Skip to main content

Full text of "Archiv Für Hygiene 42.1902 California"

See other formats


Google 


Über dieses Buch 

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin¬ 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 

Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 

+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 

+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 

+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 


Über Google Buchsuche 


Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http : //books . google . com durchsuchen. 


















































Digitized by 



Digitized by v^.ooQle 


ARCHIV 


FÜR 


H Y G I E 

(BEGRÜNDET VON MAX t. PETTENKOFER.) 


UNTER MITWIRKUNG 

VON 

Prof. Dr. O. BOLUNGER, Mönchen ; Prof. Dr. BONHOFF, Marburg a. L.; Prof. Dr. R. EMMERICH. Mönchen . 
Prof. Dr. F. ERISMANN. Zürich; Prof. Dr. HEIM, Erlangen; Prof Dr. A. HILGER, München. Prof. Dr. 
F. HUEPPE, Prag; Prof. Dr. KABRHEL, Prag ; Prof Dr. F. KRATSCHMER. Wien ; Prof. Dr. K. LEHMANN, 
Würzburg; Prof. Dr. LODE, Innsbruck; Prol. Dr. L. PFEIFFER, Rostock; Generalarzt Dr. J. PORT, 
Würzburg; Prof. Dr. W. PRAUSNITZ, Graz; Prof. Dr. F. RENK. Dresden; Prof. Dr. SCHOTTELIUS, 
Freiburg i. B.; Generaloberarzt Dr. A. SCHUSTER, München ; Prof Dr. WERNICKE, Posen. 



HERAUSGEGEBEN 

VON 

J. FÖRSTER, M. GEUBEB, FR. HOFMANN, M. RUBNER, 

O. 0. PROFESSORSN l>EK HYGIENE UNO DIRECTOREN DER HYGIENISCHEN INSTITUTE AN DEN UNIVERSITÄTEN ZU 

STRASSBÜRG WIEN LEIPZIG BERLIN. 


ZWEIÜNDVIERZIG8TER BAN 13. 


MÜNCHEN und BERLIN, 

DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG. 

1902. 


Digitized by CjOOQle 







' i ' 





Digitized by v^.ooQle 



Inhalt. 

Seite 


Über das Vorkommen gemischter Fettsäure-Glyceride im tierischen 
Fette. Von Willy Hansen aus Rostock. (Aus dem hygienischen 

Institut der Universität zu Rostock). 1 

Beiträge zur Kenntnis der quantitativen Zersetzung des Milchzuckers 
durch den Bacillus acidi lactici. Von Dr. Paul Haacke aus 
Schwerin (Meekl). (Aus dem hygienischen Institut der Universität 

Rostock). 16 

Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. II. Von Dr. Max 
Schottelius, Professor der Hygiene. (Aus dem hygienischen 

Institut der Universität Freiburg i. B.). 48 

Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen und ihre Ver¬ 
wendung als Merkmal zur Artunterscheidung. Von Dr. Georg 
Caspari, Zahnarzt aus Rummelsburg in Pommern. (Aus dem 

hygienischen Institut in Würzburg.) (Mit Tafel I). 71 

Studien über die Absterbebedingungen der Sporen einiger Aspergillus¬ 
arten. Von Professor A Lode. (Aus dem hygienischen Institute 
der k. k. Universität in Innsbruck).107 


Über die Verunreinigung des städtischen Hafens und des Flusses 
Akerselven durch die Abwässer der Stadt Christiania. Von Dr. Axel 
Holst, o. ö. Professor, Dr. Magnus Geirsvold, Assistent am 
hygienischen Institute und Siqvol Schmidt-Nielsen, Chem.- 
Ingenieur. (Aus dem hygienischen Institute der Universität 

Christiania). (Mit Tafel II—IV)^ r.153 

Über Buttersäuregärung. (II. Abhandlung.) Von Dr. R. Grafsberger 
und Dr. A. Schattenfroh. A. Zur Morphologie des beweg¬ 
lichen Buttersfturebacillus. Von Dr. R. Grafsberger, Assistent 
am Institute. (Aus dem hygienischen Institute der Universität 


Wien.) (Mit Tafel V—VHI)..219 

B. Biologisches Verhalten und Verbreitung des beweglichen Butter¬ 
säurebacillus. Von Dr. A. Schatten froh, Assistent am Institute 251 


754913 


Digitized by v^.ooQle 










IV 


Inhalt. 


Seit« 


Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen. Von Oberarzt Dr. Jürgens. 

(Aus dem hygienischen Institut der Universität Berlin) .... 205 

Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und Disposition. Von 

Otto Ammon .289 

Versuche über Typhusagglutinine und -Präci pitine. Von Privatdozent 
Dr. Oskar Bail, Assistenten des Institutes. (Aus dem hygieni¬ 
schen Institute der deutschen Universität in Prag Vorstand: 

Prof. F. Hueppe).307 


Digitized by v^.ooQle 




Über das Vorkommen gemischter Fettsäure-Glyceride im 

tierischen Fette. 

Von 

Willy Hansen 

aus Rostock. 

(Aus dem hygienischen Institut der Universität zu Rostock) 

I. 

Seit der Untersuchung von Chevreul über die tierischen 
Fette betrachtet man ganz allgemein dieselben als Mischungen 
der Triglyceride derjenigen Fettsäuren, welche bisher im Körper 
der Tiere, bezw. in der von den letzteren abgesonderten Milch 
gefunden wurden, im wesentlichen: Butter-, Capron-, Capryl-, 
Caprin-, Palmitin-, Stearin- und Ölsäure. 

In allen Lehrbüchern, aber auch in den ausführlichsten 
Handbüchern der reinen und angewandten Chemie wird dem¬ 
zufolge angegeben, dafs die tierischen Fette aus den Triglyceriden 
der genannten Fettsäuren, hauptsächlich aber aus Tripalmitin, 
Tristearin und Triolein in wechselnden Mischungsverhältnissen 
bestehen. In den festen Fetten (Talgen) sollen hauptsächlich das 
Tristearin und Tripalmitin, in den weicheren (Schmalzen, Butter) 
das Tripalmitin und Triolein vorherrschen. 

Ob jemals angenommen wurde, dafs die Fettsäuren auch als 
gemischte Glyceride oder doch wenigstens solche neben den ein¬ 
fachen Glyceriden im tierischen Fette vorhanden seien, habe ich 
nicht in Erfahrung bringen können. Angaben über das Vor¬ 
kommen gemischter Fettsäure-Glyceride im Tierfette und über die 
Darstellung solcher aus demselben habe ich in der Litteratur 

Archiv für Hygiene. Bd. XLII. 1 


Digitized by kjOOQle 




2 . . .tty>er cL Vorkommen gemischter Fettsäure-Glyceride im tierischen Fette. 

* 'nicht finden*können, aufser der einzigen in »Benedict, Analyse 
der Fette und Wachsarten 1 )«, welcher Autor schrieb 2 ): »Doch 
scheint es auch Fette zu geben, in welchen sich gemischte Ester 
des Glycerins vorfinden, wie dies Bell namentlich für die Butter 
wahrscheinlich gemacht hat, in welcher er ein Oleopalmitobutyrat 
von der Zusammensetzung 

Gig H 33 0 
C 3 H 6 0 ;; C 16 H 31 0 
C 4 H 7 O 

annimmt, und weiter 3 ): »Nach Bell enthält die Butter wahr¬ 
scheinlich gemischte Ester des Glycerins, was schon deshalb 
wahrscheinlich ist, weil Triacetin 4 ) in Wasser löslich ist. Extra¬ 
hiert man Butterfett mit heilsem Alkohol, so geht ein Fett 
(2—3 °/ 0 vom Gewicht der Butter) in Lösung, welches bei 15,5° C. 
schmilzt und 13—14 °/ 0 lösliche neben 79—80°/ 0 unlöslichen Fett¬ 
säuren enthält. Mischt man der Butter hingegen Tributyrin zu, 
so läfst sich dasselbe vollständig mit Alkohol extrahieren. Der 
niedrige Schmelzpunkt des extrahierten Fettes rührt nicht von 
einem höheren Ölsäuregehalt her, indem die Fettsäuren desselben 
höher als die Butterfettsäuren schmelzen. Daher ist wahrschein¬ 
lich ein Oleopalmito butyrat vorhanden. In Übereinstimmung 
damit haben Blyth und Robertson 5 ) aus der Butter ein 
krystallinisches Glycerid von der Formel 

C 4 H 7 0 2 

c 3 h, c 16 h 31 o 2 

C],s H 33 0 2 

abgeschieden.« 

Rein spekulativ hätte man vielleicht darauf kommen müssen, 
dafs wahrscheinlich alle Fette mehr oder weniger aus gemischten 
GJyceriden bestehen. Denn man kann doch kaum annehmen, 
dafs bei der Bildung von Neutralfetten, sei es aus Eiweifs, sei 
es aus Kohlehydraten, immer nur gerade soviel der einzelnen 

1) III. Auflage, herauagegeben von Ferd. Ulzer. Berlin, 1897. Springer. 

2) a. a. O., S. 43. 

3) a. a. ()., S. 544 u. 545. 

4) Soll wohl heifaen: Tributyrin. 

5) Vergl. Chemiker-Zeitung, 1889, 13, S. 128. 


Digitized by CjOOQle 





Von Willy Hansen. S 

Fettsäuren und des Glycerins entsteht, als notwendig ist, normale 
einfache Glyceride zu bilden. 

Wenn trotzdem immer als bewiesen angesehen wurde, dafs 
nur einfache Triglyceride in den tierischen Fetten x ) Vorkommen, 
so liegt der Grund hierfür hauptsächlich wohl darin, dafs durch 
die Untersuchungen Berthelots 2 ) über die Fette dargethan wor¬ 
den war, dafs einfache Triglyceride synthetisch darstellbar sind, 
und dafs dieselben Eigenschaften besitzen, welche mit denjenigen 
der aus tierischen und pflanzlichen Fetten isolierten Triglyceride, 
bezw. der Körper, welche man für einfache Triglyceride ansah, 
übereinstimmen. 

Allerdings gab es Beobachtungen, die den Verdacht erwecken 
konnten, dafs bezüglich des Vorkommens nur von einfachen 
Triglyceriden in Neutralfetten unser Wissen noch lückenhaft sei. 
Zunächst die Beobachtung von Heintz, dafs reines Tristearin 
aus tierischen Fetten nicht zu gewinnen war. 

Heintz 3 ) schrieb wörtlich: »Als ich meine Arbeiten über 
die tierischen Fette begann, hatte ich gehofft, durch Umkrystalli- 
sieren derselben aus der ätherischen Lösung endlich chemisch 
reine Fette abzuscheiden, wie man nach Lecanu aus dem 
Hammelfett nach dieser Methode reines Stearin erhalten sollte. 
Allein diese Hoffnung mufste ich bald aufgeben, ich mufste mich 
sogar überzeugen, dafs das nach Lecanus Methode gewonnene 
Stearin immer noch nicht rein ist. Denn w r enn es verseift wird, 
so liefert es nach Zersetzung der entstandenen>Seife durch Kochen 
mit verdünnter Salzsäure eine Säure, deren Schmelzpunkt weit 
unter dem der Stearinsäure liegt. Später hat auch Patric 
Duffy nachgewiesen, dafs das nach Lecanus Methode ge¬ 
wonnene Stearin, dessen Schmelzpunkt um 62° liegt, durch sehr 
oft wiederholtes Umkrystallisieren aus sehr viel Äther in einen 
Stoff von viel höherem Schmelzpunkt übergeführt werden kann. 
Das bei 62° C. schmelzende Stearin liefert bei der Verseifung 

1) ln einigen Pflanzenfetten hat man bekanntlich auch Diglyceride 
nachgewiesen. 

2) Journal de Pharmae. T. XXIV. 

3) Heintz, Über die Fette. Journal f. prakt. Chemie, 1855, Bd III, S 43. 

1 * 


Digitized by v^.ooQle 



i tib er d. Vorkommen gemischter Fettsäure-Glyceride im tierischen Fette. 

eine Säure, deren Schmelzpunkt bei 64° liegt. Ebensowenig 
gelang es mir, aus dem Menschenfett ein reines Fett zu er¬ 
halten.« 

Der von Heintz genannte Patric Duffy 1 ) hat das Stearin 
genau untersucht. Erhalten hat er es, wie schon erwähnt, durch 
wiederholtes Umkrystallisieren von Hammeltalg aus Äther in der 
Weise, dafs bei den ersten 5—6 Krystallisationen das 10—15 fache, 
bei den folgenden das hundertfache Quantum des Äthers an¬ 
gewandt wurde. Nach fünfmaligem Umkrystallisieren zeigte das 
Produkt den Schmelzpunkt 61,3°, nach 17maligem den von 63°, 
nach 32 maligem denjenigen von 64°. Die Ausbeute betrug 
schliefslich pro Kilogramm Hammeltalg 2 g Stearin (Tristearin). 

Bei seinen Versuchen über die Resorption verschiedener Fette 
aus dem Darmkanale hat L. Arnschink 2 ) sich eines Tristearins 
bedient, das durch Umkrystallisieren aus Hammeltalg erhalten 
war und dessen Schmelzpunkt er zu 59,7° C. gefunden hatte. 
Dasselbe bestand zu 94,96% aus Fettsäuren und 5,04% aus 
Glycerin (vergl. die Fufsnote a. a. 0. S. 437). Nun ergiebt aber 
die einfache Rechnung, dafs Tristearin 95,73 °/ 0 Stearinsäure ent¬ 
hält. Eine Verbindung von der Formel 

^18 H 35 0 2 
C 18 H* O 2 

G'i6 H ;n 0 2 , 

Distearopalmitin, würde immer noch 95,59% Fettsäuren enthalten. 
Daher ist ohne weiteres klar, dafs Arnschink kein reines 
Tristearin unter den Händen gehabt hat; sein Tristearin war ent¬ 
weder ein gemischtes Triglycerid oder ein Gemisch von Tristearin 
und Tripalmitin. Also auch ihm ist es nicht geglückt, durch 
Umkrystallisieren tierischen Fettes reines Tristearin zu gewinnen. 

Eine weitere, höchst auffällige Erscheinung ist die, dafs viele 
Beobachter den Schmelzpunkt des anscheinend reinen Tristearins 
aus Tierfett verschieden angegeben haben. Arnschink hat 
denselben zu 59,7° angegeben und bemerkt in der Fufsnote 8 ): 

1) Quart. Journ. of the Chem. Soc. Vol. V, p. 197. 

2) Zeitschrift f. Biologie, 1890, Bd. 26, S. 437. 

3) a. a. O., 8. 437. 


Digitized by v^.ooQle 



Von 'Willy Hansen. 


5 


»Gewöhnlich wird als Schmelzpunkt des Stearins 63° angegeben.« 
Patric Duffy gab ihn zu 64° an. 1 ) Aber ganz besonders auf¬ 
fällig ist die von Heintz 2 ) bestätigte Angabe Patric Duffys, 
dafs das Tristearin zwei Schmelzpunkte besitzt, nämlich bei 55° C. 
und 71° C. Über diese höchst merkwürdige Beobachtung äufserte 
sich Heintz folgendermafsen: 

»Bei der Untersuchung des bei 62° C. schmelzenden Stearins 
beobachtete ich eine Erscheinung, die bis dahin nicht bekannt 
w T ar. Wenn man es nämlich in ein Kapillarrohr einschliefst, so 
wird es schon bei 51° bis 52° vollkommen durchsichtig, trübt 
sich aber wieder bei Steigung der Temperatur und wird endlich 
nochmals durchsichtig. Ich glaubte damals, das erste Durch¬ 
sichtigwerden sei mit keinem wahren Schmelzen verbunden, weil, 
wenn man ein dünnes Blättchen des Stearins in Wasser taucht, 
dessen Temperatur einige und 50° C. beträgt, zwar ein Durch¬ 
sichtigwerden beobachtet wird, aber die Masse nicht in einen 
Tropfen zusammenflielst. Später hat Patric Duffy diese Er¬ 
scheinung ebenfalls beobachtet und zugleich behauptet, dafs bei 
der Temperatur von einigen 50 Graden doch eine wahre Schmel¬ 
zung des Stearins stattfinde. Ich habe mich neuerdings davon 
überzeugt, dafs dieses in der That richtig ist, und dafs ein Stearin¬ 
blättchen, wenn es nur hinreichend dünn ist, wirklich in Wasser 
von 52° C. flüssig wird. P. Duffy erklärt diese Erscheinung 
für die Folge der Bildung verschiedener isomerer Modifikationen 
des Stearins. Allein, da man bis dahin noch nicht chemisch 
reines Stearin dargestellt hatte, so konnte sie auch eben durch die 
Gemischtheit veranlafst sein, und es entsteht daher gerecht die 
Frage, ob auch chemisch reines Stearin diese Erscheinung zeigt. 

Da man aus tierischen Fetten das Stearin nicht in reinem 
Zustande gewinnen kann, so benutzte ich die Methode von Ber¬ 
thelot, es aus der reinen Stearinsäure und Glycerin wieder zu¬ 
sammenzusetzen. Ich erhielt in der That ein Stearin, das bei 
seiner Verseifung in Glycerin und vollkommen reine Stearinsäure 
zerfiel, und es gelang mir nun nachzuweisen, dafs auch dieses 

1) a. a. O. 

2) a. a. 0., S. 50. 


Digitized by v^.ooQle 



6 Über d. Vorkommen gemischter Fettsäure-Glyceride im tierischen Fette. 


chemisch reine Stearin zwei Schmelzpunkte besitzt, wovon der 
eine bei 55° C., der andere bei 71,6° C. liegt. Es ist daher 
auch die Ansicht von P. Duffy als richtig zu betrachten, dals 
nämlich das Stearin durch eine bestimmte Temperatur in eine 
andere isomere Modifikation übergehe, die sich durch einen 
höheren Schmelzpunkt (71,6°) auszeichnet und die entsteht, wenn 
das Stearin längere Zeit, bis etwa 60° C., erhitzt wird. Diese 
Modifikation geht aber durch Erhitzung über 71,6° C. in die bei 
55° C. schmelzeude über.« 

Welche Modifikationen mit so verschiedenen Schmelzpunkten 
entstehen sollten, ist jedoch nicht dargelegt, ist auch schwer 
zu erklären, da das Tristearin ein normaler Ester ist und bei 
der Verseifung in Glycerin und dieselbe Stearinsäure zerfällt, 
welche zur Darstellung desselben gedient hat. 

Die Merkwürdigkeit, dafs ein scheinbar chemisch reiner 
Körper, wie das Tristearin, zwei Schmelzpunkte besitzt, war mit 
der Annahme der Bildung verschiedener Modifikationen ganz 
sicher auch nicht erklärt; aber man konnte sie nunmehr wenig¬ 
stens ganz beruhigt im Buche der Wissenschaft buchen. 

Herr Professor Dr. Pfeiffer hat mir gesprächsweise seine 
Bedenken hinsichtlich der Berechtigung dieser Annahme von 
Duffy-Heintz mitgeteilt und gemeint, dafs die Erscheinung 
eines doppelten Schmelzpunktes des Tristearins — und auch 
des Tripalmitins 1 ) — sich wohl noch anders deuten lasse als 
durch die Hypothese von der Bildung verschiedener Modifikationen, 
nämlich durch die Umbildung gemischter Triglyceride in 
Mischungen einfacher normaler Glyceride. Er hat mich dadurch 
veranlafst, zu untersuchen, ob in den tierischen Fetten überhaupt 
einfache normale Glyceride oder gemischte Vorkommen. 

Das Ergebnis der Untersuchung, die unter Leitung des 
Herrn Professors Dr. Pfeiffer im Hygienischen Institut zu 
Rostock ausgeführt wurde, teile ich in nachstehendem mit. Es 
bestätigt die Richtigkeit der Bedenken und thut das Vorkommen 
von gemischten Triglyceriden im Tierfett, wenigstens für Hammel¬ 
und Rindertalg, dar. 

1) Vergl. später S. 14. 


Digitized by CjOOQle 


Von Willy Hansen. 


7 


II. 

Als Ausgangsmaterial zur Darstellung reinen Tristearins be¬ 
nutzte ich teils Hammel-, teils Rindertalg, welche zunächst durch 
Auspressen mit einer gewöhnlichen Fruchtpresse unter Beobach¬ 
tung der von Soxhlet für die Herstellung von Fleischsaft an¬ 
gegebenen Regeln — dünne Prefskuchen, und Zwischenlagerung 
von Drahtnetzen zwischen die einzelnen Prefsportionen — von der 
Hauptmasse der bei gewöhnlicher Temperatur flüssigen Glyceride 
befreit wurden. Dieses Auspressen geht recht gut von statten, 
wenn man zuerst die Presse sehr langsam anzieht, andernfalls 
prefst man den Talg in feinen Schnüren durch die Poren der 
Prefstücher hindurch. Die ausgeprefsten flüssigen Glyceride er¬ 
starrten bei geringer Temperaturerniedrigung zu einer butter- 
artigen Masse, der Prefsrückstand — fest und weifs — wurde in 
Form dünner, harter Scheiben erhalten, die bei 51° C. schmolzen, 
während der ursprüngliche Hammeltalg bei 48° C., der Rindstalg 
bei 42° C. schmolz. 1 ) 

Der in Stücke zerbrochene Prefsrückstaud wurde alsdann 
mit 95°/ 0 Alkohol gekocht, die erkaltete alkoholische Lösung, 
aus der grofse Mengen Fett sich krystallinisch abgeschieden 
hatten, abfiltriert und der Destillation unterworfen. Ich erhielt 
aus derselben noch grofse Quantitäten leicht schmelzbaren Fettes. 
Nach zweimaliger Wiederholung dieses Verfahrens blieben im 
erkalteten Alkohol nur noch geringe Portionen Fett gelöst. Der 
krystallinische Filterrückstand besafs einen Schmelzpunkt von 
51,5° C. Durch öfter wiederholtes Umkristallisieren desselben 
aus siedendem Alkohol gelang es nicht, ein höher schmelzendes 
Fett zu isolieren. Leicht gelang das hingegen bei Verwendung 

1) Die Schmelzpunktbestimmung wurde in einem möglichst engen 
Kapillarrohr vorgenommen, das an das Quecksilbergefäfs des Thermometers 
angebunden wurde. Das Thermometer mit der Kapillare tauchte entweder 
in Wasser oder Schwefelsäure, die in einem weiten Reagenzglas verwahrt 
wurden. Letzteres tauchte in ein mit viel Wasser gefülltes Becherglas oder 
Rundkölbcben ein. 


Digitized by CjOOQle 



8 Über d. Vorkommen gemischter Fettsäure G lyceride im tierischen Fette. 


von Äther in gröfserer Menge als Lösungsmittel, namentlich 
wenn die auskrystallisierten Fette durch Absaugen auf einer 
Filterplatte rasch vom Äther befreit wurden. Bei der ersten 
Ätherkrystallisation erhielt ich eine schuppige Krystallmasse 
vom Schmelzpunkt 55 0 C. Das in Äther gelöst verbliebene und 
daraus durch Verdampfen des Äthers erhältliche Fett war vom 
Schmelzpunkt 32° C. Das bei 55° schmelzende Fett, nach 
Leffmann-Bean verseift, lieferte nach Zerlegung der Seife 
mit verdünnter Salzsäure Fettsäuren, welche bei 54° C., nach 
Umkrystallisieren aus Alkohol bei 63,5 0 C. schmolzen, also ein 
Gemisch verschiedener, jedenfalls mindestens zweier Fettsäuren 
waren. Wiederholtes Umkrystallisieren des bei 55° schmelzenden 
Fettes aus Äther brachte zunächst kein höher schmelzendes 
Produkt. Wurde das Fett aber aus viel Äther bei Zimmer¬ 
temperatur umkrystallisiert, so resultierte anfangs ein Fett vom 
Schmelzpunkt 58,5° C. (der Äther enthielt ein solches vom 
Schmelzpunkt 42°) und schliefslich ein solches vom Schmelz¬ 
punkt 62,5° (Schmelzpunkt des in Äther gelösten Teiles 52°), 
das bei noch so häufigem Umkrystallisieren immer wieder diesen 
-Schmelzpunkt 62,5° C. zeigte. Nunmehr zeigte auch der in 
Äther gelöste Anteil konstant diesen Schmelzpunkt, offenbar lag 
ein einheitlicher Körper, nicht mehr ein Gemisch von Triglyce¬ 
riden, vor. Eine Probe des in schönen glänzenden Blättchen 
krystallisierenden Fettkörpers besals die Verseifungszahl (Kötts- 
torfer) 195,65.*) Reines Tristearin hat als Verseifungszahl 188,8. 
Sonach kann mein bei 62,5° C. schmelzender Fettkörper kein 
reines Tristearin gewesen sein. Nahm man an, dafs er ein ge¬ 
mischter Glycerinester der Palmitin- und Stearinsäure war, so 
konnte er entweder 1 Molekül Palmitinsäure auf 2 Moleküle 
Stearinsäure oder 2 Moleküle Palmitinsäure auf 1 Molekül Stearin¬ 
säure enthalten, entweder ein Distearopalmitin oder ein Dipalmito- 
stearin sein. Ersteres erfordert eine Verseifungszahl von 194,9, 
letzteres eine solche von 201,4. 

1) 0,222 g verbrauchten bei der Verseifung 1,55 ccm Vi Normal-Kali¬ 
lauge = 43,4 mg KOH; 0,4275 g 2,99 ccm V, Normal-Kalilauge = 83,7*2 mg 
KOH. Die Verseifungszahl ist demnach 195,5 und 195,8, im Mittel 195,65. 


Digitized by v^.ooQle 



Von Willy Hansen. 


9 


Stellt man diese Zahlen in einer Reihe zusammen, so sieht 
man sofort, dafs mein Fettkörper nur ein Distearopalmitin sein 
konnte. Denn es beträgt die Verseifungszahl für 

Tristearin Distearopalmitin Dipalmitostearin 

188,8 194,9 201,4 

das von mir hergestellte Präparat 
195,65. 

Ölsäure enthielt das Präparat nicht, wie die (v. Hüblsche) 
Jodadditionsbestimmung ergab. Würde es ein Gemisch von Tri¬ 
stearin und Tripalmitin gewesen sein, so müfste sich beim Um- 
krystallisieren aus Äther das Mischungsverhältnis haben ändern 
lassen, was, wie oben mitgeteilt, aber nicht der Fall war. 

Die aus dem Präparat isolierten Fettsäuren schmolzen bei 64°. 
Dieser Schmelzpunkt ist nach Heintz 1 ) möglich für ein Gemisch 
von Palmitinsäure und Stearinsäure im Verhältnis von 70—80 
Teilen letzterer und 20—30 Teilen ersterer. Distearopalmitin 
enthält die beiden Fettsäuren gemischt im Verhältnis von 
67,7 Teilen Stearinsäure auf 32,3 Teile Palmitinsäure; also auch 
der Schmelzpunkt der Fettsäliren von 64° palst gut auf ein Di¬ 
stearopalmitin'. 

Auch aus dem Rindstalg gelang es neben den noch zu .be¬ 
schreibenden Körpern dieses Distearopalmitin herzustellen, nicht 
aber Tristearin. Ich glaube daher, dafs im Hammel- und Rinder¬ 
talg, oder — um mich vorsichtiger auszudrücken — in den von 
mir untersuchten Proben Tristearin nicht vorhanden war. 

Ich sage: »von mir untersuchten Proben Tristearin nicht vor¬ 
handen war,« denn es könnte recht wohl gelegentlich auch Tri¬ 
stearin im Hammeltalg gefunden werden, namentlich wenn andere 
Methoden der Darstellung des Tristearins, z. B. ein anderes Lösungs¬ 
mittel statt Alkohol und Äther, zur Anwendung kommen würden 
oder aber der Talg vorher stark erwärmt würde. Ich habe näm¬ 
lich folgende Beobachtung gemacht: Als das bei 62,5° C. schmel¬ 
zende, nunmehr als Distearopalmitin bezeichnete Fett aus Äther 
ohne Veränderung nicht mehr umzukrvstallisieren war, versuchte 

1) Vergl. a. a. 0., S. 12, Tabelle. 


Digitized by v^.ooQle 



10 Über d. Vorkommen gemischter Fettaäure-Glyceride im tierischen Fette. 


ich auf Rat von Prof. Pfeiffer nacheinander aus Chloroform, 
Benzol und schliefslich aus Amylalkohol, jeweils bei Siedehitze, 
umzukrystallisieren. Die Krystallisationen aus Benzol und Chloro¬ 
form schmolzen wieder bei 62,5° C., die aus Amylalkohol aber bei 
66,8 °. Dieser letztere Schmelzpunkt blieb nun konstant bei jeder 
wiederholten Krystallisation aus Amylalkohol. Von dem an¬ 
hängenden Amylalkohol durch Waschen mit Alkohol und Äther 
befreit, bildete das so erhaltene Fett prachtvoll glänzende Schuppen, 
ähnlich denen der reinen Stearinsäure, die daraus durch Verseifung 
des Fettes und Zerlegung der Seife auch sofort in vollkommener 
Reinheit (Schmelzpunkt 69,2°) gewonnen wurde. Die Verseifungs¬ 
zahl des Fettes war 191,0 1 ). Reines Tristearin erfordert die 
Verseifungszahl 188,8. Die Übereinstimmung beider Werte ist 
genügend grofs und ich halte mich daher für berechtigt, das 
beschriebene Fett für wirklich reines Tristearin anzusprechen. 
Dieses Tristearin kann aber offenbar nur so entstanden gedacht 
werden, dafs sich bei der Siedehitze des Amylalkohols (138°) das 
Distearopalmitin umgelagert hat in Tristearin und Tripalmitin. 
Selbstverständlich könnte eine solche Umlagerung auch vor sich 
gehen bei stärkerer Erhitzung des Distearopalmitins für sich ohne 
Lösungsmittel und damit würde die Beobachtung eines doppelten 
Schmelzpunktes von Duffy-Heintz eine sehr einfache Er¬ 
klärung finden. Zuerst würde das Distearopalmitin (oder vielleicht 
ein Dipalmitostearin) als solches schmelzen, dann sich umlagern 
unter Bildung des schwerer schmelzbaren Tristearins, das bei 
dieser Temperatur (55°) noch auskrystallisieren könnte, um neuer¬ 
dings bei höherer Temperatur (71,6°) wieder zu schmelzen. Die 
höhere Schmelztemperatur von Duffy-Heintz kann sehr wohl 
die Eudtemperatur des Schmelzens sein, die man bei Fett¬ 
gemischen immer höher findet als die Anfangstemperatur. 

Diese Erklärung involviert allerdings einen Zweifel an der 
Behauptung dieser Autoren, dafs sie reines Tristearin in Händen 
gehabt haben. 

1) 0,9589 g verbrauchten bei der Verseifung 6,53 ccm 7a Normal-Kali¬ 
lauge = 182,84 mg KOH; 0,9588 g 6,56 ccm 7a Normal-KOH = 183,68 mg 
KOH. Die Verseifungszahl ist demnach 190,6 und 191,5, im Mittel 191,0. 


Digitized by 


Google 



Von Willy Hansen. 


11 


Aber diesen Zweifel lassen auch die Analysenangaben von 
Heintz selbst zu. Er fand 100 Teile seines synthetischen 
Tristearins aus 95,50 Teilen Stearinsäure bestehend, während es 
nach der Berechnung aus 95,73 Teilen Stearinsäure bestehen 
sollte. 1 ) Der Gehalt des Distearopalmitins mit 95,59 Teilen 
Stearinsäure in 100 Teilen kommt an den von Heintz für sein 
reines Tristearin ermittelten (95,50) jedenfalls noch näher heran 
als an den für das reine Tristearin berechneten. 

An meinem reinen Tristearin konnte ich nie einen doppelten 
Schmelzpunkt beobachten. Versuche, solches auf anderem als 
dem von Berthelot empfohlenen Wege synthetisch darzustellen, 
milslangen und leider war die Menge des gewonnenen Distearo¬ 
palmitins schliefslich auch so zusammengeschmolzen, dafs ich 
darauf verzichten mufste, die Frage der Richtigkeit des doppelten 
Schmelzpunktes des Tristearins endgültig zu lösen. Dieselbe 
wird jedoch nach Mitteilung des Herrn Professors Dr. Pfeiffer 
jetzt im Hygienischen Institut zu lösen versucht. 

Nachdem mir gelungen war, ein erstes gemischtes Glycerid 
der Stearin- und Palmitinsäure darzustellen, wuchs natürlich meine 
Hoffnung, noch mehrere derselben zu gewinnen und in der That 
gelang es mir nach einander ein Dipalmitostearin, ein Dipalmito- 
olein und ein Stearopalmitoolein nebst reinem Tripalmitin zu 
isolieren. Verwendet wurden hierzu die Anteile des Hammeltalgs, 
welche bei der Reinigung des Distearopalmitins jeweils in Äther ge¬ 
löst geblieben waren und welche, nunmehr wieder vereinigt, so lange 
wieder aus Äther umkrystallisiert wurden, bis Körper mit konstan¬ 
tem Schmelzpunkt resultierten, bei deren Umkrystallisation aus 
Äther der im Äther zurückbleibende Anteil den gleichen Schmelz¬ 
punkt wie die krvstallinisehe Ausscheidung aufwies. 

Das Dipalmitostearin, ebenfalls in seidenglänzenden Schüpp¬ 
chen krystallisierend, schmolz bei 55°. Es besafs die Verseifungs¬ 
zahl 200,2 2 ) und addierte zum Beweis der Abwesenheit von 

1) Vergl. a. a. O, S. 51. 

2) 0,2108 g verbrauchten zur Verseifung 1,51 ccm 1 / 2 Normal-Kalilauge 
= 42,28 mg KOH; 0,2872 g verbrauchten 2,0;") ccm x f 2 Normal Kalilauge — 
57,40 mg KOH. Die Verseifungszahl ist hiernach 200,6 und 100,0, im Mittel 

200,2 g. 


Digitized by 


Google 



12 Über d. Vorkommen gemischter Fettsäure-Glyceride im tierischen Fette. 

Ölsäure kein Jod. Theoretisch berechnet sich die Verseifungszahl 
des Dipalmitostearins zu 201,4. Die Übereinstimmung des berech¬ 
neten und gefundenen Wertes ist eine genügend gute. 

Zur Darstellung der niedriger schmelzenden, ölsäurehaltigen 
gemischten Glyceride wurden, um zu verhüten, dafs beim Aus¬ 
schmelzen der tierischen Fettgewebe, hauptsächlich Rinderfett, 
Umlagerungen stattfänden, zuerst ätherische Extrakte der Fette 
aus dem lufttrockenen Fettgewebe dargestellt, aus denen dann 
nach Entfernung der schwerer schmelzenden Anteile durch 
Krystallisieren bei Zimmertemperatur die leichter löslichen und 
schmelzbaren ölsäurehaltigen Glyceride bei starker Abkühlung 
auskrystallisierten. Sie wurden sehr bald mit konstantem Schmelz¬ 
punkt erhalten. Es waren ihrer zwei, ein Dipalmitoolein und 
ein Stearopalmitoolein. Ersteres nicht mehr so schön krystalli- 
sierend zu erhalten wie das Distearopalmitin und Dipalmitostearin, 
schmolz bei 48°, besafs eine Verseifungszahl 1 ) von 202,7 und 
addierte 80,18 °/ 0 Jod 2 ), entsprechend einem Ölsäure-Gehalt von 
33,5 °/o- Der Vergleich der gefundenen und für Dipalmitoolein 
berechneten Werte ergibt gute Übereinstimmung. 

berechnet gefunden 

Verseifungszahl . . . 201,9 202,7 

Jodaddition in %. . . 30,53 30,18 

Ölsäuregehalt in % . . 33,89 33,50. 

. Das fast talgartige Stearopalmitoolein schmolz bereits bei 42°, 
addierte 29,31% Jod 3 ) und zeigte eine Verseifungszahl von 195,0 4 ). 

1) 0,1558 g verbrauchten zur Verseifung 1,13 ccm V* Normal-Kalilauge 
= 31,64 mg KOH, 0,2228 g verbrauchten 1,61 ccm % Normal-Kalilauge = 
45,08 mg KOH. Die Verseifungszahl ist demnach 203,1 und 202,3, im Mittel 
202,7 g. 

2) 0,5994 g addierten 182,4 mg Jod = 30,43 °/ 0 , 0,5203 g addierten 155,8 mg 
Jod = 29,94%. Mittel: 30,18%. 

3) 0,5722 g und 0,5703 g addierten je 168,74 mg Jod = 29,14 und 29,59, 
im Mittel 29,31% 

4) 0,2545 g verbrauchten zur Verseifung 1,78 ccm % Normal-Kalilauge 
= 49,84 mg KOH; 0,2302 g verbrauchten 1,61 ccm */* Normal-Kalilauge = 
45,08 mg KOH. Die Verseifungszahl ist hiernach 194,3 und 195,8, im 
Mittel 195,0. 


Digitized by v^.ooQle 


Von Willy Hansell. 1$ 

Nachstehend die Gegenüberstellung der gefundenen und für 
Stearopalmitoolein berechneten Werte: 

berechnet gefunden 

Verseifungszahl . . . 195,3 195,0 

Jodaddition in °/ 0 . . . 29,53 29,31 

Öl Säuregehalt in °/ 0 . . 32,78 32,53. 

Interessant ist, dafs das Dipalmitoolein einen höheren 
Schmelzpunkt (48°) besitzt als das Stearopalmitoolein (42°). Es 
erinnert dies an die von Heintz 1 ) ermittelte Thatsache, dafs 
Gemische von Fettsäuren stets niedrigere Schmelzpunkte besitzen 
als ihre Komponenten. Vermutlich gilt diese Eigentümlichkeit 
auch für Mischungen von Triglyceriden und für gemischte Tri¬ 
glyceride. 

Ich wende mich schliefslich noch zur Beschreibung eines 
ebenfalls durch Umkrystallisieren aus Tierfett erhaltenen reinen 
Tripalmitins. Ich erhielt dasselbe zuerst aus Palmöl, später aber 
auch aus Hammeltalg und Rindertalg, bin mir aber nicht sicher, 
ob dasselbe nicht erst durch Umlagerung aus einem oder zwei 
gemischten Triglyceriden entstanden ist. Bei dem vielfachen 
Umkrystallisieren aus Alkohol und Äther mit wiederholter Ver- 
jagung des Überschusses des Lösungsmittels auf dem Wasserbade 
kann es sehr wohl erst entstanden sein. Es krystallisierte in 
rundlichen Körnchen (in letzterer Form namentlich das aus Palmöl 
gewonnene), schmolz bei 52° und besafs eine Verseitungszahl-) 
von 207,6; Jod addierte es nicht. Für reines Tripalmitin be¬ 
rechnet sich die Verseifungszahl zu 208,4. 

Bei der Verseifung und Zerlegung der gebildeten Seife lieferte 
das Tripalmitin eine Säure, die bei 62° schmolz und auch beim 
Umkrystallisieren aus Alkohol diesen Schmelzpunkt behielt. In 
den Lehrbüchern 3 ) wird dem Tripalmitin ebenfalls ein doppelter 

1) Vergl. a. a. O., S. 7 w. ff. 

2) 0,2517 g verbrauchten zur Verseifung 1,87 ccm V, Normal-Kalilauge 
= 52,36 KOH; 0,3406 g verbrauchten 2,52 ccm Vs Normal - Kalilauge = 
70,56mg KOH. Die Verseifungszahl ist somit 208,0 und 207,2, im Mittel 207,6. 

3) Vergl. Benedict, S. 44. 


Digitized by CjOOQle 



14 Über (1. Vorkommen gemischter Fettsäure Glyceride im tierischen Fette. 

Schmelzpunkt zugesprochen, nämlich 50,5° C. und 66,5° C. 
Bezüglich dieses doppelten Schmelzpunktes des Tripalmitins gilt 
natürlich das Gleiche, was ich bezüglich desjenigen des Tristearins 
gesagt habe. 


III. 

Fasse ich das Ergebnis der obigen Untersuchungen zusammen, 
so kann ich wohl behaupten, dafs es mir gelungen ist, den 
Nachweis zu erbringen, dafs in tierischen Fetten gemischte 
Triglyceride Vorkommen, dafs es hingegen nicht wahrscheinlich 
erscheint, dafs reines Tristearin in der Regel in denselben vor¬ 
handen ist, dafs letzteres vielmehr, wo es aus tierischen Fetten 
gewonnen wird, ein Kunstprodukt ist, entstanden durch Um¬ 
lagerung gemischter Triglyceride. Hinsichtlich des Vorkommens 
von reinem Tripalmitin mufs ich die Entscheidung noch offen 
lassen. 

Dafs die von mir erörterten gemischten Triglyceride auch 
wirklich solche sind, ist durch die von mir mitgeteilten Ver- 
seifungs- bezw. Jodadditionszahlen wohl über allen Zweifel gestellt. 
Wären die beschriebenen Körper nur Mischungen gewesen, so 
müsste durch das immer wiederholte Umkrystallisieren aus den 
verschiedensten Lösungsmitteln und mit den verschiedensten 
Mengen derselben sicher eine Entmischung derselben möglich 
gewesen sein und hätte dann ihr Schmelzpunkt auch nicht 
konstant bleiben können. 

Man könnte darüber im Zweifel sein, ob meine gemischten 
Triglyceride nicht erst recht Kunstprodukte seien. Wären sie 
das aber, so wäre meine Arbeit erst recht nicht überflüssig, indem 
sie darzuthun vermöchte, wie leicht die Neutralfette Umbildungen 
fähig seien. Man müfste dann aber auch für den lebenden 
Körper diese Fähigkeit der Umbildung zugeben. 

Schliefslich möchte ich das Resultat obiger Untersuchungen 
noch in einer Ubersichtstabelle wiedergeben: 


Digitized by CjOOQle 





Von Willy ttanseri. 


15 


Tabelle der Im tierischen Fette möglichen, von mir darin gefundenen 
bezvr. ans denselben dargestellten Triglyceride der Stearin-, Palmitin- und 

Ölstture. 




tL 

Schmelz¬ 

punkt 

Verseifungszahl 

Ölsäuregehalt 


Formel || 

i P“ 

© 

. c 

© -C 

* t 

ii g 

, © 

© 'fl 

5*> fl 
fl 

«f- 

i 

!i . g 

■ 2 ä 

^ © 

l! ^ 1 

c 

. © 

© 'fl 

ÖC fl 
fl 

«M 

Tristearin 

c,h 5 

^18^85^3 

C 18 H #5 0 2 890 

^18 ^86^3 

T 

66,8° 

188,8 

191 

— 

— 

Distearo- 

palmitin 

,c s h 5 

1 

^18 ^85 ^2 

C 1k H 85 G 2 862 
^16 Hsi ^2 1' 

62,5° 

194,9 

195,6 

\ 

1 

Dipalmito- 

stearin 

1 

c 3 H, 

^18 ^85 1| 

Cjo H 8l 0 2 834 

^16 üai Oj ! 

55° 

i 1 

i 201,4 

200,2 

1 

— 

Tripalmitin 

c,h 5 

C 10 H it 0 2 
C l 0 H 81 O 2 806 
Cie H 8l o 2 

52° 

208,4 

207,6 

, — 

— 

Distearo- 

olein 

c s h 5 

^18 1^85^2 1 

Cjg H 86 Oj 838 
^18 ^8» ^2 

1 unbekannt 

li 

189,2 

unbekannt 

[t 

31,76 

unbekannt 

Dipalmito- 

olein 

c s h 5 

C ld H 81 0 2 
C l6 H 8l 0 8 832 
^18 Hs8^2 

48° 

201,9 

202,7 

1 33,89 

ü 

33,50 

Dioleo- 

stearin 

c 3 h s 

^18 ü»5 ^2 
^18 ^88^2 ^86 
öjg fl 88 ^2 

unbekannt 189,6 

unbekannt l! 63,66 

4 

unbekannt 

Dioleo* 

palmitin 

(»H, 

('in H*»O t 

C lB H 38 0 2 858 
^16 fisi ^2 

unbekannt 

:1 

i| 195,8 

unbekannt 

65,73 

;i 

unbekannt 

Stearo- 

palmito- 

olein 

C,Hj 

C 18 h 85 o 2 
C ld H 81 0 2 860 
C 18 H 88 O s ! 

' 42 0 

195,3 

195,0 

1 32,78 

32,53 

Triolein 

C,H S 

CtR H 38 0 2 
C l8 H 88 0 2 884 

^18 ü*3^2 

unbekannt 

'1 

190,0 

unbekannt 

!' 95,70 

unbekannt 


Digitized by v^.ooQle 



Beiträge zur Kenntnis der quantitativen Zersetzung des 
Milchzuckers durch den Bacillus acidi lactici. 


Von 

Dr. Paul Haacke 

aus Schwerin (Meckl.) 

(Aus dem hygienischen Institut der Universität Rostock.) 

Nachdem durch die Untersuchungen von Burchard 1 ) über 
den Ablauf und die Gröfse der durch den Micrococcus ureae 
liquefaciens bewirkten Harnstoffzersetzung dargethan ist, welche 
aufserordentlichen Stoffzersetzungen in der Bakterienzelle statt¬ 
finden können, erschien es wünschenswert, zu erfahren, welcher 
Kraftwechsel diesen Stoffzersetzungen entspricht. 

Ich habe es auf Veranlassung des Herrn Professors Pfeiffer 
unternehmen wollen, Versuche nach dieser Richtung hin auszu¬ 
führen. Der Micrococcus ureae liquefaciens erschien für diese 
Versuche nicht recht geeignet; denn, wenn auch durch die Unter¬ 
suchungen von Rubner die Verbrenuungs- und Lösungswärme 
des Harnstoffs genau bekannt ist, so schienen doch die Werte 
für das bei der Spaltung des Harnstoffs entstehende Ammonium¬ 
karbonat nicht genau genug ermittelt zu sein. Sie genau zu 
ermitteln, war mir bei dem Mangel eines Kalorimeters nicht 
möglich, ganz abgesehen davon, dafs es durchaus nicht sicher 
feststeht, ob überhaupt bei der Zersetzung des Harnstoffs nur 
Ammoniumkarbonat und nicht auch Karbamat gebildet wird. 

Hingegen erschien es verhältnismäfsig leicht, die Frage nach 
dem Kraftwechsel in den Bakterienzellen durch Untersuchungen 

1) Burchard, Archiv f. Hygiene, 1899, Bd. 3(3, S. 2G4. 


Digitized by v^.ooQle 



Beiträge z. Kenntnis d. quantitat. Zersetzung etc. Von i)r. Baul Haacke. 


über die Zersetzung des Milchzuckers durch Milchsäurebakterien 
zu lösen, da die in Betracht kommenden kalorischen Werte des 
Milchzuckers und der Milchsäure genau bekannt sind und an¬ 
genommen werden durfte, dafs im wesentlichen aus einem Mole¬ 
kül Milchzucker vier Moleküle Milchsäure gebildet werden. 

Leider hat sich jedoch im Verlauf der Untersuchungen 
herausgestellt, dafs der von mir zu den Versuchen benutzte 
Milchsäurebildner lange nicht so viel Säure aus dem Milchzucker 
abspaltete, als erwartet werden konnte. Ja, es erschien mir sogar 
aus einigen Versuchsergebnissen hervorzugehen, dafs der betreffen¬ 
den Mikroorganismus die gebildete Milchsäure weiter zerstörte, 
und ich mufste mich deshalb entschliefsen, auf die Lösung der 
oben erwähnten Frage zu verzichten, um so mehr, als sich ergab, 
dafs neben Milchsäure ganz erhebliche Mengen von Kohlen¬ 
säure, Essigsäure und Alkohol gebildet wurden, und eine genaue 
quantitative Bestimmung dieser Stoffwechselprodukte zu grofse 
Schwierigkeiten verursachte. 

Ich habe mich daher darauf beschränkt, nur die quantitative 
Zersetzung des Milchzuckers zu verfolgen, hoffe aber durch 
meine Untersuchungen einen weiteren Beitrag zur Kenntnis der 
quantitativen Stoffzersetzung in der Bakterienzelle zu geben. 


Was die bisherigen Kenntnisse über die Zersetzung des 
Milchzuckers, bezw. der Zuckerarten überhaupt, durch Milch¬ 
säurebakterien anlangt, so beziehen sich dieselben wesentlich auf 
die qualitative Feststellung der Bildung von Milchsäure allgemein 
und der verschiedenen stereoisomeren Formen derselben im ein¬ 
zelnen. 

Als Erster hat jedenfalls Pasteur 1 ) die Beobachtung ge¬ 
macht, dafs die Milchsäuregärung der Milch durch Mikroorga¬ 
nismen hervorgerufen wird. Seitdem ist es der fortschreitenden 
Wissenschaft im Laufe der Jahre gelungen, eine grofse Anzahl 
von Bakterien aufzufinden, die aus Milchzucker, Traubenzucker 

1) Pasteur, Annal. de Chirnie et de Physique, (3), 52. — Compt. 
rend. de l'Acad&nie des Sciences, 52. 

Archiv für Hygiene. Bd. XLIT. 2 


Digitized by 


Google 



18 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc. 

und anderen Zuckerarten Milchsäure bilden. Hueppe 1 ) bezeich¬ 
nte den von ihm nachgewiesenen und genauer studierten Bacillus 
acidi lactici als den speziellen bezw. Haupt-Erreger der Milchsäure¬ 
gärung. Lange Zeit hat diese Ansicht Hueppes ohne Wider¬ 
spruch bestanden, bis später Milchsäurebakterien aufgefunden 
wurden, welche dem Hueppeschen Bacillus den Rang streitig 
machten. Aber nicht nur bei solchen echten Milchsäurebakterien, 
sondern auch bei den verschiedensten anderen Spaltpilzen wurde 
später die Eigenschaft entdeckt, neben anderen Stoffwechsel - 
Produkten Milchsäure zu produzieren. 

Hieraus ging dann zunächst auch eine Einteilung der Milch¬ 
säurebakterien in spezifische und fakultative hervor, bis Weig- 
mann 2 ) im Jahre 1899 eine neue Einteilung derselben nach dem 
Wachstum auf künstlichen Nährböden und dem physiologischen 
Verhalten (Produktion von Gasen etc.) gab. Sein Schüler Mac 
Donnell 8 ) untersuchte, nachdem schon von verschiedenen Seiten 
die Vermutung aufgestellt war, dafs die verschiedenen als Milch¬ 
säurebakterien beschriebenen Bakterien nur Varietäten einiger 
weniger Arten seien 4 ), eingehend möglichst viele Milchsäurebak¬ 
terien auf ihre nähere Verwandtschaft. Er kam zu dem Resultate, 
dafs man nur zwei Bakterienarten als Ausgangsformen für die 
übrigen anzunehmen brauche. Er fand bei seinen Versuchen, 
dafs die Stäbchenbakterien je nach der Kultur auf verschiedenen 
Nährböden in ihrer äufseren Gestalt stark variierten. Er nahm 
deshalb keinen Anstand, ovale Coccen in die Klasse des Bak¬ 
teriums zu stellen, da eine strenge Scheidung oft sehr schwer sei. 6 ) 
Aufserdem teilte er die Varietäten (Rassen) nach dem Geschmack 
ein, den sie beim Wachstum in der Milch derselben erteilten, 
eine Einteilung, die offenbar mehr den spezifischen, Molkerei¬ 
interessen als denen der Wissenschaft dient. Jedenfalls scheint 

1) Hüppe, Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. 2. 

2) Weigmann, Versuch einer Einteilung der Milchsäurebakterien des 
Molkereigewerbes. Centralbl. f. Bakter. u. Parasitenkunde, 1899, II. Abteil., 
Bd. V, S. 861 u. ff. 

3) Mac Donnell, Über Milchsäurebakterien. Dissertation, Kiel, 1899. 

4) Vgl. Esten, XII., Bacillus acidi lact., Stons agricultur. Exp. Station. 

5) Vgl. Weigmann, (a. a. O.), S. 860; Mac Donnell, S. 30. 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Paul Haacke. 


19 


mir damit nicht bewiesen zu sein, dafs es nicht noch mehr Arten 
von Milchsäurebakterien gibt, zumal von verschiedenen Forschern 
festgestellt worden ist, dafs verschiedene Bakterienarten ver¬ 
schiedene Milchsäure bilden. Man müfste nach Mac Donnell 
schon an eine Pleomorphie der Milchsäurebakterien denken, die 
Flügge 1 ) ganz entschieden leugnet. 

Auf die Untersuchung der Art der gebildeten Milchsäure, 
auf welche seit Schardingers Entdeckung in neueren Arbeiten 
stets Rücksicht genommen ist, scheint Mac Donnell nicht 
eingegangen zu sein. Purdie und Walter 2 ) folgern ja aller¬ 
dings aus der Thatsache, dafs inaktive Milchsäure ein Gemisch 
von Rechts- und Linksmilchsäure ist, dafs eine sonst inaktive 
Säure produzierender Bacillus unter gewissen Bedingungen nur 
eine Art Säure (dann optisch aktive) produzieren könne. Es ist 
dies eine Ansicht, dieKozai 3 ) durch seine Versuche zu erhärten 
sucht, der aber Günther und Thierfelder 4 ) sich nicht an- 
schliefsen können. 

Auf die Frage über die Bildung verschiedener Milchsäuren 
einzugehen, hat für den vorliegenden Zweck keine Bedeutung. 

Eine Feststellung der Quantität der von Milchsäurebakterien 
gebildeten Milchsäure ist nur von Wenigen versucht worden. 

• Aderhold 6 ) gibt an, dafs bei seinen Versuchen Bacterium coli 
0,241—0,576°/ 0 Säure, Bakterium Güntheri 0,546—1,287°/ 0 (auf 
Milchsäure berechnet) gebildet habe. Conrad 6 ) fand, dafs 
durch sein Bakterium brassicae acidae pro 100 ccm Kultur¬ 
flüssigkeit eine 4 ccm 4 / t N-Natronlauge entsprechende Menge 
Säure gebildet wurde (=0,36°/ 0 Milchsäure). Aus seinen Angaben 
hebe ich nachstehende tabellarische Zusammenstellung über die 
Milchsäureproduktion des von ihm geprüften Milchsäurebildners 
(Bact. brass, acid.) hervor. 

1) Vgl. Flügge, Die Mikroorganismen, 1896, Bd. II, S. 80. 

2) Purdie und Walter, Chem. Centralblatt, 1892, II, S. 352. 

3) Kozai, Zeitschrift f. Hygiene, 1899, Bd. 31, S. 337. 

4) Günther und Thierfelder, Hygien. Rundschau, X, Heft 16. 

5) Aderhold, Über Einsäuern von Früchten etc.'.Centralbl. f. Bakt. etc., 
II, Bd. V, S. 511. 

6) Conrad, Sauerkrautgärung. Archiv f. Hygiene, Bd. 29, S. 72. 

2 * 


Digitized by 


Google 



ÖO Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc. 


Milchsäure 

aörob bei 22° aerob bei 37° 


ach 12 Stunden 

0,045 g 

0,090 g 

Am 1. 

Tage 

0,099 » 

0,216 > 

> 3. 

> 

0,225 » 

0,477 > 

> C. 

> 

0,405 > 

0,585 > 

» 9. 

> 

0,522 » 

0,621 » 

» 12. 

> 

0,576 > 

0,639 » 

» 17. 

> 

0,630 > 

0,639 > 

» 22. 

> 

0,648 » ! 

0,639 > 


Lehmann und Neumann 1 ) führen an, dafs Bacillus acidi 
lactici Hueppe in 5 Tagen in 100 ccm 2% Traubenzuckerbouillon 
eine 4,6 ccm Normalalkali entsprechende Menge Säure erzeugt. 
(=0,41% Milchsäure). 

Diese Angaben beziehen sich meist auf *die Menge Säure, 
die am Ende einer bestimmten Versuchsperiode festgestellt wurde; 
selten ist die Zunahme der Säure (Conrad), nie die Abnahme 
des säureliefernden Zuckers, sowie die Zahl der hieran beteiligten 
Bakterien berücksichtigt worden. 

Soweit die Angaben aus der mir zugänglich gewesenen 
Litteratur über die früheren Versuche zur Ermittelung der Milch¬ 
säureproduktion der Milchsäurebildner. 

Zur Beschreibung meiner eigenen Versuche übergehend, 
gebe ich zunächst eine Schilderung der zu den Versuchen ver¬ 
wendeten Bakterienart. 

Dieselbe wurde aus Rostocker Marktmilch, in der sie sich 
regelmäfsig und, wie es scheint, vorherrschend findet, mit Hilfe 
einer durch Lackmus gefärbten Peptomnolkengelatine isoliert. 
Das Bakterium stellte ein Kurzstäbchen mit abgerundeten Enden 
dar. Seine Länge war je nach dem Kulturmedium bis 3 //, 
seine Dicke 0,3—0,f) t/, Eigenbewegung fehlte ihm. 

Auf Gelatineplatten bildete es anfangs kleine runde glatt- 
randige Kolonien ohne Zeichnung, die sich allmählich gleich- 

1) Lehmann und Neu mann, Kurzes Lehrbuch der Bakteriologie, 
1900, Bd. II. 


Digitized by CjOOQle 






Von Dr. Paul Haacke. 


21 


mäfsig vergröfserteu und nach dreiwöchigem Wachstum über 
1 mm im Durchmesser haltende Kugeln darstellten. Die ober¬ 
flächlichen Kolonien bildeten allmählich ziemlich hohe Kegel. 
Die Farbe der Kolonien war weifs bis schwach gelblich, ihre 
Oberfläche saftig glänzend. In Strichkulturen bildete der Bacillus 
schmale, wellige, schleimige Rasen. Im Gelatinestich fand reich¬ 
liches Wachstum längs des ganzen Impfstiches statt, an der Ober¬ 
fläche bildete sich ein Nagelkopf. In Traubenzuckergelatine er¬ 
folgte gleiches Wachstum, jedoch unter lebhafter Gasbildung. 
Eine Verflüssigung der Gelatine wurde niemals beobachtet. 

Auf gewöhnlichem Peptonagar war das Wachstum ähnlich 
und ebenfalls sehr lebhaft, namentlich an der Oberfläche, die 
vom Rasen oft ganz überzogen wurde. Auf Zuckeragar wuchs 
der Bacillus unter reichlicher Gasentwicklung. 

Kartoffel erwies sich als ein ganz besonders gutes Nähr¬ 
substrat. Hier war schon nach 6 Stunden bei 17,5° C. deutlich 
Wachstum zu unterscheiden. Die anfangs fast weifse Auflage¬ 
rung nahm nach einiger Zeit bräunliche Farbe an und zeigte 
ein schleimiges, feuchtes Aussehen. Die Oberfläche der Kultur 
war oft durch Gasblasen kraterförmig zerrissen. 

In Traubenzuckerbouillon erfolgte ebenfalls rasches Wachs¬ 
tum. Schon nach 6 Stunden war eine leichte Trübung bemerk¬ 
bar; nach weiteren 6 Stunden fand sich ein reichlicher Boden¬ 
satz. Beim Umschütteln entwichen zahlreiche kleine Gasblasen. 

In Milch fand nach drei Tagen bei 37° C. regelmäfsig 
Coagulation statt unter Säuerung, Gasbildung und Abschei¬ 
dung eines trüben Serums. Die Gasbildung war am lebhaf¬ 
testen vor der Coagulation. Der Geschmack der Milch war 
schwach sauer, die Säuremenge betrug 0,46 °/ 0 , auf Milchsäure 
berechnet (= 5,09 ccm J /i N-Natronlauge). Die etwa durch 
das Casein gebundene Säuremenge ist hierbei nicht mit in 
Rechnung gebracht 1 ). Die Milchsäure war inaktive Milchsäure. 

1) Timpe (Archiv f. Hygiene, 18, 1) und Kabrhel (Zeitschrift f. 
Hygiene u. Infekt.-Krankh., 19, 392) haben gefunden, dafs in Milch stets 
mehr Milchsäure nachzuweisen ist als in anderen Zuckerlösungen, da ein 
Teil der Milchsäure durch Casein chemisch gebunden wird. 


Digitized by 


Google 



22 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc. 


Als besondere Eigentümlichkeiten des Stoffwechsels meines 
Milchsäurebacillus habe ich noch zu erwähnen: die Schwefel¬ 
wasserstoffbildung in Bouillonkulturen bei 37 °, sowie die Bildung 
von Essigsäure, Alkohol und Kohlensäure neben der Milchsäure. 

Sporenbildung konnte nicht beobachtet werden. 

Die Färbung des Bacillus ging sehr leicht, auch nach Gram, 
vor sich. 

Aus vorliegenden Angaben über das morphologische und 
biologische Verhalten meines Milchsäurebacillus erhellt, dafs der 
Bacillus mit dem Bacillus acidi lactici Hueppe identisch ist. 1 ) 
Er unterscheidet sich von jenem allerdings durch Häutchen¬ 
bildung in Bouillon, Fehlen der Indolbildung, sowie den Mangel 
an Sporen. Doch sind die ersteren Abweichungen nicht von 
solcher Bedeutung, um aus ihnen auf eine neue Art Milchsäure¬ 
bacillen schliefsen zu können, und was die letztere Eigenschaft 
betrifft, so sind die Angaben über das Sporenbildungsvermögen 
des Hueppesehen Bacillus in der Litteratur so widersprechend, 
dafs es höchst zweifelhaft ist, ob der Sporenbefund Hueppes 
zu Recht besteht. 


Versuchsanordnung. 

Die Versuche wurden in folgender Weise angestellt: ein 
500 ccm fassender, mit doppelt durchbohrtem Stopfen ver¬ 
schlossener Erlenmeyer-Kolben wurde mit einem langen, 
schräg abwärts gebogenen Ausflufsrohr und einem kurzen, ge¬ 
raden, weiten Einfüllrohr montiert. Beide Röhren wurden mit 
Wattepfropfen verschlossen, sodann wurde der Kolben mit 
200 ccm lproz. Peptonmolke beschickt und zweimal je eine 
Stunde im Dampftopf bei 100° sterilisiert. Nach dem Erkalten 
wurde der Kolbeninhalt mit einer möglichst frischen Bouillon¬ 
kultur des Bacillus acidi lactici geimpft, die mittels einer Kapil¬ 
lare durch das Einfüllrohr eingebracht wurde. Nach kräftigem 
Umschütteln wurde eine Probe der Flüssigkeit von etwa 25 ccm 

1) Weiginann (a. a. O.) schreibt dem Bacillus acid. lact. Hueppe 
Kechtsmilchsäure zu. 


Digitized by v^.ooQle 





Von Dr. Paul Haacke. 


23 


ausgeblasen, die Ausflufsröhre sofort wieder sterilisiert und ver¬ 
schlossen. Der Kolben wurde im Brutschrank bei 37° C. ge¬ 
halten, und in Intervallen von je drei Tagen je eine Probe in 
gleicher Weise ausgeblasen. 

Von der Probe wurden sofort Verdünnungen in der gleich 
zu beschreibenden Weise angefertigt, und mit kleinen Mengen 
letzterer Gelatineplatten beschickt. Meist wurden drei Verdün¬ 
nungen hergestellt, die Höhe der Verdünnung schwankte zwischen 
0,05 und 1,0 ccm der Originalprobe bezw. der ersten Verdün¬ 
nung auf je 100 ccm sterilen Wassers. Nach jeder Verdün¬ 
nung wurde gründlich durchgeschüttelt, mit steriler Pipette die 
Aussaatprobe entnommen (0,05—1,0 ccm) und direkt in die 
Petri sehe Schale übergeführt, in der dann durch Hin- und 
Herbewegen die Mischung mit der verflüssigten Traubenzucker- 
Gelatine bewerkstelligt wurde. 

Die Schalen blieben bei Zimmertemperatur (18—20°) so lange 
stehen, bis auch die kleinsten Kolonien gut zu erkennen waren. 
Dann wurden sie in der üblichen Weise ausgezählt. Die Aus¬ 
zählung wurde an mehreren Tagen wiederholt, um Gewähr zu 
erhalten, dafs kleinere Kolonien anfangs nicht doch übersehen 
worden waren. 

Bei Berechnung der Resultate der Zählung wurde auf die 
Dichte der Platten Rücksicht genommen. War etwa Platte I 
nicht zählbar, so dienten Platte II und III zur Ermittelung der 
Keimzahl. Anderseits wäre es ein Fehler gewesen, Platte III zu 
verwenden, wenn die ersten beiden brauchbar waren. Als Bei¬ 
spiel möge eine Zählung aus Versuch IX dienen. Aussaat 
je 1 ccm. 

Verdünnung: 

1,0 ccm Originalkultur + 100 ccm Wasser = I. Verdünnung. 
1,0 > der I. Verdünnung + 100 » » = II. > 

1,0 » > II. » +100 * » =111. » 

Platte I, gezählt 992 Kolonien: 

1,0 ccm der I. Verdünnung enthielt 992 Keime 

folglich 101,0 > » I. » | 

oder 1,0 > Originalkultur > f * 


Digitized by CjOOQle 



24 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc. 


Platte II, gezählt 10 Kolonien: 

1,0 ccm der II. Verdünnung enthielt 
also 101,0 » » II. » » 

oder 1,0 »» I. » » 

folglich 101,0 » » I. » » 

oder 1,0 » » Originalkultur » 


10 Keime 

1010 i 

102 010 » 


Platte III, gezählt 1 Kolonie: 

1,0 ccm der III. Verdünnung enthielt somit 1 Keim. 


Da sich nun Verdünnung I zu Verdünnung II etwa wie 
1 : 100 verhält, so müfste 1,0 ccm der Verdünnung III 0,1 Keim 
enthalten, oder es entfiele erst auf die zehnte Platte ein Keim. 
Es ist also klar, dafs Platte III bei der Zählung nicht berück¬ 
sichtigt werden darf. Der Durchschnitt ist also nur aus Platte I 
und Platte II zu berechnen: 

Platte I = 100 192 Keime 1 ccm Originalkultur 

> 11 = 102 010 > 1 > _ > 

Mittel: 101 101 Keime für 1 ccm der Originalkultur. 

Die Bestimmung des Milchzuckergehaltes der ausgeblasenen 
Probe wurde nach dem Soxhletschen Verfahren ausgeführt: 

50 ccm Fehlingscher Lösung wurden mit 5 event. 10 ccm 
(je nach der Konzentration) der filtrierten Kulturflüssigkeit und 
mit etwa 100 ccm Wasser 6 Minuten im Sieden erhalten. Das 
ausgeschiedene Kupferoxydul wurde in der Allihnsehen Röhre 
gesammelt, als Oxyd gewogen und nach den Weinschen Tabellen 
auf Milchzucker umgerechnet. 

Die Säurebestimmung wurde in den Versuchen I und II so 
ausgeführt, dafs 5 ccm der Kulturflüssigkeit direkt nach Zusatz 
von Lackmustinktur mit 1 / 10 N-Natronlauge titriert wurden. Dann 
wurde mit Schwefelsäure angesäuert, ausgeäthert und die äthe¬ 
rische Lösung auf dem Wasserbade abgedampft. Der mit Wasser 
aufgenommene Rückstand wurde abermals titriert und als Milch¬ 
säure in Rechnung gebracht. 

Teilweise wurde bei den übrigen Versuchen auch folgendes 
Verfahren eingeschlagen: 5 ccm der gut umgeschüttelten Kultur¬ 
flüssigkeit wurden mit verdünnter Schwefelsäure versetzt; der 


Digitized by v^.ooQle 



Von Dr. Pani Haacke. 


25 


gebildete Gips wurde abfiltriert, worauf ausgeäthert wurde. Der 
nach dem Verdunsten des Äthers bleibende Rückstand wurde 
in Wasser aufgenommen und titriert. 

Eine andere Methode kam daneben zur Anwendung: 5 ccm 
der umgeschüttelten Kulturflüssigkeit wurden mit Ammonium¬ 
karbonatlösung erhitzt, der kohlensaure Kalk wurde abfiltriert, das 
milchsaure Ammoniak mit Schwefelsäure zersetzt, die freie Milch¬ 
säure ausgeäthert, der Äther verdunstet und der Rückstand wie 
oben titriert. 

Den chemischen Nachweis der Milchsäure habe ich zum 
Schlufs des Versuchs in folgender Weise 1 ) geführt: 

Das in der Kulturflüssigkeit suspendierte Gemenge von 
kohlensaurem und schwer löslichem milchsauren Kalk wurde 
abfiltriert und mit Ammoniumkarbonat gekocht, um die Milch¬ 
säure als Ammoniumverbindung zu erhalten. Die Lösung der¬ 
selben wurde mit verdünnter Schwefelsäure zersetzt und mit 
Äther extrahiert. Dann wurde die ätherische Lösung verdampft, 
der Rückstand mit Wasser aufgenommen, etwa vorhandene 
Schwefelsäure (stets nur ganz geringe Spuren) durch Bleiessig 
als schwefelsaures Blei entfernt, mit mehr Bleiessig versetzt und 
so lange alkoholisches Ammoniak hinzugefügt, als noch eine 
Fällung von basischem milchsauren Blei entstand. Das Salz 
wurde mit Schwefelwasserstoff zerlegt, und die Lösung der Milch¬ 
säure polarisiert. 

Obwohl Kruse 2 ) für den Bacillus acidi lactici Hueppe als 
Nebenprodukte des Stoffwechsels nur Kohlensäure und Alkohol 
angibt, so war es doch, wie schon erwähnt, kaum zweifelhaft, 
dafs noch andere Körper als jene durch die Lebensthätigkeit 
des Bakteriums erzeugt würden, besonders da schon Luboldt 3 ) 
als Umsetzungsprodukte des Milchzuckers bei der Milchsäure¬ 
gärung Milchsäure, Alkohol, Kohlensäure und Essigsäure an¬ 
gibt und Konrad bei dem Bacterium brassic. acid. verschiedene 
Gase und Säuren nachgewiesen hat. 

1) Palm, Zeitschrift f. analyt. Chemie 22, 8. 223; 26, S. 34. 

2) Kruse bei Flügge, Die Mikroorganismen, Bd. II, S. 356. 

3) Luboldt, Über die Gärung des Milchzuckers. Journal f. prakt. 
Chemie, 1859, Bd. 67, 8. 282. 


Digitized by CjOOQle 



26 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc. 


Ich habe den Nachweis etwaiger Nebenprodukte in den 
Kulturen meines Milchsäurebildners nach der bei Conrad an¬ 
gegebenen Methode 1 ) ausgeführt: 

Nach Abschlufs der Milchsäuregärung wurde die Kultur¬ 
flüssigkeit der Destillation unterworfen, und das Destillat auf 
flüchtige Stoffe untersucht. In Betracht konnten kommen: Al¬ 
kohol, Aldehyd und Aceton. 

Zur Prüfung auf Alkohol wurde im Destillat die Jodoform¬ 
reaktion mit Erfolg angewandt. 

Ein anderer Teil des Destillates wurde zum Nachweis von 
Aldehyd mit saurem schwefligsauren Natron behandelt: Aldehyd 
war nicht nachweisbar. 

Zur Ermittelung von Aceton 2 ) wurde ein Teil des Destillates 
mit Sublimatlösung versetzt, der mit alkoholischer Kalilauge 
alkalische Reaktion erteilt war. Nach kräftigem Umschütteln 
wurde filtriert. Das Filtrat wurde mit Schwefelammonium über¬ 
schichtet, Schwarzfärbung blieb aus: Aceton war nicht vorhanden. 

Der Rückstand der Kulturflüssigkeit wurde auf den dritten 
Teil eingedampft, mit Schwefelsäure angesäuert und mit Wasser¬ 
dampf 6 bis 8 Stunden destilliert. Trotz der langen Dauer der 
Destillation gelang es nicht, die flüchtigen Säuren vollkommen 
überzutreiben (vgl. Conrad). Das Destillat wurde mit Baryt¬ 
wasser neutralisiert, die Lösung der Barytsalze fast bis zur Trockne 
verdampft und die Salzmasse mit konzentrierter Phosphorsäure 
versetzt. Die sich abscheidende wässerige Schicht hätte die 
Säuren der Ameisensäurereihe bis zur Buttersäure enthalten 
müssen. 

Ameisensäure nachzuweisen, wurde mit Silbernitrat und 
Quecksilberchlorid vergeblich versucht. 

Essigsäure wurde durch die Bildung von Essigsäureäthylester 
erkannt. 

Der Destillationsrückstand wurde mit Äther ausgeschüttelt; 
er enthielt reine Milchsäure, die in das Zinksalz übergeführt 
wurde, dessen Lösung die Polarisationsebene nicht drehte. 

1) Conrad, Archiv f. Hygiene, Bd. 29, 8. 72 u. ff. 

2 ) Hoppe-Seyler, Handbuch d. physiol. Chemie, 6. Autl., 1893. 


Digitized by v^.ooQle 




Von Dr. Paul Haacke. 


27 


Als Stoffwechselprodukte wurden bei meinen Versuchen 
also Milchsäure, Essigsäure und Alkohol festgestellt. Die Natur 
der reichlich gebildeten Gase konnte mangels gasanalytischer 
Apparate im einzelnen nicht ermittelt werden. Jedoch wurde 
das Vorhandensein von viel Kohlensäure unter denselben kon¬ 
statiert. 

Berechnet wurden Milchzucker und Milchsäure auf 100 ccm 
Kulturflüssigkeit. Die Prozentzahlen dürfen den absoluten wohl 
gleich geachtet werden, da eine Verdunstung der Kulturflüssig¬ 
keit während des Versuches so gut wie ausgeschlossen erschien. 

Obwohl mir die Thatsache bekannt ist, dafs freie Milchsäure 
das Wachstum der Milchsäure produzierenden Bakterien empfind¬ 
lich schädigt und schliefslich gänzlich hemmt, eine Thatsache, 
der man in der Industrie durch Zusatz eines Neutralisierungs¬ 
mittels zu den Kulturmedien Rechnung trägt, so erschien es 
doch nicht uninteressant, die Milchzuckerzersetzung auch für 
diese Fälle kennen zu lernen, in welchen die gebildete Milch¬ 
säure in der Kulturflüssigkeit frei verblieb. Die beiden ersten 
Versuche wurden deshalb ohne Zusatz einer säurebindenden Sub¬ 
stanz zur Kulturflüssigkeit ausgeführt. 


I. Versuch. 

200 ccm lproz. Peptonmolke ohne Neutralisierung9mittel, mit einer 
frischen Traubenzuckerbouillonkultur von Bacillus acidi lactici Hueppe be¬ 
schickt. 


T 


Zeit 


Nach d. Beschickung 1 
> 72 Stunden I 


> 144 » 
» 216 > 

> 288 


Milch¬ 
zucker 
in % 


3,554 

3,238 

3,284 

3,134 

3,120 


j Ti 

Abnahme 

1 d. Milch 
j zuckers !| 

in 0/ “ i 

Säure 

flüchtige 
(als Essig¬ 
säure be¬ 
rechnet) 

»» % 

nicbtllücht. 

(als Milch¬ 
säure be¬ 
rechnet) 

Keime 
pro 1 ccm 

j; P 

_ 


20025 


0,072 

0,061 

46 918 452 913 

|i r 

0,100 

0,074 

51 346 295 

! 0,150 

0,067 

0,038 

10110100 

,! «.014 '! 

0,037 

0,148 

10010 


i 


Digitized by v^.ooQle 



28 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc. 


n. Versuch. 

wurde in derselben Weise wie Versuch I ausgeführt. 



1 

Milch¬ 
zucker 
in °/ 0 

i 

i ir 

Abnahme 

Säure in °/ 0 


Zeit 

d. Milch¬ 
zuckers 

in % 

flüchtige | 
(als Essig- i 
säure be¬ 
rechnet) 

jnichtilücht. 
i (als Milch¬ 
säure be¬ 
rechnet) 

Keime 
pro 1 ccm 

1 

Nach d.Beschickung 
> 72 Stunden 

3,538 t 
3,180 ! 

1 1 

| 0,358 ; 

0,06 

0,061 

| 209 963 755 

» 144 » 

3,180 

0 

? 1 

? 

148 903 755 

> 216 

3,150 

0,030 

0,073 | 

0,112 

10020010 

* 288 

3,120 

0,030 ]| 

0,108 

0,018 

steril 


Wie zu erwarten war, setzte die auf tretende Säure der Ver¬ 
mehrung der Bakterien ein baldiges Ziel. Obwohl noch eine 
grofse Menge Milchzucker vorhanden war, vermochten die Bakterien 
nicht denselben aufzuzehren. 

In beiden Versuchen fand die stärkste Vermehrung der 
Bakterien innerhalb dreier Tage statt. Die Zahl der Keime nahm 
dann wieder ab, bis nach 12 Tagen die Abnahme so bedeutend 
war, dafs die Platten steril oder fast steril blieben. 

Die Zersetzung des Milchzuckers erhellt aus folgender 
Tabelle: 

Milchzuckerzersetzung in °/ 0 


v er»ucu 

nach 72h 

144 h 

216 h 

288 h 

i 

8,9 

7,6 (?) 

11,8 

12,2 

ii 

10,1 | 

10,1 

10,9 

11,8 


Offenbar wurden die Bakterien in ihrer Lebensthätigkeit 
durch die von ihnen produzierte Säure geschädigt, ja vielleicht 
zum Teil sogar getötet. Ich schliefse auf letzteres daraus, dafs 
die Platten zuletzt steril waren Wären die Bakterien nur in ihrer 
Entwicklung gehemmt gewesen, so hätten sie sich auf dem frischen 
Nährboden rasch wieder vermehren müssen. Eine Rechtfertigung 
dieses Schlusses, dafs sie getötet wurden, erblicke ich in den 


Digitized by CjOOQle 






Von t>r. faul Haacke. 


29 


Erfahrungen beim Versuch V, bei welchem die Säure durch im 
Cberschufs vorhandenes Calciumkarbonat jeweils sofort gebunden 
wurde. Hier blieb die Kulturflüssigkeit, nachdem mit dem Ver¬ 
schwinden des Milchzuckers und der Abnahme der Keime der 
Versuch abgebrochen war, vom 10. August bis zum 30. Oktober 
stehen. Beim Anfertigen einer Platte mit 0,1 ccm der Kultur¬ 
flüssigkeit zeigten sich sehr zahlreiche Kolonien. Die Bakterien 
hatten hier wegen Mangels an Nahrung einen gewissen Ruhe¬ 
zustand erreicht, um aber bei Darbietung eines guten Nährbodens 
sich sofort wieder rasch zu vermehren. 

Es lag der Gedanke nicht fern, dafs bei den Bakterien 
während dieses Ruhestadiums Sporulation aufgetreten sei. Ich 
konnte jedoch keine Sporen nachweisen. Würde mein Bacillus 
solche bilden, so hätte er dies doch in den Fällen sicher thun 
müssen, wo er, wie z. B. bei Versuch XI, offenbar zuerst die 
günstigsten Lebensbedingungen hatte, aber allmählich die Er¬ 
schöpfung des Nährmaterials drohte. Aber auch in diesem Falle 
fand ich nichts, was als Sporen hätte angesprochen w r erden können. 
Ebenso wenig aber auch, als ich die Versuche Hueppes wieder¬ 
holte. Hueppe sagt über seinen Sporenbefund 1 ): 

». . . habe ich mich von der Sporenbildung überzeugt. In 
der Milch und in der Gelatine hatte ich wohl schon Formen 
beobachtet, welche Sporen zu sein schienen, konnte mich aber 
nicht bestimmt dafür aussprechen. Sicher gelang mir dies in den 
verschiedensten Zuckerlösungen. Hier beobachtete ich endständig 
an den kleinen Zellen das Auftreten eines kugeligen, glänzenden, 
stark lichtbrechenden Körperchens.«. 

In eine sterile Traubenzuckerlösung brachte ich eine möglichst 
grofse Menge von Bakterien und kultivierte 14 Tage bei gewöhn¬ 
licher Temperatur. Bei der mikroskopischen Untersuchung ergab 
sich, dafs keine Sporen gebildet waren, w r ohl aber eine starke 
Involution der Bakterien stattgefunden hatte, welche so tief¬ 
greifend war, dafs selbst Aussaat in Traubenzuckergelatine, also 
Zufuhr guter Nährstoffe, nicht mehr regenerierend wurkte. 


1) Hueppe, Mitteil, aus dein Kaiserl. Gesundheitsamt, 2, S. 339—340. 


Digitized by G.OOQle 



30 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc. 

Ich bestätige damit übrigens den Befund Mac Donnells, 
der fand, dafs Milchsäurebakterien nicht in reinen Milchzucker¬ 
lösungen wachsen, auch für Traubenzuckerlösungen. 

Die Beobachtung von der Abnahme der Keime in den Kul¬ 
turen nach einer gewissen Zeit bei gleichzeitigem Unvermögen 
derselben, selbst auf guten Nährböden (Gelatineplatten) wieder zu 
wachsen und Kolonien zu bilden, stimmt aufserordentlich gut 
mit den Beobachtungen Burchards überein, der ähnliche 
Ruhezustände bei dem Micrococcus ureae liquefaciens fand. 

Bei den folgenden Versuchen III-VIII wurde zu den Kultur¬ 
flüssigkeiten gefälltes Calciumkarbonat zur Bindung der gebildeten 
Milchsäure hinzugefügt. Damit waren ähnliche Bedingungen ge¬ 
schaffen, wie sie in der Industrie zur Herstellung von technischer 
Milchsäure dienen. 

III. Yersuch. 

200 ccm 1 proz. Peptonmolke mit reichlichem Calciumkarbonatzusatz, 
mit einer frischen Traubenzuckerbouillonkultur von Bacillus acid. lact. Hueppe 
beschickt. 


Zeit 

i 

; Milchzucker 

! in % 

Abnahme 
des Milch¬ 
zuckers in % 

Milchsäure ! 
pro 100 ccm 
Kultur¬ 
flüssigkeit 

Keime pro 1 ccm 

Nach d.Beschickung 

3,402 


— 

10010 

» 

72 Stunden 

2,162 

1,240 

0,018 

300600300 

» 

144 

0,860 

1,302 

0,130 

? 

* 

216 » 

0,560 

0,300 

0,203 , 

! ? 

> 

288 

Spuren 

0,560 

0,180 

; 918 278 910 

> 

360 

— 

— 

0,198 

j 725 302 520 



II 

r. Yersuch. 




Anordnung dieselbe wie beim III. Versuch. 



Zeit 

Milchzucker 

in % 

Abnahme 
des Milch- 

i 

zuckere in °/ 0 

Milchsäure 
in g pro 
100 ccm Kul¬ 
turflüssigkeit 

Keime pro 1 ccm 

Nach d.Beschickung 

3,402 

— 

— 

i| 

10010 

> 

72 Stunden 

2,404 

0,998 

0,056 

40 080 040 

> 

144 

2,060 

0.364 

0,168 

1 ? 

» 

216 

1,320 

0,740 

0,320 

? 

> 

288 > 

0,440 

0,880 

0,260 

2082 080 520 

» 

360 

Spuren 

0,440 

0,279 

|| 493 906 630 


Digitized by v^.ooQle 








Von Dr. Paul Haacke. 


äi 

Beide Versuche zeigen sehr deutlich den günstigen Einfluls, 
der ausgeübt wird, wenn die gebildete Säure sofort gebunden wird. 
Die Abnahme des Milchzuckers, die sich bei den beiden ersten 
Versuchen in sehr bescheidenen Grenzen hielt, geht hier rapide 
vor sich. Während dort der Milchzuckergehalt der Kulturflüssig¬ 
keit insgesamt sich nur um 0,43 resp. 0,42 °/ 0 verminderte, ist 
hier bei Versuch IV fast die ganze Menge des Milchzuckers 
nach 360 Stunden, bei Versuch III schon nach 288 Stunden 
aufgezehrt. 

Dasselbe Ergebnis lieferten die zur Kontrolle dieser Versuche 
angestellten folgenden Versuche (V—VIII), deren Anordnung 
vollständig die gleiche war wie die der Versuche III und IV; 
nur kamen bei Versuch VII und VIII 500 ccm Peptonmolke zur 
Verwendung. 


V. Versuch. 



Zeit 

j Milchzucker 

in •/. 

Abnahme 
des Milch¬ 
zuckers in °/ 0 

Milchsäure 

•".ffirl"-«-*- 

flüssigkeit j 

Nach d.Beschickung 

3,120 

— 

— 

1 

80040 

> 

72 Stunden 

1,418 

1,702 | 

0,130 

? 

; 

144 

0,768 

0,650 

0,315 

939 129 330 

> 

216 

0,172 

0,596 ; 

0,556 

540 810 270 



VI. Versuch. 




Zeit 

1 Milchzucker 
i in 7„ 

| Abnahme 
| des Milch- 
j zuckere in °/ 0 

Milchsäure | 
pro 100 ccm 
Kultur- | 
flüssigkeit | 

i 

j 

Keime pro 1 ccm 

Nach d.Beschickung 

3,194 

— 

— 

200100 

> 

72 Stunden 

1,388 

1,806 

0,112 | 

2 649 203 440 

> 

144 

0,761 

0,627 

0,185 1 

1389 934 620 

> 

216 

0,112 

0,649 

1,008 ; 

1 121 120 280 


Digitized by CjOOQle 



32 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Versetzung des Milchzuckers etc. 

VU. Versuch. 


500 ccm 1 proz. 

Peptonmolke. 



Zeit 

i. 

Milchzucker 
in °/o 

i 

1 

Abnahme 
des Milch¬ 
zuckers in °/ 0 j 

Milchsäure 
pro 100 ccm 
Kultur¬ 
flüssigkeit 

Keime pro 1 ccm 

Nach d.Beschickung 

3,164 

— 

— 

200100 

> 72 Stunden 

1,694 

1,470 

0,018 

2283280280 

>144 > 

0,976 

0,718 

0,083 

1681 680 420 

> 216 

0,753 

0,223 

0,407 

945 552 540 

> 288 > 

0,162 

0,591 

0,065 

189 274 590 

> 360 > 

lj 

— 

0,162 

0,243 

350 700 350 


VIII. Versuch. 





Abnahme 

Milchsäure 


Zeit 

Milchzucker 

in °/n 

des Milch- 

pro 100 ccm 
Kultur- 

Keime pro 1 ccm 

.1 

111 Io 

1 

zuckers in % 

{ flüssigkeit | 

I 

Nach d.Beschickung 

3,314 

— 

— 

1001 

> 72 Stunden 

2,892 

0,422 

0,018 

51005 

> 144 > 

0,858 

2,034 

0,074 

9 231 905 

> 216 

0,805 

0,053 

0,056 

2 274 823 

» 288 » 

0,449 

0,356 

0,074 

5 151 505 

1 


Die Versuchsergebnisse aus dieser Reihe (III—VIII) sind 
nachstehend auch noch in graphischer Darstellung wiedergegeben. 

Diagramm I zeigt die Zersetzung des Milchzuckers in Pro¬ 
zenten, Diagramm II die Bildung der Milchsäure in Centigrammen, 
berechnet für je 100 ccm Kulturflüssigkeit. Diagramm III endlich 
zeigt die Zu- und Abnahme der im Kubikcentimeter Pepton¬ 
molke gezählten Keime. 

Wie man sieht, weichen die Kurven der Diagramme von 
einander im allgemeinen mehr oder weniger ab; es verhalten sich 
aber auch die Kurven der einzelnen Versuche auf dem gleichen 
Diagramm verschieden. 

Was die Milchzuckerzersetzung anlangt, so dauert dieselbe 
allgemein an, bis der vorhandene Milchzucker zersetzt ist. Die 
Schnelligkeit des Anstiegs der Zersetzung war jedoch verschieden, 
am gröfsten bei den Versuchen V, VI und VII, im Verlauf derer 


Digitized by CjOOQle 







Von Dr. Paul tiaacke. 


33 


schon in den ersten drei Tagen etwa die Hälfte des Milchzuckers 
zerstört war. Bei Versuch IV war die Zersetzung durchaus ver¬ 
langsamt; am Ende des dritten Versuchstages waren erst 25 °/ 0 , 
am Ende des sechsten Versuchstages erst 40°/ 0 des vorhandenen 

Diagramm I. 

Zersetzung des Milchzuckers in Prozenten. 



-///. Versuch + + + + Versuch 

- ty, . w 

- v. • 4 - MW 


Milchzuckers zerlegt. In diesem Versuch erfolgte die Zersetzung 
aber aufserordentlich gleichmäfsig: 

am 3. Tage zerlegt: 25°/ 0 

» 6. * » 39°/ 0 ^ 

»9. * » 54°/ 0 ^ J #;) 

» 12. > > 85% + 3 | 

» 15. * » 100% + lo 

Verzögert war zu Anfang (bis zum dritten Tage) auch die 
Zersetzung des Milchzuckers in Versuch VIII (15°/ 0 ); jedoch 
wuchs dieselbe innerhalb der nächsten drei Tage bereits auf 73°/ 0 . 

Es liegt nahe, diese Unterschiede in der Milchzuckerzersetzung 
auf die Gröfse der Bakterienaussaat und -Vermehrung zurück¬ 
zuführen. Im Versuch VIII ist in der That die Bakterienaussaat 
geringer gewesen als in irgend einem anderen Versuch. Nach 
drei Tagen waren die ausgesäten Bakterien zwar um das 50fache 
vermehrt, aber immerhin erst in der Hälfte der Menge vorhanden, 

Archiv för Hygiene. Bd. XLTT. 3 


Digitized by v^.ooQle 


























34 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Versetzung des Milchzuckers etc. 

welche bei den meisten übrigen Versuchen schon gleich von 
vornherein vorhanden war. Am sechsten Tage allerdings war die 
Vennehrung auf das lOOOOfache gediehen. Eine solch rapide 

Diagramm II. 

Gebildete Milchsäure in Zentigrammen pro 100 cem Kultur (Bissigkeit. 



Diagramm III. 

Vermehrung des Bae. acid. lact. Anzahl der Keime im Knbikeentimeter 

der Kultnrflttssigkeit. 



-ir. - mt. 

Vermehrung haben die Bakterien in den Versuchen VI und Vll 
bereits in drei Tagen erfahren, während sie im Versuch IV erst 
am zwölften Tage erreicht war. Daher auch die verlangsamte 
Zersetzung des Milchzuckers in diesem Versuch. 


Digitized by v^.ooQle 






























































































Von Dr. Paul ttaacke. 


35 


Bemerkenswert ist, dafs die Bakterienvermehrung nicht fort¬ 
während anhält, sondern relativ früh ihr Maximum erreicht; 
alsdann bleibt entweder die Bakterien zahl einige Zeit gleich oder 
sinkt sofort wieder ab, bis schlielslich die schon erwähnte Erschei¬ 
nung auftritt, dafs auf den Zählplatten keine oder nur wenige 
Kolonien mehr zur Entwicklung kommen. > 

Die Ursache für dieses Verhalten der Bakterien könnte ent¬ 
weder die sein, dafs mit der drohenden Erschöpfung des Nähr¬ 
bodens die Vermehrung aufhört; dann müfsten aber immerhin 
noch zahlreiche Kolonien auf den Zählplatten zur Entwicklung 
gekommen sein; oder aber die Bakterien gehen infolge des 
Mangels an Nährmaterial oder durch Anhäufung der Stoffwechsel¬ 
produkte zu Grunde, was, wie oben Seite 16 hervorgehoben ist, 
nicht der Fall war. Oder endlich, sie treten in ein Ruhestadium 
ein, ähnlich wie manche tierische Parasiten oder die Samen der 
Pflanzen, aus dem sie nur durch bestimmte Reize aufgeweckt 
werden. In diesem Falle müssen sie aber jedenfalls Reservestoffe 
aufspeichem (Fette, Kohlehydrate oder Eiweifsstoffe). Läfst man 
letztere Annahme gelten, so sind alle Schlüsse aus dem Ergeb¬ 
nisse der Auszählung der Plattenkulturen höchst wahrscheinlich 
falsch. Man zählt dann die noch nicht in das Ruhestadium 
eingetretenen, jedenfalls aber nicht alle in der Kultur vorhan¬ 
denen Individuen. Es eröffnet sich hier noch ein weites Feld 
für die Forschung. 

Auffällig stark weichen die Kurven für die Milchsäurebildung 
unter sich und von den oben behandelten Kurven für die Milch¬ 
zuckerzersetzung und die Bakterien Vermehrung ab. In den Ver¬ 
suchen III, IV und VIII bleibt die Milchsäureproduktion am 
sechsten, bezw. neunten Tage stehen, ja es geht sogar die Milch¬ 
säuremenge wieder zurück. Der starke Rückgang der Milch¬ 
säureproduktion am zwölften Tage des Versuches VII kann viel¬ 
leicht durch einen Analysenfehler bedingt sein. Hingegen steigt 
die Milchsäuremenge in den Versuchen V und VI konstant an, 
im Versuch VI sogar vom sechsten Tage an überraschend schnell. 

Von vornherein sollte man erwarte p, dafs die Milchsäure¬ 
mengen den zersetzten Milchzuckermengen parallel gehen würden; 

3 * 


Digitized by 


Google 



36 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc. 

das ist aber fast bei keinem Versuche nachzuweisen gewesen. 
Der Bakterienvermehrung geht die Milchsäureproduktion auch 
nur im Versuch VIII parallel; bei allen anderen Versuchen läfst 
sich gar keine Übereinstimmung im Gang der Milchzucker¬ 
zersetzung und Milchsäurebildung auffinden. Schon dieser Um¬ 
stand spricht meines Erachtens dafür, dafs die Milchsäurebildung 
der Bakterien kein einfacher molekularer Spaltungsvorgang ist, 
etwa wie der der Spaltung der Zuckerarten in Alkohol und 
Kohlensäure durch die Zellthätigkeit der Hefe. 

Bei den sämtlichen vorstehenden Versuchen III—VIII ist 
aufserdem auffällig, dafs die Menge der gebildeten Milchsäure 
so außerordentlich gering ist im Verhältnis zum zerstörten Milch¬ 
zucker. Rechnet man, welche Mengen Milchsäure hätten gebildet 
werden können, wenn aller Milchzucker in Milchsäure zerlegt 
worden wäre, so erhält man folgende Werte, die nachstehend 
übersichtlich geordnet nach den sechs Versuchen mitgeteilt sind: 


Verhältnis der gefundenen zu der 
Versuch erwarteten Milchsäure in °/ 0 

nach 7*2 h 144 h 216 h 


III 

1,5 

5,0 

7,0 

IV 

5,6 

12,0 

15,0 

V 

8,0 

13,0 

18,0 

VI 

6,0 

8,0 

33,0 

VII 

1,2 

4,0 

17,0 

VIII 

4,5 

3,0 

2,0 


Nur in einem Falle ist : / 3 der theoretischen Milchsäuremenge 
gebildet, in den meisten Fällen nur 1 / 7 bis l j 6 . 

Bei der Bestimmung des Keimgehaltes im Verlaufe der Ver¬ 
suche III—VIII ist mir wiederholt aufgefallen, dafs die Aus¬ 
zählungen der verschiedenen Kontrollplatten weniger gut über¬ 
einstimmende Resultate lieferten als die bei den Versuchen I 
und II. Ich glaube nicht irre zu gehen, wenn ich annehme, 
dafs dies dadurch bedingt war, dafs der verhältnismäfsig schwere, 
rasch sedimentierende kohlensaure Kalk einen Teil der Bakterien 
mechanisch niederrifs, während die Probe zur Aussaat aus dem 


Digitized by v^.ooQle 




Von Dr. Paul Haacke. 


37 


allerdings gut umgeschüttelten Kölbchen mit der ausgeblasenen 
Portion entnommen wurde. 

Ich habe daher bei dem nächsten Versuche statt des gefällten 
Calciumkarbonats Marmorstückchen verwendet. Die Befürchtung, 
dafs Marmor als krystallinisches Calciumkarbonat vielleicht zu 
hart sei, um die abgespaltene Milchsäure schnell genug zu binden, 
und so etwa nachteilig auf die Vermehrung und Lebensthätigkeit 
der Bakterien einwirken könnte, erwies sich als unbegründet. 
Von den nach Beendigung des Versuches herausgenommenen 
Stücken Marmor liefsen sich schon mit den Fingern leicht gröfsere 
Krümmel abreiben; die ganzen Stücke waren so mürbe geworden, 
dafs ich sie leicht zerbrechen konnte. 

Der Versuch IX verlief im übrigen ebenso wie die vorher¬ 
gehenden, nur waren die Resultate der Auszählungen thatsäch- 
lich besser übereinstimmend. Ich lasse das Versuchsergebnis 
nachstehend folgen. 


IX. Versuch. 


500 ccm 1 proz. Peptonmolke mit Marmorstückchen, geimpft mit einer 
frischen Bouillonkaltur von Bacillus acid. lact. Hueppe. 

Zeit 

. . Abnahme 

Milchzucker . . 

0 des Milch- 

| m '° zuckere in % 

Milchsäure 
pro 100 ccm || 
l Kultur- | 

1 flüssigkeit 

Keime pro 1 ccm 

Nach d.Beschickung 

3,194 

— 

— 

— 

> 72 Stunden 

3,090 

0,104 

0,009 

101 101 

> 144 

2,832 

0,258 

0,019 

17 586 524 

> 216 > 

1,076 

1,756 

0,093 

539 173 855 

> 288 

0,359 

0,717 

0,056 

89049 630 

> 360 > 

Spuren 

0,359 

0,009 

28 501 594 


Eine kleine Abweichung zeigt das Resultat dieses Versuches 
allerdings darin, dafs sowohl Milchzuckerzersetzung wie Bakterien¬ 
vermehrung anfänglich mehr verzögert Waren. Ich halte es für 
möglich, dafs diese Verzögerung durch die etwas schwerere An¬ 
greifbarkeit des Marmors, bezw. die durch ihn gebotene kleinere 
Angriffsfläche bedingt war. Es kann hierdurch möglicherweise 
anfänglich doch eine gewisse hemmende Säuerung im Nährboden 
zustande gekommen sein, 


Digitized by CjOOQle 





38 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc. 

Ich habe deshalb zu den folgenden beiden Versuchen (X und 
XI) Austernschalen verwendet. Die Austernschalen waren in der 
Weise präpariert, dafs die zertrümmerten Schalen in einem Gefäfs 
mit Wasser drei Stunden bei zwei Atmosphären Druck im Auto- 
claven zur Entfernung der organischen Substanz erhitzt wurden. 
Eine Analyse der Austernschalen ergab 0,38 °/ 0 Magnesiumoxyd, 
Spuren von Eisen und Phosphorsäure; der Rest war kohlen¬ 
saurer Kalk. 


X. Versuch. 


Zeit 

Milchzucker 
in % 

1 

Abnahme 
des Milch¬ 
zuckers in % 

Milchsäure 
pro 100 ccm 
Kultur- 
l flüssigkeit 1 

n 

|i 

j Keime pro 1 ccm 

i . 

Nach d.Beschickung ! 

j 3,194 

— 

1 

l| 

9191 

» 72 Stunden 

Spuren 

last 3,194 

0,112 

unzählbar 

> 144 > j 

— 

' — 

0,028 

unzählbar 


I 


Da der Versuch X wider alles Erwarten nach 72 Stunden 
schon beendet war, wurde zur Kontrolle ein zweiter Versuch 
angestellt. 

XI. Versuch. 


Zeit 

T ' ~ “ 

Milchzucker 
in °/ 0 

t; 

> i 

Abnahme 
des Milch- 
| zuckers in % 

Milchsäure i 
pro 100 ccm 1 
Kultur- ' 
flüssigkeit 

| Keime pro 1 ccm 

Nach d.Beschickung 

3,328 

! 

j i 

— 

101 

> 24 Stunden 

2,268 

1,060 

0,019 

601 859 

> 48 > 

Spuren 

| 2,268 

0,130 

2 638 928 


Das Resultat dieser beiden Versuche war ungemein über¬ 
raschend. Während in früheren Versuchen der Milchzucker 
frühestens nach 216 Stunden verschwunden war, waren beim 
Versuch XI schon nach 48 Stunden nur noch Spuren Zucker nach¬ 
zuweisen. 

Da die Versuchsbedingungen bis auf das Neutralisierungs¬ 
mittel die gleichen geblieben waren, so konnte der Grund zu 
dieser auffälligen Erscheinung nur in ihm gesucht werden. 


Digitized by v^.ooQle 





Von Dr. Paul Haacke. 


39 


Dem geringen Eisengehalt kann die so energische Wirkung 
nicht zugeschrieben werden, da Bakterien im allgemeinen auf 
Eisengehalt des Nährbodens keinen Anspruch erheben. 

Da der Gehalt an Phosphorsäure in den Austernschalen ein 
nur sehr geringer ist, Molke anderseits Phosphate in gröfserer 
Menge enthält, so ist der Ausfall der beiden letzten Ver¬ 
suche vielleicht der Magnesia zuzuschreiben, eine Vermutung, 
die mit den bisherigen Erfahrungen über die Wirkung des 
Magnesiagehaltes des Bodens auf höhere Pflanzen auch ganz gut 
im Einklang stehen würde. 

Ich habe deshalb einen Versuch in der gewohnten Weise 
angestellt, statt der Austernschalen aber Marmor genommen und 
soviel Magnesiumkarbonat hinzugefügt, als einem Gehalt von 
0,38 % Magnesiumoxyd der Austemschalen entsprach. 

Meine Hoffnung, hierdurch die gewünschte Aufklärung zu 
erhalten, wurde getäuscht. Die drei Tage im Brutschrank bei 
37° gehaltene Molke hatte nicht die geringste Abnahme in ihrem 
Milchzuckergehalt erfahren; in einem zweiten Versuche, der fünf 
Tage währte und bei dem wieder Austernschalen verwendet 
wurden, konnte nur eine Abnahme von 0,29 °/ 0 Milchzucker fest¬ 
gestellt werden. 

Welcher Umstand die Erscheinung der rapiden Zerlegung 
des ganzen Milchzuckers bei den Versuchen X und XI veranlafst 
hat, ist einstweilen unklar. In einem aber stimmen auch diese 
Versuche mit den vorhergehenden überein: in der verhältnis- 
mäfsig sehr geringen Milchsäurebildung: 

Verhältnis der gefundenen zur 
Versuch erwarteten Milchsäure in °/ 0 

nach 24h 48 11 72 h 

- 1 - 1 - 1 - 

X — — 3,6 

XI 1,7 5,4 — 

Der Theorie nach soll bei der Milchsäuregärung ein Molekül 
Milchzucker in vier Moleküle Milchsäure zerfallen: 

Uj 2 H 22 O u -(- H 2 O = 4 C 3 H 6 O 3 . 


Digitized by CjOOQle 



40 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc. 


Dafs die Umsetzung nicht glatt im Sinne dieser Gleichung 
verläuft, war schon lange bekannt. Man weifs ja auch, dafs 
Rohrzucker bei der Alkoholgärung nicht glatt in Alkohol und 
Kohlensäure zerfällt, vielmehr ein, wenn auch sehr geringer Teil 
des Zuckers zur Ernährung der betreffenden Hefeart verbraucht 
wird. Die Menge des erzeugten Glycerins und der Bernstein¬ 
säure, die als Nebenprodukte entstehen, pflegt aber 3,6 °/ 0 resp. 
0,7 °/ 0 A ) nicht zu überschreiten. 

Es wäre also auch nicht besonders auffällig gewesen, wenn 

bei der Zersetzung des Milchzuckers durch den Bacillus acidi 

% 

lactici Hueppe Nebenprodukte in nur geringer Menge aufgetreten 
wären. Nun aber ergab die Untersuchung auf Nebenprodukte, 
die mit dem Rest der Kulturflüssigkeit des Versuches IX nach 
Beendigung der Gärung angestellt war, einen auffallend hohen Pro¬ 
zentsatz von Alkohol 1 2 ), nämlich 0,9°/ 0 . Weiter war oben festgestcllt, 
dafs sich sowohl im Gelatinestich wie in Bouillonkulturen Gas¬ 
bläschen entwickelten, die Hueppe als aus Kohlensäure bestehend 
erkannte. Meine schon mitgeteilten Untersuchungen haben ebenso 
wie die früherer Untersucher Essigsäure als Nebenprodukt er¬ 
geben. Sodann machte sich bei einzelnen meiner Versuche 
(III, IV, VII, VIII und X) nach 216 resp. 288 Stunden eine 
Verringerung der zuerst gebildeten Milchsäure bemerkbar. 

Diese Erfahrungen liefsen die Vermutung zu, dafs der 
Bacillus acidi lactici Hueppe aufser einem Abbau des Milchzucker¬ 
moleküls in Milchsäure noch eine Zerlegung der Milchsäure in 
Alkohol und Kohlensäure bewirke, im Sinne der chemischen 
Gleichung: 

C 3 H 6 0 3 = C 2 H 6 0 + C0 2 , 

und dafs die Essigsäure vielleicht durch Oxydation des Alkohols 
gebildet würde, analog dem Vorgang bei der Essigbildung. 

Oder es war auch denkbar, dafs durch die Anhäufung von 
Kohlensäure Sauerstoffmangel in den Kulturflüssigkeiten eintrat, 

1) Flügge, Die Mikroorganismen, 18%, Bd. I, S. 226. 

2) Scholl, Die Milch, Wiesbaden 1891, bestreitet zwar, dafs der Bacillus 
acidi lactici Hueppe Alkohol produziere, doch findet in den Lehrbüchern, 
z. B. Flügge, stets die Produktion von Alkohol Erwähnung. 


Digitized by VjOOQle 




Von Dr. Paul Haacke. 41 

der die Bakterien zwang, Essigsäure als abnormes, Produkt zu 
bilden . l ) 

Eine Durchlüftung des Versuchskolbens konnte hier vielleicht 
Klarheit schaffen. 

Der Versuch wurde in folgender Weise ausgeführt: Ein 
Kolben mit 400 ccm 1 proz. Peptonmolke mit Marmorstückchen, 
beschickt mit einer frischen Traubenzuckerbouillonkultur des Ba¬ 
cillus acidi lactici, wurde im Brutschrank bei 37° einer Durch¬ 
lüftung unterzogen. 

Zu diesem Zwecke wurde der Kolben mit einer Säugpumpe 
verbunden; zwischen ihm und der Pumpe waren eingeschaltet: 
eine Wulf sehe Flasche (um etwa zurücksteigendes Wasser auf¬ 
zufangen), zwei mit je 200 ccm von etwa 1 j 10 N-Barytwasser gefüllte 
Pett enkofersche Barytröhren und wieder eine Wulfsche Flasche 
zur Kondensation des aus dem Versuchskolben weggeführten 
Wasserdampfes. Anderseits stand der Kolben (rückwärts) in 
Verbindung mit einem sterilisierten Filter aus Baumwolle und 
mit einer mit Wasser beschickten Waschflasche, um den Durch¬ 
lüftungsstrom mit Wasserdampf zu sättigen, die sich ebenfalls im 
Brutschrank befand. An diese schlossen sich zwei Absorptions¬ 
türme, in denen sich mit Wasser befeuchteter Bimsstein befand, 
sowie einer, der mit Natronlauge getränkte Bimssteinstücke ent¬ 
hielt, und endlich eine Waschflasche mit Natronlauge, um die 
Kohlensäure der Luft zu absorbieren. 

Die Säugpumpe wurde nur soweit in Thätigkeit gesetzt, dafs 
die Luft langsam in kleinen Blasen durch die Barytröhren trat. 
Alle 24 Stunden wurde der Inhalt der Barytröhren in Stöpsel¬ 
flaschen abgefüllt und durch frisches Barytwasser ersetzt. Von 
dem Inhalt der Stöpselflaschen wurden nach dem Absitzen des 
Baryumkarbonats je 25 ccm entnommen und mit J / 10 N-Oxalsäure- 
lösung titriert. Die Vermehrung der Bakterien, die Abnahme 
des Milchzuckers und die Menge der Milchsäure wurde wie bei 
allen anderen Versuchen jeden dritten Tag festgestellt. 

1) Barthel, Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenkunde, Abt. II, Bd. VI, 
S. 417, kommt zu dem Resultat, dafs sich die Menge der Essigsäure bei 
Durchlüftung wie 3 :2 (bei Nichtdurchlüftung) verhalte. 


Digitized by CjOOQle 



42 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc. 

Nach Beendigung des Versuches wurde eine quantitative 
Bestimmung des Gesamtcalciums des Kolbeninhalts vorgenommen 
und damit die Menge der erhaltenen Kohlensäure verglichen. 

Das Ergebnis dieses Durchlüftungsversuches sei in nach¬ 
stehender Tabelle aufgeführt. 

XII. Versuch. 


Zeit 

Milch¬ 
zucker 
in '/o 

Abnahme 
des Milch¬ 
zuckers 
in Vo 

Milch¬ 
säure 
in % 

Keime 
pro 1 ccm 

Kohlen¬ 
säure in 

* 

Kohlen¬ 
säure 
in je 

3 Tagen 

Nach d. Beschickg. 

3,328 



— 

20020 



> 

24 Stunden 

— 

— 

— 

— 

0,6635 

1 


> 

48 

> 

— 

— 

— 

— 

0,4026 


► 2,0493 

> 

72 

> 

1,342 

1,986 

0,074 

170340170 

0,9832 

. 


> 

96 

> 

— 

— 

_ 


0,3452 

1 


> 

120 


— 

— 

— 


0,1623 


► 0,7812 

> 

144 

> 

! 0,976 

0,366 

0,056 

17 547 530 

| 0,2737 

. 


> 

168 

> 

— 

t 

— 

— 

0,2129 

1 


* 

192 

> 

: — 

— 

— 

— 

0,2572 


>0,6188 

> 

216 

> 

0,909 

0,067 | 

0,037 

15 045 030 

0,1487 

. 


> 

240 

> 

— 

- 1 

— 

— 

0,2275 

1 


> 

264 

> 

— 

— 

— 

— 

0,0638 


0,3764 

> 

.288 

> 

0,857 

0,052 

0,018 

5 045 040 

0,0851 1 

1 


> 

312 

> 

— 

— 

— 

— 

0,0251 

1 


> 

336 

> 

— 

— 

— 1 

— 

0,0286 

i 

i 

>0,0609 

> 

360 

> 

— 

— 

— 

— 

0,0072 

1 



384 

> 

0 

0,857 

0,052 

? 

0,0000 



Der Versuch wurde abgebrochen, als keine Kohlensäure 
mehr entwickelt wurde. Die Kulturflüssigkeit war fast ganz klar 
geworden. Sie wurde nach der auf Seite 13 angegebenen Methode 
behandelt; der Rückstand wurde nach dem Abdampfen einge¬ 
äschert, und das rückständige schwefelsaure Calcium mit Soda 
geschmolzen. Nach dem Auslaugen und Auswaschen der lös¬ 
lichen Salze wurde das Karbonat in verdünnter Salzsäure gelöst, 
das Calcium als Oxalat gefällt und als Oxyd gewogen: gefunden 
wurden 0,334 g Calciumoxyd. 

Versuch XII ergab. 3,8866 g Kohlensäure 

0,334 g Calciumoxyd entsprechen 0,2620 g » 

so dals 3,6246 g Kohlensäure 



Digitized by CjOOQle 










Von Dr. Paul Haacke. 43 

aus zerlegtem Zucker oder anderen Nahrungsstoffen herstammen 
müssen. 

Daneben wurde durch Destillation der mit Schwefelsäure an¬ 
gesäuerten Kulturflüssigkeit 0,162 °/ 0 Essigsäure gefunden. Der 
Milchsäuregehalt betrug 0,052 °/j. 

Hieraus ergibt sich folgendes: 

Wegen des Zusatzes von Marmor mufs alle gebildete Säure 
in Form von Calciumsalz vorhanden gewesen sein, da die 
Peptonmolke vorher eben schwach alkalisch war. 

Gefunden wurden direkt. 0,334 g CaO 

ferner 0,162 °/ 0 Essigsäure, also für 
320ccm 1 ) Molke0,518g, entsprechend 0,242 g CaO 
und 0,052°/ 0 Milchsäure, also für 
320 ccm Molke 0,166 g, entsprechend 0,052 g CaO 

zusammen: 0,294g CaO. 

Durch Analyse gefunden .... 0,334 g Calciumoxyd 

berechnet. 0,294 g _>_ 

somit mehr gefunden als berechnet 0,040 g Calciumoxyd, 
welche wohl auf den ursprünglichen Kalkgehalt der Molke zurück¬ 
geführt werden müssen. 

Durch die gefundenen 3,6246 g Kohlensäure, die nicht aus 
zersetztem Marmor herrühren können, wird aber der Verbleib des 
Milchzuckers lange nicht aufgeklärt. Nimmt man für die Berech¬ 
nung der zu erwartenden Kohlensäure selbst die Endgleichung: 

C 12 H 22 O n 0 24 = 12C0 2 + hh 2 o, 

so würde die gefundene Kohlensäure immer erst 2,3477 g Milch¬ 
zucker entsprechen. 

Allerdings kommt noch die Produktion von Alkohol in Be¬ 
tracht, aber auch dessen Menge reicht nicht hin, den Verbleib 
des Zuckers völlig aufzuklären. 

Den Anlafs zu diesem Versuche hatte die Erwägung 
gegeben, ob etwa die Milchsäure weiter gespalten würde, und 
jene, ob die Zunahme der Kohlensäure in der Kulturflüssigkeit 
hemmend auf die Milchsäurebildung wirke. 

1) 320 ccm Kulturflüssigkeit waren bei Beendigung des Versuches noch 

vorhanden. 


Digitized by v^.ooQle 





44 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc. 


Was die erster© Frage anlangt, so gibt der Ausfall des Ver¬ 
suches XII wohl die klare Antwort, dafs die Milchsäure durch 
die Bakterien weiter zerlegt wird. Würde nur einfach ihre Bil¬ 
dung gehemmt sein, so müfste der Gehalt der Flüssigkeit an 
Milchsäure zwar langsam ansteigeh, aber jedenfalls an sich sehr 
gering sein. Gerade das Gegenteil findet aber statt. Nachdem 
zunächst eine gewisse Menge Milchsäure gebildet ist, nimmt 
deren Menge von Tag zu Tag ab und steigt erst wieder kurz 
vor Abschlufs des Versuches an, zu einer Zeit, wo der Milch¬ 
zucker zum gröfsten Teil bereits zerlegt ist. 

Hingegen läfst sich nicht darthun, dafs die Gegenwart von 
Kohlensäure in der Kulturflüssigkeit auf die Bildung von Milch¬ 
säure von nachteiligem Einflufs ist. In dem Durchlüftungsver¬ 
suche wurden in den ersten drei Tagen aus 1,986 g Milchzucker 
0,074 g Milchsäure gebildet, während in der gleichen Zeit in den 
übrigen Versuchen ohne Abführung der Kohlensäure gebildet 
wurden: 


Versuch 

j Zerstörter 

1 Milchzucker 

Gebildete 

Milchsäure 

Auf 100 g Milch¬ 
zucker entfallen 
! Milchsäure 

III 

1,240 

0,018 

1 1,45 

IV 

0,998 

0,056 

5,61 

V 

1,702 

0,130 

7,64 

VI 

1,806 

0,112 

6,20 

VII 

1,470 

0,018 

1,23 

VIII 

0,422 

0,018 

4,26 

IX 

0,104 

0,009 

8,65 

X 

3,194 

0,112 

3,51 

XI 

1,060 

0,019 

1,80 

XII 

1,986 

0,074 

3,73 


Das Gesamtergebnis des XII. Versuches habe ich auf nach¬ 
folgender graphischer Darstellung wiedergegeben. Aus derselben 
wird ersichtlich, dafs Milchzuckerzersetzung, Milchsäurebildung 
und Kohlensäureproduktion anfänglich mit einer rapiden Ver¬ 
mehrung der Milchsäurebakterien Zusammengehen. Mit der Ab¬ 
nahme der Bakterien nimmt relativ alles wieder ab: Während 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Paul Haacke. 


45 


aber absolut die Menge der Kohlensäure und des zerstörten 
Milchzuckers noch wächst, nimmt die Milchsäure auch absolut 
an Menge ab. 

Es könnte nun noch der Ein wand erhoben werden, dafs 
sämtliche Versuche bei zu hohen Temperaturen ausgeführt seien, 
bei welchen die Umsetzung des Milchzuckers aus thermochemischen 
Gründen leichter zu Essigsäure, Alkohol und Kohlensäure er¬ 
folgen könnte; aber auch diesen Ein wand entkräftet der Befund 


Diagramm des Versuches XII. 



■Kohlensäure i. Dect£ra mmen --- Bz Kienen 


bei einem Versuche bei 17°, im Verlaufe dessen nach 12 Tagen 
auch nicht mehr Milchsäure (0,018 °/ 0 ) gebildet war. 

Ich glaube, dafs zur Aufklärung der Widersprüche in den 
Versuchsergebnissen besondere Versuche nötig sind, die nament¬ 
lich das Verhalten der Milchsäurebakterien in Kulturflüssigkeiten 
festzustellen bezwecken müfsten, welche beliebig in ihrer Zu¬ 
sammensetzung modifiziert werden. Ich glaube dies um so mehr, 
als ja auch Burchard bei seinen Versuchen mit Zusatz von 
schwefelsaurem Kalk zum Harn ganz andere Resultate erzielte 
als bei den Versuchen ohne diesen Zusatz. Zweifellos stellen 
gewisse Zusätze zu den Kulturflüssigkeiten Reize für die Bak¬ 
terien dar, unter deren Wirkung die Stoffzersetzung rascher, in¬ 
tensiver und andersartig werden kann. 


Digitized by 


Google 
















































46 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc. 


Mir genügt zunächst das Ergebnis, dafs der Milchzucker i 

nicht blofs in Milchsäure, sondern in eine ganze Reihe von 
anderen Stoffen zerlegt wird, und dafs bei Bindung der Milch¬ 
säure durch Kalk die Zersetzung des Milchzuckers eine ganz 
aufserordentlich grofse ist. 

Um über die Leistung der einzelnen Bakterienzelle einen 
Überblick zu gewinnen, füge ich folgende Tabelle bei: 


1 

Versuch 

Anzahl der Keime pro Milchzucker- 
Kubikcentimeter (| Zersetzung in 

i 

bei Beginn nach 72 Std. , 72 Std. in mg 


III 

10 010 

300 600 300 

12,40 

IV 

10010 

1 40080 040 

9,98 

VI 

200100 

2649 203 440 

18,06 

VII 

200100 

2 283 280 825 

14,70 

VIII 

1001 

51005 

4,22 

XII 

!i 20 020 

170 340170 

19,86 


Daraus leitet sich folgende quantitative Stoffzersetzung der 
Milchsäurebakterien ab. 


Versuch 

Mittlere 
geometrische 
Keimzahl 
| wahrend 728td. 

Milchzucker¬ 
zersetzung 
in 72 Stunden 
in mg 

Zersetzung 

durch 

1000 Keime in 
72 Std. in mg 

Zersetzung 

durch 

1000 Keime pro 
Stunde In mg 

Mittlere 
Teilungszelt 
eines Keimes 
in Stunden 

III 

1 734 650 

12,40 

0,0071 

0,00010 

4,9 

IV 

633 404 | 

9,98 

0,0158 

0,00022 

6,1 

VI 

23 028 400 i 

18,06 

0,0008 

0,00001 

6,3 

VII 

21374 900 

14,70 

0,0007 

0,00001 

5,4 

VIII 

7 145 

4,22 

0,6029 

0,00838 

12,6 

xn 

1846 675 

19,86 

0,0107 

0,00015 

5,8 


Die mittlere Zersetzungsgrölse für 1000 Keime schwankte 
nicht unerheblich, nämlich zwischen Viooooo bis 8 / 1000 mg für die 
Stunde. 

Als Mittel für die Teilungszeit eines Keimes ergeben sich 
5,5 Stunden, wenn von Versuch VIII abgesehen wird, bei dem 
ganz abnorme Verhältnisse vorzuliegen scheinen. 

Burchard beobachtete bei dem Micrococcus ureae lique- 
faciens die Erscheinung, dafs, je schneller die Teilung eines 


Digitized by v^.ooQle 






Von Dr. Paul Haacke. 


47 


Keimes erfolgte, desto langsamer der Harnstoff zersetzt wurde. 
Ich kann die gleiche Erscheinung für den Bacillus acidi lactici 
Hueppe nachweisen. 

Da es mir gelang, auf Traubenzucker-Gelatine rasch sehr 
üppige Kulturen des Bacillus acidi lactici zu erzielen, so habe 
ich versucht, das Gewicht meiner Bakterien festzustellen. 

Den Versuch habe ich folgendermafsen angestellt: Die 
Kulturrasen wurden möglichst vorsichtig mit der Platinöse von 
der Gelatineplatte abgekratzt und in einem sterilen Wägegläschen 
gewogen. Eine gewogene Menge wurde dann durch Schütteln 
mit Glasperlen gut in Wasser verteilt; von dieser wässerigen 
Suspension der Bakterien wurden Verdünnungen hergestellt, 
Platten gegossen und ausgezählt. Die Berechnung ergab: 

17 767 750000 Bakterien für ein Gramm feuchter Bakterien- 
masse.*) 

Der Rest der Bakterienmasse wurde bis zur Gewichtskonstanz 
getrocknet und ergab : 

10,12 °/ 0 Trockensubstanz, 

89,88 °/ 0 Wasser. 

Wie oben aus der Tabelle ersichtlich, zersetzten 1000 Keime 
in der Stunde 0,00001 bis 0,00838 mg Milchzucker. Die stünd¬ 
liche Leistung eines Gramms feuchter Bakterienmasse bei der 
Zerlegung des Milchzuckers würde sich also auf 178 bis 14 889 g 
Milchzucker beziffern. 

1) Nägeli. Die niederen Pilze, München 1877, S. 7, hat für einen ganz 
kleinen Coccus berechnet, dafs im trockenen Zustand 30 Billionen Spalt¬ 
pilze auf 1 g entfallen; bei einem durchschnittlichen Wassergehalt der Spalt¬ 
pilzzellen von 80°/ 0 würden etwa 6 Billionen Spaltpilze im feuchten Zustand 
auf 1 g kommen. Allerdings ist der Bacillus acidi lactici erheblich gröfser 
als die von N ä g e 1 i verwendete Coccenart. 




Digitized by v^.ooQle 



Die Bedeutung der Dannbakterien für die Ernährung. II. 

Von 

Dr. Max Schottelius, 

Professor der Hygiene. 


(Aus dem hygienischen Institut der Universität Freiburg i. B.) 

Im XXXIV. Band dieses Archivs wurde von mir über Ver¬ 
suche berichtet, welche den Zweck hatten, an steril gezüchteten 
Hühnchen die Frage der Bedeutung der Darmbakterien für die 
Ernährung ihrer Lösung näher zu rücken. 

Über den weiteren Verlauf dieser Untersuchungen, welche 
in den Jahren 1899, 1900 und 1901 fortgeführt wurden, konnte 
ich auf der Naturforscher-Versammlung in Hamburg unter Vor¬ 
führung der diesbezüglichen Präparate einige Mitteilungen machen. 
Diese Mitteilungen mufsten sich aber, den Umständen entsprechend, 
darauf beschränken, in gedrängter Kürze die wesentlichsten Er¬ 
gebnisse der Versuche zusammenzufassen, und es war mir in der 
That auch mehr darum zu thun, in Hamburg einer gröfseren 
Anzahl von Fachgenossen meine Präparate, welche in kleinerem 
Kreis bereits mehrfach demonstriert waren, vorzeigen zu können, 
als einen erschöpfenden Bericht über den Verlauf der Versuche 
und über die sich daraus ergebenden Schlufsfolgerungen zu er¬ 
statten. 

Die ausführlicheren Mitteilungen, auf welche ich damals 
hinwies, sind nun im folgenden enthalten: 

Nachdem es uns im Jahre 1898 gelungen war, wenigstens 
bis zum 17. Lebenstage ein Hühnchen steril zu erhalten, wurde 


Digitized by 


Google 





Die Bedeutung d. Darmbakterien f. d. Ernährung. II. Von Dr. Schottelius. 49 


für die Brutperiode des Jahres 1899 die Aufgabe gestellt: den 
Versuch bis zum spontanen Absterben der Tiere durchzuführen. 

Vorausgeschickt wurden aber einige Versuche, aus denen 
ich feststellen wollte, wie lange überhaupt ein frisch ausge¬ 
schlüpftes Hühnchen ohne Nahrung lebt und welchen Gewichts¬ 
verlust es erleidet und zwar einmal ohne Zufuhr von Wasser 
und dann bei Wasseraufnahme. Das Experiment wurde in einem 
oben offenen, hohen, geräumigen Glasbehälter vorgenommen, 
dessen Boden mit grobem gewaschenen Kies bedeckt war. 

Das Ergebnis dieser Versuche war, dafs die Hühnchen ver- 
hältnismäfsig sehr lange Zeit ohne jede Nahrung am Leben 
bleiben können, 10—12 Tage lang! Meistens gehen die Tiere 
allerdings schon nach 3—5 Tagen ein. Die Wasserzufuhr scheint 
dabei nur wenig Einflufs zu haben, sondern mafsgebend ist vor 
allem die angeborene Lebenskraft. Ich schliefse das daraus, 
weil die äufseren Lebensbedingungen Wärme, Licht etc. stets 
die gleichen waren und weil das absolute Gewicht der ausge¬ 
schlüpften Hühnchen nicht proportional mafsgebend ist für die 
Lebensdauer. Mitbestimmend wirken allerdings auch die äufseren 
Faktoren: wenn die hungernden Tiere warm und während des 
gröfseren Teils des Tages dunkel gehalten werden, so kann man 
dadurch die Lebensdauer verlängern, während anderseits un¬ 
ruhiges Hin- und Herlaufen und kühlere Aufsentemperatur die 
vorhandene Lebenskraft rascher erschöpft. Am ersten und am 
zweiten Tage liegen die Hühnchen ohnehin fast ständig lang¬ 
gestreckt am Boden und lernen erst allmählich den Kopf heben, 
sich aufrichten und die Glieder benutzen. Ebenso kann ein 
Hühnchen noch Tage lang beim Erlöschen des Lebens ruhig 
am Boden liegen, ohne sich zu bewegen, aber die Atmung geht 
noch weiter. Dadurch zieht sich die Lebensdauer lange hin — 
in einem Fall bis zum 12. Tage. 

Der Gewichtsverlust ist der gleiche wie bei den steril ge¬ 
züchteten Hühnchen: er beträgt bei Tieren von 40—45 g An¬ 
fangsgewicht 10—15 g, so dafs ein Endgewicht von 30—35 g 
beobachtet wird. Dafs die Wasseraufnahme bei dem Gewicht 
eine wesentliche Rolle spielt, habe ich nicht konstatieren können 

Archiv für Hygiene. Bd. XLII. 4 


Digitized by CjOOQle 



50 Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. 11. 

und ich mufs demnach meine früher ausgesprochene Vermutung, 
dafs es sich bei der anfänglichen Gewichtszunahme steril ge¬ 
züchteter Hühnchen um eine Wasserzunahme der Körpergewebe 
handle, wie bei hungernden Hunden, berichtigen und die Erklä¬ 
rung dieser Thatsache auf eine später zu besprechende Ursache 
zurückführen. 

Im ganzen wird man die verschiedene Lebensdauer sonst 
gleich gehaltener Hühnchen auf die leider nicht mefsbare Gröfse 
der individuellen angeborenen Lebensenergie zurückführen müssen; 
auch sind einzelne Rassen oder Stämme lebhafter, beweglicher 
veranlagt und konsumieren daher ihre Lebenskraft schneller als 
andere. Dabei stehen sich die ersteren im Ernstfall, d. h. wenn 
in der freien Natur die entsprechenden Bedingungen eintreten 
sollten, bezüglich der Erhaltung ihrer Existenz nicht schlechter 
als die trägeren, denn sie würden ohne Zweifel die fernliegende 
oder schwer auffindbare Nahrung eher finden und sich vor dem 
Hungertode sicherer retten können, als die langsameren; während 
letztere wiederum den Vorteil haben, dafs die Bedingungen an Ort 
und Stelle sich ändern können, und dafs ihnen, wenn auch erst 
später, so doch noch zeitig genug die Existenzmittel zur Erhal¬ 
tung des Lebens geboten werden. So gleichen sich die indivi¬ 
duellen und die Stammesunterschiede auch hier einander aus 
und ergänzen sich, wenn es sich um die Erhaltung der Art 
handelt. 

Um den hei den Züchtungsversuchen im Jahre 1898 mehr¬ 
fach hervorgetretenen Mangel an fertig bebrüteten Eiern zu ver¬ 
meiden, war der Brutapparat auf das Doppelte vergröfsert, so 
dafs statt 80—100 Eier jetzt 180—200 Stück gleichzeitig ange¬ 
brütet werden können. Diese Stückzahl ist nicht zu grol’s, wenn 
man bedenkt, dafs die Eier immer serienweise zum Züchtungs¬ 
versuch kommen und dafs bei einem völligen Mifslingen einer 
Versuchsreihe — durch Infektion des Zuchtkäfigs — thunlichst 
bald eine neue Eier-Serie voll angebrütet zur Stelle sein mufs, 
damit die wenigen Monate, in denen man diese Versuche an¬ 
stellen kann, möglichst ausgenutzt werden. Dabei ist dann noch 
zu berücksichtigen, dafs immer einige Tage verstreichen, bevor 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Max Schotteliua. 


51 


der Verdacht einer Infektion des Zuchtkäfigs bakteriologisch 
sicher gestellt werden kann, und dafs dann die gründliche Des¬ 
infektion, Reinigung und Prüfung des Zuchtkäfigs wiederum 
einige Tage in Anspruch nimmt. Aufserdem mufs man mit der 
Neubeschickung des Zuchtkäfigs mit voll bebrüteten Eiern 
natürlich auch darauf gerichtet sein, dafs das Experiment gelingt, 
und dafs die sterilen Hühnchen mehrere Wochen lang am Leben 
bleiben. Dadurch fällt dann die Benutzung mancher zum Ver¬ 
such vorbereiteten Eierserien aus, und der Hühnerhof bevölkert 
sich gewaltig, während — wie die untenstehenden Tabellen 
zeigen — kaum ein Dutzend sterile Hühnchen dabei heraus¬ 
gekommen sind. 

Rechnet man dazu noch die Verluste, welche durch unbe¬ 
fruchtete Eier sich ergeben und die Abgänge, welche dabei ent¬ 
stehen, dafs durch die unvermeidliche mechanische Erschütterung 
beim Desinfizieren der Schale das Hühnchen im Ei abstirbt, 
so folgt daraus, dafs man ständig mehrere hundert Eier in der 
Brutperiode haben mufs, wenn man diese Versuche erfolgreich 
durchführen will. 

Nun tritt aber nicht selten noch ein anderer übler Zufall 
beim Ausschlüpfen der Hühnchen im Zuchtkäfig ein, den die 
Natur beim Ausschlüpfen unter den Flügeln der Henne ver¬ 
meidet. In letzterem Fall kommt es nur selten oder gar nicht 
vor, dafs ein voll ausgebrütetes lebendiges Hühnchen noch 
während der Geburt, d. h. während des Ausschlüpfens aus der 
Schale abstirbt. Aber im Zuchtkäfig ist die Luft trockener, 
als unter den Flügeln der Henne, und so kommt es, dafs nicht 
so selten die Federn des ausschlüpfenden Hühnchens, welches 
die Schale bereits angepickt und durchbrochen hat, an den Schalen 
festkleben und an trocknen, so dafs das Hühnchen nicht heraus¬ 
kann; dann können sich die Lungen nicht ausdehnen, das 
Hühnchen kann gar nicht, oder nur ungenügend atmen und 
erstickt nach kurzer Zeit, nach etwa 6—12 Stunden. — Helfen 
kanu man dabei nur ganz selten, denn wenn man wirklich das 
Risiko übernimmt und den Zuchtkäfig noch einmal öffnet, so 
kann man ja versuchen, mit Pinzette und Schere die Eierschale 

4* 


Digitized by 


Google 



62 


l)ie Bedeutung der Üafmbakterien für die Ernährung. II. 


sehr vorsichtig zu lösen; dabei kommt es aber fast immer zu 
kleinen Blutungen, die das zappelnde Hühnchen noch weiter 
verkleben, und wenn man die Schale energisch zerbricht, so 
reifst mit den angeklebten Federn die Haut ein, dann ist das 
Hühnchen verletzt und zum Experiment untauglich. — Bei diesem 
Vorgang wird vorausgesetzt, dafs das Anpicken an dem nach 
oben liegenden Teile des Eies stattfand; wenn dies aber nach 
unten zu geschehen ist, dann bleibt das ganze Vorkommnis 
unentdeckt, bis man beim Herausnehmen der nicht geschlüpften 
Eier den Schaden sieht. So beeinträchtigt auch dieser Umstand 
die Zahl der sterilen Tiere und vergröfsert das Verlustkonto. 

Das alles sind aber Hindernisse, welche sich überwinden 
lassen, und wenn man die Klippen einmal kennt, die man zu 
vermeiden hat, so lassen sich mit der nötigen Geduld auch diese 
Versuche erfolgreich durchführen. 

Im Jahre 1899 gelang die sterile Züchtung im ganzen in 
drei Versuchsreihen: einmal vom 28. März bis 10. April, dann 
vom 16. April bis 15. Mai und endlich vom 25. Mai bis 19. Juni; 
in den ersten beiden Serien wurden je zwei, in der letzten ein 
Hühnchen steril durchgebracht und sämtliche Tiere wurden bis 
zum spontan eingetretenen Tode beobachtet. Die Lebensdauer 
der einzelnen Hühnchen schwankte von 11 bis zu 29 Tagen und 
der Gewichtsverlust betrug bis zu 36°/ 0 des Körpergewichtes, 
während der Gewinn an Körpergewicht bei den Kontrollieren 
bis zu 154 °/ 0 stieg. 

Bezüglich der allgemeinen Anordnung der Versuche und 
der angewandten speciellen bakteriologischen Kautelen verweise 
ich auf meinen früheren Bericht im 34. Band d. Arch. Die dort 
angegebenen Vorsichtsmafsregeln wurden in den folgenden Jahren 
in verschärftem Mafse angewendet, namentlich wurden die bak¬ 
teriologischen Kontrollen der Dejektionen, der Nahrung, des 
Wassers und der Luft zu Beginn und am Schlufs des Versuches, 
sowie mehrfach während der Versuche gründlich durchgeführt. 
Aufserdem wurden nun auch die Schalen der steril ausgeschlüpften 
Hühnchen nicht nur gewogen, sondern in toto in Nährgelatine 
eingeschmolzen, um jederzeit den Nachweis der Keimfreiheit 


Digitized by v^.ooQle 



Von Dr. Max Schottelius. 


53 


erbringen zu können. Diese Schalen bewirkten auch nach Monaten 
keine Schwärzung der Gelatine — eine Erscheinung, auf welche 
ich mich weiter unten zu beziehen habe — und dürfen demnach 
nicht nur für bakterienfrei, sondern auch als sublimatfrei an¬ 
gesprochen werden. 

Sämtliche steril gezüchteten Hühnchen wurden in diesem, 
sowie in den folgenden beiden Jahren bis zum spontan einge¬ 
tretenen Tode beobachtet und erst dann in Gelatine eingelegt. 
Bei einigen habe ich mit dem Einschmelzen nach spontan ein¬ 
getretenem Tode noch mehrere Tage gewartet, um eventuelle 
postmortale Veränderungen des Körpers beobachten zu können. 
Wie zu erwarten war, tritt nur ein allmähliches Eintrocknen und 
schliefslich eine Mumifikation ein, ohne dafs sich Zersetzungs¬ 
vorgänge einstellen. Solche Hühnchen konnten natürlich nicht 
als Beweismaterial für Gewichtsverluste gegenüber den Kontroll- 
hühnchen verwendet werden und deshalb haben wir dieses Ex¬ 
periment auch nicht öfters wiederholt, sondern haben die Tiere 
immer eingelegt, sobald der Tod sicher konstatiert werden konnte. 
Das ist ohne weiteres nicht immer durch den Augenschein leicht 
zu erkennen, denn die verendenden Hühnchen liegen zuweilen 
noch ein bis zwei Tage unbeweglich, wie tot da, und zeigen 
eine bis zum äufsersten Minimum reduzierte Atmung und Herz- 
thätigkeit, welche von aufsen durch die Glaswände des Vor¬ 
schlages nur mittels eines guten Feldstechers erkannt werden 
kann. Das »Verhalten der steril gezüchteten Hühnchen während 
ihrer Lebenstage bietet mancherlei Interessantes. Wie ich in 
meiner ersten Mitteilung bereits bemerkt hatte, war ich anfangs 
der Meinung, man müsse — etwa durch eine Glaswand von den 
sterilen Hühnchen getrennt — eine Henne mit einigen gleich- 
alterigen Hühnchen einstellen, damit die mutterlosen Tiere durch 
Imitationstrieb das Aufsuchen und Fressen der Nahrung und 
des Wassers lernen könnten. Das ist aber durchaus nicht not¬ 
wendig, sondern nachdem das ausgeschlüpfte Hühnchen sich, 
meist am zweiten Tage, auf die Füfse stellen kann, taumelt 
es noch einige Zeit unsicher hin und her, fällt wieder nieder 
und ruht stundenlang aus; dann aber steht und läuft es sicher 


Digitized by CjOOQle 



54 


Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. II. 


auf den Beinen und beginnt sofort mit dem Schnabel am Boden 
zu picken und von dort kleinkörnige Gegenstände aufzunehmen. 
Das Bodenmaterial besteht — wie früher beschrieben — aus 
gewaschenem kleinkörnigen Kies, gemischt mit der für junge 
Hühnchen geeigneten Nahrung: gequollene Hirsekörner, ge 
hacktes hartgekochtes Eiweils und zerstofsene Eierschalen. Man 
kann nun beobachten und auch durch die Untersuchung der 
Dejektionen feststellen, dafs die Tierchen sehr bald die ver¬ 
schiedenen Körner zu unterscheiden wissen, nur wenige Steinchen 
aufnehmen und sich an die Nahrungsmittel halten. Ebenso 
finden sie das Wasser und vermeiden es, hineinzufallen. In den 
allerersten Tagen kommt es wohl einmal vor, dafs ein Hühnchen 
mit den noch ungeschickten Beinbewegungen über den Rand des 
Wasserbehälters stolpert und in das flache, etwa 1 cm hoch 
mit Wasser gefüllte Becken hineinfällt; aber sofort erhebt es 
sich und stolpert oder wälzt sich wieder über den Rand aufs 
Trockene. Die instinktive Selbständigkeit dieser Tiere ist eine ganz 
eminente I 

Eine andere, ebenfalls sehr interessante Erscheinung drückt 
sich darin aus, dafs die steril gehaltenen Hühnchen ständig 
Hunger haben und eigentlich fortwährend fressen — und ver¬ 
dauen bezw. Dejektionen absetzen. Das findet bei den sterilen 
Hühnchen in ungleich höherem Mafse statt als bei den normal 
ernährten Tieren. Auch bei letzteren ist ja — wie man sich 
auf jedem Hühnerhofe überzeugen kann — der D^rmkanal von 
einer beneidenswerten Leistungsfähigkeit! Aber diese steril ge¬ 
züchteten Tierchen übertreffen in der Frefslust und in der Aus¬ 
scheidung des Darminhaltes die normal genährten Kontrolltiere 
um das Vielfache. 

