden und in demsel- 
ben als lebende Geschöpfe längere Krankheit veranlasst ha- 
ben sollten, sind falsch. 

2) Verschluckte Eier der Amphibien verlieren im Magen 
sehr bald ihre Entwickelungsfähigkeit. 

3) Es ist aber möglich; dass Amphibien durch absicht- 
liches oder zufälliges Verschlucken in den Magen des Men- 
schen gelangen. 

4) Solche Thiere können, wenn bald nach dem Ver- 
echlucken Erbrechen erfolgt, entweder lebendig oder asphyk- 
tisch wieder ausgeleert werden. 

5) Erfolgt ein solches Erbrechen nicht bald nach dem 
Verschlucken, sondern erst später, so sind die ausgebroche- 
nen Thiere todt. Erfolgt aber kein Erbrechen, so werden 
dieselben mehr oder weniger ‚verdauet, ganz oder theilvwreise, 
oder ihre Knochen- und Epidermistheile durch Exeretio alvi 
ausgeleert, oder man findet überhaupt keine Reste derselben 
in den Excrementen. 

6) Das einzige und wahre Hinderniss, weshalb die Am- 
phibien im Körper des Menschen dauernd nicht leben kön- 
nen, ist die nasse Wärme von mindestens 29° R., welcher 
keine Art der oben genannten Amphibien 2—4 Stunden hin- 
durch zu widerstehen vermag. 


——— u 


Beobachtungen über einige niedere Thiere; *) 


Von 
Dr. Wıru. Buscn. 


Briefliche Mittheilung an den Herausgeber. 


Malaga den 1. December 1849. 
Ihren Brief vom 15. October habe ich erst jetzt erhalten, 
da ich erst kürzlich hier angekommen bin, wo er mich er- 
wartete. Sehr erfreut war ich über die Nachricht von der 
Ausbeute Ihrer letzten Reise und recht interessant war für 
mich der Berührungspunkt der Holothurien und Crinoiden 
in den reifenartigen Binden um den Leib. Nachdem die junge 
Larve der Comatula eine Zeitlang in der Form herumge- 
schwommen ist, wie Sie sie aus meiner letzten Mittheilung 
kennen, bildet sich während dieser Zeit die Hautstruktur 
über den ganzen Körper aus, ohngefähr wie die Figur zeigt.**) 
Sodann hebt sich die äussere Haut von dem Kerne des Thie- 
res allmählig immer mehr ab, so dass an den Stellen, wo 
die Reifen liegen, starke Einschnürungen entstehen; am stärk- 
sten ist diese Einschnürung an dem hintersten oder letzten 
Ringe. Bis hierher gingen die Beobachtungen an der jun- 
gen Brut, welche aber von da ab mit aller Sorgfalt nicht 
mehr am Leben zu erhalten war. Vom Grunde des Meeres 
wurde aber zweimal ein Thierchen heraufgeholt, welches 
unzweifelhaft die weitere Entwickelung darstellte. An dem 


*) Fortsetzung des im Archiv $. 400 abgedruckten Berichtes. 
**) Die Figur stellt ein Netz von Doppelcontouren dar, Kalknetz? 


440 


einen stand noch der vorderste Wimperreif, die anderen 
Taren verschwunden; Gestalt und Hantstruktur dieselbe. 
Das Thierchen kriecht mittelst kleiner Füsschen, die von 
der Bauchseite von der Gegend der grössern Oeffnung aus- 
gehen, umher. An dem andern war auch der letzte Wim- 
perreif verschwunden und in dem äussersten Körpertheile, 
wo die Einschnürung so stark gewesen, tritt schon die Bil- 
dung der Kralle auf, welche bei den Comatulen am Ende 
eines jeden Armes sitzt, ferner zwei dieser Krallen neben 
einander vereinigt am Kopfende an der Bauchseite.. Die 
letzte Beobachtung macht wieder einen Sprung weiter: ein 
Tbierchen vom Grunde des Meers, fünfarmig wie ein See- 
stern, am Ende eines jeden Armes zwei der Krallen, zwi- 
schen welchen schon. die Scheidung eingetrelen ist, die sich 
dann central fortpflanuzen muss, um die zehnarmigen Thier- 
chen hervorzubringen; im Centrum eine Oeffnung, umgeben 
von einem fünfseitigen Stern; Hautstruktur. dieselbe. Wie 
diese regelmässige sternförmige Figur aus ‚der bisherigen 
länglichen entsteht, konnte ich trotz aller Mühe nicht aus- 
machen; dass aber ‚keine bedeutende Uebergangsform dazwi- 
schen liegt, scheint mir daraus hervorzugehen, dass in dem 
vorletzten Thierchen schon die Krallenbildung an den bei- 
den entgegengesetzten Enden anfing. Wie die drei anderen 
Doppelkrallen und Arme sich bilden, in welcher Beziehung 
dazu die grosse Bauchöffnung, deren Umgebung zuletzt ganz 
dunkel ist, steht, ist mir völlig räthselhaft. Der Thomp- 
son’sche Pentacrinus europaeus, den ich übrigens ‚selbst 
nicht. habe beobachten können, muss sich aus dem letzten 
Thierchen, welches: ich Ihnen hoffentlich in natura zeigen 
kann, entwickeln. f 

Mein Aufenthalt [auf den Orkneys,; war auch in anderer 
Beziehung nicht ganz unfruchtbar. So habe ich eine Poly- 
penentwickelung, die für mich sehr interessant war, beob- 
achtet. ‘Aus fast kugelrunden, über den ganzen Körper wim- 
pernden, mit Nesselorganen versehenen, frei schwimmenden 


441 


Thierchen entwickelten sich längliche Wesen, ähnlich wie 
die von Ehrenberg abgebildete Brut der Medusa aurita. 
Das jetzt folgende mag vielleicht schon bekannt sein, dass 
nämlich diese Thierchen 4 Fortsätze treiben, so dass sie 
sternförmig werden, dass dann 4 neue zwischen den alten 
sich bilden, so dass das Thierchen als achtarmiger zierlicher 
Stern herumwimpert, dass dann auf der Bauchseite eine 
Mundöffnung auftritt, die sich bald zu einem rüsselförmigen 
Organe auszieht, dass dann der ganze Stern sich um dieses 
Magenrohr zusammenklappt und nun medusenartig herum- 
wimpert, dass endlich an der dem Munde entgegengesetzien 
Seite ein Stiel hervortritt, mit welchem er sich als acht- 
armiger, noch immer wimpernder und nesselnder Polyp 
festsetzt. Unbekannt, glaube ich, ist aber die unendliche 
Fortpflanzung, welche das Thierchen während dieser Meta- 
morphose durch Knospung hat. An dem Munde des Sterns 
treiben nämlich rundliche Gemmen, die sich länglich auszie- 
ben, dann abschnüren und nun frei herumschwimmen, um 
denselben Process mit derselben Fortpflanzung zu durchlau- 
fen. Oft hängen an dem Mundrande eines Sternes 4 Knos- 
pen in verschiedenen Phasen der Entwickelung. Selbst 
aber schon vorher kann das längliche Thierchen schon aus 
seiner Substanz Knospen treiben, die wieder Sterne werden 
und wieder knospen. Das Ganze ist zu weitläufig, als dass 
ich es schon hier genauer beschreiben könnte. 

Ausser einem andern unbedeutendern neuen Thiere be- 
obachtete ich noch eine Sagitta, die so viel Unterschiede 
von der bisher bekannten bietet, dass sie wahrscheinlich 
zu einer andern Gattung werden wird. Bei meinem emsi- 
gen Suchen nach jungen Comatulen wurden diese zierlichen, 
auf dem Grunde lebenden Thierchen hervorgezogen. Sie 
sind durchgängig kleiner, als die von Wilms beschriebene 
Species und der Körper ist so getheilt, dass der After und 
die Ausführungsgänge der Eierstöcke schon in der Mitte der 
Länge des Körpers münden, wodurch dem lloden natürlich 


442 


ein viel grösserer Raum angewiesen wird. Auf der Haut 
sitzen an einzelnen Stellen, besonders häufig an der hintern 
Hälfte des Körpers, blattförmige, rosettenartig angeordnete 
Organe, mit welchen die Thierchen sich anheften können. 
Gemeiniglich sitzen sie am Grunde des Glases mit dem Hin- 
terleibe fest und vom After an ragt der vordere Körper frei 
ins Wasser. Gleich hinter den 8 grossen Haken} befindet 
sich an jeder Seite des Kopfes ein einrollbarer kleiner Ten- 
takel; vom Kopfe aus geht eine Flosse breit herüber an den 
Körper und gleich hinter dem Kopfe liegt auf dem Rücken 
wie ein Sattel eine grosse wimpernde Platte. Das Auge 
hat eine äusserst merkwürdige ganz andere Struktur. Die 
Stacheln an der Seite sind nicht einfach, sondern bestehen 
aus mehreren Haaren und stehen in vier statt zwei Reihen. 
Einige sind lebhaft roth und schwarz gefleckt wie eine Fo- 
relle. 


Zur Kontroverse über den Primordialschädel. 


Von 


K. B. ReıcHert in Dorpat. 


Jacobson gelangte durch seine Beobachtungen an sechs- 
bis achtzölligen Rindsfötus zu der Ansicht, dass die Schädel- 
kapsel der Saüger ursprünglich aus überall gleichmässigem 
Knorpel bestehe, der mit der knorpligen Gesichtsbasis (Na- 
senscheidewand) und dem Geruchlabyrinthe einen kontinuir- 
lichen Zusammenhang habe und den sogenannten Primordial- 
schädel darstelle; dass aber bei der Verknöcherung nur das 
Os oceip., der Körper des Keilbeins und das Siebbein aus 
ihm hervorgehe, während die übrigen Knochen der Schädel- 
kapsel, desgleichen die Nasenbeine aus einer membranösen, 
ausserhalb des Primordialschädels entstehenden Grundlage, . 
unter Verkümmerung des darunter liegenden Knorpels, ge- 
bildet würden. Die zuletzt genannten Knochen verhalten 
sich demnach eine Zeitlang als Belegknochen zu den respek- 
tiven Knorpelpartien des Primordialschädels. 

Diese Angaben hatten für den Naturforscher ein zwie- 
faches Interesse, ein histologisches und, wenn ich so 
sagen soll, ein organologisches. Nach Jacobson sollte 
der grösste Theil des Schädels ohne Vorbildung eines hya- 
linartigen Knorpels aus einer histologisch nicht weiter be- 
stimmten „häutigen‘“ Grundlage durch Verknöcherung ent- 
stehen. Es war ein aller Satz, dass einem jeden Knochen 


444 


byalinartige Knorpelbildung voraufgehe. Die Schädeldeck- 
knochen hatten in dieser Beziehung schon öfters Zweifel 
erregt. Beclard, Hawship, E. H. Weber hatten sich 
dahin entschieden, dass die bezeichneten Schädelknochen 
ohne voraufgegangene Knorpelbildung ossifieiren; Miescher 
dagegen (de inflammatione ossium etc. p. 20.) sah jedesmal 
die Knorpelsubstanz in der Umgrenzung des sich bildenden 
Knochens, obgleich er sie nicht deutlich in die Fontanellen 
hinein verfolgen konnte. Neuere Forscher, die sich mit der 
Entwiekelung des Kopfes beschäftigt haben, wurden gleich- 
falls zu dem Ausspruche gedrängt, dass die Grundlage meh- 
rerer Knochen des Kopfes (Scheitelbeine, Stirnbeine, Vo- 
mer, Gaumenbeine, Flügelbeine, Oberkiefer, Jochbein, Unter- 
kiefer ete.) nicht 'hyalinartig-knorplig, sondern: häutig, häu- 
tig-knorplig seien. Duges, Rathke und ich selbst haben 
darauf hingewiesen. Solche Thatsachen, die noch durch die 
verknöchernden Sehnen der Extremitäten -Muskeln hühner- 
artiger Vögel,’ durch manche pathologische Erscheinung 
vermehrt werden, führten zu der Ansicht, dass auch andere 
Substanzen, 'als der hyalinartige Knorpel, der Verknöcherung 
unterliegen, und dass diese Substanzen, bei der: Ueberein- 
stimmung in der Knochenstruktur mit den anderen Knochen, 
eine wesentlich übereinstimmende Beschaffenheit mit dem 
hyalinartigen Knorpel haben mussten. Durch meinen Nach- 
weis, dass der Knorpel mit dem Faserknorpel, Sehnen- und 
Bindegewebe histologisch verwandt seien, war histologischer- 
seits das Auffallende in obigen ‘Beobachtungen beseitigt. 
Dennoch durfte das histologische Moment hier nicht ganz 
übergangen werden, da dasselbe bei der Auffassung des 
Primordialschädels theils im berechtigten, theils aber auch 
im nichtberechtigten Sinne von entscheidendem Einfluss ge- 
wesen ist. 

Von grösserer Wichtigkeit ist die organologische Frage, 
bei: welcher zwar das histologische Moment auch mitspricht 
und mitsprechen muss, die aber ihre eigenen Beziehungen 


445 


hat. Setzen wir vorläufig voraus, dass die Beobachtungen 
Jacobson’s richtig seien, so folgt aus ihnen, dass die Kno- 
chen des Kopfes der Säugethiere, insbesondere auch die der 
Schädelkapsel aus zwei ganz verschiedenen skeletbildenden 
Schichten hervorgehen. Die eine von diesen tritt zuerst 
auf und entsprieht der skeletbildenden Sehieht für die Wir- 
bel am Rumpfe; sie bildet den Primordialschädel. Die an- 
dere Schicht entsteht später; sie befindet sich, wo sie vor- 
handen ist, ausserhalb von der ersteren, und ihre Knochen 
zeigen sich zu einer gewissen Zeit als Belegknochen des ent- 
sprechenden Primordialschädel- Abschnitts. Jacobson hat 
sich nicht näher darüber ausgelassen, wie diese äussere ske- 
letbildende Schicht vergleichend-anatomisch zu deuten sei; 
aus seinen Mittheilungen geht aber hervor, dass er sie als 
dem Wirbelsystem und nicht dem Haulsystem zugehörig 
betrachtet habe. Nun war es zwar bekannt und zum Theil 
erklärlich, dass die Knochen des Obergesichtes in Bildungs- 
fortsätzen des Wirbelsystems entstehen, die in anderen, Ge- 
genden desselben grösstentheils keine Analogien darbieten; 
auch habe ich keinen, Anstand genommen, in den Belegkno- 
chen der knorpligen Visceralknochen des Kopfes Analogieen 
mit den Gürtelknochen der Extremitäten zu finden; dagegen 
ist die Auffassung von zwei verschiedenen skeletbildenden 
Schiehten des Wirbelsystems für die Knochen der Schädel- 
kapsel der Saüger nicht allein neu, sondern auch ohne Ana- 
logie, und dürfte die bisherige vergleichende Anatomie des 
Schädels wesentlich modifieiren. 

Jacobson’s Beobachtungen sind im Allgemeinen von 
den vergleichenden Anatomen beifällig aufgenommen. Man 
war schon seit Ratlıke’s Untersuchungen über die Entwicke- 
lung des Schädels der Wirbelthiere darauf vorbereitet, in 
den Knochen der Schädelkapsel verschiedene Elemente des 
Wirbelsystems zu sehen ; daher ging man über die Schwie- 
rigkeiten hinweg und blieb bei der als richtig angesehenen 
Thatsache stehen, dass ein Theil der Knochen des Schädels, 


446 


namentlich auch die an der Schädeldecke, bei Saügern wäh- 
rend des fötalen Zustandes eine knorplige Unterlage (Primor- 
dialknorpel) besitze. Hierzu kam, dass man sich an ähn- 
liche bekannte Erscheinungen des ausgebildeten Schädels der 
Fische und selbst der nackten Amphibien erinnerte, und die 
durch meine Deutung der Schädeldeckknochen etc. des Hech- 
tes zweifelhaft gewordene Uebereinstimmung der Schädel- 
knochen aller Wirbelthiere wiederhergestellt und gesichert 
fand. Doch darf nicht unerwähnt bleiben, dass Stannius, 
der über das Vorkommen von knorpligen Grundlagen mit Beleg- 
knochen die ausführlichsten Beobachtungen, namentlich auch 
in Betreff des Kopfes der Reptilien, in seinem Handbuche der 
vergleichenden Anatomie mitgetheilt hat, keineswegs alle Be- 
legknochen unter eine Kategorie bringt, sondern bei den Fi- 
schen die Schleimröhrenknochen (Nasenbeine, ossa infraor- 
bitalia) von den Deckknochen des Primordialknorpels an der 
Schädeldecke unterscheidet, auch bei den Reptilien (Sein- 
cus etc.) die Schädeldeckknochen als zum Theil dem Haut- 
system zugehörig betrachtet. Was mich betrifft, so habe 
ich nach meinen Erfahrungen weder die Auffassung Rath- 
ke’s von der Schädeibildung theilen können, noch auch meine 
Zweifel über die Darstellung des Jacobson’schen Primor- 
dialschädels zu beseitigen vermocht. Ausserdem war die 
Beschreibung der skeletbildenden Schicht, aus welcher bei 
Saügern die Seitenwände und Decke der Schädelkapsel zum 
grössten Theile hervorgehen sollte, zu unbestimmt und un- 
sicher, als dass man ohne Weiteres eine Anwendung auf 
den Hechtkopf machen durfte, zumal die Thatsache, dass 
Schädeldeckknochen bei Fischen (Stör, Callichthys eto.) nach 
allseitiger Annahme dem Hautsystem angehörten. Dieses 
Alles bewog mich, den Herrn Dr. A. Bidder zu einer er- 
neuten Untersuchung der Bildung der Schädelkapsel unter 
meiner Beihülfe aufzufordern, deren Resultate in der Inaugu- 
“ ral-Dissertation ‚„de cranii conformatione, ratione imprimis 
habita Jacobsonii de cranio primordiali sententiae. Dorp. 


447 


1847,“ niedergelegt sind. Einige Monate früher war eine 
ähnliche Arbeit mit Unterstützung Kölliker's von Dr. 
Spöndli veröffentlicht in seiner Inaugural - Dissertation 
„Ueber den Primordialschädel des Menschen und der Säuge- 
thiere“, von der Bidder uud ich erst später Kenntniss 
erhielten. Beide Arbeiten führten zu sehr verschiedenen 
Endresultaten, indem die erstere gegen, die zweite für die 
Auffassung des Primordialschädels auftrat. Es konnte daher 
nur sehr erwünscht sein, dass Kölliker in seiner Abhand- 
lung „Allgemeine Bemerkungen über die Entstehung des 
Schädels der Wirbelthiere‘“ (Bericht von der Königl. zoolo- 
gischen Anstalt zu Würzburg. Leipz. 1849.) die Sache noch 
einmal zur Sprache brachte. Er hat sich darin genöthigt 
gesehen, gegen die Bidder’sche Arbeit sich auszusprechen; 
er sucht vielmehr durch bisher in der Spöndli’schen Ab- 
handlung nicht berücksichte histologische Momente die 
Auffassung des Primordialschädels zu stützen und machte 
in vergleichend-anatomischer Beziehung die ausgebreitetste 
Anwendung davon. Nach wiederholten Untersuchungen mag 
es nunmehr auch mir gestattet sein, wie ich glaube, im In- 
teresse der vergleichenden Anatomie des Schädels diese An- 
gelegenheit nach den thatsächlichen und weiteren Beziehun- 
gen hier zu besprechen. 


Beobachtungen. 


Hr. Spöndli schliesst sich in Betreff der frühsten Bil- 
dungsvorgänge des Schädels an die Darstellung Rathke’s 
(Vierter Bericht über das naturwissenschaftliche Seminar bei 
der Universität zu Königsberg. 4. 1839.) an, und knüpft dar- 
an seine eigenen Untersuchungen über das knorplige Primor- 
dialeranium bei Saügern und dessen Verknöcherung. Der 
Verfasser fand den als ein Kontinuum sich darstellenden 
Primordialschädel am umfangreichsten beim Schwein und 
der Maus. Derselbe nimmt hier die Gegend des Hinter- 


448 


hauptsbeins, des Keilbeins, des Felsentheiles und der Schuppe 
des Schläfenbeines, die zu den Seitenwänden der Schädel- 
kapsel ‚herabsteigenden Partieen der Stirn- und Scheitelbeine 
ein, und hängt kontinuirlich zusammen mit den hyalinartig- 
knorpligen : Grundlagen der Gesichtsknochen: nämlich des 
Siebbeines, der unteren Muschel und der mit dieser in Ver- 
bindung stehenden Nasenscheidewand. Auch Stücke der 
knorpligen Grundlagen der Visceralbogen, nämlich die des 
Process. styloideus werden hierher gerechnet. An der Schä- 
deldecke dagegen zeigt sich eine grosse Fontanelle oder Lücke 
im Primordialschädel. Ausserdem findet sich noch eine klei- 
nere Lücke vor der Gegend der kleinen Keilbeinflügel (foram. 
sphenofrontale), und eine andere oberhalb und etwas nach 
vorn von: dem Felsentheile (Interstitium petroso- parietale) 
und oberhalb des grossen (hinteren) Keilbeinflügels (foram. 
spheno-parietale). Beim Schafe uud dem’ Rinde erstreckt 
sich. der Primordialschädel nicht ‚so hoch an der Schädel- 
kapsel hinauf, so dass’ hier der Schädel vom Siebbein: bis 
zum ‚Hinterhauptsbein jeder Bedeekung ermangelt (a. a. O. 
p- 249.)..' Beim Menschen geht die Reduktion ‚noch weiter; 
es fehlt gänzlich eine Schädeldecke, und die Seitentheile .der 
‘Schädelkapsel sind höchst unvollkommen. An.dem Hinter- 
hauptsbein ist sogar nur der unterhalb der Protuberanz 'ge- 
legene Theil der Schuppe als hyalinartiger Knorpel vorhan- 
den. Bei der Verknöcherung gehen aus dem Primordial- 
schädel hervor: das Hinterhauptsbein, das Keilbein, die Pars 
petrosa und mastoidea, das Siebbein, die’ untere Muschel. 
Ein Theil erhält sich knorplig in der Nasenscheidewand und 
in den Nasenknorpeln; ein anderer. (jedenfalls ein nur klei- 
ner; Theil, R.) verkümmert, nämlich an den Seitenwänden 
der Schädelkapsel in der Umgebung des grossen und kleinen 
Keilbeinflügels und unterhalb der Nasenbeine. Dagegen bil- 
den sich aus einer häutigen (nicht knorpligen) Grundlage 
ausserhalb des Primordialschädels: die Stirnbeine, die Schei- 
telbeine. beim Menschen auch die halbe Schuppe des Hinter- 


449 


hauptbeines, die Schuppe des os temporum; ferner von Ge- 
sichtsknochen: die Nasenbeine, die Thränenbeinchen, die 
Jochbeine, Ober- und Unterkiefer, die Gaumenbeine, 'Flügel- 
beine, der Vomer, obere Zwischenkiefer, Paukenring. Der 
Verfasser glaubt, dass der obere Theil der Hinterhaupts- 
schuppe (beim Menschen), die Scheitel-, Stirn- und Nasen- 
beine, desgleichen die Schläfenschuppe dem Haut- und Schleim- 
hautsysteme angehören und als Hautknochen zu bezeichnen 
seien (S.32.). Mikroskopische Untersuchungen scheinen nicht 
angestellt zu sein. 

A. Bidder untersuchte die Bildungsgeschichte des Schä- 
dels, namentlich der Schädelkapsel, von den frühesten An- 
fängen an: bei Saugern, Vögeln und zum Theil auch bei 
Schlangen. Nach ihm ist die Grundlage des Schädels in den 
Urplatten des Wirbelsystems zu suchen, die ihrer ganzen 
Länge nach, also auch bis zur Stiruwand hin, ursprünglich 
von der Wirbelsaite getrennt werden. Nach Bildung des 
Doppelrohrs, wobei die Wirbelsaite unter allmähliger Ver- 
kümmerung am vorderen Ende von den angrenzenden Rän- 
dern der Urplatten des Wirbelsystems scheidenartig einge- 
schlossen werden, findet man in der vordern, das Gehirn 
umhüllenden Abtheilung des oberen Rohres die Anlagen für 
die das Gehirn umgebenden Hart- und Weichgebilde des Wir- 
belsystems. Doch sind in den frühesten Zuständen histolo- 
gisch und anatomisch die einzelnen Bestandtheile noch nicht 
zu unterscheiden. Die Form der die Grundlage der Schädel- 
kapsel enthaltenden Röhre richtet sich anfangs auch äusser- 
lich ganz nach dem Gehirn und erleidet mit diesem sehr bald 
jene Beugung, wodurch die von mir sogenannte Gesichts- 
kopfbeuge gebildet wird. Später, wenn die Bildung des Ge- 
sichts und der Kopfvisceralhöble von dem Gehirn unabhän- 
gige Formveränderungen ausserhalb bewirken, so — und 
darauf muss ich besonders aufınerksam machen — bleibt 
doch die Innenfläche der Röhre überall auf gleiche 


Weise ein getreuer Abdruck des Gehirns. Dem entspre- 
Müllers Archbir, 1649, 29 


450 


chend entstehen hier verschiedene Fortsätze, die in die an 
der Oberfläche des Gehirns befindlichen Furchen eindringen; 
das Ephippium (Rathke’s mittlerer Schädelbalken) und jene 
als Fortsätze der anfangs noch nicht gesondert auftretenden 
harten Hirnhaut bezeichneten Theile. Gleichzeitig macht 
der Verfasser darauf aufmerksam, dass man sich an Durch- 
schnitten genau überzeugen könne, wie jene Rathke’sche 
kleine Grube an der Basis des Schädels kurz vor dem Win- 
kel der Gesichtskopfbeuge niemals die Schädelbasis durch- 
breche, sondern vielmehr durch Anhäufung von Bildungsma- 
terial gebildet werde, durch welches der Winkel der Ge- 
sichtskopfbeuge von Aussen her allmählig wieder angefüllt 
werde. Bekanntlich liess Rathke daraus die Glandula pi- 
tuitaria entstehen. — Sobald nun die Verknorpelung der 
Grundlagen für die Hartgebilde des Kopfes eingetreten, — 
und dieses macht sich beim Schwein, Rinde schon an Em- 
bryonen von 2—3 Zoll Länge bemerklich, — so kann man 
nach Ertfernung der Haut und Muskulatur aus der dem Ge- 
hirn zunächst liegenden Grundlage die knorplige Schädel- 
kapsel herauspräpariren. Sie bildet ein vollkommen geschlos- 
senes, kontinuirliches Ganze; nirgend ist eine Lücke, ausser 
da, wo Gefässe und Nerven hindurchtreten. Beim Menschen, 
bei den Wiederkäuern und Schweinen ist die Substanz der 
Kapsel an der Basis dick und hyalinartig; zu den Seiten 
wird sie allmählig dünner und geht in die häutig - knorplige 
Decke über. In der Gegend des künftigen Vomer und an 
dem oberen Augenhöhlenrande ist die Substanz von einem 
auffallenderen, weisslichen Ansehen. An der Innenfläche 
trelen die oben. bezeichneten Fortsätze hervor, haben gleich- 
falls ein knorpelarliges Ansehen und sind von übrigen Thei- 
len der Kapsel nur künstlich zu trennen. Diese Kapsel hängt 
durch ihre Substanz innig mit dem knorpligen Gehörlaby- 
rintbe zusammen und setzt sich kontinuirlich in die knorp- 
lige Nasenscheidewand (Gesichtsbasis) und Geruchlabyrinth _ 
‚fort. Bei den Vögeln ist besonders hervorzuheben, dass die 


#* 
451 


Substanz des Knorpels in der Gegend des ersten Keilbein- 
körpers (os sphenoideum basilare) ein weissliches Ansehen 
hat und weicher ist, so dass sie ziemlich leicht von den hya- 
linartig-knorpligen Grenzpartieen des Schädels entfernt: wer- 
den kann. Geschieht dieses, so bleibt eine Lücke mit hya- 
linartig-knorpligen Seitenwänden zurück, die wahrscheinlich 
Rathke zur Auffassung seiner Seitenbalken des Schädels 
veranlasst haben. Bei den Vögeln und Säugethieren hat 
sich keine Spur einer solchen Schädelbildung zu erkennen 
gegeben. — Bei den Schlangen ist die Verbreitung der häu- 
ligen und hyalinartig-knorpligen Substanz der Schädelkapsel 
an der Basis eranii besonders auffallend. Es erscheint hier 
zu den Seiten der Basis da. wo die Stirnbeine, Scheitel- 
beine, Partes petrosae und Partes laterales des Hinterhaupt- 
beines mit der Basis eranii (den Körperslücken der drei 
Schädelwirbel) zusammentreflen, ein hyalinartig-knorpliger 
Streifen, der sich vorn in die Gesichtsbasis fortselzt. Hin- 
ten ist derselbe an der unteren Fläche weniger hervortre- 
tend, vorn dagegen, wo Slirn- und Scheitelbeine an der Ba- 
sis ceranii anstossen, tritt er mit halbeylindrischer Form her- 
vor. Von diesen Knorpelstreifen ziehen ähnlich beschäffene 
Kuorpelzüge um das Foramen magnum herum uud ferner 
an zwei Stellen quer durch die Schädelbasis hindurch, in 
der Nahtgegend zwischen der Pars basilaris des Scheitelbei- 
nes und dem hinteren Keilbeinkörper,. und zwischen letzte- 
rem und vorderem Keilbeinkörper. Zwischen diesen Knor- 
pelstreifen ist die Basis eranii häutig-knorplig und lässt sich 
namentlich auch vorn unter der Glandula pituitaria leichter 
zerstören. so dass Lücken zurückbleiben. Die vorderen, 
halbeylindrischen Theile der seitlichen Knorpelstreifen stel- 
len wiederum die Rathke’schen Seitenbalken des Schädels 
vor. Sie jedoch, wie die übrigen hyalinartigen Knorpelzüge, 
setzen sich überall kontinuirlich in die angrenzenden häutig- 
knorpligen Partieen der Schädelkapsel fort, und es hat sich 
auch hier durchaus Nichts ergeben, was für die Auffassung 
29 * 


452 


der Bildung des Schädels durch die sogenannten Schädelbal- 
ken spräche. 

Die Beschaffenheit des Knorpels am Schädel ist in 
den verschiedenen Gegenden verschieden, wie dieses bereits 
in der Beschreibung angedeutet worden. Man kann zwei 
am meisten differirende Zustände unterscheiden, den hyalin- 
artigen und den bei auffallendem Lichte weisslich erschei- 
nenden, wie er namentlich an dem Margo supraorbitalis, 
in der Grundlage des sphenoideum basilare der Vögel auf- 
fallender hervortritt. Der hyalinartige Knorpel ist bekannt; 
der weissliche oder doch mehr undurchsichtige Knorpelzu- 
stand unterscheidet sich von dem hyalinartigen durch die 
granulirte, selbst undeutlich gestreifte, oft scheinbar fase- 
rige Grundsubstanz und durch mehr zerstreut ‚liegende, 
länglich-ovale Knorpelkörperchen, die öfters wegen der Un- 
durchsichtigkeit der Grundsubstanz sich der Beobachtung ent- 
ziehen. Zwischen diesen Extremen sieht man jedoch man- 
nigfache Uebergänge; so ist auch namentlich in dem weiss- 
lichen, häutigen Knorpelzustande die Grundsubstanz mehr 
oder weniger körnig und gestreift. 

In der oben beschriebenen knorpligen Schädelkapsel be- 
ginnt die Verknöcherung an verschiedenen Stellen, und die 
Zahl der Knochenkerne entspricht im Allgemeinen der Zahl 
der einzelnen Knochenstücke, aus welcher der Schädel vor 
der Verschmelzung einzelner Stücke zusammengesetzt ist. 
Ausserdem zeigen sich Knochenpunkte an einzelnen Fort- 
sätzen, Tuberkeln, Apophysen. Die Verknöcherung beginnt 
überall in der Mitte der knorpligen Grundlage, so dass stets 
zuerst jener, der Subst. spongiosa entsprechende, Theil ver- 
knöchert, und die Rindenschichten äusserlich und innen sich 
später auflegen. Dies anfänglich strahlige Ansehen der Schä- 
deldeckknochen beim Menschen und den Saugern entspricht 
der Substant. spongiosa, und dasselbe verschwindet später, 
wenn die Rindenschichten abgelagert werden. Durch Ab- 
schleifen der letzteren ist an jüngern Schädeln ziemlich leicht 


453 


das strahlige Ansehen wieder zum Vorschein zu bringen. 
Von den Verknöcherungspunkten schreitet die Ossifikation 
gegen die Nähte vor; und hierbei zeigt sich, dass an Schup- 
pennähten die äussere Randlamelle stets früher verknöchert, 
als die innere, der Schädelhöhle zugewendete Knochenlamelle 
der Naht. Daher findet man in jenen Gegenden längere Zeit 
äussere Knochenpartieen von inneren Knorpellagen bedeckt. 
Von Interesse ist diese Erscheinung bei den Vögeln, wo das 
frühzeitig verknöchernde Sphenoideum basilare eine grosse 
Schuppennaht bildet mit dem längere Zeit knorplig verblei- 
benden, bisher unbekannten zweiten Keilbeinkörper und so- 
gar noch theilweise ‚mit der Pars basilaris des Hinterhanpt- 
beines. (Der später enstehende Knochenkern für den zwei- 
ten Keilbeinkörper verwächst zeitig mit der angrenzenden 
Pars basilaris oss. occip.). Diese Beobachtung ist wichtig 
für die Deutung des sphenoideum basilare der niederen Wir- 
belthiere. Bei den Schlangen ist hervorzuheben, dass der 
vordere, halbeylindrisch - geformte Abschnitt des seitlichen 
Knorpelstreifens an der Basis eranii nur an der Rindenschicht 
ossılieirt und mit diesem Theile mit den umgebenden Kno- 
chen in Verbindung steht, während die Kernsubstanz, ver- 
gleichbar einem Nahtknorpel, sich lange Zeit knorplig er- 
hält, 

Nach A, Bidder entstehen also die Knochen der Schä- 
delkapsel aus einer und derselben skeletbildenden Schicht, 
und die Auffassung des Primordialschädels scheint ihm zum 
Theil durch das Verhalten der Knochen an den Schuppen- 
nähten bedingt zu sein. Beim Vergleich der Beobachtungen 
Bidder’s und Spöndli’s ergiebt sich bald, dass der letz- 
tere namentlich die bäutig-knorpligen Partieen der Schädel- 
kapsel als eine besondere skeletbildende Schicht angesehen 
und aus dem Konnex mit dem hyalinartig-knorpligen Theil 
der Schädelkapsel gestellt hat. Darin kommen jedoch beide 
Forscher überein, dass die Substanz der Schädeldecke im 
grössern oder kleineren Umfange bei Saügern, nach Bidder 


454 


auch bei Vögeln und Schlangen, zu keiner Zeit sich hya- 
linartig-knorplig darstelle, und dass also hierin die Anga- 
ben Jacobson’s unrichtig seien. 

Kölliker stützt sich in der erwähnten Abhandlung auf 
die Angaben Rathke’s und Spöndlis, und sucht die Auf- 
fassung des Primordialschädels gegenüber den Bidder'schen 
Untersuchungen, namentlich auch durch bisher nicht berück- 
sichtigte histologische Thatsachen zu erweitern und zu be- 
festigen. Auch beschreibt er einen jungen 6° langen Schild- 
kröten-Schädel von Chelonia mydas, der jedoch keine we- 
sentliche Momente für den Primordialschädel beibringt. Der 
Verfasser hält es zunächst in Betreff .der Säugethiere für 
ganz sicher, dass die Knochenkerne der Schädelknochen zum 
Theil mitten im Knorpel des Jacobson’schen Primordial- 
schädels. zum Theil ausserhalb desselben entstehen, wie 
z. B. die Knochenkerne der Scheitelbeine, Stirnbeine, Schuppe 
der Schläfenbeine, Nasenbeine, Vomer, Unterkiefer. Dieses 
alles für richtig haltend setzt er sich die Frage, ob die aus- 
serhalb entstehenden Knochen zu dem drunter liegenden 
Knorpel in genetischer Beziehung stehen? und antwortet 
mit einem entschiedenen „‚Nein“. Denn ‘die Knorpel dar- 
unter sind viel weniger ausgedehnt? als die Knochen, und 
zweitens findet man in allen Fällen eine ganz deutliche, 
weissliche, abpräparirbare Lamelle von Bindegewebe, das 
Perichondrium, welches Knochen vom Knorpel trennt. Die 
genannten Knochen, beim Menschen auch die halbe Schuppe 
des Hinterhauptbeines nebst dem grössten Theile der Ge- 
sichtsknochen entstehen also vielmehr aus häntigen Grund- 
lagen, die in der Gestalt des künftigen Knochens präformirt 
sind, die ferner nicht, wie zuerst Spöndli bemerkte, dem 
Haut- und Schleimhautsystem angehören, auch nicht Extre- 
mitäten- Theile darstellen, — sondern ganz eigenthümliche, 
durch weitere embryologische Untersuchungen zu bestim- 
mende Bildungen. In vielen Fällen, namentlich beim Stirn- 
bein, Scheitelbein etc. könnte man diese häutige Grundlage 


455 


als das Perichondrium des Primordialschädels ansehen, so 
zwar, dass dasselbe sich in zwei Schichten spalte, von wel- 
chen die äussere jene häutige Grundlage bilde. Sie besteht 
überall gleichmässig aus Bindegewebe und regellos in das- 
selbe eingestreute, grössere und kleinere Zellen, die aber 
keine Knorpelkörperchen sein sollen. Sie verknöchert auch 
wirklich, aber die Verknöcherung ist anders, als an dem 
Extremitäten -Knorpel. Bei letzterem beginnt die Ossifika- 
tion in der Mitte des Knochens, und, während sie vorschrei- 
tet, beginnt die Verknöcherung, wie es bereits Sharpey 
aussprach, auch an der Innenfläche der Beinhaut in der Sub- 
stanz, welche wesentlich mit der häutigen Grundlage der 
Scheitelbeine ete. übereinstimmt. ‘Wo ferner die Verknöche- 
rung in der Mitte beginnt, da finde man stets in der Nähe 
des schon gebildeten Knochens vorläufige Ablagerung von 
Kalksalzen, die später wieder aufgelöset werde, und dann 
erst chemisch dauernd sich verbinde. Die Grenze endlich 
zwischen Knochen und dem angrenzenden hyalinartigen Knor- 
pel sei scharf, und die Trennung beider Theile leicht. In 
der Rindenschicht eines Knorpels vereinigen sich die Kalk- 
salze sogleich chemisch, ohne vorläufige Deposita; die in 
ihr enthaltenen Zellen, die gleichfalls keine Knorpelkörper- 
chen sind, werden Knochenkörperchen, das Bindegewebe 
wird der übrige Theil des Knochens. Wie nun in dieser 
Rindenschicht des hyalinartigen -Knorpels, so geht die Ver- 
knöcherung auch in der häutigen Grundlage des Schädels 
vor sich. Die Verknöcherung schreite hier in den bekaun- 
ten Strahlen vorwärts, so zwar, dass dieselbe sich allmäh- 
lig ohne scharfe Grenze verliere; daher sei der Knochen 
auch biegsam, und die Trennung zwischen Knochen und ver- 
knöchernder Grundlage nicht möglich. — Auf diese Angaben 
gestützt werden nunmehr alle Knochen des Schädels im wei- 
testen Sinne des Wortes in zwei Kategorien geschieden, in 
die Knochen des Primordialschädels; primäre Knochen, die 
aus der Belegmasse der Chorda dorsalis hervorgehen, zum 


456 


Wirbel gehören, deren am Schädel vier (nämlich auch das 
os sphenoideum als 4ter) unterschieden werden, — oder die 
Belegknochen, sekundäre Knochen, die nicht zum Wirbel ge- 
hören. Der Verfasser überträgt sodann diese Ansicht auf 
die Schädel der übrigen Wirbelthierklassen, indem er jeden 
ausserhalb einer knorpligen (hyalinartigen) Substanz gelege- 
nen Knochen für einen sekundären, und die hyalinartige 
Knorpelsubstanz oder die darin entstandenen Knochen zu 
den primären rechnet. Hiernach gehören zu ersteren: beim 
Menschen die halbe Sehuppe des Hinterhauptsbeins; ferner 
die oss. parietalia, frontalia, nasalia, lacrymalia, maxill. sup. 
und inf,, Intermaxillaria, palatina, plerygoidea, squama oss. 
tempor., tympanica, jugalia und quadratojugalia, Vomer; 
bei Vögeln und Schlangen der erste Keilbeinkörper (sphenoid, 
basil); bei nackten Amphibien das sphenoideum basilare, 
bei Fischen die Kiemendeckelknochen. Zu den primären 
Knochen sind zu rechnen: das os oceipitis, beim Menschen 
mit Ausnahme der halben Schuppe, das Keilbein mit den 
Alae magnae und parvae, das Zungenbein, die Gehörknöchel- 
chen, das Siebbein mit der untern Muschel, die Partes pe- 
trosae und mastoideae, das Articulare des Unterkiefers bei 
Vögelu, Amphibien, Fischen, die Quadrata sammt der Co- 
lumella bei Amphibien, die Nasenknöchelchen (Cornets Du- 
ges) der Frösche; bei Fischen auch die frontalia posteriora, 
anteriora, das os palatinum, pterygoideum, transversum (?), 
iympanieum, syınplecticum, quadrato-jugale. Wohin die 
Schleimröhrenknochen des Stannius zu zählen seien, sei 
noch unbestimmt. Jedenfalls sind es keine integrirende Schä- 
delknochen. Diese Mittheilungen werden genügen, um den 
Standpunkt Kölliker's zu der fraglichen Angelegenheit zu 
übersehen. 

Die Resultate meiner Untersuchungen widersprechen in 
mehrern Punkten denen Kölliker's, und ich sehe mich 'ge- 
nöthiget, nunmehr die Thatsachen,, nach welchen die Kon- 
troverse über den Primordialschädel wissenschaftlich‘ 'beur- 


457 


theilt, und, soweit möglich, entschieden werden kann, im 
Folgenden voranzuschicken. 

1) Die Hartgebilde, welche das integrirende Skelet des 
Wirbelthiers bilden, sind nur Bestandtheile eines grössern 
Systems, zu dem als wichtigere Bestandiheile auch Weich- 
gebilde gehören; man mag dasselbe das Wirbelsystem nennen. 

2) Hart- upd Weichgebilde des Wirbelsystems haben 
auch im Embryo eine gemeinschaftliche Anlage, und diese 
besteht in den frühesten Zuständen aus zwei plattenförmi- 
gen Urhälften, den Urplatten des Wirbelsystems, die sich 
nach vorn und hinten ursprünglich nur so weit ausdehnen, 
als das Centralnervensystem (Gehirn und Rückenmark), und 
die der ganzen Länge nach durch die strangförmige An- 
lage der Chorda dorsualis von einander getrennt werden. 

3) Die Wirbelsaite endigt also vorn ursprünglich an 
der spätern Stirnwand, und zwar nicht spitz, auch nicht 
knopflörmig, sondern einfach abgerundet. Das zugespitzte 
Ende entsteht erst später nach eingetretener Verkümmerung 
am vordern Ende. Ich habe diese Thatsachen bereits vor 
fast zehn Jahren ausgesprochen, und sie sind an Frosch- 
embryonen, namentlich R. esculenta, nicht gar zu schwer 
und mit vollkommener Sicherheit nachzuweisen. Sie 
sind ferner theilweise bald darauf bei Amphioxus bestätigt 
worden, und ich kann hinzufügen, dass ich noch im letzten 
Jahre auch beim Hühnchen und den Säugethieren von der 
Richtigkeit dieser Thatsachen mich überzeugt habe. 

Anmerk. Rathke wiederholt in seiner Entwickelungs- 
geschichte der Schildkröte, in Uebereinstimmung mit seiner 
Lehre von den Schädelbalken, die Behauptung, dass die Wir- 
belsaite gleich anfangs nur bis in die Gegend des Türken- 
sattels sich erstrecke. Die Angaben eines so tüchtigen For- 
schers haben und werden leicht das Vertrauen finden, wo 
man sich zu einer gleichen Ansicht von der Bildung der 
Schädelkapsel bekennt. Was mich betrifft, so mag ich .die 
Behauptung Rathke’s, — ganz abgesehen von ihrer Bedeu 


458 


tung für die auch aus andern Gründen nicht haltbare Lehre 
der bezeichneten Schädelbildung, — nur dadurch erklären, 
dass dieser Forscher entweder nicht die passende Zeit oder 
nicht die richtige Methode zur Untersuchung gewählt habe, 
da es sich hier um eine einfache Beobachtung handelt. Man 
muss vor beginnender Schliessung der sogenannten Rücken- 
platten untersuchen und kann beim Frosch, wie dieses die 
Zeichnung meines Präparates („Entwickelungsleben“ Taf. I. 
fig. 14.) getreu darlegt, nach Abhebung der Rückenplatten 
die Wirbelsaite in ihrem Verlauf bis zur Stirnwand freilie- 
gend übersehen. Beim Hühnchen, die den Embryologen 
leichter, als Embryone der Säugethiere, zur Hand sind, mar- 
kirt sich das vordere Ende der Wirbelsaite, bei Betrachtung 
der untern Fläche der künftigen Basis cranii, durch einen 
weisslichen Fleck dicht an der Stirnwand. Ich kann nicht 
glauben, dass ich auch hier, wie bei der Umhüllungshaut, 
gezwungen sein sollte, mit dem Präparat in der Hand die 
Naturforscher von der Richtigkeit meiner Angabe zu über- 
zeugen. 

4) Nach Umwandluug der Urplatten in das bekannte 
Doppelrohr des Wirbelsystems, wobei die Urplatten gleich- 
zeitig in der, die beiden Röhren {renhenden Scheidewand 
die allmählig am vordern Ende verkümmernde Wirbelsaite 
scheidenartig umschliessen und der Länge nach, namentlich 
durchweg deutlich am spätern Rumpf und am Visceralrohr 
des Kopfes, in einzelne Abtheilungen zerfallen, — hat man 
in der mittleren Scheidewand beider Röhren, und zwar da, 
wo die Wirbelsaite noch besteht, um dieselbe herum, des- 
gleichen an der dem Centralnervensystem zugewendeten In- 
nenfläche des oberen Rohres die Grundlage des Körpers und 
des oberen Bogens der Wirbel zu suchen, und in der Wan- 
dung der unteren Röhre ( Visceralplatte, Visceralbogen) die 
gleichfalls mehr gegen die Höhle zugewendeten Hartgebilde 
der unteren Bogen: die Rippen, deren homologe Theile nebst 
den Fortsätzen, an welche sie sich befestigen. — An der 


459 


Aussenfläche des untern Rohres erscheinen in bestimmten 
Gegenden sekundär die Grundlagen für die Extremitäten, 
und in demselben eine zweite skeletbildende Schicht des 
Wirbelsystems für die Gürtelknochen und die freien Theile 
der Extremitäten. -- Es giebt endlich noch eine dritte Kate- 
gorie von Hartgebilden des Wirbelsystems, und diese fin- 
den sich, wie es Rathke und ich gezeigt und wie es aus- 
serordentlich instruktiv bei höheren Wirbelthieren zu verfol- 
gen ist, in der Umgebung der Geruchgrübchen. Während 
nämlich der Grund des Grübebens an der Stirnwand des 
Wirbelsystems zu dem Geruchlabyrinth sich metamorpho- 
sirt und als Hartgebilde Os ethmoideum und Muschel führt, 
entstehen in der unmittelberen Umgebung desselben jene Bil- 
dungsfortsätze von der Stirnwand, dem Schluss des obern 
des Wirbelsystems, von der Basis des künftigen Schädels und 
von dem oberen Ende des ersten Visceralbogens und bauen 
das Obergesicht auf. In diesen Fortsätzen sind auch die 
Grundlagen jener Knochen enthalten, die die Geruchhöble 
später bilden und sie in zwei Theile scheiden. 

5) Diejenige Abtheilung der innersten skeletbildenden 
Schieht des Wirbelsystems, welche das Gehirn umgiebt und 
das Bildungsmaterial der entsprechenden, die Wirbelsaite 
umschliessenden Scheidewand beider Röhren werden zur 
Bildung der Knochen der Schädelkapsel sammt Dura mater 
im ganzen Umfange verwendet. Diese skeletbildende Schicht 
stellt ein kontinuirliches Ganze dar, ist nirgend durchbro- 
chen oder lückenhaft, ausser wo Nerven und Gefässe durch- 
treten, zeigt auch nirgend eine Spur von Balkenbildungen, 
wie sie namentlich im knorpligen Zustande von Rathke 
aufgefasst worden ist. Von Anbeginn verhält sich dieselbe 
gegenüber dem Gehirn an allen Orten durchaus auf gleiche 
Weise in ihrer Entwickelung; sie nimmt, wie Bidder voll- 
kommen richtig bemerkt, im ganzen Umfange die dem Ge- 
hirn entsprechende Abdincksform an ibrer Innenfläche an. 
— und darauf beruht die Entstehung der später knöchernen 


460 


oder auch nur auf die Dura mater beschränkten Erhebungen 
und Fortsätze, desgleichen die der Innenfläche der Schädel- 
höhle eigenthümlichen Gruben und Vertiefungen jeder Art. 
Wirbelabtheilungen sind in diesem, wie im knorpligen Zu- 
stande nicht deutlich bemerkbar. 

6) Kurz vor dem Beginn der Verknöcherung, die zuerst 
an den Scheitel- und Stirnbeinen auftritt, ist die skeletbil- 
dende Schicht der Schädelkapsel nach Entfernung der Haut 
und der sie bedeckenden Weichgebilde (des Wirbelsystems 
im knorpelartigen Zustand anatomisch rein und glatt her- 
auszupräpariren. Zur Zeit der Verknorpelung ist bei Säuge- 
thieren keine Spur von Wirbelsaite in der Basis der Schä- 
delkapsel vorhanden. Auch in diesem Zustande ist die ske- 
letbildende ‘Schicht als ein vollkommen zusammen gehöriges 
Ganze darzustellen; aber die Beschaffenheit des knorpelarti- 
gen Zustandes ist bei den verschiedenen genannten Klassen 
des Wirbelthierreiches weder im ganzen Umfange, noch auch 
jedesmal an bestimmten Stellen von gleicher Beschaffenheit. 
Auf diesem Umstande beruhen zum Theil die verschiedenen 
jetzt bestehenden Auffassungen der Schädelbildung einerseits 
von Rathke, Spöndli und Kölliker ete., andrerseits von 
Bidder und mir. In gewissen Gegenden nämlich zeigt sich 
die Knorpelsubstanz von der bekannten hyalinartigen Be- 
schaffenheit, in andern ist sie, wie A. Bidder richtig be- 
schrieben, dadurch ausgezeichnet, dass die Grundsubstanz 
granulirt (Stirnbeingegend bei Vögeln) oder mehr oder. we- 
niger regelmässig gestreift (in der Schädeldecke bei Saugern 
etc.) erscheint, und dass die Knorpelkörperchen meist spar- 
samer vertheilt sind und eine mehr oder weniger langgezo- 
gene Form besitzen. Bei auffallendem Lichte zeigt sich die 
letztere mehr oder weniger weisslich; auch die grössere 
Biegsamkeit ist hervorzuheben. Kölliker hat diese Sub- 
stanz, die meistentheils als Grundlage der sogenannten Be- 
legknochen angetroffen wird, mit der Rindenschicht (Gegend 
des Perichondrium) eines hyalinartigen Knorpels verglichen, 


461 


und diesen Vergleich finde ich ganz passend. Ich habe diese 
Substanz an dem Rippenknorpel in meiner Abhandlung über 
das Bindegewebe elc. besprochen und dem Faserknorpel gleich- 
gestellt. Mit dem Faserknorpel ist sie auch in der That am 
besten zu vergleichen. Kölliker hatin seinen „histiologischen 
Untersuchungen“ die Grundlage des Faserknorpels für Binde- 
gewebe, die darin gelagerten Körperchen für Knorpelkörper- 
chen erklärt. Auch die Grundsubstanz der fraglichen Sub- 
stanz hält er für Bindegewebe; die Körperchen darin, die 
auch nach ihm später in den Knochenkörperchen wiederzu- 
finden sind, sollen es nicht sein. Es ist eigentlich für die 
späteren organologischen Folgerungen gleichgültig, wie man 
diese Substanz histologisch beurtheilt; meine Ansichten von 
dem Verhältniss des Knorpels, Faserknorpels, den verschie- 
denen Formen von Bindegewebe sind eben so bekannt, wie 
die Kontroversen, die darüber bestehen; letztere werden bei 
dieser Gelegenheit nicht geschlichtet werden. In einer Haupt- 
sache werden Kölliker und ich übereinstimmen, nämlich 
darin, dass auch die fragliche Substanz mit ihrer Grundsub- 
stanz und den Körperchen ebenso wie der hyalinartige Knor- 
pel verknöchert, und die Textur beider Knochen im Wesent- 
lichen vollkommen übereinstimmt. Um sich von der Beschaf- 
fenheit derKörperchen in der weisslichen oder weisslich-grauen 
knorpelarligen Substanz, die man vor der angeregten Kontro- 
verse gewöhnlich in Büchern als ‚„‚häutiger Knorpel‘ aufgeführt 
findet, zu überzeugen, muss man sich feine granulirte und 
gestreifte (gerunzelte und gelaltete) Lamellen verschaffen, da- 
mit die sparsam vertheilten und durch ihren Glanz, wie die 
Knorpelkörperchen des hyalinartigen Knorpels, ausgezeich- 
neten Körper deutlicher zu Tage treten. Auch die Behand- 
lung mit einer Kalilösung (104) bringt Nutzen, insofern durch 
das Aufquellen der Grundsubstanz die dunklen Punkte und 
Streifen theilweise verschwinden. Aus dem letzteren Grunde 
werden auch die Randparlieen in der Verknöcherung begrif- 
fener Knochen (Stirnbeine, Scheitelbeine etc.) instruktiv, da 


462 


bei der beginnenden Ablagerung von erdigen Bestandtheilen 
in der Grundsubstanz, die Streifung letzterer (die Neigung 
zur Falten- und Runzelbildung) sich verliert. ‘ Auf diesen 
Umstand ist die Angabe Miescher's, dass in der Umge- 
bung der verknöchernden Stirn- und Scheitelbeine die Knor- 
pelsubstanz deutlich zu sehen sei, zurückzuführen. 
Rathke, Spöndli, Kölliker lassen nur eine Schä- 
delkapsel (im typischen Sinne des Wirbelskelets) gelten, in 
so weit sie sich h'yalinartig-knorpelig darstellt. Hier- 
auf beruht, wie mir scheint, vorzugsweise die Auffassung 
der Schädelbalken und der primordialen Schädelhöhle, in- 
dem man Alles aus der Schädelkapsel entfernte, was häutig- 
knorplig vorgefunden wurde. Von diesem Standpunkte aus 
ist die Beschreibung der primordialen Schädelkapsel der Saü- 
ger durch Spöndli wahrheitsgetreu; sie ist ausführlicher 
und genauer als bei A. Bidder, der andere, für ihn wich- 
tigere Verhältnisse im Auge hatte. Bei den Saügern zeigt 
sich demnach diejenige Abtheilung der knorplig erhärteten 
skeletbildenden Schicht der Schädelkapsel häutig-knorplig, 
welche dem Stirnbeine, Scheitelbeine, der Schuppe des Schlä- 
fenbeines, halben Schuppe des Hinterhauptsbeines beim Men- 
schen entspricht. Bei den Vögeln kommt noch hinzu der 
vordere Keilbeinkörper (sphenoideum basilare), bei Schlan- 
gen gleichfalls dieselbe Gegend und selbst ein Theil des hin- 
teren Keilbeinkörpers. Bei letzteren sind auch die von eini- 
gen Anatomen für Flügel des Keilbeins, von andern für Stirn- 
beine ete. gehaltenen Schädelkapselwände häutig-knorplig. 
Die übrigbleibende Partie der Schädelkapsel, aus welcher die 
fehlenden Schädelknochen sammt der Pars petrosa hervor- 
gehen, ist hyalinartig-knorplig. Wo beide Substanzen zu- 
sammentreffen, da zeigt sich dasselbe mikroskopisch, was 
bei einfacher anatomischer Präparation zum Vorschein tritt, 
— sie verhalten sich als Bestandtheile eines kontinuirlichen 
Ganzen. Die Grundsubstauz der häutig-knorpligen Kapsel - 
geht überall kontinuirlich in den hyalinartigen Knorpel ge- 


463 


nau so über, wie bei dem Uebergange der Rindenschicht 
eines hyalinartigen Knorpels in die centrale Substanz des- 
selben. Desgleichen erfolgt auch ebenso die Veränderung 
der Form und Stellung oder Richtung der in der Grundsub- 
stanz enthaltenen Knorpelkörperchen. Diese Beobachtung 
ınuss an feinen Durchschnittchen und öfters wegen der Un- 
durchsichtigkeit des häutigen Faserknorpels, unter Behand- 
lung mit Kalilösung gemacht werden. 

An der Schädelkapsel im knorpelartigen Zustande sind 
die Begrenzungen der einzelnen Schädelknochen nicht zu 
unterscheiden. Aber die allgemeine Form der Schädelkapsel, 
desgleichen die vorhandenen Erhebungen sind an der Aus- 
senfläche, wie an der Innenfläche. und hier auch mit Be- 
rücksichtigung der gemeinschaftlichen Dura mater, zur Gnüge 
ausgeprägt, so zwar, dass sich auch in dieser Beziehung der 
häutig- und hyalinartig-knorplige Theil auf gleiche Weise 
als ein zusammengehöriges Ganze verhalten. Da die beiden 
verschiedenarlig knorpligen Theile der Schädelkapsel einem 
bestimmten Bezirke von Schädelknochen angehören, so er- 
giebt sich, dass die Begrenzungen derselben in jenen Linien 
fortlaufen. die den aneinanderstossenden, respektiven Kno- 
chenpartieen im Wesentlichen entsprechen. Bei den Vögeln 
ist daher auch das ganze sphenoideum basilare abgegrenzt. 
Wo ferner die Schädeldeckknochen mit den Flügeln des Keil- 
beins in Schuppennähten zusammentreffen, da liegen die 
häutig-knorplige und die hyalinartig-knorplige Schädelpar- 
tie in derselben Weise aneinander, und so geschieht es, dass 
hier hyalinartiger Knorpel nach Innen und häutiger Knorpel 
nach Aussen zu liegen kommt. Aber vollkommen unrich- 
tig ist es, die ganze häutig-knorplige Schädeldecke als eine 
äussere Belegpartie zu den an den Seitenwänden der Kap- 
sel befindlichen hyalinarligen Knorpeln zu ziehen. Es ist 
diese Auffassung um so abenteuerlicher, als bei Wieder- 
käuern an gewissen Stellen, so da, wo der hintere Keil- 
beinflügel zwischen Schuppe und Scheitelbein liegt, der an- 


464 


gebliche hyalinartige primordiale Schädelknorpel zwischen 
häutig-knorplige Partieen der Schädelkapsel eingeklemmt 
und beim Schweine in der Hinterhauptsgegend sogar aus- 
serhalb angetroffen wird. 

Obgleich die hyalinisch - knorplige Schädelkapsel und 
die häutig-knorplige Schädeldecke sich im Wesentlicheu ähn- 
lich gegeneinander abgrenzen, wie die respektiven Partieen 
der Schädelkapselknochen, so kommt doch an zwei Stellen 
bei Saügern eine Abweichung vor, nämlich an der Spönd- 
li’schen fissura sphenofrontalis und dem Foramen spheno- 
parietale seines Primordialschädels*). Es finden sich bekannt- 
lich an jenen Stellen, d. h. vor und hinter dem vorderen 
Keilbeinflügel keine solche Lücken weder in der knöchernen 
Schädelkapsel überhaupt, noch auch-insbesondere an Kno- 
chen, die aus der hyalinisch - knorpligen Schädelpartie her- 
vorgehen. An Stelle der Lücken begegnet man vielmehr ge- 
genwärtig einer häutig-knorpligen Grundlage und später knö- 
cherner Substanz, die dem Stirnbein, Scheitelbein und theil- 
weise auch der Schuppe des Schläfenbeines angehört. Bei 
dem Vergleich der knorpligen und knöchernen Schädelkap- 
sel überzeugt man sich, dass namentlich die oberhalb der 
bezeichneten Lücken hinziehenden hyalinartigen Knorpella- 
mellen, von welchen die vordere von dem vorderen Rande 
des kleinen Keilbeinflügels zur Siebbeinplatte, die hintere 
von der Pars squamosa des Hinterhauptsbeines zum vorde- 
ren Keilbeinflügel hinübergeht, durch kein besonderes Kno- 
chenstück am Schädel repräsentirt wird. Uebrigens fehlt 
schon beim Menschen die hintere Lücke gänzlich und die 
vordere ist kaum bemerkbar. Bei Vögeln und Amphibien 
ist keine Spur davon. 

7) In Betreff der knorpligen Grundlagen in den Bildungs- 
fortsätzen des Gesichtes und der Kopfvisceralhöhle habe ich 


*) Das Interstitium petrosoparietale Spöndli’s finde ich bedingt ° 
durch ein Blutgefäss jener Gegend, 


465 


zu den bekannten Thatsachen keine neue hinzuzufügen. 
Das Labyrinth des Geruchorganes der höheren Wirbelthiere 
mit Einschluss der unteren Muschel wird fast durchweg in 
allen seinen Windungen und Zügen durch eine dünne hya- 
linartige Knorpelmasse gestützt, die mit der gleich beschaf- 
fenen knorpeligen Gesichtbasis und beide wiederum, an den 
Berührungsstellen, mit der Schädelkapsel kontinuirlich zu- 
sammenhängen. Es wird sammt der Gesichtsbasis von ei- 
ner häutig -knorpligen Schicht unmittelbar bedeckt, die sich 
in den Bildungsfortsätzen des Obergesichts um die Geruch- 
grübchen herum ablageri, und aus welcher die späteren Ge- 
sichtsknochen in der Umgebung der Nasenhöhle hervorge- 
hen. Diese Schicht zieht sich auch frei als Grundlage für 
das Jugale, Quadrato-jugale nach der Wurzel des ersten 
Visceralbogens hin. Wo sie auf hyalinartigem Knorpel auf- 
liegt, verhält sie sich bei mikroskopischer Untersuchung ge- 
nau s0, wie da, wo an der Schädelkapsel in der Gegend 
der Schuppennähte häutiger und hyalinischer Knorpel zu- 
sammentreflen. Dasselbe Verhalten zeigt auch die häutig- 
knorplige Grundlage des Vomer zu der hyalinisch-knorpligen 
Gesichtsbasi. — Von den knorpligen Grundlagen in dem 
Visceralbogen sind in dem ersten die des os palatinum und 
pterygoideum, so wie die des os tympanicum und des os 
maxillare inferius häutig-knorpelig, diejenigen dagegen des 
Meckel’schen Knorpels (bei Säugethieren Hammer, bei Vö- 
geln, Amphibien [Fische] Gelenkstück des Unterkiefers) und 
des Quadratbeins (bei Säugethieren Ambos) hyalinisch-knorp- 
lig. Die den Meckel’schen Knorpel und das Quadratbein (bei 
Vögeln, Amphibien und auch Fischen) deckenden häutig-knor- 
pligen Grundlagen des Os tympanicum und des Unterkiefers 
liegen ebenfalls unmittelbar und ohne mikroskopische Scheide- 
grenze an den Berührungsstellen auf dem hyalinartigen Knor- 
pel auf; sie gehen aber auch weit darüber hinweg, wie die- 
ses namentlich bei Säugethieren selbst in Betreff des Unter- 


kiefers deutlich hervortritt. Die knorpligen Grundlagen des 
Müller's Archiv, 1849, ‚30 


466 


zweiten und dritten Visceralbogens für Zungenbein, Steigbü- 
gel oder Columella sind hyalinartig. 

8) Die skeletbildende Schicht der Schädelkapsel geht bei 
höheren Wirbelthieren im häutig- und hyalinisch - knorpligen 
Theile durchaus auf wesentlich dieselbe Weise vor sich. 
Es beginnt die Verknöcherung in der Mitte der knorpligen 
Grundlage und die Rindenschicht verknöchert später und 
zuletzt, und legt sich an die verknöcherle Marksubstanz an. 
Für den hyalinartigen Knorpel der Schädelbasis und der 
Seitentheile ıst dieses anerkannt. A. Bidder hat aber auch, 
was Kölliker gänzlich übersehen zu haben scheint, für die 
häutig-knorplige Schädeldecke dasselbe erwiesen. Jenes 
strahlige Gefüge, welches an den Schädelknochen der Saüger 
und der Menschen an fötalen Schädeln so deutlich hervor- 
tritt, gehört der centralen oder Marksubstsnz der respekti- 
ven Knochen an; dasselbe verschwindet, wenn die Rinden- 
schichten aufgelagert werden, lässt sich aber an jungen Schä- 
deln durch Abschleifen der letzteren leicht wieder herstellen. 
Auch in histologischer Beziehung muss ich Kölliker’s An- 
gaben widersprechen: die Verknöcherung schreitet in beiden 
Gegenden in netzförmigen Zügen vorwärts, deren Maschen 
in den Schädeldeckknochen stark in die Länge gezogen sind 
und überall von noch nicht verknöchertem Knorpel angefüllt 
werden. Die freien Enden der Knochenzüge verlieren sich 
sowohl im häutigen als hyalinartigen Knorpel ganz allmählig 
in dem noch nicht verknöcherten Theile, ohne dass hier wie 
dort jemals eine provisorische Kalkablagerung vorzufinden 
ist. In dem häutigen Knorpel der Schädeldecke kann man 
sich hiervon sehr gut überzeugen, wenn die Präparate mit 
Kalilösung (10 2) behandelt werden, wodurch auch etwa 
vorhandnes Fett entfernt wird. Die auffallende Biegsamkeit 
der im häutigen Knorpel sich bildenden Knochen hat: ihre 
natürliche Bedingung in der Beschaffenheit der Grundsub- 
stanz. Aber in beiden Knorpelarten verknöchert die Grund- 


467 


substanz auf gleiche Weise, und die Knorpelkörperchen 
sind in den Knochenkörperchen wiederzufinden. 

Die Verknöcherung schreitet von den Knochenkernen 
aus nach der Dicke und auch gegen die bleibenden oder 
schnell vorübergehenden Nähte vor. Die Nähte selbst aber 
sind weder in dem häutigen noch in dem hyalinartigen Knorpel 
vorgezeichnet; mit Ausnahme jedoch jener oben erwähnten 
Begrenzungen, die der hyalinartige und häutig-knorplige Theil 
des Schädels andeuten. Das Vordringen der Verknöcherung 
gegen die Innenfläche der Schädelhöhle scheint, wie schon 
A. Bidder bemerkt, etwas langsamer, als nach der Aussen- 
fläche zu geschehen. Die Knochenkerne selbst treten in 
dem häutig-knorpligen Theile der Schädelkapsel frühzeitiger 
auf als in dem hyalinischen. Unter solchen Bedingungen 
geschieht es, dass an den Schuppennähten, welche der hya- 
linartige und häutige Knorpel der Schädelkapsel, entsprechend 
den daraus hervorgehenden Knochen, miteinander machen, 
längere Zeit hyalinartiger Knorpel nach Innen von Knochen 
des häutig-knorpligen Schädeltheiles liegend beobachtet wird; 
dieses ist namentlich bei Saügern, vor allem bei Wiederkäu- 
ern und auch beim Schwein, sehr auffällig in Betreff des 
knorpligen vorderen Keilbeinflügels und der nach . Aussen 
liegenden Rand-Partie des Stirnbeins. 

Auf solche Weise verknöchert bei den höheren Wirbel- 
thieren die skeletbildende Schicht der Schädelkapsel in ihrem 
hyalinartig- und häutig- knorpligen Theile, ohne dass we- 
sentliche Unterschiede oder etwas Auflälliges hervortritt. Für 
die in Frage stehende Kontroverse ist es nicht nölhig näher 
auf Einzelheiten und die bekannte Zahl der Knochenkerne 
für den einzelnen Knochen einzugehen. Doch ist es unrich- 
tig, wenn A. Bidder einen Knochenkern für den ersten 
Körper des Keilbeines bei allen Saügern festsetzt. Bei Hun- 
den, Katzen, beim Menschen ist er vorhanden, bei Wieder- 
käuern und dem Schwein fehlt er, wie dieses bereits Rathke, 
Spöndli und andere Forscher angegeben haben. Dagegen 

30 * 


468 


verdanken wir A. Bidder die richtige Angabe von einenr 
Knochenkern für den zweiten Körper des Keilbeins beim 
Hühnchen, der jedoch sehr bald mit Pars basilaris des Hin- 
terhauptsbeines verschmilzt. Richtig ist ferner Bidder’s 
Beobachtung, dass. die Rathke’schen seitlichen Schädel- 
balken bei Schlangen lange Zeit als Nahtknorpel bestehen; 
sie können jedoch beim Verwachsen der Naht, wie ich an 
einigen Schlangenschädeln sehe, sich gleichfalls an der Ver- 
knöcherung betheiligen. 

Durch Verknöcherung wird der ganze häutig-knorplige, 
und bei Vögeln, bei Schlangen (die Seitenbalken ausgenom- 
men) und im Wesentlichen auch beim Menschen der ganze 
hyalinisch - knorplige Theil der Schädelkapsel in die respek- 
tiven Knochen verwandelt. Bei den Säugethieren dagegen 
lässt sich kein Knochen oder eine Knochenpartie nachwei- 
sen, welche den oben besprochenen hyalinischen Knorpella- 
mellen entspräche, die von der vordern nnd hintern Spitze 
des Keilbeinflügels (Ala parva) zu der Siebbeinplatte und 
dem Kuorpel der Hinterhauptsschuppe hinzieht. Was die 
letztere, hintere Lamelle betrifft, so schien es mir nach ei- 
nem Präparat vom Elennfötus als ob ihre Grundsubstanz ein 
streifiges Ansehen angenommen hatte. Daher ich es nicht für 
unmöglich halte, dass sie, wenigstens zum Theil, für die Dura 
mater verwendet wurde. Doch fehlen mir die geeigneten 
Präparate, um den ganzen Gang ihrer Metamorphose zu 
übersehen. Ich weiss nicht, ob Spöndli und Kölliker 
das ganze fernere Verhalten derselben genau mikroskopisch 
verfolgt haben, um behaupten zu können, dass diese Lamelle 
gänzlich verkümmere; doch könnte auch das möglich sein. 
Die vordere Lamelle sah ich bei Wiederkäuern auch im er- 
wachsenen Zustande an dem hintern Theile mit der obe- 
ren Partie des vorderen Keilbeinflügels noch knorplig erhal- 
ten; sie liegt hier in einem Kanal des Stirnbeins, der sich 
jedoch, wie die Lamelle selbst, nicht mehr bis zur Siebbein- 
platte verfolgen lässt. Ein Theil ist also entweder in die 


469 


Knochensubstanz des Stirnbeins übergangen , oder, wie 
Spöndli annimmt, verkümmert, was auch bei anderen Saü- 


ER, TB BT. 


gern der Fall zu sein srheir+ 


d -o-—-»z «ueruimgs nach Innen von ei- 
ner entsprechenden Partie der Stirn- und Scheitelbeine, aber 
er hängt auch an dieser Stelle mit dem Knorpel jener Kno- 
chen der Schädelkapsel zusammen, die es lieben, bei diesen 
Thieren in Schuppennähte zusammen zu treffen. Dieses ist 
also gleichfalls ein Theil des thatsächlichen Bodens, auf 
welchem die Lehre von der primordialen Schädelkapsel der 
höheren Wirbelthiere sich erheben kann. 

9) Die Verknöcherung in den häutig- und hyalinartig- 
knorpligen Grundlagen des Gesichtes und der Kopfvisceral- 
höhle geht histologisch genau so vor sich, wie an der Schä- 
delkapsel. Auch hier ist es überflüssig, die bekannten Ein- 
zelnheiten zu berühren. Folgendes hebe ich allein hervor. 
Um das hyalinartig-knorplige Geruchlabyrinth mit der Ge- 
sichtsbasis entstehen, entsprechend den ursprünglichen Bil- 
dungsfortsätzen, die oberen Gesichtsknochen in der häutig- 
knorpligen Grundlage, und verfolgen, wie die ursprünglichen 
Bildungsfortsätze, ihre gesonderte Ausbildung vor dem Ge- 
ruchlabyrinth. In dem Knorpel des Letzteren und in der 
Gesichtsbasis entstehen eigene Knochenkerne, bei deren wei- 
terer Ausbreitung, wie sich dieses sehr schön bei Wieder- 
käuern verfolgen lässt, allmählig fast das ganze Labyrinth 
ohne Rücksicht auf die Deckknochen ossificirt; ein Theil 
bleibt bekanntlich knorplig; ich sehe nicht, das irgend Et- 
was gänzlich verkümmert. Ebenso verfolgen, wie in der 
ersten Bildung, so auch bei der Verwandlung der knorpli- 
gen Grundlagen in Knochen, der Meckelsche Knorpel und 
der Ambos (Quadratbein) einerseits und der Unterkiefer (bei 


470 


Vögeln und Amphibien (ohne Gelenkstück) und das Tympa- 
nicum anderseits ihre gesonderten Wege. 


Folgerungen nebst ergänzenden Beobachtungen. 


A. Höhere Wirbelthiere. 

Nach Mittheilung obiger Beobachtungen ist es nunmehr 
unsere Aufgabe, zu untersuchen, ob die Auffassung der 
Lehre vom Primordialschädel bei den höheren Wirbelthie- 
ren gerechtferligt ist, oder nicht. Bei Beantwortung dieser 
Frage bin ich genöthigt, die Schädelkapsel von den Hartge- 
bilden des Gesichts und der Kopfvisceralhöhle zu trennen, da 
die Bildungsverhältnisse beider sehr verschieden sind. 

Die Lehre von dem Primordialschädel sagt nur aus, 
dass in den Knochen-Aufbau des Schädels zwei verschie- 
dene skeletbildende Schichten eingehen, von denen die eine 
(die hyalinartig-knorplige) dem eigentlichen Wirbelskelet im 
Rumpfe entspreche, die ändere (häutig-knorplige) nach Aus- 
sen von der ersteren entstehe und liege, eine noch unbe- 
kannte skeletbildende Schicht am Kopfe darstelle und zu- 
weilen unter Verkümmerung der ersteren überhand nehme. 
Was mich betrifft, so werde ich zunächst für die Schädel- 
kapsel zeigen, dass hier die Lehre des Primordialschädels 
nicht bewiesen, dass vielmehr alle Knochen der Schädelkap- 
sel einer und derselben skeletbildenden Schicht des Wirbel- 
systems angehören, und dass diese sich wesentlich so ver- 
hält, wie diejenige, aus welcher am Rumpfe Körper und 
Bogen des Wirbels hervorgehen. 

Die eben mitgetheilten Beobachtungen über das Verhal- 
ten der noch nicht verknöcherten Schädelbasis haben über- 
einstimmend ergeben, dass die Thatsachen, auf welche Ja- 
cobson seine Lehre vom Primordialschädel baute, nicht 
vollkommen richtig waren. Iliernach war die Aufgabe zu 
prüfen, ob nach den neu gewonnenen Thatsachen die Lehre 
festzuhalten sei, oder nicht. Spöndli und Kölliker ha- 
ben diese Prüfung eigentlich unterlassen, sie suchten vielmehr 


41 


das neue Material, so gut es ging, unterzubringen. Verfah- 
ren wir anders und prüfen wir streng und unbefangen die 
Grundlagen, aus welchen hervorgehen soll, dass die Kno- 
chen der Schädelkapsel bei den höheren Wirbelthieren aus 
zwei verschiedenen skeletbildenden Schichten des Wirbelsy- 
stems, dem Primordialschädel und einer anderen, noch un- 
bekannten gebildet werden: so ergiebt sich Folgendes. Man 
hat zunächst beobachtet, dass zu einer gewissen Zeit des 
Fötuslebens die Schädelknochen zu einem Theile aus hyalin- 
arlig - knorpliger, zu einem andern aus häutig- oder fasrig- 
knorpliger, oder, wenn man will, aus bindegewebarliger 
Substanz bestehe, und dass beide Theile später in bestimmte 
und bekannte Knochengruppen der Schädelkapsel übergehen. 
Diese Beobachtung sagt weiter nichts aus, als dass die Kno- 
chen der Schädelkapsel aus zwei hist ologisch verschiede- 
nen, wenn gleich verwandten Substanzen verknöchert wer- 
den; aus ihr geht aber nicht hervor, dass die genannten bei- 
den Substanzen auch organologisch zwei verschiedenen 
skeletbildenden Schichten angehören. Kann man doch zahl- 
reiche Beispiele anführen, aus denen sich ergiebt, dass eine 
und dieselbe skeletbildende Schicht, ja selbst ein bestimmter 
Knochen zu einem Theile fibros- oder fasrig-häutig, zu einem 
anderen hyalinartig-knorplig sich darstellen kann; ich er- 
innere nur an das Wirbelskelet des Rumpfes beim Stör, bei 
den Knorpelfischen, an die Rippenformationen bei ver- 
schiedenen Thieren. Haben doch Spöndli und Kölliker 
an der Schädelkapsel der Saüger Beobachtungen gemacht, 
die sie als Waffe gegen eine solche Folgerung gebrauchen 
konnten. Sie geben ganz richtig an, dass die Schuppe des 
Hinterhauptsbeines beim Menschen zur Hälfte aus hyalinar- 
artigem Knorpel, zur Hälfte aus jener häutigen Grundlage be- 
stehe, aus welcher nach ihnen die Belegknochen oder die Kuo- 
chen der zweiten skeletbildenden Schicht hervorgehen; Köl- 
liker weiss ferner, dass der erste Körper des Keilbeins bei 
deu Saügern hyalinartiger Knorpel, bei den Vögeln, Schlan- 


472 


gen sogenannte häutige Grundlage besitzt. So unzweifelhaft 
es nun ist, dass das Keilbein der genannten Thiere überall 
ein und derselbe Knochen ist, dass ferner die Hinterhaupts- 
schuppe des Menschen nicht zwei verschiedenen Skeletsysle- 
men des Wirbelsystems angehört; ebenso sicher ist es, dass 
die Knochen einer und derselben skeletbildenden Schicht zum 
Theil oder ganz bald eine hyalinartig-knorplige, bald eine häu- 
tig-knorplige oder fibröse Grundlage haben können. Solche 
Thatsachen durften schon nach meinem Dafürhalten die ganze 
Lehre von dem Primordialschädel in Frage stellen. Vorläu- 
fig mögen jedoch zwei Folgerungen daraus gezogen werden: 
die genannten Thatsachen drängen einmal auffallend zu 
der Ansicht hin, die ich in meiner Abhandlung über die 
Gewebe der Bindesubstsnz vertreten musste, dass nämlich 
das Bindegewebe, das fibröse, fibrös-knorplige und hyalinisch- 
knorplige Gewebe, die alle auf wesentlich gleiche Weise 
verknöchern, innig verwandte, histologische Substanzen sein 
müssen; und zweitens beweisen sie, dass aus den genannten 
histologisch verschiedenen Grundlagen für Knochen, weder 
auf eine verschiedene organologische Bedeutung derselben, 
noch darauf geschlossen werden darf, dass sie verschiedenen 
skeletbildenden Schichten angehören. Der Umstand also, 
dass die Schädelkapsel zu einer gewissen Zeit theilweise 
aus hyalinartigem, theilweise aus häutigem Knorpel bestehe, 
kann nichts für die Richtigkeit der Lehre des Primordial- 
schädels beweisen. 

