geleitet
von
Dr. Alexander Villers.
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Inhalt.
Seite
Villers. 1898 1
Shclton. Sollen wir angreifen oder nachgeben?. 3
Purjes. Therapeutische Täuschungen.22
Villers. Krankengeschichten LXIX—LXXI.25
Mannigfaltiges.30
Similia similibus curantur oder curentur.
Aus der Zeitungsmappe.30
, Das
Archiv für Homöopathie
erscheint seit Oktober 1891 in monatlichen Heften von
2 Druckbogen Umfang im Umschlag.
Die Hefte werden am zweiten Mittwoch jedes
Kalendermonates verschickt.
v
Der Abonnementspreis
beträgt für einen Band von 12 Heften 10 Mark.
Die Bestellung erfolgt entweder durch direkte Zu¬
sendung dieser Summe an den Unterzeichneten oder auf
buchhändlerischem Wege bei dem Unterzeichneten Ver¬
lag (Kommissionär in Leipzig: K. F. Koehler).
Erfolgt die Bestellung bei mir, so werden die
fälligen Nummern direkt unter Kreuzband zugeschickt.
Redaktionsschluss findet mit dem Ende des dem
Erscheinen vorhergehenden Kalendermonates statt.
Expedition des Homöopathischen Archives,
Dr. Alexander Villers.
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ARCHIV FÜR HOMÖOPATHIE
von
Dr. Alexander Villers.
Jahrgang* VIII. Nr. 1 . Januar 1899.
1898.
Im verflossenen Jahre ist kein grundlegender neuer Schritt
in der Homöopathie gemacht worden. Es ist ein Jahr des
Aufbauens und der Pflege Dessen gewesen, was vorher schon
begonnen war. So wie die Leiche unseres verehrten Alt¬
meisters Hahnemann nur überführt werden konnte und die
Gruft noch, des Denkmals harren muss, welches erst spätere
Jahre über ihr errichten können, so sind auch alle die Aufgaben,
welche wir uns gestellt haben, nur fortgebildet worden, aber
keine zum Abschluss gekommen. Sowohl die Pharmakopoe,
als auch die vom Zentralverein beschlossene Arzneimittellehre
werden dem entworfenen Plane gemäss bearbeitet, und es lässt
sich schon übersehen, dass bei nur einigem guten Willen der
Mitarbeiter in der Zeit, welche dafür in Aussicht genommen
war, auch die Vollendung herbeigeführt werden kann. Die
stärkere Anspannung der Mitarbeiter für diese Zwecke hat
die Polemik in unserem Lager verstummen lassen, so dass in
unseren Blättern und in' unseren Versammlungen weniger
Differenzen zum Austrag zu bringen sind als wie früher.
Auch in unserer Stellung zu den Berufsgenossen andrer
Richtungen ist keine entscheidende Wendung eingetreten, aber
hier und da zeigen doch kleine Merkmale, dass es möglich ist
mit Andersdenkenden sachlich zu diskutiren, und dass nicht
von vorn herein Jeder, welcher die Homöopathie vertritt, der
Verunglimpfung ausgesetzt wird. Es wird zwar noch genug
auf diesem Gebiete geleistet, und wir können unseren Gegnern
den Vorwurf immer noch nicht ersparen, dass sie über uns
urtheilen, ohne etwas von unseren Arbeiten zu kennen.
Die polemische Literatur, welche sich gegen die Homöo¬
pathie richtet, zitirt zwar mehrmals wie früher aus der älteren
Literatur und zitirt auch genau, aber eigenthümlich bleibt es
Archiv für Homöopathie. Heft 1. 1
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doch, dass den Beferenten meistens das Verständniss dafür
fehlt, dass ein Gedanke, welcher — in der Sprechweise einer
anderen philosophischen Schule oder naturwissenschaftlichen
Bichtung, als die jetzt gerade herrscht, ausgedrückt — unklar
und unwahrscheinlich erscheint, nur der Uebersetzung in den
jetzt herrschenden wissenschaftlichen Jargon bedarf, um seine
inneren Beziehungen zu den jetzt allgemeiner gütigen An¬
schauungen zu zeigen. Die Bückkehr zur Biologie, welche
sich jetzt im Gebiete der Medizin und der Naturwissenschaften
vollzieht, wird dann das Yerständniss erleichtern, denn wir
werden binnen kurzer Zeit mit unseren Anschauungen über
das Leben und über die Störungen des normalen Lebens auf
einem Standpunkte stehen, der demjenigen sehr nahe ist, welcher
am Ende des vorigen Jahrhunderts Geltung hatte und auf
welchem also auch Hahnemann als Schüler der damaligen Zeit
seine Lehre aufbauen musste.
Wer in der Literatur der nichthomöopathischen Medizin
die zahlreichen Spuren entdeckt von Anschauungen und Lehren,
welche ihm als Homöopathen bekannt sind, wer im Gespräch
mit den Kollegen es fühlt, wie die Anschauungen in manchen
als unerschütterlich geltenden Punkten zu schwanken anfangen,
wer es sieht, wie auch in sehr orthodoxen medizinischen Kreisen
die Betonung des Individualitätsbegriffes mächtig vorwärts¬
schreitet: der kann als Homöopath sich der sicheren Hoffnung
hingeben, dass die von ihm vertretene Bichtung trotz aller
Anfeindungen doch die Medizin der Zukunft ist.
Wenn wir nur unsere Pflicht erfüllen, wenn wir nur in
ernster Selbstarbeit uns weiterbilden auf dem Gebiete, welches
wir gewählt haben, wenn wir nur einseitig genug Homöopathen
sind, dann muss die Entwickelung der therapeutischen Bichtung,
die wir vertreten, eine günstige sein!
Als Glieder der grossen Genossenschaft der Mediziner
wollen wir Alles lernen, was an Fortschritten der Erkenntniss
und der Behandlung geboten wird, aber was die Förderung
und Klärung unsrer Thätigkeit anbetrifft, so wollen wir uns
nicht umsehen, ob wir Gründe dafür finden, welche den Anderen
gefallen, sondern wir wollen auf unserem Boden nach den Wurzeln
unsrer Kraft suchen und diese heben. Non multa, sed multum.
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Sollen wir angreifen oder nachgeben?
Von Dr. George G. Shelton-New-York.
(Begrüssungsrede in der „New-York Hoinoeopatkic Medical Society.)
Das Thema, welches ich heute zur Besprechung vor Ihnen
mir ausgewählt habe, lege ich doch nur mit einigem Bedenken
Ihnen vor. Ich weiss sehr wohl, dass es von grosser Be¬
deutung ist, und ich erkenne auch an, dass ehrliche Menschen
ehrlicherweise über diese Frage zu verschiedenen Anschauungen
kommen können. Ich habe mir die Aufgabe gestellt, an die
Frage mit vollkommener Unparteilichkeit heranzutreten, ohne
persönlicher Zu- oder Abneigung Ausdruck zu geben.
Die Geschichte der Medizin ist mehr noch wie die Ge¬
schichte anderer Wissenschaften ausgezeichnet durch immer
wiederholte Experimente und Enttäuschungen. Auf Erfolge
folgten vergebliche Versuche, und jeder misslungene Versuch
trieb uns an, neue Anstrengungen zu machen in der Hoffnung
auf neue Erfolge. Brave Leute haben ernstlich gekämpft für
Theorien, welche von Anfang an unhaltbar waren, und andere
ehrliche Leute haben aus Missverständniss, aber aus ehrlichen
Gründen gegen dieWahrheit sich verschworen. Der Dogmatismus
kann nicht lange wachsen, und die Waffen der Lächerlichkeit,
des Hasses und der Verachtung sind vielfach von Leuten ge¬
braucht worden, die sich in ihrem Eechte glaubten, wenn sie
das über den Haufen zu werfen suchten, was sie nicht für
wahr hielten; und so wird es sein, solange Menschen um die
Wahrheit zu ringen und zu kämpfen haben. Es ist also unsere
Pflicht, unsere eigene Stellung sorgfältig zu untersuchen und
zu sehen, ob wir die Fühlung mit dem Fortschritte in der
Wissenschaft behalten haben.
Auf wissenschaftlichem Gebiete, ebenso gut wie auf poli¬
tischem war am Ende des 18. Jahrhunderts viel Kampf. Zu
jener Zeit versuchte ein junger deutscher Arzt, nachdem er
sich enttäuscht und entmuthigt von einer einträglichen Praxis
zurückgezogen hatte, seine Familie durch andere Arbeiten als
in der Ausübung seines Berufes zu unterhalten. Die rein
empirische Art und die Einseitigkeit, welche seine Kollegen
zeigten, hatten ihn unlustig gemacht, als Arzt zu arbeiten,
und da er sich gegen die Methoden, welche man damals zur
Behandlung der Kranken anwandte, auflehnte, so zog er nach
einem kleinen deutschen Städtchen, um dort als Uebersetzer
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medizinischer und anderer wissenschaftlicher Werke zu leben,
da er es vorzog, lieber auf diesem harten Wege das Brot für
sich und seine Familie zu finden, als die damals allgemein
geübten Methoden der Behandlung am Krankenbette anzu¬
wenden. Geistig sehr begabt, benutzte er diese Gelegenheit,
durch seine neue Beschäftigung mit der besten medizinischen
Literatur seiner Zeit bekannt zu werden. Es war vielleicht
ein Zufall, dass sein medizinischer Verleger ihn um die Ueber-
setzung von Cullens Materia medica an ging, des klassischen
Buches jener Zeit. Es war vielleicht auch ein Zufall wie der,
der Galilei zwang, auf die schwingende Ampel in Pisa zu
sehen, aber wir wissen aus der Geschichte der menschlichen
Entdeckungen, dass gerade aus solchen Zufällen die grössten
Fortschritte in der Wissenschaft hervorgegangen sind. Aus
dem Werke des Edinburgher Arztes empfand Hahnemann
zuerst den Eindruck, welcher ihn zur Erkenntniss eines grossen
medizinischen Gesetzes brachte.
Einen der Gründe und vielleicht den wichtigsten, der mich
veranlasst hat, über unsere Stellung als Mitglied jener medizi¬
nischen Schule zu sprechen, welche auf diese Entdeckung sich
stützt, bot mir der Versuch, den einige homöopathische Aerzte
und einige Anhänger der alten Schule gemacht haben, diese
beiden Richtungen zu einer grösseren Harmonie zu veranlassen,
ein Versuch, der schliesslich, wenn möglich, zu einer voll¬
kommenen Vereinigung führen sollte, alle Differenzen aus-
gleichen und alle Namen oder Bezeichnungen vernichten sollte,
welche nach irgend einer Richtung hin die eine Partei von
der anderen unterscheiden.
Ich werde nicht recht klar darüber, wie weit diese Stim¬
mung durch unsere Reihen geht. Sicher ist nur, dass dieselbe
existirt und von hochstehenden Männern beider Parteien unter¬
stützt worden ist. Es ist auch wahr, dass in manchen Fällen
wirkliche Philantropie und ganz reine Motive zu diesem Ver¬
suche geführt haben, aber da wir auf einem Grund und Boden
stehen, der abgetrennt liegt von dem allgemeinen Gebiete, und
da wir unter einem Sektennamen arbeiten, so gebührt es sich,
dass wir sehr sorgfältig jeden Versuch, der in dieser Richtung
gemacht wird, beachten, um uns daraus ein Urtheil zu bilden:
was soll eine solche Vereinigung bedeuten? und inwieweit
würde eine solche Vereinigung die Medizin und unsere Sache
fördern?
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Ich will es gleich hervorheben: Kein Vorschlag gefällt
dem Laien und dem Arzte so sehr, als der, den man überall
gedruckt findet, der in der Tafelstimmung mit Beifall belohnt
wird und der von jedem Lehrer vorgetragen wird, dass der
Krieg, der nun für ein halbes Jahrhundert von den beiden
grossen Systemen geführt worden sei, beigelegt werden
müsse und Freude und Verbindung zwischen beiden Theilen
herrschen solle.
Gewiss ist das Gefühl, dass aller Streit und alle Vor¬
würfe aufhören sollten, hoch und heilig, und ebenso die Vor¬
stellung, dass die Aerzte alle Hand in Hand gehen sollten,
vereint durch den gemeinsamen Wunsch, die beste Methode
zur Erleichterung der Leiden und Krankheiten der Menschheit
zu finden. Darum ist es doch ganz natürlich zu sagen: Warum
wollen wir denn nicht dieses Reich des Friedens sofort be¬
ginnen lassen? Warum soll ein einzelner Unterschied irgendwo
zwei Menschen oder irgendwo 2000 Menschen davon abhalten,
zu diesem wünschenswerthen Ziele zu gelangen, zu einem Ziele,
welches dem vornehmsten und edelsten Zuge der menschlichen
Natur gewissermassen entspricht, denn seine Verwirklichung
würde — theoretisch gedacht — alles Gute und Schöne fördern
und Bitterkeit und Streit aus der Welt schaffen.
Hinter allen diesen Bedenken aber und Wünschen nach
Vereinigung liegt eine wesentliche Frage. Ob Differenzen be¬
seitigt werden können, hängt doch davon ab, was diese Diffe¬
renzen bedeuten. Ob dieselben nämlich stammen von der un¬
vereinbaren Art zweier Leute, die Thatsachen anzusehen, ob
sie also eine grundlegende Differenz sind, oder ob dieselben
nur entstanden sind aus Vorurtheilen oder aus sonstigen gering-
werthigen Motiven.
Wir müssen also zunächst einer Betrachtung unterwerfen,
wie sich der Antagonismus zwischen den beiden Schulen
entwickelt hat und was war es eigentlich, was sie von ein¬
ander trennte?
Zu jener Zeit, als Hahnemann zuerst sein Gesetz des
Simile veröffentlichte und seine Forschungen über die Wirkung
des Arzneistoffes auf den Gesunden begann, herrschte in der
Medizin ein Geist, der gar keine Kritik erlaubte. Die damals
übliche Methode war von Generation zu Generation überliefert
worden, stand weit über der Kritik und wurde erhalten durch
den konservativen Sinn einer Zeit, welche nicht zugeben wollte,
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dass es eine bessere Methode geben könne. Yon den Ursachen
der Krankheiten wusste man sehr wenig. Genauere Unter¬
suchungen über die Wirkungen der Arzneien und deren schliess-
liche Beeinflussung des Stoffwechsels bei so grossen Gaben
wurden fast gar nicht beachtet. Was wir heutzutage unter
Pathologie verstehen, war eine verhältnissmässig unbekannte
Wissenschaft, und am Ende des 18. Jahrhunderts waren
Mikroskop und .Reagensglas sicherlich nicht ein wesentlicher
Bestandtheil des Instrumentariums eines damaligen Arztes.
Daraus entwickelte sich eine Vorliebe für starke Mittel¬
anwendungen in der vergeblichen Hoffnung, auf die Weise den
Grund des Uebels zu entfernen. Die grosse Sterblichkeit
wurde geduldig hingenommen als die natürliche Eolge der
Krankheitsprozesse. Ein Kranker, der fieberte, wurde erst
purgirt und dann zur Ader gelassen, und liess das Fieber nicht
nach, so wurden das Purgiren und das Aderlässen wiederholt;
wurde er dann schwach und unterlag, so war eben dieses sein
Geschick von Gott so angeordnet worden, und kein Arzt frag
sich, ob er nicht selber daran Schuld trüge, indem er dem
Körper gerade diejenigen Stoffe entzogen hatte, welche gerade
mit grosser Sorgfalt demselben hätten erhalten werden müssen.
Die Chirurgie stand auch nicht viel höher. Ein grosser
Chirurg der damaligen Zeit würde es ja gar nicht geglaubt
haben, dass ein Kranker einige Stunden lang schmerzlos ge¬
halten werden könne, dass man straflos die inneren Körper¬
höhlen aufmachen könne, dass man das Bauchfell einschneiden
und nähen könne und dass man in die Schädelhöhle eindringen
dürfe. Ich will nicht etwa behaupten, dass die Aerzte der
damaligen Zeit nicht auch nachgedacht und überlegt hätten
und versucht hätten festzustellen, was Krankheiten seien und
was Krankheiten erzeuge, aber zu der Erkenntniss waren sie
doch noch nicht gekommen.
In diese stickige Atmosphäre hinein brachte Hahnemann
seine Entdeckung von der Aehnlichkeit zwischen der Wirkung
von Arzneistoffen auf den gesunden Körper und der Heilung
von krankhaften Zuständen.
Wie wir es jetzt ansehen, so hätte wohl jeder Fortschritt
in der damaligen Zeit willkommen geheissen werden müssen,
aber die Aerztewelt der damaligen Zeit war, wie immer, voll¬
kommen zufrieden mit der gerade üblichen Methode und den
Wegen, die sie kannte.
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Mit dieser Selbstzufriedenheit, mit diesem beruflichen
Wohlbehagen an sich selber hatte Hahnemann zu kämpfen;
und wenn wir jetzt geneigt sind, seinen Altersgenossen den
Vorwurf zu machen, warum sie nicht ruhig an die Prüfung
seiner Behauptungen herangetreten seien — und diese Behaup¬
tungen waren wissenschaftlicher Art! — so müssen wir auch
bedenken, wie verschieden dieselben von alledem waren, was
man damals glaubte, und wie sie eine vollständige Trennung
von allen anerkannten Behandlungsmethoden bedingten. Dieses
konservative Vorurtheil also, diese Abneigung der Aerzte, sich
mit den neuen Gedanken zu befreunden und dieselben wissen¬
schaftlich nachzuprüfen, war die erste Ursache zu jener Diffe¬
renz, welche natürlich weiter und weiter zu einem klaffenden
Spalt sich entwickelte. Der Einriss wurde im Laufe der Jahre
immer tiefer, umsomehr, als auf der einen Seite Erfolge be¬
hauptet wurden, die auf der anderen Seite bestritten waren,
und da sorgfältig gearbeitete statistische Listen nicht Vorlagen,
so wurden die Argumente persönlicher Art und wurden ge¬
färbt nach Vorurtheil und Meinung.
Beschäftigen wir uns einmal mit naheliegenden Zeitab¬
schnitten und sehen wir nach, welche Ursachen den ursprüng¬
lichen Antagonismus der beiden Schulen hier in unserem Lande
verschärften.
Es sind jetzt gegen 70 Jahre, dass die erste homöo¬
pathische Verordnung hier in New-York gegeben wurde. Die
ärztliche Welt war noch von denselben Anschauungen durch¬
drungen, welche Ende des vorigen Jahrhunderts darin ge¬
herrscht hatten, vielleicht war nur etwas weniger starres
Festhalten zu beobachten. Die alten Methoden waren zwar
allgemein giltig, aber die Leute waren doch kühner geworden
und erlaubten sich die Frage, ob denn diese ererbten traditio¬
nellen Methoden mit all dem anhaftenden Staub der Jahr¬
hunderte alles seien, was die ärztliche Kunst hervorbringen
könne. Sie hatten sich auch schon die Frage vorgelegt, ob
denn wirklich der Verlust der Lebensflüssigkeit die krankhafte
Ursache des Fiebers entfernen könne und ob nicht doch hin
und wieder einmal die Nachwirkung der starken Medikamente
gleich einer neu geschaffenen Krankheit wirke. Man kannte
schon einige Untersuchungsresultate, und als durch deren An¬
wendung eine und die andere der alten festgehaltenen An¬
schauungen zu Fall kam, so erhob sich bei den denkenden
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Aerzten ein allgemeines Gefühl von Misstrauen für das, was
bis jetzt gütig gewesen war. Nur das alte unangebrachte
und unwissenschaftliche Yorurtheil gegen Hahnemanns Schüler
bestand noch und vor Allem bestand der bittere Hass gegen
dieselben.
In diese Atmosphäre, in der schon so viel persönliche Ab¬
neigung sich geltend machte, trat nun noch eine Gruppe von
Männern, welche nicht nur die Fundamente des therapeutischen
Verfahrens des verachteten Deutschen hochhoben, sondern auch
noch unsere kleinen Gaben dringlichst zur Anwendung empfahlen.
Diese Lehre war natürlich nicht geeignet, günstig zu wirken
auf Leute, welche alles, was aus homöopathischen Quellen floss,
von vornherein ablehnten.
Mit diesen Infinitesimaldosen erreichten die Anhänger der¬
selben ausserordentliche Erfolge. Ich glaube an die Nüchtern¬
heit von ihrer Kritik, aber ich möchte doch hervorheben, ob
nicht auch ein Theil ihrer Erfolge dadurch zu erklären war,
dass ihre Kranken nicht mehr mit so gewaltigen Arzneimassen
gefüttert wurden, wie es bis dahin üblich gewesen war.
Ein wenig später wurde die bittere Missstimmung gegen
die Homöopathie durch einen anderen Umstand noch verschärft,
durch einen Umstand, der verschuldet worden war durch die
allgemeine Anerkennung, welche die neue medizinische Schule
bald fand. Damals gab es noch keine so genauen Vorschriften
über die Berechtigung zum ärztlichen Praktiziren wie heutzu¬
tage; es gab nur wenig ärztliche Unterrichtsanstalten und ein
grosser Prozentsatz unter den Leuten, welche sich mit Aus¬
übung der Arzneikunde beschäftigten, fühlten sich nur dadurch
dazu berechtigt, weil sie bei einem Doktor gearbeitet hatten.
Sie hatten nicht die schulgemässe Ausbildung, welche wir jetzt
verlangen, sondern alle ihre Kenntnisse beruhten nur auf dem,
was sie erfahren und gelernt hatten von den Fällen, mit wel¬
chen sie sich in den Zwischenzeiten ihrer Arbeit beschäftigt
hatten, während ihre eigentliche Arbeitszeit damit ausgefüllt
war, dem Doktor die Medizin zu bereiten und sein Pferd zu
striegeln.
So gab es denn überall nicht vollberechtigte Praktikanten
der Heilkunst und der Chirurgie. Damals ebenso gut wie
auch jetzt gab es Leute, welche aus schmutzigen und unwür¬
digen Gründen, nur um ihre Einnahmen zu heben, alles das
mit vertraten, was populär war, und als nun der Erfolg der
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Homöopathie bekannt wurde und als die Neigung der grossen
Menge für dieselbe zunahm, so gab es auch genug Leute,
welche — ohne die erforderliche Erziehung zu haben und
ohne durch ihre natürliche Begabung dazu berechtigt zu sein
— sich als homöopathische Aerzte versuchten, rein deswegen,
weil sie ein Handbuch gekauft hatten und eine Handapotheke.
Ja, wir müssen gestehen, das kommt selbst in unseren Tagen
auf dem Lande häufig genug vor, wenn auch diese Gefahr
für unsere Sache, Gott sei Dank, mehr und mehr zurückgeht;
aber wir dürfen unsere Augen nicht dem Umstande verschliessen,
dass ein grosser Theil der homöopathischen Praktikanten
auf diese Weise entstand. Neben diesen standen aber die
geistig hochbegabten Leute, welche aus innerer Ueberzeugung
die neue Lehre annahmen und sie uns weiter ausgebildet
überlieferten.
Bei jeder Reform kommen solche Uebelstände vor und es
ist kein Gewinn, wenn man die Augen dagegen einfach ver¬
schliessen will. Viel besser ist, man fasst diese Dinge fest
ins Auge und man wird dadurch erkennen, eine wie wichtige
Ursache zu der Spaltung zwischen den verschiedenen Rich¬
tungen dieser Umstand mit gebildet hat.
Wenn Sie mich fragen, warum ich auf diesen Abschnitt
unserer Geschichte zurückgreife, so kann ich Ihnen nur ant¬
worten, dass ich Ihnen damit die Thatsachen wieder vorführen
will, auf welche sich ursprünglich der Antagonismus gegründet
hat, von dem wir jetzt sprechen.
Es ist nicht wahr, dass das Similegesetz als die Grund¬
lage therapeutischer wissenschaftlicher Methoden das einzige
Hinderniss der gemeinsamen Verständigung gewesen sei, und
es ist nicht wahr, dass die Trennung zwischen den beiden
Schulen allein und ausschliesslich auf der Thatsache beruhe,
dass aus rein wissenschaftlichen Gründen die Leute die leicht
zu beweisende Thatsache von der Aehnlichkeit zwischen krank¬
haften Zuständen und Mittelwirkungen nicht hätten anerkennen
wollen. Denn es ist eine Thatsache, dass verhältnissmässig
nur sehr wenige Gegner sich wirklich die Mühe geben, ein
Urtheil über das Grundgesetz sich zu bilden und sich einen
Begriff davon zu verschaffen, was die Bezeichnung „Homöo¬
path“ bedeutet, und leider müssen wir sagen, dass auch noch
heute nur wenige unserer Berufsgenossen im jenseitigen Lager
sich dieser Mühe unterziehen.
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Die Voreingenommenheit gegen einen Mann und der Ver¬
such, ihn vom kollegialen Verkehre auszuschliessen, weil er
sich Homöopath nennt, entstanden nicht allein deshalb, weil
er zu einer Anschauung sich bekannte, welche wissenschaftlich
unhaltbar sein sollte, sondern sie beruhte auch auf diesen minder-
werthigen, vorher angeführten Gründen.
Eine andere Ursache zum Antagonismus war der Name
Homöopathie und der Name Homöopath, welchen die neue
Schule geschaffen hatte, die durch diese Namenswahl ihren
ketzerischen Charakter bekannte und dadurch einen Angriffs¬
punkt schuf, welcher von ihren Kritikern und Verleumdern
weidlich ausgenutzt worden ist.
Der Gründer unserer Schule selbst gab ihr diesen Namen,
weil er aus der festen Ueberzeugung heraus, dass er sein
Möglichstes thun müsse, um den Unterschied zwischen seiner
Methode und der herrschenden Schule auszudrücken, ihr auch
einen unterscheidenden Namen geben wollte. Gerade diese)'
Name ist sehr geeignet, auf die Grundzüge hinzuweisen, welche
er gelehrt hat und welche wir zur weiteren Ausbildung über¬
nommen haben, aber das müssen wir zugeben, dass die An¬
nahme von so einem Parteinamen, wenn auch nicht vollkommen
unerhört in der Geschichte, doch eine Verletzung der besten
Traditionen des wissenschaftlichen Lebens bedeutet. Diejenigen
Anhänger verschiedener empirischer Methoden in der Medizin,
welche sich besondere Namen gegeben hatten, waren zumeist
Leute, welche in offenem Widerspruch gegen alle Wissenschaft
sich wider die Medizin auflehnten. Dem Namen Homöopathie
aber wurde im Gegensatz zu jener Namengebung eine Rich¬
tung gegeben, welche sich auf ein wissenschaftlich zu beweisen¬
des Gesetz stützte, und so kam zum ersten Male innerhalb
des wissenschaftlichen Gebietes eine Theilung zu Stande, wo
es keine Partei, sondern nur eine Wahrheit geben sollte.
Mit diesen Ausführungen will ich nicht die Beziehungen
herabsetzen, welche ursprünglich zu dieser Stellungnahme als
geschlossene Partei geführt haben. Selbst die Gegner Hahne-
manns können doch wohl nicht darthun, dass derselbe nicht
in Wirklichkeit die Wahrheit des Similegesetzes bewiesen hat
und dass er nicht als Leiter einer grossen wissenschaftlichen
Reform seiner Stellung würdig war. Es ist schon so manches
medizinische System erschienen und verschwunden, aber die
Wahrheit, welche im Similegesetze liegt, so wie es Hahne-
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mann ausgesprochen und bewiesen hat, ist noch nie mit Erfolg
angegriffen worden und wird auch nie mit Erfolg angegriffen
werden, weil es sich um ein natürliches Gesetz der Mittel¬
wirkung handelt. Wer diese Wahrheit einfach leugnen will,
mit dem kann man wissenschaftlich sich nicht mehr unterhalten
und besprechen.
Wir behaupten nicht, dass Hahnemann die Thatsache erst
entdeckt habe, auf welche das Gesetz sich gründet, denn schon
600 Jahre vor ihm kannte man die Aehnlichkeit zwischen der
Mittelwirkung auf den Gesunden und gewissen krankhaften
Vorgängen; Viele behaupten sogar, dass selbst Hippokrates
diese Frage schon erwogen habe. Aber wenn Hahnemann der
Erste war, welcher dieses Gesetz in Worte fasste und darlegte,
so war es natürlich, dass er — getragen von der vollen Er¬
kenntnis, wie wichtig es sei und wie es revolutionär wirken
müsse — seinen Widerspruch gegen den alten Zustand der
Anschauungen sehr lebhaft betont' sehen wollte. Wir haben
uns jetzt nur zu fragen, ob das Interesse der Wissenschaft
durch die Erhaltung solcher Parteinamen gefördert wird.
Ein anderer Grund zur Opposition war im Beginne die
Abneigung der Gegner der Homöopathie zuzugeben, dass man
in Bezug auf die Mittel Wirkung das Wort „gesetzlich“ brauchen
dürfe. Nicht ohne Grund wurde vorgehalten, dass die Medizin
keine exakte Wissenschaft ist; dagegen war es unwissenschaft¬
lich, zu behaupten, dass kein therapeutisches Gesetz im echten
Sinne des Wortes die Wirkung der Arznei auf den mensch¬
lichen Körper bestimmen könnte. Denn, was wollen wir sagen,
wenn wir in einem wissenschaftlichen Werke von einem Gesetze
sprechen ?
Wir verstehen unter dem Gesetze, welches wir aufstellen,
die bewiesene Behauptung, dass gewisse Erscheinungen in regel¬
mässiger unerschütterlicher Reihenfolge auftreten und dass eine
Kraft in ein und derselben Weise immer in die Wirkung tritt.
Stellen Sie doch tausend Mann hin und geben Sie jedem
Opium. Werden sich dann die zweitausend Pupillen nicht ver¬
engen? Werden nicht die tausend Herzen schwächer schlagen,
die tausend Gehirne alle weniger energisch arbeiten können,
in all den tausend Körpern die Nervenempfindlichkeit herab¬
gesetzt sein? Und so geht es mit allen Erscheinungen, welche
das Mittel hervorruft. Stellen Sie Denen tausend Mann gegen¬
über, welchen Sie Belladonna geben, wird dann nicht ebenso
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häufig der entgegengesetzte Erfolg auftreten? Zweitausend
erweiterte Pupillen, tausend beschleunigte Herzen, tausend
erregte Gehirne, tausend geröthete Gesichter u. s. w. in allen
Symptomen? Wenn das nicht ein gesetzmässiger Vorgang ist,
der bestimmt ist, sich immer wiederholt und sich nie in anderer
Form zeigt, welchen anderen Ausdruck soll man dann für die
Regelmässigkeit dieser Vorgänge wählen? Aber ich brauche
wohl nicht länger bei diesen Einzelheiten zu verweilen? Es
genügt, wenn ich noch einmal hervorhebe, dass der Werth
unseres therapeutischen Grundgesetzes aus zwei Gründen nicht
anerkannt wurde, erstens, weil die Grundlagen, auf welchen
es aufgebaut ist, noch nicht so bekannt waren und noch nicht
so gelehrt wurden wie heutzutage und zweitens, weil ein blindes
Vorurtheil jedem Eingehen auf diese Frage das Thor verschloss.
Der wirklich wissenschaftliche Mensch forscht und sucht nach
der Wahrheit, der gewissenhafte, ehrliche Mann nimmt das
als Wahrheit an, was ihm als wahr bewiesen worden ist; wer
sucht, der findet auch. In unserem Falle haben unsere Gegner
sich die Mühe nicht gegeben, zu fragen, was von unseren Be¬
hauptungen bewiesen ist, sondern haben, um dem Dilemma zu
entgehen, von vornherein dagegen Stellung genommen.
Die Spaltung, deren Ursache ich so in kurzen Zügen aus¬
geführt habe, bestand also und wurde täglich klaffender, und
bald bedeutete die Annahme der neuen Methode gesellschaft¬
lichen und beruflichen Ostrazismus. In allen Zeitabschnitten
der Weltgeschichte haben Männer Verlust des Vermögens er¬
duldet, körperliche Beschwerden getragen, ja, ihr Leben ge¬
opfert für ein Prinzip, aber um zu diesem Opfer bereit zu
sein, muss ihr Herz voll sein von dem Glauben an die Wahr¬
heit des von ihnen vertretenen Gedankens.
So ging es auch bei uns. Langsam lernte der Eine und
der Andere die neue Wahrheit kennen und erfassen, und das
Märtyrerthum, welches mancher der früheren Homöopathen
gerade hier in unserer Stadt hat durchmachen müssen, umgiebt
in unserer Erinnerung die Figuren derselben mit einem Heiligen¬
scheine. Als seinerzeit Gramm, Gray, Freemann, McVicker
und Hailock die medizinische Schule verliessen, in der sie auf¬
gezogen worden waren, in der sie gelernt hatten, in der sie
gearbeitet hatten, da Hessen sie auch Vieles hinter sich zurück,
was ihr Leben glücklich machte und ihre Arbeit erfreulich.
Alte Freunde, mit denen sie jahrelang Schulter an Schulter
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gearbeitet hatten im öffentlichen und privaten Leben, in der
Gesellschaft und in der Ausübung des Berufes, kannten sie
jetzt nicht mehr, weder im öffentlichen noch im privaten Ver¬
kehr, weder im gesellschaftlichen noch im beruflichen Zusam¬
mentreffen. Eine solche Zurückweisung zu ertragen, ist nicht
leicht, und alle die Opfer, welche diese Aerzte gebracht haben,
konnten nur gebracht werden aus höchst lauteren Motiven.
Man dürfte wohl fragen, warum nicht die Gegner bei einigem
Nachdenken sich die Frage vorgelegt haben, ob das, wofür
jene Männer litten, wohl nur eine leere Phantasie oder eine
verdrehte Meinung sein könne.
Eine andere Ursache, welche verhindert hat,. dass wir uns
wieder vereinigen konnten und welche auch jetzt noch viel zu
sehr mitwirkt, ist der Mangel auf beiden Seiten, die Unwillig¬
keit, den Zahlen der Anderen ehrliche Absichten und Unter¬
lagen zuzuerkennen. Keine der Schulen ist in dieser Beziehung
frei von einem wohlverdienten Tadel. Es wird immer Unter¬
schiede geben in den Anschauungen, sowie es immer welche
gegeben hat, und eine ehrliche und verstandesmässig begründete
Unterscheidung der Meinungen sollte nicht jedes Zusammen¬
arbeiten von Männern verhindern, welche von anständigen
Gründen zu ihren Meinungsäusserungen geleitet werden. Allzu¬
oft aber vergessen die Gegner der Homöopathie, dass dieselbe
jetzt ein Jahrhundert ehrenvollen Kampfes hinter sich hat,
dass sie auf wohlgeprüfte Erfolge hin weisen kann, dass Tausende
ihrer Anhänger belesene und aufrichtige Männer sind, und
statt dies anzuerkennen, weisen sie sofort verächtlich Alles
zurück, was irgendwie mit Homöopathie zusammenhängt, als
ob dieselbe nur die Quintessenz von Humbug und Quack¬
salberei wäre.
Wenn es aber Humbug ist, was für eine merkwürdige
Verirrung hat dann solche Aerzte dazu geführt, sich der
Homöopathie anzuschliessen? Wie ist es dann möglich, dass
selbst Aerzte, denen im Vertrauen auf ihr richtiges, gesundes
Urtheil die wichtigsten Staatsgeschäfte überantwortet worden
sind, doch geistig und moralisch so schwach waren, dass sie
sich in diesen sophistischen Spinneweben fangen Hessen? Ist
es anzunehmen, dass hohe Staatsbeamte, die wir alle mit vollen
Ehren anerkannt haben, dass die Richter der höchsten Gerichts¬
höfe, Theologen mit sehr umfassendem Wissen, Männer, deren
Gehirn die höchsten Probleme wissenschaftlicher Forschung
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zu erwägen gewöhnt ist, ihr Weib und ihre Kinder, all ihr
Liebes und ihr eigenes Leben einem Systeme anvertraut haben
sollten, welches weiter nichts verdient, als lächerlich gemacht
zu werden und welches lächerlich gemacht wird von solchen
Leuten, die, bevor sie davon sprechen, doch wenigstens etwas
davon kennen zu lernen versuchen sollten?!
Auch uns Homöopathen trifft derselbe Vorwurf. Wir glauben
und wir glauben mit Hecht, dass das, was wir lehren, die
Wahrheit ist, aber wir sind zu sehr geneigt, lau und unwissen¬
schaftlich zu behaupten, es sei die einzige Wahrheit und alle
medizinische Wissenschaft müsse innerhalb dieses Rahmens
gebannt sein. Wir glauben und wir glauben mit Recht, dass
der sicherste und zuverlässigste Weg, Krankheiten zu be¬
kämpfen, durch die Erfolge des Gesetzes von der Aehnlichkeit
gezeigt worden sei; aber es sind doch auch andere Leute auf
anderen Wegen geheilt worden und manchmal erstaunlich
schnell. Wir fühlen es, dass wir wirklich weiter vorgeschritten
sind, als unsere Gegner, aber wir dürfen daraus nicht den
Anspruch erheben auf Unfehlbarkeit.
Ich für meine Person glaube fest, dass irgendwo in der
Natur es ein Simillimum giebt für jedes Krankheitsbild, aber
wir sind noch weit davon entfernt, dies objektiv nachweisen
zu können. Das Gesetz, auf welches wir uns stützen, ist all-
gemeingiltig, aber da wir Menschen sind, die es überlegen
sollten, und Menschen sind, die es verstehen sollten, so sind
wir noch nicht in den inneren Hof des Heiligthumes eingetreten.
Unsere Stellung wird aber nicht besser, wenn wir diejenigen
Methoden lächerlich machen, welche andere Leute vertreten,
mit denen wir nicht übereinstimmen. Hier in diesem selben
Vortragssaale habe ich gehört, dass Männer, deren fester
Glaube an das Similegesetz durch langjährige Arbeiten und
Studien bewährt war, ausgelacht worden sind, wie sie er¬
wähnten oder Zugaben, dass irgend etwas Gutes von anderer
Seite herkommen könne. Wir verwerfen oft einen Vorschlag
zur Heilung des Kranken nicht nach sachgemässer Erwägung,
sondern weil er von allopathischer Seite kommt. Mit anderen
Worten: wir haben der anderen Partei dasselbe gethan, was
diese uns zugefügt hat, und pathologische Auffassung und
symptomatische Auffassung müssen einmal zu einem harmo¬
nischen Zusammenklingen gebracht werden. Wer aber ein
pathologisches Unding dadurch heilen will, dass er nur gemäss
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den Erscheinungen der Krankheit vorschreibt und jede andere
Hilfe und jede andere Erleichterung für den Kranken verwirft,
der macht seine Partei lächerlich.
Auch der, der seinem Kranken das Hecht verweigern will,
andere Hilfsmittel zu suchen, wenn seine Methode nichts er¬
reicht hat, der muss die Verantwortung für den Misserfolg
voll auf sich nehmen, denn es kann doch recht wohl sein, dass
seine eigene Unfähigkeit, das homöopathische Krankheitsgesetz
anzuwenden, oder dass eine bisher noch unbekannte Ursache
den Erfolg verhindert hat.
Aber wir brauchen diesen G-edankengang nicht weiter zu
verfolgen. Wir leben ja in besseren Tagen. Fortgeschrittene
Aerzte sind in beiden Lagern, welche nicht die harte Erfahrung
ihrer Väter durchzumachen hatten und welchen die Streitig¬
keiten jener Tage nur mehr wie Legende erscheinen, und fragen
sich, warum diese grosse Spaltung, die doch mehr psychologisch
ist und mehr von der Tradition erhalten wird, als dass sie auf
wissenschaftlichen Differenzen beruhe, fortdauern solle. Ueber-
dies hat eine fast radikale Umwälzung in der Behandlungsweise
der alten Schule in dem letzten Vierteljahrhundert stattgefunden,
so dass dieselbe ein ganz anderes Bild zeigt, fast ebenso
radikal, wie die Umwälzung, welche Hahnemann vor hundert
Jahren geschaffen hatte. Es würde schwer sein, einen Ar zt,
zu finden, welcher heutzutage auf jene Behandlungsformen
zurückgreifen wollte, die seine Ahnen empfohlen hatten. Auf
der anderen Seite haben die getreuen Schüler Hahnemanns
das Gesetz, welches ihnen überliefert worden ist, in allen seinen
Anwendungen geprüft und erweitert. Unsere Behandlungs¬
methode hat in den hundert Jahren sich nicht geändert, weil
wir eben ein Gesetz zu Grunde liegen hatten, und die Materia
medica Hahnemanns, die Werke von Bönninghausen und Jahr
stehen ebenbürtig neben der Encyclopädia von Allen und dem
Repertorium von Lippe.
Was hat denn nun in die Reihen unserer Gegner die Ver¬
änderung gebracht? Haben dieselben die Homöopathie als den
Ausdruck einer gesetzlichen Medizin Wirkung anerkannt? Nicht
im geringsten. Einfach der Geist, der seiner Zeit unsere ganzen
Vorfahren zwang, das Aderlassmesser bei der Behandlung der
Lungenentzündung wegzuwerfen, hat weiter gewirkt. Die An¬
hänger der alten Richtung haben dasselbe gethan, was Hahne-
männ that, und thun es noch. Sie haben sich gefragt, woher
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dies und jenes kommt, und aus den Fragenentstanden die
Zweifel und infolge der Zweifel eine Art von medizinischem
Nihilismus. Als sie sich überzeugt hatten von der Wirkungs¬
losigkeit ihrer Behandlungsart, schlugen sie zum Gegentheil
über und empfahlen in manchen Fällen, alle Schmerzen bei
der Behandlung zu vermeiden, und in dieses Chaos und in diese
Unsicherheit über den Weg, den sie gehen sollten, kommen
dann hinein einzelne neue Wahrheiten, vom Serum und Anti¬
toxin ; und es muss zugegeben werden, dass, wenn wir auf die
Grundgedanken zurückgehen, welche die Schaffung jenes Serums
oder Antitoxin bedingt haben, da kommen wir sehr nahe an
das Grenzgebiet zwischen Homöopathie und Allopathie.
Ich habe Ihnen also gezeigt, dass der Unterschied oder
wenigstens die bittere Feindschaft zwischen den beiden Schulen
nicht auf der verschiedenen Anerkennung des wissenschaftlichen
Grundsatzes vom Similegesetze beruhte; ich habe Ihnen gezeigt,
dass die Ursachen zu diesem Antagonismus meistens unwürdig
waren und zum grossen Theile nicht mehr giltig sind; ich habe
Ihnen gezeigt, dass in der alten Schule selbst die heterogensten
Anschauungen geduldet werden und die Befreiung der Geister
an der Tagesordnung ist und dass auf der anderen Seite unser
Grundgesetz durch so viele Jahre hindurch immer wieder be¬
wiesen hat, dass es würdig ist, wissenschaftlich beachtet und
anerkannt zu werden. Warum soll es denn nun unmöglich sein,
dass wir uns vereinigen zu einer Brüderschaft, zu gemein¬
samem Suchen der Wahrheit und zu gemeinsamer Förderung
des Menschenwohles?
Wenn wir die Frage so stellen, so wird die Antwort
wesentlich vereinfacht. Lassen Sie alles das, was die Spaltung
zwischen beiden Richtungen verursacht hat, in die Rumpel¬
kammer der historischen Erinnerungen verschwinden und fragen
wir uns dann, ob nicht praktische Fragen und wissenschaftliche
Probleme vorliegen, über welche sich gebildete Männer ohne
Bitterkeit besprechen können und welchen von verschiedenen
Seiten her ohne Aufgabe des grundsätzlichen Standpunktes
gewissermassen die Anerkennung dargebracht werden kann.
Ich halte es für möglich, dass jetzt der Weg offen liegt, der
statt einer feindlichen und bitteren Abwehr eine freundliche
und vernünftige Annäherung möglich macht.
Ich habe hier nicht vor, ein Programm aufzustellen, wie
diese Annäherung erzielt werden kann, sondern will nur auf
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einige Punkte hin weisen, welche in diesem Programm sicherlich
mit enthalten sein müssen. •
Es muss die Möglichkeit geschaffen werden, dass alle
gesetzmässig approbirten Aerzte mit gleichen Rechten an das
gemeinschaftliche Studium wissenschaftlicher Fragen heran¬
treten können, damit in dem Kreuzverhör der Forschung die
Wahrheit an den Tag komme und das, was irrthiimlich ist,
von vornherein beseitigt werden kann. Anhänger, welche, wie
die Religionsgenossen, ihre Parteinahme nur auf Gefühle gründen,
mögen die Diskussion fürchten oder in der Diskussion nur eine
Begründung ihrer Anschauungen suchen, aber die Wissenschaft
verlangt, wenn man wirklich ihren Forderungen folgen will,
dass man mit klarem Verstände forscht und dass man geneigt
ist, jede Annahme, deren Irrthümlichkeit nachgewiesen wird,
aufzugeben, und wenn der Arzt diese wissenschaftliche Schulung
nicht hat, so schneidet er sich selber die Möglichkeit ab,
wissenschaftlich sich und seine Sache zu fördern. Eine Art
von. Eklektizismus in der Weise, dass der Arzt alles das ver¬
wenden könne, was irgend eine Richtung von Vortheilen für
den Kranken geschaffen hat und dass im Abwägen dieser
Vortheile schliesslich der richtige Weg gefunden wird, erscheint
mir als das Ideal der Medizin. Wenn wir in diesem Sinne
an die Lösung der Frage gingen, so würde es nicht schwer
sein, und wir Homöopathen könnten sicher sein, dass wir mehr
und mehr mit unseren Anschauungen überwiegen würden. Ich
denke nicht an eine vollständige Verklebung aller Differenzen,
sondern ich meine, dass immer noch einzelne verschiedene An¬
schauungen übrig bleiben werden, aber doch so, dass sie wissen¬
schaftlich besprochen werden können.
Warum sollten unsere Gegner uns auf diesem Felde nicht
begegnen? Wenn die wissenschaftliche Frage, welche der
Diskussion zu Grunde liegt, eine jener zahllosen visionären
Theorien wäre, die immerfort auftauchen, um wieder zu ver¬
schwinden, wenn sie nicht schon bewiesen hätte, dass sie einen
Platz einzunehmen berufen ist in der Geschichte der medizi¬
nischen Wissenschaft, wenn sie nicht so stark ihre Entwicke¬
lungsfähigkeit gezeigt hätte, so könnte man vielleicht ihre
Diskussionsfähigkeit bestreiten, aber da sie so grosse Bedeutung
.und solchen Einfluss auf die ganze zivilisirte Welt bekommen
hat, so frage ich: warum soll sie nicht diskutirt werden? Da¬
gegen kann sich nur derjenige auf lehnen, welcher einen fremden
Arciiiy für Homöopathie* lieft 1. 2
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Gedankengang überhaupt nicht aufnehmen kann. Man kann
nicht von Jedermann verlangen, dass er alles wisse und von
allem gehört habe, aber wo in aller Welt von Kranken und
über Kranke geschrieben wird, da hört man auch das Wort
„Homöopathie“, also müsste sich ein Jeder dafür interessiren.
Ich habe mir nun die Erklärung des Wortes „Homöopathie“
in verschiedenen medizinischen Lehranstalten der alten Richtung
angehört und nirgends eine wahrheitsgemässe Darstellung
geben hören. An einem unserer hervorragendsten Institute
sagte der Dozent, er glaube, es sei doch etwas an der Homöo¬
pathie, denn er selber gebe verhältnissmässig auch sehr kleine
Gaben. Als ob die Gabengrösse irgend etwas zu thun hätte
mit der Mittelwahl! Wenn man bedenkt, dass es fast keinen
Ort mehr giebt, wo nicht ein homöopathischer Arzt sitzt, dass
Hunderte unserer Kollegen vor unparteiischen Examinations-
behörden ihre schulgemässe Ausbildung bewiesen haben und
dass vielfach sogar unsere Erfolge grösser waren, wie die der
Gegner, wenn man weiter bedenkt, dass wir in jeder grösseren
Stadt Hospitäler haben, dass in unserer Klientel die intelligenten
Klassen am meisten vertreten sind, dass wir ein Jahrhundert
lang unter starkem Drucke gestanden haben, wie ihn nie vorher
eine neue reformatorische Idee durchzumachen gehabt hat;
wenn man dieses alles bedenkt, so muss man sagen, es ist
nicht nur erstaunlich, sondern es ist auch ein grobes Unrecht,
wenn sich Jemand der Erkenntniss verschliesst vom wahren
Charakter der Homöopathie und von vornherein jeder Dis¬
kussion über den Werth derselben aus dem Wege gehen will.
Vor kurzem sprach ich mit einem sehr bedeutenden Arzte
aus dem gegnerischen Lager, der seine Ueberzeugung für seine
Sache durch jahrelange erfolgreiche Thätigkeit in einer grossen
Stadt bewiesen hatte. Er sprach mir mit Thränen in den
Augen davon, wie ungern er Lungenentzündung übernehme,
weil er so furchtbar viele Fälle schon verloren habe. Ich frug
ihn, ob er eine der Behandlungsweisen schon versucht habe,
die in unserer Schule so ausserordentlich glänzende Erfolge
bedingt hätten. Er sagte „nein!“ „Ja“, fragte ich ihn, „haben
Sie denn nicht sich um diese Erfolge gekümmert?“ „Nein“,
sagte er, „ich habe nur gehört, dass Sie wenig Fälle verlieren“.
„Nun gut“, sage ich, „wenn Sie heute noch einen Fall von
Lungenentzündung sehen und Sie folgen dann den Vorschriften,
von denen Sie nun schon aus Erfahrung wissen, dass sie so
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wenig nützen, und Sie weigern sich, einer besseren Methode,
die auf grössere Erfolge hinweisen kann, nachzufolgen und es
stirbt infolgedessen der Kranke, so ist auf Ihr Gewissen allein
die Verantwortung für diesen Todesfall zu legen. Es darf
Niemand seine Verantwortlichkeit mindern wollen, und wer
heutzutage an die Behandlung einer Krankheit geht und dabei
niemals andere, auch erprobte Methoden prüfen will, der kann
nicht behaupten, dass er seine Pflicht gegenüber seiner Wissen¬
schaft und seinen Kranken voll gethan habe.“
Wenn wir uns nicht absichtlich gegen einander abschliessen
würden, wie könnten wir auf der anderen Seite alle Methoden
sorgfältig vergleichen, wie könnten wir gemeinsam neue Mittel
prüfen, wie könnten wir zuverlässige Statistiken aufstellen,
und das Alles würde Vortheile bringen, die wir jetzt noch
gar nicht voll erfassen können.
Ich kann ferner nicht das Argument annehmen, dass wir
von unserem Ansehen verlieren würden, wenn wir unsere ab¬
gesonderte Stellung aufgeben würden. Mit dieser Anschauung
wird die Frage auf einen Standpunkt herabgedrückt, auf wel¬
chen ich nicht herabsteigen will. Für die medizinischen Systeme
gilt es wie für alles Andere, dass das Geeignetste, Bewährteste
fortbesteht. Was wir auch thun mögen, die Wahrheit wird
schliesslich doch siegen. Ob wir die Wahrheit verheimlichen,
oder ob wir sie predigen, in der Länge der Zeit wird die Welt
doch das herausfinden, was wirklich das Gute ist.
Für uns ist die Frage jetzt einfach folgende. Sollen wir
als abgegrenzte medizinische Schule unsere Sonderstellung der
schroffen Abwehr anderen Schulen gegenüber aufrechterhalten
oder sollen wir nachgeben und den Versuch machen, mit unseren
Gegnern in die Diskussion einzutreten in der Annahme, dass
die Wahrheit unserer Sache aus diesem Kampfe siegreich her¬
vorgehen werde.
Bevor wir mit diesem Schritte unseren Gegnern entgegen-
kommen können, müssen aber gewisse Bedingungen festgestellt
werden, unter welchen allein ein solcher Schritt möglich ist.
So verlangen wir vor Allem, dass man die Aehnlichkeit zwischen
einem Krankheitsbilde und einer Mittelwirkung anerkenne nach
Durchsicht der Gründe und dass man diese Erkenntniss zur
Grundlage des therapeutischen Handelns mache. Wir müssen
verlangen, dass die gründlichste und sorgfältigste Untersuchung
vorgenommen werde, ob unsere Behauptung richtig ist, und
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wenn die Eichtigkeit sich erwiesen hat, dass diese Anschau¬
ung keinen Grund mehr zum Zwiespalt und zur Verdächti¬
gung unserer Eichtung biete. Wir wollen gar nicht verlangen,
dass die Anderen unseren Methoden folgen, denn das ist eine
Frage der Persönlichkeit und der persönlichen Freiheit, son¬
dern wir verlangen nur, dass zugegeben werde, dass unsere
Methode berechtigt sei, weil sie eben auferbaut ist auf wissen¬
schaftlicher Beobachtung. Wir glauben nicht nur daran, son¬
dern wir wissen auch davon und wir sind bereit, den Grund
unseres Wissens einem Jeden zur ehrlichen Prüfung vorzu¬
legen. Wir kämpfen nicht für irgend einen sentimentalen
Glauben oder für eine Meinung, sondern wir kämpfen für
Thatsachen und Gesetze, und unsere Gegner, die sich uns
freundschaftlich nähern wollen, müssen bereit sein, auch ihrer¬
seits das, was als Thatsache bewiesen worden ist, als unan¬
fechtbare Thatsache anzunehmen.
Wir können mit keinem Wörtchen zugeben, dass wir nicht
auf der Höhe der Wissenschaft ständen. Wir sind bereit, an
die Ehrlichkeit unserer Gegner zu glauben und wir fordern,
dass dieselben auch an unserer Ehrenhaftigkeit nicht zweifeln,
denn jede Diskussion ist unmöglich, wenn man von vornherein
uns vorhält, wir seien nicht werth, dass man mit uns diskutire.
Hier handelt es sich um einen Kampf, der die ganze Mensch¬
heit angeht. Wir fordern für uns das Eecht, Alles anzuwen¬
den, womit wir unsere Kranken heilen können und wenn man
glaubt, uns so abfällig kritisiren zu müssen, warum nimmt
man dann aus unserem Arzneischatze so viele von uns ent¬
deckte und geprüfte Mittel hinüber in den Arzneischatz der
Gegner und benutzt sie unter Bedingungen, welche echt homöo¬
pathisch sind? Es giebt ja fast keine Zeitung der alten Schule,
in welcher nicht ein sogenanntes neues Mittel, eine sogenannte
neue Entdeckung, ein sogenanntes auffälliges Spezifikum ver¬
zeichnet ist, welches nicht in unserem Lager schon längst be¬
kannt wäre und manchmal schon seit einem Jahrhundert; und
wenn man dann fragt, warum dieses Mittel wirksam ist und
auf die Grundzüge der Erklärung eingeht, so kommt man eben
auf unsere homöopathischen Anschauungen, wie sie schon seit
wenigstens 50 Jahren unveränderlich bestehen.
Lassen Sie mich zum Schlüsse noch aussprechen, dass,
wie sich auch das Wissen und die Meinungen in der Zukunft
ändern mögen, wir nicht mehr von unserem Standpunkte wei-
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chen können. Wir können nicht bloss darum, weil es anderen
so lieb wäre, von einem Gesetze abgeben, welches wir als
richtig erkannt haben, als ob es sich nur um eine Meinungs¬
verschiedenheit handele; wir stehen auf dem Boden dieses
Gesetzes, wir haben es uns ganz zu eigen gemacht, unser
Glaube daran verstärkt sich von Tag zu Tag, je mehr wir
seine Wahrheit bestätigt finden, unsere ganze Thätigkeit wird
von demselben geleitet. Wir sind überzeugt, dass es sich um
ein Naturgesetz handelt, und von dieser Ueberzeugung getragen,
können wir unsern Kurs nicht ändern. Weist uns nach, dass
es sich nicht um ein Gesetz handelt, weist uns nach, dass
unser Glaube irrthümlich ist, unser Vertrauen auf falschen
Grundlagen sich aufbaut, und wir lassen das sogenannte Ge¬
setz fallen, aber so lange, wie das noch nicht geschehen ist,
so lange, wie noch kein Gegenbeweis geführt worden ist,
können wir auch unsern Standpunkt nicht verlassen und müssen
feststehen in der Vertheidigung dessen, was wir uns als ein
unserer Meinung nach wirkliches Gesetz erlangt haben. Wir
wollen uns zunächst nur vertheidigen, aber wenn wir ange¬
griffen werden und wenn man uns vollkommen vernichten will,
dann ist der Angriff die beste Vertheidigungswaffe.
Bald wird der Vorhang fallen über dem 19. Jahrhundert.
In keinem anderen Abschnitte der Weltgeschichte ist die Wissen¬
schaft so vorgeschritten und wahrlich! Hahnemanns Name be¬
deutet darin den Beginn eines grossartigen wissenschaftlichen
Fortschrittes! Die Entdeckungen dieses Gelehrten waren so
gründlich, seine Lehren sind so klar, sind so durchdacht ge¬
wesen, dass wir selbst in den Werken seiner schlimmsten
Gegner Beweise für seine Einsicht und seine Geschicklichkeit
finden. Durch unsere Thaten wollen wir unsere Treue zeigen
zu dem, was er erworben hat. Wir wollen keine künstlichen
Barrieren um uns herum auf bauen, wir wollen uns nicht hinter
Festungsmauern verschanzen, wir wollen nicht einem ehrlichen
Kriege aus dem Wege gehen und wollen uns der wissenschaft¬
lichen Nachprüfung durchaus nicht verschliessen. Wir öffnen
die Thore weit für alle Diejenigen, welche sich uns mit ehr¬
lichem Gemüthe nähern, wir fürchten nichts von der sorg¬
fältigen Prüfung unserer Behauptungen und wir suchen nichts
als Fortschritt auf dem Wege zur Wahrheit.
Wir wollen auch nicht vergessen, was für Erfolge dieser
Standpunkt uns verbürgt. Es handelt sich nicht um die Demon-
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stration einer Theorie, nicht um das Portentwickeln eines Dog¬
mas, nicht um das mühselige Weiterleben einer besonderen
Methode; was wir erstreben und was wir jetzt schon ver¬
treten, steht weit über allen Sekten und über allen Schulen.
Wir erstreben eine Vereinigung aller der Arbeit, welche ge¬
leistet wird, um unseren Mitmenschen in seiner Gesundheit
zu fördern.
Auf dem chirurgischen Gebiete haben wir uns schon ver¬
einigen können, wir stehen schon zusammen auf dem Gebiete
der Pathologie, welche den schmalen Pfad der Krankheits-
erkenntniss in einen herrlichen breiten Weg verwandelt hat
und wir stehen schon zusammen in Bezug auf die Hygieine,
welche unsere Häuser gesund, unsere Ernährung vernünftig
macht und unser Leben verlängert. Nun fehlt noch — und
ich hoffe, in der Zukunft wird das noch kommen — die Ver¬
einigung in der Therapie, dass wir uns alle vereinigen zu
einem gemeinsamen Verständniss der Gesetze der Erkrankung
und der Gesetze der Heilung und dass diese gemeinsam er¬
worbene Erkenntniss die Grundlage bilde für eine gemeinsame
Form der Behandlung. Wenn wir dafür auf unserer Seite ein¬
stehen, so muss die Wahrheit siegreich durchdringen aus eigener
Kraft!
Therapeutische Täuschungen und deren Ursachen.
Von Prof. Dr. S. P u r j e s - Klansenburg.
Während jede andere, auch medizinische Wissenschaft so¬
zusagen Selbstzweck ist, bei deren Erforschung uns nur das
Ziel, die Wahrheit zu erforschen, leitet, begnügt sich die
Therapie mit diesem Ziele nicht; sie legt sich bei jeder neuen
Errungenschaft die Frage vor, wie kann diese Errungenschaft
für den kranken Menschen nutzbar gemacht werden P Ferner ist
das Experiment schon wegen der Verschiedenheit und Kompli-
zirtheit in der Therapie nicht in dem für andere Disziplinen
gewohnten Massstabe anzuwenden möglich. Die Therapie war
indess immer bestrebt, mit den exakten Zweigen der Medizin
in Fühlung zu bleiben, der herrschenden Eichtung der patho¬
logischen Anatomie entsprach so die exspektative Methode
(auf diese Weise wurde es möglich, den natürlichen Verlauf
der Krankheiten kennen zu lernen); mit dem Auftauchen der
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Symptomatologie gelangte die symptomatologische Therapie zur
Herrschaft, welche jetzt durch die ätiologische, theils kausale,
theils prophylaktische Therapie verdrängt wird. In den Be¬
sitz einer unverlässlichen Therapie können wir aber immer nur
dann gelangen, wenn derselben die unverfälschte Induktion zum
Ausgangspunkt dient, und wenn deren Resultate mittelst Zahlen
schätzbar, abwägbar sind; letzteres wird bis zu einem gewissen
Grade mit Hilfe der Statistik erreicht; natürlich müssen die
zum Vergleich herangezogenen Fälle, von der angewandten
Therapie abgesehen, sich nach ihren Haupteigenschaften ähnlich
sein, d. h. allen jenen Umständen, welche auf den Verlauf der
Krankheit von Einfluss sein können. Die therapeutische Statistik
muss daher neben den einfachen Zahlen noch mit so vielen
Umständen rechnen, dass die Beschaffung einer verlässlichen
Statistik zu den schwer erfüllbaren Aufgaben gehört. Be¬
deutende Täuschungen machte die Therapie noch erst in jüngster
Zeit bloss deshalb durch, weil sie den streng induktiven Weg
verliess, weil man von einem einzigen Symptome ohne jede
Berechtigung allgemeine Schlussfolgerungen ableitete. In der
Annahme, dass die erhöhte Temperatur das pathognomonische
Zeichen des Fiebers sei, alle Gefahren des Fiebers also von
diesem Symptom stammen, entstand die heute noch so sehr
verbreitete antipyretische Therapie; mit Hilfe der Statistik
wurde klar bewiesen, um wie viel Menschen weniger heute an
Typhus starben als in früheren Jahren; dies alles hatte das
eifrige Suchen nach antipyretischen Mitteln zur Folge. Und
was sehen wir nun? Auch heute verwenden wir bei fiebernden
Kranken Bäder, Chinin etc., doch zu ganz anderen Indikationen,
in ganz anderen Dosen, mit ganz anderen Zwecken, da wir
uns überzeugt haben, dass es mit alleiniger Temperaturherab¬
setzung kaum gelingt, alle jene funktionellen Störungen und
Gewebsläsionen fernzuhalten, die man ursprünglich der er¬
höhten Temperatur zuschrieb. Die ausschliessliche Ursache
dieses Schiffbruches finden wir darin, dass diese Lehre nicht
der Wahrheit entsprach; der Ausgangspunkt dieser so sehr
verbreiteten und doch so ärmlich geendeten Therapie, dass die
Ursache des ganzen Fiebers die erhöhte Temperatur sei, ent¬
behrt jeder objektiven Basis und war nichts als eine aprioris-
tische Annahme. Denn alle jene Symptome und patholo¬
gischen Veränderungen waren auch bei mässigem Fieber zu
beobachten und konnten auch dann nicht hintan geh alten werden,
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als uns weit über ein halbes Hundert antipyretischer Mittel
zur Verfügung stand. Ferner dürfte der wesentlichste Antheil
an der Besserung der Mortalität (z. B. in der Typhusstatistik)
der heutigen besseren Diagnostik zufallen. Infolge der Thermo-
metrie, der Perkussion etc. halten wir weniger oft als früher jeden
Fall mit Status typhosus wirklich für Typhus; wir erkennen
heute die miliare Tuberkulose, Pneumonie (asthenische Form),
Pyämie, Endocarditis (ulcerosa), Urämie besser als früher; hier¬
hin gehören viele gewöhnlich letal verlaufende Fälle. Anderer¬
seits rechnen wir heute zum Typhus viele Fälle, besonders die
leichten, die früher, nur weil der Status typhosus fehlte, unter
andere Krankheiten rubrizirt wurden. Ein noch bedeutenderes
Aufsehen als die antipyretische verursachte eine neue Therapie,
die Anwendung des von Koch empfohlenen Tuberkulins. Keine
Nachricht hat die ganze Menschheit in solche Spannung ver¬
setzt, wie jener Vortrag, in dem Koch die Entdeckung des
Tuberkulins mittheilte. Schon nach wenigen Wochen sah man,
dass das Tuberkulin der Tuberkulose nicht gewachsen ist; es
heilte nicht nur keinen einzigen Kranken, sondern fügte sogar
vielen Kranken direkt Schaden zu. Der Fehler Kochs war,
dass er im Gegensatz zu seinen sonstigen grossen Arbeiten
den ausschliesslich sicheren Weg der Induktion, der nichts zu
behaupten gestattet, was nicht durch die zwingende Macht der
Thatsachen gestützt ist, verlassen hatte und auf das Terrain
der aprioristisclien Spekulation gerieth, sobald es sich um die
Therapie handelte. Dass aber unter uns Aerzten sich keiner
fand, der sich nicht von der Autorität, sondern nur von den un¬
erbittlichen Thatsachen leiten liess — das ist ein recht trauriger
Beweis dafür, wie sehr entfernt wir noch davon sind, immer
und immer nur induktiv, naturwissenschaftlich zu denken. Die
neueste Richtung unserer Therapie ist die Serumbehandlung;
von den vielen Sera, die empfohlen wurden, fanden zwei, das
Diphtherie- und das Tetanusserum allgemeine Anwendung. Bei
der Beurtheilung der Vertrauenswürdigkeit auch des ersteren
wurde gegen die oben erwähnten beiden Punkte viel gefehlt;
was das zweite anlangt, so haben Behring und Knorr in ihrer
Empfehlung mit keinem Wort erwähnt, dass dieses Präparat
beim Menschen einer eingehenden Prüfung unterzogen wurde,
sehen sich aber doch veranlasst zu erklären, dass es sich auch
beim Menschen wirksam erweisen wird. Ja, sie können sogar
— ohne an Menschen angestellte Versuche — bestimmen, wie
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gross die Heildosis beim Menschen ist, zu welcher Zeit an-
gewendet das Präparat nützen wird. Ein derartiges Vorgehen
einer Kritik zu unterziehen, ist überflüssig; denn von hervor¬
ragender Stelle wurde sobald kein Heilmittel mit weniger Be¬
gründung dem ärztlichen Publikum zu allgemeiner Anwendung
empfohlen, als dies mit dem Tetanusantitoxin geschehen. Re¬
sultate, die an Meerschweinchen und Mäusen gewonnen wurden,
sind nicht einfach auf den Menschen zu übertragen; auch die
„an Einzelbeobachtungen“ von Menschen gewonnenen Resultate
berechtigen durchaus nicht, ein solches Präparat zur allgemeinen
Verwendung zu empfehlen. Tadelt man derlei Schwächen und
wilde Triebe unserer Therapie, so ist zu bedenken, dass hier
nicht der unser bester Freund ist, der uns immer mit Lob
überhäuft, sondern der, welcher auch mit dem verdienten Tadel
nicht zurückhält. Trachten wir also dahin zu gelangen, dass
in der Therapie die induktive Denkungsweise die Stelle der
aprioristischen Spekulation einnehme; den Autoritätsglauben
möge die strenge Kritik verdrängen; nur so kann die rationelle
Therapie zum Siege gelangen.
(Allgem. med. Zentralzeitung Nr. 58, 1898.)
Krankengeschichten.
Von Dr. Alexander Villers-Dresden. •
LXIX.
Ein 60jähriger Herr leidet seit zwei Jahren an Blasen¬
schmerzen. Dieselben sollen nach einem Influenza-Anfalle
zurückgeblieben sein. Vor fünf Monaten hatte er sich erkältet
und es trat eine hartnäckige Urinverhaltung ein, die vollkommen
schmerzlos war, zu deren Hebung er aber viermal täglich
katheterisirt werden musste. Der Urin ist sehr dunkel, riecht
stark und es wird auch nicht ein Tropfen freiwillig entleert.
Arsenik 30 zweimal täglich erzielte den Erfolg, dass in
wenigen Tagen der Urin anfing zu fliessen, Anfangs nur in
sehr kleinen Quantitäten und allmählich reichlicher, so dass
ein dreimaliges Katheterisiren ausreichte. Infolgedessen wurde
die Arzneigabe auf ein Mal täglich herabgesetzt, und vier Wochen
später war die Hebung des Allgemeinbefindens hervorzuheben,
so dass der Kranke, der sehr elend gewesen war, wieder
Gesundheitsgefühl hatte und dass eine reichliche Urinmenge
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— nahezu zwei Liter in 24 Stunden — entleert wurde. Der
Urin war schon ziemlich hell und roch wenig. Manchmal
stellte sich im Anfänge des Urinlassens ein kurzer Krampf
ein. Nach 60 Tagen der Behandlung kam die Nachricht, dass
er keinen Katheter mehr brauchte und dass er in Allem, sich
für einen gesunden Mann halten könne. Jetzt erst, nachdem
die subjektiven Beschwerden geschwunden sind, stellt sich der
Blasenkatarrh wieder ein, welcher, durch die Erkältung in
seiner Erscheinungsform verändert, die Urinverhaltung ver¬
schuldet hatte. Der Kranke entleerte früh beim ersten Urin¬
lassen einen graugrünen dicken Schleim, hat etwas Empfindung
in der Blasengegend, klagt über Hartleibigkeit, hat aber
keinerlei Urinzwang oder dergleichen. Nachdem fünf Monate
lang zur Katheterisirung hatte geschritten werden müssen und
gar keines der vom Hausarzte angewandten Mittel eine frei¬
willige Urinentleerung zu erzielen vermochte, ist eine Wieder¬
herstellung der Blasenthätigkeit innerhalb von 60 Tagen ein
ganz zufriedenstellendes Resultat. (Journalblatt Nr. 8854.)
LXX.
Ein 37jähriger Arbeiter stellt sich mir vor mit einem
Unterschenkelgeschwür, welches seit über 3 / 4 Jahren besteht.
Der Grund desselben ist etwas mit Eiter belegt, die Ränder
sind weiss und aufgeplustert, eine zentrale Insel normaler Haut
ist aufgetreten, aber auch diese Insel ist mit wesentlich ver¬
dickten Rändern umgeben. Entstanden ist das Geschwür nach
einem Stosse, den er vor s / 4 Jahren gegen das Schienbein
erhielt. Es schmerzt im allgemeinen nicht sehr, nur klagt
der Kranke darüber, dass ein unerträgliches Jucken in der
Nacht ihm die Ruhe und den Schlaf raube, so dass er dadurch
durch die Länge der Zeit sich sehr angegriffen fühle.
Er erhält Sulphur 200, am ersten und 20. Tage einen
Tropfen zu nehmen, die anderen Tage Zuckerpulver und wird
auf acht Wochen später wieder bestellt.
Als er sich wieder vorstellt, so zeigt sich der Rand sowohl
der grossen Wundfläche, wie auch die Ränder der Hautinsel
nicht mehr weiss verfärbt, der Grund der Wunde hat sich
gehoben und ein starker und gut erkennbarer Heilprozess ist
eingeleitet. Er berichtet, dass acht Tage nach der ersten
Sulphurgabe auf dem bläulich verfärbten Hofe, in dessen Mittel¬
punkt das Geschwür steht, ein Ausschlag hervorgetreten sei,
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der ziemlich stark genässt habe und der nach einigen Tagen
vergangen sei. Er erhält Milchzuckerkörner ohne Armirung
und wird auf sechs Wochen später wiederbestellt.
Als er sich zum dritten Male vorstellt, ist die Wunde
vollkommen verheilt und unempfindlich für jeden Druck oder
Reihung; der blaugraue Hof ist etwas heller. Der Kranke
hat keine Beschwerden, leistet vollkommen seine Arbeit und
wird deshalb als geheilt aus den Listen gestrichen.
Es erscheint mir unmöglich, in diesem Falle eine Wirkung
des gegebenen Mittels zu leugnen. Denn, nachdem neun Monate
vergangen sind, ohne dass die Wunde eine Tendenz zum Heilen
zeigte, ist an eine spontane Heilung, ohne dass irgend ein
Eingriff gemacht worden wäre, nicht zu denken. Die einzige
Veränderung, welche den Kranken betraf, war die Darreichung
von zwei Tropfen Sulphur 200. Mit der Darreichung dieses
Mittels fällt der Beginn der Besserung zusammen, und was
noch mehr ist, mit dem Darreichen der ersten dieser Gaben
fällt eine Reaktionserscheinung zusammen, welche bis dahin
durchaus nicht beobachtet worden war. Dieses zeitliche Zu¬
sammentreffen berechtigt zu dem Schlüsse, dass auch eine
kausale Verbindung zwischen beiden Thatsachen, der Dar¬
reichung des Mittels und dem Eintreten der Heilung, bestehe.
Eine Erklärung dafür giebt es nicht, das ist wahr, wenn aber
solche Thatsachen, wie die vorberichtete, in der Thätigkeit
des praktischen Arztes sich hundert- und tausendmal wieder¬
holen, so bekommen sie den Werth von absoluten Wahrheiten.
Wir Aerzte, die wir zur Anwendung der Hochpotenzen
geneigt sind, haben jedenfalls zur Begründung unserer Heil¬
vorschriften sicherere Grundlagen, als wie Diejenigen, welche
niedere Potenzen oder gar Mittel im Wechsel gebrauchen, und
wenn man einen jungen Kollegen in die Homöopathie einführen
will, so ist die Vorführung von solchen Fällen, in welchen
einzelne Gaben höherer Potenzen gegeben werden, viel in¬
struktiver, als die Anwendung von massiveren Gaben, schon
deshalb, weil bei Behandlung mit Hochpotenzen in ihm der
Gedanke gar nicht auftreten kann, als ob es bei der homöo¬
pathischen Heilwirkung sich um irgend einen chemischen Vor¬
gang handeln könne. Er muss eben zu der Erkenntniss kommen,
dass die Wirkung des spezifisch gewählten Mittels auf homöo¬
pathischer Grundlage etwas ganz anders ist, als was bisher je
von Mittelwirkungen bekannt gewesen ist. Da es aber etwas
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anderes ist, als was die anderen Heilrichtungen kennen, so
muss auch der Weg, auf dem es gefunden wird, ein anderer
sein, als wie er sonst üblich ist, und wenn ihm dieser Gedanke
aus den vorgeführten Thatsachen klar geworden ist, so wird
er auch begreifen, warum für die Wahl des homöopathischen
Mittels der pathologisch-anatomische Zustand des Kranken,
die pathologische Deutung des Krankheitsprozesses und die
allgemeinen Anschauungen über Mittelwirkung vollkommen
nutzlos sind. Ob er später in seinem praktischen Wirken bei
den Hochpotenzen bleibt oder ob er dann andere Potenzen
anwenden will, das ist ja seine Sache, es wird ihm aber nie
die Erkenntniss verloren gehen, dass die Homöopathie etwas
sui generis ist und dass es in Bezug auf die Mittelwahl und
Mittelanwendung bei dieser Methode keine Verbindung giebt
mit den traditionellen älteren oder neueren Heilmethoden!
(Journalblatt Nr. 8982.)
LXXI.
Eine 40jährige Dame leidet schon seit Monaten an Kopf¬
schmerz. Derselbe sitzt in der Stirn. Gefühl von innerem
Vordrängen. Jeder Schritt wird schmerzhaft empfunden. Die
schlimmsten Zeiten sind der Vormittag und der Nachmittag.
Der Kopf ist durch den Schmerz so angegriffen, dass die Ge¬
danken nicht sehr gefügig sind. Anfallsweise tritt dann die
Absonderung eines sehr hellen, wässerigen Schleimes in grosser
Menge auf, dem ein Jucken in den Augenwinkeln und etwas
Niesen vorangeht. Nach Entfernung des Schleimes wird der
Kopf allmählich etwas freier.
Silicea 30, zwei Tropfen innerhalb von 20 Tagen, d. h. am
ersten und zehnten Tage je einen Tropfen zu nehmen, ver¬
änderte den Zustand derartig, dass alle Beschwerden ver¬
schwanden. Die Kranke stellte sich später einmal gelegentlich
wieder vor und erzählte, dass nach dem ersten Pulver eine
ganz ausserordentlich starke wässerige Absonderung von Schleim
eingetreten sei, und dieselbe Beobachtung habe sie noch einmal,
etwa in der Mitte der Behandlungszeit, gemacht. Es hatten
also die beiden Siliceagaben eine Reaktion hervorgerufen, mit
der Suggestion und dem Aehnliches nichts zu thun hatten, da bei
den gleichmässig numerirten Pulvern, von denen nur zwei armirt,
die anderen 18 aber leer waren, ein Unterscheidungsmerkmal,
wann und wo die Arzneigabe untergebracht war, fehlte.
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39
Die Dame hatte sich in einer sehr vollbesetzten Sprech¬
stunde vorgestellt, wo weder Zeit noch Möglichkeit Vorlagen,
alle Symptome ihres Falles genau aufzunehmen. Ich kann
daher annehmen, dass die zwei Momente: die Empfindlichkeit
des Kopfes für jede Berührung und die Absonderung des
klaren, wasserhellen Schleimes, für mich bestimmend waren,
Silicea zu wählen. Der Erfolg sprach für die Wahl. Ich
würde mich aber gar nicht beschämt fühlen, wenn ich unter
solchen Umständen auch einen falschen Griff gethan hätte.
Es wird mir häufig bei Gesprächen mit Kollegen vorgehalten,
die genaue symptomatische Aufnahme des Krankheitsbildes sei
bei drängender Arbeit gar nicht möglich, und deshalb sei die
symptomatische Mittelwahl in der Praxis selten angebracht.
Demgegenüber möchte ich aber doch feststellen, dass es
gar nicht nöthig ist, in jedem Falle sämmtliche Symptome
vollständig aufzunehmen. Theoretisch mag das sehr schön
sein, in der Praxis ist es unmöglich und deshalb nicht noth-
wendig, weil es für jedes Arzneimittel eines oder das andere
hervorragende Symptom giebt, wodurch sofort die Aufmerksam¬
keit auf dasselbe gelenkt wird.
Dazu kommt die durch die Erfahrung sozusagen sich fest¬
setzende Empfindung, welches Mittel im gegebenen Falle an¬
gebracht sein wird. Aus der grossen Summe von Erfahrungen,
welche wir in der Praxis machen, besonders aus jener Zeit
her, wo wir im Anfänge unserer Thätigkeit stehend jeden Fall
vollständig studirt haben, ergiebt sich für uns eine Art von
unbewusster Mittelwahl, und dieser möchte ich im vorliegenden
Falle gern das Wort geredet haben. Es ist eben keine Ver¬
nachlässigung des Kranken, wenn man in der drängenden
Arbeit sich durch hervorstechende Symptome und durch den
Gesammteindruck des Kranken zur Mittelwahl bestimmen lässt.
Ist die Wahl richtig gewesen, so tritt der Erfolg natürlich ein,
ist die Wahl nicht richtig gewesen, so bleibt dann der Fall
zum besonderen Studium übrig.
Es könnte scheinen, als ob ich damit einer oberflächlichen
und dem Kranken nachtheiligen Flüchtigkeit das Wort reden
wollte. Das meine ich aber gar nicht damit, sondern ich will
nur hervorheben, dass die Anwendung der symptomatisch richtig
gewählten Mittel in praxi nicht so enorm schwierig ist, als
wie sie dem Anfänger erscheinen muss. Während im Anfänge
fast die Hälfte aller Mittel, welche der Anfänger kennen ge-
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30
lernt hat, bei jedem Falle ihm einfallen, so wird im Laufe der
Praxis die Zahl der zur Wahl stehenden Mittel für jeden
einzelnen Fall ganz wesentlich beschränkt, und unter der kleinen
Zahl von Mitteln, welche in jenem Falle ihm ins G-edächtniss
kommen, genügt dann das eine oder andere hervorragende
Symptom zur Entscheidung.
Freilich gehört dazu, dass man sich so viel mit Mitteln
und Kranken beschäftigt hat, dass sich sowohl das Mittel zu
einer Individualität verdichtet, wie dass Einem auch die Fähig¬
keit erwachsen ist, aus der Menge von einzelnen Angaben, die
der Kranke freiwillig oder auf Befragen macht, sich ein ein¬
heitliches Bild zu verschaffen. Die Persönlichkeit sozusagen
des Mittels wird noch mehr hervorgehoben durch solche zu¬
sammenfassende Arbeiten, wie sie Kent z. B. in letzterer Zeit
veröffentlicht hat und wie wir sie in manchen anderen Werken
der homöopathischen Schule finden. Das Wesentliche bleibt
aber immer, dass man sich so viel mit dem Mittel beschäftigt
hat, dass es Einem wie persönlich bekannt erscheint.
(Journalblatt Nr. 9006.)
Mannigfaltiges.
Similia similibus curantur oder ciirentur. Zur Ent¬
scheidung der Frage, welche der beiden Formeln die ursprüng¬
liche und die richtigere sei, hat das American Institute of
Homoeopathy eine Kommission ernannt, welche aus folgenden
Mitgliedern besteht: Dr. Dudgeon-London, Dr. Villers-
Dresden, Dr. Talbot-Boston, Dr. Pemberton Dudley-Phila-
delphia, Dr. McClelland-Pittsburgh. Wir haben uns den
Arbeitsplan entworfen und werden der nächsten Versammlung
des Instituts unseren Bericht einreichen.
Ich bin den deutschen Kollegen für jeden Literatur-Nach¬
weis sehr dankbar, der mir für die Bearbeitung dieser Frage
einen Fingerzeig geben könnte und mein Material vervoll¬
ständigen könnte.
Aus der Zeitungsmappe.
Journal of Homoeopathics, Mai 1898.
Prof. Kent: Lectures of Homceopathic Philosophy.
Hahnemanns Warnung, die Krankheit nicht als ein fremdes
Ding anzusehen, welches in den Körper eingedrungen ist, ist
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31
gerade in unsrer Zeit der realistischen Auffassung doppelt
nothwendig. Der Beweis, dass die Krankheit in ihren ver¬
schiedenen Erscheinungsformen zum Körper gehört, liegt in der
Verwendbarkeit und bestimmten Anwendbarkeit der einzelnen
Potenzen. Die Symptome als Ausdruck der krankhaften Störung
zu betrachten, ist nicht Hahnemanns eigene Erfindung, ebenso
wie er nicht der Erste war, der von dem Similegesetz sprach,
da Hippokrates schon darauf hin weist. Wer Krankheiten
behandeln will, muss drei Sachen vollständig beherrschen:
das Studium des Menschen in seinem natürlichen Leben, das
Studium des durch natürliche Ursachen veränderten Lebens
und das Studium des durch künstlich herbeigeführte Störungen
krank gewordenen Menschen. Wer nicht aus den einzelnen
Symptomen sich eine Einheit des Mittels zu verschaffen weiss,
der wird nie ein guter Homöopath. „Ich habe viel vergleichende
Materia medica früher gelernt und glaubte, damit sehr weise
zu handeln, aber ich habe nun diese Lehrweise aufgegeben und
studire jedes Mittel als eine Einheit, sowie ich auch jede Krank¬
heit als eine Einheit studiren lasse. Wenn Sie eine Krankheit
oder ein Mittel vollständig beherrschen, dann erst können Sie
vergleichen. Denken Sie einmal zunächst an Masern als Masern
und an Keuchhusten als Keuchhusten, und wenn Sie an die
chronischen Krankheiten kommen, so stellen Sie alle Symptome
fest, welche bei Syphilis, bei Sycosis und bei der Psora be¬
obachtet worden sind. Dann sind Sie erst fertig, in das Studium
der Materia medica einzutreten, und dann erst werden Ihnen
die Beziehungen mancher Mittel zu Miasmen akuter Art und
die Beziehungen anderer Mittel zu chronischen Miasmen in die
Augen springen. Dann fällt es Ihnen auf, dass ein bestimmtes
Mittel das deutliche Bild der Masern bietet und ein anderes
das des Keuchhustens, und so finden Sie dann auch Psora,
Syphilis und Sycosis. Erst dann können Sie anfangen zu in-
dividualisiren, und von den individualisirten Symptomen aus
kommen Sie erst zum Vergleichen. Das ist der klassische
Weg vorwärts zu gehen, und wenn der Arzt den verfolgt, so
wird er weise und gelehrt und kann seine Materia medica mit
wunderbarem Erfolge anwenden. Das war auch Hahnemanns
Methode.“
Kent erzählt folgenden Fall aus seiner Praxis.
Er sah auf einer Jagdpartie einen Menschen mit rothem,
verdickten Gesicht, viel Einrissen in Lippe und Augenlidern,
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grüner Absonderung aus den Augen, Umstülpung der Oberlippe,
grünlichem Ausfluss aus der Nase, die ausserordentlich dicke
Haut des Handtellers ist eingerissen und blutet. Scharfe
Thränen machen die Wangen wund. Jeden Morgen hatte der
junge Mann Durchfall. Er hatte Alles, was es nur gab, von
blutreinigenden Mitteln genommen. Genauer konnte Kent den
Fall nicht aufnehmen, und er würde Sulphur gegeben haben,
wenn ihm nicht der Kranke erklärt hätte, dass er das Leben
reichlich satt habe und am liebsten sich erschösse. Daraufhin
gab Kent Natrium sulph., und in zwei Jahren war der junge
Mensch vollkommen geheilt. Auch die Augenlider waren wieder
normal geworden.
Alle Lebenskräfte inclusive der geistigen Fähigkeiten fangen
an einzuschlafen. Gegenüber China, Laurocerasus und Carbo
ist das Bild von Psorin ganz deutlich. Verglichen mit Sulphur,
ist der Sulphurkranke reizbarer. Während der Sulphurkranke
sich um sein schlechtes Aussehen gar nicht kümmert, will der
Psorinkranke doch gern sauber aussehen. Auch ist der Schweiss
bei Sulphur nicht so stark wie bei Psorin, und der Durchfall
ist bei letzterem Mittel dunkler. Auffälliges Jucken der Ab¬
sonderungen am Auge und im Ohre weisen auf das Mittel hin.
Die Durchfälle sind schmerzlos, sehr stark riechend, wässrig,
dunkelbraun oder schwarz. Zeitig am Morgen treten sie auf. —
Auf der Haut sind alle möglichen Erscheinungen mit diesem
Mittel geheilt worden, auch ist nach Dr. Allen die immer wieder¬
kehrende Infektion mit Läusen dadurch beseitigt worden.
Dr. Kinney: Die Mittel bei Melancholie. Ignatia. —
Arsenik. — Calcarea carb. Bei letzterem Mittel verträgt der
Kranke nicht viel, ist aber sehr muskulös gebaut, hat die Haare
nachlässig, grosse Unruhe, viel Herzklopfen, Niedergeschlagen¬
heit. — Belladonna: wüthende Verstimmung. — Cimicifuga:
ängstliche Verzagtheit bei den rheumatischen und neuralgischen
Personen. — Digitalis bei Beziehungen auf das Herz. — Lilium
tigrinum bei Beziehungen auf Leiden im Unterleib. — Lyco-
podium hat grosse Angst, die unbestimmt auf den Magen sich
konzentrirt, schwaches Gedächtniss, heftigen Kopfschmerz. —
Mercurius vivus. — Nux vomica. — Acidum pliosph. — Acidum
picricum bei ungeheurer Gleichgiltigkeit und Unlust zu irgend
einer Anstrengung.
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Februar 1899
Jahrgang VIII
ARCHIV
HOMÖOPATHIE
Dr. Alexander Villers
Inhalt.
Seite
Kent. Croton tiglion.
Pemberton Dudley. Ursprung, Werth und Umfang der Homöo¬
pathie .
Beabsichtigte und unbeabsichtigte Mittelprüfungeu (Salol. —
Ammon, carb.).
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(Die Allopathen als Nachzügler. — Eine hygienische Obst¬
und (.lartenbauschule.)
Aus der Zeitungsmappe.
DRESDEN.
Expedition des Homöopathischen Archives
Dr. Alexander Villers.
Archiv für Homöopathie
' e
erscheint seit Oktober 1891 in monatlichen Heften von
2 Druckbogen Umfang im Umschlag.
Die Hefte werden am zweiten Mittwoch jedes
Kalendermonates verschickt.
Der Abonnementspreis
beträgt für einen Band von 12 Heften 10 Mark.
Die Bestellung erfolgt entweder durch direkte Zu¬
sendung dieser Summe an den Unterzeichneten oder auf
buchhändlerischem Wege bei dem Unterzeichneten Ver¬
lag (Kommissionär in Leipzig: K. F. Koehler).
I
Erfolgt die Bestellung bei mir, so werden die
fälligen x Nummern direkt unter Kreuzband zugeschickt.
Redaktionsschluss findet mit dem Ende des dem
Erscheinen vorhergehenden Kalendermonates statt.
Expedition des Homöopathischen Archives
Dr. Alexander Villers.
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ARCHIV FÜR HOMÖOPATHIE
von
Dr. Alexander Villers.
Jahrgang VIII. Nr. 2. Februar 1899.
Croton tiglion.
Von Prof. J. T. K e n t - Philadelphia.
Crotonöl ruft auf der Haut auf einer entzündeten Grund¬
fläche Bläschen und Pusteln hervor, und die bestrichenen
Theile werden sehr roth und empfindlich. Diese Entzündung
nimmt oft so zu, dass sie einer Rose ganz ähnlich sieht, aber
die häufigere Form dieses Eczemas ist die eines vesiculären.
Einige Tage lang steht dieser Ausschlag, dann trocknet er
ab, und dann findet noch einige Tage lang Abschuppung
statt.
Wenn Jemand zu viel davon bekommen hat, wie z. B.
bei einer zu lange fortgesetzten Prüfung mit diesem Mittel,
oder indem er das Oel in der Ursubstanz genommen hat oder
wenn Jemand als Prüfer besonders empfindlich für diesen
Stoff sich erwiesen hat, so bekommen wir einen eigentümlichen
Zustand. Erscheinungen im Innern des Körpers wechseln mit
äusseren ab. Die Haupterscheinungen, also die äusseren Sym¬
ptome, verschwinden, und dann treten im Innern des Körpers
rheumatische Erscheinungen auf, Husten und eigentümliche Vor¬
gänge auf dem Darm.
Wir wollen diese Erscheinungen in Gruppen einzeln studiren,
und wir finden, dass sie alle recht interessant sind.
Da ist vor allem der Husten. Derselbe ist athem-
beklemmend, kommt mitten in der Nacht, weckt den Kranken
auch aus gesundem Schlafe, zwingt ihn aufzustehen und sich
in einen Stuhl zu setzen, und dabei ist sehr ausgesprochene
Atemnot, Gähnen und Aufstossen. Es sind solche Anfälle
von heftigem Husten, der schlimmer in der Nacht und schlimmer
beim Niederlegen ist und zum Aufsitzen zwingt, so dass der
Kranke sich im Bett stark mit Kissen umgeben lässt oder in
einen halbgelegten Stuhl sich setzt. Seine Freunde denken
dann in einem solchen Falle an kommende Schwindsucht. Bei
Archiv für Homöopathie, Heit 2. 3
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34
Kindern denkt man dabei an Keuchhusten. Alle Luftwege
sind ausserordentlich gereizt, so dass jede Lufteinathmung
einen Husten hervorruft.
Der Kranke ist sehr empfindlich für tiefe Athemzüge.
So geht das eine Zeit lang fort, und schliesslich kommt
dann irgendwo auf dem Körper ein Ausschlag, von Bläschen,
Pusteln und kleinen Schuppen zusammengestellt. Der Grund
wird roth, dann wird der Ausschlag roth, trocknet schliesslich
auf, schuppt ab und verschwindet, und mit einem Male ist
der Husten wieder da. Es kann geradezu als ein chronischer
Zustand angesehen werden, und es ist gut, dieses Mittel für
solche Fälle zu kennen.
Weiter sind sehr wichtig die Symptome, welche auf dem
Darme sich zeigen. Vielleicht kennen wir diese Symptome
gerade besser als irgend welche andere, ausser eben dem
Ausschlage selber.
Unser Mittel passt bei akuter und chronischer Diarrhoe,
ebenso beim Brechdurchfall der Kinder. Das Auffällige daran
ist die ungeheure Geschwindigkeit, mit welcher der Stuhl
ausgestossen wird. Es kommt hellgelber, wässriger oder dünn¬
breiiger Stuhl wie ein Strahl. Selbst wenn der Stuhlgang
noch weich ist und dünn, so kommt er auch wie aus der Pistole
geschossen. Dies ist so auffällig, dass Landleute diese Form
von Durchfall gewöhnlich so beschreiben, es wäre wie bei
einer Gans. Mit einem Male ist der ganze Darminhalt aus¬
gedrückt. Die Mutter sagt dann von dem kleinen Patienten:
„Sie würden erstaunt sein, Doktor, wenn Sie sähen, wie unge¬
heuer schnell der Stuhlgang auf einmal herausgepresst wird“.
Eine solche deutliche Beschreibung ist immer wichtig, denn
es giebt ja auch Mittel, bei denen der Stuhlgang immer wieder
eintritt und dadurch ziemlich lange dauert. So giebt es viele
Durchfälle, welche deswegen so unbequem sind, weil immer
wieder kleine Mengen von dünnem Stuhl entleert werden, aber
bei uns ist es ganz anders. Es ist gar nicht zu verkennen,
dass der Inhalt auf einmal dünn, gelblich, wässrig ausgeleert
wird. Dabei ist der Leib sehr empfindlich und sehr aufge¬
trieben, im Darme ist viel Lärm, und wenn der Arzt seine
Hand auf den Kranken legt, so fühlt er Wassergurgeln, und
das wird wohl auch in Wahrheit da sein. Wie könnte der
Stuhl so energisch herausgedrückt werden, wenn nicht der ganze
Darm,voller Flüssigkeit wäre!
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85
Eine andere Eigentümlichkeit von Croton tiglion ist, dass
bei dem durchfälligen Zustande jeder Druck auf den Leib oder
in der Nabelgegend im Mastdarme eine Empfindung hervorruft
und einen Stuhlgang bedingt, und mit dem Stuhlgange kommt
das Gefühl, als ob der Mastdarm hervortreten würde. Das
finden Sie in den klinischen Berichten meistens so bezeichnet,
dass der Schmerz den ganzen Darm durchliefe bis herunter
zum After. Jeder kleine Schluck Wasser oder Milch, den
man sonst bei solchen Durchfällen nicht vermeiden würde,
führt sofort eine Entleerung herbei. Ebenso muss der Kranke
auch sofort nach dem Essen zu Stuhle gehen.
So haben Sie in grossen Zügen den Crotondurchfall.
Bei dem Kinde finden Sie nebenbei noch grossen Verfall,
stark aufgetriebenen Unterleib, viel Lärm in den Därmen, ein
starkes Zurückgehen der Kräfte, und bei jedem Schluck, den
das Kind nimmt, auch wenn es von der Mutterbrust ihn sich
auszieht, entleert es sofort einen Strahl flüssigen, dünnbreiigen
Stuhles. Wenn man auf den Nabel drückt, so entsteht eine
Empfindung wie ein Ziehen.
Etwas ähnliches haben wir auch bei der Kolik des Bleies,
wo die Beschreibung meistens so lautet, es entstehe eine
Empfindung, als ob ein Faden an den Nabel gebunden wäre,
der nach hinten gezogen würde.
Dieses eigenthümliche Einziehungsgefühl hat Croton auch,
selbst dann, wenn keine Durchfälle auftreten. Die Bleikolik
wird durch einen Schluck heisse Milch und durch jedes andere
heisse Getränk vorübergehend gebessert.
Eine andere wichtige Symptomengruppe sind die Augen¬
erscheinungen.
Es handelt sich hier um Augenerscheinungen entzündlichen
Charakters. Bund um die Augen und auf den Augenlidern
entstehen Bläschen und Pusteln. Es finden sich ferner Pusteln
auf der Hornhaut und granulöse Augenlider. Alle Gewebe
des Auges können entzündet sein. So giebt es eine Iritis und
eine Conjunctivitis. Die Blutgefässe des Auges sind erweitert,
die Augen sehen roth aus, so wie rohes Fleisch. Dreht man
die Augenlider um, so sieht man, dass sie sehr entzündet sind
und mit feinen Körnchen bedeckt sind. Inzwischen entstehen
auch einzelne Bläschen und Pusteln.
Zusammen mit dieser Entzündung tritt eine ganz eigen¬
thümliche Erscheinung auf, die gerade bei Croton tiglion sich
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charakterisirt, nämlich die Empfindung, als ob das Auge durch
einen Faden nach hinten gezogen würde, sozusagen als ob der
Augennerv des Augapfels in die Augenhöhle sich hineinzöge.
Dieser Zug nach hinten im Auge findet sich auch bei
Paris quadrifolia, nur sind dort die übrigen Erscheinungen
abweichend. Ich wende wenigstens Paris quadrifolia in folgen¬
den Fällen besonders an: Bei Kopfschmerzen von der Ueber-
reizung des Auges, z. B. bei Kupferstechern und solchen Leuten,
welche sehr feine Nadelarbeiten fertigen und dadurch Nerven¬
schmerzen im Kopfe bekommen, die wahrscheinlich nur auf
Uebermüdung des Auges zurückzuführen sind. Ferner dann,
wenn, die Schmerzen im Auge nicht mit einer Entzündung
Hand in Hand gehen, sondern mehr eine unbestimmte, dunkle
Schmerzensart sind, die man rheumatisch oder neuralgisch
nennen würde. In diesen Fällen, wenn dann gleichzeitig das
Gefühl von Hintergezogenwerden des Auges auftritt, gebe ich
also Paris, aber bei jener Empfindung mit gleichzeitig auf¬
tretender Entzündung ist Croton tiglion das richtige Mittel.
Sehr lästige Ekzeme der Kopfhaut bei den Kindern,
entweder allein, vesiculär, oder untermischt mit grösseren oder
geringeren Haufen von Pusteln. Die Bläschen trocknen auf und
schuppen dann ab, und dann bleibt eine rothe, rohe, entzündete
Oberfläche, die sehr empfindlich für Berührung ist. Wenn
dann die Abschuppung beinahe fertig ist, so kommt ein neuer
Schub von Pusteln und Bläschen heraus, und während die eine
Stelle abheilt, erkrankt die andere, und so geht es abwechselnd
immer weiter. So zeigt sich das wenigstens beim chronischen
Eczema. Am häufigsten findet man solche Ausschlagstellen
um die Augen herum, an den Schläfen, im Gesicht und oben
auf dem Kopfe.
Der ganze Ausschlag sieht dem Sepiaausschlage ungeheuer
ähnlich, denn Sepia hat diese selbe Bläschenart bei dem Aus¬
schlage, zwischen denen einzelne Pusteln stehen, die leicht
bluten, sowie das rohe Aussehen der Oberfläche und das
gruppenweise Neuauftreten des Ausschlages. Sepia ist auch
viel häufiger angezeigt für diesen Zustand, ebenso wie bei der
Milchborke und anderen Ausschlägen der Kinder.
Dagegen weist es sofort auf Croton hin, wenn die Kinder
in diesem Zustande Durchfälle haben, die bei der geringsten
Indigestion auftreten, und wenn Sie an dieses Nebensymptom
denken, so werden Sie selten irren. Wo Sie aber beide Symptome
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finden, da können Sie gar nicht zweifeln. Dann wird Ihnen aber
auch auffallen, was ich manchmal schon gesagt habe, dass,
je länger der Durchfall dauert, um so besser der Kopf abheilt,
so dass Sie glauben, das Kopfhautleiden sei nun schon gehoben;
aber, sobald wie der Durchfall nachlässt, kommt auch schon ein
neuer Schub von Ausschlägen. Bei der chronischen Diarrhoe
verschwinden die äusseren Hauterscheinungen, und bei Besse¬
rung der Diarrhoe treten sie wieder auf.
Bei so einer Konstitution scheint es nothwendig zu sein,
immer irgendwo ein Ventil zu öffnen, und wenn Sie daran
denken, dass die Schleimhäute schliesslich doch nur die innere
Haut sind, entsprechend der äusseren Haut, so werden Sie es
begreifen, wenn man sagt, das Mittel wirke vor allem auf
die Auskleidung und die Bekleidung des Körpers.
Es giebt noch eine andere Symptomengruppe, welche Sie
nicht vergessen dürfen, und zwar bezieht sich dieselbe auf das
Stillgeschäft.
Unmittelbar nach einer Entbindung geht es der Mutter leid¬
lich gut, und es treten keinebesorglichenErscheinungen auf. Aber
plötzlich tritt in einer der Brüste ein sehr heftiger Schmerz
auf, und in diesem Schmerze ist wieder ausgedrückt das eigen-
thümliche Zurückziehen ins Innere. Die Frau empfindet deutlich
so, als ob ein Faden hinter der Warze angebracht wäre und
nun mit einem scharf ziehenden, sehr unangenehmen Schmerze
nach hinten in die Brust hineingezogen würde, so dass sie unter
Umständen Tag und Nacht zur Linderung des Schmerzes auf-
und abgehen muss. Dieses Symptom ist ja nicht sehr bedeutend,
aber es ist gut zu wissen, dass es zu Oroton tiglion passt. Es
kommt immer wieder, dieses Ziehen wie von einem Faden, sei
es im Auge oder in der Brust und ebenso im Leibe das Ziehen
vom Nabel aus. Wenn Sie solche Symptome gleicher Art oder
verschiedener Art auf gleichen Körpergebieten zusammenstellen,
dann werden Sie leichter begreifen, dass sie zum Wirkungskreise
des Mittels gehören und werden sie dann weniger leicht vergessen.
Ich habe einmal eine Frau von diesem ausserordentlich
schmerzhaften Ziehen in der Brustwarze heilen können. Ich
sah, wie sie immerfort auf- und abging, und sah auch, dass
der Schmerz sehr heftig sein müsste, denn die Thränen traten
ihr in die Augen. Die Erscheinung hatte schon mehrere Nächte
deutlich sich gezeigt, und doch war die Crotonwirkung eine
sofortige. Der Wasserumschlag, welchen man bis dahin über
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die Brust gelegt hatte, hatte der Frau gar nichts geholfen.
Im Ganzen war der Fall überhaupt merkwürdig. Ich hatte
die Kranke wohl zwei- oder dreimal behandelt, und alle ihre
psorischen Symptome waren allmählich verschwunden. Sie war
wirklich recht gesund geworden. Da wünschte sie sich sehr,
in andere Umstände zu kommen und ein Kind zu erhalten.
Dies geschah auch noch während der antipsorischen Behandlung,
und sie trug das Kind aus, was ihr bis dahin noch nie gelungen
war. Als sie in der Mitte der Schwangerschaft stand, besuchte
sie gelegentlich eine Aerztin, und diese drang darauf, sie ein¬
mal zu untersuchen, ob bei ihr Alles in Ordnung wäre. Die
Aerztin fand irgend einen Fehler und bestand darauf, sie müsse
sich örtlich behandeln lassen. So kam sie also aus meinen
Augen. Dieselbe Aerztin entband sie auch, und es hatten sich
bei der Entbindung keine Schwierigkeiten gezeigt. Als aber
der Brustschmerz auftrat, da wusste die Aerztin sich keinen
Kath. Sie nannte sich zwar Homöopathin, sie wusste aber
nichts weiter als warme Umschläge zu machen, Chinin und
Morphium und eine grosse Menge anderer Arzneien zu geben,
und da sagte sich schliesslich die Kranke: es ist doch besser,
du gehst zu deinem alten Doktor zurück! Sie hatte schon
so viel an Schmerzen durchgemacht, dass sie mich eilig holen
liess, und was alle diese vielen Verordnungen nicht hatten
erwirken können, das erreichte eine Gabe Croton tiglion, die
übrigens ziemlich hoch war; sie wurde geheilt, und ihr Schmerz
kehrte niemals wieder.
Beim Brechdurchfall finden wir natürlich auch Er¬
brechen, aber bei den Crotonfällen nicht so auffällig, wie in
anderen Fällen. Wenn also bei einem Brechdurchfälle das
Brechen nur eine Nebenerscheinung ist, so kann Croton das
passende Mittel sein.
Ich führe jedoch hier noch ein klinisches Symptom an,
welches in den Prüfungslisten nicht steht. Ausserordentliche
U e b e 1 k e i t mit Vergehen des Sehvermögens. Schwindel, ver¬
schlimmert durch Trinken. Dabei ausserordentlich häufige Ent¬
leerungen hellgelben Wassers aus dem After, ausserordentliche
Uebelkeit und viel Wasserzusammenlaufen im Munde.
Sie sehen also, auch hier wird nur von grosser Uebelkeit
gesprochen und nicht von vielem Erbrechen. Die Uebelkeit
ähnelt ja der der Ipecacuanha, aber bei Ipecacuanha haben
wir die Crotonstühle nicht, sondern wir haben da diese aller
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Augenblicke auftretenden kleinen Entleerungen, bei denen der
After sehr schmerzt. Bei Brechdurchfall mit enormem Erbrechen,
wenn der Magen sich immer ganz umstülpt und entleert, dann
passt Ipecacuanha. Da sind meistens die Stühle klein. Bei
Croton aber sind die Stühle sehr reichlich, und trotz der grossen
Uebelkeit ist wenig Erbrechen vorhanden.
Eine andere Eigentümlichkeit unseres Mittels ist seine
Beziehung zu Rhus. Es ist nämlich das Gegenmittel von
Rhus. Es ist in seinem Bläschenausschlage der ganzen Rhus-
familie so nahe verwandt, besonders zu Rhus toxicodendron,
zu Anacardium, zu Sepia und zu Anagallis.
Sehr häufig stehen die Ausschläge von Croton in der Nähe
der Geschlechtsteile. Dasselbe finden wir auch bei Rhus,
und wenn bei einer Rhus Vergiftung die Geschlechtsteile der
hervorragendste Sitz des Ausschlages sind, dann wird Croton
gewöhnlich als Gegengift sehr gut wirken. Ebenso auch wenn
der Ausschlag um die Augen herum steht und auf der Kopf¬
haut. Wenn dagegen bei einer Rhusvergiftung der Ausschlag
sich auf die Handteller beschränkt, dann handelt es sich nicht
um Croton, sondern um Anagallis. Anagallis leistet dasselbe im
Handteller, was Croton an den Geschlechtsteilen leistet. Sehen
Sie sich die Symptome von Anagallis durch, so finden Sie, dass
der Ausschlag kommt und abheilt, und kaum sieht es aus, als
ob er abheilen könnte, so schiesst ein neuer Schub nach. Rhus
hat ja auch Beziehungen auf den Handteller, aber doch nicht,
wenn dort ein Ausschlag steht, und es giebt nicht so viele Nach¬
schübe. Dagegen ist bei Rhus das brennende Gefühl viel stärker
als wie bei Croton, denn das Brennen von Rhus beim Ausschlage
ist wie Feuerbrand. Der Ausschlag wird durch die freie Luft
auffällig verschlimmert und etwas gebessert, wenn man die Hand
in Wasser eintaucht, so heiss, wie es nur möglich ist. Wer so
einen Rhusausschlag hat, der spricht davon, ob es nicht möglich
wäre, die Haut abzuziehen, um nur den Schmerz loszuwerden.
Der Schmerz bei Croton ist ja auch sehr unangenehm;
wenn man die Hand kaum anfasst, so wird sie sehr empfind¬
lich; aber es ist doch etwas ganz Anderes, und wenn der
Ausschlag einmal nicht ganz stark ist, so kann man durch
leises Reiben das Jucken vermindern, während bei Rhus jede
Berührung das Jucken vermehrt.
Bei recht schlechten Fällen von Rhusvergiftung hält der
Kranke seine Finger weit gespreizt. Es stehen grosse Blasen
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darauf, und er will keine von diesen Stellen anfassen, denn
es entstellt dann ein wohllüstiges Jucken, das ihn ganz wild
macht. Mit Croton ist es ja nicht ganz so, aber die beiden
Mittel sind doch ähnlich genug, um antidotarisch zu wirken,
denn dazu gehört nicht Gleichförmigkeit, sondern Aehnlichkeit.
Es ist wahr, dass solche Mittel, bei denen durch Kratzen
eine Erleichterung hervorgebracht wird, gewissermassen ein
besseres Antidot sind, wie solche Mittel, bei denen das Kratzen
nicht erleichtert. Es wird um so besser, je ähnlicher sie sind.
Aber zu einer antidotarischen Wirkung gehört vor allem eine
Aehnlichkeit in den grossen Zügen, und wenn diese Aehnlich¬
keit da ist, dann können sie auch sicher gegen einander ver¬
wendet werden. Wenn die Aehnlichkeit dagegen mehr in
Kleinigkeiten besteht, so kann es Vorkommen, dass die Mittel für
die einzelnen Gebiete und für das einzelne Symptom allerdings
gut wirken, die Krankheit aber wird dadurch nicht aufgehoben.
Das Mittel ist eben in so einem Falle nicht ähnlich genug, um die
Krankheit zu heilen, sondern es entfernt nur einige Symptome.
Das ist die allerschlimmste Art von Arzneiwahl, wenn
män nur immer nach den einzelnen Symptomen geht und
infolge dessen das Bild der Krankheit immer ändert, ohne
dieselbe zu heilen. Wenn also Einer seine Materia medica
nicht kennt, so wird er bald das eine Mittel für die eine
Symptomen reihe, bald das andere Mittel für eine andere
anwenden, und dem Kranken wird dabei nicht geholfen, es
geht ihm immer schlechter dabei. Wo es sich um Mittel
handelt, die in ihren grossen Zügen einander ähnlich sind, da
muss man auf kleine Verschiedenheiten nicht zu viel Werth legen.
Es findet sich weiter bei unserem Mittel noch häufig ent¬
zündliches Jucken auf der Eichel und auf der Ho de, sowie
Bläschenausschlag an Hoden und Penis. Ich kann Ihnen dieses
Mittel bei allen Bläschenausschlägen an den Geschlechtstheilen
nur auf das Dringendste empfehlen. Sie müssen dabei nur auch
an Petroleum denken, dessen Ausschlag aber feine, kleine rothe
Bläschen sind und granulöse Knötchen und der Boden, auf
welchem dieser Ausschlag steht, nicht so gleichmässig geröthet
ist, sondern mit einem feinen losen Hauch bedeckt ist. Die
ganze Stelle juckt sehr. Der Schmerz wird meistens durch
Kratzen verschlimmert, es sei denn, dass man so stark kratzt,
dass das Blut kommt; dann tritt eine Erleichterung ein.
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Ursprung, Werth und Umfang der Homöopathie.
Von Dr. Pemberton Du dley-Philadelphia.
Vortrag vor dem „American Institute of Homoeopathy“, Juni 1898 .
Die Zusammenstellung griechischer Worte, welche Hahne-
mann verwandte, um seine neu entdeckte Methode in der Therapie
zu bezeichnen, bedeutet nach den Angaben der Lexikographen
Aehnlichkeit des Zustandes, des Fuhlens oder des Leidens.
Dr. Dudgeon hat gefunden, dass an zwei Stellen des neuen
Testamentes die adjektive Form dieses Wortes vorkommt und
an beiden Stellen übersetzt wird mit „gleichen Leiden“.
Hahnemann erklärte das Wort als eine Bezeichnung für
die Behandlung der Krankheit durch ein Mittel, welches die
Macht habe, im gesunden Körper ähnliche Symptome hervor¬
zurufen, wie sie der Fall darbiete, der zu behandeln sei.
Wer sehr genauer Wortklauber ist, sollte vielleicht an¬
nehmen, dass es sich um die Aehnlichkeit der Krankheit handelte,
mehr als um die Aehnlichkeit der Symptome, und sicherlich ist
die Art und Weise, wie Hahnemann die Wirkung eines homöo¬
pathisch gewählten Mittels bespricht, für diese Auffassung
näherliegend als für die andere, aber seine theoretische Auf¬
fassung und die Entwicklung, welche er seiner Lehre gegeben
hat, verbieten jede andere Erklärung als wie die, welche alle
seine Schüler entsprechend seiner eigenen Wortfassung an¬
genommen haben.
Wer behauptet, dass die einfache Formel „Similia similibus
curantur“ Alles enthält, was wir von der theoretischen Homöo¬
pathie wissen müssen, und alle Anweisungen giebt, welche zu
deren Anwendung nöthig sind, der steht auf demselben Stand¬
punkte, wie. wenn die Lehre von der Busse das ganze Christen¬
thum in sich fasse. Sowie man die allgemeine Wahrheit an¬
erkennt, welche in der Aufforderung „similia similibus curentur“
liegt und welche in dem Lehrsätze „similia similibus curantur“
ihren Ausdruck findet, steht man vor einer ganzen Beihe von
Problemen, welche erst gelöst werden müssen, bevor man an
eine wissenschaftliche und zugleich praktisch richtige Anwen¬
dung der neuen Heilmethode gehen kann. Einige von diesen
Problemen gehören nicht zu den speziell homöopathischen,
wie Mittelpriifung, Verdünnung, chronische Krankheiten und
manches Andere, sondern sie gehören schon zu der allgemeinen
wissenschaftlichen Frage nach den Aehnlichkeiten.
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Ich will ohne weiteres zugeben, dass Hahnemann „curentur“
geschrieben hat und nicht „curantur“. Was kommt denn darauf
an? Wenn die Aufforderung: „Lasst Aehnliches durch Aehn-
liches geheilt werden!“ überhaupt eine Bedeutung haben soll,
so heisst es doch eben: „Aehnliches wird durch Aehnliches
geheilt“, sonst wäre es ein Unsinn. Br meinte also damit, dass
dieses Verfahren das beste oder auch das einzig mögliche sei.
Deshalb lege ich meinen Ausführungen die Annahme zu Grunde,
dass es ein natürliches Heilgesetz giebt und dass dieses Heil¬
gesetz ausgedrückt wird durch die Formel: „Aehnliches wird
durch Aehnliches geheilt“.
Wenn wir ein Naturgesetz ansehen, so finden wir darin
immer Einzelheiten, über die wir uns erst einigen müssen. In
unserem Falle handelt es sich um Folgendes: 1. Wodurch wird
die Heilung vollzogen? 2. Woran wird die Heilung vollzogen?
und 3. Was heisst Heilung? was ist der natürliche Heilfaktor,
was ist in der Natur ein heilbarer Zustand und wie ist der
natürliche Heilvorgang?
Wollen wir diese Fragen beantworten, so müssen wir uns
eben an die Natur selbst wenden.
Bei dieser Gelegenheit, wo ich mich kurz fassen muss, kann
ich mich nur auf die allgemeinsten Umrisse beschränken.
Also, was ist der natürliche Heilfaktor? Ist es irgend eine
Substanz oder irgend eine Naturkraft oder irgend ein Einfluss,
der die Macht hat, Symptome zu erwecken? Ist dies der Fall,
so müssen wir uns doch fragen, ob das Naturgesetz nur eine
einzige Art, das Symptom hervorzurufen, als massgebend hin¬
stellt, oder ob das Symptom auf die verschiedenste Weise er¬
zeugt werden kann. Wir wissen doch, dass eine Menge von
imponderablen und immateriellen Kräften, Hitze, Licht, Elek¬
trizität und manche andere derartige Einflüsse, Angst, Freude,
Aerger u. s. w. Symptome hervorbringen können. Können wir
von ihnen annehmen, dass sie dann, wenn sie nach Hahnemann-
scher Vorschrift angewandt werden, auch Heilkräfte entwickeln?
Die Stoffe, welche wir Heilmittel nennen, wirken, um
Symptome hervorzubringen, in vier verschiedenen Beziehungen,
in ihrer mechanischen, physikalischen, chemischen und dyna¬
mischen Eigenschaft.
Kommen nun diese Eigenschaften bei Heilungen, welche
nach dem Aehnlichkeitsgesetze vollzogen werden, in Betracht
oder nur eine derselben und dann welche?
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— 48 —
Die meisten unsrer tiefen Denker sind der Meinung, dass
das Aehnlichkeitsgesetz nur auf die Wirkung von Arzneimitteln
sich beziehe und hei diesen nur auf ihre Wirkung pharmako-
dynamischer Eigenschaften. Ich will mich hier nicht auf eine
Diskussion über diesen Punkt einlassen, aber ich möchte nur
hervorheben, dass darüber beweiskräftige Darlegungen bis jetzt
noch nicht gemacht worden sind.
Eine zweite Frage tritt auf in Bezug auf den Heilfaktor.
Welchen Werth legt die Natur auf die physiologische Methode,
durch welche das pathogenetische Symptom hervorgerufen wird?
Die Vermehrung der Drüsenthätigkeit z. B. kann auf drei
Wegen herbeigeführt werden, durch den Anreiz auf die Drüsen¬
nerven, durch Erweiterung der Gefässe und durch Anregung
der Lebensenergie des Drüsenparenchyms selber. In unseren Prü¬
fungen ist vielleicht jedes Mittel, welches dasselbe Symptom
hat, in anderer Weise wirksam. Ist es für die Heilwirkung
nun gleichgültig, ob wir lediglich nach dem Endsymptom das
eine oder das andere Mittel für einander einsetzen, und wenn
eine Unterscheidung nothwendig ist, wie kann dieselbe vollzogen
werden, wenn nicht in unseren Prüfungen sowohl das Symptom,
wie auch die physiologische Reihe, durch welche es entstanden
ist, uns zur Kentniss kommt? Mir erscheint es, dass diese
Frage schon von vielen nachdenkenden homöopathischen Aerzten
erwogen wird und dass die Empfindung mehr und mehr zum
Ausdruck kommt, Homöopathie sei doch etwas mehr, als wie
bloss ein Aneinanderreihen von Symptomen, wie bei einem
Dominospiele.
Schliesslich giebt es noch eine Frage, welche sich auf die
Erstwirkung und auf die Nachwirkung des heilenden Mittels
bezieht.
Ich bedaure sehr, dass wir so oft irrthiimlicherweise diese
beiden Bezeichnungen anwenden für die ursprüngliche Wirkung
und die Gegenwirkung, denn wenn wir uns richtig ausdrücken
wollten, so müssten wir sagen: Die Erstwirkung eines Mittels
ist diejenige Wirkung, welche dasselbe ausübt auf einem Ge¬
webe, zu dem es spezifische Beziehungen hat; die Nachwirkung
aber ist Das, was diese erste Veränderung als Folgezustand
herbeiführt und ist nicht mehr direkte Mittel Wirkung.
Beispielsweise: ein Arzneistoff übt eine spezifische Wirkung
auf den Darmkanal aus und auf nichts anderes. Die Heftig¬
keit oder Dauer aber von der Störung im Darmkanal, welche
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so herbeigeführt ist, bringt nun wieder eine andere Störung
mit Symptomen auf den nervösen Gebieten und den Gefässen
mit sich oder in Organen, welche mit dem Darme in innerer
Beziehung stehen. In diesem Palle ist es richtig, von Erst¬
wirkung zu sprechen und den andern Komplex als Nachwir¬
kung zusammenzufassen und nicht zu vergessen, dass jede
dieser beiden Störungen direkte und Nachwirkungen enthalten
kann.
Nehmen Sie nun an, es kommt ein Kranker, der nur
Symptome hat, welche zu den Nachwirkungen gehören, und
von der Erstwirkung ist gar nichts mehr zu finden. Wollen
Sie nun glauben, dass ein Mittel, welches deshalb gewählt
wird, weil in seiner Erstwirkung ähnliche Symptome ver¬
zeichnet sind, nun auch nach homöopathisch-spezifischer Weise
dieselben heilen würde? Das ist eine Annahme, die ganz un¬
wahrscheinlich ist. Wir haben uns viel gestritten über den
Werth der Erstwirkung und der späteren Symptome in unsren
Prüfungen, aber viel werthvoller wäre es, wenn eben auch in
unsren Prüfungen diese echten Nachwirkungen als solche be¬
zeichnet würden.
Schliesslich noch Folgendes:
Ich habe schon gesagt, dass nach allgemeiner Anschauung
das homöopathisch gewählte Mittel eine Heilwirkung nur
durch die Eigenschaft vollziehen kann, welche Hahnemann als
seine Dynamis bezeichnet hat, d. h. seine Eigenschaft, Lebens¬
funktionen ändern zu können. Aber was sind diese Punktionen?
Unter diesem Gesammtbegriff fassen wir eine Reihe von Er¬
scheinungen zusammen, die einander gar nicht ähnlich sind,
und diese verschiedenen Klassen von Punktionen sind im Geiste
des Mediziners gar nicht so scharf geschieden von einander.
Wir studiren die Physiologie zu sehr als Naturforscher und
zu wenig als behandelnde Aerzte. Was hat denn für den Arzt
die Eintheilung von thierischen und vegetativen Funktionen für
einen Vortheil? Es ist doch viel besser, wir unterscheiden
zwischen mechanischen, physikalischen, chemischen und bio¬
logischen oder vitalen; dann würde es viel leichter sein, die
Grundsätze, nach denen man Behandlung und Leiden in Zu¬
sammenhang bringt, im Gedächtnisse festzuhalten.
Nehmen wir einmal eine andere Eintheilung an.
1. Punktionen durch äussere Einflüsse als Ausdruck der
Beziehungen zwischen dem Organismus und seiner Umgebung.
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2. Punktionen durch organische Einflüsse, bedingt durch
den Einfluss, welchen jeder Körpertheil auf andere ausüben
kann, und die Wirkung dieses relativen Verhältnisses auf die
Gesundheit des ganzen Organismus.
3. Punktionen durch Autonomismus, das sind diejenigen,
welche durch die eigene anatomische und physiologische Struktur
jedes Theiles in demselben bedingt werden.
Nach meiner Meinung ist es leicht zu zeigen, dass das
homöopathische Heilmittel nicht auf die mechanischen, physi¬
kalischen oder chemischen Funktionen Einfluss hat, sondern nur
auf die sogenannten vitalen. Oder nehmen wir unsre oben auf-
gestellte Eintheilung der Punktionen zur Grundlage, so kann
nachgewiesen werden, dass das ähnliche Mittel nur auf die
autonomischen Punktionen wirkt, d. h. auf die Wirkungssphären
der Lebensvorgänge im menschlichen Körper. Hahnemann hat
sicherlich auch schon diese Meinung seinem Innern vorschweben
gesehen, als er seine Beschreibung der Punktion, Störungen
und Beziehungen der Lebenskraft schrieb, aber, damit ich nicht
missverstanden werde: ich zweifle.gar nicht daran, dass das
homöopathisch gewählte Mittel zwar zunächst nur die auto¬
nomischen, vitalen Punktionen beeinflusst, dass diese Beeinfluss¬
ung aber weiter wirkt auf Vorgänge in den anderen Punktionen.
So gut die pathogenetische Thätigkeit eines Arzneistoffes Erst¬
und Nachwirkungen hat, so hat derselbe auch die Heilwirkung.
In einem kurzen Vortrage wie diesem kann ich nicht aus¬
führliche Beweise bringen, aber Eines möchte ich Ihnen hier
anführen zur Unterstützung der Anschauung, dass das homöo¬
pathische Heilmittel nur auf die Lebenskräfte im Organismus
wirkt und nicht auf dessen anatomischen Bau oder chemische
Zusammensetzung.
Man hat gesagt: Eine Veränderung in der inneren Lebens-
thätigkeit eines Theiles, nehmen wir an einer Protoplasmazelle,
ist nur möglich dann sich vorzustellen, wenn man auch eine
Veränderung in der Struktur annimmt. Jedoch ist es ja be¬
kannt genug, dass immaterielle Kräfte — wie Hitze, Licht,
Freude, Aerger oder Angst — die Lebensthätigkeit in diesen
einzelnen Theilen beeinflussen können. Wenn durch einen
solchen Einfluss eine Veränderung in der Molekularstruktur ge¬
geben wird, so muss doch, da die Wirkung eine immaterielle
ist, zuerst auch das Immaterielle daran, die Spannkraft oder
Lebenskraft, getroffen worden sein.
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Ferner ist es doch nicht von geringem Interesse, dass
manche recht wirksame Heilstoffe unmöglich in das normale
Protoplasma aufgenommen werden können und doch Gesundheit
an Stelle von Krankheitsstörungen setzen können. Ich denke
hier an Arsenik, Mercur und Aehuliche. Es ist ja möglich,
dass ein solcher Arzneistoff mit dem Protoplasmamoleküle eine
chemische oder physikalische Verbindung eingehen könnte, aber
sicherlich würde doch eine solche Verbindung ganz undenkbar
sein als Ausdruck oder als Grundlage der 'Wiederherstellung
der normalen Thätigkeit des Protoplasmas. Alles, was wir
bis jetzt von Molekularthätigkeit wissen, spricht für unsre
Theorie, dass die Wirkung des homöopathischen Mittels nur
auf die Funktion und zwar auf die Lebensfunktionen und noch
weiter nur auf die gestörten Lebensfunktionen zu beziehen ist.
Was ist nun in der Natur ein heilbarer Zustand? Nach
Dem, was ich bis jetzt ausgeführt habe, wäre ich berechtigt
zu sagen: heilbar für das homöopathische Mittel ist nur die¬
jenige Störung, welche verursacht oder unterhalten wird durch
eine Störung in den Lebenskräften und Lebensvorgängen, und
dass jede andere Störung, welche nicht auf dieser biologischen
Grundursache beruht, auch anders behandelt werden muss.
Unsre eigene Beobachtung in der homöopathischen Thätig¬
keit beweist uns ja auch, dass alle diejenigen Fälle, welche
chirurgische Eingriffe erfordern und welche nach ihrem ganzen
Wesen unheilbar sind, in die letzte Klasse gehören.
Um nicht missverstanden zu werden, will ich aber hier
ausdrücklich bemerken, dass es auch eine ganze Reihe von
Fällen giebt, wo die erkennbaren Symptome durch alle vier
Formen von Störungen hervorgerufen sein können, und es kommt
auch nicht selten vor, dass eine Störung biologischer Art die
Nachwirkung einer der anderen Störungen ist. In diesen Fällen
werden wir mit dem homöopathischen Mittel allein nicht viele
Erfolge haben, aber auch in diesen Fällen werden wir doch ziem¬
lich viel erreichen durch die eigentlmmliche, das Gleichgewicht
wiederherstellende Wirkung des richtig gewählten Mittels.
So giebt uns die Homöopathie nicht nur Heilmittel, sondern
auch die besten Palliativmittel.
Es ist ja wahr, dass manche Erscheinungen und Störungen
in der Lebenskraft in Wirklichkeit durch unheilbare andere
Störungen bedingt und unterhalten sind. Es ist aber auf der
anderen Seite auch richtig, dass manche anscheinend mecha-
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nische oder physikalische Störungen durch biologische Störungen
veranlasst und erhalten werden und dass diese eben der homöo¬
pathischen Behandlung zugänglich sind. Es ist ein grosser
Irrthum, wenn man glaubt, dass alle sogenannten mechanischen
und physikalischen Krankheiten mechanische oder physikalische
Behandlung erfordern. Es giebt immer einige unter ihnen,
welche durch das homöopathische Mittel zu behandeln sind,
nur ist in solchen Fällen die Mittelwahl ziemlich schwer.