Die steril Gehaltenen sind auch viel unruhiger; sie jagen 
eben fortwährend nach Nahrung umher. Wenn eines ein Stück¬ 
chen Eierschale oder sonst ein Körnchen ergriffen hat, welches 
es nicht gleich hinunterschlucken kann, so suchen die andern 
es ihm mit allen Mitteln abzujagen; dann schlingt es das erste 
mit Mühe hinunter und alle fallen aufs neue über die auf dem 
Boden verstreute sterile Nahrung her. 


Digitized by 


Google 



Von Dr. Max Schottelius. 


55 


Und trotz dieses fortwährenden Fressens und 
trotz des Verdauens durch die Körpersäfte wachsen 
die Tiere nicht, sondern nehmen ständig ab an 
Körpergewicht und an Kräften! 

Als Ergebnis der Versuche aus dem Jahre 1899 haben wir 
also fünf steril gezüchtete und spontan verendete Hühnchen zu 
verzeichnen, von denen dasjenige, welches am längsten lebte, 
ein Alter von 29 Tagen — vom 16. April bis 15. Mai — erreichte. 
Dieses Hühnchen wog beim Ausschlüpfen 51 g und tot 36 g, 
hatte also 15 g oder über 29°/ 0 seines Körpergewichtes während 
der 29 Lebenstage eingebüfst. Das entsprechende Kontroll- 
hühnchen hatte inzwischen um 77 g oder um etwa 154% seines 
Körpergewichtes zugenommen. Die übrigen Versuchstiere dieses 
Jahrganges verhielten sich bezüglich ihres Gewichtsverlustes bezw. 
der Gewichtszunahme etwa proportional der Lebensdauer und 
dem Anfangsgewicht — wie aus der unten stehenden Tabelle 
ersichtlich ist —, nur das Hühnchen Nr. 5 zeigte bei einer 
Lebensdauer von 25 Tagen einen noch gröfseren Gewichtsverlust 
als das obeu erwähnte 29 Tage alte Tier, nämlich 18 g oder 36 % 
seines Körpergewichtes; während das entsprechende Kontroll- 
hühnchen um 100 °/ 0 seines Körpergewichtes zugenommen hatte. 

Im Jahre 1900 erzielten wir keine besonders guten Resultate, 
weil ich von meiner Studienreise nach Bombay erst Anfang Mai 
zurückkehrte und die Brutperiode daher nicht vollständig aus¬ 
genutzt werden konnte. Aulserdem hatten wir noch ein beson¬ 
deres Mifsgeschick insofern, als bei einem der Versuche, bei 
welchem, wie gewöhnlich, sechs bis zum 19. Tage im Brutapparat 
vorgebrütete Eier in den Zuchtkäfig eingelegt waren — alle sechs 
Hühnchen zum Ausschlüpfen kamen und nach einigen Tagen 
munter im Käfig umhersprangen. Da ich den */ 3 Quadratmeter 
Bodenfläche umfassenden Zuchtkäfig für zu klein hielt, um gleich¬ 
zeitig sechs Hühnchen die nötige Bewegungsfreiheit zu bieten 
(bei allen übrigen Versuchen waren durchschnittlich zwei, höchstens 
drei Hühnchen von sechs Eiern ausgeschlüpft), so entschlofs ich 
mich am sechsten Tage, den Trupp zu teilen und drei Stück in 
einen inzwischen konstruirten und natürlich gründlichst sterili- 


Digitized by 


Google 



56 


Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. II. 


Extra-Käfig einzusperren. Bei dieser Prozedur mufste der grofse 
Glasverschlag mehrere Male geöffnet und betreten werden, Nah¬ 
rung und Wasser mufsten für die abgetrennten Hühnchen frisch 
sterilisiert und kontrolliert werden, dann wieder die Kontrolle 
der Dejektionen, abgestofsenen Federn etc. vorgenommen werden, 
— kurzum, eines Tages zeigten sich sämtliche Kontrollproben 
durch einen schleimbildenden Schimmelpilz verunreinigt und alle 
sechs Hühnchen waren für unseren Versuch verloren. 

Immerhin hatten wir auch im Jahre 1900 drei steril ge¬ 
züchtete Hühnchen bis zum spontanen Tod durchgebracht, von 
denen das älteste 30 Tage lang lebte und während dieser Zeit 
17 g oder etwa 32 °/ 0 seines Körpergewichtes einbüfste, während 
das Kontrollhühnchen 62 g oder 117% gewonnen hatte. 

Die für das Jahr 1900 gestellte Aufgabe war eigentlich die 
gewesen, dafs nunmehr nach jeweiliger Feststellung der Sterilität 
der Versuchstiere mit der Verfütterung bestimmter Bakterienarten 
begonnen werden sollte, aber wegen der üblen Zwischenfälle und 
Ablauf der Brutperiode mufste die Inangriffnahme dieser Aufgabe 
auf das Jahr 1901 verschoben werden 1 ). 

Im Frühjahr dieses Jahres sollten nunmehr also die Ver¬ 
suche beginnen zur Entscheidung der Frage: ob die Verfütterung 
von Darmbakterien an steril gezüchtete Hühnchen einen Einflufs 
auf deren Ernährung ausübt, bezw. deren Lebensdauer verlängert 
oder nicht. 

Zu diesem Zwecke wurde der sterile Zuchtkäfig, in welchem 
die sterilisierten Eier zum Ansschlüpfen gelangen, durch eine 
vertikal gerichtete bewegliche Glastafel in zwei Hälften geteilt, 
und zwar so, dafs durch Einschieben der Glastafel zwischen zwei 
etwa 3 cm hohe Schienen der Zuchtkäfig in zwei vollständig 
getrennte Räume zerfällt. Der bakteriensichere Abschlufs der 
beiden Räume untereinander macht gewisse Schwierigkeiten, da 


1) Im September 1900 hatte ich die Freude, die bisher gewonnenen 
Präparate, welche früher schon der naturforschenden Gesellschaft in Frei¬ 
burg vorgelegt waren, einer Anzahl von Professoren der Hygiene vorzeigen 
zu können, welche auf dem Wege zu den Versammlungen in Trier und 
Aachen das hygienische Institut in Freiburg besuchten. 


Digitized by 


Google 



Von Dr. Max Schottelius. 


57 


die Hühnchen jedes Packungsmaterial, an welches sie gelangen 
können, anpicken und herauszupfen. Baumwolle oder Asbest 
läfst sich daher nicht verwenden. Wir haben uns schliefslich 
so geholfen, dafs die auf Boden, Rückwand und Decke aufge- 
löteten Blechschienen, zwischen denen die Glastafel später ein¬ 
geschoben werden soll, an ihrem freien Rand umgebogen und 
federnd gegen einander gedrückt wurden. Den Raum unterhalb 
des federnden Randes (welcher seiner Zeit der Glastafel fest 
anliegt) kann man dann mit Asbestwolle verstopfen, ohne dafs 
die Hühnchen daran kommen können. Die vordere Wand des 
Zuchtkäfigs mufs natürlich ebenfalls vorher zweigeteilt werden: 
ihre beiden, in Metallrahmen aufrecht stehenden Hälften sind in 
der Mittellinie des Käfigs um die Dicke der Glaswand von¬ 
einander entfernt; der so entstehende Schlitz wird also durch die 
eingesetzte Glastafel ausgefüllt, welche später — ganz hinein¬ 
geschoben — die Trennungswand bilden soll. Die ganze Ein¬ 
richtung funktioniert ähnlich wie der lichtdichte Abschlufs der 
photographischen Doppelkassetten während der Exposition der 
Platte. Und wenn dort der Schiebdeckel wieder vor die Platte 
eingeschoben ist, so entsteht für unsern Fall durch das Ein¬ 
schieben der Glastafel die Zweiteilung des Zuchtkäfigs. 

Ich verfolgte bei dieser Anordnung den Zweck, die steril 
ausgeschlüpften Hühnchen zunächst gemeinsam längere Zeit steril 
zu züchten. Am 12. bis 15. Tage, wenn die Tiere sichtbar ab¬ 
matten, mager und schwach werden, dann wollte ich die trennende 
Glaswand einschieben und nun die oder das Hühnchen der einen 
Seite mit Bakterien versorgen, das der andern Seite aber sollte 
als Kontrolle spontan verenden. Zu diesem Zwecke mufsten 
natürlich schon vorher beide Abteilungen, jede für sich, mit den 
entsprechenden Ventilationsöffnungen versehen sein, in jeder 
Abteilung mufste ein eigener Wasserbehälter aufgestellt und ein 
Futterplatz eingerichtet werden, sowie auch für Anbringung des 
Thermometers gesorgt sein. 

Die Prüfung dieser Einrichtungen, welche ja schon im Ver¬ 
lauf des Winters vorbereitet waren, konnte natürlich nur durch 
den praktischen Versuch geschehen und bis die anfänglichen 


Digitized by 


Google 



58 Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. II. 

Mifserfolge uns die Anbringung der einzelnen Verbesserungen 
des Apparates gelehrt hatte, war wiederum die Hälfte der Brüh 
zeit verstrichen, so dafs erst der am 3. Mai begonnene Versuch 
für die Beantwortung der aufgestellten Frage verwertet werden 
konnte. 

Am 3. Mai 1901 schlüpften vier sterile Hühnchen aus und 
verhielten sich in den nächsten Tagen so, wie das schon vielfach 
beobachtet wurde. Von diesen vier Hühnchen waren allerdings 
zwei besonders schwach, so dafs wir uns entschlossen, schon 
nach 8 Tagen die trennende Glaswand einzuschieben, indem wir 
dafür sorgten, dafs in jede der beiden Abteilungen ein starkes 
und ein schwaches Hühnchen eingesperrt wurde. 

Um zunächst einen prinzipiellen brauchbaren Versuch voraus¬ 
zuschicken, hatte ich die frisch deponierte Dejektion eines im 
Freien lebenden ausgewachsenen Huhnes in etwa 20 g Nähr¬ 
bouillon aufgeschwemmt und gofs nun diese trübe Flüssigkeit 
über den Boden der einen Käfighälfte aus, so dafs der Kies und 
die dazwischen liegenden Hirsekörner und auch der gröfsere 
Vorratshaufen der sterilen Nahrung, welcher in der hinteren Ecke 
des Käfigs aufgeschüttet ist, mit den frisch aufgeschwemmten 
Darmbakterien des Huhnes infiziert wurde; die letzten Tropfen 
der Aufschwemmung wurden dann noch dem Wasser zugefügt 
und nun der Versuch sich selbst überlassen. Die Hühnchen 
frafsen in beiden Abteilungen des Zuchtkäfigs wie vorher und 
zeigten auch am folgenden Tage, den 12. Mai, keinerlei bemerkens¬ 
werte Verschiedenheiten oder Änderungen in ihrem Verhalten, 
nur das schwache Hühnchen in der sterilen Abteilung war 
sehr matt und lag schon stundenweise auf dem Boden. Am 
13. Mai war dieses Tier tot, wurde nachmittags in Gelatine ein¬ 
geschmolzen und bei dieser Gelegenheit — da der Glaskasten 
ohnehin geöffnet werden mufste — konnten auch Kontrollproben 
aus der sterilen Abteilung zur bakteriologischen Untersuchung 
entnommen werden: Wasser, Kies, Hirse. 

Glücklicherweise bestanden die Proben die Prüfung; bis 
hierher war also keine Infektion der sterilen Seite des Käfigs 
von der mit Darmbakterien infizierten eingetreten. — Übrigens 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Max Schotteliua. 


59 


kam das schwache Hühnchen der mit Darmbakterien versorgten 
Seite auch nicht recht voran; es lebte zwar noch 5 Tage länger 
als das am 13. eingegangene, dann verendete es aber auch trotz 
der Darmbakterien. Da es ja infiziert war, wurde es in Alkohol 
eingelegt, zeigt übrigens keine bemerkenswerten Befunde bezüglich 
seines Gewichtes oder sonstigen Verhaltens. Dagegen trat der 
Unterschied in der Entwicklung zwischen den beiden kräftigen 
Hühnchen — dem sterilen und dem mit Darmbakterien — immer 
deutlicher hervor. Das letztere wuchs und gedieh zusehends, die 
Federn wurden glatt und blank, die Bewegungen kräftiger, ruhiger 
und sicherer, während das sterile Tier fortwährend Nahrung ver¬ 
schlang und auffallenderweise immer an der mittleren Glaswand 
hin- und herjagte, wie um zu dem anderen Hühnchen zu kommen. 
Am 20. Mai, dem 16. Lebenstage, wurde das Tier sichtlich matt 
und ging am 21. Mai zu Grunde; es zeigte einen Gewichtsverlust 
von 10 g oder etwa 23 3 / 2 °/o seines Körpergewichtes und war 
übrigens steril. 

Das mit Darmbakterien gefütterte Hühnchen bekam nun 
wieder den ganzen Käfig eingeräumt, wurde noch bis zum 25. Mai 
beobachtet und dann ins Freie zu den anderen Kontrollhühnern 
gesetzt, woselbst es sich zu einem kräftigen Tiere inzwischen ent¬ 
wickelt hat. Das Anfangs-Gewicht dieses Tieres hatte 46 g be¬ 
tragen, sein Gewicht am Ende des Versuchs, ehe es ins Freie 
gebracht wurde, betrug 52 g. Das Hühnchen hatte also immer¬ 
hin in den 14 Tagen seiner Bakterien-Ernährung um soviel 
gewonnen, dafs es den Verlust der achttägigen sterilen Fütterung 
gedeckt und noch um 6 g Körpergewicht zugenommen hatte. 

Die beiden auf Tabelle II zu den am 13. und am 21. Mai 
eingegangenen sterilen Hühnchen vermerkten Kontrollhühnchen 
sind nicht diese beiden vorstehend beschriebenen im Zuchtkäfig 
mit Darmbakterien behandelten Tiere, sondern das sind die 
stets bei den Versuchen gleichzeitig frei gezüchteten Kontroll¬ 
hühnchen. 

Auf den Tabellen konnten die beiden eisten Darmbakterien- 
Hühnchen, und damit auch deren Kontrollhühnchen nicht ein¬ 
getragen werden, da erstere nicht in die Rubrik »steril« 


Digitized by CjOOQle 



60 Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. II. 

gehören. — Der berichtete Versuch wurde am 25. Mai abgebrochen 
und das Hühnchen ins Freie gebracht, weil ich nicht eines ein¬ 
zigen, ohnehin bereits ausgenutzten Tieres wegen den ganzen 
Apparat besetzt lassen wollte. 

Zu Ende Mai hatten wir nämlich wieder das Ausschlüpfen 
einer Serie angebrüteter Eier zu erwarten und mufsten die ver¬ 
bleibenden sechs Tage benutzen, um den Glasverschlag und den 
Zuchtkäfig zu reinigen, zu desinfizieren, die frischen sterilen 
Materialien hineinzubringen und Alles auf Keimfreiheit bakterio¬ 
logisch zu prüfen. 

Das war am 30. Mai fertig, die neuen Eier wurden sterilisiert, 
acht Stück in den Zuchtkäfig eingelegt und am 31. Mai schlüpften 
wiederum vier Hühnchen aus. Von den übrigen vier Eiern 
kamen zwei überhaupt nicht zum Schlüpfen — die Hühnchen 
waren durch die Manipulationen beim Desinfizieren der Eier 
abgestorben, bezw. so geschädigt, dafs sie nicht mehr schlüpfen 
konnten — und die anderen beiden Hühnchen blieben im Aus¬ 
schlupfen stecken: eines lag, wie wir später sahen, mit dem Kopf 
nach unten und das andere konnte sich nicht von der Schale 
befreien. In der Natur hilft in solchen Fällen die Henne nach; 
aus den oben angeführten Gründen ist aber für unsere Versuche 
die Anwendung künstlicher Hilfsmittel nicht zu empfehlen. 

Schon im zeitigen Frühjahr d. Js. hatte ich Herrn Dr. Rahner, 
zweiten Assistenten am Hygienischen Institut, beauftragt, die 
bereits früher von Dr. 0. Korn angestellten bakteriologischen 
Untersuchungen normaler Hühnerdejektionen weiter fortzusetzen 
und zu spezifizieren. Die Arbeit ist inzwischen im Centralblatt 
für Bakteriologie veröffentlicht und hat ergeben, dafs unter den 
bei jungen Hühnchen zuerst auftretenden Darmbakterien am 
massenhaftesten ein zur Gruppe des Bacter. coli gehöriger Spalt¬ 
pilz auftritt, welcher auch in Dejektionen ausgewachsener Hühner 
niemals fehlt und hier im selben Verhältnis und unter gleichen 
Bedingungen vorkommt wie der Bacillus coli comm. des Menschen. 
Ja, dieser bacillus coli gallinarum ist dem bacillus coli hominis 
so ähnlich, dafs unter entsprechend geänderten Züchtungs- 
Bedingungen gewifs eine absolute Identität beider Rassen zu 


Digitized by CjOOQle 



Von t)r. Max Schottelius. ßl 

erzielen wäre. Frische, drei Tage alte Reinkulturen unseres 
bacillus coli gallinarura wurden stets vorrätig gehalten, und als 
die am 31. Mai ausgeschlüpften Hühnchen am 6. Juni noch bei 
guten Kräften waren — ich wollte nämlich nicht zum zweiten 
Male bis zur äufsersten Kraftgreuze warten — wurde die Trennungs¬ 
wand eingeschoben, so dafs je zwei der Hühnchen in jeder der 
beiden Abteilungen sich befanden. Gleichzeitig wurde dann die 
Bouillon-Aufschwemmung einer dreitägigen Agarkultur des bacillus 
coli gellinarum wiederum über die ganze Bodenfläche der einen 
Käfig-Abteilung ausgegossen, nachdem vorher noch einmal Kon- 
trollproben von Wasser, Kies und Kot entnommen waren, welche 
die bestehende Keimfreiheit des Käfigs ergaben. So war der 
Versuch eingeleitet. 

Am 7. und 8. Juni waren keinerlei Unterschiede oder Ver¬ 
änderungen der vier Hühnchen zu bemerken. Am 9. wurde eines 
der beiden sterilen Hühnchen sichtlich schwach und ging am 
11. ein. Da inzwischen auch das andere sterile Hühnchen sich 
gelegt hatte und voraussichtlich bald verenden würde, so wurde 
der Glaskasten des einen toten Hühnchens wegen nicht geöffnet, 
sondern erst am 12. nachmittags, als auch bei dem zweiten 
sterilen Hühnchen der Tod eingetreten war, wurden beide gleich¬ 
zeitig in Gelatine eingeschmolzen und blieben — wie die vor¬ 
liegenden Präparate zeigen — steril. 

Das zu dem am 11. Juni abgestorbenen Tiere gehörige Kon- 
trollhühnchen wurde übrigens bereits ebenfalls am 11. getötet 
und nach Bestimmung des Gewichts in Alkohol eingelegt. 

Die beiden mit Bacterium coli gallinarum gefütterten Hühn¬ 
chen befanden sich inzwischen wohl und munter und wuchsen 
nach weiteren acht Tagen zusehends. Leider wurden diese beiden 
Hühnchen später infolge eines Mifsverständnisses ins Freie ge¬ 
setzt, wie bei dem vorhergehenden Versuch mit aufgeschwemmter 
Hühnerdejektion. Richtig wäre es natürlich gewesen die Tiere 
bakteriologisch daraufhin zu prüfen, ob nur das Bacter. coli gal¬ 
linarum im Darm vorhanden w r ar und zur weiteren Kontrolle die 
beiden Hühnchen dann in Alkohol einzulegen 


Digitized by v^.ooQle 



62 Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. 11. 

Aber es sollte noch eine weitere Serie bebrüteter Eier Ende 
Juni zum Ausschlüpfen kommen; der Apparat mufste also wieder 
frisch desinfiziert und vorbereitet werden und dabei ist dann das 
Malheur passiert, dafs die beiden Coli*Hühnchen, welche nun 
völlig den im Freien aufgewachsenen gleichkamen, herausgenom¬ 
men und in den Hühnerhof eingesetzt wurden. 

Zudem mifslang dann noch der letzte Züchtungsversuch 
vollständig: drei Hühnchen waren am 30. Juni ausgeschlüpft, 
aber die bakteriologische Kontrolle, welche beim Ausspritzen der 
Bact. coli-Kultur am 5. Juli vorgenommen wurde, ergab, dafs 
ein Schimmelpilz und die gelbe Sarcine sich angesiedelt hatten, 
so dafs die weitere Fortsetzung des Versuchs zwecklos war und 
damit für dieses Jahr die Versuchsreihe überhaupt abgeschlossen 
werden mufste. 

(Siehe Tabelle I und II.) 

Ein Rückblick auf die mitgeteilten Beobachtungen zeigt nun 
zunächst, dafs trotz mancher Verbesserungen in der Anordnung 
der Versuche gegenüber den früheren Züchtungen noch immer 
technische Schwierigkeiten zu überwinden sind, um ein unan¬ 
fechtbar reines Versuchs-Ergebnis zu liefern. 


Tabelle I. 

Steril gezüchtete Hühnchen. 


Nr. 

Jahr 

i 

Monat 

Tag 

Tod am 

I 

Tage 
alt , 

Anf - 
Gew. 

End- 

Gew. 

Ver- 

luat 





1 


K 

K 

K 

1 

1899 

März 

28 

8. April 

11 

46 

31 

15 

2 

1899 

> 

28 

10. April 

13 

45 

31 

14 

3 

1899 

April 

16 

7. Mai 

21 

48 

38 

10 

4 

1899 

> 

16 

15. Mai 

29 

51 

36 

15 

6 

1899 

Mai 

25 

19. Juni 

25 

50 

32 

18 

6 

1900 

M ai 

18 

30. Mai 

12 

46 

31 

15 

7 

1900 

> 

: 18 

30. Mai 

12 

45 

| 32 

13 

8 

1900 

> 

18 

17. Juni 

30 

53 

36 

17 

9 

1901 

Mai 

3 

13. Mai 

10 

46 

36 

1 10 

10 

1901 

> 

3 

21. Mai 

18 

43 

33 

10 

11 

1901 

> 

31 

11. Juni 

10 

40 

32 

1 8 

12 

1901 

> 

31 

i 12. Juni 

1 

11 

42 

• 

32 

1 1° 


Digitized by CjOOQle 





Von Dr. Max Schottelius. 


63 


Tabelle II. 

Normal ernährte Kontroll-HUhnchen. 


i 

Nr. 

.1 

Jahr 

Monat , 

Tag 

Getötet | 

i 

Tage 

alt 

j Anl* 
Gew. 

End* 

Gew. 

1 Ge- 
| winn 

1 

1899 

i j 

März 

28 ! 

1 

8. April 

H 

1 s 

47 

g 

54 

g 

7 

2 

1899 

* 

28 1 

10. April 

13 

46 

56 

10 

3 

1899 

April 

16 

7. Mai j 

21 

49 

118 

69 

4 

1899 

> 

i 16 ' 

15. Mai ! 

29 

51 

128 

77 

5 

1899 

Mai 

1 25 

19. Jani 

25 

49 

98 

49 

6 

1900 

Mai 

18 

30. Mai 

12 

47 

54 

1 7 

7 

1900 

> 

1 18 1 

30. Mai 

12 ! 

46 

54 

1 8 

8 

1900 

> 

18 

17. Juni , 

30 

53 

115 

62 

9 

1901 

Mai 

3 

13. Mai i 

10 

48 

54 

6 

10 

1901 

> 

3 1 

21. Mai 

18 | 

45 

56 

, 11 • 

11 

1901 | 

> 

31 

11. Juni 

10 

39 

43 

; 4 

12 

1901 

i 

» 

31 I 

12. Juni i 

ii ! 

45 : 

53 

8 


So lehrt ein Blick auf die tabellarische Übersicht der sterilen 
Hühnchen (Tafel I), dafs sehr erhebliche Schwankungen im 
Gewichtsverlust bestehen, welche weder zu dem Anfangsgewicht 
der Hühnchen, noch zu der Lebensdauer in einer einigermafsen 
gesetzmäfsigen Proportion stehen. Es wurde schon eingangs 
darauf hingewiesen, dafs hier die angeborene »Lebensenergie« — 
ein leider unmefsbarer Faktor — gewifs eine wesentliche Rolle 
spielt, aber fast ist es noch bedauerlicher, dafs ein viel platterer 
Faktor für das Endgewicht der Hühnchen sehr mafsgebend ist: 
der nämlich, ob das Tier mit vollem oder mit leerem Kropf 
verendet. Stopft sich das Hühnchen vor dem Eingehen den 
Kropf noch einmal tüchtig voll, so kann es um 5 und mehr 
Gramm schwerer werden als ein gleiches Tier, das die Kraft 
verloren hatte, sein stets vorhandenes Hungergefühl kurz vor 
dem Tode noch einmal durch Füllung des Kropfes scheinbar zu 
befriedigen. Man könnte ja vielleicht vor dem Einlegen in 
Gelatine den Kropf aufschneiden und entleeren — eine immer¬ 
hin mifsliche Operation, wenn es sich um die Sorge handelt, das 
Tier möglichst schnell steril zu konservieren — jedenfalls ist das 
bis jetzt noch nicht geschehen, und so sehen wir in unseren 
Präparaten manche Tiere mit mehr oder weniger schlankem Hals 


Digitized by 


Google 



64 


Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. II. 


und andere mit dick gefülltem Kropf, und in den Tabellen figuriert 
der unverdaute Inhalt des Kropfes als Gewichtsgröfse des Tier¬ 
körpers. 

Darin liegt also noch ein Beoachtungsfehler, welcher über¬ 
wunden werden mufs. 

Eine weitere Ungenauigkeit ergibt sich daraus, dafs die im 
Freien normal ernährten Kontrollhühnchen sich nicht ganz so in 
ihrer Entwicklung verhalten wie die Hühnchen, welche durch 
eine Henne natürlich ausgebrütet sind und in den ersten 
Wochen durch die Henne beschützt werden. In letzterem Falle 
finden die Hühnchen nämlich auch während des Tages stunden¬ 
lang Ruhe und gleichmäfsige feuchte Lebenswärme unter den 
söhützenden Flügeln der Henne, sparen dadurch an Kraft- 
und Wärme Verlust und werden für die Verwertung neuer Nahrungs¬ 
aufnahmen besser vorbereitet. Die künstlich ausgebrüteten 
Hühnchen dagegen sind auch bei sorgsamster Pflege viel un¬ 
ruhiger, laufen und springen eigentlich fortwährend im ganzen 
Hühnerhof umher und entwickeln sich daher nicht so schnell, 
bezw. sie nehmen an Gewicht nicht so rasch zu, wie die Hühn¬ 
chen unter der Henne. Fremde Hühnchen, die künstlich aus¬ 
gebrütet sind, nimmt übrigens eine Henne nicht leicht an, soudern 
hackt im Gegenteil auf dieselben ein und verjagt sie von dem 
eigenen Schwarm. Nun trifft dieser Faktor zwar beide für unsere 
Versuche in Frage kommenden Gruppen: sowohl die steril ge¬ 
züchteten als auch die normal ernährten Hühnchen und trübt 
daher nicht das relative Versuchsergebnis; immerhin entsprechen 
aber die auf der Kontroll-Tabelle (Tafel II) als Gewinn einge¬ 
schriebenen Zahlen nicht völlig den natürlichen Werten, sondern 
sind geringer als diese. 

Um bei ferneren Versuchen bessere Brutergebnisse zu er¬ 
zielen, würde ich es auch empfehlen, mindestens neben dem 
künstlichen Brutapparat mehrere Puterhennen mit Hühnereiern 
unterlegen zu lassen. Ein solches Tier ist ein äufserst sicher 
funktionierender Brutapparat und brütet 30 Hühnereier gleich¬ 
zeitig aus. Der künstliche Brutapparat erfordert eine ständige, 
sehr mühevolle Kontrolle, bei dem täglich notwendigen Umlegen 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Max Schottelius. 


65 


der Eier treten stets Verluste ein und bei einem Versagen des 
Apparates steht unter Umständen die ganze 200 Eier betragende 
Einlage au! dem Spiele. 

Schliefslich würde ich empfehlen, statt der bei den letzteu 
Versuchen beschriebenen verschiebbaren Trennungswand, welche 
den Brutkäfig in eine sterile und in eine für Bakterienfütterung 
bestimmte Hälfte teilt, lieber zwei Brutkäfige einzustellen und in 
jedem die sterilen Eier getrennt ausbrüten zu lassen. Die 
bakteriensichere Abtrennung der beiden Hälften ist sehr mifslich; 
wir wären gewifs schon in diesem Jahre weiter gekommen mit 
den Versuchen über Bakterienfütterung, wenn wir nicht diese 
häufigen Reparaturen an dem Verschlufs der Trennungswand 
gehabt hätten. 

Aus allen diesen Mifsständen und noch bestehenden Un¬ 
genauigkeiten kann man Einwände herleiten und die Beseitigung 
der Fehlerquellen fordern, aber man kann an der Richtigkeit des 
Prinzips nicht mehr zweifeln: dafs für die Ernährung der 
Tiere — speziell der warmblütigen Wirbeltiere — 
die Thätigkeit der Darmbakterien notwendig ist. 

Dafür sprechen nicht nur allgemein wissenschaftliche Über¬ 
legungen, sondern vor allem die vorliegenden Ergebnisse der 
Züchtungsversuche steriler Hühnchen und damit stimmen auch 
alle bisher erzielten Versuchsergebnisse anderer Untersucher 1 ) 

1) L e v i n, welcher Gelegenheit hatte, die Natthorst sehe Expedition 
im 8ommer 1898 zu begleiten, hat die Behauptung aufgestellt — Annales 
de l’Institut Pasteur Bd. XIII —, dafs in den arktischen Zonen der Darminhalt 
der meisten warmblütigen Tiere absolut bakterienfrei sei. Dem gegenüber 
inufs doch daran erinnert werden, dafs sowohl die Vögel, als auch die 
Säugetiere der Polargegenden nur zeitweise in den Eisregionen sich auf- 
halben, übrigens aber Wandertiere sind und ihrer Nahrung nachziehen. Diese 
besteht — soweit die Tiere nicht untereinander sich auffressen — aus 
höheren Wassertieren: Fischen, Crustaceen etc., welche ihrerseits wiederum 
auf die in den wärmeren Meeresströmungen heimischen Lebewesen an¬ 
gewiesen sind, letztere sind aber — wie aus zahlreichen Untersuchungen, 
namentlich aus denen von Nordenskiöld und Nansen hervorgeht — 
durchaus nicht bakterienfrei, sondern enthalten niedere Organismen der ver¬ 
schiedensten Art in grofser Menge. 

Wenn schon aus diesen Gründen der Darminhalt der arktischen Tiere 
nicht bakterienfrei sein kann, so stimmen damit auch die positiven Befunde 

ArchiY für Hygiene. Bd. XL1I. 5 


Digitized by 


Google 



66 


Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. II. 


überein, selbst die von Nuttall-Thierfelder, wie ich das in 
meiner früheren Mitteilung nachgewiesen habe. 

Neuerdings hat M me 0. Metschnikoff 1 ) die mühevolle 
Züchtung steril aus dem Ei entwickelter Froschlarven bis zum 
63. Tage erfolgreich durchgeführt. Das Resultat war, dafs die 
steril mit Brot ernährten Larven am Ende des Versuchs ein 
Gewicht von durchschnittlich 25 mg und eine Länge von 15,5 mm 
erreicht hatten, während die nicht steril, übrigens aber ganz 
gleich gehaltenen Kontrolllarven ein Durchschnittsgewicht von 
142 mg und eine Länge von 26,5 mm aufwiesen. 

Daraus zieht M me 0. Metschnikoff unter Hinweis auf 
eine weitere Fortführung der Experimente mit Recht den Schlufs, 
dafs die Bakterien für das Leben und für das Wachstum der 
Froschlarven notwendig sind. Die Ergebnisse meiner Versuche 
über die sterile Züchtung von Hühnchen haben gezeigt, dafs 
das gleiche Gesetz auch für die Entwicklung der Hühner gültig 
ist. Gewisse Zweifel an die Beweiskraft meiner früheren Versuche, 
welche M me 0. Metschnikoff darin erblickt, dafs die Des¬ 
infizierung der bebrüteten Eier mit Sublimat einen Einflufs auf 
die Widerstandskraft bezw. auf die Lebenskraft der ausgeschlüpften 
Hühnchen haben könne, können wohl damit beseitigt werden, 
dafs die Wirkung des Sublimats nach der Tiefe hin örtlich eine 
sehr begrenzte ist und es ist auch nicht anzunehmen, dafs 
bei einem intensiven Abwaschen der Oberfläche eines Eies die 
Sublimatwirkung mehrere Millimeter in die Tiefe dringt, ohne 
wahrnehmbare Veränderungen zu hinterlassen. Aufserdem äufsert 
sich das Vorhandensein minimalster Mengen Sublimats an den 
in Nährgelatine eingelegten sterilen bebrüteten Eiern und Eier¬ 
schalen stets in Form des Auftretens einer dunklen schwarz¬ 
braunen Zone in der Gelatine um das Ei — wohl infolge von 

aller übrigen Beobachter überein, so namentlich diejenigen von H. Chau* 
veau, welcher als Teilnehmer der Expedition des Fürsten von Monaco im 
Jahre 1900 speciell die Levin sehen Angaben kontrolliert hat and dabei zu 
entgegengesetzten Resultaten wie Levin, d. h. ausnahmslos zum Nachweis 
von Bakterien im Darminhalt von Robben, Füchsen und von zahlreichen 
arktischen Vogelarten gekommen ist. 

1) Annales de lTnstitut Pasteur, Bd. XV, p. €>31. 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Max Schottelius. 


67 


Reduktion des Quecksilbers. Solche Kontrolleier und Schalen, 
welche regelmäfsig eingelegt wurden, sind aus der ersten Zeit 
unserer Experimente noch in gröfserer Anzahl vorhanden. Später 
wurde aber jede Spur von Sublimat an den Eiern durch mehr¬ 
maliges Abreiben, Abbürsten und Abspülen mit Kochsalzlösung 
und Abtrocknen mit steriler Watte vollständig ausgeschlossen. 
In den letzten Jahren haben wir aulserdem die mit Sublimat 
desinfizierten Eier mit Schwefelleber behandelt und dadurch auf 
chemischem Wege das Sublimat zerstört. 

Übrigens hätte sich eine Sublimatwirkung natürlich auch bei 
den Kontrollhühnchen äufsern müssen, deren Eier ganz gleich 
behandelt wurden wie die der steril gezüchteten. Da diese Tiere 
aber im ganzen gut gediehen sind, wenigstens an Gewicht nor¬ 
malerweise zugenommen haben, so hat entweder eine nachteilige 
Wirkung des Sublimats auf die Eier nicht stattgefunden oder, 
wenn sie stattgefunden hat, so mufs sie sich auf die sterilen und 
auf die Kontrollhühnchen gleicherweise geäufsert haben und 
kann also die Schlufsfolgerungen, welche sich aus dem relativen 
Verhalten der Versuchstiere ergeben, nicht beeinträchtigen. 

Gewifs darf man nicht generalisieren und aus den speciellen 
Ernährungsbedürfnissen einer Species die gleichen Bedingungen 
für eine andere Art erschliefsen wollen, aber darin geht M me 
0. Metschnikoff doch wohl etwas zu weit, wenn sie die ver¬ 
schiedenen Versuchsergebnisse der Nuttall-Thierfeldersehen 
Versuche an Meerschweinchen und meiner Versuche an Hühn¬ 
chen aus den verschiedenen bakteriellen Bedürfnissen der beiden 
verschiedenen Tierspecies erklären will; dazu sind doch die 
Ernährungsbedingungen der warmblütigen Wirbeltiere einander 
zu ähnlich als dafs man derartige prinzipielle Verschiedenheiten 
zwischen der Ernährung von Hühnern und der von Meer¬ 
schweinchen voraussetzen könnte. Anderseits möchte ich auch 
nicht in der Generalisierung so weit gehen, und die Ernährung 
der »Mites« mit denen der höheren »Wirbeltiere« vergleichen. 
Es sind wohl die Saugmilben, speciell die Zecken gemeint, von 
denen M me Metschnikoff berichtet, dafs ihnen die niederen 

Organismen nicht nur nicht schädlich sind, sondern im Gegenteil 

5 * 


Digitized by 


Google 



68 


Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. II. 


zur Nahrung dienen. Letzteres kommt auch bei den höheren 
Wirbeltieren und beim Menschen vor, sehen wir doch, dafs z. B. 
mit dem Traubenmost dem menschlichen Magen sehr beträcht¬ 
liche Mengen von Hefepilzen zugeführt werden, die doch gewifs 
vom Körper verdaut werden und ihm zur Nahrung dienen, wie 
eine lebendige Auster verdaut und zur Nahrung wird. Alle die 
ungeheueren Massen von Spaltpilzen, welche der warmblütige 
tierische Körper eben infolge seiner hohen Temperatur — diesem 
mächtigen Schutzmittel im Kampf gegen niedere Organismen — 
abtötet, sie unterliegen doch der Zersetzung durch die Verdau¬ 
ungssäfte und es ist kein Grund dagegen anzuführen, dafs das 
peptonisierte Mykoprote'in nicht aufgenommen und im Körper 
weiter verarbeitet werden sollte. 

Welche Bedeutung diese Verarbeitung hat, das läfst sich zur 
Zeit wohl noch nicht erkennen. Wenn wirklich so viel ver¬ 
schiedene >Stoffe« in den Körpersäften und Geweben kreisen, 
wie sie mit Namen genannt werden, so werden sich dieselben 
wohl aus Bezugsquellen ersetzen müssen, unter denen der Darm¬ 
inhalt noch am ehesten in Betracht kommen dürfte. — Übrigens 
stehen die Ergebnisse meiner Versuche nicht im Gegensatz zu 
den von Nuttall und Thierfelder veröffentlichten Mitteilungen 
über die sterile Ernährung von Meerschweinchen, und ich ver¬ 
danke — wie aus der Anordnung meiner Versuche ersichtlich 
ist — den N u tt all-Th ierfeld ersehen Experimenten eigent¬ 
lich die Anregung zu meinen Versuchen. Nur in der Deutung 
der Versuchsergebnisse hatte ich eine andere Meinung zu ver¬ 
treten und um dazu eine positive Unterlage zu haben, entschlofs 
ich mich zu dem Versuche, mit Hühnereiern zu arbeiten. 

Es scheint mir nach meinen jetzigen Erfahrungen die Mög¬ 
lichkeit nicht ausgeschlossen, dafs die Nuttall-Thierfelder- 
schen Versuche mit gutem Erfolge wieder aufgenommen und 
weiter fortgesetzt werden können. Zu einer Verwertung für di© 
Ernährungstheorie bezw. für die Bedeutung der Darmbakterien 
können diese Versuche aber erst dann herangezogen werden, 
wenn bei den Meerschweinchen an Stelle der Milchernährung die 
normale Pflanzennahrung dieser Tiere getreten ist. 


Digitized by 


Google 



Von Dr. M*x Schottelius. 


69 


Die Milch, welche bei den Hühnchen durch das Hühner- 
eiweifs im Ei ersetzt wird, bildet einen für das Junge bestimmten 
Teil des mütterlichen Organismus, und das junge Tier steht 
überhaupt noch nicht auf dem Boden einer eigenen Ernährung, 
so lange es auf die Funktion des mütterlichen Körpers ange¬ 
wiesen ist, gerade so wenig, wie man beim Hühnchen im Ei von 
einer selbständigen Ernährung sprechen kann, so lange noch 
das mütterliche Hühnereiweifs resorbiert wird. 

Dann erst kommt die Bedeutung der Darmbakterien für die 
Ernährung in Frage, wenn das Individuum, mag es nun ein 
Huhn oder ein Meerschweinchen oder sonst ein Tier oder der 
Mensch sein, unabhängig vom mütterlichen Organismus sich zu 
erhalten hat. Alle diese so bedeutungsvollen Versuche würden 
natürlich damit erst einen voll befriedigenden Abschlufs erreichen, 
wenn es gelänge, das Gesetz von der Notwendigkeit der Darm¬ 
bakterien für die Ernährung auch durch den Versuch am Säuge¬ 
tier zu bestätigen. 

Zur Ausführung solcher Versuche am Meerschweinchen 
müfsten aber bedeutende äufsere Mittel bereit gestellt werden, 
über welche das hiesige hygienische Institut zur Zeit jedenfalls 
nicht verfügt, so werden also vorerst die Versuche mit steril ge¬ 
züchteten Hühnchen den Ausgangspunkt für die weiteren Unter¬ 
suchungen in dieser Frage bilden müssen. 

Zunächst wird es darauf ankommen, den Versuch mit dem 
Bacillus coli gallinarum mehrmals rein durchzuführen; derart, 
dafs Hühnchen in einem thunlichst vorgeschrittenen Wachstums¬ 
stadium vorliegen, und ausschliefslich den Bacillus coli gallinarum 
enthalten. Der Grad der Entwicklung dieser Hühnchen sollte 
dann nicht nur mit dem der steril gezüchteten Tiere verglichen 
werden, sondern namentlich auch mit dem der im Freien auf¬ 
gewachsenen Kontrollhühnchen. In dieser Weise müssen jeden¬ 
falls die wichtigsten der konstant im Hühnerdarm vorkommenden 
Spaltpilzarten einzeln und kombiniert auf ihre Wirkung geprüft 
werden. Dazu mufs sich die histologische und die chemische 
Untersuchung der steril gezüchteten und der mit Bakterien ge¬ 
fütterten Tiere gesellen. Sodann bietet gerade das Huhn Ge- 


Digitized by CjOOQle 



70 Di® Bedeutung d. Darmbakterien f. d. Ernährung. II. Von Dr. Schottelius. 

legenheit, eine Reihe pathogener Spaltpilze zu studieren, welche 
vom Darm aus wirken, so dafs vielleicht auch in Bezug auf die 
Pathologie des Darmrohres aus solchen Versuchen Aufschlüsse 
erwartet werden können. 

Ob und in welcher Weise dann die Ergebnisse dieser Unter¬ 
suchungen für die menschliche Pathologie praktisch verwertet 
werden können, das wird wohl einer ferneren Zukunft Vorbehalten 
bleiben. Ausgeschlossen scheint es aber keineswegs, dafs die 
bessere Kenntnis der normalen biologischen Vorgänge im Innern 
des Darmrohres dazu führen wird, dafs nicht nur die Physiologie 
der Ernährung daraus Nutzen zieht, sondern dafs auch die 
Pathologie des Darmrohres mit besserem Erfolg als bisher die 
Gründe für die Entstehung mancher Darmkrankheiten wird auf¬ 
klären können. 

Unsere »Pest« in Deutschland ist bekanntlich nicht die 
Bubonenpest, sondern es ist der Typhus. Nachdem alle bisher 
angewandten Mittel zur Bekämpfung dieser Krankheit es nicht 
haben verhindern können, dafs Jahr aus Jahr ein schwere 
Typhusepidemien zum Ausbruch kommen, da sollte man keinen 
Weg unbenutzt lassen, der zur Aufklärung des dunklen Zu¬ 
sammenhanges der Typhusbacillen mit dem Bacillus coli führen 
kann. Der Weg von der physiologischen Wirkung des Bacillus 
coli gallinarum im Hühnerdarm bis zur erfolgreichen Bekämpfung 
des Typhusbacillus im menschlichen Darmrohr mag wohl ein 
weiter sein, es ist aber der einzige, von dem aus* die physio¬ 
logischen und die pathologischen Vorgänge des tractus intestinalis 
verständlich sind und daher wird dieser Weg — mag es früher 
oder mag es später sein — beschritten werden müssen, und er 
wird zum Ziele führen. 

So viel steht schon jetzt fest, dafs sowohl für das Leben 
der Pflanzen als auch für die Ernährung der Wirbeltiere und für 
den Menschen die Thätigkeit der Darmbakterien notwendig ist. 


Digitized by CjOOQle 



Ueber die 

Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen und ihre 
Verwendung als Merkmal zur Artunterscheidnng. 

Von 

Dr. Georg Oaspari, 

Zahnarzt aus Rummelsburg in Pommern. 

(Aus dem hygienischen Institut in Würzburg.) 

(Mit Tafel I.) 

Diö Zahl der in den letzten 25 Jahren neugefundenen Bak¬ 
terienarten ist so bedeutend angewachsen, dafs ihre systematische 
Einteilung die gröfsten Schwierigkeiten bereitet, nicht zum 
wenigsten wegen der grofsen Variabilität der morphologischen 
und biologischen Charaktere. 

Lehmann und Neumann 1 ) haben in ihrer Bearbeitung 
der Bakteriologie wohl zuerst systematisch darauf hingewiesen, 
und sind für ihre Anschauung mit umfangreicherem Material 
hervorgetreten. Farbstoff bildung, Verflüssigung der Gelatine und 
andere chemische Leistungen werden dort als ebenso variabel 
bezeichnet wie die Pathogenität, ja auch die morphologischen 
Qualitäten, auf die eine Systematik sich in erster Linie stützen 
inufs: Gröfse, Form und Anordnung der Zellen, Begeilselung 
und Sporenbildung erscheinen als schwankend in ziemlich er¬ 
heblichem Umfange. Sind auch die Beobachtungen, welche die 
Autoren für jede einzelne dieser Angaben anführen, nicht immer 

1) Lehmann und Neumann, Bakteriologie und bakteriologische 
Diagnostik. München, Verlag von J. F. Lehmann, 1. Aufl., 1896. 


Digitized by CjOOQle 



72 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc. 


zahlreich, so genügen sie in ihrer Gesamtheit, um den gewünsch¬ 
ten Eindruck hörvorzubringen, dafs die Schwierigkeit der Syste¬ 
matik der Bakterien in erster Linie in deren Variabilit&t liege. 

Von den bakteriologischen Merkmalen, die zur Aufstellung 
einer Systematik der Bakterien geeignet erscheinen, ist die Art 
der Sporenkeimung und deren Konstanz bisher ziemlich wenig 
geprüft worden. Wohl haben Cohn 1 ) und insbesondere Praz- 
mowski 2 ) darüber wichtige Angaben gemacht, doch hat erst 
in neuester Zeit Burchard, unter Leitung von Prof. Migula 
in Karlsruhe, der Sporenkeimung besondere Aufmerksamkeit ge¬ 
schenkt mit dem Resultate, dafs der Vorgang der Sporenkeimung 
bei jeder Art eine sehr konstante Eigenschaft sei, während sich 
die verschiedenen Arten durch sehr verschiedene Sporenkeimung 
unterscheiden. Einzelne andere Autoren haben kleinere Arbeiten 
publiziert, die nicht mit Burchard übereinstimmen, und auf 
die ich später zu sprechen komme. 

Professor Dr. K. B. Lehmann, der mit Dr. Hirai an 
einigen Arten die Konstanz der Sporenkeimung studierte, kam zu 
Resultaten, die die Angaben Burchards als höchst auffallend 
erscheinen liefsen, so dafs derselbe wünschte, die Frage möge 
durch möglichst sorgfältige und kritische Untersuchung von 
neuem bearbeitet werden. Ich unterzog mich dieser Aufgabe 
um so lieber, als gerade die Gruppe der sporentragenden Ba¬ 
cillen eine Menge theoretisch und praktisch wichtiger Arten ein¬ 
schliefst. 

Die Sporen sind als die Dauerzustände der Bakterien er¬ 
kannt worden, welche von letzteren gebildet werden, sobald der 
Nährboden für die Existenz derselben ungeeignet geworden ist. 
Hierfür spricht auch besonders die wohl von keiner Seite 

1) Cohn, Untersuchungen über Bakterien. Beiträge zur Biologie der 
Pflanzen, I. Heft 2, 1872. — Untersuchungen über Bakterien. IV. Beiträge 
zur Biologie der Bacillen, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, II, 1876, Heft 2. 

2) Prazmowski, Untersuchungen über die Entwicklungsgeschichte 
und Fermentwirkung einiger Bakterienarten. Leipzig, 1S80. — Zur Ent¬ 
wicklungsgeschichte und Fermentwirkung einiger Bakterienarten. Botanische 
Zeitung, 1877. 


Digitized by v^.ooQle 



Von Dr. Georg Canpari. 


73 


bestrittene Erfahrung, dais eine Auskeimung von Sporen auf dem¬ 
selben Nährboden nicht vor sich geht. Für das Auskeimen von 
Sporen sind als Bedingung erkannt worden: 1. unverbrauchter 
und für die bestimmte Bakterienart geeigneter Nährboden, 
2. Feuchtigkeit und Wärme, 3. für viele Arten Sauerstoff. Die 
Keimung der Sporen leitet sich bei allen bisher beobachteten 
Arten in der gleichen Weise ein: die reife, vorher stark licht¬ 
brechende und deutlich konturierte Spore beginnt, unter zur 
Auskeimung geeignete Bedingungen gebracht, im günstigsten Falle 
nach ca. ein bis zwei Stunden anzuschwellen, mit dieser Anschwel¬ 
lung ihren starken Lichtglanz zu verlieren, ihre Kontur runder 
und unbestimmter zu gestalten und allmählich an einer gewissen 
Stelle das Keimstäbchen hervortreten zu lassen. Je nach der 
Art nuu, wie dieses Stäbchen die Membran verläfst, lassen sich 
drei verschiedene Modi, welche jedoch nicht ohne Übergänge 
sind, unterscheiden. 

1. Keimung des Stäbchens unter Verquellen der 
Membran: Die Spore streckt sich in die Länge, die Kontur 
wird undeutlicher, der Lichtglanz erlischt, und diese Verände¬ 
rungen gehen so lange langsam vorwärts, bis die Spore in Ge¬ 
stalt und Aussehen vollkommen einem Stäbchen gleicht, welches 
sich nach einiger Zeit teilt. 

In keinem Stadium kann man auch nur die geringste Ab¬ 
hebung einer Sporenraembran beobachten. Man mufs dann an¬ 
nehmen, dafs sich entweder die Sporenmembran einfach zur 
Membran des jungen Stäbchens entwickelt oder, was wahrschein¬ 
licher ist, »sie verschleimt und .entzieht sich so der direkten 
Beobachtung« (Migula). *) Als Typus kann die von Klein bei 
seinem Bacillus leptosporus beschriebene Keimung gelten. Auch 
Burchard 1 2 ) beobachtete während der Keimung seines Bacillus 
leptodermis nie eine abgestreifte Sporenmembran. Er erklärt 
das »durch die infolge ihrer (der Sporenmembran) sehr zarten 

1) Migula, System der Bakterien. Jena, 1897. 

2) Burchard, Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte 
der Bakterien. Arbeiten aus dem hygien. Institut Karlsruhe. 


Digitized by v^.ooQle 



74 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc. 

Struktur bewirkte, fast momentane Verquellung nach der Ab- 
stolsung; oder aber die alte Sporenhaut streckt sich direkt zur 
neuen Bakterienmembran, was allerdings weniger wahrschein¬ 
lich ist.« 

2. Polare Keimung: Die Sporenmembran zeigt eine 
deutliche Abhebung während der Keimung und zwar so, dafs 
das Stäbchen durch einen polaren Rifs in der Sporenhaut aus¬ 
schlüpft. Hierher gehören der Milzbrandbacillus und seine 
nächsten Verwandten. 

3. Äquatoriale Keimung: Das Stäbchen schlüpft durch 
einen äquatorialen Rifs der Sporenhaut hervor. Bacillus subtilis 
und seine Verwandten. 

Als Unterarten dieser Typen sind zunächst: 

a) die schräge Auskeimung zu erwähnen, bei der das 
Stäbchen weder rein polar, noch rein äquatorial aus der Mem¬ 
bran hervorbricht, 

b) die hufeisenförmige Auskeimung, bei der zwar 
ein äquatorialer Einrifs der Membran erfolgt, das keimende 
Stäbchen sich jedoch in der Längsrichtung der Spore bildet, so¬ 
mit im Moment der Keimung sich mit dem gewölbten Rücken 
hufeisenförmig aus der Membran hervordrängt, indes die Stäbchen¬ 
enden von, der Membran umschlossen bleiben. 

Diese Haupttypen der Sporenkeimung sind durch Übergänge 
miteinander verbunden, doch hat nach Migula und Burchard 
jede Art ihre besondere Form der Sporenkeimung, die sie von 
allen anderen Arten unterscheidet. 

Inwieweit diese Konstanz besteht und inwieweit somit die 
Sporenkeimung zur Artunterscheidung der Bakterien zu ver¬ 
werten, soll durch die folgenden Untersuchungen festgestellt 
werden. 

Diese Untersuchungen wurden im hygienischen Institut der 
Universität Würzburg unter Leitung von Herrn Prof. Lehmann 
gemacht. 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Georg Caspari. 


75 


I. Teil. Untersuchungen. 

Als ich diese Arbeit begann, bestanden zunächst die Haupt¬ 
schwierigkeiten in der Beherrschung der Temperaturverhältnisse. 
Zur Erwärmung des Mikroskops benutzte ich den bekannten 
Zeifssehen Wärmekasten. Ich habe bei unserem Apparat durch 
eine gröfsere Reihe Untersuchungen konstatiert, dafs zwischen 
der am Regulator eingezeichneten Scala und der im Apparat 
durch ein Thermometer angezeigten Wärme, je nach dem Gas¬ 
druck, eine Differenz von 3—4° vorhanden ist. Weiterhin war 
zu beachten, dafs zur Erhaltung konstanter Temperaturen eine 
genügende Vor- und Durchwärmung des Mikroskops unbedingt 
notwendig ist. Es hat sich gezeigt, dafs hierfür eine Zeit von 
mindestens 60 Minuten, besser 90 Minuten, erforderlich ist. 
Unter Berücksichtigung dieser Beobachtungen ist es mir ge¬ 
lungen, meine Untersuchungen bei konstanten Temperaturen vor¬ 
zunehmen. Ich habe als beste Keimungstemperatur für die von 
mir beobachteten Arten 32—34° erkannt, und soweit im folgen¬ 
den nicht anders hervorgehoben, meine Beobachtungen bei dieser 
Temperatur vorgenommen. Ich will schon an dieser Stelle be¬ 
merken, dafs gerade bei den Keimungsbeobachtungen, um gleiche 
Resultate zu erhalten, konstante Temperaturen zu den Haupt¬ 
vorbedingungen gehören, dafs schwankende Temperaturen nicht 
unwesentlich, besonders auf die Zeitverhältnisse einzuwirken ver¬ 
mögen. 

Als Nährböden wurden in erster Linie Agar, dann Gelatine 
und Bouillon in der gewöhnlichen Zusammensetzung benutzt. 
Der gewöhnliche Agar hat vor der Gelatine und der Bouillon 
den Vorzug, dafs man die Sporen auf dem Deckglase wegen der 
Festigkeit des Agar nicht so fest anzukleben braucht, was für 
den Keimungsverlauf nicht ohne Einflufs zu sein scheint; dafs 
weiterhin die sogenannte Molekularbewegung, welche fast regel- 
mäfsig bei den Beobachtungen in Bouillon von Anfang an die 
genaue Untersuchung stört, wesentlich vermindert wird. Ein 
weiterer Nachteil der Bouillon ist die gelbliche Färbung des 
Gesichtsfeldes, welche oft feinere Lichtbrechungsunterschiede zu 


Digitized by CjOOQle 



76 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc. 


erkennen verhindert. Auch die Gelatine verlangt festeres An¬ 
kleben des Materials. 

Im Verlaufe meiner Untersuchungen bin ich nun so ver¬ 
fahren, dafs ich zunächst die Reihe der von Burchard als 
neue Arten beschriebenen Bakterien nachuntersuchte. Ich bezog 
dieselben von Kral aus Prag. Weiterhin untersuchte ich dann 
noch eine Reihe selbstgezüchteter Bakterien. Da es für diese 
Arbeit nicht von Interesse schien, dieselben näher zu bestimmen, 
habe ich dies unterlassen und mich begnügt, ihrer Herkunft 
eine indifferente Bezeichnung als Unterscheidungsmerkmal bei¬ 
zufügen. 

Zur Methodik will ich erwähnen, dafs ich zunächst bestrebt 
war, reines Sporenmaterial zu erhalten. Stäbchendetritusmassen 
im Gesichtsfelde können auf die Beobachtung im höchsten Grade 
störend einwirken. Anfangs bin ich so verfahren, dafs ich nach 
Burchard das betreffende Material in sterilisiertem Wasser 
oder Bouillon auf schwemmte, ca. V 2 Stunde auf 70° C. erwärmte, 
um auf diese Weise die noch vorhandenen lebenden Stäbchen 
abzutöten und ihren Detritus zum Verquellen zu bringen. Ich 
kam mit dieser Methode nur in seltenen Fällen zum Ziel. Ein¬ 
mal genügte die Temperatur nicht immer, um alle Detritus¬ 
massen zum Verquellen zu bringen. Dann lag auch die Gefahr 
nahe, dafs durch das Erwärmen der Sporen in irgend welcher 
Richtung auf dieselben eingewirkt werde. Jedenfalls habe ich 
bemerkt, dafs das so behandelte Material niemals so regelmäfsig 
keimte wie auf andere Methode gewonnenes. 

Somit griff ich zu dem mehr Zeit raubenden Mittel, welches 
auch von Burchard zuweilen angewandt worden ist: durch 
längeres Verweilen bei geeigneter Temperatur in demselben 
Nährboden die Stäbchen zum Sporenbilden zu zwingen und ihre 
Detritusmassen zum Schwinden zu bringen. Für die von mir 
gezüchteten Arten genügte in den meisten Fällen schon eine 
Temperatur von 37° und eine Zeitdauer von 2—3 Tagen, um 
vollkommen reines und für die Beobachtung geeignetes Sporen¬ 
material zu erhalten. In anderen Fällen war zuweilen eine 
Zeitdauer von. mindestens 6—8 Wochen erforderlich, um einiger- 


Digitized by v^ooQie 



Von Dr. Georg Caspari. 


77 


mafsen reines Material zu erhalten. Bei einigen Burchard- 
schen Arten, die schon längere Zeit auf künstlichen Nährböden 
weitergezüchtet waren, kam ich aber auch auf diesem Wege 
nicht in den Besitz reinen Sporenmaterials. Ich versuchte des¬ 
halb mit Hilfe von Färbungsverfahren die vegetativen Elemente 
abzutüten und zu kennzeichnen, aber auch dieses Hilfsmittel 
lieferte mir die gehofften Resultate nicht. Aus diesem Grunde 
mufste das nähere Studium dieser Burchardsehen Arten unter¬ 
bleiben. 

Die Präparate wurden in der Weise angefertigt, dafs mit 
einer geglühten Platinöse eine geringe Menge des vorbereiteten 
Materials auf einem sterilen Deckglas verrieben, das Material 
an der Luft getrocknet und mit dem Nährboden versehen 
wurde. Untersuchungen mit Gelatine und besonders Bouillon 
machen (im Gegensatz zu denen mit Agar) ein vorsichtiges Er¬ 
wärmen und Antrocknen über der Flamme erforderlich. 1 ) 

Das so mit dem Nährboden versehene Präparat wird als¬ 
dann mit Paraffin oder Vaselin auf einem hohlgeschliffenen Ob¬ 
jektträger befestigt. 

Versuche. 

In der nachfolgenden Beschreibung meiner Versuche will 
ich nun so vorgehen, dafs ich, soweit es sich um Burchardsche 
Arten handelt, meinen Untersuchungen zum Vergleich die Kei¬ 
mungsbeobachtungen Burchards in kurzem Auszuge voraus¬ 
schicke. Ich will an dieser Stelle erwähnen, dafs ich aus meinen 
sehr zahlreichen Beobachtungen (ca. 25—30 von jeder Bakterien¬ 
art) je einen als besonders gelungen zu bezeichnenden Versuch 
voranstelle und die anderen Versuche mit derselben Bakterien¬ 
art, soweit sie nichts Neues bieten, nur kurz erwähne. Es sei 
auch nicht übergangen, dafs eine nicht unbeträchtliche Anzahl 
von Versuchen aus bisher zum Teil unaufgeklärten Gründen 
trotz sorgfältiger und gleichmäfsiger Anfertigung der Präparate 
scheiterte. Bei einem gewissen Prozentsatz dieser als mifsglückt 

1) Bei dem Antrocknen der Präparate über der Flamme mufs man sehr 
vorsichtig verfahren, da meine so behandelten Präparate, wenn sie über 
hanpt keimten, grofse Variationen in der Auskeimungszeit zeigten. 


Digitized by v.ooQle 



78 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc. 

■ 

zu bezeichnenden Versuche war teils das Präparat zu undeutlich, 
teils die zu untersuchenden Sporen zu klein, um überhaupt zu 
irgend welchen positiven Schlüssen Berechtigung zu geben, teils 
auch hatte ich besonders in der letzten Hälfte des Sommers mit 
ungünstigen und wechselnden Licht Verhältnissen zu kämpfen. 
Letztere Unannehmlichkeit wurde im Winter dadurch etwas ge¬ 
hoben, dafs ich die ganzen Untersuchungen bei Glühlicht vor¬ 
nahm, welches wenigstens den Vorzug der gleichmäfsigen Licht¬ 
stärke hatte. 

Um möglichst objektive Urteile über das Gesehene zu fälleu, 
habe ich aufser der Burchardsehen Arbeit alles Litteratur- 
studium während meiner Beobachtungen vermieden. Es genügt 
deshalb wohl die Bemerkung, dafs ich nur das in meinen Zeich¬ 
nungen wie auch in meinem Protokoll aufgenommen habe, was 
ich deutlich gesehen habe. Alles Undeutliche oder durch die 
Beobachtung nicht als sicher Erwiesene wird stets im nach¬ 
folgenden so bezeichnet werden. Nachdem dann meine Unter¬ 
suchungen zu einem gewissen Abschlüsse gelangt waren, begann 
ich meine Litteraturstudien, welche, wie ich nicht verhehlen 
will, einige genauere Nachuntersuchungen notwendig machten. 
Es wurden untersucht: 

a) Burchardsche Arten (von Kral bezogen): 

1. Bacterium perittomaticum. 

2. Bacillus goniosporus. 

3. Bacterium Petroselini. 

4. Bacterium Filamentosum. E. Klein. 

5. Bacterium angulans. 

6. Bacillus loxosporus. 

b) Durch die Freundlichkeit des Herrn Kollegen Zierler 
erhalten: 

7. Bacillus gangraenosus pulpae. 

c) Selbstgezüchtete Arten: 

8. Bacillus aus der Luft gezüchtet von Herrn Professor 
Lehmann. 

9. Heubacillus 1. 

10. Heubacillus 2. 


Digitized by v.ooQle 


Von Dr. Georg Caspari. 


79 


Ich will gleich an dieser Stelle hervorheben, dafs die von 
Kral bezogenen Burchardsehen Bakterienarten im wesent¬ 
lichen in ihren morphologischen und physiologischen Eigen¬ 
schaften mit den von Burchard als charakteristisch angegebenen 
übereinstimmen, so dafs ich diesen Faktor nicht mehr bei jeder 
einzelnen untersuchten Art zu erwähnen brauche. Der von Herrn 
Kollegen Zierler zur Verfügung gestellte Bacillus gangraenosus 
pulpae ist mit dem von Arkövy aus der gangränen Zahnpulpa 
gezüchteten Bacillus sehr ähnlich. Der Bacillus aus der Luft 
wurde von Herrn Prof. Lehmann als zufälliger Befund einer 
anderen Kultur kultiviert, während Heubacillus 1 und 2 von mir 
aus Heuinfus nach bekannter Methode gezüchtet wurden. — 
Nach der Lehmann-Neu mann sehen Terminologie wären 
alle Burchard sehen neuen Arten als »Bacillen« zu bezeichnen, 
ich habe eine Umtaufung unterlassen, weil ich mir nicht klar 
darüber war, inwieweit die von Burchard aufgestellten Arten 
als neu zu bezeichnen seien. 

1. Baeterium perittomatieum Burchard. 

Burchard beobachtete, dafs sich nach 45 Minuten die ersten Ver¬ 
änderungen an den neu eingelegten Sporen zeigten; nach 2 Stunden 40 Min. 
hatten alle ihren Glanz verloren und waren mit einer Ausnahme alle stark 
angeschwollen. Der Moment der Auskeimung ist sehr schwer zu be¬ 
obachten, da die Sporen vor derselben stark anschwellen; »sie verlieren 
dabei ihr starkes Lichtbrechungsvermögen so vollständig, dafs die jungen 
hervortretenden Stäbchen sich fast gar nicht von dem in der Spore stecken¬ 
den Teil unterscheiden lassen.« Nach 4 Stunden 45 Min. liefs sich die erste 
Keimung deutlich konstatieren, indem sich die Sporenmembran abzuheben 
begann. Keimungsmodus ist polar. 


Eigene Untersuchungen. 

Perittomatieum 25. X. Präparat stammt aus der Originalkultur, wurde 
über der Flamme nicht fixiert, sondern nur an der Luft getrocknet. Präparat 
mit einem Agartropfen von G0° C. versehen. Deckglas mit Vaselin auf dem 
hohlgeschliffenen Objektträger befestigt. 

9 Uhr 45 Min. Präparat unter das erwärmte Mikroskop gebracht und 
sogleich gezeichnet. Reines Sporenmaterial, von denen 9 Sporen im Gesichts¬ 
felde fixiert werden. Die Sporen sind stark konturiert, scharf lichtbrechend, 
in ihrer Form länglichrund. 


Digitized by v^,ooQle 



80 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc. 


10 Uhr 5 Min. Der Sporenkontur zeigt sich in seiner ganzen Circum- 
ferenz verwischt, wodurch die Sporen selbst etwas angeschwollen erscheinen. 
Minimale Abschwächung des hellen Lichtglanzes. 

2 Uhr 30 Min. Sporen 1, 3, 6, 7 keimen mehr weniger regelm&fsig 
polar aus. Die Auskeimung ist im ganzen streng polar, d. h. in der Längs- 
achse der Spore. Auch alle mit diesem Präparat zugleich und nach der 
gleichen Methode für den Brutofen zur Nebenuntersuchung angefertigten 
Präparate (5) zeigen mehr weniger deutlich polare Auskeimung. Bei Spore 
Nr. 6 ist das Durchbruchsloch des keimenden Stäbchens etwas verschoben, 
so dafs man diesen Modus nicht als streng polar ku bezeichnen braucht. 
Während des Zeichnens ist Nr. 7 schon geteilt. Ein Abheben der alten 
Sporenmembran ist nicht zu konstatieren. Der Moment, in dem das junge 
Stäbchen aus der stark verquollenen Keimspore hervorbricht, ist so kurz, 
dafs er kaum zu beobachten ist. Der ganze Akt macht den Eindruck, als 
ob das elastische Stäbchen, in der Membran eingeschlossen, gleichsam ein¬ 
gezwängt ist, und nach dem Durchbruch sich schnell bis zu einer gewissen 
Gröfse ausdehnt. Die Stäbchen sind unbeweglich. 

8 Uhr 15 Min. abends. Sporen 2, 8, 9 ebenfalls polar ausgekeimt. 
Spore 4 unverändert. 

Nächster Morgen. Spore 4 unverändert, keine Sporenbildung. 

Mit Perittomaticum habe ich zur Kontrolle noch eine gröfsere 
Reihe weiterer Beobachtungen in Gelatine und Bouillon vor¬ 
genommen, welche im wesentlichen dasselbe zeigten: 

1. Der Auskeimungsmodus war regelmäfsig polar, mit mehr 
weniger ausgesprochenen Schwenkung des auskeimenden Stäb¬ 
chens. Die Sporenmembran war fast immer deutlich erkennbar, 
vielleicht in den flüssigeren Nährböden etwas mehr verquollen, 
und hing teils dem neu ausgeschlüpften Stäbchen noch an, teils 
gelang es demselben, die Membran frühzeitig abzustreifen. Die 
Stäbchen zeigten, falls nicht fixiert, 

2. alle Eigenbewegung, welche an diejenige von subtilis 
erinnert. Die Auskeimungszeit, d. i. die Zeit bis zum Auskeimen 
der ersten Spore, schwankte zwischen 2 Stunden 45 Miu. und 
5 Stunden. 

3. Einige Sporen keimten noch später, der gröfste Teil aber 
brauchte mindestens 12 Stunden. Auffallend war, dafs eine Reihe 
von gut ausgebildeten Sporen selbst nach 3 mal 24 Stunden 
noch keine Veränderung im Sinne einer Keimung zeigte; mithin 
die Annahme berechtigt scheint, dafs diese Sporen in demselben 
Nährboden überhaupt nicht auskeimen. 




Digitized by CjOOQle 



81 


Von br. Georg Öa9pari. 

2. Bacillus goniosporus Burchard. 

Burchard erwähnt, betr. der Auskeimung von Goniosporus nichts 
Besonderes. Die zu beobachtenden Sporen kamen um 8 Uhr 40 Min. unter 
das erwärmte Mikroskop, um 9 Uhr 30 Min. waren sie bereits blässer und 
begannen anzuschwellen, um 9 Uhr 45 Min. waren sie vollkommen trübe; 
erst um 11 Uhr 55 Min. ist die Anschwellung an allen Sporen sehr deutlich 
bemerkbar. Um 1 Uhr 50 Min. sind 4 von den 5 beobachteten Sporen polar 
ausgekeimt und die 5. Spore steht unmittelbar davor. Um 2 Uhr 5 Min. 
sind alle 5 Sporen ausgekeimt und 1 Spore hat bereits die alte Sporenhaut 
in Form eines schwach sichtbaren Käppchens etwas abzustreifen begonnen. 
Dieses soll wohl das Charakteristikum für diese Bakterienart sein; denn 
Burchard hebt extra hervor: die Sporenhaut sitzt den Stäbchen als helles, 
durchsichtiges Mützchen auf. Burchard scheint nur 3 Präparate und diese 
gleichzeitig angefertigt zu haben, und von diesen ist daB näher Beschriebene 
anfangs bei 30° C., dann noch eine Stunde, vielleicht weil die Keimung 
nicht schnell genug vor sich ging, bei 33 0 C. gehalten worden. Trotzdem 
findet sich keine Anmerkung, ob überhaupt weitere Versuche mit Goniosporus 
gemacht wurden und wie ein Versuch bei konstanter Temperatur aus¬ 
gefallen ist. 

Meine eigene n Untersuchungen mit Goniosporus haben 
mir nun sehr widersprechende Resultate geliefert. Gerade mit 
Goniosporus habe ich sehr viel und auf allen Nährböden experi¬ 
mentiert, um die Keimung und die sich während derselben zeigen¬ 
den Eigentümlichkeiten zu studieren. 

a) Versuche mit Agar. 

Goniosporus 6. XI. Präparat stammt aus der Originalkultur. Material 
an der Luft getrocknet, mit Agar beschickt, bei 32—34° C. beobachtet. 
Gleichzeitig mit diesem Präparat 5 Präparate für den Brutofen. 

11 Uhr. Präparat unter das erwärmte Mikroskop gebracht. Reines 
Sporen material. Sporen länglich oval, stark lichtbrechend, scharf konturiert, 
sehr deutlich. 

11 Uhr 25 Min. Spore a vollkommene Trübung und starke Anschwellung 
auf der ganzen Circumferenz der Spore. Es scheint jedoch nur die Membran 
verquollen zu sein, da die Spore ihre frühere länglich ovale Form bei¬ 
behalten hat. 

12 Uhr 40 Min. Sporen c, d, f, g, i erscheinen ebenfalls verquollen. 
Spore a bedeutet in die Länge gestreckt und deutlich mit einem Ring 
versehen. 

12 Uhr 55 Min. Spore a hat sich noch mehr gestreckt. 

1 Uhr 5 Min. Sporen c und f sind auf der ganzen Circumferenz stärker 
angeschwollen und erscheinen so noch mehr vergröfsert. 

1 Uhr 7 Min. Spore a deutlich polar ausgekeimt. Das Stäbchen sieht 
mit einer etwas breiten Kappe aus dem Schlitz der Membran hervor. Es 
Archiv für Hygiene. Bd. XLU. 6 


Digitized by v^,ooQle 



Ö2 Über die Konstanz der Sporenkeimang bei den Bacillen etc. 

scheint also der polaren Keimung eine deutliche Längsstreckung voraus¬ 
zugehen. (Präparate des Brutofens zeigen vorwiegend polare Keimung; 
jedoch auch einige schräg polare Keimungen.) 

3 Uhr. Alle Sporen aufser b und e mehr weniger deutlich polar aus¬ 
gekeimt. Viele Stäbchen sind schon mehrfach geteilt. Einige sind beweglich. 
Am 7. XI. ist um 

10 Uhr noch keine Sporenbildung zu beobachten. Die Eigenbewegung 
hat vollkommen aufgehört 

Am 8. XI. zeigen sich lang ausgewachsene Fäden mit undeutlicher Sep- 
tierung ohne Trübung des protoplasmatischen Inhalts. Versuch abgebrochen. 

b) Gelatine. 

Am 9. XI. wurden Sporen von Goniosporus in Gelatine 
beobachtet, welche sich vor der Auskeimung allmählich ver- 
gröfserten, d. h. in die Länge streckten, und schliefslich ohne 
eine Membran erkennen zu lassen, in das ausgekeimte junge 
Stäbchen übergingen, so dafs der Moment der Keimung, d. h. 
ein Zerreifsen der Membran nicht zu beobachten war. Dieser 
Auskeimungsmodus setzte mich sehr in Erstaunen, zumal im 
Agar eine deutliche Membran beobachtet worden war und auch 
Burchard eine solche gesehen hatte. Es wurden daher eine 
gröfsere Reihe von Untersuchungen (ca. 25) mit Goniosporus in 
Gelatine vorgenommen, welche im wesentlichen zu gleichen Re¬ 
sultaten führten. Auch Beobachtungen im ganz frischen Agar 
zeigten an einigen Sporen die Sporenmembran vollkommen ver¬ 
quollen, so dafs Bilder beobachtet wurden, welche denen der 
Gelatine-Beobachtung vollkommen glichen. 

Am 16. XI. wurde ein Versuch mit Gelatine im Verein mit 
Herrn Prof. Lehmann angestellt und lückenlos kontrolliert. 

Die vorher stark lichtbrechend gewesene Spore dehnte sich 
allmählich unter Undeutlichwerden ihres Inhalts. Eine Membran 
fällt in diesem Stadium nicht auf; vielmehr ist die erfolgte 
Keimung erst dann zu konstatieren, wenn das Stäbchen sich zur 
Teilung anschickt. Ein allein liegendes junges Stäbchen ist von 
einer auskeimenden, genügend vorgeschrittenen Spore nicht zu 
unterscheiden. Auch nach erfolgter Teilung des Stäbchens ist 
man nicht imstande, eine Sporenmembran deutlich zu erkennen, 
auch ist das jüngere Stäbchen nicht schmäler als das ältere. 
Ein Moment, in dem das junge Stäbchen aus der es einschliefsen- 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Georg Caspari. 


83 

den Membran herausschlüpft, konnte trotz lückenloser Beobach¬ 
tung nicht konstatiert werden. Selbst die nochmalige Untersuchung 
des Präparats nach etwaigen, den ausgeschlüpften Stäbchen an¬ 
haftenden Membranen hatte kein positives Resultat; zum min¬ 
desten war es unmöglich, einwandsfreies Material zu finden; wo 
hingegen sich viele Stäbchen fanden, an denen auch nicht die 
Spur einer Membran vorhanden war. Es ist an diesen Stäbchen 
unmöglich, zu entscheiden, mit welcher Seite sie ausgeschlüpft 
sind. Man mufs deshalb annehmen, dafs die Sporenmembran 
vollkommen verquillt. 

o) Agar. 

Um dieses eigentümliche Verhalten der Membran eingehend 
zu studieren, habe ich eine weitere Reihe von Untersuchungen 
in einem Agar vorgenommen, der einen verschieden hohen 
Flüssigkeitsgehalt hatte. Auch hier konnte ich an einigen Sporen- 
Auskeimungen ein vollständiges Verquellen der Sporenmembran 
beobachten. Aber Goniosporus zeigte noch eine weitere Eigen¬ 
tümlichkeit, nämlich ein äufserst variables Auskeimen des 
jungen Stäbchens. Es kommt hier nur darauf an, eine gröfsere 
Menge von Einzelindividuen zu beobachten. Aus der Versuchsreihe, 
die sich hierauf bezieht, will ich nur zwei Beobachtungen mitteilen. 

Goniosporus 3. XII. 

Material stammt aus der Originalkultur. Präparat an der Luft getrocknet, 
mit frisch angefertigtem Agar beschickt, bei 32 bis 34 ü C. beobachtet. 

1 Uhr 15 Min. Es werden 21 Sporen im Gesichtsfelde fixiert und 
gezeichnet 

2 Uhr 25 Min. Einige Sporen zeigen Veränderungen im Sinne einer 
Keimung. 

3 Uhr 15 Min. Von den 21 Sporen zeigen 10 deutliche Auskeimung. 
Spore Nr. 8 Differenzierung im Sinne einer Keimung. Spore Nr. 5 zeigt an 
dem dem keimenden Stäbchen abgewandten Sporenmembranende eine kleine 
Vonaölbung, als ob dort ein neues Stäbchen hervorbräche. 

4 Uhr. Die Vorwölbung an Spore Nr. 5 hat sich noch etwas vergröfsert 
und macht jetzt den Eindruck eines protoplasmatisohen Fortsatzes. Im 


übrigen zeigten von den 10 ausgekeimten Sporen: 

Streng polare Auskeimung Nr. 3, 4, 7, 9, 11, 13 . . . = ca. 60°/ o 
Schräg . * Nr. 1, 5, 10.= » 30°/ o 


unter Verschwinden der Membran, so dafs die Art der Auskeimung nicht zu 
konstatieren Nr. 12 = ca. 10 °/ 0 . 

6 * 


Digitized by CjOOQle 




84 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc. 

Um 8 Uhr abends zeigte sich das Keimstäbchen aus Spore Nr. 8 ge¬ 
teilt, ohne während dieser Zeit eine Membran erkennen zu lassen. Weitere 
Auskeimungen waren im Präparat nicht zu konstatieren. 

Goniosporus 4. XII. (Siehe Tafel, Fig. 1.) 

Material aus der Originalkultur, an der Luft getrocknet, mit frischem 
Agar beschickt, bei 32—34 0 C. beobachtet. Es wurden, um einen gewissen 
Prozentsatz zu gewinnen, dieses Mal 56 Sporen beobachtet und gezeichnet. 

Nach 2 Stunden 30 Min. keimten 

deutlich aus.18 Sporen = ca. 32,15 °/ 0 . 

Veränderungen im Sinne einer 

Keimung zeigten.19 Sporen = ca. 33,85 °/ 0 . 

Bei genügend langer Beobachtung 

wären also ausgekeimt ... 37 Sporen = ca. 66 °/ 0 . 

Überhaupt keine Veränderung zeigten also nach 

2 Stunden 30 Min.ca. 34 °/ 0 . 

Von den 18 ausgekeimten Sporen war die Keimung: 

Streng polar bei Nr. 1, 2, 26, 28, 29, 40, 45, 46. 48 = 9 == ca. 50 °/ 0 . 

Schräg » » Nr. 4, 6, 8, 12, 34.. 5 = ca. 28 °/ 0 . 

Ohne ein Membran erkennen zu lassen Nr. 21, 23,41,43 = 4 = ca. 22 °/ 0 . 

Bei meiner Beobachtung war es mir auffallend, dafs gerade 
diejenigen Sporen, welche, ohne eine deutliche Membran zu er¬ 
kennen zu geben, auskeimten, fast stets zuerst eine Veränderung 
im Sinne einer Keimung zeigten und auch im Präparat sich 
durch besondere Gröfse auszeichneten. 

3. Bacterium Petroselini Burchard. 

Burchard hat für die Keimung des Bacterium Petroselini ein Charak- 
teristicum angegeben, nämlich, dafs die Sporenmembran, nachdem das 
keimende junge Stäbchen dieselbe nach Verlauf von ca. 1 Stunde 10 Min. 
ohne Besonderheiten polar durchbricht, deutlich 2 Schichtungen erkennen 
läfst. Er hat bei genauerer Durchsuchung gefunden, dafs in der That 2 Sporen- 
häute vorhanden waren. Die äufsere Haut ist, wie aus der Art der Licht¬ 
brechung hervorgeht, die derbere, die innere die zartere. Meistens lagen 
die Häute sichelförmig bei einander, resp. untereinander. 

Bei meinen Untersuchungen kam es mir darauf an, einmal 
nacbzuscbauen, ob es mir auch gelingen würde, 2 Sporenhäute bei der Keim¬ 
membran zu unterscheiden, dann aber besonders zu beobachten, wie sich 
diese beiden Membrane zu einander und zu den auskeimenden Stäbchen 
verhalten würden. Ich begnüge mich, aus der grofsen Reihe meiner Unter¬ 
suchungen drei Beobachtungen mitzuteilen; da diese das, was ich teils allein, 
teils tnit Herrn Prof. Lehmann gesehen habe, demonstrieren. Herr Prof. 


Digitized by v^,ooQle 





Von L)r. Georg Caspari. 


85 


Lehmann hat sich ganz besonders für diese Untersuchungen interessiert 
und war so liebenswürdig, mir für dieselben einen Zeifs’schen Apochromat 
zur Verfügung zu stellen. 

Bakt. Petroselini 18. XI. (Siehe Tafel, Fig. 2.) 

Material aus der Originalkultur, an der Luft fixiert, mit Agar versehen, 
bei 32—34° C. beobachtet. 

4 Uhr. Das Präparat wird unter das erwärmte Mikroskop gebracht 
Es zeigt reines Sporenmaterial, von dem 11 Sporen im Gesichtsfelde liegen 
und sogleich gezeichnet werden. Sporen stark lichtbrechend, länglich, oval- 
cylindrisch, scharf konturiert. 

5 Uhr 30 Min. Nr. 1, 2, 3, 8, 10, 11 haben sich bedeutend vergröfsert. 
Diese Vergröfserung scheint nicht nur der Ausdruck einer Membranquellung 
zu sein, vielmehr scheint die ganze Spore gequollen und etwas mehr ab¬ 
gerundet. Der Glanz ist verloren, die Sporen erscheinen matt. Die Membran 
hebt sich deutlich ab und bildet eine hellere Zone um die gequollene Spore 
herum. Weiterhin strecken sich die Sporen wieder etwas mehr, bis plötz¬ 
lich um 

6 Uhr 15 Min. Spore Nr. 1 deutlich schräg polar auskeimt Die Mem¬ 
bran ist, wenn auch stark verquollen, deutlich sichtbar und centralwärts 
macht sich ein stärker lichtbrechender Ring an derselben bemerkbar. Das 
junge Stäbchen kommt spitz aus der Membran heraus. 

6 Uhr 35. Spore Nr. 3 keimt deutlich polar aus. Es lassen sich an 
der Sporenmembran zwei verschiedene Schichtungen unterscheiden. Spore und 
junges Stäbchen sind von einem feinen, hellen Hof umgeben. An der Keim¬ 
membran der Spore Nr. 1 zeigt sich die cirkuläre, verschieden lichtbrechende 
Schichtung derselben noch deutlicher. 

7 Uhr 10 Min. Spore Nr. 3 hat die äufsere Membran abgestreift und 
ist deutlich von einer zweiten, vielleicht etwas weniger stark lichtbrechenden 
Membran umgeben Die erste Membran liegt sichelförmig neben dem aus¬ 
keimenden Stäbchen ; letzteres ist vorn zugespitzt und ein wenig gekrümmt. 
Spore Nr. 1 läfst jetzt ebenfalls deutlich zwei Membranen, eine äufsere stärker 
lichtbrechende, und eine innere hellere erkennen. Nr. 2 ist gleichfalls deut¬ 
lich polar ausgekeimt. Auch hier eine Schichtung der Keimmembran. Die 
äufsere Membranschicht beginnt bereits sich abzustreifen. 

7 Uhr 15 Min. Das Präparat wurde nochmals Herrn Prof. Lehmann 
zur Beurteilung übergeben. Derselbe konstatierte: 

1. Schräg polares Auskeimen von Stäbchen Nr. 1, das nochmals ge¬ 
zeichnet wurde; deutlich polares Auskeimen von Stäbchen 2 und 3. 

2. Die drei ausgekeimten Sporen lassen mit Sicherheit 2 verschieden 
starke Membrane erkennen, von denen die äufsere als derbere, Exine, die 
innere als weniger starke Intine unterschieden werden können. 

3. Die Stäbchen sind unbeweglich. 

Auch Sporen Nr. 8, 10 und 11 scheinen Keimung vorzubereiten; die¬ 
selbe konnte jedoch nicht mehr beobachtet werden. 


Digitized by v^.ooQle 



86 Über die Konstanz der Sporenkeimung Hei den Bacillen etc. 

Gleichzeitig mit dieser Untersuchung wurde eine andere Stelle des 
Präparats beobachtet und gezeichnet. Sie zeigt im wesentlichen das Gleiche. 

4 Uhr. Sporen a, g stark lichtbrechend, von fast cylindrischer Form, 
scharf konturiert. 

5 Uhr 30 Min. Sporen a, b, c, d, e stark verquollen, sowohl Membran 
als auch der protoplasmatische Inhalt weniger lichtbrechend. Die Form ist 
jetzt fast vollkommen oval. 

6 Uhr 35 Min. Sporen a, b und d ausgekeimt, a und b deutlich 
zwei Membranen, a deutlich polare Auskeimung, b dagegen schräg polar. 

6 Ühr 55 Min. Spore c ausgekeimt, deutlich polar, zwei Membranen, 
auch Spore d läfst zwei Membranen erkennen. 

Bact. Petroselini 21. XI. (Siehe Tafel, Fig. 3.) Kontrollversuch. 

Versuch unter Kontrolle von Herrn Prof. Lehmann angestellt. Material 
aus der Originalkultur, an der Luft getrocknet, mit Agar beschickt. 32 bis 
34° C. 

12 Uhr 55 Min. 13 Sporen werden im Gesichtsfelde fixiert und sogleich 
gezeichnet. Sporen fast cylindrisch, stark lichtbrechend, scharf konturiert. 

2 Uhr 40 Min. Sporen 1, 5, 6, 7, 9, 11, 12, 13 haben sich bedeutend 
vergröfsert, etwas abgerundet und ihren Glanz vollkommen verloren. Sporen 
1, 5, 6 lassen die Membran deutlich vom protoplasmatischen Inhalt der 
Sporen unterscheiden. 

4 Uhr 5 Min. Spore 1 keimt polar aus; jedoch ist die Spitze des Stäb¬ 
chens schräg abgeknickt. Spore 5 streng polar gekeimt. Die Membran zeigt 
sich schärfer konturiert und läfst bei deutlicher Einstellung zwei verschiedene 
Lichtbrechungssphären innerhalb derselben unterscheiden. In diesem Fall 
konnte ich den ganzen Vorgang des Auskeimens beobachten, derselbe dauerte 
ca. 20 Minuten vom ersten Hervorbrechen des Stäbchens bis zu diesem 
Stadium und machte den Eindruck, als wenn das keimende Stäbchen die 
Membran mehr und mehr spannt, und dieselbe plötzlich sprengt. Nach 
ihrem Zerreifsen zieht sich die Membran allmählich zusammen und wird so 
stärker lichtbrechend. Gleichzeitig sind auch Sporen 6 und 13, beide jedoch 
deutlich schräg polar, ausgekeimt. Auch Spore 13 läfst mit Sicherheit zwei 
verschiedene Lichtbrechungssphären innerhalb der Keimmembran unter¬ 
scheiden. 

5 Uhr 35 Min. Spore 11 keimt deutlich polar aus. Indessen haben 
Spore 1 und 13 ihre erste Membran abgestreift und lassen deutlich eine 
zweite Membran an dem Stäbchen erkennen. Bei genauem Einstellen zeigt 
die abgestreifte Membran von Spore 13 ein seitliches Loch. Das aus Spore 5 
hervorgebrochene Stäbchen ist etwas gewachsen; die beiden Membranen 
lassen sich jetzt deutlicher unterscheiden; je nach der Einstellung erscheint 
die Exine oder Intine hell oder dunkel. Gleiches zeigt Spore 6. Hier hat 
sich das Stäbchen schon vollkommen von der Membran befreit und ist her¬ 
ausgeschlüpft; diese läfst deutlich eine doppelte Schichtung erkennen. Ein 
höchst eigenartiges Verhalten zeigt Spore Nr. 12. Das Stäbchen ist hier 


Digitized by v^.ooQle 



Von Dr. Georg Caspari. 37 

schräg polar ausgekeimt, jedoch nach rückwärts gekrümmt und an dem 
oberen Ende kolbenförmig verdickt. Die Membran zeigt zwei Schichten. 

6 Uhr 15 Min. Die Stäbchen aus Sporen 1 und 13 haben die erste 
Membran vollkommen abgestreift und beginnen sich von der zweiten Mem¬ 
bran zu emanzipieren. Diese Beobachtungen lassen keinen Zweifel darüber, 
ob in diesem Falle zwei Membranen vorhanden waren und abgeworfen 
wurden. Sonst konnte etwas Neues nicht konstatiert werden. Die Beobach¬ 
tungen wurden noch bis 9 Uhr abends fortgesetzt; während dieser Zeit 
keimten auch Sporen 7 und 9 aus. Die Auskeimung von Spore 7 könnte 
man als äquatorial bezeichnen mit einer schrägen Richtung des Keimstäb- 
cbens. Spore 9 keimt polar; somit lassen sich nur bei sehr gutem Willen 
zwei Membranen erkennen. Bis 9 Uhr waren somit alle differenzierten 
Sporen ausgekeimt. Die Sporen Nr. 2, 3, 4, 8,10 zeigten von vornherein keine 
Neigung zum Keimen und hatten sich auch bis 9 Uhr abends noch nicht 
verändert. 

Fasse ich die Resultate dieser beiden Versuche, welche durch 
die übrigen von mir angestellten, hier aber nicht mitgeteilten, 
unterstützt wurden, zusammen, so läfst sich feststellen: 

1. dafs die Keimungsart von B. Petroselini grofse Variabilität 
zeigt, 

2. dafs nämlich die Membran sich deutlich in zwei Hüllen 
auflösen und dieselben nacheinander abwerfen kann, dafs aber 
auch in gewissen Fällen während der ganzen Keimung stets nur 
eine Membran zu beobachten ist, 

3. dafs das junge Stäbchen sowohl polar als auch schräg polar, in 
zwei Fällen sogar deutlich äquatorial aus der Membran hervorbrach 
(Tafel, 5 Uhr 35 Min. Spore 12; Tafel, Spore 7, 8—9 Uhr), 

4. dafs nicht alle Sporen gleichzeitig keimen, und einige 
überhaupt keine Neigung zum Auskeimen besitzen. 

4. Bacterium fllamentosum E. Klein. 

Burchard hebt hervor, dafs die Keimungsbeobachtungen dieses Bak¬ 
teriums von vornherein dadurch etwas erschwert wurden, dafs es ihm in 
keiner Weise gelingen wollte, völlig reines Sporenmaterial zu erhalten. »Die 
Zellhaut scheint bei dieser Art besonders resistent zu sein, wodurch sich 
auch die relativ sehr langsam vor sich gehende Keimung erklären mag.« 
Bei anfangs 31, nach 1 Stunde 20 Min. auf 35° C. erhöhter Temperatur 
zeigten von 4 Sporen 3 nach 1 Stunde 10 Min. eine deutliche Trübung und 
Anschwellung; eine von ihnen besonders war kreisrund geworden und keimte 
nach 5 Stunden 10 Min. polar aus, wobei sich die Sporenmembran seitlich 
etwas abhob. Dieses Abheben soll wohl das Charakteristicum dieser Keimungs¬ 
art sein; denn als bis zum nächsten Morgen das »kräftig herangewachsene 


Digitized by v^.ooQle 



88 Über die Konstanz der Sporenkeimurig bei den Bacillen etc. 

Stäbchenc die alte Sporenmembran zur Hälfte abgestreift hatte, >hob sich 
dieselbe deutlich von dem Stäbchen als heller, umfassender Bogen ab.< 
Gleichzeitig mit Spore 1 keimte auch Spore 2 polar. Es ist ferner noch her¬ 
vorzuheben, dafs zwei von den vier Sporen, obwohl sie von vornherein 
Differenzierung im Sinne einer Keimung gezeigt hatten, erst nach 36 Stunden 
auszukeimen begannen. Es keimten also von vier: 2 Sporen nach 5 Stunden 
10 Min., 2 Sporen nach 36 Stunden. Leider hat Burchard nicht angegeben, 
wie die Keimung bei den letzten beiden Sporen verlief. Es scheint vielmehr, 
als ob nur die eine der vier Sporen in besonderer Weise keimte und so ein 
Charakteristikum lieferte. Auch gibt Burchard nicht an, ob er überhaupt 
mit diesem Bakterium noch mehr Keimungen beobachtet hat, was er sonst 
fast niemals zu vergessen pflegt. Ferner fehlte auch zu meinem grofsen Be¬ 
dauern die Angabe, wie alt die Kultur war und woher sie stammte. 1 ) 

Meine eigenen Untersuchungen wurden mit einem 
Material vorgenommen, das, wie schon erwähnt, von Kral bezogen 
war, jedenfalls also noch länger auf künstlichen Nährböden ge¬ 
züchtet, als das Burchardsche gewesen ist. Die ersten Kei¬ 
mungsbeobachtungen, welche ich mit diesem Bakterium vornahm, 
setzten mich durch ihre Eigentümlichkeit sehr in Erstaunen, und 
auch Herr Prof. Lehmann, dem ich dieselben zeigte, war zu¬ 
nächst versucht, an einen ganz neuen, bisher noch nicht be¬ 
obachteten Keimungsmodus zu denken. Ich habe eine gröfsere 
Reihe Untersuchungen mit diesem Material angestellt, welche 
alle dasselbe zeigten. 

Bacterium filamentosum E. Klein. 26. XI. (Siehe Tafel, Fig. 4.) 

Material stammt aus der Originalkultur, wurde an der Luft fixiert, mit 
Agar beschickt und bei 32—34° C. beobachtet. 

12 Uhr. Reines Sporenmaterial, sogleich gezeichnet; Sporen stark licht¬ 
brechend, scharf konturiert, länglichoval bis cylindrisch, niemals kugelig, 
im Querschnitt kreisförmig. 

12 Uhr 45 Min. Sporen b, c, i, o, p verlieren ihren Glanz und lassen 
eine geringe Vergröfserung erkennen, welche allmählich immer stärker wird 
und sich auch bei einzelnen anderen Sporen zeigt. 


1) Ich halte diese Angabe für besonders wichtig aus dem Grunde, weil, 
wie ich im U. Teil noch näher auszuführen Gelegenheit nehmen werde, ich 
aus meinen vergleichenden Untersuchungen der Keimungsvorgänge von altem 
und jungem Sporenmaterial die Überzeugung gewonnen habe, dafs das Alter 
der Kultur wesentlichen Einflufs auf die Keimungsart auszuüben imstande 
ist Burchard scheint sein Material von Klein erhalten zu haben, also 
nicht mit einer frisch gezüchteten Art gearbeitet zu haben. 


Digitized by v^,ooQle 



Von Dr. Georg Caspari. 


89 


3 Uhr 15 Min. Innerhalb der gequollenen Sporen eine Differenzierung 
des Protoplasmas, welche den Eindruck hervorruft, als ob sich die Spore zu 
teilen beginne. Es läfst sich deutlich in der Mitte desselben eine je nach 
der Mikroskopeinstellung helle oder dunkle Querleiste erkennen. Eine ge¬ 
nauere Untersuchung, welche zugleich mit Herrn Prof. Lehmann vorge¬ 
nommen wurde, machte uns wahrscheinlich, dafs es sich um eine c-förmige 
Krümmung des keimenden Stäbchens innerhalb der Sporenmembran handelt. 
Infolge der Kleinheit der Sporen ist es sehr schwer, ein vollkommen deut¬ 
liches Bild des ganzen Vorganges zu bekommen. Selbst stärkere Okulare 
halfen nur wenig. Ich habe mich bemüht, nur das in den beigefügten 
Zeichnungen aufzunehmen, was mit den mir zu Gebote stehenden Hilfsmitteln 
deutlich zu erkennen war. Bis 

5 Uhr 20 Min. sind schon einige Auskeimungen zu verzeichnen und 
Stäbchen b ist schon geteilt. Herr Prof. Lehmann, der nochmals eine 
genaue Untersuchung vornimmt, konstatiert, dafs die Stäbchen c-förmig in 
der Membran eingeschlossen sind, und dafs die Keimung selbst derart vor 
sich geht, dafs das keimende Stäbchen, in dem Bestreben, sich zu strecken, 
die Membran sprengt. Die Einrifsstelle der Membran ist sehr variabel, ge¬ 
wöhnlich scheint sie jedoch äquatorial zu sein. Die Membran streift sich 
allmählich über das sich langsam streckende Stäbchen zurück. Auf diese 
Weise kann die Auskeimung sowohl deutlich polar Spore k -f- m, als auch 
schräg polar, Spore g, als auch mehr oder weniger äquatorial, Spore i er¬ 
scheinen. Ein eigentümliches Verhalten zeigen die Sporen a, b und o. Hier 
hat sich das Stäbchen schon etwas mehr von der Membran befreit. Die 
Keimung von Spore a zeigt Ähnlichkeit mit dem Modus der polaren; hier 
ist es dem einen Stäbchenende gelungen, sich zuerst aus der Membran her- 
auszudrängen. Anders Stäbchen b und o; hier waren beide Stäbchenenden 
in der Membran eingeschlossen, so dafs ein Strecken derselben verhindert 
war. Bei der fortschreitenden Keimung wurde die Membran an dem Punkte 
der gröfsten Zerrung, d. i. äquatorial gesprengt, und zwar bei b an der kon¬ 
vexen Seite des* Stäbchens, bei o an der konkaven. 

Das Präparat wurde bis zum Abend beobachtet und über Nacht unter 
dem erwärmten Mikroskop gelassen. 

Am 27. XI. zeigte sich um 8 Uhr 25 Min. nur minimales Wachstum. 
Sporen resp. Stäbchen aus a, b, c, d, g, i, k, 1, m, o, p, q, r, waren variabel 
ausgekeimt. Das Weiterwachstum der ausgekeimten Stäbchen aber derart 
gering, dafs Stäbchen p immer noch erst einmal geteilt, indes alle anderen 
Stäbchen ungeteilt waren. Alle Stäbchen waren unbeweglich. 

10 Uhr 55 Min. Stäbchen g und 1 geteilt. Die Köpfchen an den Enden 
der Stäbchen sind jetzt vollkommen verschwunden. 

Am 28. XI. war das Wachstum nur minimal vorgeschritten. Stäbchen i 
war etwas in die Länge gewachsen und zeigte in der Mitte die Anlage einer 
Spore. Sporen f, e und h unverändert im Sinne einer Keimung. 

Bacteriumfilamentosum. 29 X1. (Tafel, Fig. 5.) 

Die Abbildungen sind stark vergröfsert gezeichnet und nach den Vor¬ 
stellungen, die ich mir gebildet habe, schematisiert. Bei diesem Versuche 


Digitized by v^,ooQle 



90 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc. 

habe ich in den entscheidenden Momenten stet« Herrn Prof. Lehmann 
hinzugezogen, welcher auch einen Teil der in Fig. 5 wiedergegebenen 
Zeichnungen entworfen hat. Der Versuch zeigte im wesentlichen das gleiche 
wie alle anderen Beobachtungen: Eine Differenzierung des Protoplasmas, 
als ob die Spore durch eine Brücke geteilt würde; allmählich läfst der Inhalt 
ein c-förmig gebogenes Stäbchen erkennen. Die Membran reifst an höchst 
variabler Stelle ein und kontrahiert sich auch unregelmäfsig, so dafs das 
keimende Stäbchen sowohl polar als schräg polar, als auch äquatorial aus 
ihr hervorbricht. Auffallend geringes Wachstum. Stäbchen unbeweglich. 

Es ist also zu konstatieren, soweit unsere optischen Hülfs- 
mittel reichen: 

1. uns stets im Innern der keimenden Spore das Stäbchen 
gekrümmt angelegt erschien: 

2. dafs die Membran vorzüglich äquatorial einreifst, die 
späteren Lageverhältnisse zwischen Membran und Keimstäbchen 
aber im höchsten Grade variabel sind, 

3. dafs das keimende Stäbchen anfangs im Innern der Spore 
an den Enden verdickt scheint, später jedoch einem gewöhnlichen 
Stäbchen ähnlich wird. 

5. B&cterium angulans Burchard. 

Burchard hat zur Untersuchung dieses Bakterium« 10 Tage altes 
Material, das er selbst gezüchtet hat, herangezogen. Die Keimung erfolgte 
nach 2 Stunden 15 Minuten. Im Verlauf der Keimung schwellen die beiden 
beobachteten Sporen stark an, werden matt und bekommen eine fast kugel¬ 
runde Form; trotzdem war Burchard stets im stände, in der Keimungs¬ 
membran einen äquatorialen Itifs, durch den das keimende junge Stäbchen 
hervortrat, zu erkennen. Die jungen Stäbchen sind gleich nach der Aus¬ 
keimung auffallend plump und dick, werden jedoch besonders am nächsten 
Tage, also vor der Sporenbildung schmäler und kürzer, an den Enden 
sind sie jetzt auch nicht mehr, wie früher, abgerundet, sondern scharf ab¬ 
gestutzt, so dafs sie beinahe viereckig erscheinen. 

Da meine Keimungsbeobachtungen im wesentlichen 
mit denen Burchards übereinstimmen, begnüge ich mich, nur 
einzelne Besonderheiten hervorzuheben, anstatt die ganzen Ver¬ 
suche in extenso vorzuführen. Auch bei mir keimte Bacterium 
angulans äquatorial, nachdem sich die Spore etwas abgerundet 
hatte, die Keimungszeit war im höchsten Grade schwankend. 
Das Charakteristicum jedoch, den höchst eigentümlichen Vorgang 
der Formveränderung an den Stäbchen, habe ich niemals be¬ 
obachten können. Bei meinen Versuchen waren die Stäbchen 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Georg Caspari. 


91 


nicht gerade auffallend plump, aber an den Kanten stets ab¬ 
gerundet; eine nachmalige Verkürzung derselben konnte ich trotz 
vieler und genauer Versuche niemals bemerken. Da die Stäb¬ 
chen unbeweglich waren, und auch kein zu lebhaftes Wachstum 
zeigten, gelang es mir, sie einige Tage unter einem Mefsapparat 
zu beobachten; ich habe jedoch niemals eine Verkürzung an 
demselben Bakterium beobachtet. Längere und kürzere Stäbchen 
kamen allerdings vor. Obgleich ich auch mehrfach Sporenbildung 
beobachten konnte, war eine Formveränderung im Sinne Bur- 
chards nicht zu konstatieren. 

6. Bacillus loxosporus Burchard. 

Burchard hat beobachtet, dafs die Sporen des Bacill. loxosporns (um 
10 Uhr bei 34° C., von 11 Uhr ab 35° C., von 1 Uhr ab 36° C. beobachtet!) 
bis 1 Uhr 50 Min. keine Veränderung zeigten, dafs sich dann >die Sporen¬ 
haut in zwei halbkugelige Hälften auseinanderklappt, aber nur aus der einen 
Hälfte das Stäbchen auskeimt. Es ist dies also ein äquatoriales Zerreifsen 
der Sporenhaut, aber ein polares Keimen,« >Es zeigte sich« bei näherer 
Durchsuchung des Präparats, »dafs dieses eigenartige Aufklappen der Sporen¬ 
membran in zwei halbkugelige Hälften bei der Keimung aller Sporen auf- 
tritt, also ein für diese Art besonders charakteristisches Merkmal ist«. Leider 
ist auch hier wieder nicht erwähnt, wie alt das Material war, mit dem die 
Untersuchung vorgenomraen wurde. 

Für meine eigenen Untersuchungen stand mir leider nur ein 
Material zur Verfügung, welches infolge seiner Kleinheit nur 
wenig instruktiv war. Dasselbe war, wie schon erwähnt, von 
Kral bezogen und wohl schon auf die verschiedensten Nährböden 
übergeimpft worden. Aus der Reihe meiner Beobachtungen will 
ich nur einen herausgreifen, welcher das, was ich gesehen habe, 
zeigen möge. 

Bacillus loxosporus 4. 

Material aus der Originalkultur, an der Luft getrocknet, mit Agar ver¬ 
sehen, bei 32—34° C. beobachtet. 

10 Uhr 45 Min. Sporen sehr klein, oval, stark lichtbrechend, scharf 
konturiert. 

12 Uhr. Alle Sporen haben ihren Glanz verloren und erscheinen stark 
verquollen, ovale Form; jedoch an einzelnen Sporen eine minimale Längs¬ 
streckung. 

12 Uhr 20 Min. Einige Sporen zeigen grofse Ähnlichkeit mit den 
keimenden Sporen von Filamentosum: In der Mitte eine helle oder dunkle 
Protoplasmabrücke und an den Rändern eine mondsichelförmige Differen¬ 
zierung. Es hat den Anschein, als wollte die Spore sich teilen. 


Digitized by CjOOQle 



92 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Baeillen etc. 

12 Uhr 45 Min. Die Sporen haben sich noch mehr gestreckt, so dafs 
sie den Eindruck von Stäbchen hervorrufen. 

1 Uhr 20 Min. Die Stäbchen sind vollkommen ausgewachsen, einige 
geteilt. Bei genauem Zuschauen kann man auch noch an den Enden einiger 
Stäbchen eine dunklere Kontur unterscheiden. Der Moment des Zerreifsens 
der Membran war infolge der Kleinheit der Sporen trotz sorgfältiger und 
andauernder Beobachtung nicht zu erkennen. 

Ich habe im ganzen ca. 30 Untersuchungen von loxosporus auf 
das Sorgfältigste beobachtet; ich konnte jedoch das, was Burchard 
konstant an allen Sporen beobachtete, nie wieder entdecken. 

Wie aus den eben mitgeteilten Resultaten aus den von mir 
mit Burchard sehen Bakterienarten vorgenommenen Unter¬ 
suchungen zu ersehen ist, stimmten meine Beobachtungen mit 
den von Burchard mitgeteilten nur in den seltensten Fällen 
genau überein. Zuweilen jedoch waren die Differenzen so be¬ 
deutend, dafs ich versucht war, anzunehmen, ich hätte nicht mit 
reinem Sporenmaterial gearbeitet, oder aber die Keimungsart 
einiger Bacillen, ihr Hauptkeimungsmodus zeigte sich derart von 
dem von Burchard angegebenen Charakteristicum abweichend, 
dafs ich überhaupt an eine andere Bakterienart denken mufste. 
Immer konnte ich aber durch den Vergleich der morphologischen 
und physiologischen Nachuntersuchung die Identität der betreffen¬ 
den Art feststellen. 

Dafs Burchard das, was er seiner Arbeit angibt, gesehen 
hat, davon bin ich vollkommen überzeugt, glaube aber, dafs 
er in gewissen Fällen zu schnell eine zufällig im Mikroskop 
beobachtete Keimungsvariation als charakteristisch für die unter¬ 
suchte Bakterienart annahm, ohne die Art genügend beobachtet 
zu haben. Da ich bei keiner der Burchard sehen Bakterien¬ 
arten, die ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, den von Bur¬ 
chard als konstantes Charakteristicum angegebenen Keimungs¬ 
modus als konstantes Merkmal erkennen konnte, habe ich noch 
einige frisch gezüchtete Arten auf die Konstanz in dem 
Auskeimungsmodus untersucht. Es kam mir dabei naturgemäfs 
weniger auf die Frage, wie das betreffende Bakterium keimte, 
an, sondern vielmehr, wie viel Einzelindividuen derselben Art 
den vollkommen gleichen Keimungsmodus zeigten. 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Georg Caspari. 93 

Im Nachfolgenden habe ich einige dieser Untersuchungen 
aus meinem Protokoll ausgewählt. 

7. Bacillus gangränosus pulpae ArkÖvy. 

Dieser Bacillus wurde von Zahnarzt Zierler im hiesigen Institut isoliert 
und seine Keimung untersucht. Demselben verdanke ich auch das Material 
zu meinen Untersuchungen, von denen ich nur eine hier anführen will, 
zumal sie aufser den Studien über die Konstanz nichts Neues zu bieten 
vermögen. 

Das Material konnte trotz sorgfältigster Vorbehandlung nicht voll¬ 
kommen von vegetativen Elementen befreit werden. Um das Präparat 
deutlicher zu machen, wurde eine Reinkultur */* Stunde lang auf 80° C. 
erwärmt, alsdann auf einem Deckglase fein verstrichen, an der Luft 
getrocknet, mit Agar versehen. 

11 Uhr 45 Min. 8 Sporen gezeichnet; Form länglich oval, im Quer¬ 
schnitt rund, stark lichtbrechend, scharf konturiert. 

12 Uhr 15 Min. Sporen Nr. 2, 3, 6, 7, 8 beginnen trüber zu werden 
und in der ganzen Circumferenz gleichmäfsig zu verquellen. 

12 Uhr 25 Min. Sporen 4 und 5 gleich fallls verquollen. Sporen 2, 3, 
7 und 8 haben sich etwas abgerundet, ohne jedoch kugelig zu sein. Bei 
scharfem Zusehen kann man bei Spore 8 äquatorial eine minimale Aus¬ 
buchtung erkennen. 

I Uhr 30 Min. Die Ausbuchtung von Spore 8 läfst sich deutlich als 
ein keimendes Stäbchen erkennen, das sich vollkommen äquatorial durch 
die Membran hindurchdrängt und um 1 Uhr 30 Min. schon geteilt ist. Sporen 3 
und 7 ebenfalls streng äquatorial gekeimt. Keimstäbchen vorne verbogen 
und zugespitzt. Spore 2 und 5 dagegen deutlich schräg polar ausgekeimt, 
wobei auch die Einrifsstelle der Membran polarwärts verschoben erscheint. 

4 Uhr. Die Keimstäbchen, anfangs unbeweglich, werden gewöhnlich 
nach der 1. Teilung beweglich. Zuweilen haftet ihnen noch, selbst wenn 
sie schon zu langen Fäden ausgewachsen sind, die Sporenmembran in Form 
einer Kappe an, von der sie sich, wie es scheint, zu befreien streben. Einige 
kürzere Fäden und einige Stäbchen tragen keine Membran mehr. Das zuerst 
aus der Spore heraustretende Stäbchen scheint keine Geifseln zu besitzen 
und zuweilen läfst sich beobachten, wie an einem langen Faden nur die 
ältere Hälfte beweglich ist, während die jüngere entweder still liegt oder 
passiv mitbewegt wird. 

8. Aus der Luft gezüchteter Bacillus, 
in den Formenkreis von Bacillus subtilis gehörend, von Herrn Professor 
Lehmann erhalten. 

Das Material w’urde auf einem Deckglase fein verstrichen, an der Luft 
getrocknet, mit Agar versehen und bei 32—34° C. beobachtet. 

II XJhr. Es werden einige Sporen im Gesichtsfelde fixiert und sogleich 
gezeichnet. Dieselben sind stark lichtbrechend, mit scharfer Kontur ver¬ 
sehen, cylindrisch, an den Kanten etwas abgerundet. Zwischen ihnen einige 
einzelne Stäbchen verstreut, einige zu Fäden vereinigt. 


Digitized by v^ooole 



94 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc. 

12 Uhr 15 Min. Einige Sporen verlieren ihren Lichtglanz. Membranen 
verquollen, sowie der ganze Umrifs der Sporen mit feinen Ausbuchtungen 
versehen. Sporen vollkommen kugelig. 

12 Uhr 30 Min. Plötzlich bricht aus Spore Nr. 6 eine Vorwölbung 
äquatorial, wie es scheint, und ein wenig gekrümmt hervor und schiebt sich 
langsam weiter heraus. Auch an anderen Sporen ist das Gleiche zu beob¬ 
achten. 

1 Uhr. Einige Stäbchen haben ihre Sporenmembran abgestreift. Ein 
ungeteiltes Stäbchen, das etwas gröfser ist als die anderen, ist durch schlän¬ 
gelnde Bewegung bemüht, von seiner Membran loszukommen. Bei Spore 4 
hatte ich Gelegenheit, den ganzen Vorgang der Keimung in allen Phasen zu 
beobachten (vgl. Tafel, Fig. 6). Nachdem die Spore vollkommene Kugelform 
angenommen, zeigen sich an der Peripherie hellere und dunklere Partien, 
bei denen man infolge der starken Verquellung nicht mit Sicherheit ent¬ 
scheiden kann, ob sie sich allein auf die Membran oder auch auf den proto¬ 
plasmatischen Inhalt beziehen (a). Weiterhin zeigt sich die Oberfläche mit 
ganz feinen und nicht immer konstanten Verwölbungen versehen (b), welche 
jedoch verschwinden, je mehr sich nach einer Seite hin ein konischer 
Fortsatz hervordrängt. Dieser Fortsatz ist vielleicht etwas weniger licht- 
brechend als die keimende Spore (c) und je weiter sein Wachstum fort¬ 
schreitet, umso deutlicher wird diese Lichtdifferenz (d), ein Zeichen, dafs 
die Membran durchrissen ist und sich zurückzuziehen beginnt. Das junge 
Stäbchen drängt jetzt weiter aus der Membran heraus, und die Membran 
zieht sich langsam über ihm zurück (e und f), um schliefslich als ein scharfer 
Kontur dem einen Stäbchenende anzuhaften (g). Innerhalb der Sporen¬ 
membran macht sich jetzt ein hellerer Lichthof bemerkbar, der anzudeuten 
scheint, dafs sich das junge Stäbchen von der Membran befreit. Das vorher 
im Verhältnis zur Sporenmembran und zu den bereits ausgeschlüpften 
Stäbchen auffallend helle Keimstäbchen wird an seinen Konturen wesent¬ 
lich dunkler, bis eine scharfe Linie die Stäbchenmembrnn erkennen läfst (g, h, i). 

Welcher Art in diesem Falle die Keimung war, ist unmög¬ 
lich festzustellen, wenn man nicht aus der früheren Lage der 
Spore Rückschlüsse macht. Das frisch ausgeschlüpfte Stäbchen 
scheint gewöhnlich nicht sogleich mit Geifseln versehen zu sein, 
es kommen jedoch auch soeben ausgekeimte Stäbchen zur Be¬ 
obachtung, welche, kaum vollkommen aus der Sporenmeinbran 
hervorgequollen, schon in deutlicher, sehr angestrengter Bewe¬ 
gung bemüht zu sein scheinen, von derselben loszukommen. 
Derartige Zustände konnten bei Durchsuchung des Präparats in 
grofser Anzahl konstatiert werden. Der gröfsere Teil der Stäb¬ 
chen ist im Bestreben, die Sporenmeinbran abzustreifen, er¬ 
folgreich. 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Georg Caspari. 


95 


Die Sporenbildung war schon nach 24 Stunden nach der Aussaat voll¬ 
endet. Sie geht derart vor sich, dafs ein Teil des Protoplasmas sich diffe¬ 
renziert, aber im Gegensatz zum gewöhnlichen Typus derart, dafs sich in dem 
Stäbchen, mehr dem einen Ende genähert, eine helle Zone des Protoplasmas 
ungefähr in der Gröfse der reifen Spore sondert, in der Form jedoch mehr 
oval als cylindrisch. Diese Sporenanlage scheint den übrigen Teil des Proto¬ 
plasmas aus dem Stäbchen in sich aufzunehmen; denn sie wird, zuerst hell 
erscheinend, allmählich stärker lichtbrechend, bis sie mehr der cylindrischen 
Form sich nähernd, vollkommen einer reifen Spore gleicht. Nach 12 Stunden 
kann das ganze Stäbchenprotoplasma zur Spore verwandelt worden sein, so 
dafs nur noch die Stäbchenmembran die reife Spore umschliefst. In vielen, 
vielleicht den häufigsten Fällen, schwindet auch sie sehr schnell. 

Von den vielen weiteren Beobachtungen in dieser Art beschreibe ich 
nur noch eine. Material in bekannter Weise behandelt; Agar, 32—34° C. 

Nach 2 Stunden begann die erste Keimung, soweit zu erkennen, äqua¬ 
torial. Doch waren bei manchen äquatorialen Keimungen geringe Abw eichungen 
von der streng senkrechten Richtung des jungen Stäbchens zur Längsachse 
der keimenden Sporen zu beobachten. Eine Verschiebung der Rifsstelle nach 
den Polen zu war jedoch nicht zu erkennen. In allen Fällen ging dem eigent¬ 
lichen Keimungsakte der Sporen eine Formveränderung derselben in der Weise 
voraus, dafs dieselben sich mehr abrundeten, aber nicht immer Kugelform 
annahmen. Im allgemeinen erschienen sie mehr aufgequollen und liefsen 
mehrfach wechselnde Ausbuchtungen der Membran deutlich erkennen (Prof. 
Lehmann). Das Stäbchen ist in ca. 2 Stunden vollkommen ausgeschltipft 
und in diesem Falle w T aren die Stäbchen vor der ersten Teilung unbeweglich. 

Die ganze Entwicklung dieses Bacillus von Spore zu Spore 
dauert kaum 24 Stunden, so dafs ich in einigen Fällen sogar 
direkt die neugebildeten Sporen zur Untersuchung heranzog. Es 
zeigte sich jedoch, dafs dieses Material im Laufe der Weiter¬ 
impfungen nicht mehr so regelmäfsig keimte, dafs die Zahl der 
keimenden Sporen wesentlich verringert war und dafs auch, be¬ 
sonders in der Auskeimungszeit, grofse Schwankungen beobachtet 
wurden. 

Heubacillus 1. 

Dieses Bacterium keimt nicht so präzis wie das aus der Luft gezüchtete. 
Es wird ein Präparat an der Luft getrocknet und mit Agar versehen bei 
32—34° C. beobachtet. 

11 Uhr stark lichtbrechend, cylindrische Sporen mit Stäbchen unter¬ 
mischt, ohne Eigenbewegung. 

12 Uhr 35 Min. Sporen mehr ovale Gestalt, einige fast kugelig. Stäbchen 
lebhaft beweglich. 

1 Uhr 2 Sporen ausgekeimt, schräg äquatorial. Eine Spore (c), die sich 
kugelig abgerundet hatte, keimt ebenfalls; 9ie macht den Eindruck, als ob 
sie streng äquatorial ausgekeimt ist; jedoch nach einigen Minuten zieht sich 


Digitized by CjOOQle 



96 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc. 

die Membran an der einen Stelle etwas zurück, und die Keimung erscheint 
jetzt schräg polar. Bis zum nächsten Tage sind Sporen gebildet, mit denen 
der folgende Versuch angestellt wird. 

Heubacill us 1. 

Stäbchen durch Kochen bei 75° C. abgetötet. Agar 32—34° C. 

1 Uhr 15 Min. Sporen fast cylindrisch, wenige Stäbchen unbeweglich. 

3 Uhr. Nachdem die Sporen sich etwas abgerundet haben, keimen 
Spore 3 und 7 streng äquatorial aus. Bei Spore 7 wurde der Moment der 
Keimung gerade beobachtet. Er zeigte grofse Ähnlichkeit mit der Art, wie 
der Luftbacillus auskeimte; hier drang jedoch das junge Stäbchen gleich ein 
ganzes Ende aus dem Membranrifs hervor und die Sporenmembran kontra¬ 
hierte sich plötzlich sichtbar. 

3 Uhr ft Min. Spore 5 und 6 äquatorial ausgekeimt. 

3 Uhr 15 Min. Spore 4, vorher vollkommen kugelig, keimt mit einem 
plötzlichen Ruck, ähnlich Spore 7. Bis zum nächsten Tage Sporen gebildet, 
mit denen der folgende Versuch angestellt wird. 

Heubacillus 1. 

Stäbchen durch Kochen bei 75° abgetötet. Gelatine 32—34° C. 

4 Uhr. Sporen fast cylindrisch, Kanten etwas abgerundet, wenige 
Stäbchen unbeweglich. 

5 Uhr. Alle Sporen stark verquollen, ovale Form, Nr. 1 und 3 sehr 
stark vergröfsert. 

5 Uhr 45 Min. Spore 3 keimt mit einer Spitze dentlich schräg äqua¬ 
torial, Spore 5 streng äquatorial mit einer breiten Kappe. 

6 Uhr 5 Min. Spore 1 schräg äquatorial, Spore 4, vorher vollkommen 
kugelig, keimt mit einem plötzlichen Ruck. 

Heubacillus 2. 

Material nicht vorbehandelt, an der Luft getrocknet, mit Agar beschickt, 
bei 32—34° C. beobachtet. 

I. Versuch. Sporen stark lichtbrechend, cylindrisch, mit abgerundeten 
Kanten, zeigen nach ca. 1 Stunde 15 Minuten, nachdem sie sich fast voll¬ 
kommen abgerundet und stark vergröfsert haben, mehr weniger streng äqua¬ 
toriale Auskeimung. Es keimten von 14 beobachteten Sporen innerhalb 
4 Stunden 35 Minuten alle 12 veränderten Sporen. 

Am nächsten Morgen zeigte das Präparat reines Sporenmaterial, alte 
und neugebildete Sporen. Aus diesem wird ein Präparat für den 

II. Versuch angefertigt, Luft getrocknet, Agar 32—34° C. 

12 Uhr. 12 Sporen gezeichnet, stark lichtbrechend, cylindrisch, Kanten 
etwas abgerundet; alte und neue Sporen nicht zu unterscheiden. Spore 2 
und 7 sind etwas mehr oval und weniger lichtbrechend. 

1 Uhr. Einzelne Sporen stark verquollen, Lichtglanz verloren, und 
stark abgerundet. 

1 Uhr 30 Min. Nr. 5 keimt deutlich schräg äquatorial. Der Membran¬ 
rifs liegt etwas dem einen Pole zu, jedoch ist das junge Stäbchen nach der 
andern Seite gekrümmt. 


Digitized by v^.ooQle 



Von Dr. Georg Caepari. 


97 


4 Uhr 30 Min. Spore 1 deutlich schräg äquatorial auegekeimt, Spore 2 
und 3 unverändert, Spore 4 unverändert, Spore 5 zeigt noch deutlicher den 
schräg äquatorialen Typus. Spore 6 und 7 unverändert. Spore 8 keimt 
schräg polar mit einer seitlichen Abknickung des Stäbchens. Spore 9 deut¬ 
lich streng äquatorial. Spore 10 unverändert. Spore a und b streng äqua¬ 
torial. Der Vorgang der Keimung ist derselbe, wie er bei den früheren 
äquatorialen Auskeimungen beobachtet wurde. Bis zum nächsten Morgen 
hatte ein grofser Teil der Stäbchen Sporen gebildet; einige fanden sich 
jedoch noch in voller Beweglichkeit. Es gelang mir zufällig, hieraus ein 
Präparat zu züchten, das im Gesichtsfelde reines Sporen material zeigte. Das¬ 
selbe wurde für den 

III. Versuch mit Agar beschickt und bei 32—34° C. beobachtet. 

Von 7 beobachteten Sporen keimte 1 Spore noch ca. I Stunde 15 Min. 
Die nächsten 3 Keimungen konnten erst nach 4 Stunden beobachtet werden. 
Im weiteren Verlaufe zeigten sich die ausgekeimten Stäbchen nur selten 
frei herumschwimmend, sondern sie hatten eine ausgesprochene Neigung, zu 
langen, unbeweglichen Fäden auszuwachsen. (Beobachtet mit Herrn Prof. 
Lehmann.) 

Am nächsten Morgen zeigten einige Fäden Sporen in unregelmäfsigen 
Abständen, einige Stäbchen dieser Fäden hatten gar keine Sporen gebildet. 
Die Fäden waren deutlich, wenn auch etwas unregelmäfsig septiert. 

Zwei weitere Versuchsreihen, bei denen ich ebenfalls Sporer- 
material von Präparat auf Präparat überimpfte, zeigten mir eben¬ 
falls deutlich : 

1. dafs die Sporenkeimung unregelmäfsiger wird, 

2. dafs weniger Sporen auskeimen und auch 

3. weniger Sporen gebildet werden. 

■ // 

II. Teil. Folgerungen aus den Beobachtungen; Vergleich meiner 
Resultate mit denen meiner Vorgänger. 

Ein Blick in die Litteratur zeigt, dafs schon vor Burchard 
eine Reihe von Autoren Material zusammengebracht haben, 
welches den Beweis dafür liefert, dafs die verschiedenen Bakterien¬ 
arten unter sich vielfach verschieden keimen. Aber aus den 
gleichen Arbeiten geht gleichzeitig hervor, dafs innerhalb der¬ 
selben Bakterienart weitgehende Modifikationen des Keimungs- 

1) Pommer (B. brassicae). Ein Beitrag zur Kenntnis der fadenbildenden 
P»akterien. Mitteil. a. d. botan. Inst. z. Graz. 1886. 

Archiv für Hygiene. Bd. XL1I. 7 


Digitized by v^.ooQle 



98 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen 'etc. 


typus zur Beobachtung gelangen. Es genügt wohl als Beweis 
hierfür zu erwähnen, dafs schon Pommer 1 ) (1886) an seinem 
Bacillus brassicae gefunden hat, dafs die Sporenhaut nicht immer 
an ein und derselben Stelle durchbrochen wird, sondern manch¬ 
mal am Pol, manchmal am Äquator oder auch an andern da¬ 
zwischen liegenden Punkten; dafs ferner Grethe 1 ) ein Jahr vor 
Burchard an einem aus einem Papagei gezüchteten, sowie 
einigen Heubacillen ebenfalls alle Übergänge von der polaren 
bis zur äquatorialen Keimung beobachten konnte. »Durch diesen 
letzten Befund«, schreibt Mühlschlegel 2 ), »erklären sich 
auch die auseinandergehenden Beobachtungen von Cohn und 
Prazmowski. Jener sah die Sporenkeimung des Bacillus subtilis 
polar, dieser äquatorial auskeimen.« Die Cohnsche Arbeit ist 
1876, die Prazmowski sehe 1880 erschienen. Burchard s 
Arbeit ist erst 1898 gedruckt worden. Trotzdem schreibt er auf 
Seite 56: »Bei der Keimung beobachtete ich ausnahmslos, 
dafs dieselbe bei jeder Art in einer unveränderlichen und 
für die Art durchaus charakteristischen Weise stattfindet. 
Dies bestätigen ja auch die Beobachtungen der eingangs er¬ 
wähnten anderen Forscher auf diesem Gebiete, soweit sie 
sich nicht auf die blofse Angabe der Art der Keimung allein 
beschränken.« Wie vorsichtig diese Behauptung Burchards 
von der »ausnahmslosen Unveränderlichkeit« und dem charak¬ 
teristischen Wesen jeder einzelnen Bakterienart aufgenommen 
werden mufs, möge, ehe ich unsere Beobachtungen im Zusammen¬ 
hang vergleiche, an einem Beispiel gezeigt werden. Burchard 
hat die Keimung des Bacterium filamentosum nur an 4 Sporen 
beobachtet, von denen zwei nach 5 Stunden 40 Min. keimten. 
Jedoch nur eine von ihnen zeigte ein Charakteristicum, nämlich 
dafs sich die Sporenmembran »seitlich etwas abhob«. Die beiden 
andern beobachteten Sporen keimten erst am Abend des nächsten 


1) G. Grethe, Über die Keimung der Bakteriensporen. Sep.-Abdr. 
aus Fortschritte d. Medizin, Bd. 15, 1897. 

2) Mühlschlegel, Über die Bildung und den Bau der ßakterien- 
sporen. Fortschritte d. Medizin, 


Digitized by v^.ooQle 



Von Dr. Georg Cawpari. 


99 

Tages, also nach ca. 36 Stunden; ob aber auch sie die seitlich 
etwas abgehobene Membran zeigten, erwähnt Burchard gar nicht. 
Zur weiteren Beurteilung der Burchard sehen Angaben citiere 
ich aus seiner Zusammenfassung Absatz 4: »Es gibt Bakterien, 
die regelmäfsig bipolar keimen (Bacillus bipolaris)«, und zum 
Vergleich aus der Untersuchung von bipolaris, S. 36: »Sehr 
häufig sind unter zehn keimenden Sporen drei bis vier, 
die nur an einem Pole keimen«. Das sind bis zu 40°/ 0 . 

Dieses aus den Widersprüchen der Burchard sehen Arbeit 
selbst! Ich gehe jetzt zum eigentlichen Thema: Der Konstanz 
und Verwendbarkeit der Sporenkeimung über. 

Die Charakteristica, welche Burchard als »das sicherste 
diagnostische Hilfsmittel zur Erkennung der Art« empfiehlt, er¬ 
strecken sich auf folgende Punkte: 

»1. Verhalten der Sporeumembran vor der Keimung, 

»2. Verhalten der alten Sporenhaut während der Keimung, 

»3. Art der Keimung des neuen Stäbchens, 

>4. Verhalten der alten Sporenhaut nach der Keimung, 

»5. Entwicklung des neuen Stäbchens, 

»6. Zeitdauer der Keimung, und 
» 7. Temperaturve rh äl tni sse.« 

Um häufige Wiederholungen zu vermeiden, verzichte ich 
darauf, die Differenzen, welche meine Untersuchungen gegenüber 
der Burchard sehen ergeben haben, noch einmal ausführlich 
an dieser Stelle wiederzugeben; dieselben finden sich oben am 
Schlüsse jeder Untersuchung zusammengestellt. Nur das Präg¬ 
nanteste habe ich für das Folgende herausgegriffen. 

Die beiden Hauptforderungen, welche man an ein »sicherstes 
diagnostisches Hilfsmittel zur Erkennung der Art« naturgemäfs 
stellen mufs, sind neben der Möglichkeit, dasselbe überhaupt 
mit Sicherheit zu erkennen, die Feststellung, dafs es 

1. nur der betreffenden Art zukommt, oder wenigstens 

2. der betreffenden Art immer zukommt. 

7* 


Digitized by CjOOQle 



100 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc. 


Meine Untersuchungen haben wohl zur Genüge gezeigt, dafs 
diese beiden Forderungen von keinem, der von Burchard an¬ 
gegebenen diagnostischen Hilfsmittel in strengem Sinne erfüllt 
werden. Sowohl das Verhalten der Membran vor, während und 
nach der Keimung, als auch die Art der Keimung des neuen 
Stäbchens, sowie dessen weitere Entwicklung, sind bei fast allen 
von mir nachuntersuchten Arten als erheblich variabel innerhalb 
derselben Art erkannt worden: 

Die Sporenmembran von Bacterium Petroselini liefs bei 
Burchard zwei Sporenhäute erkennen, die regelmäfsig nach¬ 
einander abgeworfen wurden. Diese Beobachtung soll für B. 
Petroselini das Erkennungsmerkmal bilden. Es sind jedoch schon 
von A. Mayer 1 ) mittels Reagentien an andern Sporenmembranen 
zwei Häute als Exine und Intine beschrieben worden; ferner hat 
auch Mühlschlegel 2 ) an einer Reihe von Bacillensporen zwei 
Schichten der Membran, nämlich ein mattgraues, breiteres Endo- 
sporium und ein dünneres, als scharfe Linie erscheinendes Ekto 
spörium färberisch nachweisen können. Bei meinen Versuchen 
mit Petroselini habe ich zwar zuweilen eine zweischichtige 
Sporenhaut während der Keimung unterscheiden können, jedoch 
nur zweimal habe ich bei einer gröfseren Reihe von Versuchen 
die beiden Häute hintereinander abstreifen sehen; meistens 
waren aber auch nicht einmal die beiden Schichtungen zu er¬ 
kennen, Somit besitzt das Bacterium Petroselini Burchard 
das von seinem Entdecker angegebene Erkennungsmerkmal 
1. nicht allein 3 ), und 2. läfst es dieses Merkmal nicht immer 
erkennen. Aber auch das Verhalten und die Entwicklung des 
Keimstäbchens, der eigentliche Auskeimungsmodus des Bact. 

1) A. Mayer, Studien über die Morphologie und Entwicklungsgeschichte 
der Bakterien, ausgeführt an Astasia asterospora A. M. und Bacillus tumes- 
cens Zopf. Flora. Ergänzungsband, Bd. LXXX1V, 1897, Heft 3. 

2) a. a. 0. 

3) Burchard hat offenbar durch Übersehen der zitierten Arbeiten die 
Bedeutung seiner schönen Beobachtung von der doppelten Sporenmembran 
überschätzt, paraus erwächst ihm kein ernster Vorwurf. Ebenso halte ich 
es für möglich, dafs die von Burchard beobachteten Petroselinussporen 
alle deutlich zwei Membranen erkennen liefsen. 


Digitized by v^.ooQle 




Von Dr. Georg Caepari. 


HM 

Petroselini, den Burchard als polar beschreibt, zeigte mir weit¬ 
gehende Variationen; in einem Falle war sogarj däO; AXTskreimuflg 
deutlich äquatorial und das keimende Stäbchen, bog^ sich nach' 
dem einen Pole um (vgl. S. 86, 87). - {•-* : \{ 

Vielleicht noch gröfsere Variationen, sowohl betreffs des Ver¬ 
haltens der Membran als auch des jungen Stäbchens, beobachtete 
ich bei Bacillus goniosporus Burchard. Wie ich schon bei 
meinen Versuchen erwähnt habe, hat Burchard es unterlassen; 
das Charakteristicum, welches er während der Keimung dieses 
Bacillus beobachtete, anzugeben. Ich nehme aus seiner Be¬ 
schreibung an, dafs es auch hier wiederum in dem Verhalten¬ 
der Sporenmembran zu suchen sei, welche nach der Keimung 
»den Stäbchen als helles, durchsichtiges Mützchen« ^uifsitzt. 
Aber jeder, der sich mit Sporenkeimung beschäftigt hat, wird, 
zugeben müssen, dafs die Membran stets als helles Mützchen 
oder mehr weniger durchsichtige Kappe dem Stäbchenende auf- 
sitzt, wenn es sich nicht um ein vollkommenes Verquollen der¬ 
selben handelt. Dieses vollkommene Verquollen der Sporen¬ 
membran während der Keimung habe ich nun gerade bei Gonio¬ 
sporus unter bestimmten Bedingungen regelmäfsig erhalten. 
Nämlich, wenn ich die Untersuchungen in Gelatine vornahn}. 
Züchtete ich den Bacillus auf Gelatine weiter und untersuchte! 
ihn in Gelatine, so verquoll die Membran vollkommen,* indes 
bei einer Keimungsbeobachtung dieses auf Gelatine weiter ge¬ 
züchteten Materials im frischen Agar an der Mehrzahl der Sporen 
wieder eine Membran deutlich zu erkennen war (vgl. Versuchs¬ 
reihe Goniosporus S. 81). Nicht ganz frischer Agar zeigte stets 
an allen Sporen eine Membran. Ich glaube deshalb mit einem 
gewissen Rechte für dieses verschiedene Verhalten der Membran, 
die Verschiedenheit der Nährböden in Anspruch nehmen zu 
dürfen. Migula schreibt in seinem »System der Bakterien«, 
Sporenkeimuug S. 194: »Die Keimung ist verschieden, je nach 
dem Nährboden, in welchem sich die Spore befindet.« Koch 
hat keine Abhebung der Sporeumembran beobachten können 
»und in der That kommt es bei Bac. anthracis in flüssigen Nähr¬ 
substraten häufig nicht dazu«. In festen Nährböden spielt sich 


Digitized by CjOOQle 



102 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc. 

der Keimungspro^efs jedoch derart ab, dafs die Sporenmembran 
[polar zerteilst;: : 

Erkennen wir*‘diese Einwirkung des Nährbodens, der niemals 
ein äbsolütf konstanter ist, auf das Verhalten der Sporenmembran 
an, so erscheinen die Angaben Burchards, dafs für eine ganze 
Reihe von Arten der Grad der Verschleimung der Sporenmem¬ 
bran bei der Keimung charakteristisch sei, mindestens weiterer 
Nachprüfung bedürftig. Ich selbst konnte von Kral keine Kul¬ 
turen dieser Arten bekommen; bin jedoch subjektiv überzeugt, 
dafs auch hier ähnliche Resultate wie bei Goniosporus erhalten 
werden. 

Höchst eigentümlich war das Verhalten des keimenden Stäb¬ 
chens von Filamentosum E. Klein. Dort fand ich nicht allein 
statt der von Burchard beschriebenen einfachen polaren Kei¬ 
mung ein eigentümliches, gekrümmtes Verhalten des Stäbchens 
vor der Keimung, sondern auch die Art der Keimung war im 
höchsten Grade wechselnd, bald polar, bald äquatorial. Eine 
hypothetische Erklärung dieser Variation aufzustellen, will ich 
mir versagen, da meine Untersuchungen mir noch keine ge¬ 
nügende Stütze bilden. Erwähnt sei nur, dafs Bact. filamento¬ 
sum, sowie auch Bac. loxosporus Burchard, der sich ähnlich ver¬ 
hielt, schon längere Zeit auf künstlichen Nährböden fortgezüchtet 
worden sind. 