Wir sehen uns nach anderen Stützen des primordialen 
Schädels um. Man sagt, jener häutig-knorplige Theil der 
Schädelkapsel. entstehe später und ausserhalb des hyali- 
nisch-knorpligen Theiles, des eigentlich sogenannten Primor- 
dialschädels. Beide Angaben sind unrichtig. Wenn man 
freilich den weicheren Theil der Schädelkapsel wegpräparirt, 
dann fehlt er, und der härtere hyalinisch - knorplige Theil 
bleibt allein übrig und macht den sogenannten Primordial- 
schädel aus. Ist der äussere Theil später knöchern gewor- 


473 


den. dann lässt er sich nicht so leicht wegschaflen, dann ist 
er auf einmal und natürlicherweise später entstanden. Aber 
schon Kölliker giebt gelegentlich zu, dass er auch früh- 
zeitiger vorhanden sein könne, und ich füge hinzu, dass er 
zu finden ist, sobald überhaupt nur irgend ein Theil der 
knorpligen Grundlage für die Knochen der Schädelkapsel sich 
darstellen lässt. Es ist aber auch ferner unrichtig, dass der 
häutig-knorplige Theil der Schädelkapsel ausserhalb der hya- 
linartig-knorpligen Partie, ich will schon nicht sagen „,ent- 
stehe“, sondern nur „liege“. Spöndli und Kölliker ha- 
ben ja selbst beobachtet, dass der hyalinartige Knorpel der 
Schädelkapsel (Primordialschädel) selbst nicht bei den Saü- 
gern, bis auf den Scheitel und obere Stirngegend sich er- 
strecke, dass vielmehr eine grosse Lücke, wie sie sagen, 
Fontanelle namentlich beim Menschen von bedeutendem Um- 
fange zurückbleibe. Hier breitet sich vorzugsweise jene 
häutig - knorplige Grundlage aus, welche zu Stirnbeinen, 
Scheitelbeinen, Schuppe des Schläfenbeines etc. verknöchert; 
sie ist da grösser, wo die respektiven Knochen einen grös- 
seren Umfang einnehmen, sie nimmt auch vorherrschend 
im Fötusleben an Grösse zu, entsprechend der überwiegen- 
den Grössenzunahme des Gehirnes in jener oberen Region. 
Wie kann man da behaupten, dass die häutig - knorplige 
Grundlage der bezeichneten Knochen nach Aussen von dem 
Primordialknorpel liege? Kölliker hat eine eigene Wen- 
dung, um dieses Verhalten in seinem Sinne zu bezeichnen: 
er sagt, der primordiale Knorpel hat oft eine viel geringere 
Ausdehnung, als der ausserhalb gelegene sog. sekundäre Kno- 
chen und seine Grundlage. Im Hintergrunde steckt hier 
der Primordialschädel als eine ausgemachte Sache, — aber 
das soll erst bewiesen werden. Für die Vögel und na- 
mentlich für Schlangen passt übrigens die obige Angabe 
noch viel weniger. Bei den Saügern wird es denn doch 
auffällig, dass an mehreren Stellen, entsprechend dem Ver- 
halten der Knochen, in der Gegend der Schuppennähte, wie 


474 


es oben angegeben wurde, der häutige Theil der Schädelkap- 
sel nach Aussen von dem hyalinartig-knorpligen Theile zu 
liegen kommt; ja es geschieht dieses sogar in ausgedehnte- 
rem Maasse als später bei den respektiven Knochen, worauf 
ich noch zurückkomme. Es wurde aber auch angeführt, 
dass ebenso der häutig-knorplige Theil auch innerhalb des 
hyalinartigen Knorpels liegen könne, was man z. B. sehr 
deutlich beim Schweine in Betreff des hyalinartigen Knor- 
pels der Hinterhauptschuppe und der davor und zum Theil 
nach Innen (Schädelhöhle) gelegenen, häutig - knorpligen 
Grundlage der Scheitelbeine beobachtet. Beim Pferde, bei 
den Wiederkäuern wird die obere, lange Zeit knorplig blei- 
bende Partie des vorderen Keilbeinflügels förmlich in Kno- 
chensubstanz des Stirnbeins eingekeilt und von ihr umwach- 
sen. Es bleibt also unrichtig, dass die häutig - knorplige 
Grundlage ausserhalb der hyalinartig - knorpligen Partie der 
Schädelkapsel entstehe und liege, und wo es an den Be- 
grenzungen beider geschieht, da findet dieses, wie der 
umgekehrte Fall, seine vollkommen ausreichende Erklärung 
in dem Verhalten der ihnen entsprechenden Knochen und 
deren Schuppennähte an derselben Stelle. Man kann übri- 
gens selbst den Fall setzen, dass ein solches Lagerungsver- 
hältniss irgendwo vorkäme, so würde daraus noch nicht 
folgen, dass der äussere Knochen und der innere hyalinar- 
tige Knorpel nothwendig zwei verschiedenen skeletbildenden 
Schichten, etwa beide zum Wirbelsystem, oder das eine zum 
Wirbelsystem, das andere zum Hautsystem gehören. Denn 
es ist bei Rochen und Haifischen bekannt, dass der Hyalin- 
Knorpel einer und derselben skeletbildenden Schicht nur an 
seiner äusseren Rinde ossifizire, während der übrige Theil 
des Knorpels sich unverknöchert erhält. Ich werde später 
Gelegenheit ähnliche Verhältnisse der Verknöcherung auch 
an Knorpeln des Wirbelskeletes der Amphibien und der 
höheren Wirbelthiere ausführlicher zu besprechen haben. 
Vorläufig mag es genügen darauf hinzuweiseu, dass bei meh- 


475 


reren Thieren nur die Rindenschicht eines Hyalin - Knorpels 
theilweise oder ganz ossifiziren könne, und dass man also 
hier, wie in allen Fällen nicht berechtigt sei, aus histologi- 
schen Verhältnissen auf organologische ohne Weiteres zu 
schliessen. 

Kölliker hat ferner gegen die Auffassung der einheit- 
lichen skeletbildenden Schicht sämmtlicher die Schädelkap- 
sel bildender Knochen besonders den Umstand geltend ge- 
macht, dass zwischen dem hyalinartigen Knorpel und den 
ihn deckenden Knochen eine feine bindegewebartige Lamelle 
liege, die als Perichondrium anzusehen sei, woraus hervor- 
gehe, dass zwischen beiden kein genetisches Verhältniss 
existire. K. hat mit diesen Worten wahrscheinlich andeu- 
ten wollen, dass wegen dieser feinen Lamelle der Knochen 
nicht als eine partielle Verknöcherung des darunter liegen- 
den Knorpels aufgefasst werden könne, dass vielmehr beide 
Theile unabweislich zwei verschiedenen Skeletsystemen oder 
besser skeletbildenden Schichten angehören müssen. Auch 
diese Schlussfolgeruug ist zunächst leider nicht haltbar; ich 
sage „leider“, weil es sehr wüuschenswerth wäre, bei an- 
deren vergleichend - anatomischen Fragen auf solche Weise 
entscheiden zu können. Bekannt ist, dass der Meckel’sche 
Knorpel beim Menschen mit seinem oberen Ende in den 
Hammer verwandelt wird. Unzweifelhaft ist auch, dass 
dieser Knorpel wirklich ein einheitlicher Knorpel ist und 
nicht zwei verschiedenen skeletbildenden Schichten angehört. 
Die Verknöcherung beginnt hier am Hammer-Ende des Knor- 
pels im Kopfe des künftigen Hammers in der centralen Sub- 
stanz. Später geschieht dieses auf gleiche Weise am Manu- 
brium und Processus brevis. Hier überall erfolgt erst später 
die Verknöcherung der Rindenschicht. Der Processus longus 
oder Folii dagegen, welcher an dem zum Unterkiefer herab- 
laufenden Theile des Meckel’schen Knorpels entsteht, bildet 
sich in seiner platten Form nur durch Verknöcherung der 
Rindenschicht, so zwar, dass nicht einmal die ganze ring- 


476 


förmige Schicht des betreffenden cylindrischen Knorpels, son- 
dern nur die hintere und innere Partie derselben verknöchert 
wird. Bevor dann der übrige Theil des Meckel’schen 
Knorpels verkümmert, lässt sich der Process. Folii ohne 
besondere Schwierigkeiten von dem anliegenden Knorpel ab- 
heben; man kann dann zwischen beiden auch eine feine 
weissliche Lamelle abpräpariren, die Kölliker für Binde- 
gewebe halten würde und auch als Perichondrium anspre- 
chen könnte. Gleichwohl darf und wird kein Embryolog, 
auch kein vergleichender Anatom den Meckel’schen Knor- 
pel an zwei verschiedenen skeletbildenden Schichten des Wir- 
belsytems sich betheiligen lassen. Es ist übrigens auch leicht 
begreiflich, dass an einem und denselben Knorpel solche 
Verhältnisse auftreten müssen, sobald, was nicht ganz sel- 
ten der Fall ist, die Verknöcherung auf die Rindenschicht 
derartig sich beschränkt, dass nur die äussersten Partieen 
davon betroffen werden. Auf die Schädelkapsel findet übri- 
gens jene Bemerkung nicht einmal eine Anwendung. Es 
treffen hier wirkliche verschiedene Knochen einer und der- 
selben skeletbildenden Schicht in Schuppennähten aufeinan- 
der; die dazwischen liegende Substanz, von welcher Be- 
schaffenheit sie auch sein mag, ist Nahtsubstanz; es ist. Ge- 
schmacksache, wenn man sie zum Perichondrium rechnen 
will. 

Es bleibt mir schliesslich noch übrig auf die oben er- 
wähnte theilweise Verkümmerung des hyalinartig -knorpligen 
Schädelkapseltheils zurückzukommen. Wenn es auch fest- 
steht, dass Jacobson in einem ganz unrichtigen und viel 
zu grossen Umfange die Verkümmerung seines Primordial- 
schädels angegeben, so kann man vorläufig das zugestehen, 
dass eine immerhin kleine Partie des hyalinartig- knorpligen 
Theils der Schädelkapsel wirklich davon betroffen werde. 
Von dem häutig- oder fasrig-knorpligen Theile lässt sich 
dieses nicht behaupten, und so könnte es scheinen, als wäre _ 
man dadurch gezwungen, beide Theile als zu verschiedenen 


477 


skeletbildenden Schichten gehörig zu betrachten. Das Un- 
gereimte dieser Kombination ergiebt sich leicht, wenn man 
die Beobachtung schlicht und ohne alle Nebenbeziehungen bin- 
stell. Alsdann sagt sie nichts weiter aus, als dass die 
knorplige Grundlage eines oder mehrerer Knochen nicht voll- 
ständig in die respektiven Knochen sich verwandelt, sondern 
zu einem Theile knorplig bleibt und sogar resorbirt wird, 
und dass in einem anderen Fall die knorplige oder häutig- 
knorplige Grundlage im ganzen Umfange verknöchert. Bei- 
spiele der Art sind aber sehr zahlreich, ohne dass irgend 
ein vergleichender Anatom obige Folgeruug daraus ziehen 
und behaupten wird, dass dieserhalb die betreffenden Kno- 
chen verschiedenen skeletbildenden Schichten angehören müss- 
ten. So sehen wir die knorplige Grundlage röhriger Extre- 
mitäten-Knochen zum grössten Theil durchweg ossifieirt 
werden, während bei nackten Amphibien der grösste Theil 
der centralen Substanz sich nicht betheiligt und verändert 
oder resorbirt wir. Von den Knorpelstreifen in den Vis- 
ceralbogen verkümmert zum grössten Theil, wie oben be- 
sprochen wurde, der Meckel’sche Knorpel, während der 
Knorpel im dritten Visceralbogen für das hintere Zungen- 
beinhorn öfters in seinem ganzen Umfange verknöchert wird. 
Die häutig-knorplige Grundlage für das Oberkieferbein und 
der nach hinten zum Quadratbein hin sich anschliessende Kno- 
chen (Jugale, Quadrato-jugale) verknöchert vollkommen bei 
Vögeln; sie kann sich aber auch zum Theil bandartig erhal- 
teu, wie bei Schlangen, nackten Amphibien (Tritonen ete.). 

Nach obiger kritischer Beleuchtung aller Beobachtungen, 
die nach meinem Dafürhalten nur irgendwie für die Recht- 
fertigung der Lehre des Primordiulschädels (Schädelkapsel) 
geltend gemacht werden können, sind wir unabweislich zu 
dem Ausspruche gedrängt: dass diese Lehre in Betreff 
der Schädelkapsel höherer Wirbelthiere, — inso- 
fern sie das Hervorgehen der einzelnen Knochen der Schä- 
delkapsel aus zwei organologisch- verschiedenen, skeletbil- 


418 


denden Schichten des Wirbelsystems behauptet, — auf 
keine einzige Thatsache sich stützen kann. 

Es ist jetzt meine Aufgabe zu zeigen, dass der häutig- 
und hyalinartig-knorplige Theil (Primordialschädel) der Schä- 
delkapsel, desgleichen die Knochen, die aus denselben her- 
vorgehen, zu einer und derselben skeletbildenden Schicht des 
Wirbelsystems gehören, und dass diese vollkommen derjeni- 
gen entspricht, aus welcher am Rumpf der Wirbelkörper 
und dessen Bogen im knorpligen und knöchernen Zustande 
gebildet werden. Zu dem Ende werde ich zunächst die ske- 
leibildende Schicht für die Wirbel am Rumpfe näher zu un- 
tersuchen und nach ihrer typischen Beschaffenheit zu be- 
stimmen haben. 

Es hat sich, namentlich durch Rathke, die Ansicht 
geltend gemacht, dass die skeletbildende Schicht des innern 
Wirbelskelets (im Gegensatz zu den Extremitäten- Knochen 
und anderen äusseren Hartgebilden) als eine Belegungsmasse 
zu beiden Seiten der Ghorda dorsualis auftrete, die letztere 
allmählig umwachse, sie scheidenartig einschliesse, und Aus- 
strahlungen aussende, nach oben für die oberen Wirbelbogen, 
nach unten für die Rippenbogen. Der Wirbelkörper, der 
aus der Belegungsmasse um die Chorda dorsualis entstehe, 
repräsenlirt den wesentlichsten Theil des Wirbelskelets; die 
Ausstrahlungen von demselben können rudimentär sein, auch 
gänzlich fehlen, und dann zum Schluss des oberen Rohres 
Schaltbildungen, Schaltknochen, die, wie scheint, einer an- 
dern skeletbildenden Schicht angehören, auftreten. Als das 
Fundament der Wirbelsäule erscheint aber die Chorda dor- 
sualis. Diese Ansicht verdankt, wie ich glaube, ihre Ent- 
stehung der Art und Weise, wie in vielen Fällen bei Knor- 
pelfischen die hyalinartig-knorpligen Grundlagen in der ske- 
letbildenden Schicht auftreten und ist später auch durch die 
Lehre von der Balkenbildung auf die sich entwickelnde Schä- 
delkapsel höherer 'Wirbelthiere übertragen. Nach meinem 
Dafürhalten lässt sich diese Auffassung von der Bildung und 


479 


der typischen Bedeutung des inneren Wirbelskelets weder 
durch vergleichende anatomische Beobachtungen noch durch 
Thatsachen aus der Entwickelungsgeschichte rechifertigen. 
Schon K. E. v. Bär hat im Jahre 1826 das innere Wirbel- 
skelet nicht als einen Bestandtheil der Chorda dorsualis und in 
nächster Beziehung zu diesem, als seinem Fundamente, son- 
dern vielmehr ganz richtig als Bestandtheil der nach Aussen 
von ihm aufliegenden Muskulatur ete., oder des jetzt allge- 
mein genannten Wirbelsystems aufgefasst. J. Müller hat 
in seiner Anatomie der Myxinoiden zu wiederholten Malen 
darauf aufmerksam gemacht, dass die Chorda selbst an der 
Skeletbildung sich in keiner Weise betheilige, und €. Berg- 
mann hat in seinen Beobachtungen und Reflexionen über 
das Skeletsystem der Wirbelthiere die Ansichten von Bär’s 
ganz passend von Neuem in Erinnerung gebracht. Die näch- 
ste Beziehung des inneren Wirbelskelets zum gesammten 
Wirbelsystem erweiset sich ganz unzweideulig: durch die 
entsprechende allgemeine Form, durch die entsprechende 
Gliederung der Abtheilungen (Wirbel) in der Längsaxe des 
Körpers, durch die Zusammensetzung aus zwei gleichen 
Hälften, durch die Fortsätze, welche von ihm in die Musku- 
latur eindringen, und mit dem die einzelnen Muskelpartieen 
scheidenden und tragenden Bindegewebeschichten, im ge- 
nauesten Organisationsverhältniss stehen. Die Wirbelsaite 
dagegen theilt weder die Form, noch die Gliederung, noch 
irgend ein Organisalionsverhältniss mit dem Wirbelskelet; 
ja sie verkümmert und verschwindet wohl theilweise, wäh- 
rend das letztere nur um so kräftiger sich entwickelt. Auch 
die Entwickelungsgeschichte liefert keine Thatsache, die zu 
dem Ausspruche berechtigte, dass das Fundament des Wir- 
belskelets die Chorda dorsualis sei. Ein solcher Ausspruch 
wäre nur dann zu machen, wenn die Chorda und das in- 
nere Wirbelskelet eine gemeinschaftliche Anlage hätten, und 
das innere Wirbelskelet in Folge einer Diflerenzirung der- 
selben gleichsam als äussere Scheide, als Belegmasse ent- 


480 


stände Es hat aber zu keiner Zeit das Skelet und die 
Wirbelsäule eine gemeinschaftliche Anlage. Das Skelet ist 
vielmehr in der Anlage des ganzen Wirbelsystems gegeben, 
in den sog. Urplatten des Wirbelsystems, die eine Zeitlang, 
nachdem sie sich in die bekannten viereckigen Wirbel - Ab- 
theilungen abgegliedert haben, mit Unrecht sogar für die 
Wirbelkörper - Anlagen allein genommen wurden. Es wäre 
möglich, und ich halte es sogar nach meinen Beobachtungen 
für wahrscheinlich, dass die Urplatten des Wirbelsystems 
und die Wirbelsaite ursprünglich eine gemeinschaftliche An- 
lage haben, durch deren Sonderung in der Mitte die Chorda 
dorsualis, und zu den Seiten die Urplatten des Wirbelsy- 
stems gebildet würden. Dadurch würde aber nur eine nahe 
Beziehung der Wirbelsaite zu dem gesammten Wirbelsystem 
angedeutet sein; die nächste Beziehung des Skeletes zum 
Wirbelsystem dagegen bleibt nach wie vor. 

Von diesem Standpunkte aus lässt sich die Substanz, 
in welcher das innere Wirbelskelet enthalten ist, und in 
verschiedener Weise ausgeprägt auftritt, als die innere Grenz- 
schicht bezeichnen, mit welcher das Wirbelsystem schei- 
denartig die Wirbelsaite umgiebt und in der oberen Röhre 
gegen die Höhle für das Centraluervensystem, in der unte- 
ren oder Visceralröhre gegen die Höhle für die Viscera sich 
abgrenzt. Diese innere Grenzschicht des Wirbelsystems ist 
bei den niedrigsten Wirbelthieren, Branchiostoma, Myxinoi- 
den, Ammocoeetes durchweg von sehniger oder fibröser Be- 
schaffenheit und kann, wie mir scheint, nicht unpassend mit 
einer Fascie verglichen werden, welche die beiden Hälften des 
Wirbelsystems an der inneren Oberfläche auskleidet, und 
oben und unten, sowie in der Mitte um die Wirbelsaite her- 
um, von beiden Seiten her sich in Verbindung setzt. Sie 
steht ferner im genauesten, kontinuirlichen Zusammenhange 
mit der Bindesubstanz, welche die Muskulatur des Rumpfes *) 


*) Die Muskulatur, mit welcher die skeletbildende Schicht des in- 


481 


beiderseits trennt, und die einzelnen Muskelpartien auf jeder 
Seite scheidet und abtheilt. Namentlich ist diese Verbindung 
mit den Ligamenta intermuscularia auffällig, welche beide 
Hälften der Muskulatur am Rücken, desgleichen die einzel- 
‚nen, der Länge nach sich wiederholenden Muskelpartien 
(Wirbelabtheilungen), die oberen und unteren Seiten - Rumpf- 
muskeln trennen und gleich Scheidewänden zwischen äusse- 
rer und innerer Fascie der Muskulatur sich hinziehen. An 
.den Insertionsstellen dieser Bänder ist die bezeichnete Grenz- 
schicht mehr oder weniger verdiekt, und so markirt sich 
‚auch an ihr die Gliederung in Wirbel- Abtheilungen,, selbst 
im einfachen fibrösen Zustande. Andrerseits darf nicht gänz- 
lich übergangen werden, dass die bezeichnete Grenzschicht 
einen ganz innigen Zusammenhang mit dem Bindegewebe 
hat, welches die grossen Gefässstämme unter der Wirbel- 
säule umhüllt. 

Die vergleichende Anatomie lehrt uns ferner, dass in 
derselben Gegend, wo die besprocheue innere fibröse Grenz- 
schicht des Wirbelsystems liegt, das knorplige und knöcherne 
innere Wirbelskelet in grösserer oder geringerer Ausbil- 
dung und in der bekaunten Form unter grösserer oder ge- 
ringerer Verkümmerung der Wirbelsaite auftritt, und, ent- 
sprechend den Verbindungen der ursprünglichen, skeletbil- 
denden Schicht mit den Scheidewänden der Muskulatur und 
dem Bindegewebe um die Gefässe (Aorta, Art. und V. cau- 
dales) Fortsetzungen besitzt. Es ist nicht meine Aufgabe, 
hier näher auf Speeialitäten einzugehen. Doch kann ich 


neren Wirbelskeletes in nächste Beziehung gebracht wurde, ist die der 
Seitenrumpfmuskeln und wohl auch des Systems der Intercostalmus- 
keln. Dass ausserdem, abgesehen von den Extremitäten, sowohl an 
der Aussentlläche, als an der Innenlläche der bezeichneten Muskulatur 
gleichsam in der Ausbreitung der respektiven allgemeinen Fascien Mus- 
kelsysteme (Bauchmuskeln, Hautmuskeln [?]) vorkommen, und dass 
durch sie namentlich die skeletbildende Schicht der Visce alröhre an 
der Innenlläche überzogen wird, ist bekannt. 
Mätlers Arebiv, 1610. 1 


482 


nicht unterlassen, auf einige für unsere Frage wichtige Mo- 
mente aufmerksam zu machen. Man sagt gewöhnlich, dass 
die hyalinartig-knorpligen Wirbel oder deren Rudimente 
auf der skeletbildenden fibrösen Schicht abgelagert oder 
darin abgesetzt seien. C. Bergmann denkt sich das Ver- 
hältaiss des Hyalinknorpels zu der fibrösen, skeletbildenden 
Schicht so, dass letztere in zwei Lamellen sich scheide und 
als Perichondrium über den Hyalinknorpel hinwegziehe. 
Nach dieser Darstellung ist das Knorpelskelet zu der ur- 
sprünglichen skeletbildenden Schicht hinzugetreten und 
könnte sogar als ein organologisch verschiedener Bestand- 
theil des Wirbelsystems angesehen werden, was eigentlich 
wohl nicht beabsichtigt werden soll und auch nicht so auf- 
gefasst werden kann. Ein jeder Hyalinknorpel besitzt eine 
Grenzschicht und ein Perichondrium, die sich histologisch 
ähnlich verhalten, wie die skeletbildende Schicht im fibrösen 
Zustande. Aber eine genauere Untersuchung mit der Lupe 
und dem Mikroskop an den Basilarstücken der Wirbelsäule 
beim Stör überzeugt uns leicht, dass die Zurückführung der 
Perichondrien auf Lamellen der zwischen den beiden Basi- 
larstücken gelegenen, fibrösen, skeletbildenden Schicht we- 
gen des Unterschiedes in der Dicke beider Substanzen und 
des unmittelbaren kontinuirlichen Uebergangs auch der cen- 
tralen Masse des Hyalinknorpels in die bezeichnete fibröse 
Schicht unstatthaft ist. Man muss vielmehr sagen, dass in 
dem Knorpelskelet des Wirbelsystems die ursprüngliche, ske- 
letbildende Schicht, welche bei Branchiostoma durchweg 
tibrös-häutig sich darstellt, an bestimmten Stellen den hya- 
linartigen Knorpelzustand angenommen hat, so dass also an 
Stelle einer histologischen Form der Bindesubstanz eine an- 
dere, Sestere, konsistentere getreten ist. Von diesem Gesetz 
scheint, nach den Angaben Bischoff’s, das Verhalten des 
Knorpel- und Knochenskeletes am Rumpf bei Lepidosiren 
abzuweichen, da hier die knorplige Wirbelsäule von einer 
fibrösen Scheide umgeben sein soll, die allein nach oben’ sich ° 


483 


fortsetzend in den obern Bogenschenkeln ossifieire. Indes- 
sen zweifle ich nicht, dass auch hier, wie bei anderen Thie- 
ren und namentlich in ganz ähnlicher Weise nach meinen 
Beobachtungen beim braunen Frosch (Rana fusca), nur das 
histologische ähnliche Verhalten des Perichondrium der knorp- 
ligen Wirbelsäule und der fibrös bleibenden, später verknö- 
chernden obern Partie der skeletbildenden Schicht die Veran- 
lassung zur obigen Darstellung wurde. 

Die Umwandlung der skeletbildenden Schieht des Wir- 
belsystems im hyalinischen Knorpel kann sich beschränken 
auf die obere Röhre, wie an der vordern Hälfte des Knor- 
pelskeletes bei Petromyzon, oder auf die Umgebung der 
Chorda dorsualis, wie bei Lepidosiren; sie kann aber auch, 
wie beim Stör, an beiden Stellen zugleich getrennt und im 
Zusammenhange erscheinen, und sich um die Gefässe unter 
der Wirbelsäule fortsetzen. Ein Wirbelthier, bei welchem 
in der skeletbildenden Schicht der Visceralröhre im ganzen 
Umfange bleibende, knorplige Rippenbogen vorkämen, ist 
nicht bekannt. Das bleibende Knorpelskelet liebt es ferner, 
entsprechend den Abtheilungen des Wirbelsystems seiner 
Länge nach, in Abtheilungen und gegliedert aufzutreten; ja 
beim Stör markirt sich sogar an der Chorda dorsualis die 
Zusammensetzung der skeletbildenden Schicht aus zwei seit- 
lichen Hälften, da, wo die paarigen Basilartheile sichtbar 
sind. Während aber in vielen Fällen das Knorpelskelet in 
der Art erscheint, dass sich darin die Wirbel- Abtheilungen, 
die Seitenhälften, auch das obere und untere Rohr des 
Wirbelsystems zu erkennen giebt, indem zwischen den be- 
züglichen Knorpelstücken nicht verknorpelte Partieen der 
fibrösen skeletbildenden Schicht zurückbleiben, so fehlt es 
doch auch anderseits nicht an Beispielen, wo, wenigstens 
in einigen Gegenden, die skeletbildende Schicht in continuo 
in Knorpelzustand übergegangen ist. So namentlich erscheint 
bei Lepidosiren die skeletbildende Schicht um die Chorda 
als ein kontinuirliches Knorpelrohr, desgleichen bei mehre- 

1 


484 


ren Haien (Hexanchus, Heptanchus) im faserknorpligen Zu- 
stande. Bei Rochen ferner besteht auch das Spinalrohr am 
vorderen Abschnitte aus kontinuirlichem Knorpel. 

Die Beobachtungen aus der Entwickelungsgeschichte in 
Betreff der Bildung des Knorpelskeletes stehen im vollkom- 
menen Einklange mit den Thatsachen aus der vergleichenden 
Anatomie. Bei den höheren Wirbelthieren, wie ich an Em- 
bryonen von Vögeln, Säugethieren und des Menschen sehe, 
verwandelt sich diejenige Substanz des Wirbelsystems in 
das Knorpelskelet, welche an der Innenfläche die Spinal- und 
auch die Visceral-Röhre begrenzt und die Wirbelsaite schei- 
denartig umgiebt, oder beim Menschen und den Säugethie- 
ren umgeben hat, da hier in dieser Zeit die Chorda dorsua- 
lis verschwunden ist. Dabei zeigt sich nicht, dass die Knor- 
pelsubstanz zuerst etwa als zwei Basilarstücke zur Seite der 
Wirbelsaite erscheint und dann Fortsätze ausschickt nach 
oben (Spinalfortsätze) und nach unten (Visceral- oder Rip- 
pen-Fortsetzungen), sondern der Knorpel der Wirbelkörper 
entsteht als solides Ganze oder als Ring, wenn die immer- 
hin verkümmerte Wirbelsaite noch vorhanden ist, und gleich- 
zeitig markiren sich auch die knorpligen Spinal- und Rip- 
penbogen. Bei Larven von Rana fusca fand ich an denje- 
nigen Stellen, wo später der knöcherne Wirbelkörper auf- 
tritt, nur faserig-knorplige Substanz; dagegen zeigten sich 
die oberen Bogen hyalinknorplig bis auf das obere Schluss- 
stück, das wieder häutig-knorplig, fast fibrös zu nennen 
war. Auch an den Seiten der künftigen Ligamenta inter- 
vertebralia beobachtete ich hyalinartige Knorpelmasse. 

In Betreff der Verknöcherung der skeletbildenden Schicht 
ist vor Allem die für die Auffassung der Schädelkapsel wich- 
tige Thatsache hervorzuheben, dass nicht blos die hyalin- 
artig-knorpligen Bestandtheile derselben, sondern auch fibröse 
und fibrös-knorplige Parlieen verknöchern und zu Bestand- 
theilen der knöchernen Wirbel verwendet werden. Dass die 
oberen Wirbelbogen beim Lepidosiren aus einer fibrösen Sub- ° 


485 


stanz durch Ossifikation entstehen, wurde schon erwähnt. 
Bei Rana fusca entsteht der Wirbelkörper aus einer häutig- 
knorpligen Substanz, die oberen Bogen aus einem hyalinar- 
tigen Knorpel, das Schlussstück derselben aus einer fibrösen 
Substanz. Es kann ferner die zum Bereich einer Wirbel- 
Abtheilung gehörende skeletbildende Schicht zum Theil knor- 
plig oder fibrös, zum Theil knöchern sein. Als Beispiele 
dienen die Chimären, wo Verknöcherungen um die Wirbel- 
saite anzutreffen sind, ferner die schon besprochene Lepido- 
siren, wo die oberen Bogen der Wirbel verknöchert sind; 
desgleichen finden sich beim Störe knöcherne Rippenbogen, 
knorplige Basilartheile und obere Wirbelbogen, ergänzt durch 
fibröshäutige Partieen der skeletbildenden Schicht. Die hya- 
linischen Knorpel verknöchern entweder durchweg oder nur 
an der Grenzschicht (Rochen), oder an letzterer und auch 
unvollkommen in der Centralmasse. Die letztere Verknöche- 
rung tritt in verschiedenen Formen auf, wie dieses von J. 
Müller bei den Haifischen und Rochen in Betreff der Wir- 
belsäule beschrieben ist. Nach und durch den Verknöche- 
rungsprozess können am fibrösen und hyalinartig-knorpligen 
Theile der skeletbildenden Schicht, sich durch bleibende oder 
vorübergehende Nähte, Abtheilungen und einzelne Bestand- 
theile markiren, die vorher nicht angedeutet sind. Beispiele 
der Art sind zahlreich. Anderseits beweisen die Wirbel bei 
Rana fusca, dass in dem verkuöcherten Zustande die Unter- 
schiede der knorpligen und häutig-knorpligen Partieen durch 
Nähte nicht angedeutet worden und der ganze Wirbel viel. 
mehr, wie aus einem Guss hervorgegangen, sich darstellt. 
Desgleichen kann die Verknöcherung der skeletbildenden 
Schicht ebenso, wie die Verknorplung, um die Wirbelsaite 
und au der Spinalröhre des Wirbelsystems so überhand 
nehmen, dass die einzelnen Knochenstücke nur durch Näthe 
aneinander stossen und selbst diese stellenweise hinschwin- 
den. Die Rochen mögen auch hier als Beispiel dienen. Dass 
endlich die Wirbelsaite bei Ueberhandnahme der Verknorpe- 


486 


lung und Verknöcherung der skeletbildenden Schicht um sie 
herum verkümmert und stellenweise gänzlich hinschwindet; 
ja, dass sie bei den höheren Wirbelthieren selbst in den 
Ligamenta intervertebralia nicht mit Sicherheit nachzuweisen 
ist, ist eiue nicht abzuweisende Thatsache. 

Auf Grundlage der so eben mitgetheilten Untersuchun- 
gen ergiebt sich zunächst, dass die Auffassung Rathke’s 
über die Entwickelung und organologisch typische Bedeu 
tung des inneren Wirbelskelets nicht gerechtfertigt ist. Die 
skeletbildende Schicht des inneren Wirbelskelets und also 
auch der Wirbelsäule ist nicht eine Belegungsmasse und 
ein Bestandtheil der Chorda dorsualis, sondern ein Bestand- 
theil des gesammten Wirbelsystems und zwar die gegen die 
Spinalhöhle und Visceralhöhle gewendete und die Wirbel- 
saite umhüllende innere Grenzschicht desselben. Wenngleich 
ferner die Anlagen des Wirbelsystems zuerst zur Seile der 
Wirbelsaite liegen und später durch die Entwickelung der 
Spinalplatten und Visceralplatten in die doppelröhrige Form 
des gesammien Wirbelsystems übergehen, so folgt daraus 
nieht, dass die skeletbildende Schicht zuerst gleichsam für 
die Wirbelkörper da sei, und später Spinal- und Visceral- 
bogen entsende, denn in der frühsten Zeit ist sie gar nicht 
vorhanden, und, wenn sie als gesonderte Schicht erscheint, 
so ist die doppelröhrige Form mit der gemeinschaftlichen 
in seiner Höhle der Wirbelsaite enthaltenden Scheidewand 
(Wirbelsäule) des gesammten Wirbelsystems vollendet. Dass 
auch der knorplige Zustand der skeletbildenden Schicht für 
eine solche Ansicht nicht spricht, geht daraus hervor, dass 
bei Petromyzon und auch bei Rana fusca hyalinisch - knor- 
plige, obere Wirbelbogen vorkommen, ohne dass die Wirbel- 
körper eine hyalinartig-knorplige Grundlage besitzen. Auch 
entsteht während der Entwickelung der Wirbelthiere der 
knorplige Zustand in der skeletbildenden Schicht überall an 
Ort und Stelle, und wird nicht von einer Stelle zu einer 
anderen durch Wachsthum vorgeschoben. Eben so wenig 


487 


darf auch, vielleicht mit Hinweisung anf die knöchernen 
Wirbelrudimente am Schwanztheil des inneren Wirbelske- 
letes, behauptet werden, dass der Wirbelkörper der we- 
sentlichste und nie fehlende Theil eines Wirbels sei. Denn 
einmal entscheidet der knöcherne Zustand der skeletbilden- 
den Schicht nicht über wesentliche und unwesentliche Theile 
des Wirbels, so lange wir wissen, dass ein dem Wirbel ent- 
sprechendes Segment theils knöchern, theils knorplig, theils 
auch fibrös sein kann. Ueberdiess aber weiset die Entwick- 
lungsgeschichte nach, dass die Spinalplatte des Wirbelsy- 
stems zur Umhüllung des Centralnervensystems ursprünglich 
der ganzen Länge nach am Schwanze ausgebildet ist, und 
dass nur die Visceralplatte hier geringer entwickelt wird. 
Daher ist ursprünglich jedenfalls die korrespondirende ske- 
letbildende Schicht für Wirbelkörper und obere Bogen vor- 
handeu; sie verkümmert jedoch mit der Verkümmerung des 
Centralnervensystems am hinteren Ende. Erscheint hier nun 
ein Knochenstück des Wirbels, so ist es eben ein Rudiment, 
aber nicht der wesentliche Theil eines Wirbels. 

Fragen wir nunmehr nach den Erfordernissen, von 
welchen die typische Bestimmung des inneren Wir- 
belskelets und also zunächst auch seine einzelnen Theile 
abhängig wird, so ist die Antwort: das iunere Wirbelske- 
let muss aus der inneren skeletbildenden Grenzschicht des 
Wirbelsystems sich herausgebildet haben, die an der Spinal- 
röhre dem Centralnervensystem sich zuwendet und die 
Grundlagen der oberen Wirbelbogen und deren Zwischen- 
stücke enthält; die ferner an der Visceralhöhle zur Höhle 
desselben hingerichtet ist und die Grundlagen der Rippenbo- 
gen und der homologen Theile umfasst, die endlich mit ihrem 
mittleren Bezirke zur Seite der Wirbelsaite liegt, als Zwi- 
schenwand der Spinal- und Visceralhöhle um die Chorda 
scheidenartig sich herumzieht und die Grundlage für Wirbel- 
säule, deren Wirbelkörper und der sie verbindenden Stücke 
abgiebt. Also nur so weit, als das Centralnervensystem, 


488 


die Visceralhöhle und die Wirbelsaite sich erstreckt, kann 
von einem inneren Wirbelskelet, kann von Wirbeln und Rip- 
pen oder homologen Theilen die Rede sein und diese Theile 
können fibrös, können knorplig oder knöchern im ganzen 
Bereiche einer Wirbel-Abtheilung oder an einzelnen Stellen 
auftreten. Für den knöchernen Zustand des Wirbelskelets 
ist es hinsichtlich seiner typischen Bedeutung ganz gleich- 
gültig, ob derselbe durch Verknöcherung einer fibrösen oder 
häutig-knorpligen oder hyalinisch-knorpligen Substanz "her- 
vorgegangen ist. Obgleich ferner die Längenausdehnung des 
inneren Wirbelskelets ursprünglich sich nach der Ausdeh- 
nung des Centralnervensystems und der Wirbelsaite richtet, 
so können doch die letzteren, namentlich die Wirbelsaite, 
verkümmern und ganz hinschwinden, ohne dass dadurch der 
Existenz des inneren Wirbelskeletes ein Eintrag geschieht. 
Von der inneren skeletbildenden Schicht des Wirbelsystems 
können Fortsetzungen ausgehen und Verbindungen mit an- 
derweitigen Skelettheilen des Wirbelsystems stattfinden, 
‚aber die homologen Theile des inneren Wirbelskelets sind 
an der inneren Grenzschicht des Wirbelsystems in ‘der be- 
schriebenen Ausbreitung gebunden, und darüber hinaus ‘darf 
kein Wirbel mit der Rippe oder Rudimenten davon gesucht 
werden. Die Beurtheilung dessen, was von dem inneren 
Wirbelskelet zum Bereiche eines Wirbels sammt dem Rip- 
penbogen, und was zu intercalaren Stücken gerechnet wer- 
den muss, desgleichen die Bestimmung der homologen Ab- 
schnitte in dem bezeichneten "Bereiche hängt von ander- 
weitigen speziellen Verhältnissen der skeletbildenden Schicht 
zum gesammien Wirbelsystem ab, worauf näher einzugehen, 
nicht unsere Aufgabe ist 

Prüft man nun mit Rücksicht auf die wesentlichen Ei- 
genschaften des inneren Rumpfskeletes die Schädelkapsel, so 
ergiebt sich, dass dieselbe sammt der Dura mater im ganzen 
Umfange aus einer inneren Grenzschicht des Wirbelsystems 
am Kopf hervorgeht, welche an den Basilarstücken (bis 


489 


zur Gesichtsbasis) zu den Seiten und in der Umgebung der 
schnell verkümmernden Chorda dorsualis sich befand, an den 
Seitenwänden und an der Schädeldecke gegen das Central- 
nervensystem (Gehirn) hingewendet war und zu allen Zeiten, 
vor Allem so deutlich während der Entwickelung auch im 
Bezirke der Schädeldecke, mit allen inneren Vorsprüngen ei- 
nen genauen Abdruck des Gehirns darstellt: d. h. dass die 
Schädelkapsel im ganzen Umfange in ihrer Bil- 
dung sich genau so verhält, wie die Wirbelsäule 
und die Spinalbogen-Partie des inneren Wirbel- 
skeletes am Rumpf, und nicht aus zwei verschiede- 
nen skeletbildenden Schichten entsteht. Dass die 
skeletbildende Schicht der Schädelkapsel zum Theil in hya- 
linartig- knorplige, zum Theil in häutig-knorplige Substanz 
übergeht und so nicht alle Knochen und selbst nicht ein 
und dasselbe Knochenstück aus histologisch ganz gleich be- 
schaflener Knorpelsubstanz hervorgehen; desgleichen, ob die 
ganze Schicht und wie sie verknöchert, oder nur ein Theil 
davon: — das Alles ist für die Prüfung obiger Fragen voll- 
kommen gleichgültig. Namentlich ist auch darauf hinzuwei- 
sen, dass bei Rana fusca die Wirbel des Rumpfes in Betreff 
des Körpers aus fibrösen, hinsichtlich der Bogenstücke zum 
Theil aus byalinischem Knorpel, zum Theil (am Schlusstück) 
aus fibröser Substanz verknöchern, ohne dadurch auf zwei 
organologisch-verschiedene skeletbildende Schichten des Wir- 
belsystems Anspruch zu haben. Auf der anderen Seite ist 
es ganz unpassend, von Wirbeln oder deren Rudimenten 
über die Schädelkapsel, insbesondere über die Stirnwand 
hinaus zu sprechen. — Die Gehör- und Geruch-Labyrinthe 
sind metamorphosirte Abschnitte des Wirbelsystems für die 
respektiven Sinnesapparate, wobei sich auch ein entsprechen- 
des Stück der inneren skeletbildenden Schicht betheiligt oder 
doch betheiligen kann. 

Wir kommen jetzt zu den Hartgebilden der Kopf- 
Visceralröhre und des Gesichts. 


490 


Von den thatsächlichen Stützen der Lehre des Primor- 
dialschädels in Betreff der oben genannten Theile des Kop- 
fes ist nur eine einzige vollkommen richtig und zum Theil 
schon längst bekannt. Sie lässt sich ohne allen theoretischen 
Schmuck dahin aussprechen, dass ein Theil der Knochen 
aus hyalinischem Knorpel, ein anderer aus fibröser und häu- 
tig-knorpliger Substanz durch Verknöcherung hervorgehen. 
Wenn man aber behauptet, dass alle die Knochen, welche 
aus häutig-knorpliger Grundlage entstehen, Beleg- oder Deck- 
knochen von hyalinisch-knorpligen Unterlagen (Primordial- 
knorpel) sind, so ist dieses schon eine sehr gezwungene An- 
gabe in Betreff des Unterkiefers der Säugethiere und des 
Menschen, desgleichen für die horizontalen Theile des Ober- 
kiefers und der Gaumenbeine, noch mehr für das os ptery- 
goideum; die Thatsache ist ganz unrichtig, hinsichtlich des 
Jochbeins und Quadratjochbeins. Ebenso unrichtig ist es, 
wenn man die sekundären oder Belegknochen ausserhalb der 
primären, des sogenannten Primordialschädels entstehen lässt. 

Denn die sogenannten sekundären Knochen zeigen sich in 
ihren häutig-knorpligen Grundlagen gleichzeitig mit den hya- 
linartigen Knorpeln und beide entstehen in ihren eigenen 
Bildungsfortsätzen des Wirbelsystems, von denen zwar ei- 
nige früher, andere später sichtbar werden, doch ganz unab- 
hängig von der Eintheilung in primäre und sekundäre Kno- 
chen. So z. B. ist der erste Visceralbogen, in welchem sich 
der Meckel’sche Knorpel, das Quadratbein ( Ambos ) das 
Flügel- und Keilbein mit den Belegknochen (Unterkiefer ete,) 
herausbilden, viel früher vorhanden, als jene Bildungsfort- 
sätze, in welchen sämmtliche Obergesichtsknochen und 
Knorpel mit Einschluss des Geruchlabyrinthes entstehen. 
Der Bildungsfortsatz für den Oberkiefer ist desgleichen frü- 
her vorhanden, als die Bildungsfortsätze für die Gesichtsba- 
sis und für das Geruchlabyrinth. Ausserdem aber können 
einige Knochen (sekundäre) wegen der getrennten Lage von 
irgend einem hyalinartigen, primären Knorpel eine solche 


491 


Entstehung nicht einmal möglich machen. Dass alle aus 
bäutig-kuorpliger Grundlage hervorgehende Knochen früher 
verknöchern, als die aus hyalinartig - knorpliger Grundlage, 
ist eine bekannte Thatsache. Was endlich die Angabe be- 
trifft, dass die primordialen Knorpel während der Verknö- 
cherung der sekundären Knochen verkümmern, so ist dieses 
mit Sicherheit erwiesen und längst bekannt von dem Mek- 
kel’schen Knorpel. Der Knorpel des Geruchlabyrinthes im 
ganzen Umfange und der Gesichlsbasis (Nasenscheidewand) 
verknöchert aber unabhängig von den Deckknochen oder 
bleibt knorplig; ein wirkliches Hinschwinden desselben ist 
nicht erwiesen. Als allgemeingültig kann diese Angabe 
auch schon deshalb nicht angesehen werden, weil mehrere 
sekundäre Knochen, auch nach Kölliker mit einem hyali- 
nischen Knorpel überhaupt nicht in Berührung stehen. Es 
bleibt also nur die allgemein durchgreifende Thatsache übrig, 
dass ein Theil der Knochen des Gesichts und der Kopfvis- 
ceralröhre aus fibröser oder häutig-knorpliger Grundlage ver- 
knöchere, ein anderer aus hyalınischem Knorpel, und dass 
dieses bei den höheren Wirbelthieren konstant zu sein scheint. 
Diese Thatsache hat, wie sie dasteht, nur einen histologi- 
schen Werth. Man wird vielleicht dereinst so glücklich 
sein, die Bedingungen kennen zu lernen, unter welchen hier, 
wie beim Wirbelskelet, gewisse Knochenstücke aus häutig- 
knorpligen und andere aus hyalinischem Knorpel durch Ver- 
knöcherung hervorgehen. Für die Entscheidung der Fragen 
aber, ob die verschiedenartig verknöchernden Knochen zu 
organologisch verschiedenen skeletbildenden Schichten gehö- 
ren, und welches diese sind, liefert obige Thatsache kein 
entscheidendes Moment, zumal es bekannt ist, dass eine und 
dieselbe skeletbildende Schicht auf gleiche Weise sich ver- 
hält oder doch verhalten kann. Wenn daher die Lehre von 
dem Primordialschädel in Betreff der Knochen und Knorpel 
des Gesichts und der Kopf-Visceralröhre bei der erwähnten 
histologischen Thatsache stehen bleibt, so ist dies für die 


492 


höheren Wirbelthiere, wıe es scheint, allgemein richtig; sie 
hat dann aber keine Ansprüche, über die typische 
Bedeutung der Knochen eine entscheidende Stim- 
me abzugeben. Will sie jedoch diesen Standpunkt durch 
gleichzeitige Berücksichtigung anch der übrigen oben bespro- 
chenen Angaben gewinnen, so lässt sich behaupten, dass die 
Lehre von dem Primordialschädel auch hier auf 
zum Theil gezwungenen, zum Theil unrichtigen 
Voraussetzungen beruht. 

Es ist aber nunmehr meine Aufgabe, auf Grundlage der 
leider vernachlässigten Thatsachen aus der Bildungsgeschichte 
des Gesichtes und der Kopfvisceralröhre in Kürze zu zeigen, 
wie viele skeletbildende Schichten an dem benannten Orte 
auftreten, und wie sich dieselben zu den skeletbildenden 
Schichten des Wirbelsystems am Rumpfe verhalten. Die 
Entwickelungsgeschichte hat nachgewiesen, dass die Kopf- 
visceralröhre genau so sich bildet durch Entwickelung von 
Visceralbogen, wie die Rumpfvisceralröhre durch Visceral- 
platten. Desgleichen zeigen sich in den Visceralbogen knorp- 
lige oder häutig-knorplige Bogen, wie die Rippenbogen in 
der Visceralplatte. Die Hartgebilde der Visceralbogen gehö- 
ren also zur skeletbildenden Schicht des inneren Wirbelske- 
letes, und dahin sind zu rechnen das Zungenbein und der 
Stapes, ferner der Meckel'sche Knorpel (Hammer oder Ge- 
lenkstück des Unterkiefers), das Quadratbein (Ambos) und 
auch das Flügel- und Gaumenbein, die aus einer nach vorn 
gebogenen Partie des ersten Visceralbogens entstehen. Zu 
dieser skeletbildenden Schicht gehören also sowohl Theile 
mit hyalinisch-knorpliger, als Theile mit häutig-knorpliger 
Grundlage. Es ist ferner nachgewiesen, dass an der Aussen- 
seite des ersten Visceralbogens genau so, wie an der Rumpf- 
visceralplatte, Verdickungen, sekundäre Bildungen auftreten, 
die am Rumpf und Kopf die Grundlage für eine äussere ske- 
letbildende Schicht des Wirbelsystems enthalten: ich meine 
die Extremitäten und ihren Gürtel. An dem ersten Visce- 


493 


ralbogen tritt diese Verdiekung nicht frei hervor, sondern 
zieht sich zu einem Gürtel für denselben aus. Die Knochen, 
welche auf diese Weise homolog den Extremitäten - Gürteln 
entstehen, sind das Os tympanicum und die zahntra- 
genden Stücke des Unterkiefers; bei den Säugeihieren und 
dem Menschen der ganze Unterkiefer; sie haben zum gröss- 
ten Theile eine häutig-knorplige Grundlage vor der Verknö- 
cherung. Alle übrigen Knochen, die sämmtlich zum Ober- 
gesicht gehören, bilden sich, wie dieses Rathke und ich 
gezeigt haben, in Bildungsfortsätzen des Wirbelsystems, die 
frei von der Stirnwand um das Geruchgrübchen herum und 
vom oberen Ende des ersten Visceralbogens nach vorn her- 
vorwachsen; die ferner um die in das Labyrinih und die 
untere Muschel verwandelten Geruchgrübchen die durch eine 
ebenso mitwuchernde Scheidewand getheilte Nasenhöhle auf- 
bauen. Alle diese Bildungsfortsätze des Wirbelsystems, ob- 
gleich sie nach Aussen frei hervorwachsen, sind nicht völlig 
zu vergleichen mit den Bildungen für die Extremitäten, da 
an der Spinalplatte (Stirnwand) solche nicht auftreten; die 
in ihnen sich bildenden Hartgebilde besitzen also auch eine 
andere Skeletschicht, als die Extremitäten. Desgleichen kön- 
nen sie unmöglich mit der skeletbildenden Schicht des inne- 
ren Wirbelskelets verglichen werden, obgleich bekanntlich 
auch diese sich an dem Labyrinth (Lamina cribrosa) bethei- 
ligen kann, und die Gesichtsbasis als eine unmittelbare Fort- 
setzung der Schädelbasis sich darstellt. Es sind vielmehr 
Bildungen eigener Art, die vielleicht passend mit jenen, in 
welchen die harten Theile der Rücken- und Schwanzflosse 
bei Fischen ete. entstehen, verglichen werden können. Die 
knorpligen Grundlagen sind auch bei diesen Knochen des 
Gesichtes zum Theil hyalinisch-, zum Theil häutig- knorplig. 
Warum grade die Deckknochen unter ihnen häutig-knorp- 
lig, und das Geruchlabyrinth mit der Gesichtebasis sammt 
Nasenknorpel hyalinisch-knorplig erscheinen, weiss man al- 
lerdings nicht; das Deckungsverhältniss der Knochen des 


494 


Gesichts dagegen ist aus dem TLagerungsverhältniss der Bil- 
dungsfortsätze für die verschiedenen Knochen so natürlich, 
dass nach meinem Dafürhalten vielmehr das Gegentheil Stoff 
zu Theorien hergeben könnte. Hiernach lässt sich behaup- 
ten, dass die Hartgebilde der Kopf- Visceralröhre und des 
Gesichts mindestens zu drei deutlich geschiedenen skeletbil- 
denden Schichten des Wirbelsystems gehören: zu dem in- 
neren Wirbelskelet, zu dem Extremitäten-Skelet und zu einer 
dritten Schicht, die zwar etwas dem Extremitäten - Skelet- 
system verwandt erscheint, doch auch wiederum von ihm 
bedeutend abweicht. Ob der Vomer aus einem besonderen 
Bildungsfortsatz oder als verknöcherte Grenzschicht der 
knorpligen Gesichtsbasis aufzufassen sei, darüber kann ich 
nach neueren Untersuchungen mich nicht bestimmt erklären; 
obschon die letztere Ansicht als die wahrscheinlichere er- 
scheint. 


B. Niedere Wirbelthiere. 


Es ist bisher absichtlich von mir vermieden worden, 
bei der Betrachtung des Schädels der höheren Wirbelthiere 
mit Rücksicht auf die Lehre von dem Primordialschädel zu- 
gleich die niederen Wirbelthiere, Fische und nackte Amphi- 
bien, zu berücksichtigen. Der Schädel der niederen Wirbel- 
thiere bietet anatomische Verhältnisse dar, die bei höheren 
Wirbelthieren nicht vorkommen; auch ist der Gang der Ent- 
wickelung des Kopfes, wie ich gezeigt (Entwickelungsg. des 
Kopfes der nackten Amphibien etc.), nicht vollkommen über- 
einstimmend mit dem bei den höheren Wirbelthieren; end- 
lich kennt man die frühen Zustände des Schädels gerade mit 
Rücksicht auf den fraglichen Punkt bei niederen Wirbelthie- 
ren viel weniger, so dass die Prüfung der Lehre des Primor- 
dialschädels in ihrer Anwendbarkeit auf den Schädel dieser 
nicht ganz dieselben Wege, wie bei den höheren Wirbel- 
thieren, einschlagen kann. Wir trennen auch hier wieder 


495 


die Schädelkapsel von dem Gesicht und der Kopf- Visceral- 
röhre, 

Bei der Betrachtung der Schädelkapsel niederer Wir- 
belthiere wird der vergleichende Anatom die Entscheidung 
der Frage, ob dieselbe, wie bei höheren Wirbelthieren, zur 
skeletbildenden Schicht des inneren Wirbelskeletes gehöre, 
nicht von der histologischen Beschaffenheit allein abhängig 
machen. Wir wissen, dass die skeletbildende Schicht des 
inneren Wirbelskeletes fibrös und häutig-knorplig, oder zum 
Theil hyalinisch-knorplig und zum Theil fibrös sein kann. 
Auch die Verknöcherung kann theilweise oder gänzlich erfolgt 
sein. Solche Zustände können in Betreff der Schädelkapsel bei 
niederen Wirbelthieren vorkommen, wie es auch wirklich der 
Fall ist, und sie begründen nicht die Annahme von zwei ver- 
schieden skeletbildenden Schichten, oder eine verschiedene ty- 
pische Beschaffenheit der Schädelkapsel höherer und niederer 
Wirbelthiere. Ebenso kann auch die Rat hke'sche Lehre von 
den Balken des Schädels durch die zum Theil knorplige, zum 
Theil fibröse Beschaffenheit der Schädelkapsel bei Ammocoe- 
tes, Myxinoiden eben so wenig, wie bei höheren Wirbelthie- 
ren gestützt werden. Auch kann es geschehen, dass, wie 
es z. B. bei den Fröschen an der Schädeldecke und an den 
Seitenwänden der Schädelkapsel der Fall ist, ein Knochen 
in Gegenden, wo Schuppennähte vorkommen, eine hyali- 
nisch-knorplige Unterlage besitzt, welche mit einem nicht 
verknöcherten, knorpligen Theile der Kapsel in kontinuir- 
licher Verbindung steht, — und man braucht dieserhalb noch 
nicht die Uebereinstimmung mit der Schädelkapsel höherer 
Wirbelthiere zu bezweifeln, da bei letzteren ähnliche Zu- 
stände der Schädelkapsel während des Fötuslebens angelrof- 
fen werden. Gegenüber dergleichen Variationen in der hi- 
stologischen Beschaffenheit der Schädelkapsel niederer Wir- 
belthiere sind vielmehr die für die Uebereinstimmung mit 
den höheren Wirbelthieren sprechenden Gründe aus der Ent- 
wickelungsgeschichte und aus dem Verhalten der Kapsel zur 


496 


Wirbelsaite und zum Gehirn so bedeutungsvoll, dass kaum 
ein Zweifel sich geltend machen dürfte 

Es giebt indessen Zustände der Schädelkapsel bei den 
niedern Wirbelthieren, welche der Entscheidung der ange- 
regten Frage Schwierigkeiten in den Weg legen. Das Sphe- 
noideum basilare zeigt sich sowohl bei nackten Amphibien, 
als bei den Fischen nicht selten als ein Knochen, der nir- 
gend unmittelbar die Schädelhöhle begrenzt, sondern 
vielmehr einem hyalinischen Knorpel anliegt, der in Ver- 
bindung mit den Seitenwänden der Kapsel und dem Hinter- 
hauptsbeine etc. die unmittelbare Umschliessung der Kapsel 
übernimmt. Der Knochen ist bei jugendlichen Thieren und 
mehr noch in früheren Zuständen ziemlich leicht sogar in 
Verbindung mit der Mundschleimhaut von dem Knorpel trenn- 
bar; auf der andern Seite finde ich bei grossen Fröschen 
(Rana gigas), die ich aus Amerika erhalten, dass sich die 
Verknöcherung von ihm in continuo auch auf den anliegen- 
den Knorpel fortsetzen kann. Noch auffallender ist das Ver- 
halten der Schädeldecke bei vielen Fischen, bei welchen, vor 
Allem in ausgezeichnetem Grade beim Hecht, unter den Schei- 
tel- und Stirnbeinen ein hyalinartiger Knorpel die Seiten- 
wände unmitlelbar fortsetzend, die Schädelkapseln oben 
schliesst. Wo dieser Knorpel lückenhaft ist, füllt eine an 
Fettzellen reiche Substanz die Lücken aus. _ Die darüber. 
liegenden Knochen lassen sich zu jeder Zeit ohne Zerstö- 
rung des darunter befindlichen Knorpels entfernen. Also 
grade an den beiden frei gegen die Cutis und die Mundschleim- 
haut frei hervortretenden Flächen der Schädelkapsel finden 
sich diese auffallenden Erscheinungen, die zu keiner Zeit des 
Lebens bei einem höhern Wirbelthier au der Schädelkapsel 
bekannt geworden sind. Es kann also auch, wie dieses aus 
dem Vorhergehenden sich ergiebt, von keinem Vergleich mit 
einem sogenannten Primordialschädel der höheren Wirbel- 
thiere die Rede sein; wir haben vielmehr ganz unabhängig 
davon zu prüfen, ob die bezeichneten Knochen und der an- 


497 


liegende Knorpel zweien skeletbildenden Schichten ‚oder nur 
einer einzigen angehören: Im ersteren Falle würde der nach 
innen ‚liegende Knorpel‘ der Schädelkapsel auf'.das innere 
Wirbelskelet am Kopfe nothwendig zu beziehen. sein, die 
Kirocheii  dägegen: könnten entweder einer äusseren: skelet- 
bildenden ‚Schicht ‘des Wirbelsystems:' oder. der skeletbilden- 
den Schicht der Cutis und der Schleimhaat zugerechnet 'wer- 
den... Im letzteren’ Falle hätte man es nur: mit ‘der skelet- 
bildenden Schieht des inneren Wirbelskeleles ‘zu thun. 
ws ‚Betrachten wir den ersten Fall und ‚nehmen zunächst 
an, dass die Stirn- und Scheitelbeine, so wie das Sphenoi- 
deum:basilare einer äusseren skeletbildenden Schicht, des 
Wirbelsystems angehören; eine Ansicht, zu‘ der sich die 
Lehre von dem Primordiälschädel bekennt. . "Hier entsteht 
natürlich‘. .die Frage, zu. welcher. äusseren  skeletbildenden 
Schicht des Wirbelsystems ‘die fragliche, gerechnet werden 
solle? Kölliker meint, sie seisnoch unbekannt, die Ent- 
wickelungsgeschichle müsse sie bestimmen.‘ ‚Aber die Eut- 
wicklungsgeschichte klärt nur auf, was sich im Grossen ver- 
gleichend-analomisch zu "erkennen giebt. Sie hat daher im 
Verein ‚mit‘ der vergleichenden Anatomie nur | nachweisen 
können, dass sich, ‚wie oben darauf ‚hingewiesen ‚wurde, 
zwei Formen von. äusseren ‚skeletbildenden Schichten 
des Wirbelsystems 'unterscheideu lassen: nämlich diejenige, 
welehe in den Bildungen für ‚die Extremitäten vorliegt,.und 
zweitens jene Form, ‚die,in ‚den Bildungsfortsätzen für das 
Obergesicht und für, die Rücken- und Schwanzflossen auf- 
tritt. Von beiden Formen kann hier. bei der Schädelkapsel 
wahrlich nicht die Rede sein, und die Annahme ‚einer 
unbekannten dritten skeletbildenden Schicht ist 
durch Nichts gerechtfertigt. » Daher muss diese An+ 
sicht als eine nicht begründete und unbaltbare von. der Hand 
gewiesen werden. 

Es bliebe nun für ‚den ersten Fall noch uber zu prü- 


fen, ob die genaunten Knochen den skeletbildenden Schich- 
Nüller's Archiv, 1840 39 


498 


ten der Cutis und Mundschleimhaut zugezählt werden dür- 
fen. Diese Ansicht habe ich früher allein vertreten, indem 
ich mich auf ein im Jugendzustande bei Tritonen vorkom- 
mendes Zahngerüste in der Mundhöhle stützte und an die 
Beschaffenheit der Schädeldecke bei Stören, Callichthys ete. 
erinnerte. Dass auch bei den Eidechsen Hautknochen mit 
der häutig-knorplig bleibenden Schädeldecke verschmelzen, 
darauf hat Stannius hingewiesen. Ueberhaupt fehlt es 
nicht an Thatsachen, die beweisen, dass die Skeletsysteme 
des Wirbelsystems mit dem Skeletsystem der Haut oft bis zur 
Unkenntlichkeit sich mit einander vereinigen; hat man doch 
bei den Schildkröten selbst noch bis auf die jüngste Zeit 
eins für das’Andere genommen. Dabei zeigt sich nicht sel- 
ten, dass die Knochenstücke der Haut in der Form den Kno- 
chen des Wirbelskeletes sich nähern und ganz ähnlich wer- 
den, und umgekehrt. Kölliker hat jedoch folgende Gründe 
dagegen vorgebracht, indem er zugleich auf die Ueberein- 
stimmung jener Knochen mit den gleichbenannten höherer 
Wirbelthiere im Sinne der Lehre des Primordialschädels hin- 
weiset. Er sagt: 1) Die genannten Knochen haben dieselbe 
Lage, dieselbe Entstehungsweise, dasselbe Verhältniss zum 
Primordialeranium, wie die gleichbenannten bei höheren Wir- 
belthieren. Aus den früheren Mittheilungen geht die Bedeu- 
tungslosigkeit des angeführten Grundes hervor. Ueber die 
erste Entstehung der fraglichen Knochen hat weder Kölli- 
ker, noch ein anderer Forscher entscheidende Beobachtun- 
gen beigebracht. Das Lageverhältniss derselben stimmt nicht 
ganz mit den gleichbenannten Knochen höherer Wirbelthiere 
überein, da hier nirgend ein vollkommen die Schädelkapsel 
einschliessender Hyalinknorpel vorgefunden wird. Ueber- 
haupt ist gezeigt worden, dass ein Primordialeranium im 
Sinne Kölliker’s gar nicht bei höheren Thieren existire. 
2) Keiner jener Knochen liegt in der Haut, sondern unter 
derselben, weil überall ein Hautüberzug darüber hinweggeht, 


der oft Stacheln und Schuppen enthält. Auch dieser Grund ° 


499 


ist nicht haltbar. Denn es ist bekannt, dass über einer je- 
den Fischschuppe ein Hautüberzug zu finden ist. Bei Raja 
pastinaca und andern slachligen Rochen kann Kölliker sich 
ferner überzeugen, dass auf der Platte grösserer Stacheln 
noch kleinere aufsitzen. Es ist überhaupt sehr wahrschein- 
lich, dass in der Cutis bald mehr in der Tiefe und, mehr zu 
dem Wirbelsystem hin, bald mehr nach der Oberfläche die 
Bindesubstanz zu einer skeletbildenden Schicht werden kann 
und dass daher auch beide neben einander bestehen können. 
Vielleicht wird bei den Fischen die erstere Schicht die Grund- 
lage für Schilder und Platten, die letztere dagegen für die 
eigentlichen Schuppen. ‘3) Die Aehnlichkeit der Scheitel-, 
Stirn- und Nasenbeine der Fische mit Schleimröhrenknochen 
(Stannius) beweiset nicht, dass dieselben Hauiknochen 
sind, denn die Schleimröhrenknochen aueh am Rumpfe seien 
keine Hautknochen, weil Haut und Schuppen darüber hin- 
weggehen. Die Unhaltbarkeit dieses Grundes geht aus dem 
Obigen hervor. Kein vergleichender Anatom wird daran 
zweifeln, dass die Schleimröhrenknochen am Rumpfe Haut- 
knochen sind. Daraus folgt freilich nicht mit Sicherheit, 
dass jeder Knochen, durch welchen die Schleimröhren ge- 
hen, zur Cutis gehöre, da es möglich wäre, dass die Schleim- 
röhren auch in das Wirbelsystem hineindringen. 4) Endlich 
befindet sich das Sphenoideum basilare der Störe durchaus 
nicht in der Mundschleimhaut, sondern nach Aussen von 
derselben in inniger Verbindung mit der Schädelbasis und 
kann daher nicht als Schleimhautknochen betrachtet werden. 
Hierauf ist zu erwidern, dass die Festigkeit der Verbindung 
jener Knochen nicht im Geringsten darüber entscheiden kann, 
ob der äussere Knochen zum Hautsysteme gehöre oder nicht, 
da Beispiele genug vorhanden sind, wo Hautknochen sogar 
gänzlich mit Knochen des Wirbelsystems verschmelzen. Es 
kann sogar, wie dieses die Zähne, anerkannte Mundschleim- 
haut-Gebilde, beweisen, ein Knochen der Schleimhaut mehr 
oder weniger von Knochen des Wirbelskeletes umschlossen 
Be 


500- 


werden.» Ausserdem ist'es Thatsache, dass das Sphenoideum 
basilare überall’ um so freier liegt, je jünger das Thier ist, und 
dann auch ziemlich leicht von der Schädelbasis sich: abtrennen 
lässt. 'Wahrlich so leicht, wie Kölliker sich‘. die Sache 
macht, ist’ weder 'eine Widerlegung, noch‘ überhaupt eine 
Prüfung: des: angeregten Gegenstandes möglieh. Was’ mich 
betrifft, so»vermag ich aus den entwickelten: Zuständen .des 
Kopfes |keine schlagende: Thatsache: anzuführen;;. die, gegen 
die. Deutuug der Knochen :als-Hautknochen spräche. «\Viel- 
leicht gelingt! es der ;Entwickelungsgeschichte nachzuweisen; 
dass : die «bezeichneten Knochen nicht in. jener Anlage: ent- 
stehen‘, «die.der' Culis und der Mündschleimhaut entspricht. 
Gleichwohl wird sich im Folgenden ‚herausstellen ‚; dass. ich 
meine frühere Ansicht nichtmehr als die am meisten wahr- 
scheinliche vertreten‘ kann, und dass: ich vielmehr »zu ‘der 
Ansicht 'hinneige, die. ich sogleich näher ‚erörtern und: zu 
prüfen: haben werde. 

Im dem zweiten Fallegehören nun die bezeichneten Kno- 
ehen und der anliegende hyalinische‘ Knorpel einer einzigen 
skeletbildenden: Schicht an, die ‚nach. den gegebenen. Ver- 
hältnissen keine ‚andere, als die innere skeletbildende Schicht 
des Wirbelsystems’ sein könnle und, demnach. eben ‚dieselbe 
wäre,.aus welcher. auch die Knochen der  Schädelkapsel bei 
höheren ‚Wirbelthieren hervorgehen... Nach dieser ' Annahme 
würden die fraglichen Knochen als: Bestandtheile, der ossifi- 
eirten Rindenschicht der hyalinisch-knorpligen ‚Schädelkap- 
sel’zu ‚betrachten sein. : Auf diese Ansicht: hat ‘in Betreff der 
Schädeldecke des: Hechtes bereits J. Müller in den Myxi: 
noiden:hingedeutet. »Auch.Duges: lässt, freilich. in. viel 'wei- 
terer:und» nicht überall begründeter Ausdelinung, Knochen 
des‘ Schädels. der nackten Amphibien und Fische (durch ‘Os- 
sifikation! an der,Oberfläche ‚des Knorpels, gleichsam im. Pe- 
richondrium; entstehen... Kölliker;selbst, neigte sich. dieser 
Ansicht zu, giebt sie aber auf, ‚da sie für. alle sekundären 


501 


Kuochen nieht durchzuführen ist, indem mehrere’ keine hya 
linisch-knöorplige Unterlage besitzen. 

“Um diese Deutungsweise' gehörig zu würdigen; ‘sehe ich 
mich‘ genöthigt,' einige Beobachtungen über die Verknöche- 
rungen hyalinischer Knorpel vorauszuschicken.. An’ jedem 
hyalinischen‘ ‘Knorpel unterscheidet man "eine peripherische 
Schicht von’ der eentralen Masse. Die erstere 'hat"eine' häu- 
tig- oder fasrig-knorplige Beschaffenheit und geht ohne deut: 
liche Grenze in das angrenzende Bindegewebe (Perichon- 
drium) über. ‘Die centrale Masse zeichnet‘ sich namentlich 
auch durch die’ 'hyalinische Beschaflfenheil der Grundsubstanz 
aus, . Beide Substanzen 'bilden ;:» wie: man auf Dürchschnitt- 
chen sehr gut übersehen kann, ein Continuum, durch -allmäh- 
ligen Uebergang der einen’Substanz in die andere vermittelt. 
Beide Substanzen: können bei Uebergange des Knorpels' in 
Knochen verknöchern und bilden damm' ebenfalls 'ein einheit- 
liches Gauze, wie im Knorpel. Die Art und Weise); wie 
dabei die erdigen Bestandtheile in ihnen abgelagert‘ werden, 
und wie die Knochenkörperchen zu Stande kommen), ist 
nicht wesentlich verschieden, was ich schon früher gegen 
Kölliker bemerkt: habe. Dagegen ist es richtig, was Shar- 
pey und Kölliker anführen, dass ‘beide unabhängig‘ "von 
einander zu. verknöchern beginnen und ' später‘ zusammien- 
treten. Um’ sich eine Vorstellung 'von dieser Unabhängigkeit 
zumachen, mögen folgende Beispiele dienen. Beiden Säu- 
gethieren und. Menschen zeigt sich . die‘ Verknöcherung an 
den Wirbeln durchweg, desgleichen ‘an den ‚Rippen, au dem 
hyalinisch-knorpligen Theile der Schädelkapsel, auch an dem 
Knorpel der Visceralbogen, ‘überhaupt am ‚ganzen inneren 
Wirbelskelett zuerst‘ in der, Centralsubstanz des Knorpels 
und erst viel später im der Rindenschicht. > (Dieser Ausspruch 
bezieht sich auch, wie bereits angegeben wurde, auf:den 
häutig-knorpligen Theil der Schädelkapsel.) » Anıden Extre- 
mitätenknorpeln dagegen sehe ich zuerst die  Rindenschicht 
ossilieirt, und«die centrale Masse erst #päter und unabhän- 


502 


gig von der. Rindenschicht zu verknöchern beginnen. Bei 
den Vögeln beginnt die Verknöcherung an den Wirbelkör- 
pern und an dem hyalinartigen Theile der Schädelkapsel 
ebenfalls zuerst in der centralen Masse. An den Bogen der 
Wirbel dagegen, desgleichen an den Rippen, und an den 
Extremitätenknorpeln zeigt sich die Ossifikation zuerst in 
der Rindenschicht, und bei den röhrenförmigen Extremitä- 
tenknorpeln ist mir zweifelhaft gewesen, ob, wenigstens in 
dem Körperstücke, die centrale Substanz überhaupt össifieirt 
und nicht vielmehr zum grössten Theil resorbirt wird. In 
den Fällen, wo bei Röhrenknochen die Rindensubstanz zu» 
erst verknöchert, lässt sich an Schnittchen die centirale Kuor- 
pelmasse ohne grosse Schwierigkeit herauspressen und zeigt 
dann eine glatte Oberfläche. Nach Rathke beginnt bei den 
Schildkröten auch an dem Wirbelkörper zuerst an der äus- 
serü und innern, zur Wirbelsaite hingewendeten Rinden- 
schicht die Ossifikation. Bei den nackten Amphibien (Frö- 
schen) verknöchert gleichfalls an den Extremitäten und an 
den Bogen, die bier allein hyalinisch-knorplig sind, zuerst 
die Rindenschicht. An den Extremitäten findet man bei Frör 
schen (Rana fusea), die die Larvenmetamorphose schon fast 
beendet haben, die centrale Masse noch unverknöchert, und 
später erscheint sie ganz verändert durch körnige (fettartige) 
Niederschläge und durch das Auftreten von Zellen, so dass 
dieselbe auch hier an dem Verknöcherungsprozess, wenig- 
stens in der Diaphyse, sich nicht betheiligt, sondern zum 
Theil resorbirt und in andere Substanzen (Mark) verwandelt 
wird. Bei den Fischen ist es eine sehr verbreitete Erschei- 
nung; namentlich an den Knochen des Kopfes, dass sich die 
Ossifikation nur auf die Rindenschicht beschränkt. Sehr 
auffallend ist dieses bei den Rochen etc. ' Interessant ist die 
Beobachtung J. Müller’s, dass bei Squalus centrina die 
Wirbelkörper nicht an der ganzen Peripherie, sondern nur 
gegen die Facetten hin ossifizirt ist. Dieser Fall erinnert 
an die Entstehung des Process. Folii des Hammers aus dem 


503 


Meckel’schen Knorpel beim Menschen, der gleichfalls nur 
aus einer beschränkten Verknöcherung der Rindenschicht des 
genannten Knorpels entsteht, während der übrige Theil und 
die centrale Masse resorbirt wird. Die angeführten Beispiele 
werden genügen, um nicht allein die Unabhängigkeit der Ver- 
knöcherung der peripherischen und centralen Substanz eines 
hyalinischen Knorpels za veranschaulichen, sondern auch zu 
zeigen, dass die Verknöcherung in einem Falle zuerst in der 
centralen Substanz, in einem andern dagegen zuerst in der 
Rindenschicht beginnen kann, dass ferner die Ossifikation 
nicht selten auf die ganze Rindenschicht oder auf einen Theil 
derselben beschränkt wird, während die centrale Masse un- 
verknöchert bleibt oder zum Theil oder auch gänzlich resor- 
birt und zur Bildung anderer Substanzen verwendet wird. 
Hiernach ergiebt sich zur Gnüge, dass die fraglichen 
Knochen aus einer, auf die Rindenschicht der hyalinartig- 
knorpligen Schädelkapsel beschränkten Verknöcherung her- 
vorgegangen sein können, so zwar, dass selbst da, wo der 
anliegende Knorpel lückenhaft ist, eine Erklärung durch die 
theilweise Resorption und Veränderung der centralen Sub- 
slanz zu finden wäre Prüfen wir noch, was sich gegen 
diese Ansicht vorbringen liesse. Auffallend ist hier zunächst, 
dass sich die Verknöcherung der Rindenschicht nur auf die 
eine, freie Fläche des Knorpels beschränkt hat. Inzwi- 
schen sind solche Beschränkungen der Verknöcherung in 
der Rindenschicht an dem Processus Folii und an den 
Wirbelkörpern von Squalus centrina beobachtet und kön- 
nen also dadurch erklärt werden. Dass hier gerade auf 
die freie Fläche die Beschränkung stattgefunden, darf 
wohl nicht in Anschlag gebracht werden. Es könnte ferner 
der Umstand bemerkt werden, dass die Rindenschicht an 
der Schädeldecke in einzelne Knochenabschnitte ossifizirt, 
die doch in dem darunter liegenden Knorpel nicht angedeu- 
tet seien. Dagegen ist zu erwidern, dass in der knorpligen 
Schädelkapsel überhaupt nicht vor der Verknöcherung die 


504 


Begrenzungen der einzelnen Knochen markirt sind, und’ daun 
doch, wo der ganze Knorpel verknöchert, ebenso gut 
inder’Rindenschicht, 'wie in der übrigen’ Masse des :Knor- 
pels' auftreten. “Also können auch,‘ wo die Rindenschicht 
allein: ossifizirt, die in ihr 'enthältenen Abtheilungen von’ ein- 
zelnen: Knochen sich geltend machen. Endlich dürfte man 
gegen die'Auffassung der fraglichen Knochen‘ und der 'an* 
liegenden’ Knorpelinasse als Bestandtheile 'eines ursprünglich 
einheitlichen Knorpels ‘noch anführen: wollen: die leichte 
Trennbarkeit beider von einander ohne ihre Zerstörung, und 
der Umstand, dass zwischen ilınen eine feine. bindegewveb- 
artige Lamelle, gleichsam ein sie scheidendes Perichondrium, 
anzutreffen sei. ' Auch auf diese Einwendungen kann der 
vergleichende Anatom leider, wie ich schon einmal'bemerkte) 
kein Gewicht legen, . obgleich‘'ich. früher'selbst gerade da- 
durch zu meiner 'Ansicht mich hatte verleiten lassen. + Es 
kann nämlich an einem Knorpel eines Röhrenknochens, des- 
sen Rindenschicht frühzeitig und vielleicht allein verknöchert, 
die centrale Knorpelmasse an’ dazu vorbereiteten Scheiben- 
schnittchen ' scheinbar ohne ' Zerstörung entfernt werden. 
Dasselbe ist auch‘ ‚der Fall, wie bereits oben beschrieben 
wurde, beim Processus Folii des Meckel’schen Kuorpels 
vom Menschen. ‘ Mit Hülfe des Mikroskops überzeugt man 
sich ferner, dass einzelne, abgerissene Fetzen der Rinden- 
schicht auf den losgetrennten Flächen beider Bestandtheile 
sichtbar sind, die bei grösseren Massen sich nur zu vermeh- 
ren brauchen, um daraus eine Lamelle zu konstruiren, die 
als Perichondrium gelten kann. Beim Rochen ist die Ver- 
knöcherung der äusseren Rindenschicht im starken Umfange 
gegen die centrale Masse des Knorpels vorgedrungen und 
bildet mit derselben eine: in kleinen Vorsprüngen und Ver- 
tiefungen fortlaufende Grenziläche; hier ist‘dann ‚die Abtren- 
nung der Rindenschieht schwer und geschieht "oft unvoll- 
kommen; die getrennten Flächen erscheinen uneben. Eine 
evident‘ schlagende Thatsache gegen‘ die in Rede stehende 


505 


Deulungsweise der fraglichen Knochen. ist nach meinem Die 
fürbalten nicht nachzu weisen. 
"Es! wird also die-Ahsicht, ' dass die Deekknochen der 
Sehädelkapsel beim Hecht und ähnlich sich. verhaltenden Fi- 
schen, sowie des sphenoideum basilare bei Fischen und nack- 
ten Amphibien: verknöcherte ‚Rindenschichten ‘des in ‚jener 
Gegend: 'hyalinisch -knorpligen Theiles der Schädelkapsel 'dar- 
stellen, nicht‘ allein! durch, analoge Fälle des inneren uud Ex- 
tremitäten-Skeleies! im Wirbelsystem gestützt, sondern es 
lässt sich auch ‘aus; dem ‚histologischen und anatomischen 
Verhalten ‚der betreffenden Theile Nichts dagegen anführen. 
Fügt man hinzu, 'dass der’ vergleichende Analom bei der .all- 
gemein gülligen organologischen Deutungsweise der Bestand: 
theile der Schädelkapsel ‚so lange verbleiben muss, als nicht 
wirklich begründete T'hatsächen dieses verhindern, „dassIer 
also nur nolhgedrungen. zu der Deutung als Hautknochen 
für die fraglichen. Knochenstücke, schreiteu darf, ‚so ergiebt 
sich die Noihwendigkeit, die erstere Ansicht. der . letzteren 
Deutuugsweise vorzuziehen. ‚Für das sphenoideum. basilare 
ist die von A. Bidder gemachte Beobachtung, dass, der vor- 
dere Körper ‚des Keilbeins bei den Vögeln nahezu im der 
Form des sphenoideum basilare. bei niederen Thieren nach 
vorn und nach hinten, unter dem hinteren Keilbeinkörper 
ud zum Theil’ selbst unter. die Pärs basilaris .oss. occip. 
hiiweg, ‚sich weit ausdehnt und in Schuppennaht mit den 
dahinter- und vorliegenden Knochenstücken zusammenkomnt, 
von nicht unwichtigem Belange für die ‚übereinstimmende 
Bedeutung bei den Knochen. In Betrell der) Schädeldeck- 
knochen beim Stör, bei Callichthys. und anderen Fischen, 
welche mit den Hautschildern am ‚Rumpfe eine so. grosse 
Vebereinstimmung zeigen, möchte die Deutung als Hautkno- 
chen noch nicht zu umgehen: sein. \ 
Als Resultat der Untersuchung lässt sich also ausspre- 
chen, dass (die knorpligen und knöchernen Theile 
der Schädelkapsel.der nackten Amphibien und Fi- 


506 


sche bis auf wenige, noch zweifelhafte Fälle, ebenso, wie 
bei den höheren Wirbelthieren, der inneren skeletbil- 
denden Schicht des Wirbelsystems angehören» 
dass aber bei ihnen einzelne Knochen (front. principial., 
oss. parietalia, sphenoideum basilare) unter Umständen nur 
aus einer iheilweisen Verknöcherung der Rinden- 
schicht des hyalinartig-knorpligen Schädelkapsel- 
abschnittes mit theilweiser oder gänzlicher Erhaltung des 
übrigen Knorpels hervorgehen, welche letztere Erscheinung 
bei den höheren Wirbelthieren nicht stattfindet. — 

Wir kommen jetzt zu den Skelet-Bestandtheilen 
des Gesichtes und der Kopf-Visceralröhre des Wir- 
belsystems bei niederen Wirbelthieren. 