Wenn wir erst eine solche Materia medica haben, wie sie
Hahnemann selber in seinem Organon als ideal angepriesen
hat, ich meine, eine Materia medica, in der wir von jedem
Arzneimittel seinen pathogenetischen Bang und Kraft genau
kennen und in deren Symptomatologie jede Annahme, jeder
Schluss und jede Behauptung ausgeschlossen sind, wenn wir
auf der einen Seite eine solche Materia medica haben und auf
der anderen Seite ein tieferes Verständniss für das Heilgesetz,
so werden wir sehr bald sehen, wie das Wirkungsgebiet der
Chirurgie eingeengt wird und wie das Simillimum als Heilfaktor
von allen Seiten mehr und mehr anerkannt wird.
Wie geht nun in der Natur der Heilprozess vor sich?
oder mit anderen Worten: welche Veränderung tritt ein unter
dem Einflüsse des ähnlichen Mittels. Wenn wir diese Frage
nicht beantworten können, so wissen wir auch nicht, was das
Heilgesetz besagen will.
Was wird nicht Alles unter dem Worte „Heilung“ ver¬
standen! Wenn wir so die Literatur durchsehen, so müssen
wir glauben, Heilung bedeute tiefe Eingriffe in die Gewebe
machen, dieselben dabei zerreissen und zerschneiden, Lagever¬
änderungen ausgleichen, Knochen festlegen und die Gebärmutter
anheften, ein verletztes Glied abschneiden, Mikroben tödten,
aus dem Menschenmagen ein chemisches Laboratorium machen,
noch leidlich gut erhaltene Nieren so lange überanstrengen,
bis sie zusammenbrechen, den Darm schwächen, die Leber
überladen, die Haut zerfetzen, die Nerven paralysiren, das
Hirn narkotisiren und alles Dies an einem Kranken, dessen
Lebensenergie demselben vielleicht gar nicht erlaubt, eine
solche Behandlung zu überstehen! Das Alles wird unter dem
Namen „Heilung“ verstanden.
Aber was meint die Natur, wenn sie sagt, dass sie ähn¬
liche Krankheiten mit ähnlichen Mitteln heile? Was ist denn
nun eine homöopathische Heilung?
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Um diese Frage wissenschaftlich zu beantworten, müssen
wir homöopathisch behandeln, beobachten und die Einzelheiten
des betreffenden Vorganges uns merken. Da sehen wir zunächst,
dass derselbe vollzogen wird durch eine Menge von Medizin,
die so klein ist, dass ihre Wirkung weder mechanisch, noch
physikalisch, noch chemisch sein kann. Ferner finden wir, dass,
wenn wir die richtige Menge dargereicht haben, das Mittel
keine eigenen Symptome hervorruft, also nicht eine Krankheit
an Stelle der anderen Krankheit setzt und nicht in einem
Theile Gesundheit schafft, indem es an einem andern Theile
krank macht. Wir sehen, dass die Wirkung des Mittels allein
und ausschliesslich auf den gestörten Körpertheil und seine
Funktionen gerichtet ist und dass diese Wirkung nur wieder
in Ordnung bringt, aber nichts Neues erzeugt. Daraus sind
wir berechtigt zu schliessen, dass die Heilthätigkeit eines
Arzneistoffes immer in seiner Erstwirkung und nicht in seiner
Nachwirkung beruht.
Ich fasse meine Ausführungen in folgenden Sätzen zu¬
sammen:
1. Das homöopathisch richtig gewählte Mittel wirkt allein
durch seine dynamischen Eigenschaften.
2 . Seine Wirkung beschränkt sich auf die gestörte Lebens-
thätigkeit.
3. Das Mittel heilt, indem es gestörte in normale Lebens-
thätigkeit zurückführt.
4. Wenn das Mittel Veränderungen in Funktionen herbei¬
führt, die nicht vital sind, so thut es dies nur indirekt.
5. Die homöopathische Wirkung eines Arzneistoffes bringt
nie Störungen in der Funktion hervor.
6. Der Wirkungskreis der Homöopathie umfasst alle
Symptomengruppen, welche erst in zweiter Linie durch ver¬
änderte biologische Vorgänge entstanden sind oder durch Ver¬
änderungen anderer Art im Körper erhalten werden.
7. Nicht zum Wirkungskreise der Homöopathie gehören die
Symptomengruppen, welche direkt durch mechanische, physi¬
kalische oder chemische Störungen im Körper verursacht und
erhalten werden, es sei denn, dass diese angeblichen ersten
Störungen wieder Folgen wären von biologischen Störungen.
Diese kurzen Ausführungen erscheinen mir als ein sehr
kleiner Versuch gegenüber der enorm grossen Aufgabe, welche
uns gestellt ist.
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Wenn Sie mich fragen: wann darf denn nun der homöo¬
pathische Arzt zu nichthomöopathischen Mitteln greifen, so
kann ich Sie nur auf diese sieben Punkte hin weisen, welche ich
oben aufgestellt habe. Darin finden Sie eine befriedigende
Antwort auf Ihre Frage. Aber abgesehen von allen solchen
theoretischen Erwägungen, kommt es eben ganz darauf an, wie
weit Sie von der Ueberlegenheit der homöopathischen Heil¬
mittel über die anderen Eichtungen überzeugt sind. Es kommt
darauf an, wie viel Sie wissen, wie viel Sie können und was
Ihr Gewissen Ihnen vorschreibt.
In diesen Fragen kann ich keine Vorschriften machen,
und ich kann auch Keinem, der so auf Gewissensfragen sich
bezieht, einen Eath geben. Ich habe selber in dieser Beziehung
zu viel mit mir zu thun.
Beabsichtigte und unbeabsichtigte Mittelprüfungen.
Ein Apotheker fertigte Salolpulver an und machte dabei
folgende Beobachtungen: Gefühl von Steifheit in allen Ge¬
lenken, Schmerz in den Handgelenken, Krampf beim Schreiben,
die kleinste Last kann nur schwer getragen werden. Am
3. Tage furchtbare Kopfschmerzen über den Augen, kann den
Kopf kaum hoch halten. Etwas Erleichterung durch Bryonia.
Am 5. und 6. Tage dumpfer Schmerz im Kopfe und im ganzen
Körper, durch einzelne Steigerungen verschlimmert. Am 7. Tage
Steifheit der Kniee und in den Hüften, Verschlimmerung am
Abend; der Kopfschmerz fängt an sich zu bessern. Am 8. Tage
allgemeine Besserung. Hatte wieder mit Salol zu thun. Die
Hand war so empfindlich für Kälte, dass er den Finger nicht
ausstrecken konnte, wenn er etwas Kaltes angreifen wollte.
Besonders den kleinen Finger zu strecken, schmerzte sehr.
Diesmal kam der Kopfschmerz nicht so heftig, aber er hatte
Schmerzen im Knie, in den Hüften, im Arm, an der Beuge¬
seite der Gelenke. Leichter Veilchengeruch des Urins, der
aber vor Eintritt der anderen Symptome verschwand. Der
betreffende Herr hatte schon seit Jahren Augenkopfschmerzen,
aber die durch Salol erzeugten waren viel stärker, als wie
er jemals erfahren hatte. Seit dieser Zeit aber ist er fast
befreit von den Kopfschmerzen, und wenn eine Wiederkehr des
Schmerzes sich andeutet, so hilft ihm eine Gabe Salol 12 sofort.
(Homceopathic World Nr. 387.)
Archiv für Homöopathie, Heft 2, 4
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Original fro-m
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50
Dr. Schneegans berichtet im „Journal der Pharmaceuten
von Eisass-Lothringen“, dass ein Kranker, der ziemlich hohe
Prozentsätze Zucker im Urin hatte, nachdem derselbe während
der Behandlung verschwunden war, plötzlich wiederholt Zucker¬
beimischungen aufwies. Da gar keine zuckerführenden Nahrungs¬
mittel gegeben worden waren, so erschien diese Verschlimmerung
unerklärlich, bis es sich herausstellte, dass der Kranke täglich
eine Tasse Thee aus Tussilago Petasites trank; nach den
Untersuchungen des Verfassers enthält die Blüthe davon 9 bis
11 °/ 0 Zucker. —
Ammonium carbonicum. Dr. Berridge-London berichtet
im „Journal of Homoeopathics“, August 1898, folgende Symptome,
welche eine Aerztin bei der Prüfung an sich beobachtet hatte:
1. Prüfung, eine G-abe Ammonium carb. lm(F). Vom 15.
bis 27. Tage treten folgende Erscheinungen auf. Der Uterus
erscheint zu gross und wie vorgefallen, sehr heiss und em¬
pfindlich. Beim Niedersetzen hat sie das Gefühl, als ob der¬
selbe in der Scheide hinaufgeschoben würde und ein leises
Wundsein verursachte. Sie muss sehr vorsichtig sein beim
Niedersetzen und kann nicht ausfahren, da die Bewegungen des
Wagens die Erscheinungen sehr verschlimmern. Die äusseren
Theile sind geschwollen, jucken und brennen. Die Periode
kommt sechs Tage zu früh, ist schwärzlich, scharf, macht die
Oberschenkel wund und brennend. Darauf folgt ein scharfer,
brennender Weissfluss, der auch wund macht, ein wässeriger,
brennender Weissfluss, der dem Gefühle nach aus der Gebär¬
mutter kommt und während des Durchfliessens durch die Scheide
grosse geschlechtliche Erregung erzeugt, die sie ganz aufbringt.
Der Hauptsitz der Empfindung ist in der Gebärmutter. Ein
Gefühl, als ob der Muttermund sich öffne und mit grosser
Gewalt wieder schlösse. Tritt dieses Gefühl stark auf, so ist
auch ein starkes Herabtreten des Uterus zu empfinden. Sie
kann nicht still sitzen, sie muss immerfort sich hin- und her¬
bewegen. Sie kann nichts dauernd thun, denn sie kann ihre
Aufmerksamkeit auf nichts festhalten, so stark ist ihre ge¬
schlechtliche Erregung. Als endlich die geschlechtliche Er¬
regung vorbei war, war sie einen ganzen Tag lang hinfällig
und musste sich früh und nachmittags hinlegen.
2. Prüfung. Dieselbe Dame nahm eine Gabe von 10 m und
hatte vom 12. bis 26. Tage folgende Symptome, welche sich
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aber schliesslich so steigerten, dass sie durch eine Gabe
Lachesis cm beseitigt werden mussten. Grosse geschlechtliche
Erregung. Starkes Brennen und Schwellen innen und aussen
in den Geschlechtstheilen. Sie kann weder sitzen noch liegen.
Sie ist so unruhig, dass sie immer auf- und abgehen muss.
Die Clitoris ist so geschwollen, dass sie beim Gehen weh timt.
Die Augen treten stark hervor, das Gesicht ist geröthet, die
Lippen sind sehr roth, brennen und pulsiren. Es wechseln ab
krampfhafte Verschnürungen und Nachlassen des Krampfes in
der Scheide und am Muttermund, ununterbrochen, so lange wie
die geschlechtliche Erregung dauert. Dies bringt sie sehr auf
und macht sie ärgerlich über sich selber, weil sie es nicht
unterdrücken kann. Um über dies Gefühl wegzukommen, ballt
sie die Hände so fest zusammen, dass die Nägel ins Fleisch
treten. Sie heisst auch stark auf die Lippen, so dass sie
bluten, und setzt die Zähne fest auf einander, die dadurch
empfindlich werden und weh thun. Eine wässrige Absonderung
scheint aus der Gebärmutter zu kommen und verstärkt die
geschlechtliche Erregung, wenn sie durch die Theile abfliesst.
Der Druck des Uterus nach unten ist so stark, dass sie ein
krampfhaftes Ziehen 'an den Bändern fühlen kann. Abwaschen
der Absonderung beruhigt etwas die Erregung, aber es bleibt
immer ein Brennen und Wundsein der Schamlippen und der
Oberschenkel zurück. Als sie beim Abwaschen mit dem Finger
in die Scheide eingeht, zieht sich dieselbe so krampfhaft zu¬
sammen, dass sie den Finger nur schwer wieder entfernen kann.
Dabei hat sie ein Gefühl, als ob die Finger eiskalt wären.
Der ganze Körper zittert und die Unruhe ist unerträglich.
Mannigfaltiges.
Die Allopathen als Nachzügler. „La semaine medicale“
vom 17. November 1897 empfiehlt Jod in einem Präparate von
weniger als einem Tropfen der Tinktur täglich bei Durchfall
der Phthisiker. — Unsere Kenntniss von der Anwendbarkeit
des Jod in diesen Fällen reicht bis in den Anfang dieses
Jahrhunderts zurück.
Uranium nitricum soll nach Dr. Duncans in Glasgow vor
der „British medical Association“ gehaltenen Vortrage bei
Diabetes gut wirken. — Die Anwendung dieses Mittels hier
bei uns begann in den 1860 er Jahren.
4 *
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— 5S —
Chamomillaumschläge werden von allopathischer Seite bei
Hautkrankheiten empfohlen. — Hering hat als Verwendungs¬
gebiet der Chamomilla schon hervorgehoben: süchtige Haut,
alle Wunden neigen zur Eiterung, schwierig zu heilende Exan¬
theme, Erythem der Wangenhaut, entzündliche Anlage der Haut,
juckende Pupillen, Krusten und Geschwüre, jeder Schweiss
erzeugt ein heftiges Jucken.
Ueber Chamomilla schreibt A. C. Tutt in Holl in der
Eebruarnummer vom „Edinburgh Medical Journal“, eines der
besten Mittel bei Diarrhöe der Kinder sei Chamomilla. Ein
fünfmonatliches Kind, welches sehr lange mit allen möglichen
Mitteln behandelt worden war, bekam stündlich einen Tropfen
Chamomillatinktur. Nach sechs Gaben war die Heilung voll¬
endet und das Kind bedurfte keiner weiteren Behandlung.
(Homoeopathic Journal.)
Eine hygienische Obst- und Gartenbauschule ist in dem
klimatischen Kurorte Klosterlausnitz (Bahnstrecke Weimar-
Gera) im Anschluss an das seit Jahren bestehende Kurhaus
gegründet und am 1. Oktober 1898 eröffnet worden.
Personen jeden Alters, welche aus Gesundheitsrücksichten
nebenberuflich oder als Gärtner bezw. Obstzüchter nutzbringend
gärtnerisch thätig sein möchten, finden hier Gelegenheit zur
Aneignung der ihren Interessen entsprechenden Fachkenntnisse
und zwar in Verbindung mit einer den Leiden angepassten
Kur und Verpflegung. Die ärztliche Aufsicht führt Dr. med.
Welschner.
Die Grundlage des Instituts bildet die Gärtnervorschule
mit einjährigem Kursus. Nachdem die Zöglinge hier unter
Berücksichtigung ihres Gesundheits- und Kräftezustandes für
den erwählten Beruf vorgebildet sind und sich genügend er¬
holt haben, können sie die praktische Lehrzeit in einer
anderen Gärtnerei fortsetzen oder sich als Volontäre weiter aus¬
bilden. Der Hauptwerth der Ausbildung wird auf den Obstbau
gelegt.
Aeltere Personen, welche der Erholung, Kur oder Rekon¬
valeszenz bedürfen, können an Kursen von längerer oder
kürzerer Dauer Theil nehmen und jederzeit eintreten. Zög¬
linge der Gärtnervorschule werden im Frühjahr und Herbst
eingestellt.
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Die Herren Aerzte, welche ja oft in die Lage kommen,
schonungsbedürftigen Leuten die gärtnerische Thätigkeit anzu¬
empfehlen, dürfte es noch interessiren zu erfahren, dass die
Anregung zur Gründung dieses Instituts von Landesökonomie¬
rath Goethe, Direktor der König! Gärtnerlehranstalt zu Geisen¬
heim a/R, ausgegangen ist. Derselbe hatte die Wahrnehmung
gemacht, dass vielen Schülern der Arzt nöthiger that, als der
Gartenbaulehrer und betrachtete daher eine Fachschule, welche
in erster Linie dem Gesundheitszustände der Schüler Rechnung
trägt, als ein dringendes Bedürfnis.
Aus der Zeitungsmappe.
Medical Century, Juni 1898.
Dr. Frank Kraft schreibt über: Homöopathische Materia
medica vom Standpunkte des Lehrers. Die modernen Studenten
wollen keine Theorieen haben, sondern wollen praktische Sachen
lernen. Materia medica im homöopathischen Sinne ist ausser
allem Zweifel das Trockenste und Langweiligste von Allem,
was gelehrt werden kann. In diesem Zeitalter der Spezialisten
mit glänzenden Instrumenten und blendender Technik giebt es
keinen jungen Menschen, der nicht vom Rausche des Operirens
befallen würde und der nicht lieber stundenlang einer Operation
zusieht, als wie auch nur eine halbe Stunde Materia medica
hören will.
In unseren Büchern steht ungeheuer viel, und wenn wir
einem Allopathen, der sich für unsere Richtung interessiren will,
so ein Textbuch geben, so wirkt das wie ein Hammerschlag
auf ihn. Nicht nur die Masse überwältigt ihn, sondern auch
der scheinbare Widerspruch, wenn das eine Mittel bald für
diesen, bald für den entgegengesetzten Zustand in Betracht
kommt. Ein grosser Fehler ist unsere anatomische Eintheilung,
welche unsre Symptomencodices zu umfangreichen Wörter¬
büchern zusammenhangloser Symptome gemacht hat. Was
wir thun müssen, ist, die Totalität eines Mittels dem Schüler
zugänglich zu machen, dass ihm dasselbe immer gegenwärtig
bleibt, auch unter schwierigen Verhältnissen der Praxis. Der
Vortrag muss aber auch interessant sein, und der Vortragende
darf nicht nur seine Notizen vorlegen. Wenn er etwas Zu¬
sammenhängendes giebt, so wird er die Aufmerksamkeit ebenso
anziehen wie der Gynäkologe oder sonstige Spezialist.
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Es würde also ein Belladonna-Vortrag so verlaufen:
Statt auf dem Scheitel zu beginnen und Zeile für Zeile
alle Symptome anzuführen, welche sich von da bis zu den
Füssen herunter finden, soll der Lehrer mit einer Erzählung
einer allgemeinen Geschichte beginnen, die Pflanze darstellen,
wie und wo sie gefunden wurde, wie lange wir sie schon kennen,
wie sie bei unseren Vorfahren gebraucht wurde, welches Inter¬
esse neuere ärztliche Schulen an ihr nehmen und wie wir schliess¬
lich darauf gekommen sind, sie anzuwenden. Dazu soll er an
der Tafel ein Paar Stichworte niederschreiben, die immer wieder
den Zuhörern in die Augen fallen, und wenn er dann anfängt,
von dem Mittel selbst zu berichten, so muss er immer wieder
auf diese Stichworte zurückkommen, um zu zeigen, wie sich die
allgemeine Darstellung der Belladonnawirkung immer wieder
auf diese Einzelheiten bezieht.
Es giebt so gewisse Sachen, auf die wir immer wieder zu¬
rückkommen können, z. B. gerade bei der Belladonna: Schmerzen
kommen und gehen schnell. Das Gesicht ist roth, heiss und
trocken. Der Kranke ist heftig und gefährlich. Die meiste
Wirkung des gesteigerten Blutkreislaufes scheint im Kopfe zu
liegen. Und daran müssen Sie nun anknüpfen. Ein Kranker
also, der ruhig ist und gutmüthig, ist wahrscheinlich kein Bella¬
donnakranker, ebenso wenig wahrscheinlich ein Kranker, bei
welchem die Schmerzen langsam kommen und langsam abfallen.
So können Sie es aber auch mit anderen Mitteln machen.
Ein Kranker, der jedes Mal, wenn er sich zum Stuhl hin¬
setzt, eine reichliche Entleerung hat, ist kein Nuxkranker; ein
Kranker mit rothem Gesicht, reichlicher Nahrungsaufnahme und
gutem Gedächtniss ist kein Ly copodiumkranker; ein Kranker mit
rothblauem Gesicht, dem alles um den Hals zu eng ist, ist
wahrscheinlich kein Bryoniakranker; der Kranke, der Rheuma¬
tismus hat und wegen des Schmerzes in den Muskeln sich nicht
bewegen kann, ist weder ein Bryonia-, noch ein Rhuskranker;
ein Kind, bei dem jeder Stuhlgang anders aussieht, welches
leicht zum Weinen kommt und viel ausgetragen werden muss,
ist kein Nuxkind u. s. w. durch die ganze Reihe hindurch.
Was der Lehrer nun hinzufügen kann von Anschauungs¬
mitteln, das muss er hinzugeben. Es ist gar nicht so schwer,
eigenthümliche Stellungen der Glieder etwa, eigenthümliche
Färbungen der Haut zeichnerisch oder in der Beschreibung
darzustellen. Dazwischen hinein ein Paar nebensächliche Be-
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— 55 —
merkungen, ein Paar illustrirende Krankengeschichten gegeben,
und es wird gar nicht so schwer sein, die Zuhörerschaft dahin
zu bringen, dass sie mit Aufmerksamkeit dem Vorträge folgt.
Dann wird es dahin kommen, dass der Schüler ein solches
Mittel wirklich kennt, und wenn er es auch vielleicht mit anderen
Worten und in seiner Sprache kennzeichnet, es ist ihm aber
die Eigenthümlichkeit desselben geläufig, und dann wird er
auch den Vortheil all’ dieser Hilfsmittel anerkennen, worin ihm
kurze Hinweise auf hervorragende Symptome gegeben sind.
Verfasser sagt zum Schluss:
„Ein G-edanke sollte immer alle Arbeiten des Lehrers der
Medizin beherrschen, nämlich der, dass selten ein Mediziner
nach erlangter Existenz seine Studien noch fortsetzt. Viel zu
Viele glauben, sie seien dann gewappnet und gerüstet, mit Tod
und Teufel kämpfen zu können, die Bücher werden geschlossen,
sie fühlen sich im Besitze der Wahrheit und brauchen ihrem
Wissen nicht mehr nachzuhelfen. In den ersten zwei oder
drei Jahren — das ist die Zeit, wo man noch Celluloidkragen
trägt — wird der junge Arzt, wenn er den Geschäftsinstinkt
seines Berufes hat, viel in der Kneipe verkehren, bei den
Morgengottesdiensten erscheinen, Sonntagsstunden halten, auf
dem Jahrmarkt und in den politischen Versammlungen sich
sehen lassen, mit vielen Leuten Hände schütteln, Bekannt¬
schaften machen, immer liebenswürdig aussehen und die Bande
knüpfen, die für später verwerthet werden sollen. Er wird
dann tief eingehen in das Studium menschlicher Natur, wird
alle seine Mitmenschen lieben, auch deren Hunde und Katzen
und selbst den ekelhaften Papagei einer möglichen späteren
Patientin. Wenn dann nachher die Praxis kommt — und wenn
er lange genug warten kann und nicht vorher schon Omnibus¬
kondukteur geworden ist, so kommt sie auch — dann hat er
keine Lust mehr zur Thätigkeit.
Darum muss der Lehrer noch in der Zeit, wo der junge
Mann unter seinem Einflüsse steht, alles Mögliche thun. Er
muss den Geist des jungen Menschen so erziehen, dass der¬
selbe seine Vorlesungen über Materia medica nicht ablegen
kann wie sein Studentengewand.
Auch der Lehrkörper im Ganzen müsste ihm zeigen, was
er eigentlich Praktisches gelernt hat. Es ist nicht richtig,
wenn man sich darauf beschränkt, ihn zu entlassen, geblendet
von dem Resultate einiger Lehrstühle und dabei gleichgiltig
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gegen andere, und gerade die Lehrer auf den Lehrstühlen,
welche wenig Anschauliches bieten können, müssten alle Mittel
der Logik und der Ueberzeugungskunst anwenden, indem sie
sich überall auf Litteratur und Wissenschaft stützen, um gerade
ihren Lehrstoff interessant zu gestalten. Der junge Mann muss
wissen, dass gerade Das, was ihm während der Studienzeit
nicht so imponirt, ihm Dasjenige giebt, womit er später etwas
Wirkliches leisten und sein Brot erwerben kann.“
Dr. Dewey: Praktische Winke über die Behandlung von
Spermatorrhoe und Impotenz. An die Spitze stellt er
Acidum phosphoricum mit den bekannten Symptomen. Das
plötzliche Aufhören der Erektion beim Coitus durch Schwäche
gehört hierher, durch einen Krampf gehört zu Kux vomica. —
Acidum pigricum gehört auch für die Impotenz mit viel nächt¬
licher Erregung. — Pollutionen ohne jeden geschlechtlichen
Traum, die im geschwächten Körper durch jede Erregung auf-
treten, gehören zu Gelsemium. Darum passt dasselbe auch
so gut nach Masturbation. — Dioscorea ist auch nur ange¬
bracht bei Samenabgängen infolge mehrerer nächtlicher Träume
und nachfolgender Schwäche in den Knieen. — Calcarea car-
bonica passt für den Zustand, wo jeder normale Geschlechts¬
genuss grosse Schwäche herbeiführt. — Caladium ist bei starken
Bällen von Schwäche dann angebracht, wenn die Geschlechts¬
teile kalt empfunden werden. — Ist durch übermässigen Ge¬
schlechtsreiz der Körper sehr geschwächt, so kommt Staphis-
agria in Betracht. — Agnus castus hat zwar einen ähnlichen
Zustand, aber es gehört noch viel mehr dorthin die Impotenz
der Gelähmten. — Bei Kux vomica gehört dazu eine Reihe
von Erscheinungen auf dem Darm, bei Sulphur mehr allge¬
meine skrophulöse Symptome, besonders aber das vollkommene
Erlöschen des Reizes. — Der geschlechtlich Ueberreizte und
dadurch melancholisch Gewordene gehört unter Conium. Da¬
bei ist örtlich gar keine Störung zu beobachten, während diese
hervorragend bei ähnlicher Gemüthsstimmung auf Zincum hin¬
weist. — Lycopodium ist das frühzeitige Altern der Geschlechts¬
kraft. — Sassaparilla hat geschlechtliche Träume mit Ejaku¬
lation und nachfolgenden Schmerzen, während jede Erregung
bei Tag einen Abfluss ohne geschlechtlichen Reiz verursacht. —
Selen entspricht der Verschlimmerung aller Symptome durch
den Abgang von Samen.
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Monthly Homceopathic Review, Juni 1898.
Dr. Dyce Brown: Gebrauch von Ergotin bei drohender
Fehlgeburt. Verfasser zitirt aus dem „British Medical Journal“,
März 1897, die Empfehlung des Ergotin bei dieser Form von
drohender Beschwerde und macht darauf aufmerksam, dass
trotzdem die Allopathen die planmässige und sinngemässe An¬
wendung der homöopathischen Mittel verwerfen. — Dr. Black:
Viscum album. Die Besserung in verschiedenen rheuma¬
tischen und rheumatoiden Fällen war auffällig. Besondere Be¬
ziehungen symptomatischer Art lassen sich nicht feststellen.
Von grösserer Bedeutung scheint das Mittel zu sein für Schwer¬
hörigkeit, nachdem Ohrenflüsse dagewesen sind.
Medical Advance, Juni 1898.
Dr. Wieland: B-ectumkrebs. Der Krebs war durch gute
allopathische Aerzte diagnostizirt worden. Die Symptome wiesen
auf Arsenik, und da von allen Seiten die Operation wegen der
grossen Ausbreitung der Neubildung abgelehnt war, so bekam
er Arsenik 1000. Sofort änderte sich die Form des Stuhles,
der zusammenhängender wurde und weniger häufig war. Nach
zweimonatlicher Behandlung konnte der Kranke seit 15 Jahren
zum ersten Male wieder in der Nacht durchschlafen. Einen
Monat später änderte sich der Stuhlgang wieder. Er wurde
lang und hart und es ging gleichzeitig viel farbloses Wasser
ab. Phosphor 1000 änderte auch diese Abnormität, so dass er
jetzt zu Hause arbeitet, täglich zwei Stühle hat und sich so¬
weit gebessert fühlt, dass er sich für gesund hält.
Dr. Wieland: Mundgeschwüre. Ein 38jähriger Süd¬
amerikaner, der ziemlich liederlich lebte, hatte Alles bis jetzt
gut vertragen. Als er aber innerhalb 30 Tagen bei einer
lustigen Parthie 150 Mal kohabitirt hatte, trat auf der Seite
der Zunge ein graugefärbtes Geschwür auf. Dasselbe wurde
für syphilitisch gehalten und er wurde drei Monate lang mit
Quecksilber behandelt.
Als Dr. Wieland ihn am 5. Mai übernahm, hatte er in
den drei Monaten 17 Pfund verloren. Der ganze Mund war
voll hässlicher Geschwüre mit sehr starkem Gestank, sodass,
wenn er das Zimmer verliess, dasselbe gelüftet werden musste.
Sehr heftiger Kopfschmerz, schlechte Nächte, ausserordentlich
müde. Da bei der Untersuchung sich die Geschwüre so sehr
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leicht blutend erwiesen, erhielt er Acidum nitricum, zur Reini¬
gung des Mundes wurde Hydrozon verwendet.
Nach 10 Tagen war nichts mehr von dem Geschwür zu
sehen. Er hatte keinen Schmerz mehr, keinen Geruch mehr,
und als er nach 14 Tagen verreisen musste, gewann er während
der Reise in 10 Tagen täglich ein Pfund Gewicht.
Einige vernachlässigte Mittel: Acidum lacticum in der
Schwangerschaft. Melancholisch, niedergeschlagen, entmuthigt,
viel Speichel, Salzgeschmack nach dem Essen. Blasse anämische
Weiber, dunkles Haar und Augen. Reichliche Periode, die zu
lange dauert, 5 bis 8 Tage lang. Uebelkeit im Magen. Er¬
brechen von scharfen Flüssigkeiten. Kein Bedürfniss zum Früh¬
stück. Unfähig zu schlucken. Das Essen kommt gleich wieder
in den Mund herauf, oder es bleibt scheinbar hinter dem oberen
Ende des Sternum stehen. Heisses, saures Aufschwulken. Heisses,
bitteres Aufstossen mit Brennen vom Mund bis zum Magen.
Durchfall oder sehr hartnäckige Hartleibigkeit. Wo Acidum
lacticum nicht passt, aber scheinbare Aehnlichkeit vorliegt, soll
man an Psorinum denken.
Zwei geburtshilfliche Fälle.
1. Am neunten Tage nach einer schwierigen Entbindung,
bei welcher durch Caulophyllum die Wehen erregt werden
mussten, grosse Auftreibung des Leibes nach sehr heftigen
Nach wehen. Puls 110. Die Kranke sehr aufgeregt. Lyco-
podium 200 besserte in 15 Minuten, sodass sie einschlafen
konnte. 24 Stunden später trat noch einmal ein Anfall auf,
der mit Lycopodium 1000 sofort beseitigt wurde.
2. Drei Tage nach einer Zangengeburt hatte die Wöchnerin
Frost, Unruhe, Fieber, Durst, Uebelkeit, grosse Empfindlichkeit
des Leibes. Einige Tage später wurde die Lochia dunkelbraun,
übelriechend. Secale cornutum heilte den Fall in drei Tagen.
Hahnemannian Monthly, Juni 1898.
Dr. Pemberton Dudley lässt sich über die mangelhafte
Vorbildung der amerikanischen Medizinstudenten aus. Was
er am Schlüsse seiner Ausführung verlangt, entspricht etwa
unserem Bildungsstande zur Erzielung des Freiwilligenzeug¬
nisses.
Alle homöopathischen Blätter Amerikas sind jetzt voll
von dem Bestreben der Homöopathen, in die Armee und in
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die Marine einzutreten und zwar als homöopathische Aerzte.
Nach dem was uns bekannt wird, scheinen sie auf dem besten
Wege zu sein, dies Ziel zu erreichen.
Journal of Homceopathics, Juni 1898.
Kent: Acidum fluoricum, werde ich meinen Lesern in
vollem Umfange vorlegen.
Kent: Natrium sulph. nach Kopfverletzung. Ein Mann
hatte einen starken Huftritt auf den Kopf bekommen. Er litt
an Rheumatismus der linken Seite von Hand bis Handgelenk,
von Knie bis Hüfte, wie von einem darin steckenden Messer,
verschlimmert im Bett, wird steif und ungeschickt, wenn er
lange sitzt; Besserung durch Druck und kurze Bewegung.
Rhus gab ihm Schlaf, aber nur auf kurze Zeit. Bei Tage
Visionen, sieht und spricht seinen Vater, sehr leicht erschreck¬
bar, was sonst seinem Charakter nicht entspricht. Leichtes
Summen im Ohr, verschlimmert durch plötzliches Aufrichten
nach dem Niederlegen. Dies kann er vermeiden durch lang¬
sames Aufrichten. Mit dem Summen zusammen kommt ein
Schmerz über den Kopf weg von Ohr zu Ohr. Im Kopfe
entsteht ein Schmerz auf der Seite, mit welcher er aufliegt,
und verschwindet, sobald er aufsteht. Vorderkopf schwer,
links stechender Schmerz — das ist die Stelle, wo das Pferd
ihn schlug. Seit dem Unfälle schlechtes G-edächtniss und viel
Kopfschmerzen, reichliche Schweisse, welche kalt machen. Er
erkältet sich überhaupt leicht an Brustbein und Rücken und
ist am Kopf sehr empfindlich. Er ist durchaus nicht ermüdet,
sieht aber mehr wie überreizt aus und klagt am allermeisten
über die Schlaflosigkeit. Er isst wenig, am allerwenigsten
aber, wenn man ihm viel vorsetzt.
Kent schickte auf diesen Bericht hin Natrium sulph. 20.
Darauf erfuhr er, dass zwei Tage eine heftige Verschlimme¬
rung eingetreten war und seit dieser Zeit schläft der Kranke
ganz ruhig.
Zeitschrift des Berliner Vereins Homöopathischer
Aerzte, Juli 1898.
Dr.Bojanus sen.: Ueber die Ursachen und Bedingungen
der Krankheit. Die sehr umfangreiche Arbeit, aus dem
Nachlasse unseres verstorbenen Freundes vom Sohne zusammen-
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gestellt, ist eine Einführung in das Studium von Hausmanns
grossem Werke, welches denselben Titel führt. Es ist verdienst¬
voll von der Redaktion, diese Arbeit aufgenommen zu haben,
aber ich glaube trotz meines persönlichen Interesses für den
verstorbenen Bojanus nicht daran, dass er Hausmanns Werk
zum Leben erwecken kann. Zum Referat eignet sich seine
Arbeit gar nicht, weil sie nur an der Hand des Werkes selber
in ihren Einzelzügen betrachtet werden kann.
Dr. Gisevius jun.: Zur Behandlung des Trippers. Die
neueren Forschungen haben die Lehre vom Tripper dem Stand¬
punkte Hahnemanns näher gebracht. Was man jetzt an einem
individuellen Gonorrhoiker kennt, ist Hahnemann’sche Sycose
und Grauvogl’sche hydrogenoide Körperkonstitution. Die abor¬
tive Methode der Behandlung wird mehr und mehr als verkehrt
anerkannt. Sehr wichtig ist die diätetische Behandlung; vege¬
tarische Diät, sehr wenig trinken, viel alte Semmel wirkt allein
schon stark herabsetzend auf den Ausfluss. Dr. Gisevius be¬
richtet über 300 Berliner Fälle, von denen 130 bakteriologisch
untersucht worden waren. Aeussere Behandlung fand nur statt,
wo die entzündlichen Erscheinungen auf der Eichel sich zeigten.
Anfangsmittel war fast immer Cannabis indica 1D oder 2 D.
War Blasenreizung vorhanden, so kam Cannabis 5 D in Betracht.
Bei einer kleinen Zahl trat Genesung ein zwischen dem 10.
und dem 13. Tage. Zu der Zeit, wo bakteriologisch sich das
Abstossen der Gonokokken beweisen liess, verschwanden die
meisten Kranken. Blut lässt sich bald durch Cantharis be¬
seitigen. Trübung des Urins bedarf keiner besonderen Medi¬
kation. Bei dem nun folgenden 2. Abschnitte der Erkrankung
schien Thuja die symptomatisch und durch Erfahrungen früherer
Aerzte empfohlene Wirkung nicht zu haben. Der Verfasser
schiebt das auf die Bereitung der Tinktur. Die Deventer’sche
Form der Thujatinktur gab grössere, energischere Wirkungen.
In diesem 2. Abschnitte empfiehlt der Verfasser eine örtliche
Behandlung, die nach starken Infektionen mit Gonokokken an¬
gewandt wird, und zwar durch Einführung einer Salbe aus
Coldcream und 3 % Argentum nitricum mittels einer Sonde.
HomceopatMc Recorder, Juli 1898.
Dr.Leonard: Einige Erfahrungen bei Hautkrankheiten.
Er empfiehlt neben der inneren Behandlung Borseifen und
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Abstäubungen mit Bor und betrachtet die akuten Ausschläge
nur als ein akutes Symptom chronischer Ausschlagskrank¬
heiten.
New England Medical Gazette, Juli 1898.
Clapp: Homöopathische Behandlung von Bluthusten.
Er empfiehlt vor Allem Millefolium, Aconit, Ipecacuanha,
Ferrum, Hamamelis, Digitalis, Phosphor, China und endlich
noch Ledum, letzteres bei sehr reichlichen Blutungen, anfalls¬
weisem heftigen Husten, Kitzeln in Larynx und Trachea,
brennenden Schmerzen in der Brust.
Journal of Homoeopathics, Juli 1898.
Dr. Cleason: „Correct Practice.“ Kein chronischer Fall
lässt sich behandeln, wenn man nicht für denselben die Notizen
zusammenträgt. Auch akute Anfälle an demselben Kranken
finden ihre Erklärung erst, wenn man alte Bemerkungen sich
wieder vorführen kann. Jeder Fall muss so lange studirt
werden, bis er sein individuelles Gepräge bekommen hat, denn
jeder Fall ist nur das Bild eines Menschen in einem gewissen
unnatürlichen Zustande; erst dann folgt die Analyse des
Krankheitsvorganges. Auf die Weise gewinnt man Symptomen¬
gruppen, aus welchen einzelne Symptome so hervorstechen, dass
sie die Mittelwahl ermöglichen. Dann folgt die Beachtung,
welche Mittel auf einander folgen können, und die genaue
Erwägung, wie lange man eine Mittelwirkung zugestehen muss.
Dr. Thacher: Klinische Fälle. Es ist in der Praxis
sehr schwer davon abzusehen, Krankheiten heilen zu wollen
und immer wieder sich vorzuhalten, dass man nur den Kranken
auf den schmalen Weg der Gesundheit zurückzuführen hat.
Er berichtet folgende Fälle:
1. Eine verheirathete Frau, die im Laufe von fünf Jahren
geisteskrank geworden war, unter der Behandlung von Homöo¬
pathen und Allopathen, litt ursprünglich an einem Ausflusse,
dann, als derselbe geheilt war, an Schmerzen. Wegen dieser
Endometritis wurde die Frau ausgeschabt. Darauf folgten
Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Melancholie. Schliesslich wurde'
sie obszön und schimpfte ununterbrochen. Als sie durch Ver¬
giftungsversuche und durch Gewaltthätigkeiten gefährlich wurde,
brachte man sie in eine Anstalt, von dort wurde sie aber ent¬
lassen als ungefährlich. Zur Zeit, als die homöopathische
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Behandlung begann, war sie melancholisch mit religiösen Wahn¬
vorstellungen. Da kein Symptom eine bestimmte Mittelwahl
erlaubte, gab er ihr nur Saccharum lactis und wartete. Es
kamen alte Symptome wieder vor, z. B. ein feuriger Bing um
den Hals, von dem aus Strahlen durch den Schlund und längs
der Arme gingen. Dabei eiskalte Busse und Füllegefühl im
Unterleibe. Dieses und das eigenthümlich schmutzige Aussehen
der Frau brachte ihn schliesslich dazu, Sulphur 55 m zu geben.
Zwei Tage darauf folgte ein Wuthanf all, wie er schon seit
längerer Zeit nicht mehr gesehen worden war. Schliesslich
trat etwas Erleichterung ein, der Zustand war aber unklar, bis
zwei Monate später ein Ohreniluss sich einstellte. Fortlaufender
Ausfluss, gelb, übelriechend. Die Periode tritt aller fünf Wochen
ein, während sie früher bis zu drei Monaten gefehlt hatte.
Sie erhielt kein neues Medikament und es traten alle alten
Erscheinungen wieder auf. Die Wirkung reichte bis über zehn
Monate hinaus, dann trat ein Stillstand ein, es kamen gar
keine Symptome mehr, so dass die Sulphurdosis wiederholt
wurde. Erst nach abermals zwei Monaten trat etwas Ausfluss
ein. Derselbe nahm allmählich zu und war innerhalb eines
Jahres genau so scharf und übelriechend geworden, wie er
im Anfänge des Leidens bestanden hatte. Noch eine dritte
Sulphurgabe wurde gegeben und von da ab ist die Kranke
als genesen anzusehen.
2. Ein Mann erhielt einen Schlag auf den Kopf, der ihn
sechs Stunden bewusstlos machte. Er wurde darauf so ver¬
gesslich, dass man ihn nicht mehr allein ausgehen lassen konnte.
Er sorgte sich sehr um seine Genesung und hatte das Gefühl
im Kopfe, als ob die Kopfhaut zu eng wäre und abgezogen
würde. Er war des Nachmittags ganz stumpfsinnig, hatte für
nichts Interesse, leichtes Schwindelgefühl im Kopf, schlimmer
bei Bewegung, verträgt gar keinen Lärm, muss hoch liegen,
um schlafen zu können, theerartige Stühle, schlimmster Zustand
um elf Uhr und um sieben Uhr, Besserung beim Niederlegen.
Natrium sulph. 52 m.
Besserung in Allem, ausser in Bezug auf den Verstand.
Zwei Monate später kamen Frostanfälle acht Uhr abends bis
zwei Uhr morgens, dann Hitze und gar kein Durst. Fünf Uhr
dunkler, zäher Stuhl mit viel Schmerzen, der sehr drängte.
Noch eine Gabe Natrium sulph. 52 m. Darauf ein sehr
heftiger Frostanfall und keine neue Wiederholung. Jetzt erst
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erinnerte er sich, dass er ähnliche Fieberanfälle vor vielen
Jahren durch Chinin vertrieben hatte. Alle Kopferscheinungen
verschwanden und er ist jetzt ganz wohl.
Monthly Homoeopathic Review, August 1898.
Die Redaktion ist sehr erbittert gegen Dr. John H. Clarke,
der bei einer Versammlung des Britischen Homöopathischen
Vereins einen Vortrag über die Signaturen gehalten und
behauptet hatte, Hahnemann habe vielleicht dadurch sich zur
Wahl der zu prüfenden Mittel leiten lassen und die Homöopathie
bringe diese alte Anschauung wieder zu Ehren.
Wenn man Dr. Clarkes Stellung in den englischen homöo¬
pathischen Kreisen kennt, so kann man sich vorstellen, wie
gross die Aufregung gewesen ist, und die Redaktion wirft ihm
auch direkt vor, er habe dies nur gethan, um Aufsehen zu
erregen. Das liegt nun freilich einer Persönlichkeit wie John
Clarke ganz fern, aber es ist doch auch bezeichnend für die
Stimmung der um die „Homoeopathic Review“ versammelten
Aerzte, dass sie am stärksten den Vorwurf erheben, er habe
durch seine Ausführungen Anlass gegeben, dass die Allopathen
sich über uns lustig machen könnten, als ob das nicht gerade
ganz gleichgiltig wäre.
Dr. Burwood: Barometrischer Druck als ein wichtiger
Faktor in der Medizin. Verfasser führt eine Reihe von Todes¬
fällen und plötzlichen Verschlimmerungen auf, welche nur durch
den verschiedenen Luftdruck zu erklären sind. Am deutlichsten
sei dies bei Leuten zu erkennen, die vom Flachlande sofort
auf höher gelegene Stationen oder Berge reisen. Auch für die
Krankheiten gebe es so eigenthümliche Beziehungen. So trete
die Diphtherie nach längerer Trockenheit in viel stärkerem Masse
auf, ganz gleich, ob dieselbe bedingt ist durch Fehlen von Regen
oder durch Winterkälte.
Dr. Wilkinson: Associirte Symptome. Für diese
Symptome, welche bei jeder Krankheitsform Vorkommen, muss
man versuchen, eine physiologische Erklärung zu finden, z. B.
ein Husten von Reizung des Kehlkopfes, etwas Wundsein in
der Luftröhre, Stimmlosigkeit, wobei die Stimme in der Mitte
des Wortes umschlägt, Kitzeln vom Larynx bis nach der
Eustachischen Tube. Der kurze trockene Husten wird durch
den Uebertritt aus der warmen in die kalte Luft schlimmer.
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Der Husten erschüttert den Körper mehr, als wie man glauben
sollte, so dass der Leib empfindlich wird und Urin abgeht.
Diese Symptomengruppe weist auf Causticum hin. Aber wo
ist der Zusammenhag zwischen dem Nachlassen des Blasen¬
verschlusses und dem Hustenreiz? Verfasser findet, dass die
Nerven, welche die Zirkulation im Unterleibe reguliren, im
Sakraltheile des Rückenmarkes ihren Ausgang finden, und durch
dessen Vermittlung wird der Reflex z. B. auf die Ischiasnerven
fortgeleitet.
Eine ähnliche Gruppe von Symptomen kenne man in Amerika
sehr genau, wo nach dem Genüsse von Eiswasser Druck auf
der Brust entsteht, schneidender Schmerz im Magen mit Auf-
stossen, sauere Winde und etwas Sodbrennen, ziemlich hohe
Temperatur, Erbrechen des Mageninhaltes mit grossen Mengen
wässeriger, saurer Flüssigkeit. Plötzliches Auftreten eines
Nesselausschlages beim Erbrechen; Schwellen der Augenlider,
Verdicktwerden der Lippen; eine Menge von Ausschlagsformen
auf der Haut; häufige Diarrhöen mit greifenden Schmerzen im
Hypogastrium; eigenthümlicher dumpfer Geruch des Stuhl¬
ganges. Der Ausschlag kommt und geht sehr schnell. Wir
wissen, dass dieses ganze Bild entsteht durch die Aufnahme
von Albumosen aus dem Mageninhalte. Wir wissen auch, dass
das Bild genau der Pulsatilla entspricht und dass die Pulsatilla
diesen Zustand stets heilt. Farrington meint, venöse Obstruk¬
tion sei das Kennzeichen der Pulsatilla.
In vielen anderen Fällen ist die Beziehung gar nicht zu
finden, so z. B. die Verschlimmerung der Nux vomica früh¬
morgens zwischen 3 und 4 Uhr, das Auftreten von Pleurodynie
und Herpes an der Lippe, wie es bei Ranunculus vorkommt.
Verfasser vergleicht die Nebensymptome den Obertönen
in der Musik. Selbst da, wo wir bestimmte Krankheitsnamen
haben, wissen wir vom Wesen der Krankheit nichts, aber aus
den Symptomengruppen könnten wir mehr darüber erfahren
und wechselseitig müsste die Kenntniss der Symptomengruppen,
der Prüfung und der Associirung der Symptome bei Krank¬
heiten, welche durch bestimmte Mittel geheilt worden sind,
ein Licht auf den ganzen Zustand werfen.
Druck von Wilhelm Baensch in Dresden.
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Schlegel:
Paracelsus - Studien
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ist als Separat-Abdruck erschienen und dufcb alle
Buchhandlungen zu beziehen.
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alle Arbeiten, die für die Propaganda bestimmt sind,
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pathen zu senden, lim sie wirksam abwehren zu können.
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Reise-, Thier-Apotheken, sowie ganzer homöopathischer Einrichtungen
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Homöopathische Offizin
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ARCHIV FÜR HOMÖOPATHIE
von
Dr. Alexander Villers.
Jahrgang VIII. Nr. 3. März 1899.
Calmia latifolia.
Ton Prof. J. T. Kent-Philadelphia.
Die Symptome dieses Mittels zeigen sich hauptsächlich in
den Muskeln, den Sehnen, längs des Nerven Verlaufes und bei
den sogenannten rheumatischen Anfällen. Die Schmerzen sind
sehr platzwechselnd und werden durch die geringste Bewegung
verschlimmert. Sie gehen vom Zentrum aus nach den Glied¬
massen hin und sie wandern von oben nach unten, also von
den Schultern nach den Fingern zu, den Rücken herab und
die Beine herunter. Diese Schmerzen sind manchmal durch¬
fahrend wie ein Blitz, manchmal gehen sie aber auch nur sehr
langsam längs des Nervenverlaufes, besonders durch den Ischias¬
nerven, die anderen Hüftnerven und bis in die Waden. Bei
rheumatischen Konstitutionen sind die Schmerzen dumpf ziehend,
zerbrechend, drückend und werden durch Bewegung vermehrt.
Bewegung vermehrt nicht nur den vorhandenen Schmerz, sie
ruft ihn auch hervor. Die Kopfschmerzen sind sehr heftig —
sie beginnen oft im Hinterkopf oder dem Nacken und gehen
herauf nach dem Scheitel. Ferner beobachtet man dabei
Schmerzen in der Stirn über einem der beiden Augen, grabende,
ziehende und neuralgische Schmerzen, welche durch Wärme
und Bewegung verschlimmert werden.
Die Schmerzen kommen und gehen mit der Sonne, d. h.
sie beginnen am Morgen mit Sonnenaufgang, verstärken sich
bis Mittag, nehmen dann allmählich ab und verschwinden bei
Sonnenuntergang. Wenn der Kranke sich bewegt, kann er
über nichts nachdenken, nicht einmal, wenn er aufrecht sitzt.
Wenn er sich aber vollständig ruhig hinlegt und gar keine
Bewegung macht, so arbeitet sein Gehirn ganz klar und leicht.
Bei der leichtesten Bewegung, auch nur einer Hand, tritt
Schwindel und Verwirrung ein. Hin und her zu gehen macht
ihn wirre und urtheilsunfähig.
Archiv für Homöopathie, Heft 3. 5
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Neben diesen Symptomen finden sich Herzstörungen rheu¬
matischer Art. Die ursprünglich nur wenig bemerkbare Herz¬
unruhe hat angehalten und angehalten, bis sie schliesslich auch
als organischer Dehler sich herausstellt, z. B. als Verdickung
der Herzklappen. In diesem Falle hat auch Calmia die Ver¬
dickung geheilt. Das Herzklopfen ist sehr deutlich beim Liegen
auf der linken Seite, wird gebessert in der Rückenlage,
manchmal auch beim Aufrechtsitzen, verschlimmert bei Vor¬
wärtsbeugen. Diese Symptome sind so deutlich, dass man
daran das Mittel sofort erkennt und in Allem, was ich Ihnen
bisher vorgetragen habe, hat es noch kein Symptomenbild ge¬
geben, das diesem ähnlich wäre. Vor allem nützlich aber
ist dieses Mittel bei rheumatischen Kranken, bei denen im
Hintergründe eine Syphilis schlummert, jener syphilitische
Rheumatismus, welcher sich so langsam entwickelt und
schliesslich das Herz befällt und zu Herzklappenverdickung
führt. Dann findet sich der durchfahrende Schmerz im Herzen,
Schmerzen in der Brust, aussetzender Puls. Es können dabei
das arterielle System, oder das venöse System oder auch die
Herzklappen krank sein. Die Athemnoth, vom Herzen aus¬
gelöst, ist bei einer jeden Bewegung sehr schwer, und in
diesem Mittel finden Sie ein Erleichterungsmittel für solche
Klagen. Es geht in diesen alten Fällen von rheumatischer
Syphilis auf den Grund der Syphilis zurück und hat manche
Herzkrankheit geheilt, welche auf diesem Boden erwachsen
war. Auch in diesen Fällen sind übrigens die Schmerzen wech¬
selnd und von Platz zu Platz wandernd, und auch hier bleibt
die Eigenthümlichkeit, dass sie von oben nach unten längs des
Rückens von den Schultern nach dem Rücken u. s. w. wandern.
Auch manche alte Fälle von gonorrhoeischem Rheumatis¬
mus passen hierher, wenn nur sonst die Symptome sich decken.
Die geringste Bewegung, die geringste Anstrengung ver¬
ursacht Schwindel und zwar deshalb, weil sie sofort Einfluss
ausübt auf das Herz, denn das Herz ist so empfindlich für
jede Ueberanstrengung, dass jede Störung des Kreislaufes im
Gehirne empfunden wird. In einer liegenden Stellung dagegen
sind das Gehirn, der Verstand, das Gedächtniss vollständig
normal und nur bei Bewegung kommt der Schwindel. Giebt
der Kranke aber nicht nach, sondern bewegt sich weiter, so
folgt heftige Uebelkeit und Erbrechen. Das Herzklopfen ist
übrigens sehr hart, erschüttert den ganzen Körper, ist so-
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Zusagen zu hören und immer sehr heftig, so dass der Kranke
unbedingt nicht auf der linken Seite liegen kann.
Weiterhin passt das Mittel bei alten, plagenden, immer
wieder auftretenden Kopfschmerzen mit Herzbeschwerden. So
ein Kopfschmerz kommt jeden Tag, wenn die Sonne am
Himmel steht, ist aber ein bewölkter Tag, so tritt er nicht
auf. Es ist, als ob das Sonnenlicht ihn verschlimmere, und
je heller die Sonnenstrahlen werden, um so schlimmer wird
der Schmerz. Daneben findet sich aber auch Herzparoxismus,
welcher in der Nacht auftritt, und zwar sind es die Knochen¬
schmerzen, besonders am Schienebein, mit dem Gefühl, als ob
die Knochenhaut abgerieben werden sollte. Diese Schmerzen
kommen nur nachts, und dann zeigt sich auch die Aehnlichkeit
mit der Syphilis. Es ist ja bekannt genug, dass die syphi¬
litischen Schmerzen in der Nacht schlimmer sind.
So kann dieses Mittel antipsorisch, antisykotisch, anti¬
syphilitisch sein, es kommt eben nur darauf an, dass die Sym¬
ptome passen. Wir haben da Schmerzen an der Kopfhaut,
Schmerzen an der Oberfläche der Knochen, die alle beim
Zubettegehen und in der Nacht sehr heftig werden und bis
zum Morgen dauern. Diese nächtliche Verschlimmerung haben
übrigens alle diejenigen Medikamente, welche bei Syphilis
erprobt worden sind. Sie finden das schon bei Hepar und
Mercur, aber freilich bei der Syphilis selber ist dieses Symptom
noch viel auffälliger, denn bei der Syphilis kommt die Ver¬
schlimmerung mit Sonnenuntergang. Diese Verschlimmerung
kann unter Umständen so pünktlich auftreten, dass, wenn Sie
in einem Kalender die Angabe der Stunde nachsehen, wann
die Sonne untergeht, Sie danach dem Kranken Voraussagen
können, wann er seine Schmerzen bekommen wird. Mit
Sonnenaufgang sind die Schmerzen wieder verschwunden.
Bei der Sykosis giebt es auch eine solche Beziehung zu
den Tageszeiten und manche Schmerzen sind schlimmer vom
Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang.
Solche scheinbare Verrücktheiten haben auch manche
Arzneistoffe, und wir müssen die Medikamente studiren, wie
wir einen Menschen und seinen Charakter studiren. Manche
Arzneien erscheinen Einem geradezu wie verrückt, und nur
wenn man diese auffälligen und verrückten Eigenschaften
kennt, kann man die Anwendungsweise des Mittels mit Ge¬
nauigkeit bestimmen.
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Bei dem Calmiakranken handelt es sich sehr häufig auch
um Nierenerkrankung. Sie wissen es ja aus Ihrem theoretischen
Unterrichte, dass alle körperlichen Organe mit einander ver¬
knüpft sind, aber ganz besonders eng Herz und Nieren. Wenn
die Nieren nicht gut arbeiten, wird das Herz oft belastet. In
den verschiedenen Formen von Bright’scher Niere ist das Herz
immer belastet.
Da haben Sie die Schwierigkeit des Athmens, die
Schwierigkeit der Herzthätigkeit und die Albuminurie. Calmia
ist dann ein grosses Hilfsmittel, wenn die Fälle unheilbar
sind, denn es giebt wieder einen freieren Athem.
Andrerseits haben wir zusammen mit Nierenaffektionen
eine ganze Reihe von Augenerscheinungen, Störungen des
Sehens, und in allen diesen Fällen müssen Sie auch an unser
Mittel denken. So passt es sehr oft bei Albuminurie und
Bright’scher Niere mit Sehstörungen während der Schwanger¬
schaft, und es ist geradezu ein grosses Mittel für Augen¬
schmerzen stechender und ziehender Art, welche bei schwan¬
geren Frauen, die nierenkrank sind, auftreten.
Ferner ist unser Mittel werthvoll bei Neuralgieen, Neu-
ralgieen des Auges, des Gesichtes, heftigen, reissenden,
ziehenden Schmerzen im Gesicht. Dabei ist allerdings manch¬
mal eine nächtliche, manchmal eine Tagesverschlimmerung.
Die Tagesverschlimmerung aber bindet sich an den Sonnen¬
lauf, die nächtliche Verschlimmerung setzt ein mit dem Hin¬
legen. Das Gesicht hat einen ängstlichen Ausdruck, wird
sehr leicht roth überlaufen und es entsteht leicht dabei
Schwindel.
Nach dem Verschwinden eines Herpesausschlages treten
sehr häufig in den leitenden Nerven neuralgische, ziehende,
durchziehende, reissende Schmerzen auf. Ebenso treten manch¬
mal heftige Neuralgieen ein, wenn Ausschlagsformen ver¬
schiedener Art plötzlich durch eine ungeschickte Behandlung
oder durch Erkältung verschwinden, und die Schmerzen dauern
dann so lange, bis der Ausschlag wieder da ist. In diesen
Fällen müssen Sie auch an Calmia denken, wenn die anderen
Symptome diese Mittelwahl rechtfertigen. Die Schmerzen
sind stechend, ziehend, reissend, sehr heftig, seltner schneidend
und durchfahrend, und auffällig ist, dass der Schmerz sich so
a.n einen Nerven hält und viele Minuten dauert, sehr plötzlich
mit Gewalt einsetzt und nur allmählich sich verliert. So setzt
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auch der Schmerz in den Gliedmassen in derselben Weise ein,
indem er plötzlich auftritt, als ob die Nerven mit Zangen
gezwickt oder gerissen würden, und dann sagt der Kranke
unter Aufathmen: „So, nun ist der Schmerz wieder fort!“
Wenige Minuten darauf zeigt sein Gesicht wieder den Ausdruck
höchster Angst, der Schmerz ist zurückgekehrt, er kann sich
nicht bewegen, und erst nach einigen Minuten athmet er
wieder auf und sagt: „So, nun ist er wieder fort!“ Dann
kann unter Umständen eine Pause von ein Paar Stunden ein-
treten.
In unseren Symptomencodices steht eine grosse Reihe von
Symptomen, welche sich auf das Herz beziehen, und Sie müssen
dieselben genau durchsehen. Da ist Zittern des Herzens,
Herzklopfen, Herzklopfen bis in den Hals hinein nach dem
Zubettgehen, später im ganzen Körper.
Ich entsinne mich eines Kranken, der mit einer starken
Syphilis zu mir kam. Man hatte ihm gesagt, wenn er jemals
eine starke Bewegung machen würde, so müsste er sterben.
So schwer seien seine Herzöffnungen erkrankt. An diesen
Herzöffnungen hörten sie alle Geräusche, welche es giebt.
Er war viel gereist, hatte viel Mercur eingenommen, und seine
syphilitische Affektion war immer wieder unterdrückt worden, bis
sich schliesslich Alles ausschliesslich auf das Herz konzentrirte.
Ich gab ihm eine einzige Gabe von Calmia 45 m (45000), und
in wenigen Monaten waren sein Herzklopfen und seine Athem-
noth verschwunden, ohne dass ich das Mittel zu wiederholen
gebraucht hätte, und erst nach zwei Jahren trat wieder ein
Symptom auf, welches auf die alten Beschwerden hinwies.
Da wiederholte ich die Gabe, und seitdem hat er keine Arznei
mehr gebraucht. Das zeigt Ihnen doch, wie tief Calmia in
den Organismus hineingreift.
Wandernde rheumatische Schmerzen in der Herzgegend,
besonders wenn Gelenkrheumatismus mit äusseren Mitteln be¬
handelt worden ist und Herzbeschwerden danach auftreten.
Solche Sachen finden Sie gar nicht so selten. Da haben wir unsere
Massirer, die man auf allen Strassen trifft, die mit irgend
einer starken Einreibung ziemlich leicht dahin kommen, einen
rheumatischen Schmerz aus dem Knie zu beseitigen, nur leider
ist es dann meist das Herz, welches die Folgen dieser
Behandlung tragen muss. Dann kommen in Betracht Calmia,
Bryonia, Rhus, Ledum, Calcarea, Abrotanum und manchmal
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Cactus. Rheumatische Affektionen, welche auf diese Weise
vertrieben worden sind, sind eben nur verändert und nicht
geheilt. Das grosse Publikum versteht immer noch nicht,
welche Gefahr darin liegt, wenn man Symptome einfach weg¬
wischt. Jede Beseitigung eines Symptomes, welche nicht
Folge eines Heilprozesses ist, trägt böse Früchte auf den
Zentren des menschlichen Körpers, vor allem auf Gehirn und
Herz. Dieses Massiren und Einreiben ist eine gefährliche
Sache.
Wenn man Sie fragt: „Doktor! haben Sie etwas dagegen,
dass ich mich einreiben lasse?“, so antworten Sie nur ruhig:“
Nein, thun Sie es aber nur, wenn es Ihnen keine Besserung
bringt!“ Dann wird Sie der Kranke natürlich fragen, was
das für eine merkwürdige Antwort sei, und dann sagen Sie
ihm: „Wenn das Einreiben gar keinen Einfluss hat, so können
Sie es ganz ruhig machen, denn dann hat es eben auch
keinen schädigenden Einfluss; wenn das Einreiben Ihnen aber
den Schmerz vertreibt, so schadet es Ihnen irgendwo anders.“
Da bei jeder Krankheit das Gleichgewicht im Körper
gestört ist, so ist ein solches Verschwindenmachen von Sym-
tomen um so schädlicher, je schneller und scheinbar angenehmer
das Symptom zum Verschwinden gebracht worden ist. Es
giebt ja andere Anlässe, wo das Massiren und die Einreibungen
ihre guten Folgen haben, aber dann handelt es sich nicht um
einen Rheumatismus. Dies Verfahren ist z. B. sehr geeignet
bei gelähmten Muskeln, denn dann ersetzt es die Arbeit,
welche der Kranke selber nicht mehr leisten kann, aber um
Schmerzen zu lindern, ist Massiren und Einreiben nicht zuzu¬
lassen, und je angenehmer es dem Kranken erscheint, um so
wahrscheinlicher wird es ihm nachträglich schaden.
Wenn Sie dagegen einen Phosphorkranken haben, so
werden Sie-ganz erstaunt sein, wie sehr demselben gerade die
Massage hilft. Wie kommt das nun? Weil der Phosphor¬
kranke mehr wie irgend ein anderer Kranker eine Art von
innerer Lebensschwäche hat. Dieser aufgeregte, sich schwach
fühlende Mensch fühlt sich viel wohler, wenn er kräftig
massirt worden ist, und deshalb verlangt er stark danach,
und Sie können es ihm auch ruhig gestatten. Wenn derselbe
Mensch aber rheumatische Beschwerden hat, so erlauben Sie
ihm die Massage nicht, denn dann wird das Herz angegriffen.
Dieser Phosphorkranke liebt nicht nur die Massage, weil sie
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ihm alle Beschwerden erleichtert, er will auch magnetisirt
werden aus demselben Grunde des inneren Schwächegefühles.
Weitere Symptome von Calmia sind: Müdigkeit in allen •
Gliedern, Scheu vor jeder Bewegung, allgemeine Müdigkeit
bei neuralgischen Schmerzen. Von dieser Müdigkeit können
Sie etwas lernen, denn wenn ein heftiger Schmerz den Körper
durchtobt, so ist das Herz immer bedroht. Wir haben auch
bei Hepar diese grosse Müdigkeit, die lang andauernde
Schwachheit nach dem Wochenbette oder nach länger dauernden
Schmerzen, aber bei Calmia kommt noch etwas hinzu, nämlich,
dass die Schmerzen von ihrer Stelle Weggehen, das Herz
bedrohen sozusagen und dadurch die Müdigkeit verursachen.
Dadurch wird der Kranke vollständig erschöpft und immer müde.
In unsern Büchern finden Sie als Antidote nur Aconit
und Belladonna, aber Spigelia passt sehr gut nach Calmia und
ist auch ein Gegenmittel. Ferner passt Acidum benzoicum
sehr gut, und verglichen werden sollten immer die nachstehen¬
den Mittel: Calcarea, Lithium carb., Lycopodium, Natrium mur.
und Pulsatilla.
Zur Differentialindikation von Nauheim und Marienbad
bei Herzkranken.
Yon Prof. Dr. E. Heinrich Kisch-Prag-Marienbad.
In den letzten zwei Dezennien ist nächst Nauheim ganz
besonders Marienbad als Kurort für Herzkranke empfohlen
worden und in Aufnahme gekommen. Es dürfte darum zeit-
gemäss sein, auf Grundlage zahlreicher Erfahrungen die
Differentialindikation für diese beiden Kurorte festzustellen.
Was die Hauptmittel betrifft, welche sowohl in Nauheim
als in Marienbad bei Herzkranken zur Verwerthung kommen,
so sind es die kohlensäurereichen Mineralbäder, welche
in den verschiedenen Abstufungen des Kohlensäuregehaltes in
der Beimengung von Salzen zur Verfügung stehen. Die Ver¬
suche von Jakob, Schott, Groedl, mir u. A. haben festgestellt,
dass die an Kohlensäure reichen Mineralbäder (Säuerlingsbäder,
Soolbäder, Stahlbäder) durch den auf die Haut geübten
mächtigen Beiz eine reflektorische Wirkung auf die Herz-
thätigkeit veranlassen, welche sich dadurch kund giebt, dass
der Puls langsamer und kräftiger die Thätigkeit des Herzens
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regelt, die Herzmuskulatur selbst besser ernährt wird, kurz,
dass die kohlensauren Bäder ein sehr wirksames Stärkungs¬
mittel des geschwächten Herzens sind, welche auf den Muskel¬
ansatz desselben, sowie auf die Energie seiner Funktion
mächtigen Einfluss haben. Durch die Auswahl der verschiedenen
kohlensäurehaltigen Bäder, neben der Anwendung verschiedener
Temperaturgrade und Bademethoden, ist der Arzt in der Lage,
vorsichtig steigernd zu Werke zu gehen von den wärmeren,
an Kohlensäure mässig gehaltvollen ruhigen Bädern, welche
mehr auf die Herznerven beruhigend, herzentlastend wirken,
bis zu den durch sehr bedeutenden Kohlensäurereichthum aus¬
gezeichneten Bädern von kühlerer Temperatur und stärkerer
Bewegung, welche den Blutdruck steigern, durch einen
heftigeren Reiz auf Herz- und Gefässnerven den Herzmuskel
kräftigen und durch eine Art Gymnastik zu vermehrtem
Muskelansatze anregen.
Vergleichen wir in Bezug auf den Kohlensäurereichthum
die kohlensäurereichsten Quellen von Nauheim und Marienbad,
nämlich die Thermalquelle Nr. VII Nauheims und den
Eerdinandsbrunnen, sowie Karolinenbrunnen Marienbads, so
enthält die erstgenannte (nach Credner’s Nauheim 1898) in
100 gr Soole 738,4 ccm reine Kohlensäure, der Marienbader
Ferdinandsbrunnen 1127,7 ccm, der Marienbader Karolinen¬
brunnen 1514 ccm. Diese beiden zu Bädern benutzten Marien¬
bader Quellen sind also ausserordentlich reicher, ja mehr als
doppelt so reich an Kohlensäure als die kohlensäurereichste
Nauheimer Quelle. Die Badeeinrichtungen in Marienbad sind
derart vorzüglich, dass der grosse Kohlensäuregehalt der
Quellen auch in dem Wasser der Badewannen selbst erhalten
bleibt. Diesbezügliche Versuche ergeben, dass in dem Bade
aus Ferdinandsbrunnen bereitet, noch 87,6 Percent des Kohlen¬
säuregehaltes dieser Quelle vorhanden ist.
Zunächst den Bädern kommt der innere Gebrauch der
Marienbader Glaubersalz wässer, des Kreuzbrunnens und
Ferdinandsbrunnens, ferner das Eisenwasser des Ambrosius¬
brunnen zur Trinkkur in Betracht, ein wesentlicher Vorzug,
den Marienbad bezüglich der Balneotherapie der Herzkranken
vor Nauheim voraus hat. In der systematischen Anwendung
der leicht abführend wirkenden Glaubersalz wässer ist aber
ein wichtiges und bei Herzkranken häufig indizirtes Mittel
gegeben, um durch Ableitung auf den Darmkanal und durch
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reichlichere Stuhlentleerungen eine wesentliche, ergiebige Ent¬
lastung des Blutgefässsystems herbeizuführen und der erhöhten
Druckzunahme in demselben entgegen zu wirken. Anderseits
kann es bei anaemischen Herzkranken zuweilen angezeigt sein,
die Blutbildung durch Einverleibung von Eisen mittelst der
Eisenwässer zu unterstützen.
Und noch ein Yortheil Marienbads ist hervorzuheben,
das ist dessen klimatisch günstige Höhenlage von 640 Meter
Erhebung über der Meeresfläche, gegenüber der Lage von
Nauheim 140 Meter über der Meeresfläche. Die mittelhohe
Lage Marienbads in einer durch weithin sich erstreckende
Waldberge gegen heftige Winde geschützten Gegend bietet
eine reine verdünnte Luft, welche einerseits die Herzaktion
kräftig anregt, anderseits die blutbildenden Organe in gesteigerte
Thätigkeit versetzt. Endlich ist durch die mannigfaltigen
Uebergänge vom ebenen Boden zu den Bergen eine günstige
Gelegenheit geboten, den Herzmuskel in einer der Individualität
entsprechenden Weise zu üben und zu einer sich allmählich
steigernden Arbeitsleistung heranzuziehen.
Auf Grundlage dieser örtlichen Verhältnisse und Beschaffen¬
heit der Heilquelle möchte ich nach meinen Beobachtungen
die Differentialindikation für Nauheim und Marienbad bei
Herzbeschwerden in folgender Weise angeben:
Nauheims Soolthermalbäder sind zu bevorzugen:
Bei den Herzbeschwerden, funktionellen Störungen und Herz¬
muskelerkrankungen jugendlicher, anaemischer, ferner durch
Ueberanstrengung oder Aufregungen oder in Folge von akuten
Infektionskrankheiten geschwächten Individuen, bei denen durch
die angegebenen Momente degenerative Prozesse des Herz¬
muskels zu befürchten sind, ferner wie bei Chlorose Herz¬
beschwerden auf mangelhafte Ausbildung des Gefässsystems,
angeborene enge und ungenügende Entwickelung der Aorta
und ihrer Aeste zurückgeführt werden, endlich bei den
funktionellen Insufficienzen der mit Kl ap p en fehlem behafteten
Herzkranken ohne wesentliche Kompensationsstörungen.
Hingegen verdienen Marienbads kohlensäurereichen
Bäder in Verbindung mit dem innerlichen Gebrauche der
Glaubersalzwässer den Vorzug bei den Herzbeschwerden
und Herzmuskelerkrankungen der fettleibigen Individuen,
welche Beschwerden auf Entwicklung des Mastfettherzens
zurückzuführen sind, ferner bei der Herzhypertrophie der
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Wohlleber und Schlemmer, dann bei den chronischen
Herzmuskelveränderungen durch Alkoholmissbrauch,
bei den Herzbeschwerden der Frauen in der Zeit des
Klimakteriums und bei den an Gicht leidenden Individuen,
endlich bei Herzneurosen in Folge von chronischer, habitueller
Obstipation.
Zum Schlüsse noch die Bemerkung, dass bei allen bal-
neotherapeutischen Eingriffen Herzkranken gegenüber be¬
sondere Vorsicht und Umsicht nothwendig ist, dass die
Schablone des Verordnens mehr Unheil anrichten, als Nutzen
stiften kann und dass nur sorgfältiges Erwägen der individuellen
Verhältnisse Erfolge erzielt. Besonders warnen möchte ich
vor der in der letzten Zeit leider allzu sehr in Schwung
gekommenen, schablonenhaft, ohne scharfe, den Einzelfall
berücksichtigende Kritik betriebene Anwendung von Massage
und Gymnastik, wovon ich recht traurige Folgen gesehen habe.
Die Concordanzen von Tilia europea.
Yon Dr. B. G-. Clark-New-York.
Bei meinen Studien über Tilia europea bin ich einer An¬
regung gefolgt von Dr. Adolf Lippe, welcher im Jahre 1854
in seinem Buche „Key to the Materia medica or Comparative
Pharmacodynamics“ Tilia mit aufführte im Vergleich mit
folgenden Mitteln: Aconit, Sulphur, Arsenik, Phosphor, Bella¬
donna, Oalcarea carb., Pulsatilla, Tilia, Sepia, Agaricus und
Rhus toxicodendron. Er muss dieses Mittel doch für ein sehr
wichtiges gehalten haben, dass er bei seiner grossen Begabung
für solche Studien es unter die Polychreste setzte zur ver¬
gleichenden Anordnung. Dennoch ist dieses Mittel später nur
sehr selten genannt worden, und nur wenige unserer Aerzte
scheinen es zu kennen.
Deswegen bringe ich die folgende Studie von Tilia zur
Kenntniss der Leser.
Ich habe die von Dr. Lippe angegebenen Mittel damit
verglichen und überdies auch die anderen Mittel, die Dr. Lippe
sonst noch verwandte, mit in die Liste hineingezogen. Ferner
habe ich einzelne Symptome, welche mir von Wichtigkeit
erschienen, der Liste neu hinzugefügt, so dass es sich im
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Ganzen um 148 Mittel handelt, welche 550 Mal unter einander
in Beziehung stehen.
Es entsprechen die Mittelwirkungen von Tilia und Pulsa-
tilla und Sulphur sich 22 Mal, mit Lachesis 16 Mal, mit Sepia
15, mit Belladonna und Phosphor je 13, mit Kali carb., Carbo
veg. und Rhus tox. je 11, mit Mercur und Thuja je 10 Mal;
die anderen treffen in ihren "Wirkungen nur 1 — 9 Mal zusammen.
Ich richte Ihre Aufmerksamkeit besonders auf die Bedeutung
dieses Mittels bei Muskelschwäche der Augen und auf die
eigenthtimlichen Blutungen aus der Nase und anderen Organen
von dünnem, hellem Blut. Ferner kommt es sehr in Betracht
bei Erkrankungen der Oberkieferhöhle, bei Typhus, Durch¬
fällen, mangelhafter Rückbildung der Gebärmutter, Perioden¬
mangel und Rheumatismus. Die Schweisse dieses Mittels sind
sehr reichlich und kommen sehr leicht.
Ich hoffe, dass diese Studie Andere dazu bringen wird,
dieses Mittel, welches mir sehr werthvoll erscheint, noch ein¬
gehender zu prüfen.
Allgemeines.
Symptome:
Besonders geeignet für Frauen.
Besonders geeignet nach der
Entbindung.
Besonders für Kinder passend.
Besonders für die Zahnzeit der
Kinder passend.
Die linke Seite des Körpers
ist zumeist betroffen.
Verschlimmerung am Nach¬
mittage.
Verschlimmerung am Abend.
Verschlimmerung im warmen
Zimmer.
Verschlimmerung durch Bett¬
wärme. (Hautsymptom.)
Korr espondir ende Mittel:
Bell., Cham., Ign., Plät., Puls.,
Sabina, Secale corn., Sepia.
Arn., Cham., Coff., Caul., Puls.,
Rhus, Carb. v. ,
Calc. carb., Cham., Silicea.
Bell., Calc. carb., Cham., Igna-
tia, Lach., Silicea, Sulphur.
Lachesis.
Alum., Bell., Calc., Phos., Kali
bichr.
Kali carb., Kali nit., Lyc., Puls.,
Rhus, Sepia, Sil., Sulpli., Sin-
nop. n., Thuja, Zinc.
Jod., Mez., Puls, Sec. c., Senega,
Thuja.
Alu., Bov., Calad., Calc. carb.,
Clem., Cocc., Cycl., Dolich.,
Kobalt., Lactic ac., Merc.,
Puls., Rhus, Sulph., Sars.
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Symptome: Korr espondir ende Mittel:
Verschlimmerung nur durch Bry., Calc., Phos., Colch.,
Bewegung. (Rheumatisches Ledum, Nux vom.
Symptom.)
Besserung im kalten Zimmer. Jod., Mez., Puls., Sec. c., Thuja.
Besserung durch Bewegung. Ars., Aur., Caps., Con., Cycl.,
Duic., Euphorh., Ferr., Lycop.,
Puls., Rhod., Rhus, Sabad.,
Samb., Sulph., Tarax., Valer.
Geist und Gemüth.
Melancholisch, zum Weinen Aur., Calc. carb., Caust.,Graph.,
geneigt. Ignatia, Lycop., Nat. mur.,
Puls., Sulph., Viol. od.
Sensorium.
Schwindligkeitsgefühl mit Kali carb., Nux vom., Petrol.,
Stolpern. Sec. c., Sars., Stram.
Schwindligkeitsgefühl mit dem Acon., Bell. Cicuta, Ferr., Nux
Eindruck, als ob Flor vor vom., Puls,
den Augen hinge.
Kopf.
Stechende Schmerzen in der Acon., Bell., Canth., Nat. carb.
Stirn.
Stechende Schmerzen mit Nat. mur., Sil., Sulph.
Hitzegefühl in Kopf und
Gesicht.
Augen.
Empfindung als ob ein Flor Calc. carb., Caust., Crocus,
vor den Augen wäre; Kreosot, Lycop., Lach., Nat.
mur., Phos., Petrol., Sepia,
Sulph., Tabac.
Binokulares Sehen uhvoll- Caust., Conium, Gels., Hydrastis,
kommen (muskuläre Astheno- Macrotiuum, Mur. ac., Nat.
Pie).
mur., Nux vom., Kalmia, Ruta,
Secala, Tabac.
(Asthenopie der Retina.)
(China, Spig.)
Ohren.
Stechen in den Ohren.
Bell., Caps., Conium, Merc.,
Nux vom., Puls., Sang., Sil.,
Spig., Sulph., Zinc.
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Nase.
Symptome: Korrespondirende Mittel:
Nasenbluten. Das Blut ist dünn. China, Kreosot.
Nasenbluten. Das Blut ist China, Dig., Dulc., Kreosot,
weiss, gerinnt aber leicht. Merc., Nit. ac.
Schnupfen mit Niesen. Arg. nit., Ars., Al. cepa, Calad.,
Calc. carb., China, Dros., Euph.,
Gels., Merc., Nat. mur., Puls.,
Staph., Tart. em., Squilla,
(Skookum chuck).
Schnupfen mit Kitzeln der Arg. n., Arg. m., Asar. caps.,
Nase. . Carbo veg., Ign., Mag. c.,
Physos., Sepia.
Schnupfen mit Rauhheitsgefühl Carbo veg., Caust., Puls,
im Halse.
Die eine Seite verlegt. Alu., Bov., Chel., Ign., Kalm.,
Nux m., Rhod., Staph., Sulph.,
Sulph. ac.
G-esicht.
Unbestimmter Schmerz, wie (Als Heilmittel für die Leiden
von einer Eiterung, die von des Antrums Maxillary, auch
einer Geschwürsbildung unter Kali jod., Chelid.)
der Haut in der rechten Ge¬
sichtshälfte über dem Backen¬
knochen ausgeht. Darauf folgt
ein ähnlicher Schmerz in der
linken Seite des Gesichtes, der
in der Schläfe beginnt, zum
Jochbein sich fortsetzt und
im Gaumen aufhört. (Hepar, Puls.)
Bläschen im rechten Mund- Bell., Hep., Merc., Sepia.
Winkel.
Zähne.
Durchfahrende Schmerzen in Mang., Puls,
allen Zähnen.
Durchfahrende Schmerzen, ver- Arg. nit., Ant. er., Bry., Calc.
schlimmert durch kaltes Was- carb., Caust., Cham., Hepar.,
ser. Lach., Mang., Merc., Nat. mur.,
Nux. v., Nux. m., Puls., Rhus,
Sil., Staph., Sulph.
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78
Symptome: Korrespondirende Mittel:
Schmerzhafte Spannung im Am. mur., Lach., Merc., Nux
linken Kiefergelenke. vom.
Schmerzhafte Bewegung des Hyos., Spig., Rhus, Sulph.,
Kiefers, hindert das Kauen. Verb.
Mund.
Beim Erwachen ist der Mund Bell., Cocc. c., Graph., Hydr.,
ganz ausgekleidet mit Schleim, Ign., Jod., Magn. c., Mur. ac.,
der selbst auf den Zähnen Nicc., Puls., Rheum., Selen,
sitzt und das Sprechen be- Sil., Spig., Staph., Stront.,
hindert. Tabac.
Appetit und Geschmack.
Abneigung gegen Alles, auch Ars., Asaf., Colch.
beim blossen Gedanken ans
Essen.
Verlangen nach erfrischenden Caust., Cocc., Phos., Phos. ac.,
Sachen. Puls., Rheum., Sang., Valer.,
Ver. alb.
Hals.
Brennen im Hals. Ars., Apis, Canth., Carbo veg.,
Croton tigl., Euphorb., Merc.,
Mez., Phos., Ran. bulb., Ran.
sei., Sabad., Sang., Sec. c.,
Verat. alb.
Gefühl von Schwellung des Alu., Bell., Carbo veg., Cocc. c.,
Zäpfchens mit Schluckbedürf- Merc., Nit. ac., Nux vom.,
niss und heiserer Stimme. Sen eg., Sabad., Sulph., Thuja.
Magen.
Faulig riechendes Aufstossen. Acetic. ac., Arn., Cocc., Hepar,
Kali b., Merc., Nux vom., Puls.,
Sepia, Sulph., Valer.
Aufstossen mit Uebelkeit. Alu., Acetic ac., Arn., Ars.,
Asar., Bell., Canth., Caust.,
Cocc., Colch., Hepar, Jod.,
Kali b., Lact, ac., Lyc., Magn.
c., Pet., Sulph. ac.
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79
Symptome: Korrespondirende Mittel:
Uebelkeit beim Gedanken ans Colch., Mosch., Sepia.
Essen und beim Geruch von
Essen.
Ein Brennen, das Dr. Lippe
anführt, tritt nur am ersten
Tage der Prüfung auf und
ist kein sicheres Symptom.
Unterleib.
Aufgetriebener Leib. Schmerz,
wie von eingeklemmten Bläh¬
ungen mit häufigem lauten
Abgang derselben, welcher
sehr erleichtert.
Lautes Rollen und Poltern
im Unterleib mit Abgang von
übelriechenden Winden, mit
denen manchmal wässerige
Stühle abgehen.
Unterleib bei der Berührung
schmerzhaft, besonders um
den Nabel herum.
Ueb erempfindlichkeit, Wun d-
sein und das Gefühl eines
Geschwüres unter der Haut
in der oberen Hälfte des
Leibes.
Plötzlich auftretende Stiche im
Leib, welche bis in das Becken
hineingehen und das Athmen
verhindern.
Brennen um den Nabel bis
nach dem Kreuz zu.
Calc. phos., Carbo veg., China,
Eluor ac., Iris v., Lach., Lyc.,
Nat. carb., Nat. mur., Nat.
sul., Nuxvom., Olean., Sulph.,
Yer. alb.
Aloe, Arn., Caust., Dulc., Hyos.,
Phos., Phos. ac., Puls., Stront.
Acon., Bell., Bry., Canth., Carbo
veg., Caust., Cham., Cup., Lach.,
Phos., Rhus, Samb., Yer. alb.
Con., Hell., Ran. sc., Sulph.
Chel., China, Kali c., Lach.,
Ran. sc., Samb.
Acon., Berb. v., Carbo v., Diosc.,
Lach., Nat. carb., Plat., Sepia.
Stuhl und After.
Häufiges Bedürfniss nach Stuhl Calad., Grat., Merc. cor., Puls,
mit häufiger Wiederholung Sulph.
weicher Stuhlgänge.
Der Stuhl beginnt hart und Oleand.
wird dann weich.
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80
Symptome: Korr espondir ende Mittel:
Abgang übelriechender Winde Carbo an., Carbo v., Nat. mur.,
mit etwas wässerigem Darm- Nit. ac., Rann. sc., Sil., Sulph.,
inhalt. — Feuchtigkeit. Thuja.
Plötzliches sehr heftiges Stuhl- Aloe, Canth., Cicu. v., Squilla.
bedürfniss während des Urin¬
lassens, ohne dass vorher ein
Drang da war.
Harnorgane.
Fortdauerndes, beinahe Canth., Cocc. c., Dig., Dulc.,
schmerzhaftes Pressen auf der Equiset., Eupat. pur., Lil. tig.,
Blase mit sehr häufigem Urin- Lyc., Phos., Ruta, Sepia,
lassen. Squilla, Stannum.
Sehr zeitiges Uriulassen am Arg. n., Arn., Can. sat., Clem.,
Morgen, wobei die Blase nicht Cocc. caet., Con., Hepar, Mur.
ganz entleert wird und die ac., Rheum., Sepia, Thuja.
Harnröhre geschwollen er¬
scheint.
Weibliche G-eschlechtstkeile.
Häufiges Pressen auf die Ge- Ant. er., Bell., Con., Graph.,
bärmutter, als ob etwas aus Lil. tig., Mag. mur., Murex,
dem Becken herausfallen Nat. c., Nux vom., Pallad.,
wollte. Plat., Puls., Sepia, Sulph.
Weissfluss, blasser Schleim, Bov., Carbo an., Carbo v.,
verschlimmert beim Gehen. Graph., Lil. tig., Mag. mur.,
Merc. v., Nat. mur., Phos.,
Sars., Stront.
Empfindlichkeit und Wundheit Arn., Bell., Bry., Lach., Lil.
der Gebärmutter wie nach tig., Plat., Puls., Uhus tox.,
der Entbindung. Thuja.
Monatsfluss acht Tage ver- Ars., Bov., Dulc., Graph., Lac.
legt; die Blutung dauert nur ac., Nat. c., Phos., Puls.,
einen Tag (weisses Blut). Sepia, Sil., Sulph.
Wundheit und Röthe der Amb., Ars., Calc. carb., Carbo
äusseren Genitalien. v., Graph., Petrol., Sepia,
Sulph., Thuja.
Kehlkopf und Luftröhre.
Stiche im Kehlkopf, durch China, Lach., Lauro., Nit. ac.,
Sprechen verschlimmert. Sil., Sulph. ac., Psor., Zinc.
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Symptome: Korrespondirende Mittel:
Heiserkeit mit Schleim in der Ang., Bar. carb., Cann. sat.,
Luftröhre. Cham., China, Jod., Lach.,
Nat. mur., Nit. ac., Stann.
Brust.
Beklemmung mit Einge- Cann. sat., Carbo an., Cham.,
schlafensein der Arme. Cocc., Crocus, Cup., Lyc., Kali
c., Nux v., Ox. ac., Rhod., Sil.
Ziehen in der linken Brust- Euonymus, Zinc.
warze.
Durchfahrender Schmerz in (Sil.)
der linken Brustwarze.
Obere Gliedmassen.
Schwäche des Armes. Agar., Am. carb., Ars., Bism.,
Calc. c., Caust., Coff., Colch.,
Gels., Kali c., Lach., Nux v.,
Pet., Plat., Phos., Ruta, Sec.,
Zinc.
Ziehen im Vorderarm vom Aethusa, Asaf., Angus.,Berb. v.,
Ellenbogen herab. Bism., Bry., Carbo v., Caust.,
Dulc., Calc. c., Kali c., Magn.
c., Mez., Nit. ac., Phos., Ran.
bulb., Rhod., Sars., Staph.
Untere Gliedmassen.
Zitternd und schwach oder Arg.n., Ars., China, Con.,Eupat.
müde. purp., Nat. s., Nux v., Physos.,
Sec. c.
Ziehende Schmerzen im Hüft- Sulph., Coloc., Lach., Nat. s.,
gelenk. Thuja, Valer.
Im Knie ziehende und reissende Alu., Caul., Caust., Bry., Con.,
Schmerzen. Ferr., Nat. mur., Phos., Psor.
An den Füssen und am Fuss- Ambr., Alu., Anac., Bry., Caul.,
gelenk ziehende und reissende Chel., Can. sat., Mag. carb.,
Schmerzen. Oleand., Rhod., Rhus tox.,
Nat. s.
An den Füssen und am Fuss- Ambr., Ferr., Ham., Plumb.
gelenk erweiterte Venen.
Archiv für HomÖopathie. HeftS. 6
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Schlaf.
Symptome: Korrespondirende Mittel:
Schlaflosigkeit mit Unruhe; Arn., Bapt., Laur.
das Bett erschien zu hart.
Unerfrischender Schlaf; am Magn. c., Sepia.
Morgen mehr müde, als wenn
er sich abends hinlegt.
Fieber.
Frost am Abend. Arn., Hepar s., Kali c., Laur.,
Lyc., Magn. m., Ox. ac., Phos.,
Puls., Plat., Bhus, Sabad.
Hitze über den ganzen Körper, Acon., Bell., Bry., Oalad., Cina,
aber zumeist in Kopf und Dros., Hepar, Hyos., Ipec., Nat.
Wangen. c., Nux v., Petrol., Plat., Sabad.,
Sepia, Stram., Sulph., Thuja.
Schweiss.
Warmer reichlicher Schweiss Con., (Selen), Nit. ac.
bald nach dem Einschlafen.
Bei rheumatischem Fieber Dieses Symptom habe ich in
nehmen die Schmerzen zu im Lilienthals „Therapeutics“ ge-
Yerhältniss zur Zunahme des fundenals einen ganz speziellen
Schweisses. Hinweis auf unser Mittel. Ich
habe es auch in einem Falle
bestätigen können, aber ich
weiss nicht, woher er dasselbe
gewonnen hat.
Die Ferrumsymptome sind auch
während des Schweisses schlim¬
mer. Mittel, welche reichlichen
Schweiss haben, der nicht er¬
leichtert, sind China, Mercur
und Sepia.
Nachtschweisse. Acet. ac., Am. m., Bar. c., Bry.,
Calc. c., Carbo an., Caust.,
China, Ferr. pic., Jabor.,
Graph., Jod., Ipec., Kalmia,
Kali c., Lach., Lyc., Nat. c.,
Nit.ac., Pet., Phos.,Puls.,Uhus
tox., Sabad., Sepia, Stann.,
Staph., Sulph., Thuja, Zinc.
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83
Haut.
Symptome: Korrespondierende Mittel:
In der Nacht tritt in der Bett- Anacard., Am. c., Ars., Caps.,
wärme ein Ausschlag von Carbol ac., Caust., Dolich.,
kleinenblassrothenBlüthchen, Lach., Led., Merc., Gambo.,
die in Haufen zusammen- Puls., Sil., Sulph.
stehen, auf, mit sehr heftigem
Jucken und Brennen nach
dem Kratzen.
Mannigfaltiges.
„Circulus therapiae“ von J. Page-Berlin. Dies ist ein
sehr interessanter Aufsatz in der „Therapie der Gegenwart“,
Februar 1899.
Der Verfasser will es den modernen Aerzten zeigen, dass
es in der Medizin gar nichts Neues giebt, denn in der Therapie
bewege sich nun einmal unsre Kunst in einem beständigen
Zirkel.
Er sagt: „Gern wollen wir der neueren Zeit und der
Gegenwart Das geben, was der Neuzeit und der Gegenwart
ist; ihr Verdienst wird für alle Zeiten sein und bleiben: die
technische Entwicklung und Vervollkommnung der Apparato-
therapie, die Popularisirung hygieinischer Prophylaxe, die ja
auch einen Theil der ärztlichen Kunst ausmacht, die Ver¬
allgemeinerung und wenn man so sagen darf, die Verbilligung
der mechanisch en Therapie, die Erschütterung des Medikamenten-
glaubens bei der grossen Masse, die diagnostische Erweiterung,
die Möglichkeit, infolge derselben rationellere, gründlichere,
eingreifendere, exaktere, von den Gesetzen der Naturwissen¬
schaft geleitete und geläuterte therapeutische Massnahmen zu
treffen. Aber — und das ist ein für alle Mal festzuhalten —
die Grundgedanken zu den verschiedenen therapeutischen
Enscheiresen gehören nach allen Richtungen, nicht bloss
im Keime oder in den Primitivanlagen, sondern methodisch voll
und ganz ausgebildet, nach dem jeweiligen Stand der patho¬
logischen Theorieen umfassend stabilirt, einer früheren Zeit
an. In dem auf uns gekommenen Material fehlt auch nicht
eine Art von allen den verschiedenen, in der Praxis gebräuch¬
lichen Prozeduren.“
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Der Circulus therapiae bestände darin, dass sowohl die
Gesichtspunkte, als wie auch die Methoden immer wieder¬
kehrten, die im Alterthume schon bekannt gewesen seien. Der
Einwurf, die Therapie unsrer Vorfahren sei eine rein empirische,
die unsrige eine rationelle, gefestigte, ist falsch, denn „niemals
haben weder bei den berühmten Vertretern unsrer Kunst noch
bei dem grossen Haufen ihrer unbedeutenderen Jünger
therapeutische Grundsätze und Methoden in der Luft geschwebet
oder sind lediglich aus einem gewissen instinktiv-künstlerischen
Empfinden heraus rein empirisch geübt worden; vielmehr hatte
die Therapie aller Zeiten eine, gewissermassen pseudowissen¬
schaftliche Basis in den jeweiligen allgemein-pathologischen
beziehungsweise physiologischen Doktrinen und Anschauungen“.
Die diätetisch-physikalische Therapie, das Paradepferd
der Gegenwart, sei bei Hippokrates, Asklepiades, Galen und
den Arabern in all’ ihren einzelnen Faktoren so gewürdigt
gewesen, dass nicht das geringste Neue hinzuzusetzen war.
Causale und symptomatische Therapie und Stoffwechsel¬
kuren, also eine Ernährungstherapie, werden schon von Galen
auf das Deutlichste betont.
Die Wasserbehandlung ist bei Hippokrates und Galen
längst entwickelt.
Die angeblich so neuen Sandbäder, Thierbäder u. s. w.
finden sich im Alterthume reichlich vertreten.
Die Buntheit der Verordnungen der damaligen Zeit ent¬
stand aus dem Gedanken, eine Art von Theriak zu verschreiben
in der Meinung, der Organismus werde schon dasjenige Mittel
herausfinden, welches auf ihn wirke.
Die Immunisirung ist, wie schon Behring selbst hervor¬
gehoben hat, früher bekannt gewesen.-
So weit hat der Verfasser ganz recht. Aber einmal in
der Geschichte der Medizin hat es etwas wirklich Neues ge¬
geben, und dass dieses Neue sehr schwer aufzunehmen ist, das
sehen wir an dem Widerstande der Schulmedizin gegen die
Homöopathie. Niemals und in keiner Form ist es vorher
dagewesen, dass man den Versuch gemacht hat, die spezifischen
Beziehungen des Mittels zur Krankheit in ihrer individuellen
Form dadurch aufzusuchen, dass man eine künstliche Prüfungs¬
krankheit erzeugt, um daraus zu ersehen, in welcher Weise
der Körper gegen diesen Arzneistoff abwehrend sich verhält.
Dieses erste Novum seit langen Jahrhunderten hat die Grund-
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läge gegeben für die Homöopathie, und darin liegt die Zuver¬
sicht von uns Homöopathen begründet, dass ein solcher wichtiger
neuer Gedanke Früchte tragen muss, und da er experimentell
bis jetzt in unsrer Thätigkeit bewiesen ist, auch theoretisch
einmal seine Erklärung finden wird. Dann ist die Medizin
der Zukunft geschaffen, welche Alles in sich aufnehmen kann,
was schon unbewusst vorher nach ihrem Prinzipe von den
bedeutenden Aerzten aller Zeiten erfunden und angewendet
worden ist.
Ueber die Behandlung der Tuberkulose macht Dr. Ge-
rard Encausse eine Mittheilung, welche nicht ohne Interesse ist.
Gemeinsam mit einem Dr. Philippe hat er eine Flüssig¬
keit hergestellt, mit welcher er die Tuberkulosen impft.
Bis jetzt veröffentlicht er nur Thierversuche und behält
sich die Veröffentlichung therapeutischer Versuche vor. Die
Thierversuche sollen beweisen, dass mit diesem Serum geimpfte
Thiere einer Impfung mit Tuberkelbazillen gegenüber sich viel
widerstandsfähiger erwiesen, als die Versuchstiere, welche
nicht geimpft waren.
Ein solcher Versuch ist immer interessant, und wir können
mit einiger Spannung die weiteren Arbeiten von Dr. Encausse
erwarten, wenn er auch meiner Meinung nach auf einem
falschen theoretischen Boden steht. Gleich seinem Lehrer
Dr. P. Jousset sieht er einen inneren Zusammenhang zwischen
Pasteurismus und Homöopathie. Das Beiden gemeinsame und
was sie auch noch mit anderen Methoden theilen, sei der
Hervorruf einer Reaktion im Körper, welche dann zur Heilung
genüge.
Wenn man so allgemeine Vergleichspunkte wählen will,
so würden sich fast alle Behandlungsmethoden, besonders die
hygieinischen, die sogenannte Naturheilmethode und dergleichen
mit der Homöopathie auf demselben Boden finden.
Ich glaube nicht an die Gleichheit der beiden Richtungen,
aber in der praktischen Thätigkeit kann es recht günstig sein,
zwei Behandlungsformen zu kombiniren.
Wir wissen es auch aus den Arbeiten von unserem Freunde
Schlegel, dass die Heilung der Tuberkulose im wesentlichen
davon abhängig ist, ob die Reaktionskraft und die Wider¬
standsfähigkeit des Körpers so weit gehoben werden kann,
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dass die eingedrungenen Krankheitsträger an den natürlichen
Schutzmassregeln des Körpers genügenden Widerstand finden.
Dies konnten wir bis jetzt im wesentlichen nur erreichen durch
diätetische und hygieinische Massnahmen, und es giebt dabei
immer noch in der homöopathisch-symptomatischen Behandlung
das weite Feld der Veränderungen der Form, welche die
Krankheit angenommen hat.
Wenn es nun dem Kollegen Encausse gelungen ist, etwas
zu finden, was diese Reaktion des Körpers im allgemeinen
oder wenigstens für den speziellen Fall des Kampfes gegen
die Tuberkulose steigert, so können wir über ein solches Hilfs¬
mittel bei der Behandlung der Tuberkulose uns nur freuen.
Wir sind dazu berechtigt, sobald es sich beweist, dass die
Einführung des Encausse’schen Serums keine selbständigen
Symptome hervorruft oder wenigstens keine Symptome, welche
dieses Serum als antagonistisch zu den bei der Behandlung
der Phthise nothwendigen Mitteln darstellen.
lieber den Werth der Albmnosen und Peptone für die
Ernährung schreibt Prof. Voit in München in der „Münchner
Medizinischen Wochenschrift“ 1899, Nr. 6.
Er weist nach, dass die Alhumosen und Peptone das
Eiweiss in der Nahrung nicht ersetzen können, wenn das
Eiweiss nicht in der Lage ist, auch einmal Eiweiss wieder
zu rekonstruiren. Das vermöge der Körper nur hei den
Albumosen, nicht bei den Peptonen. Dagegen würde auch bei
diesen die Ausnutzung im Darme eine sehr geringe sein. Man
müsse daher von diesen Präparaten mehr geben als von Eiweiss,
und diese Mehrzuführung des Präparates führe Durchfälle
herbei und mache damit die Steigerung der Stickstoffaufnahme
illusorisch.
Bei einem Hundeversuche, wo Fleischpulver und Somatose
gegeben wurden mit gleichem N-Werthe wurden verloren in
Prozenten der Einnahme bei Fleischpulver 5,6 °/ 0 und bei
Somatose 59,4 °/o-
Da man nicht gut mehr wie 20 Gramm Somatose, auf
drei Portionen vertheilt, über Tag - zuführen kann, also für
Mark 1,25 Geldwerth, dieselbe Menge Eiweiss aber in leichter
verdaulicher Form für 8 Pfennige haben kann, so sind diese
Präparate auch volkswirtschaftlich zu verwerfen.
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Der Gedanke, dass man durch Einführung verdauten
Eiweisses den Magen und den Darm schone, ist irrig. Noth-
wendig wäre dies nur bei mangelnder Pankreasverdauung, und
die kommt sehr selten vor.
Die Verdauungsarbeit besteht in der Bereitung und der
Sekretion der Verdauungssäfte. Die Wirkung der Verdauungs¬
säfte auf die zugeführte Nahrung ist keine Arbeit des Darmes
mehr. Wer also Magen und Darm schonen will, der muss
dafür sorgen, dass weniger Verdauungssäfte bereitet werden.
Die Albumosen und Peptone aber reizen den Darm, machen
also grade das Gegentheil von Dem, was nach der allgemeinen
Auffassung erwartet wird. Prof. Voit empfiehlt daher diese
Präparate nur dann, wenn man den Darm anregen will, nicht
wenn man ihn schonen will.
Das Massachusetts Homoeopathic Hospital in Boston
hat in einem Jahre 1792 Kranke behandelt mit einer Einnahme
von 39000 Dollars. Andere Einnahmen aus dem vorhandenen
Vermögen betrugen 31000 Dollars, die Ausgaben 93000 Dollars.
In demselben Jahre hat das Hospital aber auch für seine
Pflegerinnen ein eigenes Heim errichtet, ausserdem ein Schlaf¬
haus für die Dienstboten. In jenem Pflegerinnenhause können
80 Pflegerinnen untergebracht werden. Zu diesen Neubauten
stand dem Hospitale ein Legat von 80000 Dollars zur Ver¬
fügung. Ueberdies hat dasselbe aber in dem einen Jahre an
Legaten 85000 Dollars erhalten und 45000 Dollars sind ihm
schon wieder in Aussicht gestellt worden!!
Im „Frauenarzt“ 1898 Nr. 12 schreibt ein Referent,
Dr. Wollenmann, mehrere kurze Notizen, in denen u. a. Folgen¬
des steht:
„Asa foetida ist sehr wirksam bei Uterusirritibilität und
von grossem Werthe bei todten Aborten. — Der Schweiss
Rheumatischer kann sehr oft durch kleine Dosen von Cimicifuga
zum Verschwinden gebracht werden. — Belladonna in kleinen
Dosen verhindert oft die weitere Entwicklung von Scharlach.“
Wenn der Herr Kollege weiss, dass alle diese Wirkungen
der genannten Mittel möglich sind, so sollte ihm doch auch
einmal die Frage auftauchen, warum denn diese Mittel so
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spezifisch auf die einzelnen Erscheinungen wirken, und dann
würde er trotz alles Widerstrebens doch zu der Erkenntniss
gebracht werden, dass im homöopathischen Sinne bestehende
spezifische Beziehungen zu diesen Erscheinungen die Grundlage
der Wirkungen sind. Diese spezifischen Beziehungen lassen
sich aber aus den Prüfungsprotokollen leicht nachweisen.
Was nun gar die Belladonna anbetrifft, so könnten wir
Homöopathen ihm sagen, dass nicht so im allgemeinen kleine
Gaben von Belladonna aufhalten, sondern dass es eine bestimmte
Form von Scharlach giebt, welche durch Belladonna geheilt
wird. Dass aber Belladonna durch die Arbeit der Homöopathen
beinahe Hausmittel geworden ist, dass Cimicifuga andererseits
dem homöopathischen Arzneischatze entstammt und dass die
längst vergessene Asa foetida erst durch uns wieder dem
Arzneischatze zugeführt worden ist, das hat der verehrte Herr
Kollege nicht gesagt!
Ein Lupus erythematodes, der seit Jahren jeder Behand¬
lung widerstanden hatte, heilte spontan, nachdem bei der
betreffenden Kranken ein periproctitischer Abszess und ein
intraligamentärer Tumor gespalten worden war.
(Dr. Seeligmann, Aerztlicher Verein in Hamburg,
18. November 1898.)
Was sagen die Herren Hautspezialisten zu dieser Beob¬
achtung? Haben wir Homöopathen nicht recht mit unserer
Betonung der Einheit des Organismus und der Möglichkeit
der Behandlung der krankhaften Erscheinungen von einem
Punkte aus?
Staatsraih Dr. Walz f.
Am 4. Februar starb in Frankfurt a. 0. in seinem 79. Jahre
unser Kollege Staatsrath Dr. Walz, von einer grossen Klientel
und einem zahlreichen Freundeskreise betrauert. Bis in die
letzten Jahre hinein hat er durch regelmässige Theilnahme an
den Versammlungen unserer Vereine sein Interesse an der
Sache bewiesen.
Der kaiserlich russische Staatsrath Dr. med. Karl Friedrich
Walz in Frankfurt a. 0. promovierte als Doktor der Medizin am
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89
31. Oktober 1843 an der Universität Berlin und wurde dem¬
selben als Jubilar von der medizinichen Fakultät in Berlin 1893
das Diplom unter ehrenvollen Glückwünschen erneuert und
derselbe von vielen gelehrten Gesellschaften zum Ehrenmitgliede
ernannt. Staatsrath Dr. Walz wurde am 12. Oktober 1820 in
Karlsruhe in Baden geboren als Sohn eines Grossherzoglich
Badischen Ministerialraths, besuchte das Lyceum in Karlsruhe
und ging Oktober 1839, mit dem Maturitätszeugniss entlassen,
nach der Universität Bonn, studirte sodann in Würzburg, wo
er aus besonderer Vorliebe für das gynäkologische Fach einen
Kursus unter dem berühmten Doutrepont durchmachte, war
dann wieder in Bonn Assistent an der inneren Klinik und
absolvirte sein Staatsexamen in Berlin, wo er sodann als
zweiter Assistenzarzt an der geburtshilflichen Klinik des
berühmten Frauenarztes Geheimrath Professor Dr. Busch
fungirte; der erste Assistenzarzt bei Busch war Dr. Credö,
späterer Geheimrath und Professor der Geburtshilfe in Leipzig.
Diese beiden Assistenzärzte waren in Berlin approbirte praktische
Aerzte. Von Prof. Busch wurde Walz auf Veranlassung des
russischen Reichskanzlers Fürst Bariatinsky, welcher sich
wegen eines gynäkologisch tüchtigen deutschen Arztes für ein
in St. Petersburg zu eröffnendes Spital an Obigen wandte*
als dirigirender Arzt vorgeschlagen und angenommen, nachdem
Dr. Crede abgelehnt hatte. Der verewigte Walz hat als
Oberarzt an dem unter der Protektion der Kaiserin Alexandra
gegründeten Spital für Frauenkrankheiten in St. Petersburg
diese ehrenvolle Stellung 22 Jahre lang bekleidet und ist mit
dem damaligen Leibarzt des Kaisers Nikolaus, Professor
Dr. Mandt, sowie mit Dr. v. Villers (vor einigen Jahren in
Dresden gestorben) in längere, fortdauernde Beziehung ge¬
treten.
Durch des Letzteren Einfluss wandte er sich der
Homöopathie zu, zu welcher er sich auch äusserlich mit
Energie bekannte.
Er hat sich einer glänzenden Praxis in den hohen und
höchsten Kreisen der russischen Hauptstadt erfreut, auch
verschiedene Mitglieder des russischen Kaiserhauses gehörten
zu seiner Klientel. Seine Erfolge wurden auch höchsten Orts
durch verschiedene dekorative Auszeichnungen seitens Russ¬
lands und Preussens (durch rothen Adlerorden und Kronen¬
orden) geehrt. Wegen Kränklichkeit seiner Gemahlin, einer
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geborenen Baronin von Mallzahn, welche das nordische Klima
nicht vertragen konnte, wurde er im Jahre 1867 zur Aufgabe
seiner Stellung und Praxis und zur Rückkehr nach Deutschland
genöthigt. Im Kriegsjahr 70/71 wirkte er als dirigirender
Oberarzt des Reservelazareths in Wetzlar und liess sich
schliesslich, nach Dr. Sommers Tode (1874) in Frankfurt a. 0.,
bleibend in letzterer Stadt nieder.
Die akademische Doktorwürde von der Universität Berlin
erlangte Dr. Walz, nachdem seine Dissertation de placentae
retardatione et metrorrhagia von der medizinischen Fakultät
acceptirt worden war. Aus Anlass des 50jährigen Doktor¬
jubiläums am 31. Oktober 1893 erhielt der Jubilar damals von
verschiedenen homöopathischen Vereinen Ehrendiplome über¬
sandt. Im Namen der medizinischen Fakultät der Universität
Berlin sprach Prof. v. Bergmann als damaliger Dekan die
herzlichsten Glückwünsche aus, unter gleichzeitiger Ueber-
sendung des honoris causa erneuerten Doktordiploms.
Internationaler Homöopathischer Kongress 1900.
Gemäss des Beschlusses des Londoner Kongresses 1896
ist die normale Reihenfolge der je fünfjährig stattfindenden
Kongresse unterbrochen worden zu Gunsten der Pariser Aus¬
stellung. Nachdem die Ausstellungskommission die Versamm¬
lung der homöopathischen Aerzte als einen offiziellen Kongress
der Ausstellung anerkannt hat, hat die „Societe fran^aise
d’Homoeopathie“ einen Ausschuss zu den vorbereitenden Arbeiten
bestellt.
Präsident der Versammlung wird Dr. P. Jousset sein,
ständiger Sekretär ist seit Gründung derselben Dr. Hughes in
Brighton, Sekretär für diese Versammlung ist Dr. Leon Simon.
Die anderen Mitglieder des Oomites sind Victor Chancerel,
Gonnard, Marc Jousset, Love und Tessier.
Die Versammlung findet zwischen dem 20. Juli und 15. August
statt, und Arbeiten, welche auf derselben zur Berichterstattung
kommen sollen, müssen vor dem 1. Januar 1900 an den Sekre¬
tär Dr. Leon Simon, 24 Place Vendöme, Paris, gelangen.
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Aus der Zeitungsmappe.
Medical Century, Juli 1898.
Dr. Dewey: Praktische Winke für die Leberbehandlung.
Bryonia passt besonders für Gelbsuchtsanfälle, die durch einen
Aerger verursacht sind, wenn der Kranke dabei mehr frostig ist;
wechseln Hitze und Schweiss, so kommt Chamomilla in Betracht.
Berberis hat stechende Schmerzen nach dem Nabel zu.
Chelidonium, was allen diesen ähnelt, hat eine andere Stuhlfarbe.
Mercur passt besonders nach Chininmissbrauch. Sein
Durchfall ist wieder vom Magnesia mur.-Durchfall verschieden.
Letzteres passt besonders bei rhachitischen Kindern.
Leptandra passt sehr häufig bei den geschwollenen Lebern
der bequem lebenden Städter. Der Leptandraschmerz ist dumpf
und brennend im hinteren Theile der Leber.
Bei Podophyllum ist auffällig das fortwährende Reiben der
Lebergegend mit der Hand, welches der Kranke vornimmt.
Chelidonium wirkt auf die Gallensekretion und dadurch
vermindert es manche Leberbeschwerden.
Die Gelbsucht, für welche Digitalis passt, erfordert das
gleichzeitige Vorhandensein einer Zirkulationsstörung.
Myrica cerifera mit bezeichnenden Kopfschmerzen und
allgemeinen Muskelschmerzen, langsamem Puls und dunklem
Urin. In Mund und Nase übelriechender zäher Schleim.
Mit Nux vomica muss verglichen werden bei Säufern
Sulphur, Lachesis, Acidum fluoricum, Arsenicum, Ammonium
muriaticum —, bei Solchen, welche zuviel gegessen haben,China,
Iris und Pulsatilla. Ihr Symptomenbild ist sehr ähnlich der
Juglans cinerea mit Scheitelkopfschmerz, stechenden Schmerzen
in der Leber und unter dem rechten Schulterblatt.
Bei den Lycopodiumfällen ist die Gelbsucht nicht aus¬
gesprochen, sondern mehr ein gedunsenes Gesicht.
Bei Natrium sulph. ist die Lage auf der linken Seite
unmöglich.
Carduus marianus soll nach Burnett durchaus angezeigt
sein, wenn über dem unteren Theile des Brustbeines ein dunkel¬
brauner Pieck auftritt, was nebenbei auf eine gleichzeitige
Erkrankung von Herz und Leber hinwiese. Haie sagt, Carduus
stehe zwischen Aloe und Hamamelis.
Sulphur, Phosphor und Lachesis sind in ihrer Wirkung
bekannt.
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Yucca filamentosa hat einen Schmerz von der oberen
Hälfte der Leber aus nach dem Rücken zu und schlechten
Mundgeschmack.
Euonymus hat sehr heftige, drückende Scheitelkopf¬
schmerzen und gallenleere Stühle. Burnett behauptet, dass
Hydrastis das beste Mittel bei Gallensteinkoliken sei.
North American Journal of Homceopathy, August 1898.
Dr. Shelton: Totalität der Symptome oder charak¬
teristisches Symptom? Selbst Hahnemann hat nicht be¬
stimmte Stellung dazu genommen, ob die zahlenmässige Totalität
der Symptome oder unter Umständen auch ein sehr markantes
Symptom für die Mittelwahl ausschlaggebend sein soll. Wir
kommen nun zu der Anschauung, dass die Totalität womöglich
das leitende Motiv sein soll. Es giebt so charakteristische
Symptome, dass wir uns bei deren Auftreten nicht der Ver¬
pflichtung entziehen können, das dazugehörige Mittel zu geben.
Die auffällige Besserung nach Getragenwerden bei Chamomilla,
die Angst nach einer Bewegung nach unten bei Borax, das
Eieberdelirium nach Baptisia mit dem Gefühl, als ob der
Körper zerschnitten wäre und in einzelnen Stücken auf dem
Bett herumläge, dies alles sind so charakteristische Symptome,
dass wir bei deren Auftreten an diese Mittel sofort denken
müssen.
Demjenigen, welcher noch nicht tief in die Homöopathie
eingeführt ist, erscheint es ja zunächst, als ob solche Symptome
im praktischen Leben nicht Vorkommen könnten, aber bei
praktischem Studium wird er sehr bald das eine oder andere,
wie das Prüfungsprotokoll es ergiebt, vom Kranken beschrieben
hören.
Der Verfasser stellt sich im Zweifelsfalle unbedingt auf
die Seite der Totalität. Wenn eine überwiegende Zahl von
Symptomen auf ein Mittel hin weist, so wird er um eines ein¬
zelnen, wenn auch auffälligen Symptomes willen nicht nach
einem anderen Mittel suchen. Er behauptet übrigens, dass
dieses isolirte Auftreten einzelner Symptome fast nur bei akuten
Krankheiten vorkäme, bei denen die Bedingungen für die
Symptomenbildung überhaupt komplizirter sind.
Auch anatomische Ursachen bestimmten den Werth einzelner
Symptome. Der Rhuskranke sei gewisslich immerfort geneigt,
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sich hin und her zu bewegen, aber wenn seine Gelenke durch
den Rheumatismus so schmerzhaft geworden sind, dass jede
Bewegung ihm weh tliut, so wird eben diese Erscheinung
zurücktreten.
„Nur durch richtige Schätzung des relativen Werthes der
Symptome können wir uns verständigen, und ich bin überzeugt,
dass ein wirklich charakteristisches Symptom, d. h. dasjenige
Symptom, welches nur zu einem Mittel gehört, welches sich
bei allen Prüfungen wieder gefunden hat, doch nicht isolirt ist,
sondern zu einer Gruppe von Symptomen gehört, welche wir
bei sorgfältiger Nachforschung bei dem Kranken auch immer
finden können. Steht aber ein solches Symptom ganz isolirt
und können wir es nicht mit einer Gruppe in Beziehung bringen,
so ist unsere Kenntniss von dem Mittel noch nicht tief genug.“
Dr. Peters: Malaria in homöopathischer Behandlung.
Der Verfasser lebt in einer Malariagegend und hat viel Ge¬
legenheit, solche Fälle zu sehen. Er wendet sich entschieden
gegen Chinin, welches die Regelmässigkeit der Anfälle zerstöre,
ohne an deren Stelle Heilung zu setzen.
1. Fall. Dünne, lange, junge, knochige Person, seit sechs
Monaten krank. Die Anfälle kamen zu allen Zeiten, wahr¬
scheinlich, weil die Kranke schon viel Chinin genommen hatte.
Nach dem ganzen Bilde erschien Sepia passend, aber nach
genauerem Studium zeigten sich andere Symptome: Scharfes
Kitzeln tief unten im Hals mit dauerndem Husten, welches
seit Beginn der Erkrankung eine halbe Stunde vor dem Anfall
kam. Dann Frost ein bis zwei Stunden lang, sehr unregel¬
mässig, dann Fieber, fast gar kein Durst. Im zweiten Stadium
Schweiss, nur wenn sie wach war. Sobald wie sie eingeschlafen
war, wurde die Haut heiss und trocken, der Schweiss färbte
gelb. Ordination: 3 Pulver Sambucus 500, jeden Morgen ein
Pulver. Ein heftiger Anfall nach dem ersten Pulver, dann
sechs Monate kein Anfall, wahrscheinlich auch weiterhin ohne
Anfall geblieben.
2. Fall. Achtjähriger Knabe, als Typhusfall behandelt.
Frost nachmittags um 5 Uhr, vorher Husten, nachher Fieber,
kein Durst. Zwei Stunden lang Fieber, dann Schweiss, aber
nur, wenn er wach war, sobald er einschlief, wurde die Haut
trocken und heiss. Linke Lunge ganz verdichtet, bei jedem
Athemzuge schmerzhafte Schwellung der Beine, anhaltender,
kurzer, hackender Husten, schlimmer beim Frost; verstopft;
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sehr kalt, so dass er sich immer fest an den Ofen klammerte.
Aus diesem Mischmasch von Symptomen konnte kein Mittel
gefunden werden. Er wurde daher noch zwei Tage bei all¬
gemeiner Verschlimmerung beobachtet. Schliesslich wurde
Arsenik 30 gewählt, brachte aber keinen Vortheil. Eine Gabe
Natrium mur. 1000 rief eine wahre Revolution hervor. Ausser¬
ordentlich heftiger Anfall, der Schweiss färbte die Wäsche
ganz gelb. Der Knabe bekam kein weiteres Medikament,
sondern wurde zunächst weiter beobachtet. Am zehnten Tage
ergab sich folgendes Bild: Der Erost kommt um 3, 4 oder
6 Uhr nachmittags. Hände und Füsse sind sehr kalt. Er
dauert von % bis 1 Stunde. Kitzelnder trockener Husten vor
jedem Anfalle. Während des Frostes etwas Durst, im Fieber
kein Durst; grosses Bedürfniss, zugedeckt zu sein. Der
Schweiss trat zuerst im Gesicht auf und brach schliesslich
auch auf dem ganzen Körper aus, wenn er wach blieb. Im
Fiebern schwitzte der Knabe sehr stark, ohne dass es ihn
schwächte. Sobald wie er einschlief, wurde er trocken.
Schliesslich bekam er noch einmal Sambucus drei Tage hinter¬
einander, morgens eine Gabe, und innerhalb einer Woche war
kein Frost mehr da und das Kind erholte sich. Die Gabe
Sambucus 500 wirkte lange nach. Eine Woche später fand
sich, dass die verdichtete Lungenhälfte einen Abscess gebildet
hatte, der sehr grosse Mühe machte. Zwei Gaben Pyrogen 1000
mit acht Tagen Abstand heilten auch diesen Uebelstand. Einen
Monat später spielte der Kleine auf der schneebedeckten
Strasse.
3. Fall. Eine Dame ist seit neun Wochen krank mit viel
Kopfschmerzen und grosser Nervosität. Der Arzt hatte es
einen Gallenanfall genannt. Zum Beginne desselben hatte sie
viel Frost, nachher viel Fieber mit Erbrechen, Schweiss er¬
leichterte sehr. Später war Frost nicht wieder vorgekommen,
nur war sie manchmal etwas kühl, die Zunge auffällig trocken
und wie ein verwachsenes altes Brett. Sie konnte die Zunge
nur schwer zwischen den Zähnen hervorbringen und um so
langsamer wieder hereinziehen. Schmerzhaftigkeit im Unter¬
leibe und einige Kreuzschmerzen. Viel Urin und grosser Durst
auf Eiswasser nachts. Keine Esslust, kein Geschmack, ver¬
stopft, hatte immerfort Abführungsmittel genommen.
Natrium mur. 30 machte erst die Zunge etwas feucht und
brachte dann am zweiten Tage 10 Uhr vormittags einen starken
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Prostanfall mit heftigem Kopfschmerz und Erbrechen, welches
durch Frost und Fieberhitze durchdauerte. Zweistündiges Fieber,
grosser Durst, enormer Kopfschmerz. Der reichliche Schweiss
erleichterte alle Symptome. Das Mittel wurde ausgesetzt.
Tags darauf freiwilliger Stuhlgang, beginnender Geschmack
für Speisen. Innerhalb der nächsten vier Wochen ist kein
Anfall wieder gekommen.
Verfasser spricht eifrig dafür, dass man in nicht sehr
dringlichen Fällen den Kranken nichts geben soll, bevor man
nicht zu einem absoluten Entschluss gekommen ist. Ein falsch
gegebenes Mittel verdirbt den ganzen Fall, und man muss von
vorn anfangen und weiss nicht, ob man denselben Erfolg haben
wird, wie wenn man gewartet hätte bis zu dem Momente, wo
man das richtige Mittel geben konnte. Dann aber tritt die
Wirkung erstaunlich stark ein. Er sah ein Kind mit Scharlach
in der typischen Form für Belladonna passend, gab dieses Mittel
in der lOOOsten und das Kind genas so schnell, dass der Vater
seine weiteren Besuche ablehnte und sagte: „Sie können ja nicht
einmal Scharlachfieber unterscheiden!“
Minneapolis Homoeopathic Magazine, August 1898.
Dr. Perkins: Staarbehandlung. Er spricht von einer
60jährigen Frau, durch senilen Katarakt der harten lentikulären
Form vollständig erblindet, Operation am rechten Auge ohne
Erfolg gewesen. Deswegen wollte sie auch am linken Auge
operirt werden. Der Verfasser träufelte ihr Cineraria maritima
ein. (Der Saft dieser Pflanze wird kurz vor der Blüthezeit
gewonnen. Soweit bekannt ist, war Dr. Mercer in Port of
Spain der Erste, der 1888 darüber schrieb. Es ist ein bei
den Eingeborenen schon lange bekanntes Mittel.) Nachdem
acht Tage lang bei der Kranken dreimal täglich zwei Tropfen
eingeträufelt worden waren, zeigte sich eine auffällige Besserung.
Nach drei Monaten war Folgendes erreicht: Die Kranke, welche
vorher kaum Licht und Schatten unterscheiden konnte, sah
Farben und den Umriss von Gegenständen, so dass sie den
Kinderwagen auf der Strasse fahren konnte. Es hat sich gar
kein Uebelstand gezeigt, ausser etwas Brennen und ziemlich
leichtem Thränen ein Paar Sekunden nach dem Einträufeln.
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Medical Advance, August 1898.
Yingling: Klinische Symptome, bringt einzelne Be¬
merkungen, aus denen ich Folgendes heraushebe:
Medorrhinum. Medorrhinum in billionster Potenz heilte
eine Leukorrhoe bei einem 13jährigen Mädchen. Der Weiss¬
fluss war so reichlich gewesen, dass er bis zu den Füssen herab
Beine und Wäsche beschmutzte, hell und dick.
Rhüs tox. kam zur Anwendung bei einem 14jährigen
Mädchen mit Wundsein des Nabels, der immer etwas gelben
Eiter absonderte.
Lachesis: Ausserordentlich empfindlicher Schmerz zwischen
Nabel und Brustbein, verschlimmert beim Heben der Arme.
Medorrhinum bei ausserordentlich empfindlichen Frost¬
ballen, sehr roth, die Füsse heiss, in der Mitte die Druckstelle
wie eine kleine Blutansammlung. Leichtes Reiben verminderte
das heftige Jucken. Verschlimmerung des Zustandes durch die
Bewegung des Fusses und durch warme Tage.
Eine Hochpotenz von Milch heilte fettige Schuppen¬
bildung auf dem Gesicht, besonders an Mund und Kinn. Eine
von den damit behafteten Kranken hatte ein ungeheures Ver¬
langen nach Milch, welches nach einer Gabe in der Hoch¬
potenz verschwand.
China: Empfindung eines Loches in der Milzgegend,
ebenso auch Empfindung eines Loches in den Kleidern am
Rücken, als ob dort Luft durchzöge.
Bei einem 22jährigen Mädchen bestand eine Schwierigkeit,
Urin zu lassen, verbunden mit Empfindlichkeit der Geschlechts-
theile. Erleichterung gab nur das Auflegen eines nassen Lappens.
Die Gegenwart fremder Personen verhinderte jedes Urinlassen.
Grosse Empfindlichkeit im Halse und im Hypogastrium. Eine
Gabe Lachesis in der Hochpotenz hob alle Erscheinungen bis
auf die Schwierigkeit des Wasserlassens, eine Gabe Argentum
nitricum heilte auch diese.
Druck von Wilhelm Baensch in Dresden.
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Finke. Commentarien zum Organon.106
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von
Dr. Alexander Villers.
Jahrgang VIII. Nr. 4. April 1899.
Ledum palustre.
Von Prof. J. T. K ent-Philadelphia.
Es ist sehr passend, dieses Mittel nach Lachesis zu
studiren, weil es in manchen Beziehungen derselben ähnlich
ist. Auch bei ihm ist das Gesicht so eigenthtimlich aufgedunsen
und wie blutunterlaufen und der ganze Kranke so fleckig.
Uebrigens ist es eines der besten Gegengifte gegen Lachesis,
gegen Insektenstiche, gegen Bienenstiche und gegen Thier¬
gifte.
Ledum ist ein grosses Mittel für den Chirurgen, und in
allen Schädigungen durch Trauma steht es der Arnica und
dem Hypericum nahe. Die Symptome entsprechen sehr den
Folgeerscheinungen von einer ganz bestimmten Art von
Schädigungen, z. B. von einem Tritt auf einen spitzen Stein,
von einem Nadelstich, von kleinen, kaum blutenden Wunden,
welche aber schmerzen, Auftreibungen in der Umgebung
schaffen und die Glieder kalt erscheinen lassen. Ein Barfüssiger
z. B. stösst sich einen Nagel in die Fusssohle oder ein Splitter
wird unter den Nagel in die Hand gerissen. Wenn solche
stichförmige Wunden die Folge haben, dass das verletzte Glied
kalt ist, bleich aussieht, etwas wie gelähmt ist und leicht
gefleckte Haut zeigt, so müssen Sie immer an Ledum denken
Wenn Sie ein Pferd haben, das sich einen Nagel eingetreten
hat, der bis zum weichen Huf durchgedrungen ist, so tritt
meistens Tetanus ein und damit unweigerlich der Tod. Wenn
Sie aber demselben Pferde etwas Ledum auf die Zunge legen,
so werden Sie sehen, dass gar kein Tetanus eintritt. Wenn
Tetanus nach stichförmigen Wunden im Handteller oder auf
dem Fuss oder irgendwo anders auftritt, so denken Sie an
Ledum, und deshalb geben Sie Ledum auch, wenn es sich nur
um eine punktförmige Wunde handelt und noch kein Tetanus
eingetreten ist.