Auch die andern von mir nachuntersuchten Burchard* 
sehen Arten zeigten mehr weniger individuelle Variationen, welche 
ich stets am Ende jeder Untersuchung hervorgehoben habe. 

Bacillus gangränosus pulpae keimte hauptsächlich äquatorial 
bis schräg äquatorial. Eine Besonderheit im Verhalten der 
Membran war mir nicht möglich festzustellen. 

Es erübrigt nun noch auf die Keimung der von mir frisch 
gezüchteten Bacillen einzugehen. Um Wiederholungen zu ver¬ 
meiden, verweise ich auch hier wiederholt betreffs eingehenderer 
Schilderung auf den untersuchenden Teil. Fasse ich die dort 
gemachten Untersuchungen zusammen, so ist hervorzuheben, dafs 
dieselben, wenn auch nicht im Sinne Burchards konstant, so 
doch wesentlich regelmäfsiger keimten als die Burchardschen 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Georg Caspari. 


103 


Arten. Und um die Probe auf das Exempel zu machen, konnte 
ich bei dem Weiterzüchten dieser Bacillen auf künstlichen Nähr¬ 
böden unter steter mikroskopischer Beobachtung feststellen, wie 
die einzelnen Arten immer unregelmäfsiger keimten, (vgl. Ver¬ 
suchsreihe S. 93). 

Weder die Zeit, welche bis zur Keimung verstreicht, noch 
die Temperatur, welche zur Keimung notwendig ist, liefert, wie 
ebenfalls aus meinen Untersuchungen in Übereinstimmung mit 
den anderen Autoren hervorgeht, höhere und brauchbare Species- 
merkmale. 


Schlursfolgerungen. 

Es lassen sich aus diesen Beobachtungen folgende Haupt¬ 
resultate ziehen: 

1. Es gibt verschiedene Typen der Sporenkeimung, und 
dieselbe ist bei den einzelnen Arten oft recht verschieden; jedoch 
zeigt sich auch innerhalb der einzelnen Arten zuweilen grofse 
Variabilität, indem oft in sehr erheblichem Prozentgehalt ver¬ 
schiedene Individuen wesentliche Abweichungen von dem für die 
Art festgesetzten Typus bilden. 

2. Die Thatsache, dafs bei der gleichen Bacillenart, je nach 
dem Nährboden, die Sporenmembran bald deutlich abgeworfen 
wird, bald vollkommen verquillt und dann verschwindet, mufs 
bei Verwendung dieser Eigenschaft zur Artdiagnose sehr berück¬ 
sichtigt werden. 

3. Die Variabilität wächst mit dem Weiterzüchten auf künst¬ 
lichen Nährböden. Es mag darin zum Teil die Verschiedenheit 
meiner Resultate von denen Burchards begründet sein. 

4. Es gibt Bacillen mit zwei Sporenhäuten; jedoch ist 
hieraus beim gegenwärtigen Stand unserer Kenntnis kein Merk¬ 
mal zur Erkennung einer bestimmten Art zu konstruieren. 

5. Es gibt Bacillen, die bipolar keimen; jedoch zeigen bei 
den bisher beschriebenea Arten stets sehr viele Individuen ein¬ 
fach polare Keimung. 


Digitized by v^.ooQle 



104 Über die Konstanz der Sporenkeinxung bei den Bacillen etc. 


6. Ein Bedürfnis zur Aufstellung des Typus »schräg polare 
Keimung« scheint mir nicht zu bestehen. Stets finden sich bei 
polar wie äquatorial keimenden Arten eine Anzahl schräg polar 
keimender Individuen. — Spezies, die konstant schräg polar 
keimen und nicht sehr viele polar oder äquatorial keimende In¬ 
dividuen enthalten, erscheinen mir nicht ein wandsfrei beschrieben. 

7. Nimmt die Spore vor der Keimung Kugelform an, so 
wird der Entscheid, ob äquatoriale oder polare Keimung statt- 
findet, unmöglich. 

8. Aus allem Gesagten folgt als Endergebnis: 

Die Art der Sporenkeimung ist ein Artmerkmal, das volle 
Aufmerksamkeit verdient. Die Behauptung aber, dafs die Sporen¬ 
keimung für jede Art in durchaus unveränderlicher charakte¬ 
ristischer Weise verläuft und daher das sicherste diagnostische 
Hilfsmittel zur Erkennung der Art ist (Burchard), geht viel zü 
weit. Weder besitzt jede Art einen auffallend von den anderen 
Arten abweichenden Modus der Sporenkeimung, noch ist dieser 
Modus für jede Art konstant. Die Sporenkeimung variiert viel¬ 
mehr, namentlich bei der längeren Kultur der Arten fast in 
ähnlicher Weise wie die übrigen morphologischen und biolo¬ 
gischen Eigenschaften der Bakterien. 

Die Sporenkeimung ist somit wohl unter den angeführten 
Einschränkungen ein beachtenswertes, aber keineswegs ein absolut 
charakteristisches, also auch kein ausreichendes Merkmal zur 
Artcharakterisierung. 

Als ich gerade im Begriff war, Herrn Prof. Lehmann diese 
Arbeit vorzulegen, wurde mir von demselben eine bis heute 1 ) in 
zweiter Fortsetzung erschienene Abhandlung von Dr. 0. Gottheil, 
»Botanische Beschreibung einiger Bodenbacterien«, weil sie auch 
mein Gebiet streifte, zur Durchsicht übergeben. Aus derselben 
habe ich hervorzuheben, dafs sich die dort niedergelegten Beob¬ 
achtungen mit meinen Resultaten vollauf decken und eine 

1) Zweite Fortsetzung, erschienen im Centralblatt f. Bakteriologie etc. 
Zweite Abhandlung, VII. Bd., Nr. 13. Jena, 10. Juni 1901. Untersuchung 
der Keimung der Sporen, S. 456, 


Digitized by CjOOQle 



Von Pr. Georg Caspari. ]0o 

nachträgliche wesentliche Stütze für die aufgestellten Thesen zu 
bilden wohl imstande sind. 

Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Prof. Dr. Lehmann 
für die hilfreiche Unterstützung bei der Anstellung der Versuche, 
sowie für das grofse Interesse, welches derselbe dem Verlaufe 
dieser Arbeit entgegenbrachte, auch an dieser Stelle meinen 
tiefgefühltesten Dank auszusprechen. 


Digitized by v^.ooQle 



TafelerklEmng. 


Aus naheliegenden Gründen ist es unterlassen, alle auskeimenden 
Sporen in den einzelnen Phasen ihrer Entwicklung im Bilde festzuhalten; 
ich habe mich vielmehr begnügt, das Wichtigste, die Differenzen in den 
Keimungstypen derselben Art, zu fixieren. 

Fig. I. Bacillus goniosporus, frischer Agar, 32—34° C. 

Fig. II. Bacterium Petroselini, Agar, 32—34 °C. 

Fig. III. Bacterium Petroselini, Agar, 32—34° C. 

Fig. IV. Bacterium filamentosum, Agar, 32—34 °C. 

Fig. V. Bacterium filamentosum stark schematisiert. 

Fig. VI. Luftbacillus, Spore 4, in den einzelnen Phasen ihrer Ent¬ 
wicklung. 


Digitized by v^.ooQle 



Studien über die Absterbebedingungen der Sporen 
einiger Aspergillusarten. 

Von 

Prof. A. Lode. 

(Aus dem hygienischen Institute der k. k. Universität in Innsbruck.) 

Die ältere und auch die neuere Litteratur ist verhältnis- 
mäfsig reich an Beobachtungen, welche mehr oder weniger tief 
eingreifende Störungen der Gesundheit betreffen, als deren Ur¬ 
sache Schimmelpilze und zwar in überwiegender Anzahl Asper¬ 
gillusarten bezeichnet werden. Diese Erkrankungen betreffen nicht 
allein den Menschen, sondern zahlreiche Tierspezies, bei letzteren 
nicht selten die Form ausgebreiteter Epizootien annehmend, die 
den Stand der befallenen Tiere arg vermindern und wieder An- 
lafs zu Übertragungen auf den Menschen geben. 

So ist die Pneumomycosis aspergillina nach Angabe fran¬ 
zösischer Autoren 1 ) eine verhältnismäfsig häufige Beobachtung. 

In der Reihe der natürlich erkrankten Tiere scheinen die 
Vögel besonders stark vertreten. Aus einer Zusammenstellung 
der diesbezüglichen Litteratur von Schütz 2 ) in den Mitteilungen 
des kaiserlichen Reichsgesundheitsamtes ist zu entnehmen, dafs 
fast alle Vogelarten, ich erwähne das Huhn, die Taube, die Gans, 

1) Vgl. Frosch, Systematik der Fadenpilze in Flügges Handbuch der 
Mikroorganismen, II, S. 21. 

2) Schütz, Über das Eindringen von Pilzsporen in die Atmungswege 
und die dadurch bedingten Erkrankungen der Lungen. Mitteilungen aus d. 
Reichs-Gesundheitsamte, 11, S. 208. 


Digitized by CjOOQle 


108 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger x\spergillusarten 


den Schwan, Papagei, Fasan, Falken, Dompfaff, Holzhäher, 
die Schneeeule, den Straufs und Königsadler schwer und zum 
Tode führende Schimmelmykosen — vorwiegend die Lungen und 
die Luftsäcke betreffend — zeigen können. 

Von den gröfseren Haustieren sind Fälle bei der Kuh und 
beim Pferde bekannt geworden. ! ) 

Künstlichen Infektionen, besonders leicht mit aspergillus 
fumigatus, sind aufser verschiedenen Vogelarten (Gans, Taube, 
kleine Singvögel) auch Kaninchen zugänglich. Erstere, wie wir 
uns im hiesigen Laboratorium mehrfach überzeugten, am ein¬ 
fachsten, indem man die Versuchstiere in einen Raum bringt, 
in welchem sich reife, reichlich versporte Schalenkulturen, die 
man mittels eines Gebläses anbläst, befinden. Ebenso leicht 
gelingt die Infektion, wenn man die Versuchstiere mittels des 
Apparates von H. Büchner versprayte Sporensuspensionen 
einatmen läfst. 

Bei Kaninchen führt die Injektion von Sporen in die Vene 
des Ohres oder in die äufsere Jugularvene meist leicht zum Ziele 2 ), 
vorausgesetzt dafs man genügend grofse Mengen Sporenmaterials 
des Aspergillus fumigatus injiziert hatte ; als minder pathogen 
erwies sich aspergillus flavus und aspergillus niger. Wie Leber 3 ) 
zuerst beschrieb, gelingt auch die Ansiedelung des Aspergillus 
in der Hornhaut leicht, wenn man ein kleines Partikelchen des 
Pilzmyceliums in eine Homhautwunde einführte oder eine in¬ 
differente Flüssigkeit, welche Aspergillussporen suspendiert ent¬ 
hält, in das Hornhautgewebe einspritzt. 

Bei den durch Inhalation infizierten Tauben entwickelt sich 
meist nach 2—3 Tagen ein schweres Krankheitsbild; die Tiere 

1) 8. Bournay, Pneumomycose aspergillaire cbez une vache (Revue 
vdt. de Toulouse, 1895, p. 121. — Frank, Deutsche Zeitschr. f. Tiermediz. 
in vergl. Path., XVI, 1890. — Luc et, Etudes chimiques et spdrim. sur 
raspergillus fumigatus. (Boull. de la Soc. centr. de medic. vdt. 30 juin 
1894, u. a. 

2) Grawitz, Über Schimmel Vegetationen im tierischen Organismus. 
Virchows Archiv, Bd. LXXXI. 

3) Leber, Keratomycosis aspergillina als Ursache von Hypopyonkera- 
titis. Graefes Archiv, Bd. 25, Abt. 11, S. 285. 


Digitized by CjOOQle 



Von Prof. A. Lode. 


109 


sitzen mit gesträubten Federn, die Atmung ist frequent und 
mühsam; nach wenigen Stunden bis mehreren Tagen tritt der 
Tod ein. In einem Falle trat der tödliche Ausgang in weniger 
als 36 Stunden ein, während Tiere, die gleichzeitig der Inhalation 
ausgesetzt waren, nach 12 und 15 Tagen der Infektion erlagen. 
Meist rascher und mit geringeren Mengen sind kleine Singvögel, 
wir verwendeten Gimpel, zu töten. 

Bei der Sektion sieht man meist einen mehr oder minder 
ausgebreiteten Teil des Parenchyms beider Lungen verdichtet 
und blutreich. Die Ausstrichpräparate lassen neben zahlreichen 
Leukocyten, roten Blutkörperchen, gequollenen Alveolarepithelien, 
meist in stattlicher Anzahl die verästelten Mycelien des Asper¬ 
gillus erkennen. Besonders schön sind die mikroskopischen 
Bilder im Schnittpräparate, das nach der Gram-Günther 
oder Gram - Weigertsehen Färbung behandelt ist. Die 
Mycelien nehmen die Gram sehe Färbung prächtig auf und 
lassen viel besser als im ungefärbten Präparate ihre weit in das 
Gewebe hineinragenden Fäden und Verästelungen erkennen. 

In einigen Fällen waren die pathologischen Veränderungen 
nur auf die Lungen beschränkt, und w T eder das Mikroskop noch 
der Kulturversuch gestattete den Nachweis von Pilzelementen 
im Blute oder in den inneren Organen. In anderen Fällen waren 
jedoch mehr oder minder zahlreiche Herde, besonders an der 
Oberfläche der Nieren, des Peritoneums zu sehen, die kleinere 
und gröfsere Knötchen darstellten und teilweise oberflächlich 
zerfallen erschienen. In diesen Knoten konnte kulturell und 
auch leicht mikroskopisch die Anwesenheit von Pilzfäden fest¬ 
gestellt werden. 

Beim Menschen treten Aspergillusmykosen hauptsächlich in 
drei Formen bezw. in drei Organen auf: 1. Als Mykosen 
des Respirationstraktus hauptsächlich in der Lunge, pneumo¬ 
nische Erkrankungen hervorrufend. Die Litteratur, sow r ohl die 
ausländische als auch die deutsche, enthält eine reiche Casuistik, 
auf die w T ir an dieser Stelle um so weniger einzugehen brauchen, 
als vor einigen Jahren ßenon in einer Monographie: Etüde 
sur Faspergillose chez les animaux et chez l’homme, Paris 1897 


Digitized by CjOOQle 



HO Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 


das einschlägige Material gesichtet und kritisch besprochen hat. 
Hervorzuheben wäre allenfalls die nicht selten vorkommende 
Mischinfektion des Aspergillus mit dem Tuberkelcacillus. Inter¬ 
essant und gewerbehygienisch in der deutschen Litteratur, so¬ 
weit ich dieselbe überschaue, nicht erwähnt sind die Pneumo¬ 
mykosen, welche die Taubenfütterer und die Haarkämmer häufig 
erleiden. 

Das erstere Gewerbe*) les gaveurs de pigeons, in Paris kaum 
mehr als zehn Vertreter aufweisend, befafst sich mit dem Atzen 
der jungen, für den Markt aus Südfrankreich und Oberitalien 
hergesendeten Tauben. Auch während des Transportes werden 
die Tauben, z. B. auf dem Bahnhofe in Modena, von einem Gaveur 
gefüttert. Die Beschäftigung dieser Leute besteht in folgendem: 
Zuerst wird in einem Kübel eine Mischung hergestellt aus Wasser, 
Wickensamen und Hirsekörnern, worauf der Mann seinen Mund 
mit diesem Brei anfüllt. Hernach fafst er die Taube bei den 
Flügeln mit einer Hand, mit der anderen öffnet er den Schnabel, 
nähert denselben seinem Munde und schiebt, so viel die Taube 
aufnehmen kann, von der Nahrung in den geöffneten Rachen. 
Die ganze Manipulation dauert pro Taube nur wenige Sekunden, 
so dafs jeder Ätzer des Morgens und des Abends nicht weniger 
als je 2000, in der Hochsaison bis zu 6000 Tauben pro Tag zu 
füttern in der Lage ist. 

Das zweite Gewerbe, welches zur Aspergillusmykose dispo¬ 
niert ist, ist das der Haarkämmer. Diese (les peigneurs de 
cheveux) befassen sich mit dem Sortieren der aus den Kehrielit- 
kisten gesammelten menschlichen Haare, indem sie dieselben 
nach Länge, Farbe, Dicke ordnen, um sie den Coiffeuren her¬ 
nach zu verkaufen. Wenn die Haare trocken sind, werden sie 
ohne weiteres gekämmt, sind sie hingegen fett, werden sie mit 
Roggenmehl bedeckt und behandelt. Bei dieser Arbeit 
kommt es zu starker Staubbelästigung durch den Mehlstaub, 
welcher bekanntermaßen Aspergillussporen in grofser Menge 
enthält. Auch den Arbeitern scheint die Gefahr bekannt zu 


1) Siehe Reaon, a. a. 0., 199 u. ff. 


Digitized by CjOOQle 



# 


Von Prof. A. Lode. ] 11 

sein. Re non zitiert die Aufserung eines Kranken: »C'est la 
farine qui nous tue«. 

Auch bei den Taubenmästern sind die den Futterkörnchen 
anhaftenden Sporen vermutlich das ätiologische Moment. 

Eine zweite Gruppe von Aspergilluserkrankungen beim 
Menschen betrifft die Hornhaut des Auges und wurde von 
Leber 1 ) zuerst unter dem Namen Keratomycosis aspergillina be¬ 
schrieben. Es handelte sich um eine schwere Hypopyonkeratitis, 
welche ätiologisch deshalb interessant ist, weil der Krankheits- 
prozefs nach einer Verletzung durch eine gegen das Auge ange¬ 
flogene Haferspelze entstanden war. 

Ein weiterer, von Ulhoff 2 ) beschriebener Fall betrifft einen 
Mann, dem beim Schütteln eines Birnbaumes eine Birne an das 
Auge fiel. Weitere Fälle haben Fuchs 3 ), Uthoff, Axenfeld, 
Schirmer 4 ) u. a. veröffentlicht. 

Die dritte Gruppe von Affektionen betrifft den äufseren 
Gehörgang. Aus der Fülle der einschlägigen Litteratur, die 
Siebenmann 5 ) bis zum Jahre 1889 und neuerdings Renon 6 ) 
gesammelt hat, ist zu ersehen, dafs die Otomycosis aspergillina 
eine überaus häufige Mykose ist, die desto häufiger beobachtet 
wird, je aufmerksamer man nach ihr sucht. So kommt nach 
Bezolds 7 ) Beobachtungen durchschnittlich auf 65 Ohrenkranke 
eine Pilzinvasion. Bezold hat allein 48 Fälle selbst beobachtet. 
Wreden verfügte bereits 1873 über 74 eigene Beobachtungen. 

In einem Teile der Fälle handelt es sich nicht um Mykosen im 
eigentlichen Sinne des Wortes, sondern um eine harmlose Wuche¬ 
rung von Mycelien im Cerumen. In anderen Fällen dagegen dringen 


1) Leber, Graefes Archiv, Bd. 25, II, 8. 285. 

2) Berliner klin. Wochenschrift, 1889, S. 39. 

3) Wiener klin. Wochenschrift, 1894, S. 39. 

4) Cit nach Renon, a. a. 0., 8. 277 u. 278. 

5) 8iebenmann, Die Schimmelmykosen des menschlichen Ohres. 
Wiesbaden, 1889. 

6) a. a. 0., 8. 280. 

7) Bezold, Vortrag im Münchner ärztl. Verein, cit. n. Siebenmann, 
a. a. O., 8. 37. 


Digitized by v^.ooQle 



112 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 

die Pilze in das Epithel des äufseren Gehörganges und des 
Trommelfelles, schwerere Symptome auslösend. 

Als seltene Vorkommnisse seien nebenher auch die Aspergillus- 
my kosen der Haut und des Nasenrachenraumes erwähnt. 

Trotz der Manigfaltigkeit der beschriebenen Krankheitsbilder 
ist wenig Exaktes über die Abtötung der Krankheitserreger 
bekannt. Einzelne, meist nach unexakten Methoden ausgeführte 
Versuche über die Absterbebedingungen der Aspergillinen finden 
sich zwar, doch fehlt eine Einheitlichkeit der Versuchsanordnung 
und die Beobachtung jener Kautelen, die nur allein sichere 
Schlüsse über die Widerstandsfähigkeit einer Mikrobienart ge¬ 
statten. Entsprechend der Unsicherheit unseres Wissens nach 
dieser Richtung ist auch das therapeutische Handeln der 
Autoren. Neben wirklich pilztötenden Agentien werden harm¬ 
lose Präparate empfohlen oder Beimengungen zu desinfizierenden 
Flüssigkeiten gemacht, die als überflüssig für den Desinfektions¬ 
effekt sich erweisen. Aber auch in biologischer Hinsicht ist es 
interessant, den wichtigen Formenkreis der Schimmelpilze hinsicht¬ 
lich seiner Absterbebedingungen in den Kreis einer Untersuchung 
zu ziehen. Nicht in letzter Linie sei auch hier nochmals der 
Epizootien gedacht, bei deren Bekämpfung naturgemäfs eine 
wirksame Desinfektion der Ställe und Käfige, sowie der Gegen¬ 
stände, mit welchen die Pfleglinge in Berührung kommen, zu 
erstreben ist. Ohne exakte einschlägige Versuche würde man 
sicherlich nicht auf dem besten und billigsten Wege zum Ziele 
gelangen. 

Wir wollen im folgenden einige wichtigere Angaben über 
die Beeinflussung von Schimmelsporen durch physikalische Ein¬ 
flüsse oder chemische Agentien kurz anführen und hierbei nur 
jene Autoren erwähnen, welche systematische Untersuchungen 
über unsere Frage ausgeführt haben. 

In erster Linie ist hier Siebenmann zu erwähnen, der 
eine Reihe einschlägiger Angaben 1 ) in seiner Monographie über 

1) Siebenmann, Die Schimmelmykosen des menschlichen Ohres. 
Medizin.-botan. Studien auf Grund experimenteller Untersuchungen. II. verm. 
Ausgabe von: Die Fadenpilze Aspergillus u. Eurotium. Wiesbaden, 1889, S. 26. 


Digitized by v^.ooQle 



Von Prof. A. Lode. 


113 


die Schimmelmykosen des menschlichen Ohres gemacht hat. Leider 

waren seine Methoden, und zwar sowohl die von ihm selbst als 

» 

unbrauchbar bezeichnete erste, als auch die verbesserte zweite, 
nicht geeignet, irgend welche zum Vergleiche heranzuziehende 
Resultate zu liefern. 

Anfangs wurde aus Conidien und Gelatine ein Brei gemacht 
und in diesen Seidenfäden getaucht; letztere wurden in die zu 
prüfende Flüssigkeit gegeben, getrocknet und auf Glasplatten 
mit einer von Prof. Lichtheim angegebenen Nährgelatine (mit 
Zusatz von Zucker und Ammon, oxal.) übergossen. Es ergab 
sich, dafs Chlorwasser, Bromwasser 3°/ 0 , Jodwasser */ 7 °j m Jodo¬ 
formalkohol 4 °/ 0 , Naphthalinalkohol 6 °/ 0 , Salicylwasser 0,3 °/ 0 , Sali- 
cylalkohol, Alkohol konz., Karbol wasser 5 °/ 0 , Quecksilbersublimat 
1 ^ und eine wässerige konzentrierte Lösung von frischem 
Cerumen in 15 Minuten die lebensfähigen Sporen resp. Mycelien 
getötet hatten. 

Das fehlerhafte dieser Methode liegt darin, dafs die Seiden¬ 
fäden mit einer Schichte Gelatine imprägniert wurden, welche 
einerseits ein Eindringen des Antiseptikums erschwert, anderseits 
die Anwendung der optimalen Temperatur (bei Aspergillus ca. 
35° C.) unmöglich macht und auch den Luftzutritt, der für das 
Wachstum der Schimmelpilze notwendig ist, erschwert. 

Den angeführten negativen Wachstumsergebnissen stehen 
positive gegenüber, die bei Anwendung einer wässerigen Lösung 
von Kalium chloricum 4°/ 0 , Kaliseife 1 °/ 0 , Zinkchlorid 2% beob¬ 
achtet waren. 

In der zweiten Versuchsreihe wurden versporte Gelatine¬ 
kulturen in Stückchen von ca. 1 qcm zerschnitten und diese 
Stückchen in Antiseptica gebracht, abgespült und in Gelatine 
gelegt. Die früher hervorgehobenen Fehler der Methode sind 
der abgeänderten ebenfalls zur Last zu legen, wozu noch der 
Umstand kommt, dafs in die jetzt beträchtlicheren Gelatine¬ 
stücke noch schwieriger als in die imprägnierten Seidenfäden 
das Antiseptikum einzudringen vermag. Dementsprechend un¬ 
günstig sind auch die Sterilisationserfolge. So hatten nach zehn¬ 
stündigem Verweilen in rektifiziertem Alkohol, in 1 °j w Sublimat- 

ArrhiT f. Hygiene. Bd. XLII. 8 


Digitized by 


Google 



114 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 

lösung, in gesättigtem Naphtbalinalkobol, nach zwölfstüudigem in 
gesättigten Bor- und Salicylsäurelösungen die in den Gewebs- 
stücken eingeschlossenen Sporen die Keimkraft noch nicht ver¬ 
loren; erst nach 12—20 stündigem Verweilen hatte der rektifizierte 
Alkohol desinfizierend gewirkt. 1 °/ 0 Bleiacetat erwies sich selbst 
nach 20stündiger Einwirkungsdauer als unwirksam, ebenso 3 °/ () 
Karbolsäure nach zehnstündiger Einwirkung, während 5 % Karbol¬ 
wasser bei zehnstündiger Einwirkung getötet hatte. 

4°/ 0 Salicylalkohol tötete nach sechsstündiger Einwirkung 
unverlässig, nach zehnstündiger sicher. 

Interessant ist ferner Siebenmanns Angabe, dafs Asper- 
gillusconidien in stark ammoniak- oder schwefelammonhaltiger 
Luft in drei Tagen ihre Keimkraft völlig verloren hatten. Auch 
die Angabe, dafs in einer Luft von 50—60° 12 Stunden zur 
Abtötung hingereicht hatten, verdient Beachtung. 

Weiters wären zwei französische Autoren, die sich ein¬ 
gehender mit der Ätiologie der Aspergillusmykosen befafst haben, 
zu erwähnen. 

Renon widmet in seiner oben zitierten Monographie, S. 66, 
ein ganzes Kapitel der Resistenz der Sporen der Aspergillusarten. 
Er konstatiert ihre grofse Widerstandsfähigkeit gegenüber atmo¬ 
sphärischen Einflüssen; vier Jahre alte, im Laboratorium bewahrte 
Kulturen erwiesen sich lebensfähig. Auch bei geöffnetem Watte¬ 
pfropf und völligem Eintrocknen der Raulin sehen Flüssig¬ 
keit blieben die Sporen monatelang am Leben. Im infizierten 
Ei waren sie (Lucet) noch am Ende eines Jahres, in faulen¬ 
den tierischen Flüssigkeiten nach einem Monate lebensfähig. 
Doch zeigten alte Sporen gegenüber jüngeren ein verzögertes 
Wachstum. 

Kälte schädigt das Wachstum nicht, selbst wenn Tempera¬ 
turen unter 0° C. einwirken. In einem Raume, dessen Tempe¬ 
ratur des Nachts täglich auf 4—5°C. absank, waren die Sporen 
nach einem Monate lebensfähig. In einem Eisblock eingefrorene 
Sporen blieben durch zwei Monate entwicklungsfähig (Lucet). 

(iefriermikrotomschnitte der Kaninchenniere enthielten noch 


Digitized by CjOOQle 




Von Prof. A. Lode. 115 

lebende Sporen, ein Verhalten, das Lichtheim 1 ) auch für die 
jungen Mycelien in den Pilzherden der Niere beschrieb. 

Höheren Temperaturen gegenüber zeigte sich der Pilz eben¬ 
falls recht widerstandsfähig. Im Wasserbad hielt er suspendiert 
in Sabouraud scher Flüssigkeit HO 0 C. durch 10 Minuten, 57° 
durch */ 4 Stunde, 53° durch 48 Stunden aus. Dagegen ging 
er in 60gräd. Wasser in h l j 2 Stunden, bei 57° C. während 
15 Stunden zu Grunde. 

Von chemischen Desinficientien erwähnt Re non a. a. 0. nur 
einen eigenen Versuch mit Quecksilbersublimat, das in einer 
Lösung von 1 : 1000, mit Weinsteinsäure angesäuert, nach einer 
Viertelstunde den Sporen ihre Keimfähigkeit geraubt hatte. 

Auch im Tierkörper findet man die Sporen lange lebend. 
Ein von Renon zitierter Fall, in welchem ein Hase 5 1 / 2 Monate 
nach der Infektion in der Leber den Nachweis von entwicklungs¬ 
fähigem Materiale zu erbringen gestattete, könnte freilich auch als 
chronische Aspergillusraykose gedeutet werden. Im Lymphsacke 
des Frosches und in den Organen desselben fanden sich 35 Tage 
nach der Impfung lebende Pilze 2 ). Ebensowenig vernichten die 
Verdauungssäfte ihre Lebensfähigkeit, was aus der Untersuchung 
von Fäkalien, des Magen- und Darminhaltes von mit Pilzsporen 
gefütterten Kaninchen und Meerschweinchen erwiesen wurde. 

In einem Berichte an die Societö de biologie vom Jahre 1895 3 ) 
erwähnt Renon einige Versuche zur Feststellung der entwick¬ 
lungshemmenden Konzentration des Silbernitrats. Mit Aspergillus 
fumigatus erhielt er negative Resultate bei Verwendung von 
1—4 Tropfen einer Silbernitratlösung 1 : 100 für 4, 5 und 10 ccm 
Nährflüssigkeit, als welche die Raul in sehe Flüssigkeit, die 
Maltoselösuug von Sabouraud, Weinwürze, Bierwürze und 
Glycerinbouillon verwendet wurden. 

1) Lichtheim, Über pathogene Schimmelpilze. I. Die Aspergillus- 
mvkosen. Berliner klin. Wochenschr., 1882, Nr. 9. 

2) Renon, Recherches sur le premier stad, de l’infection dans l’asper- 
gillose expgrim. Bull. med. Nr. 60, p. 717, 1896. 

3) Renon, De la resistance des spores de l’aspergillus fumigatus. 
Comptes rend. de s^ances et memoires de la sociöt4 de biologie, II. Bd., 
Ser 10, 1895, p. 91. 

«• 


Digitized by ejOOQle 



116 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 

Wenn man die hierbei erreichte Konzentration unter der An¬ 
nahme, dafs 20 Tropfen einem Kubikcentimeter, also 1 Tropfen 
0,0005 g Silbernitrat entspricht, berechnet, so hat man in dem 
Falle, in welchem 4 Tropfen 4 ccm Flüssigkeit zugesetzt wurden, 
eine Lösung von 5 /io°/ooi bei Hinzufügung von 1 Tropfen zu 10 ccm 
'Im °/oo — °/iooo °/o* 

Bedenkt man ferner die vermutlich stattfindende Bindung 
eines Teiles des Metallsalzes durch die organischen Verbindungen 
des Nährbodens, so begreift man die Unwirksamkeit der ver¬ 
wendeten Konzentrationen. 

Wurden ferner feuchtes Brot oder Kartoffelscheiben in eine 
Lösung von 50 Tropfen Sibernitratlösung 1 : 100 zu 25 ccm 
Wasser, oder in eine Lösung von 5 Tropfen der gleichen Silber¬ 
lösung zu 10 ccm R a u 1 i n scher Flüfsigkeit getaucht, so trat nur im 
letzteren Falle einige Male Wachstumshemmung ein. In diesem 
Falle betrugen die Konzentrationen nach meiner Berechnung im 
ersteren Falle rund 1 / 10 %, bei Verwendung der Raulinschen 
Flüssigkeit 2 * 5 / 100 °/o- 

Mit Rücksicht darauf, dafs sich Jodnatrium bei der Therapie 
der Aspergilluspneumomykose verhältnismäfsig bewährt hatte x ), 
wurde auch dieses Salz geprüft. Auch bei diesen Versuchen ist 
die Menge der verwendeten Lösungen nur in Tropfen angegeben und 
daher nur schätzungsweise ermittelbar. Der Jodkaligehalt in der 
verwendeten Würze resp. Raulinschen oder Sabouraudschen 
Lösung betrug 6 ! / 4 und 12 7 2 %. Der Erfolg war ein negativer. 

Auch Luc et 2 ) stellte die Widerstandsfähigkeit der Asper- 
gillussporen gegenüber einer Reihe atmosphärischer Einflüsse 
fest. Bei Zimmertemperatur und am Lichte hielten sich Kartoffel* 
kulturell durch mehr als zwei Jahre. Ebenso lange waren sie 
auch, bei Zimmertemperatur bewahrt, auf Filtrierpapier einge¬ 
trocknet lebend. Im Brutschränke bei 37 °C. bewahrte Kartoffel¬ 
kulturen waren nach 10 Monaten in einem Eisblocke eingefrorene 
Sporen, noch nach 2 Monaten züchtbar. 

1) Renon, Etüde sur l’aspergillose. Loc. cit., p. 255. 

2) L ucet, De l’aspergillus fumigatus chez les animuux domestiques et 
dans les cenfs en incubation; £tude clinique et experimentale. Paris, 1897. 


Digitized by v^.ooQle 



Von Prof. A. Lode. 


117 


In faulenden Flüssigkeiten hielten sie sich durch einen 
Monat, in einem Abscesse bei einem Kaninchen durch 2 Monate. 
Einem Meerschweinchen und einem Pferde wurden Sporen per 
os einverleibt, nach einigen Tagen gelang ihr Nachweis in den 
Fäces. (Einwandsfrei?) 

Mit Sporen getränkte und getrocknete Seidenfäden waren 
nach 12stündigem Verweilen getötet in 5proz. Lösungen von 
Schwefelsäure, Salpetersäure, Phenol, Sublimat, Zinksulfat, Zink¬ 
chlorid und Silbernitrat; dagegen waren bei gleicher Konzen¬ 
tration und Einwirkungsdauer Salzsäure, Borsäure, Kupfer- und 
Eisensulfat, Calomel (5°/ 0 Lösung?) und Cresyl Jeyes unwirksam. 

Überblickt man die Ergebnisse, welche in den angeführten 
Berichten niedergelegt sind, so sind sie trotz einer ziemlichen 
Anzahl von Einzelversuchen, höchstens orientierend. 

Dabei kranken Siebenmanns Versuche au einer unzweck- 
mäfsigen, übrigens erst nach seinen Veröffentlichungen besser 
ausgebildeten Methodik. Lucets Angaben sind teilweise nicht 
einwandsfrei und mindestens allzu skizzenhaft. Renons An¬ 
gaben , insbesondere jene seiner antiseptischen Versuche mit 
chemischen Agentien sind hinsichtlich der Dosierung so ungenau, 
dafs sie auf wissenschaftlichen Wert wenig Anspruch machen 
können. Freilich sind die zitierten Angaben klinischen Arbeiten 
entnommen, in denen die uns interessierenden Fragen nur neben¬ 
her behandelt wurden. 

Eigene Desinfektionsversuche. 

Den unmittelbaren Anlafs zur Ausführung der zu beschrei¬ 
benden Experimente bildeten Kulturversuche, die zu diagno¬ 
stischen Zwecken für die hiesige Ohren- und Kehlkopfklinik des 
Herrn Professors Juffinger ausgeführt wurden. Zunächst be¬ 
kamen wir frisches, und, wie der Versuch mit Tauben und kleinen 
Vögeln ergab, virulentes Materiale des Aspergillus fumigatus. 
Dadurch wurde unser Interesse auf die Biologie der pathogenen 
Schimmelpilze gelenkt und auch die therapeutischen Bestrebungen 
bei — zunächst — Otomykosen studiert. Die auf diesem Ge¬ 
biete herrschende Unsicherheit liefs sich leicht auf die dürftigen, 


Digitized by 


Google 



118 8tudien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 

teilweise einander widersprechenden Angaben hinsichtlich der 
Absterbebedingungen der Schimmelpilze zurückführen, und so 
schien uns eine eingehende und systematische Prüfung dieser 
Frage wünschenswert. 

Trotz grolser aufgewendeter Mühe, scheinen uns allerdings 
jetzt auch unsere Angaben noch vielfach lückenhaft und nur 
ein bescheidener Anfang für die systematische Bearbeitung des 
bezeichneten Gebietes. 

An Mikroorganismen standen aufser den vorerwähnten, von 
Krankheitsfällen herstammenden, eine Reihe teils aus Luft oder 
verschiedenen Nährsubstraten frisch herausgezüchtete, teils in der 
Sammlung durch längere Zeit kultivierte Pilze zur Verfügung. 

Um den Versuchen engere Grenzen zu ziehen, wurden zu¬ 
nächst nur Aspergillusarten und von diesen auch nur als pathogen 
erwiesene, oder in der Litteratur als solche angenommene, aus¬ 
gewählt. Es waren dies Aspergillus fumigatus, Aspergillus niger 
und Aspergillus flavescens. Daneben wurde mit den meisten 
Agentien auch der Aspergillus clavatus, den ich der Sammlung 
des Wiener hygienischen Institutes verdanke, geprüft. 

Bei der Schwierigkeit der exakten Diagnose der verschiedenen 
Arten will ich hier eine mit Messungen einzelner Pilzbestandteile 
ausgestattete Beschreibung Vorbringen, damit erforderlichenfalls 
die Identifizierung meiner Arten mit anderen ermöglicht ist. Von 
jeder Art wurde ein Stamm, der rasch versporte und üppig wuchs, 
ausgewählt, hinsichtlich seiner optimalen Temperatur studiert und 
lediglich mit dessen Abkömmlingen weiter gearbeitet. 

Beschreibung der Pilze. 

I. Aspergillus fumigatus. 

Stark verfilztes, in die Tiefe des Nährbodens eindringendes grauweifses 
bis weifses Mycel. Sobald Fruktifikation eingetreten ist, beginnen sich die 
Kolonien, die eine ansehnliche Gröfse von mehreren Centimetern Durch¬ 
messer erreichen können, blau-grünlich zu verfärben. Die Gelatine wird 
unter dem Filze der Mycelien, nicht aber in der Umgebung der Kolonien 
erweicht. Da6 Mycel und die Fruchtträger ragen wenig über die Oberfläche 
des Nährbodens hervor. 

Sporen blafs, farblos, meist regelmäfsig rund, einfach konturiert, 2 bis 
3 fi im Durchmesser. Reife Sporen bräunlich. Sterigmen unverzweigt, 6—8 ft 


Digitized by CjOOQle 



Von Prof. A. Lode. 


119 


lang, cylindrisch, doch nicht regelmäfsig, oft auch pfriemenförmig, stellen 
weise verengt oder leicht aufgetrieben, blafsbraun. Dicke 2—3 p. Die 
Sterigmen bedecken vorwiegend die Kuppe der Blase und zeigen der Haupt¬ 
masse nach axiales Wachstum, so dafs die mit Conidien bedeckten Köpfchen 
besenartig und nicht kugelartig erscheinen. Die Blase ist durch eine scharf 
konturierte Membran abgegrenzt. Die Fruchtträger sind meist beträchtlich 
dicker als die Mycelien, erstere messen 2—3 u t letztere gewöhnlich 4—6 /<, 
selbst bis 10 //. 

Intravenös für Kaninchen, nach Inhalation von Sporen für Gimpel, 
Stieglitze und Tauben pathogen. 

II. Aspergillus niger. 

üppig wuchernde Vegetation, die die Gelatine stark verflüssigt. Die Ver- 
tiüssigungszone reicht jedoch nicht weiter als die Vegetationsmasse. Das 
Mycel ist peripher rein weifs, gegen die Mitte zu, besonders bei jüngeren 
Kulturen, gelblich bis schwefelgelb; die fruktiflzierten Partien braun bis 
tiefschwarz. Das Mycel ragt auch, solange noch keine Fruktifikation er¬ 
folgte, um mehrere Millimeter über die Oberfläche des Nährbodens. Die Höhe 
der Fruchtträger beträgt bis 8 mm. 

Mikroskopisch sieht man feinere und gröbere Mycelfäden, häufig mit 
stark granulierten Inhaltsmassen versehen. Die Fruchtträger sind scharf 
konturiert, 12—20 u dick und meist vom Grunde bis zur Blase gleicbmäfsig. 
Der Übergang in die meist schon kugelige, seltener eiförmige Blase ist ziem¬ 
lich scharf. 

Der Durchmesser reifer Köpfchen beträgt 150 p und darüber, die Blase 
bei reifen Köpfchen ca. 60—70 p. Die Sterigmen sitzen peripher um die 
ganze Blase. Die Sterigmen sind mächtig, verzweigt, indem an ihrem keulen¬ 
förmigen Ende eine Anzahl (5—10) fingerförmige Aste sitzen, die die Conidien 
acrogen abschntiren. Die Sterigmengröl'se schwankt aufserordentlich und 
beträgt bei den grolsen, reifen Köpfchen bis zu 50 u und 60 n. Zerquetschte 
oder beschädigte Blasen zeigen häufig eine Pilzform, indem der obere Teil 
der dem Fruchtträger ansitzenden Blase sich einstülpt und teilweise um¬ 
krem pt. 

Die Sporen werden in ungeheuren Massen abgeschuürt und haben einen 
Durchmesser von 3—4 u. Sie sind hellbraun bis schwarzbraun, im reifen 
Zustande stark konturiert, rund mit granuliertem Inhalt. Häufig ragen 1—2 
bis 2 u lange warzenförmige Erhebungen über die sonst glatte Oberfläche 
der Sporen, die als Reste der Verbindungsstücke der im unreifen Zustande 
kettenartig aneinander gegliederten Conidien aufzufassen sind. 

Auch in gröfsten Mengen Kaninchen intravenös injiziert oder Tauben- 
durch Inhalation einverleibt, erwies sich unser Stamm als nicht pathogen. 

III. Aspergillus flavescens. 

Rasch wachsende Rasen aus rein weifsem Mycel bestehend. Die Fäden 
ragen, so lange keine Fruchtträger gebildet sind, bis zu 6—8 mm über den 
Nährboden vor und erscheinen watteartig verfilzt. Die Gelatine wird unter 
der Kulturmasse erweicht. Die Sporen sitzen auf kurzen, wenig über die 


Digitized by 


Google 



120 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 

Oberfläche ragenden Fruchtträgern und zeigen eine gelbgrüne bis braune 
Färbung. Mikroskopisch erscheinen die Sporen Maisgelb, die reifen intensiv 
gelb ohne grünliche Verfärbung. Ihre Gröfse schwankt zwischen 3—6 //, 
sie sind rund, jedoch häulig nicht regelmäfsig rund, indem vielfach Wärz¬ 
chen und kleine Krystalle über die Oberfläche hervorragen. Der Sporen¬ 
inhalt ist granuliert und enthält stark lichtbrechende Körnchen. 

Die Blase, deren gröfster Durchmesser 12—14 ft beträgt, hat meist nur 
an der Kuppe die wenigen unverzweigten Sterigmen, die vorwiegend achsiales 
Wachstum zeigen und ca. 2—4 ft dick sind. Die Fruchtträger sind mächtiger 
als die übrigen Mycelien und messen im Durchmesser 8—12 //, während das 
übrige Mycel selten mehr als 4 ft im Durchmesser aufweist. 

An Tauben und kleinen Singvögeln erwies sich der Stamm hei Inhala¬ 
tionsversuchen als nicht pathogen. 

IT. Aspergillus elavatus. 

Massige Vegetation, deren unversporte Anteile nur wenig über die 
Oberfläche ragen. Die Fruchtträger sind auffallend hoch (bis 5 mm über der 
Oberfläche' und mit graublaugrtinen reifen und weifsen unreifen Köpfchen 
bedeckt. Eine Erweichung der Gelatine findet unter der Vegetationsmasse 
statt. Mikroskopisch unterscheidet man leicht die mächtigen 25—35 // dicken 
Fruchtträger von den zarteren 8—10 u messenden Mycelien. Die Frucht- 
träger endigen in massige Blasen von Keulenform, die dem Pilze seinen 
Namen gegeben haben. Die Dimensionen der Blase anzugeben, ist wegen 
der verschiedenen Gröfse einzelner Exemplare und wegen des allmählichen 
Überganges des Fruchtträgers in die Keule schwierig. Rechnet man den 
Beginn der Blase vom Ansätze der ersten Sterigmen, so mifst man oft 160 
bis 200 tt Länge und ca. 60 ft Breite. Die Sterigmen sitzen pallisadenförmig 
auf der Blase und werden in aufserordentlich grofser Anzahl gebildet. Ihre 
Länge kann bis zu 20 // angenommen werden. Die Conidien sind farblos, 
leicht oval und haben ca. 3 und 4 « im Längen- bezw. Querdorchmesser. 

Methodisches. 

Für Prüfung der Widerstandsfähigkeit des Schimmelpilz- 
materiales könnten einerseits die Mycelien, anderseits die Sporen 
in Betracht kommen, und in der That bestand zu Anfang der 
Plan, für beide Vegetationsformen die Wirkungswerte schädigender 
Agentien festzustellen. Es stellte sich jedoch bald heraus, dafs 
mit Mycelien kein einheitliches Resultat zu erzielen sei, indem 
für den Desinfektionserfolg die Gröfse der Mycelstückchen von 
ausschlaggebender Bedeutung war. So erhält man meist, offenbar 
wegen des, vielleicht durch Gerinnungsvorgänge erschwerten Ein¬ 
dringens des Antisepticums, bei Verwendung gröfserer Partikelchen 
noch nach Einwirkungszeiten Wachstum, wo dasselbe bei kleineren 


Digitized by CjOOQle 



Von Prof. A. Lode. 


121 


Flöckchen längst ausgeblieben war. Auch das Verfahren, die 
Aufschwemmungen vor dem Versuche zu filtrieren, was zur Er¬ 
zielung gleichmäfsiger Versuche auch bei Bakterienemulsionen 
gemacht werden mufs, ist bei Verwendung von Mycelien aus¬ 
geschlossen, indem die langen Fäden zum gröfsten Teile selbst 
am Leinwandfilter hängen bleiben, und man kaum getrübte, nur 
wenige Fadenstückchen haltende Filtrate erhält. Nach einigen 
orientierenden Versuchen erwies sich übrigens, dafs die Wider¬ 
standsfähigkeit der Mycelien, abgesehen von den Mifserfolgen bei 
Verwendung gröfserer Klümpchen von Mycelien, sicherlich nicht 
gröfser, sondern vermutlich viel kleiner ist als bei den Conidien, 
wozu noch der Vorteil kommt, dafs man bei deren Verwendung 
ungleich gleichmäfsiger und netter arbeiten kann. 

In praxi würde man fast in allen Fällen, wo Desinfektions¬ 
mittel angewendet werden könnten, mit der Existenz von Conidien 
zu rechnen haben. So sicherlich bei den Vegetationen im äufseren 
Gehörgange, bei denen man stets fruktifizierte Fruchtträger be¬ 
obachtet. Auch in einem Falle von Pneumomycosis aspergillina 
fand ich im Sputum schöne versporte Köpfchen. Überall wo 
Luftzutritt zur Vegetation möglich ist, und das ist in allen Körper¬ 
höhlen, in den Luftwegen, bei Vegetationen der äufseren Haut und 
äufseren Schleimhaut, der Hornhaut u. s. w. der Fall, sind Conidien 
beobachtet oder wenigstens möglich. Ebenso hätte man bei der 
Desinfektion infizierter Objekte stets an die Dauerformen zu denken. 

Eine weitere Frage war die nach Gewinnung zweckdienlichen 
Materials von möglichst hoher Widerstandskraft. Zu diesem Be- 
hufe wurde eine Anzahl von Nährböden mit Schimmelreinkulturen 
beschickt und mit diesen Materialien Desinfektionsversuche unter 
gleichen Bedingungen angestellt. Als Aussaatmaterial diente 
hauptsächlich Aspergillus fumigatus und Aspergillus niger. An 
Nährböden wurden verwendet: die Kartoffel, Bierwürzeagar und 
Bierwürzegelatine, Traubenmostagar bis zur nurmehr schwach¬ 
sauren Reaktion mit Sodalösung versetzt, Raul in sehe Flüssigkeit 
mit l , / 2 °/o Agar versetzt, Fleischwasserpeptonagar, Fleischwasser- 
peptongelatine, Schwarzbrot, Brotbrei und Weizenagar. Die Agar- 
und Kartoffelnährböden wurden sowohl bei Zimmertemperatur 


Digitized by 


Google 



122 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 

als auch bei 30° und 37° C. wachsen gelassen; die Gelatine bei 
ca. 20° C. gehalten. • 

Ebenso wurde bezüglich des Nährbodens, in welchem die 
mit Agentien behandelten Sporen ausgesät wurden, vielfach variiert 
und sowohl die oben genannten festen als auch flüssigen 
Nährböden (Weinmost, Bierwürze, Peptonbouillon, Peptonwasser, 
Raulinsche Flüssigkeit) versucht. Bei der Prüfung chemischer 
Agentien wurden stets zwei Verdünnungen angelegt und hierbei 
auch die Anordnung ausprobiert, die erste Verdünnung in 
flüssige, die zweite auf einem festen Nährboden anzulegen, wobei 
die Besorgnis mafsgebend war, bei Anlegung der ersten Aussaat 
auf den festen Nährboden etwas vom Antiseptikum zu übertragen 
und so erst auf der Kulturoberfläche Abtötung zu erzielen. Auch 
ist die Gefahr naheliegend, selbst durch die kleinen Mengen 
des übertragenen Antiseptikums auf die Kulturfläche den Nähr¬ 
boden so zu verändern, dafs nur Entwicklungshemmung besteht, 
wo aus dem negativen Ausfall der Kultur Abtötung angenommen 
würde. 

Die Gefahr der Übertragung die Entwicklung beeinflussenden 
Mengen des Antiseptikums auf den festen Nährboden besteht bei 
der zweiten Verdünnung nicht mehr. Doch erwies sich diese, 
die Technik der Versuche erschwerende Anordnung als unnötig, 
ja sogar minder zuverlässig, so dafs in der Folge beide Verdün¬ 
nungen in flüssige Nährböden angelegt wurden. 

Als Beispiel dieser Kontrollversuehe gebe ich hier einige 
Versuchsprotokolle. 

Versuch Nr. 2. 

Aussaatmaterial: Aspergillus niger, reichlich versport, auf Würzeagar 
gewachsen. Antisepticum 1 */ 4 proz. Carbolsäure. 


Tabelle I. 


Zeitdauer der Einwirkung 

1 Min 

2 Min 

5 Min. 

10 Min. 

SO Min. 

.5 1 _ 
s c/. 

3 , 60 

X y. 

1. Übertragung in Bierwürze 

+ 

+ 

+ 

~b 

+ 

! 

1 + 1 “ 

- i — 

2. Übertragung in Bierwürze 

2. Übertragung auf schräg er¬ 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

1 

- . — 

starrtes Würzeagar . - 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

— | — 

t — — 


Digitized by CjOOQle 




Von Prof. A. Lode. 


123 


Bei diesem Versuche 1 ) wurde aus der Mischung der Sporen - 
emulsion und 2 1 / 2 proz. Carbolsäure zu gleichen Teilen eine l^proz. 
Carbolsäure-Sporenmischung erhalten und aus dieser nach ge¬ 
messenen Zeiten mit der Öse in Bierwürze eine kleine Quantität 
übertragen. Dieses Würzeröhrchen wurde gut geschüttelt und diente 
zwei weiteren Aussaaten als Ausgangsmaterial. Einerseits wurde 
mit 3 Ösen je ein zweites Röhrchen Bierwürze, anderseits ebenfalls 
mit 3 Ösen ein schräg erstarrtes Bierwürzeagarröhrchen beschickt. 

In beiden letzteren Röhrchen wuchsen die Aussaaten bis zur 
Einwirkungszeit von 30 Minuten, während Röhrchen 1 noch nach 
der Einwirkungszeit von 1 Stunde Wachstum erkennen liefs. 

In diesem Falle war also das Resultat für die Würze und 
das Würzeagar gleichmäfsig. 

Ein ähnliches Ergebnis lieferte auch der 
Yersuch Nr. 5. 

Aussaatmaterial und Konzentration der Carbolsäure wie bei Versuch Nr. 2. 


Tabelle II. 


Zeitdauer der Einwirkung 

1 Min. 

5 Min 

10 Min. 

30 Min ' 1 St. 

18 St. 

1. Übertragung in Bierwürze . . . 

+ 

+ 

+ 

+! + 

— 

2. Übertragung in Bierwürze . : . 

i + 

+ 

+ ; 


— 

2. Übertragung auf Bierwürzenagar 

! + 

+ 

! + 

— — • 

— 


Auch hier war die zweite Verdünnung nacli der gleichen 
Einwirkungszeit steril geblieben und zwar sowohl bei flüssiger 
Würze als auch bei Würzeagar. 

In den beiden folgenden Versuchen erwies sich jedoch die 
flüssige Würze entschieden überlegen. 

Yersuch Nr. 8. 91 

Anordnung und Konzentration wie bei Versuch Nr. 2 und 5. 
Tabelle III. 


Zeitdauer der Einwirkung r»Min. lOMin. jaoMin. ‘ ist. ; 2 st. § st 


1. Übertragung in Bierwürze. . . 

TI 

+ 

4- 

+ ; - 

i — 

2. Übertragung in Bierwürze . . . 

+ 

+ 

+ 

— | — , 


2. Übertragung auf Bierwürzenagar 

+ 

T' 

— 

1 

1 

l “ 


und ähnlich 

1) Das -(--Zeichen bedeutet Wachstum, also negativen, das —Zeichen 
Ausbleiben des Wachstums, also positiven Desinfektionserfolg. 


Digitized by v^.ooQle 















124 Studien üb d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 


Versuch Nr. 11. 
Tabelle IV. 


Zeitdauer der Einwirkung 

1 i 

6 Min. 

i 

10 Min. 

i 

30 Min. 

l 

j l st. 

V 

j 2 St. 

i 5 St. 

1 

1. Übertragung in Bierwürze . . . 

11 + 

+ 

+ 

+ 

■1- 

1 

2. Übertragung in Bierwürze . . . 

+ 

+ 

+ 

+ - 

— 

3. Übertragung auf Bierwürzenagar 

+ 

+ 

+ 

— — | 

— 


Ähnliche Erfahrungen machten wir auch dann, wenn die 
erste Verdünnung in Peptonbouillon, die zweite auf Fleischwasser¬ 
peptonagar gemacht wurde. 


Versuch Nr. 3. 

Anordnung hinsichtlich Material und Konzentration der Carbolsfture 
wie bei den vorigen Versuchen. 


Tabelle V. 


^-" ‘“‘1- 

o 

Zeitdauer der Einwirkung g 

.5 

5 Min. 

10 Min. | 

45 Min. ! 

1 St. 

16 St. 1 

1. Aussaat in leicbtalkal. Peptonbouillon 

+ 

+ 

] + 

TI 

-- 1 - 

-f! + : - 

2. Verdünnung in Bouillon. 

+ 

+ 

+ 

+1 


2. Verdünnung auf gewöhnl. Nfthragar . 

+ 

i 

+ 

+ 


— — | — 


In manchen Versuchen erwies sich überhaupt die gewöhn¬ 
liche Nährbouillon als minder geeignet; in einem Falle war nach 
10 Minuten langer Einwirkung der Nährboden steril geblieben, 
während der gleichzeitig angelegte Kontrollversuch mit Würze 
noch nach 1 Stunde Kulturen ergab. 

Von den anderen Nährböden erwies sich sterilisierter Trauben¬ 
most als ebenbürtig der Bierwürze. Diesen Nährboden haben 
wir jedoch ausgeschaltet, da er nicht während das ganzen Jahres 
zur Verfügung steht und hinsichtlich seiner Zusammensetzung 
starken Schwankungen unterworfen ist. 

Gegen die Kartoffel, das Brot und den Brotbrei gelten die 
Einwände, wie hinsichtlich aller festen Nährböden. Wir haben 
sie daher trotz nicht ungünstiger orientierender Versuche in der 
Folge nicht mehr verwendet. 

Der Weizenagar gibt überdies zu dürftige Kulturen. Gelatine¬ 
nährböden waren ausgeschlossen, wenn wir der berechtigten 
Forderung, das Wachstum der beschickten Nährböden bei den 


Digitized by v^ooQie 







Von Prof. A. Lode. 125 

optimalen Temperaturen vor sich gehen zu lassen, genügen 
wollten. 

Die von französischen Autoren so empfohlene Raulin sehe 
Flüssigkeit erwies sich dagegen für die Aufzüchtung von durch 
ein Antiseptikum geschädigten Sporen als minder geeignet, ob¬ 
wohl sie wenigstens bei Aspergillus fumigatus und Aspergillus 
niger bei Verwendung guten Ausgangsmaterials üppige und 
schnell wachsende Kulturen lieferte. Aspergillus flavescens wuchs 
dagegen nur kümmerlich; Aspergillus clavatus in einigen Fällen 
gar nicht, in anderen erst nach mehrtägigem Stehen und auch 
dann nur dürftig. 

Unsere Raul in sehe Flüssigkeit bestand nach der Angabe 
von Siebenmann 1 ) aus folgenden Bestandteilen: 


Wasser. 

. 1500 

Kandiszucker . . . 

70 

Weinsteinsäure . . . 

4,0 

phosphorsaures Ammon 

0,6 

Kaliumcarbonat . . . 

0,6 

Magnesiumcarbonat 

0,4 

schwefelsaures Ammon 

0,25 

Eisensulfat (Ferrosulfat) 

0,07 

Zinksulfat. 

0,07 

kieselsaures Kalium 

0,07 

essigsaures Ammon 

4,00. 


Ich bemerke, dafs die Zusammensetzung der Ra ulin sehen 
Flüssigkeit, die Obici 2 ) angibt, insofern von der oben citierten 
abweicht, als an Stelle des essigsauren Ammons salpetersaures 
Ammon angegeben ist. Doch auch diese Modifikation lieferte 
uns keine besseren Resultate. Wir blieben daher bei der er¬ 
probten, aus einem hiesigen Brauhause stets in vorzüglicher 
Qualität erhältlichen Bierwürze, die noch zur Hälfte mit Wasser 
verdünnt und nicht neutralisiert wurde. 

1) Siebenmann, Die Schimmelmykosen den menschlichen Ohres, 
a. ii. O., S. 16. 

2) Obici, Zieglers Beiträge zur pathol. Anat., 1808, S. 205. 


Digitized by CjOOQle 






126 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 

Wir haben auch zur Gewinnung der Sporenarten wegen des 
üppigen Wachstums und der Möglichkeit reinlicher Gewinnung 
des Materials in der Folge nur Bierwürzeagar verwendet und von 
der anfänglich auch verwendeten Kartoffel und dem Brotbrei, 
die ohne Beimengung von Nährboden teilen schwer vollständig 
ausgenutzt werden konnten, abgesehen. 

Einige Versuche sollten auch die Frage entscheiden, ob 
junges oder älteres, ob bei niedriger oder optimaler Temperatur 
gezogenes Material den Vorzug verdiene. Hierbei konnte fest¬ 
gestellt werden, dafs, reichliches Wachstum vorausgesetzt, jüngere 
und ältere Kulturen (bis 8 Wochen alte wurden geprüft) keinen 
gesetzmäfsigen Unterschied hinsichtlich ihrer Widerstandskraft 
erkennen lassen; ebenso war es gleichgültig, ob die zur Sporen¬ 
gewinnung gezogenen Vegetationen, z. B. Aspergillus niger, bei 
Zimmertemperatur, bei 30° C. oder bei 37° C. gezogen worden 
waren. 


I. Prüfung chemischer Agentien. 

Hinsichtlich der Technik der Versuche wurde im allgemeinen 
nach dem im hiesigen Institute üblichen Verfahren, das den von 
M. Gruber 1 ) auf dem VII. internationalen Kongresse für Hygiene 
und Demographie in London 1891 hinsichtlich der Prüfung von 
Antisepticis angegebenen Forderungen Rechnung trägt, gearbeitet. 

Ks wurden nur wässerige Emulsionen von Sporen verwendet. 
Diese Emulsionen wurden durch Abkratzen der auf schräg er¬ 
starrter Bierwürze gewachsenen Kulturen oder Aufnahme der¬ 
selben mit feuchtem sterilen Pinsel in wenigen Kubikcentimetern 
sterilen Wassers gesammelt. Die gewonnene Emulsion wurde be¬ 
hufs Abscheidung gröberer Partikelchen, insbesondere von Mycel- 
fetzen, durch sterile Leinwandfleckchen filtriert und in den Fällen, 
wo dies anging, die Konzentration des Desinfektionsmittels so 
gewählt, dafs zu gleichen Teilen Sporenemulsion und Des¬ 
infektionsmittel zusammengebracht werden konnten. Selbstver- 

1) M. G ruber. Über die Methoden der Prüfung von Desinfektions¬ 
mitteln. Vierteljabrxchr. f. GeHundheitapflege, Kd. *24, S. 199. 


Digitized by Cjooole 




Von Prof. A. Lode. 


127 


stündlich wurde die Zeit auf das Genaueste registriert. Die Sporen- 
emulsionen wurden möglichst dicht hergestellt. Bei dem üppigen 
Wachstum der Sporen bei geeigneten Kulturmedien war die 
Ausbeute von 1—2 Röhrchen für etwa 5—10 ccm Flüssigkeit 
ausreichend. Die filtrierte Emulsion war sehr stark getrübt und 
wies mikroskopisch eine Unmasse Sporen auf. Um dies Ziel zu 
erreichen, darf nicht mit zu jungen Kulturen gearbeitet werden; 
ein bis zwei Wochen alte Kulturen lieferten stets die gewünschte 
hohe Ausbeute. 

In einigen Fällen, in welchen das Infektionsmittel unverdünnt 
zur Anwendung kommen sollte, z. B. bei Verwendung von 
absolutem Alkohol wurde die Sporenmasse mit einem trockenen 
sterilen Pinsel aufgenommen; der Pinsel wurde hierauf unter 
Kontrolle der Uhr in das zu prüfende Antisepticum eingebracht, 
gut umhergeschw T enkt und hierauf zur Vermeidung allenfalls 
unbenetzter, z. B. schwimmender Sporen, filtriert und vom Filtrate 
die Aussaaten mit Bezug auf die vorhin notierte Zeit angestellt. 
Die Filtration erwies sich auch bei dieser Anordnung zur Er¬ 
zielung gleichmäfsiger Resultate unbedingt notwendig. 

Die Aussaaten wurden, wie früher erwähnt, in Bierwürze 
und zwar mittels einer mittelgrofsen Platinöse übertragen. In 
das erste Röhrchen wurde eine, in das Verdünnungsröhrchen je 
drei Ösen gegeben. 

Von Wichtigkeit ist es, die Röhrchen durch genügend lange 
Zeit zu beobachten. Während ohne Schädigung eingesäte Sporen 
in 2—3 Tagen einen üppigen Rasen an der Oberfläche der Würze 
bilden und meist schon stark versport sind, erfolgte bei den 
durch Antiseptica geschädigten Sporen häufig eine beträchtliche 
Verzögerung des Wachstums, das nicht selten erst am 8.—12. Tage 
sichtbar war. Nach der Aussaat wurden die Kulturröhrchen so¬ 
bald als möglich in optimale Temperaturen gebracht und zwar 
bei Aspergillus fumigatus, niger und flavescens in den auf 37° C., 
bei Aspergillus clavatus in den auf 30° 0. erwärmten Brutofen. 

Grofse Sorgfalt wurde der Herstellung der Lösungen der 
Antiseptica gewidmet. Wo irgend angängig, wurde der Titre der 
Lösung ermittelt; in Fällen, wo dies nicht geschah, von den 


Digitized by ejOOQle 



128 Studien Qb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 


reinsten, vielfach neuerdings gereinigten (unkrystallisierten) Prä¬ 
paraten ausgegangen. 

Metallsalze. 

In sehr zahlreichen Versuchen wurde das Quecksilbersublimat 
in wässeriger Lösung ohne Zusatz von Kochsalz oder Weinstein¬ 
säure geprüft. Die Ergebnisse sind in folgenden Tabellen für 
die vier geprüften Schimmelpilzsporen zusammengestellt. 

Tabelle VI. 

Sporen des Aspergillus fumigatus. 


£ ** 

> 

c c U 

« O l| % 

a i 


Vit Min. 1 

2 Min. 

B 

O 

i 

10 Min. J 

15 Min. | 

30 Min. 

1 st. 

1 8t. 

40 Min. I 

178 

l°/o + 

. + 

1 + 

+ 






169 




+ 

1 — 

j — 


— 

— 

174 

1/ 01 j 

/J / o 1 



+ 

— 

— 

— 

— 


176 

V. 0 /» j 



| + 

— 

— 

; — 

— 


187 

l v- •/., 



+ 

j + 

— 

— 

— 


189 

i 0 /«. 




+ 

+ 

+ 

+ 

— 

192 

V. 0 /oo 




+ 

+ 

! + 

+ 

+ 

195 

l'UVoo 




+ 

+ 

+ 

+ 

+ — ' 

200 I 

! v. °/oo 1 




+ 

+ 

+ 

+ 

+ + ■ 



Versuchs- v Konzen- 


Tabelle VII. 

Sporen des Aspergillus niger. 


Nr. 

tration jj % 

$ 1 

s S3 j 

£ 

•© ! 

s 

o 

s% 

a 1 

?! • * 

S | ~ 

185 

1 

l 0 /o . + 

+! 

_ _ ! 

— 


i 

i 


173 

10 <. i 


— i 

— 

— 


— 

170 

’| 0,6®/. 1 

i 

+ 

— 

— 

— 

— , 

190 

;; 0.5 «; 0 

i 


+ 

— 

— 

1 

180 

■ •/.•/. 


+ 

+ 

— 

— 

1 , 

182 

: 7.°/. 


+ 

+ 

+ ( 

+ 


202 

i. i •/„ ; 



+ 

+ 

+ 

+ - 

110 

i 1 */ •/ 1 

i '* '<*> 



+ 

+ 


+ “ 

42 

1/ 0/ : 
i / 4 / 00 



+ 

+ 


+ + 

20 

*/ °L- 

1 4 ' 00 



+ 

-t- 


+ + 

198 

1/ 01 
h >oo 


i 

+ 

; 

| + 

+ 

+ i + 



Digitized by 


Google 






Von Prof. A. Lode. 


129 


Tabelle VIII. 


Sporen des Aspergrillus flavescens. 


Versuchs- ( 

Konzen- 

' ^ 


d 

d 

o i 

c '1 

d 1 

16 Min. 1 

. .. 

s 


•- - 

Nr i 

c 

tration 

'■ aß 1 
1 ! 2 1 

& 

8 


2 I 

Ü5 1 

CO j 

s i 

o | 

55 | 

s 1 

s 

CD j 

H I 

OD 

04 

184 

i°/. 

f _ 


_ 

— ' 

— 

i 






204(u.l72) 

!*/. 


i 

— 

— ; 


| 






171 

V. V. 

h 



_ ! 



— 

— 

— 


— 

181 , 

V.°/o 

i 

i 


i +! 

+ 

— 

— 

— 

— 

, 

i 

I 

183 

V» 0 /. 

tl 



+1 

+ 

— 

— 

— 

— 

’ ~ 


203 j 

l'/o, 






1 + 

— 

— 

— 

— 

— 

191 ' 

7a °/oo 





1 

1 + 

+ 

+ 

— 

— 


195 

a A °/oo 






i + 

+ 

+ 

+ 

+ 

1 — 

199 

Vh °/oo 






1 + 

' + 

+ 

+ 

+ 

+ 


Tabelle IX. 

Sporen des Aspergrillns elayatns. 


Versuchs- 

Nr 

Konzen- 
1 tration | 

CG | 

s | 

M 

© 

CO 

8 

1 Min. 

2 Min. 

3 Min. 

2 l 

10 Min. 

15 Min. 

30 Min. | 

an j 

an 

CI 

179(u.l68) 

1*/. | 

+ 

_ 

_ 

_ 

_ 

_ i 






175 

V/. 




+ 

— 

— 

— 

— 

— 



177 

'/.% ! 




+ 

— 

— 

— 





186 





+ 

+ 

+ 


— | 

1 “ 



188 

1 •/ 

1 <00 






+ 

+ 

— 1 

— 

— 


193 

11 0/ 

1 S Io 0 






+ 

1 + 

+ 

+ 

— 


197 







+ 

+ 

+ 

+ 

— 


•J01 

1 H 9 00 






1 + 

1 + 

+ 

+ 

— 



Wie aus den Tabellen hervorgeht, erwies sich das Sublimat, 
wenigstens in den höher konzentrierten Lösungen (bis etwa 74°/o)> 
als ein wirksames Antisepticum. Die in der Regel verwendete 
l°/oo Lösung erfordert dagegen bei Aspergillus fumigatus und 
Aspergillus niger 1 Stunde; bei Aspergillus flavescens l j 4 Stunde, 
bei Aspergillus clavatus 10 Minuten Abtötungszeit. Noch niederere 
Konzentrationen sind w r egen ihrer unverlässlichen Wirkung kaum 
empfehlenswert. 

Das Silbernitrat wurde in 4 Konzentrationen geprüft und 
zwar als V 20 -Normallösung (0,85%), ferner in einer weiteren Ver¬ 
suchsreihe in l°/ 0 , % % und 1 °/ (>0 Lösung. 

Archiv für Hygiene. Bd. XLII. 9 


Digitized by v^ooole 






130 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 
Die Resultate ergibt die nachfolgende Tabelle auszugsweise. 


Material 

Aspergillus 

fumigatus 

Aspergillus 

niger 

Aspergillus 

clavatus 

Aspergillus 

flavescens 


Tabelle X. 

Silbernitrat. 


Konzen- 

Einwirkungszeit 


i trati0D 2 Min. 

5 Min. 

10 Min. 

30 Min. 

1 St. 

1 % ! + 

+ 

— 

— 

— 

Vs*/. I 1 + 

i + 

— 

— 

— 

i°o !' + 



_ 

— 

o 

o 

o 


+ i 

— 

— 

II 1 °'o j + 

*/.% j| + 

i — ! 

— | 

— 

— 

+ 

— 

— 

1 — 

jl 1 1°° | 


+ 

— 

— 

1 10/ _ 

I 1 Io 

— 

i _ 


— 

1/ 0/ 1 _ 

, 1*1 o 

— 

i 

— 

— 

10/ 1 

! 1 ; oo | ! 



— 

j — 


Es erwies sich demnach dieses Salz dem Sublimate in l°/ 0 - 
Lösung als gleichwertig, in sogar um ein Geringes überlegen. 

Ähnliche Ergebnisse wie die l°/ 0 -Lösung lieferte auch die 
1 j 2 0 -N orm allösung. 

Von anderen Metallsalzen wurden Zinksulfat, Zinkchlorid 
und Kupfersulfat in 10%-Lösungen bis zu einer Einwirkungszeit 
von 6 Tagen geprüft. 

In allen Fällen erfolgte, selbst bei den weniger widerstands¬ 
fähigeren Aspergillus flavescens und clavatus, ein nicht verzögertes 
üppiges Wachstum. 

Die genannten Körper sind daher selbst in den hohen an¬ 
gewendeten Konzentrationen nicht als Antiseptica zu betrachten, 
eine Thatsache, die verwunderlich erscheint, nachdem speziell 
das Kupfersulfat bei der Bekämpfung mancher pilzlichen Er¬ 
krankungen des Weinstockes und des Obstbaumes, z. B. Pere- 
nospera, eine bewährte Rolle spielt, und u. a. im Handbuch der 
Ohrenheilkunde von Schwartze 1893, II, S. 66 eine 2proz. 
Lösung von Cupr. sulfuricum bei mycotischen Erkrankungen des 
Trommelfelles empfohlen wird. 


Digitized by v^.ooQle 








Von Prof. A. Lode. 


131 


Ebensowenig günstige Resultate erzielten wir mit einigen 
anderen Neutralsalzen, z. B. Kochsalz in 50°/ 0 , Calciumchlorid 
in 30%, Natriumsulfat in kaltgesättigter Lösung. 

Säuren und Alkalien. 

Mit Rücksicht darauf, dafs vielfach bei Schimmelmykosen des 
äufseren Gehörganges Säuren in schwachen Lösungen sowohl in 
Wasser als in Alkohol empfohlen wurden, haben wir viele Säuren, 
sowohl anorganische als organische, hinsichtlich ihrer baktericiden 
Fähigkeit eingehend geprüft. 

Mit Rücksicht auf das unter Behrings Leitung von Lingels- 
heim aufgefuudene Gesetz, wonach bei Säuren die besondere 
Natur der Säure nicht, wohl aber der Titre der Lösung in Frage 
kommt, haben wir zunächst eine Anzahl Säuren vom gleichen 
Gehalt hergestellt. Bereitet .wurden doppelt Normalsäuren der 
Salzsäure, Salpetersäure, Schwefelsäure, Phosphorsäure, ferner 
der Ameisensäure, Essigsäure, Milchsäure, Citronensäure und 
Weinsteinsäure; verwendet wurden die Säuren, nachdem je die 
gleiche Menge der Emulsion von Sporen zugesetzt worden war, 
als einfache Normalsäuren. 

Ferner wurde eine Reihe kalt gesättigter Säurelösungen von 
im Wasser schwerlöslichen Säuren hergestellt; letzteres mit Rück¬ 
sicht darauf, dafs eine Reihe der hier anzuführenden therapeutisch 
empfohlen werden. Solche Lösungen wurden hergestellt mit 
Borsäure, Salicylsäure, Benzoesäure, Pikrinsäure, Gallussäure, 
Pyrogallussäure. 

Die antiseptischen Erfolge sind mit diesen Konzentrationen 
aufserordentlich geringfügig. 

In Normalschwefelsäure war der Aspergillus niger nach 
4 Tagen noch lebensfähig 1 ); in der gleichen Säurelösung war ein 
kräftiger Staphylococcus aureus nach 4 Stunden vernichtet worden. 

In Normalsalpetersäure war in einem Falle nach 4, im 
anderen nach 6 1 ) Tagen Aspergillus niger lebensfähig. 

In Normalsalzsäure w T urde der Aspergillus fumigatus nach 4, 
der Aspergillus niger nach 6 Tagen wachstumsfähig gefunden. 

1) Längere Zeiträume wurden nicht geprüft. 

9 * 


Digitized by CjOOQle 



132 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 

Gleiche Ergebnisse mit den Sporen des Aspergillus niger 
lieferte die Normalphosphorsäure nach 6 Tagen (Staphylococcus 
aureus ging nach 3 Stunden zu Grunde), die Chromsäure nach 
4 und 6 Tagen, die Ameisensäure nach 4 und 6 Tagen (Staphylo* 
coccus aureus war nach 2 Stunden abgetötet), die Essigsäure 
nach 4 und 6 Tagen (Kontroll-Aureus in 2 Stunden vernichtet), 
Citronensäure und Milchsäure nach 4 und 6 Tagen (letztere 
tötete den Aureus nach 3 Stunden). 

Es hatte also keine einzige Normalsäure die Sporen des ge¬ 
prüften Schimmelpilzes, selbst nach 6 Tagen, abgetötet. 

Von den kaltgesättigten, oben angeführten Säuren wurde die 
Borsäure, die Salicvlsäure, die Pikrinsäure, die Benzoesäure und 
die Gallussäure bis zu 7 Tagen, die Pyrogallussäure bis zu 4 Tagen 
geprüft. Keiner der Versuche zeigte Abtötung, noch erhebliche 
Entwicklungshemmung. Das gleiche Resultat ergaben 3 Ver¬ 
suche mit 5proz. Lösungen von Acidum tannicum. In alleu 
ausgesäten Röhrchen wuchs, ebenso auch bei den vorzitierten 
Versuchen mit Normalsäure, auch das Röhrchen zweiter Ver¬ 
dünnung, zum Beweise, dafs es nicht einmal zu einer starken 
Herabsetzung der Zahl der keimfähigen Sporen gekommen war. 

Höher konzentrierte Säuren scheinen auch aufserordentlich 
lange Zeiträume zur Abtötung zur erfordern, soferne nicht die 
Konzentration, z. B. bei der Schwefelsäure, eine so hohe ist, dafs 
es einfach zur Verkohlung des organischen Materiales kommt. 
Aus 27,93°/ 0 Schwefelsäure wuchs der Aspergillus niger noch 
nach 5 Tagen, und selbst der sonst verhältnismäfsig leicht ab- 
zutötende'Aspergillus clavatus nach 3 Tagen. Eine grofse Anzahl 
einschlägiger Versuche erscheint wertlos, da nur Zeiträume bis 
zu einer Stunde geprüft wurden. 

Eine recht hohe Wirksamkeit entfaltete dagegen in wässeriger 
Lösung die schwefelige Säure; wir stellten sie her, indem unter 
einer Glocke Schwefelfäden verbrannt und die Verbrennungsgase 
in einer Gaswaschflasche durch Wasser geleitet wurden. Der 
Titre, mit Jod gestellt, ergab einen Wirkungswert von 0,732°/ 0 S0 2 . 

Mit der halb verdünnten Lösung mit einem Prozentgehalt 
von 0,3ö6 wurden die Sporen aller unserer Schimmelpilze geprüft 


Digitized by CjOOQle 



Von Prof. A. Lode. 


133 


(Tab. XI); es ergab sich, dafs die Sporen des Aspergillus niger 
und flavescens eine Einwirkungszeit von 1 Stunde, die des Asper¬ 
gillus fumigatus und clavatus von einer halben Stunde zur Ab¬ 
tötung erforderten. Tabelle XI. 


80, 0,366%. 


Versuchs* 

Nr. 

Material : 
Sporen von 
|j Aspergilleen 

16 Min. 

J_ 

80 Min. | 

---, 

1 St. 

2 St. 

306 

1 niger 

1, 

l! 

+ 

+ 

1 

— 

— 

305 

flavescens 

ii 

+ 

+ 

I 

— 

— 

307 

clavatus 

; 

+ 

— 


— 

i — 

308 

1 fumigatus 

1 

+ 

— 


— 

— 


Von Alkalien wurde Natronlauge, kohlensaures Natron, 
Ammoniak und Kalkmilch geprüft. 

Die Natronlauge wurde zunächst als ungefähr 5 fache Normal¬ 
lösung verwendet. Ihre Wirksamkeit ist sehr grofs. 

In ungefähr Sfacher Normallösung (20proz. Lösung 1 ) waren 
die Sporen des fumigatus, flavescens und clavatus nach 5 Minuten 
getötet worden. Nur die Sporen des Aspergillus niger benötigten 
15 Minuten. 

In Lösungen von geringerem Prozentgehalte ergab sich 
folgendes: Tabelle XII. 


XaOH. 


Materiale 
Aspergillus. 

Konzentration | 
der NaHO*Lösg. ' 

10 Min. 

15 Min. 

30 Min. 

1 St. 1 

2 St. 

4 St. 

niger 

10°/.') 

+ 


+ 


— 


fumigatus 

*—k 

O 

o 

+ 




— 


flavescens 

1 io # /. 

+ 




— 


clavatus 

O 

e 

+ 



— 

— 


niger 

6% s ) 

+ 

+ 

+ 

+ 

— 


fumigatus 

5»/« ! 

' + 

+ 

! + 

— 

— 


flavescens 

6% | 

5°/. ! 

| + 

+ 

i + 

+ 

—- 


clavatus 

! + 

+ 

i + 

— 


I 

niger j 

27, % *) ! 

! + 

i + 

i " i_ 

+ 

+ 

— 

fumigatus t 

27,7« 

+ 

+ 

1 + 

1 + 

— 

— 

flavescens > 

2V, 7. I 

! + 

4- 

, + 

+ 

| + 

— 

clavatus | 

27,7. i 

1 + 

1 + 

+ 

! + 

1 _ 

— 


1) Genauer 5,37 fache Normallösung, entsprechend 21,5 °/ 0 . 

2) Genauer 2,68 fache Normallösung, entsprechend 10,75%. 

3) 1,34 fache Normallösung, entsprechend 5,32%* 

4) 0,67 fache Normallösung, entsprechend 2,66%. 


Digitized by CjOOQle 




134 Studien üb. d Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 


Obwohl wir bezüglich der Wirksamkeit des kohlensauren 
Natrons nach den bisher bekannten Thatsachen nicht allzuviel 
vorausgesetzt hatten, waren wir von der völligen Unwirksamkeit 
der J5proz. und lOproz. Lösung selbst nach 3 tägiger Einwirkung 
überrascht. 

Erstaunlich energisch wirkte auch Ammoniak, das in an¬ 
nähernd gleich konzentrierten Lösungen wie die Natronlauge zur 
Anwendung kam und eine Wirkung entfaltete, welche der des 
Natriumoxydhydrates gleich zu stellen ist. Der Wirkungswert 
wurde mit Normalschwefelsäure ermittelt bezw. gestellt. 

Tabelle XIII. 

Aminoniakflttssigkeit. 


Material 
Aspergillus: 

1-f 

i Konzentration 
der NHj-Lser. 

5 Min. 

10 Min. 

15 Min. 

1 

30 Min. 1 1 St. 

; 2 St. 

fumigatus 

21,5% 

— 

— 

— 

— 



niger 

21,5% 


— 

— 

— 

— 


fumigatus 

10,75% 

! + 

i + 

— 

— 

— 


niger 

10,75«/» 

-i- 

+ 

+ 

1 _ 

— 


flavescens 

10,75»/, 

— 

— 

— 

.- 

— 


clavatus 

, 10,75»/, 

— 

— 

— 

— 

— 


fumigatus 

5% 

+ 

+ 

+ 

— 

— 

— 

niger 

5% 

+ 

+ 

+ 

— 

— 

— 

flavescens 

5% 

+ 

+ 

+ 

— 

— 

— 

clavatus 

5% 

1 + 

+ 

+ 

— 

— 

— 

fumigatus 

2'/» % 


+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

niger 

27,% 


+ 

+ 

+ 

4- 

+ 

flavescens 

27,7. 

1 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 


Auffallend war, dafs bei Verwendung von NH S die Sporen¬ 
emulsion sich stark färbte. Die Aufschwemmung des Aspergillus 
niger war dunkelbraunschwarz, die des flavescens grüngelb ge¬ 
worden. Vielleicht erklärt sich die hohe Wirkung des Ammoniaks 
dadurch, dafs von demselben ein die Spore schützender Körper 
gelöst wird. Wir kommen auf eine ähnliche Erscheinung noch 


Digitized by v^.ooQle 















Von Prof. A. Lode. 


135 


unten zu sprechen. Gegenüber reinem Ammoniak zeigte auch 
die geprüfte Lösung von frisch bereitetem Kupferoxydammon, 
von welcher ein besonderer Desinfektionseffekt wegen seiner 
celluloselösenden Eigenschaft erwartet wurde, keine erheblichere 
Wirkung. 

Kalkmilch, die nach der bekannten für die Desinfektions¬ 
praxis empfohlenen Konzentration von 1 °/ 0 frisch hergestellt 
wurde, zeigte selbst nach 6- und 12 tägiger Einwirkung keine 
Beeinflussung der Lebensfähigkeit unserer Sporen. lOproz. 
Kalkmilch war dem Aspergillus fumigatus und niger gegenüber 
nach 10 Tagen noch wirkungslos. Die Sporen des Aspergillus 
flavescens und clavatus waren zwar nach 4 Tagen noch lebend; 
nach 8 tägiger Einwirkungszeit jedoch tot. 


Chlor, Jod, Brom. 

Mit Rücksicht auf die leichte Anwendbarkeit in der Des¬ 
infektionspraxis wurde Chlorkalk, der sich vegetativen Bakterien 
gegenüber so wirksam zeigt, in drei Versuchsreihen und in 
niedrigen Konzentrationen geprüft. Besonderes Vertrauen hatte 
ich von vornherein dem Chlorkalk gegenüber nicht, nachdem 
in früheren Versuchen anläfslich der Nachprüfung des Wasser¬ 
sterilisierungsverfahrens nach Traube oftmals Schimmelpilze 
gewachsen waren 1 ), nach Einwirkungszeiten, die zur Abtötung 
von Spaltpilzkeimen genügt hatten. Doch war damals die Be¬ 
stimmung der Schimmelpilzarten unterlassen worden. 

Der Wirkungswert der geprüften Chlorkalklösungen wurde 
durch Titrierung mit Normal-Arseniklösung unter Verwendung 
von Jodkalistärkekleister als Indikator ermittelt. Die Angaben 
beziehen sich daher auf den Gehalt an wirksamem Chlor. Da 
der verwendete Chlorkalk ungefähr 20 °/ 0 war, so ergibt sich der 
Gehalt an Chlorkalk, indem man die angegebenen Zahlen mit 
5 multipliziert. 


1) Hygienische Rundschau, 1899, Nr. 17. 


Digitized by VjOOQle 



136 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 

Tabelle XIV. 


Chlorkalk. 


Sporenmaterial 

Konzentration 

wirksames 

Chlor 

V. 

Min. 

1 

Min. 

Min. 

3 

Min. 

5 

Min. 

10 

Min. 

15 

Min. 

30 

Min. 

Asp. fumigatus 

0,67 •/, >) 

+ 

+ 

+ 

+ 



— 

_ 

» niger 

0,67 «/, 

+ 

+ 

+ 

+ 

— 

— 


— 

> flavescens 

0,67 % 

+ 

+ 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

> clavatus 

0,67 •/, 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

— 

— 

— 

> fumigatus 

0,1145«/.') 




+ 

+ 

+ 

— 

— 

> > 

0,1145 V. 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

— 

1 _ 

— 

> niger 

0,1145«/, 




+ 

+ 

+ 

+ 

1 — 

> flavescens , 

0,1146«/, | 

! + 

+ 

+ 

+ 

+ 

— 

— 


> clavatus 

0,1145«/, 




— 

+ 

— 

— 

j — 

> fumigatus 

0.067«/,«) 






— 

1 

' — 

> niger 

0,067 •/, 


i 




+ 


i — 

» flavescene 

0,067 •/, 


! 



i 

— 

, — 

— 

> clavatus 

0,067«/, 






— 

i 

— 


Die Lösung mit einem Chlorgehalt von 0,67 °/ 0 wirksamem 
Chlor, entsprechend einer 3,4proz. Chlorkalklösung, hatte ein der 
1 proz. Sublimatlösung nicht umVieles nachstehendes Desinfektions¬ 
ergebnis geliefert, selbst die 0,34 proz. Chlorkalklösnng hatte nach 
10 Minuten alle Sporen mit Ausnahme der des Aspergillus niger 
getötet. 

Das Jod wurde nur in 1°/<X> Lösung geprüft; ausgegangen 
wurde von einer Stammlösung, bestehend aus 0,2 Jod, 0,4 Jod¬ 
kalium, 100 Wasser. 

Das Resultat ergibt 

Tabelle XV. 


Jod-Jodkalium. 


Sporenmaterial j 

i 3 Min. 

5 Min. 

10 Min. 

15 Min. 

30 Min. 

1 St. 

Asp. fumigatus 

1 + 

+ 

+ 


— 

— 

* niger | 

| + 

-+- 

+ ; 

+ 

+ 

+ 


+ 

+ 

+ 

+ 

— 

> flavesoens 

! + 

— 

— 


— 

— 

> clavatus 

] + 

+ 

— 


— 

— 


1) ca. 3,34% Chlorkalk. — 2) ca. 0,6% Chlorkalk. — 3) ca. 0,34 % 
Chlorkalk. 


Digitized by v^ooole 









Von Prof. A. Lode. 


137 


Der Aspergillus niger hatte selbst nach einer Stunde Wider 
stand geleistet, während bei den übrigen Sporen befriedigende 
Resultate erzielt wurden. 

Auch das von Riedel geprüfte und von Behring warm 
empfohlene Jodtrichlorid zeigte eine erstaunlich hohe Wirksam¬ 
keit. Ausgegangen wurde von einer frisch bereiteten öproz. 
Lösung des von der Firma Merk in Darmstadt gelieferten Prä¬ 
parates. Der die Schleimhäute reizende Geruch erschwert übri¬ 
gens das Arbeiten mit diesem Präparate aufserordentlich. 


Tabelle XVI. 
Jodtrichlorid. 


Sporenmaterial 

Konzen- 1 
j tration 

1/ 

/S 

Min. 

i 

Min. 

2 

Min. 

3 

Min. 

6 

Min. 

10 

Min. 

15 

Min. 

30 

Min. 

1 

St. 

Asp. flavescens 

1*/« 


— 


_ 

— 

— 




> clavatus 

1% 

— 

— 

— 

— 

— 

— 




> fumigatua 

1 1 0/ 

1 '00 





+ 

+ 

— 

—■ 

— 

> 

1 */.•/. 0 



i 




+ 

— 

— 

> niger 

V/oo 

i 

i i 






+ 

+ 

— 

> > 

17» 

i • ! 

i 


i 

I 

+ 

— 

— 

— 



Mit Brom wurde zuerst der Versuch in der von Schum¬ 
barg für die Wassersterilisierung angegebenen Konzentration 
von 0,2 : 1000 gemacht. Nach zweistündiger Einwirkung war 
kein Erfolg hinsichtlich Abtötung eingetreten. Dagegen lieferte 
die lproz. und 2proz. Brom-Bromkalilösung günstige Ergebnisse. 


Tabelle XVII. 

Brom-Bromkalium. 


, 

Material 1 

i 

Konzen¬ 

tration 

-f ■ - ' 

|L - 

1 2 Min. 

Ein wirk 

5 Min. 

1 

ungszeit 

10 Min. 

30 Min 

Aspergillus 1 

2 7 . 

1 + 




fumigatus f 

17 . 

i + 

+ 

i 

! 

Aspergillus 1 j 

e 

© 

l - 

— 

— 


niger ) I 

1 0 / 

1 /0 

1 + , 

| - 

— 

— 


Kaliumpermanganat wurde in zwei Konzentrationen zum 
Versuche verwendet: 1. als l,75°/ 00 , 2. als doppelt normale 

Lösung. 


Digitized by 


Google 











138 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 

Erstere erwies sich selbst nach mehrtägiger Einwirkung macht¬ 
los, letztere gab hinsichtlich des Aspergillus flavescens und cla- 
vatus gute, hinsichtlich des praktisch bedeutungsvolleren Asper¬ 
gillus fumigatus schlechte Resultate. 


Tabelle XVni. 

Kalium hypermanganicum. 2 fache Normallfoung. 


I 

! 16 Min. 

30 Min. | 

1 St 

4 St. 

' 6 8t. 

24 St. 

Asp. fumigatus 

1 + 

+. j 

+ 

+ 

+ ! 

+ 

> clavatus 

+ 


— 

l “ 

— ! 

— 

> flavescens 

+ 

+ - 

— 

— 

— ' 

— 


I 


Körper aus der Benzolgruppe. 

Von den organischen Desinfektionsmitteln wurde die gröfste 
Anzahl der Versuche mit dem Phenol angestellt, welches in D /4 
und 2 J / 2 proz. Lösung zur Verwendung kam. 

Aspergillus niger allein wurde bei einer Konzentration von 
1,25 °/ 0 24 mal geprüft und gab im ganzen recht konstante Re¬ 
sultate. In 16 Fällen wuchsen die Proben noch nach 1 Stunde ; 

nicht mehr nach 2 Stunden; in 2 Fällen nach 2 Stunden und 

nicht mehr nach 3 Stunden. In 6 Fällen wuchsen die Proben 

nicht mehr nach 1 Stunde, wohl aber nach 45 Minuten. Nach¬ 

dem die Versuchsanordnung, die Nährlösungen u. s. w. stets gleich 
waren, ergibt sich aus dem Ausfälle der Versuche, dafs auch 
hinsichtlich der Widerstandsfähigkeit ein und derselbe Stamm 
zu verschiedenen Zeiten Schwankungen aufweist, ein Verhalten, 
das uns für Bakterien geläufig ist. 

Ähnlich wie Aspergillus niger, verhielten sieh bei gleicher 
Konzentration der Phenollösung auch die übrigen geprüften Sporen 
der Schimmelpilze. 

Tabelle XIX. 

Phenol 1,25%. 


Einwirkungszeit 

1 10 Min. 

| 15 Min. 

30 Min. 

1 St. 

2 St. 

Asp. niger 

+ 

+ 

+ 

+ 

— 

> fumigatus 

+ 

+ 

+ 

+ 

— 

> flavescens 

+ 

+ 

+ 

+ 

— 

> clavatus 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 


Digitized by v^.ooQle 








Von Prof. A. Lode. 139 

Aufserordentlich energischer wirkte das Phenol in 2 1 j 2 proz. 
Lösung. 

Tabelle XX. 

Phenol 2,5 Vo¬ 


Einwirkungszeit |j 

2 Min. 

3 Min. 5 Min. 

10 Min. 

30 Min. 

Asp. niger 

-1- 

! -(- — 

— 

— 

> fnmigatas |! 

+ 

; + , + 

— 

— 

> flavescens 

4- 

! — — 

— 

— 

> clavatas 

4- 

' + - 

— 

— 


ll! 5 proz. Phenollösung waren alle genannten Schimmel¬ 
sporen nach 1 Minute Einwirkungszeit nicht mehr gewachsen. 

Lysol prüften wir, indem von einer 4 proz. Stammlösung des 
Originalpräparates in destilliertem Wasser ausgegangen wurde, in 
2 proz. und 1 proz. Lösung. 


Tabelle XXI. 
Lysol. 


Material 

r -- - 

Konzen- 

" 

Einwirkungszeit 



tration 

_ 

5 Min. 

10 Min. 

30 Min. 

1 8t. 

2 St. 

Asp. fnmigatas 

2 7. l ! - 

— 

— 


— 

» niger 

2 7. 

— 

— 

— 

— 

— 

> flavescens, 

2 7. 

— 

— 

— 

— 

— 

» clavatas 

2 7. 

+ 

— 

— ' 

— 

i— 

> fnmigatas 

17. 

+ 

+ 

+ 

— 

— 

' niger 

17» 

+ 

+ 

+ 

+ 

— 

> flavescens 

17. 

+ 

+ 

+ 

— 

— 

» clavatas 

! 17.' 

+ 

i + ; 

4- 

— 

— 


Wie die Tabelle lehrt, kommt der 2 proz. Lösung des Lysols 
eine beträchtliche Wirkung zu. Bei Verwendung einer lproz. 
Lösung sinkt der Desinfektionswert des Lysols ganz aufserordent¬ 
lich und unverhältnismäfsig herab, ein Verhalten, das wir auch bei 
Verwendung des Staphylococcus pyogenes aureus gesehen haben. 

Im auffallenden Gegensätze zu diesen günstigen Ergebnissen 
mit Lysol stehen die Resultate mit wässerigen Lösungen der 
reinen Kresole. Es wurden alle drei isomeren Kresole in % und 
lproz. Lösung geprüft, allerdings nur dem Aspergillus niger 


Digitized by v^.ooQle 






140 Studien üb. d. Absterbebedingungeu d. öporen einiger Aspergillusarten. 


gegenüber. Aus Ortho , Para- und Metakresollösungen mit einem 
Gehalte von l°/ 0 trat nach eintägiger Einwirkungszeit noch Wachs¬ 
tum auf. Hierbei ist allerdings hervorzuheben, dafs wir nur 
schon seit 2 Jahren im Laboratorium bewahrte Präparate zur 
Verfügung hatten. 

2,5proz. Creolin tötete in 4 Tagen noch nicht, wohl aber in 
7 Tagen den Aspergillus fumigatus. 

1 proz. Saprolextrakt von Nördlinger hatte selbst nach 6 Tagen 
keine merkliche Wirkung. 

Anschliefsend sei auch erwähnt, dafs Thymol in ^/oo' und 
l 0 /^-Lösung und Aceton in 10 proz. Lösung keine Wirkung ent¬ 
faltet hatten. 

Äthylalkohol. 

Mit Rücksicht darauf, dafs therapeutisch Eingieisungen von 
Alkohol oder alkoholischer Lösungen von organischen Säuren 
wie Salicylsäure, Borsäure bei Schimmelmykosen als wirksam 
bezeichnet werden, haben wir der Erforschung der desinfizieren¬ 
den Kraft der Alkohole eine gröfsere Zahl von Versuchen ge¬ 
widmet. Von den Alkoholen erwies sich der Methylalkohol und 
der Amylalkohol als wenig wertvoll*). Staunenswert hoch ist hin¬ 
gegen die Wirkung des Äthylalkohols, selbst in geringeren Kon¬ 
zentrationen. Auch bei diesen Versuchen scheint die intensive 
Färbung der Alkoholsporenmischungen darauf hinzudeuten, dafs 
Bestandteile der Sporenmembran (harzartige Körper) in Lösung 
übergehen. Dafs wirklich ein Lösungsprozefs und nicht eine 
dichte Verteilung der gefärbten Sporen in Frage kommt, ergibt 
sich daraus, dafs auch die sorgfältig mit mehrfachen Filterlagen 
gewonnenen Filtrate sich noch intensiv gefärbt erweisen, obwohl 
höchstens vereinzelte Sporen in der Flüssigkeit mikroskopisch 
nachgewiesen werden können. 

Die gewonnenen Resultate ergeben die nachfolgenden Tabel¬ 
len, wobei der Einfachheit halber, dort wo eine Anzahl gleicher 
Versuche nicht völlige Übereinstimmung gab, die Durchschnitts¬ 
ergebnisse eingetragen wurden. 

1) 50 proz. Methyl- und Amylalkohol tötete Aspergillus niger und fumi 
gatus selbst nach 1 tägiger Einwirkung nicht. 


Digitized by CjOOQle 



Von Prof. A. Lode. 


141 


Tabelle XXII. 

Äthylalkohol. Material: Aspergillus fumigatus. 



Tabelle XXIII. 

Äthylalkohol. Material: Aspergillus niger. 



Tabelle XXIV. 

Äthylalkohol. Material: Aspergillus flavescens. 


Konzen* 

| Einwirkungszeit 

tration 

2 

5 

10 

15 

30 

1 

2 

5 

1 


Min. 

Min. 

Min. 

Min. 

Min. 

8t. 

St. 

St. 

Tag 

100 °/„ ! 

i __ 

I 



_ 

_ 




96% : 

1 _ 

i 


— 

— 





80% 1 

i l 

1 — 

— i 

— 

i — 

! 




60% i 


— 

— 

— 

| — 

— 




e 

©* 

GO 


| + 

— 

— 

1 

— 




40% : 



+ 

+ 

— 

— 

i 



20% i 

I i 



+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

o 

o 

: 1 

1 


+ 

+ 

\ 

+ 

l + 

j 

» 

T 

+ 


Digitized by v^.ooQle 










142 Studien Üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 

Tabelle XXV. 

Äthylalkohol, Material: Aspergillus clavatus. 


Einwirkungszeit 


Konzen- 


tration j 

; 1 

! 2 

6 

! io 

15 

30 

l 

2 

5 

1 T 


Min. 

| Min. 

Min. 

Min. 

Min. 

Min. 

at. 

St. 

St. 

Tag 

i 

100 »o 


_ 

i 

_ 

_ 

_ 

_ 





96% | 
80*/. 
60%; 

i + 

1 _ 

— 

— 

— 

— 

— 



1 




_ 

_ 

_ 

_ 

j _ 



48% 1 



+ 

— 

— 

— 





40% 




+ 

— 

— ! 

— 




20% 

i 






+ 

+ 

+ 

+ 

10% 

1 





+ 

+ 

+ 

i 

+ 

+ 


AuS der Betrachtung der Tabellen ergibt sich die verblüffend 
energische Einwirkung des Alkohols in Form von 96proz. und 
absolutem Alkohol. Vergleicht man die Wirksamkeit des Alkohols 
mit der des Sublimats, so findet man, dafs der Wirkung der ange¬ 
gebenen Konzentrationen eine ^proz. Quecksilberchloridlösung erst 
gleichkommt, und dafs die Wirksamkeit der in der chirurgischen 
und Desinfektions-Praxis zumeist verwendeten 1 ^oo-Sublimatlösung 
hinter der Wirkung selbst des 80proz. und 60proz. Alkohols zu¬ 
rückbleibt. 

Erst Alkoholkonzentrationen unter 50°/ 0 und 40°/ 0 werden, 
und zwar wie die Tabelle ergibt, rasch nach abwärts unwirksam, 
ein Umstand, der auch die Annahme zu stützen scheint, dafs 
die Hauptwirkung des Alkohols seiner lösenden Eigenschaft hin¬ 
sichtlich gewisser in Wasser und wässerigen Lösungen unlös¬ 
licher, das Protoplasma schützender Substanzen zu danken ist. 
Wird der das Protoplasma schützende Körper durch Lösung ent¬ 
fernt, so genügt eiue geringfügige Schädigung 1 ), um einen nam¬ 
haften Desinfektionserfolg zu erzielen. 

1) Xylol, welches, wie aus der Verfärbung der Flüssigkeit zu ersehen ist, 
ebenfalls den (harz ? artigen) Körper löst, wirkt als vermutlich indifferenterer 
Körper trotz seines Lösungsvermögens fast gar nicht im Sinne eines Anti- 
septicums. 


Digitized by v^.ooQle 






Von Prof. A. Lode. 


143 


Tabelle XXVI. 

Formaldehyd in Gasform. 

Die Sporenfäden , Einwirkungszeit 


Material 

waren während des ^ 

|j Versuches t 10 g 

o.2 

. i 

i iß 0 | 

1 I 

30 

Min. 

^ OQ 


Aspergillus 

i’ .. frei ■. + 

+ 

i 

+ 


— 

fumigatus 

in einer Papierkapsel -f- 

+ 

i + i 

+ 

“jf _ 

— 

Aspergillus 

jl__*_+_ 

_ -E. 

: + 1 

+ 

— 

- 

niger | 

1 in einer Papierkapsel -f- | 

I ~r 

, + ■ 

1±1 

L+J 

i_ T _ 

Aspergillus ) 

i | frei " + 

"-T 

i + : 

— 

1 — 

! — 

flavescens J 

1 ) in einer Papierkapsel | -f- j 

! + 

"f + i 

-+- 

r+”, 

| — 

Aspergillus | 

I ; frei '' + i 

+ 

i 1 


i — 

— 

clavatus j 

I in einer Papierkapsel , -f- ( 

i 

+ 


+ 

i 




Wie man ersieht, sind selbst in jenen Fällen, in welchen die 
Sporenfäden der Einwirkung des Gases frei preisgegeben waren, 
die Erfolge mäfsige und geringfügig im Vergleich mit der Wirkung 
anderer bequemerer und billigerer Antiseptica. 

Von Anilinfarben haben wir nur das Methylviolett geprüft. 
Da dieses unter den Anilinfarbstoffen hervorragend wirkende 
Präparat (Stilling 1 )) selbst nach mehrtägiger Einwirkung in 
lproz. Lösung keine Abtötung, noch merkbare Verzögerung des 
Wachstums hervorgebracht hatte, selbst den empfindlicheren 
Sporen des Aspergillus flavescens und clavatus gegenüber, wurden 
weitere Versuche mit dieser Körpergruppe unterlassen. 

II. Einwirkung der trockenen und feuchten Hitze. 

Mit Rücksicht auf die übereinstimmenden und erfolglosen 
Versuche von Renon und Lucet wurde es unterlassen, Pilz¬ 
sporen hinsichtlich ihrer Widerstandsfähigkeit niederen Tempera¬ 
turen gegenüber zu prüfen. 

Dagegen bemühten wir uns, die Leistungsfähigkeit trockener 
und feuchter Hitze festzustellen. 

Für die Prüfung der Einwirkung trockener Hitze diente ein 
Trockenschrank, der, mit Asbestpappe verkleidet und mit einem 

1) Lancet, XI, 965, cit. nach Flügge, Mikroorganismen, I, S. 474. 


Digitized by 


Google 






144 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarteu. 

Thermoregulator versehen, leicht auf eine beliebige Temperatur 
eingestellt werden konnte. Die Sporen waren wie bei den 
Formaldehydversuchen auf Sporenfäden angetrocknet. Die Fäden 
kamen zu bestimmten Zeiten in den Trockenschrank, der einige 
Stunden vor dem Beginn des Versuches hinsichtlich der Gleich¬ 
förmigkeit seiner Wärme kontrolliert worden war. Und zwar 
wurden die Fäden ohne Papierhülle in im Schranke befindliche 
Petrischalen gelegt. Macht man diese Einbringung nicht schnell 
genug, so fällt das Thermometer im Schranke beträchtlich. Hat 
man jedoch eine Übung im raschen Öffnen und Schliefsen des 
Kastens erlangt, vielleicht auch die Verschlufsvorrichtung durch 
Ölen oder Ausfeilen, Ausbiegen vervollkommnet, so ist man leicht 
imstande, für das Einbringen kaum mehr als eine Sekunde Zeit 
zu beanspruchen, in welcher Zeit das Thermometer nicht merk¬ 
bar absinkt. 

Die Versuche wurden bei 135° C., 125° C., 110° C., 100° C. uud 
80° C. angestellt und keine Versuchszeit unter 15 Min. gewählt. 
Letzteres geschah, um den Versuchsfehler möglichst zu verkleinern, 
der durch den schwankenden und unbestimmbaren Zeitverlust 
bis zur vollständigen Durchhitzung des Fadeninnern gegeben ist. 

Die Resultate ergaben, dafs alle vier Sporengattungen, sowohl 
bei 135° als bei 125° C. in 15 Min. abgestorben waren. Bei 
110° und 15 Min. Einwirkungszeit blieb nur der Aspergillus 
fumigatus lebensfähig, nach 30 Min. war auch dieser abgestorben. 

Einer Temperatur von 100° C. widerstand Aspergillus fumi¬ 
gatus, niger und flavescens durch 1 Stunde und 15 Minuten. 
Aspergillus clavatus war hingegen in dieser Zeit bereits abge¬ 
storben, während er 45 Minuten nach Beginn des Versuches sich 
noch züchtungsfähig erwies. Nach 2 Stunden 30 Minuten waren 
alle Sporen abgetötet worden. 

Die trockene Hitze von 80° C. tötete selbst nach sieben- 
stündiger Einwirkung keine Sporenart. 1 ) 

1) Unsere Versuche zeigen mit einigen aus der Litteratur erhobenen 
Daten eine leidliche Übereinstimmung. 

Gramer erwähnt Arch. f. Hyg. XIII, 105, dafs die Conidien des Brot* 
Schimmels nach Versuchen von Pasteur erst bei 127—132° C. absterben: 
nach II o fmann ertrugen die Sporen von Ustilago carbo und destruens 


Digitized by v^.ooQle 



Von Prof. A. Lode. 


145 


Wie zu erwarten stand, war feuchte Hitze ungleich wirk¬ 
samer. Die höchste Temperatur, die wir prüften, war die des 
strömenden ungespannten Wasserdampfes, welche übrigens infolge 
der hohen Lage Innsbrucks (ca. 580 m über dem Meere) nur 97° 
bis 98° C. betrug. Um ganz kurze Zeiträume in den Versuchen 
zur Anwendung bringen zu können, bedienten wir uns des im 
Institute üblichen Verfahrens. An das Dampfventil eines ca. 101 
Wasser fassenden Autoklaven ist mittels Schlauch, Glasrohr und 
Kautschukstopseis ein ziemlich weiter Glascylinder geschaltet, so 
dafs, durch das Ventil regulierbar, Dampf in den Oy linder ein¬ 
geleitet werden kann. Die vom Autoclaven abgewendete Seite 
des Cylinders ist mit einem leicht aufsteckbaren und abnehm¬ 
baren Stöpsel verschlossen, der 2 Bohrungen trägt, von denen 
die eine für ein feines Thermometer, die andere für ein ca. 1 cm 
im Durchmesser fassendes rechtwinkelig nach abwärts gebogenes 
Glasrohr bestimmt ist. Das Thermometer trägt in unmittelbarer 
Nähe seines Quecksilbergefäfses ein Körbchen aus Messingdraht¬ 
netz, welches leicht die Aufnahme mehrerer Sporenfäden ermög¬ 
licht. Der Cylinder, welcher mittels des Schlauches am Ventil¬ 
ansatz des Autoclaven befestigt ist, wird mittels Stativ leicht 
geneigt fixiert, damit das sich bildende Kondenswasser beim 
Abnehmen des Stöpsels sofort ausfliefsen kann. Bei länger 
dauernden Versuchen fliefst der (Jberschufs an Kondenswasser 
durch das Dampfausströmungsrohr aus. 


Temperaturen von 104—128° C. Leider fehlen in dieser Litteraturangabe 
die Einwirkungszeiten. 

Koch und G. Wolffhügel (Mitteilungen aus dem Reichs-Gesund¬ 
heitsamte, Bd. I, S. 301) berichten über Desinfektionsversuche im Trocken¬ 
schranke, angestellt an Sporen des Penicillium glaucum und Aspergillus 
niger. Der letztere ertrug eine Inständige Erhitzung, bei welcher durch 
länger als eine Stunde die Temperatur über 100° C. (im Maximum 128° C.) 
betragen hatte. 

In einem zweiten Versuche wirkte eine Temperatur von 120—128° C. 
durch l 1 /. Stunden ein; es erwiesen sich als getötet die Sporen von Peni¬ 
cillium glaucnm, Aspergillus niger und Botrytis vulgaris. 

Unter den Schlufssätzen der Arbeit findet sich: Schimmelpilze er¬ 
fordern zur Abtötung ungefähr eine l*/ 2 ständige Erhitzung auf 110—11b 0 C. 

Archiv für Hygiene. Bd. XLII. 10 


Digitized by 


Google 



j4(> Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 


Den Beginn der Einwirkung der Siedehitze rechnet man von 
jenem Momente, in welchem das Thermometer die für den Ver¬ 
suchstag geltende maximale Temperatur erreicht hat. Dieser 
Wert wird durch einen blinden Versuch vorher ermittelt. Bei 
Verwendung eines dünnen Quecksilbergefäfses und eines empfind¬ 
lichen Thermometers ist die Differenz zwischen dem Einfügen 
des Stöpsels und dem Zeitpunkte, an welchem die gewünschte 
Temperatur erreicht ist bei einiger Übung kaum mehr als zwei 
Sekunden. Nachdem man diese Differenz aufserdem bestimmen 
und durch Subtraktion eliminieren kann, lassen sich kleine Zeit¬ 
räume für den Versuch heranziehen. 

Die geringsten Zeiten, die wir verwendeten, waren 15 Sekun¬ 
den. In keinem einzigen Falle gelang es, selbst nach dieser 
Zeit, die Sporen einer der geprüften Aspergillusarten lebend zu 
finden, so dafs wir annehmen können, dafs die Einwirkung des 
strömenden Wasserdampfes bei 100°C. eine momentane Abtötung 
bewirkt. 

Es entfiel somit die Notwendigkeit, den abtötenden Eiufiufs 
gespannten Wasserdampfes zu prüfen. 

Weiterhin wurde die Wirksamkeit der Temperaturen von 
80, 70 und 60° C. geprüft; hierbei wurde so vorgegangen, dafs 
kleine Wassermengen (ca. 2 ccm) in sterilen Eprouvetten im 
konstant temperiert gehaltenen Wasserbade durch etwa */ 2 Stunde 
vorgewärmt und zu gemessenen Zeiten mittels der Pipette mit 
einem Tropfen der dichten Sporenaufschwemmung beschickt 
wurden. Die Eintragung des Tropfens geschah, so wie die Aus¬ 
saat, zu gemessenen Zeiten, ohne dafs die Eprouvetten aus dem 
Wasserbade entfernt wurden, so dafs die Temperatur des Wassers 
als konstant angenommen w T erden konnte. Die Probenentnahme 
geschah mittels einer Platinöse. 

Die zahlreichen Versuche ergaben folgendes Durchschnitts¬ 
ergebnis : 


Digitized by v^.ooQle 



Von Prot. A. Lode. 


147 


Tabelle XXVII. 



Die verschieden energische Einwirkung trockener und feuchter 
Hitze hat übrigens Gramer 2 ) schon gekannt und eingehender 
studiert. 

Bei dem relativ hohen Wassergehalte der Schimmelsporen 
erscheint diese Thatsache auffallend. Gramer zeigte in seinen 
unter Rubners Leitung angestellten Versuchen, dafs der Wasser¬ 
gehalt der Schimmelsporen als hygroskopisches und nicht die 
Gewebe durchsetzendes und benetzendes Wasser vorhanden sei. 
Der Nachweis wurde dadurch erbracht, dafs feuchte Sporen ge¬ 
trocknet und abermals in feuchte Luft gebracht wurden. Die 
Wägungen zeigten, dafs so wie andere hygroskopische Substanzen 
auch die Sporen in vollkommen mit Wasserdampf gesättigter 
Luft unabhängig von der Temperatur gleichviel Wasser auf¬ 
nehmen, als sie bei 100° wieder abgeben, während Substanzen, 
die mit tropfbar flüssigem Wasser durchsetzt und benetzt sind, 
nach dem Trocknen weit weniger Wasser aufnehmen. 

Wenn also Sporen in hohe trockene Temperaturen gebracht 
werden, so entweicht rasch das hygroskopisch gebundene Wasser, 

1) = Wachstum, — = gelungene Abtötung, = inkonstantes 
Resultat. 

2) Archiv f. Hygiene, B<1. XIII. 

10 * 


Digitized by v^.ooQle 








148 Studien Üb. d. Absterbebedingüngen d. Sporen einiger AspergilluBarten. 


und es resultiert ein wasserfreier Eiweifskörper, dessen Wider¬ 
standsfähigkeit gegen das Ooagulieren verständlich und bekannt 
ist. In feuchter Luft, also auch im Wasserdampf oder im Wasser, 
kann das hygroskopische Wasser nicht abgegeben werden und 
der leicht gerinnbare Eiweifskörper fällt rasch der Abtötung 
anheim. 

Überblickt man die Ergebnisse, welche in den vorstehenden 
Tabellen und Angaben zum Ausdrucke gebracht sind, so ist man 
über die geringe Widerstandsfähigkeit der Aspergillussporen 
einigermafsen überrascht. Insbesondere ihre Empfindlichkeit der 
feuchten Hitze, Alkalien und starkem Alkohol gegenüber zeigt 
uns, dafs sie hinsichtlich ihrer Abtötung nicht wesentlich 
schwierigere Bedingungen stellen als resistentere vegetative Formen. 

Starkem Alkohole gegenüber zeigen sie sich besonders hin¬ 
fällig, so dafs sie als beträchtlich weniger widerstandsfähig diesem 
Reagens gegenüber sich erwiesen, als z. B. in den Versuchen 
Mi nervi nis 1 ) der Micrococcus tetragenus, der Bacillus pyocyaneus, 
der Micrococcus prodigiosus, der Aureus und das Bakterium coli 
commune, von dem geprüften sporentragenden Anthraxbacillus 
und dem Heubacillus nicht zu reden. Hierbei handelt es sich 
nicht um unerhebliche Zeitdifferenzen, sondern um aufserordent- 
liche Unterschiede. Nach Minervini erhielten sich B. pyo¬ 
cyaneus, M. prodigiosus durch 12 und 24 Stunden im 99 °/ 0 
Alkohol lebend, Staphylococcus pyogenes aureus sogar durch drei 
Tage; unsere Schimmelpilzsporen waren fast ausnahmslos nach 
2 Minuten nicht mehr lebensfähig. Neben der quantitativ un¬ 
gleichen Wirkung ist es befremdend, dafs hinsichtlich der Kon¬ 
zentration und bactericiden Fähigkeit ein Parallelismus besteht, 
der wie Epstein 2 ) und Minervini 3 ) feststellten, hinsichtlich der 
Bakterien sich nicht findet. Bei diesen hatte 50 °/ 0 — 70% Alkohol 
annähernd die höchste Wirkung entfaltet; war die Konzentration 

1) Minervini, Über die bactericide Wirkung des Alkohols. Zeitschrift 
f. Hygiene u. Infektionskrankheiten, Bd. 29, S. 117. 

2) Epstein, Zeitschrift für Hygiene und Infektionskr., 1897, Bd. XXIV 

3) Minojvini, ebendb, Bd. XXIX, S 117. 


Digitized by VjOOQle 



Von Prof. A. Lode. 


149 


höher oder geringer, so fiel die desinfektorische Wirkung. 25 °/ 0 
Alkohol übertraf noch etwas die Wirkung des 80°/ 0 . 

Die wasserentziehende Fähigkeit des starken Alkohols für 
dies Verhalten den Schimmelpilzsporen gegenüber verantwortlich 
zu machen, geht nicht an, da ja die Schimmelsporen die Eintrock¬ 
nung, also die Wasser Verarmung, durch lange Zeiträume schadlos 
ertragen. 

Ungezwungener erscheint uns die Annahme einer durch 
Alkohol leicht lösbaren, schützenden Hülle, nach deren Beseiti¬ 
gung das Sporenprotoplasma der antiseptischen Einwirkung des 
Äthylalkohols bedingungslos ausgeliefert ist, eine Hypothese, 
welche bereits oben erwähnt wurde 1 ). 

Gegenüber diesem eigentümlichen Verhalten erscheint es 
befremdend, dafs selbst die stärksten Mineralsäuren in hohen 
Konzentrationen die Sporen nicht zu vernichten vermochten. 

Besondere Erwähnung verdient hier nochmals der Versuch 
mit der fast 28%, also ca. fast 5% fach normalen Schwefelsäure. 
Nach fünf Tagen wuchs noch der Aspergillus niger. Vergleicht 
man die Widerstandsfähigkeit dieser Sporen mit den vegetativen 
Formen, so fällt der gewaltige Unterschied leicht in die Augen. 
Unser Aureus vertrug Normalschwefelsäure, also eine 4,9 % 
Lösung durch 2—3 Stunden; v. Wunschheim 2 ) fand Aurei, die 
eine %% Lösung nicht durch 5 Minuten aushielten. 

Allerdings wirkt nach den Versuchen von Krönig und 
Paul 3 ) die Schwefelsäure entsprechend ihrem geringeren Dis- 

1) Für Penicillium glaucum wies Craraer (Arch. f. Hyg., ßd. XX 
S. 197: Die Zusammensetzung der Sporen von Penicillium glaucum und ihre 
Beziehung zu der Widerstandsfähigkeit derselben gegen äufsere Einflüsse, 
aus dem hygienischen Institute zu Heidelberg) in Analysen mit Verhältnis- 
mäfsig viel Untersuchungsmaterial Alkoholextrakte von rund 30°/ 0 des Ge¬ 
samtgewichtes nach. Der Alkohol extrakt stellte eine harzige, braune Masse 
dar. Dafs den fettartigen Körpern der Spore, welche auch durch einen 
hohen Ätherextrakt von mehr als 7 % zum Ausdrucke kommen, eine Be¬ 
deutung hinsichtlich der Widerstandsfähigkeit gegenüber wasserlöslicher Des- 
inficientien zukomme, welche auch in der schweren Benetzbarkeit Wasser 
gegenüber in Erscheinung tritt, hebt ebenfalls Cr am er a. a. O. S. 205 hervor. 

2) Archiv f. Hygiene, XXXIX, 2. Heft. 

3) Krönig und Paul, Die chemischen Grundlagen der Lehre von der 
Giftwirkung und Desinfektion. Zeitsehr. f. Hyg. u. Inf., Bd. XXV, S. 1. 


Digitized by v^.ooQle 



150 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten. 

sociationsgrade, etwas schwächer als einige andere Mineralsäuren, 
Salzsäure, Bromwasserstoffsäure, Überchlorsäure. Immerhin gehört 
diese Säure zur Gruppe der starken Säuren im Sinne der vor¬ 
genannten Autoren und der Schluls erscheint gerechtfertigt, dafs 
in praktischer Hinsicht, Säuren bei der Abtötung von Schimmel¬ 
pilzen aufser Erwägung zu bleiben haben. 

Wenn also die günstige Einwirkung von stark verdünnten 
Säuren, wie 1—2proz. Borsäure, Benzoesäure, z. B. bei mykoti¬ 
schen Ohraffektionen hervorgehoben wird, so dürfte dies zumeist 
auf einen Irrtum beruhen. In Fällen, und dies geschieht wohl 
meist, wo die Säure in Alkohol gelöst, dispensiert wird, ist die 
günstige Beeinflussung sicher dem Alkohol zuzuschreiben. 

Bei den Alkalien fiel die energische Einwirkung des Am¬ 
moniaks, die hinter der des Natriumoxydhydrates nicht zurück¬ 
blieb, auf. Krönig und Paul fanden in Versuchen mit dem 
Staphylococcus pyogenes aureus selbst dann ganz aufserordent- 
liche Unterschiede zu Gunsten der Desinfektionskraft des Natrium- 
oxydhydrates, wenn eine 3,5 % NH 4 -OH-Lösung gegenüber einer 
l°/ 0 NaHO-Lösung geprüft wurde. Nach 10 Minuten langer Ein¬ 
wirkung waren im ersten Falle alle Keime abgestorben, beim 
Ammoniumhydroxyd hingegen unzählbare Keime auf der Platte 
zur Entwicklung gekommen. 

Von dem Gesetze, dafs die Basen im Verhältnisse ihres 
Dissociationsgrades, d. h. entsprechend der Konzentration der in 
der Lösung enthaltenen Hydroxylionen desinfizieren, haben wir 
hier eine scheinbare Ausnahme vor uns, die sich vermutlich auf 
das verschiedene Verhalten der beiden Basen gegenüber der 
harzreichen schützenden Hülle der Sporen zurückführen läfst. 

Die tüchtige Wirkung der Halogenen: Chlor, Brom, Jod 
wurde früher gewürdigt, ebenso wie die Unverlässlichkeit der 
Sodalösungen und des Kaliumpermanganates besonders dem 
Aspergillus fumigatus gegenüber hervorgehoben wurde. 

Wenn wir mit Rücksicht auf praktische Verhältnisse auf 
Grund unserer Versuche Ratschläge erteilen wollten, so wäre 
folgendes zu bemerken: 


Digitized by CjOOQle 



Von Prof. A. Lode. 


151 


Handelt es sich um die Abtötung von Pilzen aufserhalb des 
tierischen Organismus, z. B. um die Desinfektion von . Ställen 
von Geflügel, oder Gebrauchsgegenständen, so würde in Betracht 
kommen: 

die Desinfektion im strömenden Wasserdampfe durch min¬ 
destens eine Viertelstunde, 

die ausgiebige Benetzung mit 2% Sublimatlösung, mit 5% 
Phenollösung, mit 2°/o Lysollösung oder mit etwa 3 °/ 0 Chlorkalk¬ 
lösung. Das harmloseste und, zweckmäfsig bewahrten, Chlorkalk 
vorausgesetzt, billigste und am leichtesten zu beschaffende Mittel ist 
das letztgenannte, dem wir pro praxi den Vorrang ein räumen würden. 

Bei Affektionen des äufseren Gehörganges scheint Alkohol 
allein zur Abtötung der Vegetationen auszureichen. Sind zarte 
Schleimhäute befallen, z. B. die Schleimhaut der Conjunctiva, wird 
inan durch wiederholte Anwendung von V2 °/oo 1 °/(H) Sublimat¬ 
lösung oder noch besser von 1 / 2 — 1% Silbernitratlösung zum 
Ziele kommen. 

Für die Therapie der Pneumomykosen haben wir keinen 
Anhaltspunkt gewonnen, da man kaum eines der als wirksam 
gefundenen Mittel in genügender Dosis an die erkrankten Stellen 
wird bringen können. 

Prophylaktisch wird man hingegen, insbesondere bei den 
eingangs erwähnten Gewerben der Haarkämmer und der Taubem 
mäster vorgehen können. Die zu sortierenden Haare müfsten 
statt mit Mehl in anderer Weise, etwa mit Alkohol oder Benzin, 
gereinigt werden. Würde dies aus technischen Gründen unzulässig 
oder minder geeignet sein, müfste man Arbeitstische mit Staub¬ 
absaugung vorschreiben und auf jeden Fall für strengste Rein¬ 
lichkeit in solchen Betrieben, die keinesfalls als Hausindustrie 
geduldet werden dürften, sorgen. 

Den Taubenmästern sollte die Fütterung von Mund zu Mund 
untersagt werden. Es scheint mir ein Leichtes zu sein, eine 
Vorrichtung, etwa einen mit einem geeigneten Mundstücke ver¬ 
sehenen Kautschukballon zu konstruieren, mittels welchem der 
Mehlbrei ebenso schnell den Tauben eingespritzt werden könnte, 
als dies mit dem Munde möglich ist. 


Digitized by 


Google 



152 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen etc. Von Prof. A. Lode. 

Anhang. 

Die vorliegenden Ergebnisse sind die wenigen positiven 
Resultate von ursprünglich gröfser angelegten Untersuchungen 
über die Pathologie der Aspergillusmykosen. Insbesondere 
sollte auch die Frage geprüft werden, ob nicht auf dem Wege 
der Schutzimpfung der Erkrankung beizukommen wäre. Gearbeitet 
wurde nur mit dem mir zur Verfügung stehenden, stark virulenten 
Aspergillus fumigatus. Zuerst wurde die Immunisierung ver¬ 
sucht, indem die in Bouillon oder Bierwürze nach längerem 
Wachstum entstandenen Stoff Wechsel produkte Tauben in kleinen, 
dann ansteigenden Mengen subcutan einverleibt wurden. Wurden 
die Tiere nach 1—2 monatlicher Behandlung zugleich mit frischen 
Kontrolltauben durch Inhalation infiziert, war weder hinsichtlich 
Dauer, Schwere, noch Eintritt der Erkrankung ein Unterschied 
zu bemerken. 

Ab und zu war eine Versuchstaube bei nasser oder trockener 
Versprayung nach deutlichem Kranksein am Leben geblieben; 
wir hofften bei solchen Tieren eine Immunität konstatieren zu 
können. Wurden sie nebst Kontrollieren einer zweiten Inhalation 
ausgesetzt, so war ebenfalls kein erworbener Schutz zu bemerken. 
Ebenso wenig hatte ein Schutz sich nach subcutaner Einver¬ 
leibung von auf 70° C. durch */ 2 Stunde erhitzten Kulturen aus¬ 
gebildet. 

Auch die Frage wurde zu beantworten gesucht, ob die Ur¬ 
sache des Todes eine Intoxikation der Körpers mit einem Gifte 
sei. Stoffwechselprodukte aus Würze und Bouillon erwiesen sich, 
selbst wenn die Kulturen mehrere Monate alt waren, als wirkungs¬ 
los oder riefen höchstens eine leichte Fieberbewegung hervor. 
Die Berkefeldfiltrate aus Leber und Lunge von/Tauben, die der 
Infektion erlegen waren, zeigten sich ebenfalls als unschädlich, 
wenigstens für das Leben des Versuchstieres. Wir sind also zur 
Annahme gelangt, dafs die Gesundheitsstörung nicht in erster 
Linie auf die Ausscheidung chemischer Gifte, als vielmehr in 
mechanischen Störungen, die durch die reichlich wuchernden 
Mycelien hervorgerufen werden, zurückzuführen sind. 


Digitized by CjOOQle 



Über die Verunreinigung des städtischen Hafens und 
des Flusses Akerselven durch die Abwässer der Stadt 

Christiania. 

Von 

Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold, 

o. o. Professor. Assistent am hygien.Institute, 

und 

Sigval Schmidt-Nielsen, 

Chem.-Ingenieur. 

(Aus dem hygienischen Institute der Universität Christiania.) 

(Mit Tafel II —IV.) 

I. Einleitung. 

Zur Geographie Christi&nias. — Über die Ursachen der Verun¬ 
reinigung des städtischen Hafens und des Flusses Akerselven. 

— Zusammensetzung der städtischen Abwässer. — 
Untersuchungsmethoden. 

Christiania, die Hauptstadt Norwegens, zählt zur Zeit ziem¬ 
lich genau 220000 Einwohner. Sie liegt am nördlichsten Ende 
des etwa 100 km langen Christianiafjords, von dem sich 
bei der Stadt ein blind endender, schmaler, ca. 20 km langer 
Arm, der ßundefjord, in südlicher Richtung abzweigt; dieser 
ist durch eine entsprechend lauge Landzunge, Näsodden, 
deren nördlichste Spitze etwa 6 km von der Stadt entfernt ist, 
vom Hauptfjorde getrennt. Letzterer ist zwischen Christiania 
und dem Städtchen Dröbak (2200 Einwohner), d. h. auf eine 
Strecke von ca. 35 km, bis etwa 8 km breit; bei Dröbak wird 
er dagegen auf die Breite von 1 */ 2 km eingeengt, um sich dann 
südlich von diesem Punkte bis zum Skagerack mehr und mehr 
zu erweitern. — Ferner sei hervorgehoben, dafs die Stadt durch 


Digitized by v^.ooQle 



154 Cher d. Verunreinigung d. stüdt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

den kleinen Flufs Akerselven, der aus dem ca. 10 km nörd¬ 
lich von der Stadt gelegenen Maridalssee entspringt, durchflossen 
wird; die Wassermenge des Flusses ist auf ca. 5 cbm pro Sekunde, 
d. h. 432000 cbm pro Tag geregelt. Akerselven läuft in den öst¬ 
lichen Hafen der Stadt, »Björviken«*) aus; letzterer wird durch 
eine kleine Landzunge, auf der die alte Festung Akershus ge¬ 
baut ist, vom westlichen Hafen, »Piperviken«, getrennt. An 
Piperviken schliefst sich wieder eine flache Bucht, »Frogner- 
kilen« 2 ), in westlicher Richtung an; dieselbe ist etwa 2 km 
lang und bis ca. 1 km breit. Am nördlichen Ufer des Frogner- 
kilen verläuft die Promenade »D rammens weg«, die nebst 
den anstofsenden Strafsen als Villenquartier benutzt wird; die 
andere Seite der Bucht wird durch die Halbinsel »Bygdö« be¬ 
grenzt. Bygdö ist ziemlich dicht mit Sommervillen bebaut; 
zwischen ihrem nordöstlichen Ufer und den kleinen Inseln 
»Hovedöeiu, »Lindöen« und »Nakholmen« ist die sog. 
»westliche Einfahrt« zum Hafen; hier befindet sich, in der 
Entfernung von ca. 3 km vom Pipervikens-Quai, der Leucht- 
turm »Dyna«. — Zwischen den Inseln Hovedöen und Lindöen 
auf der einen und »Blegöen« und »Gräsholmen« auf der 
andern Seite findet sich die »östliche Einfahrt« des Hafens 
mit dem etwas mehr als 3 km von dem innersten Quai Björ- 
vikens entfernten Leuchtturm »Hägholmen«. 

Zur Orientierung über diese Verhältnisse dienen die um¬ 
stehenden Karten; die kleinere (Karte I) derselben gibt eine Über¬ 
sicht über den Fjord bis Dröbak, während die gröfsere Karte 
einen genaueren Einblick in die örtlichen Verhältnisse der nächsten 
Umgebungen Christianias gestattet. 

Gehen wir nach dieser Besprechung zur Verunreinigung des 
genannten Flusses und des Hafens über, so sei zunächst hervor¬ 
gehoben, dafs dieselbe fast ausschliefslich von den städtischen 
Abwässern bedingt wird. Zwar betrug die Zahl der Schiffe, 
die während des Jahres 1900 in den Hafen einliefen, im ganzen 
10850, von denen 2350 aus- und 8500 inländische waren; im 

1) Vik = Bucht. 2) Kil = langgestreckte Bucht. 


Digitized by v^.ooQle 



Von Dr Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 155 


Durchschnitt wird die Besatzung dieser auf 12 Mann pro Schiff 
vom Auslande und 6 Mann pro Schiff von norwegischen Häfen 
geschätzt, was zusammen etwa 80000 Seeleute jährlich gibt. 
Selbst wenn man aber rechnet, dafs jedes Schiff einen ganzen 
Monat im Hafen verweilt — eine Angabe, welche selbstverständ¬ 
lich viel zu hoch gegriffen ist — mufs man, um sich die Anzahl 
Seeleute zu vergegenwärtigen, die sich pro Tag im Hafen auf¬ 
halten, 80000 durch die Zahl der Monate dividieren. Dafs die 
Verunreinigung, die von der so gewonnenen Zahl von etwa 
(>—7000 Seeleuten herrührt, im Vergleich mit den Abwässern 
einer Bevölkerung von 220000 Menschen keine gröfsere Rolle 
spielt, ist einleuchtend. Insofern ist es auch nicht von 
gröfserer Bedeutung, dafs die Zahl der Schiffe während der 
letzten Jahre vor 1900 etwas gröfser wie die oben erwähnte war 
(z. B. war der Verkehr anno 1899 um etwa 400 aus- wie in¬ 
ländische Schiffe gröfser). Ebensowenig hat auf die Verunreini¬ 
gung des Hafens der Umstand einen erheblichen Einfiufs, dafs 
der Hafen von Christiania zu gewissen Jahreszeiten von nor¬ 
wegischen und fremden Kriegsschiffen und Yachten ange¬ 
laufen wird. 

Im grofsen Ganzen stammt, wie gesagt, die Verunreinigung 
des Flusses und Hafens von den städtischen Sielen. (Letztere 
nehmen in Christiania keine Fäkalien auf, da die Stadt seit 
einigen Jahren ihre früheren Abtrittsgruben durch Kübelsystem 
zu ersetzen im Begriffe steht.) Die Hauptsiele sind auf der 
gröfseren der beigegebenen Karten mit blauer Farbe eingezeichnet; 
sie ergiefsen sich an zahlreichen Mundungen teils in den ge¬ 
nannten Flufs, teils in den Hafen oder in Frognerkilen. Aufser- 
dem gibt es aber auch im südöstlichen Teile der Stadt einige 
Häuserreihen, deren Abwässer sich in den kleinen Bach Loelven 
entleeren. 

Kurz oberhalb dieser Mündungen entnommene Proben des 
Sielwassers haben eine gelbliche oder graue Farbe und gewöhn¬ 
lich eine neutrale, mitunter schwach alkalische Reaktion. Nur 
ausnahmsweise haben sie einen auffallenden Geruch; das spezifische 
Gewicht ist nach unseren Untersuchungen ca. 1008—1012 (mittels 


Digitized by CjOOQle 



156 Überd. Verunreinigung d. etädt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

Westphalscher Wage bestimmt) und unterscheidet sich somit in 
Christiania, wie man auch anderswo gefunden hat, sehr wenig 
von demjenigen des reinen Süfswassers. Die Flüssigkeit ist 
trübe, was von verschiedenen Mengen von mehr oder weniger 
voluminösen Schwebestoffen herrührt, die sich zum Teil als 
Futterreste, Pferdemist u. dergl. identifizieren lassen; zum Teil 
sieht man auch zahlreiche kleinste suspendierte Flöckchen. 

Bei ruhigem Stehen, z. B. in einem hohen Glase, setzen 
sich die gröberen Schwebestoffe und ein Teil der Flöckchen 
recht schnell als ein Bodensatz ab; mit den übrigen Flöckchen 
geschieht dies dagegen erst allmählich, und selbst nach mehreren 
Tagen — wenn die Flüssigkeit meist nach Schwefelwasser¬ 
stoff zu riechen angefangen hat — behält sie eine Trübung, 
die auch nicht beim Filtrieren durch Fliefspapier gänzlich 
verschwindet, und die sich bei mikroskopischer Untersuchung 
als durch Mikroorganismen (Bakterien, Infusorien) verursacht 
zeigt. 

Wir haben von diesem Sielwasser zu verschiedenen Jahres¬ 
zeiten eine Reihe von Analysen ausgeführt, deren Resultate 
in Tabelle I pag. 158 dargestellt sind. Zur Ausführung dieser Be¬ 
stimmung haben wir jedesmal 2 bis ca. 13,5 1 Wasser in Arbeit 
genommen; die gröfseren Portionen repräsentieren eine Mischung 
der Vor- und Nachmittagsproben von verschiedenen Sielen 
(bis 6); die kleineren Portionen sind zum Teil nur Vor- oder 
Nachmittagsproben von einem oder mehreren Sielen. Aus der 
Tabelle ist ersichtlich, dafs der Gesamtgehalt des Sielwassers 
an sog. Schwebestoffen durchschnittlich 0,45 g pro 
Liter ausmachte; es läfst sich ferner aus den angeführten Zahlen 
leicht berechnen, dafs der Glühverlust dieser Stoffe durchschnitt¬ 
lich ca. 60°/ 0 derselben entspricht; diesen Verlust haben wir in 
der Tabelle als »organische Bestandteile« aufgeführt. Ferner sei 
bezüglich der Schwebestoffe erwähnt, dafs sie durchschnittlich 
ca. 3°/ 0 organischen Stickstoff enthielten (Kjeldahls Verfahren). 

(Siehe Tabelle I auf S. 158 u. 1590 


Digitized by CjOOQle 



Von th\ Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 157 

Nach Entfernung der Schwebestoffe wurden im Filtrat — 
wie ebenfalls aus der Tabelle ersichtlich — durchschnittlich 
ca. 0,64g gelöster Stoffe pro Liter nachgewiesen; ihr Glüh¬ 
verlust war im Durchschnitt 38 °/ 0 und ihr Gehalt an organischem 
Stickstoff gleichfalls ca. 3°/ 0 . Zur letzteren Zahl — die aller¬ 
dings bedeutenden Schwankungen unterlag — kommt noch etwas 
Stickstoff, der als freies Ammoniak oder Ammoniakderivate vor¬ 
handen war. Die Menge dieser freien und flüchtigen Verbin¬ 
dungen haben wir jedoch nur in Einzelfällen bestimmt ; als Durch¬ 
schnitt fanden wir ca. 23 mg Ammoniak pro Liter Sielwasser 
(entsprechend ca, 19 mg Stickstoff). Ferner war der durchschnitt¬ 
liche Chlorgehalt des Filtrats 167 mg und der Sauerstoffverbrauch 
bei den wenigen Untersuchungen, die nach dieser Richtung vor¬ 
genommen wurden, 62 mg pro Liter. Schliefslich mag hier noch 
erwähnt sein, dafs die Zahl der Bakterien im Sielwasser von 
einigen Hunderttausenden bis 50 Millionen pro Kubikmeter 
schwankte. 