Nachdem ich bereits früher mit Rücksicht auf die Er- 
gebnisse der Entwickelungsgeschichte die allgemeinen Ver- 
hältnisse des Gesichts und der Kopf- Visceralröhre bespro- 
chen, kann ich hier sogleich an die Knorpel und Knochen 
mich wenden, welche zu einer Anwendung auf die Lehre 
von dem Primordialschädel Veranlassung gegeben haben. 
Von den Hartgebilden der Visceralbogen sind hier wieder 
der Meckel’sche Knorpel mit dem Gelenkstück des Unter- 
kiefers und das aus einem oder bei Fischen aus mehreren 
Stücken bestehende Quadratbein zu berücksichtigen, die an 
ihrer Aussenfläche als Belegknochen die zahntragenden Stücke 
etc. des Unterkiefers und des Tympanicum oder bei Fischen 
das Praeopereulum tragen, oder, mit Rücksicht darauf, dass 
sie bei Knorpelfischen auch fehlen, wenigstens tragen können. 
Das gegenseitige Verhalten dieser Knochen und Knorpel ist 
genau so, wie das der respektiven Theile bei den höheren Wir- 
belthieren, d. h. die genannten Belegknochen müssen gleich- 
falls für Extremitäten-Gürtelknochen gehalten werden. Bei 
den nackten Amphibien, insbesondere bei den Fischen, zeigt 
sich ferner, dass auch das Os palatinum und pterygoideum 
aus einer ursprünglich hyalinartig - knorpligen Grundlage 
entstehen und später zum Theil neben sich, zum Theil 


507 


auch im Innern noch hyalinartige Knorpelsubstanz führen, 
Bei allen Fröschen der Species Rana gigas fand ich einen 
Theil des Knorpels mitten in dem Os pterygoideum einge- 
schlossen. Bei jungen Fröschen von Rana fusca erscheint 
die erste Grundlage der betreffenden Knochen genau so wie 
eine theilweise ossifizirte Rindenschicht des dazu gehörigen 
Knorpels. Mit der Zunahme der Verknöcherung scheint der 
letztere zum Theil resorbirt zu werden; bei Rana gigas da- 
gegen glaube ich mich überzeugt zu haben, dass auch die 
centrale Substanz nicht ganz von der Verknöcherung ausge- 
schlossen bleibt und vielmehr zur Verdickung des Knochens 
beiträgt. Ich babe die fraglichen Hartgebilde gleich so be- 
schrieben, dass man daraus ersieht, ich betrachte den Knor- 
pel mit seinen Belegknochen für ein einheitliches Stück, an 
welchem durch theilweise Verknöcherung der Rindenschicht 
eines hyalinartigen Knorpels die Belegknochen hervorgegan- 
gen seien. Gegen diese Ansicht spricht keine einzige Er- 
scheinung, aber man muss zugeben, dass ein ganz ähnliches 
Verhalten auch zwischen Koorpel und solchen Belegknochen 
stattfinden könnte, die zu zwei organologisch verschiedenen 
skeletbildenden Schichten gehören; denn wir haben es hier, 
wie ich in meiner Entwickelungsgeschichte des Kopfes der 
nackten Amphibien gezeigt, mit einem Knorpel zu tlıun, wel- 
cher dem ersten Visceralbogen angehört und zum inneren 
Wirbelskelet gerechnet werden muss. Seiner Lage nach 
könnte man sich vorstellen, dass die Belegknochen aus 
der Mundschleimhaut hervorgehen; weniger passend wäre die 
Ansicht, dass die Belegknochen nach Analogie der Extremi- 
täten-Gürtelknochen entstanden seien. Da es aber als ein 
Grundsatz angesehen werden muss, so lange die Deutungs- 
weise in Uebereinstimmung mit dem homologen Verhalten 
bei anderen Wirbelthieren beizubehalten, als keine triftigen 
Thatsachen und Gründe dagegen auftreten, so ist man ge- 
zwungen, bei Fröschen die ossa pterygoidea und palatina 
mit der dazu gehörigen Knorpelmasse als Stücke zu betrach- 


508 


ten, die zusammen den gleichbenannten Knochen 'bei  hö- 
heren Wirbelthieren entsprechen und nur‘ durch die theil- 
weise Verknöcherung sich unterscheiden. ' In gleicher Weise 
möchte ich auch den sogenannten Vomer der Frösche als 
aus einer oberflächlichen Verknöcherung der die :Schneider'- 
sche' Riechhaut tragenden’ Knorpelmasse hervorgegangen 'an- 
sehen, worauf ich sogleich zurückkomme,. — ' Was aber die 
Deckknochen der Geruchhöhlen bei den nackten ‘Amphibien 
betrifft, so sehe ich nicht die geringste Nothwendigkeit, an- 
ders‘ die Deutungen zu‘machen, als bei den höheren ‘Wirbel- 
thieren, da ich nachgewiesen, dass die Entwickelung des 
Obergesichts durch Bildungsfortsätze um die hervorwuchern: 
den -Geruchgrübchen heram ganz auf dieselbe ‘Weise vor 
sich geht, wie bei höheren Wirbelthieren. 

Bei den Fischen dagegen ist die Eutscheidung der'frag- 
lichen Punkte am’ Obergesicht mehr‘ erschwert, ‘da man bis 
jetzt eine 'detaillirle Kenntniss von ‘der 'Entwickelung des 
Gesichts noch nicht erhalten hat; es gilt dieses namentlich 
von.den Knochenlamellen, welche beim Hecht für Nasenbeine 
(oss. 'ethmoideä anderer Fische): gehalten. ‘werden, und 'die 
nach Stannius beim Hecht Schleimröhrenknochen vorstellen, 
ähnlich. wie die Schuppen des Infraorbitalringes. Die Deu- 
tung kann hier auf dreifache Weise geschehen: man "könnte 
die Nasenbeine beim Hecht, desgleichen ‘die ossa marginalia 
nasi und ethmoidea für 'ossifizirte Rindenschicht des Schnau- 
zenknorpels, oder für Knochen‘ der Cutis oder endlich ‚für 
Knochenstücke erklären, die in Bildungsfortsätzen der Stirn- 
wand um die Geruchgrübchen herum sich gebildet hätten, 
ganz so wie bei höheren Wirbelthieren.: Der die Geruch- 
gruben bildende und in die Schnauze sich fortsetzende' knor- 
plige Theil, auf welchem‘ die fraglichen Knochenstücke lie- 
gen, würde im letzteren Falle mit den die Schneider’sche 
Riechhaut tragenden Hartgebilden höherer Wirbelthiere; mit 
der Gesichtsbasis und dem Labyrinth, verglichen werden 
müssen; in: den beiden ersteren Fällen könnten darin: noch 


509 


mehr /Elemente' zw'suchen sein,/nämlich. die Hartgebilde von 
nicht vollkommen entwickelten ‚Bıldungsfortsätzen der Stirn: 
wand,'.die\,oberhalb der Gesichtsbasis, und des Labyrinthes 
um'-das- Geruchgrübeheu hervorwachsen... Aus: dem analomi- 
schen: Lageverhältniss und der. histologischen ‚Beschaffenheit 
lässt. sieh: wahrscheinlich ‚machen, welche von.‚den Deulungs- 
weisen festzuhalten sei! In allen drei ‚Fällen kann’ das ‚ein- 
fache. anatomische und histologische Verhalten genau ,das- 
selbe. sein, und. der allgemeine Habitus der Belegknochen, 
oder ‚sekundären Knochen, auf sogenannten ‚primären. /Kuor- 
peln oder Knochen (Primordialknorpel) entstehen.’ ‚Daraus 
ergiebt sich auch "hier das ‚Gehaltlose,der Lehre: von 
dem Primordialschädel. Nach meinem : Dafürhalten 
wird. man. anch‘ hier ‘zunächst. den 'schon öfter erwähnten 
Grundsatz befolgen und die’ Deutung der fraglichen ‚Theile, 
so. lange keine schlagenden 'Thatsachen . dagegen auftreten, 
in‘ Uebereivslinimung mit, der Deutung bei den, höheren! Wir- 
belthieren auszuführen, haben, wie es bereits geschehen. In- 
dessen spricht ein Umstand günz. klar gegen diese Deutung. 
Das sogenannte Nasenbein des Hechtes liegt nämlich bei.den 
meisten. Knocheufischen ‚hauptsächlich ‘unter. dem. Geruchla- 
byrinth, ‚den Boden der Geruchgruben bildend, und wird dann 
für’ das Eibmoideum gehalten. Eine solche Lage, hat das 
Nasenbein der übrigen Wirbeltbiere niemals und kann sie 
auch, nach seinem Bildungsfortsatz nicht erhalten, Die. be- 
zeichnele Loge erlaubt auch nicht, wenigstens bei den mei- 
sten Knochenfischen, an Haulknochen zu denken. Es bleibt 
daher nur übrig, die auf dem Schnauzenknorpel liegenden 
Deckkuochen, desgleichen auch den Vomer, für Knochen zu 
halten, die durch Iheilweise Verknöcherung der Rindenschicht 
des, betreflenden Knorpels entstanden seien; und die weitere 
Frage ‚ist, welchen‘ Bestandtheilen des Obergesichtes! jener 
Kuorpel entspricht. Er kann nach meinem Ermessen nicht 
das Os etlimoideum darstellen, denn dieser Knochen formirt 
uicht die, Höhle für. das Geruchlabyrinth, ‚wie es hier der 


510 


Fall ist, sondern trägt unmittelbar die Schneider’sche Riech« 
haut, in ihre Faltungen eingehend, was hier nicht geschieht. 
Das os eihmoideum existirt hier nicht. Auch die oberhalb 
der Geruchgrübchen sich bildenden Fortsätze, in welchen 
bei anderen Wirbelthieren Nasenbeine, Thränenbeine entste- 
hen, können in dem fraglichen Knorpel der anatomischen 
Lage nach nicht gesucht werden. Der Knorpel liegt viel- 
mehr zwischen den Geruchgrübchen und unterhalb derselben. 
Die erste Lage hat genau die Gesichtsbasis; die Ausdehnung 
derselben jedoch unter die Geruchgrübchen hinweg wird bei 
höheren Wirbelthieren nicht beobachtet. 

Dagegen habe ich bei Tritonen gezeigt (vergl. mein Werk 
über den Wirbelthier-Kopf. tab. II. Fig. 19.), dass die Kno- 
chen des sogenannten Vomer als horizontale Fortsälze von 
der unteren Gegend der ersten Seitentheile der Schädelkap- 
sel hervorgehen und den Boden der Nasenhöhle bilden. 
Aehnlich verhält sich der hyalinisch - knorplige Boden der 
Nasenhöhle bei den Fröschen, der nach der Mundhöhle hin 
von den Pflugscharbeinen bedeckt wird. Berücksichtigt 
man nun die ursprüngliche Lage der Geruchgrübchen an 
der Stirnwand und zieht in Erwägung, dass diejenigen Kno- 
chen, welche bei höheren Wirbelthieren zur Bildung des 
Bodens der Nasenhöhle gelangen, sich bei den niederen Wir- 
belthieren nicht daran betheiligen: — so liegt die Ansicht 
nicht so fern, dass jener Bestandtheil des Gesichtes der Fi- 
sche, der zwischen den Geruchgruben liegt und deren Boden 
bildet, aus einem Bildungsfortsatz hervorgegangen sei, wel- 
cher zwischen den ursprünglichen Geruchgrübehen liegt und 
der Nasenscheidewand (Gesichtsbasis) entspricht, und aus 
seitlichen Erweiterungen desselben unter den ursprüng- 
lichen Geruchgrübehen vor den Seitenwänden der Schädel- 
kapsel, welche bei den höheren Wirbelthieren nicht vortre- 
ten. Die hyalinartig-knorplige Grundlage in diesem Fort- 
satz kann dann in der Mitte (Gesichtsbasis) und in den seit- 
lichen Erweiterungen gesondert durehweg ossifiziren, wie 


511 


beim Triton; oder die Verknöcherung beschränkt sich auf 
die Rindenschicht, sowohl an der unteren, wie an der obe- 
ren freien Fläche. So entstehen bei den Fischen oberhalb 
die Ossa ethmoidea, unterhalb der Vomer. Bei den Fröschen 
verknöchern die seitlichen Erweiterungen an ihrer unteren 
Oberfläche und bedingen das Auftreten des paarigen Vomer. 
Bei den nackten Amphibien werden die Geruchgrübchen, 
wie bei höheren Wirbelthieren, durch besondere Bildungs- 
fortsätze für Nasenbeine ete. von obenher ‘gedeckt; bei den 
Fischen scheinen diese zu fehlen. Wenigstens glaube ich, 
dass man die sogenannten Nasenbeine ete. beim Hecht, beim 
Aal passeuder in Uebereinstimmung mit den übrigen Fischen, 
des Vomer und der Ossa ethmoidea für ossilizirte Theile des 
eben beschriebenen Schnauzenknorpels ansehen dürfte. 


Schluss. 


Als Resultat obiger Untersuchungen ergiebt sich, dass 
die Lehre von dem Primordialschädel einerseits zum gröss- 
ten Theil auf unrichtigen Thatsachen beruht, anderseits zu 
ihrer Begründung Kriterien sich bedient, die als solche nicht 
gelten können und vielmehr auf histologische Verhältnisse 
sich beziehen. 

Liegen zwei Hartgebilde, von welchen das eine aus 
häutig- oder fasrig-knorpliger Grundlage verknöchert, das an- 
dere aus hyalinischem Knorpel besteht, nebeneinander, so 
können sie bei übereinstimmenden, einfach anatomischen 
und histologischen Verhältnissen dennoch eine sehr verschie- 
dene organologische Bedeutung haben. Sie können zusam- 
men einen einheitlichen Knorpel des Skeletes im Wirbelthier 
darstellen, bei welchen die Verknöcherung sich auf die Rin- 
denschicht beschränkt hat; sie können zwei verschiedene 
Bestandtheile eines und desselben Skeletes bilden, die in 
Folge einer Schuppennaht oder auch nach den typischen 
Lageverhältnissen in die bezeichnete Lage gerathen sind; sie 
können ferner zwei verschiedenen skeletbildenden Schich- 


512 


ten des Wirbelsystems angehören oder endlich als! Theile 
der skeletbildenden Schichten der 'Cutis: und des «Wirbelsy- 
stems dastehen. Es»ist Aufgabe des: vergleichendem Anato- 
men, mit Hülfe der: Entwickelungsgeschichle zu untersuchen, 
welcher von den Fällen ‘in den 'gegebenen vorliege. In die- 
sem Sinne habe; ich die (obigen Untersuchungen gemacht und 
gezeigt: 1) Dass die ‚Schädelkapsel höherer‘ und niederer 
Wirbeltbiere im» ganzen Umfange 'ausı der inneren! skelet- 
bildenden 'Schicht des : Wirbelsystemns, derjenigen’ nämlich; 
welche'am Rumpfe dem Körper und den Bogen leines:Wir- 
bels sammt den'Ossa intercalaria zur Grundlage dient, her- 
vorgehen; 2) dass die Hartgebilde der. Kopf-Visceralröhre 
und des Gesichts zum Theil‘ der inneren 'skeletbildenden 
Schicht (den Rippenbogen entsprechend), zum Theil zwei 
äusseren skeletbildenden Schichten des Wirbelsystems ange- 
hören, von welchen letzteren die eine in den Extremitäten, 
die andere in den Rücken- und Schwanzflossen des Rum- 
pfes die homologen Theile vorfindet. Es ergiebt sich ferner, 
3) dass sowohl bei höheren, namentlich aber bei niederen 
Wirbelthieren, einzelne Knochen‘ durch. theilweise Verknö 
eherung der Rindenschicht eines hyalinartigen Knorpels ent- 
stehen, wobei die übrige Substanz desselben sich knorplig 
erhalten: oder auch schliesslich noch im Alter‘ an der Ver- 
knöcherung sich betheiligen, oder endlich‘ theilweise oder 
ganz verkümmern kann. Bei den Säugethieren und Vögeln 
gehören hierher vielleicht ‘der Vomer (Gesichtsbasis), beim 
Menschen. der ‚Processus Foli des Hammers  (Meckel’sche 
Knorpel), ..bei den Schlangen, die Knochenlamellen , welche 
den ‚Nahiknorpel «Rathke’scher Seitenbalken des Schädels) 
zu,den ‚Seiten ‚am vorderen Abschnitt der Basis cranii' um- 
geben. , Bei den Fröschen: ‘der. Vomer, die Ossa palatina 
und pterygoidea, das sphenoideum basilare;: beiden Fischen 
öfters ‚die oss. parietalia, frontalia prineip;, ferner’das sphe- 
noideum basilare, der Vomer, die. oss. nasalia und eihmoi- 
dea. 4) An der Schädelkapsel niederer (Frösche), besonders 


513 


aber höherer Wirbelthiere, tritt nicht selten der Fall ein, 
dass im Fötalzustande in Folge von Schuppennaht-Bildung 
ein aus häutig-knorpliger Substanz verknöcherter Knochen 
theilweise nach aussen, aber auch nach innen von dem hya- 
linisehen Knorpel eines anderen Knochens zu liegen kommt, 
ganz so, wie es die Zusammensetzung der Kapsel aus den 
respektiven Knochen erfordert. 5) Bei beschuppten Amphi- 
bien nach Stannius, desgleichen bei Fischen (Cällichthys, 
Störe, Loricaria etc.) lässt sich gegenwärtig nicht abweisen, 
dass auch Hautknochen an der Schädeldecke unmittelbar auf 
Knorpel oder Knochen des inneren Wirbelskeletes gelagert 
sind und sogar mit ihnen verschmelzen. In wie weit sonst 
am Kopf, namentlich niederer Wirbelthiere, sowohl an der 
Aussenfläche (Infraorbital-Knoehen), als in der Mundhöhle 
Knochen der Cutis an dem Aufbau des Kopfskeletes sich 
betheiligen, ist nicht weiter erörtert worden, da es der ei- 
gentlichen Aufgabe zu fern lag. 

Die Knochen der Schädelkapsel, der Kopfvisceralrölire 
und des Gesichts können, wie die Knochen am Rumpfe, 
sowohl bei höheren als bei niederen Wirbelthieren durelr 
Verknöcherung hyalinisch -knorpliger oder häutig- und fi- 
brös-knorpliger oder fibröser Grundlage hervorgehen. ‘Die 
Ossifikation geht in allen Substanzen hinsichtlich des Auf- 
tretens von Knochenkörperehen und der Ablagerung erdiger 
Bestandtheile auf wesentlich eine und dieselbe Weise vor 
sieh; auch wurde bewiesen, dass bei Saügern und dem 
Menschen die aus häntig-knorpliger Grundlage verknöchern- 
den Schädeldeckknochen mit der Verknöcherung vom Cen- 
trum aus beginnen, und dass später erst die Rindenschich- 
ten ossifiziren. 

Gewisse Knochen des Scehädels, wie die Nasenbeine, 
Thränenbeine ete, lieben es, von häutig-knorpliger Grund- 
lage aus zu ossifiziren, Dagegen zeigen zahlreiche Beispiele, 
dass eine und dieselbe #keletbildende Schicht, z. B. die des 


inneren Wirbelskelets, sowohl am Kopf als am Rumpfe in 
Müller's Archiv. 1849, 33 


514 


einer ‘Gegend: aus 'häutig-knorpliger Grundlage, in einer an- 
deren aus‘ byalinischem Knorpel verknöchert, dass, ferner 
ein und derselbe Knochen bei einem Thiere hyalinisch-knorp- 
lig, bei einem anderen häutig-knorplig auftritt, dass endlich 
ein begrenztes Knochenstück eines Thieres zu einem Theile 
aus, hyalinischem Knorpel, zu einem anderen aus häutig- 
knorpliger Grundlage verknöchert. So, ist der vordere Keil- 
beinkörper (sphenoideum basilare) bei Säugethieren hyali- 
nisch-knorplig, bei Vögeln und Schlangen häutig-knorplig; 
ferner das Os palatinum und pterygoideum bei Säugethieren, 
Vögeln, beschuppten’ Amphibien häutig-knorplig, , während 
dieselben Knochen beim Frosch aus einem hyalinischen Knor- 
pel verknöchern; die squama ossis: oceipitis des Menschen 
ist ursprünglich zum. Theil hyalinisch-, zum ‚Theil häutig = 
knorplig,' während ‚sie. bei Saügern. gewöhnlich durchweg 
hyalinisch-knorplig sich darstellt. _ Auch der Unterkiefer (von 
dem Meckel’schen Knorpel abgesehen) verknöchert beim 
Menschen und den Saügern zum Theil aus häutig-knorpliger 
Grundlage; an dem Gelenkfortsatz und dem Winkel findet 
sich. auch eine kleine Partie hyalinischen Knorpels. 

Es ist durchaus irrig, aus. der histologisch verschiedenen 
Beschaffenheit der 'verknöchernden Grundlage auf eine or- 
ganologisch- verschiedene verknöchernde Schicht und selbst 
auf typisch-verschiedene Knochenstücke zu schliessen. Die 
vergleichend- anatomischen Thatsachen drängen vielmehr zu 
der von mir auf histologischem Wege bewiesenen Ansicht, 
dass alle jene verknöchernden Substanzen zu einer histolo- 
gisch-verwandten Kategorie, zu den Geweben der „Binde: 
substanz““ des Wirbelthierkörpers gehören, die überall beim 
Zusammentreffen kontinuirlich in einander übergehen und 
sich in verschiedener Weise gegenseitig ersetzen. 

Die Rathke’sche Lehre von den Schädelbalken ist we: 
der in der Entwickelung des Kopfes, noch durch verglei- 
chend- anatomische Thatsachen begründet. Sie scheint da- 
durch ‚herbeigeführt zu sein, dass bei melireren Thieren. die 


515 


skeletbildende Schicht: der Schädelkapsel zur Seite der Basis 
cranii am vorderen Ende hyalinisch-knorplige, in der Mitte 
häutig-' oder fibrös-knorplige Grundlage, besitzt. ; Zu keiner 
Zeit esistirt ein Durchbruch der skeletbildenden, Schicht der 
Schädelbasis an der Sella tureica. 

Das innere Skelet des Wirbelsystems, ja selbst die Wir- 
belsäule, steht nicht in nächster Beziehung zur Chorda dor- 
sualis. Es geht vielmehr hervor aus einer skeletbildenden 
Schicht der Bindesubstanz des Wirbelsystems, die die Innen- 
fläche (nach der Spinal- und. Visceralhöhle hin) der Seiten- 
rumpfmuskeln und (?) des Interkostal- Muskelsystems über- 
zieht, und um die Chorda dorsualis herum zu der, beide 
Röhren des Wirbelsystems trennenden Scheidewand sich 
vereinigt. Die Chorda dorsualis und die beiden Hälften des 
Wirbelsystems bilden genetisch wahrscheinlich koordinirte 
Bestandtheile eines allgemeinen, primiliven Grundsystems; 
das innere Skeletsystem dagegen ist ursprünglich ein Be- 
standtheil jener beiden Hälften des Wirbelsystems, wozu 
auch Muskeln, Nerven, Gefässe etc. gehören. 

So lange die Lehre von dem Primordialschädel bei der 
einfachen Erscheinung stehen bleibt, dass am Kopf der Wir- 
belthiere im fötalen und entwickelten Zustande nicht selten 
Kuorpel neben Knochen, oder Knochen neben Knochen lie- 
gend angetroflen werden, so hat sie ihre Berechtigung und 
kann weiterhin zur Grundlage histologischer und organolo- 
gischer Fragen dienen. Sobald sie aber, wie es Kölliker 
mit seiner Lehre von den primären und sekundären oder Be- 
legknochen thut, die einfache Erscheinung unter histologi- 
scher Ausschmückung zu einem Princip für die vergleichende 
Anatomie stempelt, so umgeht sie unter dem Schein eines 
leichtfasslichen Gesetzes *) die so schwierigen, eigentlichen 


*) Wie leicht eine solche, namentlich auch für das Gedächtniss 
bequeme Methode der Kombination täuschen kann, das beweist auch 
eine Kritik der Halle’schen Literaturzeitang über die Kölliker'sche 
Abhandlung. Der ehrenwerthe Kritiker weiss nicht genug die Klar- 

33 * 


516 


organologischen Fragen, macht eine nebenher gehende Er- 
scheinung zur Hauptsache und gelangt auf ganz natürlichem 
Wege mit Kölliker dahin, Zusammengehöriges zu trennen 
und Dinge. der verschiedensten organologischen Bedeutung 
zusammenzuwerfen. 


heit und Wahrheit der Kölliker’schen Darstellung hervorzuheben, ob- 
schon er zum Schluss auf die daraus sich ergebenden Widersprüche 
zurückkommt. _ Gleichwohl will derselbe lieber, dass die Entwicke- 
lungsgeschichte keine Berechtigung habe, über die homologe Bedeu- 
tung der Knochen zu entscheiden, als der Vermuthung Raum geben, 
dass die Kölliker'schen Untersuchungen nicht klar und nicht in der 
wahrheitsmässigen Bahn vorgeschritten seien. 


Die glatten Muskelfasern in den Blulgefäss- 


wandungen. 
Von 


K. B. Reıc#ert in Dorpat, 


(Hierzu Taf. VII. Fig. 1—3.) 


In meinem Berichte über die Fortschritte der mikroskopi- 
schen Anatomie des Jahres 1847 habe ich bei Gelegenheit 
des Referats über die Kölliker’schen Untersuchungen in 
Betreff der Struktur der Gefässwandungen mehrere Gründe 
angegeben, warum ich die, in faserähnliche Plättchen mehr 
oder weniger leicht zerlegbare Substanz aus der Tunica me- 
dia der Art, poplitaea, radialis etc. nicht für glatte Muskel- 
fasern zu halten geneigt sei. Zu dieser Ansicht hat mich 
nicht allein der Umstaud bewogen, dass die Kriterien Köl- 
liker's für die Unterscheidung der unter einem wohl über- 
flüssigen neuen Namen („‚kontraktile Faserzelle‘*) aufgeführ- 
ten glatten Muskelfasern von spindelförmigen Epithelialzellen, 
von abgerissenen Stückchen anderer ‚Epithelialgebilde etc. 
keine Sicherheit gewähren, sondern vor Allem die Erfolge 
nach der dort erwähnten Behandlung der fraglichen Sub- 
stanz mit Salpetersäure 204, 

In der Dissertation des Dr. Paulsen (Observaliones 
mierochemieae circa nonuullas animalium telas.  Dorpali 
1848, pag. 16 seq.) ist bereits veröffentlicht worden, dass 
die glatten Muskeln nach 24—48stündiger Behandlung mit 


518 


Salpetersäure 20% oder auch Salzsäure 20% zwei ganz cha- 
rakteristische Erscheinungen zeigen: sie zerfallen ganz aus- 
serordentlich leicht in ihre Faser-Elemente, und die Fasern 
selbst haben eine gewundene, wellenförmige und spiralige 
Form angenommen. Die Figur 1 giebt em sehr getreues, 
von Dr. Jacobowitsch entworfenes Bild derartig verän- 
derter glatter Muskelfasern aus dem Darm einer Katze. Man 
erkennt oft recht deutlich, wie bei spiraligen Drehungen, in 
welche die Enden der ‚Faser: gern: auslaufen, die Fläche der- 
selben gegen die Axe gewendet ist. Da die Fasern so leicht 
auseinander fallen, so hat man die prächtigste Gelegenheit, 
ihre normale Form und ihr Verhalten zu studiren, doch 
muss man sich vor zu starker Zerrung, Reibung und Druck 
in Acht nehmen, weil die, Substanz der Faser nach der Be- 
handlung mit Salpetersäure etwas mürbe geworden ist und 
daher leicht bricht. ‘'Man überzeugt sich sogleich, dass die 
Angabe Kölliker's von der Form der glatten Muskelfaser 
im Darm richtig ist, obgleich eine Darstellung derselben 
an frischen Präparaten nicht recht glücken wollte. | "Die 
glatte Faser geht an beiden Enden in oft’ recht:lang gezo- 
gene Spitzen aus. Ihre Länge in der Spiralform beträgt bei 
der Katze etwä 0,086, ihre Breite in der! Mitte 0,0035 P. 
L. Beim Meerschweinchen sind sie noch länger; desgleichen 
beim Kaninchen. Andeutungen von einer Höhle in der glat- 
ten Faser habe ich nicht wahrnehmen können; auch sah ich 
niemals die von Kölliker angegebenen Knötchen und möchte 
vielmehr vermuthen, dass die zuweilen an frischen Muskel- 
fasern vorkommenden vereinzelten Biegungen zu jener An- 
gabe veranlasst haben. Wie Kölliker konnte auch ich 
gewöhnlich nur einen Kern, aber in der Mitte der Faser ge- 
legen, bemerken. Dagegen vermochte ieh mich nicht 'zu 
überzeugen, dass’ derselbe stabförmig sei; ich fand ihn längs- 
oval und plattgedrückt ‘Nach Behandlung mit Salpetersäure 
ist übrigens der Kern nicht immer deutlich zu erkennen. 
So weit meine Untersuchungen reichen, zeigten sich die 


519 


glatten Muskelfasern ‚des Darıns bei verschiedenen Thieren 
und dem Menschen von derselben Form und ähnlichem Ver- 
halten; das Wechselnde liegt hauptsächlich in der Länge 
und Breite. Es ist aber nicht meine Absicht, ausführlicher 
hierauf einzugehen; ‘die obige Beschreibung sollte nur: dazu 
dienen, die Wichtigkeit dieses Erkennungsmittels für die 
glatten Muskelfasern hervorzuheben. Die verschiedensten 
Gewebe sind mit dem bezeichneten Mittel geprüft worden, 
aber nirgend haben sich jene beiden eigenthümlichen Ver- 
änderungen: eingestellt. Manche Epithelialgebilde erhalten 
nach Behandlung mit Mineralsäuren eine ‚grosse Neigung; 
bei Zerrung und Druck in Splitter, jedoch meist von sehr 
unregelmässiger Gestalt, zu zerfallen. Doch bemerkt man 
keine solche spiral‘gewundene Formen; auch geschieht es 
bei Muskeln, dass sie oft schon beim blossen Schütteln: des 
Präparates in ihre mehr gleichmässige Faserformen sich tren- 
nen. Dieser letztere Umstand ist besonders in solchen ‚Fäl- 
len beachtungswerih, wo die spiralförmigen Windungen der 
Fasern weniger ausgeprägt sind und wohl auch, aus noch 
unbekannten Ursachen, gar nicht zu Stande kommen. Wie 
die bezeichneten Veränderungen der glatten Muskeln ‚nach 
Behandlung mit Salpetersäure.bewirkt werden, darüber kann 
ich mir keine klare Vorstellung machen; das ‘über ist: ge- 
wiss, dass sie zu einem ganz eharakterischen Kennzei- 
chen für die glatten Muskelfasern zu verwenden sind, und 
dass jeder mikroskopische Forscher sich freuen darf, nun- 
mehr mit Sicherheit die so schwierig zu erkennenden glat- 
ten Muskelfasern mit Hülfe der Salpetersäure ‚von anderen 
Geweben zu unterscheiden. 

Auf dieses Mittel vertraute ich, «ols ich ‚mich gegen die 
Anwesenheit von glatten Muskelfasern in den Gefässwan- 
dungen entschied. Neuere, namentlich durch den Stud. Wey- 
rich angestellte Versuche haben mich jedoch überführt, dass 
ich mich geirrl, und ich beeile mich, diesen Irrthum: zu be- 
richtigen. Wahrscheinlich ist die früher von mir angewen- 


‚ 


520 


dete Säure; die schon längere: Zeit gebraucht worden war, 
zu schwach gewesen, so dass ‚die charakteristischen: Verän- 
derungen an der fraglichen Substanz nicht 'eintraten.: «+ Ein 
anderer Irrthum mag von’ mir darin begangen sein,) dass 
ich auf das sehr‘ leichte Zerfallen der Substanz zu wenig 
gegeben und vielmehr auf die 'spiraligen Formen achtete,. die 
jedoch nicht immer deutlich, namentlich: nicht bei den Ge- 
fässen,‘ sichtbar werden. Aber auch diese Formen haben 
ssch bei’ späteren Versuchen mit‘ kräftigeren Säuren :einger 
stellt. In der Fig. 2 liegen solche Muskelfasern aus der Art. 
poplitaea des Menschen vor, die übrigens ganz mit der et- 
was längeren aus ‘den Umbilikal- Gefässen eines reifen Rinds- 
fötus übereinstimmen. ‘Ihre Länge beträgt 0,0417”, ihre 
Breite in der Mitte 0,0027”. » Die Figur 3 ‚liefert! das. ge- 
treue Bild von den Muskelfasern der Tunica .media einer 
Arterie aus der Pia mater von 4“ Breite. ' Die Muskelfa- 
sern ‘sind hier durchschnittlich 0,0278“ lang und: 0,002 
breit. Die Form der glatten Muskelfasern in den 
Gefässwandungen stimmt vollkommen mit jenen 
im Darm und in der Gebärmutter überein; sie sind nur 
kürzer, ihre spitzen Enden nicht so lang gezogen, und ihre 
Breite etwas geringer. In der Aorta des Menschen und des 
Rindes, die ich früher besonders bei histologischen Unter- 
suchungen der Gefässwandungen benutzte, habe ich bis jetzt 
noch. keine Muskelfasern vorfinden können... "Desgleichen 
muss ich bekennen, dass ich vergeblich nach jenen zacki- 
gen, glatten Muskelfaserformen gesucht habe, die Kölliker 
beschrieben und gezeichnet hat. Diese Formen sehen den 
Splittern sehr ähnlich, die man durch Zerrung gefensterter 
Membranen verschiedener Art gewinnen kann.’ Wenn man 
nunmehr auch behaupten darf, dass das konstante Gewebe 
der Gefässwandungen ‘aus epithelialen Gebilden besteht,‘ so 
muss gleichwohl zugestanden werden, dass die glatten Mus- 
kelfasern ‘in den Gefässen (Arterien und Venen), namentlich 
von mittlerem Kaliber, desgleichen hinauf zu den Kapillaren 


521 


hin, in der Tunica media oft in ziemlicher Masse anzutref- 
fen sind. Bei kleineren Gefässen scheint es oft, als ob die 
Tunica media vorwiegend aus glatten Muskelfasern bestehe. 

Zugleich kann ich nicht unterlassen, die Naturforscher 
aufzufordern, mit dem bezeichneten Mittel eine Prüfung der 
für physiologische Fragen so wichtigen Angaben Kölliker's 
über die Ausbreitung der glatten Muskelfaser („‚kontraktilen 
Faserzelle‘“) zu unternehmen. Von meiner Seite wird das 
Möglichste geschehen, und habe ich bereits den Herrn Dr. 
Eylandt hierselbst zu einer) solchen Untersuchung veran- 
lasst. Leider hat sich hier bereits für die Haut ergeben, 
dass der grösste Theil, wo nicht alle Angaben Kölliker's 
über die Ausbreitung der glatten Muskelfasern daselbst sich 
nicht bestätigen, und dass sie vielmehr auf Verwechselungen 
mit anderen Geweben beruhen. Es ist aber mein einziger 
Wunsch, dass diese Angelegenheit von mehreren Seiten in 
Angriff genommen werden möchte, 


Ueber das Verhältniss der Centralgefässe des 
Auges zum Gesichtsfelde. 


Von 


B. Guppen, 


Assistenzarzt in der Provinzial-Irrenheilanstalt zu Siegburg. 


Die Centralgefässe verbreiten sich auf der innern Fläche der 
Retina und setzen, wie das Mikroskop zeigt, in verschieden- 
ster Richtung über die Nervenfasern hinweg. Es ist klar, 
dass durch dieselben am Orte ihrer Lagerung das Sehen be- 
schränkt werde, und direkte Versuche bestätigen nicht nur 
die Richtigkeit dieser Folgerung, sundern belehren auch über 
die Art der Beschränkung. — Um jedoch nicht bei densel- 
ben in Täuschungen zu verfallen, die durch das Verschwin- 
den äusserer Objekte in Folge der von Purkinje beschrie- 
benen wallenden Nebel bedingt sein könnten, ist es rath- 
sam, vorher durch häufige Anschauung der Aderfigur eine 
genaue Kenntniss der Lage der Centralgefässe sich zu ver- 
schaffen, und zugleich zu berücksichtigen, wie das Lagever- 
hältniss derselben zu den äusseren Objekten je nach der 
Weite des Fixationspunktes, von der mittelbar die vorge- 
stellte Grösse des Sehraumes abhängt, in entsprechendem 
Wechsel begriffen ist. 

Zwei Gefässe von grösserem Durchmesser umgreifen 
schenkelartig die Mitte der Netzhaut, und bequem und sicher 


523 


dienen die Stellen zum Versuche, welche durch einen Me- 
ridian geschnitten werden, den man senkrecht zur Ebene 
der Augenachsen durch das Centrum der Retina gezogen 
hat. Fixirt man nun nach Verschluss des einen Auges und 
bei ‘horizontaler und gerade aus gerichteter Achse des an- 
dern einen Tintenfleck etwa an der Wand, bewegt dann 
bei unverrückt gehaltenem Kopfe die Achse in einer durch 
den oben bezeichneten Meridian gelegten Ebene so weit 
nach aufwärts, dass das Bild des Fleckens innerhalb ‘der 
Grenzen des oberen Gefässes geworfen wird, oder so weit 
nach abwärts, dass derselbe Fall mit dem unteren Gefässe 
eintritt, und dies gelingt bei der beanspruchten Vorübung 
ohne Schwierigkeit: so verschwindet plötzlich, wie beim 
Mariotte’'schen Versuche, der äussere Gegenstand. Die 
geringste Abweichung der Achse nach oben. oder unten, die 
leiseste Näherung oder Entfernung des Kopfes bringt, wenn 
anders der Umfang des benutzten Objektes mit genauer Be- 
rücksichtigung der scheinbaren Grösse des Gefässes gewählt 
wurde, denselben augenblicklich zum Vorschein. Wieder- 
holtes Zurückkehren in die frühere Stellung und immerfort 
sich von Neuem daran schliessendes Ausfallen des Objektes 
sichert vor jedem Irrthum. — Dass es dieser etwas steifen 
Methode bei einiger Fertigkeit im Experimente nicht bedarf, 
bemerke ich nur deshalb, um für diesen Fall den wolken- 
losen dunkeln Nachthimmel zu empfehlen, an dem sich ohne 
zu langes Suchen Sterne finden lassen, ‚bei deren Fixation 
zumal der im indirekten Sehen Geübte eine Reihe von drei 
und mehr darüber oder darunter stelienden Sternen dem Ge- 
sichtskreise entfalten sieht. — Wenn so auf dem’ Wege 
der Beobachtung nachgewiesen wurde, dass alle Gegeustände, 
deren Bild auf die Centralgefässe fällt, aus dem. Sehraume 
epurlos verschwinden, so genügt andererseits eine; kleine 
Betrachtung, um darzuthun, dass dies für unser Sehen, wie 
es denn wirklich ist, ohne Bedeutung sein müsse, auch ab- 
gesehen davon, dass die Gefässe nicht dieselbe Lagerung in 


524 


beiden Augen 'einnehmen und die ungleichseitigen Hälften 
der Retina sich im Gesichtsfelde decken. ‘Denn nur der Ach- 
senpunkt der Netzhaut empfindet mit Deutlichkeit (und Pur- 
kinje hat das Verdienst, die Wichtigkeit dieser Anordnung 
in klarer Weise auseinander gesetzt zu haben); aber gerade 
diese Stelle bleibt auch vom winzigsten Capillargefässe un- 
berührt. Die nächste Umgebuug unter günstigen Bedingun- 
gen als kleinerer hellerer Kreis aus der Mitte des Gesichts- 
feldes sich hervorhebend *), enthält zwar schon Gefässe, die 
aber, von dem Umkreise zum Mittelpunkte sich entwickelnd 
und verjüngend, ein so feines Maschenwerk darstellen, (dass 
eben dieser Feinheit wegen kein Nachtheil eintreten kann, 
weil die Funktion dieser Partie die übersichtliche Betrach- 
tung mit Zurückdrängung der Einzelheit ist. Grössere Ge- 
fässe finden sich erst jenseits dieses Kreises vor, auf einem 
Theile also der Netzhaut, der, so wichtig er für die Em- 
pfindung der Bewegung und deshalb zur Erregung der Auf- 
merksamkeit ist, bei Ruhe der Objekte durch die Inhaltslo- 
sigkeit für die Anschauung schon bedeutendere Verluste ohne 
Störung der Funktion zu ertragen im Stande ist. 

Eine andere Frage aber, weshalb die Centralgefässe, da 
sie doch auf den Sehnervenfasern liegen, und so, während 
die Retina durch das elementare Licht iu Bewegung gesetzt 
wird, am Orte ihrer Lagerung die Ruhe erhalten,‘ nicht selbst 
die Empfindung ihrer Gestalt als dunkle baumartige Ramifi- 
kation hervorrufen, lässt sich gründlich eigentlich nur im 
Zusammenhange 'mit einer Reihe anderer Vorgänge in der 
Entwickelungsgeschichte der Sinne beantworten. Dennoch 
wird bei’ einigem Nachdenken ein Resultat derselben, das 
die Antwort in sich schliesst, nicht unverständlich sein, um 
so weniger, äls diese Arbeit zur Gewinnung desselben we- 
sentlich beiträgt; und dies ist, dass jeder Nervenzustand, der 


*) s. später, vergl. auch Purkinje Beobachtungen und Versuche 
zur Physiologie der Sinne, 7. II. S. 116. 


525 


durch seine Stabilität von Anfang an gegenübnr der unend- 
lichen Beweglichkeit anderer kein Objekt für die Aufmerk- 
samkeit wird, dem Bewusstsein gänzlich entgeht, oder mit 
andern Worten niemals eine Empfindung wird. Angewandt 
auf unsern Fall würde die Folge sein, dass nur dann die 
Aderfigur zum Vorschein kommt, wenn die Centralgefässe 
und die Netzhaut zu einander ein Verhältniss eingehen, das 
als ein ungewöhnliches, bei der Fremdartigkeit des geselzten 
Nervenzustandes durch Erregung der Aufmerksamkeit die 
Empfindung auslöst. Und so ist es in der That, wie die 
folgenden Versuche beweisen, die zum Theil schon. früher 
bekannt, in diesem Zusammenhange erst ihre Bedeutung ge- 
winnen. 

Um bei Darstellung derselben nicht durch Unwesentli- 
ches gestört zu werden, wird es noihwendig, zuvor die Be- 
wegung der Aderligur selbst, die in allen Versuchen beob- 
achtet wird, unter den passenden Gesichtspunkt zu bringen. 
Die Richtung derselben ist eine verschiedene; so sehen wir 
im ersten Versuche die Gefässe steigen, wenn das Licht sich 
senkt, fallen, wenn dieses sich hebt, und umgekehrt z. B. 
verhält es sich, wenn statt der Flamme das Auge die ge- 
forderte Bewegung übernimmt.‘ Aber uns kann nur die Be- 
wegung als solche interessiren; die Art derselben ist gleich- 
gültig, da sie von rein physikalischen Bedingungen abhängt, 
und wenn gleich es vielleicht nicht ohne Annehmlichkeit 
wäre, in einzelnen Fällen denselben näher nachzugehen , so 
unterdrücken wir hier die Auseinanderselzung, weil das 
Herantreten an einen Fall in die Noihwendigkeit versetzt, 
auch über alle sich zu verbreiten. — Bringt man im dun- 
keln Raume in die seitliche Nähe des Auges ein Licht, von 
dem aus daher, olne dass die Flamme sich störend vor- 
drängt, durch eine möglichst grosse Anzahl Strahlen die 
Netzhaut mit Ausschluss der durch die Centralgefässe be- 
deckten Stellen zur Thätigkeit bestimmt wird; so. verbrei- 
tet sich, während die äusseren Objekte zurücktreten. über 


526 


das ganze Gesichtsfeld eine vom Centrum zur Peripherie 
sich abstufende, jedoch ununterbrochene Dämmerung. In 
demselben Augenblicke nun, wo die Flamme in eine senk- 
rechte, mässig rasche Bewegung übergeht, löst sich von 
dem lichten Grunde als dunkele Ramification das Bild der 
Centralgefässe ab und beharrt in der Empfindung so lange, 
als das Licht sich auf und ab’ bewegt, auch dann, wenn 
dieses die ursprüngliche Lage zum Auge durchläuft.‘ *) — 
Was die Geschwindigkeit der Bewegung betrifft, ‘so muss 
sie’eben eine mittlere sein; eine vorsichtig langsame verhin- 
dert und eine zu rasche stört, wenn gleich aus ganz andern 
Gründen, fast eben so sehr die Perception. Dass aber die 
Lichtstrahlen parallel, wie Rute will, die Netzhaut treffen, 
ist wenigstens nicht unbedingt nöthig, wie schon daraus 
hervorgeht, dass auch dann noch die Centralgefässe, obschon 
wegen der geringeren Erregung der Netzhaut, minder deut- 
lich empfunden werden, wenn bei sich gleichbleibenden Bre- 
chungsverhältnissen des Auges das in Bewegung gesetzte 
Lieht in eine grössere Entfernung vorrückt. Es genügt, dass 
die Gefässe einen Schatten werfen, je dunkler dieser und 
schärfer, desto günstiger das Resultat. — Bei genauerer Be- 
obachtung der auf die angegebene Weise zu Tage getretenen 
Figur wird man bald, um so eher, wenn man früher ge- 
wohnt war, nach Purkinje’'s Angabe die Flamme in ver- 
schiedener Richtung, wohl auch im Kreise herum, zu füh- 
ren, einen Defekt vermuthen, der in seiner Art sich auf- 
klärt, sobald die Bewegung in eine horizontale sich umwan- 
delt. “Denn wenn nun auch das vorspringende Licht die 
Erscheinung grösstentheils vernichtet, so erlaubt ‘es doch 
noch die Beobachtung, dass die Aderfigur durch Zurück wei- 
chen herizontal und vermehrtes Hervortreten perpendikulär 


*) Ich bemerke dies deshalb ausdrücklich, weil damit eine mög- 
liche Hypothese über die Nichtempfindung der Centralgefässe abge- 
schnitten wird. j 


527 


verlaufender Gefässe ein merklich geändertes Ansehen ge- 
wonnen hat. Gelrübt ist die Reinheit der ganzen Beobach- 
tung aber stets durch das nie ganz zu vermeidende Flak- 
kern der Kerzenflamme und schon aus diesem Grunde, dann 
aber um das schärfste und deutlichste Bild auch der fein- 
sten Capillargefässe zu Stande zu bringen, ziehen wir eine 
zweite’ ebenfalls von Purkinje angegebene Methode heran, 
indem wir sie zu unserm Zwecke denselben Modifikationen, 
wie auch schon die erste, unterwerfen, — . Bewegt man 
nahe vor dem gegen eine helle Fläche gerichteten Auge eine 
kleine Oeffnung in horizontaler Richtung mässig rasch hin 
und her (denn auch hier erscheint, wenn die Bewegung eine 
zu schnelle wird, eine undentliche, wurde sie zu langsam 
vorgenommen, gar keine Figur), so tritt alsbald, wenn an- 
ders der Versuch exakt ausgeführt wurde, in zierlicher Klar- 
heit ein dunkles oder auch lichtumsäumtes Aderbild hervor, 
in. dem sieh nur perpendikuläre Gefässe erkennen lassen. 
In demselben Momente, wo die horizontale Richtung in eine 
senkrechte umschlägt, verschwindet die ganze Figur, und an 
ihre Stelle schiebt sich eine neue, die nach der anatomischen 
Anordnung viel ärmer an stärkeren Gefässen nur horizon- 
tal verlaufende Aestchen zeigt. WUeberhaupt, man mag die 
Bewegung einrichten, wie mau will, stets wird man finden, 
dass die zum Vorschein kommenden Gefässe senkrecht auf 
der Bewegungslinie stehen, und in ihrem ganzen Reichthume 
die Figur hervorzurufen, ist nur dann möglich, wenn man 
nach Purkinje's Rath das Loch im Kreise herumführt, 
Wendet man das Auge gegen eine helle Fläche, am be- 
sten gegen eine von der Sonne beleuchtete Wolke oder Schnee- 
läche, fährt in demselben Augenblicke rasch mit der Hand 
an demselben vorbei, so erscheint, um sofort wieder zu ver- 
schwinden, der centrale Theil der Aderfigur, bei mässiger 
Helle dunkel, oft auch lichtgesäumt, bei intensiver Beleuch- 
tung hell, worauf ich später zurückkomme. Häufig hinter- 
einander gelingt nur dann der Versuch, wenn man dem Auge 


528 


durch Abwenden oder Verschluss in schnell wiederholten 
Pausen sich auszuruhen gestatiet. Rathsam ist es; mit den 
Augen abzuwvechseln. 

Nach nächtlicher Ruhe unterscheidet man deutlich bei 
Oeffnung des Auges eine Sonderung des Gesichtsfeldes in 
zwei Partieen, in einen inneren helleren und einen äusseren 
dunkleren Kreis, den kleinern reich an von der Peripherie 
zum Centrum verlaufenden Gefässen, den grösseren nahe am 
Rande des innern von den zwei erwähnten stärkeren Adern 
durchsetzt. Die Erscheinung dauert einen Augenblick, die 
Helligkeit gleicht sich aus, die dunkele Aderfigur verschwin- 
det, und kann nicht wieder hervorgerufen werden. Fast 
beliebig häufig mit allmähliger Abnahme der Gefässfigur lässt 
sich der Versuch wiederholen, wenn man Sorge trägt, der 
Oeffaung sofortigen Schluss nachfolgen zu lassen und die 
Zwischenpausen etwas in die Länge zu ziehen. Von Wich- 
tigkeit für die Deutlichkeit‘ und den Umfang ist die Tiefe 
und Dauer der Ruhe. Am schönsten erschien mir die Fi- 
gur, als ich aus tiefem  Schlafe, nach vorhergegangenem 
Weingenusse, ‘mit überfüllten Kopfgefässen noch halbträu- 
mend aufwachte. 

Drückt man die Augen slark und lange, bis das ganze 
Sehfeld vom schönsten Farbenspiele erfüllt ist, öffnet dann 
dieselben gegen den gleichmässig bezogenen Himmel (denn 
der offene ‘würde blenden), so sieht man eine ähnliche Schei- 
dung des Sehraumes in zwei Kreise, den innern in seinem 
Centrum feurig strahlend, beide reichlich versorgt mit den 
dunkeln Aesten eines fast riesenhaften Aderbaumes. Auch 
diese Beobachtung lässt sich mehremal nach . einander an- 
stellen, wenn die Oeflnung des Auges nur momentan er- 
folgt, aber ‚wenn gleich empfehlungswerth durch ihre Pracht 
wird es Jeder rathsam finden, sie nicht! zu oft zu.versuchen, 
weil,das Auge sich röthet, thränt und schmerzt. 

Hier kann füglich, obgleich es leicht wäre, nach Er- 
kenntniss der Bedingungen die Zahl ‘derselben bedeutend zw - 


529 


vermehren, die Reihe der Versuche geschlossen werden), da 
ihnen, wie ich nachweisen werde; dieselbe Methode zu Grunde 
liegt.‘ Zweier thue ich beiläufig noch Erwähnung: des einen, 
‘weil er 'ein sehr’ schönes Bild uns zeigt; des ‘andern, um 
darzuihun, wie durch Uebung man empfänglich für diese Art 
Erscheinung wird. Es genügt, während man durch‘ das Mi- 
kroskop sieht, den Kopf einigemal hin und her zu schütteln, 
uin ins ‚Gesichtsfeld eine der schönsten Aderfiguren eintreten 
zu sehen, und wenn mein Auge in grösster Schnelligkeit 
über veine helle Wolke’ eilt, erhascht es wie im Fluge das 
Bild der mittleren Aderpartie. j 

Zwei Momente sind in diesen Versuchen von wesent- 
licher Bedeutung, zunächt der Zustand der Retina. ' Niemals 
gelingt es, auch bei der kräftigsten Funktion des n. opticus 
an und für sich, die Aderfigur in den Sehraum zu zwingen: 
Je erregter aber die Netzhaut, die Blendung bleibt natürlich 
ausgeschlossen, desto günstiger der Boden zur Hervortre- 
tung des Aderbaums, und es bedarf daher, jemehr die Erre- 
gung das Maass der Gewöhnlichkeit überschreitet, eines um 
so’ geringern Grades, je weniger sie sich von demselben 'ent- 
fernt, eines um so höhern Grades in der Stärke des zwei- 
ten Momentes. Dieses ist der räumliche Fortschritt des durch 
die Centralgefässe bedingten Nervenzustandes. Ich habe 
schon früher bemerkt, dass in allen angeführten Versuchen 
eine Bewegung der Aderfigur beobachtet wurde. Daraus 
folgt ohne Weiteres, dass ihr eine entgegengesetzte Bewe- 
gung des Schattens der Centralgefässe auf der Netzhaut 'ent- 
spreche. *) Es trat nur dann die Aderfigur vor das Auge, 
wenn die Centralgefässe unter Bedingungen versetzt 'wur- 
den, die den Schatten zu wandern bestimmten; daraus'folgt 
die Nothwendigkeit dieser Wanderung. Weil nun aber diese 


*) Den Zweiller belehrt zum Ueberfluss das unter günstigen Ver- 
hältnissen als lichter Saum an die dünkeln Aeste sich anlegende 
„Nachbild.* 

Müller’ Archiv. 1849, 34 


530 


bei jeder-Augenbewvegung: stattfindet, ohne dassı bei -gewöhn- 
. lichem) Zustande !der' Netzhaut die ‚Aderfigur ‚zum » Vorschein 
käme, wird es./nöthigj,.den Grad.iderselben zu ‚bestimmen. 
Hier. gilt dasselbe ‚' was wiw./von..der/ Netzhaut: sagten), » je 
rascher und weiter ‘diese ‘Wanderung’ vonstatten geht, aus- 
genomimen; bleibt aber. ‘die Schnelligkeit, .' die, durch ‚.die 
Kürze des: Eindrücks bei ‚dem‘ Wechsel desselben die'Per- 
ception verhindert, ' desto 'günstigerodas Resultat...) Je.mehr 
sie/das:Maass-der-Gewöhnlichkeit überschreitet, desto-schvvä- 
cher ‚kann die Erregung der: Netzhaut, |.je/ weniger.sie «sich 
über dasselbe erhebt, desto bedeutender 'muss‘ diese sein! 
Netzhaut vor!;' Eine‘ vorsichtig; langsame - Bewegung ‚des 
Lichts, weil'sie eine nur: gewöhnliche Wanderung des Schat- 
tens der Centralgefässe: bewirkt,‘ löst noch. nicht): rascher 
vorgenommen, sofort: die Empfindung ‚der. auf ‚der -Bewe- 
gungslinie senkrecht stehenden 'Gefässe, aus, denn nun.dieser 
Sehaätten berührt vor- und: rückwärts schreitend immer neue 
Nervenfasern. » Deutlicher bis ins feinste, Detail tritt: in -der- 
selben Weise‘; im zyveiten Versuche die  Aderfigur ‚hervor: 
Einerseits «das 'Dunkel:' des) grössten Theiles der. Netzhauf; 
der‘ rasche ‘Wechsel zwischen Ruhe ' und: Reiz,, der. analog 
dem! Kitzel um‘ ‚so'-mehr, ‚noch die Empfindlichkeit: ‚steigert, 
als er den mittleren Theil''der Netzhaut: trifft,’ und’ anderer- 
seits: die kräftige Bewegung eines. scharfen dunkeln: Schat- 
tens; ’erklären ‚durch ' die Günstigkeiti; der Bedingungen genüt 
gend ' die -allerliebste -Deutliebkeit.der.;reichhaltigen Erschei: 
nung. aılaar 
‚Iu«hohem Grade: setzt‘ der’ leuchtende Himmel ‚das erste 
den geforderten, Momente. ...»Die Bewegung erfolgt‘ plötzlich; 
vasch und genügt» daher, sol umfangsarm' sie auch, ist, "das 
Gefässbild an der empfindlichsten Stelle in seinen gröberen 
Zügen aufzuscheuchen, bei mässiger Helle dunkel, häufig 
lichtumsäumt und,hell,, wie schon bemerkt, bei hoher In- 
tensität der leuchtenden Fläche, weil die geblendete ‚Netz- _ 


531 


hauf zur Perception von: feinern Unterschieden nicht: «Mehr 
befähigt, nur denjenigen Nervenfasern «eine, lebhafte Reaktion 
gestaltet,  diesieben noch. ini! Sehätten. der ‚Gefässe liegend; 
befreit‘ und: frisch dem Lichte entgegentreten. | Bei diesem 
dritten Versuche ist: die: Verschiebung des; Schattens;, \xväs 
den ‚Umfang  anbetrifft, eine äusserst. unbedeutende und die 
Bewegung der Adetfigur ‚eine nur: geringe.‘ | Aber sie ist vor- 
handen’ und sollten: Zweifel sich ‘gegen dieselbe erheben‘; s6 
kann: man auf eine andere Weise'durch' Verrückung der 'äüs+ 
sen ‚Objekte ‘bei der erwähnten Handbewegung sich von 
derselben überzeugen. . Am geeignetsten . nimmt: man: dazd 
ememn‘horizontalen dunklen Strich.auf lichtem Grunde, und 
sollte auch so die Bewegung noch fraglich erscheinen, wird 
das bei strengster Fixation an denselben) sichanlegende:helle 
Nachbild' dazu dienen‘, «das Vorhandensein derselben zw'be 
weisen. ‘Im vierten Versuche''beuutzen' wir.die Netzhaut: in 
einem Zuständ, der zur lebhaftesten Erregung dureh tiefe 
Ruhe am: disponirtesten ist; es genügt deshalb’ die schwache 
Verrückung, die der Schlag des Augenlieds. in bekannter 
Weise mit sich bringb; und ‘wenn 'auch‘ auf anderem‘ Wege, 
durch anhaltenden kräftigen Druck, stellt sich ein ähnliches 
Verhalten: in’ dem letzten Falle heraus. 

Allen diesen Versuchen. liegt ‚mithin : dieselbe’ ‘Methode 
zu (Grunde; um mich kurz, wenn gleich nicht ganz strenge, 
zw fassen: kräftige Erregung der Netzhaut "mit starker: Ver! 
rückung ‘des durch ‘die Centralgefässe bedingten Nervenein« 
druckes. Fraglich ist, ob’ sieli nicht noch ‘andere Methoden 
finden lassen. So‘ schien ‘es "mir nicht "unwahrscheinlich; 
dass während die’ gewöhnliche Palsation dev Centralgefässe 
äuch bei hohem Reizzustande' der Netzhaut eine Empfindung 
derselben zu wecken nicht’ iin Stande: sei, eine ungewöhn- 
lich rasche und kräftige dieses wolhl'vermöge. "Berge 'bin 
ich deshalb hinaufgerannt, bis ich alle Pulse fühlte, und 
habe dann in den hellen Himmelsraum gestarrt. Andere 
Phänomene (nicht ganz so, wie die Purkinje’sche Figur 

34 * 


532 


sie darstellt) schwebten ‘vor den Augen, aber eine Aderfigur 
sah ich nicht, 'eben so ‘wenig bei’ hefligem Husten; wo das 
ganze Gesicht: mit intensiver Röthe sich bedeckte und: die 
Tunica conjunct. bulbi ‚injieirt erschien, : Dennoch bim ich 
nicht abgeneigt, die Möglichkeit der Erscheinung auf diesem 
Wege zuzugeben. Wohl gelang es mir, ‘die anschlagenden 
Blutkörperchen ' bei 'strengster ‘anhaltender Fixation eines 
Punktes auf einer ganz nahe liegenden blendend weissen 
Fläche‘in lebhafter Deutlichkeit als springende Lichtfunken 
zu ‘empfinden, aber die helle baumartige Verästelung, (die 
Valentin anführt, sah ich nur dann, wenn ich die Augen 
von ihrer unter den angegebenen Verhältnissen schwierig 
einzuhaltenden Richtung abweichen liess, und so. wiederum 
durch: Veränderung dem Lichte Nervenfäsern aussetzte; die 
eben noch im Schatten der Centralgelässe liegend mehr ‚ala 
gewöhnlich aufgeregt, die Empfindung der lichten Zweige 
bedingten. Die von Purkinje beobachteten Gefässe sah 
ich nicht: Auch erschienen mir keine leuchtenden Rudimente 
der Aderfigur, wenn ich das geschlossene Auge bei grösst- 
möglichster Ruhe sorgfältig mit gleichmässigem Drucke be: 
lastete, während sie in grosser Anzahl hervorbrechen; wenn 
ich mit den Fingern die gegen die Sonne gewändten ver: 
schlossenen Augen kräftig reibe. 

Dennoch, obgleich es nicht gelang, zu weiterer Erhär- 
tung andere Wege ausfindig zu machen, scheint mir das Ver- 
ständniss der auseinandergesetzten Methode mit sich zu.brin- 
gen; den Satz in seiner Allgemeinheit aufrecht zu erhalten; 
dass alsdann die Aderfigur zum Vorschein kommt, wenn die 
Centralgefässe und die Netzhaut ein Verbältniss zu einander 
eingehen, das als ein ungewöhnliches bei der Fremdartigkeit 
des ‘gesetzten Nervenzustandes durch Erregung: der Aufineukk 
samkeit,die Empfindung auslöst. . 


—— _- 


Ueber 


die Deckknochen und die integrirenden Ossifi- 
eationen der Wirbel einiger Knochenfische. 


Von 


Dr. Hermann STannıus. 


(Hierzu Tafel VII. Fig. 4—9.) 


A. Kölliker hat in diesem Jahre in seinen Berichten von 
der königlichen zootomischen Austalt zu Würzburg, Leipzig 
1849, 4. eine Abhandlung geliefert über die Entstehung des 
knöchernen Schädels der Wirbelthiere. Er hebt darin den 
bei allen Wirbelthieren bestehenden Gegensatz. zwischen 
knorplig-präformirten oder integrirenden Schädelknochen und 
den aus anderem Blastem hervorgehenden Deckknochen des 
Schädels hervor, dabei auf eigene Beobachtungen sich stüz-. 
zend, und so die von Arendt und Baer, von Duges, 
Reichert, Jacobson und mir, so wie von Räthke ge 
lieferten Thatsachen: theils bestätigend, theils erweiternd. 

Je mehr. ich in den meisten Punkten demjenigen: bei- 
pflichte, was Kölliker über den Schädel sagt, um so we, 
niger theile ich einige seiner Ansichten über den Einfluss, 
welchen die gewonnenen: craniologischen Resultate auf die 
vergleichende Anatomie haben sollen. In einem neuen 
Liehte, meint Kölliker, 'erscheine jetzt ‚die ‚Stellung des 
Schädels ‚gegenüber der Wirbelsäule, indem es jetzt Nieman- 


534 


dem mehr einfallen könne, den ganzen Schädel, als nach 
dem Wirbeltypus gebauet, anzusehen. ‚Nur die Primordial- 
knochen desselben, die, wie die Wirbel, aus Knorpel und 
noch früher aus der Belegungsmasse der Chorda entstehen, 
werden in eine solche Vergleichung gezogen werden kön- 
nen, nicht aber die Deckknochen, für die gar kein 
Analogon an der Wirbelsäule sich findet und so 
stellt sich denn heraus, dass der knöcherne Schädel zwei, 
drei oder vier, zum Theil nur rudimentäre oder eigenthüm- 
lich 'modifieirte Wirbel enthält, das Hinterhanptsbein, hintere 
und ‘vordere ‚Keilbein und .Siehbein:/und’ dass; derselbe «auch 
einige Knochen besitzt, die als modificirte Stücke der unte- 
ren Bogen anzusehen sind, nämlich die Gehörknöchelchen, 
das Articulare masillae; inferioris und’ das; Zungenbein, fer- 
ner, als Schaltstücke, das Os petrosum und masloideum. 
Alle übrigen Knochen; gehören ‚nicht zum; Wirbeltypus; die- 
selben können zwar den einzelnen Schädelwirbeln beigerech- 
net ‚werden; » wie»die  Parietälia dem‘ hinteren Keilbeine; die 
Frontalia. dem: vorderen, die Ossa' nasi und: der (Vöoner dem» 
Siebbeine, ‚der Unterkiefer dem Articuläre maxillae inferioris 
u:©6. w., ı welche: Vertheilung selbst keinesweges willkürlich 
ist; sondern einem bestimmten Gesetze folgt; allein damüt 
ist denn grade auch mit eine: der: Hauptabwei- 
chungen des Schädels vom IR ya der NEE neh 
ausgesprochen. j 

Um: Kölliker!s Behauptung,; dass’ an den Wirbelsäule 
gar kein 'Analogon der Schädeldeckknoehen sich findet, mit 
gehörigem Erfolge 'eutgegenzutveten, 'sehe‘ichvmich |genöthigt! 
einige'Thatsachen sehon vorläufig zu publiciren, die, meinem 
ursprünglichen ‚Plane nach, für eine andere Arbeit bestimmt 
und vor ihrer Bekanntmachung erst in’ihren nicht’ eben fern 
liegenden Consequenzen weiter verfolgt‘ werden sollten. 

Es giebt 'Kuöcheufische, an deren Wirbelu Deckknochen 


neben: integrirenden, auf'Kosten einer knorpligen ' Grundlage 


zw ‘Stande kommenden Ossificationen perennirend vorhanden‘ 


| 


535 


simd uhd.bei denen: der Gegensatz‘ zwischen beiden ‚eben ‚so 
scharf ausgeprägt ist; ‚ wie'‚am- Schädel. ' Als solche, Fische 
nenne ich vor allen den Hecht (Esox lacius) und den Lachs 
(Salmo:'saları.lo Wie: bei diesen beiden. Fischen. der 
primordiale: Knorpel unter den’ Deckknochen) der 
Stirn-Scheitelbein-Gegend am vollständigsten‘sich 
erhält; so persistiren bei ihnen auch primordiale 
Knorpel ’änter den Deckknochen der,oberen Wir- 
belbogengegend. 

Behufs ‚der ersten Untersuchung der Wirbelsäule verfährt 
man ebenso wie es seit Reichert beim Schädel üblich. ge- 
worden ist, d.h. mäü kocht den Fisch keicht ab ünd 'ent- 
fernt alsdann: das Fleisch. 

So sieht‘ man alsbald ‚ däss beim». Hechte;' die ‚beiden 
Rückenhälften, des Seilenmuskels: durch "eine ‚zwischen: den 
Dorhfortsätzen :der. oberen Bogenschenkel - sieh: 'erhebende, 
vorn an:den Hinterhauptstheil des Schädels befestigte, wei- 
ter hinten zwischen den einzelnen 'Dörnfortsätzen’ ausge- 
spannte und sie, verbindende, wesentlich aus; zwei Laniellen 
bestehende glänzende fibröse Haut; geschieden: werden. ‚Ent- 
sprechend den zwei, drei oder vier vordersten Wirbeln findet 
sich zwischen den ‚Blätterü, dieser ‚fibrösen. Haut bald eine 
einfache; bald eine doppelte ünregelmässige platte, tafelartige 
Ossifi&ation; welche gleich jener Membran selbst; sich steil 
erliebt und ..die. ‚Dorsälmassen ‚der Seitenmuskelu.  irennt; 
Diese Ossifieationen. stehen bei jüngeren. Thieren von 1 bis 
3%. Euss Länge mit den Dornfortsätzen selbst... in keiner: un+ 
niittelbaren Verbindung. Sie sind weder knorplig-präformirt, 
rioch ist an ihren Flächen oder Rändern auchınur ein Minimum 
von Knorpelsubstanz zu entdecken. Sie entstehen ganz und 
gar aus'memnbranöser Grundlage und zwar speeiel auf Kosten 
der erwähnten fibrösen Hantı Alle Charaktere von solchen 
Deckknochen trägen 'äuch die einzelnen, von den oberen Bo- 
genschenkeln sich erhebenden Dornfortsätze, die bekanntlich 
an der Spitze nicht mit einander zu einem äusseren Knochen 


536 


verschmelzen;’“ Sie ‚liegen 'zwischen den: Lamellen.der 'ge= 
nannten fibrösen Haut’ nnd 'werden’von ihnen an beiden: 
Flächen bekleidet." Geht man von der Spitze eines solchen: 
Dornfortsatzes aus und versucht man ihn von oben nach unten 
mit’ dem Messer 'abzutragen, 'so ‘gewahrt ‘man’ leicht, dass 
nur 'die’obere' Hälfte desselben eine‘ dünne, | beiderseits frei- 
liegende, nur mit’der erwähnten fibrösen Membran in! Ver- 
bindung’stehende und von ihr überzogene Knochenlamelle dar- 
stellt, während seine Basis oder seine untere Hälfte 'eng 
verwachsen ist mit einer viel diekeren Ossification, ‘deren 
unteres Ende eingekeilt ist in eine Grube des entsprechenden 
Wirbelkörpers. ' An der Stelle dieser Einfügung erkennt man 
auch äusserlich schon eine feine Naht*). Diese durch Naht 
mit dem’ Wirbelkörper' äusserlich verbundene, in eine «Grube 
desselben eingekeilte, dickere Ossification an der Basis des 
Dornfortsatzes ist ein Theil des auf Kosten eines wahren 
Knorpels entstandenen oberen Bogenschenkels. ‘Sein einge- 
keiltes Gelenkende besitzt einen Knorpelüberzug. Blos aus- 
wendig ist er eng: verbunden mit der unteren Fortsetzung 
des als.Deckknochen sich charakterisirenden, eine dünne, ihn 
überziehende Lamelle darstellenden Processus spinosus. ' Die 
Verbindung ‘oder Verwachsung dieses Deckknochens mıit der 
unter ihr gelegenen integrirenden Ossification ist meistens 
50 innig, dass es nur selten ‘gelingt durch Abhebung der er: 
steren jene letztere völlig unverletzt darzustellen, und es fin- 
det hier ein ähnliches Verhältniss' statt, wie zwischen’ dem 
Os: mastoideum 'des Hechtes und dem unterliegenden Knor- 
pel oder wie bei einigen Kopfknochen von Trigla, wo, die 
Grenze zwischen Deckknochen und unterliegenden integri+ 


*) Dass die oberen und unteren Wirbelbogen beim Hecht eigene 
vom ‚Wirbelkörper ‘getrennte Knochen sind, hat schon Müller erwähnt; 
ebenso verhält es sich bei ‚den -Salmonen an den meisten Wirbeln, 
wie schon Zäringer angiebt. Desgleichen nach meinen Beobachtun- 
gen bei Clupeiden. (Clupea, Alosa, Butirinus.) 


53T 


renden »Ossifieationen' ‚ebenfalls schwer scharf zu bezeich- 
nen) ist, 

Ich nannte: die an der Basis. des ‚Dornfortsatzes nach: 
innen gelegene, dem Canalis spinalis ‚zugewvendete, .integri- 
rende Ossification einen Theil des ‚oberen Bogenschenkels. 
Inder That repräsentirt er nur dessen untere Hälfte,.denn 
die,robere Hälfte bleibt permaneut ‚knorpelig..\» Die 
knöcherne und knorplige Hälfte des eigentlichen. oberen: Bo- 
genschenkels berühren sich mit ihren ‚Rändern ganz genau, 
während die obere oder knorpelige Hälfte des oberen Bogen- 
scheakels: mit dem knöchernen ‚sie, auswärts  verdeckenden 
Schenkel des Dornfortsatzes auser aller Berührung steht. 

Was die Knorpelstücke der oberen 'Bogenschenkel an- 
betrifft, so kommen sie längs der ganzen ‚Wirbelsäule vor; 
doch sind sie in. deren vorderer Hälfte grösser als in der 
hinteren. Jedes Knorpelstück der vordersten .7—8 Wirbel 
ist mehr: in der Dimension der Breite entwickelt, als in der 
der Höhe, während weiter hiuten.‚die Breite abzunehmen, 
dagegen die Höhe zuzunehmen pflegt; an den vorderen Wir- 
beln stellt jeder der knorpligen Stücke ungefähr ein: längli- 
ches Viereck dar, während ‚sie weiter hinten mehr dreiek- 
kig erscheinen, und zwar so, dass die Spitze des Dreieckes 
nach oben, seine Basis nach unten gerichtet ‚ist und letztere 
dem. oberen Rande des knöchernen Theiles des oberen Bo- 
genschenkels correspondirt. ' 

Diese von den knöchernen Processus spinosi verdeckten, 
aber mit ihnen in keiner "Verbindung stehenden  Knorpel- 
stücke der oberen Wirbelhogen werden von einem eigenen 
Perichondrium überzogen. 

Indem die Knorpelstücke beider Seiten convergiren, bil- 
den sie, nebst den ihnen verbundenen unteren integrirenden 
Ossificationen ‚die eigentlichen Seitenwandungen ‚des Canalis 
spinalis. Oben fliessen die correspondirenden Knorpelstücke 
beider Seiten vollständig) zusammen und (bilden so ein Dach 
über. dem Spinaleanale, weichen zuletzt' aber; wieder mit ih- 


538: 


ren obersten Enden aus einander, wodurch dann ein 'Halb-ı 
canal entsteht. Dieser Halbcanal wird ausgefüllt durch’ den 
unteren’ Theil eines sehr elastischen, ‘weissen Längsbandes, 
das,'von vorn nach hinten 'an Höhe etwas zunehmend, längs’ 
der ganzen Wirbelsäule zwischen den knöchernen oberen 
Dornen verläuft. Dasselbe füllt zugleich die Zwischenräume 
zwischen den einzelnen Knorpelstücken aus, welche, wie 
schon früher erwähnt ist, hinten immer grösser ‘werden. 

So weit das Verhalten beim Hecht. 

Was den Lachs anbetrifft, so zeigt sich seine Wirbel- 
säule in allen wesentlichen Punkten übereinstimmend 'ge- 
bauet. Das gleiche Verhalten der Processus spinosi' rück- 
sichtlich ihrer Entstehung aus häutigem Theile, dieselbe Ver- 
wachsung mit unterliegenden integrirenden‘ Ossificationen, 
welche den grössten Theil (der "eigentlichen oberen  Bogen- 
schenkel ausmachen, dieselbe Verbindung dieser integriren- 
den ÖOssificationen mit perennirenden Knorpeln u. s. w. 
Der Hauptunterschied zwischen Hecht und Lachs — ich un- 
tersuchte jedoch von letzterem Fische ein: 14 Pfund wiegen- 
des Exemplar — besteht darin, dass bei diesem die peren- 
nirenden''Knorpel''schmaler, 'verhältnissmässig kleiner und 
von anderer’ Form sind als beim Hechte, indem sie an» den 
meisten Wirbeln eine halbmondförmige Gestalt zeigen, 

Was die Clupeiden anbetrifft, so stimmen: sie — wenig- 
stens gilt dies von Clupea und Butirinus — mit dem Hechte 
und  Lachse darin überein, dass: ihre oberen‘ Bogenstücke, 
gleich’ den ‘unteren, eigene mit’dem Wirbelkörper verbundeie 
Knochen 'sind. Sie erscheinen in ihrer unteren, dem Wir- 
belkörper zu gerichteten Hälfte plötzlich verdickt ‚und vor 
dieser:dickeren Ossification lässt) sich der unterste Theil des 
Dornfortsatzes''als eine oberflächlich: aufliegende Sehieht mit 
einiger’ Mühe trennen. und abschälen. |.» Aber ‚die, .knorpligen 
oberen! Schlussstücke: von ‚Esox und Salmo; fehlen bei‘ ‚den 
genannten (Clupeiden durchaus und: das elastische Längsbänd; 


das ‘zwischen den ;Dornfortsätzen eingeschlossen liegt,ı be - 


53% 


deckt! mit seiner Basis unmittelbar das Rückenmark mit sei- 
nen’ Hüllen, “ohne. seinerseits von Knorpeln eingeschlossen 
und unterstützt zu ‘werden. —' Untersucht man aber nach 
Entfernung der Dornfortsätze das elastische Längsband ge- 
nauer, namentlich auch unter Wasser, so findet man, dass, 
entsprechend jedem oberen Bogenstücke, in transverseller 
Richtung ein Fetzen gallertartiger Substanz von seiner Ba- 
sis’ abgeht und unten mit: dem 'Periosteum 'des' verdickten 
Antheiles des oberen Bogens in Verbindung steht. 

| Solche 'transverselle Fetzen sieht man auch bei anderen’ 
Knochenfischen z. B. bei Cyprinus, Gadus, Pleuronecies, 
Perca, Lucioperca, denen jene Knorpel durchaus fehlen, von 
der unteren Flüche jenes Längsbandes abgehen. 


