Google
Über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin¬
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http : //books . google . com durchsuchen.
Digitized by
Digitized by v^.ooQle
ARCHIV
FÜR
H Y G I E
(BEGRÜNDET VON MAX t. PETTENKOFER.)
UNTER MITWIRKUNG
VON
Prof. Dr. O. BOLUNGER, Mönchen ; Prof. Dr. BONHOFF, Marburg a. L.; Prof. Dr. R. EMMERICH. Mönchen .
Prof. Dr. F. ERISMANN. Zürich; Prof. Dr. HEIM, Erlangen; Prof Dr. A. HILGER, München. Prof. Dr.
F. HUEPPE, Prag; Prof. Dr. KABRHEL, Prag ; Prof Dr. F. KRATSCHMER. Wien ; Prof. Dr. K. LEHMANN,
Würzburg; Prof. Dr. LODE, Innsbruck; Prol. Dr. L. PFEIFFER, Rostock; Generalarzt Dr. J. PORT,
Würzburg; Prof. Dr. W. PRAUSNITZ, Graz; Prof. Dr. F. RENK. Dresden; Prof. Dr. SCHOTTELIUS,
Freiburg i. B.; Generaloberarzt Dr. A. SCHUSTER, München ; Prof Dr. WERNICKE, Posen.
HERAUSGEGEBEN
VON
J. FÖRSTER, M. GEUBEB, FR. HOFMANN, M. RUBNER,
O. 0. PROFESSORSN l>EK HYGIENE UNO DIRECTOREN DER HYGIENISCHEN INSTITUTE AN DEN UNIVERSITÄTEN ZU
STRASSBÜRG WIEN LEIPZIG BERLIN.
ZWEIÜNDVIERZIG8TER BAN 13.
MÜNCHEN und BERLIN,
DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG.
1902.
Digitized by CjOOQle
' i '
Digitized by v^.ooQle
Inhalt.
Seite
Über das Vorkommen gemischter Fettsäure-Glyceride im tierischen
Fette. Von Willy Hansen aus Rostock. (Aus dem hygienischen
Institut der Universität zu Rostock). 1
Beiträge zur Kenntnis der quantitativen Zersetzung des Milchzuckers
durch den Bacillus acidi lactici. Von Dr. Paul Haacke aus
Schwerin (Meekl). (Aus dem hygienischen Institut der Universität
Rostock). 16
Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. II. Von Dr. Max
Schottelius, Professor der Hygiene. (Aus dem hygienischen
Institut der Universität Freiburg i. B.). 48
Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen und ihre Ver¬
wendung als Merkmal zur Artunterscheidung. Von Dr. Georg
Caspari, Zahnarzt aus Rummelsburg in Pommern. (Aus dem
hygienischen Institut in Würzburg.) (Mit Tafel I). 71
Studien über die Absterbebedingungen der Sporen einiger Aspergillus¬
arten. Von Professor A Lode. (Aus dem hygienischen Institute
der k. k. Universität in Innsbruck).107
Über die Verunreinigung des städtischen Hafens und des Flusses
Akerselven durch die Abwässer der Stadt Christiania. Von Dr. Axel
Holst, o. ö. Professor, Dr. Magnus Geirsvold, Assistent am
hygienischen Institute und Siqvol Schmidt-Nielsen, Chem.-
Ingenieur. (Aus dem hygienischen Institute der Universität
Christiania). (Mit Tafel II—IV)^ r.153
Über Buttersäuregärung. (II. Abhandlung.) Von Dr. R. Grafsberger
und Dr. A. Schattenfroh. A. Zur Morphologie des beweg¬
lichen Buttersfturebacillus. Von Dr. R. Grafsberger, Assistent
am Institute. (Aus dem hygienischen Institute der Universität
Wien.) (Mit Tafel V—VHI)..219
B. Biologisches Verhalten und Verbreitung des beweglichen Butter¬
säurebacillus. Von Dr. A. Schatten froh, Assistent am Institute 251
754913
Digitized by v^.ooQle
IV
Inhalt.
Seit«
Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen. Von Oberarzt Dr. Jürgens.
(Aus dem hygienischen Institut der Universität Berlin) .... 205
Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und Disposition. Von
Otto Ammon .289
Versuche über Typhusagglutinine und -Präci pitine. Von Privatdozent
Dr. Oskar Bail, Assistenten des Institutes. (Aus dem hygieni¬
schen Institute der deutschen Universität in Prag Vorstand:
Prof. F. Hueppe).307
Digitized by v^.ooQle
Über das Vorkommen gemischter Fettsäure-Glyceride im
tierischen Fette.
Von
Willy Hansen
aus Rostock.
(Aus dem hygienischen Institut der Universität zu Rostock)
I.
Seit der Untersuchung von Chevreul über die tierischen
Fette betrachtet man ganz allgemein dieselben als Mischungen
der Triglyceride derjenigen Fettsäuren, welche bisher im Körper
der Tiere, bezw. in der von den letzteren abgesonderten Milch
gefunden wurden, im wesentlichen: Butter-, Capron-, Capryl-,
Caprin-, Palmitin-, Stearin- und Ölsäure.
In allen Lehrbüchern, aber auch in den ausführlichsten
Handbüchern der reinen und angewandten Chemie wird dem¬
zufolge angegeben, dafs die tierischen Fette aus den Triglyceriden
der genannten Fettsäuren, hauptsächlich aber aus Tripalmitin,
Tristearin und Triolein in wechselnden Mischungsverhältnissen
bestehen. In den festen Fetten (Talgen) sollen hauptsächlich das
Tristearin und Tripalmitin, in den weicheren (Schmalzen, Butter)
das Tripalmitin und Triolein vorherrschen.
Ob jemals angenommen wurde, dafs die Fettsäuren auch als
gemischte Glyceride oder doch wenigstens solche neben den ein¬
fachen Glyceriden im tierischen Fette vorhanden seien, habe ich
nicht in Erfahrung bringen können. Angaben über das Vor¬
kommen gemischter Fettsäure-Glyceride im Tierfette und über die
Darstellung solcher aus demselben habe ich in der Litteratur
Archiv für Hygiene. Bd. XLII. 1
Digitized by kjOOQle
2 . . .tty>er cL Vorkommen gemischter Fettsäure-Glyceride im tierischen Fette.
* 'nicht finden*können, aufser der einzigen in »Benedict, Analyse
der Fette und Wachsarten 1 )«, welcher Autor schrieb 2 ): »Doch
scheint es auch Fette zu geben, in welchen sich gemischte Ester
des Glycerins vorfinden, wie dies Bell namentlich für die Butter
wahrscheinlich gemacht hat, in welcher er ein Oleopalmitobutyrat
von der Zusammensetzung
Gig H 33 0
C 3 H 6 0 ;; C 16 H 31 0
C 4 H 7 O
annimmt, und weiter 3 ): »Nach Bell enthält die Butter wahr¬
scheinlich gemischte Ester des Glycerins, was schon deshalb
wahrscheinlich ist, weil Triacetin 4 ) in Wasser löslich ist. Extra¬
hiert man Butterfett mit heilsem Alkohol, so geht ein Fett
(2—3 °/ 0 vom Gewicht der Butter) in Lösung, welches bei 15,5° C.
schmilzt und 13—14 °/ 0 lösliche neben 79—80°/ 0 unlöslichen Fett¬
säuren enthält. Mischt man der Butter hingegen Tributyrin zu,
so läfst sich dasselbe vollständig mit Alkohol extrahieren. Der
niedrige Schmelzpunkt des extrahierten Fettes rührt nicht von
einem höheren Ölsäuregehalt her, indem die Fettsäuren desselben
höher als die Butterfettsäuren schmelzen. Daher ist wahrschein¬
lich ein Oleopalmito butyrat vorhanden. In Übereinstimmung
damit haben Blyth und Robertson 5 ) aus der Butter ein
krystallinisches Glycerid von der Formel
C 4 H 7 0 2
c 3 h, c 16 h 31 o 2
C],s H 33 0 2
abgeschieden.«
Rein spekulativ hätte man vielleicht darauf kommen müssen,
dafs wahrscheinlich alle Fette mehr oder weniger aus gemischten
GJyceriden bestehen. Denn man kann doch kaum annehmen,
dafs bei der Bildung von Neutralfetten, sei es aus Eiweifs, sei
es aus Kohlehydraten, immer nur gerade soviel der einzelnen
1) III. Auflage, herauagegeben von Ferd. Ulzer. Berlin, 1897. Springer.
2) a. a. O., S. 43.
3) a. a. ()., S. 544 u. 545.
4) Soll wohl heifaen: Tributyrin.
5) Vergl. Chemiker-Zeitung, 1889, 13, S. 128.
Digitized by CjOOQle
Von Willy Hansen. S
Fettsäuren und des Glycerins entsteht, als notwendig ist, normale
einfache Glyceride zu bilden.
Wenn trotzdem immer als bewiesen angesehen wurde, dafs
nur einfache Triglyceride in den tierischen Fetten x ) Vorkommen,
so liegt der Grund hierfür hauptsächlich wohl darin, dafs durch
die Untersuchungen Berthelots 2 ) über die Fette dargethan wor¬
den war, dafs einfache Triglyceride synthetisch darstellbar sind,
und dafs dieselben Eigenschaften besitzen, welche mit denjenigen
der aus tierischen und pflanzlichen Fetten isolierten Triglyceride,
bezw. der Körper, welche man für einfache Triglyceride ansah,
übereinstimmen.
Allerdings gab es Beobachtungen, die den Verdacht erwecken
konnten, dafs bezüglich des Vorkommens nur von einfachen
Triglyceriden in Neutralfetten unser Wissen noch lückenhaft sei.
Zunächst die Beobachtung von Heintz, dafs reines Tristearin
aus tierischen Fetten nicht zu gewinnen war.
Heintz 3 ) schrieb wörtlich: »Als ich meine Arbeiten über
die tierischen Fette begann, hatte ich gehofft, durch Umkrystalli-
sieren derselben aus der ätherischen Lösung endlich chemisch
reine Fette abzuscheiden, wie man nach Lecanu aus dem
Hammelfett nach dieser Methode reines Stearin erhalten sollte.
Allein diese Hoffnung mufste ich bald aufgeben, ich mufste mich
sogar überzeugen, dafs das nach Lecanus Methode gewonnene
Stearin immer noch nicht rein ist. Denn w r enn es verseift wird,
so liefert es nach Zersetzung der entstandenen>Seife durch Kochen
mit verdünnter Salzsäure eine Säure, deren Schmelzpunkt weit
unter dem der Stearinsäure liegt. Später hat auch Patric
Duffy nachgewiesen, dafs das nach Lecanus Methode ge¬
wonnene Stearin, dessen Schmelzpunkt um 62° liegt, durch sehr
oft wiederholtes Umkrystallisieren aus sehr viel Äther in einen
Stoff von viel höherem Schmelzpunkt übergeführt werden kann.
Das bei 62° C. schmelzende Stearin liefert bei der Verseifung
1) ln einigen Pflanzenfetten hat man bekanntlich auch Diglyceride
nachgewiesen.
2) Journal de Pharmae. T. XXIV.
3) Heintz, Über die Fette. Journal f. prakt. Chemie, 1855, Bd III, S 43.
1 *
Digitized by v^.ooQle
i tib er d. Vorkommen gemischter Fettsäure-Glyceride im tierischen Fette.
eine Säure, deren Schmelzpunkt bei 64° liegt. Ebensowenig
gelang es mir, aus dem Menschenfett ein reines Fett zu er¬
halten.«
Der von Heintz genannte Patric Duffy 1 ) hat das Stearin
genau untersucht. Erhalten hat er es, wie schon erwähnt, durch
wiederholtes Umkrystallisieren von Hammeltalg aus Äther in der
Weise, dafs bei den ersten 5—6 Krystallisationen das 10—15 fache,
bei den folgenden das hundertfache Quantum des Äthers an¬
gewandt wurde. Nach fünfmaligem Umkrystallisieren zeigte das
Produkt den Schmelzpunkt 61,3°, nach 17maligem den von 63°,
nach 32 maligem denjenigen von 64°. Die Ausbeute betrug
schliefslich pro Kilogramm Hammeltalg 2 g Stearin (Tristearin).
Bei seinen Versuchen über die Resorption verschiedener Fette
aus dem Darmkanale hat L. Arnschink 2 ) sich eines Tristearins
bedient, das durch Umkrystallisieren aus Hammeltalg erhalten
war und dessen Schmelzpunkt er zu 59,7° C. gefunden hatte.
Dasselbe bestand zu 94,96% aus Fettsäuren und 5,04% aus
Glycerin (vergl. die Fufsnote a. a. 0. S. 437). Nun ergiebt aber
die einfache Rechnung, dafs Tristearin 95,73 °/ 0 Stearinsäure ent¬
hält. Eine Verbindung von der Formel
^18 H 35 0 2
C 18 H* O 2
G'i6 H ;n 0 2 ,
Distearopalmitin, würde immer noch 95,59% Fettsäuren enthalten.
Daher ist ohne weiteres klar, dafs Arnschink kein reines
Tristearin unter den Händen gehabt hat; sein Tristearin war ent¬
weder ein gemischtes Triglycerid oder ein Gemisch von Tristearin
und Tripalmitin. Also auch ihm ist es nicht geglückt, durch
Umkrystallisieren tierischen Fettes reines Tristearin zu gewinnen.
Eine weitere, höchst auffällige Erscheinung ist die, dafs viele
Beobachter den Schmelzpunkt des anscheinend reinen Tristearins
aus Tierfett verschieden angegeben haben. Arnschink hat
denselben zu 59,7° angegeben und bemerkt in der Fufsnote 8 ):
1) Quart. Journ. of the Chem. Soc. Vol. V, p. 197.
2) Zeitschrift f. Biologie, 1890, Bd. 26, S. 437.
3) a. a. O., 8. 437.
Digitized by v^.ooQle
Von 'Willy Hansen.
5
»Gewöhnlich wird als Schmelzpunkt des Stearins 63° angegeben.«
Patric Duffy gab ihn zu 64° an. 1 ) Aber ganz besonders auf¬
fällig ist die von Heintz 2 ) bestätigte Angabe Patric Duffys,
dafs das Tristearin zwei Schmelzpunkte besitzt, nämlich bei 55° C.
und 71° C. Über diese höchst merkwürdige Beobachtung äufserte
sich Heintz folgendermafsen:
»Bei der Untersuchung des bei 62° C. schmelzenden Stearins
beobachtete ich eine Erscheinung, die bis dahin nicht bekannt
w T ar. Wenn man es nämlich in ein Kapillarrohr einschliefst, so
wird es schon bei 51° bis 52° vollkommen durchsichtig, trübt
sich aber wieder bei Steigung der Temperatur und wird endlich
nochmals durchsichtig. Ich glaubte damals, das erste Durch¬
sichtigwerden sei mit keinem wahren Schmelzen verbunden, weil,
wenn man ein dünnes Blättchen des Stearins in Wasser taucht,
dessen Temperatur einige und 50° C. beträgt, zwar ein Durch¬
sichtigwerden beobachtet wird, aber die Masse nicht in einen
Tropfen zusammenflielst. Später hat Patric Duffy diese Er¬
scheinung ebenfalls beobachtet und zugleich behauptet, dafs bei
der Temperatur von einigen 50 Graden doch eine wahre Schmel¬
zung des Stearins stattfinde. Ich habe mich neuerdings davon
überzeugt, dafs dieses in der That richtig ist, und dafs ein Stearin¬
blättchen, wenn es nur hinreichend dünn ist, wirklich in Wasser
von 52° C. flüssig wird. P. Duffy erklärt diese Erscheinung
für die Folge der Bildung verschiedener isomerer Modifikationen
des Stearins. Allein, da man bis dahin noch nicht chemisch
reines Stearin dargestellt hatte, so konnte sie auch eben durch die
Gemischtheit veranlafst sein, und es entsteht daher gerecht die
Frage, ob auch chemisch reines Stearin diese Erscheinung zeigt.
Da man aus tierischen Fetten das Stearin nicht in reinem
Zustande gewinnen kann, so benutzte ich die Methode von Ber¬
thelot, es aus der reinen Stearinsäure und Glycerin wieder zu¬
sammenzusetzen. Ich erhielt in der That ein Stearin, das bei
seiner Verseifung in Glycerin und vollkommen reine Stearinsäure
zerfiel, und es gelang mir nun nachzuweisen, dafs auch dieses
1) a. a. O.
2) a. a. 0., S. 50.
Digitized by v^.ooQle
6 Über d. Vorkommen gemischter Fettsäure-Glyceride im tierischen Fette.
chemisch reine Stearin zwei Schmelzpunkte besitzt, wovon der
eine bei 55° C., der andere bei 71,6° C. liegt. Es ist daher
auch die Ansicht von P. Duffy als richtig zu betrachten, dals
nämlich das Stearin durch eine bestimmte Temperatur in eine
andere isomere Modifikation übergehe, die sich durch einen
höheren Schmelzpunkt (71,6°) auszeichnet und die entsteht, wenn
das Stearin längere Zeit, bis etwa 60° C., erhitzt wird. Diese
Modifikation geht aber durch Erhitzung über 71,6° C. in die bei
55° C. schmelzeude über.«
Welche Modifikationen mit so verschiedenen Schmelzpunkten
entstehen sollten, ist jedoch nicht dargelegt, ist auch schwer
zu erklären, da das Tristearin ein normaler Ester ist und bei
der Verseifung in Glycerin und dieselbe Stearinsäure zerfällt,
welche zur Darstellung desselben gedient hat.
Die Merkwürdigkeit, dafs ein scheinbar chemisch reiner
Körper, wie das Tristearin, zwei Schmelzpunkte besitzt, war mit
der Annahme der Bildung verschiedener Modifikationen ganz
sicher auch nicht erklärt; aber man konnte sie nunmehr wenig¬
stens ganz beruhigt im Buche der Wissenschaft buchen.
Herr Professor Dr. Pfeiffer hat mir gesprächsweise seine
Bedenken hinsichtlich der Berechtigung dieser Annahme von
Duffy-Heintz mitgeteilt und gemeint, dafs die Erscheinung
eines doppelten Schmelzpunktes des Tristearins — und auch
des Tripalmitins 1 ) — sich wohl noch anders deuten lasse als
durch die Hypothese von der Bildung verschiedener Modifikationen,
nämlich durch die Umbildung gemischter Triglyceride in
Mischungen einfacher normaler Glyceride. Er hat mich dadurch
veranlafst, zu untersuchen, ob in den tierischen Fetten überhaupt
einfache normale Glyceride oder gemischte Vorkommen.
Das Ergebnis der Untersuchung, die unter Leitung des
Herrn Professors Dr. Pfeiffer im Hygienischen Institut zu
Rostock ausgeführt wurde, teile ich in nachstehendem mit. Es
bestätigt die Richtigkeit der Bedenken und thut das Vorkommen
von gemischten Triglyceriden im Tierfett, wenigstens für Hammel¬
und Rindertalg, dar.
1) Vergl. später S. 14.
Digitized by CjOOQle
Von Willy Hansen.
7
II.
Als Ausgangsmaterial zur Darstellung reinen Tristearins be¬
nutzte ich teils Hammel-, teils Rindertalg, welche zunächst durch
Auspressen mit einer gewöhnlichen Fruchtpresse unter Beobach¬
tung der von Soxhlet für die Herstellung von Fleischsaft an¬
gegebenen Regeln — dünne Prefskuchen, und Zwischenlagerung
von Drahtnetzen zwischen die einzelnen Prefsportionen — von der
Hauptmasse der bei gewöhnlicher Temperatur flüssigen Glyceride
befreit wurden. Dieses Auspressen geht recht gut von statten,
wenn man zuerst die Presse sehr langsam anzieht, andernfalls
prefst man den Talg in feinen Schnüren durch die Poren der
Prefstücher hindurch. Die ausgeprefsten flüssigen Glyceride er¬
starrten bei geringer Temperaturerniedrigung zu einer butter-
artigen Masse, der Prefsrückstand — fest und weifs — wurde in
Form dünner, harter Scheiben erhalten, die bei 51° C. schmolzen,
während der ursprüngliche Hammeltalg bei 48° C., der Rindstalg
bei 42° C. schmolz. 1 )
Der in Stücke zerbrochene Prefsrückstaud wurde alsdann
mit 95°/ 0 Alkohol gekocht, die erkaltete alkoholische Lösung,
aus der grofse Mengen Fett sich krystallinisch abgeschieden
hatten, abfiltriert und der Destillation unterworfen. Ich erhielt
aus derselben noch grofse Quantitäten leicht schmelzbaren Fettes.
Nach zweimaliger Wiederholung dieses Verfahrens blieben im
erkalteten Alkohol nur noch geringe Portionen Fett gelöst. Der
krystallinische Filterrückstand besafs einen Schmelzpunkt von
51,5° C. Durch öfter wiederholtes Umkristallisieren desselben
aus siedendem Alkohol gelang es nicht, ein höher schmelzendes
Fett zu isolieren. Leicht gelang das hingegen bei Verwendung
1) Die Schmelzpunktbestimmung wurde in einem möglichst engen
Kapillarrohr vorgenommen, das an das Quecksilbergefäfs des Thermometers
angebunden wurde. Das Thermometer mit der Kapillare tauchte entweder
in Wasser oder Schwefelsäure, die in einem weiten Reagenzglas verwahrt
wurden. Letzteres tauchte in ein mit viel Wasser gefülltes Becherglas oder
Rundkölbcben ein.
Digitized by CjOOQle
8 Über d. Vorkommen gemischter Fettsäure G lyceride im tierischen Fette.
von Äther in gröfserer Menge als Lösungsmittel, namentlich
wenn die auskrystallisierten Fette durch Absaugen auf einer
Filterplatte rasch vom Äther befreit wurden. Bei der ersten
Ätherkrystallisation erhielt ich eine schuppige Krystallmasse
vom Schmelzpunkt 55 0 C. Das in Äther gelöst verbliebene und
daraus durch Verdampfen des Äthers erhältliche Fett war vom
Schmelzpunkt 32° C. Das bei 55° schmelzende Fett, nach
Leffmann-Bean verseift, lieferte nach Zerlegung der Seife
mit verdünnter Salzsäure Fettsäuren, welche bei 54° C., nach
Umkrystallisieren aus Alkohol bei 63,5 0 C. schmolzen, also ein
Gemisch verschiedener, jedenfalls mindestens zweier Fettsäuren
waren. Wiederholtes Umkrystallisieren des bei 55° schmelzenden
Fettes aus Äther brachte zunächst kein höher schmelzendes
Produkt. Wurde das Fett aber aus viel Äther bei Zimmer¬
temperatur umkrystallisiert, so resultierte anfangs ein Fett vom
Schmelzpunkt 58,5° C. (der Äther enthielt ein solches vom
Schmelzpunkt 42°) und schliefslich ein solches vom Schmelz¬
punkt 62,5° (Schmelzpunkt des in Äther gelösten Teiles 52°),
das bei noch so häufigem Umkrystallisieren immer wieder diesen
-Schmelzpunkt 62,5° C. zeigte. Nunmehr zeigte auch der in
Äther gelöste Anteil konstant diesen Schmelzpunkt, offenbar lag
ein einheitlicher Körper, nicht mehr ein Gemisch von Triglyce¬
riden, vor. Eine Probe des in schönen glänzenden Blättchen
krystallisierenden Fettkörpers besals die Verseifungszahl (Kötts-
torfer) 195,65.*) Reines Tristearin hat als Verseifungszahl 188,8.
Sonach kann mein bei 62,5° C. schmelzender Fettkörper kein
reines Tristearin gewesen sein. Nahm man an, dafs er ein ge¬
mischter Glycerinester der Palmitin- und Stearinsäure war, so
konnte er entweder 1 Molekül Palmitinsäure auf 2 Moleküle
Stearinsäure oder 2 Moleküle Palmitinsäure auf 1 Molekül Stearin¬
säure enthalten, entweder ein Distearopalmitin oder ein Dipalmito-
stearin sein. Ersteres erfordert eine Verseifungszahl von 194,9,
letzteres eine solche von 201,4.
1) 0,222 g verbrauchten bei der Verseifung 1,55 ccm Vi Normal-Kali¬
lauge = 43,4 mg KOH; 0,4275 g 2,99 ccm V, Normal-Kalilauge = 83,7*2 mg
KOH. Die Verseifungszahl ist demnach 195,5 und 195,8, im Mittel 195,65.
Digitized by v^.ooQle
Von Willy Hansen.
9
Stellt man diese Zahlen in einer Reihe zusammen, so sieht
man sofort, dafs mein Fettkörper nur ein Distearopalmitin sein
konnte. Denn es beträgt die Verseifungszahl für
Tristearin Distearopalmitin Dipalmitostearin
188,8 194,9 201,4
das von mir hergestellte Präparat
195,65.
Ölsäure enthielt das Präparat nicht, wie die (v. Hüblsche)
Jodadditionsbestimmung ergab. Würde es ein Gemisch von Tri¬
stearin und Tripalmitin gewesen sein, so müfste sich beim Um-
krystallisieren aus Äther das Mischungsverhältnis haben ändern
lassen, was, wie oben mitgeteilt, aber nicht der Fall war.
Die aus dem Präparat isolierten Fettsäuren schmolzen bei 64°.
Dieser Schmelzpunkt ist nach Heintz 1 ) möglich für ein Gemisch
von Palmitinsäure und Stearinsäure im Verhältnis von 70—80
Teilen letzterer und 20—30 Teilen ersterer. Distearopalmitin
enthält die beiden Fettsäuren gemischt im Verhältnis von
67,7 Teilen Stearinsäure auf 32,3 Teile Palmitinsäure; also auch
der Schmelzpunkt der Fettsäliren von 64° palst gut auf ein Di¬
stearopalmitin'.
Auch aus dem Rindstalg gelang es neben den noch zu .be¬
schreibenden Körpern dieses Distearopalmitin herzustellen, nicht
aber Tristearin. Ich glaube daher, dafs im Hammel- und Rinder¬
talg, oder — um mich vorsichtiger auszudrücken — in den von
mir untersuchten Proben Tristearin nicht vorhanden war.
Ich sage: »von mir untersuchten Proben Tristearin nicht vor¬
handen war,« denn es könnte recht wohl gelegentlich auch Tri¬
stearin im Hammeltalg gefunden werden, namentlich wenn andere
Methoden der Darstellung des Tristearins, z. B. ein anderes Lösungs¬
mittel statt Alkohol und Äther, zur Anwendung kommen würden
oder aber der Talg vorher stark erwärmt würde. Ich habe näm¬
lich folgende Beobachtung gemacht: Als das bei 62,5° C. schmel¬
zende, nunmehr als Distearopalmitin bezeichnete Fett aus Äther
ohne Veränderung nicht mehr umzukrvstallisieren war, versuchte
1) Vergl. a. a. 0., S. 12, Tabelle.
Digitized by v^.ooQle
10 Über d. Vorkommen gemischter Fettaäure-Glyceride im tierischen Fette.
ich auf Rat von Prof. Pfeiffer nacheinander aus Chloroform,
Benzol und schliefslich aus Amylalkohol, jeweils bei Siedehitze,
umzukrystallisieren. Die Krystallisationen aus Benzol und Chloro¬
form schmolzen wieder bei 62,5° C., die aus Amylalkohol aber bei
66,8 °. Dieser letztere Schmelzpunkt blieb nun konstant bei jeder
wiederholten Krystallisation aus Amylalkohol. Von dem an¬
hängenden Amylalkohol durch Waschen mit Alkohol und Äther
befreit, bildete das so erhaltene Fett prachtvoll glänzende Schuppen,
ähnlich denen der reinen Stearinsäure, die daraus durch Verseifung
des Fettes und Zerlegung der Seife auch sofort in vollkommener
Reinheit (Schmelzpunkt 69,2°) gewonnen wurde. Die Verseifungs¬
zahl des Fettes war 191,0 1 ). Reines Tristearin erfordert die
Verseifungszahl 188,8. Die Übereinstimmung beider Werte ist
genügend grofs und ich halte mich daher für berechtigt, das
beschriebene Fett für wirklich reines Tristearin anzusprechen.
Dieses Tristearin kann aber offenbar nur so entstanden gedacht
werden, dafs sich bei der Siedehitze des Amylalkohols (138°) das
Distearopalmitin umgelagert hat in Tristearin und Tripalmitin.
Selbstverständlich könnte eine solche Umlagerung auch vor sich
gehen bei stärkerer Erhitzung des Distearopalmitins für sich ohne
Lösungsmittel und damit würde die Beobachtung eines doppelten
Schmelzpunktes von Duffy-Heintz eine sehr einfache Er¬
klärung finden. Zuerst würde das Distearopalmitin (oder vielleicht
ein Dipalmitostearin) als solches schmelzen, dann sich umlagern
unter Bildung des schwerer schmelzbaren Tristearins, das bei
dieser Temperatur (55°) noch auskrystallisieren könnte, um neuer¬
dings bei höherer Temperatur (71,6°) wieder zu schmelzen. Die
höhere Schmelztemperatur von Duffy-Heintz kann sehr wohl
die Eudtemperatur des Schmelzens sein, die man bei Fett¬
gemischen immer höher findet als die Anfangstemperatur.
Diese Erklärung involviert allerdings einen Zweifel an der
Behauptung dieser Autoren, dafs sie reines Tristearin in Händen
gehabt haben.
1) 0,9589 g verbrauchten bei der Verseifung 6,53 ccm 7a Normal-Kali¬
lauge = 182,84 mg KOH; 0,9588 g 6,56 ccm 7a Normal-KOH = 183,68 mg
KOH. Die Verseifungszahl ist demnach 190,6 und 191,5, im Mittel 191,0.
Digitized by
Google
Von Willy Hansen.
11
Aber diesen Zweifel lassen auch die Analysenangaben von
Heintz selbst zu. Er fand 100 Teile seines synthetischen
Tristearins aus 95,50 Teilen Stearinsäure bestehend, während es
nach der Berechnung aus 95,73 Teilen Stearinsäure bestehen
sollte. 1 ) Der Gehalt des Distearopalmitins mit 95,59 Teilen
Stearinsäure in 100 Teilen kommt an den von Heintz für sein
reines Tristearin ermittelten (95,50) jedenfalls noch näher heran
als an den für das reine Tristearin berechneten.
An meinem reinen Tristearin konnte ich nie einen doppelten
Schmelzpunkt beobachten. Versuche, solches auf anderem als
dem von Berthelot empfohlenen Wege synthetisch darzustellen,
milslangen und leider war die Menge des gewonnenen Distearo¬
palmitins schliefslich auch so zusammengeschmolzen, dafs ich
darauf verzichten mufste, die Frage der Richtigkeit des doppelten
Schmelzpunktes des Tristearins endgültig zu lösen. Dieselbe
wird jedoch nach Mitteilung des Herrn Professors Dr. Pfeiffer
jetzt im Hygienischen Institut zu lösen versucht.
Nachdem mir gelungen war, ein erstes gemischtes Glycerid
der Stearin- und Palmitinsäure darzustellen, wuchs natürlich meine
Hoffnung, noch mehrere derselben zu gewinnen und in der That
gelang es mir nach einander ein Dipalmitostearin, ein Dipalmito-
olein und ein Stearopalmitoolein nebst reinem Tripalmitin zu
isolieren. Verwendet wurden hierzu die Anteile des Hammeltalgs,
welche bei der Reinigung des Distearopalmitins jeweils in Äther ge¬
löst geblieben waren und welche, nunmehr wieder vereinigt, so lange
wieder aus Äther umkrystallisiert wurden, bis Körper mit konstan¬
tem Schmelzpunkt resultierten, bei deren Umkrystallisation aus
Äther der im Äther zurückbleibende Anteil den gleichen Schmelz¬
punkt wie die krvstallinisehe Ausscheidung aufwies.
Das Dipalmitostearin, ebenfalls in seidenglänzenden Schüpp¬
chen krystallisierend, schmolz bei 55°. Es besafs die Verseifungs¬
zahl 200,2 2 ) und addierte zum Beweis der Abwesenheit von
1) Vergl. a. a. O, S. 51.
2) 0,2108 g verbrauchten zur Verseifung 1,51 ccm 1 / 2 Normal-Kalilauge
= 42,28 mg KOH; 0,2872 g verbrauchten 2,0;") ccm x f 2 Normal Kalilauge —
57,40 mg KOH. Die Verseifungszahl ist hiernach 200,6 und 100,0, im Mittel
200,2 g.
Digitized by
Google
12 Über d. Vorkommen gemischter Fettsäure-Glyceride im tierischen Fette.
Ölsäure kein Jod. Theoretisch berechnet sich die Verseifungszahl
des Dipalmitostearins zu 201,4. Die Übereinstimmung des berech¬
neten und gefundenen Wertes ist eine genügend gute.
Zur Darstellung der niedriger schmelzenden, ölsäurehaltigen
gemischten Glyceride wurden, um zu verhüten, dafs beim Aus¬
schmelzen der tierischen Fettgewebe, hauptsächlich Rinderfett,
Umlagerungen stattfänden, zuerst ätherische Extrakte der Fette
aus dem lufttrockenen Fettgewebe dargestellt, aus denen dann
nach Entfernung der schwerer schmelzenden Anteile durch
Krystallisieren bei Zimmertemperatur die leichter löslichen und
schmelzbaren ölsäurehaltigen Glyceride bei starker Abkühlung
auskrystallisierten. Sie wurden sehr bald mit konstantem Schmelz¬
punkt erhalten. Es waren ihrer zwei, ein Dipalmitoolein und
ein Stearopalmitoolein. Ersteres nicht mehr so schön krystalli-
sierend zu erhalten wie das Distearopalmitin und Dipalmitostearin,
schmolz bei 48°, besafs eine Verseifungszahl 1 ) von 202,7 und
addierte 80,18 °/ 0 Jod 2 ), entsprechend einem Ölsäure-Gehalt von
33,5 °/o- Der Vergleich der gefundenen und für Dipalmitoolein
berechneten Werte ergibt gute Übereinstimmung.
berechnet gefunden
Verseifungszahl . . . 201,9 202,7
Jodaddition in %. . . 30,53 30,18
Ölsäuregehalt in % . . 33,89 33,50.
. Das fast talgartige Stearopalmitoolein schmolz bereits bei 42°,
addierte 29,31% Jod 3 ) und zeigte eine Verseifungszahl von 195,0 4 ).
1) 0,1558 g verbrauchten zur Verseifung 1,13 ccm V* Normal-Kalilauge
= 31,64 mg KOH, 0,2228 g verbrauchten 1,61 ccm % Normal-Kalilauge =
45,08 mg KOH. Die Verseifungszahl ist demnach 203,1 und 202,3, im Mittel
202,7 g.
2) 0,5994 g addierten 182,4 mg Jod = 30,43 °/ 0 , 0,5203 g addierten 155,8 mg
Jod = 29,94%. Mittel: 30,18%.
3) 0,5722 g und 0,5703 g addierten je 168,74 mg Jod = 29,14 und 29,59,
im Mittel 29,31%
4) 0,2545 g verbrauchten zur Verseifung 1,78 ccm % Normal-Kalilauge
= 49,84 mg KOH; 0,2302 g verbrauchten 1,61 ccm */* Normal-Kalilauge =
45,08 mg KOH. Die Verseifungszahl ist hiernach 194,3 und 195,8, im
Mittel 195,0.
Digitized by v^.ooQle
Von Willy Hansell. 1$
Nachstehend die Gegenüberstellung der gefundenen und für
Stearopalmitoolein berechneten Werte:
berechnet gefunden
Verseifungszahl . . . 195,3 195,0
Jodaddition in °/ 0 . . . 29,53 29,31
Öl Säuregehalt in °/ 0 . . 32,78 32,53.
Interessant ist, dafs das Dipalmitoolein einen höheren
Schmelzpunkt (48°) besitzt als das Stearopalmitoolein (42°). Es
erinnert dies an die von Heintz 1 ) ermittelte Thatsache, dafs
Gemische von Fettsäuren stets niedrigere Schmelzpunkte besitzen
als ihre Komponenten. Vermutlich gilt diese Eigentümlichkeit
auch für Mischungen von Triglyceriden und für gemischte Tri¬
glyceride.
Ich wende mich schliefslich noch zur Beschreibung eines
ebenfalls durch Umkrystallisieren aus Tierfett erhaltenen reinen
Tripalmitins. Ich erhielt dasselbe zuerst aus Palmöl, später aber
auch aus Hammeltalg und Rindertalg, bin mir aber nicht sicher,
ob dasselbe nicht erst durch Umlagerung aus einem oder zwei
gemischten Triglyceriden entstanden ist. Bei dem vielfachen
Umkrystallisieren aus Alkohol und Äther mit wiederholter Ver-
jagung des Überschusses des Lösungsmittels auf dem Wasserbade
kann es sehr wohl erst entstanden sein. Es krystallisierte in
rundlichen Körnchen (in letzterer Form namentlich das aus Palmöl
gewonnene), schmolz bei 52° und besafs eine Verseitungszahl-)
von 207,6; Jod addierte es nicht. Für reines Tripalmitin be¬
rechnet sich die Verseifungszahl zu 208,4.
Bei der Verseifung und Zerlegung der gebildeten Seife lieferte
das Tripalmitin eine Säure, die bei 62° schmolz und auch beim
Umkrystallisieren aus Alkohol diesen Schmelzpunkt behielt. In
den Lehrbüchern 3 ) wird dem Tripalmitin ebenfalls ein doppelter
1) Vergl. a. a. O., S. 7 w. ff.
2) 0,2517 g verbrauchten zur Verseifung 1,87 ccm V, Normal-Kalilauge
= 52,36 KOH; 0,3406 g verbrauchten 2,52 ccm Vs Normal - Kalilauge =
70,56mg KOH. Die Verseifungszahl ist somit 208,0 und 207,2, im Mittel 207,6.
3) Vergl. Benedict, S. 44.
Digitized by CjOOQle
14 Über (1. Vorkommen gemischter Fettsäure Glyceride im tierischen Fette.
Schmelzpunkt zugesprochen, nämlich 50,5° C. und 66,5° C.
Bezüglich dieses doppelten Schmelzpunktes des Tripalmitins gilt
natürlich das Gleiche, was ich bezüglich desjenigen des Tristearins
gesagt habe.
III.
Fasse ich das Ergebnis der obigen Untersuchungen zusammen,
so kann ich wohl behaupten, dafs es mir gelungen ist, den
Nachweis zu erbringen, dafs in tierischen Fetten gemischte
Triglyceride Vorkommen, dafs es hingegen nicht wahrscheinlich
erscheint, dafs reines Tristearin in der Regel in denselben vor¬
handen ist, dafs letzteres vielmehr, wo es aus tierischen Fetten
gewonnen wird, ein Kunstprodukt ist, entstanden durch Um¬
lagerung gemischter Triglyceride. Hinsichtlich des Vorkommens
von reinem Tripalmitin mufs ich die Entscheidung noch offen
lassen.
Dafs die von mir erörterten gemischten Triglyceride auch
wirklich solche sind, ist durch die von mir mitgeteilten Ver-
seifungs- bezw. Jodadditionszahlen wohl über allen Zweifel gestellt.
Wären die beschriebenen Körper nur Mischungen gewesen, so
müsste durch das immer wiederholte Umkrystallisieren aus den
verschiedensten Lösungsmitteln und mit den verschiedensten
Mengen derselben sicher eine Entmischung derselben möglich
gewesen sein und hätte dann ihr Schmelzpunkt auch nicht
konstant bleiben können.
Man könnte darüber im Zweifel sein, ob meine gemischten
Triglyceride nicht erst recht Kunstprodukte seien. Wären sie
das aber, so wäre meine Arbeit erst recht nicht überflüssig, indem
sie darzuthun vermöchte, wie leicht die Neutralfette Umbildungen
fähig seien. Man müfste dann aber auch für den lebenden
Körper diese Fähigkeit der Umbildung zugeben.
Schliefslich möchte ich das Resultat obiger Untersuchungen
noch in einer Ubersichtstabelle wiedergeben:
Digitized by CjOOQle
Von Willy ttanseri.
15
Tabelle der Im tierischen Fette möglichen, von mir darin gefundenen
bezvr. ans denselben dargestellten Triglyceride der Stearin-, Palmitin- und
Ölstture.
tL
Schmelz¬
punkt
Verseifungszahl
Ölsäuregehalt
Formel ||
i P“
©
. c
© -C
* t
ii g
, ©
© 'fl
5*> fl
fl
«f-
i
!i . g
■ 2 ä
^ ©
l! ^ 1
c
. ©
© 'fl
ÖC fl
fl
«M
Tristearin
c,h 5
^18^85^3
C 18 H #5 0 2 890
^18 ^86^3
T
66,8°
188,8
191
—
—
Distearo-
palmitin
,c s h 5
1
^18 ^85 ^2
C 1k H 85 G 2 862
^16 Hsi ^2 1'
62,5°
194,9
195,6
\
1
Dipalmito-
stearin
1
c 3 H,
^18 ^85 1|
Cjo H 8l 0 2 834
^16 üai Oj !
55°
i 1
i 201,4
200,2
1
—
Tripalmitin
c,h 5
C 10 H it 0 2
C l 0 H 81 O 2 806
Cie H 8l o 2
52°
208,4
207,6
, —
—
Distearo-
olein
c s h 5
^18 1^85^2 1
Cjg H 86 Oj 838
^18 ^8» ^2
1 unbekannt
li
189,2
unbekannt
[t
31,76
unbekannt
Dipalmito-
olein
c s h 5
C ld H 81 0 2
C l6 H 8l 0 8 832
^18 Hs8^2
48°
201,9
202,7
1 33,89
ü
33,50
Dioleo-
stearin
c 3 h s
^18 ü»5 ^2
^18 ^88^2 ^86
öjg fl 88 ^2
unbekannt 189,6
unbekannt l! 63,66
4
unbekannt
Dioleo*
palmitin
(»H,
('in H*»O t
C lB H 38 0 2 858
^16 fisi ^2
unbekannt
:1
i| 195,8
unbekannt
65,73
;i
unbekannt
Stearo-
palmito-
olein
C,Hj
C 18 h 85 o 2
C ld H 81 0 2 860
C 18 H 88 O s !
' 42 0
195,3
195,0
1 32,78
32,53
Triolein
C,H S
CtR H 38 0 2
C l8 H 88 0 2 884
^18 ü*3^2
unbekannt
'1
190,0
unbekannt
!' 95,70
unbekannt
Digitized by v^.ooQle
Beiträge zur Kenntnis der quantitativen Zersetzung des
Milchzuckers durch den Bacillus acidi lactici.
Von
Dr. Paul Haacke
aus Schwerin (Meckl.)
(Aus dem hygienischen Institut der Universität Rostock.)
Nachdem durch die Untersuchungen von Burchard 1 ) über
den Ablauf und die Gröfse der durch den Micrococcus ureae
liquefaciens bewirkten Harnstoffzersetzung dargethan ist, welche
aufserordentlichen Stoffzersetzungen in der Bakterienzelle statt¬
finden können, erschien es wünschenswert, zu erfahren, welcher
Kraftwechsel diesen Stoffzersetzungen entspricht.
Ich habe es auf Veranlassung des Herrn Professors Pfeiffer
unternehmen wollen, Versuche nach dieser Richtung hin auszu¬
führen. Der Micrococcus ureae liquefaciens erschien für diese
Versuche nicht recht geeignet; denn, wenn auch durch die Unter¬
suchungen von Rubner die Verbrenuungs- und Lösungswärme
des Harnstoffs genau bekannt ist, so schienen doch die Werte
für das bei der Spaltung des Harnstoffs entstehende Ammonium¬
karbonat nicht genau genug ermittelt zu sein. Sie genau zu
ermitteln, war mir bei dem Mangel eines Kalorimeters nicht
möglich, ganz abgesehen davon, dafs es durchaus nicht sicher
feststeht, ob überhaupt bei der Zersetzung des Harnstoffs nur
Ammoniumkarbonat und nicht auch Karbamat gebildet wird.
Hingegen erschien es verhältnismäfsig leicht, die Frage nach
dem Kraftwechsel in den Bakterienzellen durch Untersuchungen
1) Burchard, Archiv f. Hygiene, 1899, Bd. 3(3, S. 2G4.
Digitized by v^.ooQle
Beiträge z. Kenntnis d. quantitat. Zersetzung etc. Von i)r. Baul Haacke.
über die Zersetzung des Milchzuckers durch Milchsäurebakterien
zu lösen, da die in Betracht kommenden kalorischen Werte des
Milchzuckers und der Milchsäure genau bekannt sind und an¬
genommen werden durfte, dafs im wesentlichen aus einem Mole¬
kül Milchzucker vier Moleküle Milchsäure gebildet werden.