Weil unter anderem das Sielwasser nur während des Tages 
und nicht auch während der Nacht untersucht worden ist, können 
diese Ergebnisse keineswegs auf Vollständigkeit Anspruch machen. 
Im grofsen Ganzen stimmen sie jedoch einigermafsen mit ver¬ 
schiedenen Analysen derselben Art, die an anderen Orten vor¬ 
genommen sind, überein; auf der anderen Seite gibt es zwar 
Städte, bei denen sowohl der Gehalt des Sielwassers an Schwebe¬ 
stoffen wie an gelösten Bestandteilen erheblich höher gefunden 
wurde. Zum Vergleiche dient die Tabelle 2, die nach König 
zusammengestellt ist. 

(Siehe Tabelle II auf S. 160.) 

Aus diesen Zahlen läfst sich leicht berechnen, dafs die 
städtischen Siele dem Flusse und Hafen allmählich Verunreini¬ 
gungen beträchtlicher Art zuführen müssen. Nach den dies¬ 
bezüglichen Erfahrungen ist die Menge Sielwassers, die pro Tag 
auf jeden Einwohner einer Stadt die Siele verläfst, ungefähr dem 

(Fortsetzung des Textes auf S. 161.) 


Digitized by CjOOQle 



Tabelle I. 


Zusammensetzung des 


Datum 

der 

Proben¬ 

entnahme 


Entnahmestelle 


20. XII. 
Nachm. 5 h 

22. XII. 
Vorm. 9 h 

Nachm. 1 h 


1901 . 

7.1. , 

Vorm. 11 h 
Nachm. 5 h 


21. I. 

Vorm. 11h 
Nachm. 5 h 


28. I. 
Vor- und 
Naehm. 
15. II. 
Vor- und 
Nachm. 
27. III. 
Vor- und 
Nachm. 


16. IV. 
Vor- und 
Nachm. 

21. IV 
Vor- und 
Nachm. 


Durchschnitt 


Aussehen, Reaktion u. s. w. 


Anzahl Keime 
pro ccm 


1900 . 

21. VI. Vorm. | Sophienbergbach am Aus¬ 
lauf in Akerselven. 


Bisletsi el: Ecke Störth i n gs- 1 
1 u. Tordenskjoldsstrafse. 


Ecke Svolders- und Leif | 
Eriksensstrafse (Skille- 
bftk, Frognerkilen). 
Ecke Munkedamsweg u. 
Nils Juellsstrafse (Skille- 
bäk, Frognerkilen). 
Ecke Munkedamsweg u. 
Drammensweg (Skillebäk, 
Frognerkilen). 

Bisletsiel: Ecke Torden- 
skjold8- u. Storthingsstr. 
Ecke Reichweins- u. Han 
steensstrafse (mündet bei 
Filipstad, Piperviken) 
Ecke Rödfyld- u. Karl XII.- 
Strafse. Ecke Rathaus- u. 

Königestrafse. 

Ecke Neue Strafse u. Gun- 
nerusstr. Hauptsiel bei 
Neue Brücke. (Die Siele 
münden in Akerselven) 
do. 


Bisletsiel: Storthingsstr. 

(Vor- und Nachm.) 
Hauptsiel: Rödfyldstr. 
(Vor- u. Nachm.); das Siel 
mündet in Akerselven 


Bräunlich-grau, schwacher eigentümlicher 
Geruch, neutrale Reaktion, bildet einen 
spärlichen, feinflockigen, grauen Bodensatz 
(ca. 2 1). 

Grau, trübe, bildet schnell einen grauen, 
etwas grobflockigen Bodensatz, neutrale Re¬ 
aktion, schwacher Geruch (ca. 2 1). 
Hellgrau, fader Geruch, neutrale Reaktion, i 
bleibt trübe beim Stehen (ca. 2 1). 

Schwärzlich-grau, fauler Geruch, schwach 
alkalische Reaktion, wird beim Stehen fast J 
klar (ca. 2 1). 

Grau-gelblich, fader Geruch, neutrale Re¬ 
aktion, bildet einen erheblichen Bodensatz 
(ca. 2 1). ■ 


54 400 OOO 
(3 500 000 
Schimmel, 

ca. 30 000 000 


Schmutzig-grau mit spärlichem Bodensatz, „ J 95500OO 
ohne Geruch, neutrale Reaktion. Die Ana- Vrm, j £655(XX‘ 
lyse bezieht sich auf ein Gemisch von je . 

1 1 von jeder Entnahmestelle. Nm. | * 

(106150t* 

Mittlerer Bodensatz, sonst wie die vorigen. Vorm. 300 000 
Von den Entnahmestellen werden gleich (in 2 Proben 
grofse Proben, im ganzen 13,6 1, gemischt 
und analysiert. 


Aussehen u.s w. ungefähr wie vorige Probe; 
wurde auf dieselbe Weise behandelt. Im 
ganzen 10 1 wurden analysiert. 


do. do. Im ganzen 8 1. 


a) Storthingsstrafse. Vorm. Grau, ohne Ge¬ 

ruch, geringer Bodensatz. 

b) Rödfyldstrafse. Vorm. Bräunlich, fader, 
salzartiger Geruch, geringer Bodensatz. 

c) Storthingsstrafse. Nachm. Grau, fader 

Geruch, mehr Bodensatz als Vorm. 

d) Rödfyldstrafse. Nachm. Grau, ohne Ge¬ 

ruch, Bodensatz wie Vorm. 

I Vorm. . 

Wie vorige. { „ , 

6 Nachm. . 


Vorm. 300 OOO 
(1 Probe) 


a) 2 950 OOO 

b) 2 700 000 

c) 35500<X< 

d) 380000 


do. do. 


Vorm. 

Nachm. 


1) Im Trockenrückstande nach Kjeldahls Verfahren bestimmt. 2) Während 
um das Entweichen möglicherweise vorhandenen freien Ammoniaks zu verhindern. 


Digitized by 


Google 






Sielwassers, Chrlstiania. 


Tabelle I 


Schwebestoffe pro Liter | 

Ttoo k.-: Glüh- Stick- Trock 

Ruck-' rer- Stick- stoff % Rücks 

«tancl , lust Asche Stoff auf i. ganj 
i. ganz. I des ‘ p ro Trock.- ] in g 

in Trock - Liter 1 ) Rückst.|i pro 

her. 


Gelöste Stoffe pro Liter 

Trock.-; I Sauer- , 'Stickst.I 

Rückst 1 Glüh- , rhl r Stoff- i Stick * I °/n Freies 

i. ganz. | Verlust ' nior ver . j lauf den 1 Am¬ 

in K (organ. i Asche ,^ ru brauch '■ pro I Trock.- moniak 


P ro Stoffe) 
Liter 



1? 

g 

g 



g 

g 

g 

g 

g 


g 

0,484 

— 

— 

— 

— 

0,716 

0,278 

0,438 

0,137 


— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,516 

0,132 

0,384 

0,096 

' 

— 

— 

— 

0,388 

— 

— 

0,0069 

1,78 

— 

— 

— 

0,113 

— 

— 

— 

— 

0,293 

0.130 

0,163 

| 0,0102 

3,48 

0,560 

0,093 

0,467 

0,135 

— 

— 

— 

— 

0,334 

0,183 

0,151 

0,0110 

3,29 

0,706 

0,148 

0,558 

0,21« 


— 

- 


0,463 

0,275 

0,188 

0,0128 

2,76 

0,315 

0,086 

0,229 

0,188 

— 

— 

— 

— 

0,448 

0,348 

0,100 

0,0112 

2,50 

1,080 

0,376 

0,704 

! 

0,281 

— 

0,0442 

— 

— 

0,443 

0,256 

0,187 

0,0111 

2,50 

1,026 

i 

0,357 t 

0,669 



0,0158 

1,54 

1 — 

0,477 

— 

— 

— 

— 

0,452 

i 

— 


_ 

! — 

— 

— 

— 

Jo.429 

0,348 

0,061 ! 

0.0115J 

2,68 

0,565 

0,339 ! 

0,226 

0,120 

0,0678 

0,0182 

3,22 

- 

} 1,524 

1,140 

0,384 ; 

1 

0,0439 

1 

2,88 

0,959 

0,310 

0,649 

0,286 

0,0910 0,0173 

i 

1,80 

— 

0,340 

0,070 

0,270 

i 

0,0060 

1 

1,77 

i 

0,519 

0,342 

0,770 



j 

0,0161 i 

3,10 

» 1 

1 

0,0381 ' 

0,214 

0,074 

0,140 

0,0054 

2,52 

0,471 

0,173 

0,298 | 


— 

0,0377 

8,00 

0,284 ' 

0,201 

0,083 

0,0104| 

3,66 , 

, 0,499 

0,348 

0,121 

0,126 ' 

0,0355 

0,0095 

1,90 

0,0218 

0 205 

0,129 

0,166 

0,0189 

6,40 

0,560 

0,199 

0,361 1 

I 

0,133 

0,0560 

0,0100 

1,79 

0,0097 


2 1 jeder 
Probe wur¬ 
den zur Ana¬ 
lyse heraus- 
genotnmen 
(4 1 Vorm. u. 
4 1 Nach in .; 


D.Vorm -Pro¬ 
ben wurden 
vermischt, 


nmn. Neluu. 
ebenso. 


<*,458 0,286 0,172 0,0133 3,02 0,639 0,215 0,437 0,167 0.0626j 0,0178 3,05 (',0232 

«lampfens mit einigen Tropfen verdünnter Schwefelsäure (bis zur schwach sauren Reaktion) versetzt, 


Digitized by 


Google 






160 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 



Digitized by v^.ooQle 


Zusammensetzung des Sielwassers einiger europiischer Stttdte. Nach König, Verunreinigung der Gewässer, II, 8.8 





Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus (Udrsvold u. Sigval Schinidt-Nielsen. lf>l 


täglichen Wasserverbrauch pro Kopf gleich. Dieser ist in Ohristi- 
ania ca.. 130 1; man wird deshalb kaum zu hoch greifen, wenn 
man in Übereinstimmung mit den besprochenen Zahlen die 
Schwebe- und gelösten Stoffe, die sich pro Kopf und Tag 
(ca. 24 Stunden) durch die Siele Christianias entleeren, etwa auf 
130 X 0,4 = 52 g und 130 X 0,6 = 78 g veranschlagt. Dies gibt 
für die erwähnte Bevölkerung von 220000 Seelen ca. 28000 cbm 
Sielwasser mit ca. 11000 kg (11 Tonnen) Schwebe- und ca. 17 000 kg 
gelösten Stoffen in 24 Stunden, d. h. ca. 4000 Tonnen der ersteren 
und 6000 Tonnen der letzteren Art pro Jahr. Hierzu kommen 
noch enorme Mengen von Mikroorganismen. 

Von besonderer Wichtigkeit ist aber nun die Beantwortung 
der Frage, in welcher Ausdehnung diese Schmutzstoffe sich im 
Flusse und Hafen nach weisen lassen. Bevor wir zu den dies¬ 
bezüglichen Untersuchungen übergehen, sei in Kürze folgendes 
hervorgehoben: 

Während verschiedene Verfahren, die bezüglich der Untersuch¬ 
ung von verunreinigtem Siifswasser uns zur Verfügung stehen, 
durchaus brauchbare Resultate ergeben, sind die entsprechenden 
Methoden, die sich auf die Verunreinigung des Salzwassers 
beziehen, noch sehr wenig ausgearbeitet, da diese Verunreinigung 
bei den verhältnismälsig wenigen Untersuchungen, die bisher 
vorliegen, meistens allein vermittelst Bakterienzählungen fest¬ 
gestellt wurde. Indem wir bezüglich der einschlägigen Litteratur 
(Russell 1 ), de Giaxa 2 ), Cassedebat 3 ), Alessi 4 ), Schier¬ 
beck 0 ) u. a.) auf die Originalarbeiten und hauptsächlich auf die 
umfassenden Arbeiten Fischers 6 ) verweisen, sei als Ursache 
dieser Erscheinung erwähnt, dafs weder der Sauerstoffverbrauch, 
noch der Glühverlust oder der Chlor- und Stickstoffgehalt, wie 
dies so sorgfältig von Fischer untersucht worden ist, Anhalts¬ 
punkte in Bezug auf die Verunreinigung des Salzwassers geben. 

r Zeitschr. f. Hygiene, Kd. XI. 

2) Ebenda, Bd. VI 

3) Revue d’Hygi&ne, 1894. 

4) Referiert von Fischer, S 112—11G. 

5) Hospitalstidende (Dänisch), 1899. 

6) Zeitachr. f. Hygiene, Kd. XXIII. 

Archiv fiir Hygiene. Bd. XL1I. 11 


Digitized by CjOOQle 



162 Über d. Verunreinigung d. stftdt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc 

Bei den Untersuchungen des Hafenwassers zu Christiania 
liaben wir deshalb von diesen Verfahren abgesehen. Dasselbe 
gilt für die von Fischer u. a. (z. B. Schi erb eck) benutzten 
Bestimmungen des Gehaltes an Schwebestoffen, zumal da es im 
Hafen von Christiania häufig vorkommt, dals das Wasser während 
und nach südlichen Stürmen stark getrübt wird, ohne dafs dies 
auf eine Verunreinigung mit Sielwasser zurückzuführen ist. Da¬ 
gegen bezogen sich unsere Untersuchungen erstens auf den am 
Grunde des Flusses Akerselven und des Hafens befindlichen 
Schlamm; dieser wurde meistens nur chemisch analysiert. 
Zweitens untersuchten wir das Flufs- und Hafenwasser, 
das erstere nach dem sonst üblichen Verfahren, das letztere teils 
mittels Bakterienzählungen, teils aber auch vermittelst Bestim¬ 
mung seines Salzgehaltes. Zwar gibt der letztere, wie erwähnt, 
bezüglich der Verunreinigung keinen direkten Anhaltspunkt; 
nach den Untersuchungen, die während der späteren Jahre von 
skandinavischen Hydrographen ausgeführt sind, konnten wir in¬ 
dessen hoffen, durch derartige Bestimmungen, in Verbindung 
mit Beobachtungen der Ström ungs- und Temperatur Verhältnisse 
des Hafens, uns darüber ein Urteil zu bilden, in welcher Aus¬ 
dehnung das Hafenwasser als stillstehend angenommen werden 
muls, oder umgekehrt, in welcher Ausdehnung es regelmäfsig 
gegen nicht verunreinigtes Wasser vom äufseren Teile des Fjords 
ausgetauscht wird — ein Unterschied, der natürlich für die Ver¬ 
unreinigung des Hafens von gröfster Bedeutung sein wird. 

2. Über die Verunreinigung des Grundes des Akerselven und des 

Hafens. 

Wie oben besprochen, setzt sich ein wesentlicher Teil der 
im Sielwasser aufgeschwemmten Schwebestoffe bei Versuchen 
im Laboratorium ziemlich schnell als Bodensatz ab. Es ist da¬ 
her ä priori nicht unwahrscheinlich, dafs derselbe Vorgang sich 
auch nach Entleerung der Abwässer in den Flufs (d. h. Akers¬ 
elven) und den Hafen statthaben wird. Um so wahrscheinlicher 
ist dies gerade in Bezug auf den Hafen, als es sich bekanntlich 
ergeben hat, dafs die Sedimentierung von Schwebestoffen durch 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 163 

Vermischen mit Meerwasser erheblich beschleunigt wird. (Diese 
u. a. von Fischer besprochene Thatsache haben auch wir durch 
Versuche mit Sielwasser konstatieren können.) 

Falls aber ein grofser Teil der Schwebestoffe sich schon im 
Flusse und in der nächsten Umgebung der Sielmündungen am 
Hafen u. s. w. absetzt, mufs diesem Umstande eine grofse Be¬ 
deutung beigemessen werden. Denn wie wir bereits angedeutet 
haben, gehen diese Stoffe leicht in Fäulnis über unter Bil¬ 
dung von Schwefelwasserstoff. Dies ist ja auch leicht 
zu erklären, wenn man daran erinnert, dafs ihr Glühverlust und 
ihr durchschnittlicher Gehalt an organischem Stickstoff im Durch¬ 
schnitt zu 60°/ 0 bezw. 3 °/ 0 bestimmt wurde, welche letzter Zahl 
nach der üblichen Berechnung etwa 19 °/ 0 Ei weifsstoffen ent¬ 
spricht. Falls sich deshalb ein gröfserer Teil der Schwebestoffe 
schon im Flusse, bezw. im innersten Teile des Hafens u. s. w. 
absetzt, werden diese Bestandteile des Sielwassers 
mitten in der Stadt und in der nächsten Umgebung 
derselben eine erhebliche Verunreinigung der Luft 
veranlassen können. 

Diese Vermutungen werden auch durch die tägliche Er¬ 
fahrung bestätigt. Fortwährend müssen diese Stoffe durch aus¬ 
gedehntes Baggern vom Flusse und Hafen entfernt werden. So 
lagert sich nach gütiger Mitteilung seitens des Herrn Hafen¬ 
ingenieurs Schiötz fortwährend eine bedeutende Menge eines 
losen schwärzlichen Schlammes, des sog. »Schlick«, am Boden 
des inneren Hafens ab. Diese Ablagerung nimmt um so mehr 
an Mächtigkeit zu, je mehr man sich den Mündungen der Siele 
nähert. Aber noch in einer Entfernung von 150 m von der Stelle, 
wo sich durch das »Bisletsiel« die Abwässer von ca. 40 bis 
50000 Einwohnern in den westlichen Hafen (Piperviken) entleeren, 
kann dieser Schlamm so tief sein, dafs die Taucher bis zur 
Achselhöhle einsinken. (An dieser Stelle hat bisher kein Baggern 
stattfinden können; die Konstruktion der hierzu bisher benutzten 
Maschinen läfst nämlich das Ausbaggern nur bis zu einer 
Wassertiefe von 10 m zu.) Derselbe »Schlicke deckt auch den 

Grund des ganzen Bootshafen in Filipstad (an der Westseite 

11 * 


Digitized by CjOOQle 



164 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etr. 

von Piperviken); in einer Entfernung von 15 m von dem dort 
mündenden gröfseren Siele wurde z. B. während dieses Früh¬ 
lings eine meterhohe Schicht des genannten Schlammes ange¬ 
troffen, obwohl daselbst im Mai 1900, also erst vor einem Jahre, 
gebaggert worden war. Der »Schlick« deckt aber nach der 
Mitteilung des Herrn Schiötz auch den Grund des ganzen 
östlichen Hafens (Björviken), wo derselbe ebenfalls in grofser 
Ausdehnung eine Tiefe von ca, 1 m erreicht. Diese Verschlam¬ 
mung Björvikens geht teils von der Mündung des Akerselven 
aus, teils und hauptsächlich nimmt sie an einer Schleuse, durch 
welche der Flufs kurz oberhalb der Mündung mit dem Hafen 
kommuniziert, ihren Ausgangspunkt. 

Aber auch im Flusse Akerselven läfst sich fortwährend 
eine Verschlammung derselben Art nachweisen. So finden sich 
immer grofse Massen des losen schwärzlichen »Schlicks* beim 
Baggern, das allerdings nur von der Mündung und bis zur sog. 
Schweigaardsbrücke, d. h. auf einerStrecke von ca. 800 m 
flufsaufwärts, vorgenommen wird. Zum selben Resultat sind wir 
auch durch unsere Versuche gekommen. Oberhalb der erwähn¬ 
ten Brücke fanden wir dagegen Verhältnisse anderer Natur. So 
war der Grund des Flusses bei Vaterlands brücke (1030 m 
flufsaufwärts von der Mündung des Akerselven) von einer com- 
pakten Masse von Futterresten, Pferdemist u. dergl. bedeckt; 
dieselbe hatte allerdings noch eine schwärzliche Farbe; aber 
die erwähnte lose Konsistenz, wie auch der unten zu besprechende 
Schwefelwasserstoffgeruch ging ihr ab. Oberhalb dieser Stelle 
war dagegen der Grund des Flusses überall von einem grauen 
Schlamme bedeckt, welcher zwar ebenfalls etwas Futterreste u. ä. 
enthielt, aber überwiegend aus Sand und Lehm bestand. Ob¬ 
wohl also auch der Grund des oberen Teiles des Flusses mit 
dem unbewaffneten Auge sich als verunreinigt erwies, scheinen 
schon diese Beobachtungen darauf zu deuten, dafs die Haupt¬ 
masse sowohl der im Sielwasser enthaltenen schwereren Sink¬ 
stoffe, wie die erwähnten leichteren Flöckchen, erst eine ver- 
hältnismäfsig kurze Strecke oberhalb der Mündung des Flusses 
Gelegenheit dazu linden, sich als Bodensatz abzulagern — eine 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Axel Holst, I)r. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 165 

Erscheinung, die auch durch andere Beobachtungen, die unten 
zu erwähnen sind, bestätigt wird. In diesem Schlamme spielen 
sich aber ferner ausgedehnte Gärungsprozesse ab. So 
ist es leicht zu beobachten, dafs in der Umgebung der Mün¬ 
dungen der Siele an den Hafen«juais und in Frognerkilen kon¬ 
tinuierlich zahlreiche Gasblasen durchs Wasser emporsteigen. 
Dasselbe ist ferner in dem unteren Teile des Akerselven der 
Fall; aber auch im oberen Teile desselben kann dieselbe Er¬ 
scheinung, wenn auch in viel geringerem Mafse, bis an die nörd¬ 
liche Grenze der Stadt beobachtet werden. Aufserdem sei erwähnt, 
dafs diese Gasblasen um so zahlreicher sind, je wärmer die 
Jahreszeit ist, und je mehr man sich den Mündungen der Siele 
nähert ; besonders während des Sommers und auf der untersten 
Strecke des Flusses geben sie dem Wasser das Aussehen, als ob 
es fortwährend regne. Nicht selten ist ihr Umfang ein recht 
beträchtlicher; so erzählt ein Gewährsmann, er habe solche von 
der Gröfse eines »Tellers« gesehen, und vor dem erwähnten 
Siele in Filipstad (westlicher Hafen) will man jgar Blasen von 
dem Durchschnitte eines ganzen Meters beobachtet haben, d. h. 
von derselben Gröfse wie die in der unten citierten Arbeit der 
Pariser Kommission erwähnten. Diese Gase haben einmal die 
Eigenschaft, brennbar zu sein — eine Erscheinung, die ja 
auch sonst häufiger zu beobachten ist überall da, wo organische 
Stoffe unter Wasser vergären. Es ist auch ein von der Jugend 
des Hafens oft geübter Sport, ein brennendes Zündholz an die 
Oberfläche des Wassers hinzuhalten, wodurch man dieselbe ganz 
wie ein Sprühmännchen anzünden kann. Auch läfst sich die 
Brennbarkeit dieser Gase dadurch nachweisen, dafs man Schlamm 
vom Hafen oder Flusse in Gärungskölbchen bringt; es bilden 
sich dann allmählich bedeutende Mengen von Gasen, welche, 
angezündet, kleine Explosionen hervorrufen. 

Bei dieser Gärung bilden sich aber aufser den brennbaren 
zweitens erhebliche Mengen von übelriechenden Fäulnis¬ 
gasen. Hierauf deuten schon die verbreiteten Klagen seitens 
der Bewohner von Piperviken und am Frognerkilen über »Ge¬ 
stank nach Kanalgasenx ; es ist auch allgemein bekannt, dafs in 


Digitized by CjOOQle 



166 >er d. Verunreinigung d. stiklt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

der Nähe des Akerselven die Luft zeitweise sehr übelriechend 
sein kann. Um uns über diesen Punkt näher zu orientieren, 
haben wir durch die Freundlichkeit des Herrn Ingenieurs Sali- 
caths Assistance dazu erhalten, Umfrage über Gestank in ver¬ 
schiedenen Strafsen abzuhalten, die den Mündungen einiger 
Siele in und um den Hafen benachbart sind. Diese Unter¬ 
suchungen beziehen sich auf 128 Familien in Piperviken (west¬ 
licher Hafen), am Drammenswege und der nächsten Um¬ 
gebung desselben (bei Frognerkilen). Im ganzen klagten 69, 
d. h. ca. 53°/ 0 der Familien, mehr oder weniger über lästigen 
Gestank, der — wie zu erwarten war — als besonders unange¬ 
nehm im Sommer und bei südlichem Winde empfunden wurde. 
Die Klagen waren um so häufiger und stärker, je näher die 
Häuser der See lagen, und wurden unter anderem sehr laut in 
der Sögade (d. h. Seestrafse) Pipervikens, wo 30 von 48, d. h. 
62°/ 0 der gefragten Familien, sich beschwerten. Da der Gestank 
längs des Akerselven von allen Seiten anerkannt wird, und 
wir wiederholt auch denselben selbst festgestellt haben, konnten 
wir eine entsprechende Untersuchung daselbst als überflüssig 
unterlassen. Wie nach dem schon Angeführten zu erwarten ist, 
ist der Gestank auf der unteren Strecke des Flusses — von der 
Mündung aufwärts bis zur erwähnten Vaterlandsbrücke — weit¬ 
aus am schlimmsten. Aber auch oberhalb dieser Stelle spürt 
man bisweilen, besonders im Sommer und bei niedrigem Wasser¬ 
stande, einen üblen Geruch; vor allem ist dies dort der Fall, 
wo die Ufer nicht gepfählt sind. 

Dafs diese Klagen im wesentlichen berechtigt sind, davon 
kann man sich leicht überzeugen. Erstens verspürt man meistens 
sofort einen starken Gestank an den Mündungen der gröfseren 
Siele. Zweitens verbreitet der Schlamm, der durch das Baggern 
im inneren Hafen, bezw. auf der unteren Strecke des Akerselven 
an den Tag befördert wird, oder den man sich selbst leicht 
mittels eines Schleppnetzes oder schweren Eimers verschaffen 
kann, fast immer einen sehr üblen Geruch. Letzterer wird ohne 
Zweifel durch verschiedene Gase verursacht; wir möchten nur 
hervorheben, dafs im beschriebenen losen »Schlicke fast immer 


Digitized by v^.ooQle 



Von Dr. Axel Holst, J)r. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. IßT 

sowohl durch den Geruch als durch einen mit Bleiacetat ge¬ 
tränkten Papierstreifen beträchtliche Quantitäten von freiem 
Schwefelwasserstoff nachgewiesen werden können, das ist 
eben das giftige Fäulnisgas, welches sich auch im Laboratorium 
beim Stehenlassen der im Sielwasser enthaltenen Schwebestoffe 
bildet. Dagegen beobachteten wir keinen Geruch nach diesem 
Gase in den mehr compakten Schichten von Futterresten u. a., 
die, wie erwähnt, den Grund des Flusses (Akerselven) bei 
Vaterlandsbrücke bedeckten. Auch entwickelte der sand- oder 
lehmartige Schlamm, der an verschiedenen Stellen des Flusses 
oberhalb dieser Brücke untersucht wurde, keinen Geruch nach 
Schwefelwasserstoff. Wie diese Schlammproben, verhielten sich 
auch diejenigen vom äufseren Teile des Hafens (Kavringen, 
Dyna u. s. w.). Schliefslich sei auch hervorgehoben, dafs der 
Geruch dieses Gases auffallend oft in dem Schlamme fehlte, der 
in den unmittelbaren Umgebungen der Sielmündungen des 
Hafens und Frognerkilens entnommen worden ist; trotzdem die 
besprochene Gasbildung eben hier sehr reichlich stattfindet, und 
die Luft sehr übel riecht, zeigen diejenigen Schlammproben, 
die wir an diesen Stellen wiederholt entnommen haben, nur den¬ 
selben muffigen Geruch, den der Schlamm von Vaterlandsbrücke 
verbreitete. Indessen gilt dies, wie gesagt, nur für die unmittel¬ 
bare Umgebung der Sielmündungen, indem wir z. B. stark 
schwefelwasserstoffhaltigen »Schlick« schon in 4 — 5 m Ent¬ 
fernung von der Mündung des erwähnten Bisletsieles in Piper- 
viken gefunden haben. 

Man darf von vornherein annehmen, dafs diese Erscheinungen 
durch mikroskopische Organismen verursacht werden; 
dies wird auch dadurch bestätigt, dafs Kolben mit Schlamm, die 
durch starkes Erhitzen sterilisiert waren, nicht mehr in Gärung 
gerieten, während eine solche dagegen eintrat, wenn die ge¬ 
kochten Schlammproben mit einer geringen Menge frisch ent¬ 
nommenen Schlammes geimpft wurden. Wahrscheinlich wird 
die Gärung durch verschiedene Mikroorganismen verursacht. 
Wir haben indessen bisher nur zwei Arten derselben isoliert. 
Diese waren in zwei verschiedenen Proben frisch entnommenen 


Digitized by CjOOQle 



188 Über d. Verunreinigung d. stitdt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

Schlammes zugegen. Beide waren Stäbchenbakterien; der eine 
gehört zur Gruppe des Bacillus coli; der andere ist ein sporen¬ 
bildendes Bakterium, das fakultativ anaerob wächst und etwas 
kleiner als der Milzbrandbacillus ist. Beide bilden bedeutende 
Mengen von brennbaren Gasen, die reichlichen Schwefelwasser¬ 
stoff enthalten. 

Wir haben aber auch vermittelst anderer Verfahren ver¬ 
sucht, ein Urteil darüber zu gewinnen, in welcher Ausdehnung 
die ungelösten Stoffe des Sielwassers sich im Akerselven und 
Hafen zu Boden setzen. Da es nicht möglich war, z. B. direkt 
die Höhe zu messen, in welcher sich der > Schlick« daselbst ab¬ 
gelagert hat, haben wir uns darauf beschränken müssen, zu 
untersuchen, ob und wo sich mittels chemischer Analysen quan¬ 
titativer Art eine bedeutende Verunreinigung des Grundes des 
Flusses und Hafens nach weisen läfst. Bezüglich dieser Unter 
suchungen sei zunächst folgendes erwähnt: 

Es ist eine wohlbekannte Erscheinung, dafs der Grund ver¬ 
schiedener untiefen Fjordbuchten zum grofsen Teil von einem 
Schlamm gedeckt wird — »Gy t j e« —, der aus Tangresten u.dergl. 
besteht und deshalb schon an und für sich viel organischen Stoff 
enthalten kann. Eine Gasbildung, wie die erwähnte, kann daher 
— wenn zwar in geringerem Grade — auch an Stellen statt¬ 
finden, die mit Sielinhalt nicht verunreinigt sind; im Gegenteil 
sammeln sich im Winter an den verschiedensten Stellen Gase 
unter dem Eise der Fjorde (wie auch der Flü c se), und es ist 
nicht nur am Hafen Christianias, sondern auch anderswo ein 
beliebtes Vergnügen, Löcher durchs Eis zu bohren, um durch 
ein brennendes Zündhölzchen das ausströmende Gas zum Ex¬ 
plodieren zu bringen. 

Schon wegen dieser Thatsachen, die es unseres Erachtens 
zweifelhaft lassen, in welcher Ausdehnung die erwähnten Gärungs¬ 
erscheinungen im oberen Teile des Akerselven dem Inhalte der 
Siele zuzuschreiben sind, mufsten vergleichende Analysen 
des Schlammes von verschiedenen Lokalitäten vorgenommen 
werden. 


Digitized by CjOOQle 



Von Pr. Axel Holst, Pr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 1(J9 


Um den Grad dieser Verunreinigung zu bestimmen, unter¬ 
suchten wir den Glühverlust und Stickstoffgehalt, wie dies wohl 
sonst üblich ist. 1 ) 

A. Bestimmungen des Glühverlustes des Schlammes. 

Der Glühverlust wurde als Prozent der Trockensubstanz be¬ 
rechnet; wie von vornherein zu erwarten war, scheint er nicht 
ein ganz zuverlässiger Malsstab der Verunreinigung zu sein. 
Zwar entsprechen unsere Resultate, die in der Tabelle 3 ange¬ 
geben sind, insofern den Verhältnissen, die a priori zu erwarten 
sind, als der Glühverlust des Schlammes am Akerselven nach 
oberhalb von der besprochenen Vaterlandsbrücke (ca. 1030 m 
oberhalb der Mündung gelegen) sehr schnell abnimmt, indem 
die Zahlen, z. B. an Hausmanns- und Treschows Brücke (resp. 
1200 m und 5200 m von der Mündung des Flusses) um die 
Hälfte, bezw. zwei Drittel der an dem erstgenannten Orte ge¬ 
fundenen Werte abgenommen haben. Und zwar ist der Glüh¬ 
verlust des Schlammes in der Umgebung einiger Sielmündungen 
des westlichen Hafens (Bisletsiel, Siel bei Filipstad) und Frogner- 
kilen (Skillebäk) ca. 2 ! / 2 —4 x / 2 mal gröfser als bei dem Leucht¬ 
turm Dyna (der wie oben erwähnt, ca. 3 km von Piperviken ent¬ 
fernt ist), und zwischen Blegöen und Kongshavn, welcher Punkt 
ca. 1,5 km südöstlich von der Mündung des Akerselven liegt. 
Zur gleichen Zeit war aber der Glühverlust an den beiden 
letzteren Stellen ebenso grofs wie mitten auf dem östlichen Hafen 
(Björoiken), wo doch die Verunreinigung a priori bedeutend 
gröfser anzunehmen ist; schliefslich ist es auch etwas befremdend, 
dafs die Zahlen von dem westlichen Hafen nicht wesentlich den 
Wert überschreiten, den wir bei der Untersuchung einer Probe 
*Gytje« (Schlamm) von Christiania, Süfswasserbadeanstalt (von 
Laroik am südlichen Ende des Christianiafjords bezogen) er¬ 
mittelt haben. 

1) Siehe z. B. Ohlmüller (Arbeiten aus d. Kais. Gcsundheitsamte, 
Bd. XIV, 180*}; Wolffhügel (citiert von Km nie rieh und Brunner, 
Zeitschrift f. Biologie, 1*78); Reports of the English rivers pollution Com¬ 
mission (1808/ 


Digitized by CjOOQle 



170 Über (1. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

Tabelle in. 

Glühverlust des Schlammes. (Siehe die Karte.) 


Entnahmestelle 


Zeit der Glüh- 
Entnahme Verlust 


An der Sielmündung, Filipstad (Westlicher Hafen) 


Probe Nr. 1. 

1 März 

1901 

45,2 


An der Sielmündung, Filipstad (Westlicher Hafen) 





Probe Nr. 2. 

1 April 

1901 

29,0 

> 

An der Sielmündung, Piperviken (Bisletsiel) . . 

> 

> 1 

25,7 

> 

Westlicher Hafen, 200 m südlich von letzterem 


> 

15,5 

> 

östlicher Hafen, Mitten auf Björviken .... 

Novbr 

. 1900 

10,5 

> 

An der Sielmündung, Skillebäk in Frognerkilen 

> 

> 

33,2 

> 

Am Leuchtturm Dyna, Bygdö (3 km südwestl. vom 


• 



Bisletsiele). 

> 

> 

10,4 

» 

Zwischen Blegöen und Kongshavn (1,5 km südl. 





von der Mündung Akerselvens). 

> 


9,9 

- 

Im Hafen, 200 m südwestlich von der Mündung 





des Akerselven. ... 

> 

> 

16,4 

> 

An der Mündung des Akerselven (Nylands Werk- 

1 




stätte) . 

> 

> 

48,9 

> 

Im Akerselven, Bischofsbrücke Nr. 1 (400 m flufs- 


! 



aufwärts von der Mündung). 

I März 

v.m 

33,1 

> 

Im Akerselven, Bischofsbrücke Nr 2. 

Mai 

1901 II 

45,4 

> 

Ira Akerselven, Vaterlandsbrücke (1030 m flulsauf* 





wärts von der Mündung. 

i 

> 

34,2 


Im Akerselven, Hausmannsbrücke (1200 m flul's- 


( 



aufwärts von der Mündung). 

> 

i 

» 

14,5 

> 

lin Akerselven, Neue Brücke (1500 m tiufsaufwärts 





von der Mündung). 

» 

> 

16,9 

» 

Im Akerselven, Bentsehrücke (4500 m flufsaufwärts 





von der Mündung). 

> 

> 

11,6 

> 

Im Akerselven, Treschowbrücke (5200 in tiufsauf¬ 





wärts von der Mündung). 

> 

t 

9,6 

> 

»Gytje* *) (Schlamm) von Christiania Süfswasser- 





Badeanstalt. 

März 

1901 i 

23,0 

> 


B. Stickstoffgehalt des Schlammes. 

Wir haben ferner den Stickstoffgehalt des Schlammes nach 
dem K j eld ah 1-Verfahren bestimmt. Diese Untersuchungen zer¬ 
fallen in zwei Reihen; in der einen Versuchsreihe schlemmten 
wir den Schlamm durch ein Sieb mit 1 mm Maschenweite 

1) Auh Larvik, am Südende des Christianiafjords, bezogen. 


Digitized by CjOOQle 



















Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 171 

(um gröfsere Tiere, Steine und dergl. zurückzuhalten) und ana¬ 
lysierten nur, was durch das Sieb ging; in der anderen Versuchs¬ 
reihe wurde das Sieb weggelassen. 

a) Analysen von gesiebtem Schlamme. 

Die Resultate dieser Analysen sind in Tabelle 4a wieder¬ 
gegeben; es ist aus dieser ersichtlich, dafs der Stickstoffgehalt 
des Schlammes in der Umgebung des Bisletsieles in Piperviken, 
welches, wie früher erwähnt, die Abwässer von ca. 40—50000 Ein¬ 
wohnern aufnimmt, und in der Umgebung der Sielmündung in 
Filipstad (ebenfalls in Piperviken) wie auch der Stickstoffgehalt 
des Schlammes vom unteren Teile des Akerselven ungefähr doppelt 
so grofs gefunden wurde wie zwischen Hovedöen und Blegöen 
und wie in der einen Probe von Herbern an der Ostseite Bygdös; 
von letzteren Punkten ist der erstere ca. 1,5 km von der Mün¬ 
dung Akerselvens, der letztere ca. 2 km von der genannten Siel¬ 
mündung entfernt. In der anderen Probe von Herbern — welche 
Entnahmestelle von vornherein als verhältnismäfsig wenig ver¬ 
unreinigt angenommen werden mufste — wurde dagegen ein 
wenig mehr StickstofE als in der nächsten Umgebung der er¬ 
wähnten Sielmündungen u. s. w. gefunden. 

Wie nähere Untersuchungen ergeben haben, ist dies Resultat 
dadurch zu erklären, dals die Futterreste u. ä., die eben viel 
StickstofE enthalten, auf einem Siebe wie dem besprochenen 
zurückgehalten werden. Wir haben deshalb, wie erwähnt, in der 
zweiten Versuchsreihe das Sieb weggelassen, der frisch ent¬ 
nommene Schlamm wurde sorgfältig gemischt, ein Teil davon 
von mikroskopisch sichtbaren Steinen, Holzstückchen, Seesternen, 
Anneliden u. dergl. befreit, und davon wieder eine Probe zur 
Analyse verwendet. 

(Siehe Tabelle IV a und IV b auf S. 172 und 173.) 

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in Tabelle 4 b 
zusammengestellt, wegen des etwas schwankenden Wassergehaltes 
des Schlammes ist der StickstofE in dieser Tabelle als Promille 
der in parallelen Proben des Schlammes bestimmten Trocken¬ 
substanz berechnet. 


Digitized by CjOOQle 



172 Überd. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 


Tabelle IV a. Stickstoffanalysen des Schlammes. 

Gesiebter Schlamm (»Feinerdet). Mai und Juni 1900. Über die Entfer¬ 
nungen vom Hafen bzw. von der Mündung Akerselvens siehe auch Tab. III.) 

1 kg feuchter ^ ~ 

>1 Schlamm enthält ? ^ 


Entnahmestelle 

lufttrockene 
Fein erde 

Rückstand a. d. 
Sieb (überl mm 
Masche mvolte) j 

1 Vj 

1 

i 

m tj; 

i i c »• 

\ s i 4 


g 

K 

K 

Grt 

Vor der Sielemündung 

340 

120 

1,56 

4,ti 

Filipstad 





Vor der Mündung des 350 

55 

1,54 

4,4 

Bisletsieles, Piperviken 




Im Akerselven, an der 

320 

50 

1,44 

4,5 

Bischofsbrücke 

'i 



ll 

Rodelökkens Lan- 

450 

10 

1,31 

2,9 ! 

dnngsbrticke, Frogner- 




1; 

i 1 

kilen 




li 

An der Sielemündung, 

305 

90 

1,16 

p i 

3,2 j 

Skillebäk, Frogner- 





kilen 




'1 ■ 

Herbern, Ostseite , 

r ai 

a) 

a 

a) 

Bygdös (2 km vom 1 

275 

80 

1,29 

4,7 

Quai d. westl. Hafens, | 

1 bj 

b) 

b) 

b) 

(Piperviken) ! 

! 450 

50 

1,04 

2,3 | | 

i j 

Zwischen Hovedöen u. 

410 

150 

0,98 

M | 

Blegöen 

•i ' 




Vippetaugen an der 

(»20 ' 

i 

o 

0,49 

1 

0,8 


Halbinsel zwischen 
westl. und östl. Hafen 


Schwarz, übelriechend, 
alkal. Reakt. Die Probt 1 
von Filipßtad enthält in 
dem auf d. Siebe zurück¬ 
geblieben. Pferdemist : 
dieanderen Proben sind 
zugleich reich an Pflan¬ 
zenresten , besonders 
Futterstoffen. 

I Schwärzlich grau, ent¬ 
hält nicht Tiere, ohne 
J Geruch, lehmartig. 

Alkal. Reakt. m . Kohlen - 
partikeln, Schlacken u. 
lebend. Schlangenster¬ 
nen zugemischt; grau, 
ohneGeruch, lehmartig, 
a) Schwärzlich grau,neu¬ 
trale Reakt., m.Muschel¬ 
kalk, Kohlen- u. Schla- 
ckenpartik. vermischt; 
ohneGeruch, lehmartig, 
b) Schwärzl. grau, neu¬ 
trale Reakt., enthält An¬ 
neliden, ohne Geruch, 
wie vorige. 

Grau, lehmartig, ohne 
Geruch, enthält kleine 
Steine. 

Reiner blauerLehm; die 
oberflächlich. Schichten 
waren b. yorausgegaiig. 
Baggern entfernt. (Die 
Probe wurde von einem 
Moderprahme genom.) 


Digitized by 


Google 




Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 173 


Tabelle IV b. Analysen des uichtgesiebten Schlammes. 

(Steine, Muscheln und Tierchen sind entfernt.) November 1900 bis Mai 1901. 


Entnahinestelle 

Zeit der 

Proben¬ 

entnahme 

Htiekstoff 
pro ktr ge¬ 
trockneten 
Sehlamms 

Bemerkungen 

Vor dem Siele in Filipstad 

Nov. 1900 

g 

10,8 

Schwarzer Schlamm, starker Gestank 
nach Schwefelwasserstoff 

Vor d. Bisletsiele, Piperviken 

t > 

8,0 

do. do. enthält w. d. vorig. Probe zahl¬ 
reiche Reste von Futter u. Pferdemist 

Vor dem Bisletsiele (200 in 
südwestl. von demselben 

April 1901 

6,24 

Schwarz, starker Gestank n. Schwefel¬ 
wasserstoff, Reste v. F utterstoffen etc. 

Vor dem Bisletsiele (400 m 
südwestl. von demselben 

' Nov. 1900 

5,17 

Grau, ohne merkbaren Geruch 

Mitten auf Björviken 

> > 

2,97 

Grau, lehmartig, ohne Geruch 

Zwischen Skillebäk und 
Skarpsno, Frognerkilen 

> > 

2,43 

do. 

Kavringen (1200 m südwestl. 
vom Piperviksquai 

> > 

2,95 

do. 

Herbern, Bygdö (2 km süd- 
westl. vom Piperviksquai) 

> t 

4,65 

do. 

Leuchtturm Dyna (3 km süd- 
westl. vom Piperviksquai) 

» > 

| 2,99 

do. 

Zwischen Hovedöen und Ble- 
göen (1,5 km südl. von d. Mün 
düng Akerselvens) 

> > 

3,12 

| ’ 

i 

1 

do. 

A kersel ven (200 m südsüdwest¬ 
lich von der Mündung) 

April 1901 

6,76 

1 Schwarz, starker Gestank n. Schwefel¬ 
wasserstoff, zahlreiche Futterreste 

Aker8elvena.d.Münd.(Nyland) 

Nov. 1900 

10,15 

wie vorige 

Akerselven, an der Bischofs 
brücke (400 m flufsaufw. v. d. 1 
Mündung) Probe 1 1 

> » 

! 

6,73 

do. 

Akerselven, an der Bischofs-! 
brücke, Probe 2 \ 

Mai 1901 

10,SO 

do. 

Akerselven, an d. Vaterlands¬ 
brücke (1030 m flufsaufw. v. d. 

Mündung) 1 

» > 

! 

13,60 

Schwarz, modriger Geruch, kompakte 
Massen v. Futterrest, Pferdemist etc. 

Akerselven, an d.Hausmanns- 
brücke (1200 m flufsaufw. v. d. 
Mündung) 

1 > > 

4,85 

i 

Schmutziggrau, in. Sand u.Lehm stark 
verin , etwas Futterreste, ohne Geruch 

Akerselven, a. d. Neuen Brücke 
(1500 m flufsaufw. v.d. Mündg.) 

) > 

5,49 

wie vorige 

Akerselven, a d Bentse-Brücke 
4500 m flufsaufw. v. d. Mündg.) 

> > 

5,17 

do. 

Akerselven, an der Treschows- 
Briicke (5200 m flufsaufw. v. d. 
Mündung) 

> > 

4,23 

do. 

Gytje(Schlamm) v. Sandefjord, 
Seebad 

Nov. 1900 

1 

5,20 

Schmutzig grau, wie Lehm, ohne 
Geruch 

Gytje von Christiania Süfs- 
wasserbade-Anstalt von Larvi k 

i 

» * | 

, 

4,90 

do. 

Gytje von Hallangspollen bei 
Dröbak 

i * 

3,40 

do. 

Gytje v. Sandefjord Bad (Ana¬ 
lyse v. Dr. E. Bödtker 1893/94) 

> > 

i 

10,2 

do. 


Digitized by v^.ooQle 



1 74 tfber d. Verunreinigung d. stÄdt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 


Aus den Zahlen geht hervor, dals der Stickstoffgehalt im 
Schlamme vom inneren Teil des Hafens und vom unteren Ab¬ 
schnitt des Akerselven durchgehends gröfser ist, als wir ihn 
anderswo gefunden haben. Was den Hafen betrifft, wurde z. B. 
der Gehalt in der Umgebung der Mündung des Bisletsieles in 
Piperviken zu 8°/ 00 bestimmt; in 200 m Entfernung von dieser 
Mündung war er dagegen 6,24 °/ 00 , d. h. er war um 22 °/ 0 geringer, 
während er in 400 m Entfernung 5,17 °/ 00 betrug, also um 35 °/ 0 
abgenommen hatte. Schliefslich war der Gehalt bei Kavringen 
(1200 m von der Mündung des Bisletsieles) auf 2,95 ^ gesunken, 
d. h. er hatte mehr als 60°/ 0 abgenommen. Ähnliche niedrige 
Werte wie die letztgenannten, fanden wir auch bei Düna (5 km 
von Bisletsiele) und zwischen Hovedöen und Blegöen (l 1 ^ km 
von der Mündung Akerselvens). 

Was ferner den Flufs Akerselven betrifft, haben wir 
(vgl. Tabelle 4 b) von der Mündung bei Nyland und bis Vater¬ 
lands-Brücke (ca. 1030 m üufsaufwärts) dreimal einen Stickstoff¬ 
gehalt von ca. 10—16,8 0, l00 und einmal 6,73 ^ gefunden, während 
der oberhalb Vaterlands-Brücke nur zwischen 4,23 °j 0Q (Treschows- 
Brücke, 5 km flufsaufwärts) und 5,49 °/ 00 (Neue Brücke, 1,5 km 
tlufsaufwärts) schwankte. 

Die höheren dieser Zahlen entsprechen u. a. dem Stickstoff¬ 
gehalt, den die englische Flufsverunreinigungskommission im 
Schlamme des Flusses Irwells fand 1 ) (2,9 °j 00 im feuchten, 
10,5°/oo im getrockneten Schlamm. Eine weitere Untersuchung 
unserer Tabelle 4b ergibt indessen, dafs eine Verunreinigung 
des Schlammes sich kaum immer durch einen beson¬ 
ders hohen Stickstoffgehalt desselben zu erkennen 
geben braucht. Dies ist z. B. nicht unwahrscheinlich, weil 
der Stickstoffgehalt des Schlammes mitten auf Björviken (öst¬ 
licher Hafen) und bei Skillebäk in Frognerkilen ungefähr der¬ 
selbe oder sogar viel kleiner war, als wir bei Kavringen, Dyna, 
Herbem und an anderen Orten gefunden haben; und doch 

1) Rivers pollution Commission (1868). Report on the Mereey and 
Ribble Rasins. Vol. I, p 22. 


Digitized by v^.ooQle 



Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Scbmidt-NielHcn. 175 


spricht alle Wahrscheinlichkeit für eine bedeutend gröfsere Ver¬ 
unreinigung an den erstgenannten Stellen (vgl. z. B. die früher 
besprochenen Gärungserscheinungen bei Skillebäk). Kommt 
hierzu, dafs der Stickstoffgehalt der »Gytje« von Sandefjord — 
der zwar in der von uns untersuchten Probe nur ca. 5 °/ 00 war — 
im Jahre 1893/94 von Herrn Dr. E. Bödtker zu ca. 10% 0 be¬ 
stimmt wurde (d. i. dieselbe Zahl, die wir an stark verun¬ 
reinigten Stellen gefunden haben), so ziehen wir den Schlufs, 
dafs auch der Stickstoffgehalt nicht als ein absoluter Mafsstab 
für die Verunreinigung des Schlammes mit Sielinhalt benutzt 
werden kann, wenn er auch in den meisten Fällen als wertvolle 
Richtschnur für die Beurteilung desselben gelten mag. 

C. Schwefelwasserstofifianalysen. 

Da also die bisher erwähnten Ergebnisse nicht ganz be¬ 
friedigten, haben wir uns nach einem anderen Mafsstabe für den 
Grad der Verunreinigung des Schlammes seitens der Siele um- 
gesehen. Mit Rücksicht auf die Fäulnisprozesse, die sich, wie 
erwähnt, im Schlamme des Hafens und Flusses abspielen, haben 
wir versucht, einen solchen Mafsstab für den gröfseren oder 
kleineren Gehalt des Schlammes an Fäulnisprodukten zu 
finden. 

Zu dem Zwecke haben wir quantitative Bestimmungen des 
im Schlamme enthaltenen Schwefelwasserstoffes vor¬ 
genommen, d. h. das giftige Gas, das in dem früher besprochenen 
»Schlick« fast immer schon durch den Geruch nachweisbar ist, 
und welches sehr wesentlich, wenn auch nicht ausschließlich, 
den Gestank hervorruft, der sich vor Akerselven und dem Hafen 
verbreitet. Auf das Vorhandensein desselben in den Fäulnis¬ 
gasen, die sich im Schlamm, welcher mit Sielinhalt verunreinigt 
ist, bilden, hat früher die Pariser Kommission aufmerksam 
gemacht, die anfangs der siebziger Jahre die Verunreinigung der 
Seine untersuchte ; zufolge des Berichtes der Kommission enthielt 
das gebildete Gasgemenge 72,88 °/ 0 Kohlenwasserstoff, 12,30 °/ 0 
Kohlensäure, 2,54 °/ 0 Kohlenoxyd, 6,70% Schwefelwasserstoff und 
4,58% andere Gase Als Mafsstab der Verunreinigung des 


Digitized by 


Google 



170 Ober <1. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven ete. 

Schlammes selbst wurde indessen das Vorhandensein des Gases 
damals nicht benützt.*) 

Der Schwefelwasserstoff kam in den untersuchten Schlamm¬ 
proben sowohl frei wie gebunden, d. h. als Sulfid, vor. In der 
Mehrzahl unserer Versuche haben wir beide Formen derselben 
zusammen bestimmt. Diese Analysen der totalen Schwefel¬ 
wasserstoffmenge umfassen zwei Versuchsreihen; in beiden wurden 
ca. 20 g Schlamm öder mehr (bis 150 g) aus frisch entnommenen 
Proben in einen Kolben gebracht und mit einem Überschüsse 
verdünnter Salzsäure versetzt. Das gebildete Gas wurde mittels 
Durchleitung von Kohlensäure oder Wasserstoff ausgetrieben und 
in Will-Varrentrapsche Absorptions-Röhrchen mit Jodlösung 
von bekannter Stärke geleitet. Nach beendeter Reaktion wurde 
die Jodlösung mit Natriumthiosulfat in gewöhnlicher Weise 
titriert, und die Menge des entwickelten Schwefelwasserstoffes 
aus dem Titrationsergebnis berechnet. Die gefundenen Mengen 
wurden teils — wie sonst üblich — pro kg »feuchten«, d. h. 
frisch entnommenen Schlammes, teils — da die Wassermenge 
des letzteren öfters schwankte — pro kg Trockensubstanz um- 
gerechnet; bei den letzteren Versuchen wurde der Wassergehalt 
in parallelen Proben bestimmt. 

In der ersten Versuchsreihe (Tabelle 5a), wo nur 
Kohlensäure zum Durchleiten verwendet wurde, dauerte dies ca. 
12 Stunden; um diese Zeit abzukürzen, wurden die Proben der 
ersten Reihe noch etwa 2 Stunden rasch aufgekocht, damit die 
letzten Schwefelwasserstoffspuren ausgetrieben werden konnten. 
Dm zu verhindern, dafs die hierbei entwickelten warmeu Dämpfe 
die Jodlösung erhitzen und dadurch ein Entweichen von Jod 
bewirken sollte, wurde zwischen dem Schlammkolben und der 
Jodlösung eine Kühlvorrichtung mit Eis eingeschaltet. Dies 
Verfahren hat indessen etwas zu hohe Werte gegeben, indem 


1) Annaies d'hygiene publ. et de m&l£cine legale, 2e s<»rie, toine 44, 
1875, p. 254. Leider sind wir auf diese, soweit uns bekannt alleinstehende 
Analyse so spät aufmerksam geworden, dafs uns die Zeit gefehlt hat, zu 
untersuchen, ob auch unter den entsprechenden Hasen in Akerselven ein 
so giftiges Produkt wie Kohlenoxyd vorkommt. 


Digitized by H.ooQle 



Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 177 

der Schlamm Verbindungen enthält, die nicht als Schwefelwasser¬ 
stoff präformiert sind, sondern diesen erst durch Kochen abspalten. 
Obschon wir diesem Umstande keinen besonderen Wert beimessen 
— indem die genannten Verbindungen wahrscheinlich auch im 
Schlamm, wie dieser in natura im Wasser vorkommt, Schwefel¬ 
wasserstoff abspalten können — haben wir in einer anderen 
Versuchsreihe, deren Resultate in Tabelle 5b wiedergegeben 
sind, das Kochen weggelassen und nach Zusetzen der Salzsäure 
die Kohlensäure so lange durch den kalten Schlamm durch¬ 
geleitet, bis die aus dem letzteren entweichenden Gas» ein mit 
Bleiacetat getränktes Fliefspapier nicht mehr färbten. Dies 
dauerte bisweilen ca. 18—24 Stunden. Bei den Untersuchungen 
im April—Mai 1901 haben wir anstatt Kohlensäure Wasserstoff 
verwendet, ohne dafs dies irgend einen Unterschied machte. 

Tabelle V a. 

Analysen des totalen Hchwefelwasserstoffgehaltes des Schlammes. 

Am Ende der Analyse wurde der Schlamm kurz aufgekocht. 

(Über die Entfernungen vom Hafen bezw. von der Mündung Akerselvens 

siehe Tabelle HI. 



l > c 


2 “ | 

. jg ö 

»- Q. 0> 

Entnahmestelle 

Zeit der Probe 

entnähme 

E ^ | 

o © ,2 
£ C ä 

2 p. o 

t s & 

& 5 s 
« §S 

? rn Ü 

v a & 

m ~ V- 

1 0 a 5 
; s . B 

|||| 
% H S« 

■gtt tu® 
M o ^ 
cn rH 

Vor dem Bisletsiele, Piperviken. 

Juni 1900 

2,9 

8,3 

In Akerselven, Bischofsbrücke . 

> 

> 

1,95 

6,2 

In Frognerkilen, Rodelökquai. 


' 

0,19 

0,37 

Herbem, Ostseite Bygdös. 

i 


0,023 

0,052 

Zwischen Hovedöen und Blegdöen. 

» 

I 

Spuren 

Spuren 

Vippetangen (reiner blauer Thon). 



nichts 

nichts 

Mitten auf Björviken. 

Sept 

1900 

1,3 

nicht 

bestimmt 

In Frognerkilen, Skillebak, an der Sielemün¬ 





dung . 



0,75 ! 

do. 

In der Bucht an der N-Seite von Hovedöen 


> 

0,28 

do. 

Zwischen Hovedöen und Vippetangen .... 

J * 

» 

0,18 

do. 

Zwischen Sjursöen und Blegöen. 

'1 » 

> 

0,13 

do. 

Kavringen. 

> 

» 

0,10 

do. 

>Gytje< (Schlamm) von Hallangspollen bei Dröbak 

> 

* 

0,13 

do. 

»Gytje« (Schlamm) von Larvik. 


* 

0,04 | 

I 

du. 


Archiv für iiygiene. Bd. XMI. 


Digitized by v^.ooQle 















178 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

Tabelle Vb. 

Analysen ohne Erhitzen des Schlammes. 

(Über die Entfernungen vom Hafen bezw. von der Mündung Akerselven9 siehe 

Tabelle IH und IV b.) 


Entnahmestelle 

Zeit der 
Proben¬ 
entnahme 

Schwefel¬ 

wasserstoff 

S tc a e 1 £ ^2 2 

i-zlPU 

5 EgS!« £§3 

Allgemeines Verhalten, Aus¬ 
sehen, Geruch u. s. w. 

Filipstad, in der Umgebung der 
Sielemündungji Probe Nr. 1 

März 1901 

k 

' 0,82 

' 4,0 

Schwarzer, loser Schlamm, Ge¬ 
ruch nach Schwefelwasserstoff 

Filipstad, in der Umgebung der 

1 April 1901 

1 1,46 

6,02 

do. do. 

Sielemttndung, Probe Nr. 2 

Piperviken, in der Umgebung 
der Sielemündung, Probe Nr. 1 

März 1901 

0,37 

1,32 

! Schwftrzl. grau, modriger Geruch 
gerade am Sielauslauf genommen 

Piperviken, in der Umgebung 
der Sielemündung, Probe Nr. 2 

j April 1901 

i 

1,19 

i 

5,11 

1 Schwarzer, loser Schlamm, Ge¬ 
stank nach Schwefelwasserstoff; 
wurde in 4—5 m Abstand von 
derSielemündung aufgenommen 
(gleich an dieser wurde dagegen 
auch nun Schlamm v. demselben 
Aussehen wie bei der vorigen 
Untersuchung gefunden) 

Piperviken, 200 m südwestl. von 

> > 

; 0,81 

2,85 

do. 

der Mündung des Sieles 

i 


Frognerkilen, vor der Siele* 
mündung Skillebäk 

| Nov. 1900 | 0,125 

' 1 

0,43 

Schmutzig grau, lehmarlig, etwas 
modriger Geruch 

Mitten auf Björviken (östl. Hafen) 

* i > 

: 0,36 

1,43 

' Schwärzlich grau — wie vorige 

Leuchtturm Dyna 

v > 

0,044 

0,11 

Grau, ohne Geruch 

Zwischen Blegöen u. Kongshavn 

» > 

j 0,026 

0,073 

do. 

Björviken, 200 m von der Mün¬ 
dung des Flusses 

April 1901 

! 1,05 

3,27 

Schwarzer, loser Schlamm, Ge 
' stank nach Schwefelwasserstoff 

An der Mündung des Akers- 

März 1901 

1 1,25 

5,27 

do. 

elven (Nylands Werk) 




In Akerselven, an der Bischofs- 

> > 

: 1,54 

1 

5,80 

do. 

brücke 



In Akerselven, zw. Bischofs- 

! Mai 1901 

! 1,01 

6,02 

do. 

brücke u. Schweigaardsbrücke 



In Akerselven, an der Vater* 
landsbrticke 

> > 

. 

' 

j 

> 0,249 

i 

i 

1 

1,24 

Schwarz, mehr kompakt als die 

1 vorigen, besteht beinahe aus- 
| schliefslich von Futterresten; 
i modriger Geruch 

In Akerselven, an der Haus¬ 
mannsbrücke 

> ■» 

0,135 

0,399 

Schmutzig grau, wesentl. Sand u. 
Lehm mit einzelnen Futterresten 

In Akerselven, an der Neuen 
Brücke 

> > 

0,29 

1,24 

Etwas dunkler als vorige Probe, 
im übrigen ähnlich 

In Akerselven, an der Bentse- 

i > » i 

0,041 

0,135 

Wie Hausmannsbrücke 

Brücke 



In Akerselven, an der Tre* 

> > 

0,032 

0,083 

1 

do ; keine deutlichen FutterresU» 

schowsbrticke 



>Gytje* von Larvik 
»Gytje von Sandefjord Bad (nach 

März 1901 

* > 

0,144 | 

0,081! 

0,46 

Grau wie Lehm 


Analysen von I)r. E. Bödtker 

189394) | I 

1 | 


Digitized by v^.ooQle 




Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt Nielsen. 179 

Aus den Tabellen 5a und b geht hervor, dafs der 
Schwefelwasserstoffgehalt immer erheblich gröfser 
imSchlamme aus dem inneren Abschnitte des Hafens 
und aus dem unteren Teile Akerselvens gefunden 
wurde, als in dem Schlamme, der in einiger Entfer¬ 
nung von den Hafenquais bezw. weiter flufsaufwftrts 
entnommen worden ist. 

Was erstens den Hafen betrifft, so wurde in der ersten 
Versuchsreihe 160 mal mehr Schwefelwasserstoff in der nächsten 
Umgebung' des Bisletsieles in Piperviken (8,4 g pro kg getrock¬ 
neten Schlamms) als bei Herbern (Bygdö, ca. 1,5 km von der 
Sielmündung) gefunden. Und in der zweiten Versuchsreihe war 
der Gehalt vor der Mündung des genannten Sieles und desjenigen 
in Filipstad (ebenfalls in Piperviken) zwischen ca. 12 und 80 mal 
gröfser als bei Dyna und zwischen Blegöen und Kongshavn, 
d. h. in einer Entfernung von ca. 3 und 1,5 km von den Sielen 
bezw. von der Mündung Akerselvens. Und was zweitens Akers- 
elven betrifft, wurden an der Mündung des Flusses 5,27 g pro 
kg getrockneten Schlamms, d. h. ca. 4 1 j i mal mehr als bei 
Vaterlands-Brücke (1,24 g ; 1 km flufsaufwärts) und Nybroen 
[Neue Brücke], 1500 m flufsaufwärts), und bezw. ca. 13, 40 und 
63 mal mehr als bei Hausmanns, Bents und Treschows-Brücken 
gefunden (letztere Stellen liegen bezw. ca. 1200, 4500 und 
5200 m flufsaufwärts von der Mündung). 

Ferner ist aus der ersten Versuchsreihe ersichtlich, dafs der 
Gehalt auf dem Hafen schon bei Kavringen (1200 m von 
Bisletsiele), wo er nur pro kg feuchten Schlammes bestimmt wurde, 
29 mal kleiner gefunden wurde als in der Umgebung des Bislet¬ 
sieles in Piperviken. Bei dieser Gelegenheit heben wir auch 
hervor, dafs der Schwefelwasserstoff des Schlammes von der 
kleinen Bucht an der Nordseite der Insel Hovedöen — die ca. 
1200 m südlich von der Mündung Akerselvens liegt, und die wir 
untersucht haben, weil die Strömung, die von dieser Mündung 
ausgeht, hier zum Teil einsetzt — und ebenso von Vippetangen 
(auf der Landzunge zwischen dem westlichen und östlichen Hafen), 

obgleich etwas höher als bei Kavringen, gleichfalls bedeutend 

12 * 


Digitized by CjOOQle 



180 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

niedriger als in der Umgebung des Bisletsieles und im unteren 
Teile des Flusses gefunden wurde. Dagegen näherte sich das 
Resultat der einen Untersuchung bei Skillebäk in Frognerkilen 
den Zahlen, die wir an den mehr verunreinigten Stellen gefunden 
haben; dies Resultat bildet also einen Gegensatz zu demjenigen, 
welches aus dem oben erwähnten Verfahren hervorging, während 
es mit dem Ergebnisse, welches man nach den erhobenen Klagen 
der betreffenden Einwohner erwarten sollte, übereinstimmt. (Bei 
Skillebäk fanden wir 0,75 g Schwefelwasserstoff pro kg feuchten 
Schlammes, d. i. zufolge des sonst gefundenen Wassergehaltes 
ca. 4—5 g pro kg getrockneten Schlammes.) Ferner sei der er¬ 
hebliche Unterschied hervorgehoben, den diese Analysen — im 
Gegensätze zu den Stickstoffbestimmungen — zwischen Dr. 
Bödtkers Untersuchungen von Gytje aus Sandefjord und dem 
Schlamme aus den verunreinigten Lokalitäten zeigen. 

Überhaupt sehen wir bei diesen Schwefelwasserstoffanalysen 
niemals eine Ausnahme von demjenigen Resultate, welches wir 
von vornherein erwartet haben, nämlich: dafs der Schlamm 
eben im innersten Teile des Hafens und untersten 
Teile des Flusses am meisten verunreinigt war. 

Was die Untersuchungen betrifft, bei welchen in der Umgebung des 
Bisletsieles in Piperviken nur 1,32 g pro 1 kg getrockneten Schlammes ge¬ 
funden wurden, sei erwähnt, dafs diese Schlammprobe in der unmittel¬ 
baren Nähe des Sielauslaufes entnommen wurde, wo der lose »Schlick«, in 
dem sonst fast immer bedeutende Mengen Schwefelwasserstoffs nachgewiesen 
sind, wie bereits früher besprochen, vollständig fehlte. Dagegen wurde letztere 
Art Schlamm schon in 4—5 m Entfernung von der Sielemündung angetroffen, 
und es ist das Resultat einer Analyse an dieser Stelle, welches als Nr. 2 
derselben Versuchsreihe aufgeführt worden ist. Einen entsprechenden Unter¬ 
schied haben wir bei den Stickstoffanalysen nicht beobachtet. Da der 
Schwefelwasserstoff aus dem Schlamme nur in freiem Zustande entweichen 
und dadurch die Luft der betreffenden Lokalitäten verunreinigen kann, 
haben wir z. T. auch die Menge des freien Schwefelwasserstoffes für sich 
bestimmt. Für diesen Zweck wurden gewogene, mit etwas Wasser ver¬ 
mischte Proben von »Schlick« ohne Säurezusatz in Kolben gebracht und 
Wasserstoff durchgeleitet; der Schwefelwasserstoff mufste eine Jodlösung 
passieren etc. wie in den oben besprochenen Versuchen; er wurde nicht 
erhitzt Die Menge des freien Gases wurde bei diesen Analysen (April 1901) 
in bezw. 200 und 4—5 m Entfernung von dem Bisletsiele in Piperviken zu 
0,24 und 1,06 g pro 1 kg getrockneten Schlammes bestimmt Zur gleichen 


Digitized by tjOOQle 



Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 181 

Zeit war der entsprechende Gehalt einige Meter vor dem Auslaufe des Sieles 
in Filipstad 0,41 g Nachdem Salzsäure zugesetzt war, wurde ferner bezw. 
2,6 1, 4,05 und 5,61 g Schwefelwasserstoff in gebundener Form gefunden. 

Auf den »feuchten« Schlamm berechnet, entsprechen diese Werte bezw. 
0,068, 0,247 und 0,098 g pro 1 kg. Von diesen Zahlen ist die erste kleiner, 
die zweite ca. dreimal so grofs, und die dritte ein wenig gröfser als die von 
Dr. Bödtker in Gytje aus Sandefjord gefundene; in letzterer war indessen 
aller Schwefelwasserstoff in freiem Zustande vorhanden. 

Indessen haben diese Untersuchungen u. E. insofern wenig zu be¬ 
deuten, als die im Schlamme enthaltenen Gasblasen und dadurch ein 
Teil des freien Schwefelwasserstoffes beim Aufholen des Schlammes ent¬ 
weichen und deshalb auch nicht durch die Analyse bestimmt werden. 
Hierzu kommt weiter, dafs die bedeutende Menge Schwefelwasserstoffs, die 
in dem Schlamme in gebundener Form zugegen ist, zum grofsen Teil in so 
leicht spaltbaren Verbindungen vorkommt, dafs sie auch von Kohlensäure, 
die nach unseren Untersuchungen ebenfalls im Schlamme gebildet zu werden 
scheint, freigemacht werden kann. 1 ) In dem »Schlick«, der den Grund des 
Flusses und des inneren Abschnittes des Hafens bedeckt, wird daher die 
Entwickelung von freiem Schwefelwasserstoff und dadurch auch eine Ver¬ 
unreinigung der Luft viel erheblicher und kontinuierlicher sein, als wo es 
sich um die von Dr. Bödtker untersuchte »Gytje« handelt; denn, wie 
erwähnt, enthält letztere neben dem freien Gase keine Sulfide. 

Aus den in diesem Abschnitte besprochenen Untersuchungen 
geht hervor: 

Dafs man schon nach dem Verhalten des Sielwassers im 
Laboratorium annehmen darf, dafs sich die Schwebestoffe desselben 
zum grofsen Teil schon in verhältnismäfsig kurzer Entfernung 
von den Sielemündungen im Flusse Akerselven und im, bezw. 
um den Hafen zu Boden schlagen; 

dafs diese Annahme auch mit den bei den Baggerarbeiten 
der Hafendirektion gewonnenen Erfahrungen übereinstimmt; 

dafs sie auch bestätigt wird durch die Gärungsprozesse, 
die an den erwähnten Lokalitäten unter dem Wasser stattfinden 
und mit dem unbewaffneten Auge beobachtet werden können; 
ebenfalls stimmt die erwähnte Annahme mit dem Gestanke, der 
dem Flusse, dem Hafen und Frognerkilen entlang zu berechtigten 
Beschwerden Anlafs gibt; 

1) Wenn man daher versucht, den Gehalt des Schlammes an freiem 
Schwefelwasserstoff mittels Durchleiten von Kohlensäure zu bestimmen, be¬ 
kommt man gröfsere Zahlen, als der Wirklichkeit entspricht. In solchen 
Versuchen mufs man deshalb Wasserstoff zum Durchleiten verwenden. 


Digitized by CjOOQle 



182 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselveu etc. 

dafs diese Annahme auch durch den Unterschied bestätigt 
wird, der in Bezug auf Geruch und chemische Zusammensetzung 
zwischen Schlammproben besteht, die einerseits aus dem inneren 
Hafen und dem unteren Teile des Flusses, anderseits in kurzer 
Entfernung von den Hafenquais und im oberen Laufe des Flusses 
entnommen sind. 

Es würde daher von Interesse sein, während des Sommers 
auch den Grad der Verunreinigung der Luft in der Um¬ 
gebung des Flusses und Hafens quantitativ zu bestimmen; vor 
allem würde es interessieren, den Schwefelwasserstoffgehalt dieser 
Luft festzustellen. Auf diesem Wege könnte man vielleicht auch 
einen zahlenmäfsigen Beweis dafür leisten, dafs der Gestank 
längs dem oberen Abschnitte Akerselvens — von Hausmanns- 
Brücke oder Nybroen und weiter flufsaufwärts — weitaus ge¬ 
ringer ist, als längs dem unteren Teile des Flusses, ein Verhalten, 
welches wir bisher nicht endgültig als erwiesen ansehen. 

Solche Versuche haben wir indessen aufser Betracht lassen 
müssen und können uns schon aus diesem Grunde nicht darüber 
aussprechen, inwiefern die in Frage stehenden, übelriechenden 
Gase die Gesundheit der umwohnenden Bevölkerung direkt schäd¬ 
lich beeinflussen. 

Wir geben daher als eine Möglichkeit zu, was im Jahre 1875 
von der erwähnten Pariser Kommission ausgesprochen wurde, 
nämlich dafs ein solcher schädlicher Einflufs durch die starke 
Verdünnung der stinkenden Gase mit der umgebenden Luft ver¬ 
hindert wird. Doch ist dies erstens nicht aufser allem Zweifel 
festgestellt, indem Schwefelwasserstoff selbst in einer Verdünnung 
von 3—5 auf 10000 »acute* Vergiftungen hervorrufen kann 1 ), 
und daher, wenn er durch längere Zeit eingeatmet w r ird, auch in 
noch gröfserer Verdünnung vielleicht Vergiftungen mehr chro¬ 
nischer Natur hervorrufen könnte. Und ferner ist der entwickelte 
Gestank so belästigend, dafs er vollauf den Übelständen gleich¬ 
gestellt werden mufs, welche durch grofse stinkende industrielle 

1) K. B. Lehmann, Experimentelle Studien über den Einflufs tech¬ 
nisch und hygienisch wichtiger Hase und Dämpfe auf den Organismus. 
Teil V. Schwefelwasserstoff. Archiv f. Hygiene, 18Ü2, Bd. 14, S. 17G. 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 183 

Betriebe verursacht werden, Betriebe, die weder die Gesundheits¬ 
behörde noch die Stadtbewohner überhaupt sich gefallen lassen 
würden, falls sie in privaten Händen wären. 

3. Über die Verunreinigung Akereelvene und des Hafens mit den 
gelösten Stoffen und Bakterien des Sielwassers. 

Wir haben im vorigen Abschnitte gesehen, dafs die Schwebe¬ 
stoffe der städtischen Abwässer Christianias sich nach Entleerung 
in den Flufs Akerselven und in den Hafen in grofser Ausdehnung 
mittels Sedimentierung abscheiden — eine »Selbstreinigung«, 
welche, wie allgemein anerkannt, sehr uneigentlich diesen Namen 
verdient; denn obwohl das Wasser selbst hierdurch reiner wird, 
wird anderseits der Grund des Flusses und Hafens zum Nachteil 
für die Stadt um so unreiner. Die Frage ist nun weiter, ob die 
Verhältnisse sich günstiger stellen, wo es sich um die »Selbst¬ 
reinigung« des Flufs- und Hafenwassers von den übrigen Be¬ 
standteilen des Sielinhalts handelt. Um dies festzustellen, 
haben wir das Wasser des Flusses Akerselven und des 
Hafens untersucht. 

Was erstens den Flufs betrifft, haben wir nur wenige Unter¬ 
suchungen vorgenommen, indem schon das trübe Aussehen des 
Wassers zu dem Schlüsse berechtigt, dafs es während des längsten 
Teiles des Verlaufes durch die Stadt mit den ungelösten Stoffen 
des Sielinhalts erheblich verunreinigt sein mufs. Und wenn dies 
der Fall, ist es auch nicht wahrscheinlich, dafs auf dieser Strecke 
irgend welche nennenswerte Selbstreinigung von den übrigen 
Bestandteilen des Sielinhalts eingetreten sei. Unsere diesbezüg¬ 
lichen Untersuchungen des Flufswassers waren teils chemischer, 
teils bakteriologischer Natur. Von diesen haben die ersteren, 
wie dies bezüglich des Süfswassers erfahrungsgemäfs öfters der 
Fall ist, nicht immer die erwarteten Resultate gegeben. An einem 
und demselben Tage (Frühling 1901) war zwar der Sauerstoff¬ 
verbrauch pro Liter bei Nybroen (1,5 km flufsaufwärts von der 
Mündung) 10,8, bei Vaterlands-Brücke (1 km) 12,38 und bei Bis- 
pebroen (Bischofsbrücke 400 m flufsaufwärts von der Mündung) 
11,87 mg — also 5—6 mal mehr als man für »reines« Wasser 


Digitized by CjOOQle 


184 Über d. Verunreinigung d. st&dt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

rechnet. Dagegen betrug der Chlorgehalt bei Treschows-Brücke 
(ca. 5 km von der Mündung), bei Myren (ca. 4,1 km), bei Holms 
Fabrik (ca. 3,6 km) 7,08 und bei Schultzehougens Ziegelbrennerei 
(3,2 km) 8,58 mg pro Liter. Bei Vaterlands- und Schweigaards- 
Brücken, von denen letztere 800 m flufsaufwärts von der Mündung 
des Flusses liegt, war letztere Zahl nur bis 14,12 mg gestiegen, 
um dann allerdings bei Bispebroen und gerade vor der Mündung 
des Flusses (Nyland) plötzlich zu 142 und 740 mg Chlor pro 
Liter emporzusteigen. Wenn man bedenkt, dafs z. B. Flügge 
30 mg Chlor pro Liter als die höchste Grenze für brauchbares 
Trinkwasser anführt, und dals gleichzeitig der Flufs auch an 
denjenigen Punkten seines Verlaufes, wo der Chlorgehalt nur zu 
ca. 7—9 mg pro Liter bestimmt wurde, immerfort Verunreini¬ 
gungen von Sielwasser empfängt, kann diesen Chloranalysen 
keine Bedeutung beigemessen werden. Dagegen stimmt es einiger- 
mafsen mit der Verunreinigung, die wir im voraus erwarten 
durften, dafs wir z. B. an einem Tage in diesem Frühling bei 
der soeben erwähnten Treschows-Brücke, oberhalb welcher der 
Flufs u. a. durch das Schmutzwasser einer grofsen Weberei ver¬ 
unreinigt wird, 7370 Keime pro ccm fanden (im Wasser des 
Maridalssees, aus dem der Flufs entspringt, und der ea. 10 km 
oberhalb der Stadt liegt, hält sich die entsprechende Zahl ge¬ 
wöhnlich unter 100). An demselben Tage wurden an verschie¬ 
denen der soeben besprochenen Stellen stromabwärts (nämlich 
Myren, Holms Fabrik, Sehultzehougen, Vaterlands-Brücke und 
Nyland mechanische Werkstätte) bezw. 2300, 1600, 4250, 106000 
und 208 000 Keime pro ccm gefunden. 

Weit umfassendere Untersuchungen haben wir dagegen vor¬ 
genommen, um bezüglich der Verunreinigung des Hafenwassers 
ein Urteil zu gewinnen. Wie in der Einleitung dieser Abhand¬ 
lung erwähnt, gibt es zur Zeit keine sichere Methode, um den 
Grad der Verunreinigung, welchen die gelösten Stoffe des Siel¬ 
inhalts im Meerwasser verursachen, direkt nachzuweisen. Da¬ 
gegen haben wir auf indirektem Wege einen Einblick darin 
zu gewinnen versucht; zu diesem Zwecke verwendeten wir teils 
hydrographische Untersuchungen, teils Bakterienzählungen, deren 


Digitized by VjOOQle 



Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Heirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 185 

Resultate ja nicht allein den Grad der Verunreinigung mit den 
Bakterien selbst, sondern auch mit den gelösten Stoffen der Ab¬ 
wässer annähernd angeben. 

A. Hydrographische Untersuchungen über das Wasser des 
Hafens von Christiania. 

Im Gegensätze zu den zahlreichen Beobachtungen über die 
Bedingungen der Selbstreinigung des Süfswassers sind die ent¬ 
sprechenden Untersuchungen über das Meerwasser bisher sehr 
sparsam. Es ist indessen von vornherein selbstverständlich, dal's 
die Verunreinigung, die der städtische Sielinhalt im Hafenwasser 
Christianias verursachen kann, allmählich um so gröfser werden 
mufs, je unbewegter das Wasser des Hafens ist; und umgekehrt: 
diese Verunreinigung wird um so weniger auffallend werden, je 
häufiger das Hafenwasser gegen reines Meerwasser von den 
äufseren Teilen des Fjordes ausgetauscht wird. Es war uns daher 
viel daran gelegen festzustellen, in welchem Umfange man an¬ 
nehmen kann, dafs ein solcher Austausch stattfindet. 

Zur Orientierung sei folgendes vorangestellt: 

Wie in der Einleitung erwähnt, nimmt der Christianiafjord 
bei Dröbak erheblich an Breite ab. Gleichzeitig wird aber auch 
seine Tiefe geringer, ^ indem der Meeresboden sich wie eine 
Schwelle quer über den Fjord als ein Rücken erhebt, der sich 
60 m und weniger unter der Oberfläche des Wassers befiudet, 
während der Fjord innerhalb Dröbak erstens viel breiter ist, 
zweitens aber auch eine viel gröi'sere Tiefe — bis 100 und 180 m 
— erreicht. Es ist somit wahrscheinlich, dafs diese Verhältnisse 
dem Austausch der Wassermassen innerhalb Dröbaks Hindernisse 
in den Weg legen werden. Durch Untersuchungen über den 
Salzgehalt und die Temperatur des Wassers, wie durch Beobach¬ 
tungen biologischer Natur haben denn auch Petterson und 
Ekman für schwedische und Johan Pljort und seine Mitarbeiter 
für norwegische Muldenfjorde nachgewiesen, dafs diejenigen 
Wassermengen, die an der Innenseite dieser Schwellen unter dem 
Niveau derselben stehen, während längerer Zeiträume ruhig 


Digitized by CjOOQle 



186 Über d. Verunreinigung d stitdt. Hafens und d. Flusses Akerselven cte. 

stehen bleiben, ohne weder ausströmen resp. einströmen zu kön¬ 
nen, noch mit den oberhalb der Schwelle stehenden Wasser¬ 
schichten in Austausch treten zu können. Dies ist auch von 
Hjort für die innerhalb Dröbak auf einer Tiefe von 60 m und 
darüber stehenden Wassermengen dargethan. Die natürlichen 
Verhältnisse bei Dröbak wirken aber wahrscheinlich auch un¬ 
günstig auf die Erneuerung derjenigen Wassermassen, die im 
inneren Fjorde oberhalb des Niveaus der »Schwelle« bei Dröbak 
stehen. 

Erstens haben nämlich Hjort und Gran 1 ) durch Unter¬ 
suchungen des äufseren Teiles des Christianiafjordes — welcher 
durch eine neue Schwelle, die ungefähr in derselben Tiefe wie 
diejenige bei Dröbak liegt, von Skagerack getrennt wird — nach- 
weisen können, dafs dieselben Eigenschaften, welche die tiefsten 
Wasserschichten des Fjordes charakterisieren, nämlich ein ver- 
hältnismäfsig hoher Salzgehalt in Verbindung mit einer relativ 
niedrigen Temperatur bis zu 20—30 m unter der Oberfläche ver¬ 
folgt werden können — eine Erscheinung, welche in starkem 
Gegensatz zu den gleichzeitigen Verhältnissen im Skagerack 
stehen. Dieses Verhalten kann allein in der Weise erklärt werden, 
dafs das Wasser in dieser Tiefe nicht umgetauscht werden kann; 
und wenn dies der Fall ist, gilt dasselbe wahrscheinlich auch in 
Bezug auf den Fjord innerhalb der Schwelle bei Dröbak. 

Was aber für die vorliegende Frage von der weitaus gröfsten 
Bedeutung ist, sind die Untersuchungen von Hjort und seinen 
Mitarbeitern über das Verhalten der oberf lächli chen Wasser¬ 
schichten des Fjordes. Er hat nämlich gefunden, dafs die¬ 
selben im Sommer um so weniger salzhaltig werden, d. h. dafs 
sie um so mehr Süfswasser enthalten, je weiter man den Fjord 
hinauf kommt. So war dies der Fall während der Sommer 1897 
und 1898, indem Hjort z. B. im September 1897 folgende Salz¬ 
gehalte der Fjordoberfläche fand: bei Horten (ca. 60 km von 

1) Die hierher gehörenden Untersuchungen von Hjort und seinen 
Mitarbeitern sind unter dem Titel gesammelt: Joh. Hjort, Report on 
Norwegian fishery- and marine investigations. Vol. I, 1900. 
Christiania, 1900. Ebendaselbst ist auch die übrige Litteratur citiert. 


Digitized by CjOOQle 



Vun Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Oeirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 187 


Christiania) 20,94, bei Dröbak (ca. 35 km) 20,34, bei Spro (zwi¬ 
schen Dröbak und Christiania, ca. 20 km von der letzten Stadt) 
19,37 und bei dem Leuchtturm Dyna (3 km südlich von Christi¬ 
ania) 17,01 %. Im Dezember 1896 war das Verhalten inso¬ 
fern ein anderes, als der Salzgehalt der Oberfläche des ganzen 
Fjordes etwas höher als im Sommer gefunden wurde; aber auch 
zu dieser Jahreszeit war er bei Steilene (14 km von Christiania) 
niedriger als bei Dröbak und — zwar erst in einiger Tiefe — 
niedriger als bei Horten, indem in bezw. 0 und 30 m Tiefe bei 
Horten 29,83 und 34,10, bei Dröbak 31,4 und 34,13, aber bei 
Steilene 30,94 und 32,67 °j 00 Salz gefunden wurde. 

Ganz anders waren dagegen die Befunde im März 1897, da 
das Oberflächenwasser des Fjords umgekehrt um so salzhaltiger 
gefunden wurde, je weiter man den Fjord hinauf kam. Der Salz¬ 
gehalt der Oberfläche war nämlich: in Skagerack 25,06, bei Färder 
(südlichster Punkt des Fjords) 25,06, bei Dröbak 29,66, aber bei 
Steilene 32,03 °l 00 . 

Da die hierher gehörenden Untersuchungen meistens nicht 
kontinuierlich, sondern mit längeren Zwischenräumen ausgeführt 
sind, sprechen sich Hjort und Gran etwas reserviert über die 
Ursachen ihrer Befunde aus; im grofsen Ganzen nehmen sie 
aber an, dafs dieselben folgendermafsen zu erklären seien: 

Wenn das Süfswasser sich im Meer entleert, mischt es sich 
nach den Untersuchungen der Hydrographen nur sehr langsam 
mit dem Meerwasser; da es leichter als das letztere ist, mischt 
es sich während längerer Zeit nur mit den oberflächlichen Schich¬ 
ten desselben, was sich dadurch zu erkennen gibt, dafs das 
spezifische Gewicht und der Salzgehalt dieser Schichten verhältnis- 
mäfsig gering sind. 

Nun haben indessen andere Untersuchungen gezeigt, dafs die 
Richtung der Strömungen in diesen oberflächlichen Schichten 
des Meeres in wesentlichem Grade von dem Winde bestimmt 
wird, der, wie von Hjort hervorgehoben, nach den vieljährigen 
Beobachtungen von Prof. Mohn im Christianiafjorde vom Mai 
bis September vorherrschend südlich ist, während umgekehrt vom 
Oktober bis April nördliche Winde daselbst die häufigsten sind. 


Digitized by CjOOQle 



188 Über d. Verunreinigt! og d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

Die oberflächlichen Wasserschichten mit dem darin enthal¬ 
tenen Süfswasser müssen daher während des Sommers im Fjorde 
aufgehäuft werden; während sie im Winter und Frühjahr durch- 
gehends den Fjord hinaus getrieben werden, so dafs zuletzt 
Wasserschichten, die früher verhältnismäfsig tief lagen und daher 
erheblich mehr Salz enthalten, an deren Stelle an die Oberfläche 
emporrücken. 

Diese Annahme stützt Hjo rt u. a. auch darauf, dafs das 
Plankton, welches sonst in der Oberfläche des ganzen Fjords vor¬ 
handen ist, im Frühjahr nicht im inneren Teile des Fjordes (bei 
Steilene und Dröbak) nachgewiesen werden konnte. Dies stimmt 
gut mit der Ansicht überein, dafs Wasserschichten, die früher 
tiefer lagen, zu dieser Jahreszeit an die Oberfläche emporgerückt 
sind; denn die tieferen Wasserschichten sind besonders plankton¬ 
arm. Hierdurch erklärt es sich auch, dafs die Temperatur der 
oberflächlichen Wasserschichten im März 1897 im inneren Teile 
des Fjordes höher war als im äufseren Abschnitte desselben, an 
welcher letzteren Stelle das Oberflächenwasser nach den oben¬ 
stehenden Voraussetzungen eben am längsten mit der kalten 
Winterluft in Berührung gewesen sein sollte. 

Bevor wir weiter gehen, mufs hervorgehoben werden, dafs 
die hier in Frage stehenden Verhältnisse vielleicht auch mit den 
gleichzeitigen Zuständen des Skageracks in Verbindung stehen. 
Es ist eine Thatsache, auf die schon Prof. Mohn in den Arbeiten 
der norwegischen Nordmeerexpedition aufmerksam gemacht hat, 
dafs sich im Frühjahr und Frühsommer eine recht starke west¬ 
gehende Oberflächenströmung von dem südlichsten Ende des 
Christianiafjords der Südküste Norwegens entlang bewegt. Dieser 
Strom repräsentiert den nördlichen Zweig der Strömung, die 
durch die Frühlingsflut in der Ostsee durch die nordeuropäischeu 
Flüsse entsteht, und kann möglicherweise dazu beitragen, dafs 
zu dieser Jahreszeit die oberflächlichen Wasserschichten aus dem 
Christianiafjorde ausgesaugt werden. 

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen Hjorts sind durch 
schwedische Beobachtungen bestätigt und vervollständigt worden 
und haben ferner in den Ergebnissen der biologischen Unter- 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 1&9 

suchungen, die er selbst später vorgenommen hat, eine Stütze 
gefunden. Wenn sie sich auch durch detaillierte Beobachtungen 
am Hafen Christianias als stichhaltig erweisen, darf man ihnen 
eine grofse Bedeutung für die vorliegende Frage beimessen. 
In diesem Falle mufs man nämlich annehmen, dafs nicht allein 
das Süfswasser, sondern auch der Sielinhalt, der direkt oder durch 
Akerselven dem Hafen zugeführt wird, während langer Zeiten 
des Jahres im letzteren aufgehäuft wird. Wie in der Einleitung 
erwähnt, ist das spezifische Gewicht des Sielinhalts nahezu wie 
dasjenige des Süfswassers, w r eshalb auch die Verunreinigung, 
welche der Sielinhalt nach Sedimentierung der Schwebestoffe dem 
Meere zuführt, vor allem in den oberflächlichen Wasserschicbten 
des letzteren zu suchen ist. Dies Verhalten ist von mehreren 
Seiten, u. a. von Fischer mittels Bakterienzählungen fest¬ 
gestellt worden; dasselbe haben auch wir, wie später zu be¬ 
sprechen ist, in derselben Weise darthun können. Insofern ist 
es auch lehrreich, dafs das Kanal wasser, welches von dem Oesterbro- 
quartier in Kopenhagen auf 10 Fufs Tiefe in den Oeresund 
hinausgepumpt wird, nach Schierbecks Untersuchungen (Ho- 
spitalstidende 1899) senkrecht bis zur Oberfläche des Meeres empor¬ 
steigt, um sich erst an dieser auszubreiten. Nicht unwahrschein¬ 
lich würde es in ähnlicher Weise gehen, wenn man, wie von 
Ingenieuren angedeutet worden ist, durch eine Leitung unter 
dem Wasser den Sielinhalt Christianias auf gröfsere Tiefen, z. B. 
aufserhalb der Insel Hovedöen, herauspumpen würde. 

Die oben besprochenen Verhältnisse sind auch von uns speziell 
untersucht worden, nämlich erstens mittels 

a. Bestimmungen des Salzgehaltes des Hafenwassers. 

Unsere diesbezüglichen Untersuchungen sind kontinuierlich 
vom April 1900 bis Mitte Mai 1901 ausgeführt worden. Die 
nötigen Wasserproben von der Fjordoberfläche wurden mittels 
eines Eimers oder mittels Flaschen aufgenommen. Was die 
tieferen Wasserschichten betrifft, wurden mit Kautschukpfropfen 
versehene Flaschen von 500 ccm in einem kleinen, zu diesem 


Digitized by OjOOQle 



190 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

Zwecke konstruierten Eimer mit schwerem bleiernen Boden ein 
geschlossen und zur betreffenden Tiefe hinabgesenkt, worauf 
mittels einer Schnur der Pfropfen hinausgerissen wurde. Wenn 
keine Luftblasen mehr durch das Wasser emporstiegen, wurden 
die Flaschen heraufgeholt. Da sie sich durch Kontrollversuche 
zuverlässig bis 25 m Tiefe erwiesen, und unsere Untersuchungen 
sich nur selten auf gröfsere Tiefen erstreckten, wurden nur aus¬ 
nahmsweise andere »Wasserschöpfer« gebraucht. 

Um den Salzgehalt zu bestimmen, titrierten wir das in 
10 ccm des Wassers enthaltene Chlor mittels einer Silbernitrat- 
lösuug von bekannter Stärke. Durch Vergleichen der hierdurch 
gewonnenen Zahlen mit denjenigen, die man mittels Aräometer 
erhält (wir benutzten einen Satz von speziell für Seewasser an¬ 
gefertigten Aräometern Küchlers), ergaben die letzteren Resul¬ 
tate, welche einem Fehler von 1 °/ 00 Salz nacli auf- oder abwärts 
entsprechen, weshalb wir von deren Benutzung abstanden. Aus 
der durch Titrieren gefundenen Chlormenge wurde der Salzgehalt 
nach den von Petterson und Ekman in »Grunddragen af 
Skageraks och Kattegats Hydrografi« 1891 angegebenen Daten 
berechnet. Der Salzgehalt ist infolgedessen als Salz pro Mille 
ausgedrückt, d. h. die Anzahl Gramm Salze, die in einem 
Kilogramm Meerwasser enthalten sind. Als Grundlage 
für die Bestimmung des Titers der Silbernitratlösung wählten 
wir das von Prof. Otto Petterson und Chemiker S. Schmidt- 
Nielsen im Jahre 1898 in Vorschlag gebrachte »Standard¬ 
wasser« 1 ), das ist eine Chloridlösung (Meerwasser), dessen Chlor¬ 
gehalt durch untereinander unabhängige Gewichtsanalysen von 
verschiedenen Chemikern bestimmt ist; dagegen ist die Silber¬ 
nitratlösung nicht wie gewöhnlich auf kleine Portionen Kochsalz 
eingestellt. Der Vorteil dieses Verfahrens ist darin zu suchen, 
dafs man die möglichst gröfste Übereinstimmung unter den ein¬ 
zelnen Analysen erhält, und ebenso, dafs diese völlig mit den 
Untersuchungen anderer Hydrographen verglichen werden können. 

1) Vergl. H. H. Gran, Ilydrographic-biological studies of the North 
atlantic Ocean and the coast of Nordland, s. III. Reports on Norwegian 
Fishery- and marine-investigations. vol. I, 1900, no. 5. Christiania, 1900. 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 191 

Unsere sämtlichen Analysen beziehen sich auf das in Stockholm 
1898 eingeführte »Standard 1899«. Beim Ausrechnen haben wir 
die Manuskript-Tabellen von Prof. Petterson benutzen können, 
die nach gegenseitigem Übereinkommen bis auf die letzte Zeit 
von den gemeinschaftlich arbeitenden skandinavischen Hydro¬ 
graphen gebraucht worden sind. 

Wir werden nicht auf alle Details der so ausgeführten Unter¬ 
suchungen eingehen, indem sie nicht alle für die uns hier 
interessierenden Fragen von Bedeutung sind. Wir heben nur 
diejenigen Beobachtungen hervor, die an einem Punkte zwischen 
Herbern (an der Nordostspitze Bygdös) und Kavringen (an der 
Nordwestspitze der Insel Hovedöen) kontinuierlich bis zu 25 m 
Tiefe ausgeführt worden und in der Tabelle 6 wiedergegeben 
sind. Der Übersicht halber haben wir den Durchschnitt der 
daselbst angeführten Zahlen berechnet in der Tabelle 7 a (S. 194.) 

Aus diesen zwei Tabellen geht erstens hervor, dafs auch das 
Meerwasser des Hafens Christianias in Übereinstimmung mit der 
oben gegebenen Darstellung immer in den oberflächlichen Schich¬ 
ten den niedrigsten Salzgehalt aufweist, d. li. dafs eben diese 

* 

Schichten am meisten mit Süfswasser vermischt sind. Ferner 
wird man aber sehen, dafs der Salzgehalt der oberflächlichen 
Wasserschichten periodischen Schwankungen unterworfen ist, die 
von der Jahreszeit abhängig sind und genau den Schlüssen ent¬ 
sprechen, die Hjort in Bezug auf den ganzen Fjord gezogen hat. 
Insofern mufs zwar die Oberfläche selbst aufser Betracht gesetzt 
werden, als ein niedriger Salzgehalt derselben bisweilen nach 
Regengüssen eintreten kann (3./VII., 2./VIII., 9./VIII. 1900); auf 
der andern Seite schien ein solcher Gehalt im März 1901 durch 
einsetzendes Tauwetter mit Schmelzen und Lösen des Eises im 
und um den Fjord verursacht zu sein; und was den niedrigen 
Gehalt der Oberfläche am 23./IV. und 2./V. 1901 betrifft, ist der¬ 
selbe wahrscheinlich mit dem stärkeren Schneeschmelzen in Ver¬ 
bindung zu setzen, das durch eine bedeutende Steigerung der 
Temperatur während der zweiten Hälfte des Aprils im Nieder¬ 
schlagsdistrikt Akerselvens und in den übrigen Umgebungen des 
(Fortsetzung des Textea auf S. 194.) 


Digitized by CjOOQle 



Bestimmunieren der Temperatur nebst des Chlor- und Salzgehaltes des Wassers zwischen Kavringen und Herbern 

(ca. 2 km Tom Bisletsiel.) 

(Der Chlorgehalt ist in Gramm per Liter, der Salzgehalt in Gramm per Kilo Meerwasser angegeben.) 


192 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 



Digitized by v^.ooQle 


per Kilo (siehe oben). 









Fortsetzung zu Tabelle VI. 


Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. 8ig?al 8chmidt*Nielsen. 19ä 


, 

' 

16. 

V. 

iC h* CM 

O^x^ 
i-T «T co*'. 

H H d 

X X 
CM^irq 
©" co" V 

HH rH 01 

h.2S 

ÖI^jO 
HH Ol 

■* HH 

t^rH^O^ 

cd'»g C^ 

lO fr 

05 r- x 

v 2gf 

X X 
05 O^tr^ 
ißfr H 
rH x 

^ 05 

X cqx^ 
x" Ch" of 

hh X 


<oo^ n 
05 " co" V 

Ol 

1- O 
tox^ 
x" co" h*t 

HH Ol 

co x 

x" V »p 

rH Ol 

01 in 

iO Ä OJ^O 
X* in" 

H Ol 

X rH 

c* ao^x 
ts"x"o5 

hH OJ 

Or» 

■°5S 

CM O 
t^OI^ 

x"x"ef 

HH X 

2> 

CO © 
pin oi 

C-" -*0 
hh Ol 

oSS 

t> to 

H Ol 

05 X 

x"io"t>f 

rH 01 

X HH 

©.Ci^oq 
in in co 

H- Ol 

^ x"x 

OJ 

t^o^x, 
in x hh 

rH X 

hS Ol 
ißqn 
x"acfof 

hh CO 


oo > 

Ol hh 

iO — 

aTco hs 

hh OJ 

rH O 

*^x oi w 
o«oV 

rn Ol 

Ol X 
X^iO 

0 0 r* 

|H OJ 

Ch X 

in x 
v 28 

in^S^S^ 

V f>T O" 

1-H X 

X t'- 
X Ä X ^ 

in" x' of 

HH X 

X hh 

^xo, 
x" x" x" 

rH X 

1901, 

<N > 

cd > 

Ol hH 

CO o 

X iO 

5 = 8“ 

in ^ 
05^05^ 

t*-" aTcfiT 

X tH 
Ot^<N 

-“3f8‘ 

O X 

Ol^COrn 

x" m" t>r 

rH Ol 

X 05 
i>-in^o^ 
x" 05 " 
hh OJ 

X X 
t^^05 

c-" Q 

hH X 

«22 

x"x"of 

hh X 

t- m 

05 f-rr 

x"x"gj" 

1 1 i 

1 1 1 

l- f» 
X^rt ^ 

H Ol 

rqr X 05 
rH OJ 

05 C*r 
<NXI^ 
fr CT 

HH co 

X X 
O 0^05^ 
X X"rH 

H x 

CM X 

x^p 

x"x"x 

hh CO 


x > 

rH t-H 

in c§ § 
X" iS t-" 
hh Ol 

CO ^ 

X t» 

cToTof 

H Ol 

X 01 
CO 01 
co x" oT 

rH Ol 

h- 82 
x"tr. O 

rH X 

x" i>-" 0 " 

rH x 

X 

t—^OJ c« 

in"adof 

HH CO 


§ia 

1 l 1 

1 1 1 

X iO 
ir^oi^ir^ 

x" r-T 0 “ 

hH x 

X X 

t>- h-T 
rH X 

X X 

X ^ 10 

x" x" of 

hH X 

fH. 05 
qißt^ 

x" x" of 
H x 

! 1 1 

1 1 1 

1 1 1 

25 

ho x" 

H- 1 ’-H 

r- 05 

otoo 

CO" f>f r-T 

H X 

f- X 
05^05^ 
T#r t— ▼—< 
rH X 

X 01 

X OJ^X^ 

x" x" of 

HHX 

r?h 

triCO 

X fr HH 
hH x 

x^x^x 
x" x" of 

HH X 


oi HS 

cT^Tjo 

rH Ol 

1 1 1 

Ol Ol 
OJ^O^-rr 

ofx"ad 

H Ol 

OJ X 
OJ^Oi^OS^ 

in" x" 05 " 

rH Ol 

05 H 

o^c^uq 

fr fr H 
HH x 

1900. 

28. 

XII. 

X 

x^co x^ 
of icT c-" 

hh Ol 

! 1 1 

X 

X/X X 
CI iß fr 
HH Ol 

in^x^oj^ 
co in" x" 

rH Ol 

hH 

X rH 

v 28 

in in 
CO^HCO^ 

x" fr" 0 " 

rH CO 


x Eh 

-ä 

o 

cq05 X 
of co V 
y-* Ol 

1 1 1 

1 1 1 

I I 1 

1 1 ! 

1 1 1 

*"8“8“ 

x^aB^ 
x" m" 05 " 

rH OJ 

H x 05 

■*jS8 

1 1 1 

2 oj 

1 1 1 

05 J 0 S 

x~ co h$T 

hh Ol 

hS8. 

(T.lßtr 
HH Ol 

X 0 
X^X^05 w 

x" x" 05 " 

H Ol 

,S8 

1 fr y—4 
HH X 

1 1 1 

1 1 1 

^ iO 
OJ^X^ 

c-" co *r 

rH Ol 

05 

H« Ä 
05 lO fr 
H Ol 

C5 OJ X 
in" of r-T 
HH j—l OJ 

lO X rH 

m" of of 

hhCi 

in ^ 

ao/x^n 
of x" of 

HH OJ 

OJ^X^X^ 

of 0 " r-“ 

nnd 

e- x 

co^yi 
of 0 " r- 

hhOJ 

1 I 1 

1 1 I 

^d 

— ^ 

<*eOC* 

^ *-»" cT 

«Hd 
rH H^l 

x co oi 

s=sT 

“ X t- 
X^X^rt^ 

05 " x" 05 " 

HH OJ 

oj 

X x 0 

0 " x" 05 " 
nnd 

X 

HH^rH^X 

05 " t-" 0 

rH X 
OJ HH 

in-tx^ 

x" r-" 0 " 

hh X 

1 1 1 

1 1 1 

1 1 1 

1 1 1 

1 1 1 

1 1 1 

1 1 1 

-_8 

0 

° 

O CB 


X co 

rH 05 X 

x"©"af 

co S w 3 

iOh ffs 
^ 

1 1 1 

in x oi 
XX. OI Ä 

X* H r-f 

H Hd 
CD OJ 
^ X OJ 

X" r-T H 
H HH Ol 

m x x 
05^0. 
of in" e-" 

hhin 

frS8 
0 " x" x" 

rH rH OJ 

H X 
05 05^05^ 

x" x" 05" 

rH OJ 
^ in 
in ch x 

«Sgf 

1 1 ! 


1 1 1 

x in 

hF h#T »n" 

HHd 

11,7 111,1 
15,83 16,10 
28,1028,57 

cd ^ 

t-H 

rH 3 

CO- 

' “ OJ co 

X IÄ X 

x "h p" 

_1-H H Ol 

1 1 1 

in co 

H- X X 
CO H 0 " 
hhOJ 

X X 
x^oj^n 

rr" rfT 0 " 
H HOI 

lO fr 

x w qt^ 

f-H Ol 

hH ■*— < 

1 1 1 

Ol X 

x m x 

5 = 8 “ 

CfifO 

X^ rH Ol^ 

rjf-rfTiO 

HH 1— Ol .... 

rH OJ 

^x^c^ 
of in" fr-" 

HHd 

'in ih x 
^x^uq 
05 " x" 05 " 

HH CM 

'in x 

OO^hh 

05 1-0 

HH X 

l-H O 

O 

.-•tUO““ 

0 

° - H 

OX 

- 

© rj 
*=> 

X~^~“ 

hX^O^ 
r-*' ©" of 

HH H 

l-i 0 

0 0 -« 

0 -Ä 

OX 

xoT^ 

rH O 
h H d 

- s 

0 

° J« 

O X 

X X 
tßt-O 
x" —" H 

H H Ol 

— c- 
0 

r < ü c" 

0 — "S 

Ox 

" O — 

O OJ 0 ^ 

x" m" t>r" 

rH rH OJ 

^ ■ ti 0^ 

^ a« 

0 a 

O / 

X Ä X 

0 " x" CG 
HHd 

r< *- 
° 

0 —; -cö 

O cß 

f 



liuoiourm 


'■ 






i 


0 

co 

in 

0 

in 

0 

p .2 in 

|i »PTX 





— 

Ol 

Ol ,0 Ol 


Archiv für Hygiene. Bd. XUI 


Digitized by 


Google 










194 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

Fjords eintrat. Wenn man aber hiervon absieht, geht es aus 
den Tabellen hervor, dafs der Salzgehalt des Hafenwassers, in 
voller Übereinstimmung mit Hjorts Schlüssen, im Frühling 1900 
sehr hoch war, um dann — nach einem Übergange im April und 
Mai — während des Sommers bedeutend abzunehmen. Darauf 
ging der Gehalt wieder im Herbst und Winter etwas in die Höhe, 
um im März 1901 ein neues Maximum zu erreichen. Nach 
dieser Kulmination trat wieder eine neue Abnahme ein, welche 
etwas stärker als diejenige der entsprechenden Monate des vorigen 
Jahres gewesen ist. 

Tabelle Vlla. 


Salzgehalt im Durchschnitt pro Mille 


Tiefe 

. 9. IV. 

1 1900 

118. IV. bis 1 3. VI. bis 
|2.VI. 1900 j7.DC. 1900 

24 X. bis 
11.1.1991 

März 19011 

i | 

April bis 
Mai 1901 

An d. Oberfläche 

r 

32,86 

26,6 

1 

18,7 

25,5 

20,8 1 

23,2 

5 m ... 

I; 33,10 

29,0 

20,8 

27,7 

30,9 ■ 

27,1 

10 m . . . i 

II 

j 30,6 ' 

25,0 

29,1 

31,6 

28,6 

20 m ... 

! — 

I 32,5 

30,3 

31,0 i 

32,8 

32,1 

s 

£ 

1 

% 

i 

! 32,8 

, (29. IV.) 

32,5 

nicht , 
untersucht 

nicht ; 
untersucht 

32,8 


Dieser Unterschied ist, wie aus den Tabellen (Tab. 7 a) er¬ 
sichtlich, besonders augenfällig in 5 m Tiefe, wo der Salzgehalt 
am 9. April 1900 sogar 33,10°/ 00 erreichte — eine Zahl, die wir später 
erst in 20—25 m Tiefe gefunden haben. Im Laufe der nächsten 
Monate wurde in derselben Tiefe als Durchschnitt 29 °/oo gefunden, 
worauf der Gehalt während des ganzen Sommers bis zum Septem¬ 
ber durchschnittlich auf 21 pro m herunterging, d. h. der Salz¬ 
gehalt war im Durchschnitt ca. 27 °/oo niedriger als in den zwei 
vergangenen Monaten. Gegen das Ende des Jahres wurde er 
wieder als Durchschnitt zu ca. 27,7 °/oo bestimmt, erreichte dann 
im März 1901 sein zweites Maximum mit ca. 31 °l 00 und ist in 
den paar folgenden Monaten bis ca. 27 °j 00 gesunken. 

Wie die Tabelle zeigt, ist dieselbe Erscheinung noch bis 20 m 
Tiefe sehr deutlich, jedoch in der Weise, dafs sie um so weniger 
hervortritt, je tiefer man kommt, bis der Unterschied zwischen 
den Jahreszeiten in 20—25 m Tiefe — wo wir zwar wenig Unter¬ 
suchungen vorgenommen haben verschwindend ist. 


Digitized by CjOOQle 









Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 195 

Es ist einleuchtend, dafs diese Schwankungen, die wir auch 
an anderen Punkten des Hafens festgestellt haben, allein dadurch 
zu erklären sind, dafs das den oberflächlichen Wasserschichten 
beigemengte Süfswasser während des Sommers in gröfseren 
Mengen aufgehäuft ist als im Herbste und Winter, und dafs diese 
Mengen während der letztgenannten Jahreszeiten wieder gröfser 
sind als im Frühling. Fragt man, wodurch diese Erscheinung 
hervorgerufen wird, kann sie nicht dadurch zu erklären sein, 
dafs durch den Flufs Akerselven oder durch Niederschläge dem 
Hafen während gewisser Jahreszeiten mehr Süfswasser zugeführt 
wird, als während anderer. Wie wir gesehen haben, können zwar 
solche Schwankungen zum Teil einen vorübergehenden Einflufs 
auf den Salzgehalt der Oberfläche selbst ausüben; im allgemeinen 
wird aber dieser Gehalt sowohl, wo es sich um die Oberfläche 
als um die tieferen Wasserschichten handelt, von ganz anderen 
Faktoren bestimmt. Sonst könnte nicht der Salzgehalt im Früh¬ 
jahr, wenn der Schnee schmilzt und damit speziell grofse Mengen 
Sülswassers dem Hafen zugeführt werden, um vieles höher als im 
Sommer sein. 

Wir müssen daher mit Hjort die Erklärung darin suchen, 
dafs in den oberflächlichsten und damit süfsesten (und damit zu 
gleicher Zeit auch am meisten verunreinigten) Wasserschichten 
Strömungen stattfinden, die zu gewissen Jahreszeiten dieselben 
im Hafen aufstauen, zu anderen Zeiten ihnen dagegen einen 
leichteren Abflufs aus dem Fjord hinaus gestatten. 

Uro diesen Fragen näher zu treten, haben wir ferner eine 
Reihe 

b. Untersuchungen über die Strömungsverhältnisse 

des Hafens 

ausgeführt. Es ist ohne weiteres klar, 'dafs solche Untersuch¬ 
ungen ohne Rücksicht auf die obenstehenden Beobachtungen 
über den Salzgehalt von wesentlicher Bedeutung für die vor¬ 
liegende Frage sein müfsten. Denn falls die Richtung der Strö¬ 
mung der oberflächlichen Schichten des Hafenwassers in gröfserer 

Ausdehnung konstant den Fjord hinausgeht, wird das Hafen- 

13 * 


Digitized by CjOOQle 



196 Über d. Verunreinigung d. etädt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

wasser nach dem» was bezüglich der Verunreinigung eben dieser 
Wasserschichten angeführt worden ist, sich ganz anders rein 
halten müssen, als wenn es eine solche Strömung nicht gibt und 
das Hafenwasser im wesentlichen als ein stillstehendes Bassin 
betrachtet werden mufs. Da diese beiden Anschauungen häufig 
in der täglichen Diskussion der Bewohner von Christiania aus¬ 
gesprochen werden, ohne dafs Beweise für die Richtigkeit der 
einen oder der andern derselben erbracht sind, haben wir auf 
verschiedene Weise diesen Punkt selbst aufzuklären versucht. 

Leider haben wir diese Untersuchungen wegen fehlender 
Assistenz auf den Sommer 1900 beschränken müssen. Teils 
wurden sie während unserer gewöhnlichen Expeditionen auf dem 
Hafen ausgeführt, teils haben wir spezielle Exkursionen zu diesem 
Zwecke veranstaltet; sie wurden hauptsächlich vom ca. 18. Juli 
bis zum 20. August 1900 vorgenommen und wurden gewöhnlich 
mehrere Tage nacheinander und zu den verschiedensten Tages¬ 
zeiten ausgeführt; zum Teile fanden sie am Abend und während 
der Nacht statt. 

In allem Wesentlichen haben wir uns auf die Oberfläche des 
Hafenwassers beschränkt. Teils haben wir die Richtung be¬ 
obachtet, nach welcher die Schaumblasen, kleinste Holzspäne 
u. dgl., die überall an der Wasseroberfläche herumschwimmen, 
hintreiben. Teils haben wir die Orts Veränderungen ausgeworfener 
hohler Glaskugeln und Holzklötze beobachtet; diese haben wir 
öfters durch längere Zeit von einem Boote aus beobachten müssen, 
weil sie sonst von Vorüberrudernden aufgefischt wurden. Aus den 
diesbezüglichen Untersuchungen ergeben sich folgende Schlüsse: 

Die Strömungen der oberflächlichen Wasserschichten des 
Hafens Christiania werden im Sommer zum gröfsten Teile aus- 
schliefslich von der Windrichtung bestimmt. Ist der Wind 
südlich, ist die Richtung der Strömung eine nördliche, d. i. die 
oberflächlichen Schichten treiben nach den Quais zu; ist der 
Wind dagegen nördlich, geht die Strömung umgekehrt zum Fjord 
hinaus. Ein ganz schwacher Wind genügt, um diese Wirkung 
hervorzubringen; selbst wenn das Wasser ganz still scheint, 
genügt der schwache, südliche Luftzug, der dennoch während 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Axel Holet, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 197 

eines Sommertages gewöhnlich verspürt wird, um alle Schaum 
blasen u. s. w. an der Oberfläche des Wassers in der Richtung 
der Quais zu treiben, und umgekehrt vermag der schwache nörd¬ 
liche Zug, der sich während der Sommerabende und -Nächte so 
oft einstellt, selbst wenn das Wasser spiegelglatt liegt, der Trift 
eine Richtung den Fjord hinaus zu geben. Schliefslich ist dies 
Verhalten um so ausgesprochener, je stärker der Wind ist; ist 
der Wind einigermafsen stark, so ist es nicht allein an der Ober¬ 
fläche, sondern öfters auch bis mehrere Meter Tiefe, dals der 
Wind nachweisbar diesen Einflufs übt. Unter diesen Umständen 
mufs es aber in Übereinstimmung mit Hjorts Schlüssen eine 
Folge werden, dafs die oberflächlichen Wasserschichten des 
Hafens im Sommer, wenn südliche Winde vorherherrschend 
sind, nur zum geringsten Teil den Fjord hinaus Abflufs bekom¬ 
men können; und ist dies der Fall, mufs auch das Süfswasser 
und damit auch der Sielinhalt, der, wie erwähnt, eben diesen 
Wasserschichten beigemengt ist, zu dieser Jahreszeit im Hafen 
aufgehäuft werden. 

Wir sind demnach auch mit Rücksicht auf die Strömungs¬ 
verhältnisse im Sommer zum selben Resultat gekommen, welches 
sich aus den Bestimmungen des Salzgehaltes ergab, nämlich dafs 
der Hafen sehr ungünstige Bedingungen für eine »Selbstreinigung« 
des Meerwassers darbietet. 

Man kann indessen gegen einen solchen Scblufs vielleicht 
erstens einwenden wollen, dafs es im Hafen Christianias wenigstens 
eine konstante auslaufende Strömung gibt, nämlich diejenige, 
welche die Fortsetzung des Stromes der Mündung von Akers- 
elven bildet. Eine solche Strömung hat u. a. seit lange der 
Stadtbaurat Andersen beobachtet, wie auch wir dieselbe haben 
feststellen können; sie setzt von der Mündung Akerselvens 
schräg 1 ) über den östlichen Hafen (Björviken) ein und biegt 
dann in südlicher Richtung um, indem ein Zweig des Stromes 
in die früher besprochene Bucht an der Nordostseite Hovedöens 

1) Diese schräge Richtung wird durch den Auslauf des Baches Loelvens 
verursacht; letzterer mündet etwas südlich vom Akerselven und senkrecht 
auf die Richtung der Mündung des letzteren. 


Digitized by CjOOQle 



198 Über d. Verunreinigung d. etädt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

einsetzt, während der Hauptstrom um die Nord Westseite dieser 
Insel umbiegt. An dem südwestlichen Ende der Insel lälst diese 
Strömung sich aber zufolge unserer Untersuchungen nicht 
mehr nach weisen, indem Holzspäne u. dgl., die bis hierher 
geführt sind, teils mit dem Winde zu treiben anfangen, wodurch 
sie, wenn er südlich ist, gegen die Stadt zu und besonders 
gegen den westlichen Hafen, Piperviken, getrieben werden; so 
wird es verständlich, dafs Holzklötze, die wir in den Akerselv 
ausgeworfen haben, bei Filipstad im westlichen Hafen wieder¬ 
gefunden sind. 

Teils kann auch bisweilen im Sunde, welcher das südliche 
Ende Hovedöens von der Insel Lindöen trennt, eine Strömung auf- 
treten, die vom Bundefjord schräg gegen den nordöstlichen Teil 
von Bygdö hinübersetzt, wo sie sich verliert, und der Wind 
für die Richtung der Trift wieder bestimmend wird. 

Andere konstante Strömungen der Oberfläche des Hafen¬ 
wassers haben wir nicht nach weisen können. Indessen wird 
man einen anderen Einwand gegen unsere Schlüsse erheben 
können, der auf den ersten Blick von grofsem Gewicht zu sein 
scheint, nämlich dafs es doch im Hafen von Christiania 
auch Ebbe und Flut gibt, die durchschnittlich eine Höhe von 
ca. 30 cm erreichen. Dafs dies an und für sich genügt, um 
grofse Wassermengen in Bewegung zu setzen, geht aus einer 
Berechnung hervor, die Herr Ingenieur Salicath gütigst vor 
genommen hat. 

Der Flächeninhalt desjenigen Abschnittes des Hafenbassins 
und dessen Umgebungen, der vom festen Lande und den Inseln 
Nakholmen, Gräsholmen, Blegöen und Sjursöen eingeschlossen 
wird, d. h. das gesamte innere Hafenterritorium, beträgt nach 
Abzug des Areals der Inseln ca. 7,6 qkm, d. h. wenn die Höhe 
der Ebbe und Flut die eben genannte (30 cm) ist, sollte diesem 
Teile des Hafens während der Flut ca. 2 x / 4 Millionen cbm Wasser 
aufsen vom Fjorde zugeführt werden, während umgekehrt bei 
der Ebbe dieselbe Wassermenge entleert werden sollte. Da nun 
in 24 Stunden zweimal Flut und Ebbe eintreten sollten, also in 
diesem Zeiträume durchschnittlich dem genannten Hafenabschnitte 


Digitized by v^.ooQle 


Von Dr. Axel Holet, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Scbmidt-Nielsen. 199 

in allem ca. 4*^ Million cbm Wasser, welches als sehr rein an¬ 
genommen werden darf, zugeführt werden. Gleichzeitig mufs 
aber in demselben Zeiträume eine entsprechende Wassermenge 
den Fjord hinaus Abflufs bekommen haben. Da nun ferner ein 
solches Wasserquantum dem Zehnfachen der durchschnittlichen 
Wasserführung von Akerselven in 24 Stunden (ca. 432000 cbm) 
entspricht, wird man sich vielleicht vorstellen können, dafs, wie 
es sich auch sonst mit den Strömungen verhält, diese Wasser¬ 
mengen mehr als genügend sein müssen, um den Sielinhalt, der 
sich in den Hafen entleert, immer stark zu verdünnen. Nach 
unseren Untersuchungen ist dies aber auch nicht richtig. Wenn 
Flut und Ebbe für die Verdünnung des Sielinhaltes Bedeutung 
haben soll, müssen nämlich zufolge der gegebenen Darstellung 
die daraus bedingten Strömungen die oberflächlichen Wasser¬ 
schichten des Hafens betreffen; und eben dies ist nach unseren 
Beobachtungen während der Sommermonate nicht der Fall. Bei 
südlichen Winden war die Strömung der Oberflächenschichten 
des Hafenwassers immer nach der Stadt gerichtet, und war der 
Wind auch noch so schwach, hatte weder Ebbe noch Flut einen 
Einflufs auf dieses Verhalten. Umgekehrt ging die Strömung bei 
nördlichem Winde unter denselben Verhältnissen immer den 
Fjord hinaus. 

Um dies näher festzustellen, haben wir erstens einen von 
Hjort angegebenen »Tiefenflotteurc verwendet; derselbe 
besteht aus zwei zirkulären Flügeln aus Segeltuch von ca. 1 m 
Diameter, die in zwei entsprechenden Ringen aus dünnem 
Kupferdraht befestigt und kreuzweise und senkrecht ineinander 
angebracht sind. Der Flotteur wird im Wasser zu verschiedenen 
Tiefen hinuntergesenkt, nachdem er mittels einer dünnen Schnur 
an eine auf der Oberfläche schwimmende, schmale, hölzerne 
Stange festgebunden und abbalanciert worden ist. Wenn wir 
von einem einzigen Male absehen, da ein starker Nordwind eine 
südwärts gehende Strömung an der Oberfläche hervorrief, während 
der Flotteur schon in einer Tiefe von einigen Metern sich in 
nördlicher Richtung bewegte — haben wir sonst regelmäfsig ge¬ 
funden, dafs der Flotteur in wenigen Metern Tiefe sich in der- 


Digitized by v^.ooQle 



200 Über d. Verunreinigung <1. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

3elben Richtung wie die Schaumblasen u. s. w. an der Ober 
fläche des Wassers bewegte; Ebbe und Flut waren insofern ohne 
Einflufs. In gröfseren Tiefen haben wir dagegen kein über¬ 
zeugendes Resultat erhalten. 

Dafs die oberflächlichen Wasserschichten unter 
gewöhnlichen Verhältnissen nicht von Ebbe und 
Flut beeinflufst werden, scheint auch aus einigen am 
3.—7. September und 30.—31. August 1900 ausgeführten Unter¬ 
suchungen über den Salzgehalt hervorzugehen (vgl. Tabelle 6 
und 7 b ). Obgleich diese teils am Vormittage während der Flut, 
teils am Nachmittage während der Ebbe vorgenommen wurden, 
war das Resultat durchgehends ein und dasselbe, welches auch, 
wenn von der Wasseroberfläche abgesehen wird, bezüglich der 
Nachmittagsuntersuchungen in der Nacht, die am 10. August 
1900 vorgenommen wurden, der Fall war. 

(Siehe Tabelle 7 b auf S. 201.) 

Möglicherweise wird man imstande sein, diese Verhältnisse 
mit einem neulich von Prof. Nansen konstruierten Strom¬ 
messer näher festzustellen. Wir kommen demnach zu dem Re¬ 
sultate, dafs die oberflächlichen und somit am meisten ver¬ 
unreinigten Wasserschichten des Hafens Christiania im Sommer 
wegen der Windrichtung in der Hauptsache — wenn auch nicht 
wörtlich — als stillstehend zu betrachten sind; wenn sie z. B. 
von dem schwachen nördlichen Zuge, der, wie erwähnt, so oft 
während der Sommerabende und -Nächte verspürt wird, den Fjord 
hinaus in Trift gesetzt werden, wird der viel stärkere Südwind, 
der zu dieser Jahreszeit durchgehends am Tage herrscht, sie 
schnell wieder in den Hafen zurücktreiben. 

Bevor wir diesen Abschnitt verlassen, müssen wir wieder 
betonen, dafs diese Untersuchungen über die Strömungen aus- 
schliefslich dem Sommer gelten, d. h. der Jahreszeit, da die Ver¬ 
unreinigung des Hafens mit Rücksicht auf den Boden die weitaus 
gröfste Bedeutung für die Bevölkerung hat. Dafs die Resultate 
korrekt sind, wird auch durch einige Untersuchungen bestätigt, 
die Ekman im Monat April 1901 mit dem erwähnten, von Prof. 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 201 


Tabelle VIIb. 

Beobachtungen Uber Flut und £bbe. 


Salzgehaltbestimmungen. 



Tiofp 

Temp. 

Salz¬ 

Datum 

Tageszeit 

Untersuchungsstation 

X lülC 

in m 

des 

gehalt 

(i 



Wassers 

pr. kg 

1900 




b 

o 


10./8. 

6.30 Nachm. 

Boje westlich von Kavringen 

0 

— 

19,65 


Ebbe) 

ca. 1 km von der Sielemündung 

3 

— 

19,99 

— 

in Piperviken) 

5 

— 

20,42 

— 

— 

10 

— 

21,92 

12 Mitter- 


0 

— 

17,86 


nacht (Flut)| 

— 

3 

— 

19,99 

1 

— 


5 

— 

20,42 

i 

— 


10 

— 

21,97 

30./8. 

Nachmittag 

Grönlien 

0 

18,5 

16,22 


(Ebbe) 

Hovedöen, N.-O.-Spitze 

0 

18,7 

19,63 


— 

Hägholmen 

0 

17,9 

19,63 


— 

Langö-Malmökalven 

1 o 

18,2 

20,17 

— 

S. Skjärholme 

0 

17,9 

20,69 

— 

Helvik (Näsodden) 

1 0 

17,8 

20,62 

— 

Näsodden-Snaröen 

0 

17,9 

20,29 

— 

Näsodden 

1 0 

17,8 

, 20,42 

31-/8. | 

Vormittag , 

Grönlien 

0 

16,9 

17,93 

(Flut) 

Hovedöen, N.-O.-Spitze 

0 

17,3 

19,51 

— 

8jursöen-Kongshavn 

1 0 

17,4 

20,17 

— 

Hägholmen 

1 0 

17,2 

19,37 

— 

Hägholmen-Näsodden 

0 

17,3 

20,22 

| — 

Näsodden 

! 0 ■ 

17,6 

20,29 

|i 

Näsodden Snaröen 

1 o i 

17,6 

20,17 

ij - ; 

Snaröen 

0 

17,6 

18,71 

— | 

Frognerkilen (Insel >Dron- 

1 0 

17,5 

19,42 


ningenc) 





Frithjof Nansen konstruierten Strommesser 1 ) in der 
Lysakerbucht bei Christiania vorgenommen hat, und die auch 
zu dieser Jahreszeit den überwiegenden Einflufs des Windes auf 
die Richtung der Strömung an der Wasseroberfläche zu zeigen 
scheinen. Schon in Betracht der früher (S. 188) erwähnten Wir¬ 
kung, welche die Strömung, die im Frühjahre längs der Südküste 

1) V. Walfrid Ekman, On a new current-meter, invented by Prof. 
Frithjof Nansen. Nyt Magazin for Naturvidenshab. Bd. 39, H. 2. Christi¬ 
ania, 1901. 


Digitized by v^.ooQle 




202 Ober d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

Norwegens westwärts geht, möglicherweise auf das Wasser im 
Christianiafjorde ausüben kann, möchten wir uns jedoch noch 
einmal dagegen reservieren wollen, dafs die Windrichtung immer 
oder zu allen Jahreszeiten der einzige Faktor sei, der für die 
Strömungsverhältnisse des Hafens Christianias bestimmend ist. 

Ferner haben wir ein Mafs für die Verunreinigung des 
Hafenwassers zu gewinnen versucht durch 

B. Untersuchungen über den Bakteriengehalt des Hafenwassers. 

Wenn Bakterienzählungen in der Methodik der Unter¬ 
suchungen auf Verunreinigung der Gewässer eine so grofse Rolle 
spielen, kommt dies daher, dafs das Sielwasser so grofse Mengen 
Keime enthält, dafs schon eine geringe Verunreinigung mit dem¬ 
selben genügt, um den Bakteriengehalt des Süfswassers und der 
See bedeutend zu erhöhen. So schwankt, wie bereits früher er¬ 
wähnt, der Keimgehalt des Sielwassers zu Christiania zwischen 
einigen Hunderttausenden und 50 Millionen per Kubikcentimeter. 
Zum Vergleiche erwähnen wir, dafs Fischer bei seinen genannten 
Untersuchungen in Kiel dreimal zwischen 2 und 4*/ 2 Millionen, 
einmal etwas über 1 Million und zweimal 190 000 bezw. 325 000 
per Kubikcentimeter Kanalwasser nachwies. 

Für die hier zu besprechenden Untersuchungen wurde uns 
meistens vom Herrn Hafenkapitän Bassöe in liebenswürdigster 
Weise ein kleines Dampfboot zur Verfügung gestellt. Nur auf 
diese Weise konnten wir nämlich die nötigen Apparate, u. a. 
einen kleinen Eiskühler, zum Erstarren der Gelatineplatten während 
des Sommers mitführen. 

Im übrigen sei nur über das Verfahren bei diesen Unter¬ 
suchungen erwähnt, dafs die aufgehenden Kolonien immer nach 
48 Stunden gezählt wurden. Die Ausflüge, die wir zu diesem 
Zwecke vorgenommen haben, gingen immer von dem Piperviks- 
quai, in der unmittelbaren Nähe des öfter genannten Bisletsieles 
(westlicher Hafen) aus. Meistens haben wir uns auf folgende 
Route beschränken müssen: Wir fuhren durch die westliche Ein¬ 
fahrt des Hafens (d. i. längs der Südostseite Bygdös) bis nach 
der Spitze Näsoddens, d. h. 6 km in südwestlicher Richtung von 


Digitized by CjOOQle 



Von Dt. Axel Holet, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 203 

der Stadt; von diesem Punkte kehrten wir zurück durch die 
5 östliche Einfahry, welche am Leuchtturm Hägholmen vorüber 
zwischen Hovedöen und Blegöen gelegen ist; gewöhnlich nach 
einem Abstecher nach Sjursöen, Kongshavn und Grönlien, bezw. 
1,7, 1,2 und 0,6 km südlich von der Mündung Akerselvens, 
fuhren wir dann über Björviken (östlicher Hafen) zurück zum 
Piperviksquai *). In den Sommermonaten untersuchten wir zum 
Teil auch den Bundefjord, wie wir auch bisweilen die Ver¬ 
hältnisse bei Snaröen (7 km WSW. von der Stadt), bei Bygdö 
Seebad (ca. 6 km W. von der Stadt, von letzterer durch Bygdö 
getrennt) und im Frognerkilen u. a. a. 0. untersucht haben. 
Ein einziges Mal, am 29. April 1900, sind wir auch so weit wie 
bei Dröbak (ca. 35 km) gewesen. 

Auf diesen Ausflügen, die mit den verschiedenen Unter¬ 
suchungsstationen auf der Karte II abgesetzt sind, schöpften wir 
stets Wasserproben an verschiedenen Punkten des Weges. Gewöhn¬ 
lich wurden sie allein der Oberfläche des Wassers entnommen; zum 
Teil wurden sie aber auch aus verschiedenen Tiefen heraufgeholt, 
wozu die im vorigen Abschnitte beschriebenen Flaschen mit 
Kautschukpfropfen, die vorher sterilisiert waren, benutzt wurden. 

Diese Flaschen bleiben zwar offen von dem Augenblicke an, da der 
Pfropfen herausgezogen ist; wenn sie sich aber in der betreffenden Tiefe 
gefüllt haben, was sich dadurch zu erkennen gibt, dafs keine Luftblasen 
mehr durchs Wasser aufsteigen, riskiert man indessen nicht, dafs der Inhalt 
während des Heraufholens mit den mehr oberflächlichen Wasserschichten 
des Fjordes verunreinigt wird, indem das Wasser unter einem desto gröfseren 
Drucke steht, je tiefer man kommt, und daher auch der Inhalt der Flaschen 
unter einem gröfseren Drucke steht als die Wasserschichten, durch welche 
sie aufgeholt werden. 

Bevor wir die Ergebnisse dieser Untersuchungen besprechen, 
mufs zuerst abgemacht werden, wie viele Bakterien ge¬ 
wöhnlich im reinen Meerwasser pro Kubikcentimeter 
Vorkommen. Der einschlägigen Litteratur entlehnen wir, dafs 
Fischer in 74 °/ 0 von 121 Untersuchungen an der Oberfläche des 
Atlantischen Meeres weniger als 250, in 21°/ 0 mehr wie 500 und 
im ganzen 5°/ 0 mehr wie 1000 per Kubikcentimeter fand (vgl. 

1) Diese Route ist als »Hauptroute* auf Karte II mit einer roten 
Linie aufgezogen; die Stationen sind mit römischen Zahlen bezeichnet. 


Digitized by CjOOQle 



204 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 


die früher citierte Arbeit in »Zeitschrift für Hygiene«, Bd. 23, 
S. 57). Um zu untersuchen, ob dieselben V|rhältnisse in dem 
innern Teil des Christianiafjords wiedergefunden werden und 
dadurch eine Norm dafür zu gewinnen, welcher Gehalt, als auf 
eine Verunreinigung desselben deutend, angenommen werden 
mufs, hat der Eine von uns — Schmidt-Nielsen — entsprechende 
Untersuchungen mitten in Dröbaksund vorgenommen; die Re¬ 
sultate derselben sind in Tabelle 8 wiedergegeben. Aus dieser 
ist ersichtlich, dafs der Keimgehalt der Fjordoberfläche bei keiner 
der 15 Untersuchungen 62 per Kubikcentimeter überstieg; und 
wenn die Zahlen in der Tiefe — wie dies auch von Anderen 
beobachtet worden ist — etwas höher gefunden wurden, und der 
Gehalt hier sogar ein einziges Mal (in 10 m Tiefe) 10 000 er¬ 
reichte, war es doch trotz zahlreicher Beobachtungen eine reine 
Ausnahme, dafs die Zahl 240 überschritten wujde. (Aufser den 
erwähnten 10 000 wurden nur einmal 540 und einmal 900 — 
in beiden Fällen in 15 m Tiefe — und schliefslich einmal 420 
[25 m] gefunden). 

Tabelle VIII. 

Keimgehalt des Meerwassers per ccm in Dröbaksund; Sommer 1900. 


Tiefe in m 

Datum i}--- 




9 

2 

! 3 

5 1 

10 

15 

25 

14. Juli 

1900 

_ 

54 


_ j 

45 

_ 

225 

19. > 

> 

* io 

56 

— 

— 

10 000 

— 

116 

23. * 

> 

16 

113 

— 

50 

172 

— 

88 

24. 

> 

24 

42 

, 

60 

26 

— 

110 

28. * 

> 

28 

— 

31 

16 

76 

— ( 

26 

30. > 

> 

8 

— 

— 

72 

187 

— I 

239 

4. August 

> 

14 

— 

— 

104 

157 

— 

— 

7. > 

> 

62 

— 

78 

50 

48 

57 

64 

10. 


60 

— 

91 

100 

91 

540») i 

— 

18. 

> 

6 

— 

i 16 

— 

105 

68 i 

233 

25. 

> 

32 

— 

■ — 

— 

— 

— ! 

— 

30. 

> 

32 

— 

56 

34 

— 

34 

135 

31. 

> 

20 

— 

148 

j 130 

112 

— 

163 

8. September > 

39 

— 

51 

I 86 

104 

900 . 

72 

22. 


47 

— 

87 

96 

62 

— 

420 


I) Genau 17 m 


Digitized by v^.ooQle 






Von Dt. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 205 

Wir können diese Untersuchungen mit anderen Daten vervoll¬ 
ständigen, indem Schmidt-Nielsen 1 ) im Monat August 1898 
an der Meeresoberfläche bei Jäderen (West-Norwegen) 20 bis 30 
und im September desselben Jahres bei Frederiksvärn (südliches 
Ende desChristianiafjords) 20—30—90 Keime per Kubikcentimeter 
fand; im Oktober ds. Js. fand er an der Mündung des Langesunds¬ 
fjords (südlich vom Christianiafjord) an der Meeresoberfläche 
20—30 per Kubikcentimeter. Ferner fand er in demselben Herbst 
im Dröbaksund mehrmals ca. 50 per Kubikcentimeter, während 
dagegen der Gehalt bei Dröbak im Herbst 1899 zum Teil etwas 
höher war, indem am 20. Oktober 361 und am 21. dess. Monats 
168 per Kubikcentimeter (am 20. November und 17. Dezember 
dess. Js. bezw. 39 und 88) gefunden wurden: und am 1. Sept. 
1900 wurden an derselben Stelle bezw. 345, 130 und 63 Keime 
gezählt. Mit Rücksicht auf diese letzteren Untersuchungen mufs 
jedoch hervorgehoben werden, dafs sie in der nächsten Nähe 
der Stadt Dröbak vorgenommen wurden, wo nicht unwahrschein¬ 
lich das Wasser mittels des Wellenschlages, durch Abfallstoffe, 
von der Stadt herrührend, verunreinigt sein kann. (Die in 
Tabelle 8 referierten, wie die sonst besprochenen Wasserproben 
wurden stets per Boot mitten im Sunde entnommen.) Schliefslich 
sei hinzugefügt, dafs Schmidt-Ni eisen an einem Tage im 
Oktober 1900 an der Biologischen Station von Drontheim 400 
Keime per Kubikcentimeter an der Oberfläche des Meeres fand, 
während die entsprechenden Zahlen in 3, 4, 10, 15 und 25 m 
Tiefe bezw. 93, 96, 50, 161 und 20 m waren (am Tage vorher 
waren heftige Regengüsse eingetreten). 