Die so eben von mir mitgetheilten Thatsachen erschei- 
nen ‘sowohl für die Lehre von den Wirbeln als auch für 
die Vergleichung des 'Schädels mit = letzteren bedeutsam 
und frachtbringend. 

1) Es giebt Knochenfische, an deren Wirbeln perenni- 
rend ein Gegensatz einerseits von Deckknochen ‘und ande- 
rerseits von integrirenden "Ossifieatiönen "und wirklichen‘ 
Koorpeln nachweisbar ist. ' Die Deckknochen sind die’ bei- 
den Hälften der Pröcessus spinosi; die von ihnen verdeckt 
liegenden  integrirenden Össificationen und Knorpelstücke re- 
präsentiren die eigentlichen oberen Bogenuschenkel. 

2) Die beiden histologisch verschiedenen Antheile der 
oberen Bogenschenkel begrenzen seitwärts uud oben den Ca- 
nalis spinalis vollständig; darauf umschliessen sie, indem sie 
nochmals sieh trennen, ein continuirliches Längsbänd. Diese 
Umsehliessung erscheint jedoch unvollkonimen, indem jene 
Stücke oben statt einer Röhre nur einen Halbcanal bilden, 
ungefähr so wie er bei Diodon än den vordersten Wir-' 
bein frei zu Tage liegend vorkommt. 


540 


3). Von den’ beiden‘ histologisch. verschiedenen  Anthei- 
len. des ‚oberen Bogenschenkels verwächst,: beim Hecht, dem 
Lachs, ‚dem .Häringe, ‚der untere knöcherne ‚mit :der: ihm 
äusserlich aufliegenden Basis eines Deckknochens des: Pro- 
cessus spinosus. . 

4). Bei solchen ‚Knochenfischen, ‚wo das oberg ‚knorplige 
Stück..des. oberen. Bogenschenkels' nicht als solches sich er- 
hält, wird dasselbe anscheinend, gewöhnlich nicht in Kno- 
chenmasse ‚umgewandelt, ‚sondern: frühzeitig ‚resorbirt und 
als seine Ueberreste erscheinen ‚die erwähnten von’ der Ba- 
sis. ‚des Längsbandes ausgehenden Fetzen. 

5) Es ist ‚jenes ‘obere perennirende oder versch windende 
knorpelige Stück der Knochenfische vergleichbar. dem. läng- 
lichen Knorpel, welches bei den Chimären oben das Wach 
des Spinalcanales schliesst und ebenfalls einen Halbkanal 
für das Längsband bildet, 

6) In wie fern, der Gegensatz zwischen Ferien 
Ossificationen, und Deekknochen ‚an 'den Wirbeln ‚der Fische 
und der Wirbelthiere überhaupt ein allgemeiner ist, ‚in wie 
fern. .die ganze knorplige Grundlage vielleicht ‚häufig schon 
frühzeitig verschwindet,) bleibt zu untersuchen übrig, : Die 
meisten, ‚Knochenfische,, ‚bei. denen. die oberen Bogenstücke 
mit,dem Wirbelkörper verwachsen sind, gewähren im, aus- 
gewachsenen ‚Zustande, kein ‚Material, ‚zur Lösung | dieser 
Frage; so: namentlich, nicht; die: Percoiden,, ‚Cataphracten,, 
Scomberoiden, Gadoiden, Pleuronecliden,, wie auch. die, nicht 
ganz ‚in, diese Kategorie gehörigen, ‚Cyprinoiden. 

7) Das Verhältniss ‚der Wirbel zum ‚Schädel. anbelan- 
gend, ‚so ist es, von hohem Interesse zu. sehen, wie ‚gerade, 
die ‚Stirn- und Scheitelbeine den Processus, spinosi der Wir-, 
bel äquivalent sind. Die Schädelhöhle wird. oben. unmittel- 
bar ‚von ‚einem: Knorpeldache umgeben ‚nnd geschützt; eben 
so, der Canalis spinalis bei Esox und Salmo,., Wie über.dem 
knorpligen Schädeldache Stirn - und Scheitelbeine ‚die, Deck- 
knochen bilden, so auf dem knorpeligen Dache des Spi- 


5441 


nalcanales (die Processus spinosi. "Beide erscheinen sowohl 
rücksichtlich ihrer Funktion, als auch rücksichtlich ihrer 


Genesis als Aequivalente. 
Rostock, December 17. 1849. 


Erklärung der Abbildungen. 


Fig. 4. stellt einen Abschnitt der Wirbelsäule des Lachs dar; die knö- 
chernen Antheile der oberen Bogenschenkel nebst ‚den Pro- 
cessus spinosi der einen Seite sind entfernt. 

A. Wirbelkörper. 

B. Gruben zur Aufnahme der unteren Bogenstücke. 

C. Gruben zur Aufnahme der oberen Bogenstücke. 

D. Obere Bogenstücke von der inneren Seite gesehen. 

E. Verdickter Theil derselben, der sich an die Primordialknorpel 
anlegt. 

F. Primordialknorpel. 

G. Elastisches Längsband. 

H. Processus spinosi. 

Fig. 5, Vorderer Abschnitt der Wirbelsäule des Hecht. Nur die Pro- 
cessus spinosi und ihre die integrirenden Össificationen der 
oberen Bogenschenkel bedeckende Schicht ist abgehoben, 

A. Wirbelkörper. 

B. Gruben zur Aufnahme der unteren Bogenstücke. 

D. Obere Bogenstücke, deren Deckplatte entfernt ist, so dass nur 
der integrirend ossifieirte Theil derselben zu Tage kommt. 

F. Primordialknorpel. 

G. Elastisches Längsband. 

H. Processus spinosi. 

I. Ossificationen in dem fibrösen Ligamente, das die Rückentheile 
der beiden Seitenmuskeln trennt. 

Fig. 6. Ein Abschnitt der Wirbelsäule des Hecht. 

A. Wirbelkörper. 

B. Naht an der Stelle, wo der Gelenkkopf des oberen Bogens 
eingekeilt ist. 

C. Processus spinosi. 

D. Die Punkte bezeichnen die Grenze der inwendig vorspringen- 
den integrirenden Ossiflcation, die nach oben an den Primor- 
dialknorpel stösst, 


542 


Fig 77 80% Ein kuöchernes oberes Bogenstück und! mit ihm yerwach= 
„al! ‚'sehet ‚Processus| spinosus. vom Lachs. i Tore 
Fig. 7. Innere Ansicht. r : 
a. Gelenkkopf. mr Yes“ 
b. dünnerer knöcherner Theil. a, . 
c. diekere Ossification, nach oben an den Primordialknorpel 
stossend. 
d. Processus spinosus. 
Fig. 3. Aeussere Ansicht, 
a. "Gelenkkopf. 
bi Aeussere Oberfläche. ir io al ia 
! eidickererintegrirende' Ossifieation. 
d. Processus spinosus. 
Fig. 9. Seitliche Ansicht. 
Bezeichnungen wie Fig. 5 


Bemerkungen über Schädel von Guarani- India- 
nern aus Brasilien. 


Von 


Anpe. Rerzıus. 


‚Aus der Öfversigt af K. Vet.-Ak.'s Förhandlingar etc. for 3 ar 1829, 
S. 14% ff., übersetzt von Fr. Creplin, 


Hr.. Retzius.theilte .der. Akademie der Wissenschaften, zu 
Stockholm: in: ihrer Sitzung am 9. Mai. d. \J. ‚den' ‚folgenden 
Auszug: aus einen Briefe vom: Professor, ‚der ‚Auatomie,an 
der ‚medieinischen Schule zu. Bahia (San, Salvador ), in Bra- 
silien, ‚Dr. Jonathan Abboth, mit, und. zeigte ‚mehrere 
yoiı ‚demselben ‚übersandte ‚Schädel: von Indianern, aus: den 
Bahia zunächst liegenden Gegenden vor, führte auch, zugleich 
an, dass! Hr, A'bboth dem. 'Carolinischen Institute bereits 
von Zeit‘, zu. Zeit. höchst, werthvolle Schädel von brasiliani- 
sehen‘ Indianern , ‚kostbare Skelelte von mehreren |Thieren, 
und. ven, ibm ‚selbst brrenagezphene anatomische Sehriften 
verehrt ‚habe, 

In dem, oben genammten. Briefe, sagt Hr. Retziusyä äus> 
ser Dr, ,Abboth: „Die in den Gegenden zunächst ‚Bahia 
wohnenden Indianer sind. sogenannte zahme Ureinwoh: 
ner, welche nieht strenge ia. Kasten getheilt, sondern. ver= 
mathlich: eine; Mischung; vom mehreren, einander verwandten 
Stämmen. sind. ' Etwas, weiter, entfernt; leben die Tapuios,, 


544 


ein wilder, raubgieriger, nomadischer Stamm. Die wohn- 
gesessenen Einwohner sind oft ihren Streifzügen ausgesetzt, 
und müssen sich beständig im Vertheidigungsstande gegen 
ihre Ueberrumpelungen halten. Wo sie es irgend ihun kön- 
nen, tödten sie die Einwohner, nehmen mit, was sie fort- 
bringen können, und zerstören und verbrennen das Uebrige. 
Nicht weit von denselben Gegenden leben auch die Boto- 
kuden, bekannt als Menschenfresser und durch ihre son- 
derbate Gewohnheit{'in die Unterlippe’ und dieOhrläppehen 
grosse hölzerne Scheiben‘.als Merkmale::der Auszeichnung 
einzusetzen.“ Ein dritter Stamm, dessen Abboth erwähnt, 
sind die Kamakans, ein friedfertiges, gelehriges, abergläu- 
bisches und argwöhnisches Volk, welches ebenfalls den Ge- 
genden um Bahia angehört. 

Die, hieher gesandten Schädel von Tapuios. — fährt 
Hr. Retzius fort — haben Individuen eines Trupps solcher 
Indianer angehört, welche vor zwei Jahren zu einer Plan- 
tage 'herabgekommen sind, um zu plündern. Sie wur- 
den jedoch bei Zeiten mit scharfen Schüssen empfangen, 
durch’ welche ihrer sechs stürzten. Ihre Köpfe wurden’ nach 
Bähia in den anatomischen Saal gesandt, und fünf von ih+ 
nen dem hiesigen anatomischen Museum verehrt. Da bisher 
der Schädelbau dieser Indianer nicht erforscht worden => 
#0 dürfte er hier etwas genauer darzulegen sein. 

a) Schädel der Tapuios. Sie sind alle lang: keil- 
förmig-länglich, iniltelgross oder etwas darunter, die Core- 
nal-" und Bäsilarumrisse fast gleich "gross; die Schädel im 
Verhältnisse zur Länge hoch, von den Seiten fast etwas 'zu- 
sammengekniffen. Stirn an allen ziemlich niedrig, aber ge- 
wölbt; " Schläfen flach; -Scheitelhöcker 'stark,' weiter nach 
hinten, ‘als die 'Processus mastoidei liegend; Hinterhaupt 
lang, schmal, mit stark herausstehendem Hinterhauptshöcker; 
Receptäculum cerebelli klein, horizontal gestellt; Lineae semi- 
eirculares superiores märkirt, 'sich in’ der Mitte in’ einen 
langen, spitzen, erhöhten Winkel vereinigend, welcher eine 


545 


kürze, zipfelförmige; Zustutzung zu einem Hinterhaupfszacken 
(Protuberantia oceipitalis) bildet. Die .Processus  masteidei 
eind ziemlich gross, Ohrenöffnungen ungemein 'gross, rund, 
trompetenförmig, etwas nach: unten gewendet: und weit tie- 
fer, als bei Europäern im allgemeinen. | Basis, cranii: ziem- 
lich flach; Corpus ossis sphenvidei und Pars hasilaris’ ossis 
oceipitalis lach, sehr ‘wenig aufwärls steigend; Gelenkköpfe 
des Hinterhauptsbeins klein und wenig herausstehend. |; Die 
Pyramiden der Schlafbeine füllen auf eine ungewöhnliche 
Weise die ganze Kluft zwischen den Keilbeinflügeln:»und 
dem in der Mitte der Basis cranii aus den vereinigten Kör- 
perstücken des Hinterhaupts- und Keilbeins zusammengeselz- 
ten Keile, eine stark ausgeprägte Furche für die Tuba Eu- 
stachiana bildend. Gefäss- und Nervenlöcher in der Basis 
eranii an den meisten klein. Die Stelle zu beiden Seiten 
unten, welche den Boden für die Lobi medii oder selbst die 
Lobi Hippocampi ausmacht, und an deren Aussenseite ge- 
meinhin das Jugum sphenoidale liegt, geht ungewöhnlich 
weit hinab und ist auch an den Seiten, mehr als gewöhnlich 
angeschwollen. Scheitel theils gewölbt, theils bei zwei In- 
dividuen in der Mitte zu einem gerundeten Rücken erhöht, 
An einem Individuum existirt noch die Sutura frontalis. 
Tubera frontalia- nicht ausgezeichnet; Tubera supra- ciliaria 
sehr schwach 'ausgebildet, Glabella an drei Specimina glatt, 
eonvex, an zwei, mit-etwas stärkeren Augenbrauenhöckern, 
etwas concav; äussere Angenhöhlenfortsätze ziemlich stark 
herausstehend; Ebenen der- Schlafmuskeln sehr gross, die 
bogenförmigen, sie oben begränzenden Linien hoch gegen die 
Scheitel zu aufsteigend, und sich weit nach hinten zum Hin- 
terhaupt erstreckend; ‘ Nasenbeine kurz, klein und platt lie- 
gend, Nasenöffnung klein, an’ vier Speeimina nach oben ge- 
rundet, breit, stumpf, im ganzen niedrig gegen die Breite 
und mehr rund, ‘als birnförmig, wie bei den Negern; Nasen- 
zacken klein; Orbita gross, viereckig, der untere äussere 


Winkel herabgedrückt; Wangengruben flach; Jochfortsätze 
Müllers Arebiv. 1419, 35 


546 


gross; Wangenhöcker herausstehend; Jochbeine gross; Joch- 
brücken etwas herausstehend; Oberkiefer etwas vorsprin- 
gend; beide Flügel des Alveolarfortsatzes fast parallel; Bo- 
gen nicht weit, der vordere Theil ziemlich stark nach 
vorn gerichtet; Zähne mittelgross; Gaumenwölbung wenig 
tief. Unterkiefer ziemlich stark, niedriger, als im Allgemeinen 


bei den Europäern, hintere Winkel eben so, mehr herausste- 
hend mit starken Erhabenheiten zur Anheftung der Massete- 
re; Kinn vorstehend, wie im Allgemeinen bei den Ameri- 
kanern, 


Maasse nach der Mittelzahl. 


Länge» ls Wahr Sei m N TE, 
Stirnbreite . - » - rät‘ 
Hinterhauptsbreite feste zwischen 

den Scheitelhöckern) . . . . 0,133 
Mastoidalbreite - . » » 2... 0,120 
Grösster Umfang . 2... ..... 0,535 
Grösste Höhe ... ....... 0130 
Länge des Rückenmarkslochs . . 0,035 
Breite. ....» BEL) 175, 
Jochbreite (mitten am imma .. 0,135 
Höhe des Oberkiefers von der Nasen- 

Or SE An 


Höhe der Apertura orbitarum . . 0,036 
Breiten, cs na en hen 00 


547 


Höhle des aufsteigenden Unterkiefer- 
aster . ..IRiIAES Er, 551081805060 
Kinnhöhe des Unterkiefers . . . 0,033. 

Diese Schädel gehören hiernach der dolichocephalisch- 
prognathischen Form an, der der Neger sich im allgemeinen 
etwas nähernd, indessen steht bei den Negern doch das 
Kinn mit den Vorderzähnen etwas anders, nämlich so, dass 
das Kinn nach hinten abfällt und beide Kiefer vorn in einem 
ziemlich starkvorstehenden Winkel auf einander stossen, 
ähnlich den Kiefern bei den Affen, während dagegen hier, 
und vermuthlich bei den meisten amerikanischen Indianer- 
stämmen, das Kinn am weitesten vorsteht. 

Der Name Tapuios kommt bei Prichard nicht vor; 
D’Orbigny nennt die Tapuias nur im Vorbeigehen neben 
den Tapis und Karaiben unter mächtigen Volksstämmen im 
nördlichen Brasilien (L’Homme americain, T. 1, p. 317). 

In der Reise des Prinzen Maximilian von Neuwied 
(Reise nach Brasilien in den Jahren 1815 — 1817) kommt 
dagegen der Name Tapuyas an vielen Stellen vor. So 
führt er zuerst aus Vasconcelles’ Noticias antecedentes 
e necessarias das cousas do Brasil (in Padre Simäo de 
 Vasconcelles Chrönica da companhia de Jesu do estado 
do Brasil etc.) an, dass dieser Schriftsteller alle Urvölker 
im östlichen Brasilien in zwei Klassen theile, nämlich in 
bezähmte oder civilisirte Indianer, Indios mansos und in 
Tapuya’s oder wilde Horden. Die Ersteren bewohnten 
bei der Ankunft der Europäer bloss die Seeküste; sie wa- 
ren in mehrere, nach Sprache und Sitten wenig verschie- 
dene Stämme getheilt. Ihre Guaranisprachweise wurde von 
den Portugiesen Lingoa geral oder matriz genannt; : sie hat- 
ten die abscheuliche Sitte, ihre Kriegsgefangenen zu mästen, 
um sie an einem festlichen Tage zu fressen, Als zu diesen 
Indios mansos gehörend rechnet der Prinz die Tomoyos, 
Tupinambas, Tupinaquins, Tobayaras, Tupis, 'Tu- 

35 * 


548 


pigoäes, Tumiminos, Amoigpyras, Araboyaras, Ra- 
riguaras) Potigoares und Carijos. 

Als zu den Tapuios gehörend: sind in des Prinzen 
Reise die Pur&s, Patachos, Machacalis oder Macha- 
caros and Botocudos gerechnet. An einer Stelle (Bd. 
1, S. 37) wird angeführt, dass ein besonders‘ wilder Ta- 
puya-Stamm, die Uötacas oder Goaytacases, wie die 
Portugiesen sie nennen, an der Ostküste unter: den oben 
erwähnten Indios mansos wohnte, aber eine Sprachform be- 
sass, welche von ihrer Lingoa geral abwich, und dass die- 
ser Stamm‘nur mit vielem Muth und vieler Mühe von den 
Jesuiten bezähmt (gebändigt) ward. 

Die in Europa wegen ihrer fürchterlichen Holzstücke in 
der Unterlippe und den Ohren am meisten gekannten Bo- 
tokuden gehören sonach auch zu den Tapuios. 

Wir besitzen in den Sammlungen des Carolinischen In- 
stituts zwei Specimina von sogenannten Botocudos; das 
eine ist ein vollständiger Schädel, welcher vor längerer Zeit 
vom Hrn. Freyreiss in Rio Janeiro. übersandt wurde, das 
andere der Gipsabguss von dem eines’ lebenden 'Botokuden, 
welcher für Geld in mehreren der grösseren Städte Europa’s 
gezeigt ward. ‚Beide Specimina ergeben ganz dieselbe Schä- 
delform, wie die oben beschriebene. Prinz Maximilian 
hat von den Botokuden die erste ausführliche Beschreibung 
geliefert. In älteren Zeiten waren sie als Aymore&s, Aim- 
bor&s oder Ambur&s bekannt. Sie selbst''nennen: sich 
Engeräckmung und hören sich ungern Botokuden nen- 
nen. : Den letztern Namen haben 'sie durch die Portugiesen 
von den grossen Holzstücken erhalten, ‘welche sie sich: in 
die Unterlippeund die Ohrenläppchen setzen. Das: portugie- 
sische Wort Botoque bedeutet ein rundes kurzes Holzstück 
in das Spundloch einer Tonne oder eines Fasses zu'stecken. 
Noch i. J.. 1817 ‘wohnten die Botokuden vorzüglich zwi- 
schen dem Rio Pardo und dem Rio doce. Auch von diesen 


549 
Indianern soll ein Theil zum Christenthume bekehrt, etwas 
eiyilisirt worden und ackerbebauend sein, 

Es sind jedoch nicht die Botokuden allein, welche sich 
Blöcke in Lippe und Ohren einsetzen. Prinz Maximilian 
führt solcherweise von den Patachos, welche ebenso wie 
die Machacalis Feinde der Botokuden sind, an, dass sie 
ein Stück Rohr in der Unterlippe tragen; die Tapinambas 
an der brasilianischen Küste tragen grüne Nephritsteine in 
der Unterlippe. Dieselbe Sitte soll nach Azara (Voyage 
dans l’Amerique meridionale) bei den pampeanischen Völ- 
kern vorkommen. _ Die Lenguas in der Nähe von Gran 
Chaco, wie auch die Aquitequedicaguas, tragen runde 
Holzstücke in den Ohren und in der Unterlippe einen zun- 
genförmigen Block von 2“ Dehm.; Azara fand dieselbe 
Sitte auch unter den Charruas. La Condamine berich- 
tet, dass die Indianer am Maranon 18‘ weite Löcher in 
den Ohrläppchen hatten, in welche sie Blumensträusse steck- 
ten; die Gamellas-Indianer an demselben Flusse trugen 
grosse Blöcke iu der Unterlippe. Prinz Maximilian eitirt 
auch aus Quandt’s Nachrichten von Surinam, dass die 
Karaiben und Waraner: in Guiana ihre Nadeln in den 
grossen Löchern aufbewahren, welche sie sich. in den Oh- 
renläppchen: zurichten. Das 'Eigenthümlichste in dieser 
Hinsicht wird, nach Gumilla (Hist. nat. de l’Orenoque) von 
den Guamos-Indianern am Apure und Saraze angeführt, 
dass sie nämlich in jedem Ohrläppchen einen Beutel bilden. 

Die Sprachen der wilden Indianer sollen sehr von der 
®. 8. Lingoa geral abweichen; aber alle späteren Sprachfor- 
scher bringen sie sämmtlich zur guaranischen, 

Wir finden, dass die Namen Tapuios, Tapuias oder 
Tapuyas bald ‚als allgemeine Benennung wilder India, 
ner im östlichen Brasilien, bald für gewisse Gruppen. der- 
selben, angewandt werden, ohne irgend einen gewissen 
Zweig strenge zu bezeichnen, so wie Botokud richtiger- 
weise die Benennung von Indianervölkern ist, welche Blöcke 


550 


in Lippe und Ohren tragen, ferner, dass dieser Gebrauch 
unter mehreren, zahmen sowohl als wilden Stämmen vor- 
kommt, dass aber das Volk, welches am meisten unter die- 
sem Namen bekannt ist, richtiger Aymores oder Enge- 
räckmung genannt werden würde. 

Es verhält sich mit den Indianern Brasiliens, wie mit 
vielen andern Nomadenvölkern in Afrika und Amerika, dass 
sie sich von Zeit zu Zeit in mehrere kleinere Gesellschaften 
theilen, welche eine gewisse Selbstständigkeit behaupten, in 
Feindschaft unter einander gerathen und sich von einander 
absondern. Sie bekommen eigne Namen, wie sie auch ihre 
vorher gleiche Sprache und Sitten verändern. Grössere und 
immer grössere Verschiedenheiten entstehen. Die gesonder- 
ten kleineren Gesellschaften werden dann von Vielen für 
ganz verschiedene Völker angesehn, bis der gründlichere Na- 
turforscher die Spuren der frühern Gemeinschaft in .der 
Sprache, den Sitten und den physischen Charakteren aus- 
mittelt. Es ist von grossem Interesse, dass solche Ausmit- 
telungen geschehen. ‘Für die Völker Süd-Amerika’s steht 
die Ethnologie in der grössten Verpflichtung gegen den aus- 
gezeichneten französischen Naturforscher D’Orbigny. 

Er nimmt für den grössten Theil von Brasilien, Para- 
guay und Guiana eine gemeinschaflliche Race an, welcher 
er den Namen Race brasilio-guaranienne gegeben hat 
und zu welcher er auch den grossen Karaibenstamm in 
Guiana, auf den Antillen u. s. w. rechnet. Die Hautfarbe 
des Guaranistammes ist gelblich mit einer schwachen Ein- 
mischung von Roth. Hierbei ist es indessen besonders be- 
merkenswerth, dass mehrere Schriftsteller diesen Indianern 
im Allgemeinen runde Köpfe zuschreiben. Von den Boto- 
eudos fügt aber Blumenbach hinzu, dass deren Köpfe 
etwas von den Seiten zusammengedrückt seien. Ich habe 
eine Menge Guaranier- und auch mehrere Karaibenschädel 


untersucht, aber niemals einen derselben rund, sondern im 


Gegentheil alle läuglich, mit weit herausstehendem 


551 


Hinterhaupte, gesehen. Diese D’Orbigny’sche Race 
brasilio-guaranienne erstreckt sich sonach von Guiana 
durch Brasilien und Paraguay, so wie von den Antillen bis 
zum Fusse der bolivianischen Anden, d. i. bis zu den Gren- 
zen des alten Peru hin. Zu diesem grossen Volksstamme 
gehören die Tapuios und alle hier angeführten Völker, 
nebst noch mehreren. 

Nachdem ich bei einer frühern Gelegenheit (Öfvers. af 
K. Vet.-Ak.’s Förhandl., 1848, Sept. [übers. in diesem Arch., 
oben S. 171—181]) zu zeigen gesucht habe, dass das in 
Peru vor der Dahinkunft der Inkas herrschende Urvolk auch 
dolichocephalisch-prognathisch und somit von derselben Schä- 
delform, wie auch vermuthlich von den übrigen Grundzügen, 
der guaranischen Völker war, und da diese auch einen dem 
der Aymores oder Botokuden so sehr ähnlichen Namen, 
nämlich den der Aymaras, bekommen haben, so dürfte 
Grund zu der Annahme vorhanden sein, dass jene (die Ay- 
maras) ältesten Bewohner Peru’s einem Zweige des gros- 
sen Guaranistammes angehörten. 

Ausser den interessanten, hier oben angeführten Schä- 
deln habe ich in einer spätern Sendung vom Prof, Ab- 
both einen merkwürdigen, balsamirten Kopf von derselben 
Guaranirace und sehr ähnlich demjenigen erhalten, welcher 
sich in Blumenbach’s Sammlung in Göttingen befinden soll, 
und dem, welcher in Prinz Maximilian’s Reise, Atlas, Pl. 
17, Fig. 5, abgebildet steht, endlich zwei anderen im Hun- 
ter'schen Museum zu London. 

Dieser Kopf ist ausgezeichnet wohl erhalten; die Haut 
ist (obgleich trocken) gelblich mit einem leichten rotlien Tone, 
mit ziemlich langem, schwarzem, glänzendem, schlichtem 
Haar, ohne Augenbrauen und Bart. Die Stirn und ein Theil 
der Scheitel sind in einer nach hinten gehenden Rundung 
geschoren; in der Mitte des geschornen Feldes steht ein run- 
der, ungeschorner Fleck von 14” im Durchm., aber mit sehr 
kurzem, abgeschnittenem Haar. Jedes Ohr ist mit einer 


552 


grossen, hübschen Rose bedeckt, ‚welche in der‘ Mitte aus 
kurzen baumwollenen Dochten und im Umfang aus kurzen, 
gelben, grünen und rothen, glänzenden Vogelfedern besteht; 
Hinten hangen von’ jeder dieser beiden Ohrenroseir vier Zie- 
rathe, von etwa einer halben Elle Länge, ‘herab; jede en- 
digt sich 'ganz unten in einen hell-ziegelfarbenen Busch: von 
groben Baumwollenfäden,, wie Lichtdochte; von’ jedem Bu- 
sche geht eine Schnur zur Ansatzstelle des Ohrs, und um 
diese Schnur sind kleine Federn in kurze, abwechselnd roth- 
gelbe und schwarze Ringe gebunden, in deren unterstem die 
Federn am grössten und schwarz sind. Auf jedem Auge 
ist eine schwarze, aus einem verdickten Balsame verfertigte 
Erhöhung von der Weite der Orbitalöffnung befestigt; schief 
über ‘jeder derselben sitzen zwei weisse Streifen, "welche 
vermuthlich die Augenliederränder vorstellen sollen. _ Diese 
weissen Figuren bestehen aus den bogenförmigen Vorder: 
zähnen eines kleinen Nagers, eingedrückt in den Balsam. 
Wahrscheinlich sind sie von einer kleinen Cavia; mit dem 
blanken, weissen Schmelze nach vorn gewendet ‘geben sie 
dem Ganzen ein eigenthümliches Gepräge. 

Die Zähne sind ausgezogen; zwischen die Kinnladen ist 
ein Busch von baumwollenen Schnüren eingesetzt, mit einem 
Knoten auf jeder Schnur; aus der Mitte dieses Busches hängt 
eine ziemliche dicke und starke, geflochtene Schlinge, bei- 
nahe £ Ellen lang, herab. Nach Prof. Abboth’s Angabe 
soll dieser ‘Kopf aus der Gegend. von Paranä sein. Prinz 
Maximilian erklärt, dass dergleichen mumificirte ‘Köpfe 
eine Art von Trophäen seien, nämlich Köpfe von gefange- 
nen ‘und 'vermuthlich übrigens 'aufgefressenen Anführern. 
Diese Trophäen mögen wohl bei den kannibalischen Siegs+ 
festen der Indianer aufgehängt werden. 

Das Scheren ist auf keine üble: Weise bewerkstelligt; 
nach des Prinzen Maximilian Angabe soll es meistentheils 
mit einem Instrumente, ‘das aus’ einem gespaltenen Rohre 
zngerichtet wird, geschehen. : Eigen ist es, dass die ameri- 


553 


kanischen Indianer im Allgemeinen das Haar auf dem Ge- 
sicht und dem Körper ausreissen, weshalb auch mehrere 
Reisende ihnen einen geringen Haarwruchs zuschreiben. 

Der Schädel eines bezähmten Indianers. Prof. 
Abboth sandte auch den Schädel eines sogenannten zah- 
men Indianers. Er ist etwas kleiner, als der der Ta- 
puios, hat kleinere Parietalhöcker, gleicht aber übrigens 
den guaranischen im Allgemeinen, ist lang, fast schmal oval, 
mit langem, schmalem Hinterhauptshöcker, gewölbter Schei- 
tel und Stirn, hat grosse Orbitae, ziemlich herausstehende 
Jochbogen, eine kleine, etwas gerundete Nasenöffnung und 
etwas prognathische Kinnladen. Auch an ihm sind die Ohren- 
öffnungen sehr weil; die Pyramiden eines jeden Schlafbeins 
füllen die ganze Bucht zwischen Keil- und Hinterhauptsbein; 
die Choanen sind niedrig und'.das Basilarstück nebst dem 
Hinterhauptsbeine mit der. untern' Seite des Corpus ossis 
sphenoidei platt. 

Bei dieser Gelegenheit dürfte es auch dankbar zu er- 
wähnen sein, dass dem anatomischen Museum noch ferner 
ein Guaranischädel aus Rio Janeiro vom Dr. Langgaard, 
welcher sich bei mehreren Gelegenheiten für unsere Samm- 
lungen interessirt hat, zu Theil geworden ist. 

Auch dieser Schädel ist dolichocephalisch - prögtithieghe 
aber etwas grösser als die übrigen. ‘Ich habe Veranlassung 
zu glauben, dass er aus den Gegenden zunächst Paraguay sei 


Kraniologisches. 
Von 


ANDR, RETZIUS. 


' 
Aus dem Schwedischen von Fr. Creplin. 
I. Vorweltliche Schädel von Belgiern, Britten 
und Angelsachsen. 


(Mittheilung aus einem Briefe an A. R. von Dr. I, C. Prichard in 
London.) *) 


„Es ist. Ihnen bekannt,‘ schreibt Prichard, ‚‚dass es wäh- 
rend der römischen Oberherrschaft in England, welche ei- 
nige Jahrhunderte dauerle, dort mehrere grössere Städte 
gab. In diesen war die Bevölkerung vorzüglich brittisch, 
und in ihrer Nähe finden sich viele alte Begräbnissplätze, in 
denen man verschiedene Schädel angelroffen hat. 

Einige Hirnschalen sind mir aus Begräbnissplätzen in 
der Nähe von „Roman Roads“ bei Cirencester in Glouces- 
tershire, dem ehemaligen Duro-corinium zugesandt worden. 

Sie sind nicht von der runden Form, sondern gerade 
darin eigenthümlich, dass sie lang und schmal sind. Duro- 
corinium lag nahe bei, wenn nicht selbst in, dem Lande 
der Belgier in Britannta. 


*) Ofversigt af Kongl. Vet.-Ak’s Förhandlingar 1848, S. 71— 72. 


355 


In der Nähe von York (Eburacum) sind auch mehrere 
Ausgrabungen geschehen, und ich habe von zweien dersel- 
ben Hirnschalen erhalten. Aus dem einen Grabhügel habe 
ich einige Schädel zugesandt bekommen, die einem Grabe 
entnommen worden sind. Diese sind fast ebenso breit als 
lang, und von runder Form. An derselben Stelle fand 
man Stücke von römischen Thongefässen und Knochen vom 
Bos longifrons. Man kann fast mit Gewissheit annehmen, 
dass diese Schädel aus der römischen Periode herstammen 
und Britien angehört haben. Der Zweig der Britten, wel- 
cher das Land bei York bewohnte, war der der Briganten. 

Von einer anderen Stelle her, in der Nähe von York, 
zwischen York und dem ehemaligen Lager des Severus 
habe ich mehrere Schädel von einer besonders runden Form, 
wie auch einen sehr grossen länglichen von derselben Form 
wie der oben genannte von Duro-corinium, erhalten. 

Bei Scarborough in derselben Landschaft hat man eben- 
falls ein Skelet unter Umständen angetroffeu, welche dafür 
sprechen, dass es ein urbrittisches sei. — Ich habe auch 
Nachricht von dem vorweltlichem Schädel eines Angelsach- 
sen empfangen, beschrieben im 30sten Bande der Archaeolo- 
gia or Transactions of the Society of Antiquaries of London. 
Dieser Schädel ist.Jang und ganz von derselben Form, wie 
es scheint, wie die skandinavischen Schädel, die Sie beschrie- 
ben haben.“ 


I. Schädel aus alten Gräbern in Ostgothland, *) 


Hr. Artist Mandelgren brachte von einer Reise, wel- 
che er mit Hülfe von Unterstützung aus öffentlichen Mitteln 
in der ebengeuannten Provinz im vergangenen Sommer ge- 
macht hatte, eine Hirnschale von wahrscheinlich sehr ho- 
hem Alter, gefunden in einem Familiengrabhügel auf dem so 


*) A. 2.0.5. 72-7. 


556 


genannten’ Sandstuguback ( Sandstubenhügel) zwischeu den 
Kirchen von Stora Aby und 'Ödeshög in Ostgothland mit; 

Ueber die Fundstelle theilte Hr. Propst D. L. Kin- 
mansson in Stora-Aby gütigst das Folgende mit: 

„Nahe bei der Landstrasse zwischen Linköping und 
Jönköping, 4 Meile von Stora-Aby sowohl, als der Kirche 
von Ödeshög, befindet sich ein, völlig ebenes, etwas hochlie- 
gendes Sandfeld von 6—8 Tonnenlands-Areal 1), genannt 
der Sandstuguback. 

Dort, zu beiden Seiten des Wegs und auf der Gränze 
beider. Kirchspiele, sieht man eine ziemlich grosse Menge 
von aufgerichteten Platten ohne Inschrift (Bauta-Steine 2)) — 
einige von etwa 4 Ellen Höhe, andere weit niedriger, der 
Abwechslung nach Gränzsteinen gleich. Alle stehen jetzt 
auf.der ebenen Erde und bearbeiteten Aeckern, ohne die ge- 
ringste Erhöhung am Fusse. 

Nahe diesen. ‚aufgerichteten. ‚ Steinen, ungefähr 300° 
nördlich von der Landstrasse liegen auf einer zu den Grund- 
stücken des Hemmans Kulltorp der Gemeine von Ödeshög 
gehörenden Koppel 9'Familiengrabhügel (Ättehögar) 18 bis 
30‘ von einander, deren 6 von bedeutendem Umfange, 8 bis 
10°,Fuss' hoch, 3 dagegen kleiner sind, in der hier vor Au- 
gen gelegten Ordnung beisammen: 


OA 


o0oo 
[e) Dr 


o° 


Ganz oben auf jedem Hügel befindet sich ‘eine nicht 


1) Eine Tonnelands-Areal ist eines, welches mit einer Tonne Ge- 


traide (4 Scheffeln) besäet werden kann. Cr. 

2) Bautasteine (Schwed, Bautastenas) sind „die Grabsteine 
welche nach Odin’s Verordnung bei berühmten Männern und Er- 
schlagenen ohne Inschrift errichtet wurden,“ (Möller’s schwed,-deut- 
sches Wörterbuch.) Cr. 


557 
grosse Vertiefung von der Form 'eines Riesentopfs (Jätte: 
gryta *), welche, wie es scheint, — nicht: durch: künstli- 
ches Dazuthun entstanden ist. In dem Hügel A, welcher 
der grösste und am höchsten liegende ist, stiess man im ver- 
gangenen Sommer unter einem Grieslager nahe dem Gip- 
fel des Hügels und in einer Tiefe von kaum 18 Zoll auf 
den — durch den Spaten etwas beschädigten — . Schädel; 
welchen ich mir die Freiheit nahm, zu übersenden.‘ In dem- 
selben Hügel traf man auch viele kleine und dünne, weisse 
Knochenstückchen von +— 1”. Länge an. 

"€. F. Broaeman sagt in seiner Beschreibung: von 
Ostgothland, gedruckt 1760, nachdem er über einige Runen- 
steine in der vormaligen Kirche von Stora-Aby berichtet 
hat, S. 625, indem er von dem oben genannten Sandstugu- 
back redet: „‚Ausser jenen Alterthums-Merkmalen giebt''es 
in dem Kirchspiele ziemlich viele Geschlechtsgrabhügel 
mit dabei anfgerichteten Steinplatten; auch fand man: vor 
einigen Jahren ein sehr langes Gerippe in einer Familien- 
gruft noch unverweset.“ Die Tradition von diesem Gerippe 
geht auch heute im Schwaänge, aber ohne weitere Commen- 
tarien. Gewiss ist es, dass man theils beim Bearbeiten des 
Ackers um die „„Steinplatten“, theils in den aufgestörten Hü- 
geln oft auf kleine Knochenstücke und Scherbehen von ge- 
branntem Tone stösst, welche gleichwohl gross genug sind, 
um sich als Fragmente von vorzeitlichen Urnen zu erkennen 
zu geben. Dass das Feld in den späteren Jahrhunderten 
nicht als Begräbnissplatz benutzt worden ist, weiss man 
mit Gewissheit,‘ 

Nach meiner Messung betrug die Länge ‚des Schädels 
0,190, die Stirnbreite, 0,100, Hinterhauptsbreite 0,143, Um- 


*) So hiessen vormals gewisse Höhlen in den Bergen, unrecht 


(so) Riesentöpfe genannt, weil man glaubte, die Einwohner hätten ehe- 
dessen ihr Getraide darin gestampft; es kann. aher das Wasser sie aus- 
gehöhlt haben. (Möller) Cr, 


358 


fang 0,542, und so von denselben Dimensionen, welche ich 
in meiner Schrift über die Schädel der Nordbewohner in 
mittlerer Zahl für die Hirnschalen der Schweden angegeben 
babe. Aus dem Angeführten dürfte der Schluss gezogen 
werden können, dass die in Rede stehende Hirnschale, welche 
allem Anscheine nach von einer Mannsperson ist, zur heid- 
nischen Zeit begraben worden sei und einer Person von 
grösserer Bedeutendheit angehört habe. Wefern dieselbe 
von cellischem oder sviogothischem Stamme gewesen sein 
möge, ist schwer zu ermitteln, da die Schädel dieser Stämme 
sich unter einander sehr ähnlich sind. Nach den Ansichten, 
welche man im Allgemeinen in England von solchen Bauta- 
steinen hegt, deren in dem Schreiben des Herrn Propstes 
Kinmansson Erwähnung geschieht, würden diese celti- 
sche sein. Ich citire in dieser Hinsicht Knight’s Old Eng- 
land, a Pictorial Museum ‚of regal, ecclesiaslical, baromial 
and popular Antiquities. 


II. Schädel aus alten Gräbern in England *). 


1. Schädel von England’s und Irland’s ältesten Bewohnern, wahr- 
scheinlich Basken (Iberiern) oder Finnen. 


Ich habe von solchen die Gipsabgüsse zweier Individuen, 
den einen durch den Dr. Prichard aus dem Museum zu 
Scarborough in Yorkshire, den andern von Rob. Ball Esq. 
in Dublin aus dem dortigen Universitätsmuseum erhalten. 

a) Der Schädel eines Ur-Britten. Bei der Un- 
tersuchung eines grossen Grabhügels in dem Dorfe Gristorph 
bei Scarhorough (am 10. Julius 1834), angestellt vom Eigen- 
thümer Hrn. W. Beswick, stiess man in 6’ Tiefe auf eine 
Menge ohne Ordnung da liegender Eichenäste und unter die- 
sen auf ein Stammstück von 34 Ellen Länge und 14 Ellen 
Breite. Es lag in einer Richtung von Norden nach Süden 


*) "Ofversigt af Kongl, Vetenskaps-Akademiens Förhandlingar 1849, 
No. 5, S. 118—138, 


559 


und zeigte an seinem einen Ende das rohe Bild eines Men- 
schengesichts. ‘Als es Tags darauf mit vieler Anstrengung 
aufgehoben ward, fand es sich, dass es den Deckel eines 
Sarges ausmachte, der mit Wasser angefüllt war und ein 
menschliches Gerippe nebst Ueberbleibseln an Waffen und 
Schmucksachen von Knochen, Feuerstein und Kupfer ent- 
hielt. Alles wurde herausgeholt und dem Museum in Scar- 
borough überliefert. Der Sarg sowohl als dessen Deckel 
bestanden ganz einfach aus einem an den Enden mit schlech- 
tem Werkzeuge abgehauenen Eichenstamm, auf welchem noch 
die Rinde wohl erhalten sass. Das Deckelstück schien mittelst 
Keile abgespalten zu sein. Das Sargstück war wie ein Trog 
ausgehöhlt. Der Deckel war nur aufgelegt, ohne am Sarge 
befestigt zu sein; die erwähnte Gesichtsfigur war in der 
Rinde ausgeschnitten. Das Gerippe war vollständig, weiss 
wie Elfenbein und besass eine Körperlänge von 3 Ellen 2 
Zoll E. M. Es zeigte, dass der Körper auf die rechte Seile 
mit dem Gesichte nach Osten gelegt war. Aus allem An- 
sehen der Knochen ergab es sich, dass sie einer Person 
von starkem Muskelbau angehört hatten. Um das Skelet 
fanden sich Ueberreste von Thierhaut, mit welcher offenbar 
die Leiche umhüllt gewesen war. Das Haar auf dieser 
Haut war kürzer und feiner, als Ziegenhaar. Diese Um- 
hüllung schien mit einer Nadel von Knochen oder Horn be- 
festigt gewesen zu sein. Es ist nicht näher angegeben wor- 
den, aus welcher Thierhaut die Haut gewesen sei; es wird 
darüber in einem gedruckten Berichte, welchen der Curator 
des naturgeschichtlichen Museums in Manchester, Hr. W. C, 
Williamson mittheilte, gesagt, ,‚dass das Haar sehr der 
Wolle eines Schafes oder vielleicht noch ‘mehr dem Haar 
einer Ziege, obgleich es nicht voll so lang sei, gleiche.‘ 
Die sonst in dem Sarge vorgefundenen Sachen waren: 
1) Eine sehr angefressene Dolchspitze von einer kup- 
ferhaltigen Metallmischung. Solche sind auch in zwei ande- 


560 


ren vorzeitlichen Gräbern in England mit ihren Handgriffen 
oder Schäften, |welche sehr kurz waren, gefunden ‘worden, 

2) Ein Stück Feuerstein, welches die Spitze eines Wurf- 
spiesses ausgemacht zu haben scheint. 

3) Zwei Pfeilspitzen von Feuerstein. 

4) Ein: schön geformtes Horn- oder vielleicht Knochen- 
stück, welches das Heftgefäss zu dem Handgriffe des oben er- 
'wähnten, vermuthlichen Dolches gewesen zu ein scheint. | 

5) Eine ziemlich 'grosse Nadel von Holz. 

6) Eine andere Nadel von!demselben Materiale, ‚als das 
vermuthete Dolchheft. 

7) Ein -zerbrochener 'ovaler Ring, muthmaasslich 'von 
Horn ;; wahrscheinlich als Schulterspange einer Schärpe, wie 
näch ‘Angabe ‚der Antiquare die alten ‚Britten sie getragen 
haben sollen, benutzt. 

8) Ein flacher, geflochtner, runder Weidenkorb von ern 
6“ Durchmesser. : Der;Boden und ein Theil der Seiten Iwa- 
ren aus Rinde gemacht! und: mittelst durchgesteckter Sehnen 
zusammengefügt. Auf dem’ Boden sass eine ‚Masse fest, die 
man für ‚Speise hielt,'mit welcher ‚der Todte  vermuthlich, 
entweder zu vermeintlichem eigenem »Gebrauche, ‚oder zum 
Geschenk an die Götter in. der anderen‘ Welt, ausgerüstet 
worden war. .ı Dieser: Korb: befand sich ‚aber ineinem so 
mürben Zustande; dass er: beim Herausnehmen 'auseinander- 
fiel. 

9)» Am: unteren Theile von des Skelets Brustkorbe fand 
man einen'Zierath.von einer zerbrechlichen, fast: hornarti- 
‚gen Substanz; geformt «wie eine doppelte Bändschleife mit 
zwei Zipfeln, deren Oberfläche mit feinen, erhabenen Lie 
künstlich ‚verziert ‘war. 

'10) Ueberbleibsel von Vegelabilien, iwelche zerfielönz ein 
Blatt darunter war aber nebst einigen Beeren 'zu unterschei- 
den, welche beide Aehnlichkeit:mit denen der Mistel zu ha- 
ben: schienen. 

Die Hirnschale besitzt eine Form, welche sowohl von 


561 


der schmalen, länglichen Form bei den Celten, als der et- 
was breitern ovalen bei den Skandinaviern und Germanen 
bedeutend abweicht. Obzwar das Hinterhaupt nicht so ab- 
schüssig und kurz ist, wie bei den meisten Brachycephalen, 
bin ich doch der Meinung, dass diese Schädelform mit ihrer 
bedeutenden Höhe sowohl, als Breite, besonders über den 
Parietalhöckern, die Classe der Brachycephalen andeute! 
Dr. Prichard hat auch dieselbe Ansicht in dem Briefe dar- 
gelegt, welcher in dieser Uebersicht der Akademie, No. 4, 
vom ?2ten April 1848 (und übersetzt in diesem Archiv, oben 
S. 554 ff.) mitgetheilt wurde. Er erwähnt in demselben, dass 
mehrere Schädel von Ur-Britten gefunden worden seien, und 
dass sie eine fast runde Form zeigen; ferner erwähnt er 
auch den in Rede stehenden Schädel von Scarborough als 
einen urbrittischen, 

Die Form des Umrisses dieses Schädels ist breit- oval; 
die Länge übertrifft die Breite um etwa 4. Die Oberseite 
ist gerundet gewölbt, die Stirn schwach gewölbt, niedrig 
und breit; die Schläfen sind, besonders über den Ohrenöfl- 
nungen, gewölbt, die Parietalhöcker' stark entwickelt, die 
Seiten des Schädels von ihnen herab nach der Ohrengegend 
fast lothrecht abschiessend, das Hinterhaupt von hinten an- 
gesehen fast quadratisch; es ist, wie bei den Finnen, gerun- 
det. Die Lineae semicirculares superiores sind nebst der 
Protuberantia oceipitalis, ebenso wie das Receptaculum ce- 
rebelli, stark entwickelt. Die Warzenfortsätze gross; die 
Ohrenölluungen weit hinter der Mitte der Längsachse. ’ Die 
Arcus supraciliares springen nebst einem Theile der Glabella 
ungewöhnlich stark aus der Stirnregion des Schädels vor; 
die Nasenbeine stehen stark aufwärts; die Augenhöhlen sind 
gross, wenig schief nach aussen und unten gestellt; "Die 
Joehhöcker klein; die Jochbrücke wenig herausstehend; die 
Zähne wenig nach vorn hervorschiessend, lang, ‚der (Quere 
nach stark abgenutzt; die Kieler beinahe gross, aber ziem- 
lieh gut proporlionirt und die Wangengruben eingedrückt, 

Müllers Archiv. 1849, 36 


‘ 


562 


Maasse. 
Längen). glor sms. 001187 Im.) mu 
Stimmbreite „2. 20,107 
Hinterhauptsbreite . . . 0,157 
Höhei «LÜihansBnzsasilr-a04:05152 
Umfang leise inesiasiadl 04552 
Mastoidalbreite . . . ...0,143 
Jochbreite .....0..... „0.0 0,148 


Oberkieferhöhe . . ... . 0,065 
Orbitalhöhe . . . 0. 0,032 
Orbitalbreite . ». ... . 0,050 
Höhe vom aufsteigenden 

Aste des Unterkiefers 0,065 
Kinnhöhe des Unterkiefers 0,030, 

Die Dimensionen des Schädels sowohl, als der übrigen 
Knochen zeigen, dass sie einem grossgewachsenen, starken 
Mann angehört haben. Hr. Williamson hält es für sicher, 
dass dieser Mann ein Häuptling gewesen sei. Vermuthlich 
sind die Häuptlinge in der fernen Vorzeit, wie es noch jetzt 
bei wilden Völkerschaften der Fall ist, vor der Menge des 
Volks durch Stärke und Grösse ausgezeichnet gewesen. 

Aus dem Umstande, dass jede Spur von thönernen Ge- 
räthen in dem Grabe vermisst wird, schliesst Hr. William- 
son, dass es älter sei, als die Invasion der Römer in Eng- 


563 


land, so. wie, dass der Metalldolch dafür spreche, ‚dass es 
sich von der Zeit nach. der Phönieier Ankunft daselbst her 
datire, | Diese beiden Umstände beweisen, zusammengestellt 
mil der Anwesenheit von steinernen Waffen, seiner Meinung 
nach, dass die begrabene Person einer der Urbewohner 
des, Landes gewesen sei. Zur feruern Bestätigung dieser 
Meinung beruft ‚er sich auf die Ueberbleibsel von Hautum- 
hülluog, die sich um das Skelet herum fanden. ‚Man weiss 
sowohl aus römischen, wie aus späteren Schriftstellern, dass 
die Urbritten von Jagd und Vielizucht lebten, durch wel- 
che sie sich mit der Milch und.dem Fleische, die ihre haupt- 
sächlichste Nährung ausmachten,‘ wie ‘mit ‘den Häuten 'zu 
ihrer Bekleidung. versorgten. In den ältesten Zeiten wur- 
den nicht einmal Kleidungsstücke ‘von mehreren zusammen- 
genähten Häuten verfertigt, sondern es wurde nur eine ein- 
zige grössere wie ein Mantel über die Schultern geworfen. 
Erst zu Caesar's Zeit lernten die Britten gewebles Zeug 
gebrauchen, und dieses kam nur allmählig und anfangs bloss 
bei den Vermögenderen in Anwendung. Hr. Williamson 
eitirt auch aus Tacitus, dass der Mantel in der Vorzeit über 
der Brust mit einem Dorn oder einer zugespitzten hölzernen 
Pinne, in Ermangelung einer Spange, welche vermuthlich 
von ungelähr derselben Beschaffenheit gewesen sind, wie 
die Pinnen oder grossen Nadeln, die man in dem Sarge fand, 
befestigt worden sei. 

Aus dem Umstande, dass sich bei dem in Rede stehen- 
den Skelete nur ein Metallstück unter drei feuersteinernen 
Waffen fand, lässt sich ‘schliessen, dass Britanniens alte 
Einwohner zu jener Zeit nicht lange mit den Phönieiern in 
Verbindung gestanden hatten, dass das Metall zu der Zeit 
in Britannien in hohem Werthe gestanden habe, und dass 
die begrabene Person von hohem Range gewesen sei. Der 
metallene Dolch wär so fein gearbeitet, dass er mit 'Sicher- 
heit als ausserhalb Landes verfertigt betrachtet wird, indem 
die ältesten brittischen Metallwaflen sehr plump und grob 

36 * 


364 


gearbeitet waren. Henry (History of Great Britain) nimmt 
an, dass die Phönicier um das Jahr 600 v. Chr. @. ange- 
fangen haben die brittischen Inseln zu besuchen, William- 
son dagegen, dass dies ein Jahrhundert später geschehen 
sei, und er rechnet weiter, dass die Einführung von Metall 
durch die Phönieier schon 200 Jahre hindurch stattgefunden 
habe, als die hier in Rede stehende Person begraben wor- 
den sei, wonach er denn das ungefähre Alter des Grabes 
auf 2200 Jahre ansetzt. 

Dass das Skelet und die übrigen Gegenstände von or- 
ganischer Substanz sich während einer so langen Zeit so 
gut haben erhalten können, ist dem Einflusse des Gerbestoffs 
in dem Eichenstamme zuzuschreiben, welcher lange in dem 
Wasser aufgelöst gewesen ist, das sich in die Aushöhlung 
hineingesickert und auf deren organischen Inhalt als ein 
Einbalsamirungsstoff eingewirkt hat. 

Hr. Williamson schliesst aus der geringen Grösse der 
Pfeilspitzen und des Dolchs, dass sie zur Jagd und nicht 
als Kriegswaffen angewandt worden seien. Er citirt für 
diese Ansicht Fosbroke, welcher. hinsichtlich auf Funde 
in alten Familiengräbern sagt: ',„„Arrowheads denote the hun: 
ter.‘“ Uebrigens nimnıt er an, die Person sei’ ein brigan- 
tischer Häuptling gewesen. Prichard hat den Schädel 
rubrieirt; „Scull of aneient British Chief of the Bri- 
gantian tribe.“ Ich habe geglaubt, diese Angaben von 
Williamson hier anführen zu müssen, um die seiner Schrift 
entlehuten Gründe vor Augen zu legen, welche dafür zu 
sprechen scheinen, dass der fragliche Schädel einem Häupt- 
linge der ältesten Bewohner Englands angehört habe. Aus 
welchem Völkerstamme diese gewesen seien, ist eine Frage, 
zu deren Beantwortung die englischen Schriftsteller wenig 
Anleitung geben. Englands, wie Frankreichs, Historiker, 
Archäologen und Ethnologen sehen im Allgemeinen die cel- 
tischen Völker als die ältesten an. Dass indessen. die Cel- 
ten lange, oft sehr niedrige und schmale Hirnschalen gehabt - 


365 


haben, findet man schon an mehreren Stellen in Prichard’s 
Werken angedeulet; spätere Untersuchungen von Nilsson, 
mir selbst u. M. an einer Menge von Individuen und Schä- 
deln aus dem celtischen Stamme haben Jenes bestätigt. Als 
ein besonders wichtiger Beitrag in dieser Hinsicht dürften 
auch die vielen aus vorzeitlichen Gräbern in Dänemark ge- 
sammelten Hirnschalen von ovaler Form mit langem Hin- 
ierhaupte zu erwähnen sein, welche in dem reichen Museum 
für die nordischen Alterthümer zu Kopenhagen bei der Na- 
turforscherversammlung im Jahre 1847 vorgezeigt wurden. 
Diese Schädel wurden fast einstimmig für die von nordi- 
schen Celten, den Cimbrern, gehalten. Ich habe späterhin 
Gelegenheit gehabt, wiederum mehrere ganz ähnliche vor- 
zeitliche Schädel aus Schweden, besonders von Öland, zu 
untersuchen, und bin mehr und mehr überzeugt ‘worden, 
dass sie Cimbrern angehört haben, welche unfehlbar in nicht 
geringer Menge in unserm Lande wohnten. Stellt man hier- 
mit Prichard’s Aeusserung in dem oben angeführten Briefe 
(Öfversigt af K. Vetensk.-Ak.’s Förhandl. 1848, S. 71. [oben 
S. 555]) zusammen, dass er aus dem nördlichen England 
Schädel von fast gleicher Breite und Länge und von runder 
Form erhalten habe, und die nach seiner Meinung Britten 
angehört haben, so möchte Grund zu der Annahme stattfin- 
den, dass der hier in Rede stehende Schädel, obzwar ver- 
muthlich von einem der ältestesten Bewohner des Landes, 
doch kein celtischer sei, und dass die Celten nicht die älte- 
sten Einwohner Englands waren, sondern dass dessen Ab- 
origines einem andern Völkerstamm angehörten. Welcher 
war dann aber dieser Völkerstamm? Diese Frage ist be- 
reits so gut, als beantwortet von Nilsson, Rask, Rudolf 
Keyser und zum Theil auch von mir, 

Nilsson sagt in seinem Werke über die Ureinwohner 
Skandinaviens („‚Skandinaviens Ur-Invänare “*), Cap. IL., S. 
12: „Das Volk, von welchem die Lappen die letzten, nach 
abgelegenen wilden Gebirgsgegenden verdrängten Ueberbleib- 


566 


sel in unserm skandinavischen Norden sind, hat somit in 
der grauesten Vorzeit nicht bloss die südlichen Theile dieses 
Landes (Schwedens), sondern auch das übrige nördliche und 
westliche Europa, Dänemark, Nord -Deutschland, die engli- 
schen Inseln und auch einen Theil von Frankreich u. s. w. 
bewohnt.“ An einer andern Stelle desselben Werks (Cap. 
V., S.3, Anm.) führt er auf Veranlassung von Thierry’s 
Aeusserung an, dass die Kimbrer' nach ihrer ersten Ankunft 
in England das Land von wilden Jägern erobert haben: „Es 
ist ziemlich wahrscheinlich, ‘dass es ein und derselbe wilde 
Stamm war, von welchem die Kimbrer England, und von 
welchem die Abkömmlinge derselben Kimbren das südliche 
Schweden eroberten. “* 

Arndt, Rask und Rudolf Keyser haben auf die 
Verwandtschaft zwischen den Tschuden des Nordens und 
den Iberiern oder Basken des Südens hingewiesen, wenn 
gleich Arndt, wie mehrere Andere, hierbei auch etwas die 
Celten mit eingemischt ‘haben, ‘welche’ man jetzt als dem 
tschudischen Elemente fremd dürfte ansehen können. Key- 
ser's vortreffliches Werk, Om Nordmaeudenes Herkdmst og 
Folkeslaegtskab, Christiania 1839, 4., enthält hierüber eine 
besonders interessante Stelle (S. 144), welche wohl den Hi- 
storikern, aber ‘wenig den Ethnologen, bekannt sein dürfte. 

„Betrachten wir sagt er, „mit der Geschichte als Weg- 
weiser die Verhältnisse in Europa, so entdecken wir in des- 
sen äussersten Enden zwei Volksstämme,' welche dort: seit 
undenklichen Zeiten ihre Heimath haben, die Iberier in Süd- 
westen und die Finnlappen in Norden: Von jenen‘ treffen 
wir jetzt nur noch ein unbedeutendes Ueberbleibsel an, näm- 
lich die Basken. ( sie selbst’ nennen sich Euskaldunan) in 
den pyrenäischen Berggegenden. ‘Die Finnlappen wandern 
bekanntlich weit zerstreut:umher im nördlichsten Norwegen, 
Schweden 'und Russland.‘ ' Ueber die Entstehung und Ein- 
wanderung dieser ‚beiden Volksstämme weiss die Geschichte _ 
nichts zu berichten. DieSprache‘ der’ Finnlappen' zeigt es 


567 


hingegen deutlich, dass das Volk zum turanischen Geschlecht 
gehört; und die Basken geben Grund zur Vermuthung, dass 
dasselbe der Fall mit den Iberiern gewesen sei (Rask’s 
Saml: Afh., Th. L, S. 1, Th. IL, S. 369). Dass die grossen 
Bewegunger in Hoch-Asien zuerst die turanischen Familien 
angetrieben haben, sich nach dem Westen zu begeben, ist 
auch zufolge der Ursache dieser Bewegungen ganz annehm- 
bar. Beide Völkerstämme haben sich erweislich in der alten 
Zeit weiter, als jetzt, erstreckt, indem nämlich, selbst in 
einer geschichtlichen Zeit, die Iberier über die ganze pyre- 
näische Halbinsel, einen grossen "Theil von Frankreich (das 
ganze Aquitanien zugleich. mit: dem‘ Küstenlande längs des 
Mittelmeers) und den nordwestlichen Theil: Italiens! (Ligu- 
rien) (Adelung’s Mithridates, 2. H., S. 9—1?2) verbreitet 
gewesen sind, und die Finnlappen im nördlichen und innern 
Theile des jetzigen Finnlands umhergestreift haben. Es ist 
also Grund zu der Annahme, dass diese Volksstämme, und 
vielleicht andere, jetzt verschwundene, ihnen nahe 
verwandte, sämmtlich vom turanischen Geschlechte, 
ganz Europa’ älteste Bewohner gewesen seien, 
und dass die iberischen Stämme sich über die südlicheren, 
die fiunlappischen Stämme über die nördlicheren Gegenden 
dieses Welttheils erstreckt haben. “ 

In einem Briefe au mich vom 21. April 1847: hat Prof. 
Keyser sich ferner über denselben Gegenstand ausgespro- 
chen, wovon ich hier das Folgende mittheile: 

„Ich habe seit lange die Basken als Nachkommen. .der 
Iberier und als dem grossen Völkergeschlechte angehörend 
betrachtet, welches ich das turanische nenne, also dem- 
selben Geschlechte, als der tschudischen oder schyti- 
schen Familie in weiter Bedeutung. Dies habe ich schon 
in meiner Abhändlung über Herkunft und Volksverwandt- 
schaft der Normänuer, ausgesprochen, gestützt auf die Er- 
läuterungen über die Baskensprache, welche in Adelung's 
Mithridates mitgetheilt werden, und/auf Rask’s Aeusserun- 


568 


genüber dieselbe in seiner Untersuchung über den Ursprung 
der alten nordischen Sprache (S. 93 etc). Nun ‘sagt zwar 
keiner dieser Schriftsteller ausdrücklich, dass die baskische 
Sprache zu ein und derselben Klasse mit.den finnischen, 
lappischen u. s. w. gehöre; ‘aber dies scheint geradezu 
aus ihrer‘ Beschreibung der Eigenthümlichkeiten in der For- 
menlehre der Sprache 'hervorzugehen. Rask sagt, das Bas- 
kische:ogehöre nicht zu derselben Klasse, wie die celti- 
schen Sprachen, sondern. nähere sich in der Formenlehre 
amvmeisten dem Grönländischen; mit anderen Worten, 
er rechnet'es zu der grossen Sprachenklasse, die man wegen 
grammatikalischer Eigenheiten die polysynthetische ge- 
nannt'hat, und zu welcher alle tschudischen Sprachen 
unstreitig gehören. . Dass die. Basken Nachkommen der alten 
Iberier, «Spaniens Urbewohner oder wenigstens ‘ältester 
historisch ‚bekannter Einwohner seien, glaube ich ‚als durch 
mehrere historische "Data ausgemacht ansehen zu müssen. 
Aber die Tberier haben’ sich nicht auf die pyrenäische Halb- 
insel» allein beschränkt.‘ Aller Wahrscheinlichkeit' nach ha- 
ben sie die Urbevölkerung in Italien sowohl, als in Gallien, 
ja vielleicht in mehreren Ländern gebildet, und es ist wohl 
kaum eine übereilte Vermuthung, dass die Iberier die stein- 
anwendende (sit venia verbol); Bevölkerung ausgemacht ha- 
ben, wenn: sie auch in einer fernen Zeit, während sie noch, 
so‘ zw sagen, Herren des JLandes waren, sich zu einer hö- 
hern Kultur können emporgehoben haben. Fast überall, wo 
man‘'weiss, dass Iberier gewohnt haben, zeigen sichere hi- 
storische Data, dass sie von celtischen, kupferanwenden- 
den ; Schaaren überwältigt, von ihnen ausgerottet worden 
oder ‘mit ihnen verschmolzen sind. Dass die Verschieden- 
heit, welche alten Schriftstellern zufolge zwischen den Aqui- 
taniern und den übrigen Galliern stattgehabt hat, sich von 
einer Verschmelzung von Iberiern und Kelten in diesen Ge- 
genden herschreibe, darüber giebt es viele merkwürdige 
Winke, welche von: denen, die Augen und Sinn für der- 


569 


gleichen Untersuchungen haben, kaum missverstanden wer- 
den können. 

Dass die Iberier auch die Urbevölkerung von Irland 
und mehreren Theilen des britischen Reichs ausgemacht haben, 
und dort das steinanyvendende Volk, von welchen man Ueber- 
bleibsel antrifft, gewesen seien, ist höchst wahrscheinlich. 

Zu dem hier dargelegten Resultate haben meine freilich 
unvollständigen Forschungen mich schon längst geleitet und 
jetzt sehe ich es durch gründliche Untersuchungen nach ande- 
rerRichtung hin bestätigt. Die Iberier sind ganz gewiss die 
turanischen Urbewohner des südlichen und westlichen 
Europa’s, wie die Finn-Lappen (oder Familien desselben 
Stammes) die turanischen Urbewohner in Nordeuropa gewe 
sen sind. „Eine turanische Bevölkerung ist in ganz 
Europa der iranischen vorausgegangen.“ 

Was Prof. Keyser hier eine turanische Bevölkerung in 
Irland nennt, wird auch durch dort gefundene vorweltliche 
Schädel bestätigt, worüber unten mehr. 

Was England und Schottland betrifft, so bin ich über- 
zeugt, dass mehrere der frühen Völker Englands, von denen 
wir jetzt kaum mehr, als die Namen kennen, turanische und 
von der brachycephalischen Form, gewesen seien. Die Si- 
luren, welche das jetzige Süd-Wallis bewohnten, waren 
nach Tacitus’ Meinung (Julii Agricolae Vita, $. 11) vom 
iberischen Stamme, und dies gilt vermuthlich auch für die 
alten Briganten. Wahrscheinlich werden künftige ethno- 
logische Forschungen zeigen, dass noch jetzt in England, 
Frankreich, Italien und der Schweiz sowohl als in anderen 
Ländern mehrere kleinere Stämme der turanischen Urbewoh- 
ner hier und dort leben, wie auch zerstreute Familien hier 
und dort mit allem Charakteristischen in Wuchs, runder oder 
viereckiger Schädelform, tschudischer Antlitzbildung, brünet- 
ter Gesichtsfarbe und dunklem Haarwuchse vorkommen. Wir 
besitzen den Abdruck einer sogenannten schweizerischen 
Hirnschale, welche der Sammlung des Dr. Spurzheim au- 


570 


gehört hat. Dieser Schädel ist lange für den Typus eines 
Schweizers ausgegeben worden, ist aber von brachycephali- 
scher (turanischer) Form und deutlich von einem Iberier, ob- 
gleich die Mehrzahl der Schweizer dolichocephalisch (Iranier), 
theils von celtischem, theils von germanischem Stamm, ist. 

Ich vermuthe auch, dass die alten Einwohner von Bre- 
tagne Iberier gewesen seien. Zwar besitze ich keine An- 
gabe von ihren Schädeln; aber in dem vortrefflichen Werke 
The Penny-Cyclopaedia, Vol. V. p. 396, Art. Bretagne, steht 
ein Auszug aus C. Stothard’s Leiters written during a 
tour in Normandy; Britanny (4., 1820), in’ welchem es unter 
Anderm heisst: 

„The Bretons dwell in huts, generally built of mud; 
men, pigs, and children live altogether, without dislinetion, 
in these cabins of aceumulated filth and misery. , The peo- 
ple are indeed dirty to a loathed excess, and.to this may 
be attributed their unhealthy and even cadaverous aspect, 
Their manners are as wild and savage as their appearance; 
the only indication they exhibit. of mingling at all with ci- 
vilized crealures is, that whenever ihey meet you they 
bow their heads or take off their hats in token of respect.‘ 
— — „In some parts of Britanny ihe men wear a goatskin- 
dress, and look not unlike Defois’ deseription of Robin- 
son-Crusoe. _ The furry part of this dress is worn out- 
side: it is made with long sleeves: and falls nearly below 
the knees.“ — — „The Bretons do not resemble in coun- 
tenance either the Normans or French, nor have they much 
of ‚ihe Welsh: character. ete. etc. — Wer glaubt in dieser 
Zeichnung nicht die Ueberbleibsel eines Urvolkes zu erken- 
nen, und sollte dieses nicht mit den: Britons und Brigantes 
Englands: verwandt gewesen sein? Es ist zwar bekannt, 
dass auch die Bretagner (Britons) für Celten angesehen wor- 
den sind, aber ich bezweifle dies und hege die Vermuthung, 
dass. sie. Iberier waren oder Abkömmlinge von irgend ei- 
nem Zweige des grossen turanischen Völkergeschlechts an- 


= 911 


gehörten, welches vormals das herrschende in unserem Welt- 
theile war. Diese Annahme dürfte nicht auf Unwahrschein- 
lichkeit beruhen, auch wenn es nur noch wenige Spuren 
von ihrer Sprache unter einem grossen Theile der celtischen 
und französichen aufzufinden geben sollte. — Uebrigens ver- 
weise ich auf meine Mittheilung „über Schädelund vor- 
weltliche Nachbleibsel von Frankreichs ältesten 
Einwohnern in der Öfversigt af Kgl. Vet.-Akad.'s Förhand- 
lingar 1847, No. 1, S. 27 fl. (Uebersetzt in diesem Archiv, 
Jahrgang 1847, S. 499 — 504.) 

b) Der Schädel eines Ur-Irländers, von turani- 
scher Forın. Wie oben erwähnt ward, empfing ich diesen 
vom Vorsteher des Dubliner Universilätsmuseums, Hrn. Ro- 
bert Ball, und zwar durch den Dr. Sautesson, welcher 
während seines Aufenthalts in England auch Dublin besucht 
hatte. Es sind noch keine nähere Angaben über denselben, 
als dass er aus einem alten Grabe im Phönix-Parke bei Du- 
blin sei, mitgetheilt worden; zufolge der Aufschrift wird das 
Original im dortigen Universitätsmuseum aufbewahrt. 

Das Profil dieses Schädels ist beinahe viereckig; fast 
viereckig-keilförmig ist er auch von oben angesehen, und 
der ganze ist von brachycephalischer (turanischer) Form. 

Der Scheitel ist schwach gewölbt, mit einer Erhöhung 
längs der Pfeilnaht,; die Stirn niedrig, elwas breit viel- 
mehr als schmal, mit kleinen Stirnhöckern und eingedrück- 
ter Glabella; die Schläfen sind fast flach, gerade herab- 
stehend, die Scheitelhöcker ausgezeichnet hochgestellt; zwi- 
schen ihnen geht die Gränze zwischen demScheitelgewölbe und 
dem Hinterhaupte; die Ebene des letztern ist auch beinahe vier- 
eckig und fast platt; die Spitze der Lambdanaht hochgestellt; 
die Lineae semicirculares njedrig liegend; das Receptaculum 
eerebelli klein; die Warzenfortsätze mittelgross; die Ohren- 
öffnungen ziemlich weit hinter der Mitte des Kopfs; die Ar- 
eus supraciliares gross, vor die Stirn vorspringend und un- 
ter einander zusammenlaufend ; die Augenhöhlen imittelmäs 


572 - 


sig; die Jochbeine und ihre Bogen nicht herausstehend; die 
Wangengruben ziemlich vertieft und die Kiefer ziemlich gross; 


Maasse. 

Länge 1. anal ee 
Stirnbreite:...4 net erregt ch 105102 
Hinterhauptsbreite. . ... »... 0,140 
Höhe .. „an aatrübs teren are Re 
Umfang. ztıa gehe vertychn40st 
Mastoidalbreite . . » = ...... 0,130 
‚Jochhreite ..: „00 al. ca 15 Sal 
Höhe des Oberkiefers . . . ....0,070 
Höhe der Orbitae . . . . ...:..0,046 
Breite derselben . . . . .....0,046 
Höhe des aufseigenden Unterkiefer- 


asten,, a Benin Ahnark zer; 
Hintere Höhe des Unterkieferss . 0,036 


Es geht hieraus hervor, dass dieser Schädel, besonders 
hinsichtlich der Abschüssigkeit und Flachheit des Hinterhaupts, 
wie auch der Erhöhung der Pfeilnaht, zu einem der cha- 
rakteristischsten von der brachycephalen oder turanischen 
Form gehört. 

Ein fast eben solcher Schädel ist in Dr. Wilde’s Schrift: 
„the Eihnology of the Ancient Irisch * in der (der 
Ordnung nach) Öten Figur abgebildet. 


973 


In Dr. Prichard’s Researches into the Physical 
history of Mankind, und zwar dem Capitel von den 
physischen Charakteren der Britten wird auch gesagt, nach- 
dem der Verfasser die am allgemeinsten vorkommende Enut- 
wicklung der Hinterhauptsgegend (die dolichocephalische 
Form) erwähnt hat: „Ich habe Abgüsse von zwei Hirn- 
schalen in der Sammlung der Königl irländischen Akademie, 
welche nebst den zu ihnen gehörenden Skeleten in einem 
Grabe im Phönixparke (bei Dublin) gefunden worden sind. 
Diese Schädel nähern sich bedeutend, besonders der eine 
von ihnen, der turanischen Schädelform; das Antlitz hat eine 
etwas viereckige Gestalt, eine pyramidale Biegung, mit nach 
den Seiten hin herausstehenden Wangen- (Joch-) Beinen,‘ 

Diese Facta scheinen es ferner zu bestätigen, dass Schä- 
del von der brachycephalischen oder turanischen Form in 
alten Gräbern auch in Irland oder dass auch da Ueberbleibsel 
von einer dortigen vorzeitlichen turanischen Bevölkerung 
angetroffen werden. Ob noch Nachkömnmlinge von dieser 
daselbst leben, bleibt zu ermitteln. 


2. Der Schädel eines Celten, 


Dieser ist mir vom Dr. Prichard mit der Angabe mit- 
getheilt worden, dass er auf einem alten Begräbnissplatze, 
jetzt bepflügtem Lande, liegend zwischen York und des Kai- 
ser Severus einsimaligem Lagerplatze, ausgegraben wor- 
den. Auf demselben Felde sind mehrere Schädel nebst Ske- 
leten angetroffen worden, die ersteren sowohl von der oben 
beschriebenen und besprochenen runden und von einer ganz 
eigenen, länglichen Form, welche weiterhin angeführt wer- 
den soll und einem römischen Krieger angehört zu haben 
scheint, Prichard vermuthet, die Stelle sei ein Schlacht- 
feld gewesen, weil Gerälhe und andere antiquarische Nach- 
bleibsel, die man sonst gewöhnlich auf anderen Begräbniss- 
plätzen, neben Leichen aus der Vorzeit findet, hier fehlen. 


574 


Dass indessen ‚diese Skelete aus einer sehr entlegenen, ;Vor 
zeit herrühren, hält Prichard für ganz unzweifelhaft. 

Die ganze Antlitzpartie des in Rede stehenden Schädels 
fehlt. Er zeichnet sich durch seine Schmalheit, Niedrigkeit, 
Länge und sein spitzig heraussiehendes Hinterhaupt. aus. 

Von oben angesehen ist er, schmal langgestreckt- oval; 
mit abgestutzter Stirn, nach hinten hin, aus vorspringendem, 
zugespitztem Hinterhaupte; längs, der Pfeilnaht läuft, eine 'Er- 
höhung. Im Profil gesehen’ ist die, Stirn ziemlich. niedrig, 
aber schön gewölbt,. das Hinterhaupt von der Höhe. der 
Scheitel nach dem Hinterhaupishöcker lang abhängig; Schei- 
telhöcker fehlen ganz und gar; ihre Gegend. ist abgeplattet; 
Schläfen und Schlafknochen flach; Schlafbogenlinien hoch 
hinauf gegen dig ‘Scheitel ‚laufend; Augenbraunenhöcker der 
Stirnbeine und Jochfortsätze klein; Jochbogen klein, nicht 
herausstehend. Besonders bemerkenswerth ist die Erhöhung 
der Pfeilnahtregion und dass von ihr die Seiten über die 
Parietalregion gegen die Warzenfortsätze pyramidalisch hin- 
ablaufen. Die Linae semicireulares majores des Hinterhaupts- 
beins liegen nebst dem kleinen Receptaculum cerebelli ganz 
und gar im Grunde der Hirnschale. Das Foramen magnum 
und die Condyli oceipitales sind klein. Die Ohrenöffnun- 
gen liegen in der Mitte der Länge der Hirnschale. 


Maasse, 


Tängeinbus ‚La laıladör sa lanpn uno IR HR: 
Stirnbreite \anıo \,, oh, au ads 6102 
Hinterhauptsbreite . . . . . . 0,131 


bb) 


Grösster Umfang : ....%° ..0,530 m. m. 
Höhe’! Ilona ai Feige 100 
Länge des Rückenmarkslochs . . 0,032 
Breite desselben . : . 20.2... 0,027 
Mastoidalbreite . . . 0,137 


Breite zwischen den Stellen der Parie- 
talbeine, an denen die Scheitelhök- 
ker liegen sollten . . . . . 0,114 

An der linken Seite des Hinterhauptshöckers ist ein 
grosses Loch, dessen Ränder etwas abgerundet und an der 
einen Seite dunkelbraun gefärbt sind, vermuthlich von Blut. 
Die Beschaffenheit dieser Ränder zeigt augenscheinlich, dass 
das Loch währefid der Lebenszeit entstanden ist, und giebt 
Anlass zu der Vermuthung, dass die Person in das Hiuter- 
haupt einen Schlag, und zwar wahrscheinlich auf der Flucht, 
mit einem harten Instrument bekommen habe. 

Ich nenne diesen Schädel einen celtischen, weil Pri- 
chard in seinem Briefe an mich, obzwar flüchtig, ganz ähn- 
liche uralte Schädel aus der Nachbarschaft des Landes der 
alten britannischen Belgier abgezeichnet und beschrieben hat, 
und will damit meine Vermuthung andeuten, dass sie diesen 
alten Belgiern angehört haben. Ich werde noch mehr in der 
Ansicht, dass dieser Schädel ein celtischer sei, durch die 
sehr zahlreichen Untersuchungen bestärkt, die ich selbst theils 
an lebenden Personen vom celtischen Stamme, tbeils an 
Schädeln von demselben, angestellt habe. Diese eigne, lang- 
gestreckte, von den Seiten zusammengedrückte, schmale und 
meistens niedrige Schädelform kommt, so viel ich weiss, 
vorzüglich in Englund und Frankreich vor. Indessen ist sie 
nicht die gemeine cellische Form. Diese ist nämlich gemein- 
hin etwas breiter, nicht ganz so zusammengedrückt; noch 
etwas breiter ist die im südlichen Schweden und in Däne- 
mark hier und da vorkommende eimbrische Celtenform: diese 
steht der skandinavisch - gothischen zunächst, ist auch lang 
oval, mit grossem Hinterhaupte, aber doch etwas breiter, 


576 


als die gallische, und gleicht der des langen vorweltlichen 
Schädels, welchen Eschricht im dänischen Volksblatte be- 
schrieben hat. 