Leider hat sich jedoch im Verlauf der Untersuchungen
herausgestellt, dafs der von mir zu den Versuchen benutzte
Milchsäurebildner lange nicht so viel Säure aus dem Milchzucker
abspaltete, als erwartet werden konnte. Ja, es erschien mir sogar
aus einigen Versuchsergebnissen hervorzugehen, dafs der betreffen¬
den Mikroorganismus die gebildete Milchsäure weiter zerstörte,
und ich mufste mich deshalb entschliefsen, auf die Lösung der
oben erwähnten Frage zu verzichten, um so mehr, als sich ergab,
dafs neben Milchsäure ganz erhebliche Mengen von Kohlen¬
säure, Essigsäure und Alkohol gebildet wurden, und eine genaue
quantitative Bestimmung dieser Stoffwechselprodukte zu grofse
Schwierigkeiten verursachte.
Ich habe mich daher darauf beschränkt, nur die quantitative
Zersetzung des Milchzuckers zu verfolgen, hoffe aber durch
meine Untersuchungen einen weiteren Beitrag zur Kenntnis der
quantitativen Stoffzersetzung in der Bakterienzelle zu geben.
Was die bisherigen Kenntnisse über die Zersetzung des
Milchzuckers, bezw. der Zuckerarten überhaupt, durch Milch¬
säurebakterien anlangt, so beziehen sich dieselben wesentlich auf
die qualitative Feststellung der Bildung von Milchsäure allgemein
und der verschiedenen stereoisomeren Formen derselben im ein¬
zelnen.
Als Erster hat jedenfalls Pasteur 1 ) die Beobachtung ge¬
macht, dafs die Milchsäuregärung der Milch durch Mikroorga¬
nismen hervorgerufen wird. Seitdem ist es der fortschreitenden
Wissenschaft im Laufe der Jahre gelungen, eine grofse Anzahl
von Bakterien aufzufinden, die aus Milchzucker, Traubenzucker
1) Pasteur, Annal. de Chirnie et de Physique, (3), 52. — Compt.
rend. de l'Acad&nie des Sciences, 52.
Archiv für Hygiene. Bd. XLIT. 2
Digitized by
Google
18 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc.
und anderen Zuckerarten Milchsäure bilden. Hueppe 1 ) bezeich¬
nte den von ihm nachgewiesenen und genauer studierten Bacillus
acidi lactici als den speziellen bezw. Haupt-Erreger der Milchsäure¬
gärung. Lange Zeit hat diese Ansicht Hueppes ohne Wider¬
spruch bestanden, bis später Milchsäurebakterien aufgefunden
wurden, welche dem Hueppeschen Bacillus den Rang streitig
machten. Aber nicht nur bei solchen echten Milchsäurebakterien,
sondern auch bei den verschiedensten anderen Spaltpilzen wurde
später die Eigenschaft entdeckt, neben anderen Stoffwechsel -
Produkten Milchsäure zu produzieren.
Hieraus ging dann zunächst auch eine Einteilung der Milch¬
säurebakterien in spezifische und fakultative hervor, bis Weig-
mann 2 ) im Jahre 1899 eine neue Einteilung derselben nach dem
Wachstum auf künstlichen Nährböden und dem physiologischen
Verhalten (Produktion von Gasen etc.) gab. Sein Schüler Mac
Donnell 8 ) untersuchte, nachdem schon von verschiedenen Seiten
die Vermutung aufgestellt war, dafs die verschiedenen als Milch¬
säurebakterien beschriebenen Bakterien nur Varietäten einiger
weniger Arten seien 4 ), eingehend möglichst viele Milchsäurebak¬
terien auf ihre nähere Verwandtschaft. Er kam zu dem Resultate,
dafs man nur zwei Bakterienarten als Ausgangsformen für die
übrigen anzunehmen brauche. Er fand bei seinen Versuchen,
dafs die Stäbchenbakterien je nach der Kultur auf verschiedenen
Nährböden in ihrer äufseren Gestalt stark variierten. Er nahm
deshalb keinen Anstand, ovale Coccen in die Klasse des Bak¬
teriums zu stellen, da eine strenge Scheidung oft sehr schwer sei. 6 )
Aufserdem teilte er die Varietäten (Rassen) nach dem Geschmack
ein, den sie beim Wachstum in der Milch derselben erteilten,
eine Einteilung, die offenbar mehr den spezifischen, Molkerei¬
interessen als denen der Wissenschaft dient. Jedenfalls scheint
1) Hüppe, Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. 2.
2) Weigmann, Versuch einer Einteilung der Milchsäurebakterien des
Molkereigewerbes. Centralbl. f. Bakter. u. Parasitenkunde, 1899, II. Abteil.,
Bd. V, S. 861 u. ff.
3) Mac Donnell, Über Milchsäurebakterien. Dissertation, Kiel, 1899.
4) Vgl. Esten, XII., Bacillus acidi lact., Stons agricultur. Exp. Station.
5) Vgl. Weigmann, (a. a. O.), S. 860; Mac Donnell, S. 30.
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Paul Haacke.
19
mir damit nicht bewiesen zu sein, dafs es nicht noch mehr Arten
von Milchsäurebakterien gibt, zumal von verschiedenen Forschern
festgestellt worden ist, dafs verschiedene Bakterienarten ver¬
schiedene Milchsäure bilden. Man müfste nach Mac Donnell
schon an eine Pleomorphie der Milchsäurebakterien denken, die
Flügge 1 ) ganz entschieden leugnet.
Auf die Untersuchung der Art der gebildeten Milchsäure,
auf welche seit Schardingers Entdeckung in neueren Arbeiten
stets Rücksicht genommen ist, scheint Mac Donnell nicht
eingegangen zu sein. Purdie und Walter 2 ) folgern ja aller¬
dings aus der Thatsache, dafs inaktive Milchsäure ein Gemisch
von Rechts- und Linksmilchsäure ist, dafs eine sonst inaktive
Säure produzierender Bacillus unter gewissen Bedingungen nur
eine Art Säure (dann optisch aktive) produzieren könne. Es ist
dies eine Ansicht, dieKozai 3 ) durch seine Versuche zu erhärten
sucht, der aber Günther und Thierfelder 4 ) sich nicht an-
schliefsen können.
Auf die Frage über die Bildung verschiedener Milchsäuren
einzugehen, hat für den vorliegenden Zweck keine Bedeutung.
Eine Feststellung der Quantität der von Milchsäurebakterien
gebildeten Milchsäure ist nur von Wenigen versucht worden.
• Aderhold 6 ) gibt an, dafs bei seinen Versuchen Bacterium coli
0,241—0,576°/ 0 Säure, Bakterium Güntheri 0,546—1,287°/ 0 (auf
Milchsäure berechnet) gebildet habe. Conrad 6 ) fand, dafs
durch sein Bakterium brassicae acidae pro 100 ccm Kultur¬
flüssigkeit eine 4 ccm 4 / t N-Natronlauge entsprechende Menge
Säure gebildet wurde (=0,36°/ 0 Milchsäure). Aus seinen Angaben
hebe ich nachstehende tabellarische Zusammenstellung über die
Milchsäureproduktion des von ihm geprüften Milchsäurebildners
(Bact. brass, acid.) hervor.
1) Vgl. Flügge, Die Mikroorganismen, 1896, Bd. II, S. 80.
2) Purdie und Walter, Chem. Centralblatt, 1892, II, S. 352.
3) Kozai, Zeitschrift f. Hygiene, 1899, Bd. 31, S. 337.
4) Günther und Thierfelder, Hygien. Rundschau, X, Heft 16.
5) Aderhold, Über Einsäuern von Früchten etc.'.Centralbl. f. Bakt. etc.,
II, Bd. V, S. 511.
6) Conrad, Sauerkrautgärung. Archiv f. Hygiene, Bd. 29, S. 72.
2 *
Digitized by
Google
ÖO Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc.
Milchsäure
aörob bei 22° aerob bei 37°
ach 12 Stunden
0,045 g
0,090 g
Am 1.
Tage
0,099 »
0,216 >
> 3.
>
0,225 »
0,477 >
> C.
>
0,405 >
0,585 >
» 9.
>
0,522 »
0,621 »
» 12.
>
0,576 >
0,639 »
» 17.
>
0,630 >
0,639 >
» 22.
>
0,648 » !
0,639 >
Lehmann und Neumann 1 ) führen an, dafs Bacillus acidi
lactici Hueppe in 5 Tagen in 100 ccm 2% Traubenzuckerbouillon
eine 4,6 ccm Normalalkali entsprechende Menge Säure erzeugt.
(=0,41% Milchsäure).
Diese Angaben beziehen sich meist auf *die Menge Säure,
die am Ende einer bestimmten Versuchsperiode festgestellt wurde;
selten ist die Zunahme der Säure (Conrad), nie die Abnahme
des säureliefernden Zuckers, sowie die Zahl der hieran beteiligten
Bakterien berücksichtigt worden.
Soweit die Angaben aus der mir zugänglich gewesenen
Litteratur über die früheren Versuche zur Ermittelung der Milch¬
säureproduktion der Milchsäurebildner.
Zur Beschreibung meiner eigenen Versuche übergehend,
gebe ich zunächst eine Schilderung der zu den Versuchen ver¬
wendeten Bakterienart.
Dieselbe wurde aus Rostocker Marktmilch, in der sie sich
regelmäfsig und, wie es scheint, vorherrschend findet, mit Hilfe
einer durch Lackmus gefärbten Peptomnolkengelatine isoliert.
Das Bakterium stellte ein Kurzstäbchen mit abgerundeten Enden
dar. Seine Länge war je nach dem Kulturmedium bis 3 //,
seine Dicke 0,3—0,f) t/, Eigenbewegung fehlte ihm.
Auf Gelatineplatten bildete es anfangs kleine runde glatt-
randige Kolonien ohne Zeichnung, die sich allmählich gleich-
1) Lehmann und Neu mann, Kurzes Lehrbuch der Bakteriologie,
1900, Bd. II.
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Paul Haacke.
21
mäfsig vergröfserteu und nach dreiwöchigem Wachstum über
1 mm im Durchmesser haltende Kugeln darstellten. Die ober¬
flächlichen Kolonien bildeten allmählich ziemlich hohe Kegel.
Die Farbe der Kolonien war weifs bis schwach gelblich, ihre
Oberfläche saftig glänzend. In Strichkulturen bildete der Bacillus
schmale, wellige, schleimige Rasen. Im Gelatinestich fand reich¬
liches Wachstum längs des ganzen Impfstiches statt, an der Ober¬
fläche bildete sich ein Nagelkopf. In Traubenzuckergelatine er¬
folgte gleiches Wachstum, jedoch unter lebhafter Gasbildung.
Eine Verflüssigung der Gelatine wurde niemals beobachtet.
Auf gewöhnlichem Peptonagar war das Wachstum ähnlich
und ebenfalls sehr lebhaft, namentlich an der Oberfläche, die
vom Rasen oft ganz überzogen wurde. Auf Zuckeragar wuchs
der Bacillus unter reichlicher Gasentwicklung.
Kartoffel erwies sich als ein ganz besonders gutes Nähr¬
substrat. Hier war schon nach 6 Stunden bei 17,5° C. deutlich
Wachstum zu unterscheiden. Die anfangs fast weifse Auflage¬
rung nahm nach einiger Zeit bräunliche Farbe an und zeigte
ein schleimiges, feuchtes Aussehen. Die Oberfläche der Kultur
war oft durch Gasblasen kraterförmig zerrissen.
In Traubenzuckerbouillon erfolgte ebenfalls rasches Wachs¬
tum. Schon nach 6 Stunden war eine leichte Trübung bemerk¬
bar; nach weiteren 6 Stunden fand sich ein reichlicher Boden¬
satz. Beim Umschütteln entwichen zahlreiche kleine Gasblasen.
In Milch fand nach drei Tagen bei 37° C. regelmäfsig
Coagulation statt unter Säuerung, Gasbildung und Abschei¬
dung eines trüben Serums. Die Gasbildung war am lebhaf¬
testen vor der Coagulation. Der Geschmack der Milch war
schwach sauer, die Säuremenge betrug 0,46 °/ 0 , auf Milchsäure
berechnet (= 5,09 ccm J /i N-Natronlauge). Die etwa durch
das Casein gebundene Säuremenge ist hierbei nicht mit in
Rechnung gebracht 1 ). Die Milchsäure war inaktive Milchsäure.
1) Timpe (Archiv f. Hygiene, 18, 1) und Kabrhel (Zeitschrift f.
Hygiene u. Infekt.-Krankh., 19, 392) haben gefunden, dafs in Milch stets
mehr Milchsäure nachzuweisen ist als in anderen Zuckerlösungen, da ein
Teil der Milchsäure durch Casein chemisch gebunden wird.
Digitized by
Google
22 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc.
Als besondere Eigentümlichkeiten des Stoffwechsels meines
Milchsäurebacillus habe ich noch zu erwähnen: die Schwefel¬
wasserstoffbildung in Bouillonkulturen bei 37 °, sowie die Bildung
von Essigsäure, Alkohol und Kohlensäure neben der Milchsäure.
Sporenbildung konnte nicht beobachtet werden.
Die Färbung des Bacillus ging sehr leicht, auch nach Gram,
vor sich.
Aus vorliegenden Angaben über das morphologische und
biologische Verhalten meines Milchsäurebacillus erhellt, dafs der
Bacillus mit dem Bacillus acidi lactici Hueppe identisch ist. 1 )
Er unterscheidet sich von jenem allerdings durch Häutchen¬
bildung in Bouillon, Fehlen der Indolbildung, sowie den Mangel
an Sporen. Doch sind die ersteren Abweichungen nicht von
solcher Bedeutung, um aus ihnen auf eine neue Art Milchsäure¬
bacillen schliefsen zu können, und was die letztere Eigenschaft
betrifft, so sind die Angaben über das Sporenbildungsvermögen
des Hueppesehen Bacillus in der Litteratur so widersprechend,
dafs es höchst zweifelhaft ist, ob der Sporenbefund Hueppes
zu Recht besteht.
Versuchsanordnung.
Die Versuche wurden in folgender Weise angestellt: ein
500 ccm fassender, mit doppelt durchbohrtem Stopfen ver¬
schlossener Erlenmeyer-Kolben wurde mit einem langen,
schräg abwärts gebogenen Ausflufsrohr und einem kurzen, ge¬
raden, weiten Einfüllrohr montiert. Beide Röhren wurden mit
Wattepfropfen verschlossen, sodann wurde der Kolben mit
200 ccm lproz. Peptonmolke beschickt und zweimal je eine
Stunde im Dampftopf bei 100° sterilisiert. Nach dem Erkalten
wurde der Kolbeninhalt mit einer möglichst frischen Bouillon¬
kultur des Bacillus acidi lactici geimpft, die mittels einer Kapil¬
lare durch das Einfüllrohr eingebracht wurde. Nach kräftigem
Umschütteln wurde eine Probe der Flüssigkeit von etwa 25 ccm
1) Weiginann (a. a. O.) schreibt dem Bacillus acid. lact. Hueppe
Kechtsmilchsäure zu.
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Paul Haacke.
23
ausgeblasen, die Ausflufsröhre sofort wieder sterilisiert und ver¬
schlossen. Der Kolben wurde im Brutschrank bei 37° C. ge¬
halten, und in Intervallen von je drei Tagen je eine Probe in
gleicher Weise ausgeblasen.
Von der Probe wurden sofort Verdünnungen in der gleich
zu beschreibenden Weise angefertigt, und mit kleinen Mengen
letzterer Gelatineplatten beschickt. Meist wurden drei Verdün¬
nungen hergestellt, die Höhe der Verdünnung schwankte zwischen
0,05 und 1,0 ccm der Originalprobe bezw. der ersten Verdün¬
nung auf je 100 ccm sterilen Wassers. Nach jeder Verdün¬
nung wurde gründlich durchgeschüttelt, mit steriler Pipette die
Aussaatprobe entnommen (0,05—1,0 ccm) und direkt in die
Petri sehe Schale übergeführt, in der dann durch Hin- und
Herbewegen die Mischung mit der verflüssigten Traubenzucker-
Gelatine bewerkstelligt wurde.
Die Schalen blieben bei Zimmertemperatur (18—20°) so lange
stehen, bis auch die kleinsten Kolonien gut zu erkennen waren.
Dann wurden sie in der üblichen Weise ausgezählt. Die Aus¬
zählung wurde an mehreren Tagen wiederholt, um Gewähr zu
erhalten, dafs kleinere Kolonien anfangs nicht doch übersehen
worden waren.
Bei Berechnung der Resultate der Zählung wurde auf die
Dichte der Platten Rücksicht genommen. War etwa Platte I
nicht zählbar, so dienten Platte II und III zur Ermittelung der
Keimzahl. Anderseits wäre es ein Fehler gewesen, Platte III zu
verwenden, wenn die ersten beiden brauchbar waren. Als Bei¬
spiel möge eine Zählung aus Versuch IX dienen. Aussaat
je 1 ccm.
Verdünnung:
1,0 ccm Originalkultur + 100 ccm Wasser = I. Verdünnung.
1,0 > der I. Verdünnung + 100 » » = II. >
1,0 » > II. » +100 * » =111. »
Platte I, gezählt 992 Kolonien:
1,0 ccm der I. Verdünnung enthielt 992 Keime
folglich 101,0 > » I. » |
oder 1,0 > Originalkultur > f *
Digitized by CjOOQle
24 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc.
Platte II, gezählt 10 Kolonien:
1,0 ccm der II. Verdünnung enthielt
also 101,0 » » II. » »
oder 1,0 »» I. » »
folglich 101,0 » » I. » »
oder 1,0 » » Originalkultur »
10 Keime
1010 i
102 010 »
Platte III, gezählt 1 Kolonie:
1,0 ccm der III. Verdünnung enthielt somit 1 Keim.
Da sich nun Verdünnung I zu Verdünnung II etwa wie
1 : 100 verhält, so müfste 1,0 ccm der Verdünnung III 0,1 Keim
enthalten, oder es entfiele erst auf die zehnte Platte ein Keim.
Es ist also klar, dafs Platte III bei der Zählung nicht berück¬
sichtigt werden darf. Der Durchschnitt ist also nur aus Platte I
und Platte II zu berechnen:
Platte I = 100 192 Keime 1 ccm Originalkultur
> 11 = 102 010 > 1 > _ >
Mittel: 101 101 Keime für 1 ccm der Originalkultur.
Die Bestimmung des Milchzuckergehaltes der ausgeblasenen
Probe wurde nach dem Soxhletschen Verfahren ausgeführt:
50 ccm Fehlingscher Lösung wurden mit 5 event. 10 ccm
(je nach der Konzentration) der filtrierten Kulturflüssigkeit und
mit etwa 100 ccm Wasser 6 Minuten im Sieden erhalten. Das
ausgeschiedene Kupferoxydul wurde in der Allihnsehen Röhre
gesammelt, als Oxyd gewogen und nach den Weinschen Tabellen
auf Milchzucker umgerechnet.
Die Säurebestimmung wurde in den Versuchen I und II so
ausgeführt, dafs 5 ccm der Kulturflüssigkeit direkt nach Zusatz
von Lackmustinktur mit 1 / 10 N-Natronlauge titriert wurden. Dann
wurde mit Schwefelsäure angesäuert, ausgeäthert und die äthe¬
rische Lösung auf dem Wasserbade abgedampft. Der mit Wasser
aufgenommene Rückstand wurde abermals titriert und als Milch¬
säure in Rechnung gebracht.
Teilweise wurde bei den übrigen Versuchen auch folgendes
Verfahren eingeschlagen: 5 ccm der gut umgeschüttelten Kultur¬
flüssigkeit wurden mit verdünnter Schwefelsäure versetzt; der
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Pani Haacke.
25
gebildete Gips wurde abfiltriert, worauf ausgeäthert wurde. Der
nach dem Verdunsten des Äthers bleibende Rückstand wurde
in Wasser aufgenommen und titriert.
Eine andere Methode kam daneben zur Anwendung: 5 ccm
der umgeschüttelten Kulturflüssigkeit wurden mit Ammonium¬
karbonatlösung erhitzt, der kohlensaure Kalk wurde abfiltriert, das
milchsaure Ammoniak mit Schwefelsäure zersetzt, die freie Milch¬
säure ausgeäthert, der Äther verdunstet und der Rückstand wie
oben titriert.
Den chemischen Nachweis der Milchsäure habe ich zum
Schlufs des Versuchs in folgender Weise 1 ) geführt:
Das in der Kulturflüssigkeit suspendierte Gemenge von
kohlensaurem und schwer löslichem milchsauren Kalk wurde
abfiltriert und mit Ammoniumkarbonat gekocht, um die Milch¬
säure als Ammoniumverbindung zu erhalten. Die Lösung der¬
selben wurde mit verdünnter Schwefelsäure zersetzt und mit
Äther extrahiert. Dann wurde die ätherische Lösung verdampft,
der Rückstand mit Wasser aufgenommen, etwa vorhandene
Schwefelsäure (stets nur ganz geringe Spuren) durch Bleiessig
als schwefelsaures Blei entfernt, mit mehr Bleiessig versetzt und
so lange alkoholisches Ammoniak hinzugefügt, als noch eine
Fällung von basischem milchsauren Blei entstand. Das Salz
wurde mit Schwefelwasserstoff zerlegt, und die Lösung der Milch¬
säure polarisiert.
Obwohl Kruse 2 ) für den Bacillus acidi lactici Hueppe als
Nebenprodukte des Stoffwechsels nur Kohlensäure und Alkohol
angibt, so war es doch, wie schon erwähnt, kaum zweifelhaft,
dafs noch andere Körper als jene durch die Lebensthätigkeit
des Bakteriums erzeugt würden, besonders da schon Luboldt 3 )
als Umsetzungsprodukte des Milchzuckers bei der Milchsäure¬
gärung Milchsäure, Alkohol, Kohlensäure und Essigsäure an¬
gibt und Konrad bei dem Bacterium brassic. acid. verschiedene
Gase und Säuren nachgewiesen hat.
1) Palm, Zeitschrift f. analyt. Chemie 22, 8. 223; 26, S. 34.
2) Kruse bei Flügge, Die Mikroorganismen, Bd. II, S. 356.
3) Luboldt, Über die Gärung des Milchzuckers. Journal f. prakt.
Chemie, 1859, Bd. 67, 8. 282.
Digitized by CjOOQle
26 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc.
Ich habe den Nachweis etwaiger Nebenprodukte in den
Kulturen meines Milchsäurebildners nach der bei Conrad an¬
gegebenen Methode 1 ) ausgeführt:
Nach Abschlufs der Milchsäuregärung wurde die Kultur¬
flüssigkeit der Destillation unterworfen, und das Destillat auf
flüchtige Stoffe untersucht. In Betracht konnten kommen: Al¬
kohol, Aldehyd und Aceton.
Zur Prüfung auf Alkohol wurde im Destillat die Jodoform¬
reaktion mit Erfolg angewandt.
Ein anderer Teil des Destillates wurde zum Nachweis von
Aldehyd mit saurem schwefligsauren Natron behandelt: Aldehyd
war nicht nachweisbar.
Zur Ermittelung von Aceton 2 ) wurde ein Teil des Destillates
mit Sublimatlösung versetzt, der mit alkoholischer Kalilauge
alkalische Reaktion erteilt war. Nach kräftigem Umschütteln
wurde filtriert. Das Filtrat wurde mit Schwefelammonium über¬
schichtet, Schwarzfärbung blieb aus: Aceton war nicht vorhanden.
Der Rückstand der Kulturflüssigkeit wurde auf den dritten
Teil eingedampft, mit Schwefelsäure angesäuert und mit Wasser¬
dampf 6 bis 8 Stunden destilliert. Trotz der langen Dauer der
Destillation gelang es nicht, die flüchtigen Säuren vollkommen
überzutreiben (vgl. Conrad). Das Destillat wurde mit Baryt¬
wasser neutralisiert, die Lösung der Barytsalze fast bis zur Trockne
verdampft und die Salzmasse mit konzentrierter Phosphorsäure
versetzt. Die sich abscheidende wässerige Schicht hätte die
Säuren der Ameisensäurereihe bis zur Buttersäure enthalten
müssen.
Ameisensäure nachzuweisen, wurde mit Silbernitrat und
Quecksilberchlorid vergeblich versucht.
Essigsäure wurde durch die Bildung von Essigsäureäthylester
erkannt.
Der Destillationsrückstand wurde mit Äther ausgeschüttelt;
er enthielt reine Milchsäure, die in das Zinksalz übergeführt
wurde, dessen Lösung die Polarisationsebene nicht drehte.
1) Conrad, Archiv f. Hygiene, Bd. 29, 8. 72 u. ff.
2 ) Hoppe-Seyler, Handbuch d. physiol. Chemie, 6. Autl., 1893.
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Paul Haacke.
27
Als Stoffwechselprodukte wurden bei meinen Versuchen
also Milchsäure, Essigsäure und Alkohol festgestellt. Die Natur
der reichlich gebildeten Gase konnte mangels gasanalytischer
Apparate im einzelnen nicht ermittelt werden. Jedoch wurde
das Vorhandensein von viel Kohlensäure unter denselben kon¬
statiert.
Berechnet wurden Milchzucker und Milchsäure auf 100 ccm
Kulturflüssigkeit. Die Prozentzahlen dürfen den absoluten wohl
gleich geachtet werden, da eine Verdunstung der Kulturflüssig¬
keit während des Versuches so gut wie ausgeschlossen erschien.
Obwohl mir die Thatsache bekannt ist, dafs freie Milchsäure
das Wachstum der Milchsäure produzierenden Bakterien empfind¬
lich schädigt und schliefslich gänzlich hemmt, eine Thatsache,
der man in der Industrie durch Zusatz eines Neutralisierungs¬
mittels zu den Kulturmedien Rechnung trägt, so erschien es
doch nicht uninteressant, die Milchzuckerzersetzung auch für
diese Fälle kennen zu lernen, in welchen die gebildete Milch¬
säure in der Kulturflüssigkeit frei verblieb. Die beiden ersten
Versuche wurden deshalb ohne Zusatz einer säurebindenden Sub¬
stanz zur Kulturflüssigkeit ausgeführt.
I. Versuch.
200 ccm lproz. Peptonmolke ohne Neutralisierung9mittel, mit einer
frischen Traubenzuckerbouillonkultur von Bacillus acidi lactici Hueppe be¬
schickt.
T
Zeit
Nach d. Beschickung 1
> 72 Stunden I
> 144 »
» 216 >
> 288
Milch¬
zucker
in %
3,554
3,238
3,284
3,134
3,120
j Ti
Abnahme
1 d. Milch
j zuckers !|
in 0/ “ i
Säure
flüchtige
(als Essig¬
säure be¬
rechnet)
»» %
nicbtllücht.
(als Milch¬
säure be¬
rechnet)
Keime
pro 1 ccm
j; P
_
20025
0,072
0,061
46 918 452 913
|i r
0,100
0,074
51 346 295
! 0,150
0,067
0,038
10110100
,! «.014 '!
0,037
0,148
10010
i
Digitized by v^.ooQle
28 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc.
n. Versuch.
wurde in derselben Weise wie Versuch I ausgeführt.
1
Milch¬
zucker
in °/ 0
i
i ir
Abnahme
Säure in °/ 0
Zeit
d. Milch¬
zuckers
in %
flüchtige |
(als Essig- i
säure be¬
rechnet)
jnichtilücht.
i (als Milch¬
säure be¬
rechnet)
Keime
pro 1 ccm
1
Nach d.Beschickung
> 72 Stunden
3,538 t
3,180 !
1 1
| 0,358 ;
0,06
0,061
| 209 963 755
» 144 »
3,180
0
? 1
?
148 903 755
> 216
3,150
0,030
0,073 |
0,112
10020010
* 288
3,120
0,030 ]|
0,108
0,018
steril
Wie zu erwarten war, setzte die auf tretende Säure der Ver¬
mehrung der Bakterien ein baldiges Ziel. Obwohl noch eine
grofse Menge Milchzucker vorhanden war, vermochten die Bakterien
nicht denselben aufzuzehren.
In beiden Versuchen fand die stärkste Vermehrung der
Bakterien innerhalb dreier Tage statt. Die Zahl der Keime nahm
dann wieder ab, bis nach 12 Tagen die Abnahme so bedeutend
war, dafs die Platten steril oder fast steril blieben.
Die Zersetzung des Milchzuckers erhellt aus folgender
Tabelle:
Milchzuckerzersetzung in °/ 0
v er»ucu
nach 72h
144 h
216 h
288 h
i
8,9
7,6 (?)
11,8
12,2
ii
10,1 |
10,1
10,9
11,8
Offenbar wurden die Bakterien in ihrer Lebensthätigkeit
durch die von ihnen produzierte Säure geschädigt, ja vielleicht
zum Teil sogar getötet. Ich schliefse auf letzteres daraus, dafs
die Platten zuletzt steril waren Wären die Bakterien nur in ihrer
Entwicklung gehemmt gewesen, so hätten sie sich auf dem frischen
Nährboden rasch wieder vermehren müssen. Eine Rechtfertigung
dieses Schlusses, dafs sie getötet wurden, erblicke ich in den
Digitized by CjOOQle
Von t>r. faul Haacke.
29
Erfahrungen beim Versuch V, bei welchem die Säure durch im
Cberschufs vorhandenes Calciumkarbonat jeweils sofort gebunden
wurde. Hier blieb die Kulturflüssigkeit, nachdem mit dem Ver¬
schwinden des Milchzuckers und der Abnahme der Keime der
Versuch abgebrochen war, vom 10. August bis zum 30. Oktober
stehen. Beim Anfertigen einer Platte mit 0,1 ccm der Kultur¬
flüssigkeit zeigten sich sehr zahlreiche Kolonien. Die Bakterien
hatten hier wegen Mangels an Nahrung einen gewissen Ruhe¬
zustand erreicht, um aber bei Darbietung eines guten Nährbodens
sich sofort wieder rasch zu vermehren.
Es lag der Gedanke nicht fern, dafs bei den Bakterien
während dieses Ruhestadiums Sporulation aufgetreten sei. Ich
konnte jedoch keine Sporen nachweisen. Würde mein Bacillus
solche bilden, so hätte er dies doch in den Fällen sicher thun
müssen, wo er, wie z. B. bei Versuch XI, offenbar zuerst die
günstigsten Lebensbedingungen hatte, aber allmählich die Er¬
schöpfung des Nährmaterials drohte. Aber auch in diesem Falle
fand ich nichts, was als Sporen hätte angesprochen w r erden können.
Ebenso wenig aber auch, als ich die Versuche Hueppes wieder¬
holte. Hueppe sagt über seinen Sporenbefund 1 ):
». . . habe ich mich von der Sporenbildung überzeugt. In
der Milch und in der Gelatine hatte ich wohl schon Formen
beobachtet, welche Sporen zu sein schienen, konnte mich aber
nicht bestimmt dafür aussprechen. Sicher gelang mir dies in den
verschiedensten Zuckerlösungen. Hier beobachtete ich endständig
an den kleinen Zellen das Auftreten eines kugeligen, glänzenden,
stark lichtbrechenden Körperchens.«.
In eine sterile Traubenzuckerlösung brachte ich eine möglichst
grofse Menge von Bakterien und kultivierte 14 Tage bei gewöhn¬
licher Temperatur. Bei der mikroskopischen Untersuchung ergab
sich, dafs keine Sporen gebildet waren, w r ohl aber eine starke
Involution der Bakterien stattgefunden hatte, welche so tief¬
greifend war, dafs selbst Aussaat in Traubenzuckergelatine, also
Zufuhr guter Nährstoffe, nicht mehr regenerierend wurkte.
1) Hueppe, Mitteil, aus dein Kaiserl. Gesundheitsamt, 2, S. 339—340.
Digitized by G.OOQle
30 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc.
Ich bestätige damit übrigens den Befund Mac Donnells,
der fand, dafs Milchsäurebakterien nicht in reinen Milchzucker¬
lösungen wachsen, auch für Traubenzuckerlösungen.
Die Beobachtung von der Abnahme der Keime in den Kul¬
turen nach einer gewissen Zeit bei gleichzeitigem Unvermögen
derselben, selbst auf guten Nährböden (Gelatineplatten) wieder zu
wachsen und Kolonien zu bilden, stimmt aufserordentlich gut
mit den Beobachtungen Burchards überein, der ähnliche
Ruhezustände bei dem Micrococcus ureae liquefaciens fand.
Bei den folgenden Versuchen III-VIII wurde zu den Kultur¬
flüssigkeiten gefälltes Calciumkarbonat zur Bindung der gebildeten
Milchsäure hinzugefügt. Damit waren ähnliche Bedingungen ge¬
schaffen, wie sie in der Industrie zur Herstellung von technischer
Milchsäure dienen.
III. Yersuch.
200 ccm 1 proz. Peptonmolke mit reichlichem Calciumkarbonatzusatz,
mit einer frischen Traubenzuckerbouillonkultur von Bacillus acid. lact. Hueppe
beschickt.
Zeit
i
; Milchzucker
! in %
Abnahme
des Milch¬
zuckers in %
Milchsäure !
pro 100 ccm
Kultur¬
flüssigkeit
Keime pro 1 ccm
Nach d.Beschickung
3,402
—
10010
»
72 Stunden
2,162
1,240
0,018
300600300
»
144
0,860
1,302
0,130
?
*
216 »
0,560
0,300
0,203 ,
! ?
>
288
Spuren
0,560
0,180
; 918 278 910
>
360
—
—
0,198
j 725 302 520
II
r. Yersuch.
Anordnung dieselbe wie beim III. Versuch.
Zeit
Milchzucker
in %
Abnahme
des Milch-
i
zuckere in °/ 0
Milchsäure
in g pro
100 ccm Kul¬
turflüssigkeit
Keime pro 1 ccm
Nach d.Beschickung
3,402
—
—
i|
10010
>
72 Stunden
2,404
0,998
0,056
40 080 040
>
144
2,060
0.364
0,168
1 ?
»
216
1,320
0,740
0,320
?
>
288 >
0,440
0,880
0,260
2082 080 520
»
360
Spuren
0,440
0,279
|| 493 906 630
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Paul Haacke.
äi
Beide Versuche zeigen sehr deutlich den günstigen Einfluls,
der ausgeübt wird, wenn die gebildete Säure sofort gebunden wird.
Die Abnahme des Milchzuckers, die sich bei den beiden ersten
Versuchen in sehr bescheidenen Grenzen hielt, geht hier rapide
vor sich. Während dort der Milchzuckergehalt der Kulturflüssig¬
keit insgesamt sich nur um 0,43 resp. 0,42 °/ 0 verminderte, ist
hier bei Versuch IV fast die ganze Menge des Milchzuckers
nach 360 Stunden, bei Versuch III schon nach 288 Stunden
aufgezehrt.
Dasselbe Ergebnis lieferten die zur Kontrolle dieser Versuche
angestellten folgenden Versuche (V—VIII), deren Anordnung
vollständig die gleiche war wie die der Versuche III und IV;
nur kamen bei Versuch VII und VIII 500 ccm Peptonmolke zur
Verwendung.
V. Versuch.
Zeit
j Milchzucker
in •/.
Abnahme
des Milch¬
zuckers in °/ 0
Milchsäure
•".ffirl"-«-*-
flüssigkeit j
Nach d.Beschickung
3,120
—
—
1
80040
>
72 Stunden
1,418
1,702 |
0,130
?
;
144
0,768
0,650
0,315
939 129 330
>
216
0,172
0,596 ;
0,556
540 810 270
VI. Versuch.
Zeit
1 Milchzucker
i in 7„
| Abnahme
| des Milch-
j zuckere in °/ 0
Milchsäure |
pro 100 ccm
Kultur- |
flüssigkeit |
i
j
Keime pro 1 ccm
Nach d.Beschickung
3,194
—
—
200100
>
72 Stunden
1,388
1,806
0,112 |
2 649 203 440
>
144
0,761
0,627
0,185 1
1389 934 620
>
216
0,112
0,649
1,008 ;
1 121 120 280
Digitized by CjOOQle
32 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Versetzung des Milchzuckers etc.
VU. Versuch.
500 ccm 1 proz.
Peptonmolke.
Zeit
i.
Milchzucker
in °/o
i
1
Abnahme
des Milch¬
zuckers in °/ 0 j
Milchsäure
pro 100 ccm
Kultur¬
flüssigkeit
Keime pro 1 ccm
Nach d.Beschickung
3,164
—
—
200100
> 72 Stunden
1,694
1,470
0,018
2283280280
>144 >
0,976
0,718
0,083
1681 680 420
> 216
0,753
0,223
0,407
945 552 540
> 288 >
0,162
0,591
0,065
189 274 590
> 360 >
lj
—
0,162
0,243
350 700 350
VIII. Versuch.
Abnahme
Milchsäure
Zeit
Milchzucker
in °/n
des Milch-
pro 100 ccm
Kultur-
Keime pro 1 ccm
.1
111 Io
1
zuckers in %
{ flüssigkeit |
I
Nach d.Beschickung
3,314
—
—
1001
> 72 Stunden
2,892
0,422
0,018
51005
> 144 >
0,858
2,034
0,074
9 231 905
> 216
0,805
0,053
0,056
2 274 823
» 288 »
0,449
0,356
0,074
5 151 505
1
Die Versuchsergebnisse aus dieser Reihe (III—VIII) sind
nachstehend auch noch in graphischer Darstellung wiedergegeben.
Diagramm I zeigt die Zersetzung des Milchzuckers in Pro¬
zenten, Diagramm II die Bildung der Milchsäure in Centigrammen,
berechnet für je 100 ccm Kulturflüssigkeit. Diagramm III endlich
zeigt die Zu- und Abnahme der im Kubikcentimeter Pepton¬
molke gezählten Keime.
Wie man sieht, weichen die Kurven der Diagramme von
einander im allgemeinen mehr oder weniger ab; es verhalten sich
aber auch die Kurven der einzelnen Versuche auf dem gleichen
Diagramm verschieden.
Was die Milchzuckerzersetzung anlangt, so dauert dieselbe
allgemein an, bis der vorhandene Milchzucker zersetzt ist. Die
Schnelligkeit des Anstiegs der Zersetzung war jedoch verschieden,
am gröfsten bei den Versuchen V, VI und VII, im Verlauf derer
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Paul tiaacke.
33
schon in den ersten drei Tagen etwa die Hälfte des Milchzuckers
zerstört war. Bei Versuch IV war die Zersetzung durchaus ver¬
langsamt; am Ende des dritten Versuchstages waren erst 25 °/ 0 ,
am Ende des sechsten Versuchstages erst 40°/ 0 des vorhandenen
Diagramm I.
Zersetzung des Milchzuckers in Prozenten.
-///. Versuch + + + + Versuch
- ty, . w
- v. • 4 - MW
Milchzuckers zerlegt. In diesem Versuch erfolgte die Zersetzung
aber aufserordentlich gleichmäfsig:
am 3. Tage zerlegt: 25°/ 0
» 6. * » 39°/ 0 ^
»9. * » 54°/ 0 ^ J #;)
» 12. > > 85% + 3 |
» 15. * » 100% + lo
Verzögert war zu Anfang (bis zum dritten Tage) auch die
Zersetzung des Milchzuckers in Versuch VIII (15°/ 0 ); jedoch
wuchs dieselbe innerhalb der nächsten drei Tage bereits auf 73°/ 0 .
Es liegt nahe, diese Unterschiede in der Milchzuckerzersetzung
auf die Gröfse der Bakterienaussaat und -Vermehrung zurück¬
zuführen. Im Versuch VIII ist in der That die Bakterienaussaat
geringer gewesen als in irgend einem anderen Versuch. Nach
drei Tagen waren die ausgesäten Bakterien zwar um das 50fache
vermehrt, aber immerhin erst in der Hälfte der Menge vorhanden,
Archiv för Hygiene. Bd. XLTT. 3
Digitized by v^.ooQle
34 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Versetzung des Milchzuckers etc.
welche bei den meisten übrigen Versuchen schon gleich von
vornherein vorhanden war. Am sechsten Tage allerdings war die
Vennehrung auf das lOOOOfache gediehen. Eine solch rapide
Diagramm II.
Gebildete Milchsäure in Zentigrammen pro 100 cem Kultur (Bissigkeit.
Diagramm III.
Vermehrung des Bae. acid. lact. Anzahl der Keime im Knbikeentimeter
der Kultnrflttssigkeit.
-ir. - mt.
Vermehrung haben die Bakterien in den Versuchen VI und Vll
bereits in drei Tagen erfahren, während sie im Versuch IV erst
am zwölften Tage erreicht war. Daher auch die verlangsamte
Zersetzung des Milchzuckers in diesem Versuch.
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Paul ttaacke.
35
Bemerkenswert ist, dafs die Bakterienvermehrung nicht fort¬
während anhält, sondern relativ früh ihr Maximum erreicht;
alsdann bleibt entweder die Bakterien zahl einige Zeit gleich oder
sinkt sofort wieder ab, bis schlielslich die schon erwähnte Erschei¬
nung auftritt, dafs auf den Zählplatten keine oder nur wenige
Kolonien mehr zur Entwicklung kommen. >
Die Ursache für dieses Verhalten der Bakterien könnte ent¬
weder die sein, dafs mit der drohenden Erschöpfung des Nähr¬
bodens die Vermehrung aufhört; dann müfsten aber immerhin
noch zahlreiche Kolonien auf den Zählplatten zur Entwicklung
gekommen sein; oder aber die Bakterien gehen infolge des
Mangels an Nährmaterial oder durch Anhäufung der Stoffwechsel¬
produkte zu Grunde, was, wie oben Seite 16 hervorgehoben ist,
nicht der Fall war. Oder endlich, sie treten in ein Ruhestadium
ein, ähnlich wie manche tierische Parasiten oder die Samen der
Pflanzen, aus dem sie nur durch bestimmte Reize aufgeweckt
werden. In diesem Falle müssen sie aber jedenfalls Reservestoffe
aufspeichem (Fette, Kohlehydrate oder Eiweifsstoffe). Läfst man
letztere Annahme gelten, so sind alle Schlüsse aus dem Ergeb¬
nisse der Auszählung der Plattenkulturen höchst wahrscheinlich
falsch. Man zählt dann die noch nicht in das Ruhestadium
eingetretenen, jedenfalls aber nicht alle in der Kultur vorhan¬
denen Individuen. Es eröffnet sich hier noch ein weites Feld
für die Forschung.
Auffällig stark weichen die Kurven für die Milchsäurebildung
unter sich und von den oben behandelten Kurven für die Milch¬
zuckerzersetzung und die Bakterien Vermehrung ab. In den Ver¬
suchen III, IV und VIII bleibt die Milchsäureproduktion am
sechsten, bezw. neunten Tage stehen, ja es geht sogar die Milch¬
säuremenge wieder zurück. Der starke Rückgang der Milch¬
säureproduktion am zwölften Tage des Versuches VII kann viel¬
leicht durch einen Analysenfehler bedingt sein. Hingegen steigt
die Milchsäuremenge in den Versuchen V und VI konstant an,
im Versuch VI sogar vom sechsten Tage an überraschend schnell.
Von vornherein sollte man erwarte p, dafs die Milchsäure¬
mengen den zersetzten Milchzuckermengen parallel gehen würden;
3 *
Digitized by
Google
36 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc.
das ist aber fast bei keinem Versuche nachzuweisen gewesen.
Der Bakterienvermehrung geht die Milchsäureproduktion auch
nur im Versuch VIII parallel; bei allen anderen Versuchen läfst
sich gar keine Übereinstimmung im Gang der Milchzucker¬
zersetzung und Milchsäurebildung auffinden. Schon dieser Um¬
stand spricht meines Erachtens dafür, dafs die Milchsäurebildung
der Bakterien kein einfacher molekularer Spaltungsvorgang ist,
etwa wie der der Spaltung der Zuckerarten in Alkohol und
Kohlensäure durch die Zellthätigkeit der Hefe.
Bei den sämtlichen vorstehenden Versuchen III—VIII ist
aufserdem auffällig, dafs die Menge der gebildeten Milchsäure
so außerordentlich gering ist im Verhältnis zum zerstörten Milch¬
zucker. Rechnet man, welche Mengen Milchsäure hätten gebildet
werden können, wenn aller Milchzucker in Milchsäure zerlegt
worden wäre, so erhält man folgende Werte, die nachstehend
übersichtlich geordnet nach den sechs Versuchen mitgeteilt sind:
Verhältnis der gefundenen zu der
Versuch erwarteten Milchsäure in °/ 0
nach 7*2 h 144 h 216 h
III
1,5
5,0
7,0
IV
5,6
12,0
15,0
V
8,0
13,0
18,0
VI
6,0
8,0
33,0
VII
1,2
4,0
17,0
VIII
4,5
3,0
2,0
Nur in einem Falle ist : / 3 der theoretischen Milchsäuremenge
gebildet, in den meisten Fällen nur 1 / 7 bis l j 6 .