Diese Zahlen stimmen insofern mit den von Fischer und 
Anderen gefundenen, als sie zeigen, dafs ein einmaliger Nachweis 
eines hohen Keimgehaltes im Meerwasser nicht für eine Ver¬ 
unreinigung desselben zu sprechen braucht. Anders dagegen, 
wenn ein verhältnismäfsig hoher Bakteriengehalt sich durch 
wiederholte Untersuchungen während längerer Zeit nachweisen 
läfst; etwas Derartiges kommt nicht vor, wenn das Wasser rein 
ist, sondern nur, wenn etwas Abnormes, d. i. wenn eine Ver- 

1) Vergl. Schmidt-Nielsen, Biologisches Centralblatt, 1901, Nr. 3. 


Digitized by CjOOQle 



206 Über d. Verunreinigung d. städt. Halens und d. Flusses Akerselven etc. 

unreinigung dem Wasser zugeführt worden ist; und eine solche 
kann man sich im Hafen Christianias nur durch Sielinhalt und 
ähnliche Stoffe entstanden denken. Vor allem wird dies der 
Fall sein müssen, wenn eine Verunreinigung des Hafenwassers 
mit Bakterien nachweisbar, um so mehr abnimmt, je mehr man 
sich von den Mündungen der Siele entfernt. 

Wenn man nun fragt, welche Erhöhung des Keimgehaltes 
man als Ausdruck einer Verunreinigung betrachten soll, hat 
Fischer in der citierten Arbeit auf Grundlage eigener und 
Anderer Untersuchungen den Satz aufgestellt, »dafs das nicht 
verunreinigte Meerwasser an der Oberfläche in der Regel weniger 
als 500 Keime im Kubikcentimeter enthält, und dafs eine gröfsere 
Bakterienzahl den Verdacht einer stattgehabten Verunreinigung 
nahelegt, und zwar um so mehr, je höher sich der Keimgehalt 
erweist« (a. a. 0. S. 59). 

Auf unsere erwähnten Untersuchungen gestützt, müssen wir 
davon ausgehen, dafs diese Zahl, was den inneren Teil des 
Christianiafjords betrifft, zu hoch ist, indem hier höch¬ 
stens schon ein Keimgehalt von mehr als 250 per 
Kubikcentimeter auf eine Verunreinigung sowohl der 
oberflächlichen Wasser schichten als bis zu 25 m 
Tiefe herab deuten wird; d. h. unter der Voraussetzung, 
dafs ein solcher Gehalt sich nicht blofs ein einziges Mal, sondern 
mittels wiederholter Untersuchungen nachweisen läfst. Wie wir 
unten sehen werden, spielt doch dieser Unterschied von der 
Fischer sehen Norm für die Beurteilung der Verunreinigung 
des Hafens keine Rolle, aufser wo es gilt, einen Einblick darin 
zu gewinnen, wie sich die tieferen Wasserschichten verhalten. 

Um nach dieser Einleitung zu unseren bakteriologischen 
Analysen des Hafenwassers überzugehen, fangen wir mit dem 
Keimgehalte der Oberfläche desselben an, indem eine Verunreini¬ 
gung dieser, wie mehrmals früher berührt, in den Hafenstädten 
sich immer ungleich gröfser zeigt als in verhältnismäfsig geringer 
Tiefe unter der Oberfläche. Die diesbezüglichen Ergebnisse sind 
in Tabelle 9 wiedergegeben; diese ist der Übersicht wegen in 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 207 


zwei Abschnitte geteilt, von denen der erste die Untersuchungs¬ 
stationen unserer früher erwähnten Hauptroute umfafst — von 
dem Bisletsiele des Piperviksquai (westlicher Hafen) durch die 
»westliche Einfahrt« des Hafens hinaus nach Näsodden und 
zum Ausgangspunkte durch die »östliche Einfahrt« über Björ- 
viken (östlicher Hafen) zurück. Hierzu kommt als ein zweiter 
Abschnitt die Untersuchungen an verschiedenen »Nebenstationen«, 
die teils an die westliche, teils an die östliche Einfahrt stofsen, 
teils im Bundefjorde gelegen sind. (Wenn Kongshavn unter den 
»Nebenstationen« aufgeführt ist, ist dies insofern fehlerhaft, als 
wir hier ebenso viele und mehr Untersuchungen als an manchen 
Stationen der »Hauptroute« vorgenommen haben. Wie die Tabelle 
geordnet ist, ist sie indessen mit den auf der Karte abgesetzteu 
Stationen übereinstimmend.) 

(Tabelle IX siehe Tafel IV.) 

Aus der Tabelle geht hervor, dafs der untersuchte Zeitraum 
sich in drei Perioden teilen läfst, von denen die erste den Früh¬ 
ling und Frühsommer 1900, die dritte den entsprechenden Zeit¬ 
raum 1901, und die zweite Periode die Zeit zwischen den zwei 
vorigen umfafst. 

In der ersten Periode, d. h. im Frühling und Früh¬ 
sommer — vom Anfang April bis Anfang Juni 1900 
gerechnet — wird man sehen, dafs der Keimgehalt der 
oberflächlichen Wasserschicht, sowohl der westlichen wie 
der östlichen Einfahrt, durchgehends schon in verhältnis- 
raäfsig kurzer Entfernung von der Stadt niedrig 
oder mäfsig gewesen ist. Zwischen Kavringen und Herbern 
(d. h. in einer Entfernung von ca. 1,5 km von der Mündung des 
Bisletsieles in Piperviken) wurde es z. B. bei 2 von 8, beim 
Leuchtturm Dyna (ca. 3 km vom selben Siele) bei 3 von 6 und 
zwischen Dyna und Näsodden (ca. 4,7 km) bei 4 von 6 Unter¬ 
suchungen niedriger als die aufgestellte Norm für »reines« Meer¬ 
wasser, d. h. 250 per Kubikcentimeter gefunden. Beim Leucht¬ 
urm Hägholmen (ca. 3 km von der Mündung Akerselvens) zeigte 
sich sogar in 4 von 5 Beobachtungen der Gehalt unter dieser 


Digitized by 


Google 



208 Über d. Verunreinigung d. städt Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 


Norm und was Näsodden und die Strecke zwischen diesem 
Punkte und Snaröen betrifft (ca. 6,5 km), war dasselbe der Fall 
in 3 von 4 Untersuchungen, während in der vierten der Gehalt 
400 war (Näsodden). Kommt nun hierzu, dafs die Zahlen der 
gesamten Untersuchungsstationen in einer Reihe der übrigen 
Beobachtungen nur in verhältnismäfsig geringem Grade die er¬ 
wähnten 250 Keime per Kubikcentimeter überschreiten, gibt es 
einen augenfälligen Unterschied zwischen diesem Zeitraum und 
dem zweiten. 

Periode von Ende .J uni 1900 bis ca. Mitte März 1901. 
Wir finden hier durchgehends auf allen Stationen der westlichen 
und östlichen Einfahrt weit höhere Zahlen als im vorigen Zeit¬ 
raum. Zwar können wir kein Gewicht darauf legen, dafs im 
April—Juni 1900 aufserhalb des Bisletsieles in Piperviken durch¬ 
schnittlich allein etwas mehr wie 200,000 Keime per Kubikcenti- 
raeter gefunden wurden, während die entsprechenden Zahlen für 
die hier zu besprechende Periode zwischen ca. 1 x / 3 und 19 1 /* 
Millionen schwankten; bei den wenigen Untersuchungen, die an 
diesem Orte im April—Juni ausgeführt wurden, gaben wir näm¬ 
lich nicht darauf acht, die Wasserproben unmittelbar vor der 
Mündung des Sieles zu entnehmen. Auch wollen wir nicht in 
Betracht der verhältnismäfsig wenigen Beobachtungen bei Kav- 
ringen (1,2 km vom genannten Siele entfernt) zu viel Gewicht 
darauf legen, dafs der Keimgehalt daselbst während der vorigen 
Periode nur bis zu 5050 emporstieg, während er mit einer ein¬ 
zigen Ausnahme (8500) vom Juli an zwischen ca. 28 000 und 
81 000 schwankte. Dagegen mufs hervorgehoben werden, dafs 
der Gehalt zwischen Kavringen und Herbern (2,5 km vom Bis- 
letsiele entfernt), wo er in der vorigen Periode zum Teil niedriger 
als die Norm für »reines« Meerwasser gefunden wurde und sonst 
als Maximum 2054 betrug, in dieser Periode bei 6 von 18 Be¬ 
obachtungen zwischen 1050 und 8500, in 4 Beobachtungen 
zwischen ca. 12 000 und 17 000 und bei den übrigen 8 Unter¬ 
suchungen zwischen 29 500 und ca. 100 000 per Kubikcentimeter 
schwankte. Ähnliche Verhältnisse zeigen auch die übrigen Unter- 
suchungsstationen der »westlichen« und »östlichen Einfahrt«": 


Digitized by VjOOQle 



Von Dr. Axel Holst, t)r. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 209 


u. a. erhellt aus der Tabelle, dafs in diesem Zeiträume zwischen 
Dyna und Näsodden, wie auch bei Hägholmen nur bei einer 
einzigen von bezw. 17 und 18 Untersuchungen ein Keimgehalt, 
welcher der Norm für »reines Wasser« entsprach, gefunden wurde, 
während sonst zwischen einigen Tausenden bis 80 000 Bakterien 
per Kubikcentimeter zugegen waren. Ebenfalls ist zu bemerken, 
dafs der Keimgehalt zwischen Näsodden und Snaröen bei 9 von 
10 und bei Näsodden bei 7 von 13 Untersuchungen noch auf eine, 
wenn auch meistens mäfsige oder verschwindende Verunreini¬ 
gung mit Sielwasser deutet. (Diese Punkte sind beide ca. 6—6,5 km 
von der Stadt entfernt.) 

Es läfst sich aber auch ein Unterschied zwischen den zwei 
Perioden an anderen Stellen des untersuchten Bereiches nach- 
weisen. Man findet z. B. in der Tabelle durchgehends die Unter¬ 
suchungsstationen Kongshavn Bad und zwischen Sjursöen (weiter 
südlich) und dem Festlande mit weit niedrigeren Zahlen während 
des ersten als während des zweiten der hier besprochenen Zeit¬ 
räume aufgeführt; und was Grönlien (etwas nördlich von Kongs¬ 
havn) betrifft, zeigt auch diese Station in der zweiten Periode 
durchwegs hohe Zahlen (bis ca. 220 000), die jedoch, da an diesem 
Orte in der ersten Periode nur eine einzige Untersuchung aus¬ 
geführt ist, keinen direkten Vergleich mit der letzteren erlauben. 
Bevor wir weiter gehen, sei noch erwähnt, wie weit die Ver¬ 
unreinigung bisweilen zur Sommerzeit den Bundefjord 
hinaus nachgewiesen werden kann. Aus der Tabelle 9 
wird man sehen, dafs bei Malmökalven Seebad (ca. 4,5 km von 
der Stadt) ein einziges Mal, den 20. Juni, 42 000 Keime per 
Kubikcentimeter nachgewiesen wurden, ein Verhalten, das neben 
den übrigen hohen Zahlen, die an diesem Tage gefunden wurden 
(21 500 bei Bydö Seebad, Nordwestseite Bygdös — ca. 63 000 
zwischen Bygdö und Brandskjärene, mitten in der Einfahrt des 
Frognerkilen — ca. 36 000 bei Kavringen), dazu berechtigt, den 
20. Juni zur zweiten Periode zu rechnen, wenn auch sonst eben 
an diesem Tage nur wenige Beobachtungen vorgenommen wurden. 
Aber auch sonst wird man aus der Tabelle sehen, dafs zur 
Sommerzeit mehrmals im Bundefjorde eine, zwar in diesen Fällen 

Archiv für Hygiene. Btl. XLI1. H 


Digitized by v.ooQle 



210 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

sehr oder relativ mäfsige Verunreinigung in beträchtlichen Ent¬ 
fernungen von der Stadt beobachtet worden ist (vgl. die Zahlen 
des 22. August), wie man auch in diesem Teil des Fjords den 
genannten Unterschied zwischen den zwei Perioden beobachten 
kann (vgl. den Sund zwischen Rambergö und Langö, Tabelle 9). 
Überhaupt ist aus der Tabelle ersichtlich, dafs der Keimgehalt 
während des hier besprochenen Zeitraumes in der 
Nähe derStadt sehr oft so grofs ge wesen ist, dafs die 
Verunreinigung als sehr bedeutend bezeichnet 
werden mufs —eine Anschauung, deren Richtigkeit vor allem 
einleuchten wird, wenn man auf die vielen hohen Zahlen bei 
Kongshavn und Grönlien mit den daselbst befindlichen städtischen 
Badeanstalten Rücksicht nimmt. Diese Zahlen entsprechen auch 
denjenigen bei Kavringen, wo man vor einiger Zeit eine Bade¬ 
anstalt anlegen wollte, weil das Wasser daselbst als speciell rein 
vorausgesetzt wurde; hierzu fügen wir noch, dafs wir bei den 
Badeanstalten »Sölyst* und >Svömmeflaaten«, die am Fufse der 
Festung Akershus zwischen dem westlichen und östlichen Hafen 
gelegen sind, im vorigen Sommer zwischen 20 000 und 48 000 
Keime per Kubikcentimeter gefunden haben. 

Gehen wir nun zum dritten Zeitraum über, so entspricht 
er dem Frühling und Frühsommer 1900, in dem er mit dem 
22. März 1901 anfing und noch andauerte, als unsere letzte 
Untersuchung am 15. Mai d. J., ausgeführt wurde. Aus der 
Tabelle geht hervor, dafs die Zahlen in diesem Zeitraum sich 
durchschnittlich bedeutend niedriger als in der Periode Juni 1900 
bis 12. März 1901 gehalten haben. Wir verweisen insofern auf 
die Untersuchungen bei Kavringen mit einem Keimgehalte 
zwischen 1450 und 8450 gegen H500—28 500 und 75 500 in der 
vorigen Periode; ferner vergleiche man die Zahlen bei Dyna, 
wo der Gehalt zwischen 1500 und 6250 gegen 2265—10 600— 
19 500—38 800—114 500 in der vorigen Periode schwankte; wir 
verweisen ferner auf die Resultate bei Hägholmen, wo der Keim¬ 
gehalt in der vorigen Periode zwar einmal nur 60 war, sonst 
aber zwischen 2550—7900—11 150—38 750 — 79 500 schwankte, 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 211 

während er in dem hier besprochenen Zeitraum nur 330—8300 
betrug. 

Insofern haben sich also die Verhältnisse denjenigen ge¬ 
nähert, die zur selben Jahreszeit im Jahre 1900 vorhanden waren; 
doch sind sie mit letzteren keineswegs identisch gewesen, indem 
wir in diesem Frühlinge erst (bei 5 von 7 Beobachtungen) bei 
Näsodden (d. h. 6 km von der Stadt) einen Keimgehalt gefunden 
haben, der nicht die aufgestellte Norm für »reines Meerwasser« 
überschreitet; dies war aber im vorigen Frühjahr schon in einer 
gröfseren Nähe der Stadt häufig der Fall, wie der Keimgehalt 
sich damals auch sonst durchgehends viel niedriger hielt. 

Aus diesen Untersuchungen geht hervor, dafs auch der 
Keimgehalt der Oberfläche des Hafenwassers in einer 
wesentlichen Beziehung den Verhältnissen entspricht, die man 
zufolge der früheren Abschnitte dieser Darstellung erwarten sollte. 
Denn wenn der Keimgehalt eben im Frühjahr und Frühsommer 
am niedrigsten ist, entspricht dies der Jahreszeit, wo ein Steigen 
des Salzgehaltes darauf deutet, dafs die oberflächlichen, mit 
Süfswasser und daher auch mit Sielinhalt am meisten bei¬ 
gemengten Wasserschichten in der gröfsten Ausdehnung den 
Fjord hinaus getrieben sind. Und umgekehrt: wenn der Keim¬ 
gehalt im Sommer sehr hoch ist, entspricht dies eben der Jahres¬ 
zeit, da eine Abnahme des Salzgehaltes eine Aufstauung der¬ 
selben Wasserschichten im Hafen zu erkennen gibt. Hierzu ist 
zwar zu bemerken, dafs der Keimgehalt in diesem Frühjahr 
(1901) erst am 22. März abzunehmen anfing, während die Kulmi¬ 
nation des Salzgehaltes schon am 12. desselben Monats ein¬ 
getreten war (vergl. Tabelle 6, 5 m Tiefe); an letzterem Tage 
wurde aber der Keimgehalt besonders hoch gefunden. Doch darf 
dies nicht Wunder nehmen; denn, wie früher erwähnt, war ge¬ 
rade vorher ein Tauwetter eingetreten, welches dem Hafen von 
den Strafsen der Stadt u. a. eine überaus grofse Verunreinigung 
zugeführt haben mufs; dies Verhalten kann auch den geringen 
Salzgehalt, den wir eben am 12. März an der Oberfläche fanden, 
erklären. 


Digitized by CjOOQle 



212 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

Demnächst war uns auffällig, dafs der Keimgehalt in diesem 
Frühjahr, wie schon oben erwähnt, obschon verhältnismäfsig 
niedrig, doch erheblich höher als zur selben Zeit des Jahres 1900 
gewesen ist. Auch dies ist indessen verständlich, indem die 
Temperatur der Monate April und Mai 1901 in Christiania viel 
höher war und in viel gröfserem Umfange von südlichen Win¬ 
den begleitet wurde als die entsprechenden Monate des Jahres 1900. 

Hiermit stimmt ja auch überein, dafs der Salzgehalt im Laufe 
von April und Mai 1901 niedriger wie in den entsprechenden 
Monaten 1900 gefunden wurde. Was wir dagegen besonders 
hervorheben wollen, ist die Thatsache, dafs der Keimgehalt vom 
29. Oktober 1900 bis zum 11. Januar 1901 trotz der Zunahme 
des Salzgehaltes (vergl. Tabelle 6) ebenso hoch war, als wir im 
Laufe der Sommermonate beobachteten. Diese beträchtliche 
Verunreinigung der oberflächlichsten Schichte des Hafenwassers 
am Ende des vorigen und Anfang dieses Jahres haben wir noch 
nicht in befriedigender Weise erklären können. 

Bevor wir weitergehen, wollen wir von dem Einflüsse 
'des Windes (sowohl Richtung, als Dauer und Stärke) auf 
den Keimgehalt noch folgendes bemerken: Wir haben am 
29. April 1900 feststellen können, dafs ein Nordwind von kurzer 
Dauer eine augenfällige Wirkung auf den Keimgehalt ausgeübt 
hat. An diesem Tage machten wir einen Ausflug bis nach Drö- 
bak. Auf der Hinreise, am Vormittage, wehte wie am Tage zu¬ 
vor ein frischer Südwind; wir fanden dann zwischen Kavringen 
und Herbern 2054, zwischen den Nordenden von Hovedöen undBle- 
göen 2880 und bei Hägholmen 564 Bakterien per Kubikcentimeter. 
Als wir indessen am Abend um 6—7 Uhr die Untersuchung an 
denselben Stellen wiederholten, hatten wir in einigen Stunden 
eine frische Brise von N. gehabt und fanden nun an den¬ 
selben Stellen allein bezw. 199, 499 und 139 Keime per Kubik¬ 
centimeter (Tabelle 9). 1 ) Dafs dies darauf beruhte, dafs die ober¬ 
flächlichen , süfseren und somit mehr verunreinigten Wasser¬ 
schichten den Fjord hinausgejagt waren, ergibt sich daraus, dafs 

1) Vergl. auch, dafs der Keimgehalt zwischen Herbern und Kavringen 
in 3 m Tiefe am Vormittage 1392, am Nachmittage aber nur 425 war (Tab. X;. 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt Nielsen. 213 

zu gleicher Zeit der Salzgehalt in 10 m Tiefe von 27,98 zu 
31,69 0 /oo gestiegen war, d. h. die oberflächlichen Schichten von 
weniger salzhaltigem Wasser hatten an Tiefe abgenommen. Es 
darf ferner erwähnt werden, dafs auch am 4. April und 14. Mai 
1900, als der Keimgehalt ebenfalls niedrig gefunden wurde, ein 
frischer Nordostwiud wehte, und dafs dasselbe auch ein paar 
Tage der Fall gewesen war, bevor die merkbare Abnahme des 
Keimgehaltes am 10. Mai 1901 bei Hägholmen, zwischen Häg¬ 
holmen und Näsodden und zwischen Näsodden und Dyna be¬ 
obachtet wurde ; diese Brise hatte einige Stunden vor der Unter¬ 
suchung am 8. Mai angefangen. Bei letzterer Untersuchung war 
der Bakteriengehalt dagegen höher; schon dies zeigt also, dafs 
ein kurzdauernder Nordwind keineswegs immer einen 
gröfseren Einflufs auf den Keimgehalt ausübt, — eine Erschei¬ 
nung, die wir auch sonst, u. a. während der Sommermonate, 
öfters nachzuweisen Gelegenheit gehabt haben. Indessen müssen 
wir zugeben, dafs wir niemals bei sehr starkem Winde dieser 
Art untersucht haben. 

Was sonst zu den Schwankungen des Keimgehaltes, die nach Tab. 9 
zu allen Zeiten des Jahres beobachtet worden sind, beigetragen haben kann, 
darüber können wir uns zur Zeit nicht mit Bestimmtheit aussprechen. Viel¬ 
leicht kommt hier auch die Höhe der Wellen in Betracht. Dieser Faktor 
war bei den Untersuchungen, die Cassedebat 1894 im Hafen von Oran 
in Algier ausführte, sehr augenfällig, wie er auch später von Fischer als 
Erklärung der Schwankungen des Keimgehaltes des Kieler Hafens hervor- 
gehoben worden ist. Die Bedeutung der Wellenhöhe ist darin zu suchen, 
dafs die oberflächlichen und am meisten verunreinigten Wasserschichten mit 
den tieferen und weniger verunreinigten um so mehr gemischt werden, je 
höher die Wellen sind. 

Unsererseits haben wir nur einmal eine besonders merkbare Wirkung 
dieser Art beobachtet, nämlich am 19. Juli 1900, den einzigen Tag im Hoch 
sommer, als wir >reines Wasser« so weit nach der Stadt zu als bei Häg¬ 
holmen und zwischen Dyna und Näsodden gefunden haben; an diesem 
Tage gingen die Wellen sehr hoch, — höher als wir sie bei unseren Unter¬ 
suchungen sonst gehabt haben. Auch sonst haben wir hin und wieder ge¬ 
glaubt, einen etw'as höheren oder niedrigeren Keimgehalt damit in Ver¬ 
bindung setzen zu können, dafs die Oberfläche des Fjords ruhig war oder 
nicht, ohne dafs wir indessen die Wirkung besonders hervortretend gefunden 
haben. — Schliefslich sei noch erwähnt, dafs der verhältnismäfsig hohe 
Keimgehalt, der auch während des Herbstes und Winters gefunden wurde, 
die Einwendung widerlegt, dafs der grofse Keimgehalt der Sommermonate 


Digitized by v^.ooQle 



214 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc. 

nur darauf beruht, dafs die hohe Temperatur eine Vermehrung der Bakterien 
nach Entleerung des Sielinhalts in den Hafen begünstigt. Eine solche 
Anschauung wird übrigens auch dadurch widerlegt, dafs auch die im See- 
wasser ursprünglich enthaltenen Keime keine Neigung zeigen, sich 
während des Sommers im Fjorde zu vermehren; vergl. z. B. die niedrigen 
Zahlen, die wir zu dieser Jahreszeit immer bei Dröbak fanden und öfters im 
Wasser des Bundefjords nachgewiesen haben. 

Bevor wir diesen Abschnitt verlassen, mufs noch kurz die 
Verunreinigung der tieferen Wasserschichten erwähnt werden. 
Wie mehrmals hervorgehoben, werden diese bei den entsprechen¬ 
den Untersuchungen anderer Hafenstädte erheblich weniger ver¬ 
unreinigt als die Oberflächenschicht gefunden. Dafs dies sich auch 
bezüglich des Hafens von Christiania wiederholt, geht aus der 
Tab. 10 S. 216 u. 217 hervor. Diese enthält nur Untersuchungen, die 
zwischen Herbern und Kavringen ausgeführt wurden; an anderen 
Punkten haben wir dagegen nur ausnahmsweise Beobachtungen 
dieser Art vorgenommen 1 ). Was diese Tabelle betrifft, genüge 
es, unter Berücksichtigung der entsprechenden Untersuchungen 
bei Dröbak, darauf aufmerksam zu machen, dafs häufig, und be¬ 
sonders während der Sommermonate, in 5 m Tiefe eine mäfsige, 
wenn auch deutliche Verunreinigung nachgewiesen ist. Eine 
gröfsere Abnahme war in 10—20 m Tiefe zu spüren; im Gegen¬ 
sätze zur Keimzahl der Oberflächenschicht wurde der Keim¬ 
gehalt in dieser Tiefe schon Anfang November bezw. am Ende des 
Jahres auffallend kleiner gefunden als während des Sommers. 
(Zwar überschritt der Gehalt auch im Sommer nur in geringem 
Grade die 250 Keime pro Kubikcentimeter, die wir als Norm 
für »reines« Seewasser aufgestellt haben.) 

Wie die Bakterien diesen tieferen Schichten zugeführt werden 
— ob sie z. B. nur durch eine »Sedimentierung« von der keim¬ 
reicheren Oberfläche heruntergesunken sind —, das müssen wir 
unentschieden lassen. 

1) Von diesen erwähnen wir ein Paar, die in Übereinstimmung mit den 
Beobachtungen Anderer zeigen, wie stark der Keimgehalt schon unmittelbar 
vorden Sielemündungen in geringer Tiefe unterhalb der Oberfläche abnimmt. 
Vor den Sielen des Thingvallaquais und in Filipstad (beide im westlichen 
Hafen) wurden am 18. April 11 HX) an der Wasseroberfläche 1212 000 bezw. 
HW000 Keime pro Kubikcentimeter gefunden; aber schon in 2 m bezw. 0,9 m 
Tiefe hatte der Gehalt auf 6000 und 60 000 per Kubikcentimeter abgenommen. 


Digitized by CjOOQle 



Keimgehalt und Temperatur des Wassers. 


Von Dr. Axel Holet, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 215 



Digitized by v^.ooQle 







Fortsetzung zu Tabelle X. 






Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 217 

Schlu fe. 

Aus den voranstehenden Untersuchungen ziehen wir den 
Schlufs, dafs die Verunreinigung, die das Sielwasser Christi- 
anias dem Akerselv und Hafen zuführt, bedeutend ist, und dafs 
die Bedingungen einer »Selbstreinigung« des Flufs- wie des 
Hafenwassers im ganzen sehr wenig günstig sind. 

Insofern nämlich die Selbstreinigung in einer Sedimen-' 
tierung der Schwebestoffe besteht, findet dieselbe im wesentlichen 
schon im Flusse oder im inneren Hafenabschnitte statt; hier¬ 
durch entstehen mitten in der Stadt und in den nächsten Um¬ 
gebungen derselben ausgedehnte Fäulnisprozesse, die einen lästi¬ 
gen Gestank hervorrufen. 

Insofern ferner die Selbstreinigung durch eine Verdünnung 
der gelösten Stoffe und Bakterien des Sielwassers geschieht, ist 
diese Verdünnung in Akerselven ganz ungenügend; und wenn man 
vom Frühling und Frühsommer absieht, findet dieselbe wegen der 
natürlichen hydrographischen Verhältnisse als Regel auch nicht 
im Hafenwasser in besonderer Ausdehnung statt. 


Digitized by CjOOQle 



Digitized by v^.ooQle 





(Aus dem hygienischen Institute der Universität Wien.) 


Über Buttersäuregärung. 

(II. Abhandlung.) 

Von 

Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 

A. Zur Morphologie des beweglichen Buttersäurebacillus. 

Von Dr. R. Grafsberger, 

Assistent am Institute. 

(Mit Tafel V—VIII.) 

Die grofse Verbreitung der zuckervergärenden anaeroben 
Buttersäurebacillen in der Natur, die umfangreichen Zersetzungen 
und deren charakteristische Produkte, sowie gewisse höchst auf¬ 
fällige Veränderungen der Bakterienzellen während des Ablaufes 
der Versporung liefsen von vornherein das Auffinden und Be¬ 
stimmen von anaeroben Buttersäurebacillen nicht allzuschwierig 
erscheinen. Doch hat sich im Laufe der letzten Jahre heraus¬ 
gestellt, dafs einmal die Zersetzungen der zuckerhaltigen Nähr¬ 
medien durch Buttersäurebacillen auch bei Vorhandensein der 
gleichen Art durchaus nicht immer gleichartig, und keineswegs 
im Sinne einer im voraus bestimmten Gleichung ablaufen, — 
dafs ferner die an der Buttersäuregärung der Kohlehydrate be¬ 
teiligte Bakterienflora anscheinend aus einer, wenn auch kleinen, 
Zahl von verschiedenen, wohlcharakterisierten Arten besteht. Die 
Schwierigkeiten der Sichtung dieser Bakterienflora w r erden aber 
nicht unbeträchtlich durch den Umstand vermehrt, dafs infolge 
weitgehender Vielgestaltigkeit der Formen und der kulturellen 
Erscheinungen einer und derselben Art, — wne sie gerade bei 
den Buttersäurebacillen angetroffen w 7 ird, — die Gefahr sehr nahe 

Archiv für Hygiene. Bd. XIJT. 15 


Digitized by 


Google 



220 


Über Buttersäuregftrung. 


liegt, natürlich Verwandtes zu trennen und dort mehrere Arten 
aufzustellen, wo es sich in der That nur um verschiedene Er¬ 
scheinungsformen handelt. 

Daraus erhellt bereits, dafs nur auf Grund eines reichhaltigen 
Materials von Untersuchungen, welche sich sowohl auf die kul¬ 
turell morphologischen als auch auf die chemisch-biologischen 
Eigenschaften der Buttersäurebacillen beziehen, eine erfolgreiche 
Sichtung dieser Bakterienarten angebahnt werden kann. 

Schattenfroh und ich haben in unserer ersten ausführ¬ 
lichen Abhandlung (s! d. Archiv Bd. 37) unter dem Namen 
granulobacillus saccharob. immob. liquefaciens (unbeweglicher 
Buttersäurebacillus) eine sehr weitverbreitete anaerobe Bakterien¬ 
art beschrieben, deren Stellung im System der Bakterien erst 
durch eingehende Studien erschlossen werden konnte. 

An diese Bakterienart reiht sich ein anderes, lange bekanntes 
Stäbchen an, das von Gr über im Jahre 1887 zuerst in Rein¬ 
kultur gezüchtet und beschrieben und später insbesondere 
von Bejerinck, dann von v. Klecki u. A. studiert wurde. 
Gruber hat diese Art »Amylobakter«, Bejerinck »Granulo- 
bakter saccharobutyricum«, v. Klecki »Bacillus saccharobutyricus« 
genannt. 

Die vorliegende Arbeit soll nun die Resultate einer ver¬ 
gleichenden Untersuchung wiedergeben, welche mit den Stämmen 
dieser Autoren, sowie mit einer gröfseren Anzahl von Butter¬ 
säurebacillen angestellt wurden, die von Schattenfroh und 
mir aus verschiedenen Materialien gezüchtet und im Verlaufe 
der Prüfung als einer Art angehörig erkannt wurden. Und zwar 
soll es speciell meine Aufgabe sein, die kulturellen Erscheinungen 
zu schildern, welche dieser Bakterienart zukommen, sowie die 
morphologischen Bilder genauer zu beschreiben, welche bei dem 
Studium dieser ungemein pleomorphen Bakterienart zur Beobach¬ 
tung kommen. Ich will zu diesem Zwecke mit der Schilderung 
der Kulturen auf den üblichen zuckerhaltigen Nährböden be¬ 
ginnen und erst an diese die mikroskopischen Befunde anschliefsen, 
unter welchen der Darstellung des Versporungvorganges ein 
breiterer Raum gewidmet werden soll. 


Digitized by 


Google 



Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 


221 


Verhalten auf Gelatine. 

Auf gewöhnlicher Nährgelatine ohne Zuckergehalt ist der be¬ 
wegliche Buttersäurebacillus des Typus »Amylobakter« nicht zum 
Wachstum zu bringen. Gelatine mit Trauben* oder Rohrzucker 
bildet hingegen für denselben einen ausgezeichneten Nährboden, 
der insbesondere mit Vorteil zur sicheren Erzeugung von Sporen 
(s. w. u.) verwendet werden kann, wie dies bereits von Grub er 
hervorgehoben worden ist. Das Verhalten des beweglichen 
Buttersäurebacillus in Zuckergelatine ist insofern ein bemerkens¬ 
wertes, als auf diesem Nährboden je nach besonderen Umständen 
ein sehr verschiedenes Aussehen der Vegetation zu beobachten ist. 

Dieselbe kommt sowohl im Zuckergelatinestich als auch in 
Zuckergelatineplatten in dreierlei Typen zur Entwicklung. Bei 
einer Temperatur von 18 — 23° C. beobachtet man in hoch¬ 
geschichteter Zuckergelatine oder in der im Buchnerrohr gehaltenen 
Eprouvette (sorgfältiges Auskochen bezw. Evacuieren der Gelatine 
hat stets unmittelbar vor der Impfung zu geschehen) nach 24 bis 
48 Stunden das Auftreten von kugeligen oder knopfförmigen, 
längs des Stichkanals aneinandergereihten compakten Vegetationen, 
die im weiteren Verlaufe etwas an Gröfse zunehmen; bald aber 
sistiert das Wachstum, die Vegetation kommt zum Abschlufs, 
und es zeigt dann eine solche Kultur den Anblick eines aus 
knolligen oder scheibenförmigen Massen zusammengesetzten 
Stichfadens. 

In manchen Fällen bilden sich nun als Übergang zum 
Typus 2, von dieser centralen Vegetation aus vereinzelte stachelige 
oder fadenförmige Ausstrahlungen. Kommt es im Verlaufe des 
Wachstums oder von vornherein sehr reichlich zur Entwicklung 
von solchen Ausläufern, so bieten die Gelatinekulturen ein sehr 
zierliches Bild. Der Nährboden zeigt sich dann durchsetzt von 
überaus zierlichen, langen, geschlungenen, mannigfach gedrehten, 
dickeren bis haarfeinen Gebilden, die oft in weitem Abstand 
vom centralen Stichfaden, von dem sie ausgehen, in bogen¬ 
förmigen Windungen die Gelatine, welche keine Spur von Ver¬ 
flüssigung oder Erweichung zeigt, durchsetzen. Diese Vegeta¬ 
tionen, ebenso wie der übrige Nährboden sind dann in wechselndem 

16 • 


Digitized by CjOOQle 



222 


Über Buttersäuregärung. 


Grade von Gasblasen durchsetzt. Diese Form der Gelatine Vegeta¬ 
tionen stellt den zweiten Typus vor. In wieder anderen Fällen 
kommt es schon in 48 Stunden nach der Aussaat zu einer ganz 
eigentümlichen Veränderung der Gelatine. Diese erscheint reich¬ 
lich von Gasblasen durchsetzt, diffus getrübt, das Gesamtvolumen 
der Vegetation dadurch oft aufs Doppelte vergröfsert, dabei aber 
tritt keine Spur von Verflüssigung auf. Man kann die Eprouvette 
umkehren, schütteln, es zeigt sich weder in den Gasblasen 
eine Bewegung noch sonst eine Veränderung, die auf Verflüssigung 
hinweisen würde. 

Stellt man nun eine so veränderte Eprouvette, im Buchnerrohr 
verwahrt, auf 24 Stunden in den Brutschrank, so steigen natur- 
geraäfs nach der Verflüssigung der Gelatine die Gasblasen an 
die Oberfläche. Die Gelatine erstarrt aber in kürzester Zeit 
wieder in ihrer Gesamtheit, wenn die Eprouvette in kaltes Wasser 
gegeben wird und bleibt, bei Zimmertemperatur aufbewahrt, 
dauernd unverändert. 

Hält man die Eprouvette durch viele Tage im Brutschrank, 
so beobachtet man allerdings eine herabgesetzte Erstarrungs- 
fäbigkeit der Gelatine, ein Umstand, der gewifs nicht in Erstaunen 
setzen kann, wenn man bedenkt, dafs es sich um langdauernde 
Einwirkung von Brutwärme auf eine durch die gebildete Butter¬ 
säure und Milchsäure stark sauer gemachte Leimlösung handelt. 
Jedenfalls darf man bei dieser Versuchsanordnung nicht ohne 
weiteres an die Einwirkung eines peptonisierenden Enzyms 
denken. 

Von welchen Umständen hängt nun das jeweilige Auftreten 
einer der drei Typen des Wachstums auf Gelatine ab? Da wirft 
sich zunächst die Frage auf, ob sich zwischen den einzelnen 
Arten der untersuchten Stämme des beweglichen Buttersäure¬ 
bacillus Unterschiede ergeben. Der Hinweis darauf, dafs jeder 
der untersuchten Stämme in allen drei Typen auf Zuckergelatine 
zur Beobachtung kommt, zerstört bereits alle Illusionen, welche 
darauf hinzielen, etwa mit Hilfe der Zuckergelatinekultur einzelne 
Stämme voneinander zu unterscheiden. Davon kann bei dem 
aufserordentlich wechselnden Verhalten der Reinkultur jedes 


Digitized by CjOOQle 



Von Pr. R. Grafsberger und Pr. A. Schattenfroh. 


223 


einzelnen Stammes nicht die Rede sein. Es gelingt zwar durch 
Züchtung bei einer Temperatur, welche der YerHüssigungstempe- 
ratur der Gelatine sehr nahe kommt, häufiger die Form diffusen 
Wachstums zu erhalten, doch tritt diese anderseits auch bei 
sehr niederer Temperatur (12—14°) gelegentlich auf. Die Kon¬ 
zentration des zngesetzten Zuckers ist belanglos; bei starker 
Herabsetzung des Zuckergehaltes werden die Bedingungen zum 
Anwachsen sehr ungünstige, die geimpften Eprouvetten bleiben 
oft steril, bei höherer als 2proz. Zuckerkonzentration bleiben 
die Resultate ebenso wechselnd wie bei Gelatine mit 2 °/ 0 Zucker. 
Ja man kann nicht selten bei Abimpfung von einer Rein¬ 
kultur in eine Anzahl von Eprouvetten, die mit Nährboden 
derselben Bereitung gefüllt sind, das Auftreten von verschie¬ 
denen Wachstumstypen beobachten. Die Bedingungen für das 
wechselnde Verhalten der beweglichen Buttersäurebacillen in 
Zuckergelatine sind uns also im einzelnen Falle nicht bekannt. 
Auch durch Wasserzusatz, bezw. Gelatinegehaltherabsetzung kann 
keine sichere Beeinflussung erzielt werden, ebensowenig liefs sich 
ein Einflufs von seiten der ursprünglichen Nährbodenreaktion fest¬ 
stellen. Zweifellos ist der augenblickliche Charakter des über¬ 
impften Stammes, der wieder von den Wachstumsbedingungen 
der vorausgegangenen Generationen abhängt, von grolser Be¬ 
deutung, wie dies später noch auseinandergesetzt werden soll. 

Im übrigen können wir nur vermuten, dafs es aufserordent- 
lich feine Differenzen in der Beschaffenheit des Nährbodens 
einerseits, in der augenblicklichen Wachstumsenergie der Keime 
anderseits sind, die in verschiedenen Impfungen, ja in einer und 
derselben Kultur zeitweise langsames, geschlossenes Wachstum, 
dann rasches, diffuses Durchwachsen des Nährbodens herbeiführen. 
Jedenfalls läIst sich kein Zusammenhang mit den Verhältnissen 
der Anacrobiose feststellen. 

Ganz analog wie das Verhalten des beweglichen Butter¬ 
säurebacillus in Gelatinestich ist dessen Wachstum auf Gelatine¬ 
platten. Auch hier kommt es gelegentlich, wenn auch seltener, 
zu einer diffusen, mit reichlicher Gasbildung verbundenen Vege¬ 
tation, die sich mikroskopisch (50 fach) als eine sehr feinkörnige 


Digitized by 


Google 



224 


Über Buttersäuregärung. 


Trübung darstellt, meistens aber zeigen sich kompakte Kolonien, 
auch bei dichter Aussaat. Diese sind nun wieder entweder knollig, 
und die einzelnen Knollen oder deren Aggregate erreichen dann 
oft in sechs Tagen eine Gröfse von mehr als 2 mm Durchmesser, 
oder es treten bereits frühzeitig zahlreiche, zierliche Ausläufer 
auf, die sich bei schwacher Vergröfserung als korkzieherförmig 
gewundene, zopfartige oder strahlige, manchmal auch geldrollen¬ 
förmig gestaltete Gebilde darstellen, welche die Gelatine nach allen 
Richtungen durchziehen. 

Auch hier kommt es stellenweise zu diffuser, feinkörniger 
Infiltration; manchmal erscheint eine solche Ausbreitung, ins¬ 
besondere in der Umgebung von Gasblasen unter dem Mikroskop 
als Geflecht von binsenförmig verfilzten Fäden. So bieten 
diese verschiedenen Typen, welche in einer und derselben Platte 
in verschiedener Form zur Ansicht kommen, einen Anblick, der 
an die Vegetationen des Proteus vulgär, auf Gelatine täuschend 
erinnert. 

Am ehesten bekommt man hier noch mit einiger Regel- 
mäfsigkeit knollige Kolonien ohne Ausläufer zu Gesicht, wenn 
man Oberflächenkulturen anlegt, indem man eine mit der Rein¬ 
kultur beschickte Platinnadel auf der Oberfläche der Platte 
verstreicht, ein Verfahren, das unter den absolut anaeroben 
Verhältnissen unseres Kulturverfahrens auch bei Verwendung 
von sporenfreiem Ausgangsmaterial, einige Schnelligkeit beim 
Anfertigen und Verarbeiten der Kulturen vorausgesetzt, mühelos 
zum Ziele führt. Es hat dies insofern eine gewisse Bedeutung, 
als man derart besonders schöne, reichliche Clostridien in Rein¬ 
kultur erzielen kann (s. u.). 

Es läfst sich nämlich feststellen, dafs in Kolonien, welche 
dem knolligen Typus entsprechen, die Menge der granulose- 
führendeu und insbesondere der sporentragenden Stäbchen häufig 
eine auffallend grofse ist, während bei Vegetationen mit diffuser 
Infiltration fast regelmäfsig Clostridien und Sporen in den Hinter¬ 
grund treten. Dieses Verhalten steht in gutem Einklang mit 
der Beobachtung, dafs auch unter anderen Umständen langsames 
Anwachsen und Sporenbildung einander nicht selten parallel gehen. 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 225 

Auch hier hat man wieder den Eindruck, dafs die günstigsten 
Bedingungen zur Sporenbildung regelmäfsig in den allerersten 
Zeiten des Anwachsens bereits vorhanden sein müssen, bezw. 
dafs in Kulturen, die von vornherein sporenfrei vegetieren, 
in der späteren Zeit der Vegetation die Bedingungen zur Ver- 
sporung keineswegs günstiger werden. 

Verhalten auf Zuokeragar. 

Im Zuckeragarstich (38° C.) entwickelt sich mit ganz wech¬ 
selnder Geschwindigkeit, je nach Nährbodenverhältnissen, nach 
Lebensfähigkeit und Menge der übertragenen Keime in wenigen 
Stunden bis zu einem Tage, eine Vegetation, die, dem Stichkanal 
folgend, keinerlei charakteristische Eigenschaften aufweist; es 
braucht wohl nicht erwähnt zu werden, dass es von der Agar¬ 
konsistenz, von der Entwicklungsenergie der übertragenen 
Kultur und von dem Grade der vorhergegangenen oder fort¬ 
wirkenden (Büchner) Sauerstoffbefreiung des Nährbodens ab¬ 
hängt, ob in diesem Stadium der Stichfaden mit seiner oberen 
Grenze mehr oder weniger weit von der Oberfläche entfernt ist. 
Ebenso kommt die gewöhnlich bald auftretende Gasbildung unter 
den verschiedensten Intensitätsgraden zur Erscheinung. Hat man 
günstige Bedingungen getroffen, so zeigt sich bereits 10 Stunden 
nach der Impfung der Zuckeragar von Gasblasen ganz durch¬ 
setzt, dabei diffus getrübt, an der Oberfläche sammelt sich eine 
Flüssigkeit, die durch Bakterien reichlich getrübt, längs des Stich¬ 
kanals und mit den Gasblasen nach oben geprefst wurde. Im 
ungünstigsten Falle erscheint die Vegetation noch nach 24 Stunden 
unter dem Bilde eines die Oberfläche nicht erreichenden, gleich- 
mäfsig dicken oder unregelmäfsigen Fadens. Beim Offnen der 
gut gewachsenen Zuckeragarkulturen macht sich ein mehr oder 
minder intensiver Geruch nach Buttersäure bemerkbar, Fäulnis¬ 
geruch wird stets vermifst. In gewöhnlichem Agar erfolgt eben¬ 
falls ziemlich reichliches Wachstum, die Gasbildung ist ceteris 
paribus geringer. Das beim Wachstum in Zuckeragar und Agar 
zur Beobachtung kommende Verhalten hinsichtlich Granulose- 
und Sporenbildung wird später auseinandergesetzt werden. Die 


Digitized by CjOOQle 



226 


Über ButtersäuregÄrung. 


anaeroben Zuckeragarplatten zeigen gewöhnlich bereits nach 
12 Stunden in den ersten Verdünnungen reichlich Gasblasen. 
24 Stunden nach der Aussaat zeigen sich tiefe Kolonien, wetz¬ 
steinförmig oder mit stacheligen Ausläufern, letztere besonders in 
den dichtbesäten Platten. Sehr selten, nur bei Aussaat von Raqen 
mit ganz ausgesprochener Neigung zur Versporung, beobachtet 
man Kolonien mit haarigen Ausläufern. Aufserdem sieht man oft 
sehr zahlreich grofse Gasblasen, welche den Nährboden vom Glase 
abheben und in ihrer Randbucht mit trüber Flüssigkeit gefüllt sind. 
Diese Gasblasen mit Randinfiltration bieten die beste Gelegenheit, 
die rasche Beweglichkeit der hier unter anaörobem Verschlufs 
(durch die darüber liegende Agardecke) befindlichen Bakterien zu 
konstatieren, indem eine Beobachtung des Gasblasenrandes bei 
etwas stärkerer Vergröfserung über dieses charakteristische Ver¬ 
halten sofort Aufschluls gibt (s. auch unsere erste Mitteilung). 
Voraussetzung ist, dafs die Platten nicht älter als 24 Stunden sind. 
Denn in solchen älteren Kulturen ist sehr häufig die Beweglich¬ 
keit dieser Stäbchen, welchen eine sehr kurze Lebensdauer zu¬ 
kommt, vollständig erloschen, ein Umstand, der seine Analogie 
darin findet, dafs auch Abimpfungen von älteren Kolonien häufig 
erfolglos bleiben. Dasselbe gilt von Kulturen, in denen über¬ 
reichliche Granulosebildung von vorneherein einsetzt Auch 
in solchen zeigen sich gelegentlich die meisten Stäbchen bereits 
nach 24 Stunden unbeweglich. 

Es mag hier nebenbei erwähnt werden, dafs anaörobe Zucker¬ 
agarplatten des beweglichen Buttersäurebacillus ebenso wie die 
des unbeweglichen, welche nach 24 Stunden noch keine Kolonien 
oder Gasblasen erkennen lassen, gewöhnlich auch dauernd steril 
bleiben; es handelt sich dann entweder um mangelhafte Anaero- 
biose oder um Verwendung von abgestorbenen Stäbchen Vege¬ 
tationen zur Aussaat. 

Der schädliche Einflufs der Gegenwart von rasch wachsen¬ 
den, fakultativ anaeroben Bakterien in Mischkulturen, welcher 
auch bei Verwendung von Ausgangsmaterial (flüssige Nähr¬ 
böden) , das scheinbar überwiegend die Stäbchen des beweg¬ 
lichen Buttersäurebacillus enthält, zur Geltung kommt, macht 


Digitized by 


Google 




Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 


227 


sich auch hier (Zuckeragar) in hohem Grade bemerkbar, eine 
Erfahrung, die von Wichtigkeit für die Beurteilung des Mengen¬ 
verhältnisses verschiedener Arten von Gärungserregern in flüssigen 
Medien ist. Es mag hier hervorgehoben werden, dafs in vielen 
Fällen eine Isolierung des beweglichen Buttersäurebacillus aus 
flüssigem Material, das er in dem betreffenden Falle gärend 
beherrscht, durch das einfache Plattenverfahren ausgeschlossen 
ist. Damit soll ein Punkt von wesentlicher Bedeutung berührt 
werden: strengste Anaerobiose, Wahl eines sonst günstigen Sub¬ 
strates (Zuckeragar), vermögen nicht die Nachteile aufzuwiegen, 
welche der feste Nährboden dem Anwachsen mancher Ra^en 
der Buttersäurebacillen in Mischkultur entgegensetzt, ja, man 
glaube nicht, im festen Nährboden durch Beimischung aerober 
Bakterien etwa ähnliche Wachstumsbegünstigungen herbeizu¬ 
führen, wie dies in flüssigen Medien der Fall ist. 

Es scheint uns, dafs dies trotz aller Erfahrungen der älteren 
bakteriologischen Zeit gerade in den letzten Jahren zu wenig 
berücksichtigt worden ist. Das angeführte Verhalten kann nun 
aber auch in umgekehrter Richtung zu folgenschweren Irrtümern 
führen. Es kann nämlich der Fall eintreten, dafs bei Abimpfung 
von solchen fakultativ anaeroben Kolonien, Sporen des spezi¬ 
fischen Gärungserregers, welche im Nährboden zerstreut gelagert 
sind, nun neuerlich, wenn die Übertragung in flüssiges Material 
stattfindet, auskeimen, neuerlich Gärung verursachen und 
das Feld beherrschen, während die fakultativ anaeroben Bak¬ 
terien zurücktreten. Damit liegt die Vermutung nahe, dafs ein 
Teil der rätselhaften Befunde, welche von Autoren angegeben 
werden, z. B. die Existenz von Organismen, die nur einmal oder 
einigemale spezifische Gärung verursachen, die sich dabei aus 
streng anaeroben Bakterien in morphologisch und biologisch 
ganz anders geartete Keime umwandeln, auf solche Fehlerquellen 
zurückzuführen ist. Eine Methode, die zum Teil die Nachteile 
des festen Nährbodens paralysiert und damit auch unter sonst 
ungünstigen Bedingungen Ra<;en von Gärungserregern (welche 
unter gewöhnlichen Verhältnissen trotz strengster Anaerobiose, trotz 
verhältnismäfsig reichlicher Gegenwart im flüssigen Ausgangs- 


Digitized by CjOOQle 



228 


Über Butter8äureg&rung. 


material etc. nicht züchtbar sind), über die Schwelle der Züchtbarkeit 
in festen Nährmedien hebt, soll von uns später mitgeteilt werden. 

Ein sehr auffallender Unterschied zwischen den Kolonien 
des beweglichen und jenen des unbeweglichen Buttersäure¬ 
bacillus ergibt sich in dem Aussehen der Oberflächenkolonien 
auf Zuckeragar. 

Während sich in Reinkulturen des unbeweglichen Butter¬ 
säurebacillus auf Zuckeragarplatten fast regelmäfsig saftige, gut 
abgegrenzte, im gewissen Grade charakteristische Oberflächen¬ 
kolonien entwickeln (s. unsere erste Abhandlung im Archiv für 
Hygiene), zeigen sich beim beweglichen Buttersäurebacillus die an 
die Oberfläche durchbrechenden tiefen Kolonien an der Durchbruchs¬ 
stelle von einer schleierartigen, oder etwas dichteren Vegetation 
umgeben, die sich allmählich nach aufsen verliert. Unter dem 
Mikroskop läfst sich die mehr diffuse Ausbreitung dieser Vege¬ 
tationen über die Oberfläche in weitem Abstand von dem Zentrum 
der Kolonien deutlich verfolgen, offenbar sind eben die Bedin¬ 
gungen für das Ausschwärmen der beweglichen Buttersäurebacillen 
in dem Kondenswasser, das sich unter den besonderen Bedin 
gungen der Anaerobiose leichter erhält, sehr günstige. 

Dafür spricht auch der Umstand, dafs man nicht selten an 
Kolonien, die auf der Höhe der Kuppe von Gasblasen durch¬ 
brechen, schärfer abgegrenzte, rundliche, etwas dichtere Ober¬ 
flächenvegetationen bemerkt, die einigermafsen schlecht ent¬ 
wickelten Oberflächenkolonien des unbeweglichen Buttersäure¬ 
bacillus gleichen. 

Das Abfliefsen des Kondenswassers von der kuppenförmigen 
Wölbung der Oberfläche dürfte hier günstige Verhältnisse für 
ein mehr begrenzt bleibendes Wachstum herbeiführen. 

Die mitgeteilten Befunde sollen durch die Angabe ergänzt 
werden, dafs sich aus dem Studium der Zuckeragarkolonien 
keinerlei Unterschiede zwischen den einzelnen untersuchten 
Stämmen des beweglichen Buttersäurebacillus feststellen liefsen. 

Was die Gasbildung in Zuckeragarplatten betrifft, so zeigen 
sich dieselben meist reichlich von Gasblasen durchsetzt, welche 
teils von Kolonien ausgehen, teils sich im kolonienfreien Teil 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 


229 


des Nährsubstrats ansammeln, aber auch dann häufig vegetations¬ 
reiches Kondenswasser enthalten. Die Gasbildung ist im Zucker¬ 
agar überhaupt ceteris paribus gewöhnlich reichlicher, als dies 
beim unbeweglichen Buttersäurebacillus zur Beobachtung kommt. 

Das Wachstum der Reinkulturen auf Kartoffeln, welche im 
Buchnerrohr oder in Scheiben zerschnitten in Petri sehen Schalen 
verwahrt und unter strenger Anaerobiose bebrütet wurden, ist 
bei allen untersuchten Stämmen ein gleichartiges. Es bildet 
sich innerhalb 48 Stunden ein üppiger, schaumiger weifser Rasen 
aus, welcher die Oberfläche bedeckt, wobei die Kulturen stark 
nach Buttersäure riechen. 

Das Wachstum auf Bouillon mit Zuckerzusatz tritt rasch 
ein, die Gärung verläuft hier unter den an anderer Stelle an¬ 
gegebenen Erscheinungen. 

Morphologie der Individuen. 

Eine einheitliche morphologische Beschreibung des beweg¬ 
lichen Buttersäurebacillus stöfst auf grofse Schwierigkeiten. Denn 
der Umstand, dafs bei diesem Bakterium der die Vielgestaltigkeit 
der Formen beherrschende Versporungsprozefs so überaus häufig 
zur Entwicklung kommt, macht die Bilder so aufserordentlich 
wechselnd, dafs es schwierig ist, das Gemeinsame hervorzusuchen 
und das Typische zu gruppieren. Diese grofse Neigung zur Ver- 
sporung, bezw. zu den die Versporung auf unseren gebräuch¬ 
lichen bakteriologischen Nährböden einleitenden Prozessen 
schafft eine wesentliche Differenz zwischen dem beweglichen 
Buttersäurebacillus und der unbeweglichen Art, die uns unter 
den üblichen Bedingungen fast stets unter dem Bilde der sporen¬ 
freien Stäbchenvegetation zu Gesichte kommt. 

Anderseits wäre es falsch, dieser Differenz ein zu grofses 
Gewicht beizumessen und sie etwa im Sinne einer sehr getrennten 
Gruppierung der beiden Arten im Rahmen des natürlichen 
Systems zu verwerten. Denn alle Erfahrungen zeigen, dafs unter 
anderen Verhältnissen in den von der Natur gebotenen Substraten 
mit allen ihren besonderen Eigenschaften (Symbiose etc.) auch 
der unbewegliche Buttersäurebacillus regelmäfsig, ja reichlich 


Digitized by 


Google 



230 


Über Buttersäuregärung. 


versport (beständige Anwesenheit von Sporen im Darminhalt!). 
Es ist also eine Differenz, welche vor allem auf eine für den 
unbeweglichen Buttersäurebacillus durchaus nicht gleichgültige 
Änderung der natürlichen Bedingungen zurückzuführen ist, die 
wir hervorrufen, wenn wir ihn zwingen, in Reinkultur auf unseren 
Nährböden Besitz zu ergreifen. Anderseits aber kennen wir doch 
eine Reihe von Einflüssen, die bei beiden Arten parallel die Ver- 
sporung im günstigen oder ungünstigen Sinne beeinflussen. 

Was nun die Formen betrifft, unter welchen die Individuen 
des beweglichen Buttersäurebacillus erscheinen, so sind die 
Differenzen zwischen denselben insbesondere, soweit es sich nicht 
um eigentliche reine Degenerationserscheinungen handelt, durch 
die im wechselnden Grade erfolgende Ablagerung der stärke- 
artigen Substanz im Innern der Bakterienzellen, der sogenannten 
»Granulöse« bedingt, viel mehr als durch die räumliche Ver¬ 
änderung, welche durch die Einlagerung der Spore selbst ge¬ 
schaffen wird. 

Die quantitativ verschiedene Ablagerung der Granulöse im 
Innern der Zelle — quantitativ im Sinne einer ganz bedeutenden 
Spielweite — veranlafst, dafs die beweglichen Buttersäurebacillen 
einmal als schlanke Stäbchen, ein anderes Mal als Clostridien 
auftreten, und alle Übergänge zwischen beiden, die sich so über¬ 
aus häufig in einer und derselben Vegetation vereinigt vorfinden, 
lassen sich auf dieselbe Ursache zurückführen. Es soll gleich 
hier erwähnt werden, dafs aufser dieser spezifischen, auf wech¬ 
selnder Granuloseablagerung basierenden Vielgestaltigkeit der 
Formen, auch der sonst bei allen Bakterien zur Beobachtung 
kommende Formenwechsel, teilweise unter uns bekannten Um¬ 
ständen erfolgend (Kapsel-, Scheinfädenbildung etc.), auftritt. Die 
grofse, ins Auge springende Differenz zwischen den Extremen 
»Stäbchen« und »Clostridium« hat einen Forscher, Bejerinck, 
veranlafst, offenbar unter dem Eindrücke einer Reihe schwer 
zu erklärender Erscheinungen bei der Buttersäuregärung, die 
Theorie aufzustellen, dafs es sich bei dieser Bakterienart (es handelt 
sich um das gr. saccliarobut.) um zwei Formen, eine Sauerstoff¬ 
form und eine anaerobe Form handle. 


Digitized by 


Google 



Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 


231 


Bejerinck unterscheidet diese beiden Formen, indem er 
ihnen nicht nur morphologische Unterschiede zuschreibt, Sauer¬ 
stoffform = schnell bewegliche Stäbchen, Körner enthaltend und 
zu Ketten verbunden, Clostridien form = die bekannten langsamer 
beweglichen, plumpen, granulosereiehen Gebilde, sondern er vin- 
dicirt ihnen auch verschiedene biologisch-chemische Charaktere, 
indem er die schlanken, lebhaft beweglichen Stäbchen als Formen 
auffafst, die bei Gegenwart geringer Mengen von Sauerstoff auf- 
treten, die überdies ihre Beweglichkeit in strenger Anaerobiose 
einstellen, während die Clostridien sich im Gegensätze hierzu bei 
strenger Anaerobiose entwickeln, und sich sowohl bei Gegenwart 
als bei Abwesenheit von Sauerstoff bewegen sollen: Ja, auch die 
quantitativen Verhältnisse der gebildeten Produkte sollen nicht 
unwesentlich voneinander abweichen, je nachdem es sich um die 
eine oder die andere Form handle. Es ist hier nicht der Platz, 
auf eine erschöpfende Kritik der Be j erinck sehen Behaup¬ 
tungen einzugehen, da diese der Schlufsbesprechung am Anhänge 
unserer fortlaufenden Untersuchungen Vorbehalten bleibt. Wir 
wollen hier nur unserer Ansicht Raum geben, dafs wir einer der¬ 
artigen Zweiteilung in anaerobe und aerobe Form dieser Bakterien¬ 
art unter keinen Umständen beipflichten können. Wir haben 
uns stets überzeugen können, dafs auch die schlanken Stäbchen 
gegenüber dem Sauerstoff empfindlich sind, dafs Anaerobiose 
und Auftreten der einen oder andern Form in gar keinem 
direkten Zusammenhang stehen. Unserer Ansicht nach sind die 
beweglichen Buttersäurebacillen Organismen, die zum Anwachsen 
stets der Abwesenheit des freien 0 bedürfen, gleichgültig ob 
diese durch unsere Manipulationen oder durch vorhergehende 
Sauerstoffbefreiung des Nährbodens unter dem Einflüsse der 
Symbiose hergestellt wird. 

Das häufige Auftreten von Clostridien in Mischkulturen, das 
häufige Fehlen von Clostridien in Reinkulturen, flüssige Nähr¬ 
böden gleicher Zusammensetzung vorausgesetzt, beziehen wir 
nicht auf die in Mischkulturen leichter erfolgende Sauerstoff¬ 
befreiung, sondern auf eine Alteration des Bakterienstoffwechsels 
durch die gleichzeitige Anwesenheit anderer Bakterien, sei es 


Digitized by CjOOQle 



232 


Über Buttersäuregärung. 


dafs es sich um Einwirkung der von diesen gelieferten Stoff¬ 
wechselprodukte oder um eine andere Art der Beeinflussung 
handelt, zum Teil auch auf den Umstand, dafs bei der Rein¬ 
isolierung aus Mischkulturen in festen Nährböden häufig zu¬ 
nächst Abnahme der Neigung zur Versporung festzustellen ist. 
Wir wissen heute mit Bestimmtheit, dafs sowohl bei dem un¬ 
beweglichen als bei dem beweglichen Buttersäurebacillus die 
Sporenbildung auch durch die Gegenwart anderer streng an- 
aCrober Bakterien begünstigt wird. 

Zum Studium der Stäbchen- und der Übergangsformen em¬ 
pfiehlt sich vor allem die Kultur in Zuckeragar. 

Wegen der grofsen Empfindlichkeit des beweglichen Butter¬ 
säurebacillus gegen freien Sauerstoff stellt man die ausgekochten, 
rasch erstarrten und mit einer Reinkultur geimpften Eprouvetten, 
im Buchnerrohr verwahrt, in den Brutschrank. 

Ist nach 16—20 Stunden üppiges Wachstum eingetreten, mit 
reichlicher Gasbildung etc., so öffnet man das Buchnerrohr und 
fertigt sofort einen hängenden Tropfen an, indem man mit der 
Platinöse eingeht und etwas Kondenswasser entnimmt. Es em¬ 
pfiehlt sich dies mehr, als das Vermischen von Vegetation mit 
einem Tropfen ausgekochter Bouillon, weil bei dieser Manipulation 
leicht reichlich Luft von der Flüssigkeit, in welcher die Aufschwem¬ 
mung stattfindet, absorbiert wird, so dafs die Eigenbewegung 
der Bakterien erlischt, bevor man die Beobachtung im Mikroskop 
beginnt. In vielen Fällen kommen bei dieser Kulturmethode 
(Zuckeragar) die Buttersäurebacillen als schlanke, ziemlich lange 
Stäbchen zu Gesicht, die sich mit grofser Geschwindigkeit, leb¬ 
haft schlängelnd oder schiefsend durch das Gesichtsfeld bewegen. 
Dabei zeigt sich, dafs auch solche Individuen, welche bereits die 
Sporenanlage — gewöhnlich dem einen Ende nahe gerückt — 
aufweisen, gut beweglich sind. 

Bald macht sich nun eine auffällige Erscheinung bemerkbar, 
indem die Stäbchen sich immer zahlreicher in Häufchen grup¬ 
pieren, die Haufen immer dichter werden, immer weniger Bak¬ 
terien sich beweglich zeigen, bis endlich, gewöhnlich im Verlaufe 
einer viertel bis halben Stunde nahezu sämtliche Stäbchen, in 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 233 

Haufen gruppiert, regungslos verharren. Diese, unter der zu¬ 
nehmenden Sauerstoffabsorption der Flüssigkeit erfolgende Haufen¬ 
bildung hat äufserlich grofse Ähnlichkeit mit den bekannten Ag¬ 
glutinationserscheinungen, welche bei Einwirkung von normalem, 
bezw. spezifischem Serum auf Bakterien gesehen werden. Auch 
makroskopisch beobachtet man leicht, dafs der ursprünglich 
gleichmäfsig trübe Tropfen seine diffuse Trübung verliert, bis end¬ 
lich in der klaren Flüssigkeit feinste Flöckchen suspendiert sind. 

Es ist nicht unwahrscheinlich, dafs die beschriebene Er¬ 
scheinung, die sich in ähnlicher Weise auch bei einigen anderen 
anaeroben Bakterien zeigt, auf einer unter dem Sauerstoffeinflufs 
erfolgenden Veränderung der Leibessubstanz beruht, welche diese 
klebrig macht. Jedenfalls mufs diesem Verhalten beweglicher 
anaerober Bakterien besondere Aufmerksamkeit zugewendet wer¬ 
den, wenn es sich um das Studium spezifischer Agglutination 
handelt. Die aufserordentliche Empfindlichkeit gegen Sauerstoff¬ 
zufuhr macht sich nun auch in der Weise bemerkbar, dafs es nicht 
leicht gelingt, in der Deckglastropfenkammer bei Durchleiten von 
reinem Wasserstoff die Beziehungen der Stäbchen zur Sauerstoff¬ 
anwesenheit oder -abwesenheit festzustellen. Manipuliert man 
nämlich bei dieser Versuchsanordnung so, dafs man auch nur 
durch einige Zeit mit Luft gemengten Wasserstoff vorbeileitet, so 
erlischt die Beweglichkeit der Stäbchen unter dem Einflufs des vor¬ 
beistreichenden Sauerstoffes so rasch, dafs die Stäbchen für immer 
ihre Beweglichkeit verlieren, und dann auch der beliebig lang fort¬ 
gesetzte Aufenthalt in reiner Wasserstoffatmosphäre keine Ände¬ 
rung herbeiführt. 

Hat man aber zuerst den Zufuhrschlauch durch längeres Durch¬ 
leiten von reinem H ganz luftfrei gemacht, so läfst sich im Gegenteil 
eine aufserordentliche Zunahme der Beweglichkeit, die lange un¬ 
verändert anhält, leicht feststellen. Damit ist der Beweis erbracht, 
dafs dasjenige, was Bej erinck als Sauerstoffform bezeichnet, aller 
dings in der morphologischen Beschaffenheit ganz dem von diesem 
Autor gegebenen Bilde entspricht, keineswegs aber biologisch — 
hinsichtlich der Resistenz oder dem Bedürfnis gegenüber Sauerstoff 
— der von demselben gegebenen Beschreibung gleichkommt. 


Digitized by CjOOQle 



234 


Über Buttersäuregärung. 


Die Gröfsen- und Formverhältnisse der Individuen des be¬ 
weglichen Buttersäurebacillus, welche man in solchen jungen 
Kulturen zu Gesicht bekommt, sind aufserordentlich wechselnd. 
Sie sind bei Reinkulturen desselben Stammes unter scheinbar 
denselben äufseren Verhältnissen äufserst verschieden, indem das 
Aussehen des Gesamtbildes, welches man bei Betrachtung einer 
geringen Menge der Vegetation unter dem Mikroskop erhält, 
ganz von dem Umstande abhängt, ob die Ansammlung der Gra¬ 
nulöse im Innern der Stäbchen eine geringe oder hochgradige 
ist, ob viele oder nur wenige Stäbchen mit Granulöse beladen 
sind. Man hat es nun durchaus nicht in der Hand, im Einzel¬ 
falle das Mafs der Granuloseentwicklung gleichmäfsig zu beein¬ 
flussen; daraus erhellt bereits die Unmöglichkeit, einzelne Stämme 
etwa nach feineren morphologischen Differenzen als verschiedene 
Varietäten zu trennen. Auch unter den granulosefreien Stäbchen 
in einer solchen jungen Reinkultur machen sich allerdings ge¬ 
ringere Differenzen in dem Dickendurchmesser der Zellen be¬ 
merkbar. 

Die meisten granulosefreien Individuen im hängenden Tropfen 
aus jungen Zuckeragarkulturen stellen ziemlich gleichmäfsig dicke, 
gerade oder schwach gekrümmte Stäbchen dar mit abgerundeten 
Enden, die entweder einzeln oder in kurzen Verbänden, zu 2 
oder 3 sich mit ziemlich grofser Geschwindigkeit durch das Ge¬ 
sichtsfeld bewegen. 

Das Plasma erscheint entweder gleichmäfsig hell oder leicht 
fleckig, nicht selten trifft man insbesondere Doppelstäbchen an 
deren freie Enden eine bei hoher Einstellung helle, bei tiefer 
Einstellung dunklere Partie erkennen lassen. 

Die Stäbchen sind etwa 3—5 fx lang, 0,6—1,0 jx breit. Sieht 
man scheinbar längere Exemplare, so handelt es sich wohl meist 
um Doppelstäbchen mit undeutlicher Trennung der Individuen. 

In solchen Dimensionen bewegen sich die granulöse- und 
sporenfreien Individuen. Hat man nun, was allerdings selten 
geschieht, eine Zuckeragarkultur vor sich, in welcher die Ab¬ 
lagerung von Granulöse in Stäbchen, die Versporung ganz aus¬ 
geblieben ist, so zeigen sich die Formen nach dem Mitgeteilten 


Digitized by 


Google 



Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 235 

ziemlich regelmäfsig, insbesondere ist der Dickendurchmesser der 
Individuen ein ziemlich gleichartiger. 

Diese sporenfreien Stäbchen sind offenbar insbesondere gegen 
die schädliche Einwirkung der sauren Produkte bei höherer Tem¬ 
peratur (37°) sehr widerstandslos. Solche Kulturen sind oft, 
selbst wenn sie im Buchnerrohr verschlossen, nur 48 Stunden im 
Brutschrank verweilten, bereits nicht mehr übertragbar. Mikro¬ 
skopisch erkennt man aufser rasch abnehmbarer Färbbarkeit und 
Auftreten einer nicht spezifischen Plasmakörnung (degenerativ) 
keine auffallende Veränderung. *) 

Wir haben bereits erwähnt, dafs uns die näheren Bedingungen 
für Auftreten oder Ausbleiben von Granulöse in Zuckeragar¬ 
kulturen im Einzelfalle nicht bekannt sind. In sicheren Rein¬ 
kulturen unter scheinbar sonst ganz gleichartigen Verhältnissen 
zeigen sich die wechselndsten Mengen von granulosetragenden 
Stäbchen, wie es auch für den unbeweglichen Buttersäurebacillus 
zutrifft. 

Nach unseren Erfahrungen und Anschauungen hängen Gra- 
nulosebildung und Versporung bei den Buttersäurebacillen in dem 
Sinne zusammen, dafs in der Regel die Granulosebildung als 
einleitender Prozefs im Stäbchen der Versporung vorangeht. (Siehe 
auch unsere Abhandlung über den unbeweglichen Buttersäure¬ 
bacillus.) Der Umstand, dafs bei der Granulosebildung im Gegen¬ 
satz zum gewöhnlichen Stoffwechsel der lebhaft gärenden Zellen 
die Kohlehydrate nicht zersetzt werden, sondern im Gegenteil, 
wenigstens Anteile derselben, polymerisiert und abgelagert werden, 
spricht für eine wesentliche Alteration des Lebensprozesses der 
Bakterien. Die Granulöse wird nun in aufserordentlich wechseln¬ 
dem Grade in der Zelle abgelagert. Gewisse Bilder, von denen 
später die Rede sein soll, beweisen, dafs Anteile dieser Granu¬ 
löse auch in die sich bildenden Sporen übertreten. Es könnte 
zunächst fraglich bleiben, ob dies — im Sinne einer Ablagerung 
von Reservesubstanz — nicht regelmäfsig stattfindet und ob nicht 

1) Sehr häufig beobachtet man, dafs sich granulöse- und sporenfreie 
Stäbchen mit Jod intensiv gelb färben. Dieser Zustand dürfte der Granulose- 
entwicklung vorausgehen. 

Archiv f. Hygiene. Bd. XLn 16 


Digitized by CjOOQle 



236 


Über Buttersfturegftrung. 


etwa durch eine vorhergehende weitere Veränderung der Granu¬ 
löse der Nachweis dieser Substanz mit Jod in der Spore versagt, 
oder ob andererseits der Zusammenhang Granulöse und Ver- 
sporung in dem Sinne aufzufassen ist, dafs die Granuloseablage- 
rung in dem Stäbchen nur ein Ausdruck des geänderten Stoff¬ 
wechsels ist, der zur Sporenbildung führt, ohne dafs die Substanz 
»Granulöse« selbst ein wesentlich wichtiges Baumaterial für die 
Spore darstellt. 

Wie dem auch sei (siehe später), das Mafs der Granulose- 
Entwicklung im Stäbchen selbst beherrscht das morphologische 
Verhalten der Individuen im hohen Grade. Selbstverständlich trifft 
man in einer und derselben Kultur meist alle Stadien der Ent¬ 
wicklung dieses merkwürdigen Prozesses. Noch bevor sich an 
den Stäbchen im ungefärbten Zustande schärfer abgegrenzte 
Sporenanlagen erkennen lassen, findet man reichlich solche, die 
bei erhaltener Stäbchenform gleichmäfsig oder etwas ungleich- 
mäfsig verdickt erscheinen (0,9 bis 1,3 ju Durchm.); färbt man 
mit Jodlösung, so zeigen sich sehr häufig diese Stäbchen aus¬ 
gedehnt intensiv braun oder blau gefärbt. Die Form, in welcher 
die Granulöse abgelagert ist, ist wechselnd, doch scheint es am 
häufigsten in diesen jungen Stadien zu einer solchen Ablagerung 
in der Zelle zu kommen, dafs diese in ihrem einen Ende voll¬ 
ständig von dieser Substanz erfüllt ist, während das andere freie 
Ende keine Granulöse aufweist. Infolge des außerordentlich 
häufigen Auftretens von Doppelstäbchen in den Kulturen findet 
man dann fast regelmäfsig längere Stäbchen, die scheinbar in 
der Mitte Granulöse tragen, während die beiden Enden frei von 
dieser Substanz sind. (Auch das entgegengesetzte Verhalten 
findet sich nicht selten.) 

Bei genauerem Zusehen erkennt man, dafs es sich um Ver¬ 
bände von zwei Stäbchen handelt, die mit ihrem granulosetragenden 
Ende zusammenstofsen, während die freien Enden ungefärbt sind. 

Der granuloseerfüllte Anteil des Stäbchens ist sehr ver¬ 
schieden grofs, geradlinig, bogenförmig oder unregelmäfsig gegen 
das Ende abgegrenzt; oft zeigen sich nur geringe Ansammlungen 
dieser Substanz in Form von körnigen oder fleckigen Gebilden, 


Digitized by 


Google 



Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 


237 


oft ist nahezu die ganze Zelle gleichmäfsig hiervon durchsetzt, 
wenn auch in der Regel stets ein Anteil an dem einen Ende 
ungefärbt erscheint. 

In manchen Fällen, insbesondere dann, wenn die Granulöse 
nur spärlich zur Entwicklung gekommen ist, färbt sich diese 
Substanz mit Jod nicht blau oder schwarz, sondern bräunlich 
oder rötlich. 1 ) 

In den weitaus meisten Fällen ist die Färbung so intensiv, 
dafs es nicht möglich ist, in den blaugefärbten Partien nähere 
Struktureigentümlichkeiten festzustellen. 

Tritt in Verbänden von drei oder mehr Individuen Granulöse 
auf, dann erscheinen diese nicht selten blau gebändert oder gefleckt. 

Kommt es nun zu einer uoch reichlicheren Ansammlung 
der Granulöse im Zellleib, dann geht eine auffällige Form¬ 
veränderung mit demselben vor sich, indem die Wandung der 
Zelle offenbar unter dem Drucke der sich ansammelnden Massen 
ausgedehnt wird, wobei die ganze Zelle Eiform annimmt. So 
entsteht jenes Gebilde, das sich auf den ersten Anblick so auf¬ 
fällig von den typischen Stäbchen unterscheidet. 

Auch diese granulosereichen Eiformen lassen in der Regel, 
selbst dann, wenn noch keinerlei differenzierte Spore mit Hof 
zu erkennen ist, an einem Ende einen granulosefreien Abschnitt 
erkennen. Über die Gestalt dieses granulosefreien Abschnittes 
soll später berichtet werden. 

Die eiförmigen Formen kommen auch in Verbänden zu drei 
und mehreren zu Gesicht. Länge und Dicke sind sehr ver¬ 
schieden. 

Im hängenden Tropfen zeigen sie sich gut beweglich, die Be¬ 
wegungen sind, entsprechend der sich der Kugel nähernden Ge¬ 
stalt, häufig rollend oder drehend und wackelnd. 

Bei allen den bisher beschriebenen granulosetragenden Stäb¬ 
chen und Eiformen kann es sich um solche Exemplare handeln, 
hei denen sich ohne Jodfärbung, im ungefärbten Präparat keinerlei 
Differenzierung im Sinne einer entwickelten Sporenaulage er¬ 
kennen läfst. 

1) Kommt bei allen untersuchten Ra<;en vor. 

16 * 


Digitized by CjOOQle 



238 


Über Battersäuregärung. 


Das Plasma erscheint in solchen dicken Stäbchen und Clo¬ 
stridien (ungefärbtes Präparat) gleichmäfsig feinkörnig. Jedenfalls 
beweist aber auch hier das Freibleiben eines Abschnittes der 
Zelle von Granulöse, eines Abschnittes, welcher der regelmäfsigen 
Sporenlage entspricht, dafs schon bei dem ersten Auftreten der 
Granulöse auch die Sporenanlage eingeleitet wird. Aber es kann 
die weitere Ausbildung der Spore im Gegensatz zu der Granulose- 
ablagerung in der Zelle Zurückbleiben; so dafs der Prozefs mit 
einer excessiven Granuloseablagerung endgültig abschliefst. 

Dieses Verhalten — excessive Granuloseablagerung — mangel¬ 
hafte Sporenausbildung — kann in manchen Fällen das ganze 
Bild einer Vegetation beherrschen. 

Es führt insbesonders in älteren Zuckerbouillonkulturen, 
welche mit hartnäckig sporulierenden Ra 9 en geimpft sind, zur 
Entstehung abenteuerlicher Gebilde. 

In sehr vielen Fällen aber beginnt sich schon frühzeitig die 
Spore in dem früher geschilderten granulosefreien Anteil der 
Zelle (Stäbchen oder Clostridium) als stark lichtbrechender, ovaler 
Körper zu differenzieren, der oft durch einen deutlichen, scharf 
abgegrenzten Hof vom übrigen Zellinhalt getrennt ist. Hat sich 
die Bildung der Spore in einer Zelle vollzogen, die infolge 
verhältnismäfsig bescheidener Granuloseablagerung den Stäbchen¬ 
charakter gewahrt hat, so erscheint die Spore als endständig 
gelagertes Gebilde, freilich nicht immer streng endständig, insofern 
noch Plasma zwischen freiem Ende und Spore vorhanden sein 
kann. Hat sich aber inzwischen oder von vornherein so reichlich 
Granulöse abgelagert, dafs die Zelle Clostridienform angenommen 
hat, so entwickelt sich gewöhnlich folgendes Verhalten. 

Die Spore liegt dem einen Ende näher, sehr häufig mit 
ihrer Achse nicht parallel zur Zellachse, sondern in mehr oder 
minder starkem Winkel zu derselben. So kommt es, dafs bei 
der Betrachtung ira hängenden Tropfen, wenn es sich um noch 
bewegliche sporentragende Clostridien handelt, infolge der Ro¬ 
tation der Clostridien der täuschende Anschein ensteht, als ob 
sich die Spore beständig in einer weichen Inhaltsmasse des 
Clostridiums umherbewegte (s. Bejerinck). 


Digitized by v^.ooQle 



Von Pr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 


239 


Bei näherem Zusehen zeigt sich aber, insbesondere an 
solchen Exemplaren, die durch ihre Stellung im Verband die 
rotierende Bewegungsart erkennen lassen, dafs die Spore ihre 
Stellung zum Clostridium nicht verändert. In manchen Exem¬ 
plaren von Clostridien nimmt die Spore einen Platz nahe der 
Mitte des eiförmigen Gebildes ein, auch hier oft excentrisch 
gelagert. Der Sporenhof ist in den Clostridien oft besonders 
deutlich entwickelt. 

Sporentragende Clostridien zeigen im ungefärbten Zustande 
häufig eine auffälligere grobe Plasmagranulierung. 

Bei der Färbung mit Jod erscheint es als gewöhnliches Ver¬ 
halten, dafs die Spore samt Hof von dem granulosetragenden 
Plasma der Zelle mantelförmig umscheidet wird, derart, dafs oft 
nur ein kleiner Abschnitt des Clostridiums, entsprechend dem aus 
demGranulosemantel hervorragenden Sporenanteil ungefärbt bleibt, 
ja oft grenzt sich bei mit Jod gefärbten Clostridien der granu- 
losetragende Körper gegen die granulosefreie Spitze infolge dieses 
Verhaltens wallartig ab. In ungefärbten Präparaten sieht man 
von einer solchen Form der Abgrenzung nichts, es ist des¬ 
halb wahrscheinlich, daTs es sich um ein Kunstprodukt, durch 
Anschwellen des Zellinhalts bei der Jodimprägnieruug handelt. 

Die allermannigfachsten Bilder entwickeln sich nun, wenn 
an Individuen im Verbände alle die bisher beschriebenen Ver¬ 
änderungen vor sich gehen. So beobachtet man häufig, dafs von 
zwei verbundenen Stäbchen das eine zum Clostridium wird und 
eine Spore enthält, während das zweite nur Granulöse ablagert. 
So entsteht oft, wenn die Individuen kurz und die Zollgrenzen 
schwer feststellbar sind, der Anschein eines Stäbchens mit end¬ 
ständiger Auftreibung samt Spore in diesem, während es sich um 
einen Stäbchen-Clostridium verband handelt. Daneben finden sich 
selbstverständlich alle Übergänge von Stäbchen zu Clostridien, 
Verbände von Stäbchen oder Clostridien mit solchen Übergangs¬ 
formen etc. 

Zum Schlüsse soll noch erwähnt werden, dafs man auch 
gelegentlich, allerdings selten, in zuckerhaltigen Nährboden auf 
Präparate stöfst, die den Vorgang der Granulosebildung in sehr 


Digitized by VjOOQle 



240 


Über Buttersäuregärang. 


geringem Mafse erkennen lassen, und trotzdem zahlreiche Stäb¬ 
chen mit je einer bereits deutlich endständigen Spore zeigen. 
Hier handelt es sich also um Zurückbleiben der Granulose- 
anhäufung trotz fortschreitender Sporenbildung. Ja, es gelingt 
sogar mit Sicherheit auf sterilen Nährböden, die neben Spuren 
von Zucker natives Eiweifs enthalten, vollkommen granulosefreie, 
lebhaft verspürende Vegetationen zu erhalten. 

Wichtig erscheint es nun, zu verfolgen, wie sich im Ver¬ 
laufe des Versporungsvorganges das Plasma der Zellen gegenüber 
Anilinfarben verhält. 

Junge, granulosefreie Stäbchen färben sich leicht, intensiv 
und gleichmäfsig mit diesen Farbstoffen. In Stadien, welche bei 
Jodfärbung Granulöse an den einander zugekehrten Enden von 
Doppelstäbchen erkennen lassen, zeigen sich die Stäbchen an 
den freien Enden fast regelmäfsig intensiver gefärbt, während der 
übrige Zellinhalt blasser, häufig leicht fleckig gefärbt erscheint. 

In manchen Fällen ist die mit Anilinfarben (Fuchsin) stärker 
färbbare endständige Partie kappenförmig abgegrenzt. 

Die Clostridien sind fast regelmäfsig mit Fuchsin nur schwach 
tingierbar. 

Sehr häufig findet man an dem einen Pole, seltener an 
beiden Polen, eine kappenförmig gestaltete, intensiv rot gefärbte 
Partie. Derart verhalten sich Clostridien, in denen im ungefärbten 
Präparat noch keine Spore erkennbar ist. 

Färbt man sporenhältige Clostridien mit Fuchsin, dann er¬ 
hält man gewöhnlich eine noch schärfere Differenzierung, indem 
sich die ungefärbte Spore samt Hof scharf gegen den blafsrot 
gefärbten übrigen Zellinhalt abgrenzt. Auch hier zeigt sich häufig 
an dem der Spore entgegengesetzten Ende eine kuppenförmig 
gestaltete, dunkler gefärbte Partie. 

Der Geifselfürbung unterzogen, zeigen die beweglichen Butter¬ 
säurebacillen eine Anzahl von peritrichen Geifseln, und zwar 
G—20 und mehr; in gut gefärbten Präparaten von Clostridien 
läfst sich deutlich erkennen, dafs die Geifseln, unmittelbar sich 
verbreiternd, in die Hülle der Bakterienzelle übergehen. Die 
Thatsache, dafs Clostridien gewöhnlich arm begeifselt sind, dürfte 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. R. Grafeberger und Dr. A. Schattenfroh. 241 

auf einen mit der Formveränderung vor sich gehenden Verlust 
an Geifseln zurückzuführen sein. 

Gegenüber der Färbung nach Gram verhalten sich die be¬ 
weglichen Buttersäurebacillen sehr wechselnd. Junge, sporen- 
und granulosefreie Stäbchen bleiben nach Gram gefärbt, wenn 
man die Entfärbung mit Alkohol nicht allzulange fortsetzt. 
Granulosetrogende Stäbchen, Clostridien sind gegenüber der 
Entfärbung sehr empfindlich, ein Teil wird rasch völlig entfärbt, 
andere bleiben fleckig oder körnig gesprenkelt. Berücksichtigt 
man den Umstand, dafs die beweglichen Buttersäurebacillen an 
und für sich die Gramsche Färbung nicht sehr fest halten, über¬ 
dies ihre Resistenz gegenüber dem Alkohol bei der Granulose- 
differenzierung weiter abnimmt, dann erklären sich die sehr 
wechselnden Bilder in einfacher Weise. 

Die freien Sporen der beweglichen Butlersäurebacillen sind 
oval, manchmal leicht unregelmäfsig, bohuenförmig oder ähnlich 
gestaltet. Ihre Länge beträgt ca. 1,8—2,3 fi, ihr Querdurchmesser 
1,3-1,7 #i. 

In Präparaten, welche reichlich freie Sporen enthalten, sieht 
man häufig solche, welche noch in den zerfallenden Stäbchen 
stecken oder noch aus dem einen offenen, wie zerfaserten Ende 
der von der Mutterzelle dargestellten Hülle hervorragen. 

Der Formenkreis, welcher auf Gelatinekulturen zur Beobach¬ 
tung kommt, entspricht im ganzen und grofsen dem Bilde der 
Zuckeragarkulturen. Das wichtigste über die Sporenbildung wurde 
bereits eingangs mitgeteilt. 

In älteren (10 Tage alten) Gelatinekulturen sieht man be¬ 
sonders reichlich lange Scheinfäden, welche mehr als 50 (.i lang 
und entweder dünner, 0,5—0,8, oder (und dann meist ungleich- 
mäfsig) dick und mit Granulöse streckenweise erfüllt sind. Stäb¬ 
chen und Scheinfäden bewahren in solchen alten, gut verschlossen 
aufbewahrten Gelatinekulturen lange Zeit ihre Beweglichkeit. 

In alten Gelatinekulturen (44 Tage) sieht man oft folgendes 
Bild: Neben reichlichen granulosefreien Stäbchen und Schein- 
fäden, reichlich freie Sporen, Clostridien, dann Stäbchen, die an 
einem Ende etwas Granulöse enthalten, nahe der Mitte eine Spore 


Digitized by CjOOQle 



242 


Über Buttersäuregttrung. 


(ohne Hof, wie denn überhaupt die Ausbildung des Sporenhofes 
sehr inconstant ist). Bei vielen Clostridien und granulosetragenden 
Stäbchen zeigt sich die Granulöse in, oft in Reihen geordneten 
rundlichen Körnern, ja man sieht freie Haufen von solchen 
braunviolettgefärbten winzigen Körnchen, die oft noch durch die 
Form des Haufens erkennen lassen, dafs sie ursprünglich in 
einem Clostridium, dessen Zellwand vollständig aufgelöst wurde, 
enthalten waren. 

Stärkeagar verhält sich hinsichtlich Granulosebildung und 
Versporung nicht wesentlich anders als Zuckeragar. Eine Reihe 
von Versuchen, die darauf angestellt wurden, ob der von Haus 
aus im Nährboden vorhandene Alkalescenzgrad auf die Ver¬ 
sporung von Einflufs sei, zeigte, dafs zwar anscheinend einigemale 
in alkalischen Nährböden Granulosebildung und Versporung besser 
vor sich gingen, doch liefs sich keine konstante Beeinflussung 
durch willkürlich abgestufte Alkalescenz erkennen, wie dies für 
den unbeweglichen Buttersäurebacillus zutraf. 

Flüssige Nährböden, insbesondere zuckerreiche, bilden 
hinsichtlich Granulose-Entwicklung und Versporung auch bei 
Kreidezusatz an sich kein besonders geeignetes Substrat, 
wenn nicht besonders hartnäckig sporulierende Vegetationen 
verimpft wurden (die blofse Aussaat von Sporen genügt nicht!). 
Man findet sehr häufig, z. B. in Milch oder in Zucker¬ 
bouillon mit Kreide, welche, mit Reinkultur geimpft, wochen¬ 
lang in Gärung war, nur wenige granulosetragende Stäbchen 
und oft fehlen Sporen vollständig. Dieses Verhalten bezieht 
sich, was hier besonders hervorgehoben werden 
soll, allerdings nur auf Reinkulturen im strengen Sinne. Sehr 
reichlich findet man in solchen flüssigen Kulturen kommaförmige 
oder s-förmig gekrümmte, mit Jod und Anilinfarben schlecht 
färbbare, granulosefreie Stäbchen mit körnigem Plasma und Ver¬ 
bände von solchen. 

Auf Kartoffeln wachsen die beweglichen Buttersäurebacillen, 
wie schon erwähnt, gut an, und entwickeln sich auf diesem Nähr¬ 
boden reichlich Granulöse und Sporen. Eine besondere Neigung 
zur Bildung abnormer Formen dieser Bakterienart, scheint diesem 


Digitized by 


Google 



Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 243 

Nährboden nicht zuzukommen (vgl. den unbeweglichen Butter¬ 
säurebacillus). 

Ganz auffällige Neigung zur Bildung reichlicher Mengen von 
Granulöse und Sporen zeigt sich oft in Kulturen (und hier sind 
es gerade zucker- oder stärkereiche flüssige Nährböden), in 
welchen neben dem beweglichen Buttersäurebacillus noch andere 
Bakterienarten, aerobe oder anaerobe zur Entwicklung gelangen. 
Es gelingt nicht regelmäfsig, durch künstliches Zusammengeben 
von Reinkulturen die Bedingungen für diese besondere Granulöse- 
begünstigung zu erzielen. Einmal scheinen nicht alle Bakterien¬ 
arten in gleichem Grade hiezu geeignet zu sein, dann hängt aber 
das Gelingen offenbar auch davon ab, in welchem Verhältnis die 
beiden Bakterien von vornherein vorhanden sind, resp. im Verlaufe 
der ersten Vegetation zur Entwicklung kommen. Aus zahlreichen 
Experimenten gebt weiters hervor, dafs sich diese Beeinflussung 
des VersporungsVorganges durch Symbiose vor allem darin be¬ 
merkbar macht, dafs bei der Reinzüchtung aus Bakteriengemischen, 
insbesondere dann, wenn aus flüssigen Nährböden Zuckeragar¬ 
platten gegossen werden, die auf den Platten zur Entwicklung 
kommenden Kolonien sehr häufig sporenarm sind, ja dafs die 
Generationen, welche von solchen sporenarmen Kolonien weiterhin 
unter verschiedensten Verhältnissen angelegt werden (auf flüssigen 
und festen Nährböden) oft geringe Neigung zur Versporung bei¬ 
behalten. Ist das Versporungs vermögen noch nicht völlig verloren 
gegangen, so lassen sich durch reichliches Überimpfen von 
Material, z. B. in Zuckeragar, und bei mehrmaliger Wiederholung 
des Vorganges unter fortlaufender mikroskopischer Kontrolle 
und Auswahl sporenreicher Vegetationen zur Weiterimpfung 
Vegetationen erzielen, die ihrerseits wieder unter Umständen 
die Neigung zur Versporung mehr oder minder hartnäckig fest- 
halten, ja selbst unter Verhältnissen, die sonst der Versporung 
ungünstig sind. Bei diesem Wiederanzüchten von Neigung zur 
Versporung macht es keinen Unterschied, ob man in dem Material, 
das man zu Überimpfungen verwendet, die vegetativen Formen 
durch Erhitzen abtötet oder nicht. Berücksichtigt man die so¬ 
eben mitgeteilte Thatsache, dafs bei der Reinzüchtung oft zunächst 


Digitized by CjOOQle 



244 


Über Buttersäuregärung. 


Vegetationen mit geringer Neigung zur Versporung entstehen, 
dafs ferner durch geeignete Züchtung Neigung zur Versporung 
erworben, bezw. verloren gehen kann, dafs überdies die 
einzelnen Stämme, die man in Reinkultur erhält, sich in der 
genannten Richtung, je nach den Bedingungen, unter welchen 
die vorausgegangenen Generationen gestanden waren, graduell 
sehr verschieden verhalten, so wird es leicht verständlich er¬ 
scheinen, dafs man bei der Differenzierung von Racen etc. der 
Buttersäurebacillen gar nicht genug vorsichtig sein kann. 

Ebenso wird es auch angezeigt erscheinen, bei der Be¬ 
urteilung des Einflusses, welchen verschiedene Nährbodenzusammen¬ 
setzung und Wachstumsbedingungen auf kulturelle und morpho¬ 
logische Erscheinungen äufsern, sehr skeptisch zu sein, da diese 
Bedingungen oft weniger ins Gewicht fallen als der eben vor¬ 
handene ererbte Zustand der überimpften Generationen. 

In Mischkulturen kommt es nun besonders oft zu einer 
Form excessiver Einlagerung von Granulöse, wie wir sie in 
Reinkulturen bisher nur in Zuckergelatinen und auch dann nur 
recht selten beobachten konnten. 1 ) Das Charakteristische besteht 
hier darin, dafs in der freien Spore Granulöse nachweisbar ist. 

Wir wollen in folgendem die Bilder beschreiben, wie wir sie 
an einem fortlaufend beobachteten Stärkebouillonkolben, der mit 
B. saccharobutyr. Klecki und einem sehr zarten anaöroben Ba¬ 
cillus mit Köpfchen-Sporen geimpft worden war, wahrnahmen. 

Alle die Bilder, welche hier in der Reihenfolge der Ent¬ 
wicklung geschildert werden, fanden sich auch in zwei Gelatine¬ 
reinkulturen der beweglichen Buttersäurebacillen, überdies w T ar 
durch die charakteristischen morphologischen Verhältnisse der 
künstlich zugesetzten fremden Art jede Verwechslung ausge¬ 
schlossen : 

Bereits 14 Stunden nach der Impfung lebhafte Gärung 
mikroskopisch neben den schlanken Stäbchen der fremden Art, 
sehr reichlich Individuen des Klecki sehen Bacillus. Letztere 
ausschliefslich in der Clostridiumform. Clostridien sehr dick. 

1) In neuester Zeit konnten wir hei allen Stämmen auch in Rein¬ 
kultur das Vorkommen dieser Erscheinung feststellen. 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 


245 


Bei Jodfärbung zeigt sich in fast allen Clostridien das typische 
Bild der Granuloseansammlung mit Freilassung eines scharf 
abgegrenzten ovalen Raumes an einem Pole der Zelle. In diesem 
granulosefreien Raume ist central ein mit Jod blau gefärbtes kleines 
Korn sichtbar. In einigen Clostridien ist bereits die junge Spore 
zu sehen. In .diesem Falle zeigt sich, dafs das kleine Granulose- 
kom in das Innere der Spore selbst zu hegen kommt. 

Die mikroskopischen Präparate, welche aus den Kolben in 
den nächsten 24 Stunden angefertigt wurden, zeigten im wesent¬ 
lichen dasselbe Bild, am dritten Tage waren aber bereits reichlich 
freie Sporen sichtbar uud die meisten derselben, oval und regel- 
mälsig geformt, von entsprechender Gröfse zeigten im Innern 
(bei Jodpräparaten) je ein deutlich abgegrenztes blaues Körnchen. 
Dieses Granulosekorn ist in vielen Sporen ganz central gelagert, 
in anderen etwas excentrisch, immer läfst sich erkennen, dafs es 
in der Spore selbst liegt. Das Körnchen ist, soweit sich bei der 
Kleinheit des Gebildes erkennen läfst, entweder rundlich oder 
unregelmäfsig umrandet. Bei der Betrachtung im ungefärbten 
Präparat zeigen sich die Sporen von normalem Glanz, gegen¬ 
über Anilinfarben verhalten sie sich wie gewöhnliche Sporen, 
insbesondere erfolgt hier auch bei gewöhnlicher Färbung im 
Centrum keinerlei Farbstoffaufnahme. Eine Prüfung der Resistenz 
wurde wegen der gleichzeitigen Gegenwart anderer, normaler 
Sporen nicht vorgenommen. 

Auffallend erscheint es, dafs in diesen Fällen bei der be¬ 
kannten Widerstandsfähigkeit gegenüber Färbung Sporen so leicht 
das Jod in das Innere eindriugen liefsen. 

Die Sache liegt hier wohl so, dafs das Jod überhaupt die 
Sporenmembran leichter durchdringt als dies Anilinfarben thun, 
und hier bei dem Vorhandensein einer mit Jod charakteristisch 
färbbaren Substanz in der Spore besonders zur Geltung kommt. 

Ich stehe nicht an, diesen Versporungsvorgang 1 ) als einen 
abnormen, krankhaften zu bezeichnen, wie denn auch die cha¬ 
rakteristische Überproduktion von Granulöse als eine erbliche 

1) Es hat den Anschein, als ob bei der gewöhnlichen Clostridien- 
versporung alles darauf ankommt, dafs der granulosefreie Teil des Plasmas 


Digitized by CjOOQle 



246 Über Buttersäuregärung. Von Dr. R. Grafsberger u. Dr. A. Schattenfroh. 


Erkrankuug der Buttersäurebacillen anzusehen sein dürfte, von 
der diese so oft befallen werden, wenn sie sich zur Versporung 
anschicken. 

Besonders bemerkenswert sind weiterhin auffällig kleine, oft 
kreisrunde, granulose-erfüllte Gebilde, die bei gleichzeitiger reich¬ 
licher Versporung dann zur Beobachtung kame/i, wenn den 
zuckerhaltigen Flüssigkeiten nennenswerte Mengen von inaktiver 
Milchsäure bezw. milchsaurem Kalk von vornherein zugesetzt 
wurden. Die Untersuchungen über diesen Gegenstand sind noch 
nicht abgeschlossen, doch kann es nach den bisherigen Befunden 
keinem Zweifel unterliegen, dafs — in Analogie zu sichergestellten 
ähnlichen Beobachtungen bei Stämmen, die zur Gruppe des un¬ 
beweglichen Buttersäurebacillus gerechnet werden müssen — die 
Gegenwart von Milchsäure hier eine besondere Rolle spielt. 

Was die Widerstandsfähigkeit der Sporen 1 ) des beweglichen 
Buttersäurebacillus vom Amylobaktertypus gegen Erhitzen be¬ 
trifft, so konnten wir in einer Reihe von Versuchen feststellen, 
dafs dieselben ihre Lebensfähigkeit bereits nach drei Minuten 
langem Aufenthalt im 100° Dampf einbüfsen, sie erscheinen 
demnach bedeutend weniger resistent als die Sporen des unbe¬ 
weglichen Buttersäurebacillus. Weitere Untersuchungen sollen 
feststellen, ob den unter verschiedenen Bedingungen (Versporung 
mit oder ohne Granulöse etc.) entstandenen Sporen eine ver¬ 
schieden hohe Widerstandsfähigkeit gegen Erhitzen zukommt. 

sich möglichst frühzeitig und scharf von dem mit Granulöse beladenen Rest¬ 
plasma sondert, während hier der Plasmaanteil, welcher sich zur Sporen¬ 
anlage differenziert, bereits in diesem Zeitpunkt mit einem nicht mehr aus¬ 
stofsbaren Anteil von Granulöse behaftet ist. 

1) Die angeführten Versuche wurden mit Sporen aus Zuckergelatine¬ 
kulturen angestellt. 


Digitized by v^.ooQle 



Erklärung der Lichtdrncktafeln. 


Die vorliegenden Abbildungen sollen in möglichst vollständiger Weise 
einen Überblick über den Formenkreis des beweglichen Buttersäurebacillus 
vom Typus des Amylobakter bringen. Vorausgeschickt soll werden, dafs 
sämtliche Präparate von strengen Reinkulturen angefertigt wurden mit Aus¬ 
nahme des Bildes Nr. 6 (s. u.). Es wurde überdies kein Bild in die Tafeln 
aufgenommen, das sich nicht bei sämtlichen untersuchten Stämmen durch 
geeignete Züchtung hervorrufen liefs. Um jedoch anderseits die Pleomorphie 
des einzelnen 8tammes zum Ausdruck zu bringen, wurden fast für alle 
Bilder Präparate verwendet, die aus Kulturen des Gr über sehen Original¬ 
stammes angefertigt wurden. Die absolute Reinheit der Kulturen erscheint 
dadurch garantiert, dafs immer wieder von einzelnen Kolonien des Original¬ 
stammes oder dessen Abkömmlingen ausgegangen wurde. Dabei wurde es 
sogar vermieden, von Gasblasen mit Randinfiltration abzuimpfen. 

Fig. 1 zeigt uns das mikroskopische Bild einer 20stündigen, kräftig 
gewachsenen Kultur des Amylobakter auf Zuckeragar, wie es aufserordent 
lieh häufig zur Beobachtung kommt, wenn man Stämme verwendet, die 
nach der Behandlung, welche frühere Generationen erfuhren, ihre Neigung 
zur Versporung verringert haben. Das Präparat ist vorsichtig fixiert, mit 
Lugolecher Lösung gebadet und liegt bei der photographischen Aufnahme 
in derselben Lösung. Die ausgesprochen dunklen Partien entsprechen 
solchen, welche sich mit Jod violett bis blau färbten. 

Man sieht die Stäbchen (häufig Doppelstäbchen) mit Granulöse gefleckt, 
sehr ungleich dick, auch Stäbchen, die keine charakteristische Jodfärbung 
annehmen, zeigen Unregelmäfsigkeiten im Plasma, sie färben sich überdies 
mit Jod sehr wenig gelb. Schon finden sich einzelne Übergänge zu Clostridien. 


Digitized by v^.ooQle 



248 


Über Buttersäuregärung. 


Fig. 2 zeigt denselben Stamm auf demselben Nährboden, ebenfalls 20 Stunden 
alt, jedoch mit anderer Vorgeschichte (insoferne die früheren Generationen 
wiederholt auf Zuckerbouillon reichliche Clostridien gebildet hatten und von 
einer solchen Zuckerbouillon zuletzt auf Zuckeragar abgeimpft wurde). 

Hier finden sich bereits ausgesprochene Clostridien, auch solche, die 
eine deutlich ausgebildete Spore tragen. Die Neigung zur Bildung von 
Scheinfäden, sowie zur Bildung von in Ketten gereihten kurzen, voll¬ 
ständig mit Granulöse erfüllten Formen ist bemerkenswert. 

Fig. 3 und 4 zeigen Präparate aus einer und derselben Kultur (Zucker¬ 
gelatine 3 Tage, s. Fig. 14). Fig. 3 gibt das Bild des in Lugol scher 
Flüssigkeit, Fig. 4 dasjenige des in wässeriger Fuchsinlösung eingebetteten 
Präparates. Hier sieht man fast nur Clostridien, die Granulöse erfüllt den 
einen Teil der Zellen, das mit Fuchsin gut färbbare Plasma (Fig. 4) nimmt 
das Ende der Zellen in Beschlag. Die Ausbildung der 8pore ist noch nicht 
erfolgt (in solchen Kulturen bleibt oft der gröfste Teil der Clostridien auf 
diesem Stadium stehen). 

Fig. 5 zeigt das Bild einer Reinkultur des B. s. Klecki auf Zucker¬ 
gelatine (5 Tage), welche sich durch eine überaus reichliche Granulosebildung 
auszeichnet; hier ist es fast in allen Clostridien zur Bildung eines Granulose- 
kornes im Sporenanteil des Plasmas gekommen. Dies führt unter geeigneten 
Verhältnissen zu merkwürdigen Bildern. Die freien Sporen nehmen in einer 
central oder mehr peripher gelagerten Partie Jodfärbung an. 

Präparat 6, welches derartige Sporen in besonders reichlicher Zahl 
aufweist, entstammt einem Kolben (siehe Text der Abhandlung), der mit B. 
s. Klecki und einem sehr zarten anaöroben Bacillus geimpft war. Die Stelle 
rechts unten verrät die Anwesenheit dieses Stäbchens, sie zeigt zugleich 
(Vergröfserung = 2000!) die Feinheit desselben. 

Die Versporung ist nicht unbedingt mit Granulosebildung verbunden, 
oder, richtiger gesagt, es mufs nicht stets im Verlaufe der Versporung Gra¬ 
nulöse nachweisbar sein. Dies zeigt Fig. 7 (Amylobakter auf sehr zucker 
armem Nährboden mit leicht angreifbarem, nativem 1 Eiweifs, 20 Stunden). 
Das Jodpräparat zeigte (hier nicht abgebildet) nirgends Granulöse, das Prä¬ 
parat ist nach Gram gefärbt, eine weitgehende Pleomorphie hinsichtlich Lage 
der Spore und Gestalt der verspürenden Stäbchen ist unverkennbar, be¬ 
achtenswert ist die verschieden intensive Färbung der Stäbchen, der Besitz 
von Kapseln. Wie anders verläuft hier die Versporung im Vergleich zu 
Bild 2! Dort fast völlige Scheidung des Zellinhalts in Plasma und Granulöse, 
hier dagegen bildet sich die Sporenanlage inmitten des noch gut färbbaren 
Zellplasmas, ja selbst bei reifer Spore ist der übrige Teil des Zellinhalts mit 
Anilinfarben intensiv färbbar. (Diese granulosefreie Versporung konnten wir 
mit absoluter Sicherheit bei allen Stämmen nachweisen.) Überimpft man 
von dieser Kultur auf Zuckeragar (Bild 8, 20stündige Kultur, Gram), so 
bilden sich reichlich Clostridien. 

Wie verhalten sich die extremen Degenerationsformen clostridienreicher 
Vegetationen? Fig. 0 zeigt uns Centrifugenrückstand einer 2 Tage alten 
Zuckerbouillon von Amylobakter Gruber, abenteuerlich gequollene, mit Granu 


Digitized by v^.ooQle 



Von Dr. R. GraTsberger und Dr. A. Schattenfroh. 


249 


lose vollgestopfte Gebilde, daneben reichlich mit blafsvioletten, feinsten 
Körnern gefüllte Clostridienschatten, überdies reichlich zerfallende Stäbchen 
und detritus, auch freie Sporen. 

Gelingt es etwa regelmäfsig, durch Übertragung in zucker- (bezw. 
stärke- etc.)freies Medium granulosefreie Versporung zu erhalten? 

Fig. 11 zeigt den Effekt einer solchen brüsken Übertragung in Bouillon 
(gewöhnt. Zusammensetzung), nach 6 Stunden centrifugiert. Die Ausgangs¬ 
kultur entsprach etwa dem Bilde 4. Massenhafte Kettenbildung, mit ganz 
kurzen Elementen, zum Teil mit Granulöse vollgestopft (rasche Zellteilung 
und Vorhandensein durchwegs degenerativer Individuen gehen hier parallel!). 
Von dieser Kultur wurde auf Agarplatte (ohne Zucker) oberflächlich geimpft, 
dieselben wurden sofort in den Bo tk in sehen Apparat (siehe Archiv Bd 37) 
gebracht, stürmisch Wasserstoff durchgeleitet etc., nach 20 Stunden ober¬ 
flächliche Rasen, das Präparat Fig. 12 (in wässeriger Fuchsinlösung) zeigt 
regelmäßige Formen, das Plasma jedoch leicht fleckig, dabei ist mit Jod 
keine Granulöse nachweisbar. Solche granulosefreie Vegetationen kommen 
in anderer Form zu Gesicht, selbst bei Gegenwart von Zucker, wenn man 
ganz junge Bouillonkulturen oder noch besser die eben besprochenen jungen 
Rasen sofort nach dem Herausnehmen aus den anaeroben Behältern auf 
tadellos ausgekochte und erstarrte Zuckergelatine überimpft. Siehe Fig. 10 
( 4 Tage alte Zuckergelatinekultur vergl. Bild 20). Die Vegetationen sind mit 
Fuchsin zum grofsen Teil gut färbbar, im extremen Falle granulosefrei, sie 
zeigen aber Wachstum in Scheinfäden. 

Geht man wiederholt in der bei Beschreibung von Fig. 12 geschilderten 
Weise vor (diese Versuche stammen aus der jüngsten Zeit), so gelingt es 
mühelos, die regelmäfsigsten und schönsten, vollkommen granulosefreien 
Stäbchen zu erzielen, die Präparate lassen Schein faden fast vollkommen 
vermissen. Die Stäbchen sind ganz aufserordentlich lebhaft beweglich, ihre 
Bewegung im hängenden Tropfen hält oft durch länger als eine Stunde an, 
nicht weil sie eine besondere Form des B. sind, sondern weil sie am lebens¬ 
kräftigsten sind. Die nach der Ermengh e m ’ sehen ausgezeichneten Methode 
angefertigten Geifselpräparate zeigen den Geifselreichtum dieser Stäbchen, 
für ihr gesundes Plasma spricht die aufserordentlich leichte Beizbarkeit der 
Bakterienleiber. (Clostridien sind arm begeifselt, auch das Plasma schwer 
beizbar.) Man kann entweder durch Modifikation der Beizen und Färbe¬ 
mittel oder durch Auswahl von Nährböden und Züchtungsverfahren, welche 
Bakterienzellen mit normalem Plasma garantieren, gute Geifselpräparate 
erzielen. Der letztgenannte Weg scheint mir der sicherere. 

Kommen diese Extreme: einerseits Fig. 21 bezw. 12, 10 — anderseits 
3, 4. 9 auch im Bilde der Kulturen zum Ausdruck ? Diese Frage entscheidet 
das Aussehen der Vegetationen auf Zuckergelatine. Reichliche Clostridien 
finden sich in Zuckergelatine-Kolonien (anaerobe Platten), die Fig. 13, 14 u. 
16 entsprechen (Zuckergelatinestich Fig. 18); solche Kolonien färben sich 
mit Jod intensiv schwarz. In Fig. 16 resp. 19 sind Vegetationen zu sehen, 
in welchen spontan der Charakter der Kulturen sich zu ändern beginnt, es 
dringen korkzieherförmige Ausläufer in die Gelatine ein. Fig. 20 und 17 


Digitized by 


Google 



250 Ober Butters&ureg&rung. Von Dr. R. Grafsberger u. Dr. A. Schattenfroh. 


endlich entsprechen den rasch beweglichen, granulosefreien Stäbchen, die io 
die Gallerte stürmisch einwachsen. Fig. 20 entspricht einer 2 Tage (!) alten 
Zuckergelatine-Stichkultur (abgeimpft von Kultur siehe Bild 21). 

Besonders charakteristisch ist die Zuckergelatineplatte Fig. 17. Man 
sieht reichlich Gasblasen (die lichthofschleierfreie Platte hat für die Dar¬ 
stellung hier leider etwas zu gut gearbeitet) und um diese eine schleierartige 
Trübung, das ist die Vegetation. 

Fig. 27 zeigt das Aussehen der Milchkulturen (viele Wochen alte Kultur). 
Das Caseingerinnsel ist vollkommen ungelöst. 

Fig. 25 zeigt eine tiefliegende Kolonie in Zuckeragar (20 Stunden alte 
Zuckeragarplatte). Fig. 26 eine ebenso alte Kolonie in zuckerfreiem Agar 
(Aussaat: erhitztes Sporenmaterial). Fig. 24 zeigt eine Stelle aus dem 
Präparat Fig. 8 bei 2500facher Vergröfserung. Man sieht in zahlreichen 
Clostridien, wabige Räume begrenzende Plasmastränge. In diesen Hohl¬ 
räumen liegen die (hier ungefärbten) Granuloseballen, ein Verhalten, das 
ebenso bei der weiterhin auftretenden Lösung der Granulöse in der Lage¬ 
rung der einschmelzenden Granuloseballen zum Ausdruck kommt. Das 
Plasma der normalen, granulosefreien Zellen zeigt im extremen Fall keinerlei 
Differenzierung. 

Überblickt man die vorliegenden Tafeln, so läfst sich am besten durch 
Kombination einer Anzahl von Bildern ein Einblick in den merkwürdigen 
Formenkreis des Amylobakter gewinnen. Will man ihn in seinem granu¬ 
losefreien Entwickelungsgang verfolgen, so reihe man Fig. 21 (22—23), 17, 
20, 10, 7 aneinander, im anderen Falle (Versporung mit Granulöse) Bild 1, 3, 
4, 9, 13—15, 18. 

Die Phologramme habe ich im Vereine mit Herrn Universitätslehrer 
Hinterberger in dessen musterhaft eingerichtetem Privatlaboratorium an¬ 
gefertigt. 

Fig. 1—5, 7—12, 21—23 Vergr. = 1000, 

Fig. 6 Vergr. = 2000, 

Fig. 24 Vergr. = 2500, 

Fig. 13—16 Vergr. = 14, 

Fig. 25 und 26 Vergr. = 21, 

Fig. 18, 19, 20, 27 Vergr. = 1*/,, 

Fig. 17 natürliche Gröfse. 


Digitized by v^.ooQle 



ß. Biologisches Verhalten nnd Verbreitung des beweg¬ 
lichen Buttersänrebacillus. 

Von Dr. A. Schatten froh, 

Assistent am Institute. 

Im ersten Teile dieser Abhandlung wurden die verschiedenen 
Formen des beweglichen Buttersäurebacillus, wie sie im Verlaufe 
der Versporung und im sporenfreien Entwicklungskreise zur Be¬ 
obachtung kommen, ausführlich beschrieben, es wurde auch hervor¬ 
gehoben, dafs derselbe ein streng anaerobes Bakterium ist 
und stets, auch bei völligem Sauerstoffmangel des Mediums, 
Eigenbewegung zeigt. 

Es erübrigt noch, über sein sonstiges biologisches Verhalten, 
insbesondere aber über die Zersetzungen zu berichten, die er 
durch seine Gärthätigkeit in den Kulturflüssigkeiten bewirkt. 

Was die zum Gedeihen des beweglichen Buttersäurebacillus 
notwendige Temperatur betrifft, so wäre hervorzuheben, dafs 
die Grenzen, innerhalb deren seine Entwicklung möglich ist, 
ziemlich weit gezogen sind. Er vermehrt sich zwar am üppigsten 
— auch die Gärerscheinungen sind hier am stürmischesten — 
bei Bruttemperatur, doch findet er auch — günstige Nähr¬ 
bedingungen und strenge Anaerobiose vorausgesetzt — bei wesent¬ 
lich niedrigeren Temperaturen sein Auskommen. Wir sahen 
sogar im Kühlschrank bei ca. 10° C. und darunter ein wenn auch 
verzögertes und langsames Wachstum desselben bei gleichzeitiger 
Vergärung des Substrates — ein Verhalten, das wir in der 
letzten Zeit auch bei zur Gruppe des unbeweglichen Butter¬ 
säurebacillus gehörigen Stämmen konstatieren konnten. 

ArcbiT rar Hytfene. Bd. XLn. 17 


Digitized by CjOOQle 



2f>2 


Über Buttersäuregärung. 


Während nun die bei niedriger Temperatur langsam ange¬ 
wachsenen Kulturen — stets dauernd anaöroben Verschlufs voraus¬ 
gesetzt — langG übertragungsfähig bleiben, sind die bei höheren 
Temperaturen rasch und üppig gewucherten Generationen ge¬ 
wöhnlich wenig widerstandsfähig und gehen oft schon in wenigen 
Tagen zugrunde. Dies konnten wir besonders häufig bei Zucker¬ 
agarplatten beobachten, deren Kolonien, wenn die Kulturen 
mehrere (2—4) Tage alt waren, meist nicht mehr überimpfbar 
waren. Besser konservierten sich die Zuckeragarstich- und 
Bouillonkulturen, doch war auch in solchen Kulturen, selbst 
dann, wenn Sporen gebildet waren, die Lebensdauer der Vege¬ 
tationen keine sehr lange, wenn nicht für besonders exakten Ab- 
schlufs des Luftsauerstoffs gesorgt war. In solchen Fällen — z. B. 
behufs Aufbewahrens der Stämme — wendeten wir auch stets 
die Grub ersehe Evacuationsmethode an, die die einzige ist, bei 
welcher unbegrenzte Zeit die Kulturen sauerstofEfrei bleiben. 

Der bewegliche Buttersäurebacillus stellt gewisse Anforde¬ 
rungen an die Zusammensetzung des Nährsubstrats, so dafs er 
durchaus nicht in allen gebräuchlichen Nährböden wächst. Vor 
allem ist für ein lebhaftes Wachstum desselben die gleichzeitige 
Abwesenheit von organischen, stickstoffhaltigen Sub 
stauzen, unter denen er die Eiweifsstoffe bevorzugt, und 
löslichen, vergärbareu Kohlehydraten unerläfslich. So 
wie der »unbewegliche« Buttersäurebacillus vermag er in kohle¬ 
hydratfreien Nährlösungen, wie Peptonbouillon, nicht oder nur 
kümmerlich zu wachsen, ebenso wie er in »künstlichen Nähr¬ 
lösungen«, die nur anorganischen Stickstoff enthalten, selbst bei 
Anwesenheit von Kohlehydraten nur ausnahmsweise die Beding¬ 
ungen zur Entwicklung findet; wir sahen ein einzigesmal in 
Uschinskyscher Lösung, die 2°/ 0 Traubenzucker enthielt, eine 
kurzdauernde Vermehrung desselben eintreten 1 ), meist blieben 
jedoch die Versuche, ihn in so einfachen Medien zu züchten, 
erfolglos. 

1) Betont soll werden, dafs die ausgeführten Verhältnisse fttr die Rein¬ 
kultur des Buttersäurebacillus gelten. 


Digitized by 


Google 



Von Dr. R. Grafaberger und Dr. A. Schattenfroh. 253 

Der bewegliche Buttersäurebacillus ist ein echter Gärungs¬ 
erreger. Gleichzeitig mit seinem Wachstum in den Nährlösungen 
wie auf den festen Nährböden kommt es daher zu intensiven 
Zersetzungen in denselben, die sich jedoch entsprechend der 
schon früher gegebenen Definition des Begriffes »Buttersäure¬ 
gärung« auf die Kohlehydrate beschränken. Die Eiweifs¬ 
körper, deren er zum Aufbau des Leibesplasmas so dringend bedarf, 
greift der bewegliche Buttersäurebacillus in ausgiebigerem Mafse 
nicht an, so dafs es in seinen Kulturen niemals zu tiefergreifenden 
Veränderungen derselben kommt. Man vermifst daher in den 
Gärflüssigkeiten auch alle jene Stoffe, die auf Eiweifsfäulnis 
deuten, ebenso wie die sinnfälligen Erscheinungen derselben(s.w.u.). 

Von Kohlehydraten vergärt der bewegliche Buttersäure¬ 
bacillus M o n o * und Disaccharide, ebenso Stärke, während 
er Cellulose nicht angreift. Neben den Kohlehydraten unter¬ 
liegen dann noch eine Reihe verwandter Stoffe seiner Gärung, 
so insbesondere das Glycerin, das er viel leichter angreift und 
zersetzt, als beispielsweise der stammverwandte unbewegliche 
Buttersäurebacillus. 

Mannit blieb in unseren Versuchen unzersetzt, doch möchten 
wir mit einem endgiltigen Urteile über diesen Punkt bei der 
kleinen Zahl derselben und im Hinblicke auf die positiven 
Resultate Bejerincks zurückhalten, indem es möglich wäre, 
dafs in unseren Versuchen die günstigen Bedingungen zum 
Zustandekommen dieser Gärung fehlten. 

Milchsäure Salze werden von seiner Reinkultur nach 
unseren bisherigen Erfahrungen gleichfalls nicht angegriffen, wenn¬ 
gleich eine Beeinflussung des Formenkreises, hauptsächlich in Bezug 
auf das Eintreten der Versporung und das Aussehen der granulose- 
führenden Individuen, zweifellos konstatiert werden konnte (s. I.T.). 

Wir sind übrigens noch mit Studien über diesen Punkt 
beschäftigt und gedenken später noch einmal darauf zurück¬ 
zukommen, wenn wir die Gärungserreger der Milchsäure be¬ 
schreiben. 

Die Untersuchungen der Gärprodukte nahmen wir in 
ähnlicher Weise vor, wie wir es in unserer ersten Abhandlung 

17 • 


Digitized by ejOOQle 



254 


Über Buttersäuregärung. 


beschrieben haben. Wir versetzten demnach Fleischwasser, 
Peptonbouillon oder ikünstliche Nährlösung«, die einen Zusatz 
von Pepton erfahren hatte, mit den zu untersuchenden Sub¬ 
stanzen in solchen Mengen, dafs Konzentrationen von 2—4 % 
resultierten (s. Protokolle) und nahmen die Verarbeitung des 
Materiales eine bis mehrere Wochen nach der Aussaat im wesent¬ 
lichen nach derselben Vorschrift vor, die wir früher eingehalten 
hatten. Es wurde dementsprechend auf flüchtige und nichtflüchtige 
Säuren, auf Alkohole, auf Ze’rsetzungsprodukte der Eiweifsstoffe 
geprüft, und gegebenenfalls wurden diese Stoffe quantitativ 
bestimmt; weiters wurden gelegentlich die bei der Gärung stets 
reichlich gebildeten Gase nach der exakten Analyse untersucht. 

Hierbei stellte sich nun heraus, dafs aus Dextrose, Saccharose 
und Laktose, sowie aus Stärke (verkleistert und in löslicher Form) 
und Glycerin regelmäfsig Buttersäure, Milchsäure, Koh¬ 
lensäure und Wasserstoff gebildet werden. 

Alkohole, die von manchen Autoren als konstantes Gär¬ 
produkt des beweglichen Buttersäurebacillus gefunden wurden 
— es handelte sich im wesentlichen hierbei stets um Butyl- 
alkohol — fanden wir ein einziges Mal in gröfserer Menge bei 
der Analyse der Gärprodukte eines frisch aus Erde gezüchteten 
Stammes vor, wobei sich beim Absättigen des Destillats mit 
Pottasche etwa 4 ccm eines bei 118° C. übergehenden Alkohols 
abschieden; wir waren jedoch nicht imstande, bei mehrfacher 
Wiederholung des Versuchs ein gleiches Resultat zu erzielen. 

Das Mengenverhältnis der gebildeten Gärprodukte ist 
kein konstantes, sondern hängt von einer Reihe von Einflüssen 
ab. Wenngleich bei den Gärungen des beweglichen Buttersäure¬ 
bacillus — im Gegensatz zur unbeweglichen Art — stets ver- 
hältnismäfsig grofse Mengen von Buttersäure gebildet werden, 
was zunächst hervorgehoben werden soll, ist doch innerhalb ge¬ 
wisser Grenzen das Verhältnis der Buttersäure und Milchsäure 
zu einander ein recht wechselndes, indem von letzterer bald nur 
kleine Mengen, bald ansehnliche Quantitäten gebildet werden. 
In den meisten Fällen entstehen aus den Kohlehydraten durch 
den beweglichen Buttersäurebacillus zwar gröfsere Mengen 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 


255 


von Buttersäure als Milchsäure, doch sehen wir aus¬ 
nahmsweise das Verhältnis von Buttersäure und Milchsäure sich 
umkehren, so dafs neben beträchtlichen Mengen von 
Milchsäure nur kleine Mengen von Buttersäure ge¬ 
bildet werden. 

Diese aufsergewöhnlichen Befunde entziehen sich vollständig 
einer zutreffenden Erklärung, wie überhaupt zugegeben werden 
mufs, dafs wir nur einen Teil der Einflüsse kennen, welche für 
den Ausfall der Gärung bedeutungsvoll sind. So ist es zweifellos, 
dafs der Milchzucker zum gröfsten Teile in Buttersäure über¬ 
geführt wird und nur ein sehr kleiner Rest desselben zu Milch¬ 
säure vergärt. Ganz besonders tritt dies in Milchkulturen her¬ 
vor, in denen wir nur ausnahmsweise Spuren von Milchsäure 
nachweisen konnten. 

Es ist dies wieder ein übereinstimmendes Verhalten beider 
bisher beschriebenen Buttersäurebacillen, dafs von ihnen in Milch 
absolut und relativ die gröfsten Mengen Buttersäure gebildet werden. 

Die übrigen untersuchten Zucker, sowie die Stärke 
zerfallen in Buttersäure und Milchsäure ohne gesetzmäfsige 
Regelmäfsigkeit in dem Mengenverhältnisse der Säuren. Wir 
haben daher auch in diesem Falle von dem Aufstellen einer 
Gärungsgleichung Abstand genommen und registrieren einfach 
die Thatsache. 

Beide Säuren entstehen nach unserer Auffassung aus dem 
Zucker direkt; dafs Buttersäure durch nachträgliche mehr oder 
minder vollständige Vergärung der Milchsäure in statu nascendi 
zustande kommt, ist uns unwahrscheinlich, da Milchsäure, den 
Nährböden zugesetzt, wie schon erwähnt, vom beweglichen 
Buttersäurebacillus anscheinend nicht angegriffen wird. 

Die Modifikation der Milchsäure ist bei den einzelnen 
Racen des beweglichen Buttersäurebacillus eine verschiedene, 
indem von einer Reihe von Stämmen inaktive, von anderen 
Rechts-Milchsäure gebildet wird. Es scheint dies, soweit 
unsere Beobachtungen reichen, konstant zu sein, wenigstens 
konnten wir Ausnahmen nicht konstatieren. Die einzelnen Stämme 
entsprechend der Modifikation der Milchsäure voneinander zu 


Digitized by CjOOQle 



256 


Über Buttereäuregärung. 


trennen, ist uns nicht gelungen, so dafs wir das diesbezüglich 
abweichende Verhalten derselben nur als eine Stammeseigen- 
tümlichkeit ansehen können. 

Über die Milchkultur hätten wir noch einiges zu be¬ 
merken. Vor allem, dafs nicht alle untersuchten Stämme sich in 
diesem Nährboden gleich verhielten. Alle jene, welche wir nach 
Botkins Vorschrift in Milch angereichert hatten, zeigten in 
derselben auch in Reinkultur das typische Bild, wie wir es für 
den unbeweglichen Buttersäurebacillus beschrieben haben: Stür¬ 
mische Gasbildung, Gerinnung des Caseins und Entführung des 
Coagulums an die Oberfläche durch die entweichenden Gase. 
Andere Stämme, die wir auf andere Weise isoliert hatten (s. u.) 
wuchsen aber langsamer in Milch an, in ganz vereinzelten Fällen 
blieb die geimpfte Milch steril, oder das Wachstum der ein¬ 
gesäten Bakterien stand, bevor es noch zu sinnfälligen Ver¬ 
änderungen der Milch gekommen war, still. Wenn Wachstum 
in Milch eingetreten war, blieb das Caseingerins el an¬ 
dauernd ungelöst; die beweglichen Buttersäurebacillen pro¬ 
duzieren daher in Milch ebensowenig wie ihre unbeweglichen 
Verwandten peptonisierende Enzyme. Dies ergab sich aufser der 
makroskopischen Betrachtung der Milchkultur auch noch aus 
dem Stickstoffgehalt der Molke (nach Kjeldahl bestimmt); der¬ 
selbe erhob sich auch in alten Kulturen nicht über 0,13 °/ 0 und 
blieb vom Tage der Ausfällung des Caseins an konstant. 

Dem Fehlen der peptonisierenden Enzyme entsprechend, 
konnten auch Phenol, Indol, Schwefelwasserstoff und Ammoniak 
in der Molke nicht nachgewiesen werden, so dafs weitergehende 
Zersetzungen des Milcheiweifses wohl füglich ausgeschlossen 
sind. Weiter wahrscheinlich machen konnten wir dies durch 
die Konstatierung der Thatsache, dafs der bewegliche Butter¬ 
säurebacillus — wir konnten für den unbeweglichen den Versuch 
nachholen — in reinen Casein lösungen trotz reichlicher Aus¬ 
saat nicht wächst. 

Die in Milch gebildeten Gärprodukte sind daher ebenso wie 
beim unbeweglichen Buttersäurebacillus zum überwiegenden Teile 
aus dem Milchzucker entstanden. Eine vollständige Zersetzung 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfröh. 


257 


desselben konnte jedoch niemals beobachtet werden; stets blieb 
ein Rest von mindestens 2 1 / 2 °/ 0 noch nach Wochen unvergoren. 

Der bewegliche Buttersäurebacillus bildet in den Kulturen 
di astatische Enzyme. Doch stiels der Nachweis auf gröfsere 
Schwierigkeiten, und wir können heute nur die regelmäfsige 
Bildung von Amylase behaupten, während die Sucrase trotz 
aller Bemühungen nur ein einziges Mal — und da nicht völlig 
einwandfrei — nachgewiesen werden konnte. 

Die Technik dieser Versuche soll bei einer späteren Gelegen¬ 
heit besprochen werden. 1 ) 

Ob Milchzucker invertierende Enzyme bei der Gärung 
in Milch entstehen, haben wir nicht näher untersucht; jedenfalls 
aber ist in solchen Kulturen, wie die Gärprobe mit Dextrosehefe 
ergab, keine Dextrose gebildet. 

Labenzyme entstehen, wie zu erwarten, in den Milch¬ 
kulturen nicht; die Gerinnung des Caseins erfolgt 
durch Säure Wirkung. Man darf sich durch den Umstand 
nicht irreführen lassen, dafs auch in Milchkulturen, die Kreide 
enthalten, Caseinfällung eintritt; es setzt sich die durch das 
Sterilisieren geballte Kreide eben nur allmählich mit den ent¬ 
standenen Säuren um, so dafs die Reaktion der Milch und später 
der Molke stets eine deutlich sauere ist. 

Giftigkeit und Pathogenität. 

Der »bewegliche« Buttersäurebacillus vom Typus »Amylo¬ 
bakter« ist nach unseren bisherigen Erfahrungen für Meer¬ 
schweinchen nicht pathogen. Wir glauben, dafs, wenn beweg¬ 
liche Buttersäurebacillen als Krankheitserreger beschrieben werden, 
es sich um Bakterien handelt, die einer anderen Gruppe zu¬ 
gehören. Hierüber soll später noch ausführlich die Rede sein. 2 ) 

1) Auch der unbewegliche Buttersäurebacillus bildet — wie wir uns 
nachträglich durch bessere Methodik überzeugen konnten — in den Kulturen 
Diastasen, und zwar sowohl Amylase als auch Sucrase. 

2) Über die pathogenen Varietäten des unbeweglichen Buttersäure¬ 
bacillus bezw. die Zugehörigkeit des Gasphlegmonebacillus und des Rausch¬ 
brandbacillus zur Gruppe desselben, ist an anderer Stelle bereits kurz 
berichtet worden (Münch, med. Wochenschr., 1000 u. 1901). 


Digitized by 


Google 



258 


Über Buttersäuregärung. 


Verbreitung des beweglichen Buttersäurebacillus. 

Der bewegliche Buttersäurebacillus scheint so wie der un¬ 
bewegliche Buttersäurebacillus in ganz allgemeiner Ver¬ 
breitung in der Natur vorzukommen, indem er in den ver¬ 
schiedensten Ausgangsmaterialien, wie in Erde, in Wasser (Wiener 
Hochquellwasser), in verschiedenen Käsesorten, in einer Reihe 
von Mehlproben — ausnahmsweise auch in Marktmilch — auf¬ 
gefunden wurde. 

Am besten hält man sich bei seinem Nachweise an das 
Be j er in ck sehe Rezept, das sich auch uns gut bewährt hat. 

Man übergiefst in einem enghalsigen Gefäfse 5 g Glykose 
und 5 g feingemahlenes Fibrin (oder auch Pepton) mit 100 g 
Wasser und bringt die Mischung zum Sieden; in die siedende 
Flüssigkeit trägt man das zu prüfende Material, wie Gartenerde, 
Schlamm, Mehl von Cerealien etc. in kleinen Mengen ein. Am 
nächsten Tage ist in der bei 37° gehaltenen Probe lebhafte 
Gärung eingetreten, die fast stets durch den beweglichen Butter¬ 
säurebacillus hervorgerufen ist. 

Weniger häufig gelang uns seine Anreicherung, wenn wir 
die Ausgangsmaterialien in steriler Milch erhitzten, ähnlich wie 
wir behufs Gewinnung des unbeweglichen Buttersäurebacillus ver¬ 
fahren waren. 

Verschiedene Gründe sind wohl dafür mafsgebend, dafs in 
solchen Fällen der unbewegliche Buttersäurebacillus meist die 
Oberhand gewann. Einmal dürften bei dem Bo tkin sehen Ver¬ 
fahren (Erhitzen durch 10—30 Minuten im strömenden Dampfe) 
die wenig widerstandsfähigen Sporen des Granulobacillus mobilia 
in den meisten Fällen zu Grunde gehen, dann ist aber wohl 
weiters der Schlufs berechtigt, dals eine Proliferation derselben 
bei diesem Verfahren deshalb meist ausbleibt, weil für viele 
Varietäten der beweglichen Art die Milch keinen günstigen Nähr¬ 
boden vorstellt (s. o.). Dafs der unbewegliche Buttersäurebacillus 
in den nach Bejerincks Angabe angelegten Vorkulturen nie¬ 
mals seinen beweglichen Verwandten zu verdrängen vermag, 
kann darin seinen Grund haben, dafs letzterem die Dextrose in 


Digitized by CjOOQle 



Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 


259 


besonders hohem Mafse zusagt; doch konnten wir in den Dex¬ 
trose-Reinkulturen beider Arten Unterschiede in der Gärungs¬ 
intensität nicht wahrnehmen. 

Die in der vorliegenden Abhandlung gegebene Beschreibung 
des »beweglichen« Buttersäurebacillus läfst erkennen, dafs wohl 
manche Beziehungen ihn mit dem unbeweglichen Buttersäure¬ 
bacillus verbinden, dafs aber genügend Unterschiede vorhanden 
sind, die die Aufstellung eiuer eigenen Art rechtfertigen und ge¬ 
boten erscheinen lassen. 

Sind schon für den Fernerstehenden eine Reihe von leicht 
kenntlichen Verschiedenheiten gegeben, wie vorhandene oder 
fehlende Beweglichkeit, Peptonisierung der Gelatine und der 
Mangel einer solchen, anderes Aussehen der Kolonien u. s. w., 
so ist für denjenigen, der sich lange und viel mit dieser Gruppe 
von Bakterien beschäftigt hat, der Gesamteharakter der¬ 
selben, welcher sich unter wechselnden biologischen Bedingungen 
stets unverkennbar ausprägt, vor allem mafsgeberid und ent¬ 
scheidend. 

Wir möchten auf letzteren Umstand besonderen Wert legen, 
hauptsächlich auf Grund von Erfahrungen aus der letzten Zeit, 
die uns belehrten, dafs manche bis dahin für charakteristisch 
gehaltene Eigenschaft der »unbeweglichen« Art verloren gehen, 
eine fehlende Fähigkeit zeitweise auch erworben werden kann, 
ohne dafs die Zugehörigkeit zum Typus hierdurch auch nur im 
geringsten zweifelhaft würde. 

Die Einzelheiten hierüber zu bringen, ist einer späteren Ab¬ 
handlung Vorbehalten, in ihr soll auch von den Übergangsformen 
zwischen »beweglichen« und »unbeweglichen« Buttersäurebacillen 
die Rede sein. 

Protokollauszüge. 

Verbreitung:. 

1. Milch in Original flasche aus Breslau eingesandt; 15 Minuten im 
strömenden Dampfe sterilisiert. Typische Gärung. Auf Zuckeragarplatten 
wetssteinförmige Kolonien mit Gasblasen; hiervon Reinkultur des beweg¬ 
lichen Bnttersäurebacillus. 


Digitized by CjOOQle 



260 


Über Buttersäuregärung. 


2. Milch aus Wien, nach 12 Min. langem Erhitzen im Dampftopfe ge¬ 
ronnen (aerobe Milcbsäurebakterien?'}; im Brutschränke deutliche Gärung mit 
Buttersäuregeruch; auf den Platten Reinkultur von beweglichen Buttersäure¬ 
bacillen. 

3. Sterile Milch mit 20 ccm Wiener Hochquellleitungswasser 
versetzt, hierauf 5 Min. im strömenden Dampfe erhitzt; stürmische Gärung; 
bewegliche Buttersäurebacillen, anscheinend in Reinkultur. 

4. Sterile Milch, mit einem linsengrofsen Stück Schweizerkäse be¬ 
schickt; 15 Min im Dampftopf erhitzt; neben aeroben Bakterien und unbeweg¬ 
lichen Buttersäurebakterien Isolierung von beweglichen Buttersäurebacillen. 

5. Sterile Milch mit »Schmierkäse« geimpft; typische Gärung. Neben 
unbeweglichen Buttersäurebacillen auch bewegliche reingeztichtet. 

6. Rohrzuckerbouillon mangelhaft sterilisiert, bei der Prüfung im 
Thermostaten stürmisch vergoren; bewegliche Buttersäurebacillen in prak¬ 
tischer Reinkultur. 

7. Sechs Proben mit Gartenerde, nach Bejerinck (s. o.) angesetzt. Nach 
48 Stunden Zuckeragarplatten; überall bewegliche Buttersäurebacillen. 