In dieser cimbrischen Form kommen, ‘wie bei den übri- 
gen, Uebergänge, möglicherweise hybridieirte, vor, welche 
unsrer eigenen Schädelform so nahe stehen, dass sie mit kei- 
ner besonderen Sicherheit zu unterscheiden sind. 


3, Der Schädel eines römischen Kriegers, 


Dieser ist ebenfalls von Prichard mitgetheilt und von 
demselben vermuthlichen vorzeitlichen Schlachtfelde als der 
vorige gewonnen worden. Ich habe zwei hauptsächliche Ver- 
anlassungen, diesen Schädel für einen römischen zu halten; 
theils nämlich stimmt er gut mit Blumenbach's Beschrei- 
bung, Dee. IV. T. XXXII, und besonders mit Sandifort’s: 
Cran. div. Nat., P. 1 überein, theils hat man vollen Grund, 
Reste römischer Krieger in der Gegend, in welcher 'er ge- 
funden ward, zu erwarten. 

Dieser Schädel ist sehr gross, nach der Länge sowohl, 
als der Breite, doch von der dolichocephalen (iranischen) 
Form, von grösserer Weite oben nach dem Scheitel, als un- 
ten gegen die Basis zu. Sein oberes Gewölbe und der Schei- 
tel sind ziemlich platt, ‚der Umfang, von oben angesehen, 
ist lang keilförmig-oval, mit dem Hinterende in einen kur- 
zen, stumpfen Winkel ausgehend. Stirn breit, gut gewölbt, 
aber etwas niedrig; Augenbrauenhöcker klein; Jochfortsätze 
der Stirnbeine klein, nicht herausstehend: ‚keine Stirnhöcker; 
Schläfen' gerundet, herausstehend; Scheitelhöcker gross, Sei- 
tenwinkel für den hintern. Theil des Kopfes bildend, mit 
weitem Abstande von einander; Schläfenbogenlinien’ hoch 
nach dem Scheitel hinauf gehend; Hinterhaupt breit, gerun- 
det, mit ziemlich herausstehendem Hinterhauptshöcker; längs 
der Pfeilnaht, besonders nach hinten, eine schwache Vertie- 
fung;  Receptaculum cerebelli gross, etwas schiel aufwärts 
gestellt; Lineae semicireulares majores im Schädelgrunde, 


577 


Hinterhaupt, von hinten ‚angesehen, breit; von der Höhe des 
Scheitels bis zum Hinterhauptshöcker ist die Abdachung platt. 
Ohrenöffnungen mitten vor der‘ Mitte, der Längsachse des 
Kopfs; Warzenfortsätze gross; Rückenmarksloch gross, lang 
oval; Gelenkknöpfe von mittelmässiger Grösse und Vorra- 
gung; Nasenrücken an der Wurzel schmal, die Breite zwi- 
schen ‚den beiden Augenhöhlen aber bedeutend; ; Nasenbeine 
klein,‘ aber vorwärts gerichtet, wie’ an einer sogenannten 
Römernase;  Augenhöhlen fast rund; Jochbeine besonders 
klein, eher nach einwärts gedrückt, als herausstehend, so 
auch. die Jochbögen; —  Oberkiefer hübsch gerundet, nett, 
mit ziemlich grossen Wangengruben; Zähne stark, gut ge- 
nutzt. 

Das Antlitz findet sich von einer schweren Blessur be- 
schädigt, welche die Nase zerbrochen hat und durch die linke 
Orbita in die Gehirnhöhle eingedrungen ist. 


Maasse. 

Länge»iiiil „nor shunivensboN 10,197: 2: 
Stirnbreitev» „mn... 500,110 
Hinterhauptsbreite . . . ’. 0,153 
Grösster Umfang . .. „0,557 
MIT VENEN DTUEE "TAG 
Mastoidalbreite , . . . . 0,128 
Schläfenbreite . 2... 0,158 
Breite zwischen den Parietal- 

höckern . 2.0.1.0: 0,148 
Jochbreite , 2.2.0.0. 0,140 


Müller's Archiv, 1849. 37 


578 


Höhe und Breite der Aperturae 


orbitarum ! . 24 2...0,089 
Länge des Rückenmarksloches 0,038 
Breite desselben . . . . „0,029 


'Blumenbach sagt von seinem Römerschädel (a. a. O.): 
„Calvaria subglobosa, anterius fronte eleganter 
«omplanata terminatur;‘“ Sandifort (a. a 0.) spricht 
Folgendes: „Conceptaeulum cerebri oblongam habet 
formam. Frons laia et complanata in linea perpendiculari 
adscendit; hinc vertex .etiam complanatur; nec'nisi in po- 
steriore parte parum adscendit. Latera conceptaculi cerebri 
globosa sunt.“ — An dem Schädel, welchen er vor sich 
hatte, war das Antlitz besser erhalten, — er äussert über 
dasselbe, dass es breit und platt gewesen sei. Dass auch 
der hier in Rede stehende Schädel 'breit gewesen sei, kann 
wohl aus der grossen Jugalbreite, von 0,140, ungeachtet 
kleiner Jochbogen und Jochbeine, geschlossen werden. San- 
difort's Specimen hat grosse, Blumenbach’s mittelgrosse 
Jochbeine gehabt. 

Vergleicht man den Celten- mit dem Römerschädel, so 
findet man, dass an dem erstern die Basilargegend weit brei- 
ter, als die Coronalgegend, war; am Schädel des Römers ist 
das Verhalten ganz das entgegengesetzte. Eben so ist im 
ganzen der Celtenschädel klein, der Römerschädel gross. Be- 
sonders bemerkenswerth erscheinen auch die Beschädigungen ; 
der Celte hat seine Todeswunde von hinten im Hinterkopfe, 
vermuthlich fliiehend empfangen; der Römer vermuthlich 
verfolgend, ist von vorn, wahrscheinlich von einem groben 
Spiesse getröffen worden. 


4. Der Schädel eines. Angelsachsen. 


Dieser ist"mir gütigst vom Dr. Thurnam in York, nebst 
einem gedruckten ahtiquarischen Bericht aus den Procee- 
dings of the Yorkshire Philosophiecal Society zu- 
gesandt worden. Er ist beim Ausgraben des sogenannten 


579 


Lamel-Hill, + 'Meile' von der ‘genannten Stadt, gewonnen 
worden. Im oberen‘ Theile ‚des.Hügels, etwa 3’: vom Gipfel; 
fand sich eine Menge! Menschenknochen, welche in Unord- 
nung lagen und in ‚späteren Zeiten dahin gelegt zu sein 
schienen, aber 10— 12‘ tief lagen ganze Gerippe, und zwar 
von Osten nach Westen gerichtet. ' Diese Gerippe waren 
von. Männern sowohl, als Weibern, einige auch von Kindern 
und von Personen hohen Alters. Die Zähne waren im All- 
gemeinen stark abgemutzt;: ein Beweis, das die Personen 
von grober, harter Nahrung gelebt hatten. Die Schädel wa- 
ren im Allgemeinen klein, oval und zum Theile breiter an 
der Basis, als nach oben (,‚partially pyramidal“), die Stirn- 
gegenden klein und niedrig. Neben den Menschengerippen 
fand sich eine Menge Knochen von dem kleinen Bos longi- 
frons, ‚welcher nach Owen’s ‚Meinung kurz nach dem Ein- 
bruche der Römer in England ausgestorben ist; dabei fand 
man auch Knochen von Pferden und Hirschen, wie auch 
verrostete eiserne Nägel und plumpe gebogene Eisenstücke, 
welche, wie man meinte, an Särgen gesessen hatten.‘ Eben- 
falls traf man mehrere kleine Stücke von verwestem Holz, 
wie auch einige Fragmente von offenbar römischen Dach- 
ziegeln, mitten und zu unterst in der Begräbnissstelle, an 
und neben ihnen auch zwei ovder drei Piecen von sami- 
schen Thonsachen (,‚Samian ware‘) und einige wenige 
Stücke von grobem grünglasirtem Porcellane. In der Mitte 
des Hügels fand sich eine grosse Urne von 12 engl. Zoll 
Höhe und 3 Gallonen (155, schwed. Kannen) Capaeität. 
Diese war von sehr hartem, gebranntem Thone, von schmuz- 
zig ziegelrother Farbe, in welchem kleine, zerbrochene Kiesel- 
und Granitsteine erschienen. Inwendig fand man nur etwas 
Thonerde; man glaubte aber, sie habe Ueberbleibsel von ge- 
brannten Kuochen enthalten, welche beim Herausnehmen 
herausgefallen wären, 

Dr. Thurnam sagt, dieser Grabhügel sei von einer in 
England sehr eigenthümlichen Beschaffenheit gewesen; er 

37 * 


580 


hält:ihn‘ eher! für einen 'grössern Begräbnissplatz, als für ei- 
nen 'gewöhnlichen Tumulus, und meinte, manımüsste ihn: 
„atumulary cemetary‘‘ nennen. Er sagt ferner, Drake 
habe ‚gemeint, er stamme aus ‘der römischen Periode her; 
er selbst aber trug eine Menge Gründe für'die‘Ansicht vor, 
dass er sich von den ältesten: angelsächsischen Christen im 
7. oder 8. Jahrhunderte herschriebe, — einer. Periode, in 
welcher. es noch nicht erlaubt war, die Todten in’ den Städ- 
ten zu begraben, und sich noch innerhalb der in von 
York kein Kirchhof befand. 

Die in Rede stehende Hirnschale ist‘ ziemlich klein, von 
starkem Bau, aber gerundeten Formen, und hat. offenbar. ei- 
nem ältern Weibe angehört. Sie ‚hat: alle Charaktere des 
germanischen Stammes, ist von oben angesehen oval, um + 
länger, als breit. Die Stirn, obzwar etwas niedrig, steigt 
ziemlich gerade aufwärts, der Scheitel ist nett gewölbt, längs 
der Pfeilnaht läuft eine schwache Erhöhung; weder: ausge- 
zeichnete Stirn-, noch‘ Scheitelhöcker sind vorhanden, der 
Hinterhauptshöcker ist gross, schwach zweispaltig. .. Stirn 
glatt und hübsch gewölbt; Augenbraunenhöcker: klein, 'in 
der Glabella zusammenlaufend; Jochfortsätze des Stirnbeins 
klein; Stirn ‚eher breit, als schmal; Schläfen ‚gewölbt, ihre 
grösste Weite 2“ über den Warzenfortsätzen; Hinterhaupt 
gleichmässig nach hinten ‚abschiessend zum Uebergang in 
den Ilinterhaupishöcker, Receptaculum cerebelli gross; ein 
kleiner Hinterhauptszacken ist vorhanden, das Rückenmarks- 
loch beschädigt; die Gelenkknöpfe stark herausstehend; War- 
zenfortsätze klein; Ohrenöffnungen an der Mitte der grös- 
sten Länge; Jochbögen klein, doch etwas herausstehend; 
Jochbeine ebenfalls klein; Wangengruben tief, Orbitae schief 
gerundet viereckig, ihre äusseren unteren Ecken niedriger, 
als die inneren.  Alveolarfortsatz nicht herausstehend; nur 
A stark abgenutzte grössere Backenzähne waren: übrig. ge- 
blieben.. Nasenöflnung 'mittelmässig birnförmig, Nasenbeine 


581 


an der Wurzel zusammengekniffen, jetwas vorstehend; Weite 
zwischen den Orbitae mittelmässig. 


Maasse. 

a 
Sirobreile, er 23 2.08: 8. :9%.40,096 
Hinterhauptsbreite . . . . . . 0,149 
Unfangien Anzlumee, wu, 8 ‚05460 
Höhe. in. elnemm nem schen, Hucimi0}180 
Mastoidalbreite . . . . ..... 0,125 
Hintere Jochbreite . . . . . . 0,132 
Vordere Jochbreite . . . . . . 0,110 
Höhe des Oberkiefers (nach der Na- 

senwurzel zu) . . . . .. . 0,067 
Breite der Augenhöhlen . . . . 0,032 
Höhe der Augenhöhlen . . . . 0,032 


Diese Dimensionen sowohl, als auch die übrigen Bil- 
dungsverhältnisse zeichnen die Formen des germanischen 
Stammes aus und bestätigen die Annahme des Dr. Thur- 
nam, dass der in Rede stehende Schädel einem Sachsen an- 
gehört habe. 

Jch habe in den letzteren Zeiten mehrere Hirnschalen 
aus Deutschland und Holland erhalten, alle von derselben 
Form, welche der der Schweden und Gothen sehr nahe steht. 


Te 


982 


Berichtigungen. 


In dem Aufsatze des Hrn. And. Retzius über den Bau 
der Leber im zweiten diesjährigen Hefte des Archivs lies: 


S. 156, Z. 7— 6 v. u. an denen die Septa perilobularia auf einander 
stossen würden, st. an denen man die Septa 
perilobularia antreffen würde. 


In dem Aufsatze desselben über die Schädelform der 
Peruaner, Heft 2, 
S. 176, Z. 2 v. u. lies Conchae st, Concha. 
In dem Aufsatze desselben endlich über das Ligamentum 
pelvioprostaticum etec., Heft 3, 


S. 184, Z. 2—1 v. u. lies urethrae st. urethra. 
- 186, - 6 v. u, lies Kehlkopf s. Kehlkopfe. 


Ueber 
das Becken des Delphins. 


Von 


Prof. Mayer in Bonn. 


Das Becken des Delphins unterliegt noch einer ‚Streitfrage, 
indem es von den Anatomen, wenn nieht ganz 'geleugnet, 
doch nur als in einem schwachen ‚Rudimente vorhanden, 
zugestanden wird. Vor Cuvier ist ‚Nichts. über dieses 
Becken verhandelt worden. Er beschrieb zuerst den einen 
seitlichen Beckenknochen richtig, giebt aber keine, Abbildung 
davon, selbst nicht in seinem Werke betitelt: Ossemens fos- 
siles. Seine Worte-sind; Die Cetaceen haben als, Rudi- 
ment ‚des ganzen Beckens nur zwei kleine, platte dünne 
Knochen, welche zu beiden Seiten des Afters im Fleische 
hängen ($. Cuvier's Vorlesungen über vergleichende Ana- 
tomie, 1. Theil, V. Vorlesung). F.Meckel ($. dessen System 
der vergleichenden Anatomie Il. 2. $. 158), welcher übrigens 
keine eigene Untersuchung angestellt zu haben scheint, be: 
zeichnet diese Knochen als Hüftbeine, was ebenso. unrichlig 
ist, da sie hauptsächlich nur Sitzbein sein können, weil .das 
Corpus cavernosum und der musculus ischio - cavernosus 
davon ihren Ursprung nehmen. Es war also wohl ein Bek- 
"kenknochen jeder Seite, freischwebend in der Fleichmasse, 
zugestanden, aber die Verbindung beider Knochen ‚in der 


984 


Mitte durch einen Knochen und nicht blos durch Bänder 
masse geläugnet. Ich habe früher (S. Beiträge zur Anato- 
mie des Delphins in Tiedemann und Treviranus Zeit- 
schrift für Physiologie 1835 S. 115) über das Becken des 
Delphins mich dahin geäussert, dass an demselben ausser 
dem bereits bekannten; seitlichen und länglichen Knochen, 
welchen ich als das Analogon von os ilium und os ischü 
angesehen habe, noch ein zweiter rundlicher Knochen, als 
os pubis von mir gedeutet, vorhanden sei. 

Meine Worte sind daselbst: , Das Becken des Delphins 
(Delphinus Phocaena) besteht aus zwei platten, rundlichen 
Ossa pubis von der Grösse eines Zehngroschenstückes, wel- 
che das Mittelstück desselben bilden, und aus den beiden 
Seitentheilen, welche von einem länglichen, walzenför- 
migen, nach aussen convex gebogenen, vorn und hinten 
etwas 'zugespitzten Knochen gebildet ‘werden, und welche 
man. als Ossa ilium et ischii anzusehen hat. Es war 
diese Beschreibung ' von ‘dem 'Skelete eines Delphins, Del- 
phinus phocaena, entnommen, dessen Länge vom 'Kopfe 
bis’zum 'Schwanzende sechs ‘und einen halben Fuss maass, 
und welches ich’ im Jahre. 1822 in Amsterdam acquirirte, 
Meinem 'seligen Freunde Dr. Alton Vater überliess ich spä- 
ter dieses Skelet zur ‘Abbildung in’ seinem schönen Werke 
(S.' dessen Skelete der Cetaceen 1827), weil es an solchen 
Abbildungen ‘noch immer fehlte. ' Einen Gypsabguss ‚habe 
ich im Jahre 1824 Herrn Prof.» Ritgen, dem geistreichen 
Lehrer der Geburtshülfe’in Giessen, auf seinen Wunsch, zu- 
geschickt. Prof. Rapp (in seinem Werke, die Celaceen 1837. 
S. 77.) 'widersprach‘ nun meiner obigen Darstellung, sich 
auf folgende Weise äussernd: ,,Auch Mayer beschreibt 
eine aus zwei platten Knochenstücken bestehende Queer- 
verbindung der beiden 'cylindrischen parallel liegenden Bek- 
kenknochen.“ Da mir aber dieser Widerspruch, wie der ge- 
gen das Vorhandensein des nervus olfactorius beim Delphin _ 
von demselben Physiologen 'nur auf unzulängliche Untersu- 


585 


chung gegründet schien, so unterliess ich es, diese Contro- 
verse noch einmal vor das Forum der Wissenschaft zu zie- 
hen. Ein Motiv aber, diesen Gegenstand ‘wieder in Anre- 
gung zu bringen, lag nun darin, dass Prof. Stannius im 
Herbste 1847. mich mit seinem Besuche erfreute und ‚beim 
Vorzeigen obengenannten Delphinskeletes erklärte, es sei 
der von mir als Becken beschriebene Knochentheil kein 
Becken und wahrscheinlich von irgend einem anderen Thiere 
hinzugekommen. Die vollständige Aehnlichkeit in Habitus 
und Textur, welche zwischen unsern sogenannten Becken- 
knochen und den übrigen Knochen des Skeletes unseres 
Delphins sich zeigte, wies aber letzte Vermuthung als: völ- 
lig grundlos von selbst zurück. Als einige Tage später diese 
Streitsache bei dem vorigjährigen allgemeinen Congress der 
deutschen‘ Aerzte und Naturforscher in Aachen zur Sprache 
kam, bestand Prof. Stannius in Betreff der von mir be- 
schriebenen Beckenknochen auf seiner hier in Bonn geäus- 
serten Ansicht. Ebenso äusserte sich auch Prof. Vrolik. 
Dieser berühmte Naturforscher sagt ferner noch in seinen 
Beschouwing van det Hyperodon, Harlem 1848, dass auch 
beim Delphin nur ein Beckenknochen ohne Verbindung sich 
vorfinde. In Betreff der von D’Alton von dem in meinem 
Museum befindlichen Skelete des Delphins gegebenen Zeich- 
nung sind seine Worte: „‚Ik beken echter niets te begry- 
pen vaen:hel devarse beenstuk door tetwelk zy zeggen, dat 
de twe bekkenbeenderen onderling verbonden worden. Het 
is nimmer by mii waargenommen in Delphini. Es war mir 
dieses nun die Veranlassung den Gegenstand einer erneuer- 
ten Untersuchung zu unterwerfen. Obwobl das äussere An- 
sehen, sowie die mit freiem Auge erkennbare Textur unse- 
res Beckenknochens keinen Zweifel erlaubte, dass derselbe 
dem Skelete selbst angehöre und ich von dem Verfertiger 
des Skelets noch die Versicherung eingeholt hatte, dass hier 
keine Verwechslung stattgefunden halte, unterwarf ich die 
Theile desselben noch der mikroskopischen Untersuchung, 


386 


wonach sich herausstellte, dass die seitlichen Theile ‘des 
Knochens dieselben corpuseula ossea an Zahl und Form, 
wie die Rippen des Skeletes unseres Delphins, enthielten, 
die mittlern Theile dagegen grösstentheils aus fibröser und 
Kuorpelsubstanz, mit weit wenigern Knochenkörperchen' zu- 
sammengesetzt sich erwiesen. 

Um aber vollkommene Ueberzeugung zu gewinnen, ob 
die mittlern Theile des Beckenknochens wirklich in der Na- 
tur vorhanden seien, nahm ich an den in unserm Museum, 
in Weingeist befindlichen, Präparaten männlicher Geuitalien 
von zwei Delphinen eine wiederholte Untersuchung vor, 
woraus sich folgendes ergab: 

Der seitliche Beckenknochen ist ein 2—3. Zoll langer, 
walzenförmiger' Knochen, dessen vorderes Ende zugespitzt, 
und eine Art von Widerhacken bildet, und dessen: hinteres 
Ende mehr stumpf ist. Von dem letztern entspringt. das 
Corpus cavernosum des Penis, welches, so wie der ganze 
Knochen, von dem Musculus ischiocavernosus umgeben ist, 
und in ihm gleichsam verborgen liegt. Zwischen diesen 
beiden, wie schon erwähnt, nach auswärts etwas geboge- 
nen Knochen, liegen nun zwei kleine platte, rundliche Kno- 
chen, welche bei den beiden mir vorliegenden Genitalien 
von jungen Delphineu von der Grösse eines Ein- und Zwei- 
groschenstücks sind, und welche mit den seitlichen Kno- 
chen, so wie unter sich durch fibröse Bandmasse zusammen- 
hängen, ' Sie sind von einem fibrösen Zellgewebe umge- 
ben und an sie heftet sich unmittelbar die Prostata, wel- 
cher sie zur Stütze dienen, an. Die Zeichnung, welche 
D’Alton von unserm sechs und einen halben Fuss langen 
Skelete eines ausgewachsenen Delphins gab, ist ganz rich- 
tig, mit Ausnahme, dass das Becken in derselben verkehrt 
gestellt ist, indem der spitze, mit einem Widerhaken verse- 
hene Seitenknochen mit diesem Widerhaken nach vorwärts 
steht, statt dass er nach rückwärts gerichtet sein müsste. 

Diese meine schon vor vielen Jahren ausgesprochene 


987 


Ansicht von dem Vorhandensein mittlerer Beckenknochen, 
ausser den seitlichen, beim Delphin wird nun durch die Un- 
tersuchungen von Eschricht, in seinem neuesten Werke 
über die Nordischen Wallthiere, Leipzig 1849 bestätigt. 
Eschricht fand sowohl bei den Röhrenwallen, namentlich 
bei Keporkak noch ein zweites Paar von Beckenknochen 
als keulenförmige Körper, so wie auch früher Reinhardt 
bei einem Fötus von Bal. Mysticetus bereits mittlere Becken- 
knochen entdeckte. Es ist nun aber durch exacte anatomi- 
sche Untersuchung auszumitteln, mit welchen weichen Thei- 
len des Geschlechtsapparates diese mittlern Beckenknochen 
in Verbindung stehen und welche Differenz ihrer Bildung in 
Betreff der Geschlechtsverschiedenheit obwalte. 


Fortgesetzte Untersuchungen über 'Muskelreiz- 
barkeit. 


Von 


Prof. Dr. Stannıus. 


Meine gegenwärtige Mittheilung schliesst sich an eine frü- 
here an, welche in dem Jahrgange 1847 dieser Zeitschrift, 
S. 443 {f., enthalten ist. Fortgesetzte Untersuchungen, nach 
dem gleichen Plane angestellt, vermochten an den wesentli- 
chen Resultaten, die ich früher erzielt, nichts zu ändern, sind 
vielmehr nur geeignet, dieselben zu bekräftigen. In dem milden 
Winter 1848 — 1849 ist es mir nämlich gelungen, Frösche, de- 
nen ich die sämmtlichen zur Hinterextremität tretenden 
Nerven auf die schon früher angegebene Weise durchschnit- 
ten halte, bedeutend länger am Leben zu erhalten, als dies 
in den bisher mitgetheilten Beobachtungsreihen der Fall war. 

Die erste Beobachtung betrifft einen Frosch, an dem die 
Nervendurchschneidung am 29. Aug. 1848 vorgenommen war 
und der mir am 6. Januar 1849, matt und regungslos, ge- 
bracht wurde. Bei Application der beiden Pole des elektro- 
magnelischen Apparates stellten sich Zuckungen in den Mus- 
keln beider Schenkel ein. Auf Reizung der Nerven des ge- 
lähmten Schenkels blieben die Zuckungen aus, mochten die 
grössern Aeste oder die feineren und feinsten Zweige gereizt 
werden. Application der Drähte auf die Muskeln des ge- 
lähmten Schenkels hatte dagegen sogleich Bewegungen in 
denselben zur Folge. 


589 


Die Farbe des Nervus ischiadicus war ziemlich weiss; 
seine Consistenz nur in dem obersten Theile etwas verändert, 
Das Contentam der Primitivröhren überall geronnen. Die 
Muskeln der gelähmten Extremität zeigten sich gesund; sie 
waren namentlich nicht atrophisch; ihre Primitivbündel zeig- 
ten die charakteristischen Querstreifen. 

Die Durchschneidung der Nerven war vollständig ge- 
lungen; Verwachsung nirgend erfolgt. 

Die ursprüngliche Schnittwunde längs dem Steissbeine 
war vollständig verheilt. 

Die Zehen der gelähmten Extremität waren stark bran- 
dig und die Phalangen zum Theil abgefallen; an der nicht 
gelähmten Extremität zeigte sich nichts Krankhaftes. 

Ganz ähnlich verhielten sich zwei andere Frösche, bei 
welchen die Nervendurchschneidung am 4. Sept. 1848» vor- 
genommen war und die mir am 13. Januar zur  Untersu- 
chung gebracht wurden. Bei beiden waren die ursprüng- 
lichen Schnittwunden in der Steissbeingegend stark brandig 
und jauchig; die Zehen und Schwimmhäute der gelähmten 
Extremität schwächer exulcerirt; die der andern Extremität 
dagegen gesund. Bei einem war der gelähmte Schenkel et- 
was ödematös. Bei beiden waren die Nerven der gelähmten 
Seite wenig gelblicher gefärbt, als dıe der gesunden. «Bei 
beiden waren die Zuekungen des gereizten gesunden Schen- 
kels stärker, als die des gelähmten, erhielten sich auch län- 
ger in jenem, als in diesem. 

Bei zwei anderen Fröschen, an denen die Nervendurch- 
schneidung am 29. August und am 4, Septbr. vorgenommen 
war und die mir, als eben gestorben, am 6. und aın 8. Febr. 
gebracht wurden, war die Reizbarkeit der Muskeln an beiden 
Schenkeln schon vollständig erloschen. Ich erwähne ihrer 
nur deshalb, weil bei beiden die Zehen der gelähmten Ex- 
tremilät stark geschwürig und brandig, die der nicht gelähm- 
ten dagegen völlig gesund sich zeigten. 

Ein anderer Frosch, an dem die Nervendurchschneidung 


590 


amı,29.. August vorgenomnien war, ‚lebte noch am 2. März; 
sein Herz pulsirte; an seinem Darme. wurden, bei Oeffnung 
der Bauchhöhle, Contractionen. wahrgenommen. 

Beide Schenkel zuckten bei Application. der, Pole des 
elektro-magnetischen Apparates auf ihre Haut. Vorsichtige, 
aber starke Reizung der Nervenstämme und Nervenzweige 
der gelähmten Extremität bewirkte keine Spur von: Muskel- 
zuckung. Auf gleichartige Reizung der Muskelsubstanz er- 
folgten sogleich Zusammenziehungen. 3 

Die Stämme der durchschnittenen Nerven waren, vom 
Schnittende aus, erweicht und etwas gelblich; die dünneren 
Zweige ‚derselben zeigten normale  Consistenz und ‘Weisse. 
Die mikroskopische Untersuchung ergab Folgendes: In’ den 
grösseren Nervenstäimmen waren an den Primitivröhren 
keine doppelte Conturen mehr zu erkennen; auch: ihre äus- 
sere Contur war minder scharf als sonst, stellenweise aus- 
serordentlich blass. Das Conientum war geronnen und 
trat an den abgeschnittenen Enden aus. Die Gerinnsel in 
vielen Röhren bildeten kein Continuum, sondern waren durch 
lichte Stellen unterbrochen; in anderen Strecken waren zwei 
discrete Strecken des festeren Gerinnsels durch Punkte oder 
feine Stränge desselben Gerinnsels verbunden; wo diese letz- 
teren fehlten, waren die Conturen der zwischenliegenden 
Röhre so hell unb blass, dass man sie kaum erkannte und 
auf den ersten Anblick die Continuität der Röhre für un- 
terbrochen halten konnte. In den feineren Nervenzweigen 
war das Contentum der Primitivröhren durchaus geronnen. 

Die Muskeln zeigten keine Spur ‘von Atrophie. Ihre 
Primitivbündel waren ‘quer gestreift. Die ursprüngliche 
Schnittwunde war stark grangränös. Am Oberschenkel und 
am Knie waren dunkelrothe entzündeie Stellen sichtbar. 
Die Zehen des kranken Beines waren in Folge früherer'Gan- 
gränescenz sämmtlich abgefallen. Der Stumpf war von 
neuer, normal gebildeter Haut überzogen. 

Die Durchscheidung der sämmtlichen Extremitäten-Ner- 


591 


ven war vollständig gelungen; nur ein dünnes sympathisches 
Fädchen stand einerseits mit dem Grenzstrange und. ande- 
rerseits mit einem der durchschnittenen Nerven-Stämme, un- 
terhalb der Durchschnittsstelle in Verbindung: 

Uebereinstimmend mit diesem Frosche verhielt sich in 
den meisten Stücken ein anderer, an dem am 4ten Septem- 
ber die Nervendurchschneidung vorgenommen war ‚und der 
am 4ten März, gleich nach seinem Tode, untersucht wurde. 
Die Nerven hatten ihre Reizempfänglichkeit verloren, wäh- 
rend sie den Muskeln noch innewohnte. Die Degeneration 
der Nerven-Primitivröhren ‘war ebenso intensiv, wie im 'vo- 
rigen Falle. Die Zehen der gelähmten Extremität waren 
gangränös und ihre Phalangen grossentheils abgefällen. 

Der Vollständigkeit wegen gedenke ich.noch einer Beo- 
bachtung. Bei einem Frosche war die Nervendurchschneidung 
am 4ten September vorgenommen; er ward am 6ten März 
untersucht. Sein linker Schenkel, dessen Nerven durch- 
schnitten sein sollten, schien nicht vollstäudig gelähmt zu 
sein. Auf Reizung seines N. ischiadicus erfolgten Muskel- 
zuckungen. Die Section ergab, dass ein Wurzelstamm des 
Schenkelgeflechtes durchschnitten war. Dennoch zeiglen sich 
die Zehen der linken Ilinterextremität brandig, obschon nur 
in mässigem Grade. B 


Aus vorstehenden Beobachtungen ergiebt sich: 

1) Dass die Muskeln ihre Empfänglichkeit für den elek- 
trischen Reiz, so wie ihre normalen Textur-Verhältnisse noch 
bewahren können, nachdem die ihnen entsprechenden Ner- 
ven schon vor länger als 6 Monaten durchschnitten sind, 
deren Stämme und Zweige dann durch den elektrischen 
Reiz nicht mehr affieirt werden, deren Primitivröhren zu- 
gleich wesentliche Textur - Veränderungen erfahren haben; 

2) dass die Empfäünglichkeit für den elektrischen Reiz 
nicht beständig! in den des Nerveneinflusses beraubten 


592 


Muskeln länger sich erhält, als in den noch unter Nervenein- 
fluss stehenden; 

3) dass in Theilen einer des Nerven-Einflusses für lange 
Zeit beraubten: Extremität, und namentlich in den Zehen 
derselben regelmässig eine Ulceration und Gangrän sich aus- 
bildet; 

4) dass solehe von Ulceration und Gängränescenz er- 
griffene Theile verheilen und von normaler Haut überzogen 
werden können; \ 

5) dass vielleicht dieser Heilungsprozess mit ‘der In- 
tegrität und nicht unterbrochenen Continuität sympathischer 
Stränge, die zu den Schenkelnerven treten, in Causal - Ver- 
bindung steht. 


Ueber 


die richtige Deutung der Seitenfortsätze an 
den Rücken- und Lendenwirbeln beim Men- 
schen und bei den Säugethieren. 


Von 


A. Rerzıus, *) 
A. d, Schwed. von Fr. Creplin., 


Bei der letzten Zusammenkunft der skandinavischen Natur- 
forscher-Gesellschaft in Kopenhagen heftete ich die Aufmerk- 
samkeit der zoologisch-anatomischen Section auf einige ei- 
gene knopflörmige Fortsätze an den Seiten mehrerer Rücken- 
wirbel beim Erinaceus europaeus, wie auch auf die Be- 
deutung dieser Fortsätze, nach ihrer Vergleichung mit ent- 
sprechenden Theilen an den Rückenwirbeln bei Säugethieren 
anderer Ordnungen. (S. Forhandlinger ved de skandinaviske 
Naturforskeres öte Möde, der holdtes i Kjöbenhavn fra den 
12 til den 17 Juli 1847, Kjöb. 1849, S. 631 .) Diese Fort- 
sälze waren meiner Ueberzeugung nach bis dahin übersehen 
worden; ich habe zwar auch später sie eben so wenig be- 
schrieben gefunden, aber doch einige Zeit darauf geschen, 
dass Theile in einer Abhandlung, die in J. Müller’s Ar- 


*) Kongl. Vetenskaps - Akademiens Handlingar, för ür 1848, 
Heft. 2. S. 213 — 307. 
Müller's Archiv, 1849. 38 


594 


chiv für Anatomie. Physiol, ete. Jahrg. 1839. aufgenom- 
men worden ist, betreffend die Musculi rotatores dorsi, nebst 
Bemerkungen über die Processus transversi et obliqui etc. 
kleiner Fortsätze an den Rückenwirbeln der Talpa euro- 
paea, sehr ähnlich denen beim Erinaceus (a. a. ©. S. 
105, 111) erwähnt. In derselben Abhandlung zeigt Theile, 
dass Cuvier sowohl, als auch J. Müller, schon vor län- 
gerer Zeit auf die verschiedene Bedeutung der Querfortsätze 
der Rücken und der Lendenwirbel aufmerksam gemacht ha- 
ben und zwar der Erstere in der zweiten Ausgabe der Le- 
gons d’Anatomie compar&e, welche 1835 erschien, der 
Andere in der „Vergleichenden Anatomie der Myxi- 
noiden, vorgetragen bei der Berliner Akademie der Wissen- 
schaften i. J. 1834, und publieirt (in deren „Abhandlungen“ 
Berlin) 1836. Cuvier’s Aeusserung über diesen Gegenstand 
ist wahrscheinlich der Aufmerksamkeit aus dem Grunde ent- 
gangen, dass sie nur bei ‘der Beschreibung des menschlichen 
Rückgraths vorkommt und dagegen bei den übrigen Verte- 
braten Nichts weiter darüber gesagt wird. Aber wie wir 
wissen, hat Cuvier bei mehreren Gelegenheiten auf dieselbe 
Weise im menschlichen Skelette auch die Grundtypen für 
das der, Thiere gesehen. Seine Aeusserung lautet folgender- 
maassen: „Wenn man die Fortsätze des Rückgraths zu- 
sammen betrachtet, so findet man, dass sie 5 längslaufende 
Reihen bilden, nämlich: eine mittlere, die der Stachelfort- 
sätze, zwei zwischenliegende, gebildet von den aussen 
vor den obern Gelenkflächen liegenden Höckern, welche die 
OQuerfortsätze der Rückenwirbel ausmachen, und zwei äus- 
sere, bestehend aus den Querfortsätzen der Halswirbel, aus 
den Rippen und aus den Querforlsätzen der Lendenwirbel. 
In dieser äusseren Reihe können auf ihre Weise die Rippen 
füglich als Querfortsätze betrachtet werden, welche verlän- 
gert, getrennt und durch eine bewegliche Articulalion ange- 
fügt sind. Hierbei ist ferner zu bemerken, dass der letzte 
Rückenwirbel hinten auf seinem Höcker eine kleine Spitze 


595 


hat, welche sich verkleinert auf den zwei oder drei oberen 
Lendenwirbeln wiederfindet, und zwar zwischen dem Höcker 
und dem Querfortsatze, und die man besonders entwickelt 
bei verschiedenen Säugethieren antrifft. Diese Bemerkungen 
sind von Wichtigkeit für das comparative Studium derselben 
Partien bei den übrigen Thieren.“ (Legons d’Anat, comp., 
2de ed. p. 174.) 

J. Müller äusserte (a. a. ©. S. 304) nach einer längern 
grossentheils auf eigene myologische Untersuchungen ge- 
gründeten Analyse über denselben Gegenstand: ,„Fasst man 
Alles zusammen, so ergiebt sich Folgendes: Die Proces- 
sus transversi der Rückenwirbel enthalten die Elemente 
zu 2 Fortsätzen, die in der ersten Hälfte der Rückenwirbel 
der Säugethiere und in den meisten Rücken wirbeln des Men- 
schen vereint sind, aber sich von einander absondern kön- 
nen. Diese dienen einerseits dem Tuberculum der Rippe 
zur Befestigung, anderntheils zu den Ursprüngen und Inser- 
tionen der Muskeln. Diese Elemente entfernen sich bei den 
Säugethieren ganz deutlich von einander, schon meist in der 
Hälfte der Rückenwirbel, und an den Lendenwirbeln ist 
diese Absonderung und der Zwischenraum der beiden Fort- 
sälze am grössten, Wenn sich nun auch nicht definitiv be- 
weisen lässt, dass die den Rippen entsprechenden Querfort- 
sätze der Lendenwirbel wirklich angewachsene Rippenrudi- 
mente enthalten, so lässt sich doch beweisen, dass an die- 
sen rippenartigen Querfortsätzen der Lendenwirbel sich im- 
mer ganz analoge Muskeln anselzen, als am Brusttheil des 
Rückens an den Rippen befestigt sind.‘ 

Cruveilhier berührt ebenfalls diesen Gegenstand, ohne 
sich doch näher auf ihn eingelassen zu haben. (Traite 
d’Anat. descer., 2de @d., T. I. p. 69.) 

Owen hat in seinen spälern Werken (On the Arche- 
iype and Homologies of the vertebrate Skeleton, Lond. 1848, 
und On the nalure of Limbs. 1849,) in grösserer Skala ge- - 
zeigt, dass gerade diese Partien den Schlüssel zu einem gros- 

38% 


396 


sen Theile dessen, was er die Homologie des Skeletts oder 
die Deutung der Entsprechungen der Theile innerhalb des 
einfachen, durch Alles hindurch gehenden Grundplanes, nennt. 
Von den genannten beiden Werken habe ich noch nicht das 
Glück gehabt, das erstere zu erhalten; aber in dem letztern 
(On the nature of Limbs), welches ich vor mir habe, be- 
finden sich die Diagramme vom Archetypus des vertebrirten 
Skeletts. Auf dem Diagramme über das Säugethierskelett 
(Skelett vom Hunde) sieht man die sogenannten Processus 
accessorii et obliqui wie einen Theil des Arcus (Neurapophy- 
ses O wen) und die Processus Iransversi wie eigene Fort- 
sätze (Diapophyses O wen) gezeichnet. 

Zuletzt ist, so viel ich weiss, dieser Gegenstand von 
Maclise, im Artikel Skeleton in Todd’s Cyclopaedia of 
Anat. and Physiol, P. XXXV., abgehandelt worden. Mac- 
lise fasst, wie Owen, den ganzen Brustikasten mit dessen 
Rückgrathsantheile als eine Reihe von Wirbeln zusammen, 
in welcher je zwei Rippen zu einem jeden Wirbel gehören, 
und nur mit diesem zusammen einen ganzen Brustwirbel aus- 
machen. Er betrachlet in Folge dessen das, was man bis- 
her einen Rücken - oder Brustwirbel genannt hat, getrennt 
von der dazu gehörenden Rippe, nicht als eine vollständige 
Vertebra dorsualis. Er unterscheidet auch deutlich zwischen 
der Bedeutung der Querfortsätze der Rücken- und der Len- 
denwirbel, aber aufeine ganz eigene Weise. Da die meisten 
Rückgrathswirbel Rippen zu haben scheinen, so verwirft er die 
Benennung Querfortsatz (transverse process) für die bisher 
so benannten Theile an den Lendenwirbeln; er nennt sie 
stalt dessen Rippenanhänge, will aber für die alten Pro- 
cessus transversi an den Rücken- und die Processus acces- 
sorii an den Lendenwirbeln den gemeinschaftlichen Namen 
Querfortsätze angewandt wissen. 

Er ist der Meinung, dass Owen sich geirrt, indem er 
angenommen babe, dass den Lendenwirbeln (beim Menschen) 
ossifieirte Pleurapophysen ‚oder Rippen fehlten. Er selbst- 


597 


nimmt solche an und bildet sie in seinen Lypischen Figuren 
ab und rechnet seine Processus transversi an den Lenden- 
wirbeln (Proc. accessorii Auct.) als Contraparten zu seinen 
Appendices costales lumb. (Proe. transversi Auct,) wie 
das Tuberculum costae und die Proc. transversi auf dem Rük- 
ken, bemerkt aber, dass die der Lende nicht mit einander in 
Berührung kommen, zufolge der Unvollständigkeit der „„Len- 
den-Rippen-Stümpfe.“ Dieser gelehrte und sinnreiche Schrift- 
steller scheint mir doch in diesen Punkten mehr sein Ideal, 
als die Wirklichkeit vor Augen gehabt zu haben. 

Die Beobachtungen, zu denen ich durch die bereits er- 
wähnte Anleitung veranlasst worden bin, haben nicht zu 
völlig denselben Resultaten, wie die der bemeldeten Schrift- 
steller geführt, stimmen aber zunächst mit Joh. Müller’s 
Aeusserung überein, dass die Proc. transversi der Rücken- 
wirbel die Elemente zu zwei Fortsälzen enthalten. Das von 
mir erlangte Resultat ist, dass sie Elemente zu drei Forlsäz- 
zen enthalten, nämlich Proc. mammillares, accessorii et trans- 
versi, welche beim Menschen nur an einer geringern Anzahl 
von Wirbeln rudimentär, bei den Thieren sich zu regelmäs- 
sigen Gebilden von besonderer Bedeutendheit entwickeln. 
Von diesen drei Fortsätzen treten die Proc. mammillares zu 
vorderst, oft von den- Gelenkfortsätzen ab, heraus, die Pro- 
cessus transversi von den Seiten des Wirbels und die Pro- 
cessus accessoriüi hinten auf oder hinter den Pr. transversi 
ganz von ihnen getrennt und nach aussen vor den Pr. obli- 
qui posteriores. 

Die Kenntniss dieser Fortsätze ist noch schwankend. 
Die Querfortsätze wurden zwar von allen Anatomen be- 
meldet, welche den Rückgratli beschrieben haben; aber ein 
grosser Theil dieser Schriftsteller übergeht die zwei anderen 
mit Stillschweigen; Andere erwähnen das eine Paar, näm 
lich die Processus accessorii, sehr Wenige nehmen auch das 
dritte, oder die Pr. mammillares auf. 

Dies Vebersehen ist um so sonderbarer, als Galenus, 


958 


welcher schon die Benennung Querfortsatz gebraucht hat; 
auch die Pr. accessorii beschreibt. (De ossibus, Cap. VII 
bis X). 

Vesalius will Galen’s Angabe von den accessorischen 
Fortsätzen berichtigen. Er sagt, er habe nie diese Fortsätze 
beim Menschen angetroffen, wohl aber bei Thieren (Hunden 
und geschwänzten Meerkatzen), nach denen er Galen’s 
Beschreibungen so oft entworfen gefunden hatte. (Andr, 
Vesalii hum. corp. fabr. Libri VII. Basil. Fol. Lib. I. Cap: 
XVl. XVII) 

Vesalius hat (a. a. ©.) diese Pr. accessorii von einer 
„Simia caudata‘“ deren Skelett er Gelegenheit hatte, bei 
Joh. And. Albius, Prof. der hippokratischen Mediein in 
Bologna zu studiren, nicht allein beschrieben, sondern auch 
eine recht gute Figur von ihnen geliefert. Er äussert in Be- 
ziehung darauf: (l. c. Cap. XVII. p. 96.) „In Simiarum igitur lum- 
borum vertebris ad radicem transversi processus in inferiori 
ipsius sede, acutus conspicitur processus recta deor- 
sum protensus, et sinus qui nervi nomine illic incisus est, 
exiernum latus constituens, ac veluti intervallum quoddam 
vum descendente processu eflormans, in quod ascendens in- 
ferioris vertebrae processus subintrat.‘ 

Vesalius fand dies Verhalten zuerst beim Hunde wie- 
der und äussert darüber ferner: „caeterum elsi hujus pro- 
cessus naluram in simia ob ejus penuriam intueri non dabi- 
iur, canis tamen tres humiliores thoracis vertebras contem- 
plator, etiam ejusmodi processu donatas, uti et in senioribus 
canibus perpeluo lumborum vertebrae ejusmodi processum 
obtinere vidimus. * 

Dies ist das Hauptsächlichste, was Vesalius über die 
Pr. accessorii sagt. 

Es scheint auch das Vesalius auf die Pr. mamm il- 
lares, I. e. p. 78 et 79 aufmerksam geworden sei. Kurz 
vorher in demselben Stücke äussert er bei der Beschreibung 
der Pr, obliqui, welche er Pr. adsvendentes et descendentes i 


S 559 


nennt: ,,‚Descendentes processus insigniter declives ferun- 
iur et externo ipsorum latere in oblongum tuberculum“ 
(in der Leydener Ausgabe von 1725, besorgt von Boerhaave 
und Albinus, steht, statt oblongum tuberceulum, oblougum 
relumque capitulum) ‚‚desinunt, quod magis verlebrae an- 
teriora quam posteriora respieit. Tubercula (Capitula) 
haec in subjectae vertebrae adscendentes subeunt proces- 
sus, quemadmodum etiam antea fusius exequutus sum.‘ 

Es ist sehr einleuchtend, dass der Verfasser unter Tu- 
bercula oder Capita die Pr. mammillares versteht, ob- 
gleich seine Beschreibung eiwas mangelhaft ist, und zwar 
offenbar dadurch, dass sein Auge die mit einander zusam- 
mengestellten ab- und aufsteigenden Processus obliqui gleich- 
sam zusammenfasst. 

Wir können somit annehmen, dass Vesal alle die drei 
Processus beschrieben habe, obgleich er nur bei der Meer- 
katze und dem Hunde die Pr. accessorii gesehen hat. In- 
dessen scheint die Aufmerksamkeit auf dieselben in demsel- 
ben Maasse verloren gegangen zu sein, als die Menschenana- 
tomen das Studium der Thieranatomie ausser Acht gelassen 
haben. Mehrere Schriftsteller über die menschliche Anato- 
mie nehmen jedoch Pr. accessorii an. So finden wir fol- 
gende Aeusserung von I. G. Walter in seiner ‚Abhandlung 
von trokuen Knochen des m. K.“, 2. Aufl., Berl. 1778, 
$. 229: „.Man zählt noch besonders bei denen Wirbelbeinen 
der Lenden, zwei Fortsätze, an jeder Seite einen, sie 
befinden sich zwischen dem quer, und schiefen obern Fort- 
satze, man nennt sie die Nebenfortsätze, (Processus accesso- 
rios), es haben dahero die Wirbelbeine der Lenden, nicht 
sieben Fortsätze wie die übrigen, sondern neune.“ 

Sömmerring sagt (Corporis hum. Sabriea, Traj. a. M. 
1794, T. I. p. 268) bloss: Bisweilen findet man zwei Pr. 
accessorii zwischen dem Pr. transversus und arlicularis.‘ 
Die Pr. mammillares werden von ihm auf die Weise 
augedeutel, dass die Pr. arliculares superiores der Lenden- 


600 E 


wirbel mit besonderen Höckern (Separata tubera) verse- 
hen seien. 

Meckel äussert nach der Beschreibung der Pr. trans- 
versi an den Lendenwirbeln: (Handb. d. menschl. Anat. Halle 
u. Berl. 1816, Bd. II., S. 37.) „Ihre Grundfläche läuft nach 
hinten gewöhnlich in einen kleinen Höcker, den Nebenfortsatz 
(Processus accessorius), aus, der nur diesen Wirbeln zu- 
kommt.‘ 

Lauth (Neuestes Handb. der pract. Anat., Stuttg. etc. 
1835) und Langenbeck (Handb. d. Anat. etc. Gött. 1842.) 
nehmen auch Pr. accessorii an, ohne von Pr. mammillares 
zu sprechen. 

Pr. mammillares sowohl, als accessorii werden dagegen 
in den anatomischen Handbüchern von Arnold (Handb. d. 
Anat. d. M., Freiburg 1844, Bd. I. S. 346). M. I. Weber, 
(Handb. d. Anat. d.M. m. K. Leipzig 1845, Bd.I. S. 222-3), 
South (South’s Knochenlehre, deutsch bearbeitet von I. 
Henle, Berl. 1844, S. 8. 9), und Hyrtl, (Lehrb. d. An. d. 
M., S. 215 u. 216) für die Lendenwirbel angenommen; aber 
keiner der cilirten Schriftsteller erwähnt, so viel ich habe 
finden können, derselben für die Rückenwirbel. 

Unter den Schriftstellern für die vergleichende Anatomie 
findet man bei Meckel (System der vergl. An., Bd. II, 
Abth. 2) nur hier und da „‚Nebenfortsätze‘‘ erwähnt; bei G. 
Cuvier geschieht ihrer (a. a. O.) bei den Brustwirbeln nur 
als einer „seconde apophyse articulaire“ bei Dasypus und 
Myrmecophaga Erwähnung. Bei den Lendenwirbeln äussert 
er ziemlich dunkel, (S. 199) dass, bei den Quadrumanen, mit 
Ausnahme der „‚Orangs‘* und „‚Loris‘ sich an der äussern 
Seite der äussern Gelenkfortsätze ein nach hinten gerichte- 
ter Zacken befinde, welcher dazu diene, den vordern Gelenk- 
fortsatz des hinten folgenden Wirbels zu umfassen, und 
„dass dieser accessorische Fortsatz, wie Sömmerring be- 
reits bemerkt habe, bei einigen Menschenskeletten angetrof- 


fen werde.“ Cuvier führt zugleich an, dass der Zacken - 


601 


auch bei den Raubthieren vorkomme, besonders entwickelt 
aber bei mehreren Nagern sei. Für Dasypus erwähnt er 
„als einer anderen Eigenheit, ‚‚dass die gewöhnlichen Gelenk- 
fortsätze an den Lendenwirbeln in schräge Spitzen von der 
Länge der Zackenfortsätze verlängert seien. Diese Anord- 
nung komme auch, wenn gleich minder hervorstechend, bei 
den Hasen vor‘ etc. Wir ersehen hieraus, dass der grosse 
Meister in der Wissenschaft sich bei diesen Fortsälzen nur 
flüchtig verweilt und es ihm an einer bestimmten Benen- 
nung für dieselben gefehlt hat. 

In Theile’s verdienstvoller, oben citirter Abhandlung 
(S. 109 u. 116), hat Abth. 2 die Ueberschrift: Die Pro- 
cessus obliqui und accessorii, Abth. 3: Die hintern 
Proc. accessorii. Aus diesen Ueberschriften geht hervor, 
dass der Verf. zweierlei Pr. accessorii annimmt. Die erste 
Art nennt er bloss accessorii, die andere hintere ac- 
cessorii. — Unter der ersten Rubrik äussert der Verf.: 
„Beim Menschen haben die Gelenkfortsätze aller Rücken- 
wirbel die nämliche Gestalt und sind verschieden von denen 
der Lendenwirbel; nur der 12. Rückenwirbel unterscheidet 
sich durch die Richtung seiner untern Gelenkfortsätze, und 
bildet die Uebergangsform zwischen Rückenwirbeln und 
Lendenwirbeln. Die Pr. accessorii fehlen überall am Rük- 
ken, diesen 12. Wirbel ausgenommen. Desshalb lässt sich 
jeder Rückenwirbel sogleich durch die Form seiner Gelenk- 
fortsätze von den Lendenwirbeln unterscheiden. Anders ver- 
hält es sich bei den Säugethieren. . . . . Bei ihnen hat 
eine bestimmte Anzahl der hintersten Rückenwirbel die Pr. 
obliqui u, accessorii nach dem Typus der Lendenwirbel ausge- 
bildet.“ Hier versteht der Verf. unter Pr. obliqui etac- 
cessorii unfehlbar die vordern Fortsätze oder Pr. mam- 
millares, welche meistens von den Pr. obliqui ausgehen. 
Aber gerade auf jenem vom Verf. hier besonders berührten 
12. Rückenwirbel beim Menschen sind die obern Pr. obliqui 
noch wie an den übrigen Rückenwirbeln gestellt, und die 


448 


in Rede stehenden Processus sind von ihnen ganz getrennt, 
sonach nicht von ihnen ausgehend. Es dürfte sich nns 
auch besonders aus dieser Anleitung ergeben, dass, wiewohl 
die Pr. obliqui et mammillares oder, wie ihnen hier von 
Theile unrichtig der Name accessorii beigelegt wird, mei- 
stens mit den Pr. obliqui vereinigt sind, sie doch in der 
That eigene Bildungen von besonderer Natur und Bestimmung 
ausmachen, Uebrigens hat Theile in diesem Theile seiner 
Abhandlung einen eigenen Typus für die Rücken- und Len- 
denwirbel aufstellen wollen, und gezeigt, dass dieser letztere 
Typus sich ungleich weit vor die Lendenregion hin bei ver- 
schiedenen Thiergruppen erstreckt. 

Stannius hat (Lebrb. d. vergl. Anat. d. Wirbelth., 
Berlin 1846, S. 345) noch bestimmter und klarer, als irgend 
ein früherer Schriftsteller über Thieranatomie, diesen Gegen- 
stand behandelt. Er hat für die in Rede stehenden Fort- 
"satzpaare die Namen Pr. accessorii anteriores et Pr. 
acc. posteriores angenommen und sagt von ihnen unter 
Anderm: „Von den Gelenkfortsätzen aus verlängern sich 
bei den meisten Säugelhieren nach vorn oder auch nach hin- 
ten gerichtet, mehr oder minder deutliche, zu Muskelansätzen 
bestimmte Höcker, Proc. accessorii anteriores und 
posteriores. Sie sind immer am stärksten und oft sehr 
stark an den Gelenkfortsätzen der Lendenwirbel und der 
letzten Rückenwirbel, meist weniger an den vorderen Rük- 
kenwirbeln, wo sie an die Querfortsätze übergehen, aber 
bisweilen noch sehr deutlich ausgeprägt und selbstständig 
sich erhalten.“ Stannius citirt Theile’s Abhandlung und 
ist wahrscheinlich durch ihn zu den Benennungen Pr. acc. 
ant. et post. veranlasst worden. Es möchte wohl so schei- 
nen, dass diese Namen recht gut wären und zu einer rich- 
tigern Ansicht führten, auch ist, wie schon oben bemerkt 
ward, der Gegenstand am besten in diesem Lehrbuche be- 
leuchtet worden; aber die Richtigkeit der Namen muss ieh 
bestreiten. Stannius ist, wie Mehrere seiner Vorgänger 


449 


auch von dem Satz als Regel ausgegangen, dass die von ihm 
sogenannten Pr. acc. ant, von den Gelenkfortsätzen ausge- 
hen. Ich habe schon im Vorhergehenden bemerkt, dass dies 
nicht allezeit der Fall ist. Ich habe ein wichtiges Beispiel 
in dieser Beziehung angeführt und werde weiterhin mehre- 
rer erwähnen. Es ist auch ein eigner Umstand bei diesem 
Namen, dass die ersteren oder vorderen Fortsätze, welche 
nach der Ansicht mehrerer Schriftsteller stets von den Pr. 
obliqui ausgehen, weder constant von diesen ausgehen, noch 
Pr. accessorii, sondern Pr. mammillares heissen, und dass 
die hinteren Fortsätze, welche von Alters her Pr. accessorii 
genannt worden sind, niemals, so viel ich weiss, von den 
Pr. obliqui ausgehen. 


(Zusatz des Verfassers; aus brieflicher Mitthei- 
lung desselben an den Uebersetzer vom 5. August 
1850. 


Nachdem diese Abhandlung bereits gedruckt war, hat 
der Verf. erfahren, dass Prof. Richard Owen in London 
schon i. J. 1848 (Proceedings of ihe Zoologieal Society) 

den Pr. mammillares sowohl als den Pr. acces- 
sorii, eigene, einfache Benennungen gegeben hat. Er 
nennt nämlich die ersteren oder die Pr. mammillares 
Metapophyses und die letzteren oder die Pr. ac- 
cessorii Anapophyses, von werd, inter, und dvd, 
retro, die ersteren als zwischen den Diapophyses 
und Zygapophyses Owen liegend; die letzteren als 
mehrentheils nach hinten gerichtet.) 

Am Schlusse dieser historischen und kritischen Darle- 
gung muss ich auch gegen mich selbst bemerken, dass ich 
in meinem zu Anfang erwähnten Aufsatze: Ueber eigene 
knopfförmige Fortsätze an den Bögen mehrerer 
Rückenwirbel bei Erinaceus europaeus, die Natur 
und Beschaffenheit dieser Partien auf keine befriedigende Art 
auseinander gesetzt habe. 


604 


Die schon vor langer Zeit erfundenen und in mehreren 
authropotomischen Lehrbüchern vorkommenden Namen sind 
in mehrfacher Rücksicht auch für die Thieranatomie die rich- 
tigsten und besten. Durch ihre Einführung in diese werden 
die Verwechselungen aufgehoben, welche bis auf diesen Tag 
die Darstellung der fraglichen Theile begleitet haben. Alle 
erkennen die wichtige Rolle, welche der Rückgrath in der 
Lehre vom Knochenbaue spielt; in demselben Maasse muss 
man auch einsehen, wie wichtig es ist, dass die Theile des- 
selben richtig bestimmt und benannt werden, Ich bin über- 
zeugt, dass durch die Berichtigung der hier angedeuteten 
Verwechselungen und eine Einführung von richtigen Namen 
für die Seitenfortsätze der Wirbel, die Pr. mammillares, 
transversi et accessorii, bessere Charaktere als bisher, 
für die an Formen so reichlich und zwar in ihrer Ordnung 
unter einander sowohl, als bei den verschiedenen Thier- 
gruppen variirenden Wirbel dargeboten werden würden. Et- 
was, das um so wünschenswerther sein muss, als, beson- 
ders unter den fossilen Ueberresten diese Theile mit am 
schwersten genau zu bestimmen sind. 

Ich werde nun zu zeigen suchen, wiefern die s. g. Pro- 
cessus trausversi der Rückenwirbel die Elemente, um mich 
des Ausdrucks von Joh. Müller zu bedienen, zu verschie- 
denen, wichtigen Seitenfortsätzen enthalten, oder mit andern 
Worten, wiefern die s. g. Querfortsätze der Rückenwirbel 
sich in den drei anderen ausbilden. Ich erlaube mir jedoch, 
schon hier zu bemerken, dass disse Entwickelungsordnung 
gewissen Ausnahmen bei gewissen Thierformen unterwor- 
fen ist, so dass bald einer, bald mehrere dieser Fortsätze 
fehlen können, wie auch dass, gleichwie diese Fortsätze nach 
der Reihenfolge der Wirbel allmählich entstehen und sich 
von einander abscheiden, sie auch, nachdem sie eine gewisse 
Entwickelung in der Reihenfolge der Wirbel erreicht haben, 
spälerhin, bald der eine, bald der andere theilweise abneh- 
men und verschwinden können. 


605 


Mensch. 


Schon an den obern Rückenwirbeln eines erwachsenen 
Menschen kommen schwache Rudimente von drei kleinen 
Erhabenheiten vor, einem vordern, welcher die Gelenkflächs 
für die Rippe bildet, einem nach oben oder hinten und ei- 
nem nach unten gerichteirn Höcker. Diese rudimentären 
Höckerabtheilungen, schon an sich selbst unbedeutend, sind 
nicht selten an Skeletten undeutlich durch Sitzengebliebenes 
Sehnen- oder Ligamentengewebe, oder durch unbedachtsa- 
mes Schaben beim Skelettiren. Die corticale Oberfläche an 
den höckerigen Enden der (Juerfortsätze der Rückenwirbel 
ist nämlich sehr dünn, und die darunter liegende schwam- 
michte Knochensubstanz ist locker, so dass die Psäparalion 
entweder eine sehr vollständige Maceration, oder besondere 
Aufmerksamkeit beim Entfernen der sehnigten Theile er- 
heischt. — Die Fortsätze selbst haben eine unregelmässige, 
dreiseitig prismastische Form, mit der breitesten Seite nach 
hinten; diese Dreiseitigkeit drückt sich auch in ihren höcker- 
förmigen Enden aus. An mehreren der obern Wirbel ist die 
Costalgelenklläche etwas concav; aber aus dem untern Rande 
derselben springt eiu kleiner Höcker hervor, welcher sich 
oft schon am vierten Wirbel von einem hinter ihm liegen- 
den Höcker durch eine schwach ausgedrückte Rinne schei- 
det, Diese beiden Höcker sondern sich mehr und mehr an 
den untenhin liegenden Wirbeln, während sich zugleich ein 
dritter kleiner Höcker hinter dem oberu Rande und der äus- 
sern Ecke der genannten Gelenkfacette ausbildet. Am Tien, 
Sten und Iten Rückenwirbel sind die dicken Enden der Quer- 
fortsätze fast gleichseitig - dreieckig, und besonders ist der 
untere Höcker (das Rudiment zum Pr. access.) freistehend. 
Am 10ten Wirbel ist auch der schon von den oberen Wir- 
bein erwähnte Höcker (Rudiment zum Pr. mamm.) von der 
GeleukNläche abgesondert, welche sich in demselben Maasse 
von den anderen Höckern getrennt hat, um von ihrer eige- 


442 


Erhöhung (dem Rudimente zum Pr. transversus oder costa- 
lis) getragen zu werden. 


11, 12. Rückenwirbel und erster Lendenwirbel vom Menschen; 
m m m, Proc. mamillares; a a a, Proc. accessorii; tr tr tr, Proc. 
transversi; 0 0 0, Proc, obliqui. 

Am 4iten Rückenwirbel findet sich in den meisten Fäl- 
len keine Gelenkfläche mehr, sondern nur ein Höcker, von 
welchem das dem Ligamentum costae transversum entspre- 
chende Band zur Rippe abgeht. Wir haben hier sonach of- 
fenbar das Rudiment zu einem Querfortsatse (Fig. 1, 11te 
Vert. d. tr.) ohne Rippengelenkfläche, das Rudiment zu einem 
Pr. manım, (m) und das zu einem Pr. access. (a). Am 1?ten 
Rückenwirbel ist das Verhalten noch mehr entwickelt. Der 
ganze Fortsatzstamm ist hier, von dem dreiseitig Prismati- 
schem der oberhalb liegenden Wirbel her, in einer schiefen 
Richtung von hinten nach vorn, von oben nach unten, ab- 
geplattet, so dass die drei Höcker meistens zu drei nicht 
unbedeutenden Fortsätzen ausgebildet sind, welche oft fast 
in einer Reihe stehen, nämlich der Pr. mamı. zu oberst (m), 
der Pr. access. in der Mitte, nach hinten und unten gerich- 
tet (a), und der Pr. transv. nach vorn und: unten gerichtet. 
Bei mehreren Individuen, jungen Subjekten, habe ich an die- 
sen beiden, letzten Rückenwirbeln die Pr. mamm. et access. - 


443 


mit eigenen kleinen, hübschen, weissschimmernden, glatten 
Epiphysen versehen befunden, 

Am 1iten u. 12ten Rückenwirbel stehen die Pr. mamm. 
ganz von den Gelenkfortsätzen getrennt; da aber diese am 
ersten Lendenwirbel durchaus die Stellung verändern, ferner, 
anstatt in derselben transversellen Ebene nach oben und un- 
ten zu stehen, sich fast parallel stellen, so verschmelzen die 
oberen Gelenkfortsätze und die Pr. mamm. in vielen Fällen 
am 1ften Wirbel vollständig mit einander; in anderen aber 
sind sie auch hier deutlich gesondert (s. Fig. 1). Diese Ab- 
sonderung der Mammillarfortsätze von den Gelenkfortsätzen 
variirt sehr stark auch an den folgenden Lendenwirbeln; oft 
ist sie ungleich an ungleichen Seiten, aber noch öfter un- 
gleich an ungleichen Wirbeln. So verhält es sich auch mit 
den Pr. ace. an den Lendenwirbeln. Sie haben ihren Sitz 
in der Biegung oder dem Winkel zwischen den Pr. mamm. 
et transversi, am untern Rande der Biegung, Bald laufen 
sie in einen Zacken oder deutlichen Fortsatz aus, bald bil- 
den sie nur einen kleinen Kamm oder eine erhöhte Linie 
von oben nach unten, quer über der Wurzel der Pr. transv., 
zwischen ihnen und den Pr. mamm. An den vielen Skelet- 
ten erwachsener Individuen, die ich untersucht, habe ich sie 
niemals ganz und gar fehlen sehen, aber wohl meistens nur 
als rudimenlär. 

Die Verhältnisse, welche ich hier angeführt habe, diese 
Seitenfortsätze an den Rücken- und Lendenwirbeln beim Men- 
schen betreflend, sind ohne bedeutende Variationen bei er- 
wachsenen Personen beiderlei Geschlechts und von übrigens 
sehr verschiedener Beschaffenheit, hinsichtlich ihres Nah- 
rungsbetriebes sowohl, als ihrer grössern oder geringern 
Körperstärke, ferner von verschiedenen Ragen und Völkern, 
vorgekommen. 


608 


Quadrumanen. 


Die Skeletie, welche ich von der Galtung Simia habe 
zu Rathe ziehen können, waren von ganz jungen Individuen 
(S. Troglodytes et Satyrus), von etwa nur 64 Cenli- 
meter Höhe. Bei S. Troglodytes glichen die Seitenfort- 
sätze meistens denen beim Menschen; doch waren sie ver- 
hältnissmässig etwas breiter. Sie deuteten dieselben Höcker 
an, obwohl in höchst ausgebildeter Gestalt. Die oberen, wie 
die unteren Gelenkfortsätze am letzten Rückenwirbel hatten 
fast dieselbe transversell platte Stellung; indessen kamen an- 
fangende Hervorragungen von noch knorpelartigen Pr. mamm., 
gleichwie an den Lendenwirbeln, vor. Von Pr. acc. zeigte 
sich keine Spur. 

Bei S. Satyrus (mit nur $1 Rückenwirbeln und 5 
Lendenwirbeln) waren die Querfortsätze aller Rückenwirbel 
breiter, nach hinten gerichtet und in kleine, rudimentäre 
Höcker ausgehend. Nur am ersten Lendenwirbel erschienen 
Rudimente zu allen drei Fortsätzen. 

Cercopithecus fuliginosus. Schon am Seitenfort- 
satze des zweiten Rückenwirbels sind die Rudimente zu den 
drei anderen in Rede stehenden Fortsätzen deutlich ausge- 
drückt. Der vordere (obere) Fortsatz oder Pr. mammil- 
laris ist schon hier, zwischen dem Gelenkfortsatze und dem 
Querfortsatz ein kleiner nach vorn laufender Höcker. Dieser 
nimmt an den folgenden Wirbeln mehr und mehr zu, so 
dass er schon am 7ten einen nach vorn und etwas nach 
oben gehenden Zacken, in bedeutendem Abstande von den 
Gelenkfortsätzen bildet. Er kommt unter dieser Gestalt bis 
zum 10ten Wirbel vor, wo er mit den Gelenkfortsätzen ver- 
schmilzt. Mit dem 10ten Rückenwirbel fängt Das, was man 
mit Theile die Lumbarformation nennen kann, an, indem 
die knorpelbekleideten Oberflächen der unteren Gelenkfort- 
sätze eine nach aussen gerichtele parallele Stellung anneh- 
men. Die folgenden, diese umfassenden Gelenkfortsätze ste- - 


609 


hen auch nach hinten oder oben und haben nur rudimentäre 
Pr. mammillares, welche aus einer schwachen Kante oder 
einem Höcker an der äussern Seite der Gelenkfortsätze be- 
stehen. Schon am iiten Wirbel schiessen die Pr. mamm. 
in deutlichen, eigenen, nach vorn gestellten Höckern aus den 
Gelenkfortsätzen hervor, und fahren solcherweise nach der 
Folge der Lendenwirbel hinab fort, indem sie nach hinten 
gegen das Os sacrum, etwas abnehmen, — Der Pr. acces- 
sorius beginnt ebenfalls schon am ?ten Rückenwirbel als 
eine kleine, nach hinten und unten gerichtete Ecke am äus- 
sern Ende eines jeden Seitenforlsatzes.. Diese Ecke erhebt 
sich mit jedem Wirbel mehr nach oben und innen und ent- 
wickelt sich schon am 7ten Rückenwirbel zu einem kleinen 
scharfen Kamme, welcher sich in eine Spitze endigt. Am 
öten, 9ten und 10len Rückenwirbel ist sie noch länger und 
gegen die Gelenkfortsätze in die Form eines Hakens gebo- 
gen, aber noch in einem bedeutenden Abstande von dem 
Gelenkforlsatze des nachfolgenden Wirbels stehend. Am ilten 
Rückenwirbel wird sie breiter und kommt näher an den Ge- 
lenkfortsatz des nächsten Wirbels zu liegen. Am 12ten Rük- 
kenwirbel ist sie noch breit, ganz nahe am folgenden Ge- 
lenkfortsatze gelegen; am 13lten oder letzten Rückenwirbel 
ist sie schmal, in der Form eines geraden Zackens, welcher 
dicht hinter den genannten Fortsatz fällt. Somit sind es 
erst die oberen Gelenkfortsätze des 43ten oder letzten Rük- 
kenwirbels, welche sich zwischen die Pr. obliqui et acces- 
sorii einkeilen, wie an den folgenden Lendenwirbeln. Am 
12ten und 13ten Rückenwirbel, wie auch am 1sten, ?%ten und 
3ten Lendenwirbel reicht der Pr. access. bis unter den nach 
innen vorstehenden untern Gelenkfortsatz (an demselben Wir- 
bel). Am Aten Lendenwirbel ist dies nicht mehr der Fall; 
am Ölen reicht der Pr, access, nur bis auf den halben nach 
innen liegenden Gelenkforlsatz, am Ölen ist er wieder nur 


rudimentär und von demselben Fortsalz entfernt, welchen er 
Müller’s Archiv. 1849. 39 


610 


an den vorigen Wirbeln umfasst hatte; am 7ten Lendenwir- 
bel fehlt der Pr. access. ganz. 

Der dritte, untere Theil der Seitenfortsätze, welcher 
zur Verbindung mit den Tubera costarum bestimmt ist und 
deshalb mit Recht Processus costalis genannt zu wer- 
den verdiente, ist an den ersten Rückenwirbeln so rudimen- 
tär, dass er nur aus ihrer untern, nach hinten blickenden 
Ecke mit auf dieser sitzender Gelenkfacette besteht; erst am 
7ten Rückenwirbel ist er vom Pr. access. etwas abgeson- 
dert, sondert sich und vergrössert sich am 8ten, 9ten, 10ten 
und 1ften Rückenwirbel als ein schief sitzender und schief 
geformter Knopf für das Ansetzen der Rippe. 

.Am 12ten und I3ten Rückenwirbel nehmen die Rippen- 
fortsälze eine andere Form und Beschaffenheit an. Sie ste- 
hen nicht mehr in Berührung mit den Rippen (welche eben 
so wenig mit einem Höcker versehen sind). Sie bestehen 
hier vorzüglich in einer schrägen Leiste, welche von der 
Ansatzstelle der Rippe am Wirbel ausgeht und sich in die 
unteren Ränder der denselben Wirbeln angehörenden acces- 
sorischen Fortsätze fortsetzt. Die Querfortsätze an den Len- 
denwirbeln bieten nichts dar, was hier besonders erwähnt 
zu werden verdiente. 

Bei einem jungen Macacus Cynomolgus war das 
Verhalten fast dasselbe, wie beim Cercopithecus. Die 
drei Höcker waren schon am ?ten Rückenwirbel gut ausge- 
drückt, ob zwar weder die Pr. mamm., noch die accessorii 
im Allgemeinen so stark an den Rückenwirbeln entwickelt 
und die letztern nicht zu solchen hakenförmigen Fortsätzen 
geformt waren, als beim Cercopithecus. Ein knopfför- 
miger Pr. costalis kam nicht weiter herab, als am 9ten Wir- 
bel, vor. Am 10ten war er schon kammförmig, wie am 
11ten und 12ten; der Kamm lief in einer schwachen Leiste 
fort, welche in den untern Rand des Pr. access. überging. 
Aus derselben schrägen Leiste an den Lendenwirbeln ent- 
wickeln sich ihre Pr. transyv. Alle Pr. mamm. an den Len- 


611 


denwirbeln waren mit kleinen Epiphysen versehen. Die- 
selben Fortsätze und ihre Rudimente an einem jungen Indi- 
viduum von Inuus Rhesus waren auch beinahe ebenso, 
wie bei dem vorigen. So zeigte sich auch das Verhalten 
bei Cynomolgus Maimon (einem jungen, aber völlig aus- 
gebildeten Individuum von 92 Centimeter Höhe), ausser dass 
der vorletzte Rückenwirbel (der 11le) einen grossen Seiten- 
fortsatz (gleich unter der Ansatzstelle der Rippe) hatte, wel- 
cher ganz dem (uerfortsatz an einem Lendenwirbel glich. 
Dieser Fortsatz steht 3 Millim. weit von der Rippe entfernt; 
zwischen ihnen aber geht ein verlängertes Querligament. 
Der in Rede stehende Fortsatz wird jedoch deutlich von 
dem rudimentären Costalfortsatze in Vereinigung mit dem 
accessorischen Fortsatze gebildet, welcher, so wie bei den 
vorigen, sich dem nach innen vorliegenden Gelenk- und Mam- 
millarfortsatze nicht genähert hat. Am 12ten, letzten, Rük- 
kenwirbel sind dagegen der Costal- und der accessorische 
Fortsatz getrennt; die ersteren machen nur zwei schwache 
Kämme aus, welche in stilellförmige, accessorische Fortsätze 
übergehen, die dicht neben den von hinten hervorspringen- 
den Gelenk- und Mammillarfortsätzen liegen. Die Mammil- 
larfortsätze verschmelzen am 10ten Rückenwirbel mit den 
Gelenkfortsätzen. An den Lendenwirbeln sind die accesso- 
rischen Fortsätze zwar griflelförmig, aber sehr kurz, beson- 
ders an den hinteren (unteren) Wirbeln. Die Mammillar- 
fortsätze sind ziemlich bedeutend: 

Unter den Quadrumanen der neuen Welt (Cebinae 
Vrol.) zeigeu die Seitenfortsätze der meisten Rücken wirbel 
an dem Skelett eines jungen Cebus Apella und dem einer 
kleinen Hapale (aus der Gegend von Bahia) dieselbe Bil- 
dung, wie die vorhergehenden, (Cebus mit 13 und Hapale 
mit 14 Rückenwirbeln.) Von und mit dem Sten Rücken- 
wirbel bei Cebus bilden diese Seitenfortsätze von innen 
nach aussen und von vorn nach hinten schief gestellte Kimme 
mit diekeren Enden, von denen das hintere das dickere ist 

39 * 


612 


und sich in zwei Höcker theilt. Die vorderen Enden sind 
die Rudimente zu den Pr. mamm., die hinteren, z weigetheil- 
ten die zu den Pr. access. et costales.. Am 12ten Rücken- 
wirbel bei Cebus sind die hinteren Fortsatzrudimente sehr 
gross und laufen nach hinten bedeutend über Gelenk- und 
Mammiillarfortsätze des folgenden Wirbels hin, ohne sich je- 
doch an sie anzulegen. Am 13ten ist der vereinigte Costal- 
und accessorische Fortsatz breit und stark, liegt näher an 
dem Gelenk- und Mammillarfortsatze und hat einen beson- 
dern, winkelförmigen Theil (Costaltheil), welcher durch ein 
Ligament mit der Rippe derselben Seite verbunden ist. Am 
14ten und letzten Rückenwirbel ist derselbe vereinigte Co- 
stal- und accessorische Fortsatz schmal, scheibenförmig, mit 
einer äussern stumpfen Ecke (dem Costalfortsatze) und einem 
hintern, griffelförmigen (dem accessorischen) Fortsatze, wel- 
cher sich an den Gelenk- und Mammillarfortsatz anlegt. Erst 
am 11ten Rückenwirbel bei Cebus verschmelzen die Gelenk- 
und accessorischen Fortsätze, indem die ersteren eine auf- 
rechte Stellung bekommen. An den Lendenwirbeln sind die 
mammillären Fortsätze fast gar nicht von den Gelenkfort- 
sätzen getrennt; die accessorischen sind sehr kurz. Die 
Quer- oder Costalfortsätze an den zwei ersten Lendenwir- 
beln sind nach unten und vorn gerichtet, der 3te und 4te 
nach oben und vorn, der Öte wieder nach unten und vorn, 
Dieser Wirbel hat auch nur schwache Spuren von Proc. 
accessorii. 

Vorzüglich aufklärend bezeigen sich die Seitenfortsätze 
an den Rücken- und Lendenwirbeln bei einer Callithrix, 
von welcher ein schönes Skelett von meinem frühern Schü- 
ler und Gehülfen, Dr. Regnell in Caldas (Prov. Minas ge- 
raes in Brasilien), hergesandt worden ist. — Bei diesem 
Thiere zeigt schon der Seitenforisatz des 1sten Rückenwir- 
bels an seinen äusseren Enden deutliche Rudimente zu den 
in Rede stehenden Fortsätzen. Die Seitenfortsätze der sämmt- 
lichen Rückenwirbel, bis zu und mit dem 1iten, schliessen 


613 


mit abgerundeten, schräg von innen nach aussen und von 
vorn nach hinten laufenden Kämmen, deren meiste gegen 
die Enden keulenförmig sind. Diese Kämme haben an den 
4 vordersten Wirbeln jeder drei Höcker; am öten bis zu 
und mit dem {0ten ist das hintere Ende jedes Kamms zwei- 
theilig durch eine quer nach innen gehende Spaltung. Das 
vordere Ende des Kamms ist der Pr. mamm., das hintere 
obere der Pr. acc., das hintere untere der Pr. costalis.. Am 
Aten und öten Rückenwirbel ist der Spalt zwischen dem Pr. 
cost. et acc. unbedeutend; er wird aber immer grösser an 
jedem folgenden Wirbel bis zu und mit dem 10ten, während 
sich die Fortsatz - Abtheilungen selbst verlängern. Der Rip- 
penfortsatz geht in einem Winkel von 30° vom access. Fort- 
satze zum Rippenhöcker hinab, so dass das äussere Ende 
jedes dieser Seitenfortsätze, von der Seite an gesehen, Aehn- 
lichkeit mit Fig. 2 zeigt, welche dieses Verhalten am 10ten 
Rückenwirbel von Callithrix darstellt. . 