Bei der Bestimmung des Keimgehaltes im Verlaufe der Ver¬
suche III—VIII ist mir wiederholt aufgefallen, dafs die Aus¬
zählungen der verschiedenen Kontrollplatten weniger gut über¬
einstimmende Resultate lieferten als die bei den Versuchen I
und II. Ich glaube nicht irre zu gehen, wenn ich annehme,
dafs dies dadurch bedingt war, dafs der verhältnismäfsig schwere,
rasch sedimentierende kohlensaure Kalk einen Teil der Bakterien
mechanisch niederrifs, während die Probe zur Aussaat aus dem
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Paul Haacke.
37
allerdings gut umgeschüttelten Kölbchen mit der ausgeblasenen
Portion entnommen wurde.
Ich habe daher bei dem nächsten Versuche statt des gefällten
Calciumkarbonats Marmorstückchen verwendet. Die Befürchtung,
dafs Marmor als krystallinisches Calciumkarbonat vielleicht zu
hart sei, um die abgespaltene Milchsäure schnell genug zu binden,
und so etwa nachteilig auf die Vermehrung und Lebensthätigkeit
der Bakterien einwirken könnte, erwies sich als unbegründet.
Von den nach Beendigung des Versuches herausgenommenen
Stücken Marmor liefsen sich schon mit den Fingern leicht gröfsere
Krümmel abreiben; die ganzen Stücke waren so mürbe geworden,
dafs ich sie leicht zerbrechen konnte.
Der Versuch IX verlief im übrigen ebenso wie die vorher¬
gehenden, nur waren die Resultate der Auszählungen thatsäch-
lich besser übereinstimmend. Ich lasse das Versuchsergebnis
nachstehend folgen.
IX. Versuch.
500 ccm 1 proz. Peptonmolke mit Marmorstückchen, geimpft mit einer
frischen Bouillonkaltur von Bacillus acid. lact. Hueppe.
Zeit
. . Abnahme
Milchzucker . .
0 des Milch-
| m '° zuckere in %
Milchsäure
pro 100 ccm ||
l Kultur- |
1 flüssigkeit
Keime pro 1 ccm
Nach d.Beschickung
3,194
—
—
—
> 72 Stunden
3,090
0,104
0,009
101 101
> 144
2,832
0,258
0,019
17 586 524
> 216 >
1,076
1,756
0,093
539 173 855
> 288
0,359
0,717
0,056
89049 630
> 360 >
Spuren
0,359
0,009
28 501 594
Eine kleine Abweichung zeigt das Resultat dieses Versuches
allerdings darin, dafs sowohl Milchzuckerzersetzung wie Bakterien¬
vermehrung anfänglich mehr verzögert Waren. Ich halte es für
möglich, dafs diese Verzögerung durch die etwas schwerere An¬
greifbarkeit des Marmors, bezw. die durch ihn gebotene kleinere
Angriffsfläche bedingt war. Es kann hierdurch möglicherweise
anfänglich doch eine gewisse hemmende Säuerung im Nährboden
zustande gekommen sein,
Digitized by CjOOQle
38 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc.
Ich habe deshalb zu den folgenden beiden Versuchen (X und
XI) Austernschalen verwendet. Die Austernschalen waren in der
Weise präpariert, dafs die zertrümmerten Schalen in einem Gefäfs
mit Wasser drei Stunden bei zwei Atmosphären Druck im Auto-
claven zur Entfernung der organischen Substanz erhitzt wurden.
Eine Analyse der Austernschalen ergab 0,38 °/ 0 Magnesiumoxyd,
Spuren von Eisen und Phosphorsäure; der Rest war kohlen¬
saurer Kalk.
X. Versuch.
Zeit
Milchzucker
in %
1
Abnahme
des Milch¬
zuckers in %
Milchsäure
pro 100 ccm
Kultur-
l flüssigkeit 1
n
|i
j Keime pro 1 ccm
i .
Nach d.Beschickung !
j 3,194
—
1
l|
9191
» 72 Stunden
Spuren
last 3,194
0,112
unzählbar
> 144 > j
—
' —
0,028
unzählbar
I
Da der Versuch X wider alles Erwarten nach 72 Stunden
schon beendet war, wurde zur Kontrolle ein zweiter Versuch
angestellt.
XI. Versuch.
Zeit
T ' ~ “
Milchzucker
in °/ 0
t;
> i
Abnahme
des Milch-
| zuckers in %
Milchsäure i
pro 100 ccm 1
Kultur- '
flüssigkeit
| Keime pro 1 ccm
Nach d.Beschickung
3,328
!
j i
—
101
> 24 Stunden
2,268
1,060
0,019
601 859
> 48 >
Spuren
| 2,268
0,130
2 638 928
Das Resultat dieser beiden Versuche war ungemein über¬
raschend. Während in früheren Versuchen der Milchzucker
frühestens nach 216 Stunden verschwunden war, waren beim
Versuch XI schon nach 48 Stunden nur noch Spuren Zucker nach¬
zuweisen.
Da die Versuchsbedingungen bis auf das Neutralisierungs¬
mittel die gleichen geblieben waren, so konnte der Grund zu
dieser auffälligen Erscheinung nur in ihm gesucht werden.
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Paul Haacke.
39
Dem geringen Eisengehalt kann die so energische Wirkung
nicht zugeschrieben werden, da Bakterien im allgemeinen auf
Eisengehalt des Nährbodens keinen Anspruch erheben.
Da der Gehalt an Phosphorsäure in den Austernschalen ein
nur sehr geringer ist, Molke anderseits Phosphate in gröfserer
Menge enthält, so ist der Ausfall der beiden letzten Ver¬
suche vielleicht der Magnesia zuzuschreiben, eine Vermutung,
die mit den bisherigen Erfahrungen über die Wirkung des
Magnesiagehaltes des Bodens auf höhere Pflanzen auch ganz gut
im Einklang stehen würde.
Ich habe deshalb einen Versuch in der gewohnten Weise
angestellt, statt der Austernschalen aber Marmor genommen und
soviel Magnesiumkarbonat hinzugefügt, als einem Gehalt von
0,38 % Magnesiumoxyd der Austemschalen entsprach.
Meine Hoffnung, hierdurch die gewünschte Aufklärung zu
erhalten, wurde getäuscht. Die drei Tage im Brutschrank bei
37° gehaltene Molke hatte nicht die geringste Abnahme in ihrem
Milchzuckergehalt erfahren; in einem zweiten Versuche, der fünf
Tage währte und bei dem wieder Austernschalen verwendet
wurden, konnte nur eine Abnahme von 0,29 °/ 0 Milchzucker fest¬
gestellt werden.
Welcher Umstand die Erscheinung der rapiden Zerlegung
des ganzen Milchzuckers bei den Versuchen X und XI veranlafst
hat, ist einstweilen unklar. In einem aber stimmen auch diese
Versuche mit den vorhergehenden überein: in der verhältnis-
mäfsig sehr geringen Milchsäurebildung:
Verhältnis der gefundenen zur
Versuch erwarteten Milchsäure in °/ 0
nach 24h 48 11 72 h
- 1 - 1 - 1 -
X — — 3,6
XI 1,7 5,4 —
Der Theorie nach soll bei der Milchsäuregärung ein Molekül
Milchzucker in vier Moleküle Milchsäure zerfallen:
Uj 2 H 22 O u -(- H 2 O = 4 C 3 H 6 O 3 .
Digitized by CjOOQle
40 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc.
Dafs die Umsetzung nicht glatt im Sinne dieser Gleichung
verläuft, war schon lange bekannt. Man weifs ja auch, dafs
Rohrzucker bei der Alkoholgärung nicht glatt in Alkohol und
Kohlensäure zerfällt, vielmehr ein, wenn auch sehr geringer Teil
des Zuckers zur Ernährung der betreffenden Hefeart verbraucht
wird. Die Menge des erzeugten Glycerins und der Bernstein¬
säure, die als Nebenprodukte entstehen, pflegt aber 3,6 °/ 0 resp.
0,7 °/ 0 A ) nicht zu überschreiten.
Es wäre also auch nicht besonders auffällig gewesen, wenn
bei der Zersetzung des Milchzuckers durch den Bacillus acidi
%
lactici Hueppe Nebenprodukte in nur geringer Menge aufgetreten
wären. Nun aber ergab die Untersuchung auf Nebenprodukte,
die mit dem Rest der Kulturflüssigkeit des Versuches IX nach
Beendigung der Gärung angestellt war, einen auffallend hohen Pro¬
zentsatz von Alkohol 1 2 ), nämlich 0,9°/ 0 . Weiter war oben festgestcllt,
dafs sich sowohl im Gelatinestich wie in Bouillonkulturen Gas¬
bläschen entwickelten, die Hueppe als aus Kohlensäure bestehend
erkannte. Meine schon mitgeteilten Untersuchungen haben ebenso
wie die früherer Untersucher Essigsäure als Nebenprodukt er¬
geben. Sodann machte sich bei einzelnen meiner Versuche
(III, IV, VII, VIII und X) nach 216 resp. 288 Stunden eine
Verringerung der zuerst gebildeten Milchsäure bemerkbar.
Diese Erfahrungen liefsen die Vermutung zu, dafs der
Bacillus acidi lactici Hueppe aufser einem Abbau des Milchzucker¬
moleküls in Milchsäure noch eine Zerlegung der Milchsäure in
Alkohol und Kohlensäure bewirke, im Sinne der chemischen
Gleichung:
C 3 H 6 0 3 = C 2 H 6 0 + C0 2 ,
und dafs die Essigsäure vielleicht durch Oxydation des Alkohols
gebildet würde, analog dem Vorgang bei der Essigbildung.
Oder es war auch denkbar, dafs durch die Anhäufung von
Kohlensäure Sauerstoffmangel in den Kulturflüssigkeiten eintrat,
1) Flügge, Die Mikroorganismen, 18%, Bd. I, S. 226.
2) Scholl, Die Milch, Wiesbaden 1891, bestreitet zwar, dafs der Bacillus
acidi lactici Hueppe Alkohol produziere, doch findet in den Lehrbüchern,
z. B. Flügge, stets die Produktion von Alkohol Erwähnung.
Digitized by VjOOQle
Von Dr. Paul Haacke. 41
der die Bakterien zwang, Essigsäure als abnormes, Produkt zu
bilden . l )
Eine Durchlüftung des Versuchskolbens konnte hier vielleicht
Klarheit schaffen.
Der Versuch wurde in folgender Weise ausgeführt: Ein
Kolben mit 400 ccm 1 proz. Peptonmolke mit Marmorstückchen,
beschickt mit einer frischen Traubenzuckerbouillonkultur des Ba¬
cillus acidi lactici, wurde im Brutschrank bei 37° einer Durch¬
lüftung unterzogen.
Zu diesem Zwecke wurde der Kolben mit einer Säugpumpe
verbunden; zwischen ihm und der Pumpe waren eingeschaltet:
eine Wulf sehe Flasche (um etwa zurücksteigendes Wasser auf¬
zufangen), zwei mit je 200 ccm von etwa 1 j 10 N-Barytwasser gefüllte
Pett enkofersche Barytröhren und wieder eine Wulfsche Flasche
zur Kondensation des aus dem Versuchskolben weggeführten
Wasserdampfes. Anderseits stand der Kolben (rückwärts) in
Verbindung mit einem sterilisierten Filter aus Baumwolle und
mit einer mit Wasser beschickten Waschflasche, um den Durch¬
lüftungsstrom mit Wasserdampf zu sättigen, die sich ebenfalls im
Brutschrank befand. An diese schlossen sich zwei Absorptions¬
türme, in denen sich mit Wasser befeuchteter Bimsstein befand,
sowie einer, der mit Natronlauge getränkte Bimssteinstücke ent¬
hielt, und endlich eine Waschflasche mit Natronlauge, um die
Kohlensäure der Luft zu absorbieren.
Die Säugpumpe wurde nur soweit in Thätigkeit gesetzt, dafs
die Luft langsam in kleinen Blasen durch die Barytröhren trat.
Alle 24 Stunden wurde der Inhalt der Barytröhren in Stöpsel¬
flaschen abgefüllt und durch frisches Barytwasser ersetzt. Von
dem Inhalt der Stöpselflaschen wurden nach dem Absitzen des
Baryumkarbonats je 25 ccm entnommen und mit J / 10 N-Oxalsäure-
lösung titriert. Die Vermehrung der Bakterien, die Abnahme
des Milchzuckers und die Menge der Milchsäure wurde wie bei
allen anderen Versuchen jeden dritten Tag festgestellt.
1) Barthel, Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenkunde, Abt. II, Bd. VI,
S. 417, kommt zu dem Resultat, dafs sich die Menge der Essigsäure bei
Durchlüftung wie 3 :2 (bei Nichtdurchlüftung) verhalte.
Digitized by CjOOQle
42 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc.
Nach Beendigung des Versuches wurde eine quantitative
Bestimmung des Gesamtcalciums des Kolbeninhalts vorgenommen
und damit die Menge der erhaltenen Kohlensäure verglichen.
Das Ergebnis dieses Durchlüftungsversuches sei in nach¬
stehender Tabelle aufgeführt.
XII. Versuch.
Zeit
Milch¬
zucker
in '/o
Abnahme
des Milch¬
zuckers
in Vo
Milch¬
säure
in %
Keime
pro 1 ccm
Kohlen¬
säure in
*
Kohlen¬
säure
in je
3 Tagen
Nach d. Beschickg.
3,328
—
20020
>
24 Stunden
—
—
—
—
0,6635
1
>
48
>
—
—
—
—
0,4026
► 2,0493
>
72
>
1,342
1,986
0,074
170340170
0,9832
.
>
96
>
—
—
_
0,3452
1
>
120
—
—
—
0,1623
► 0,7812
>
144
>
! 0,976
0,366
0,056
17 547 530
| 0,2737
.
>
168
>
—
t
—
—
0,2129
1
*
192
>
: —
—
—
—
0,2572
>0,6188
>
216
>
0,909
0,067 |
0,037
15 045 030
0,1487
.
>
240
>
—
- 1
—
—
0,2275
1
>
264
>
—
—
—
—
0,0638
0,3764
>
.288
>
0,857
0,052
0,018
5 045 040
0,0851 1
1
>
312
>
—
—
—
—
0,0251
1
>
336
>
—
—
— 1
—
0,0286
i
i
>0,0609
>
360
>
—
—
—
—
0,0072
1
384
>
0
0,857
0,052
?
0,0000
Der Versuch wurde abgebrochen, als keine Kohlensäure
mehr entwickelt wurde. Die Kulturflüssigkeit war fast ganz klar
geworden. Sie wurde nach der auf Seite 13 angegebenen Methode
behandelt; der Rückstand wurde nach dem Abdampfen einge¬
äschert, und das rückständige schwefelsaure Calcium mit Soda
geschmolzen. Nach dem Auslaugen und Auswaschen der lös¬
lichen Salze wurde das Karbonat in verdünnter Salzsäure gelöst,
das Calcium als Oxalat gefällt und als Oxyd gewogen: gefunden
wurden 0,334 g Calciumoxyd.
Versuch XII ergab. 3,8866 g Kohlensäure
0,334 g Calciumoxyd entsprechen 0,2620 g »
so dals 3,6246 g Kohlensäure
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Paul Haacke. 43
aus zerlegtem Zucker oder anderen Nahrungsstoffen herstammen
müssen.
Daneben wurde durch Destillation der mit Schwefelsäure an¬
gesäuerten Kulturflüssigkeit 0,162 °/ 0 Essigsäure gefunden. Der
Milchsäuregehalt betrug 0,052 °/j.
Hieraus ergibt sich folgendes:
Wegen des Zusatzes von Marmor mufs alle gebildete Säure
in Form von Calciumsalz vorhanden gewesen sein, da die
Peptonmolke vorher eben schwach alkalisch war.
Gefunden wurden direkt. 0,334 g CaO
ferner 0,162 °/ 0 Essigsäure, also für
320ccm 1 ) Molke0,518g, entsprechend 0,242 g CaO
und 0,052°/ 0 Milchsäure, also für
320 ccm Molke 0,166 g, entsprechend 0,052 g CaO
zusammen: 0,294g CaO.
Durch Analyse gefunden .... 0,334 g Calciumoxyd
berechnet. 0,294 g _>_
somit mehr gefunden als berechnet 0,040 g Calciumoxyd,
welche wohl auf den ursprünglichen Kalkgehalt der Molke zurück¬
geführt werden müssen.
Durch die gefundenen 3,6246 g Kohlensäure, die nicht aus
zersetztem Marmor herrühren können, wird aber der Verbleib des
Milchzuckers lange nicht aufgeklärt. Nimmt man für die Berech¬
nung der zu erwartenden Kohlensäure selbst die Endgleichung:
C 12 H 22 O n 0 24 = 12C0 2 + hh 2 o,
so würde die gefundene Kohlensäure immer erst 2,3477 g Milch¬
zucker entsprechen.
Allerdings kommt noch die Produktion von Alkohol in Be¬
tracht, aber auch dessen Menge reicht nicht hin, den Verbleib
des Zuckers völlig aufzuklären.
Den Anlafs zu diesem Versuche hatte die Erwägung
gegeben, ob etwa die Milchsäure weiter gespalten würde, und
jene, ob die Zunahme der Kohlensäure in der Kulturflüssigkeit
hemmend auf die Milchsäurebildung wirke.
1) 320 ccm Kulturflüssigkeit waren bei Beendigung des Versuches noch
vorhanden.
Digitized by v^.ooQle
44 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc.
Was die erster© Frage anlangt, so gibt der Ausfall des Ver¬
suches XII wohl die klare Antwort, dafs die Milchsäure durch
die Bakterien weiter zerlegt wird. Würde nur einfach ihre Bil¬
dung gehemmt sein, so müfste der Gehalt der Flüssigkeit an
Milchsäure zwar langsam ansteigeh, aber jedenfalls an sich sehr
gering sein. Gerade das Gegenteil findet aber statt. Nachdem
zunächst eine gewisse Menge Milchsäure gebildet ist, nimmt
deren Menge von Tag zu Tag ab und steigt erst wieder kurz
vor Abschlufs des Versuches an, zu einer Zeit, wo der Milch¬
zucker zum gröfsten Teil bereits zerlegt ist.
Hingegen läfst sich nicht darthun, dafs die Gegenwart von
Kohlensäure in der Kulturflüssigkeit auf die Bildung von Milch¬
säure von nachteiligem Einflufs ist. In dem Durchlüftungsver¬
suche wurden in den ersten drei Tagen aus 1,986 g Milchzucker
0,074 g Milchsäure gebildet, während in der gleichen Zeit in den
übrigen Versuchen ohne Abführung der Kohlensäure gebildet
wurden:
Versuch
j Zerstörter
1 Milchzucker
Gebildete
Milchsäure
Auf 100 g Milch¬
zucker entfallen
! Milchsäure
III
1,240
0,018
1 1,45
IV
0,998
0,056
5,61
V
1,702
0,130
7,64
VI
1,806
0,112
6,20
VII
1,470
0,018
1,23
VIII
0,422
0,018
4,26
IX
0,104
0,009
8,65
X
3,194
0,112
3,51
XI
1,060
0,019
1,80
XII
1,986
0,074
3,73
Das Gesamtergebnis des XII. Versuches habe ich auf nach¬
folgender graphischer Darstellung wiedergegeben. Aus derselben
wird ersichtlich, dafs Milchzuckerzersetzung, Milchsäurebildung
und Kohlensäureproduktion anfänglich mit einer rapiden Ver¬
mehrung der Milchsäurebakterien Zusammengehen. Mit der Ab¬
nahme der Bakterien nimmt relativ alles wieder ab: Während
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Paul Haacke.
45
aber absolut die Menge der Kohlensäure und des zerstörten
Milchzuckers noch wächst, nimmt die Milchsäure auch absolut
an Menge ab.
Es könnte nun noch der Ein wand erhoben werden, dafs
sämtliche Versuche bei zu hohen Temperaturen ausgeführt seien,
bei welchen die Umsetzung des Milchzuckers aus thermochemischen
Gründen leichter zu Essigsäure, Alkohol und Kohlensäure er¬
folgen könnte; aber auch diesen Ein wand entkräftet der Befund
Diagramm des Versuches XII.
■Kohlensäure i. Dect£ra mmen --- Bz Kienen
bei einem Versuche bei 17°, im Verlaufe dessen nach 12 Tagen
auch nicht mehr Milchsäure (0,018 °/ 0 ) gebildet war.
Ich glaube, dafs zur Aufklärung der Widersprüche in den
Versuchsergebnissen besondere Versuche nötig sind, die nament¬
lich das Verhalten der Milchsäurebakterien in Kulturflüssigkeiten
festzustellen bezwecken müfsten, welche beliebig in ihrer Zu¬
sammensetzung modifiziert werden. Ich glaube dies um so mehr,
als ja auch Burchard bei seinen Versuchen mit Zusatz von
schwefelsaurem Kalk zum Harn ganz andere Resultate erzielte
als bei den Versuchen ohne diesen Zusatz. Zweifellos stellen
gewisse Zusätze zu den Kulturflüssigkeiten Reize für die Bak¬
terien dar, unter deren Wirkung die Stoffzersetzung rascher, in¬
tensiver und andersartig werden kann.
Digitized by
Google
46 Beiträge zur Kenntnis d. quantitativen Zersetzung des Milchzuckers etc.
Mir genügt zunächst das Ergebnis, dafs der Milchzucker i
nicht blofs in Milchsäure, sondern in eine ganze Reihe von
anderen Stoffen zerlegt wird, und dafs bei Bindung der Milch¬
säure durch Kalk die Zersetzung des Milchzuckers eine ganz
aufserordentlich grofse ist.
Um über die Leistung der einzelnen Bakterienzelle einen
Überblick zu gewinnen, füge ich folgende Tabelle bei:
1
Versuch
Anzahl der Keime pro Milchzucker-
Kubikcentimeter (| Zersetzung in
i
bei Beginn nach 72 Std. , 72 Std. in mg
III
10 010
300 600 300
12,40
IV
10010
1 40080 040
9,98
VI
200100
2649 203 440
18,06
VII
200100
2 283 280 825
14,70
VIII
1001
51005
4,22
XII
!i 20 020
170 340170
19,86
Daraus leitet sich folgende quantitative Stoffzersetzung der
Milchsäurebakterien ab.
Versuch
Mittlere
geometrische
Keimzahl
| wahrend 728td.
Milchzucker¬
zersetzung
in 72 Stunden
in mg
Zersetzung
durch
1000 Keime in
72 Std. in mg
Zersetzung
durch
1000 Keime pro
Stunde In mg
Mittlere
Teilungszelt
eines Keimes
in Stunden
III
1 734 650
12,40
0,0071
0,00010
4,9
IV
633 404 |
9,98
0,0158
0,00022
6,1
VI
23 028 400 i
18,06
0,0008
0,00001
6,3
VII
21374 900
14,70
0,0007
0,00001
5,4
VIII
7 145
4,22
0,6029
0,00838
12,6
xn
1846 675
19,86
0,0107
0,00015
5,8
Die mittlere Zersetzungsgrölse für 1000 Keime schwankte
nicht unerheblich, nämlich zwischen Viooooo bis 8 / 1000 mg für die
Stunde.
Als Mittel für die Teilungszeit eines Keimes ergeben sich
5,5 Stunden, wenn von Versuch VIII abgesehen wird, bei dem
ganz abnorme Verhältnisse vorzuliegen scheinen.
Burchard beobachtete bei dem Micrococcus ureae lique-
faciens die Erscheinung, dafs, je schneller die Teilung eines
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Paul Haacke.
47
Keimes erfolgte, desto langsamer der Harnstoff zersetzt wurde.
Ich kann die gleiche Erscheinung für den Bacillus acidi lactici
Hueppe nachweisen.
Da es mir gelang, auf Traubenzucker-Gelatine rasch sehr
üppige Kulturen des Bacillus acidi lactici zu erzielen, so habe
ich versucht, das Gewicht meiner Bakterien festzustellen.
Den Versuch habe ich folgendermafsen angestellt: Die
Kulturrasen wurden möglichst vorsichtig mit der Platinöse von
der Gelatineplatte abgekratzt und in einem sterilen Wägegläschen
gewogen. Eine gewogene Menge wurde dann durch Schütteln
mit Glasperlen gut in Wasser verteilt; von dieser wässerigen
Suspension der Bakterien wurden Verdünnungen hergestellt,
Platten gegossen und ausgezählt. Die Berechnung ergab:
17 767 750000 Bakterien für ein Gramm feuchter Bakterien-
masse.*)
Der Rest der Bakterienmasse wurde bis zur Gewichtskonstanz
getrocknet und ergab :
10,12 °/ 0 Trockensubstanz,
89,88 °/ 0 Wasser.
Wie oben aus der Tabelle ersichtlich, zersetzten 1000 Keime
in der Stunde 0,00001 bis 0,00838 mg Milchzucker. Die stünd¬
liche Leistung eines Gramms feuchter Bakterienmasse bei der
Zerlegung des Milchzuckers würde sich also auf 178 bis 14 889 g
Milchzucker beziffern.
1) Nägeli. Die niederen Pilze, München 1877, S. 7, hat für einen ganz
kleinen Coccus berechnet, dafs im trockenen Zustand 30 Billionen Spalt¬
pilze auf 1 g entfallen; bei einem durchschnittlichen Wassergehalt der Spalt¬
pilzzellen von 80°/ 0 würden etwa 6 Billionen Spaltpilze im feuchten Zustand
auf 1 g kommen. Allerdings ist der Bacillus acidi lactici erheblich gröfser
als die von N ä g e 1 i verwendete Coccenart.
Digitized by v^.ooQle
Die Bedeutung der Dannbakterien für die Ernährung. II.
Von
Dr. Max Schottelius,
Professor der Hygiene.
(Aus dem hygienischen Institut der Universität Freiburg i. B.)
Im XXXIV. Band dieses Archivs wurde von mir über Ver¬
suche berichtet, welche den Zweck hatten, an steril gezüchteten
Hühnchen die Frage der Bedeutung der Darmbakterien für die
Ernährung ihrer Lösung näher zu rücken.
Über den weiteren Verlauf dieser Untersuchungen, welche
in den Jahren 1899, 1900 und 1901 fortgeführt wurden, konnte
ich auf der Naturforscher-Versammlung in Hamburg unter Vor¬
führung der diesbezüglichen Präparate einige Mitteilungen machen.
Diese Mitteilungen mufsten sich aber, den Umständen entsprechend,
darauf beschränken, in gedrängter Kürze die wesentlichsten Er¬
gebnisse der Versuche zusammenzufassen, und es war mir in der
That auch mehr darum zu thun, in Hamburg einer gröfseren
Anzahl von Fachgenossen meine Präparate, welche in kleinerem
Kreis bereits mehrfach demonstriert waren, vorzeigen zu können,
als einen erschöpfenden Bericht über den Verlauf der Versuche
und über die sich daraus ergebenden Schlufsfolgerungen zu er¬
statten.
Die ausführlicheren Mitteilungen, auf welche ich damals
hinwies, sind nun im folgenden enthalten:
Nachdem es uns im Jahre 1898 gelungen war, wenigstens
bis zum 17. Lebenstage ein Hühnchen steril zu erhalten, wurde
Digitized by
Google
Die Bedeutung d. Darmbakterien f. d. Ernährung. II. Von Dr. Schottelius. 49
für die Brutperiode des Jahres 1899 die Aufgabe gestellt: den
Versuch bis zum spontanen Absterben der Tiere durchzuführen.
Vorausgeschickt wurden aber einige Versuche, aus denen
ich feststellen wollte, wie lange überhaupt ein frisch ausge¬
schlüpftes Hühnchen ohne Nahrung lebt und welchen Gewichts¬
verlust es erleidet und zwar einmal ohne Zufuhr von Wasser
und dann bei Wasseraufnahme. Das Experiment wurde in einem
oben offenen, hohen, geräumigen Glasbehälter vorgenommen,
dessen Boden mit grobem gewaschenen Kies bedeckt war.
Das Ergebnis dieser Versuche war, dafs die Hühnchen ver-
hältnismäfsig sehr lange Zeit ohne jede Nahrung am Leben
bleiben können, 10—12 Tage lang! Meistens gehen die Tiere
allerdings schon nach 3—5 Tagen ein. Die Wasserzufuhr scheint
dabei nur wenig Einflufs zu haben, sondern mafsgebend ist vor
allem die angeborene Lebenskraft. Ich schliefse das daraus,
weil die äufseren Lebensbedingungen Wärme, Licht etc. stets
die gleichen waren und weil das absolute Gewicht der ausge¬
schlüpften Hühnchen nicht proportional mafsgebend ist für die
Lebensdauer. Mitbestimmend wirken allerdings auch die äufseren
Faktoren: wenn die hungernden Tiere warm und während des
gröfseren Teils des Tages dunkel gehalten werden, so kann man
dadurch die Lebensdauer verlängern, während anderseits un¬
ruhiges Hin- und Herlaufen und kühlere Aufsentemperatur die
vorhandene Lebenskraft rascher erschöpft. Am ersten und am
zweiten Tage liegen die Hühnchen ohnehin fast ständig lang¬
gestreckt am Boden und lernen erst allmählich den Kopf heben,
sich aufrichten und die Glieder benutzen. Ebenso kann ein
Hühnchen noch Tage lang beim Erlöschen des Lebens ruhig
am Boden liegen, ohne sich zu bewegen, aber die Atmung geht
noch weiter. Dadurch zieht sich die Lebensdauer lange hin —
in einem Fall bis zum 12. Tage.
Der Gewichtsverlust ist der gleiche wie bei den steril ge¬
züchteten Hühnchen: er beträgt bei Tieren von 40—45 g An¬
fangsgewicht 10—15 g, so dafs ein Endgewicht von 30—35 g
beobachtet wird. Dafs die Wasseraufnahme bei dem Gewicht
eine wesentliche Rolle spielt, habe ich nicht konstatieren können
Archiv für Hygiene. Bd. XLII. 4
Digitized by CjOOQle
50 Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. 11.
und ich mufs demnach meine früher ausgesprochene Vermutung,
dafs es sich bei der anfänglichen Gewichtszunahme steril ge¬
züchteter Hühnchen um eine Wasserzunahme der Körpergewebe
handle, wie bei hungernden Hunden, berichtigen und die Erklä¬
rung dieser Thatsache auf eine später zu besprechende Ursache
zurückführen.
Im ganzen wird man die verschiedene Lebensdauer sonst
gleich gehaltener Hühnchen auf die leider nicht mefsbare Gröfse
der individuellen angeborenen Lebensenergie zurückführen müssen;
auch sind einzelne Rassen oder Stämme lebhafter, beweglicher
veranlagt und konsumieren daher ihre Lebenskraft schneller als
andere. Dabei stehen sich die ersteren im Ernstfall, d. h. wenn
in der freien Natur die entsprechenden Bedingungen eintreten
sollten, bezüglich der Erhaltung ihrer Existenz nicht schlechter
als die trägeren, denn sie würden ohne Zweifel die fernliegende
oder schwer auffindbare Nahrung eher finden und sich vor dem
Hungertode sicherer retten können, als die langsameren; während
letztere wiederum den Vorteil haben, dafs die Bedingungen an Ort
und Stelle sich ändern können, und dafs ihnen, wenn auch erst
später, so doch noch zeitig genug die Existenzmittel zur Erhal¬
tung des Lebens geboten werden. So gleichen sich die indivi¬
duellen und die Stammesunterschiede auch hier einander aus
und ergänzen sich, wenn es sich um die Erhaltung der Art
handelt.
Um den hei den Züchtungsversuchen im Jahre 1898 mehr¬
fach hervorgetretenen Mangel an fertig bebrüteten Eiern zu ver¬
meiden, war der Brutapparat auf das Doppelte vergröfsert, so
dafs statt 80—100 Eier jetzt 180—200 Stück gleichzeitig ange¬
brütet werden können. Diese Stückzahl ist nicht zu grol’s, wenn
man bedenkt, dafs die Eier immer serienweise zum Züchtungs¬
versuch kommen und dafs bei einem völligen Mifslingen einer
Versuchsreihe — durch Infektion des Zuchtkäfigs — thunlichst
bald eine neue Eier-Serie voll angebrütet zur Stelle sein mufs,
damit die wenigen Monate, in denen man diese Versuche an¬
stellen kann, möglichst ausgenutzt werden. Dabei ist dann noch
zu berücksichtigen, dafs immer einige Tage verstreichen, bevor
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Max Schotteliua.
51
der Verdacht einer Infektion des Zuchtkäfigs bakteriologisch
sicher gestellt werden kann, und dafs dann die gründliche Des¬
infektion, Reinigung und Prüfung des Zuchtkäfigs wiederum
einige Tage in Anspruch nimmt. Aufserdem mufs man mit der
Neubeschickung des Zuchtkäfigs mit voll bebrüteten Eiern
natürlich auch darauf gerichtet sein, dafs das Experiment gelingt,
und dafs die sterilen Hühnchen mehrere Wochen lang am Leben
bleiben. Dadurch fällt dann die Benutzung mancher zum Ver¬
such vorbereiteten Eierserien aus, und der Hühnerhof bevölkert
sich gewaltig, während — wie die untenstehenden Tabellen
zeigen — kaum ein Dutzend sterile Hühnchen dabei heraus¬
gekommen sind.
Rechnet man dazu noch die Verluste, welche durch unbe¬
fruchtete Eier sich ergeben und die Abgänge, welche dabei ent¬
stehen, dafs durch die unvermeidliche mechanische Erschütterung
beim Desinfizieren der Schale das Hühnchen im Ei abstirbt,
so folgt daraus, dafs man ständig mehrere hundert Eier in der
Brutperiode haben mufs, wenn man diese Versuche erfolgreich
durchführen will.
Nun tritt aber nicht selten noch ein anderer übler Zufall
beim Ausschlüpfen der Hühnchen im Zuchtkäfig ein, den die
Natur beim Ausschlüpfen unter den Flügeln der Henne ver¬
meidet. In letzterem Fall kommt es nur selten oder gar nicht
vor, dafs ein voll ausgebrütetes lebendiges Hühnchen noch
während der Geburt, d. h. während des Ausschlüpfens aus der
Schale abstirbt. Aber im Zuchtkäfig ist die Luft trockener,
als unter den Flügeln der Henne, und so kommt es, dafs nicht
so selten die Federn des ausschlüpfenden Hühnchens, welches
die Schale bereits angepickt und durchbrochen hat, an den Schalen
festkleben und an trocknen, so dafs das Hühnchen nicht heraus¬
kann; dann können sich die Lungen nicht ausdehnen, das
Hühnchen kann gar nicht, oder nur ungenügend atmen und
erstickt nach kurzer Zeit, nach etwa 6—12 Stunden. — Helfen
kanu man dabei nur ganz selten, denn wenn man wirklich das
Risiko übernimmt und den Zuchtkäfig noch einmal öffnet, so
kann man ja versuchen, mit Pinzette und Schere die Eierschale
4*
Digitized by
Google
62
l)ie Bedeutung der Üafmbakterien für die Ernährung. II.
sehr vorsichtig zu lösen; dabei kommt es aber fast immer zu
kleinen Blutungen, die das zappelnde Hühnchen noch weiter
verkleben, und wenn man die Schale energisch zerbricht, so
reifst mit den angeklebten Federn die Haut ein, dann ist das
Hühnchen verletzt und zum Experiment untauglich. — Bei diesem
Vorgang wird vorausgesetzt, dafs das Anpicken an dem nach
oben liegenden Teile des Eies stattfand; wenn dies aber nach
unten zu geschehen ist, dann bleibt das ganze Vorkommnis
unentdeckt, bis man beim Herausnehmen der nicht geschlüpften
Eier den Schaden sieht. So beeinträchtigt auch dieser Umstand
die Zahl der sterilen Tiere und vergröfsert das Verlustkonto.
Das alles sind aber Hindernisse, welche sich überwinden
lassen, und wenn man die Klippen einmal kennt, die man zu
vermeiden hat, so lassen sich mit der nötigen Geduld auch diese
Versuche erfolgreich durchführen.
Im Jahre 1899 gelang die sterile Züchtung im ganzen in
drei Versuchsreihen: einmal vom 28. März bis 10. April, dann
vom 16. April bis 15. Mai und endlich vom 25. Mai bis 19. Juni;
in den ersten beiden Serien wurden je zwei, in der letzten ein
Hühnchen steril durchgebracht und sämtliche Tiere wurden bis
zum spontan eingetretenen Tode beobachtet. Die Lebensdauer
der einzelnen Hühnchen schwankte von 11 bis zu 29 Tagen und
der Gewichtsverlust betrug bis zu 36°/ 0 des Körpergewichtes,
während der Gewinn an Körpergewicht bei den Kontrollieren
bis zu 154 °/ 0 stieg.
Bezüglich der allgemeinen Anordnung der Versuche und
der angewandten speciellen bakteriologischen Kautelen verweise
ich auf meinen früheren Bericht im 34. Band d. Arch. Die dort
angegebenen Vorsichtsmafsregeln wurden in den folgenden Jahren
in verschärftem Mafse angewendet, namentlich wurden die bak¬
teriologischen Kontrollen der Dejektionen, der Nahrung, des
Wassers und der Luft zu Beginn und am Schlufs des Versuches,
sowie mehrfach während der Versuche gründlich durchgeführt.
Aufserdem wurden nun auch die Schalen der steril ausgeschlüpften
Hühnchen nicht nur gewogen, sondern in toto in Nährgelatine
eingeschmolzen, um jederzeit den Nachweis der Keimfreiheit
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Max Schottelius.
53
erbringen zu können. Diese Schalen bewirkten auch nach Monaten
keine Schwärzung der Gelatine — eine Erscheinung, auf welche
ich mich weiter unten zu beziehen habe — und dürfen demnach
nicht nur für bakterienfrei, sondern auch als sublimatfrei an¬
gesprochen werden.
Sämtliche steril gezüchteten Hühnchen wurden in diesem,
sowie in den folgenden beiden Jahren bis zum spontan einge¬
tretenen Tode beobachtet und erst dann in Gelatine eingelegt.
Bei einigen habe ich mit dem Einschmelzen nach spontan ein¬
getretenem Tode noch mehrere Tage gewartet, um eventuelle
postmortale Veränderungen des Körpers beobachten zu können.
Wie zu erwarten war, tritt nur ein allmähliches Eintrocknen und
schliefslich eine Mumifikation ein, ohne dafs sich Zersetzungs¬
vorgänge einstellen. Solche Hühnchen konnten natürlich nicht
als Beweismaterial für Gewichtsverluste gegenüber den Kontroll-
hühnchen verwendet werden und deshalb haben wir dieses Ex¬
periment auch nicht öfters wiederholt, sondern haben die Tiere
immer eingelegt, sobald der Tod sicher konstatiert werden konnte.
Das ist ohne weiteres nicht immer durch den Augenschein leicht
zu erkennen, denn die verendenden Hühnchen liegen zuweilen
noch ein bis zwei Tage unbeweglich, wie tot da, und zeigen
eine bis zum äufsersten Minimum reduzierte Atmung und Herz-
thätigkeit, welche von aufsen durch die Glaswände des Vor¬
schlages nur mittels eines guten Feldstechers erkannt werden
kann. Das »Verhalten der steril gezüchteten Hühnchen während
ihrer Lebenstage bietet mancherlei Interessantes. Wie ich in
meiner ersten Mitteilung bereits bemerkt hatte, war ich anfangs
der Meinung, man müsse — etwa durch eine Glaswand von den
sterilen Hühnchen getrennt — eine Henne mit einigen gleich-
alterigen Hühnchen einstellen, damit die mutterlosen Tiere durch
Imitationstrieb das Aufsuchen und Fressen der Nahrung und
des Wassers lernen könnten. Das ist aber durchaus nicht not¬
wendig, sondern nachdem das ausgeschlüpfte Hühnchen sich,
meist am zweiten Tage, auf die Füfse stellen kann, taumelt
es noch einige Zeit unsicher hin und her, fällt wieder nieder
und ruht stundenlang aus; dann aber steht und läuft es sicher
Digitized by CjOOQle
54
Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. II.
auf den Beinen und beginnt sofort mit dem Schnabel am Boden
zu picken und von dort kleinkörnige Gegenstände aufzunehmen.
Das Bodenmaterial besteht — wie früher beschrieben — aus
gewaschenem kleinkörnigen Kies, gemischt mit der für junge
Hühnchen geeigneten Nahrung: gequollene Hirsekörner, ge
hacktes hartgekochtes Eiweils und zerstofsene Eierschalen. Man
kann nun beobachten und auch durch die Untersuchung der
Dejektionen feststellen, dafs die Tierchen sehr bald die ver¬
schiedenen Körner zu unterscheiden wissen, nur wenige Steinchen
aufnehmen und sich an die Nahrungsmittel halten. Ebenso
finden sie das Wasser und vermeiden es, hineinzufallen. In den
allerersten Tagen kommt es wohl einmal vor, dafs ein Hühnchen
mit den noch ungeschickten Beinbewegungen über den Rand des
Wasserbehälters stolpert und in das flache, etwa 1 cm hoch
mit Wasser gefüllte Becken hineinfällt; aber sofort erhebt es
sich und stolpert oder wälzt sich wieder über den Rand aufs
Trockene. Die instinktive Selbständigkeit dieser Tiere ist eine ganz
eminente I
Eine andere, ebenfalls sehr interessante Erscheinung drückt
sich darin aus, dafs die steril gehaltenen Hühnchen ständig
Hunger haben und eigentlich fortwährend fressen — und ver¬
dauen bezw. Dejektionen absetzen. Das findet bei den sterilen
Hühnchen in ungleich höherem Mafse statt als bei den normal
ernährten Tieren. Auch bei letzteren ist ja — wie man sich
auf jedem Hühnerhofe überzeugen kann — der D^rmkanal von
einer beneidenswerten Leistungsfähigkeit! Aber diese steril ge¬
züchteten Tierchen übertreffen in der Frefslust und in der Aus¬
scheidung des Darminhaltes die normal genährten Kontrolltiere
um das Vielfache.
Die steril Gehaltenen sind auch viel unruhiger; sie jagen
eben fortwährend nach Nahrung umher. Wenn eines ein Stück¬
chen Eierschale oder sonst ein Körnchen ergriffen hat, welches
es nicht gleich hinunterschlucken kann, so suchen die andern
es ihm mit allen Mitteln abzujagen; dann schlingt es das erste
mit Mühe hinunter und alle fallen aufs neue über die auf dem
Boden verstreute sterile Nahrung her.
Digitized by
Google
Von Dr. Max Schottelius.
55
Und trotz dieses fortwährenden Fressens und
trotz des Verdauens durch die Körpersäfte wachsen
die Tiere nicht, sondern nehmen ständig ab an
Körpergewicht und an Kräften!
Als Ergebnis der Versuche aus dem Jahre 1899 haben wir
also fünf steril gezüchtete und spontan verendete Hühnchen zu
verzeichnen, von denen dasjenige, welches am längsten lebte,
ein Alter von 29 Tagen — vom 16. April bis 15. Mai — erreichte.
Dieses Hühnchen wog beim Ausschlüpfen 51 g und tot 36 g,
hatte also 15 g oder über 29°/ 0 seines Körpergewichtes während
der 29 Lebenstage eingebüfst. Das entsprechende Kontroll-
hühnchen hatte inzwischen um 77 g oder um etwa 154% seines
Körpergewichtes zugenommen. Die übrigen Versuchstiere dieses
Jahrganges verhielten sich bezüglich ihres Gewichtsverlustes bezw.
der Gewichtszunahme etwa proportional der Lebensdauer und
dem Anfangsgewicht — wie aus der unten stehenden Tabelle
ersichtlich ist —, nur das Hühnchen Nr. 5 zeigte bei einer
Lebensdauer von 25 Tagen einen noch gröfseren Gewichtsverlust
als das obeu erwähnte 29 Tage alte Tier, nämlich 18 g oder 36 %
seines Körpergewichtes; während das entsprechende Kontroll-
hühnchen um 100 °/ 0 seines Körpergewichtes zugenommen hatte.
Im Jahre 1900 erzielten wir keine besonders guten Resultate,
weil ich von meiner Studienreise nach Bombay erst Anfang Mai
zurückkehrte und die Brutperiode daher nicht vollständig aus¬
genutzt werden konnte. Aulserdem hatten wir noch ein beson¬
deres Mifsgeschick insofern, als bei einem der Versuche, bei
welchem, wie gewöhnlich, sechs bis zum 19. Tage im Brutapparat
vorgebrütete Eier in den Zuchtkäfig eingelegt waren — alle sechs
Hühnchen zum Ausschlüpfen kamen und nach einigen Tagen
munter im Käfig umhersprangen. Da ich den */ 3 Quadratmeter
Bodenfläche umfassenden Zuchtkäfig für zu klein hielt, um gleich¬
zeitig sechs Hühnchen die nötige Bewegungsfreiheit zu bieten
(bei allen übrigen Versuchen waren durchschnittlich zwei, höchstens
drei Hühnchen von sechs Eiern ausgeschlüpft), so entschlofs ich
mich am sechsten Tage, den Trupp zu teilen und drei Stück in
einen inzwischen konstruirten und natürlich gründlichst sterili-
Digitized by
Google
56
Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. II.