8. Fünf Proben, ähnlich wie 7., doch statt Fibrin Pepton zugesetzt. 
Roggen- und Hafermehl; in allen Proben bewegliche, granulosetragende 
Buttersäurebacillen. 

9. Peptonbouillon mit 1 % milchsaurem Kalk. Sehr fette Gartenerde 
eingebracht. Nach 48 Stunden sehr schwache Gärung; neben dünnen, be¬ 
weglichen Stäbchen auch granuloseführende, bewegliche Buttersäurebacillen 
daraus isoliert. 


Untersuchung der Grttrprodukte. 

Die Methoden glichen völlig den in der ersten Abhandlung ausführlich 
beschriebenen, weshalb hier nicht darauf eingegangen wird. Kleine Ab¬ 
weichungen vom gewöhnlichen Analysengang sind in den Protokoilanszügen 
verzeichnet. 

1. Milch 27*1; frei von Milchsäure; Kreide. Mit »Breslauerstamm« ge¬ 
impft; Bunsenventil. Nach 14 Tagen 2400 ccm in Arbeit genommen; in 
gewöhnlicher Weise verarbeitet 16 g Barytsalz der flüchtigen Säuren ; keine 
fixen Säuren, keine Alkohole. Barytgehalt des Salzes = 46,2 °/ 0 Ba 
(noch kohlensauren Baryt enthaltend). Milchzuckergehalt der Molke = 2,65° 0 ; 
Eiweifsgehalt der Molke = 0,71 °/ 0 

2. Milch 21. Kontrolle frei von Milchsäure. »Breslauerstamm«. Bunsen¬ 
ventil, Kreide. Nach 12 Tagen verarbeitet. 18 g buttersaures Ba, keine fixen 
Säuren, keine Alkohole. Der gröfste Teil des Barytsalzes wird mit Schwefel¬ 
säure zersetzt und im Schacherischen Apparate mit Äther extrahiert. Ab¬ 
sättigen mit Baryt, fraktioniertes Fällen mit Silbernitrat. 

Erste Fraktion — 1,6172g; hiervon wurden 1. 0,3971 g abgewogen 
und verascht; Gewicht des metallischen Silbers = 0,2215 g, entsprechend 
einem Silbergehalt von 55,9 °/ 0 ; 2. 0,2676 g Silbersalz gaben beim Veraschen 
einen Rückstand von 0,1493 g Silber; der Silbergehalt dieser Probe betrug 
= 55,8 V 


Digitized by v^.ooQle 



Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 261 

Zweite Fraktion = 2,9137 g; 0,3804 g Salz geben nach dem Ver¬ 
aachen einen Silberrückstand von 6,2140 g = 56,2 % 

Das Filtrat von der zweiten Fraktion schwärzte sich in kürzester Zeit, 
was auf Ameisensäure schliefsen läfst. 

3. Milch. Buttersäurebacillus aus Hochquellwasser. Wie 2. 12g 

Barytsalz der flüchtigen Säuren, keine Alkohole, keine fixen Säuren. 

4. Milch. Buttersäurebacillus aus Schweizerkäse. 11,8g Ba-Salz der 
flüchtigen Säuren, keine Alkohole, keine fixen Säuren. 

5. Milch. Kontrolle frei von Milchsäure. Buttersäurebacillus aus 
Schmierkäse. 10 g buttersau rer Baryt; keine fixen Säuren und Alkohole. 

6. Milch. Bej eri nckscher Stam m. Paraffinverschlufs. Kreide. Erst 
nach 4 Tagen Gärung geronnen. 7,6 g Barytsalz der flüchtigen Säuren ; 
geringe Mengen fixer Säure. 

7. 30 g Milchzucker in künstlicher Nährlösung und 10 g Pepton. 
»Breslauer Stamm«. 13 g buttersaures Ba, geringe Mengen fixer Säure. 

8. Wie 7. Paraffinverschlufs. Bejerinckscher Stamm. 12 g Baryt¬ 
salz der flüchtigen Säuren, keine fixen Säuren. 

9. Wie 7. Ein von v. Hi bl er in Innsbruck als B. sporogenes 
Klein übersandter Stamm. 15 g buttersaures Ba, geringe Mengen Milch¬ 
säure. 

10. Wie 7. Stamm »Hochquell«. 15 g buttersaures Ba, geringe Mengen 
Milchsäure. 

11. 40 g Dextrose (kryst. Kahl bau in) in Peptonbouillon (2 1) mit 
Paraffinverschlufs, Kreide. »Breslauer Stamm«. Nach 4 Wochen ver¬ 
arbeitet. Zucker vollständig vergoren. 25 g buttersaurer Baryt, 5 g milch¬ 
saures Calcium, (Ca-Gehalt = 18,1 °/ 0 ), keine Alkohole. 

12. Wie 11. »Breslauerstamm.« 12 g buttersaures Ba, 5 g milch¬ 
saures Ca. 

13. 30 g Dextrose in 1 1 Peptonbouillon (Paraffinverschlufs), Kreide. 
Aus spontan vergorener Rohrzuckerbouillon isolierter Stamm. Zucker 
nicht vollständig zersetzt. 7,5 g buttersaurer Baryt; 3,2 g Kalksalz der fixen 
Säuren in grofsen Drusen aup der wäfsrigen Lösung krystallisierend. 

14. 30g Dextrose in 11 Peptonbouillon und Kreide. Paraffin¬ 
verschlufs; Bejerinckscher Stamm. 7,2 g Barytsalz der flüchtigen Säuren, 
5,3 g Kalksalz der fixen Säuren. Alkohole dem Gerüche nach vorhanden, 
doch nicht aussalzbar. 

15. 30 g Dextrose in 11 künstlicher Nährlösung mit Pepton und 
Kreide. Bejerinck scher Stamm. In der Botkin-Glocke durch 7 Tage gehalten. 
14 g Barytsalz flüchtiger Säuren, 1,3 g Kalksalz fixer Säure, keine Alkohole. 

16. 30 g Dextrose in 11 künstlicher Nährlösung mit Pepton und 
Kreide. Bejerinckscher Stamm. 11 g Barytsalz flüchtiger Säure. Von 
den fixen Säuren etwa */ 8 verloren; der Rest mit pulv. Zinkkarbonat ge¬ 
kocht = 1,9 g milchsaures Zink; zwei Krystallisationen, beide optisch 

nakti v. 

17. 30 g Dextrose in 1,5 1 Bouillon und 15 g Pepton und Kreide. 
Paraffinverschlufs. Bacillus saccharobutyricus Kl eck i. 10,4 g Barytsalz 
flüchtiger Säure, 13,2 g Kalksalz fixer Säure. Keine Alkohole. 


Digitized by v^,ooQle 


262 


Über Buttersäuregärung. 


18. 30 g Dextrose, künstliche Nährlösung und Pepton; Paraffin. 
K 1 eckischer Stamm; 7 Tage alte Kultur. 4,7 g Barytsalz flüchtiger Säure, 
2,3 g Kalksalz fixer Säure. Letzteres durch Ausäthern der angesäuerten 
wässerigen Lösung und Kochen mit ZnC0 8 ins Zinksalz übergeführt; zwei¬ 
mal umkrystallisiert. Starke Linksdrehung der Lösung. 

19. Wie 17. In gleicherweise verarbeitet; das Kalksalz der fixen Säure 
ins Zinksalz tibergeftihrt; zweimal umkrystallisiert, starke Linksdrehung 
der wässerigen Lösung. 

20. 30 g Dextrose, 11 Peptonbouillon und Kreide, Paraffinverschlufs. 
Zehntägige Kultur von Amylobakter Gruber. 9 g Barytsalz der flüch¬ 
tigen Säure, 6,7 g Kalksalz der fixen Säure, keine Alkohole. 

21. 30 g Dextrose in künstlicher Nährlösung mit Pepton und Kreide, 
Paraffinverschlufs. Amylobakter Gruber. 13 g Barytsalz flüchtiger 
Säure, 0,9 g Kalksalz fixer Säure. 

22. Wie 21. Amylobakter Gr über. 5g buttersaures Ba; 2 g milch¬ 
saures Zink, optisch inaktiv. 

23. 30 g Dextrose in 11 künstlicher Nährlösung mit Pepton und 
Kreide, Paraffinverschlufs. Beweglicher Buttersäurebacillus aus Schmier¬ 
käse. 11 g buttersaures Ba; 3,2 g Zinksalz der fixen Säure. Optisch 
i n a k ti v. 

24. 30 g Dextrose. Wie 23. Buttersäurebaciilus »Hochquell«. 
11 g buttersaures Ba, 3 g Zinksalz der fixen Säure. Erste Krystallisation 
wiederholt gereinigt, optisch inaktiv. Mutterlauge mit Alkohol-Äther gefällt. 
Keine Alkohole. 

25. 30 g Dextrose. Wie 23. »B. sporog. Klein« (v. Hibler). 12g 

buttersaures Ba; 3,1 g milchsaures Zink (optisch inaktiv). 

26. 30 g Sacc h aro se (käuflich, krystallisiert) in künstlicher, mit Pepton 
versetzter Nährlösung; mit Paraffin überschichtet, Bejeri nck scher Stamm. 
Nach 12 Tagen verarbeitet. 11 g buttersaures Ba. Die fixen Säuren mit Kreide 
abgesättigt und nach dem Verjagen des Wassers in heil’sem Methylalkohol 
gelöst; mit Äther gefällt. 1,5 g Ca-Salz. Im Rest Kalkbestimmung ge¬ 
macht, die einen Gehalt von 0,67 g Milchsäure berechnen liefs. Im ganzen 
demnach 1,87 g Milchsäure. (Diese Methode der Reindarstellung des milch- 
sauren Kalkes wurde später aus verschiedenen Gründen wieder verlassen.) 

27. 30 g Saccharose. Wie 26 >B. sporogenes Klein« (v. Hibleri. 

17 g buttersaures Ba; Kalksalzkrystallisation der fixen Säure aus Methyl¬ 
alkohol hochgradig hygroskopisch und zertliefsend. Die wässerige Lösung 
des Kalksalzes mit etwas mehr als der theoretischen Menge Oxalsäure ver¬ 
setzt und das Filtrat mit Zn CO s gekocht. Beim Eindampfen Krystallisation. 
Erste gereinigte Krystallisation = 1,2 g. Optisch inaktiv. Krystallwasser 
gehalt (Krvstalle 5 Tage an der Luft getrocknet, offenbar schon etwas ver¬ 
wittert) = 17,3 °/ 0 (18,3 °/ 0 — 3 Moleküle Krystallwasser). Zinkgehalt 33,2% 
(0,236 g Substanz — 0,0784 g Zn O'. 

28. 30 g Saccharose. Wie 26. Beweglicher Buttersäurebaciilus aus 
Schmierkäse. 10 g buttersaures Ba; 1,98 g milchsaures Ca. Keine Alkohole. 


Digitized by v^,ooQle 



Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 


263 


29. 30g Saccharose. Wie 26. Stamm »Hochquell«. 9 g buttersaures 
Baryum; zwei Krystallisationen des Zinksalzes der fixen Säure, beide 
inaktiv. 

30. 30g Saccharose, künstliche Nährlösung mit Pepton und Kreide, 
Paraffinverschlufs. Amylobakter Gruber. Der Kolbeninhalt wird im 
Vacuum eingedampft, dann angesftuert und mit Äther extrahiert. (9 Tage.) 
Nach dem Verjagen des Äthers wird der Rückstand in Wasser gelost und 
destilliert; die flüchtigen Säuren werden mit Baryt, die nicht flüchtigen mit 
ZnCO s abgesättigt. 10 g buttersaures Ba, 2,1 g milchsaures Zn 

31. 30g Saccharose. Wie 26. Aus Rohrzuckerbouillon gezüch¬ 
teter Stamm. Geringe Mengen buttersaures Ba (2,3 g), 9,7 g milch- 
saures Zink. Starke Linksdrehung der Krystalle. Keine Alkohole. 
(Das Mengenverhältnis der fixen und flüchtigen Säuren in diesem, völlig ein¬ 
wandfreien Versuche ist ein analoges wie beim unbeweglichen Buttersäure¬ 
bacillus. Wir waren später nie mehr in der Lage, bei einem beweglichen 
Buttersäurebacillus eine ähnliche Zersetzung zu beobachten; auch derselbe 
Stamm, in Rohrzuckerbouillon ein zweites Mal untersucht, wies dieses Ver¬ 
halten nicht mehr auf.) 

32. 30 g Saccharose. Wie 26. Ein aus Erde gezüchteter Stamm. 
5 g buttersaures Ba, 4,2 g milchsaures Zink. Aufserdem circa 4 ccm 
eines zwischen 115 und 118° C. übergehenden Alkohols, der 
demnach als Butylalkohol anzusehen ist. 

(Der gleiche Stamm bildete in zwei weiteren Versuchen, in denen wir 
nur auf Alkohole geprüft haben, keine Alkohole und ist dieser Versuch 
somit als der einzige in einer grofsen Reihe anzusehen, in welchem uns der 
Nachweis gröfserer Alkoholmengen gelang) 

33. 20 g Saccharose in 1,51 Peptonbouilion. »Breslauerstammt. 
10 g buttersaures Ba, 4,7 g Ca-Salz der fixen Säure. 

34. 30 g Saccharose in künstlicher Nährlösung mit Pepton und Kreide. 
Ein aus Fitzschem Sporenkalk gezüchteter Stamm. 5 g buttersaures Ba; 
2,1 g milchsaures Zink, keine Alkohole. (Linksdrehung der Lösung.) 

35.40g verkleisterter Stärke in Peptonbouillon. Breslauer¬ 
stamm. 15 g buttersaures Ba, 2,8 g Kalksalz der fixen Säure, keine Alkohole. 

36. 50 g verkleisterter Stärke in künstlicher Nährlösung und 
Pepton. Be j er i nck scher Stamm. Im Filtrat Zuckerreaktion. 10 g 
buttersaures Ba, keine Alkohole, 2,7 g milchsaures Ca. 

37. 30 g verkleisterter Stärke in künstlicher Nährlösung und 
Pepton; in der Botkinglocke gehalten. Stamm »Hochquell«. 19g butter¬ 
saures Ba, 2,9 g milchsaures Zn. 

38. 35 g verkleisterter Stärke in künstlicher Nährlösung und 
Pepton. (Paraffinverschlufs). >B. sporogenes Klein« (v. Hibler). 11 g 
buttersaures Ba, 3,78 g milchsaures Zink. 

39. 30 g verkleisterter Stärke in künstlicher Nährlösung und 
Pepton. Paraffinverschlufs. Kleckis Stamm. 9 g buttersaures Ba, 1,8 g 
milchsaures Zink; letzteres stark linksdrehend. 

40. 40g Glycerin in einfacher Nährlösung und Pepton, ln der Bot¬ 
kinglocke 20 Tage gehalten. ^Bre sl a u e rs ta in m«. Bei der Destillation 


Digitized by v^,ooQle 



264 Über Buttersäuregärung Von Dr. R. Grafsberger u Dr. A. Schattenfroh 

schwacher Geruch nach Aldehyden. Die flüchtigen Säuren, mit Baryt neu 
tralisiert, erst durch kleine Mengen salpetersaures Silber von Salzsäure be¬ 
freit, hierauf mit überschüssiger Silberlösung gefällt Der entstandene Nieder¬ 
schlag, abgesaugt, gewaschen, getrocknet (4,2 g), enthielt 56,2 % Ag. (0,8304 g 
Substanz, 0,4667 g Silber). Keine Alkohole; kleine Mengen fixer Säuren 
gebildet (eine Krystallisation, Mutterlauge mit Alkohol-Äther gefällt). 

41. 30 g Glycerin in 1 1 einfacher Nährlösung mit Pepton und 5 g 
Liebigschem Fleischextrakt. (Paraffinverschlui's.) Bejerinckscher Stamm. 
7 g Barytsalz der flüchtigen Säuren. Kleine Mengen fixer Säuren (wegen 
des Gehaltes der Lösung an Fleischextrakt nicht ohne weiteres als Gär¬ 
produkt zu deuten). Keine Alkohole. 

42. 30 g Dextrose in 11 peptonfreier Bouillon. Botkinsche Glocke. 
Amylobakter Gruber (der gewaschene Bodensatz einer Pepton-Dextrose- 
Kultur). Stürmische Gärung, nach 48 Stunden einsetzend. Nach 14 Tagen 
untersucht. Keine Alkohole. 8 g buttersaurer Baryt, 3 g milchsaures 
Zink (inaktiv). 

43. Gasanalyse. Amylobakter Gruber. 30 g Dextrose in 
künstlicher Nährlösung und 10 g Pepton. Dickwandiger Kolben, seitlicher 
Ansatz am Gasentbindungsrohr zur Verbindung mit der Wasserstrahlpumpe 
(Sieden im Vacuum). Auffangen der Gase im Eudiometer über Wasser. 
Analyse der Gase nach Ansammlung von etwa 300 ccm Gas. Abmessen 
von 100 ccm in der Hem pel sehen Bürette. Überleiten in die Kalilauge- 
Pipette. CO, = 10°/o des Gasgemenges. Von dem entkohlensäuerten Gas 
wird ein Teil in ein graduiertes Eudiometer mit Niveaugefäfis (Hg) gesaugt 
= 21,5 ccm. Nach Hinzuleiten von Sauerstoff aus geschmolzenem chlor¬ 
sauren Kali, Volumen = 37,4 ccm ; nach der Explosion = 20,2 ccm. Nach 
abermaligem Überleiten in die Kalilangepipette und Zurückführen =20,1 ccm. 
Nach Überleiten in die Pyrogallolpipette und Zurückführen = 8,4 ccm. Das 
analysierte Gasgemenge bestand demnach aus 10% Kohlensäure, 47,97% 
Wasserstoff und 42,03% Luft. ^Schlechte Dichtung des Apparates! Höherer 
Stickstoffgehalt der analysierten Luft [86,6 % N] als der Zusammensetzung 
der Atmosphäre entspricht, wegen selektiver Absorption durch das Sperr¬ 
wasser.) 

Die Gärungsgase bestanden demnach aus 17,25% Kohlen 
säure und 82,75% Wasserstoff. 

Sumpfgas wurde keines gebildet. 


Digitized by v^,ooQle 



Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen. 

Von 

Oberarzt Dr. Jürgens. 

(Aus dem hygienischen Institut der Universität Berlin.) 

Für die genauere Kenntnis der Flagellaten, welche seit dem 
Nachweis ihrer Bedeutung für die Nagana, Surra und Dourine- 
Krankheit lebhaft an Interesse gewonnen haben, erscheint das 
Studium der scheinbar nicht pathogenen Trypanosomen des 
Rattenblutes nicht unwichtig. Auf Veranlassung von Herrn 
Stabsarzt Dr. v. Wasielewski wurde daher die Prüfung einer 
Reihe von Fragen über das Verhalten dieser Parasiten innerhalb 
und aufserhalb des Tierkörpers vorgenommen. 

Die ersten erfolgreichen Übertragungsversuche der 
Rattentrypanosomen auf andere Ratten wurden von Koch aus¬ 
geführt. Zwar berichtet schon Lingard (1895) über gelungene 
Überimpfungen auf Kühe, Pferde, Affen und Feldmäuse, doch 
kann man diesen positiven Versuchen keinen allzuhohen Wert 
beilegen, weil die Erreger der Surra-Krankheit und die anschei¬ 
nend harmlosen Rattenblutparasiten nicht scharf auseinander ge¬ 
halten werden. Auch geben sämtliche späteren Untersucher 
übereinstimmend an, dafs eine Übertragung auf andere Tiere als 
nicht infizierte Ratten mifslingt. 

Robert Koch (1898) erkannte den Unterschied zwischen 
Rattentrypanosomen und den Parasiten der Surra-Krankheit 
upd tiberimpfte einwandsfrei Rattentrypanosomen mit positivem 
Erfolg auf nicht infizierte Ratten, während ihm die Übertragung 
auf andere Tiere als Ratten nicht gelang. 


Digitized by CjOOQle 



266 


Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen. 


Genauere Studien über die uns beschäftigenden Organismen 
sind dann von Rabinowitsch und Kempner (1898), sowie 
von v. Wasielewski und Senn (1900) angestellt worden. 
Es wurde parasitenhaltiges Rattenblut, mit steriler Kochsalz¬ 
lösung oder Bouillon vermischt, dem Versuchstier in die Bauch¬ 
höhle gespritzt. Am 3. oder 4. Tage nach der Impfung traten 
spärliche Parasiten in dem Blut des geimpften Tieres auf, und 
zwar sahen v. Wasielewski und Senn anfangs stets nur er¬ 
wachsene Exemplare, während Rabinowitsch und Kempner 
fast nur »Entwicklungsformen c am 1. und 2. Tage ihres Auf¬ 
tretens im Schwanzblut fanden, darunter allerdings einige wenige 
ausgewachsene Parasiten. Die Inkubationszeit dauert also, wie 
übereinstimmend angegeben wird, etwa 3—7 Tage, selten kürzere 
oder längere Zeit, und nur in Bezug auf die Form der ersten 
Ankömmlinge im Schwanzblut der geimpften Ratten stehen sich 
zwei Beobachtungen gegenüber und geben Veranlassung, die 
Frage nach der Hauptentwicklungsstätte der Parasiten verschieden 
zu deuten. Rabinowitsch und Kempner glauben aus ihren 
Beobachtungen schliefsen zu müssen, dafs die Parasiten in der 
Bauchhöhle zur Entwicklung kommen und als Entwicklungs¬ 
formen in die Blutbahn Vordringen, während v. Wasielewski 
und Senn die Hauptentwicklung im Blute vor sich gehen lassen 
und glauben, dafs eine Überwanderung hauptsächlich von den 
erwachsenen und jungen Parasiten ausgeführt wird, während die 
in Entwicklung begriffenen durch ihre Gröfse verhindert werden, 
durch die Lymphbahnen ins Blut überzutreten. Bei der Besprech¬ 
ung meiner eigenen Versuche komme ich auf diese Frage zurück. 

Mesnil undGazeau (1901) verwendeten bei ihren Impfungen 
defibriniertes Blut oder nahmen einen Zusatz von Oxal- oder 
Citronensäure. Sie konstatierten bisweilen schon am 1.—3. Tage 
nach der Impfung das Auftreten der Parasiten im Blut, aber immer 
erst nach dem 3.—5. Tage fanden sie eine gröfsere Anzahl, welche 
dann innerhalb von 24 Stunden stark zunahm. Während dieser Zeit 
gelang es ihnen dann auch, alle Entwicklungsstadien aufzufinden. 

Das Ausgangsmaterial, womit ich meine eigenen Versuche 
anstellte, bildeten zwei wilde graue Ratten, welche ziemlich zahl- 


Digitized by CjOOQle 



Von Oberarzt Dr. Jürgens. 


267 


reiche Trypanosomen beherbergten. Die Übertragung der 
Parasiten auf weifse Ratten gelang in allen 47 Fällen. Es wurde 
etwas Blut vom Schwanz der infizierten Ratten entnommen, mit 
etwa der gleichen Menge Kochsalzlösung vermischt und dem 
Versuchstier in die Bauchhöhle gespritzt. Der erste Nachweis der 
Parasiten im Schwanzblut des geimpften Tieres gelang meistens 
am 3. oder 4. Tage, selten später. Die Beobachtung von Mesnil 
und Gazeau, dafs sich öfters schon am 1.—3. Tage Parasiten 
im Blute finden, wird durch meine Versuche bestätigt, doch ge¬ 
lingt ein so frühzeitiger Nachweis nur nach der Impfung mit 
grofsen Dosen. In allen Fällen, wo erwachsene Tiere mit 0,1 ccm 
oder mit noch kleineren Mengen geimpft wurden, konnten nie 
vor dem 3. Tage Trypanosomen im Blute aufgefunden werden. 
Wurden dagegen kleine Tiere mit 0,5—1,0 ccm trypanosomen¬ 
haltigem Blute geimpft, so erschienen stets nach wenigen Stunden, 
in einzelnen Fällen bereits nach 20 Minuten, Parasiten im Schwanz¬ 
blut des geimpften Tieres. Eine merkliche Vermehrung der 
Flagellaten machte sich aber niemals von diesem Moment des 
ersten Auftretens im Blut bis zum 3. oder 4. Tage nach der 
Impfung geltend; erst nach dieser Zeit trat ziemlich plötzlich 
eine Überschwemmung des Blutes mit Trypanosomen ein. Offen¬ 
bar handelt es sich hier nicht um eine abgekürzte Inkubations¬ 
zeit, sondern um ein Über wandern der eingeimpften Parasiten 
in die Blutbahn. Denn unter diesen so frühzeitig im Blute auf¬ 
tretenden Trypanosomen fanden sich niemals Vermehrungsformen 
oder kleine, junge Exemplare; stets waren es alte erwachsene 
Parasiten, die den eingeimpften genau glichen. Erst am 3. Tage 
oder noch später erschienen neben diesen ausgewachsenen Formen 
plötzlich ganz kleine, junge und grofse, sich zur Vermehrung an¬ 
schickende; und am nächsten Tage waren dann Vermehrungs¬ 
formen und alle Entwicklungsstadien im Blute zu finden. Auch 
Gazeau und Mesnil fanden niemals vor dem 3. Tage eine 
gröfsere Menge Parasiten, und Vermehrungsformen sahen sie 
ausschliefslich nur nach dem 4. Tage. Wenn man also unter 
der Inkubationszeit diejenige Zeit versteht, welche vom 
Moment der Impfung bis zum Auftreten einer neuen 

Archiv für Hygiene. Bd XLII. 18 


Digitized by 


Google 



268 


Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen. 


Parasiten-Generation im Blut verstreicht, so beträgt diese 
Inkubationszeit in der Regel mindestens drei Tage. Auf einen 
Fall, der von Rabinowitsch und Kempner berichtet wird 
und gegen diese Regel zu sprechen scheint, komme ich weiter 
unten zurück. 

Da es nahe liegt, anzunehmen, dafs die Anzahl der ver- 
impften Parasiten auf den Nachweis des ersten Auftretens im 
Schwanzblut von merklichem Einflufs ist, wurden in dieser Rich¬ 
tung Versuche angestellt und Ratten mit verschieden grofsen 
Dosen trypanosomenhaltigen Blutes geimpft. Es zeigte sich ein 
ähnliches Verhalten, wie es Mesnil und Gazeau bei den Er¬ 
regern der Nagana beobachtet haben, dafs nämlich die Quantität 
der überimpften Parasiten keinen merklichen Einflufs auf die In¬ 
kubationszeit ausübt. Differenzen von 0,5 und 0,0005 ccm 
machten sich für die Inkubationszeit überhaupt nicht bemerkbar, 
und erst ganz bedeutend kleinere Mengen (0,000005 ccm) be¬ 
wirkten eine Verzögerung um 1—2 Tage. Diese kleinen Dosen 
wurden durch Verdünnung mit Kochsalzlösung derart hergestellt, 
dafs zunächst 0,1 ccm Blut mit neun Teilen Kochsalzlösung ver¬ 
dünnt wurde, davon dann wiederum ein Teil mit neun Teilen 
vermischt und so fort bis 1 ccm der Lösung die gewünschte 
Menge Bluts enthielt. Durch diese allmählich vorgenommene 
Verdünnung erhält man eine ziemlich gleichmäfsige Verteilung 
des Blutes in der Kochsalzlösung und damit eine genauere Do¬ 
sierung. Anderseits mufs man aber auch möglichst rasch arbeiten, 
und nach Herstellung der beabsichtigten Verdünnung das Impf¬ 
material dem Versuchstier sofort in die Bauchhöhle spritzen, da¬ 
mit die schädigende und selbst lähmende Wirkung, welche durch 
die Konzentrationsänderuug des die Parasiten umgebenden Me¬ 
diums verursacht wird, nicht allzulange bestehen bleibt. 

Eine derartige Verzögerung des ersten Nachweises der Flagel¬ 
laten im Schwanzblut tritt auch ein bei Überimpfung von alten, 
lange Zeit im Eisschrank aufbewahrten Trypanosomen. Laveran 
und Mesnil (1900) konnten bei Übertragung von 47 Tage altem 
Blut erst am 6.—7. Tage die ersten Parasiten im Schwanzblut 
nachweisen. Die von mir vorgenommenen Infizierungsversuche 


Digitized by 


Google 



Von Oberarzt Dr. Jürgens. 


269 


mit 32 und 53 Tage altem Blut ergaben dasselbe Resultat. Da 
in solchem, Wochen und Monate im Eisschrank gestandenen 
Blut sich gewöhnlich nur sehr wenige Trypanosomen lebensfähig 
erhalten, so erscheint die Ähnlichkeit mit dem Verhalten sehr 
kleiner Dosen nicht wunderbar. 

Einen merkwürdigen Einflufs auf die Inkubationszeit zeigte 
das Entwicklungsstadium der überimpften Parasiten. Wurde 
nämlich zur Übertragung das Blut einer solchen Ratte verwendet, 
welche noch Entwicklungsstadien beherbergte, so dauerte die In¬ 
kubationszeit bei dem Versuchstier nicht die üblichen 3—4, son¬ 
dern nur 1—2 Tage. Bereits 24 Stunden nach der Impfung er¬ 
schienen Parasiten im Schwanzblut und schon am nächsten oder 
spätestens übernächsten Tage fand die Überschwemmung des 
Blutes mit Trypanosomen statt. Während also bei einer Impfung 
mit alten erwachsenen Flagellaten sich erst nach 3—4 Tagen 
frühestens eine Vermehrung der eingeführten Parasiten bemerk¬ 
bar machte, geschah dies bei Impfungen mit Entwicklungsstadien 
oder Jugendformen zwei Tage früher. Augenscheinlich ge¬ 
brauchen die alten überimpften Trypanosomen in der Bauchhöhle 
oder im Blut des neuen Wirtes eine gewisse Zeit, bevor sie sich 
zur Vermehrung anschicken. Der Vorgang der Impfung, sowie 
die Einflüsse des neuen Wirtes scheinen auf die alten erwach¬ 
senen Formen entwicklungshemmend einzuwirken, während die 
Jugend- und Vermehrungsformen in ihrer Entwicklungsenergie 
weniger gestört werden und die hemmenden Einflüsse leichter 
zu überwinden vermögen. 

Auf diese Weise erklärt sich nun auch die oben erwähnte, 
von Rabinowitsch und Kempner einmal beobachtete ein- 
tägige Inkubationszeit Das Versuchstier (Ratte Nr. 19) wurde 
mit dem Blut einer Ratte geimpft, welche erst seit zwei Tagen 
Parasiten in ihrem Blute hatte, also ohne Frage Entwicklungs¬ 
stadien beherbergte. 

Hier ist der Ort, um auf die Frage nach der Hauptent- 
wicklungsstätte der Trypanosomen zurückzukommen. Wie 
schon oben erwähnt, sprechen die Beobachtungen von Rabino¬ 
witsch und Kempner für die Entwicklung in der Bauchhöhle, 

18 • 


Digitized by v^.ooQle 


270 Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen. 

die von v. Wasielewski und Senn für eine solche im Blut. 
Zunächst bestätigen meine Beobachtungen die von den letzt¬ 
genannten Verfassern gemachte Angabe, dafs unter den ersten 
Ankömmlingen im Schwanzblut einer geimpften Ratte sich nie¬ 
mals Teilungsformen finden. Es wurden in jedem einzelnen 
Fall immer eine ganze Reihe von Präparaten in frischem und 
gefärbtem Zustand genau durchmustert, aber stets fanden sich 
nur junge oder ausgewachsene schlanke Exemplare, niemals 
Teilungsformen. Wenn nun diese Beobachtung schon sehr dafür 
spricht, dafs die Überwanderung aus der Bauchhöhle in die Blut¬ 
bahn nicht von den Vermehrungsformen, sondern von erwach¬ 
senen und jungen Individuen ausgeführt wird, so läfst sich diese 
Frage experimentell direkt durch Überimpfung von grofsen 
Mengen Teilungsformen zur Entscheidung bringen. Da nämlich 
die Parasiten sofort nach der Impfung anfangen, aus der Bauch¬ 
höhle ins Blut überzuwandern, so dafs sie bei grofsen Dosen 
schon nach wenigen Stunden im Schwanzblut nachzuweisen sind, 
so müfsten nach einer Impfung mit Entwicklungsstadien nach 
der Theorie von Rabino witsch und Kempner viele Teilungs¬ 
formen im Schwanzblut erscheinen^ während das Fehlen dieser 
Formen und das Auftreten von jungen und schlanken erwachsenen 
Individuen für die Richtigkeit der v. Wasielewski scheu An¬ 
nahme sprechen würde. Es zeigte sich nun in der That, dafs 
bei diesen Versuchen immer nur erwachsene und junge Trypano¬ 
somen ins Blut überwanderten, manchmal fand sich auch wohl 
ein dicker, sich zur Teilung anschickender Parasit, aber nie 
wurden Rosetten oder andere Teilungsstadien gefunden, die doch 
im verimpften Material so zahlreich vertreten waren. Ihre 
gröfseren Dimensionen lassen augenscheinlich den Übertritt ins 
Blut durch die Lyjnphgefäfse nicht zu. 

Die in die Bauchhöhle gebrachten Parasiten schreiten also 
hier nicht gleich zur Entwicklung, sondern einige von ihnen 
wandern sofort ins Blut und beginnen dort erst nach 2—3 tägigem 
Aufenthalt sich zu vermehren. Das plötzliche Auftreten von 
jungen Formen am 3. Tage nach der Impfung neben diesen 
erwachsenen Parasiten beweist, dafs inzwischen auch in der Bauch* 


Digitized by v^.ooQle 



Von Oberarzt Dr. Jürgens. 


271 


höhle eine Vermehrung stattgefunden hat und Jugendformen ins 
Blut übergewandert sind. Die am 3.—4. Tage im Blut vorhan¬ 
denen Trypanosomen sind demnach zum Teil sofort nach der 
Impfung aus der Bauchhöhle ins Blut übergewandert, zum Teil 
haben sie sich bereits aus den eingeimpften in der Bauchhöhle 
entwickelt und sind dann als Jugendformen ins Blut übergetreten. 
Es besteht demnach die v. Wasieiewskisehe Annahme zu 
Recht, dafs nämlich die nach 4—5 Tagen im Blute vorhandenen 
zahlreichen Kolonien herrühren: 

1. von den direkt übergewanderten, im Blute bereits in zweiter 
Generation geteilten Parasiten, 

2. von den in einer Generation in der Bauchhöhle zur 
Teilung geschrittenen, als Jugendformen ins Blut über¬ 
getretenen und hier in einer neuen Generation vermehrten 
Parasiten. 

Ohne Frage bildet also das Blut den günstigsten Nähr¬ 
boden und den Hauptvermehrungsort. Merkwürdig erscheint es 
nur, warum nicht alle eingeimpften Trypanosomen gleich aus 
der Bauchhöhle ins Blut überwandern, denn ein mechanisches 
Hindernis schaffen sie sich ja erst selbst durch ihre Gröfsen- 
zunahrae nach zweitägigem Verweilen. Noch wunderbarer aber 
wäre es, wenn sie nach der Beseitigung dieses selbstgeschaffenen 
Hindernisses, nämlich nach vollendeter Teilung und Loslösung 
der einzelnen Jugendformen aus der Peritonealflüssigkeit völlig 
verschwinden würden, wie dies Rabinowitsch und 
Kempner angeben. Über einen ähnlichen Befund berichtet 
übrigens neuerdings auch Schilling bei der Surra-Krankheit 
der Pferde. In den ersten 3 X 24 Stunden nach der intraperi¬ 
tonealen Impfung sollen sich im Peritonealexsudat massenhaft 
Trypanosomen und zahlreiche Teilungsformen gefunden haben, 
während das periphere Blut erst am 5. Tage die erwachsenen 
Formen beherbergte. Am 19. Tage soll dann das Peritoneal¬ 
exsudat wieder frei von Parasiten gewesen sein, während im 
peripheren Blut massenhaft Trypanosomen angetroffen w ? urden. 
Indessen hatte schon v. Wasielew’ski nach einer mir münd¬ 
lich gemachten Mitteilung bei einer am 25. Tage nach der 


Digitized by 


Google 



272 


Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen. 


Infektion gestorbenen Ratte noch zahlreiche Parasiten im Peri¬ 
toneum gefunden, und, gestützt auf diesen Befund, versuchte ich 
durch eigene Untersuchungen mir über diese Frage Rechenschaft 
zu geben. Diese Beobachtung ergab nun, dafs die Flagellaten 
keineswegs einige Tage nach der Impfung aus der Bauchhöhle 
verschwanden. Auch nachdem die Vermehrung der Parasiten 
im grolsen und ganzen beendet und die Höhe der Infektion 
überschritten war, fanden sich noch zahlreiche Trypanosomen 
in der Peritonealflüssigkeit, und ein völliges Verschwinden der 
selben aus der Bauchhöhle trat erst mit dem Ende der Infek¬ 
tion ein. 

Die Untersuchung des Peritoneums in den ersten Tagen 
nach der Impfung ergab Resultate, welche von den Berichten 
von Rabinowitsch und Kempner, sowie von den neuesten 
Untersuchungen von Laveran und Mesnil 1 ) ab weichen. Es 
wurden vier junge Ratten mit je 0,3 ccm trypanosomenhaltigen 
Blutes geimpft. Am nächsten Tage hatten bereits alle vier 
schlanke erwachsene Parasiten im Schwanzblut, und die Peritoneal¬ 
flüssigkeit einer zu diesem Zwecke getöteten Ratte zeigte die¬ 
selben Parasiten ohne Andeutung von beginnender Vermehrung. 
Auch am 2. und 3. Tage nach der Impfung zeigte das Scbwanz- 
blut und in gleicher Weise die mittels Kapillarröhrchen entnom¬ 
mene Peritonealflüssigkeit nur schlanke erwachsene Trypanosomen 
ohne Teilungsformen. Um die Peritonealhöhle genauer durch¬ 
suchen zu können, wurde am 2. wie am 3. Tage je eine Ratte 
getötet, aber bei der darauffolgenden Untersuchung wurden in der 
Peritonealflüssigkeit noch keine Vermehrungsformen gefunden. 
Erst am 4. Tage, als auch im Blute die beginnende Vermehrung 

1) Anm : Nachdem diese Arbeit bereits zum Drucke gegeben war, er 
hielt ich Kenntnis von den neuesten Untersuchungen von Laveran und 
Mesnil: Recherches morph. et exp^riment sur le Trypanosome des rata. 
(Annales de l’Institut Pasteur), Sept. 1901. Die Beobachtungen dieser Forscher 
über das Verhalten des Trypanosomen in der Bauchhöhle und das völlige 
Verschwinden aus derselben nach der Vermehrungsperiode können durch 
meine Untersuchungen nicht bestätigt werden. 

Ich werde Gelegenheit nehmen, auf diese Frage sowie auf einige 
andere Punkte der erwähnten Arbeit später näher einzugehen. 


Digitized by v^.ooQle 



Von Oberarzt Dr. Jürgens. 


273 


zu erkennen war, fanden sich in der Bauchhöhle einzelne in 
Teilung begriffene Parasiten, und als am 10. Tage im Schwanz¬ 
blut keine Vermehrungsstadien mehr angetroffen wurden, fehlten 
sie auch in der Peritonealflüssigkeit, dagegen waren noch zahl¬ 
reiche erwachsene schlanke Exemplare vorhanden. 

Über die Dauer der Entwicklung der Parasiten ist 
nichts genaueres bekannt. Aus dem Schicksal der in die Bauch¬ 
höhle eingespritzten Trypanosomen lafst sich natürlich für die 
Dauer der Entwicklung nichts folgern, weil sich hier, wie wir 
oben gesehen haben, entwicklungshemmende und andere störende 
Einflüsse geltend machen. Die weiter unten erwähnten Beob¬ 
achtungen im hängenden Tropfen hei Brutschranktemperatur 
zeigen indessen, dafs die Entwicklung der sich zur Teilung vor¬ 
bereitenden Parasiten bis zur beendeten Teilung und Loslösung 
der Jugendformen bei diesen offenbar nicht sehr günstigen 
Aufsenbedingungen in 12—24 Stunden beendet sein kann. Wahr¬ 
scheinlich geht die Teilung in wenigen Stunden vor sich, sonst 
wäre auch ein so plötzliches Anwachsen der Parasitenzahl am 
4. und 5. Tage nach der Impfung kaum zu erklären. 

Die Höhe der Infektion wird bereits 2—3 Tage nach 
dem Auftreten der ersten Vermehrungsformen im Blut erreicht, 
und zwar ist die Stärke der Infektion unabhängig von der 
Quantität der eingeimpften Parasiten, wie dies Mesnil und 
Gazeau auch für die Erreger der Nagana angeben. Sie erreicht 
in diesen Tagen oft eine aufserordentliche Stärke. Mesnil und 
Gazeau fanden bisweilen ein Verhältnis der Parasiten zu den 
roten Blutkörperchen wie 1:1—2 und selbst wie 2—3:1. Es 
ist jedoch nicht ersichtlich, ob nur in einzelnen Präparaten oder 
Gesichtsfeldern dieses Verhältnis angetroffen wurde oder im 
Durchschnitt. Beurteilung einzelner Gesichtsfelder führt natür¬ 
lich zu Täuschungen, da die Erfahrung zeigt, dafs die Verteilung 
im Blut keineswegs gleichmäfsig ist. Für die Entscheidung dieser 
Frage würde weiter in Betracht zu ziehen sein, dafs wahrschein¬ 
lich auch ein Unterschied in den verschieden grofsen Gefäfsen, 
sowie im arteriellen und venösen Blut zu finden ist. In meinen 
Präparaten fanden sich bisweilen auch aufserordentlich zahlreiche 


Digitized by 


Google 



274 Beitrag znr Biologie der Ratten trypanosomen. 

Parasiten. Doch übertraf auch bei der stärksten Infektion die 
Zahl der Trypanosomen niemals die der roten Blutkörperchen. 
Genauere Zählungen wurden nicht ausgeführt. 

Am 4. Tage nach dem ersten Auftreten fanden Rabino- 
witsch und K e m p n e r keine Vermehrungsformen mehr, sondern 
fast ausschliefslich wieder isolierte, ausgewachsene Individuen. 
Auch nach den Untersuchungen von v. Wasielewski und Senn 
verschwinden die Teilungsstadien etwa am 8.—10. Tage nach der 
Impfung, und Mesnil und Gazeau sahen nach dem 8. Tage 
keine Entwicklungsstadien mehr. v. Wasielewski wirft die 
Frage auf, ob in der That mit diesem Zeitpunkt die Vermehrung 
aufhört oder ob sie nur so spärlich wird, dafs sie gegenüber der 
Unzahl erwachsener Formen zurück tritt. Er entscheidet sich 
für die letztere Annahme, und in der That konnte ich bei 
manchen Ratten nach langem Suchen noch in der 3. Woche 
nach der Impfung vereinzelte Teilungsformen auffinden, bei 
einigen jungen Tieren mit deutlichen Krankheitssymptomen traten 
zu dieser Zeit Vermehrungsformen sogar noch in beträchtlicher 
Zahl auf. 

Über die Dauer der Infektion liegen sehr verschiedene 
Beobachtungen vor. Rabinowitsch und Kempner berichten, 
dafs die weifsen Ratten ihre Parasiten im allgemeinen nach 4 bis 
6 Wochen wieder verlieren, in einzelnen Fällen bereits nach 
1—2 Wochen und mitunter noch früher. Nur zwei weifse Ratten 
hatten noch nach 3 und 4 Monaten Trypanosomen, v. Wasie¬ 
lewski und Senn konnten noch ö 1 ^ Monaten nach der Injek¬ 
tion bei einigen weifsen Ratten Flagellaten reichlich nachweisen, 
und kein Versuchstier verlor vor der 6. Woche seine Parasiten. 
Mesnil und Gazeau sahen wiederum in einigen Fällen schon 
am 7. oder 8. Tage das Ende der Infektion, bei anderen Ratten 
erst nach 4—5 Monaten. Meine Versuchstiere beherbergten ihre 
Blutparasiten in der Regel 1—2 Monate, selten etwas länger; 
nur in zwei Fällen konnten noch nach 7 Monaten zahlreiche 
Trypanosomen gefunden werden. Kürzere Zeit als einen Monat 
dauerte die Infektion nur ein einziges Mal. In diesem Falle 
verschwanden die Parasiten ganz plötzlich am 3. Tage nach dem 


Digitized by CjOOQle 



Von Oberarzt Dr. Jürgens 


275 


Auftreten der ersten Vermehrungsformen. Das Tier brachte am 
nächsten Morgen acht Junge zur Welt. Die Annahme, dafs diese 
beiden Ereignisse in ursächlichem Zusammenhang stehen, liegt 
sehr nahe. Auch Rabinowitsch und Kempner erklären zwei 
Fehlversuche bei intraperitonealer Infektion zweier trächtiger 
Ratten mit der veränderten und in verschiedenen Organen ver¬ 
mehrten Blutcirkulation. 

Die beiden grauen, natürlich infizierten Ratten verloren ihre 
Parasiten nach drei- und fünfmonatlicher Gefangenschaft. 

Erneute Übertragungsversuche nach einmal über¬ 
standener Infektion ergaben stets ein negatives Resultat, auch 
selbst bei Ratten, welche bereits vor 7 Monaten ihre Trypano¬ 
somen verloren hatten. 

Wurden die Wiederimpfungen mit grofsen Dosen ausgeführt, 
so wanderten zwar einige Parasiten ins Blut über und konnten 
hier am nächsten und übernächsten Tage nachgewiesen werden, 
am 3. oder 4. Tage nach der Impfung waren aber diese Parasiten 
wieder verschwunden und weder im Blute noch in der Bauch¬ 
höhle konnten Flagellaten gefunden werden. 

Die Trypanosomeninfektion wird im allgemeinen von den 
weifsen Ratten sehr gut vertragen. Mattigkeit, geringe Frefslust, 
vorübergehende geringe Gewichtsabnahme: Das sind die einzigen 
Krankheitserscheinungen, welche Rabinowitsch und 
Kempner bei ihren weifsen Ratten konstatieren konnten. Keine 
davon ging an der Infektion zu Grunde. Bei den grauen Ratten 
vermifsten sie jeden Unterschied zwischen gesunden und spontan 
infizierten Tieren. Doch beobachteten sie bei künstlich infizierten 
grauen Ratten zuweilen schwere Krankheitserscheinungen, an 
deren Folgen sogar einige Tiere eingingen. Leider fehlt jede 
Andeutung über die Art der Erkrankung und eine Mitteilung 
über den histologischen und pathologischen Befund ist bisher 
noch nicht erfolgt. 

v. Wasielewski berichtet über den Tod eines jungen Tieres 
am 25. Tage nach der Impfung. Bei der Sektion zeigte sich 
die Blase stark mit blutigem Urin gefüllt, im übrigen wurde 
aber kein Anhalt für die Ursache des Todes gefunden. 


Digitized by 


Google 



276 


Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen. 


Mesnil und Gazeau fanden Temperatur, Körpergewicht, 
Allgemeinbefinden und Aussehen ihrer Versuchstiere nicht beein- 
flufst, nur in einigen Fällen fanden sie bei starker Infektion 
junger Ratten (Verhältnis der Trypanosomen zu den roten Blut¬ 
körperchen wie 2—3 : 1) eine Gewichtsabnahme, die aber allmählich 
wieder ausgeglichen wurde und den Tieren keinen dauernden 
Schaden brachte. 

Es sind also bisher bei weifsen infizierten Ratten nur sehr selten 
geringe Krankheitserscheinungen wahrgenommen worden. Um so 
auffallender war es daher, dafs von meinen Versuchstieren sehr 
viele erkrankten und anscheinend der Trypanosomeninfek¬ 
tion erlagen. Von 47 weifsen Ratten erkrankten 16 etwa am 
4.—7. Tage nach der Impfung. Sie zeigten ein struppiges Aus¬ 
sehen, waren nicht so munter wie vorher und nahmen an Gewicht 
bedeutend ab. Temperaturmessungen wurden anfangs zwar vor¬ 
genommen, da es sich jedoch zeigte, dafs auch bei gesunden, 
nicht geimpften Tieren die Temperatur im Rektum grofsen 
Schwankungen ausgesetzt war, wurde weiterhin von Messungen 
Abstand genommen. Die Ratten wurden einige Tage später 
dyspnoisch, bekamen Ödeme an den Hinterbeinen, zum Teil 
mit Blutungen ins Unterhautbindegewebe, und starben dann 
sämtlich, gewöhnlich etwa in der 2. Woche nach der Impfung. 
Zwei Ratten starben bereits am 4. Tage, eine erst am 2b. Tage 
nach der Impfung. Auffallend war es, dafs nur junge Ratten 
erkrankten. Bei alten erwachsenen Tieren konnten nie, auch 
nicht nach Impfung mit sehr grofsen Dosen (2 ccm), und mit 
Teilungsformen Krankheitserscheinungen wahrgenommen werden. 
Da aber nicht alle jungen Ratten erkrankten, so wurde durch 
Impfungen mit sehr grofsen und sehr kleinen Dosen, mit alten 
erwachsenen Parasiten und mit Teilungsformen festzustellen ver¬ 
sucht, ob die Dosis und die Beschaffenheit des Impfmaterials den 
schweren Verlauf der Infektion bedingte. Es liefs sich jedoch 
kein Grund finden, warum die einen erkrankten und starben, 
die andern die Infektion ohne merkliche Störung überstanden. 

Die Sektion ergab in allen Fällen dasselbe Bild. Die 
Lungen waren im allgemeinen ziemlich blutreich und zeigten 


Digitized by CjOOQle 



Von Oberarzt Dr. Jürgens. 


277 


mehrere erbsen- bis bohnengrofse dunkelrote Stellen, die stets 
bis zur Pleura reichten und sich ziemlich derb anfühlten, so dafs 
sie an pneumonische Herde erinnerten. Auf dem Durchschnitt 
erschien die Schnittfläche jedoch völlig glatt, und im mikrosko¬ 
pischen Präparat sah man starke blutige Infiltrationen im Ge¬ 
webe und Austritt von Blut in die Alveolen. Trypanosomen 
fanden sich in auffallend grofser Anzahl in der Lunge. Die 
linke Herzkammer stand in der Diastole. Die Milz war aufser- 
ordentlich stark vergrößert und die Lymphdrüsen geschwollen. 
Das Blut enthielt fast immer noch Vermehrungsformen, in einem 
Falle also noch am 25. Tage nach der Impfung. 

Um die Möglichkeit auszuschliefsen, dafs es sich um septische 
Infektionen bei der Übertragung handelte, wurden bakteriologische 
Untersuchungen der Peritonealflüssigkeit und des Herzblutes 
vorgenommen. Nach aseptisch vorgenommener Eröffnung des 
Peritoneums und des Herzens wurden in jedem Falle je drei 
Agarausstriche vom Peritoneum und dem Herzblut hergestellt, 
aber stets blieben die Röhrchen steril. 

Was endlich den natürlichen Infektionsmodus betrifft, 
so glauben Rabinowitsch und Kempner aus ihren vergeb¬ 
lichen Versuchen, Ratten durch Fütterung zu infizieren, schliefsen 
zu dürfen, dafs eine Infektion auf dem Digestionswege nicht er¬ 
folgen kann. Dagegen wurden sie durch die Beobachtung, dafs 
gesunde Ratten, mit infizierten weifsen Ratten zusammengebracht, 
nach 11—15 Tagen Entwicklungsformen in ihrem Blute zeigten, 
zu der Vermutung gedrängt, die Trypanosomen - Infektion der 
Ratten könne ein Analogon darbieten zu verschiedenen, durch 
blutsaugende Insekten verbreitete Infektionskrankheiten. Über¬ 
tragungsversuche durch intraperitoneale Injektion von Flohkör¬ 
pern, und die durch Flohstiche erzeugte Infektion einer Ratte, 
bestärkten sie in ihrer Annahme und ihrer Überzeugung, dafs 
Flöhe als die gewöhnlichen Vermittler der Trypanosomen-Infek- 
tion angesehen werden können. Meine in dieser Richtung an- 
gestellten Versuche sind noch nicht zum Abschluß gekommen, 
doch ist es auffallend im Gegensatz zu den Beobachtungen von 
Rabinowitsch und Kempner, dafs monatelang infizierte und 


Digitized by CjOOQle 



278 


Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen. 


gesunde Ratten in einem Käfig beisammen gehalten werden 
konnten, ohne dafs eine Infektion erfolgte, obgleich die Tiere 
stark mit Flöhen besetzt waren, während eine spätere Impfupg 
der gesund gebliebenen Tiere in typischer Weise erfolgreich 
war. Es bleibt indessen die Möglichkeit bestehen, dafs die 
Jahreszeit einen Einflufs auf die Übertragung der Parasiten aus¬ 
übt. Die Analogie mit der Dourine-Krankheit gab zu Versuchen 
Veranlassung, ob vielleicht beim coitus eine Übertragung vor 
sich ginge. Es wurden dreimal gesunde weibliche Ratten mit 
infizierten männlichen zusammengebracht. Zwei davon wurden 
trächtig, jedoch ohne Parasiten zu bekommen. Auch in diesen 
Fällen war eine spätere Impfung erfolgreich. 

Aufserhalb des Tierkörpers zeigen die Trypanosomen 
sich aufserordentlich lebens-und widerstandsfähig. Danilewskv 
(1889) bezeichnet diese Eigenschaft als eine charakteristische 
Eigentümlichkeit der Trypanosomen überhaupt. Nach seinen 
Beobachtungen bleiben die Parasiten im Blut aufserhalb des 
Tierkörpers 8—9 Tage lebensfähig. In Pipetten oder im mikro¬ 
skopischen Präparat bei gewöhnlicher Zimmertemperatur auf¬ 
bewahrt, zeigten sie noch am 5.—8., junge Tiere sogar noch am 
10.—12. Tage ihre unveränderte Form und Beweglichkeit. Ein 
Zusatz von 0,6 proz. Kochsalzlösung zum Blut änderte nichts 
daran. 

Rabinowitsch und Kempner fanden das Blut einer in¬ 
fizierten Ratte, bei Zimmer- und Brutschranktemperatur aufbewahrt, 
noch nach einer Woche infektionsfähig, wie erfolgreiche Über¬ 
tragungsversuche an zwei Ratten bewiesen. 

Laveran und Mesnil (1900) erhielten die Parasiten im 
defibrinierten Blut (rein oder zur Hälfte mit Kochsalzlösung ver¬ 
dünnt) im Laboratorium 4—5 Tage, im Eisschrank bei einer 
Temperatur von + 5 bis -f 7 0 etwa 1—1 */ 2 Monate lebens- und 
infektionsfähig. Eine Impfung mit solchem, 23 Tage lang im 
Eisschrank aufbewahrtem Blute ergab ein positives Resultat; 
ebenso hatten die beiden Forscher schon früher mit 47 Tage 
altem Blut zwei Impfungen vorgenommen, von denen eine er¬ 
folgreich war. Und obwohl sie am 51. Tage in dem Blute keine 


Digitized by 


Google 



Von Oberarzt Dr. Jörgens. 279 

Parasiten mehr mikroskopisch nach weisen konnten, so war doch 
eine damit ausgeführte Impfung von Erfolg begleitet. 

Auch ich hatte Gelegenheit, die Trypanosomen sehr lange 
aufserhalb des Tierkörpers lebens- und infektionsfähig zu er¬ 
halten. Selbst bei —5° bis —8° blieben sie mehrere Tage lang im 
mikroskopischen Präparat lebend. Die Präparate wurden bei dieser 
Temperatur im Freien hingestellt und am nächsten resp. einem 
der folgenden Tage wieder untersucht. Zunächst erschienen die 
Parasiten in dem im warmen Zimmer wieder aufgetauten Präparat 
regungslos, nach einigen Minuten begannen aber wieder langsame 
Bewegungen, die sich oftmals nach weiteren 20—30 Minuten zur 
normalen Schnelligkeit steigerten. Sogar nach siebentägigem Ver¬ 
weilen bei dieser Aufsentemperatur konnten noch bewegliche Try¬ 
panosomen im aufgetauten Präparat gefunden werden. In einem 
Kältegemisch von —17° starben die Flagellaten ab und durch 
Impfungen mit solchem Blut, welches 2 Stunden lang in dieser 
Kältemischung gestanden hatte, konnte keine Infektion mehr 
erreicht werden. Gegen Erwärmung scheinen die Parasiten 
empfindlicher zu sein. Schon im Wärmkasten bei 45° unter¬ 
sucht, nahmen die Ortsbewegungen oftmals bedeutend an Schnel¬ 
ligkeit zu, doch starben die Trypanosomen bei dieser Temperatur 
nicht ab. Das Blut wurde in Kapillarröhrchen in zimmerwarmes 
Wasser gebracht und dann allmählich auf 50° erwärmt. Auf 
dieser Temperatur wurde das Wasser 2 Stunden erhalten und 
dann wieder allmählich abgekühlt. Die hernach mit diesem Blute 
ausgeführten Übertragungsversuche ergaben ein positives Resultat. 
Doch liegt die obere Temperaturgrenze, bei welcher die Flagel¬ 
laten lebensfähig bleiben, nur wenige Grade höher. Wenigstens 
konnte nach zweistündigem Erwärmen auf 58° keine Infektion 
mehr erreicht werden, und im mikroskopischen Präparat waren 
keine Parasiten mehr zu finden, sie scheinen bei dieser Tempera¬ 
tur nicht allein abzusterben, sondern auch aufgelöst zu werden. 

Am längsten konnten die Trypanosomen im Eissehrank bei 
-f- 5° bis -j- 10° in Kapillarröhrchen oder im hängenden Tropfen 
lebensfähig erhalten werden. Zwei Impfungen mit 32 und 53 Tage 
lang bei dieser Temperatur aufbewahrtem trypanosomenhaltigem 


Digitized by v^.ooQie 



280 


Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen. 


Blut erzeugten, wie schon oben erwähnt, noch Infektionen mit 
siebentägiger Inkubationszeit. Bei Zimmertemperatur oder im 
Brutschrank starben die Parasiten bedeutend schneller ab, bei 
37° spätestens nach 2—4 Tagen, bei Zimmertemperatur (16—18°) 
nach 1 —\ l \ 2 Wochen. Für die ungünstigen Verhältnisse bei diesen 
Temperaturen glauben Laverau und Mesuil den Einflufs von 
Bakterien und die etwaige Einwirkung von veränderten und zer¬ 
fallenen roten Blutkörperchen ausschliefsen zu können, weil sie 
das Blut stets aseptisch entnahmen, und öfters bereits das Ver¬ 
schwinden der Parasiten bei noch intakten roten Blutkörper¬ 
chen konstatiert wurde. Meine Beobachtungen deuten indessen 
gerade auf den schädigenden Einflufs der Bakterien im Brut¬ 
schrank hin. Denn in nicht aseptisch hergestellten hängenden 
Tropfen waren im Brutschrank bei üppiger Bakterienentwicklung 
am anderen Tage die Trypanosomen stets abgestorben, während 
in aseptisch hergestellten Präparaten die Parasiten noch 2—3 Tage 
lebensfähig blieben. Nach dieser Zeit gingen sie auch in asep¬ 
tischen Präparaten zu Grunde. Ob der Zerfall der Blutkörper¬ 
chen für die Lebensfähigkeit der Flagellaten so ganz ohne Be¬ 
deutung ist, wie Laverau und Mesnil angeben, vermag ich 
nicht zu entscheiden. Überzeugen konnte ich mich nicht davon, 
denn die Parasiten gingen niemals früher als die roten Blutkörper¬ 
chen zu Grunde. 

Um den Einflufs der Bakterien genauer zu beobachten, 
wurden Trypanosomen mit faulendem Rattenblut zusammen¬ 
gebracht. Es zeigte sich dann unter dem Mikroskop schon nach 
wenigen Minuten die schädigende Wirkung dieser bakterien¬ 
haltigen Flüssigkeit. Die Parasiten nahmen an Beweglichkeit ab, 
ihre Gestaltsveränderungen erfolgten langsamer und ungleicb- 
mäfsiger. Ortsbewegungen wurden oft gar nicht mehr aus¬ 
geführt, und nach einigen Stunden waren die Trypanosomen 
abgestorben. 

Unter solch ungünstigen Lebensbedingungen ver¬ 
ändern die Parasiten öfters in auffallender Weise ihre Form. 
Schon Danilewsky bemerkte in dem längere Zeit aufbewahrten 
trypanosomenhaltigen Blut eine Verdickung am hinteren Ende 


Digitized by 


Google 



Von Oberarzt. Dr. Jürgens. 


281 


der Flagellaten. In anderen Fällen sah er eine Verlängerung 
bis zur doppelten natürlichen Länge. Schliefslieh will er bei 
absterbenden Parasiten die Beobachtung gemacht haben, dafs die 
undulierende Membran und die Geisel allmählich kleiner wurden 
und endlich verschwanden, während der Körper eine sphärische 
Form annahm Künstlich konnte Danilewsky durch Chloro 
form die Trypanosomen in unregelmäfsig geformte amoeboide 
Körper von durchscheinendem Aussehen verwandeln. 

Auch Rabinowitsch und Kempner beobachteten, dafs 
längere Zeit aufbewahrte Parasiten allmählich in ihren Bewegungen 
träger wurden, sich zu Klumpen zusammenballten und öfters am 
hinteren Ende eine köpfchenförmige Anschwellung zeigten. Auf 
die von Danilewsky und auch von Rabinowitsch und 
Kempner beschriebene Einziehung der Geifsel, Auflösung der 
undulierenden Membran und die Umwandlung des langgestreckten 
Parasitenkörpers in eine mehr oder weniger ausgesprochene 
Kugelform brauche ich hier nicht näher einzugehen, da bereits 
in der Arbeit von v. Wasielewski und Senn nachgewiesen 
wurde, dafs es sich um ungenaue und wahrscheinlich infolge 
nicht gelungener Geifselfärbung falsch gedeutete Beobachtungen 
handelte. Indessen zeigten auch in meinen Präparaten die Para¬ 
siten oft auffallende Gestaltsveränderungen, und zwar manchmal 
bereits nach einigen Stunden, besonders wenn im Präparat eine 
starke Bakterienentwicklung stattgehabt hatte. Das hintere Ende 
der Flagellaten erschien dann stark verdickt, so dafs eine ent¬ 
fernte Ähnlichkeit mit sich zur Teilung anschickenden Trypano¬ 
somen vorgetäuscht wurde; eine Ähnlichkeit, die durch das Auf¬ 
treten zackiger Vorsprünge, welche mit neuen Geifseln verwech¬ 
selt werden konnten, noch gesteigert wurde. In dem verdickten 
Teil der Parasiten erkannte man einen grofsen glänzenden Kör¬ 
per, welcher bisweilen stark lichtbrechend, bisweilen aber auch 
ungleichmäfsig und aus einer Anzahl kleiner Kügelchen zusammen¬ 
gesetzt erschien. Die Bewegungen erfolgten ruckweise und 
bewirkten fast gar keine Ortsveränderungen. In gefärbten Prä¬ 
paraten solcher Parasiten erschien der Kern sehr aui'gelockert, 
manchmal auch geteilt, das Protoplasma sehr matt gefärbt und 


Digitized by CjOOQle 



282 


Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen. 


die Geifsel öfters auffallend lang. Man geht wohl nicht fehl, 
wenn man diese Bilder als Degenerationsformen anspricht, 
besonders da diesen Gestaltsveränderungen stets völlige Auflösung 
der Parasiten folgte. Öfters wurden diese Formen auch im Herz¬ 
blut gestorbener und erst nach Verlauf von mehreren Stunden 
secierter Tiere gefunden. 

Eine eigentümliche Eigenschaft der Parasiten bemerkten 
La v er an und Mesnil zuerst in dem lange Zeit im Eisschrank 
aufbewahrten Bhite. Sie fanden, dafs die Trypanosomen sich 
manchmal schon am 3. Tage, gewöhnlich aber erst später zu 
Haufen vereinigten. Sie bildeten mit ihrem Hinterende 
Verschlingungen und führten mit dem Geifselende ihre lebhaften 
Eigenbewegungen ungestört weiter aus, so dafs sich dem Be¬ 
obachter ein rosettenähnliches Gebilde präsentierte, welches im 
Centrum ein mehr oder weniger homogenes Aussehen darbot, 
während in der Peripherie nach allen Seiten in radiärer Richtung 
die Geifseln der einzelnen Flagellaten lebhaft beweglich erkenn¬ 
bar waren. Im ungefärbten Präparate können derartige Gebilde 
sehr wohl mit rosettenförmigen Vermehrungsstadien verwechselt 
werden. Und in der That scheint Danilewsky bei seinen Be¬ 
obachtungen über die Vermehrung durch Segmentation öfters 
derartige Knäuel für Vermehrungsformen gehalten zu haben, 
denn derartige Teilungsformen mit 30—60 Tochterindividuen, 
wie er sie beschreibt und abbildet, sind nach ihm von anderen 
Untersuchern nicht wieder beobachtet worden. 

Die Knäuel blieben nach den Untersuchungen von Laveran 
und Mesnil tagelang besteheu und nahmen mit der Zeit noch 
an Gröfse zu, ohne dafs jedoch sämtliche Parasiten sich zu 
Knäueln verbanden. Die in den ersten Tagen ungeschwächte 
Beweglichkeit begann erst nach 20—30 Tagen deutlich langsamer 
zu werden, und die Trypanosomen nahmen dann ein granuliertes 
Aussehen an. 

Auf diese knäuelbildende Eigenschaft des Rattenblutes 
wurde ich zuerst aufmerksam, als das Blut einer Ratte, welche 
ganz plötzlich ihre Parasiten verloren hatte, mit dem Trypauo 
somen enthaltenden Blute einer anderen Ratte zusammengebracht 


Digitized by CjOOQle 



Von Oberarzt Dr. Jürgens. 


283 


wurde. Im hängenden Tropfen konnte man beobachten, wie die 
Flagellaten sich näherten und nach einigen Minuten mit ihrem 
hinteren Ende Verschlingungen bildeten. Diese Verbindungen der 
Parasiten waren anfangs nur sehr locker, dann bei Zusatz von 
wässeriger Methylenblaulösung oder Formel, oder beim Eintrock¬ 
nen konnte man unter dem Mikroskop beobachten, wie sich ein 
Parasit nach dem anderen loslöste, bis nach einigen Minuten 
sämtliche Flagellaten aus ihren Verschlingungen gelöst und wieder 
frei und isoliert waren. Je länger aber der Knäuel bestand, 
desto fester wurde die Verschlingung, jedenfalls liefsen sich die 
Trypanosomen später nicht mehr durch die oben genannten 
Mittel auseinanderbringen. Man konnte daher die Knäuel fixieren 
und färben, so dals die Struktur genauer beobachtet und die 
Zahl der Parasiten wenigstens annähernd festgestellt werden 
konnte. 

In solchen Bildern von kleinen Knäueln erscheinen die 
Geifselenden der Parasiten zwar nicht mehr genau in radiärer 
Richtung ausgestreckt, aber man erkennt doch noch die rosetten¬ 
ähnliche Anordnung. Bei den gröfseren Knäueln ist allerdings 
von einer regelmäfsigen Lagerung nicht mehr die Rede, manch¬ 
mal macht es zwar den Eindruck, als ob auch hier die Hinter¬ 
enden aneinanderhaften, im allgemeinen liegen aber in den grofsen 
Knäueln die Parasiten wirr und planlos durcheinander, wie 
dies auch von Laveran und Mesnil beschrieben wurde. 

Die Zahl der Flagellaten beträgt in den grofsen Knäueln 
oft 30—50 und in einzelnen Fällen noch bedeutend mehr, be¬ 
sonders wenn sich mehrere Knäuel vereinigt haben. Diese Ver¬ 
bindung zweier oder mehrerer Knäuel zu einem grofsen Haufen 
tritt aber nicht immer ein, oft liegen mehrere grofse und kleine 
Knäuel lange Zeit bei einander, und im hängenden Tropfen lassen 
sie sich oftmals durchaus nicht in ihren Ortsbewegungen durch 
die Nähe anderer gröfserer Knäuel stören. Auch finden sich in 
ihrer nächsten Nähe oft noch einzelne isolierte Parasiten, weiche 
isoliert bleiben, während andere aus weiter Entfernung näher 
kommen, um sich schliefslich mit den Knäueln zu vereinigen. 
Niemals wurden in Übereinstimmung mit den Beobachtungen 

Archiv für Hygiene. Bd. XLU. 19 


Digitized by v^.ooQle 



284 


Beitrag zur Biologie der Battentrypanosomen. 


von Laveran und Mesnil alle Parasiten im Präparat zu Knäueln 
vereinigt gefunden. 

Die Ähnlichkeit dieser Knäuelbildung mit der Agglutina¬ 
tion der Bakterien veranlafste Laveran und ^lesnil, das 
Serum verschiedener Tiere auf agglutinierende Eigen¬ 
schaften zu prüfen. Sie fanden, dafs das Tauben-und Ratten¬ 
blut-Serum keinen Einflufs auf die Parasiten ausübte, während 
das Serum vom Schaf, Kaninchen, Hund, Pferd und Huhn 
knäuelbildend wirkte. Die beiden letzten noch in einer Ver¬ 
dünnung von 1 : 4—5. Bedeutend stärker, nämlich in einer Ver¬ 
dünnung von 1 : 20, wirkte das Serum von Ratten, welche eine 
Trypanosomeninfektion überstanden hatten. 

Auffallend ist es, dafs Rabinowitsch und Kempner ge¬ 
legentlich ihrer experimentellen Untersuchung über aktive und 
passive Immunität der einmal infizierten Ratten diese Knäuel¬ 
bildungen nicht beobachtet haben. Am Schlufs der Untersuch¬ 
ungen heifst es ausdrücklich: »was die Agglutinationsfähigkeit 
betrifft, so zeigt das Trypanosomenserum in keiner Weise irgend 
welche agglutinierende oder entwicklungshemmende Eigen¬ 
schaften c. 

Meine eigenen Untersuchungen bestätigen nun vollauf die 
Erfahrung von Laveran und Mesnil, dafs das Blut gesunder 
weifser Ratten niemals, dagegen nach überstandener Trypano- 
someu-Injektion stets knäuelbildende Eigenschaften zeigt. Ein 
Unbeweglich werden vor der Knäuelbildung trat nicht ein, wie 
es auch von Laveran und Mesnil beobachtet wurde, jedoch 
zeigten manche Parasiten oft eine veränderte, krampfartig oder 
ruckweise ausgeführte Bewegung in dem agglutinierenden Serum. 

Bei der weiteren Untersuchung zeigte sich nun, dafs die 
Knäuelbildung nicht immer und überall gleich schnell und gleich 
stark auftrat. Das Blut mancher Ratten, z. B. derjenigen, welche 
3 Tage nach dem Nachweis der gelungenen Infektion plötzlich 
ihre Parasiten verlor, wirkte sofort sehr stark knäuelbildend, 
während das Blut anderer Ratten, welche ihre Trypanosomen 
ganz allmählich verloren (z. B. die beiden grauen) erst nach 
einigen Stunden deutlich diese Wirkung erkennen liefs. Da nun 


Digitized by 


Google 



Von Oberarzt Dr. Jürgens. 


285 


die Ratten, wie oben erwähnt, nach einmal überstandener Infek¬ 
tion nicht von neuem infiziert werden können, so war es wichtig, 
das Verhalten des Blutserums nach solch wiederholten Impfungen 
zu prüfen. 7 Tage nach dem Verschwinden der Parasiten wurden 
Ratten von neuem mit trypanosomenhaltigem Blut geimpft, und 
dann 4 oder 5 Tage später das Serum auf knäuelbildende Eigen¬ 
schaften geprüft. Dabei zeigte sich, daf9 diese Eigenschaft nach 
einer Impfung jedesmal erheblich, mindestens um das Doppelte 
zunahm, und zwar nicht allein nach der ersten Wiederimpfung, 
sondern in gleicher Weise nach einer 2., 3. und 4. Wiederholung 
der Impfung. Durch derartige Einspritzungen konnten also sehr 
stark knäuelbildende Sera erhalten werden, die das ursprüngliche 
Serum mindestens um das 4 fache in der Wirkung übertrafen. 

Auch Menschen-, Pferde-, Mäuse- und Tauben-Serum wurde 
untersucht. Menschen- und Mftuse-Serum veranlagte keine Knäuel : 
bildung, während Taubenblut-Serum etwas schwächer, Pferde- 
Serum stärker als das Blut immuner Ratten wirkte. 

Worauf übrigens diese Knäuelbildung beruht, ist noch völlig 
dunkel. Es mag ja nahe liegen, an eine Ähnlichkeit mit der 
Agglutination der Bakterien zu denken, aber einen thatsächlichen 
Anhalt für die Verwandtschaft dieser beiden Vorgänge haben 
wir bisher nicht. Und bevor nicht genaue Untersuchungen und 
Beobachtungen erfolgt sind, ist jegliche Vermutung über diese 
Angelegenheit unnütz. 

Eine Vermehrung der Parasiten ist aufserhalb des Tier¬ 
körpers bisher noch nicht beobachtet worden. Zwar berichtet 
Danilewsky von einer stattgehabten Entwicklung der Trypano¬ 
somen in sterilisierten Pipetten. Es ist jedoch nicht deutlich 
zu ersehen, ob er dieselbe auch bei den Parasiten des Ratten¬ 
blutes, oder nur bei den Trypanosomen der Frösche und Fische 
unter dem Mikroskop beobachtet hat. Wahrscheinlich haben ihm 
auch Knäuelbildungen als Vermehrungsformen imponiert. Ra- 
binowitsch und Kempner konnten niemals eine Entwicklung 
der Ratten-Trypanosomen aufserhalb des Tierkörpers konstatieren. 
Nur die Teilung der Rosetten in die einzelnen Spröfslinge gelang 
ihnen im hängenden Tropfen zu verfolgen, v. Wasielewski 

19* 


Digitized by v^.ooQle 



286 


Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen. 


und Senn waren nicht so glücklich in ihren Beobachtungen. 
Im hängenden Tropfen sahen sie nie eine Entwicklung der Para¬ 
siten erfolgen, auch nicht bei Bruttemperatur. Insbesondere 
konnte auch nicht nach stundenlanger Beobachtung einzelner in 
Teilung begriffener Exemplare ein Fortschreiten der Teilung fest¬ 
gestellt werden. 

Auch ich konnte unter dem Mikroskop keine Weiterentwick¬ 
lung eines bereits in Teilung begriffenen Parasiten beobachten, 
aber doch scheint die Weiterentwicklung unter bestimmten 
Umständen auch im hängenden Tropfen vor sich zu gehen. 
Wurden nämlich unter aseptischen Kautelen mehrere hängende 
Tropfen von Rattenblut mit jungen Trypanosomen angefertigt, 
und davon einige in einen Brutschrank von 37° gestellt, so sah 
man sehr oft am anderen Tag in diesen Präparaten Teilungs¬ 
formen und Entwicklungsstadien, welche man am Tage vorher 
nicht darin bemerkt hatte, während eine derartige Veränderung 
in den im Zimmer aufgestellten Präparaten niemals auftrat. Auch 
fänden diese Vorgänge nie bei alten Parasiten statt, sondern nur 
bei jungen, vor der Teilung stehenden, also bei solchen, welche 
im Blute einer geimpften Ratte am 3.—4. Tage nach der Impf¬ 
ung erschienen. Da nun bei frischen Infektionen die grofse 
Menge der Parasiten es unmöglich macht, sich über die Zahl und 
Form der in einem hängenden Tropfen vorhandenen Trypano¬ 
somen genau zu orientieren, so wurden Verdünnungen hergestellt, 
um jedes Präparat genau durchmustern und die darin vorhandenen 
Flagellaten zählen zu können. Aber in derartigen, auch noch 
so schwachen Verdünnungen fand nie eine Entwicklung statt; 
wahrscheinlich schädigt die angewandte Flüssigkeit die Parasiten. 
Man mufste daher die zu verschiedenen Zeiten in einem hängen¬ 
den Tropfen vorhandene Zahl und Form der Trypanosomen auf 
andere Weise zu vergleichen suchen. Dies geschah folgender- 
mafsen: Es wurden mit derselben Platinöse drei möglichst gleich 
grofse hängende Tropfen von dem zu untersuchenden Blute her- 
gestellt. Nr. 1 wurde in den Brutschrank, Nr. 2 ins Zimmer 
gestellt und von Nr. 3 wurden Deckglasausstrich-Präparate ge¬ 
macht, die darin vorhandenen Parasiten gefärbt und gezählt. Am 


Digitized by v^.ooQle 



Von Oberarzt Dr. Jürgens. 


287 


anderen Tag wurden dann Zahl und Form der in Nr. 1 und 
Nr. 2 beobachteten Trypanosomen mit den in Nr. 3 vorhandenen 
verglichen. Diese Untersuchung nach 24 Stunden wird dadurch 
aufserordentlich erleichtert, dafs fast sämtliche Parasiten aus der 
Mitte des hängenden Tropfens (dem Blutkuchen) an den Rand 
(in das Serum) treten. Am anderen Tag ergab nun die Beob¬ 
achtung, dafs Präparat Nr. 2 stets dieselben Verhältnisse zeigte 
wie Nr. 3 am vorhergehenden Tage, während im Präparat Nr. 1 
mehr Parasiten und vor allem ganz andere Entwicklungsformen 
vorhanden und im gefärbten Präparat deutlich nachweisbar waren. 
Fanden sich z. B. in Nr. 3 dicke, zur Teilung sich vorbereitende 
Parasiten, so zeigte Präparat Nr. 1 am anderen Tag stets Ro¬ 
setten und Teilungsformen, während in Nr. 2 keine Vermehrungs¬ 
form zu entdecken war. Um etwaige Täuschungen und Ver¬ 
wechslungen mit Degenerationsformen auszuschliefsen, wurden 
die Präparate nach dem Eintrocknen fixiert und gefärbt, so dafs 
die Verhältnisse im gefärbten Bilde genau mit Nr. 3 verglichen 
werden konnten. 

Diese Beobachtungsart kann selbstverständlich keinen An¬ 
spruch auf Exaktheit machen, da aber in den Brutschrank-Prä¬ 
paraten immer wieder dieselben Veränderungen gefunden wurden, 
und niemals in einem bei Zimmertemperatur aufgestellten Prä¬ 
parat auch nur eine Andeutung einer Weiterentwicklung be¬ 
obachtet werden konnte, so wird es hierdurch meines Erachtens 
doch wahrscheinlich, dafs unter bestimmten Bedingungen gewisse 
Stadien der Parasiten sich auch außerhalb des Tierkörpers zu 
vermehren vermögen. Ob und in wieweit die Mifserfolge von 
v. Wasielewski und Senn etwa auf die Einwirkung des 
Lichtes zurückzuführen sind, darüber müssen weitere Beobach¬ 
tungen Aufschlufs geben. 

Die Arbeiten wurden im hygienischen Institut der Universi¬ 
tät Berlin ausgeführt, woselbst mir Herr Geh.-Rat Rubner in 
liebenswürdigster Weise einen Arbeitsplatz zur Verfügung ge¬ 
stellt hatte. Für dieses weitgehende Entgegenkommen, sowie 


Digitized by CjOOQle 



288 Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen. Von Oberarzt Dr. Jürgens 


für das stete Interesse für den Fortgang der Arbeiten, spreche ich 
Herrn Geh.*Rat Rubner meinen ganz gehorsamsten Dank aus. 

Auch bin ich Herrn Stabsarzt Dr. v. Wasielewski für die 
Anregung zu der Arbeit und die Unterstützung bei derselben zu 
grofsem Dank verpflichtet. 


Litteratur. 


Danilewsky (1889), La parasitologie comparäe du sang. 

Koch (1898), Reiseberichte über Rinderpest, Tsetse oder Surrakrank- 
heit u. s. w. 

Laveran und Mesnil (1900), De la longue Conservation ä la glaciere des 
Trypanosomes du rat et de l’agglomäration de ces parasites. (Compt. 
rend. de la Soc. de Biologie.) 

— (1900), Sur l’agglutinaüon des Trypanosomes du rat par divers särums. 
(Ibidem.) 

Lin gar d (1895), Summary of further report of Surra. 

Mesnil et Gaze au (1901), Les Trypanosomes et leur rüle pathogfene. (Extr. 
des Archives de mädicine navale.) 

Rabinowitsch und Kempner (1899), Beitrag zur Kenntnis der Blut¬ 
parasiten, speciell der Rattentrypanosomen. (Zeitschr. f. Hygiene und 
Infektionskrankheiten, Bd. 30.) 

Schilling (1901), Bericht über die Surra-Krankheit der Pferde. (Centralbl. 
f. Bakt., XXX, Nr. 15.) 

von Wasielewski u. Senn (1900), Beiträge zur Kenntnis der Flagellaten 
des Rattenblutes. (Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskrankheiten, 1900.) 


Digitized by v^.ooQle 



Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und 
Disposition. 

Von 

Otto Ammon. 

Hueppe 1 ) hat schon 1893 ausgesprochen, dafs zur Entstehung 
einer Infektion eine Anlage gehört, welche unter geeigneten 
Bedingungen die Auslösung der Krankheit durch die Erreger 
gestattet. Im Jahre 1896 hat Hueppe 2 ) diesen Satz in einem 
Punkte noch etwas schärfer gefafst durch die genauere Dar¬ 
legung, dafs sowohl die Krankheitsanlagen als die Virulenz der 
Erreger von Null bis Unendlich variieren können. Hieraus er¬ 
gibt sich mit Notwendigkeit, dafs die Intensität der Infektion 
und der Seuchen in weiten Grenzen schwanken kann. 

In dem folgenden Jahre hat Gottstein 3 ) das Verhältnis 
der durchschnittlichen Höhe der normalen Konstitutionskraft C zu 
der Höhe der pathogenen Eigenschaften sämtlicher zu dem 
Menschengeschlechte in Krankheitsbeziehungen tretender Para¬ 
te 

siten p durch den Bruch - ausgedrückt und dieses Verhältnis 
die »Disposition« genannt. 

Es scheint mir jedoch, dafs in dem, was Hueppe »Virulenz« 
und Gottstein p genannt hat, zwei Faktoren zu unterscheiden 

1' Über die Ursachen der Gärungen und Infektionskrankheiten und 
deren Beziehungen zum Kausalproblem und zur Energetik. Berlin, 1893. 

2) Naturwissenschaftliche Einführung in die Bakteriologie. Wiesbaden, 
1896, S. 152. 

3) Allgemeine Epidemioogie. Leipzig, 1887, S. 179. 


Digitized by CjOOQle 



290 Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und Disposition. 

sind, ein quantitativer und ein qualitativer. Es kommt 
nämlich erstens auf die Menge der Parasiten an, welche in den 
Körper innerhalb einer gewissen Zeit eindringen, und zweitens 
auf die erregende Kraft dieser Parasiten, auf ihre »Virulenz« im 
engeren Sinne. Eine geringere Zahl sehr virulenter Parasiten 
kann ebensoviel Wirkung thun, wie eine gröfsere Zahl weniger 
virulenter. Die Virulenz im weiteren Sinne ist daher eine 
Funktion der Zahl und der Ansteckungsfähigkeit der Parasiten, 
welche in einer Zeiteinheit in den Körper einzudringen vermögen. 
Bis zu einer gewissen Grenze ist die Hauspolizei im 
stände, der Eindringlinge Herr zu werden; darüber hinaus ent¬ 
steht die Infektion, die zum Ausbruch der Erkrankung führt. 

Es hat mir geschienen, dafs dieses Verhältnis einer näheren 
theoretischen Untersuchung durch die Anwendung der Wahr¬ 
scheinlichkeitsrechnung zugänglich sei. Der Übersicht¬ 
lichkeit wegen unterscheiden wir in dem Folgenden die beiden 
Faktoren der »Virulenz« nicht, sondern nehmen an, dafs wir 
es jeweils mit einer gewissen Zahl von Erregern von mittlerer 
Virulenz zu thun haben. Alsdann fragen wir uns: 

Wie sind die Krankheitserreger in der Natur verteilt? 

Wir wissen durch die Untersuchungen, die an der Luft ver¬ 
schiedener Gegenden und zu verschiedenen Zeiten angestellt 
worden sind, dafs der Gehalt eines einheitlichen Raumteiles Luft 
an Erregern sehr wandelbar ist. Bald fand man deren viele, 
bald nur sehr wenige. Es ist auch theoretisch als gewifs anzu¬ 
nehmen, dafs nicht jeder Kubikdecimeter Luft, der an uns 
vorüberzieht, gleich stark mit Krankheitskeimen gemischt ist. 
Neben dem Kubikdecimeter, den ein Bakteriologe untersucht hat, 
befand sich zur Zeit der Luftentnahme vielleicht ein anderer 
Kubikdecimeter mit einem bedeutend gröfseren oder kleineren 
Erregergehalt. Etwas Bestimmtes hierüber ist nicht empirisch 
ermittelt, aber theoretisch können wir allerdings nach der Wahr¬ 
scheinlichkeit vermuten, dafs die Zufälligkeiten des wechselnden 
Erregergehaltes einem Gesetze folgen, dem alle derartigen Zufällig¬ 
keiten ohne Ausnahme unterliegen: der Gaufsschen Formel 


Digitized by CjOOQle 



Von Otto Ammon. 


291 


für die Häufigkeit der Kombinationen. Gemeinverständlich sagt 
die Formel aus, dafs eine gewisse Kombination am häufigsten 
vorkommt, und dafs die Häufigkeit der Kombinationen um so mehr 
abnimmt, je mehr dieselben in ihrer Zusammensetzung von 
jenem Mittel abweichen. Quötelet 1 ) hat die Formel aul ver¬ 
schiedene Phänomene angewendet, Gal ton 2 ) und andere haben 
auf sie gebaut, um menschliche Begabungen leichtfafslich dar* 
zustellen; neuerdings hat Prof. Ludwig 3 ) in Greiz die An¬ 
wendung auf botanische Tbatsachen gemacht und damit grofse 
Erfolge erzielt. Eigentlich gehört die Formel den Astronomen, 
welche sie benutzen, um die Beobachtungsfehler unschädlich zu 
machen; denn auch hier gilt das Gesetz, dafs kleine Fehler 
häufiger sind als grofse, und dafs die Fehler um so seltener 
werden, je mehr sie von der Wahrheit ab weichen. 

Es kommt für unsere weitere Untersuchung gar nicht darauf 
an, ob die Erreger diese oder jene Krankheit hervorrufen, auch 
nicht darauf, ob sie durch den Mund, durch die Lungen, durch die 
Schleimhäute, oder durch Verletzungen der Oberhaut ins Innere 
des Körpers dringen. Es kommt einzig und allein darauf an, 
wie häufig die Erreger in Gruppen von 1, 2, 3, 4 und mehr 
Gelegenheit zum Eindringen erhalten. Um aber nicht gar zu 
abstrakt zu verfahren, mit Rücksicht darauf, dafs eine konkrete 
Annahme meistens leichter verstanden wird, stellen wir uns 
zunächst die Frage so: wieviele Erreger irgend einer Krankheit 
werden in einer Zeiteinheit mit der Atemluft eingezogen? Da 
können wir nun nach Gaufs mit ziemlicher Bestimmtheit die 
Annahme machen, dafs irgend eine Zahl von Erregern in der 
Zeiteinheit am häufigsten Vorkommen wird, und dafs die Häufig¬ 
keiten kleinerer und gröfserer Zahlen beiderseits von diesem 


1) Lettres sur la theorie des probabilites, Brüssel 1845; L’Anthropo- 
metrie und andere Schriften. 

2) Hereditary Genius, London 1869; Inquiries into Human Faculty, 
London 1883; Natural Inheritance, London, 1889. 

3) Beiträge zur Phytarithmetik. Botanisches Centralblatt 1897; Über 
Variationskurven, daselbst, 1898; Die pflanzlichen Variationskurven und die 
Gau fesche Wahrscheinlichkeitskurve, daselbst, 1898, u. A. 


Digitized by Cjooole 



292 Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und Disposition. 


Mittel symmetrisch abnehmen werden. Um noch konkreter zu 
sein, sagen wir, die Zahl der in einer Zeiteinheit eingeatmeten 
Bacillen sei 50, so werden die Zahlen 49 und 51 auch noch 
ziemlich häufig sein, und die Zahlen 48 und 52, 47 und 53 eine 
abnehmende Häufigkeit zeigen. Die Abnahme ist jedoch keine 
gleichmäfsige, d. h. sie folgt nicht dem Gesetz der geraden Linie, 
sondern der mehrgenannten Gauls sehen Formel, bezw. der 
Gaufsschen Wahrscheinlichkeitskurve, die in Fig. 1 neben¬ 
stehend abgebildet ist. Streng genommen, ist die Kurve im Sinne 
Hu epp es eine unbegrenzte, beiderseits von Null bis Unendlich 
gehende, indem die beiden Arme sich nicht wie in der Figur 
mit der Abscissenachse bei 0 und 100 verschmelzen, sondern die 



Verteilung der Krankheitserreger in der Natur. 


Achse zur Asymptote haben; für praktische Zwecke ist dies jedoch 
unerheblich, da der zwischen der Kurve und der Achse ver¬ 
bleibende Raum verschwindend klein und graphisch nicht mehr 
darstellbar ist. Luft mit 0 Erregern wird natürlich auch schon 
ausnehmend selten sein, und Luft mit mehr als 100 wird nicht 
Vorkommen. Wir erkennen aus der Figur, dafs schon die Zah¬ 
len 25 und 75 verhältnismäfsig recht selten sind; überhaupt 
können wir uns nach dieser Kurve ein ziemlich deutliches Bild 
davon machen, wie die Krankheitserreger in der Natur verteilt 
sind, und wie sie bald vereinzelt, bald in kleineren oder gröfseren 
Gruppen ihre Angriffe auf den Menschen ausführen. Denn was 
wie soeben über die Einatmung gesagt haben, können wir nun 
auf jede Art des Angriffs ausdehnen. Die Verallgemeinerung 


Digitized by VjOOQle 





I 


Von Otto Ammon. 293 

ist nicht blofs zulässig, sondern eine logische Notwendigkeit. Es 
ist nun die Frage, welche Folgerungen für die Ansteckung von 
Menschen sich hieraus ergeben? 

Wie sind die Dispositionen der Individuen verteilt? 

Es gibt Individuen, die sehr leicht angesteckt werden und 
solche, die mehr oder weniger seuchenfest sind. Wenn wir nach 
einem Mafsstab suchen, um die Gröfse der Disposition auszu¬ 
drücken, so bietet sich uns im Anschlufs an das Vorhergehende 
die Zahl der Erreger (von mittlerer Virulenz) dar, welche in den 
Körper eindringen mufs, um eine Ansteckung hervorzubringen. 

Um die Sache nicht zu verwickelt zu machen, sehen wir zu¬ 
nächst davon ab, dafs die Disposition eines Individuums nach Zeit 
und Umständen wechselt, denn das sind Verhältnisse, die nachher 
leicht für sich betrachtet werden können. Ebenso kümmern wir 
uns nicht darum, ob die Disposition angeboren oder erworben 
ist, sondern suchen nur die vorhandene Disposition exakt zu messen. 
Gar keinen Einflufs auf unsere Betrachtungen hat der Umstand, 
dafs für die eine Krankheit mehr, für die andere weniger Erreger 
aufzunehmen sind, um eine Wirkung zu erzeugen: wir denken 
uns eine Art von Normalkrankheit. 

Unter keinen Umständen unterliegt es einem Zweifel, dafs 
die Verteilung der Grade der Disposition zu einer Ansteckungs¬ 
krankheit ebenfalls durch das Gaufssche Gesetz bestimmt wird. 
Nennen wir x die Zahl der Erreger, die von der relativ gröfsten 
Zahl von Menschen gerade noch ohne Schaden ertragen wird 
(immer innerhalb einer Zeiteinheit), so wird die Zahl der Indivi¬ 
duen, welche weniger oder mehr als x Erreger ertragen könneu, 
eine etwas geringere sein und die Zahl wird beiderseits von dem 
Mittel x abnehmen und bei 0 Erregern ebenfalls 0 werden, denn 
ohne irgend einen Erreger aufzunehmen, wird kein einziger 
Mensch erkranken. Auch in diesem Falle wird die Abnahme 
von der Mitte nicht gleichmäfsig in einer geraden Linie vor sich 
gehen, sondern nach dem Gaufssehen Gesetz. Der entgegen¬ 
gesetzte Nullpunkt der Kurve wird daher bei 2x zu suchen sein. 


Digitized by 


Google 



294 Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und Disposition. 

Dabei ist jedoch nicht gesagt, dafs die G aufs sehe Kurve 
für die Verteilung der Dispositionen genau derjenigen für die 
Verteilung der Erreger gleichen müsse. Denn die Formel ent¬ 
hält 2 Konstante, die für jeden Fall neu zu bestimmen sind, 
und nach ihnen richtet sich die Gestalt der Kurve, die auf einer 
schmalen Grundlinie mehr in die Höhe gezogen, oder auf einer 
breiten mehr flachgedrückt sein kann. Hierüber habe ich das 
Nötige in meiner kleinen Schrift »Der Abänderungsspielraum«, 
Berlin (Ferd. Dümmler) 1896 auseinandergesetzt. 

Wir haben nun für die Wechselwirkung der Erreger und 
der Dispositionen die verschiedenen Möglichkeiten näher zu 
untersuchen. 

Wechselwirkung der Erreger und der Dispositionen. 

Wieviele Erreger (von mittlerer Virulenz) erforderlich sind, 
um einen Menschen anzustecken, ist uns unbekannt. Wenn wir 
uns aber ins Gedächtnis zurückrufen, daTs wir vorhin angenom¬ 
men haben, es kämen einzelne Schwärme von Erregern (inner¬ 
halb der Zeiteinheit) von 100 Stück vor und die häufigste Zahl, 
gewissermafsen der Normalschwarm, sei 50 Stück, dann ist eines 
ganz gewifs: die Zahl der Erreger, die der Mensch im Mittel 
aufnehmen kann, ist entweder kleiner, oder gleich, oder gröfser 
als die Zahl 50, die ganze Variationsbreite der individuellen 
Dispositionen entsprechend kleiner oder gleich gröfser als 100. 

Betrachten wir nun die drei Fälle der Reihe nach, jeden 
für sich. 

a) Erster Fall. 

Die Zahl der Erreger, die der Mensch innerhalb einer Zeit¬ 
einheit in sich aufnehmen kann, ohne angesteckt zu werden, sei 
kleiner als 50. Es versteht sich, dafs wir für 50 jede andere 
Zahl setzen können und setzen müssen, wenn die Zahl der 
häufigsten Erregerschwärme eine andere ist. 

In Fig. 2 auf der folgenden Seite haben wir der Einfach¬ 
heit wegen angenommen, die Zahl der Erreger, denen der Durch¬ 
schnittsmensch gerade noch widersteht, sei 25. Dann verteilen 
sich die individuellen Dispositionen zwischen 0 und 50; letzteres 


Digitized by CjOOQle 



Von Otto Ammon. 


295 


ist die Zahl, bei der jedes Individuum von der Krankheit er- 
fafst wird. In der nebenstehenden Fig. 2 ist die entsprechende 
Gestalt der Gau Ts sehen Kurve dargestellt. Auf der Abscissen- 
achse erstreckt sich die Kurve von 0 bis 5U und der höchste 
Gipfel findet sich bei 25. Die Ordinaten geben wieder die ver- 
hältnismäfsige Häufigkeit der Individuen für jeden Grad von 
Disposition. Wir müssen uns aber vorstellen, dafs wir nicht 
eine absolute Zahl von Fällen als Ordinaten auftragen, sondern 
eine Verhältniszahl, etwa auf 100 berechnet, und dafs wir vorhin 
bei den Erregern ebenso verfahren 
seien. Dann ist klar, dafs für die 
Dispositionen der Scheitel der Kurve 
auf das Doppelte der Ordinate in die 
Höhe gezogen sein mufs, denn die 
ganze, von der Kurve und der Ab- 
scissenachse eingeschlossene F1 ä c h e 
mufs hier wie dort 100°/ 0 ergeben, mit 
anderen Worten, die eingeschlossenen 
Flächen müssen in beiden Fällen 
einander gleich sein. 

Gehen wir nun einen Schritt weiter 
und fragen wir nachderWechselwirkung 
der Erreger und der Dispositionen. 

Zu diesem Zwecke zeichnen wir 

die beiden Kurven von Fig. 1 und Fig 2 

Fig. 2 aufeinander, wie dies in Fig. 3 Verteilung der individuellen Krankheits- 

Dispositionen bei den Menschen. 

zu sehen ist. Die Nullpunkte decken 

sich natürlich, denn mit 0 Erregern wird 0 Mensch angesteckt. 
Was wird nun ein treten V Die Figur gibt Aufschluls. Sämtliche 
Individuen ohne Ausnahme werden angesteckt werden, denn jedes 
wird mit einer Zahl von Erregern in Berührung kommen, die 
zü einer Ansteckung hinreicht. Um dies auszudrücken, ist die' 
ganze Fläche der Kurve der Menschen schraffiert worden. Es 
gibt keinen Funkt der Menschenkurve, der rechts aufserhalb der 
Erreger-Kurve in den ansteckungsfreien Teil der Abscissen- 
achse fallen würde. Die Frage, ob die angesteckten Individuen 



Err+per 


Digitized by 


Googk 





296 1 Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und Disposition. 

sterben oder genesen, lassen wir hier ganz aufser acht, da sie 
für unsere Betrachtung unerheblich ist; wir haben es nur mit 
der Disposition zur Erwerbung der Krankheit zu thun. Nach 
dem weiteren Schicksal der Befallenen werden wir später fragen 
müssen, es liegt aber kein Grund vor, die Sache jetzt schon 
mehr als nötig verwickelt zu machen. 

Es wäre falsch, anzunehmen, die Individuen, welche durch 
den in der Höhe über die Erreger Kurve hinausragenden Teil 



° *s SO 75 XmycMa 

Fig. 8 

Wechselbeziehung der Erreger-Kurve und der Menschen-Kurve im Fall 1. 


der Menscheu-Kurve vorgestellt werden, könnten seuchenfrei 
bleiben. Die Erreger-Kurve stellt nur die Erreger dar, welche 
in einer Zeiteinheit sich dem Menschen zur Aufnahme darbieten. 
Wer sie nicht in der ersten Zeiteinheit aufnimmt, hat in der 
zweiten, dritten, oder irgend einer folgenden ausreichend Gelegen¬ 
heit dazu. 

b) Zweiter Fall. 

Die Zahl der Erreger, die der mittlere Mensch ohne Schaden 
aufnehmen, kann, sei der mittleren Zahl der Erregerschwärme 
gleich. 


Digitized by v^.ooQle 


Von Otto Ammon. 


297 


Dies ist ein Grenzfall, den wir erhalten, wenn wir in der 
vorhergehenden Fig. (3) den Endpunkt der Menschen-Kurve von 
dem Punkt bei der Zahl 50 allmählich über 75 nach 100 rücken 
und den Scheitel entsprechend erniedrigen. Sind wir bei 100 
angekommen, so wird die Menschen-Kurve mit der Erreger-Kurve 
vollständig zusammenfallen, und es wird sich an den vorhin 
gezogenen Folgerungen nichts ändern. Die ganze Fläche bleibt 
schraffiert, denn auch bei dieser Annahme kann kein Mensch 
der Ansteckung entgehen. Die Fälle a und b können daher 
keine Dauerzustände darstellen: sie würden die Menschheit aus¬ 
rotten. 

o) Dritter Fall. 

Die mittlere Zahl, die der Mensch ertragen kann, sei gröfser 
a 1 s 50. Dann ändert sich die Sache. 



Wechselbeziehung der Erreger-Kurve und der Menschen-Kurve im Fall 8. 


In der nebenstehenden Fig. 4 haben wir gleich beide Kurven 
übereinander gezeichnet. Die Erreger-Kurve ist die nämliche 
wie vorhin, aber die Menschen-Kurve ist auf der Abscissenachse 
bis in das seuchenfreie Gebiet rechts von dem Punkte 100, 
und zwar des Beispiels wegen bis zu dem Punkte 150 ausge¬ 
dehnt. Hier ergeben sich nun sehr bedeutsame Unterscheidungen. 
Die Individuen, welche in den dunkel schraffierten Teil der 
Menschen-Kurve fallen, werden unbedingt angesteckt, weil sie 
jedenfalls mit einer gröfseren Zahl von Erregern in Berührung 
kommen als sie ertragen können. Sie sind die ersten und 
sichersten Opfer, die schon in der ersten Zeit ergriffen werden. 


Digitized by CjOOQle 





298 Theoretische Betrach tun ge o über Ansteckung und Disposition. 

Die entgegengesetzt und lichter schraffierte Fläche zeigt uns 
Individuen, die nur unter Bedingungen von der Krankheit 
heimgesucht werden. Ihre Widerstandsfähigkeit liegt gröfstenteils 
über Mittel, und die Kurve der Erreger bleibt innerhalb der 
Mensclien-Kurve, d. h. die betreffenden Individuen fallen nur 
dann, der Seuche anheim, wenn sie zufällig in einer Zeiteinheit 
mit einem der stärkeren Erregerschwärme in Berührung kommen, 
und diese Schwärme gehören verhältnisraäfsig zu den selteneren, 
so dafs die Individuen nicht unter allen Umständen ergriffen zu 
werden brauchen. Alle, bis zur Zahl 100, sind der Gefahr aus¬ 
gesetzt. 

Aber alle zwischen der Zahl 100 und der Zahl 150 — freilich 
nur ein ziemlich kleiner Teil wegen der Einbuchtung der Kurve 
sind vor jeder Ansteckung gesichert — sind immun und 
zwar vollständig immun. Dabei rufen wir aber die Voraus¬ 
setzung ins Gedächtnis: die Kurve der Erreger hat nur in der 
Praxis bei 100 ein Ende, theoretisch nähert sie sich der Ab- 
scissenachse asymptotisch und verschmilzt sich mit ihr erst im 
Unendlichen. Das heifst mit Worten, es können unter gegebenen 
Umständen, ausnahmsweise, auch Erregerschwärme von 
mehr als 100 Stück Vorkommen, und gegen solche abnorme 
Angriffe sind auch die Individuen unserer Kurve zwischen 100 
und 150 nicht mehr gefestigt. Selbstverständlich gilt die 
gleiche Bemerkung hinsichtlich der Menschen-Kurve, d. h. es 
giebt immer einzelne Leute, die auch mehr als 150 Erreger ver¬ 
tragen können, aber sie sind gewifs sehr selten und nur als Aus¬ 
nahmen anzusehen. Machen wir jedoch die Voraussetzung, dafs 
die Menschen-Kurve auf der Abscissenachse bis 200,300, 400 u. s. w. 
Erreger gehe, so rückt ihr Scheitel nach 100, 150, 200, d. h. 
der seuchenfeste Teil der Individuen wird grölser und gröfser. 
Die Betrachtung dürfte gerade deswegen von Wert sein, weil sie 
die gröfsere oder geringere Häufigkeit der absoluten Seuchen¬ 
festigkeit begreifen lehrt. 

Die Erreger-Kurve und die Menschen-Kurve durchschneiden 
sich in Figur 4 an einem Punkte, dessen Abscisse ungefähr bei 
der Zahl 64 liegen dürfte; eine rechnerische Bestimmung würde 


Digitized by CjOOQle 



Von Otto Ammon. 


299 


sehr schwierig und an viele Voraussetzungen geknüpft sein, und 
der Wert für unsere weitere Erkenntnis würde nicht im Verhält¬ 
nis zu der Mühe stehen. Zwischen 64 und 100 giebt es Indi¬ 
viduen von verhältnismäfsiger Immunität, und die Wahr¬ 
scheinlichkeit, dafs solche angesteckt werden, nimmt von 64 bis 
100 beständig ab, um bei 100 gleich 0 zu werden. Es giebt also 
jedenfalls unter den gemachten Annahmen eine gewisse Zahl von 
Individuen, deren Ansteckung sehr unwahrscheinlich oder prak¬ 
tisch unmöglich ist, neben solchen von absoluter Immunität. 

Folgerungen. 

Bis jetzt haben wir uns um das weitere Schicksal der er¬ 
krankten Individuen nicht bekümmert. Es giebt meines Wissens 
keine Infektionskrankheit, bei der alle Befallenen sterben müssen, 
wiewohl der Prozentsatz der Opfer sehr wechselnd ist und bei 
einigen Krankheiten hoch ansteigt. Aus diesem Grunde ist die 
Fortsetzung einer allgemeinen Betrachtung von hier an nicht 
möglich. Wir müfsten die verschiedenen Grade von Sterblichkeit 
und Genesung untersuchen, und das würde sehr umständlich 
sein. Besonders schwierig wird die Sache dadurch, dafs bei 
manchen Krankheiten die genesenen Individuen auf kürzere 
oder längere Zeit verschont werden, also eine fast unbedingte 
Immunität besitzen, während bei anderen Arten von Krankheit 
gerade die einmal befallen Gewesenen der Gefahr einer Wieder¬ 
holung besonders ausgesetzt sind. 

Um eine Vereinfachung zu erzielen, wollen wir uns an die 
allerschwerste Form halten und nun einmal uns fragen, was 
weiter geschieht, wenn alle Erkrankten ohne Ausnahme sterben. 
In diesem Falle gehen uns die Individuen der dunkel schraffierten 
Fläche (Fig. 4) gänzlich verloren. Wir können eine neue Kurve 
(Fig. 5, I) zeichnen, in der die links von Abscisse 64 liegenden 
Individuen fehlen, die Kurve also erst bei 64 beginnt. Von hier 
bis 100 nimmt die Wahrscheinlichkeit des Befallen Werdens ab 
bis zu 100, aber der gröfste Abstand der Erreger-Kurve und der 
Menschen-Kurve liegt vermöge der Gestalt der Kurven nicht bei 

Arohir für Hygiene. Bd. XLII. ^0 


Digitized by CjOOQle 



300 Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und Disposition. 


100, sondern etwas links davon bei 82. Tragen wir uns die 
Differenzen der Ordinalen, d. h. die der hell schraffierten Fläche 
auf einer neuen Abscissenachse auf und fügen wir die rechtseitige, 
unschraffierte Fläche der Menschen-Kurve hinzu, so bekommen 
wir eine Kurve, die in der nebenstehenden Figur mit 1 be¬ 
zeichnet ist, und die eine eigentümliche Form hat. Sie ist, wie 
der Augenschein sofort erkennen läfst und die Überlegung be¬ 
stätigt, nicht symmetrisch; der Scheitel liegt bei 82 statt bei 100. 
Solche asymmetrische Kurven entstehen immer, wenn die natür¬ 
liche Auslese auf einer Seite der Kurve eingreift, oder auch 

m 



Fl*. 5. 

Wirkung der natürlichen Auslene und Entatehung neuer Mennchen-Kurven 
in den nächsten Geschlechterfolgen. 


dann, wenn dieselbe auf einer Seite tiefer eingreift als auf der 
anderen Seite des Abänderungsspielraumes. Hierauf braucht 
nicht weiter eingegangen zu werden, weil dies in meiner vorhin 
zitierten Schrift ausführlich dargelegt ist. Wir haben auf der 
Abscissenachse, links von der Scheitelordinate, nur 18 Einheiten, 
auf der rechten jedoch 68 Einheiten. Das ist die Folge davon, 
dafs die natürliche Auslese auf der linken Seite einen grolsen 
Teil der Individuen hinweggerafft hat 

Ehe wir weiter gehen, müssen wir die Fläche der Kurve 
wieder auf 100°/ 0 bringen, um für die weggefallenen Flächen 
Ersatz zu schaffen und einen gleichen Malsstab anzuwenden. 


Digitized by 


Google 





Von Otto Ammon. 


301 


Wir haben deswegen alle Ordinaten entsprechend im gleichen 
Verhältnis zu erhöhen und bekommen dadurch die Kurve II, die 
wieder 100 °/ 0 einschliefst. 

Bei dieser Kurve bleibt aber die Art (hier der Mensch) nicht 
stehen, und bei dem ferneren Verlauf der Sache spielt die zwei- 
geschlechtige Fortpflanzung eine bedeutsame Rolle. 

Die Kurve II gilt im allgemeinen sowohl für Männer als 
für Frauen. Bei den Eheschliefsungen verbinden sich beliebige 
Individuen ohne Rücksicht anf die Grade ihrer Seuchenfestigkeit 
miteinander, d. h. es herrscht in dieser Beziehung Panmixie. 
Es paaren sich Individuen mit geringer Festigkeit mit solchen 
mit hoher Festigkeit und solche von mittlerer Festigkeit mit 
solchen von mittlerer, auch solche von niederer mit mittlerer. 

Die Kinder eines Paares sind in der Regel sehr verschieden. 
Wenn ein Erzeuger geringe, der andere hohe Seuchenfestigkeit 
besitzt, so werden Kinder zum Vorschein kommen, die teils 
niedere, teils hohe, teils mittlere Festigkeit haben. Die letzteren 
werden jedoch an Zahl überwiegeu, weil auch für diese Ver¬ 
hältnisse die Gaufssche Kurve mit ihrer Ausbauchung in der 
Mitte Geltung hat. Die Folge ist, dafs in der nächsten Ge¬ 
schlechterfolge die mittelguten Individuen etwas zunehmen. Da 
die Kinder aus den Ehen von Eltern, die beide mittlere Festig¬ 
keit besitzen, ebenfalls zum gröfsten Teil mittlere Festigkeit zeigen 
werden, und die Kinder der Paare mit mittlerer bis hoher, sowie 
der Paare von mittlerer bis niederer ebenfalls der Mittellinie 
nahe stehen, so kann man sich die Gestalt der entstehenden 
Kurve ungefähr vorstellen. Man mufs aber dabei den Umstand 
berücksichtigen, dafs die elterlichen Individuen unterhalb des 
Scheitels (links von demselben) an Zahl seltener sind als die 
oberhalb, weil die Kurve dort sich nur über 18 Einheiten erstreckt 
und steiler abfällt, als auf der oberen Seite (rechts), wo sie über 
68 Einheiten geht und flacher verläuft. Deswegen wird der 
Gesamteinflufs der schlechten Seite auf die Gestaltung der 
Kurve der Nachkommenschaft geringer sein als der der 
guten Seite, und wir werden mehr gute als schlechte Indi¬ 
viduen vor uns haben. 

20 * 


Digitized by 


Google 



302 Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und Disposition. 

Wegen der Überzahl der mittelguten Individuen wird sich 
der Scheitel der neuen Kurve etwas heben, und wegen der 
geringeren Zahl der schlechten und der Überzahl der guten In¬ 
dividuen wird er nach rechts hinüber wandern. 

Wir bekommen also für die erste Generation nach der¬ 
jenigen, auf welche wir zuerst die Auslese wirken liefsen, eine 
Kurve wie die mit III bezeichnete in Figur 5. 

Diese Kurve würde von rechtswegen links bei Abscisse 64 
endigen, aber nur, wenn es keine Rückschläge gäbe. Bei 
der Fortpflanzung treten jedoch immer Rückschläge auf, und 
namentlich die Individuen, die sich unmittelbar rechts von 
Abscisse 64 befinden, werden in ihrer Nachkommenschaft nicht 
wenige Individuen zählen, die auf die linke Seite von Abscisse 64 
fallen. In der Fig. 5 haben wir deswegen die Kurve III mit 
ihrem linken Ast nicht bei 64 an die Abscissenachse angeschlossen, 
sondern sie noch ein Stückchen weiternach links geführt. Der Punkt 
des schlechtesten Rückschlages läfst sich theoretisch nicht be¬ 
stimmen, da man über Rückschläge wenig weifs. Ich habe die 
Kurve bei 50 in die Abscissenachse einmünden lassen, aber dieser 
Punkt ist willkürlich gewählt. Für die Theorie ist es gleich¬ 
gültig, ob die Kurve etwas weiter nach links geht oder nicht. 

Wirkt nun die natürliche Auslese auf die neue Generation, 
die durch die Kurve III dargestellt wird, ebenso ein, wie sie 
auf die ursprüngliche Kurve in Fig. 4 eingewirkt hat, so werden 
abermals alle Individuen von weniger als 64 Seuchenfestigkeit 
und zum Teil auch die zwischen 64 und 100 weggerafft, ganz 
so, wie es oben beschrieben wurde. Die Zahl derselben ist 
aber geringer als sie bei den Eltern war. Die Folge ist, dafis 
mit jeder Generation der Gipfel der Kurve sich etwas er¬ 
höht und dabei um stets abnehmende Beträge immer weiter 
nach rechts rückt. Die zweigeschlechtige Fortpflanzung strebt 
darnach, die Individuen einander ähnlicher zu gestalten, die 
Abweichungen vom Typus an Zahl einzuschränken, und die Zahl 
derer, die durch ungenügende Seuchenfestigkeit und durch Rück¬ 
schlag der Krankheit zum Opfer fallen, kleiner und kleiner zu 
machen. 


Digitized by CjOOQle 


Von Otto Ammon. 


303 


Gäbe es keine Rückschläge, so würde bald ein Punkt er¬ 
reicht werden, an dem alle lebenden Individuen seuchenfest sind 
* und der Anfangspunkt der Kurve bei 50 würde bald über 64 
hinaus bis nach 100 rücken, wobei der Gipfel ebenfalls immer 
weiter nach rechts geschoben würde, ohne jedoch die Mitte der 
Abscissen zu erreichen. Mit anderen Worten, die natürliche 
Auslese würde sich ganz rein in der ihr von Darwin zugeschrie¬ 
benen Rolle zeigen, die Rasse zu verbessern. Die unvermeid¬ 
lichen Rückschläge vermindern die erfolgreiche Wirksamkeit der 
Auslese und führen derselben immer neue Opfer iu jeder Ge¬ 
schlechterfolge zu. 

Wenn nicht alle Angesteckten sterben, sondern viele ge¬ 
nesen, aber nun entweder für längere Zeit seuchenfest oder 
noch weniger widerstandsfähig sind als zuvor, so wird die Sache 
unübersichtlich. Wird die erlangte Seuchenfestigkeit nicht ver¬ 
erbt, so kann man nur so viel mit Gewifsheit sagen, dafs je 
höher die Zahl der Genesungen Befallener ist, desto gröfser die 
Zahl der Erkrankungen in den folgenden Generationen sein wird. 

Besondere Verhältnisse. 

Die Rückschläge sind nicht der einzige Faktor, welcher der 
natürlichen Auslese Opfer zuführt. Es ist jetzt Zeit, eines Um¬ 
standes zu gedenken, auf den schon im Eingang angespielt 
wurde, den wir aber absichtlich aufser acht liefsen, um die Be¬ 
trachtung nicht zu verwickelt zu machen. Dies sind die beson¬ 
deren Verhältnisse, in denen die Individuen leben. Ein seuchen¬ 
fester Mensch kann durch eine vorübergehende Überanstrengung 
oder schlechte Ernährung in seinem Widerstandsvermögen so 
geschwächt werden, dafs eine geringere Zahl von Erregern hin¬ 
reicht, um ihn anzustecken. Oft ist es auch eine leichtere, an 
sich unbedeutende Erkrankung, die den verhängnisvollen An¬ 
steckungskeimen einer tödlichen Seuche den Boden bereitet. 
Wir erinnern nur daran, wie oft ein Katarrh oder eine leichte 
Lungenentzündung in Tuberkulose übergehen. 

Deswegen sind die Seuchen auf zwei Wegen zu bekämpfen: 
Einmal durch möglichste Kräftigung der Individuen durch 


Digitized by CjOOQle 



304 Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und Disposition. 

Volkshygiene, wodurch die Widerstandsfähigkeit erhöht, also 
mit anderen Worten eine gröfsere Zahl von Erregern erforderlich 
wird, um eine Ansteckung hervorzurufen. Sodann durch Ver¬ 
minderung des Erregergehaltes der Luft etc. in der Umgebung 
der Menschen, wodurch ebenfalls eine bedeutende Zahl von 
weniger seuchenfesten Individuen über die Gefahrgrenze gehoben 
wird. In diesen Folgerungen treffen wir wieder mit Hueppe 
zusammen. 

Sehr bedeutende Gestaltsveränderungen erleidet die Menschen- 
Kurve jedenfalls dadurch, dafs bei manchen Krankheiten das 
einmalige Überstehen derselben für eine gewisse Zeit immun 
macht, sowie auch durch die spezifische Impfung, die den 
gleichen Effekt hat. Dadurch werden mehr Individuen auf der 
rechten Seite der Kurve angehäuft, die vorher auf der linken 
standen, und es tritt eine Form hervor, die nicht mehr eine 
reine G aufs sehe Kurve sein kann. Diese Verhältnisse sind 
jedoch so unbestimmt und verwickelt, dafs sie sich einer all¬ 
gemeinen Betrachtung entziehen. 

Zum Schlufs möchten wir die Aufmerksamkeit einem bis 
jetzt nicht immer beachteten Umstande zuwenden. Es ist ein 
grofser Unterschied, ob eine Seuche es namentlich auf das kind¬ 
liche Alter abgesehen hat und die schwach widerstandsfähigen 
Individuen beseitigt, wie z. B. Scharlach, Diphtherie, Pocken u. 
oder ob sie, wie die Tuberkulose, einer gröfseren Anzahl dis¬ 
ponierter Individuen gestattet, das zeugungsfähige Alter zu er¬ 
reichen und Nachkommenschaft zu hinterlassen. Dadurch wird 
die erbliche Anlage sozusagen verewigt, und es erklärt sich 
leicht, warum diese Krankheit eine um so viel gröfsere Rolle 
bei den Todesfällen spielt als jene vorgenannten. Die Venneidung 
der Heirat Tuberkulöser oder mit tuberkulöser Anlage Behafteten 
müfste deswegen in den Kreis der prophylaktischen Ratschläge 
aufgenommen werden. 

Ein Rückblick auf das Vorgetragene lehrt auch, warum 
Menschen, die in eine neue Umgebung versetzt werden, von den 
dort heimischen Volkskrankheiten viel öfter befallen werden als 


Digitized by CjOOQle 



Von Otto Ammon. 


305 


die Einheimischen, z. B. Weifse von den bösen Fiebern in Afrika, 
Neger von der Tuberkulose in Europa. Ihr Zustand ist der 
von Fig. 4. Sind aber ihre Nachkommen längere Zeit der be¬ 
treffenden Auslese unterworfen gewesen, so wird ihr Zustand 
durch Fig. 5 dargestellt mit der abnehmenden Zahl der Opfer. 
Das nennt man Anpassung. 

Unsere Betrachtungsweise ist daher geeignet, über manches 
klarere und bestimmtere Vorstellungen hervorzurufen, die einigen 
theoretischen Wert haben, wenn sie auch schwer auf ganz 
specielle Krankheiten und sonstige specielle Verhältnisse anzu¬ 
wenden sind. 


Digitized by v^.ooQle 




Digitized by v^.ooQle 




Versuche über Typhusagglutinine ond -Präcipitine 

Von 

Privatdozent Dr. Oskar Bail, 

Assistenten des Institutes. 

(Aus dem hygienischen Institute der deutschen Universität in Prag. 

Vorstand : Prof. F. H u e p p e.) 

I. Historische Einleitung. 

Die ältere Litteratur dieses Gegenstandes ist mehrfach in 
erschöpfender Weise zusammengestellt worden, so dafs es genügt, 
auf einige diesbezügliche Arbeiten 1 ) zu verweisen. Die überaus 
zahlreichen, seither erschienenen Mitteilungen, die sich auf die 
durch Gruber-Widal begründete Verwertung des Agglutina¬ 
tionsphänomens zu diagnostischen Zwecken beziehen, kommen 
für das Folgende kaum in Betracht. Ebenso rückt die Frage 
nach der absolut qualitativen oder nur relativ quantitativen 
Specifität der Haufenbildung von Bakterien durch das zugehörige 
Immunserum mehr in den Hintergrund, während die Erörterung 
des Wesens der Agglutination und Präcipitation, der haufbilden- 
den und niederschlagenden Eigenschaften des Serums vor¬ 
behandelter Tiere in erster Reihe steht. 

In Anbetracht der kurzen Bekanntschaft mit diesen Eigen¬ 
schaften ist die Zahl der mehr minder abweichenden Anschau¬ 
ungen, die von berufenen Forschern hierüber zum Ausdruck 
gebracht wurden, nicht gering. 

1) Namentlich: Ben sau de, R., Le ph^nomene de I’agglutination des 
microbes et ses applications ä la pathologie, 1897, Paris. Carr4 et Naud. 
Trumpp, J., Dieses Archiv, Bd. 31, S. 70 ff. 

Archiv für Hygiene. Bd. XLII. 21 


Digitized by CjOOQle 



30« 


Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 


Der eigentliche Entdecker der Agglutination, Gruber 1 ), nahm 
an, dafs die im Serum immunisierter Tiere vorhandenen Stoffe, 
die Agglutinine, die Hüllen der Bakterienleiber zum Verquellen 
bringen. Infolgedessen werden nunmehr die Bakterienzellen 
klebrig, haften aneinander, verkleben zu grofsen Klumpen, selbst¬ 
verständlich unter Verlust ihrer Beweglichkeit. 

Eine weitere Folge der Quellung der Bakterienmembran ist 
nun ihre leichte Durchgängigkeit für die bakterienfeindlichen 
Stoffe des Serums, die im normalen Organismus vorhandenen 
Alexine Büchners, die nunmehr zu einer erhöhten Wirkung 
ohne weiteres befähigt sind. Abgesehen von dieser, hier weniger 
interessierenden Erklärung der specitischen Baktericidie der 
Immunsera, die sich an die kurz vorher erschienene Anschauungs¬ 
weise Bordets 2 ) anschliefst, machte schon damals Gruber die 
für die Folge überaus wuchtige Beobachtung, dafs die Agglutinine 
durch den Prozefs der Haufenbildung verbraucht werden. 

Nach dieser Erklärungsweise ist somit sowohl das Unbew r eg- 
lichwerden der Bakterien, wie ihr Zusammentreten zu Haufen, 
etwas Sekundäres, das nur eine notwendige, gewissermafsen 
mechanische Folge der primären Wirkung ist, welche lediglich 
die Bakterienmembranen zur Quellung bringt und klebrig macht. 

Man kann sofort zugeben, dafs eine so tiefgreifende Ände¬ 
rung der Leibeshülle, die zarten Leibesanhänge der Bakterien, 
die Geifseln vernichtet, und dafs damit die Bewegungslosigkeit 
nach Zusatz von Immunserum aufs beste erklärt wird. 

Unerklärt bleibt aber dabei die Erscheinung, dafs die 
Bakterien nun, wie von einer unsichtbaren Gewalt, zu einander 
hingezogen werden, selbst dann, wenn sie vorher abgetötet 3 ) 
und in einer so dünnen Aufschwemmung vorhanden sind, dafs 
grofse Zwischenräume die einzelnen Zellen trennen. Immerhin 
würde sich schliefslich hierfür eine Erklärung vielleicht finden 

1) Gruber, Wiener klinische Wnchenschr., 1896, Nr. 11 ff., Münchner 
medizin. Wochenschr., 1896, Nr. 13 (mit Durhain), ebenda, 1897, Nr. 17, 
Autoreferat im Centralblatt f. Bakteriologie, Bd. 19, Nr. 15. 

2) Bordet, Annales de l’Institut Pasteur, 1895 u. 1896. 

3) Widal et Sicard, Society de biologie, 1897, Januar, u. a. 


Digitized by v.ooQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


309 


lassen, etwa durch Flüssigkeitsströmungen, welche die Bakterien 
einander nähern, und die wohl schwer zu vermeiden sein 
werden. In der That hat ja Dineur Versuche angeführt, wo¬ 
nach eine Haufen- und Flockenbildung unter Umständen durch 
passive Bewegungen gefördert werden kann 1 ). 

Die unerläfsliche Forderung aber, welche die Gru bersche 
Erklärungsweise erfüllen mufs, ist das sinnliche Sichtbarwerden 
der Quellung. Trotz der Kleinheit von Typhusbakterien oder 
Choleravibrioneu müfste sich diese Erscheinung nachweisen 
lassen. Thatsächlich ist Ähnliches beobachtet worden 2 3 ) und 
besonders die Untersuchungen Rogers'*) über das Aufquellen 
von Soorpilzzellen im Serum dagegen immunisierter Tiere scheinen 
tiefen Eindruck gemacht zu haben. 

Diese Beobachtungen verloren jedoch ihr Gewicht vollständig, 
als man erkannte, wie reine, nur die Agglutinine enthaltenden 
Sera wohl typische Haufenbildung, niemals aber Quellung von 
Bakterien hervorrufen konnten, während diese zu beobachten 
war, sobald noch Alexin im Serum vorhanden ist 4 5 ). 

Die durch Belfanti und Car hone eingeleiteteu, durch 
Bordet, Ehrlich u. v. a. zu hoher Vollkommenheit gebrachten 
Studien über die Auflösung von roten Blutkörperchen durch 
normale und specilische Sera, welcher sehr oft eine Agglutina¬ 
tion vorangeht, zeigten dann weiter, dafs Haufenbildung auch 
an Zellen stattfindet, die einer Membran im üblichen Wortsinne 
entbehren, und die bei reiner Agglutinationswirkung in keiner 
sichtlichen Weise verändert werden. 

Im wesentlichen nur eine Modifikation der Gruberschen 
Anschauungsweise stellt die Lehre von Dineur’) dar, welche 
auf Veränderungen der Geifselu das Hauptgewicht legt. Eine 

1) Dineur, cit. nach Bordet, Annales de l’Institut Pasteur, 1899, 
Nr. 3; daselbst auch Kritik der Versuche. 

2) Reiche Litteraturangaben Biehe bei Tr um pp, Dieses Archiv, Bd. 31, 
S. 138 ff. 

3) Roger, cit. nach Trum pp. 

4) Bordet, Annales de lTnstitut Pasteur, 1899, Nr. 3. 

5) Dineur, Recherches nur le mecanisme de l’agglutiuation du bacille 
typhique. Cit. nach Bordet, a. a. O.; daselbst auch Kritik. 

21 * 


Digitized by 


Google 



310 


Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 


besondere Verbreitung hat diese Lehre, die sich nur auf einen 
speciellen Fall bezog und für welche z. B. die Haufenbildung 
der roten Blutkörperchen eine unüberwindliche Schwierigkeit 
bildet, nicht gefunden. 

Auf einem ganz andern Prinzip fufst die Erklärung der 
Agglutinationsmechanik durch Pal tauf 1 ). Dieselbe wurde er¬ 
möglicht durch die schönen Entdeckungen von Kraus' 2 ) über 
specifische Fällungsreaktionen durch Immunsera. Setzte man 
nämlich Serum typhus- oder choleraimmuner Tiere zu Filtraten 
der entsprechenden Bakterienkulturen, so entstand nach einiger 
Zeit Trübung und Niederschlagsbildung. Diese »präcipitierende« 
Fähigkeit, die das Serum vorbehandelter Tiere annehmen kann, 
zurückgeführt auf eigene Stoffe, die Präcipitine, wurde in neuerer 
Zeit als weit verbreitet erkannt und zum Teil auoh für praktische 
Zw r ecke diagnostischer Natur verwertet 3 ). 

Solche Niederschlagsbildungen sollen nun nach Pal tauf 
auch bei nicht filtrierten, bakterienhaltigen Kulturen entstehen, 
gewi8sermafsen mechanisch und sekundär die Bakterien einhülleu, 
bewegungslos machen und zu grofsen Haufen zusammenführen. 
Die überaus ansprechende Hypothese hat ihre ersten Schwierig¬ 
keiten in dem Milsverhältnisse zwischen Stärke der Agglutination 
und der Niederschlagsbildung gefunden. Die Niederschläge des 
Kraus sehen Phänomens kann man mikroskopisch wahrnehmen, 
sie sind auch der Färbung zugänglich 4 ). Selbst bei stärkster 
Agglutination von Bakterien sieht man aber nichts davon. Ferner 

1) Pal tauf, Wiener klin. Wochenschrift, 1897, Nr. 10. 

2) Kraus, Wiener klin Wochenschrift, 1897, Nr. 16 u. 32. 

3) Um nur einige Beispiele zu geben: Kaninchen mit Hühnerblut 
behandelt, liefern ein »Serum, welches mit Hühnerserum, Kaninchen mit 
Menschenserum behandelt, geben ein solches, welches mit Menschenserum 
Trübung gibt. (Bordet, Uhlen huth u. a.) Vorbehandlung mit verschie¬ 
denen Eiweifskörpern läfst ein diese Stoffe aus Lösungen fällendes Serum 
entstehen (Myers u. a). In die Reihe dieser Präcipitationserscheinungen 
gehören wohl auch Versuchsergebnisse, die bisher mit Agglutination s. str. 
in Zusammenhang gebracht wurden, z. B. die casel’nfällende Kraft des 
Serums von Kaninchen, die mit Milch vorbehandelt sind, sowie die »Aggluti¬ 
nation von Tuberkelbacillen« nach Kochs neuesten Mitteilungen. 

4 Nico Ile, Annales de l’Institut Pasteur, 1898, Nr. 3. 


Digitized by 


Google 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail 


311 


findet die Agglutination gleich intensiv statt, ob man nun reine 
Bouillonkultur z. B. von Typhusbakterien verwendet, oder aus 
der gleichen Bouillon die Bakterien durch mehrmaliges Waschen 
mit physiologischer Kochsalzlösung reinigt. Wenn auch durch 
letzteren Vorgang eine Entfernung der niederschlaggebenden 
Stoffe nicht erreicht werden könnte, eine Verdünnung müfste 
doch eintreten. Gleichwohl ist kein Unterschied in der Schnellig¬ 
keit des Eintretens, wie in der Intensität der Haufenbildung 
wahrzunehmen. Ferner wurde das zeitliche Mifsverhältnis zwischen 
Entstehung der Fällung und Eintritt der Haufenbildung betont. 
Erstere braucht oft viele Stunden, letztere tritt binnen wenigen 
Minuten ein. Diese Schwierigkeit wäre vielleicht nicht unüber¬ 
windlich, denn abgesehen davon, dafs die Trübung durch Fällung 
zu einer Zeit, wo sie erst auf unsere Sinne einwirkt, schon vor¬ 
her unsichtbar thätig gewesen sein kann, so gibt es auch Sera, 
bei denen Präcipitation wie Agglutination sehr rasch erfolgen, 
wie weiter unten gezeigt werden wird. 

Der Pal tauf sehe Erklärungsversuch wurde aber unzuläng¬ 
lich, als gezeigt werden konnte, dafs präcipitierende und aggluti¬ 
nierende Eigenschaften im Serum vollständig voneinander unab¬ 
hängig seien, dafs man die eine durch entsprechende Bindung 
aufheben könne, ohne die andere zu schädigen. Diesem Nach¬ 
weise wird ein eigenes Kapitel gewidmet werden. 

Eine eigentümliche Verbindung der Palta ufsehen Hypothese 
mit der Grube rsehen Vorstellung des Mechanismus der Haufen¬ 
bildung findet sich bei Nicolle 1 ). Der agglutinierenden Sub¬ 
stanz im Serum des Immuntieres entspricht eine agglutinable 
Substanz (substance agglutince), die sich in den Bakterien selbst, 
besonders in deren äufserer Schicht findet. Bei länger dauernder 
Kultur in flüssigen Nährböden, unter Umständen auch durch 
geeignete Auslaugeweisen, geht sie gelöst in das umgebende 
Medium über. Die agglutinable Substanz verbindet sich mit der 
agglutinierenden und dadurch entsteht in Kulturfiltraten Trübung 

1) Nicolle, Oh., Recherchen sur la substance agglutince. Annales de 
1'Institut Pasteur, 1898, Nr. 3; sowie: Comptes renclus de la soc. de biol., 
1898 ^letztere Arbeit war leider nicht zu erhalten). 


Digitized by 


Google 



312 


Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 


und Fällung, in bakterienhaltigen Flüssigkeiten aber, durch Auf¬ 
quellen der agglutinablen Stoffe in den Zellmembranen und 
Zusammenfliefsen der äufseren Schichten benachbarter Mikrobien 
Haufenbildung. Die sehr wertvollen Beobachtungen Nicolles 
über Beeinflussung seiner agglutinablen Stoffe durch verschiedene 
äufsere Einflüsse werden gelegentlich erwähnt werden. Seine 
Anschauung über das Wesen der Agglutination steht und fällt 
mit der Beantwortung der Frage der Selbständigkeit oder gegen¬ 
seitigen Abhängigkeit der niederschlag- und haufbildenden 
Fähigkeit des Immunserums. 

In anderer Weise als die bisherigen Forscher fafste Bordet 1 ) 
das Agglutinationsphänomen auf. Er betrachtete zunächst das 
Eintreten der Haufenbildung als den Ausdruck der molekularen 
Attraktion zwischen körperlichen, kleinen Partikeln und der 
umgebenden Flüssigkeit. Eine solche Veränderung der nor¬ 
malen Attraktion gibt das alte Beispiel einer feinen Thonauf¬ 
schwemmung, die an sich lange Zeit trübe bleibend, schon nach 
kurzer Zeit Klärung unter Flockenbildung zeigt, sobald man 
Kochsalz zusetzt. Später unterschied Bordet zwei Phasen der 
Agglutination: Die erste ist eine biologische, gekennzeichnet 
namentlich durch die ausgesprochene Specifität des Vorganges, 
bei welchem das Agglutinin auf den Bakterien fixiert wird. Erst 
dadurch, unter dem Einflüsse der Agglutinine, wird in der jetzt 
folgenden zweiten Phase die Molekularattraktion der Bakterien 
untereinander und mit der umgebenden Flüssigkeit geändert und 
dadurch das Zusammenfliefsen zu grofsen Haufen bewirkt. Letztere 
Anschauungsweise stimmt überein mit der von Duclaux 2 ) ver¬ 
tretenen Ansicht über das Wesen des GerinnungsVorganges. 

Die Arbeit Bordets bedeutet einen sehr wesentlichen Fort¬ 
schritt; namentlich die Trennung des Vorganges in zwei Phasen, 
deren erstere bedingt ist durch die von Gr über entdeckte, 
lange Zeit nicht genügend beachtete Bindung (Fixation) des 
Agglutinins an die zugehörigen Bakterien und die erst dadurch 

1) Bordet, Le mecanisme de l'agfflutination. Annales de l’Institut 
Pasteur, 1890, Nr. 3. 

2) Duclaux, Traite de raicndriologie, Bd. II, 1899, Chap. XV u. XVI. 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


313 

bedingte Ermöglichung der Haufenbildung ist von gröfster Be¬ 
deutung und findet in den folgenden Versuchen ihre Erklärung. 
Für dieselbe lagen übrigens bereits Versuche in der Litteratur 
vor, die aber fast ganz vernachlässigt wurden, weil eine Deutung 
z. Z. unmöglich sein mufste. Hierher gehört die von Ransom 
und Kitashima 1 ) beobachtete Thatsache, dafs Choleravibrionen, 
in agglutininhaltiger Bouillon gezüchtet, die Fähigkeit zur Haufen¬ 
bildung mehr weniger einbüfsen. 

Die Bordetsche Anschauungsweise macht auch die Be¬ 
deutung der Salze einigermafsen verständlich, welche in neuester 
Zeit in den Vordergrund der Diskussion getreten ist 2 ). Was 
man den Bordetsehen Arbeiten zum Vorwurfe machen kann, 
ist die nicht genügend scharfe Auseinanderhaltung von Präcipi- 
tation und Agglutination, obwohl Bordet selbst es gewesen ist, 
der diesen Unterschied gegen Pal tauf hervorgehoben hat. 
Allerdings gibt hierfür die weitgehende Analogie, welche er und 
noch mehr Duclaux (»Pagglutination est une coagulation«) in 
der Haufenbildung mit der Gerinnung (nach Duclaux’ Hypothese) 
suchen, eine Erklärung. Das von Bordet bei Erklärung der 
Agglutination herangezogene Beispiel, die Caseinausfällung durch 
das Serum von Tieren, die mit Milch vorbehandelt wurden, 
gehört wohl sicher in das Gebiet der Präcipitationserscheinungen. 

Gerade für die Untersuchungen an Bakterien mufs Haufen- 
uud Niederschlagsbildung auf das Strengste auseinandergehalten 
werden; denn die Unabhängigkeit der sie bewirkenden Eigen¬ 
schaften des Serums läl'st sich Fall für Fall nach weisen. Das 
hindert nicht, einen nahen genetischen Zusammenhang beider 
anzunehmen; denn beide wirken jedenfalls auf nahe verwandte 
Stoffe der Bakterienzelle, die bei der Agglutination 
ungelöst im Zusammenhänge mit der lebenden oder 
frisch getöteten Bakterien ze 11 e, bei der Nieder¬ 
schlagsbildung von der Zelle getrennt, im gelösten 
Zustande in der Flüssigkeit vorhanden sind. 

1) Mitteilungen aus dem Institute für experimentelle Therapie in Mar¬ 
burg. III. Deutsche mediz. Wochenschrift, 1898, Nr. 19. 

2) Bordet, a. a. 0. Joos, Zeitschrift f. Hygiene, XXXVI. 


Digitized by v.ooQle 



314 


Versuche Aber Typhueagglutinine und -Präcipitine. 


Diese Auseinanderhaltung beider Vorgänge hindert auch 
nicht, für beide den analogen Mechanismus des Zustandekommens 
von Haufen und Niederschlagsbildung anzunehmen und zwar 
im Sinne der Erklärung Bordets, welche von allen bisherigen 
Versuchen den Thatsachen am meisten gerecht wird. 

In welchem Zusammenhänge die Versuche der neueren 
Zeit, die Agglutination als Wirkung von Ausscheidungsprodukten 
der Mikroorganismen selbst zu betrachten, mit den Befunden im 
Immunserum stehen, läfst sich gegenwärtig wohl kaum noch 
entscheiden. Emmerich und Löw 1 ), die eigentlichen Be¬ 
gründer dieser Anschauung, haben in Müller 2 ) einen Wider¬ 
sacher gefunden, dessen Gründe dagegen nicht leicht zu ent¬ 
kräften sein dürften. Aus eigener Anschauung läfst sich be¬ 
haupten, dafs die Zusammenballung von Pyocyaneusbakterien 
am Grunde alter Bouillonkulturen, denn doch mit dem, was wir 
sonst Agglutination nennen, nur eine sehr oberflächliche Ähnlich¬ 
keit besitzt. 