Archiv für Homöopathie. Heft 4. 7
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Original fro-m
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Wenn die Fingernägel eingerissen sind oder die Nerven
an empfindlichen Theilen wie an den Fingerspitzen so
schwer verletzt sind, so ist Hypericum das richtige Mittel.
Für heftige Stösse oder Schläge an verschiedenen Stellen und
wenn der Kranke sich wie zerschlagen fühlt, auch wenn
das ursprüngliche Trauma gar nicht so gross war, ist Arnica
das richtige Mittel. So können Sie im allgemeinen im G-edächt-
niss behalten: stichartige Wunden — Ledum, zerfetzte Wunden
empfindlicher Nervenstellen — Hypericum, Quetschungen und
Schläge — Arnica, weite Zerreissungen und Schnitte —
Calendula. Krankhafte Erscheinungen, welche von aussen
herein verursacht werden, sollten auch durch äusserliche Mittel
beseitigt werden. Darum ist eine Oalendulalösung ein vor¬
zügliches Mittel für äusserliche Verletzungen und sollte auch
äusserlich angewendet werden. Bei jedem Schnitte, bei jeder
grösseren Wunde ist eben die Schädigung von aussen gekommen,
und es bedarf keines neuen Mittels. Wenn aber innere Ver¬
letzungssymptome auftreten, so können dieselben nur durch
innere Mittel beseitigt werden. Symptome endlich, welche
aus einer inneren Ursache auftreten, die sich an die äussere
Schädigung anschliesst, verlangen innere Mittel, und Symptome,
welche die einfache Folge von äusseren Verletzungen sind,
bedürfen nur der äusserlichen Behandlung. Also: lokale
Behandlung für lokale Schädigung, innere Behandlung für
innere oder dynamische Erkrankung.
In jedem Falle, wo eine Wunde offen steht oder blutet,
muss etwas darüber gedeckt werden, jede Wunde muss ver¬
bunden werden und so einfach wie möglich verbunden werden,
und der einfachste Wundverband, den wir haben, ist der mit
Calendula 1: 4 oder 6 Theilen Wasser. Unter diesem Ver¬
bände werden offene Wunden ausgezeichnet granuliren, und
es wird sich gar keine Wirkung auf den Körper zeigen.
Wenn die Konstitution des Kranken gesund ist, und es ist
eine solche offne Schädigung da, so mag die Konstitution
selber damit fertig werden, und alleSj was Sie zu thun haben,
ist, einen erleichternden und beruhigenden Verband auzulegen.
Die Luft reizt eine wunde Stelle immer und erregt dadurch
immer eine Eiterabsonderung, selbst wenn die Wunde ursprüng¬
lich ganz gesund war. Calendula schützt dagegen, nur dürfen
Sie nicht die Tinktur nehmen, denn diese treibt zu sehr. Bei
einer Schnittwunde muss die Wunde genäht werden, und ist
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die Naht richtig angelegt, so wird auch die Heilung ohne
weiteres sich vollziehen. Heilt aber eine gut genähte Naht
nicht, so ist etwas nicht in Ordnung in der Konstitution des
Kranken, und das müssen Sie herausfinden und heben. Während
dieser Zeit muss man dann äusserlich so wenig wie möglich
thun. Mit den Mitteln, welche ich Ihnen genannt habe, können
Sie so ziemlich alle Wunden behandeln, und es ist das einfach
genug. Es gehört nur etwas . gesunder Menschenverstand
dazu, um mit diesen Mitteln eine Wunde richtig verbinden zu
können. Wo durch Muskelzug irgendwelche Schwierigkeiten
verbunden sind, hat eben der Chirurg einzugreifen.
Der Ledumkranke ist sehr oft sozusagen konstitutionell
kalt. Er fasst sich kalt an, sein Körper ist kalt, die Glieder
sind kalt und der Körper dabei heiss oder wir sehen auch
manchmal den anderen Gegensatz, dass der ganze Körper und
der Kopf wie überhitzt sind. Dann geht ein Pulsiren und
Pochen durch den ganzen Körper, die Haut ist purpurroth
oder wenigstens zu stark geröthet, und der K ranke leidet gar
keine Bedeckung in der Nacht. Sie werden sehr häufig von
einem Ledumkranken hören, dass er den Kopf zum Fenster
herausstecken will, dass er nichts auf dem Kopfe vertragen
kann, dass er sich furchtbar gern den Kopf in sehr kaltem
Wasser abbadet oder dass er sogar Eiswasser dazu nimmt.
Bei Ledum sind Hände, Gesicht und Füsse wie blutüber¬
füllt, besonders bei manchen wassersüchtigen Anschwellungen
sind die Unterschenkel roth und blutfleckig. Dabei sind die
Gewebe so stark angespannt, als die Haut es nur irgendwie
hergeben will und der Kranke leidet sehr heftige Schmerzen.
Er hat nur eine Art, sich dieselben zu erleichtern, indem er¬
sieh hinsetzt, die Füsse in kaltes Wasser stemmt und so
stundenlang sitzen bleibt.
Ich entsinne mich noch sehr gut, wie ich diesen Zustand
zum ersten Male gesehen habe. Es handelte sich um einen
alten Syphilitiker, dessen Nasenknochen zerfressen waren und
dessen Nase nur noch ein Knochenstumpf war. Er war ein
alter Säufer und furchtbar roh mit seiner Familie, wenn er
getrunken hatte. Schon seit Jahren arbeitete er gar nichts
mehr, hatte kein Ehrgefühl, er sass im Hause herum und sein
Weib, musste alles für ihn arbeiten. Er konnte sich nicht von
der Stelle wagen, weil seine Füsse so stark geschwollen und
so schmerzhaft waren, dass er sich nicht zu rühren wagte.
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Als ich ihn zum ersten Male sah, sass er mit den Füssen in
einer altmodischen Fussbadewanne, er hatte bis beinahe zum
Knie herauf Eisstücke und that immer noch frische Eisstücke
hinein, ja, er hatte es besonders gern, wenn sich das Eis an
die Haut anlegte. Sein Weib sagte, er litte manchmal
fürchterlich, und das dauere schon recht lange. Ich gab ihm
eine Grabe Ledum 2 m (2000.) und bald darauf that er seine
Füsse aus dem Eiswasser heraus, und er hat es niemals wieder
gebraucht. Die Schwellung nahm ab, die Purpurverfärbung
verschwand, der Schmerz ging aus den Füssen weg, und merk¬
würdig genug! er gab auch das Trinken auf. Viele von den
syphilitischen Erscheinungen blieben durch diese eine Gabe
schon weg, und er hat sehr wenig Krankheitserscheinungen
später gehabt. Zwei Mittel, Pulsatilla und Ledum, haben
diese Vorliebe der Füsse sich in kaltes Wasser zu stecken,
aber in diesem Falle war Ledum deutlich angezeigt.
Bei entzündeter Oberfläche zeigt Ledum eine deutliche
Tendenz zum Bluten, und die Blutung ist dunkel. Die grösste
Zahl der Ledumkranken ist vollblütig, aufgetrieben, derb, sehr
plethorisch. Die Kranken bluten leicht, haben rothes Gesicht,
sie haben viel Fleisch am Körper und sind kräftig. Dabei
haben sie leicht einmal eine Blutung in den Augenkammern,
Nasenbluten, Blutungen an irgend einer Leibeshöhle und blut¬
führenden Urin.
Wichtig ist unser Mittel ferner bei alten schmerzhaften
Geschwüren, die weiterfressen, phagedaenisch sich ausdehnen,
wo rings herum kleine Blutflecke sind, bei Konstitutionen, die
sich immer kalt fühlen. Auch diese Geschwüre werden durch
Kälte erleichtert.
Diese Medizin bezieht sich auch auf rheumatische Naturen,
auf Rheumatismus und Gicht. Es ist erstaunlich, wie viele
Beschwerden von Gichtkranken damit gehoben werden können,
und was es Alles bei solchen Leuten bewirkt, welche Kalk-
deposita in ihren Gelenken, Händen, Fingern und Zehen haben.
Diese Deposita beginnen unten und gehen nach oben zu. Die
erkrankten Gelenke werden plötzlich entzündet und durch
Kälte sehr gebessert.
Ledum hat aber eine ganz besondere Vorliebe für das
Knie und ist deshalb sehr angebracht bei diesen langwierigen
Fällen von Kniegelenksentzündungen, bei dem rheumatischen
Knie. Da sehen Sie manchmal so einen Kranken mit ent-
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blössten Knieen dasitzen, wie er das Knie fächelt oder kühlende
Einreibungen macht, Chloroformäther oder mit Salmiak, dessen
Verdunstung das Knie abkühlt.
Das Gesicht ist wie bei Lachesis aufgetrieben, blutunter¬
laufen, sieht etwas dumm aus und ähnelt am meisten dem
eines alten Säufers.
Ledum ist ein Gegenmittel gegen Whiskywirkung und
kann unter Umständen auch die Neigung zum Trünke mindern.
So hat Ledum zum Schnaps dieselbe Beziehung wie Caladium
zum übermässigen Cigarrengebrauch. Mit diesem Reizmittel
können Sie bei den Kranken erreichen, dass sie als passionirte
Raucher den Tabak aufgeben und sogar eine Abneigung
dagegen bekommen.
Natürlich hat Ledum auch Einfluss auf erythematöse
Erkrankungen. Dann ist die entzündete Flechte bläulich, blut¬
gesprenkelt, aufgetrieben und manchmal wirklich geschwellt.
Es kann auch zeitweise mehr akut auftreten mit brennenden
Schmerzen. Phlegmonöse Erysipele an irgend einer Körper¬
stelle, ganz besonders aber im Gesicht, weisen immer darauf hin.
Natürlich hat ein Mittel, welches sich so sehr auf die
Gichtkranken bezieht, eine ziemliche Reihe von Nieren¬
symptomen. Wir finden da häufiges Urinlassen mit verminderter
oder vermehrter Urinmenge. Der Harnfluss ist oft unterbrochen.
Brennen in der Harnröhre nach dem Urinlassen. Juckende
Röthe der Harnröhre und Abfluss von Eiter.
Ich will Ihnen aber noch einzelne andere Angaben machen,
die Sie in den Büchern nicht finden.
Es hat z. B. rothen Sand im Urin, genau so wie Lycopodium,
es hat grosse Mengen von sandigen Niederschlägen verschiedener
Farbe. Wenn der Kranke sich sehr wohl fühlt, dann gehen
grosse Mengen sandigen Niederschlages fort. Wenn der Nieder¬
schlag im Urin aber gering ist, dann fühlt sich der Kranke
nicht sehr wohl und seine gichtischen Gelenke schmerzen.
Es findet sich auch noch ein anderes Symptom, welches
Lippe bekannt gegeben hat. Sehr reichliche Mengen klaren
farblosen Urins mit sehr leichtem spezifischen Gewicht, und
weil nun in dem Urin fast alle Salze fehlen, so haben wir
eine Verschlimmerung der gichtischen Erscheinungen.
Vergessen Sie übrigens nicht, dass bei Ledum die
rheumatischen Schmerzen von unten nach oben, von aussen
nach innen gehen!
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Die Menstruation ist zu zeitig, zu reichlich, hellroth.
Die Kranke ist dabei nicht natürlich warm. Der Körper kann
auch sogar zu dieser Zeit recht kalt sein, und doch will die
Kranke immer in die frische Luft. Die Menstruation ist
reichlich, am auffälligsten bei alten gichtischen Frauen mit
aufgetriebenem, aber nicht geschwelltem Gesicht, wo durch
venöse Stauung das Gesicht geröthet und blutgesprenkelt ist,
und sie hat viel Schmerzen bei der Kegel. Die Gebärmutter
ist sehr empfindlich für jede Berührung, und die Beckenorgane
sind so empfindlich, dass man nicht in das Becken eindrücken
kann. Merken Sie sich also: Dysmennorrhoe bei gichtischen
Frauen! Dann wird Ledum auch die Konstitution bessern
und das Auftreten der erkennbaren Gicht verhindern.
Wenn solche Sachen von sehr lange her schon vorbereitet
sind, so verschwinden die Uterinbeschwerden gegen Ende
des Frauenalters, und dann treten erst die gichtischen Er¬
scheinungen auf.
Wenn bei einer unheilbaren Krankheit innen alles möglichst
in Ordnung ist, so sind die äusseren Erscheinungen um so
schlechter, und wenn ein solcher Fall vorliegt, so muss man diese
äusseren Erscheinungen als ein Ventil ansehen, welches für
Erhaltung der Gesundheit nothwendig ist. Wenn daher unter
der Einwirkung des passenden Mittels die äusseren Stellen,
wie die Gelenke, mehr erkranken, so zeigt das, dass im
Körper noch Ordnung ist, und wenn das Mittel in dieser
Richtung wirkt, so unterbrechen Sie es nicht, versuchen Sie
nicht, etwas zu finden, was die äusseren Erscheinungen zurück¬
treibt. Wenn der Kranke sich nur im Ganzen immer wohler
fühlt, so wird er auch die anscheinende Verschlimmerung der
äusseren Erscheinungen überwinden, denn Ledum wirkt in
dieser richtigen Weise. Da die Ledumbeschwerden, von aussen
her eingesetzt, nach innen zu fortschreiten, so muss es in
seiner Heilthätigkeit so wirken, dass es von innen nach aussen
hin die Erscheinungen vertreibt.
Wenn Sie mit einem Gichtkranken zu thun haben, so
müssen Sie ihm diese Auseinandersetzung vorführen, denn
sonst begreift er nicht, warum Sie seine Schmerzen so gering
achten.
Lycopodium ist ein ähnliches Mittel, indem es auch die
Erscheinungen an die Aussenfläche treibt. Solche Erscheinungen,
die von der Aussenfläche verschwinden wollen, um innen
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irgendwo wieder aufzutreten, werden von Lycopodium sozusagen
wieder an die Aussenfläche gedrängt. Darum kann es Ihnen
passiren, dass eine Gabe Lycopodium die Absonderung des
rothen Sandes wieder hervorruft.
Sie finden unter den Symptomen auch Abmagerung des
leidenden Theiles angegeben. Das ist nicht verständlich, wenn
man sich nicht den Vorgang klar macht. Wenn ein Nerv
durch eine stichartige Wunde verletzt ist, die Wunde affizirt
ist, so dass sie anschwillt, entzündet aussieht, geschwürig
wird, ringsherum die bekannte blutgeschwängerte Haut sich
zeigt und die Glieder kalt werden, so passt eben Ledum und
wird den ganzen Zustand heilen. Wenn aber aus Unkenntniss
Ledum nicht gegeben worden ist, so wird der Nerv, welcher
den erkrankten Theil versorgt, selber krank, es entsteht eine
aufsteigende Neuritis, die Schmerzen fahren durch den Nerven;
die Muskeln, welche von dem Nerven versorgt werden, werden
dünn, und dieses Glied stirbt ab. Dann denken Sie auch an
Pulsatilla, denn dort finden Sie auch das Symptom, dass das
erkrankte Glied zusammenschwindet.
Bericht über die Versammlung der Vereinigung
homöopathischer Aerzte Norddeutschlands.
Von Dr. Waszily-Kiel.
Es waren diesmal nur wenig Herren erschienen, ob Zeit
und Umstände hindernd waren oder nicht gethane Arbeit an
der deutschen Arzneimittellehre, weiss ich nicht. Anwesend
waren Dr. Hesse-Hamburg, Dr. Junge-Altona, Dr. Lutze-
Hamburg, Dr. Mau-Itzehoe und Dr. Waszily-Kiel, nach
Lutzes Ausspruch „ein kleiner, aber gewählter Kreis“.
Die Reihe der Fälle aus der Praxis eröffnete Berufs¬
genosse Lutze:
1. Eine junge Frau, über welche die Mutter berichtete,
hatte vor Kurzem geboren, Dammriss genäht bekommen, bekam
im rechten Hypochondrium starke Schwellung mit klopfen d-
stechenden Schmerzen, der behandelnde Arzt erklärte es für
Leberabscess. Dr. Lutze verordnete hepar sulf. 6, nach acht Tagen
waren Schwellung und Schmerzen verschwunden. Dr. Hesse
bezweifelte die Richtigkeit der Diagnose ohne an der Wahl
des Mittels Anstoss zu nehmen.
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104
2. Eine Frau, die viele Geburten und fünf Aborte gehabt,
bekam plötzlich sehr starke Lungenblutung, hellroth, schäumig,
doppelseitige Dämpfung und Rasselgeräusche waren vorhanden,
alle Augenblicke stellten sich Ohnmächten ein. Dr. Lutze
verordnete Acalypha indica in 3. Potenz mit sofortigem Erfolg.
Dr. Hesse rühmte auch dieses Mittel sehr bei Lungenblutungen
ohne besondere Indikationen, bei passiven Uterusblutungen,
besonders in der Klimaxis that ihm Hamamelis die besten
Dienste, bei aktiven aber Ipecac. Lutze machte bei passiven
Blutungen auf Nux vom. 3 aufmerksam, Junge erwähnte
Arnica, Berichterstatter auch Millefolium bei Lungenblutungen
mit kellrothem Blut, bei Uterusblutungen bei dunklem Blut
Crocus, besonders wenn das Blut stückig, zäh und übel¬
riechend ist.
3. Dr. Lutze berichtete noch von einer Prostatitis gonor¬
rhoica, bei welcher er Acid. Fluoric. 30 mit vorzüglichem Erfolg
angewandt, Stuhl- und Urinbeschwerden, sowie weisslicher
Ausfluss waren Begleiterscheinungen.
Dr. Junge erwähnte folgenden Fall: Ein Mann mit
Blasenkatarrh wollte noch einen Versuch mit der Homöopathie
machen, ehe er sich pensioniren liesse; die Erscheinungen boten
nichts Aussergewöhnliches, der Urin war stets eitrig und hatte
einen sehr üblen, zuweilen mehr scharfen Geruch, ähnlich dem
Pferdeurin. Die Heilung ward durch Nitri ac. bewirkt. :, / 4 Jahr
später erschien derselbe Patient, weil das Leiden sich wieder
einstellen wollte und bat um das Mittel, damit er’s. stets im
Hause habe, weil es so vorzüglich geholfen hatte.
Dr. Mau hatte folgende Fälle:
1. Ein halbjähriges Kind erkrankte nach der Impfung an
Diarrhoe, allopathische Mittel waren vergeblich angewandt,
Urin war sehr gering, blutig und ei weisshaltig, es bestand
Hydrops. Er gab zuerst Thuja hoch, dann Terebinthina 4
und heilte das Kind in kurzer Zeit.
2. Eine 40jährige Dame litt seit vielen Jahren an
„Würmerbeseigen“ mit Uebelkeit, mit Thränen der Augen
und Frost, hatte früher Malaria gehabt. Er gab zuerst Natr.
muriat D 6 ohne eine Spur von Einwirkung; dann dasselbe
Mittel in 30. und 200. Potenz abwechselnd, danach trat erst
Verschlimmerung, aber keine Besserung ein, darauf gab er
dasselbe Mittel in 1000. Potenz und heilte dauernd. Ein sehr
zu beherzigender Fall! Dr. Hesse bemerkte dazu: homöo-
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pathisch muss nicht nur das Mittel, sondern auch die
Potenz sein!
3. Eine 41jährige Frau litt an Kopfschmerzen folgender
Art: alle acht Tage mit grosser Melancholie, kalte Umschläge
lindern und kalt Wasser trinken, aber sobald das Wasser
warm wird, wird es erbrochen; Erbrechen sehr sauer, dann oft
Galle, Stuhl dunkel und kleine Knollen, Regel schwach, viel
Urinentleerung bei den Kopfschmerzen, sie hat schon in der
Schule daran gelitten, sie sollen nach einem gastrischen Fieber
entstanden sein. Man verordnete Sanguinaria 200 und heilte.
Hesse macht auf die rechtsseitige Wirkung der Sanguinaria
aufmerksam. — Viel Urin bei Kopfschmerz haben acon.,
gelsein., veratr., ignat., silic., sanguin. und seien; alle acht Tage
haben als Charakteristikum: sulph,, silic., sanguin., iris versicolor.
Dr. Hesse berichtete folgende Fälle:
1. Ein 40jähriger Kaufmann leidet seit sieben Jahren an
Asthma, muthmassliche Ursache sollen Aufregungen und
Kränkungen gewesen sein, über die er oft nachts im Bett
jammernd gesessen; bei den Anfällen im Winter nachts, die
sich schon tags bemerkbar machen, sitzt er hoch im Bett,
Brust muss von jeglicher Kleidung frei sein; solcher Anfall
dauert tagelang mit schlimmeren Nächten, dann freie Zwischen¬
pausen von 8 bis 14 Tagen; war sonst in Wiesbaden behandelt;
Stimmung gereizt, nasskalte Witterung verschlimmert, Fuss-
schweiss; bei dem Anfall reichlicher blasser Urin; empfindlich
gegen Kleiderdruck am Hals, er trägt auffallend weite Hals-
kragen. Hesse hatte verschiedene Mittel vergeblich angewandt,
gab laches. 30, darauf noch ein starker Anfall, dann allmähliche
Heilung. Hesse bemerkt dazu, dass er schon mehrfach ganz
alte chronische Asthmafälle mit laches. geheilt bezw. gebessert
habe.
2. Eine 26jährige Lehrerin kann nach Scharlach mit Ne¬
phritis bei Tage den Urin nicht halten, Verschlimmerung nach¬
mittags und abends, Ekel vor Fett. Er verordnete ferr.
phosph. 6 mit baldigem Erfolg. — Ferrum hat das Symptom
„unwillkürliches Wasserlassen bei Tage“, Rhus tox. ebenso
aber „im Stehen“.
3. Ein 19jähriges Fräulein, das früher an Nasenbluten,
Ausschlag und Furunkeln gelitten, kommt wegen täglichen
Nasenblutens; Nase ist wund, Gesicht roth, zeitweilig sogar
bläulich, besonders nach dem Essen, Blut steigt sehr leicht zu
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Kopf, Menstruation zu spät und schwach. Verordnung: ferr.
phos. 6, zweimal täglich, danach hörten die Blutungen auf und
die Nase ward heil.
Berichterstatter besprach die Krankheit eines allopathischen
Arztes von 53 Jahren, der sich auf Zureden der Verwandten,
weil alles bisher von Autoritäten Versuchte nicht die leiseste
Besserung gebracht, in seine homöopathische Behandlung
begeben hatte. Es handelte sich um eine Tropho- Neurose,
welche durch vasomotorische Störungen zunehmend lokale
Nekrosen hervorrief, wo bisher Silicea 30 in täglichen Gaben
unverkennbare Besserung zeigte. Doch ist die Behandlung
noch nicht abgeschlossen.
Ein Kreis schöner Erauen erschien nunmehr und lenkte
die Versammlung an anderen Ort und in andere Art, wobei
unter lucullischen Genüssen eine reichlich übersprudelnde Fröh¬
lichkeit zum Ausbruch kam.
Kiel, den 1. Februar 1899.
Commentarien zum Organon.
Von B. Fincke M. D.-Brooklyn New-York.
Das Problem der Potenzirung. 1 )
§ 9.16. 29. 280 Anmerkung u. s. w.
Potenzirung versus Evolution.
Hahnemann hat sich niemals glücklicher ausgedrückt als
wenn er die Kraftentwickelungen der Arznei Potenzen nannte,
eine Bezeichnung, die sich sofort in zweierlei Beziehungen em¬
pfiehlt. Bei seiner eigenthümlichen Methode, die latenten Arznei¬
kräfte der Substanzen vermittelst einer grossen Quantität eines
inerten Vehikels zu entwickeln, kam er bald auf die Gewissheit,
dass es keinen dankbarem Beweis gäbe, die entwickelte Arznei¬
kraft zu demonstriren, als den physiologischen, welcher nur
durch den lebenden Organismus in seiner Reaktion geliefert
werden kann. Genöthigt, in dem durch die Vertheilung der
Arzneikraft in einer grossen Menge Vehikel in einem konstanten
Verhältnis bereiteten Arzneimittel eine Kraft anzuerkennen,
welche die Eigenschaft besitzt, auf den Organismus des lebenden
’) Aus den "Verhandlungen der International Hahnemannian Asso¬
ciation 1898.
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Menschen zu wirken, konnte er die Natur dieser Bereitungen
nicht besser als durch den Ausdruck Potenz bezeichnen, d. i.
eine Kraft zu wirken, wenn ihre Energie durch das homöo¬
pathische Gesetz in Anwendung gebracht wurde. Ferner durch
die Annahme des Verhältnisses 1:100 für die Proportion der
Arznei zum Vehikel kam er ganz natürlich auf die mathematische
Methode der Potenzirung, eine beliebige Zahl durch Multipli¬
kation mit sich selbst auf eine höhere Potenz zu erheben, in
der er eine passende Anwendung auf seine homöopathische
Arzneibereitung fand. Seine Wurzelgrösse der Potenzen war
ein Tropfen flüssiger Arzneisubstanz, welche mit 99 Tropfen eines
indifferenten flüssigen Vehikels unter gehörigem Schütteln ver¬
mischt wurde, oder ein Gran des festen Arzneistoffs, der eine
Stunde lang mit 99 Gran eines indifferenten pulverisirten Vehikels
verrieben wurde, wodurch er in beiden Fällen die erste Potenz
erlangte. Dies vertrug sich sehr gut mit der Notation, da die
Exponenten einer jeden Potenz anzeigten, in welchem Ver¬
hältnis die rohe Substanz der Arznei durch das Vehikel im
centesimalen Verhältniss vertheilt sei. Indessen scheint dies
insofern nicht ganz richtig, als bei jeder neuen Potenz das
Arzneimittel neue Eigenschaften arzneilicher Wirkung äussert,
was gegen die mathematische Idee einer Potenz verstösst, als
das Produkt einer Wurzelgrösse, welche mehrmals als Faktor
bei der Multiplikation angesetzt wird, also einer konstanten
Grösse. Aber die verschiedenen Potenzen einer Arznei sind
kein solches Produkt, da der Werth derselben infolge ihrer
variirenden potentiellen Qualität lediglich durch den Organis¬
mus bestimmt wird, auf dem sie nach dem homöopathischen
Gesetz in Anwendung gebracht wird; wenn man aber annimmt,
dass die Grösse, welche der Potenzirung unterworfen wird,
auch bei der homöopathischen Potenzirung konstant ist, da das
Mittel trotz seiner Veränderlichkeit in den Potenzen doch stets
dasselbe bleibt, — Sulphur bleibt Sulphur, mag man seine
Potenzirung auch noch so hoch treiben — so ist die Benutzung
des mathematischen Begriffs der Potenzirung für die homöo¬
pathische Arzneibereitung ganz richtig, und erweist sich als
ein glücklicher Griff des alten Meisters. Der Ausdruck Potenz
ist daher allen andern Bezeichnungen schon deshalb vorzuziehen,
weil er mit der veränderten Qualität der Mischung mit dem
inerten Vehikel nicht nur die Verringerung der Substanz und
deren Verfeinerung und endliches Verschwinden, sondern auch
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die unveränderliche Qualität ihrer organischen Wirkung bezeich¬
net, ohne sich von dem praktischen Standpunkt zu verlieren,
der der Potenz die Kraft der Wirkung zuerkennt.
So ist der Ausdruck Dilution ungeeignet, da er sich nur
auf die Vertheilung des flüssigen Arzneistoffs bezieht, welche
schnell zu Ende kommt, wenn die Grenze der Materialität
erreicht ist, und genügt daher nicht, die Fortentwickelung
der Arzneikraft aus dem Rohstoffe über die Materialitätsgrenze
hinaus zu bezeichnen. „Eigentliche Dilutionen finden fast nur
bei Geschmacks- und Farbegegenständen statt.“ (Chronische
Krankheiten V. Vorrede).
Veränderung ist auch nur eine einseitige Bezeichnung der
Vertheilung des Rohstoffs durch Vermischung mit inerten Vehikeln
soweit seine Materialität reicht, und ist daher unpassend für
die Uebertragung der Arzneikraft bis in die höchsten Potenzen.
„Dies sind und bleiben wahre Verdünnungen oder Dilutionen,
aber keine Dynamisationen“. (Chr. K. V- Vorr.)
Dynamisation ist ein Ausdruck, den Hahnemann häufig ge¬
braucht, und hat genau dieselbe Bedeutung wie Potenz; er
beruht bereits auf der Leibnitz’schen Lehre, dass jede Substanz
Kraft involvirt, ein Satz, der sicherlich durch Hahnemanns
Potenzirlehre bewahrheitet wird. „Homöopathische Dynami¬
sationen sind wahre Entwickelungen der in natürlichen Körpern
während ihres rohen Zustandes verborgen gelegenen arznei¬
lichen Eigenschaften, welche dann fast geistig auf unser Leben
einzuwirken fähig werden.“ (Chr. K. V, Vorr.)
Diese Bezeichnung hat zugleich den Vortheil, von dem
griechischen Wort dvvafuo herzustammen, welche bereits in der
Physik, in der Lehre der Mechanik anerkannt ist und somit
der Hahnemann’schen Anschauung der Homöopathik zu Grunde
liegt (§ 29). Die Ausdrücke Dynamisation oder Potenz mögen
daher in der Homöopathie gebraucht werden, wie es dem
Geschmack eines Jeden gefällt. Jedoch empfiehlt sich der
Ausdruck Potenz durch seine Kürze und Praktikalität, um die
Arbeitskraft der Arznei im lebenden Organismus zu bezeichnen
und ist schon deswegen vorzuziehen, weil in ihrer veränderlichen
Quantität der Mischung mit inertem Vehikel sie nicht nur die
quantitative Verminderung der Substanz und deren Verfeinerung
und endliches Verschwinden anzeigt, sondern auch die unver¬
änderliche Quantität der organischen Wirkung, ohne den festen
praktischen Standpunkt zu verlieren, welche ihr die Arbeits-
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kraft in ihrer Wirkung auf den Organismus zuerkennt, obwohl
sie nicht durch physiko-chemische Methoden allein nachgewiesen
werden kann.
In § 16 seines Organon giebt uns Hahnemann in seiner
umfassenden Weise die Lehre, dass alle Krankheiten aus der
dynamischen Veränderung des lebenden Organismus entstehen
und dass dieselben nur durch ähnliche dynamische Heilmittel
entfernt und sogleich geheilt werden können, deren Zubereitung
er weiterhin beschreibt. Dies, sagt er emphatisch, ist die Heil¬
wissenschaft, sehr geeignet von ihm Homöopathik genannt. Die
Forderung kräftige Heilmittel herzustellen, würde sonach
darin bestehen, sie aus den rohen Arzneistoffen so zu entwickeln,
dass sie in ihrer Anwendung auf den Kranken den nothwendig
dynamischen Wirkungscharakter äussern, welcher dem der
Krankheit ähnlich ist, aber kein chemischer oder physikalischer
Effekt.
Nun war die Erfindung der homöopathischen Potenzirung
so gegen die allgemein angenommenen Grundsätze der Medizin
und ging anscheinend so auffallend gegen die Naturgesetze der
Physik und Chemie, welche infolge ihrer raschen Entwickelung
sich herausnahm, Alles und Jedes in den Bereich ihrer Dis¬
ziplinen zu ziehen, dass dieses kostbare Geschenk Hahnemanns
allgemein lächerlich gemacht, verachtet und von den meisten
Aerzten, Naturforschern und anderen weisen Männern als
nutzlos verworfen wurde, leider sogar von der grossen Mehrheit
der Anhänger der homöopathischen Berufsgenossenschaft.
Ohne zu wissen was sie thaten, haben diese das Banner
Similia similibus als der Doktrin der Potenzirung feindlich
erhoben, indem sie gegen die sicherste Begründung der
Homöopathik streite. Sie haben, einige mit Absicht und
andere thörichter Weise, übersehen, dass Hahnemann auf der
Immaterialität und Dynamicität der Krankheit besteht, welche
für ihn nichts ist, als eine geistartige, virtuelle, dynamische
Störung der Gesundheit im Organismus, eine Veränderung in
dem Etwas, was den Körper lebend erhält, durch Regelung
und Ordnung der widerstreitenden oder assimilirbaren physischen
und chemischen Kräfte. Dieses Etwas nennt er Lebenskraft
und ohne sie kann kein Mensch leben. Es ist durch das Mittel
der natürlichen Potenzirung, dass der Körper nach der
Empfängniss und Incarnation des Geistes sich aufbaut und
zur Keife gelangt, und alsdann in seiner Integrität in beständiger
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Thätigkeit erhalten wird, bis das Ende derselben, der Tod,
ein tritt. Einige Physiologen behaupten, dass der Stoff den
G-eist durch die ihm inhärenten ewigen Eigenschaften der
Materie bildet und sie haben ein grosses Luftschloss gebaut,
welches mit jedem eintretenden Tode zusammenfällt. Nein!
Der Geist bildet den Organismus von den Minutulen der
Materie und ihrer Kräfte aus der geheimnissvollen unergründ¬
lichen Tiefe Gottes. A jove principium. „Im Anfang war
das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das
Wort. Dasselbige war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind
durch dasselbige gemacht und ohne dasselbige ist nichts
gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben und das
Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheinet
in der Finsterniss, und die Finsternisse haben es nicht begriffen.“
Aber wir wollen hier nicht auf eine Kontroverse über Religion
eingehen.
Es ist hinreichend zu sagen, dass Hahnemann keine
andere Ursache der Krankheit zulässt, als eine schädliche
dynamische Veränderung in der Lebenskraft, welche sich durch
subjektive und objektive Symptome kund giebt und keine
andern Heilmittel als solche, welche von dem Rohstoffe durch
geeignete Potenzirung erlangt worden sind, um den dynamischen
und geistartigen Charakter zu gewinnen, welcher sie der
Lebenskraft ähnlich und somit fähig macht, dem Feind erfolg¬
reich zu begegnen.
Es scheint daher inkonsequent, wenn Hahnemann sich
vorstellte, die physiologische Qualität seiner irrthümlich so¬
genannten infinitesimalen Potenzen seien durch Friktion, Reiben
und Schütteln zu entwickeln, da diese Arten der Bewegung,
der Materie nicht für fähig erachtet werden konnten, mehr
zu bewirken, als die minutulen Theilchen des Rohstoffs von
ihrer Berührung und Kohäsion mit ihren Nachbarn zu be¬
freien und ein unarzneiliches Vehikel dazu zu benutzen, sie
unter die Masse dieses Vehikels zu vertheilen. Eine mystische
Veränderung des Vehikels durch die mechanische Wirkung
des Schütteins und Reibens konnte man nicht erwarten und
sie ist bereits von den Materialisten unserer Schule verworfen
worden. Sie war ferner nicht zulässig, da Hahnemann selbst
keine solche fehlerhafte Auffassung beabsichtigte, sondern die
Befreiung und Entwickelung der dynamischen geistartigen
Natur der im Rohstoff liegenden, der geistartigen Lebenskraft
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ähnlichen Arzneikraft, so wenig’, als was darüber in der Vor¬
rede zum letzten Bande der chronischen Krankheiten über
Dilutionen und Potenzen gesagt worden ist. Wer kann sagen,
dass ein Tropfen Arzneisaft, welcher durch eine Reihe von
Gläschen, jedes 99 Tropfen Alkohol haltend, durch Ueber-
tropfen eines Tropfens des vorherigen Gläschens in das
folgende unter dem vorgeschriebenen Schütteln auch nur
30 Mal, wie Hahnemann that, wirklich 30 Mal in dem
hundertteiligen Verhältniss verdünnt worden sei? Wegen der
nahen Grenze der Materialität haben wir kein Mittel, es zu
beweisen. Hahnemann sagt sehr richtig, dass wirkliche
Dilutionen nur bei Geschmacks- und Parbegegenständen Vor¬
kommen, und auch Verdünnungen können wir nur von festen
Gegenständen, wie Draht, Mineralien, Pulver u. dgl. erhalten.
Daher muss im Lichte der Potenzirung wohl Dilution und Ver¬
dünnung wirklich in den ersten Stadien stattgefunden haben,
aber sie sind nicht entscheidend und obgleich notwendig in
der mechanischen Beihülfe zur Befreiung und folgenden Ver¬
teilung der Arzneikräfte durch die inerten Vehikel, doch nicht
die conditio sine qua non für die Entwickelung der höheren
Potenzen. Der Dilution und Verdünnung ist eine nahe Grenze
gesetzt, welche das Spektroskop in der neunten oder zehnten
Oentesimalpotenz findet. Es ist daher durchaus nicht zulässig,
anzunehmen, dass, da ein Stoff spektroskopisch in der neunten
oder zehnten Oentesimalpotenz nachgewiesen ist, seine Dilution
und Verdünnung nun auch bis zur hunderttausendsten und
höher aufsteigen muss. Das wäre ein veritables Luftschloss.
Der Begriff der Materie schwindet auf solchen schwindlichen
Höhen und sogar schon bei viel niedrigeren Graden, wie bei
der dreissigsten Hahnemann’schen Verdünnung. *
Gerade so ist es mit den Verdünnungen der festen Körper,
wie bereits die Mikroskopiker unserer Schule dargethan haben,
welche die Grenze zwischen die elfte und zwölfte Centesimal-
potenz setzen, und der feine Platindraht, welchen Wollaston
äuszog, ist noch lange nicht mit einer dreissigsten Oentesimal¬
potenz zu vergleichen. Jägers und Einkes Neuralanalyse kann
nicht mehr für die Verdünnung der Materie beweisen. Sie ist
der physiologische Beweis durch einen passenden elektrischen
Apparat am sensitiven, lebenden Organismus, kann aber keinen
Beweis liefern, dass die Arzneisubstanz in den zu unter¬
suchenden Potenzen im Zustande der Auflösung oder Ver-
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dünnung vorhanden ist. Sie beweist nur, dass etwas in der
Potenz ist, welches überhaupt wirkt, und mehr oder weniger
stark auf den menschlichen Körper. Orookes strahlende
Materie übersteigt lange nicht die Grenze einer dritten
Centesimalpotenz. Die Roentgenstrahlen mögen höhere Ver¬
dünnungen angeben, doch erreichen sie immer noch nicht bei
Vergleichung mit homöopathischen Potenzen auch nur eine
dreissigste Hahnemannsche Potenz. Wenn Hahnemann sagt
in der Note zu § 280 , dass die Verdünnungen der Arznei nicht
in Ewigkeit fortgehen können, dass stets etwas von der
ursprünglichen Substanz bleiben müsse, so konnte er doch
nichts anders damit meinen, als dass die Arzneikraft hinter
dem Arzneistoff Zurückbleiben und durch Uebertragung mittelst
eines inerten Vehikels bis in die höchsten Potenzen übergehe.
Einige andere Ausdrücke, welche die unmessbare Ver¬
keilung der Arzneikraft durch eine grosse Masse indifferenten
Vehikels bezeichnen, möchten in die Wahl fallen, z. B.
Rarefaktion, Verfeinerung von der Luft und dem Ziehen feiner
Drähte oder von den Verreibungen von Pulvern hergenommen,
Kraftentwickelungen als Exponenten der Arzneikraft, Dynami-
sation, von dem griechischen Dynamis, welche gleichbedeutend
mit Kraft ist; jedoch Potenz wird stets den Vorzug behalten,
da dieser Ausdruck für alle wissenschaftlichen und praktischen
Zwecke hinreicht, und genau das bezeichnet was es meint,
nämlich die Energie oder Arzneikraft potentia et actu.
Ausserdem kommen wir bei unsern Untersuchungen über
die Kleinheit der Dinge stets zuletzt auf die Discrepanz
zwischen der Aggregation der Dinge und deren Ausdehnung.
Dies geschieht in folgender Weise: Eine Masse Stoff, welche
als ein Aggregat von minutulen Theilen betrachtet werden
muss, kann künstlich in die einzelnen Theile gesondert yerden,
welche wieder ein konkretes Aggregat bilden, das der Dis-
gregation in infinitum fähig ist. Aber hier erscheint die Modi¬
fikation der Untersuchungsmethode. Wir können ein Theilchen
einer Masse als ausserordentlich klein auffassen (als Molekül),
welches demnach unter gewissen Umständen durch Ausdehnung
eine grössere Eorm annimmt z. B. bei Umwandlung in ein
Gas oder durch die Exhaustion der Luftpumpe. Dies scheint
ein Widerspruch zu sein, doch ist er nur scheinbar, da ein
neues Element im Verkleinerungsprozess auftritt, nämlich Aus¬
dehnung, welche offenbar das Theilchen einen grösseren Raum
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113
einnehmen lässt, als es vorher hatte. Wenn wir nun die
Mittel haben, können wir wieder das kleinste Theilchen dieser
expansiven Masse absondern. Aber wer besitzt diese Mittel?
Es sind gewisse Grenzen für jede Art von Stoff gesetzt, aber
wir können sie nicht nachweisen. Die Physik und Chemie ist
fortwährend beschäftigt, diese Grenzen der Materialität zu
erweitern, jedoch ohne Erfolg. Es ist etwa, wie mit den
astronomischen Forschungen, welche mit stärkeren weiter¬
reichenden Gläsern neue Myriaden von himmlischen Körpern
entdecken, ohne je zu einem Ende zu gelangen.
Hier ist aber ein Unterschied. Die physikalischen und
chemischen Prozesse, wodurch einzelne Substanzen in solche
Lagen gebracht werden können, dass sie den Charakter von
wachsender Feinheit darbieten, sind sehr verschieden und
involvieren die genaueste Kenntnis der physikalischen und
chemischen Gesetze. Die Vehikel sind, so zu sagen, nicht
einfache indifferente Substanzen wie Milchzucker, Wasser oder
Alkohol, sondern von aller Art, womit sie vermischt werden,
um dann wieder getrennt zu werden durch andere und unter
verschiedenen Bedingungen der Affinität, Licht, Magnetismus,
Elektrizität, Bewegung. Aber bei unserer homöopathischen
Potenzirung ist die Manipulation sehr einfach und ihre
Philosophie leicht zu begreifen. Wir brauchen nicht in die
Region des Unerklärlichen uns zu verlieren und uns durch
Fascination der okkulten Wissenschaften, religiöse Spekulationen
oder die schwierigsten mathematischen Komputationen oder
sophistische Künsteleien verführen zu lassen, sondern wir bleiben
auf dem festen Boden der Thatsachen stehen, welche niemand ver¬
leugnen kann und welche durch Wiederholung und tägliche Praxis
immer und immer wieder die Wirksamkeit der Hochpotenzen
beweisen. In unserm Falle wird die einfache reine Substanz
einfach mit einem inerten Vehikel in einem regelmässigen Ver¬
hältnis einer kleinen Quantität Substanz sage: 1 mit einer
grossen Menge Vehikel sage: 99 gemischt und so wird die
Mischung in einer aufsteigenden Potenzenreihe fortgesetzt,
deren Exponent allemal das erneuerte Verhältnis von 1:100
darstellt. Auf diese Weise erreichen wir Höhen von Ver¬
kleinerung und Verfeinerung in Bezug auf die gebrauchte
Substanz und umgekehrt eine Grösse der Ausdehnung und
Vertheilung ihrer Arzneikraft, welche irgend eine bisherige
Erfahrung in der Wissenschaft übersteigt. Die Berechnungen,
Archiv für Homöopathie. Heft 4, 8
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114
welche dazu dienen sollen zu zeigen, dass zusammengesetzte
Substanzen eine gewisse Kleinheit nicht überschreiten können,
weil alsdann die Bestandtheile sich von einander sondern und
die Moleküle in ihre Atome zerfallen, kommen hier gar nicht
in Betracht, da gerade das Faktum der Potenzirung lehrt,
dass solche zusammengesetzte Substanzen ihren spezifischen
pathischen Charakter bis in die höchsten Potenzen bewahren.
Als solche sind die Individuen, welche sich in ihrer dynamischen
Natur in der Potenzirung nicht mehr verändern als einfache
Substanzen oder Pflanzen, Thiere und Menschen. Diese
Potenzen behalten ihre Individualität so lange als ihre Identität
nicht verletzt wird, doch haben sie natürlich nicht die geistige
Individualität des Menschen, welcher sogar seinen Tod über¬
lebt, da seine Individualität nicht wie die der Arzneikraft
bloss geistartig sondern geistig ist.
Vergleicht man diese Ansicht mit der Molekularhypothese,
so entfernt sich die letztere schnell von der Wahrheit., da sie
Atome annimmt, als die einfachsten kleinsten letzten Elemente
der Materie, welche durch Verbindung mit andern in Folge
der chemischen Affinität kleinste zusammengesetzte Stoff¬
elemente bilden, von denen die weiteren grösseren Aggregationen
resultiren. (Schluss folgt.)
Lilium tigrinum.
Yon Prof. J. T. K e u t - Philadelphia.
So weit es bis jetzt geprüft ist, hat Lilium tigrinum mehr
Beziehungen zu den Frauenleiden gezeigt, als zu den dem
männlichen G-eschlechte eigenthümlichen Beschwerden. Vor
Allem passt es für hysterische Weiber, welche an Uterin¬
beschwerden, an Herzstörungen und an einer Eeihe von durch
einander gemischten Symptomen leiden. Ein solcher charak¬
teristischer Fall ist dann ausserordentlich reizbar, hat alle
möglichen Einbildungen, sieht aus wie ein Geisteskranker, ist
oft religiös-melancholisch, hat Herzklopfen und einen Tiefstand
der Beckeneingeweide. Dieser Zustand bietet viel Wechsel¬
reiches. Wenn die geistigen Symptome am meisten hervor¬
treten, sind die körperlichen meist erleichtert. Das Herab¬
drängen als Begleiterscheinung für den Vorfall wird beschrieben
wie ein Herabdrängen schon von der Magengegend aus, manch-
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mal sogar schon vom Hals aus. Es ist ein Herabdrängen vom
Hals aus, als ob alle unteren Theile herunterhingen und nach
unten drängten. Zugleich mit diesem Zustande äusserster
Schlaffheit aller inneren Theile zeigt sich viel Nervosität,
Ungeduld und vor Allem Herzklopfen. Die Kranke kann nur
auf dem Kücken liegen, und beim Liegen auf jeder Seite wird
ihre Beschwerde vermehrt. Das Herz zittert bei jeder Er¬
regung, schlägt unregelmässig und geräth sehr schnell in Un¬
ordnung. Alle diese Gemüths- und Herzsymptome und die
Symptome aus dem Unterleibe wechseln ab und geben zusammen
das eigenthiimliche Bild der Lilium tigrinum-Kranken.
Die Kranke kann kaum höflich und anständig antworten.
Selbst wenn man mit ihr liebenswürdig ist, so giebt sie doch
nur kurze, bissige Antworten. Sie ist so reizbar, dass sie im
Kreise der Freundinnen auffällt. Selbst freundlicher Zuspruch
verschlimmert. Jede Anrede verschlimmert. Nachts liegt sie
wach und wird durch fanatische, religiöse Melancholie gequält
und verräth auch eine deutliche Neigung, ungesunde Ideen über
Keligion und Lebensführung zu haben, die alle unvernünftig,
unlogisch und phantasievoll sind.
Sie denkt eigentlich^ über alles anders, wie andere Leute,
empfindet jeden Eindruck falsch, und so ist Alles an ihr verdreht,
Niemand kann ihr gefallen.
x Neben diesem Zustande besteht noch eine ausserordentliche
Erregung der Geschlechtstheile, eine wahre Nymphomanie.
Heftige Geschlechtserregung mit Krämpfen, Herzklopfen,
Schweissen und Zuständen'vollkommenen Verfalls. Dann sitzt
sie still in der Ecke, brütet über ihre angeblichen Leiden und
kann es nicht vertragen, wenn sie angeredet wird. Ihre Ideen
sind schon ohnehin nicht klar, wenn aber ihr Wille angestrengt
wird, so wird siejnoch unklarer. Sie verschreibt sich leicht,
verspricht sich auch und kann nicht bei einer Sache bleiben.
Ihr Seelenheil istffhr grosser Kummer.
Wenn so eine. Kranke versucht, ihren|Zustand zu be¬
schreiben,~\so kann sie nur allgemeine Ausdrücke”'anwenden,
dass sie sich wie verdreht im Kopfe fühlt, dass alle ihre
Ideen unzusammenhängend sind und dass, jemehr siejversucht
ordentlich nachzudenken, sie umsoweniger im Stande ist, es zu
fassen. Jemehr sie sich bemüht, sich auf etwas zu besinnen,
umsoweniger gelingt es ihr. Will sie aber die Aufmerksamkeit
davon ablenken, so drängt sichjhr der Gegenstand wieder auf.
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116
Bei diesem Mittel finden wir alle möglichen Symptome
geschlechtlicher Erregung bei überarbeiteten und nervösen
Weibern. Immer ist dabei eine gewisse Verwirrung und Herz¬
klopfen. Im Prüfungsprotokolle heisst es: „Unaufmerksam,
thatenlos, will aber doch nicht still sitzen“. Das sieht aber
meist so aus: Die Kranke sitzt still und brütet und scheint
•nachzudenken, was mit ihr vorgegangen ist, und wenn Jemand
sie so anredet, so springt sie auf, läuft hastig und aufgeregt
herum und schlägt die Thür zu. Wenn die Familie ihr freundlich
zuredet, so wird sie ganz aufgebracht.
Eine Kranke, die dieses Mittel an sich prüfte, sagte mir
eines Tages, dass, wenn man sie nur in der Pferdebahn an¬
geredet habe, sie so wild geworden wäre, dass sie am liebsten
dem Frager etwas an den Kopf geworfen hätte. Sie dachte
eben gerade über etwas nach und wollte darin nicht gestört
werden. Die Erregbarkeit und die Heftigkeit sind so gross,
dass sie alles innere Gleichgewicht verliert. Das drückte sie
so aus: „Mir schien es, als müsste ich davonlaufen, wenn man
mich anredete oder sonstwie störte.“ Sobald wie sie mit ihren
Freundinnen zusammenkommt, hört dieser eigenthümliche Zu¬
stand auf. Sie wird aus einem Zustand grosser Schwäche und
Schlaffheit aufgestört. Bei diesem Mittel kommen übrigens
alle möglichen närrischen Symptome vor. Wenn Sie die
Prüfungsprotokolle durchsehen, werden Sie finden, dass alle
Symptome sehr unklar beschrieben sind und dass die Prüfer
vergeblich versucht haben, die eigentümlichen Empfindungen
darzustellen, um welche es sich handelt.
So eine Kranke ist gewöhnlich von Haus aus warmblütig,
in vielen Fällen ähnelt sie der Pulsatillakranken. Sie braucht
einen kühlen Raum, liebt es im Freien zu gehen und lässt sich
davon nur abhalten, wenn das Senkungsgefühl durch das Gehen
verschlimmert wird. Der Kopf ist gewöhnlich im Freien bei
Bewegung besser. Der Kopfschmerz und fast alle Beschwerden
werden durch Kälte gebessert. Besserung im kalten Raum }
Verschlimmerung durch warme Kleidung und ein warmes
Zimmer. Eine gewisse Kurzatmigkeit kommt ganz bestimmt
im warmen Zimmer. Im gefüllten Zimmer, im Theater, in der
Kirche glaubt der Kranke zu ersticken, ähnlich wie bei Apis,
Jod, Kali jodatum, Lycopodium und Pulsatilla.
Eine ganz närrische Empfindung geht vom Hinterhaupte
aus nach dem Scheitel. Nur wer es selbst fühlt, kann es
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117- —
beschreiben. Es ist wie eine zitternde elektrische Empfindung,
wie wenn ein leiser Strom durchginge. Diese zitternde
Empfindung geht hinten vom Kopf aus nach dem Scheitel zu
und hat manchmal in den Begleiterscheinungen Schwindel.
Mit diesem Bilde können wir gar nichts verbinden. Man
muss solche Sachen einmal wirklich bei Kranken gesehen haben,
damit man eine Vorstellung erhält, was die Kranken wohl
meinen können. Die Schmerzen in der Stirne sind sehr deutlich,
das Augenlicht ist ziemlich gestört, die Zimmer sehen dunkel
aus und die Augen stellen sich nicht gleichmässig ein.
Ferner finden sich nervöse Störungen des Sehvermögens,
Photophöbie, Zwinkern, zitternde Bewegung des Augapfels,
Bindehauterkrankungen, Entzündungen der Lider und des Aug¬
apfels, Conjunctivitis. Bei starkem Kopfschmerz sind sehr oft
die Augen einwärts gewendet, ein convergirender Strabismus
tritt ein, und manchmal tritt auch ein Gefühl von kommender
Ohnmacht ein, besonders bei dem Stirnkopfschmerz.
Aus allen diesen einzelnen Zeichen können Sie ersehen,
was für eine übersensitive, ausserordentlich nervöse, hysterische
Person eine solche Lilium tigrinum-Patientin ist. Daneben
finden Sie bei denselben Personen gewöhnlich Ascitis, Schmerzen
längs dem Bückenmark und mehr oder weniger deutlich aus¬
geprägter Vorfall mit starkem Gefühl von Herabdrängen. Meist
wechseln die Zustände mit einander ab, es kommt aber auch vor,
dass alles an einem und demselben Kranken zu beobachten ist.
In einer anderen Prüfung steht: „Unklares Gefühl im
Kopf, als wenn sie verrückt werden sollte, mit Schmerzen in
der rechten Weiche“. Alle diese Prüfer haben so oft den
Ausdruck „Verrücktwerden, Empfindung, als wenn man verrückt
werden sollte“. Diese Empfindung besteht nämlich darin, dass
der Verstand so konfus ist, dass es den Leuten ganz unmöglich
ist, sich auf etwas Bestimmtes zu beziehen. Es ist eine Art
von geistiger Schwäche, als ob Alles ringsum sich drehte und
dabei der Verstand verloren gehen müsste. Dazwischenhinein
kommen heftige ziehende Kopfschmerzen, besonders im Vorder¬
kopf. Dieser Kopfschmerz wieder bringt auch dieselbe Ver¬
wirrung noch einmal, als ob der Verstand verloren ginge.
Ich übergehe hier lieber eine Beihe kleinerer Symptome,
um zu denen zu kommen, welche sich im Unterleibe abspielen.
Die unteren Verdauungs-, Harnbereitungs- und Geschlechts¬
organe haben die meisten Symptome, welche auf die Anwen-
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‘118
düng dieses Mittels hinweisen. Alles was im Becken und im
Unterleibe enthalten ist, kann so empfunden werden, als ob
es nach unten drängte. Die Kranken haben wirklich das Ge¬
fühl, dass die Organe unten vordrängen. Sie neigen sich des¬
halb gern nieder und tragen gern eine Binde, welche sie unten
am Scheidenein gange stützt. Ebenso greifen sie gern von
beiden Seiten in den Leib hinein, um denselben zu tragen, sie
haben ferner eine Empfindung, als ob Alles, was im Becken
oder im Leibe ist, durch die Scheide heraustreten wollte.
Bei diesem Mittel findet sich ferner ein ausserordentlich
drängender Durchfall, der die Kranken frühmorgens aus dem
Bett treibt. Sie können kaum bis zum Nachtstuhle kommen
und müssen sich ausserordentlich beeilen. Bei manchen Erauen
kann man an Sulphur denken, aber auch Lilium tigrinum hat
grosse Schmerzen im Kopf, Leerheit im Magen und Brennen
der Handflächen und Fusssohlen. Manchmal ist der Durchfall
auch dem von Mercur corrosiv. sehr ähnlich darin, dass sich
Tenesmus, Blut und Schleim zeigt. Die Entleerung besteht
oft nur aus einem einzigen Tropfen Schleim mit etwas Blut
gemischt; der Afterkrampf und das Brennen im After sind
beinahe so deutlich, wie bei Mercur corrosiv. Aber Sie können
nicht irren, wenn Sie daran denken, dass diese Dysenterie
nur eine Theilerscheinung sein muss von einer grossen Reihe
anderer nervösen Symptome, wenn sie auf Lilium tigrinum
hinweisen soll.
Die Kranke ist immer nervös, aber sie ist durchaus nicht
etwa ein schwächliches oder kleines Geschöpf oder sehr mager.
Das Mittel passt am besten für jene Frauen, die vollblütig
erscheinen, ziemlich viel Fleisch und rundliche Formen haben,
passt ganz besonders im kritischen Alter. Wenn Frauen, welche
so wie so schon an Schwäche der Leib- und Beckenorgane
leiden, sehr erregbar sind, viel Herzklopfen haben, nervös
überhaupt sind und auch noch dysenterische Anfälle bei jeder
Erkältung bekommen, so passt eben Lilium tigrinum und nicht
mehr Mercur corrosiv. Sind gar keine Nebensymptome da,
sondern bloss Dysenterie, so giebt es gar keinen Unterschied
zwischen den beiden Mitteln. Diese Darmsymptome sind in
den meisten Prüfungen nicht genau genug hervorgehoben, aber
ich kenne sie aus meiner Erfahrung nur zu gut. Ebenso
findet sich übrigens eine ganz hartnäckige Hartleibigkeit,
aber selten.
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Ferner findet sich bei diesem Mittel Tenesmus der Blase
und des Mastdarmes. Mit dem Bediirfniss zu Stuhle zu gehen
kommt auch ein Urinbedörfniss. Die Kranke sitzt ewig
lange und drängt und drängt, aber sie erzielt keinen Stuhl¬
gang. Hat sie gleichzeitig eine Rückwärtslagerung oder eine
Rückwärtsknickung der Gebärmutter, so entsteht die Em¬
pfindung, als ob der Darm voller Stuhl wäre. Dann ist der
Stuhl ganz unleidlich fest, unaufhörlich sitzt sie da und ver¬
sucht zu drängen, und dadurch wird der Tenesmus von Blase
und Darm immer stärker.
Ich sage Ihnen nun, dass dieser Zustand durch unser
Mittel sehr leicht gehoben wird und Sie können mich da wohl
fragen: wie macht denn das Mittel das? Kann denn das Mittel
die zurückgebogene oder zurückgeknickte Gebärmutter wieder
aufrichten und schwere Körper aus dem Darme entfernen?
Das ist natürlich nicht der Fall, aber thatsächlich hören die
Beschwerden der Kranken auf, und obgleich anatomisch Alles
in derselben Lage bleibt, haben sie nicht mehr dieselben Er¬
scheinungen von vorher. Der Darm arbeitet wieder regel¬
mässig, die Harnentleerung erfolgt normal und die Kranke
wird langsam gesund.
Als weiteres Symptom wird verzeichnet: „Ein Pressen im
Darm mit einem fast ununterbrochenen Bedürfniss zu Stuhl
zu gehen“. So lautet das Symptom im Protokoll, und auf dieses
Symptom allein hin hat Lilium tigrinum recht alte hervorgetretene
Hämorrhoidenknoten mit Brennen geheilt.
Ein weiteres Symptom heisst: „Hämorrhoiden nach der
Entbindung, sehr empfindlich für Berührung, starkes Herab¬
drängen nach dem Stuhle, als ob alles aus der Vagina heraus
wollte“. Darauf hin kann man aber natürlich nicht bei allen
Hämorrhoiden, welche nach der Entbindung auftreten, Lilium
tigrinum geben, sondern wir müssen daran denken, dass eine
bestimmte Konstitution vorliegen muss, und dann wird es nicht
nur die Hämorrhoiden, sondern auch den locker gewordenen
Uterus und die Vaginalerscheinungen heben. Alle Gewebe im
Unterleibe haben so eine eigenthümliche feste, lähmige Schlaif-
heit, die Hämorrhoiden sind gering und fliessen nur, wenn der
Kranke geht. Sie könnten dadurch, dass die Hämorrhoiden so
knapp sind und da die Pulsatillakranken auch so nervös sind,
auf Pulsatilla gebracht werden, denn selbst der Drang im
Becken findet sich bei der Pulsatilla, aber wenn Sie die beiden
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120
verschiedenen Fälle schon einmal gesehen haben, so werden
Sie die Kranken nicht verwechseln.
Von Herzsymptomen ist ausser denen, die ich schon an¬
geführt habe, noch zu erwähnen das Gefühl, als ob das Herz
gefasst und in einer harten Art gedrückt würde, schnürender
Schmerz im Herzen, frostig im Freien, aber dabei Besserung
des Schwindels.
In Bezug auf die Schmerzen im Rücken, besonders die
ausserordentlich empfindliche Linie des Rückgrates, und das
Zittern aller Glieder kommt dieses Mittel der Platina sehr nahe.
Mannigfaltiges.
In Karlsbad lautet jetzt die Adresse unseres homöo¬
pathischen Kollegen und Freundes Dr. Theod. Kafka: Sprudel¬
gasse im Hause „zum Amerikaner“.
Ueber Bakterien schreibt Emil Schlegel-Tübingen in der
Zeitschrift „Der Thürmer“:
„Ein Heldendrama der Wirklichkeit“.
Der Thürmer hat in seinem Märzheft den bestechend
interessant geschriebenen Aufsatz unter obigem Titel abge¬
druckt; ein gar ungläubiger Leser desselben ward dabei an
das Wort eines früheren Hochschullehrers erinnert: „Lesen
Sie dies Buch; es giebt nichts Geistreicheres, aber es ist
natürlich alles nicht wahr“. — Der geehrte Verfasser des
Heldendramas zeigt uns den grössten Kampf der Geschichte,
wie er soeben mit Bewusstsein entbrannt ist und zu Ende
geführt werden wird: den Kampf des Menschen mit der Bak¬
terienwelt. Erst nachdem dieser — zweifellos zu Gunsten
des Kulturmenschen — entschieden sein wird, ist „der letzte
Adler des Prometheus erlegt“, und was dann kommen wird
an Menschheitsentwickelung, ist noch nicht auszudenken, es wird
aber einem endlosen Triumphzug durch die Schöpfung gleichen. —
Die Kleinwesen haben ursprünglich das Leben in die unbelebte
Natur eingeführt, sie haben sich aus einzelligen Wesen in Zell¬
staatenkomplexe entwickelt, in zwei gewaltige Reihen, die Tliier-
und die Pflanzenwelt.
Erst heute, wo eine gewisse absolute Anpassung der
Thierwelt an die Schöpfungsbedingungen stattgefunden hat,
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121
kann sich die Natur völlig auf ihre Anfänge besinnen und kann
den Kampf der Kulturmenschheit gegen deren unablässig thätige
Untergrab er, gegen die berühmten „Einzeller“ mit Beihilfe
des Gehirns hinausführen, nachdem bisher nur die Gewebs-
komplexe als solche gegen die Bakterien zu kämpfen vermochten.
Hat schon bisher der Mensch die Natur unter sein Joch ge¬
beugt, so wird er sich widerspruchslos beherrschen, wenn
vollends ausgerottet ist, was uns Krankheit und Seuche bringt!
Ja, ja, die Botschaft hör’ ich wohl! Und was könnte,
was dürfte ich dagegen ein wenden? Eine ganze Weltanschau¬
ung dringt da auf uns schwache Leser des Thiirmers ein,
ein grosses bakterielles Bekenntniss, welches sich ausgesprochen
unter den Schutz der „Jahrhundertneige“ stellt und die Morgen-
röthe neuer grosser Dinge verkündet. Darf man bei so wohl¬
gemeintem „Erkenntnissmondaufgang“ überhaupt opponiren? —
Nun nehme ich mir einmal den Muth darüber einiges zu schreiben;
die Bakterien geschiehte gefällt mir schon lange nicht, und ich
meine, sie könne auch unmöglich den Thürmer begeistern, der
— wie ich zu meiner Befriedigung sehe — auf seinem Auslug
zwar die Hand übers Auge hält, um sich gegen Blendung zu
schützen, aber weder ein Fernrohr noch ein Mikroskop zur
Seite hat. Offenbar fühlt er mit Goethe, der einmal den Aus¬
spruch that: „Fernrohre und Yergrösserungsgläser verderben
den natürlichen Sinn des Menschen“. Die Gelehrten haben
es zu allen Zeiten fertig gebracht, über grosse, jedermann zu¬
gängliche Thatsaclien und Gruppen von Thatsachen hinwegzu¬
schauen zu Gunsten kleiner Thatsachen und kleiner Beziehungen,
welche nur dem Fachmann bekannt und zugänglich waren,
welche sich der Kontrolle des Volkes oder der einfachen Em¬
pfindung Ungelehrter entzogen. Kleine Thatsachen und Be¬
ziehungen wurden mit ungeheurer Achtung und Wichtigkeit
behandelt; grosse Thatsachen, weite offene Ausblicke wurden
umgangen, wodurch dann das eigentliche Kastenwesen in der
Wissenschaft, wie auch im Priesterthum aller Kulturvölker
sich bilden konnte. — Wir haben heutzutage wieder eine Wissen¬
schaft, welche in Gefahr steht, ihre Fühlung mit der Tages¬
ansicht der Welt, mit der Laienempfindung, mit dem offenen
Wahrheitssinne zu verlieren. Tausende fühlen das, aber sie
schweigen schüchtern, weil sie keinen Ausweg sehen und weil
ihrem Misstrauen bestechende Thatsachen von der anderen
Seite entgegengehalten werden, angesichts derer sie sich dann
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nicht mehr orientiren können. Das bakterielle Zeitalter ist
angebrochen und Babel der Verwirrung mit ihm. In weiten
Kreisen ist es nicht bekannt, dass auch innerhalb der Wissen¬
schaft höchst verschiedene Meinungen über die Kleinwesen
bestehen; aber unter dem Schutz der experimentellen Methode,
welche beliebige Thatsachen in Fülle schafft, ohne vorläufig
eine Kontrolle durch längst erhärtete grosse allgemeine Fakten
zuzulassen, vermehrt und erhöht sich immer noch der Bespekt
vor den Mikroben in allen wissenschaftlich angehauchten Kreisen.
Dafür aber wird tiefer und tiefer der Biss zwischen Volks¬
empfinden und wissenschaftlicher Medizin, oder anders ausge¬
drückt: zwischen einer Art Wahrheit und einer anderen Art
Wahrheit. Welche wird siegen?
Nach meiner festen Ueberzeugung siegt der Laie, und
der Mediziner sieht sich nach einer Beihe von Enttäuschungen
aus dem Bakterienkult ins offene Feld unbefangener Lebens¬
beobachtungen zurückgeworfen, wie denn auch im Thürmer
schon ausgesprochen wurde, dass die Heilkunst heutzutage
das Gute nehme wo sie es findet, ganz im Gegensatz zu der
doktrinären Grundrichtung der Bakterienforschungsmethode. —
Zeiten voll Zwiespalts ähnlicher Art sind günstig für höhere,
für philosophische und religiöse Weltbetrachtung: der Mensch
wird durch das Unverständliche im Widerspruch von hoch-
bewertheten kleinen Thatsachen und den grossen Thatsachen
seiner direkten Wahrnehmung auf eine höhere Ebene der Be¬
trachtung hingewiesen. Freilich, für die bakterielle Welt¬
anschauung bedarf er der Beligion nicht. Das Leben beginnt
hier bei den „Einzellern“ und alles macht sich von selbst,
wenn das erste winzige Protoplasmaklümpchen sich in der
organischen Welt eingenistet hat. Der Mensch am Ende der
Entwickelungsreihe hat dann eine vortreffliche Stellung in¬
mitten der Lebewesen: „der Grashalm reift ihm zur Korn¬
ähre, die Urwaldranke trägt ihm Trauben“, wie es im „Helden¬
drama“ heisst. Aber so gar einfach liegt die Sache doch nicht.
Der Entwickelungsgedanke in so weitgehendem Sinne ist doch
zunächst ein Postulat der auf sich selbst gestellten Vernunft,
welche nur durch diese Forderung eine Welterklärung findet.
Tolstoi macht darauf aufmerksam, dass uns in geschichtlicher
Zeit keine Getreidearten, keine Hülsenfrüchte oder Hausthier¬
arten zugewachsen sind; die Kartoffel und den Mais haben
wir von den Indianern Amerikas übernommen.
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Die Kulturwelt fand sich also schon in ihren Anfängen
im Besitz alles Wichtigen und Werthvollen für die Lebens¬
haltung. Wir haben zwar grosse Fortschritte in der Technik
aufzuweisen, aber nur geringe (Yarietätenbildung) auf dem
Gebiete des Lebensbestandes dieser Erde. Auch sehen wir,
dass freudiges Leben, hohes Alter, inniges Empfinden weniger
die Stätten sucht, wo moderne Kräfte sprühen, als die bäuer¬
lichen und bürgerlichen Kleinverhältnisse. Kaum dürfen wir
deshalb auf eine neue Entwickelungsära der Menschheit unter
dem Zeichen des jetzigen Fortschritts hoffen, sofern Dauer,
Glück und Zufriedenheit damit gemeint wäre. — Aber die
Bakterien, die Bakterien! Sie sollen ja die Hauptrolle spielen,
jetzt positiv durch ihre Anwesenheit, im glücklicheren Welt¬
alter negativ durch ihr Fehlen.
Sind Bakterien? Zweifellos, aber diese Frage ist himmel¬
weit geschieden von der: was bedeuten Bakterien? Hier
steht Pettenkofer gegen Koch. Man kann getrost behaupten,
dass die Bakterien erst in Betörten und in abgeschlossenen
Instituten zu dem Ansehen gelangen konnten, das sie heute be¬
sitzen; bei der Betrachtung im freien Lebenswettkampfe er¬
weisen sie sich als Nichtigkeiten. Dafür sprechen selbst wissen¬
schaftlich konstatirte Thatsachen. Kaninchen, welche sehr
leicht der Infektion von Tuberkelbazillen erliegen, bleiben
gesund, sobald man ihnen einen grossen freien Baum mit Erde,
Sand, Grünfutter und Bewegungsmöglichkeit anweist. Ich will
aber hier nicht weiter auf einzelne neu konstatirte Verhältnisse
eingehen, will nur einige logisch nothwendige Schlussfolgerungen
aus allgemein bekannten Thatsachen aufstellen, um dasTliörichte
des Mikrobenbekenntnisses ins Licht zu stellen:
1. Es giebt keine absolut tödtliche Mikrobenkrankheit. In
allen Seuchen und in ihren verschiedensten Arten giebt es
Genesungsfälle. Sehr viele Infektionskrankheiten enden regel¬
mässig mit Genesung. Dies beweist, dass in dem Verhältniss
des Menschen zum „Einzeller“ bei einem gewissen Punkte ein
Umschwung eintritt, wo der menschliche Organismus sich sieg¬
haft erweist trotz Anwesenheit einer enormen Zahl von Mi¬
kroben. Von Stund an sind sie für ihn untergeordnete Werthe.
Ein Schluss aus diesen Thatsachen lässt sich nicht ab weisen:
Man bewirke diejenige Veränderung des Menschen, welche
den Umschwung vermittelt, künstlich, wobei sehr verschiedene
Wege denkbar sind. Die erzielte Veränderung macht sodann
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den Menschen gefeit (immun) gegen die Angriffe der Klein wesen.
Wir brauchen also nicht eine Ausrottung der Bakterien, sondern
eine Seuchenfestigkeit des Menschen.
2. Alle grossen und kleinen Epidemien zeigen — auf ihrer
Höhe angelangt — Umschlag zum Erlöschen, welches dann
nach kürzerer oder längerer Zeit erfolgt. Die Anzahl der
Bakterien ist auf der Höhe der Epidemie eine ungeheure;
Menschen sind auch noch genug vorhanden, um die Seuche zu
erhalten; dennoch geht diese wieder zurück. Das Studium
gerade dieser Verhältnisse ist höchst interessant. Es ist das
Forschungsfeld des hochverdienten greisen Pettenkofer. Die
jedermann sichtbaren Thatsachen zwingen uns zu der Annahme,
dass ausser der Anwesenheit von Bakterien und Menschen auch
noch andere Einflüsse nöthig sind zur Seuchenerzeugung, oder mit
anderen Worten, dass die Gattung Mensch der Gattung bestimmter
Einzeller nicht ohne weiteres als Nährmittel ausgeliefert ist,
dass vielmehr zur Krankheit stimmende Momente unbekannter
Art hinzutreten müssen, um eine Seuche zu entfachen. Hieraus
folgt abermals, dass die Heilkunst nicht genöthigt ist, die Bak¬
terien zu beachten oder ihre Vernichtung zu fordern; sie könnte
und sollte ihre Aufgabe beim Menschen anfangen, hier die
Bedingungen erforschen und den Hebel einsetzen, den grossen
„Zellstaat“ auf das Niveau der Seuchenfestigkeit zu bringen.
3. Wenn die vorstehenden Thesen der Wirklichkeit ent¬
sprechen, so können wir den vielgebrauchten Begriff der
Krankheitsursache nicht ohne weiteres auf die Kleinwesen,
die sich an Krankheiten betheiligen, an wenden. Ein Funke
ist wohl Ursache einer Explosion, aber doch nur dort, wo
zündfähige Spannkräfte angehäuft sind, wo eine ganze Kette
von verschiedenartigen Einzelgliedern das letzte Schlussstück
planmässig oder zufällig eingefügt erhält. Ein Bakterium kann
Ursache einer Krankheit und einer Epidemie werden, sofern
ebenfalls die natürlichen Schutzwehren, womit der Schöpfer
sein Meisterwerk ausgestattet hat, niedergelegt oder eingerannt
sind; anderenfalls nicht. Niedergelegt werden aber die Schutz¬
wehren durch schlechte Lebensführung, durch Unmass in Arbeit
und Genuss, durch Mangel, Entbehrung menschenwürdiger
Wohnung, Kleidung, Nahrung. Eingerannt werden die Schutz¬
vorrichtungen durch direktes absichtliches Verbringen pathogener
Bakterien in Blut und Gewebe des Menschen oder auch unter¬
geordneter Thiere durch Impfung. — Ich habe hier den Aus-
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druck gebraucht: Meisterwerk des Schöpfers. Ich ziehe
diesen Ausdruck eigentlich dem „Zellenstaat“ in Anwendung
auf den Menschen vor, obwohl ich der Ansicht bin, dass
der Ausdruck „Zellen“, den ich, beiläufig bemerkt, schon bei
Paracelsus in entsprechender Auffassung gefunden habe, sehr
gut bezeichnet, dass die Erscheinung des Organismus ein
G-efäss von Lebenskräften sei und dass eine „Centralmonade“
im Sinne von Leibnitz ganz wohl in diesem Zellenstaate Platz
finden könne, wie die Königin im Bienenhause, die so recht
eigentlich das Leben und die Zukunft der organisirten Thier¬
gesellschaft repräsentirt. Mir scheint aber, dass auch vom
entwickelungsgeschichtlichen Standpunkt aus die Bakterien
nicht so ernst und wichtig genommen werden dürfen. Handelt
es sich beim Menschen um die vollkommenste, universalste
Anpassung, bei den Bakterien um eine ernste Krankheits¬
ursache, so müssen wir fragen: Warum hat die Natur den
Menschen nicht mit der Möglichkeit ausgerüstet, diese grim¬
migen Kleinfeinde sinnlich wahrzunehmen? Die Entwickelung aus
natürlichen Ursachen ist doch nur denkbar unter der Voraus¬
setzung, dass stete fortschreitende Anpassung an die natürlichen
Bedingungen der Umgebung stattfand. Wenn nun fünftausend
und mehr Jahre keine Empfindung der Bakterien ins menschliche
Bewusstsein gelangte, so müssen wir doch wohl schliessen, dass
dieselben zu den wesentlichen existenzbedrohenden Feinden des
Menschen nicht gehörten. Und wohin sollte es kommen, wenn
wir z. B. den Schwindsuchtsbazillus ausrotten könnten? Würde
dann die Menschheit ungestraft schnöden Ausschweifungen sich
hingeben können? Wäre es ihr dann freigestellt, bekannte
Gesetze der Gesundheitslehre in Bezug auf Wohnung, Luft¬
reinheit, Ernährung nach Belieben zu überschreiten? Welch
ein Widersinn, anzunehmen, dass ein kommendes goldenes Zeit¬
alter baketrienfreier Menschen alle naturgemässen Folgen von
Laster und Elend nicht mehr kennen würde, auch dann nicht,
wenn die Menschheit die Kelche bitterer Noth, wie auch der
schnöden Genusssucht noch immerfort verkosten und leeren
würde! — Hier, ja hier liegen die wahren Ursachen der Seuchen
und der chronischen Siechthümer des menschlichen Geschlechts,
und hier, nur hier gilt es Abhilfe zu schaffen, aufzuklären, zu
heben und zu kräftigen! Dann können uns alle Bakterien der
Welt gleichgültig sein, das Heldendrama wird dann eine
würdigere Fassung erhalten und weniger ungleiche Kräfte
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werden sich gegenübertreten: nicht mehr der Mensch als
Zellenstaat und der Einzeller, das Bakterium, sondern gigan¬
tische Mächte beiderseits, gut und bös, menschlich, dämonisch,
göttlich, wie es stets gewesen!
Die heutige Medizin weiss in hohem Grade zu schätzen
das Zusammenwirken der Naturkräfte in einem verletzten oder
erkrankten Organismus; sie hat es gelernt, sich mancher
früheren Eingriffe zu enthalten, sie bescheidet sich zuzuwarten
und die meist so befriedigenden Ergebnisse jener stille auf die
Erhaltung und Heilung des Organismus hinwirkenden Thätig-
keiten zu beobachten. — Weiss nun der Herr Verfasser des
„Heldendrama“, was er damit meint, dass er die „neue Situa¬
tion“ feiert, welche darin gegeben ist, dass nunmehr „die
Gehirnzellen als die berufenen Helfer der längst im
Kampfe stehenden Gewebszellen sich mit ihrer ganzen
Riesenmacht etabliren“? Auf dieses Eingreifen findet das
Wort des Dichters Anwendung:
„Unwissenheit ist Gottes Fluch; das Wissen
Jedoch, wo Weisheit ist zu schwach als Leiter,
Wirft wie ein wildes Ross umher den Reiter!“
Mit der Thätigkeitsaufnahme der Gehirnzellen sind wir
auf das Gebiet fehlbarer und diskutabler Verhältnisse über¬
getreten, während wir vorher der immanenten Weisheit unsrer
Leibesorganisation anvertraut waren, welche wir in so vielen
Fällen bewundern lernten!
Ich will nicht sagen, dass wir nicht wissen, nicht meditiren,
nicht forschen sollten! Wir müssen aber dabei stets auf den
Grund gehen. Dazu gehören aber berufene Geister, welche
über dem Blick ins Kleine, ins wissenschaftlich Abgeschlossene
und Unzugängliche, die Schau ins offene Leben wahrlich nicht
vergessen dürfen! Leben ist in erster Linie eine Kunst und
keine Wissenschaft, wir alle haben theil an der Kunst, sind
alle brüderlich geschart und ausgestattet; nur eine kleine
Schar von Menschen arbeitet „wissenschaftlich“ und geniesst
dabei das Vorrecht, ausserordentlich kleine Dinge sehen und
vergrössern zu können. Wie das physische Auge mittelst seiner
scharfen Waffen aus kleinen Wesen grosse Dinge macht, so folgen
ihm gerne die Gehirnzellen in der Beurteilung, bis die Zentral¬
monade der Vernunft wieder mächtig in die Zügel fällt und das
wilde Ross des Wissens zur Krippe und zur Pflicht zurücklenkt!
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Ein homöopathisches Krankenhaus in Ungarn ist in
Kiraly - Helmecz errichtet worden. Der verstorbene Graf
Majläth hat zu diesem Zwecke 300 000 Gulden hinterlassen
und das Ministerium des Innern hat bereits die Genehmigung
zum Baue ertheilt.
Dr. med. Theinhardts „Lösliche Kindernahrung“ ist
nach einem Referat von Dr. Freudenberg im „Frauenarzt“ das
beste Ersatzmittel für Muttermilch. Er beruft sich, dabei auf
Prof. Dr. Biederts Kritik:
„Dr. med. Theinhardts lösliche Kindernahrung ist dasjenige
Nährmittel, dessen mehlige Substanz am besten von allen
verdaut wird. Selbst ein in seiner Verdauungskraft ganz
herabgekommenes Kind bewältigt verhältnissmässig sehr grosse
Quantitäten derselben, ohne dass in täglichen, mikroskopisch¬
chemischen Stuhluntersuchungen eine Spur unverdauter Stärke
wahrgenommen wird.“
Es folgt hieraus, dass die fleischbildenden, Wärme er¬
zeugenden, knochen- und zähneformenden Nährstoffe dem kind¬
lichen Organismus in Quantitäten zugeführt werden, welche
mit denen der Muttermilch nahezu identisch sind, und dass
das genannte Präparat seinen Namen mit Recht führt, indem
es dem Magen des Kindes wirklich gelöste, d. h. stärkemehl¬
freie Nährstoffe zuführt.
Internationaler Kongress 1900 in Paris.
Bei dem diesmaligen internationalen Kongress ist eine
Neuerung eingeführt worden, welche bis jetzt bei den inter¬
nationalen Kongressen der Homöopathen nicht zur Verfügung
stand. Der Handelsminister hat durch Verfügung vom 12. Juni
1898 bestimmt, dass zwei homöopathische Aerzte — Dr. Simon
und Dr. Love — zu Mitgliedern des Spezialkomitees ernannt
würden, welches die internationalen Kongresse vorzubereiten
hat. Ebenso ist der homöopathische Apotheker Weber in die
Kommission gewählt worden, welche in pharmazeutischen Sachen
die Zulassung der Ausstellungsobjekte bestimmt. Dadurch wird
es in Frankreich zum ersten Male möglich gemacht, auch
homöopathische Medikamente auszustellen.
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Aus der Zeitungsmappe.
New England Medical Gazette, August 1898.
Dr. Colby: Symptomatologie. Die lokale Anordnung
der Symptome ist nickt berechtigt, da sie uns nicht das Bild
giebt, welches die Prüfer an sich selbst kennen gelernt haben,.
Um ein individuelles Symptomenbild herzustellen, müssen die
Symptome nach Persönlichkeiten geordnet sein. Aus dieser
Gruppirung erkennt man erst die Zusammengehörigkeit der
Symptome. Nicht jeder Prüfer hat alle Symptome, aber alle
werden sie einen bestimmten Prozentsatz der Begleitsymptome
haben. Bei den Verschlimmerungen sind die physikalischen
und die physiologischen Verhältnisse in Betracht zu ziehen.
So sei eine Verschlimmerung gleich nach dem Essen stets ein
Hinweis darauf, dass der Verdauungsapparat überreizt ist.
Eine Verschlimmerung später nach dem Essen erlaubt schon
zwei Deutungen: Verdauungsschwäche des Magens oder Ver¬
änderungen in dem unteren Abschnitte des Darmes. Rechts¬
und linksseitige Symptome sollte man immer daraufhin prüfen,
ob sie sich nicht auf ein Organ beziehen, welches eben nur der
einen oder der anderen Seite angehört. Man sieht daraus, dass
der wirkliche Werth eines Symptomes zum grossen Theile von
dessen Zusammenhang mit anderen Symptomen oder Symptomen¬
gruppen abhängig ist. Die Frage kann nur die sein: Ist ein
Symptom allein da, dann bedeutet es weiter nichts — oder: ist
es verknüpft mit verwandten Empfindungen, welche zusammen¬
gehören, und kann man es auf irgend eine pathologische Er¬
klärung stützen, dann bedeutet jedes Symptom etwas. Eine
anatomisch geordnete Liste der Beschwerden ist wie eine Land¬
karte, welche uns erlaubt, dem geschichtlichen Vortrage zu
folgen; aber um die Geschichte zu verstehen, müssen wir den
fortlaufenden Bericht über die Vorgänge haben.
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Inhalt.
Fincke. Commentarien zum Organon
(Das Problem (1er Potenzirung.)
Keilt. Sanguinaria.
Kent. Kali carbonicum.
Aus der Zeitungsmappe.
Seite
129
137
145
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ARCHIV FÜR HOMÖOPATHIE
von
Dr. Alexander Villers.
Jahrgang VIII. Nr. 5. Mai 1899.
Commentarien zum Organon.
Von B. Fincke M. D.- Brooklyn New -York. (
Das Problem der Potenzirung.
§ 9.16. 29. 280 Anmerkung u. s. w.
(Schluss).
Es ist angenommen, dass der kleinste Molekel allemal
zwei Atome enthält und dass er bis in die letzte Instanz
zusammenhält, und sich dann in die zwei Atome der Substanz
theilt, von denen er zusammengesetzt war. Aber unsere Hoch¬
potenzen zeigen in ihren höchsten Nummern den unveränder¬
lichen Charakter der Kombination in ihrer Wirkung auf den
lebenden Organismus, z. B. die von den Säuren und Salzen
und die organischen Produkte. Diese Discrepanz beruht auf
dem Umstande, dass die Arzneikräfte als Hochpotenzen nicht
den chemischen Gesetzen folgen, welche die Materie regiren,
sondern den dynamischen Gesetzen, welche das Leben be¬
stimmen.
In unserm Falle ist das Mittel, welches die Substanz in
seiner höchsten Potenz zeigt, das feinste Reagenz, welches
die Welt bieten kann, nämlich der menschliche und thierische
Organismus in Gesundheit und Krankheit. Die Schwierigkeit
der Beobachtung solcher feiner und veränderlicher Präzisions¬
instrumente darf nicht als eine Entschuldigung beansprucht
werden, den Gegenstand der Potenzifung einer genauen wissen¬
schaftlichen Untersuchung zu unterwerfen. Ein guter und
wahrhafter Homöopathiker kann aus den Aufzeichnungen seiner
reinen Arzneimittellehre häufig urtheilen, welche Veränderungen
von Gesundheit in Krankheit dem Einfluss der genommenen
Hochpotenz angehören und eben so gut, welche Veränderungen
von Krankheit in Gesundheit gleichfalls dem Einfluss der Hoch¬
potenz, welche vom Kranken genommen worden war, angehören
Archiv für Homöopathie, Heft 5. 9
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130
mögen. Wir dürfen daher weder von Crookes noch von Tyn-
dall eine Untersuchung der Verdienste der homöopathischen
Potenzirung erwarten, wie Dunham einmal meinte, da es nicht
in ihr Fach, die Chemie und Physik, schlägt, und wir unser¬
seits dürfen der Verantwortlichkeit nicht aus weichen, darzuthun,
wie die Potenzirung von Substanzen wohl in nothwendigem
Verhältniss zu physikalischen und chemischen Gesetzen und
Prozessen stehen, jedoch ausserordentlich einfach und typisch
und nicht den willkürlichen Formen unterworfen, welche einige
Wissenschaftler sich gemüssigt sahen, dem Reiche der Natur
nach physiko-chemikalischen Gesetzen zuzuweisen. Ihre Atome
sind nur Gedankendinge, ihre Molekeln sind noch immer kon¬
krete Massen weiterer Veränderung fähig, welche zugleich die
Expansion einbegreift und nicht anderwärts in dem Aggregat¬
zustand der Materie zu erlangen ist.
Korsakoff machte das ingeniöse Experiment, ein medizi¬
nisches Kügelchen einer bereits bis zur dreissigsten potenzirten
Substanz in ein Gläschen mit unarzneilichen Kügelchen füllen
zu lassen und dann das Glas für einige Zeit zu schütteln.
Dann nahm er das medizinische Kügelchen wieder heraus.
Als er nun die früher unarzneilichen Kügelchen prüfte, fand
er, dass sie in der Richtung des arzneilichen Kügelchens homöo¬
pathisch wirkten. Daraus' schloss er, dass die sämmtlichen
unarzneilichen Kügelchen von dem arzneilichen gleichsam an¬
gesteckt waren. Augenblicklich erkannte er die Tragweite
dieser Thatsache auf die Entstehung der ansteckenden Krank¬
heiten, welche ähnlich durch Kontakt zu Stande kommen.
Obgleich die Ursache dieser Art von Krankheiten Gifte genannt
werden, ist es doch nicht gelungen, dieselben zu isoliren und
zu demonstriren, und es ist daher auf unserer Seite gerecht¬
fertigt, anzunehmen, dass diese hypothetischen Gifte Hoch¬
potenzen sind, welche in dem Laboratorium der Natur durch
eine bis jetzt unbekannte Potenzirung bereitet werden. Die
Entstehung der ansteckenden Krankheiten der Gegenwart von
Bakterien oder Mikroben und deren vermutheten Absonderungen
zuzuschreiben, ist nicht gerechtfertigt, da Bakterien, welche
in krankhaften Zuständen gefunden und für charakteristisch
für dieselben gehalten werden, auch in gesunden Organismen
sich aufhalten, ohne Krankheit hervorzubringen. Dies kann
nur geschehen, nachdem die dynamische Veränderung von Ge¬
sundheit zu Krankheit stattgefunden hat. Sie sind daher ein
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131
Beispiel des oft getadelten post hoc aber nicht propter hoc
und stehen in der Bedeutung von Parasiten zum Organismus,
welche unter geeigneter homöopathischer Behandlung > ver¬
schwinden ohne eine Spur zu hinterlassen.
Aber diese Arzneilichmachung durch Kontakt wirft auch
einiges Licht auf die Potenzirung durch Mischung und Fluxion.
Wenn wir bedenken, wie der Uebergang der Arzneikraft von
dem einen arzneilichen Kügelchen auf die vielen unarzneilichen
vor sich gehen mag, so werden wir zu dem Schluss gedrängt,
dass dieselbe von den arzneilichen Kügelchen in allen Rich¬
tungen ausstrahlen und entweder auf die unarzneilichen depo-
nirt oder von ihnen aufgenommen und absorbirt und solcher¬
gestalt der homöopathischen Thätigkeit theilhaftig gemacht
werden muss. Oder es möchte sein, dass die atmosphärische
Luft in dem Gläschen, welche durch die Atmosphäre des
einen arzneilichen Kügelchens angesteckt wird, und die von
der Luft umgebenen Kügelchen ihre Beschaffenheit durch
seinen Einfluss erhalten. Wenn wir nun das flüssige Vehikel,
welches seine Arzneikraft durch die Fluxion in seine Substanz
aufnimmt, mit der das Vehikel der Potenzirung durch Kontakt
bildenden atmosphärischen Luft vergleichen, so springt die
Aehnlichkeit in die Augen, denn der modus operandi ist
wesentlich derselbe, obwohl die Messung der atmosphärischen
Luft nahezu unmöglich und sicherlich impraktikabel ist. Die
Potenz, welche beim Eintritt in das Potenzirgläschen mit dem
Vehikel in Kontakt kommt, breitet sich in allen Richtungen
in der darin enthaltenen Flüssigkeit aus und theilt sich den
Minutulen derselben mit. Der Unterschied besteht hur darin,
dass diese Thätigkeit ununterbrochen in einem Gläschen durch
die Fluxion fortdauert, während bei der trockenen Kontakt¬
potenz für jede ständige Quantität von Kügelchen frische
Gläschen gebraucht werden müssten. Hierzu ist dies zu be¬
merken, dass das arzneiliche Kügelchen, wenn es wieder heraus¬
genommen wird, nichts von seiner Arzneikraft verloren hat
und wieder gebraucht werden kann. Sonach kann die Kontakt-
potenzirung von der ersten Kontaktpotenz an fortgesetzt
werden, so lange man will. Dies zeigt einen Reichthum der
Natur in ihren Arzneikräften, welcher in Wahrheit uner¬
schöpflich ist und dem Reichthum der Originalarzneisubstanzen
analog ist, von denen unzählige Potenzen hergestellt werden
können, ohne ihre Natur materiell zu verändern, wie z. B.
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132
Gold, Silber, Platina, Kohle, Kupfer, Graphit, Sepia, Silicea,
Zinn, Edelsteine u. s. w.
Die Ansteckung selbst beruht auf der Wissenschaft der
Mechanik, in der Uebertragung der Kraft, welche wir in jeder
Bewegung, ob gross oder klein, in unzähligen Formen erkennen;
jedoch die Vertrautheit mit ihren Resultaten blendet unsere
Erkenntniss in Hinsicht auf das unentbehrliche Prinzip der
Bewegung. Jeder Wagen in der Strasse, jede Maschine, welche
Arbeit liefert, jede physische und geistige Anstrengung des
Menschen und Thieres, leitet den Denkenden zu der Noth-
wendigkeit dieses Prinzips. Wenn daher Arzneikräfte in der
Materie liegen, so müssen sie ebenfalls desselben Phänomens
theilhaftig sein, dass sie auf andere Materie übertragen werden
können, und durch dasselbe Prinzip, wenn sie auf den gesunden
oder kranken Organismus angewendet werden, nach ihrer Eigen¬
art wirken, indem sie Krankheitssymptome bei Gesunden her¬
vorbringen und Krankheitssymptome bei Kranken entfernen,
und das Alles nach homöopathischem Gesetz.
Nach diesen und ähnlichen Betrachtungen ist es klar, dass
wir von der Physik und Chemie keine Auflösung des Problems
der Potenzirung erwarten können. Fürwahr, dieser so einfache,
wundervolle Prozess bringt die Frage aller Wissenschaft auf
einmal heim. Giebt es einen Geist überhaupt? Oder ist
Geist , nur eine Funktion der Materie? Wenn nicht, von
welcher Natur ist er und wo kommt er her? Diese Fragen
sind so alt wie die Menschheit und haben die Masse intelli¬
genter Menschen in zwei grosse streitende Parteien gespalten.
Da sind Diejenigen, welche der Natur eigenthümliche Eigen¬
schaften zuschreiben, welche von Ewigkeit sind und in alle
Ewigkeit fortdauern. Aus diesen Eigenschaften fliesst alles
Uebrige in einen Darwinschen Flux von dem ursprünglichen
protoplasmischen Fleck auf dem Meeresboden her, dieser be¬
rüchtigten Kreatur des Gehirns von Huxley, dem Bathy-
bius bis zur höchsten Entwickelung im Menschen, welches
Alles nach dem Tode wie die Phantasmagorie einer laterna
magica verschwindet, und nach dem nichts übrig bleibt, als
die erbarmungslosen, unveränderlichen, ewigen Eigenschaften
der Materie, welche jenen Flux, genannt Evolution, in alle
Ewigkeit fortsetzen. Hierzu kommt noch die Spekulation des
grössten lebenden Mathematikers, welche den Ursprung des
Menschen kleinen Zellen zuschreibt, die von im Welträume
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133
Millionen von Jahren kreissender Materie herkommen und nur
durch die immensen Kältegrade im Welträume, die neuerdings
von chemischen Forschern in geringeren Graden hergestellt
worden sind, am Leben erhalten worden sind. Diese besagten
hypothetischen Zellen fielen bei einer gelegenen Zeit (durch
Opportunität der Natur) auf die gerade passirende Erdkugel
herab, welche dieselben nun wie eine gütige Mutter aufpäppelte
und so die organischen Körper entwickelte, die im Verlauf
von unzählbaren Millionen von Jahren endlich den menschlichen
Organismus durch Evolution hervorbrachte.
Es ist unbegreiflich, wie ein Geistlicher die Evolution an-,
nehmen und predigen kann, da sie ihn in der entgegenge¬
setzten Kichtung von dem Wege, den er verfolgen will, ab¬
führt. Denn Evolution führt zu Agnostizismus (ein neues
Wort für Skeptizismus) und Atheismus, der, wenn er in die
Enge getrieben wird, sich mit einer Abstraktion anstatt
Gottes behilft. Als Sir John Franklin nach dem Süden reiste,
um den arktischen Schrecken zu entrinnen, wusste er nicht,
dass er sich auf einer ungeheuren Eisscholle befand, welche
nordwärts trieb und ihn dem unvermeidlichen Verderben ent¬
gegen führte.
Und diese Evolution ist der Kern der Lehre der gegen¬
wärtigen Repräsentanten der Wissenschaft und es giebt in der
alten Welt (und leider auch in der neuen), wo dieses herrliche
Ei ausgebrütet wurde, nicht viele Naturforscher und andere
Philosophen, welche nicht dieses moderne Götzenbild anbeten,
eine blosse Abstraktion, eine Hypothese, welche die Mensch¬
heit den unerbittlichen Eigenschaften der Materie überliefert.
Glücklicherweise ist es so eingerichtet, dass alle Menschen in
der einen oder anderen Periode ihres Lebens sterben müssen,
sonst würde der Stolz der Wissenschaftler eine Macht erlangen,
welche sogar der Existenz der Menschheit auf der Erde ver¬
derblich werden könnte. Glücklicherweise müssen alle Päpste,
der religiösen, wissenschaftlichen und politischen Bekenntnisse,
welche sich für unfehlbar halten und ihre Gewalt brauchen
um Alles zu unterdrücken, was nicht in ihren Kram passt,
einmal von ihren hohen Sitzen herabsteigen, wenn ihre be¬
stimmte Zeit kommt. Die Wissenschaft selbst berichtigt und
reinigt sich selbst und entschlüpft den Händen ihrer kurz¬
sichtigen Anhänger, Bekenner und Professoren. Hypothesen,
welche, einen zeitweiligen Zweck, schwache Stellen der Wissen-
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134
schaft zu befestigen, erfüllt haben, müssen weichen, wenn diese
mit solidem Material in Uebereinstimmung mit dem Plan des
ganzen Gebäudes aufgemauert worden sind. Denn die Wissen¬
schaft ist das grosse Vehikel der menschlichen Weisheit, welche
der Schöpfung nachfolgt, aber nicht selbst erschaffen kann.
Allein die Hahnemann’sche Entdeckung der Potenzirung
ist keine Hypothese, keine in der Luft schwebende Theorie,
sondern eine unumstössliche Thatsache, welche zur Begründung
der Wissenschaft dient, wie Jäger es ausdrückt, insofern da¬
durch die Theilbarkeit der Materie weiter ausgedehnt wird.
Jedoch kann dies im Lichte der in neuerer Zeit gewonnenen
Erfahrungen mit den hohen und höchsten homöopathischen
Potenzen nicht zugegeben werden. Man sollte eher sagen,
dass sie das Verhältniss zwischen Kraft und Stoff besser ver¬
stehen lehrt, wie sie während des Lebens auf einander wirken
und wie es unmöglich ist, sie, ohne wesentlich verändert zu
werden, zu trennen. So formt der Geist nach der Empfängniss
im Weibe die Materie in dem unabhängigen Organismus des
Kindes, welcher nun nach der Geburt sein individuelles Leben
fortführt und in einer äusserst wunderbaren und vielver¬
schlungenen Potenzirung seiner Keife zueilt, welche der mate¬
rielle Theil des Organismus in der Kegel eher erreicht, als
der geistige, bis zuletzt der erstere, nicht länger durch die
Lebenskraft kontrollirt, überwiegt und den Geist aus seiner
temporären Wohnung austreibt, um ihm dadurch den Eingang
in ein anderes Leben zu verschaffen, welches erst mit dem
Tode anfängt.
Das Verhältniss des Geistes zur Materie ist treffend in
den Begräbnissgebräuchen, welche auf die Religion der ein¬
geborenen Indianer von Nordamerika gegründet sind, anschau¬
lich gemacht. (McLean the Indians p. 31).
„Sie glauben, dass alle Dinge in der Natur einen Geist
besitzen, und dass die Geister der Dinge, deren sich der Ver¬
storbene im Leben bediente, mit ihm gegangen sind und von
ihm in der Geisterwelt gebraucht werden. So, wenn man auf
die Dinge deutet, welche noch viele Tage auf dem Grabe liegen,
sagen die Eingeborenen, dass die Geister von den Geistern der
Dinge leben. Die Seelen der Tomahawks und Tabakspfeifen,
Pferde und Hunde gehen nach den glücklichen Jagdgründen
zum Gebrauche ihres Herrn. Wir finden denselben Gedanken
von Seelen der Dinge unter den Arabern und Galliern.
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135
Das Kameel des Arabers wurde bei dem Grabe seines
Herrn festgebunden, damit es da verende und seinem Herrn
in die Geister weit folge“. Das erinnert unwillkürlich an den
jetzt noch üblichen Gebrauch in zivilisierten Ländern, das
Spielzeug des todten Kindes auf sein Grab zu legen, welcher
denselben Ursprung hat als der indianische, nämlich die An¬
erkennung eines ewigen Lebens in der Materie und seine
Uebertragung in die zukünftige geistige Welt.
Seite 109. „Der weitverbreitete Gebrauch, zur Reise noth-
wendige Dinge mit den Todten zu begraben, um den Geistern
auf ihrer Reise zu dem künftigen Aufenthalt und ihnen beim
dortigen Aufenthalt zu dienen, beruht auf ihrer Lehre von
der Unsterblichkeit der Seele. Sie glauben, dass, wie die
Dinge in den Gräbern vermodern, die Geister dieselben hin¬
wegnehmen, um in der Geisterwelt wieder zusammengesetzt
und gebraucht zu werden. Aber die allgemeine Meinung ist,
dass die Geister, welche immateriell sind, geistige Dinge
brauchen und dass sie daher die Dinge wegnehmen, aber den
Stolf, aus dem sie bestehen, zurücklassen.“
Die Potenzirung ist also nicht eine Entwickelung von
Stoff zu Kraft, wie man vermuthete, nicht eine Art von Evo¬
lution vom Einfachen zum Vielfachen, sondern eine Abtrennung
ihrer Arzneikräfte, welche in allen Arten von Stoff mehr oder
weniger verborgen liegen in ihrem Verhältnis zum mensch¬
lichen oder thierischen Körper.
Die Potenzen, welche dadurch hergestellt werden, dass
man ein inertes Vehikel mit der rohen Arzneisubstanz unter
nothwendigen Bedingungen in Berührung bringt (Kontakt), muss
man nothwendig als in der rohen Substanz gegenwärtig an-
sehen, von denen sie hergeleitet sind, ehe die Potenzirung
beginnt. Sonst könnte man nicht begreifen, wie die Wirkung
der höchsten Potenzen auf den Organismus der Wirkung der
niedrigen Potenzen und der rohen Substanz ähnlich sein könne.
Die millionste Oentesimalpotenz von Schwefel wirkt innerhalb
ihrer patho- und hygiopoetischen (metathetischen) Sphäre
ebenso als die rohe Substanz oder eine dritte Dezimalpotenz,
da sie in einer sensitiven Person genau dasselbe Symptom des
wollüstigen Juckens mit Brennen nach Kratzen hervorbringt,
welches der unmittelbare Effekt des Schwefels in Substanz ist.
Es ist also der homöopathische Beweis Similia Similibus,
welcher die Herkunft der Potenzen von der rohen Substanz
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136
zeigt, ebenso bei allen anderen Stoffen, von denen Potenzen
bereitet werden.
Durch den Gebrauch der vorzüglichsten Messinstrumente,
Apparate und wissenschaftliche Prozeduren gelangen wir gleich¬
wohl sehr früh zu der Thatsache, dass wir die Minutulen,
aus denen die Dinge bestehen, nur durch ihre Aggregation ent¬
decken können, und obgleich die Grenzen der Beobachtung
beständig durch die Zunahme der Erkenntniss und den Scharf¬
sinn der Erfindung erweitert werden, so werden wir doch nie¬
mals fähig sein, die Existenz und Realität der Minutulen
durch solche Mittel darzuthun. Die feinsten Instrumente,
welche uns bereits zu Gebote stehen, sind sensitive, intelligente,
reine und wahrhaftige Personen, welche gute und genaue
Rechenschaft von sich selbst geben können in Bezug auf die
Beobachtungen der auf sie geschehenden Arzneiwirkung (sub¬
jektive) und der äusserlich erkennbaren Veränderungen davon
(objektive). Aus diesem Grunde erscheint die Entdeckung der
Neural-Analyse von Jäger als der erste preiswürdige Versuch
von Seiten der physiologischen Schule, den Organismus selbst
als eine Reagenz auf jene Minutulen zu benutzen, welche
sonst der Beobachtung gänzlich entgehen. Jäger bemerkt sehr
richtig, dass es künftighin für die Männer der Wissenschaft
keinen Ausweg mehr gebe, als die Thatsachen, welche durch
diese neue Beobachtungsmethode, Neuralanalyse, geboten ist,
zu acceptiren und sie zur Verbesserung der Wissenschaft zum
Nutzen der Menschheit zu verwenden.
Nach alledem sollte es scheinen, als ob die Frage der
Potenzirung lediglich auf der Quantität beruhe, und so ist es
in der That. Denn man kann annehmen, der ursprüngliche
Gran oder Tropfen der rohen Arzneisubstanz enthalte so viele
Minutulen als man will, mehr als ein menschliches Gehirn be¬
rechnen, nicht einmal denken kann, da sogar in einem ein¬
fachen Gran oder Tropfen Raum genug dafür vorhanden ist.
Nimmt man dies an, dann würde die Aufgabe der Potenzirung
die sein, die Minutulen in der möglichst einfachen Weise von
einander zu trennen, und von dem rohen Quantum wenigstens so
viele Minütule zu gewinnen als möglich, denn es ist unmöglich
und unnöthig, sie alle zum Zwecke der Heilung zu erlangen.
Wie es zugeht, dass Hochpotenzen prompt und kräftig
in Krankheit und sogar bei Gesunden wirken, hängt von den
Beobachtungen und Experimenten ab, welche von Denen gemacht
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worden sind und gemacht werden, welche fähig sind, in solchen
Sachen zu urtheilen. Ausser einer tüchtigen medizinischen
Schulbildung müssen sie in den Fächern der Physik und Chemie
wohl bewandert sein, und vor Allem Denker, welche dem
Wirken ihres eigenen Geistes folgen können, d. h. sie müssen
Philosophen sein, nämlich Liebhaber der Weisheit. Und
nicht das allein, sie müssen die Werke des unsterblichen
Hahnemann studirt und seine Reine Arzneimittellehre be-
meistert haben, so weit es dem menschlichen Geiste vergönnt
ist, in dieses ungeheure Magazin homöopathischer Thatsachen
einzudringen, und schliesslich müssen sie sich durch ihre Praxis
von der Wahrheit der Lehre Hahnemanns überzeugt haben.
Dann und nur dann können sie auch dieser Angelegenheit
Gerechtigkeit widerfahren lassen, welche für ein Sprichwort
von Thorheit gehalten worden ist. Sicherlich, unsere Weisheit
ist Thorheit, wenn wir thöricht genug sind, wegzuwerfen,
was in einer einfachen und leicht begreiflichen Hülle als Weis¬
heit geboten wird. Noch jetzt leider! scheint das Licht in der
Finsterniss und die Finsternisse haben es nicht begriffen. Sie
erschaffen lieber den Menschen und seinen wundervollen Or¬
ganismus aus einer Ur-Zelle, denn dass sie sich zu dem himm¬
lischen Gedanken eines Schöpfers erheben, der alle Dinge er¬
schaffen hat — auch diese Zelle — und sie für immer in
seiner mächtigen Hand hält.
Aber in Bezug auf die Potenzirung ist es gewiss wahr,
dass, wie in allen Dingen, Gott seine Allmacht in das Kleinste
gelegt hat, selbst in eine homöopathische minutule Hochpotenz.
Ceterum censeo, macrodosiam esse delendam.
Sanguinaria.
Von Prof. J. T. Kent-Philadelphia.
Sanguinaria ist ein altes Hausmittel. Viele unsrer Frauen
auf dem Lande werden den Winter nicht herankommen lassen,
ohne diese Pflanze im Hause zu haben. Wenn dann der Winter
kommt, wenn Schnupfen eintritt, wenn die verschiedenen Kopf¬
schmerzen und die Erkältungen auf Brust und Hals kommen,
dann nehmen sie ihre Sanguinaria her, machen einen Thee und
geben ihm dem Kranken. Das ist das gebräuchlichste Mittel
für alle Erkältungen. Manche thun dazu noch Zwiebel, rothen
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138
Pfeffer, Zucker, Butter und Essig und es ist ein greuliches
Gemisch. Damit heilen sie nun alle möglichen Schäden, und
es ist kein Zweifel, dass selbst in dieser rohen Form die Folgen
von Erkältungen durch dieses Mittel gemildert werden, denn
es zeigt sich bei der Prüfung, dass dieses Mittel viele Be¬
ziehungen hat zu den Erkrankungen der Brust, und deshalb
bezieht es sich auch auf die Erkältungen der Brust. Unsere
Routiniers empfehlen es für periodische Kopfschmerzen und für
Erkältungen der Brust; manchmal treffen sie es und manch¬
mal treffen sie es nicht.
Bei periodischen Kopfschmerzen passt es dann, wenn der
Kopfschmerz nur aller sieben Tage kommt, frühmorgens beim
Erwachen eintritt oder auch den Kranken weckt. Er beginnt
im Hinterkopf und geht über den Kopf weg bis zum rechten
Auge und zur rechten Schläfe. Tagüber wird es schlimmer,
und da das Licht auch verschlimmert, so geht der Kranke in
ein dunkles Zimmer und legt sich hin. Dann kommt Erbrechen,
und was erbrochen wird, ist Galle, schleimiger, bittrer Stoff
und Essen vom Tage vorher. Darnach lässt der Schmerz nach
und der Schlaf tritt ein. Wenn bei diesen grossen Schmerzen
der Kranke so heisse Handteller und Fusssohlen hat, dass er
die Glieder aus dem Bett herausstreckt, so weist dies noch
deutlicher auf unser Mittel hin.
Wenn Sie mit einem Menschen zu thun haben, der früher
chronischen Kopfschmerz hatte, denselben aber verloren hat
seit langer Zeit schon, aber seit dieser Zeit ausserordentlich
empfindlich für jede Erkältung geworden ist und jede Erkäl¬
tung sich in der Nase, im Auge, in den Bronchien zeigt und
alle diese Theile so heiss, roh und brennend sind, ein dicker,
zäher Schleim wird ausgehustet, im Leib ist Unbehagen mit
viel Aufstossen, und besonders stark kommt das Aufstossen
nach einem heftigen Hustenanfalle, so haben Sie ein vollstän¬
diges Bild der Sanguinaria, und dies ist nun so ziemlich alles,
was der Routinier von der Sanguinaria weiss. Aber es finden
sich bei diesem Mittel noch manche andere Sachen.
Die Wirkungszeit des Mittels ist nicht sehr lange, aber
es geht dabei doch ziemlich tief. Wenn ein periodischer Kopf¬
schmerz durch Sanguinaria unterbrochen worden ist, so muss
man ein tiefgehendes Mittel, ein Antipsoricum geben, sonst
kommt der Kopfschmerz oder noch etwas Schlimmeres wieder,
denn Sanguinaria geht oft tief in den Organismus hinein.
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139
Ich erinnere mich eines Palles, wo ein Kranker seinen
Kopfschmerz durch Sanguinaria verlor. Es entwickelte sich
aber später ein Epitheliom, welches durch Phosphor geheilt
werden musste. Ich bin ganz überzeugt, hätte man dem Manne
Phosphor damals am Ende des Anfalles gegeben, so wäre der
Krebs gar nicht zur Entwickelung gekommen, denn Phosphor
war das konstitutionelle Mittel des Kranken. Etwas Aehnliches
findet sich manchmal in der Form, dass ein Kranker, dessen
periodischer Kopfschmerz unterbrochen ist, eine Neigung zur
Schwindsucht zeigt. Es kommen allerlei Störungen in der
Brust vor und werden schlimmer und schlimmer. Was anderer¬
seits Sanguinaria thun kann gegen die Anfänge der Schwind¬
sucht, das ist bekannt genug.
Der richtige Sanguinariapatient wird durch einen Bron¬
chialkatarrh immer stark mitgenommen. Er ist stark empfind¬
lich für Kälte, für jeden Wechsel der Witterung vom trockenen
zum feuchten Wetter, für jeden Luftzug, für jeden Kleider¬
wechsel, kurz, er erkältet sich immer und immer wieder. In
der Brust hinter dem Brustbein hat er brennende Schmerzen,
die ganze Luftröhre brennt, wie wenn Feuer darin wäre, der
Auswurf ist dick, zäh, fadenziehend, der Husten krampfhaft,
und jeder Husten endet mit Aufstossen. Aufstossen von Gasen,
leeres Aufstossen. Nehmen Sie zu diesem Brennen der Brust
die starken Schmerzen im Kehlkopf und in der Luftröhre beim
Sprechen und den Husten, der allemal mit Aufstossen endet,
dazu noch das Hitzegefühl in den Handtellern und den Fuss-
sohlen, so wird Sanguinaria dem Kranken immer gut thun und
die ganze Sache mildern.
Manchmal giebt man diesen Leuten auch Sulphur, aber
das ist schädlich. Es giebt eine Klasse von Mitteln, welche
solchen phthysischen Kranken besser thun, als wie Sulphur, Silicea
und Graphit. Ich rechne dahin Sanguinaria, Pulsatilla, Senecio
gracilis und Ooccus cacti. Diese Mittel leisten allerdings nur
theilweise Hilfe, sie lassen nur die Symptome verschwinden,
sie mildern bloss die Beschwerden, aber sie können den Kranken
doch auch so weit aufbessern, dass er dann eine nicht zu hohe
Potenz eines tiefer gehenden Mittels nehmen kann, aber diese
bis auf den Grund gehenden Mittel muss man vermeiden,
wenn die Lebenskraft zu gering und der Körper zu sehr ge¬
schädigt ist. Schon Hahnemann warnte vor dem Gebrauche
von Phosphor in solchen Fällen mangelnder Lebenskraft.
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Sanguinaria ist ein Mittel, das auf der Oberfläche bleibt,
aber da leistet es ganz Ausgezeichnetes.
Hierher gehören katarrhalische Zustände des Rachens
und der Nase, besonders solche, welche durch Erkältung ent¬
stehen und von giftigen Pflanzen herrühren, wie die Rose.
Der Sanguinariakranke hat im Juni „rose colds“, er ist em¬
pfindlich für Blumenduft und Gerüche, er zeigt öfters Heu¬
fieber. Dieser Sanguinariapatient hat ein sehr empfindliches
Brennen in der Nase und dem Hals, der sehr trocken ist, und
das Gefühl, als ob die Schleimhaut einreissen wollte. Trocken¬
heit und Brennen im Larynx mit Heiserkeit, Trockenheit und
Brennen durch die ganze Brust mit Asthma, dabei Brennen
der Hände und Sohlen. Passt man die Hände an, so zeigt
sich, dass der Handteller trocken, schrumplich ist und sich heiss
anfasst. Ebenso ist es mit den Sohlen, wo die Haut verdickt
und verhärtet ist. Die Hühneraugen thuen weh, die Zehen
brennen und der Kranke steckt Hände und Füsse aus dem
Bett, um sich die Schmerzen zu erleichtern.
Tritt dabei noch Kopfschmerz auf, so ist es ein allgemeiner
kongestiver Kopfschmerz; obwohl der Kopfschmerz früh beginnt
und vom Nacken aus nach dem rechten Auge zu geht, so ist
doch der ganze Kopf heiss und empfindlich.
Sulphur, Silicea und Sanguinaria haben wöchentliche Kopf¬
schmerzen. Arsenik hat einen Kopfschmerz nur aller 14 Tage.
Ich will damit nicht etwa sagen, dass diese Mittel nicht auch
andere Kopfschmerzen heilen, denn bei Sanguinaria finden Sie
einen Kopfschmerz von drei Tagen auch noch, aber die Mehr¬
zahl der Kopfschmerzen, welche z. B. nur aller 14 Tage
kommen, werden durch Arsenik beseitigt oder wenigstens stark
vermindert, besonders bei niedergebrochenen Konstitutionen.
Wenn man aber einen chronischen Kopfschmerz heilen will,
so muss man eben nicht erst anfangen, wenn der Körper schon
ganz niedergebrochen ist.
Pulsirender Kopfschmerz mit bitterem Erbrechen, ver¬
schlimmert durch Bewegung. Kopfschmerz wird durch Be¬
wegung meist verschlimmert, aber nicht so auffällig wie bei
Bryonia. Wenn der Sanguinariakopfschmerz gegen Nachmittag
oder gegen Abend so zugenommen hat, dass der Kranke sich zu
Bett legen muss, dann wird der ganze Kopf sehr empfindlich
und dann ist jeder Schritt und jeder Stoss sehr peinlich. Das
sind aber Sachen, die überall Vorkommen; ein schlimmer Kopf-
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schmerz wird durch Licht, Lärm, Bewegung u. s. w. immer
böser gemacht.
Ein Kopfschmerz, als ob die Stirn brechen müsste. Dabei
Frost und Brennen in dem Magen.
Kopfschmerz über dem rechten Auge ist ein sehr charakte¬
ristischer Zug. Migräne am Morgen beginnend, am Tage zu¬
nehmend, bis zum Abend dauernd. Der Kopf scheint brechen
zu müssen, als ob die Augen vorgedrängt würden. Pochende,
durchfahrende Schmerzen durch das Gehirn, schlimmer an der
rechten Seite, besonders in Stirn und Scheitel. Darauf kommt
Frost, Uebelkeit, Erbrechen von Speisen und Galle. Der Kranke
muss sich niederlegen oder wenigstens sich sehr ruhig verhalten.
Schlaf bessert. -- Sie finden nicht in jedem Falle alle diese
Symptome, aber sie kommen bei verschiedenen Fällen alle vor.
Alle Formen neuralgischer Schmerzen, Schneiden,
Reissen, Ziehen, als ob die Muskeln gezogen oder gedreht
würden, ermüdende ziehende Schmerzen neuralgischer oder
rheumatischer Art überall, Schmerzen auf der Kopfhaut, be¬
sonders aber von der Schulter und dem Nacken aus. Steifer
Nacken. Kann sich im Bett nicht umdrehen. Kann den Arm
nicht heben, obwohl er ihn vor- und rückwärts schwingen kann.
Der Schmerz geht vom Nacken aus aufwärts und findet sich
auch im Deltoid und im Schultergelenk; vorzugsweise findet
sich der Schmerz auf der rechten Seite, kommt aber auch
links vor.
Schmerzen in der rechten Schulter, so dass er den Arm
nicht heben kann. Alle Muskeln des Nackens und des Hinter¬
kopfes werden mit hineingezogen. Er kann sich wegen des
steifen Halses nicht umdrehen. Tritt der Schmerz bei Tage
ein, so wächst er mit dem zunehmenden Tage bis zur Nacht
hin, so dass die heftigsten Schmerzen in die Nacht fallen.
Wenn ein Kranker zu Ihnen kommt, der sich erkältet hat
und den Arm nicht heben kann, sondern ihn hängen lassen muss,
der sich über Schmerzen beklagt, die in der Nacht am stärksten
sind, besonders beim Umdrehen, so wird derselbe wahrscheinlich
einen Rheumatismus im Musculus deltoides haben; aber darauf
kommt es für Sie gar nicht an. Viel wichtiger ist die Frage,
ob hier nicht Ferrum angezeigt sei.
Alle die Leute mit rothem Gesicht, die schnell noch röther
werden, die ihre Arme nicht heben können und einen Schmerz
haben, der stärker bei Tage ist und der durch eine geringe und
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massige Bewegung gebessert wird, brauchen Ferrum. Sangui-
nariafälle werden nicht durch Bewegung gebessert, sondern
jede Bewegung, besonders der Arme, bringt Verschlimmerung.
Den Schmerz dagegen hat Ferrum erleichtert von der leisen
Bewegung, verschlimmert von der starken Bewegung, und die
Tagesverschlimmerung. Während Ferrum ein rothes, pletho-
risches Gesicht zeigt, ist Sanguinaria blass. Nur bei den Brust¬
leidenden finden Sie bei Sanguinaria einen umschriebenen rothen
Fleck auf der Wange, so wie er bei den Schwindsüchtigen zu
sehen ist.
Hier giebt es auch noch einen Kopfschmerz, der durch
Magenverderbniss aufgelöst ist, zu viel gegessen zu haben, zu
reichliche Nahrung, zu viel Wein trinken. Es ist beinahe so
nützlich wie Nux vomica bei alten Trinkern. Hierher gehören
die Leute, welche ihren Magen verdorben haben und durch
vieles Bier ihre Verdauung schwächen. Sie können nicht mehr
essen und brechen alles Wasser aus. Keine Speise und keine
Flüssigkeit bleibt im Magen. Dabei finden sich auch noch
häufige Kopfschmerzen, das Erbrechen und der begleitende
Durchfall mit verschiedenen Beschwerden.
Auffällig bleiben immer die katarrhalischen Affektionen.
Chronischer Katarrh des Halses. Anscheinende Verdickung
der Schleimhaut des Halses. Nase und Bachen sind mit Schleim
gefüllt. Der Kranke hustet immer kurz auf. Er hat eine
trockene, brennende Empfindung; aber am auffälligsten ist dieses
Brennen jedes Mal wenn er sich erkältet.
Ein anderes Kennzeichen ist die Schärfe aller Ab¬
sonderungen. Der Nasenschleim ist scharf und brennt im
Halse hinten. Scharfe heisse Flüssigkeit wird aufgeschwulkt
und es entsteht ein Gefühl von Brennen in Bachen und Mund.
Die Diarrhoe ist begleitet von einem scharfen, wässrigen
Stuhlgang, besonders bei Kindern, so dass das Gesäss roh
und roth wird. Dabei geht das Brennen durch den ganzen
Darm. Es brennt im Magen und im Leib, wie so oft bei
alten Verdauungsstörungen. Das Wasser wird unter allen Um¬
ständen mit Brennen herausgebrochen. — Hierher gehören diese
alten gastrischen Empfindlichkeiten, Verdauungsschwäche und
alle möglichen Formen von Magenkrankheiten.
Die Zunge ist roth und brennt, als ob etwas Heisses darauf
gelegt worden wäre. Brennen im Pharynx und Oesophagus.
Brennen im harten Gaumen. Mandelentzündung mit Brennen
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Hitzegefühl im Halse wird besser durch Einathmung von kalter
Luft. Der Hals ist so trocken, dass der Kranke glaubt, die
Haut müsse springen. Dieses eigentümliche Gefühl von Bren¬
nen und Hautlossein bezieht sich auf alle Schleimhäute, welche
erkrankt sind.
Der Kranke muss plötzlich zu Bett wegen eines starken
Frostanfalles, hat dann Brennen in der Brust, Symptome wie
die einer Lungenentzündung, rostfarbenen Auswurf, heftigen
Husten. Jeder Husten wirkt wie ein Stossgefühl an der
Theilung der Luftröhre, als wenn dort ein Messer steckte,
wie wenn die Luftröhre umgedreht würde, und nach dem Husten
lautes, leeres Aufstossen. Dieses Bild finden Sie bei keinem
anderen Mittel.
Uebelkeit mit Brennen im Magen' und viel Spucken. Die
Uebelkeit wird durch Erbrechen nicht erleichtert. Der Kranke
bricht und würgt ununterbrochen. Dabei brennt ihm der Mund
wie Feuer. Wegen diesen Brennens wird oft irrthümlicher-
weise Arsenik gegeben.
Erbrechen von bitterem Wasser, von saurer, scharfer
Flüssigkeit, von Mageninhalt, von Würmern. Vorher viel Aengst-
liclikeit. Dabei Kopfschmerz und Brennen im Magen. Nachher
wird der Kopf frei. Grosse Hinfälligkeit. — Diese Symptome
finden Sie bei den Kopfschmerzen, bei Magen Verderbnissen,
beim sogenannten „sauren Magen.“ Dieser saure Magen zeigt
sich durch saures Aufstossen und durch saures Erbrechen.
Der Kranke spricht oft von saurem Magen; dann müssen Sie
eben finden, was er meint, ob saures Aufstossen oder saures
Erbrechen. Wenn er Ihnen auch sagt, er spucke saure Speisen
aus, so müssen Sie doch richtig denken, dass der Speichel
nicht sauer sein kann, sondern dass der Mageninhalt demselben
beigemischt ist.
Der Kopfschmerz und die anderen Beschwerden werden
bei Sanguinaria oft von einer Neigung zu Ohnmächten be¬
gleitet. Es ist ein unbestimmtes Hungergefühl da, aber kein
Essbedürfniss, ein Gefühl von elend, halb hungrig und übel¬
sein wie ein Vergehen. Etwas Aehnliches hat Phosphor mit
seinem hungrigen Kopfschmerz. Am höchsten steht aber bei
diesem Kopfschmerz mit Hunger Psorinum. Aber der Psorinum-
kranke isst wirklich und kann gar nicht genug kriegen, der
Sanguinariakranke isst dagegen nicht. Trotz des Husten¬
gefühles hat er eine Abneigung gegen das Essen, und besonders
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144 :
gegen den Geruch des Essens. Psorinum kann ungeheuer viel
verschlingen und so macht es auch Phosphor. Bei Sanguinaria
ist es dagegen nur ein Heisshunger. Dabei findet sich Brennen
im Magen mit Kopfschmerz und Frost.
Aufschwulken heisser scharfer Flüssigkeiten beim Asthma.
Das Heuasthma fällt unter die Einwirkung von Sanguinaria,
welches alle Asthmaformen beeinflusst, die mit Magenverderbniss
zusammen auftreten. Man darf übrigens bei Asthma mit Magen¬
verderbniss Nux nicht vergessen.
Leberbeschwerden, besonders Schmerzgefühl und Leber¬
fülle. Allgemeine biliöse Beschwerden. Dem Kranken er¬
scheint es, als ob seine Leber unendlich grosse Mengen von
Galle erzeuge. Es handelt sich aber in Wirklichkeit um einen
Magen-Darmkatarrh, so dass die Galle nicht frei abfliesst,
sondern bis in den Magen aufsteigt und als bittre grüne oder
gelbe Flüssigkeit ausgeworfen wird.
Dann merken Sie bitte noch etwas besonderes. Wenn Sie
so einen chronischen Sanguinariapatienten vor sich haben, so
werden Sie bald hören, dass eine Woche lang der Magen ganz
aus der Ordnung war, dass der Kranke viel Galle gespuckt
hat, der Leib sehr aufgetrieben war, heisses, saures Aufstossen
auftrat, und dass alles verschwindet plötzlich, und es tritt ein
Durchfall ein, an welchem er bald zu Grunde geht, ein galliger,
flüssiger, plötzlich abgehender Stuhl, etwa so wie die Natrium
sulphuricum-Stühle. Diesen Wechsel zwischen Durchfall und
Verstopfung haben Natrium sulphuricum, Sanguinaria, Pulsa-
tilla und Lycopodium.
Muttermund mit Geschwürchen. Uebelriechender scharfer
Weissfluss. Ausdehnung des Leibes am Abend, und Luftab¬
gang durch die Scheide, der aus dem Muttermund kommt, der
immer offen ist. Zu derselben Zeit ein Schmerz, der vom Nacken
nach dem Kopfe zu geht.
Chronische Trockenheit des Halses. Gefühl von Schwellung
im Larynx. Auswurf dicken Schleimes mit Trockenheit, Brennen
und Schmerzhaftigkeit.