Extra-Käfig einzusperren. Bei dieser Prozedur mufste der grofse
Glasverschlag mehrere Male geöffnet und betreten werden, Nah¬
rung und Wasser mufsten für die abgetrennten Hühnchen frisch
sterilisiert und kontrolliert werden, dann wieder die Kontrolle
der Dejektionen, abgestofsenen Federn etc. vorgenommen werden,
— kurzum, eines Tages zeigten sich sämtliche Kontrollproben
durch einen schleimbildenden Schimmelpilz verunreinigt und alle
sechs Hühnchen waren für unseren Versuch verloren.
Immerhin hatten wir auch im Jahre 1900 drei steril ge¬
züchtete Hühnchen bis zum spontanen Tod durchgebracht, von
denen das älteste 30 Tage lang lebte und während dieser Zeit
17 g oder etwa 32 °/ 0 seines Körpergewichtes einbüfste, während
das Kontrollhühnchen 62 g oder 117% gewonnen hatte.
Die für das Jahr 1900 gestellte Aufgabe war eigentlich die
gewesen, dafs nunmehr nach jeweiliger Feststellung der Sterilität
der Versuchstiere mit der Verfütterung bestimmter Bakterienarten
begonnen werden sollte, aber wegen der üblen Zwischenfälle und
Ablauf der Brutperiode mufste die Inangriffnahme dieser Aufgabe
auf das Jahr 1901 verschoben werden 1 ).
Im Frühjahr dieses Jahres sollten nunmehr also die Ver¬
suche beginnen zur Entscheidung der Frage: ob die Verfütterung
von Darmbakterien an steril gezüchtete Hühnchen einen Einflufs
auf deren Ernährung ausübt, bezw. deren Lebensdauer verlängert
oder nicht.
Zu diesem Zwecke wurde der sterile Zuchtkäfig, in welchem
die sterilisierten Eier zum Ansschlüpfen gelangen, durch eine
vertikal gerichtete bewegliche Glastafel in zwei Hälften geteilt,
und zwar so, dafs durch Einschieben der Glastafel zwischen zwei
etwa 3 cm hohe Schienen der Zuchtkäfig in zwei vollständig
getrennte Räume zerfällt. Der bakteriensichere Abschlufs der
beiden Räume untereinander macht gewisse Schwierigkeiten, da
1) Im September 1900 hatte ich die Freude, die bisher gewonnenen
Präparate, welche früher schon der naturforschenden Gesellschaft in Frei¬
burg vorgelegt waren, einer Anzahl von Professoren der Hygiene vorzeigen
zu können, welche auf dem Wege zu den Versammlungen in Trier und
Aachen das hygienische Institut in Freiburg besuchten.
Digitized by
Google
Von Dr. Max Schottelius.
57
die Hühnchen jedes Packungsmaterial, an welches sie gelangen
können, anpicken und herauszupfen. Baumwolle oder Asbest
läfst sich daher nicht verwenden. Wir haben uns schliefslich
so geholfen, dafs die auf Boden, Rückwand und Decke aufge-
löteten Blechschienen, zwischen denen die Glastafel später ein¬
geschoben werden soll, an ihrem freien Rand umgebogen und
federnd gegen einander gedrückt wurden. Den Raum unterhalb
des federnden Randes (welcher seiner Zeit der Glastafel fest
anliegt) kann man dann mit Asbestwolle verstopfen, ohne dafs
die Hühnchen daran kommen können. Die vordere Wand des
Zuchtkäfigs mufs natürlich ebenfalls vorher zweigeteilt werden:
ihre beiden, in Metallrahmen aufrecht stehenden Hälften sind in
der Mittellinie des Käfigs um die Dicke der Glaswand von¬
einander entfernt; der so entstehende Schlitz wird also durch die
eingesetzte Glastafel ausgefüllt, welche später — ganz hinein¬
geschoben — die Trennungswand bilden soll. Die ganze Ein¬
richtung funktioniert ähnlich wie der lichtdichte Abschlufs der
photographischen Doppelkassetten während der Exposition der
Platte. Und wenn dort der Schiebdeckel wieder vor die Platte
eingeschoben ist, so entsteht für unsern Fall durch das Ein¬
schieben der Glastafel die Zweiteilung des Zuchtkäfigs.
Ich verfolgte bei dieser Anordnung den Zweck, die steril
ausgeschlüpften Hühnchen zunächst gemeinsam längere Zeit steril
zu züchten. Am 12. bis 15. Tage, wenn die Tiere sichtbar ab¬
matten, mager und schwach werden, dann wollte ich die trennende
Glaswand einschieben und nun die oder das Hühnchen der einen
Seite mit Bakterien versorgen, das der andern Seite aber sollte
als Kontrolle spontan verenden. Zu diesem Zwecke mufsten
natürlich schon vorher beide Abteilungen, jede für sich, mit den
entsprechenden Ventilationsöffnungen versehen sein, in jeder
Abteilung mufste ein eigener Wasserbehälter aufgestellt und ein
Futterplatz eingerichtet werden, sowie auch für Anbringung des
Thermometers gesorgt sein.
Die Prüfung dieser Einrichtungen, welche ja schon im Ver¬
lauf des Winters vorbereitet waren, konnte natürlich nur durch
den praktischen Versuch geschehen und bis die anfänglichen
Digitized by
Google
58 Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. II.
Mifserfolge uns die Anbringung der einzelnen Verbesserungen
des Apparates gelehrt hatte, war wiederum die Hälfte der Brüh
zeit verstrichen, so dafs erst der am 3. Mai begonnene Versuch
für die Beantwortung der aufgestellten Frage verwertet werden
konnte.
Am 3. Mai 1901 schlüpften vier sterile Hühnchen aus und
verhielten sich in den nächsten Tagen so, wie das schon vielfach
beobachtet wurde. Von diesen vier Hühnchen waren allerdings
zwei besonders schwach, so dafs wir uns entschlossen, schon
nach 8 Tagen die trennende Glaswand einzuschieben, indem wir
dafür sorgten, dafs in jede der beiden Abteilungen ein starkes
und ein schwaches Hühnchen eingesperrt wurde.
Um zunächst einen prinzipiellen brauchbaren Versuch voraus¬
zuschicken, hatte ich die frisch deponierte Dejektion eines im
Freien lebenden ausgewachsenen Huhnes in etwa 20 g Nähr¬
bouillon aufgeschwemmt und gofs nun diese trübe Flüssigkeit
über den Boden der einen Käfighälfte aus, so dafs der Kies und
die dazwischen liegenden Hirsekörner und auch der gröfsere
Vorratshaufen der sterilen Nahrung, welcher in der hinteren Ecke
des Käfigs aufgeschüttet ist, mit den frisch aufgeschwemmten
Darmbakterien des Huhnes infiziert wurde; die letzten Tropfen
der Aufschwemmung wurden dann noch dem Wasser zugefügt
und nun der Versuch sich selbst überlassen. Die Hühnchen
frafsen in beiden Abteilungen des Zuchtkäfigs wie vorher und
zeigten auch am folgenden Tage, den 12. Mai, keinerlei bemerkens¬
werte Verschiedenheiten oder Änderungen in ihrem Verhalten,
nur das schwache Hühnchen in der sterilen Abteilung war
sehr matt und lag schon stundenweise auf dem Boden. Am
13. Mai war dieses Tier tot, wurde nachmittags in Gelatine ein¬
geschmolzen und bei dieser Gelegenheit — da der Glaskasten
ohnehin geöffnet werden mufste — konnten auch Kontrollproben
aus der sterilen Abteilung zur bakteriologischen Untersuchung
entnommen werden: Wasser, Kies, Hirse.
Glücklicherweise bestanden die Proben die Prüfung; bis
hierher war also keine Infektion der sterilen Seite des Käfigs
von der mit Darmbakterien infizierten eingetreten. — Übrigens
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Max Schotteliua.
59
kam das schwache Hühnchen der mit Darmbakterien versorgten
Seite auch nicht recht voran; es lebte zwar noch 5 Tage länger
als das am 13. eingegangene, dann verendete es aber auch trotz
der Darmbakterien. Da es ja infiziert war, wurde es in Alkohol
eingelegt, zeigt übrigens keine bemerkenswerten Befunde bezüglich
seines Gewichtes oder sonstigen Verhaltens. Dagegen trat der
Unterschied in der Entwicklung zwischen den beiden kräftigen
Hühnchen — dem sterilen und dem mit Darmbakterien — immer
deutlicher hervor. Das letztere wuchs und gedieh zusehends, die
Federn wurden glatt und blank, die Bewegungen kräftiger, ruhiger
und sicherer, während das sterile Tier fortwährend Nahrung ver¬
schlang und auffallenderweise immer an der mittleren Glaswand
hin- und herjagte, wie um zu dem anderen Hühnchen zu kommen.
Am 20. Mai, dem 16. Lebenstage, wurde das Tier sichtlich matt
und ging am 21. Mai zu Grunde; es zeigte einen Gewichtsverlust
von 10 g oder etwa 23 3 / 2 °/o seines Körpergewichtes und war
übrigens steril.
Das mit Darmbakterien gefütterte Hühnchen bekam nun
wieder den ganzen Käfig eingeräumt, wurde noch bis zum 25. Mai
beobachtet und dann ins Freie zu den anderen Kontrollhühnern
gesetzt, woselbst es sich zu einem kräftigen Tiere inzwischen ent¬
wickelt hat. Das Anfangs-Gewicht dieses Tieres hatte 46 g be¬
tragen, sein Gewicht am Ende des Versuchs, ehe es ins Freie
gebracht wurde, betrug 52 g. Das Hühnchen hatte also immer¬
hin in den 14 Tagen seiner Bakterien-Ernährung um soviel
gewonnen, dafs es den Verlust der achttägigen sterilen Fütterung
gedeckt und noch um 6 g Körpergewicht zugenommen hatte.
Die beiden auf Tabelle II zu den am 13. und am 21. Mai
eingegangenen sterilen Hühnchen vermerkten Kontrollhühnchen
sind nicht diese beiden vorstehend beschriebenen im Zuchtkäfig
mit Darmbakterien behandelten Tiere, sondern das sind die
stets bei den Versuchen gleichzeitig frei gezüchteten Kontroll¬
hühnchen.
Auf den Tabellen konnten die beiden eisten Darmbakterien-
Hühnchen, und damit auch deren Kontrollhühnchen nicht ein¬
getragen werden, da erstere nicht in die Rubrik »steril«
Digitized by CjOOQle
60 Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. II.
gehören. — Der berichtete Versuch wurde am 25. Mai abgebrochen
und das Hühnchen ins Freie gebracht, weil ich nicht eines ein¬
zigen, ohnehin bereits ausgenutzten Tieres wegen den ganzen
Apparat besetzt lassen wollte.
Zu Ende Mai hatten wir nämlich wieder das Ausschlüpfen
einer Serie angebrüteter Eier zu erwarten und mufsten die ver¬
bleibenden sechs Tage benutzen, um den Glasverschlag und den
Zuchtkäfig zu reinigen, zu desinfizieren, die frischen sterilen
Materialien hineinzubringen und Alles auf Keimfreiheit bakterio¬
logisch zu prüfen.
Das war am 30. Mai fertig, die neuen Eier wurden sterilisiert,
acht Stück in den Zuchtkäfig eingelegt und am 31. Mai schlüpften
wiederum vier Hühnchen aus. Von den übrigen vier Eiern
kamen zwei überhaupt nicht zum Schlüpfen — die Hühnchen
waren durch die Manipulationen beim Desinfizieren der Eier
abgestorben, bezw. so geschädigt, dafs sie nicht mehr schlüpfen
konnten — und die anderen beiden Hühnchen blieben im Aus¬
schlupfen stecken: eines lag, wie wir später sahen, mit dem Kopf
nach unten und das andere konnte sich nicht von der Schale
befreien. In der Natur hilft in solchen Fällen die Henne nach;
aus den oben angeführten Gründen ist aber für unsere Versuche
die Anwendung künstlicher Hilfsmittel nicht zu empfehlen.
Schon im zeitigen Frühjahr d. Js. hatte ich Herrn Dr. Rahner,
zweiten Assistenten am Hygienischen Institut, beauftragt, die
bereits früher von Dr. 0. Korn angestellten bakteriologischen
Untersuchungen normaler Hühnerdejektionen weiter fortzusetzen
und zu spezifizieren. Die Arbeit ist inzwischen im Centralblatt
für Bakteriologie veröffentlicht und hat ergeben, dafs unter den
bei jungen Hühnchen zuerst auftretenden Darmbakterien am
massenhaftesten ein zur Gruppe des Bacter. coli gehöriger Spalt¬
pilz auftritt, welcher auch in Dejektionen ausgewachsener Hühner
niemals fehlt und hier im selben Verhältnis und unter gleichen
Bedingungen vorkommt wie der Bacillus coli comm. des Menschen.
Ja, dieser bacillus coli gallinarum ist dem bacillus coli hominis
so ähnlich, dafs unter entsprechend geänderten Züchtungs-
Bedingungen gewifs eine absolute Identität beider Rassen zu
Digitized by CjOOQle
Von t)r. Max Schottelius. ßl
erzielen wäre. Frische, drei Tage alte Reinkulturen unseres
bacillus coli gallinarura wurden stets vorrätig gehalten, und als
die am 31. Mai ausgeschlüpften Hühnchen am 6. Juni noch bei
guten Kräften waren — ich wollte nämlich nicht zum zweiten
Male bis zur äufsersten Kraftgreuze warten — wurde die Trennungs¬
wand eingeschoben, so dafs je zwei der Hühnchen in jeder der
beiden Abteilungen sich befanden. Gleichzeitig wurde dann die
Bouillon-Aufschwemmung einer dreitägigen Agarkultur des bacillus
coli gellinarum wiederum über die ganze Bodenfläche der einen
Käfig-Abteilung ausgegossen, nachdem vorher noch einmal Kon-
trollproben von Wasser, Kies und Kot entnommen waren, welche
die bestehende Keimfreiheit des Käfigs ergaben. So war der
Versuch eingeleitet.
Am 7. und 8. Juni waren keinerlei Unterschiede oder Ver¬
änderungen der vier Hühnchen zu bemerken. Am 9. wurde eines
der beiden sterilen Hühnchen sichtlich schwach und ging am
11. ein. Da inzwischen auch das andere sterile Hühnchen sich
gelegt hatte und voraussichtlich bald verenden würde, so wurde
der Glaskasten des einen toten Hühnchens wegen nicht geöffnet,
sondern erst am 12. nachmittags, als auch bei dem zweiten
sterilen Hühnchen der Tod eingetreten war, wurden beide gleich¬
zeitig in Gelatine eingeschmolzen und blieben — wie die vor¬
liegenden Präparate zeigen — steril.
Das zu dem am 11. Juni abgestorbenen Tiere gehörige Kon-
trollhühnchen wurde übrigens bereits ebenfalls am 11. getötet
und nach Bestimmung des Gewichts in Alkohol eingelegt.
Die beiden mit Bacterium coli gallinarum gefütterten Hühn¬
chen befanden sich inzwischen wohl und munter und wuchsen
nach weiteren acht Tagen zusehends. Leider wurden diese beiden
Hühnchen später infolge eines Mifsverständnisses ins Freie ge¬
setzt, wie bei dem vorhergehenden Versuch mit aufgeschwemmter
Hühnerdejektion. Richtig wäre es natürlich gewesen die Tiere
bakteriologisch daraufhin zu prüfen, ob nur das Bacter. coli gal¬
linarum im Darm vorhanden w r ar und zur weiteren Kontrolle die
beiden Hühnchen dann in Alkohol einzulegen
Digitized by v^.ooQle
62 Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. 11.
Aber es sollte noch eine weitere Serie bebrüteter Eier Ende
Juni zum Ausschlüpfen kommen; der Apparat mufste also wieder
frisch desinfiziert und vorbereitet werden und dabei ist dann das
Malheur passiert, dafs die beiden Coli*Hühnchen, welche nun
völlig den im Freien aufgewachsenen gleichkamen, herausgenom¬
men und in den Hühnerhof eingesetzt wurden.
Zudem mifslang dann noch der letzte Züchtungsversuch
vollständig: drei Hühnchen waren am 30. Juni ausgeschlüpft,
aber die bakteriologische Kontrolle, welche beim Ausspritzen der
Bact. coli-Kultur am 5. Juli vorgenommen wurde, ergab, dafs
ein Schimmelpilz und die gelbe Sarcine sich angesiedelt hatten,
so dafs die weitere Fortsetzung des Versuchs zwecklos war und
damit für dieses Jahr die Versuchsreihe überhaupt abgeschlossen
werden mufste.
(Siehe Tabelle I und II.)
Ein Rückblick auf die mitgeteilten Beobachtungen zeigt nun
zunächst, dafs trotz mancher Verbesserungen in der Anordnung
der Versuche gegenüber den früheren Züchtungen noch immer
technische Schwierigkeiten zu überwinden sind, um ein unan¬
fechtbar reines Versuchs-Ergebnis zu liefern.
Tabelle I.
Steril gezüchtete Hühnchen.
Nr.
Jahr
i
Monat
Tag
Tod am
I
Tage
alt ,
Anf -
Gew.
End-
Gew.
Ver-
luat
1
K
K
K
1
1899
März
28
8. April
11
46
31
15
2
1899
>
28
10. April
13
45
31
14
3
1899
April
16
7. Mai
21
48
38
10
4
1899
>
16
15. Mai
29
51
36
15
6
1899
Mai
25
19. Juni
25
50
32
18
6
1900
M ai
18
30. Mai
12
46
31
15
7
1900
>
: 18
30. Mai
12
45
| 32
13
8
1900
>
18
17. Juni
30
53
36
17
9
1901
Mai
3
13. Mai
10
46
36
1 10
10
1901
>
3
21. Mai
18
43
33
10
11
1901
>
31
11. Juni
10
40
32
1 8
12
1901
>
31
i 12. Juni
1
11
42
•
32
1 1°
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Max Schottelius.
63
Tabelle II.
Normal ernährte Kontroll-HUhnchen.
i
Nr.
.1
Jahr
Monat ,
Tag
Getötet |
i
Tage
alt
j Anl*
Gew.
End*
Gew.
1 Ge-
| winn
1
1899
i j
März
28 !
1
8. April
H
1 s
47
g
54
g
7
2
1899
*
28 1
10. April
13
46
56
10
3
1899
April
16
7. Mai j
21
49
118
69
4
1899
>
i 16 '
15. Mai !
29
51
128
77
5
1899
Mai
1 25
19. Jani
25
49
98
49
6
1900
Mai
18
30. Mai
12
47
54
1 7
7
1900
>
1 18 1
30. Mai
12 !
46
54
1 8
8
1900
>
18
17. Juni ,
30
53
115
62
9
1901
Mai
3
13. Mai i
10
48
54
6
10
1901
>
3 1
21. Mai
18 |
45
56
, 11 •
11
1901 |
>
31
11. Juni
10
39
43
; 4
12
1901
i
»
31 I
12. Juni i
ii !
45 :
53
8
So lehrt ein Blick auf die tabellarische Übersicht der sterilen
Hühnchen (Tafel I), dafs sehr erhebliche Schwankungen im
Gewichtsverlust bestehen, welche weder zu dem Anfangsgewicht
der Hühnchen, noch zu der Lebensdauer in einer einigermafsen
gesetzmäfsigen Proportion stehen. Es wurde schon eingangs
darauf hingewiesen, dafs hier die angeborene »Lebensenergie« —
ein leider unmefsbarer Faktor — gewifs eine wesentliche Rolle
spielt, aber fast ist es noch bedauerlicher, dafs ein viel platterer
Faktor für das Endgewicht der Hühnchen sehr mafsgebend ist:
der nämlich, ob das Tier mit vollem oder mit leerem Kropf
verendet. Stopft sich das Hühnchen vor dem Eingehen den
Kropf noch einmal tüchtig voll, so kann es um 5 und mehr
Gramm schwerer werden als ein gleiches Tier, das die Kraft
verloren hatte, sein stets vorhandenes Hungergefühl kurz vor
dem Tode noch einmal durch Füllung des Kropfes scheinbar zu
befriedigen. Man könnte ja vielleicht vor dem Einlegen in
Gelatine den Kropf aufschneiden und entleeren — eine immer¬
hin mifsliche Operation, wenn es sich um die Sorge handelt, das
Tier möglichst schnell steril zu konservieren — jedenfalls ist das
bis jetzt noch nicht geschehen, und so sehen wir in unseren
Präparaten manche Tiere mit mehr oder weniger schlankem Hals
Digitized by
Google
64
Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. II.
und andere mit dick gefülltem Kropf, und in den Tabellen figuriert
der unverdaute Inhalt des Kropfes als Gewichtsgröfse des Tier¬
körpers.
Darin liegt also noch ein Beoachtungsfehler, welcher über¬
wunden werden mufs.
Eine weitere Ungenauigkeit ergibt sich daraus, dafs die im
Freien normal ernährten Kontrollhühnchen sich nicht ganz so in
ihrer Entwicklung verhalten wie die Hühnchen, welche durch
eine Henne natürlich ausgebrütet sind und in den ersten
Wochen durch die Henne beschützt werden. In letzterem Falle
finden die Hühnchen nämlich auch während des Tages stunden¬
lang Ruhe und gleichmäfsige feuchte Lebenswärme unter den
söhützenden Flügeln der Henne, sparen dadurch an Kraft-
und Wärme Verlust und werden für die Verwertung neuer Nahrungs¬
aufnahmen besser vorbereitet. Die künstlich ausgebrüteten
Hühnchen dagegen sind auch bei sorgsamster Pflege viel un¬
ruhiger, laufen und springen eigentlich fortwährend im ganzen
Hühnerhof umher und entwickeln sich daher nicht so schnell,
bezw. sie nehmen an Gewicht nicht so rasch zu, wie die Hühn¬
chen unter der Henne. Fremde Hühnchen, die künstlich aus¬
gebrütet sind, nimmt übrigens eine Henne nicht leicht an, soudern
hackt im Gegenteil auf dieselben ein und verjagt sie von dem
eigenen Schwarm. Nun trifft dieser Faktor zwar beide für unsere
Versuche in Frage kommenden Gruppen: sowohl die steril ge¬
züchteten als auch die normal ernährten Hühnchen und trübt
daher nicht das relative Versuchsergebnis; immerhin entsprechen
aber die auf der Kontroll-Tabelle (Tafel II) als Gewinn einge¬
schriebenen Zahlen nicht völlig den natürlichen Werten, sondern
sind geringer als diese.
Um bei ferneren Versuchen bessere Brutergebnisse zu er¬
zielen, würde ich es auch empfehlen, mindestens neben dem
künstlichen Brutapparat mehrere Puterhennen mit Hühnereiern
unterlegen zu lassen. Ein solches Tier ist ein äufserst sicher
funktionierender Brutapparat und brütet 30 Hühnereier gleich¬
zeitig aus. Der künstliche Brutapparat erfordert eine ständige,
sehr mühevolle Kontrolle, bei dem täglich notwendigen Umlegen
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Max Schottelius.
65
der Eier treten stets Verluste ein und bei einem Versagen des
Apparates steht unter Umständen die ganze 200 Eier betragende
Einlage au! dem Spiele.
Schliefslich würde ich empfehlen, statt der bei den letzteu
Versuchen beschriebenen verschiebbaren Trennungswand, welche
den Brutkäfig in eine sterile und in eine für Bakterienfütterung
bestimmte Hälfte teilt, lieber zwei Brutkäfige einzustellen und in
jedem die sterilen Eier getrennt ausbrüten zu lassen. Die
bakteriensichere Abtrennung der beiden Hälften ist sehr mifslich;
wir wären gewifs schon in diesem Jahre weiter gekommen mit
den Versuchen über Bakterienfütterung, wenn wir nicht diese
häufigen Reparaturen an dem Verschlufs der Trennungswand
gehabt hätten.
Aus allen diesen Mifsständen und noch bestehenden Un¬
genauigkeiten kann man Einwände herleiten und die Beseitigung
der Fehlerquellen fordern, aber man kann an der Richtigkeit des
Prinzips nicht mehr zweifeln: dafs für die Ernährung der
Tiere — speziell der warmblütigen Wirbeltiere —
die Thätigkeit der Darmbakterien notwendig ist.
Dafür sprechen nicht nur allgemein wissenschaftliche Über¬
legungen, sondern vor allem die vorliegenden Ergebnisse der
Züchtungsversuche steriler Hühnchen und damit stimmen auch
alle bisher erzielten Versuchsergebnisse anderer Untersucher 1 )
1) L e v i n, welcher Gelegenheit hatte, die Natthorst sehe Expedition
im 8ommer 1898 zu begleiten, hat die Behauptung aufgestellt — Annales
de l’Institut Pasteur Bd. XIII —, dafs in den arktischen Zonen der Darminhalt
der meisten warmblütigen Tiere absolut bakterienfrei sei. Dem gegenüber
inufs doch daran erinnert werden, dafs sowohl die Vögel, als auch die
Säugetiere der Polargegenden nur zeitweise in den Eisregionen sich auf-
halben, übrigens aber Wandertiere sind und ihrer Nahrung nachziehen. Diese
besteht — soweit die Tiere nicht untereinander sich auffressen — aus
höheren Wassertieren: Fischen, Crustaceen etc., welche ihrerseits wiederum
auf die in den wärmeren Meeresströmungen heimischen Lebewesen an¬
gewiesen sind, letztere sind aber — wie aus zahlreichen Untersuchungen,
namentlich aus denen von Nordenskiöld und Nansen hervorgeht —
durchaus nicht bakterienfrei, sondern enthalten niedere Organismen der ver¬
schiedensten Art in grofser Menge.
Wenn schon aus diesen Gründen der Darminhalt der arktischen Tiere
nicht bakterienfrei sein kann, so stimmen damit auch die positiven Befunde
ArchiY für Hygiene. Bd. XL1I. 5
Digitized by
Google
66
Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. II.
überein, selbst die von Nuttall-Thierfelder, wie ich das in
meiner früheren Mitteilung nachgewiesen habe.
Neuerdings hat M me 0. Metschnikoff 1 ) die mühevolle
Züchtung steril aus dem Ei entwickelter Froschlarven bis zum
63. Tage erfolgreich durchgeführt. Das Resultat war, dafs die
steril mit Brot ernährten Larven am Ende des Versuchs ein
Gewicht von durchschnittlich 25 mg und eine Länge von 15,5 mm
erreicht hatten, während die nicht steril, übrigens aber ganz
gleich gehaltenen Kontrolllarven ein Durchschnittsgewicht von
142 mg und eine Länge von 26,5 mm aufwiesen.
Daraus zieht M me 0. Metschnikoff unter Hinweis auf
eine weitere Fortführung der Experimente mit Recht den Schlufs,
dafs die Bakterien für das Leben und für das Wachstum der
Froschlarven notwendig sind. Die Ergebnisse meiner Versuche
über die sterile Züchtung von Hühnchen haben gezeigt, dafs
das gleiche Gesetz auch für die Entwicklung der Hühner gültig
ist. Gewisse Zweifel an die Beweiskraft meiner früheren Versuche,
welche M me 0. Metschnikoff darin erblickt, dafs die Des¬
infizierung der bebrüteten Eier mit Sublimat einen Einflufs auf
die Widerstandskraft bezw. auf die Lebenskraft der ausgeschlüpften
Hühnchen haben könne, können wohl damit beseitigt werden,
dafs die Wirkung des Sublimats nach der Tiefe hin örtlich eine
sehr begrenzte ist und es ist auch nicht anzunehmen, dafs
bei einem intensiven Abwaschen der Oberfläche eines Eies die
Sublimatwirkung mehrere Millimeter in die Tiefe dringt, ohne
wahrnehmbare Veränderungen zu hinterlassen. Aufserdem äufsert
sich das Vorhandensein minimalster Mengen Sublimats an den
in Nährgelatine eingelegten sterilen bebrüteten Eiern und Eier¬
schalen stets in Form des Auftretens einer dunklen schwarz¬
braunen Zone in der Gelatine um das Ei — wohl infolge von
aller übrigen Beobachter überein, so namentlich diejenigen von H. Chau*
veau, welcher als Teilnehmer der Expedition des Fürsten von Monaco im
Jahre 1900 speciell die Levin sehen Angaben kontrolliert hat and dabei zu
entgegengesetzten Resultaten wie Levin, d. h. ausnahmslos zum Nachweis
von Bakterien im Darminhalt von Robben, Füchsen und von zahlreichen
arktischen Vogelarten gekommen ist.
1) Annales de lTnstitut Pasteur, Bd. XV, p. €>31.
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Max Schottelius.
67
Reduktion des Quecksilbers. Solche Kontrolleier und Schalen,
welche regelmäfsig eingelegt wurden, sind aus der ersten Zeit
unserer Experimente noch in gröfserer Anzahl vorhanden. Später
wurde aber jede Spur von Sublimat an den Eiern durch mehr¬
maliges Abreiben, Abbürsten und Abspülen mit Kochsalzlösung
und Abtrocknen mit steriler Watte vollständig ausgeschlossen.
In den letzten Jahren haben wir aulserdem die mit Sublimat
desinfizierten Eier mit Schwefelleber behandelt und dadurch auf
chemischem Wege das Sublimat zerstört.
Übrigens hätte sich eine Sublimatwirkung natürlich auch bei
den Kontrollhühnchen äufsern müssen, deren Eier ganz gleich
behandelt wurden wie die der steril gezüchteten. Da diese Tiere
aber im ganzen gut gediehen sind, wenigstens an Gewicht nor¬
malerweise zugenommen haben, so hat entweder eine nachteilige
Wirkung des Sublimats auf die Eier nicht stattgefunden oder,
wenn sie stattgefunden hat, so mufs sie sich auf die sterilen und
auf die Kontrollhühnchen gleicherweise geäufsert haben und
kann also die Schlufsfolgerungen, welche sich aus dem relativen
Verhalten der Versuchstiere ergeben, nicht beeinträchtigen.
Gewifs darf man nicht generalisieren und aus den speciellen
Ernährungsbedürfnissen einer Species die gleichen Bedingungen
für eine andere Art erschliefsen wollen, aber darin geht M me
0. Metschnikoff doch wohl etwas zu weit, wenn sie die ver¬
schiedenen Versuchsergebnisse der Nuttall-Thierfeldersehen
Versuche an Meerschweinchen und meiner Versuche an Hühn¬
chen aus den verschiedenen bakteriellen Bedürfnissen der beiden
verschiedenen Tierspecies erklären will; dazu sind doch die
Ernährungsbedingungen der warmblütigen Wirbeltiere einander
zu ähnlich als dafs man derartige prinzipielle Verschiedenheiten
zwischen der Ernährung von Hühnern und der von Meer¬
schweinchen voraussetzen könnte. Anderseits möchte ich auch
nicht in der Generalisierung so weit gehen, und die Ernährung
der »Mites« mit denen der höheren »Wirbeltiere« vergleichen.
Es sind wohl die Saugmilben, speciell die Zecken gemeint, von
denen M me Metschnikoff berichtet, dafs ihnen die niederen
Organismen nicht nur nicht schädlich sind, sondern im Gegenteil
5 *
Digitized by
Google
68
Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. II.
zur Nahrung dienen. Letzteres kommt auch bei den höheren
Wirbeltieren und beim Menschen vor, sehen wir doch, dafs z. B.
mit dem Traubenmost dem menschlichen Magen sehr beträcht¬
liche Mengen von Hefepilzen zugeführt werden, die doch gewifs
vom Körper verdaut werden und ihm zur Nahrung dienen, wie
eine lebendige Auster verdaut und zur Nahrung wird. Alle die
ungeheueren Massen von Spaltpilzen, welche der warmblütige
tierische Körper eben infolge seiner hohen Temperatur — diesem
mächtigen Schutzmittel im Kampf gegen niedere Organismen —
abtötet, sie unterliegen doch der Zersetzung durch die Verdau¬
ungssäfte und es ist kein Grund dagegen anzuführen, dafs das
peptonisierte Mykoprote'in nicht aufgenommen und im Körper
weiter verarbeitet werden sollte.
Welche Bedeutung diese Verarbeitung hat, das läfst sich zur
Zeit wohl noch nicht erkennen. Wenn wirklich so viel ver¬
schiedene >Stoffe« in den Körpersäften und Geweben kreisen,
wie sie mit Namen genannt werden, so werden sich dieselben
wohl aus Bezugsquellen ersetzen müssen, unter denen der Darm¬
inhalt noch am ehesten in Betracht kommen dürfte. — Übrigens
stehen die Ergebnisse meiner Versuche nicht im Gegensatz zu
den von Nuttall und Thierfelder veröffentlichten Mitteilungen
über die sterile Ernährung von Meerschweinchen, und ich ver¬
danke — wie aus der Anordnung meiner Versuche ersichtlich
ist — den N u tt all-Th ierfeld ersehen Experimenten eigent¬
lich die Anregung zu meinen Versuchen. Nur in der Deutung
der Versuchsergebnisse hatte ich eine andere Meinung zu ver¬
treten und um dazu eine positive Unterlage zu haben, entschlofs
ich mich zu dem Versuche, mit Hühnereiern zu arbeiten.
Es scheint mir nach meinen jetzigen Erfahrungen die Mög¬
lichkeit nicht ausgeschlossen, dafs die Nuttall-Thierfelder-
schen Versuche mit gutem Erfolge wieder aufgenommen und
weiter fortgesetzt werden können. Zu einer Verwertung für di©
Ernährungstheorie bezw. für die Bedeutung der Darmbakterien
können diese Versuche aber erst dann herangezogen werden,
wenn bei den Meerschweinchen an Stelle der Milchernährung die
normale Pflanzennahrung dieser Tiere getreten ist.
Digitized by
Google
Von Dr. M*x Schottelius.
69
Die Milch, welche bei den Hühnchen durch das Hühner-
eiweifs im Ei ersetzt wird, bildet einen für das Junge bestimmten
Teil des mütterlichen Organismus, und das junge Tier steht
überhaupt noch nicht auf dem Boden einer eigenen Ernährung,
so lange es auf die Funktion des mütterlichen Körpers ange¬
wiesen ist, gerade so wenig, wie man beim Hühnchen im Ei von
einer selbständigen Ernährung sprechen kann, so lange noch
das mütterliche Hühnereiweifs resorbiert wird.
Dann erst kommt die Bedeutung der Darmbakterien für die
Ernährung in Frage, wenn das Individuum, mag es nun ein
Huhn oder ein Meerschweinchen oder sonst ein Tier oder der
Mensch sein, unabhängig vom mütterlichen Organismus sich zu
erhalten hat. Alle diese so bedeutungsvollen Versuche würden
natürlich damit erst einen voll befriedigenden Abschlufs erreichen,
wenn es gelänge, das Gesetz von der Notwendigkeit der Darm¬
bakterien für die Ernährung auch durch den Versuch am Säuge¬
tier zu bestätigen.
Zur Ausführung solcher Versuche am Meerschweinchen
müfsten aber bedeutende äufsere Mittel bereit gestellt werden,
über welche das hiesige hygienische Institut zur Zeit jedenfalls
nicht verfügt, so werden also vorerst die Versuche mit steril ge¬
züchteten Hühnchen den Ausgangspunkt für die weiteren Unter¬
suchungen in dieser Frage bilden müssen.
Zunächst wird es darauf ankommen, den Versuch mit dem
Bacillus coli gallinarum mehrmals rein durchzuführen; derart,
dafs Hühnchen in einem thunlichst vorgeschrittenen Wachstums¬
stadium vorliegen, und ausschliefslich den Bacillus coli gallinarum
enthalten. Der Grad der Entwicklung dieser Hühnchen sollte
dann nicht nur mit dem der steril gezüchteten Tiere verglichen
werden, sondern namentlich auch mit dem der im Freien auf¬
gewachsenen Kontrollhühnchen. In dieser Weise müssen jeden¬
falls die wichtigsten der konstant im Hühnerdarm vorkommenden
Spaltpilzarten einzeln und kombiniert auf ihre Wirkung geprüft
werden. Dazu mufs sich die histologische und die chemische
Untersuchung der steril gezüchteten und der mit Bakterien ge¬
fütterten Tiere gesellen. Sodann bietet gerade das Huhn Ge-
Digitized by CjOOQle
70 Di® Bedeutung d. Darmbakterien f. d. Ernährung. II. Von Dr. Schottelius.
legenheit, eine Reihe pathogener Spaltpilze zu studieren, welche
vom Darm aus wirken, so dafs vielleicht auch in Bezug auf die
Pathologie des Darmrohres aus solchen Versuchen Aufschlüsse
erwartet werden können.
Ob und in welcher Weise dann die Ergebnisse dieser Unter¬
suchungen für die menschliche Pathologie praktisch verwertet
werden können, das wird wohl einer ferneren Zukunft Vorbehalten
bleiben. Ausgeschlossen scheint es aber keineswegs, dafs die
bessere Kenntnis der normalen biologischen Vorgänge im Innern
des Darmrohres dazu führen wird, dafs nicht nur die Physiologie
der Ernährung daraus Nutzen zieht, sondern dafs auch die
Pathologie des Darmrohres mit besserem Erfolg als bisher die
Gründe für die Entstehung mancher Darmkrankheiten wird auf¬
klären können.
Unsere »Pest« in Deutschland ist bekanntlich nicht die
Bubonenpest, sondern es ist der Typhus. Nachdem alle bisher
angewandten Mittel zur Bekämpfung dieser Krankheit es nicht
haben verhindern können, dafs Jahr aus Jahr ein schwere
Typhusepidemien zum Ausbruch kommen, da sollte man keinen
Weg unbenutzt lassen, der zur Aufklärung des dunklen Zu¬
sammenhanges der Typhusbacillen mit dem Bacillus coli führen
kann. Der Weg von der physiologischen Wirkung des Bacillus
coli gallinarum im Hühnerdarm bis zur erfolgreichen Bekämpfung
des Typhusbacillus im menschlichen Darmrohr mag wohl ein
weiter sein, es ist aber der einzige, von dem aus* die physio¬
logischen und die pathologischen Vorgänge des tractus intestinalis
verständlich sind und daher wird dieser Weg — mag es früher
oder mag es später sein — beschritten werden müssen, und er
wird zum Ziele führen.
So viel steht schon jetzt fest, dafs sowohl für das Leben
der Pflanzen als auch für die Ernährung der Wirbeltiere und für
den Menschen die Thätigkeit der Darmbakterien notwendig ist.
Digitized by CjOOQle
Ueber die
Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen und ihre
Verwendung als Merkmal zur Artunterscheidnng.
Von
Dr. Georg Oaspari,
Zahnarzt aus Rummelsburg in Pommern.
(Aus dem hygienischen Institut in Würzburg.)
(Mit Tafel I.)
Diö Zahl der in den letzten 25 Jahren neugefundenen Bak¬
terienarten ist so bedeutend angewachsen, dafs ihre systematische
Einteilung die gröfsten Schwierigkeiten bereitet, nicht zum
wenigsten wegen der grofsen Variabilität der morphologischen
und biologischen Charaktere.
Lehmann und Neumann 1 ) haben in ihrer Bearbeitung
der Bakteriologie wohl zuerst systematisch darauf hingewiesen,
und sind für ihre Anschauung mit umfangreicherem Material
hervorgetreten. Farbstoff bildung, Verflüssigung der Gelatine und
andere chemische Leistungen werden dort als ebenso variabel
bezeichnet wie die Pathogenität, ja auch die morphologischen
Qualitäten, auf die eine Systematik sich in erster Linie stützen
inufs: Gröfse, Form und Anordnung der Zellen, Begeilselung
und Sporenbildung erscheinen als schwankend in ziemlich er¬
heblichem Umfange. Sind auch die Beobachtungen, welche die
Autoren für jede einzelne dieser Angaben anführen, nicht immer
1) Lehmann und Neumann, Bakteriologie und bakteriologische
Diagnostik. München, Verlag von J. F. Lehmann, 1. Aufl., 1896.
Digitized by CjOOQle
72 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc.
zahlreich, so genügen sie in ihrer Gesamtheit, um den gewünsch¬
ten Eindruck hörvorzubringen, dafs die Schwierigkeit der Syste¬
matik der Bakterien in erster Linie in deren Variabilit&t liege.
Von den bakteriologischen Merkmalen, die zur Aufstellung
einer Systematik der Bakterien geeignet erscheinen, ist die Art
der Sporenkeimung und deren Konstanz bisher ziemlich wenig
geprüft worden. Wohl haben Cohn 1 ) und insbesondere Praz-
mowski 2 ) darüber wichtige Angaben gemacht, doch hat erst
in neuester Zeit Burchard, unter Leitung von Prof. Migula
in Karlsruhe, der Sporenkeimung besondere Aufmerksamkeit ge¬
schenkt mit dem Resultate, dafs der Vorgang der Sporenkeimung
bei jeder Art eine sehr konstante Eigenschaft sei, während sich
die verschiedenen Arten durch sehr verschiedene Sporenkeimung
unterscheiden. Einzelne andere Autoren haben kleinere Arbeiten
publiziert, die nicht mit Burchard übereinstimmen, und auf
die ich später zu sprechen komme.
Professor Dr. K. B. Lehmann, der mit Dr. Hirai an
einigen Arten die Konstanz der Sporenkeimung studierte, kam zu
Resultaten, die die Angaben Burchards als höchst auffallend
erscheinen liefsen, so dafs derselbe wünschte, die Frage möge
durch möglichst sorgfältige und kritische Untersuchung von
neuem bearbeitet werden. Ich unterzog mich dieser Aufgabe
um so lieber, als gerade die Gruppe der sporentragenden Ba¬
cillen eine Menge theoretisch und praktisch wichtiger Arten ein¬
schliefst.
Die Sporen sind als die Dauerzustände der Bakterien er¬
kannt worden, welche von letzteren gebildet werden, sobald der
Nährboden für die Existenz derselben ungeeignet geworden ist.
Hierfür spricht auch besonders die wohl von keiner Seite
1) Cohn, Untersuchungen über Bakterien. Beiträge zur Biologie der
Pflanzen, I. Heft 2, 1872. — Untersuchungen über Bakterien. IV. Beiträge
zur Biologie der Bacillen, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, II, 1876, Heft 2.
2) Prazmowski, Untersuchungen über die Entwicklungsgeschichte
und Fermentwirkung einiger Bakterienarten. Leipzig, 1S80. — Zur Ent¬
wicklungsgeschichte und Fermentwirkung einiger Bakterienarten. Botanische
Zeitung, 1877.
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Georg Canpari.
73
bestrittene Erfahrung, dais eine Auskeimung von Sporen auf dem¬
selben Nährboden nicht vor sich geht. Für das Auskeimen von
Sporen sind als Bedingung erkannt worden: 1. unverbrauchter
und für die bestimmte Bakterienart geeigneter Nährboden,
2. Feuchtigkeit und Wärme, 3. für viele Arten Sauerstoff. Die
Keimung der Sporen leitet sich bei allen bisher beobachteten
Arten in der gleichen Weise ein: die reife, vorher stark licht¬
brechende und deutlich konturierte Spore beginnt, unter zur
Auskeimung geeignete Bedingungen gebracht, im günstigsten Falle
nach ca. ein bis zwei Stunden anzuschwellen, mit dieser Anschwel¬
lung ihren starken Lichtglanz zu verlieren, ihre Kontur runder
und unbestimmter zu gestalten und allmählich an einer gewissen
Stelle das Keimstäbchen hervortreten zu lassen. Je nach der
Art nuu, wie dieses Stäbchen die Membran verläfst, lassen sich
drei verschiedene Modi, welche jedoch nicht ohne Übergänge
sind, unterscheiden.
1. Keimung des Stäbchens unter Verquellen der
Membran: Die Spore streckt sich in die Länge, die Kontur
wird undeutlicher, der Lichtglanz erlischt, und diese Verände¬
rungen gehen so lange langsam vorwärts, bis die Spore in Ge¬
stalt und Aussehen vollkommen einem Stäbchen gleicht, welches
sich nach einiger Zeit teilt.
In keinem Stadium kann man auch nur die geringste Ab¬
hebung einer Sporenraembran beobachten. Man mufs dann an¬
nehmen, dafs sich entweder die Sporenmembran einfach zur
Membran des jungen Stäbchens entwickelt oder, was wahrschein¬
licher ist, »sie verschleimt und .entzieht sich so der direkten
Beobachtung« (Migula). *) Als Typus kann die von Klein bei
seinem Bacillus leptosporus beschriebene Keimung gelten. Auch
Burchard 1 2 ) beobachtete während der Keimung seines Bacillus
leptodermis nie eine abgestreifte Sporenmembran. Er erklärt
das »durch die infolge ihrer (der Sporenmembran) sehr zarten
1) Migula, System der Bakterien. Jena, 1897.
2) Burchard, Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte
der Bakterien. Arbeiten aus dem hygien. Institut Karlsruhe.