Jedoch finden sich ähnliche Angaben in der Litteratur häufig 
genug, um diese Frage noch als eine offene bezeichnen zu 
können. Die Angaben von Malvoz 3 ) und Nicolle 4 ) gehören 
u. a. hierher. 


II. Teil. Eigene Versuche. 

V orbeme rfcungen. 

Der Verlauf einer intraperitonealen Typhusinfektion beim 
Meerschweinchen ist bekannt und im allgemeinen so regel- 
mäfsig, dafs bemerkenswerte Eigentümlichkeiten kaum je auf- 
treten. Ist die Menge der eingespritzten Bakterien grofs genug, 
so sind die Krankheitserscheinungen und der Sektionsbefund 
völlig übereinstimmend, gleichgültig, ob es sich um virulente oder 
abgeschwächte Typhusbakterien handelt. Die Tiere werden sehr 
bald matt, sitzen mit gesträubten Haaren unbeweglich in einer 

1) Zeitschr f. Hygiene, XXXI. 

2) Centralblatt f. Bakteriologie, 1900, Nr. 18. 

3) Malvoz, Annales de l’Institut Pasteur, 1899, 8. 630. 

4) Nicolle, siehe Anmerkung S. 311. 


Digitized by CjOOQle 


Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


315 


Ecke, die Temperatur ist anfangs meist, aber nicht immer, erhöht, 
um späterhin subnormale Werte anzunehmen. Die Schnelligkeit 
des Eintretens dieser Symptome, sowie des Todes hängt nur 
von der Menge der injicierten Bakterien, die natürlich je nach 
der Virulenz derselben eine ganz verschiedene sein kann, ab. 

Das nach dem Tode entnommene Exsudat ist dicht trüb 
und wimmelt von lebhaft beweglichen Typhusbakterien. Die 
Zahl der zeitigen Elemente ist in der Regel eine mäfsige. Poly- 
nucleäre Leukocyten herrschen weitaus vor. Häufig zeigen die¬ 
selben schon im ungefärbten Präparate unzweideutige Zeichen 
des Zerfalles. 

Immerhin fand sich einige Male ein abweichender Befund. 
Dies war namentlich der Fall bei Verwendung eines sehr lange 
auf künstlichen Nährböden fortgezüchteten, wenig virulenten 
Typhusstammes. Hier kam es, auch nach Anwendung hoher 
Dosen (1. Agarkultur und mehr) vor, dafs die Tiere das gewöhn¬ 
liche Krankheitsbild darboten, innerhalb 20 Stunden starben, 
im Peritoneum reichlich Exsudat aufwiesen; aber in diesem waren 
nur sehr spärliche Bakterien vorhanden, so dafs sie zum Versuche 
nicht hinreichten. Seit den ersten Versuchen Pfeiffers ist dieses 
Verhalten für Cholera bekannt genug geworden. Bei Verwendung 
des zweiten, viel virulenteren Typhusstammes, der, in zweiter 
Generation aus der Galle einer Typhusleiche gezüchtet, haupt¬ 
sächlich zu den Versuchen benutzt wurde, ereignete sich dieses 
Vorkommnis niemals, weder nach Anwendung grofser noch 
Kleiner Kulturmengen. Die Virulenz betrug zu Beginn der 
Versuche weniger als eine halbe Öse 20 stündiger Agarkultur. 
Auf eine genaue Virulenzbestimmung wurde der zahlreichen 
Tieropfer wegen, sowohl zu Anfang der Versuche, wie auch nach 
vielfachen Tierpassagen, Verzicht geleistet, da dieselbe für den 
beabsichtigten Zweck — Erlangung frischen, bakterienreichen 
Exsudates — in keiner Weise erforderlich schien. Ebenso 
wurden stets relativ grofse Kulturmengen, 1 Öse bis l / 4 Agar¬ 
kultur (selten mehr) intraperitoneal injiciert, d. h. soviel, um ein 
Meerschweinchen bis zu 400 g Gewicht sicher binnen längstens 
24 Stunden zu töten. 


Digitized by 


Google 



316 


Versuche Aber Typhusagglutinine und -Präcipitine. 


Die Absicht der Versuche war auf die Gewinnung möglichst 
frischen Peritonealexsudates gerichtet, und es war daher notwendig, 
sofort nach dem erfolgten Tode des Tieres die Entnahme des¬ 
selben zu veranlassen. Abgesehen von dem eigenartigen Zustande 
der >Exsudatbakterien«, der nicht allzulange vorhält, war dies 
schon mit Rücksicht auf die Möglichkeit eines Durchwachsens 
der Darrawand von Colonbakterien in der warmen Jahreszeit 
dringend geboten. Deshalb wurde vielfach der natürliche Tod 
der Versuchstiere gar nicht erst abgewartet, sondern dieselben 
wurden in agone, zu einer Zeit, wo sie nicht mehr imstande 
waren, sich, auf die Seite gelegt, aufzurichten, durch Aufschneiden 
der Halsadern getötet. Das Exsudat wurde mit steriler Pipette, 
aus der, mit den erforderlichen Vorsichtsmafsregeln eröffneten 
Bauchhöhle entnommen. Der Menge nach wechselte es nicht 
allzusehr: 2 ccm liefsen sich fast immer, mehr wie 5 ccm nur 
selten gewinnen. Die Neigung desselben zu Gerinnung war 
immer nur sehr gering und kurz dauerndes Schütteln oder 
Schlagen mit einem dicken Platindraht genügte stets, um es 
dauernd flüssig zu erhalten. 

Wenn übrigens der Zweck des Versuches die Gewinnung 
des reinen Exsudates nicht geradezu verlangte, so wurde auf 
das mühsame, oft tropfenweise erfolgende Ansaugen verzichtet, 
und die Bauchhöhle von vornherein mit physiologischer Koch¬ 
salzlösung, bisweilen auch mit keimfreiem destillierten Wasser 
ausgespült. In der Regel konnten 20—30 ccm Flüssigkeit nach 
und nach eingebracht, Därme und Organoberflächen damit ab¬ 
gespült und wieder aufgesaugt werden, ehe die geringe Trübung 
eine Fortsetzung der Spülung als nicht mehr ergiebig genug er¬ 
scheinen liefs. 

Enthielt das Exsudat gröfsere Mengen von Blut beigemischt, 
so wurde es nicht verwendet; dies war nur sehr selten der Fall. 
Sonst sind rote Blutkörperchen nur so spärlich aufgetreten, dafs 
sie erst beim Centrifugieren als dünnste Fleckchen überhaupt 
bemerklich wurden. 

Immer wurden aus dem Exsudate direkt Kulturen (Ver¬ 
dünnung auf schrägen Agarröhrchen) angelegt und so die Rein- 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


317 


heit geprüft. Das Verfahren reicht übrigens hier nicht aus, wie 
ein zu Anfang der Versuchsreihe vorgekommener Fall, der Ver¬ 
unreinigung mit Bacterium coli commune, lehrte. Ein solches, 
für eine dem Studium stärkerer oder schwächerer Agglutinierbar- 
keit gewidmete Versuchsreihe höchst unangenehmes Ereignis 
läfst sich am frühesten erkennen, wenn man eine volle Öse 
Exsudats direkt in Bouillon impft und die Kultur sofort in den 
Brutschrank einsetzt. Nach 3—5 Stunden ist die Trübung stark 
genug, um einen Agglutinationsversuch mit Immunserum zu¬ 
zulassen, der dann sofort Aufschlufs über eine etwaige Verun¬ 
reinigung giebt. 

Was die zunächst verwendeten, agglutinierenden Immunsera 
betrifft, so waren sie ausschliefslich von Kaninchen durch intra¬ 
venöse Einspritzung von bei 60 n getöteten Agarkulturen gewonnen. 
Erst in den späteren Versuchszeiten wurden auch die Sera von 
auf andere Weise immunisierten Kaninchen sowie die von Hunden 
in Verwendung genommen. Soweit die diesbezüglichen Erfahrungen 
reichen, — genaue vergleichende Versuche wurden nicht angestellt, 
— ist der Hund weit weniger als das Kaninchen befähigt, Ag¬ 
glutinin© in seinem Blute auszubilden. Es gelang auch durch oft 
wiederholte Typhusinjektionen nicht, Hundesera mit einem Wir¬ 
kungswerte über 1 : 1000 zu erhalten, was bei Kaninchen oft 
schon nach einer oder wenigen Einspritzungen erreicht wurde. 

Was die Anstellung der Agglutinationsversuche betrifft, so 
standen die üblichen beiden Methoden der mikroskopischen und 
makroskopischen Beobachtung zur Verfügung. Beide wurden 
meist gleichzeitig angewendet, so dafs die eine Beobachtungs¬ 
weise die andere kontrollierte. Doch brachte es die ganze Ver- 
suchsanordung mit sich, dafs in den späteren Stadien der Ex¬ 
perimente immer mehr die makroskopische Methode in den 
Vordergrund trat. Durch das für viele Experimente notwendige 
Waschen von Bakterien auf der Centrifuge, durch Verwendung 
grölserer Mengen Agarkultur u. dgl. kommt es oft zur Bildung 
von falschen Häufchen (»pseudo-amas« der französischen Autoren), 
die sich nicht zerschütteln lassen. Filtration durch dichtes Papier, 
die übrigens sehr vielfach angewendet wurde, bedingt jedesmal 


Digitized by 


Google 



318 


Versuche über Tyiihusagglutinine und -Präcipitine. 


grofse Verluste an Bakterienmaterial, ganz abgesehen davon, dafs 
sie auch nicht vollständig hilft. Bei mikroskopischer Beobach¬ 
tung wirkt dies alles sehr störend, wenngleich reichliche Anfer¬ 
tigung von Kontrollpräparaten einigermafsen schützt. Das makro¬ 
skopisch sichtbare Eintreten der Agglutinationsreaktion wird da¬ 
gegen durch diese kleinen, falschen Haufenbildungen nicht be¬ 
einträchtigt, da sich dieselben nicht zu Boden setzen und überdies 
das Entstehen der Flockenbildung unter Klärung der zwischen 
den Flocken liegenden Flüssigkeit unter dem» Einflüsse eines 
Immunserums so charakteristisch ist, dafs es kaum mit etwas 
Anderem verwechselt werden kann. 

Die schon in den ersten Arbeiten Grubers hervorgehobene, 
allseitig bestätigte Thatsache, dafs/die mikroskopische Beobachtung 
der makroskopischen an Empfindlichkeit weit überlegen sei, kam 
bei den hochwertigen Seris, die in Verwendung genommen wurden, 
nicht in Betracht. 

Zur Ausführung der Reaktion wurden kleine, schmale Eprou¬ 
vetten, welche sich übersichtlicher aufstellen lassen als die sonst 
für die Grube r-Wi dal sehe Reaktion vielfach beliebten Stand¬ 
gläschen verwendet. Mischung von gleichviel Tropfen Bakterien¬ 
aufschwemmung und Serum oder sonstiger Flüssigkeiten gestattet 
die gleichzeitige Herstellung zahlreicher Proben mit verhältnis- 
mäfsig geringen Mengen Materials. 

Von Wichtigkeit ist weiterhin die Aufbewahrung der Ver¬ 
suchsproben (sowohl der Mischungen für die makroskopische, 
als der hängenden Tropfen für die mikroskopische Beobachtung), 
sowie die Zeitdauer der Versuche. Durchgehends wurde immer 
bei 37° gearbeitet. Die hängenden Tropfen wurden sofort nach 
ihrer Anfertigung in geeigneten Gestellen aus durchbrochenem 
Eisenblech in den Brutschrank gestellt, nach bestimmten Zeit¬ 
abschnitten so rasch wie möglich durchmustert und wieder in 
die erhöhte Temperatur zurückgebracht. Die Anfertigung oft 
sehr zahlreicher hängender Tropfen mit den notwendigen Kon¬ 
trollen bedingt eine, oft recht beträchtliche Zeitungleichmäfsig- 
keit, da naturgemäfs zwischen Fertigstellung des ersten und letzten 
Präparates eine gewisse Zeit verfliefsen mufs. So kann es ge* 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


319 


schehen, dafs die Bakterien des einen Präparates wohl eine Viertel¬ 
stunde länger der Serumwirkung ausgesetzt sind als die eines 
zweiten. Da sich dieser Übelstand auch bei raschestem Arbeiten 
nicht beseitigen läfst, so wurde wenigstens als Regel eingehalten, 
dafs die Präparate, welche voraussichtlich die schwerer aggluti- 
nierbaren Bakterien enthielten, zuerst angefertigt wurden und 
dann erst die Kontrollpräparate. Die Zeit wurde vom Augen¬ 
blicke des Einsetzens in den Brutschrank an gerechnet. 

Bei der makroskopischen Arbeitsweise fällt auch dieser Übel¬ 
stand viel weniger ins Gewicht, da der Zusatz der Bakterien¬ 
suspension zu den sonstigen, bereits fertiggestellten Mischungen 
nur sehr wenig Zeit in Anspruch nimmt. 

Was die Beobachtungsdauer betrifft, so konnte diese, schon 
aus den im Versuche liegenden, später ( näher auszuführenden 
Gründen, nicht allzusehr ausgedehnt werden. Aber auch sonst 
dürfte sich bei Anstellung der Versuche bei Körpertemperatur 
eine Ausdehnung der Beobachtung über 2 Stunden hinaus nicht 
empfehlen. Die überaus zahlreichen Versuche mit allen mög¬ 
lichen Serumverdünnungen und sonstigen Körperflüssigkeiten 
haben gelehrt, dafs wenn eine Haufenbilduug im hängenden 
Tropfen bei 37° nach */ 2 Stunde nicht eingetreten ist, sie über¬ 
haupt ausbleibt oder jedenfalls nicht mehr als sicher beweisend 
angesehen werden kann. Wohl aber kann es zweckmäfsig sein, 
zum Studium besonderer Wachstumsverhältnisse unter dem Ein¬ 
flüsse eines agglutinierenden Serums, namentlich der in der vor¬ 
liegenden Versuchsreihe so oft beobachteten Pfau n dl ersehen 
Fadenreaktion, die Präparate längere Zeit bei 37° zu belassen. 
Was für die mikroskopische Beobachtung gilt, kann nicht ohne 
weiteres auf die makroskopische im Reagenzglase übertragen 
werden. Hier wird eine Haufenbildung thatsächlich oft erst 
nach 2 Stunden und nach noch längerer Zeit erst deutlich. 
Wenn trotzdem auch hier in der Regel der eigentliche Versuch 
nach zweistündigem Aufenthalt bei 37° abgebrochen wurde, so 
liegt der Grund hierfür teils in besonderen, erst später zu würdi¬ 
genden Verhältnissen, teils in der starken Wirkung der hier 
meist konzentriert verwendeten Sera, welche in normalen Kontroll- 


Digitized by 


Google 



320 


Versuche (Iber Typhusagglutmine und -Präcipitine. 


proben schon nach Verlauf von Minuten vollständige Aggluti¬ 
nation bewirkten. 

Die Herstellung der Kontrollproben war von besonderer 
Wichtigkeit. Im ersten Teile der Versuche, wo es sich darum 
handelte, die Wirkung eines und desselben Immunserums einer¬ 
seits auf Typhusbakterien aus dem Peritonealexsudate von Meer¬ 
schweinchen, anderseits auf künstlich gezüchtete Kulturen zu 
vergleichen, wurden dazu Impfungen in Bouillon benutzt. Das 
Impfmaterial bildete dieselbe Agarkultur, welche auch zur In¬ 
fektion des betreffenden Versuchstieres diente. Dabei standen 
die Proben ebensolange bei 37 0 als das Tier lebte, im ungefähren 
Mittel also 20 Stunden. Sie wurden darauf ganz denselben 
Manipulationen unterworfen, die sich für die Gewinnung und 
Verarbeitung der Bakterien aus dem Meerschweinchenexsudate 
als notwendig erwiesen, z. B. Centrifugieren, Waschungen u. dgl. 

Später, als alle Versuche ohne Verwendung von Tieren vor- 
genoramen werden konnten, dienten die gleichen, höchstens 18Stun- 
den alten Agarkulturen sowohl zum Versuche, wie zur Kontrolle. 

A. Versuche an tierischen, b&cillenreichen Exsudaten. 

Den Ausgangspunkt aller weiteren Untersuchungen bildete 
die Erscheinung, dafs Typhusbakterien aus dem Exsudate intra- 
peritoneal inficierter Meerschweinchen viel weniger Neigung zeigen, 
auf Zusatz eines Immunserums zu Haufen zusammenzutreten, 
als gewöhnliche, etwa in Bouillon gezüchtete. 

Von den ersten, mit dem sehr wenig virulenten, lange auf 
künstlichen Nährböden gezüchteten »Typhus Prag« angestellten 
Versuchen sei der folgende angeführt. Das dabei verwendete, 
sehr hochwertige Immunserum stammte von einem, mit toten 
Agarkulturen immunisierten Kaninchen. 

Yersuch I. 

Meerschweinchen 6, 240 g, erhalt 1 Agarkultur Typhus in 5 ccm Bouillon 
intraperitoneal. Stirbt nachts. Aus der Bauchhöhle lassen sich ca. 4 ccm 
trüben Exsudates mit relativ wenigen Zellen, aber sehr zahlreichen, mäfsig 
beweglichen Bakterien entnehmen. 

a) Mikroskopische Beobachtung. Das Exsudat wird ohne weiter ver¬ 
ändert zu sein, in hängenden Tropfen mit Seruinkocbsalzverdünnung 1 : 7500, 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


321 


10000, 12 500, 15 000, 20 000, 30 000 versetzt. Ebenso eine gleichzeitig mit 
der Tierimpfung angelegte Bouillonkultur. Beobachtung bei Zimmertemperatur. 

Nach 7* Std. ist in allen Tropfen mit Bouillonkultur typische Aggluti¬ 
nation eingetreten, doch sind die Häufchen von der Verdünnung 1 : 15000 an 
noch klein. Das Exsudat zeigt nur bei 1 : 7500 durch teilweise Immobili¬ 
sation einen Unterschied gegen die serumfreie Kontrollprobe. 

Nach 7« Stunden: Unverändert. 

Nach 1 Stunde: Alle Bouillonkulturproben typisch agglutiniert. Exsudat 
unverändert, jedenfalls von 1 : 10 000 an keinerlei Serumwirkung. 

Die Verhältnisse ändern sich weiterhin nicht mehr. 

Hängende Tropfen mit Serumverdünnungen 1 : 1000 zeigten schon nach 
7* Std. deutliche Serumwirkung, bestehend in Immobilisation, sowie später in 
Bildung sehr grofser lockerer Haufen, unter denen aber noch überall freie, 
z. T. bewegliche Bakterien vorhanden waren. 

Das Resultat des Versuches war, dafs die Typhusbakterien im Exsudate 
erst bei einer Serumverdünnung 1 : 1000 — 7500 beeinflufst wurden, während 
das gleiche Serum Bouillonkultur noch bei 1 : 40 000 in typischer Weise 
agglutinierte. 

b) Makroskopische Beobachtung. Je 1 ccm verdünnten Exsudates bezw 
Bouillonkultur erhält einen Zusatz von 0,2 ccm der Serumverdünnung 1 : 100, 
1000, 5000. Versuch bei 37°. 

Nach 7i Std. Bouillon : Agglutination bei Serum 1 : 100 und 1000 weit 
vorgeschritten, bei 1 : 5000 undeutlicher Beginn. Exsudat: keine Serum¬ 
wirkung. 

Nach 7* Std. Bouillon: Beendete oder weit vorgeschrittene Agglutination. 
Exsudat: ohne Veränderung. 

Nach 3 /i Std.: Bouillon völlig geklärt, Exsudat unverändert. 

Nach 1 Std.: zeigt erst das Exsudat mit Serum 1 :100 schwach sichtbare 
Häufchen. 

Nach 17, Std. sind sie deutlicher geworden und auch Exsudat mit Serum 
1: 1000 zeigt spurenweise ein Beginnen der Reaktion, das bei 1 : 5000 erst nach 
2 Std. zu konstatieren ist. Erst nach 5 Std. ist die Reaktion in allen Proben 
vollständig geworden. 

Schon in diesem Versuche tritt die charakteristische Un¬ 
empfindlichkeit der Exsudatbakterien gegen die Agglutiuine des 
Immunserums sehr deutlich hervor. Noch viel schöner tritt dies 
bei dem folgenden Versuche mit dem frisch aus der Leiche ge¬ 
züchteten Typhusstamme hervor, mit dem dann alle weiteren 
Experimente angestellt wurden. 

Meerschweinchen 16. Erhält 19./I. 1901 2 Ösen Typhusagarkultur intra¬ 
peritoneal. Stirbt 20./I. 7 Uhr a. m. Aus der Bauchhöhle des noch warmen 
Tieres lassen sich 5 ccm dicht trüben Exsudates mit zahllosen, inäfsig beweg¬ 
lichen Bakterien und wenig roten und teilweise zerfallenden weil'sen Blut¬ 
körperchen entnehmen. 


Digitized by 


Google 



322 Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 

Versuch n. 

Es werden sofort hängende Tropfen mit dem frischen Exsudate und 
Serumverdünnungen 1 : 100, 250, 500, 750, 1000. 2000, 3000, 4000, 5000 an 
gelegt Kontrolle mit Bouillonkultur wie beim ersterwähnten Versuche. 37*. 

Nach V 4 Std. Bouillonkulturen sämtlich vollständig agglutiniert. Exsudat mit 
Serum Verdünnung 1:100: Massenhaft freie zum grofsenTeil bewegliche Bakterien. 
Daneben aber auch Bildung ziemlich lockerer, grofser, in die Länge 
gestreckter Haufen, die unmittelbar an der Unterseite des 
Deckglases haften, während die tieferen Schichten des 
Tropfens von freien Bakterien wimmeln Dasselbe Verhalten 
zeigen die Präparate mit den Serumverdünnungen 1 : 250, 500 und teilweise 
noch 1 : 750, von 1 : 1000 an fehlt jede Serumwirkung. 

Nach */, Std. ebenso. 

Nach 1 Stunde: Auch in den Exsudatproben 1 : 1000 und 2000 sind 
die eigenartigen Haufen unter der Oberfläche aufgetreten, aber in viel 
schwächerer Ausbildung. Weitere wesentliche Veränderungen treten nicht ein. 

Versuch III. 

Das gleiche Exsudat mit Verdünnungen desselben Serums 1 : 10, 20, 
40, 60, 80 und mit reinem Serum. Kontrolle Boüillonkultur 1: 80. 

Nach V 4 Std. Bouillonkultur vollständig agglutiniert. Exsudat mit reinem 
Serum zeigt überall nur gröfsere und kleinere typische Haufen mit freien 
Zwischenräumen, vollständige Agglutination. Ein ähnliches Bild liefert die 
Serumverdünnung 1 : 10, doch finden sich hier schon freie, aber unbeweg¬ 
liche Bakterien in ziemlicher Zahl zwischen den Haufen. Die übrigen Serum¬ 
verdünnungen haben die vorhin beschriebenen langgestreckten Anhäufungen 
an der Unterseite des Deckglases hervorgerufen, während in den tiefen 
Flüssigkeitsschichten nur freie bewegliche Bakterien vorhanden sind. 

Nach 1 Stunde. Nur das reine Serum und die Serumverdünnungen 
1 : 10 und 1 : 20 haben vollständige Agglutination hervorgerufen, d. h. aufs er 
den oberflächlichen grofsen, langgestreckten Anhäufungen zeigen auch die 
tieferen Schichten vorwiegend kleinere und gröfsere typische Haufen, während 
freie unbewegliche Bakterien in den Zwischenräumen an Menge zurücktreten. 
Doch ist die Zahl dieser letzteren bei Serum 1 : 20 bereits eine ansehnliche. 
Die übrigen Proben wie vorher. 

Nach 2 Std. keine wesentliche Veränderung. 

Bezeichnet man als vollständige Agglutination eine solche, bei 
welcher die Bildung von fest zusammenschliefsenden Bakterien¬ 
haufen so überwiegt, dafs die von ihnen freigelassenen Zwischen¬ 
räume keine oder nur wenige, nicht zusammengeballte und jeden¬ 
falls keine beweglichen Bakterien mehr enthalten, so hat die 
Wirkung des Serums, über 1 : 20 hinaus verdünnt, den Exsudat¬ 
bakterien gegenüber versagt. Da das verwendete Serum Bouillon- 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


323 


kultureil vom Typhus bis 1: 10000 noch vollständig zu aggluti- 
nieren vermochte, so war seine Wirkung gegen die im Tiere 
gebildete Typhusgeneration etwa 400 mal schwächer. Jegliche 
Haufenbildung im Exsudate blieb bei ca. 1 : 2000 bis 1 : 3000 
Serumverdünnung aus, also auch dann noch ergibt sich eine 
ca. 5 mal geringere Wirkung des Serums. 

Immerhin ist aber die Wirkungslosigkeit des Immunserums 
und die Nichtagglutinierbarkeit der Bakterien nur relativ. Denn 
einerseits bringt reines und wenig verdünntes Serum eine voll¬ 
ständige Agglutination hervor und anderseits bewirken auch 
stärkere Verdünnungen eine rudimentäre Haufenbildung. Diese 
sieht allerdings etwas anders aus als diejenige, welche in 
Bouillonkulturen eintritt. Erreicht man mit solchen in hängenden 
Tropfen die Grenze der Serumwirkung, so entstehen die be¬ 
kannten Bilder der kleinen Häufchen neben beweglichen Bak¬ 
terien, oder wenn gröfsere Haufen entstehen, so enthalten sie 
selbst noch mehr oder weniger mobile Stäbchen. Bei der un¬ 
vollständigen Agglutination aber, wie sie bei den Exsudatbakterien 
eintritt, handelt es sich um sehr grofse, aufserordentlich in die 
Länge gestreckte, untereinander vielfach verbundene Haufen 
von unbeweglichen, ziemlich dicht gedrängten Zellen, die in 
den oberflächlichsten Schichten des Tropfens eine Art Netzwerk 
bilden, während in den tieferen Schichten jede durch Serumwirkung 
veranlafste Zusammenballung vollständig fehlt. Der Umstand, 
dafs diese sonderbare Erscheinung in gleicher Weise bei sehr 
verschiedener Verdünnung des Serums (im vorliegenden Versuche 
z. B. ebenso bei 1 : 50 wie bei 1 . 500) auftritt, weist jedenfalls 
darauf hin, dafs es sich dabei nicht um eine Grenzwirkung des 
Serums handeln kann. 

An dem abweichenden Verhalten der Exsudatbakterien der 
Wirkung des Typhus-Immunserums gegenüber könnten äufsere 
Verhältnisse Schuld sein. Thatsächlich stellte sich zunächst bei 
allen Versuchen heraus, dafs das Exsudat der mit so reichlichen 
Mengen Typhuskultur geimpften Meerschweinchen in dem gleichen 
Flüssigkeitsquantum sehr viel mehr Bakterien enthielt als die 
entsprechende gleich alte Bouillonkultur. Durch entsprechende 

Archiv für Hygiene. Bd. XLII. 2^ 


Digitized by 


Google 



324 Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 

Verdünnung des Exsudates liefs sich diese Ungleichmäfsigkeit 
beseitigen. 

Yersuch IY. 

Exsudat von demselben Meerschweinchen wie auf S. 321 wird im Ver¬ 
hältnisse 1 : 25 mit physiologischer NaCl-Lösung verdünnt. Im mikrosko¬ 
pischen Präparate zeigt es sich, dafs darnach im hängenden Tropfen weniger 
Bakterien vorhanden sind als in der unverdünnten Bouillonkultur. Es werden 
Präparate mit Serumverdünnung 1 : 100, 250, 500, 750, 1000, 3000 und 5000 
angelegt. 37 °. 

Nach l / 4 Std. Alle Bouillonpräparate in vollständiger, starrer Aggluti¬ 
nation. Exsudat : In den Verdünnungen bis 1 : 500 vielfach, aber nicht 
durchgehends Immobilisation, aber keine Haufenbildung. Von 1 : 750 an 
fehlt jede Serumwirkung. 

Nach 72 Std. unverändert. 

Nach 1 Std. Bouillonpräparate w r ie vorher. Exsudatverdünnung mit Serum 
1 : 100: Fast vollständige Immobilisation, sehr kleine Häufchen in geringer 
Zahl. Das Bild ist das einer Endreaktion bei der Gruber-Widalschen Probe. 
Exsudatverdünnung mit Serum 1 : 250: Sehr wenige kleine Häufchen, sehr 
viele Bakterien beweglich. Die übrigen Proben enthalten nur freie, bei 
1 : 500 noch zum kleinen Teil unbewegliche, sonst wimmelnde Bakterien. 

Nach 2 Std. keine wesentliche Veränderung. 

Versuch Y. 

Meerschweinchen 17, mit 1 Öse Agarkultur intraperitoneal inficiert, nach 
16 Std. gestorben. Aus der Bauchhöhle des noch warmen Tieres lassen sich 
3 ccm trüben Exsudates entnehmen. Danach wird die Bauchhöhle nach und 
nach mit 20 ccm physiologischer NaCl-Lösung ausgespült, das noch stark 
trübe Spülwasser durch dichtes Fliefspapier filtriert und zu hängenden Tropfen 
mit reinem Serum und Verdünnungen desselben 1 ; 10, 25, 50, 75, 100, 500. 
1000 verarbeitet. Kontrolle mit Bouillonkultur und Serumverdünnungen 
1 : 100, 1000, 5000, 6000. 37°. 

Nach V 4 Std. Bouillonkultur mit Serum 1 : 100 vollständige Agglutination 
mit grofsen, 1 : 1000 mit kleinen Haufen, 1 : 5000 sehr unvollständige, 1 : 6000 
keine Agglutination. Spülwasser mit reinem Serum und Verdünnung 1 : 10 
Immobilisation, keine Häufchenbildung. Die übrigen Präparate enthalten 
meist bewegliche Bakterien. 

Nach '/j Std: Bouillonkultur durch alle Serumverdünnungeu vollständig 
agglutiniert bis auf 1 : 6000, wo noch viele freie, aber unbewegliche Bakterien 
vorhanden sind. Spülwasser mit reinem Serum: Häufchen von 5—10 Indi¬ 
viduen, daneben freie, unbewegliche Bakterien in grofser Zahl. Ähnlich, aber 
mit noch spärlicheren Zusammenlagerungen bei Verdünnung 1 : 10 und 1 : 25. 
Bei 1 : 50 tritt bereits an vielen Individuen eine träge Beweglichkeit auf; 
von 1 : 100 au keine Beeinflussung durch das Serum mehr. 

Nach 1 Std. hat die Haufenbildung durch die Serumverdünnuugen bis 
1 : 50 weitere Fortschritte gemacht, doch treten schon bei 1 : 50 viele beweg¬ 
liche auf, die in den stärkeren Verdünnungen das Gesichtsfeld völlig be¬ 
herrschen. 


Digitized by v^.ooQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


325 


Nach 2 Stunden: Agglutination im Spülwasser ziemlich vollständig bis zur 
Serumverdünnung 1 : 25, von da an alles von frei beweglichen Bakterien 
wimmelnd 

Nach 5 Std. ist überall Vermehrung festzustellen und zwar in den Spül¬ 
wasserpräparaten mit Serumverdünnungen bis 1 : 75 mit ausgesprochenem 
Pf a u n dl er sehen Phänomen. 

Die angeführten Versuche zeigen bereits deutlich, dafs die 
gröfsere Zahl der Bacillen im Exsudate das Versagen der Serum- 
vvirkung nicht erklären kann. Es geht aber daraus auch hervor, 
dafs bei starker Verdünnung die Bildung der oberflächlichen, an 
der Unterseite des Deckglases haftenden langgestreckten Haufen 
entweder vollständig ausbleibt oder, wie in anderen Versuchen, 
doch wesentlich schwächer ist, wie im unverdünnten Exsudate, 
wo sie niemals fehlte. 

Es wäre nun daran zu denken, dafs diese merkwürdige An¬ 
ordnung der Bakterien durch Gerinnen des Exsudates veranlafst 
werde. Das Aussehen dieser Haufen würde allerdings einige 
Ähnlichkeit mit Zusammenballungen von Bakterien darbieten, 
die etwa durch Fibrinfäden zusammengehalten werden. Damit 
würde übereinstimmen, dafs diese Haufenbildung im verdünnten 
Exsudate ausbleibt. Nun ist allerdings von einer eigentlichen 
Gerinnung des Exsudates in der Regel nichts zu bemerken, aber 
es wäre immerhin möglich, dafs in der kleinen Flüssigkeitsmenge 
des hängenden Tropfens physikalische Verhältnisse herrschen, die 
eine volle Wirkung des Serums nicht zulassen. Dafs aber die 
blofse Gerinnung weder die Nichtagglutinierbarkeit der Exsudat¬ 
bakterien noch die Bildung der oberflächlichen Haufen erklärt, 
beweisen jene seltenen Fälle, wo auch im verdünnten Exsudate, 
bezw. im Spülwasser, aus der Bauchhöhle noch eine makro¬ 
skopisch sichtbare Gerinnung eintrat und die Agglutination vor 
und nach Beseitigung derselben beobachtet wurde. 

Versuch VI. 

Meerschweinchen 19 war noch intraperitonealer Infektion mit */ 4 Öse 
Agarkultur binnen 18 Std. gestorben. Aus der Bauchhöhle liefsen sich 3 ccm 
dicht trüben Exsudates entnehmen, dessen Bakterien nach Filtration durch 
Fliefspapier durch Immunserum (das gleiche wie im Versuch V) nur bis zur 
Verdünnung 1: 10 vollständig, bei 1 : 50 bereits ganz unvollständig agglutiniert 
wurden. Die Bauchhöhle wurde mit 20 ccm physiologischer Kochsalzlösung 

22 • 


Digitized by 


Google 



•526 Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 

auegespiilt, das trübe Spülwasser durch Papier filtriert und das Filtrat mit 
reinem Serum und den Verdünnungen 1 : 10, 25, 50, 100, 500 versetzt. Kon¬ 
trolle mit Bouillonkultur in der bisherigen Weise. 37°. 

Nach V 4 Std. sind alle Proben mit Bouillonkultur vollständig agglutiniert. 
Spülwasserfiltrat mit reinem Serum zeigt fast- durchgehende Immobilisation 
mit Bildung weniger, kleiner Häufchen. Verdünnung 1 : 10 hat nur einen 
Teil der Bakterien unbeweglich machen können, sonst fehlt jede Serumwirkung. 

Nach 1 Std. ist im Spülwasser mit konzentriertem Serum ziemlich voll¬ 
ständige Agglutination eingetreten, bei 1 : 10 ist die Zahl der meist sehr 
kleinen Häufchen sehr gering, nur wenig Serumwirkung ist bei 1 : 25 zu sehen. 

Nach 2 Stunden kann man im reinen und 1 : 10 verdünnten Serum 
von vollständiger, bei 1 : 25 von unvollständiger Agglutination sprechen, die 
übrigen Proben lassen eine Serumwirkung nicht erkennen. 

Während der Beobachtung der hängenden Tropfen war das bei Zimmer¬ 
temperatur aufbewahrte Spülwasser durch Gerinnung zu einer zitternden, 
gallertigen Masse erstarrt. Durch Schlagen mit einem starken Platindraht 
werden aus derselben grofse Mengen am Drahte anhaftender viscöser Sub¬ 
stanz entfernt; dann wird noch heftig geschüttelt und neuerdings durch 
Papier filtriert. Das viel weniger wie beim ersten Versuche trübe Filtrat wird 
im hängenden Tropfen mit reinem Serum und den Verdünnungen 1 : 20, 25, 
50 und 100 versetzt. 37°. 

Nach 1 \ Std. hat das reine Serum die meisten Bakterien, noch ohne 
Haufenbildung immbilisiert; in 1 : 10 sind noch viele Stäbchen beweglich, in 
den übrigen Proben ist nichts von einer Serumwirkung zu beobachten. 

Nach 1 Stunde. Im reinen Serum durchwegs Immobilisation mit Bildung 
von kleinen Häufchen, die auch bei Verdünnung 1 : 10 im schwächeren 
Grade vorhanden sind, in den übrigen Proben fehlen. 

Nach 2 Stunden ist im reinen und 1 : 10 verdünnten Serum ziemlich 
vollständige Agglutination eiugetreten, die übrigen Proben sind unbeeinflusst 
geblieben. 

Es können somit nicht die physikalischen Verhältnisse des 
Exsudates sein, welche die Wirkungslosigkeit des agglutinierenden 
Immunserums erklären. Jedenfalls ist auch bei der Bildung der 
oberflächlichen Haufen im unverdünnten Exsudate die etwaige 
Gerinnung nicht direkt beteiligt. Das zeigt sich übrigens am 
deutlichsten bei der makroskopischen Beobachtungsmethode, wo 
eine etwa doch auftretende Gerinnung nicht unbemerkt bleiben 
kann. 

Versuch VII. 

Das nach dem Gerinnen zerschüttelte, somit 2 mal filtrierte Spülwasser 
des Versuches VI wird zu je 1 ccm mit je 0,25 ccm reinen sowie 1 : 10, 25, 
50, 75, 100, 500 verdünnten Serums versetzt. Kontrolle mit auf den gleichen 
Trübungsgrad gebrachter Bouillonkultur. 37°. 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


327 


Nach */* Std. sind die Bouillonen mit reinem Serum and den Verdünnungen 
1 : 10 — 1 : 75 fast ganz geklärt, die übrigen mit schönen, aber noch nicht 
vollständig abgesetzten Flocken. Alle Exsudatproben sind gleichmftfsig trüb. 

'Nach 1 Std. ist die Agglutination in den Bouillonkulturen durchweg 
vollendet, im Spülwasser fehlt sie ganz. 

Nach 2 Std. beginnt nur im reinen Serum eine schwache Flockenbildung, 
die übrigen Proben sind gleichmäfsig trüb. 

Ohne vorläufig auf den Mechanismus der Ausbildung der 
grolsen oberflächlichen Haufen im Exsudate näher einzugehen, 
möge nunmehr die Frage beantwortet werden, auf welchen An¬ 
teil des Typhusexsudates die relative Unwirksamkeit des Immun¬ 
serums zurückzuführen wäre. Es wäre möglich, dafs der Exsudat¬ 
flüssigkeit selbst eine antiagglutinative Fähigkeit zukäme. Die 
im Exsudate angesammelten Zellen sind natürlich ohne Einflufs, 
wie schon daraus hervorgeht, dafs man dieselben, wenigstens 
der grölsten Mehrzahl nach, durch Filtration entfernen kann, 
ohne dadurch irgend etwas zu ändern. Viel Wahrscheinlichkeit 
besitzt diese Annahme allerdings von vornherein nicht, da aus 
den bereits mitgeteilten Versuchen bereits hervorgeht, dafs starke 
Verdünnung des Exsudates die Wirkung des Immunserums in 
keiner Weise deutlicher hervortreten läfst. 

Weiterhin könnte die Ursache des Nichteintretens der 
Agglutination in den Bakterien selbst liegen. Dafür würde ein¬ 
mal die Beobachtung des Ausbleibens oder doch nur rudimen¬ 
tären Auftretens der Haulenbildung im aktiv oder passiv im¬ 
munisierten Tiere sprechen, dann aber auch das Weiterbestehen 
der Nichtagglutinierbarkeit der Bakterien nach Verdünnung des 
Exsudates. 

Die endgültige Entscheidung war leicht zu treffen, sobald 
es gelang, die Bakterien eines Exsudates aus diesem zu ent¬ 
fernen, von den anhaftenden Resten tierischer Flüssigkeit zu 
befreien und nun ihr Verhalten in einem indifferenten Medium 
gegen die Agglutination des Immunserums zu studieren. Dies 
läfst sich durch Centrifugieren des Exsudates leicht erreichen. 
Allerdings gelangen dabei nicht nur die Typhusbakterien, sondern 
auch alle anderen geformten Elemente des Exsudates in den 
beim Centrifugieren gebildeten Bodensatz. Ein Teil dieser kann 


Digitized by 


Google 



328 


Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 


durch vorhergehende Filtration mittels dichten Filtrierpapiers 
entfernt werden, aber auch die durchs Filter gegangenen Zellen 
lassen sich dann noch beseitigen, wenn man den Bodensatz 
mit destilliertem Wasser bei 37° eine kurze Zeit lang behan¬ 
delt. Dabei lösen sich rote Blutkörperchen auf, ihre Stroma, 
sowie die nebenbei noch vorhandenen farblosen Blutzellen quellen 
so auf, dafs sie bei einer weiteren Filtration nunmehr mit ziem¬ 
licher Sicherheit zurückgehalten werden. Freilich sind diese 
Manipulationen auch mit einem bedeutenden Verluste an Bak¬ 
terien verbunden; dieser Übelstand läfst sich aber nicht ver¬ 
meiden und wird dadurch wieder einigermafsen gut gemacht, 
dafs man es in der Hand hat, die durch das Filter gegangenen 
Bakterien neuerdings durch Oentrifugieren zu konzentrieren, und 
dann durch Einträgen von gröfseren oder kleineren Flüssigkeits¬ 
mengen sich Aufschwemmungen von der jeweils erforderlichen 
Dichte zu bereiten. 

Es wurde daher das aus der Bauchhöhle typhusinficierter 
Meerschweinchen gewonnene Exsudat sofort filtriert, centrifugiert, 
der Satz in destilliertem Wasser bei 37 0 aufgeschwemmt, neuer¬ 
dings filtriert und centrifugiert und die danach ziemlich rein 
erhaltenen Bakterien, eventuell nach nochmaliger Waschung mit 
physiologischer Kochsalzlösung entweder in dieser oder in steriler 
Bouillon aufgeschwemint. War die Erlangung reinen, konzen¬ 
trierten Exsudates nicht notwendig, so wurden in die Bauch¬ 
höhle des eben gestorbenen oder in agone getöteten Tieres sofort 
physiologische Kochsalzlösung oder auch steriles destilliertes 
Wasser eingegossen, und die erlangte trübe Flüssigkeit in gleicher 
Weise weiter verarbeitet. Namentlich nach dieser letzteren 
Methode erhält man ohne Mühe so grofsc Mengen von Bakterien 
von einem einzigen Tiere, dafs sie zu allen notwendigen Ver¬ 
suchen ausreichen. 

Es zeigte sich nun sogleich, dafs das Versagen der Serum¬ 
wirkung in einem besonderen Zustande der Bakterien des Typhus 
exsudates seinen Grund haben müsse. 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


329 


Versuch VIII. 

Meerschweinchen 23 war nach intraperitonealer Infektion mit 1 Öse 
Typhusagarkultur nach 14 Std. gestorben. Aus der sofort eröffneten Bauch¬ 
höhle lassen sich 7 ccm dicht trüben Exsudates entnehmen, das nach Defi- 
brinieren mit dem Platinstabe filtriert und centrifugiert wird. Die schwach 
gelbliche, klare Exsudatflüssigkeit wird abgegossen, der Bodensatz in destil¬ 
liertem Wasser von 37° aufgeschwemmt und darin ca. 1 / i Std. im Brutschrank 
belassen. Hierauf wird neuerdings filtriert, centrifugiert, abgegossen und 
der aus Bakterien bestehende Satz in physiologischer Kochsalzlösung auf¬ 
geschwemmt. In gleicher Weise werden auch 2 Bouillonkulturen (von je 
5 ccm Flüssigkeit), die wie bisher immer angelegt waren, filtriert, centrifugiert, 
mit destilliertem Wasser behandelt etc. 

Die Präparate wurden in der Weise angefertigt, dafs je ein Tröpfchen 
Bakteriensuspension aus deni Typhusexsudate, steriler Bouillon und Serum¬ 
verdünnung in der einen, je ein Tröpfchen Bakteriensuspension aus Bouillon¬ 
kultur, Exsudatflüssigkeit und Serumverdünnung in der zweiten Reihe auf 
dem Deckglase gemischt und zum hängenden Tropfen verarbeitet wurden. 
Das zum Versuche verwendete Serum agglutinierte Kulturtyphus bis 1 : 5000 
und kam in den Verdünnungen 1 : 10, 25, 50, 100 und 1000 zur Ver¬ 
wendung. 37°. 

Nach */ 4 Std. sind sämtliche Bakterien aus den Bouillonkulturen in meist 
grofsen Haufen agglutiniert. Sämtliche Exsudatbakterien sind frei und nur 
durch die Serumverdünnung 1 : 10 teilweise gelähmt. 

Nach 1 Std. Nur in der Serum Verdünnung 1 : 10 finden sich neben 
durchgreifender Immobilisation kleine Häufchen. 

$ach 2 Std. In der Serumverdünnung 1 : 10 sind alle Exsudatbakterieu 
unbeweglich und vielfach zu kleinen Haufen von wenigen Individuen vereint. 
Ungefähr das gleiche Bild bietet die Serumverdünnung 1 : 25. Alle anderen 
Proben sind ohne jede Serumwirkung geblieben. Die Bouillonbakterien be¬ 
harren wie vorher in vollständiger Agglutination. 

Versuch IX. 

Dieselbe sehr dichten Suspensionen von Exsudat und Bouillontyphus¬ 
bakterien werden zu je 10 Tropfen je % ccm Serum Verdünnung 1 : 1000 
zugesetzt. 37 °. 

Nach l / 2 Stunde sind alle Bouillonbakterien zu groben Flocken vereinigt 
und teilweise schon abgesetzt Die Exsudatbakterien trüben gleichmäfsig. 

Nach 1 Stunde sind die Flüssigkeiten mit den Bouillonbakterien völlig 
geklärt, die Exsudatbakterien nicht beeinflufst. 

Nach 2 und 3 Std. der gleiche Befund. 

Versuch X. 

Meerschweinchen 24 war nach Infektion mit 1 Öse Typhusagarkultur 
noch 10 Std. agonisierend und wurde durch Aufschneiden der Halsadern 
getötet. Die Bauchhöhle wird sofort mit destilliertem Wasser von 37° aus¬ 
gespült, das Spülwasser (ca. 20 ccm filtriert und centrifugiret. Vom Boden¬ 
sätze wird abgegossen, derselbe nochmals in destilliertem Wasser auf- 


Digitized by 


Google 



330 


Versuche Ober Typhusagg.utinine und -Präcipitine. 


geschwemmt, filtriert und wieder centrifugiert. Der schliefslich erhaltene 
8atz wird in physiologischer NaCl-Lösung aufgeschwemmt In gleicher Weise 
werden 2 Bouillonkulturen behandelt. Hängende Tropfen, wie bei Versuch VIII, 
werden mit reinem Serum und den Verdünnungen 1 : 10, 25, 50, 100, 500 
und 1000 angelegt. 37°. 

Nach x / 4 Std. sind alle Bouillonbakterien typisch agglutiniert, alle Exsudat¬ 
bakterien frei; dabei aber unbeweglich im reinen und im 1 : 10 verdünnten 
Serum. 

Nach 1 Std. sind die Exsudatbakterien im reinen und 1 : 10 verdünnten 
Serum vielfach zu kleinen, individuenarmen Häufchen zusammengeballt, die 
bereits viel spärlicher bei 1 : 25 auftreten, aber auch bei 1 : 50 noch nicht 
ganz fehlen. Von da an keinerlei Serumwirkung mehr sichtbar. 

Nach 2 Std. wesentlich unverändert, im reinen Serum zeigt sich 
Pfaundlersches Phänomen. 

Versiicli XL 

Die gleichen, gewaschenen Bakterien werden zu je 10 Tropfen in je 
'/, ccm einer Serum Verdünnung 1 : 100 gebracht. 37°. 

Nach 7a Std. sind die Bouillonbakterien vollständig agglutiniert, die 
Exsudatbakterien trüben gleichinäfsig. 

Nach 1, 2 und 3 Std. ist bei den Exsudatbakterien nirgends eine Haufen¬ 
bildung zu konstatieren. 

Der Ausfall der Versuche läfst nicht daran zweifeln, dafs 
der Grund der Nichtagglutinierbarkeit in einem besonderen 
Zustande der Bakterien im tierischen Exsudate gesucht werden 
müsse. 

Nebenbei sei darauf aufmerksam gemacht, dafs sich die 
Typhusbakterien aus den Exsudaten der beiden Meerschwein¬ 
chen 23 und 24 zwar im Vergleich zu Bouillonbakterien quali¬ 
tativ gegenüber der Wirkung eines und desselben Serums iden¬ 
tisch verhielten, dafs aber geringe quantitative Unterschiede 
nicht zu verkennen sind. Denn ganz entschieden erwies sich 
das Serum gegen die Bakterien aus dem Exsudate von Nr. 24 
etwas wirksamer. Derartige kleine quantitative Differenzen, die 
natürlich an der Bedeutung des Gesamtbefundes nichts ändern, 
wurden mehrfach beobachtet. 

Die Ursache der Wirkungslosigkeit des Typhus-Immunserums 
konnte nur eine zweifache sein. Entweder sind die Agglutinine 
desselben überhaupt nicht imstande, die Exsudatbakterien anzu¬ 
greifen; dann dürfen sie auch durch Berührung mit denselben 
nicht aufgebraucht, nicht gebunden werden. Oder aber, es ist 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Rail. 


331 


die Wirkungslosigkeit des Immunserums nur eine scheinbare; 
dann müfsten die Bakterien eine ungewöhnlich starke Bindungs¬ 
fähigkeit für Agglutinine besitzen, so dafs die Anwesenheit einiger 
weniger Bakterien genügen würde, um die Wirksamkeit des 
Serums zu erschöpfen, wonach natürlich dann alle anderen Bak¬ 
terien unbeeinflufst bleiben würden. Für die letztere Möglichkeit 
schien namentlich das Auftreten der eigentümlichen Haufen- 
bildungen im reinen Exsudate zu sprechen. 

Aufschlufs konnten naturgemäfs nur Bindungsversuche geben, 
die ja überhaupt für den Nachweis und das Studium der von 
der modernen Immunitätslehre geforderten hypothetischen Stoffe 
von so hoher Bedeutung geworden sind. 

Versuch XI a. 

Meerschweinchen 27 nach Injektion von */ 4 Typhusagarkultur nach 
12 Std. in agone. Wird durch Aufschneiden der Halsadern getötet, die Bauch¬ 
höhle mit 20 ccm destillierten Wassers ausgespült. Das Spülwasser wird 
filtriert, centrifugiert, nochmals mit Wasser aufgeschwemmt, filtriert und 
centrifugiert. Der Bodensatz wird in physiologischer Kochsalzlösung auf¬ 
geschwemmt. Die Prüfung der Agglutinationsfähigkeit der so erhaltenen 
Exsudatbakterien und in gleicher Weise behandelter Bouillonbakterien er¬ 
folgte im hängenden Tropfen mit reinem und 1 : 10, 25, 50, 100, 500 und 
1000 verdünntem Serum vom ungefähren Wirkungswerte 1 : 10000. 37°. 

Nach V 4 Std. sind alle Proben mit Bouillonbakterien vollständig agglu- 
tiniert. Exsudatbakterien zeigen in reinem Serum Immobilisation ohne 
Häufchenbildung, in der Verdünnung 1 : 10 nur teilweise Unbeweglichkeit. 

Nach 1 Std. sind die Exsudatbakterien im reinen Serum fast durchaus, 
in der Verdünnung 1 : 10 zum kleineren Teil zu Häufchen vereint; in allen 
anderen Proben fehlen Haufenbildungen, doch ist bis zur Verdünnung 1 : 50 
vielfach Immobilisation zu finden. 

Nach 2 Stunden herrscht im reinen Serum vollständige Agglutination, 
in der Verdünnung 1 :10 finden sich kleine Häufchen neben vielen einzelnen, 
anbeweglichen Stäbchen, auch bei 1 :25 noch spärliche Häufchen. Die 
übrigen Präparate sind von wimmelnden Bakterien erfüllt. 

Die Aufschwemmung der gewaschenen Exsudat- und Bouillonbakterien 
wird in der Menge von 5, 10, 15, 20 Tropfen zu je 0,5 ccm einer Serum¬ 
verdünnung 1 : 800 zugesetzt. 37°. Schon nach 1 / 4 Std. sind alle Bouillon- 
bakterien zu groben Flocken vereinigt, die sich nach s / 4 Std. unter vollständiger 
Klärung der Flüssigkeit abgesetzt haben. Die Exsudatbakterien trüben um 
diese Zeit und auch noch nach 3stünd. Aufenthalt bei 37° vollkommen 
gleichmäfsig. 

Nach dieser Zeit wurdeD sämtliche Proben centrifugiert, die obenstehenden 
klaren Flüssigkeiten werden abgegossen und mit Bouillonkultur zu hängenden 
Tropfen verarbeitet. 


Digitized by v^.ooQle 



332 


Versuche über Tvphusagglutinine und -Präcipitine. 


Nach V* Std. ist in allen Proben, bei denen die Serumverdünnung Ex* 
sudatbakterien enthalten hatte, vollständige Agglutination ein¬ 
getreten; von den Proben, denen Bouillonbakterien zugesetzt gewesen 
waren, haben nur die mit den geringsten Zusätzen (5 und 10 Tropfen) kleine 
Häufchen bilden können. 

Nach 1 Std. finden sich in den Serumproben, auf welche 5 und 10 Tropfen 
Rouillonbakteriensuspension gewirkt hatten, kleine Häufchen neben beweg¬ 
lichen Bakterien, die mit 15 und 20 Tropfen sind völlig wirkungslos geworden. 
Alle Präparate, die mit Serum angefertigt sind, auf welches Exsudatbakterien 
gewirkt hatten, zeigen vollständige, starre Agglutination. 

Der übrig gebliebene Rest, der durch Centrifugieren wiedergewonnemn 
Sera wird in schmale Eprouvetten gefüllt und jedes Röhrchen mit 15 Tropfen 
trüber Typhusbouillon versetzt. 37°. 

Nach 1 Std. sind alle Bakterien der Serumproben, die früher Exsudat- 
bakterien erhalten hatten, zu groben Flocken vereinigt, die Serumproben, 
welche dem Einflüsse von Bouillonbakterien ausgesetzt gewesen waren, sind 
gleichmäfsig trüb. 

Nach 2 Std. ist die Agglutination der ersteren Serie überall beendet, die 
zweite Serie ist gleichmäfsig trüb. 

Plattenkulturen der Aufschwemmungen (hergestellt durch Einträgen von 
1 Tropfen Aufschwemmung in 5 ccm physiologischer Kochsalzlösung, davon 
1 Öse zur Platte verarbeitet) ergaben für Exsudatbakterien 24300, für Bouillon¬ 
bakterien 17 200 Kolonien. 


Yersuch XII. 

Meerschweinchen 80 stirbt nach Impfung mit 1 / 4 Typhusagarkultur in 
weniger wie 24 Std. Die Bauchhöhle wird mit 25 ccm physiologischer NaCl- 
Lösung ausgespült, das trübe Spülwasser durch Papier filtriert und centri- 
fugiert. Der Bodensatz wird in der gewöhnlichen Weise mit destilliertem 
Wasser bei 37® behandelt, abermals filtriert und centrifugiert. Der schliefs- 
lich erhaltene Bodensatz wird wie der von 2 in gleicher Weise behandelten 
Bouillonkulturen in wenig physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt. 
Der Bindungsversuch erfolgt in der Weise, dafs zu je 5 Tropfen der Ver¬ 
dünnung 1 : 50 und 1 : 100 eines bis 1 : 12500 wirksamen Kaninchenserums 
tropfenweise die Aufschwemmungen der tierischen und der Kulturbakterien 
bei 37° zugesetzt werden. Dabei erfolgt jedesmal bei Zusatz der letzteren 
prompte Agglutination, während die ersteren andauernd trüben. Der Zusatz 
wird so lange fortgesetzt, bis auch die Bouillonbakterien nicht mehr agglu- 
tiniert werden, und die Flüssigkeit neben den starken agglutinierten Flocken 
des Bodensatzes noch eine bleibende Trübung aus freien Typhusbakterien 
aufweist. Dazu waren nötig für 5 Tropfen Serum 1 50 im ganzen 27 Tropfen 

Aufschwemmung von Bouillon bezw. Exsudatbakterien, für 5 Tropfen Serum 
1 : 100 16 Tropfen der betreffenden Suspensionen. Darauf.wurde centrifugiert 
und mit den überstehenden klaren Flüssigkeiten wurden hängende Tropfen 
mit empfindlicher Typhusbouillonkultur angelegt. 


Digitized by v^.ooQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Rail. 


333 


Schon nach V» Std. bei 37° hatten alle Proben, welche vorher Exsudat- 
oakterien erhalten hatten, vollständige Agglutination erzeugt, in den anderen 
war jetzt und auch noch nach weiteren 2 Std. die Beweglichkeit ungehemmt. 

Weiter wurden je 10 Tropfen der abcentrifugierten klaren Flüssigkeiten 
mit einer Aufschwemmung gewaschener Bouillonbakterien in engen Eprou¬ 
vetten versetzt. 37 ®. 

Nach Va Std. hatten sich in den Serumverdünnungen, die der Ein¬ 
wirkung von Exsudatbakterien ausgesetzt gewesen waren, grobe Flocken ge¬ 
bildet, die nach einer weiteren halben Stunde unter völliger Klärung der 
Flüssigkeit zu Boden gesunken waren, während alle anderen Proben auch 
nach 3 Std. gleichmäfsig trüb blieben. 

Das Ergebnis dieser Versuche ist ein vollkommen ein¬ 
deutiges. Die Typhusbakterien im Meerschweinchenexsudate 
sind inagglutinabel, weil die Agglutinine eines Immunserums 
nicht imstande sind, sie anzugreifen. Die Bindung der Aggluti¬ 
nine an die Bakterienzellen bleibt vollständig aus. 

Dieser Befund schien in besterWeise mit der bereits in der 
Einleitung gewürdigten Thatsache des Nichtauftretens der Haufen¬ 
bildung im Körper aktiv oder passiv immunisierter Tiere über¬ 
einzustimmen. Auch hier könne eine Agglutination nicht ein- 
treten, nicht etwa deshalb, weil das Immunserum im lebenden 
Tierkörper anders wirkt als aufserhalb desselben in vitro, sondern 
deshalb, weil die Bakterien selbst die Eigenschaft erlangen, der 
agglutinierenden Serumkomponente zu widerstehen. Da aber 
das Immunserum, wie später zu zeigen sein wird, auch gegen 
diese inagglutinablen Bakterien ebenso schützt, wie gegen ge¬ 
wöhnliche Kulturen von Typhus, so schien der in diesem Stadium 
der Versuchsreihe gezogene Schlufs berechtigt, dafs das Aggluti¬ 
nationsphänomen nur eine sehr geringe Bedeutung für die Er¬ 
klärung des Wesens der Typhusimmunität besitzen könne 1 ). 

Nun besitzen aber die einem Meerschweinchen intraperitoneal 
beigebrachten Typhusbakterien die Eigenschaft der Nichtaggluti- 
nierbarkeit nicht von vornherein. Sie müssen sie vielmehr erst 
in jenen Generationen erlangen, welche in der Bauchhöhle des 
inficierten Tieres erzeugt werden. Den Zeitpunkt, in welchem 


1) Prager inediz. Wochenschrift, 1901, Nr. 7. 


Digitized by 


Google 



334 Versuche Ober Typhusagglutinine und -Präcipitine. 

dies geschieht, kann man leicht feststellen, wenn man Exsudat¬ 
proben von Zeit zu Zeit mittels Glaskapillaren entnimmt und 
mit Typhusserum prüft. Dafs die Nichtagglutinierbarkeit bereits 
im noch lebenden Tiere vorhanden ist, beweisen einige sehr früh¬ 
zeitig angestellte Versuche, wo das Exsudat des bereits schwer 
kranken Meerschweinchens untersucht wurde. 

Yersuch XIII. 

Meerschweinchen 18 ist nach intraperitonealer Infektion mit 1 Öse 
Typhusagarkultur nach 14 Std. schwer krank Dem Tiere wird mit Glas¬ 
kapillaren Exsudat entnommen und dasselbe sofort mit reinem, sowie 1 : 10, 
25, 50, 75, 100, 500, 1000, 2500 verdünntem Serum zu hängenden Tropfen 
verarbeitet. Um die dazu hinreichende Menge Exsudats zu erhalten, waren 
3 Entnahmen notwendig. Kontrolle mit in gewöhnlicher Weise hergestelltor 
Typhusbouillonkultur und Serum 1 : 500, 1000, 2500 und 5000. 

Nach l / 4 Std. sind alle Bouillon proben agglutiniert. doch sind die Häuf 
chen bei Serum 1 : 2500 und 5000 erst sehr klein. 

Exsudat mit reinem Serum zeigt die Bakterien immobilisiert, aber ohne 
Haufenbildung. Diese fehlt auch in den übrigen Präparaten. 

Nach 1 Std. Alle Bouillonproben agglutiniert. 

Exsudat mit reinem Serum zeigt grofse, oberflächliche Haufen, darunter 
einzelne, aber immobilisierte Bakterien und spärliche kleine Häufchen. 

Ähnlich, aber schwächer ausgebildet, bei 1 : 10. Die Verdünnungen 
1 : 25 und 1 : 50 zeigen durchaus Immobilisation, aber keine Haufenbildung. 
Alle übrigen Präparate bieten keinen Unterschied gegen die serumfreie Kon 
trolle dar, in welcher diesmal die Beweglichkeit der Bakterien auch nur 
gering ist. 

Nach 2 Std. Reines Serum hat neben den grofsen oberflächlichen Haufen 
in der Tiefe der Flüssigkeit nur kleine Häufchen bilden können. Auch sind 
einzelnliegende, unbewegliche Bakterien in grofser Zahl vorhanden. 

In der Verdünnung 1 : 10 haben sich spärliche oberflächliche Haufen 
gebildet, sonst beschränkt sich die Serumwirkung ebenso wie bei den Ver¬ 
dünnungen 1 : 25 und 50 wesentlich auf Unbeweglich werden der Bakterien. 
Im übrigen fehlt jede Serumwirkung. 

Die folgenden Versuche, welche die fortlaufende Prüfung 
des Verhaltens der Bakterien während der Typhusinfektion zum 
Gegenstände haben, werden später noch einmal besprochen und 
erweitert werden müssen. Vorläufig handelt es sich dabei nur 
um die Feststellung des Eintretens der schweren Agglutinierbar- 
keit. Die Mengen der den Versuchstieren injicierten Agar¬ 
kulturen waren stets sehr beträchtlich. Die Aufschwemmungen 
wurden vor der Injektion durch Fliefspapier filtriert. 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


335 


Yersuch XIY. 


Meerschweinchen 26 erhält l J 4 filtrierte Agarkultur intraperitoneal. 

Die Prüfung der verwendeten Aufschwemmung mit Serumverdünnungen 
1 : 10, 100, 500 und 1000 ergab nach l i 4 Std. bereits überall vollständige, 
typische Agglutination, die nach 1 und 2 Std. bestehen bleibt. 


1. Entnahme sofort nach der Injektion. (Die hängenden Tropfen mit den 
Serumverdünnungen und mit physikalischer NaCILösung allein wurden so 
rasch als möglich angefertigt, besichtigt und dann in 37° gebracht.) 

Die entnommene Flüssigkeit enthält eine Anzahl roter, wenig weifser 
Blutkörperchen und wimmelt von einzeln liegenden Typhusbakterien. 

Nach l / 4 Std. Exsudat ohne Serum unverändert. 

Die Verdünnungen 1 : 10, 100, 500 haben bereits typische, vollständige 
Agglutination in grofsen Häufchen hervorgebracht. Bei 1 : 1000 finden sich 
neben zahlreichen Häufchen noch freie unbewegliche Bakterien. 

Nach 1 Std. vollständige Agglutination überall. Serumfreie Kontrolle 
wie vorher. 

Nach 2 Std. nicht wesentlich verändert. 

2. Entnahme, 1 / i Std. nach der Injektion,) 

3. Entnahme, V 2 Std. nach der Injektion, | 

4. Entnahme, 1 Std. nach der Injektion : 

Das Exsudat enthält spärliche rote und weifse Blutkörperchen, neben 
massenhaft wimmelnden Bakterien finden sich kleine Häufchen. 

Nach V 4 Std. Serumfreie Kontrolle zeigt vielfach kleine und mitunter 
auch recht ansehnliche Häufchen, mehrfach um offenbar zerfallende Leuco- 
cyten herum, neben wimmelnden Bakterien. 

Ensudat mit Seruinverdünnungen zeigt überall typische Agglutination. 

Nach 1 Std. wesentlich wie vorher. 

Nach 2 Std. In der aerumfreien Kontrolle ist unzweifelhaft Agglutination 
und zwar mit recht vielen, z. T. grofsen Häufchen eingetreten. Von der 
wirklichen Agglutination, die in allen anderen Proben herrscht, unterscheidet 
sich das Präparat nur durch die überall neben den Haufen sich bewegenden 
freien Bakterien. 


bieten wesentlich das gleicheBild. 


5. Entnahme, 2 Std. nach der Infektion. 

Das leicht in die Kapillare aufsteigende Exsudat ist wenig trübe, enthält 
mäfsig zahlreiche rote, wenig weifse Blutkörperchen und massenhaft Bakterien, 
die meist lebhaft schwärmen, hie und da aber auch kleine Häufchen von 
4—8 Individuen bilden. Immerhin scheint es, als ob die Beweglichkeit gegen¬ 
über der bisher an den Bakterien der toten Tiere beobachteten etwas ver¬ 
mindert wäre. 

Nach ’/ 4 Std. Serumfreie Kontrolle zeigt neben zahllosen beweglichen 
Bakterien viele Häufchen, teils frei, teils um Leukocyten herum, mitunter 
von ansehnlicher Gröfse. Innerhalb dieser gröfseren Haufen herrscht vielfach 
noch wackelnde Beweglichkeit. 

Alle Serum Verdünnungen haben typisch agglutiniert. 

Nach 1 Std. herrscht in der serumfreien Kontrolle sicher Agglutination, 
durch sehr zahlreiche Häufchen gekennzeichnet. 




Digitized by v^.ooQle 


336 


Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 


Die übrigen Proben agglutiniert. 

Nach 2 Std. ist die bisher vorhandene Agglutination in der serumfreien 
Kontrolle zum gröfsten Teile gelöst Dasselbe ist in geringerem Grade bei der 
Serumverdünnung 1 : 1000 der Fall. Die übrigen Präparate in starrer 
Agglutination. 

6. Entnahme, 3 Std. nach der Infektion. 

Exsudat dicht trüb, leicht zu entnehmen. Es hat sich nunmehr das 
gewohnte typische Bild, wie es das Exsudat eines eben gestorbenen Tieres 
bietet, entwickelt: relativ spärliche, z. T. degenerierte Leukocyten, massenhaft 
schwärmende Bakterien, die nur sehr spärlich zu kleinsten Häufchen ver¬ 
einigt sind. 

Nach */< Std. zeigt die serumfreie Kontrolle nur wimmelnde Bakterien. 
Serumverdtinnung 1 : 1000 keine Haufenbildung, fast überall freie Beweg¬ 
lichkeit. 

Serumverdünnung 1 : 500 und 1 : 100 nur spärliche lockere Haufen. 
Mehrzahl der Bakterien gehemmt beweglich. 

Serumverdünnung 1 : 10 ziemlich vollständige Agglutination. 

Nach 1 Std. ist die serumfreie Kontrolle nicht wesentlich verändert. 

Serumverdünnung 1 : 1000 sehr spärliche kleine Häufchen, meist freie, 
zum gröfsten Teil unbewegliche Bakterien. 

Serum Verdünnung 1:100 und 500 ähnlich, aber mit mehr hervortretender 
Haufenbildung. 

Serumverdünnung 1 : 10 fast vollständige Agglutination. 

Nach 2 Std. wesentlich das gleiche Bild. 

7. Entnahme, 4 Std. nach der Infektion. 

Das Exsudat trüb, mit wenig Leukocyten und wimmelnden Bakterien, 
keine Haufenbildung. 

Nach l / 4 Std. serumfreie Kontrolle unverändert. 

Serumverdünnungen 1 : 100, 500, 1000 haben keine Haufenbildung, wohl 
aber vielfach Immobilisation hervorrufen können. 

Serumverdünnung 1 : 10 vielfach, aber nur sehr kleine Häufchen, viele 
freie, immobile Bakterien. 

Nach 1 Std. und 2 Std. ist das Aussehen der Präparate wenig verändert; 
mir hei Serum Verdünnung 1 : 10 kann von Agglutination gesprochen werden. 

8 Entnahme, 5 Std. nach der Infektion. 

Das entnommene Exsudat zeigt im wesentlichen das gleiche Verhalten 
wie hei der 7. Entnahme. 

0. Entnahme, 16 Std. nach der Infektion. 

Das Tier ist agonisierend. Das Exsudat ist dicht trüb, die Bakterien 
sind, neben wenig Leukocyten, so massenhaft vorhanden, dafs eine aus¬ 
giebige Bewegung, rein mechanisch unmöglich erscheint. 

Hängende Tropfen mit reinem, sowie 1 : 10, 50, 100, 500 verdünntem 
Serum lassen nach */ 4 Std. nur bei reinem Serum grofse, oberflächliche Haufen 
.erkennen; nach 1 Std. ist hier ziemlich vollständige Agglutination, bei 1 : 10 
spurenweise eingetreten. Nach 2 Std. zeigt sich in den durch reines Serum 
gebildeten Haufen schwaches P aundlersches Phänomen, bei Serum 1 : 10 


Digitized by v^.ooQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


337 


ist die Wirkung äufserst schwach, bei den übrigen Verdünnungen überhaupt 
(vielleicht von einer Hemmung der Beweglichkeit abgesehen) nicht vorhanden 

Yersuch XY. 

Meerschweinchen 29 erhält \ 8 Typhusagarkultur intraperitoneal 

1. Entnahme sofort nach der Infektion. 

Das Exsudat enthält wenig rote und weifse Blutkörperchen, überaus 
zahlreiche bewegliche Bakterien. Haufenbildung tritt während der 2stünd. 
Beobachtung bei 37° erst ganz zum Schlüsse, um einige wenige Leukocyten 
herum, ein. 

Die angewendeten Serum Verdünnungen 1 . 10, 50,100 und 500 agglutinieren 
sowohl die Bakterien des Exsudates, wie die der zur Injektion verwendeten 
Suspension binnen V 4 Std. vollständig. 

2. Entnahme, 1 Std. nach der Infektion. 

Liefert ein wie vorher beschaffenes Exsudat. Dasselbe zeigt nach 
l / 4 Std. spärliche, nach 1 und 2 Std. ziemlich zahlreiche kleine Häufchen, 
neben wimmelnden, freien Typhusbakterien. 

Die Serumverdünnungen agglutinieren binnen */ 4 Std. 

3. Entnahme, 2 Std. nach der Infektion. 

Leukocyten sind im Exsudate zahlreicher geworden. Nach 1 und 2 Std. 
haben sich, wie bei der 2. Entnahme, reichlich kleine Häufchen gebildet. 

Agglutination tritt bei allen Serumverdünnungen ein, aber bei 1 : 500 
nur unvollständig, bei 1 : 100 etwas verspätet. 

4. Entnahme, 3 Std. nach der Infektion. 

Häufchenbildung kommt im reinen Exsudate zu allen Beobachtungszeiten 
vor, ist aber weniger ausgesprochen wie vorher. 

Die Serumverdünnungen 1 : 100 und 500 sind, aufser dafs sie vielfach 
Immobilisation hervorbringen, wirkungslos. 1 : 50 erzeugt kleine Häufchen, 
wobei die Mehrzahl der immobilisierten Bakterien frei bleibt. 1 : 10 macht 
stärkere, aber ebenfalls nur unvollständige Agglutination. 

5. Entnahme, 4 Std. nach der Infektion und 

6. Entnahme, 6 Std. nach der Infektion : 

Im Heinexsudat ist das Auftreten von Häufchen äufserst geringfügig 
oder bleibt ganz aus. Die Serum Verdünnungen bleiben wirkungslos, bis auf 
1 : 10, wo kleine Häufchen neben der Mehrzahl freier Bakterien zu linden sind. 

6 1 /* Std. nach der Infektion werden dem bereits deutlich kranken Tiere 
0 ccm einer Serumverdünnung 1 : 10 injiciert. 

5 Minuten später wird Exsudat entnommen und teils rein, teils mit 
normalem Kaninchenserum und den Immunserumverdünnnngen 1 : 10, 50 
und 100 zu hängenden Tropfen verarbeitet. 37°. 

Nach l j A Std. zeigt sich nirgends, nach 1 s Std. nur bei linmuuserum 
1 : 10 schwache Haufenbildung. Doch linden sich nach 2stünd. Aufenthalt im 
Brutschrank in allen Proben kleine Häufchen, am reichlichsten bei den 1 : 10 
und 1 : 50 verdünnten Immunseris. 

Zwei weitere Entnahmen, l i 4 und 1 Std. nach der Seruminjektion, zeigen 
nur bei Immunserum Verdünnung 1 : 10 unvollständige Agglutination. 


Digitized by 


Google 



338 Versuche über Typhusagglutiaioe uud -Präeipitine 

Das Tier stirbt 9 Std. nach der Typhusinfektion. Der Befund an den 
Bakterien des Exsudates ist der gewöhnliche. 

Das Resultat dieser Versuche ist ebenfalls ziemlich eindeutig. 
Die injicierten Typhusbakterien bleiben während der ersten Zeit 
der Infektion der Wirkung der Serumagglutinine vollständig zu¬ 
gänglich. Erst ungefähr 3 Stunden nach der Impfung — die 
Zeit ist nicht völlig gleich, doch gibt das Intervall von 3 Stunden 
für die verwendeten grofsen Kulturmengen eine gute Mittelzahl 
— hört die Agglutinationsfähigkeit der Typhusbakterien des 
Exsudates auf. Dabei erfolgt aber dieser Wechsel ziemlich un¬ 
vermittelt: die Bakterien sind auf einmal gegen die verschie¬ 
denen Serumkonzentrationen unempfindlich geworden; nur an¬ 
deutungsweise bemerkt man, wie in dem als Nr. XIV mitgeteilten 
Versuche, dafs zunächst nur die Wirkung der stärksten Verdün¬ 
nungen aufhört. 

Es müssen also während der ersten drei Stunden die Typhus¬ 
bakterien unter dem Einflüsse einer Körperreaktiou gestanden 
haben, welche dann das Ausbleiben der Agglutination zur Folge 
hat. Dafs eine derartige Reaktion bestehen mufs, beweist das 
Auftreten von kleinen, agglutinierten Häufchen im Exsudate, 
ohne dafs Serum zugesetzt wurde. Freilich ist die Bildung 
dieser im übrigen ganz typischen Agglutinationen insofern nur 
eine rudimentäre, als sie mitten unter Bakterien erfolgt, die 
sich andauernd in vollster Bewegungsfreiheit befinden. In¬ 
teressant war es zu beobachten, wie sehr oft Leukocyten, und 
zwar soweit darauf geachtet wurde, immer zerfallende Leukocyten 
den Ausgangspunkt dieser Häufchen bildeten. Es wäre nicht 
unmöglich, dafs bei diesem Zerfall Stoffe frei würden, welche 
späterhin die Haufenbildung veranlassen oder unterstützen könnten. 
Dafs sich auch Häufchen finden, deren Mittelpunkte farblose 
Blutzellen nicht abgeben, wurde bereits bemerkt; es ist aber 
möglich, dafs hier doch ursprünglich ein Leukocyt vorhanden 
war, der dann durch vollständige Auflösung unsichtbar wurde. 

Die vorläufig noch nicht näher zu definierenden Einflüsse, 
denen die Typhusbakterien im lebenden Tierkörper, einige Zeit 
nach erfolgter Infektion ausgesetzt sind, müssen bei verschiedenen 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


339 


\ 


Tierarten verschieden mächtig sein. Denn die Widerstands¬ 
fähigkeit der Typhusbakterien gegen die Serumagglutinine ist im 
Exsudate verschiedener Tiere deutlich wechselnd. Ähnlich wie 
in der Bauchhöhle von Meerschweinchen verhalten sich die 
Bakterien im Körper von weilsen Mäusen. 

Versuch XVI. 

Grofse weifse Maus erhält 1 Öse Typhusagarkultur intraperitoneal; ist 
innerhalb 13 Std. gestorben. Durch vorsichtiges Ausspülen der Bauchhöhle 
mit physiologischer Kochsalzlösung lassen sich etwa 5 ccm trüber, sehr 
bakterienreicher Flüssigkeit gewinnen. Es werden hängende Tropfen mit 
reinem und 1 : 10, 50, 100, 500 und 1000 verdünntem Serum angelegt. Kon¬ 
trolle mit in gewöhnlicherWeise hergestellter Bouillonkultur und Serum 1 : 100, 
500, 1000. 37®. 

Nach */ 4 Std. Alle Tropfen mit Bouillonkultur agglutiniert, doch sind 
bei der Serumverdünnung 1 : 1000 die gebildeten Häufchen nur klein. 

Exsudat mit reinem Serum zeigt fast durchwegs grofse, schöne ober¬ 
flächliche und tiefe Haufen. 

In der Serumverdünnung 1 : 10 finden sich neben vielen Haufen zahl, 
reiche einzelne, meist immobile Bakterien. * 

Bei 1 : 50 sind nur wenige Oberflächenhaufen vorhanden, sonst ist das 
Serum überall wirkungslos geblieben. 

Nach 1 Std. wesentlich unverändert. Vollständige Agglutination findet 
eigentlich nur im reinen Serum statt, doch reicht die sichtbare, wenn auch 
unvollkommene Serumwirkung bis zur Verdünnung 1 : 50. 

Das Exsudat wird centrifugiert, der Satz in Wasser aufgeschwemmt, 
filtriert, wieder centrifugiert und schliefslich in physiologischer Kochsalzlösung 
suspendiert. Hängende Tropfen mit reinem, sowie 1 : 10, 50, 100, 500 ver¬ 
dünntem Serum. Kontrolle mit dem Satze einer in gleicher Weise behandelten 
Bouillonkultur. 37 °. 

Nach 1 / 4 Std. sind alle Bakterien der Bouillon vollständig agglutiniert. 

Das reine Serum hat ziemlich vollständige Agglutination, das 1 : 10 ver¬ 
dünnte nur die Bildung einiger weniger, typischer Häufchen hervorrufen 
können, neben denen viele freie, zum grofsen Teil bewegliche Bakterien vor¬ 
handen sind. 

Nach 1 Std. im wesentlichen wie vorher. Die Serumverdünnung 1 : 10 
ist nur unvollständig wirksam, die 1 : 50 wirkungslos. 

Ein wesentlich anderes Resultat lieferte ein Versuch mit 

dem Exsudate der Ratte. 

% 

Versuch XVII. 

Grofse bunte Ratte erhält 4 Ösen Typhusagarkultur intraperitoneal und 
stirbt darnach in weniger als 13 Std. Die mit 10 ccm physiologischer NaCl- 
Lösung ausgespülte Bauchhöhle ergiebt eine äufserst zellarme und dabei sehr 
bakterienreiche Flüssigkeit von rötlicher Färbung, die offenbar durch gelöstes 

Archiv für Hygiene. Bd. XLII. 23 


Digitized by v^.ooQle 



340 Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 

Hämoglobin bedingt ist, da Erythrocyten sowohl im Exsudate selbst, wie in 
dem daraus abcentrifugierten Satze vollständig fehlen. 

Es werden hängende Tropfen mit 1 : 10, 100, 500, 1000, 2500 verdünntem 
Serum angefertigt. Kontrolle Bouillonkultur. 37°. 

Nach */ 4 Std zeigt die Bouillonkultur überall Agglutination in grofsen 
Haufen. Die Exsudatbakterien sind durch die Verdünnungen bis 1 : 500 
vollständig, durch 1 : 1000 unvollständig agglutiniert, sonst frei und beweglich. 

Nach 1 Std. ist auch die Agglutination durch das 1000 fach verdünnte 
Serum ziemlich vollständig. Von da an fehlt jede Wirkung. 

Das Exsudat wird centrifugiert und der in üblicher Weise gereinigte 
Satz in physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt. Kontrolle mit den 
Bakterien einer in gleicher Weise behandelten Bouillonkultur. Hängende 
Tropfen mit Serumverdünnungen 1 : 500, 1000, 2500, 5000, 7500, 10000. 37°. 

Nach V 4 Std. sind alle Bouillonpräparate agglutiniert. 

Exsudatpräparate zeigen bei 1 : 500 verdünntem Serum viele Häufchen, 
bei 1 : 1000 wenige, sonst keine Beeinflussung. 

Nach 1 Std. hat das 500 fach verdünnte Serum ziemlich vollständige, 
das 1 : 1000 verdünnte eine teilweise Agglutination hervorgerufen. Sonst 
keine Wirkung. 

OJowohl somit auch hier die Thatsache der schwierigen 
Agglutinierbarkeit der tierischen Bakterien qualitativ in derselben 
Weise zu konstatieren ist, bestehen quantitativ immerhin merk¬ 
bare Unterschiede. 

Bei Verwendung von kleinen Kaninchen, die man intra- 
pleural mit Typhus impft, kann man in der Regel eine noch 
höhere Widerstandskraft der Exsudatbakterien gegen die Serum- 
agglutinine beobachten. Doch kamen hier auch Ausnahmen vor. 

Versuch XVIII. 

Kleines Kaninchen erhält 1 Typhusagarkultur intrapleural. Aus der 
Pleurahöhle des innerhalb 14 Std. gestorbenen Tieres können 5 ccm trüben, 
sehr leukocytenreichen Exsudates entnommen werden, das aber nur relativ 
wenige und dabei schwach bewegliche Typhusbakterien enthält. Dieselben 
zeigen im Exsudate, selbst in hängenden Tropfen untersucht, auch bei der 
Serumverdünnung 1 : 10 nur wenige Häufchen und unvollständige Aggluti¬ 
nation, während Bouillonkultur durch Serum 1 : 5000 binnen l j A Std. voll¬ 
ständig agglutiniert wird. 

Im gewaschenen Satze besteht das gleiche Verhalten. 

Die bisher mitgeteilten Versuche geben über die nähere 
Ursache des Versagens der Agglutininwirkung eines Typhus- 
immunserurns noch kaum Aufschlüsse. Nur das Eine erscheint 
sicher, dafs im Tierkörper während der Infektion etwas zu den 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail, 


341 


Bakterien hinzutreten mufs, was dieselben nunmehr bis zu einem 
gewissen Grade inagglutinabel macht. Dieser unbekannte Ein- 
flufs ist aber jedenfalls nur kurzdauernd wirksam und betrifft 
wahrscheinlich nur die im Tiefe selbst entstandenen oder nur 
wenige, nachher im Exsudate selbst in vitro erzeugte Genera¬ 
tionen. Jedenfalls ist die Nichtagglutinierbarkeit nicht etwa zum 
Merkmale einer neuen Rasse von Typhusbakterien geworden. 
Denn impft man Exsudattröpfchen in Bouillon, so wird die da¬ 
selbst entstandene Typhuskultur sofort durch Zusatz von Imraun¬ 
serum agglutiniert. 

Versuch XIX. 

Mit einer Öse des Exsudates des mit 1 Öse Tvphusagarkultur geimpften 
Meerschweinchens 17 werden 5 ccm Bouillon inficiert. Nach 5 Std. Aufent¬ 
halt bei 37° ist die Flüssigkeit deutlich trüb. Es werden hängende Tropfen 
mit einem 1 : 5000 sicher wirksamen Serum angelegt und zwar in den Ver¬ 
dünnungen 1:1000, 2500, 5000. Kontrolle mit gewöhnlicher Bouillonkultur. 37°. 

Nach l / 4 und 1 Std. sind alle Proben unterschiedslos vollständig 
agglutiniert. 

Im Gegensätze dazu hält sich die Widerstandskraft der Bak¬ 
terien im Exsudate selbst ziemlich lange Zeit; dabei ist aller¬ 
dings zu bemerken, dafs die Vermehrung der Typhusbakterien 
darin sich innerhalb enger Grenzen hält. Aber auch dann, 
wenn man zum Exsudate Nährstoffe in Gestalt von wenig 
Bouillon hinzufügt, bleiben die Bakterien eine Zeitlang in¬ 
agglutinabel. 

Versuch XX. 

Meerschweinchen 25 hatte 1 Öse Typhusagarkultur intraperitoneal er¬ 
halten. Je 4 Tropfen des frischen, unveränderten Exsudates kamen in 6 
schmale, mit Stöpsel verschlossene Eprouvetten. Zu 3 derselben werden 
je 8 Tropfen Bouillon zugesetzt. 

Die Untersuchung des frischen Exsudates mit Serumverdünnungen 
1 :50, 100, 500 und 1000 zeigte, dafs sich nach 2 Std. bei 37 0 nur in der 
Verdünnung 1 : 50 einige oberflächliche und wenige kleinste tiefe Häufchen 
gebildet hatten. 

Nach 1 stünd. Aufenthalt bei 37° wurde je eine Eprouvette mit reinem 
und eine mit bouillonverdünntem Exsudate entnommen und in der gleichen 
Weise mit Serum in hängenden Tropfen geprüft. Die Verhältnisse zeigten 
sich nicht wesentlich verändert. 

Nach 3 Std. wurde eine 2. Serie geprüft. Das reine Exsudat zeigte mit 
reinen Typhusbakterien ungefähr dieselbe Widerstandskraft wie vorher, das 

23 • 


Digitized by 


Google 



342 Versuche, über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 

mit Bouillon verdünnte, in dem nach Mafsgabe des mikroskopischen Bildes 
massenhaft Vermehrung eingetreten war, zeigte insofern ein charakteristische» 
Bild, als bei allen Serumverdünnungen Häufchenbildung stattgefunden hatte, 
daneben aber reichlich freie und bewegliche Bakterien vorhanden waren. 

Das gleiche Verhalten, aber mit Vorwiegen der Haufenbildung, zeigen 
in der 3., nach Östünd. Aufenthalte bei 37° entnommenen Serie, beide 
Proben derselben. 

In anderen Versuchen hielt sich die Widerstandskraft der 
Typhusbakterien im Exsudate noch länger, namentlich dann, 
wenn dasselbe kühl aufbewahrt und dadurch eine starke Ver¬ 
mehrung verzögert wurde. 

Es sah ganz so aus, als ob ein Stoff im Exsudate in sehr 
geringer Menge vorhanden sei, der auch einigen wenigen, aulser- 
halb des Tieres entstandenen Bakteriengenerationen die Nicht- 
agglutinierbarkeit verleihen könne, aber bald aufgebraucht werde. 

Dafs dieser, wie sich weiterhin zeigen wird, zum richtigen 
Wege führende Schlufs zunächst nicht verfolgt wurde, hatte 
seinen Grund einmal in dem, durch die bereits unter Nr. VIII 
und X mitgeteilten Versuche geführten Nachweise des Mangels 
einer antiagglutinativen Fähigkeit der Exsudatflüssigkeit; dann 
aber imponierte zu dieser Zeit auch das ganz ungewöhnliche 
Versagen der haufenbildenden Serumwirkung so sehr, dafs daraus 
gefolgert wurde, es müsse ein inagglutinables Typhusbakterium 
auch in sonstiger Hinsicht von den gewöhnlichen Kulturbakterien 
verschieden sein. 1 ) Dabei wurde namentlich an die Virulenz 
solcher »tierischer Mikroorganismen« gedacht, sowie an die 
Wirkung der schützenden Anteile eines Typhusimmunserums 
auf dieselben. Die Folge dieser irrigen Annahme war eine lange 
Reihe von zum Teil vergeblichen, jedenfalls dem Ziele einer 
Erklärung der beobachteten Grundthatsache nicht näher führenden 
Versuchen, über die nur insoweit ausführlicher berichtet werden 
soll, als sie einigermafsen neue Ergebnisse hatten. Vorher aber 
sei noch einer eigenartigen Erscheinung gedacht. Schon 1897 
hatten Widal und Siccard-) gezeigt, dals die Abtötung der 

1) Prager luedizin. Wochenschrift, Nr. 12. 

2) Widal und Siccard, Soc. de Biologie, 30 janv. 1897, cit. nach 
B e n s o u d e. 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


343 


Typhusbakterien bei 57—60° die Agglutinationsreaktion nicht 
stört. Davon kann man sich jederzeit an gewöhnlichen, auf 
künstlichen Nährböden gezüchteten Bakterien überzeugen. Doch 
ist dazu zu bemerken, dafs die Haufenbildung nie so schön und 
grols ausfällt, wie das bei Anwendung lebender Kulturen in aus¬ 
gezeichneter Weise der Fall zu sein pflegt. Auch bilden sich, 
namentlich in Bouillonkulturen, durch das Erwärmen leicht von 
selbst kleine Häufchen, welche die Beobachtung sehr stören. 
Überdies fällt dabei das sehr wertvolle Merkmal der Beweglich¬ 
keitsstörung weg. 

Es zeigte sich nun, dafs Typhusbakterien aus tierischen Ex¬ 
sudaten, welche 1 Stunde lang auf 60° erhitzt worden waren, 
leichter agglutiniert wurden als im lebenden Zustande. 

Yersuch XXI. 

Meerschweinchen 32 war nach Injektion von l / 2 Typhusagarkultur inner¬ 
halb 12 Std. gestorben. Ans dem mit physiologischer NaCl-Lösung aus- 
gespülten Peritonealexsudate werden die Bakterien in der üblichen Weise rein 
gewonnen und in NaCl-Lösung aufgeschwemmt. In gleicher Weise wird eine 
Suspension von Bouillonbakterien hergestellt. Je eine Hälfte dieser 2 Suspen¬ 
sionen wird 7a &td. auf 60° erhitzt. Darauf wird in hängenden Tropfen mit 
lebenden und toten Bakterien und den Serumverdünnungen 1 : 10, 50, 100, 
500, 1000 und 2500 angefertigt. 37°. 

Nach 7 4 Std. Alle Bouillonbakterien agglutiniert, die toten in wesentlich 
kleineren Häufchen als die lebenden. 

Lebende Exsudatbakterien sämtlich frei und zum grofsen Teil beweglich. 
Von den erhitzten Exsudatbakterien sind die in den Präparaten mit Serum 
Verdünnungen 1 : 10, 50, 100 zweifellos zu kleinen Häufchen vereint. In den 
übrigen Präparaten finden sich wenige Häufchen neben freien Bakterien. 
Auch eine seruirifreie Kontrolle zeigt kleine Häufchen. 

Nach 1 Std. Lebende Exsudatbakterien nur bei Serum 1 : 10 immobili¬ 
siert und teilweise agglutiniert, tote bei Serum 1 : 10 und 50 in schönen 
Haufen, hei 1 : 300 und 500 ebenfalls agglutiniert, aber nur in kleinen Häuf¬ 
chen, bei den (ihrigen ist das Resultat aus dem bereits angegebenen Grunde 
zweifelhaft. 

Versuch XXII. 

Meerschweinchen 34 war 12 Std. nach der Infektion mit V H Agarkultur 
gestorben. Die reichlich freies Exsudat enthaltende Bauchhöhle wird nach 
und nach mit 30 ccm destillierten Wassers ausgespült, das noch immer enorm 
bakterienreiche Spülwasser wird filtriert, centrifugiert, der Satz neuerdings 
in Wasser aufgenommen, filtriert und centrifugiert. Schliefslich wird er in 
physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt; die eine Hälfte dieser und 
einer gleich bereiteten Suspension der Bakterien einer Bouillonkultur wird 


Digitized by 


Google 



344 Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 

1 Std. auf 60° erhitzt. Mit den lebenden und toten Bakterien werden hän 
gende Tropfen unter Zusatz der Verdünnungen 1 : 10, 25, 50, 100, 250 und 
500 eines bis 1 : 5000 wirksamen Serums angefertigt. 37 °. 

Nach 1 / a Std. sind alle Bouillonbakterien, lebende wie tote agglutiniert. 

Lebende Exsudatbakterien zeigen nur bei Serum 1 : 10 teilweise Im¬ 
mobilisation, sonst keine Beeinflussung; die toten zeigen neben freien Bak¬ 
terien viele Häufchen, bis zur Serumverdünnung 1 : 100. Von da an kein 
Unterschied gegen eine Berumfreie Kontrolle. 

Nach 2 Std. ist bei den Präparaten mit lebenden Exsudatbakterien und 
Serum 1 : 10 und 25 ganz unvollständige Agglutination eingetreten, während 
die toten bis 1 : 250 unzweideutige Serumwirkung erkennen lassen. 

Die übrigen Präparate sind unbeeinflufst. 

Durch das Erwärmen ist also zweifellos der die schwere 
Agglutinierbarkeit der Exsudatbakterien bedingende Umstand, 
wenigstens teilweise, in Wegfall gekommen. 

Ein Versuch, die Virulenz der aus dem Exsudate inficierter 
Meerschweinchen direkt erhaltenen Typhusbakterien zu be¬ 
stimmen, hat natürlich nur dann einen Sinn, wenn es gelingt, 
in Kontrollversuchen die genau gleiche Menge von entsprechend 
gezüchteten Kulturbakterien Tieren beizubringen. Dafs die 
Mitübertragung anhaftender Exsudatreste auf das Sorgfältigste 
vermieden werden mufs, bedarf nicht erst eines Hinweises. 

Es ist aber, wenn überhaupt möglich, jedenfalls sehr schwer, 
sowohl von gewaschenem Exsudat, wie von Kulturbakterien Auf¬ 
schwemmungen herzustellen, welche eine gleich grofse Anzahl 
lebender Zellen enthalten. Das einzige Verfahren, welches einige 
Aussicht auf Erfolg darbietet, ist die Aussaat gleicher Flüssig¬ 
keitsmengen in Agar, Zählung der aufwachsenden Kölonien und 
eine, je nach dem Ergebnis derselben geregelte Verdünnung. 
Um dies aber durchzuführen, bedarf es wenigstens eines Zeit¬ 
raumes von 24 Stunden, während welchen die Exsudatbakterien 
unkontrollierbare Veränderungen eingehen können. 

Auffallend schlechte Resultate gab der Versuch, die Zahl 
der Bakterien in Aufschwemmungen von Exsudat und Bouillon¬ 
bakterien im gefärbten Deckglaspräparate festzustellen und im 
Verhältnis der gewonnenen Werte, Verdünnungen vorzunehmen. 
Einige derart vorgenommene, ungemein zeitraubende Feststel¬ 
lungen wurden durch das Plattenzählverfahren nachgeprüft und 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Pr. Oskar ßail. 


345 


ergaben Differenzen von vielen Tausenden Kolonien für 1 Öse 
Aufschwemmung. 

Noch die relativ besten Ergebnisse hatte die anscheinend 
gröbste Methode, die darin bestand, die gleich dicht zu machenden 
Aufschwemmungen in zwei völlig gleichartigen Eprouvetten bis 
auf den gleichen optischen Trübungsgrad zu verdünnen. Dieses 
Verfahren lieferte halbwegs brauchbare Resultate, als es sich 
darum handelte, die Bindungskraft von Exsudat und Kultur¬ 
bakterien zu bestimmen, wozu es ebenfalls notwendig war, von 
beiden ungefähr gleich viel in Anwendung zu bringen. Dabei 
kam es freilich nur auf sehr annähernde Genauigkeit an, denn 
es genügte schliefslich festzustellen, dafs von den Exsudatbakterien 
nicht weniger als von den Kulturmikrobien verwendet worden 
waren. Bedenkt man aber, eine wie geringe Flüssigkeitsmenge 
man zahlenmäfsig auf ihren Bakteriengehalt prüfen kann, und 
wie viel derselben man injicieren mufs, so ergiebt eine einfache 
Überlegung, dafs Differenzen von einigen hundert Kolonien auf 
der Platte thatsächlich Verschiedenheiten von vielen Hundert¬ 
tausenden Bakterien im Tierversuche entsprechen. 

So wird es erklärlich, dafs trotz vieler angewendeter Mühe 
keine wirklich einwandsfreien Versuche angestellt werden konnten. 
Es würde wohl bei Verschwendung von Tieren und Anlage 
sehr grofser Versuchsreihen, vielleicht mehr zufällig, gelingen, 
Tierpaare zu erhalten, denen genau gleich grofse Mengen des 
verschiedenartigen Bakterienmaterials einverleibt worden sind; 
so unbeschränkte Mengen von Tieren standen aber nicht zur 
Verfügung und ihr Verbrauch würde sich kaum gelohnt haben. 
Denn jedenfalls sind die Unterschiede in der Virulenz, falls 
solche überhaupt vorhanden sind, nicht sehr bedeutend. Ähnlich 
liegen die Schwierigkeiten auch dann, wenn es sich darum 
handelt, die schützende Wirkung eines auf die gewöhnliche 
Weise, durch Immunisieren mit abgetöteten Agarkulturen, ge¬ 
wonnenen Immunserums gegenüber Exsudat und Kulturbakterien 
zu vergleichen. Doch liegen hier die Verhältnisse insofern 
günstiger, als die Feststellung der früher oder später erfolgenden 
Sterilisation der Meerschweinchenbauchhöhle, nicht in so aufser- 


Digitized by CjOOQle 



346 


Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 


ordentlich hohem Grade von der Zahl der injicierten Bakterien 
abhängt, vorausgesetzt, dafs das verwendete Serum genügend 
wirksam ist. 

Es ergab sich auch hier, dafs wesentliche Unterschiede bei 
Anwendung von Exsudat und Kulturbakterien nicht vorhanden 
sein können. Die Tiere waren durch die gleiche Menge Serums 
zu schützen und die eingespritzten Bakterien verschwanden 
ungefähr um dieselbe Zeit aus der Bauchhöhle. Ganz genaue 
Feststellungen mufsten allerdings auch hier mit Rücksicht auf 
das relativ geringe, verfügbare Meerschweinchenmaterial unter¬ 
bleiben, doch läfst sich trotzdem mit Sicherheit aussagen, dafs 
im grofsen und ganzen die Abweichung der Exsudatbakterien 
von künstlich gezüchteten gegenüber der Wirkung eines Immun¬ 
serums sich hauptsächlich nur auf ihr Verhalten gegen die Agglu- 
tinine desselben beziehen kann. 

Es mufste nun von Interesse sein, festzustellen, ob die Vor¬ 
behandlung von Kaninchen mit solchen, schwer agglutinablen 
Bakterien ein Serum liefern könne, welches in Bezug auf seine 
haufbildende Kraft Besonderheiten zeigt. liier hatten die Ver¬ 
suche in der That Erfolge zu verzeichnen. Freilich sind die¬ 
selben auch hier nicht leicht anzustellen. Zu jedem mufsten 
zwei Tiere von genau gleicher Gröfse und gleichem Ernährungs¬ 
zustände genommen werden. Die immunisierenden Injektionen 
mufsten ungefähr gleichviel Bakterien in jedes der Tiere hinein¬ 
bringen, Gewichtsverluste, die das eine Tier zeigte, nötigten auch 
zur Aussetzung der Behandlung des zweiten, auch dann, wenn 
es selbst gut gedieh. 

Die von dem Tierpaare gewonnenen beiden Sera konnten 
aber nur dann verwendet werden, wenn sie gegenüber Bakterien 
aus künstlichen Kulturen ungefähr die gleiche agglutinierende 
Wirksamkeit besafsen. Nur dann hatte eine stärkere haufbildende 
Eigenschaft bei dem Serum des mit Exsudatbakterien behandelten 
Tieres beweisende Kraft. 

Die Berücksichtigung aller dieser Umstände hatte zur Folge, 
dafs schliefslich nur zwei Serum liefernde Kaninchenpaare zur 
Verwendung kommen konnten. Die Resultate, die damit 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bai*. 


347 


erhalten wurden, waren zwar vollkommen eindeutig und die in 
mehrfacher Hinsicht vorhandenen Unterschiede ihrer Wirksamkeit 
waren so auffallende, dafs an Zufälligkeiten nicht gut zu denken 
ist; immerhin aber ist wegen dieser geringen Anzahl der ver¬ 
wendeten Sera eine gewisse Vorsicht bei der Verallgemeinerung 
der erlangten Ergebnisse geboten. 

Die Immunisierungstabelle eines derartigen Kaninchenpaares sei an¬ 
geführt. Die injicierten Bakterien waren lebend und wurden so frisch als 
möglich verwendet. Gewichtsabnahmen erfolgten entweder gar nicht oder 
glichen sich bald aus. Erst ganz am Ende sank das Gewicht des einen 
Tieres ohne besonders bekannte Veranlassung so rapid ab, dafs beide Tiere 
vorzeitig verblutet werden mufsten. 

Kaninchen d erhielt intravenös Bakterien aus dem Exsudate von Meer¬ 
schweinchen, Kaninchen e die entsprechend behandelten und gewaschenen 
aus Bouillonkulturen. 

6. II 1901 1 Öse aus dem gewaschenen, centrifugierten Satze des Typhusmeer¬ 

schweinchens 2:1, bezw. ebensoviel Bouillonbakterien, 

13. II. 1901 1 Öse aus dem gewaschenen, centrifugierten Satze des Typhusmeer¬ 
schweinchens 26, bezw. ebensoviel Bouillonbakterien, 

19. II. 1901 2 Ösen aus dem gewaschenen, centrifugierten Satze des Typhus¬ 
meerschweinchens 29, bezw. ebensoviel Bouilloubakterien, ' 

22. II. 1901 den halben Bodensatz aus dem Exsudate von Nr. 30, bezw. Satz 
aus 5 ccm Bouillonkultur, 

27. II. 1901 den halben Bodensatz aus dem Exsudate von Nr. 32, bezw. Satz 
aus 5 ccm Bouillonkultur, 

3. III. 1901 fast der ganze Bakteriensatz aus dem Exsudate von Meerschwein¬ 
chen 34, bezw. Satz aus 10 ccm Bouillonkultur, 

6.III. 1901 Blut aus den rechten Jugularvenen entnommen- Serum d und e. 

7. III. 1901 Fast den ganzen Satz aus dem Exsudate von Meerschweinchen 36, 

bezw. Satz von 10 ccm Bouillonkultur, 

11. IV. 1901 Ebensoviel aus dem Exsudate von Meerschweinchen 38, bezw. 
Bouillonkultur. 

16. IV. 1901 Ebensoviel aus dem Exsudate von Meerschweinchen 45, hezw. 
Bouillonkultur. 

22. IV. 1901 Aus den rechten Carotiden Blut entzogen: Serum dl und ei. 

Im Anschlüsse an die Blutentnahme magert Kaninchen d ohne sonstigen 
sichtbaren Grund so rasch ab, dafs es am 6. V. ebenso wie Kaninchen c 
ganz verblutet wird: Serum d II und e II. 

Ähnlich ist die Immunieierungstabelle des Kaninchenpaares g und h. 
Die erste Blutentnahme erfolgte nach 14 tägiger Behandlung mit ca. 6 Ösen 
Bakterienmaterials,die zweite nach weiterer ebensolangen mit gröfseren Mengen. 

Die Verschiedenheit beider Sera gab sich zunächst in ihrem 
Verhalten gegen Exsudatbakterien zu erkennen. 


Digitized by 


Google 




348 


Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 


Versuch XXIII. 

Meerschweinchen 36 starb nach Infektion mit 1 Öse Typhusagarkultur 
in ca. 20 Std. Hängende Tropfen mit dem deübrinierten Vollexsudate und 
den Serumverdünnungen von c und d 1 : 25, 50, 100, 250, 500, 750, 1000, 
2500, 5000. Kontrolle mit Bouillonkultur und den Verdünnungen 1 : 1000, 
2500, 5000. 37°. 

Nach */ 4 Std. Bouillonkultur durch beide Sera vollständig agglutiniert. 

Serum des mit Bouillonbakterien immunisierten Tieres hat bis 1 : 50 
vollständig, von da bis 1 : 500 sehr unvollständig, von da an gar nicht mehr 
agglutiniert Das andere Serum d hat bis 1 : 2500 durchgreifend agglutiniert. 

Nach 1 und 2 Std. hat auch das Serum c bis 1 : 250 ziemlich vollständig 
agglutiniert und auch noch bei 1 : 500 viele Haufen gebildet, das Serum d 
hat bei 1 : 2500 vollständige, bei 1 : 5000 noch teilweise Agglutination hervor 
gebracht. 

Die Überlegenheit des Serums ,d, das von dein mit Exsudat¬ 
bakterien behandelten Tiere stammt, ist ganz auffallend. Zu 
bemerken ist, dafs beide Sera c und d gegenüber Bouillonkulturen 
von Typhus ungefähr gleich wirksam waren, bei geringfügiger 
Überlegenheit des Serums d. Beide agglutinierten um diese Zeit 
bei der Verdünnung 1:10000 und 12 500 noch vollständig; bei 
1:15000 war die Haufenbildung bei Serum c bereits unvollständig, 
darüber hinaus auch bei Serum d. Doch erzeugte dieses auch 
noch bei 1:20 und 24000 teilweise Agglutination, während das 
andere in dieser Verdünnung bereits versagte. Ein derartiges 
Verhalten wurde noch bei anderen Seris konstatiert, doch ist es 
bisher nicht gelungen, eine Gesetzmäfsigkeit aufzufinden. 

Der mitgeteilte Versuch ist aber auch noch in anderer Hin¬ 
sicht interessant. Er zeigt nämlich, dafs das durch Behandlung 
mit Kulturbakterien gewonnene Serum gegen Exsudatbakterien 
ganz ungewohnt starke Wirkungen entfaltete. Ganz deutlich 
anders war das Resultat, als das Serum zwei Tage älter war, 
im folgenden Versuche. Diese, auch sonst beobachtete Eigen¬ 
tümlichkeit, die hier besonders klar hervortritt, wird späterhin 
von Wichtigkeit werden. 

Versuch XXIV. 

Vollexsudat eines der [intraperitonealen Impfung mit */ 4 Typhusagar- 
kultur nach 18 Std. erlegenen Meerschweinchens 37 mit den Verdünnungen 
1 : 25, 50, 100, 500, 1000, 2500, 5000, 10 000 der beiden 3 Tage alten Sera c 
und d. Kontrolle mit Bouillonknltnr und den Serumverdünnungen 1 : 5000, 
7500, 10000. 37 *. 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Rail. 349 

• 

Nach 7 4 Stunde: Bouillonkultur in allen Präparaten agglutiniert, doch 
durch die Verdünnungen beider Sera auf 1 : 10000 nur unvollständig. 

Gegen Exsudatbakterien hatte Serum c nur bei der Verdünnung 1 : 25 
vollständig gewirkt, schon bei 1 : 50 fast ganz versagt. 

Serum d hatte bis 1 : 500 typische Agglutination bewirkt, bei 1 : 1000 
waren viele, aber nur kleine Häufchen vorhanden, sonst war es wirkungslos. 

Nach 1 und 2 Std. war das Bild im wesentlichen dasselbe. 

Unerwartet rasch war hier die haufenbildende Kraft gegen¬ 
über Bouillonkulturen gesunken und zwar glücklicherweise derart 
dafs jetzt beide Sera bei dem gleichen Verdünnungsgrade auf¬ 
hörten, vollständige Agglutination herbeizuführen. Um so schöner 
tritt die Überlegenheit des Serums d gegen Exsudatbakterien 
hervor. Dennoch hatte dasselbe auch hierin gegen früher eine 
merkbare Einbufse erlitten und ganz gewaltig war die auch bei 
Serum c rudimentär vorhanden gewesene Wirkung gegen die 
tierischen Exsudate zurückgegangen. 

Ähnlich, wenn auch nicht so schön, zeigen dies die beiden 
folgenden Versuche mit den letzten Seris, die von den Tieren c 
und d gewonnen worden waren. 

Versuch XXV. 

In der üblichen Weise erhaltene und gewaschene Bakterien aus dem 
Exsudate des Meerschweinchens 07, das der intraperitonealen Impfung mit 
V 4 Agarkultur in 13 Std. erlegen war, werden mit den Verdünnungen 1 : 10, 
50, 100, 500, 1000, 5000 und 10000 der ganz frischen Sera eil und d II zu 
hängenden Tropfen verarbeitet. Kontrolle mit ebenso erhaltenen Bouillon* 
bakterien. 37°. 

Nach l U Std. sind die Bouillonbakterien durch alle Verdünnungen des 
Serums d II vollständig agglutiniert, während eil bei 1 : 10000 nur eine un¬ 
vollkommene Haufenbildung geliefert hat. 

Exsudatbakterien sind durch Serum d II bis 1 : 1000 agglutiniert, auch 
1 : 5000 hat noch viele Häufchen erzeugen können. Serum eil zeigt bei 
1 : 10 vollständige, bei 1 : 50 und 100 unvollständige, aber unzweifelhafte 
Wirkung. 

Nach 2 Std. hat Serum d II auch bei 1 : 5000 ziemlich vollständige 
Haufenbildung hervorgebracht, Serum c II vollständige bei 1 : 50, ziemlich 
umfassende bei 1 : 100. 

Die Wirkung der beiden Sera ist also: 

Serum c II für Exsudat bis 1 : 100 für Bouillon bis 1 : 5000. 

; dH > > > 1 : 5000 * > > 1 : 10000. 


Digitized by v^.ooQle 



350 


Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 

Versuch XXYI. 

In der üblichen Weise gewaschene Bakterien aus dem Exsudate des 
der intraperitonealen Impfung nach 7 9 Typhusagarkultur nach weniger als 
12 Std. erlegenen Meerschweinchens 74 werden mit Verdünnungen 1 : 10, 
100, 500, 1000, 2500 und 5000 der nunmehr 9 Tage alten Sera cU und dH 
zu hängenden Tropfen verarbeitet. Kontrolle mit ebenso behandelten Bouillon¬ 
bakterien. 37°. 

Nach V 4 Std. haben beide Sera bei 1 : 2500 noch vollständig agglutiniert, 
doch sind bei Serum c II nur sehr kleine Häufchen vorhanden. In den 
Verdünnungen 1 : 5000 ist die Haufenbildung unvollständig. 

Exfliidatbakterien sind durch Serum c II nur bei 1 : 10 teilweise agglu¬ 
tiniert durch Serum d II bis 1 : 1000, in letzterer Verdünnung aber nicht mehr 
vollständig. 

Nach 1 Std. sind Bouillonbakterien durch beide Sera zu Haufen ver¬ 
wandelt. 

Exsudatbakterien sind durch Serum eil bei 1 : 10 vollständig, bei 1 : 100 
fast gar nicht mehr beeinflufst worden, von Serum d II noch bei 1 : 1000 
doch sind die gebildeten Häufchen hier nur klein. 

Die Wirkung der beiden Sera ist somit beträchtlich gesunken. 

Was die agglutinative Wirkung der Sera g und h des zweiten 
verwertbaren Kaninehenpaares betrifft, so war sie nach der ersten 
Blutentnahme nicht wesentlich verschieden. Die Wirkung gegen 
Bouillonkulturen hörte für beide bei der Verdünnung 1:10000 
auf; Exsudatbakterien gegenüber veranlafste das Serum g des 
mit Bouillonbakterien immunisierten Tieres nur bei der Ver¬ 
dünnung 1:10 Ilaufenbildung, das des mit Exsudatbakterien be¬ 
handelten Kaninchens h bis zur Verdünnung 1:100. Die zweite 
Entnahme zeigte die gleichen Differenzen beider Sera im Ver¬ 
halten gegen Exsudatbakterieu, indem Serum gl bei 1:25 gerade 
noch vollständig agglutinierte, Serum hl dagegen noch bei 1:500. 
Dabei waren auffallenderweise die haufbildenden Werte gegen 
Bouillonkulturen gegen die Bestimmung der Sera der ersten 
Entnahme fast genau die gleichen geblieben. 

B. Die Entstehung von Fällungen in Typhusexsudaten und 
Filtraten von Bouillonkulturen durch Immunserum. 

Seitdem Kraus im Jahre 1897 zuerst die Aufmerksamkeit 
auf die Bildung von Niederschlägen in Filtraten von flüssigen 
Kulturen nach Zusatz des Serums gegen die betreffenden Mikro¬ 
organismen immunisierter Tiere gelenkt hatte, hat dieses 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


35 


Phänomen in der Immunitätslehre stets eine grofse Rolle gespielt. 
Pal tauf und Kraus selbst verwerteten dasselbe zunächst zu 
einem Erklärungsversuche des Mechanismus der Agglutination, 
indem sie annahmen, dafs die Haufenbildung von Bakterien 
nichts anderes sei als eine sekundäre Zusammenballung infolge 
der Entstehung von Niederschlägen in der Kulturflüssigkeit. 

Diesem Erklärungsversuche nähert sich die Auffassung 
Nicolles. Nicolle nimmt an, dafs eine Agglutination nur 
beim Vorhandensein zweier Stoffe erfolgen könne, die sich ge- 
wissermafsen zu einer unlöslichen neuen Verbindung vereinigen. 
Die eine dieser Substanzen, die »agglutinierende« bilde einen 
Bestandteil des Immunserums, die zweite, die »agglutinierte« 
(wohl besser gesagt die »agglutinable«) sei ursprünglich nur in 
dem Bakterienleibe vorhanden und zwar in dessen äufseren 
Schichten. Bei länger dauernder Kultur gehe sie teilweise in 
Lösung und befinde sich auch in der Kulturflüssigkeit. Setzt 
man Immunserum zu Bakterien, so verbinde sich die aggluti 
nierende Substanz in der Zelle selbst mit der agglutinablen, wo¬ 
durch die Membran der Bakterien nunmehr fähig werde, mit 
der anderer, in gleicher Weise beeinflulster zu verkleben. Erfolgt 
der Zusatz des spezifischen Serums zu älteren flüssigen Kulturen, 
so verbindet sich die gelöste agglutinable Substanz mit der 
agglutinierenden zu einem makroskopisch sichtbaren, der Färbung 
zugänglichen Niederschlag. In einer späteren Arbeit von Kraus 
und Seng 1 ) wird nochmals betont, dafs die Entstehung von 
Niederschlägen bei der Agglutination das Wesentliche sei; durch 
diese werden erst die Bakterien passiv zu Haufen vereinigt. 

Kritische Bemerkungen zu diesen Ansichten finden sich, 
mehr gelegentlich bei Nolf-), ferner bei Bordet 3 ) und nament¬ 
lich in der Arbeit Radzievskys 4 ). 

Radzievsky betont zunächst das zeitliche MifsverhäUnis 
zwischen dem Eintreten der Agglutination und dem Entstehen 

1) Kraus und Seng, Wiener klin. Wochenschrift, 1809, Nr. 1. 

2) Nolf, Annales de linst. Pasteur, 1900. 

3) Bordet, a. a. O. 

4) Radzievsky, Centralblatt f. Bakteriologie, 1899, Nr. 24; Zeitschrift 
f. Hygiene, 1900, S. 369 ff. 


Digitized by CjOOQle 



352 


Versuche über Typhuaagglutinine und -Präcipitine. 


der Niederschläge; ersteres sei innerhalb von zwei Stunden im 
wesentlichen beendet, letzteres bedürfe zum blofsen Sichtbar¬ 
werden mindestens eines Zeitraumes von 6 Stunden. Ferner 
weist er darauf hin, dafs junge Kulturen in ihrem Filtrate über¬ 
haupt noch keine Niederschläge entstehen lassen, während sie, 
so lange sie noch bakterienhaltig sind, schöne Agglutination 
liefern, ein Einwand, der weniger Nico Ile, als namentlich die 
K rau s-Pal tauf sehe Hypothese trifft. 

Durch direkte Versuche wies er nach, dafs in einem Kultur¬ 
filtrate, dem Serum und durch dieses nicht agglutinable Bak¬ 
terien zugesetzt worden sind, dennoch eine Klärung der Flüssig¬ 
keit nicht zu erfolgen braucht, dafs also »ein spezifischer Boden¬ 
satz sich bilden kann, ohne die Mikroben mit sioh niederzu- 
reifsen«. 

Die gröfste Bedeutung kommt jedoch einem Versuche Rad- 
z ie v s k y s zu, der die Unabhängigkeit des Agglutinationsphänomens 
von der Bildung spezifischer Fällungen in zwingender Weise 
klarlegt. Er versetzte Filtrat einer fünf Wochen alten Kultur 
von Bacterium coli mit dem zugehörigen Immunserum; nach 
24 Stunden hatte sich ein üppiger Bodensatz gebildet. Die über 
demselben stehende klare Flüssigkeit vermochte aber wiederum 
in Röhrchen mit frischer Bouillonkultur Agglutination hervor¬ 
zurufen, was nicht mehr hätte der Fall sein dürfeu, wenn die 
niederschlagsbildende und agglutinierende Kraft des Immunserums 
auf denselben StofE zurückgeführt werde. Man kann Rad- 
zievsky nur vollständig beistimmen, wenn er neben der bak- 
teriolytischen und der agglutinativen Eigenschaft eines Immun- 
serums noch ein drittes, selbständiges Vermögen annimmt, das: 
»eine Reaktion der spezifischen Bodensätze im Filtrate alter 
Kulturen hervorzurufen«. In diesem Sinne stimmen die An¬ 
schauungen Radzievskys völlig mit den mehr minder deutlich 
ausgesprochenen Versuchsergebnissen Bordets und Nolfs 
überein. Immerhin läfst sich gegen den erwähnten Versuch 
Radzievskys noch der Einwand erheben, dafs die quantitativen 
Ausfällungsverhältnisse nicht genügend exakt berücksichtigt 
worden seien. Es geht aus seiner Mitteilung nicht hervor, dafs 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 353 

die ausfällende Substanz seines Coliserums wirklich durch das 
Colifiltrat erschöpft wurde. Zusammengehalten mit der Angabe, 
dafs die Agglutination von lebenden Bakterien, durch das mit 
dem Filtrat in Berührung gewesene Serum verlangsamt ein* 
getreten und etwas schwächer verlaufen sei, bleibt immer noch 
der Vermutung Raum, dafs in dem Versuche von Radzievsky 
die Fällungskraft nicht wirklich erschöpft war. Damit würde 
natürlich der an sich vollständig richtige Versuch wesentlich 
an Beweiskraft verlieren. Gelegenheit zu eigenen Versuchen 
über die niederschlagbildende Komponente eines Typhusimmun¬ 
serums gab die Beobachtung, dafs das Serum des mit Typhus¬ 
exsudatbakterien vorbehandelten Tieres in aufserordentlich hohem 
Mafse die Fähigkeit besafs, Fällungen bei Zusatz von Filtraten alter 
Typhusbouillonkulturen zu geben. Ein wesentlich höheresinteresse 
gewannen dieselben, als es sich zeigte, dafs auf Zusatz von Immun¬ 
serum zu bakterienfrei gemachten Typhusexsudaten 
ebenfalls eine aufserordentlich starke Fällungsreaktion auftritt. 
Alle bisherigen Angaben über die Entstehung der Niederschläge 
in Filtraten von Bouillonkulturen stimmen darin überein, dafs 
bis zum Sichtbarwerden einer Trübung in der vorher ganz klaren 
Flüssigkeit und weiterhin bis zur Zusammenballung der Trübung 
zu Flocken eine lange Zeit vergeht. Kraus stellte seine Ver¬ 
suchsproben 24 Stunden lang in den Brutschrank, Nicol! e 
dehnte seine Versuche ebenfalls auf Stunden hinaus aus und 
Radzievsky, der offenbar bisher die stärksten Reaktionen 
erhalten hatte, giebt an, dafs der Niederschlag, gleichgültig ob bei 
Zimmer- oder Bruttemperatur, gewöhnlich nach 5—6 und nur 
mitunter schon nach 3 Stunden entstand. 

Alle zwölf untersuchten, auf gewöhnliche Weise, d. h. durch 
Behandlung mit toten oder lebenden Bakterien gewonnene, 
Typhusimmunsera verhielten sich ähnlich. Doch wurde be¬ 
merkt, dafs sich auf Zusatz gröfserer Mengen von Immunserum 
zu relativ geringen Quantitäten Kulturfiltrates die Bildung einer 
Trübung wesentlich beschleunigen liefs. 

Ebenso konnten die bisherigen Angaben dahin bestätigt 
w f erden, dafs der Niederschlag um so reichlicher ausfällt, je älter 


Digitized by CjOOQle 



354 


Versuche über Typhusagglutinine und -Pröcipitine. 


und je üppiger gewachsen die Kultur war, aus welcher das 
Filtrat hergestellt wurde. 

Die Art und Weise der Ausbildung und Absetzung des 
Niederschlags wird in den folgenden Versuchsprotokollen an¬ 
gegeben werden. Die erste Beobachtung starker Fällungseigen¬ 
schaften geschah bei Untersuchung des erstentnommenen Serums 
des mit Exsudatbakterien vorbehandelten Kaninchens d. 

Versuch XXVII. 

Zu je 5 ccm Filtrat einer 1 Monat alten Typhusbouillonkultur (die Fil¬ 
tration erfolgte in diesem wie in allen anderen Versuchen durch Berkefeldt- 
filter) werden 0,2, 0,1 und 0,05 ccm Serum d und c (s. die Immunisierungs¬ 
tabelle auf 8. .‘147) zugesetzt. 

ln allen Röhrchen entsteht fast unmittelbar nach dem Zusatze von 
Serum d dichte Trübung, die bei den Proben mit 0,2 und 0,1 ccm Serum 
nach V, Std., bei der mit 0,05 ccm erst nach etwa 1 Std. bei Zimmertempe¬ 
ratur flockig wird und sich dann rasch absetzt. Nach 12 Std. ist überall ein 
starker Bodensatz gebildet, der aber deutlich an Menge von der Probe mit 
0,2 zu der mit 0,05 ccm Serum abnimint. 

Serum c hatte bei Zusatz von 0,2 ccm nach 2 Std. eine spuren weise 
Trübung gezeigt, nach 12 Std. hatte sich darin ein geringfügiger Satz ge¬ 
bildet, das Röhrchen mit 0,1 ccm war leicht trüb, das mit 0,05 ccm blieb klar. 

Das Wichtigste, was aus diesem sowie den folgenden Ver¬ 
suchen neben Feststellung der ungemein starken fällenden 
Wirkung des Serums d hervorgeht, ist die Tlmtsache, dafs ein 
auf gewöhnliche Weise durch Immunisation mit. Kulturbakterien 
gewonnenes Serum überhaupt nur relativ sehr wenig präcipitie- 
rende Kraft besitzt. Wenn trotzdem beide Sera, d und c, nahezu 
gleich stark lebende Bakterien agglutinierten, so folgt daraus 
unmittelbar der Schlufs einer völligen Unabhängigkeit der nieder- 
schlags- und der haufenbildenden Wirkung. 

Versuch XXVIII. 

Mit dem zweiten, den Kaninchen c und d entnommenen Sens ^als 
Serum cl und dl bezeichnet; s. die Immunisierungstabelle auf S. 347). Das 
selbe wird in der Menge von 0,4, 0,2, 0,1 ccm zu je 4 ccm Filtrat einer 
2 Monate alten Typhusbouillonkultur zugesetzt. 

Auf Zusatz von Serum d 1 entsteht in allen Proben sofort eine starke 
Trübung, die nach 2stiind. Stehen bei Zimmertemperatur bereits dicht flockig 
und nach 4 Std. bereits ganz unter Klärung der Flüssigkeit abgesetzt ist. 
Zusatz von 0,4 ccm Serum c 1 erzeugt nach etwa 10 Minuten eine leichte 
Trübung, die nach 2 Std. stärker ist, nach 6 Std. unverändert besteht. Bei 


Digitized by VjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


355 


Zusatz von 0,2 ccm Serum e I wird erst nach 2 Std. eine leichte Trübung 
bemerkt, die nach 6 Std. unverändert ist. Nach 24 Std. hat sich bei 0,4 
und 0,2 ccm Serum cl ein geringfügiger Bodensatz gebildet; Zusatz von 
0,1 ccm Serum cl hat überhaupt weder Trübung noch Niederschlag erzeugt. 

Versuch XXIX. 

Mit dem dritten, den Kaninchen c und d entnommenen Serie (Serum eil 
und d II), welche in den Mengen von 0,1, 0,0T> und 0,01 ccm zu je 5 ccm 
Typhusbouillonfiltrat von einer fast 2 Monate alten Kultur zugesetzt werden. 
Die Proben mit Serum d II werden fast sofort trüb, die Trübung wird nach 
0,1 Serum binnen 2 Std. bei Zimmertemperatur grobflockig und setzt sich 
ab, viel schwerer erfolgt der Absatz bei 0,05 ccm, wo er nach 4 Std. noch nicht 
beendet ist. Zusatz von 0,01 ccm hat zwar die Flüssigkeit dicht getrübt, aber 
Flocken sind um diese Zeit noch nicht gebildet Nach 24 Std. sind alle 
Röhrchen klar mit reichlichen, aber an Menge deutlich von 0,1 zu 0,01 Serum 
abnehmendem Satze. Serum c II hat erst bei 0,1 ccm nach 24 Std. eine 
zweifelhafte Trübung erzeugt und ist sonst wirkungslos geblieben. 

Wie bereits erwähnt, waren bei der Immunisierung eines 
zweiten Kaninchenpaares, g und h, die zuerst entnommenen 
Sera beider Tiere wenig voneinander verschieden; jedenfalls 
war das des mit Exsudatbakterien vorbehandelten Tieres h 
lange nicht so agglutinativ wirksam gegen Typhusexsudat wie 
das des früher in gleicher Weise immunisierten Tieres d. 

Ganz in Übereinstimmung damit waren auch seine fällenden 
Eigenschaften wenig ausgesprochen. 

Versuch XXX. 

Zu je 5 ccm Typhusbouillonfiltrat werden 0,25, 0,1 und 0,05 ccm Serum g 
und h zugesetzt. Nach ca. 10 Minuten zeigt sich schwache Trübung bei 
0,25 ccm Serum h. Nach Vsßtünd. Aufenthalte bei 37° erscheint eine eben¬ 
solche bei 0,1 ccm Serum h und 0,25 ccm Serum g. Die Trübungen werden 
binnen 3 Std. bei 37° nicht merkbar stärker. Nach weiterer 12stünd. Auf¬ 
bewahrung bei Zimmertemperatur hat sich in der Probe mit 0,25 Serum li 
ein ziemlich starker, in 0,1 ein wesentlich geringerer, in 0,05 ein sehr un¬ 
bedeutender Satz gebildet. Serum g hat in der Menge von 0,25 ccm einen 
geringen Satz erzeugt und war sonst wirkungslos. 

Mit dem Steigen der agglutinierenden Wirkung gegen Ex¬ 
sudatbakterien war auch eine vermehrte Fällungskraft für 
Typhusfiltrate verbunden. Dieses auffallende Zusammentreffen 
macht es, trotz der zu geringen Zahl untersuchter Sera wahr¬ 
scheinlich, dafs die Behandlung von Tieren mit Exsudatbakterien 
regelmäfsig mit einer wesentlichen Steigerung der niederschlags¬ 
bildenden Wirkung einhergeht. 

Archiv für Hygiene Bd XIJI. 24 


Digitized by 


Google 



356 


Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 

Versuch XXXI. 

Zu je 5 ccm Typhusbouillonfiltrat werden 0,5,0,25, 0,1 und 0,05 ccm Serum 
h l bezw. gl zugefügt. Bei 0,5 und 0,25 ccm Serum hl entsteht fast sofort 
Trübung, die nach 7* Std. sehr stark und nach 1 Std. (Zimmertemperatur) 
flockig wird. Bei 0,1 ccm Serum hl bedarf es 5, bei 0,05 ccm etwa 10 Minuten, 
ehe Trübung entsteht, die nach d / 4 Std. stärker und wenigstens bei 0,1 ccm 
Serum flockig wird. Serum g I erzeugt mit 0,5 ccm nach etwa */ 4 Std. leichte 
Trübung, die ebenso wie die etwas später bei 0,25 und die nach ca. 1 Std. 
entstehende, bei 0,1 ccm durch 2 Std. ohne stärker zu werden, bestehen 
bleibt. Nach weiteren 18 Std bei Zimmertemperatur zeigen alle Proben mit 
Serum h I reichlichen Satz, der aber von 0,25 ccm Serum an bis 0,05 ccm 
an Menge deutlich abnimmt. Serum g I hat bei 0,5 und 0,25 ccm nur einen 
sehr geringen Satz, bei 0,1 ccm nur eine Trübung erzeugen können, 0,05 ccm 
sind wirkungslos geblieben. 

Die starken fällenden Wirkungen des Serums d wurden dazu 
benutzt, um einige auf die Niederschlagsbildung bezügliche 
Fragen zu studieren. Zunächst galt es, die Abhängigkeit der 
agglutinierenden und präcipitierenden Serumwirkung voneinander 
festzustellen. Die dabei leitende Überlegung war dieselbe, welche 
auch den bereits besprochenen Versuch von Radzievsky ver- 
anlafst hatte. Wenn die fällende Wirkung mit der haufen¬ 
bildenden enge verbunden oder gar mit ihr identisch ist, so 
mufs nach Erschöpfung eines Serums mit dem Filtrat von 
Typhusbouillonkulturen auch die bakterienagglutinierende Eigen¬ 
schaft verschwunden oder doch wesentlich herabgemindert sein. 
Der Gang der Versuche ist aus den nachfolgenden Protokollen 
ersichtlich; zur Prüfung der etwa geschwächten agglutinierenden 
Wirkung wurden empfindliche junge Typhusbouillonkulturen 
und das der makroskopischen Beobachtung überlegene Ver¬ 
fahren 1 ) der mikroskopischen Prüfung im hängenden Tropfen 
angewendet. 

Versuch XXXII. 

10 ccm Typhii8bouillonfiltrate8 werden mit 0,1 ccm Serum d versetzt 
ebenso 10 ccm physiologische NaCl-Lösung zur Kontrolle. Es entsteht im 
Augenblicke des Einfallens der Serumtropfen eine weifsliche Trübung, die 
sich sehr bald der ganzen Flüssigkeit mitteilt, nach */, Std. sehr stark 
und nach 3 Std. (Zimmertemperatur) bereits ganz flockig geworden ist. Nach 
20 Std. hat sich unter Klärung ein sehr reichlicher Satz gebildet. 

1) Ci ruber, Münchner mediz. Wochenschrift, 1897, Nr. 17. 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


357 


Die Probe wird centrifugiert, die überstehende,. völlig klare Flüssigkeit 
abgegossen und gleichzeitig mit der Kontrolle auf ihre agglutinierende Kraft 
geprüft; ihr Serumgehalt (0,1 ccm zu 10 ccm Flüssigkeit) entspricht einer 
Verdünnung 1 : 100. Die mit 14stünd. Bouillonkultur angelegten hängenden 
Tropfen zeigen hier wie in der Kontrolle nach l / 4 Std. vollkommene Agglu¬ 
tination. i 

Versuchsprobe wie Kontrolle werden nun nach und nach auf die Ver¬ 
dünnungen 1 : 1000, 5000, 7500, 10000, 12500, 15000 gebracht und erzeugten 
unterschiedslos Agglutination. Von da an erzeugten die Verdünnungen 1 : 16-, 
17-, 18-, 19-, 20-, 22 und 24000 noch unvollständige Agglutination, 1 : 25000 
war wirkungslos bei beiden. 

Inzwischen war 1,5 ccm sowohl der abgegossenen Flüssigkeit als der 
Kon trollprobe mit 1,5 ccm frischen Typhusfiltrates versetzt. In der Kontroll- 
probe entsteht Trübung, die Versuchsprobe blieb klar. Es war somit alle 
fällende Substanz des Serums verbraucht worden. Schliefslich wurden 4,5 ccm 
der abcentrifugierten Flüssigkeit mit 0,05 ccm frischen Serums d versetzt. 
Es entsteht nach Verlauf von Std. eine leichte Trübung, die nach 3 Std. 
viel deutlicher wird und sich nach 24 Std flockig abgesetzt hat. Ihre In¬ 
tensität ist aber wesentlich geringer als die, die früher in einem unveränderten 
Filtrate aufgetreten war. Es hatte somit die zugesetzte Serummenge von 
0,1 ccm die in 10 ccm Typhusfiltrat enthaltene Menge ausfällbarer Substanz 
nicht völlig niederschlagen können. Von einem etwa im Überschüsse zu¬ 
gesetzten Serum ist also keine Rede. 

Versuch XXXni. 

Je 5 ccm Typhusbouillonfiltrat erhalten einen Zusatz von 0.2, 0,1, 
0,05 ccm Serum d. Kontrolle mit ebensoviel Serum in 5 ccm steriler Bouillon. 

Die fast augenblicklich trübe gewordenen und rasch abgesetzten Proben 
werden nach 24stünd. Stehen bei Zimmertemperatur centrifugiert und die oben¬ 
stehenden Flüssigkeiten im hängenden Tropfen geprüft; sie agglutinieren unter¬ 
schiedslos bei 1 : 15000 vollständig. Je 2 ccm der abcentrifugierten klaren 
Flüssigkeiten werden neuerdings mit je 1 ccm Typhusbouillonfiltrat versetzt. 
Die serumhaltige Kontrollbouillon wird fast augenblicklich trüb, von den Ver¬ 
suchsproben bleibt die, welche 0,05 ccm Serum d enthalten hatte, überhaupt 
klar, die mit 0,2 ccm Serum gibt nach */* Std., die mit 0,1 ccm erst nach 
2 Std. Trübung. Nach 24 stünd. Stehen wird centrifugiert, und die abgegossenen 
Flüssigkeiten werden insgesamt nochmals mit frischer Typhusbouillonkultur 
im hängenden Tropfen geprüft. Es zeigt sich unterschiedslos vollständige 
Agglutination bis 1 : 10000. Bei 1 : 15000 ist die Haufenbildung in allen 
Proben unvollständig, wohl infolge des 2tägigen Stehens in verdünntem 
Zustande. 

Danach kann es wohl keinem Zweifel mehr unterliegen, dafs 
das Kraus’sche Phänomen mit der Agglutination in keinerlei 
engerem Zusammenhänge steht, und dafs die, eine Fällung ver¬ 
anlassenden, präcipitiereuden Substanzen des Typhusimmunserums 

24* 


Digitized by 


Google 



Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 


3f>8 

völlig unabhängig von den die Zusammenballung der Bakterien 
bewirkenden, agglutinierenden sind. Zusammengehalten mit den 
Erfahrungen Nolfs, Tchistowichs und Bordets an roten 
Blutkörperchen, sowie denen Radzievskys an Colibakterien 
dürfte diesem Satze wohl Allgemeingültigkeit für sämtliche 
Immunsera zukommen. 

Ganz entsprechende Fällungen wie im Filtrat von Typhus 
kulturell in künstlichen Medien erhält man nun auch in Typhus¬ 
exsudaten, welche durch Filtration oder ausgiebiges Centrifugieren 
von ihrem Bakteriengehalte befreit worden sind. Diese Nieder¬ 
schläge wurden schon mit gewöhnlichen Immunseris erhalten, 
viel schöner und schneller aber traten sie wieder bei Verwendung 
von Seris des Kaninchens d auf. 

Versuch XXXIV. 

Die Bauchhöhle den der Infektion mit 3 Ösen Typhusagarkultur in 
weniger als lf> Std. erlegenen Meerschweinchens 33 wurde mit 25 ccm physio¬ 
logischer Kochsalzlösung ausgespült, das Spülwasser centrifugiert und die ab- 
gegossene, leicht opalisierende Flüssigkeit durch Berkefeldttilter filtriert. Das 
ganz klare, wenig gelbe Filtrat wurde zu je 1 ccm mit 0,1, 0,05, 0,01, 0,005 
und 0,001 ccm eines auf gewöhnliche Weise gewonnenen bis 1 : 2500 agglu¬ 
tinierenden Serams versetzt. Kontrolle 1 ccm Exsudat mit 0,2 ccm Normal¬ 
serum. Nach 3stünd Aufenthalt bei 37° war nichts Besonderes zu bemerken, 
nach 20stünd. Stehen waren bei 0,1 und 0,05 ccm Serum grobflockige starke, 
bei 0,01 und 0,005 ebensolche, aber schwächere Bodensätze gebildet, die aus 
feinkörniger Masse bestanden. 0,001 ccm Serum hatte ebenso wie das Nor¬ 
malserum nicht gewirkt. 

Versuch XXXV. 

Exsudat der im Versuche XVI verwendeten Maus mit physiologischer 
Kochsalzlösung ausgespült, 2 fach centrifugiert, wird zu je 1 ccm mit 0,2, 
0,1 und 0,05 ccm desselben Serums wie im vorigen Versuche versetzt. Kon¬ 
trolle 2 Röhrchen mit 1 ccm Exsudat und 0,2 und 0,1 ccm Norraalserum. 37 

Nach 1 Std. ist in allen Proben mit Immunserum dicke Flockenbildung 
eingetreten, der bald Absetzung und Klärung folgt. Das Normalserum hat 
keine Veränderung hervorgerufen. 

Versuch XXXVII. 

Vereinte Spülwässer der Peritonealhöhlen zweier Meerschweinchen 
werden centrifugiert und durch Berketeldt filtriert. Die durch die starke 
Verdünnung nur mehr wenig gelb gefärbten Filtrate werden in Eprou¬ 
vetten zu je 5 ccm eingefüllt und mit 0,2, 0,1 und 0,05 ccm Serum c und d 
versetzt. Zimmertemperatur. 


Digitized by v^.ooQle 



Von Privntdozent Dr. Oskar Bail. 


369 


Binnen l / 4 Std. entsteht in den Proben mit 0,2 und 0,1 innerhalb 1 Std. 
in der mit 0,05 ccm Serum d Trübung. Nach Verlauf von 3 Std., innerhalb 
welcher Zeit die Trübung immer stärker wurde, entsteht Flockenbildung und 
rascher Absatz. Serum c hat während dieser Zeit eine sichtbare Änderung 
nicht hervorgerufen. 