Keuchhusten. Eigenthümliches Gefühl von krampfartiger
Zusammenziehung im Hals dicht unter dem Kiefer. Verschlim¬
merung des Hustens nachts mit Durchfall. Der Nachthusten
mit Durchfall ist ein ganz charakteristischer Hinweis auf
dieses Mittel.
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Schlimmer Husten, der nach dem Keuchhusten bei jeder Er¬
kältung wieder auftritt und der in seiner krampfhaften Art
Aehnlichkeit mit dem Keuchhusten hat. Ein Erwachsener,
der sich erkältet hat, hat einen krampfhaften Husten, welcher
wie ein Keuchhusten klingt. Er wird dann meist sagen, es
sei ein Magenhusten, weil er vom Magen aus Beschwerden
hat. Ueberall finden sich dabei das Brennen wieder oder der
Durchfall. Ermüdender, trockner, krampfhafter Husten, be¬
sonders bei Kindern, schlimmer in der Nacht, beim Nieder¬
legen, beim Eintreten in ein kaltes Zimmer. Gefühl von Roh¬
sein und Brennen in der Luftröhre. Der Hals ist scheinbar
so wund, dass jeder Schluck empfindlich gefühlt wird und der
Kranke die Stelle beinahe zeigen kann, wo sich der Bissen
befindet.
Kali carbonicum.
Yon Prof. J. T. Kent-Philadelphia.
Der typische Kali carbonicum - Kranke ist schwer zu
studiren, und auch Kali carbonicum selbst ist ein nicht leicht
zu erfassendes Mittel.
Es wird nicht so oft gebraucht, wie es eigentlich an¬
gebracht wäre, und zwar nur deshalb, weil es ein recht un¬
angenehmes und verwirrendes Mittel ist. Bei wenigen anderen
Mitteln giebt es so viele entgegengesetzte und wechselnde
Symptome, darum hat es so viele Beziehungen zu Kranken,
welche unklare, wechselnde Symptome aufweisen.
Der Kranke ist närrisch und reizbar, so ausserordentlich
reizbar wie nur möglich, zankt sich mit seiner Familie und
über Alles, was um ihn herum vorgeht. Er will nie allein
gelassen werden, er ist sehr ängstlich und voller Einbildung,
sobald er allein ist, und fürchtet sich vor der Zukunft, vor
dem Tode, vor Gespenstern. Ist er allein im Hause, so ist
er unruhig und schlaflos, oder sein Schlaf bringt wenigstens
viel schreckliche Träume. Er kann nie Frieden geben, sondern
steht immer vor allen möglichen Annahmen. „Was wird ge¬
schehen, wenn das Haus abbrennen sollte?“ „Was wird ge¬
schehen, wenn ich Das oder Jenes thun würde?“ und „Was
könnte wohl nach dieser oder jener Richtung hin geschehen?“
Archiv für Homöopathie, lieft 5 . 10
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Der Kranke ist eigentlich für Alles überempfindlich, be¬
sonders aber für jeden Witterungswechsel. Auch kann er .sein
Zimmer nie zu der Temperatur bringen, die ihm gerade passt.
Jeder Luftzug, auch jede Luftbewegung ist ihm schon un¬
angenehm. Selbst in einem entlegeneren Theile der Wohnung
soll kein Fenster oifenstehen, sonst steht er nachts auf und
sieht nach, wo der Luftzug herkommt.
Seine Beschwerden sind schlimmer bei dem feuchten,
düsteren Wetter und in der Kälte. Er ist sehr empfindlich
für Kälte und fröstelt viel. Seine Nerven empfinden die Kälte
sehr und schmerzen wenn es kalt ist.
Die nervösen Schmerzen sind hin- und herschiessend und
treten überall da auf, wo der Körper abgekühlt ist. Kann
man den betreffenden Theil warm halten, so geht der Schmerz
von da zu einer anderen Stelle über. Alle seine Schmerzen
wechseln ihre Stelle und gehen mit Vorliebe nach dem abge¬
kühlten Theile. Wenn er sich zum Theil aufdeckt, so sind
die entblössten Theile schmerzhaft.
Das Mittel hat eine grosse Menge von stechenden, bohren¬
den, reissenden Schmerzen, und auch diese wechseln den Platz.
Gewiss giebt es bei Kali carbonicum auch Schmerzen,
welche an einer Stelle bleiben, aber für gewöhnlich wechseln die¬
selben ihren Platz nach jeder Richtung hin. Es giebt auch
Schmerzen, die wie Messerschnitte empfunden werden oder
wie heisse Nadeln, brennende, stechende, bohrende Schmerzen.
Solche Schmerzen treten innerlich auf und an einzelnen Aus¬
gangsöffnungen des Körpers. Hierher gehört z. B. das Brennen
am After und Mastdarm, als ob ein rothglühender Eisenstab
hineingedrückt würde. Es brennt, wie wenn Feuer darin wäre.
Die Hämorrhoidalknoten brennen wie glühende Kohlen. Das
Brennen von Kali carbonicum ist dem von Arsenicum ähnlich.
Auffällig ist die Verschlimmerung der Symptome dieses
Mittels um 2, 3 oder 5 Uhr früh. Der Husten von Kali car¬
bonicum ist am stärksten oder tritt wenigstens auf in der Zeit
von 3—5 Uhr am Morgen. Das Fieber kommt auch zwischen
3 und 5 Uhr. Der Kranke, welcher Asthma hat, wird um
3 Uhr morgens durch einen solchen Anfall geweckt. Er wacht
dann auf, hat alle möglichen Beschwerden, und um 5 Uhr lassen
die Beschwerden nach, und er ist befreit vom Anfall.
Natürlich hat er nebenbei noch andere Anfälle in den
24 Stunden des Tages, aber diese Morgenanfälle sind die
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schlimmsten. So ein Kranker wacht um 8 Uhr morgens auf,
voller Angst, Angst vor dem Tode, Angst vor der Zukunft,
jammert und klagt über alles Mögliche, und nach 2- 3 Stunden
schläft er ein und schläft ruhig und erquicklich.
Der Körper ist kalt und braucht viel Kleidung um warm
gehalten zu werden, und trotzdem dass er kalt ist, schwitzt
er reichlich. Reichlicher kalter Schweiss am Körper ist ein
Symptom von Kali carbonicum. Ueberdies schwitzt er bei
der leichtesten Anstrengung, schwitzt an den leidenden Theilen,
schwitzt an der Stirn, hat besonders kalten Schweiss an der
Stirn mit Kopfschmerzen.
Neuralgische Schmerzen in der Kopfhaut, in den Augen,
in den Wangenknochen mit durchziehenden Schmerzen. Sehr
heftige Schmerzen bald da bald dort im Körper, als ob der
Körper zerschmettert würde. Schneiden und Schlagen im Kopf.
Heftige Kongestion und Kopfschmerzen, wie wenn der Kopf
zu voll wäre. Der Kopf ist an einer Seite heiss und an der
anderen kalt, auf der Stirn aber steht kalter Schweiss.
Hierzu gehört ein katarrhalischer kongestiver Kopf¬
schmerz. Sobald der Kranke in kalte Luft kommt, werden
Nase und Schleimhäute trocken und brennend. Kommt er in
das warme Zimmer zurück, so fängt die Nase an ein wenig
abzusondern, wird dabei so verlegt, dass er nicht mehr durch
die Nase athmen kann, und dann ist es ihm unbehaglich zu
Muthe.
Charakteristisch ist also das Verlegtsein der Nase im
warmen Zimmer und das Freisein der Nase in der freien Luft.
Während die Nase frei und er durch dieselbe athmen kann,
hat er am meisten Kopfschmerz, und das Durchstreichen der
kalten Luft verursacht ein Brennen in der Nase.
Alle diese Kranken haben einen chronischen Katarrh, und
wenn sie bei Kälte draussen sind, so hört jede Absonderung
auf und dann kommt ein Kopfschmerz, und insofern kann man
sagen, das Mittel habe das Symptom: Kopfschmerz: Kopf¬
schmerz beim Fahren im Winde. Sobald eine solche Ab¬
sonderung durch eine Erkältung auf hört, tritt Kopfschmerz
ein, und wird die Absonderung flüssig, hört der Kopfschmerz
wieder auf. Beim Aufhören solcher katarrhalischer Absonde¬
rungen treten neuralgische Schmerzen in den Augen auf, in der
Kopfhaut und in den Wangenknochen, die auch wieder bald
verschwinden, wenn die Absonderung im Gange ist.
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Bei dem chronischen Katarrh der Käse ist ein dicker,
fliessender, gelber Nasenfluss vorhanden, der mit Trocken¬
heit abwechselt. Manchmal ist am Morgen der Ausfluss ziem¬
lich stark, so dass am Morgen die Nase ganz mit gelbem
Schleim gefüllt ist. Am Morgen schnaubt und hustet er
trockene harte Krusten aus, welche die Nase erfüllt haben
und welche nach hinten zu in den Rachen hineintreten. Diese
Krusten sind trocken, als wenn sie aus einem Theile der
Schleimhaut selber gebildet wären, und beim Ausschnauben
derselben kommt etwas Blut. Man kann auch an den Stellen,
wo die Krusten abgerissen sind, die Blutung sehen.
Der Kranke neigt zu Halsentzündungen. Er erkältet
sich immer, und die Erkältung führt stets zu einer Hals¬
erkrankung. Er hat ferner Neigung zu vergrösserten Mandeln,
und dabei sind auch die Ohrspeicheldrüsen vergrössert und
hart. Unter dem Ohre hinter dem Kiefer liegen grosse Knoten.
Diese vergrössern sich manchmal und werden härter, manch¬
mal auch schmerzhaft, besonders im Freien treten durchfahrende
Schmerzen auf; wenn die kalte Luft an diese Stellen kommt,
so werden sie empfindlich. Der Aufenthalt im warmen Zimmer
dagegen ist angenehm.
Bei akuten Entzündungen hat unser Mittel nicht viel
Werth, aber sehr empfohlen kann es werden bei allen chro¬
nischen bronchitischen und sonstigen Erkrankungen der Brust.
In der Brust finden sich fast dieselben Symptome wie in
der Nase. Sie ist trocken, und ein trockner, hackender, bellender
Husten im Freien tritt auf. Dagegen wird der Auswurf reich¬
lich, wenn es warm ist, und zu der Zeit fühlt sich der Kranke
am behaglichsten, denn die Absonderung erleichtert ihm seinen
Zustand. Dieser trockene hackende Husten hat auch früh¬
morgens Absonderung.
Der Husten beginnt ganz leise, steigt aber ziemlich schnell
und wird schliesslich krampfhaft mit Aufstossen oder Erbrechen
mit dem Gefühle, dass der Kopf in Stücke gehen will. Das
Gesicht wird aufgetrieben, die Augen treten hervor, und dann
kommt das eigentümliche Symptom, welches für Kali carboni-
cum so charakteristisch ist, eine Eigenart von Schwellung
zwischen Augenlidern und Augenbrauen, und diese
Schwellung wird bei jedem Hustenstoss stärker. Ich mache
Sie ganz besonders auf diese Erscheinung aufmerksam, denn
obwohl vielleicht nirgend anderswo am Körper oder im Gesicht
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149
eine Schwellung vorliegt, so tritt doch diese kleine Schwellung
am obern Augenlide auf. Sie wird manchmal so gross wie
eine kleine Wasserblase. Wir kennen dieses Symptom nur bei
Kali carbonicum und manchmal ist es dieses einzige Symptom,
welches dazu führt, dieses Mittel in Erwägung zu ziehen.
Bönninghausen erzählt von einer Epidemie von Keuchhusten,
bei welcher die meisten Fälle durch Kali carbonicum geheilt
wurden, und er kam auf das Mittel durch dieses Symptom.
Allerdings soll niemals ein Mittel auf ein Symptom hin allein
gegeben werden, aber wenn ein bestimmtes Symptom so auf
ein bestimmtes Mittel hinweist, dann vergleichen Sie stets das
Mittel und die Krankheit, ob dieselben auch einander ähnlich
genug sind. Wer das nicht thut, der begeht den Fehler, auf
ein Symptom allein hin ein Mittel willkürlich zu wählen.
Trockner, hackender, ununterbrochener, mit Aufstossen
vermischter Husten mit Keuchen, Nasenbluten, Erbrechen des
ganzen Mageninhaltes und Auswurf von blutstreifigem Schleim:
das ist die Form des Keuchhustens, die am meisten durch
Kali carbonicum geheilt wird, aber besonders dann, wenn
jenes eigentümliche und auffällige Symptom da ist von
dem kleinen geschwollenen Beutelchen unter den Augen¬
brauen und über den Lidern mit allgemeiner Verschwellung
des Auges.
Es giebt einige Formen von Lungenentzündung, bei denen
Kali carbonicum im Stadium der Hepatisation ebenso an¬
gezeigt sein kann wie Sulphur. Auch wenn die Lungenent¬
zündung vorbei ist und der Kranke bei jeder kleinen Erkältung
wieder Brusterscheinungen bekommt, dann denken Sie an Kali
carbonicum. Es zeigen sich immer dieselben Erscheinungen:
die Empfindlichkeit gegen Witterungswechsel, für Feuchtig¬
keit, für kalte Luft, ein fortdauernder, trockner, hackender
Husten mit Aufstossen, eine Verschlimmerung frühmorgens
von 3—5 Uhr und hin- und herziehende neuralgische Schmerzen.
Der Kranke bezieht diese ganzen Erscheinungen meistens auf
seine Lungenentzündung und spricht es auch aus, er sei seit
jener Zeit niemals ganz wohl geworden. Er hat eben in der
Brust einen katarrhalischen Zustand und damit eine chronische
Neigung sich zu erkälten. Solche Fälle werden leicht phthysisch
und werden selten ohne Kali carbonicum geheilt werden. Kali
carbonicum wird hierbei nicht so häufig gebraucht werden wie
Phosphor, Lycopodium und Sulphur, aber es hat doch seinen
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guten Antheil an der Heilung dieser katarrhalischen Zustände
in der Brust.
Ein anderes allgemeingiltiges Symptom dieses Mittels ist
die Neigung zu wassersüchtigen Anschwellungen. Ueber-
all am Körper zeigen sich solche Schwellungen. Die Füsse
schwellen an, die Einger werden dick, der Handrücken lässt
sich eindrücken, das Gesicht ist wächsern und gedunsen, das
Herz ist schwach. Ich erinnere mich einer ganzen Reihe von
Fällen von Herzverfettung, in denen ich sicherlich alle Er¬
scheinungen hätte verhindern können, wenn ich damals Kali
carbonicum besser gekannt hätte. Diese Fälle sind sehr heim¬
tückisch, und man muss sehr bald auf unser Mittel zukommen,
sonst geräth der Kranke in einen unheilbaren Zustand. Dieser
eigentümliche Zustand von Schwäche der Zirkulation, welcher
schliesslich zu Wassersucht und anderen Schwierigkeiten führt,
findet sein Bild in Kali carbonicum. Alle die Erscheinungen,
welche Kali carbonicum heilt, haben in ihrem Auftreten etwas
Heimtückisches. Es lässt sich gar kein Ausdruck dafür finden,
wie der Kranke aussieht. Er ist ein bischen verwelkt, er
wird leicht kurzathmig, wenn er einen Hügel hinaufgeht und
manchmal selbst auf ebenem Boden. Dabei ergiebt die Unter¬
suchung gar keine Anhaltpunkte. Dann kommt ein plötzlicher
Zusammenbruch mit organischen Veränderungen im Zirkulations¬
apparate, und dann erst sehen Sie die Erscheinungen, welche
Sie früher zur Bestimmung des Mittels sehr gesucht haben,
und Sie müssen sich sagen, dass, wenn Sie früher darauf ge¬
kommen wären, Sie den Kranken hätten heilen können. Wir
müssen auch kennen lernen, mit welchen Symptomen Krank¬
heiten anfangen und mit welchen Symptomen Mittel anfangen.
Es ist eine gute Gewohnheit für den homöopathischen Arzt,
wenn er bei Fällen, die er nicht hat heilen können, zurück¬
blickt auf den Anfang und sich genau darüber vergewissert,
mit welchen Erscheinungen die Krankheit begann. Das ist
eine Art von Epikrise, welche uns mehr nützt, als wie die
Sektionen der alten Schule.
Die Zähne sind auch in einem merkwürdigen Zustande.
Der Gaumen sieht aus, wie wenn der Kranke skorbutisch oder
sehr skrophulös wäre. Das Zahnfleisch löst sich von den Zähnen.
Die Zähne zerfallen, werden verfärbt und locker, so dass sie
schon zeitig ausgezogen werden müssen. Jede Kälte beim
Fahren oder schlechtes Wetter bringen Zahnschmerzen. Selbst
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in ganz gesunden, nicht vergilbten und zerfallenen Zähnen
treten diese stechenden, reissenden Schmerzen auf. Die Zähne
riechen schlecht, und rings um den Einsatz im Kiefer tritt etwas
Eiter aus dem Zahn heraus. Im Munde sind überall kleine
Ulcerationen, kleine Aphthen. Die Schleimhaut ist blass und
wird leicht wund. Die Zunge ist weiss belegt mit üblem
Geruch oder mit einem grauen Ueberzuge versehen, wie bei
Migräne.
Manche der Symptome von Kali carbonicum werden durch
das Essen verschlimmert, manche gebessert. Besonders das
Klopfen im Magen bei leerem Magen gehört hierher. Auch
sonst findet sich viel Klopfen im Körper und Blutandrang
nach den Fingern und den Zehen. Es giebt keinen Theil des
Körpers, welcher nicht pulsirte, und durch dieses Pulsiren wird
er wach erhalten. Diese Pulsation ist oft selbst dann zu be¬
merken, wenn in der Herzgegend kein Herzklopfen zu fühlen
ist: doch findet sich auch heftiges Herzklopfen als Symptom.
Kali carbonicum passt für eine grosse Menge alter Dy s-
peptiker. Nach dem Essen denkt der Kranke, er müsste
platzen, so ist er aufgetrieben. Viele Blähungen treten auf,
es kommt Aufstossen und Windeabgang, besonders riechende
Winde. Das Aufstossen ist meist mit dem Aufgehen« einer
sauren, die Zähne angreifenden Flüssigkeit verbunden. Diese
kann so sauer sein, dass sie im Rachen und im Munde weh
thut und geradezu wund macht.
Magenschmerzen nach dem Essen. Brennen im Magen
nach dem Essen. Ein Gefühl von Vergehen im Magen, welches
selbst durch das Essen nicht gebessert wird.
Eine Eigentümlichkeit von Kali carbonicum ist eine Art
von Angstgefühl im Magen, wie wenn man sich dort fürchten
könnte. Eine der ersten Kranken, welche mir dieses Symptom
angab, drückte mir dies sehr deutlich aus, indem sie sagte:
„ Ja, Herr Doktor, ich fürchte mich, aber nicht so wie andere
Leute, denn ich fürchte mich im Magen!“ Sie erzählte dann,
wenn sie erschrecke, so ginge der Schreck allemal zum Magen
hin; wenn eine Tliüre zugeschlagen würde, so fühlte sie es in
der Magengegend. Das ist doch etwas Auffälliges, das ist
doch ganz absonderlich!
Etwas später fand ich ein anderes eigentümliches Sym¬
ptom von Kali carbonicum. Ich war etwas ungeschickt und
stiess mit dem Knie an den über den Bettrand herausragen-
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den Fuss des Kranken ganz leise an. Der Kranke erschrak
und sagte ganz ängstlich „Oh!“ Das war auch wieder ein
Zeichen von Kali carbonicum, denn bei diesem Mittel ist der
Kranke leicht erschreckt, und Alles wirkt auf den Magen,
und wenn er heute angerührt wird, so wird er ängstlich, furcht¬
sam, und diese Furchtsamkeit fühlt er in der Magengegend.
Sie können sich ja vorstellen, dass es sich dabei um eine be¬
sondere Empfindlichkeit des Solarplexus handelt, aber das
Symptom ist das Alleinige, was uns leiten kann, nicht die Er¬
klärung dafür. Manche von diesen Kranken sind auch so
empfindlich in der Fusssohle, dass schon die Berührung des
Betttuches ihnen unangenehm durch den Körper geht. Ein
harter Druck schadet nicht, stört auch nicht, aber Alles, was
plötzlich kommt, erregt ganz unbändig.
So ein Kali carbonicum-Kranker ist überempfindlich für
Alles, was ihn umgiebt, besonders aber für die Berührung.
Er schaudert, wenn er nur leicht und einfach angefasst wird,
während ein harter Druck ihm gar nicht unangenehm ist.
Darum ist er auch so ausserordentlich kitzlig auf den Fuss-
sohlen. Es ist mir oft passirt, wenn ich mir die Füsse an¬
gesehen habe, dass der Kranke geradezu sich schauerte und
mir den Fuss wegzog, weil er behauptete, ich hätte ihn ge¬
kitzelt, und ich hatte nicht einmal gemerkt, dass ich die Sohle
überhaupt angefasst hätte.
Bei Lachesis ist ja auch die leise Berührung schmerzhaft,
der harte Druck angenehm, aber dabei findet sich nicht so
viel vom Kitzeln. Dagegen ist bei Lachesis der Bauch so
empfindlich, dass schon das darüberliegende Tuch schmerzhaft
ist. Ich habe Lachesiskranke gesehen, welche sich im Bett
einen vollständigen Krahn gebaut hatten, damit nur ja nichts
auf den Leib käme. Wenn Sie so etwas sehen, so denken
Sie immer an Lachesis, und ebenso wenn es die Leute uner¬
träglich finden, wenn man sie im Nacken anfasst, und wenn
die Leute keinen Kragen tragen können. Aber alles Das ist
verschieden von diesem eigenthümlichen Zustande von Kitzlig¬
keit. Ich habe Kranke, die so empfindlich auf ihrer Haut
sind, dass ich ihnen immer vorher sagen muss, wo ich sie an¬
fassen will. Ich muss sagen: „Halten Sie still, ich will jetzt
Ihren Puls anfühlen“. Wenn ich das thun würde, ohne es
ihnen vorher zu sagen, so würde ein Schauder durch den ganzen
Körper gehen.
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Das ist so ein Zustand, wie er zu Kali carbonicum gehört.
Solche einzelne Symptome muss man eben im Laufe der Zeit
ausgraben und Prüfungen und Krankheitsbilder immer wieder
vergleichen. Alle diese Erscheinungen, welche sich auf die
Ueberempfindlichkeit von Kranken beziehen, sind klinisch von
grossem Werthe. Unsere Materia medica ist wirklich schon
sehr gut, aber sie wird noch viel besser entwickelt werden,
wenn sich nur die Aerzte zusammenthun wollten, die genau
und mit Intelligenz ihre Materia medica verwenden, beobachten
was sie sehen und wörtlich beschreiben, was sie beobachtet
haben. Wie es jetzt aber steht, so giebt es unter den homöo¬
pathischen Aerzten wohl eine ganz kleine Zahl, welche in die
Versammlungen kommen und dort über Dinge berichten, die
noch werth sind, dass man sie anhört; die Zahl ist aber
ausserordentlich klein und wir müssen uns schämen, wenn wir
daran denken, wie lange wir schon Hahnemanns Publikationen
in der Hand haben.
Es giebt eine ganze Reihe alter chronischer Leber¬
kranker, welche immer nur über ihre Leber sprechen. So
oft sie zu ihrem Arzte kommen, sprechen sie von ihrer Leber
und von einem Gefühl von Fülle in der Lebergegend und von
Schmerzen im rechten Schulterblatte hinauf, in der ganzen
rechten Brusthälfte, viel Beklemmungen, viel Blähungen, Galle¬
erbrechen, einer Menge Störungen des Magens, besonders
grosser Fülle, nach dem Essen Anfälle von Durchfall, welche
mit Hartleibigkeit abwechseln, die viele Tage dauert und einen
sehr anstrengenden Stuhl bedingt. Periodische Gallenanfälle
mit Hartleibigkeit, wobei der Kranke nachts nicht liegen kann,
nachts oder morgens gegen drei Uhr Athemnoth bekommt,
ganz besonders w r enn der Kranke überempfindlich für kaltes,
feuchtes Wetter ist und die ganze Zeit am Feuer zu sitzen
wünscht.
Solche Kranke werden oft ganz durch Kali carbonicum
geheilt. Zumeist haben sie eine ganze Menge von Leber¬
mitteln genommen, die zum Abführen oder zum Erbrechen
führen sollen, die aber in Wirklichkeit das Uebel nur ver¬
mehren. Kali carbonicum geht bis auf den Grund dieser Fülle
und rottet das Uebel aus.
Im Unterleibe haben wir viele Kali carbonicum-Sym¬
ptome. Hierher gehören Kranke mit häufigen Kolikschmerzen,
schneidenden Schmerzen, Aufblähungen, Schmerzen nach dem
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154
Essen bei Hartleibigkeit und Durchfall, Kolikschmerzen schnei¬
dender, ziehender, reissender Art, dass er sich zusammenkrümmt,
was aller Augenblicke eintritt. Ausserordentliches Aufgetrieben-
sein. Wenn Sie so einen Anfall sehen, so werden Sie wahr¬
scheinlich meistens an Colocynthis oder an ein anderes der
Mittel denken, welche einen Kolikanfall in zwei oder drei
Minuten beseitigen, aber wenn Sie das Mittel zum zweiten
Male geben, so werden Sie finden, dass es dann nicht mehr
so wirkt, und deswegen müssen Sie sich dann nach einem
Mittel umsehen, welches tiefer hineingeht, antipsorisch ist und
den ganzen Fall seiner Natur noch regulirt. Wenn Sie die
Kolik nur während des akuten Anfalles sich ansehen, so ist
die Beobachtung zu einseitig, und ist es Ihnen gelungen, die
Kolik zunächst mit Colocynthis zu beseitigen, so müssen Sie
immer noch den Kranken genau studiren und nach seinen
wirklichen Symptomen suchen. Wenn dieselben auf Kali car-
bonicum passen und Sie geben das Mittel, so können Sie sicher
sein, dass ein neuer Anfall nicht kommt, denn es ist die
Wirkung von Kali carbonicum eine eigentkümlich tiefgehende,
langwirkende, mächtig antipsorische, die tief in das Leben
hineingreift. Es passt für alle Zustände, welche auf der Psora
erwachsen sind oder welche entstanden sind nach der Unter¬
drückung von Ausschlägen bei den Kinderkrankheiten oder
beim Schliessen alter Geschwüre und Fisteln, wenn darnach
alle möglichen Erscheinungen auftreten. Alle diese wandernden
Schmerzen und das Frostgefühl werden dann beim Auftreten
der alten Absonderungen wieder erleichtert durch Blutungen,
durch Geschwüre, welche tief hineinfressen und sich reichlich
absondern, und durch neue Fisteln.
Im Symptomenregister finden wir noch: „Schneiden im
Leib, als wenn er in Stücke gerissen würde.“ „Muss wegen
des heftigen Schneidens vornübergebeugt sitzen, die Hände in
den Leib hineingedrückt, oder lehnt sich ganz stark hinüber,
kann aber nicht aufrecht sitzen.“ „Schneiden und Ziehen wie
bei falschen Wehen.“ Bei allen diesen Schmerzen und bei
dem Schneiden im Leibe findet sich viel Kältegefühl. Der
Kranke braucht Hitze, etwas sehr Warmes, warme Getränke,
warme Aufschläge. Im Leibe fühlt er sich immer so kalt;
er ist äusserlich und innerlich kalt.
Manchmal wäre es grausam Kali carbonicum zu geben,
wenn der Kranke grade seinen Kolikanfall hat, denn wenn
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155
das Mittel der Konstitution des Kranken entsprechend ist,
wenn alle Symptome des vorliegenden Falles Kali carbonicum-
Symptome sind, dann werden Sie in den meisten Fällen eine
starke Verschlimmerung herbeiführen, und das ist nicht nöthig.
Es giebt ja eine ganze Keihe von Mitteln, welche den Anfall
schnell herabsetzen, und nachher kann man das konstitutionell
angemessene Mittel geben. Kann man aber dem Kranken
zumuthen, seinen Schmerz ohne ein Medikament bis zum Ende
auszuhalten, so ist es noch besser; das ist aber manchmal auch
grausam, und da muss man eben kurz wirkende Mittel geben.
Alle Beschwerden, welche immer wiederkommen, sei es,
dass sie an eine bestimmte Zeit gebunden sind, oder nach dem
Essen von bestimmten Sachen oder nach jeder Abkühlung oder
welche von sonst irgend einer Periodicität sind, die sind eben
chronische Leiden und niemals akute Beschwerden. Sie sind
ein kleiner Theil der chronischen miasmatischen Krankheit, sie
geben nur einen Einblick in die Krankheit, und man muss in
allen diesen Fällen das konstitutionelle Mittel suchen. Gewiss
können Sie gleich bei Ihrem ersten Besuche dem Kranken
starke Schmerzen abnehmen, aber dann müssen Sie sich an
den Fall erst heranmachen und verhindern, dass die Schmerzen
wiederkommen, sonst, wenn Sie Belladonna, Colocynthis oder
irgend ein anderes Mittel geben, welches nur der Kolik ent¬
spricht, dann wird sehr bald der Anfall wiederkommen, und
dann haben Sie eben nur palliativ gehandelt und nicht geheilt!
Wenn Sie aber andererseits einen solchen Kolikanfall
haben, der ganz genau auf Kali carbonicum passt und dabei
passt das Mittel nicht für die Konstitution des Kranken, da
liegt einer von den Fällen vor, wo selbst ein solches kon¬
stitutionelles und tief wirkendes Mittel wie Kali carbonicum
ganz schnell wirkt. Da braucht es nicht die gewöhnliche
lange Zeit für seine Wirkung und ruft auch keine Verschlim¬
merung hervor.
„Bauchmuskeln empfindlich für den Druck, Schwellen der
Drüsen im Unterleibe.“ Besonders nach Beschwerden, die
erst nur im Darme sich zeigten oder nach einer Bauchfell¬
entzündung, haben wir Erguss in den Peritonealsack, Wasser¬
sucht des Unterleibes, welche häufig, aber nicht immer mit
Wassersucht der Gliedmassen verknüpft ist. Besonders bei
Ascites von der Leber aus müssen Sie an dieses Mittel
denken.
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156
Viele Beschwerden dieses Mittels liegen auch auf dem
Gebiete des Mastdarmes, Afters und in der Hervorbringung
des Stuhles. Die grössten und schmerzhaftesten Hämorrhoidal¬
knoten, welche wie glühende Kohlen brennen, welche für Be¬
rührung sehr empfindlich sind, reichlich bluten, durch ihre
Schmerzhaftigkeit den Schlaf hindern, gehören zu diesem
Mittel. So ein Kranker liegt auf der Seite und hält die Ge-
sässbacken von einander, weil der Druck derselben ihm zu
empfindlich ist. Die Knoten treten nicht zurück, weil auch
inwendig die Schwellung sehr gross ist. Diese Hämorrhoiden
kommen nach dem Stuhlgange heraus, bluten sehr stark und
sind sehr schmerzhaft. Kann er sie hereinbringen, so brennen
sie noch sehr lange wie Feuer. Der Stuhlgang ist dabei hart
und kantig, er wird sehr schwer hervorgebracht und daher
werden die Beschwerden sehr verschlimmert. Hämorrhoidal-
fisteln. Analfisteln. Das Gefühl, als ob ein rothglühendes
Eisen in den After hineingestossen würde, wird nur durch
kalte Sitzbäder erleichtert.
Zu unserm Mittel gehört ferner chronische Diarrhoe
und Diarrhoe mit Hartleibigkeit wechselnd. Es ist eben eine
Hauptschwierigkeit dieses Mittels, dass so viele Erscheinungs¬
formen darunter gehören. In manchen Fällen, wo es eine
ganze Menge einzelner Symptome giebt, müssen wir auf die
allgemeinen Züge achten, um das Mittel zu erkennen.
In den Symptomenregistern finden sich weniger Angaben
über die Diarrhoe als in den klinischen Berichten. Schmerz¬
lose Diarrhoe mit viel Lärmen im Unterleibe und brennender
Stuhl nur bei Tag; chronische Fälle mit einer Anschwellung
unter den Augenbrauen. Das bezieht sich auf den chronischen
Zustand, von welchem ich sagte, dass er für das Mittel so
bezeichnend sei. Wir haben wenig Symptome, welche darauf
hinweisen, aber bei chronischer Diarrhoe kommt es sehr häufig
in Betracht, besonders wenn der Kranke alt und gebrochen,
bleich, schwächlich, mangelhaft verdauend ist, viele Auftrei¬
bungen hat und seine Leber nicht in Ordnung ist.
Niere, Blase und Harnröhre haben auch ihren Th eil an
den Beschwerden, doch mehr katarrhalischer Art. Abson¬
derungen von der Blase, dick, eitrig, fadenziehend, mit sehr
viel Schleim in der Blase. Dabei ist viel Brennen. Brennen
in der Harnröhre bei und nach der Entleerung. Der Urin geht
langsam mit Brennen und Wundsein ab.
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Kali carbonicum kommt Natrium mur. nahe in vielen
Fällen dieser Art von langdauernden Blasenbeschwerden. ln
alten Fällen von Tripper und langdauernden Blasenbeschwerden
und Nachtripper sind diese beiden Mittel sehr nützlich. Beide
sind anwendbar, wenn der Ausfluss weiss und knapp ist, aber
lange dauert und dabei die Harnentleerung schmerzhaft ist.
Bei Natrium mur. ist das Brennen stärker nach dem
XJriniren. Wenn Sie also die folgenden Symptome finden:
knapper tripperartiger Ausfluss, nach dem Uriniren auffälliges
Brennen, wobei der Kranke nervös und unruhig ist, dann wird
Natrium mur. meistens passen. Wenn aber das Brennen
ein dauerndes ist, also während und nach dem Uriniren auf-
tritt, und der Kranke ist mehr verfallen, so ist Kali carbonicum
das richtige Mittel.
Es giebt auch alte Tripperfälle, welche gar keinen Schmerz
haben, während hierbei Schmerz nach der Urinentleerung war.
Dann kommt eine ganz andere Klasse von Mitteln in Betracht.
Diese alten chronischen Ausflüsse nach Gonorrhoeen sind für
den jungen Arzt mit das Unangenehmste, was ihm unter die
Hände kommen kann. Es giebt hier eine grosse Zahl von
Mitteln, aber sehr wenig Symptome, und da der Kranke doch
meistens nicht schon früher in der Behandlung des betreffenden
Arztes gewesen ist, also die konstitutionellen Symptome ihm
nicht bekannt sind, so ist die Schwierigkeit sehr gross. Der
Kranke wiederholt immer nur, er habe nur den Ausfluss, und
Sie bringen ihn gar nicht dazu, sich auf seine anderen Sym¬
ptome zu besinnen. Er weiss es eben gar nicht, dass er etwa
meistens früh um 3 Uhr aufwacht und bis um 5 Uhr wach
bleibt, und er weiss es nicht, dass er auch sonst eine grosse
Reihe von Erscheinungen hat. Haben Sie den Kranken schon
früher gekannt und seine konstitutionellen Symptome schon
kennen gelernt, so werden Sie allerdings nicht viel Mühe haben.
Der zwingende Beweis, dass der Kali carbonicum-Patient
schwach und dem Zusammenbruch nahe ist liegt darin, dass
alle seine Symptome so sehr vermehrt werden nach dem Bei¬
schlafe, sogar nach jeder geschlechtlichen Erregung. Vergessen
Sie aber nicht in Ihrer Praxis, dass der Beischlaf eine natür¬
liche Thätigkeit ist für den Mann, wenn er sie nicht übertreibt,
und wenn einem solchen natürlichen Kraftbeweise Schwäche
folgt und das schon seit längerer Zeit, dann ist in der Kon¬
stitution etwas in Unordnung, dann ist etwas nahe am Zu-
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sammenbruch, und bei Kali carbonicum sind alle Symptome
nach dem Beischlafe verschlimmert. Da wird das Auge stumpf,
alle Sinne werden stumpf, der Kranke wird zittrig und ist im
allgemeinen nervös. Er ist schlaflos, schwach und zittert und
fröstelt ein bis zwei Tage lang. Etwas Aehnliches giebt es
auch dann beim Weibe. Aber obwohl der Mann so schwach
ist, so ist doch sein Geschlechtsbedürfniss ausserordentlich.
Das ist eben nicht in der Ordnung. Es findet sich da ein
sexueller Erethismus, der vom Willen nicht unterdrückt werden
kann, und infolgedessen kommt der Mann zu häufigen nächt¬
lichen Pollutionen, geschlechtlichen Träumen und geschlecht¬
licher Schwäche. Junge Leute, welche zu viel auf diesem
Gebiete gethan oder welche sich an sich selbst vergangen
haben, gehen dann schwach in die Ehe, und dann entsteht
zwischen den beiden Gatten eine Abneigung, und wir Aerzte
brauchen uns gar nicht zu wundern, dass es so viele Schei¬
dungen in der Welt giebt. Ist der Kranke noch jung, so
kann ja ein Theil seiner Beschwerden durch ein regelmässiges
Leben und durch homöopathische Behandlung gehoben werden.
(Schluss folgt.)
Aus der Zeitungsmappe.
Medical Century, September 1898.
Florence N. Ward: Heilmittel der Eierstöcke. Unter
den Mitteln für die funktionellen Störungen empfiehlt die Ver¬
fasserin:
Lilium tigrinum bei greifenden stechenden Schmerzen in
der linken Weiche, über die untere Hälfte des Unterleibes
sich erstreckend. Besserung durch leichten Druck, Keiben
mit .der warmen Hand und Niedersetzen. Verschlimmerung
beim Stehen. Schwere und Herabdrängen im Becken, beson¬
ders Druck auf den Mastdarm mit nutzlosen Bemühungen
Stuhlgang zu haben. Der Schmerz geht über die vordere und
innere Fläche des linken Beines mit dem dauernden Bedürfniss,
das Bein wegen der inneren Unruhe zu strecken und zu beugen.
Apis hat drückenden Schmerz in der rechten Seite.
Palladium hat Verschlimmerung durch tiefes Einathmen
und Bewegung.
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159
Lilium und Sepia haben den Drang nach unten, aber das
erstere stärker. Nebenbei gehen häufig Herzsymptome,' als
wenn das Herz zu sehr voll Blut wäre.
Argentum nitricum hat zusammenziehendes Gefühl in der
Seite mit Schneiden nach dem Kreuzbein zu.
Naja hat krampfhaften Schmerz in der linken Seite mit
Herzklopfen und Schmerzen in der Herzgegend.
Platina hat durchfahrende Schmerzen in der rechten Seite,
Pressen im Unterleib während der Periode, die geronnen ist,
zu zeitig eintritt und zu lange dauert, sowie Ueberempfindlich-
keit und Stumpfheit der äusseren Genitalien.
Graphit hat Stiche und Wundsein in der linken Seite.
Verschlimmerung durch Berührung, Tiefathmen und nasse Füsse.
Unregelmässige, knappe, auch fehlende Kegel. Reichlicher
Weissfluss. Verschlimmerung vom Gehen mit Rückenschmerzen.
Xanthoxylum hat schneidende durchfahrende Schmerzen
in der rechten Seite, ausstrahlend bis zu den Hüften, zum
Rücken und vor Allem an den Schenkeln herunter. Besserung
durch Niederlegen, Hochstellen der Kniee und durch Wärme.
Die Menses sind zeitig und schmerzhaft.
Zincum ähnelt Pulsatilla. Es hat bohrende Schmerzen
am linken Eierstock, gebessert bei Druck, ganz gut während
der Periode. Allgemeines nervöses unbehagliches Gefühl.
Actaea racemosa entspricht am besten den neurasthenischen
überempfindlichen Amerikanerinnen. Der linke Eierstock ist
besonders befallen. Nach oben hin durchfahrende Schmerzen.
Neuralgische Reflexe in den anderen Theilen des Körpers.
Palladium hat seine Beschwerden ausschliesslich auf dem
rechten Eierstock. Herabdrängen, Schwere im Becken, Ver¬
schlimmerung durch Anstrengung und Stehen. Besserung durch
Liegen auf der linken Seite.
Theridion hat starke Schmerzen im linken Eierstock, starken
Kopfschmerz, Empfindlichkeit der Portio, Frost bei der Periode.
Vespa hat unbestimmte Schmerzen im linken Eierstock
mit Empfindlichkeit, häufiges Urinlassen, Schmerz im Kreuzbein.
Thuja hat Schmerz im linken Eierstock durch die linke
Weiche durchgehend. Ausserordentlich deprimirender Schmerz
links, wobei stets andere sykotische Symptome vorhanden sind.
Sind diese Mittel hauptsächlich bestimmt für die funk¬
tionellen Störungen, so passen für die Zeit der mangelhaften
Rückbildung nach dem Wochenbette am besten:
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Aloe: Schwere in der Gebärmuttergegend. Gefühl eines
harten Körpers zwischen Schambein und Steissbein. Be¬
schwerniss im Abgehen der Winde.
Podophyllum: Schmerz im rechten Eierstock. Schmerz in
der Gebärmutter, als ob dieselbe beim Stuhlgang herausfallen
sollte. Lärmende Blähungen im aufsteigenden Colon.
Yihurnum: Durchfahrende Schmerzen in den Eierstöcken.
Starker Schmerz im Kreuzbein und am Schambein während
der Periode mit Ziehen in den vorderen Schenkeln. Knappe
Periode, verspätet, hellfarbig. Magenkrämpfe kurz vor der
Periode.
Ustilago: Empfindlichkeit des linken Eierstocks mit An¬
schwellung und Schmerz. Die Schmerzen gehen längs des
Beines herunter. Reichliche rothe Periode, gelber, übelriechender
Weissfluss. Dieses Mittel ist sozusagen das chronische Secale.
Sepia: Schwere und stechende Schmerzen im linken Eier¬
stock. Stechende Schmerzen in der Gebärmutter mit Herab¬
drängen links in den Geschlechtsteilen. Gleichzeitige Athem-
beklemmung.
Von den Mitteln, welche in der Wechselzeit in Betracht
kommen, haben besonderen Bezug auf die Eierstöcke:
Lachesis: Schmerz vom linken Eierstock zum rechten
herüber. Ueberempfindlichkeit für das Gewicht der Kleider.
Aufhören aller Symptome beim Eintritt der Periode.
Sepia: Klimakterische Beschwerden mit starken Eierstock¬
schmerzen. Sparsame Periode. Herzklopfen, Unbestimmtes
Gefühl im Epigastrium. Passt bei Kranken mit schwarzen
Haaren.
Belladonna: Empfindlichkeit der Eierstöcke, rechts
schlimmer. Herabziehen im Becken, besonders im Vorgebeugt¬
sitzen und beim Gehen, besser beim Liegen und Aufrechtsitzen.
Eignet sich für platonische Weiber mit hellen Haaren und
zarter Haut.
Ustilago: Linksseitige Eierstockschmerzen mit sehr reich¬
licher Periode und nachfolgendem bräunlichen Ausfluss. Eignet
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Jahrgang VIII. Nr. 6. Juni 1899,
ARCHIV
FÜR
HOMÖOPATHIE
geleitet
von
Dr. Alexander Villers.
Inhalt.
Schlegel . Einige Liliaceen..
Kent. Kali carbonicum (Schluss).
Villers . Die Frühjahrsversammlung des Sächsisch-Anhaltiner
Vereines Homöopathischer Aerzte 1899 .
Villers. Die Jahresversammlung des Amerikanischen Institute
of Homoeopathy 1898 .
Vom Büchertisch.
(Dr. Lahmann: „Der krankmachende Einfluss atmosphäri¬
scher Luftdruck-Schwankungen“ und „Das Luftbad als
Heil-u. Abhärtungsmittel“. — Dr. Black: „Viscumaibum“.
— W. Emerson: „One Year in Abdominal Surgery“.)
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(Mautlmer: Ludwig Büchner. — Ein Brief Hahnemanns.
— Dr. Peters: „Die neuesten Heilmittel in der Dosirung“.
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irung von Dr. Theinhardts Hygiama u. Kindernahrung.)
Aus der Zeitungsmappe.
Seite
161
165
172
175
178
181
183
188
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ARCHIV FÜR HOMÖOPATHIE
von
Dr. Alexander Villers.
Jahrgang VIII. Nr. 6. Juni 1899.
Einige Liliaceen.
Naturwissenschaftliches Signaturenbild.
Von B. Schlegel, Arzt in Tübingen.
Nachdem ich in der „Allgemeinen Homöopathischen Zeitung“
die wissenschaftlichen Signaturenbilder von Bryonia alb. und
von Aranea diadema veröffentlicht habe, will ich auch hier
die Neubegründung der Signaturlehre auf wissenschaftlicher
Grundlage zu vertreten suchen, eine Sache, welche nach meiner
Ansicht nicht nur hohes allgemeines Interesse beanspruchen
darf, sondern auch der Homöopathie wesentliche Dienste zu
leisten berufen ist.
Crocus. Safran.
Hier wird nicht die Zwiebel zur Arznei verwendet, sondern
die Narben der eben geöffneten Blüthe. Diese Narben sind
äussere weibliche Sexualorgane; sie treten dreitheilig, fächer¬
förmig, auffallend gefärbt hervor und überragen bald die
Blüthenhülle. Inmitten der lebhaftesten Sexualthätigkeit wird
die Frühlingsblume zerstört; die Substanzen der weib¬
lichen Blüthentheile streben ihre Bewegungen fort¬
zusetzen. Der wesentliche Theil des Gynoceums der
Pflanze, nämlich der Fruchtknoten mit den Eianlagen, wird
zur Arznei nicht verwendet; wir haben deshalb eine Ein¬
wirkung weniger auf die materiellen Vorgänge der Be¬
fruchtung zu erwarten, als auf die sexuelle Erregbarkeit,
deren Repräsentant die Narbe ist: Erregung, besonders jüngerer
Personen, im Blüthenalter, Exaltation, umschlagende Stimmung,
ausgelassene Heiterkeit, Neigung zu singen, extreme Zustände.
Wenn man bedenkt, dass die gebundene Kraft der Zwiebel
zunächst ausschliesslich für die Blüthe verwendet wird, dass
die vegetative Entfaltung der Pflanze erst nachfolgt und nur
schmale Blattspitzen aus der äusseren Hülle der Pflanze
Archiv für Homöopathie. Heft 6. li
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herausschauen, so ist die einseitige (extreme) Wirkung der
Crocus-Arznei gut verständlich. Die athmenden und paren¬
chymatösen Theile fehlen noch; hierdurch ist auch der venöse
Charakter der zum Crocusbilde gehörenden Blutungen ver¬
ständlich; die Blutungen selbst erscheinen im Zusammenhang
oder Parallelismus zu den sexuellen Blutungen. Dass die
Pflanze, welche den Frühling des Lebens so stark symbolisirt,
ausgesprochene Morgenverschlimmerung aufweist, fügt sich
harmonisch. Der G-rundcharakter des Crocus ist eine fröhliche
Belebung und Exaltation; das Mittel ist ein berühmtes Cor-
diale der alten Medizin. Vorwiegende Einwirkung aufs weib¬
liche Geschlecht; vorwiegende Verschlimmerung in der Wärme
(Gedeihensbedingung). Erhöhte Empfindlichkeit des Geistes
und Gemüths. (Die feine Temperaturempfindung der Crocus-
blüthe wird in Strassburgers Botanik hervorgehoben.)
Colchicum.
Die Zeitlose liefert zur Arznei die Zwiebel, ein bedeutend
anderer Gesichtspunkt. Die Zwiebel ist das Resultat der
vegetativen Periode der Pflanze, welche im Frühling und
Frühsommer nur einen Busch von Blättern aufweist, welchem
die Fruchtkapsel entsteigt. Die kraftvolle Zwiebel treibt im
August und September eine ganz blattlose, chlorophylllose
Blüthe in die Höhe. Die Einwirkung der Zwiebel, welche —
vor der Blüthe gesammelt — im Vollbesitz ihrer Spannkräfte
ist, ist eine explosiv vergiftende. Die Spannkräfte im Parenchym
der Zwiebel sind gewärtig, rasche, bedeutende Bewegungen,
Stoffumsetzungen, Transporte und Sexualthätigkeiten auszuüben:
die Entwickelung des Blüthengebildes aus einer beträchtlichen
Tiefe hervor erfolgt sehr rasch, wenn die Zeit gekommen ist.
Dieser Anlage entspringt die Einwirkung auf Herz und Kreis¬
lauf, Fieber, -sehr bedeutende Bewegungsantriebe in der un¬
willkürlichen Muskulatur: Herzklopfen, heftige Darmperis¬
taltik, Gasentwickelung, Tympania, Nierensekretionsstörung,
Ascites, schmerzhafte Reizung der aktiven und passiven will¬
kürlichen Bewegungsapparate, Muskeln, Gelenke, Knochen.
Akuter Charakter der Beschwerden, die alle durch Bewe¬
gung erhöht werden. Ein Leitsymptom durch Colchicum-
wirkung ist gänzliche Appetitlosigkeit, Widerwille gegen Essen
und Essensgeruch. Dies wird dadurch verständlich, dass die
Zeitlosezwiebel kein assimilirendes Organ ist. Ihre Kräfte
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bilden einen geschlossenen Kreis, welcher lediglich die Ver¬
ausgabung der Blüthe zu besorgen hat und dies aus eigenen
Mitteln bestreitet (ähnlich der Hyacinthe und anderen Zwiebeln,
die zur Blüthenentfaltung nurWasser bedürfen). Die grosse
Wetterempfindlichkeit der Colchicum-Wirkung äussert sich auch
symbolisch schon an der Blüthe. Wie die des Crocus schützt
dieBlüthenhülle ihre inneren Organe durch vermehrtes Schliessen
schon bei 0 C. Temperaturdifferenz. (Strassburger, Botanik.)
Während aber bei Crocus die auf den Menschen übertragene
Wirkung sich auf psychischem G-ebiet auslebt, entsprechend
dem hochgestellten Charakter der Pflanzentheile, die zur Arznei
dienen, macht sich diese Beziehung bei Colchicum direkt als
Wetterempfindlichkeit der gereizten Theile geltend. Bei dieser
Gelegenheit mag darauf hingewiesen werden, dass alle Zwiebeln
als Magazine bedeutender Bewegungskräfte angesehen werden
können; jedoch so einseitige und explosive Ausbrüche ihrer
Energieen, wie sie bei Colchicum Vorkommen, dürften sonst
selten sein, da — im Gegensatz zu Colchicum — meist eine
kontinuirliche Vegetation und innerhalb derselben die Blüthen-
bildung (umgeben von grünen Organen) stattfindet. Demgemäss
sind alle Zwiebeln etwas giftig; alle haben auch eine Ein¬
wirkung aufs Herz, sowie auf die andern motorischen Organe,
besonders bekannt bei Convallaria majalis und Scilla maritima.
Alle diese Pflanzengebilde sind deshalb zugleich Wassersuchts¬
mittel, zum Theil alte Volksheilmittel. — Dass Colchicum als eine
Herbstblume vorwiegend den Erkrankungen des abnehmenden
Lebensalters entspricht und das Merkmal der Abendverschlim¬
merung darbietet — beides im Gegensatz zu Crocus — fügt
sich symbolisch in das Signaturenbild.
Asparagin.
Das Asparagin hat zwar seinen Namen von einer Gattung
der Liliaceen, Asparagos, kommt aber auch in andern stark¬
wachsenden jungen Pflanzentheilen vor. Die Spargelsprossen
sind als Herzmittel und als „harntreibend“ bekannt. In der
„Allgemeinen Homöopathischen Zeitung“ S. 145 von 1898 wird
über einen,[Fall berichtet, wo Asparagin bei Herzleiden mit
Klappenfehler und Arhytmie, Aussetzen des Pulses, Adipositas,
Asthma, Husten, nach arthritischen Anfällen das Heilmittel
gewesen ist. Asparagin ist einer der Stoffe, welche die Träger
der gewaltigen Spannkräfte in jungen Pflanzentheilen, bez.
li*
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in organischen Magazinen, wie Zwiebeln und Wurzelknollen,
sind. Vielleicht lag in dem Krankheitsfall eine besondere An¬
passung gegen Asparagin vor; vielleicht wäre er aber auch
durch Colchicum, Convallaria oder Scilla oder eine andere
sympathische Quelle von entsprechender Anregung geheilt
worden.
Lilium martagon. Türkenbundlilie.
Eine auffallend schöne Lilie unsrer Wälder. Auch hier
ist die schuppige goldgelbe Zwiebel als Wassersuchtsmittel
gebräuchlich. Die prächtige Blüthe duftet nachts viel stärker
und ist an Nachtschmetterlinge angepasst. Die Spannkräfte
der Zwiebel vertheilen sich in ein stattliches Gerüst von
Stengel und winkelförmig angeordneten Blättern; so erfolgt die
Ausgestaltung ohne Begünstigung extremer Zustände, wie sie
bei den Bliithen des Crocus und der Zeitlose obwalten und
daher jedenfalls mindere Giftigkeit, minder einseitig aus¬
gesprochene Arzneiwirkungen. Eine starke Wirkung auf die
Sexualorgane, ähnlich Lilium tigrinum, Helonias, Aletris, lässt
sich aber erwarten, ebenso Wirkung auf Gemüth und Geist,
ausgesprochene nächtliche Verschlimmerung, parallel gehende
Störungen der Athmungs- und Digestionsorgane, wie auch
solche des Herzens und der andern Motoren.
Lilium candicans. Weisslilie.
Sie wird bezeichnenderweise von einer scheusslichen Larve
(Crioceris) verwüstet, welche sich — in Haufen ihres eigenen
Kothes gehüllt — an Stengel und Blättern fortbewegt. Die
Zwiebel treibt im Frühjahr einen hohen Schaft mit spärlichen
Blättern; die stark auffallenden herrlichen Blüthen erscheinen
im Juni und Juli, erhaben an Duft und an Gesammteindruck.
Das reine Weiss der Blüthe dürfte — ähnlich Stramonium —
auf ganz vorwiegend psychisch-nervöse Einwirkung hinweisen,
ohne stärkere Inanspruchnahme parenchymatöser Organe.
Kopfschmerzen, seelische Erregung mit dem Charakter des
Feierlichen und Erhabenen, hohe sexuelle Erregbarkeit. Ver¬
schlimmerung der nervösen Symptome am Tage und im Hoch¬
sommer, der vegetativen im Herbste und Frühjahr, wo die
Zwiebel einen Kranz von Bodenblättern erzeugt, welcher zur
Regeneration ihrer Kraft dient. — Lilium candicans und Lilium
martagon haben im Verhältniss zu ihrer Gesammtmasse des
Pflanzenkörpers kleine Zwiebeln; sie sind also auf gleichzeitige
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Assimilation angewiesen während der sommerlichen Ent¬
wickelung und nicht auf blosse Umsetzungen, wie Colchicum
und Crocus in ihren Blüthezeiten. Auch hiermit hängt mildere
Wirkung in Bezug auf die diuretischen Kräfte zusammen. Die
Scilla maritima dagegen ist wieder ein echtes Kraftmagazin,
welches — unter alleiniger Beihilfe von Wasser — einen be¬
deutenden blattlosen Blüthenschaft in die Höhe treibt. Dem¬
entsprechend ist sie giftig und diuretisch in hohem Grade.
Allium Cepa. Küchenzwiebel.
Im Unterschied zu den vorangegangenen Gewächsen ent¬
steigen der Küchenzwiebel zunächst stets grüne Pflanzentheile
in Gestalt hohler luftführender, stark chlorophyllhaltiger Blind¬
säcke; die zur Blüthe hinreichend reife grössere Zwiebel treibt
einen hohen Stengel, an welchem der blassgefärbte kugelige
Blüthenstand erscheint. Wir sehen hier zum ersten Male die
Abwendung des Pflanzenlebens von einer auffallenden, einseitig
ausgebildeten Blüthe und damit das Zurücktreten nervöser und
geistiger Einwirkungen auf den menschlichen Organismus, das
Vorwalten vegetativer Tendenz mit Störung der Athmungs-
organe, besonders der ersten Luftwege und Störung der Ver¬
dauung. Die Blähungskolik mag auf die bei Colchicum er¬
wähnten allgemeinen motorischen Einwirkungen der giftigen
Zwiebeln zurückzuführen sein; der Nasen-, Bachen-, Larynx-
und Luftröhrenkatarrh ist jedenfalls einem besonderen Beiz¬
stoff zuzuschreiben, der hier seine Angriffspunkte findet, da er
selbst einem Gebilde entstammt, aus welchem, luftführende
Böhren charakteristisch hervorgehen. — Schmerzen in Gelenken
und Gliedern gehören den Spannstoffen aller Zwiebeln an.
Kali carbonicum.
Von Prof. J. T. K e n t - Philadelphia.
(Schluss.)
Bei Kali carbonicum finden sich alle Arten Beschwerden,
welche die männlichen Geschlechtstheile betreffen können:
ein gewisses Unbehagen und eine Ueberempfindlichkeit der
Hoden, von denen der eine oft geschwollen und hart ist,
Jucken, Brennen und unangenehme Empfindungen am Hoden¬
sack und überhaupt die Empfindungen, welche den Kranken
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immerfort an die Gegenwart der Geschlechtsorgane erinnern.
Dauernde Reizbarkeit derselben, so dass seine Gedanken immer
darauf hingelenkt werden, zeigt sich als Folge von Missbrauch,
lasterhaftem Leben und übertriebenem Geschlechtsgenuss. In
diesen Fällen wird meist irrthümlicherweise Phosphor gegeben,
und es giebt Aerzte, welche dieses Mittel geradezu als das
Hauptmittel für Geschlechtsschwäche ansehen wollen. Seien
Sie aber vorsichtig mit Phosphor, welches zu stark wirkt und
sehr oft dort Schaden bringen würde, wo Kali carbonicum
helfen könnte! Die Indikationen für Phosphor bei Genital¬
störungen sind ausserordentliche geschlechtliche Erregbarkeit,
anhaltende Erektionen, ungebührliche Kraft der Genitalien.
Wo dagegen die Impotenz oder die Geschlechtsschwäche mit
der allgemeinen Schwäche der Konstitution zusammenfällt, da
kann Phosphor nicht helfen, sondern da scheint es geradezu zu
schaden. Sie müssen eben erkennen, dass die Geschlechts¬
schwäche nur. ein Theil der allgemeinen Lebensschwäche ist.
Unter der Einwirkung von Phosphor gehen alle solche Kranke,
welche diese Lebensschwäche haben, welche sich immer müde
fühlen, immer verschlafen sind und zu Bette gehen wollen, noch
schneller zu Grunde.
Für das weibliche Geschlecht hat Kali carbonicum
viele Beziehungen. Da finden sich fast alle Klagen und alle
Erscheinungen, die beim kranken Weibe Vorkommen können.
So ist es sehr empfehlenswert bei Uterinblutungen, bei blassen,
wachsfarbenen, zu Blutungen geneigten Weibern, auch bei den
unstillbaren Blutungen, welche nach Aborten folgen. So ein
Weib ist gewöhnlich schon ausgekratzt worden und auf alle
mögliche Weise örtlich behandelt, aber immer geht diese leise
Blutabsonderung weiter. Zur Perioden zeit ist der Fluss sehr
reichlich und geronnen. Nachdem die Periode zehn Tage ge¬
dauert hat und der Fluss immer so reichlich angehalten hat,
tritt wieder der alte Zustand ein, wo immerwährend Blut ab¬
gesondert wird und Blutspuren sich zeigen, bis bei der nächsten
Periode wieder eine Reihe von Tagen der reichliche Blutfluss
eintritt. Woran das wohl liegen mag, das wissen wir nicht,
aber das Symptom ist so deutlich, dass wir uns darauf ver¬
lassen können.
So wirkt Kali carbonicum sehr gut bei Fibroiden, welche
diese Erscheinungen hervorgerufen haben, und es ist besser,
auf diese Wirkung sich zu verlassen, als die Wechselzeit zu
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erwarten. Auch ohne jedes Mittel hört ja ein solches Fibroid
hei der Wechselzeit auf zu wachsen, fängt dann an zu
schrumpfen, und man braucht gar nicht weiter nachzuhelfen,
aber bevor dies aus natürlichen Gründen eintritt, können wir
es auch erzielen durch passend gewählte Mittel. Dann hört
ein solches Fibroid auf zu wachsen, und wenn Sie die Fräu
öfters untersuchen, so werden Sie in wenigen Jahren eine
starke Verminderung des Umfanges feststellen können.
Kali carbonicum ist häufig ein passendes Mittel für das
Erbrechen der Schwangeren, aber wenn Sie wissen wollen,
wann es passend ist, so müssen Sie sich das ganze Weib an-
sehen mit ihrer Konstitution. Das Erbrechen der Schwangeren
wird durch Ipecacuanha zwar vorübergehend gebessert, aber
nie geheilt werden, denn Ipecacuanha entspricht nur dem
Uebligkeitsgefühle, und gerade bei diesem Leiden sind die
Uebelkeit und das Aufstossen oft nur ein Symptom zweiten und
dritten Grades zur Auswahl des Mittels. In allen diesen Fällen
spielt die Konstitution eine grosse Rolle, und wer das Leiden
heben will, der muss sich eben ein konstitutionelles Mittel
suchen. Am häufigsten wird es sich handeln um Sulphur,
Sepia und Kali carbonicum. Manchmal kommt auch Arsenik
in Betracht. Natürlich, wenn eine schwangere Frau sich nur
den Magen verdorben hat und etwas mehr bricht, dann mag
wohl Ipecacuanha das richtige Mittel sein. Wenn Sie eine
schwangere Frau haben und finden gar keine konstitutionellen
Symptome und es ist nichts da als wie eine Uebelkeit, eine
fürchterliche, quälende Uebelkeit mit unterbrochenem, Tag und
Nacht fortgesetztem Erbrechen, dann geben Sie einmal eine
Gabe Symphoricarpus racemosa, und das' wird helfen. Ich
weiss wohl, dass man eigentlich auf so ein einzelnes Symptom
hin nichts wählen soll, aber es giebt eben Krankheiten, wo
man nur ein Symptom hat. Dieses Mittel ist übrigens nicht
von langer Wirkung, es hat keine Beziehungen zur Konsti¬
tution und ist Ipecacuanha nahestehend.
Bei mancher Kreissenden finden Sie Schmerzen unter der
Mittellinie. Die Gebärmutterschmerzen sind sehr wenig stark
und jedenfalls nicht genügend, die ganze Beckenarbeit ist nicht
genügend, um die Geburt fortschreiten zu lassen. Die Frau
klagt nur immer, dass ihr Rücken wehthut. Diese Schmerzen
gehen dann über das Gesäss weg nach den Beinen. Im Rücken
ist das Gefühl, als ob die Wirbelsäule abbräche.
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Wer zu verschreiben versteht, kann diese nutzlosen Qualen
in nützliche, helfende Wehen'verwandeln, so dass der Inhalt
der Gebärmutter zu Tage kommt.
Wehn Sie gerufen werden, so müssen Sie versuchen,
Kenntniss von den letzten Wochen der Schwangerschaft zu
erlangen. So in den letzten Wochen der Schwangerschaft
haben sich mancherlei unklare Symptome bemerkbar gemacht,
ein wenig Frösteln und andere scheinbare Kleinigkeiten, die
auf eine Veränderung der Konstitution hinweisen, aber Sie
haben dafür kein Mittel finden können; und nun, beim Auf¬
treten dieser Art Schmerzen erhalten Sie erst den Schlüssel
für die damaligen Erscheinungen. Hätten Sie früher schon er¬
kennen können, dass Kali carbonicum das hier passende Mittel ist,
so hätten Sie der Frau die schwere Geburt ersparen können, denn
die Geburt'ist zu schwer, sie dauert zu lange, die Gebärmutter
hat keine Kraft, die Wehenschmerzen sind zu schwach, sie bleiben
eben nur im Rücken und die Geburt schreitet nicht vorwärts.
Dieser Schmerz kann sich aber auch ändern, indem er zwar im
Rücken anfängt und zunächst nach der Gebärmutter zu geht, dann
aber im Rücken heraufläuft. Dann denken Sie einmal lieber an
Gelsemium. Diese unnützen Leibschmerzen können so heftig sein,
dass sie scheinbar die ganze Kontraktion der Gebärmutter hindern.
Wenn nun die Geburt still steht, das Weib schreit, stark
gerieben werden will und mehr Schmerzen in der Seite des
Leibes hat als in der Mitte, also ungefähr da, wo der breite
Muttermund sitzt, dann wird Actaea racemosa die Wehen regel¬
mässig machen. Pulsatilla dagegen hat die Schmerzen beim
Fehlen jeder Kontraktion da, wo der Körper gar nichts thut.
Wenn so ein Frauenkörper, bei dem Muttermund und alle
Theile weich sind, so dass man annehmen dürfte, dass eine
angenehme und leichte Entbindung kommen würde, unthätig
ist und gar nichts thut, dann ist Pulsatilla das angezeigte
Mittel und in wenigen Minuten wird eine reichliche und relativ
schmerzlose Zusammen Ziehung eintreten.
„Der Rückenschmerz tritt beim Gehen so stark auf, dass
1 sie sich auf der Strasse hinlegen könnte.“ Diese alten Schmerzen
nehmen der Kranken alle Kraft. Nach der Entbindung bleibt
eine Neigung zum Bluten, welche in jedem Periodentermin in
verstärktem Masse auftritt.
Hierher gehört auch die Herzschwäche mit Athemnoth,
wobei der Kranke sehr kurzen Athem hat und nur sehr wenig
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Schritte gehen kann. Beeilen darf sich der Kranke ja nicht,
sondern muss sehr langsam gehen. Das ist meist der Vor¬
läufer eines verfetteten Herzens. Dabei wird die Athemnoth
sehr stark, so stark, dass der Kranke kaum Zeit findet, zwischen
den einzelnen Athemzügen etwas zu essen und zu trinken.
Die Athemzüge folgen einander sehr schnell und sind nicht
sehr tief, sondern ganz oberflächlich. Manchmal findet sich
bei dieser Athemnoth ein sehr heftiges, unregelmässiges Herz¬
klopfen, so stark, dass der ganze Brustkorb erschüttert wird
und dass man die Pulsthätigkeit bis in die Finger und Zehen
hinein fühlt.
Heftige Blutwallungen. Der Kranke kann nicht auf der
linken Seite liegen. Stechende Schmerzen in der Brust und
Husten.
Das Mittel passt ferner bei alten asthmatischen Kranken
mit weichem Puls, starkem Pulsiren, Herzklopfen und der Un¬
möglichkeit zu liegen. Die einzige Stellung, in welcher er
einige Erleichterung findet, ist das Yorwärtsbücken mit den
Ellenbogen aufgestützt. Der Anfall ist sehr heftig und dauert
ungemein lange. Eine besondere Verschlimmerung zeigt sich
aber zwischen 3 und 5 Uhr morgens und beim Niederlegen
ins Bett. Meist weckt um diese Zeit ein Anfall ihn auf.
Das Mittel hat aber auch Einfluss auf asthmatische Athem¬
noth mit feuchtem Asthma, wenn lautes rasselndes Athmen
und viel Schleim auf der Brust zu finden ist. Deswegen
passt es auch für Kranke, welche immer etwas Rasseln auf
der Brust haben, einen rasselnden Husten zeigen und etwas
beklommene Athmung. Das sind die Leute, die bei jedem
Regenguss, und bei jedem Nebel, sowie bei kaltem und trübem
Wetter ein feuchtes Asthma bekommen, besonders wenn viel
Schwächegefühl auf der Brust dabei ist und eine Verschlimmerung
zwischen 3 und 5 Uhr früh. Der Kranke ist blass, kränklich,
blutarm und beklagt sich über stechende Schmerzen in der Brust.
Der Husten, der sich bei unserem Mittel findet, ist einer
der heftigsten Husten von allen, die wir bei der Prüfung von
Mitteln kennen lernen. Der ganze Körper ist wie zerschlagen.
Der Husten ist ununterbrochen und daneben tritt noch Auf-
stossen und Erbrechen ein. Er hat eine Verschlimmerung
3 Uhr morgens, und es ist ein harter, trockner, erschütternder
Husten. Erstickender Husten und Reizhusten 5 Uhr morgens.
Grosse Trockenheit im Halse zwischen 2 und 3 Uhr morgens.
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Denken Sie nur an Kali carbonicum, wenn nach Krank¬
heiten wie Masern ein Katarrh übrig bleibt, weil der Körper
nicht genug Energie hat, also als eine Folge der Psora —
dann werden Sie sehr oft Kali carbonicum angezeigt finden.
Neben diesem sind Sulphur, Carbo vegetalis und Drosera wohl
am häufigsten angezeigt. Der Auswurf ist reichlich, riecht
schlecht, ist sehr zähe, geklumpt, mit Blutstreifen, eitrig, dick¬
gelb, grüngelb, er schmeckt oft eigenthümlich schlecht etwa wie
alter Käse. Wenn dieser Zustand bei einem chronischen Katarrh
eintritt, so handelt es sich um einen typischen Kali carbonicum-
Fall. Es steht schon im Symptom encodex: „Trockener Husten
Tag und Nacht mit Erbrechen von Essen und etwas Schleim,
verschlimmert nach dem Essen und Trinken und am Abend.“
Eines der auffälligsten Symptome von Kali carbonicum
sind die platzwechselnden, stechenden Schmerzen auf
der Brust und das Kältegefühl in der Brust.
Die grosse Athemnoth, die vorübergehenden Stiche, die
Stiche vom Rippenfell aus sind hervorragende Kennzeichen
dieses Mittels.
Bei einer grossen Zahl von Fällen, bei denen Kali car¬
bonicum passt, werden Sie finden, dass das Leiden mit einem
einfachen Katarrh anfing und von dem unteren Abschnitte der
Lunge ausging. Wenn dagegen die ersten objektiven Sym¬
ptome sich an der Lungenspitze gezeigt haben, so wird es
selten in Betracht kommen.
Auch als Schutzmittel kommt es sehr häufig in Betracht
in Familien, in welchen die Tuberkulose erblich ist. Wenn
Sie von einer Familie wissen, dass in ihr die Tuberkulose eine
verhängnisvolle Rolle gespielt hat, so behandeln Sie jedes
Mitglied derselben antipsorisch. Wenn Sie aber finden, dass
der Kranke schon Zerstörungen in der Lunge hat, oder dass
man annehmen muss, dass sonstige Tuberkelniederlassungen
vorhanden sind oder auch schon Verkäsungen der Drüsen,
dann lassen Sie die Hände davon, denn Ihre antipsorischen
Mittel würden ihn wahrscheinlich nur in Gefahr bringen.
Wenn Sie einem Kinde, dessen Eltern beide an der Schwind¬
sucht gestorben sind, Sulphur gegeben, so bringen Sie es nicht
in Gefahr, sondern es kann das richtige Mittel sein, um die
spätere Erkrankung des Kindes zü verhindern.
Kali carbonicum kann auch hin und wieder bei einer aus¬
gebildeten Phthise das richtige Mittel sein, aber nur für
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die Symptome, nicht als konstitutionelles Mittel. Man hat
auch gewiss im Vorläuferstadium kein Symptom, welches auf
dieses Mittel hin wiese. Wenn ein solches Mittel in früheren
Abschnitten der Krankheit als konstitutionelles Mittel richtig
gewesen wäre, so schadet es am Ausgange der Krankheit dem
Kranken sehr. Wenn es dagegen in diesem Vorläuferstadium
nicht angezeigt war, so wirkt es wie manches andere pallia¬
tive Mittel.
Das Schlimme ist nur, dass so wenige Homöopathen die
homöopathischen Mittel zu finden verstehen.
Schliesslich möchte ich Sie noch warnen in einer Beziehung.
Kali carbonicum ist ein sehr gefährliches Mittel bei den
Gichtikern. Wenn Sie so einen alten gichtischen Menschen
haben mit verdickten Zehengelenken und verdickten Finger-
gelenken, die hin und wieder sich entzünden und schmerzen,
da denken Sie wahrscheinlich zuerst an Kali carbonicum, denn
Alles, was wir von dem Einfluss des Wetters gesehen haben,
stimmt hier. Der Kranke ist schlaff und kränklich, zwischen
2 und 3 Uhr morgens kommen seine Schmerzen und er hat
durchfahrende Schmerzen. Aber solche Gichtkranke sind
meistens unheilbar, und wenn man es doch versucht, auf die¬
selben mit Mitteln einzuwirken, so verschafft man ihnen nur
sehr lange dauernde Verschlimmerungen. Geben Sie z. B. einem
solchen unheilbaren Kranken Kali carbonicum, so wird der
Kranke immer schlimmer werden und die Verschlimmerung
wird ganz ernst und langdauernd sein.
Kali jodatum dagegen erzeugt diesen Zustand nicht. Kali
jodatum ist ein beruhigendes und herzhemmendes Mittel bei
Gichtkranken, aber Kali carbonicum scheint ein ganz furcht¬
bares Mittel zu sein, wie ein zweischneidiges Schwert.
Versuchen Sie niemals, bei diesen alten Gichtfällen, wo
schon sehr viele Gichtknoten aufgetreten sind, den Fall wirklich
heilen zu wollen. Freilich giebt es auch für diese Fälle ein
konstitutionelles Mittel, aber das hätte der Kranke vor
20 Jahren bekommen sollen. Wenn Sie es ihm jetzt geben,
so hat der Körper nicht mehr genug Reaktionskraft, um sich
wieder einzurichten, und statt gebessert zu werden wird er
verschlimmert. So paradox das klingt, hier kann man wirklich
sagen: der Heilversuch bringt ihn um. Die biologische Re¬
aktion, welche nothwendig wäre um ihn gesund zu machen,
zerreisst das ganze Gebilde.
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Ich verlange von Ihnen nicht, dass Sie mir solche Sachen
glauben, aber vergessen Sie es nicht, was ich Ihnen gesagt
habe und dessen können Sie sicher sein: wenn Sie längere
Zeit in der Praxis gestanden haben und erst sehen, wie viele
Versehen man bei dem Versuche unheilbare Fälle zu behandeln
begeht, dann werden Sie erst kennen lernen, welche furcht¬
bare Gewalt homöopathische Mittel haben können. Für Den¬
jenigen, der es noch nicht kennt, ist es ganz unglaublich. Bei
alten Gichtfällen, bei alten Fällen von Bright’scher Niere, bei
vorgeschrittenen Phthisen, wo schon sehr viele Tuberkeln nach¬
gewiesen werden können, nehmen Sie niemals Kali carbonicum.
Wenn Sie Kali carbonicum studiren, vergessen Sie nicht,
sich die verschiedenen Empfindungen, die es hat, einzuprägen.
Deren giebt es eine sehr grosse Zahl. Die hervorragendsten
sind aber die stechenden, zerrenden, reissenden Schmerzen so¬
wohl wie die durchziehenden und platzwechselnden stechenden
Schmerzen.
Die Frühjahrsversammiung des Sächsisch-Anhaltiner
Vereines Homöopathischer Aerzte 1899.
Von Dr. Alexander Villers-Dresden.
Am 14. Mai traten wir in Halle zu unsrer Frühjahrs¬
versammlung zusammen, an der leider unser Vorsitzender, Geh.
Sanitätsrath Dr. Faulwasser, infolge Erkrankung nicht theil-
nehmen konnte.
Es war zunächst eine ganze Reihe interner Angelegen¬
heiten zu erledigen, darunter die Mittheilung von dem seit
der letzten Sitzung eingetretenen Tode unsrer beiden Ehren¬
mitglieder Staatsrath Dr. Walz in Frankfurt a. 0. und Dr. med.
Lorbacher in Leipzig, deren Andenken die Versammlung durch
eine Ehrenkundgebung feierte.
Im laufenden Jahre hoffen wir, eine Veranlassung zu
einer festlichen Feier zu haben, da unser Vorsitzender am
25. August 1899 sein Jubiläum als Doktor feiern kann. Er
hat seiner Zeit in Bernburg promovirt, und seine Dissertation
trägt den Titel: „De Tuberculosi Cerebri Ejusque Tunicarum“.
Eines unsrer Mitglieder, gegen das sich ein Beschluss
unsrer letzten Herbstversammlung gerichtet hatte, benutzte
diesen Anlass seinen Austritt zu erklären in einem Briefe,
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dessen Formulirung die heitere Befriedigung der Anwesenden
hervorrief. Es giebt einen bestimmten Kreis in unsrer homöo¬
pathischen deutschen Aerztewelt, der sich dadurch auszeichnet,
dass es den Mitgliedern desselben unmöglich ist, sich ein sach¬
liches Urtheil zu bewahren. Sie setzen an Stelle dessen eine
weibische Empfindlichkeit, und es ist deshalb ganz gut für
das Weiterarbeiten in unsrem Kreise, wenn diese Herren
sich aus dem Yereinsleben zurückziehen.
Als nächster Versammlungsort für den Herbst wurde
Dessau bestimmt.
Der Verein nahm aber noch Kenntniss von der Erledigung
früherer Anträge, die er gestellt hatte.
So hat das Kuratorium des Leipziger Homöopathischen
Krankenhauses der Anregung, die von uns ausging, Folge ge¬
geben und hat unser Mitglied Dr. Groos-Erfurt cooptirt.
Eine gegen unser Mitglied Dr. Hädicke schwebende Ehren¬
rathsklage fand ihre Erledigung dadurch, dass in einem nebenher
und durch dieselben Umstände veranlassten gerichtlichen Vor¬
gehen es festgestellt wurde, dass Derjenige, der das Material
zijr Klage vor dem Ehrenrathe formulirt und uns zur Kenntniss
gebracht hatte, zugestand, dass er sich bei diesem Vorgehen
in einem Irrthum befunden habe. Es sind ganz besondere
Momente vorhanden, warum wir nicht daraufhin Anlass nahmen,
gegen den fahrlässigen Denunzianten vorzugehen.
Von den dem Verein zur Prüfung überwiesenen Mitteln
ist sehr wenig Gebrauch gemacht worden, und um die Un¬
klarheit über die Verpflichtung der Mitglieder,_ an diesen
Mittelprüfungen theilzunehmen, aus der Welt zu schaffen,
wurde ein Beschluss des Vereins provozirt, in welchem der¬
selbe feststellt, dass er jetzt mit Rücksicht auf die Arbeitslage
der einzelnen Mitglieder von einem korporativen Mitarbeiten
an den Arzneimittelprüfungen absieht und sich darauf be¬
schränkt, den Wunsch auszusprechen, dass seine einzelnen
Mitglieder, soweit es ihnen Zeit und Neigung erlauben, sich
an den Arbeiten betheiligen möchten. An der Mitarbeiter¬
schaft an der Deutschen Arzneimittellehre dagegen beschliesst
der Verein korporativ festzuhalten und innerhalb der Grenzen
seines Wirkungsgebietes auf die Durchführung der von der
Kommission gestellten Aufgaben zu dringen.
Dieses Zurücktreten von der gemeinsamen Arbeit bei der
Mittelprüfung ist keine Felonie. Wir wissen sehr gut, welchen
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Werth die Arzneimittelprüfungen haben, und sind theoretisch
durchaus dafür, dass dieselben gefördert werden. Nur gerade
in unsrem Kreise hat es sich nach Kenntnissnahme der Ar¬
beitsverhältnisse herausgestellt, dass eine regelmässige Be¬
theiligung nicht zu ermöglichen ist. Es ist dann ein un¬
würdiges Verhältniss, dass sich auf den Tagesordnungen der
Vereinsversammlungen immerfort die Prüfungsfrage fortwälzt,
ohne dass wirkliche Leistungen angeführt werden können, und
dieser Unklarheit sollte ein Ende gemacht werden.
Die an die Mitglieder vertheilten Arbeiten für die Deutsche
Arzneimittellehre sind ziemlich reichlich eingegangen. Die¬
selben unterliegen nun nach den Bestimmungen der Central¬
kommission einer ersten Revision durch den Verein selbst und
dann mit allem anderen Material einer Superrevision durch
den G-eneralredaktor unsrer Arzneimittellehre Dr. Eaulwasser.
Ein andrer Punkt der Tagesordnung, welcher unsre
Stellungnahme zu einer Differenz zwischen zwei unsrem Ver¬
ein nicht angehörenden Mitgliedern des Zentralvereines
kennzeichnen sollte, wurde den Vorschlägen des Vorstandes
entsprechend durch die Versammlung von der Tagesordnung
abgesetzt.
Im wissenschaftlichen Theile unsrer Sitzung wurde das
ausgeschriebene Thema „Perityphlitis“ nur sehr wenig behan¬
delt. Es lagen augenscheinlich zu wenig Erfahrungen aus der
Thätigkeit der einzelnen Mitglieder vor, als dass eine er-
spriessliche Diskussion möglich gewesen wäre.
Hervorzuheben ist nur, wie Dr. Hädicke seiner Anschauung
Ausdruck gab. Die Formen von Typhlitis, Perityphlitis u. s. w.
seien nicht als eigentliche Krankheiten anzusehen, sondern als
Ausdruck der Psora. Davon nehme er natürlich die mechanisch
veranlassten Entzündungen aus. Um dieser theoretischen Auf¬
fassung vom Wesen der Typhlititen in der praktischen Thätig¬
keit Ausdruck zu geben, kümmere er sich bei der Behandlung
beinahe gar nicht mehr um die Symptome, sondern gebe nur
Sulphur in höheren oder hohen Potenzen und sei mit den
bisher erzielten lang dauernden Erfolgen, besonders bei häufig
rezidivirenden Formen, sehr zufrieden.
Wenn auch die Anwesenden an der Verwendung eines
Konstitutionsmittels bei solchen Krankheiten nicht Anstoss
nahmen, so fand doch die Forderung, die Symptome gar nicht
zu beachten, keinen Anklang.
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Nach Schluss unsrer Versammlung setzten wir uns zu
dem üblichen Diner zusammen,, an welchem uns die beiden
Damen der Hallenser Kollegen die Ehre ihrer Gegenwart
erwiesen, und es schloss auch dieser Th eil der Versammlung
wieder in Harmonie und in dem Gefühle, dass bei echter
Kollegialität sachliche Differenzen ihren Ausdruck im Innern
nicht zu finden brauchen.
Die Jahresversammlung des Amerikanischen Institute
of Homoeopathy 1898.
Ref.: Dr. Alexander Villers-Dresden.
In der üblichen feierlichen und langdauernden Form wurde
voriges Jahr die Versammlung in Owaha abgehalten.
Der Versammlung wurden mehrere Berathungsthemata
vorgeschlagen, welche zeigen, dass die Homöopathen der Ver¬
einigten Staaten in Allem an der Spitze einer modernen Vor¬
wärtsbewegung stehen. So haben sie Verhandlungen über die
Kontrolle der ärztlichen Zeugnisse, über die Giltigkeit einer
Approbation in den verschiedenen Staaten, über die Erhaltung
der Waldungen aus hygieinischen Rücksichten und über die Aus¬
bildung der Pflegerinnen gehabt. Uns näher liegende Themata
sind das grosse Hahnemanndenkmal in Washington und die Er¬
nennung einer Kommission, welche feststellen soll, welche Form
die richtige sei: similia similibus curantur oder curentur.
Das American Institute kann von sich sagen, dass es
2000 Mitglieder hat ausser etwa 12000 Anhängern unsrer
Richtung, und eine seiner Hauptinteressen jetzt ist, die Parität
der Homöopathen und Allopathen in der Armee und der
Marine herzustellen.
Es wurde nur ein korrespondirendes Mitglied ernannt, und
zwar Dr. E. Mersch, der Herausgeber des „Journal beige
d’Homoeopathie“ in Brüssel. Ein zweiter Kandidat wurde
auf eine spätere Wahl zurückgestellt und ein dritter abgelehnt.
Bezeichnend für gewisse amerikanische Gewohnheiten ist
es, dass in dem vorliegenden Berichte über die Versammlung
6 1 / 2 Seiten verwendet sind, um die Rede wiederzugeben, welche
der Präsident bei der Erinnerungsfeier an die verstorbenen
Mitglieder gehalten hat, während gleichzeitig der Herausgeber
dieses Berichtes mit viel Stolz darauf hinweist, dass es ihm
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gelungen sei, den Umfang dieses Buches auf die von den
früheren Versammlungen gewünschte Zahl von ca. 800 Seiten
zurückzuführen.
Die schon längere Jahre dauernde Agitation, bei den Ver¬
sicherungsgesellschaften durchzusetzen, dass ihre Vertrauens¬
ärzte ohne Rücksicht auf ihre therapeutische Stellung gewählt
werden, hat im allgemeinen sehr gute Erfolge gehabt.
In der Abtheilung für Materia medica bewegte sich die
Diskussion lange in der Besprechung der vier therapeutischen
Richtungen: Antipathie, Allopathie, Isopathie und Homöopathie.
Der Vorsitzende hielt an dem Standpunkte fest, dass die Homöo¬
pathie nicht nur nicht die allein ausreichende Methode sei,
sondern auch noch nicht das Endziel der medizinischen Ent¬
wickelung. Dr. Mitchell stellte die Homöopathie deswegen
am höchsten, weil sie ein Gesetz hat, auf Grund dessen wir
handeln können, und weil sie nicht darauf ausgeht, den Krank¬
heitskeim zu tödten, sondern das Gewebe und den ganzen Körper
in die Lage versetzt, sich selbst gegen die eingedrungenen
Schädigungen zu wehren, also am besten der Theorie von
Bayes entspräche über die spezifische restaurative Mittelwahl.
In der Diskussion wurde darauf aufmerksam gemacht,
dass man eine antipathische Beziehung zwischen Mittel und
Krankheit kaum aufstellen könne, denn was sei denn der
Gegensatz von Husten, was sei denn der Gegensatz von
Krämpfen?
Im Schlussworte sagt der Vorsitzende, ganz berechtigt
sei der Wunsch, die Homöopathie auf den Standpunkt einer
exakten Wissenschaft zu bringen. Das könne aber nicht
dadurch geschehen, dass wir Krankengeschichten sammelten,
sondern dadurch, dass wir systematisch unsre Kenntniss von
den Vorgängen bei der Heilung vertieften. Vielleicht würde
dabei herauskommen, dass die Homöopathie nicht einen so
umfangreichen Wirkungskreis, wie wir glauben, hat, aber was
wir dann sicher wüssten, das wäre ein wirklicher Gewinn in
der Erkenntniss.
Als Beispiel einer unbrauchbaren Berichterstattung führte
er einen Eall von Dr. Goullon an, wo ohne deutliche sym¬
ptomatische Begründung nur deswegen, weil die eine Gesichts¬
hälfte geschwollen war, Apis gegeben und angeblich mit Erfolg
verabreicht wurde. Von dieser Art von Berichterstattung
müssten wir uns frei halten, und wir könnten sicher sein, dass,
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je ruhiger unsre Beweisführung geführt wird, sie um so eher
Anklang bei den jetzt noch anders Denkenden finden werde.
In derselben Abtheilung wurde noch eine sehr ausführliche
Symptomatologie der Gonorrhoe vorgetragen; es erscheint mir
aber nicht, als ob etwas Neues in der langen Liste zu finden
wäre.
Aus der grossen Zahl von Artikeln und Besprechungen,
welche die Tage der Versammlung füllten, nehme ich hier nur
Einzelnes heraus.
Dr. Gatchell aus Chicago vertrat die Meinung, dass das
Antitoxin ein homöopathisches Mittel sei. Dasselbe sei durch
die Prüfung als in homöopathischen Beziehungen zur Diphtherie
stehend erwiesen.
Dr. Leavitt sprach über einige Punkte der ärztlichen
Ethik bei weiblichen Kranken. Er sprach sehr für die Unter¬
suchung, auch der Unverheirateten, selbst wenn durch die
Exploration die anatomische Jungfernschaft zerstört werden
sollte. In Bezug auf die Verhütung der Schwangerschaft und
in Bezug auf künstlichen Abort sprach er dem Arzte das
Recht zu, aus rein gesundheitlichen Gründen helfend einzu-
gr^ifen. Um im Ealle des künstlichen Abortes den Verdacht
vom Arzte zu nehmen, wünschte er jedoch kollegiale Be¬
ratung mehrerer Aerzte vor Fassung des betreffenden Be¬
schlusses. Der Wert der Kastration für nervöse Kranke
erschien ihm fraglich.
Ueber Glaukome sprach Dr. Delap, um Folgendes aus¬
zuführen. Das gewöhnliche Glaukom ist meistens Folge einer
Ueberanstrengung des Auges und kann durch passende Gläser
in vielen Fällen verhütet werden. Die homöopathischen Mittel
wirken besser als Iridectomie. Ein alter Soldat, der im Jahre 1864
im Winterfeldzuge ein Glaukom bekommen hatte, war 20 Jahre
lang nie schmerzfrei gewesen. Als er dann in die homöo¬
pathische Augenklinik kam, erhielt er Rhus 3. Nach einer
Woche war der Schmerz vorbei, und ein volles Jahr hindurch
hat der Mann keine Schmerzen wieder gehabt. In einem
solchen vernachlässigten Falle hätte ein operativer Eingriff
wohl gar nichts genützt.
In seiner Arbeit über die Behandlung der Ischias sagt
Dr. Williamson, bei der medizinischen Behandlung würden
unterschätzt die Anwendung von Cimicifuga, wenn alle Mus¬
keln des erkrankten Gliedes sehr schmerzhaft sind, — Ledum
Archiv für Homöopathie. Heft 6. 12
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bei von unten nach oben fortschreitender Erkrankung und bei
gleicher Richtung der Schmerzen, — Dioscorea bei viel Krampf¬
erscheinungen in dem erkrankten Gliede, — Ruta bei Empfind¬
lichkeit für harten Druck, grosser Empfindlichkeit für Wit¬
terungsumschläge und auffälliger Unruhe und Unrast des
Kranken während der Anfälle.
In einem sehr übersichtlich geschriebenen Artikel „Ein
Beweis für das Similegesetz vom Standpunkte der Elektro¬
chemie und Physiologie“ bringt Professor Bailey eine Darlegung
der modernen Auffassung über die Ione und deren Wirkung,
und er kommt zu der Schlussfolgerung, dass auf diesem Wege
bewiesen werden kann, was wir immer behauptet haben, dass
nicht die Masse des Medikamentes wirke, sondern Kräfte,
welche innerhalb der Molekeln ihren Ursprung finden. Das
würden also die von den Ionen ausgehenden Kräftewirkungen
sein. Wir können zwar noch nicht erklären, warum diese
Partikelchen für den elektrischen Strom so geeignet sind und
auch als Heilpotenzen, wir sehen aber doch immerhin, dass
gerade in diesen Theilen eine besondere Form von Energie
vorhanden ist, und wir können erwarten, dass spätere Unter¬
suchungen eine Beziehung zu dieser Energie und dem Körper
feststellen werden.
Dr. Peck und Strickler geben noch ganz interessante
statistische Zusammenstellungen über die Heilerfolge der ver¬
schiedenen Methoden. Die Zahlen sind, soweit wie sie der
älteren Litteratur entnommen worden sind, wie es scheint,
sorgfältig durchgesehen und ergeben für unsre Heilmethode
ein ganz erklärliches Ueber.
Vom Büchertisch.
Dr. Lahmann: „Der krankmachende Einfluss atmo¬
sphärischer Luftdruck - Schwankungen". Stuttgart. Zimmers
Verlag 1899. Oktav. 40 S.
Dr. Lahmann bringt die häufigen Erkrankungen, welche
im Frühjahr und Herbst unzweifelhaft auftreten, in Verbindung
mit barometrischen Schwankungen.
Er berechnet, dass der Bauch mit Lendenpartie eine
Oberfläche von etwa 2000 Quadratcentimetern biete, also einen
Luftdruck von 2000 Kilo tragen könne. Eine Luftdruckabnahme
von 30 Millimeter Quecksilbersäule bedeute eine Abnahme von
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80 Kilo für die Bauchoberfläche. Eine solche Schwankung
müsse empfunden werden. Die plötzliche Druckverminderung
rufe im Unterleibe eine venöse Stauung hervor und auf Grund
deren entstehe eine Verzögerung der Nahrungsaufsaugung,
krankhafte Absonderung von Verdauungssäften, Störungen der
Darmbewegung und Gasabsonderung in das Innere. Ferner
sei durch Behinderung der regelmässigen Selbstgiftausscheidung
die rheumatische Konstitution geneigt, rheumatische Beschwerden
auftreten zu lassen. Wirklich wohl fühlen sich die Neurasthe¬
niker, besonders die der vasomotorischen Form, nur an den
heissen Sommertagen.
Dr. Lahmann stellt nun eine Reihe von Fällen, welche in
seiner Anstalt beobachtet worden sind, zusammen, um aus den¬
selben die Abhängigkeit des Kranken von plötzlichen Baro¬
meterstürzen zu beweisen. *
Warum laue Winter mehr Schnupfen bringen als kalte,
ist nach den vorherigen Ausführungen nicht schwer zu ver¬
stehen, und wenn die Schwankungen des Luftdruckes, wie es
im Winter 1898/99 der Fall war, durch die Monate November,
Dezember und Januar sich fortsetzen, so wird die Anfälligkeit
der ^Bevölkerung eine ungeheure und weitverbreitete, und als
deren Gesämmteindruck haben wir eine Influenzaepidemie, die
ihresgleichen sucht. —
Ich bin nach meinen Erfahrungen durchaus geneigt, die
Ausführungen Dr. Lahmanns zu billigen, denn ich fahnde schon
seit langer Zeit nach dem Zusammenhänge plötzlicher Ver¬
schlimmerung bei nervösen Leuten mit den Barometerschwan¬
kungen. Das Material der Sprechstunde ist nicht stabil genug,
um wirkliche Listen anzulegen, aber ich habe doch den Ein¬
druck , dass nicht die barometrischen Schwankungen allein in
dem mechanischen Sinne, wie Dr. Lahmann es meint, die Ver¬
änderungen bringen, sondern, dass eine mit den Schwankungen
verknüpfte Veränderung, vielleicht der statischen Elektrizität,
die Empfindlingen im Körper weckt, welche als neurasthenische
Anfälle so oft dem Kranken das Leben verbittern.
Dr. Lahmann: „Das Luftbad als Heil- und Abhärtungs-
mittel“. Stuttgart. A. Zimmers Verlag. 1898. Oktav. 30 S.
Der Verfasser, der sich sehr energisch gegen das kritik¬
lose Panschen mit kaltem Wasser wendet, findet einen guten
12 *
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180
und nützlichen Reiz für den Körper im Luftbad. Er empfiehlt,
dasselbe nicht nur im Laufe einer systematischen Kur zu ver¬
wenden, sondern auch zum täglichen Gebrauche. Eine Viertel¬
stunde früh und abends vollkommen entkleidet im Zimmer zu
verbringen, sei eine gute Gewohnheit. Wenn wir die Wärme¬
strahlung der Haut durch Ablegen der Kleidung vermehren,
so wird dieses Organ mehr durchblutet, und damit findet auch
eine grössere Abscheidung der Selbstgifte statt.
Ein Fall wird zum Beweise angeführt.
Bei einer anämischen Person mit nur 45 Prozent Hämo¬
globin im Fieberblute bessern die verschiedenen Behandlungen
mit Wasser und Bädern dieses Missverhältniss nicht. Ein
einziges Luftbad von zehn Minuten Dauer bei plus 4 Grad
Celsius im Freien steigert den Hämoglobingehalt auf 85 Prozent.
Die durch das Luftbad bewirkte chemische Tnnenarbeit
des Körpers kann so gewaltig auftreten, dass manche Patienten
geradezu fieberhaft erscheinen. Es treten starke Schweisse auf
oder starke Harnsäureausscheidungen.
Ausser dieser günstigen Wirkung auf die krankhaften
Störungen im Körper sei das Luftbad auch als Schutzmittel
gegen die katarrhalischen Erkältungen zu verwenden. —
Ich habe über die Wirkungen des Luftbades kein Urtheil,
weil dasselbe in der Privatpraxis kaum zu verwenden ist,
aber ich wollte doch die Arbeit von Dr. Lahmann hier nicht
unbesprochen sein lassen, weil wir Homöopathen es immer gern
sehen müssen, wenn uns Mittel an die Hand gegeben werden,
um die Reaktion des Körpers zu steigern. Auf dem Grunde
der gesteigerten Reaktionsfähigkeit des Körpers ist auch die
homöopathische Mittelwirkung eine viel deutlichere, besonders
wenn wir verstehen, das gewählte' Reizmittel wirksam nach
der Individualität des Kranken abzustufen.
Dr. George Black: „Viscum album.“ Oktav. 79 S. Lon¬
don bei Gould & Son. 1899.
Der Verfasser trägt mit viel Fleiss alle literarischen
Notizen, welche sich auf die Mistel beziehen, zusammen. Er
empfiehlt das Mittel bei subacutem Rheumatismus der Gelenke
bei besonderer Betheiligung der Fascien, vor allem aber
empfiehlt er es bei Schwerhörigkeit. Er führt einige Fälle
an, bei welchen Schwerhörigkeit nach Verletzungen, nach
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— 181 —
Scharlach und ohne bekannte Vorkrankheiten auftrat. In
diesen Fällen ist unter der Einwirkung von Viscum album die
Hörfähigkeit zum Theil auf das Doppelte und Dreifache ge¬
bracht worden. Er giebt das Mittel zumeist in der Dritten,
10—12 Tropfen auf den Tag vertheilt. In den Prüfungs¬
symptomen finden sich auffällige Zeichen besonders der Angst,
eine G-ewaltthat begehen zu müssen, und damit verbunden
sind Schmerzen im Unterleibe sowie das Gefühl, als ob der
Körper getheilt wäre.
Der Verfasser bringt mit Recht eine solche Pflanze,
welche so viele Symptome hat, uns ins Gedächtniss zurück.
Nathamel W. Emerson: „One Years Work in Ab¬
dominal Surgery“. Boston, Samuel Usher. 1899.
Der Verfasser veröffentlicht eine Statistik von 134 Ab¬
dominalöffnungen, die er in einem Jahre vollzogen hat. Es
kommen nur vier Todesfälle auf diese Zahl. Es waren 43 Ope¬
rationen wegen Appendicitis, 18 Hysterectomieen, 10 Ovario-
tomieen. Der Verfasser spricht sich mit Bestimmtheit für
eine konservative Methode aus, besonders mit Bezug auf die
Ovarien.
Dr. Lorbacher f.
Am 10. Mai starb unser verehrter Kollege Lorbacher.
Geboren am 26. August 1818 in Sömmerda, hat er am 25. No¬
vember 1844 in Greifswald promovirt und die Approbation
erlangt. Dann liess er sich in Eisleben nieder, um nach nicht
zu langer Zeit sich der Lehre Hahnemanns, der Homöopathie,
zuzuwenden. Ende der sechziger Jahre siedelte Dr. Lorbacher
nach Leipzig über. Hier redigirte er den 1870 erschienenen
ersten Jahrgang der jetzigen Leipziger Zeitschrift für Homöo¬
pathie. Zwei Jahre darauf, 1872, ernannte ihn der Homöo¬
pathische Zentralverein Deutschlands zum zweiten Arzte seiner
in Leipzig auf dem Neumarkte befindlichen Homöopathischen
Poliklinik, die aus den 1833 in der damaligen Sternwarten¬
strasse gegründeten homöopathischen Krankenhause hervor¬
gegangen w r ar, deren Leitung er später 1877, nach dem Tode
Clotar Müllers (gestorben am 10. November 1877) ganz über-
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182
nahm; gleichzeitig wurde er zum ersten Vorsitzenden des über
ganz Deutschland sich erstreckenden Homöopathischen Zen¬
tralvereins Deutschlands gewählt und bekleidete dieses Ehren¬
amt bis zum August 1895. Im Jahre 1878 übernahm Dr. Lor-
bacher auch die Redaktion der seit 1. Juli 1832 erscheinenden
„Allgemeinen Homöopathischen Zeitung“ und führte dieselbe
fort bis zum Jahre 1889. In diesem Blatte legte er seine
reichen praktischen Erfahrungen nieder, half in der Schlichtung
mancher inneren Streitfrage in persönlichem Sinne, war aber
auch stets bereit, jeden Angriff von aussen in ernster und
würdiger Form zurückzuweisen. Besondere Verdienste erwarb
sich Dr. Lorbacher mit seinen Bemühungen zur Errichtung
eines neuen homöopathischen Krankenhauses, und er hatte den
glücklichen Erfolg, dass dasselbe am 1. Juli 1888 in der Sidonien-
strasse 44 eingeweiht werden konnte. Auch die von Dr. Lor¬
bacher geleitete Poliklinik wurde vom Neuraarkt im Anfänge 1889
in das Krankenhaus verlegt. Durch seine Broschüre: „An¬
leitung zum methodischen Studium der Homöopathie; Vor¬
bereitungskursus zur Erlangung des Selbstdispensirrechtes
homöopathischer Arzneien im Königreiche Preussen“, hat der
Verblichene manchem Kollegen den Uebertritt zur Hahnemann-
schen Lehre erleichtert. Am 25. November 1894 beging
Dr. Lorbacher unter reger Theilnahme sein 50jähriges Jubi¬
läum als Doktor der Medizin. Im Jahre 1895 legte der Ver¬
storbene den’Vorsitz im Homöopathischen Zentralverein nieder,
nachdem er schon früher von der Leitung der Poliklinik zurück¬
getreten war, um die letzten Jahre seines Lebens in Ruhe zu
gemessen. Die Homöopathen können mit Recht ihm nach-
rufen: „haud frustra vixisti“.
Die Trauerrede an der in der Wohnung unter reichem
Blumenschmucke aufgebahrten Leiche hielt Herr Pfarrer
Dr. theol. Hölscher im Anschluss an Evang. Lucä 12, 35—37,
mit trostreichen Worten an die trauernden Angehörigen. Er
betonte besonders, dass der Dahingegangene auch als Arzt
und Mensch durch sein theilnahmevolles und liebevolles Wesen
sich die Dankbarkeit und Anhänglichkeit seiner Patienten und
die Achtung seiner Mitmenschen in reichlichem Masse er¬
worben hatte. Nach dem Geistlichen sprach noch Herr Ober¬
stabsarzt Dr. Rohowsky, der jetzige Direktor des Homöo¬
pathischen Zentralvereins, des letzteren Dank dem Todten-
aus für seine mehr als zwanzigjährige aufopfernde Thätigkeit.
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Unter den zahlreichen Blumenspenden fielen besonders auf die
des Homöopathischen Zentral Vereins, des Sächsisch-Anhaitini¬
schen Vereins Homöopathischer Aerzte und des Berliner Ver¬
eins Homöopathischer Aerzte.
Lorbachers Arbeiten und seine Leistungen können nicht
besser geschildert werden, als es der Nachruf des Vorstandes
des Homöopathischen Zentralvereins sagt mit den Worten:
Durch seinen rastlosen Eifer, sein stets ruhmvolles Ein¬
treten für unsere Interessen und sein tiefes wissenschaftliches
Forschen ist er uns stets ein leuchtendes Vorbild gewesen.
Sein Andenken und sein Geist werden bei uns Allen — als
der Besten Einer — dauernd fortleben und fortwirken und
rufen wir Ihm ein inniges „Habe Dank“ und ein herzliches
„Ruhe sanft“ in Himmelshöhen nach.
Mannigfaltiges.
Ueber Ludwig Büchner, den so eifrigen Bekämpfer der
Homöopathie, schreibt in einem Nekrologe Fritz Mauthner:
Büchner hat das unleugbare Verdienst gehabt, Fragen in
der Alltagssprache zu behandeln, welche sonst in schwer zu¬
gänglichem Gelehrtendeutsch allein untersucht worden waren;
aber die Fehler dieses Vorzuges blieben nicht aus. Die letzten
Fragen lassen sich nicht anders formuliren als in Begriffen,
welche ihre tausendjährige Geschichte haben und welche sich
im allgemeinen Sprachgebrauche nicht finden. Büchner schrieb
ein stattliches Buch über Kraft und Stoff, ohne den Begriff
Kraft und den Begriff Stoff scharf zu erfassen oder gar für
den Leser klar darzustellen. Er unterschied nicht, wie es
nothwendig gewesen wäre, zwischen dem Geistigen und dem
Körperlichen, er wiederholte im Grunde nur, besser ausgestattet
mit den Ergebnissen der neueren Naturwissenschaften, was
die Materialisten des 18. Jahrhunderts, insbesondere Lamettrie,
der Schützling Friedrichs des Grossen, mit leichtem Herzen
und leichter Hand über den Zusammenhang von Seele und
Leib geschrieben hatten. So konnte sein berühmtes Buch ein
Leitfaden werden für die minder Gebildeten, denen es versagt
war, aus den Quellen zu lernen, wie unsicher die Beantwortung
jeder letzten Frage lautet, wie furchtbar schwer auch nur die
Definition derjenigen Begriffe ist, mit denen Büchner wie mit
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Spielmarken gewirthschaftet hatte. Für diese grosse Masse
der minder Gebildeten ist er ein nicht ungefährlicher Lehrer
gewesen; fruchtbar in der Negation, überall da, wo er den
Sieg über die spiritualistischen Gespenster, der freilich grösseren
Geistern zu danken ist, durch seine populäre Darstellung, fast
möchte man sagen, durch seine unphilosophische Draufgängerei
weiter verfolgt hat; unfruchtbar überall da, wo er die zahl¬
reichen Beobachtungen und Gesetze der naturwissenschaftlichen
Forschung zu einem grossen und befriedigenden Weltbilde zu
vereinigen suchte.
So gross ist aber das Bedürfniss unserer Zeit nach einer
Befreiung von dem spiritualistischen Spuk, und so tapfer kam
Büchner diesem Bedürfnisse entgegen, dass man zugeben darf,
er habe trotz aller Mängel seinen Ruf wohl verdient. Büchner
hat nicht für die Ewigkeit geschaffen, nicht einmal für die
innere Entwickelung seines Jahrhunderts; er hat den Besten
seiner Zeit nicht genug gethan. Sein weitverbreitetes Buch
konnte nur für Halbgebildete eine Bibel werden, weil der Ver¬
fasser nur ein Halbwisser war. Aber innerhalb eines be¬
stimmten Jahrzehnts hat er ein Schlagwort gefunden, hat er
das erlösende Wort ausgesprochen. So war die Wirkung
Büchners möglich, die in populären Schriften, wie sie der
Sache jeder freien Bewegung dienen, noch heute fortdauert
und so bald nicht ganz verschwinden wird. Als ein ehrlicher
Mensch, der nun bald durch ein halbes Jahrhundert eine
ausserordentliche Wirkung auf breite Schichten seines Volkes
ausgeübt hat, der trotz mancher Unzulänglichkeit schliesslich
doch auf der Seite der freien Geister kraftvoll und unermüdlich
kämpfte, wird Ludwig Büchner nicht vergessen werden.
Ein Brief Hahnemanns. Zur Erklärung des.nachfolgenden
Briefes sei Folgendes gesagt: Der in Petersburg lebende
kaiserliche Leibarzt, Akademiker und Staatsrath Dr. Trinks
war ein Neffe Samuel Hahnemanns als Sohn von dessen Schwester.
Derselbe behandelte in Petersburg die Prinzessin Marie von
Württemberg, und als diese 1832 mit dem regierenden Herzog
von Sachsen-Coburg-Gotha sich vermählte, begleitete Trinks
die Prinzessin nach Coburg und erhielt dort den Auftrag, ihr
einen homöopathischen Arzt zuzuweisen. Trinks wandte sich
deshalb an Samuel Hahnemann, und der nachfolgende Brief
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ist die Antwort des Altmeisters der Homöopathie über diesen
Gegenstand an seinen Neffen.
Mein verehrter Neffe!
Ihr Auftrag setzt Vertrauen in mich, was ich zu verdienen
wünschte. Da Ihnen jedoch nicht bekannt sein kann, wie un¬
ausbleiblich und unerträglich die Hinderungen, Beleidigungen
und Verfolgungen zu sein pflegen, die ein acht homöopathischer
Arzt in Deutschland an jedem Orte seiner Niederlassung als
schutzloser Fremder zu bestehen hat, so kann ich keinem
Homöopathiker, ohne ihn ins Unglück zu stürzen, rathen, einen
solchen Schritt auf freie Hand zu wagen. Da hat die allöo-
pathische Intrigue einen vollkommenen, freien Spielraum, ihre
bekannte Bösherzigkeit unter dem Scheine des vollgiltigen,
alten Rechtes gegen den, selbst Arzneisubstanzen den Kranken
gebenden, ärztlichen Neuerer auszulassen, unterstützt durch
die Justizmänner, deren Hausärzte sie sind. „Was will der
„verhasste Mann hier? Er ist nicht von der Medicinal-Behörde
„weder des Landes, noch des Ortes legitimirt und autorisirt
„und kann es nicht werden, da er ein verdammter Homöo-
„pathiker ist. Wir haben die Macht, die alten Medicinal-
„Gesetze, ob sie schon dem Apotheker nur jede Bereitung der
„allöopathischen Misch-Arzneien privative zutheilen, so zu ver¬
drehen und umzudeuten, dass auch ein Homöopathiker alle
„seine einfachen Dinge (simplicia) vom feindlichen Apotheker,
„ob dieser sie gleich nicht zuzubereiten versteht, zubereiten
„und an die Kranken ausgeben lassen muss, — vom Apotheker,
„der nur die, seinem Wucher-Gewerbe offenbar Schranken
„setzende, verhasste Homöopathik zu stürzen, sehr geneigt
„sein muss, keine Arznei in die Pülverchen oder eine Flasche
„zu thun, da die so äusserst feine Gabe nicht wieder heraus-
„gefunden, er folglich des Betrugs nicht überführt werden
„kann — ein Homöopathiker aber der Willkür des Apothekers
„überlassen, und ohne Reichung seiner eigenen Mittel an die
„Kranken ein Unding ist, wie ein Maler ohne Erlaubniss ohne
„eigner Farben-Zubereitung und etwas noch Schlimmeres.
„Und, wenn ihm auch Alles gelänge, so wird ihm bei jedem
„Ableben eines seiner Kranken von uns ein Oriminal-Process
„gemacht, weil er die Observanzen unserer alten Schule nicht
„befolgt hat und so wird er auch durch unsere listigen Ver¬
letzungen seiner Kranken und Ausstreuung von Verleumdungen
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„gegen seine Kunst so gepeinigt und mürbe gemacht, dass er
„mit Verlust an Vermögen und Gesundheit sich zurückziehen
„und das "Weite suchen muss, was wir, die herrschende
„(satanische) alte Arznei-Zunft so herzlich wünschen.“
Solcher traurigen Erfahrungen sind schon viele gemacht
worden, so dass kein echter Homöopathiker, welcher an seinem
Wohnorte nur ein erträgliches Einkommen hat, so thöricht
sein wird, sich in so offenbaren Nachtheil zu setzen.
Ohne einen Ereiheits-Brief von einem Souverain, dass er,
von der bisherigen Medicinal-Behörde unbefragt und unge¬
hindert seine wohlthätige Kunst mit selbst zubereiteten und
(um sicher zu sein) selbst ausgegebenen Hilfsmitteln ausüben
könne, wird und kann sich kein von mir gewählter, würdiger
Homöopathiker dazu verstehen, sich in.Coburg niederzulassen
und auch dann nicht, wenn er nicht durch subscribirte, jährliche
Honorare von einer hinreichenden Zahl Familien in seiner
Subsistenz gedeckt ist; denn die Allöopathen verhetzen ihm
das Publikum, ohne Ausnahme, durch die abschreckendsten Ver¬
leumdungen, so dass selbst die Aermsten sich scheuen, seine
Thürschwelle zu betreten, wie ich aus eigener Erfahrung weiss.
Nimmt ihn aber der Landesherr zu seinem Leibarzte an,
mit Gewährung jenes Freibriefes, so hat er zwar noch immer
einen harten Kampf mit der allöopathischen l'ntrigue zu
bestehen, hat aber doch eine gewisse Existenz und Subsistenz,
die keinem wohlthätigen Heilkünstler fehlen darf.
Einzig also dann, wenn dem erwählten und zu dieser
Ortsveränderung zu bestimmenden, homöopathischen Heil¬
künstler die Berufung zu einer Leibarzt-Stelle, mit lebens¬
länglichem Gehalte und dem Freibrief zu Theil wird, dass er
von irgend einer Medicinal-Behörde alter Schule unbefragt und
ungehindert freie Praxis in der Residenz und der Gegend umher
mit eigenen, selbst zubereiteten Arzneien ausüben dürfe, werde
ich sehr gern den tüchtigsten dazu vorschlagen und veranlassen.
Wenn Ihnen auch nur etwas daran gelegen, Ihren Sie
schätzenden alten Onkel noch einmal zu sehen vor seinem
Abtritte von der irdischen Bühne, so lassen Sie sich’s nicht
gereuen, selbst einen kleinen Umweg seinetwegen zu machen;
in welcher Zuversicht ich Sie gewiss erwarte.
Oöthen, den 17. September 1832.
Ihr treuer Oheim Samuel Hahnemann.
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Die Richtigkeit vorstehender Copie mit dem von S. Hahne-
mann eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Original -
briefe vom 17. September 1832 bezeugt
Dresden, 28. September 1869
M. E. v. Bulmerincq, Med. Dr.
„Die neuesten Heilmittel in der Dosirung“ heisst eine
von Sanitätsrath Dr. Peters in Elster bearbeitete Zusammen¬
stellung moderner therapeutischer Vorschriften. Das kleine
Büchelchen ist sehr übersichtlich gearbeitet und Jedermann
zu empfehlen, der einen Ueberblick haben will über das, was
die neuere Richtung injier alten Schule vorschlägt.
Auch in diesem Falle zeigt sich wieder die unglaubliche
Unkenntniss unserer Kollegen von dem, was auf unsrem homöo¬
pathischen Gebiete geleistet worden ist. So führt Dr. Peters unter
dem Stichwort: „Alkoholverbände“ die Salzwedel’schen Spiritus¬
verbände an und einen ausführlichen Bericht von Dr. Löw
über dieselbe Verbandsart. Dass aber bei uns die Alkohol¬
verbände schon seit Jahrzehnten in Gebrauch sind und literarisch
durch Dr. Bolle vertreten sind, ist ihm ganz unbekannt.
Extractum rhois aromaticae wird nach Dr. Freiberger gegen
die Incontinentia urinae der Kinder empfohlen. Die Besserung
werde gewöhnlich durch eine mehrere Tage dauernde Ver¬
schlimmerung unterbrochen. — Woher kommt Dr. Freiberger
zu Rhus in seinen Abarten?!
Hamelin wird als schmerzlinderndes Mittel bei Hämor¬
rhoiden empfohlen. Dieses fremdartige Gebilde ist aber ein
Destillat aus Hamamelis virginica, und dieses ist nicht erst
durch die Berliner Firma, welche Hamelin herstellt, dem
Arzneischatze zugeführt worden.
Auch dass das Hydrastinin sich bei Uterusblutungen
bewährt habe, könnte wohl eine Erklärung finden in den
Studien, die wir über Hydrastis gemacht haben.
Hygiama, das Nährprodukt, welches Dr. med. Theinhardts
Nährmittelfabrik in Cannstadt auf den Markt gebracht hat,
ist nach einer ausführlichen Mittheilung von Dr. Freudenberg
im „Reichs-Medizinalanzeiger“ den Leguminosepräparaten in
Bezug auf den hohen Eiweissgehalt nahestehend. Es iibertrifft
aber dieselben durch die grössere Menge von löslichen Kohle-
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hydraten und bedeutend geringerem Fettgehalt. Daraufhin
empfiehlt es der Referent bei Erbrechen der Schwangeren,
nervöser Dyspepsie und mangelhafter Milchsekretion.
Prämiirung. Dr. Theinhardt’s Nährmittel-Gesellschaft
in Cannstadt erhielt auf der im März 1899 stattgehabten „Aus¬
stellung für Nahrungsmittel“ in Berlin wiederum die höchste
Auszeic hn ung — die goldene Medaille — für ihre beiden
ausgestellten Nährpräparate: Hygiama und Dr. Thein¬
hardt’s Kindernahrung.
Aus der Zeitungsmappe.
Hahnemannian Advocate, August 1898.
Dr. Payne: Klinische Fälle.
I. Spinalirritation. 21 jähriger Mann hat von Kindheit
an Rückenschmerzen und Ziehen im Kreuz gehabt. Die Muskeln
des Oberschenkels wie angezogen. Kurze verhärtete Unter¬
kieferdrüsen. Neuralgische Krampfschmerzen links unter dem
Kiefer bis zum Ohr. Verschlimmerung bei feuchtem Wetter.
Der Rückenschmerz wird besser durch das Gehen und das
Ausstrecken der Beine. Längeres Sitzen auf dem Ischias¬
knochen vermehrt den Schmerz. Liegen auf dem Rücken ver¬
mehrt den Rückenschmerz. Viel Urindrang. Die Urinentleerung
löscht einen Schmerz in der Nierengegend aus. Früher viel
unwillkürlicher Samenabfluss. Das Geschlechtsbediirfniss reicht
nicht aus, um die Erektion zu erhalten. Acneknoten auf Gesicht
und Wangen. Rothe dicke Lippen. Er ist sehr unglücklich
und entzieht sich der Gesellschaft der Freunde. — Medor-
rhinum cm drei Pulver mit zweimonatlicher Nachwirkung. Der
Rückenschmerz wurde fast sofort besser. Nach drei Monaten
bezeichnet er sich als gesund. Die geschlechtliche Leistung
hatte nicht zugenommen. Der Unterkiefer ist im Abschwellen.
II. Spinalirritation. 57jährige Dame, seit zwei Jahren
ohne Menstruation. Rückenschmerz vom Kopf bis herunter
seit ihrem 14. Jahre in Folge eines Sturzes, als sie beim
Niedersetzen den Stuhl verfehlte. Hämorrhoiden mit dem
Gefühl einer schweren Füllung des Reet ums. Verschlimmerung
beim Treppaufgehen und beim Stehen. Dumpfer, klopfender
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Schmerz in den vorgefallenen Knoten. Lahmheitsgefühl im
unteren Abschnitte des Rückenmarkes, als ob etwas fehlte.
Immer müde und schläfrig. Heisses Gefühl im Oberbauche,
in der Scheide und im Darme. Häufiger Urindrang beim
Liegen. Entmuthigt, gleichgiltig. Verschlimmerung der Be¬
schwerden beim Sitzen und beim Ausgehen. Grosse Schwäche
des Gehirnes. — Aesculus 200 beseitigte den Hämorrhoidal-
schmerz und den Rückenschmerz. Die anderen Beschwerden
aber blieben bestehen und es wurde Acidum picricum gegeben,
welches die Kranke heilte.
III. Neurasthenie. 50jährige Dame. Brennen und
Schmerzen des Augapfels, gebessert durch Druck und kalte
Umschläge. Die Augen sind steif und bewegen sich schwer,
besonders nach oben; Sehen macht sie schmerzen. Ueber dem
rechten Auge dumpfer Schmerz in der Stirn. Müdigkeit des
Kopfes, durch Gespräche Anderer vermehrt. Kurze Besserung
aller Beschwerden nach dem Essen. Dumpfer Schmerz über
den Schultern macht übel und schwach. Der Rücken ist sehr
empfindlich für den Druck an die Stuhllehne. Semmel wird
nicht vertragen, dagegen dunkles Brot wohl. Morgens vor
dem linken Auge ein grosser schwarzer Fleck. Erschreckende,
ermüdende, lebhafte Träume, manchmal komisch, meist aber
von übermässiger Anstrengung u. s. w. Windeaufstossen mit
Speisegeschmack. Nahe Gegenstände sind unklar zu sehen.
Ungeduldig und reizbar. Manchmal gelber, dünner Weissfluss.
Wundes Gefühl in der ganzen Länge des Rückgrates, ver¬
schlimmert durch Gehirnanstrengung. Dieser Schmerz macht
sie muthlos. Hinlegen bessert zunächst nicht, nur längere Ruhe.
Grosse Erleichterung nach dem Morgenbade. Der Magen bleibt
voll nach dem Essen. Sehr spät nachher Windeaufstossen und
saures Aufschwulken. Der Gebrauch der Arme verschlimmert
den Rückenschmerz und macht übel. Schrille Töne machen
den ganzen Körper erzittern. Sucht lange nach einer passenden
Lage. Ihre natürliche heitere Anlage hat sich ganz verändert.
Mehrere Mittel wurden vergeblich angewendet. Theridion 200
brachte sofortige Besserung monatelang. Eine Verschlimmerung,
die dann ein trat,' wurde durch eine zweite Gabe Theridion
wieder ausgeglichen.
IV. Staar. 58jährige Dame. In beiden Linsen trübe
Streifen. Das linke Auge schon fast unbrauchbar für das
Sehen. Begann mit einer Choroiderkrankung und nachfolgender
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Degeneration. Schmerzhafte Empfindung, die plötzlich auftritt,
im linken Auge, als oh Pfeffer hineingeschüttet worden wäre,
und starke Thränenabsonderung. Lidkrampf, besonders am
Abend. Die Lider wurden manchmal so heiss und trocken,
dass das Gefühl entstand, als ob der Augapfel innen fest¬
geheftet wäre, und als ob ein Stückchen Holz dazwischen¬
geklemmt wäre. Flackernde Erscheinungen vor dem rechten
Auge, blaue und grüne Ringe, zeitweilig grüner Schein um
die Gegenstände. Alle. Augensymptome durch Wärme ver¬
schlimmert. Die Kranke war sehr ungeduldig nervös, ver¬
schlimmert durch jede Gemüthserregung. Choreaartige Unruhe
der Gesichtsmuskeln, manchmal auch der Arme, die nur sehr
schwer durch den Willen in Ruhe gehalten werden konnten.
Manchmal Zucken im Schlaf. — Zincum 200 zwei Gaben in
sechs Monaten. Die rechte Linse vollkommen klar gebracht,
die linke begann klarer zu werden. — Elf Jahre später sah
er die Kranke wieder. Die rechte Linse war vollständig durch¬
sichtig, die linke hatte zwar alle Streifen, war aber faktisch
für das tägliche Leben vollkommen brauchbar.
Eine Prüfung der Linse ist in den Symptomenreihen von
Zincum nicht mit verzeichnet, aber die subjektiven Symptome
entsprachen dem Bilde, und deswegen war die Wahl richtig.
Journal of Homoeopathics, Oktober 1898.
Aus den klinischen Fällen gebe ich hier folgenden wieder:
Ein 52jähriges Weib hatte vor 12 Jahren durch ihren
Mann Tripper bekommen. Zwei Jahre darauf Entzündung des
rechten Kniees, die nicht wieder aufhörte. Januar 1898 tritt
sie in die Behandlung ein. Das rechte Knie ist geschwollen,
die Muskeln in der Kniekehle sind so angezogen, dass sie die
Sohle des Fusses nicht zum Boden treten kann; Verschlim¬
merung abends bis Mitternacht, Besserung am Feuer. Im
allgemeinen sehr frostig. Abneigung gegen das Essen. Auf-
stossen. Nachschmecken des Essens, besonders nach Fett.
Eine Gabe Pulsatilla 1000.
Fünf Tage später sind gebessert: die Beuge im Knie, die
Schmerzen, das Frostgefühl, verschlimmert dagegen die Magen¬
symptome.
Nach 20 Tagen wird Pulsatilla 1000 wiederholt. Zu der
Zeit war der Befund am Beine nicht verändert, die Magen-
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191
Symptome etwas gebessert. Sechs Tage später keine Schwel¬
lung im Knie. Die Kranke geht leicht. Sehr saures Auf-
stossen um Mitternacht. Drei Graben Calcarea carbonica 30.
werden eingeschoben. Sechs Tage später Pulsatilla cm ge¬
geben. Yon da ab begann die entschiedene Heilung. Das
Bein kann vollständig gestreckt werden. Gar keine Schmerzen.
Keine Magenbeschwerden.
Der Berichterstatter bemerkt dazu, es sei dies einer von
den vielen Fällen, die er durch Pulsatilla in einer Hochpotenz
geheilt habe. Die allgemeinen Symptome von Pulsatilla seien
deutlich gewesen, die lokalen Symptome und der ganze Cha¬
rakter des Weibes aber nicht, denn diese hätten nicht auf
Pulsatilla führen können.
Dr. F. H. Lutze berichtet über Ischias.
1. Linksseitige Ischias. Durchfahrende Schmerzen und
krampfhaftes Gefühl vom linken Gesäss bis in die Wade.
Gleichzeitig brennende drückende Schmerzen im Magen.
Uebelkeit und Erbrechen nach Essen oder Wasser- und Kaffee¬
trinken. Besonders Wasser wird sofort gebrochen, sodass der
Kranke, obwohl er durstig ist, wenig, aber dafür öfter trinkt.
Geruch und Geschmack der Speisen machen ihn übel. Ver¬
schlimmerung der Magenbeschwerden durch jedes Essen und
Trinken, der Hüftschmerzen durch jeden falschen Tritt. Er
ist unruhig und geht viel hin und her, besonders da seine
Schmerzen beim leisen Bewegen besser werden. Blasses,
schmales Gesicht.
Arsenik 4m ein Pulver brachte einen sofortigen Nachlass
der Schmerzen, die aber nach einigen Stunden wiederkehrten,
nur mit der Veränderung, dass sie nunmehr auf den verschie¬
denen Gebieten abwechselnd auftraten.
Einige Tage später erfuhr der Arzt erst ein neues Sym¬
ptom, die auffällige Verschlimmerung des Rückenschmerzes
beim Aufstehen vom Sitzen. Daraufhin bekam der Kranke
Cocculus indicus. Die Besserung führte in fünf Tagen zur voll¬
kommenen Heilung.
2. Ein 26jähriger Schreiber mit Neuralgie im rechten
Auge und in der rechten Schläfe bis zum Scheitel herauf.
Der Schmerz dauert von 2 bis 30 Minuten. Manchmal etwas
Uebelkeit. Bewegung und jede warme oder auch kalte An¬
wendung an den schmerzhaften Stellen vermehrt die Schmerzen
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und die Uebelkeit. Schlechter Geschmack. Weisser, dicker
Belag der Zunge. Viel Äufstossen.
Ein Pulver Ipecacuanha 2 c und eins 1 m heilte den Fall.
3. 48jähriger Mann mit Ischias in beiden Beinen, durch
homöopathische Misserfolge sehr gedrückt. Die Schmerzen
sind bei Tage am schlimmsten. Nux vom. 200 erleichterte,
das linke Bein wurde schmerzfrei, das rechte wurde eher
schlimmer. Verschlimmerung beim Husten, Niesen, Stuhldrang.
Die Verstopfung war so gross, dass ohne Nachhilfe der Stuhl
nicht entleert werden konnte. Schnellgehen erleichterte, Fahren
im Wagen war unmöglich. Der Nachtschlaf war durch keine
Schmerzen gestört.
Sepia 45m je ein Pulver mit acht Tagen Abstand heilte
den Fall vollständig.