Digitized by v^.ooQle
74 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc.
Struktur bewirkte, fast momentane Verquellung nach der Ab-
stolsung; oder aber die alte Sporenhaut streckt sich direkt zur
neuen Bakterienmembran, was allerdings weniger wahrschein¬
lich ist.«
2. Polare Keimung: Die Sporenmembran zeigt eine
deutliche Abhebung während der Keimung und zwar so, dafs
das Stäbchen durch einen polaren Rifs in der Sporenhaut aus¬
schlüpft. Hierher gehören der Milzbrandbacillus und seine
nächsten Verwandten.
3. Äquatoriale Keimung: Das Stäbchen schlüpft durch
einen äquatorialen Rifs der Sporenhaut hervor. Bacillus subtilis
und seine Verwandten.
Als Unterarten dieser Typen sind zunächst:
a) die schräge Auskeimung zu erwähnen, bei der das
Stäbchen weder rein polar, noch rein äquatorial aus der Mem¬
bran hervorbricht,
b) die hufeisenförmige Auskeimung, bei der zwar
ein äquatorialer Einrifs der Membran erfolgt, das keimende
Stäbchen sich jedoch in der Längsrichtung der Spore bildet, so¬
mit im Moment der Keimung sich mit dem gewölbten Rücken
hufeisenförmig aus der Membran hervordrängt, indes die Stäbchen¬
enden von, der Membran umschlossen bleiben.
Diese Haupttypen der Sporenkeimung sind durch Übergänge
miteinander verbunden, doch hat nach Migula und Burchard
jede Art ihre besondere Form der Sporenkeimung, die sie von
allen anderen Arten unterscheidet.
Inwieweit diese Konstanz besteht und inwieweit somit die
Sporenkeimung zur Artunterscheidung der Bakterien zu ver¬
werten, soll durch die folgenden Untersuchungen festgestellt
werden.
Diese Untersuchungen wurden im hygienischen Institut der
Universität Würzburg unter Leitung von Herrn Prof. Lehmann
gemacht.
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Georg Caspari.
75
I. Teil. Untersuchungen.
Als ich diese Arbeit begann, bestanden zunächst die Haupt¬
schwierigkeiten in der Beherrschung der Temperaturverhältnisse.
Zur Erwärmung des Mikroskops benutzte ich den bekannten
Zeifssehen Wärmekasten. Ich habe bei unserem Apparat durch
eine gröfsere Reihe Untersuchungen konstatiert, dafs zwischen
der am Regulator eingezeichneten Scala und der im Apparat
durch ein Thermometer angezeigten Wärme, je nach dem Gas¬
druck, eine Differenz von 3—4° vorhanden ist. Weiterhin war
zu beachten, dafs zur Erhaltung konstanter Temperaturen eine
genügende Vor- und Durchwärmung des Mikroskops unbedingt
notwendig ist. Es hat sich gezeigt, dafs hierfür eine Zeit von
mindestens 60 Minuten, besser 90 Minuten, erforderlich ist.
Unter Berücksichtigung dieser Beobachtungen ist es mir ge¬
lungen, meine Untersuchungen bei konstanten Temperaturen vor¬
zunehmen. Ich habe als beste Keimungstemperatur für die von
mir beobachteten Arten 32—34° erkannt, und soweit im folgen¬
den nicht anders hervorgehoben, meine Beobachtungen bei dieser
Temperatur vorgenommen. Ich will schon an dieser Stelle be¬
merken, dafs gerade bei den Keimungsbeobachtungen, um gleiche
Resultate zu erhalten, konstante Temperaturen zu den Haupt¬
vorbedingungen gehören, dafs schwankende Temperaturen nicht
unwesentlich, besonders auf die Zeitverhältnisse einzuwirken ver¬
mögen.
Als Nährböden wurden in erster Linie Agar, dann Gelatine
und Bouillon in der gewöhnlichen Zusammensetzung benutzt.
Der gewöhnliche Agar hat vor der Gelatine und der Bouillon
den Vorzug, dafs man die Sporen auf dem Deckglase wegen der
Festigkeit des Agar nicht so fest anzukleben braucht, was für
den Keimungsverlauf nicht ohne Einflufs zu sein scheint; dafs
weiterhin die sogenannte Molekularbewegung, welche fast regel-
mäfsig bei den Beobachtungen in Bouillon von Anfang an die
genaue Untersuchung stört, wesentlich vermindert wird. Ein
weiterer Nachteil der Bouillon ist die gelbliche Färbung des
Gesichtsfeldes, welche oft feinere Lichtbrechungsunterschiede zu
Digitized by CjOOQle
76 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc.
erkennen verhindert. Auch die Gelatine verlangt festeres An¬
kleben des Materials.
Im Verlaufe meiner Untersuchungen bin ich nun so ver¬
fahren, dafs ich zunächst die Reihe der von Burchard als
neue Arten beschriebenen Bakterien nachuntersuchte. Ich bezog
dieselben von Kral aus Prag. Weiterhin untersuchte ich dann
noch eine Reihe selbstgezüchteter Bakterien. Da es für diese
Arbeit nicht von Interesse schien, dieselben näher zu bestimmen,
habe ich dies unterlassen und mich begnügt, ihrer Herkunft
eine indifferente Bezeichnung als Unterscheidungsmerkmal bei¬
zufügen.
Zur Methodik will ich erwähnen, dafs ich zunächst bestrebt
war, reines Sporenmaterial zu erhalten. Stäbchendetritusmassen
im Gesichtsfelde können auf die Beobachtung im höchsten Grade
störend einwirken. Anfangs bin ich so verfahren, dafs ich nach
Burchard das betreffende Material in sterilisiertem Wasser
oder Bouillon auf schwemmte, ca. V 2 Stunde auf 70° C. erwärmte,
um auf diese Weise die noch vorhandenen lebenden Stäbchen
abzutöten und ihren Detritus zum Verquellen zu bringen. Ich
kam mit dieser Methode nur in seltenen Fällen zum Ziel. Ein¬
mal genügte die Temperatur nicht immer, um alle Detritus¬
massen zum Verquellen zu bringen. Dann lag auch die Gefahr
nahe, dafs durch das Erwärmen der Sporen in irgend welcher
Richtung auf dieselben eingewirkt werde. Jedenfalls habe ich
bemerkt, dafs das so behandelte Material niemals so regelmäfsig
keimte wie auf andere Methode gewonnenes.
Somit griff ich zu dem mehr Zeit raubenden Mittel, welches
auch von Burchard zuweilen angewandt worden ist: durch
längeres Verweilen bei geeigneter Temperatur in demselben
Nährboden die Stäbchen zum Sporenbilden zu zwingen und ihre
Detritusmassen zum Schwinden zu bringen. Für die von mir
gezüchteten Arten genügte in den meisten Fällen schon eine
Temperatur von 37° und eine Zeitdauer von 2—3 Tagen, um
vollkommen reines und für die Beobachtung geeignetes Sporen¬
material zu erhalten. In anderen Fällen war zuweilen eine
Zeitdauer von. mindestens 6—8 Wochen erforderlich, um einiger-
Digitized by v^ooQie
Von Dr. Georg Caspari.
77
mafsen reines Material zu erhalten. Bei einigen Burchard-
schen Arten, die schon längere Zeit auf künstlichen Nährböden
weitergezüchtet waren, kam ich aber auch auf diesem Wege
nicht in den Besitz reinen Sporenmaterials. Ich versuchte des¬
halb mit Hilfe von Färbungsverfahren die vegetativen Elemente
abzutüten und zu kennzeichnen, aber auch dieses Hilfsmittel
lieferte mir die gehofften Resultate nicht. Aus diesem Grunde
mufste das nähere Studium dieser Burchardsehen Arten unter¬
bleiben.
Die Präparate wurden in der Weise angefertigt, dafs mit
einer geglühten Platinöse eine geringe Menge des vorbereiteten
Materials auf einem sterilen Deckglas verrieben, das Material
an der Luft getrocknet und mit dem Nährboden versehen
wurde. Untersuchungen mit Gelatine und besonders Bouillon
machen (im Gegensatz zu denen mit Agar) ein vorsichtiges Er¬
wärmen und Antrocknen über der Flamme erforderlich. 1 )
Das so mit dem Nährboden versehene Präparat wird als¬
dann mit Paraffin oder Vaselin auf einem hohlgeschliffenen Ob¬
jektträger befestigt.
Versuche.
In der nachfolgenden Beschreibung meiner Versuche will
ich nun so vorgehen, dafs ich, soweit es sich um Burchardsche
Arten handelt, meinen Untersuchungen zum Vergleich die Kei¬
mungsbeobachtungen Burchards in kurzem Auszuge voraus¬
schicke. Ich will an dieser Stelle erwähnen, dafs ich aus meinen
sehr zahlreichen Beobachtungen (ca. 25—30 von jeder Bakterien¬
art) je einen als besonders gelungen zu bezeichnenden Versuch
voranstelle und die anderen Versuche mit derselben Bakterien¬
art, soweit sie nichts Neues bieten, nur kurz erwähne. Es sei
auch nicht übergangen, dafs eine nicht unbeträchtliche Anzahl
von Versuchen aus bisher zum Teil unaufgeklärten Gründen
trotz sorgfältiger und gleichmäfsiger Anfertigung der Präparate
scheiterte. Bei einem gewissen Prozentsatz dieser als mifsglückt
1) Bei dem Antrocknen der Präparate über der Flamme mufs man sehr
vorsichtig verfahren, da meine so behandelten Präparate, wenn sie über
hanpt keimten, grofse Variationen in der Auskeimungszeit zeigten.
Digitized by v.ooQle
78 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc.
■
zu bezeichnenden Versuche war teils das Präparat zu undeutlich,
teils die zu untersuchenden Sporen zu klein, um überhaupt zu
irgend welchen positiven Schlüssen Berechtigung zu geben, teils
auch hatte ich besonders in der letzten Hälfte des Sommers mit
ungünstigen und wechselnden Licht Verhältnissen zu kämpfen.
Letztere Unannehmlichkeit wurde im Winter dadurch etwas ge¬
hoben, dafs ich die ganzen Untersuchungen bei Glühlicht vor¬
nahm, welches wenigstens den Vorzug der gleichmäfsigen Licht¬
stärke hatte.
Um möglichst objektive Urteile über das Gesehene zu fälleu,
habe ich aufser der Burchardsehen Arbeit alles Litteratur-
studium während meiner Beobachtungen vermieden. Es genügt
deshalb wohl die Bemerkung, dafs ich nur das in meinen Zeich¬
nungen wie auch in meinem Protokoll aufgenommen habe, was
ich deutlich gesehen habe. Alles Undeutliche oder durch die
Beobachtung nicht als sicher Erwiesene wird stets im nach¬
folgenden so bezeichnet werden. Nachdem dann meine Unter¬
suchungen zu einem gewissen Abschlüsse gelangt waren, begann
ich meine Litteraturstudien, welche, wie ich nicht verhehlen
will, einige genauere Nachuntersuchungen notwendig machten.
Es wurden untersucht:
a) Burchardsche Arten (von Kral bezogen):
1. Bacterium perittomaticum.
2. Bacillus goniosporus.
3. Bacterium Petroselini.
4. Bacterium Filamentosum. E. Klein.
5. Bacterium angulans.
6. Bacillus loxosporus.
b) Durch die Freundlichkeit des Herrn Kollegen Zierler
erhalten:
7. Bacillus gangraenosus pulpae.
c) Selbstgezüchtete Arten:
8. Bacillus aus der Luft gezüchtet von Herrn Professor
Lehmann.
9. Heubacillus 1.
10. Heubacillus 2.
Digitized by v.ooQle
Von Dr. Georg Caspari.
79
Ich will gleich an dieser Stelle hervorheben, dafs die von
Kral bezogenen Burchardsehen Bakterienarten im wesent¬
lichen in ihren morphologischen und physiologischen Eigen¬
schaften mit den von Burchard als charakteristisch angegebenen
übereinstimmen, so dafs ich diesen Faktor nicht mehr bei jeder
einzelnen untersuchten Art zu erwähnen brauche. Der von Herrn
Kollegen Zierler zur Verfügung gestellte Bacillus gangraenosus
pulpae ist mit dem von Arkövy aus der gangränen Zahnpulpa
gezüchteten Bacillus sehr ähnlich. Der Bacillus aus der Luft
wurde von Herrn Prof. Lehmann als zufälliger Befund einer
anderen Kultur kultiviert, während Heubacillus 1 und 2 von mir
aus Heuinfus nach bekannter Methode gezüchtet wurden. —
Nach der Lehmann-Neu mann sehen Terminologie wären
alle Burchard sehen neuen Arten als »Bacillen« zu bezeichnen,
ich habe eine Umtaufung unterlassen, weil ich mir nicht klar
darüber war, inwieweit die von Burchard aufgestellten Arten
als neu zu bezeichnen seien.
1. Baeterium perittomatieum Burchard.
Burchard beobachtete, dafs sich nach 45 Minuten die ersten Ver¬
änderungen an den neu eingelegten Sporen zeigten; nach 2 Stunden 40 Min.
hatten alle ihren Glanz verloren und waren mit einer Ausnahme alle stark
angeschwollen. Der Moment der Auskeimung ist sehr schwer zu be¬
obachten, da die Sporen vor derselben stark anschwellen; »sie verlieren
dabei ihr starkes Lichtbrechungsvermögen so vollständig, dafs die jungen
hervortretenden Stäbchen sich fast gar nicht von dem in der Spore stecken¬
den Teil unterscheiden lassen.« Nach 4 Stunden 45 Min. liefs sich die erste
Keimung deutlich konstatieren, indem sich die Sporenmembran abzuheben
begann. Keimungsmodus ist polar.
Eigene Untersuchungen.
Perittomatieum 25. X. Präparat stammt aus der Originalkultur, wurde
über der Flamme nicht fixiert, sondern nur an der Luft getrocknet. Präparat
mit einem Agartropfen von G0° C. versehen. Deckglas mit Vaselin auf dem
hohlgeschliffenen Objektträger befestigt.
9 Uhr 45 Min. Präparat unter das erwärmte Mikroskop gebracht und
sogleich gezeichnet. Reines Sporenmaterial, von denen 9 Sporen im Gesichts¬
felde fixiert werden. Die Sporen sind stark konturiert, scharf lichtbrechend,
in ihrer Form länglichrund.
Digitized by v^,ooQle
80 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc.
10 Uhr 5 Min. Der Sporenkontur zeigt sich in seiner ganzen Circum-
ferenz verwischt, wodurch die Sporen selbst etwas angeschwollen erscheinen.
Minimale Abschwächung des hellen Lichtglanzes.
2 Uhr 30 Min. Sporen 1, 3, 6, 7 keimen mehr weniger regelm&fsig
polar aus. Die Auskeimung ist im ganzen streng polar, d. h. in der Längs-
achse der Spore. Auch alle mit diesem Präparat zugleich und nach der
gleichen Methode für den Brutofen zur Nebenuntersuchung angefertigten
Präparate (5) zeigen mehr weniger deutlich polare Auskeimung. Bei Spore
Nr. 6 ist das Durchbruchsloch des keimenden Stäbchens etwas verschoben,
so dafs man diesen Modus nicht als streng polar ku bezeichnen braucht.
Während des Zeichnens ist Nr. 7 schon geteilt. Ein Abheben der alten
Sporenmembran ist nicht zu konstatieren. Der Moment, in dem das junge
Stäbchen aus der stark verquollenen Keimspore hervorbricht, ist so kurz,
dafs er kaum zu beobachten ist. Der ganze Akt macht den Eindruck, als
ob das elastische Stäbchen, in der Membran eingeschlossen, gleichsam ein¬
gezwängt ist, und nach dem Durchbruch sich schnell bis zu einer gewissen
Gröfse ausdehnt. Die Stäbchen sind unbeweglich.
8 Uhr 15 Min. abends. Sporen 2, 8, 9 ebenfalls polar ausgekeimt.
Spore 4 unverändert.
Nächster Morgen. Spore 4 unverändert, keine Sporenbildung.
Mit Perittomaticum habe ich zur Kontrolle noch eine gröfsere
Reihe weiterer Beobachtungen in Gelatine und Bouillon vor¬
genommen, welche im wesentlichen dasselbe zeigten:
1. Der Auskeimungsmodus war regelmäfsig polar, mit mehr
weniger ausgesprochenen Schwenkung des auskeimenden Stäb¬
chens. Die Sporenmembran war fast immer deutlich erkennbar,
vielleicht in den flüssigeren Nährböden etwas mehr verquollen,
und hing teils dem neu ausgeschlüpften Stäbchen noch an, teils
gelang es demselben, die Membran frühzeitig abzustreifen. Die
Stäbchen zeigten, falls nicht fixiert,
2. alle Eigenbewegung, welche an diejenige von subtilis
erinnert. Die Auskeimungszeit, d. i. die Zeit bis zum Auskeimen
der ersten Spore, schwankte zwischen 2 Stunden 45 Miu. und
5 Stunden.
3. Einige Sporen keimten noch später, der gröfste Teil aber
brauchte mindestens 12 Stunden. Auffallend war, dafs eine Reihe
von gut ausgebildeten Sporen selbst nach 3 mal 24 Stunden
noch keine Veränderung im Sinne einer Keimung zeigte; mithin
die Annahme berechtigt scheint, dafs diese Sporen in demselben
Nährboden überhaupt nicht auskeimen.
Digitized by CjOOQle
81
Von br. Georg Öa9pari.
2. Bacillus goniosporus Burchard.
Burchard erwähnt, betr. der Auskeimung von Goniosporus nichts
Besonderes. Die zu beobachtenden Sporen kamen um 8 Uhr 40 Min. unter
das erwärmte Mikroskop, um 9 Uhr 30 Min. waren sie bereits blässer und
begannen anzuschwellen, um 9 Uhr 45 Min. waren sie vollkommen trübe;
erst um 11 Uhr 55 Min. ist die Anschwellung an allen Sporen sehr deutlich
bemerkbar. Um 1 Uhr 50 Min. sind 4 von den 5 beobachteten Sporen polar
ausgekeimt und die 5. Spore steht unmittelbar davor. Um 2 Uhr 5 Min.
sind alle 5 Sporen ausgekeimt und 1 Spore hat bereits die alte Sporenhaut
in Form eines schwach sichtbaren Käppchens etwas abzustreifen begonnen.
Dieses soll wohl das Charakteristikum für diese Bakterienart sein; denn
Burchard hebt extra hervor: die Sporenhaut sitzt den Stäbchen als helles,
durchsichtiges Mützchen auf. Burchard scheint nur 3 Präparate und diese
gleichzeitig angefertigt zu haben, und von diesen ist daB näher Beschriebene
anfangs bei 30° C., dann noch eine Stunde, vielleicht weil die Keimung
nicht schnell genug vor sich ging, bei 33 0 C. gehalten worden. Trotzdem
findet sich keine Anmerkung, ob überhaupt weitere Versuche mit Goniosporus
gemacht wurden und wie ein Versuch bei konstanter Temperatur aus¬
gefallen ist.
Meine eigene n Untersuchungen mit Goniosporus haben
mir nun sehr widersprechende Resultate geliefert. Gerade mit
Goniosporus habe ich sehr viel und auf allen Nährböden experi¬
mentiert, um die Keimung und die sich während derselben zeigen¬
den Eigentümlichkeiten zu studieren.
a) Versuche mit Agar.
Goniosporus 6. XI. Präparat stammt aus der Originalkultur. Material
an der Luft getrocknet, mit Agar beschickt, bei 32—34° C. beobachtet.
Gleichzeitig mit diesem Präparat 5 Präparate für den Brutofen.
11 Uhr. Präparat unter das erwärmte Mikroskop gebracht. Reines
Sporen material. Sporen länglich oval, stark lichtbrechend, scharf konturiert,
sehr deutlich.
11 Uhr 25 Min. Spore a vollkommene Trübung und starke Anschwellung
auf der ganzen Circumferenz der Spore. Es scheint jedoch nur die Membran
verquollen zu sein, da die Spore ihre frühere länglich ovale Form bei¬
behalten hat.
12 Uhr 40 Min. Sporen c, d, f, g, i erscheinen ebenfalls verquollen.
Spore a bedeutet in die Länge gestreckt und deutlich mit einem Ring
versehen.
12 Uhr 55 Min. Spore a hat sich noch mehr gestreckt.
1 Uhr 5 Min. Sporen c und f sind auf der ganzen Circumferenz stärker
angeschwollen und erscheinen so noch mehr vergröfsert.
1 Uhr 7 Min. Spore a deutlich polar ausgekeimt. Das Stäbchen sieht
mit einer etwas breiten Kappe aus dem Schlitz der Membran hervor. Es
Archiv für Hygiene. Bd. XLU. 6
Digitized by v^,ooQle
Ö2 Über die Konstanz der Sporenkeimang bei den Bacillen etc.
scheint also der polaren Keimung eine deutliche Längsstreckung voraus¬
zugehen. (Präparate des Brutofens zeigen vorwiegend polare Keimung;
jedoch auch einige schräg polare Keimungen.)
3 Uhr. Alle Sporen aufser b und e mehr weniger deutlich polar aus¬
gekeimt. Viele Stäbchen sind schon mehrfach geteilt. Einige sind beweglich.
Am 7. XI. ist um
10 Uhr noch keine Sporenbildung zu beobachten. Die Eigenbewegung
hat vollkommen aufgehört
Am 8. XI. zeigen sich lang ausgewachsene Fäden mit undeutlicher Sep-
tierung ohne Trübung des protoplasmatischen Inhalts. Versuch abgebrochen.
b) Gelatine.
Am 9. XI. wurden Sporen von Goniosporus in Gelatine
beobachtet, welche sich vor der Auskeimung allmählich ver-
gröfserten, d. h. in die Länge streckten, und schliefslich ohne
eine Membran erkennen zu lassen, in das ausgekeimte junge
Stäbchen übergingen, so dafs der Moment der Keimung, d. h.
ein Zerreifsen der Membran nicht zu beobachten war. Dieser
Auskeimungsmodus setzte mich sehr in Erstaunen, zumal im
Agar eine deutliche Membran beobachtet worden war und auch
Burchard eine solche gesehen hatte. Es wurden daher eine
gröfsere Reihe von Untersuchungen (ca. 25) mit Goniosporus in
Gelatine vorgenommen, welche im wesentlichen zu gleichen Re¬
sultaten führten. Auch Beobachtungen im ganz frischen Agar
zeigten an einigen Sporen die Sporenmembran vollkommen ver¬
quollen, so dafs Bilder beobachtet wurden, welche denen der
Gelatine-Beobachtung vollkommen glichen.
Am 16. XI. wurde ein Versuch mit Gelatine im Verein mit
Herrn Prof. Lehmann angestellt und lückenlos kontrolliert.
Die vorher stark lichtbrechend gewesene Spore dehnte sich
allmählich unter Undeutlichwerden ihres Inhalts. Eine Membran
fällt in diesem Stadium nicht auf; vielmehr ist die erfolgte
Keimung erst dann zu konstatieren, wenn das Stäbchen sich zur
Teilung anschickt. Ein allein liegendes junges Stäbchen ist von
einer auskeimenden, genügend vorgeschrittenen Spore nicht zu
unterscheiden. Auch nach erfolgter Teilung des Stäbchens ist
man nicht imstande, eine Sporenmembran deutlich zu erkennen,
auch ist das jüngere Stäbchen nicht schmäler als das ältere.
Ein Moment, in dem das junge Stäbchen aus der es einschliefsen-
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Georg Caspari.
83
den Membran herausschlüpft, konnte trotz lückenloser Beobach¬
tung nicht konstatiert werden. Selbst die nochmalige Untersuchung
des Präparats nach etwaigen, den ausgeschlüpften Stäbchen an¬
haftenden Membranen hatte kein positives Resultat; zum min¬
desten war es unmöglich, einwandsfreies Material zu finden; wo
hingegen sich viele Stäbchen fanden, an denen auch nicht die
Spur einer Membran vorhanden war. Es ist an diesen Stäbchen
unmöglich, zu entscheiden, mit welcher Seite sie ausgeschlüpft
sind. Man mufs deshalb annehmen, dafs die Sporenmembran
vollkommen verquillt.
o) Agar.
Um dieses eigentümliche Verhalten der Membran eingehend
zu studieren, habe ich eine weitere Reihe von Untersuchungen
in einem Agar vorgenommen, der einen verschieden hohen
Flüssigkeitsgehalt hatte. Auch hier konnte ich an einigen Sporen-
Auskeimungen ein vollständiges Verquellen der Sporenmembran
beobachten. Aber Goniosporus zeigte noch eine weitere Eigen¬
tümlichkeit, nämlich ein äufserst variables Auskeimen des
jungen Stäbchens. Es kommt hier nur darauf an, eine gröfsere
Menge von Einzelindividuen zu beobachten. Aus der Versuchsreihe,
die sich hierauf bezieht, will ich nur zwei Beobachtungen mitteilen.
Goniosporus 3. XII.
Material stammt aus der Originalkultur. Präparat an der Luft getrocknet,
mit frisch angefertigtem Agar beschickt, bei 32 bis 34 ü C. beobachtet.
1 Uhr 15 Min. Es werden 21 Sporen im Gesichtsfelde fixiert und
gezeichnet
2 Uhr 25 Min. Einige Sporen zeigen Veränderungen im Sinne einer
Keimung.
3 Uhr 15 Min. Von den 21 Sporen zeigen 10 deutliche Auskeimung.
Spore Nr. 8 Differenzierung im Sinne einer Keimung. Spore Nr. 5 zeigt an
dem dem keimenden Stäbchen abgewandten Sporenmembranende eine kleine
Vonaölbung, als ob dort ein neues Stäbchen hervorbräche.
4 Uhr. Die Vorwölbung an Spore Nr. 5 hat sich noch etwas vergröfsert
und macht jetzt den Eindruck eines protoplasmatisohen Fortsatzes. Im
übrigen zeigten von den 10 ausgekeimten Sporen:
Streng polare Auskeimung Nr. 3, 4, 7, 9, 11, 13 . . . = ca. 60°/ o
Schräg . * Nr. 1, 5, 10.= » 30°/ o
unter Verschwinden der Membran, so dafs die Art der Auskeimung nicht zu
konstatieren Nr. 12 = ca. 10 °/ 0 .
6 *
Digitized by CjOOQle
84 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc.
Um 8 Uhr abends zeigte sich das Keimstäbchen aus Spore Nr. 8 ge¬
teilt, ohne während dieser Zeit eine Membran erkennen zu lassen. Weitere
Auskeimungen waren im Präparat nicht zu konstatieren.
Goniosporus 4. XII. (Siehe Tafel, Fig. 1.)
Material aus der Originalkultur, an der Luft getrocknet, mit frischem
Agar beschickt, bei 32—34 0 C. beobachtet. Es wurden, um einen gewissen
Prozentsatz zu gewinnen, dieses Mal 56 Sporen beobachtet und gezeichnet.
Nach 2 Stunden 30 Min. keimten
deutlich aus.18 Sporen = ca. 32,15 °/ 0 .
Veränderungen im Sinne einer
Keimung zeigten.19 Sporen = ca. 33,85 °/ 0 .
Bei genügend langer Beobachtung
wären also ausgekeimt ... 37 Sporen = ca. 66 °/ 0 .
Überhaupt keine Veränderung zeigten also nach
2 Stunden 30 Min.ca. 34 °/ 0 .
Von den 18 ausgekeimten Sporen war die Keimung:
Streng polar bei Nr. 1, 2, 26, 28, 29, 40, 45, 46. 48 = 9 == ca. 50 °/ 0 .
Schräg » » Nr. 4, 6, 8, 12, 34.. 5 = ca. 28 °/ 0 .
Ohne ein Membran erkennen zu lassen Nr. 21, 23,41,43 = 4 = ca. 22 °/ 0 .
Bei meiner Beobachtung war es mir auffallend, dafs gerade
diejenigen Sporen, welche, ohne eine deutliche Membran zu er¬
kennen zu geben, auskeimten, fast stets zuerst eine Veränderung
im Sinne einer Keimung zeigten und auch im Präparat sich
durch besondere Gröfse auszeichneten.
3. Bacterium Petroselini Burchard.
Burchard hat für die Keimung des Bacterium Petroselini ein Charak-
teristicum angegeben, nämlich, dafs die Sporenmembran, nachdem das
keimende junge Stäbchen dieselbe nach Verlauf von ca. 1 Stunde 10 Min.
ohne Besonderheiten polar durchbricht, deutlich 2 Schichtungen erkennen
läfst. Er hat bei genauerer Durchsuchung gefunden, dafs in der That 2 Sporen-
häute vorhanden waren. Die äufsere Haut ist, wie aus der Art der Licht¬
brechung hervorgeht, die derbere, die innere die zartere. Meistens lagen
die Häute sichelförmig bei einander, resp. untereinander.
Bei meinen Untersuchungen kam es mir darauf an, einmal
nacbzuscbauen, ob es mir auch gelingen würde, 2 Sporenhäute bei der Keim¬
membran zu unterscheiden, dann aber besonders zu beobachten, wie sich
diese beiden Membrane zu einander und zu den auskeimenden Stäbchen
verhalten würden. Ich begnüge mich, aus der grofsen Reihe meiner Unter¬
suchungen drei Beobachtungen mitzuteilen; da diese das, was ich teils allein,
teils tnit Herrn Prof. Lehmann gesehen habe, demonstrieren. Herr Prof.
Digitized by v^,ooQle
Von L)r. Georg Caspari.
85
Lehmann hat sich ganz besonders für diese Untersuchungen interessiert
und war so liebenswürdig, mir für dieselben einen Zeifs’schen Apochromat
zur Verfügung zu stellen.
Bakt. Petroselini 18. XI. (Siehe Tafel, Fig. 2.)
Material aus der Originalkultur, an der Luft fixiert, mit Agar versehen,
bei 32—34° C. beobachtet.
4 Uhr. Das Präparat wird unter das erwärmte Mikroskop gebracht
Es zeigt reines Sporenmaterial, von dem 11 Sporen im Gesichtsfelde liegen
und sogleich gezeichnet werden. Sporen stark lichtbrechend, länglich, oval-
cylindrisch, scharf konturiert.
5 Uhr 30 Min. Nr. 1, 2, 3, 8, 10, 11 haben sich bedeutend vergröfsert.
Diese Vergröfserung scheint nicht nur der Ausdruck einer Membranquellung
zu sein, vielmehr scheint die ganze Spore gequollen und etwas mehr ab¬
gerundet. Der Glanz ist verloren, die Sporen erscheinen matt. Die Membran
hebt sich deutlich ab und bildet eine hellere Zone um die gequollene Spore
herum. Weiterhin strecken sich die Sporen wieder etwas mehr, bis plötz¬
lich um
6 Uhr 15 Min. Spore Nr. 1 deutlich schräg polar auskeimt Die Mem¬
bran ist, wenn auch stark verquollen, deutlich sichtbar und centralwärts
macht sich ein stärker lichtbrechender Ring an derselben bemerkbar. Das
junge Stäbchen kommt spitz aus der Membran heraus.
6 Uhr 35. Spore Nr. 3 keimt deutlich polar aus. Es lassen sich an
der Sporenmembran zwei verschiedene Schichtungen unterscheiden. Spore und
junges Stäbchen sind von einem feinen, hellen Hof umgeben. An der Keim¬
membran der Spore Nr. 1 zeigt sich die cirkuläre, verschieden lichtbrechende
Schichtung derselben noch deutlicher.
7 Uhr 10 Min. Spore Nr. 3 hat die äufsere Membran abgestreift und
ist deutlich von einer zweiten, vielleicht etwas weniger stark lichtbrechenden
Membran umgeben Die erste Membran liegt sichelförmig neben dem aus¬
keimenden Stäbchen ; letzteres ist vorn zugespitzt und ein wenig gekrümmt.
Spore Nr. 1 läfst jetzt ebenfalls deutlich zwei Membranen, eine äufsere stärker
lichtbrechende, und eine innere hellere erkennen. Nr. 2 ist gleichfalls deut¬
lich polar ausgekeimt. Auch hier eine Schichtung der Keimmembran. Die
äufsere Membranschicht beginnt bereits sich abzustreifen.
7 Uhr 15 Min. Das Präparat wurde nochmals Herrn Prof. Lehmann
zur Beurteilung übergeben. Derselbe konstatierte:
1. Schräg polares Auskeimen von Stäbchen Nr. 1, das nochmals ge¬
zeichnet wurde; deutlich polares Auskeimen von Stäbchen 2 und 3.
2. Die drei ausgekeimten Sporen lassen mit Sicherheit 2 verschieden
starke Membrane erkennen, von denen die äufsere als derbere, Exine, die
innere als weniger starke Intine unterschieden werden können.
3. Die Stäbchen sind unbeweglich.
Auch Sporen Nr. 8, 10 und 11 scheinen Keimung vorzubereiten; die¬
selbe konnte jedoch nicht mehr beobachtet werden.
Digitized by v^.ooQle
86 Über die Konstanz der Sporenkeimung Hei den Bacillen etc.
Gleichzeitig mit dieser Untersuchung wurde eine andere Stelle des
Präparats beobachtet und gezeichnet. Sie zeigt im wesentlichen das Gleiche.
4 Uhr. Sporen a, g stark lichtbrechend, von fast cylindrischer Form,
scharf konturiert.
5 Uhr 30 Min. Sporen a, b, c, d, e stark verquollen, sowohl Membran
als auch der protoplasmatische Inhalt weniger lichtbrechend. Die Form ist
jetzt fast vollkommen oval.
6 Uhr 35 Min. Sporen a, b und d ausgekeimt, a und b deutlich
zwei Membranen, a deutlich polare Auskeimung, b dagegen schräg polar.
6 Ühr 55 Min. Spore c ausgekeimt, deutlich polar, zwei Membranen,
auch Spore d läfst zwei Membranen erkennen.
Bact. Petroselini 21. XI. (Siehe Tafel, Fig. 3.) Kontrollversuch.
Versuch unter Kontrolle von Herrn Prof. Lehmann angestellt. Material
aus der Originalkultur, an der Luft getrocknet, mit Agar beschickt. 32 bis
34° C.
12 Uhr 55 Min. 13 Sporen werden im Gesichtsfelde fixiert und sogleich
gezeichnet. Sporen fast cylindrisch, stark lichtbrechend, scharf konturiert.
2 Uhr 40 Min. Sporen 1, 5, 6, 7, 9, 11, 12, 13 haben sich bedeutend
vergröfsert, etwas abgerundet und ihren Glanz vollkommen verloren. Sporen
1, 5, 6 lassen die Membran deutlich vom protoplasmatischen Inhalt der
Sporen unterscheiden.
4 Uhr 5 Min. Spore 1 keimt polar aus; jedoch ist die Spitze des Stäb¬
chens schräg abgeknickt. Spore 5 streng polar gekeimt. Die Membran zeigt
sich schärfer konturiert und läfst bei deutlicher Einstellung zwei verschiedene
Lichtbrechungssphären innerhalb derselben unterscheiden. In diesem Fall
konnte ich den ganzen Vorgang des Auskeimens beobachten, derselbe dauerte
ca. 20 Minuten vom ersten Hervorbrechen des Stäbchens bis zu diesem
Stadium und machte den Eindruck, als wenn das keimende Stäbchen die
Membran mehr und mehr spannt, und dieselbe plötzlich sprengt. Nach
ihrem Zerreifsen zieht sich die Membran allmählich zusammen und wird so
stärker lichtbrechend. Gleichzeitig sind auch Sporen 6 und 13, beide jedoch
deutlich schräg polar, ausgekeimt. Auch Spore 13 läfst mit Sicherheit zwei
verschiedene Lichtbrechungssphären innerhalb der Keimmembran unter¬
scheiden.
5 Uhr 35 Min. Spore 11 keimt deutlich polar aus. Indessen haben
Spore 1 und 13 ihre erste Membran abgestreift und lassen deutlich eine
zweite Membran an dem Stäbchen erkennen. Bei genauem Einstellen zeigt
die abgestreifte Membran von Spore 13 ein seitliches Loch. Das aus Spore 5
hervorgebrochene Stäbchen ist etwas gewachsen; die beiden Membranen
lassen sich jetzt deutlicher unterscheiden; je nach der Einstellung erscheint
die Exine oder Intine hell oder dunkel. Gleiches zeigt Spore 6. Hier hat
sich das Stäbchen schon vollkommen von der Membran befreit und ist her¬
ausgeschlüpft; diese läfst deutlich eine doppelte Schichtung erkennen. Ein
höchst eigenartiges Verhalten zeigt Spore Nr. 12. Das Stäbchen ist hier
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Georg Caspari. 37
schräg polar ausgekeimt, jedoch nach rückwärts gekrümmt und an dem
oberen Ende kolbenförmig verdickt. Die Membran zeigt zwei Schichten.
6 Uhr 15 Min. Die Stäbchen aus Sporen 1 und 13 haben die erste
Membran vollkommen abgestreift und beginnen sich von der zweiten Mem¬
bran zu emanzipieren. Diese Beobachtungen lassen keinen Zweifel darüber,
ob in diesem Falle zwei Membranen vorhanden waren und abgeworfen
wurden. Sonst konnte etwas Neues nicht konstatiert werden. Die Beobach¬
tungen wurden noch bis 9 Uhr abends fortgesetzt; während dieser Zeit
keimten auch Sporen 7 und 9 aus. Die Auskeimung von Spore 7 könnte
man als äquatorial bezeichnen mit einer schrägen Richtung des Keimstäb-
cbens. Spore 9 keimt polar; somit lassen sich nur bei sehr gutem Willen
zwei Membranen erkennen. Bis 9 Uhr waren somit alle differenzierten
Sporen ausgekeimt. Die Sporen Nr. 2, 3, 4, 8,10 zeigten von vornherein keine
Neigung zum Keimen und hatten sich auch bis 9 Uhr abends noch nicht
verändert.
Fasse ich die Resultate dieser beiden Versuche, welche durch
die übrigen von mir angestellten, hier aber nicht mitgeteilten,
unterstützt wurden, zusammen, so läfst sich feststellen:
1. dafs die Keimungsart von B. Petroselini grofse Variabilität
zeigt,
2. dafs nämlich die Membran sich deutlich in zwei Hüllen
auflösen und dieselben nacheinander abwerfen kann, dafs aber
auch in gewissen Fällen während der ganzen Keimung stets nur
eine Membran zu beobachten ist,
3. dafs das junge Stäbchen sowohl polar als auch schräg polar, in
zwei Fällen sogar deutlich äquatorial aus der Membran hervorbrach
(Tafel, 5 Uhr 35 Min. Spore 12; Tafel, Spore 7, 8—9 Uhr),
4. dafs nicht alle Sporen gleichzeitig keimen, und einige
überhaupt keine Neigung zum Auskeimen besitzen.
4. Bacterium fllamentosum E. Klein.
Burchard hebt hervor, dafs die Keimungsbeobachtungen dieses Bak¬
teriums von vornherein dadurch etwas erschwert wurden, dafs es ihm in
keiner Weise gelingen wollte, völlig reines Sporenmaterial zu erhalten. »Die
Zellhaut scheint bei dieser Art besonders resistent zu sein, wodurch sich
auch die relativ sehr langsam vor sich gehende Keimung erklären mag.«
Bei anfangs 31, nach 1 Stunde 20 Min. auf 35° C. erhöhter Temperatur
zeigten von 4 Sporen 3 nach 1 Stunde 10 Min. eine deutliche Trübung und
Anschwellung; eine von ihnen besonders war kreisrund geworden und keimte
nach 5 Stunden 10 Min. polar aus, wobei sich die Sporenmembran seitlich
etwas abhob. Dieses Abheben soll wohl das Charakteristicum dieser Keimungs¬
art sein; denn als bis zum nächsten Morgen das »kräftig herangewachsene
Digitized by v^.ooQle
88 Über die Konstanz der Sporenkeimurig bei den Bacillen etc.
Stäbchenc die alte Sporenmembran zur Hälfte abgestreift hatte, >hob sich
dieselbe deutlich von dem Stäbchen als heller, umfassender Bogen ab.<
Gleichzeitig mit Spore 1 keimte auch Spore 2 polar. Es ist ferner noch her¬
vorzuheben, dafs zwei von den vier Sporen, obwohl sie von vornherein
Differenzierung im Sinne einer Keimung gezeigt hatten, erst nach 36 Stunden
auszukeimen begannen. Es keimten also von vier: 2 Sporen nach 5 Stunden
10 Min., 2 Sporen nach 36 Stunden. Leider hat Burchard nicht angegeben,
wie die Keimung bei den letzten beiden Sporen verlief. Es scheint vielmehr,
als ob nur die eine der vier Sporen in besonderer Weise keimte und so ein
Charakteristikum lieferte. Auch gibt Burchard nicht an, ob er überhaupt
mit diesem Bakterium noch mehr Keimungen beobachtet hat, was er sonst
fast niemals zu vergessen pflegt. Ferner fehlte auch zu meinem grofsen Be¬
dauern die Angabe, wie alt die Kultur war und woher sie stammte. 1 )
Meine eigenen Untersuchungen wurden mit einem
Material vorgenommen, das, wie schon erwähnt, von Kral bezogen
war, jedenfalls also noch länger auf künstlichen Nährböden ge¬
züchtet, als das Burchardsche gewesen ist. Die ersten Kei¬
mungsbeobachtungen, welche ich mit diesem Bakterium vornahm,
setzten mich durch ihre Eigentümlichkeit sehr in Erstaunen, und
auch Herr Prof. Lehmann, dem ich dieselben zeigte, war zu¬
nächst versucht, an einen ganz neuen, bisher noch nicht be¬
obachteten Keimungsmodus zu denken. Ich habe eine gröfsere
Reihe Untersuchungen mit diesem Material angestellt, welche
alle dasselbe zeigten.
Bacterium filamentosum E. Klein. 26. XI. (Siehe Tafel, Fig. 4.)
Material stammt aus der Originalkultur, wurde an der Luft fixiert, mit
Agar beschickt und bei 32—34° C. beobachtet.
12 Uhr. Reines Sporenmaterial, sogleich gezeichnet; Sporen stark licht¬
brechend, scharf konturiert, länglichoval bis cylindrisch, niemals kugelig,
im Querschnitt kreisförmig.
12 Uhr 45 Min. Sporen b, c, i, o, p verlieren ihren Glanz und lassen
eine geringe Vergröfserung erkennen, welche allmählich immer stärker wird
und sich auch bei einzelnen anderen Sporen zeigt.
1) Ich halte diese Angabe für besonders wichtig aus dem Grunde, weil,
wie ich im U. Teil noch näher auszuführen Gelegenheit nehmen werde, ich
aus meinen vergleichenden Untersuchungen der Keimungsvorgänge von altem
und jungem Sporenmaterial die Überzeugung gewonnen habe, dafs das Alter
der Kultur wesentlichen Einflufs auf die Keimungsart auszuüben imstande
ist Burchard scheint sein Material von Klein erhalten zu haben, also
nicht mit einer frisch gezüchteten Art gearbeitet zu haben.
Digitized by v^,ooQle
Von Dr. Georg Caspari.
89
3 Uhr 15 Min. Innerhalb der gequollenen Sporen eine Differenzierung
des Protoplasmas, welche den Eindruck hervorruft, als ob sich die Spore zu
teilen beginne. Es läfst sich deutlich in der Mitte desselben eine je nach
der Mikroskopeinstellung helle oder dunkle Querleiste erkennen. Eine ge¬
nauere Untersuchung, welche zugleich mit Herrn Prof. Lehmann vorge¬
nommen wurde, machte uns wahrscheinlich, dafs es sich um eine c-förmige
Krümmung des keimenden Stäbchens innerhalb der Sporenmembran handelt.
Infolge der Kleinheit der Sporen ist es sehr schwer, ein vollkommen deut¬
liches Bild des ganzen Vorganges zu bekommen. Selbst stärkere Okulare
halfen nur wenig. Ich habe mich bemüht, nur das in den beigefügten
Zeichnungen aufzunehmen, was mit den mir zu Gebote stehenden Hilfsmitteln
deutlich zu erkennen war. Bis
5 Uhr 20 Min. sind schon einige Auskeimungen zu verzeichnen und
Stäbchen b ist schon geteilt. Herr Prof. Lehmann, der nochmals eine
genaue Untersuchung vornimmt, konstatiert, dafs die Stäbchen c-förmig in
der Membran eingeschlossen sind, und dafs die Keimung selbst derart vor
sich geht, dafs das keimende Stäbchen, in dem Bestreben, sich zu strecken,
die Membran sprengt. Die Einrifsstelle der Membran ist sehr variabel, ge¬
wöhnlich scheint sie jedoch äquatorial zu sein. Die Membran streift sich
allmählich über das sich langsam streckende Stäbchen zurück. Auf diese
Weise kann die Auskeimung sowohl deutlich polar Spore k -f- m, als auch
schräg polar, Spore g, als auch mehr oder weniger äquatorial, Spore i er¬
scheinen. Ein eigentümliches Verhalten zeigen die Sporen a, b und o. Hier
hat sich das Stäbchen schon etwas mehr von der Membran befreit. Die
Keimung von Spore a zeigt Ähnlichkeit mit dem Modus der polaren; hier
ist es dem einen Stäbchenende gelungen, sich zuerst aus der Membran her-
auszudrängen. Anders Stäbchen b und o; hier waren beide Stäbchenenden
in der Membran eingeschlossen, so dafs ein Strecken derselben verhindert
war. Bei der fortschreitenden Keimung wurde die Membran an dem Punkte
der gröfsten Zerrung, d. i. äquatorial gesprengt, und zwar bei b an der kon¬
vexen Seite des* Stäbchens, bei o an der konkaven.