Nach 20 Std. sind die Proben mit Serum d klar mit an Menge deutlich 
abgestuften Bodensätzen. Serum c hat nur bei 0,2 ccm Bodensatz erzeugt. 

Die Prüfung der überstehenden klaren Flüssigkeiten ergab unveränderte 
Agglutinationskraft gegen Typhusbouillonkultur 

Die Thatsache der Niederschlagsbildung in selbst sehr stark 
verdünnten Typhusexsudaten hat an sich nichts Auffälliges. 
Denn offenbar beruht die Fällung auf dem Vorhandensein von 
Produkten des Typhusbakteriums, gleichgültig zunächst, ob das 
von vornherein lösliche Stoffwechselerzeugnisse sind, oder aber 
sekundär aufgelöste Bakterionsubstanzen. Beide müssen sich im 
Exsudate ebensogut wie in der Kultur finden. Die Besonderheit 
liegt nur darin, dafs die Exsudate in so kurzer Zeit, 12 bis 
20 Stunden, fertig gebildet sind und schon starke Niederschläge 
geben, während junge, 24 Stunden alte Kulturen, wenn sie über¬ 
haupt eine Fällungsreaktion erkennen lassen, auf Zusatz auch 
von Serum d, dl und dII, nur äufsurst wenig reagieren. Es 
mufs also die Ausbildung der mit Immunserum fällbaren Stoffe 
im Exsudate ungewöhnlich reichlich vor sich gehen. 

Weitere Untersuchungen befafsten sich mit der Widerstands¬ 
fähigkeit der fällenden Stoffe des Immunserums und der aus- 
gefällten der Kulturfiltrate gegen Hitze. 

Was die ersteren betrifft, so vertragen sie jedenfalls Tem¬ 
peraturen von 60°, ohne zerstört zu werden. 

Versuch XXXIX. 

Berum eil wird 1 / a Std. und 1 Std. auf 60° erhitzt und zu je 0,25 ccm 
je 5 ccm Typhusbouillonfiltrat zugesetzt. 37°. 

In allen Proben entsteht sofortige Trübung, ohne Unterschied gegen 
die Kontrolle, welche nicht erhitztes Serum enthielt. Schon nach '/s Öt-d. 
beginnt Flockenbildung, nach 2 Std. ist der gröfste Teil der Flocken bereits 
am Boden abgesetzt. 

Vielleicht findet aber doch durch die Temperatur von 60° 
eine gewisse Schädigung statt, wofür der folgende Versuch zu 
sprechen scheint. Diese betrifft vornehmlich das wenig fällende 
Serum c, 


Digitized by 


Google 



360 ( Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 

Versuch XL. 

a) Je 4 ccm Typhusbouillonfiltrat werden mit 0,4, 0,2, 0,1 ccm Serum dl 
bzw. cl versetzt. In der einen Hälfte der Proben ist dasselbe unverändert, 
in der andern 7a Std. auf 60° erhitzt. (Für das unerhitzte Serum dl und cl 
bereits teilweise im Versuch XXIX mitgeteilt.) Die Proben mit erhitztem 
Serum dl werden fast augenblicklich trübe, doch ist die Trübung nach 
2 Std. schwächer als in den nicht erhitzten Proben, und auch nach 4 und 
6 Std. noch nicht flockig abgesetzt. Das erhitzte Serum ei hat binnen 
6 Std. nur in der Menge von 0,4 ccm eine leichte Trübung erzeugt Nach 
24 Stunden haben alle Proben mit Serum dl Bodensatz gebildet, und unter¬ 
scheiden sich nicht von den Proben mit normalem Serum. Wie die Trübung 
der mit 0,4 und 0,2 ccm erhitzten Serums ei versetzten Proben beweist, ist 
auch hier die Serum Wirkung hervorgetreten, 0,1 ccm Serum cl hat in keinem 
Falle eine Wirkung geäufsert. 

b) Spülwasser aus der Bauchhöhle des Typhusmeerschweinchens 49 
wird durch Berkefeldtfllter filtriert, und zu je 3 ccm mit 0,3 ccm teils nor¬ 
malem, teils ! / 2 Std. auf 60° erhitztem Serum cl und dl versetzt. Bei 
Zusatz von Serum dl entsteht sofortige Trübung, die schon nach 7a Std. 
flockig wird und nach 3 Std. ganz abgesetzt ist; dabei besteht keinerlei 
Unterschied in der Wirkung erhitzten und normalen Serums. Unerhitztes 
Serum cl erzeugt nach 1 Stunde Trübung, die nach 3 Std. stärker geworden 
ist und nach 24 Std. einen schwachen Bodensatz bildet, das erhitzte Serum 
ruft erst nach 2 Std. eine schwache Trübung hervor, die auch nach 24 Std. 
stationär bleibt. 

Bestimmtere Resultate ergaben sich bei der Untersuchung 
der Hitzebeständigkeit der aus Kultur- und Exsudatfiltraten aus¬ 
fallenden Stoffe. Dieselben widersprechen aber den bisher über 
diesen Gegenstand vorliegenden Angaben, wobei zu bemerken 
ist, dafs diese Angaben selbst nicht untereinander überein¬ 
stimmen. 

Nicolle fand, dafs seine >substance agglutinee« hitze- 
beständig sei und durch 120° nicht geschädigt werde. Nur die 
aus Typhuskulturen ausfällbare Substanz sei etwas empfindlicher. 

Im Gegensätze dazu fand Spiegelberg 1 ), dafs Erwärmung 
der Kulturfiltrate die Entstehung der Kraus sehen Niederschläge 
verhindere. 

Im direkten Gegensätze zu diesen Angaben lieferte das 
Studium der Ausfällungserscheinungen mit Serum d das Resultat 
einer geradezu absoluten Hitzebeständigkeit der aus Typhus¬ 
kulturen fällbaren Stoffe, ein Resultat, das durch die Unter- 

1) Zeitschrift f. Hygiene, 1399. 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


361 


suchung der Art dieser Substanzen eine Bestätigung und Er¬ 
klärung fand. 

Versuch XLI. 

Je 5 ccm Typhusbouillonfiltrat werden folgenden Erwärmungen aus- 
eesetxt: 

1. Vt Std. auf 60° 

2 . 1 » > 

3. 2 > > > 

4. 7a > >75° 

5 . 1 > » > 

6 . 2 > > > 

7. V 4 > im siedenden Wasserbade 

8-7 3 > » > » 

9. 2 > * > 

10. ohne jede Erhitzung, als Kontrolle. 

Danach werden jedem Röhrchen 0,25 ccm Serum dl zugesetzt. 

Die Trübung erfolgt in allen Proben fast sofort nach Zusatz des Serums, 
ist nach 7 a 8 tflnd. Aufenthalt bei Zimmertemperatur dichter geworden, zeigt 
nach 2 Std. überall weit vorgeschrittene Flockenbildung und mehr oder 
weniger vollständigen Absatz, der am frühesten bei den auf 100° erhitzten 
Proben beendet wird. 

Mit diesem Ergebnis stimmt völlig die Thatsaehe überein, 
dafs man eine ältere Typhusbouillonkultur erst im strömenden 
Dampfe ( l j 2 —1 Stunde) sterilisieren und dann erst filtrieren kann, 
ohne die Ausfällbarkeit derselben durch Immunserum sinnfällig 
zu schädigen. 

Diese Hitzebeständigkeit gab durch folgende Überlegung 
Veranlassung zur Ermittlung der Natur der ausfallenden Stoffe. 
Von allen bisher bekannten Stoffen der Bakterienzelle sind es 
die Bakterienproteine im Sinne Büchners allein, welche ohne 
Schaden über 100° hinaus erwärmt werden können. Da sowohl 
in alten Bouillonkulturen, wie auch sehr rasch im Tierkörper 
eine Auflösung der Bakterienleiber stattfindet, so müssen sowohl 
in Kulturfiltraten, wie in tierischen Exsudaten derartige Pro¬ 
teine vorhanden sein. Sind sie es aber wirklich, welche auf 
Zusatz von Immunserum einen unlöslichen Niederschlag geben, 
so mufs auch eine künstlich hergestellte Typhusproteinlösung 
durch Immunserum fällbar sein. 

Teilweise hat schon Kraus in seiner ersten Mitteilung den 
Beweis für diese Anschauung erbracht. Denn was er durch das 


Digitized by CjOOQle 




362 


Versuche über Tvphusagglutinine und -Präcipitine. 


Antrocknen von Bakterien und nachheriges Auslaugen in alkali¬ 
scher Bouillon in Lösung brachte, waren wohl zum guten Teile 
Buchnersehe Proteine. 

Zur Herstellung der Proteine wurde ein schon bei früheren 
Untersuchungen verwendetes, dem Buch nersehen nachgebil¬ 
detes Verfahren benutzt. 


Versuch XLII. 

12 Üppig gewachsene Typhusagarkulturen werden in physiologischer 
Kochsalzlösung aufgeschwemmt und centrifugiert. Nach vollständigem Ab- 
giefsen der spurenweise gelblichen (infolge ihres Kondenswassergehaltes) 
Flüssigkeit wird der weissgraue Satz in 24 ccm physiologischer NaCl-Lösung 
aufgeschwemmt und in einer'Druckflasche im ölbade 3 Std. lang bei 120 bis 
130° gehalten. Nach dem Abktihlen resultiert eine trübe Flüssigkeit, die 
auffallend leicht durch Berkefeldtfilter hindurchgeht. Das Filtrat, welches 
das Aussehen einer lichten Bouillon hat und völlig klar ist, wird zu je 
2 ccm in Eprouvetten verteilt und mit 0,2, 0,1, 0,05, 0,01, 0,005 und 0,001 ccm 
Serum dH versetzt. 

Es entsteht auf Zusatz von 0,2, 0,1 und 0,05 ccm Serum fast augen¬ 
blicklich dichte Trübung, die teilweise schon nach */ 4 Std. flockig wird. Bei 
0,01 ccm Serum braucht es etwa eine, bei 0,005 ccm 10 Min. (37°), ehe Trü¬ 
bung eintritt. 0,001 ccm ist wirkungslos. Nach 24 stund. Aufenthalte bei 37° 
ist Überall Bodensatz gebildet, reichlich und gleich stark in den Röhrchen 
mit 0,2, 0,1, 0,05 ccm Serum, viel geringer bei 0,01 und 0,005 ccm. Nur die 
Probe mit 0,001 ccm Serum ist unverändert klar geblieben. 

Versueh XL1XL 

Je 5 ccm in der gleichen Weise wie im vorigen Versuche gewonnenen 
Typhusprotefns erhalten einen Zusatz von je 0,1 ccm Serum dll und eil. 

Das Serum dll ruft sofort Trübung hervor, die zusehends stärker und 
nach ca. 1 l / a Btd. flockig wird; Serum eil bleibt ohne Wirkung. Nach 
20stünd. Aufenthalt bei Zimmertemperatur hat sich in den Röhrchen mit 
Serum dll ein starker Bodensatz gebildet, das andere ist unverändert. 

Es tritt also auch die sehr charakteristische Differenz der 
Fällungsfähigkeit der beiden Immunsera in Proteinlösungen 
gerade so gut auf wie in Tvphusbouillonfiltraten, eine sehr wert¬ 
volle Stütze der Annahme einer Proteinuatur der mit spezifischem 
Serum fällbaren Stoße. 

Diese wird noch weiter wahrscheinlich gemacht durch 
folgende Versuche, deren Prinzip ein sehr durchsichtiges ist. 
Die Versuche XXXII und XXXIII zeigen deutlich an, dafs 
die agglutinierende Substanz eines Serums unabhängig ist 


Digitized by CjOOQle 



Von I*rivatdozent Pr. Oskar Bail. 


36:; 

von der ausfallenden; denn die Erschöpfung der letzteren hat 
keine Schwächung der ersteren zur Folge. Theoretisch könnte 
nun auch umgekehrt ein durch Bakterienzusatz an Agglutininen 
erschöpftes Serum seine fällende Kraft beibehalten. Sind es aber 
die Proteine, welche durch die Serumpräcipitine ausgefällt werden, 
so mufs dieser Fall nicht ein treten, da eiu mit Typhusbakterien 
versetztes Serum Gelegenheit hat, sich mit den noch in den 
Zellleibern vorhandenen Proteinen zu verbinden. Falls wirklich 
die Verbindung Bakterienprotein-Serumpräcipitin ebenso gut bei 
den noch im Zellleibe vorhandenen Proteinen erfolgt, wie bei 
den gelösten, so mufs ein mit Bakterien versetzt gewesenes 
Serum auch an präcipitierender Kraft verloren haben. 

Versuch XLIV. 

Je 1 ccm Serum <111 wird mit 2 ccm physiologischer Na CT Lösung ver¬ 
setzt. In diesen 2 cein sind das eine Mal zehn müfsig gewachsene Typhus¬ 
agarkulturen aufgeschwemmt, die andern reinen 2 ccm dienen als Kontroll- 
zusatz. Binnen kurzer Zeit erfolgt Agglutination. Hierauf wird centrifugiert, 
in der klar abgegossenen Flüssigkeit wird wieder eine Agarkultur auf¬ 
geschwemmt und die trübe Flüssigkeit mit dem früheren Bodensätze wieder 
vereint. In dieser Weise wurden nach und nach 17 Agarkulturen verwendet, 
ohne dafs das Serum an Agglutininen völlig erschöpft gewesen wäre. Danach 
wird die durch Centrifugieren neuerdings geklärte Flüssigkeit zu je 2 ccm 
Typhusbouillonfiltrat zugesetzt; ebenso die bakterienfrei gebliebene Kon¬ 
trolle, und zwar: 

1. Je 2 ccm Typhusfiltrat -{- 0,1 ccm Versuchs- bzw. 1 a) Kontrollflüssigkeit 


2 . > 2 * > -|- 0,2 » » * 2 a) 

3. > 2 » > 0,3 » » »3 a) 

4. > 2 » > -|- 0,5 » * » 4 a) 

o. » 2 > > -{- 0,75 > > > 5 a) 

6 . > 2 » > -|- 1 » > »6 a) 


Sämtliche Proben \jnit der Kontrollflüssigkeit werden fast sofort trübe, 
in 4a bis 6 a bilden sich binnen l / % Std. bei Zimmertemperatur grobe Flocken. 
Nach 1 Std. sind die Flocken in 3a bis 6 a abgesetzt, 2a ist grobflockig, 

1 a dicht trüb. 

Bei Zusatz der Versuchsflüssigkeit tritt in 5 und 6 nach 5 Min., in 4 
nach V 4 Std., in 3 und 2 nach l /, Std. schwache Trübung auf, die nach 

2 Std. weder stärker geworden ist, noch Flockenbildung zeigt. Probe 1 bleibt 
überhaupt unverändert. 

Versuch XLV. 

6 frische, üppige Typhusagarkulturon werden in 5 ccm physiologischer 
NaCl-Lö 8 iing aufgeschwemmt und , / 4 Std. lang im siedenden Wasserbade 
gehalten. Hierauf wird centrifugiert und vom Bodensätze so gut als möglich 


Digitized by v^ooole 





364 


Versuche über Typhusagglutinine und Präcipitine. 


abgegossen. Derselbe wird in 2 ccm physiologischer Kochsalzlösung auf¬ 
geschwemmt and ebenso wie 2 ccm reiner Kochsalzlösung mit 0,075 ccm 
Serum dll versetzt. Schon nach 10 Min. ist die obenstehende Flüssigkeit 
bei 37° ziemlich geklärt und der aus groben Flocken bestehende Bodensatz 
zeigt mikroskopisch typisch agglutinierte Bakterienhaufen, die sich nach 
Zerschütteln immer wieder neu bilden. 

Die Proben bleiben 10 Std. bei Zimmertemperatur und dann über Nacht 
auf Eis stehen. Dann wird centrifugiert und die obenstehende Flüssigkeit 
in 3 ccm frisches Typhusbouillonfiltrat eingetragen, ebenso die Kontrolle. 

Wie immer bei stark verdünntem Serum dauert es einige Zeit, ehe 
Trübung sichtbar wird. Doch ist nach 10 Min. die Kontrolle deutlich, nach 
1 Std. bei 37° dicht trüb, beginnt nach 2 1 2 Std. Flocken zu bilden und ist 
nach 4 Std. grofsenteils, nach 8 Std. ganz abgesetzt. Die Versuchsprobe hat 
während der ganzen Zeit nicht die geringste Veränderung erlitten 1 ). 

Durch solche Versuche wird die Proteinnatur der aus Typhus¬ 
kulturfiltraten ausgefällten Stoffe überaus wahrscheinlich und es 
läge kein Anstand vor, sie mit Sicherheit zu behaupten, wenn 
der bereits gewürdigte Widerspruch in den Angaben über die 
Hitzebeständigkeit nicht vorhanden wäre oder befriedigend auf¬ 
geklärt werden könnte. Vermutlich ist die geringe Fällungskraft 
der von den erwähnten Autoren benutzten Immunsera dabei 
irgendwie beteiligt. 

Was dann noch weiter gefolgert werden müfste, wäre, dafs 
bei der eigentlichen Agglutination die Bakterienproteine nur 
passiv und sekundär eine Rolle spielen. Denn sonst müfste die 
Erschöpfung der Immunsera durch Typhusfiltrate, also durch 
Proteine, einen Eintlufs auf die Agglutination haben, was nicht 
der Fall ist. 

Da man aber mit keimfrei gemachten Bouillonkulturen 
agglutinierende Sera erzeugen kann, so mufs in solchen Kultur¬ 
filtraten neben den Proteinen noch der 'wirksame Bestandteil 
vorhanden sein. Da ferner auch mit bei 100° sterilisierten 
Bouillonkulturen Agglutinine erzeugt werden können, so mufs 
die wirksame Substanz, bis zu einem gewissen Grade wenigstens, 
hitzebeständig sein. 

Durch fraktionierte Fällungen und Immunisation mittels der 
partiell ausgefällten Substanzen wird sich möglicherweise noch 

P Die Versuche wurden in der .Tulisitzung des Vereines > Lotos < vor¬ 
getragen. 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Rail. 


365 


ein genauerer Einblick in das Wesen der Agglutination erhalten 
lassen. Derartige Versuche beanspruchen aber lange Zeit, da 
sie nur dann beweisend sind, wenn sie gleichzeitig an vielen 
Tieren angestellt werden. Merkwürdigerweise vertragen aber 
Kaninchen derartige Behandlungen ziemlich schlecht, weswegen 
noch nichts über diese Versuche berichtet werden kann. 
Nur die in der zweiten Mitteilung über die vorliegenden Versuche 
ausgesprochene Hoffnung, dafs die Behandlung von Kaninchen 
mit den Niederschlägen von Bouillonfiltraten durch Typhus¬ 
serum wirksame Sera liefern könne, darf nach eingehenderen 
Versuchen schon jetzt als trügerisch bezeichnet werden. 

Die Entstehung starker Fällungen in den Exsudaten typhus- 
inficierter Meerschweinchen klärt nun auch die Bildung der ein¬ 
gangs erwähnten oberflächlichen Haufen in Präparaten solcher 
Exsudate mit starkem Immunserum wenigstens -teilweise auf. 
Denn dafs derartige Niederschläge in einem so bakterienreichen 
Medium eine mehr minder grofse Zahl von Bakterien einschliefsen 
können, ist sehr wahrscheinlich. Damit stimmt nicht nur die 
langgestreckte Form dieser Haufen gut überein, sondern auch 
die Thatsache, dafs sie um so weniger zu bemerken sind, je 
mehr .das Exsudat von vornherein verdünnt w r urde, und dafs sie 
bei gut ausgewaschenen, isolierten Exsudatbakterien nicht auf- 
treten. Leider gab die direkte mikroskopische Beobachtung 
hierüber nicht die wünschenswerte Klarheit. In einigen Fällen 
liefs sich sicher eine sehr feinkörnige Masse als schmaler Rand 
an einzelnen Stellen dieser Haufen wahrnehmen, in anderen aber 
wurde etwas Ähnliches nur sehr unsicher oder gar nicht be¬ 
merkt. Die Färbung, die, wie Nico Ile und Kraus gezeigt 
haben, für Immunserumniederschläge sehr wohl anwendbar ist, gab 
hier wegen der Mitfärbung des Grundes keine sicheren Aufschlüsse. 

C. Versuche über die Konstitution der Agglutinine. 

Die Thatsache der schweren Agglutinierbarkeit der Typhus¬ 
bakterien im Meerschweinchenexsudate hat durch die bisher 
mitgeteilten Versuche eine befriedigende Erklärung nicht ge¬ 
funden. Namentlich der Versuch einer Immunisation von 


Digitized by CjOOQle 



366 Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 

Kaninchen mit solchen Bakterien hatte die erhofften Aufschlüsse 
nicht gebracht. Die Versuche, dieselben auch in anderer Hin¬ 
sicht als etwas von gewöhnlichen Kulturbakterien Verschiedenes 
zu erweisen, hatten, soweit sie nicht an technischen Schwierig¬ 
keiten überhaupt gescheitert waren, schliefslich ein völlig ne¬ 
gatives Resultat ergeben. Dazu kam noch, dafs auch der Ver¬ 
such, eine irgendwie andersartige Schutzwirkung des durch Im- 
munisation mit tierischen Exsudatbakterien gewonnenen Serums 
nachzuweisen, mifslang. 

Es blieb somit nichts wie das eigenartige Verhalten gegen 
die Serumagglutinine übrig. Aber gerade dieses schien in be¬ 
friedigender Weise die Thatsache der fehlenden Haufenbildurig 
im aktiv oder passiv immunisierten Tiere erklären zu können. 
Es schien nur wünschenswert, das für Typhus Gefundene nun 
auch für andere Mikroorganismen zu bestätigen, in allererster 
Reihe für den Choleravibrio, von dem ja die Agglutinations¬ 
untersuchungen s. Z. ihren Ausgangspunkt genommen hatten. 

Diese Bestätigung jedoch blieb aus: die Choleravibrionen 
im Exsudate inficierter Meerschweinchen wurden gerade so gut 
von gewöhnlichem Choleraserum agglutiniert, wie wenn sie in 
Bouillon oder auf sonst einem künstlichen Nährboden gewachsen 
gewesen wären. Dies wurde zuerst bei einem sehr wenig viru¬ 
lenten Cholerastamme der Institutssammlung festgestellt, dann 
aber auch für die hochvirulente Königsberger Cholera, die Herr 
Professor Pfeiffer in dankenswertester Weise zur Verfügung 
gestellt hatte. 

Versuch XLVI. 

Meerschweinchen III, mit 2 Ösen Choleraagarkultur inticiert, stirbt nach 
ca. 15 Std. Liefert ein sehr Vibrionen- und auch leukocytenreiches Exsudat, 
welches wegen seiner geringen Menge mit 10 ccm physiologischer Na Cl- 
Lösung ausgespült wird. Das Spülwasser wird mit den Verdünnungen 1 : 10, 
25, 50, 75, 100, 250, 500, 1000, 2500 und 5000 eines auf gewöhnliche Weise 
gewonnenen Cholera-Immunserums zu hängenden Tropfen verarbeitet. Kon¬ 
trolle mit Bouillonkultur. 

Nach */ 4 Std. ist überall Agglutination eingetreten; es besteht kein 
neraerkenswerter Unterschied zwischen Exsudat und Bouillon. 

Nach 1 Std. ebenso; eher sind die Häufchen im Exsudate schöner 
und gröfser als in der Bouillon. Mehrfach undeutliches Pfeiffersches 
Phänomen. 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


367 


Versuch XLVII. 

Mit physiologischer Na Cl-Lösung ans der Bauchhöhle des mit V 4 Agar¬ 
kultur Cholera Pfeiffer inficierten Meerschweinchens V ausgespülte, in der 
üblichen Weise gewaschene und in physiologischer Kochsalzlösung auf¬ 
geschwemmte Vibrionen mit den Serum Verdünnungen 1 : 100, 250, 500, 
1000, 5000, 10000 und 15000 zu hängenden Tropfen verarbeitet. Kontrolle 
mit Bouillonvibrionen, die in gleicher Weise behandelt wurden. 

Nach l / i Std. sind in allen Präparaten mit Exsudatvibrionen bis 1:1000 
Serum Verdünnung schöne grofse Haufen ausgebildet, von da an sind die 
Häufchen kleiner und reicher als vollständige Agglutination bis 1 : 10000. 
Im Gegensatz dazu sind die Bouillonvibrionen bis 1 : 15000 agglutiniert, wo 
im Exsudate die Serumwirkung schon aufhört, die Häufchen sind aber 
durchgehende nur sehr klein. Nach 1 und 2 Std. ungefähr das gleiche Bild. 

Versuch XLVIII. 

Die Aufschwemmung der gleichen Vibrionen wie im vorigen Versuche 
wird zu je 1 ccm in Röhrchen gefüllt und mit der gleichen Menge der Serum¬ 
verdünnungen 1 : 10, 100, 500, 1000, 5000, 10000 und 15000 versetzt. 37°. 

Nach 1 / t Std. sind in den Exsudatvibrionen mit Serum 1 : 10 und 100 
gröbere Flocken sichtbar. Alle anderen Proben gleichmäfsig trüb. 

Nach 2 Std. haben die Serumverdünnungen bis 1 : 1000 sowohl in den 
Exsudat- wie in den Bouillonvibrionen-Suspensionen agglutiniert. Die Ver¬ 
dünnungen 1 : 5000 und 10000 haben kleinste Flöckchen, aber ohne Klärung 
der Flüssigkeit erzeugt. 

Nach 128tünd. weiterer Aufbewahrung bei Zimmertemperatur sind alle 
Proben bis 1 : 5000 ausnahmslos agglutiniert ; darüber hinaus hat das Serum 
in gleicher Weise für Exsudat- wie für Bouillonvibrionen versagt. 

Danach erschien es nutzlos, weitere Versuche mit Cholera 
allzustellen, da von einer Allgemeingültigkeit der für Typhus 
aufgefundenen, schweren Agglutinierbarkeit durch Immunserum 
offenbar keine Rede war. Die Verhältnisse, welche im Tier¬ 
körper das Versagen der Typhusimmunserumwirkung veranlafsten, 
waren bei Cholera einfach nicht ausgebildet. Es schien zweck¬ 
mäßiger zu sein, erst diesen Verhältnissen uachzuspüren. 

Einen Fingerzeig hierfür boten Beobachtungen der Exsudat¬ 
bildung bei Typhus, wonach während der Infektion Agglutinine 
nachweisbar sind. Eine Wiederholung der Versuche an den 
Meerschweinchen 75 und 76 ergab das gleiche Resultat. Es 
zeigten sich in den ersten Stunden nach der Typhusinfektion 
Agglutinationssymptome, indem ein Teil der aus der Peritoneal¬ 
höhle entnommenen Bakterien zu ganz typischen Häufchen zu¬ 
sammentrat. Diese partielle Haufenbildung hörte nach einiger 


Digitized by Cjooole 



368 


Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 


Zeit auf und ungefähr gleichzeitig damit waren auch die jetzt 
kapillar entnommenen Bakterien inagglutinabel geworden, während 
sie vorher auf Serumzusatz reagiert hatten. 

Dieses Verhalten führte auf die Vermutung, es könnte in¬ 
folge des Aufenthaltes der Bakterien in einem Medium, dem in 
geringer Menge, aber fortwährend Agglutinine hinzugefügt werden, 
eine Gewöhnung an dieselben eingetreten sein, eine Art Immuni- 
sation der Typhusbakterien gegen Agglutinine. Analoga dafür 
würden die Gewöhnung von Bakterien an Alexine nach Tromms¬ 
dorff sowie die Versuche Danysz’ geliefert haben, nach denen 
eine Gewöhnung und damit eine Widerstandsfähigkeit von Milz¬ 
brandbacillen gegen die baktericiden Wirkungen des Rattenserums 
relativ leicht zu erzielen ist. 

Normale Meerschweinchenexsudate bringen keine Aggluti¬ 
nationsresistenz hervor, wenn man Typhusbakterien in ihnen 
wachsen läfst. 


Yersuch XLIX. 

Meerschweinchen 78 wird 24 Std. nach einer intraperitonealen Injektion 
von f) ccm steriler Bouillon, der etwas Aleuronatbrei zugesetzt ist, durch 
Verbluten getötet. Die Bauchhöhle wird mit physiologischer NaCl-Lösung 
ausgespült, so dafs sich 10 ccm einer dicht trüben Flüssigkeit gewinnen 
lassen. Die Trübung besteht aus massenhaft vorhandenen, zum gröfsten 
Teil polynucleären, lebenden Leukocyten. Das leicht gerinnende Exsudat 
wird zerschüttelt, die eine Hälfte desselben wird centrifugiert, die klare 
Flüssigkeit wird abgegossen, der Zellsatz in 5 ccm physiologischer NaCl- 
Lösung aufgenommen. Alle drei so erhaltenen Flüssigkeiten: zellhaltiges 
Kxsudat, zellfreies und Zellsuspension werden \/, Std. auf 60° erhitzt und 
dann nach Absetzen der Zellen auf der Centrifuge, aber ohne Abgiefsen der 
Flüssigkeit, mit Typhus geimpft. Am nächsten Tage sind die Röhrchen 
trübe, die gewachsenen Bakterien werden aber durch Serum g ebenso wie 
Bouillontyphus schon nach l / 4 Std. agglutiniert. 

Vom selben Meerschweinchen wurden durch nochmaliges Ausspülen 
der Bauchhöhle ca. 10 ccm trüber leukocytenreicher Flüssigkeit gewonnen, 
aus der die Zellen durch Centrifugieren isoliert wurden. Der Satz wurde 
mit '/a ccm Serum g übergossen, ebenso eine gleiche Menge von Serum als 
Kontrolle aufgestellt und beide Proben 3 Std. bei 37° in mit Kautschuk¬ 
kappen versehenen Eprouvetten aufbewahrt. Hierauf wurde mit 4,5 ccm 
physiologischer Kochsalzlösung verdünnt, centrifugiert und nunmehr Ver¬ 
dünnungen von der klaren Flüssigkeit, welche Serum 1 : 10, 100, 250, 500, 
750, 1000 enthielt, mit Typhus aus dem Exsudate des Meerschweinchens 7!» 


Digitized by v^.ooQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 369 

zu hängenden Tropfen verarbeitet. Die Leukocvten waren durch die Serum¬ 
behandlung alle tot, teilweise blasig degeneriert. 

Nach */ 4 Std. nur bei der Verdünnung 1:10 unvollständige Agglutination. 
Nach 1 Std. vollständige Agglutination bei Serum Verdünnung 1 :10, sehr 
unvollständige bei 100, alle anderen Proben unbeeinflufst. Ein Unterschied 
in der Wirkung beider Sera besteht nicht. 

Es kann somit durch Zusatz normaler Leukocyten zum 
Serum unter Bedingungen, welche eine, wenigstens teilweise 
Lösung derselben herbeiführen 1 ), eine Erhöhung der aggluti¬ 
nierenden Serumwirkung gegen Exsudatbakterien nicht erreicht 
werden. 

Wurden Typhusbakterien in den Exsudaten typhusinficierter 
Meerschweinchen gezüchtet, so waren die Resultate schwankend; 
es gelang aber in einigen Fällen mit Sicherheit, in derartigen 
Flüssigkeiten Kulturen heranzuzüchten, die eine gewisse Resistenz 
gegen Serumagglutinine aufwiesen. 

Versuch L. 

Die Bauchhöhle des der Infektion mit Typusagarkultur in weniger 
als 15 Std. erlegenen Meerschweinchen« 80 wird nach und nach mit 25 ccm 
physiologischer Kochsalzlösung ausgespült, worauf sich über 30 ccm einer 
trüben, sehr bakterienreichen, aber zellarmen Flüssigkeit erhalten lassen. 
Die Hälfte derselben wird durch Berkefeldt filtriert. Im ganzen werden vier 
verschieden behandelte Medien hergestellt und gleichzeitig mit Bouillon als 
Kontrolle mit Typhus geimpft: 

1. Exsudat 1 Std. auf 60° erhitzt, dann centrifugiert und abgegossen. 
Gibt eine trotz sorgfältigen Ausschleuderns opalisierende Flüssigkeit. 

2. Exsudat centrifugiert, dann 1 Std. auf 60° erhitzt. Klare, gelbliche 
Flüssigkeit. 

3. Exsudat durch Berkefeldt filtriert. Klare, schwach gelbliche Flüssigkeit. 

4. Exsudat durch Berkefeldt filtriert, dann 1 Std. auf 60° erhitzt. 

5. Bouillon. 

Nach 24stünd. Wachstum bei 37° sind alle Proben trüb und zeigen im 
hängenden Tropfen mit Serum g in den Verdünnungen 1 : 100, 500, 1000 
nach 1 Std.: 

Kultur in 1. bei 1: 100 viele typische Haufen, daneben bewegliche Bakterien, 
bei 1:500 Präparat wimmelnd von beweglichen Bakterien, daneben 
wenige aber typische Haufen, 
bei 1:1000 fast alle Bakterien frei, wenige Haufen; 

Kultur in 2 1 : 100 und 500 vollständige, 1 : 1000 ziemlich vollständige 

Agglutination; 

1) Büchner, Archiv f. Hygiene. Van der Velde, (’entralblatt f. 
Bakteriologie. Laschtschenko, Archiv f. Hygiene. 


Digitized by v^.ooQle 



370 Versuche über Typhusagglutinine and -Präcipitine. 

Kultur in 3. 1 : 100 sehr zahlreiche freie, z. T. bewegliche Bakterien neben 
Haufen, 

1:500 wenige typische Haufen, etwas mehr lockere Aneinanderlage¬ 
rungen, die Mehrzahl der Bakterien wimmelnd; 

1:1000 wimmelnd, auch in den sehr spärlichen Haufen lebhafte Be¬ 
wegung ; 

Kultur in 4. vollständige Agglutination bei 1:100 und 500; fast vollständige 
bei 1:1000; 

Kultur in 5 überall Agglutination. 

Der Befund spricht ganz deutlich dafür, dafs unter Um¬ 
ständen der die Agglutinationsresistenz bedingende Faktor im 
Exsudate typhusinficierter Meerschweinchen auch nach deren 
Tode aufserhalb des Tierkörpers zur Wirkung kommen kann. 
Doch lassen sich sichere Schlüsse daraus nicht ziehen, weil der 
in Versuch L verzeichnete Erfolg nur in einem Bruchteile der 
Fälle eintrat; ebenso kam es nur selten vor, dafs im Exsudat 
bereits gestorbener Meerschweinchen eine Spur agglutinativer 
Wirkung auf gewöhnlichem Kulturtyphus sich zeigte. 

Viel bessere Resultate, die schliefslich zur Aufklärung des 
eigenartigen Phänomens der Agglutinationsresistenz führten, ergab 
die Züchtung von Typhus in agglutininhaltiger Bouillon. Die 
Herstellung derselben geschah in der Weise, dafs kleine Quan¬ 
titäten von Immunserum zu je 5 ccm Bouillon zugesetzt wurden, 
worauf das Gemisch 1 Stunde auf 60° erwärmt wurde. Letzteres 
geschah einerseits, um etwaige baktericide und lytische Wir¬ 
kungen zu beseitigen und anderseits, um vor Verunreinigungen 
geschützt zu sein. 

Es gelang für Typhus sehr leicht, für Cholera nur sehr 
schwer 1 ), eine »Gewöhnung« an die Agglutinine herbeizuführen, 
in der Art, dafs Wachstum nicht mehr ausschliefslich in wand- 
und bodenständigen Flocken, sondern nebenher auch trübend 
erfolgte. Schon eine Züchtung durch wenige Generationen führte 
dieses Resultat herbei. 

Yersneh LI 

(abgekürzt wiedergegeben; es waren stets eine Anzahl Bouillonen mit ver¬ 
schiedenem Gehalt an agglutinierendem Serum hergestellt worden, die dann 
weiter verimpft wurden. Nur das Wachstum einer solchen Serie wird hier 
mitgeteilt.) 

1) Siehe Citat auf S. 313. 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 371 

1. Tag. Bouillon mit 0,002 ccm Serum g (1) und serumfreie Bouillon (II) 
mit Typhus geimpft. 37°. 

2. Tag. II Typisches trübes Wachstum. I Wenig trüb mit klein- 
flockigem Bodensatz. Geimpft Bouillon mit 0,002 ccm Serum aus I, (I a) und 
II, (Ib), Bouillon aus II, (II a). 

3. Tag. Wie früher. Geimpft Bouillon mit 0,002 ccm Serum Ib aus 
Ia und Bouillon II b aus il a. 

4. Tag. Ib trüb, ohne wesentlichen Unterschied gegen IIb. 

Geimpft Bouillon mit 0,01 ccm Serum aus Ib (Ic) und IIb (Id). Bouillon 

mit ILb (IIc). 

5. Tag. Ic ist leicht trüb mit Wand- und Bodenflocken. Id ist fast 
klar, mit flockigem Satze. 

Geimpft Bouillon mit 0,02 ccm Serum aus Ic (Ie) und IIc (If), Bouillon 
mit Ile (IId). 

0. Tag. Ie ist leicht aber deutlich trüb, ziemlich starker, aus kleinen 
Flocken bestehender Satz. If ist klar mit starkem, festflockigem Satze 

Geimpft Bouillon mit 0,02 ccm Serum aus Ie (lg) und IId (Ih). Bouillon 
mit IId (He). 

7. Tag. Ig leicht trüb, mit leicht zerfallenden Wandflocken und fest¬ 
flockigem Satze, Ih ist fast klar mit flockigem Satze. 

Es hat wenig Zweck, weitere Versuche anzuführen, deren 
Resultat, die »Gewöhnung«, ein deutliches, aber im ganzen, auch 
nach langer Züchtung in agglutininhaltigen Medien, ein ziemlich 
mäfsiges war. Der eigentliche Wert dieser Versuche liegt auch 
gar nicht in der mehr oder minder deutlichen Trübung, welche 
die Bouillon trotz noch vorhandener agglutinierender Wirkung 
aufweist, sondern in folgendem Verhalten: entfernt man auf ge¬ 
eignete Weise die gebildeten, agglutinierten Flocken und unter¬ 
sucht die frei gebliebenen Typhusbakterien, so findet man diese 
resistent gegen die Agglutinine. 

Für derartige Untersuchungen ist die Anwendung der makro¬ 
skopischen Beobachtungsmethode unerläl’slich. Die Entfernung 
der Flocken ist durch Filtration mittels guten Filterpapiers 
ziemlich leicht, aber kleine Häufchen gehen doch durch und 
stören die Beobachtung im hängenden Tropfen ungemein. Ferner 
sind die filtrierten Flüssigkeiten in der Regel recht bakterienarm 
geworden, so dafs es notwendig wird, die geringe Zahl der vor¬ 
handenen Mikroorganismen durch Ausschleudern in einer kleinen 
Flüssigkeitsmenge zu konzentrieren. Auch damit sind Aneinander¬ 
lagerungen verbunden, die zwar bei gehöriger Vorsicht das Unter- 

Archiv für Hygiene Bd XLÜ. 25 


Digitized by CjOOQle 



372 


Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 


suchungsergebnis nicht zweifelhaft machen können, wie es die 
Versuche mit dem Waschen der Exsudatbakterien beweisen, 
immerhin aber zeitraubende Herstellungen und Beobachtungen 
von Kontrollpräparaten bedingen. Bei der makroskopischen 
Besichtigung sind solche unvermeidliche, kleine Aneinander¬ 
lagerungen von Bakterien einflufs- und bedeutungslos. Die unbe- 
zweifelte Überlegenheit der Feinheit der Beobachtung im hän¬ 
genden Tropfen spielte bei Versuchen, in denen, wie sofort zu 
erwähnen sein wird, ausschliefslich starke Sera zur Anwendung 
kamen, keine Rolle mehr. 

Yersnch LH. 

(Versuchsresultat nur für die Kulturen angegeben, deren Herstellung 
und Wachstum im vorigen Versuche beschrieben wurde.) Die Kulturen Ib 
und II b werden filtriert, die Filtrate centrifugiert. Vom Bodensätze wird so 
vollständig wie möglich abgegossen und derselbe in wenig physiologischer 
NaCl-Lösung verteilt. Je 10 Tropfen der betreffenden Aufschwemmungen 
werden mit ebensoviel Serum 1 : 100, 500, 1000 versetzt. 37 °. 

Schon nach */ 4 Std. sind die Bakterien von II b in Serum 1 :100 und 
500 grobflockig geworden, nach Vs Std. sind alle Proben von II b vollständig 
agglutiniert und abgesetzt Die Röhrchen mit den Bakterien von I b sind 
gleichmäfsig trüb bis 3 Std. nach dem Einsetzen in den Brutschrank. Dann 
beginnt Agglutination, die nach 7 Std. beendet ist. 

Versuch LIH. 

In gleicher Weise wie der vorige mit den Proben lg, Ih und Ile an- 
gestellt. Serumverdünnungen 1:100, 500 und 750. 37°. 

Die Bakterien aus He sind schon nach */ 4 Std. in vollster Flocken¬ 
bildung und nach 1 Std. gänzlich abgesetzt, die aus lg und Ih fangen bei 
Serum 1: 100 erst nach 2 Std. an, sich zusammenzuballen und bleiben sonst 
trübend. 

Die von lg und Ih abgegossene agglutininhaltige Bouillon agglutiniert 
frische Bouillonkulturen im hängenden Tropfen binnen V 4 Std. vollständig. 

Das Ergebnis dieser Versuche ist von aufserordentlicher 
Wichtigkeit: es zeigt, dafs der Faktor, welcher die Agglutinations- 
resistenz bedingt, auch aufserhalb des Tierkörpers, im aggluti¬ 
nierenden Immunserum vorhanden ist und hier unter Umständen 
in Wirksamkeit treten kann. 

Dafs es sich dabei lediglich um eine »Gewöhnung« der 
Bakterien an die Serumagglutinine handeln könne, wird durch 
den als LIII angeführten Versuch im höchsten Grade unwahr¬ 
scheinlich; denn die Unwirksamkeit des Serums tritt bei den 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


373 


Typhusbakterien, die vorher mehrere Generationen in agglutinin- 
haltiger Bouillon erzeugt hatten, gerade so gut hervor wie bei 
denen, welche ebenso lange vorher in gewöhnlicher Bouillon 
gelebt hatten. Der Aufenthalt in einem auf 60° erhitzten, ver¬ 
dünnten Immunserum scheint nach Mafsgabe der Versuche LII 
und LIII das Wesentliche zu sein. Da aber in den Bouillonen, 
welche zur Erzeugung der für diese Versuche benutzten Bak¬ 
terien gedient hatten, Haufenbildung eingetreten war, und da 
noch, wie die Wirksamkeit derselben nach Entfernung der Bak¬ 
terien beweist, aktive Agglutinine vorhanden waren, so mufs der 
fragliche, die Agglutinationsresistenz bedingende Faktor neben 
den Agglutininen selbst im erhitzten Serum vorhanden gewesen 
sein. Die Verhältnisse würden demnach so liegen, dafs ein auf 
60° erwärmtes Serum wirksame Agglutinine enthält, welche 
Haufenbildung veranlassen und daneben einen Faktor, welcher 
Agglutinationsresistenz verleiht, so dafs in einer für Typhus¬ 
bakterien noch wirksamen Serumverdünnung eine Anzahl solcher 
vorhanden sind, welche weder durch diese Verdünnung noch 
durch ein anderes Immunserum agglutiniert werden können. 

Versuch LIV. 

1 ccm Serumverdünnung g wird 1 Std. auf 60° erhitzt, hierauf mit 
5 ccm einer Aufschwemmung von einmal gewaschenen Typhusbakterien (aus 
Agarkultur) versetzt und 3 Std. bei 37° belassen. Nach dieser Zeit haben 
sich reichlich Flocken abgesetzt, aber die überstehende Flüssigkeit ist noch 
trüb. Sie wird vorsichtig durch ein steriles Papiertilter abgegossen, und das 
Filtrat, wie ein nicht mit Serum versetzt gewesener, in gleicher Weise be¬ 
handelter und entsprechend verdünnter Teil der Aufschwemmung centri- 
fugiert. Die Bodensätze werden in wenig physiologischer NaCl-Lösung auf¬ 
geschwemmt und je 10 Tropfen der Suspensionen mit ebensoviel Serum¬ 
verdünnungen g 1: 500 und 750 versetzt. 

In den Kontrollproben ist nach 1 / 2 Std. bei 37° alles dicht von groben 
Flocken erfüllt, nach 1 Std. sind die Flüssigkeiten unter Absetzen geklärt; 
die Versuchsproben sind bei 2stünd. Aufenthalt in 37° und weiteren 16 Std. 
bei niederer Zimmertemperatur gleichmäfsig trüb. 

Versuch LV. 

Zum Versuche dient ein sehr wenig wirksames Kaninchenserum n, 
welches nur bis 1 : 200 sicher agglutiniert. Je 1 ccm der Verdünnung 1:10 
wird 1. als solches, 2. nach lstünd. Erhitzung auf 60°, 3. nach ebensolanger 
Erwärmung auf 75° mit 1 ccm Aufschwemmungen von Typhusagarkulturen 
versetzt. Nach 2stünd. Aufenthalt bei 37° ist in 1. Agglutination in groben 

26 • 


Digitized by v.ooQle 



374 Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 

Flocken vorhanden, bei ziemlicher Klärung, in 2. sind Flocken in gleich 
mäfsig trüber Flüssigkeit eben sichtbar, 3. ist trüb. Es werden neuerdings je 
0,5 ccm Aufschwemmung zugesetzt. Nach */t fcftd* ist 1. wie vorher unter 
Flockenbildung etwas geklärt, 2. ist dicht trüb, doch erkennt man eben 
noch Flocken, 3. ist gleichmäfsig trüb. Neuerlicher Zusatz von 1 ccm Auf¬ 
schwemmung, worauf alle Proben trüb bleiben. Die Flüssigkeiten werden 
durch Papier filtriert, dabei zeigt sich, dafs das Filtrat von 1. nur wenig, 
von 2. viel stärker, von 3. stark trüb ist. Die Proben werden centrifugiert, 
die Sätze in wenig physiologischer Kochsalzlösung aufgenommen und sodann 
je 5 Tropfen der Aufschwemmungen in engen Röhrchen versetzt mit: 

1. 5 Tropfen Bakterien aus 1. mit 5 Tropfen Serum n 1 . 50 


2. 

5 

> 

> 

> 

1. 

* 

5 

> 

> 

1 :100 

3. 

5 

> 

> 

> 

2. 

> 

5 

> 

> 

1: 50 

4. 

5 

> 

> 

> 

2. 

> 

5 

> 

> 

1 : 100 

5. 

5 

> 

> 

* 

3. 

> 

5 

i 

> 

1: 50 

6. 

5 

> 

> 

> 

3. 

> 

5 

> 

> 

1 : 100 

7. 

5 

> 

Bakteriensuspension ohne 

Serum 

mit 



5 Tropfen Serum n.1 : 50 


8. 5 > Bakteriensuspension ohne Serum mit 

5 Tropfen Serum n.1 : 100. 

Nach l \ Std. bei 37° ist die Agglutination in 7. und 8. weit vorge 
schritten, nach Z I A Std. beendet. Erst nach 1 */, Std. beginnt Flockenbildung 
in 1., 3. und 5., nach 2 Std. sind hier Flocken sichtbar, die sich absetzen, 
aber die Flüssigkeit bleibt auch nach 3 Std. noch trüb In den übrigen 
Proben trat keine Veränderung ein. 

Yersuch LYI. 

Typhusimmunserum von einem Hunde, bis 1 : 250 agglutinierend, wird 
in drei Eprouvetten zu je 1 ccm 1. als solches, 2. nach 1 stünd. Erhitzung 
auf 60°, 3. nach 1 stünd. Erhitzung auf 75° mit lebenden, gewaschenen 
Typhusbakterien von Agarkulturen versetzt. Der erste Zusatz von 1 ccm 
Aufschwemmung ist bei 37° in 1. binnen */* Std. so vollständig agglutiniert, 
dafs die obenstehende Flüssigkeit klar erscheint, in 2. flockig abgesetzt, 
aber bei Freibleiben der oberen Schichten; 3. bleibt trüb. Nun wurde stete 
zu allen drei Proben gleichviel Bakteriensuspension zugesetzt, bis auch in 
1. die Flüssigkeit leicht diffus trüb blieb. Es wiederholte sich immer der 
Befund, dafs das auf G0° erhitzte Serum nur Flocken erzeugen, die Flüssig 
keit aber nicht klären konnte. 

Nachdem im ganzen 1,95 ccm Bnkterienaut'schwemmung zugesetzt 
worden waren, wurden die Proben durch Papier filtriert, wobei 1. relativ 
wenig, 2. stärker, 3. dicht trüb durchs Filter ging. Hierauf wurde ceutri- 
fugiert und die Sätze in wenig physiologischer NaCl-Lösung suspendiert. 
Darnach wmrden in engen Eprouvetten gemischt: 


1. 5 Tropfen d. Bakteriensusp. 

aus unerhitzt. Serum 

-|- 5Tropfen Serum 

1 

10 

2. 5 

> > 

> 

+ 5 

1 

100 

3. 5 

> l li 00° erhitzt. > 

+ 5 > > 

1 

10 

4 5 > > » 

> i 

> > 

+ 5 > 

1 

100 


Digitized by v^.ooQle 











Von Privatduzent Dr. Oskar Bail. 


375 


5. 5 Tropfen d. Bakteriensusp. aus 75° erhitzt. Ser. -|- 5 Tropfen Serum 1 : 10 

6. 5» > * >» >1.100 

7. 5 » Suspension normaler Typhusbakterien -j- 5 > > 1 : 10 

8 . 5 » > > » + 5 > 1 : 100 

Nach 1 /., Std. war 7. abgesetzt und geklärt, 8. mit groben Flocken dicht 
erfüllt. 

Nach s / 4 Std. war die Agglutination der Kontrollproben beendet. 

Nach 1 Std. war in Nr. 5 eine Spur Haufenbildung wahrzunehrnen, 
nach 6 4 Std. bestand deutliche Haufenbildung in 1., 3. und 5., die nach 
t / 4 Std. zur Klärung führte. 

: 2 ., 4 , 6. waren nach 2 Std. unverändert. Erst nach 4 Std. war Flocken¬ 
bildung in 2. und 4. zu bemerken, wobei aber die Flüssigkeit trüb blieb. 

Aus den mitgeteilten Versuchen geht ganz übereinstimmend 
hervor, dafs ein genügend langer Aufenthalt von Bakterien in 
einem Immunserum, vorausgesetzt, dafs sie nicht selbst aggluti- 
niert werden, Agglutinationsresistenz erzeugt. Solche inaggluti- 
nable Bakterien kann man erhalten, entweder indem man z. B. 
Typhusagarkultur in sehr geringem Überschüsse über die Agglu¬ 
tinationskraft hinaus dem unveränderten Serum zusetzt, oder 
indem man sie in Serum suspendiert, dessen Agglutinine durch 
Erhitzen auf 60° etwas geschädigt oder durch Erwärmen auf 75° 
anscheinend vernichtet worden sind. Auf eine Schädigung der 
Agglutinine bei 60° mufs man aus dem Umstande schliefsen, 
dafs zur Sättigung eines derart behandelten Serums weit weniger 
Bakterienmaterial erforderlich ist als zu der eines unveränderten, 
wie dies namentlich aus Versuch LVI, entgegen den Angaben 
der Autoren, mit Sicherheit hervorgeht. 

Schon zu Anfang der Versuche wurden auf diese Weise 
mitunter Bakterien so unempfindlich gemacht, dafs sie so gut 
wie gar nicht mehr mit Immunserum reagierten. 

Versuch LVH. 

Je 1 ccm Serumverdünnung eil 1:250 wird 1. 1 Std. auf 00°, 2. 1 Std. 
auf 75° erwärmt. Danach werden je 1 ccm Suspension, entsprechend einer 
Typhusagarkultur zugesetzt und die Proben t> Std. bei 37° belassen. Nach 
dieser Zeit war in dem auf 60° erhitzten Serum teilweise, in den anderen 
keine Agglutination eingetreten. Die Proben wurden filtriert, die Filtrate 
centrifugiert, die Bodensätze gewaschen und schliefslich in physiologischer 
NaCl-Lösung aufgeschwemmt. Es wurden dann in engen Eprouvetten 
gemischt: 

1. 5 Tr Suspens d. Hakt, aus d. auf 00° erwärmten Serum -)- 5 Tr. Ser cTT 1 250 

2. 6 i » > » > * 00° » > -|- 5 > * > 1:500 


Digitized by 


Google 




376 


Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 


3. 5 Tr. Suspens. d. Bakt. aus d. auf 75° erwärmten Serum 4- 5 Tr. Ser. eil 1:250 

4. 5 » > » » > » > 75° > > 4“ 5 » » > 1:500 

5. 5 * > normaler Typhusbakterien +5 > > > 1:250 

6. 5 > > > » 4-5 > > » 1:500 

Nach */ 4 Std. war die Agglutination in 5. fast beendet, in 6. weit vor¬ 
geschritten. 

Nach ! /j Std. waren die Proben 5 und 6 klar abgesetzt; alle anderen 
Proben blieben bei der2stünd. Beobachtungsdauer bei 37° gleichmäßig trüb. 

Versuch LVIU. 

Je 1 ccm Serum g 1 :10 verdünnt, wird 1. als solches, 2. nach 1 stünd. 
Erhitzung auf 75° mit je 2 ccm Aufschwemmung von Typhusagarktilturen 
versetzt. Bleibt 2 Std. in 37°, wonach in 2. keine, in 1. starke Agglutination, 
aber mit leichter Trübung der tiberstehenden Flüssigkeit eingetreten ist. 
Wird in der in den früheren Versuchen angegebenen Weise filtriert, centri- 
fugiert etc. 

Es werden schliefslich hergestellt: 

1. 5 Tr. Suspension v. Bakt. aus unverändertem Serum 4“ 5 Tr. Serum gl: 10 

2. 5 > > > > » > » 4~ 5 > > > 1 • 500 

3. 6 > » » » > auf 75° erhitzt. > 4"5> > »1:10 

4 . 5» > >»>»» > » 4" 5 » > » 1 : 500 

5. 5 » » normaler Bakterien 4“ 5 » » > 1: 10 

6. 5» > » > 4 5 » » > 1:500 

Nach V, Std. sind die Kontrollproben vollständig agglutiniert; die 
Versuchsproben bleiben während der 2 stünd. Beobachtungsdauer bei 37° 
gleichmäfsig trüb. 

Von erheblichem Interesse und später näher zu besprechen 
sind Versuche wie der folgende. 

Versuch LIX. 

Je 1 ccm der Verdünnungen 1: 10 des Serums g (durch Behandlung 
von Kaninchen mit Kulturtyphus erhalten) und h (durch Immunisation mit 
Exsudattyphus hergestellt) werden 1 Std. auf 75° erhitzt und dann mit 2 ccm 
Typhusagarkultur-Aufschwemmungen versetzt, und ohne dafs Agglutination 
eingetreten wäre, 3 Std. bei 37° belassen. Danach werden in der oft be¬ 
schriebenen Weise Bakteriensuspensionen hergestellt, die mit agglutinierendem 
Serum versetzt werden: 


1. 

5 Tropfen Suspension d. Bakt. 

aus 

erhitzt. Serum g 4 5 Tr. Serum 

g 

1 

10 

2. 

5 

> 

> 

> 

> 

> 

> 

> > 4" 5 

> 

> 

> 

1 

100 

3. 

5 

» 

> 

> 

> 

> 

> 

> »4-5 

> 

> 

h 

1 

10 

4. 

5 

> 

> 

> 

> 

> 

> 

» »4-5 

> 

> 

» 

1 

100 

5. 

5 

> 

» 

> 

> 

> 

> 

» h 4 5 

» 

» 

> 

1 

10 

S. 

5 

> 

> 

> 

» 

> 

> 

» » 4 5 

> 

* 

> 

1 

100 

7 

5 

> 

> 

» 

> 

> 

> 

* » 4 - 5 

» 

> 

g 

1 

10 

8. 

5 

> 

> 

> 

> 

> 

> 

» » 4-5 

> 

> 

> 

1 

100 


Digitized by v^.ooQle 












Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 377 


9. 

5 Tropfen 

Suspension 

normaler Bakterien + 5 

Tropfen 

Serum g 

1 

10 

10. 

5 

> 

> »4-5 

> 

> > 

1 

100 

11. 

5 

> 

> » 4 - 5 

> 

> h 

1 

10 

12 

5 

> 

» > + 5 

> 

> > 

1 

100 


Nach >/ 4 Std. (immer 37°) ist 9. und 11. beendet, in 10. und 12. weit 
vorgeschrittene Haufenbildung. Sonst 0. 

Nach */• Std. 9 , 10., 11., 12. beendet, sonst 0. 

Nach s / 4 Std. 9.—12. beendet, 3. deutlicher, 5. zweifelhafter Beginn der 
Agglutination, sonst 0. 

Nach 1 Std. 1., 2. 0, 3. weit vorgeschrittene Haufenbildung, 4. undeut¬ 
licher Beginn derselben, 5. schwache Agglutination, 6., 7. 8. 0. 

Nach V/ 4 Std. 1., 2. 0, 3. fast beendete, 4. sehr deutliche Agglutination, 
6. Flocken in trüber Flüssigkeit, 6. Spur von Flockenbildung?, 7., 8. 0. 

Nach Vj t Std. 1., 2., 0, 3., 4., 5. und in geringem Grade 6. Flocken¬ 
bildung mit mehr oder weniger vollständigem Absetzen der Haufen, aber 
trüber, überstehender Flüssigkeit, 7. und 8. 0. 

Nach 2 St. Unverändert. 

Bei diesem Versuche ist besonders die Wirkung des Serums h 
zu beachten; genau so wie dieses, durch Immunisation von 
Kaninchen mit Exsudatbakterien gewonnene, die Typhusbakterien 
aus dem Tierkörper leichter zur Haufenbildung veranlassen 
konnte, so vermag es auch künstlich resistent gemachte Kultur¬ 
bakterien besser zu agglutinieren wie ein gewöhnliches Immun¬ 
serum. Das ist ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dafs die 
Agglutinationsresistenz nicht durch eine Vielheit von Ursachen 
bedingt wird, sondern durch eine einzige, die im Tierkörper in 
gleicher Weise wirksam ist wie in einem etwa auf 75° erhitzten 
Serum. Es bedarf nun einer genaueren Analyse, ob die bis¬ 
herigen Erklärungsweisen des Agglutinationsphänomens irgendwie 
ein Verständnis dieser Erscheinungen ermöglichen. Die älteste, 
die Grubersche Anschauung nimmt bekanntlich ein Verquellen 
und Klebrigwerden der Bakterienhülle als Ursache der Haufen¬ 
bildung an. Man könnte sich, abgesehen von den bereits er¬ 
wähnten, gegen diese Auffassung geltend gemachten Bedenken, 
ganz gut vorstellen, dafs sich einmal Typhusbakterien finden, 
welche eine nicht quellbare Membran besitzen und infolgedessen 
ungeeignet zur Aneinanderlagerung sind. 

Es bestände demnach der Grund der Agglutinationsresistenz 
in einer Veränderung der Konstitution der Bakterienmembran, 
etwa im Sinne der Ni coli eschen Anschauung, dafs weniger 


Digitized by CjOOQle 




378 


Versuche über Typhusagglntinine und -Präcipitine. 


ägglutirmble Substanz innerhalb der äulseren Schichten der Bak¬ 
terienzelle abgelagert wäre. Etwas Derartiges könnte in einer 
Änderung der Arteigenschaften seinen Grund haben: durch 
irgend welche Veranlassungen gezwungen, wandelt sich der bisher 
agglutininempfindliche Typhus in einen resistenten um. Im Sinne 
der bereits mitgeteilten Gewöhnungsversuche würde etwa bei 
der Störung der normalen Lebensvorgänge, wie eine solche die 
Agglutination doch sicher bedeutet, dasjenige Individuum, welches 
von vornherein etwas resistenter ist, sich besser in einer agglu¬ 
tininhaltigen Bouillon vermehren und hätte schliefslich Aussicht, 
durch eine Art natürlicher Zuchtwahl eine neue, agglutinin¬ 
unempfindliche Rasse zu bilden. Der unter der Zahl LI mit¬ 
geteilte Gewöhnungsversuch widerspricht einer solchen Annahme 
nicht. Vielleicht wäre es bei entsprechender genügend langer 
Züchtung wirklich gelungen, einen inagglutinablen Stamm aus 
den wenigen ursprünglich in die Bouillon eingeimpften Keimen 
zu erlangen. Die Thatsache, dafs schliefslich bei relativ hohem 
Agglutiningehalt ein gewisses trübendes Wachstum konstatiert 
wurde, liefse sich als scheinbarer Beweis anführen; es wäre auch 
wirklich möglich, dafs unter den durch das Papierfilter gegangenen 
Bakterien sich schon Angehörige der neu entstehenden inagglu¬ 
tinablen Rasse befunden hätten: die Mehrzahl war es aber sicher 
nicht; denn sonst hätte die unmittelbar aus einer längeren Zeit 
agglutininfrei gezüchteten Kultur in die gleich stark agglutinierende 
Bouillon vorgenommene Überimpfung nicht ebenfalls aggluti¬ 
nationsresistente Bakterien liefern dürfen. 

Für die Verhältnisse im Tierkörper trifft diese Annahme 
erst recht nicht zu. Denn hier werden agglutinierbare Bakterien 
injieiert und ebensolche erhält man sofort wieder, wenn man 
etwas von dem gebildeten Exsudate in Bouillon oder auf Agar 
überträgt. 

An eine plötzlich entstandene neue Rasse, eine Art Bakterien¬ 
mutation, läfst sich natürlich aus dem gleichen Grunde nicht 
denken. 

Es wäre weiterhin im Sinne der Gr übersehen An¬ 
schauung noch möglich, daran zu denken, dafs die ijuellbare 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


379 


Membran, welche die Haufenbildung durch ihr Klebrigwerden 
veranlafst, etwas für das Typhusbakterium ganz Nebensächliches 
sei, das zw T ar regelmäfsig ausgebildet wird, aber ohne wesent¬ 
lichen Schaden für das Leben auch wegbleiben könnte, etwa so 
wie grofse Kapseln bei gewissen Bakterien nur auf bestimmten 
Substraten entstehen, bei Überimpfung auf andere Nährböden 
aber kleiner werden oder ganz wegbleiben können, ohne Wachstum 
und Fortpflanzung sichtbar zu beeinträchtigen. Soweit sich die 
Litteratur überblicken läfst, gibt es zwar kein Beispiel für einen 
Nährboden, auf dem der Typhus agglutinationsresistent wüchse, 
aber mehr minder naheliegende Analogien liefsen sich finden, 
etwa in dem verzögerten Auftreten der Fluorescenz beim Wachs¬ 
tum des Pyocyaneus im Serum u. dergl. Dann wäre es leicht 
erklärlich, warum Rückversetzung in ein normales Nährsubstrat 
das Wiederauftreten der Agglutination zur Folge hat. Dem 
widerspricht aber wieder der Gewöhnungsversuch, welcher zeigt, 
dafs agglutinierbare und resistente Bakterien in der gleichen 
serumhaltigen Bouillon nebeneinander zur Entwicklung kommen. 

Somit läfst die Grub ersehe Hypothese eine Deutung der 
berichteten Versuche nicht zu und das Gleiche gilt, meist 
aus denselben Gründen, für die Ansichten von Dineur und 
Nie olle. 

Nicht minderen Schwierigkeiten begegnet man, wenn man 
die Thatsache der Agglutinationsresistenz der Pal tauf - K raus - 
sehen Erklärungsweise anpassen will, immer abgesehen von den 
sonst gegen diese Hypothese sprechenden Erfahrungen. 

Warum in einer agglutininhaltigen Flüssigkeit eine Anzahl 
Bakterien durch die gebildeten Niederschläge agglutiuiert werden 
und andere nicht, obwohl von einer Erschöpfung keine Rede 
sein kann, ist ebensowenig einzusehen, wie die Erscheinung zu 
erklären ist, dafs bei der Niederschlagsbildung überhaupt Bak 
terien unbehelligt bleiben können. Nach der Paltauf-Kraus* 
sehen Theorie in ihrer gegenwärtigen Form kann es aggluti¬ 
nationsresistente Bakterien überhaupt nicht geben, so lange noch 
wirksames Berum zugegen ist; die Änderung der Arteigenschaft 
oder der Wachstumsverhältnisse, die bei der Gruberschen 


Digitized by 


Google 



380 Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitinc. 

Lehre unter Umständen hätte erklärend wirken können, würde 
für die Zusammenballung durch Niederschläge völlig irrelevant 
sein. Deshalb kann man auch nicht annehmen, dafs erst eine 
gewisse Stärke der Niederschlagsbildung gefordert werden müsse, 
ehe Agglutination eintritt, und dafs diese Stärke für die Exsudat¬ 
bakterien durch die Verdünnungen eines gewöhnlichen Immun¬ 
serums nicht zu erzielen sei. Auf den ersten Blick schiene dafür 
allerdings die Erscheinung zu sprechen, dafs die oft erwähnten 
Sera d und h, welche auch Exsudatbakterien noch agglutinierten, 
gleichzeitig stärker fällende Eigenschaften besafsen. Warum sie 
aber dann ungefähr die gleiche agglutinierende Kraft für Typhus¬ 
bouillon besafsen wie Sera, welche für Exsudatbakterien relativ 
unwirksam waren, bliebe unerklärt. 

Was die Bordetsche Auffassung des Agglutinations¬ 
phänomens betrifft, so wurde bereits in der historischen Ein¬ 
leitung die Einteilung der Bakterien in zwei Phasen als ein sehr 
wesentlicher Fortschritt bezeichnet. Zu bedauern ist nur, dafs 
die Bordetsche Theorie in sehr wesentlichen Punkten ganz 
unbestimmt sich äufsert. Der erste Teil der Reaktion besitzt 
nach Bordet einen rein »biologischen« Charakter. Dafür spreche 
namentlich die specifische Natur der Serum Wirkung, die zunächst 
in dem Unbeweglich werden der Mikroorganismen ihren Ausdruck 
fände. Ist dieser erste Teil vorüber, so verhalten sich die Bak¬ 
terien wie beliebige sonstige, feinverteilte Partikelchen, welche 
auf Zusatz gewisser Stoffe infolge geänderter Molekularattraktion 
zu Haufen zusammenfliefsen. 

Die Art und Weise, wie Bordet sich den Verlauf der ersten 
Phase, deren Sichtbarwerden durch die spezifische Beweglichkeits¬ 
störung angedeutet ist, vorstellt, ist aus seinen Angaben nirgends 
zu ersehen; denn dafs die Aufhebung der Motilität der Faktor 
sein sollte, der an sich schon das Eintreten eines die Molekular¬ 
attraktion der Bakterien mit der umgebenden Flüssigkeit ändern¬ 
den Einflusses ermöglicht, geht aus Bordets Angaben nicht 
hervor und wäre ja auch nicht wahrscheinlich, da sonst die 
nicht spezifische Agglutination durch chemische Stoffe viel weiter 
verbreitet sein inüfste, als sie es ohnehin ist (Blachstein, 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdor-ent Dr. Oskar Bail. 


381 


Malvoz u. a.) und fast von jedem Desinfektionsmittel bewirlct 
werden könnte. # 

Aus der ganzen Darstellungsweise Bordets scheint aber 
hervorzugehen, dafs er sich seine erste Agglutinationsphase, die 
»Periode de Timpression« , ähnlich vorstellt wie die Sensibili¬ 
sierung einer Bakterienzelle durch den spezifischen Bestandteil 
eines bakteriolytischen Serums, die sich Bordet als mehr physi¬ 
kalischen Vorgang deutet, während bekanntlich Ehrlich eine 
mehr chemische Bindung anzunehmen geneigt ist. 

•Ist diese Auffassung der Bord et sehen Lehre richtig, so 
würde ein in der ersten Agglutinationsphase befindlicher Mikro¬ 
organismus sich, die Beweglichkeitsstörung etwa abgerechnet, 
ebenso verhalten wie ein spezifisch für die Wirkung der Alexine 
sensibilisierter, der seinerseits von einem normalen nicht zu 
unterscheiden ist, so lange er nicht mit frischem, normalem 
Serum in Berührung tritt. Man könnte in der That annehmen, 
dafs ein Typhusbakterium in einem Meerschweinchenexsudate 
sich in dieser ersten Phase befände. Es sieht normal aus, ver¬ 
mag sich zu vermehren, und wenn Bordet eine Bewegungs¬ 
störung mit als charakteristisches Kennzeichen der Impressions¬ 
zeit auffafst, so hat man an den tierischen Exsudatbakterien 
wie an solchen, die im erhitzten Serum verweilt hatten, oft 
genug Gelegenheit, eine mehr oder weniger weitgehende Immobili¬ 
sation oder Bewegungsbeeinträchtigung während einiger Zeit zu 
beobachten. Ein derartiger Mikroorganismus müfste nun auf 
Zusatz des entsprechenden Serums sofort agglutiniert werden. 
Denn ein solches Serum mufs nach der ganzen Darlegung 
Bordets zwei Substanzen enthalten, deren eine die Impressions¬ 
periode, deren zweite die Periode der gestörten Molekular¬ 
attraktion hervorbringt. Leider sagt Bordet von dieser zweiten 
Phase auch nichts Näheres, namentlich ob er sich die dieselbe 
veranlassenden Einflüsse als spezifisch denkt oder nicht, wird 
nirgends erwähnt. Sein aus Duclaux’ Theorien entlehntes Bei¬ 
spiel vermag da keinen Aufschlufs zu geben. Besteht beispiels¬ 
weise das Wesen der Labgerinnung der Milch wirklich, wie 
Duclaux annimmt, in einer Zusammenballung der nur scheinbar 


Digitized by 


Google 



382 


Versuche über Typhusagglutinine und Prftcipitinc. 


gelösten, in Wirklichkeit nur sehr fein verteilten Kaseinteilchen, 
die auf Labzusatz durch Haufenbildung sichtbar werden, so fragt 
es sich, ob hier ein einheitlicher Vorgang vorliegt oder nicht 
ebenfalls eine Zweiteilung: ob nicht die Spezifität des Labenzyms 
darin zu suchen ist, dafs es feinverteiltes Kasein und nur dieses 
in eine »Periode de l’impression« versetzt, vermöge deren nun 
die Molekularattraktion zwischen Kasein und Milchflüssigkeit 
jetzt schon durch den geringsten Eingriff, z. B. schon durch das 
Lösungsmittel des Labpulvers, das mit zugesetzt wurde, geändert 
werden kann. In einem solchen Falle würde die Agglutination 
von Typhusbakterien und die Labgerinnung der Milch dem 
Wesen nach identisch sein. 

Ist aber nach Duclaux’ Theorie die Labwirkung ein ein¬ 
heitlicher Vorgang, der einfach in einer spezifischen Änderung 
der Molekularattraktion besteht, so ist nicht recht einzusehen, 
warum die erste Phase notwendig sein soll. Dann ist ebenfalls 
Agglutination und Labwirkung im Wesen gleichzusetzen. 

Der Lähmung der Beweglichkeit kann ein weitgehender 
Einflufs nicht zukommen, da unbewegliche Bakterien durch zu¬ 
gehörige Sera oder infolge Erhitzung auf 60° oder durch Formalin 
u. dgl. unbeweglich gemachte Typhusbakterien durch Typhus¬ 
serum nicht anders zu Haufen vereinigt werden wie lebende. 

Ob man heute das Recht besitzt, mit den bisherigen Er¬ 
fahrungen eine spezifisch erfolgende Änderung der Molekular¬ 
attraktion anzunehmen, ist eine Frage, deren Erörterung nicht 
hierher gehört. Jedenfalls zeigt eine genauere Analyse der An¬ 
sichten Bordets, dafs sie einfach eine absolute Identifizierung 
des Wesens der Agglutination und dem der Gerinnung im Sinne 
der Duclaux sehen Theorie darstellt. Die Arbeit Bordet s 
enthält aber noch ein überaus interessantes Experiment, dessen 
Gelingen Bordet als wesentliche Stütze seiner Ansichten heran¬ 
ziehen möchte. Wenn Tieren eine Zeitlang Milch injiciert wird, 
so liefern sie schliefslich ein Serum, welches imstande ist, das 
Kasein der Milch auszufällen. Es ist kaum anzunehmen, dafs 
dieser schöne Versuch überhaupt in den Kreis der eigentlichen 
Aggiutjnationsversuche hineingehört. Hier handelt es sich offen- 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatüozent Dr. Oskar Rail. 383 

bar, wie bereits erwähnt, um denselben Vorgang, der das Auftreten 
von sichtbaren Niederschlägen bei Zusatz des Serums eines gegen 
Eiweifs immunisierten Tieres in Eiweifslösungen, oder eines gegen 
Menschenblut immunisierten in Menschenblut, oder eines mit 
Typhus immunisierten in Tvphusbouillonfiltraten erzeugt. Wo 
dies aber möglich ist, läfst sich nachweisen, dafs diese fällenden 
Eigenschaften ganz unabhängig sind von den agglutinierenden; 
das gilt für die Agglutination von Typhusbakterien gerade so 
gut wie für die von Coli oder Blutkörperchen. 

Ist das Wesen des Agglutinationsvorganges wirklich auf 
eine Änderung der Attraktionsverhältnisse zwischen Bakterien 
untereinander und Bakterien und umgebenden Flüssigkeitsteilchen 
zu beziehen, so ergibt sich die Annahme einer ungeheuer wirk¬ 
samen Substanz, für die eben nur die Immunitätslehre Analoga 
liefern kann. Wenn eine Thonemulsion in Wasser durch Koch¬ 
salzzusatz zur Klärung und Haufenbildung veranlalst werden 
kann, so ist dies schliefslich nicht allzu auffallend. Wenn aber 
reine, gewaschene Bakterien in physiologischer Kochsalzlösung 
durch eine mit derselben Lösung bereitete Serumverdünnung 
von 1:40000 oder 1:500000 (wie ein Grubersches Serum) 
noch eine so weitgehende Störung der molekularen Anziehungen 
herbeiführt, so kann man sich von der Wirksamkeit der ver¬ 
anlassenden Substanz kaum mehr einen Begriff machen. Auf¬ 
fallend ist aber auch noch eine andere Erscheinung: die Substanz, 
welche die Änderung der molekularen Attraktion herbeiführt, 
verschwindet, wird verbraucht; das thut das Kochsalz nicht, 
welches die Haufenbildung der Thonteilchen hervorbringt. Es 
müfste überhaupt noch näher untersucht werden, ob die an¬ 
scheinende Analogie zwischen der Klärung der Thonemulsion und 
einer Bnkterienaufsehwemmung wirklich eine vollkommene ist. 

Dafs die Anwesenheit von Salz zur Ausbildung der Aggluti¬ 
nationsreaktion unbedingt notwendig ist, wie Bordet zuerst 
gesagt und später andere bestätigt haben, deutet nur darauf 
hin, dafs die Agglutininwirkung eben gewisser unterstützender 


Digitized by CjOOQle 



384 


Versuche über Typhusa^glutinine und -Prftcipitine. 


Momente bedarf, genau so wie etwa die Alexine eben auch nur 
bei Anwesenheit von Salzen wirken können. 

Trotz dieser mehr angedeuteten als ausgeführten Bedenken 
kommt der Betrachtungsweise Bordets eine sehr grofse Bedeu¬ 
tung zu. Denn nur die Annahme einer »Impressionsperiodec, 
welche der eigentlichen Agglutination vorausgeht, allerdings in 
der Regel nur um einen unmefsbar kleinen Zeitraum, kann die 
beobachtete Agglutinationsresistenz der Typhusbakterien befrie¬ 
digend erklären. 

Angenommen, dieselben befänden sich, so wie sie aus einem 
inficierten Meerschweinchen oder aus einem vorher auf 75° er¬ 
hitzten Serum kommen, in dieser Periode, so würden sie mit 
Mikroorganismen, welche durch den spezifischen, hitzebeständigen 
Anteil eines bakteriolytischen Immunserums »sensibilisiert« sind, 
weitgehende Ähnlichkeit darbieten. Sie sehen normal aus, sind 
vielleicht weniger beweglich wie sonst, können sich aber regel¬ 
recht teilen und vermehren. Eine tiefgreifende Störung haben 
sie jedenfalls nicht erfahren. Aber normal sind sie ebensowenig 
wie diejenigen, die in einem erhitzten spezifisch baktericiden 
Serum waren. Diese lösen sich bei Anwesenheit geringer freier 
Alexinmengen auf, jene widerstehen der Einwirkung der Aggluti- 
nine, welche auf normale Bakterien sofort wirken. Wie sich 
später zeigen wird, ist die Analogie allerdings nicht voll¬ 
ständig, da Alexine und Agglutinin, d. h. jenes Agglutinin, wie 
man sich es bisher als im Serum vorhanden vorstellte, nicht 
direkt vergleichbar sind. Aber auf den ersten Blick sieht es 
doch so aus, als ob die »Impressionsperiode« Bordets die 
Typbusbakterien nicht agglutinabel, sondern resistent gemacht 
hätte. 

Verständlich wird das Wesen der Bord et sehen »Impression« 
erst dann, wenn man darauf die Vorstellungsweise Ehrlichs 
an wendet, die bereits so viele Punkte der Immunitätslehre dem 
Verständnisse näher gebracht hat. 

Ehrlich hat sich mit dem Phänomen der Agglutination im 
Vergleich zu seinen eingehenden Studien der Hämolyse nur 
wenig und mehr nebenbei befafst. In der Zusammenfassung seiner 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


385 


Lehre, die als bekannt vorausgesetzt werden mufs, betrachtet 
er die Agglutinine als frei im Blute kreisende Receptoren zweiter 
Ordnung, bei denen haptophore und zymotoxische Gruppe un¬ 
trennbar verbunden sind. 

Nach dieser Anschauungsweise würde sich der Receptor mit 
der ersteren an die geeignete Gruppe des Typhusbakteriums an¬ 
lagern. An sich bedeutet diese Anlagerung noch keine tiefer¬ 
gehende Schädigung der Bakterienzelle. Da aber gleichzeitig mit 
der haptophoren Gruppe die mit ihr unzertrennlich verbundene 
zymotoxische verkettet wird, so übt die letztere sofort ihre charakte¬ 
ristische Wirkung, deren Wesen Ehrlich unbestimmt läfst, das 
aber in der Haufenbildung seinen sichtbaren Ausdruck findet. 
Mit dieser Anschauung ist die Thatsache des Verschwindens der 
Agglutinine durch die Bindung derselben an die Bakterienzelle 
vollständig erklärt. Es ist aber danach ausgeschlossen, dafs 
ein Mikroorganismus in einem Serum, welches die zugehörigen 
Agglutinine in genügender Menge enthält, inagglutinabel sein 
könnte. Für ein etwaiges Fehlen der Atom grupp ierung im 
Bakterienleibe, welche zur haptophoren Gruppe pafst, liefert die 
bisherige Litteratur keine einwandfreien Beweise. Da aber ein 
solcher Mangel einzig und allein die Thatsache der Agglutinations¬ 
resistenz erklären könnte, so mufs diese Möglichkeit berück¬ 
sichtigt werden. 

Gäbe es Typhusbakterien, denen infolge irgend welcher Um¬ 
stände die zu den Agglutininen passende Gruppe fehlt, so dürften 
sie unter gar keinen Umständen agglutiniert werden. Die 
Exsudatbakterien reagieren aber auf konzentrierte Sera, und die 
in vitro resistent gemachten noch auf ganz andere Flüssigkeiten, 
wie später zu zeigen sein wird. Eine Annahme einer nur schwach 
ausgebildeten, passenden Gruppe im Bakterienkörper, die erst 
durch eine besonders starke haptophore besetzt werden kann, 
widerspricht natürlich vollständig dem Sinne der Ehrlichschen 
Theorie, die eine stärkere Serumwirkung einzig und allein durch 
eine vermehrte Anhäufung gleichkräftiger Einzelreceptoren er¬ 
klären mufs. Überdies wäre eine solche Ansicht auch mit dem 
Folgenden unvereinbar. 


Digitized by 


Google 



380 


Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 


Es wäre aber wohl denkbar, dafs die zum vollständigen 
Agglutinin verbundenen beiden Gruppen des Ehrl ich sehen 
Receptors zweiter Ordnung doch insofern unabhängig voneinan¬ 
der sind, als sie sich gegen verschiedene Eingriffe ungleich 
widerstandsfähig zeigen, dafs z. B. die Erhitzung auf 75° nur 
die zymotoxische, nicht aber die haptophore Gruppe vernichtet. 
Die letztere würde dann ihre spezifische Verwandtschaft und 
Anlagerungsfähigkeit zur entsprechenden Atomgruppierung in der 
Bakterienzelle beibehalten und diese besetzen. Ein derart be¬ 
setzter Mikroorganismus könnte durch ein neu hinzutretendes 
vollständiges Agglutinin nicht mehr beeinflufst werden: denn die 
bindende Gruppe hat er zwar, aber sie ist von dem agglutinativ 
unwirksamen Reste des Receptors zweiter Ordnung so einge¬ 
nommen, dafs sich die haptophore Gruppe eines neuen, vollstän¬ 
digen Agglutinins nicht mehr anlagern und infolgedessen auch 
die zymotoxische nicht in Wirkung treten kann. 

Wäre ein Typhusbakterium im Meerschweinchenexsudate 
oder im erhitzten Serum in dieser Weise besetzt worden, so 
könnte es thatsächlich resistent sein. Die Resistenz müfste bei 
einer Teilung und Vermehrung sofort schwinden; denn dann 
könnte natürlich von einer Besetzung der zum Agglutinin passen¬ 
den neuen Gruppen nicht mehr die Rede sein. Aber eine der¬ 
artige Bakterienzelle würde, so wie im vorher erörterten Falle, 
für immer inagglutinabel sein. Eine Ergänzung der einmal zer¬ 
störten zymophoren Gruppe könnte nicht stattfinden, weil die 
haptophore nicht die Konstruktion eines Amboceptors hat. 

Da aber thatsächlich derartige Bakterien durch konzentrierte 
oder besonders wirkende Sera (s. Serum h in Versuch LIX) zur 
Haufenbildung gebracht werden können, so ist auch diese An¬ 
nahme unhaltbar. 

Latst man aber die Anordnung der haptophoren und zymo- 
toxischen Gruppe zum Ehrlichschen Receptor zweiter Ordnung 
beiseite und schreibt den Agglutininen im wesentlichen dieselbe 
Struktur zu wie den Bakterio- und Hämolysinen, so lassen sich 
nicht nur alle beobachteten Erscheinungen befriedigend erklären 


Digitized by CjOOQle 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 387 

sondern die Versuche können auch in bestätigender Weise er¬ 
weitert werden. 

Als sicherste Anordnung für diese Versuche hat sich die 
folgende bewährt. Die Abspaltung und Isolierung der hapto- 
phoren Agglutiningruppe, des Agglutinophors, wie sie der 
Kürze halber bezeichnet werden möge, erfolgt teilweise aber un¬ 
zulänglich durch 1 stünd. Erhitzung auf 60°. Eine gänzliche 
Reindarstellung gelingt aber erst dann, wenn das Serum 1 Stunde 
lang bei 75° gehalten wird. Auf genaue Einhaltung der Tempe¬ 
ratur mufs gut geachtet werden, da bei nicht ganz sorgfältiger 
Durchführung dieser Manipulation mehrfach noch eine Spur von 
rückgebliebener Agglutinationswirkung beobachtet wurde. 

Da reines Serum natürlich mehr oder minder vollständig 
gerinnen würde, kann man nur mit Verdünnungen arbeiten, 
welche aber nicht hoch getrieben werden dürfen. Eine Verdün¬ 
nung 1 : 10 dürfte in den meisten Fällen entsprechen; sie ist 
nach dem Erhitzen opalescierend in verschieden hohem Grade. 
Die Sera, die untersucht wurden, verhielten sich in dieser Hin¬ 
sicht aus einem nicht näher zu ermittelnden Grunde keineswegs 
gleichartig. So liefs ein Typhus-Immunserum i bei 1 sjünd. Er¬ 
hitzung der Verdünnung 1:10 bereits eine Menge Eiweifs geronnen 
ausfallen, während ein Choleraserum, 1 : 5 verdünnt, gerade nur 
opalescierte. 

In dieses Serum wird nach erfolgter Abkühlung die Typhus¬ 
suspension eingetragen. Es empfiehlt sich durchaus, von dem 
erhitzten Serum, nicht wie in den bisherigen Versuchen eine ge¬ 
ringe Quantität, sondern mindestens 5 —10 ccm anzuwenden. 

Was die Menge der anzuwendenden Bakterien anbetrifft, so 
ergibt nach dem bereits Erwähnten eine einfache Überlegung, 
dafs theoretisch ebensoviel Bakterien vom Agglutinophor besetzt 
werden können, als vom nichterhitzten Serum agglutiniert werden. 
Thatsächlich könnte sogar dieses Quantum noch ohne Schaden 
um ein Geringes überschritten werden, da man, wie z. B. Ver¬ 
such LVIH zeigt, einen nicht mehr agglutinablen Überschuis 
von Bakterien zusetzen kann, welcher sich weiterhin als resistent 
erweist; daraus folgt, dafs auch im unveränderten, besonders im 

Arf hir für Hygiene. P.rt XML 26 


Digitized by CjOOQle 



3*8 


Versuche über Typhusagglutinine und «Präcipitine. 


länger aufbewahrten Serum eine gewisse Menge freier Aggluti- 
nophore vorhanden sein rnufs. Erhitztes Serum und Bakterien 
bleiben dann längere Zeit bei 37°. Viel besser aber ist es, die 
Besetzung durch Agglutinophore bei höherer Temperatur ein- 
treten zu lassen ; man hält daher die Proben — 1 Stunde im 
Wasserbade von 42 — 43°, einer Temperatur, welche Typhus¬ 
bakterien noch nicht wesentlich schädigt (Stern) und jedenfalls 
ihre Agglutinationsfähigkeit unter normalen Verhältnissen nicht 
beeinträchtigt. Das weitere Verfahren ist aus dem detailliert 
mitgeteilten Versuche LX zu ersehen. 

Dieser Versuch wurde durch das Ergebnis des als Nr. LIX 
bezeichneten veranlafst. In diesem war das eine Serum g während 
der Beobachtungsdauer für Bakterien unwirksam gewesen, die 
vorher dem Einflüsse einer auf 75° erhitzten Serum Verdünnung 
1 : 10 ausgesetzt gewesen waren, gleichgültig, ob diese Verdün¬ 
nung mit dem gleichen Serum g oder mit Serum h bereitet war. 
Hingegen hatte das Serum h überall, wenn auch beträchtlich 
verspätet, Agglutination hervorgerufen. 

Dieser Versuch mufste die Vermutung waclirufen, dafs das 
Serum h nicht nur fertige Agglutinine enthalte. Stellt man sich 
den Agglutinophor mit derselben Struktur vor, wie ihn nach 
Ehrlich der Immunkörper eines Hämolysins besitzt, so inufs 
die complementophile Gruppe des Amboceptors ergänzt werden 
können. Vorausgesetzt, dafs das Seurm h wirklich solche »Aggluti- 
nations-Complemente« oder, wie sie weiterhin genannt sein mögen, 
»Hemiagglu tin in ec enthält, so konnten sie sich mit den 
Agglutinophoren, die bereits an die Bakterien herangetreten 
waren, zu fertigen Agglutininen verbinden und Haufenbildung 
herbeiführen. 

Der exakte Nachweis der Hemiagglutinine war natürlich für 
die soeben entwickelte Anschauung von höchster Wichtigkeit. 
Gemäfs derselben durften sie selbst nicht gewöhnliche Typhus¬ 
bakterien agglutinieren, mufsten aber bei Bakterien aus erhitztem 
Serum, welche einem Immunagglutinin gegenüber resistent waren, 
Zusammenballung veranlassen. Gelang es, eine Flüssigkeit aus¬ 
findig zu machen, welche diesen Anforderungen entsprach, so 


Digitized by 


Google 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


389 


war damit der vollständige Nachweis der Übereinstimmung der 
Konstitution der Agglutinine mit der der Hämo- und Bakterio- 
lysine erbracht. 

Zunächst wurde der zufällige Befund am Serum h verwertet. 
Es gab drei Wege, hier die Hemiagglutinine, die durch Erhitzen 
naturgemäfs nicht von den Agglutinophoren zu trennen waren, 
iiufzufinden. Einmal konnte versucht werden, in der Flüssig¬ 
keit, die im Versuche LIX die mit dem Agglutinophor besetzten 
Bakterien zur Agglutination gebracht hatte, den restlichen 
Agglutiningehalt zu bestimmen. Thatsächlich ergab die Bestim¬ 
mung den gleichen Agglutinationswert wie vorher, so dafs daraus 
eine völlige Nichtbeteiligung der fertigen Agglutinine an der 
Haufenbildung der besetzten Bakterien hervorging. Aber man 
darf dieser Methode, die mühsam zu handhaben ist, kein allzu- 
grofses Vertrauen schenken. Denn die Unterschiede müssen 
hier bei der relativ kleinen Menge der in Betracht kommenden 
Bakterien so gering sein, dafs sie der Beobachtung wohl ent¬ 
gehen können. 

Die zweite Methode bestand darin, die im Serum h als frei 
vermuteten Hemiagglutinine zu binden, ehe man das Serum auf 
die mit dem Agglutinophor besetzten Bakterien einwirken läfst. 
Dies konnte wieder auf doppelte Weise geschehen: 1. durch 
Typhusbakterien, die schon vorher mit dem Agglutinophor be¬ 
laden waren (dieser Weg verdiente aus ähnlichen, wie den vor¬ 
her angeführten Gründen wenig Vertrauen und wurde daher gar 
nicht versucht); 2. durch freie Agglutinophore, in der Hoffnung, 
dafs bei Mischung von solchen mit Hemiagglutininen fertige 
Agglutinine gebildet würden, auch ohne dafs Bakterien zugegen 
sind. Das Resultat war nicht absolut ungünstig, aber auch nicht 
unzweideutig. 

Yersuch LX. 

5 ccm Serum h in der Verdünnung 1:10 werden 1 Std. auf 75® er¬ 
hitzt. Mit dieser Flüssigkeit wird der Satz aus der Suspension von zwei 
mäfsig gewachsenen Agarkulturen von Typhus übergossen und in derselben 
durch oftmaliges Aufsaugen der Flüssigkeit in einer Pipette mit enger Öffnung 
so gleichmäfsig als möglich verteilt. Die Probe wird sodann */* Std. bei 
42 — 43° gehalten, wobei keine Agglutination eintrat, hierauf verdünnt, 

26 • 


Digitized by 


Google 



390 


Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 


zur Entfernung noch vom Centrifugieren zurückgebliebener oder etwa doch 
neugebildeter Häufchen durch Fliefspapier filtriert. Wie die relativ geringe 
Trübung lehrt, wird dabei ein sehr grofser Teil der Bakterien zurückgehalten. 
Dann wird centrifugiert und der durch Abgiefsen völlig frei gemachte Boden¬ 
satz in physiologischer NaCl-Lösung auf geschwemmt. Inzwischen wurden 
folgende Verdünnungen von Serum h hergestellt: 

I. 0,1 ccm reinen Serums h -f- 0,9 ccm Serum h in Verdünnung 1:10 

1 Std. auf 75° erhitzt, 

II. 0,1 > > » > + 9,9 ccm physiologischer NaCl-Lösung, 

IH. 0,1 » > > > -f- 4,9 ccm Serum h in Verdünnung 1:10 

1 Std. auf 75° erhitzt, 

IV. 0,1 > > > > -f- 4,9 ccm physiologischer NaCl-Lösung, 

V. 0,1 ccm der Verdünnung I -f 0,9 ccm Serum h in Verdünnung 1:10 

1 Std. auf 75° erhitzt, 

VI. 0,1 > > » II —0,9 ccm physiologischer NaCl-Lösung, 

VII. 0,1 » > > III -f- 0,9 ccm Serum h in Verdünnung 1 :10 

1 Std. auf 75° erhitzt, 

VIII. 0,1 » » » IV -f- 0,9 ccm physiologischer NaCl-Lösung. 


Daraus wurden hergestellt: 
1. 8 Tr. Suspens. v. ßakt. aus Sei 


um h 1:10, 1 Std. 75° -j- 8 Tr. reines Serum h 


2. 8 » 

» > > 

> > > 

> 


> 

y 

+ 8 

> 

d. Verdünn. 1 

3. 8 > 

> > > 

i > > 

> 


> 

y 

+ 8 

> 

> 

y 11 

4. 8 » 

» > i 

> > > 

> 


> 

y 

+ 8 

» 

» 

» III 

5. 8 » 

> > > 

> > » 

» 


y 

» 

+ 8 

> 

y 

> IV 

6. 8 * 

i » > 

> > > 

> 


> 

> 

+ 8 

» 

y 

> V 

7. 8 > 

> > > 

> > > 

> 


> 

» 

+ 8 

> 

y 

» VI 

8. 8 > 

> > > 

* > » 

i 


> 

y 

+ 8 

y 

y 

> VII 

9. 8 . 

i i > 

> > » 

> 


y 

y 

+ 8 

y 

y 

> VIII 

10 8 Tropfen Suspension 

normaler 

Bakterien 


+ 8 

y 

y 

> I 

11. s 

> » 

» 


> 



+ 8 

y 

> 

> II 

12. 8 

> i 

» 


* 



+ 8 

y 

y 

> in 

13. 8 

i » 

> 


> 



+ 8 

y 

y 

> IV 

14. 8 

> > 

> 


> 



4 8 

y 

y 

» V 

15. 8 

> > 

> 


> 



+ 8 

y 

> 

> VI 

16. 8 

> > 

> 


> 



+ 8 

y 

> 

> vn 

17. 8 

> > 

> 


y 



+ 8 

y 

y 

> vin 


Nach V 4 Std. 1.—9. 0, 10., 11., 13. fast beendete, 15. weit vorgeschrittene 
Agglutination, 12. deutlicher Beginn derselben, 14., 16., 17. 0. 

Nach V, Std. 1.—9. 0. 10., 11., 12., 13., 15., 17. beendete, 14. deutlich 
beginnende Agglutination, 16. 0. 

Nach 3 /< Std. 1—9. 0. 10., 11., 12., 13., 15., 17. beendete, 14. fast be¬ 
endete Agglutination, 16. 0. 


Nach 1 Std. 1.—9. 0. 10.—15. und 17. beendete, 16. beginnende Agglu¬ 


tination. 


Nach 1V' 4 Std. 1., 2., 3., 4., 6., 8., 9. 0, in 5. und 7. deutliche kleinste 
Flöckchen in trüber Flüssigkeit sichtbar, 10.—15. und 17. beendete, 16. fast 
beendete Agglutination. 


Digitized by Google 


















Von Privatdozent I)r. Oskar Bail. 391 

Nach l 1 /* Std. 1., 2., 4., 6., 8., 9. 0. 3., 5., 7. kleine Flöckchen in 

trüber Flüssigkeit, 10.—17. beendete Agglutination. 

Das Bild bleibt weiterhin während der zweistündigen Beobachtung bei 37° 
unverändert. Die Flockenbildung in 3., 5., 7. ist nicht zu verkennen, doch kommt 
es nur zu einem unvollständigen Absetzen, und die Flüssigkeit bleibt trüb. 

In diesem Versuche wirkt nur das Eine störend, dafs von 
dem mit Kochsalzlösung verdünnten Serum h noch eine gewisse 
Wirkung auf die mit dem Agglutinophor beladenen Typhus¬ 
bakterien ausgeübt wurde, während das reine Serum wirkungslos 
blieb. Von Interesse ist aber weiter, dafs auch normale Bakterien 
in einer Serumverdünnung, welche im Überschul’s isolierte 
Agglutinopbore enthält, viel weniger beeinflufst werden als durch 
die gleich starke, mit Kochsalzlösung hergestellte Verdünnung. 
Dieses, ganz auffallend an die von Neisser und Wechsberg 
aufgeklärten, paradoxen Verhältnisse bei den bakteriolytischen 
Seris erinnernde Verhalten wiederholte sich mehr oder weniger 
deutlich auch in den späteren Versuchen. 

Schliefslich war es noch möglich, die Wirkung der etwa vor¬ 
handenen freien Hemiagglutinine durch Erhitzen zu beseitigen. 
.Denn aus dem Umstande, dafs ein auf 60° erwärmtes Serum 
bereits eine- gewisse Menge von Agglutinophoren frei werden 
läfst. geht mit Wahrscheinlichkeit hervor, dafs die ergänzenden 
Hemiagglutinine diese Temperatur nur schlecht vertragen. In 
der That erwies sich auch ein reines, auf 60° 1 Stunde lang 
erhitztes Serum absolut unfähig, Bakterien, die mit dem Aggluti¬ 
nophor besetzt waren, zur Haufenbildung zu bringen. 

Von weit gröfserer Bedeutung als die Versuche, in hoch¬ 
wertigem Immunserum freie Hemiagglutinine nachzuweisen, waren 
die Bemühungen, sie in 'normalen, womöglich an sich gar nicht 
agglutinierenden Flüssigkeiten festzustellen. 

In der That gelang es manchmal, durch normales Serum 
von Meerschweinchen, das an sich nicht agglutinierte, ein sonst 
für mit Agglutinophoren beladene Typhusbakterien inaktives 
Serum wirkungsvoll zu ergänzen. 

Versuch LXf. 

Bakterien in der gewöhnlichen Weise mit auf 75° erhitztem Serum eil 
behandelt. Zugesetzt aufser reinem Serum gl noch ein Meerschweinchen- 
serum, das weder makroskopisch noch mikroskopisch agglutinierte. 


Digitized by CjOOQle 



392 Versuche über Typhusagglutinine und Präcipitine. 

1. 5 Tropfen Bakteriensuspension aus auf 75° erhitztem Serum + 5 Tropfen 
Na CI Lösung 5 Tropfen reines Serum gll, 

2. 5 Tropfen Bakteriensuspension aus auf 75 0 erhitztem Serum -f- 5 Tropfen 
Meerschweinchenserum -f- 5 Tropfen reines Serum gll, 

3. 5 Tropfen Suspension normaler Bakterien \~ 5 Tropfen Na Cl-Lösung -(- 
5 Tropfen reines Serum gll, 

4. 5 Tropfen Suspension normaler Bakterien + 5 Tropfen Meerschweinchen* 
Serum + 5 Tropfen reines Serum gll. 

Nach V 4 Std. ist in 3. und 4. weitvorgeschrittene Agglutination zu kon* 
statieren, die nach 7* Std. unter völliger Klärung der Flüssigkeit beendet ist. 

Nach a / 4 Std. beginnt in 2. Agglutination, die rasch fortschreitet und 
nach 1 Std. beendet ist; 1. bleibt trübe. 

Ein solches Resultat war aber nicht häufig; viel besser 
wirkte das Peritonealexsudat von Meerschweinchen, wie es durch 
eine vorhergehende Injektion von Bouillon oder noch sicherer 
von Typhuskultur erzielt wurde. Die Entnahme des Exsudates 
mufs, in letzterem Falle besonders, bald nach der Einspritzung 
erfolgen, da sonst das Auftreten inagglutinabler Bakterien auf 
reichliche Entstehung von freien Agglutinophoren hinweist. 

Versuch LXII. 

Gewaschene Bakterien von zwei Agarkulturen werden mit 10 ccm 110 
verdünntem, 1 Std. auf 75° erhitztem Serum hl s /4 Htd. bei 42—43° ge 
halten. Hierauf wird verdünnt, filtriert, centrifugiert, abgegossen und in 
wenig physiologischer Na Cl-Lösung aufgeschwemmt. Inzwischen hatte Meer¬ 
schweinchen 91 5 ccm gewöhnlicher steriler Bouillon, Meerschweinchen 92 
5 ccm Kochsalzlösung und V* Typhusagarkultur erhalten. Beide Tiere wurden 
1 7 j Std. später durch Verbluten getötet. Nr. 91 lieferte fast 7 ccm mäfsig roten 
Exsudates, das nach dem Centrifugieren klar und nur wenig gelblich gefärbt 
ist. Der Satz besteht aus roten und weifsen, meist zu Klumpen vereinigten 
Blutkörperchen. Nr. 92 gibt ca. 4 ccm trüben, wenig roten Exsudates, das 
nach dem Centrifugieren fast wasserhell ist, und einen aus roten, einigen 
weifsen Blutkörperchen und massenhaften Typhusbakterien bestehenden Satz 
hat. Es werden folgende Proben hergestellt: 


1. 

5 Tr. Suspens. v. Bakt. 
aus Serum hl 1^75° 

► 5 Tr. Serum h I conc. + 5 Tr. Na Cl-Lösung 

2. 

do. 

+ 5 

> > 

> > 

+ 5 

> Exsudat v. Nr. 92 

3. 

do. 

+ 5 


> > 

+ 5 

> Exs v.Nr.92 */ 3 b 

4. 

do. 

+ 5 

> > 

9 9 

+ 5 

» Exs. v. Nr. 91 

5. 

do. 

+ 5 

» > 

I > 

+ & 

> > > » VjhBO 0 

G. 

do. 

+ ft 

9 9 

t 1:10 

+ 5 

» Na Cl-Lösung 

7. 

do. 

+ & 

» > 

> » 

+ 5 

> Exs. v. Nr. 92 

8. 

do. 

+ 5 

» 9 

> > 

+ 5 

> » » » 7,1*60° 

9. 

do. 

+ 5 

> 9 

> 9 

+ 6 

> Exs. v. Nr. 91 

10. 

do. 



9 > 

f •' 

t > > » 1 ,l» 00° 


Digitized by v^.ooQle 






Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


898 


11. 5 Tr. Suspens. 
aus Serum hl 

V ih 75 *;} 4- 5 Tr. NaCI-Lösung + 5 Tr. Kxs. v. Nr. ‘.>2 

12. do. 

+ 5 » * +5 

» > » > 7,h 00° 

13. do. 

+ 5 » > + 5 

y Kxs. v. Nr. 91 

14. do. 

+ 5 » » +5 

» * » * 7,h 60° 

15. 5Tr. Suspens. norm.Bakt.5 Tr. Serum h I 1:10 —f> Tr. Na Cl-Lösung 

10. 5 > 

> » -f 5 » » » >+5 

> Exs. v. Nr. 92 

17. 5 » 

> > -f- 5 » > » > + 5 

> » > > 7,h 60° 

18. 5 > » 

» » -f- 5 » > > > + 5 

y Exs. v. Nr. 91 

19. 5 > 

» » + 5 > > > > -f- 5 

> > > > 7 2* 1 80° 

20. 5 > 

» » -f- 5 Tr. Na Cl-Lösung -f- 5 

y Exs. v. Nr. 92 

21. 5 » » 

» >-J-5» » -f- 5 

» > > > 7,h 60° 

22. 5 > > 

» » -f- 5 > » 

» Exs. v. Nr. 91 

23. 5 > 

» > -j- 5 

> * y y 7ä h 90° 


Nach */ 4 Std. Deutliche Agglutination in 2. und 4., weit vorgeschritten 
in 15.—19. 


Nach 7t Öld. 15.—19. vollendete, 2. und 4. weit vorgeschrittene Agglu¬ 
tination ; deutlicher Beginn derselben in 7., unsicherer in 9. Sonst keine 
Beeinflussung. 

Nach 3 ' 4 Std. 2. und 4. beendete, 7. weit vorgeschrittene, 9. deutliche 
Agglutination. 

Nach 1 Ski. 2., 4., 7., 9. beendete oder fast beendete Reaktion; schwacher 
Beginn derselben in 3., 5., zweifelhafter in 8 Deutliche Agglutination in 11. 

Nach 1V 4 Std. 2., 3., 4., 7., 8., 9. beendete, in 11. und 18. weit vor¬ 
geschrittene Agglutination. 

Nach 17, Std. Wesentlich unverändert bis auf 22., wo schwacher Be¬ 
ginn der Haufenbildung zu konstatieren ist. 

Nach l 3 / 4 Std. Wesentlich unverändert. 

Nach 2 Std. Zur Zeit des Abbruches fehlt jede Reaktion in 1., 5 , 6., 
10., 14., 20., 21., 23. Beendet, aber mit leichter zurückgebliebener Trübung 
der obenstehenden Flüssigkeit ist die Agglutination in 2., 3., 4., 7., 8., 9 , 
11. und 13., in deutlicher Ausbildung in 12. und 22. Vollständige Klärung 
mit Satzbildung ist in den Kontrollen 15.—19. vorhanden. 


Yersuch LXIII. 

In genau gleicherweise wie der vorige, mit den Exsudaten der gleichen 
Meerschweinchen angestellt. Die verwendeten Bakterien waren aber der 
Einwirkung eines l: 10 verdünnten, 1 Std. bei 75° erhitzten Serums gl aus¬ 
gesetzt. Bezeichnung ist die gleiche wie im vorigen Versuch, die Kontrollen 
20.—23. gelten auch hier, in den Proben 1.—1!>. ist statt Serum hl Serum gl 
einzusetzen. 

Nach 7-t Std. Undeutlich beginnende Agglutination in 2., weit vor¬ 
geschrittene in 15.—19. 

Nach V s Std. In 15.—19. beendete Agglutination, in 2. immer noch 
undeutlich. 

Nach 3 / 4 Std. In 2. weit vorgeschrittene, in 4. undeutliche Agglutination. 
Sie beginnt sicher in 7. und 11., zweifelhaft in 9. 


Digitized by v^.ooQle 






394 


Versuche über Typhusagglutinine und -Pr&cipitine. 


Nach 1 Std. In 2., 7., 11. weit vorgeschrittene, in 4., 9 deutliche, in 
8. und 12. zweifelhafte Agglutination. 

Nach l»/ 4 Std. In 2., 4., 7., 9., 11. beendete, in 3. und 8. deutliche 
Agglutination. Weiterhin nicht wesentlich verändert. 

Nach 2 Std. Zur Zeit des Abbruches der Beobachtung ist in 1., 5., 6., 
10., 13. und 14. keine Veränderung eingetreten, tadellos, d. h. unter voll¬ 
ständiger Klärung der obenstehenden Flüssigkeit ist die Agglutination be¬ 
endet in 2., 7., 11., 15.—19. Abgesetzt, aber mit Trübung der obenstehenden 
Flüssigkeit, sind die Proben 4., 8., 9. Unvollständig ist die Reaktion in 
3. und 12. 


Versuch LXIY. 


Zur Verwendung kommt ein frisches, bis 1:5000 agglutinierendes 
Typbusserum i, in dessen 1 Std. auf 75° erhitzter Verdünnung 1:10 der 
Satz von drei schwachen Typhusagarkulturen */a Std. bei 42° gehalten wird 
(10 ccm Gesamtfltissigkeit). Hierauf Herstellung der Proben, ähnlich wie 
beim vorigen Versuche, mit dem centrifugierten Exsudate zweier Meer¬ 
schweinchen, von denen das eine (Nr. 85) 5 ccm stärkehaltiger Bouillon, das 
andere (Nr. 86) eine schwache Typhusagarkultur in 5 ccm physiologischer 
Kochsalzlösung intraperitoneal erhalten hatte. 8ie wurden 2 Std. nach der 
Injektion verblutet. 

L au^Serum"! } + 5 ^ Serum 1 conc + & Tr. NaCl-Lösung 

+ & 

+ 5 
+ 5 
+ 5 


2 . 

3. 

4. 

5. 

6 . 

7. 

8 . 

9. 

10 . 

11 . 


do. 

do. 

do. 

do. 

do. 

do. 

do. 

do. 

do. 

do. 


+ 5 
+ 5 
+ 5 
+ 5 
+ 5 
+ 5 


1 : 10 


+ 5 
+ 5 
+ 5 

> +5 

> + 5 

100+5 
* +5 

» + 5 

NaCl-Lösung +5 

, +5 


Exsudat von Nr. 
> > > 
Na Cl-Iiösung 
Exsudat von Nr. 


86 

85 


86 

> » > 85 

Na CI-Lösung 
Exsudat von Nr. 86 

» > > 85 

9 9 9 86 

> » > 85 


Die Zahlen 12.—22. bezeichnen die entsprechenden Kontrollproben mit 
einer Aufschwemmung von normalen Typhuabakterien. 

Nach 1 / A Std. 12.—20. weit vorgeschrittene Agglutination, sonst keine 
Wirkung. 

Nach '/ 2 Std. 12.—20. beendete Agglutination. Deutlicher Beginn ist 
zu sehen in 10. und 22. 

Nach 3 /i Std. Aufser den abgesetzten Kontrollproben 12.—20. ist in 
5., 8., 10. und 22. deutliche Agglutination wahrzunehmen. 

Nach 1 Std. ist in 5., 8., 10, 22. die Agglutination beendet oder fast 
beendet und beginnt undeutlich in 21. 

Nach V/ 4 Std. ist die Flockenbildung in 21. noch stärker geworden, 
dabei aber ist die Flüssigkeit trüb. 

Nach l'/s Std. beginnt Flockenbildung bei 2. 

Nach l 3 / 4 Std. ist nichts Wesentliches verändert. 


Digitized by v^.ooQle 






Von Privatdozent Dr. Oskar Rail. 


395 


Nach 2 Std. Zur Zeit des Abbruches der Beobachtung ergibt sich 
folgendes Resultat: In 1., 3., 4., 6., 7., 9., 11. ist jede Reaktion ausgeblieben, 
in 2., 5., 8, 10., 12.—22. ist die Reaktion vollendet, oder die obenstehende 
Flüssigkeit doch nur unbedeutend trüb. 

Der Versuch LXIV zeigt aufs deutlichste, dafs Ergänzungs- 
fähigkeit für Agglutinophore und Agglutinationskraft für eine 
Flüssigkeit ganz verschiedene Dinge sind. Das Exsudat des Meer¬ 
schweinchens 85 hat nach Einspritzung stärkehaltiger Bouillon 
unzweideutig eine beträchtlich agglutinierende Wirkung, da es 
schon nach */ 2 Stunde normale Bakterien zusammenballen konnte. 
Hingegen vermochte es die mit dem Agglutinophor besetzten 
Bakterien weder für sich allein (Probe 11), noch in Verbindung 
mit dem Immunserum i (Probe 3, 6, 9) zu agglutinieren-; es ent¬ 
hielt also wahrscheinlich gar keine freien Hemiagglutinine. Im 
Gegensatz dazu brachte das Exsudat des mit Typhus inficierten 
Meerschweinchens normale Bakterien (Probe 21) erst nach 1 Stunde 
undeutlich zur Flockenbildung, solche, die mit Agglutinophoren 
besetzt waren (Probe 10) für sich allein nach J / 2 Stunde, mit Ver¬ 
dünnungen des Immunserums zusammen nach % Stunden zur 
Agglutination. 

Die interessante Erscheinung, dafs Hemiagglutinine allein 
frühzeitig, in Verbindung mit verdünntem Immunserum später, 
und erst ganz zuletzt mit reinem Immunserum wirkten, ist vor¬ 
läufig nicht zu erklären, gehört aber jedenfalls auch in den Kreis 
jener merkwürdigen Befunde, um deren Aufhellung sich die 
Ehrlichsche Theorie und die Neisser-Wechsbergsche 
Arbeit so verdient gemacht haben. 

In der Regel enthalten Meerschweinchenexsudate neben¬ 
einander Hemiagglutinine und fertige Agglutinine. Dafs erstere 
nicht spezifisch sind, geht schon aus ihrem Vorkommen im nor¬ 
malen Organismus unzweideutig hervor. 

Versuch LXIII zeigt ferner, dafs sie Temperaturen von 60° 
nicht mehr gut ertragen, wenn sie auch durch dieselben zu¬ 
nächst nicht vollständig zerstört zu werden brauchen. 

Versuch LXV. 

Eine Verdünnung des Serums gl 2:14 (also lb ccm) wird 1 Std. auf 
75° erhitzt. Dann wird damit der gewaschene Satz von drei Agarkulturen 


Digitized by 


Google 



396 


Versuche* über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 


übergossen, die so gleichmäfsig als möglich verteilte Aufschwemmung V, Std. 
bei 42— 43° gehalten, hierauf filtriert, centrifugiert, und aus dem Satze mit 
wenig physiologischer Kochsalzlösung eine dichte Aufschwemmung bereitet. 

Inzwischen hatten die beiden Meerschweinchen 93 und 94 eine intra¬ 
peritoneale Injektion von 5 ccm Bouillon bezw. 5 ccm NaCl-Lösung und eine 
Typhusagarkultur erhalten und waren 5 / 4 Std- später verblutet werden. 93 gab 
5 ccm farblosen, wenig trüben Exsudates, 94 kaum 3 ccm heller, aber trüber 
Flüssigkeit, so dafs die Bauchhöhle noch mit 2 ccm Na Cl-Lösung ausgespült 
und das Spülwasser mit dem Reinexsudate vereint werden raufste. Beide 
Exsudate wurden zur vollen Klarheit centrifugiert und, wie folgt, verwendet: 


1 } + 5 T, * I CO«. + 5 •!>. S. CI.T*.n, 


2. 



do. 


+ 5 . 

> > 

+ 5 

» Exs. v. Nr. 94 

3. 



do. 


+ 5 , 

> > 

+ 5 

> » y y */ 2 ü 60“ 

4 



do. 


+ 5 . 

y y 

+ 5 

» > » » lh60* 

5. 



do. 


+ & > 

y y 

+ 5 

» » » Nr. 93 

6. 



do. 


+ 5 . 

> > 

4 5 

* y y y */ a h 60“ 

7. 



do. 


+ 6 . 

> » 

+ 5 

» » , , lb 60° 

8. 



do. 


+ 5 . 

Na Cl-Lösung 

+ 5 

> » > Nr. 94 

9. 



do. 


+ 5 , 

> 

+ 5 

» > * > Vjh60° 

10. 



do. 


+ 5 . 

> 

+ 5 

» > y y lh 60° 

11. 



do. 


+ 5 , 

> 

+ 5 

> > > Nr. 93 

12. 



do. 


+ 5 . 

» 

+ 5 

y y y y */ 2 b f>()° 

13. 



do. 


+ 5 . 

y 

+ 5 

> > » * \h 60° 

14. 5 Tr. Susp. normaler Bakt 

+ 5 Tr. 

Serum gl cone. 

4- 5 Tr. NaCl-I-rösung 

15. 5 

y 

> 


> > 

+ 5 . 

t > 

+ 5 

> Exs. v. Nr. 94 

16. 5 

y 

> 


» y 

+ 5 » 

> > 

+ 5 

> > > i lh60° 

17. 5 

> 

> 


y > 

+ 5 > 

> y 

+ 5 

> > > Nr. 93 

18. 5 

> 

> 


> > 

+ 5 , 

y y 

+ 5« 

» > > » lb 60° 

19. 5 

y 

> 


> > 

+ 5 , 

NaCl-Lösung 

+ 5 

> > y Nr. 94 

20. 5 

> 

> 


» y 

+ 5 . 

> 

+ 5 

> » > > y* h e>o° 

21. 5 

y 

> 


y y 

+ 5 . 

* 

+ 5 

> » > > lb 60° 

22. 5 

y 

> 


y y 

+ 5 . 

y 

+ 5 

> > » Nr. 93 

23. 5 

> 

> 


y » 

+ 5 . 

y 

+ 5 

» » » > l /* h 60° 

24. 5 

> 

y 


y > 

+ 5 . 

y 

+ & 

y » > » lb 60° 


Nach 

y 4 Std. sind die 

Proben 

14. — 18. fast vollständig agglutiniert, in 


2. und 8. ist bereits sehr deutliche Haufenbildung sichtbar. 

Nach */i $td. Wesentlich ebenso. 

Nach 3 /< Std. Ebenso. 

Nach 1 Std. 2. beendet, aber mit leichter Trübung der obenstehenden 
Flüssigkeit; in 3. und 11. undeutlicher Beginn, 8. Ende der Agglutination; 
in 22. beginnt deutliche Haufenbildung. 

Nach 1 1 4 Std. In 3. noch immer zweifelhafte, in 11. und 22. weit vor¬ 
geschrittene, in 19. eben beginnende Agglutination. 

Nach l*/ s Std. Beginnt Flockenbildung auch in 9. und 10., 19. und 22. 
haben Flocken in trüber Flüssigkeit entstehen lassen. 

Nach l 3 / 4 Std. Wesentlich unverändert. 


Digitized by Google 














Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


397 


Nach 2 Std. Zur Zeit des Abbruches der Beobachtung war in 1., 4., 

5., 6., 7., 12., 13., 20., 21., 23. und 24. keine Reaktion eingetreten, in 2., 9., 

10., 11., 19., 22. ist viel Bakterienmaterial flockig abgesetzt, die obenstehende 
Flüssigkeit aber trübe, in 3. ist eben ein Absetzen in der dicht trüben 
Flüssigkeit merkbar, 8., 14.—18. zeigen vollständig geklärte Flüssigkeiten. 

Die Prüfung der Meerschweinchenexsudate im hängenden 
Tropfen mit normalen Bakterien hatte ergeben, dafs das von 
Nr. 93 noch bei der Verdünnung 1 : 25 ziemlich vollständig, das 
von Nr. 94 gerade noch bei 1 : 10, nicht mehr bei 1 : 25 aggluti- 
nierte. Damit stimmt das frische Auftreten der Flockenbildung 
in Probe 22, das verspätete in 19 genau überein. Gerade um¬ 
gekehrt verhalten sich beide Exsudate gegen Bakterien, die mit 
dem Agglutinophor beladen waren, und bei gleichzeitigem Zusatz 
von Exsudat und Serum versagte das Exsudat von 93 ganz. 
Die Übereinstimmung mit dem Ergebnisse des vorigen Versuches 
ist also eine weitgehende; auch hier mufs man im Exsudate des 
typhusinficierten Tieres einen relativ hohen, in dem des nor¬ 
malen Tieres einen sehr geringen Gehalt an freien Hemiaggluti- 
ninen annehmen. 

Auch die Thatsache, dafs Hemiagglutinine allein ebensogut 
oder noch besser als in Verbindung mit Immunserum den Agglu¬ 
tinophor ergänzen, tritt hier, besonders beim Exsudate des Meer¬ 
schweinchens 93 wieder auf. 

Aber das Resultat änderte sich, als bei Anwendung der 
gleichen Meerschweinchenexsudate das durch Immunisation eines 
Kaninchens mit Exsudatbakterien erhaltene Serum hl benutzt 
wurde. 

Versuch LXYI. 

Die Bezeichnung ist, bis auf den Umstand, dafs statt Serum gl überall 
Serum hl zu setzen ist, die gleiche wie im vorigen Versuche. Die Kon¬ 
trollen 19.—24. gelten auch hier. (Beide Versuche wurden, ebenso wie der 
folgende, am selben Tage angestellt.) 

Nach '/* Std. Deutliche Agglutination in 2. und 5., fast beendete in 
14—18. 

Nach */ a Std. Ebenso, in 14.—18. vollständige Klärung der Flüssigkeiten. 

Nach a / 4 Std. 2. und 5. fast beendeter Absatz, aber bei noch trüber, 
obenstehender Flüssigkeit. In 8. ist deutlicher, in 3. und 11. undeutlicher 
Beginn der Agglutination wahrzunehmen. 

Nach 1 Std. Entsprechend weiter vorgeschritten. 


Digitized by 


Google 



398 


Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 


Noch 1V 4 Std. Agglutination beginnt auch in 9., vielleicht in 10. 

Nach 17a Std. Beginn der Haufenbildung in 4., deutliche Reaktion in 
9. und 10. 

Nach l s / 4 Std. Wesentlich ebenso. 

Nach 2 Std. Fehlt jede Reaktion in 1., 6., 7., 12., 13. Vollständige 
Agglutination mit Klärung der obenstehenden Flüssigkeit ist eingetreten bei 
8., 11. und 14.—18. Absetzung in Flocken bei trüber Flüssigkeit zeigt sich 
in 2., 3., 4., 5., 9., 10. 

Hier hatte sowohl das Exsudat des normalen wie das des 
typhusinficierten Meerschweinchens ungefähr gleichzeitig die mit 
dem Agglutinophor des Serums hl beladenen Bakterien zur 
Agglutination gebracht, woraus sich ein ungefähr gleich hoher 
Gehalt an Hemiagglutinin ergeben würde. Nur daraus, dafs die 
Erhitzung auf 60° das normale Exsudat jeder ergänzenden Fähig¬ 
keit beraubt hatte, während dieselbe im Typhusexsudate noch 
teilweise erhalten war, ergibt sich gleichwohl der gröfsere Gehalt 
an Hemiagglutinin für das Typhusmeerschweinchen. 

Auch der Umstand, dafs diesmal, ungleich dem vorigen 
Versuche, Exsudat und Immunserum schneller gewirkt hatte als 
Exsudat allein, wird wieder ausgeglichen durch das vollständige 
Auftreten der Agglutination bei letzterer, das sehr unvollständige 
bei ersterer Flüssigkeit. 

Vermutlich ist es der geringfügige Eigengehalt des Serums hl 
an Hemiagglutininen, der diese Unregelmäfsigkeit bedingt. Jeden¬ 
falls liegt die Schuld nicht an einer Verschiedenheit der Agglu- 
tinophore in den beiden Seris hl und gl, wie der folgende 
Versuch es deutlich macht. 


Versuch LXVII. 


Exsudate der gleichen beiden Meerschweinchen wie vorher. 

L ftu^Senim'gi } + 5 Tr Serum h 1 <-onc - + 5 Tr Na CI Lösung 


2. do. -f- 5 > 

3. do. +5 * 

4. do. Serum h 1 —|— 5 > 

5. do. -)- 5 * 

8. do. -|- 5 » 


> > > -f" 5 > Exsudat v. Nr. 94 

» » >-(-5» » >»93 

> gl > -f-5 > NaCl-Lösung 

> > , 5 » Exsudat v. Nr. 94 

» » , 5 » > > > 93 


I>ie entsprechenden Kontrollen siche in Versuch LXV und LXVI. 


Digitized by CjOOQle 




Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


399 


1 

•/, h 

t 

< a h 

3 u h 

i 1» 

17.“ 

e/,1- 

17.“ 

2h 

i; 

! 0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

2 

| Weit vor* 
geschritt. 

Fast 

beendet 

Beendet 

— 


— 

— 

Wolkiger 
Satz,dabei 
deutlich 

3 

Weit vor- 

Fast 

Beendet 

— 

1 — 

— 

— 1 

trüb 

1 

| 

geschritt. 

beendet 

i 






4 i 

0 

0 , 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

5 

Deutlicher 
| Beginn 

Weit vor* j Fast 

1 geschritt. i beendet 

Beendet 

Trüb 

beendet 

— 

— 

Satz mit 
* starker 

6 i 

! 

0 

0 

0 

Weit vor- 
geschritt. 

Flocken 
daneben 
ganz triib 


“ ! 

1 

Trübung 


Abgesehen von der erst sehr verspätet aufgetretenen und 
sehr unvollständig gebliebenen Agglutination in der sechsten Probe 
herrschen somit absolut die gleichen Verhältnisse wie in den 
Versuchen LXV und LXVI. 

Wie bereits bemerkt, beweist das Vorkommen von freien 
Hemiagglutininen im Exsudate wie auch im Serum normaler 
Meerschweinchen bereits deutlich, dafs es sich hier um regel- 
mälsig im Körper vorhandene, nicht spezifische Stoffe handelt. 
Dafs dieselben auf einen spezifischen Anstois hin stärker kon¬ 
zentriert in Körperfiüssigkeiten auftreten, beweist nur, dals sie 
sehr leicht im Organismus mobilisiert werden können. 

Ihre relativ geringe Hitzebeständigkeit geht aus den aus¬ 
führlich wiedergegebenen Versuchen ebenfalls klar hervor: schon 
eine halb-, noch mehr eine einstündige Erhitzung auf 60° 
schädigt sie schwer. Vernichtet werden sie bei solchen Tempe¬ 
raturen nicht vollständig, was schon durch die relative Bestän¬ 
digkeit eines, wesentlich vollständige Agglutinine enthaltenden 
Immunserums von vornherein wahrscheinlich war. 

Hingegen handelt es sich bei den Agglutinophoren, soweit 
dies untersucht werden konnte, um streng spezifische Körper. 

Auch Choleravibrionen lassen sich, wie vorher bemerkt 
werden mufs, durch Aulenthalt in einem zugehörigen, auf 75° 
erwärmten Immunserum gegen die in dem unveränderten ent¬ 
haltenen Agglutinine unempfänglich machen. Doch scheint, wie 


Digitized by 


Google 



400 


Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine. 


aus den bereits Seile 366 erwähnten Tierversuchen hervorgeht 
die Spaltung der Agglutinine in ihre beiden Anteile und die 
Produktion der freien Agglutinophore hier schwerer zu erfolgen 
als bei Typhus. Immerhin gelang es durch Einwirkung von 
möglichst wenig verdünntem, hochwertigem, 1 Stunde auf 75° 
erhitztem Immunserum Choleravibrionen absolut inagglutinabel 
zu machen. 

Versuch LX1X. 

Choleraserum (im hängenden Tropfen noch bei 1:10000, nur noch 
unvollständig bei 1:12500 agglutinierend) im Verhältnisse 1:5 verdünnt, 
wird 1 Std. auf 75° erhitzt. Mit 5 ccm dieser Flüssigkeit wird der Satz von 
zwei gewaschenen Agarkulturen übergossen, Vs Std. bei 42 — 43° gehalten 
und in der üblichen Weise filtriert, centrifugiert und in wenig Na CI*Lösung 
aufgenommen. 

1. 10 Tr. Vibrionensusp. aus Iromunserum l h 75° + 10 Tr. Cboleraserum conc. 


2. 10 > 

» > » > 

+ 10 > 

> 

1:10 

3. 10 > 

* > > > 

+ 10 > 

9 

1:50 

4. 10 > 

Suspension normaler Vibrionen 

+ 10 » 

> 

conc. 

5. 10 > 

i > i 

+ 10 » 

9 

1 : 10 

G. 10 » 

> > > 

+ 10 > 

> 

1:50 


Nach V« Std. beginnt deutliche Agglutination bei 4. und 5., ist nach 
V, Std. in allen drei Kontrollproben weit vorgeschritten und nach 1 Std. 
beendet. 


Die Proben 1.—3. bleiben während der zweistündigen Beobachtungs¬ 
dauer und auch noch 3 Std. nachher, bei 37 0 aufbewahrt, gleichmäfsig trüb. 

Mit diesem Choleraserum wurde die Spezifität der Agglutino¬ 
phore und der durch sie veranlafsten Inagglutinabilität geprüft. 

Versuch LXX. 

Cboleraserum, im Verhältnis 1:7,5 mit physiologischer NaCl-Lösung 
verdünnt, wird 1 Std. lang auf 75° erhitzt. Je 5 ccm dieser Flüssigkeit 
werden zu dem Satze von je zwei centrif agierten Agarkulturaufschwemmungeo 
von Typhus und Cholera gegeben, und die Suspensionen je V* Std. bei 
42- 43° gehalten. Hierauf werden in der üblichen Weise Suspensionen 
hergestellt. 


1. 5 Tr. Typhussusp. 

aus 

lh 75° 

erhitzt. Choleraser. + 5 Tr. Typhusser. g conc 

2. 5 » 

i 

> 

> 

> 

+ 6 

» » 1.10 

3. 5 » 

> 

» 

> 

> 

+ 5 

> Choleraserum conc. 

4. 5 > 

> 

> 

> 

9 

+ 6 

> » 1:10 

5 5 > Cholerasusp. 

> 

> 

> 

9 

+ 5 

9 Typhusser. g conc. 

G. 5 » > 

> 

> 

> 

9 

+ 5 

> > 1 :10 

7. 5 » > 

> 

> 

> 

9 

+ 6 

> Choleraserum conc. 

N. 5 > » 

> 

> 

> 

i 

+ 5 

> > 1:10 


Digitized by v^.ooQle 








Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


401 


9. 5 Tr. Suspension 

normaler Typbusbakterien 

5 Tr. Typhusseruni 

eonc 

10. 5 

> > 

> 

> 

+ 5 > » 

1 : 10 

11. 6 

> > 

> 

> 

-f- 5 > Choleraserum 

conc. 

12. 5 

> > 

> 

> 

-J- 5 > > 

1:10 

13. 5 

> > 

» 

Choleravibrionen 

-+- 5 > Typhasserum 

conc. 

14. 5 

> > 

> 

» 

+ 5 > 

1 : 10 

15. 5 

> > 

> 


-4- 5 » Choleraserum 

conc. 

16. 5 

> > 

> 

» 

+ 5 > 

1 : 10 


Nach V 4 Std. Weit vorgeschrittene Agglutination in 1., 2., 9., 10., 15., 16. 
Deutlicher Beginn in 3. und 11. 


Nach l /i Std. Vollständig beendete Agglutination in 1., 2., 9., 10., 15., 
16. Weit vorgeschrittene in 3. und 11. Deutlicher Beginn in 4. und 12. 

Nach 3 / 4 Std. ist die Reaktion auch in 3. und 11. ganz, in 4. und 12. 
fast ganz beendet. Weiterhin tritt während der zweiten Beobachtungsdauer 
keine Veränderung ein. 

Der Versuch ist besonders aus dem Grunde lehrreich, weil 
hier das Choleraserum gleichzeitig Typhusbakterien agglutinierte. 
Die Untersuchung im hängenden Tropfen mit Typhusbouillon 
ergab noch vollständige Haufenbildung bei 1 :50, sehr unvoll¬ 
ständige bei 1 : 75. Wahrscheinlich handelt es sich hier um 
einen jener durchaus nicht seltenen Fälle, wo bereits normales 
Kaninchenserum Typhusbakterien agglutiniert; allerdings ist diese 
Fähigkeit hier aufserordentlich stark. Die Konzentration dieser 
normalen Typhusagglutiniue war aber viel zu gering, um durch 
Spaltung bei 75° genügend Agglutinophore zur Besetzung der 
grofsen Menge eingetragener Bakterien hervorzubringen. Die 
Folge davon war, dafs selbst so relativ unbedeutende aggluti- 
uative Effekte, wie sie das Choleraserum auf Typhus ausübte, 
bei den im erhitzten Cholera-Immunserum gewesenen Typhus¬ 
bakterien gerade so deutlich sichtbar wurden wie bei normalen. 
Dieser Beweis für die spezifische Wirkung der Agglutinophore 
erschien so schlagend, dafs weitere Versuche nicht mehr angestellt 
wurden. Durch die Fähigkeit eines auf 75° erhitzten Cholera¬ 
serums, in dem erst Typhusbakterien bei 42° verweilt hatten, 
nunmehr noch Choleravibrionen inagglutinabel zu machen, würde 
sich ein weiterer Beweis wohl unschwer erbringen lassen. 

Der grofse Umfang, den die Untersuchungen bereits ange¬ 
nommen hatten, machte eine weitere Ausdehnung derselben 


Digitized by CjOOQle 





402 


Versuche (Iber Typhusagglutinine und -Prftcipitine. 


einerseits auf andere als die benutzten Typhus- und Cholera 
Stämme, anderseits auf andere Bakterienarten für den Einzelnen 
unmöglich. Namentlich die Untersuchung der Coli-Iinmunsera 
hätte viel des Interessanten versprochen, besonders in der Hin¬ 
sicht, ob die verschiedene Wirksamkeit eines Serums gegen ver¬ 
schiedene Colistämme auf einer Verschiedenheit der agglutino- 
phoren Gruppen beruht. 

Immerhin berechtigen die angestellten Versuche zur Zu¬ 
sammenfassung folgender Sätze: 

1. Die Agglutinine des Typhus-Immunserums sind keine 
einheitlichen Körper, wie man bisher angenommen hat. 

2. Ihre Konstitution setzt sie vielmehr in vollkommene 
Analogie mit den Bakterio und Hämolysinen. 

3. Wie diese bestehen sie aus einem spezifisch wirksamen 
Anteile, dem Agglutinophor, der von dem zweiten, nicht spezi¬ 
fischen, dem Hemiagglutinin durch Erwärmen eines Serums auf 
75° getrennt werden kann. 

4. Die von Ehrlich zuerst auf die Agglutinine angewendete 
Zweiteilung ihrer Wirkung in den Effekt einer haptophoren und 
einer zymotoxischen Gruppe trifft vollständig zu und entspricht 
der Agglutinophor der haptophoren, das Hemiagglutinin der 
zymotoxischen Gruppe Ehrlichs. 

5. Wie in allen bisher aus der Immunitätslehre bekannten 
Fällen, ist auch hier die Wirksamkeit der haptophoren Gruppe 
zunächst eine unsichtbare. Sie vermag sich mit dem zugehörigen 
Bakterium zu verbinden und versetzt dasselbe, trotz seines nor¬ 
malen Aussehens, seiner ungestörten Vermehrungsfähigkeit u. dgl. 
in einen besonderen Zustand, welcher dem der ersten Aggluti¬ 
nationsphase Bordets entsprechen dürfte. 

6. Dieser Zustand ist dadurch charakterisiert, dafs das für 
sich allein unwirksame Hemiagglutinin sich jetzt ebenfalls an 
das Bakterium anlagern und dasselbe zur Haufenbildung bringen 
kann. 


Digitized by 


Google 



Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 


403 


7. Die Hemiagglutinine im freien Zustande lassen sich in 
verschiedenen, teils agglutinierenden, teils nicht agglutinierenden 
Flüssigkeiten nachweisen; am reichlichsten scheinen sie im 
Exsudate intraperitoneal mit Typhus inficierter Meerschweinchen 
aufzutreten, ohne dafs man ihnen aber deswegen eine Spezifität 
zuschreiben dürfte. 

8. Durch diese Ergänzungsmöglichkeit der freien hapto 
phoren Gruppe, des Agglutinophors, durch eine freie zymotoxische, 
das Hemiagglutinin, wird der ersteren der Charakter eines 
Amboceptors verliehen. Das fertige Agglutinin gehört daher in 
die Reihe der Receptoren dritter Ordnung nach Ehrlich, 
während die Receptoren zweiter Ordnung, bei denen die beiden 
Gruppen untrennbar verbunden sein sollen und für welche kein 
weiteres sicheres Beispiel bekannt ist, als die bisher dazu ge¬ 
rechneten Agglutinine, nicht länger aufrecht erhalten werden 
können. 

9. Infolge der Besetzung eines Typhusbakteriums mit dem 
isolierten Agglutinophor wird dasselbe in einer Flüssigkeit, welche 
nur fertige Agglutinine enthält, inagglutinabel. 

10. Eine derartige Besetzung erfolgt unter natürlichen Ver¬ 
hältnissen in der Bauchhöhle intraperitoneal mit Typhus infizierter 
Meerschweinchen. Während dieser Infektion kommt es anfäng¬ 
lich zur reichlichen Bildung von freien Hemiagglutininen; Beweis 
dafür die Möglichkeit, mit frühzeitig entnommenen Exsudaten 
freie Agglutinophore ergänzen zu können. Daneben werden 
auch Agglutinophore gebildet, aber in geringer Menge. Die¬ 
selben treten sofort mit den Hemiagglutininen zu fertigen Agglu- 
tininen zusammen; Beweis dafür das rudimentäre Auftreten von 
Haufenbildungen im Exsudate, kurze Zeit nach der Infektion. 
Etwa 3 Stunden nach Einspritzung gröfserer Kulturmengen hört 
die Bildung der freien Hemiagglutinine auf, während die der 
Agglutinophore andauert, unter fortwährender Bindung derselben 
an die im Exsudate befindlichen Bakterien; Beweis dafür ist das 
Aufhören der spontanen Haufenbildung im Exsudate und das 
Versagen der Wirkung eines Immunserunis gegen die jetzt die 
Peritonealhöhle einnehmenden Mikrobien. 

Archiv für Hygiene. Bd. XLI1. 27 


Digitized by CjOOQle 



404 Versuche über Typhusajrglutinine und präcipitine. Von Dr. Oskar Bail 

11. Bei der Infektion mit Cholera Vibrionen unterbleibt eine 
weitgehende Ausbildung freier Agglutinophore; denn die Vibri¬ 
onen ira Exsudate sind der Wirkung eines Immunserums zu¬ 
gänglich. Sonst aber läfst sich auch für ein Choleraserura die 
Zusammensetzung der Agglutinine aus Agglutinophor und Hemi- 
agglutinin nacbweisen. 

12. Über die Art und Weise der Wirkung der zymotoxischeu 
Gruppe, des Hemiagglutinins, geben die Versuche noch keinen 
Aufschlufs. 


Nachsatz zur Korrektur: Während der Drucklegung 
erschien aus dem Paltaufschen Institute eine inhaltsreiche Mit¬ 
teilung über ein ähnliches Thema von Eisenberg und Volk 
(Wiener klinische Wochenschrift, 1901, Nr. 50). Obgleich die 
kurzen Angaben der Autoren einen vollen Einblick in die 
wichtigen und interessanten Ergebnisse ihrer Untersuchungen 
noch nicht recht gewähren, so bilden doch die Punkte 15 bis 
17 der Arbeit eine deutliche Bestätigung der vorstehend mit¬ 
geteilten Versuchsresultate. Die von den Herren Verfassern 
konstatierte Übereinstimmung der Konstitution der agglutinier- 
baren Bakteriensubstanz mit den bakteriellen Giften (Punkt 8—11) 
gewährt eine Klarstellung der so verwickelten Verhältnisse, 
welcher eine hohe Bedeutung zukommt. Nur bezüglich des 
Namens »Agglutinoidc, welchen die Herren Verfasser der binden¬ 
den Gruppe des Agglutinins geben, möge die Priorität zu gunsten 
der oben angewendeten Bezeichnung: »Agglutinophore gewahrt 
bleiben. Der Überfluls an Namen, über den die Immunitäts¬ 
lehre verfügt, rechtfertigt dieses Ersuchen selbst dann, wenn sich 
Differenzen in der intimeren Auffassung der bindenden Gruppe 
zwischen der Ansicht der Herren Autoren und der oben ver¬ 
tretenen heraussteilen sollten. 


Digitized by CjOOQle 



Digitized by 



Digitized by 




Digitized by 



YO I1576 




Digitized by 


Google