Fig. 2. 


m Proc. mamm., a Pr. 
access., Ir Pr. costalis 
oder transversus, 


a m tr. der Seitenfortsatz, 
c das obere Ende der 
10ten Rückenwirbels. 


Der Seitenfortsatz des 14ten Rückenwirbels ist um ein 
Drittel länger und der des 12ten beinahe doppelt so lang, 
als der des 10ten; auch siud sie noch schräger gestellt und 
schliessen sich näher an ihre Corpora. Die Pr. mamm. sind 
stark und aufrecht stehend, die Pr. acc. nach hinten heraus- 
stehend, die Pr. cost. aber breit, etwas scheibenförmig; der 
1ite ist länger, als der folgende, und geht mit einer runden 
Ausbuchtung anstatt eines Winkels aus; der 12te ist sehr 
kurz, hinten mit einer noch kürzern Ausbuchtung, als der 
vorige. Am I3ten Rückenwirbel, welcher nur ein Paar sehr 
kurzer Rippen trägt, sinvd die drei in Rede stehenden Pro- 
cessus ganz von einander gesondert, Der Pr. mamm. wie 


614 


am vorigen; der Pr. acc. liegt dicht am Pr. mamm. des nach- 
folgenden Wirbels; der Pr. costalis s. transv. tritt auch hier 
unter einer eignen Form auf, nämlich als ein schräge von 
vorn und unten nach hiuten und oben von der Rippenansatz- 
stelle ab zum untern Rande des Pr. acc. laufender Kamm. 
Der vorderste Theil dieses Kammes hat eine kleine Facette 
für die Anheftung der Rippe, welche den Gelenkflächen zu 
entsprechen scheint, die an den übrigen Rückenwirbeln für 
die Capita costarum existiren. Auf der Mitte dieses Kamms 
steht etwas hinter der Rippenansatzstelle ein kleiner, flacher 
Zacken, welcher der Andeutung zu einem @uerfortsatze 
gleicht; doch bezweifle ich die Richtigkeit soleher Deutung, 
weil sich ein ähnlicher Zacken, obgleich schwächer, auch 
hinter den Querfortsätzen der 6 folgenden Lendenwirbel fin- 
det. Erst am 9ten Rückenwirbel verschmelzen die Pr. mamm, 
und die Gelenkfortsätze. Die Proc. mamm. sowohl, als die 
act,, an den Lendenwirbeln sind schbeibenförmig zusammen- 
geplattet. Ein besonderes Verhalten dürfte hier auch noch 
zu bemelden sein, nämlich dass von und mit dem 10ten Rük- 
kenwirbel bis zu und mit dem 6ten Lendenwirbel die Sta- 
chelfortsätze der zunächst an einander liegenden Wirbel sich 
an einander drängen und nach hinten zwei kleine griflelför- 
mige Fortsätze aussenden, welche den vordern Rand des fol- 
genden Stachelfortsatzes gabelförmig umfassen. An den mei- 
sten der genannten Wirbel kann man auch eben so gut sa- 
gen, dass diese Griffelfortsätze von den hinteren Gelenkfort- 
sätzen ausgehen. 


Ferae 


Chiroptera. Von dieser Familie habe ich nur ein 
Skelett zu untersuchen Gelegenheit gehabt, nämlich von 
Vespertilio Noctula, welches so völlig rein präparirt 
war, dass ich die rechte Form der Seitenfortsätze deutlich 


615 


erkennen kounte. Die Fortsätze verhalten sich hier auf eine 
ganz eigene Weise. Sie zeigen sich nämlich als zwei Rei- 
hen aufrecht stehender Kämme, einen zu jeder Seite der 
Wirbelbögen. Die untere Seite dieser Kämme ist mit Ge- 
lenkflächen für die Rippenhöcker versehen. Die Kämme 
zeigen, jeder, 3 Höcker, einen vorn, einen in der Mitte und 
einen hinten. Der vordere ist das Rudiment zum Mammil- 
larfortsatze, der mittlere gehört dem Costalfortsatze an und 
der hintere ist dagegen der Gelenkfortsatz. Diese Fortsätze 
sitzen nämlich bei Vespertilio an den äussersten Rändern 
der Wirbelbögen. Von den aceessorischen Fortsätzen existi- 
ren nur schwache Leisten längs der Oberseite der Bögen 
der 6 vorderen Wirbel. Erst am 9ten Wirbel trennen sich 
die Pr. mamm. von den Pr. costalis und legen sich als kleine 
Zacken nach vorn auf den Bogen des vorliegenden Wirbels, 
mitten zwischen die Mittellinie und den äussern Rand des 
Bogens. Gleichzeitig hiermit finden sich auch die Gelenk- 
fortsätze nach denselben Stellen der Bögen hin, unter die 
Mammillarfortsätze, versetzt. Diese Fortsätze sind an den 
Leudenwirbeln klein, aber aufwärts gerichtet; die Querfort- 
sälze sind nur rudimenlär, die access. Fortsätze fehlen. 

Insectivora, Bei Erinaceus europaeus bilden die 
Seilenfortsätze der Rückenwirbel, wie bei Vespertilio, 
aufrecht stehende Kämme zu beiden Seiten der Bogentheile; 
aber nur die beiden vordersten dieser Kämme haben an ilrer 
untern Seite Gelenkflächen für die Rippenhöcker. Schon am 
dritten Rückenwirbel hat der Theil, welcher die Gelenkfläche 
für die Rippe bildet, sich als ein rudimentärer Costalfortsatz 
von dem Kaınme gesondert. S. Fig. 3. tr. 

Fig. 3. 
Der 6ste Rückenwirbel von hinten angesehen. 


mu 
I 


m. Pr. mamm. Lu. es a, Pr. acc., tr. Pr. cost. 


616 


Der aufrechtstehende, kammförmige Theil der 'Seiten- 
fortsätze (Fig. 3, a, m) endigt sich nach vorn und hinten in 
etwas keulenförmig gerundete Enden, deren vordere mit 
Epiphysen versehen sind. Diese keulenförmigen Enden sind 
die Rudimente zu den andern Fortsätzen, nämlich die vor- 
deren zu den Pr. mamm., die hinteren zu den Pr. access. 
Die meisten Kämme stehen auch hier etwas schräg nach 
vorn convergirend, nach hinten divergirend. Die oben er- 
wähnten knopfförmigen Costalfortsätze sind am besten am 
Aten und den folgenden Rückenwirbeln, bis zu und mit dem 
13ten, entwickelt... Am 4ten Rückenwirbel ist der Knopf 
selbst am grössten, an den folgenden wird er immer kleiner, 
am 13ten Rückenwirbel am kleinsten; die knorpelbedeckte 
Fläche der Knöpfe ist etwas nach vorn gerichtet; der obere 
und hintere Theil ihres Randes steht am meisten heraus 
Die hintersten dieser Knöpfe sitzen fast recht auf den Schen- 
keln des Arcus vertebrae. Die Gelenkfortsätze sind zwischen 
die Pr. spinosi und mamm. bis zum 12ten Rückenwirbel hin 
verlegt, an welchem sie sich an die letztgenannten heran 
legen, obgleich die Pr. mamm. auch später, an den folgenden 
Rückenwirbeln und allen Lendenwirbeln bedeutend über die 
Gelenkfortsätze hinüber treten und, wie schon erwähnt ward, 
wie bei den meisten Säugethieren, mit eigenen Epiphysen 
versehen sind. Diese Mammillarfortsätze bilden an der hin- 
tern Hälfte des Rückgrats ähnliche Seitenkämme, wie die 
nicht gesonderten Mammillar- und Nebenfortsätze am vor- 
dern Theile. Zu gleicher Zeit, als die Gelenkfortsätze sich 
mit den mammillären Processus vereinigen, verändert sich 
auch ihre Stellung vom Liegenden zum steil Gerichteten. 
In demselben Maasse verändern sich auch die Pr. ac. Am 
13ten Rückenwirbel ist dieser Fortsatz vom Pr. mamm. ge- 
sondert, nach unten und aussen von demselben versetzt. Von 
den kleinen, knopfförmigen Costalfortsätzen an diesem Wir- 
bel läuft eine kleine Leiste nach hinten. Diese begegnet einer 
ähnlichen, welche vom Pr. acc. herkommt. Am 44ten und 


617 


45ten (letzten) Rückenwirbel sind diese beiden Theile weiter 
verändert, rudimentär und mit einander verschmolzen. Sie 
lassen sich nur so bemerken ,. dass anstatt des Costalfort- 
satzes sich zur Seite der Schenkel des Bogens (Crura arcus) 
bloss eine kleine Unebenheit findet, welche bis zum hinter- 
sten Rande des Crus verläuft, und nach derselben Stelle hin 
ist hier auch der rudimentäre Pr. acc. verlegt. Vom letztern 
finden sich nur an den zwei vorderen Lendenwirbeln schwa- 
che Rudimente an der Basis und dem hintern Rande des 
Pr. cost. (transversi Auct.). Diese Pr. cost. sind an allen 
6 Lendenwirbeln sehr klein und dürften mit Recht als die 
Rudimente zu den hier fehlenden accessorischen Fortsätzen 
enthaltend zu betrachten sein, 


Fig. 4. 


Das Bruststück vom Rückgrate des Igels, von der Seite angesehen. 
— 1, der erste Rückenwirbel, 4, der 4te, 13, der 13te, 15, der 
letzte Rückenwirbel. ‚Der 4te Rückenwirbel ist der erste, an wel- 
chem der Costalfortsatz (tr.) knopfförmig ist und unter dem auf- 
gerichteten Kamme liegt, welcher vom Pr. mamm. et access, ver- 
eint gebildet wird, welche Formation so fortgeht bis zu und mit 
dem 13ten Rückenwirbel, |, der erste Lendenwirbel, 

Talpa europaea. Die Muskel- und Rippenfortsätze 
sind, wie schon Theile es bemerkt hat (a. a.0.), an den 
meisten Rückenwirbeln getrennt. Die Muskelfortsätze (Pr. 
mamm. et acc.) sind jedoch weit unvollkommener in der 
Ausbildung als bei Erinaceus. Am iten und zweiten Rük- 
kenwirbel sind keine Rudimente zu besonderen Muskelfort- 
sätzen. Am 3ten erhebt sich ein solches hinter dem Costal- 
fortsatze als ein kleiner niedriger Höcker, An den folgenden 
8 Wirbeln haben diese Höcker die Form kleiner einfacher 


618 


nach aussen hin liegender, mit den Enden auf- und vorwärts 
gebogener, nach vorn zugespitzter Fortsätze, ohne irgend 
eine Spur von Theilung. Erst am 12ten Rückenwirbel thei- 
len sich diese Fortsätze in Pr. access. et mamm., aber so, 
dass diese Fortsatzrudimente vorn mit einander unter einem 
spilzigen Winkel vereinigt sind. Am 43ten Rückenwirbel 
sind alle drei Seitenfortsätze, wenn gleich klein, doch deut- 
lich entwickelt uud von einander getrennt, jedoch so, dass 
der vordere Muskelfortsatz ( Pr. mamm.) weit einwärts am 
Arcus heransitzt, und eine bedeutende Strecke von da der 
hintere (Pr. access.) schräg hinter dem kleinen knopfförmi- 
gen Pr. cost. Am ten, 2ten und 3ten Lendenwirbel sind 
die Pr. costales et access. wieder mit einander verschmolzen 
und bilden ziemlich lange, nach hinten und oben gerichtete 
schmale platte Fortsätze. An der Basis von diesen, beson- 
ders am isten Lendenwirbel erscheint ein Rudiment vom 
Costaltheile. Es sieht demnach so aus, als sollten diese 
Querfortsätze mehr von den Elementen der accessorischen, 
als denen der costalen Fortsätze gebildet werden. Am 4ten 
Lendenwirbel machen dieselben Elemente nur einen schwa- 
chen, niedrigen, etwas nach vorn gerichleten, verflachten 
Kamm aus. An den übrigen hinten liegenden Lendenwirbeln 
ist dieser Kamm grösser, mehr vorwärts gerichtet, blos aus 
dem Costal-Elemente bestehend. An diesen Wirbeln sind 
folglich die Pr. transversi wirkliche Pr. costales. Rudimente 
von Pr. acc. finden sich weiter nach oben als schwache 
Kämme längs über den Bogen der 3 letzten Lendenwirbel. 
Die mammillären Fortsätze, welche zuerst klein, fein und ge- 
sondert am 13ten (letzten) Rückenwirbel auftreten, werden, 
indem sie sich von den anderen trennen und sich an die 
Gelenkfortsätze stellen, nach hinten grösser und stärker, vor- 
wärts gerichtet und mit Epiphysen an den Enden versehen. 
In dieser Form sind sie an den Innenseiten mit den Gelenk- 
fortsätzen verschmolzen, aber bedeutend über dieselben vor-_ 
springend. Es ist oben angeführt worden, dass die Muskel- 


619 


und Costalfortsätze sich schon am 3ten Rückenwirbel von 
einander trennen; sie liegen indessen dicht an einander, aber 
durch eine sehr schmale, tiefe Rinne getrennt. An den fol- 
genden wird diese Rinne tiefer und weiter. Im Verhältnisse 
zur Grösse der Wirbel sind diese Costalfortsätze an den 
Rückenwirbeln grösser, aber die Muskelfortsätze kleiner bei 
Talpa als bei Erinaceus. Bei Talpa springen die meisten 
mehr nach vorn, bei Erinaceus mehr nach hinten vor; bei 
Erinaceus sind sie mehr knopfförmig; bei Talpa springen sie 
mehr als schief gestellte Querfortsätze hervor. Die Aehn- 
lichkeit zwischen diesen Gebilden bei diesen beiden insekten- 
fressenden Gattungen ist doch auffallend und interessant. 

Plantigrada. Ursus maritimus. Am 1sten Rücken- 
wirbel schliessen die Enden der Seitenfortsätze mit einem 
kleinen, nach hinten gerichteten Kamme. Am ?ten und den 
folgenden Rückenwirbeln, an denen auch dieser Kamm vor- 
kommt, endigt er sich in eine vordere und eine hintere Ecke; die 
vordere ist das Rudiment zum Pr. mamm., die hintere zum 
Pr. acc. Unter und etwas vor dem letztern steigt das Rudi- 
ment eines Theils vom Pr. cost. als ein sehr niedriger Ab- 
satz herab. Dieser wird jedoch erst am 1lten Rückenwir- 
bel recht deutlich. 

Die vorderen Ecken der Seitenfortsätze bilden einen ab- 
geplatteten, horizontalen, einwärts gekehrten Haken, vor wel- 
chem nach innen eine Excisur steht. Von diesem Haken 
läuft ein schwacher Rücken zu den Mamillarfortsatzrudimen- 
ten hinauf. Der Haken nähert sich allmählig in der Folgen- 
reilie der Wirbel dem Mammillarfortsatze, befindet sich die- 
sem sehr nahe am 9ten Wirbel und fehlt ganz und gar am 
12ten und an den folgenden, nebst den Kämmen der Seiten- 
fortsätze. 

Die Rudimente der access. Fortsätze nehmen nach hin- 
ten an Entwickelung zu, erlangen aber erst am ®ten Rücken 
wirbel die Form von zapfenähnlichen Fortsätzen, welche 
nach hinten und aussen schauen, gleichsam um die folgenden 


620 


zu umfassen, welche sie dennoch nicht eher, als weiter hin- 
ten, mit dem 12ten Rückenwirbel erreichen. Am 11ten Rük- 
kenwirbel fangen die Pr. mammill. et acc. an, sich etwas be- 
deutender von dem gemeinschaftlichen Stamme des Seiten- 
fortsatzes ab auszudehnen, wie zwei zapfenähnliche Fortsätze, 
während sie nach oben gleichsam in einen concaven, schief 
gestelllen Rücken vereinigt sind. — Am 12ten Rücken wirbel 
verschmelzen die Pr. mammillares mit den vorderen Gelenk- 
fortsätzen. 

Am 1lten Rückenwirbel, an welchem sich die Gelenk- 
fläche für den Costalhöcker der Fovea costalis sehr genähert 
hat, steht am untern Rande des Pr. acc. ein kleiner Höcker, 
welcher am 12ten Rückenwirbel noch näher an der genann- 
ten Fovea lieg. Am 43ten Rückenwirbel, dessen Rippen 
keinen Höcker haben, befindet sich statt der eigenen, knor- 
pelbekleideten Fläche, die an den vorhergehenden Wirbeln 
den erwähnten Höcker aufnimmt, nur ein kleiner Kamm am 
hintern Rande der Fovea costalis, neben dem bei den vor- 
hergehenden Rückenwirbeln erwähnten Höcker am Pr. acc. 
Am iä4ten (letzten) Rückenwirbel sind diese beiden Höcker 
durch einen kleinen, schräglaufenden Kamm zu den Seiten 
des Wirbels repräsentirt. Dieser Kamm ist mit einer sehr 
kleinen Ecke versehen und der Vorgänger zu der Querfort- 
satzbildung an dem isten und den folgenden Lendenwirbeln, 

Die Mammillarfortsätze an allen Lendenwirbeln eprin- 
gen über den Rand der Gelenkfortsätze vor; die Pr. access. 
sind dagegen klein und finden sich ausgebildet nur an den 
3 ersten Lendenwirbeln. An den drei folgenden sind diese 
Fortsätze nur sehr kleine, kaum bemerkliche Rudimente. 

Procyon Lotor (junges Specimen). Die Seitenfort- 
sätze an den Rückenwirbeln von und mit dem ersten, bis 
zu und mit dem zehnten, schliessen mit höckerigen, dreiecki- 
gen Enden, welche die drei Fortsatzelemente, und zwar 
deutlicher nach der Reihenfolge der Wirbel nach hinten, 
blicken lassen. Am iiten Rückenwirbel ist der, weiter vorn 


621 


höckerige Seitenfortsatz der Länge nach (in schräger Stellung 
von oben nach hinten, ab- und etwas auswärts) in einen 
mamm. Fortsatz nach vorn, einen accessorischen nach hin- 
ten, ausgezogen und mit einem kleinen Costalhöcker nach 
unten versehen. Die Mammillarfortsätze an diesem Wirbel 
sind von den Gelenkfortsätzen ganz getrennt. Am 42ten 
Rückenwirbel sind die Pr. acc. et mamm. durch eine tiefe 
Bogenkrümmung noch mehr getrennt und an den Enden 
keulenförmig zugerundet, die vorderen oder Pr. mamm. sind 
mit den Gelenkfortsätzen des Bogens verschmolzen, die hin- 
teren oder Pr acc. legen sich zwar aussen vor die mamm. 
Fortsätze des folgenden Wirbels, aber nicht an sie. Zu den 
Costalfortsätzen finden sich nur schmale Rudimente in der 
Form zweier schräger, unebener Linien. Am {3ten und 
i4ten R. W., wie auch am isten und ?ten Lendenwirbel 
sind sowohl die mamm. als die acc. Fortsätze gross, stark 
und keulenförmig. Am 3ten und 4ien Lendenwirbel sind die 
acc, Fortsätze klein, am öten und bten fehlen sie, aber an 
allen diesen 4 Wirbeln sind die Mammillarfortsätze stark. 
Bei Nasua rufa sind die dicken Enden der Seitenfort- 
sätze aller vorderen Rückenwirbel dreieckig oder in drei Hök- 
ker endigend, in einen vordern vorwärts, einen obern hin- 
terwärts und einen hintern abwärts gerichteten. An den 
vier ersten Wirbeln sind diese Höcker rudimentär und wür- 
den kaum bemerkt werden, ohne eine Vergleichung mit den 
folgenden, an welchen sie mit jedem Wirbel immer bestimm- 
ter von einander getrennt werden und in kleine Knöpfe aus- 
laufen. Besonders erläuternd ist es hier, den successiven 
Uebergang in die ausgebrachte Stellung zu sehen, welche 
diese Fortsätze an den 3 letzten Rücken- und ersten Len- 
denwirkeln annehmen. Die Mammillarfortsätze sind schon 
am 3ten Rückenwirbel ziemlich bedeutend und nehmen an 
jedem folgenden zu, stehen aber in bedeutender Entfernung 
von den Gelenkfortsätzen. Am 12ten Rückenwirbel ver- 
schmelzen die Mammillar- und Gelenkfortsätze miteinander, 


622 


während diese letzteren eine aufrechte Stellung erhalten und 
die Pr. acc. sich von den mamm. scheiden. Bei diesem Ab- 
scheiden verschwindet der zusammenhangende Seitenfortsatz 
und so auch die an den vorhergehenden Wirbeln befindliche 
Form für. den Costalfortsatz. Statt dessen entsteht, so wie 
beim Bären u. m., ein kleiner Höcker am untern Rande des 
acc. Fortsatzes, welcher sich in eine schräge Leiste fortsetzt, 
die nach vorn gegen die Stelle hinläuft, an welcher der Rip- 
penkopf befestigt ist. Dieser kleine Höcker kommt grösser 
und grösser auch am 43ten und 14ten (letzten) Rückenwir- 
bel vor, steht ferner am isten Lendenwirbel gelrennt vom 
acc. Fortsatze, als dessen kleiner Quer- oder Costalfortsatz 
hervor. Die acc. Fortsätze am 12ten, ‘13ten und 44ten 
Rückenwirbel legen sich aussen vor die Mammillarfortsätze 
an dem hintenanliegenden Wirbel. An den Lendenwirbeln 
sind die acc. Fortsätze kleiner, kürzer. Am 4ten Lenden- 
wirbel reichen sie nicht über den Rand des nächsten Wir- 
bels hinab: am Öten existiren von diesen Fortsätzen nur 
wenig bemerkbare Rudimente, am 6ten und letzten fehlen 
auch diere, 

Meles Taxus. Die Seitenfortsätze des 1sten Rücken- 
wirbels schliessen mit einem breiten, aufwärts gerichteten 
Ende , welches oben 2 Höcker hat (Rudimente zu den Pr. 
mamm. und acc.) An der untern Seite dieses Endes ist eine 
grosse Aushöhlung für den Rippenhöcker; die Knochenmasse 
in welcher diese Aushöhlung sich befindet, und welche nach 
vorn und hinten sich in vorspringende Kanten erhebt, kann 
als das Element für den Costaltheil ausmachend betrachtet 
werden. Am ?ten Rückenwirbel ist der Seitenfortsatz klei- 
ner, die Costalgrube halbmondförmig, und die Höcker der 
Muskelfortsatzrudimente sind auch kleiner. Innen vor der 
Kante der Costalpfanne, an der obern Seite und dem vor- 
dern Rande des Seitenfortsatzes ist: eine. kleine Unebenbheit, 
das Rudiment zu beiden Muskelfortsätzen. Am 3ten Rücken- _ 
wirbel wird derselbe Höcker gross gerundet, nach vorn und 


4 


623 


oben aufgerichtet, mit einer Vertiefung an der obern Seite. 
Durch diese Vertiefung entsteht der Anfang zur Theilung 
des Höckers in die Rudimente der Mammillar- und accesso- 
rischen Fortsätze. Der Costaltheil ist schon mehr frei ste- 
hend. An den folgenden Rückenwirbeln, bis zum 1iten, 
werden die immer mehr longitudinal länglich; die Mammillar- 
fortsätze, welche zwar aufwärts gerichtet sind, streben doch 
bedeutend vorwärts und nähern sich etwas derselben Haken- 
form, wie beim Bären. Die acc. Fortsätze begeben sich 
mehr und mehr nach den hinteren Ecken der Seitenfortsatz- 
enden, bilden aber doch erst am 9ten Rückenwirbel einen 
deutlichen acc. Fortsatz. Der Costaltheil vom Seitenfortsatze 
des 7ien, Sten, 9Iten, 10len und Aften Rückenwirbels ist 
nieht nach vorwärts stehend und wird nur von einer klei- 
nen, runden oder ovalen Facette gebildet. Am 12ten Rük- 
kenwirbel ist der Bogen oben zusammengezogen, woneben 
die arliculären Fortsätze eine aufwärts stehende Richtung 
angenommen, während sich die mammillären nach innen ge- 
zogen haben und mit den articulären Fortsätzen verschmol- 
zen sind. Der acc. Forlsatz ist kurz, dick; vom costalen 
existirt keine andere Spur, als ein kleiner Kamm an der 
Aussenseite des access. Dieser Höcker nimmt an Deutlich- 
keit am i3ten und 14ten Rückenwirbel zu und ist elwas 
kleiner am 15ten (letzten), wo er der Basis und der äussern 
Seite des acc. Fortsatzes nahe sitzt; am 1sten Lendenwirbel 
tritt er erst als ein deutlicher Costal- oder Querfortsatz 
hervor. Am {0ten Rückenwirbel ist der Seitenfortsatz sehr 
abgeplattet, seine Endfläche langgezogen oval, nach vorn und 
hinten in starke Ecken ausschiessend, mit einem kleinen 
Höcker unter der hintern Ecke für die Verbindung mit dem 
Tuberceulum costae. An diesem Wirbel sind sonach die klei- 
nen Muskelfortsätze bedeutend von einander abgezogen; aber 
am 12ten Wirbel bildet, wie bei mehreren vorher beschrie- 
benen Thieren, die Strecke zwischen ihnen einen bogenför- 
mig concaven Rücken; der Seitenfortsatz ist hier, als ein 


624 


ganzer, gesonderter Stamm, verschwunden und existirt nur 
noch in dem erwähnten concaven Rücken. Am 13ten, 14ten 
und 1öten Rückenwirbel entwickelt sich dies Verhältniss 
noch stärker und fährt fort mit Zunahme der Entwickelung 
nach hinten in der Reihenfolge der Lendenwirbel. Am 
12ten, 13ten und 14ten Rückenwirbel ist ein bedeutender 
Abstand zwischen den Pr, acc. und den hinterwärts folgen- 
den mamm., obgleich die ersteren die letzteren bis nahe zur 
Hälfte überragen. Erst am 15ten Rückenwirbel legt sich der 
acc. Fortsatz, aber verdünnt, an den genannten Mamillarfort- 
satz. Die acc, Fortsätze an den Lendenwirbeln werden klei- 
ner; am Aten Lendenwirbel sind sie nur rudimentär, am 
öten (letzten) fehlen sie völlig. Die mamm. Fortsätze schies- 
sen in gerundete, nach oben und vorn gerichtete Höcker am 
13ten und an. den folgenden Rücken- und allen Lendenwir- 
beln aus. Die Costal- oler Querfortsätze am 1sten Lenden- 
wirbel sind klein, platt, fast gerade herausstehend, mit bei- 
nahe abgerundeten Ecken, an den folgenden sind sie beinahe 
sensenförmig nach vorn und unten gerichtet, nach vorn in 
schmale, starke Spitzen ausgehend. 

Digitigrada. Martes silvestris. 14 Rücken- und 
6 Lendenwirbel. Die Enden der Seitenfortsätze des ersten 
Rückenwirbels dick und dreihöckerig. Der vordere (mam- 
millare) Höcker rund, vorstehend. An den Seitenfortsätzen 
des 2ten Rückenwirbels sind die drei Höcker weniger ent- 
wickelt. Am 3ten Rückenwirbel erhebt sich an der obern 
Seite des Seitenfortsatzendes ein scharfer Kamm, welcher in 
eine kurze Spitze endigt; dieser ist das Rudiment zum Pr. 
acc. Die hintere Ecke des Seitenforlsatzendes ist das Ru- 
diment zum Pr, cost. Die Seitenfortsätze der Wirbel wer- 
den breiter und plalter mit jedem hinten nachfolgenden Wir- 
bel, woneben die Enden schmal und in’ die Länge ausgezo- 
gen werden. Bis zu und mit dem 7ten Rückenwirbel sind 
diese Enden oben in der Mitte erhöht durch das dort noch . 
befindliche Rudiment zum Pr. acc. Am 8tien und folgenden 


625 


Rückenwirbel bekommen die somit schmalen, der Länge nach 
ausgezogenen Enden der Seitenfortsätze statt dessen oben 
eine Krümme, während der Pr. ace, eindn deutlichen, in der 
Folge nach hinten zunehmenden zapfenförmigen Fortsatz 
bildet. Durch dies Ausstrecken der beiden Muskelfortsätze 

werden Exeisuren am Vorder- sowohl, als am Hinterrande 
der Seitenfortsätze gebildet, am Vorderrande nach innen von 
den Pr. mamm., am Hinterrande nach innen von den Pr. 
acc, woneben die Costalfortsatzrudimente, welche bis zu 
und mit dem 7ten Wirbel, meistens ihren Platz hinten in 
den Seitenfortsatzenden gehabt haben, nun in der Mitte un- 
ter beiden Muskelfortsätzen placirt werden. Am 10ten Rük- 
kenwirbel ist der Pr. ace. sehr lang, rück- und einwärts ge- 
krümmt, die Incisur zwischen ihm und der Wurzel des Sei- 
tenfortsatzes gerundet-tief; der Abstaud der Muskelfortsätze 
von den Gelenkfortsätzen ist bedeutend. Am 11ten Rücken- 
wirbel verändert sich dies Verhältniss. Die Muskelfortsätze 
haben sich hier so bedeutend von einander gesondert und 
die Excisur vor und hinter dem Mammillarfortsatze ist ver- 
schwunden, indem dieser Fortsatz sich nach innen gezogen 
und mit den Gelenkfortsätzen verschmolzen hat. Diese Ver- 
änderung ist von einer Veränderung in der Stellung und 
Länge der Stachelfortsätze begleitet. Die vornher liegenden 
Stachelfortsätze schiessen nämlich steil nach hinten ab: und 
werden gegen den 10ten Rückenwirbel kürzer, der des 10ten 
ist sehr kurz, fast gerade aufrechtstehend; die der weiter 
hinten liegenden Wirbel neigen sich vorwärts. Erst am 14ten 
oder letzten Rückenwirbel legen sich die Pr. acc. an die Pr. 
mamm, des folgenden Wirbels. Obgleich die Mammillarfort- 
sälze von und mit dem 1ften Rückenwirbel und allen wei- 
ter hinten liegenden Rücken und Lendenwirbeln mit den Ge- 
lenkfortsätzen verschmolzen sind, so treten sie doch bedeu- 
tend über sie hinaus, Die acc. Fortsätze nehmen bis zu und 
mit den 2ten Lendenwirbel zu, wonach sie kleiner werden 


und am 6sten fehlen, 
Müller's Archiv. 1849. 40 


626 


Durch die Sonderung der Muskelfortsätze von ‚einander 
verschwinden die gemeinschaftlichen Seitenfortsätze am 11ten 
Rückenwirbel, zu gleicher Zeit aber auch an demselben die 
Rudimente zu den Costalfortsäizen. Wir haben im Vorher- 
gehenden gesehen, dass sie wiederum neben den acc. Fort- 
sätzen, und in mehreren Fällen von diesen ab, hervorireten; 
aber beim Martes silvestris war daran keine Spur zu entdek- 
ken. So treten sie hier erst wieder am isten Lendenwir- 
bel auf. 

Lutra vulgaris. 145 Rücken und 5 Lendenwirbel. 
Das Verhalten der in Rede stehenden Fortsätze ist beinahe 
dem bei Martes gleich. Die Costalverbindungsfläche an den 
Seitenfortsätzen der 4 ersten Rückenwirbel ist, wie bei den 
meisten vorigen, concav, am meisten am isten Rückenwir- 
bel und dann an den 3 folgenden weniger. Am öten Rük- 
kenwirbel ist sie fast flach, an den folgenden bis zu und 
mit dem 4iften convex, und der Reihenfolge nach immer 
mehr nach unten herausstehend. Am 12 Rückenwirbel bil- 
den die Seitenfortsätze nicht mehr ganze, hervorspringende 
Processus; sie werden statt dessen angestielt, indem sie sich 
vollständig in ihre drei Elemente in drei ausgestreckle Arme 
trennen, als in die Mammillarfortsätze nach vorn und oben, 
die accessorischen nach hinten und die Costalfortsätze nach 
aussen, neben den mit einander verschmolzenem Mammillar- 
und Gelenkfortsätzen. Diese 3 Arme oder Rücken, entspre- 
chen zugleich den Theilen, welche an den vorwärts liegen- 
den Fortsätzen am äussersten Ende liegen; so dass man 
wohl sagen kann, es seien die Seitenfortsätze selbst ver- 
schwunden, bis auf die Enden, welche in ‘die Mitte des 
Wirbels versetzt worden sind. Diese 3 Arme sind so ge- 
stellt, dass die beiden, welche den acc. und Costalfortsalzen 
angehören, in derselben Linie, nach einer Richtung von oben 
nach vorn und unten liegen, der dritte Arm, welchen der 
Mammillarfortsatz bildet, kommt von vorn, geht nach hinten 
und unten und trifft die Linie der beiden vorhergehenden 


627 


so, dass er mit ihr vor sich hin einen spitzigen Winkel von 
60° macht. An dieser Verbindungsstelle des Rückens vom 


Fie 


Mammillarfortsatze mit der genannten Linie befindet sich ein 
kleiner hervorragender Höcker, an welchem das hier verlän- 
gerte Ligamentum costo-transversale befestigt ist; dieser Hök- 
ker ‚entspricht dem knorpelbekleideten Costalhöcker an den 
weiter vorn liegenden Wirbeln und gehört dem Rudimente 
des Costalforlsatzes an. Wie dieser Höcker in einen Rücken 
nach hinten und oben fortläuft, welcher in den äussern Rand 
des acc. Fortsatzes übergeht, so setzt er sich auch nach vorn 
und unten in einen andern Rücken fort, der in derselben 
Linie fortgeht, wie der eben erwähnte, wenn ich 'so sagen 
darf, accessorische Rücken, bis zum Befestigungspunkte für 
den Costalkopf. Am 13ten Rückenwirbel existirt der erhöhte 
Rücken zwischen den beiden Muskelfortsätzen nicht mehr; 
er ist so zu sagen verflacht zu einer niedrig - gerundeten, 
schwach sattelförmig gebogenen Krümme. Die Aussenseiten 
der accessorischen Forlsätze gehen dagegen noch an diesem 
Wirbel in einen ziemlich ausgezeichneten Rücken über, wel- 
cher nach vorn bis zum Befestigungspunkte des Costalkop- 
fes hinab, zu jeder Seite des Wirbels hinabläuft. An die- 
sem Rücken springt ein kleiner stumpfer Zacken hervor, 
welcher ein Rudiment des Costallortsatzes ist, das sonach 
auch hier kleiner ist, als am vorigen Wirbel. Am 14ten 
und letzten Rückenwirbel ist das Verhalten beinahe ebenso; 
aber die sattelförmige Verbindung zwischen den beiden Mus- 
kelfortsätzen ist etwas höher, und daneben der vom access. 
Fortsatz nach vorn und unten ausgehende Rücken schwächer, 
wie ferner das Rudiment des Costal- oder Querfortsatzes 
keinen vorspringenden begränzten Zacken, sondern nur eine 
etwas langgestreckte Unebenheit bildet. 

Canis Vulpes. Die Enden der Seitenfortsätze der 4 
vordersten Rückenwirbel sind unten halbmondförmig-concav 
ausgehöhlt, zur Aufnahme der Tubercula der Rippen. Nichts 
desto weniger finden sich bei ihnen am obern Rande An- 

40 * 


628 


deutungen oder mehr als Andeutungen, zu den drei Höckern. 
An den beiden ersten Wirbeln sind zu diesen Höckern näm- 
lich nur Andeutungen vorhanden; aber am 3ten Wirbel fin- 
det sich schon ein aufsteigender Kamm, als Rudiment zum 
Pr. ace., und ein von diesem Kamme nach unten gehender 
scharfer Rücken, welcher das Rudiment zum Pr. mamm. ist. 
An diesem Wirbel sind auch schon die Enden der Seiten- 
fortsätze dreieckig, Am 4ten Rückenwirbel findet sich schon 
an der vordern ‚Ecke dieses Dreiecks ein Zacken, welcher 
das Rudiment zum Pr. mamm. ist, wie ein nach oben ste- 
hender Höcker das Rudiment zum Costalfortsatz ausmacht. 
Dasselbe Verhalten findet auch statt am Öten und 6sten 
Rückenwirbel, woneben an ihnen die Costalverbindungsilä- 
chen, am öten platt, am 6sten convex, gleichsam Knöpfe zu 
bilden streben. Am 7ten Rückenwirbel werden die Enden 
der Seitenfortsätze die an den vorigen fast gleichseitig- 
dreieckig sind, mehr nach der Jänge ausgezogen, mit vor- 
und rückwärts gerichteten Muskelfortsätzen und mehr in der 
Mitte, etwas nach unten stehenden Rudimenten zu den Cos- 
talfortsätzen. Am höckerigen. dreieckigen Ende der Seiten- 
fortsätze des 3ten Rückenwirbels geht ein fast lothrecht ab- 
schiessender Kamm von dem aufwärts gekehrten acc. Fort- 
satze zu dem vorwärts gerichteten hier unten liegenden 
mamm. Fortsatz ab, Ein ähnlicher Kamm existirt auch 
zwischen denselben Fortsatzrudimenten an den, folgenden 
Rückenwirbeln, aber er wird mit iedem nach hinten folgen- 
den Wirbel weniger steil. Am 8ten Wirbel ist er schon 
fast liegend (Fig. 5, 8, a. tr. m.) und daneben der Stamm oder 
Stiel der Seitenfortsätze selbst nach der etwas dreiseitig pris- 
matischen Gestalt an den vorigen Wirbeln, hier platt und 
breit geworden, mit etwas gerundeter Fläche nach oben, und 
nach vorn und hinten mit zugeschärften Kanten versehen. 
Am 9ten Rückenwirbel ist das Verhalten fast gleich dem am 
Tien, aber der Kamm ist hier mehr ohrenförmig gebogen. 
Am 10ten Rückenwirbel sind die Seitenfortsätze noch brei- 


629 


ter; ihr vorderer Rand ist jedoch dick und steil, der hintere 
aber ist scharf. Der Kamm zwischen den mamm. und ace. 
Fortsätzen ist weit grösser, als am 9ten Rückenwirbel, und 
am meisten gegen das vordere Ende hin erhöht. Die Fläche, 
welche hierdurch aussen an den Seiten gebildet wird. be- 
kommt dadurch ein etwas ohrenförmiges Ansehen. Zwi- 
schen dem Kamme mit seiner Umschreibung ringsum die En- 
den der Muskelfortsätze und dem an diesem Wirbel am 
meisten vorstehendem knopfförmigem Costal- oder Querfort- 
satze ist eine schwache Vertiefung, welche abwärts geht 
und den kleinen, knopflörmigen Costalfortsatz umfasst. Diese 
Vertiefung ist der Vorgänger zu der Theilung der Seitenfort- 
salzelemente und des Verschwindens der Fortsatzstiele selbst, 
welche am nächsten Wirbel auftritt. (S. Fig. 5.) 


Fig. 5. 


Ein Stück des Rückgrats vom Canis Vulpes, von und mit dem 
Sten Rücken- bis zu und mit dem Ästen Lendenwirbel, Nr. 8, 
9, 10, 11, 12, 13 bezeichnen die Reihenzahl der Rückenwirbel — 
I Ister Lendenwirbel. — An jedem dieser Wirbel erscheinen die 
Elemente der Seitenfortsätze, an den vorderen 8, 9, 10, diesel- 
ben mehr zusammensitzend, am {lten auseinandergesperrt, mit 3 
Rücken in drei deutlichen Fortsätzen, vorn die mamm., hinten 
die acc., unten die cost. oder transv. Fortsätze.e — Am 12ten u. 
13ten Rückenwirbel sind diese Fortsatzelemente noch mehr ge- 
trennt, und noch mehr am isten Lendenwirbel. Am ten, 9ten, 
10ten sind die Costalfortsatzelemente knopfförmig, mitten unter 
dem Kamme der Muskelfortsätze liegend. — a. Pr. acc,, m. Pr. 
mamm., b. Pr, costalis s. transv. 


Am Aiten Rückenwirbel fehlt, wie oben angedeutet 
ward, den Seitenfortsätzen der Stiel oder Stamm, und die 


630 


drei aus diesen hervorgebildeten Forlsätze sitzen an den Sei- 
ten der Wirbelbögen. Ein ausgeschweifter, gerundeter Kamm 
setzt sich hier von den Spitzen und dem obern Rande der 
beiden Muskelfortsätze fort. Vom äussern, untern Rande des 
acc. Fortsatzes geht eine erhöhte Linie nach vorn und un- 
ten in der Richtung gegen den Oberrand der Costalkopfgrube; 
eine andere erhöhte Linie steigt gegen dieselbe vom vordern 
Rande des Pr. mamm. hinab. Diese letztere trifft die erstere 
unter beinahe rechten Winkeln, und aus der Stelle, an wel- 
cher sich diese Linien treffen, schiesst der Costal- und Quer- 
fortsatz hervor. Er ist an der Basis kammförmig, der Gip- 
fel aber ist knopfförmig, ohne knorpelbekleidet zu sein, zur 
Anheftung des Ligamentum eosto-transversale dienend, 

Am 4?2ten Rückenwirbel sind die Muskelfortsätze noch 
mehr getrennt und grösser; aber die Querfortsatzrudimente 
sind kleiner und treten nur in der Form eines niedrigen 
Kammes bervor, in dessen Mitte eine sehr kleine, winkelför- 
mige Erhöhung steht. ; 

Am 13ten Rückenwirbel sind die Muskelfortsätze noch 
wieder mehr getrennt und stärker, so auch die Querfortsatz- 
rudimente, welche etwas näher an dem Anheftpunkte für 
den Rippenkopf liegen. Am ersten und in den folgenden 
Lendenwirbeln sind die acc. Fortsätze klein und nehmen mit 
jedem folgenden Fortsatz ab, so dass sie nur am ersten ei- 
nen kleinen Theil der folgenden mamm. Fortsätze umfassen. 
Am öten und 6sten Lendenwirbel repräsentiren nur kleine, 
schwache Kämme sie; am 7len und letzten fehlen sie ganz. 

Sowohl die Muskel-, als die Costalfortsatzbildungen an 
den 10 ersten Rückenwirbeln beim Fuchse sind kurz, wenig 
hervortretend; dagegen sind die Pr. spin. um so länger und 
besonders der 6te, 7te, Ste und 9te stark nach hinten ge- 
neigt. Derselbe Fortsatz ist am 10ten Wirbel sehr kurz, 
gerade aufwärtsstehend und zugespitzt; am 1iten und an 
den folgenden Wirbeln neigen sich die Stachelfortsätze nach ° 
vorn. Der 1fte Rückenwirbel ist der erste, welcher auf- 


f 631 


wärls stehende Pr. mamm. hat, so wie auch dieselben erst 
an diesem Wirbel mit den vorderen Gelenkfortsätzen ver- 
schmolzen sind. Eben so verhält es sich auch bei allen fol- 
genden Wirbeln, woneben die mamm. Fortsätze über die 
Gelenkfortsätze mit theils höcker-, theils kammförmig 'zuge- 
rundeten Enden vorspringen. 

Canis familiaris, Die Enden der Seitenfortsätze der 
drei ersten Rückenwirbel haben unten halbmondförmig aus- 
gehöhlte knorpelbekleidete Flächen zur Aufnalime der Rip- 
penhöcker; am 3ten und an den folgenden Rückenwirbeln 
sind dieselben knorpelbekleideten Flächen platt. Erst an 
den dicken Enden der Seitenfortsätze des 3ten Rückenwir- 
bels sind die Elemente der 3 Fortsätze zu drei distineten 
Höckern ausgebildet, zu einem nach vorn, dem Höcker des 
mamm., einem nach oben, dem des acc., und einem nach 
hinten und unten, dem des Costalfortsatzes. Nach der Rei- 
henfolge der Wirbel nach hinten zieht sich der obere acces- 
sorische Höcker mehr nach hinten, woneben der Costaltheil 
mehr und mehr von demselben ab heraustritt, abgetheilt 
durch eine schwach eingesenkte Rinne. Anstatt des kleinen 
Kamms, welcher beim Fuchse vom mamm. zu dem acc. Fort- 
satze geht, hat der Hund nur eine gerundete Kante. Die 
mamm. Fortsätze vom 3ten bis zu und mit dem 10ten Rük- 
kenwirbel liegen horizontal, gerade vorn, sind gerundet und 
haben eine kurze Exeisur zwischen sich und den Gelenkfort- 
sätzen. Die oberen Höcker, welche den acc, Fortsätzen ent- 
sprechen und meistens nach oben liegen, sind am 3ten Wir- 
bel der Vorderseite näher gelegen, aber auf jedem weiter 
hinten liegenden Wirbel nähert er sich etwas dem hintern 
Rande; erst am 10ten Rückenwirbel springt er aus dem hin- 
tern Rande in der Form eines schrägen, am meisten nach 
hinten und etwas nach oben gewendeten, gerundeten Fort- 
salzes hervor. Die kleine ohrenförmige, von diesem Wirbel 
bei Canis Vulpes erwähnte Fläche ist hier verhältuissmässig 
zu den übrigen Theilen klein und wenig ausgezeichnet, Die 


632 


kleinen ovalen, knorpelbekleideten Costalfortsatzelemente bei 
jenem Thiere sind auch beim Hunde nicht knopfförmig, son- 
dern mehr platt, gegen die Enden der Seitenfortsätze hin als 
kleine Keile mit den dicken Enden nach hinten und den 
scharfen Enden nach vorn liegend. Die Hälse der Seiten- 
fortsätze sind im allgemeinen kürzer, als beim Fuchse, aber 
bis zu und mit dem 10ten Wirbel dreiseitig prismatisch. An 
dem letzgenannten Wirbel wird der ganze Seitenfortsatz 
sehr breit. Die vorhergehenden Stachelfortsätze sehen nach 
hinten, am meisten der 9te, doch nicht so sehr, wie beim 
Fuchse. Der Stachelfortsatz des 10ten und Iiten Rücken- 
wirbels ist sehr kurz, flach, dreieckig und nach oben zuge- 
spitzt; beide schiessen steil gegen einander ab, so dass die 
keilförmige Kluft zwischen ihnen sehr schmal und fast loth- 
recht hinablanfend ist; die Stachelfortsätze der nachfolgen- 
den Wirbel werden stärker und stehen etwas nach vorn, 
Am 11ten Rückenwirbel verschmelzen die mamm. Fortsätze 
mit den Pr. articulares, nehmen bis zu und mit dem 1sten 
Lendenwirbel etwas zu, mit dem folgenden aber ab. Am 
Iiten Rückenwirbel liegen die acc. Fortsätze von den nach- 
folgenden mamm, Fortsätzen entfernt; aber am 1?ten und 
an den folgenden dicht an diesen. Sie sind in diesem Ver- 
halten ziemlich kurz, rudimentär am öten und 6ten, und 
fehlend am 7ten, (letzten) Lendenwirbel. 

Viverra indica. Auch die Seitenfortsatzenden. der 
vordersten Rückenwirbel sind, obzwar schmal, lang gezogen 
und unten halbmondförmig ausgehöhlt, mit Rudimenten zu 
den werdenden Muskel- und Costalfortsätzen versehen. Die 
Enden des 3len Rückenwirbels sind dreieckig und grösser, 
als dieselben Theile an den vorangehenden sowohl, als den 
nachfolgenden. Die aufwärts stehende Ecke des Dreiecks 
bildet einen scharfen Kamm und ist der Pr. access. Am 
Aten Rückenwirbel ist dasselbe dreieckige Ende, so wie auch 
der kammförmige Pr. acc. kleiner, und der letztere ist mehr ° 
nach hinten versetzt. Dies Versetzen des Pr. acc. nach hin- 


633 


ten nimmt bei jedem nachfolgenden Wirbel zu. Zugleich 
werden die dicken Enden der Seitenfortsätze keilförmig läng- 
lieh, mit den Pr. mamm. vorn, den acc, hinten und den ar- 
-tie., theils nach hinten und unten, theils nach unten. Sie 
sind übrigens an den Kanten und Erhöhungen etwas gerun- 
det. Die kleinen Pr. cost. sind etwas knopfförmig, am. mei- 
sten hervorstehend am 10ten und iften Rückenwirbel. Die 
Muskelfortsätze sind sehr kurz abgerundet nnd fast horizon- 
tal gestellt. Auch hier ist es erst der 4lte Rückenwirbel, 
an welchem die mamm. Fortsätze mit den articulären ver- 
schmelzen; aber der Pr. spin. dieses Wirbels ist noch nach 
hinten gegen die nach vorn geneigten Pr. spin. des 12ten 
Rückenwirbels stark abschüssig. Es ist auch der 11te Rw., 
an welchem die Stiele der Seitenfortsätze verschwinden und 
ihre Enden von dem dreieckigen Seitenschilde repräsentirt 
werden, welcher aus den noch zusammenhangenden drei 
Fortsätzen (dem mamm. acc. u. cost.) besteht. Er ist dem- 
nach der vorderste derjenigen Wirbel, welche mit grösseren 
aufgerichteten Mammillarfortsätzen nach dem Typus der 
Lendenwirbel versehen sind. Auch hier steht der acc. Fort- 
salz bedeutend von dem nachfolgenden mamm. nach aussen 
ab. Am 12ten uud I3ten (letzten) Rückenwirbel ist auch 
der Zusammenhang zwischen den drei Fortsätzen geringer, 
und sie sind an die Seiten der Wirbel, ohne eine Spur von 
Stielen, versetzl. Die Rudimente zu den Costalfortsätzen 
sind wiederum verkleinert und bestehen nur in schwachen 
Kämmen, welche zwischen die acc. Fortsätze und die Gru- 
ben für die Rippenköpfe treten. 

Die Pr. spin. an den Wirbeln vor dem 12ten schiessen 
nach hinten ab, am 12 und an den hinter ihm folgenden 
nach vorn. Die Pr. mamm. am 12ten Rückenwirbel sind 
am meisten hervorstehend; die folgenden bei jedem folgen- 
den Wirbel kürzer. Die anliegeuden Pr. acc. werden immer 
schmäler nach hinten, finden sich jedoch noch am 6ten Len- 
denwirbel, fehlen aber am Tten. Die Pr. cost. oder Lransv, 


634 


an‘ den Lendenwirbeln nehmen nach hinten an Länge zu, 
sind nach vorn gekehrt, platt. Am 3ten Lendenwirbel ha- 
ben sie gerade Kanten, an den übrigen vorwärts gebogene. 
Felis domestica. Die Enden der Seitenfortsätze an* 
den 5 ersten Rückenwirbeln haben alle eine etwas dreieckige 
Form und besitzen Höcker, welche den 3 Fortsatzelemen- 
ten entsprechen; aber nur die beiden ersten Wirbel haben 
concave Costalflächen. Dieselben Enden werden am 6sten 
Rückenwirbel niedrig, länglich. Ebenfalls niedrig und länger 
gestreckt sind sie an jedem nachfolgenden, bis zu und mit 
dem 10ten Wirbel, wonach die Stiele der Seitenfortsätze 
verschwinden. Nur am 9ten und 10ten Wirbel werden die 
Muskelfortsatzelemente zu etwas mehr hervorspringenden 
meistens horizontal gestellten, gerundeten, aher kleinen Pr. 
mamm. et acc. Die letzteren sind am 10ten Rückenwirbel 
länger, als an den vorhergehenden, und etwas mehr nach 
aussen schauend, so dass sie bedeutend von den Seiten des 
folgenden Wirbels abstehen. Am 1iten ist jede Spur von 
einem Stiele oder einer Basis für die Muskelfortsätze ver- 
schwunden. Sie sitzen hier ganz an der Seite des Wirbel- 
bogens; zwischen ihnen läuft bloss eine saltelähnlich gerun- 
dete schwache Erhöhung. Dieser Wirbel ist es auch, an 
welchem die Muskelfortsätze den Typus annehmen, welcher 
sich längs den Seiten der Lendenwirbel fortsetzt. Die stark 
heraustretenden breiten Mammillarfortsätze nähern sich ein- 
ander und verschmelzen mit den hier aufgerichteten Pr. arti- 
eulares. Die acc. Fortsätze sind auch ziemlich lang, legen 
sich aber doch nicht an den folgenden Wirbel eher, als bis 
an den Lendenwirbeln. Die Muskelfortsätze an den Lenden- 
wirbeln liegen gleichsam gegen die Seiten der Bögen ange- 
drück. Die mamm. Fortsätze an den Lendenwirbeln sind 
sämmtlich oben von den Gelenkfortsätzen durch eine sch wa- 
che, nach der Länge verlaufende. seichte Rinne getrennt, de- 
ren äusserer, etwas höherer Rand dem Mammillarfortsatze 
selbst, der innere, etwas niedrigere, aber dem Gelenkfortsatz 


635 


angehört. Vom hintern Rande eines jeden Mammillarfort- 
satzes geht eine kleine, sattelförmig gekrümmte Firste aus, 
welche sieb nach hinten in zwei, eine äussere und eine in- 
nere, theilt, von denen die erstere bis zum oberen Rande 
des acc. Fortsatzes derselben Seite und die letztere, mehr 
gerundete, bis zum nach innen vorliegenden Gelenkfortsätze 
fortläuft. Die acc. Fortsätze am Öten Lendenwirbel sind sehr 
klein. Am 6ten giebt es statt ihrer nur schwach erhöhte 
Linien, am 7ten keine Spur von ihnen. — Die Costalfort- 
satzelemente sind an allen Rückenwirbeln schwach ausge- 
bildet. An den drei letzten werden sie nur von schwach 
erhöhten kleinen Firsten angedeutet, welche in schiefer Rich- 
tung längs den Seiten der Wirbel zu den Flecken oder Gru- 
ben hinabsteigen, welche zur Aufnahme der Rippenköpfe be- 
stimmt sind. 

Die Pr. spinosi an den 9 vorderen Rückenwirbeln sind 
schmal zugespitzt und etwas dick, doch nach vorn und hin- 
ten mit scharfen Rändern. Sie sind am höchsten und stärk- 
sten auf den beiden vordersten, auf dem 3ten und den fol- 
genden nehmen sie an Länge ab uud wenden sich mit jedem 
weiter hinten liegenden Wirbel mehr nach hinten. Noch 
am 10ten Wirbel ist der Pr. spin. nach hinten steil abschüs- 
sig, obgleich er sehr kurz, nach der Länge breit und stumpf 
ist. Der Pr. spin. des 11 Rückenwirbels neigt sich vorwärts 
gegen den des 10ten; alle nachfolgenden längs der ganzen 
Lende neigen sich nach vorn, nehmen an Stärke bis zum 
3ten Leudenwirbel zu und an den folgenden allmählich ab. 

Es ist besonders bei den Carnivora plantigrada einleuch- 
tend, dass die Stelle des Rückgraths, an welcher die Stiele 
der Seitenfortsätze zuerst fehlen und die mamm. Fortsätze 
zusammenschmelzen, die Stachelfortsätze aber sich, so zu sa- 
gen, gegen einander wenden, einen besonders merkwürdigen 
Punkt für den Mechanismus und die Bewegungen des Rück- 
grats ausmacht. Es scheint, als ob diese beiden Abtheilun- 
gen des Rückgrates geeignet wären, bei den Stellungen und 


636 


Bewegungen der mehrfachen, theils kürzeren inneren, theils 
längeren äusseren, Bögen, welche die Rückenmuskeln bilden, 
und von denen der Musculus spinalis dorsi, die den Stachel- 
fortsätzen nächst angehörenden macht, sich gleichsam gegen 
einander zu stemmen. 

Phocacea. Phoca groenlandica. Die Stämme 
der 10 vordersten Rückenwirbel sind dreiseitig prismatisch;; 
ihre dickeren Enden schliessen auch mit dreieckigen Endflä- 
chen nach aussen. Die Oberseite dieser Enden ist mit ei- 
nem Höcker versehen, welcher mit jedem nach hinten fol- 
genden Wirbel grösser ist; an den vorderen Wirbeln endigt 
er sich in eine einfache Ecke; aber an den hinten folgenden 
breitet er sich in einen kleinen, längslaufenden Rücken aus; 
aus dessen Enden bilden sich zwei Höcker hervor, von de- 
nen der vordere der Anfang zum Pr. mamm., der hintere 
zum Pr. acc. ist. Dieser letztere wird nach der Folgenreihe 
der Wirbel nach hinten in seiner Entwickelung immer mehr 
überwiegend. Am 4iten Rückenwirbel werden diese Pro- 
cessus durch einen zwischenliegenden Theil bedeutend von 
einander entfernt. Am 1?ten verschmelzen sich die mamm. 
und Gelenkfortsätze, woneben die Stämme der Seitenfortsätze 
fehlen, jedoch ohne dass dieser Wirbel, wie im vorhergehen- 
den Falle, schmäler würde, oder die Stachelfortsätze eine 
plötzliche Veränderung erlitten. Die Costalflächen an der 
Unterseite der Seitenfortsatzenden springen schon an den 
vorderen Rücken wirbeln etwas keilförmig hervor, als geneigte 
Ebenen, und deuten die Rudimente zu den Costalfortsätzen 
an. Diese keilförmigen Erhöhungen, deren breitere Enden 
hinten sind, nehmen mit jedem nachfolgenden Wirbel zu 
und die Muskelfortsätze trennen sich daneben in derselben 
Folge von einander, wie auch von den Costalfortsatzrudi- 
menten. Die acc. Fortsätze begeben sich auch hierbei mehr 
und mehr an den Hinterrand der Seitenfortsatzenden, schauen 
nach hinten und nehmen an Stärke zu. Durch dieses ihr 
Versetzen nach hinten gelangen sie zur Annäherung an das 


637 


hinten, aber nach unten liegende Costalfortsatzrudiment, so 
dass diese Fortsatziheile am 11ten und {2ten Rückenwirbel 
fast zusammengeschmolzen sind. Am 13ten und 14ten Rük- 
kenwirbel sind die Pr. acc. länger und schmäler, als an den 
vorhergehenden, fast griffelförmig, und die Rudimente zu den 
Costalfortsätzen sind als kleine Höcker für die Ligamentbe- 
festigung an die Basis ihrer untern Seite verlegt. Am 1öten 
(letzten) Rückenwirbel ist der Pr. ace. wiederum nur rudi- 
meutär,-und an den Lendenwirbeln ist er kaum bemerkbar. 
Die Mammillarfortsätze sind von und mit dem 1lten Rücken- 
wirbel an den nachfolgenden Rückenwirbeln, so wie an al- 
len Lendenwirbeln, dick, kurz, aber auf- und vorwärts ste- 
hend, und auf die Gelenkfortsätze hinauslaufend. 


Glires. 


Seiurus vulgaris. Die Stämme der Seitenfortsätze 
der 9 ersten Rückenwirbel sind dreiseitig prismatisch, mit 
höckerigen Enden. An der obern Seite jedes dieser Enden 
ist an den 5 ersten ein kleiner kammförmiger Höcker, an 
den 4 folgenden ein Kamm, welcher die Elemente zu den 
beiden Muskelfortsätzen enthält. Am 10ten Rücken wirbel, 
dessen Seitenfortsätze ohne Arme und dessen mamm. und 
Gelenkfortsätze zusammengeschmolzen sind, entfernen sich 
die Ecken der Kämme von einander und bilden sich zu ziem- 
lich langen, schief gestellten mamm. und acc. Fortsätzen 
aus. Die Costalelemente der Seitenfortsätze springen am 
6ten Rückenwirbel als ein scharf hervorstehender Rand aus 
der knorpelbekleideten Costalfläche hervor; am ten, ten 
und 9ten Rückenwirbel ist dieser Rand noch mehr heraus- 
stehend und bildet einen kleinen Kamm; zwischen diesem 
Kamm und dem Muskelfortsatze läuft eine Furche. Am 9ten 
Rückenwirbel ist dieser Kamm ziemlich lang, bedeutend 
grösser als der Muskelfortsatzkamm, und liegt dicht am Rip- 
penhöcker. Dieser Kamm zeigt sich hier als ein deutlicher 


638 


Costal- oder Querfortsatz. Am 10ten Rückenwirbel sind 
die drei Fortsatzelemenle von einander ganz gesondert, und 
das Costalelement ist weiter hinab gegen die Fovea costalis 
versetzt; so ist auch auf’s genaueste das Verhalten am 11ten 
und 12ten Rückenwirbel. An den Lendenwirbeln sind die 
2 vorderen Querfortsätze sehr klein, eben so hoch an der 
Seite des Wirbels liegend, wie der eben genannte Theil am 
letzten (12ten) Rückenwirbel. Die 3 letzten Rücken- und 
alle Lendenwirbel sind mit nach vorn vorragenden Pr. mamm. 
versehen. Der Pr. acc. des f1ten Rückenwirbels hilft zum 
Umfassen des folgenden Wirbels; eben so verhalten sich 
diese Fortsätze am 12 Rückenwirbel und an den 4 ersten 
Lendenwirbeln; am Öten reicht er nicht hinüber zum näch- 
sten Wirbel, am 6ten und ten fehlt er ganz. Der Pr. 
spin. des 10ten Rückenwirbels steht gerade aufgerichtet; die 
nach vorn stehenden sind gegen ihn und gegen einander ab- 
schüssig, 

Mus decumanus. An den äusseren Enden der Seiten- 
fortsätze des isten bis Tten Rückenwirbels sind die Rudi- 
mente zu den Muskelfortsätzen kleine, nach oben gewendete, 
kammförmige Höcker. Am Sten, 9ten und 10ten Rücken- 
wirbel verlängern sich diese lineär in einer etwas schrägen 
Richtung, wobei die Ecken sich zu rudimentären mamm. 
und acc. Fortsätzen ausbilden. Am iiten schmelzen die 
mamm. und Gelenkfortsätze zusammen, wonach die acc. hin- 
ter und unter den mamm. an die Seiten der Wirbel in der 
Form kleiner, nach oben gedrehter, niedrig gestellter Kämme 
versetzt werden; sowohl die manım., als die acc. Fortsätze 
an den hinteren Rückenwirbeln und den Lendenwirbeln sind 
klein. Bloss bis zu und mit dem ?ten Lendenwirbel reichen 
sie an den nächstfolgenden. Am 4ten sind sie nur durch 
einen schwachen Kamm repräsentirt, und an den folgenden 
fehlen sie. Die Costalfortsätze fangen schon an den Enden 
des Seitenfortsatzes vom 3ten Wirhel an, als ein kleiner 
schiefer Absatz hervorzutreten und springen etwas mehr an 


639 


den folgenden Wirbeln hervor. In dem Maasse, als sich 
der Muskelfortsatzkamm verlängert und seine Elemente sich 
sondern, zieht sich auch das Costalfortsatzelement nach un- 
ten und vorn, um eine Stellung als eine 3te Ecke unter den 
beiden schräge überliegenden einzunehmen. Am Iften Rük- 
keuwirbel sind die drei Fortsatzelemente ganz in drei kleine 
Höcker gesondert. Am 12ten und 13ten (letzten ) sind die 
Costalfortsätze nur kleine, niedrige Kämme, weit unten an 
den Seiten der Wirbel. Auch die Querfortsätze der 2 vor- 
dersten Lendenwirbel sind nur kleine, schräge laufende, nach 
unten gestellte Kämme. 

Lemmus amphibius. Die beiden vordersten Rücken- 
wirbel haben viel Aehnlichkeit mit den breiten‘, niedrigen 
Halswirbeln, ihre Seitenfortsätze sind indessen kürzer. Die 
Enden des 1sten Rückenwirbels sind dreieckig, der 2te und 
3te haben nach oben zwei, hinter einander gestellte, niedrige 
Höcker; an den folgenden Wirbeln schiessen diese Höcker 
in ziemlich lange der Länge nach etwas abgeplattete, nach 
vorn, aussen und oben gerichtete Muskelfortsätze, welche 
mit diekeren Enden schliessen, deren vordere und hintere 
Eeke die Elemente der beiden Muskelfortsätze andeuten. Am 
8ten und 9ten Rückenwirbel sind diese Muskelfortsätze am 
längsten. An den ‘folgenden Wirbeln werden sie kürzer, 
aber dafür von vorn nach hinten kammförmig, mit schma- 
len, ausgezogenen, S-förmigen Enden, welche die mamm. und 
ace. Fortsätze andeuten. Die vorderen Enden dieser Kämme, 
welche den Mammillarfortsätzen entsprechen, sind klein, sehr 
wenig vorstehend; die hinteren, welche die acc. Fortsätze 
bilden, sind dagegen länger und umfassen einen Theil des 
hinter ihnen liegenden Wirbels. Wo diese Bildung beginnt, 
(am 10ten Rückenwirbel) sind die Gelenk- und mamm. Fort- 
sälze zusammengeschmolzen und die Stiele der Seitenfort- 
sätze verschwunden. Die Costalfortsätze bestehen am 4ten 
bis zu und mit dem 9ten Rückenwirbel aus kleinen Absätzen 
an der unteren Seite der Muskelfortsätze; am 10ten Rücken- 


640 


wirbel sind diese Costalfortsatzrudimente nach unten in 
grösserem Abstande unter die eben erwähnten versetzt, so 
dass sie gegen deren beide dickere Enden die untere Ecke 
eines Dreiecks ausmachen. Die hintersten dieser Costalfort- 
sätze, besonders am 13ten (letzten) Rückenwirbel gleichen 
sehr den Querfortsätzen an den vordersten Lendenwirbeln. 
Die Querfortsätze an den 4 vorderen dieser Wirbel zeigen 
ein ungewöhnliches Verhalten. Sie bestehen nämlich nicht, 
wie es sonst so oft der Fall ist, in frei hervorspringenden 
Processus, sondern sind statt dessen nur die vorderen Ek- 
ken schräge nach vorn unten und innen ziehender s-förmi- 
ger Kämme, deren hintere Ecken nach hinten auslaufen, die 
Pr. acc. ausmachen und einen Theil des hinterliegenden Wir- 
bels umfassen. Von dieser hintern Ecke oder diesen Pr. 
acc. geht zu jeder Seite jedes der 4 vordersten Lendenwir- 
bel ein ebenfalls S-förmiger Rücken nach vorn und oben aus 
und in den Pr. mamm. derselben Seite über. Nur die 2 
hintersten Paare der Pr. transv, (vom 6ten und T7ten Len- 
denwirbel) treten als scheibenförmige, vorwärts gerichtete 
Fortsätze hervor. Wir sehen hier eine andere Form des 
Verschmelzens der costalen und ace, Fortsätze. Im Vorher- 
gehenden wurden mehrere Beispiele angeführt, dass ein Theil 
der Pr. cost. oder transv. an den hintern Rückenwirbeln aus 
den Pr. acc. hervorwächst; weiterhin werden Beispiele von 
Pr. transversi angeführt werden, welche, wie es den An- 
schein hat, ganz und gar aus den Elementen, der acc. Fort- 
sätze hervorkommen. 

Myoxus Nitela. Die äusseren Enden der Seitenfort- 
sätze des sten Rückenwirbels sind nach oben mit einem 
kleinen bogenförmigen Kamme versehen, die der ?2ten mit 
einem dreieckigen Höcker. Die Enden der folgenden erhe- 
ben sich in kleine Kämme, welche bei jedem hinten folgen- 
den Wirbel ein wenig höher werden, obgleich nieht so hoch 
wie bei Lemmus amphibius. Am 6ten, ten und Sten Rük- 
kenwirbel schliessen diese Kämme mit schmal- langgezoge- 


641 


nen Enden und zwei Ecken und stellen sich schräge. Am 
9ten Rückenwirbel sind an den Enden derselben Kämme Ru- 
dimente zu kleinen zackenförmigen acc. Fortsätzen, so wie 
auch die vorderen Ecken dieser Kimme mammilläre bilden. 
Am 10ten Rückenwirbel fehlen die Stiele der Seitenfortsätze; 
die acc. und mamm. Fortsätze sind von einander abgezogen, 
vereinigt durch einen schwachen Rücken. Sie trennen sich 
nun mehr mit jedem nachfolgenden Wirbel und liegen völ- 
lig an den Seiten der Wirbel in einer schrägen Richtung ge- 
gen einander, die mamm. Fortsätze oben, auf- und vorwärts 
gewendet, die Pr. acc. weiter unten, hinten und nach hin- 
ten gewendet. Die Pr. costales beginnen unter den Enden 
der Seitenfortsätze hervorzutreten, unter den Kämmen, wel- 
che die Elemente zu den beiden Muskelfortsätzen enthalten. 
Sie treten grösser und länger an jedem nachfolgenden Wir- 
bel hervor, legen sich, nachdem die Seitenfortsatzarme ein- 
gezogen und die Muskelfortsatzkämme in die beiden Muskel- 
fortsätze verlängert worden sind, immer längerhin unter diese, 
an die Seitenflächen der Wirbel, wie kleine hervorspringende 
knopflörmige Ecken. Unter dieser Form kommen auch die 
Costal- oder Transversalforlsätze am isten Lendenwirbel 
vor und verlängern sich mehr und mehr an den folgenden. 
An dem genannten ‘isten Lendenwirbel geht jedoch eine 
kleine Leiste von dem kleinen Costalfortsatze zu dem acc. 
über. An den Lendenwirbeln reichen diese letzteren Fort- 
sätze nur an den beiden vorderen über den Rand des nach- 
folgenden Wirbels hinüber; am 4ten werden sie nur durch 
eine schwache Leiste dargestellt, an den 2 letzten fehlen 
sie ganz. Am  10ten Rückenwirbel verschmelzen die Pr. 
mäamm. mit den artie.; der Stachelforteatz des 9ten Rücken- 
wirbels schiesst noch nach hinten ab, der folgende dagegen 
gegen den vorangehenden. 

Cavia Cobaia. Die Enden der Seitenfortsätze der er- 
sten beiden Rückenwirbel sind an der oberen Seite mit klei- 
nen, aufgerichteten Kämmen und kleinen spitzigen Höckern 

Müllers Archiv. 1849. 4 


642 


versehen. Schon am 3ten Rückenwirbel springt dieser Kamm 
mehr vor und seine obere Kante ist mit Rudimenten zu den 
mamm. und 'acc. Fortsätzen etwas herausgezogen. Dieser 
Kamm steht etwas nach hinten; aber sein vorderer, mam- 
millärer Rand geht in einen kleinen Haken über, wie bei 
Cereopithecus u. m. Die folgenden Muskelfortsatzkämme 
werden mit jedem Wirbel etwas höher und mehr langgezo- 
gen, ferner nach oben gefaltet. Am 7ten ist im obern Rande 
des Kammes 'eite Krümmung zwischen den Ecken (den Mus- 
kelfortsätzen ), durch welche diese von einander gesondert 
werden. Am 9ten ist der Kamm kürzer, breiter, niedriger, 
auch schräge gestellt; statt einer Krümme zwischen den Ek- 
ken ist eine grössere, stumpfwinklige Exeisur da, und am 
10ten, dem die Seitenfortsatzstiele fehlen, sind die beiden 
Muskelfortsatzelemente mit einander nur an der Basis zu- 
sammenhangend. An diesem Wirbel sind auch dieselben 
Fortsätze bedeutend verlängert; die Pr. mamm. nach vorn 
und aussen, die acc. nach unten und hinten zielend.. An 
den beiden folgenden Rückenwirbeln nehmen die Muskelfort- 
sätze noch an Länge, Stärke und Absonderung von einander 
zu. ‘Erst am '43ten (letzten) Rückenwirbel vereinigen sich 
die Pr. mamm. mit den artliec., wie an den folgenden Len- 
denwirbeln und werden sehr kurz. Die Pr. ace. sind lang 
und griffelförmig von und mit dem 12ten Rückenwirbel bis 
zu und mit dem 3ten Lendenwirbel, wonach sie abnehmen 
und am letzten Lendenwirbel nur noch rudimentär sind. 
Die Pr. cost. scheinen so wie bei den vorigen Thierarten 
als kleine Absätze unter den Muskelfortsätzen hervorzutre- 
ten, mit jedem nachfolgenden Wirbel zunehmend, so dass 
die Rippenhöcker schon am 6ten Rückenwirbel in einer be- 
deutenden Entfernung von ‘den aufwärts gewendeten Mus- 
kelfortsatzkämmen stehen. Am 9ten und an den folgenden 
Rückenwirbeln versetzen sich die Rudimente zu diesen Fort- 
sätzen weiter hinabwärts und an die Seiten der Wirbel, und . 


643 


senden nach hinten und oben schwache Leisten aus, wel- 
che in den Aussenrand der acc. Fortsätze übergehen. 
Dasyprocta Aguti. Am Isten, 2ten und 3ten Rük- 
kenwirbel haben die Seitenfortsatzenden nach oben nur nie- 
drige, bogenförmig gekrümmte Kämme. An den. Enden : der 
Seitenfortsätze des 4ten Rückenwirbels erheben sich diese 
Kämme in eine Ecke nach oben. Am Sten und 6ten wird 
diese höher, zugespitzt, und ist der Anfang zum mamm. 
Fortsatze. Sie nimmt an den folgenden Wirbeln zu; am 
Tten Rückenwirbel fangen, an der hintern. Seite der höckeri- 
gen Basis des genannten Fortsatzes, die ace. Fortsätze sich 
zu zeigen an. Schon am 8ten geht ein Rücken zwischen 
diesen beiden Muskelfortsätzen in schräger Richtung nach 
unten und hinten. Am 10ten verläuft eine tiefe Krümme 
mit sattellörmigem Rücken zwischen ihnen; an ‚den. folgen- 
deu Wirbeln entfernen sie sich von einander mehr und mehr 
ohne einen Vereinigungsrücken. Schon am 10ten, Rücken- 
wirbel sind die mamm., Fortsätze vorstehend und die acc. 
nach aussen und hinten zielend, breit. Erst am 1?ten le- 
gen sich die mamm, ‘an die artic. Fortsätze. Am 4ten, und 
den folgenden Lendenwirbeln nehmen sie an Länge ab, Die 
ace. Fortsätze reichen bis zum nächsten Wirbel an den 4 
ersten L,endenwirbeln hinüber. Am öten hestehen sie bloss 
aus kurzen Kämmen, und am 6ten (letzten) fehlen sie ganz. 
Die Rudimente zu den Pr. cost. sind bis zum 7ten Rücken: 
wirbel sehr kleine Absätze; aber sie liegen licht hinten un- 
ter den Rudimenten zu den ace, Fortsätzen, sondern mit 
der breiten oder höhern Seite nach vorn gewendet unter 
den Mammillarrudimenten. Am 7ten Rückenwirbel schiessen 
die costalen Fortsatzelemente nach vorn und unten aus den 
Rücken hervor, welehe zwischen den beiden Muskelfortsäz- 
zen gehen; so ist das Verhalten am Sten, 9ten und 10ten 
Rückenwirbel. _Am Alten, 12ten und i3ten Rückenwirbel 
bestehen die Costalfortsätze aus kleinen, kurzen, etwas 'zu- 
gespitzten Kämmen, welche hinter den Foveae costales her- 
4 * 


644 


austreten und nach hinten in den vorderen Rand der acc 
Fortsätze übergehen. 

Coelogenys Paca. Die Enden der Seitenfortsätze 
des 1sten Rückenwirbels haben einen bogenförmigen, etwas 
hervorstehenden Rand. Am ?ten ist derselbe Rand etwas 
höher, mit einem schwachen Anfange zu einem kleinen Höcker 
nach vorn und oben; am 3ten hat der Rand sich noch mehr 
zu einem Höcker erhöht, welcher eine trapezienförmige Seite 
nach aussen hat, wie auch eine Ecke nach vorn und eine nach 
hinten, Rudimente zu den mamm. und acc. Fortsätzen. An 
den folgenden 3 Wirbeln ist derselbe Höcker niedriger, schmal, 
etwas nach der Länge zu einem sehr niedrigen, anfgeschla- 
genen Kamme, mit höckerigen, etwas herausstehenden En- 
den (Muskelfortsatzrudim.), ausgezogen. Dieser Kamm nimmt 
an Länge etwas an den folgenden Rückenwirbeln -bis zu und 
mit dem 10ten zu, nebstdem sich die Enden zu deutlichen 
mamm. und ace. Fortsätzen ausbilden und eine etwas schräge 
Stellung bekommen, welche mit jedem nachfolgenden Wir- 
hel schräger, mit dem vordern Ende etwas nach oben, dem 
hintern nach unten gerichtet wird. Schon am 9ten Rücken- 
wirbel ist auch dieser Kamm schwach S-förmig, und noch 
mehr bei den zwei folgenden. Am 4iten Wirbel scheiden 
sich die dickeren Enden (die Muskelfortsätze) durch eine 
schwache Krümme, woneben die Stiele der Seitenfortsätze 
beinahe verschwunden sind. Am 1?2ten und folgendeu sind 
die mamm. Fortsätze ganz von den acc. getrennt. Schon 
am ?ien, 3ten und Aten Rückenwirbel erscheinen kleine Ru- 
dimente zu Costalfortsätzen, als kleine Absätze unter den et- 
was aufgeschlagenen kleinen Muskelfortsatzkämmen. Diese 
nehmen an den folgenden Wirbeln mehr und mehr in der 
Form eines gegen das Tuberculum der Rippe hinablaufenden 
Höckers zu. Am 9ten, 10ten und 14ten Rückenwirbel gehen 
diese Costalfortsatzrudimente fast rechtwinklig aus der Mitte 
und untern Seite der Muskelfortsatzkämme hervor, wodurch 
die Aussenseiten der Seitenfortsätze dieser Wirbel jede 3 


645 


Höcker darbieten, von denen einer nach vorn und oben (der 
Mammillarfortsatz) einer nach hinten und unten (der acc. F.) 
und einer nach vorn und unten (das Costalfortsatzrudiment) 
steht. 


Der 10te, 1ite, 12te und 13te Rückenwirbel von Coelogenys Paca; 
m, Pr. mamm., a, Pr. acc., tr, Pr. transv. c, Costae. Am 40ten, 
1iten u. 12ten Rückenwirbel sitzen noch die 3 Elemente der Sei- 
tenfortsätze zusammen in der Form eines Dreifusses; am 13ten 
sind sie, so wie an den Lendenwirbeln, ausgebreitet, jeder für sich 
an den Seiten des Wirbels sitzend, 


Wie oben angedeutet ward, findet hier das minder ge- 
wöhnliche Verhalten statt, dass schon am 12ten Rückenwir- 
bel die mamm. uud acc. Fortsätze ganz getrennt sind. Die 
acc. Fortsätze verschmelzen statt dessen mit den costalen 
und bilden mit ihnen einen bedeutend hervorstehenden S-för- 
migen Kamm, welcher, dem obengenannten Kamm entgegen- 
gesetzt, nach vorn und unten abschiesst und gerundete En- 
den hat, welche die beiden Fortsätze auszeichnen. Zwischen 
dem so entstandenen unteren Kamme und dem obenher ste- 
henden Mammillarfortsatz ist eine tiefe Rinne. Am 1äten 
(letzten) Rückenwirbel ist die vordere Ecke, welche. am vo- 
rigen Wirbel keulenförmig vorstand, abgeplattet und zu ei» 
nem kleinen, niedrigen Höcker verändert. Am 1sten Len- 
denwirbel ist anstatt des genannten Kammes nur eine lineäre, 
niedrige scharfe Leiste, welche sich unter den verlängerten acc, 
Fortsatz hin fortsetzt; aber am 2ten und an den folgenden 
wächst dieselbe in grössere und grössere flache, ‚vorwärts 
gewendete (uerfortsätze aus. Die acc. Fortsätze an den Len- 
denwirbeln liegen nicht dicht an, den folgenden mammillären 


646 


en. Die am öten reichen nicht bis zum nächsten hinüber: Am 
6sten (letzten) bestehen sie nur aus kleinen Ecken am hintern 
Rande der Querfortsätze. Die Seitenfortsatzarme der Rücken- 
wirbel nehmen an Länge am 9ten und an den folgenden 2 Wir- 
beln ab; am 12ten und folgenden fehlen sie. Die Stachelfort- 
sätze schiessen etwas nach hinten ab, bis zum letzten Rücken- 
wirbel; die der Lendenwirbel etwas nach vorn. Die Gelenk- 
fortsätze sowohl an den hintern Rücken- als den Lenden- 
wirbeln behalten meistens den ganzen Weg entlang eine fast 
horizontale Stellung, und man kann kaum sagen. dass sie 
mit den Mammillarfortsätzen eher, als am 1sten Lendenwir- 
bel verschmelzen. 