4. Ischias bei Nierenerkrankung. Durchfahrende Schmerzen
durch das ganze Bein. Verschlimmerung bei der Nacht, von
der kalten Luft und bei Berührung der schmerzhaften Stellen.
Besserung bei Tagesanbruch und von der Wärme.
Heilung durch Syphilinum cm.
5. Ein Arbeiter, der in einem sehr elenden Häuschen
wohnte, hatte einen lähmenden, leicht stechenden Schmerz in
der Kreuzbeinhüftgegend. Trotz der Behandlung verschlim¬
merte sich derselbe und trat überdies noch ein Schmerz dazu,
der vom linken Hypochondrium aus durch den Leib bis in die
Hoden ging. Verschlimmerung bei Bewegung, Liegen auf der
linken Seite und Sitzen auf einem harten Stuhl. Lag er auf
der linken Seite, so konnte er sich nicht erheben. Durch¬
fahrende stechende Schmerzen, nur wenig gebessert durch
Wärme.
Kali carbonicum 1 m heilte in zwei Tagen.
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Jahrgang VIII. Nr. 7. Juli 1899.
Die Grundgesetze der arzneilichen Organtherapie und
ihre Bedeutung für die Praxis.
Vortrag von Prof. Dr. Hugo Schulz-Greifswald.
M. H.! Unter den vielen Methoden, deren die interne
Therapie zur Erreichung ihrer Zwecke sich bedient, steht, was
Ausdehnung und Verschiedenheit der Anwendungsformen ihres
Materials anlangt, die arzneiliche Therapie zweifellos oben an.
Mit einem Gefühle inneren Grauens sieht der angehende
Jünger des Aeskulap die unendliche Menge von Mitteln und
Rezepten in dem neuesten Kompilatorium zusammengestellt,
das er sich zur Vervollständigung seiner Bibliothek erstanden
hat. Nach einigen verzweifelten Anläufen, sich auch nur
einigermassen in die Materie hineinzuarbeiten, legt er das
Buch bei Seite und greift nach einer der bekannten kompen-
diösen Taschenausgaben, in denen er eine viel geringere Anzahl
„langbewährter“ Rezepte vorfindet und die infolge sinnreicher
innerer Einrichtung ihm auch das weitere Nachdenken über
den Fall möglichst erleichtern. Es ist richtig, meine Herren,
ein Einzelner vermag heute die Masse der Arzneimittel nicht
mehr zu übersehen, auch dann nicht, wenn er ihr Studium
sich zur speziellen Aufgabe gemacht hat. Wir haben aber
für solche Fälle, wo die Menge der Einzelheiten erdrückend
und verwirrend wirkt, in allen Gebieten der wirklich exakten
Wissenschaft ein Mittel, mit dessen Hilfe wir das scheinbare
Chaos beherrschen und ordnen, bei seinem Studium uns den
leitenden Faden durch das Labyrinth schaffen können. Dies
Mittel heisst kurzgesagt: Suchen und Finden des Gesetzes
oder der Gesetze, von denen aus alles sich naturgemäss und
ohne Zwang weiter entwickeln muss, oder mit deren Hilfe
wir kurze und bündige Erklärungen gewinnen für das, was
wir geschehen sehen.
Archiv für Homöopathie. Heft 7. 13
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Original fro-m
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194
Wenn ein Arzt gegen irgend eine Krankheit ein Arznei¬
mittel giebt, yon dem er mehr als nur palliative Hilfe erwartet,
so unterwirft er das erkrankte Organ oder den leidenden
Organismus dem Einfluss des Reizes, den der Arzneistoff aus¬
üben soll. Mit anderen Worten: Es wird ein Verliältniss, eine
Art von Wechselbeziehung geschaffen zwischen dem Arznei¬
mittel einer- und dem Organ andererseits. Es fragt sich:
Existiren für diese gegenseitigen Beziehungen bestimmte, fest¬
stehende Gesetze und wie lassen sie sich therapeutisch ver-
werthen?
Der unausgesetzte Prozess von Werden und Vergehen,
der das normale Leben eines Organes ausmacht und bedingt,
lässt sich unschwer mit dem Verhalten einer feinen Waage
vergleichen. Wie sie in gleichmässiger Amplitude um ihren
Ruhepunkt schwingt, so bewegt sich auch das normale Organ
in seinen Lebensvorgängen innerhalb einer gewissen Breite,
die wir als die physiologische bezeichnen. Nähert sich das
Organ allzusehr und ausgesprochen der oberen oder unteren
Grenzlinie, so reden wir von einem beginnenden pathologischen
Zustande. Er wird um so deutlicher, je mehr der Grenzwerth
der normalen Amplitude einseitig erreicht wird, und spricht
sich in zweifellosester Gestalt dann aus, wenn die Grenze
überschritten wird oder bleibt. Aufgabe der inneren Therapie
ist es, diese pathologischen Schwingungen wieder zu normalen
zu machen. Benutzt sie zu diesem Ende Arzneistoffe, so
müssen diese folgerecht befähigt sein, in der gewollten Weise
auf das kranke Organ einwirken zu können. Die eigentliche
Arbeit aber hat das Organ selbst zu leisten. Kann es auf
den Arzneireiz, dessen passende Auswahl vorausgesetzt, in
genügender Weise reagiren, so erreichen wir unseren Zweck.
Ist ihm diese Möglichkeit aus ihm selbst heraus benommen,
so stehen wir machtlos da. Unmöglichkeit, auf den Arzneireiz
noch reagiren zu können, ist der Sinn des alten Spruches:
Contra vim mortis nulla herba in hortis!
Wiederholt schon habe ich hier von der Reiz Wirkung ge¬
sprochen, die ein Arzneistoff ausübt. Die Anschauung, dass
bei seinem Wirken das jeweils in Präge kommende Organ
einem Reize unterworfen wird, ist nicht neu. Am deutlichsten,
wenn auch in einseitiger Befolgung ihrer Konsequenzen, ist sie
wohl von Brown ausgesprochen worden. Aber heute erst sind
wir in der Lage, uns das Gesetzmässige in der Reizwirkung
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einfach und so verdeutlichen zu können, dass auch die ärztliche
Praxis ihren Gewinn daraus zu ziehen vermag.
Zum leichteren Verständniss für die folgende Auseinander¬
setzung wird es sich empfehlen, zunächst vom gesunden Organ
auszugehen und das Gesetzmässige festzustellen in den Be¬
ziehungen zwischen ihm und irgend einem Arzneistoffe, der es
zu beeinflussen vermag.
Unser Kollege Rudolf Arndt hat das Verdienst, zuerst,
und zwar zur Deutung des Gesetzes der Entwickelung und
des Verlaufes der Psychosen, das Ihnen allen bekannte, zuerst
von Pflüger genau präzisirte, sogenannte Zuckungsgesetz und
ferner das demselben speziell für pathologische Fragen sich
anschliessende Ritter-Valli’sche Gesetz zur Grundlage seiner
weiteren Ueberlegungen gemacht zu haben. Veranlasst durch
das Studium dieser Frage, habe ich dann im Jahre 1887 die
Giltigkeit derselben Gesetze für die Arzneiwirkung bewiesen. 1 )
Arndt hat seiner Zeit unter dem Namen des „biologischen
Grundgesetzes“ folgende Sätze aufgestellt: „Kleine (schwache)
Reize fachen die Lebensthätigkeit an, mittelstarke fördern
sie, starke hemmen sie, stärkste heben sie auf. Aber durch¬
aus individuell ist, was sich als einen schwachen, einen mittel¬
starken, einen starken oder einen stärksten Reiz wirksam
zeigt“. Diese Sätze enthalten zwei wesentliche Punkte: Die
Bedeutung der Intensität des Reizes und, was besonders zu
beachten, die strenge Berücksichtigung der Individualität des
gereizten oder zu reizenden Organes, mit anderen Worten:
des einzelnen Falles. Und nun, meine Herren, prüfen Sie ein¬
mal die Richtigkeit des biologischen Grundgesetzes, indem Sie
sich kurz erinnern an die Verschiedenheit und doch streng
dem Gesetze folgende Wirkung eines Arzneistoffes, wie zum
Beispiel des Alkohols, auf das gesunde menschliche Gehirn.
Ebenso, wie die psychischen Funktionen durch kleine Alkohol¬
dosen angefacht werden, durch grössere mehr und mehr vor¬
übergehender oder dauernder Vernichtung anheimfallen, genau
so verhält es sich überall, wo wir in der lebenden Natur die
Aeusserungen vorhandener Reizwirkungen studiren wollen.
Gestatten Sie noch ein weiteres Beispiel. Wir sind gewohnt,
Substanzen, die in einer gewissen niedrigen Menge wirkend
b Zur Lehre von der Arzneiwirkmig. Virchow’s Archiv Bd. CVIII,
S. 432.
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als noch für das Leben gefährlich sich erweisen, als Grifte zu
bezeichnen. So ist das Sublimat ein starkes Protoplasmagift,
das heisst, es wirkt noch in geringen Mengen tödtlich oder doch
schädigend auf das Leben der Gewebe und Organe ein. Man
kann das unter anderem sehr deutlich wahrnehmen bei der
Hefenzelle, deren bekannte physiologische Leistung, die Pro¬
duktion von Alkohol und Kohlensäure aus Zucker, noch durch
stark verdünnte Sublimatlösungen unmöglich gemacht wird.
Vom Standpunkte des biologischen Grundgesetzes aus stellt
also Sublimat in den gebräuchlichen Verdünnungen einen
„stärksten“ Beiz für die Hefezelle dar. Ist das Gesetz richtig,
so muss dieser Reiz sich unter bestimmten Bedingungen so
modifiziren lassen, dass er zum „schwachen“ wird und dann
anregend statt tödtend auf die Hefezellen einwirkt. Dass dem
in der That so ist, habe ich zuerst nachgewiesen, 1 ) und die
Untersuchungen anderer Forscher haben meine Befunde
bestätigt. Verdünnt man Sublimat in dem Verhältnisse, von
1: 7—800000 Theile Wasser, was also der Lösung von Sublimat
zu einem Gramm in 7—800 Liter Wasser entspricht, und
behandelt mit einer solchen Lösung die Hefe, dann arbeitet
sie ganz gewaltig und liefert erheblich mehr der als Produkt
dieser Arbeit bestimmten Kohlensäure, als ohne diesen Zusatz.
Dasselbe gilt für Jod, Brom, Arsen, Salicylsäure, Ameisen¬
säure in gewissen, von der Art dieser Substanzen abhängigen
Modalitäten. Aus alle diesem folgt: Richtig gewählt sind die
reizwirkenden Stoffe befähigt, gegebenen Falles auch schon in
minimal erscheinenden Quantitäten auf normale Organe so zu
wirken, dass eine erhebliche Steigerung ihrer physiologischen
Thätigkeit daraus folgen kann.
Die praktische Medizin arbeitet aber bekanntlich mit
kranken Organen, und es würde ihr nicht viel damit geholfen
sein, wenn die bisher gegebenen Auseinandersetzungen nur für
die gesunden Organe und Organismen Giltigkeit hätten. Wir
müssen zur Klarstellung dieser Frage nunmehr auf einen
zweiten, ebenso wie das Zuckungsgesetz physiologisch fest¬
stehenden Lehrsatz zurückgehen. Das Ritter-Valli’sche Gesetz,
die Lehre vom Elektrotonus absterbender Nerven lehrt uns,
dass für sie schon Ströme zur Erzeugung von Reizerscheinungen
genügen, die für den gesunden Nerven kaum als Reiz sich
') lieber Hefegifte. Pflüger’s Archiv Bä XLII, S. 517.
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geltend machen. Für uns folgert daraus: Also muss ein krankes
Organ feiner reagiren auf einen Arzneistoff, dessen Einfluss
es überhaupt unterworfen werden kann, als ein gesundes.
Dosen, die das gesunde Gewebe kaum beeinflussen, müssen
dem kranken Organ gegenüber schon als leistungsfähig sich
erweisen. Gestatten Sie zur Illustrirung einen höchst all¬
täglichen Beleg, der zugleich zeigt, dass unter bestimmten
Verhältnissen die „Erkrankung“ gar nicht einmal so besonders
tiefgehend zu sein braucht, um ein Organ reizempfindlich zu
machen. Die Raucher unter ihnen wissen, dass sie mit jedem
Zuge ihrer Cigarre ein Quantum an Ammoniak und anderen
reizenden Substanzen reichen Dampfes entnehmen, das die
Schleimhaut der Mund- und Rachenhöhle überströmt, ohne
dass man dabei besonders viel merkt. Man hat sich daran
gewöhnt, es besteht eine Art Gleichgewichtsverbältniss zwischen
dem Empfindungsvermögen der Schleimhaut und dem Reiz des
Tabakdampfes. Eines Tages bekommt man eine leichte
Angina, und sofort wird der gewohnte Oigarrenrauch schmerz¬
haft empfunden. Warum? Inspizirt man seine Rachenhöhle,
so findet man dort, abgesehen von einiger Schwellung und
vermehrter Röthung der Schleimhaut, alles in bester Ord¬
nung. Nirgends ist vor allem ein Epithelial defekt ersichtlich,
der den Zutritt des Dampfes zu bisher geschützt gewesenen
Theilen gestattete. Aber die geringfügige Veränderung, die
wir feststellen, bedingte vom Augenblick ihres Entstehens an
für die Schleimhaut und damit für die in ihr befindlichen
Nerven eine Ernährungsstörung, eine Veränderung des physio¬
logischen Gleichgewichts. Der dadurch erzeugte Reiz addirt
sich zu dem durch Tabaksrauch hervorgerufenen. Dadurch
wird dieser, sonst kaum empfunden, lästig und schmerzhaft.
Es lehrt aber das hier gewählte Beispiel noch etwas anderes.
Es zeigt uns, wie bedeutungsvoll der Zustand des Organes
ist für seine Reaktion auf Reiz Wirkungen, die es treffen. Es
erklärt eine grosse Anzahl von pathologischen Erscheinungen
hinsichtlich ihrer Entstehung, gleichgültig, welcher Art der
schädigende Reiz ist. Dass ein aus seinem normalen Gleich¬
gewicht gebrachtes Organ ein Herd zur Entwickelung der
verschiedensten Leiden werden kann, und dass nicht zum
mindesten die Beschaffenheit des Nährbodens auch in der Genese
der Infektionskrankheiten ihre hervorragende, wenn nicht allein
ausschlaggebende Bedeutung hat, ergiebt die an das bisher
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198
gesagte anknüpfende, weitere Ueberlegung. Denken Sie nur
an die Häufigkeit der Entwickelung von Furunkulosis bei
Diabetikern und Chlorotischen. Die in ihrer Ernährung ge¬
störte Haut erweist sich mit einem Male als passende Brut¬
stätte und geeigneter Nährboden für Infektionserreger, die
auf dem gesunden Organ keine Gelegenheit zur Weiterent¬
wickelung finden. Einen anderen, der Arzneiwirkung direkt
entnommenen Beleg für die Richtigkeit des Gesagten finden
wir unter anderem in der Behandlung der Rhachitis mit
Phosphor. Warum erkranken die so behandelten Kinder nicht
an Phosphorvergiftung? Die Antwort liegt jetzt klar da:
Die eingeführten Phosphormengen sind für die gesunden Organe
viel zu geringfügig, um irgend welchen unangenehmen Effekt
an ihnen deutlich werden zu lassen. Aber da, wo das Periost
pathologisch arbeitet und ein Knochengewebe entstehen lässt,
das auf die Bezeichnung als normales keinen Anspruch erheben
kann, da sehen wir den Phosphor anfassen, sehen wir die
Thätigkeit des e Periostes zur normalen, physiologischen Höhe
sich heraufarbeiten und das von ihm abhängige Knochenwachs¬
thum sich dem entsprechend gestalten. Und wenn sie dem
Phthisiker Morphin in der üblichen Verdünnung mit Bitter¬
mandelwasser geben, so sehen Sie den pathologischen Husten¬
reiz sich mildern, ohne dass die narkotische Wirkung des
Alkaloids auf das Gehirn zum Ausdruck gelangt. Kranke-
Organe, kranke Organismen reagiren schon auf Arzneireize,
die für gesunde noch als wirkungslos angesehen werden können.
Die Aufgabe, festzustellen, welche Organe der Wirkung
eines Arzneimittels unterstehen, und damit gleichzeitig dessen
Angriffspunkte im Körper kennen zu lernen, lässt sich in ver¬
schiedener Art und Weise lösen. Der älteste Weg ist zweifel¬
los die Beobachtung der Arzneiwirkung am Krankenbette
selbst. Zur Aufklärung mancher, das ärztliche Interesse
herausfordernder Erscheinungen wie auch zu einer vorläufigen
Orientirung über das Verhalten bis dahin unbekannter Mittel
wird der Thierversuch unternommen und stets unumgänglich
nothwendig bleiben. Vieles lehrt auch die Geschichte der
Vergiftungen, der bewussten und unbewussten Eingriffe in
Leben und Gesundheit. Besonders geeignet aber zum Studium
der Arzneiwirkung ist, wie das auch in früherer Zeit schon
mehrfach anerkannt wurde, der Versuch am gesunden Menschen.
In zweckentsprechender Weise und unter möglichster Aus-
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199
Schliessung alles dessen, was zu Irrthümern Veranlassung
bieten kann, angestellt, liefert diese Methode ganz besonders
deutliche und speziell für die Therapie werthvolle Ergebnisse.
Wesentlich ist dabei, dass man nicht in der Weise vorgeht,
dass grössere Arzneidosen auf einmal genommen werden, sondern,
dass man dem zu untersuchenden Arzneikörper dadurch, dass
man ihn täglich, oft wochenlang, in kleinen Mengen nimmt,
Zeit lässt, seine Wirkung zu entfalten. Man sieht dann den
Arzneireiz sich allmählich entwickeln, lernt eine Reihe mehr
allgemeiner und bei genügender Zahl von Einzelbeobachtungen
auch individuellere Angriffspunkte kennen, deren Gesammtheit
dann das eigentliche Bild der Arzneiwirkung darstellt. Eine
fast zwanzigjährige Anwendung dieser Art des Arzneistudiums
giebt mir die Berechtigung, über deren Brauchbarkeit für
Theorie und Praxis mich in dieser Weise äussern zu können.
Gern möchte ich an dieser Stelle es aussprechen, dass ich
mich bei dieser Art der Arzneiprüfung der oft recht opfer¬
vollen Unterstützung einer grossen Zahl meiner Schüler und
jüngeren Kollegen habe erfreuen dürfen.
Solche Selbstversuche mit Arzneimitteln führen, wie sie
ein bestimmtes Stadium erreicht haben, zu einem Ergebnisse,
das auf den ersten Blick befremdlich erscheinen will. Man
erlebt Veränderungen und Schmerzensempfindüngen an Organen,
von denen man weiss, dass sie für den Kliniker gerade be¬
stimmend sind, das zum Versuche gewählte Mittel therapeutisch
zu benutzen. Die Erklärung dafür ist ebenso einfach wie
schliesslich selbstverständlich. Wir erfahren zunächst, dass
das betroffene Organ durch das gewählte Mittel überhaupt
angefasst wird. Die Physiologie lehrt, dass es am letzten
Ende gleichgiltig ist, welcher Art der Reiz sein muss, mit
Hälfe dessen wir den Nerven anregen und die Muskelzuckung
auftreten sehen. Das, worauf es ankommt, ist die Intensität
des Reizes, deren feinere Abstufung für physiologische Zwecke
allerdings am bequemsten durch Anwendung des elektrischen
Stromes zu erzielen ist. Die weitere Ueberlegung dessen, was
wir aus der allgemeinen Pathologie wissen, führt dann zu
folgendem Schluss: Da jedes Organ, abgesehen von der Genese
der sogenannten Neubildungen, die uns zur Zeit noch nicht
genügend klar ist, auf einen schädigenden Einfluss immer nur
in der, durch seine anatomische und histologische Struktur
und seine physiologische Stellung ein für allemal feststehenden
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200
Art und Weise sich verändern kann, so müssen auch die
Arzneireize, hei einer gewissen Intensität angelangt, ent¬
sprechende Organveränderungen eintreten lassen. Die äusseren,
reizenden Momente wechseln, ihr Objekt, das auf sie reagirt,
bleibt dasselbe. Nun begreifen wir das Gesetzmässige in der
Beobachtung, die der Münchener Chirurg Nussbaum einmal
ausgesprochen hat, dass es Konstitutionen gebe, bei denen man
durch den Gebrauch des schwefelhaltigen Ichthyols Ekzeme
machen könne, trotzdem derselbe Stoff so wunderbar oft auf
Ekzeme heilend wirke. Und ferner sehen wir den Grund ein,
warum Strümpell bei Besprechung der Therapie der Tabes
dorsalis in seinem Lehrbuch mit Recht sagt: „Darin, dass
trotz des Vorkommens einer ,Ergotintabes‘ das Ergotin auch
als Mittel gegen die Tabes empfohlen wird, liegt nur ein
scheinbarer Widerspruch. Es ist sehr wohl möglich, dass das¬
selbe Mittel, welches in grossen Dosen gewisse Fasersysteme
zur Atrophie bringt, in kleineren Dosen irgendwie günstig
(erregend) auf dieselben einwirkt“. Es kann eben gar nicht
anders sein, als wir es in der That geschehen sehen. Einen
geradezu typischen Beleg dafür haben wir in der Thatsache,
die schon so oft in der Litteratur das Eür und Wider den
Autoren in die Eeder diktirt hat. Das luetische Virus hat in
einem bestimmten Stadium seines Wirkens im Organismus die¬
selben Angriffspunkte wie das Quecksilber. Wird letzteres
nun zur Ungebühr angewandt, so müssen die Organe, die es
doch nur in ihrem Kampfe um die Existenz mit dem luetischen
Gifte in heilbringender Weise unterstützen sollte, ebenso er¬
kranken, wie unter dem Einfluss der Lues allein. Daher erklärt
es sich denn auch, wie der Streit der Mercurialisten und ihrer
Gegner überhaupt möglich sein konnte. Es treten uns unter
der vorher genannten Voraussetzung in der That Krankheits¬
bilder entgegen, die die Entscheidung schwer machen, ob wir
es mit Lues oder mit Quecksilbervergiftung zu thun haben.
Und solcher Beispiele giebt es noch viele. Sie liefern den
wenig erfreulichen Beitrag zur Geschichte der Arzneikrank¬
heiten, die fast immer ihren Grund haben in der, allerdings
nicht bewussten, Uebertretung eines fundamentalen Natur¬
gesetzes.
Bei jedem Versuche, durch Arzneimittel Organleiden zu
beseitigen, die Arzneikräfte in zielbewusster Weise auszunutzen,
müssen die Gesetze, die Ihnen zu entwickeln ich heute die
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Ehre gehabt habe, die Grundlage bilden. Gleichgiltig ist
dabei, ob die vollkommene Heilung möglich ist, oder ob wir
nur die Art des Bestrebens der Natur fördern können, die in
der schliesslichen Vernarbung des einmal zerstörten Gewebes
ihren Ausdruck findet. Man darf von der Arzneiwirkung auch
nicht zu viel verlangen wollen.
M. H.! Ich habe heute als Vertreter der Arzneimittel¬
lehre zu Ihnen gesprochen. Der Ihnen geschilderte Weg ist
meiner Ueberzeugung nach der einzige, auf dem weiter ar¬
beitend die Pharmakotherapie die Stellung sich dauernd sichern
kann, die ihr gebührt. Feststehende und anerkannte Gesetze
der Physiologie und Pathologie bilden den Ausgangspunkt
dieses Weges. Er giebt uns zunächst ein ganz anderes Bild,
als das gewohnte es ist, von dem Werthe der Arzneimittellehre
selbst. Ihr Studium gestaltet sich deshalb zu einem besonders
anregenden, weil wir dabei immer nur die Erkenntniss der
Wechselwirkung zwischen Arzneistoif und menschlichem Organ
oder Organismus im gesunden und kranken Zustande als festes
Ziel im Auge behalten. Den Vortheil eines derart betriebenen
Studiums der Arzneiwirkungslehre hat die ärztliche Praxis.
Es führt uns ohne weiteres und aus innerer NothWendigkeit
heraus zu einer arzneilichen Organtherapie.
Die von Virchow begründete Cellularpathologie und ihre
fundamentale Bedeutung für die Entwickelung der gesammten
Pathologie würde uns die Berechtigung geben, * anstatt des
eben benutzten Ausdrucks „Organtherapie“ lieber den, der
allgemeinen Anschauung vielleicht mehr entsprechenden der
„Cellulartherapie“ für die Ihnen heute gegebenen Anschauungen
zu wählen. Absichtlich habe ich davon Abstand genommen.
Der Arzt behandelt am Krankenbette nicht kranke Zellen,
sondern kranke Organe. Das, was er sieht und was der
Patient fühlt, sind nicht die an den einzelnen Zellen geschehen¬
den Veränderungen, sondern die von den Organen im einzelnen
und in der G-esammtheit gebotenen, vom Normalen abweichen¬
den Erscheinungen. Die Zelle gehört der theoretischen Wissen¬
schaft, das Organ, der Organismus der Praxis. Was an den
pathologisch arbeitenden Zellen sich vollzieht, wenn wir
Arzneistoffe wirken lassen, davon können wir uns höchstens
Vorstellungen machen, von einem gegründeten Wissen ist in
dieser Hinsicht heute noch keine Rede, kann es auch bei der
grossen Schwierigkeit, die der endlichen Lösung dieser Frage
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entgegenstellt, nicht wohl sein. Mit Hypothesen, seien sie
auch noch so geistreich erdacht und auf den ersten Anblick
bestechend, ist aber der ärztlichen Praxis, der Therapie im
wahrsten Sinne des Wortes nicht gedient. Es mag einmal die
Zeit kommen, wo wir die volle Berechtigung haben werden,
von einer arzneilichen Cellulartherapie reden zu dürfen, ohne
dabei nur mit einem Begriffe zu arbeiten. Das uns zunächst
gesteckte und erreichbare Ziel, die arzneiliche Organtherapie,
hoffe ich Ihnen heute als faktisch erreichbar geschildert und
die zu ihrer Erreichung und erfolgreichen Durchführung unum¬
gänglichen Grundgesetze ihrem Wesen nach entwickelt zu
haben. (Deutsche med. Wochenschrift. 1899 . Nr. 14 .)
Petroleum.
Von Prof. J. T. Kent-Philadelphia.
Sie müssen nicht glauben, dass der äusserliche Gebrauch
von Petroleum eine homöopathische Wirkung hervorrufe, denn
das ist in Wirklichkeit ein Missbrauch.
Man wendet das Petroleum äusserlich an bei Bheumatismus-
schädigungen und allen möglichen Unbequemlichkeiten, bei
denen dann die Besserung dadurch kommt, dass an der Haut¬
oberfläche durch die Beizung eine Krankheit geschaffen wird,
und diese ist nicht homöopathischen Ursprungs. Symptome
also, welche auf diese Weise gebessert worden sind, dürfen
in einem homöopathischen Prüfungsregister nicht mit stehen.
In den Bezirken, wo man Petroleum gewinnt, gilt es als
Heilmittel.
Es reizt ausserordentlich kräftig die Haut und ruft Aus¬
schläge und Störungen hervor, wie Terpentin.
Zu den ersten Symptomen, welche es bei dem Prüfer
hervorruft, gehört ein Zustand von Verwirrung. Eigentüm¬
liche Verwirrung des Geistes und etwas Schwindlichkeit. Ein
solcher Kranker ist so benommen, dass er seinen Weg auf der
Strasse nicht findet, oder er hat die eigenthümliche Empfindung,
dass Leute in seiner Nähe sich befinden, die gar nicht vor¬
handen sind, dass die ganze Luft mit eigentümlichen Formen
gefüllt ist, dass die Glieder verdoppelt seien, dass Jemand
neben ihm im Bett liege.
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Solche Bilder finden wir auch bei den Fieberdelirien. Eine
Frau zum Beispiel, die eben geboren hat, glaubt, noch ein
zweites Kind im Bett zu sehen, und beginnt zu überlegen, wie
sie mit den beiden Kindern auskommen will. Solche Wahn¬
ideen findet man bei manchen Krankheiten, und sie sind oft
genug citirt worden.
Beim Typhus und bei anderen, langsam sich entwickelnden
Fiebern, bei heftigen Durchfällen ist der Kranke beim Er¬
wachen etwas verwirrt. Man liest auch, er habe in seinen
Träumen die Idee gehabt, zwei Personen zu sein, und im
Halbschlaf bleibt ihm dieser Gedanke. Er kann sich damit
nicht zurechtfinden. Erwacht er aber, sieht er seinen Unsinn
ein, um doch in dieselben Ideen zu verfallen, wenn er wieder
in den Halbschlaf versinkt, und dieser Gedankengang stört
ihn Tag und Nacht.
Auf der Haut zeigen sich folgende Symptome, die sehr
auffällig sind. Vor Allem eine grosse Neigung Bläschen
herpetischer Art, theils vereinzelt, theils zusammenfliessend,
zu bilden. Auf diesen Bläschen bildet sich eine dicke gelbe
Kruste mit viel Feuchtigkeit. Die Bläschen brechen ziemlich
zeitig auf. Manchmal bilden sich über den Bläschen keine
Krusten, sondern dieselben brechen zeitig auf und schwären
etwas, und daraus wird dann ein phagedänisches Geschwür.
Dasselbe findet sich zumeist an den Fingern, am Hodensack,
am Gesicht und auf der Kopfhaut. Eine gewisse Bevorzugungs¬
stelle ist der Nacken.
Ferner finden sich papulöse, pustulöse, vesikulöse und
trocken mehlige Ausschläge, doch sind die mit Feuchtigkeit
häufiger. Manche von den Ausschlägen breiten sich sehr weit
aus. So folgt dann ein Ausschlag dem anderen und der vor¬
hergehende, an dessen Seite der neue Ausschlag entsteht, wird
immer härter in der Hautschicht.
Wenn die Kruste abtrocknet, so wird die Unterlage hart,
und vor allem findet sich die Härtung am Bande und so
bilden sich kleine Ringe parallel dem Rande. Diese Ver¬
härtungen platzen, bluten und sehen purpurroth aus.
Ebenso verhält es sich bei den Ausschlägen an der Hand.
Darum passt Petroleum auch, wenn die Fingerenden auf¬
platzen, und wenn auf dem Handrücken Spalten sich zeigen.
Die Haut ist rauh, gerunzelt, schält sich ab, platzt und
blutet. Die Gewebe sind hart. Seltener findet sich dies auch
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auf dem Handteller. Ein solches verhärtetes Gewebe wird
leicht geschwürig und diese Geschwüre fressen weiter und
breiten sich aus. Alle Ausschläge jucken sehr heftig. Der
Kranke kratzt bis die Haut abgegangen ist, so dass die ganze
Stelle feucht, blutig, roh und entzündet aussieht. Es giebt
aber auch ein Jucken ohne erkennbaren Ausschlag. Dann
kratzt der Kranke so lange, bis die Stelle etwas feuchtet und
bis schliesslich Blut kommt und bis die Stelle kalt wird.
Dieser eigenthümliche Ausdruck im Prüfungsbericht erinnert
mich daran, dass kalte Stellen ein eigenthümliches Kennzeichen
dieses Mittels sind. Diese kalten Stellen können ebenso gut
im Magen, im Unterleibe, im Uterus sein, oder es kann eine
kalte Stelle zwischen den Schulterblättern liegen oder es kann
Kältegefühl im Herzen sein.
Darnach finden sich verschiedene Formen von Ekzemen
auf der Kopfhaut, besonders am Scheitel, herpetischer Aus¬
schlag um den Mund, wie bei Natrium mur. Auf den
Genitalien, im Gesicht und überall werden die Flecke krustig
und nässen viel.
Die Schleimhaut, sozusagen die innere Haut, hat kleine
geschwürige Stellen mit Verhärtungen um die Stellen und
darum passt Petroleum bei syphilitischen Geschwüren. Hierher
gehören geschwürige Flecken im Halse, aphthöse Geschwüre
im Munde. Alle Schleimhäute entzünden sich leicht und nässen,
und endlich kommt eine dicke quittegelbe Absonderung. Die
Nase ist verlegt durch ein Anschwellen der Schneiderschen
Membrane. Meist finden sich alte katarrhalische Beschwerden
der Nase mit Krustenbildung und dickgelber Absonderung.
Fauliger Geruch in der Nase. Die Nase und die Hinter¬
nasenöffnungen und der Pharynx zeigen verdickte Schleimhäute,
und es bildet sich darin Schleim, besonders am Morgen. Auch
der Kehlkopf kann hineingezogen sein. Dann ist ein Stimm¬
verlust da und die ganze Störung geht bis in die Brust
hinein, wobei ein katarrhalischer Zustand mit Husten auftritt.
Der Kranke hustet besonders Nachts. Der Körper wird
sehr mager. Die Brust schmerzt und ist wie wund. Trockener
hackender Husten abwechselnd mit reichlichem Auswurf. Ab¬
magerung der Brust. Ein charakteristisches Symptom dieses
Mittels ist, dass der Husten Nachts stärker ist und der Durch¬
fall bei Tage. Der Katarrh erstreckt sich vom Magen durch
den ganzen Darm und deswegen geht viel Schleim mit den
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Stuhlgängen ab. Ueber Tage Diarrhoe, Nachts Besserung,
ein, während der Kranke ruhig im Bett liegt. Er kann nicht
ohne Schmerzen essen, aber ein quälender Hunger treibt ihn
doch dazu, wie bei Lachesis und Graphit. Nach dem Stuhl¬
gang hat er ein Leerheitsgefühl halb wie Hunger, welches
ihn zum Essen antreibt. Während der ganzen Dauer der
Diarrhoe ist immer Hunger vorhanden, obgleich er nicht ohne
Schmerzen essen kann. Dabei findet sich Abmagerung, Haut¬
ausschläge, eingerissene Finger, welche nie ganz reinlich aus-
sehen, und er kann sie auch wirklich nie gut waschen, weil
sie dann wehthun.
Katarrh der Blase und der Harnröhre; chronische katar¬
rhalische Absonderungen; chronische Gonorrhoe. Auch bei der
Schleimhaut findet sich das Jucken sehr deutlich und ein
charakteristisches Zeichen der hierher gehörenden Form von
Tripper ist das Jucken in der hinteren Hälfte der Harnröhre.
Dieses Jucken regt den Kranken sehr auf und lässt ihn nachts
nicht schlafen, weil er immer am Darme hin und her reibt
um dieses Jucken zu vermindern. Der Tripperausfluss ist
weiss oder gelb.
Auch bei den „gouttes militaires“ ist das Mittel angezeigt;
ebenso bei den früheren Formen von Gonorrhoe bei starkem
Jucken.
Der ganze Körper fühlt sich wie zerschlagen, besonders
in den Gelenken. Rheumatische Schmerzen in den Gelenken
bei Berührung; sie sind empfindlich für Berührung. Gefühl
als ob er zerschlagen wäre. So ähnlich verhält sich ungefähr
Arnika.
Petroleum passt ferner bei alten eingewurzelten Hinter¬
kopfschmerzen.
Silicea wird meist ohne weitere Kritik gegeben bei üblem
Fussgeruch und periodischen Scheitelkopfschmerzen. Petroleum
hat aber den üblen Schweissgeruch ebenso. Alle seine Scliweisse
riechen schlecht und besonders der in der Achselhöhle, wo er
manchmal so auffällig stark wird, dass man den Kranken bei
seinem Eintritt schon erkennt.
Bei dem Hinterkopfschmerz bleibt der Schmerz oft stecken,
aber wenn er sehr stark wird, so geht er über den Scheitel
weg nach den Augen und nach der Stirn, ähnlich wie bei
Silicea. Petroleum hat nicht so viel Beziehungen zu Silicea
wie zu Graphit und Carbo veg., und alle diese mit der Kohle
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in Beziehung stehenden Mittel wirken mehr oder weniger auf
den Hinterkopf. Der Schmerz geht vom Hinterkopfe aus über
den ganzen Kopf weg nach der Stirn und den Augen zu mit
vorübergehender Blindheit. Der Kranke wird steif und verliert
das Bewusstsein. — Umschriebene Schmerzen im Hinterkopf,
verschlimmert beim Kopfschütteln.
Unser Mittel hat im Gegensatz zu Carbo veg. übermässige
Empfindlichkeit der Sinne, besonders des Gehörs, des Geruchs
und des Gefühls.
Die Konstitution, welche dem Petroleum entspricht, bedingt
einen eigenthümlichen Schwindel, der immer wieder kommt,
wenn der Kranke an Bord ist oder fährt oder in der Strassen-
bahn sitzt. Darum passt das Mittel auch bei Hinterkopf¬
schmerzen, welche beim Fahren auftreten, und wenn bei jeder
Bewegung eine Uebelkeit wie Seekrankheit auftritt.
Wir können nicht jeden Fall von Seekrankheit behandeln,
aber die meisten Menschen, wenn man sie konstitutionell be¬
handelt, können doch dahingebracht werden, dass sie unter
gewöhnlichen Umständen, also im Pferdebahnwagen oder im
gewöhnlichen Wagen, nicht von der Seekrankheit befallen
werden. Es giebt ja auch Seekrankheit, die von einem Augen¬
fehler abhängt, das heisst von einer ungeschickten Akkomo¬
dation. Wenn Einer die Wogen verfolgt, wie sie vom Schiffe
abgehen und wieder auf dasselbe zukommen und dann seekrank
wird, so nützt ihm eben nur, wenn er in der dunklen Kabine
bleibt.
Ein Hinterkopfschmerz mit dieser eigenthümlichen Form
von Schwindel und einem Leerheitsgefühl im Magen, welches
trotzdem zum Essen treibt, wird durch Petroleum immer ge¬
bessert werden.
Die gewöhnliche Form von Seekrankheit ist aber anders.
Da handelt es sich um eine totale Uebelkeit, grosse Angst,
kalter Körper, reichlicher Schweiss und Ermüdung. Besse¬
rung durch Fächeln, in der freien Luft, beim Schliessen der
Augen, durch Buhe und Dunkelheit; Verschlimmerung durch
Wärme. In diesen Fällen ist fast immer Tabacum das richtige
Mittel.
Petroleum hat viel Sehstörungen, aber vor allem auffällig
ist der katarrhalische Zustand der Augen. Vesikuläre Bil¬
dungen, Geschwüre, Entzündung, Röthe und reichliche Ab¬
sonderung. Granulär verdickte Augenlider; Verdickung der
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Schleimhäute; Einrisse in den Lidern; Einrisse in den Augen¬
winkeln mit viel Jucken. Dieses Jucken findet sich eben bei
allen Kongestionszuständen in der Schleimhaut, so z. B. wenn
durch Verdickung der Schleimhaut in der Eustachischen Tube
Taubheit erzielt wird. So ist das Jucken, welches sich tief
innen im Ohr zeigt, das charakteristische Symptom. Der
Kranke reibt immerfort an seinem Ohre herum und versucht
einzudringen, ohne doch den Sitz des Juckens finden zu können.
Daneben findet sich Jucken am Pharynx, manchmal auch im
äusseren Gehörgange. Etwas Absonderung aus dem Ohre.
Verhärtung und Entzündung der Drüsen des Körpers.
Bei Ohrenschmerzen wird die Parotis vergrössert, bei Störungen
in den Kiefern sind die submaxillaren und sublingualen Drüsen
ergriffen. Sie werden alle hart und bleiben auch so. Das
Gesicht ist meistens blass oder gelb, krankhaft aussehend.
Den ganzen Tag Uebelkeit, Hitze und Brennen. Die Haut
ist an manchen Stellen heiss, daneben sind aber kalte Stellen.
Brennen und Jucken >on Handteller und Sohle. Gesicht und
Kopfhaut brennen. Jucken und Brennen sind oft zusammen
und die brennenden Stellen jucken stark. Die Eüsse brennen
mit einem Gefühl von Prostknoten, jucken, brennen und werden
roth. Prüll er erfrorene Theile werden noch Jahre lang
später jucken, brennen, stechen und werden roth. An dem
Jucken in seinen Frostballen kann der Kranke kommendes
Thauwetter erkennen. Petroleum passt bei diesen brennen¬
den und juckenden Erscheinungen in erfrorenen Theilen,
aber noch besser Agaricus, welches vor allen anderen Mitteln
in Betracht kommt, besonders wenn es sich um solche Gewebe¬
stellen handelt, welche dünn sind und nur in dünner Schicht
über den Knochen liegen, wie z. B. am Zehenrücken.
Lähmungserscheinungen, besonders auf der linken Seite,
mit Schwäche der Muskeln. Schwäche der unteren Glied¬
massen, auch links.
Die Ausschläge auf der Haut und die Neigung zur Ver¬
härtung weisen auch auf Graphit, aber die abfliessende Flüssig¬
keit beim Petroleum ist dünn und wässrig, bei Graphit klebrig
und honigartig zäh. So lange es sich nur um Veränderungen
und Einrisse in den Fingern handelt, können Sie noch zweifeln,
welches von den Mitteln passt, aber die warzenähnlichen, horn¬
artigen Bildungen, welche in der Nähe der Nägel auftreten,
finden Sie nur bei Graphit.
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Petroleum ist ein Prachtmittel und hat nur in Rhus einen
Rivalen bei Behandlungen der Ekzeme der männlichen und
weiblichen Geschleclitstheile. Es heilt die Ausschläge auf
Hodensack, Penis und Vulva. Rhus erzeugt heftige Entzün¬
dung der Haut an den Genitalien beider Geschlechter, rosen¬
artige Entzündung, Knoten, Bläschen und grosse Geschwürs¬
flächen. Petroleum dagegen erzeugt kleine Bläschen, welche
brennen, jucken und stechen, ferner herpetische Ausschläge,
welche eine Neigung zur Rosenart haben. Petroleum und
Rhus sind aber die besten Mittel für diese Ausschläge.
In der Prüfung findet man ferner noch juckenden Herpes¬
ausschlag mit Röthe und Feuchten am Hodensack. Die Haut
ist eingerissen und blutet und es erstreckt sich diese Ver¬
änderung bis auf den Damm und die Oberschenkel mit ganz
trocknen Ausschlägen auf den Genitalien und am Damm.
Schweiss und Feuchtigkeit der äusseren Genitalien bei beiden
Geschlechtern.
Auf den Brustwarzen sind kleine Borken, weiss, juckend,
immer wieder sich abstossend. Ist das Weib nicht ganz ge¬
sund, so werden die Brustwarzen entzündet und überempfindlich
für die Berührung des Kleides.
Zu unserem Mittel gehört auch die grosse Empfindlichkeit
bei jedem Witterungswechsel, wie bei Phosphor und Rhodo¬
dendron und die Verschlimmerung bei einem Gewitter. Der
Kranke ist sehr empfindlich für Luft und Kälte. Er ist
meistens ein schmaler und abgemagerter Mensch, als ob ihm
die Schwindsucht drohte. Die Ausschläge verschwinden viel¬
fach oder sind äusserlich behandelt worden. Hände und Fiisse
brennen. Er steckt oft Hände und Fiisse aus dem Bett
heraus. Denken Sie nicht nur an Sulphur, wenn die Sohlen
brennen und nicht nur an Silicea, wenn die Füsse schwitzen.
Schweiss einzelner Theile. Ausschläge in grossen Gruppen,
jucken dieser Ausschläge. Kälte an einzelnen Stellen. Sie
sehen, es kommt immer wieder zu Beschwerden, die einen
kleinen Umfang haben. Hierher gehört auch auffällig schlechter
Geruch an den Füssen und in den Achseln. So werden Sie
in jedem Falle, wenn Sie es mit Sulphur und Graphit zusammen
vergleichen, das Mittel finden.
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Krankengeschichten.
Von Dr. Alexander Villers-Dresden.
LXXII.
Ein 21 jähriges Mädchen, Französin, wohl gebaut und
gesund anssehend, kommt mit der Klage, dass sie ihre Periode
noch nicht habe. Im Anfänge des 16. Lebensjahres hätten sich
zwar einige Zeichen eingestellt, seitdem aber nicht wieder.
Ein anhaltender milder Weissfluss bestehe seit fünf Jahren.
Zu regelmässigen Zeitabschnitten vermehre sich derselbe mit
Auftreten von Kopfschmerzen und Ziehen im Leib. Es waren
sonstige Beschwerden weiter nicht festzustellen. Eine von der
Kranken selbst gewünschte Untersuchung ergab normale Theile,
nur den Uterus etwas klein.
Die Kranke erhielt damals Sulphur 80 in seltenen Gaben
und zwei Monate später, als jeder Erfolg ausblieb, Pulsatilla 30.
Zu dieser Wahl berechtigte mich der Umstand, dass einzelne,
wenn auch sehr flüchtige Magensymptome aufgetreten waren.
Bei dieser Medikation blieb sie längere Zeit, ohne dass irgend
ein Erfolg zu erzielen gewesen wäre. Es zeigten sich zwar
leichte Blutspuren in ziemlich regelmässigen Abständen, aber
man konnte nicht davon sprechen, dass eine Regelung dieses
jungen Weibes eingetreten wäre.
Andere konstitutionelle Mittel wurden eingeschaltet, Alles
ohne Erfolg, bis ich schliesslich anderthalb Jahre nach Beginn
der Behandlung wieder auf Pulsatilla zurückgriff und es ihr
diesmal in der 200. drei Tropfen in 20 Tagen gab.
Der nächste Termin brachte eine volle, normale Periode
mit nicht sehr erheblichen Beschwerden beim Eintritt derselben.
Von da ab bis jetzt ist die Periode nicht wieder gestört worden.
Dieser Fall hat in der Praxis keinen besonderen Werth,
da wir ja genau genug wissen, dass wir mangelhaft menstruirte
Mädchen durch unsere Mittel in Ordnung bringen können. Er
ist mir nur interessant geblieben durch den Umstand, dass ich
auf dasjenige Mittel wieder zurückgegriffen habe, welches mir
im Anfänge der Behandlung nach dem Gesammteindruck, den
das Mädchen mir machte, als das richtige erschien. Ich lege
viel Werth auf den Gesammteindruck, den die Kranken machen,
bei der Mittelwahl. Wir können die Arzneimittellehre doch
nur dann beherrschen, wenn wir die unendlich grosse Zahl
Archiv für Homöopathie. Heft 7 , 14
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der Einzelangaben verdichten zu einem einheitlichen Bilde.
Litterarisch hat das ja am besten Kent gemacht und auch
Earingtons Darstellungen der Individualität des Mittels sind
wohl beachtenswerth. Es bleibt eigentlich dem Lernenden in
der Homöopathie nichts anderes übrig, als wie diese Arznei¬
bilder selbst in sich erwachsen zu lassen. Wenn man diese
Arzneibilder durch den täglichen Gebrauch vollständig fest¬
stehend mit sich herum trägt, so geht es einem mit dem Er¬
kennen der Krankheitsbilder wie mit dem Erkennen zweier
Menschen in ihrer Aehnlichkeit. Ganz plötzlich tritt es einem
hervor, dass dieses und jenes einander ähnlich sind, in unserem
Falle, dass Arzneibild und Krankheitsbild einander ähnlich sind.
Ich will nicht sagen, dass diese Methode nun gerade für
den Anfänger sehr geeignet sei, aber dem Erfahreneren drängt
sie sich geradezu auf, und jedenfalls ist sie sicherer, als wie
die Mittelwahl nach einzelnen hervorragenden Symptomen.
Das Ideal wäre ja, jeden Fall, mit dem Bleistift in der
Hand, nach der verschiedenen Bewerthung der in Betracht
kommenden Mittel aufzuzeichnen, aber in Wirklichkeit ist dies
in keiner Besuchssprechstunde möglich. Bei Durchsicht der
Journalnotizen nach der Sprechstunde wird man ja immer den
einen oder den anderen Fall herausgreifen und eingehender
studiren und wird sich oft dann sagen müssen, dass man sich
bei der ersten Verordnung vergriffen hat, aber für eine sehr
grosse Zahl von Fällen kommt dem Kranken doch die Sicher¬
heit der Mittelwahl auf dem Wege der Vergleichung der In¬
dividualitäten sehr zu gute. (Journalblatt Nr. 8648.)
LXXIII.
Eine 24jährige Frau ist seit fünf Jahren in den Händen
der Frauenärzte.
Nachdem sie im Jahre 1894 linksseitig kastrirt .worden
ist und im Jahre 1897 ausgekratzt, machte sie in den darauf
folgenden Jahren zwei Aborte durch.
Sie stammt aus einer neurasthenischen Familie, sieht aber
selber gesund und woldgebaut ist. Nur etwas gelbe Gesichts¬
farbe und ein leidender Ausdruck sind auffällig. Seitdem sie
im Jahre 1890 die Influenza durchgemacht hatte, hat sie einen
Kreuzschmerz, der beim längeren Sitzen oder beim gebeugten
Stehen auffällig zunimmt und dann bis in die Oberschenkel
hinein ausstrahlt. Die Periode tritt verspätet ein, dauert
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211
zwei Tage stark lind drei Tage schwach und ist meistens ge¬
klumpt. Selten zeigt sich Ausfluss, wohl aber ist das Blut
durchsetzt mit Schleimhautfetzen. Sie leidet an linksseitiger
Migräne mit Erbrechen und nachfolgender grosser Mattigkeit
in Körper und Kopf. Nervenschmerzen in Kücken und Beinen.
Wenn solche Mattigkeit eintritt, sei es nach der Migräne oder
infolge der Periode, oder auch nur nach geringer Anstrengung,
so ist sie gleichzeitig sehr deprimirt. Der Schlaf ist gestört
und erquickt nicht so recht. Ausser der Migräne, welche
linksseitig auftritt und nur anfallsweise erscheint, leidet sie
noch an einem dauernden rechtsseitigen dumpfen Kopfschmerz.
Ich gab ihr Ende Januar d. J. Silicea 30 täglich eine
Gabe. Die darauf folgende Periode war dadurch eigenthümlich,
dass eine vollständige Auskleidung der Gebärmutter abgestossen
wurde. Im Allgemeinbefinden hatte sich nicht viel geändert.
Die nächste Periode, also sechs Wochen nach Beginn der
Medikation, trat ohne Krampf ein, ohne Gerinsel und war
gleichmässig dunkelroth. Es war dies seit zwei Jahren das
erste Mal, dass die Periode normal sich zeigte. Ein starker
Schnupfen, fliessend, klar, der aufgetreten war, war vielleicht
die Reaktionserscheinung, vielleicht aber auch nur ein zufälliger
Zwischenfall. Am Ende der achten Woche der Behandlung
berichtete die Kranke, dass das rechtsseitige dumpfe Kopfweh
fast ganz verschwunden sei, der Rückenschmerz dagegen etwas
auffälliger sei. Da die fortschreitende Besserung mir nicht
genügend erschien, so ging ich nun zu Silicea 200 über und
liess sie aller zehn Tage eine Gabe davon nehmen. Die auf¬
fällige Besserung im Allgemeinbefinden war darauf so deutlich,
dass die Kranke wieder am gesellschaftlichen Leben theilnahm,
dem sie sich bis dahin ängstlich entzogen hatte, und selbst
eine grosse Anstrengung, die ein in ihrem Hause zu gebender
Ball ihr verursachte, wurde ohne Schaden überwunden.
Darauf hielt ich es für richtig, den Ring, welchen sie noch
nach früherer Verordnung trug, zu entfernen, obgleich die
Kranke befürchtete, dadurch wieder in alte Beschwerden zurück¬
zuverfallen, die sich vor Allem in unangenehmen Schmerzen im
Rücken gezeigt hatten. Die Besserung war aber doch schon
so weit vorgeschritten, dass die Entziehung des Ringes ihr
gar keine Beschwerden brachte, sondern nach kurzer An¬
gewöhnung an die neuen Verhältnisse eher als Vortheil an¬
gesehen wurde. Migränen kamen fast gar nicht vor, und wenn
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ein Anfall auftrat, so war er sehr schwach und störte nicht
wesentlich das Wohlbefinden.
So weit wie die Siliceabehandlung reicht, ist der Pall
damit abgeschlossen, denn es treten jetzt neue Erscheinungen
auf, welche auf ein anderes Mittel hinweisen und welche zeigen,
dass bei der rückläufigen Bewegung zur Heilung hin wir auf
eine Schicht von Krankheiten gekommen sind, welche unter
derjenigen lag, die die Symptome, welche ich oben berichtete,
hervorgerufen hatte.
Es ist das eine unvollkommene Krankengeschichte, die ich
hier vorführe, die mir aber interessant erscheint, weil sie zeigt,
dass oft bei sehr komplizirten Fällen das eine Mittel, wenn
es die Mehrzahl der Symptome deckt, genügt, um ausgiebige
und nachhaltige Besserung zu erzielen, in manchen Fällen sogar
Heilung. Ich hätte vielleicht ein noch glänzenderes Besultat
gehabt, wenn ich von Anfang an mit der Hochpotenz der
Silicea vorgegangen wäre, aber ich war mir bei der ersten
Besprechung mit der Kranken bei der Wahl nicht sicher genug,
imd zog es darum vor, auf einer niederen Stufe, eben der
dreissigsten, stehen zu bleiben. Es waren mehrere Einzelzüge
in dem Symptomenbilde, welche mich zu der Mittelwahl der
Silicea bestimmten, aber wenn dieselben nicht dagewesen wären,
so würde ich schon um der Abstossung von Schleimhautfetzen
willen an Silicea gedacht haben. Ich kenne kein Mittel, welches
bei der Dysmenorrhoea membranacea und auch bei der Enteritis
membranacea so entschiedene und so häufige Besserung bringt,
wie die Kieselerde, und es ist den Kranken gegenüber eine
sehr angenehme Sache, wenn man diese sehr auffällige Er¬
scheinung ihnen bald abnehmen kann.
Bei den komplizirteren Frauenleiden, besonders wenn die¬
selben durch viele örtliche Behandlung verschlimmert worden
sind, ist es oft sehr schwer, den Ausgangspunkt der ganzen
Beschwerde herauszufinden und die Mittelwahl auf die ursprüng¬
liche Krankheit zu richten. Wer nur grob mechanisch als
Anfangspunkt dasjenige Organ ansieht, von welchem zuerst
erkennbare Symptome ausgegangen sind, der hat es natürlich
leicht, wer aber die Entstehungsgeschichte zurückverfolgt, um
zu einem deutlichen Bilde von der betreffenden Krankheit zu
kommen, der wird vielerlei Schwierigkeiten haben.
Man muss also Zeit haben, um den Fall ausführlich zu
studiren und langsam zu beeinflussen, und da ist es sehr an-
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genehm, wenn eine von diesen auffälligen Erscheinungen, wie
z. B. die Abstossung der Schleimheit unter dem Einflüsse der
Silicea, die vielleicht nur eine TheilWirkung ist, so schnell
zurücktritt. Die Kranken sind dann immer gewillt, auf die
Belehrung einzugehen, dass sie einer noch längeren Behand¬
lung zum Zwecke der Heilung bedürfen.
Ein solcher Fall, wie der hier vorliegende, giebt. auch
wieder einmal einen Beweis dafür, wie homöopathisch voll¬
zogene Heilungen für den Kranken angenehmer, sicherer und
wesentlich billiger sind als wie die Behandlung nach mecha¬
nischen Grundsätzen. Diese Kranke, die seit dem Jahre 1894
bis Anfang 1899 ununterbrochen in frauenärztlicher Behandlung
war, ziemliche Eingriffe an sich hatte vornehmen lassen müssen
und als schonungsbedürftige, sehr zarte Frau doch auch eine
Menge von Ausgaben hatte, die sie als gesunde nicht hätte
zu machen brauchen, kommt in homöopathische Behandlung
und ist nach 4 1 / 2 Monaten so weit, dass sie sich allen Pflichten
ihres Haushaltes widmen kann, dass sie weiter nichts mehr
hat, als wie einzelne Beschwerden, welche vorübergehend
wirken, und das Alles ist erreicht in einigen Besprechungen
und schriftlichen Berathungen. In den Verhältnissen, in denen
die Kranke lebt, spielt allerdings dieser Punkt gar keine
Bolle, aber für die Mehrzahl unsres Volkes, wo jede Er¬
krankung eines Familiengliedes eine ganz unverhältnissmässige
Belastung der Arbeitskraft des Erwerbers und Ernährers dar¬
stellt, ist grade diese Seite der Homöopathie gewiss nicht zu
unterschätzen.
Wir Aerzte freilich, wir gedeihen dabei nicht glänzend,
und wenn Jemand von uns behauptet, dass wir mit unsrer
speziellen Kichtung wegen der Chance der grösseren Praxis
auftreten, so braucht er bloss unsre Arbeitsweise etwas ge¬
nauer anzusehen, um zu finden, dass es viel lukrativer ist, in
den traditionellen Formen die Behandlung durchzufüliren, als
wie in der von uns vertretenen. Selbst die grössere Zahl der
sich zu uns drängenden Kranken kann dieses Defizit nicht
wieder ausgleichen.
Wenn diese Erkenntniss in den ärztlichen Kreisen erst
allgemeiner geworden ist, wird vielleicht auch ein Theil des
Neides wegfallen, der sich ausdrückt in der Abneigung gegen
unsere Thätigkeit.
(Journalblatt Nr. 9328.)
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214
LXXIY.
Während die akute Influenza mit ihren Erscheinungen
und ihren Eolgebeschwerden auf homöopathischem Wege ver-
hältnissmässig leicht zu behandeln war, besonders in den
grossen Epidemien, wo epidemische Mittel sich bald fest¬
stellen Hessen, hat mir die vorjährige Influenza, welche lang¬
dauernd auftritt, viel Beschwerden gemacht.
Es giebt einzelne Fälle der Influenzaerkrankung, bei
welchen durch die Inanspruchnahme des ganzen Nervensystemes
sehr hartnäckige und sehr langwierige Folgen entstehen. In
diesen Fällen habe ich sehr wenig durch Medikamente erreicht
und habe fast immer zu Hilfsbehandlungen meine Zuflucht
nehmen müssen.
Einen Fall will ich hier berichten, der doch wenigstens
zwei deutliche Mittel Wirkungen aufweist, aber auch nach der
ganzen Art des Verlaufes nicht Dem entspricht, was wir bei
homöopathischer Behandlung erwarten können.
Eine Dame in den dreissiger Jahren hatte nach dem
Urtheile ihres Arztes von Oktober 1897 an die Influenza ge¬
habt. Am auffälligsten waren bei ihr die Darmerscheinungen.
Sie war sehr verstopft, immer übel, voll nach der geringsten
Nahrungsaufnahme, hatte dick belegte Zunge und war im
Glanzen sehr hinfällig und schwach. Als ich sie Mitte 1898
übernahm, hatte sie überdies eine Vermehrung der schon seit
Monaten bestehenden siedenden Schmerzen und viel Schweiss.
Die Periode war seit der Erkrankung verfrüht, lief nur zwei
Tage sehr stark, oft mit geronnenen Stücken. Das epidemische
Mittel unserer Influenzaepidemie vom Jahre 1897/98 war
Calcarea carbonica, und ich gab ihr zunächst dieses Mittel in
der 30. Potenz mit dem immerhin ganz erfreulichen Theilerfolge,
dass der Schweiss abnahm und die Gliederschmerzen ganz
verschwanden. Alle anderen Beschwerden aber blieben be¬
stehen. Im ganzen Monat Mai habe ich mit den verschiedent-
lichsten Mitteln versucht, über den Torpor in der Verdauung
hinwegzukommen. Die Kranke bekam zwar wieder etwas
mehr Appetit, wurde aber nicht gesund, und es stellten sich
eigenthümliche, krampfhafte Erscheinungen ein, die, von einem
Punkte des Unterleibes aus gelöst, das Behagen sehr störten.'
Dabei war die Kranke so schwach, dass sie zu jeder Hand¬
reichung der Hilfe bedürfte, sah sehr elend und abgerackert
aus und war ausserordentlich deprimirt.
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215
Die Eigenthümlichkeit, dass alle in dieser Zeit auftreten¬
den Beschwerden so krampfhaft waren, veranlasste mich,
Hyosciamus zu geben, welches allerdings in wenig Tagen
diese ganze Reihe von Erscheinungen beseitigte. Es blieb
nur eine Empfindlichkeit des Darmes zum Beginn des Stuhl¬
ganges zurück. Wieder begann eine Zeit des Herumtastens
und Suchens nach Mitteln, bis ich schliesslich auf Grund des
Gesammtbildes der kranken Dame und auf Grund der eigen¬
tümlichen Gemüthsstimmung mich zu Pulsatilla entschloss.
Dieses Mittel, täglich ein Tropfen der 200. gegeben, führte
dann in ungefähr vier Wochen eine sehr wesentliche Besserung
des Allgemeinbefindens herbei. Selbst der Stuhlgang regulirte
sich vollständig, wenn er auch etwas beschwerlich blieb, und
die Kranke machte solche Fortschritte, dass ich sie nunmehr,
da ich an eine weitere Wirkung des Mittels nicht recht
denken konnte, zum Gebrauch der Thermalbäder nach Warm¬
brunn schickte. Von da ist sie vollkommen genesen wieder
gekommen und ist auch gesund geblieben.
Es ist mir bei diesem Falle wieder zum Bewusstsein ge¬
kommen, dass wir herzlich wenig Mittel für das Symptom
der allgemeinen Schwäche haben.
Wenn auch eine Reihe von unseren Mitteln uns bei diesem
Symptom einfallen, so haben wir doch nichts für den Zustand,
der uns so häufig als Klage vorgetragen wird, nämlich wo
die anscheinend genügende Ruhe nicht die nöthige Erholung
bringt.
Es hat einmal irgend ein Schriftsteller versucht, diese
Erscheinung als eine Stoffwechselerkrankung anzusehen, und
hat behauptet, die schwere Neurasthenie beginne da, wo die
Ermüdungsstoffe in der Ruhe nicht genügend vernichtet werden,
wo das unbekannte Etwas nicht gebildet wird, das von den
Nervenzellen aus als Kraftgefühl entstehen müsste.
Bei der Influenza können wir uns ja vorstellen, dass der
sehr kleine Krankheitskeim, da er in der Blutbahn fortbewegt
wird, direkt durch sein Ansetzen an den Nerven wurzeln und
an die centralen nervösen Organe örtliche und durch seine
Menge bedingte allgemeine Erscheinungen hervorruft. Es sind
ja unsere Nervenzellen für toxische Einflüsse sehr lange
empfindlich, warum sollten sie es nicht auch sein für halb
mechanische, halb toxische Einflüsse eines in ihnen angesiedelten
Krankheitskeimes ?
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216
Aber bei sehr vielen Formen mechanischer Schwäche ist
die Ursache nicht nachzuweisen. Man kann auch nicht sagen,
dass alle Neurastheniker oder wenigstens ein relativ hoher
Prozentsatz derselben durch unvernünftige Ausnutzung ihrer
Kräfte krank werden, sondern es giebt eine ganze Reihe von
Individuen, welche bei aller Vorsicht in der Bewältigung ihrer
Tagesarbeit und bei genügender Rücksicht auf Ruhepausen
doch nicht zu derjenigen Erholung kommen, deren sie zur
Fortsetzung ihrer Arbeit bedürfen, bis dann schliesslich das
Deficit erheblich wird und die schwereren Formen der neu-
rasthenischen Nachkrankheiten auftreten.
In diesen Fällen sind wir — oder ich will vielmehr sagen:
bin ich — mit den homöopathisch gewählten Mitteln ziemlich
machtlos, und ich weiss auch für meine Kranken dann weiter
nichts, als ihnen die Wirkung der Thermalquellen zu empfehlen.
Dieselbe ist sehr angenehm. Es sind die einzelnen Thermal¬
quellen an sich wohl nicht sehr verschieden. Mehr Unterschied
machen die Lage und die äusseren Verhältnisse des Badeortes.
Aber auf Eines möchte ich hier aufmerksam machen. Wir
können nervös Erkrankte in ein Thermalbad schicken, müssen
ihnen aber die Warnung mitgeben, sich dort nicht zu allzu
häufigen Bädern verführen zu lassen. So wundervoll wie ein
grosses Bad, wie z. B. Gastein, wirken kann, so verheerend
kann es auch sich zeigen, wenn man es unvorsichtig ge¬
braucht.
Es sind vor allem zwei Momente, welche man berück¬
sichtigen muss. Man mag das Bad ursprünglich auf so lange
berechnet haben, wie man will, so muss doch der Kranke von
der ärztlichen Anordnung abweichen, so bald ihm im Wasser
das Gefühl entsteht: Nun ist es genug. Es ist ein ganz eigen-
thümliches bestimmtes Gefühl des Unbehagens.
Unser verstorbener alter Freund Pröll in Gastein, der
gerade diese Frage sehr studirt hatte, wollte sich auf das
subjektiv verschiedene Empfinden der Kranken nicht einlassen,
sondern gab als Zeichen, wann man das Bad verlassen müsste,
die Schrumpfung der Haut an den Fingerspitzen an.
Ferner muss der Kranke selten baden, so dass ihm das
Gefühl kommt, er möchte wieder baden, und er möchte sich
die Freude und das Behagen wieder verschaffen, welche ihm
das vorhergehende Bad gebracht hatte. Ich halte auf diese
Vorschrift so bestimmt, dass es vorkommt, dass meine Kranken
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nur drei bis vier Bäder in einem mehrwöchentlichen Aufent¬
halte nehmen, aber stets habe ich damit gute Erfolge gehabt.
Freilich gehört dazu, dass man auch intelligente Kranke
findet, welche es einsehen, warum die leise Anregung, die erst
wiederholt wird, wenn die Wirkung abgelaufen ist, mehr wert
ist, als wie das Hineinstürmen in ein tägliches Bad. Es ist
wie bei unseren Mitteln. Wer die zweite Grabe giebt, bevor
die erste Gabe ihre Wirkung vollendet hat, der wird nicht
viel Freude daran sehen, wer aber warten kann, bis der
Körper den neuen Reiz erst wieder vollständig zu würdigen
versteht, der kann viel erreichen. —
Einen anderen Influenzafall, auch von mehrmonatlicher
Dauer in seinen Nachwirkungen, habe ich auch mit Mitteln
nicht fördern können und habe dann in Schlangenbad doch die
Möglichkeit sich zu erholen für die Kranke gefunden, und bei
einem weiteren Falle, mit welchem ich mich jetzt noch be¬
schäftige, sehe ich auch schon die Unmöglichkeit, ein vorwärts
zu kommen, obgleich die Mittel jedes Mal die hervorragendsten
Symptome, um deren willen sie gewählt sind, dem Kranken
abnehmen. (Journalblatt Nr. 4676.)
Vom Büchertisch.
Dr. Springfeld, Das Selbstdispensirrecht der Aerzte
und Homöopathen. Berlin 1899. Richard Schötz. Oktav.
XIV. 175. Broschirt. 4 Mark.
• Medizinalassessor Dr. Springfeld und Regierungsrath Sieber
beim Königlichen Polizeipräsidium in Berlin geben eine Samm¬
lung heraus unter dem Titel: „Die Handhabung der Gesund¬
heitsgesetze in Preussen“. In dieser Sammlung ist das vor¬
liegende Buch der dritte Band. Die im Titel gewählte Gegen¬
überstellung der Aerzte und Homöopathen will nicht sagen,
dass der Verfasser die Anhänger der homöopathischen Richtung
der orthodoxen Schule gegenüber herabsetzen will. Er will
nur die allgemein gütigen Bestimmungen über das Selbst-
dispensiren und die speziell für uns gütigen Bestimmungen
gegenüberstellen. Das Material, welches der Herr Verfasser
zusammengetragen hat, ist sehr interessant, und, so weit ich
es ohne spezielle Kenntnisse beurtheilen kann, erscheint es
auch ganz vollständig.
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- 218 —
Dagegen kann ich nicht anerkennen, was er auf Pag. 162
sagt in folgenden Worten: „Die Lehre Hahnemaüns ist in
ihrer Reinheit völlig verlassen. Der Unterschied zwischen
allopathischen und homöopathischen Mitteln besteht lediglich
in der grösseren oder geringeren Dosirung. Daher kann man
von keinem Mittel von vorn herein sagen, es sei ein homöo¬
pathisches oder es sei kein homöopathisches“.
Das ist entschieden falsch, denn bei der Bestimmung des
Selbstdispensirens handelt es sich um eine pharmaceutisch-
technische Frage. Nach der ist allein zu unterscheiden, ob
ein Mittel homöopathisch bearbeitet ist oder nicht. Ob zu¬
fälligerweise auch andere Methoden das Mittel gebrauchen,
darauf kommt es gar nicht an. Die Dosirung des Mittels hat
daher nichts zu thun mit der Frage, ob es als homöopathisch
anzusehen sei oder nicht. Die Grundlage der Beantwortung
dieser Frage bietet stets unsere Litteratur oder der Nachweis,
dass ein früher noch nicht verwendetes Mittel analog den ihm
verwandten Arzneistoffen technisch behandelt worden ist. Wenn
unser Arzneibuch zustande kommt, so wird ja diese Frage
gesetzlich geregelt.
Auch die angeführten Urtheile, besonders das vom Kammer¬
gericht zu Berlin, entsprechen nicht der vom Verfasser vor¬
getragenen Auffassung.
In der Vorrede spricht sich der Verfasser nicht ungünstig
über die Ausdehnung des allgemeinen Dispensirrechtes aus,
und er begründet das besonders mit dem Hinweis auf die
grosse Menge gebrauchsfertig gemachter Medikamente aus der
pharmaceutischen Grossindustrie und durch den Hinweis auf
die Verhältnisse in den Orten, wo eine Apotheke gar nicht
bestehen kann.
Mannigfaltiges.
Geh. Sanitätsrath Dr. Johannes Schweikert in Breslau
feierte am 8. Juli d. J. sein 60jähriges Doktorjubiläum. Unser
verehrter Kollege Schweikert, der wohl der älteste der
schlesischen Aerzte ist, sieht auf eine grosse und erfolgreiche
Thätigkeit zurück, und wir benutzen mit Vergnügen die Ge¬
legenheit seines Jubeltages, um ihm dafür zu danken, wie er
überall für die Homöopathie mit Wort und That fördernd
eingetreten ist.
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219
Statistische Mittheilungen aus Boston. 1897 hatte
das
dagegen das
Massachusetts Homöop.
Hospital,
allop. General-Hospital
Zusammen: Kranke
1566
4312
Todesfälle
54
361
In Prozenten
3,44
8,37
Auf der inneren
Abtheilung
4,40
10,06
Auf der chirurgischen
Abtheilung
3,12
7,33.
Das städtische Hospital hatte im Jahre vorher 8893 Kranke,
835 Todesfälle, das ist 9,94°/ 0 . Ueberdies hatte das Städtische
Hospital noch 1889 Diphteriefälle in einer besonderen Ab-
theilung mit einer Mortalität von 14,13 °/ 0 gegenüber einer
früheren Durchschnittszahl von 46°/ 0 . Die Ursache des Herab¬
gehens soll der Gebrauch von Antitoxin sein.
Der homöopathische Thierarzt J. Sutcliffe Hurndall,
dessen Auftreten bei der Internationalen Versammlung in London
ich seiner Zeit geschildert habe, ist jetzt von dem Landesverein
der Thierärzte in England für das nächste Jahr zum Vor¬
sitzenden gewählt worden. Von dieser Auszeichnung können
wir nur mit grosser Befriedigung Kenntniss nehmen, weil sie
einem würdigen Manne zutlieil geworden ist und weil sie zeigt,
dass wenigstens in den Kreisen der Thierärzte es noch nicht
für schimpflich gilt, eine andere Methode als die herrschende
zu vertreten.
Das homöopathische Dispensirexamen haben bestanden
die Herren: Dr. Eckart, Breslau; — Dr. Köring, Delbrück i.W.;
— Dr. Mittelstadt, z. Z. Berlin; — Dr. Strehle, Gielow i. M.
Aus der Zeitungsmappe.
Minneapolis Homoeopathic Magazine, September 1898.
Maybelle Park: Die Beziehungen zwischen Homöopathie
und potenzirten Arzneistoffen. Die Verfasserin tritt warm für
die Verwendung von Hochpotenzen ein und weist darauf hin,
dass deren Heilwirkungen von einer spontanen Heilung da-
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220
durch unterschieden werden können, dass hei der Kunstheilung
die Symptome rückwärts wieder auftreten bis zum Eintritt
der Genesung, bei der natürlichen, spontanen Heilung aber
treten frühere Symptome nicht wieder auf. Sie empfiehlt ge¬
naue Buchführung über alle Fälle und berichtet einen Fall
aus der täglichen Praxis, wo sie ein 24jähriges Mädchen,
welches seit ihrem 15. Jahre an Dysmenorrhoe litt, mit einer
Gabe Pulsatilla 51 m geheilt hat.
Minneapolis Homoeopathic Magazine, Oktober 1898.
In einem sehr humoristisch gehaltenen Artikel beschreibt
Dr. Frank Kraft die Krankengeschichte dreier Kinder, von
denen zwei von einem Ref]exhusten genesen sind, das dritte
aber, an einer Gehirnentzündung erkrankt, aus seiner Behand¬
lung genommen wurde. Er veröffentlicht die Fälle, um seine
schon oft vertretene Theorie zu beweisen, dass es auch in der
homöopathischen Behandlung kein vorgeschriebenes Schema
geben dürfe und dass man dabei ebenso gut, wie bei jeder
anderen Behandlung, in den Hilfsmitteln, die man anwendet,
individuelle Eigenthümlichkeiten berücksichtigen müsse. Ge¬
meinsam sei allen drei Fällen gewesen, dass es Kinder waren
aus grossen Häusern, wo denselben weniger Bewegung in freier
Luft zukommt, als in den einfacheren Verhältnissen des Einzel¬
hauses.
Medical Advance, Oktober 1898.
Fünf Fälle von Tetanus, mit Chamomilla, Calcarea carb.,
Angostura, Asarum und Phosphor, alles 200, geheilt von
Dr. Baylies.
In der Diskussion macht Dr. Deschere auf eine besondere
Form von Convulsionen aufmerksam, die bei Harnverhaltung
der Kinder auftritt und die er in einem bestimmten Falle durch
Sassaparilla heben konnte. Er bezeichnet dieses Mittel als
das wichtigste bei Krankheiten der Kinder durch Ueber-
schuss von Harnsäure.
Aus den klinischen Fällen von Dr. Erastus Case sei er¬
wähnt: Eine 25jährige Frau hat manchmal bis zu acht Tagen
keinen Stuhlgang, der in ganz kleinen Knoten entleert wird.
Dumpfer Stirnkopfschmerz. Auf dem Kopfe Krusten, die beim
Warmwerden jucken. Das Haar ist glanzlos, beim Kämmen
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knackend. Am Hinterkopfe sehr empfindlich für jeden Luft¬
zug. Der Fussschweiss ist so stark, dass die Strümpfe wie
von Gummi durchzogen sind. — Am 6. Dezember 1897 ein
Pulver Sanicula 10m. Am 3. Januar 1898 tägliche normale
Stühle. Bis jetzt ungestörte Heilung.
Ein neunjähriges Kind hat jede Nacht am Kopf und an
der Brust sehr starken Schweiss. Kalter übelriechender Fuss¬
schweiss. Schwindel beim Frühaufstehern Gelbe und grüne
Krusten in der Nase. Athmen durch den Mund. Gelber Belag
der Zunge mit schlechtem Geruch. Verlangen nach kalten
Speisen. Druckempfindlichkeit des Magens. Kann den Harn
nicht verhalten, sobald die Vorstellung ihm kommt, dass es
das Wasser lassen muss. — Auf eine Gabe Sanicula 10 m
verschwanden die Nachtschweisse bis auf einen kleinen
Rückfall von einigen Tagen.
Eine 28jährige Lehrerin hat entzündete Hühneraugen.
Rothe Schwellung um die Hühneraugen. Starke Verschlimmer¬
ung der Schmerzen vor stürmischem Wetter und bei Hitze.
Gleichzeitig Schmerzen von der rechten Hüfte nach unten. Blasse
Lippen. Gelbes Aussehen mit dunklen Ringen unter den Augen.
Schweregefühl in der Leber, gebessert bei Rechtslage mit an¬
gezogenen Beinen. Abneigung gegen Gesellschaft. Stuhl ver¬
langsamt. Eigenthümliches Knotengefühl in der Magengegend
mit nachfolgendem Vergehen der Kräfte. — Sepia 3 cm am
14. Januar gegeben. Ohne weitere Wiederholung der Gabe
stiessen sich fünf von den Hühneraugen ab, und ihr ganzes
Befinden wurde besser unter dem rückläufigen Auftreten der
alten Symptome.
Verminderung der Sehschärfe bei einer 68jährigen
Dame seit Influenza vor vier Jahren. Sie sieht die Stufen der
Treppe nicht und kann ihre eigenen Schuhe nicht zuknöpfen.
Stechende Schmerzen im Auge bei hellem Lichte. Vor dem
linken Auge ein dunkler Stab mitten im Gesichtsfelde. Brennen
in der Blase und der Urethra nach dem Wasserlassen. Ver¬
geblicher Stuhldrang. Kalte trockene Füsse bei Tag. Heisse
Sohlen in der Nacht. Als siebenjähriges Kind Krätze äusser-
lich behandelt. Damals waren die Augen so entzündet, dass
sie drei Wochen im Dunkeln bleiben musste. Am 11. Oktober
1897 ein Pulver Sulphur cm. Darauf trat eine starke Ent¬
zündung der Augen mit Lichtscheu ein, aber Besserung des
Sehvermögens. — Am 30. Dezember keine Schmerzen in Augen
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m
und Schläfen, kann wieder einfädeln und sieht den einzelnen
Stich beim Nähen. Die Buchstaben verwischen sich, wenn sie
längere Zeit liest. — Januar 1898 starke Schmerzen in der
linken Stirnhälfte und die dauernde Empfindung, als ob ein
dunkles Stück Stoff durch das linke Auge durchgetrieben
würde. Zum ersten Male wird Sulphur 8cm wiederholt, wo¬
rauf sofort wieder Kopfschmerzen eintraten. — Am 26. April
berichtet sie, dass sie ihr Auge bei Tage zu Allem gebrauchen
kann, nur noch abends vorsichtigerweise dasselbe nicht an¬
strengt. Allgemeinbefinden sehr wohl.
In der Discussion wurde, anknüpfend an einen Fall von
Krämpfen, die Frage ventilirt, ob die Verschlimmerung beim
Neumond als Symptom anerkannt werden dürfte oder nicht.
Die Meisten sprachen sich dafür aus, obwohl man den Zu¬
sammenhang nicht erklären könnte, da besonders bei den Cina-
fällen ein ganz eigenthümliches Zusammenfallen zu beobachten
sei, und so gut wie Niemand erklären könne, dass das Weib
nach 28 Tagen wieder menstruirt und doch die Thatsache un¬
zweifelhaft sei, so könne auch in anderen Vorgängen des Kör¬
pers ein circuläres Auftreten des Reizes sich zeigen.
North American Journal, Oktober 1898.
Ueber den Werth der Symptome kommt Van Denburg
in einem Artikel zu dem Schluss, dass jedes Symptom, welches
von einem zuverlässigen Menschen empfunden worden ist, notirt
werden solle, dass aber die Kontrollprüfung, ob es sich wirklich
um ein Medizinalsymptom handle, nur gegeben werden könne,
wenn dasselbe Symptom am Krankenbette zur Wahl des Heil¬
mittels geführt hat. Diese Prüfung würde von jedem praktischen
Arzte ununterbrochen vorgenommen. Es fehle aber jeder Be¬
richt darüber, und dadurch komme es, dass so wenig Bestätig¬
ungen der Prüfungsergebnisse vorliegen. Wenn jeder praktische
Arzt aus seiner Thätigkeit heraus seine Erfahrungen geordnet
oder ungeordnet zur Veröffentlichung bringen würde, so würden
wir schon viel weiter sein.
Monthly Homoeopathic Review, Oktober 1898.
Bernard Thomas: Temperament, Diathese und Dys-
crasie in ihrem Werthe für die Behandlung.
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- 228 -
Der Ausdruck „Temperament“ bedeutet die Summe
physikalischer Eigentümlichkeiten eines Menschen ohne alle
Beziehungen zur Krankheit. Die verschiedenen Temperamente
mögen wohl den in dem betreffenden Körper ablaufenden Krank¬
heitsprozessen eine eigenthümliche Färbung geben, aber sie
bringen an sich den Körper nicht in bestimmte Gefahr. Man
kann ein sehr ausgeprägtes Temperament haben und dabei voll¬
ständig gesund sein.
„Diathese“ ist ein körperlicher Zustand, dessen Entstehung
wir nicht kennen, welcher aber zur Folge hat, dass sein Träger
durch eine lange Zeit, meistens für das ganze Leben, zu einer
besonderen Form von Krankheit besonders geneigt ist. Manche
Diathesen sind ererbt, manche erworben. Von manchen ist
die Wirkung dauernd, bei einigen vorübergehend und nach
langen Gesundheitspausen zurückkehrend.
Um zwischen Temperament und Diathese zu unterscheiden,
können wir sagen, dass ersteres ein physiologischer Unterschied,
letztere ein pathologischer. Das Temperament ist in der Con¬
stitution gegeben, die Diathese kann auch später erworben
werden.
„Dyscrasie“ ist die eigenthümliche und unmittelbare
Wirkung einer Krankheit.
(Jonathan Hutchinson: Pedigree of Disease.)
Grauvogl hatte drei Constitutionen, das sind nach dieser
Erklärung Diathesen.
Hahnemanns Psora, Sykosis und Syphilis sind Dyscrasieen.
Unter unseren Mitteln giebt es einige, welche vollständig
das Bild eines selbstständigen Temperamentes geben, so: Kux
vomica, Sepia, Pulsatilla, Sulphur.
Von den Diathesen ist die scrophulöse am häufigsten in der
Richtung von Aurum, Pulsatilla, Calcarea carbonica und Agari-
cus zu beachten, die phlegmatische bei Sulphur und Mercur,
Hepar und Silicea.
Die Neigung der Mandeln zum dauernden Schwellen mit
allen Nebenerscheinungen deckt sich mit Baryta.
Auch für die rheumatische und andere Diathesen giebt es
entsprechende Mittel.
North American Journal of Homoeopathy, November 1898.
Dr. Martine Deschere: Das Diphterieserum, vom homöo¬
pathischen Standpunkte aus angesehen.
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Das ursprünglich so enthusiastisch angepriesene Serum
findet schon seine Gegner, und die Behauptung, dass es ein
Unrecht wäre, es nicht anzuwenden, ist schon hinfällig ge¬
worden. Wir Homöopathen haben Mittel, welche die Disposition
des Körpers für den eingedrungenen Bazillus vermindern, und
in Bezug auf die bei der Erkrankung gleichzeitig bestehende
Herzschwäche steht Mercur cyanat thurmhoch über Antitoxin.
Der Verfasser empfiehlt das Serum nur im Beginne einer un-
komplizirten Diphterie und sagt:
„Bei allen anderen Komplikationen, sowie bei den Misch¬
formen der Diphterie ist Antitoxin nicht nur nutzlos, sondern
es führt eher zu einem traurigen Ende. Für diese Fälle, die
ja so häufig sind, wird stets ein richtig gewähltes homöo¬
pathisches Mittel eine bessere Garantie geben. Das Serum
ist ein modifizirtes Produkt des Klebs-Löffler’schen Bazillus. '
Seine Beziehung, homöopathisch gedacht, zu den Wirkungen
dieses Bazillus im menschlichen Körper ist deutlich. Darum
hat es auch sichtbare Wirkungen auf die äusserlichen lokalen
Anzeichen der Krankheit und deren nächste Folgen. Anderer¬
seits aber hat es bedenkliche und oft schädliche Wirkungen
auf die durch die Krankheit geschädigten lebenden Organe,
und wir haben deswegen die unbedingte Pflicht, an unserer
homöopathischen Behandlung, welche schon oft erprobt ist,
festzuhalten, weil dieselbe besser individualisirt. Wir wollen
jeden wissenschaftlichen Fortschritt mitmachen, besonders
wenn es sich um Mittel handelt für Fälle, die unserer Behand¬
lung noch nicht zugängig sind, aber von unserer unerschütter¬
lichen Grundlage dürfen wir nicht abgehen, wenn auch die
Massen sich für ein neues Mittel begeistern.“
Druckfehler - Berichtigung.
In Heft Nr. 6, Seite 172, Zeile 5 von unten muss es
heissen Berlin statt Bernburg.
Druck von Wilhelm Baensch in Dresden.
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ARCHIV FÜR HOMÖOPATHIE
von
Dr. Alexander Villers.
Jahrgang VIII. Nr. 8. August 1899.
Sabadilla.
Von Prof. J. T. K ent-Philadelphia.
Der Sabadillakranke fröstelt immer. Er ist sehr empfind¬
lich gegen kalte Luft, im kalten Raum und für kaltes Essen.
Er will immer gut eingehüllt sein und verlangt nach warmen
Getränken, um seinen Magen zu stärken. Er hat oft Katarrhe,
und dann verlangt es ihn nach heisser Luft. So treiben ihn
z. B. die Katarrhe im Halse dazu, warme Sachen zu trinken.
Jede Form von Wärme ist ihm angenehm. Kalte Sachen aber
zu schlucken ist ihm unangenehm, denn das vermehrt seine
Schmerzen und die Schluckbeschwerden.
Eine Erleichterung des Studiums der Medikamente ist der
Kontrast.
Dieses Mittel geht z. B. von links nach rechts, und ein
Mittelkenner bringt daher dasselbe sofort in Verbindung mit
Lachesis. Bei beiden Mitteln gehen die Empfindlichkeit, die
Schmerzen und die Entzündungserscheinungen im Halse von
links aus und breiten sich nach rechts hinüber; aber warme
Sachen vermehren den Schmerz bei Lachesis, es kommt ein
Schlundkrampf zu Stande, der bald zur Erstickung führt, und
darum verlangt der Kranke nach kalten Gegenständen, die
erleichtern. Kalte Getränke z. B. machen den Schmerz in der
Brust leichter. Dagegen wird Sabadilla durch äussere und
innere Anwendung von Hitze gebessert.
Katarrhalische Zustände in der Nase mit dauerndem
Niesen. Empfindung grösserer Rauhigkeit in der Nase. Brennen.
Die Nase ist verlegt. Absonderung von dünnem und nachher
dick werdendem Schleim, so wie er bei einem langwierigen
Schnupfen auftritt. Durch Einatmen heisser Luft kann der
Schnupfen gebessert werden. Man sieht einen solchen Kranken
am heissen Heerd oder am offenen Feuer sitzen und tief die
warme Luft einathmen.
Archiv für Homoopatliie. Heft 8. 15
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Das Mittel ist besonders nützlich bei langdauernden Nasen-
katarrhen, bei jenen langdauernden Schnupfen, die den ge¬
wöhnlichen Mitteln nicht gewachsen sind.
Der Schnupfen ist immer etwas angedeutet. Aber Blumen¬
geruch vermehrt ihn sicherlich. Das blosse Denken an Blumen¬
geruch bringt den Kranken zum Niesen und vermehrt den
Nasenfluss. Ueberhaupt kommt es bei diesem Mittel öfters
vor, dass die Vorstellung von gewissen Sachen die Beschwerden
vermehrt.
Manche Heufieberkranke sind in dieser Weise empfindlich
für Blumengeruch, für den Geruch des frisch gemachten Heues
und den verfaulter Pflanzentheile. Es giebt Leute, die so
empfindlich für den Geruch von Aepfeln sind, dass sie keine
im Hause dulden. Selbst den Geruch von angenehmen Stoffen
wie Lavendel, können manche Heufieberpatienten nicht ver¬
tragen, so dass sie selbst ausserhalb der Zeit einen Anfall
ihres Leidens bekommen können.
Sabadilla gehört für solche Fälle. Die Kranken sind
überempfindlich für Alles, was sie umgiebt, für jeden Geruch,
weil dadurch der Katarrh vom Hals und der hinteren Nasen¬
rachenhöhle vermehrt wird. Niesen tritt ein und ein Abgang
von serösen und schleimigen Massen. Manchmal liegen auch
Geschwürchen vor.
Die Anfälle sind periodisch. Sie kommen z. B. im Juni
immer wieder zur Zeit der Kosenbliite oder Ende August zur
Heuzeit.
Es ist oft sehr leicht, das Heufieber auf kurze Zeit zu
bessern und den Anfall in wenigen Tagen auszulöschen, aber
die Behandlung selber erfordert Jahre. Erforderlich ist dabei
eine Behandlung auch zwischen den Anfällen, und diese muss
durchaus symptomatisch sein.
Bei diesen Kranken überwiegen die Heufiebersymptome
alle anderen, so dass man zu Zeiten des Anfalles keine anderen
Symptome erkennen kann, und wenn man seine Aufmerksam¬
keit auf die freien Zeiten wendet, so erkennt man erst, dass
der Patient überhaupt krank ist, und die beiden Zeiten zu¬
sammen geben erst das richtige Symptomenbild.
Viele Beschwerden eines Sabadillakranken scheinen nur
eingebildet zu sein. Er hat merkwürdige Dinge im Kopf,
sonderbare Vorstellungen über sich selbst oder über andere
Leute. Er stellt sich z. B. vor, dass sein Körper dahin-
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schwinde, dass seine Beine sich verkrümmen, dass er ein ver¬
längertes Kinn habe, dass die eine Seite grösser sei wie die
andere. Solche Sachen glaubt der Kranke, obgleich er durch
einfaches Hinfühlen sich von der Unrichtigkeit überzeugen
kann. Er glaubt so sehr an diese Empfindung, dass der Glaube
wie ein Wahnsinn wirkt. Ein Hauptkennzeichen des Mittels sind
irrthümliche Vorstellungen über den Zustand des Körpers. Er
hält sich für krank, er glaubt, dass einzelne Theile zusammen¬
schrumpfen, die weibliche Kranke hält sich für schwanger,
während sie blos Blähung hat. Sie ist überzeugt, ein furcht¬
bares Bachenleiden zu haben, das zum Tode f ühr en wird.
Alle diese Vorstellungen sind vollständig grundlos. Es ist
gar nichts zu sehen, und doch leiden die Kranken mehr, als
wenn sie die Erscheinungen wirklich hätten. Diesen Kranken
versagt man oft seine Sympathie, und man sollte lieber daran
denken, ihnen das passende Mittel zu geben.
Bei Thuja giebt es ja auch solche irrthümliche Vorstel¬
lungen über den Zustand des Körpers. Der Kranke glaubt
z. B. er sei aus Glas gemacht. Es handelt sich dabei aber
nicht um das Durchscheinende dieser Masse, sondern um die
Brüchigkeit, um die Vorstellung, man könnte in.Stücke zer¬
brechen. Kur bei wenigen Mitteln kommen solche fixe Ideen
vor. Diese Vorstellungen können sich auf Alles beziehen, auf
Politik, Beligion, Anzug, Familienvorgänge und tägliches Leben.
So hatte ich einmal einen Kranken, der aus jedem Pferdebahn¬
wagen ausstieg, sobald ein anderer Fahrgast eintrat, der eine
bestimmte Farbe an sich trug, denn er war davon überzeugt,
dass diese Farbe ihm schade.
Bei Pulsatilla findet sich das merkwürdige psychische
Symptom, dass der Mann glaubt — und zwar ohne Beziehung
auf ein bestimmtes Weib — das Weib schade seiner Seele.
Jod hat eine ganze Keihe von solchen fixen Ideen. Bei Ana-
cardium ist das ausgesprochene Bild so, dass ein Teufel auf
der einen Schulter sitzt und ein Engel auf der anderen, und
jeder redet dem Kranken ins Ohr, und er muss ruhig halten
und Beiden zuhören.
Delirium bei den Wechselfiebern. Jede Gehirnanstrengung
vermehrt den Kopfschmerz und verursacht Schlaf. Bei jedem
v Nachdenken, Ueberlegen und Lesen wird der Kranke müde.
Während er auf seinem Stuhle sitzt und etwas überlegt, schläft
er ein, ähnlich wie bei Nux moschata und Acidum phosph.
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Taumlichkeit. Schwindel. Wacht nachts auf mit Schwindel.
Schwindel in der freien Luft unter allen Umständen auftretend.
Sehr viel Kopfschmerzen, darunter auch einseitige. Jede Ueber-
legung, welche ihn zum Schlaf bringt, verursacht aber auch
Kopfschmerzen. Kopfschmerz der Schulmädchen gehört hier¬
her. Solche schwächliche Kinder, welche man wegen ihrer
Kopfschmerzen aus der Schule nehmen muss, erzählen zu Hause
ganz merkwürdige Dinge von der Schule und ihrem Aufenthalte
dort. Betäubender Kopfschmerz besonders mit Schnupfen, am
stärksten über den Augen und in den Stirnhöhlen. Füllegefühl,
Auftreibung, Betäubung, verschlimmert durch Niesen, Gähnen,
Gehen. Mit diesen betäubenden Kopfschmerzen steht der
Kranke oft am Morgen auf, und im Laufe des Vormittags
tritt eine Verschlimmerung ein. Kalter Schweiss am Kopfe.
Viele von diesen Symptomen stehen dem Veratrum sehr nahe,
besonders der kalte Schweiss an der Stirn.
Von den Heufiebern gehören hierher die Formen mit
krampfhaftem Niesen und Schnupfen. Vollständig verlegte
Nase, erschwerte Nasenathmung, Schneuzen, Jucken der Nase,
reichliches Nasenbluten, Auswerfen von Blut, welches aus dem
Hinternasenrachenraum stammt, grosse Empfindlichkeit für
den Geruch von Knoblauch. Schnupfen mit starkem Stirn¬
kopfschmerz und roten Augenlidern, heftiges Niesen, reich¬
liche Wasserabsonderung aus der Nase. Ein eigenthümliches
Jucken kommt bei manchen Heufieberkranken vor. Es ist dies
ein Jucken in der Mundhöhle in der Gegend des weichen
Gaumen, so dass der Kranke immerfort mit der Zunge dort¬
hin langt, um dasselbe zu lindern. Dieses Symptom ist charakte¬
ristisch für Wyethia, welches den Anfall schnell koupirt.
Geht das Jucken bis zum Kehlkopfe herunter und ist dabei
grosse Empfindlichkeit für Kälte, so handelt es sich um Nux
vomica. Wenn die Absonderung auf der Oberlippe einen rothen
Strich macht und die Nasenflügel röthet mit Niesen und reich¬
licher wässeriger Nasenabsonderung, so handelt es sich um
Arsenik. Reichliche scharfe Thränenabsonderung und reich¬
licher milder Ausfluss aus der Nase mit Niesen deutet auf
Euphrasia. Reichliche, milde, wässerige Absonderung aus den
Augen und reichlicher, scharfer, wässeriger Ausfluss aus der
Nase gehören zu Allium cepa.
Das sind aber nicht etwa konstitutionelle Mittel. Sie
heilen nicht, sondern sie helfen nur bei den schweren Anfällen.
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Es gehört eine psorische Konstitution dazu, um diese Sym¬
ptome hervorzubringen, und diese Konstitution muss behandelt
werden. Manchmal ist das Heufieber so stark, dass man glauben
könnte, sonst finde sich kein einziges psorisch.es Symptom bei
dem Kranken. Wenn man aber das Heufieber vertreibt oder
zurückdrängt, dann fühlt sich der Kranke das ganze Jahr hin¬
durch nicht wohl. Lässt man es dagegen austoben, so ist er
den ganzen Rest des Jahres gesund. Es giebt Heufieber,
welche durch den ganzen Winter durch reichen und nur durch
konstitutionelle Nachhilfe gebessert werden können. Man kommt
aber dann dahin, dass jedes Jahr die Anfälle leichter werden,
und schliesslich kann der Kranke in dem ihm zukommenden
Klima ohne Anfall leben, und er braucht nicht immer nach
den Bergen zu gehen, um ihn überstehen zu können. Es wäre
oft viel besser, er ginge dahin, wo der Anfall sehr stark ist,
damit man alle Symptome desselben erkennen könnte.
Dem Heufieber geht es wie so manchen anderen Krank¬
heiten. Es kann nur geheilt werden, wenn der Kranke geheilt
werden kann. Ist aber dessen Konstitution so verschlechtert,
dass man ihr nicht mehr auf helfen kann, so wird er auch
sein Heufieber behalten.
Bei unserem Mittel ist der Hauptangriffspunkt der Sym¬
ptome die Schleimhaut und zwar die Schleimhaut der Nase,
des Rachens, der Luftröhre und des Kehlkopfes. Es findet
sich eine ganze Reihe heftiger Entzündungen der Schleimhaut
dieser Gregend.
Grosses Verlangen nach warmen Getränken. Mit dem
Appetite ist es eine eigene Sache, wie man es z. B. bei
schwangeren Frauen findet. Sie sagen, sie seien niemals
hungerig, verlangen niemals etwas zu essen und haben auch
eine Abneigung gegen das Essen; wenn sie sich aber dann
entschliessen, etwas zu essen und den Mund voll genommen
haben, so schmeckt es ihnen ganz gut, der Appetit kommt
wieder und sie essen dann mit Appetit weiter. Am häufigsten
herrscht eine vollständige Abneigung gegen das Essen,
am häufigsten eine Abneigung gegen Fleisch, saure Sachen,
Kaffee und Knoblauch. Es giebt endlich auch Zustände, wo
ein Heisshunger mit der Abneigung gegen das Essen ab¬
wechselt.
Unser Mittel wird vom handwerksmässigen Arzte bei
allen möglichen Formen von Darmwürmern verwendet.
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Wer wirklich etwas von Arzneimittellehre versteht, der
verschreibt nie für Würmer. Er nimmt vielmehr alle Sym¬
ptome des Kranken zusammen und wird dann das für den¬
selben passende Mittel finden.
Ich erinnere mich, dass ich einmal einer Dame, die mir
ihren Hund zeigte, welcher sich am Boden die juckenden Theile
ab wischte, auf ihre Frage, ob ich dein Hunde nichts geben
könnte, dieselbe bejahte und dem Thiere eine Gabe Sabadilla
verabreichte. Nach einiger Zeit fragte sie mich, was ich dem
Thiere gegeben hätte, und auf meine Frage: warum? antwortete
sie mir, er hätte nach einigen Tage so furchtbar viel Würmer
verloren.
Sabadilla und Sinapis, besonders Sinapis nigra passen für
solche Fälle von Würmern, und manchmal wirkt ein solches
Mittel auf ein Organ so, dass durch dessen Ausheilung das
allgemeine Wohlbefinden wieder ermöglicht wird.
Weibliche Geschlechtsorgane. Nymphomanie durch
Würmer. Schneidende Schmerzen im Eierstock. Verspätete
Periode mit schmerzhaftem Herabdrängen ein paar Tage vor¬
her. Die Blutung ist bald stärker, bald schwächer, das Blut
hellroth.
Unser Mittel passt ferner bei den hysterischen Kranken,
besonders den Kranken mit eigenthümlich ungleichmässiger
Stimmung, begleitet von mancherlei nervösen Manifestationen,
auch wenn das Zittern, Zucken oder kataleptische Zustände
nicht gerade von Würmern kommen.
Würmer bleiben nicht bei einem vollständig gesunden
Menschen; sie bleiben nur bei einem solchen, der in irgend
einer Beziehung nicht gesund ist. Es ist mir oft genug passirt,
wenn ich einem Kranken ein antipsorisch.es Mittel gegeben
hatte, ohne im entferntesten an Bandwurm zu denken, dass
mir der Kranke das nächste Mal einen abgegangenen Band¬
wurm brachte. Wird der Körper in Ordnung gebracht, so
gehen die Parasiten ab.
Dasselbe gilt auch von den Krankheitsträgern. Sie können
nur da haften, wo schon eine Krankheit vorhanden ist. Ohne
eine Disposition können dieselben nicht existiren.
Bei dem Examen des Kranken brauchen Sie sich um den
Wurm nicht viel zu kümmern, wenn er einen hat, sondern
wählen Sie nur ein Mittel nach der Totalität der Symptome,
dann wird der Kranke gesund werden und der Wurm wird
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schon gehen, und wenn er nicht direkt abgeht, so schrumpft
er doch ein und gedeiht nicht und geht doch schliesslich weg.
Es ist selten, dass mehr als sechs Wochen vergehen ehe der
Wurm abgeht.
Wenn Sie dagegen ein Wurmmittel gebrauchen und also
gewaltsam denselben entfernen wollen, so hat der Kranke jahre¬
lang unangenehme Symptome, und Sie können nicht wissen, ob
es Ihnen gelingt, ihm diese wieder abzunehmen. Denken Sie
immer nur an den Kranken und nicht an das, was er in Folge
seiner Krankheit in oder an sich trägt.,. Alles, was die Folge¬
erscheinungen der Krankheit sind, soll nicht angegriffen werden,
sondern Sie sollen die Konstitution des Kranken behandeln.
Dann sind Sie auf dem richtigen Wege, und die Folge¬
erscheinungen werden auch wegfallen.
Bericht des Propaganda-Ausschusses 1899.
Von Dr. Alexander Villers-Dresden.
Die Versendung der Propagandaschrift erfolgte in massigem
Umfang. Es wurden 1442 Exemplare dazu verbraucht. Als
Adressaten wurden gewählt diejenigen Aerzte, welche nach
dem Börner’schen Aerzteverzeichniss in den Jahren 1885—1888
die Approbation erlangt haben. Dieselben sind stabiler als
die jüngeren Kollegen und kennen schon die Noth der Praxis.
Indem ein gutes Aerzteverzeichniss dieser Versendung zu Grunde
gelegt wurde, kann dieselbe von den späteren Schriftführern
des Propaganda-Ausschusses bequem fortgesetzt werden, ohne
Doppelsendungen fürchten zu müssen. Ueberdies wurden noch
eine Reihe österreichischer Kollegen als Adressaten gewählt.
Auf diese Versendungen erfolgte nur eine Rückantwort,
die zu einer kurzen Korrespondenz führte ohne weitere er¬
kennbare Wirkung.
Ausser diesem fruchtlos gebliebenen Versuch wurde Positives
in der Propaganda nur vom Berliner Verein homöopathischer
Aerzte geleistet, der durch seine Ferienkurse hoch anzu¬
erkennende und auch erfolgreiche Arbeit leistete.
Unsere ganze Propaganda könnte noch viel mehr gefördert
werden, wenn jeder Einzelne von uns überall da, wo er auf
einen Angriff gegen die Homöopathie stösst, sofort die Waffe
zur Vertheidigung aufhöbe. Wie das zweckmässig gemacht
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werden kann, das ergeben drei Ausführungen von Freunden
von uns, welche mir eingesandt worden sind.
Einmal hat Kollege Waszily in Kiel dem Verlagshause
Bong als Verleger des „Neunzehnten Jahrhunderts in Wort
und Bild“ eine sehr bestimmte und ausgesprochene Abwehr
eingereicht über die Formulirung, welche Hahnemanns Lebens¬
beschreibung in diesem Werke gefunden hatte. Wenn auch
mit dieser Erklärung an dem einmal erschienenen Werke keine
Veränderung herbeigeführt werden kann, so wird es doch der
Verlagsbuchhandlung zum Bewusstsein gebracht, dass sie bei
einer Neuauflage die Verpflichtung hat, auch die andersartige
Auffassung zu Worte kommen zu lassen.
Mit grösserem und sichtbarerem Erfolge hat sich Kollege
Grünewald gegen eine Anfeindung der Homöopathie gewendet.
Im * „Frankfurter Generalanzeiger“ Nr. 99 war aus der „Post“
ein Bericht über Gailavardins Versuche, psychische Krankheiten
mit inneren Mitteln zu heilen, aufgenommen worden. Derselbe
war dem ganzen Ton nach eine Anzapfung der Homöopathie.
Die sehr ruhige und sachliche Antwort von Grünewald, in
welcher er darlegte, dass, wenn man von der Homöopathie in
der Oeffentlichkeit spreche, man nicht immer von einem
äussersten Flügel derselben allein reden solle, und in welcher
er bewies, dass Leute, welche nicht zu uns gehören, auf wissen¬
schaftlichem Wege zu Ergebnissen gekommen wären, welche
sich mit unseren Behauptungen decken, wurde ungekürzt von
dem Generalanzeiger wenige Nummern darauf aufgenommen.
In Nr. 14 der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“
ist in einem Artikel von P. Herzfeld: „Eine Volksversammlung
der Naturheilkünstler und verwandten Berufsgenossen“ zu¬
sammengestellt worden: „Naturheilkünstler, Magnetopathen,
Homöopathen“ u. s. w.
Dr. Grünewald in Frankfurt a. M. liess durch seinen Rechts¬
anwalt den Redakteur Prof. Eulenburg in Berlin auffordern,
in einer Berichtigung, deren Form ihm überlassen wurde, fest¬
zustellen, dass in diesem Zusammenhänge von approbirten
Aerzten, welche sich der Homöopathie zugewandt haben, nicht
die Rede wäre, sondern dass es sich nur um die Laienhomöo¬
pathen handelte. Kollege Grünewald begründete dies mit
folgendem Satze: „Da die homöopathischen Aerzte des „Central¬
vereins“ die wühlende Thätigkeit der Laienelemente mit ver¬
urteilen und jede gegen die Standesehre verstossende Agitation
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für ihre doch gute Sache verwerfen, so müssen es sich dieselben
insbesondere in der Jetztzeit doppelt angelegen sein lassen,
ihre so ungemein schwierige, lediglich aus innerer Ueberzeugung
eingenommene Stellung innerhalb des ärztlichen Standes sich
zu sichern und zu schützen.“
Die in Nr. 17 desselben Blattes gegebene Antwort des
Redakteurs war eine Berliner Schnodderigkeit und nicht die
Antwort, wie sie ein vornehm denkender Mann auf eine solche
Aufforderung zu geben pflegt.
Dieses Selbsteintreten eines jeden homöopathischen Arztes
für seine. Richtung in dem Kreise der Oeffentlichkeit, welche
er beherrscht, halte ich bei weitem für das Wichtigste. Den¬
jenigen, welchen der Centralverein die Aufgabe überweist, die
Propaganda zu leiten, wird diese Aufgabe dadurch erschwert,
dass ja die Mittheilungen über Angriffe gar nicht schnell genug
an sie gelangen können. In der Presse ist eine Erwiderung
nur möglich, wenn sie Schlag auf Schlag erfolgt. Eine später
eingeleitete kann nach dem Gebrauche der Journalistik gar
nicht Beachtung finden.
Dass nachher der Angriff und die geschriebene Erwiderung
einer Zentralstelle zur Sammlung überwiesen werden, ist sehr
zweckmässig, aber jetzt, wo ich meine Thätigkeit als Ausschuss¬
mitglied für die Propaganda aufgebe, möchte ich es doch aus¬
sprechen, dass nach meiner Meinung die von demselben zu
leistende Arbeit im Wesentlichen eine registrirende ist, und
dass ich die Befürchtung hege, dass manches Mitglied unserer
Vereinigung, welches sonst vielleicht sofort zur Eeder greifen
würde, die Antwort verschiebt, dieselbe dem Referenten über¬
lässt und dadurch die ganze Angelegenheit hinauszieht. Es
ist viel wichtiger, dass sofort und kurz geantwortet wird, als
dass eine umfängliche Beantwortung später und von wo anders
her erfolgt.
Von litterarischen Angriffen gegen die Homöopathie sind
mir nur wenige bekannt geworden.
Virchow hat zweimal Stellung genommen zur Homöopathie
und natürlich im absprechenden Sinne.
Bei der Verhandlung am 7. Mai 1898 im Preussischen
Landtage spricht er der Homöopathie jede Methode ab und
kommt zu dem Schlüsse: „Es ist gar keine Methode! Im
Gegentheil, es ist die absolute Negation von Methode. Was
da geschrieben wird, das ist einfach der Ausdruck des Ge-
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dankens: similia similibus, der auf nichts basirt und der gleich
wie der andere von den kleinsten Dosen bis an die letzten
Grenzen des Unsinns fortgeführt wird.“ Er brauche diese
Behauptung nicht zu beweisen, denn wenn man auf das Organon
einginge, welches die Grundlage der sogenannten Homöopathie
sei, so ersehe man sofort, dass nicht eine Spur logischer Be¬
urteilung in den grundlegenden Sätzen darin enthalten sei.
Bei Virchows starrer und trotz seiner grossen Begabung
einseitiger Art der Auffassung wundert mich diese Behauptung
nicht, denn ihm ist es wirklich unmöglich, das Organon so zu
lesen, wie es gelesen werden muss, nämlich aus der Natur-
erkenntniss und aus der philosophischen Auffassung der Zeit
heraus, in welcher es entstanden ist. Der wissenschaftliche
Jargon bleibt nicht derselbe, und wer ein Buch aus dem An¬
fänge dieses Jahrhunderts beurteilen will, der muss die da¬
malige Auffassungswelt beherrschen, und das ist es, was nach
dem vorliegenden Urteile augenscheinlich Yirchow abgeht.
Ein ander Mal bezeichnet er in seiner Huxley-Vorlesung
über die neueren Fortschritte der Wissenschaft und ihren Ein¬
fluss auf die medizinische Theorie die Lehre von den Toxinen
und Antitoxinen als eine homöopathische Anschauung, so weit
nämlich Toxine auch Antitoxine sein können.
Einen besseren Beweis von seiner Unkenntniss eines
Fundamentalsatzes der homöopathischen Arzneianwendung hätte
er gar nicht geben können, als wie diesen Ausdruck zu wählen.
Dass die vom Körper selbst gebildeten Schutzstoffe den
von den Bakterien durch ihre Lebensthätigkeit gelieferten
Giften gegenüber durch Vernichtung von deren Vergiftungs¬
kraft wirken, ist ein chemischer Vorgang. Auch wenn die in
einem Körper gewonnenen Antitoxine in einen gefährdeten
anderen Körper eingeführt werden zur Entfaltung ihrer Thätig-
keit, so geschieht dies nach gewissen Masseinheiten, also ist
der Vorgang ein positiver, es werden vorhandene Schaden
schaffende Stoffe unschädlich gemacht. Aber bei der Dar¬
reichung der homöopathischen Mittel findet ja ein ganz anderer
Vorgang statt. Wir brauchen nicht eine bestimmte Menge
Arznei, bedingt durch die Menge des zu vernichtenden krank¬
machenden Stoffes, sondern wir brauchen eine Arznei, die im
spezifischen, nach homöopathischen Grundsätzen bestimmten
Verhältnis zum krankhaften Körper steht. Davon brauchen
wir so wenig als Masse, dass von einer Wirkung chemischer
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Art nie die Rede sein kann. Da aber die Wirkung eintritt,
dann wieder naclizulassen scheint und durch eine neue Gabe
wieder angefacht werden muss, so handelt es sich augen¬
scheinlich um eine Nervenerregung, deren Fortlauf zum ge¬
wünschten Heilzweck führt. Ich erinnere hier an meine Theorie,
dass die nicht zur Geltung kommenden Hemmungsnerven, welche
das Uebergreifen des zur Krankheit auswuchernden Lebens¬
prozesses hindern sollten, durch die Krankheitsdisposition ge¬
lähmt sind und dass durch den kleinen Anstoss, den die spezifisch
richtige Arznei ausübt, deren Spannkraft in lebendige Kraft
umgesetzt wird.
Prof. Dr. Samuel aus Königsberg schrieb in dem von ihm
und von Prof. Eulenburg herausgegebenen „Lehrbuch der all¬
gemeinen Therapie und der therapeutischen Methodik“ einen
längeren Artikel über „Medizinische Sekten“, welcher als
Einzelabtheilung im Verlag von Urban & Schwarzenberg er¬
schienen ist.
Mehrere meiner Kollegen haben mich auf diese Arbeit
besonders aufmerksam gemacht mit dem Wunsche, dieselbe im
Einzelnen zu widerlegen, was allerdings nicht zu schwer sein
würde, aber ich finde, dass wir uns mit Herrn Prof. Samuel
gar nicht in eine Diskussion einlassen können, weil die Grund¬
anschauung von dem zu behandelnden Objekte, dem kranken
Menschen und der Krankheit, so sehr von unserer Anschauung
differirt, dass wir uns natürlich auch nicht in den Schluss¬
folgerungen begegnen können.
Ich glaube es dem Herrn Prof. Samuel persönlich, dass
er gerecht urtheilen will, wenn ich auch nicht zugeben kann,
dass, wie er sagt: „die Medizin von ihrer wissenschaftlichen
und humanen Aufgabe zu tief durchdrungen sei, um nicht
Objektivität und Gerechtigkeit nach allen Seiten üben zu
wollen.“ Nein, das hat allerdings die medizinische Wissen¬
schaft bis jetzt nicht gezeigt! Jeder Gedanke, der nicht auf ‘
ihrem eigenen traditionellen Grund und Boden erwachsen war,
ist ihr nicht der Prüfung werth erschienen, sondern immer
a limine abgewiesen worden, und ausser den Theologen giebt
es wohl keine engherzigere Klasse von wissenschaftlichen
Arbeitern, als wie uns Mediziner!
Mit dem Verfasser dieser Schrift können wir uns deswegen
nicht auseinandersetzen, weil er unbedingt behauptet, der dyna¬
mische Ursprung der Krankheiten sei unhaltbarer Mystizismus,
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der durch Millionen von Sektionen widerlegt werde, und da
er Hahnemann den Vorwurf macht, dass er nicht einmal die
zu seiner Zeit schon gefundene Erkenn tniss verwerthet habe
vom Materialismus zahlreicher Krankheitsursachen. Dann ist
natürlich für Prof. Samuel das ganze Gebäude der Hahnemann-
schen Lehre unmöglich geworden, und er sieht in Allem nur
Verirrungen, und Halmemanns Ausführungen selber bewiesen:
„dass das Fundament seines Glaubens betreffs der Heilbarkeit
der akuten Krankheiten in seinem Fundamentalirrthum betreffs
der Selbsttheilung dieser Krankheiten gelegen ist. Ob dieses
Irrthums kann man über die Person milder denken, über das
System nicht.“
Demgegenüber stelle ich die Behauptung auf, dass, nach¬
dem der Triumph der exakten Untersuchungsmethoden etwas
verblasst ist, gerade jetzt es nicht an der Zeit ist, zu behaupten,
dass wir nur materiell begründete Krankheiten hätten und dass
das Ziel der mechanischen Untersuchung über das Wesen der
Krankheit in der Auffindung weiterer materieller Ursachen
liegen müsse.
Es ist sehr erstaunlich, was Alles an angeblichen Krank¬
heitsursachen in der Gestalt von Krankheitsträgern gefunden
worden ist! Es ist auch sehr erfreulich, dass diese Studien
mit so viel Geschick und Erfolg durchgeführt werden, aber
irgend eine Erklärung für den Umstand, dass die Einfügung
solcher Krankheitsträger in den lebenden Körper manchmal
Krankheiten erzeugt und manchmal nicht, ist bis jetzt noch
nicht gegeben. In den Arbeiten aller Derer, welche über die
oberflächliche Beobachtung hinaussehen können, finden sich die
verschiedenartigsten Ausdrücke, um damit zu sagen, dass ein
noch unbekanntes Etwas im Körper vorhanden sein müsse, um
den Krankheitsträgern die Möglichkeit der Entwickelung und
Schädigung zu geben. Jeder nennt dieses Etwas nach seiner
naturphilosophischen Auffassung verschieden, aber sicherlich
ist das Aufsteigen der Bedeutung der Biologie in unseren
Zeiten gegenüber der einseitigen mechanisch-physikalischen
Auffassung vergangener Jahrzehnte auch ein Ausdruck der
allgemeinen Erkenntniss, dass bei dem, was wir Leben nennen,
noch besondere, für uns nicht in Worte zu fassende Gesetze
mitwirken.
Zu allen Abschnitten naturphilosophischer Auffassung hat
es immer wieder eine Partei gegeben, welche auf die Noth-
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Wendigkeit einer Kraft hinweist, die das Gleichgewicht im
Körper erhält und wiederherzustellen sucht, wenn es gestört
ist. Um den Namen brauchen wir uns gar nicht zu streiten,
aber die NothWendigkeit können wir nicht leugnen.
Nun stehen wir Homöopathen auf dem Standpunkte, den
uns die praktische Thätigkeit jeden Tag wieder als richtig
erkennen lässt, dass wir diesen unbekannten Regulator nicht
kennen, also dessen veränderte Wirksamkeit noch weniger er¬
fassen können. Was wir dagegen sehen können, sind eine
Reihe von materiellen Veränderungen 'und eine noch grössere
Reihe von subjektiven Befindensveränderungen. Nie hat der
Homöopath das Recht gehabt, aus den subjektiven Befindens¬
veränderungen heraus allein sein therapeutisches Handeln zu
bestimmen, sondern nach der ursprünglichen Hahnemann’schen
Anordnung hat er Alles am Kranken aufzunehmen, was über¬
haupt erkennbar ist. Wir wissen nur, dass wir aus der Summe
der Befindensveränderungen den wesentlichen Theil der Krank¬
heit erkennen können, welcher durch Feststellung der materiellen
Veränderungen nicht erklärt ist, genau so, wie wir aus einem
Schattenbild das Vorhandensein einer Störung der Lichtbahn
von der Lichtquelle bis zu uns erkennen können.
Diese Erkenntniss ist uns eigen, und gemäss' dieser philo¬
sophischen Auffassung vom Wesen des Lebens, der Gesundheit
und der Gesundheitsstörungen können wir uns nicht mit Männern
verständigen, welche nur die materiellen Veränderungen als
Wesen der Krankheit ansehen wollen. Das ist einseitig und
nicht genügend und ist auch schon bei dem fortschreitenden
Gange der biologischen Wissenschaft und den Folgerungen,
welche die Mediziner sicherlich aus dieser Lehre ziehen müssen,
als veraltet anzusehen.
Warum sollen wir uns nun bei einem so gründlichen Unter¬
schiede der Auffassung über Einzelheiten streiten, welche
Prof. Samuel unserem Hahnemann und seiner Lehre zum Vor¬
wurfe macht?
Was sich für uns, die wir diese Grunderkenntniss erfasst
haben, als nothwendig ergiebt, ist für ihn, der diese Grundlage
nicht anerkennen will, ein haltloser Irrthum.
Da nun schliesslich Prof. Samuel auch noch sehr bestimmt
auf dem Standpunkte steht, dass die Selbstheilung eine grosse
Rolle in der Vernichtung von Krankheiten spiele, so wird man
sehr schwer über die Wirkung von Arzneimitteln, soweit die-
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selbe durch die Folgen offenbar wird, mit ihm sich unter¬
halten können.
Wer da meint, dass die Natur ohne Leitung die Wieder¬
herstellung von Störungen willigst zu versorgen geneigt ist,
kann sich nicht mit Dem verständigen, der — wie wir — der
Ueberzeugung ist, dass die Natur bei der Unmasse von Lebe¬
wesen, die sie schafft, viel zu brutal ist, als dass sie im Einzelnen
so sehr sorgfältige Vorkehrungen zur Erhaltung der. Indivi¬
dualität und des Lebens geschaffen habe.
Diese Hochstellung der Naturheilkraft bei einer grossen
Zahl der jetzt einflussreichen medizinischen Autoritäten ist
nur das verkappte Geständniss, dass die von ihnen gewählte
und vertretene Heilmethode nicht genug Kraft hat, um in der
genügenden Zahl von Fällen bestimmend auf die Heilungs¬
vorgänge zu wirken.
Eine Klärung dieser Fragen können wir wohl erwarten
von den Behring’schen Studien, denn dieser wirklich über¬
raschend geistreiche Gedanke, sich endlich einmal zu fragen:
Wie kommt es, dass eingedrungene, den Körper schädigende
Krankheitsträger eine Grenze ihrer Thätigkeit in so und so
vielen Fällen finden, bevor es ihnen gelungen ist, den kranken
Körper zu zerstören? — ist bis jetzt noch nie in so prak¬
tischer Weise der Lösung unterworfen worden wie von
Behring.
Es ist natürlich, dass Behring bei seinen Forschungen, die
sich ja nur auf organische Krankheitsträger beziehen, zu dem
Schlussresultate kommt: „Man nehme die krankmachende
Ursache hinweg, dann besorgt der lebende Organismus am
besten ganz allein die Heilung.“
Die Desinfektionsmittel verwirft er, da die lebenden
thierischen und menschlichen Körperzellen um ein mehrfaches
empfindlicher sind gegenüber den Desinfektionsmitteln, als die
bis jetzt bekannten Bakterien. Dagegen zeigen seine Arbeiten,
dass er die Bakteriengifte unschädlich zu machen versteht,
und damit werden die eingedrungenen Bakterien ebenso harm¬
los wie die nicht giftigen, mit welchen der Körper so wie so
jeden Tag fertig werden muss.
Also, jedenfalls hat dieser hervorragende Forscher die
Erkenntniss gewonnen, dass die Selbsttheilung des Organismus
nicht ausreicht und dass man dem erkrankten Körper zu Hilfe
kommen muss. An welchen Stellen nun die therapeutische
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Arbeit einsetzt, ob wie bei den Behring’schen Forschungen bei
einer Vernichtung der Bakteriengifte oder wie bei anderen
Methoden, wie bei der unseren zum Beispiel, in einer Kräf¬
tigung des von den Bakterien bedrohten Gebietes, das ist doch
ganz gleichgiltig. Jedenfalls haben also zwei einander gegen¬
überstehende Heilmethoden dieselbe Erkenntniss zur Grund¬
lage, dass eine Selbsttheilung in den meisten Fällen nicht zu
erzielen ist.
Nun kommt aber noch die grosse Zahl von Krankheiten,
bei denen die Schädigungen, welche die Krankheit zum Aus¬
lösen gebracht haben, überhaupt nicht mehr zu entfernen sind.
Wie kann ich einen Schreck entfernen, der bei dem Be¬
troffenen Magenerscheinungen hinterlässt? Wie kann ich einen
Fall entfernen, der nachhaltig auf das ganze Gesundheitsleben
des Betroffenen gewirkt hat? Und da bleibt eben für uns
Homöopathen das durch die erkennbaren Symptome bestimmte
Mittel als Leitfaden unserer therapeutischen Bestrebungen.
Behring wendet sich gegen die Hahnemann’sche Auf¬
fassung von der Homöopathizität des Chinin. Ich glaube,
wenn er nur die Prüfungen durchsehen wollte, die Professor
Schulz-Greifswald mit solchen Stoffen gemacht hat, von denen
man annimmt, dass sie den Körper direkt nicht in solcher
Weise beeinflussen könnten, dass eigentümliche und nur ihm
zugehörige Symptome auftretep, so würde er bald anderer
Meinung werden.
Dr. Gregorovius veröffentlichte eine Broschüre „Homöo¬
pathie, thierischer Magnetismus, Naturheilverfahren. Was
haben wir davon zu halten?“ Dresden, Verlag von C. 0. Leh¬
mann, 1897.
Es ist das eine von jenen kleinen Broschüren, bei welchen
der Verfasser an Einzelheiten behufs Bekämpfung einer ihm
fremden Methode sich anklammert und nie auf den Kern der
ganzen Sache eingegangen ist. Wenn er der jetzt herrschenden
Schule das Verdienst zuschreibt, dass nie dieselbe Krankheit
mit denselben Mitteln behandelt werde, sondern dass es jedem
Arzte freistände, zu individualisiren, so ist das eine opti¬
mistische Auffassung, die sich in der Praxis nicht bewahrheitet.
Eine einförmigere Behandlung, als wie die der jetzigen Methode
hat es wohl kaum je gegeben, und die Abweichungen, welche
davon sich der physiatrische Arzt z. B. erlaubt, werden doch nur
erst sehr allmählich von den leitenden Autoritäten anerkannt.
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240
Verfasser wendet sich gegen die angebliche Behauptung
Hahnemanns, die Allopathen wollten zur Heilung des Leidens
ein entgegengesetztes Leiden schaffen. Das ist natürlich nie
und nimmer behauptet worden, sondern der Grundsatz, der in
„contraria contrariis“ schon recht lange in der Medizin ge¬
herrscht hat, ist die Hoffnung, durch die Mittel solche Wir¬
kungen hervorzurufen, welche den Krankheitserscheinungen
entgegengesetzt sind und dieselben zu vernichten im Stande sind.
Das hat Hahnemann ebenso gut gewusst wie jeder Andere,
der sich um die Entstehung des Lehrsatzes „contraria contrariis“
je gekümmert hat.
Wenn nun aber der Herr Verfasser behauptet, die Prüfungs¬
ergebnisse sprächen ja schon gegen die Hahnemann’sche
Theorie, und wenn er das Beispiel anführt, man könne mit
Quecksilber keine Syphilis erzeugen und mit Eisen keine
Blutarmuth, so kann man ihn ruhig auf die neueren Arbeiten
über Merkurialismus hinweisen, welche ihm leicht den Beweis
liefern werden, dass in gewissen Eormen die Folgen der
merkuriellen Vergiftung von den Folgen der Syphilisinfektion
nicht zu unterscheiden sind. Und wenn Eisen auch keine
Blutarmuth erzeugen kann — was wir nebenbei nie behauptet
haben — so könnte er doch aus den Veröffentlichungen von
Schulz-Greifswald sehr leicht erkennen, dass die Eisenzuführung
bei der Prüfung schon in erheblich kleinen Mengen die über¬
wiegende Anzahl der Symptome der Blutarmuth hervorruft.
Wenn Dr. Gregorovius nur etwas tiefer eingegangen wäre
in den Gedanken der Vergleichung zwischen Krankheitsbild
und Prüfungsbild, so würde er gefunden haben, dass nie und
nimmer irgend ein Homöopath von Hahnemann bis zu unserer
Zeit behauptet hat, dass wir bei den Prüfungen, d. h. bei der
Darreichung einer grösseren Menge einer Droge, Krankheiten
erzeugen, welche irgend eine Aehnlichkeit haben sollen mit
Krankheitsvorgängen, die aus andern Ursachen entstanden
sind, sondern wir studiren nur die .Reaktion des Körpers auf
die eingeführte Droge, die sich — wie es bei dem lebenden
Körper nicht anders möglich ist — in Symptomen äussert.
Diese Symptome sind das einzig Erkennbare der für uns nicht
erkennbaren inneren Lebensvorgänge, soweit dieselben durch
die Droge beeinflusst werden. Dieses Symptomenbild ver¬
wenden wir als Vergleich mit dem Symptomenbilde des Kranken,
bei dem auch uns unbekannte innere Vorgänge ihren Aus-
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241
druck für uns nur in den äusserlick erkennbaren Symptomen
finden.
In seiner Abneigung gegen die Hahnemann’schen Vor¬
schriften gebt Dr. Gregorovius sogar so weit, es lächerlich zu
finden, dass man eine verbrannte Hand in. die Wärme halten
soll. Darüber kann ihn nun freilich jede Köchin belehren,
dass das einzige Mittel, um schnell den Schaden einer ver¬
brühten Hand auszugleichen, ist, wenn man muthig die verletzte
Hand in den heissen Kaum der Bratröhre hält. So würde ihm
denn aus dem Munde der Unmündigen die Erkenntniss viel¬
leicht zugeführt werden können. Dass er aber behauptet,
Hahnemann kümmere sich nicht um die Ursache der Krankheit
und er verwerfe sogar das Streben der Medizin, die Ursache
und das Wesen der Krankheit zu erforschen, ist eine direkte
Unwahrheit.