Das Präparat wurde bis zum Abend beobachtet und über Nacht unter
dem erwärmten Mikroskop gelassen.
Am 27. XI. zeigte sich um 8 Uhr 25 Min. nur minimales Wachstum.
Sporen resp. Stäbchen aus a, b, c, d, g, i, k, 1, m, o, p, q, r, waren variabel
ausgekeimt. Das Weiterwachstum der ausgekeimten Stäbchen aber derart
gering, dafs Stäbchen p immer noch erst einmal geteilt, indes alle anderen
Stäbchen ungeteilt waren. Alle Stäbchen waren unbeweglich.
10 Uhr 55 Min. Stäbchen g und 1 geteilt. Die Köpfchen an den Enden
der Stäbchen sind jetzt vollkommen verschwunden.
Am 28. XI. war das Wachstum nur minimal vorgeschritten. Stäbchen i
war etwas in die Länge gewachsen und zeigte in der Mitte die Anlage einer
Spore. Sporen f, e und h unverändert im Sinne einer Keimung.
Bacteriumfilamentosum. 29 X1. (Tafel, Fig. 5.)
Die Abbildungen sind stark vergröfsert gezeichnet und nach den Vor¬
stellungen, die ich mir gebildet habe, schematisiert. Bei diesem Versuche
Digitized by v^,ooQle
90 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc.
habe ich in den entscheidenden Momenten stet« Herrn Prof. Lehmann
hinzugezogen, welcher auch einen Teil der in Fig. 5 wiedergegebenen
Zeichnungen entworfen hat. Der Versuch zeigte im wesentlichen das gleiche
wie alle anderen Beobachtungen: Eine Differenzierung des Protoplasmas,
als ob die Spore durch eine Brücke geteilt würde; allmählich läfst der Inhalt
ein c-förmig gebogenes Stäbchen erkennen. Die Membran reifst an höchst
variabler Stelle ein und kontrahiert sich auch unregelmäfsig, so dafs das
keimende Stäbchen sowohl polar als schräg polar, als auch äquatorial aus
ihr hervorbricht. Auffallend geringes Wachstum. Stäbchen unbeweglich.
Es ist also zu konstatieren, soweit unsere optischen Hülfs-
mittel reichen:
1. uns stets im Innern der keimenden Spore das Stäbchen
gekrümmt angelegt erschien:
2. dafs die Membran vorzüglich äquatorial einreifst, die
späteren Lageverhältnisse zwischen Membran und Keimstäbchen
aber im höchsten Grade variabel sind,
3. dafs das keimende Stäbchen anfangs im Innern der Spore
an den Enden verdickt scheint, später jedoch einem gewöhnlichen
Stäbchen ähnlich wird.
5. B&cterium angulans Burchard.
Burchard hat zur Untersuchung dieses Bakterium« 10 Tage altes
Material, das er selbst gezüchtet hat, herangezogen. Die Keimung erfolgte
nach 2 Stunden 15 Minuten. Im Verlauf der Keimung schwellen die beiden
beobachteten Sporen stark an, werden matt und bekommen eine fast kugel¬
runde Form; trotzdem war Burchard stets im stände, in der Keimungs¬
membran einen äquatorialen Itifs, durch den das keimende junge Stäbchen
hervortrat, zu erkennen. Die jungen Stäbchen sind gleich nach der Aus¬
keimung auffallend plump und dick, werden jedoch besonders am nächsten
Tage, also vor der Sporenbildung schmäler und kürzer, an den Enden
sind sie jetzt auch nicht mehr, wie früher, abgerundet, sondern scharf ab¬
gestutzt, so dafs sie beinahe viereckig erscheinen.
Da meine Keimungsbeobachtungen im wesentlichen
mit denen Burchards übereinstimmen, begnüge ich mich, nur
einzelne Besonderheiten hervorzuheben, anstatt die ganzen Ver¬
suche in extenso vorzuführen. Auch bei mir keimte Bacterium
angulans äquatorial, nachdem sich die Spore etwas abgerundet
hatte, die Keimungszeit war im höchsten Grade schwankend.
Das Charakteristicum jedoch, den höchst eigentümlichen Vorgang
der Formveränderung an den Stäbchen, habe ich niemals be¬
obachten können. Bei meinen Versuchen waren die Stäbchen
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Georg Caspari.
91
nicht gerade auffallend plump, aber an den Kanten stets ab¬
gerundet; eine nachmalige Verkürzung derselben konnte ich trotz
vieler und genauer Versuche niemals bemerken. Da die Stäb¬
chen unbeweglich waren, und auch kein zu lebhaftes Wachstum
zeigten, gelang es mir, sie einige Tage unter einem Mefsapparat
zu beobachten; ich habe jedoch niemals eine Verkürzung an
demselben Bakterium beobachtet. Längere und kürzere Stäbchen
kamen allerdings vor. Obgleich ich auch mehrfach Sporenbildung
beobachten konnte, war eine Formveränderung im Sinne Bur-
chards nicht zu konstatieren.
6. Bacillus loxosporus Burchard.
Burchard hat beobachtet, dafs die Sporen des Bacill. loxosporns (um
10 Uhr bei 34° C., von 11 Uhr ab 35° C., von 1 Uhr ab 36° C. beobachtet!)
bis 1 Uhr 50 Min. keine Veränderung zeigten, dafs sich dann >die Sporen¬
haut in zwei halbkugelige Hälften auseinanderklappt, aber nur aus der einen
Hälfte das Stäbchen auskeimt. Es ist dies also ein äquatoriales Zerreifsen
der Sporenhaut, aber ein polares Keimen,« >Es zeigte sich« bei näherer
Durchsuchung des Präparats, »dafs dieses eigenartige Aufklappen der Sporen¬
membran in zwei halbkugelige Hälften bei der Keimung aller Sporen auf-
tritt, also ein für diese Art besonders charakteristisches Merkmal ist«. Leider
ist auch hier wieder nicht erwähnt, wie alt das Material war, mit dem die
Untersuchung vorgenomraen wurde.
Für meine eigenen Untersuchungen stand mir leider nur ein
Material zur Verfügung, welches infolge seiner Kleinheit nur
wenig instruktiv war. Dasselbe war, wie schon erwähnt, von
Kral bezogen und wohl schon auf die verschiedensten Nährböden
übergeimpft worden. Aus der Reihe meiner Beobachtungen will
ich nur einen herausgreifen, welcher das, was ich gesehen habe,
zeigen möge.
Bacillus loxosporus 4.
Material aus der Originalkultur, an der Luft getrocknet, mit Agar ver¬
sehen, bei 32—34° C. beobachtet.
10 Uhr 45 Min. Sporen sehr klein, oval, stark lichtbrechend, scharf
konturiert.
12 Uhr. Alle Sporen haben ihren Glanz verloren und erscheinen stark
verquollen, ovale Form; jedoch an einzelnen Sporen eine minimale Längs¬
streckung.
12 Uhr 20 Min. Einige Sporen zeigen grofse Ähnlichkeit mit den
keimenden Sporen von Filamentosum: In der Mitte eine helle oder dunkle
Protoplasmabrücke und an den Rändern eine mondsichelförmige Differen¬
zierung. Es hat den Anschein, als wollte die Spore sich teilen.
Digitized by CjOOQle
92 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Baeillen etc.
12 Uhr 45 Min. Die Sporen haben sich noch mehr gestreckt, so dafs
sie den Eindruck von Stäbchen hervorrufen.
1 Uhr 20 Min. Die Stäbchen sind vollkommen ausgewachsen, einige
geteilt. Bei genauem Zuschauen kann man auch noch an den Enden einiger
Stäbchen eine dunklere Kontur unterscheiden. Der Moment des Zerreifsens
der Membran war infolge der Kleinheit der Sporen trotz sorgfältiger und
andauernder Beobachtung nicht zu erkennen.
Ich habe im ganzen ca. 30 Untersuchungen von loxosporus auf
das Sorgfältigste beobachtet; ich konnte jedoch das, was Burchard
konstant an allen Sporen beobachtete, nie wieder entdecken.
Wie aus den eben mitgeteilten Resultaten aus den von mir
mit Burchard sehen Bakterienarten vorgenommenen Unter¬
suchungen zu ersehen ist, stimmten meine Beobachtungen mit
den von Burchard mitgeteilten nur in den seltensten Fällen
genau überein. Zuweilen jedoch waren die Differenzen so be¬
deutend, dafs ich versucht war, anzunehmen, ich hätte nicht mit
reinem Sporenmaterial gearbeitet, oder aber die Keimungsart
einiger Bacillen, ihr Hauptkeimungsmodus zeigte sich derart von
dem von Burchard angegebenen Charakteristicum abweichend,
dafs ich überhaupt an eine andere Bakterienart denken mufste.
Immer konnte ich aber durch den Vergleich der morphologischen
und physiologischen Nachuntersuchung die Identität der betreffen¬
den Art feststellen.
Dafs Burchard das, was er seiner Arbeit angibt, gesehen
hat, davon bin ich vollkommen überzeugt, glaube aber, dafs
er in gewissen Fällen zu schnell eine zufällig im Mikroskop
beobachtete Keimungsvariation als charakteristisch für die unter¬
suchte Bakterienart annahm, ohne die Art genügend beobachtet
zu haben. Da ich bei keiner der Burchard sehen Bakterien¬
arten, die ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, den von Bur¬
chard als konstantes Charakteristicum angegebenen Keimungs¬
modus als konstantes Merkmal erkennen konnte, habe ich noch
einige frisch gezüchtete Arten auf die Konstanz in dem
Auskeimungsmodus untersucht. Es kam mir dabei naturgemäfs
weniger auf die Frage, wie das betreffende Bakterium keimte,
an, sondern vielmehr, wie viel Einzelindividuen derselben Art
den vollkommen gleichen Keimungsmodus zeigten.
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Georg Caspari. 93
Im Nachfolgenden habe ich einige dieser Untersuchungen
aus meinem Protokoll ausgewählt.
7. Bacillus gangränosus pulpae ArkÖvy.
Dieser Bacillus wurde von Zahnarzt Zierler im hiesigen Institut isoliert
und seine Keimung untersucht. Demselben verdanke ich auch das Material
zu meinen Untersuchungen, von denen ich nur eine hier anführen will,
zumal sie aufser den Studien über die Konstanz nichts Neues zu bieten
vermögen.
Das Material konnte trotz sorgfältigster Vorbehandlung nicht voll¬
kommen von vegetativen Elementen befreit werden. Um das Präparat
deutlicher zu machen, wurde eine Reinkultur */* Stunde lang auf 80° C.
erwärmt, alsdann auf einem Deckglase fein verstrichen, an der Luft
getrocknet, mit Agar versehen.
11 Uhr 45 Min. 8 Sporen gezeichnet; Form länglich oval, im Quer¬
schnitt rund, stark lichtbrechend, scharf konturiert.
12 Uhr 15 Min. Sporen Nr. 2, 3, 6, 7, 8 beginnen trüber zu werden
und in der ganzen Circumferenz gleichmäfsig zu verquellen.
12 Uhr 25 Min. Sporen 4 und 5 gleich fallls verquollen. Sporen 2, 3,
7 und 8 haben sich etwas abgerundet, ohne jedoch kugelig zu sein. Bei
scharfem Zusehen kann man bei Spore 8 äquatorial eine minimale Aus¬
buchtung erkennen.
I Uhr 30 Min. Die Ausbuchtung von Spore 8 läfst sich deutlich als
ein keimendes Stäbchen erkennen, das sich vollkommen äquatorial durch
die Membran hindurchdrängt und um 1 Uhr 30 Min. schon geteilt ist. Sporen 3
und 7 ebenfalls streng äquatorial gekeimt. Keimstäbchen vorne verbogen
und zugespitzt. Spore 2 und 5 dagegen deutlich schräg polar ausgekeimt,
wobei auch die Einrifsstelle der Membran polarwärts verschoben erscheint.
4 Uhr. Die Keimstäbchen, anfangs unbeweglich, werden gewöhnlich
nach der 1. Teilung beweglich. Zuweilen haftet ihnen noch, selbst wenn
sie schon zu langen Fäden ausgewachsen sind, die Sporenmembran in Form
einer Kappe an, von der sie sich, wie es scheint, zu befreien streben. Einige
kürzere Fäden und einige Stäbchen tragen keine Membran mehr. Das zuerst
aus der Spore heraustretende Stäbchen scheint keine Geifseln zu besitzen
und zuweilen läfst sich beobachten, wie an einem langen Faden nur die
ältere Hälfte beweglich ist, während die jüngere entweder still liegt oder
passiv mitbewegt wird.
8. Aus der Luft gezüchteter Bacillus,
in den Formenkreis von Bacillus subtilis gehörend, von Herrn Professor
Lehmann erhalten.
Das Material w’urde auf einem Deckglase fein verstrichen, an der Luft
getrocknet, mit Agar versehen und bei 32—34° C. beobachtet.
II XJhr. Es werden einige Sporen im Gesichtsfelde fixiert und sogleich
gezeichnet. Dieselben sind stark lichtbrechend, mit scharfer Kontur ver¬
sehen, cylindrisch, an den Kanten etwas abgerundet. Zwischen ihnen einige
einzelne Stäbchen verstreut, einige zu Fäden vereinigt.
Digitized by v^ooole
94 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc.
12 Uhr 15 Min. Einige Sporen verlieren ihren Lichtglanz. Membranen
verquollen, sowie der ganze Umrifs der Sporen mit feinen Ausbuchtungen
versehen. Sporen vollkommen kugelig.
12 Uhr 30 Min. Plötzlich bricht aus Spore Nr. 6 eine Vorwölbung
äquatorial, wie es scheint, und ein wenig gekrümmt hervor und schiebt sich
langsam weiter heraus. Auch an anderen Sporen ist das Gleiche zu beob¬
achten.
1 Uhr. Einige Stäbchen haben ihre Sporenmembran abgestreift. Ein
ungeteiltes Stäbchen, das etwas gröfser ist als die anderen, ist durch schlän¬
gelnde Bewegung bemüht, von seiner Membran loszukommen. Bei Spore 4
hatte ich Gelegenheit, den ganzen Vorgang der Keimung in allen Phasen zu
beobachten (vgl. Tafel, Fig. 6). Nachdem die Spore vollkommene Kugelform
angenommen, zeigen sich an der Peripherie hellere und dunklere Partien,
bei denen man infolge der starken Verquellung nicht mit Sicherheit ent¬
scheiden kann, ob sie sich allein auf die Membran oder auch auf den proto¬
plasmatischen Inhalt beziehen (a). Weiterhin zeigt sich die Oberfläche mit
ganz feinen und nicht immer konstanten Verwölbungen versehen (b), welche
jedoch verschwinden, je mehr sich nach einer Seite hin ein konischer
Fortsatz hervordrängt. Dieser Fortsatz ist vielleicht etwas weniger licht-
brechend als die keimende Spore (c) und je weiter sein Wachstum fort¬
schreitet, umso deutlicher wird diese Lichtdifferenz (d), ein Zeichen, dafs
die Membran durchrissen ist und sich zurückzuziehen beginnt. Das junge
Stäbchen drängt jetzt weiter aus der Membran heraus, und die Membran
zieht sich langsam über ihm zurück (e und f), um schliefslich als ein scharfer
Kontur dem einen Stäbchenende anzuhaften (g). Innerhalb der Sporen¬
membran macht sich jetzt ein hellerer Lichthof bemerkbar, der anzudeuten
scheint, dafs sich das junge Stäbchen von der Membran befreit. Das vorher
im Verhältnis zur Sporenmembran und zu den bereits ausgeschlüpften
Stäbchen auffallend helle Keimstäbchen wird an seinen Konturen wesent¬
lich dunkler, bis eine scharfe Linie die Stäbchenmembrnn erkennen läfst (g, h, i).
Welcher Art in diesem Falle die Keimung war, ist unmög¬
lich festzustellen, wenn man nicht aus der früheren Lage der
Spore Rückschlüsse macht. Das frisch ausgeschlüpfte Stäbchen
scheint gewöhnlich nicht sogleich mit Geifseln versehen zu sein,
es kommen jedoch auch soeben ausgekeimte Stäbchen zur Be¬
obachtung, welche, kaum vollkommen aus der Sporenmeinbran
hervorgequollen, schon in deutlicher, sehr angestrengter Bewe¬
gung bemüht zu sein scheinen, von derselben loszukommen.
Derartige Zustände konnten bei Durchsuchung des Präparats in
grofser Anzahl konstatiert werden. Der gröfsere Teil der Stäb¬
chen ist im Bestreben, die Sporenmeinbran abzustreifen, er¬
folgreich.
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Georg Caspari.
95
Die Sporenbildung war schon nach 24 Stunden nach der Aussaat voll¬
endet. Sie geht derart vor sich, dafs ein Teil des Protoplasmas sich diffe¬
renziert, aber im Gegensatz zum gewöhnlichen Typus derart, dafs sich in dem
Stäbchen, mehr dem einen Ende genähert, eine helle Zone des Protoplasmas
ungefähr in der Gröfse der reifen Spore sondert, in der Form jedoch mehr
oval als cylindrisch. Diese Sporenanlage scheint den übrigen Teil des Proto¬
plasmas aus dem Stäbchen in sich aufzunehmen; denn sie wird, zuerst hell
erscheinend, allmählich stärker lichtbrechend, bis sie mehr der cylindrischen
Form sich nähernd, vollkommen einer reifen Spore gleicht. Nach 12 Stunden
kann das ganze Stäbchenprotoplasma zur Spore verwandelt worden sein, so
dafs nur noch die Stäbchenmembran die reife Spore umschliefst. In vielen,
vielleicht den häufigsten Fällen, schwindet auch sie sehr schnell.
Von den vielen weiteren Beobachtungen in dieser Art beschreibe ich
nur noch eine. Material in bekannter Weise behandelt; Agar, 32—34° C.
Nach 2 Stunden begann die erste Keimung, soweit zu erkennen, äqua¬
torial. Doch waren bei manchen äquatorialen Keimungen geringe Abw eichungen
von der streng senkrechten Richtung des jungen Stäbchens zur Längsachse
der keimenden Sporen zu beobachten. Eine Verschiebung der Rifsstelle nach
den Polen zu war jedoch nicht zu erkennen. In allen Fällen ging dem eigent¬
lichen Keimungsakte der Sporen eine Formveränderung derselben in der Weise
voraus, dafs dieselben sich mehr abrundeten, aber nicht immer Kugelform
annahmen. Im allgemeinen erschienen sie mehr aufgequollen und liefsen
mehrfach wechselnde Ausbuchtungen der Membran deutlich erkennen (Prof.
Lehmann). Das Stäbchen ist in ca. 2 Stunden vollkommen ausgeschltipft
und in diesem Falle w T aren die Stäbchen vor der ersten Teilung unbeweglich.
Die ganze Entwicklung dieses Bacillus von Spore zu Spore
dauert kaum 24 Stunden, so dafs ich in einigen Fällen sogar
direkt die neugebildeten Sporen zur Untersuchung heranzog. Es
zeigte sich jedoch, dafs dieses Material im Laufe der Weiter¬
impfungen nicht mehr so regelmäfsig keimte, dafs die Zahl der
keimenden Sporen wesentlich verringert war und dafs auch, be¬
sonders in der Auskeimungszeit, grofse Schwankungen beobachtet
wurden.
Heubacillus 1.
Dieses Bacterium keimt nicht so präzis wie das aus der Luft gezüchtete.
Es wird ein Präparat an der Luft getrocknet und mit Agar versehen bei
32—34° C. beobachtet.
11 Uhr stark lichtbrechend, cylindrische Sporen mit Stäbchen unter¬
mischt, ohne Eigenbewegung.
12 Uhr 35 Min. Sporen mehr ovale Gestalt, einige fast kugelig. Stäbchen
lebhaft beweglich.
1 Uhr 2 Sporen ausgekeimt, schräg äquatorial. Eine Spore (c), die sich
kugelig abgerundet hatte, keimt ebenfalls; 9ie macht den Eindruck, als ob
sie streng äquatorial ausgekeimt ist; jedoch nach einigen Minuten zieht sich
Digitized by CjOOQle
96 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc.
die Membran an der einen Stelle etwas zurück, und die Keimung erscheint
jetzt schräg polar. Bis zum nächsten Tage sind Sporen gebildet, mit denen
der folgende Versuch angestellt wird.
Heubacill us 1.
Stäbchen durch Kochen bei 75° C. abgetötet. Agar 32—34° C.
1 Uhr 15 Min. Sporen fast cylindrisch, wenige Stäbchen unbeweglich.
3 Uhr. Nachdem die Sporen sich etwas abgerundet haben, keimen
Spore 3 und 7 streng äquatorial aus. Bei Spore 7 wurde der Moment der
Keimung gerade beobachtet. Er zeigte grofse Ähnlichkeit mit der Art, wie
der Luftbacillus auskeimte; hier drang jedoch das junge Stäbchen gleich ein
ganzes Ende aus dem Membranrifs hervor und die Sporenmembran kontra¬
hierte sich plötzlich sichtbar.
3 Uhr ft Min. Spore 5 und 6 äquatorial ausgekeimt.
3 Uhr 15 Min. Spore 4, vorher vollkommen kugelig, keimt mit einem
plötzlichen Ruck, ähnlich Spore 7. Bis zum nächsten Tage Sporen gebildet,
mit denen der folgende Versuch angestellt wird.
Heubacillus 1.
Stäbchen durch Kochen bei 75° abgetötet. Gelatine 32—34° C.
4 Uhr. Sporen fast cylindrisch, Kanten etwas abgerundet, wenige
Stäbchen unbeweglich.
5 Uhr. Alle Sporen stark verquollen, ovale Form, Nr. 1 und 3 sehr
stark vergröfsert.
5 Uhr 45 Min. Spore 3 keimt mit einer Spitze dentlich schräg äqua¬
torial, Spore 5 streng äquatorial mit einer breiten Kappe.
6 Uhr 5 Min. Spore 1 schräg äquatorial, Spore 4, vorher vollkommen
kugelig, keimt mit einem plötzlichen Ruck.
Heubacillus 2.
Material nicht vorbehandelt, an der Luft getrocknet, mit Agar beschickt,
bei 32—34° C. beobachtet.
I. Versuch. Sporen stark lichtbrechend, cylindrisch, mit abgerundeten
Kanten, zeigen nach ca. 1 Stunde 15 Minuten, nachdem sie sich fast voll¬
kommen abgerundet und stark vergröfsert haben, mehr weniger streng äqua¬
toriale Auskeimung. Es keimten von 14 beobachteten Sporen innerhalb
4 Stunden 35 Minuten alle 12 veränderten Sporen.
Am nächsten Morgen zeigte das Präparat reines Sporenmaterial, alte
und neugebildete Sporen. Aus diesem wird ein Präparat für den
II. Versuch angefertigt, Luft getrocknet, Agar 32—34° C.
12 Uhr. 12 Sporen gezeichnet, stark lichtbrechend, cylindrisch, Kanten
etwas abgerundet; alte und neue Sporen nicht zu unterscheiden. Spore 2
und 7 sind etwas mehr oval und weniger lichtbrechend.
1 Uhr. Einzelne Sporen stark verquollen, Lichtglanz verloren, und
stark abgerundet.
1 Uhr 30 Min. Nr. 5 keimt deutlich schräg äquatorial. Der Membran¬
rifs liegt etwas dem einen Pole zu, jedoch ist das junge Stäbchen nach der
andern Seite gekrümmt.
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Georg Caepari.
97
4 Uhr 30 Min. Spore 1 deutlich schräg äquatorial auegekeimt, Spore 2
und 3 unverändert, Spore 4 unverändert, Spore 5 zeigt noch deutlicher den
schräg äquatorialen Typus. Spore 6 und 7 unverändert. Spore 8 keimt
schräg polar mit einer seitlichen Abknickung des Stäbchens. Spore 9 deut¬
lich streng äquatorial. Spore 10 unverändert. Spore a und b streng äqua¬
torial. Der Vorgang der Keimung ist derselbe, wie er bei den früheren
äquatorialen Auskeimungen beobachtet wurde. Bis zum nächsten Morgen
hatte ein grofser Teil der Stäbchen Sporen gebildet; einige fanden sich
jedoch noch in voller Beweglichkeit. Es gelang mir zufällig, hieraus ein
Präparat zu züchten, das im Gesichtsfelde reines Sporen material zeigte. Das¬
selbe wurde für den
III. Versuch mit Agar beschickt und bei 32—34° C. beobachtet.
Von 7 beobachteten Sporen keimte 1 Spore noch ca. I Stunde 15 Min.
Die nächsten 3 Keimungen konnten erst nach 4 Stunden beobachtet werden.
Im weiteren Verlaufe zeigten sich die ausgekeimten Stäbchen nur selten
frei herumschwimmend, sondern sie hatten eine ausgesprochene Neigung, zu
langen, unbeweglichen Fäden auszuwachsen. (Beobachtet mit Herrn Prof.
Lehmann.)
Am nächsten Morgen zeigten einige Fäden Sporen in unregelmäfsigen
Abständen, einige Stäbchen dieser Fäden hatten gar keine Sporen gebildet.
Die Fäden waren deutlich, wenn auch etwas unregelmäfsig septiert.
Zwei weitere Versuchsreihen, bei denen ich ebenfalls Sporer-
material von Präparat auf Präparat überimpfte, zeigten mir eben¬
falls deutlich :
1. dafs die Sporenkeimung unregelmäfsiger wird,
2. dafs weniger Sporen auskeimen und auch
3. weniger Sporen gebildet werden.
■ //
II. Teil. Folgerungen aus den Beobachtungen; Vergleich meiner
Resultate mit denen meiner Vorgänger.
Ein Blick in die Litteratur zeigt, dafs schon vor Burchard
eine Reihe von Autoren Material zusammengebracht haben,
welches den Beweis dafür liefert, dafs die verschiedenen Bakterien¬
arten unter sich vielfach verschieden keimen. Aber aus den
gleichen Arbeiten geht gleichzeitig hervor, dafs innerhalb der¬
selben Bakterienart weitgehende Modifikationen des Keimungs-
1) Pommer (B. brassicae). Ein Beitrag zur Kenntnis der fadenbildenden
P»akterien. Mitteil. a. d. botan. Inst. z. Graz. 1886.
Archiv für Hygiene. Bd. XL1I. 7
Digitized by v^.ooQle
98 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen 'etc.
typus zur Beobachtung gelangen. Es genügt wohl als Beweis
hierfür zu erwähnen, dafs schon Pommer 1 ) (1886) an seinem
Bacillus brassicae gefunden hat, dafs die Sporenhaut nicht immer
an ein und derselben Stelle durchbrochen wird, sondern manch¬
mal am Pol, manchmal am Äquator oder auch an andern da¬
zwischen liegenden Punkten; dafs ferner Grethe 1 ) ein Jahr vor
Burchard an einem aus einem Papagei gezüchteten, sowie
einigen Heubacillen ebenfalls alle Übergänge von der polaren
bis zur äquatorialen Keimung beobachten konnte. »Durch diesen
letzten Befund«, schreibt Mühlschlegel 2 ), »erklären sich
auch die auseinandergehenden Beobachtungen von Cohn und
Prazmowski. Jener sah die Sporenkeimung des Bacillus subtilis
polar, dieser äquatorial auskeimen.« Die Cohnsche Arbeit ist
1876, die Prazmowski sehe 1880 erschienen. Burchard s
Arbeit ist erst 1898 gedruckt worden. Trotzdem schreibt er auf
Seite 56: »Bei der Keimung beobachtete ich ausnahmslos,
dafs dieselbe bei jeder Art in einer unveränderlichen und
für die Art durchaus charakteristischen Weise stattfindet.
Dies bestätigen ja auch die Beobachtungen der eingangs er¬
wähnten anderen Forscher auf diesem Gebiete, soweit sie
sich nicht auf die blofse Angabe der Art der Keimung allein
beschränken.« Wie vorsichtig diese Behauptung Burchards
von der »ausnahmslosen Unveränderlichkeit« und dem charak¬
teristischen Wesen jeder einzelnen Bakterienart aufgenommen
werden mufs, möge, ehe ich unsere Beobachtungen im Zusammen¬
hang vergleiche, an einem Beispiel gezeigt werden. Burchard
hat die Keimung des Bacterium filamentosum nur an 4 Sporen
beobachtet, von denen zwei nach 5 Stunden 40 Min. keimten.
Jedoch nur eine von ihnen zeigte ein Charakteristicum, nämlich
dafs sich die Sporenmembran »seitlich etwas abhob«. Die beiden
andern beobachteten Sporen keimten erst am Abend des nächsten
1) G. Grethe, Über die Keimung der Bakteriensporen. Sep.-Abdr.
aus Fortschritte d. Medizin, Bd. 15, 1897.
2) Mühlschlegel, Über die Bildung und den Bau der ßakterien-
sporen. Fortschritte d. Medizin,
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Georg Cawpari.
99
Tages, also nach ca. 36 Stunden; ob aber auch sie die seitlich
etwas abgehobene Membran zeigten, erwähnt Burchard gar nicht.
Zur weiteren Beurteilung der Burchard sehen Angaben citiere
ich aus seiner Zusammenfassung Absatz 4: »Es gibt Bakterien,
die regelmäfsig bipolar keimen (Bacillus bipolaris)«, und zum
Vergleich aus der Untersuchung von bipolaris, S. 36: »Sehr
häufig sind unter zehn keimenden Sporen drei bis vier,
die nur an einem Pole keimen«. Das sind bis zu 40°/ 0 .
Dieses aus den Widersprüchen der Burchard sehen Arbeit
selbst! Ich gehe jetzt zum eigentlichen Thema: Der Konstanz
und Verwendbarkeit der Sporenkeimung über.
Die Charakteristica, welche Burchard als »das sicherste
diagnostische Hilfsmittel zur Erkennung der Art« empfiehlt, er¬
strecken sich auf folgende Punkte:
»1. Verhalten der Sporeumembran vor der Keimung,
»2. Verhalten der alten Sporenhaut während der Keimung,
»3. Art der Keimung des neuen Stäbchens,
>4. Verhalten der alten Sporenhaut nach der Keimung,
»5. Entwicklung des neuen Stäbchens,
»6. Zeitdauer der Keimung, und
» 7. Temperaturve rh äl tni sse.«
Um häufige Wiederholungen zu vermeiden, verzichte ich
darauf, die Differenzen, welche meine Untersuchungen gegenüber
der Burchard sehen ergeben haben, noch einmal ausführlich
an dieser Stelle wiederzugeben; dieselben finden sich oben am
Schlüsse jeder Untersuchung zusammengestellt. Nur das Präg¬
nanteste habe ich für das Folgende herausgegriffen.
Die beiden Hauptforderungen, welche man an ein »sicherstes
diagnostisches Hilfsmittel zur Erkennung der Art« naturgemäfs
stellen mufs, sind neben der Möglichkeit, dasselbe überhaupt
mit Sicherheit zu erkennen, die Feststellung, dafs es
1. nur der betreffenden Art zukommt, oder wenigstens
2. der betreffenden Art immer zukommt.
7*
Digitized by CjOOQle
100 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc.
Meine Untersuchungen haben wohl zur Genüge gezeigt, dafs
diese beiden Forderungen von keinem, der von Burchard an¬
gegebenen diagnostischen Hilfsmittel in strengem Sinne erfüllt
werden. Sowohl das Verhalten der Membran vor, während und
nach der Keimung, als auch die Art der Keimung des neuen
Stäbchens, sowie dessen weitere Entwicklung, sind bei fast allen
von mir nachuntersuchten Arten als erheblich variabel innerhalb
derselben Art erkannt worden:
Die Sporenmembran von Bacterium Petroselini liefs bei
Burchard zwei Sporenhäute erkennen, die regelmäfsig nach¬
einander abgeworfen wurden. Diese Beobachtung soll für B.
Petroselini das Erkennungsmerkmal bilden. Es sind jedoch schon
von A. Mayer 1 ) mittels Reagentien an andern Sporenmembranen
zwei Häute als Exine und Intine beschrieben worden; ferner hat
auch Mühlschlegel 2 ) an einer Reihe von Bacillensporen zwei
Schichten der Membran, nämlich ein mattgraues, breiteres Endo-
sporium und ein dünneres, als scharfe Linie erscheinendes Ekto
spörium färberisch nachweisen können. Bei meinen Versuchen
mit Petroselini habe ich zwar zuweilen eine zweischichtige
Sporenhaut während der Keimung unterscheiden können, jedoch
nur zweimal habe ich bei einer gröfseren Reihe von Versuchen
die beiden Häute hintereinander abstreifen sehen; meistens
waren aber auch nicht einmal die beiden Schichtungen zu er¬
kennen, Somit besitzt das Bacterium Petroselini Burchard
das von seinem Entdecker angegebene Erkennungsmerkmal
1. nicht allein 3 ), und 2. läfst es dieses Merkmal nicht immer
erkennen. Aber auch das Verhalten und die Entwicklung des
Keimstäbchens, der eigentliche Auskeimungsmodus des Bact.
1) A. Mayer, Studien über die Morphologie und Entwicklungsgeschichte
der Bakterien, ausgeführt an Astasia asterospora A. M. und Bacillus tumes-
cens Zopf. Flora. Ergänzungsband, Bd. LXXX1V, 1897, Heft 3.
2) a. a. 0.
3) Burchard hat offenbar durch Übersehen der zitierten Arbeiten die
Bedeutung seiner schönen Beobachtung von der doppelten Sporenmembran
überschätzt, paraus erwächst ihm kein ernster Vorwurf. Ebenso halte ich
es für möglich, dafs die von Burchard beobachteten Petroselinussporen
alle deutlich zwei Membranen erkennen liefsen.
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Georg Caepari.
HM
Petroselini, den Burchard als polar beschreibt, zeigte mir weit¬
gehende Variationen; in einem Falle war sogarj däO; AXTskreimuflg
deutlich äquatorial und das keimende Stäbchen, bog^ sich nach'
dem einen Pole um (vgl. S. 86, 87). - {•-* : \{
Vielleicht noch gröfsere Variationen, sowohl betreffs des Ver¬
haltens der Membran als auch des jungen Stäbchens, beobachtete
ich bei Bacillus goniosporus Burchard. Wie ich schon bei
meinen Versuchen erwähnt habe, hat Burchard es unterlassen;
das Charakteristicum, welches er während der Keimung dieses
Bacillus beobachtete, anzugeben. Ich nehme aus seiner Be¬
schreibung an, dafs es auch hier wiederum in dem Verhalten¬
der Sporenmembran zu suchen sei, welche nach der Keimung
»den Stäbchen als helles, durchsichtiges Mützchen« ^uifsitzt.
Aber jeder, der sich mit Sporenkeimung beschäftigt hat, wird,
zugeben müssen, dafs die Membran stets als helles Mützchen
oder mehr weniger durchsichtige Kappe dem Stäbchenende auf-
sitzt, wenn es sich nicht um ein vollkommenes Verquollen der¬
selben handelt. Dieses vollkommene Verquollen der Sporen¬
membran während der Keimung habe ich nun gerade bei Gonio¬
sporus unter bestimmten Bedingungen regelmäfsig erhalten.
Nämlich, wenn ich die Untersuchungen in Gelatine vornahn}.
Züchtete ich den Bacillus auf Gelatine weiter und untersuchte!
ihn in Gelatine, so verquoll die Membran vollkommen,* indes
bei einer Keimungsbeobachtung dieses auf Gelatine weiter ge¬
züchteten Materials im frischen Agar an der Mehrzahl der Sporen
wieder eine Membran deutlich zu erkennen war (vgl. Versuchs¬
reihe Goniosporus S. 81). Nicht ganz frischer Agar zeigte stets
an allen Sporen eine Membran. Ich glaube deshalb mit einem
gewissen Rechte für dieses verschiedene Verhalten der Membran,
die Verschiedenheit der Nährböden in Anspruch nehmen zu
dürfen. Migula schreibt in seinem »System der Bakterien«,
Sporenkeimuug S. 194: »Die Keimung ist verschieden, je nach
dem Nährboden, in welchem sich die Spore befindet.« Koch
hat keine Abhebung der Sporeumembran beobachten können
»und in der That kommt es bei Bac. anthracis in flüssigen Nähr¬
substraten häufig nicht dazu«. In festen Nährböden spielt sich
Digitized by CjOOQle
102 Über die Konstanz der Sporenkeimung bei den Bacillen etc.
der Keimungspro^efs jedoch derart ab, dafs die Sporenmembran
[polar zerteilst;: :
Erkennen wir*‘diese Einwirkung des Nährbodens, der niemals
ein äbsolütf konstanter ist, auf das Verhalten der Sporenmembran
an, so erscheinen die Angaben Burchards, dafs für eine ganze
Reihe von Arten der Grad der Verschleimung der Sporenmem¬
bran bei der Keimung charakteristisch sei, mindestens weiterer
Nachprüfung bedürftig. Ich selbst konnte von Kral keine Kul¬
turen dieser Arten bekommen; bin jedoch subjektiv überzeugt,
dafs auch hier ähnliche Resultate wie bei Goniosporus erhalten
werden.
Höchst eigentümlich war das Verhalten des keimenden Stäb¬
chens von Filamentosum E. Klein. Dort fand ich nicht allein
statt der von Burchard beschriebenen einfachen polaren Kei¬
mung ein eigentümliches, gekrümmtes Verhalten des Stäbchens
vor der Keimung, sondern auch die Art der Keimung war im
höchsten Grade wechselnd, bald polar, bald äquatorial. Eine
hypothetische Erklärung dieser Variation aufzustellen, will ich
mir versagen, da meine Untersuchungen mir noch keine ge¬
nügende Stütze bilden. Erwähnt sei nur, dafs Bact. filamento¬
sum, sowie auch Bac. loxosporus Burchard, der sich ähnlich ver¬
hielt, schon längere Zeit auf künstlichen Nährböden fortgezüchtet
worden sind.
Auch die andern von mir nachuntersuchten Burchard*
sehen Arten zeigten mehr weniger individuelle Variationen, welche
ich stets am Ende jeder Untersuchung hervorgehoben habe.
Bacillus gangränosus pulpae keimte hauptsächlich äquatorial
bis schräg äquatorial. Eine Besonderheit im Verhalten der
Membran war mir nicht möglich festzustellen.
Es erübrigt nun noch auf die Keimung der von mir frisch
gezüchteten Bacillen einzugehen. Um Wiederholungen zu ver¬
meiden, verweise ich auch hier wiederholt betreffs eingehenderer
Schilderung auf den untersuchenden Teil. Fasse ich die dort
gemachten Untersuchungen zusammen, so ist hervorzuheben, dafs
dieselben, wenn auch nicht im Sinne Burchards konstant, so
doch wesentlich regelmäfsiger keimten als die Burchardschen
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Georg Caspari.
103
Arten. Und um die Probe auf das Exempel zu machen, konnte
ich bei dem Weiterzüchten dieser Bacillen auf künstlichen Nähr¬
böden unter steter mikroskopischer Beobachtung feststellen, wie
die einzelnen Arten immer unregelmäfsiger keimten, (vgl. Ver¬
suchsreihe S. 93).
Weder die Zeit, welche bis zur Keimung verstreicht, noch
die Temperatur, welche zur Keimung notwendig ist, liefert, wie
ebenfalls aus meinen Untersuchungen in Übereinstimmung mit
den anderen Autoren hervorgeht, höhere und brauchbare Species-
merkmale.
Schlursfolgerungen.
Es lassen sich aus diesen Beobachtungen folgende Haupt¬
resultate ziehen:
1. Es gibt verschiedene Typen der Sporenkeimung, und
dieselbe ist bei den einzelnen Arten oft recht verschieden; jedoch
zeigt sich auch innerhalb der einzelnen Arten zuweilen grofse
Variabilität, indem oft in sehr erheblichem Prozentgehalt ver¬
schiedene Individuen wesentliche Abweichungen von dem für die
Art festgesetzten Typus bilden.
2. Die Thatsache, dafs bei der gleichen Bacillenart, je nach
dem Nährboden, die Sporenmembran bald deutlich abgeworfen
wird, bald vollkommen verquillt und dann verschwindet, mufs
bei Verwendung dieser Eigenschaft zur Artdiagnose sehr berück¬
sichtigt werden.
3. Die Variabilität wächst mit dem Weiterzüchten auf künst¬
lichen Nährböden. Es mag darin zum Teil die Verschiedenheit
meiner Resultate von denen Burchards begründet sein.
4. Es gibt Bacillen mit zwei Sporenhäuten; jedoch ist
hieraus beim gegenwärtigen Stand unserer Kenntnis kein Merk¬
mal zur Erkennung einer bestimmten Art zu konstruieren.
5. Es gibt Bacillen, die bipolar keimen; jedoch zeigen bei
den bisher beschriebenea Arten stets sehr viele Individuen ein¬
fach polare Keimung.
Digitized by v^.ooQle
104 Über die Konstanz der Sporenkeinxung bei den Bacillen etc.
6. Ein Bedürfnis zur Aufstellung des Typus »schräg polare
Keimung« scheint mir nicht zu bestehen. Stets finden sich bei
polar wie äquatorial keimenden Arten eine Anzahl schräg polar
keimender Individuen. — Spezies, die konstant schräg polar
keimen und nicht sehr viele polar oder äquatorial keimende In¬
dividuen enthalten, erscheinen mir nicht ein wandsfrei beschrieben.
7. Nimmt die Spore vor der Keimung Kugelform an, so
wird der Entscheid, ob äquatoriale oder polare Keimung statt-
findet, unmöglich.
8. Aus allem Gesagten folgt als Endergebnis:
Die Art der Sporenkeimung ist ein Artmerkmal, das volle
Aufmerksamkeit verdient. Die Behauptung aber, dafs die Sporen¬
keimung für jede Art in durchaus unveränderlicher charakte¬
ristischer Weise verläuft und daher das sicherste diagnostische
Hilfsmittel zur Erkennung der Art ist (Burchard), geht viel zü
weit. Weder besitzt jede Art einen auffallend von den anderen
Arten abweichenden Modus der Sporenkeimung, noch ist dieser
Modus für jede Art konstant. Die Sporenkeimung variiert viel¬
mehr, namentlich bei der längeren Kultur der Arten fast in
ähnlicher Weise wie die übrigen morphologischen und biolo¬
gischen Eigenschaften der Bakterien.
Die Sporenkeimung ist somit wohl unter den angeführten
Einschränkungen ein beachtenswertes, aber keineswegs ein absolut
charakteristisches, also auch kein ausreichendes Merkmal zur
Artcharakterisierung.
Als ich gerade im Begriff war, Herrn Prof. Lehmann diese
Arbeit vorzulegen, wurde mir von demselben eine bis heute 1 ) in
zweiter Fortsetzung erschienene Abhandlung von Dr. 0. Gottheil,
»Botanische Beschreibung einiger Bodenbacterien«, weil sie auch
mein Gebiet streifte, zur Durchsicht übergeben. Aus derselben
habe ich hervorzuheben, dafs sich die dort niedergelegten Beob¬
achtungen mit meinen Resultaten vollauf decken und eine
1) Zweite Fortsetzung, erschienen im Centralblatt f. Bakteriologie etc.
Zweite Abhandlung, VII. Bd., Nr. 13. Jena, 10. Juni 1901. Untersuchung
der Keimung der Sporen, S. 456,
Digitized by CjOOQle
Von Pr. Georg Caspari. ]0o
nachträgliche wesentliche Stütze für die aufgestellten Thesen zu
bilden wohl imstande sind.
Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Prof. Dr. Lehmann
für die hilfreiche Unterstützung bei der Anstellung der Versuche,
sowie für das grofse Interesse, welches derselbe dem Verlaufe
dieser Arbeit entgegenbrachte, auch an dieser Stelle meinen
tiefgefühltesten Dank auszusprechen.
Digitized by v^.ooQle
TafelerklEmng.
Aus naheliegenden Gründen ist es unterlassen, alle auskeimenden
Sporen in den einzelnen Phasen ihrer Entwicklung im Bilde festzuhalten;
ich habe mich vielmehr begnügt, das Wichtigste, die Differenzen in den
Keimungstypen derselben Art, zu fixieren.
Fig. I. Bacillus goniosporus, frischer Agar, 32—34° C.