Dipus Sagitta. Bei dieser sind, wie bei Talpa u. m. 
die aufgerichteten Muskelfortsatzkämme von den Costalfort- 
sätzen getrennt, ‚Schon am ?2ten Rückenwirbel springt: sol- 
cherweise ein niedriger Kamm an der obern Seite der 'Sei- 
tenfortsatzenden hervor. Mit jedem folgenden Wirbel wird 
dieser Kamm etwas weniger grösser und von dem Costal- 
fortsatzelemente mehr getrennt; am ten strecken sich die 
Kämme in vordere und hintere Ecken aus, welche mamm. 
und acc. Fortsätze bilden, deren letztere oder hintere am 
grössten sind und stark nach hinten gerichtete Ecken bilden. 
Schon an diesem Wirbel sind die Costalfortsätze weit hinab 
unter die musculären versetzt. Vom 3ten an bis zu und 
mit diesem Wirbel, haben die Costalfortsätze die Gestalt 
runder, flacher, schräge nach vorn gewendeter Knöpfe, von 
welchen, fast wie bei Talpa, jeder seine eigene Reihe, unter 
den Muskelfortsätzen, hildet. Am 9ten Rückenwirbel fehlen die 
Arme der Seitenfortsätze; die mamm. Fortsätze sind nach 
innen versetzt, gleichsam gegen einander zusammengekniffen 
und mit den Gelenkfortsätzen verschmolzen, “Diese, welche 
weit unten, unter den Muskelfortsätzen, sitzen, sind denen 
der vorhergehenden unähnlich. Sie endigen auch knopflör- 
mig, aber ‘mit weit kleineren Knöpfen, welche an einem 
stumpfen Winkel'eines an den Seiten des Wirbels be£findli- 


| 647 


chen Kammes silzen. Am 10ten, 1iten und 12ten Rücken- 
wirbel gehen auch die Costalfortsätze als kleine Kimme ganz 
unten aus den Seiten der Bögen hervor. ‘Am I1ten gehen 
diese Kämme in eine längere Spitze aus. Anden Lenden- 
wirbeln treten an derselben Stelle die Pr. transv. heraus. 


Der Ste und die folgenden Rückenwirbel nebst dem sten Lendenwir- 
bel von Dipus Sagitta (doppelte nat. Gr.) nach einem schönen, 
vom Hrn. Med. Cand. E. Aberg aus Tunis mitgebrachten Skelette. 
m m, Pr. mamm., a a, Pr. access. — tr tr tr tr tr, Pr. transv. s. 
costales. 

Die Pr. spinosi an den oberen Wirbeln bis zu und mit 
dem 8ten laufen steil ab nach hinten; der 9te steht gerade 
aus, die nach unten hin liegenden sehen nach vorn. Am 
9ten und an den folgenden Wirbeln sind, während zugleich 
die Seitenfortsätze ihre Arme verloren haben, die mamm. 
ace. und cost. Fortsätze bedeutend von einander getrennt, 
welches Verhalten nach hinten zunimmt. Die mamm. Fort» 
sätze von und mit dem 10ien Wirbel an: sind sehr bedeu- 
tend. Die ace, sind schon am ?ten Lendenwirbel unvoll- 
ständig, an jedem folgenden mehr und mehr rudimentär. 

Lepus boreali# Nilss. Die Hasengaltung zeigt auch 
hinsichtlich des Rückgratlis und dessen Anhangsı besonders 
eigene Verhältnisse. Das vielleicht auflallendste ist die Bil- 
dung der 2 vorragenden Kamm- oder Fortsatzreihen, welche 
an den Seiten der Stachelfortsätze des Rückgraths verlaufen, 
Während diese Seitenreihen in anderen Fällen ‚von Muskel- 
fortsätzen gebildet werden, welche ‚aus. den Enden 'der Sei- 
tenfortsätze der Rücken wirbel hervortreten, kommen sie beim 


648 ° 


Hasen von den Rippen her und bestehen aus den Tuber- 
eula costarum, welche sich zu hohen griffelförmi- 
gen Fortsätzen entwickelt haben. Dies ist jedoch 
nur das Verhalten an der ?ten bis zu und mit der 8ten 
Rippe. Während diese Rippen mit den in Rede stehenden 
Fortsätzen an der Aussenseite ganz die Enden der Seiten- 
fortsätze bedecken und über sie hinüber laufen, ist das Ver- 
halten am 1sten Rückenwirbel völlig umgekehrt. An diesem 
ist der Rippenhöcker, wie im Allgemeinen, klein, bildet kei- 
nen Fortsatz und liegt dieht unter dem Ende der Seitenfort- 
sätze. Aber aus den Enden der Seitenfortsätze dieses Wir- 
bels erheben sich flache, nach oben spitzwinklig zugespitzte, 
hohe Fortsätze, an Gestalt und Stellung ähnlich denen an 
den 7 folgenden Rippen, aber etwas kleiner. Die Seiten- 
fortsätze sind auch hier dreiseitig prismalisch, aber mit der 
grössten Seite nach oben, so dass sie von oben her abge- 
plattet sind, vorn schliessen die Seiten mit einem spitz- 
winkligen Rande, und ganz hinten liegt die kleinste Seite, 
Die Enden des ?ten bis zu und mit dem 7Tien Rückenwir- 
bel haben an der hinteren breitern Ecke einen Höcker, wel- 
cher für jeden Wirbel nach hinten, bis zu und mit dem 
7ten, elwas grösser und herausstehend ist. An der Oberseite 
des öten Rückenwirbels ist eine schwache Leiste dicht gleich 
innen vor dem äussersten Rande; diese Leiste, welche nach 
vorn in einen kleinen Zacken (Rudiment zum mamm. Forts.) 
endigt, ist das erste Rudiment zu den Muskelfortsätzen und 
nimmt an Erhöhung an jedem der 3 folgenden Wirbel zu. 
Durch die Erhöhung dieser Leiste schliessen diese Seiten- 
fortsatzenden nach aussen mit spitzwinklig dreiseitigen Flä- 
chen, welche die Spitzen vorwärts wenden. Die dicken 
hinteren Enden dieser Dreiecke, in welche auch die hinteren 
Enden der oben genannten Leisten auslaufen, bilden zusam- 
men mit denselben Leisten die Rudimente zu den acc. und 
cost. Fortsätzen. Am 8ten Rückenwirbel, dessen Seitenfort- 
satzarme verkürzt sind, und die oben genannte Leiste etwas 


649 


nach einwärts verlegt, ferner die dreieckige Endfläche dadurch 
nach einwärts abschüssig geworden ist, theilen sich die 
hinteren Ecken in zwei, welche durch eine winkelförmige 
Exeisur geschieden werden. Von diesen beiden Ecken ist 
die vordere der Costal-, die hintere der acc. Fortsatz, Bis 
zu und mit diesem Wirbel haben die Rudimente zu den Mus- 
kelfortsätzen eine horizontale Lage. Die Gelenkflächen, des 
Costalhöckers sind am ?ten, 3ten, Aten und Öten Rücken- 
wirbel concav. Neben der successiven Ausbildung des Cos- 
talelements in den hinteren Rändern der Endecken werden 
diese Flächen am 6ten, 7ten und 8ten Rückenwirbel platt, 
klein und schräge gestellt. Am 9ten Rückenwirbel sind die 
eben genannten Leisten verschwunden. In: ihrer Stelle sind 
2 grössere nach oben und vorn gerichtete Mammillarfortsätze 
entstanden, welche sich nach einwärts versetzt und mit den 
Gelenkfortsätzen verschmolzen haben. Der unterhalb dieser 
liegende Theil der Seitenfortsätze ist, wie am vorhergehen- 
den Wirbel, in einen vordern Costalfortsatz, welcher mit 
der Rippe articulirt, und einen dicken, kurzen, nach hinten 
liegenden acc. Fortsatz getheilt. Am 10ten, 11ten und 12ten 
Rückenwirbel stellen sich die äusseren Seiten der Bögen fast 
lothrecht und haben eine grössere Ausdehnung erlangt. Die 
mamm, Fortsätze stehen fast gerade aufwärts, sind breit und 
abgeplattet und nehmen nach der Reihenfolge der Wirbel 
nach hinten zu, so dass sie an den Lendenwirbeln etwa von 
einerlei Höhe mit den Pr. spinosi werden. Die übrigen 2 
Theile der Seitenfortsätze oder die Costal- und Accessorial- 
theile sind weit nach unten an die Seiten des Wirbels ver- 
legt und am 10ten, 11ten und 12ten Rückenwirbel mit ein- 
ander vereinigt. Die Costaltheile werden hier wiederum 
nur niedrige schräge nach vorn abschiessende Kämme; die 
Antheile der acc, Fortsätze bestehen nur in kurzen, Höckern, 
Am 12ten (letzten) Rückenwirbel haben sich auch diese 
letzteren Fortsatztheile bedeutend gesondert, obgleich sie 
noch unvollkommner sind, indem die Costalfortsatzrudimente 


650 


hier in der Form von nur kleinen abwärts gerichteten Ecken 
an den untern Seitenrändern des Wirbels bestehen und die 
der aecessorischen Fortsätze ebenfalls in noch kleineren 
Ecken an den Rändern des hintern Wirbelendes, aber zwi- 
schen diesen beiden Fortsatzelementen, den cost. und den 
ace., verläuft an den Seiten des Wirbels eine erhöhte Linie, 
welche auf deren vorherigen Zusammenbang hindeutet. Die 
acc. Fortsätze an den 3 ersten Lendenwirbeln sind nur’ ru- 
dimentär, an den 3 folgenden nur durch schwache Linien 
angedeutet; an dem letzten auch diese fehlend. Am vordern 
Theil des Rückgrats sind die Arcus der Rückenwirbel (mit 
Ausnahme der Stachelfortsätze) niedrig, von oben her abge- 
plattet. Vom 9ten Rückenwirbel an werden sie bei ihm und 
bei den folgenden Rücken- und den Lendenwirbeln von den 
Seiten zusammengedrückt, abgeplattet, hoch. Die Stachel- 
fortsätze sind bis zum 9ten schmal, der 2te und 3te die 
höchsten und etwas nach hinten geneigt; der 10te steht auf- 
recht, ist aber ‘schon breit; der 11te ist. der breiteste und 
nach vorn gestellt; die folgenden sind alle breit, aber nicht 
höher, als die Mammillarfortsätze, und vorwärts gestellt. 


Edentata. 


Bradypus tridactylus. Der ganze Brust- und Len- 
dentheil des Rückgrathes ist dem der meisten Säugethiere 
sehr unähnlich durch die Plattheit der Arcus zwischen 
den Seiten- und Dornfortsätzen. Fast alle Seitenfortsätze 
sind breit und flach; ihre Aussenkanten erhöhen sich etwas 
und erheben sich gegen die vorderen Ecken in kurze, rudi- 
mentäre Mammillarfortsätze; übrigens‘ zeigen die Seitenfort- 
sätze an den Rückenwirbeln keine Spur von Theilung. Alle 
Spuren von gesonderten acc. sowohl als cost. Fortsätzen 
fehlen. Am letzten (10ten) Rückenwirbel sind: die ‚Seiten- 
fortsätze kurz und schmal, durch eine Einsenkung von den 


651 


hier zuerst frei hervortretenden Mammiliarfortsätzen geschie- 
den, und nähern sich, obzwar rippentragend,, in der Form 
den Querfortsätzen der Lendenwirbel. Diese letztern sind 
auch sehr kurz und flach; am vordern Rande und an der 
Basis derselben sitzen kleine gerundete, wenig hervorste- 
hende mamm. Fortsätze. Eine andere Eigenheit am Rück- 
grathe dieses Thiers ist die, dass alle Gelenkfortsätze auch 
platt liegen, obne sich aufzurichten. Am letzten Rückenwir- 
bel sind die mamm. und Gelenkfortsätze getrennt, an den 
Lendenwirbeln zusammen verschmolzen. Am hintern Rande 
und an der Basis der Querfortsätze der Lendenwirbel treten 
nach hinten kleine, abgestutzt geendete, ebenfalls platte Theile 
hervor, welche deutlich rudimentäre acc, Fortsätze sind. Innen 
vor-jedem von diesen steht am hintern Rande der Quer- 
fortsätze, von denen sie ausgehen, eine tiefe Excisur für den 
Durchgang der Adern und Nerven. Schon hier tritt eine 
andere Eigenheit auf, welche bei andern Edentaten vorkonmt, 
dass nämlich die acc. Fortsätze an der Innenseite mit knor- 
pelbekleideten Gelenkflächen versehen sind, welche mit kleinen 
Gelenkknöpfen artieuliren, die zu den Seiten der vorderen 
Gelenkfortsätze an dem hintenan liegenden Tendenwirbel 
ausgehen. Mit anderen Worten kann man sagen, dass die 
vorderen Gelenkfortsätze doppelt sind, und dass diese hin- 
teren acc. Elemente der @Querfortsätze die Rolle secundärer 
äusserer Gelenkfortsätze spielen. Es zeigt sieh auch bei 
Bradypus, dass die costalen und acc, Fortsatzelemente un- 
ter sich ungetheilt oder verschmolzen sein und, so zu sa- 
gen, für einander vicariiren können. 

Dasypus novemcinetus. Die Seitenfortsätze an 
den 6 ersten Rückenwirbeln haben an der obern Seite der 
äusseren Enden einen kleinen Höcker, welcher das Rudi- 
ment zu den an den folgenden Wirbeln grossen Mammillar- 
fortsätzen ist; am innern Ende des Hinterrandes ist ein klei- 
ner flacher, herausstehender, nach hinten gerichteter Theil, 
welcher den hinter liegenden Rippenkopf berührt; dieser ist 


652 


das Rudiment zum Pr. acc; Am 7ten Rückenwirbel ‚giebt es 
schon freistehende Pr. mamm., welche sich von den Enden 
der Seitenfortsätze näher an die articulären versetzt haben; 
die hinteren acc. Fortsatzelemente sind auch weiter hinein 
versetzt und mit doppelten Gelenkflächen nach oben und 
unten versehen; so auch an den Lendenwirbeln. Diese acc. 
Fortsätze, zu denen sich ein Vorbild an den Lendenwirbeln 
bei Bradypus fand, sind sehr dick und plump. Die obere 
Gelenkfläche artieulirt mit der entsprechenden Gelenkfläche 
unter einem tiefen Ausschnitt an der Basis und äussern Seite 
des mamm. Fortsatzes jedes Wirbels, die untere gegen einen 
Theil des hinter und unter ihr liegenden Rippenkopfs. An 
den 4 hinfern Rückenwirbeln sind solcherweise die Seiten- 
fortsätze in die 3 anderen, aus ihnen entwickelten, getheilt, die 
mamm., acc. und cost. Fortsätze. Die cost. Fortsätze liegen ho- 
rizontal nach aussen als dreieckige, flache, obgleich etwas 
dicke Scheiben, welche längs der Rippenhälse und Höcker 
liegen. Die mammillären Fortsätze nehmen an jedem nach- 
folgenden Wirbel zu, so auch an den 5 Lendenwirbeln, sind 
nach vorn und aussen gerichtet und an den zuletzt genann- 
ten, Wirbeln länger, als die Dornfortsätze selbst. _Die acc. 
Fortsätze an den Lendenwirbeln sind dicker als an den 
Rückenwirbeln, tief zwischen die Pr. mamm. und transversi 
(eostales) an den Seiten des folgenden Wirbels eingesenkt. 
Dies Verhalten hat schon Cuvier bemerkt, sich aber 
rücksichtlich der Deutung desselben etwas geirrt. Er be- 
trachtet nämlich diese so eigenthümlich gebildeten Pr. acc. 
als den Pr. articulares (obliqui) angehörend. (Legons d’Anat. 
comp., Ed. 2. T. I. p. 199.) Die Querfortsätze an den Len- 
denwirbeln sind kurz, flach, nach vorn und unten gewendet; 
an den Enden etwas ausgehöhlt und an der Basis und dem 
vordern Rande mit Gelenkflächen gegen die Pr. acc. ver- 
sehen. 

Myrmecophaga Tamandua. Die Bögen der Rücken- 
wirbel. sind niedrig, etwas ähnlich, denen bei Bradypus, doch 


653 


höher. Die Seitenfortsätze sind breit, mit ein wenig aufge- 
schlagenen Aussenkanten; am ten Rückenwirbel sitzt ein 
kleiner Höcker an der äussern Seite jedes vordern Gelenk- 
fortsatzes; er ist das Rudiment zum mamm. Fortsatze. Aehn- 
liche Höcker finden sich auch an den Gelenkfortsätzen der 
5 hinteren Halswirbel, welche wie die des iten Rücken wir- 
bels, eigen genug, so zu sagen lendenartig gebildet sind, 
nämlich so, dass die hinteren Gelenkfortsätze in die inneren 
und äusseren aufgerichtet stehenden hineingeselzt sind. Am 
2ten Rückenwirbel, an ‘welchem die Gelenkfortsätze platt 
liegen, findet sich ein grosser, spitziger Mammillarfortsatz- 
höcker, getrennt vom Gelenkfortsatze, gleich nach innen vor 
der obern Endkante des Seitenfortsatzes. Am 3ten Rücken- 
wirbel ist dieser Höcker kleiner, etwas mehr kmm förmig 
nach hinten ausgezogen; an den folgenden wird derselbe ge- 
raudet und setzt sich nach hinten in eine Spitze fort. Das 
vordere Ende macht das Mammillarfortsatzrudiment aus; aus 
ihm entwickeln sich die ace. Fortsätze als zwei kleine, fast 
unbemerkbare Höcker. Unter und nahe dem hinteren Rande 
der Seitenfortsätze entwickeln sich nach unten kleine Ab- 
sätze für die Verbindung mit den Rückenhöckern; diese Ab- 
sätze, welche hinten am breitesten sind, nach vorn abneh- 
men, wie auch zu einem grossen Theile schräg nach vorn 
und unten gestellt, nehmen an Ausbildung bis’ zu und mit 
dem i4ten Rückenwirbel zu. An demselben Wirbel erscheint 
ein deutlicher Aufang zur Theilung der Muskelfortsatzhöcker 
in mamm. und ace. Fortsätze, auch entstehen an ihm solche 
grosse, dicke, articulirende acc. Fortsätze, wie sie späterhin 
folgen, und welche tief in die Seiten des folgenden Wirbels 
eingesenkt sind. Zugleich theilen sich so auch die Seiten- 
fortsätze fast vollständig in die drei anderen Fortsatztheile, 
wobei der cost. (Quer-) Theil gegen die Seiten hin hervor- 
springt und unten, am 10ten Rückenwirbel, mit einem Ge- 
lenkknopfe versehen ist; am 1öten und an den folgenden mit 
einem Höcker für die Verbindung mit den Rippen. Dieses 


654 


Thier hat, wie wir wissen, 18 mit Rippen versehene Wir- 
bel und nur 2 Lendenwirbel; die 5 letzten Rückenwirbel 
sind in der Seitenfortsalzbildung lendenartig. Die Costal- 
fortsätze an den hintersten, besonders den beiden letzten, 
nähern sich in der Form und Stellung den @uerfortsätzen 
der Lendenwirbel. 


Pachydermata. 


Elephas africanus (grosses Exemplar, dem. Reichs- 
museum zugehörend, von J. Wahlberg aus dem Basuto- 
Kaffer-Lande mitgebracht). Die Mehrzahl der Seitenfortsätze 
der Rückenwirbel schliessen nach aussen mit oben gerunde- 
ten Enden, an denen kleine undeutliche Höcker die Elemente 
der‘ Muskelfortsätze andeuten. Mit dem 9ten Rückenwir- 
bel beginnen jedoch diese gerundeten Enden sich etwas 
mehr zu erhöhen, um eine Reihe aufwärts gerichteter Höcker 
längs der Dornfortsatzreihe zu bilden. Anden Enden der Seiten- 
fortsätze desselben Wirbels gehen auch nach unten Höcker, als 
Rudimente zu Costalfortsätzen, heraus. Am 14ten und 1öten 
Rückenwirbel giebt es ebenfalls kleine Rudimente zu acc. 
Fortsätzen; aber diese fehlen wieder an den folgenden. Am 
16ten und 17ten Rückenwirbel schiessen die vorderen En- 
den der Seitenfortsatzhöcker in pyramidalische, längere 
Höcker, als mamm. Fortsätze, aus, während. die Costalfort- 
satzhöcker unterwärts an Grösse zugenommen haben, Am 
18ten Rückenwirbel sind die Seitenfortsatzhöcker nach oben 
mehr kammförmig verlängert, an den vorderen Enden za- 
pfenförmige, vorwärts zielende mamm. Fortsätze bildend. 
Am 18ten und 19ten steht eine satlelförmige Einsenkung,aul 
der Mitte derselben etwas verlängerten, kammförmigen, auf- 
wärts stehenden Höcker; hierdurch werden die vorderen, 
zapfenförmigen Enden (mamm. F,) von den hinteren, dicke- 
ren, etwas nach unten gewendeten, klumpig gerundeten ge- 


655 


trennt, welche von den Elementen der cost. und acc. Fort- 
sätze gebildet werden, die hier ungetrennt sind. Am 20sten 
(letzten) Rückenwirbel sind die vorderen (mamm.) und die 
hinteren (vereinigten cost. und acc.) Fortsatztheile noch 
mehr getrennt, nämlich durch tiefe Excisuren, woneben die 
Seitenfortsatzarme hier fehlen. Die mamm. Fortsätze am 
18ten, 19ten und 20sten Rückenwirbel, wie auch am 1sten 
Lendenwirbel, liegen dicht an den hinteren Enden der Sei- 
tenfortsätze des vorhergehenden Wirbels, oder, mit andern 
Worten, die vornher liegenden , zusammen verschmolzenen, 
klumpigen costal-accessorischen Fortsatzelemente erstrecken 
sich nach hinten bis an die äusseren Seiten der nachfol- 
genden Wirbel und deren Mammillarfortsatzparthien auf eben 
die Weise, wie die acc. Fortsätze bei den Quadrumanen, 
Raubthieren u. m., und übernehmen somit die Rolle von 
ace. Fortsätzen. Erstlich am {ten Lendenwirbel sind die 
mamm. und Gelenkfortsätze mit einander verschmolzen. Die 
Querfortsätze an den Lendenwirbeln sind klein; alle Spuren 
von gesonderten acc. Fortsätzen fehlen; man kann desshalb 
füglieh annehmen, dass diese Querfortsätze nicht allein von 
den costalen, sondern auch von den acc. Fortsatzelementen 
gebildet werden. Die Seitenfortsätze des 1öten, 16ten, 17ten, 
18ten und 19ten Rückenwirbels sind von unten nach oben 
von eigenen Löchern durchbohrt, welche am 20sten in den 
erwähnten Exeisuren verschwinden, 

Tapirus americanus (grosses Exemplar, im vergan- 
genen Sommer vom Dr. Regnell, zu Caldas in Brasilien, 
hergesendet). Die Enden der Seitenfortsätze aller Rücken- 
wirbel sind mit kleinen, an den vordersten sehr niedrigen, 
Kämmen versehen, welche sich am 3ten Rückenwirbel be- 
deutend aufrichten. Am Öten Rückenwirbel sind diese Kämme 
in ein vorderes und ein hinteres Rudiment zu mamm. und 
acc, Fortsätzen zweigetheilt; am öten ist diese Theilung nur 
rudimentär, an den folgenden ganz verschwunden. Die Co- 
stalfortsatzrudimente finden sich an den Seitenfortsätzen der 


656 


sämmtlichen Rückenwirbel ausgedrückt, an den 10 vorder- 
sten nur als niedrige, keilförmige Absätze, am {1ten bis zu 
und mit dem: 1öten als etwas mehr herausstehende, abgeplat- 
tete Höcker, am 16ten und an den folgenden, bei denen sie 
nicht bis an die Rippen reichen, als gerundete Höcker, wel- 
che Rudimente zu Pr. transv. bilden. Die mamm. Fortsätze 
sind niedrige Kämme, welche, nach der Reihenfolge der 
Wirbel nach hinten, die Form kleiner, schräge gestellter 
Zapfen annehmen. Acc. Forlsätze fehlen, mit Ausnahme 
der angeführten (am Sten und 6ten R. W.), sowohl an den 
Rücken-, als an den Lendenwirbeln, bis zu den beiden letz- 
ten Lendenwirbeln, an denen sie aus den hintern Rändern 
der Querfortsätze als nach hinten gestreckte, partielle Ver- 
längerungen der hinteren Ränder der genannten  Querfort- 
sätze hervortreten. An den hinteren Rändern der 2 voran- 
gehenden Querfortsatzpaare zeigen sich jedoch Rudimente 
zu solchen. Diese Form der acc. Fortsätze kommt auch 
beim Pferde, und noch mehr rudimentär beim Schweine 
vor. Sie tritt in demselben Niveau, wie die Querfortsätze 
selbst, hervor, und legt sich beim Tapir Kante an Kante mit 
dem Querfortsatze des hinterliegenden Wirbels, nämlich von 
dem hintersten Wirbel an die angrenzenden Flächen des 
Kreuzbeins und auch der Hüftbeine. Dies Verhalten scheint 
es ferner zu bestätigen, dass die Querfortsätze, welche der 
accessorischen Fortsätze ermangeln, doch aus den cost. und 
acc. Fortsatzelementen gebildet werden. Vom ?ten Rücken- 
wirbel bis zu und mit dem sten Lendenwirbel sind die 
Crura arcuum gleich hinter den Wurzeln der Seitenfortsätze 
von horizontal gestellten Löchern durchbohrt, welche Dou- 
bletten von Foramina intervertebralia bilden, 

Sus Scrofa (junges Specimen). Die Seitenforisätze 
der Hals- sowohl, als der Rücken- ünd Lendenwirbel bieten 
bei diesen Thiere die Eigenheit dar, dass sie ein Loch, wahr- 
scheinlich zum Durchgange von Nerven und Adern, besitzen, 
welches schräg von untenher zur obern Seite, an welcher 


657 


es sich öffnet, hindurchläuft. Am ften und ?ten Rückenwir- 
bel sind diese Löcher sehr gross, an 2 Lendenwirbeln un- 
vollständig, durch Exeisuren und Rinnen ersetzt. Alle Sei- 
tenforisätze an den Lendenwirbeln sind kurz. Die äusseren 
Enden an den beiden ersten zeigen keine besondere Fort- 
satzrudimente; am 3ten Rückenwirbel sind die Seitenfort- 
sätze dreiseilig prismatisch und haben nach oben, eine kleine 
Strecke entfernt von den äusseren Enden zunächst der Vor- 
derseite, einen niedrigen, pyramidalischen Höcker. Am 4ten 
Rückenwirbel sind diese Höcker noch höher, am 5ten etwas 
nach hinten ausgezogen in kurze Kämme und mittelst seich- 
ter Rinnen von den unlerwärts liegenden, etwas nach hin- 
ten gerichteten, kleinen Costalfortsatzrudimenten getrennt; 
am 6ten und an den folgenden Rückenwirbeln sind die an 
den vorhergehenden ungetheilten, kammförmigen Höcker mit 
vorderen und hinteren Ecken versehen, welche die hervor- 
tretenden, gesonderten mamm, und ace. Fortsätze sind, wo- 
neben die cost. Fortsatzelemente mehr und mehr, nach den 
Seiten mit schief abgestutzten, knorpelbekleideten Enden 
für die Rippenhöcker hervorschiessen. Am 10len Rücken- 
wirbel bilden die oberen Höcker an der Oberseite eines je- 
den Seitenforlsatzes einen langgezogenen Rücken, dessen En- 
den die noch unvollkommen gesonderten Muskelfortsätze 
sind, von denen die vorderen mammillären kleiner als an den 
vorbergehenden Wirbeln sind; die Costalfortsätze am 10ten 
Rückenwirbel sind ziemlich lang, getrennt von den Mus- 
kelfortsätzen durch eine längere und tiefere Grube, drei- 
eckig, oben flach und schon Lendenquerfortsätzen glei- 
chend. Die Dornfortsätze an diesem und an den vor- 
hergehenden neigen sich etwas nach hinten. Der am 
11ten Rückenwirbel steht gerade aufgerichtet; an den 
nachfolgenden neigt er sich vorwärts, Die vorderen Ge- 
lenkfortsätze am 1ften Rückenwirbel sind verschmolzen mit 
den nach einwärts versetzten, grösseren Mammillarfortsätzen ; 
Müller's Acrbiv, 1849. 42 


658 


die Arme der Seitenfortsätze sind verschwunden: die Mus- 
kelfortsatzelemente, welche den Dornfortsätzen näher liegen, 
bilden langgezogene, schräge nach hinten abschiessende Rücken, 
deren Enden nach vorn in einen grössern mamm. Fortsatz 
und hinten in einen sehr kleinen Höcker, als Rudiment zum 
acc. Fortsatz, auslaufen; die Costalfortsätze sind grösser, als 
am vorhergehenden Wirbel, übrigens aber von eben solcher 
Form und Stellung. Am {?ten Rückenwirbel ist der vor- 
genannte Rücken noch länger ausgezogen, und die mamm. 
und acc. Elemente sind durch eine lange Krümme getrennt. 
Das acc. Fortsatz-Element besteht nur 


Fig. 8. 


Die 3 letzten Rückenwirbel nebst den Rippen und der 
{te Lendenwirbel von Sus Scrofa (jung. Ex.) von oben 
angesehen, um die bedeutenden Querfortsätze zu zeigen, 
welche am 13ten und 14ten Rückenwirbel hinter den 
Costalfortsatzrudimenten gelegen sind. — a, mamm, F. 
bbb, cost. F., ecc Pr. access, welche hier Querfort- 


sätze bilden. 
aus einem kleinen, unbedeutenden Höcker; das cost. Fort- 
satzelement schiesst bedeutend aus der Mitte der Krümmungs- 
verliefung hervor. Am 13ten Rückenwirbel verhalten sich 
die mamm. und cost. Fortsätze wie beim vorhergehenden; 
aber die hinteren accessorischen, bilden dünne querfortsatz- 
ähnliche Processus, welche hinter den cost. Fortsätzen her- 


659 


vorkommen, wie dies aus Fig. 8 und [weiter unten] Fig. 10 
erhellt. Am 14ten (letzten) Rückenwirbel ist die Krümmungs- 
vertiefung zwischen den mamm. und cost., nebst den acc. 
Fortsätzen noch tiefer; die mamm. und cost. verhalten sich 
fast, wie beim vorigen, obgleich sie von etwas gröberen 
Dimensionen sind; die acc. schiessen ebenfalls in platte, 
blattförmige, horizontal liegende, hervorstehende Processus 
aus, welche hier unverkennbar Form und Stellung von 
Querfortsätzen annehmen (Fig. 8 und 10 c.). Die mamm. 
Fortsätze an den 4 letzten Rückenwirbeln sind nach aussen, 
ihren aufgerichteten Enden nahe, dreieckig, nach aussen mit 
kleinen Höckern versehen, welche an den beiden letzten 
Rückenwirbeln am grössten sind. Die mamm. Fortsätze 
an den Lendenwirbeln sind niedrig, über die mit ihnen ver- 
schmolzenen Gelenkfortsatz-Elemente nicht hinaufsteigend, 
aber mit ähnlichen Höckern, wie an den vorhergehenden 
Wirbeln, versehen. Die Querfortsätze sind meistens hori- 
zontal, etwas vorwärts gekrümmt, flach, dünn, mit vorde- 
ren concav und nach hinten convex gebogenen, zugeschärf- 
ten Rändern, welchen an den beiden ersten Lendenwirbeln 
besondere Bildungen für die costalen und accessorischen 
Elemente fehlen. An den Querfortsätzen des 3ten und der 
folgenden Lendenwirbel treten dagegen aus den hinteren 
Rändern dünne, kurze Ausschüsse hervor, welche eine Ten- 
denz zu denselben Bildungen, wie beim Tapir, oder, mit 
andern Worten, zum Wiederhervortreten des acc. Fortsatz- 
elementes, andeulen. 

Dicotyles torquatus (junges Ex.). Die Seitenfort- 
sätze aller Rückenwirbel sind kurz, mit ähnlichen Löchern, 
wie beim Schweine, versehen. Am ?ten und 3ten Rücken- 
wirbel sind diese Löcher am grössten. Die Seitenfortsätze 
des 1isten haben an der oberen Seite, nahe den Enden, einen 
kleinen stumpfen Höcker, welcher beim 2ten fehlt. Am 3ten, 
Aten und Öten finden sich grössere, dreiseilige Höcker, wel- 
che etwas nach vorn gerichtet sind und die beiden Muskel- 

4R2* 


660 


fortsatz-Elemente enthalten; von ihrer unteren Seite, etwas 
nach hinten, gehen au den Enden abgeplattete Costalfort- 
sätze hinab. Am sten, 7ten, Sten und 9ten Rückenwirbel 
kommen dieselben Höcker und Costalfortsätze vor; aber die 
ersteren sind an den hinteren Enden mit kleinen Zacken, 
Rudimenten zu accessorischen Fortsätzen, versehen; die vor- 
deren Enden der Höcker sind mamm. Fortsätze; die costalen 
sind an diesen Wirbeln denen an den vorhergehenden gleich. 
Zwischen den mamm. und den acc. Fortsatzrudimenten am 
6ten bis zu und mit dem 9ten Rückenwirbel verläuft eine 
kammförmige Firste, welche etwas nach hinten abschiesst. 
Am 40ten und 4iten Rückenwirbel ist diese Firste noch 
weit abschüssiger und daneben verlängert; die vorderen En- 
den schiessen in ziemlich grosse Mammillarfortsätze hervor; 
die hinteren (ace.) Fortsatzrudimente sind etwas kleiner; die 
costalen gleichen den an den vorigen. Die Dornfortsätze 
am isten bis zu und mit dem 10ten Rückenwirbel schiessen 
etwas nach hinten ab; der am 11ten steht gerade aufwärts; 
die an den folgenden aber schiessen nach vorn ab. Am 12ten 
und an den folgenden Wirbeln sind die mamm. und die Ge- 
lenkfortsätze mit einander verschmolzen, die Fortsatzarme 
verschwunden, die Muskelfortsatzkämme sattelförmig ausge- 
schweift; ihre Enden, die mamm. Fortsätze und die Rudi- 
menle zu den acc. sind von einander mehr getrennt, die co- 
stalen Fortsätze etwas mehr herausstehend, abgeplatlet, vor- 
wärts gestellt. Am 4ften Rückenwirbel sind die Rudimente 
zu den acc. Fortsätzen kleiner, als am 12ten. Am 1äten 
sind diese Fortsätze grösser, als am vorhergehenden, und 
am 14len (letzten) noch grösser als am 13; hier ist er näm- 
lich steil herausstehend, scheibenförmig, wie beim Schweine, 
jedoch etwas kürzer. An den Querfortsätzen des letzten 
Rückenwirbels stehen die zuerst erwähnten Löcher im hin- 
tern Rande, sind aber unvollständig und bilden nur eine tiefe 
Exeisur. Die Querfortsätze gleichen denen beim Schweine; 
sind aber etwas kürzer; alle anderen Spuren von besonderen 


661 


acc. Fortsätzen fehlen, ausser den schwachen, stumpfwinkli- 
gen Ausbreitungen, welche sich an den hinteren Rändern 
der Querfortsätze der 3 letzten Lendenwirbel finden. 

Beim Rhinoceros simus (Skelett eines erwachsenen, 
mitgebracht von J. Wahlberg, dem Reichsmuseum  ange- 
hörend) hat, wie beim Schweine, der letzte Rückenwirbel 
hinter den Costalfortsätzen 2 grosse Querfortsätze, welche 
aus den acc. Fortsatzelementen gebildet sein dürften. 

Hyrax capensis (Skelett eines erwachsenen, von J. 
Wahlberg hergebracht). Der Rückgrat dieses Thieres 
bietet eine ausgezeichnete Gleichförmigkeit und mit dieser 
übereinstimmende Einfachheit und Regelmässigkeit in der 
Bildung, dar. Die Stachelfortsätze der vorderen Rücken- 
wirbel sind schmal, schräge nach hinten zugespitzt und nach 
hinten geneigt; der des 1ften ist breiter und kürzer, als der 
der vorhergehenden ; die folgenden sind alle breit, fast eben so 
kurz, und der Länge nach an den Enden querabgestutzt; der 
Querfortsatz des 14ten Rückenwirbels steht fast gerade auf- 
wärts. Die Dornfortsätze der vorn liegenden schiessen nach 
hinten, die der hinten liegenden (auch der Lendenwirbel) etwas 
nach vorn, ab. Die Enden aller Seitenfortsätze stehen etwas 
aufwärts, die vorderen 3 mit einer Firste aussen am Arme. 
An den folgenden schiessen die Enden in etwas grössere 
Höcker hinauf, welche die ungetrennten Elemente für die 
Muskelfortsätze enthalten. Diese sind elwas plattgedrückt, 
aber schmal, oder etwas kammförmig und. vor wärts gerich- 
ter, meistens Mammillarfortsätze vorstellend. Nur am I3ten 
und i4ten Rückenwirbel finden sich, am äussersten‘ Ende 
dieser Muskellortsätze, schwache Einschnitte, welche eine 
Spur von unvollständiger Theilung und Andeutung zu. be- 
sonderen Rudimenten von mamm. und acc. Forlsätzen dar+ 
bieten. Am Jdlen und an den folgenden Rückenwirbela 
sind die Muskelfortsälze schmäler, oline eine Spur von Thei- 
lung und mit dem äusseren Ansehen von Pr. mamım, Es 
kommt kein jäher Uebergang bei der, Verschmelzung, der 


662 


mamm. mit den artic, Fortsätzen vor; diese stellt sich .all- 
mählig ein, neben allmählig geschehendem Verkürzen und 
Verschwinden der Seitenfortsatzarme. Jede Spur von acc. 
Fortsätzen fehlt. Die cost. Fortsatz-Rudimente, welche schon 
am ?2ten Rückenwirbel hervorzutreten beginnen, liegen bis 
zu und mit dem 12ten, etwas nach hinten, unter und hin- 
ter den Muskelfortsätzen, als Ecken der etwas nach hinten 
ausgebreiteten Seitenfortsatzarme. Am i?ten und an den 
folgenden Rückenwirbeln erhöhen sich die Insertionen der 
mamm. Fortsätze immer mehr, wodurch diese sich von den 
Costalfortsatzrudimenten entfernen. Diese liegen auch mehr 
unter den mamm. Fortsätzen und schiessen gleichsam win- 
kelförmig aus den unteren (hinteren) Enden der letztgenann- 
ten Fortsätze hervor. Es gehen keine Fortsätze hinter den 
cost. Fortsätzen ab, eben so wie beim Schweine u. ın. Pa- 
chydermen, und eben so wenig findet man andere Spuren 
von acc. Fortsätzen an den Lendenwirbeln., 
EquusCaballus. Die Seitenfortsätze des 1sten Rücken- 
wirbels sind breit, haben unten grosse Aushöhlungen zur 
Aufnahme der Rippenhöcker, und von jedem Gelenkfortsatze 
läuft ein schwacher Rücken nach hinten zur hintern Ecke 
des Seitenfortsatzes. Der Seitenfortsatz des ?ten Rücken- 
wirbels hat an der obern Seite, gleich unter den Gelenk- 
fortsätzen, einen kleinen Höcker (das Rudiment zum Pr. 
mamm.), von welchem zur hintern Ecke eines jeden Seiten- 
fortsatzes ein schwacher Kamm ausläuft; diese Ecken selbst, 
welche in kleine Höcker ausgehen, sind Rudimente zu ace, 
Fortsätzen. Am 3ten Rückenwirbel haben die äusseren End- 
flächen der Seitenfortsätze fast eine Rhomboidalform ange- 
nommen; der oberste Endrand entspricht demselben kleinen 
Kamme, welcher sich am vorigen Wirbel zeigte; er hat eine 
spitzwinklige Ecke nach vorn, welche das Rudiment zum 
mamm. Fortsatz ist; hinter diesem ist eine stumpfwinklige, 
aufwärts strebende Ecke (Rud. zum Pr. ace.) und ganz hin- 
ten eine spitzwinklige (Rud. z, Pr. cost.). Fast auf dieselbe 


663 


Art sind die Enden der Seitenfortsätze der 7 folgenden 
Rückenwirbel oder bis zu und mit dem 10ten geformt. Ob 
zwar die rhomboidale Form mit jedem nachfolgenden Wir- 
bel nach hinten und unten sich verlängert, während sie an 
den voranliegenden mehr breit und niedrig war, wird sie 
doch an den nach hinten folgenden mehr ausgezogen, so 
dass der oberste Kamm nach oben und vorn zu Fortsätzen 
verlängert wird, welche in Form und Stellung sich den gros- 
sen mamm. Fortsätzen nähern. Am 1Iten, 12ten und 13ten 
Rückenwirbel werden die genannten Endflächen gerundet, 
während zugleich die Kämme zu vorwärts aufgerichteten, 
zapfenförmigen, mamın. Fortsätzen gerundel werden, und von 
deren Basis grössere und grössere cost. Fortsatzhöcker in 
der Richtung nach aussen und hinten hervorspringen ; diese 
letzteren haben nach hinten zugeschärfte Ränder, Mit dem 
Eintritte dieser Formveränderung verschwinden die schwa- 
chen Rudimente, zu acc. Fortsätzen, welche sich an den vo- 
rigen Wirbeln fanden. Am 1äten Rückenwirbel beginnt eine 
Krümme zwischen den hier schon grossen Pr. mamm. und 
cost.; diese Krümme wird tiefer an den nachfolgenden Wir- 
beln, während die mamm, Fortsätze höher hinauf, näher an 
die artic, Fortsätze verselzt sind und länger und flächer wer- 
den. Am 17ten und 48ten (letzten) Rückenwirbel sind die 
cost. Fortsätze von vorn nach hinten etwas breit, nach aus- 
sen aber kurz, dick, mit den Gelenkflächen auf der Mitte, 
Zu andern (Juerfortsätzen oder Pr, acc, findet sich keine 
Spur. An den Lendenwirbeln sind die ınamın, Fortsätze so 
gut als verschwunden; sie werden nur von den etwas ge- 
rundeten äusseren Seiten der äusseren Gelenklortsätze re- 
präsentirt; von acc, Fortsätzen zeigen die Lendenwirbel- auch 
weiter keine Spur, als eine schwache Erweiterung der hin- 
teru scharfen Ränder der Querforlsätze des 4ten Lenden- 
wirbels und grössere Ausbildungen der Querfortsätze des 
Öten und Öten (letzten) Lendenwirbels, gleich dem, was bei 
einigen der vorher angeführten Pachydermen erwähnt. wor- 


664 


den ist. Diese partiellen Erweiterungen der hinteren Quer- 
fortsätze beim Pferde stossen auch au einander und gegen 
die Vorderränder der Querfortsätze des ersten Kreuzbeinwir- 
bels, so dass sie unter einander Querflächen bilden. Die 
Mammillar- und Gelenkfortsätze finden sich zuerst mit ein- 
ander verschmolzen am letzten Lendenwirbel. Die Dorn- 
fortsätze vor dem 14ten Rückenwirbel schiessen nach hinten 
ab, der am 14ten steht gerade aufwärts, die der weiter hin- 
ten liegenden schauen etwas vorn. 


Ruminantia. 


Tragulus javanicus. Die Seitenfortsätze des ersten 
Rückenwirbels schiessen nach aussen mit ziemlich hohen 
cylindrischen Endflächen, welche oben Gelenkflächen gegen 
die Gelenkfortsätze des letzen Halswirbels bilden und unten 
mit den Höckern des 1sten Rippenpaares articuliren. Die 
Seitenfortsätze des ?ten Rückenwirbels sind höher, als an 
den nächstfolgenden, gegen die Enden nach oben mit kleinen 
Kämmen versehen, mit einer vordern und einer hintern Ecke, 
Rudimenten zu mamm. und acc. Fortsätzen. Die Seitenfort- 
sätze des Aten, Öten und 6ten Rückenwirbels sind niedriger, 
die Endflächen kleiner, die Kämme niedriger sowohl, als 
kürzer, ferner mehr und mehr nach vorn abschüssig, so dass 
die Ecken (die Muskelfortsatzrudimente) nach unten und 
nach oben stehen. Unter und etwas hinter diesen Kämmen 
sind Rudimente zu Costalfortsätzen. Die Enden des 7ten 
und 8ten sind beinahe ceylindrisch; die an den vorhergehen- 
den Wirbeln befindlichen Kämme sind hier in vorwärts und 
aufwärts gerichtete, an den Vorderenden dickere mamm, 
Fortsätze verwandelt, aus deren hinteren Enden kurze Pr. 
cost. ausschiessen. Die Seitenfortsätze an den 2 nächstfol- 
genden Wirbeln sind breiter, die Endflächen noch mehr in 
vorwärts aufgerichtete Pr. mamm. und aussen stehende Pr. 


665 


cost. ausgezogen, und mit schwachen, ausgeschweiften Ein- 
senkungen zwischen diesen, wie auch ohne Spuren von ac- 
ces. Fortsätzen. Am 4ften, 12ten und 13ten (letzten) Rük- 
kenwirbel werden die mamm. Fortsätze länger und stärker, 
nach oben und innen versetzt, mit den Gelenkfortsätzen ver- 
schmolzen,. wodurch der Abstand zwischen ihnen und den 
Costalfortsätzen grösser wird. Die Costalfortsätze bilden 
sich an diesen Wirbeln zu ziemlich bedeutenden, am. I1ten 
und 12ten kürzeren, am 13ten längeren, dreieckigen, flachen, 
fast horizontal nach aussen gerichteten Querfortsätzen aus, 
welche hinter den zu ihnen gehörenden Rippen sitzen. An 
den Lendenwirbeln werden die mamm. Fortsätze wiederum 
kürzer, die Querfortsätze länger und länger, mit dem 6ten 
(letzten) Lendenwirbel wieder kürzer und an den hinteren 
Rändern mit nach hinten auslaufenden flachen Flügeln (Ru- 
dimenten zu acc. Forts.), ähnlich denen bei den Pachyder- 
men, versehen. ! 

Cervus Capreolus. Die Seitenfortsätze des 1sten 
Rückenwirbels schliessen nach aussen mit ziemlich grossen 
Endflächen, welche die Form von liegenden, gleichschenkli- 
gen, spitzwinkligen, mit den Spitzen rückwärts gewendeten 
Dreiecken haben. Die oberen vorderen Ecken bilden aufge- 
richtete Höcker. die oberen Seiten jede einen schwachen 
Kamm. Am ?ten Rückenwirbel sind die Kämme höher, aber 
kurz, mit einer vordern spitzigern, einer hintern stumpfern 
Ecke versehen. Am 3ten und 4ten Rückenwirbel kommen 
ähnliche Endkämme vor, welche etwas schärfer, höher und 
länger, auch mit vorderer und hinterer Ecke (schwachen Ru- 
dimenten zu Pr. mamm, et acc.) versehen sind. Die Rudi- 
mente zu den Costalfortsätzen gehen nach unten und hinten, 
um die Rippenhöcker entgegenzunehmen. Am Öten Rücken- 
wirbel sind die Kämme sehr klein, niedrig. Am 6ten, $ten, 
9ten und 10ten haben sie die Form fast horizontal liegender 
nach vorn strebender, schmaler, dreieckiger Mammillarfort- 
sätze angenommen, welche am 40ten kleiner, als an den 


666 


vorhergehenden, sind, An jedem dieser Wirbel schiessen 
grosse, dicke Costalfortsätze aus den eben genannten hervor, 
getrennt von ihnen durch eine Einsenkung der zwischenliegen- 
den Fläche: am Sten, 9ten und 10ten streben sie etwas nach 
hinten, Am 11ten sind sowohl die Muskel-, als die Costalfort- 
sätze kleiner als an den vorhergehenden, gleichsam in die 
Höhe gehoben, so dass sie in einer Entfernung über den da- 
hingehörenden Rippen stehen, woneben die kleinen Costal- 
fortsatzrudimente auch eine Strecke weiter nach hinten, als‘ 
die hinteren Rippenränder, liegen, während kleine, gebogene, 
nach aussen gebogene Rücken zwischen den kleinen Fort- 
sätzen laufen. Am 12ten Rückenwirbel haben die genann- 
ten Fortsätze sich ganz und gar gesondert. Die mamm. 
sind mehr und mehr nach oben versetzt, mit den Gelenk- 
fortsätzen verschmolzen, grösser, flach und anliegend. Hin- 
ter den Foveae costales sind kleine, kurze, stumpfwinklige 
flache Querfortsätze. Uebrigens fehlt jede Spur von acc. 
Fortsätzen. An den Lendenwirbeln finden sich an der äus- 
sern Seite und dem untern Rande der vorderen Enden der 
Gelenkfortsätze kleine, vorwärts gerichtete Ecken, als Mam- 
millarfortsatzrudimente.  Uebrigens ist es bemerkenswerth, 
dass die vorderen Gelenkfortsätze eines jeden Lendenwirbels 
mit den oberen Kanten über die hinteren, von ihnen einge- 
fassten, umgeschlagen sind. Alle Spuren von acc. Fortsäz- 
zen fehlen. Der Dornfortsatz des 13ten Wirbels steht: ge- 
rade aufwärts; die vor und hinter ihm stehenden convergi- 
ren gegen ihn. 

Beim Cervus Elaphus kommen an der Oberseite der 
Seitenfortsätze für den 6ten und 7ten Rückenwirbel, zwi- 
schen den mamm. und cost. Fortsatztheilen, kleine Rudimente 
zu acc, Fortsätzen, in der Form sehr kleiner, niedriger Hök- 
ker, vor. Am ten und 9ten fehlen diese acc, Höcker, kom- 
men aber an den hinteren Rändern ‘der Costalfortsätze von 
neuem hervor. Am 4ften und 42ten sind die Costalfort- 
sätze zu dünnen, flachen, zugespitzten Scheiben, ähnlich. den 


667 


Querfortsätzen der Lendenwirbel, ausgebildet; diese Costal- 
fortsätze sitzen eine Strecke hinter den Rippen, und an ih- 
ren Hinterrändern treten wieder die acc. Elemente in der 
Form kleiner Höcker hervor. 

An den Seitenfortsätzen der Rückenwirbel beim Cer- 
vus Alces finden sich am 3ten und an den folgenden Rük- 
kenwirbeln, ausser den kleinen mamm. und cost. Fortsätzen, 
auch Spuren von accessorischen, theils in der Form kleiner 
niedriger Kämme, !heils als Höcker innen vor den costalen 
Fortsätzen. 

Ovis Aries. An den Seitenfortsätzen aller Rücken- 
wirbel kommen theils rudimentäre, theils vollständige, Mam- 
millar- und Costalfortsätze vor. Die mamm. Fortsätze sind 
von und mil dem ?ten bis zu und mit dem 10ten Rücken- 
wirbel vorwärts gewendet, schon vom 3ten an zapfenförmig, 
nach hinten sich in niedrige Kämme fortsetzend, an deren 
hinteren Enden sich beim Sten, 9ten und 10ten Rückenwir- 
bel sehr kleine Höcker finden. welche vermuthlich Rudimente 
zu acc. Fortsätzen sind. Die Costalfortsätze sind an den 
vorderen Rückenwirbeln sehr klein. bloss rudimentär, aber 
dennoch durch ein dazwischenliegendes Stück von den Mus- 
kelfortsätzen gelrennt, mit der nach hinten fortlaufenden 
Wirbelreihe zunehmend. am 10ten Rückenwirbel sind sie 
schon gross, gerade aus hervorspringend, oben mit Gruben 
für die Ligamenta costotransversalia versehen; am 13ten 
(letzten) Rückenwirbel sind sie am grössten und mit den 
Spitzen an dem hintern Aste der letzten Rippen befestigt. 
Die Arme der Seitenfortsätze werden kürzer nach der Fol- 
genreihe der Wirbel nach hinten, und am 12 Rückenwirbel 
sind sie fast verschwunden. Zu gleicher Zeit werden die 
Muskel- nnd Costalfortsätze durch grössere zwischenliegende 
ausgeschweift vertiefte Flächen geschieden. Der Iite Rük- 
kenwirbel hat einen gerade aufstehenden Dornfortsatz, und 
gegen ihn neigen sieh die vor ihm und hinter ihm stehenden 
abschüssig, Ace, Fortsätze fehlen an den Lendenwirbeln 


668 


ganz und gar, und von den mamm. giebt es an ihnen nur 
schwache Rudimente als ganz kleine Höcker an den Aussen- 
seiten der articulären. 

Bos cafer. (Grosses Exemplar, aus dem südl. Afrika 
mitgebracht von I. Wahlberg.) Die Seitenfortsätze des 
isten Rückenwirbels sind breit und dick; von ihrer vordern 
äussern Ecke aus erheben sich grosse, elwas vorwärts ste- 
hende Muskelkämme, welche durch tiefe Rinnen von den 
Gelenkfortsätzen getrennt sind, wie ebenfalls nach hinten 
und aussen von den Costalfortsatzelementen durch breite, 
eingesenkte Ebenen. Am ?ten, 3ten und 4ten Rückenwirbel 
sind diese Kämme niedriger; gerundet und nachher durch 
schmale Rinnen von sehr kurzen Costalfortsatzelementen ge- 
trennt. Am öten bis zu und mit dem 12isn Rückenwirbel 
werden diese Kämme deutliche, platt zapfenförmige, nach 
vorn schauende, ziemlich starke Mammillarfortsätze, von de- 
nen nach hinten niedrige Rücken zu den hinteren Ecken der 
Seitenfortsatzenden gehen. Diese Ecken sind noch am öten 
Rückenwirbel von den Costalfortsatzelementen ungeschieden; 
aber an den hinter ihm liegenden Rückenwirbeln werden 
sie gesondert und bilden schon am 6ten Rückenwirbel und 
an den folgenden kurze acc. Fortsätze. Die Costalfortsatz- 
rudimente nehmen nach hinten zu, so dass sie am 8ten und 
9ten Rückenwirbel ziemlich grosse, knorpelbekleidete, gerun- 
dete Knöpfe sind; am 10ten und an den folgenden Rücken- 
wirbeln werden sie vor den Enden flach; am 13ten (letzten) 
zugleich oval ausgezogen. An den Foveae costales zur Auf- 
“ nahme der Capita costarum schiessen bedeutende Fortsätze 
aus, welche Theil an der Bildung der Fovea nehmen und 
sich ‘vorn vor die genannten Capita legen. Zwischen diesen 
und den Seitenfortsätzen sind Einschnitte, in welche sich 
Nervenlöcher öffnen. Erst am 13ten Rückenwirbel werden 
die mamm. Fortsätze zu den Gelenkfortsätzen versetzt, wäh- 
rend der Dornfortsatz dieses Wirbels eine aufrechte Stellung 
zwischen den vor und hinter ihm geneigten Dornfortsätzen 


"669 


der Lenden- und übrigen Rückenwirbel hat. Die Gelenk- 
fortsätze an den Lendenwirbeln sind niedrig, dick und oben 
abgestutzt, die mamm. Elemente werden vorzüglich durch 
niedrige Kämme an deren äusseren Rändern ausgedrückt. 
An den hinteren Rändern der vorwärts gekrümmten, platten 
Querfortsätze sind unregelmässige, unbedeutende Ausschüsse, 
welche Rudimente zu acc. Fortsätzen andeuten. Erst am 
13ten Rückenwirbel finden sich grössere ausgeschweilte Flä- 
chen zwischen den mamm. acc. und cost. Fortsätzen. 
Bos Taurus. Die Seitenfortsätze sind kurz, innen 
von ihren äusseren Enden sind an der oberen Seite niedrige 
Kämme, jeder mit einer aufwärts stehenden Ecke, Rudimen- 
ten zu mamm. Fortsätzen, welche in der Folgenreihe der 
Wirbel nach hinten ausgebildete, vorwärts stehende Mam- 
millarfortsätze werden. Am 3ten Rückenwirbel sind sie am 
längsten, am 9ten und 10ten kürzer; am 12ten sind diese 
Fortsätze zugleich gerundet und nach innen gegen die Ge- 
lenkfortsätze hin verlegt, am 13ten mit diesen Fortsätzen 
verschmolzen. Von acc. Fortsätzen finden sich nur sehr 
schwache Spuren hinter den genannten Kämmen, wie auch 
am 12ten und 13ten Rückenwirbel an den hinteren Rändern 
der Costalfortsätze und an denselben Rändern der Costal- 
oder (uerfortsätze des isten Lendenwirbels. Zwischen den 
Kämmen und den äusseren Enden sind an allen Wirbeln 
trapezienförmige Flächen, welche bis zum 8ten Rückenwir- 
bel convex, am 9ten plalt, an den folgenden aber mehr und 
mehr concav, ferner am letzten Rückenwirbel längs der gros-, 
sen Costalfortsätze sehr ausgestreckt sind. Die Costalfort- 
sätze verhalten sich übrigens wie bei der vorigen Art; am 
12ten und 13ten sind sie ziemlich lang und breit, und be- 
‚sonders am S3ten bedeutend herausstehend; doch aber an 
den Enden abgestutzt und knorpelbekleidet und artieuliren 
mit den zu ihnen gehörenden Rippen, die noch für diesen 
Wirbel mit artieulirenden Höckern versehen sind, Die Ge- 
lenkfortsätze sind an den Lendenwirbeln, eben so wie an 


670 


den vorhergehenden, niedrig, dick, aber nach aussem mehr 
gerundet, versehen mit kleinen Höckern als Rudimenten 
zu mamm. Fortsätzen. In die vorgenannten Exeisuren zwi- 
schen den zu den Foveae costales gehörenden Fortsätzen 
und den Seitenfortsätzen selbst öffnen sich Löcher, welche 
zum Rückenmarkskanale führen. Diese sind von derselber 
Bedeutung wie die, welche beim Tapir u. m. erwähnt und 
von Meckel beschrieben worden sind. Sie finden sich an 
allen Rücken- und den 2 vordersten Lendenwirbeln. Die 
folgenden Lendenwirbel haben grössere Incisuren für die 
Bildung der Intervertebrallöcher, in welche Ineisuren diese 
doppelten Vertebrallöcher auch hineingehen. 


Cetacea. 


Monodon monoceros. Die Seitenfortsätze , welche 
an den 8 vordersten Rückenwirbeln im: Verhältnisse zu den 
folgenden kurz sind, sind mit dicken, ziemlich grossen mamm. 
Fortsätzen versehen von der Form zapfenförmiger, vorwärts 
gerichteter Ausschüsse aus den vorderen Ecken oder Rändern 
der Seitenfortsätze. Am Isten und ?ten Rückenwirbel ste- 
hen diese Fortsatzrudimenie eine Strecke weit von den äus- 
sern Enden der Seitenfortsätze; aber am 3ten, Aten und öten 
nahe gegen dieselben Enden hinaus und verdienen zufolge 
ihrer Form die Benennung von Mastoideis. Am 6ten sind 
sie von den costalen Enden der Seitenfortsätze wiederum 
entfernt; an den folgenden versetzen sie sich immer näher 
gegen die Arcus und deren Gelenkfortsätze hin. Am ten 
Rückenwirbel verschmelzen sie mit diesen. Nachher versez- 
zen sie sich, so mit den Gelenkfortsätzen zusammen ver- 
schmolzen, höher und höher an die Arcus hinauf, wie auch 
weiter hinauf an die Pr. spinosi, um die wohlbekannten ga- 
belförmigen Scheiben zu bilden, welche an einem Theile der 
den Dornfortsatz des zunächst vor ihnen liegenden Wirbels 


671 


umfassen. Nachdem sie in der Folge nach hinten bis zur 
Mitte des Arcus hinaufgestiegen sind, werden sie im hintern 
Theile des Rückgrathes allmählig wieder niedriger, bis sie 
mehr und mehr rudimentär werden und endlich verschwinden. 
Die 8 vordersten Rippenpaare sind mit Köpfen, langen 
Hälsen und Höckern versehen. Die vordersten von dieseu 
artieuliren mit den Corpora vertebrarum am vor ihnen lie- 
genden Wirbel, so dass die Köpfe des 1sten Rippenpaares 
mit den Foveae costales am letzten Halswirbel artieuliren, 
u. s. w. Dies scheint daher zu entstehen, dass die Köpfe 
der Rippen schmal und wenig hineingesenkt, ferner die Sei- 
tenfortsätze sehr vorwärts gebogen sind, so dass der Vor- 
derrand desjenigen Wirbelkörpers, mit dessen Seitenfortsät- 
zen ein Rippenpaar artieulirt, eine Strecke hinter den Kopf 
derselben Rippe zu liegen kommt. Die folgenden 3 Rippen- 
paare haben keinen Hals und Kopf uud vereinigen sich sonach 
nur mit den Querfortsätzen, wie es überhaupt der Fall bei 
den meisten eigentlichen Wallfischen sein dürfte. 
Delphinus leucopleurus Rasch. (Jüngeres Exem- 
plar, gefangen im Christianiafjord und durch die Freigebig- 
keit der Professoren. Boeck und Rasch dem hiesigen ana- 
tomischen Museum zu Theil geworden.) Die Mammillar- 
fortsätze beginnen erst auf den vorderen Rändern der Sei- 
tenfortsätze des 2ten Rückenwirbels sich als sehr niedrige 
Höcker zu zeigen, näher den hinteren Ecken der Seitenfort- 
satzenden finden sich auch Rudimente zu acc. Fortsätzen 
unter der Form sehr niedriger, pyramidaler Höcker; aber 
die hintersten Ecken der Seitenfortsatzenden werden von 
Costalfortsatzelementen gebildet. Am ten Rückenwirbel 
sind die mamm. Fortsätze etwas grösser, gerade vorwärts 
. gerichtet, mehr nach aussen versetzt; die acc, Fortsatzrudi- 
mente verhalten sich wie am vorigen Wirbel; die Costal- 
fortsatzelemente an den Enden der Seitenfortsälze sind grös- 
ser und zugespitzter. An den folgenden Wirbeln fehlen die 
Spuren von acc. Fortsätzen; die mamm, versetzen sich im- 


672 


mer mehr gegen die articulären hinan. Am 7ten und 8ten 
liegen sie nahe an diesen, und am 9ten sind sie mit ihnen 
vollständig verschmolzen. Am 10ten und an den folgenden 
steigen die so vereinigten mamm. und articul. Fortsätze an 
die Arcus und die Pr. spinosi hinauf, den Hinterrand des 
Pr. spinosus vom nächst vorn liegenden Wirbel umfassend. 
Am Öten Wirbel in der Ordnung nach dem 14ten (letzten) 
Rückenwirbel, werden sie so kurz, dass sie den nächst vorn 
liegenden nicht erreichen. An den folgenden verschwinden 
sie allmählig und werden nur durch ein Paar kleinere Kämme 
am vordern Rande der Dornfortsätze ersetzt; erst am 2iten 
Wirbel in der Ordnung nach dem letzten Rücken wirbel kom- 
men sie, an Länge und Dicke etwas zunehmend, wieder her- 
vor. Weiter nach hinten sitzen sie nahe an den Apices der 
Dornfortsätze, senken sich aber wieder immer weiter hinab 
an den mit jedem folgenden Wirbel kürzeren und unvoll- 
ständigeren Dornfortsätzen. Nur die 5 vordersten Rippen- 
paare sind mit Höckern, Hälsen und Köpfen versehen und 
haben doppelte Vertebralbefestiguugen; an den 8 folgenden 
fehlen sie, so dass sie nur an den Seitenfortsätzen befestigt 
sind. 

Von den übrigen Wallthiergattungen habe ich keine Ge- 
legenheit gehabt Skelette auf diese Verhältnisse zu untersu- 
chen; ich sehe aber aus der Fig. 251 zu Friedrich Cu- 
vier’s Aufsatz über die Cetacea in Todd’s Cycelopae- 
dia of Anatomy and Physiol., welche den 11ten Rük- 
kenwirbel von Balaena australis darstellt, dass ähnliche 
Zapfen sich dort an der Vorderseite der Seitenfortsätze fin- 
den, wenn sie gleich weder im Texte beschrieben, noch in 
der Erklärung der Figur erwähnt worden sind. Eben so 
sind sie ausgezeichnet in der vorzüglich schönen Zeichnung 
des Skeletts vom Hyperoodon in Vrolik’s Natuur- en 
ontleedkundige Beschouwing van den Hyperoodon, 
Haarlem 1848, Fig. 2, an den vorderen Rändern der Seiten- 
fortsätze des ?ten, 3ten und Aten Rückenwirbels, als kleine 


673 


vorwärrts stehende Kegel, die zwischen den Gelenkfortsät- 
zen und den Enden der Seitenfortsätze liegen. Vrolik be- 
merkt (a. a. ©. S. 36) das von dem bei den Cetaceen im 
Allgemeinen abweichende Verhalten, dass die Costalfortsätze 
an den beiden letzten unvollständig, nur in der Gestalt von 
Höckern vorhanden sind, und dass diese die Rippen nicht 
erreichen, welche sich dagegen an die Körper der Wirbel 
schliessen. Im Zusammenhange mit Dem, was oben über 
die Vereinigung der letzien Rippen mit den Rückenwirbeln 
beim Monodon und bei mehreren Cetaceen geäussert worden 
ist, dürfte man Grund zu der Annahme bei Hyperoodon ha- 
ben, dass die letzten Rippenpaare die Elemente behalten ha- 
ben, welche den Kopf und Hals ausmachen, derjenigen aber 
ermangeln, welche die Höcker bilden würden, während bei 
den anderen Cetaceen das Verhalten im Allgemeinen das 
entgegengesetzte ist; das vom Hyperoodon angeführte ist 
besonders merkwürdig als das am allgemeinsten bei den 
übrigen Säugethieren vorkommende. 

Hinsichtlich der Pr. mamm. bei den Cetaceen dürfte 
zu bemerken sein, dass dieselben von allen Schriftstellern, 
welche ich zu Rathe zu ziehen Gelegenheit gehabt, mit Aus- 
nahme von Stannius theils übersehen, theils mit den Pr. 
artic. oder obliqui verwechselt worden sind. Es geschieht 
ihrer im Allgemeinen auch erst Erwähnung, nachdem sie mit 
diesen verschmolzen sind, und sie werden dann ganz einfach 
Gelenkfortsätze genannt, G. Cuvier nennt sie solcherge- 
stalt „Apophyses articulaires anterieures“, Meckel sowohl 
als Rapp, (a. a. ©.) „Vordere Gelenkfortsätze.“ Nur Stan- 
nius (a. a. ©. S. 345) und Vrolik (a. a. O.), so viel ich 
weiss, betrachten sie mehr als Muskelfortsätze und nennen 
sie Processus accessorii. So äussert Stannius: „Diese“ 
(die Pr. acc.) „kommen schon an den ersten Rückenwirbeln 
als Theile der (uerfortsätze vor, rücken an den hinteren 
an die oberen Bogenschenkel und noch weiter. hinter- 


wärts an die oberen Dornen.“ Dass sie indessen wirkliche 
Müller’s Archiv. 1849, 43 


674 


Pr. mammillares sind, ist um so gewisser, als, nach dem von 
mir vorher Gezeigten, Stannius auch diese Pr. accessorü 
nennt, wie die hinteren Processus, denen eigentlich dieser 
Name zusteht. 


Marsupialia, 


Phalangista Cookii. Die Seitenfortsätze am 1sten 
Rückenwirbel sind die längsten; sie nehmen stufenweise in 
der Reihenfolge nach hinten ab, sind am kürzesten am 9ten 
und fehlen am 10ten wie an den folgenden. Vom ?ten bıs 
zu und mit dem ten sind sie gegen die Enden oberwärts 
mit kleinen, niedrigen Kämmen versehen, welche sich nach 
vorn und hinten in kleine Ecken, als Rudimente zu den bei- 
den Muskelfortsätzen, endigen; die Costalfortsatzrudimente 
an diesen Wirbeln sind äusserst klein, nicht vorspringend 
oder abgesondert. Am 10ten Rückenwirbel sind die mamm. 
Fortsätze nach innen und oben versetzt und verschmelzen 
mit den Gelenkfortsätzen, während sie zugleich durch eine 
grössere Vertiefung von den übrigen Seitenfortsatzelenienten 
getrennt worden sind. Mit diesem Wirbel entschwinden die 
Costalfortsatzrudimente dem Blicke, bis sie von neuem am 
1sten Lendenwirbel hervortreten. An den ersten Lendenwir- 
beln treten die Costalfortsätze nur als niedrige Leisten an 
den Seiten der- Wirbel hervor; diese Leisten endigen sich 
nach vorn in niedrige Höcker; nur die 3 hinteren Lenden- 
wirbel besitzen etwas deutliche (wenn gleich kurze) Quer- 
fortsätze; der letzte (6te) hat zwar die grössten, aber selbst 
diese reichen nicht weiter, als bis zu 4 des Abstandes von 
den aussen vor ihnen liegenden Hüftbeinen. Die Mammillar- 
fortsätze ragen nicht über die Gelenkfortsätze hin oder hin- 
aus, wogegen sich kleine zackenförmige acc. Fortsätze so- 
wohl an den 5 vorderen Lendenwirbeln, als an den 5 hin-. 
teren Rückenwirbeln finden. Von und mit dem 10ten Rük- 


675 


kenwirbel nach hinten sitzen die Rippen von den Seitenfort- 
sätzen entfernt, woneben die Wirbel selbst im ganzen schmal 
und zusammengedrückt werden. 

Phascolomys Wombat. Der vorderste Rückenwir- 
bel ist mit seinem Seitenfortsatze der breiteste; die folgen- 
den bis zum iiten nehmen allmählich an Breite ab, nach 
welchem die Breite durch die Verlängerung der Costalfort- 
sätze wieder zunimmt. Am Isten bis zu und mit dem 10ten 
Rückenwirbel articuliren die Enden der Seitenfortsätze mit 
den Tubera costarum; aus dieser Ursache sind diese Enden 
abgestutzt und knorpelbekleidet, am ten, 9ten und 10ten 
fast knopfförmig, an den folgenden sind diese Costalhöcker 
rund und stehen entfernt von und hoch über den Rippen. 
Innen vor den costalen Enden haben diese Seitenfortsätze 
bis zu und mit dem 12ten an der obern Seite niedrige abge- 
rundete Kämme, Rudimente zu den Muskelfortsätzen, welche 
an den vorderen Rückenwirbeln ganz nahe an den knorpel- 
bekleideten Enden der Seitenfortsätze sitzen, sich aber mehr 
und mehr von diesen entfernen und sich näher an die Ge- 
lenkfurtsätze jedes nach hinten folgenden Wirbels versetzen. 
Die Theile, welche so zwischen den Enden und die Kämme 
zu liegen kommen, sind die Costalelemente, welche auch 
nach derselben Folge deutlicher hervortreten, bis sie, wie 
oben erwähnt ward, am $ten, Iten und 10ten Rücken wirbel 
knopfförmig werden, d. h. versehen mit einem vorragenden, 
runden Randaufschlag und einem nach innen vor diesem 
liegenden schmälern Halse, welcher zwischen dem Knopf- 
rande und dem Kamme oder Muskellortsatztheile liegt. Erst 
am 4ften und 12ten Rückenwirbel erheben sich auf den 
vorderen Enden dieser Kämme sehr kleine Zacken, als be- 
sondere Mammillarfortsätze. Am 43ten Rückenwirbel sind 
die mamm. Fortsätze noch weiter nach oben versetzt und 
mit den Gelenkfortsätzen verschmolzen. Die Kämme an den 
Seitenfortsätzen der meisten vorn liegenden Rückenwirbel 
haben jedoch kleine, niedrige Höcker an den Enden der 

43 * 


676 


Kämme, als schwache Andeutungen zu Pr. mamm. et acc. 
Am A3ten, 14ten und 1öten (letzten) Rückenwirbel, an denen 
die mamm. und cost. Fortsätze so sehr getrennt stehen, ge- 
hen von den Enden der oberen, hinteren Ränder der erste- 
ren kleine Rücken schräge nach hinten und nach innen vor 
den hintern Rand der Costalfortsätze, wo sie sich in sehr 
kurze. stumpfe Pr. endigen; dies sind kleine Pr. acc. Des- 
gleichen finden sie sich auch an allen Lendenwirbeln, ob- 
gleich wohl die Rücken dort fehlen, welche von den mamm. 
Fortsätzen hinabgehen. Diese Fortsätze sind sehr gross, et- 
was auswärts gebogen, nach vorn, aussen und oben gerich- 
tet und über die Gelenkflächenränder der Lendenwirbel hin- 
aus vorstehend. An dieser Thierart treten sonach die 3 Ele- 
mente der Seitenfortsätze fast an allen Rücken- und Lenden- 
wirbeln hervor, wenn gleich die musculären wenig entwik- 
kelt sind. 

Halmaturus giganteus. Die Seitenfortsätze sind 
ziemlich lang, stark, meistens steil heraussiehend, und die 
Gelenkflächen für die Rippenhöcker an ihnen, mit Ausnahme 
am sten Rückenwirbel, liegen an den ziemlich quer abge- 
schnittenen, aber mit kleinen Epiphysen versehenen Enden. 
Nur äusserst schwache Spuren von Muskelfortsatzkämmen 
finden sich an den Dorsualseiten der Enden der Seitenfort- 
sätze. Am 1sten bis zum i1ten Rückenwirbel giebt es keine 
anderen Spuren von mamm. Fortsätze, als die kleinen hök- 
kerigen vorderen (oberen) Ecken der Seitenfortsatzenden; 
erst am 9ten, 10ten und iiten Rückenwirbel kommen gegen 
die hintere oder untere Ecke derselben Fortsatzenden äus- 
serst kleine Höcker vor, welche Rudimente zu acc. Fortsez- 
zungen zu sein scheinen. Am Alten Rückenwirbel gehen 
kleine Leisten nach innen von denselben Höckern ab, und 
diese Leisten endigen sich den Gelenkfortsätzen nahe in 
kleine Zacken. Am 1?ten sind die äusseren Zacken ver- 
schwunden; aber die Leisten sind stärker und ihre inneren 
Enden gehen in ziemlich lange, spitzige, acc. Forlsätze aus, 


677 


welche sich dicht an die folgenden Gelenk- und 'mamm. 
Fortsätze anlegen. Am 12ten und 13ten treten, gleichsam 
auf einmal, grosse, beinahe vertical stehende, breite, hohe, 
zusammen verschmolzene mamm. und Gelenkfortsätze auf, 
welche an der Lende noch stärker und mehr und mehr nach 
aussen ausgesperrt werden. Am 13ten (letzten) Rücken wir- 
bel sind die acc. Fortsätze lang, griffelförmig, an den 3 er- 
sten Lendenwirbeln scheibenförmig, an allen dicht gegen die 
Gelenkfortsätze des nachfolgenden Wirbels anliegend.. Am 
4ten Lendenwirbel sind sie wieder sehr klein und kurz, am 
öten nur rudimentär; aber an den Querfortsätzen desselben 
Wirbels erheben sich am Hinterrande kleine Ecken, welche 
man auch, obzwar stumpfer, am 6ten (letzten) antrifft. Wir 
sehen somit, dass die mamm. sowohl, als die acc. Fortsätze 
an den meisten Rückenwirbeln beim Halmaturus theils in 
hohem Grade unvollkommen entwickelt, theils fehlend sind, 
und dass beide erst am vorletzten Rückenwirbel in der Form 
riehtiger Fortsätze auftreten, woneben die mamm. Fortsätze 
mit den Gelenkfortsätzen nach dem Typus für die Lenden- 
wirbel vereinigt worden sind. An jenem Wirbel sind auch 
die beiden mamm. Fortsätze und der Dornfortsatz winkel- 
recht gegen die Axe des Rückgraths gestellt, während die 
Dornfortsälze an den vorhergehenden und nachfolgenden et- 
was gegen diesen Punkt convergiren. Dies Auftreten der 
mamm. Fortsätze in Vereinigung mit den Gelenkfortsätzen 
am 1?ten Rückenwirbel ist hier um so bemerkenswerther, 
als die Gelenkfortsätze an den vorhergehenden Wirbeln ein 
so verschiedenes und eignes Verhalten zeigen und die Ver- 
änderung ohne Uebergangsformen eintritt. Schon an den 
vordersten Rückenwirbeln haben die hinteren Gelenkfortsätze 
‚obgleich noch verhältnissmässig mit den folgenden dünne, 
doch abgestutzte und übergewöhnlich dicke Enden, welche 
sowohl aussen (vorn), als an den Enden selbst knorpelbe- 
kleidet sind, Die nachfolgenden vorderen Gelenkfortsätze 
am nächsten Wirbel sind im Verhältnisse hierzu rechtwink- 


678 


lig concav, mit einem Theile unter die eben genannten vor- 
wärts laufend und mit einem andern hiergegen fast winkel- 
recht abschiessend, welcher-den abgestutzten, beiderseits knor- 
pelbekleideten, Enden der vorliegenden entspricht. Am 10ten 
Rückenwirbel, wo diese Formation aufhört, sind diese Ge- 
lenkfortsätze am dicksten, stärksten und längsten. Die hin- 
teren Gelenkfortsätze an jedem dieser Wirbel springen eine 
bedeutende Strecke hinter den Arcus des Wirbels vor und 
werden an jedem folgenden Wirbel bis zu und mit dem 
10ten, länger, nach aussen mit einem erhöhten Endrande 
schliessend, schmäler zwischen diesem und ihrem Ursprunge 
in der Form eines Halses. Dies Verhalten ist schon von 
anderen Anatomen angedeutet worden. (Theile, a. a. ©. 
S. 112.) Die vorderen Gelenkfortsätze, welche die hinteren 
vom voranliegenden Wirbel aufnehmen, haben auch dicke, 
aufgerichtete Endränder. Wenn man demnach den Rück- 
grath von oben ansieht, so zeigen sich grosse ovale Lücken, 
durch welche man in den Rückenmarkskanal sieht; unter 
den hinteren Gelenkfortsätzen bilden sich mit den Corpora 
vertebrarum Excisuren für die Bildung der Foramina inter- 
vertebralia. Dies Verhalten giebt diesem ganzen Rückgrath 
ein sehr eigenthümliches Ansehen, ist aber besonders deshalb 
merkwürdig, dass die hinteren sowohl, als die vorderen Ge- 
lenkfortsätze an allen Rückenwirbeln wirkliche Fortsätze 
sind, während sie sonst an den meisten Rückenwirbeln bei 
den Säugethieren im Allgemeinen vielmehr nur Gelenkfacet- 
ten an den Arcus vertebrarum sind und kaum den Namen 
von Fortsätzen zu verdienen scheinen; mit anderen Worten: 
sie sind hier wirkliche und bedeutende, aus den Arcus ent- 
springende Processus. 


Monotremata. 