Hahnemann wäre nie zu seiner Theorie von dem grund¬
legenden chronischen Siechthum gekommen, wenn er nicht immer
nach der Ursache der Krankheit geforscht hätte. Es ist nie
Jemandem vor ihm eingefallen, Unterschiede in der Mittelwahl
zu machen, je nachdem welche Ursachen schädigend auf den
Kranken gewirkt haben, und diese individuelle Aetiologie ist
noch heutigen Tages unser alleiniges Vorrecht! Ob Jemand
im Anschluss an eine Erkältung oder im Anschluss an eine
Ueberarbeitung geeignet wird, .Infektionskeime aufzunehmen
und in sich zu beherbergen, macht für unsere Kollegen der
älteren Richtung gar keinen Unterschied!
Ob eine sekretorische Funktionsstörung des Magens ge¬
kommen ist von einem Missbrauche, von einer Vernachlässigung
oder durch erhebliche Gemüthsstörungen, das kann dem allo¬
pathischen Arzte keinen Anlass geben, seine Behandlung zu
modifiziren. Wir aber wissen, dass die verschiedenen Ursachen
im Körper gleiche Symptome hervorrufen können und haben die
Verpflichtung, auf diese Ursache einzugehen und, soweit es das
Symptomenbild erlaubt, auch entsprechend der erkennbaren
Ursache unsere Mittel zu wählen.
Dass Hahnemann an der Möglichkeit der Behandlung
chronischer Krankheiten gezweifelt habe, so weit, dass er da¬
durch seine eigene Lehre diskreditirte, ist nicht wahr, aber
dass er, mit grösserer Begabung bedacht als viele Andere,
nicht zufrieden war, wenn die äusseren Symtome verschwanden,
sondern stets als das Ideal der Behandlung die vollkommene
Archiv für Homöopathie. Heft 8. 16
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242
Heilung betrachtete und suchte, das ist richtig und wer in
der Beziehung mit Gewissenhaftigkeit seine Fälle beobachtete,
der wird auch wissen, dass auch unserer Methode, die sehr
viel leisten kann, Grenzen gegeben sind in Verhältnissen, die
wir nicht erfassen können, aber diese Grenzen sind der land¬
läufigen Methode der Behandlung chronischer Krankheiten
noch viel enger gezogen. Wir können hier auf unsere Er¬
folge hinweisen, welche uns vor allem die chronischen Kranken
zuführen, da es im allgemeinen Volksbewusstsein zur That-
sache geworden ist, dass chronische Krankheiten von den
Homöopathen eher und sicherer geheilt werden, als wie von
den Vertretern der herrschenden Schule.
Nur in einem Punkte müssen wir dem Verfasser bei¬
stimmen, wenn er nämlich fragt, warum denn nun eigentlich
die Aerzte, welche mit allen möglichen Hilfsbehandlungen
arbeiten und dem Mittel nur geringen Werth und Wirkung
zuschreiben, deshalb sich Homöopathen nennen, weil sie homöo¬
pathisch geprüfte Mittel anwenden. Das ist allerdings eine
Kalamität im homöopathischen Lager, dass wir Leute unter
uns zählen, die den Sinn und den Geist des homöopathischen
Heilverfahrens gar nicht erfasst haben. Infolge dessen stützen
sie sich nicht gelegentlich, wie es Jeder von uns thun wird,
sondern hauptsächlich auf die Hilfsbehandlungen, und infolge
dessen sind sie auch nicht geeignet, in dem grossen Kampfe
der Geister um die Frage der Wahrheit oder Nichtwahrheit
der Homöopathie ernstlich Stellung zu nehmen. Weil sie selbst
nicht erkannt haben, dass man auf einem ganz eigenartigen
Standpunkte stehen muss, lim die Homöopathie zu begreifen
und an deren Ausarbeitung bis zur wissenschaftlichen Klarheit
sich zu betheiligen, suchen sie immer die Anerkennung anderer
Methoden und versäumen dadurch, den eigenen Acker zu be¬
stellen.
Damit aber auch im ernsten Kampfe die Komik nicht
fehle, kam schliesslich noch ein Clown gegen uns herange¬
sprengt, der mit seinen Pritscbenschlägen glaubte, die Welt
bewegen zu können.
Der praktische Arzt Friedrich Metterhausen in Soltau
veröffentlichte eine Broschüre über „Kurpfuscher“, Frank¬
furt a. M., Verlag von Johannes Alt, und es giebt wenig
Streitschriften., die zugleich so bombastisch schwülstig sind und
dem angegriffenen Theile so ausserordentlich komisch erscheinen.
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243
Herr Metterhausen hat ganz merkwürdige Eigenschaften.
Er sitzt z. B. unter einem Zelte, welches Aeste hat mit Blättern
und Blüten und es „schwellen ihm die Saiten in der Brust“.
Wer natürlich solche perverse Sensationen hat, von dem kann
man annehmen, dass auch andere Funktionen des Zentralnerven¬
systems nicht ganz in Ordnung sind. Er will uns lehren, die
Welt würde erst dann fortschreiten, wenn ihr ganzes ethisches
Leben sich auf baue auf den Gesetzen der Naturwissenschaft.
Wie aber wissenschaftliche Erkenntniss die Grundlage bilden
soll zu einer Moral, darüber ist er sich wohl selber nie klar
geworden. Seine Behauptung ist eines von jenen öden Schlag¬
worten, wie sie seit Büchner in allen Schriften oberflächlicher
Philosophiephrasler auftritt.
Wir Homöopathen sollen uns nun gegen dieses Grund¬
gesetz der Weltordnung versündigt haben, indem wir ein Sy¬
stem vertreten, welches diesen Fortschritt auf halte. Die
höchste Blüte, nämlich der menschlichen Entwickelung ist, dass
man die augenblicklich von der medizinischen Schule gelehrte
Form der Heilkunde als die allein richtige, unbestreitbare und
zu hehren Endzwecken der Welt führende anerkennt. Wir
Homöopathen nun als böse Sophisten haben ein System zu¬
sammengestellt, welches diesem wunderbaren Ziele im Wege
steht, und deshalb finden wir die Anerkennung bei Parteien
verschiedener Art, welche Einfluss auf die politische Gestaltung
unseres Vaterlandes haben wollen. Wir sind also nicht ein¬
mal so ganz schlecht mit unserer Theorie, die er als sehr ge¬
schickt dargestellt und ausgetiftelt bezeichnet, sondern wir
sind vor allem schlecht als Menschen, dass wir den mensch¬
lichen Fortschritt so aufzuhalten bestrebt sind.
Die ganze Schrift ist in einem eigentümlichen überlasteten
Stil geschrieben, aber das Schlimmste von allem sind die Ge¬
dichte des Verfassers, und dass er gar noch einmal wünscht,
dass eines seiner Gedichte von einem lustigen Musikanten auf
der Landstrasse erdichtet worden wäre, das ist ein Zeichen
von nicht hübschem Charakter, und das thut mir leid, denn
Metterhausen ist ein so harmloser Schwätzer und ist eine so
amüsante Figur in seiner Selbstzufriedenheit als Mensch und als
Arzt, dass es ordentlich das lustige Bild stört, wenn man hört,
dass er so schlechte Verse auch noch Anderen Zutrauen will!
Zu einer ernsten Diskussion ist die Schrift überhaupt nicht
geeignet, und sie hat eine gute und witzige Abfertigung ge-
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funden in den „Zuckungen eines Homöopathen nach seiner
Hinrichtung“, welche unser Freund Emil Schlegel in Leipzig
bei Wilh. Friedrich herausgegeben hat.
Jetzt, wo die Frage der Zugehörigkeit der einzelnen
Aerzte zu gesetzlich organisirten Verbindungen, wie es die
Aerztevereine und Aerztekammern sind, die Frage hat auf¬
werfen lassen, ob um eines wissenschaftlichen Bekenntnisses
willen, also ob um der Richtung willen, die der Arzt thera¬
peutisch vertritt, er von der Theilnahme an diesen Verbindungen
ausgeschlossen werden könnte, ist es interessant zu übersehen,
wie weit diese Frage, welche uns Homöopathen wohl interessiren
kann, in den verschiedenenen Gesetzgebungen Ausdruck ge¬
funden hat.
Am klarsten sind die Bestimmungen im Königreiche
Sachsen, wo einfach jeder Arzt, welcher praktizirt, gesetz-
massig dem Bezirksvereine seines Ortes resp. seines Bezirkes
angehört. In keinem Paragraphen der darüber erlassenen Ver¬
ordnung ist auch nur irgendwie angedeutet, dass wissenschaft¬
liche Differenzen Anlass geben dürften zu einer Verminderung
von Rechten Einzelner.
Nach den bayrischen Verfügungen ist es auch ausge¬
schlossen, dass Differenzen über die therapeutischen Anschau¬
ungen zu einem Ausschlüsse Anlass geben können.
In Preussen sind die Bestimmungen noch nicht abge¬
schlossen, und da ist es von Interesse zu wissen, was in einem
grossen Verein, wie es der Verein Breslauer Aerzte ist, da¬
rüber gesprochen wurde. Der Verein hat erklärt
1. dass es ihm jederzeit fernliege, irgend eine wissenschaft¬
liche Richtung in der Heilkunde als ketzerisch zu ver¬
dammen;
2. dass er jedoch die von den sogen. Naturheilärzten geübte
und als die allein heilsame und allhelfende Methode ge¬
priesene Art einseitiger Behandlung aller Krankheiten
als wissenschaftlich nicht anerkennen könne.
Was jetzt die Herren gegen die Naturheilärzte unter¬
nehmen, werden sie wohl auch einmal gegen uns versuchen,
und es ist daher dringend anzuratlien, dass ein Jeder von uns,
der Mitglied eines Aerztevereines privater oder staatlicher
Organisation ist, sobald er in der Beziehung Schwierigkeiten
hat, sich sofort auf den Rechtsstandpunkt stellt und energisch
dagegen auftritt.
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Vom Büchertisch.
Rud. Al. Michaelis: Der Haarausfall und verwandte
Haarleiden. Ihre Ursachen, Verhütung und Heilung. Eigener
Verlag des Verfassers. 1899. Oktober. 110 S. Mk. 2,40.
Hach allgemeinen Ausführungen über die Physiologie des
Haares und die Pathologie desselben kommt Verfasser zu einer
Darstellung der homöopathischen Behandlung der Haarleiden.
Er betont mit Recht, dass es nur die Homöopathie versteht,
frühzeitig den Haarausfall innerlich zu behandeln, und er be¬
spricht eine ganze Reihe von Mitteln, weiche bei diesem Leiden
in Betracht kommen können, und da er ein genaues Indivi¬
dualismen als nothwenige Bedingung hinstellt, so werden seine
Rathschläge auch mit Erfolg angewendet werden können.
Merkur fehlt merkwürdigerweise ganz in dieser Liste, obwohl
dasselbe ein sehr eigenthümliches Symptom hat, nämlich dass
die kahl werdenden Stellen des Kopfes auffallend glänzend sind.
In seinen weiteren Ausführungen bringt der Verfasser die
volksthümlichen Mittel gegen Haarausfall und eine Reihe
Methoden und Rezepte bekannter Spezialisten. Ferner wäre
Staphisagria zu erwähnen gewesen bei der Behandlung des
echten und unechten Weichselzopfes, sowie bei den merk¬
würdigen Formen, wo trotz grosser Reinlichkeit und Köpf¬
pflege Ungeziefer in dem sich verfilzenden Haare einnistet.
Die ganze Arbeit ist fleissig und verständnissvoll zusammen¬
gestellt und kann einem Jeden, der an sich oder Anderen den
Verlust des Kopfschmuckes beklagt und sieht, zur Durchsicht
empfohlen werden.
Dr. Oscar Hansen: „A text book of materia medica
and therapeutics of rare liomoeopathic remedies.“ London,
Homoeopathic Publishing Company. 1899. Oktav. 121 S.
Broschirt 4 sh.
Unser verehrter Kollege Hansen in Kopenhagen, dessen
fleissige kompilatorische Arbeiten auf anderem Gebiete uns
schon bekannt sind, hat in diesem Nachschlagebuche ein Werk
geliefert, welches sehr zu empfehlen ist. Selbst dem praktischen
Arzte, der die Erfahrung gemacht hat, dass die Mehrzahl der
Fälle mit einem kleinen bekannten Stamm von Mitteln zu be¬
handeln sind, kommt doch manchmal die Erkenntniss, dass
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246
Absonderlichkeiten vorliegen, welche in den Rahmen der be¬
kannten Prüfungsbilder nicht hineinpassen. Solche hervor¬
ragende Eigentümlichkeiten noch nicht deutlicher geprüfter
Mittel sind sehr schwer in der Literatur aufzufinden.
Kollege Hansen giebt uns nun eine Zusammenstellung der
wichtigsten Symptome seltener und nur hin und wieder an¬
gewandter homöopathischer Mittel. Bei der grossen Menge
von Einzelangaben, wie er sie aus der Literatur zusammen¬
getragen hat, konnte er es nicht unternehmen, die einzelnen
Angaben kritisch nachzuprüfen, und insofern kann sein Hand¬
buch natürlich nur ein Nachschlagebueh sein, keine kritisch-
pharmakologische Arbeit. Es sind 359 Mittel, welche er be¬
handelt, und aus dieser Zahl allein schon ergiebt sich die
Nützlichkeit seines Werkes.
Der rührige Verlag, welcher auch die Zeitschrift „Homoeo-
pathic World“ herausgiebt, hat sein Buch mit der in England
üblichen, bei uns leider noch ungewohnten sorgfältigen Aus¬
stattung herausgegeben.
Heinrich Höltzel: Die Selbsthilfe durch Homöopathie.
Reutlingen, Palms Buchhandlung. Oktav. 100 S. Mk. 1,50.
Gegen dieses Buch muss ich mich unbedingt erklären,
wenn der Verfasser glaubt, der Homöopathie damit einen
Dienst geleistet zu haben.
Ich erkläre mich gegen ihn schon deshalb, weil er auf
Grund der Augendiagnose seine ganzen Anordnungen trifft.
Wenn Aerzte von so grosser Begabung wie Emil Schlegel
unter anderen Beobachtungsmitteln auch der Augendiagnose
einen Werth zuschreiben, so ist das ihr Recht, und wenn ich
es meinem Kollegen auch nicht nachmachen kann, so habe ich
doch die Erwartung, dass bei ihm diese Seite der Untersuchung
durch allgemein gütige Erwägungen vor einer überwuchernden
Bedeutung bewahrt bleibt. Wenn aber der Laie diese Methode
seinen Heilvorschlägen zu Grunde legt, so fehlt mir dieses
Vertrauen und ich vermuthe, dass er rein mechanisch aus
einzelnen Beobachtungen Schlussfolgerungen ziehen will, welche
nicht berechtigt sind.
Die in diesem Büchelchen angeführten Krankengeschichten
geben auch den Beweis dafür, dass von einer homöopathischen
Behandlung nicht die Rede sein kann, trotzdem dass dem
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— ui - -
homöopathischen Arzneischatze angehörende Mittel fast aus¬
schliesslich vorgeschlagen werden.
Ich greife einen Fall von Magenleiden heraus, wo die
Kranke bekommen hat: Ferrum phosph. 6, China 2 , Ergotin 10,
Skookum Chuk 6, Kali phosph. 6, Nux vom. 5, Lycop. 5,
Sulphur 5. Dass da von einer Auswahl eines spezifisch für
die Kranke passenden Mittels keine Rede ist, ergiebt sich
schon aus der langen Reihe, und dass keinem Mittel die rechte
Zeit gegeben worden ist, seine Wirkung zu entfalten, ist auch
ersichtlich. Also ist diese Behandlung, nicht homöopathisch,
und der Titel: „Selbsthilfe durch Homöopathie“ ist irreführend.
Auch die am Ende des Werkchens angeführten Erläu¬
terungen über die etwaige Reihenfolge der Mittel ist ganz
willkürlich. Sie erinnert in ihrer Zusammenstellung an die
Vorschriften der Elektrohomöopathen, mit denen wir Homöo¬
pathen auch nichts zu thun haben. Es giebt auch bei uns
eine Reihenfolge, der Mittel, von welcher abzuweichen nicht
praktisch ist, aber dabei handelt es sich um Mittel, welche
tief in den Organismus eingreifen, sehr lange wirken und auf
eine bis jetzt noch unerklärliche Weise sich gegenseitig stören
können.
Eine Behandlung aber nach einem Schema mit aufeinander
folgenden Mitteln ist unter allen Umständen handwerksmässig
und ist nicht homöopathisch.
Dr. Bolfenmeyer: Der Volksarzt. Anleitung zur Selbst¬
behandlung nach den Grundsätzen der Homöopathie. Stutt¬
gart, Roth’sche Verlagsbuchhandlung. 2 . Aufl. 1899. Oktav.
146 S. Mk. 1,50.
Dieses Buch ist sehr zu empfehlen. Es ist durchaus von
homöopatischen Anschauungen durchdrungen, und die Angaben
darin sind thunlichst einfach und bestimmt.
Dass die einzelnen Autoren bei Angabe der spezifischen
Erscheinungen eines Mittels verschiedener Anschauung sein
können, sobald es sich darum handelt, sie kurz und gedrängt
darzustellen, dass weiss Jeder, der sich einmal darin versucht
hat, ein kleines Hilfsbüchlein zu schreiben. Es wäre wohl
möglich, dass ich dieses und jenes Kapitel selber anders ge¬
schrieben hätte, aber was mir vor Allem an dem Buche gefällt,
ist die praktische Durchführung des homöopathischen Gedankens.
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Die kurze Charakteristik der Arzneimittel ist sehr gut, der
Anhang über neuere Arzneimittel nicht kritiklos umfangreich.
Dass der Verfasser auf pag. 17 Mittel im Wechsel als
dem Laienstandpunkte, der sich unsicher fühlt, entsprechend
hinstellt, dagegen vom Arzte verlangt, dass dieser das richtige
Mittel finde und im Vertrauen auf die Heilkraft der homöo¬
pathischen Medikamente auch wähle, hat mich sehr gefreut,
denn ich habe immer den Zweifel gehabt, ob diejenigen Kollegen,
welche den kombinirten Mitteln im praktischen Leben so sehr
viel Bedeutung beilegen, nicht doch auch ein Mittel wählen
würden, wenn sie sich zu einer spezifisch begründeten, be¬
stimmten Wahl entschliessen könnten.
Die aus dem Gebiete der Naturheilkunde herangezogenen
Angaben und Vorschriften sind auch ganz praktisch dargestellt
und in ihrem minderen Werthe als Hilfsbehandlung gegenüber
dem grösseren Werthe der medizinischen Behandlung richtig
zusammengestellt.
Dr. Nägeli: Nervenleiden und Nervenschmerzen, ihre
Behandlung und Heilung durch Handgriffe. 2. Auflage.
Jena, Gust. Fischer 1899. 146 S., geb. Mk. 3.—.
Der Verfasser will durch bestimmte Handgriffe, welche
Lageveränderungen des Kopfes und der Halseingeweide her¬
beiführen, Dehnungen von wichtigen Nervenstämmen vornehmen
oder die Blutfüllung des Schädelinneren beeinflussen. Damit
will er eine Reihe von quälenden Symptomen beseitigen und
auch durch Umstimmung der nervösen Apparate die Krankheiten
heben, welche zu den Symptomen führten. Die mit vielen
Krankengeschichten und Abbildungen belegte Behauptung wird
sehr bestimmt aufgestellt.
Ich habe keine Gelegenheit gehabt bis jetzt, diese Ver¬
suche nachzumachen, glaube auch nach der Darstellung des
Verfassers nicht, dass man die Griffe, um welche es sich
hierbei handelt, sehr schnell in der richtigen Weise an wenden
lernt, aber ich möchte doch den Kollegen von diesem Werke
Kenntniss geben, weil wir einer Hilfsbehandlung für die nervösen
Symptome sehr wohl bedürfen.
Er schliesst absichtlich jede Handlung aus, welche irgend¬
wie als Suggestion verwendet werden könnte, und dadurch ist
ja sein Verfahren der Nachprüfung leicht zu unterziehen.
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Mannigfaltiges.
Ueber Lichttherapie hatte der Hygieniker Dr. Gebhardt
in Berlin eine umfangreiche Schrift herausgegeben, welche ich
schon in No. 12 des VII. Jahrganges besprochen habe. Jetzt
versendet nun Dr. Below als Chefarzt einen Auszug aus dem
Krankenjournale der medizinischen Lichtheilanstalt „Rothes
Kreuz“ in Berlin.
In dieser Schrift ist die Notiz sehr auffällig, dass im
Lichtbade Quecksilberquantitäten ausgeschieden werden, nach¬
dem die Quecksilberbehandlung schon längst abgeschlossen ist.
Es waren zum Theil Jahrzehnte vergangen, ohne dass auf’s
Neue eine Quecksilberkur unternommen worden war.
„Es waren darunter Fälle, wo nach einer vor 6—10 Jahren
überstandenen Lues kein Quecksilber mehr einverleibt worden
war, wo aber die unter dem Bilde von Tabes incipiens, auch
von Diabetes nach Jahrzehnten auftretenden Störungen daran
mahnen, auf die frühere Quecksilbereinverleibung hin und deren
etwaige Nachwirkungen zu untersuchen.
In einem renommirten Laboratorium wurde pro Liter
Schweiss 0,oo24 bis 0,o7 Hg. gefunden.
Der Verfasser sieht darin den Beweis, dass das Licht
dem Organismus zu Hilfe kommt, seine Selbstregulirungsarbeit
zu verrichten.
Der Verfasser will überhaupt die Verwendung des Lichtes
als Wärmequelle ganz anders aufgefasst wissen, als wie die
Anwendung anderer Wärmequellen, denn mit der Anwendung
des Lichtes als Heilkraft habe man die Zentralkraft im Weltall
in therapeutische Dienste gestellt.
Die therapeutische Bedeutung des Vegetarianismus
bespricht F. A. Hoffmann-Leipzig in der „Therapie der Gegen¬
wart“, Juni 1899. Die Vegetarianer haben ihre Lehre nicht
entwickelt trotz der Fortschritte, welche die moderne Wissen¬
schaft im Studium des Stoffwechsels gebracht hat. Gemischte
Kost ist sicherlich das Beste für den modernen civilisirten
Menschen. Wie die Mischung zu gestalten sei, wird theils
durch den Geschmack bestimmt, theils durch die Art der
Kräfteausnutzung. Bei Kranken dagegen ist der Geschmack
nicht entscheidend, und individuell gefärbte Diätvorschriften
sehr nöthig. Nur keine allgemeinen Grundsätze, denn viele
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250
Kranke gedeihen bei Speisen, welche theoretisch für ganz falsch
angesehen werden!
Die vegetarische Diät kann eiweissreich und eiweissarni
gestaltet werden, ebenso kann ihr Fettantlieil verschieden stark
bemessen werden. Sie ist unter allen Umständen voluminös
und schwer auszunutzen und bedarf eines guten Verdauungs¬
apparates. Darum ist auch körperliche Bewegung bei frischer
Luft nothwendig. Die Milchdiät ist nicht als vegetarische
Diät anzusehen, denn zu letzterer gehört ein reichlicher Genuss
von Gemüse und Brod.
Die Theorie von den Nährsalzen ist mystisch und unklar,
denn woher nehmen die Anhänger dieser Lehre den Grund zu
der Behauptung der Vitalität der Salze? Der angebliche Nutzen
der vegetabilischen Diät, dem Körper die schädlichen Zer-
setzungstolfe des Fleischeiweisses zu ersparen, ist eine noch nicht
bewiesene Behauptung. Besonders das immer noch gefürchtete
Nuclein hat seine Gefährlichkeit immer noch nicht bewiesen.
Die vegetabilische Diät schafft im Darmkanale nicht so
weitgehende Fäulnisserscheinungen wie die Fleischdiät. Die
Verminderung der Toxine mag von besonderer Bedeutung sein
für die Leber, welche die Toxine abfängt. Wenn daher die
Milch als idealste Schonungsdiät der Leber angesehen wird,
so wollen wir doch nicht vergessen, dass auch bei ausschliess¬
licher Milchdiät die Leberkranken nicht geheilt werden. Die
Milchdiät und vegetarische Diät bei Lebercirrhose ist theo¬
retisch gefunden, aber nicht praktisch bewiesen.
Die vegetarische Lebensweise als Schonungstherapie für
den Magen anzusehen ist falsch, da die motorischen Kräfte
des Magens scharf in Anspruch genommen werden.
Wirklichen Nutzen von der vegetarischen Diät sieht der
Verfasser nur bei Hysterie, Neurasthenie und Neuralgien in
erschwerten Affektionen, besonders wenn dieselben durch Fleisch¬
genuss stets vermehrt werden. — Die anscheinend genügende
Pflanzendiät bei Fettleber ist eine Entziehungskur. Auch bei
Diabetes soll die vegetabilische Diät nicht so zu verwerfen
sein, wie sie nach der Theorie sein soll. Die durch die
Reklame hochgetriebene Empfehlung des Vegetarianismus darf
uns nicht verleiten, von der Kritik abzugehen. Wir werden
den Weg fleissiger Forschung ruhig weiter schreiten. Wir
haben ein festes Gebäude aufzuführen, nicht eine Bretterbude,
in der getanzt wird, wie Mode und Tagesgeschwätz pfeifen.“
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251
Homöopathische Ferienkurse für Aerzte in Berlin.
Die diesjährigen Herbst -Vorträge finden statt vom 2. bis
28. Oktober 1899 am Montag, Mittwoch und Freitag Abend
1 / 2 8 Uhr in der Poliklinik, Oharlottenstrasse 77, n.
Den Herren Kollegen steht ausserdem der Besuch der
Poliklinik wochentäglich von 1 / a -2 Uhr ab frei.
Die Vorträge umfassen ausgewählte Kapitel aus der
Homöopathie und zwar:
1. Okt. 2. Ueber Hahnemanns Leben und Werke und über
Prinzipien der Homöopathie: Dr. Gisevius jun.
2.
55
4.
Ueber
Stoffwechselkrankheiten: Dr. Kröner.
3.
55
6 .
55
Atropin und Belladonna, Merkur, Phospor:
Hofarzt Dr: Windelband.
4.
55
9.
55
Augenkrankheiten: Dr. Borchmann.
5.
55
11.
55
Metrorrhagien: Dr. Dahlke.
6 .
55
13.
55
Hautkrankheiten: Dr. Dammholz.
7.
55
16.
55
Bryonia, Kux vom., Rhus tox.: Dr. Burk¬
hard.
8.
55
18.
55
Nervenkrankheiten: Dr. Kröner.
9.
55
20.
55
Darmkrankheiten: Hofarzt Dr. Windel-
band.
10.
55
23.
55
Skrophulose: Dr. Gisevius jun.
11.
55
25.
55
Mittel wähl: Dr. Sulz er.
12.
55
27.
55
Beziehungen der Arzneimittel unter ein-
ander: Dr. Dahlke.
Auf Wunsch ist Herr Apotheker Kittel, Berlin W., Kur¬
fürstendamm 1, bereit, in näher zu bestimmenden Stunden An¬
leitung über Reaktionen der Arzneimittel, über Arzneimittel¬
bereitung nach homöopathischen Grundsätzen u. s. w. zu geben.
Weitere Auskunft ertheilt jederzeit Dr. Dammholz,
Berlin S. W., Gneisenaustrasse 112.
Berliner Verein homöopathischer Aerzte.
Aus der Zeitungsmappe.
Homoeopatic World, Oktober 1898.
Ueber das Zusammentreffen von Symptomen schreibt
C. J. Wilkinson:
„Jeder Arzt weiss, dass der Kranke über einzelne Sym¬
ptome von selber klagt, andere Symptome aber, weil sie schein-
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252
bar ausser Zusammenhang mit seinem Leiden stehen, gar nicht
erwähnt. Da aber nur die Gesammtheit der Symptome die
Wahl des Simillimum erlaubt, so brauchen wir auch diese
Nebensymptome. Der Fall, welchen wir behandeln wollen,
braucht nicht jede Einzelnheit des Prüfungsbildes zu haben,
aber keines seiner Symptome darf in dem Prüfungsbilde fehlen.
Das gewohnheitsmässige Zusammentreffen mehrerer Symptome
zu Gruppen in dem Krankheitsbilde und in dem Prüfungsbilde
ist noch nicht genug studirt worden. Ein weiteres Studium
dieser Frage würde verhindern, die Mittelwahl nach einzelnen
hervorragenden Symptomen zu treffen.
Als Beispiel führt der Verfasser einen Husten an mit
leichtem Beiz im Kehlkopf, etwas Wundheitsgefühl in der
Luftröhre, Stimmlosigkeit mit Stimmbruch, Jucken vom Larynx
bis zur Eustachischen Trompete, kurzer trockener Husten,
etwas Schleim halb in die Höhe kommend, beim Uebergang
vom Warmen zur Kälte ist allmähliche Verschlimmerung; bei
jedem Hustenstosse Abgang von Urin.
Dieses letztere Symptom kann durch den verhältnissmässig
leichten Druck, den der Husten auf den Unterleib ausübt, nicht
erklärt werden, sondern es handelt sich um eine gleichzeitig
mit der Schädigung auf der Luftröhre auftretende Schwäche
des Blasenschlusses.
Für uns ist es klar, dass infolgedessen Causticum das
richtige Mittel ist, aber eine Erklärung des Zusammenhanges
zwischen den einzelnen Symptomen giebt es nicht.
Für eine andere Gruppe von Symptomen haben wir eher
eine Erklärung. Hüftschmerz, Beckenschmerz, ja selbst Ver¬
krümmung der Muskeln des Beines treten oft in Zusammen¬
hang mit Eierstocksleiden oder mit' langdauerndem Rektum¬
katarrh auf. Colocynthis ist gewöhnlich das passende Mittel.
Die mögliche Erklärung ist, dass die Nähe der Zentren für
diese verschiedenen Gebiete in ihrer relativen Lage im Rücken¬
mark einen Uebergang der Schmerzleitung ermöglicht.
Eine andere Gruppe von Symptomen ist in Amerika häufiger
zu beobachten wie bei uns. Nach dem Genuss von Fisch,
Oatmeal und grossen Mengen kalten Wassers tritt Beklemmung
ein, schneidender Schmerz im Magen, saures Aufstossen und
sehr saures Aufschwulken, die Körpertemperatur steigt sehr
hoch mit Erbrechen einer grossen Menge saurer, wässeriger
Flüssigkeit. Ganz plötzlich tritt ein Nesselausschlag auf mit
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258
stark geschwollenen Augenlidern und verdickten Lippen. Dabei
tritt häufig Durchfall ein mit einem eigenthümlich muffigen
Geruch des Stuhles. Der Ausschlag nimmt wieder ab und
tritt nach ein Paar Stunden wieder auf mit gleicher Heftigkeit.
Wir wissen, dass dieses ganze Krankheitsbild durch die
Aufnahme von irgend einem Toxin entsteht oder einer Albumose,
und dass dadurch das Fibrinogen im Blute in seiner Wirksam¬
keit gestört wird. Nun haben wir aber ein Mittel in der
Pulsatilla, welches nach den Prüfungsergebnissen die Gerinn¬
barkeit des Blutes herabsetzt. Farrington glaubt zwar, dass
die Erscheinungen der Pulsatilla auf eine Verlangsamung des
venösen Theiles des Kreislaufes zurückzuführen seien, aber
dieselben Erscheinungen können auch gedeutet werden als
Folge der Pulsatilla auf das Fibrinogen, und Pulsatilla ist
dasjenige Mittel, welches den ganzen Erscheinungskomplex
schnell heilt.
Wir verstehen, warum die Symptome von Nux vomica in
den ersten Morgenstunden verschlimmert sind, aber warum
auöh ein Husten oder ein Bluthusten um dieselbe Zeit eine
Verschlimmerung haben könnte, ist einfach nicht erklärlich.
Warum tritt bei Pleurodynie so häufig ein Lippenherpes auf,
was wir als Hinweis auf Ranunculus immer verwenden können?
Es ist bei dem Auftreten dieser Symptome wie mit dem Er¬
klingen von Neben- und Obertönen beim Anschlägen eines
Grundtones.
Die Nomenklatur unserer Krankheiten ist vollständig will¬
kürlich, da wir eigentlich nur von dem Organe sprechen, auf
dem die Krankheit sich geltend macht. Was aber die wirk¬
liche Form der Krankheit ist, davon wissen wir nichts.
Die Thatsache, dass in einer Krankheit Symptome, welche
scheinbar ganz zufällig zusammen auftreten und deren Zu¬
sammenhang absolut jede Erklärung unmöglich macht, sich in
derselben Gruppirung und unter denselben Bedingungen der
Verschlimmerung und Besserung auch bei dem Prüfungsbilde
eines Heilstoffes finden können, erhebt die Behauptung: „Similia
similibus curantur“ von der Stellung eines praktischen Käthes
zum Ausdruck eines der grössten und wichtigsten Naturgesetze.
Journal beige d’homceopathie, November 1898.
Jodkali in Dreigrammdosen längere Zeit gegeben er¬
zeugte bei einem Manne Gedächtnissschwund und verminderte
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254
Geistesthätigkeit, Unfähigkeit, Musik zu machen, Kribbeln in
den Händen und starke Schwäche der unteren Gliedmassen.
Cantharis, in Alkohol erhitzt, brachte dem Apotheker,
der es bereitete, heftige Augenschmerzen. Auf beiden Horn¬
häuten hob sich die oberste Schicht ab und bildete eine mit
Flüssigkeit gefüllte Blase.
Chrysarobin, wegen einer Psoriasis auf die Haut auf¬
getragen, erzeugte ein Hornhautgeschwür auf dem einen Auge
mit einer Maceration der obersten Schicht auf dem anderen
Auge. Beiderseits starke Hyperämie der Iris, viel Eiweiss
im Urin, allgemeine Schwäehezustände.
Hahnemannian Advocate, November 1898.
Aus den Klinischen Fällen von Dr. Pearson sind
folgende Fälle interessant:
1. Eine 37jährige verheirathete Frau, brünett, mit drei
lebenden Kindern, ist ausserordentlich gedrückt, weint leicht,
glaubt nicht wieder gesund werden zu können, und man droht
ihr mit der Operation. Seit zwei Jahren fast täglich Stirn¬
schmerz, heisse Stelle am Scheitel, noch heisser durch Be¬
schäftigung. Uebelkeit und Leerheitsgefühl im Magen. Empfind¬
licher Magen. Schwächegefühl und Uebelkeit 3—4 Stunden
nach dem Essen mit der Empfindung, als ob der Magen mit
Schleim ausgekeilt wäre. Schweregefühl im Unterleibe mit
Bückenschmerz.
Das Herabziehen ist so stark, dass sie die Beine unter¬
schlägt. Verschlimmerung beim Stehen, Besserung beim Schnell¬
gehen. Begelmässige, aber etwas blasse, schwache und schmerz¬
hafte Periode, manchmal auch dunkel, schleimig und reichlicher.
Befindet sich wohler bei reichlicher Periode. Gefühl als ob
der Uterus auf den Darm presste. Die Gebärmutter ist ver-
grössert, etwas vorgefallen und etwas nach hinten gedreht.
Sepia 55 m eine Gabe. Zuerst verschwand ihre Melancholie.
Der Schmerz im Kopfe ging allmählich verloren. Dann trat
eine heftige, dicke, gelbe Leukorrhoe ein, zwei Monate hindurch,
die aber keine Beschwerden machte. Dann kam ein juckender
Ausschlag über den ganzen Körper, der durch Sulphur geheilt
wurde, und damit war eine vollständige Veränderung im Wesen
der Frau eingetreten.
Der Verfasser bemerkt dazu: Die Untersuchung ergab
mit Bestimmtheit, dass die Lageveränderungen im Unterleibe
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255
nicht für alle, ja nicht einmal für die meisten der Symptome
als Begründung dienen konnten. Darum hätte auch keine
mechanische Behandlung diesem Weibe helfen können. Wir
müssen also annehmen, dass innere, uns unbekannte Ursachen
hier mitwirkten. Diese drücken sich aus in den äusserlich
erkennbaren Symptomen, und so war eine Mittelwahl be¬
rechtigt.
2. eine 26jährige Lehrerin, mit rothen Backen, weisser
Haut, angenehmer Art, sehr sensitiv, hat häufiges Nasenbluten
schon als Kind gehabt.
Unregelmässige, schmerzhafte, geringe Periode, die Nachts
fast ganz aussetzt. Ein Husten vor der Menstruation und
besonders bei Verzögerung derselben. Von der Mitte des
Sternum bis herauf zum Halse brennendes Gefühl. Dasselbe
steigt allmählich, bis der Lunge das Athmen etwas schwer fällt,
dann kommt ein schwaches Gefühl vom Kopf bis zu den
Füssen mit Uebelkeit und Aufstossen. Leichter Husten und
darauf ein Blutsturz, warm und hellroth. Der Beiz zum
Husten entsteht hinter dem Brustbein, wird verschlimmert
durch Sprechen, Lachen, nach dem Essen, tiefe Einathmung,
Eintreten in warme Bäume, Nachts vor der Periode, im Auf¬
sitzen. Dicker, grüngelber Auswurf, riecht wie alter Katarrh.
Diese Symptome hätten ja auch auf andere Mittel hin-
weisen können, aber zwei Gaben von Puls. 51 m mit einer
Pause von 27 Tagen brachten den Bluthusten zu Ende, und
die Begeln wurden reichlicher und röther. Der Husten ver¬
schwand beinahe vollständig, und recht heftige rheumatische
Schmerzen, wie sie sie schon einmal vor zehn Jahren gehabt
hatte, bevor ihre Bronchialerkrankung aufgetreten war, kamen
mit grosser Heftigkeit wieder. Gegeben wurde dann Sulphur
und Oalc. -carb., worauf alle rheumatischen Beschwerden
schwanden. Hin und wieder erhält sie noch eine Gabe Pulsa-
tilla, aber die letzten zwei Jahre haben bewiesen, dass sie
eine gesunde Frau ist, die trotz des an greifenden Klimas von
Chicago ihre Pflichten vollkommen erfüllt.
Dr. Frank B. Wat er s berichtet über einen Fall von
traumatischer Neuralgie.
Eine 28jährige Frau ist vor fünf Jahren von ihrem Manne
geschlagen und getreten worden. Die Tritte hatten die linke
Seite und die rechte Brust getroffen. Während des letzten
Sommers trat ein peinigender Nervenschmerz in den verletzten
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256
Stellen, besonders aber in der Brust auf. Die ununterbrochen
herrschenden Schmerzen wurden durch eine Gabe Arnica cm
vollständig gehoben, und zwar trat die erste Besserung nach
wenigen Minuten ein.
Homoeopathic Physician, November 1898.
Der Herausgeber, Walter M. James, führt ein Reihe
von Pulsatilla-Symptomen an, welche nicht allgemein bekannt
sind. Dieselben sind meist auf der rechten Seite. Es giebt auch
Pulsatillakranke mit sehr rothen Backen. Die Unterlippe ist
geschwollen und in der Mitte cingerissen. Dieselbe Erscheinung
in der Oberlippe kommt bei Kali carb., ebenso wie bei Apis
und Belladonna vor. Bei der Halsentzündung sind die Yenen
erweitert ähnlich wie bei Kali bichronicum. Der Kranke ver¬
langt nach Bier, aber das Bier schmeckt süss und die Butter
schmeckt bitter. Eine Abneigung für Pettnahrung ist
charakteristisch für Pulsatilla, Verlangen darnach für Nux
vomica und Aidum nitricum.
Pulsatilla ist sehr angezeigt in der Gonorrhoe bei grün¬
gelbem Ausfluss und passt auch bei Wassersucht des Hoden¬
sackes. Puls, und Urtica urens sind beide angebracht bei
mangelnder Milch nach der Entbindung. Der Pulsatillahusten
ist bei Tage locker, Nachts nicht, ähnlich ist Calcarea.
Die Schmerzen der Pulsatilla kommen plötzlich und ver¬
schwinden plötzlich.
Zum Beispiel: Ein Schneider steht vollkommen gesund
an seinem Arbeitstisch. Plötzlich tritt ein Schmerz in seinem
Knie auf, so heftig, dass er sich hinwirft und laut schreit-
Bei der Untersuchung findet sich das Gelenk stark geschwollen
und stark druckempfindlich. Jedes Aufstellen oder Hängen¬
lassen des Beines vermehrt den Schmerz ausserordentlich,
jeder Versuch zu gehen vermehrt ihn ebenfalls. Deshalb
legte sich der Kranke so lange wie möglich ruhig hin, bis die
Verschlimmerung in der Ruhe kam, und dann machte er den
Versuch zu gehen, mehr aus innerer Unruhe als aus einer
anderen Vorstellung heraus. Pulsatilla 200 erleichterte die
Erscheinungen sofort, und in fünf Tagen war er wieder gesund.
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J ahrgang VIII. Nf. 9. September 1899.
ARCHIV
FÜR
HOMÖOPATHIE
geleitet
VOll
Dr. Alexander Villers.
Inhalt.
Seite
Villers. Mein Austritt aus dem Centralverein.257
Waszily. Die Geschäftssitzung der Versammlung des homöo¬
pathischen Centralvereins Deutsclilands in Elberfeld
am 9. August 1899 . 259
Fincke. Chirurgie, innere Medizin und ein wenig Logik . . 266
Kent. Phytolacca. 27 g
Kent. Kali bichromicum.283
Aus der Zeitungsmappe..' 288
DRESDEN.
Expedition des Homöopathischen Archive»,
Dr. Alexander Villers.
Das
Archiv für Homöopathie
erscheint 'seit Oktober 1891 in monatlichen Heften von
2 Druckbogen Umfang im Umschlag.
Die Hefte werden am zweiten Mittwoch jedes
Kalendermonates verschickt.
Der Abonnementspreis
beträgt für einen Band,von 12 Heften 10 Mark.
Die Bestellung erfolgt entweder durch direkte Zu¬
sendung dieser Summe an den Unterzeichneten oder auf
buchhändlerischem Wege bei dem Unterzeichneten Ver¬
lag (Kommissionär in Leipzig: K. F. Koehler).
Erfolgt die Bestellung bei mir, so werden die
fälligen Nummern direkt unter Kreuzband zugeschickt.
Redaktionsschluss findet mit dem Ende des dem
Erscheinen vorhergehenden Kalendermonates statt.
Expedition des Homöopathischen Archives
, Dr. Alexander Villers.
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ARCHIV FÜR HOMÖOPATHIE
von
Dr. Alexander Villers.
Jahrgang VIII. Nr. 9. September 1899.
Mein Austritt aus dem Centralverein.
Wenn wir Studenten uns zu gemeinschaftlichen Festlich¬
keiten, in denen alle Richtungen der Studentenschaft vertreten
sein sollten, zusammenthaten, so wurde stets feierlich eine
Treuga Dei, ein Gottesfriede, geschlossen. Zu keiner Zeit
sammelten sich so viele Explosivstoffe in der Studentenschaft
an, als wie zur Zeit dieses erzwungenen Friedens.
An diese Verhältnisse wurde ich erinnert, als im vorigen
Jahre in Salzburg bei der Central Vereinsversammlung für die
Elberfelder Versammlung so pathetisch der Friede gefordert
wurde. Ein enthusiastischer Redner verstieg sich damals dahin,
zu sagen, dass wir nun erst eigentlich sehen würden, wie ein¬
heitlich und wie frei von Zwist eine solche Versammlung ver¬
laufen könnte. Da sagte ich mir: Zu der Versammlung gehst
du nicht, denn das wird wohl die turbulenteste und heftigste
werden, die wir je gehabt haben!
Wenn man mich fragt, warum ich denn mit dieser An¬
schauung nicht erst recht hingegangen bin, um am Kampfe
der Meinungen theilzunelimen, so will ich nicht verhehlen, dass
ich einem Meinungsaustausch mit sachlicher Begründung immer
gern mich gestellt habe. In unseren Versammlungen werden
aber nicht Thatsachen und ruhige Urtheile gesprochen, sondern
weibische Empfindlichkeit und die Ausdrücke gekränkter Eitel¬
keit wiegen bei vielen unserer Kollegen schwerer, als wie die
ernste Ueberzeugung um das Wohl der deutschen Homöopathie
besorgter Männer.
Zu einem solchen unfruchtbaren Kampfe will ich mich
nicht hergeben, und darum bin ich nicht nach Elberfeld ge¬
gangen.
Nachdem nun mein Freund Waszily mir den für das
„Archiv“ bestimmten Bericht über die Geschäftssitzung des
Centralvereins zugeschickt hat, sehe ich in den dortigen Vor-
Archiv für Homöopathie. Heft 9. 17
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258
gangen den Beweis dafür, dass meine Befürchtungen richtig
waren. Der Streit ist sehr heftig gewesen. Eine Klärung
der Fragen war durch das Direktorium innerhalb des ganzen
Jahres nicht erzielt worden, und das Resultat der Versamm¬
lung ist nur der Beweis, dass die Majorität die Minorität
erdrückt hat.
Die Unfruchtbarkeit der Thätigkeit des Centralvereins,
welche wir wiederholt schon in öffentlichen Versammlungen
und in unserer Presse beklagt haben, hat mir schon immer
den Gedanken nahegelegt, ob ich nicht aus einem Vereine
ausscheiden sollte, mit dessen Arbeitsweise ich nicht mehr ein¬
verstanden bin.
Der Niedergang des Homöopathischen Krankenhauses in
Leipzig und dessen vollkommener Zusammenbruch, wie er sehr
wahrscheinlich ist, vertieften diesen Wunsch noch nach der
besonderen Richtung hin, nicht mit Schuld daran zu tragen,
dass dieser Versuch, die Homöopathie in Deutschland durch
eine eigene von ihren Aerzten gegründete Anstalt dem öffent¬
lichen Urtheile vorzustellen, so wenig gelungen zur Ausführung
gebracht wurde.
Indess, die Anhänglichkeit an einen Kreis, dem ich doch
auch schon Jahre lang angehöre, das Gefühl der Freundschaft
für einige Mitglieder des Verbandes und die ernste Frage, ob
man nicht auch auf verlorenem Posten auf seiner Stelle ver¬
harren müsse, hinderten mich immer noch, zu einem Ent¬
schluss zu kommen.
Jetzt aber hat der Centralverein in seiner letzten Ver¬
sammlung Herrn Dr. Stifft zu seinem dritten Direktor ernannt.
Ich will hier nicht die Vorwürfe wiederholen oder kriti-
siren, welche gegen diesen Herrn erhoben worden sind, aber
nach meinen persönlichen Erfahrungen mit ihm bin ich nicht
in der Lage, kollegial mit ihm zn verkehren.
Es giebt auch andere Mitglieder des Verbandes, welche
ihrerseits abgeneigt sein werden, mit ihm im Austausch der
Meinungen zu stehen.
Der Centralverein hat an diesen Verhältnissen nicht An-
stoss genommen; er hat einen Mann, der keine Autorität im
Verein haben kann, zum Direktorialmitgliede ernannt.
Seitdem dieser Beschluss mir bekannt geworden ist, ist es
mir zum Bewusstsein gekommen, dass ich richtig handele,
meinen Austritt aus dem Centralverein zu vollziehen.
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359
Von diesem Schritt habe ich heute dem Direktorium Mit¬
theilung gemacht.
Dresden, 17. August 1899.
Dr. Alexander Yillers.
Die Geschäftssitzung der Versammlung des homöo¬
pathischen Centralvereins Deutschlands in Elberfeld
am 9. August 1899.
Von Dr. Waszily in Kiel.
Die homöopathischen Aerzte Deutschlands haben leider
keine alle umfassende ärztliche Vereinigung, und dass der
Centralverein eine solche nicht ist, zeigte einmal wieder recht
deutlich die Versammlung in Elberfeld. Ueberall ist ein enger
Zusammenschluss der Körperschaften zur wirksamen Vertretung
der Standesinteressen, bei uns homöopathischen Aerzten nicht.
Es ist das eine sehr bedauerliche Thatsache. Wir konnten
auch in Elberfeld von dem bedrückenden Gefühl nicht los-
kommen, dass in der Homöopathie in Deutschland nicht die
Aerzte, sondern Nichtärzte das herrschende Element bilden,
dass nicht Idealismus, sondern der Materialismus mit seiner
Interessen-Wirthschaft alle unbequemen Kegungen mit Gewalt
niederzudrücken bestrebt ist.
Erschienen waren die Herren Königlich sächsischer Kom-
merzienrath Apotheker Dr. Willmar Schwabe, -Apotheker
Steinmetz-Leipzig und Beuthler-Iserlohn, die DDrs Windelband-
Berlin, Kröner-Potsdam, Groos-Barmen, Weidner-Breslau,
Jahn-Berlin, v. Sick-Stuttgart, van Royen-Utrecht, Nagel sen.-
Halberstadt, Gisevius jun.-Berlin, Haedicke-Leipzig, Veith-
Breslau, Schnütgen-Münster, Stifft-Leipzig, Gross-Nürnberg,
Rollwik-Swolle, Meyer-Barmen, Mossa-Stuttgart, Leeser-Bonn,
Göhrum-Stuttgart, Wapler-Leipzig, Hammerschmidt-Elberfeld,
Grünewald-Frankfurt a.M., Dammholz-Berlin, Jacobs-Elberfeld,
Mattes-Ravensburg, Waszily-Kiel, später noch Nagel jun.-
Elberfeld. Die auf pünklich 8 Uhr anberaumte Sitzung wurde
kurz vor 9 Uhr von Dr. Windelband eröffnet; es fehlten dieHerren
Direktorialmitglieder Weber und Rohowsky. Letzterer hat
kurz vorher seine Aemter als Vorstandsmitglied des Central¬
vereins und Mitglied des Krankenhauskuratoriums niedergelegt.
17*
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260
Gründe wurden nicht bekannt gegeben. Dr. Schroeder, der
sich um die Vorbereitungen zum Empfang der Berufsgenossen
in Elberfeld sehr verdient gemacht, ist kurz vorher gestorben,
ferner sind verstorben die. Herren DDrs Lorbacher-Leipzig,
Reis-Trier und Walz-Frankfurt a. 0. Die Versammlung ehrt
das Andenken durch Erheben von den Sitzen.
Zu 1. Neu aufgenommen werden die Herren DD*’s Fischer-
Arnsfelde, Jäger-Hildesheim, Mittmann - Liegnitz, Sör-Rüten,
Mittelstedt-Bromberg, Frohne-Cöthen, Franke-Heide i, H.,
Mitan-Berlin, Klauber-Wien, Wintersohle-Posen, Gebauer-
Meseritz, Karasiewitz-Tuchel, Rosemann-Bünde, Sauer-Breslau,
Grothmann-Niedermassberg, Arendts-Schweig a. Mosel, Eggert-
Breslau, Hengstebeck-Leipzig, Herrn. Findeisen-Danzig, Dierkes-
Paderborn, Borgolde-Elberfeld.
Zu 2. Geschäftsbericht, a) Ein Schreiben Dr. Weber’s-Cöln
wird verlesen, er hält die Verfassung des Schiedsgerichts für
ungenügend und meint, ein einmal aufgenommenes ehrengericht¬
liches Verfahren müsse zu Ende geführt werden. Trotzdem
eine Erörterung darüber nicht gewünscht wird, giebt Windel¬
band die Erklärung, dass in den im vergangenen Jahr anhängig
gemachten Fällen Berufsgenosse Weber die Sache für sich
beurtheilte und ein Fazit zog, während er der Ansicht sei,
dass die Richter zu mündlicher Verhandlung Zusammenkommen
müssten. Kröner meint, es wird Sache der Richter sein, sich
selber einen Modus zu bilden, y. Sick ist dafür, diese An¬
gelegenheit dann zu ordnen, wenn wieder ein Ehrengericht zu¬
sammengerufen würde.
b) Es liegt der Antrag vor: Das Kuratorium des Kranken¬
hauses wird alle drei Jahre von der Central Vereinsversammlung
gewählt; dasselbe muss ausser dem dirigirenden Arzte noch
zwei andere ärztliche Mitglieder haben. Der Antragsteller,
Waszily-Kiel erörtert kurz die Begründung, indem er darauf
hinweist, dass es unbillig und ungerecht wäre, das Kuratorium
auf Lebenszeit zu wählen und sich beim Ausscheiden einzelner
ergänzen zu können, während doch der Vorstand des Central¬
vereins alle drei Jahre gewählt würde, ferner dass die weitaus
überwiegende Mehrzahl der Mitglieder des Central Vereins aus
Aerzten bestehe, dasselbe Verhältniss auch beim Krankenhaus-
Kuratorium sein müsse, zumal da doch Aerzte in solchen
Dingen bessere Einsicht hätten, als Laien, sofern sie nicht
lediglich Verwaltungssachen beträfen, dass drittens ein Wechsel
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nur gedeihlich und fruchtbar sein könne, da neu eintretende
Kräfte stets neue Anregungen geben und leichter falsche Ein¬
richtungen u. s. w. zu erkennen im Stande wären, als diejenigen,
die seit Urzeiten mit denselben Ansichten und Absichten die
Verwaltung leiteten., Steinmetz ist damit einverstanden, meint
aber, dass die Auswahl der betreffenden Herren beschränkt
und schwierig sei und niemand hineinkommen dürfe, der mit
den anderen disharmonire. Auch sei G-roos schon hinzugewählt.
Waszily macht darauf aufmerksam, dass letzteres den
Mitgliedern nicht bekannt gegeben sei, und erfährt erst jetzt,
dass derselbe wegen der Stiftung des sächsisch-anhaltinischen
Vereins, die nur unter der Bedingung gegeben ward, dazu ge¬
kommen ist. v. Sick anerkennt vollständig die Begründung
des Antrages, bezweifelt aber, dass es zweckmässig ist, den
Antrag gerade jetzt anzunehmen. Windelband fragt daraufhin
den Antragsteller, ob er seinen Antrag zurückziehe. Letzterer
thut das nicht und erklärt, denselben, falls er abgelehnt würde,
nächstes Jahr wieder einzubringen, und wenn er wieder ab¬
gelehnt würde, die Konsequenzen zu ziehen. Haedicke weist
nun nochmal darauf hin, dass der Antrag aus Gerechtigkeits¬
und Billigkeitsgründen angenommen werden müsse, denn der
Centralverein sei eine gerichtlich eingetragene Genossenschaft,
und in allen anderen Genossenschaften mit Vorstand und
Aufsichtsrath (Kuratorium) seien satzungsgemäss in bestimmten
Zeitabschnitten nicht nur Vorstand, sondern auch Aufsichtsrath
neu, bezw. wieder zu wählen. Schniitgen bringt nun einen
Antrag auf Schluss der Debatte ein, was ja stets das be¬
quemste Mittel ist, eine Sache, so lange sie noch von der
Minderheit vertreten wird, von der Tagesordnung zu bringen.
Infolge dessen ward der Antrag abgelehnt, was sehr bedauer¬
lich war, aber der Gewohnheit des Centralvereins entsprach,
Zweckdienliches abzulehnen.
c) Bericht des dirigirenden Arztes. Er liegt gedruckt
vor. Ausserdem liegt folgendes Schreiben von demselben vor:
An das
Kuratorium des homöopathischen Krankenhauses zu Leipzig!
Schon in früheren Jahren sind wiederholt in indirekter
Weise Angriffe gegen meine Stellung als leitender Arzt des
homöopathischen Krankenhauses erfolgt, Bemängelung des
. Honorars etc., ohne dass dieselben entschieden zurückgewiesen
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worden wären. Weiter hat der Vorstand des Homöopathischen
Centralvereins es unterlassen, mir nach Kenntnissnahme der
vom Kuratorium nach Beschluss der vorjährigen General¬
versammlung auf die von einem Mitgliede des Vereins er¬
hobenen Anklagen gegen mich eingereichten Denkschrift, die,
so viel mir bekannt, zu meiner vollkommenen Rechtfertigung
geführt hat, irgend welche Genugthuung zu geben, obwohl
dies für diesen Fall auf die Interpellation „Göhrum“ hin in
Aussicht gestellt war. Hinzu kommt ferner, dass der Vor¬
stand sich in der Fassung der Mittheilungen auf einen ent¬
schieden parteilichen Standpunkt gestellt hat, indem er bei
Erwähnung der Ablehnung des Antrages auf meine Amts¬
entsetzung das für mich sehr wichtige Wort „einstimmig“
wiederholt gestrichen hat. Endlich ist mir noch in den
letzten Tagen von dem geschäftsführenden Mitgliede des
Vorstandes in Leipzig Pflichtverletzung in der Krankenhaus¬
leitung vorgeworfen worden, ohne dafür auch nur den ge¬
ringsten Beweis erbringen zu können, und ist dies in einem
Briefe, der von persönlicher Gehässigkeit strotzte, geschehen.
Aus allen diesen Gründen habe ich das in meiner ver¬
antwortungsvollen Stellung absolut nöthige Vertrauen zu
einer unparteilichen Prüfung meiner Amtstätigkeit von Seiten
des mir als Aufsichtsbehörde Vorgesetzten Vorstandes des
Centralvereins verloren und sehe mich deshalb veranlasst,
um Genehmigung meiner Amtsniederlegung für den 1. Oktober
d. J. nachzusuchen.
Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst
Dr. Stifft.
Göhrum macht darauf aufmerksam, dass nach dem vor¬
jährigen Versammlungsbeschluss das Kuratorium bezw. der
Vorstand vor dieser Versammlung einen Bericht hätte geben
sollen über die Krankenhausvorgänge, bezw. Leitung. Windel¬
band meint, nur in dem Falle, wenn genügender Anlass zum
Einschreiten gewesen wäre. Steinmetz bedauert, dass Stifft
bisher keine Satisfaktion auf die in der vorigen Versammlung
gemachten Anschuldigungen bekommen hätte, infolge dessen
sei die Amtsniederlegung Stiffts erfolgt. Windelband bemerkt
dazu, dass bis in die Neuzeit die Meinungsverschiedenheiten
im Direktorium gedauert hätten, Weber hätte die Schriftleitung
gehabt, man möge ihm deswegen mit Vorwürfen darüber ver-
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schonen. Kröner betont die Schwierigkeiten der Leitung, man
solle zufrieden sein, dass das Direktorium sich mit dem Kura¬
torium geeinigt hätte. Steinmetz will darauf Antwort für
Stifft haben, ob die Klagen und Beschuldigungen zu Recht
bestehen oder nicht. Es müsse Stellung genommen werden
gegen den Kläger und „ein Exempel statuirt“ werden. Göhrum
sagt, er habe im vorigen Jahre beantragt, Stifft müsse ein
Vertrauensvotum haben, wenn er nicht schuldig befunden würde,
und beantragt nun, das Ehrengericht des Centralvereins soll
die Akten prüfen und eine Entscheidung fällen. Haedicke
fragt nunmehr kurz Windelband als einzig anwesendes Vorstands¬
mitglied, ob seine Anklagen auf Wahrheit beruhen oder nicht.
Windelband sagt daraufhin, die Thatsachen sind vorgekommen.
Die Erörterung wird immer heftiger und hitziger, dem
Vorsitzenden wird es sichtlich schwer, ruhig und zurückhaltend
zu bleiben. Nachdem es der Versammlung nicht gelungen ist,
ein Vertrauensvotum für den dirigirenden Arzt unseres Kranken¬
hauses durchzudrücken, wird schliesslich der Antrag Gröhrum,
die Angelegenheit dem Ehrengericht zu übertragen, gegen zwei
Stimmen angenommen, nachdem Stifft sich bereit erklärt hat,
die Leitung des Krankenhauses noch ein Jahr zu behalten.
Darnach ward der Bericht über die Poliklinik in Umlauf
gesetzt. Es sind 1627 Fälle behandelt, davon geheilt 635,
gebessert 326, nur einmal dagewesen 265, weggeblieben 232,
gestorben 4, in Spezialbehandlung übergegangen 23, in Be¬
handlung geblieben 142. Mossa spricht den Wunsch aus, aus
der Poliklinik wissenschaftliche Arbeiten zu erhalten. Wapler
meint, es sei Sache der älteren Herren zu schreiben, ver¬
tröstet aber auf die Zukunft, da „die Arbeiten, die aus Leipzig
kommen, Hand und Fuss haben sollen“.
Nun ergreift Haedicke noch einmal das Wort zum Ge¬
schäftsbericht, bemängelt, dass aus dem Vorliegenden Verlust-
und Gewinnkonto nicht zu ersehen ist. Er giebt dann eine
genaue rechnerische Uebersicht und kommt — durch störende
Zwischenrufe des Herrn Kommerzienraths Dr. Schwabe häufig
unterbrochen — zu dem Endergebnis, dass das Krankenhaus,
wenn es so weiter ginge, in drei Jahren zu Grunde gehen
müsse, jetzt sei es noch Zeit, einen anderen Modus zu schaffen,
aber, meint er, der Centralverein hat immer versagt und wird
auch weiter versagen. Nun entwickelt sich wieder eine sehr
lebhafte Erörterung, wobei Herr Steinmetz wieder von einer
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Schenkung sprach, die Dr. Willmar Schwabe hätte machen
wollen, uns daher als Zug- bezw. Beschwichtigungsmittel er¬
schien, da sie noch aussteht. Kröner betonte, dass an den
Ausführungen Haedickes sehr viel Bemerkenswerthes sei u. s. w.
Bei der Debatte kam nichts heraus.
Zu 3. Der Kassenverwalter muss nach wie vor klagen,
die Einnahmen gehen zurück, die Ausgaben wachsen. Er be¬
klagt sich, dass einige Mitglieder ihre Krankenhausbeiträge
zurückgezogen haben, was nach unserer Meinung nicht ohne
Berechtigung ist, wenn man überzeugt ist, dass im Kranken¬
haus nicht rein homöopathisch behandelt wird. Der Kassen¬
verwalter wird entlastet und erhält den Dank der Versamm¬
lung für seine Mühewaltung.
Zu 4. Der Kassenverwalter wird durch Zuruf wieder¬
gewählt, macht jedoch die Annahme des Amtes von dem Aus¬
fall der Wahl des neuen Direktorialmitgliedes abhängig.
Zu 5. Wir haben schon erwähnt, dass der Institutsarzt
noch vorläufig ein Jahr bleibt.
Zu 6. Der Bericht über die Vereinsbibliothek besagt, dass
sie wenig oder gar nicht benutzt wird. Gisevius regt an, die
gangbarsten und wichtigsten Bücher in mehreren Exemplaren
anzuschaffen.
Zu 7. Wegen des Pariser Kongresses im nächsten Jahre
wird eine Verlegung der Versammlungstage vorgeschlagen; da
das nach den Satzungen nicht angängig ist, wird auf Kröners
Vorschlag Dresden gewählt.
Eingeschoben wird jetzt, obwohl nicht, wie die Satzungen
vorschreiben, auf der Tagesordnung stehend, die Neuwahl des
für Dr.Rohowsky ausscheidenden Direktorialmitgliedes. Waszily
stellt den Antrag, die Wahl nicht durch Zuruf, sondern durch
Zettel zu machen. Trotzdem schlägt Steinmetz Stifft vor,
welcher eine Wahl anzunehmen ablehnt, dann wird Wapler
vorgeschlagen, da das Direktorialmitglied in Leipzig seinen
Wohnsitz haben müsse. Haedicke hatte schon vorher bestimmt
erklärt, man möge von seiner Person absehen. Die Wahl er-
giebt 17 Stimmen für Stifft, 7 für Wapler, 3 haben sich der Ab¬
stimmung enthalten. Nun geschah das Wunderbare, dass der bis¬
herige Direktor des Krankenhauses die Wahl annahm und damit
gleich gewissermassen sein eigener Vorgesetzter geworden ist.
Zu 8. Zu dem Bericht des Propaganda-Ausschusses wird
ein Brief des leider abwesenden Berufsgenossen Villers ver-
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lesen, aus dem hervorgeht, dass er keinen grossen Erfolg ge¬
sehen. Anderer Ansicht ist G-isevius, welcher mittheilt, dass
eine grosse Anzahl Anfragen eingelaufen, ausserdem hätten die
Ferienkurse an der Berliner Poliklinik sichtbaren Erfolg ge¬
habt, im vorigen Herbst hätten 12 Herren daran theilgenommen.
Es wird beschlossen, die Propaganda in bisheriger Weise fort¬
zusetzen und da Villers die Beibehaltung der Centrale ab¬
gelehnt hat, übernimmt Mossa dieselbe. G-isevius theilt ferner
mit, dass er eine neue Propagandaschrift geschrieben: „Die
Homöopathie vor dem Richterstuhl des Experiments“ und be¬
merkt zum Schluss sehr richtig: Je mehr wir uns als Aerzte
zu Aerzten wenden, desto mehr Erfolg werden wir haben.
Zu 9. Aus dem Bericht Kröners über die Thätigkeit des
Ausschusses für die deutsche Arzneimittellehre sei bemerkt,
dass ein erfreulicher Fortschritt zu bestätigen ist, es liegen
bereits 30 Mittelbearbeitungen vor, sodass das erste Heft in
nächster Zeit zur Ausgabe gelangen kann. In gegebener Ver¬
anlassung übernimmt es Schnütgen, an Professor Schulz-
Greifswald im Aufträge der Versammlung ein Anerkennungs¬
schreiben zu richten.
Der Antrag des Berliner Vereins: „Dass von jetzt an der
Direktor des homöopathischen Krankenhauses zu Leipzig ver¬
pflichtet sein soll, alljährlich rechtzeitig vor der General¬
versammlung dem Direktorium einen eingehenden Bericht über
seine Thätigkeit einzureichen, sowie demselben auf Verlangen
seine Kranken-Journale vorzulegen“, wird von Kröner sach-
gemäss begründet, das Misstrauen, welches in dem Anträge
liegt, kommt dabei nicht zum Ausdruck. Wapler erklärt, dass
es an der technischen Möglichkeit fehle, nämlich an Zeit.
Stifft will dem Wunsche entsprechen, dem Verein einen Ein¬
blick in die wissenschaftliche Arbeit des Krankenhauses zu
gewähren. Da gewohnheitsgemäss die Ablehnung des sehr
begründeten Antrages bevorsteht, zieht Kröner denselben vor¬
läufig zurück, behält sich aber vor, ihn wieder einzubringen.
Damit ist die Tagesordnung erschöpft. Mattes erbittet sich
noch das Wort, um darauf hinzuweisen, dass ein Denunziant
in Mitte der Versammlung sei, und spricht sein höchstes Miss¬
fallen über dessen Vorgehen aus.
Damit schliesst die Sitzung um 1 Uhr Mittags. Möge
das nächste Jahr den Centralvereinsmitgliedern in Dresden
erfreulichere Bilder bringen! Nachmittags fand die Vergnügungs-
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fahrt nach der imposanten Kaiser -Wilhelmbrücke statt, wozu
die dortigen Berufsgenossen in dankenswerter Weise Alles
wohl vorbereitet hatten.
Chirurgie, innere Medizin und ein wenig Logik.
Von Dr. B. Fincke-Brooklyn.
Der verstorbene berühmte Chirurg Billroth erklärte, die
Medizin müsse mehr und mehr chirurgisch werden. Er lebt
nicht mehr. Es ist mir nicht bekannt geworden, dass er durch
eine chirurgische Operation gestorben sei, und so wird er wohl
an einem Leiden gestorben sein, welches der Chirurgie nicht
zugänglich war. So dient er uns als ein warnendes Exempel
gegen sein eigenes Wort. Er war ein Opfer jener Auffassung
der Medizin, welche nicht chirurgisch genug war. Gehörte
sein Fall nicht zu denen, welche chirurgisch behandelt werden
müssen, so sehen wir eben in seinem Tode einen Mangel in
der inneren medizinischen Behandlung, welche nicht genug auf
die Heilung hin gerichtet war.
Seine Voraussage aber hat sich in den nächsten Jahren
leider bewahrheitet, denn die Medizin ist inzwischen mehr und
mehr chirurgisch geworden, und es giebt keine Krankheit, um
derentwillen die Chirurgen nicht einen Eingriff versuchen.
Getäuscht durch ihre Anaesthetika, Antiseptika und desinfi-
zirenden Mittel sehen sie gar nicht mehr den gewaltigen
Eingriff, den sie in den Organismus unternehmen.
Gelingt die Operation, so ist des Lobes kein Ende, gelingt
sie nicht, so macht Niemand dem Operateur einen Vorwurf,
denn sie stützen sich nur auf und rühmen sich nur ihrer
pathologischen Diagnose. Ist die Diagnose unrichtig oder ist
sie richtig, das wird Alles das Messer entscheiden. Ist sie
nicht richtig, so wird die Wunde wieder zugeheilt und ausser
dem Kranken hat Niemand etwas daraus gelernt.
Auch ist die Ausübung der Chirurgie vorteilhafter wie
die der inneren Medizin. Der chirurgische Eingriff scheint das
Leiden zu einem plötzlichen Ende zu bringen, und die der
Operation nachfolgende Zeit wird nicht so lästig empfunden,
als wenn sie z. B. in homöopathischer Behandlung zugebracht
würde. Das Volk im Allgemeinen unterwirft sich lieber einer
gewagten Operation, als dass es sich einer sorgfältig und
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sorgsam durchgeführten Behandlung des inneren Mediziners
hingiebt.
Auch die häufigen Irrthümer, welche Vorkommen müssen,
werden durch den Beruf und die beruflichen Verbindungen der
Operateure wieder gedeckt. Man macht Operationen, ohne
wirklich an die Genesung des kranken Menschen zu denken,
und verdirbt damit alle Möglichkeiten, welche die innere Be¬
handlung noch darbieten könnte.
Dem Publikum wird die richtige Einsicht verschlossen
durch die Sicherheit, mit welcher der Chirurg auftritt, und
mancher Kranke kommt ins Hospital und wird auf den
Operationstisch gelegt, ohne dass er eigentlich erfährt, was
mit ihm los sei. Die Angehörigen erfahren auch nicht, worum
es sich handelt, dürfen in die Anordnungen der Chirurgen
nicht hereinreden und sehen ihren Kranken oft nur als Leiche
wieder.
Die Chirurgen haben unstreitig einen grossen Einfluss im
Publikum bekommen, welches sie ebenso bewundert wie fürchtet.
Die Annahme, dass jede Krankheit eine materielle Ursache
habe und deswegen auch materielle Mittel erfordere, ist in
das ganze Volk gedrungen, und darum billigt es jeden ihm
erklärlich erscheinenden, selbst gewaltsamen Eingriff. Dagegen
wird noch lange anzukämpfen sein, denn die herrschende
Richtung hat auch das Ohr der politisch und sozial mass¬
gebenden Personen und schützt sich in ihrer Standesordnung
vor jeder Schädigung ihrer eigenen Interessen. Eine geschickt
angelegte Statistik erscheint immer als ein wesentliches Be¬
weismittel.
So .macht es den Eindruck, als ob wir den grossen
chirurgischen Goliath nicht würden erlegen können, und doch
wird der kleine Hahnemann’sche David mit seiner Schleuder
siegen, wenn die Schüler des grossen Reformators der Medizin
seine Lehre nicht verlassen und nicht etwa eine Verstän¬
digung mit den Gegnern suchen.
Die grosse Gefahr für die allgemeine Medizin, welche von
der Chirurgie her droht, kommt von deren Anmassung, nach
welcher jeder Fall zu deren Spezialgebiete gehört. Zu der
Zeit, als Hahnemann schrieb, war die Chirurgie ja noch in
ihrer Kindheit, und doch zieht er schon in § 186 des Organon
eine Linie und möchte die Chirurgie beschränkt wissen auf
die Entfernung äusserlicher Hindernisse zur Heilung, die
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Heilung selber aber der Lebenskraft überlassen. Wenn er
nebenbei auch noch zugiebt, dass zu den berechtigten chirur¬
gischen Eingriffen die Oeffnung einer Körperhöhle gehört,
um eingedrungene Schädigungen zu entfernen oder um ange¬
sammelte Flüssigkeiten und Eiter abzulassen, so kann man
ihn deswegen nicht als den Vater der Laparatomie und der
vielfachen Operationen ähnlicher Art ansehen, denn der
Kaiserschnitt ist schon den Alten bekannt gewesen und die
Laparotomie stammt aus dem 16. Jahrhundert.
Die Ausführungen Hahnemann’s im Organon über das
chirurgische Können zeigen ihn allerdings nicht auf dem
Standpunkte eines Billroth, sondern er beschränkt die Thätig-
keiten der Chirurgen auf alle jene Fälle, wo die Lebenskraft,
durch spezifische homöopathische Mittel unterstützt, die Ur¬
sache der Krankheit nicht überwinden kann und wo es der
Hand des Chirurgen bedarf, um den Körper vor Zerstörung
zu schützen. Aber man sollte diesen Eingriff nicht anwenden,
bevor es nicht zur äussersten Nothwendigkeit gekommen ist,
und keine Operation sollte vorgenommen werden, die nur dazu
führt, an Stelle des natürlichen Todes den chirurgischen Tod
zu setzen.
Zwischen Chirurgen und inneren Aerzten besteht ein
natürlicher Antagonismus, und derselbe ist schwer auszugleichen,
obgleich Beide Aerzte sind.
Die innere Medizin will den Organismus mit seinen Theilen
erhalten durch Mittel, welche so gearbeitet sind, dass sie das
Leben des Kranken nie in Gefahr bringen und die Gesundheit
mit der geringsten Anstrengung von Seiten des Köpers hervor¬
bringen.
Der Chirurg dagegen muss mechanisch einzelne
Stücke des Körpers abtrennen und opfern, und wenn
er sie auch auf das dringend Nothwendige beschränkt,
so ist sein Vorgehen immer ein gefährliches, nicht
nur wegen des Blutverlustes und des Kräftever-
bräuches, sondern auch weil er den Zusammenhang
der Körpertheile trennt.
Wir können daher wirklich fordern, dass keine Operation
ausgeführt werde, so lange der Organismus noch irgendwelche
Aussicht hat, unter spezifisch homöopathischer Behandlung
sich zu erholen durch Mittel, welche auf seine Lebenskraft
einwirken.
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269
Seit Hahnemann’s Erfindung, die Arzneistöffe durch
Potenzirung fertig zu machen, hat der Arzt so sehr viel
mehr Waffen zum Heilen und Bekämpfen der Krankheiten,
als je vorher gekannt waren, und darum ist es eine heilige
Pflicht des Chirurgen ebenso wie des inneren Arztes, so viel
davon kennen zu lernen wie möglich, um den Kranken diesen
Yortheil geniessen zu lassen.
Grosse und kleine Schwellungen an der Aussenfläche des
Körpers und im Inneren sind durch Höchpotenzen entfernt
worden, Ergüsse in Körperhöhlen sind unter ihrem Einflüsse
entleert worden durch die natürlichen Kanäle des Systems,
alle möglichen Formen von Abszessen öffnen sich freiwillig
und heilen ohne Messer, Blutvergiftungen und septikämische
Vorgänge sind in derselben Weise verhindert worden, und
unter uns giebt es Manchen, der nach Aufnahme eines Giftes
durch Verletzungen bei der Operation durch die Homöopathie
gerettet worden ist, während Andere, die in derselben Lage
waren, die aber die mächtige Hilfe nicht kannten, diese Un-
kenntniss mit dem Tode büssen mussten. Vergiftungen durch
Schlangengift sind ebenso durch die homöopathischen Hoch¬
potenzen geheilt worden wie die furchtbare und doch geheim-
nissvolle Tollwuth. Alle diese Sachen lassen sich durch die
Litteratur belegen und sind der Hahnemann’schen .Richtung
in der homöopathischen Welt wohlbekannt.
Nach den allgemeinen Gesetzen des Landes ist es natür¬
lich nicht strafbar, eine Operation zu vollziehen, wenn noch
ein anderer Weg der Heilung offensteht, aber im Sinne der
Wissenschaft und der Humanität ist es ein Verbrechen,
welches, wenn nicht in dieser Welt, so doch im Jenseits seine
Strafe findet.
Nach der Meinung der pliysiko-chemischen Schule von
heutzutage ist das Wichtigste im Körper das Blut, und alle
Anstrengungen der Behandlung sind auf die Besserung dieses
Gewebes gerichtet. An das Nervensystem wendet man sich
bloss, um Schmerzen durch Palliative und Anaesthetika herab¬
zusetzen. Diese Richtung muss erst umkehren und wieder zu
der Erkenntniss kommen, dass die von ihr verachtete Lebens¬
kraft wirklich existirt und dass kein Organismus ohne dieselbe
gedacht werden kann. Diese centrale Kraft, welche alle
Organe und ihre Funktionen im Körper durch Vermittelung
der höchsten Organe, des Gehirns und des Nerven central-
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systemes, im Gleichgewichte hält, wird jetzt freilich von noch
nicht Vielen erkannt. Nur die Schädigung, welche dieselbe
bei irgend einer plötzlichen Verletzung erleidet, wird etwas
anerkannt.
Hahnemann hatte eine klare Vorstellung davon, wenn er
sagte, dass bei der Impfung die Wirkung schon vorhanden
sei, sobald die Lymphe mit dem durch Schnitt blossgelegten
Nervenende in Berührung komme. Mit dieser Berührung sei
die Krankheit dem Organismus einverleibt, wie lange es auch
immer dauern mag, bis die örtlichen Symptome sich entwickeln.
Er glaubte auch, dass auf dieselbe Weise die Infektion akuter
und chronischer Krankheiten eintritt, nämlich in einem einzigen
Momente, in dem für die Infektion am günstigsten. Wir
können hier noch die Bisse von wüthenden und giftigen Thieren
anführen. Unmittelbar tritt eine Wirkung ein, noch ehe die
weiteren Symptome ein allmähliches Eingreifen des Organismus
nachwcisen. Man sieht die sofortige Thätigkeit der Lebens¬
kraft gegen die Vergiftung, und wie dann die Beaktion all¬
mählich folgt.
Lassen Sie mich hier einen Moment in meiner Betrachtung
stille stehen, um meiner Bewunderung Ausdruck zu geben für
die tiefe Weisheit unseres Meisters, der diese Wahrheit ver¬
kündigt hat, welche jetzt noch nach 70 Jahren die moderne,
so sehr gelobte Doktrin der bakteriellen Ursache aller Krank-
keiten widerlegt und es vor Allem erlaubt, ärztliche Eingriffe
zu machen, welche mehr Leben erhalten als bevor geopfert
worden sind. Wenn man die Phänomene bei natürlicher und
zufälliger infektiöser Erkrankung ansieht, so muss man die
Wahrheit von Hahnemann’s Beobachtung zugeben.
Ich will einmal hier von der merkwürdigen und geheim-
nissvollen Lyssa sprechen. Bis jetzt ist der Krankheitsträger
der Lyssa noch nicht bekannt,. und selbst wenn er bekannt
werden würde, so ist damit der Beweis der Entstehung dieser
Krankheit aus dem Krankheitsträger ebensowenig erbracht,
wie der der Pockendurchseuchung durch die Impfung. Im
Speichel des kranken Hundes finden wir mit allen modernen
Mitteln nicht den Krankheitsträger, das Blut ist auch nicht
wesentlich verändert, und doch treten so enorm charakteristische
Veränderungen im Nervensysteme auf, durch welche die
Lebenskraft die Organe schützen will. In so einem Falle
nützt kein Beruhigungsmittel, denn dadurch würde dieser Fall
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271
nur noch schlimmer werden. Auch die baldige Anwendung
von heissem Eisen zum Ausbrennen der Wunde hat keine
grosse Bedeutung. Nur das homöopatische Mittel kann es
machen, wie wir es durch Hahnemann und Bönninghausen
kennen gelernt haben, nachdem letzterer in eitlem gut unter¬
suchten Falle durch Hyosciamus 12 die Heilung herbeiführte.
Eine solche kleine Gabe, welche schon nahe an der Infinitesi-
malität steht, kann chemisch nicht gewirkt haben.
Die physikochemische Schule versichert, dass es sich um
eine Blutvergiftung handele und dass man dagegen ankämpfen
müsse durch Mittel, welche wieder sofort in den Blutkreislauf
eintreten. Sie vergisst aber, dass der erste Eindruck der
krankmachenden Substanz auf den Nerv wirkte. Könnte man
eine gleiche heilende Aktion einleiten, so müsste das eine
infinitesimale sein, welche denselben Nerven berührte und auf
demselben Wege wie die krankmachende Potenz von diesem
Ausgangspunkte aus das ganze Nervensystem beeinflusste und
die Nervenkraft erweckte.
Wenn man den Kranken durch Dampf oder durch sonstige
Mittel zu sehr starkem Schweisse bringt und selbst wenn dies
in der altmodischen Form wäre, ihn in Betten einzupacken,
so lange seine Krämpfe dauern, so erleichtert das den Zustand,
und es wird doch nichts ins Blut hineingebracht bei dieser
Behandlung.
Dr. Hering hat 40 Jahre lang Prüfungen von Lyssin zu¬
sammengestellt, welches nach der homöopathischen Vorschrift
aus dem Speichel eines kranken Hundes bereitet worden war
und von den Prüfern eingenommen Wurde. Obgleich hier also
auf dem Wege durch die Haut gar nichts eingeführt wurde,
waren doch die Symptome so charakteristisch der Hydrophobie
gleich, dass man deutlich erkannte, wie die Wirkung durch
das Nervensystem herbeigeführt wird, und da durch unseren
Prozess der Potenzirung der Stoff so verändert ist, dass er
gar keine chemische oder toxische Wirkung ausüben kann, so
ist seine Wirkung ein Beweis für meine Auffassung.
Dr. Galtier spritzte den Speichel eines tollen Hundes in
die Venen bei zehn Schafen ein, und alle blieben gesund. Als
Gegenversuch berührte er mit demselben Speichel bei zehn
anderen Schafen blossgelegte Nerven, und alle zehn starben
unter dem Zeichen der Wasserscheu. Die anderen zehn
Schafe aber, denen das Gift in die Venen eingespritzt worden
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war, zeigten sich bei späteren Versuchen als immun gegen die
Rabies. Das ist für mich ein Beweis, dass die Krankheit
durch die Berührung des Giftes mit den Nerven zu Stande
kommt und nicht durch die Einführung in den Kreislauf.
Etwas Aehnliches findet sich bei dem Bisse giftiger
Schlangen, und man kann auch diese Vergiftung heilen, wie
der Fall von Thorer beweist, bei dem ein Vipernbiss durch.
Lachesis 30 geheilt worden ist. Diese Thatsachen sind jedem
homöopathischen Arzte bekannt, und sie geben ihm das Recht,
solche Fälle auch zu behandeln, selbst wenn mehr oder
weniger bösartige Symptome auftreten. Nur muss er sich
ausschliesslich auf die homöopathische Methode verlassen und
von den anderen Hilfsbehandlungen nur das anwenden, was
zum Verbände der Wunden nöthig ist.
Aber in unserer Zeit wird der homöopathische Arzt nicht
oft Gelegenheit haben, solche Fälle zu behandeln, weil alle
Angehörigen des Kranken und seine Aerzte sogleich in
panischen Schrecken verfallen. Man brennt die Wunde ge¬
wöhnlich aus und giebt Narkotika oder schleppt den Kranken
sofort nach dem Pasteurinstitut.
Aehnlich verfährt man ja auch bei gewissen ansteckenden
Krankheiten, wo die Neigung besteht, die Kranken aus der
Familie zu entfernen und ins Hospital zu bringen. Dort
bleiben sie isolirt und werden der Routinierbehandlung unter¬
worfen, die jetzt in der chirurgischen und allopathischen Schule
üblich ist. Dann darf der Kranke und seine Angehörigen
nichts mehr dagegen einwenden.
Dantes Inschrift am Thore des Inferno passt auch für
manche Hospitäler.
Der Kranke wird nach dem Hospitale gebracht mit halber
Zustimmung seiner Verwandten, denen man erzählt hat, es
gebe keine andere Hilfe für seine Krankheit — sagen wir
einmal: Blinddarmentzündung — als die Operation. Den Ver¬
wandten erzählt der Chirurg, dass er in der Lage sei, den
Fall zu heilen, und dass jedenfalls Alles gethan werde, um
ihren lieben Angehörigen wieder herzustellen. Die Verwandten
sind zufrieden und unterwerfen sich. Nach einigen Tagen
wollen sie gern den Kranken sehen und hören, wie es ihm
gehe, und man schickt sie weg mit dem Ti’oste, dass Alles
für ihn gethan werde und er ganz in Ordnung ist. Einige
Tage später wird ihnen noch einmal der Zutritt versagt, und
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noch einige Tage weiter finden sie bloss noch eine Leiche vor,
die sie entfernen lassen müssen!
Solche Sachen kommen nicht bloss in abgelegenen Hospi¬
tälern vor, sondern auch in grossen mit gutem Namen. Darum
ist auch das gewöhnliche Volk geneigt, mit heiliger Scheu an
diesen Häusern vorbeizugehen.
Gerade die Appendicitis verlangt mehr Opfer als nöthig
ist, bloss deshalb, weil man von vornherein von der Ansicht
ausgeht, sie sei eine chirurgisch zu behandelnde Krankheit,
und weil die Chirurgen unfähig sind, sie medizinisch zu be¬
handeln.
Die Furcht, die Krankheit könne eine schlechte Wendung
nehmen, wenn man sich nicht um sie kümmert, ist die Ursache
der dringenden Empfehlung einer zeitigen Operation. Die
Operation selber wird für sehr gering geachtet. Der Chirurg
„geht ein“, schneidet ab, näht wieder zu; da von ihm dieses
eigenthümliche Stück Darm wie. ein unnützer Einfall der Natur
angesehen wird, nur noch ein Rest der Evolution des Menschen
vom Affen und anderen Thieren her, so kommt es ihm gar
nicht darauf an, dasselbe herauszuschneiden. Nach seiner
Meinung kann das dem Kranken auch ganz gleichgiltig sein.
Ja, es giebt sogar Enthusiasten, die den Wurmfortsatz ab¬
schneiden, wo gar keine Ursache zur Besorgniss vorliegt, wo
das Individuum vollständig gesund ist, nur als Vorsichts-
massregel, damit der Kranke nicht etwa in der Zukunft in
Gefahr komme. Man hat mir erzählt von einem Chirurgen,
der bei all’ seinen Kindern den Wurmfortsatz entfernte.
Wie leicht sich so ein Chirurg durch solche Neigungen
zu Operationen bestimmen lässt, beweist folgender Fall.
Eine junge Dame fiel an der Schwelle ihres Hauses, bekam
einen heftigen Schmerz im Leibe, grosse Blähungsbeschwerden
mit Auftreibungen des Leibes, starke Empfindlichkeit der
Bauchhaut, Temperaturerhöhung und Pulssteigerung. Ihr Arzt
dachte an Appendicitis und lud einen Chirurgen zur Konsul¬
tation ein. Der Chirurg kam. Er stimmte mit dem behan¬
delnden Arzte überein und meinte, am sichersten wäre es
schon, die Kranke sofort ins Krankenhaus zu bringen und
dort zu operiren. Der Vater aber war dagegen und erklärte,
er wollte lieber seine Tochter im Hause sterben sehen an der
Krankheit als an einer Operation im Hospitale. So. sah denn
der Chirurg von der vorgeschlagenen Operation ab, liess die
Archiv für Homöopathie, Heft 9. m 18
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Original fro-m
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rechte Leibseite mit Jod einreiben und ging seiner Wege. Der
homöopathische Arzt, der viel in der Familie zu thun gehabt
hatte, wurde nun gerufen. Er behandelte nach homöopathischen
Grundsätzen, und nach einer Woche war die Kranke gesund.
Was aber selten Vorkommen mag, die beiden anderen Aerzte
sahen die Kranke und erkannten an, dass der Homöopath sie
geheilt hätte.
Dieses Antreiben zu zeitigem Operiren bringt sicherlich
viel Unglück, nicht bloss in dieser besonderen Krankheit, son¬
dern auch bei anderen. Ich gebe ja zu, dass die Chirurgen,
da sie keine Mittel kennen, um medizinisch gegen diese
Leiden vorzugehen, pflichtgemäss ihr Bestes thun, wenn sie
auf die Operation dringen, und so würden sie subjektiv recht
haben, in Wirklichkeit aber schaden sie dem Kranken und
ganz besonders dann, wenn die Operation gar nicht nothwendig
gewesen wäre, also ein solcher Eingriff in die Organisation
unnütz gemacht worden ist.
Dieser chirurgische Zwang ist sehr zu beklagen, weil er
manche Behandlungen unmöglich macht bei Fällen, in denen
auch die Operation keinen grossen Erfolg verspricht und wo
die medizinische — ich meine in diesem Falle spezifisch
homöopathische Behandlung — ebensoviel Sicherheit bietet.
Auch auf andere Krankheiten bezieht sich das hier Gesagte,
wo der Chirurg sich für berechtigt hält, nach seiner Auf¬
fassung einzugreifen. Wirklich gute Erfolge, wirkliche Hei¬
lungen kann aber nur die spezifische Behandlung erzielen,
Alles andere sind nur Besserungen.
Wenn sie sich bei ihren theoretischen Ausführungen auf
pathologische Veränderungen und dieSektionsergebnisse stützen,
so liegt darin ein gewisser intellektueller Irrthum. Gewiss
sind die erkrankten Theile in einer bestimmten Weise verändert,
aber aus der Untersuchung des abgetrennten Stückes lässt
sich nicht erkennen, welche Kräfte der Körper hätte aufbringen
können in der Bichtung der Wiederherstellung des Kranken.
Selbst der Arzt, welcher mit den wundervollen Wirkungen der
Lebenskraft, wenn sie durch homöopathische Mittel unterstützt
wird, bekannt ist, ist oft erstaunt zu sehen, welche enormen
Kräfte und Hilfsmittel der menschliche Körper hat, um ein¬
gedrungene Krankheitsträger und Schädigungen zu vernichten.
Geheilt wird Jemand nur, wenn seine Lebenskraft es
möglich macht. Der Chirurg, sei es auch bei einem erfolg-
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reichen und nützlichen Eingreifen, kann nur die Hindernisse
entfernen, die Krankheitsprodukte entfernen, welche den Heil¬
prozess aufhalten. Er kann aber nicht wirklich heilen.
In der letzten Versammlung der „International Hahne-
mannian Association“ hatte der Vorsitzende der chirurgischen
Abtheilung behauptet, wir müssten jede Eiteransammlung im
Körper durch einen chirurgischen Eingriff entleeren. Dagegen
sagte William P. Wesselhoeft mit vollem Hechte Folgendes:
„Wer hahnemannisch geschulter Arzt ist, der geht nicht
mit dem Messer nach dem Eiter zu. Wir glauben nicht, dass
die Ansammlung von Eiter im abgeschlossenen Kaume eine
wesentliche Gefahr oder gar Todesgefahr bringt, wenn sie
nicht eröffnet würde. Ich weiss aus eigener Erfahrung und
aus der Erfahrung Anderer, dass vom Körper ziemlich reich¬
liche Quantitäten von Eiter aufgesogen werden können ohne
die geringste Gefahr für den Kranken.“
In den Ermahnungen der Chirurgen, so zeitig wie möglich
die Operation zuzulassen, liegt ein Bekenntniss des mangel¬
haften Zutrauens zu sich selbst, weil sie nämlich wissen, dass
sie ausser ihrem operativen Eingriffe kein Mittel haben, den
Krankheitsprozess durch innere Mittel irgendwie zu beein¬
flussen.
Im ersten Anfänge einer Appendicitis z. B. kann doch
Niemand wissen, welche Ursachen zu einer Entzündung geführt
haben, und es ist durchaus nicht angezeigt, die Operation
immer vorzuschlagen, weil in den durch mechanische Ursachen
bedingten Fällen dieselbe häufiger angezeigt sein kann als in
den anderen.
Dagegen ist die Mittelwahl schon im Anfänge der Erschei¬
nungen ganz deutlich, und wir wissen aus Erfahrung, dass die
Anfälle in dieser Zeit häufig geheilt werden. Wenn bei dem
drohenden Eintritte der Eiterung die Operation nothwendig ist,
weil das ursprünglich erkrankte Organ sich im Zerfalle befindet,
so ist das eher verständlich, aber wir können uns immer noch
fragen, ob nicht auch in dieser Zeit bei sorgfältiger Hahne-
mann’scher Behandlung der Organismus noch Mittel und Wege
finden würde, sich von dem schädigenden Einflüsse zu befreien.
Wenigstens sind einzelne solcher Heilungen bekannt gegeben
worden.
Eine andere häufig angeführte Ursache, warum Fälle den
Chirurgen häufig zugeführt werden, ist die. Blutvergiftung
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durch Ptomaine, und gerade diese sind doch dem chirurgischen
Eingriffe gar nicht zugänglich, sondern nur die Wirkung eines
passenden Medikamentes hebt sie auf.
Ein neuer Zweig der Chirurgie, der sich „Orificial surgery“
nennt, will andere entferntere Reflexsymptome durch operative
Eingriffe an den Oeffnungen des Körpers beseitigen. Die
Organe des Körpers sollen mit diesen Ausgangsöffnungen durch
nervöse Bahnen verknüpft sein, und die dadurch ermöglichte '
Reflexthätigkeit ist die Entschuldigung für die unternommenen
Kuren. Diese Art der Arbeit bat nun nichts mit der Homöo¬
pathie zu thun, sondern ist ausschliesslich allopathisch, und
darum brauchen wir uns hier nicht damit zu beschäftigen.
Natürlich kommt die grösste Gefahr nicht von den
Chirurgen hervorragender Bedeutung, welche die Grenze ihres
Könnens sehr wohl zu beurtheilen wissen, sondern zumeist
von den Anfängern, welche allzu willig dem Rufe ihrer Lehrer,
zu operiren, folgen. Sie interessiren sich gar nicht mehr für
die Möglichkeit einer inneren Behandlung und noch weniger
für eine homöopathische Behandlung, von der sie nichts wissen.
In ihrem Ehrgeize wollen sie sich eine Stellung gründen, indem
sie mit dem Skalpell sich den Weg zu der Gunst des Publikums
erarbeiten, aber es kostet viele Menschenleben, um einen be¬
rühmten Chirurgen zu machen!
Wichtig für jedes rationelle Vorgehen in der Heilkunde
ist die korrekte logische Denkfähigkeit von Seiten des Arztes.
Wie hart straft es sich, wenn man Irrthümer und Täuschungen
zur Grundlage seiner ärztlichen Thätigkeit macht, da alle
diese Irrungen unter den Sorgen der täglichen Praxis sich
vermehren müssen!
Wer mit Hahnemann’schen Augen die Kranken ansieht,
dem wird Vieles als Arzt erspart werden, und bei seinen
Kranken wird ebenfalls manche Noth vermieden werden. Die
Aerzte, welche die Erkenntniss, die ruhige Beobachter ge¬
wonnen haben, nicht anerkennen wollen, müssen oft am eigenen
Fleisch und Blut bitter dafür büssen, dass ihnen die Erkennt¬
niss nicht aufgegangen ist. Was muss ihr Herz bluten, wenn
sie ihre eigenen Kinder mit so rohen Massregeln behandeln
müssen und doch dabei wissen, wie wenig sie gegen das Uebel
der Krankheit gewappnet sind.
Wie viele Brüste sind der Idee aufgeopfert worden, dass
man jede Verhärtung in der weiblichen Brust operiren müsse!
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So eine Brust abzutragen, erscheint als eine Kleinigkeit, und
Niemand fragt nach den Folgen. Ein grosser Theil dieser
Zustände würde noch für die .innere Medikation zugänglich
sein, und dabei bleibt immer noch die Hoffnung, wenn man die
verstärkten Drüsen nicht abträgt, dass sie doch wenigstens
den Kranken nicht belästigen, indem sie nicht wachsen und
das Leben des Kranken nicht mehr bedrohen. Selbst die un¬
heilbaren Fälle sind durch die homöopathische Behandlung
gebessert worden, indem die Schmerzen vermindert und dadurch
die einzig mögliche Erleichterung geschaffen wurde, welche
durch die Chirurgie nicht geschafft werden kann.
Wie viele Eierstöcke sind herausgeschnitten worden, welche
durchaus nicht unter das Messer des Chirurgen gehörten,
sondern hätten homöopathisch behandelt werden müssen. Weiber
geschlechtslos zu machen, die doch einer anderen Aufgabe
entgegenreifen sollten, ist ein Verbrechen, welches in keinem
Gesetzbuche der Humanität seine Entschuldigung findet. Da
wäre es mir schon lieber, wir kastrirten die rohen Kerle,
welche ein armes Mädchen überfallen und nachher ihr jede
Rechtfertigung versagen! Gesunde Augen hat man heraus¬
genommen aus Angst, dass sie eine krankhafte Disposition
übertragen könnten. Das sind alles barbarische Mittel, die
nicht nothwendig sind. Man hat andere, mildere Wege der
Behandlung, auch wenn jene jetzt für wissenschaftlich be¬
trachtet wird.
Und doch scheint es mir, dass diese Vertheidiger der
Chirurgie im weitesten Sinne mit der materiellen Mittel¬
anweisung in der grösstmöglichen vom Körper zu vertragenden
Menge doch selbst zur Erkenntniss kommen könnten, wenn sie
etwas logisch denken wollten! Sie sehen nur immer den
materiellen sichtbaren Theil des Organismus und vergessen
ganz, dass es doch noch eine inmaterielle, unsichtbare Kraft
giebt, welche im lebenden Körper die physiologischen Prozesse
auslöst. Sie leugnen die Lebenskraft und machen die Idee, so
wie sie Hahnemann hingestellt hat, lächerlich, aber ich kenne
keine andere Erklärung für die Wirkung der Medikamente und
auch für die Mittelwahl, als diese Annahme. Dabei erkennen
sie die vis medicatrix naturae bereitwilligst an, aber was ist
das denn anderes als Lebenskraft unter einem anderen Namen,
der durch das .Alter geheiligt worden ist? Wenn sie wirklich
so viel Vertrauen zu dieser vis medicatrix hätten, so würden
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sie auch lernen, dieselbe durch passende Mittel — und das
sind die von Hahnemann gelehrten Mittel — zu unterstützen,
Mittel, welche durch ihre Bereitungsweise aus ihrer einfachen
Stellung als Drogen verändert worden sind zu Heilkräften, wie
sie uns die Natur in ihrer Machtfülle von allen Seiten zur
Verfügung stellt.
In unserem Organismus ist Alles vertreten von unechten
und echten Substanzen, was auf Erden sonst vorkommt, und
dieses Gemenge von allem Möglichen arbeitet doch in voll¬
kommener Harmonie als ein geeignetes Instrument für unsern
vernünftigen .Geist. Warum soll denn dann die Lebenskraft
nicht fähig sein, störende Elemente wieder in ihr richtiges
Verhältnis herabzudrücken, wenn ihr ein Mittel zu Hilfe ge¬
geben wird, welches in Aehnlichkeit mit der Art der Lebens¬
kraft durch geringere oder höhere Potenzirung zu einer Heilkraft
geworden ist?
Der Chirurg, der zugleich Homöopath ist, darf nie von
diesem Gedankengange abweichen und ist verpflichtet, sich in
der wahren Homöopathie genau so auszubilden, wie in der
technischen Fertigkeit als Chirurg.
Wenn er in Beidern vollendet ist, dann ist er ein voll¬
kommener Arzt.
Phytolacca.
V
Von Professor J. T. Kent-Philadelphia.
Dieses Mittel ist sehr ungenügend geprüft, und es lassen
sich nur fragmentarische Veröffentlichungen geben. Die Ge-
müthssymptome sind gär nicht ausgearbeitet, obwohl das Mittel
einige auffällige Erscheinungen hat, die ich von meiner klini¬
schen Erfahrung her kenne.
Sie werden erstaunt sein, wie ähnlich das Mittel dem
Mercur ist, und es ist auch für dieses Mittel das wahre Antidot.
Es giebt so alte Fälle von mercuriellen Knochenschmerzen mit
Speichelfluss. Verschlimmerung der Schmerzen im warmen
Bette nachts. Schmerzen des ganzen Körpers. Alles thut
dauernd weh. Empfindlichkeit der Knochenhaut über der Tibia.
Schmerzen im Gelenke und in den Muskeln.. Ziehen und
krampfähnliche Schmerzen. Ziehen in den Muskeln des Kückens.
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Nächtliches Rückenweh im Bett, durch Wärme verschlimmert,
Allgemeine Verschlimmerung des Zustandes hei feuchtem kaltem
Wetter. Also Alles wie bei Mercur.
Unser Mittel hat ferner eine Neigung für Geschwüre.
Darum ist es wie Mercur bei Syphilis angezeigt, besonders bei
den alten chronischen syphilitischen Geschwüren mit gleich¬
zeitigem Auftreten von Speichelfluss nach vorhergehender
Quecksilberbehandlung, besonders wenn dieselbe ziemlich lange
fortgesetzt wurde. Geschwüre im Halse, auf der Haut, überall
auf den Schleimhäuten.
Krampfhafte Zustände. Ziehen in den Muskeln bis zu
starken Krämpfen. Opisthotonos. Manchmal ist der Nacken
angegriffen. Dann ist der Kopf nach hinten zurückgezogen.
Zittern und Vibriren in den Muskeln.
Phytolacca hat deutliche Beziehungen zu den Drüsen.
Die Drüsen werden hart und entzündet. Es giebt starke Hals¬
entzündungen mit Verdickung der Nackendrüsen, besonders
der submaxillaren und der parotiden Entzündungen im Halse
mit dickem, zähem Schleim. Anschwellung der Mandeln.
Höcbstgradige Entzündung wie bei der Rose. Verschlimmerung
nachts, an kalten Tagen, im kalten Zimmer und von der Bett¬
wärme, steht also in Antagonismus zwischen Hitze und Kälte.
Hauptwirkungsgebiet dieses Mittels scheinen die Brust¬
drüsen zu sein. Empfindlichkeit und Knotenbildung in den
Brüsten von jeder Erkältung und feuchtem Wetter. Die Frauen
werden dann frostig und die Brüste werden wund. Wunde
Brüste während der Periode. Ein stillendes Weib, das sich
erkältet, bekommt entzündete Brüste. Die Milch wird faden¬
ziehend, so dass sie von der Brustwarze aus nach unten in
einem Faden hängt und wie geronnen ist. Das ist ein Prüfungs-
ergebniss, aber Phytolacca wird von den Viehzüchtern vielfach
als Hausmittel verwendet, wenn die Kuh im Regen gestanden
hat, im Euter sich Knoten zeigen und die Milch zu dick wird.
Die Brust ist so empfindlich, dass jede Erregung darin ge¬
spürt wird, Angst oder Schrecken. Dann treten Knoten auf,
Schmerzen, Hitze, Schwellung, manchmal sogar Entzündung
und Eiterung. Es giebt kein anderes Mittel in der Materia
medica, welches so viele Beziehungen mit der Brustdrüse hat.
Aehnlich ist es bei Mercür, wo die Kranke auch bei jeder
Erkältung eine empfindliche Brust bekommt. Wenn aber jede
Erregung und jede kleine Störung bei einer stillenden Frau
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die Brüste empfindlich macht, so geben Sie Phytolacca. Wenn
eine stillende Frau sich beklagt, sie habe keine Milch oder
die Milch sei zu dick und bekomme dem Kinde nicht, sie
trockene ihm weg, dann ist Phytolacca das Konstitutiorismittel,
wenn nicht andere Symptome dagegen sprechen. Die Brust
ist so empfindlich, dass die Frau beim Stillen fast vor Schmerzen
vergeht, die von der Brust aus über den Bücken in die Glieder
gehen, also den ganzen Körper erfüllen.
Bei Diphtherie ist das Mittel in gewissen Formen an¬
zuwenden. Bei sehr grosser Verschwellung des Halses, An¬
schwellung der Nackendrüsen und der Drüsen am Ohr und
unter dem Unterkiefer. Sehr heftige Schmerzen in den Knochen,
übler Geruch im Munde und schwer belegte Zunge. Viel
Schmerzen im Bücken, Nasenbluten, Empfindlichkeit der Muskeln.
Damit steht es dem Mercur cyanat und dem reinen Mercur
sehr nahe.
In mancher Diphtherieepidemie ist der Geruch, die belegte
Zunge und das Exsudat so wenig charakteristisch, dass man
trotz der geschwollenen Mandeln, Mund, dem steifen Nacken
nicht recht weiss, welches Mittel gegeben werden soll. Dann
sind wohl dieselben Mercurpräparate am Platze. Das Proto-
jodicum ist auf der rechten Seite und geht selten auf die linke
Seite herüber, das Bijodicum geht von links nach rechts. Das
Mercur cyanat ist eine dicke grüne Membran, welche von der
Nase nach dem Halse zu geht. Phytolacca kann bei allen
„diesen Fällen passen.
Ferner sind durch unser Mittel alle möglichen syphilitischen
Knoten am Schädel und am Schienbein geheilt worden.
Alle Formen von Ausschlägen können hierher gehören.
Schuppige Ausschläge. Pityriasis. Psoriasis. Herpes circin-
natus und Kingwurm. Bartflechte. Masernförmiger Scharlach.
Scharlachausschlag über den ganzen Körper. Deswegen passt
Phytolacca auch bei echtem Scharlach, da zu seinen Prüfungs¬
symptomen der scharlachähnliche Ausschlag, der entzündete
Hals und die Betheiligung der Drüsen gehört.
Zu seinen grossen Fähigkeiten gehört die Einwirkung auf
bösartige Neubildungen, besonders in den Brüsten, und auf
Drüsentumoren, welche hart und scirrhös sind.
Bevor wir dieses Mittel kennen lernten, gab es nur ein
Mittel für die alten Narben in der Brustdrüse. Eine Frau
hatte z. B. vor vielen Jahren geboren und eine böse Brust
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bekommen. Diese war mit warmen Umschlägen behandelt und
dann gespalten worden. Dann blieb davon eine Narbe, und
bei der nächsten Entbindung machte die Narbe viel Schwierig¬
keiten. Da gab es dann eine Entzündung dieser alten Narbe
und Geschwürsbildungen, bei denen die milchgebende Drüse
kleiner wurde, Tropfen und Schmerzen, blutgemischte Milch.
In diesen Fällen konnten wir früher nur Graphit geben, aber
Phytolacca ist ein besseres Mittel und passt besser für die
allgemeinen Begleiterscheinungen.
Die gewöhnlichen Symptome einer solchen entzündeten
Brust nach der Entbindung sind Schmerzen im Bücken und in
den Knochen, Frost und Fieberhitze. Phytolacca hat alle diese
Symptome und passt deshalb für das ganze Bild. Graphit hat
sie nur im geringeren Umfange. Wenn sich dagegen sehr hohes
Fieber findet mit Kongestion zum Kopf, pochenden Carotiden,
viel Böthe und die Entzündung geht von der Warze aus, dann
ist Belladonna das richtige Mittel. Wenn die ganze Drüse
verhärtet ist und schwer wie Stein, so dass der Kranke sich
ungern bewegt und ungern die Brust berührt, so passt Bryonia.
Zur Wahl von Mercur führen andere Symptome. Hepar und
Silicea passen, wenn die Eiterung nicht mehr zu vermeiden ist,
besonders wenn Wärme die einzige Erleichterung der Schmerzen
bringt. Speziell Hepar passt dann, wenn der Schmerz sehr
stark ist, die Empfindlichkeit steigt und Hitze dieselbe mindert.
Dann wird durch dieses Mittel die Eiterung beschränkt und
ein schmerzloser Durchbruch ermöglicht.
Zu unserem Mittel gehören auch noch, die langweiligen,
ewig dauernden, eingewurzelten Katarrhe mit Zerstörung der
Nasenknochen. Vollständige Verlegung der Nase, so dass der
Kranke beim Gehen durch den Mund athmen muss. Schnupfen
und Husten. Böthung der Augen und Thränen, Lichtscheu,
Gefühl von Sand in den Augen mit Wundsein und Brennen.
Syphilitischer Schnupfen mit blutiger Absonderung und Er¬
krankung des Knochens. Alle bösartigen, auch selbst die
krebsigen Erkrankungen der Nase.
In einer Beziehung gleicht noch Phytolacca dem Graphit,
indem es so gerne in den Spalten entzündliche Verhärtungen
und Ausschläge schafft, und wo der Kreislauf irgendwie ein
bischen geschwächt ist, da ist eine Neigung zu Verhärtungen da.
Das Gesicht ist eingefallen, blass, hippokratisch, die Augen
blass umrandet, die Hautfarbe gelblich. Der Kranke sieht
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blau und leidend aus. Schmerzen in den Knochen von Kopf
und Gesicht nachts. Rosenartige Schwellung um das linke
Ohr und auf der linken Gesichtshälfte. Geht von da sehr
schmerzhaft auf den Kopf herauf. Lippen nach aussen um¬
gebogen und hart. Tetanus. Geschwüre auf den Lippen.
Schwellung der Parotis und der Submaxillardrüsen. Dicker
Belag der Zunge nach dem Rücken zu, der Belag ist gelb
und trocken.
Diese Symptome finden sich in allen akuten Fällen ganz
ähnlich so wie bei den Mercurfällen.
Bei den Eklektikern steht Phytolacca in grossem Ansehen,
und was sie damit erreichen, das ist ihnen gelungen durch
Benutzung seiner homöopathischen Spezifizität. In Cincinnati
z. B. bekamen alle Leute, welche Geschwüre im Munde hatten,
drei Tropfen Phytolacca in einem Glase Wasser. Das nahmen
sie immer wieder, und es wurde manche homöopathische Kur
damit erzielt. Syphilitische Geschwüre werden durch Phyto¬
lacca geheilt, wenn sonst die Symptome dazu stimmen. In
den „Guiding Symptoms“ finden Sie ganze Seiten bedeckt mit
Behandlungen von Halsleiden durch Phytolacca, z. B. Diphtherie,
Halsentzündung, entzündete Drüsen, Knochenschmerzen in der
Nacht, heftige Halsentzündungen mit schwerem Schlucken,
Schmerzen in den Mandeln, vergrösserte Mandeln, syphilitische
und mercurielle Halsentzündungen.
Oft giebt warmes Trinken eine Verschlimmerung. Der
Kranke will kalte Sachen trinken. Ständig ist die Verschlimmer¬
ung in der Nacht.
Ein Fall z. B. lautet so:
Diphtherie. Uebel und schwindlig beim Aufsitzen. Starke
Kopfschmerzen. Schmerzen vom Hals nach dem Ohre zu,
besonders beim Versuch zu schlingen. Geröthetes Gesicht.
Sehr belegte Zunge. Zunge vorliegend. Stark belegt am
Rücken, feuerroth an der Spitze. Hartes und übelriechendes,
fauliges Erbrechen. Schweres Schlucken. Schwellung der
Mandeln, die mit einem Belage bedeckt sind. Drei bis vier
einzelne Belagstellen. Mandeln, Zäpfchen und Hinterwand des
Rachens mit aschfarbenem Belag bedeckt.
Alte Gicht und Rheumatismus in den Gliedern. Passt
aber auch bei akutem Rheumatismus, wenn derselbe lange
dauert, Nachtverschlimmerung hat, Verschlimmerung durch
Bettwärme und durch warme Einhüllung. Gichtischer Rlieu-
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matismus. Syphilitische Fälle. Alle Schmerzen in den Knochen.
Scharf schneidende Schmerzen in der Hüfte mit Ziehen. Die
Beine werden angezogen. Er kann den Fuss nicht aufsetzen.
Syphilitische und Tripper-Ischias. Geschwüre und Knoten an
den Beinen.
Früher wurde Podophyllum als „vegetabiles Mercur“ be¬
zeichnet, es ist aber viel richtiger, unser Mittel als vegetabiles
Mercur zu bezeichnen, weil es so sehr viel Aehnlichkeit mit
diesem Mittel hat.
Kali bichromicum.
Yon Professor J. T. Ke nt-Philadelphia.
Dieses Mittel wird hauptsächlich gebraucht bei Krank¬
heiten der Schleimhäute, fast bei allen katarrhalischen An¬
fällen kann es angewendet werden, wenn seine eigentüm¬
lichen Kennzeichen auftreten. Wenigstens bei den Prüfungs¬
symptomen ist keine Schleimhaut unbeteiligt geblieben.
Bei allen diesen katarrhalischen Störungen handelt es sich
um die fadenziehenden, gelben oder gelbgrünen, schleimigen
Absonderungen. Die Schleimhäute aller Stellen werden lang¬
sam, aber heftig endzündet, im Auge z. B. die ganze Conjuc-
tiva verdickt, roth, brennend, blutend, überall entstehen kleine
Geschwürchen, die sich zu grösseren Flächen ausbilden. Die
Absonderung ist dick, zäh, gelb, fadenziehend, sie klebt am
Taschentuch und kann aus den Augenwinkeln herausgezogen
werden.
Eine ganz ähnliche Absonderung findet man im Ohr.
Auch dort finden sich kleine Geschwüre, das innere und äussere
Ohr sind katarrhalisch affiziert. Die Ohrtrompete ist ver¬
schlossen, so dass keine Luft zum Mittelohr kommt. Daran
schliesst sich eine Entzündung des Mittelohres, es bildet sich
ein Abszess und das Trommelfell platzt. Der äussere Gehör¬
gang ist ebenso entzündet, geschwollen und mit Geschwüren
besetzt, die Absonderung ist dick und fadenziehend. Nase,
Hals, Luftröhre, Blase, alles nimmt an diesem katarrhalischen
Zustand Th eil, und überall handelt es sich um dicke, gelbe,
fadenziehende, klebrige Absonderung. Dieselbe wird, wenn
sie eintrocknet, zu einer harten Masse, die dann ausgehustet
oder ausgeschnaubt wird.
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Die Nase ist verstopft durch wässerige Absonderung, An¬
fangs viel Niesen, dann tritt die bekannte gelbe Absonderung
ein. Die Nase blutet, die Kranken schnauben mit Blut ge¬
mischte, eiterige Substanzen aus. Diese Krusten füllen die
ganze Nase aus. Abgesondert werden eiterige, zähe, grüne
Mengen und harte Brocken. Hoch oben in der Nase ist ein
Schmerz, der sich nach den Backenknochen zu verbreitert, ‘
besonders nach links. Der Auswurf ist grüngelb, bitter.
Manchmal durchfahrender Schmerz im Knochen über dem
Auge. Der Schmerz wird durch den Husten vermehrt, be¬
sonders der durch den Kopf fahrende Schmerz wird durch
den Husten verschlimmert. Grüne Krusten, zusammen mit
dickem, zähem, fadenziehendem Schleim aus den hinteren
Häuten der Nase werden ausgehustet.
Die Mandeln sind geschwollen und entzündet und mit
Geschwürchen bedeckt. Tiefe Geschwüre, die Schleimhaut
ist ödematös, roth, aufgeplustert. Der weiche Gaumen ist
ödematös, mit Geschwüren besetzt, sehr roth, sehr oft steckt
dahinter Syphilis. Die Geschwüre durchbrechen den weichen
Gaumen, fressen das Zäpfchen ab und schaden den Knochen
der Nase, besonders gefährdet sind dünne, platte Knochen.
Katarrhalische Absonderungen riechen schlecht und sind sehr
klebrig. Bei genauer Beobachtung sehen wir eine dünne,
weisse oder aschfarbige Haut im Halse, es sieht aus, als
ob Asche leicht über den ganzen Hals gestreut wäre, und
»unter diesen Umständen ist Kali bichromikum auch sehr
empfehlenswerth bei Diphtherie.
Manchmal ist das Exsudat dick, gelblich und sieht aus wie
ein Knorpel, besonders die pharyngeale Form der Diphtherie
und die, welche sich nach dem Kehlkopf zu erstreckt, gehören
hierher.
Ferner gehört hierher jede Form von Beizung in Pharynx
und Larynx, auch in den Uebergangsformen zum diphtherischen
Kroup. In der Luftröhre und in den Bronchien finden sich
solche Absonderungen. Der Husten fördert Hautfetzen mit
hervor. Kali bichromicum löst und verhindert die Bildung der
Häute. Die Häute werden durch dauernde Exsudierung von
Flüssigkeiten gebildet, die geformte Masse hängt wie einge¬
wurzelt fest in der Schleimhaut und so bald wie dann das
Nachschieben von Flüssigkeiten aufhört, fängt die Membrane
an, sich abzustossen und wird dann ausgehustet oder ausge-
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schnaubt. Dieses Exsudat finden wir auf jeder Schleimhaut,
selbst auf der Scheide und im Darm, und so kommt Kali bi-
cliromicum auch in Betracht bei der membranösen Dysmenorrhöe.
Brust. Brennen in der Luftröhre, grosse Wundheit in
Brust und Luftröhre beim Pusten. Gefühlt wird der Schmerz
vom Rücken bis nach der Theilung der Luftröhrengänge, wie
von einem durchfahrenden Messer. Manchmal erstrecken sich
die Schmerzen nach der Luftröhre hinauf mit Wundsein, be¬
sonders verschlimmert beim Schlucken, als ob der Bissen über
eine wunde Stelle hinweg geschluckt würde. Schmerz an der
Theilungsstelle der Trachea beim Husten. Husten mit Schmerz
von der Mitte des Sternums nach dem Rücken. Schleimrasseln
auf der Brust. Der Kranke hustet den fadenziehenden Schleim
in Baden oder Klumpen aus und erstickt beinahe beim Aus¬
husten dieser Massen. Der Schleim ist so klebrig, dass der
Kranke vom Mund bis auf den Erdboden hinunter Baden
ziehen kann, er klebt an Lippen und Zähnen, setzt sich im
Rachen an und wird schliesslich ausgeworfen wie eine Gallerte,
die sich zu zähen langen Baden ausziehen lässt. Das ist das
bezeichnendste Symptom. Sehr starke Atemnot mit Aufstossen,
Husten und Brechen. Die Augen treten aus dem Kopfe her¬
vor, das Gesicht ist blutroth, Nasenbluten, Auswurf von blut¬
gestreiftem Schleim. Vorgeschrittene Stadien kroupöser Pneu-
monia oder Bronchialkatarrh; auch dabei den fadenziehenden
Auswurf. In den letzten Abschnitten der Pneumonia mit
Exsudat, Kräfte verfall, Schweiss, schweres Athmen, drohende
Herzschwäche. Keuchhusten mit sehr zähem Schleim, reichlich,
dick, der ganze Mund voll in enormer Menge, Erstickungsgefahr.
Magen. Katarrh desselben, Erbrechen von Blut und
dicken, fadenziehenden, eiterigen Massen. Magengeschwüre;
jeder Schluck warmes Getränk macht an einer Stelle Schmerzen.
Erbrechen von Blut und reichlichen gallertartigen Massen,
eine Verdauung scheint ganz aufzuhören. Die ganze aufge- .
nommene Nahrung wird sofort wieder ausgebrochen oder nach
einer Stunde sauer, mit Blut und Schleim gemischt, wieder
ausgeworfen. Alte Dyspeptiker haben dabei das Erbrechen
von sauren Speisen einige Stunden nach dem Essen. Der
Magen ist wie ein Lederbeutel, keine Verdauung, die Speisen
liegen wie ein Gewicht im Magen, jeder starke Husten regt
den Magen an. Das Erbrechen der magenleidenden Säufer
gehört hierher. Bei diesem vollständigen Versagen der Magen-;
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thätigkeit ist noch zu denken an Arsenik, Lachesis und Sul-
phuris acidum. Gefüllter Magen verdaut gar nichts.
Vom Munde bis zum After ist Alles unter dem Einfluss
dieses Mittels. Schlechter Mundgeruch, Lockerung der Zähne,
Wundheit des Gaumens mit blutiger Absonderung, trockene,
blutende, gespaltene Lippen. Geschwüre auf der Zunge, die
dick wird, roth wird und wie gespalten und gläsern aussieht. ,
Denken sie an dieses Mittel bei anschwellender Zunge, in
längeren Typhusfällen und ähnlichen langdauernden Krank¬
heiten. Bei manchen chronischen typhusähnlichen Zuständen
des Magens wird die Zunge dick, trocken und sehr roth.
Zu unserem Mittel gehören ferner die älteren Abschnitte
des Typhus mit Blutung vom Darm, erschöpfende Durch¬
fälle, Kräfteverfall, ununterbrochenes Erbrechen, Tympanites,
schwarzer Zahnbelag, Bluten aus dem Rachen. Dicke, wie
lackierte Zunge. In manchen Typhusfällen, wenn die Reaktion
kommen sollte, bleibt statt dessen der Kranke in diesem
eigenthümlichen und unthätigen Zustande, wobei die Zunge
dick ist, die Kräfte sehr schwinden, der Kranke nichts essen
will oder Alles erbricht und selbst Milch nicht vertragen wird.
Dann geben Sie Kali bichromicum, das ist das Rekonvales-
centen - Mittel bei schwachen Konstitutionen.
Darm. Morgens Diarrhöe und alle Formen von Stuhl¬
veränderungen, unverdaut, schwarz, mit dickem, zähem Schleim
vermischt. Brennen beim Stuhlgang, Hämorrhoidalschmerz.
^ Morgendurchfälle bei den beginnenden Schwindsüchtigen und
beim Auftreten der galoppierenden Schwindsucht. Dabei ist
der Auswurf dick und reichlich. Morgendurchfall, der den
Kranken aus dem Bett zwingt. Gelbe, grüne, schwarze,
wässerige Massen, und viel faden ziehenden Schleim darin.
Darmbeschwerden mit Auftreibungen und Blähungen.
Blase. Der Urin ist ganz durchsetzt mit fadenziehendem
Schleim, der aus der Harnröhre in Faden herauskommt.
Schwierigkeit Urin zu lassen, auf dem Grund des Gefässes be¬
findet sich dann eine Schicht dicken, faden ziehenden Schleimes,
gallertartig, gelb. Geschwüriger Katarrh der Blase, Innen¬
fläche der Blase roth oder schwarz, sammtartig verändert,
die ganze Schleimhaut verdickt. Nach dem Urinieren das
Gefühl von ein wenig zurückgebliebenen Tropfen, die nach¬
tröpfeln. Die Harnröhre füllt sich mit kleinen Schleimklumpen
so aus, dass der Urin nicht gleichmässig abfliesst.
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Tripper in sehr spätem Stadium, mit gelber, weisser, faden¬
ziehender Absonderung, wobei die Kranken überhaupt zu
Katarrhen geneigt sind. Auch der weisse Fluss hat dieselben
charakteristischen Symptome.
Der Kali bichromicum- Patient ist ein frostiger Mensch.
Alle seine Beschwerden werden durch-Wärme gebessert, durch
Kälte verschlimmert. Er will immer stark zugedeckt sein.
Die Schmerzen wandern, sind durchfahrend, ziehen von Gelenk
zu Gelenk, von Knochen zu Knochen und werden empfunden,
wie wenn sie tief im Knochen sässen. Vermehren der Be¬
schwerden durch Bier, Morgendurchfall durch Bier. (Aloe,
Sulph. und Kali bi.)
Neigung zu Geschwürsbildung. Unregelmässige, flies¬
sende Geschwüre. Besonders empfehlenswerth bei alten Bein-
gescliwüren, mit unregelmässigen, sehr tief gehenden Ge¬
schwüren. Ein eigenthümliches Anzeichen ist, dass so ein
altes Geschwür in diesen Fällen, trotzdem dass es ausheilt,
eine Vertiefung im Fleisch hinterlässt, als ob es nicht wirk¬
lich ausgeheilt wäre. Langsame Neubildung von Gewebe,
mangelhafte Gewebsbildung. Eine grosse Zahl verschieden¬
artigen Ausschlages über den ganzen Körper, Pusteln, Papeln,
Schorfe, Knoten und Abzesse. Kopf-Eczem bei den Kindern,
wenn dieselben gleichzeitig einen eigentümlichen Auswurf
haben.
Gichtartige Schmerzen, rheumatische Schmerzen und alle
Schmerzen überhaupt werden gebessert durch dass Essen und
verschlimmert beim leeren Magen. Viel Leiden und Schmerzen
vom Steissbein aus, Steissbeinschmerzen beim Sitzen, beim
Gehen, bei Berührung und beim Aufstehen nach längerem
Sitzen. Es ist immer eine grosse Schwierigkeit, bei Frauen die
Steissbeinschmerzen zu bezeitigen, besonders das nach der
Entbindung empfindlich gebliebene Steissbein. Unser Mittel
ist empfehlenswerth bei Fällen von mechanischer Schädigung
des Steissbeines oder in angeborener Empfindlichkeit desselben.
Eine Menge neuralgischer Schmerzen, die wie Rheuma¬
tismus hin und her wandern, periodisch wandernde Schmerzen,
besonders in den Beinen gehen die Schmerzen von Platz zu
Platz. Besonders eigentümlich ist der Umstand, dass an
einer Stelle, die man zeigen kann, die Schmerzen besonders
heftig sind. Manchmal ist der Kopfschmerz von dieser Art,
dann sagen die Kranken, ihre Kopfschmerzen seien auf den
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einen Punkt konzentiert, oder beginnen wenigstens von dort
und breiten sich von da aus.
Die Schmerzen sind beweglich und wechseln untereinander
ab. Tritt der Rheumatismus sehr hervor, so fehlen die anderen
Beschwerden. Und je mehr die Gicht in den Vordergrund tritt,
treten Katarrhe und Diarrhöe zurück.
Kali bich. folgt am besten auf Lachesis und Arsenik, *
besonders aber auf letzteres. Dann hat es eine Aehnlichkeit
mit Phosphor; diese beiden Mittel folgen auf Arsenik am
zweckmässigsten. _
Aus der Zeitungsmappe.
Hahnemannian Advocate, Dezember 1898.
Dr. Pearson, Aesculus bei Hämorrhoiden. 47jährige
Frau, sieben Wochenbetten, klein, dunkel, mager. Magen¬
schmerzen, Hämorrhoidalschmerzen, Sehr schwach, Schmerz
in den Hüften beim Versuch zu gehen. Uebelkeit mit saufem
und bitterem Aufstossen. Druck wie von Steinen, verschlimmert
nach dem Essen. Sodbrennen drei Stunden nach dem Essen.
Empfindlich für jeden Druck. Starkes Klopfen der Ab¬
dominalaorta. Ueberall sichtbare venöse Stauung. Blutan¬
drang nach der Leber mit Schmerzen zwischen den Schultern.
Gallenkolik und unangenehmes Gefühl im After. Gefühl von
Fülle, welches durch den Stuhlgang nicht erleichtert wird.
Gefühl als wenn der Darm vorfallen wollte. Seit Jahren
Gefühl von Schwere im After, gebessert durch leichten Druck.
Die Hämorrhoidalknoten sind braun und blau. Jedes Nieder¬
setzen macht viel Schmerzen, aber sie kniet sehr häufig nieder
und drückt etwas darauf, besonders nach dem Stuhlgang.