Fig. II. Bacterium Petroselini, Agar, 32—34 °C.
Fig. III. Bacterium Petroselini, Agar, 32—34° C.
Fig. IV. Bacterium filamentosum, Agar, 32—34 °C.
Fig. V. Bacterium filamentosum stark schematisiert.
Fig. VI. Luftbacillus, Spore 4, in den einzelnen Phasen ihrer Ent¬
wicklung.
Digitized by v^.ooQle
Studien über die Absterbebedingungen der Sporen
einiger Aspergillusarten.
Von
Prof. A. Lode.
(Aus dem hygienischen Institute der k. k. Universität in Innsbruck.)
Die ältere und auch die neuere Litteratur ist verhältnis-
mäfsig reich an Beobachtungen, welche mehr oder weniger tief
eingreifende Störungen der Gesundheit betreffen, als deren Ur¬
sache Schimmelpilze und zwar in überwiegender Anzahl Asper¬
gillusarten bezeichnet werden. Diese Erkrankungen betreffen nicht
allein den Menschen, sondern zahlreiche Tierspezies, bei letzteren
nicht selten die Form ausgebreiteter Epizootien annehmend, die
den Stand der befallenen Tiere arg vermindern und wieder An-
lafs zu Übertragungen auf den Menschen geben.
So ist die Pneumomycosis aspergillina nach Angabe fran¬
zösischer Autoren 1 ) eine verhältnismäfsig häufige Beobachtung.
In der Reihe der natürlich erkrankten Tiere scheinen die
Vögel besonders stark vertreten. Aus einer Zusammenstellung
der diesbezüglichen Litteratur von Schütz 2 ) in den Mitteilungen
des kaiserlichen Reichsgesundheitsamtes ist zu entnehmen, dafs
fast alle Vogelarten, ich erwähne das Huhn, die Taube, die Gans,
1) Vgl. Frosch, Systematik der Fadenpilze in Flügges Handbuch der
Mikroorganismen, II, S. 21.
2) Schütz, Über das Eindringen von Pilzsporen in die Atmungswege
und die dadurch bedingten Erkrankungen der Lungen. Mitteilungen aus d.
Reichs-Gesundheitsamte, 11, S. 208.
Digitized by CjOOQle
108 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger x\spergillusarten
den Schwan, Papagei, Fasan, Falken, Dompfaff, Holzhäher,
die Schneeeule, den Straufs und Königsadler schwer und zum
Tode führende Schimmelmykosen — vorwiegend die Lungen und
die Luftsäcke betreffend — zeigen können.
Von den gröfseren Haustieren sind Fälle bei der Kuh und
beim Pferde bekannt geworden. ! )
Künstlichen Infektionen, besonders leicht mit aspergillus
fumigatus, sind aufser verschiedenen Vogelarten (Gans, Taube,
kleine Singvögel) auch Kaninchen zugänglich. Erstere, wie wir
uns im hiesigen Laboratorium mehrfach überzeugten, am ein¬
fachsten, indem man die Versuchstiere in einen Raum bringt,
in welchem sich reife, reichlich versporte Schalenkulturen, die
man mittels eines Gebläses anbläst, befinden. Ebenso leicht
gelingt die Infektion, wenn man die Versuchstiere mittels des
Apparates von H. Büchner versprayte Sporensuspensionen
einatmen läfst.
Bei Kaninchen führt die Injektion von Sporen in die Vene
des Ohres oder in die äufsere Jugularvene meist leicht zum Ziele 2 ),
vorausgesetzt dafs man genügend grofse Mengen Sporenmaterials
des Aspergillus fumigatus injiziert hatte ; als minder pathogen
erwies sich aspergillus flavus und aspergillus niger. Wie Leber 3 )
zuerst beschrieb, gelingt auch die Ansiedelung des Aspergillus
in der Hornhaut leicht, wenn man ein kleines Partikelchen des
Pilzmyceliums in eine Homhautwunde einführte oder eine in¬
differente Flüssigkeit, welche Aspergillussporen suspendiert ent¬
hält, in das Hornhautgewebe einspritzt.
Bei den durch Inhalation infizierten Tauben entwickelt sich
meist nach 2—3 Tagen ein schweres Krankheitsbild; die Tiere
1) 8. Bournay, Pneumomycose aspergillaire cbez une vache (Revue
vdt. de Toulouse, 1895, p. 121. — Frank, Deutsche Zeitschr. f. Tiermediz.
in vergl. Path., XVI, 1890. — Luc et, Etudes chimiques et spdrim. sur
raspergillus fumigatus. (Boull. de la Soc. centr. de medic. vdt. 30 juin
1894, u. a.
2) Grawitz, Über Schimmel Vegetationen im tierischen Organismus.
Virchows Archiv, Bd. LXXXI.
3) Leber, Keratomycosis aspergillina als Ursache von Hypopyonkera-
titis. Graefes Archiv, Bd. 25, Abt. 11, S. 285.
Digitized by CjOOQle
Von Prof. A. Lode.
109
sitzen mit gesträubten Federn, die Atmung ist frequent und
mühsam; nach wenigen Stunden bis mehreren Tagen tritt der
Tod ein. In einem Falle trat der tödliche Ausgang in weniger
als 36 Stunden ein, während Tiere, die gleichzeitig der Inhalation
ausgesetzt waren, nach 12 und 15 Tagen der Infektion erlagen.
Meist rascher und mit geringeren Mengen sind kleine Singvögel,
wir verwendeten Gimpel, zu töten.
Bei der Sektion sieht man meist einen mehr oder minder
ausgebreiteten Teil des Parenchyms beider Lungen verdichtet
und blutreich. Die Ausstrichpräparate lassen neben zahlreichen
Leukocyten, roten Blutkörperchen, gequollenen Alveolarepithelien,
meist in stattlicher Anzahl die verästelten Mycelien des Asper¬
gillus erkennen. Besonders schön sind die mikroskopischen
Bilder im Schnittpräparate, das nach der Gram-Günther
oder Gram - Weigertsehen Färbung behandelt ist. Die
Mycelien nehmen die Gram sehe Färbung prächtig auf und
lassen viel besser als im ungefärbten Präparate ihre weit in das
Gewebe hineinragenden Fäden und Verästelungen erkennen.
In einigen Fällen waren die pathologischen Veränderungen
nur auf die Lungen beschränkt, und w T eder das Mikroskop noch
der Kulturversuch gestattete den Nachweis von Pilzelementen
im Blute oder in den inneren Organen. In anderen Fällen waren
jedoch mehr oder minder zahlreiche Herde, besonders an der
Oberfläche der Nieren, des Peritoneums zu sehen, die kleinere
und gröfsere Knötchen darstellten und teilweise oberflächlich
zerfallen erschienen. In diesen Knoten konnte kulturell und
auch leicht mikroskopisch die Anwesenheit von Pilzfäden fest¬
gestellt werden.
Beim Menschen treten Aspergillusmykosen hauptsächlich in
drei Formen bezw. in drei Organen auf: 1. Als Mykosen
des Respirationstraktus hauptsächlich in der Lunge, pneumo¬
nische Erkrankungen hervorrufend. Die Litteratur, sow r ohl die
ausländische als auch die deutsche, enthält eine reiche Casuistik,
auf die w T ir an dieser Stelle um so weniger einzugehen brauchen,
als vor einigen Jahren ßenon in einer Monographie: Etüde
sur Faspergillose chez les animaux et chez l’homme, Paris 1897
Digitized by CjOOQle
HO Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
das einschlägige Material gesichtet und kritisch besprochen hat.
Hervorzuheben wäre allenfalls die nicht selten vorkommende
Mischinfektion des Aspergillus mit dem Tuberkelcacillus. Inter¬
essant und gewerbehygienisch in der deutschen Litteratur, so¬
weit ich dieselbe überschaue, nicht erwähnt sind die Pneumo¬
mykosen, welche die Taubenfütterer und die Haarkämmer häufig
erleiden.
Das erstere Gewerbe*) les gaveurs de pigeons, in Paris kaum
mehr als zehn Vertreter aufweisend, befafst sich mit dem Atzen
der jungen, für den Markt aus Südfrankreich und Oberitalien
hergesendeten Tauben. Auch während des Transportes werden
die Tauben, z. B. auf dem Bahnhofe in Modena, von einem Gaveur
gefüttert. Die Beschäftigung dieser Leute besteht in folgendem:
Zuerst wird in einem Kübel eine Mischung hergestellt aus Wasser,
Wickensamen und Hirsekörnern, worauf der Mann seinen Mund
mit diesem Brei anfüllt. Hernach fafst er die Taube bei den
Flügeln mit einer Hand, mit der anderen öffnet er den Schnabel,
nähert denselben seinem Munde und schiebt, so viel die Taube
aufnehmen kann, von der Nahrung in den geöffneten Rachen.
Die ganze Manipulation dauert pro Taube nur wenige Sekunden,
so dafs jeder Ätzer des Morgens und des Abends nicht weniger
als je 2000, in der Hochsaison bis zu 6000 Tauben pro Tag zu
füttern in der Lage ist.
Das zweite Gewerbe, welches zur Aspergillusmykose dispo¬
niert ist, ist das der Haarkämmer. Diese (les peigneurs de
cheveux) befassen sich mit dem Sortieren der aus den Kehrielit-
kisten gesammelten menschlichen Haare, indem sie dieselben
nach Länge, Farbe, Dicke ordnen, um sie den Coiffeuren her¬
nach zu verkaufen. Wenn die Haare trocken sind, werden sie
ohne weiteres gekämmt, sind sie hingegen fett, werden sie mit
Roggenmehl bedeckt und behandelt. Bei dieser Arbeit
kommt es zu starker Staubbelästigung durch den Mehlstaub,
welcher bekanntermaßen Aspergillussporen in grofser Menge
enthält. Auch den Arbeitern scheint die Gefahr bekannt zu
1) Siehe Reaon, a. a. 0., 199 u. ff.
Digitized by CjOOQle
#
Von Prof. A. Lode. ] 11
sein. Re non zitiert die Aufserung eines Kranken: »C'est la
farine qui nous tue«.
Auch bei den Taubenmästern sind die den Futterkörnchen
anhaftenden Sporen vermutlich das ätiologische Moment.
Eine zweite Gruppe von Aspergilluserkrankungen beim
Menschen betrifft die Hornhaut des Auges und wurde von
Leber 1 ) zuerst unter dem Namen Keratomycosis aspergillina be¬
schrieben. Es handelte sich um eine schwere Hypopyonkeratitis,
welche ätiologisch deshalb interessant ist, weil der Krankheits-
prozefs nach einer Verletzung durch eine gegen das Auge ange¬
flogene Haferspelze entstanden war.
Ein weiterer, von Ulhoff 2 ) beschriebener Fall betrifft einen
Mann, dem beim Schütteln eines Birnbaumes eine Birne an das
Auge fiel. Weitere Fälle haben Fuchs 3 ), Uthoff, Axenfeld,
Schirmer 4 ) u. a. veröffentlicht.
Die dritte Gruppe von Affektionen betrifft den äufseren
Gehörgang. Aus der Fülle der einschlägigen Litteratur, die
Siebenmann 5 ) bis zum Jahre 1889 und neuerdings Renon 6 )
gesammelt hat, ist zu ersehen, dafs die Otomycosis aspergillina
eine überaus häufige Mykose ist, die desto häufiger beobachtet
wird, je aufmerksamer man nach ihr sucht. So kommt nach
Bezolds 7 ) Beobachtungen durchschnittlich auf 65 Ohrenkranke
eine Pilzinvasion. Bezold hat allein 48 Fälle selbst beobachtet.
Wreden verfügte bereits 1873 über 74 eigene Beobachtungen.
In einem Teile der Fälle handelt es sich nicht um Mykosen im
eigentlichen Sinne des Wortes, sondern um eine harmlose Wuche¬
rung von Mycelien im Cerumen. In anderen Fällen dagegen dringen
1) Leber, Graefes Archiv, Bd. 25, II, 8. 285.
2) Berliner klin. Wochenschrift, 1889, S. 39.
3) Wiener klin. Wochenschrift, 1894, S. 39.
4) Cit nach Renon, a. a. 0., 8. 277 u. 278.
5) 8iebenmann, Die Schimmelmykosen des menschlichen Ohres.
Wiesbaden, 1889.
6) a. a. 0., 8. 280.
7) Bezold, Vortrag im Münchner ärztl. Verein, cit. n. Siebenmann,
a. a. O., 8. 37.
Digitized by v^.ooQle
112 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
die Pilze in das Epithel des äufseren Gehörganges und des
Trommelfelles, schwerere Symptome auslösend.
Als seltene Vorkommnisse seien nebenher auch die Aspergillus-
my kosen der Haut und des Nasenrachenraumes erwähnt.
Trotz der Manigfaltigkeit der beschriebenen Krankheitsbilder
ist wenig Exaktes über die Abtötung der Krankheitserreger
bekannt. Einzelne, meist nach unexakten Methoden ausgeführte
Versuche über die Absterbebedingungen der Aspergillinen finden
sich zwar, doch fehlt eine Einheitlichkeit der Versuchsanordnung
und die Beobachtung jener Kautelen, die nur allein sichere
Schlüsse über die Widerstandsfähigkeit einer Mikrobienart ge¬
statten. Entsprechend der Unsicherheit unseres Wissens nach
dieser Richtung ist auch das therapeutische Handeln der
Autoren. Neben wirklich pilztötenden Agentien werden harm¬
lose Präparate empfohlen oder Beimengungen zu desinfizierenden
Flüssigkeiten gemacht, die als überflüssig für den Desinfektions¬
effekt sich erweisen. Aber auch in biologischer Hinsicht ist es
interessant, den wichtigen Formenkreis der Schimmelpilze hinsicht¬
lich seiner Absterbebedingungen in den Kreis einer Untersuchung
zu ziehen. Nicht in letzter Linie sei auch hier nochmals der
Epizootien gedacht, bei deren Bekämpfung naturgemäfs eine
wirksame Desinfektion der Ställe und Käfige, sowie der Gegen¬
stände, mit welchen die Pfleglinge in Berührung kommen, zu
erstreben ist. Ohne exakte einschlägige Versuche würde man
sicherlich nicht auf dem besten und billigsten Wege zum Ziele
gelangen.
Wir wollen im folgenden einige wichtigere Angaben über
die Beeinflussung von Schimmelsporen durch physikalische Ein¬
flüsse oder chemische Agentien kurz anführen und hierbei nur
jene Autoren erwähnen, welche systematische Untersuchungen
über unsere Frage ausgeführt haben.
In erster Linie ist hier Siebenmann zu erwähnen, der
eine Reihe einschlägiger Angaben 1 ) in seiner Monographie über
1) Siebenmann, Die Schimmelmykosen des menschlichen Ohres.
Medizin.-botan. Studien auf Grund experimenteller Untersuchungen. II. verm.
Ausgabe von: Die Fadenpilze Aspergillus u. Eurotium. Wiesbaden, 1889, S. 26.
Digitized by v^.ooQle
Von Prof. A. Lode.
113
die Schimmelmykosen des menschlichen Ohres gemacht hat. Leider
waren seine Methoden, und zwar sowohl die von ihm selbst als
»
unbrauchbar bezeichnete erste, als auch die verbesserte zweite,
nicht geeignet, irgend welche zum Vergleiche heranzuziehende
Resultate zu liefern.
Anfangs wurde aus Conidien und Gelatine ein Brei gemacht
und in diesen Seidenfäden getaucht; letztere wurden in die zu
prüfende Flüssigkeit gegeben, getrocknet und auf Glasplatten
mit einer von Prof. Lichtheim angegebenen Nährgelatine (mit
Zusatz von Zucker und Ammon, oxal.) übergossen. Es ergab
sich, dafs Chlorwasser, Bromwasser 3°/ 0 , Jodwasser */ 7 °j m Jodo¬
formalkohol 4 °/ 0 , Naphthalinalkohol 6 °/ 0 , Salicylwasser 0,3 °/ 0 , Sali-
cylalkohol, Alkohol konz., Karbol wasser 5 °/ 0 , Quecksilbersublimat
1 ^ und eine wässerige konzentrierte Lösung von frischem
Cerumen in 15 Minuten die lebensfähigen Sporen resp. Mycelien
getötet hatten.
Das fehlerhafte dieser Methode liegt darin, dafs die Seiden¬
fäden mit einer Schichte Gelatine imprägniert wurden, welche
einerseits ein Eindringen des Antiseptikums erschwert, anderseits
die Anwendung der optimalen Temperatur (bei Aspergillus ca.
35° C.) unmöglich macht und auch den Luftzutritt, der für das
Wachstum der Schimmelpilze notwendig ist, erschwert.
Den angeführten negativen Wachstumsergebnissen stehen
positive gegenüber, die bei Anwendung einer wässerigen Lösung
von Kalium chloricum 4°/ 0 , Kaliseife 1 °/ 0 , Zinkchlorid 2% beob¬
achtet waren.
In der zweiten Versuchsreihe wurden versporte Gelatine¬
kulturen in Stückchen von ca. 1 qcm zerschnitten und diese
Stückchen in Antiseptica gebracht, abgespült und in Gelatine
gelegt. Die früher hervorgehobenen Fehler der Methode sind
der abgeänderten ebenfalls zur Last zu legen, wozu noch der
Umstand kommt, dafs in die jetzt beträchtlicheren Gelatine¬
stücke noch schwieriger als in die imprägnierten Seidenfäden
das Antiseptikum einzudringen vermag. Dementsprechend un¬
günstig sind auch die Sterilisationserfolge. So hatten nach zehn¬
stündigem Verweilen in rektifiziertem Alkohol, in 1 °j w Sublimat-
ArrhiT f. Hygiene. Bd. XLII. 8
Digitized by
Google
114 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
lösung, in gesättigtem Naphtbalinalkobol, nach zwölfstüudigem in
gesättigten Bor- und Salicylsäurelösungen die in den Gewebs-
stücken eingeschlossenen Sporen die Keimkraft noch nicht ver¬
loren; erst nach 12—20 stündigem Verweilen hatte der rektifizierte
Alkohol desinfizierend gewirkt. 1 °/ 0 Bleiacetat erwies sich selbst
nach 20stündiger Einwirkungsdauer als unwirksam, ebenso 3 °/ ()
Karbolsäure nach zehnstündiger Einwirkung, während 5 % Karbol¬
wasser bei zehnstündiger Einwirkung getötet hatte.
4°/ 0 Salicylalkohol tötete nach sechsstündiger Einwirkung
unverlässig, nach zehnstündiger sicher.
Interessant ist ferner Siebenmanns Angabe, dafs Asper-
gillusconidien in stark ammoniak- oder schwefelammonhaltiger
Luft in drei Tagen ihre Keimkraft völlig verloren hatten. Auch
die Angabe, dafs in einer Luft von 50—60° 12 Stunden zur
Abtötung hingereicht hatten, verdient Beachtung.
Weiters wären zwei französische Autoren, die sich ein¬
gehender mit der Ätiologie der Aspergillusmykosen befafst haben,
zu erwähnen.
Renon widmet in seiner oben zitierten Monographie, S. 66,
ein ganzes Kapitel der Resistenz der Sporen der Aspergillusarten.
Er konstatiert ihre grofse Widerstandsfähigkeit gegenüber atmo¬
sphärischen Einflüssen; vier Jahre alte, im Laboratorium bewahrte
Kulturen erwiesen sich lebensfähig. Auch bei geöffnetem Watte¬
pfropf und völligem Eintrocknen der Raulin sehen Flüssig¬
keit blieben die Sporen monatelang am Leben. Im infizierten
Ei waren sie (Lucet) noch am Ende eines Jahres, in faulen¬
den tierischen Flüssigkeiten nach einem Monate lebensfähig.
Doch zeigten alte Sporen gegenüber jüngeren ein verzögertes
Wachstum.
Kälte schädigt das Wachstum nicht, selbst wenn Tempera¬
turen unter 0° C. einwirken. In einem Raume, dessen Tempe¬
ratur des Nachts täglich auf 4—5°C. absank, waren die Sporen
nach einem Monate lebensfähig. In einem Eisblock eingefrorene
Sporen blieben durch zwei Monate entwicklungsfähig (Lucet).
(iefriermikrotomschnitte der Kaninchenniere enthielten noch
Digitized by CjOOQle
Von Prof. A. Lode. 115
lebende Sporen, ein Verhalten, das Lichtheim 1 ) auch für die
jungen Mycelien in den Pilzherden der Niere beschrieb.
Höheren Temperaturen gegenüber zeigte sich der Pilz eben¬
falls recht widerstandsfähig. Im Wasserbad hielt er suspendiert
in Sabouraud scher Flüssigkeit HO 0 C. durch 10 Minuten, 57°
durch */ 4 Stunde, 53° durch 48 Stunden aus. Dagegen ging
er in 60gräd. Wasser in h l j 2 Stunden, bei 57° C. während
15 Stunden zu Grunde.
Von chemischen Desinficientien erwähnt Re non a. a. 0. nur
einen eigenen Versuch mit Quecksilbersublimat, das in einer
Lösung von 1 : 1000, mit Weinsteinsäure angesäuert, nach einer
Viertelstunde den Sporen ihre Keimfähigkeit geraubt hatte.
Auch im Tierkörper findet man die Sporen lange lebend.
Ein von Renon zitierter Fall, in welchem ein Hase 5 1 / 2 Monate
nach der Infektion in der Leber den Nachweis von entwicklungs¬
fähigem Materiale zu erbringen gestattete, könnte freilich auch als
chronische Aspergillusraykose gedeutet werden. Im Lymphsacke
des Frosches und in den Organen desselben fanden sich 35 Tage
nach der Impfung lebende Pilze 2 ). Ebensowenig vernichten die
Verdauungssäfte ihre Lebensfähigkeit, was aus der Untersuchung
von Fäkalien, des Magen- und Darminhaltes von mit Pilzsporen
gefütterten Kaninchen und Meerschweinchen erwiesen wurde.
In einem Berichte an die Societö de biologie vom Jahre 1895 3 )
erwähnt Renon einige Versuche zur Feststellung der entwick¬
lungshemmenden Konzentration des Silbernitrats. Mit Aspergillus
fumigatus erhielt er negative Resultate bei Verwendung von
1—4 Tropfen einer Silbernitratlösung 1 : 100 für 4, 5 und 10 ccm
Nährflüssigkeit, als welche die Raul in sehe Flüssigkeit, die
Maltoselösuug von Sabouraud, Weinwürze, Bierwürze und
Glycerinbouillon verwendet wurden.
1) Lichtheim, Über pathogene Schimmelpilze. I. Die Aspergillus-
mvkosen. Berliner klin. Wochenschr., 1882, Nr. 9.
2) Renon, Recherches sur le premier stad, de l’infection dans l’asper-
gillose expgrim. Bull. med. Nr. 60, p. 717, 1896.
3) Renon, De la resistance des spores de l’aspergillus fumigatus.
Comptes rend. de s^ances et memoires de la sociöt4 de biologie, II. Bd.,
Ser 10, 1895, p. 91.
«•
Digitized by ejOOQle
116 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
Wenn man die hierbei erreichte Konzentration unter der An¬
nahme, dafs 20 Tropfen einem Kubikcentimeter, also 1 Tropfen
0,0005 g Silbernitrat entspricht, berechnet, so hat man in dem
Falle, in welchem 4 Tropfen 4 ccm Flüssigkeit zugesetzt wurden,
eine Lösung von 5 /io°/ooi bei Hinzufügung von 1 Tropfen zu 10 ccm
'Im °/oo — °/iooo °/o*
Bedenkt man ferner die vermutlich stattfindende Bindung
eines Teiles des Metallsalzes durch die organischen Verbindungen
des Nährbodens, so begreift man die Unwirksamkeit der ver¬
wendeten Konzentrationen.
Wurden ferner feuchtes Brot oder Kartoffelscheiben in eine
Lösung von 50 Tropfen Sibernitratlösung 1 : 100 zu 25 ccm
Wasser, oder in eine Lösung von 5 Tropfen der gleichen Silber¬
lösung zu 10 ccm R a u 1 i n scher Flüfsigkeit getaucht, so trat nur im
letzteren Falle einige Male Wachstumshemmung ein. In diesem
Falle betrugen die Konzentrationen nach meiner Berechnung im
ersteren Falle rund 1 / 10 %, bei Verwendung der Raulinschen
Flüssigkeit 2 * 5 / 100 °/o-
Mit Rücksicht darauf, dafs sich Jodnatrium bei der Therapie
der Aspergilluspneumomykose verhältnismäfsig bewährt hatte x ),
wurde auch dieses Salz geprüft. Auch bei diesen Versuchen ist
die Menge der verwendeten Lösungen nur in Tropfen angegeben und
daher nur schätzungsweise ermittelbar. Der Jodkaligehalt in der
verwendeten Würze resp. Raulinschen oder Sabouraudschen
Lösung betrug 6 ! / 4 und 12 7 2 %. Der Erfolg war ein negativer.
Auch Luc et 2 ) stellte die Widerstandsfähigkeit der Asper-
gillussporen gegenüber einer Reihe atmosphärischer Einflüsse
fest. Bei Zimmertemperatur und am Lichte hielten sich Kartoffel*
kulturell durch mehr als zwei Jahre. Ebenso lange waren sie
auch, bei Zimmertemperatur bewahrt, auf Filtrierpapier einge¬
trocknet lebend. Im Brutschränke bei 37 °C. bewahrte Kartoffel¬
kulturen waren nach 10 Monaten in einem Eisblocke eingefrorene
Sporen, noch nach 2 Monaten züchtbar.
1) Renon, Etüde sur l’aspergillose. Loc. cit., p. 255.
2) L ucet, De l’aspergillus fumigatus chez les animuux domestiques et
dans les cenfs en incubation; £tude clinique et experimentale. Paris, 1897.
Digitized by v^.ooQle
Von Prof. A. Lode.
117
In faulenden Flüssigkeiten hielten sie sich durch einen
Monat, in einem Abscesse bei einem Kaninchen durch 2 Monate.
Einem Meerschweinchen und einem Pferde wurden Sporen per
os einverleibt, nach einigen Tagen gelang ihr Nachweis in den
Fäces. (Einwandsfrei?)
Mit Sporen getränkte und getrocknete Seidenfäden waren
nach 12stündigem Verweilen getötet in 5proz. Lösungen von
Schwefelsäure, Salpetersäure, Phenol, Sublimat, Zinksulfat, Zink¬
chlorid und Silbernitrat; dagegen waren bei gleicher Konzen¬
tration und Einwirkungsdauer Salzsäure, Borsäure, Kupfer- und
Eisensulfat, Calomel (5°/ 0 Lösung?) und Cresyl Jeyes unwirksam.
Überblickt man die Ergebnisse, welche in den angeführten
Berichten niedergelegt sind, so sind sie trotz einer ziemlichen
Anzahl von Einzelversuchen, höchstens orientierend.
Dabei kranken Siebenmanns Versuche au einer unzweck-
mäfsigen, übrigens erst nach seinen Veröffentlichungen besser
ausgebildeten Methodik. Lucets Angaben sind teilweise nicht
einwandsfrei und mindestens allzu skizzenhaft. Renons An¬
gaben , insbesondere jene seiner antiseptischen Versuche mit
chemischen Agentien sind hinsichtlich der Dosierung so ungenau,
dafs sie auf wissenschaftlichen Wert wenig Anspruch machen
können. Freilich sind die zitierten Angaben klinischen Arbeiten
entnommen, in denen die uns interessierenden Fragen nur neben¬
her behandelt wurden.
Eigene Desinfektionsversuche.
Den unmittelbaren Anlafs zur Ausführung der zu beschrei¬
benden Experimente bildeten Kulturversuche, die zu diagno¬
stischen Zwecken für die hiesige Ohren- und Kehlkopfklinik des
Herrn Professors Juffinger ausgeführt wurden. Zunächst be¬
kamen wir frisches, und, wie der Versuch mit Tauben und kleinen
Vögeln ergab, virulentes Materiale des Aspergillus fumigatus.
Dadurch wurde unser Interesse auf die Biologie der pathogenen
Schimmelpilze gelenkt und auch die therapeutischen Bestrebungen
bei — zunächst — Otomykosen studiert. Die auf diesem Ge¬
biete herrschende Unsicherheit liefs sich leicht auf die dürftigen,
Digitized by
Google
118 8tudien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
teilweise einander widersprechenden Angaben hinsichtlich der
Absterbebedingungen der Schimmelpilze zurückführen, und so
schien uns eine eingehende und systematische Prüfung dieser
Frage wünschenswert.
Trotz grolser aufgewendeter Mühe, scheinen uns allerdings
jetzt auch unsere Angaben noch vielfach lückenhaft und nur
ein bescheidener Anfang für die systematische Bearbeitung des
bezeichneten Gebietes.
An Mikroorganismen standen aufser den vorerwähnten, von
Krankheitsfällen herstammenden, eine Reihe teils aus Luft oder
verschiedenen Nährsubstraten frisch herausgezüchtete, teils in der
Sammlung durch längere Zeit kultivierte Pilze zur Verfügung.
Um den Versuchen engere Grenzen zu ziehen, wurden zu¬
nächst nur Aspergillusarten und von diesen auch nur als pathogen
erwiesene, oder in der Litteratur als solche angenommene, aus¬
gewählt. Es waren dies Aspergillus fumigatus, Aspergillus niger
und Aspergillus flavescens. Daneben wurde mit den meisten
Agentien auch der Aspergillus clavatus, den ich der Sammlung
des Wiener hygienischen Institutes verdanke, geprüft.
Bei der Schwierigkeit der exakten Diagnose der verschiedenen
Arten will ich hier eine mit Messungen einzelner Pilzbestandteile
ausgestattete Beschreibung Vorbringen, damit erforderlichenfalls
die Identifizierung meiner Arten mit anderen ermöglicht ist. Von
jeder Art wurde ein Stamm, der rasch versporte und üppig wuchs,
ausgewählt, hinsichtlich seiner optimalen Temperatur studiert und
lediglich mit dessen Abkömmlingen weiter gearbeitet.
Beschreibung der Pilze.
I. Aspergillus fumigatus.
Stark verfilztes, in die Tiefe des Nährbodens eindringendes grauweifses
bis weifses Mycel. Sobald Fruktifikation eingetreten ist, beginnen sich die
Kolonien, die eine ansehnliche Gröfse von mehreren Centimetern Durch¬
messer erreichen können, blau-grünlich zu verfärben. Die Gelatine wird
unter dem Filze der Mycelien, nicht aber in der Umgebung der Kolonien
erweicht. Da6 Mycel und die Fruchtträger ragen wenig über die Oberfläche
des Nährbodens hervor.
Sporen blafs, farblos, meist regelmäfsig rund, einfach konturiert, 2 bis
3 fi im Durchmesser. Reife Sporen bräunlich. Sterigmen unverzweigt, 6—8 ft
Digitized by CjOOQle
Von Prof. A. Lode.
119
lang, cylindrisch, doch nicht regelmäfsig, oft auch pfriemenförmig, stellen
weise verengt oder leicht aufgetrieben, blafsbraun. Dicke 2—3 p. Die
Sterigmen bedecken vorwiegend die Kuppe der Blase und zeigen der Haupt¬
masse nach axiales Wachstum, so dafs die mit Conidien bedeckten Köpfchen
besenartig und nicht kugelartig erscheinen. Die Blase ist durch eine scharf
konturierte Membran abgegrenzt. Die Fruchtträger sind meist beträchtlich
dicker als die Mycelien, erstere messen 2—3 u t letztere gewöhnlich 4—6 /<,
selbst bis 10 //.
Intravenös für Kaninchen, nach Inhalation von Sporen für Gimpel,
Stieglitze und Tauben pathogen.
II. Aspergillus niger.
üppig wuchernde Vegetation, die die Gelatine stark verflüssigt. Die Ver-
tiüssigungszone reicht jedoch nicht weiter als die Vegetationsmasse. Das
Mycel ist peripher rein weifs, gegen die Mitte zu, besonders bei jüngeren
Kulturen, gelblich bis schwefelgelb; die fruktiflzierten Partien braun bis
tiefschwarz. Das Mycel ragt auch, solange noch keine Fruktifikation er¬
folgte, um mehrere Millimeter über die Oberfläche des Nährbodens. Die Höhe
der Fruchtträger beträgt bis 8 mm.
Mikroskopisch sieht man feinere und gröbere Mycelfäden, häufig mit
stark granulierten Inhaltsmassen versehen. Die Fruchtträger sind scharf
konturiert, 12—20 u dick und meist vom Grunde bis zur Blase gleicbmäfsig.
Der Übergang in die meist schon kugelige, seltener eiförmige Blase ist ziem¬
lich scharf.
Der Durchmesser reifer Köpfchen beträgt 150 p und darüber, die Blase
bei reifen Köpfchen ca. 60—70 p. Die Sterigmen sitzen peripher um die
ganze Blase. Die Sterigmen sind mächtig, verzweigt, indem an ihrem keulen¬
förmigen Ende eine Anzahl (5—10) fingerförmige Aste sitzen, die die Conidien
acrogen abschntiren. Die Sterigmengröl'se schwankt aufserordentlich und
beträgt bei den grolsen, reifen Köpfchen bis zu 50 u und 60 n. Zerquetschte
oder beschädigte Blasen zeigen häufig eine Pilzform, indem der obere Teil
der dem Fruchtträger ansitzenden Blase sich einstülpt und teilweise um¬
krem pt.
Die Sporen werden in ungeheuren Massen abgeschuürt und haben einen
Durchmesser von 3—4 u. Sie sind hellbraun bis schwarzbraun, im reifen
Zustande stark konturiert, rund mit granuliertem Inhalt. Häufig ragen 1—2
bis 2 u lange warzenförmige Erhebungen über die sonst glatte Oberfläche
der Sporen, die als Reste der Verbindungsstücke der im unreifen Zustande
kettenartig aneinander gegliederten Conidien aufzufassen sind.
Auch in gröfsten Mengen Kaninchen intravenös injiziert oder Tauben-
durch Inhalation einverleibt, erwies sich unser Stamm als nicht pathogen.
III. Aspergillus flavescens.
Rasch wachsende Rasen aus rein weifsem Mycel bestehend. Die Fäden
ragen, so lange keine Fruchtträger gebildet sind, bis zu 6—8 mm über den
Nährboden vor und erscheinen watteartig verfilzt. Die Gelatine wird unter
der Kulturmasse erweicht. Die Sporen sitzen auf kurzen, wenig über die
Digitized by
Google
120 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
Oberfläche ragenden Fruchtträgern und zeigen eine gelbgrüne bis braune
Färbung. Mikroskopisch erscheinen die Sporen Maisgelb, die reifen intensiv
gelb ohne grünliche Verfärbung. Ihre Gröfse schwankt zwischen 3—6 //,
sie sind rund, jedoch häulig nicht regelmäfsig rund, indem vielfach Wärz¬
chen und kleine Krystalle über die Oberfläche hervorragen. Der Sporen¬
inhalt ist granuliert und enthält stark lichtbrechende Körnchen.
Die Blase, deren gröfster Durchmesser 12—14 ft beträgt, hat meist nur
an der Kuppe die wenigen unverzweigten Sterigmen, die vorwiegend achsiales
Wachstum zeigen und ca. 2—4 ft dick sind. Die Fruchtträger sind mächtiger
als die übrigen Mycelien und messen im Durchmesser 8—12 //, während das
übrige Mycel selten mehr als 4 ft im Durchmesser aufweist.
An Tauben und kleinen Singvögeln erwies sich der Stamm hei Inhala¬
tionsversuchen als nicht pathogen.
IT. Aspergillus elavatus.
Massige Vegetation, deren unversporte Anteile nur wenig über die
Oberfläche ragen. Die Fruchtträger sind auffallend hoch (bis 5 mm über der
Oberfläche' und mit graublaugrtinen reifen und weifsen unreifen Köpfchen
bedeckt. Eine Erweichung der Gelatine findet unter der Vegetationsmasse
statt. Mikroskopisch unterscheidet man leicht die mächtigen 25—35 // dicken
Fruchtträger von den zarteren 8—10 u messenden Mycelien. Die Frucht-
träger endigen in massige Blasen von Keulenform, die dem Pilze seinen
Namen gegeben haben. Die Dimensionen der Blase anzugeben, ist wegen
der verschiedenen Gröfse einzelner Exemplare und wegen des allmählichen
Überganges des Fruchtträgers in die Keule schwierig. Rechnet man den
Beginn der Blase vom Ansätze der ersten Sterigmen, so mifst man oft 160
bis 200 tt Länge und ca. 60 ft Breite. Die Sterigmen sitzen pallisadenförmig
auf der Blase und werden in aufserordentlich grofser Anzahl gebildet. Ihre
Länge kann bis zu 20 // angenommen werden. Die Conidien sind farblos,
leicht oval und haben ca. 3 und 4 « im Längen- bezw. Querdorchmesser.
Methodisches.
Für Prüfung der Widerstandsfähigkeit des Schimmelpilz-
materiales könnten einerseits die Mycelien, anderseits die Sporen
in Betracht kommen, und in der That bestand zu Anfang der
Plan, für beide Vegetationsformen die Wirkungswerte schädigender
Agentien festzustellen. Es stellte sich jedoch bald heraus, dafs
mit Mycelien kein einheitliches Resultat zu erzielen sei, indem
für den Desinfektionserfolg die Gröfse der Mycelstückchen von
ausschlaggebender Bedeutung war. So erhält man meist, offenbar
wegen des, vielleicht durch Gerinnungsvorgänge erschwerten Ein¬
dringens des Antisepticums, bei Verwendung gröfserer Partikelchen
noch nach Einwirkungszeiten Wachstum, wo dasselbe bei kleineren
Digitized by CjOOQle
Von Prof. A. Lode.
121
Flöckchen längst ausgeblieben war. Auch das Verfahren, die
Aufschwemmungen vor dem Versuche zu filtrieren, was zur Er¬
zielung gleichmäfsiger Versuche auch bei Bakterienemulsionen
gemacht werden mufs, ist bei Verwendung von Mycelien aus¬
geschlossen, indem die langen Fäden zum gröfsten Teile selbst
am Leinwandfilter hängen bleiben, und man kaum getrübte, nur
wenige Fadenstückchen haltende Filtrate erhält. Nach einigen
orientierenden Versuchen erwies sich übrigens, dafs die Wider¬
standsfähigkeit der Mycelien, abgesehen von den Mifserfolgen bei
Verwendung gröfserer Klümpchen von Mycelien, sicherlich nicht
gröfser, sondern vermutlich viel kleiner ist als bei den Conidien,
wozu noch der Vorteil kommt, dafs man bei deren Verwendung
ungleich gleichmäfsiger und netter arbeiten kann.
In praxi würde man fast in allen Fällen, wo Desinfektions¬
mittel angewendet werden könnten, mit der Existenz von Conidien
zu rechnen haben. So sicherlich bei den Vegetationen im äufseren
Gehörgange, bei denen man stets fruktifizierte Fruchtträger be¬
obachtet. Auch in einem Falle von Pneumomycosis aspergillina
fand ich im Sputum schöne versporte Köpfchen. Überall wo
Luftzutritt zur Vegetation möglich ist, und das ist in allen Körper¬
höhlen, in den Luftwegen, bei Vegetationen der äufseren Haut und
äufseren Schleimhaut, der Hornhaut u. s. w. der Fall, sind Conidien
beobachtet oder wenigstens möglich. Ebenso hätte man bei der
Desinfektion infizierter Objekte stets an die Dauerformen zu denken.
Eine weitere Frage war die nach Gewinnung zweckdienlichen
Materials von möglichst hoher Widerstandskraft. Zu diesem Be-
hufe wurde eine Anzahl von Nährböden mit Schimmelreinkulturen
beschickt und mit diesen Materialien Desinfektionsversuche unter
gleichen Bedingungen angestellt. Als Aussaatmaterial diente
hauptsächlich Aspergillus fumigatus und Aspergillus niger. An
Nährböden wurden verwendet: die Kartoffel, Bierwürzeagar und
Bierwürzegelatine, Traubenmostagar bis zur nurmehr schwach¬
sauren Reaktion mit Sodalösung versetzt, Raul in sehe Flüssigkeit
mit l , / 2 °/o Agar versetzt, Fleischwasserpeptonagar, Fleischwasser-
peptongelatine, Schwarzbrot, Brotbrei und Weizenagar. Die Agar-
und Kartoffelnährböden wurden sowohl bei Zimmertemperatur
Digitized by
Google
122 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
als auch bei 30° und 37° C. wachsen gelassen; die Gelatine bei
ca. 20° C. gehalten. •
Ebenso wurde bezüglich des Nährbodens, in welchem die
mit Agentien behandelten Sporen ausgesät wurden, vielfach variiert
und sowohl die oben genannten festen als auch flüssigen
Nährböden (Weinmost, Bierwürze, Peptonbouillon, Peptonwasser,
Raulinsche Flüssigkeit) versucht. Bei der Prüfung chemischer
Agentien wurden stets zwei Verdünnungen angelegt und hierbei
auch die Anordnung ausprobiert, die erste Verdünnung in
flüssige, die zweite auf einem festen Nährboden anzulegen, wobei
die Besorgnis mafsgebend war, bei Anlegung der ersten Aussaat
auf den festen Nährboden etwas vom Antiseptikum zu übertragen
und so erst auf der Kulturoberfläche Abtötung zu erzielen. Auch
ist die Gefahr naheliegend, selbst durch die kleinen Mengen
des übertragenen Antiseptikums auf die Kulturfläche den Nähr¬
boden so zu verändern, dafs nur Entwicklungshemmung besteht,
wo aus dem negativen Ausfall der Kultur Abtötung angenommen
würde.
Die Gefahr der Übertragung die Entwicklung beeinflussenden
Mengen des Antiseptikums auf den festen Nährboden besteht bei
der zweiten Verdünnung nicht mehr. Doch erwies sich diese,
die Technik der Versuche erschwerende Anordnung als unnötig,
ja sogar minder zuverlässig, so dafs in der Folge beide Verdün¬
nungen in flüssige Nährböden angelegt wurden.
Als Beispiel dieser Kontrollversuehe gebe ich hier einige
Versuchsprotokolle.
Versuch Nr. 2.
Aussaatmaterial: Aspergillus niger, reichlich versport, auf Würzeagar
gewachsen. Antisepticum 1 */ 4 proz. Carbolsäure.
Tabelle I.
Zeitdauer der Einwirkung
1 Min
2 Min
5 Min.
10 Min.
SO Min.
.5 1 _
s c/.
3 , 60
X y.
1. Übertragung in Bierwürze
+
+
+
~b
+
!
1 + 1 “
- i —
2. Übertragung in Bierwürze
2. Übertragung auf schräg er¬
+
+
+
+
+
1
- . —
starrtes Würzeagar . -
+
+
+
+
+
— | —
t — —
Digitized by CjOOQle
Von Prof. A. Lode.
123
Bei diesem Versuche 1 ) wurde aus der Mischung der Sporen -
emulsion und 2 1 / 2 proz. Carbolsäure zu gleichen Teilen eine l^proz.
Carbolsäure-Sporenmischung erhalten und aus dieser nach ge¬
messenen Zeiten mit der Öse in Bierwürze eine kleine Quantität
übertragen. Dieses Würzeröhrchen wurde gut geschüttelt und diente
zwei weiteren Aussaaten als Ausgangsmaterial. Einerseits wurde
mit 3 Ösen je ein zweites Röhrchen Bierwürze, anderseits ebenfalls
mit 3 Ösen ein schräg erstarrtes Bierwürzeagarröhrchen beschickt.
In beiden letzteren Röhrchen wuchsen die Aussaaten bis zur
Einwirkungszeit von 30 Minuten, während Röhrchen 1 noch nach
der Einwirkungszeit von 1 Stunde Wachstum erkennen liefs.
In diesem Falle war also das Resultat für die Würze und
das Würzeagar gleichmäfsig.
Ein ähnliches Ergebnis lieferte auch der
Yersuch Nr. 5.
Aussaatmaterial und Konzentration der Carbolsäure wie bei Versuch Nr. 2.
Tabelle II.
Zeitdauer der Einwirkung
1 Min.
5 Min
10 Min.
30 Min ' 1 St.
18 St.
1. Übertragung in Bierwürze . . .
+
+
+
+! +
—
2. Übertragung in Bierwürze . : .
i +
+
+ ;
—
2. Übertragung auf Bierwürzenagar
! +
+
! +
— — •
—
Auch hier war die zweite Verdünnung nacli der gleichen
Einwirkungszeit steril geblieben und zwar sowohl bei flüssiger
Würze als auch bei Würzeagar.
In den beiden folgenden Versuchen erwies sich jedoch die
flüssige Würze entschieden überlegen.
Yersuch Nr. 8. 91
Anordnung und Konzentration wie bei Versuch Nr. 2 und 5.
Tabelle III.