Ornithorrhynchus paradoxus. Alle Rückgraths- 
theile bei diesem Thiere zeigen ungewöhnliche Verhältnisse 


679 


den Halstheil mit seinen ‘grossen Halsrippenanhängen, den 
Rücken-, und Lendentheil in seiner Zusammengedrücktheit 
und seinem Mangel an Seitenfortsätzen, den Kreuztheil in 
seiner Aehnlichkeit mit dem Lendentheil und den Schwanz- 
theil in seinen grossen Fortsätzen. 

Schon Meckel sagt in seinem „System der vergleichen- 
den Anatomie“ (Th. IL. Abth. 2, $. 269): „Den Monotre- 
men fehlen die Querfortsätze*. Dies gilt jedoch nur für die 
Rücken- und Lendenwirbel und verleiht dem Rückgraths- 
theile, welcher aus diesen Wirbeln besteht, ein ungewöhnli- 
ches Ansehen. Die Seiten des rippenführenden Theils des 
Rückgrathes stehen nämlich lothrecht und sind eben, ohne 
@Querfortsätze. Der vordere Theil vom Brusttheile des Rück- 
gralhes hat eine fast eckig prismatische Form, mit einem 
Winkel nach oben, welcher von den stark nach hinten ge- 
neiglen, fast dachziegellörmig aufeinander liegenden kleinen 
Dornfortsätzen gebildet wird; in einigem Abstande von. die- 
ser Mittelreihe gehen zwei Seitenränder theils von stumpfen 
Winkeln auf den Bögen (2te—6te Rückenw.) theils von 
kleinen vorwärts gerichtelen Maminillarfortsätzen, welche 
aussen vor den Gelenkfortsätzen (am 7ten bis zu und mit 
dem 10ten R.-W.) liegen, gebildet, ab. Am iften und an 
den folgenden Rückenwirbeln,; wie auch an den Lendenwir- 
beln, sind die mamm. und Gelenkfortsätze mit einander. ver- 
schmolzen und mehr nach aussen liegend, niedrig, platt und 
mit abgerundeten Enden. Unter diesen, vorzüglich von den 
nach einander in der Reihe folgenden, von den mamm. Fort- 
sätzen gebildeten Seitenwinkeln liegen die oben genannten, 
grösstentheils lothrecht stehenden, grossen Seitenflächen, von 
welchen, dem gewöhnlichen Verhalten zufolge, die Seiten- 
fortsätze mit ihren costalen Elementen ausgehen sollten, und 
mit denen nachher die Höcker der Rippen sonst im Allge- 
meinen articuliren, Wie bereits erwähnt ward, fehlen hier 
eostale Fortsatzbildungen, wogegen au diesen Seiten kleine 
runde Löcher als Durchgänge für die Spinalnerven existi- 


680 


ren. Diese den Foramina intervertebralia und Exeisurae in- 
tervertebrales entsprechenden Löcher sitzen bei den vorde- 
ren und hinteren Rückenwirbeln näher am hintern Rande. 
bei den mittleren, gleich hinter der Mitte der lothrechten 
Seiten der Wirbel. An den Lendenwirbeln fehlen sie, und 
an ihrer Stelle bilden sich Foramina intervertebralia, zwi- 
schen den Wirbeln aus gewöhnlichen Exeisuren. An den 
hinteren Lendenwirbeln sind vorn vor diesen Löchern sehr 
schwache, erhöhte Streifen, welche in hohem Grade schwa- 
che Spuren von acc. und cost. Fortsätzen andeuten dürften. 
Beim Ornithorrhynchus haben sonach die sämmtlichen Rip- 
pen nur die unteren Gelenke gegen die Wirbel, nämlich die 
Articulationes capito - vertebrales, wogegen die oberen oder 
Articulationes tubero - ventrales fehlen. Inzwischen fehlen 
die Rippenhöcker nicht, wenn sie gleich schwach ausgebil- 
det sind; für die genannten fehlenden Articulationen gehen 
von den Rippenhöckern starke, ziemlich lange Bänder an die 
lothrechten Seiten der Wirbelsäule unter den mamm. Fort- 
sätzen hervor. Wir finden demnach hier im ganzen Rücken- 
theile des Rückgrathes dasselbe Verhalten, wie es sonst im 
allgemeinen nur an den letzten Rückenwirbeln und den letz- 
ten Rippen bei den Säugethieren im Allgemeinen statt findet, 
nämlich dass die mamm. Fortsätze hoch oben an den Seiten 
der Wirbel sitzen. Die Rippen sind weit ünten an den- 
selben befestigt, und so haben, wie es bei den meisten übri- 
gen Säugethieren mit den hinteren Rückenwirbel der Fall 
ist, hier die sämmtlichen Rückenwirbel grosse Seitenebenen 
zwischen dem Niveau der mamm. Fortsätze und den Anhef- 
tungsstellen für die Rippenköpfe. Die Rippen können sich 
bei diesem Thiere, zufolge der in Rede stehenden Anordnung, 
freier bewegen und besonders leicht nach hinten gegen die 
Seiten des Rückgraths gerichtet, gelegt werden, wodurch der 
Umfang der Brust verringert werden kann und die Rippen 
selbst in Fällen äusserer Gewalt dem Brechen entgehen 
können, ganz so, wie es das Verhalten mit den hintersten 


681 


Rippenpaaren bei den Säugethieren im Allgemeinen ist. Diese 
Organisation steht wahrscheinlich in genäuem Verhältnisse 
zur Lebensweise des Thiers. Der Ornithorrhynchus hat, 
wie man weiss, seinen Aufenthalt in unterirdischen Höhlen, 
zu welchen enge Gänge leiten, welche nach Bennet 35 bis 
50 Fuss lang sein können. (Waterhouse, History of Mam- 
malia, Vol. I, Lond. 1846, p. 35). Beim Graben dieser 
Gänge und beim Hin- und Herkriechen in denselben muss 
der Brustkorb vielem Druck ausgesetzt sein; den schädlichen 
Folgen desselben wird durch die bedeutende Beweglichkeit 
der Rippen zuvorgekommen. 

Das Verhalten des Rückgraths und der Rippen bei der 
Echidna ist sehr übereinsimmend mit dem hier vom Orni- 
thorrbynchus angeführten. Die mamm. Fortsätze jedoch 
sind sowohl, als die Rippen, etwas stärker, obgleich die 
letzteren geringer an Zahl. Diese Stärke der Rippen dürfte, 
eben so wie deren Anheftungsweise, besonders durch die 
Anwesenheit des ausserordentlich starken, grossen Hautmus- 
kels hervorgerufen worden sein, durch welchen die Echidna 
theils ihre groben Stacheln hebt und senkt, theils sich zu- 
sammenzurollen vermag. Die Echidna ist, wie der Ornithor- 
rhynchus ein Minirer und als solcher mit weit vollkommne- 
ren Grabewerkzeugen sowohl, als auch Schutzmitteln, aus- 
gerüstet. 

Bemerkenswerth ist es, dass die hier geschilderten Ver- 
hältnisse bei den Monotremen denen ziemlich nahe stehen, 
welche oben beim Erinaceus u. m. angegeben worden sind, 
bei denen die kurzen Costalprocessus am grössten Theile der 
Rückenwirbel unter die Muskelfortsätze hinab verlegt sind. 
Beim Igel dürfte dies wohl in einem Verhältnisse zu dem 
Zusammenrollen des Thieres stehen. 


Es ist eine von Alters her angenommene Ansicht, dass 
die meisten und vollkommneren Rippen mittelst ihrer Tuber- 


682 


cula mit den s. g. Processus transversi artieuliren oder an 
ihnen befestigt seien und mittels ihrer Köpfe mit den 
Seiten der Corpora vertebrales in den s. g. Foveae 
costales. Schon vor vielen Jahren fand ich beim Skelet- 
tiren des Rückgraths von Kindern und jungen Personen, dass 
diese Angabe unrichtig sei und dass diese Foveae costales 
nicht dem Corpus, sondern dem Arcus vertebrae angehören; 
8. Fig. 9. 


Fig. 9. 


Der Brusttheil des Rückgraths von einem 4 Jahre alten Kinde. 
1, Der iste Rückenwirbel, 12, der 12te, a a, Pr. transv., c, Pr. 
spinosi, b 1, Fovea costalis des 1sten Rückenwirbels. — b 12, Foy. 
cost, des 12ten. Die Sternchen (*) sollen die unterliegenden Syn- 
chondrosen zwischen den Schenkeln der Bögen und den Körpern der 
Wirbel bezeichnen, 


An den oberen Rückenwirbeln sitzen diese Foveae costa- 
les nahe an den Corpora vertebr. und den Enden der Crura 
(Fig. 9, b. 1), an den unteren oder letzten liegen sie in be- 
deulendem Abstande an den Seiten dieser Crura mitten zwi- 
schen den Enden derselben und den. Seitenfortsätzen (Fig. 
9, b 12). Wenn die Synchondrosen vollständig verknöchert 
worden sind, kann man dies Verhalten kaum ahnden, weil 
die Bogenenden gleichsam in schräg abgeschnittene Kanten 
des Centralstücks oder Corpus vertebrae hineingefügt sind. 
Dasselbe Verhalten habe ich ohne Ausnahme bei allen Säu- 
gethieren angetroffen, von denen ich junge Skelette zu un- 
tersuchen gehabt habe. Bei vielen derselben gehen die 
Schenkel der Bogentheile weit weiter nach vorn oder unten 


683 


an den Seiten der Corpora, als beim Menschen. So verhält 
es sich auch beim Schweine. S. Fig. 10. 
ı "Fig. 10. 


Derselbe Theil des Rückgraths mit den oberen Enden der 3 letzten 
Rippen eines jungen Schweins, welcher von oben angesehen in Fig. 
8 dargestellt worden ist. Hier zeigt er sich von der Seite, beste- 
hend, wie dort, aus den 3 letzten Rückenwirbeln und dem 1sten 
Lendenwirbel. a aaa, Pr. mamm.. b b b, Pr. cost, cc cc, Pr, 
ac. Am Isten Lendenw. fehlt ein besonderer Pr. costalis, wess- 
halb auch c, der Pr. acc. als die Elemente der Pr. cost. sowohl, 
als accessorii, enthaltend zu betrachten sein dürfte. * * * * be- 
zeichnen die Synchondrosen, oder, wenn man sie so nennen will, 
die Nähte zwischen den Füssen der Bögen und den Centralstäcken 
oder Corpora vertebrarum. 

Da das Rückgrath unten platt ist und die untere Fläche 
in die Seitenflächen mit oft scharfen Rändern übergeht, wie 
es der Fall bei vielen Säugethieren ist, so schiessen nicht 
selten eigene kleine Gelenkfortsätze für die Bildung der in 
Rede stehenden Foveae hervor. Man findet dann die fragli- 
chen Suturen an der untern Seite; die eigentlichen Central- 
slücke, welche eben die Corpora ausmachen, sind in solchen 
Fällen mitunter sehr schmal. Bei den Ampbibien und Vö- 
geln ist, nach einer beschränkten Anzahl junger Skelette zu 
urtheilen, das Verhalten anders, Bei diesen scheinen mir 
die Foveae costales auf den Corpora vertebrarum selbst zu 
sitzen. 

Für die Säugethiere dürfte es jedoch für unrichtig zu 
halten sein, die Seiten der Corpora vertebrarum als’ Anhef- 


684 


tungsstellen der Rippen zu nennen, da diese sich in der 
That an Theile des Bogens heften; aus solcher Ursache habe 
ich es in den obigen Beschreibungen vermieden, mich der 
gewöhnlichen Ausdrucks - Weise über die Gelenkflächen an 
den Seiten der Corp. verteb. zu bedienen. Es dürfte auch 
bis auf weiter für die descriptive Anatomie hinreichend sein, 
wenn man bloss eine bestimmte Benennung für diese Ar- 
ticulations- oder Anheftungsstellen anwendete. Auch in die- 
sem Theile ist unsere Terminologie schwankend. Joh. G. 
Walter nennt (a. a. ©. S. 226) die in Rede stehenden 
Stellen Superficies laterales (,,Seitenflächen“), Soemmer- 
ring Superficies articulares, E. H. Weber (Hildebrandt's 
Handb. d. Anat. d. Menschen etc., 4. Auflage. Bd. II. S. 141) 
Foveae (vertebrae) costales, welche letztere Benennung 
ich als die am besten auf den richtigen Weg in dieser Sa- 
che führend gebraucht habe. 


Diese Darstellung ist länger geworden, als ich es im 
Anfange beabsichtigt und gewünscht hatte; aber die Beschaf- 
fenheit des Stoffes hat während der Bearbeitung Anlass dazu 
gegeben. Das Studium des Rückgraths ist bisher unläugbar 
sehr vernachlässigt worden, wenn man es mit dem ver- 
gleicht, was für die genauere Kenntniss des Schädels und 
eines grossen Theils der übrigen Knochen geschehen ist. 
Der Rückgrath steht doch an Dignität dem Schädel zunächst 
und wird jetzt allgemein als dessen Vorbild betrachtet. Dass 
ich bei dieser Gelegenheit die Darstellung nicht auch auf 
die Hals-, Kreuz- und Schwanzwirbel ausgedehnt, noch die 
Knochen des Rückgraths in ihrer Ganzheit betrachtet habe, 
erklärt sich aus der Veranlassung dieser Untersuchung, deren 
ich am Anfange der Abhandlung Erwähnung gethan. habe. 
Wenn Gelegenheit und Kräfte es erlauben, so wünsche ich 
ein anderes Mal umfassendere Untersuchungen über diesen 
wichtigen Theil des Skelettes liefern zu können, welchen 


685 


schon Aristoteles und andere Weise der Vorzeit als das 
Fundament des Skeletts betrachteten, (S. Palfüjn, Beschry- 
ving der Beenderen van 's menschen Lichaem; Gent 
1702.) 

Ich glaube indessen in dem hier Mitgetheilten dargethan 
zu haben: 

1) dass die Processus transversi an den Rücken- und 
Lendenwirbeln nicht, wie es von den vornehmsten und 
scharfsinnigsten Anatomen unserer Zeit angenommen wor- 
den ist und noch wird, Costae seien, sondern eigene, dem 
Rückgrate selbst näher angehörende Gebilde, von denen ein 
Theil mitder Rippenbildung im nächsten Zusammenhange stehe; 

2) dass diese Pr. transversi Elemente zu drei besonde- 
ren Fortsatzbildungen enthalten, nämlich zu Processus mam- 
millares, costales und accessorüi; 

3) dass theils mehr oder weniger bestimmte Spuren, 
theils deutliche Entwickelungsformen dieser drei Fortsatzbil- 
dungen bei allen Säugethierformen, mit Ausnahme der Mo- 
notremata, vorkommen; 

4) dass der eine od erandere dieser drei Fortsätze bald 
allmählig, bald plötzlich verschwinde, bald von neuem auf- 
trete, meistens stufenweise, bald der eine mit dem andern 
verschmolzen werde, so dass man in den meisten Fällen 
annehmen könne, dass auch da, wo der eine oder andere 
vermisst wird, ihre Elemente in dem oder denen, die zuge- 
gen sind, enthalten sei, 

5) dass die Pr. mammillares eigene, von den Processus 
obliqui s. articulares im Grunde getrennte Fortsätze seien, 
die erst in einer gewissen Gegend des Rückgrats mit diesen 
zusammenschmelzen. 

Was diesen Punkt insbesondere betrifft, so ist es selt- 
sam, dass derselbe so allgemein auch von den scharfsinnigsten 
Anatomen übersehen worden ist, obgleich schon Galenus 
demselben an der 10ten Vertebra dorsi ganz nahe auf der 
Spur war. (De Ossibus; Lugd. Bat. MDCLXV, p. 57.) 


Ueber 


den Uterus masculinus, Weber, bei dem Men- 
schen und den Säugethieren. 


Von 
FREDRIik WAHLEREN.”) 


(Hierzu Taf. IX,) 


Bei der Aufstellung von Analogien zwischen den Fortpflan- 
zungsorganen der verschiedenen Geschlechter der Säugethiere 
hat man in den ältesten Zeiten als einander entsprechend 
betrachtet: Testes und Ovaria, Vasa deferentia und Tubae 
Fallopiae; aber ein Gegenstück zum Uterus war schwerer zu 
finden. Mehrere Autoren nehmen daher an, dass dem Männ- 
chen eine dem Uterus entsprechende Genitalhöhle fehle; andere 
dagegen glaubten ihn in den Samenblasen wiedergefunden zu 
haben, durch die Betrachtung dazu veranlasst, dass, so wie 
der Uterus bestimmt sei, den weiblichen Bildungskeim auf- 
zunehmen und zu verwahren, so auch die Samenblasen — 
wenigstens bei einigen Thieren — dazu bestimmt seien, den 
männlichen zu verwahren und zuzubereiten. Hierin, wie in 


°) Bidrag till Generations-Organernas Anatomi och Physiologi hos 
Menniskan och Daggdjuren. Akademisk Afhandling ete. Lund, 1849, 
8. Aus dem Schwedischen übersetzt von Dr. W. Peters. 


Zen 


687 


so vielen anderen Fällen, haben die Forschungen neuerer 
Zeit in dem Gebiete der comparativen Anatomie und der 
Embryologie über zuvor dunkle Verhältnisse Licht verbrei- 
tet, und auf das Organ als Repräsentanten des Uterus bei dem 
männlichen Thiere hingewiesen, welchem E. Weber den 
Namen „Uterus masculinus“ gegeben hat — eine Benennung, 
die wir in den folgenden Beschreibungen beibehalten, ob- 
gleich sie nicht ganz passend erscheint. 

Dass die Existenz dieses Organs auch den älteren Ana- 
tomen nicht unbekannt war, dürfte hervorgehen aus folgen- 
gendem Entwurf einer kurzen 


Geschichte, betreffend den Uterus masculinus bei 
dem Menschen und bei Säugethieren, 


Der kleine Anhang der männlichen Genitalien, welchen 
E. Weber!) als eine aus der Embryonalperiode übrig blei- 
bende, dem Uterus der Weibchen entsprechende Bildung be- 
trachtete, und desshalb Uterus masculinus nannte, wurde 
zuerst abgebildet und beschrieben von Morgagni?), unter 
dem Namen Sinus prostatae, ferner von Albinus®) und 
Schlichting*). Severinus) erwähnt zwar „Vesiculae 
parastatae‘ und giebt eine undeutliche Zeichnung dersel- 
ben von Cercopithecus, aber da er keine besondere Beschrei- 
bung hinzufügt, so ist es schwer zu wissen, was er unter 
Sinus prostatae versteht. Maret®), indem er die Genita- 
lien eines „Androgynus‘ beschreibt, erzählt, dass zwischen 
dem Rectum und der Blase ein Zoll langer, häuliger Sack 


!) Annotations anatom. et physiol., Programm zu D. E.Kretzsch- 
mar’s Disput. inaug. circa lineamenta physiologiae morborum, Leipzig 
1536. 

2) Adversaria anat, IV. Anat. IV. Animad. 3. 

*) Annotat. acad. IV, tab, II. fig. 3. p. 25. 

“) Syphilidos Mnemosynon criticum, Amst, 1646. fig. 4. 

+) Zootomia demoeritaea. p. 329. 

*) M&m, de l’Acad. de Dijon. 1772, I. IL. pag. 157. 


688 


läge, welcher sich auf dem Veru montanum öffnete, woselbst 
sich auch die Mündungen der Samenblasen befänden. Pal- 
last) führt an, dass die beiden Ductuli deferentes bei Lepus 
ogotona in einen Kanal ausmünden, was er auch abbildet 2). 
Ackermann?) fand ihn bei einem Hypospadiacus, und be- 
schrieb ihn als einen Uterus, unter dem Namen „Uterus 
eystoides‘“, ohne jedoch, wie es scheint, sein normales 
Vorkommen gekannt zu haben; dieser Verfasser führt in der- 
selben Schrift zwei ähnliche Fälle an, welche beweisen, dass 
bei Individuen von männlichem Geschlecht, wo die Ge- 
schlechtsorgane aus einer oder der andern Ursache in ihrer 
Entwickelung stehen geblieben sind, diese Vesicula prosta- 
tica das Bild eines mehr oder minder vollkommen entwickel- 
ten Uterus darstellen kann. Meckel*) erwähnt zwar „der 
mogagnischen, in der Prostata befindlichen Höhle“, 
ohne jedoch dieselbe weder an derselben Stelle noch in sei- 
nem anatomischen Handbuch zu beschreiben. Brandt und 
Ratzeburg) haben eine sehr characteristische Beschrei- 
bung des zweihörnigen Uterus masculinus bei dem Biber 
gegeben, den sie „Nebensamenblasen“ nennen; fügen aber 
hinzu „beide zusammen sehen fast einem zweihör- 
nigen Fruchthalter ähnlich aus.“ Rathke®) fand bei 
seinen Untersuchungen der Geschlechisorgane von Schafs- 
und Schweineembryonen eine solche Aehnlichkeit zwischen 
diesen Theilen bei den verschiedenen Geschlechtern, dass die 
Männchen nur mit Schwierigkeit von den Weibchen unter- 


!) Novae spec. Quadruped,. e Glirium ordine cum illustrationibus 
etc. Erlangen 1778. p. 67. nebst tab. IV. 

al. c, tin, IV. 

*) Infantis androgyni historia. sen. 1805, 

*) Uebers. von Cuvier’s Vorlesungen über vergl. Anatomie. IV. 
Th. S, 423—436. Leipzig 1810, 

>) Medicin. Zoologie. I, Bd, S. 19— 137, Berlin. 1829. 

®) Abhandlungen zur Bildungs- und Entwickelungsgeschichte des 
Menschen und der Thiere, Th, I. Leipzig 1832. 


689 


schieden werden konnten. Er war so der erste, welcher 
auf die Gegenwart einer dem Uterus analogen Bildung bei 
dem männlichen Fötus hinwies; aber er dehnte seine Unter- 
suchung nicht auf das erwachsene Thier aus. Es war der 
unermüdliche Forscher E.H. Weber'), der zuerst im Jahre 
1836 die anatomische Bedeutung der Vesicula prostatica 
beim Manne näher feststellte, und die Uebereinstimmung mit 
dem Uterus bei dem Weibe nachwies, und bei der Natur- 
forscherversammlung in Braunschweig 1841 legte er seine 
Beobachtungen über den Uterus masculinus bei dem Bi- 
ber2) vor. 

Eine ausführliche Beschreibung von dem ,‚Uterus viri- 
lis“ bei dem Kaninchen, lieferte Rathke?), der mit be- 
sonderer Genauigkeit dieses Organ untersuchte, wobei er zu 
folgenden Resultaten gelangte, dass „,1) dieser Sack ein 
männlicher Uterus sei, 2) dass er im Gegensatz zu der 
Entwickelung der eigentlichen seitlichen Samenblasen und 
der Prostata stehe, vielleicht auch im Menschen 3) ein spä- 
ter bedeutungsloser Fötalrest sei.“ 

Ausser in den bereits angeführten Schriften hat E. H. 
‚Weber ferner »diesen Gegenstand durch neue und weiter 
ausgedehnte Untersuchungen beleuchtet. In einer besonde- 
ren Abhandlung?) über diesen Gegenstand legte er Rechen- 
schaft ab von der Lage und Form dieses Organs bei dem 
Biber, Kaninchen, Pferde (bei welchem es lange unter 
dem Namen Vesicula seminalis media [Gurlt] bekannt war), 
Schweiney Hunde, der Katze und dem Menschen. 


#) Lie. 

2) Amtlicher Bericht über die 19te Versammlung deutscher Na- 
turforscher und Aerzte. Braunschweig. 1842, S. 64. 

3) Sömmerring’s Anatomie, Eingeweidelehre, Leipzig. 1544. 
8.41. 

4) Zusätze zur Lehre vom Baue und den Verrichtungen der Ge- 
schlechtsorgane, Leipzig. 1546. 

Müllers Archiv. 1649. 44 


690 


TLeuekart!) hat über den Uterus‘ masculinus "bei der 
Hyäne, dem Leopard, den’ Cetäceen und Affen, dem 
Meerschweinchen, der Ratte und 'Myoxus einen kur- 
zen Bericht gegeben. H. Meckel2) hat eine kurze Darstel- 
lung der Entwickelung der Geschlechtsorgane und des’ Ver- 
haltens ihrer verschiedenen Theile zu einander geliefert; er 
berührt so auch das Verhalten des Uterus masculinus in 
morphologischer Beziehung. 

Ausser den oben angeführten Schriften findet man eine 
Menge Beschreibungen von den männlichen Fortpflanzungs- 
organen bei s. g. Hermaphroditen und Hypospadiaei, bei de- 
nen sich ein ‘dem Uterus entsprechendes Organ vorfindet; 
aber da sie eigentlich nicht zu diesem Gegenstande gehören, 
so werden sie an den Orten genannt werden, wo sie mög- 
licherweise einige Aufklärungen liefern können °). 

Bei den kurzen und beinahe fragmentarischen Beschrei- 
bungen, welche wir jetzt über den Uterus masculinus bei 
einigen Thierarten, die wir Gelegenheit gehabt haben, 'zu 
untersuchen, liefern werden, schien es ins am passendsten, 
ohne Rücksicht auf die Stelle welche die betreffenden Thiere 
im naturhistorischen System einnehmen, sie nach dem Grad 
der Entwickelung zu ordnen, den das Uterus-Rudiment er- 
reicht hat; nach der grösseren oder geringeren Aehnlichkeit, 
welche sich in der Entwickelung und Form dieses Organs 
zwischen dem entwickelten Organe beim Weibchen, und dem 
nur angedeuteten, unvollkommenen bei den Männchen findet. 

Die Analogie im Aeussern und der Function tritt am 
stärksten markirt bei einigen Thieren hervor, die zur gros- 


1) Zur Morphologie und Anatomie der Geschlechtsorgane. Abge- 
druckt aus den Göttinger Studien. Göttingen. 1847. 

2) Zur Morphologie der Harn- und Geschlechtswerkzeuge der 
Wirbelthiere. Halle. 1848. S. 46 und feg. 

3) The London Medic. Gazette, vol. 34. 1844, soll einige Auf- 
klärungen über den weiblichen Uterus von Rob. Knox enthalten ; 
aber wir haben keine Gelegenheit gehabt, dieses Journal zu sehen. 


691 


sen Gruppe, der Nager; gehören, Wir werden desshälb_he- 
ginnen mit einer, Beschreibung von dem 


Uterus masculinus bei der Gattung Lepus und 
speciell bei Lepus borealis Nilss. 


Wie vorher erwähnt wurde, ist der Uterus masculinus 
des Kaninchens von Huschke und Weber abgebildet und 
so genau beschrieben worden, dass nichts weiter hinzuzu- 
fügen sein dürfte, ‚Der ersigenannte dieser Verfasser hat 
die detaillirtesten Untersuchungen über dieses Organ „beim 
Hasen“ gemacht; aber aus den angegebenen Maassen geht 
deutlich hervor, dass eigentlich vom Kaninchen die Rede ist. 
Weber (Zusätze etc, S. 6—8.) lieferte, nebst einer Ueber- 
sicht über die Gestalt des Uterus, der Samenblasen und der 
Prostata bei dem Kaninchen, wertlivolle Beiträge zur Kennt- 
niss von ‚dem, Aussehen und dem Verhältniss,;des ersten bei 
dem neugebornen Tliere; und da wir keine Gelegenheit ge- 
habt: haben, jüngere: Thiere, der Hasengattung zu untersuchen, 
so fügen wir einen Auszug aus Weber’s Abhandlung, nebst 
einer Copie seiner Zeichnung hinzu, um die Analogie in der 
Bildung der in Rede stehenden Theile bei Individuen ver- 
schiedenen Geschlechts deutlicher anschaulich zu machen. 

Die; beifolgende Zeichnung (Fig. 1.) stellt die Genitalor- 
gane.in nalürlicher Grösse dar, Der Uterus und die Vagina 
bei dem mänulichen. Individuum haben, dieselbe Lage und 
Form ıwie bei dem Weibchen. Bei beiden münden die Harn- 
röhre und die Scheide in einen gemeinsamen Canal (Sinus 
urogenitalis Müller). Die.Vasa deferentia gleichen sowohl 
an Grösse wie Gestalt den Cornua uteri, aber öffnen sich in 
die Scheide etwas weiter unten. Bei dem männlichen Jun- 
gen bildet jedes Horn des Uterus eine eben so dicke Röhre 
wie die Tuba, ohne einen bestimmten Unterschied zwischen 
ihnen, welcher jedoch einigermassen beslimmt: wird. durch 
die. Befestigung für das Ligamentum uteri, rotundum. |; Das 
Vas .deferens. bei dem jungen Männchen unterscheidet sich 

44 * 


692 


jedoch ein wenig von der Tuba durch seinen Ursprung von 
der Epididymis und seinen vielen Krümmungen an dieser 
Stelle. Dem Ligamentum uleri rotundum entspricht, hin- 
sichtlich seiner Lage, das Gubernaculum Hunteri, welches 
jedoch etwas dicker ist. 

Leuckart sucht zu beweisen, dass Weber einen Irr- 
thum begangen habe, indem er bei diesem Thier die Vasa 
deferentia in das blinde Ende des Uterus masculinus ausmün- 
den lasse, und dass dieselben sich in den unteren Theil 
desselben Organs öffnen — eine Meinung, die wir auch für 
unsern Theil als die wahrscheinlichste betrachten, weil sie 
mit dem Verhalten bei dem erwachsenen Thier überein- 
stimmt. Aber auch dieses hält Meckel aus morphologischen 
Gründen für unwahrscheinlich. 

Da nun dasselbe Organ, welches wir (d. h. Weber) 
bei dem neugebornen Weibchen mit u bezeichnet haben, bei 
den erwachsenen sich zur Scheide entwickelt, welche hier 
auch das Corpus uleri bezeichnet; da das genannte Organ 
seinen vollständig entsprechenden Theil bei dem jungen Weib- 
chen hat, und endlich, da dieser Theil durchaus derselbe ist, 
den wir bei dem erwachsenen Männchen Uterus maseulinus 
genannt haben, so kann kein Zweifel entstehen über die 
Richtigkeit der Vergleichung, Zusammenstellung und so auch 
der Benennung. Was die Function anbelangt, so haben die 
beiden Uteri bei dem verschiedenen Geschlecht auch grosse 
Uebereinstimmung mit einander. Denn so wie der Uterus 
beim Weibchen dazu bestimmt ist, den Keim aufzunehmen, 
und bei der Geburt denselben auszutreiben, so ist der männ- 
liche Uterus bestimmt, den männlichen Bildungskeim aufzu- 
nehmen und bei der Paarung auszuführen ; man findet daher 
während der Brunstzeit in diesem letztern Sperma. Gleich- 
wohl kann man desshalb nicht behaupten, dass es eine Sa- 
menblase sei; die Samenblasen sind nämlich immer paarig, 
niemals ein einzelner Sack, und haben, als Secretionsorgane, 


einen eigenthümlichen Bau. Sie sind entweder auf der In- 


693 


nenseite mit Zellen besetzt, oder in eine grössere oder ge- 
ringere Zahl von Zweigen getheilt. Dem Uterus masculinus 
bei dem Kaninchen fehlen alle Eigenschaften eines Secre- 
tionsorgans, und er ist nur ein muskulöser Sack, ohne Drü- 
senzellen. 

Gegen diese Ansicht Weber’s und mehrerer anderer 
Autoren kann jedoch die Einwendung gemacht werden, dass 
die Tuben und Samenleiter nicht eigentlich entsprechende 
Theile sind; ebenso dass der Uterus masculinus im Allge- 
meinen weder mit den Vasa deferentia communieirt, noch 
als Aufbewahrungsstelle für das Sperma dient, obgleich ein 
solches Verhalten bei diesem Thier stattfindet. 


Uterus masculinus bei Lepus borealis. 


Bei keinem Thiere dürfte dieses Organ verhältnissmäs- 
sig eine solche Grösse erreicht haben, wie bei dem in Rede 
stehenden; es ist auch keineswegs der Aufmerksamkeit der 
Forscher entgangen; sondern man findet es aufgezeichnet 
und beschrieben als einen Behälter für das Sperma, einen 
Repräsentanten der in Eins verschmolzenen Samenblasen. 
Durch die Untersuchungen neuerer Zeit haben andere An- 
sichten sich geltend gemacht, und die wahre Bedeutung die- 
ses Theils bewiesen. - 

Um die Form dieses Uterus masculinus richtig zu se- 
hen, muss man das Veru montanum blosslegen und dasselbe 
mit Luft oder Talg füllen; er bildet dann einen fast konischen 
Sack, welcher zum grössten Theil vom Peritoneum überzo- 
gen, frei in die Bauchhöhle zwischen Urinblase und Rectum 
hervorragt. Sein Grund wird durch zwei, durch eine seichte 
Längsfurche geschiedene Ausbuchtungen gebildet,von denen 
die linke etwas grösser ist; diese scheinen den Cornua uteri 
zu entsprechen. Wo diese, so zu sagen, sich ansetzen, ist 
das ganze Organ gleichsam etwas eingekniflen; es erweitert 
sich nachher wieder etwas, um. immer mehr und mehr sich 
verschmälernd, in ein fast gleich breites Collum überzugehen. 


694 


Die ganze Länge desselben’ beträgt 3’; die grösste Breite 
1“ 10“, über dem Corpus 10’. Die Breite des Collam 3". 
In der hier etwas erweiterten Harnröhre öffnet es sich auf 
dem Cäput gallinaginis mit’ einer quergehenden zurückgebo- 
genen Falte von 14‘ Länge. Das ganze Caput gallinaginis, 
welches eine querovale Form hat, erhält hierdurch eine 
grosse Aehnlichkeit mit'dem Os tincae, mit einer vordern 
kleineren und einer hinteren etwas dickeren Lippe (eine Ge- 
staltung, welche Huschke bei den Kaninchen bemerkt hat). 

Die Vasa deferentia, welche gegen ihr unteres Ende 
etwas erweitert werden, liegen anfangs an den Seiten des 
Uterus masculinus; aber nähern sich einander immer mehr 
und mehr an seiner unteren Wand (wenn man sich das 
Thier stehend denkt), und münden in seine Höhle ganz nahe 

ei einander, ungefähr 1’ vor seiner Mündung; ein Verhal- 

ten, das auf das Evidentste Meckel’s*) Aeusserung wider- 
spricht: „‚Indem es unwahrscheinlich ist, dass die Samen- 
gänge jemals in das Weber”sche Organ münden, "ist es 
auch fraglich, ob dasselbe jemals als Samenbehälter fungire, 
obwohl eine zufällige Regurgitätion wohl möglich ist. 

Der hintere und untere Theil des Uterus wird bis auf 
% seines Umfangs von einer Drüsenmasse umgeben, die auf 
jeder Seite durch zwei getrennte Drüsengruppen” gebildet 
wird (Vesiculae seminales und Prostata?) 

Die Wände dieses Uterus bestehen ungefähr aus dem- 
selben 'Gewebe, wie die Urinblase oder die Därme, nämlich 
aussen aus dem Peritonealüberzug, welcher jedoch nur den 
Fundus nebst einem Theil des Corpus bekleidet. ' Innerhalb 
desselben liegt eine dünne und feine Muskellage , vegetative 
Muskelfasern, vollkommen denen am Darmkanal gleich, und 
mit sparsamen elastischen Fasern vermischt; ferner’ein dün- 
nes Stratum von losem Bindegewebe, das die Vereinigung 


*) Morphologie der Harnwerkzeuge, S. 49. 


695 


mit der innersten oder Schleimhaut vermittelt, die sich im 
Bau und Aussehen‘ unter dem Mikroskop vollkommen mit 
dem übrigen Zeugungsapparat übereinstimmend zeigt. 


Uterus masculinus von Myopotamus Coypus Isid. 
Geoffr. 


Da dieses Thier dem Biber so nahe steht, dass es von 
vielen Naturforschern zu derselben Gattung, gestellt wurde, 
unter dem Namen Castor coypus; so konnte man erwarten, 
diese Aehnlichkeit auch in der Form, des Uterus masculinus 
ausgedrückt zu finden. ‚Bei dem: Biber*) bildet er ein in 
zwei Hörner getheiltes, unpaariges, hohles Organ, welches, 
in.einer breiten Falte des Peritonäums liegend, in der Form, 
jedoch nicht in der Grösse mit dem Uterus des Weibehens 
übereinstimmte. Bei der in Rede stehenden Thierart bildet 
das Peritonaeum auch eine breite Falte, in welcher die Vasa 
deferentia verlaufen; aber weder in dieser Falte, noch auf 
dem Veru montanum zeigt sich bei dem untersuchten 'Thiere 
irgend eine Spur eines eigentlichen Uterus masculinus, aber 
wohl fanden sich ein paar fadenförmige. Stränge, welche 
denselben Platz einnahmen, wie der Uterus bei dem ‚Biber, 
und, obgleich blosse Rudimente, doch eine gewisse Aehnlich- 
keit mit dem Weber’schen Ulerus bei diesem: letzteren be- 
sassen. 

Bei diesem Thiere bildet das Veru montanum eine runde 
Erhöhung, an deren Seiten sich zwei tiefe Furchen befinden, 
in’ welchen die Mündungen der Glandulae prostatae sich öff- 
nen, Die Vasa deferentia nebst ‚den Vesiculae seminales 
öffnen sich mit vier reihenweise stehenden Mündungen, von 
denen jede mit einem aus der Schleimhaut gebildeten Deckel 
versehen ist. Irgend eine andere, unparige Mündung wurde 
nicht ‚gefunden. 


*\ Weber’s Zusätze etc. $. 5. 


696 


Uterus masculinus bei dem Schafe. 


So weit uns bekannt ist, ist dieses Organ noch nicht 
bei dem erwachsenen Thier dieser Gattung untersucht, ob- 
gleich Rathke*) bereits im Jahre 1832 die Aufinerksamkeit 
auf die Aehnlichkeit der Geschlechtsorgane bei Schafsembryo- 
nen von ungleichem Geschlechte leitete, welche so gross ist, 
dass es oft schwierig ist, sie zu unterscheiden; denn bei bei- 
den findet sich ein gleich entwickelter Uterus, an dessen 
Grunde bei dem einen die Vasa deferentia, bei dem anderen 
die Cornua uteri sich befestigen. Die Untersuchungen, wel- 
che Rathke anstellte, wurden in einer so frühen Periode 
des Entwicklungslebens angestellt, dass der Canalis uro-ge- 
nitalis noch vorhanden war, obgleich Penis und Clitoris be- 
reits eine etwas verschiedene Form angenommen hatten. Um 
Gelegenheit zu einer Vergleichung zwischen dem Aussehen die- 
ses Organs bei den verschiedenen Geschlechtern und bei dem 
erwachsenen Männchen au geben, ist eine Copie der Zeich- 
nung des ausgezeichneten Embryologen hinzugefügt (Fig. 2.) 

Ungeachtet diese Zeichnung ein deutliches Bild von dem 
Aussehen der Generationsorgane in der früheren Entwicke- 
lungsperiode giebt, ist es nölhig zu bemerken, dass der 
Strang, den Rathke Cornu uteri nannte, eigentlich Z weier- 
lei enthält, nämlich zugleich die Tube (,‚der Müller’sche 
Gang“) und den Ausführungsgang des Wolff’schen Kör- 
pers, welcher zu dem Sinus uro-genitalis fortgeht. 

Aber da die Gegenwart einer männlichen Genitalhöhle 
nur als eine bald verschwindende Fötalbildung angesehen 
ward, wurde das Verhalten bei dem erwaclisenen Thier 
nicht näher untersucht, auch ist der Uterus masculinus bei dem 
Hammel so reducirt, dass es erst nach mehreren fruchtlosen 
Versuchen gelang, seine Mündung auf dem Veru montanum 


*) Abhandlungen zur Bildungs- und Entwickelungsgeschichte des 
Menschen und der Thiere. Th, I. Leipzig 1832. 


697 


zu finden — bei einigen Individuen schien er obliterirt zu 
sein — und dann war es leicht, ihn mit warmen Talg aus- 
zufüllen, um seine wahre Form und Lage zu Gesicht zu be- 
kommen. Er bietet eine gleichweite Höhle von 3 — 4 
Länge und 1‘ Weite, und hat seine Lage zwischen und et- 
was hinter den untern Enden der Vasa deferentia; mit einer 
kleinen runden oder länglich ovalen Mündung öffnet er sich 
auf dem Veru montanum- am untern Rande der Scheidewand 
zwischen den gemeinsamen Mündungen für die Vasa defe- 
rentia und Vesiculae seminales. Es zeigle sich keine Spur 
von Hörnern oder Abtheilung in dem Uterus- und Vaginal- 
theil. 


Uierus masculinus bei dem Ochsen. 


Auch bei dieser Gattung unserer Hausthiere ist, soweit 
wir erfahren haben, dieses Organ weder untersucht noch 
beschrieben worden. Das Caput gallinaginis bildet hier eine 
4 Zoll lange Erhöhung, welche gegen die Harnröhre in zwei 
lange Falten der Schleimhaut ausläuft; in den halbmondför- 
migen Ausschnitt am Veru montannm zwischen diesen Fal- 
ten, 14— 2‘ unter den Mündungen der Vasa deferentia und 
Vesiculae seminales, liegt die kleine, runde Oeflnung für den 
Ulerus masculinus; diese Oeflnung ist olt so fein, dass nur 
eine Schweinsborste eingeführt werden kann. Wir haben ihn 
sowohl bei dem neugebornen Thier, wie bei den ausgewach- 
senen, auch castrirten Thier gesucht, und mit ein paar Aus- 
nahmen, wo das Veru montanum abnorm gebildet war, immer 
gefunden. Der Uterus selbst hat fast die Gestalt einer mit 'ih- 
rem obern Ende abwärts gewandten Bouteille; sein Corpus, 
das ungefähr die halbe Länge einnimmt, wird von einer 
kleinen oblongen Blase gebildet, die allmählig in den gestreck- 
ten, gleichmässig breiten Hals übergeht. Im Innern ist dieser 
mit einigen kleinen Falten versehen. Bei einem castrirten 
Thier, das untersucht wurde, war er zu einem ganz kur- 
zen, gleichweiten Kanal redueirt, Was die Grösse anbetriflt, 


698 


so ist die Verschiedenheit'zwischen der bei dem ausgewach- 
senen Thier und bei dem Kalbe unbedeutend., Die Länge 
variirt zwischen: 6—7‘“ und die grösste Breite zwischen 
1-2". 

Der Uterus hat, wie die Zeichnung (Fig. 3.) am besten 
zeigt, seine Lage gleich hinter und etwas unter.dem' Ende 
der Vasa deferentia, und ist ganz und gar vonder starken 
Muskelpartie bedeckt, welche die Harnröhre 'umgiebt. ‚, An- 
deutungen einer Theilung in getrennte Hörner. sahen wir 
niemals. 

Die untern Enden der. Vasa deferentia sind mit 'einem 
sehr starken, ligamentösen Bande vereinigt, das als Ueber- 
bleibsel eines obliterirten Uterus masculinus angesehen wurde; 
aber irgend einen Zusammenhang zwischen diesem Ligament, 
welches unfehlbar immer etwas höher 'hinauf die Enden der 
Vasa deferentia' vereinigt, und dem Weber’schen Uterus ha- 
ben wir nicht finden können, 


Uterus masculinus bei Ursus arctos. 


Das untersuchte Exemplar war ein altes, ungewöhnlich 
grosses Männchen. Auf der Mitte des zu einer langgestreck- 
ten, stark hervorstehenden Erhöhung entwickelten Caput 
gallinaginis fand sich eine Längsspalte von 3‘ Länge,  wel- 
che sich als die Mündung des Uterus maseulinus erwies. An 
den Seiten dieser Spalte liegen die feinen Oeflnungen! für die 
Vasa deferentia. ı Der Uterus, welcher 5'“ lang und etwas 
über 2“ breit ist, wird von einem birnförmigen Sack: gebil- 
det, der zwischen und etwas über den untern Enden der 
Vasa deferentia liegt, deren äusseres Gewebe auch densel- 
ben bekleidet. Inwendig ist er mit einer Fortsetzung der 
Schleimhaut der Harnröhre überzogen, welche im Grunde 
des Uterus glatt ist; aber in seiner ferneren Hälfte (Vagina) 
bildet er zu jeder Seile eine ‚grössere, ‚längsgehende Falte, 
nebst mehreren kleineren, die aber gegen-die Mündung hin 
wieder aufhören. 


699 


Der Uterus masculinus bei dem Menschen 
ist erwähnt worden unter der Benennung Utriculus pro- 
staticus, Vesicula spermatica spuria, Vesica pro- 
statica, Sinus pocularis. 

Dieses Organ nimmt bei dem Manne denselben Platz 
ein, wie bei den vorher beschriebenen Thieren; aber da wir 
hier eine zusammenhängende Prostata antreffen, wird der 
Uterus zum Theil von dessen Gewebe bedeckt. Wenn man 
den vordern Theil der Blase und die Pars prostatica urethrae 
öffnet, so sieht man an dem blossgestellten Caput 'gallinagi- 
nis zuerst die zwei kleinen Oeffnungen für die Ductus eja- 
eulatorii, und ein wenig weiter unten’ die an Grösse etwas 
variirende Mündung des Uterus masculinus. (Fig. 4.) 

Um ihn in seiner richtigen Gestalt zu sehen, muss er 
mit erstarrender Masse augefüllt und der hintere Theil der 
Prostata fortgenommen werden; er zeigt sich dann als: eine 
#"' lange und 2“ breite, gegen die Mündung sich verengernde 
Blase, welche zwischen den Ductus ejaeulatorii liegt, mit 
ihrem Fundus in eine Vertiefung der Prostata (aus der sie 
leicht ausgeschält wird) eingebettet und an dem vordern Theil 
nur von der Schleimhaut der Urinblase bedeckt ist. (Fig. 5.) 

Die Wände des Uterus masculinus, deren Dicke gegen 
» Linie belrägt, bestehen aus zwei Schichten, einer äusseren 
fibrösen und sehr starken Haut, und einer inneren dünnen 
Schleimhaut; diese letztere, welche nahe der Mündung einige 
kleine Längsfalten bildet, ist von einem Epithelium bekleidet, 
welches dem des Alveus urogenitalis ganz gleich ist, und hat 
eine grosse Menge Schleimfollikeln (zuweilen über 100); einige 
derselben zeigten sich wie kleine runde, weisse Körner, an- 
dere dagegen, die leer waren, hatten im Vergleich zu ihrer 
Grösse besonders weite Oefluungen von „,— 74," Diame- 
ter. Es konnte keine Spur einer Trennung in Uterus und 
Vagina entdeckt werden. Dass die Duclus ejaculatorii in den 
Ulerus einmünden, wie man einige Mal beobachtet zu haben 
scheint, muss zu den sellueren Abnormiläten gehören; Mor- 


700 


gagni erzählt, dass er ein paar Mal ein solches Verhalten 
beobachtet habe. 

Hyrtl bemerkt in. seiner topographischen Anatomie, 
dass die Vesicula prostatica beim Manne sich. bei der Hyper- 
trophia prostatae erweitere, und dass, wenn diese Erweite- 
rung sich auch auf ihre Mündung erstrecke, sie bei dem Ka- 
theterisiren Veranlassung geben könne zur Abweichung des 
Katheters vom rechten Wege und zum Durchbruch eines 
falschen Weges. 

Bei dem neugebornen Kinde unterscheidst sich der We- 
'ber’sche Uterus noch dadurch von der des erwachsenen 
Mannes, dass er kaum halb so gross ist, eine grössere, mehr 
abgerundete Mündung hat, und weniger tief in die Prostata 
eingebettet liegt. (Fig. 6.) 

Dass er, wie H. Meckel*) anführt, zwei Abtheilungen 
habe, von denen die eine nur den Durchtrilt einer Schweins- 
borste zulasse, so wie dass zwei solide Stränge als Reprä- 
sentanten der Tuben (?) von seinem oberen Ende an die 
Ductus ejaculatorii übergehen, haben wir aus den untersuch- 
ten Specimina nicht sehen können. j 


Uterus masculinus bei einem Affen. 


Leuckart **) sagt: „Bei den Affen ist der männliche 
Uterus nur klein, fast canalföürmig eng und, wie bei dem 
Mann, in das Parenchym der Prostata eingebettet.“ Mit 
dieser Beschreibung stimmt der Uterus des in Rede stehen- 
den überein. Das Caput gallinaginis bildet eiue 14‘ lange, 
ovale Erhöhung, auf deren Mitte die Mündung des Uterus 
sich als eine feine Furche zeigt, gleich über der die Ductus 
ejaculatorii ihre Orificia haben; ein. ordentliches Os tincae, 
„an dem man sogar.eine vordere und hintere Lippe unter- 
scheiden kann,‘ fand sich wenigstens nicht an diesem Exem- 

*) 1. c. pag. 58. 

**) ]. c. pag. 9. 


701 


plar. Aufgeblasen gleicht der Uterus an Gestalt dem eines 
neugebornen Kindes, ist jedoch etwas kleiner. 


Uterus masculinus bei Felis Iynx. 


Nach Weber's und Leuckart's Untersuchungen kommt 
diese kleine Geschlechtshöhle bestimmt bei dem Katzenge- 
schlecht vor, obgleich unbedeutend eutwickelt und ohne 
sichtbare Mündung. Bei einem vorliegenden Exemplar des 
Luchses befindet sich mitten auf dem Veru montanum eine 
kleine ovale Höhle oder vielmehr eine Spalte, welche in eine 
fast 3“ lange, blasenförmige Höhle führt, dessen richtige 
Gestalt man leicht durch Aufblasen oder Injection mit Queck- 
silber sieht. Er scheint, so angefüllt, Aehnlichkeit mit dem 
bei dem Bären®zu haben, obgleich er nur halb so klein ist; 
er liegt sogleich unter der Schleimhaut zwischen dem Paren- 
chym der Prostata und den untersten Enden der Vasa de- 
ferentia, die sich gleich über dem Uterus mit so feinen 
Mündungen endigen, dass sie nur durch Quecksilberinjecetion 
von den erweiterten Theilen der Samenleiter entdevkt wer- 
den können. Unter solchen Verhältnissen könnte die Mün- 
dung vor dem Uterus leicht für ihre gemeinschaftliche ange- 
sehen werden. 


Ueber das Vorkommen, die Lage und Form des 
Uterus masculinus. 

Wenn man die Untersuchungen, welche über diesen Ge- 
genstand von Weber, Leuckart u. a. mit denen zusam- 
menstellt, welche Gegenstand dieser Bemerkungen sind, so 
zeigt sich, dass der Uterus masculinus bei Säugethieren fast 
aller Ordnungen vorkommt. So finden wir ihn bei dem 
Menschen!) 

unter den Quadrumanen?) bei Oynocephalus Maimon, 
Hapale (Jacchus?) Macaco nemestrinus, 


1) Auch beschrieben von Weber I, ce; 
2) Untersucht von Leuckart, Morphologie I. c, 


Unter den.Ferae. bei Ursus aretos, Nasua fusca, Canis ?) 
domesticus, Hyaena?), Felis domestica3), .lynx 
und leopardus.?) 

— — Bestiae: Erinaceus?) (von Leuck. für die 
Vagina angesehen). 

— — ' Glires: Castor fiber®) Myopotamus coypus, 
Myoxus nitela?, Mus’ musculus (?), TER bo- 
realis und ednieglıie 3), Cavia. 

— "Belluae: Elephas*), Sus scrofa3), Baus Si)! 

0 Pecora: Ovis aries, Bos taurus. 

— © 'Getae2}: - Delphinus' phocaena und Orca, Mo- 
nodon monoceros. 

Dagegen scheint er bei Lemmus und Seiurus zu fehlen; 
doch sind nur wenige Exemplare jeder diese® Gattungen un- 
tersucht ‘worden, so dass daraus keine bestimmte Schluss- 
folge gezogen werden kann. Ebenso kann die Abwesenheit 
oder Obliteralion dieses Organs auf zufälligen , individuellen 
Verhältnissen beruhen, "wie man zuweilen: bei einem "und 
dem andern Individuum der Wiederkäuergruppe bemerkt, 
welches dann immer zugleich eine von dem Gewöhnlichen 
abweichende Bildung des Caput gallinaginis zeigt. 

Der Uterus masculinus kommt nach der vorhergehenden 
Uebersicht bei fast allen Ordnungen der Säugethiere als ein 
den männlichen Gesehlechtstheilen normal zukommender 
Anhang vor, und darf desshalb wohl nicht als eine zufällig 
übrigbleibende Bildung aus dem Embryoleben, d. h. als ein 
Fötalrest, betrachtet werden. 

Wir haben neulich Gelegenheit gehabt, die Geschlechts- 
organe ‚zweier Thiere aus, der Gruppe der Marsupialia zu 
untersuchen, nämlich Halmaturus giganteus und Orni- 
thorrhynchus paradoxus, aber bei keinem derselben hat 


2) Untersucht von Leuckart, Morphologie, 1. c. 

3) Siehe Weber I. c. 

4) Duvernoy, Cuvier, Legons d’anat. comp. Bd. II. Vol. VII. 
p. 210. 


703 


sich eine Spur des Weber’schen Uterus’ auffinden lassen; 
auch*) in dieser Hinsicht scheinen so die Beutelthiere sich 
von den eigentlichen‘ Säugelhieren zu trennen: 

Rei’ allen bisher untersuchten Thieren hat. der Uterus 
maseulinus seine Lage zwischen der Blase und dem Mast- 
darm, und auf den Seiten zwischen‘ den Vasa deferentia; bei 
einigen, die eine mehr compacte Prostata haben, liegt er in 
ihr Parenchym eingebettet, bei andern, wo der Uterus selbst 
einen grössern Umfang erreicht hat, erstreckt er: sich mehr 
oder minder hoch in die Falte des Peritonäums hinauf, wel- 
che zwischen den Vasa deferentia ausgespannt ist, So nimmt 
er hinsichtlich der  naheliegenden Theile "einen analogen 
Platz mit der weiblichen Geschlechtshöhle ein. » Diese Ue- 
bereinstimmung in der Lage zwischen den männlichen und 
weiblichen Geschleehtsorganen tritt am deutlichsten bei de- 
nen hervor, welche ein sehr entwickeltes Mesorchium haben, 

Was die Form des Uterus maseulinus anbelangt, ‘so 
zeigt er auch darin eine Abweichung von dem gewöhnlichen 
Verhalten der „‚Fötalreste“, welche zufälligerweise übrigblei- 
ben, und aller Bedeutung (ausser einer pathologischen) er- 
mangeln; er hat nämlich eine wenigstens für jede Ordnung 
constante Form, obgleich bier wie in anderen Theilen des 
Organismus kleinere, individuelle Veränderungen auftreten. 

Dass diese Variation in der Forın des Uterus masculi- 
nus bei verschiedenen Ordnungen, bei verschiedenen Gat- 
tungen derselben Ordnung u. s. w. nicht in irgend einem 
bestimmten Verhältnisse zu der Form der Genitalhöhle bei 
dem entsprechenden Weibchen stehe, dürfte folgende Ueber- 


*) Wir dürfen wenige erinnern an Prof. Owen’s weitbekannte 
Untersuchungen, wodurch bewiesen wurde, dass den Beutelthieren meh- 
rere der den Säugethieren eigenthümlichen Organe, z, B. das Corpus 
callosum, mängeln; dass sie durch den Bau des weiblichen Ge- 
schlechtsapparats den Vögeln näher stehen; dass ihre Jungen nicht 
durch eine eigentliche Placenta ernährt werden u. m. a., was auch 
zu der Benennung „nonplacental Mammals* Veranlassung gegeben hat, 


704 


sicht über den Bau des Uterus bei den Säugethieren be- 
" weisen: 
Einfacher Uterus mit einfacher Mündung 
kommt bei dem Menschen und den Affen vor. 
Uterus bicornis bei den Ferae, Belluae, Delphini. 
Uterus duplex bei den Glires. 

Im Allgemeinen tritt der Uterus masculinus unter der 
Gestalt einer ovalen Blase mit dünnen Wänden auf, welche 
mittelst einer verhältnissmässig kleinen Oeffnuung mit dem 
Urogenitalkanal communicirt. Seine Mündung ist immer auf 
dem Veru montanum in der Nähe der Mündungen der Vasa 
deferentia, wenn diese nicht, wie bei dem Hasen, in die Blase 
selbst hinein enden, 

Bei dem Menschen bildet er einen kleinen birnförmi- 
gen Sack, welcher in die Prostata eingebeltet liegt; bei den 
Affen ist er ganz klein, hat die Form eines engen Canals, 
welcher zum Theil von dem Gewebe der Prostata umgeben 
ist wie bei dem Menschen. Noch unvollständiger zeigt er 
sich bei den Raubthieren, (dem Hund, der Katze, der 
Hyäne, dem Leopard, Nasua), aber bei dem Luchs hat er 
wenigstens eine ziemliche Ausdehnung und besondere Mün- 
dung erhalten, und bei dem Bären ist er noch mehr ent- 
wickelt, so dass er zugleich vollkonımner als bei den Men- 
schen ist. Kein Thier hat ihn jedoch so gross, wie einige 
Nager, besonders von der Gattung Lepus, wo er einen 1" 
bis 3” langen und ganz weiten Sack bildet, der nur durch 
verschiedene kleinere Einschnürungen auf die Aehnlichkeit mit 
den verschiedenen Abiheilungen der weiblichen Geschlechts- 
höhle hindeutet. Deutlicher ist diese Aehnlichkeit bei dem 
Biber ausgesprochen, wo er ein Uterus bicornis, obschon von 
geringerer Grösse ist. Ein Ulerus bicornis findet sich auch 
angedeulet bei Myopotamus, obgleich das ganze Organ nur 
ein Rudiment ist. Ein mit gelrennten Hörnern versehener 
Uterus masculinus findet sich auch bei dem Schweine und 
Pferde, bei dem letzteren jedoch abwechselnd mit‘ der 


705 


einfachen Sackform. Das Pferd bildet so auch in dieser 
Beziehung einen Uebergang von den Pachydermen zu den 
Wiederkäuern, die immer einen sackförınigen Uterus 'mascu- 
linus haben, etwas mehr entwickelt bei dem Ochsen, als bei 
dem Schafe. Sehr ansehnlich ist die Entwickelung des männ- 
liehen Uterus bei den Cetaceen, wo er die Form einer einfa- 
chen, bei dem Narwal zolllangen Höhle hat, die von der 
Drüsenmasse der Prostata umhüllt ist. Aus dem oben Ange- 
führten ergiebt sich daher, dass der männliche Uterus bei 
Thieren derselben Gattung oder Ordnung eine verwandte 
ähnliche Form hat, und bei Thieren, welche an der Grenze 
zwischen zwei Ordnungen oder Gruppen stehen, sich in der 
Gestalt dem einen oder dem anderen Nachbar nähert. Wir 
sehen auch, dass er, obgleich nicht viele Variationen darbie- 
tend, in den wenigen vorhandenen gleich bestimmten Ge- 
setzen folgt, wie die wichtigeren Organe in dem Thierorga- 
nismus. 


Ueber die Analogie zwischen Weber's Uterus mas- 
culinus und dem weiblichen Sinus genitalis, 


Es würde allzu weitläuftig werden, hier alle Beweise 
für die Existenz des Weber’schen Organs als ein Sinus ge 
nitalis des Männchens durchzugehen; diese Frage ist ausser- 
dem von Weber und H. Meckel behandelt. Die Teratolo- 
gie und Entwickelungsgeschichte liefern hinreichend spre- 
chende Beweise für diese Ansicht, obgleich einige der jetzt 
lebenden Anatomen ihre Richtigkeit nicht zugeben wollen. 


Das Hauptsächliche diesen Gegenstand betreffende wer- 
den wir jedoch hier unten aufnehmen und sehen, in wie 
weit der Uterus masculinus als ein Repräsentant des weib- 
lichen Uterus, oder der Vagina, oder beider zusammen be- 
trachtet werden muss. 

Bei der Bestimmung ‘der Homologie zwischen den 


männlichen und weiblichen Generationsorganen kann man 
Müller’s Acrhiv, 1849, 45 


706 


von zwei Gesichtspunkten ausgehen; die besonderen Theile 
dieser Organe können nämlich theils teleologisch, hin- 
sichtlich der Gleichheit ihres Zweckes, theils morpholo- 
gisch, hinsichtlich der Gleichheit ihrer Entwickelung be- 
trachiet werden, 

Einige ältere Anatomen, von der ersten Betrachtungs- 
weise ausgehend, sehen desshalb die Samenblasen als Gegen- 
stück der Gebärmutter an; und diese Ansicht gründete sich 
auf den Schlusssatz, dass, da die Tubae Fallopiae und Vasa 
deferenlia sich beide als Keimleiter zeigen und als solche 
analog sind, auch die Theile, welche den Keim aufnehmen, 
analog sein müssen. Eine Stülze für diese Annahme wurde 
auch darin gefunden, dass bei einigen Thieren (z. B. dem 
Hasen) ein unpaariger Samenbehälter sich entwickelt hätte, 
der, in zwei Seitenhälften getheilt gedacht, das Bild der 
paarigen Samenblasen bei anderen Thieren wiedergeben sollte. 

Aber in demselben Verhältniss, wie die Lehre von der 
Entwickelung des Fötus ausgebildet wurde, fand man es 
nothwendig, die Forschungen bis auf die ersten Bildungspe- 
rioden auszudehnen, um den getrennten Umgestaltungen der 
Generalionsorgane folgen zu können. So kam Weber zu 
dem Schlusse, dass das Männchen ebenso wie das Weibchen 
einen obgleich unvollkommenen Uterus habe. Die Schluss- 
folgen, welche ihn dahin führten, finden sich zum Theil in 
das Vorhergehende aufgenommen. (s. oben.) Er stellte die 
teleologischen und morphologischen Betrachtungssätze zu- 
sammen; aber sah die Vasa deferentia und die Cornua uteri 
mit ihren Tuben als Analoga an. Noch war demnach diese 
Frage nicht vollkommen erledigt; man musste die Entwicke- 
lungsserien sämmtlicher zu dem Generationsapparate gehöri- 
ger Theile zusammenstellen und. Schritt vor Schritt die 
Spur der verschiedenen Metamorphosen verfolgen. In dieser 
Hinsicht. lieferte Kobelt*) wichtige Aufklärungen durch 


*) Der Neben-Eierstock des Weibes — Seitenstück des Nebenho- 
den des Mannes, Heidelberg 1847. 


707 


seine Beobachtungen über das Verhältniss der Wolff schen 
. Körper zu dem Ovarium und dem Testikel, wodurch ent- 
deckt wurde, dass auf dieselbe Weise die Corpora Wolf- 
fiana selbst bei dem männlichen Embryo in die Neben- 
hoden, bei dem weiblichen Embryo in die, eines auf jeder 
Seite, in der Ala vespertilonis liegenden Nebenovarien ver- 
wandelt werden, ihre Ausführungsgäuge bei dem ersteren in 
die Vasa deferentia, bei dem lelzteren in die s. g. Gartner- 
schen Canäle*) übergeben, welche, in den Lig. uteri lata, 
dann in der Substanz des Uterus und der vordern Scheide- 
wand verlaufend, sich im Vestibulum nahe der Mündung der 
Harnröhre öffnen. 

Es giebt eine Periode des Fötuslebens, wo jedes Indi- 
viduum zugleich Elemente für die Generalionsargane jedes 
Geschlechts, welches man wolle, besitzt; aber die Keimdrüse, 
der wichtigste Theil, bestimmt sich; die übrigen Nebenappa- 
rate folgen dem dadurch gegebenen Impulse, und die cha- 
raklerisirenden Organe eines Geschlechts entwickeln sich 
eonsequent auf Kosten des andern. Jedoch bleiben diese zu- 
rückgesetzten Theile in mehr oder minder veränderter Ge- 
stalt bei einigen Thieren das gauze Leben hindurch, bei an- 
dern wiederum nur eine kürzere Zeit übrig. 

Diese typische Bildung sämmtlicher zu dem Ger.erations- 
apparate gehöriger Theile (so weit sie nämlich in irgend ei- 
nem Zusammenhange mit dem in Rede stehenden Gegen- 
stande stehen) haben wir in dem beigefügten Diagram, wel- 


*) Diese Canäle wurden zuerst von Malpighi 1681 beschrie- 
ben; und genauer von Gartner (Anat. Beskr. ofver et ved nogle 
Dyr - Arters Uterus untersögt glandulöst Organ i Danske Vidensk. 
Selsk. Skrift, 1522) und Jakobson, von welohem sie ihre gegen- 
wärlige Benennung erhielten, _ Mehrere neuere Verfasser haben auch 
diesen Gegenstand behandelt Bei den meisten Thieren und dem 
Menschen obliteriren diese Canäle, aber bleiben mehr oder minder 
deutlich bei Schweinen und Kühen bestehen, welche letztere, beson- 
ders während der Trächtigkeit, sie zuweilen 7—8“' weit haben. 


45 * 


708 


ches hauptsächlich nach dem „Schema der Harn und Ge- 
schlechtswerkzeuge der Wirbelthiere‘*“, das H. Meckel*) auf- 
gestellt hat, darzustellen versucht. (Fig. 7.) 

Bei fast allen Säugethieren öffnen sich die Mündungen 
für die Urinblase, für die Vasa deferentia mit den Samen- 
blasen und für den Uterus masculinus bei dem Männchen 
in derselben Region des Uro-genitalkanals, wo das Veru 
montanum sich als eine mehr oder minder hervorragend 
Erhöhung zeigt. Gewöhnlich ist dieser Theil des Urogenital- 
canals etwas erweitert. Bei dem Weibchen münden die 
Harnröhre, die Vagina und die Gartner'schen Canäle in 
derselben Gegend, ausgenommen bei einigen wenigen Thie- 
ren, wo die Harnröhre besonders vor der Vagiua mündet z. 
B. bei dem Lemming, der Ratte, dem Maulwurf. Der Fort- 
selzung dieser Region nach aussen hat H. Meckel den Na- 
men Alveus uro-genitalis gegeben; welchem das ge- 
wöhnlich Harnröhre bei dem Männchen, Vestibulum bei dem 
Weibchen Genannte entspricht. 

In Folge dieses Verhaltens glaubt Meckel den Uterus 
masculinus als eine Vagina betrachten zu müssen; und als 
Stütze für diese Annahme führt er an, dass „‚der Uterus 
seltener persistent in seiner Vollkommenheit bleibe, als die 
Vagina. Niemals sei bei dem Männchen ein Uterus gefun- 
den, wenn sich nicht zugleich eine noch deutlichere Scheide 
finde. Seine Gegenwart könne nur da angenommen werden, 
wo er sich durch seine normalen Charaktere auszeichnete: 
muskulöse Beschaffenheit, Os tincae, Theilung in Hörner. 
Da bei weiblichem Hermaphroditismus die eierleitenden Theile 
eingeschrumpft seien, könne der Uterus und die Scheide 
nicht deutlich unterschieden werden.‘ — Leuckart dagegen 
betrachtet den Uterus masculinus als einen Repräsentanten 
des Uterus selbst, und das in der Gegend des Veru monta- 
num erweiterte Stück des Sinus uro-genitalis als ein Ae- 


*) Morphologie etc. S, 10. 


709 


quivalent der Vagina, Alles wegen der angenommenen Ein- 
mündung der Gartnerschen Kanäle in die Vagina. 

So wie die beiden oben angeführten Verfasser haben auch 
wir versucht, das relative Verhalten der Generationsorgane 
bei dem verschiedenen Geschlecht von einem rein morpholo- 
gischen Standpunkte aus zu betrachten; können aber doch nicht 
unbedingt auf irgend eine der vorher angeführten Ansichten 
eingehen; nämlich dass Weber's Uterus masculinus entwe- 
der allein dem Uterus oder allein der Scheide entsprechen 
solle. Es scheint uns viel übereinstimmender mit der typi- 
schen Entwickelung der verschiedenen Theile, dieses Organ 
als einen Repräsentanten des ganzen weiblichen Sinus genitalis, 
d. h. des Uterus und der Vagina zusammen zu betrachten. — 
Die Gründe auf die wir diese Annahme stützen, wollen wir 
nun vorlegen: 

Während einer gewissen Periode des Fötuslehens herrscht 
eine vollkommene Geschlechtsgleichheit; der Theil, welcher 
damals bestimmt war, sich zu Uterus und Vagina, Sinus ge- 
nitalis, zu entwickeln, musste, falls die Keimdrüse sich für 
die männliche Entwickelungsreihe bestimmt und die für das 
Männchen eigenthümlichen Organe mit sich zieht, entweder 
auf demselben Entwıckelungsgrade stehen bleiben, den er 
bei dieser Entscheidung einnahm, oder auch zurückgehen. 
Dass uormal ein Fortschreiten sollte eintreten können, ist 
schwerlich denkbar. Desshalb muss auch der Uterus mas- 
eulinus, da er einmal Elemente sowohl für den Uterus als 
die Vagina in sich trägt, in seiner bei dem erwachsenen 
Männchen unvollständigen. Form als ein Gegenstück zu dem 
ganzen Sinus genitalis betrachtet werden. 

Für unsere Auffassung des Gegenstandes spricht auch 
die Bildung des Ulerus masculinus bei verschiedenen Thie- 
ren, z. B. dem Biber, dem Pferde, dem Schweine, wo er 
im Kleinen einen Uterus bicornis darstellt, aber er müsste 
auch in Betracht seines Verhaltens zum Alveus uro-genita- 
lis eine Vaginalportion enthalten. Ferner verdient das Fac- 


10 


tum Aufmerksamkeit, dass bei dem Männchen niemals ein 
Uterus gefunden ist, wo sich nicht zugleich eine Vagina fand. 

Bei mehreren Hermaphroditen, wo die Entwickelung 
stehen blieb vor der Bildung eines ordentlichen Uterus und 
Vagina, findet sich keine bestimmte Grenze zwischen diesen 
beiden Cavitäten, ungeachtet des oft bedeutenden Volumens, 
sondern beide werden durch das Ganze repräsentirt. 

Dass die von Meckel aufgestellten Forderungen eines 
Uterus schwerlich auf den Sinus genitalis des Männchens 
angewandt werden können, versteht sich von selbst; indem 
ein solcher vollkommener Ulerus nur dem ganz entwickelten 
Weibchen zukommt. 

Mehrere andere Gründe für unsere Ansicht über die 
Analogien des in Rede stehenden Organes könnten angeführt 
werden; aber das Obige dürfte hinreichend sein, um zu 
zeigen, dass dasselbe als ein Repräsentant sowohl des Ute- 
rus als der Vagina betrachtet werden muss. Wir möchten 
daher vorschlagen, ihn ferner entweder Weber’sches Or- 
gan oder Utericulus masculinus Weberi zu nennen. 

Es bleibt übrig, mit einigen Worten das eigenthümliche 
Verhalten des Uterus maseulinus bei der Gattung der Hasen zu 
berühren, wo er sich nicht bloss als ein Zeuge der Entwicke- 
lung der Generalionsorgane von einem für beide Geschlech- 
ter gemeinsamen Typus, sondern als ein Organ in voller 
Thätigkeit zeigt, was offenbar eine Folge davon ist, dass 
die Vasa deferentia in seine Höhle einmünden. Aber in wie 
weit dieses seinen Grund darin hat, dass die Ausführnngs- 
gänge der Wolff’schen Körper gegen das gewöhnliche Ver- 
halten bei dem Embryo sieh wirklich in die Vagina öffnen, 
oder darin, dass ein Theil des Sinus uro-genitalis durch die 
Höhle des Weber’schen Organes aufgenommen ist, das er- 
lauben wir uns nicht zu entscheiden, indem die Hasenembryo- 
nen, welche in den Sammlungen des Königl. Carol. Instituts 
theils klein waren, theils längere Zeit in Weingeist gelegen 


711 


hatten, so dass wir keine bestimmten Resultate erhalten 


konnten. 


Fig. 1. 


Fig. 2. 


Fig. 3. 


Fig. 4. 


Fig. 5, 


Erklärung der Abbildungen. 


Uterus masculinus und femininus, nebst den übrigen Ge- 
schlechtstheilen vom neugebornen Kaninchen nach We- 
ber v. Vesica urinaria, Ur Urethra, u Uterus masculinus und 
femininus, die nebst der Urethra in den Sinus uro-genitalis 
einmünden, TT. Testes, ep. Epididymi, dd. Vasa deferentia, 
die jedoch wahrscheinlich weiter unten einmünden als 
Weber dargestellt hat. gu. Gubernaculum Hunteri, 00. Ova- 
ria, it. von Weber Tubae Fallopiae genannt, müssen auch 
Repräsentanten des Nebenovarium und der Gartner’schen 
Canäle sein, ]. Ligamentum uteri rotundum. 

Uterus masculinus und fenininus von Schafsembryonen, 
nach Rathke, bei doppelter Vergrösserung. v. Vesica uri- 
naria, u. Uterus masculinus und femininus, der letztere 
mit seinen Hörnern, d. Vasa deferentia, ur. Urethera, ug. 
Sinus uro-genitalis, in welchen das Weber’sche Organ 
nebst der Urinblase einmünden. p. Penis, cl, Clitoris. 

An der hinteren Seite der Urinblase gelegene Theile eines 
neugebornen Kalbes. vv. Vesiculae seminales, (er eine von 
dem umgebenden Gewebe befreit und seiner ganzen Länge 
nach ansgestreckt. dd. Vasa deferentia, mm. ein Theil des 
starken Muskels, welcher den Beckentheil der Harnröhre 
umgibt, und sich über die unteren Enden der Vasa defe- 
rentia und des Uterus masculinus erstreckt, in der Mitte aber 
durchschnitten ist, um den Uterus etc, zuz eigen, u. Uterus 
masculinus, 

Stellt einen Theil des Blasenhalses und des Sinus uro-genita- 
lis von vorn geöffnet nebst der durchschnittenen Prostata 
eines Mannes dar; in der Mitte erscheint das Caput gallina- 
ginis mit u. der Mündung des Uterus masculinus und ee 
den Mündungen der Ductus ejaculatorii; aber vor dem Ca- 
put gallinaginis erscheinen jederseits die Oeflnungen für die 
Auslührungsgänge der Prostata. pp. Prostata. 

u, Uterus masculinus bei dem Manne, wie er von hinten be- 
trachtet, mit Injectionsmasse gefüllt, sich nach Wegnahme der 


712 


umgebenden Theile mit Beibehaltung der Ductus ejaculatorii 
zeigt, e. Duct. ejaculatorii. 

Fig. 6, Der Blasenhals mm. von vorn geöffnet, bei einem neuge- 
bornen Kinde, u. der Uterus masculinus liegt sogleich unter 
der Schleimhaut, welche erhalten ist; er ist mit einem Rohr 
aufgeblasen, damit seine Form und Mündung deutlicher er- 
scheinen. pp. die durchschnittene Prostata. 

Fig. 7. Diagram von den Geschlechtstheilen; t. ist die Keimdrüse, 
der ältern Anatomen Testis und Ovarium, w. Wolff’sche 
Körper, welcher später in Nebenovarium oder Nebenhoden 
verwandelt wird. d. Ausführungsgang des W olff’schen Kör- 
pers; bei den Männchen Vas deferens, bei den Weibchen 
Gartner’scher Canal. s. das untere erweiterte Stück 
dieses Canals, „Bursa“; bei den Männchen Vesicula semina- 
lis, n. Niere, b. Harnblase, u. Sinus genitalis, später Uterus 
und Vagina oder Uterus masculinus, f. Tuba Fallopiana, eine 
Entwickelung des „Müller’schen Ganges“, bei dem er- 
wachsenen Männchen gewöhnlich verschwunden, aber zu- 
weilen durch die „Morgagni’sche Hydatide“ mit ihrem 
Strang repräsentir, — Die Tuba, welche ursprünglich in 
Berührung mit dem Wolff’schen Körper steht, ist der 
Deutlichkeit wegen auf der Zeichnung etwas von ihm ge- 
trennt worden, a. Alveus uro-genitalis, bei den Männchen 
am Caput gallinaginis, bei den Weibchen an der Clitoris 
und den Labia minora beginnend p. Prostata, c, Cowper- 
sche Drüsen *). 


*) Anm, Die Richtigkeit dieser Darstellung wird, ausser durch 
die Facta, welche die Embryologie zur Hand gibt, aus der Bildung 
der Generationsorgane in verschiedenen pathologischen Fällen bewiesen. 
So z. B: sehen wir bei s. g. Hermaphroditen, dass bei denselben In- 
dividuen die männliche Entwickelungsreihe bis zu einem gewissen 
Grade parallel mit der weiblichen fortgeschritten ist. Unter der Menge 
ähnlicher Fälle verdienen genannt zu werden, ausser den interessanten 
Untersuchungen von Dr. Numan (Memoire sur les vaches steriles, 
connues sous le nom d’Hermaphrodites, compardes ä d’autres animaux 
portants des vices de conformation de l’appareil sexuel. Utrecht. 1843. 
Traduit de l’Hollandais par Verheyen). Ackermann’s oft eitirter 
Androgynus; Mayer’s 6 Monate alter Knabe (Icones secutae Nro. 3. 
fig. 2.) Mascagni’s Stier (Atti di Siena t. 7. p. 701) und der von 
Kobelt (der Neben-Eierstock S. 38.) beschriebene 8 Monate alte 
Bock. — Die beiden zuletzt genannten Hermaphroditenbildungen lie- 
fern so erläuternde Beiträge für unsern gegenwärtigen Zweck, dass 
wir die Beschreibungen davon kurz wiedergeben zu müssen glauben. 


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Mascagni fand bei einem gegen 9 Jahre alten geschlachteten Stier 
einen ansehnlichen Uterus mit normalen Hörnern und Tuben; der Ute- 
rus ging ohne deutliche Grenze in die Vagina über, die mit einer fei- 
nen Oeffnung in dem Sinus uro-genitalis neben den Vasa deferentia 
ausmündeten. Anstatt der Ovarien fanden sich zwei, mıt normalen 
Samenkanälen versehene Testikel. Der Schwanz der Epididymis be- 
gann am Ende des Uterushornes, in der Höhe des Anfangs des Ute- 
rus und der Scheide, und öffneten sich an dem mit vier Falten ver- 
sehenen Veru montanum. 

Der von Kobelt abgehandelte Bock hatte einen normalen Uterus 
bicornis und Vagina; hinter dem untern Ende derselben lagen zwei 
drüsige Samenblasen, deren Ausführungsgänge in der vordern Wand 
der Vagina zum Vestibulum fortliefen, wo sie neben dem Orificium 
urethrae mündeten. Die Cornua uteri gingen in zwei nur wenig ge- 
schlungene Eileiter über, welche nach vorn gegen den Bauchring und 
in einen Scrotum-ähnlichen Sack gingen, wo zwei vollkommen ent- 
wickelte, mit allen zugehörigen Häuten und Gefässen versehene Te- 
stikel lagen. Der in den Genitalcanal eindringende Eileiter, d. h. der 
entwickelte „Müller’sche Gang‘ setzte sich ununterbrochen bis an 
den Rand des Nebenhodens fort — ein Beweis für die Identität des 
Müller’schen Ganges mit der Tuba und mit dem am Nebenhoden des 
Männchens rudimentär übrigbleibenden Strange. Die Gartner’schen 
Canäle zeigten sich als Vasa deferentia, die mit den Ausführungsgän- 
gen der Samenblasen sich zu wirklichen Duct. ejaculatorii vereinigten. 
Es fand sich keine Spur von Ovarien, 


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