Wechsel zwischen mehligem Stuhlgang und hartem trocknen
Stuhl. Uterus entzündet, zurückgedrängt. Wundes Ziehen
nach unten, besonders beim Stehen. Dicke wundmachende
Leukorrhoe. Rückenschmerzen. Die Frau hatte viel durch¬
gemacht und war vor einem Jahre in einem Unterkunftshause
untergebracht worden. Dort hatte sie Nux vomica, Sulphur,
Aloe bekommen und hatte acht Monate lang Ruhe gehabt,
und trotzdem trat keine Besserung ein. Aesculus 1000. in
ziemlich grossen Abständen gegeben stellte die Frau voll¬
kommen her.
Druck von Wilhelm Baensch in Dresden.
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1 2 = Dr. Theinhardt’s lösliche Kindernahrung. ^
ji (Hergestellt aus Milch, Zucker, Gerste, Weizen.)
ifl Bewährt seit 10 Jahren bei nprmaler und gestörter Gesundheit der Kinder,
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Fmcke. Commentarien zum Organon. 306
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Villers. Die Herbstversammlung des Sächsisch - Anhaltiner
Vereines homöopathischer Aerzte 1899 . . . 312
Mannigfaltiges. . ' 315
(Dr. John H. Clarke. — Internationaler Kongress 1900.)
Aus der Zeitungsmappe.
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ARCHIV FÜR HOMÖOPATHIE
von
Dr. Alexander Villers.
Jahrgang- VIII. Nr. 10. Oktober 1899.
Lachesis.
Von Prof. J. T. Ke nt-Philadelphia.
Lachesis ist ein sehr häufig anzuwendendes Medikament,
welches Sie aber sehr genau studiren müssen, wenn Sie seinen
vollen Werth erkennen wollen.
Für beide Geschlechter und für alle Charaktere fast
passt Lachesis, denn ein gewisses Gift ist in allen Körpern
und Charakteren ausgedrückt.
Ich will Ihnen hier das Mittel in seinen allgemeinen Sym¬
ptomen zeigen, in den Symptomen, welche es charakterisiren,
und die Umstände, unter welchen Symptome erscheinen, sich
ausbreiten oder aufgehoben werden, vorführen.
Ein Lachesispatient wird eine Verschlimmerung im
Frühjahr verspüren, beim Uebergang vom kalten zum
milderen Wetter, besonders wenn es etwas regnerisch ist
oder der Himmel bedeckt ist. Auch wenn er von einem
kalten nach einem wärmeren Zimmer übergeht, wird eine
Verschlimmerung seiner Beschwerden auftreten.
Die Lachesissymptome sindverschlimmert vom Schlafen,
d. h. durch das Einschlafen. So ein Kranker mag gar nichts
von seinen Beschwerden gefühlt haben, aber während er
schläft, wachen dieselben auf und werden um so stärker, je
länger der Schlaf dauert, so dass ein langer Schlaf alle Be¬
schwerden des Lachesiskranken vermehrt und so verschlimmert,
dass der Kranke Angst hat vor dem Schlafe.
Der Schlaf wird auch meistens durch Anfälle von Er¬
stickung und durch sehr schreckliche Träume unterbrochen
sein, und wenn dann der Kranke so lange geschlafen hat, so
wacht er auf mit furchtbaren Kopfschmerzen, mit Herzklopfen
und Melancholie und ist durch und durch traurig. Alles am
Körper thut weh, und seine Stimmung lässt ihm nichts mehr
in der Welt gut erscheinen. Er ist wie in einer Wolke,
Archiv für Homöop atliie. Heft 10. 19
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290
Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, unvernünftige Vorstellungen,
Eifersucht, unnützer Verdacht, Alles dies plagt ihn, und diese
Gemüthssymptome werden im warmen Bade oder bei warmen
Umschlägen verschlimmert. Nach einem warmen Bade, nach
allgemeiner Durchwärmung oder wenn er fröstelnd von draussen
ins warme Zimmer kommt, befällt ihn eine Traurigkeit. Im
warmen Bade befällt ihn Herzklopfen, sein Kopf will zer¬
springen, seine Füsse werden kalt, er fühlt sich von Kopf
bis zu den Füssen wie zerschlagen, das Herz ist weich, und doch
schlägt überall der Puls, oder er wird im warmen Bade ohn¬
mächtig, wie es bei jungen Mädchen häufiger vorkommt, und
wenn Sie dann den Fall genauer studiren, so werden Sie recht
häufig finden, dass es sich um Lachesis handelt.
Der allgemeine Anblick des Kranken kann auch auf
Lachesis hinweisen.
Im Gesicht sieht man die Unruhe der Stimmung deutlich
ausgedrückt. Ueberdies zeigt es rothe Flecke oder ist im
Allgemeinen dunkelroth, die Augen sind wie verschwollen.
Auffällig ist auch der misstrauische Blick. Ist irgend eine
kleine Stelle entzündet, so ist sie auch gleich purpurrotli.
Ist eine Drüse geschwollen — und bei Lachesis finden sich
viele Drüsen- und Zellgewebsentzündungen — dann sieht sie
auch purpurroth aus. Ist ein Geschwür da, so geht schwarzes
Blut ab, welches bald gerinnt und wie angekohltes Stroh aus¬
sieht. Alle Wunden bluten leicht, so ähnlich wie bei Phosphor
und Kreosot. Auf einen Nadelstich folgen grosse Blutstropfen.
Geschwüre fressen sich ein, haben schlechte Granulationen,
eitern, bluten leicht. Das abgehende Blut ist schwarz, und
rings um das Geschwür ist ein purpurrother Streifen, als ob die
ganze Sache gangränös werden sollte. Manchmal kommt auch
der Brand, besonders bei verletzten Gliedmassen. Der Schorf
riecht sehr stark. Die Theile werden schwarz, die Venen
bekommen Erweiterungen. So findet sich auch bei Männern
an den Beinen eine Venenerweiterung wie bei der Schwanger¬
schaft der Frauen.
Zu Lachesis gehört im Allgemeinen eine Neigung der
Venen, sich zu erweitern.
Durch die geringste Gehirnanstrengung und durch die
geringste Erregung werden die Gliedmassen kalt, das Herz
sehr weich, die Haut mit Schweiss bedeckt und der Kopf
heiss. Wärmen genügt nicht, um die erkälteten Gliedmassen
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291
wieder zu durchwärmen. Man mag dieselben noch so sehr in
Wolle einwickeln, sie bleiben doch kalt, und überdies hat der
Kranke eine Abneigung gegen Hitze, sowie gegen ein
warmes Zimmer, weil es ihm die Luft nimmt. Er kann nicht
athmen und will die Fenster offen haben. Es handelt sich da
um eine Herzschwäche. Das Herz ist manchmal so schwach,
dass man es kaum hören oder fühlen kann, der Puls ist
schwach und unterbrochen. Manchmal besteht dagegen ein
hörbares Herzklopfen.
Die Symptome von Lachesis haben die Eigentümlichkeit,
dass sie mit einer gewissen Vorliebe die linke Seite auf¬
suchen oder wenigstens von links ausgehen, wenn sie auch
nachher sich nach rechts erstrecken. Die hierher gehörige
Lähmung beginnt langsam auf der linken Seite, und allmählich
geht die Schwäche auf die rechte Seite über.
Bei den vielen Beziehungen, die Lachesis zu den Eierstöcken
hat, werden Sie sehr oft finden, dass der linke Eierstock zuerst
erkrankt ist, wie bei der Entzündung desselben zum Beispiel.
Die Halsentzündungen beginnen links und gehen rechts über.
Der Kopfschmerz ist meist auf die linke Seite beschränkt.
Erst fängt das linke Auge an zu schmerzen und erst nachher
das rechte. Der Hinterkopfschmerz ist links deutlicher wie
rechts, nicht immer folgt darauf auch ein Schmerz auf der
anderen Seite, und der Umstand allein, dass ein Schmerz
rechts begonnen hat, ist eine Gegenindikation gegen Lachesis.
Bei manchen Lachesissymptomen giebt es eine Morgen¬
verschlimmerung. Das ist aber in Wirklichkeit die Ver¬
schlimmerung nach Schlaf. Der Kranke schläft sich in die
Verschlimmerung hinein. Bei geringeren Symptomen ist diese
Verschlimmerung nicht sehr stark, und der Kranke empfindet
sie nur, wenn er nach einem langen Schlafe aufwacht. Aber
bei manchen Symptomen ist die Verschlimmerung sehr stark,
und dann tritt sie ein, sobald der Kranke eingeschlafen ist,
so dass er darüber wieder erwacht, und das kommt am häufigsten
bei den Herzsymptomen vor.
Kaum ist er eingeschlafen, so wacht er wieder auf mit
Herzklopfen, Athemnot, Erstickung, grosser Erschöpfung,
Schwindel, Hinterkopfschmerz, und einer Menge anderer vaso¬
motorischer Störungen.
Ein weiteres, sehr wichtiges Zeichen ist der Gemiiths-
zustand.
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292
Am deutlichsten zeigen sich das Selbstbewusstsein, der
Hochmuth, der Neid, der Hass, das Rachebediirfniss, die
Grausamkeit des Mannes, alles zusammen doch nur ein Aus¬
druck von übertriebener Selbstsucht. Daneben ist eine ge¬
wisse geistige Störung da, besonders in impulsiver Form.
Dabei ist das Gehirn ermüdet.
Der Kranke sieht aus wie so ein schlaffer Trinker. Er
spricht mit dicken Lippen, die Zunge stottert, er verwechselt
die Worte, das Gesicht ist dabei roth und der Kopf ist heiss.
Er hat viel Schlucksen und kann den Kragen am Halse nicht
dulden, er ist ihm unbequem, und je unbequemer ihm das
Hemdenbindchen ist, um so mehr hat er Schlucksen, um so
mehr sieht er verwirrt aus und sieht aus wie ein Betrunkener.
Wenn Sie mit einem Lachesiskranken sprechen oder mit
einem, der durch Lachesis vergiftet worden ist, so sehen Sie
ihn in einem fast unbeschreiblichen Zustande von Benommen¬
heit mit purpurrothem Gesicht und dicken Lippen, genau so
wie ein Mann, der zu zwei Dritteln von Branntwein betrunken
ist, der auch nur noch so halb weiss, was er sieht, der seine
Worte und Redewendungen nur halb vorbringt, theils murmelt,
theis spricht, theils Unsinn sagt und nie bei der Sache bleiben
kann. Diese Erscheinungen sind bei dem Lachesispatienten
eben auch vorhanden und werden verschlimmert im Frühjahr,
beim warmen Wetter, nach einem Frösteln, beim regnerischen
Wetter, nach dem warmen Bade und nach dem Schlafe.
Die Störungen des Gehirnes sind mannigfaltig, und es
kommen immer mehr vor bei längerer Dauer der Schädigung.
Ganz unbegründete Eifersucht und Misstrauen stehen
voran. Das krankhafte Misstrauen junger Mädchen, welches
als eigenthümliches Symptom auftreten kann, gehört hierher.
Nicht zwei Leute dürfen sich im Zimmer unterhalten, ohne
dass das Mädchen glaubt, man spreche von ihm und zwar in
der Absicht, ihm zu schaden und etwas Unangenehmes über
dasselbe zu sagen. Durch dieses Misstrauen wird alle Be¬
haglichkeit im Verkehre gestört.
Hierher gehört auch die Vorstellung von Frauen, dass
Mann und Kinder sich gegen sie verschworen hätten, und
die unbegründete, aber oft ausgesprochene Furcht, man wolle
sie in die Irrenanstalt bringen, ferner die Angst, herzkrank
zu sein, geisteskrank zu werden, verknüpft mit der Vorstellung,
dass die Leute sie in die Anstalt bringen wollen und jeden-
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falls ihr nachstellen. Manchmal zwar ist sie klar genug, um
zuzugeben, es könne auch ein Traum sein, aber sie wird doch
nicht sicher darüber, ob sie das wirklich fürchtet oder ob sie
das nur einmal vorübergehend gefürchtet hat.
Träume von Totsein, besonders wenn man dabei die Vor¬
bereitungen zum Begräbnisse selber im Traume sieht, gehören
auch hierher.
Sie glaubt, sie sei in eine andere Person verwandelt und
steht unter einer fremden Gewalt. Sie glaubt, sie stehe unter
einer übermenschlichen Aufsicht und Geister zwängen sie,
mancherlei zu thun. Sie hört manchmal im Schlafe Befehle
geben und muss dieselben ausführen. In seltenen Fällen kommt
es auch vor, dass die Stimmen ihr zum Stehlen, zum Morden
oder zum Bekenntniss nie geschehener Dinge den Auftrag
geben. Dann wird sie unruhig, kämpft sehr mit sich selber
und wird doch schliesslich ein Bekenntniss ablegen von einer
Sache, die sie nie gethan hat. So stark ist die Qual, dass sie
doch schliesslich zu dem Entschlüsse kommt.
Sie bildet sich ein, sie würde mit Recht oder Unrecht
verfolgt. Sie bildet sich ein, dass sie etwas gestohlen hat,
oder dass Jemand denkt, sie habe etwas gestohlen. Sie hört
Stimmen und Warnungen und träumt in der Nacht davon.
Die Angst ist furchtbar und endet dann in einem Delirium
mit fortgesetztem Murmeln. Bei diesem Murmeln spricht sie
ungefähr so wie ein Betrunkener mit nur halb verständlichen
Worten. Das Ende dieses Zustandes ist Bewusstlosigkeit und
ein Verfall von Körper und Geist, aus welchem sie nicht
wieder gebracht werden kann. Dazwischen hinein zeigen sich
Gewalttätigkeit und drohende Delirien.
Bei diesem Mittel finden sich manche Erscheinungen von
religiösem Wahnsinn.
Da ist etwa so eine alte liebenswürdige Dame, die ihr
ganzes Leben klar und durchsichtig geführt hat, und dabei
behauptet sie, sie könne das,. was Gott an Gnade versprochen
hat, auf sich nicht beziehen. Alle Menschen könnten diese
Gnade erfahren, nur sie nicht, denn sie sei voll von Bosheit
und habe die unverzeihlichste Sünde begangen. Man hört ihr
den inneren Zwang an, unter welchem sie diese Sachen sagt,
und dass sie sich immerfort mit diesen Vorstellungen beschäftigt
hat, ebenso damit, dass sie sterben müsse und in die Bolle
oder an einen anderen Schreckensort gehen müsse.
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294
Der Arzt muss solchen Phantasien aufmerksam folgen
und darf solche Empfindungen beim Kranken nicht leicht
nehmen, denn wenn der Kranke findet, dass er keine Theil-
nahme zu erwarten hat, so bleibt er weg, und der Arzt kann
ihm dann nicht helfen. Es kommt gar nicht darauf an, welche
Wahnideen der Kranke hat, wie weit dieselben sich mit des
Arztes oder des Kranken religiösen Ideen vertragen, es
handelt sich nur um die krankhafte Yeränderung des geistigen
Lebens, und deshalb müssen sie bei den Verhandlungen mit
den Kranken als vorhanden anerkannt werden.
So eine Kranke verlangt auch viele Sympathie und Güte.
Es ist immer ein Unglück, wenn ein Arzt unter den
Frommen des Landes den Ruf bekommt, er sei gottlos, denn
dann ist seine Kunst für diese grosse Klasse von Leuten voll¬
ständig werthlos. Der Arzt muss eben mit allen Ideen und
Einbildungen der grossen Welt sich ins Einvernehmen zu
setzen wissen. Er muss Jedermanns Freund sein können,
und das kann er auch ohne alle Heuchelei, wenn er nur ein
ehrlicher und gerechter Mann ist.
Diese Form von religiöser Melancholie und religiösem
Wahnsinn ist sehr oft begleitet von ungeheuer grosser
Schwatzhaftigkeit, wie überhaupt bei Lachesis die Rede¬
lust sehr gross ist.
Sie finden diese religiöse Melancholie sehr häufig bei
Frauen, bei Männern seltener. Ein solches Frauenzimmer
wird unter dem inneren Zwange immerfort davon sprechen,
Tag und Nacht, Jedermann erzählt sie die Geschichte von
ihrer Verdammniss und von ihrer Schlechtigkeit und was sie
alles Böses gethan hat. Wenn Sie sie dann fragen, was sie
denn eigentlich so Böses begangen hat, so antwortet sie mit
allgemeinen Redensarten, sie habe alle Sünden begangen, alles
Mögliche, aber Sie können sie nie dazu bringen, ein bestimmtes
Bekenntniss abzulegen. Lassen Sie sie aber weiterreden, so
wird sie schliesslich alle Sünden, die es überhaupt giebt, von
sich erzählen, obgleich Sie aus ihrem Leben wissen, dass sie
sich gut betragen hat und dass kein Vorwurf gegen sie zu
erheben ist.
Es giebt auch eine andere Art von Geschwätzigkeit bei
Lachesis. Das ist diejenige, wo der Kranke überhaupt nur
redet, ununterbrochen redet. Das gehört zu dem eigentüm¬
lichen Gefühl vom Getriebenwerden, vom Gehetztsein, welches
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295
so weit geht, dass die Kranke auch alle Anderen immerfort
antreibt. Dann bricht denn auch diese unendliche Redelust
aus, und wer dies noch nicht gehört hat, kann sich gar keine
Vorstellung davon machen. Der Kranke redet ununterbrochen,
springt dabei von einem Thema zum anderen sehr schnell über,
endet seine Sätze nie recht, nimmt immer an, dass die Zuhörer
Alles schon verstehen werden, begründet deshalb nichts und
eilt nur immer weiter. Er ist Tag und Nacht ohne Schlaf,
und die Sinnesnerven sind so gereizt, dass sie die feinsten
und entferntesten Geräusche hören, also natürlich durch die
Geräusche des täglichen Lebens stark angegriffen werden.
Sie finden in den Symptomensammlungen diese Eigen¬
tümlichkeit nicht sehr deutlich ausgesprochen, aber klinisch,
kann ich Ihnen versichern, ist das Bild sehr deutlich. Sie
finden in den Protokollen etwa solche Ausdrücke: „Ganz
ausserordentliche Schwatzhaftigkeit, die Wendungen der ein¬
zelnen Phrasen sehr gesucht, aber ein ununterbrochenes Hin-
und Herspringen auf verschiedenen Gebieten; ein Wortklang
führt die Kranken oft in eine ganz neue Materie hinüber.“
Alle diese Sachen kommen nun bei den verschiedenartigsten
Grundkrankheiten vor, im Delirium des Typhus, bei diphtherie¬
ähnlichem Zustande, bei Blutvergiftungen, im Wochenbettfieber
oder auch ohne begleitende Erkrankung als rein geistige Störung.
Das Mittel geht recht sehr tief, und wenn man es falsch
und zu lange giebt, so können die schädlichen Nachwirkungen
vielleicht durch das ganze Leben dauern. Ich kenne eine
Reihe von Fällen aus meiner Praxis, von denen ich überzeugt
bin, dass sie durch Lachesis vergiftet worden sind.
In manchen Fällen werden sie einen nahen Zusammen¬
hang finden zwischen den Gemüthssymptomen und den Herz¬
symptomen, besonders bei jungen Weibern und Mädchen, welche
eine Enttäuschung durchgemacht haben, die Nachts wach
bleiben, in Sinnen versunken über ihre gestörten Hoffnungen.
Ebenso wirkt ein trauriges Erlebniss und Gram. Bei der
Melancholie finden sich dann hysterische Symptome, viel Weinen,
Unbeständigkeit der Stimmung, Hoffnungslosigkeit, Verzweif¬
lung, Herzschmerzen, das Gefühl von Kraftlosigkeit, von Herz¬
schwäche, Schwierigkeit zu athmen. Dann kommen Gedanken
an Selbstmord, und schliesslich wird der Kranke theilnahmslos,
hat eine Abneigung gegen Alles, gegen die Arbeit und selbst
eine Abneigung zu denken.
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296
Kopf. Ich glaube, ich kann Ihnen die Kopfsymptome
am besten darlegen, wenn ich Ihnen das wiederhole, was mir
eine Kranke über ihre Kopfschmerzen gesagt hat. Ich finde
sie im Bette sitzend und unfähig sich niederzulegen, weil beim
Niederlegen Verschlimmerung kam, das Gesicht sehr roth
wurde, das Auge geröthet, die Augenlider geschwollen, das
Gesicht aufgetrieben und feucht. So sass sie denn unbeweg¬
lich aufrecht im Bett und sprach von ihrem Schmerz als von
einer aufsteigenden Empfindung, welche vom Nacken aus über
den Hinterkopf weg sich über den ganzen Kopf ausbreitet.
Sie gebraucht den Ausdruck, es komme auf diesem Wege
eine Blutwelle. Das ist der bezeichnendste Ausdruck für die
Lachesisschmerzen. Es sind Wellen von Schmerz, welche
nicht etwa gleichmässig mit dem Puls kommen, zu dem sie
unter Umständen gar keine Beziehungen haben. Jede Be¬
wegung vermehrt diese Erscheinung. Ferner fühlen die
Kranken diese Beschwerden, nachdem sie gegangen sind oder
sich auf einen anderen Platz gesetzt haben und wieder zur
Ruhe gekommen sind.
Ein solcher Schmerz beginnt also nach der Bewegung,
wird sehr schnell sehr stark, und kehrt dann zurück zu
einem sehr ruhigen anhaltenden Schmerz. Der Kopfschmerz
dabei ist dauernd, aber auf Grund dieses dauernden Schmerzes
treten noch Wallungen von Schmerzen ein, die so heftig
sind, dass der Kranke glaubt, er müsse dabei sein Leben ver¬
lieren.
Die Kranke, von welcher ich Ihnen erzählte, war eine
typische Lachesiskranke, und Sie werden erkennen, wie
schnell dieses Mittel auf ihren Fall heilend wirkte, wenn ich
Ihnen weiter berichte, dass der Ehemann seinem Erstaunen
über die plötzliche Heilung nur dadurch Ausdruck geben
konnte, dass er sagte, er wolle hundert Dollars zahlen, um
die Medizin kennen zu lernen, die das bewirkt hatte.
Viele von den Kopfschmerzen beginnen am Morgen beim
Erwachen, besonders die milderen Formen beginnen am Morgen
gleich nach dem Erwachen und verschwinden, wenn der Kranke
eine Zeit lang auf ist. Eigentümlich ist bei dem Kopfschmerz
und bei allen heftigeren Schmerzen, dass die Gedanken so
vergehen, manchmal sogar Schwindel eintritt. Schwindel mit
Uebelkeit und Schwindel mit Erbrechen. Der Schwindel
zwingt den Kranken, sich nach links zu wenden.
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297
Lachesis hat beunruhigende Gefühle im Kopfe, kongestive
Beschwerden mit dem Gefühle, als ob das ganze Blut des
Körpers in den Kopf gestiegen wäre, denn die Gliedmassen
sind alle kalt, aber im Kopfe hämmert und pocht es. Dieses
Pochen im Kopfe ist aber nur ein Theil der allgemeinen
Pulsation, die vom Kopfe bis zu den Füssen geht. Alle
Arterien klopfen, und besonders die in den entzündeten Theilen.
Der entzündete Eierstock pocht, und der Kranke beschreibt
dies manchmal, als ob man mit jedem Pulsschlage einen
Hammer auf den entzündeten Theil führe.
Ich habe mit Lachesis eine Reihe von Analfisteln geheilt,
bei denen das eigenthümliche Gefühl bestand, als ob ein
Hämmerchen ununterbrochen auf den Fistelgang wirkte.
Auch sonstige Fistelgänge habe ich damit heilen können, weil
dieses eigenthümliche Gefühl von fortgehendem Hämmern an der
erkrankten Stelle sich zeigte. Auch bei Hämorrhoiden mit dieser
eigenthümlichen Empfindung müssen wir an unser Mittel denken.
Also, das Hämmern im Kopfe ist kein besonderes Sym¬
ptom, es ist nur ein Theilsymptom der allgemeinen Disposition
zu diesem eigenthümlichen Vorgang.
Manche Symptome haben einen inneren Zusammenhang
und werden dadurch werthvoller, als wenn sie isolirt daständen.
So sind bei Lachesis die Herzsymptome sehr häufig mit Kopf¬
schmerzen verknüpft. Sie werden wenige Lachesispatienten
finden, bei denen nicht mit den Kopfschmerzen Herzerscheinungen
verknüpft sind. Entweder der Puls ist weich, oder der Kranke
fühlt die Pulsation im ganzen Körper neben seinen heftigen
Schmerzen im Kopfe.
In den Protokollen finden wir „Druck und Schwere“ als
einen wichtigen Zug in den Lachesiskopfsymptomen angegeben.
Bei den verschiedenartigsten Krankheiten, besonders Typhus,
Menstruations- und Leberleiden, kommt es vor, dass der ganze
Körper kalt wird, besonders die Gliedmassen, Kniee und Füsse,
und dass es unmöglich ist, sie warm zu halten. Dabei ist das Gesicht
purpurroth und gefleckt, das Auge hervortretend und ganz roth
und im Kopfe der entsetzliche Schmerz, der zu einer gewissen Be¬
wusstlosigkeit hinleitet, Schwierigkeit zu sprechen, unzusammen¬
hängende Redeweise und schliesslich wirkliche Bewusstlosigkeit.
In Verbindung mit diesen Kopf- und Gemüthssymptomen
muss ich hier erwähnen, dass die Ueberempfindlichkeit bei
Lachesis ganz ausserordentlich ist.
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Gesicht, Gehör, Tastgefühl sind ganz speziell überreizt.
Die leichte Berührung durch die Kleidung ist schmerzhaft,
ein fester Druck eher angenehm. Die Kopfhaut ist für
jede leise Berührung schmerzhaft empfindlich, aber ein festes
Einschnüren des Kopfes in Bandagen ist nur wohlthuend.
Ueberempfindlichkeit für jeden Lärm und für jeden Menschen,
der sich in demselben Raume bewegt, gegen Unterhaltung und
gegen Schritte auf dem Vorflur. Die Ueberempfindlichkeit
für die Berührung kann sich nur auf die Haut beschränken,
weil ein fester Druck so oft Erleichterung giebt. Ein Kranker
mit Peritonitis oder eine Frau mit Eierstocks- oder Uterüs-
entzündung oder auch allgemeiner Darmentzündung sind so
empfindlich für die Kleidung, dass man ihnen im Bette die
Decken abnehmen muss. Wenn das nicht geschieht, so legt
der Kranke sich wenigstens mit hochgezogenen Knieen, so
dass die Decke absteht. Legt man aber auf diesen empfind¬
lichen Leib, dessen leise Berührung unter allen Umständen
äusserst schmerzhaft ist, fest die Hand, so lässt die Schmerz¬
haftigkeit im ganzen Leibe nach.
In den Augen finden sich alle Formen von entzündlichen
und kongestiven Zuständen. Die Augensymptome werden ver¬
schlimmert durch den Schlaf, die Augen sind überempfindlich
für Berührung und Licht. Sehr häufig treten zu den Augen¬
symptomen auch noch die Kopfschmerzen, was bei der nahen
Beziehung zwischen Gehirn und Augen nicht verwunder¬
lich ist.
Bei Lachesis-Halsentzündungen muss man sich sehr vor-
selien mit dem Zungenhalter, denn wenn derselbe die Zungen¬
wurzel oder die Rachenwand oder die Mandeln berührt, so
entsteht ein Gefühl, als ob das Auge ausgedrückt würde.
Vergessen Sie dieses Symptom nicht: Heftige Augen¬
schmerzen bei einer Berührung des Halses!
Lachesis werden Sie ferner häufig gebrauchen bei Gelb¬
sucht, denn es hat viele Beziehungen zu Leberstörungen.
Gelbfärbung der Haut und des Weissen im Auge und Ver¬
dickung der Gewebe um das Auge.
Hierher gehört übrigens auch eine Thränenfistel, bei der
gleichzeitig sehr langdauernde Ausschläge vorhanden sind.
Ueberempfindlichkeit des äusseren Gehörganges. Alles,
was man in den Ohrkanal einbringt, erzeugt heftigen krampf¬
haften Husten und Kitzeln im Halse. Die Schleimhautaus-
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kleidung des Ohres ist so ausserordentlich empfindlich, dass
jede Berührung einen heftigen, keuchhustenähnlichen Anfall
hervorruft. Es ist dies nur ein Beweis mehr für die reflek¬
torische Ueberempfindlichkeit, die das Mittel im Allgemeinen hat.
Auch das Hörvermögen ist stark überreizt. Es giebt alle
möglichen Störungen im Mittelohre mit Geräuschen, bedingt
durch eine Verschwellung der Eustachischen Tube.
In der Nase treten die katarrhalischen Erscheinungen in
den Vordergrund.
Viel Nasenbluten und blutige, wässerige Absonderungen
aus der Nase. Jede Erkältung wirft sich auf die Nase. Ver¬
schluss der Nase mit Geruchstörungen. Ueberempfindlichkeit
für Gerüche, schliesslich aber Geruchsverlust.
Zu Lachesis gehören entzündliche Zustände chronischer
Art mit Krustenbildung in der Nase, Niesen, wässerigen Ab¬
sonderungen aus der Nase und katarrhalischen Kopfschmerzen.
Manchmal hört der Kopfschmerz auf, wenn der Schnupfen
kommt, und tritt wieder ein, wenn derselbe wieder aufhört.
Heftige Kopfschmerzen mit Absonderung und Niesen. Kon¬
gestive Kopfschmerzen mit Schnupfen.
Auf Grund dieser katarrhalischen Erscheinungen ist Lachesis
auch bei Syphilis empfohlen worden, und bei manchen Formen
derselben mag es auch ganz passend sein, namentlich da, wo
die Syphilis die Nasenschleimhaut angreift, wo viele Krusten
auftreten und später auch der Knochen ergriffen wird. Dabei
findet sich ein übelriechender Abfluss und Nasenbluten, das
Sie nicht erstaunen darf, denn bei Lachesis giebt es Blutungen
auf allen möglichen Gebieten.
Alle Lachesisblutungen, wo sie auch auftreten mögen,
werden schwarz oder braun. Die Blutungen sind immer reich¬
lich, sie mögen nun aus der Gebärmutter kommen, eine sehr
reichliche Periode sein oder Nasenbluten oder Bluterbrechen
oder Blutabgang beim Typhus. Also ist das Nasenbluten
eben auch nur eine Theilerscheinung.
Grosse Empfindlichkeit der Nasenflügel und Lippen. An¬
schwellung der Lippen. Starke Schwellung und Verdickung
der Nase in alten syphilitischen Fällen. Die Nase verdickt
sich und wird purpurroth. Die Nasenknochen sind sehr
empfindlich. Schmerzhaftigkeit auf beiden Seiten der Nase.
Lachesis ist sehr oft ungemein nützlich bei alten Trinkern
mit rother Nase und bei Herzaffektionen mit rotlier Nase,
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besonders der rothen Nasenspitze und der Erdbeernase, wie
man sie bei alten Trinkern häufig sieht.
Im Gesicht ist das auffälligste Anzeichen dieses Mittels
die purpurne Verfärbung mit rothen Eiecken und geschwollenen
Augenlidern, im Ganzen wie verschlafenes Aussehen des Ge¬
sichtes und oedematöse Schwellungen. Wenn man mit dem
Finger darauf drückt, so bleibt keine Vertiefung stehen,
sondern das ganze Gesicht ist wie gedunsen, sieht wie ent¬
zündet aus. Die Ursache dazu ist eine venöse Stauung.
Auch die Nase ist verdickt, der Fingerdruck hinterlässt aber
keine Vertiefung, ln den Lippen fühlt der Kranke wie eine
Entzündung, aber sie sind nur unempfindlich für Spannung.
Wenn die Schwellung des Gesichtes von einer alten Nieren¬
erkrankung oder Herzkrankheit kommt, dann bleibt natürlich
der Fingerdruck stehen.
Bei Lachesis giebt es auch sehr blasse, kalte Gesichter
mit kleinen schuppigen Ausschlägen auf der Haut. Leicht
blutende Ausschläge. Dünne Krusten. Vesikuläre Ausschläge.
Ausschläge, welche sich mit Blut füllen. Blutführende Bläschen
und grosse Blutblasen, so gross wie sie bei Verbrennungen Vor¬
kommen. Das Gesicht wird dann gelb und sieht schlecht aus.
Manche sehen auch aus, wie wenn sie sehr blutarm wären.
Dieses Blutarmaussehen braucht man ja nicht zu beschreiben,
das ist Jedem gegenwärtig, der es einmal gesehen hat. Es
handelt sich um dieses gelbliche Aussehen wie gräulich ver¬
färbt, dazwischen ein grüner Ton, wie ja auch unsere Vor¬
fahren die Blutarmut als grüne Krankheit bezeichneten. Ein
anderes Gesicht bekommt den Ausdruck wie das 'eines alten
Trinkers, gefleckt, roth und etwas verdummt, wie es ja bei
wirklichen Trinkern vorkommt.
Lachesis ist ein grosses Mittel bei Bose und Gangräne.
Es muss nur die Umgebung des erkrankten The'iles den eigen¬
tümlichen rothgefleckten Anblick bieten. Klinisch ist Lachesis
in diesen Fällen sehr bewährt. In den Prüfungen kommen sehr
starke Wirkungen noch nicht vor. Wir müssen uns in diesen
Fällen auf die klinischen Besultate verlassen.
In den Zähnen und am Gaumen findet sich die Neigung
zu bluten, und bei schweren Infektionserkrankungen treten
trockene Krusten auf den Zähnen auf, theils fadenförmig,
theils dichter Belag. Die Zunge wird auch schwarz belegt
und wird dick.
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Beim Typhus kommt dies vor, wenn der Stoffwechsel
ganz darniederliegt, kein Appetit mehr da ist, der Magen
keine Nahrung mehr aufnehmen will und Alles, was aufge¬
nommen ist, wieder ausgebrochen wird. Auch ist die Zunge
halb gelähmt, denn sie ist wie ein Stück Leder und wird nur
schwer im Munde bewegt. Dann ist auch der Kranke nur
schwer zu verstehen, weil er nur lallend sprechen kann. Die
geschwollene Zunge wird nur sehr langsam vorgebracht.
Ueberdies ist sie trocken, klebt an den Zähnen und hat allen
Halt verloren. Sie ist dann wie ein Fetzen, und wenn sie
endlich mit vieler Mühe vorgebracht worden ist, so zittert sie
theils im Ganzen, theils in einzelnen Abschnitten.
Eine andere Form von Lachesiszunge ist die geschwollene,
ganz glatte, glänzende, wie lackirte Zunge. Dabei sieht der
Speichel der Zunge so seifig aus und wird so reichlich abge¬
sondert, dass der Kranke gern auf der Seite liegt nahe am Bett¬
rande, um den vielen Speichel ablaufen zu lassen. Dieser Speichel
ist fadenziehend und lässt sich sehr schwer wegnehmen.
Dieses Aussehen finden Sie am häufigsten bei Diphtherie
und anderen Halsentzündungen, sowie bei Entzündungen der
Zunge, der Mundhöhle und der Speicheldrüsen. Wenn dieser
selbe fadenziehende Speichel aber sehr gelb ist, dann denken
Sie an Kali bichromicum.
Bei sehr schweren Halsentzündungen finden Sie den
Kranken oft, wie er sich vergeblich abmüht, durch Husten
und Würgen die Zunge vorzubringen und den Speichel zu ent¬
fernen. Wenn dann die Zungen Wurzel sehr empfindlich ist,
so werden Sie finden, dass er sich auf den Leib legt und ein¬
fach nach unten den Speichel herauslaufen lässt, weil er die
Zunge nicht Vorbringen kann.
In so einem Falle, wenn gleichzeitig Halsentzündung da
ist und gar noch dieselbe links angefangen hat, geben Sie
ohne weiteres Lachesis. Auch bei gewöhnlichen Entzündungen
der Zunge und selbst bei Zungenkrebs können Sie mit diesem
Mittel viel erreichen, wenn die genannten eigenthümlichen
Erscheinungen vorhanden sind.
Zu den Lachesiswirkungen in der Prüfung gehört auch die
Neigung, bösartige Geschwüre und Neubildungen zu schaffen,
also Sachen, die den Epitheliomen ähnlich sehen. Darum
kennen wir auch eine Reihe von Heilungsgeschichten von
Epitheliomen durch Lachesis.
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Sehr schlecht hat sich das Mittel beim Lupus erwiesen.
Sehr wichtig ist es als Mittel bei syphilitischen Hals¬
entzündungen und bei syphilitischen Geschwüren der Mund¬
höhle , wenn dieser eigenthümliche Speichel dabei ist. Die
Schlundmuskeln werden gelähmt und wirken nicht. Infolge¬
dessen wird der Bissen in dem Momente, wo er verschluckt
werden soll, im Pharynx festgehalten. Der Kranke, der beinahe
erstickt, versucht mit aller Gewalt, ihn hinunterzuschlucken
oder herauszustossen. Er unterlässt es aber meist, den Ver¬
such noch einmal zu machen.
Dies finden Sie auch mehrfach bei der Diphtherie. Ich
habe mehrfach 'gesehen, wo der Arzt die Lachesis als Heil¬
mittel gebraucht hatte, aber diesen Arzneistoff nicht hoch genug
gab, obwohl derselbe eigentlich gar nicht gepasst hatte, und
wenn er dann längere Zeit hindurch gegeben worden war,
dann fand sich diese Erscheinung.
Verwechseln Sie nicht die einfache postdiphtherische
Lähmung mit der Diphtherie. Ich bin der Ueberzeugung,
wenn man einem Kranken zu viel Lachesis giebt, dass dann
die schädlichen Folgen davon durch dessen ganzes Leben ihn
begleiten. Jedes Frühjahr wird wieder eine Verschlimmerung
seines Zustandes bringen, und alle Beschwerden, die er hat,
werden die eigenthümliche Verschlimmerung von Lachesis-
Symptomen davon behalten.
Bei Halsentzündungen haben wir eine ganze Reihe
von wichtigen Symptomen. Dieselben haben links angefangen
und haben sich nach rechts ausgebreitet. Daneben findet sich
ein Gefühl von Fülle in Nacken und Hals, ziemlich schwieriges
Athmen, ziemlich deutliche Blässe oder umgekehrt plethorisches
Aussehen des Gesichtes, Schlucksen beim Einschlafen, die
eigenthümliche Form von Schleim und die Verschlimmerung
der Halssymptome durch warme Getränke. Man kann nicht
sagen, dass die Schmerzen immer durch warme Getränke
vermehrt werden, aber der Kranke mag keine warmen Ge¬
tränke, weil es ihm unbehaglich ist, denn er kommt zu einer
Art Athemversetzung. Nach einem Schluck warmen Thee hält er
sich den Hals und sieht aus, wie wenn er ersticken wollte. Er
bittet dann gewöhnlich darum, ihm keine warmen Getränke wieder
zu geben. Eine Erleichterung ist manchmal ein kalter Schluck.
Auch die Athemnoth und das allgemeine Unbehagen im
Halse wird durch warme Getränke vermehrt. Bei Lykopodium
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ist oft eine Erleichterung durch einen warmen Schluck zu er¬
zielen, aber ebenso gut kann Kälte wohlthun. Bei mehr akut
verlaufenden Fällen kann der warme Trunk sogar im Magen
wehthun, Uebelkeit und Erstickungsgefühl bringen und die
Fülle im Kopf und das Herzklopfen vermehren, während alte
chronische Fälle, bei denen die Wirkung schon sehr lange
besteht, durch einen Trunk kalten Wassers leicht zu Uebel¬
keit und Erbrechung kommen, besonders wenn sich der Kranke
nach dem Trünke hingelegt hat. Ich meine also ausdrücklich:
die Uebelkeit kommt erst, wenn er sich hingelegt hat, also
z. B. wenn ein Kranker vor dem Schlafengehen einen Schluck
eiskaltes Wasser trinkt. Diese Eigenthümlichkeit finden Sie
in keinem Prüfungsprotokolle, sondern sie stammt aus einer
fortgesetzten jahrelangen Beobachtung von chronischen Lachesis-
Fällen.
Lachesis zeigt alle möglichen Geschwüre im Hals, aphthöse
Flächen, rothe Geschwüre, graue Geschwüre, in die Tiefe
gehende und sich auf der Oberfläche haltende. Besonders
auffällig ist das Auftreten dieser Geschwüre an den Bändern
der Schleimhaut. Auch auf der Haut zeigen sich welche bei
schwacher Zirkulation. Der Schmerz im Halse ist am stärksten,
wenn nicht geschluckt wird, und der Druck des Bissens auf
die Mandeln macht für kurze Zeit den Schmerz verschwinden.
Der Husten, den der Kranke hat, hat etwas Erstickendes
und ein fortdauerndes Kitzeln. Derselbe ist dem Belladonna¬
husten ähnlich. Belladonna hat einen Husten, der dem Lachesis-
Husten so ähnlich sieht, weil die beiden Mittel antidotarisch
mit einander in Beziehung stehen. Der Hals wird sehr
trocken, aber der Kranke hat kein Bedürfniss zu trinken, er
hat eher eine Abneigung dagegen. Im Gegentheil möchte er
immerfort Schluckbewegungen machen, obwohl dieselben sehr
schmerzhaft sind. Leeres Schlucken ist schmerzhafter, als wie
das Schlucken von festen Körpern.
Manche Lachesis-Herzkranken leiden sehr unter dem Schnür-
gefühl am Halse und dem Erstickungsgefühl beim warmen
Trinken, manchmal sogar beim Eintritt in einen warmen Baum,
und einer eigenthümlichen Beklemmung und Unruhe des Herzens.
Hierher gehört auch die chronische Halsentzündung oder
die immerwährenden Halsentzündungen mit Geschwüren.
Flüssigkeiten zu schlucken steht nahe dem Leerschlucken,
und in Folge dessen thut es mehr weh, als wie das Schlucken
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von festen Stücken, es entspricht mehr der leisen Berührung
und thut in Folge dessen auch mehr weh.
Leichter Druck auf den Hals vermehrt die Brust¬
schmerzen. Bei diesen Halsentzündungen werden die Muskeln
und Drüsen im Leib schmerzhaft entzündet und geschwollen,
sowie sehr empfindlich für Berührung. Sehr häufig findet sich
auch ein heftiger Schmerz an der Basis des Gehirns oder am
Hinterkopf, sowie Schmerzhaftigkeit der Nackenmuskeln. In
der Kückenlage werden diese Schmerzen besser, in der Seiten¬
lage verschlimmert. Die Schleimhaut des Halses ist roth und
rothgefleckt.
Wenn also alle diese Erscheinungen bei der Diphtherie
sich finden und dieselbe links angefangen hat, so geben Sie
Lachesis. Ebenso geben Sie das Mittel bei einfacher Mandel¬
entzündung mit Eiterung', wenn dieselbe links angefangen hat
und nach zwei oder drei Tagen nach rechts übergeht. Dann
wird schliesslich auf beiden Seiten die Eiterung verschwinden.
Jede Art von Exsudaten, die links anfangen, gehört
hierher. Wo Lachesis aber in zu niederer Gabe oder zu häufig
gegeben worden ist, da müssen sie an Oausticum denken, denn
auch dieses hat den eigentümlichen, dicken, fadenziehenden
Schleim, besonders am Morgen.
Der Leib ist durch Blähungen sehr aufgetrieben und man
findet diesen Zustand beim Typhus mit viel Lärmen im Darm.
Gar keine Kleidung wird vertragen, die leichteste Berührung thut
weh, aber ein fester Druck auf den Leib lindert die Schmerzen.
Etwas Aehnliches giebt es bei Uterinentzün düngen mit
heftigen, wehenartigen Schmerzen, wie sie auch beim Typhus
Vorkommen können, beim bösartigen Scharlach, beim Wochen¬
bettfieber und bei den bösartigen Formen der Zehrfieber.
Bei Lachesis findet sich eine Keihe von Leberstörungen
mit Gelbsichtigkeit, Blutandrang nach der Leber, Entzündung
der Leber, Vergrösserung der Leber und Schrumpfleber, messer¬
schnittähnliches Schneiden in der Lebergegend, Erbrechen von
Galle, Erbrechen von Allem, was in den Magen kommt,
äusserste Uebelkeit, ununterbrochene Uebelkeit mit Gelbsucht,
weisser Stuhlgang. Gallensteine sind damit geheilt worden,
besonders wenn die Kranken gar keinen Druck in den Weichen
vertragen.
In chronischen Fällen ist die Empfindlichkeit der Haut
am Leibe und in den Weichen so gross, dass die Kleider
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schon Schmerzen verursachen. Die Kranken werden dadurch
vollständig unbehaglich und aufgeregt und werden schliesslich
rein hysterisch. Besonders auf der unteren Hälfte des Leibes
ist die Empfindlichkeit sehr gross.
Hier möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch auf die ausser¬
ordentlich starke geschlechtliche Erregung in beiden Ge¬
schlechtern lenken, welche zu diesem Mittel gehört, und die
lästigen Hämorrhoiden mit fortgehendem Hämmergefiihl in
denselben.
Zunächst überrascht es einen, wie Lachesis so viel mit der
Periode zu thun haben sollte, denn es findet sich in den Büchern
als Heilmittel für diese Zeit angegeben. Ebenso wird es
empfohlen für die Wechselzeit.
Wenn Sie eine grössere Reihe von Frauenfällen zur
Wechselzeit studiren, so werden Sie finden, dass die Frauen
am allermeisten leiden an diesen Wellen von Hitze nach dem
Kopfe zu und anderen bedeutenden Zirkulationsstörungen, wie
sie zu Lachesis gehören. Darum wird das Mittel bei der Periode
den Frauen in vielen Fällen Hilfe bringen, bei Beschwerden,
besonders bei heftigen Kopfschmerzen, ermüdenden Schmerzen
auf dem Scheitel, Uebelkeit und Erbrechen.
Die Absonderungen des Leibes, sei es nun eine normale
Periodenblutung oder eine Hämorrhagie, sind dunkelschwarz.
Schmerz im linken Eierstock, der nach rechts übergeht. Ver¬
härtung eines oder beider Eierstöcke. Darum sind auch Eier¬
stockstumoren damit geheilt worden. Die ganze Uteringegend ist
sehr empfindlich für Berührung, besonders für leise Berührung.
Die Schmerzen vom Becken gegen aufwärts nach der Brust
zu, manchmal durchziehend, manchmal mehr langsam auf¬
kriechend, bis sie den Hals erreicht haben. Die Wehen wirken
bis nach dem Hals herauf oder sie hören plötzlich auf und
statt dessen tritt Schlundkrampf ein. Die Periodenschmerzen
sind sehr stark und werden erst mit Eintritt der Blutung er¬
leichtert. Jedes Mal bringt der Blutfluss Erleichterung, auch
wenn nachher die Schmerzen wiederkehren. Häufig setzt der
Blutfluss aus und an diesem Tage ist sehr viel Schmerz vor¬
handen oder Kopfschmerz, Starke Blutungen mit Frost in der
Nacht und viel Wallungen am Tage. Während der Periode
heftige Kopfschmerzen, besonders bei Verlangsamung derselben.
Ueberhaupt ist für Lachesis charakteristisch die Erleichter¬
ung durch Absonderungen der Schleimhäute. So giebt es Perioden,
Archiv für Homöopathie, Heft 10. 20
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die nur eine Stunde täglich fliessen, und sobald der Blutfluss
aufhört, treten sehr heftige Schmerzen im linken Eierstocke
auf, abwechselnd mit Aufstossen und Erbrechen.
Besonders nützlich ist das Mittel in der Wechselzeit
wegen der Hitzewallungen, Blutungen, Ohnmächten, Un¬
erträglichkeit des warmen Zimmers, grosse Unruhe im Blut,
Beschwerden bei der Schwangerschaft, Entzündungen der
Beinvenen, welche erweitert sind, blau oder purpurn aussehen
und ausserordentlich empfindlich sind. Auch hierbei besteht
grössere Empfindlichkeit für leise Berührung, erleichtert
durch Druck.
Mit dieser Studie über Lachesis, habe ich Ihnen nur einige
der wichtigsten Kapitel daraus geben wollen.
Commentarien zum Organon.
Von B. Eincke M. D.-Brooklyn New-York.
Die protoplasmische Zelle und die Lebenskraft
im Menschen. 1 )
Organon 5. Auflage, § 7—17.
Während es viele Männer der
Wissenschaft giebt, sind doch wenige
davon wissenschaftliche Denker.
Drummond. Ascent of man.
Der Hohepriester der Zellentheorie veröifentlichte im
Jahre 1849 eine Schrift unter dem Titel: Einheits-
bestrebungen in der wissenschaftlichen Medizin, in
welcher er den nicht gerade neuen Ausspruch that: „Die
Zelle, als die einfachste Form der Lebensäusserung, welche
doch den Gedanken des Lebens vollständig repräsentirt, ist
eine organische Einheit, das untheilbar lebendige Eine.“ Dann
fährt er fort: „Das Leben ist also an die bestimmte Form der
Zelle gebunden. Ohne sie kommt es nicht zur Erscheinung.
Der Ausdruck des Lebens ist daher die Zellenbildung, die
Organisation. Nur das Organische ist lebendig.“ Ferner:
„Die Zelle ist nicht schon von Anfang an Zelle, sie steht
nicht urplötzlich da, sondern es tritt eine Beihe von successiven
Vorgängen vor unser Auge, deren Endglied erst die vollendete
’) Aus den Verhandlungen der International Halmemannian Association.
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organische Einheit, die Zelle ist!“ Hier ist „vor unser Auge“
nur bildlich gemeint, denn niemand kann die Bildung der
ursprünglichen protoplasmischen Zelle beobachtet haben. Die
Analogie mit der Krystallbildung, welche er nun berührt,
bewegt sich auf sophistischem Boden, wenn er die Mutterlauge,
aus der der Krystall anschiesst, mit dem Protoplasma, dem
Blastema vergleicht, aus dem die Zelle hervorgeht. In beiden
Fällen sind es physiko-chemische Vorgänge, welche das mor¬
phologische Erzeugniss des Krystalls und der Zelle hervor¬
bringen. Denn für den Autor ist Leben nichts als ein solcher
physiko-chemischer Vorgang, der in der Bildung des Krystalls
resultirt, den wir beobachten können, und er wendet ihn ohne
Weiteres auf die Bildung der Zelle an, welche kein Auge
beobachten kann. Dann sagt er: „Der äussere plastische
Ak t, die Organisation, welche man mit der Krystallisation
parallelisiren darf, ist von dem voraufgehenden inneren ab¬
hängig,“ den kein Auge sehen und beobachten kann. Ja, er
fährt sogar fort: „Der äussere plastische Akt kann als das
nothwendige Kesultat der Eigenschaften der durch den inneren
Akt gebildeten neuen chemischen Stoffe, als das Zusammen¬
treten dieser Stoffe zu bestimmten, in den Eigenschaften der¬
selben begründeten Formen aufgefasst werden.“ Hier haben
wir nun die beliebten Eigenschaften der Stoffe, welche den
Vorgang der Organisation der Zelle sowohl als den des Krystalls
vermitteln sollen. Principiis obsta! Was' sind, nun diese
Eigenschaften genau besehen? Sie werden wie im Handel die
gesetzmässige Münze in der Physik und Chemie gebraucht, können
aber in der Biologie, der Lehre vom Leben, keine Anwendung
finden. Denn sie sind Kräfte des Lebens, welche den Stoffen
in vielfältiger Weise zugetheilt sind. Plötzlich findet der
Autor, dass „der innere präparatorische Akt die vormorpho¬
logische Bewegung ist, ein chemisch-katalytischer Akt“, um
die Genesis der Zelle begreiflich zu machen, dass „der innere
katalytische, jedoch eigentlich genetische Akt durchaus nicht
durch die chemischen Affinitäten veranlasst worden“, welche
seine Eigenschaften sind. Er bringt einen neuen Begriff, die
Katalyse, in seine Beweisführung, um sie der Genesis der
Zelle näher zu bringen. Aber dies ist ein offenbarer Wider¬
spruch seiner früheren Behauptung, dass die Bildung des
Krystalls wie der Zelle von dem Zusammentreten der Stoffe
in der Mutterlauge und dem Blastem herrühren, und nun
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werden die chemischen Affinitäten sammt den Eigenschaften
der Stoffe davon ausgeschlossen und dennoch ein chemisch¬
katalytischer Akt als Genesis ponirt. Er urtheilt wie der
unparteiische Richter, der beiden Parteien Recht giebt, nur
umgekehrt, indem er beide, die Chemiker und die Vitalisten,
im Unrecht erklärt und er findet einen Ausgang aus der
Sackgasse, in welche er gerathen ist, in der mechanischen
Auffassung. „Aber auch das geht nicht an, da sogar die
mechanischen Gesetze der Physik und Chemie nicht überall in
jedem Augenblick alle manifest werden“, da sie häufig latent
sind. Wie können aber die mechanischen Gesetze, die Alles
durchdringen, jemals auf hören, manifest zu sein und latent
werden?
Und doch „bieten die Lebensvorgänge, insofern sie an
mechanischen Stoffen (was in aller Welt sind aber mechanische
Stoffe?) zu Stande kommen, im Einzelnen keine Abweichungen
von den gewöhnlichen Aeusserungen der mechanischen Gesetze
dar.“ „Allein die Mechanik des Lebens, die Physik und
Chemie der vitalen Vorgänge, stellen nicht das Leben mit
seinem innersten Kern und Wesen dar, sie enthalten nicht den
immanenten einheitlichen Grund desselben.“ Wie reimt sich
das mit dem oben angeführten Ausspruch, dass die vor¬
morphologische Bewegung ein chemisch-katalytischer Akt ist?
Durch ein fragliches Raisonnement gelangt der Autor nun zur
„Erregung“ als der Ursache der Bewegung, da aber jede Be¬
wegung eine Erregung voraussetzt, so ist er genöthigt, eine
ursprüngliche Erregung, eine Schöpfung anzunehmen. Damit
kommt die endlose Reihe plötzlich zu einem Ende, indem er
das erste Glied für „transcendent“ erklärt, „weil es uns auf
ein Gebiet führt, welches aller Erfahrung widerspricht und
für welches uns jede Möglichkeit einer Anschauung, einer
bewussten Erkenntniss abgeht.“ So geht die Katze um den
heissen Brei, denn er kann den Bedingungen des Ursprungs
der ersten protoplasmischen Zelle nicht entgehen, welche seiner
Ansicht nach nun der Mechanik zufällt, die auf der gewöhn¬
lichen physiko-chemischen Mechanik beruht; d. h. er macht
die gewöhnlichen Eigenschaften der Stoffe, welche in dem
Protoplasma oder Blastema enthalten sind, manifest. Nun
kommt er zu dem vernünftigen Gedanken, dass die Erregung
der Bewegung nicht die Bewegung selbst ist, und giebt zu,
dass die Wissenschaft solche Fragen nicht beantworten könne,
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309
da er keine Idee hat, was Bewegung eigentlich ist. Obgleich
er zudem später noch zugiebt, dass „die Chemie noch keinen
der Blastemkörper (Faserstoff, Eiweiss, Stärke u. s. w.) aus
den Elementen hat zusammensetzen, die Physik noch keinen
dieser Körper, wenn er gegeben war, ausserhalb des Lebendigen,
zur Organisation* zur Zellenbildung hat bringen können, fällt
er doch wieder der physiko-chemischen Auffassung mit ihren
materiellen Prämissen von Eigenschaften anheim, da er an der
Natur der Bewegung Schiffbruch gelitten hat. Obgleich er
sagt, Mechanik und Leben sind nicht identisch, so erklärt er
doch in demselben Athem, dass „Leben nur eine besondere
Art der Mechanik und zwar die allerkomplizirteste Form der¬
selben ist.“
Hier ist der grosse Unterschied zwischen Hahnemänn und
der physiko-chemischen Schule, welcher der Autor angehört.
Hahnemann mit vielen seiner Vorgänger und Nachfolger sieht
Leben nicht nur in den organischen Wesen, welche aus der
ursprünglichen protoplasmischen Zelle erwachsen sind, sondern
auch in allen unorganischen Stoffen und sagt:
Alles lebt! Nur jedes nach seiner Art und seinem
Grad, von dem Niedrigsten bis zum Höchsten. Schon in dem
Ausdruck Bewegung liegt die Lichtung nach dem, von welchem
die Wissenschaftler par excellence sich abwenden, um nicht
zu sehen, was sie nicht sehen wollen. Der Ausdruck Be¬
wegung deutet auf eine Existenz von etwas Bewegendem, einer
Kraft. Das Pferd, welches den Wagen in der Strasse zieht,
ist die bewegende Kraft. Der Wagen für sich kann sich
nicht bewegen. Ebenso wenn die Elektrizität oder der Dampf
oder eine andere Kraft den Wagen bewegt, der Stoff ist
kraftlos inert und bewegt sich nur, wenn er bewegt wird
und nur so weit, als die bewegende Kraft reicht. Aber der
Stoff besteht in seiner Integrität durch die Kräfte, welche ihm
seine Form, sein Gewicht, seine Anziehung für andere Stoffe
verleihen. Aber, sagt der Denker der physiko-chemischen
Schule, das geht über meinen Horizont, und ignoramus und
sogar ignorabimus, schreit ein andei’es grosses Licht der
Wissenschaft zum Schrecken seiner Anhänger. Gewiss, alle
diese grossen Forscher, die die Welt mit so vielen Erfindungen
und Entdeckungen beglückt haben, gestehen es ein, dass sie
das Brett, welches sie vor ihren Augen befestigt haben, um
nicht zu sehen, nicht durchdringen können. Daher kommt es
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denn, dass die protoplasmische Zelle zu der Würde des
Schöpfers des Menschen erhöhen worden ist, obgleich sie nur
der Stoff in der unsichtbaren Hand des allmächtigen Bildners ist.
Da nun hier kein weiterer Fortschritt des Autors zu ver¬
zeichnen ist, so überrascht er uns neun Jahre später in einem
Werke über Cellular-Pathologie mit der Erklärung: „Jedes
Thier (zu welchem der Mensch gerechnet wird) erscheint
als eine Summe vitaler Einheiten, von dem jede den
vollen Charakter und die Einheit des Lebens an sich trägt.
Der Charakter und die Einheit des Lebens kann nicht an
einem bestimmten Punkte einer höheren Organisation gefunden
werden, z. B. im Gehirn des Menschen, sondern nur in der
bestimmten, konstant wiederkehrenden Einrichtung, welche
jedes einzelne Element an sich trägt. Daraus geht hervor,
dass die Zusammensetzung eines grösseren Körpers immer auf
eine Art von gesellschaftlicher Einrichtung herauskommt, eine
Einrichtung sozialer Art, wo eine Masse von einzelnen
Existenzen auf einander angewiesen ist, aber so, dass jedes
Element für sich eine besondere Thätigkeit hat, und dass jedes,
wenn es auch die Anregung zu seiner Thätigkeit von anderen
Theilen her empfängt, doch die eigentliche Leistung von sich
ausgelien lässt.“
In diesen Worten proklamirt der Autor die sozialistische
Kommune des Zellenstaates im Organismus (der mit dem
amerikanischen System unvereinbar ist), also den direkten
Gegensatz von seinen Einheitsbestrebungen in der wissenschaft¬
lichen Medizin, nämlich die Vielheit des Lebens in der ge-
sammten organischen Welt. Dies ist der Fortschritt der
Einheitsbestrebungen des Autors nach neun Jahren.
Im Laufe der Zeit folgten nun die extravaganten Ideen
anderer grosser Lichter der Evolution, unter andern die, dass
die älteste und einfache Quelle der Liebe in der Wahl¬
verwandtschaft (Zuchtwahl) zweier verschiedener Zellen zu
finden ist. Aber die neuesten Forschungen auf diesem Gebiete
der Biologie übertreffen Alles, was ein vernünftiges Wesen
denken kann. Die menschliche Kreatur kann vieles denken,
wenn aber keine logische Wahrheit darin ist, wozu ist es
dann nutz? Die Anhänger des Christian Science z. B. sagen,
es giebt kein solches Ding als Stoff. Es giebt kein solches
Ding als individueller Geist. Alles ist Geist. Stoff ist Geist.
Stoff ist die Verleugnung, nicht das Faktum der Existenz.
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Das Gegentheil der Wahrheit ist der Irrthum. Wo ist da
Wissenschaft, ja auch nur Sinn in solchen Behauptungen?
Christus, sagen sie, war unvollkommen, da er den Glauben
an materielles Leben nicht überwinden konnte. Er ist nie
gestorben. Resurrektion hat nie stattgefunden: Wo ist denn
da das Christenthum ? Es ist nichts als eine unsinnige Ver¬
drehung der Gedanken und bedarf keinerlei Berücksichtigung.
All der Pomp, mit welchem diese verkehrte Idee in die Welt
geblasen worden ist, um eine neue Religion und Heillehre auf
Grund einer neuen Kirche zu errichten, kann ihre Falschheit
nicht verhüllen, die nur erbärmliche und ärmliche Sophisterei
ist, aber keine Philosophie. Ein anderes Beispiel solchen aus¬
gezeichneten Unsinns liefern die Mormonen in ihrem Mormonen¬
buche, welches die seheusslichsten Phantastereien, offenbare
Immoralität und freche Blasphemieen enthält, obgleich sie
dies der amerikanischen Nation verleugnen, um Theil an der
Regierung zu nehmen.
Ein anderer wissenschaftlicher Forscher sagt: „Die ein¬
fachste Zelle ist fähig, einen Reiz zu empfinden, und die
Mittel zu einem Endzweck anzupassen. Nur der Geist kann
fühlen und eine Anpassungsreaktion vornehmen. Eine Zelle
erinnert sich ihrer Erfahrung und nur der Geist kann sich
erinnern. Ein Stück Protoplasma kann diese Dinge thun und
daher ist es ein Thier. Es folgt daraus, dass Leben Geist
ist. Die Zellen, aus denen ein Thier gebildet ist, sind Geistes¬
organismen und die Pflicht jeder Zelle sind Obliegenheiten,
welche Geist zu ihrer Erfüllung bedürfen. Das Leben einer
Zelle ist ihr Geist.“ Dies sieht aus wie Logik, ist aber nur
eine ärmliche Karrikatur. Die einfache Zelle einer Amöbe
verändert die Form eines Sacks, um etwas zu erreichen und
schiesst einen Theil desselben aus wie ein Finger, oder sie
verändert ihren Ort und folglich muss sie eine Seele, einen
Geist haben. Was für einen mangelhaften Begriff muss dieser
Gelehrte haben, wenn er ohne Weiteres seine Beobachtung
der einfachsten Zelle im Thierreich auf die protoplasmische
Zelle des Menschen überträgt, ohne die dazwischen liegende
Kluft zu gewahren, welche sie von einander trennt! Die
einfache Lebensäusserung des einfachen Zellenthieres auf der
niedrigsten Stufe der organischen Leiter, in Beziehung auf
seine Ernährung und Bewegung, berechtigt ihn, die Gegenwart
einer Seele, eines Geistes, Verstandes, Gedächtnisses, Willens,
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Gemeingefühls, Bewusstseins und Gewissens und sogar einer
Vernunft anzunehmen. Gegen eine solche Induktion, welche
nichts als ein gewagter Sprung in’s Leere, ist, eine unzulässige
Uebertreibung einer Thatsache zu ungerechtfertigten Schlüssen
führend, sollte sich doch die Wissenschaft vertheidigen, aber
sie thut es nicht. Wenn Philosophie die Bearbeitung von
Begriffen bedeutet, so sollte doch das erste Erforderniss
befriedigt sein, die Richtigkeit der Begriffe als Prämissen für
unsere Beweis- und Schlussführung festzustellen. Wenn aber
solche konfuse und verkehrte Gedanken vorgebracht werden,
wie die oben erwähnten, so können sie nichts als das Elend
des Missverständnisses bei denen herbeiführen, welche in der
Erkenntniss fortzuschreiten wünschen und nach Aufklärung
streben, und sie sind geeignet, schwache Geister zu verwirren,
wenn nicht dem Irrenhause zuzuführen!
Die Herbstversammlung des Sächsisch-Anhaltiner
Vereines homöopathischer Aerzte 1899.
Von Dr. Alexander Villers-Dresden.
Unsere Versammlung am 8. Oktober in Dessau war eine
' der bestbesuchten und der stimmungsvollsten seit einer Reihe
von Jahren. Die Betheiligung an den Sitzungen ist in unserem
Verein immer eine relativ hohe gewesen, aber an diesem Tage
waren besondere Anstrengungen gemacht worden, alle Mit¬
glieder, die irgendwie sich freimachen konnten, zur Theilnahme
zu bewegen, weil es galt, unserem Vorsitzenden, Herrn Geheim-
rath Dr. Faulwasser in Bernburg, eine besondere Ehrung zu
erweisen. In der Zwischenzeit zwischen unserer Frühjahrs¬
versammlung und der Herbstsitzung hatte er die Feier seines
50jährigen Doktorjubiläums erlebt, der Verein hatte durch den
Schriftführer ihm das Diplom als Ehrenmitglied überreichen
lassen und seine Glückwünsche ausgedrückt. Wir wollten nun
von Person zu Person unserem Jubilar unsere Anhänglichkeit
beweisen und unsere warmen Glückwünsche darbringen, aber
leider hielt ihn eine Erkrankung von uns ferne, und wir konnten
nur durch telegraphischen und schriftlichen Gruss ihm unsere
Theilnahme beweisen.
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313
Da Kollege Faulwasser gleichzeitig uns mitgetheilt hatte,
dass er mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand die
Stellung als Vorsitzender unseres Vereines nicht länger auf¬
rechterhalten könnte, so musste zur Neuwahl eines Vorsitzenden
geschritten werden. Diese Wahl fiel auf mich, und da durch
meine Wahl die Stelle des Schriftführers frei wurde, so wurde
auch dieser Posten gleich wieder besetzt durch Ernennung des
Kollegen Atzerodt zum Schriftführer des Vereines.
Nach Erledigung einiger geschäftlicher Angelegenheiten
wurde Leipzig als nächster Versammlungsort gewählt. Ein
gleichzeitig eingebrachter Antrag, diese Stadt überhaupt als
ständigen Versammlungsort für uns zu bestimmen, fand nicht
den Beifall der Versammlung, weil wir entsprechend der histo¬
rischen Tradition in unserem Vereine an dem Wechsel des
Versammlungsortes festhalten müssen.
Auf der Tagesordnung dieser Sitzung stand als weiterer
Punkt verzeichnet: „Die letzten Vorgänge im Zentralverein“.
Es war diese Formulirnng der Tagesordnung gewählt
worden, weil aus verschiedenen Zuschriften an den Vorstand
und bei Gelegenheit mündlicher Aussprache unter den Mit¬
gliedern es deutlich geworden war, dass die letzten Vorgänge
im Zentral verein, besonders die Elberfelder Versammlung, und
die Wahl des Herrn Dr. Stifft zum Direktor des Zentral Vereines,
als Vorgänge von solcher Bedeutung angesehen wurden, dass
die Mitglieder des Zentralvereines nicht nur, sondern auch die
anderen Vereine der deutschen Homöopathie dazu Stellung
nehmen müssten.
In einer sehr ausführlichen, eingehenden und offenen Aus¬
sprache, die nun unter den Theilnehmern an dieser Versammlung
stattfand, ist Folgendes festgestellt worden: Die Stimmung-
aller Anwesenden war unverkennbar, dass die Wahl des Herrn
Dr. Stifft zum Direktor des Zentralvereines eine missliebige
ist. Mit grösserer oder geringerer Energie, je nach der grösseren
oder geringeren Kenntniss von seinem Charakter, ist diese
Anschauung zum Ausdruck gekommen.
- Da nun schon vor der Sitzung sowohl Kollege Faulwasser
als wie ich unabhängig von einander und ohne Kenntniss ihres
jeweiligen Vorgehens den Austritt aus dem Zentralvereine er¬
klärt hatten, mit der alleinigen Begründung, dass wir mit
Herrn Dr. Stifft nicht kollegial verkehren könnten, so hielt ich
es auch für meine Pflicht, dem Vereine gegenüber die Spontaneität
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314
unseres Vorgehens zu betonen, und demselben darzulegen, dass
es Keinem von uns Beiden in den Sinn gekommen sei, be¬
stimmend auf andere Mitglieder unseres Anhaltiner Vereines
wirken zu wollen. Unter diesen Umständen war auch eine
Abstimmung, die zu irgend welcher Beschlussfassung geführt
hätte, nicht richtig und nicht erwünscht.
Aber auch ohne diesen formellen Abschluss der Auseinander¬
setzungen waren doch die anwesenden Mitglieder des Vereines
darin einig, dass auf die Dauer im Zentralverein ein Zusammen¬
arbeiten mit Herrn Dr. Stifft nicht möglich sei, und es wurde
ein Ausweg gefunden, um ihm diese Meinung zur Kenntniss
zu bringen.
Die NothWendigkeit, unser homöopathisches Krankenhaus
in Leipzig zu regen eriren, ist von allen Seiten anerkannt
worden, und in den Mittheilungen aus dem Zentralvereine
findet sich schon ein Hinweis auf eine festere Fassung der
Zukunftspläne.
Ueber dieselben berichtete Herr Dr. Mittelstedt, der als
Kandidat für den Direktorposten des Krankenhauses auftrat
und als solcher sich dem Anhaltiner Verein vorstellte, weil
wir durch unseren Vertreter Sitz und Stimme im Kuratorium
haben. Herr Dr. Mittelstedt berichtete, dass eine Planung zu
einem neuen Krankenhause vorliege, dicht bei Leipzig, mit
moderner Anlage und reichlich bemessenem Terrain. Die Lage
bedinge, dass die Berathungsanstalt, die dem Zentralvereine
gehört, in der Stadt bleibe und selbstständig von Aerzten
verwaltet werde. Der Direktor des Leipziger Hospitales
müsse von Privatpraxis absehen und seine Zeit verwenden
zur Besetzung und Förderung des Unternehmens und zur
wissenschaftlichen Ausarbeitung seiner Beobachtungen. Zu
diesen wissenschaftlichen Ausarbeitungen befähige er sich,
weil er langjähriger Hörer von Schulz-Greifswald gewesen,
in Berlin unter der Leitung des Berliner Vereines sich in die
Homöopathie habe einführen lassen und die freie Zeit bis zu
seinem Dienstantritt zur weiteren Ausbildung in der Homöo¬
pathie verwenden wolle.
Da der Berliner Verein uns Herrn Dr. Mittelstedt als
einen vertrauenserweckenden und ihm wohlbekannten Arzt be-
zeichnete, fasste unser Verein den Beschluss, durch seinen
Vertreter im Kuratorium die Wahl des Herrn Dr. Mittel¬
stedt, wenn sie erst zur Entscheidung kommt, zu befürworten.
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315
Als gern gesehener Gast nahm Kollege Windelband aus
Berlin an der Versammlung theil, und als wir uns nach dem
Schluss der Sitzung zum Mittagsmahle setzten, so hatten wir
die Freude, fast alle Frauen unserer Mitglieder begrüssen zu
können.
War schon durch den guten Verlauf der Sitzung die
Stimmung eine günstige geworden, so wurde sie durch das
festliche Arrangement der Tafel und die grosse Zahl der
Theilnehmer nun auch eine heitere, und erst durch die Abfahrt
der letzten Züge, welche Dessau an jenem Abende verliessen,
wurde unser erfreuliches Zusammensein unterbrochen.
Mannigfaltiges.
Dr. John H. Clarke. Der fleissige Herausgeber der
Homoeopathic World und Verfasser vieler halbpopulär ge¬
haltener, aber sehr gut geschriebener Bücher wird jetzt bald
eine Arbeit zum Abschluss bringen, der wir mit grossem
Interesse entgegensehen können.
Er ordnet die homöopathischen Arzneimittel hach einem
neuen Schema, so dass sie in Zusammenhang gebracht werden
einerseits mit den Krankheitsnamen, bei welchen sie am
häufigsten gebraucht werden, andererseits eine Darstellung
ihres Wesens homöopathisch richtig gegeben wird.
_ Derselben Arbeit von Seiten eines überkritischen, soge¬
nannten modernen Homöopathen, würde ich mit Misstrauen
entgegensehen, weil ich die Beziehung zwischen Mittel und
Krankheitsnamen unbedingt verwerfe, aber in der Ausführung
von Dr. John H. Clarke, der ein so überaus zuverlässsiger
Homöopath ist, erwarte ich von dieser Arbeit eine Förderung
unserer Thätigkeit.
Internationaler Kongress 1900. Nach den Vereinbarungen
mit der Behörde der Ausstellung ist jetzt unser Kongress auf
den 18. bis 21. Juli gelegt worden. Die Theilnahme an dem¬
selben ist jedem in seinem Lande approbirten Arzte freistehend.
Da es gleichzeitig der sechste der fünfjährigen internationalen
Kongresse ist, so hat Dr. Richard Hughes als immerwährender
Sekretär seine Funktion auszufüllen. Die anderen Beamten
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316
des Kongresses, sowie die Ehrenpräsidenten werden in der
ersten Sitzung gewählt.
Dem Kongresse werden vorgelegt Berichte über die
einzelnen Länder und deren Fortschritte in der Homöopathie.
Für Deutschland ist mir dieser Bericht übertragen worden.
Ferner werden dem Kongresse Einzelarbeiten vorgelegt.
Dieselben sollen vor dem Kongresse gedruckt vorliegen, und
der Kongress bestimmt einzelne Keferenten, welche über jede
einzelne Frage zehn Minuten sprechen dürfen. In der Debatte
sind jedem Redner 5 Minuten erlaubt. Der Verfasser hat
vor Schluss der Debatte ein zehn Minuten langes Schluss¬
wort.
Die Kongress-Sprache ist die französische. Wer eine
andere Sprache sprechen will, muss einen Dolmetscher bei
sich haben.
Der Beitrag beträgt 20 Francs.
Die Kommission in Paris, welche die anderen medizinischen
Kongresse zu organisiren hat, hatte ursprünglich auf Antrag
von Dr. Garbert uns nicht die Erlaubnis geben wollen, einen
eigenen Kongress abzuhalten, sondern wollte uns in die thera-
peuthische Sektion des Allgemeinen Aerztekongresses einreihen.
Den Einwendungen der von den Pariser Kollegen delegirten
Kommission gelang es, diesen unvernünftigen Vorschlag a limine
zur Abweisung zu bringen.
Aus der Zeitungsmappe.
Medical Advance, November 1898.
Ueber Nervenkranke berichtet Dr. Payne.
Ein 21 jähriger Mann mit Schwäche der äusseren Recti
der Augen hat immer Rückenschmerzen gehabt. Ein schmerz¬
haftes Ziehen in der Hüftgegend und an der hinteren Fläche
des Gesässes bis herab zu den Beinen, besonders beim Vorwärts¬
beugen, wobei die Muskeln zu kurz erscheinen. Verhärtete
Unterkieferdrüsen, zum Theil recht hart. Viel Neuralgieen.
Krampfhafter Schmerz in den Drüsen bis zum Ohr und bis
in das Gesicht. Verschlimmerung bei feuchtem Wetter. Der
Rückenschmerz wird beim Gehen besser, beim Sitzen ver¬
schlimmert, durch Strecken der Beine erleichtert. Die Sitz¬
knochen thun weh, so dass er sich viel hin- und herbewegt,
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817
ebenso schmerzt der Rücken beim Äufliegen nachts. Dringendes
Urinbedürfniss mit zunehmenden Schmerzen in der Nierengegend,
wenn er den Urin verhalten muss. Früher viel Samenfluss,
jetzt plötzliche Impotenz bei grossem Bedürfniss nach Ge¬
schlechtsverkehr. Akneknoten mit Verhärtungen im Gesicht
und auf den Schultern. Rothe, angeschwollene Lippen. Vor¬
liebe für das Alleinsein, wenn er unwohl ist. Seine Beine
schlafen ein, wenn er sich in einem Stühle rückwärts lehnt und
die Füsse so hoch legt wie der Kopf ist.
Gewählt wurde Medorrhinum, weil alle die angeführten
Symptome sich dort finden. Gegeben wurde es in der 100000.
drei Pulver mit zweimonatlicher Nachwirkung. Nach einer
Woche behauptete er, dass er sich noch nie so frei von Rücken¬
schmerzen gefühlt habe wie jetzt. Innerhalb von drei Monaten
hatte er gar keine Schmerzen mehr und war sonst ganz gesund.
Die Unterkieferdrüse ist etwas zurückgegangen. Sein Ge¬
schlechtsvermögen ist noch nicht wiedergekehrt.
2. Eine 57jährige Frau hat vor zwei Jahren ihre Periode
verloren. Das rechte Auge ist vor 20 Jahren herausgenommen
worden. Das linke Auge ist schmerzhaft, heiss, müde. Stechende
Schmerzen, der Augapfel verzogen, sandig, besonders beim Lesen
und Nähen. Vom Kopf bis zur Taille herunter hat sie seit
ihrem 14. Jahre Rückenschmerzen, seitdem ein Stuhl unter ihr
weggezogen worden war. Sie hatte damals zumeist Schmerzen
im Steissbein. Hämorrhoidalbeschwerden mit dem Gefühl, als
ob das Rektum gefüllt und schwer wäre; Verschlimmerung
beim Treppensteigen und beim Stehen. Dumpfer pochender
Schmerz in den Hämorrhoidalknoten mit Brennen, was sie sich
schwach fühlen macht. Gefühl von Lahmheit im unteren Theile
des Rückenmarkes. Immer müde und schläferig. Viel heisse
Schmerzen unter der Brust, besonders wenn sie ermüdet ist.
Viel Hitze in der Scheide und im Darm. Muss häufig uriniren,
besonders wenn sie liegt. Im Sitzen hat sie mehr Rücken¬
schmerzen als beim Herumgehen, aber noch mehr, wenn sie
ausser dem Hause geht.
Aesculus 200 schien zu bessern, besonders für die Hä¬
morrhoidalbeschwerden, und auch etwas auf den Rückenschmerz
bessernd einzuwirken. Nach genauerer Prüfung fand sich aber,
dass Acidum nitricum das richtige Mittel war, welches alle
die angeführten Symptome hat. Die Wirkung desselben war
sehr befriedigend.
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318
3. Eine 50jährige Frau hat brennende Schmerzen in den
Augäpfeln, durch Druck und warme Umschläge gebessert.
Das Auge bewegt sich ungern, besonders nach oben. Die
Anstrengung des Sehens greift die Augen an. Dumpfer harter
Schmerz in der Stirn. Müdigkeit im Kopf, durch Gespräch
mit anderen Personen vermehrt. Ziehendes Gefühl in den
Rückenmarksnerven, nach dem Essen vorübergehende Besse¬
rung. Dumpfer Schmerz über den Schultern, der sie krank
macht und entmuthigt. Sie kann sich nicht anlehnen. Weiss¬
brot wird nicht vertragen, dagegen grobes Landbrot. Vor
dem linken Auge steht ein schwarzer Fleck, besonders morgens.
Ermüdende, sehr lebhafte Träume, die Unangenehmes oder sehr
Komisches enthalten. Sie erwacht ganz unerquickt, Aufstossen
mit dem Geschmack der Speise. Nahe Gegenstände sind un¬
klar zu sehen. Manchmal dünne gelbe Leukorrhoe. Der Rücken¬
schmerz, der durch Zeigen und Aufmerksamsein vermehrt wird,
macht sie muthlos. Derselbe wird durch Niederlegen nicht ge¬
bessert, nur ein langes Ausruhen bessert ein wenig. Besonderes
Wohlgefühl nach dem Frühbade. Der Magen ist sehr voll mit
lang anhaltenden Beschwerden. Sehr spät nachher saures Auf¬
stossen und Aufstossen von Gas. Jede Anstrengung, selbst
die der Arme, macht Uebelkeit und Rückenschmerz. Plötzliche
Geräusche und schrille Töne erschrecken sie sehr. Es dauert
lange bis sie eine bequeme Lage findet. Während sie früher
zuversichtlich gestimmt war, sieht sie jetzt Alles von der trüben
Seite an.
Lange Jahre hindurch half die Behandlung nichts, bis der
behandelnde Arzt auf Theridion 200 kam. Da trat schnelle
Besserung ein, die sich Monate lang fortsetzte. Dann kam ein
Rückfall. Derselbe wurde durch Theridion wieder gehoben,
und damit war ihr ganzes Leiden beseitigt.
Homceopathic World, November 1898.
Ein sechsjähriges Mädchen hatte neun Monate lang nach
einer Dysenterie Mastdarm Vorfall. Jede Behandlung war
unnütz gewesen, als wegen eines charakteristischen Schnupfens
Euphrasia 30 gegeben wurde dreistündlich. Darauf trat ein
schmerzloser Durchfall ein, und der Mastdarm Vorfall verschwand.
Bezeichnend war, dass das Kind nicht hatte sitzen können. (Ver¬
gleiche das Symptom der Euphrasia : Druck im After beim Sitzen.)
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319
Sanguinaria canadensis von Frederick Kopp.
Die Halssymptome, dieses Mittels sind gekennzeichnet
durch einen Schluckschmerz, Schwellungsgefühl auf der rechten
Seite bis zum Erstickungsgefühl, Trockenheit des Halses,
durch Trinken nicht gebessert, heftiges Brennen nach jeder
süssen Speise. In der Brust erregt es einen dauernden trock¬
nen Husten mit umschriebener Rothe der Wangen und Kopf¬
schmerzen. Nächtlicher trockner Husten zwingt zum Auf¬
sitzen und endet mit Abgang geruchloser Blähungen.
Scharfe Stiche in der Brust, starker Druck und Brennen,
Sehr häufig Diarrhoe dabei. Die Unthätigkeit der Leber mit
Gelbsucht, welche so oft nach schwerer Lungenentzündung
auftritt, gehört mit in dieses Wirkungsgebiet. Auch das
hektische Fieber wird oft darauf hinweisen. Die umschriebene
Wangenröthe ist bei allen Prüfern aufgetreten, ist also nicht
zu unterschätzen als hinweisendes Symptom, besonders bei
gleichzeitig auftretender Schwäche.
Vom Verdauungsapparat aus ist nur bekannt: Brennen
im Magen mit viel Uebelkeit, Durst und nicht erleichterndes
Erbrechen. Abends Durchfall bei gleichzeitigen Schmerzen
in der Brust und Schnupfen.
L. Narain Mooherjee: Eine Heilung mit Psorin.
Ein 22jähriger Mensch ist in einem Jahre mit allen mög¬
lichen äusseren Mitteln ohne Erfolg behandelt worden. Krätze¬
artiger Ausschlag über den ganzen Körper, doch liess sich
kein Acarus nachweisen. Der ganze Körper, ausser Brust und
Gesicht, ist bedeckt mit Pusteln von verschiedener Grösse und
verschiedener Entwickelungsform. Die grösseren entleeren
übelriechenden Eiter. Der Kranke öffnete jeden Morgen die
reifgewordenen Knoten, weil sie sonst unerträglich waren.
Hepar und Calcarea wirkten gar nicht. Psorinum 200 zwei
Körnchen trocken auf der Zunge jeden 4., dann jeden 8. und
schliesslich jeden 14. Tag wiederholt, heilte in zwei Monaten
das ganze Leiden.
Lobelia purpurascens.
E. 0. White citirt nach einem australischen Blatte folgende
Symptome: Ausserordentliche Benommenheit des Kopfes mit
übelmachendem Kopfschmerz, besonders zwischen den Augen¬
brauen. Die Augen sind krampfhaft geschlossen. Dicker
Schleim im Munde. Weisse, unbewegliche Zunge. Fast
unbemerklicher Herzschlag. Gefühl von gelähmter Lunge
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Sehr oft flaches Athmen. Alle Lebenskräfte lassen stark
nach. Furchtbare Kälte ohne Schauder. Das Mittel ist zu
empfehlen bei Typhoiden, bei grosser Hinfälligkeit von der
Influenza und hat viele Aehnlichkeiten mit der Baptisia.
Medical Arena, Dezember 1898.
Unter Berufung auf die gleichzeitig abgedruckten statisti¬
schen Zahlen beweist der Herausgeber, dass das erwähnte
von Homöopathen geleitete Irrenhaus bessere Genesungs¬
resultate hat, als wie die beiden, welche unter allopathischer
Leitung stehen. Diese besseren Resultate ergeben sich schon
aus der kurzen Zeit der homöopathischen Leitung, obwohl die
der höheren Altersklassen angehörigen Insassen gerade in
diesem Hospitale in grösserer Anzahl vertreten sind.
Hahneniannian Monthly, März 1899.
Dr. Charles S. Mack lässt in einem kollegialen Gespräch
zwischen einem Homöopathen und einem Klub von Allopathen
die Diskussion besonders davon ausgehen, dass der homöo¬
pathische Arzt behauptet, die Art der Heilung, welche auf
Grund des Gesetzes Similia similibus vollzogen würde, sei eine
bedeutend andere, als jede bis jetzt bekannte sogenannte
traditionelle oder empirische Behandlung. In ihrer Wirkung
sei sie die ganz plötzliche Umwandlung vom Anormalen zum
Normalen. In ihrer Begründung stehe sie auf ganz anderem
Boden, wie irgend eine andere Methode sie kennt. Um sie
anzuwenden, genüge weder die Empirie der alten Methode^
noch diejenigen Grundlagen, welche die verschiedenen Methoden
anderer Richtungen erzeugt haben. Wer also eine homöo¬
pathische Behandlung anwenden will, muss die Grundlage der¬
selben kennen lernen, wer sie beurtheilen will, erst recht. Von
allen Wirkungen der Heilpotenzen auf den Körper ist die des
nach homöopathischen Grundsätzen gewählten Arzneistoffes die
gewaltigste und mit den bisherigen Erfahrungen am wenigsten
zu vereinbarende.
Druck von Wilhelm Baensch in Dresden.
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Jahrgang VIII.
Nr. 11 . November 1899.
ARCHIV
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In Halt.
Seite
Fincke. Commentarieu zum Organon (Schluss). 321
(Die protoplasmische Zelle und die Lebenskraft im Menschen.)
~TT • 7 1 -w-r . _... '
Villers. Ueber Symptome (Schluss). 326
Kent. Kreosot.331
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ARCHIV FÜR HOMÖOPATHIE
von
Dr. Alexander Villers.
Jahrgang VIEL Nr. 11. November 1899.
Commentarien zum Organon.
Von B. Fincke M. D.-Brooklyn New-York.
Die protoplasmisclie Zelle und die Lebenskraft
im Menschen.
Organon 5. Auflage, § 7—17.
(Schluss.)
Die einfache protoplasmisclie Zelle, welche nach dem
Zeugniss der biologischen Forscher zuerst aus dem sie um¬
gebenden Protoplasma oder Blastema entsteht, welches selbst
aus Stoffen besteht, die weder die Physik noch Chemie dar¬
stellen kann und gleichwohl im mütterlichen Körper bereit
sind, nach erfolgter Empfängniss der Bewegung zu folgen,
welche der Bildung der ersten protoplasmischen Zelle voran¬
geht, diese einfache Zelle wird mit grossem Pomp als der
Gipfel der menschlichen Organisation erklärt und ihr werden
ohne viel Federlesens alle geistigen Thätigkeiten zugeschrieben^
welche der völlig ausgebildete Organismus enthält. Auf diese
protoplasmische Zelle wird dann die gloriose Hypothese der
Evolution errichtet, welche am Ende auf die Entstehung des
Menschen durch physiko-chemische Prozesse zurückweist (wie
auch Famulus Wagner vermuthete). Die guten Leute ver¬
gessen in ihrem Eifer, dass die Transzendentalität, welche der
Bildung dieser Zelle voran geht und welche sie als der Er¬
fahrung unzugänglich ausgeschlossen haben, trotz alledem
durch die ganze Schöpfung hindurch geht, wie sie nach der
Beobachtung einer Keihe von organischen Geschöpfen vom
niedrigsten bis zum höchsten, von der Amöbe bis zum Men¬
schen aufsteigt, ja wie sie die verschiedenen Perioden der
Schöpfung im mütterlichen Organe, in der Incarnation des
Menschen durchläuft. Daher rührt das Missgeschick, welches
die materialistische Philosophie auf die Welt gebracht hat,
Archiv für Homöop athio. Heft 11, v 21
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322
insofern sie den Menschen von seinem göttlichen Ursprünge
und der während seines Lebens fortdauernden göttlichen Führ¬
ung ableitet und dafür Fundamente substituirt, welche anstatt
auf dem Felsen des durch den Allmächtigen in der Natur ver¬
breiteten allgemeinen Lebens auf den Triebsand der Vielheit
der physiko-chemischen Zellen und ihrer sozialen Verbindung
gebaut sind. Welch eine Gewalt wird der Vernunft damit
angethan, wenn die primitive protoplasmische Zelle für den
Gesammt-Organismus des Menschen verantwortlich gemacht
wird! Dennoch sind alle Forscher in der Thatsache einig,
dass die ersten embryonischen Anfänge des Mooses, des Farren-
krautes, der Fichte oder des Haifisches, der Krabbe und des
Korallenpolyps, der Eidechse, des Leoparden und Menschen so
völlig ähnlich sind, dass die höchsten Kräfte der Beobachtung
und des Mikroskops nicht den geringsten Unterschied zwischen
ihnen erkennen lassen“. Nun wird die Monstrosität des Wider¬
spruches dieser anerkannten Thatsache mit der Allmacht der
protoplasmischen Zelle, soweit ihre Bildung in Frage kommt,
durch die Einführung der Umgebung in die Beweisführung
beschwichtigt, aus welcher die künftigen Entwickelungen zu
anderen Zellen und Organen und ihre gegenseitige Verbindung
zum vollständigen Organismus erklärt werden. Aber es ist
nur eine unredliche Erschleichung, um dem lebengebenden Ge¬
danken zu entgehen, dass hinter der protoplasmischen Zelle
- und ihrem Blastem die von dem Ewigen gegebene Hochpotenz
ist, welche in ihrer Wirkung die Stoffe in dem mütterlichen
Organe als ein unsichtbarer Bildner modellirt, dem nicht nur
der Thon und Stein, sondern auch die Elemente, welche sie
zusammensetzen mit allen ihnen innewohnenden Lebenskräften
zu Gebote stehen. Wie sollte diese unsichtbare Zelle, wenn
sie in die fallopische Röhre tritt, die Eigenschaft besitzen,
sich fortzubewegen, Nahrung einzusaugen und in einer be¬
stimmten Richtung zu wachsen, wenn nicht der kurze mensch¬
liche Verstand wie ein geschickter Taschenspieler der wirken¬
den Hochpotenz seine physiko-chemischen Begriffe, welche wohl
für die Physik und Chemie passend sind, unterschieben würde.
Welche Anmassung dieser braven Männer, welche denken, der
Wissenschaft die höchste Ehre zu erweisen, wenn sie die proto 7
plasmische-Zelle tiher Ihn setzen, der die Zelle und sie selbst
mit all ihrer Wissenschaft geschaffen hat und sie liebreich als
seine Kinder in seiner allmächtigen Hand hält! Wie können
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- 323 —
sie es wagen, dieser einfachen primitiven Zelle einen so
hohen Rang anzuweisen, der ihr nicht gebührt? Es dauert
ja nicht lange, so ist diese Zelle den Weg alles Fleisches ge¬
gangen. Sie hat sich verdoppelt und nimmt nun einen grösseren
Raum ein als zuvor. Sie hat ihre Identität verloren, da sie
nun ein doppelter Körper ist und sie fährt fort, sich in eine
Menge sogenannter Furchungskugelrt zu verwandeln, welche
an Zahl zu-, aber an Grösse abnehmen, bis sie endlich in
eine neue grössere Zelle mit einer grossen Menge Zellchen
übergehen, welche sehr verschieden ist von der protoplas-
mischen Zelle, wie sie in die Röhre eintrat. Nun erst tritt
das Zellengebilde in das mütterliche Organ ein, welches als
Aufenthaltsort für den zu bildenden Embryo dient und die
nächste Veränderung bietet dem Beobachter, sehr verschieden
von der primitiven Zelle, eine einfache Linie, aus der alle
folgenden Veränderungen bis zur Vollendung des neuen mensch¬
lichen Wesens hervorgehen. 0 Du wundervoller Baumeister
aller Welten, wie hast Du mit unerforschlicher Weisheit die
Bildung des künftigen menschlichen Organismus ausgeführt,
Du, dem alle Kräfte gehorchen, welche dem allgegenwärtigen
so geheimnissvollen und doch offenbaren Leben in allen Dingen
verliehen sind! Mit Recht sagt ein neuerer Forscher: „Hinter
den zusammenhängenden Kräften der Natur, welche einem
Ziele nachstreben, müssen wir eine Ursache anerkennen . . . .
unbegreiflich ihrer Natur nach, von der wir nur mit Gewiss¬
heit sagen können, dass sie theologisch ist.“ Was für ein
Sturm erhob sich in der Versammlung der deutschen Natur¬
forscher und Aerzte, als eines seiner bedeutendsten Mitglieder
den Ausspruch that, dass die Wissenschaft die Propädeutik
der Religion, sei. Wie fiel er auf einmal von der ihm mit
Recht gebührenden Höhe in den Augen der anwesenden
Aristarchen der Wissenschaft, so dass sie ihn nur noch als
eine gefallene Grösse betrachteten, die der Schwachheit des
Alters erlegen war!
Wenn nun die weitere Entwickelung des Organismus durch
Erneuerung von Zellen und deren Umbildung und Verwandlung
in verschiedene Organe vor sich geht, so ist es eine weitere
Erschleichung, die protoplasmische Zelle, welche ihre Identität
lange vorher in der Zertheilung und Veränderung in ihrem
Durchgänge durch die fallopische Röhre verloren hatte, mit
Kräften auszustatten, welche in dem fortwährend sich vervoll-
21 *
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324
kommnenden Organe der geistigen Natur des Menschen, dem
Gehirn sammt dem mit ihm eng verbundenen Nervensystem,
ihre Thätigkeit äussern. Nun verleugnen sie die Lebenskraft
durch das Kunststück, der ursprünglichen protoplasmischen Zelle
bereits die Attribute zu ertheilen, welche erst der vollendeten
Struktur des Gehirns mit seinem Anhang des Nervensystems
zukommen, also gerade das, was die Einheit der vielen ver¬
bundenen Theile des Körpers ausmacht, die Lebenskraft, welche
dynamisch die von Zellen aufgebauten niedrigsten wie höchsten
Organe befähigt, einen regelmässigen Lebenslauf für die Exi¬
stenz und zum Besten des ganzen Wesens zu verfolgen, so
dass, wenn irgend eine Störung eintritt, von der Innen- oder
Aussenseite eine Möglichkeit gegeben ist, sie durch das homöo¬
pathische Mittel in der passendsten Hochpotenz zu erreichen
und auszugleichen. Diese Forscher, welche der einfachen pri¬
mitiven Zelle die physiologische Allmacht zuerkennen, könnten
gerade so gut dem kleinen Theile Arzneistoff die ganze Reihe
von Symptomen zuschreiben, welche nur durch eine Reihe von
Potenzen in den Prüfungen erlangt werden kann, und ebenso
könnten sie der unbedeutenden Quantität Arzneistoff, aus dem
die Potenzen entwickelt werden, die Heilung zuschreiben, welche
der Homöopathiker nur durch die Anwendung einer Hundert¬
tausend oder Million erzielen kann, wenn er die homöopathi¬
schen Prinzipien befolgt. Wie könnten wir uns ohne die Hahne-
mann’sche Lehre von der Lebenskraft vorstellen, wie eine homöo-
- pathische Hochpotenz ein Leiden in dem entferntesten oder auch
nur entfernten Theile von der Stelle ihrer Aufnahme auf der
Zunge durch Heilung beseitigen könne? Die wenigen Kügel¬
chen, welche als Vehikel für die Potenz dienen, werden auf
der Oberfläche der Zunge aufgenommen, und ihre homöopathische
Wirkung erstreckt sich je nachdem entweder augenblicklich
oder in längerer oder kürzerer Zeit auf die ergriffenen leidenden
Theile und übt ihre Wirkung aus, mögen sie nun in der grossen
Zehe oder in der flachen Hand oder im Gehirn oder in den
Eingeweiden gelegen sein, und wie viele Fälle von Blutver.
giftung sind dadurch vermieden worden. Diese Forscher, welche
so viel von der einfachen Zelle erwarten, sollten erst die Zelle
oder Zellen lokalisiren, welchen sie die Störungen der Lebens¬
kraft auf bürden und dann die Wege anzeigen, auf denen die
Heilmittel auf sie einwirken können. Sie sind ausser Stande,
das zu thun, weil sie des leitenden Prinzips der Heilwissen-
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schaft entbehren und nur der krassesten Empirie folgen und
dem immer wechselnden Kaleidoskop pathologischer Anschau¬
ungen. Es ist offenbar ausser dem Bereich ihres Gesichts¬
kreises, da sie nicht die blässeste Idee von Potenzirung haben
und einfach verschweigen, verleugnen und lächerlich zu machen
suchen, was der Homöopathiker durch eine lange Reihe von
Jahren und beschwerlichen Experimenten entdeckt hat. Erst
kürzlich hat ein deutscher Professor, der sich auf dem Wege
zur Homöopathie befindet, seine Missbilligung der Cellular¬
theorie in folgenden Worten zu erkennen gegeben: „Der Arzt
behandelt am Krankenbette nicht kranke Zellen, sondern kranke
Organe. Das, was er sieht und was der Patient fühlt, sind
nicht die an den einzelnen Zellen geschehenden Veränderungen,
sondern die von den Organen im Einzelnen und in der Ge-
sammtheit vom Normalen abweichenden Erscheinungen. Die
Zelle gehört der theoretischen Wissenschaft, das Organ, der
Organismus der Praxis. Was an den pathologischen arbeiten¬
den Zellen sich vollzieht, wenn wir Arzneistoffe wirken lassen,
davon können wir uns höchstens Vorstellungen machen, von
einem begründeten Wissen ist in dieser Hinsicht heute noch
keine Rede, kann es auch bei der grossen Schwierigkeit, die
der endlichen Lösung dieser Tage entgegensteht, nicht wohl
sein. Mit Hypothesen, seien sie auch noch so geistreich er¬
dacht und auf den ersten Augenblick bestechend, ist aber der
ärztlichen Praxis, der Therapie im wahrsten Sinne des Wortes
nicht gedient.“
Um die ungerechtfertigte und nicht zu entschuldigende
Attitüde der allöopathischen Aerzte zu beschönigen, wird
deren Ehrlichkeit als Erklärung angeführt. Aber was die
Ehrlichkeit damit zu tliun habe, ist nicht leicht einzusehen.
Wenn einer seine Ehrlichkeit zu Hilfe ruft, um seine Un¬
wissenheit in wissenschaftlichen Dingen zu ersetzen, so begiebt
er sich auf ein Feld, mit dem die Wissenschaft nichts zu thun
hat, auf das Feld der Moralität. Das mag er mit sich selber
ausmachen und andere damit in Ruhe lassen.
Wie die Lebenskraft des Organismus mit den stofflichen
Theilen des Organismus verbunden ist, ist nicht mehr bekannt,
als woher die protoplasmische Zelle die Fähigkeit erlangt,
die Entwickelung des Menschen zu bewirken. Dies zu wissen,
ist auch keine unumgängliche NothWendigkeit für die Heilung.
Wenn aber die Einheit des Organismus mit seiner Unzahl von
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Zellen und den Organen, die aus ihnen entstanden, vernünftiger
Weise anerkannt werden muss, da die Thatsachen sie im Lehens¬
laufe des Menschen und ebenso in seinen physiko-chemischen
Aeusserungen und in seiner geistigen Thätigkeit- beweisen, so
kann die Ansicht der allöopathisc-hen Biologen von der Wichtig¬
keit der protoplasmischen Zelle nicht aufrecht erhalten werden
und muss ohne Gnade über Bord geworfen werden. Dann nur
können neue Gesichtspunkte gewonnen werden, welche gegen¬
wärtig durch die Aberrationen der Bakteriologie und die Arro¬
ganz der (kommerziellen) Chemie, welche das Heilgeschäft an
sich zu reissen bemüht ist, verschleiert werden. Wie diese
ällöopathischen Biologen den göttlichen Einfluss aus der Wissen¬
schaft hinauswerfen, weil er als transzendent nicht zu begreifen
sei, so werfen sie auch die Hahnemann’sche Lebenskraft mit
ihren Hochpotenzen hinaus, da sie die Homöopathie als ausser¬
halb der Wissenschaft stehend betrachten und sie wussten nicht
einmal, dass sie sich dadurch des einzigen Standpunktes be¬
rauben, den sie in der Wissenschaft der Heilung einnehmen
können.
Ceterum censeo macrodosiam esse delendam!
lieber Symptome.
Von Dr. Alexander Yillers-Dresden.
(Schluss.)
Unsere Gegner machen uns den Vorwurf, dass wir bei
der ausschliesslichen Verwendung der Symptome als Leitfaden
für unser therapeutisches Handeln nicht höher ständen als wie
der Laie und dass deshalb der Pastor mit dem Büchelchen
genau so viel könne, wie der approbirte Arzt.
Das ist aber nicht richtig und selbst wenn man die Be¬
hauptung von unseren Kollegen der anderen Richtung so be¬
stätigen muss, dass mancher Laie im rein gedächtnissmässigen
Aufnehmen des Symptomenmateriales hin und wieder den prak¬
tischen Arzt übertrifft, so liegt doch immer der grosse Unter¬
schied zwischen der Laienbehandlung und dem ärztlichen Handeln
vor, dass der Laie mangels medizinischer Kenntnisse die Symp¬
tome nicht bewerthen kann, sondern sie alle als gleich wichtig
annehmen muss, oder es widerfährt ihm sogar der noch schlimmere
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therapeutische Fehler, dass er dasjenige Symptom, welches dem
Kranken am auffälligsten ist, auch für das wichtigste hält.
Solche Fehler werden zwar von uns Aerzten auch gemacht,
und die Methode, nach hervorragenden Symptomen zu arbeiten,
hat wohl viele schon dazu verführt, sich einmal die Tragweite
der einzelnen Symptome nicht gehörig auseinander zu legen und
damit auf den Laienstandpunkt herabzusinken. In Wirklich¬
keit giebt es aber eine ganze Reihe Gruppen von Symptomen,
die wir bei der Auswahl für die Mittelwahl sehr wohl unter¬
scheiden müssen.
Vollständig unwesentlich für uns Homöopathen sind die
Symptome der ersten Gruppe, der krankhaften Verände¬
rung. Ich meine also: wenn eine Sehne erkrankt ist und wir
fühlen bei der Bewegung derselben das bekannte Knarren und
Reiben, so können wir nie auf Grund eines solchen Symptomes
irgend eine Mittelwahl treffen, einfach deshalb, weil bei einem
jeden Menschen, bei dem die Sehne erkrankt ist, dieses Reiben
aus mechanischen Ursachen auftreten muss. Ebenso ist es mit
dem pleuritischen Reiben und ähnlichen Erscheinungen.
Fast ebenso geringwerthig sind die Symptome der zweiten
Gruppe, des Krankheitsprozesses. Ob bei einer Lungen¬
entzündung mehr kleine oder grosse Herde existiren, ob das
Gewebe noch elastisch ist oder schon nicht mehr, das Alles
hat für die Diagnose und für die Prognose grosse Bedeutung,
für unsere Mittelwahl aber nicht.
Ich weiss, dass ich gerade, indem ich die Pneumonie hier
als Beispiel nehme, viel Widerspruch erwecken werde bei
Denen, welche gewöhnt sind, nach dem Rathe recht bedeu¬
tender Freunde unserer Sache die pathologische Veränderung
zum Leitfaden der Behandlung zu nehmen, aber ich möchte
es gerade bei diesem Beispiele sehr bestimmt aussprechen,
dass eine Behandlung nach pathologisch-anatomischen Anzeigen
unter allen Umständen nicht der grossen Aufgabe der Homöo¬
pathie entspricht, das individuelle Krankheitsbild in seinen
Eigentümlichkeiten zur Grundlage der Behandlung zu machen.
Wir haben in unserer Litteratur sehr geistreiche Arbeiten über
die einzelnen Mittel, welche bei der Pneumonie in Betracht
kommen, aber mit allen diesen schönen Redensarten lockt man
keinen Hund unter dem Herde vor und heilt auch nicht viel
schwere Pneumonien. Dass bei einer Krankheit, die so mächtig
auftritt, unter Umständen individuelle Symptome fehlen und
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Alles aufgeht in das fast schematische Bild einer Pneumonie,
das mag schon Vorkommen, und dann bleibt einem nichts, als
wie die klinische Erfahrung, aber unter allen Umständen muss
gesucht werden nach den Erscheinungen, welche dem Körper
eigentümlich sind.
Sehr leicht irreführend sind die Symptome der dritten
Gruppe, die Symptome der Reflexwirkung.
Wenn so eine Kranke mit einem unleidlichen trockenen
Husten kommt, so ist es nur aus der Erfahrung heraus mög¬
lich, von vornherein an alle die Organe zu denken, deren Er¬
krankung den Husten hervorrufen kann, und wenn man nach
ruhiger Untersuchung jede direkte Betheiligung der Lungen
ausschliessen kann, so wird es ja in den meisten Fällen sich
um einen von den Eierstöcken ausgelösten Beiz handeln. In
diesem Falle ist der Husten als ein Symptom für die Mittel¬
wahl nicht verwertbar, und selten wird auch die Eigentüm¬
lichkeit des Hustens ein Hinweis von symptomatischer Bedeutung
sein. Diese nervösen Reflexhusten sind so symptomenlos, sind
so individuell farblos, dass sie zu nichts zu verwenden sind.
Man kann aber ganz sicher sein, dass, wenn man die einzelnen
Symptome des Individuums aufnimmt und besonders, wenn es
einem gelingt, die Symptome des erkrankten Organes aufzu¬
nehmen, dass dann das lästige und oft zur Verzweiflung führende
Reflexsymptom wegfällt.
Immerhin können einzelne nicht sehr deutlich hervorragende
* reflektorische Symptome den Hinweis auf ein Mittel geben. So
wenig das am meisten geklagte Symptom für gewöhnlich zu
verwenden ist, so sind es oft kleine, wenig beobachtete und
wenig beachtete Symptome, die gerade um ihrer Eigenthüm-
lichkeit willen dann doch das Symptomenbild des Mittels ver¬
vollständigen helfen.
In der vierten Gruppe fasse ich zusammen die Symptome
der Kontinuität des krankhaften Prozesses. Ich unter¬
scheide also zwischen den Symptomen, welche reflektorisch
auf anderen Gebieten des Körpers auftreten, als wo der Reiz
entstanden ist, und solchen Symptomen, welche dadurch ent¬
stehen, dass benachbarte Organe und Körperabschnitte durch
den Krankheitsvorgang in direkte Benachtheiligung gebracht
werden.
Dass eine Hartleibigkeit eintreten muss, wenn das ganze
Becken von einem harten Tumor ausgefüllt ist, ist natürlich
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und es darf dann das Symptom der Hartleibigkeit nicht mit
im G-esammtsymptomenbilde verwendet werden.
Dass bei einer Rippenfellentzündung auf der oberen Fläche
des Zwerchfelles der entzündliche Prozess durchgehende Leber¬
schmerzen macht und eventuell sogar Darmschmerzen, kann
nicht als ein Symptom für irgend ein Mittel angesehen werden.
Es Hessen sich ja diese Symptome ganz bequem unter die
Klasse II meiner Einteilung einreihen, aber da sie so leicht
einen irreführen und da so leicht selbständige Symptome und
solche Symptome, welche nur entstehen durch die Nähe des
krankhaften Prozesses, verwechselt werden, so wollte ich lieber
diese Gruppe hier besonders hervorheben.
Unsere homöopathische Arbeit beginnt erst mit der Ver¬
wendung der individuellen Symptome. Wenn wir die ganze
Reihe der Symptome, die wir bei einem Kranken aufgenommen
haben, sorgfältig durchgesehen und davon weggestrichen haben,
was uns als unwichtig erscheint, so bleibt ein Rest von Er¬
scheinungen übrig, welche durch keine pathologisch-anatomische
Deutung erklärt werden. Es sind Vorgänge im Körper, die
nach der Art ihres Auftretens, nach der Art, wie sie gebessert
und verschlimmert werden, unverständlich sind. .
Es ist doch z. B. ganz unverständlich, warum bei der
einen Entzündung im Lungengewebe der Husten durchaus
trocken ist, fast nie etwas Sputum herauskommt und der ein¬
zelne Hustenstoss schmerzhaft empfunden wird, verglichen mit
einer anderen eben so grossen Lungenentzündung, vielleicht
alle beide bakteriellen Ursprungs, bei der ein ganz anderes
Symptomenbild vorhanden ist. Diese individuellen Symptome
sind diejenigen, welche in ihrer G-esammtheit das Aehnlichkeits-
bild liefern müssen mit der Gesammtheit der Symptome des
Mittels, welches wir wählen wollen.
Darnach müsste es nun eine unzählige Menge von Mitteln
geben, die wir immer gegenwärtig haben müssten, und es
weiss ja jeder Praktiker, dass es auch hin und wieder einmal
Fälle giebt, bei denen die gewöhnliche Kenntniss von den
Symptomen nicht ausreicht.
Aber eben so sicher ist es, dass bei einer ausgedehnten
Praxis und ohne dass man in die Gefahr verfällt, handwerks-
mässiger Verschreiber zu werden, doch die Zahl der gewählten
Mittel nicht sehr gross ist. Das liegt nun wieder daran, dass
die Konstitutionen, welche durch ihre Eigenart die Färbung
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der individuellen Symptome geben, nicht so mannigfaltig sind,
wie die individuellen Erscheinungen. Dadurch vereinfacht sich
für den Arzt, der homöopathisch sehen gelernt hat, die Arbeit
ungemein.
Lernen kann man diese Erkenntniss nicht. Es handelt
sich dabei zu viel um künstlerische Empfindung, um die Fähig¬
keit, das Wichtige und das Unwichtige an den Symptomen zu
scheiden, als dass die Feinfühligkeit, die dafür vorhanden sein
muss, gelehrt werden könnte, aber durch die Uebung, durch
die tägliche Arbeit kommt man unbedingt dahin, diese Em¬
pfänglichkeit einigermassen zu haben. Es treten uns Leute
gegenüber mit einer grossen Reihe von Symptomen, bei denen
wir nicht gleich im Anfänge wissen können, wie wir dieselben
zu bewerthen haben und unter denen auch einige sein mögen,
die uns gedächtnissmässig nicht zur Hand sind, und doch 1
wissen wir ganz bestimmt, dass die betreffende Persönlichkeit
mit einem bestimmten Mittel behandelt werden muss, also eine
Calcarea-carbonica-Konstitution ist oder eine Pulsatilla-Person
oder ein Sepia-Weib.
An diese Höhe des ärztlichen Erkennens des Kranken¬
bildes und seines Trägers kommt der Laie nie heran, und
so dürfen wir ruhig behaupten, dass unsere „Symptomen-
deckerei“, wie sie gern von den Gegnern gescholten wird,
in Wirklichkeit eine der schwierigsten Prüfungen ärztlichen
- Könnens ist.
Mit dem Hinweis auf diese Grundlage ärztlichen Handelns
und mit der Darreichung der Prüfungssymptome von Drogen,
die man sonst nicht in Beziehung bringen würde zu dem
Krankheitsbilde, hat uns Hahnemann das grosse Geschenk
gegeben, welches uns berechtigt zu sagen, dass für die Zwecke
der Heilung des kranken Menschen wir bei Weitem an der
Spitze aller medizinischen Methoden marschiren und zwar des¬
halb, weil wir den Wunsch eines jeden ehrlichen Arztes, seine
Behandlung der Individualität des Kranken anpassen zu kön¬
nen, iri der richtigen Verwendung unserer Methode befolgen
können und dieser grossen Aufgabe ärztlicher Thätigkeit ge¬
wachsen sind.
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331 —
Kreosot.
Von Prof. J. T. Kent-Philadelphia.
Drei Anzeichen stehen hervorragend im Kreosotbilde,
und wo dieselben zusammen auftreten, da werden auch die
entsprechenden anderen Symptome sich zeigen.
Diese drei charakteristischen Anzeichen sind 1. wund¬
machende Absonderung, 2. Pulsationen im ganzen
Körper und 3. starke Blutungen aus kleinen Wunden.
Wo sich diese drei Anzeichen zusammenfinden und wo
dieselben Ihnen hervorragend ins Auge stechen, da denken
Sie immer an Kreosot und studiren Sie dieses Mittel im Hin¬
blick auf Ihren Fall.
Ein Nadelstich veranlasst ein anhaltendes Bluten. Hell-
rothes Blut. Auch die Schleimhäute bluten leicht. Jeder
Druck auf die Schleimhaut veranlasst dieselbe, Blut durchzu¬
schwitzen, und so finden sich denn Blutungen da und dort im
Körper. Die Thränen brennen und machen die Lidränder und
die Wangen roth, rauh und empfindlich. Ist die Absonderung
eiterig, so ist sie scharf. Die Mundwinkel sind roth und roh,
der Speichel brennt und schmerzt. Läuft er über die Lippen
hinaus, so macht er die Wangen wund, und der ganze Mund
sieht wie roh aus. Die Augen brennen und schmerzen, wie
wenn sie rohes Fleisch wären. Der Weissfluss veranlasst ein
Brennen und einen Schmerz in der Vulva, dass die Innen¬
fläche der Lippen roth und roh ist, manchmal entzündet und
jedenfalls immer brennt. Die Scheide brennt während des
Beischlafes, und nachher blutet sie. Es finden sich Granula¬
tionen in der Scheide und am Muttermund, und darum ist der
Beischlaf so schmerzhaft und bringt Wundsein und Brennen
hervor mit Blutungen. Auch der Mann empfindet dann ein
Brennen und Wehthun, wenn er mit dieser eigenthümlichen
Absonderung in Berührung gekommen ist. Der Urin brennt
und thnt weh. Auf allen Gebieten also des Körpers findet
sich diese eigenthiimliche Neigung zum Wundwerden durch
die Absonderung.
Jede Erregung und jeder aufregende Umstand erzeugt
ein Pulsklopfen im ganzen Körper bis zu den Enden der
Finger, und jede Erregung erzeugt einen thränen vollen Zu¬
stand. Jede Musik, die irgendwie zum Gefühle spricht, die
Molltonarten oder heimische Klänge, die pathetische Musik,
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alles das bringt den Kranken zum Weinen. Die Thränen sind
scharf, und im ganzen Körper fühlt er überdies die eigenthüm-
liche Pulsation.
Wo bei dem Kreosotkranken der Hals erkrankt ist, kann
man die Zähne kaum mit dem Löffel herabdrücken, ohne nicht
sofort blutende Stellen zu haben. Wenn ein Schnupfen herrscht,
tritt Nasenbluten ein. Wenn die Augen sehr roth und entzündet
sind, bluten sie leicht. Wenn so ein Kranker sich in den
Finger sticht, so kommt nicht nur ein Tropfen Blut, sondern
das Blut fliesst wirklich.
Es gehören hierher alle verlängerten Blutverluste aus
irgend einer Körperöffnung, die Blutungen aus der Niere, den
Augen, der Nase, der Gebärmutter, die Blutungen nach dem
Beischlaf und alle Geschwülste, die zu Blutungen neigen.
Das sind die bedeutendsten Anzeichen von Kreosot.
Wenn Sie die im Gedächtnisse behalten, so haben Sie eine solche
Kreosotkonstitution vor Augen, aus der sich alle die anderen
Symptome in ihrer Eigentümlichkeit und die angedeuteten
Symptome auf verschiedenen Organen erkennen lassen. Diese
Anzeichen sind aber so wichtig, dass, wenn Sie auch alle mög¬
lichen anderen Symptome haben, es fehlen aber diese drei, so
werden Sie finden, dass Kreosot keine konstitutionelle Be¬
ziehung zu dem Krankheitsfalle hat.
In seinem Gemüthe ist der Kranke so reizbar, dass nichts
auf Erden ihn beruhigen kann. Er hat so vielerlei Verlangen,
die nicht befriedigt sind, er will eigentlich Alles haben, und
Nichts macht ihn ruhig, und vor Allem, wenn er auch noch
so sehr nach Etwas verlangt hat, so mag er es schon nicht
mehr, wenn er es bekommt. Es ist diese eigenthümliche
Reizbarkeit und die Unzufriedenheit in einem chronischen Zu¬
stande.
Uebertragen Sie das einmal auf das Kindesalter, so
werden Sie gleich sehen, wie so ein Kreosotkind sich be¬
nimmt. Das Kind wird von der Mutter getragen und ver¬
langt eine Puppe. Man reicht sie ihm, und es wirft dieselbe
sofort weg. Immer verlangt es Etwas, Dies oder Jenes und
und immer noch etwas Anderes, ist nimmer zufrieden, ver¬
langt immer wieder etwas Neues, eine neue Puppe, wirft sie
wieder weg und schreit dann schon wieder nach einem neuen
Gegenstände, Dabei sind die Lippen roth und bluten leicht.
Die Mundwinkel sind roth, die Augenlider sind roth, die
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Haut ist mehrfach wund. Schliesslich hat es noch dünnen
Stuhl, und der Einschnitt zwischen dem Gesäss ist roth und
wund. Wenn ein Kind schon alt genug ist, um selbständige
Bewegungen machen zu können, so legt es die Hand auf die
wunden Geschlechtstheile und auf die Einrisse und schreit
sehr viel, weil die Stellen so brennen und wund sind.
Nun vergessen Sie eins nicht. Ein solches Kind verlangt
unbedingt Kreosot, ob es dabei nun Brechdurchfall hat oder
Bettnässer ist oder Alles, was es nimmt, wieder ausbricht,
das ist gleichgiltig. Wo diese Erscheinungen Zusammentreffen,
handelt es sich immer um Kreosot. Unter den Symptomen
von Kreosot finden Sie ja auch alle Formen von Diarrhöe und
Erbrechen, alle möglichen Urinstörungen, viele unangenehme
Erscheinungen im Darm und die Auftreibung des Leibes, und
doch können alle diese verschiedenen Symptome Sie gar nicht
irre machen, wenn die charakteristischen Zeichen von Kreosot
so in die Augen springen, wie oben erwähnt.
Bei Erwachsenen finden Sie periodischen Kopfschmerz.
Da kommt zu Ihnen so ein Weib mit dieser Beschwerde
und einem wachsartigen Gesicht. Manchmal ist es recht
schwer, das auszudrücken, was man sagen will. Darum bereitet
es mir auch jetzt einige Schwierigkeit, Ihnen das Kreosot¬
gesicht zu beschreiben, das ich klinisch sehr gut kenne. Solche
Sachen finden sich nicht in den Büchern, und ich kann Ihnen
hier auch nicht irgend ein Citat vorlesen.
So ein Kreosotgesicht hat eine eigenthümliche gelbe
Blässe. Die Kranke sieht eben kränklich aus, halb wie ver¬
fallen, und dabei finden sich rothe Flecken auf dem blassen
Grunde, so etwa wie bei beginnendem Erysipel. Unsere Väter
nannten ein solches Aussehen ein skorbutisches. Wenn Ihnen
dieser Ausdruck genügt und Sie ihn richtig deuten, so wollen
wir die ganze Konstitution eine skorbutische nennen.
So ein Weib nun mit diesem Aussehen klagt bei jeder
Periode über viel Schmerzen und Wundsein der Genitalien.
Der Ausfluss ist reichlich, geronnen, hört auf, kommt dann
wieder, kommt zu zeitig und dauert zu lange. Manchmal ist
er auch schwarz, riecht sehr übel und macht die Genitalien
und die ganze Umgebung wund. Dabei findet sich bei jeder
Periode Wundsein der Lippen mit Einrissen, besonders in den
Winkeln, die Thränen sind scharf, und in der Periodenzeit
scheinen alle Flüssigkeiten des Körpers scharf und wund-
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machend zu werden. Wenigstens empfindet die Frau überall
Brennen und Wundsein. Sehr häufig findet sich dabei ein
Durchfall, der auch scharf ist und den After in dieser Zeit
brennend und wund macht. Alle diese Symptome sind durch
die Menstrualzeit verschieden, theils anfangs, theils in der
Mitte, manchmal in der ganzen Zeit und manchmal nur am
Ende.
Dabei zeigt sich noch ein anderer Ausdruck der skorbu-
tischen Anlage, nämlich am Zahnfleisch. Das Zahnfleisch
wird roth, aufgetrieben und löst sich von den Zähnen ab.
Darum blutet es auch leicht. Im Munde befindet sich eine
Menge kleiner Geschwüre, die von aphthösen Stellen ausgehen,
brennen und schmerzen. Auf der Zunge sind Geschwürchen,
die bei Berührung leicht bluten.
Diese konstitutionellen Erscheinungen können aber manch¬
mal aussehen, wie wenn dieselben akut aufgetreten wären.
Wenn z. B. am Ende eines Typhus Darmblutungen auftreten
und Blutungen von der Schleimhaut, dann wird der Mund
wund, überhaupt jede Schleimhaut wird wund; alle durch¬
schwitzenden Flüssigkeiten fressen gradezu die Schleimhaut
weg. Wenn Sie also am Ende eines Typhus bei stark be¬
ginnender Genesung einen solchen Zustand erlangen, so denken
Sie an Kreosot, besonders wenn sich etwa blutiges Erbrechen
* einstellt, ebenso wie blutige Stühle und wenn Alles so scharf ist.
Selbst das Erbrechen ist so scharf, dass die Kranken sich
beklagen, dass ihnen im Munde Alles wund sei, die Zähne
stumpf wären und die Lippen schwarz. Also vergessen Sie
ja nicht bei Kreosot: Absonderung scharfer Flüssigkeiten und
das Klopfen im ganzen Körper!
Die Absonderungen sind auch übelriechend. Uebelrie-
chende Absonderungen aus der Nase, übelriechende wässerige
Absonderungen irgend sonst woher, aber immer dabei wund¬
machend. Auffällige Abmagerung mit brennenden Geschwür¬
chen. Scharfer Eiter, der gelb und übelriechend ist. Manch¬
mal kann ein ganz kleines Geschwür so bösartig werden, dass
der Brand einsetzt und wir eine vollständige brandige Zer¬
störung haben. Insofern kann Kreosot bei Brand das passende
Mittel sein.
Auf den Bändern der Schleimhäute treten Krusten auf,
und unter diesen bilden sich harte Stellen, die Krusten fallen
aber nicht ab , sondern erneuern sich immer wieder. Diese
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Krusten entstehen dadurch, dass die Cirkulation an allen
diesen Stellen ausserordentlich schwach ist und sich eine
venöse Stauung gebildet hat, und so geht das Spiel fort mit
Krustenbildung, Wundwerden und Bluten, bis schliesslich das
Geschwür phagedänisch wird. So ähnlich schädigt auch das.
Epitheliom den Körper, und daher hat Kreosot Epitheliome
geheilt.
Diejenigen, welche es in der Praxis noch nicht gesehen
haben, werden kaum glauben wollen, dass man ein Epitheliom
durch Medizin heilen kann, ohne das Messer anzusetzen.
Ich hoffe aber, Sie werden so weit kommen, dass Sie die Sache
selbst machen können. Natürlich müssen Sie lernen, das
richtige Mittel aufzusuchen. Aber gerade hierbei zeigt es
sich auch, dass manche Konstitutionen so geschwächt sind,
dass nichts bei ihnen wirkt.
Die nächsten auffälligen Kennzeichen von Kreosot sind
die Magensymptome. Bald nach dem Essen kommt ein
brennender Schmerz im Magen mit einem Gefühl von Fülle,
zunehmender Uebelkeit, schliesslich Erbrechen. Das Ausge¬
brochene sieht noch ganz unverändert aus, die Verdauung hat
noch gar nicht eingesetzt, aber vermengt ist die Speise mit
einer sauren scharfen Flüssigkeit.
Das Erbrechen wiederholt sich ununterbrochen. Der
Magen erscheint unfähig, irgend etwas zu verdauen, und
wenn der Magen wieder geleert ist, weicht die Uebelkeit.
Durch einen Schluck Wasser bleibt ein verlängerter bitterer
Geschmack im Munde. Dieses Symptom ist nicht sehr auf¬
fällig, aber es ist doch wiederholt beobachtet worden.
Verschlimmert wird der Zustand durch das Essen kalter
Sachen, während warmes Essen bessert.
Wo bei bösartigen Erkrankungen des Magens dieses
Symptom sich findet, ist Kreosot ein grosses Hilfsmittel. Für
gewisse Zeit verschwindet das Brennen, die Verdauung wird
besser, aber freilich nach einiger Zeit kommen die Beschwer¬
den wieder. Es ist eben keine Heilung, sondern eben nur
eine palliative Besserung.
Sehr oft können wir durch unser Mittel den Kranken die
grösste Erleichterung in Fällen von Krebs bringen, und ich
behaupte geradezu, dass ein guter Homöopath in inneren
Fällen von unheilbaren, bösartigen Erkrankungen des Magens
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vorübergehend sehr erhebliche Besserung bringen kann. Diese
Erleichterung wird aber dem Kranken viel wohler thun als
Alles, was Morphium u. s. w. ihm leisten kann. Ich habe Kranke
gesehen, die Morphium bekamen, und Kranke gesehen, die
homöopathisch behandelt wurden. Da kann ich nur sagen,
wenn ich einmal in die Lage kommen sollte, so werde ich
immer die homöopathischen Mittel nehmen, weil sie viel mehr
wohlthun. Das haben sehr Viele schon erfahren, und wenn
Sie hören, dass ein Homöopath behauptet, er ziehe Betäubungs¬
mittel bei Krebs des Magens und bei ähnlichen schmerzhaften
Anfällen vor, dann können Sie sicher sein, er versteht nichts
von seiner Arzneimittellehre, er ist eben nicht in der Lage,
das richtige Mittel für seinen Kranken zu finden.
Kreosot ist eine grosse Medizin für Sommerdurchfälle,
besonders bei Kindern. Wenn das Kind so ist, wie ich es
Ihnen weiter oben geschildert habe, so können Sie Kreosot
geben, ob der Durchfall nun ganz leicht ist oder eine schwere
Form darstellt, ebenso wie wenn angeblich die Zähne die Ur¬
sache sind, dass der Darm in Unordnung ist.
Glauben Sie ja nicht, dass das Zahnen wirklich eine
Krankheit sei, oder dass die Kinder durch das Zahnen krank
würden, denn vollkommen gesunde Kinder haben in der Zeit
des Zahndurchbruches keine Beschwerden und jedes Kind,
welches Beschwerden hat, ist eben nicht gesund. Man kann
die Zeit des Zahndurchbruches nur als Krisis ansehen, bei der
noch verborgene Sachen an das Tageslicht gebracht werden,
genau so wie der Eintritt der Mannbarkeit und die Wechsel¬
jahre manche Beschwerden erst hervorrufen.
Ein eigenthümliches Kennzeichen der Kreosotkonstitution
ist die grosse Eile, mit welcher die Kranken ihr Urinbedürf-
niss befriedigen müssen, sonst fliesst ihr Urin ab. Darum ge¬
hören auch einige Bettnässer hierher, besonders wenn der Urin
blutgemischt ist, wenn sich Klumpen im Urin finden, wenn der¬
selbe scharf ist und wund macht.
Viel Brennen und Schmerzen in den Scliamtheilen während
und nach dem Urinlassen. Auch Zucker im Urin hat sich ge¬
funden und es giebt einzelne Fälle von Diabetes, die mit
Kreosot geheilt worden sind. Sie brauchen sich eben nur den
Kranken nach seinen generellen Symptomen anzusehen, um zu
wissen, ob in dem bestimmten Falle von Diabetes Kreosot
passt.
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Ueber die Störungen der weiblichen Funktionen habe ich
schon oben gesprochen. Der Periodenfluss ist immer reichlich,
aussetzend, übelriechend.
Coccus Cacti.
Von Prof. J. T. Ke nt-Philadelphia.
Die Gifte der Insekten und der Schlangen haben viele
Aehnlichkeit. Die thierischen Gifte, die Blutgifte und die
septischen Gifte haben auch viel Gemeinsames. Sie bilden
zusammen eine Klasse, die sich auszeichnet durch die aller-
verschiedenartigsten Variationen, durch die verschiedenartigsten
Beziehungen zu Leiden und die verschiedenartigsten Anwen¬
dungen, und doch bleibt eine Einheit in denselben nicht ver¬
kennbar.
Die Gemlithssymptome unseres Mittels werden beherrscht
durch die ausserordentliche Traurigkeit, welche dem ganzen
Bilde den charakteristischen Zug verleiht. Die ganze Welt
erscheint dem Kranken wie verändert, kein Lichtstrahl durch¬
bricht die dunklen Wolken. In dieser Stimmung befindet er
sich zumeist am Nachmittag, besonders nach Schlaf. Auch
früh zwischen zwei und vier Uhr wacht der Kranke an einer
überwältigenden Traurigkeit auf, als ob er nichts zu leben
hätte und als ob er sich umbringen oder sonst etwas Ver¬
zweifeltes thun müsste, so niederdrückend ist seine Traurig¬
keit und äusserste Niedergeschlagenheit.
Dazu finden sich Zustände grosser Schwatzhaftigkeit und
Lebendigkeit, ähnlich wie bei Lachesis. Darin hat überhaupt
das Mittel viel Aehnlichkeit mit Lachesis, dass die Beschwer¬
den nach dem Schlafe kommen.
Bei Durchsicht des Mittels finden wir das Herz mehr be¬
troffen als wie andere Organe. Auch die Milz ist schlecht
daran..
Die meisten Schmerzen sind in der linken Weiche. Sehr
viele Beschwerden sind linksseitig, und Lagern auf der linken
Seite ebenso wie Lagern auf der schmerzhaften Seite bringt
Verschlimmerung. Wie bei vielen anderen Thiergiften, wie
z. B. Apis und Lachesis und Schlangengiften ganz besonders
finden wir Ueberempfindlichkeit für die Berührung und für
den Druck der Kleider, sowie die Verschlimmerung vom
Archiv für Homöopathie. Heft 11. #2
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3B8
Liegen auf der schmerzhaften Seite. Es handelt sich eben
um eine Hyperästhesie der Haut und der Schleimhäute.
Auf verschiedenen Wegen zeigt sich diese Ueberempfind-
lichkeit, verschlimmert von der Berührung der Kleidung, ver¬
schlimmert bei der Berührung des Mundes oder des Halses.
Jede Berührung des Halses erzeugt heftiges Würgen, selbst
beim Mundausspülen tritt dieses auf. Das Bürsten der Zähne
lockt alle möglichen Erscheinungen hervor und erzeugt neue
Beschwerden. Die Berührung der Gaumenbogen ist ausser¬
ordentlich unangenehm, selbst wenn dieselben ganz gesund
sind. Jede Berührung der Schleimhaut des Mundes erzeugt
Würgen und dergleichen.
Bei einer weiteren Durchsicht des Mittels finden wir
lauter Beschwerden, welche bei denjenigen Mitteln auftreten,
die das Herz, besonders dessen rechte Hälfte betreffen. Das
venöse Herz und die Venen gehören speziell zum Wirkungs¬
gebiet dieses Mittels. Die Venen brechen leicht, es treten
Geschwüre auf, und darum gehört hierher Hämorrhagie und
Durchschwitzen von schwarzem Blut.
Der Kranke, für den dieses Mittel passt, ist in allen
seinen Beschwerden durch die geringste Anstrengung ver¬
schlimmert. Die Blutgefässe werden bei jeder Anstrengung
voll, und er fängt an zu bluten. Auch treten bei jeder An¬
strengung Husten, Aufstossen und krampfhaftes Athmen auf.
Beim Steigen kommt er sofort ausser Athem und muss stehen
bleiben. Gegen den Wind kann er gar nicht angehen, dann
verliert er gleich den Athem. Er ist erschöpft nach der
kleinsten Anstrengung, die allerauffälligste Dyspnoe tritt ein,
und er muss sich mit hohem Kopf legen oder wenigstens sich
hinsetzen.
Diese Anzeichen gehören zu unserem Mittel und treten
auch dann auf, wenn die organische Untersuchung keinen
Anhaltspunkt ergiebt zu dieser Ueberempfindlichkeit nach
geringer Bewegung. Sie finden sich aber natürlich am häu¬
figsten bei den Venenleiden, Herzfehlern und sehr tief sitzen¬
den Veränderungen an der Hirnbasis und im oberen Theile
des Rückenmarkes. Sicherlich ist die Medulla oblongata der
Sitz der Beschwerden. Sowohl bei den Prüfern tritt ein
Schmerz an der unteren Fläche des Kopfes nach Anstrengung
auf, als auch muss man dieses Symptom bei Kranken ver-
werthen können.
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Der Kranke wacht am Morgen auf mit Nackenkopf-
schmerz, dauerndem unbequemem Gefühl am Hinterhaupt, vom
Husten entsteht oft ein Schmerz im Hinterkopf. Der Zu¬
sammenhang aber dieser Erscheinungen ist aus anatomischen
und physiologischen Wahrnehmungen genügend erklärt.
Jede Anstrengung führt zu Blutungen, und wir finden
alle Arten von Blutungen, alle sehr dunkel und geronnen.
Jeder kleine Tropfen Blut, der heraustritt, gerinnt sofort, wird
trocken und hart, Es giebt Uterinblutungen, welche schon in
der Scheide gerinnen und dieselbe mit einem harten Klumpen
ausfüllen, so dass dieser wie ein Tampon herausgenommen
werden muss. Das Blut gerinnt nicht nur sehr schnell,
sondern auch viel härter, als wie man es sonst sieht und
zwar in einer ganz auffälligen Weise.
Schon wenn wir auf diese Eigentümlichkeit allein be¬
schränkt wären, so würden wir uns über unser Mittel freuen
müssen, aber es bringt noch viel mehr werthvolle Zeichen;
es ist ja nur ein kleines Mittel und die Symptome sind noch
nicht entwickelt, aber in der Hand dessen, der es kennt, ist
es doch ein sehr grosses Mittel.
Unter den Kopfschmerzen finden wir einen Schmerz, der
vom Kopfe bis zum Kreuz geht. Hinterhauptschmerzen, ver¬
schlimmert durch geistige Anstrengung. Schmerzen des ganzen
Körpers, verschlimmert durch Schlaf, verschlimmert von der
Lage auf dem Bücken, von jeder Bewegung durch den Kreis¬
lauf, beschleunigt und gebessert durch die Lage mit hohem
Kopf. Heftige nagende Schmerzen vom rechten Auge durch
den Schuppentheil des Schläfennackenknochens. Dumpfer
Kopfschmerz über dem rechten Auge am Morgen beim Er¬
wachen. Druck auf dem linken Auge und im Auge drin: das
sind bestätigte Symptome.
Weiter empfinden wir eine Entzündung der Conjunctiva.
Das ist nur der Anfang der Entzündung der Schleimhäute
überhaupt. Am Auge finden wir Bauhigkeit wie von Sand
oder Haaren und Kratzen. Charakteristisch ist die Ent¬
zündung der Schleimhaut mit' reichlicher, aber dicker Ab¬
sonderung, die gallertig ist, sehr dick, gelb und weiss.
An manchen Stellen können sie bloss gelb sein, ein anderes
Mal dick und weiss, aber die Krankenbetterfahrung lehrt,
dass sie von allen Stellen aus in beiden Farben Vorkommen
können.
22 *
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Katarrhalische Absonderung von der Nase, dick, faden¬
ziehend, gelb oder weiss, gewöhnlich anfangs gelb und später
weiss. Der Kranke schnaubt und hustet grosse Mengen von
Schleim aus. Hals und Luftröhre brennen stark, wenn auf
diese Weise die Schleimhaut ihrer schützenden Decke be¬
raubt wird. In Rachen, Larynx und Lunge viel Rauhigkeit,
Schmerzen und Geschwürbildung. Auf der Brust werden enorme
Quantitäten zähen gelben oder weissen Schleimes entleert.
Lärmendes Geräusch in den Ohren, am Abend beginnend.
Lärmen, Läuten, Knacken im linken Ohr. Kurzes Jucken in
einem oder beiden Ohren. Starke Stiche in den Ohren. Alle
katarrhalischen Symptome, bei denen Schleim abgesondert wird
oder nicht. Die meisten der Katarrhe, bei denen das Klinken
und Läuten auftritt, sind trockene Katarrhe des Mittelohres.
Ist dagegen mehr das Gefühl, als ob das Ohr ausgefüllt wäre,
als ob etwas vor dem Ohre vorläge, das den Schall hindert,
so sind das mehr schleimführende Katarrhe.
Trockenheit der Nase mit Neigung zum Niesen. Abson¬
derung von dickem gelbem Schleim aus der Nase.
Sie sehen also, dass bei dieser Krankheit ebenso wie bei
den Prüfern die Trockenheit mit reichlichem Abfluss von Schleim
abwechselt. Das findet sich, wie ich wiederhole, bei der Prüf¬
ung und bei den Krankenbildern.
Das Gesicht ist kränklich und blass. Es kommt aber
auch ein rotbes Gesicht vor mit anstrengendem Husten und
zersprengenden Kopfschmerzen. Das erinnert nun wieder an
die Gifte, wie Apis und die Schlangengifte. Bei Apis haben
wir das rothe Gesicht, bei Lachesis haben wir das rothe Ge¬
sicht. Hier haben wir ja auch ein rothes Gesicht, aber zu
unserem Mittel gehört auch ein Rothwerden des Kopfes nach
dem Husten. Bei der hierher gehörigen Form von Keuchhusten
z. B. wird das Kind vollständig athemlos. Phthysiker und
Leute mit schweren Katarrhen der Brust, Husten und Würgen,
versuchen auf die mögliche Weise so eine starke Menge dicken
fadenziehenden Schleimes hervorzubringen und dabei wird durch
all die Anstrengungen das Gesicht purpurroth.
Grosse Empfindlichkeit der Zähne für Kälte. Plötzliche
ziehende Schmerzen in den Zähnen. Grosse Empfindlichkeit
für die Berührung.
Ueberall findet sich diese übermässige Empfindlichkeit für
die Berührung.
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Eine vollständige Ausnahme ist die Empfindlichkeit der
Zähne für Kaltessen. Das ist etwas ganz Besonderes, denn
im Allgemeinen verschlimmert bei diesem Uebel Wärme die
Beschwerden, sodass der Kranke kühler gehalten sein will,
kalte Getränke haben will, durch Genuss von kaltem Bier
sich bessern will und in der kalten Luft weniger leidet, als
wie in der Wärme des Ofens und der Zimmer. Obwohl er
eigentlich frostig ist, bekommt es ihm doch schlecht, wenn er
stark eingepackt wird und in die Nähe des Ofens gebracht
wird. Wird er etwas wärmer als wie gewöhnlich, so kommt
ein Hustenreiz, ein Sclnveiss tritt auf, fieberhafte Erschein¬
ungen zeigen sich, der Kranke fühlt sich sehr niedergeschlagen,
das Hinterhaupt schmerzt und man sieht ihm die kommende
gewaltige Angst an. Ueberall fühlt er sich ausserordentlich
unwohl, er verlangt nach frischer Luft, die Fenster müssen
geöffnet werden und dann erst beginnt es ihm besser zu
gehen. Seine Beschwerden sind meistens an kalten Tagen
besser, aber doch kann er so überempfindlich geworden sein,
dass er sich an solchen Tagen erkältet. Es ist ein grosser
Unterschied zwischen der Neigung sich zu erkälten und der
Besserung der Beschwerden durch die Kälte. Diesen Unter¬
schied müssen wir immer festhalten.
Unangenehmer, übelmachender Geschmack im Munde, den
er nie loswerden kann. Auch hinten im Halse steckt dieser
selbe Geschmack, den er nie loswerden kann. Er versucht
es, ihn durch Husten und Krächzen los zu werden, doch meist
ohne Erfolg. An den Zähnen sitzt übelmachender Schleim,
sodass er seine Zähne abkratzt und doch macht ihn die Zahn¬
bürste übel, sodass er sich sehr unwohl dabei fühlt.
Die Gaumenbogen sind sehr empfindlich. Das laute Sprechen
oder Zähneputzen, das Husten und Erbrechen bereiten das Ge¬
fühl von einem Haar im Halse. Es ist merkwürdig, dass das¬
selbe Gefühl zwischen Augenlid und Auge vorkommt wie hier
im Halse. Kitzeln im Halse, sehr empfindlicher Rachen, be¬
sonders empfindlich für Berührung, auch wenn er ganz gesund
ist und noch viel mehr bei der Entzündung. Schnürgefühl im
Halse, Wundsein, Aufhusten von Schleim, Kratzen im Halse.
Der Hals ist verschlimmert in der Wärme, besonders im Bett,
verschlimmert von warmen, aber kaum verschlimmert von heissen
Sachen. Ein kalter Schluck erleichtert eher, ein lauwarmer 1
Schluck macht aufstossen. Natürlich haben sich diese Symptome
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nicht alle bei einem und demselben Prüfer gefunden. Man muss
eben nur den gemeinsamen Grundzug auf den verschiedenen
Gebieten verfolgen. Andere haben das Mittel nicht so viel
gebraucht wie ich, und gerade ich habe wundervolle Erfolge
damit gesehen.
Mir fällt hier ein Fall besonders ein.
Ein Arzt hatte einen Phthysiker nach Colorado geschickt,
weil er annahm, dass dessen Ende bevorstehe. Dort wurde der
Kranke auch wirklich immer elender. Er schrieb an seine
Freunde, seine Kräfte nähmen so ab und man möchte ihn
nach Hause bringen. Auf die Weise kam er in meine Hände.
Er hatte Symptome von Coccus cacti. Es war so ein Schleim-
phthysiker. Er hustete sehr tief aus der Brust heraus, war
sehr niedergeschlagen, hatte nächtliche Schweisse, war sehr
abgemagert und hatte alle sonst hier üblichen Erscheinungen.
Unter dem Einflüsse von Coccus cacti wurde er wieder ge¬
sund, konnte an seine Arbeit gehen und arbeitete wieder ein
ganzes Jahr ohne weitere Beschwerden. Er hatte nur wenig
Husten, wurde fetter, sah recht gut aus und man glaubte, er
werde genesen. Diese Wirkung von Coccus cacti war Alles,
was man erwarten konnte. Aber nach einem Jahre ungefähr
wurde er in seinem Dienste an der Bahn durch einen Regen¬
sturm überfallen, bekam eine Lungenentzündung, schickte nach
seinem allopathischen Arzte und starb dementsprechend. Unser
Mittel hatte also einen Fall gebessert, dessen Symptome sehr
ernstlich waren.
Ich habe andere Fälle gesehen, bei denen der Kranke
nicht wieder zu erkennen war, so hatte er sich zu seinen
Gunsten verändert und Alles, was ich als Symptom hatte, war
schliesslich der krampfhafte, würgende Husten, gebes¬
sert durch den kalten Trunk und verschlimmert im
warmen Zimmer.
Dieser krampfhafte, würgende, mit Aufstossen verknüpfte
Husten ist doch sehr auffällig. Der Auswurf ist immer sehr
reichlich, er mag nun gelb oder weiss sein, er ist faden¬
ziehend und wenn eine grosse Menge entleert ist, wird der
Husten ruhiger, bis sich die Brust wieder mit diesem Schleim
füllt und dann kommt ein leichter Anfall, der mehrere Minuten
dauert. Der Kranke geräth ausser Athem, sein Gesicht ist
purpurroth, der Mund ist stark geöffnet, und er zittert durch
die Anstrengung des Hustens von Kopf bis zu Füssen. Ich
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habe auch manche Anfälle von Keuchhusten in dieser Form
gesehen. Das Kind lag erst da wie benommen, doch plötzlich
fuhr es in die Höhe mit einem heftigen, würgenden, krampf¬
haften Husten und hustete, bis es etwa eine Hand voll dicken
zähen Schleimes herausgehustet hatte, und die Mutter berich¬
tete einem dann, wenn sie nur schnell einen Schluck kaltes
Wasser für das Kind gehabt hätte, dann hätte es ein wenig
länger gedauert, bis der Anfall kam. Also: kaltes Wasser
erleichtert und der krampfhafte Husten kommt, wenn das
Zimmer ein w T enig zu warm ist.
Grosser Durst. Der Kranke trinkt oft Wasser und trinkt
viel davon. Würgen und Erbrechen von Speisen. Durch den
Auswurf fadenziehender Schleim. Der Kranke kann auch die
kleinste Menge von Schleim nicht ohne Würgen hervorbringen.
Er kann sich kaum räuspern, ohne dass das Würgen eintritt.
Erbrechen von dicken Schleimmassen. Ueberall im Magen, in
der Nase, im Halse, auf der Brust haben wir diesen gelben,
weissen, dicken, fadenziehenden Schleim. Husten, erzeugt durch
lautes Sprechen, Mundausspülen oder Zähneputzen.
In all diesen bezeichnenden Fällen sitzt der Kranke im
Bett, bis der Husten vorbei ist. Er will sich gar nicht erst
legen, bis er nicht seinen Hustenanfall gehabt hat, der in den
Abendstunden zwischen 9 und 11 Uhr eintritt. Ist er einmal
überstanden, so wissen sie, dass sie dann etwas Buhe haben.
Dann fängt der Kranke wieder an und sagt: „Jetzt kommt
der Anfall, jetzt kommt er.“ Die Brust fängt an Avund zu
werden, er greift nach etwas kaltem Wasser und sucht den
Bachen zu kühlen, um den Anfall etwas aufzuhalten, wenig¬
stens bis 2 oder 3 Uhr, dann aber muss er die inzwischen
angesammelte grosse Menge von Schleim auswerfen.
Die Herzgrube, besonders die Magengegend, ist empfind¬
lich für Druck. Das Gefühl, als ob etwas nach dem Magen
zu in die Höhe strebe, so dass sie denken, sie würden er¬
brechen müssen. Anhaltender, dumpfer, brennender Schmerz
in der linken Weiche. Dumpfes Stechen in der Milzgegend.
Schmerzen im linken Hypochondrium wie von versetzten
Winden.
Sehr auffällig ist auch die Urinabsonderung, Es ist ein
blutführender, mit Eiweiss durchsetzter Urin. In der Blase
bilden sich Blutklumpen und der Urinabfluss ist mangelhaft.
Anhaltendes Drängen, den Urin zu lassen, der aber erst ab-
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geht, nachdem ein starkes Blutgerinnsel herausgegangen ist.
Bei Gebärmutterblutungen finden sich diese Klumpen in der
Scheide. Es kann auch Vorkommen, dass die in der Scheide
angesammelten Klumpen die Blase in ihrer Funktion behindern.
Der Urin macht wund, zeigt einen ziegelrothen Niederschlag
oder ist dunkel gefärbt mit zollhohem weissem Niederschlag
oder mit Nierengries.
Verlust der Potenz. Grosse Empfindlichkeit und Reiz¬
barkeit im äusseren unteren Theile der Scheide beim Uriniren.
Plötzliches Aufhören der Menstruation. Zu zeitige und zu
reichliche Periode. Auch eine Ueberempfindlichkeit findet
sich in diesen Theilen. In der Scheide so grosser Schmerz,
dass die Kranken sich nicht im Bette zu legen wagen, son¬
dern sitzen bleiben, um einschlafen zu können.
Rohheitsgefühl im Halse, Heiserkeit, Jucken, Kratzen,
Würgen, Tropkenheitsgefühl im Larynx. Langdauernde Bron¬
chialkatarrhe nach Keuchhusten. Keuchhusten mit besonders
starkem Anfall beim ersten Erbrechen. Hierher gehört auch
der Husten der Trinker, wie er so häufig bei alten Trinkern
vorkommt, welche bei jedem Husten würgen und aufstossen.
Auch bei jedem Schlucken tritt dieses eigenthümliche Würgen
auf. Hier passt unser Mittel fast ebenso gut wie Lachesis.
Plötzliche Lungenkongestionen. Ansammlungen von Schleim
in der Brust, der schwierig heraufzubringen ist und beinahe
erstickt. Speiseerbrechen. Mir hat schon mancher Kranker
gesagt: „Es lohnt sich nicht, dass ich etwas esse, bevor ich
nicht meinen Hustenanfall überstanden habe, sonst geht das
Essen gleich wieder verloren.“
Der Husten wird namentlich durch das Essen erzeugt,
wenn er nahe an seiner Zeit ist. In der Zwischenzeit Krächzen,
der Kranke hüstelt ja auch viel, aber das ist lange nicht so
stark, als wie bei den ausgesprochenen Anfällen.
Schweres Druckgefühl in der Präkordialgegend. Schmer¬
zendes Gefühl durch das Kreuz.
Es sind auch Nierenkoliken damit geheilt worden. Schmerz
in der Nierengegend, der bis in die Blase heruntergeht und bis
in die Beine. Bewegung vermehrt den Schmerz in den Nieren
und den Schmerz im linken Schultergelenke. Ferner vermehrt
sie die Athemnoth und die Herzsymptome und bringt oft den
Husten herbei.
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Bei der geringsten Anstrengung Müdigkeit und Neigung
zu Schweiss.
Auch paralytische Symptome sind beobachtet worden.
Schlaglähmung mit Stumpfsein der Glieder. Bettwärme ver¬
schlimmert die Halssymptome. Wenn der Kranke von draussen
in den gewärmten Baum tritt, so wird der Hals verschlimmert.
Stechende Schmerzen im Hinterkopfe, in der Gegend der
Milz, in der oberen Brusthälfte, stechende Schmerzen überall.
Drückende Schmerzen in den Augen, in beiden Schläfen, vorn
an der Stirn, bis zum Hinterkopf gehend.
Vor Allem vergessen Sie nicht, bei Blutungen und Neigung
zu Blutungen an unser Mittel zu denken.
Mannigfaltiges.
Hermann Fischer’s Homöopathische Offizin in Dessau,
die Dr. Gustav Marggraf erworben hat und leitet, wurde von
den in Dessau zur Frühjahrsversammlung eingetroffenen Mit¬
gliedern des Sächsisch-Anhaltiner Vereines besichtigt.
Wir haben von diesem Institute den aller an genehmsten
Eindruck gewonnen. Es ist nicht nur äusserlich sehr an¬
sprechend und anständig ausgestattet und durch seine gute
Lage als ein hervorragendes Institut der Stadt Dessau ge¬
kennzeichnet, sondern wir bekamen auch den Eindruck von der
liebevollen Pflege, welche der Besitzer dieser Anstalt zuwendet.
Wir homöopathischen Aerzte können uns gar nicht genug
freuen, wenn eine Decentralisirung des Handels mit homöo¬
pathischen Arzneien eintritt. Viele Uebelstände der deutschen
Homöopathie wären vermieden worden und manche sind noch
auszugleichen, wenn in vielen Orten zuverlässige, rein homöo¬
pathische Apotheken bestehen und das ist eben der Vorzug
von Hermann Fischer’s Homöopathischer Offizin, dass sie
durchaus selbständig begründet worden ist und erhalten wird.
Aus der Zeitungsmappe.
Monthly Homoeopathic Review, November 1898.
Die Redaktion warnt in einem Artikel, betitelt: „Die
Stellung der Homöopathen zur Homöopathie“ vor Optimismus
und Pessimismus bei den homöopathischen Aerzten.
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Wunderbare Heilungen giebt es nur selten, und dieselben
dürfen nicht als Eegel angesehen werden.
Pessimistisch denken meist nur diejenigen Aerzte, welche
Halballopathen sind oder Routiniers sind, die sich bei den
einfachsten Sachen mit homöopathischen Mitteln nicht zu
helfen wissen. Die Patienten dieser sogenannten Homöopathen
sind nicht unsrer Sache gewonnen, sondern sind nur persönliche
Anhänger ihres Arztes, und wenn sie den Ort wechseln, so
fallen sie in die allopathische Schule zurück.
Wer bei uns ruhig ist und sachlich, der kann die Grenzen
unsrer Methode erkennen und wird damit auch seinen Kranken
wesentliche Dienste leisten.
Dr. George Black: Dr. Balfours Ansichten über
Homöopathie.
Dr. Balfour hielt die Eröffnungsrede in der Junisitzung
der „British Medical Association“ und sprach dabei über
Homöopathie. Es ist nicht ohne Interesse zu hören, was ein
solcher Mann, der sich mit der Frage beschäftigte, davon
erfasste und wie er sie darstellte.
Ueberrascht durch Professor Hendersons Uebertritt zur
Homöopathie ging Balfour nach Wien, um die Homöopathie
kennen zu lernen. Er sah die Heilungen der Lungenentzündung
durch Professor Fleischmann in dem Gumpendorf-Hospital, und
„für ihn, der aus derjenigen Schule kam, welche Alles mit
Aderlässen heilen wollte, waren die dort mit infinitesimalen
Mitteln erzielten Erfolge erstaunlich. Als er aber von der
Bereitungsweise der homöopathischen Medikamente gehört,
erscheint ihm eine Wirkung derselben unmöglich, und unter
dem Einfluss der damals schon sich entwickelnden Wiener
nihilistischen Schule glaubt er, an eine Spontanheilung, ähnlich
wie auf der Skodaschen Abtheilung durch den Gebrauch von
Heuthee erzielt wurde.
Jedoch als er zurückkam, hatte er den Gedanken immer
noch nicht ganz abgestreift, dass die homöopathische Behand¬
lung einen Grund haben könnte, und er beantragte deshalb
bei der Gesellschaft , es sollten die Pneumoniefälle eklektisch
behandelt werden. Doch als die ärztlichen Mitglieder der
Gesellschaft dies ablehnten, zog er seinen Vorschlag ohne
weiteres zurück, und doch war in jener Zeit von Professor
Henderson eine Statistik veröffentlicht worden über Pneumonie¬
fälle, die den Mitgliedern hätte die Augen öffnen können!
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Hier ist eine der Tabellen.
Sterblichkeit an allopathisch behandelter Pneumonie:
Gewährsmann:
Krankenzahl:
Todesfälle:
Grisolle
304
43
Briquet
364
85
Edinburgh Infirmary
222
80
Skoda
19
4
Zusammen
909
212
Sterblichkeit 23,32 °/ 0 oder nahezu einer auf vier Fälle.
Sterblichkeit an homöopathisch behandelter Pneumonie:
Gewährsmann: Krahkenzahl: Todesfälle:
Fleischmann 299 19
Sterblichkeit 6,70% oder ungefähr einer auf fünfzehn Fälle.
Es ist charakteristisch genug, dass solchen Zahlen gegen¬
über und auch gegenüber dem ursprünglichen instinktiven Ge¬
fühle, dass die homöopathische Behandlung nicht ohne Bedeutung
sein sollte, lediglich seine physikalische Unkenntniss den Dr. Bal-
four dazu brachte, vom weiteren Verfolgen seiner homöo¬
pathischen Studien abzusehen. Er sah in der Potenzirung eine
reductio ad absurdum, und da ihm das Experiment, was er
zu machen sich weigerte, fehlte, so kam er zu der falschen
Schlussfolgerung, dass die so gearbeiteten Mittel wirkungs¬
los seien!
Journal of Homoeopathics, Dezember 1898.
Dr. Eadie berichtet über die Behandlung einer Ovarial-
cyste, die nach der Untersuchung guter Chirurgen faustgross
war und angeblich sofort zur Operation kommen musste. Aus
Furcht davor wandte sich die 22 Jahre alte Kranke am
15. November 1897 an den Berichterstatter.
Dumpfer schwerer Schmerz in der rechten Eierstocks¬
gegend seit einem Jahre. Der Schmerz geht nach links her¬
über und erfasst auch den linken Eierstock. Verschlimmerung
am Morgen beim Aufstehen und in den ersten Stunden des Auf¬
seins, Besserung beim Liegen auf der rechten Seite. Pünktliche,
wässerige Periode, manchmal schwarz und geronnen, in letzter
Zeit übelriechend. Beiehlicher Fluss, die ersten Tage mit Schmer¬
zen im Rücken. Gelber Ausfluss, besonders nach der Periode.
Besserung des Schmerzes durch starkes Zusammendrücken
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des Körpers. Sie weint sehr leicht, wird durch einen Wein¬
anfall gebessert, ist sehr nervös und liebt die Einsamkeit.
Ein kalter Raum ist nothwendig, weil sie sich im geschlossenen
Raume unwohl fühlt. Nach dem Schlaf eine Art von Ohn¬
mächtigwerden. Viel Kopfschmerzen. Durst auf kalte Ge¬
tränke. Verstopfung. Eiisse und Hände kalt. Plötzliches
Heisswerden des Kopfes, sodass das Gesicht purpurn aussieht.
Schwellung der unteren Augenlider. Dunkles Haar. Blaue
Augen.
Ordination: Lycopodium mm wirkte nicht, weil eine plötz¬
liche Verschlimmerung eingetreten war, Colocynthis lm hob die¬
selbe. Drei Tage darauf meldete die Kranke, dass sie auf beiden
Seiten schmerzlos liegen könne. Der Urin wurde ganz dunkel
mit dickem weissem Sediment und roch sehr stark.
Lycop. mm. Die nächste Periode war übelriechend.
Im Urin kein Sediment. Weniger Ausfluss. Beginnender
normaler Stuhl. Die Besserung schritt so 16 Tage lang fort,
dann trat beim Aufstehen vom Tisch Erbrechen alles dessen
ein, was sie genossen hatte, mit viel Uebelkeit zuvor. Sie
hatte Austern gegessen, die ihr allerdings auch früher niemals
bekommen sind. Der Urin sieht aus wie mit Blut versetzt.
Brennender sehr heftiger Schmerz kurz vor dem Urinlassen.
Lycopodium mm. Es traten keine neuen Erscheinungen auf.
Im Eebruar konnte sie sich gesund melden und im Oktober
hat sie geheirathet.
Solche Fälle sind wichtig für die Berichterstattung, nicht
deshalb, weil sie so selten Vorkommen, sondern deshalb, weil
die Chirurgen meistens die Möglichkeit einer solchen Heilung
damit in Abrede stellen, dass sie behaupten, die-erste Unter¬
suchung sei nicht korrekt genug gewesen. In diesem Falle
waren erste Autoritäten aus dem anderen Lager die Unter¬
sucher, und damit ist wohl dieser Einwand ausgeschlossen.
Revue homoeopatkique frangaise, Dezember 1898.
Dr. Parenteau empfiehlt Ferrum phosphoricum bei den
Neuralgieen unter dem Auge rechts mit morgentlicher Ver¬
schlimmerung bei blassen, unregelmässig geregelten Frauen
mit häufigen starken Blutungen.
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Hahnemannian Advocate, Januar 1899
Die Aerztin Jessie B. Atkins berichtete:
Eine 34jährige Frau, welche seit langer Zeit in der Be¬
handlung von Frauenärzten stand, sollte beiderseitige Ovario-
tomie durchmachen. Das rechte Ovarium ist degenerirt, das
linke soll aus Vorsicht mit weggenommen werden.
Sie ist seit sieben Jahren verheiratet, hat keine Kinder,
ist seit dem 17. Jahre entwickelt. Die Periode blieb immer
dunkel und geronnen mit Migräne vor- oder nachher. Vor
sechs Jahren hatte sie eine Ketroversion des Uterus, welche
durch mechanische Behandlung verschlimmert wurde. Vom 6. bis
17. Jahre hatte sie jedes Jahr Fieberschaudern. Von diesen
Anfällen wusste sie bloss noch, dass sie immer Vormittags
kamen, sehr heftige Kopfschmerzen verursachten und viel
Schweissfriesel ergaben. Sie hat damals viel Chinin bekommen.
Jetzt ist die Periode regelmässig, dauert fünf Tage und
dehnt sich nur selten auf längere Zeit hinaus. Heftige
Schmerzen im Becken, sehr scharf, platz wechselnd. Gefühl
von einer Kugel im Leib, die steigt und fällt. Das linke
Ovarium ist hinreichend gross und sehr empfindlich für die
Berührung. Der Schmerz ist dort immer sehr heftig, da¬
zwischen dumpfes Klopfen und Hitze. Das ganze linke Bein
fühlt sich schwer. Zwischen den Perioden Absonderung mit
dem Aussehen von Eiter, faulig riechend, am stärksten unmittel¬
bar nach der Periode. Kalte Füsse. Viel Kopfschmerzen und
heisser Scheitel. Bedürfniss zu weinen. Braucht viel Salz
bei gutem Appetit. Schlechter Schlaf. Träumt, sie falle.
Wacht weinend auf.
26. Januar bekam sie eine Gabe Natrium mur. Im. Sie
berichtet nach zehn Tagen, dass sie besser schlafe und sich
gut befinde. Acht Tage später war ein sehr stürmischer Zu¬
stand. Sehr heftige Schmerzen im linken Eierstock. Schneiden
im Kücken. Ausserordentlich starker Frostschauder V 2 10 Uhr,
in Fingern und Zehenspitzen beginnend. Grosser Durst vor
und während des Frostes. Heftige Kopfschmerzen. Uebel-
keit. Bitteres Erbrechen. Keine neue Verordnung.
Tags darauf kam ein sehr übelriechender Eiter durch die
Scheide und aus dem After ein wässeriger Abfluss.
Am 30. unaufhörliches Stuhlbedürfniss. Viel Speichel,
watteartig, weiss. Nux vomica lm, am nächsten Tage wieder¬
holt. Darauf trat 24 Stunden später ein starker Eiterstuhl auf.
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Eine dritte Gabe Nux vomica reichte aus, um eine fort¬
gehende Besserung bis Ende März zu erzielen. Mit der
vierten Gabe zu dieser Zeit war die Behandlung abgeschlossen.
Journal beige d’Homceopathie, Januar—Februar 1899.
Dr. Van den Berghe berichtet über Aloe bei einem Falle
von mangelndem Schluss von Blase und After.
Eine junge blonde Nonne von 20 Jahren hat eine Tag
und Nacht anhaltende Unfähigkeit, Urin und Stuhl zu halten.
Daneben hat sie Kopfschmerzen und Schwere des Kopfes mit
Pressen in der Stirn. Das Leiden besteht erst seit einigen
Monaten. Früher hat sie nur durch eine skrophulöse Oph¬
thalmie ein Auge verloren. Sie empfindet den Abgang gar
nicht. Derselbe erfolgt fortwährend, und selbst geformte
Stühle werden von ihr nicht gefühlt. Aloe 30 täglich 5 Körn¬
chen besserte in 14 Tagen den Fall so, dass gar kein Stuhl
mehr abgeht, der Kopf vollständig frei ist und nur noch etwas
Harnspuren sich in der Wäsche befinden.
Ein ähnlicher Fall bei einem 5jährigen Knaben wurde
in 4 Tagen durch dasselbe Mittel geheilt. Ein Rückfall nach
4 Monaten wurde durch eine neue Gabe zur Heilung übergeführt.
Die Pathogenese des Apomorphin von Dr. Marc Jousset
bringt folgende charakteristische Zeichen:
Schläfrigkeit. Reichliche Schweisse beim Brechen. Hitze¬
gefühl vor dem Erbrechen. Vor dem Erbrechen grosse Blässe,
Speichelfluss. Nach dem Erbrechen behagliches Befinden, Un¬
regelmässigkeit des Pulses.
Ich möchte hier hinzufügen, dass ich Kranken, welche
eine Seereise Vorhaben, mit ganz gutem Erfolge Apomorphin 30
mitgebewenn dieselben über eine eigenthümliche Hitze vor
dem Erbrechen und einen starken Schweiss klagen. Ich lasse
dann nach jedem Erbrechen eine Gabe nehmen, und im Allge¬
meinen habe ich den Eindruck, dass die Krankheit so wesent¬
lich eingedämmt ist, dass die Kranken ungeschwächt den jen¬
seitigen Hafen erreichen. Bei diesen Formen habe ich es nie
dahin gebracht, dass gar kein Erbrechen aufgetreten wäre,
während bei den Formen, bei denen die Uebelkeit durch den
Geruch ausgelöst wird, man mit einer höheren Potenz von
Kreosot fast sicher auf einen Erfolg rechnen kann.
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North American Journal of Homoeopathy, Februar 1899.
Palladium von Dr. William D. Young. Verfasser be¬
dauert, dass wir keine Prüfungen haben von diesem Mittel
und manchen anderen Mitteln, welche wir bei Frauenleiden
nur nach den klinischen Symptomen an wenden.
Auffällig ist die Rechtsseitigkeit der Beschwerden bei
Palladium.
Ein wirklich eigenthümliches Symptom scheint am Kopf
zu existiren, ein Schmerz vom einen Ohr über den Scheitel
weg zum anderen Ohr mit dem Gefühle, als ob der Kopf vor-
und rückwärts schwankte. Durch diese Empfindung wird die
Kranke sehr aufgebracht.
Als Gemüthssymptom .ist sehr auffällig ein grosses Be¬
dürfnis hach Anerkennung, sodass die Kranke ganz anders
geworden ist, wenn sie sich in einem Kreise befindet, der ihr
den Hof macht. Findet sie diesen Anklang im Gegensätze
nicht, so wird sie ganz unvernünftig heftig und findet sich
immer vernachlässigt. Am nächsten Tage nach einer solchen
Aufregung sind die Beckenbeschwerden vermehrt.
Hahnemannian Advocate, März 1899.
Die Zeitschrift macht den Versuch, das Interesse an der
einzelnen Nummer einer periodischen Zeitschrift dadurch zu
heben, dass es in derselben bestimmte Mittel behandelt. In
der vorliegenden Nummer handelt es sich um Aconit und Bella¬
donna. Diese Zusammenstellung ist ganz charakteristisch und
giebt der einzelnen Nummer einen gewissen erhöhten Werth.
North American Journal, März 1899.
Dr. M. J. Bliem, San Antonio, empfiehlt als werthvolles
Mittel bei schweren Formen von Dysenterie Chapärro.
Dies ist ein Fluidextract von Castela Nicholsoni Hook, welches
zu den Simaruben gehört. Das Mittel ist in dem Heimath-
lande der Pflanze, in Südtexas und Nordmexiko, als vorzüg¬
liches Heilmittel für alle Darmkrankheiten bekannt.
Dr. Partridge schreibt über die nichtchirurgische Be¬
handlung der Fibroide des Uterus. Wenn dieselben zeitig
erkannt werden, so können sie auch.behandelt werden. Man
muss nur dafür sorgen, dass die Schädigungen, welche auf den
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Geschlechtsapparat wirken, thunlichst beseitigt werden. Die
Mittelwahl muss nach allgemeinen Symptomen getroffen werden.
Die Hilfsbehandlung hat sich zu beschränken auf die Beseitigung
grober mechanischer Störungen. Der Tumor an und für sich
macht keine Beschwerden, bis Veränderungen anderer Art am
Geschlechtsapparate auftreten, welche dann in Folge des vor¬
handenen Tumors nicht mehr von selber ausgeglichen werden.
Die Apostolische elektrische Behandlung ist in den Fällen,
welche der inneren Behandlung nicht mehr zugänglich sind,
nicht mehr zu empfehlen.
New-York Medical Gazette, März 1899.
Dr. J.W.Clapp bespricht die Verdünnungen unlöslicher
Metalle. Dieselben sind in der neuen amerikanischen Pharma¬
kopoe gar nicht aufgeführt worden, weil sie therapeutisch nicht
genauer zu bestimmen sind. Nach Hahnemanns Meinung ist
die dritte Centesimalverreibung so verfeinert, dass sie löslich
wird. Die mikroskopische Untersuchung bestätigt das nicht,
wohl aber wissen wir neuerdings, dass doch für unlöslich ge¬
haltene Metalle löslich sind. Die Löslichkeit der Metalle
beruht wahrscheinlich auf ihrer Oxidirung. Die praktische
Verwendbarkeit der bis jetzt unter dem Namen dieser Metalle
hergestellten Verdünnungen darf keinen Einfluss haben auf die
Aufnahme oder den Aufschluss derselben in die Pharma¬
kopoe.
Aus der Verkleinerung der einzelnen Theile des verriebenen
Metalles will der Verfasser auch schliessen, dass wir überhaupt
nicht über die sechste Centesimale hinauskommen können,
und dass Alles, was darüber hinaus hergestellt wird, nicht
Verdünnungen, sondern Lösungen sind. Gleichzeitig empfiehlt
er die von der neuen Pharmakopoe eingeführte Dezimalskala
zum allgemeinen Gebrauche.
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Jahrgang VIII
Nr. 12. Dezember 1899.
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geleitet
von
Dr. Alexander Villers.
-^-
Inhalt.
Znm Abschied.
Kent. Kali jodatum.
Kent. Magnesia carboniea . . .
Villers Krankengeschichten . .
Aus der Zeitungsmappe ....
Inhaltsverzeichniss des VIII. Bandes
Seite
353
356
363
368
376
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ARCHIV FÜR HOMÖOPATHIE
von
Dr. Alexander Villers.
Jahrgang VIII. Nr. 12. Dezember 1899.
Zum Abschied.
Ich nehme Abschied von meinen Lesern, nicht wie es
sonst am Jahresschlüsse üblich, nur um für das neue Jahr ihr
Interesse mir wieder zu erbitten, sondern weil diesmal mit der
heute ausgegebenen Nummer das „Archiv für Homöopathie“
seinen Lebenslauf beschliesst.
Nachdem ich acht Jahre lang dieses Blatt geleitet und
herausgegeben habe, habe ich mich entschlossen, dasselbe wieder
eingehen zu lassen.
Wenn auch dabei persönliche Gründe in hervorragendem
Maasse mitwirken, welche mir die weitere Belastung mit der
Arbeit, die eine solche Redaktion und ein Verlag macht, ver¬
bieten, so würden dieselben vielleicht nicht zu dem Entschlüsse
mich gebracht haben, meine eigene Schöpfung wieder eingehen
zu lassen, wenn nicht die allgemeinen Verhältnisse in der
deutschen Homöopathie mir dringender und dringender den
Wunsch nahegelegt hätten, aus der öffentlichen Arbeit aus-
zuscheiden.
Wir können uns nicht verhehlen, dass die deutsche Homöo¬
pathie jetzt tief steht und lebensschwach erscheint. Ohne
Kampf hat in keinem Lande je irgend eine neue Richtung auf
dem Gebiete des Wissens ihren Boden erobern können, aber
die Energie, mit der sie Boden gewinnt, die Summe von äusseren
Erfolgen, welche sie davon trägt, die Steigerung des Ansehens,
welches sie geniesst, stehen in gradem Verhältnisse zu ihrer
Lebenskraft und zu dem zielbewussten Vorgehen ihrer Ver¬
treter. Bei uns in Deutschland stagnirt die Entwickelung der
Homöopathie, denn wir sind weder zahlreich genug im Kreise
der Aerzte vertreten, noch haben wir Einfluss auf die unser
Gebiet berührenden Gesetze, noch haben wir es verstanden,
Institute zu schaffen, deren Blühen die Berechtigung unserer
Arbeiten auch dem neutralen Publikum erweisen würde.
Archiv Für Homöopathie. Heft 12. 23
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Der innere Werth der Homöopathie ist viel zu gross, als
dass eine solche Zeit des Stillstandes Hoffnungen auf eine
glänzendere Zukunft ausschlösse, aber augenblicklich sind die
Zeiten für eine erspriessliche Förderung sehr ungünstig.
Nach aussen hin ist unser grösstes Hinderniss der Kapi¬
talismus, der mit der ganzen plumpen Last seiner Begehrlich¬
keit jede freiere, anständigere Entwickelung in der Homöo¬
pathie hasst. Die Vertreter dieser Partei sind nicht damit
zufrieden, den reichlichen Verdienst davongetragen zu haben,
den ihre fleissige Arbeit 'ihnen mit Recht gebracht hat, son¬
dern sie wollen von der Homöopathie, der sie ihre Existenz
erst verdanken, auch noch als Gönner und Schützer angesehen
werden. In vollständiger Verkennung der wahren Verhältnisse
werfen sie sich zu Führern auf, und darum entgeht uns in
Deutschland der Vortheil, den andere Länder haben, dass die
Intelligenz des Fachmannes und die innere Ueberzeugung des
praktischen Vertreters in der Leitung unserer Partei ausgiebig
genug verwendet werden könnte.
So schwer ich solche Belastung und unnatürliche Ordnung
der Dinge empfinde, so weiss ich doch, dass bei Bewegungen
auf dem geistigen Gebiete dieselben nicht ein so schweres
Hinderniss sein können, wenn nur die innere Triebkraft der
Bewegung mächtig genug bleibt, und da wollen wir an unsere
eigene Brust schlagen und uns sagen: wir arbeiten nicht genug,
um die Homöopathie zu vertiefen und auszubreiten.
Ich verkenne ja nicht, dass unter einer gewissen Zahl von
Aerzten es immer eine grosse Zahl von solchen geben muss,
die sich nur handwerksmässig mit dem erlernten Materiale
begnügen und denen durchaus das Bedürfniss abgeht, sich und
ihre Sache durch innere Arbeit zu heben. Dass diese Zahl
bei uns, die wir uns von der Tradition losgemacht haben,
wodurch schon jeder für sich eine gewisse geistige Selbständig¬
keit bewiesen hat, nicht so übermässig gross ist, das ist ja
ganz erfreulich, aber immerhin bleibt ein grosser Theil der
deutschen homöopathischen Aerzte für die Fortschritte in
unserer Richtung nutzlos. Aber auch diejenigen, welche sich
an der Ausbildung unseres Systems betheiligen, sind nur zum
Theil auf richtigem Wege. Nicht die Unterschiede in den
einzelnen Anschauungen, ob Hochpotenzier, ob Tiefpotenzier,
ob Einzelgabe, ob Wechselgabe, ob reine Arzneibehandlung
oder mit anderen Hilfsbehandlungen kombinirte, machen den
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einen oder den anderen werthvoller als geistigen Kämpfer in
unserer Armee, sondern nur die Frage: Hat er sich zu einer
ganz bestimmten, unzweideutigen Stellung in der homöopathi¬
schen Auffassung emporgerungen oder hängt er noch an der
traditionellen Medizin und ist immer nur mit einem gewissen
Bedenken in den Reihen unserer Kämpfer zu finden?
Wer nicht eingesehen hat, dass die Homöopathie etwas
durchaus Anderes ist, als was bis jetzt irgendwann und irgend¬
wo auf dem Gebiete der medizinischen Wissenschaft gefunden
worden ist, wer sich nicht bescheiden kann zu sagen, dass die
Erklärung für die mancherlei Phänomene, die wir kennen, noch
nicht gefunden ist, und wer nicht dazu sich entschliessen kann,
alle Beweise für die Homöopathie nur auf deren eigenem Grund
und Boden, nur durch Beobachtung von deren Wirkung zu¬
sammenzustellen, der ist nicht Homöopath, und wenn er sein
ganzes Leben lang „homöopathisch behandelt hat“, und in
diesem Punkte hapert es bei Vielen. In allen wissenschaftlichen
Winkeln, vor Allem aber in den schon längst verstaubten
Winkeln, suchen sie nach der Begründung der.neuen Lehre,
sie sehnen sich ordentlich darnach, wenn sie etwas finden
könnten, was die Annäherung an die alte Richtung wieder
ermöglichen würde. Wohl mag es sein, dass auch die moderne
Schwäche und Haltlosigkeit, die sich in all den Bestrebungen
der Schutzverbindungen, der Innungen und der Standesordnungen
ausdrückt, darin mit eine Rolle spielt. Jedenfalls sind wir
jetzt keine führende Partei, die auf den Fortschritt, welcher
im Keime in ihr liegt, hinweist, sondern eine Partei, die be¬
scheiden um Anerkennung ringt.
In diesen Zeiten des Stillstandes ist die Arbeit eines
Redakteurs, der vorwärtsgehende Ideen hat, zu sehr erschwert.
Er findet keine Mitarbeiter, er muss eine Menge von Neben¬
arbeiten persönlich machen, die unter anderen Verhältnissen
ihm abgenommen würden, und er hat das Gefühl, dass er
zwar Samenkörner ausstreut, so gar nichts aber von der Ernte
selber sehen wird.
Das ist der Grund, warum ich jetzt aus dem öffentlichen
Leben der Homöopathie ausscheide, sowie das Zusammentreffen
mit einem der meiner Art am meisten antagonistischen Männer
im Centralverein mich zum Ausscheiden aus diesem Vereine
bestimmt hat.
Die jüngeren Aerzte in der Berliner Vereinigung, auf
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deren fleissige Arbeit und fröhlichen Wagemuth ich sehr ge¬
rechnet hatte, wollen auch mit dem Kapitalismus paktiren,
und so bleibt eigentlich nur der Anhaltiner Verein, in dem
die Anschauungen reichlich genug vertreten sind, denen ich
hier Ausdruck gegeben habe. Als die Mitglieder desselben
mich zu ihrem Vorsitzenden ernannten, nahm ich deshalb
auch diese Ehre dankend an, und ich hoffe, der Verein wird
den Sammelpunkt bilden für alle Solche, welche die Homöo¬
pathie um der Homöopathie willen lieben und deren Früchte
sich durch starke Arbeit erwerben wollen.
Ist dann wieder ein Stamm geschaffen, dessen Arbeit
hoffnungsfreudig die Herzen höher schlagen lässt, dann werde
ich mit meinem „Archiv“ wieder auf dem Kampffeld erscheinen
und das Meinige dazu thun, dieser grossen Sache zum Siege
mit zu verhelfen! Dr. Alexander Villers.
Kali jodatum.
Von Prof. J. T. Kent, Philadelphia.
Diese Medizin ist antipsorisch und antisyphilitisch.
Die alte Schule hat dieses Mittel viel als Antisyphilitikum
gebraucht, aber da sie zu grosse Graben wählte, so wurde es
zu häufig in den allopathischen Gegensatz zur Krankheit ge¬
bracht, wirkte zu tief auf den Stoffwechsel, setzte seine eigenen
Symptome ein und unterdrückte daher nur manche Syphilis¬
fälle anstatt sie zu keilen. Das bleibt doch nun einmal eine
anerkannte Thatsache, dass die von allen Seiten als heilkräftig
anerkannten Mittel diejenigen sind, welche zu der Krankheit
homöopathische Beziehungen haben, und von diesen Stoffen
wird nur die kleinstmögliche Menge, welche man hersteilen
kann, bei der Aehnlichkeitsbeziehung wirklich heilen können.
Wenn ein Mittel nicht genug Aehnlichkeitsbeziehungen hat,
um in dieser kleinsten Form zu wirken, so macht auch eine
Steigerung der Gabe es noch nicht zum homöopathisch passenden
Mittel.
Wenn man manchen unserer Parteigenossen zusieht, so
möchte man wirklich glauben, dass dieselben annehmen, durch
eine Steigerung der Gabe das Mittel ähnlicher machen zu
können. Das heisst doch wirklich unser Grundprinzip ver¬
lassen. Wo das Mittel eben nicht ähnlich ist, da kann keine
Gabenform es ähnlich machen.
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Kali jodatum geht in seiner Wirkung sehr tief und geht
besonders auf die Drüsen und auf die Knochenhaut, ungefähr
so wie die Syphilis. Auch seine katarrhalischen Entzündungen
■sehen den syphilitischen sehr ähnlich. In Bezug auf seine
tiefgehende Wirkung hat es viele Beziehungen zu Mercur, mit
dem es die Geschwüre, die Katarrhe und die Drüsenaffektionen
gemeinsam hat, ja, es steht diesem Mittel so nahe, dass es
dabei als Gegenmittel benutzt werden kann.
Die alten Patienten, welche immer Calomel oder Queck¬
silberpillen für ihre Gallenbeschwerden genommen haben, zeigen
schliesslich eine ganze Menge Erscheinungen von Schnupfen,
Verstopfung, schmerzhaften Leberbeschwerden und Magen¬
beschwerden und verlangen immer wieder nach ihrem Queck¬
silber. In manchen Eällen können wir diesem Verlangen
nachgeben, in anderen Eällen müssen wir Kali jodatum an¬
wenden.
Wenn in Ihrer Nähe so ein Auch-Homöopath sich be¬
findet, der für alle Erkältungen und Halsentzündungen Mercur,
besonders das bijodatum giebt, dann w r erden Sie auch finden,
dass ein grosser Theil seiner Patienten überempfindlich wird
für jeden Witterungswechsel und immer wieder zu diesem
rothen Pulver seine Zuflucht nimmt. Manche haben es sogar
immer bei sich, und je mehr sie davon nehmen, um so häufiger
bekommen sie Halsentzündungen und andere Erkältungen. Mit
solchen Leuten können Sie auch gar nichts anfangen, wenn
Sie nicht eine Gabe Kali jodatum in der Hochpotenz oder
eine Gabe Hepar einschalten, das sind die beiden Mittel, welche
ein solcher Kranker unbedingt braucht. Solche Kranke mit
einer Ueberempfindlichke.it für Erkältungen bei Witterungs¬
wechsel, die aber erst durch die Einwirkung von Mercur so
geworden, also zu sehr mercuralisirt worden sind, können
nach zwei Bichtungen ihre Eigenthümlichkeit zeigen. Die
Leute, welche immer frieren und sich immer schütteln vor
Kälte und sich immer ans Feuer herandrängen, ohne warm
zu werden, bei denen wirkt Hepar antijodatisch zu Mercur.
Diejenigen aber, welche immer sich zu heiss Vorkommen, sich
aufdecken, sich immer hin und her bewegen, sehr ruhelos sind,
furchtbar müde werden, sobald wie sie sich still verhalten,
bei denen muss das Mercur durch Kali jodatum in seiner
Wirkung aufgehoben werden. Schliesslich gelangt man dahin,
eine solche Mercurialisirung wieder auszugleichen, aber manch-
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mal gehören eine ganze Reihe von Verordnungen dazu. Die
Psora des Kranken, also sein chronischer Zustand, zeigt sich
erst dann, wenn Sie den miasmatischen Zustand, welcher durch
Mercur hervorgerufen worden war, gehoben haben.
Wenn Sie die Augen aufmachen, so werden Sie erstaunt
sein, wie viele Männer, Frauen und Kinder ins Unglück ge¬
stürzt werden durch die Mercurialkrankheit, und doch fahren
diese Bastardhomöopathen fort, Mercur in solchen grossen
Gaben zu geben, und wagen noch, das Homöopathie zu
nennen.
Unser Mittel hat einen eigenthümlichen Gemüthszustand.
Die Leute sind reizbar, grausam und hart. So ein Mann ist
hart mit der Familie und mit seinen Kindern und gebraucht
viel böse Worte. Alles, was an seinem Charakter liebens¬
würdig und vornehm war, geht verloren, er wird höchstens
traurig und leicht zu Thränen geneigt. Er wird sehr nervös
und muss gehen, immer gehen und immer wieder gehen und
immer sich Bewegung machen. Wenn er zu Hause im warmen
Zimmer bleibt, wird er schwach, hinfällig, müde, glaubt sich
nicht mehr bewegen zu können, will sich auch gar nicht be¬
wegen und weiss nicht, was mit ihm los ist. Im warmen
Hause fühlt er sich schlechter, aber sowie er an die frische
Luft kommt, geht es ihm besser. Sobald er zu gehen anfängt,
wird es noch besser, und ohne zu ermüden, kann er weiter
gehen. Kommt er dann nach Hause, wird er wieder schlaff,
wird müde und die Kräfte verlassen ihn. Von jedem Aus¬
ruhen kommt eine nervöse, ungemüthliche Ermüdung, und eines
der charakteristischen Symptome ist die Verschlimmerung durch
Ruhe.
Im Körper zeigen sich manche merkwürdige Sachen, die
wir auch bei der Syphilis sehen können, welche durch dieses
Mittel beeinflusst wird, wenn sonst die Symptome sich decken.
Syphilitische Kopfschmerzen auf beiden Seitenbeinen, Schmerzen
durch das Seitenbein, durch die Kopfseite, wie von einer
Schraube, furchtbares Pressen, Drücken, Reissen an beiden
Seiten des Kopfes. Diese Erscheinungen werden verschlimmert
im Hause und in der Wärme, gebessert durch Kälte und Be¬
wegung, besonders in der freien Luft, aber sowie er das Haus
wieder betritt, überfallen ihn die Schmerzen wieder sehr heftig.
Im ganzen Kopfe Schmerzen wie von einem Messerstich
oder wie von einem Nagel. Durchfahrende Schmerzen, schnei-
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dende Schmerzen in der Kopfhaut, in den Schläfen, über den
Augen, durch die Augen. Die Knochenhaut um den Schädel
wird sehr empfindlich und bildet einzelne Knoten. Auf der
Kopfhaut treten knotige Ausschläge auf, tuberkelartige und
syphilitische Erscheinungen. Die Kopfhaut wird so empfindlich
für das Kratzen, als wenn sie wund wäre. Das Haar wechselt
leicht die Farbe und fällt aus.
Wenn man einen syphilitischen Fall beobachtet, findet
man oft dabei Sehstörungen und schliesslich Iritis. Schickt
man einen solchen Kranken zum Augenarzt, so wird der¬
selbe ihm Atropin einträufeln, um Anwachsungen zu ver¬
hüten, dann wird noch alles mögliche Andere gethan, und
schliesslich wird der Kranke unheilbar. Ich schicke nie einen
solchen Fall zum Augenarzt und habe das nie zu beklagen
gehabt, und wo ich alsdann das richtige Mittel getroffen habe,
da habe ich eine klare und gute Heilung gesehen. Ich sage
das, nachdem ich sehr viele solcher Fälle behandelt habe.
Diese Fälle lassen sich eben homöopathisch behandeln.
Ich habe syphilitische Iriten gesehen, die sehr schwer
waren und die durch Staphisagria, Hepar, Nitri acidum,
Mercur, Kali jodatum und manche andere Mittel geheilt wurden.
Bei dem richtig gewählten Mittel hörte die Entzündung sofort
auf. Deswegen giebt es da keine Verklebungen, keine Ent¬
stellungen und keine nachbleibenden Beschwerden. Wenn Sie
natürlich annehmen, dass jede Entzündung ihrengewissen Weg
hat, und dass stets fibrinöse Ausschwitzungen auftreten müssen,
dass also die Verklebungen fast nothwendig sind, dann müssen
Sie auch Atropin oder andere Mittel an wenden, welche be¬
stimmt sind, durch Veränderung der Iris die Gefahr aus dem
Wege zu räumen, aber es ist ja nicht wahr, dass die Krank¬
heit immer diesen Weg nehmen muss, sondern wenn Sie das
richtige Mitte! geben, so können Sie erwarten, dass alle Augen¬
erscheinungen binnen 24 Stunden verschwinden, und da sie
rückläufig verschwinden, so wird gerade die Exsudatgefahr am
allerersten vorbei sein.
Bei unserem Mittel finden sich viele Lidbeschwerden mit
i
grünlichen, katarrhalischen Absonderungen. Diese grüne Farbe
findet sich überhaupt bei allen hierher gehörigen Absonderungen.
Dicker, reichlicher, grüner Auswurf, grüner Schleim mit Eiter
aus der Nase, aus dem Ohr, aus den Augen, dicke grünlich-
weisse und grünliche Absonderung der Geschwüre. Diese
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grünlichen Absonderungen sind manchmal recht, übelriechend.
Manchmal sieht es bei Besichtigung der Conjunctiva aus, als
ob sich ein kleiner mit Wasser gefüllter Sack gebildet hätte.
Das nennt man Chemosis, besonders wenn die Flüssigkeit
eiterig aussieht.
Kali jodatum hat Beziehungen zu diesen Fällen, und es
steht auch in seinem Symptomenbilde.
Früher, wenn ich rheumatischen Kranken Kali jodatum
gab, und zwar in grösseren Mengen, wie es damals üblich
war, so fand ich nach ein bis zwei Tagen Chemosis an den
Augen und der Kranke klagte über furchtbare Schmerzen in
allen Knochen, obwohl die eigentlichen Gelenkschmerzen ver¬
schwanden. Eine solche Veränderung des Krankheitsbildes,
die ich selber durch die allopathische Darreichung des Mittels
verschuldet hatte, dauerte oft mehrere Jahre.
Die Chemosis habe ich öfters beobachtet. Sie gehört zu
den zeitigen Symptomen. Bei Mercur ist etwas Aehnliches.
Wer sehr viel Mercur bei syphilitischen Fällen genommen hat,
wacht am nächsten Morgen auf mit grosser Schwierigkeit, die
Lider zu öffnen, und dann zeigt es sich, dass die Schleimhaut
wie mit Wasser gefüllt ist.
Auch Kali jodatum hat dieses Oedem der Lider mit In¬
jektion und Schwellung der Conjunctiva. Die Schleimhaut
wird roth, wund und blutet leicht, die Gefässe sind erweitert,
die ganze Oberfläche ist sehr wund, entzündet und schmerz¬
haft. Die Bewegung der Augenlider ist so schmerzhaft, wie
wenn Sand dazwischen läge, so dass der Kranke lieber die
Augen zubehält. Das Mittel passt bei akuter Conjunctivitis,,
besonders bei Kranken, welche an Rheumatismus leiden, welche
viel Mercur gebraucht haben, bei Syphilitikern und überhaupt bei
allen syphilitischen und rheumatischen Erkrankungen des Auges.
Alte Gichtiker, die immerfort sich bewegen und im Freien
sein möchten, denen Alles zu warm ist, die kein warmes
Zimmer aushalten können, deren Schmerzen heftiger sind,
wenn sie sich ruhig verhalten, und die ohne Beschwerden
draussen im Freien weite Wege machen, besonders bei Kälte,
deren Gelenke verdickt sind, deren Charakter reizbar, grob und
dazwischen weinerlich ist, diese alle brauchen unsere Arznei.
Die Besserung durch Bewegung würde ja manchen hand-
werksmässig arbeitenden Arzt veranlassen, Rhus zu geben,
aber Rhus wirkt in so einem Falle gar nicht.
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Vergessen Sie nicht: der ßhuskranke ist kaltblütig, friert
immer und will nahe beim Feuer sitzen, die Wärme macht
seine Beschwerden geringer, er fühlt sich wohl er im warmen
Zimmer und jede Bewegung ermüdet ihn sehr, während bei
Kali jodatum die Bewegung nicht ermüdet.
Auch die Nase zeigt mancherlei Störungen.
So ein alter Syphilitiker schnäuzt viele grosse Krusten
und selbst Knochenstückchen aus. Syphilitische Ozäna tritt
auf. Die Nasenknochen sind sehr empfindlich für Berührung,
nekrotisiren die Nase, fallen zusammen und werden weich.
Da der Knochen, welcher die Form giebt, weggefallen ist,
fällt die Nase dann ganz zusammen und wird wie eine rothe
Warze. Sehr heftige Schmerzen an der Nasenwurzel deuten
auf unser Mittel sowie auf Hepar hin.
Hierher gehören noch die dicke, gelbgrüne, reichliche Ab¬
sonderung und die Beeinflussung durch jeden Witterungswechsel.
So ein Kranker erkältet sich immer, hat immer Schnupfen
und muss immer niesen. Die Absonderung ist reichlich, wässerig,
etwas wundmachend, und die Nase brennt. Dieser Schnupfen
wird allein in der freien Luft verschlimmert, während alle
anderen Erscheinungen des Kranken in der freien Luft ge¬
bessert werden. Natürlich fühlt sich ein solcher Kranker sehr
unwohl, wenn er zwei Erscheinungen hat, deren Verschlim¬
merungsbedingungen sich durchkreuzen, denn er weiss dann
nicht, was er machen soll. Im warmen Zimmer ist seine Nase
in Bezug auf den Schnupfen besser, während er erst in Bezug
auf alle anderen Beschwerden sich im Freien besser fühlt.
Häufige Anfälle von heftigem, scharfem Schnupfen durch
die geringste Erkältung. Meistens wird dabei auch die Stirn¬
höhle mit hineingezogen, so dass der Kranke leichte Schmerzen
in der Stirn hat, sowie Schmerzen in den Augen, Schmerzen
in den Wangenknochen.
Im Halse — wie Sie schon aus der Beziehung zu Syphilis
und zu Mercur entnehmen können — finden sich mancherlei
Erscheinungen. Tiefe Geschwüre im Halse. Alte syphilitische
Geschwüre. Durchbohrende Geschwüre, die all das weiche
Gewebe, besonders Zäpfchen und Gaumenbogen, wegfressen.
Geschwüre auf den Mandeln. Sehr vergrösserte Mandeln.
Sehr empfindliche Halsschmerzen. Knoten und Verdickungen
im Halse, auf den Schleimhäuten, Trockenheit des Halses und
vergrösserte Mandeln, schreckliche Schmerzen an der Zungen-
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Wurzel nachts. Die ganze hintere Partie bis herab zu den
Luftröhrenästen wird durch den Katarrh eingenommen. Sehr
häufige Absonderung grünlichen Schleimes.
Während alle diese Symptome durch kalte Luft und bei
Berührung mit äusserer Kälte gebessert werden, giebt es eine
merkwürdige Verschlimmerung, die durch den Genuss kalter
Getränke und kalter Speisen. Kalte Milch, Eis, gekühltes
Wasser, kaltes Essen, überhaupt alle kalten Sachen, die man
zu sich nehmen kann, vermehren alle diese Symptome, und
wenn der Kranke noch so durstig ist und viel trinken will,
so kann er doch kein kaltes Wasser trinken, weil er sich zu
unwohl darauf fühlt. Warme Milch ist angenehm, kalte Milch
verschlimmert Alles.
Kali jodatum hat alle die Auftreibungen und das viele
Aufstossen wie Carbo veg. nnd Lyeopodium.
Die Drüsen des ganzen Körpers können wachsen, hart
und grösser werden.
Mit diesem Mittel sind auch Kröpfe geheilt worden, wo
Jod nicht ausreichte.
Sehr bezeichnend ist die chronische Entzündung der Harn¬
röhre, die nach dem Tripper folgt. Die Absonderung ist grün
oder grüngelb, aber schmerzlos. Die Hoden. sind entzündet,
beinahe wie bei der Syphilis.
Nicht nur bei alten Gichtikern, sondern auch bei Kranken,
welche phthysisch verdächtig sind, und bei alten Malariafällen
denken Sie immer mit an unser Mittel!
Nun möchte ich Ihnen noch einen kleinen Hinweis geben,
der nicht sehr bekannt ist. Wenn Sie zu einem Kranken
kommen, welcher am ganzen Körper mit einem grossen blasigen
crythematösen Ausschlag bedeckt ist, der furchtbar brennt und
den Kranken fast zur Verzweiflung bringt, wenn der Kranke
sich nicht zugedeckt halten kann, weil die innere Wärme zu
gross ist, aber es ergiebt sich bei der Messung keine Temperatur¬
erhöhung, und dieser Ausschlag geht in ein bis zwei Tagen,
manchmal auch schon in ein paar Stunden wieder vorbei, kommt
aber sicherlich wieder, dann merken Sie: eine einzige Dose
der Hochpotenz von Kali jodatum bringt die Disposition weg
und der Anfall kommt nie wieder.
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368
Magnesia carbonica.
Von Professor J. T. Kent-Philadelphia.
Dieses Mittel ist nur zum Theil geprüft, und wir müssen
uns nun mit dem Fragment begnügen, das uns Hahnemann hinter¬
lassen hat. Die Gemüthssymptome und die Symptome mancher
Körperausschnitte sind noch nicht genug herausgebracht. Es
wäre wirklich nöthig, dass man das Mittel noch einmal mit
Hochpotenzen bei sensitiven Personen nachprüft, um die feineren
Unterschiede festzustellen. Ich würde es hier gar nicht nennen,
wenn es nicht so wichtig wäre bei einer Reihe von Fällen,
in denen Sie ohne das Mittel nicht auskommen können. Die
Prüfer von Magnesia carb. brauchen lange Zeit dazu, denn es
hat Beziehungen zu den ältesten am tiefsten gehenden Formen
von psorischen Krankheiten. Seine Wirkung geht tief, dauert sehr
lang und geht durch den ganzen Körper, ähnlich wie Sulphur.
Wie die anderen Magnesia-Verbindungen hat es viel neu¬
ralgische Schmerzen, die längs der Nervenbahnen verlaufen
und so heftig sind, dass der Kranke es nicht in der Ruhe
aushalten kann, sondern anfängt, hin und her zu gehen; da¬
durch hat er Erleichterung. Bei den Prüfern waren die
Schmerzen zumeist im Kopf und Gesicht, und die klinische
Erfahrung hat uns gezeigt, dass diese heftigen Schmerzen überall
auftreten können. Nach der Prüfung sind wir berechtigt zu
behaupten, dass der linke Gesichtstheil besonders für dieses
Mittel bezeichnend ist. Er hat jene furchtbaren nächtlichen
Gesichtsschmerzen, welche ihn aus dem Bett treiben und zu
beständiger Bewegung veranlassen; sobald wie einer die Be¬
wegung einstellt, werden die Schmerzen ausserordentlich scharf,
durchgehend, ziehend und schneidend.
Hier giebt es verschiedene Ausschläge auf der Haut,
trockene, schuppende Ausschläge, sehr ausgehendes Haar und
die Nägel sind schlecht. Besonders greift es die Zähne und
die Wurzeln der Zähne an. Bei jedem Wetterwechsel fangen
die Zahnwurzeln an stark zu schmerzen, brennen, pochen,
ununterbrochener Schmerz, Zahnschmerzen vor und während
der Menstruation. Während der Schwangerschaft leiden sie
die ganze Zeit an Zahnschmerzen, mit ziehendem, reissendem
Schmerz auf der linken Seite, obwohl ihre Zähne gesund sind.
Die hohlen Zähne sind ganz ungewöhnlich empfindlich und
schmerzhaft, die Zähne sind so empfindlich, dass der Zahnarzt
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364
nichts daran machen kann. Das ist ähnlich wie Antimonium
crud., aber Magnesia carb. bezieht sich besonders auf die
Wurzeln der Zähne, während Antimonium crud. mehr das
Zahnbein angreift. Empfindlichkeit der Zähne, so dass der
Kranke dieselben nicht zusammenbeissen kann, und die Zähne
erscheinen zu lang. Magnesia carb. und China sind, bei Aus¬
schluss anderer Symptome, die hervorragendsten Mittel bei
Zahnleiden während der Schwangerschaft.
Das Mittel hat noch einen Zustand, der durch alle Be¬
schwerden hindurch sich geltend macht, eine Art von allge¬
meinem gesundheitlichen Verkommen, über das Sie sich sehr
wundern werden, und dem Sie nicht abhelfen können, wenn
Sie dieses Mittel nicht kennen.
Um Ihnen ein Bild davon zu geben, möchte ich einmal
sagen, das Mittel erzeugt Zustände des Körpers, ähnlich denen,
wie sie bei einer Erau auftreten, die wir in Gefahr glauben,
schwindsüchtig zu werden. Die Kranke erholt sich nicht,
wird mager, und die Muskeln werden so lose und weich, als
ob eine ganz schwere Krankheit kommen sollte. Kinder tuber¬
kulöser Eltern zeigen diese eigentümliche Neigung, in Maras¬
mus auszugehen. Dann werden die Muskeln des Kindes weich
und trotz alles Eütterns und trotz aller Medikamente gedeiht
das Kind nicht, schliesslich magert es ab, der Hinterkopf wird
kleiner, als ob das kleine Gehirn wegschwinde. Das Kind
verlangt mehr Milch, Eleisch und Fleischbrühe, aber alle die
Sachen werden nicht verdaut und wenn viel Milch gegeben
worden ist, so geht dieselbe in der Form einer weichen, lehmigen
Masse durch den Darm wieder ab. Der Stuhl ist weich und
hat die Konsistenz von Glaserkitt. Wenn Sie einmal in einer
Porzellanfabrik sind, und Sie sehen, wie die Leute aus einer
weissen Masse die wundervollen Sachen arbeiten, so denken
Sie an Magnesia carb., denn genau so sieht dieser Stuhl aus.
Er besteht zumeist aus unverdauter Milch, die in diese kittige
Form sich umwandelt.
Mir ist schon wiederholt die Eigentümlichkeit aufgefallen,
dass bei manchen Kindern der Hinterkopf einfällt; ich habe
es zumeist bei illegitimen Kindern gesehen, die unter un¬
günstigen Verhältnissen gezeugt worden sind. Der Occipital-
knochen sinkt ein, die Parietalknochen stehen darüber hinaus,
so dass eine Vertiefung entsteht. Das finden Sie häufig bei
neurasthenischen Kindern, und diese Kinder werden dann auch
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365
den lehmigen Stuhl haben, den man in jede Form drücken
kann. Es ist kein fliessender Stuhl und ist auch kein harter.
Der weisse harte Stuhl gehört gar' nicht hierher, und der
weisse flüssige Stuhl gehört auch zu einer anderen Klasse von
Mitteln, sondern zu Magnesia carb. gehört nur die eigenthüm-
liche modellirfähige Art des Stuhles. Ich hatte einst die
Aufsicht in einem Waisenhause, das immer von 60—100 Kindern
besetzt war. Ich habe mir damals viel den Kopf zerbrochen,
um etwas zu finden, was gegen dieses allmähliche Vergehen
der Kinder helfen könnte. Die meisten waren illegitime Kinder.
Das ganze Jahr verging und jede Woche verloren wir Kinder,
immer unter demselben Bilde des langsamen Vergehens, bis
mir endlich Magnesia carb. einfiel und damit habe ich viele
gebessert. Es wurde eine vollständige Veränderung der grössten
Art bei dem Kinde erzielt.
So ein Magnesia carb.-Kind riecht sauer wie das Hepar-
Kind. Wenn es auch noch so oft abgewaschen wird, es riecht
immer sauer; der Schweiss ist sauer und das ganze Kind riecht
sauer, nicht blos der Stuhl allein. Der Stuhl riecht auch stark,
stechend, faulig, das Kind selbst hat den eigenthümlichen
Geruch wie eines, was schlecht und unreinlich gehalten wird,
auch wenn es ganz sauber gewaschen worden ist.
Die Magnesia erzeugt eine erstaunliche Unthätigkeit des
Mastdarmes und Anus, eine vollständige Lähmung. Der Stuhl
ist dick und hart und ist schwer herauszutreiben. Er ist dabei
hart und zerbrechlich, es bleiben Stücke vom Stuhlgang im
After zurück und der herausgedrückte Theil zerbricht in ein¬
zelne Stücke. Ein anderer Stuhl, der auch als charakteristisch
für Magnesia carb. angesehen wird, ist der grüne Durchfall, bei
welchem auf einer wässerigen Schicht die grünen Flecken
herumschwimmen. Dieser Stuhl ist oft flüssig und zugleich
geklumpt. Diese Klumpen liegen unten am Boden im Gefäss
und die grünen Flecken schwimmen oben auf. Es sieht aus,
wie der Schaum auf einem kleinen Tümpel. Das ist eine der
auffälligsten Erscheinungen, die auch im Symptom-Kodex be¬
steht als „Grüne Stühle, wie Schaum auf einem Tümpel, sauer
riechend, mit weissen schwimmenden Klumpen wie von Talg,
dann und wann Blut und Schleim.“ Diese talgartigen Klumpen
sind übrigens noch mehr hinweisend auf Phosphor, und oft
sind sie auch durch Dulcamara geheilt worden, obwohl es bei
den Symptomen der Dulcamara nicht steht.
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— 366 --
Das Gesicht des erwachsenen Kranken ist bleich, wachs-
artig, krankhaft und ein bischen geschwollen, und Sie können
sich den Kopf zerbrechen, warum der Kranke nicht gedeiht
und nicht vorwärts kommen will. Eine solche Frau sieht
krankhaft aus, mit schlaffen Muskeln, wird von allem, was
sie tliut, so sehr müde und schlapp und schwitzt bei der ge¬
ringsten Anstrengung, jeder Wetterwechsel greift sie an. und
beim Beginn der Menstruation fühlt sie sich angegriffen. Be¬
sonders leicht erkältet sie sich bei jeder Menstruation, so dass
sie sagt: ich weiss schon, ich muss unwohl werden, ich habe
wieder Schnupfen.
Magnesia carb. hat auch einen Schnupfen, der alle Monate
genau kurz vor dem Termin eintritt. Hält der Schnupfen da¬
gegen den ganzen Monat an, so wird es sich um Graphites
handeln. Diese Kranken sehen aus, als wenn sie bald zu
Grunde gehen müssten, und doch dauert die ganze Sache
jahrelang. Sie können nichts thun, nicht einmal ihre Haus¬
haltung führen, aber sie sterben doch nicht. Sie haben ein
starkes Bedürfniss nach Fleisch und eine Neigung gegen Ge¬
müse, werden immer magerer und schlaffer und es treten
häutig Vorfälle ein. Die Bauchdecken werden so schlaff und
hängen so, dass sich sehr leicht Brüche bilden. Die Nerven
sind schmerzhaft und die Muskeln müde.
Wenn Sie einen solchen Kranken vor sich haben und trotz
guter Mittel wähl erreichen Sie nichts, so müssen Sie einsehen,
dass nicht genug Anzeichen für die Mittelwahl vorliegen, dass
es sich um versteckte Krankheitsbedingungen handelt und dass
irgend ein schweres inneres Leiden sich entwickeln will. Die
Organe werden zusammenbrechen, irgendwo in den Nieren,
im Herzen, in der Lunge oder im Gehirn wird eine orga¬
nische Veränderung eintreten, welche den Zusammenbruch
bedeutet.
Bei unserem Mittel haben wir einen katarrhalischen Zu¬
stand, aber es handelt sich nur um einen trockenen Husten
mit wenig Absonderung. Eine alte Geschwürfläche in der
Nase wird trocken und es wird beinahe nichts abgesondert,
die Nase ist trocken und lederartig, und die Lider werden so
trocken, dass sie zusammenkleben, schwer zu öffnen sind, die'
Haut wird trocken, brennt und juckt, eine Neigung zu Trocken¬
heit der Schleimhaut und zur Trockenheit der Haut; überhaupt
Trockenheit ist ein Charakteristikum dieses Mittels.
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367 '
Ungewöhnliches Verlangen nach Fleisch bei Kindern. Der
Magen ist bei diesen Kindern ein furchtbar empfindliches Organ,
immer klagen die Kinder über sauren Geschmack und saures
Aufstossen; die genossene Speise kommt sauer wieder in die
Höhe, fast regelmässig Uebelkeit, und das Aufschlucken von
sauren Flüssigkeiten findet sich zusammen mit Schmerzen im
Magen nach der Aufnahme einer vernünftigen Speisenmenge,
sehr aufgeblasen, viel Blähungen nach dem Essen, der Magen
verdaut das Essen sehr langsam und dasselbe wird sauer. Sie
wissen, dass so ein Magen in all den Fällen mit auftritt, wo
Tuberkulose droht.
Das Mittel ist besonders dann nützlich, wo in der Familien¬
geschichte Tuberkulose vorkommt, alle diese tuberkulose¬
verdächtigen und von tuberkulösen Eltern abstammenden Leute
haben die eigenthümliche Abmagerung und das starke Ver¬
langen nach Fleisch, dabei haben sie oft den kurzen trockenen
Husten ohne Auswurf. Manche von diesen bleiben jahrelang
in demselben Zustand, immer mit dem kleinen trockenen Husten,
aus dem sich nicht viel entwickelt, schliesslich aber kommt
doch irgend eine Schädigung, und dann entwickelt sich die
Tuberkulose ausserordentlich schnell, nachdem sie schon so
lange versteckt im Körper geruht hat.
Drei Mittel kommen vor allem bei diesem Zustand in
Betracht, das sind: Arsenicum, Calc. carb. und Magnesia carb.
Sie passen alle drei für diesen Zustand verminderter Lebens¬
energie, diesem Vorspiel zur Phthisis. — Manchmal bringen
Sie die Kranken vorwärts, aber vergessen Sie nicht, diese
Fälle sind sehr schwer zu bessern und es finden sich auch
schwer die passenden Mittel dazu. Das Grundleiden ist ver¬
steckt, die Symptome treten nicht deutlich hervor, und so ist
der Vennuthung zu viel überlassen.
Neben diesem trockenen kitzelnden Husten, der in den
Prüfungsprotokollen nicht steht, finden wir noch einen Krampf¬
husten bei Nacht, mit Kitzel im Larynx. Schläfrigkeit am
Tage und Schlaflosigkeit in der Nacht. Wenn Sie eine Beihe
von diesen Fällen drohender Tuberkulose gesehen haben, dann
werden Sie wissen, dass das ein gemeinsames Anzeichen von
ihnen allen ist; „Doktor, ich bin so müde am Morgen! Wenn
ich auch in der Nacht einmal geschlafen habe, so fühle ich
mich doch früh, als ob ich nicht geschlafen hätte.“ Immer
müde und schlaff. Die meisten dieser Leute sind kalt und
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trocken. In den Prüfungen finden wir daraufhin keine An¬
deutung, aber aus den klinischen Beobachtungen wissen wir,
dass die frostigen Leute zu unserem Mittel gehören, die Leute,
welche von sich selber sagen, sie hätten kein Blut.
Krankengeschichten.
Von Dr. Alexander Villers-Dresden.
LXXV.
Ein junger Mann von 17 Jahren wird mir vorgestellt mit
der Angabe, dass er an Epilepsie leide. Er habe zwar nur
drei Anfälle gehabt, die sich charakterisirt hätten durch vorher¬
gehende langdauernde Kopfschmerzen, bei denen er plötzlich
zusammengebrochen wäre, und welche ohne Muskelbewegung
verlaufen seien.
Die damals behandelnden Aerzte und die später herzu¬
gezogenen Oonsiliarii hatten dem jungen Menschen die voll¬
ständige Enthaltung von jeder Arbeit angerathen, hatten darauf
gedrungen, dass er die Schule verliess, und hatten sich über
seine Genesung sehr skeptisch ausgesprochen.
Ich konnte mich nach dem ganzen Befunde nicht dazu
entschliessen, eine echte Epilepsie anzunehmen, sondern glaubte,
dass die Anfälle — die ich ja nicht gesehen habe — höchstens
epileptiformer Art waren oder auf Grund einer allgemeinen
Neurose entstanden. Von körperlichen Erscheinungen war am
auffälligsten seine Neigung zu Durchfällen bei Erregung und
die sehr schnell schwankende Frequenz des Pulses, der um 20
unter die normale und um 40 über die normale Mittelzahl
springen konnte.
Bei der Untersuchung zeigt sich kein Geräusch. Nur ist
die Herzaktion sehr stark, wird aber von ihm nicht lästig
empfunden. Von weiteren Beschwerden liegen nur vor: ein
eingenommener Kopf, der das geistige Arbeiten erschwert, und
eine sehr leichte Ermüdbarkeit. Aus seiner Kindergeschichte
wurde noch berichtet, er sei immer etwas träumerisch gewesen,
habe auch ein Jahr lang an Nachtwandeln gelitten, und so
lange wie er beobachtet werde, spreche er viel im Schlaf.
An den Vorschriften, welche für seine Lebensführung ge¬
geben worden waren, änderte ich zunächst nichts, weil ich die
Wirkung des verordneten Medikamentes rein erkennen wollte.
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B69
Dieselben erschienen mir zwar zu streng, aber ich hatte eben
die Absicht, mir ein ungetrübtes Bild von der Mittel Wirkung
zu verschaffen.
Ich ordinirte Phosphor 200 aller acht Tage einen Tropfen
in armirten Pulvern versteckt.
Nach vierzig Tagen sah ich den jungen Mann wieder.
Sowohl nach seinem Aussehen, als nach den Berichten seines
Pensionsvaters und der Eltern war da eine starke Veränderung
eingetreten. Er war durchweg heiter und seinem Alter ent¬
sprechend frisch. Er ermüdete innerhalb der durch die Vor¬
schriften ihm gezogenen Grenzen nicht mehr, und die Herz¬
unruhe, die er früher bei körperlicher Ruhe nicht, bei Ermüdung
aber ein wenig gefühlt hatte, war vollkommen geschwunden.
Anfälle hatte er gar nicht gehabt, nur war es ihm zwei Mal
passirt, dass er beim Bücken Nasenbluten bekam. Ich blieb
bei Phosphor in noch selteneren Gaben und erleichterte die
Vorschriften für seine Lebensführung.
Es ist nun seit Beginn der Behandlung ein Jahr verflossen
mit folgendem Erfolg: Der junge Mann macht alle Sports¬
übungen mit, welche seinem Alter entsprechen, mit Ausnahme
des Radeins. Er erledigt den Privatunterricht, den er noch
geniesst, und die damit verknüpften Arbeiten leicht und ohne
Ermüdung. Er kann jetzt wieder dem geordneten Schulbetriebe
zugeführt werden. Die etwas träumerische Art, die ihn sonst
auszeichnete, ist verschwunden, er ist natürlich, frisch, von
besonderen nervösen Störungen ist nichts mehr zu beobachten.
Auch der Schlaf ist ruhig geworden.
Er hat im Verlaufe dieses ganzen Jahres nur einmal einen
Anfall gehabt, der den früheren ähnlich sah. Dieser Anfall
ist unter dem Einfluss vieler ungünstiger Momente, die zu¬
sammenwirkten, eingetreten und unterschied sich von den
früheren dadurch, dass er ganz plötzlich auftrat und dass er
nach seinem Ablauf gar keine Spur hinterliess. Der Zweifel,
der dadurch entstand, ob nicht doch „petit mal“ vorliege, ist
mir eigentlich nicht gekommen. Wir haben bei jungen Leuten,
welche mit der Entwickelung des Körpers zu kämpfen haben
und bei denen eine Empfindlichkeit des vasomotorischen Systemes
vorhanden ist, vielfach Ohnmachtsanfälle, krampfähnliche Zu¬
stände und dergleichen, die sicherlich nicht zu einer centralen
Epilepsie zu rechnen sind. Mit dem Aufhören des der ganzen
Erscheinungsreihe der Vasoneurose zu Grunde liegenden Uebels,
Archiv für Homöopathie, Heft 12. 24
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für das wir keinen Namen haben, fallen auch die Erscheinungen
alle weg, und es ist Unrecht, dann, wenn die epileptiforme
äusserliche Erscheinung der Anfälle vorliegt, dieselben zur
Epilepsie zu beziehen, statt sie einfach als reflektorische An¬
fälle der allgemeinen Vasoneurose zuzuzählen.
Die Anwendung von Phosphor in diesen Fällen, ebenso
wie in den Fällen der scheinbaren Dilatationen ist von grosser
Bedeutung. Die Symptome der Kreislaufstörung weisen nicht
darauf hin, aber die Nebensymptome haben sehr oft viel von
den Phosphorsymptomen, und es will mir scheinen, als ob die
bei den Dilatationen sehr leicht eintretende Yergrösserung der
Leber mit auf unser Mittel hinweisen sollte. Gewiss ist die
Vergrösserung der Leber der Ausdruck eines mechanischen
Momentes, als Folge einer Störung des Kreislaufes, aber dass
gerade dieses eine Organ so sehr viel empfindlicher dafür ist,
als wie z. B. die Niere, die sonst doch zu anderen Kreislauf¬
störungen sehr viele Beziehungen hat, das hat mir Phosphor
unter den möglichen Mitteln immer zunächst vor die Augen
geführt, und ich kann nicht leugnen, dass bei einer ganzen
Reihe von Herzneurosen, selbst wenn sie die ausgesprochene
Form von Basedow angenommen haben, bei der Erschlaffung
des Herzens in der nervösen Dilatation und anderen Formen,
mir Phosphor immer grosse Dienste geleistet hat.
Hin und wieder kamen auch während des Gebrauches
dieses Mittels die charakteristischen Symptome eines anderen,
passenderen Mittels zum Auftreten, und dann war es natürlich
richtiger und für den Kranken vortheilhafter, dass man von
dem immerhin nur palliativ wirkenden und nach pathologischen
Gründen gewählten Phosphor zu dem Mittel überging, welches
der Individualität des Kranken vollkommen entsprach.
(Journalblatt Nr. 9150.)
LXXVI.
Eine junge Frau, welche ich schon als Mädchen gekannt
hatte, kommt mit Klagen, welche sich durch die Untersuchung
als der Ausdruck einer linksseitigen Parametritis erkennen
lassen.
Die Behandlung bot lange Zeit nichts Interessantes, obwohl
sie mit ziemlichem Erfolg die Beschwerden der Kranken be¬
seitigte. Das war der alte trostlose Verlauf, den man bei
diesen Frauen so oft findet: wesentliche Besserung bei der
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371
Zuführung neuer Mittel, ziemliche Fiinktionsfähigkeit des Unter¬
leibes nach allen Richtungen hin und sehr viel Rückfälle.
Dass bei diesen häufigen Rückfällen bei Frauen, die an.
Perimetritiden und Ovaritiden leiden, das eheliche Leben eine
grosse Rolle spielt, ist ja nicht zu leugnen, aber diese Frauen
sind auch für andere körperliche Schädigungen so ausser¬
ordentlich empfindlich, dass sie fast nie wieder zum Genüsse
einer vollständigen Gesundheit kommen. Jede Erkältung der
Füsse, jede starke Erschütterung des Körpers, selbst jedes
durch andere Momente bedingte Nachlassen der körperlichen
und nervösen Spannung, Alles führt bei ihnen wieder zu einem
Aufflackern des alten Entzündungsheerdes.
Die Kranke ist schon sehr lange in meiner Behandlung,
und darum habe ich an ihr zwei Formen der Behandlung ge-
wissermassen ausgeübt, nämlich früher diejenige des einfachen
Nachgehens nach den Symptomen und jetzt, nachdem ich zur
grösseren Erkenntniss der Individualität der Kranken heran¬
gereift bin, die Behandlung mit antipsorischen Mitteln.
Sie war über ein halbes Jahr vollkommen schmerzfrei
gewesen, hatte dann ihre dritte Schwangerschaft durchgemacht,
und als sie sich einige Zeit nach der Entbindung in Dresden
einfand, um sich untersuchen zu lassen, so stellte sich ein
absolut normaler Unterleibsbefund heraus, so dass ich hoffte,
dass die Wiederherstellungskraft des Körpers nach der Ent¬
bindung ihr den letzten Rest ihrer Erscheinungen genommen
hätte.
Statt dessen aber erkrankte sie etwa zwei Monate nach
der Entbindung von Neuem. Sie hatte ein Kind, welches im
Stürzen war, aufgefangen, der Ruck hatte ihr sofort Schmerzen
gemacht, und es entwickelte sich wieder das alte Leiden.
Zuerst habe ich mich darauf beschränkt — es handelte
sich um Silicea und Arnica vor Allem —, ihr die akuten Be¬
schwerden abzunehmen, habe mich aber nicht begnügt mit
dieser — wie ich nun allmählich wusste — scheinbaren Besser¬
ung, sondern ich habe die antipsorische Behandlung eingeleitet.
In der Familie ist eine Neigung zu trockener Haut mit
Flechtenbildung. Die Mitglieder derselben haben fast alle die
Tendenz zur Hartleibigkeit, und der ganze Körperschnitt zeigt,
dass die persönliche Entwickelung keine sehr günstige gewesen
sein kann, sie sind durchweg nicht so hübsch und schön ge¬
worden, wie der normale Mensch sein kann. Von den Vorfahren
24 *
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372
wusste ich, dass der Vater an einem chronischen Geliirn-
siechthum zu Grunde gegangen war und dass sonst in der
.Familie mannigfache chronische Krankheiten vertreten ge¬
wesen sind.
Da ich wegen der Möglichkeit, die Ausschläge, die bei
der jungen Frau lange Zeit hindurch geschwiegen hatten,
wieder hervorzurufen, ihr nicht gern Sulphur in einer Hoch¬
potenz verabreichen wollte, so gab ich ihr zunächst Psorinum
Anfangs in der 30. jeden zweiten Tag, später in der 200.
einmal in acht Wochen. Seit Einführung dieser Medikation
ist weit über ein Jahr vergangen, und in der ganzen Zeit ist
die junge Frau von jedem Rückfalle ihres Unterleibsleidens
verschont geblieben, obgleich sie als temperamentvolle und auch
zum Theil unvorsichtige Frau gar keine körperliche Schonung
kennt und sowohl im Hause in ihrer Thätigkeit als Mutter,
als wie ausser dem Hause in gesellschaftlichen Verpflichtungen
allen möglichen Fährliehkeiten sich aussetzt.
Ich will ja nun nicht behaupten, dass sie für alle Zeiten
gefeit sei gegen irgend eine Erkrankung, aber sicherlich ist
der Unterschied in der Widerstandsfähigkeit des Körpers gegen
Schädigungen, welche auf die schwache Stelle wirken, ganz
erheblich erhöht worden, und man kann daher annehmen, dass
es schliesslich zu einer vollkommenen Widerstandsfähigkeit,
„ also zu einer wirklichen Heilung kommen wird.
Ich führe dielen Fall hier nicht nur deswegen an, weil
er für die Einführung der konstitutionellen Mittel plädiren soll,
denn wer Homöopath ist, muss deren Werth anerkennen und
muss verstehen, das richtige Mittel zur wirklichen Heilung
der scheinbar selbständig entstandenen, in Wirklichkeit aber
auf ungesundem Boden erwachsenen körperlichen Leiden zu
verwenden, sondern ich möchte an der Hand dieses Beispieles
und nach meiner sonstigen Erfahrung behaupten: Jeder Fall,
der durch geringere oder stärkere Schädigungen zu einem
Recidiv kommt, ist eben nicht geheilt.
Das klingt sehr natürlich und selbstverständlich, aber das
Uebel ist eben, dass die wenigsten Aerzte sich dessen bewusst
werden. Die Krankheitserscheinungen wegbringen kann die
allopathische Methode manchmal ebenso gut wie wir, aber den
Grund und Boden säubern, auf dem dieselben entstanden sind,
das ist derselben sehr viel häufiger versagt, als wie uns ver¬
gönnt, und wenn wir die Wichtigkeit unserer therapeutischen
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Methode nachweisen wollen, so kann es eben nur geschehen,
indem wir die Kranken nicht nur momentan gesund erscheinen
lassen, sondern widerstandsfähig machen gegen leichte Schä¬
digungen.
In der Durchführung dieses Grundgedankens und in der
Festhaltung dieses Zieles liegt für uns auch die Aussicht, chro¬
nisches Siechthum anderer Art zu heben und beispielsweise
auch endlich einmal die Heilbarkeit der Schwindsucht zu er¬
zielen. (Journalblatt Nr. 3778.)
lxxvh.
Eine 41jährige Dame von nervöser Anlage, von lebhaftem
Temperament und einer, wie sie angab, unerschütterlichen
Gesundheit klagte mir gelegentlich, als sie um ihres erkrankten
Mannes willen häufig ins Haus kam, ihre Schmerzen in der
linken Leibseite. Es handelte sich anatomisch um ein ver-
grössertes linkes Ovarium. Die Unterleibsfunktionen der Frau
waren angeblich ganz normal gewesen, es stellte sich aber
heraus, dass sie vier Fehlgeburten nach der ersten normalen
Entbindung durchgemacht hatte.
Es kam damals nicht zu einer ausgiebigen Behandlung,
weil sie als Ausländerin Dresden wieder verliess, und ich hörte
von ihr längere Zeit nichts. Dann kam sie nach Dresden
zurück und erkrankte mit eigenthümlichen, nicht recht erklär¬
lichen Schmerzen in der Oberkörperhälfte, in den Beinen und
im Unterleibe. Die allgemeine nervöse Unruhe, welche von
Anfang an bei dem Auftreten der Schmerzen auffällig gewesen
war, nahm ausserordentlich schnell zu, und in kürzester Zeit
bot sie das Bild einer Geisteskranken. Sie sah verändert aus
und hielt sich für die grösste und stärkste Frau der Welt.
Dabei wurde sie gequält von der Angst vor Erscheinungen,
die sie hatte. Unter diesen Erscheinungen traten vor Allem
hervor: Frösche mit sehr glänzenden Augen, die in Menge um
sie herumsassen, Schlangen mit beweglichen Zungen, die auf
sie zukamen, und in späteren Stadien enthauptete, ihr bekannte
Leute, welche in der geraden Sehrichtung vor ihr standen. Die
Angstzustände waren derart, dass an eine Ueberführung in die
Anstalt gedacht werden musste, dieselbe wurde aber von der
Familie, welche die Kranke unbedingt bei sich behalten wollte,
abgelehnt, und ich habe keine Schwierigkeiten gemacht, diesem
Wunsche nachzugeben, weil ja in unseren Anstalten für Geistes-
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kranke keine Behandlung stattfindet, sondern nur Pflege. Die
Prau war aber für psychische Eindrücke so empfänglich, dass
die Aufbewahrung in einer geschlossenen Anstalt nur hätte
verantwortet werden können, wenn gleichzeitig eine .wirkliche
Behandlung ihr geboten worden wäre.
Aus diesen auffälligen Anfangssymptomen entwickelte sich
nun ein Zustand, der über Jahre hinausgegangen ist und der
zu den merkwürdigsten hysterischen Konsequenzen geführt hat.
Unter sorgfältiger Pflege und bei Durchführung, einer
straffen Disziplinirung traten die Aufregungszustände innerhalb
von etwa fünf Monaten vollkommen zurück. Ich kann nicht
sagen, dass in der Zeit irgend ein von mir gewähltes Mittel
auch nur den geringsten Einfluss gehabt hat, sondern ich habe
mir die Frau erzogen und habe sie durch eine streng fest¬
gehaltene, konsequente, gleichartige Behandlung unter meinen
Willen gebracht. Dadurch vermochten auch die Angehörigen,
indem sie sich auf mich berufen konnten, grobe Störungen der
Nachbarschaft durch die Geisteskranke zu verhindern.
Nachdem die Beruhigung eingetreten war, hatte ich er¬
wartet, dass eine allmähliche Klärung und Besserung des
Gesammtzustandes eintreten würde, die Kranke hatte aber so
viele psychische Erregungen durchzumachen, dass diese er¬
wartete Besserung nicht eintrat, sondern es entwickelte sich
- ein Zustand von Doppelbewusstsein, der zu den über¬
raschendsten gehört, die wir aus der Litteratur und aus der
Beobachtung kennen.
Die Trennung des Bewusstseins war so stark, dass nichts,
nicht einmal das Bewusstsein der eigenen Person, in beiden
Hälften gleich war.
In dem Zustande A, d. h. dem normalen, der anfänglich
nur minutenweise,, später dauernd eintrat, war sie ihrer Persön¬
lichkeit bewusst, hatte ein sehr richtiges Urtheil und war eine
ganz natürliche Frau.
In dem Zustande B, der im Anfänge der Behandlung
dauernd war und allmählich nur noch anfallsweise aufgetreten
ist, kannte sie sich selbst, d. h. ihre bürgerliche Persönlichkeit,
nicht, hatte ein ganz logisches Denken, aber ausgehend — wie
bei der primären Verrücktheit — von einem falschen Punkte
und war übersensitiv für gewisse psychische Eindrücke.
Der Uebergang von Zustand B — dem damals herrschen¬
den — zu Zustand A erfolgte nur unter dem Einflüsse eines
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starken Druckes auf einen hysterischen Punkt oder unter dein
Einflüsse eines sehr schwachen galvanischen Stromes, der durch
den Kopf geleitet wurde. Man konnte also nicht, wenn sie
gesund war, durch dieselben Reize den anderen herbeiführen,
sondern man konnte sie nur umgekehrt aus dem Zustande B in
den normalen zurückführen. Dagegen konnte man durch einen
Suggestionsbefehl diese Veränderung erzielen.
Wie stark die Trennung des Bewusstseins war, ergab
einmal ein Versuch, den ich einem Kollegen vorführte.
Sie befand sich im Zustande B, und ich bot ihr Bonbons
an. Sie nahm ein Stück Schokolade, biss davon ab und sprach
davon, wie gut die Schokolade sei. Darauf brachte ich sie in
Zustand A und stellte ihr den Kollegen vor. Wir unterhielten
uns, sie sah in ihrer Hand das Stückchen Schokolade, lachte,
dass sie nicht wusste, wann sie es bekommen hatte, und ass
es auf. Dann nahm sie eine kandirte Orange, ass davon ein
Stück, und während sie das Stück noch im Munde hatte, ver¬
senkte ich sie wieder in den Zustand B. Ohne jede Unter¬
brechung führte sie das Gespräch, das sie zunächst im Zu¬
stande B mit uns geführt hatte, weiter und erwähnte vor
Allem, was ich ihr nur für eine merkwürdige Schokolade ge¬
geben hätte, die Anfangs wie Schokolade und zum Schluss
wie Orange schmeckte. Es war ihr also das Zwischenstück
vollständig entfallen, aber in jedem der beiden Zustände
arbeiteten die Geschmacksnerven vollständig normal.
Mit dieser Kranken habe ich mich Jahre lang herum¬
geplagt und habe medizinisch sehr wenig erreicht.
Die einmal eingeführte Disziplin wirkte auch nach, als sie
gesunder und überwiegend normal war, so dass sie meines
Rathes immer bedurfte, und es war einige Schwierigkeit, sie
langsam wieder von mir zu emanzipiren. Sehr spät erst,
bei Gelegenheit eines eingehenden Gespräches über ihren Zu¬
stand, stellte sich heraus, dass sie in der Zwischenzeit, wo
ich sie nicht gesehen hatte, eine enorm grosse Gabe Chinin
genommen hatte. Unmittelbar nachdem sie diese Gabe dem
Körper zugeführt, hatte sie heftige Kopfschmerzen bekommen,
die aber nicht sehr lange anhielten. Zwei Tage darauf nahm
sie ein warmes Bad und fuhr dann aus, und da war ihr zum
ersten Male eine Sehtäuschung vorgekommen, die in ihrer
späteren Krankheit eine grosse Rolle spielte, sie sah nämlich
die Gegenstände verkehrt. Also mit vollem Bewusstsein des
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376
Gesehenen konnte sie nicht anders, als wie die Bäume, zwischen
denen sie auf der Landstrasse dahinfuhr, auf dem Kopfe stehen
sehen. Da diese Erscheinung bald verschwand, so hatte sie
derselben keinen Werth weiter beigelegt und hatte sie weder
mir, noch einem anderen Arzte berichtet.
Auf der Reise von dem Badeorte, wo ihr dies passirt
war, nach dem Norden war sie häufig begleitet worden von
der Vision einer Dame. Diese Erau war ihr sehr unangenehm,
und diese Erscheinung war — sie selber. Sie schilderte sich
selber mit der ganzen Genauigkeit, mit der eine Erau eine an¬
dere schildert, und benannte auch diese Vision mit ihrem eigenen
bürgerlichen Namen.
So war also aus der einen Chininschädigung das ganze
merkwürdige Gebäude dieser hysterischen Geisteskrankheit
und der Trennung des Bewusstseins entstanden.
Seitdem ich dies erfahren habe und mit Chinin in höherer
Potenz dagegen noch nachträglich ankämpfe, ist es leicht zu
machen, dass die Erau fast vollkommen normal ist. Es kann
ihr nur noch passiren, dass bei grosser Erregung und bei sehr
grosser Ermüdung ganz vorübergehend eine Schwankung nach
dem Zustande B vorkommt, aus dem sie sich aber — und das
ist der grosse Unterschied — durch eigenen Willen wieder
herausbringen kann.
Unter den uns bekannten psychischen Prüfungssymptomen
von Chinin ist ein Bild, welches sich mit dem dieser Kranken
vergleichen liesse, eigentlich nicht aufzufinden, und es zeigt sich,
dass wir eben wirklich noch sehr der genauen Aufzeichnung
psychischer Symptome bei unseren Prüfungen entbehren müssen.
Hätte mich damals, wie ich die Symptome der Erau eifrig
studirte, irgend etwas gerade auf Chinin gebracht, so wäre ihr
vielleicht die ganze, über Jahre belaufende Leidenszeit erspart ge¬
blieben. Wenigstens ist die stark heilende Wirkung, welche sich
jetzt noch durch das Chinin bei ihr erzielen lässt, doch ein sehr
bedeutender Hinweis auf die Möglichkeit. (Journalbl. Nr. 5305.)
Aus der Zeitungsmappe.
Hahnemannian Monthly, Februar 1899.
Quebracho, von Dr. Edwin M. Haie.
Diese Pflanze heisst botanisch: Aspidosperma quebracho
blanco. Sie wird vor allen Dingen in Brasilien gefunden. Aus
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377
der Rinde wird das Aspidospermin gewonnen, eine Mischung
von Alkaloiden, die Tinktur der Rinde und Fluidextrakt.
Der Verfasser hat meistens Mercks Aspidospermin in
Tablettenform zu 1/10 Grain benutzt. — Bei den Thier versuchen
erzeugte dieser Stoff Stillstand, der Athmung. — Die erleich¬
ternde Wirkung dieses Stoffes bei Dyspnoe ist aber nicht homöo¬
pathisch , sondern die Wirkung tritt ein durch Anregung der
respiratorischen Gentren und dadurch Vermehrung des Sauer¬
stoffes im Blut. Da es in der vergiftenden Menge die respi¬
ratorischen Centren und das Herz lähmt, so muss es in immerhin
noch massiver Menge gegeben werden. — Aus einer Reihe von
Krankengeschichten, die theils günstige, theils ungünstige Er¬
folge nachweisen, zieht der Verfasser Schlussfolgerungen.
Quebracho ist gleichzustellen Strychnin, Kola, Coca als ein
palliatives Mittel bei Herz-, Nieren- und ähnlichen Störungen,
sowie bei Emphysemen und schweren Bronchialkatarrhen. Em-
pfehlenswerth ist der Gebrauch des Mittels bei der Athem-
losigkeit von alten Leuten. Eines der ersten Zeichen des Nach¬
lassens der Lebenskraft ist die Athemnoth bei jeder Anstrengung.
Wenn so ein alter Mann in seiner Jugend und in seinem Mannes¬
alter Berge bestiegen hat, findet er plötzlich, dass er in seinem
60. Jahre keinen Hügel mehr ersteigen kann, ohne ausser Athem
zu kommen. Das ist die Folge von Atrophieen in den Lungen,
in den Athemmuskeln und vielleicht auch in den Athemcentren.
In so einem Falle werden ganz kleine Gaben von Quebracho
ihm die Bewegung erleichtern.
Medical Advance, Februar 1899.
Dr. P. E. Krichbaum berichtet drei Fälle mit Hochpo¬
tenzen.
1. 23jähriger Mann mit Phthise in der Familie. Seit
4 Monaten nach Typhus krank. Schmerz in der rechten
Lungenspitze. Trockner Husten. Nachtschweiss, Abmagerung,
weit geöffnete Pupillen. Uebelriechender gelber Durchfall.
Fieber. Ziemlich bedeutende Verdichtung der Lungenspitze.
Kali carb. Im eine Gabe und viel Nihilpulver. Hat in
2 Monaten 20 Pfund an Gewicht gewonnen. Lungenbefund
normal. Kein Nachtschweiss. Kein Durchfall.
2. Eine 60jährige Frau hat einen vereiterten Brustdrüsen¬
krebs. Die eingeleitete homöopathische Behandlung bleibt
ohne Erfolg, weil sie durch eine Pflasterbehandlung unter-
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378
brochen wird. Letztere führte zu furchtbaren Schmerzen und
zur vollkommenen Unfähigkeit etwas zu geniessen. Der be¬
handelnde Arzt erklärt, die Kranke müsse verhungern, weil
sie nichts mehr schlucken wolle. Selbst tiefe Athemzüge ver¬
ursachen einen Schluckschmerz.
Conium 3m erzielte, dass die Frau nach einer Stunde
schon den Versuch machen konnte, etwas zu schlucken. Sie
lebte dann noch drei Wochen und verstarb an einer inneren
Blutung, hatte aber in der ganzen Zeit weder Krämpfe, noch
Schmerzen, noch Schluckbeschwerden gehabt.
3. Ein junger Mann in der fünften Woche eines bösen
Typhus. Sehr viel anregende Mittel. Der behandelnde Arzt
gab den Fall auf. Fast pulslos. Eiskalte Glieder und Gesicht.
Die Augen zitternd. Fortwährendes Murmeln. Ein Arm in
dauernderBewegung. Versucht sich aufzudecken. Blasendrängen.
Hyosciamus cm drei Gaben in 18 Tagen und dann eine
Gabe Psorinum brachten vollkommene Heilung.
Dr. H. C. Allen spricht über die Menopause. Er empfiehlt
Amylnitrit. Viel Gesichtsröthe und unregelmässige Herzthätig-
keit. Starker Schweiss nach der Wallung. Graphit sei für
die Climakterischen, was Pulsatilla für die Entwickelungszeit
ist. Alle Ausflüsse sind blutig und schleimig, sie erfolgen in
einzelnen Stössen. Ungesunde Haut mit ekzematösen Aus¬
schlägen. Brennender Scheitelschmerz.
Conium hat Schwindel beim Liegen oder Umwenden im
Bett. Der Urin ist unterbrochen. Ueble Folgen des unter¬
drückten Geschlechtslebens. Wundheit der Brüste zur Perioden¬
zeit. Steinharte Brusttumoren.
Homceopathic World, Februar 1899.
Bellairs schreibt über den Nutzen der „Keynotes,“ also
der Symptome, welche allein einem Mittel zukommen. Wenn
auch theoretisch die Allgemeinheit der Symptome nothwendig
sei, so sei bei dem mangelhaften Berichte der Kranken die
Verwendung eines Einzelsymptomes berechtigt. — Eine sehr
arme Frau starb beinahe infolge heftiger Uterinblutungen.
Kein Mittel wollte helfen, bis sie einmal erwähnte, dass in
der Nacht ihre Füsse immer zuckten. Daraufhin wurde Zin-
cum gegeben, und sie genas. — In zwei Fällen allgemeinen
Ekzemes wurde schliesslich auf Annahme der Psora hin Psorin
mit sehr gutem Erfolg gegeben. — Ein ganz erschöpfter
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379
Malariakranker, dessen Anfälle durchaus keinen Hinweis auf
ein bestimmtes Mittel ergaben, wurde gerettet durch Carbo
veg., weil Füsse und Unterschenkel nachts im Bett eiskalt
waren. — In schwierigen Fällen giebt oft eine einzelne Ver¬
schlimmerung, selbst wenn dieselbe durch eine bestimmte Speise
herbeigeführt wird, den Hinweis auf das passende Mittel.
Dr. 0. E. Fisher schreibt über seine Erfahrungen bei See¬
krankheit. Cocculus half den Kranken, welche sich sehr
elend fühlten, zu Ohnmächten neigten, sehr blass waren.
'Eine einzige Gabe sechste brachte meist grosse Besserung.
Ipecacuanha bei leichtem Brennen mit grosser Erleichterung
dadurch. Glonoin bei heftigen Kopfschmerzen. Petroleum bei
Durchfälligkeit. Bryonia bei Hartleibigkeit und Uebelkeit bei
einer jeden Bewegung. Apomorphia hat auch gute Wirkung.
Also auch bei diesen Fällen individuelle Behandlung.
The Monthly Homoeopatliic Review, Mai 1899.
Dr. George Burford schliesst seine längeren Ausführungen
über die bösartigen Erkrankungen des Uterus mit folgenden
Zeilen:
1. Die innere Medikation hat da einzutreten, wo die bös¬
artigen Erkrankungen über den Uterus hinausgegriffen haben,
ferner wo Metastasen eingetreten sind, und schliesslich, wo
nebenhergehende Bedingungen wie Alter und andere organische
Erkrankungen einen operativen Eingriff verbieten.
2 . Die Chirurgie hat einzugreifen in den Anfangsstadien
bösartiger Erkrankungen des Uterus und bevor Metastasen
oder ein Uebergreifen eingetreten ist. Dieser zeitige Abschnitt
ist für den operativen Eingriff sehr günstig.
3. Weder ausgesprochene lokale Symptome, noch eine sehr
auffällige Cachexie sind an und für sich Hindernisse für einen
glücklichen Ausgang. Die Frage wird nur bestimmt durch die
Beschränkung des Krankheitsprozesses auf das Uteringewebe.
Häufig treten die Betheiligungen der Drüsen erst sehr spät ein.
4. Diese Form von bösartigen Erkrankungen, deren klini¬
scher Verlauf sehr schnell ist, vor allem Operationen wie
Sarkome und Deciduoma malignum, kommen am häufigsten
wieder nach der Operation. Für bösartige Tumoren einer ge¬
wissen Grösse, die in der letzten Zeit stark gewachsen sind,
und besonders beim Auftreten von Anheftungen ist der opera¬
tive Eingriff nicht wünschenswert!!. Es tritt fast immer ein
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baldiger Rückfall ein, und die dabei herauskommenden Ge¬
schwülste wachsen noch viel schneller als wie die Mutter¬
geschwulst. Hier handelt es sich allein um innere Medikation.
5. Diejenigen Formen von. bösartigen Erkrankungen des
Uterinkörpers, deren klinischer Verlauf langsam ist — Carci-,
nome und malignöse Adenome — sind am wenigsten geeignet,
nach der Operation rückfällig zu werden. Jeder Fall von
Carcinom oder malignem Adenom des Uterinkörpers ist heil¬
bar, so lange sicherlich der Prozess sich auf den Uterinkörper
beschränkt. Das einzige Mittel ist die sofortige Auslösung
der ganzen Gebärmutter, und jede Verzögerung ist gefährlich.
6. Zur Verminderung der Blutungen und zum Abtöten des
ekelhaften Gestankes der Absonderungen in zeitigen Abschnitten
nicht operabler Fälle und auch zur Verhütung der Blut¬
vergiftung durch die Aufnahme dieser Massen ins Blut sind
örtliche Massnahmen zu treffen. Diese umfassen sowohl die
lokalen Abspülungen mit geruchvertilgenden Flüssigkeiten, die
Anwendung örtlicher Mittel wie Hydrastis und Arsenik, als
wie auch die Entfernung der abgestorbenen und stinkenden
Theile durch die Curette. Auch der Gebrauch innerer Mittel
ist von grosser Bedeutung.
7. Zur Erleichterung der Symptome in den späteren Ab¬
schnitten der bösartigen Uterinerkrankungen sind die sorgfältig
ausgewählten höheren Potenzen oft von grösserer Bedeutung
als die niederen.
8. Bei der operativen Entfernung von Carcinomen und
malignen Adenomen des Uteruskörpers liegen ganz andere
Heilungsbedingungen vor, als wie bei einer bösartigen Er¬
krankung irgend einer anderen Stelle, selbst der Cervix. In
Bezug auf die Seltenheit der Rückfälle steht dieser operative
Eingriff viel höher, als wie die Entfernung von bösartig er¬
krankten Brüsten, Darmstücken oder Zungen. Alle neueren
Forschungen ergeben, dass jeder Fall von malignem Adenom
oder Carcinomen des Uteruskörpers dauernd geheilt werden
könnte, wenn man zeitig genug zur Exstirpation des Organes
kommt und sorgfältig genug operirt. Ist einmal eine Aus¬
breitung des Prozesses zu konstatiren, so verengen sich die
Lebenschancen des Körpers.
Druck von Wilhelm Baensch in Dresden.
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Inhaltsverzeichnis zu Band VIII.
%
Abdominal Surgery, One Years Work
in, D . Emerson, (Bespr.) 181.
Acidum lacticum 58.
Aesculus bei Heemorrhoiden 288.
Albumosen 86.
Allium Cepa 165.
Allopathen als Nachzügler, die, 51.
Aloe 350.
Amerikanischen Institute of Homoeo-
pathy, die Jahresversammlung
$des, 175.
Aihmonium carbonicum 50.
Angreifen oder nachgeben? Sollen
wir, JDr. George Shelion, 3.
Apomorphin 350.
Argentum nitricum 96.
Asparagin 163.
Associirte Symptome 63.
Ausschläge 280.
Austritt aus dem Centralverein, Mein,
Dr . Villers, 257.
Bakterien 120.
Balfour, Dr. 346.
Barometrischer Druck 63.
Beabsichtigte und unbeabsichtigte
Mittelprüfungen 49.
Blasenschmerzen 25.
Bluthusten 61.
Blutungen 339.
Brechdurchfall 38.
Brustdrüsen 279.
Brustwarze 37.
Bücher tisch, Yom 178. 217. 245.
Büchner, Ludwig 183.
Calmia latifolia 65.
Cantharis 254.
Chaparro 351.
Charakteristisches Symptom^ oder
Totalität der Symptome? Dr.
Shelton 92.
China 96.
Chirurgie, innere Medizin und ein
wenig Logik, Dr. Einehe, 266.
Chirurgie 379.
Chrysarobin 254.
Circulus therapiae J. Page , 83.
Clarke, Dr. John H. 315.
Coccus cacti, Prof. J. T. Eent, 337.
Colchicum 162.
Commentarien zum Organon, Dr. B.
Einehe, 106. 129. 306. 321.
Crocus 161.
Croton tiglion, Prof. J. T. Kent, 33.
Diarrhoe, chronische, 156.
Diathese 223.
Differentialindikation, zur, von Nau¬
heim und Marienbad, bei Herz¬
kranken, Prof. Dr. Kisch, 71.
Diphtherieserum 223.
Dispensirexamen, Homöopathisches,
219.
Doppelbewusstsein 374.
Dosirung, Die neuesten Heilmittel
in der, Dr. Peters (Bespr.) 187.
Drüsen 279.
Dyscrasie 223.
Dysenterie 351
Eierstöcke, Heilmittel der, 158.
Einige Liliaceen, E. Schlegel, 161.
Ekzeme der Kopfhaut 36.
Epilepsie 368.
Ergotin 57.
Fehlgeburt 57.
Ferienkurse für Aerzte in Berlin,
Homöopathische 251.
Fibroide des Uterus 351.
Fischers Homöopathische Officin in
Dessau 345.
„Frauenarzt“ 87.
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382
Gangräne 300.
Geburtshilfe 58.
Gelbsucht 298.
Geschlechtstheile 165.
Gregorovius Dr. 239.
Hahnemanns, Bin Brief, 184.
Haarausfall und verwandte Haar¬
leiden, R. A. Michaelis , (Bespr.)
245.
Halsentzündungen 302.
Hautkrankheiten 60.
Herzkranken, Zur Differentialindi¬
kation von Nauheim und Marien¬
bad bei, Prof. Dr. Kisch , 71.
Hochpotenzen 377.
Homöopathie, Ursprung, Werth und
Umfang der, Dr. Pemberton
Dudley , 41.
Homöopathische Ferienkurse für
Aerzte in Berlin 251.
Homöopathische Officin in Dessau,
Hermann Fischers, 345.
Homöopathischer Central verein
Deutschlands, Die Geschäfts¬
sitzung der Versammlung in
Elberfeld des, Dr. Waszily, 259.
Homöopathisches Dispensirexamen
219.
Homöopathisches Krankenhaus in
Ungarn 127.
Hühneraugen 221.
Hurndall, J. Sutcliffe, 219.
Husten 303. 342.
Hygiama, Dr. Theinhardt 7 s , 187.
Hygienische Obst- und Gartenbau¬
schule 52.
Impotenz 56.
Influenza 214.
Internationaler Homöopathischer
Kongress 1900, 90. 127. 315,
Ischias 191.
Jodkali 253.
Jucken an den Hoden 40.
Kali bichromicum, Prof. J. T. Kent ,
283.
Kali carbonicum, Prof. J. T. Kent,
145. 165.
Kali jodatum, Prof. J. T. Kent , 356.
Karlsbad 120.
Klinische Fälle, Dr. Payne , 188.
Klinische Fälle, Dr. Pearson , 254.
Klinische Fälle, Dr. Thacher, 61.
Klinische Symptome, Dr. Yingling,
96.
Kopfschmerz 28.
Krankengeschichten, Dr. Villers,
25. 209. 368.
Kreosot, Prof. J. T. Kent , 331.
Lachesis 96.
Lachesis, Prof. J. T. Kent, 289.
Leberbehandlung 91.
Leberstörungen 304.
Ledum palustre, Prof. J. T. Kent }
97.
Lichttherapie 249.
Liliaceen, Einige, E. Schlegel , 161.
Lilium candicans 164.
Lilium martagon 164.
Lilium tigrinum, Prof. J. T. Kent ,
114.
Lobelia purpurascens 819.
Lorbacher Dr. f 181.
„Lösliche Kindernahrung“ Dr. med.
Theinhardt’s 127.
Luftbad als Heil- und Abhärtungs¬
mittel, das, Dr.Ldhmarm (Bespr.),
179.
Luftdruck-Schwankungen, Der
krankmachende Einfluss atmo¬
sphärischer, Dr. Lahmann 7
(Bespr.) 178.
Lupus erythematodes 88.
Magnesia carbonica, Prof. J . T.Kent,
363.
Malaria 93.
Mannigfaltiges 30. 51. 83. 120. 183
218. 249. 315. 345.
Marienbad 71.
Massachusetts Homoeopathic Hospital
87. #
Mastdarmvorfall 318,
Muteria rnedica 31. 53.
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Original fro-m
UNIVERSITf OF MICHIGAN
383
Materia medica and therapeutics of
rare hpmoeopathic r'emedies, A
text b|fok of, Dr. Oscar Hansen
(Besp£) 245.
Medorr^inum 96.
Melanc|g}ie 32.
Menopause 377.
Metterhausen, Friedrich, 242.
Migräne 210.
Milch JJ6.
Mitte|$rüfungen, Beabsichtigte und
unbeabsichtigte, 49.
Mundgesehwüre 57.
Nachtschweisse 221.
Natrium sulphuricum 59.
Nauheim 71.
Nervenleiden und Nervenschmerzen,
ihre Behandlung und Heilung
durch Handgriffe, Dr. Nägeli,
(Bespr.) 248.
Nervenleiden 316.
Neumond, Verschlimmerung beim,
222 .
Neuralgie, traumatische, 255.
Neuralgieen 348.
Neurasthenie 189.
Obst- und Gartenbauschule, Eine
hygienische, 52.
Organtherapie und ihre Bedeutung
für die Praxis, Die Grundgesetze
der arzneilichen, Prof. Dr. Hugo
Schulz, 193.
Ovarialcyste 347.
Ovariotömie 349.
Palladium 351.
Parametritis 370.
Paris quadrifolia 36.
Peptone 86.
Petroleum, Prof. J. T. Kent, 202.
Phytolacca, Prof. J. T. Kent, 278.
Propaganda-Ausschusses 1899, Be¬
richt des, Dr. Villers, 231.
Psorin 319.
Pulsatilla 256.
Rectumkrebs 57.
Rhus toxicodendron 39. 96.
Rose 300.
Sabadilla, Prof. J. T. Kent, 225.
Sächsisch-Anhaltiner Vereines Ho¬
möopathischer Aerzte, Die Früh¬
jahrs Versammlung des, Dr .
Villers, 172.
Sächsisch-Anhaltiner Vereines, Die
Herbstversammlung des, Dr.
Villers, 312.
Safran 161.
Salol 49.
Samuel, Prof. Dr. 235.
Sanguinaria, Prof. J. T. Kent, 137.
Sanguinaria canadensis 319.
Schwangeren, Erbrechen der, 167.
Schwatzhaftigkeit 294.
Schweikert, Geh. Sanitätsrath Dr.
218.
Seekrankheit 379.
Sehschärfe, Verminderung der, 221.
Selbstdispensirrecht der Aerzte und
Homöopathen, Das, Dr. Spring¬
feld, (Bespr.) 217.
Selbsthilfe durch Homöopathie, Die,
Heinrich Höltzel, (Bespr.) 246.
Signaturen 63.
Similia similibus curantur oder
curentur ? 30.
Sollen wir angreifen oder nachgeben?
Dr. George Shelton, 3.
Sommerdurchfälle 336.
Spermatorrhoe 56.
Spinalirritation 188.
Staarbehandlung 95. 189.
Statistische Mittheilungen aus Boston
219.
Symptomatologie 128.
Symptome, Ueber, Dr. Villers , 326.
Symptome, Werth der, 222.
Symptomen, Zusammentreffen von,
251.
Syphilis 298. 359.
Temperament, Diathese und Dyscrasie
222. 223.
Tetanus 220.
Theinhardt’s, Dr. med, „Hygiama“
187. 188.
Theinhardt’s, Dr. med., „lösliche
Kindernahrung“ 127. 188.
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Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
384
Therapeutische Täuschungen und
deren Ursachen, Prof\ Purjes,
Tilia europea, Die Concordanzen von,
Dr. B. (?. Clark, 74.
Totalität der Symptome 92.
Traurigkeit 337
Tripper 60.
Tuberkulose 85.
Tussilago 50.
Uebelkeit 38.
Unterschenkelgeschwür 26.
Ursachen und Bedingungen der
Krankheit 59.
Ursprung, Werth und Umfang der
Homöopathie, Dr. Pemberton
Dudley, 41.
Uterus, Erkrankungen des, 379.
Uterus, Fibroide des, 351.
Vegetarianismus, Die therapeutische
Bedeutung des, 249.
Verdünnungen unlöslicher Metalle
352.
Vereinigung Homöopathischer
Aerzte Norddeutschlan$s, Bericht
über die Versammlung der, Dr.
Waszily, 103.
Viscum album 67. #
Viscum album, Dr . Geor0 Black,
(Bespr.) 180.
Volksarzt, Der, Dr. Boffenmeyer,
(Bespr.) 247.
K
Wahnsinn, religiöser, 293.
Walz, Staatsrath Dr., f 88.
Wechselzeit 305.
Zahnen 336.
Zeitungsmappe, Aus der, 30. 53. 91.
128. 158. 188. 219. 251. 288. 316.
345. 376. f
Zum Abschied, Dr. Villers, 353.
Zusammentreffen von Symptomen
251.
Autorenverzeichniss.
Clark 74.
Dudley 41.
Fincke 106. 129. 266. 306. 321.
Kent 33 65. 97. 114. 137. 145. 165.
202. 225. 278. 283. 289. 331. 337.
356. 363.
Kisch 71.
Purjes 22.
Schlegel 161.
Schulz 193.
Shelton 3.
Yillers 1. 25. 172. 175. 209. 231. 257.
312. 326. 353. 368.
Waszily 103. 259.
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iginal from
VERSfTY OF MICHIGAN