Zeitdauer der Einwirkung r»Min. lOMin. jaoMin. ‘ ist. ; 2 st. § st
1. Übertragung in Bierwürze. . .
TI
+
4-
+ ; -
i —
2. Übertragung in Bierwürze . . .
+
+
+
— | — ,
2. Übertragung auf Bierwürzenagar
+
T'
—
1
1
l “
und ähnlich
1) Das -(--Zeichen bedeutet Wachstum, also negativen, das —Zeichen
Ausbleiben des Wachstums, also positiven Desinfektionserfolg.
Digitized by v^.ooQle
124 Studien üb d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
Versuch Nr. 11.
Tabelle IV.
Zeitdauer der Einwirkung
1 i
6 Min.
i
10 Min.
i
30 Min.
l
j l st.
V
j 2 St.
i 5 St.
1
1. Übertragung in Bierwürze . . .
11 +
+
+
+
■1-
1
2. Übertragung in Bierwürze . . .
+
+
+
+ -
—
3. Übertragung auf Bierwürzenagar
+
+
+
— — |
—
Ähnliche Erfahrungen machten wir auch dann, wenn die
erste Verdünnung in Peptonbouillon, die zweite auf Fleischwasser¬
peptonagar gemacht wurde.
Versuch Nr. 3.
Anordnung hinsichtlich Material und Konzentration der Carbolsfture
wie bei den vorigen Versuchen.
Tabelle V.
^-" ‘“‘1-
o
Zeitdauer der Einwirkung g
.5
5 Min.
10 Min. |
45 Min. !
1 St.
16 St. 1
1. Aussaat in leicbtalkal. Peptonbouillon
+
+
] +
TI
-- 1 -
-f! + : -
2. Verdünnung in Bouillon.
+
+
+
+1
2. Verdünnung auf gewöhnl. Nfthragar .
+
i
+
+
— — | —
In manchen Versuchen erwies sich überhaupt die gewöhn¬
liche Nährbouillon als minder geeignet; in einem Falle war nach
10 Minuten langer Einwirkung der Nährboden steril geblieben,
während der gleichzeitig angelegte Kontrollversuch mit Würze
noch nach 1 Stunde Kulturen ergab.
Von den anderen Nährböden erwies sich sterilisierter Trauben¬
most als ebenbürtig der Bierwürze. Diesen Nährboden haben
wir jedoch ausgeschaltet, da er nicht während das ganzen Jahres
zur Verfügung steht und hinsichtlich seiner Zusammensetzung
starken Schwankungen unterworfen ist.
Gegen die Kartoffel, das Brot und den Brotbrei gelten die
Einwände, wie hinsichtlich aller festen Nährböden. Wir haben
sie daher trotz nicht ungünstiger orientierender Versuche in der
Folge nicht mehr verwendet.
Der Weizenagar gibt überdies zu dürftige Kulturen. Gelatine¬
nährböden waren ausgeschlossen, wenn wir der berechtigten
Forderung, das Wachstum der beschickten Nährböden bei den
Digitized by v^ooQie
Von Prof. A. Lode. 125
optimalen Temperaturen vor sich gehen zu lassen, genügen
wollten.
Die von französischen Autoren so empfohlene Raulin sehe
Flüssigkeit erwies sich dagegen für die Aufzüchtung von durch
ein Antiseptikum geschädigten Sporen als minder geeignet, ob¬
wohl sie wenigstens bei Aspergillus fumigatus und Aspergillus
niger bei Verwendung guten Ausgangsmaterials üppige und
schnell wachsende Kulturen lieferte. Aspergillus flavescens wuchs
dagegen nur kümmerlich; Aspergillus clavatus in einigen Fällen
gar nicht, in anderen erst nach mehrtägigem Stehen und auch
dann nur dürftig.
Unsere Raul in sehe Flüssigkeit bestand nach der Angabe
von Siebenmann 1 ) aus folgenden Bestandteilen:
Wasser.
. 1500
Kandiszucker . . .
70
Weinsteinsäure . . .
4,0
phosphorsaures Ammon
0,6
Kaliumcarbonat . . .
0,6
Magnesiumcarbonat
0,4
schwefelsaures Ammon
0,25
Eisensulfat (Ferrosulfat)
0,07
Zinksulfat.
0,07
kieselsaures Kalium
0,07
essigsaures Ammon
4,00.
Ich bemerke, dafs die Zusammensetzung der Ra ulin sehen
Flüssigkeit, die Obici 2 ) angibt, insofern von der oben citierten
abweicht, als an Stelle des essigsauren Ammons salpetersaures
Ammon angegeben ist. Doch auch diese Modifikation lieferte
uns keine besseren Resultate. Wir blieben daher bei der er¬
probten, aus einem hiesigen Brauhause stets in vorzüglicher
Qualität erhältlichen Bierwürze, die noch zur Hälfte mit Wasser
verdünnt und nicht neutralisiert wurde.
1) Siebenmann, Die Schimmelmykosen den menschlichen Ohres,
a. ii. O., S. 16.
2) Obici, Zieglers Beiträge zur pathol. Anat., 1808, S. 205.
Digitized by CjOOQle
126 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
Wir haben auch zur Gewinnung der Sporenarten wegen des
üppigen Wachstums und der Möglichkeit reinlicher Gewinnung
des Materials in der Folge nur Bierwürzeagar verwendet und von
der anfänglich auch verwendeten Kartoffel und dem Brotbrei,
die ohne Beimengung von Nährboden teilen schwer vollständig
ausgenutzt werden konnten, abgesehen.
Einige Versuche sollten auch die Frage entscheiden, ob
junges oder älteres, ob bei niedriger oder optimaler Temperatur
gezogenes Material den Vorzug verdiene. Hierbei konnte fest¬
gestellt werden, dafs, reichliches Wachstum vorausgesetzt, jüngere
und ältere Kulturen (bis 8 Wochen alte wurden geprüft) keinen
gesetzmäfsigen Unterschied hinsichtlich ihrer Widerstandskraft
erkennen lassen; ebenso war es gleichgültig, ob die zur Sporen¬
gewinnung gezogenen Vegetationen, z. B. Aspergillus niger, bei
Zimmertemperatur, bei 30° C. oder bei 37° C. gezogen worden
waren.
I. Prüfung chemischer Agentien.
Hinsichtlich der Technik der Versuche wurde im allgemeinen
nach dem im hiesigen Institute üblichen Verfahren, das den von
M. Gruber 1 ) auf dem VII. internationalen Kongresse für Hygiene
und Demographie in London 1891 hinsichtlich der Prüfung von
Antisepticis angegebenen Forderungen Rechnung trägt, gearbeitet.
Ks wurden nur wässerige Emulsionen von Sporen verwendet.
Diese Emulsionen wurden durch Abkratzen der auf schräg er¬
starrter Bierwürze gewachsenen Kulturen oder Aufnahme der¬
selben mit feuchtem sterilen Pinsel in wenigen Kubikcentimetern
sterilen Wassers gesammelt. Die gewonnene Emulsion wurde be¬
hufs Abscheidung gröberer Partikelchen, insbesondere von Mycel-
fetzen, durch sterile Leinwandfleckchen filtriert und in den Fällen,
wo dies anging, die Konzentration des Desinfektionsmittels so
gewählt, dafs zu gleichen Teilen Sporenemulsion und Des¬
infektionsmittel zusammengebracht werden konnten. Selbstver-
1) M. G ruber. Über die Methoden der Prüfung von Desinfektions¬
mitteln. Vierteljabrxchr. f. GeHundheitapflege, Kd. *24, S. 199.
Digitized by Cjooole
Von Prof. A. Lode.
127
stündlich wurde die Zeit auf das Genaueste registriert. Die Sporen-
emulsionen wurden möglichst dicht hergestellt. Bei dem üppigen
Wachstum der Sporen bei geeigneten Kulturmedien war die
Ausbeute von 1—2 Röhrchen für etwa 5—10 ccm Flüssigkeit
ausreichend. Die filtrierte Emulsion war sehr stark getrübt und
wies mikroskopisch eine Unmasse Sporen auf. Um dies Ziel zu
erreichen, darf nicht mit zu jungen Kulturen gearbeitet werden;
ein bis zwei Wochen alte Kulturen lieferten stets die gewünschte
hohe Ausbeute.
In einigen Fällen, in welchen das Infektionsmittel unverdünnt
zur Anwendung kommen sollte, z. B. bei Verwendung von
absolutem Alkohol wurde die Sporenmasse mit einem trockenen
sterilen Pinsel aufgenommen; der Pinsel wurde hierauf unter
Kontrolle der Uhr in das zu prüfende Antisepticum eingebracht,
gut umhergeschw T enkt und hierauf zur Vermeidung allenfalls
unbenetzter, z. B. schwimmender Sporen, filtriert und vom Filtrate
die Aussaaten mit Bezug auf die vorhin notierte Zeit angestellt.
Die Filtration erwies sich auch bei dieser Anordnung zur Er¬
zielung gleichmäfsiger Resultate unbedingt notwendig.
Die Aussaaten wurden, wie früher erwähnt, in Bierwürze
und zwar mittels einer mittelgrofsen Platinöse übertragen. In
das erste Röhrchen wurde eine, in das Verdünnungsröhrchen je
drei Ösen gegeben.
Von Wichtigkeit ist es, die Röhrchen durch genügend lange
Zeit zu beobachten. Während ohne Schädigung eingesäte Sporen
in 2—3 Tagen einen üppigen Rasen an der Oberfläche der Würze
bilden und meist schon stark versport sind, erfolgte bei den
durch Antiseptica geschädigten Sporen häufig eine beträchtliche
Verzögerung des Wachstums, das nicht selten erst am 8.—12. Tage
sichtbar war. Nach der Aussaat wurden die Kulturröhrchen so¬
bald als möglich in optimale Temperaturen gebracht und zwar
bei Aspergillus fumigatus, niger und flavescens in den auf 37° C.,
bei Aspergillus clavatus in den auf 30° 0. erwärmten Brutofen.
Grofse Sorgfalt wurde der Herstellung der Lösungen der
Antiseptica gewidmet. Wo irgend angängig, wurde der Titre der
Lösung ermittelt; in Fällen, wo dies nicht geschah, von den
Digitized by ejOOQle
128 Studien Qb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
reinsten, vielfach neuerdings gereinigten (unkrystallisierten) Prä¬
paraten ausgegangen.
Metallsalze.
In sehr zahlreichen Versuchen wurde das Quecksilbersublimat
in wässeriger Lösung ohne Zusatz von Kochsalz oder Weinstein¬
säure geprüft. Die Ergebnisse sind in folgenden Tabellen für
die vier geprüften Schimmelpilzsporen zusammengestellt.
Tabelle VI.
Sporen des Aspergillus fumigatus.
£ **
>
c c U
« O l| %
a i
Vit Min. 1
2 Min.
B
O
i
10 Min. J
15 Min. |
30 Min.
1 st.
1 8t.
40 Min. I
178
l°/o +
. +
1 +
+
169
+
1 —
j —
—
—
174
1/ 01 j
/J / o 1
+
—
—
—
—
176
V. 0 /» j
| +
—
—
; —
—
187
l v- •/.,
+
j +
—
—
—
189
i 0 /«.
+
+
+
+
—
192
V. 0 /oo
+
+
! +
+
+
195
l'UVoo
+
+
+
+
+ — '
200 I
! v. °/oo 1
+
+
+
+
+ + ■
Versuchs- v Konzen-
Tabelle VII.
Sporen des Aspergillus niger.
Nr.
tration jj %
$ 1
s S3 j
£
•© !
s
o
s%
a 1
?! • *
S | ~
185
1
l 0 /o . +
+!
_ _ !
—
i
i
173
10 <. i
— i
—
—
—
170
’| 0,6®/. 1
i
+
—
—
—
— ,
190
;; 0.5 «; 0
i
+
—
—
1
180
■ •/.•/.
+
+
—
—
1 ,
182
: 7.°/.
+
+
+ (
+
202
i. i •/„ ;
+
+
+
+ -
110
i 1 */ •/ 1
i '* '<*>
+
+
+ “
42
1/ 0/ :
i / 4 / 00
+
+
+ +
20
*/ °L-
1 4 ' 00
+
-t-
+ +
198
1/ 01
h >oo
i
+
;
| +
+
+ i +
Digitized by
Google
Von Prof. A. Lode.
129
Tabelle VIII.
Sporen des Aspergrillus flavescens.
Versuchs- (
Konzen-
' ^
d
d
o i
c '1
d 1
16 Min. 1
. ..
s
•- -
Nr i
c
tration
'■ aß 1
1 ! 2 1
&
8
2 I
Ü5 1
CO j
s i
o |
55 |
s 1
s
CD j
H I
OD
04
184
i°/.
f _
_
— '
—
i
204(u.l72)
!*/.
i
—
— ;
|
171
V. V.
h
_ !
—
—
—
—
181 ,
V.°/o
i
i
i +!
+
—
—
—
—
,
i
I
183
V» 0 /.
tl
+1
+
—
—
—
—
’ ~
203 j
l'/o,
1 +
—
—
—
—
—
191 '
7a °/oo
1
1 +
+
+
—
—
195
a A °/oo
i +
+
+
+
+
1 —
199
Vh °/oo
1 +
' +
+
+
+
+
Tabelle IX.
Sporen des Aspergrillns elayatns.
Versuchs-
Nr
Konzen-
1 tration |
CG |
s |
M
©
CO
8
1 Min.
2 Min.
3 Min.
2 l
10 Min.
15 Min.
30 Min. |
an j
an
CI
179(u.l68)
1*/. |
+
_
_
_
_
_ i
175
V/.
+
—
—
—
—
—
177
'/.% !
+
—
—
—
186
+
+
+
— |
1 “
188
1 •/
1 <00
+
+
— 1
—
—
193
11 0/
1 S Io 0
+
1 +
+
+
—
197
+
+
+
+
—
•J01
1 H 9 00
1 +
1 +
+
+
—
Wie aus den Tabellen hervorgeht, erwies sich das Sublimat,
wenigstens in den höher konzentrierten Lösungen (bis etwa 74°/o)>
als ein wirksames Antisepticum. Die in der Regel verwendete
l°/oo Lösung erfordert dagegen bei Aspergillus fumigatus und
Aspergillus niger 1 Stunde; bei Aspergillus flavescens l j 4 Stunde,
bei Aspergillus clavatus 10 Minuten Abtötungszeit. Noch niederere
Konzentrationen sind w r egen ihrer unverlässlichen Wirkung kaum
empfehlenswert.
Das Silbernitrat wurde in 4 Konzentrationen geprüft und
zwar als V 20 -Normallösung (0,85%), ferner in einer weiteren Ver¬
suchsreihe in l°/ 0 , % % und 1 °/ (>0 Lösung.
Archiv für Hygiene. Bd. XLII. 9
Digitized by v^ooole
130 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
Die Resultate ergibt die nachfolgende Tabelle auszugsweise.
Material
Aspergillus
fumigatus
Aspergillus
niger
Aspergillus
clavatus
Aspergillus
flavescens
Tabelle X.
Silbernitrat.
Konzen-
Einwirkungszeit
i trati0D 2 Min.
5 Min.
10 Min.
30 Min.
1 St.
1 % ! +
+
—
—
—
Vs*/. I 1 +
i +
—
—
—
i°o !' +
_
—
o
o
o
+ i
—
—
II 1 °'o j +
*/.% j| +
i — !
— |
—
—
+
—
—
1 —
jl 1 1°° |
+
—
—
1 10/ _
I 1 Io
—
i _
—
1/ 0/ 1 _
, 1*1 o
—
i
—
—
10/ 1
! 1 ; oo | !
—
j —
Es erwies sich demnach dieses Salz dem Sublimate in l°/ 0 -
Lösung als gleichwertig, in sogar um ein Geringes überlegen.
Ähnliche Ergebnisse wie die l°/ 0 -Lösung lieferte auch die
1 j 2 0 -N orm allösung.
Von anderen Metallsalzen wurden Zinksulfat, Zinkchlorid
und Kupfersulfat in 10%-Lösungen bis zu einer Einwirkungszeit
von 6 Tagen geprüft.
In allen Fällen erfolgte, selbst bei den weniger widerstands¬
fähigeren Aspergillus flavescens und clavatus, ein nicht verzögertes
üppiges Wachstum.
Die genannten Körper sind daher selbst in den hohen an¬
gewendeten Konzentrationen nicht als Antiseptica zu betrachten,
eine Thatsache, die verwunderlich erscheint, nachdem speziell
das Kupfersulfat bei der Bekämpfung mancher pilzlichen Er¬
krankungen des Weinstockes und des Obstbaumes, z. B. Pere-
nospera, eine bewährte Rolle spielt, und u. a. im Handbuch der
Ohrenheilkunde von Schwartze 1893, II, S. 66 eine 2proz.
Lösung von Cupr. sulfuricum bei mycotischen Erkrankungen des
Trommelfelles empfohlen wird.
Digitized by v^.ooQle
Von Prof. A. Lode.
131
Ebensowenig günstige Resultate erzielten wir mit einigen
anderen Neutralsalzen, z. B. Kochsalz in 50°/ 0 , Calciumchlorid
in 30%, Natriumsulfat in kaltgesättigter Lösung.
Säuren und Alkalien.
Mit Rücksicht darauf, dafs vielfach bei Schimmelmykosen des
äufseren Gehörganges Säuren in schwachen Lösungen sowohl in
Wasser als in Alkohol empfohlen wurden, haben wir viele Säuren,
sowohl anorganische als organische, hinsichtlich ihrer baktericiden
Fähigkeit eingehend geprüft.
Mit Rücksicht auf das unter Behrings Leitung von Lingels-
heim aufgefuudene Gesetz, wonach bei Säuren die besondere
Natur der Säure nicht, wohl aber der Titre der Lösung in Frage
kommt, haben wir zunächst eine Anzahl Säuren vom gleichen
Gehalt hergestellt. Bereitet .wurden doppelt Normalsäuren der
Salzsäure, Salpetersäure, Schwefelsäure, Phosphorsäure, ferner
der Ameisensäure, Essigsäure, Milchsäure, Citronensäure und
Weinsteinsäure; verwendet wurden die Säuren, nachdem je die
gleiche Menge der Emulsion von Sporen zugesetzt worden war,
als einfache Normalsäuren.
Ferner wurde eine Reihe kalt gesättigter Säurelösungen von
im Wasser schwerlöslichen Säuren hergestellt; letzteres mit Rück¬
sicht darauf, dafs eine Reihe der hier anzuführenden therapeutisch
empfohlen werden. Solche Lösungen wurden hergestellt mit
Borsäure, Salicylsäure, Benzoesäure, Pikrinsäure, Gallussäure,
Pyrogallussäure.
Die antiseptischen Erfolge sind mit diesen Konzentrationen
aufserordentlich geringfügig.
In Normalschwefelsäure war der Aspergillus niger nach
4 Tagen noch lebensfähig 1 ); in der gleichen Säurelösung war ein
kräftiger Staphylococcus aureus nach 4 Stunden vernichtet worden.
In Normalsalpetersäure war in einem Falle nach 4, im
anderen nach 6 1 ) Tagen Aspergillus niger lebensfähig.
In Normalsalzsäure w T urde der Aspergillus fumigatus nach 4,
der Aspergillus niger nach 6 Tagen wachstumsfähig gefunden.
1) Längere Zeiträume wurden nicht geprüft.
9 *
Digitized by CjOOQle
132 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
Gleiche Ergebnisse mit den Sporen des Aspergillus niger
lieferte die Normalphosphorsäure nach 6 Tagen (Staphylococcus
aureus ging nach 3 Stunden zu Grunde), die Chromsäure nach
4 und 6 Tagen, die Ameisensäure nach 4 und 6 Tagen (Staphylo*
coccus aureus war nach 2 Stunden abgetötet), die Essigsäure
nach 4 und 6 Tagen (Kontroll-Aureus in 2 Stunden vernichtet),
Citronensäure und Milchsäure nach 4 und 6 Tagen (letztere
tötete den Aureus nach 3 Stunden).
Es hatte also keine einzige Normalsäure die Sporen des ge¬
prüften Schimmelpilzes, selbst nach 6 Tagen, abgetötet.
Von den kaltgesättigten, oben angeführten Säuren wurde die
Borsäure, die Salicvlsäure, die Pikrinsäure, die Benzoesäure und
die Gallussäure bis zu 7 Tagen, die Pyrogallussäure bis zu 4 Tagen
geprüft. Keiner der Versuche zeigte Abtötung, noch erhebliche
Entwicklungshemmung. Das gleiche Resultat ergaben 3 Ver¬
suche mit 5proz. Lösungen von Acidum tannicum. In alleu
ausgesäten Röhrchen wuchs, ebenso auch bei den vorzitierten
Versuchen mit Normalsäure, auch das Röhrchen zweiter Ver¬
dünnung, zum Beweise, dafs es nicht einmal zu einer starken
Herabsetzung der Zahl der keimfähigen Sporen gekommen war.
Höher konzentrierte Säuren scheinen auch aufserordentlich
lange Zeiträume zur Abtötung zur erfordern, soferne nicht die
Konzentration, z. B. bei der Schwefelsäure, eine so hohe ist, dafs
es einfach zur Verkohlung des organischen Materiales kommt.
Aus 27,93°/ 0 Schwefelsäure wuchs der Aspergillus niger noch
nach 5 Tagen, und selbst der sonst verhältnismäfsig leicht ab-
zutötende'Aspergillus clavatus nach 3 Tagen. Eine grofse Anzahl
einschlägiger Versuche erscheint wertlos, da nur Zeiträume bis
zu einer Stunde geprüft wurden.
Eine recht hohe Wirksamkeit entfaltete dagegen in wässeriger
Lösung die schwefelige Säure; wir stellten sie her, indem unter
einer Glocke Schwefelfäden verbrannt und die Verbrennungsgase
in einer Gaswaschflasche durch Wasser geleitet wurden. Der
Titre, mit Jod gestellt, ergab einen Wirkungswert von 0,732°/ 0 S0 2 .
Mit der halb verdünnten Lösung mit einem Prozentgehalt
von 0,3ö6 wurden die Sporen aller unserer Schimmelpilze geprüft
Digitized by CjOOQle
Von Prof. A. Lode.
133
(Tab. XI); es ergab sich, dafs die Sporen des Aspergillus niger
und flavescens eine Einwirkungszeit von 1 Stunde, die des Asper¬
gillus fumigatus und clavatus von einer halben Stunde zur Ab¬
tötung erforderten. Tabelle XI.
80, 0,366%.
Versuchs*
Nr.
Material :
Sporen von
|j Aspergilleen
16 Min.
J_
80 Min. |
---,
1 St.
2 St.
306
1 niger
1,
l!
+
+
1
—
—
305
flavescens
ii
+
+
I
—
—
307
clavatus
;
+
—
—
i —
308
1 fumigatus
1
+
—
—
—
Von Alkalien wurde Natronlauge, kohlensaures Natron,
Ammoniak und Kalkmilch geprüft.
Die Natronlauge wurde zunächst als ungefähr 5 fache Normal¬
lösung verwendet. Ihre Wirksamkeit ist sehr grofs.
In ungefähr Sfacher Normallösung (20proz. Lösung 1 ) waren
die Sporen des fumigatus, flavescens und clavatus nach 5 Minuten
getötet worden. Nur die Sporen des Aspergillus niger benötigten
15 Minuten.
In Lösungen von geringerem Prozentgehalte ergab sich
folgendes: Tabelle XII.
XaOH.
Materiale
Aspergillus.
Konzentration |
der NaHO*Lösg. '
10 Min.
15 Min.
30 Min.
1 St. 1
2 St.
4 St.
niger
10°/.')
+
+
—
fumigatus
*—k
O
o
+
—
flavescens
1 io # /.
+
—
clavatus
O
e
+
—
—
niger
6% s )
+
+
+
+
—
fumigatus
5»/« !
' +
+
! +
—
—
flavescens
6% |
5°/. !
| +
+
i +
+
—-
clavatus
! +
+
i +
—
I
niger j
27, % *) !
! +
i +
i " i_
+
+
—
fumigatus t
27,7«
+
+
1 +
1 +
—
—
flavescens >
2V, 7. I
! +
4-
, +
+
| +
—
clavatus |
27,7. i
1 +
1 +
+
! +
1 _
—
1) Genauer 5,37 fache Normallösung, entsprechend 21,5 °/ 0 .
2) Genauer 2,68 fache Normallösung, entsprechend 10,75%.
3) 1,34 fache Normallösung, entsprechend 5,32%*
4) 0,67 fache Normallösung, entsprechend 2,66%.
Digitized by CjOOQle
134 Studien üb. d Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
Obwohl wir bezüglich der Wirksamkeit des kohlensauren
Natrons nach den bisher bekannten Thatsachen nicht allzuviel
vorausgesetzt hatten, waren wir von der völligen Unwirksamkeit
der J5proz. und lOproz. Lösung selbst nach 3 tägiger Einwirkung
überrascht.
Erstaunlich energisch wirkte auch Ammoniak, das in an¬
nähernd gleich konzentrierten Lösungen wie die Natronlauge zur
Anwendung kam und eine Wirkung entfaltete, welche der des
Natriumoxydhydrates gleich zu stellen ist. Der Wirkungswert
wurde mit Normalschwefelsäure ermittelt bezw. gestellt.
Tabelle XIII.
Aminoniakflttssigkeit.
Material
Aspergillus:
1-f
i Konzentration
der NHj-Lser.
5 Min.
10 Min.
15 Min.
1
30 Min. 1 1 St.
; 2 St.
fumigatus
21,5%
—
—
—
—
niger
21,5%
—
—
—
—
fumigatus
10,75%
! +
i +
—
—
—
niger
10,75«/»
-i-
+
+
1 _
—
flavescens
10,75»/,
—
—
—
.-
—
clavatus
, 10,75»/,
—
—
—
—
—
fumigatus
5%
+
+
+
—
—
—
niger
5%
+
+
+
—
—
—
flavescens
5%
+
+
+
—
—
—
clavatus
5%
1 +
+
+
—
—
—
fumigatus
2'/» %
+
+
+
+
+
niger
27,%
+
+
+
4-
+
flavescens
27,7.
1
+
+
+
+
+
Auffallend war, dafs bei Verwendung von NH S die Sporen¬
emulsion sich stark färbte. Die Aufschwemmung des Aspergillus
niger war dunkelbraunschwarz, die des flavescens grüngelb ge¬
worden. Vielleicht erklärt sich die hohe Wirkung des Ammoniaks
dadurch, dafs von demselben ein die Spore schützender Körper
gelöst wird. Wir kommen auf eine ähnliche Erscheinung noch
Digitized by v^.ooQle
Von Prof. A. Lode.
135
unten zu sprechen. Gegenüber reinem Ammoniak zeigte auch
die geprüfte Lösung von frisch bereitetem Kupferoxydammon,
von welcher ein besonderer Desinfektionseffekt wegen seiner
celluloselösenden Eigenschaft erwartet wurde, keine erheblichere
Wirkung.
Kalkmilch, die nach der bekannten für die Desinfektions¬
praxis empfohlenen Konzentration von 1 °/ 0 frisch hergestellt
wurde, zeigte selbst nach 6- und 12 tägiger Einwirkung keine
Beeinflussung der Lebensfähigkeit unserer Sporen. lOproz.
Kalkmilch war dem Aspergillus fumigatus und niger gegenüber
nach 10 Tagen noch wirkungslos. Die Sporen des Aspergillus
flavescens und clavatus waren zwar nach 4 Tagen noch lebend;
nach 8 tägiger Einwirkungszeit jedoch tot.
Chlor, Jod, Brom.
Mit Rücksicht auf die leichte Anwendbarkeit in der Des¬
infektionspraxis wurde Chlorkalk, der sich vegetativen Bakterien
gegenüber so wirksam zeigt, in drei Versuchsreihen und in
niedrigen Konzentrationen geprüft. Besonderes Vertrauen hatte
ich von vornherein dem Chlorkalk gegenüber nicht, nachdem
in früheren Versuchen anläfslich der Nachprüfung des Wasser¬
sterilisierungsverfahrens nach Traube oftmals Schimmelpilze
gewachsen waren 1 ), nach Einwirkungszeiten, die zur Abtötung
von Spaltpilzkeimen genügt hatten. Doch war damals die Be¬
stimmung der Schimmelpilzarten unterlassen worden.
Der Wirkungswert der geprüften Chlorkalklösungen wurde
durch Titrierung mit Normal-Arseniklösung unter Verwendung
von Jodkalistärkekleister als Indikator ermittelt. Die Angaben
beziehen sich daher auf den Gehalt an wirksamem Chlor. Da
der verwendete Chlorkalk ungefähr 20 °/ 0 war, so ergibt sich der
Gehalt an Chlorkalk, indem man die angegebenen Zahlen mit
5 multipliziert.
1) Hygienische Rundschau, 1899, Nr. 17.
Digitized by VjOOQle
136 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
Tabelle XIV.
Chlorkalk.
Sporenmaterial
Konzentration
wirksames
Chlor
V.
Min.
1
Min.
Min.
3
Min.
5
Min.
10
Min.
15
Min.
30
Min.
Asp. fumigatus
0,67 •/, >)
+
+
+
+
—
_
» niger
0,67 «/,
+
+
+
+
—
—
—
> flavescens
0,67 %
+
+
—
—
—
—
—
—
> clavatus
0,67 •/,
+
+
+
+
+
—
—
—
> fumigatus
0,1145«/.')
+
+
+
—
—
> >
0,1145 V.
+
+
+
+
+
—
1 _
—
> niger
0,1145«/,
+
+
+
+
1 —
> flavescens ,
0,1146«/, |
! +
+
+
+
+
—
—
> clavatus
0,1145«/,
—
+
—
—
j —
> fumigatus
0.067«/,«)
—
1
' —
> niger
0,067 •/,
i
+
i —
» flavescene
0,067 •/,
!
i
—
, —
—
> clavatus
0,067«/,
—
i
—
Die Lösung mit einem Chlorgehalt von 0,67 °/ 0 wirksamem
Chlor, entsprechend einer 3,4proz. Chlorkalklösung, hatte ein der
1 proz. Sublimatlösung nicht umVieles nachstehendes Desinfektions¬
ergebnis geliefert, selbst die 0,34 proz. Chlorkalklösnng hatte nach
10 Minuten alle Sporen mit Ausnahme der des Aspergillus niger
getötet.
Das Jod wurde nur in 1°/<X> Lösung geprüft; ausgegangen
wurde von einer Stammlösung, bestehend aus 0,2 Jod, 0,4 Jod¬
kalium, 100 Wasser.
Das Resultat ergibt
Tabelle XV.
Jod-Jodkalium.
Sporenmaterial j
i 3 Min.
5 Min.
10 Min.
15 Min.
30 Min.
1 St.
Asp. fumigatus
1 +
+
+
—
—
* niger |
| +
-+-
+ ;
+
+
+
+
+
+
+
—
> flavesoens
! +
—
—
—
—
> clavatus
] +
+
—
—
—
1) ca. 3,34% Chlorkalk. — 2) ca. 0,6% Chlorkalk. — 3) ca. 0,34 %
Chlorkalk.
Digitized by v^ooole
Von Prof. A. Lode.
137
Der Aspergillus niger hatte selbst nach einer Stunde Wider
stand geleistet, während bei den übrigen Sporen befriedigende
Resultate erzielt wurden.
Auch das von Riedel geprüfte und von Behring warm
empfohlene Jodtrichlorid zeigte eine erstaunlich hohe Wirksam¬
keit. Ausgegangen wurde von einer frisch bereiteten öproz.
Lösung des von der Firma Merk in Darmstadt gelieferten Prä¬
parates. Der die Schleimhäute reizende Geruch erschwert übri¬
gens das Arbeiten mit diesem Präparate aufserordentlich.
Tabelle XVI.
Jodtrichlorid.
Sporenmaterial
Konzen- 1
j tration
1/
/S
Min.
i
Min.
2
Min.
3
Min.
6
Min.
10
Min.
15
Min.
30
Min.
1
St.
Asp. flavescens
1*/«
—
_
—
—
> clavatus
1%
—
—
—
—
—
—
> fumigatua
1 1 0/
1 '00
+
+
—
—■
—
>
1 */.•/. 0
i
+
—
—
> niger
V/oo
i
i i
+
+
—
> >
17»
i • !
i
i
I
+
—
—
—
Mit Brom wurde zuerst der Versuch in der von Schum¬
barg für die Wassersterilisierung angegebenen Konzentration
von 0,2 : 1000 gemacht. Nach zweistündiger Einwirkung war
kein Erfolg hinsichtlich Abtötung eingetreten. Dagegen lieferte
die lproz. und 2proz. Brom-Bromkalilösung günstige Ergebnisse.
Tabelle XVII.
Brom-Bromkalium.
,
Material 1
i
Konzen¬
tration
-f ■ - '
|L -
1 2 Min.
Ein wirk
5 Min.
1
ungszeit
10 Min.
30 Min
Aspergillus 1
2 7 .
1 +
fumigatus f
17 .
i +
+
i
!
Aspergillus 1 j
e
©
l -
—
—
niger ) I
1 0 /
1 /0
1 + ,
| -
—
—
Kaliumpermanganat wurde in zwei Konzentrationen zum
Versuche verwendet: 1. als l,75°/ 00 , 2. als doppelt normale
Lösung.
Digitized by
Google
138 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
Erstere erwies sich selbst nach mehrtägiger Einwirkung macht¬
los, letztere gab hinsichtlich des Aspergillus flavescens und cla-
vatus gute, hinsichtlich des praktisch bedeutungsvolleren Asper¬
gillus fumigatus schlechte Resultate.
Tabelle XVni.
Kalium hypermanganicum. 2 fache Normallfoung.
I
! 16 Min.
30 Min. |
1 St
4 St.
' 6 8t.
24 St.
Asp. fumigatus
1 +
+. j
+
+
+ !
+
> clavatus
+
—
l “
— !
—
> flavescens
+
+ -
—
—
— '
—
I
Körper aus der Benzolgruppe.
Von den organischen Desinfektionsmitteln wurde die gröfste
Anzahl der Versuche mit dem Phenol angestellt, welches in D /4
und 2 J / 2 proz. Lösung zur Verwendung kam.
Aspergillus niger allein wurde bei einer Konzentration von
1,25 °/ 0 24 mal geprüft und gab im ganzen recht konstante Re¬
sultate. In 16 Fällen wuchsen die Proben noch nach 1 Stunde ;
nicht mehr nach 2 Stunden; in 2 Fällen nach 2 Stunden und
nicht mehr nach 3 Stunden. In 6 Fällen wuchsen die Proben
nicht mehr nach 1 Stunde, wohl aber nach 45 Minuten. Nach¬
dem die Versuchsanordnung, die Nährlösungen u. s. w. stets gleich
waren, ergibt sich aus dem Ausfälle der Versuche, dafs auch
hinsichtlich der Widerstandsfähigkeit ein und derselbe Stamm
zu verschiedenen Zeiten Schwankungen aufweist, ein Verhalten,
das uns für Bakterien geläufig ist.
Ähnlich wie Aspergillus niger, verhielten sieh bei gleicher
Konzentration der Phenollösung auch die übrigen geprüften Sporen
der Schimmelpilze.
Tabelle XIX.
Phenol 1,25%.
Einwirkungszeit
1 10 Min.
| 15 Min.
30 Min.
1 St.
2 St.
Asp. niger
+
+
+
+
—
> fumigatus
+
+
+
+
—
> flavescens
+
+
+
+
—
> clavatus
+
+
+
+
+
Digitized by v^.ooQle
Von Prof. A. Lode. 139
Aufserordentlich energischer wirkte das Phenol in 2 1 j 2 proz.
Lösung.
Tabelle XX.
Phenol 2,5 Vo¬
Einwirkungszeit |j
2 Min.
3 Min. 5 Min.
10 Min.
30 Min.
Asp. niger
-1-
! -(- —
—
—
> fnmigatas |!
+
; + , +
—
—
> flavescens
4-
! — —
—
—
> clavatas
4-
' + -
—
—
ll! 5 proz. Phenollösung waren alle genannten Schimmel¬
sporen nach 1 Minute Einwirkungszeit nicht mehr gewachsen.
Lysol prüften wir, indem von einer 4 proz. Stammlösung des
Originalpräparates in destilliertem Wasser ausgegangen wurde, in
2 proz. und 1 proz. Lösung.
Tabelle XXI.
Lysol.
Material
r -- -
Konzen-
"
Einwirkungszeit
tration
_
5 Min.
10 Min.
30 Min.
1 8t.
2 St.
Asp. fnmigatas
2 7. l ! -
—
—
—
» niger
2 7.
—
—
—
—
—
> flavescens,
2 7.
—
—
—
—
—
» clavatas
2 7.
+
—
— '
—
i—
> fnmigatas
17.
+
+
+
—
—
' niger
17»
+
+
+
+
—
> flavescens
17.
+
+
+
—
—
» clavatas
! 17.'
+
i + ;
4-
—
—
Wie die Tabelle lehrt, kommt der 2 proz. Lösung des Lysols
eine beträchtliche Wirkung zu. Bei Verwendung einer lproz.
Lösung sinkt der Desinfektionswert des Lysols ganz aufserordent¬
lich und unverhältnismäfsig herab, ein Verhalten, das wir auch bei
Verwendung des Staphylococcus pyogenes aureus gesehen haben.
Im auffallenden Gegensätze zu diesen günstigen Ergebnissen
mit Lysol stehen die Resultate mit wässerigen Lösungen der
reinen Kresole. Es wurden alle drei isomeren Kresole in % und
lproz. Lösung geprüft, allerdings nur dem Aspergillus niger
Digitized by v^.ooQle
140 Studien üb. d. Absterbebedingungeu d. öporen einiger Aspergillusarten.
gegenüber. Aus Ortho , Para- und Metakresollösungen mit einem
Gehalte von l°/ 0 trat nach eintägiger Einwirkungszeit noch Wachs¬
tum auf. Hierbei ist allerdings hervorzuheben, dafs wir nur
schon seit 2 Jahren im Laboratorium bewahrte Präparate zur
Verfügung hatten.
2,5proz. Creolin tötete in 4 Tagen noch nicht, wohl aber in
7 Tagen den Aspergillus fumigatus.
1 proz. Saprolextrakt von Nördlinger hatte selbst nach 6 Tagen
keine merkliche Wirkung.
Anschliefsend sei auch erwähnt, dafs Thymol in ^/oo' und
l 0 /^-Lösung und Aceton in 10 proz. Lösung keine Wirkung ent¬
faltet hatten.
Äthylalkohol.
Mit Rücksicht darauf, dafs therapeutisch Eingieisungen von
Alkohol oder alkoholischer Lösungen von organischen Säuren
wie Salicylsäure, Borsäure bei Schimmelmykosen als wirksam
bezeichnet werden, haben wir der Erforschung der desinfizieren¬
den Kraft der Alkohole eine gröfsere Zahl von Versuchen ge¬
widmet. Von den Alkoholen erwies sich der Methylalkohol und
der Amylalkohol als wenig wertvoll*). Staunenswert hoch ist hin¬
gegen die Wirkung des Äthylalkohols, selbst in geringeren Kon¬
zentrationen. Auch bei diesen Versuchen scheint die intensive
Färbung der Alkoholsporenmischungen darauf hinzudeuten, dafs
Bestandteile der Sporenmembran (harzartige Körper) in Lösung
übergehen. Dafs wirklich ein Lösungsprozefs und nicht eine
dichte Verteilung der gefärbten Sporen in Frage kommt, ergibt
sich daraus, dafs auch die sorgfältig mit mehrfachen Filterlagen
gewonnenen Filtrate sich noch intensiv gefärbt erweisen, obwohl
höchstens vereinzelte Sporen in der Flüssigkeit mikroskopisch
nachgewiesen werden können.
Die gewonnenen Resultate ergeben die nachfolgenden Tabel¬
len, wobei der Einfachheit halber, dort wo eine Anzahl gleicher
Versuche nicht völlige Übereinstimmung gab, die Durchschnitts¬
ergebnisse eingetragen wurden.
1) 50 proz. Methyl- und Amylalkohol tötete Aspergillus niger und fumi
gatus selbst nach 1 tägiger Einwirkung nicht.
Digitized by CjOOQle
Von Prof. A. Lode.
141
Tabelle XXII.
Äthylalkohol. Material: Aspergillus fumigatus.
Tabelle XXIII.
Äthylalkohol. Material: Aspergillus niger.
Tabelle XXIV.
Äthylalkohol. Material: Aspergillus flavescens.
Konzen*
| Einwirkungszeit
tration
2
5
10
15
30
1
2
5
1
Min.
Min.
Min.
Min.
Min.
8t.
St.
St.
Tag
100 °/„ !
i __
I
_
_
96% :
1 _
i
—
—
80% 1
i l
1 —
— i
—
i —
!
60% i
—
—
—
| —
—
e
©*
GO
| +
—
—
1
—
40% :
+
+
—
—
i
20% i
I i
+
+
+
+
+
+
o
o
: 1
1
+
+
\
+
l +
j
»
T
+
Digitized by v^.ooQle
142 Studien Üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
Tabelle XXV.
Äthylalkohol, Material: Aspergillus clavatus.
Einwirkungszeit
Konzen-
tration j
; 1
! 2
6
! io
15
30
l
2
5
1 T
Min.
| Min.
Min.
Min.
Min.
Min.
at.
St.
St.
Tag
i
100 »o
_
i
_
_
_
_
96% |
80*/.
60%;
i +
1 _
—
—
—
—
—
1
_
_
_
_
j _
48% 1
+
—
—
—
40%
+
—
— !
—
20%
i
+
+
+
+
10%
1
+
+
+
i
+
+
AuS der Betrachtung der Tabellen ergibt sich die verblüffend
energische Einwirkung des Alkohols in Form von 96proz. und
absolutem Alkohol. Vergleicht man die Wirksamkeit des Alkohols
mit der des Sublimats, so findet man, dafs der Wirkung der ange¬
gebenen Konzentrationen eine ^proz. Quecksilberchloridlösung erst
gleichkommt, und dafs die Wirksamkeit der in der chirurgischen
und Desinfektions-Praxis zumeist verwendeten 1 ^oo-Sublimatlösung
hinter der Wirkung selbst des 80proz. und 60proz. Alkohols zu¬
rückbleibt.
Erst Alkoholkonzentrationen unter 50°/ 0 und 40°/ 0 werden,
und zwar wie die Tabelle ergibt, rasch nach abwärts unwirksam,
ein Umstand, der auch die Annahme zu stützen scheint, dafs
die Hauptwirkung des Alkohols seiner lösenden Eigenschaft hin¬
sichtlich gewisser in Wasser und wässerigen Lösungen unlös¬
licher, das Protoplasma schützender Substanzen zu danken ist.
Wird der das Protoplasma schützende Körper durch Lösung ent¬
fernt, so genügt eiue geringfügige Schädigung 1 ), um einen nam¬
haften Desinfektionserfolg zu erzielen.
1) Xylol, welches, wie aus der Verfärbung der Flüssigkeit zu ersehen ist,
ebenfalls den (harz ? artigen) Körper löst, wirkt als vermutlich indifferenterer
Körper trotz seines Lösungsvermögens fast gar nicht im Sinne eines Anti-
septicums.
Digitized by v^.ooQle
Von Prof. A. Lode.
143
Tabelle XXVI.
Formaldehyd in Gasform.
Die Sporenfäden , Einwirkungszeit
Material
waren während des ^
|j Versuches t 10 g
o.2
. i
i iß 0 |
1 I
30
Min.
^ OQ
Aspergillus
i’ .. frei ■. +
+
i
+
—
fumigatus
in einer Papierkapsel -f-
+
i + i
+
“jf _
—
Aspergillus
jl__*_+_
_ -E.
: + 1
+
—
-
niger |
1 in einer Papierkapsel -f- |
I ~r
, + ■
1±1
L+J
i_ T _
Aspergillus )
i | frei " +
"-T
i + :
—
1 —
! —
flavescens J
1 ) in einer Papierkapsel | -f- j
! +
"f + i
-+-
r+”,
| —
Aspergillus |
I ; frei '' + i
+
i 1
i —
—
clavatus j
I in einer Papierkapsel , -f- (
i
+
+
i
Wie man ersieht, sind selbst in jenen Fällen, in welchen die
Sporenfäden der Einwirkung des Gases frei preisgegeben waren,
die Erfolge mäfsige und geringfügig im Vergleich mit der Wirkung
anderer bequemerer und billigerer Antiseptica.
Von Anilinfarben haben wir nur das Methylviolett geprüft.
Da dieses unter den Anilinfarbstoffen hervorragend wirkende
Präparat (Stilling 1 )) selbst nach mehrtägiger Einwirkung in
lproz. Lösung keine Abtötung, noch merkbare Verzögerung des
Wachstums hervorgebracht hatte, selbst den empfindlicheren
Sporen des Aspergillus flavescens und clavatus gegenüber, wurden
weitere Versuche mit dieser Körpergruppe unterlassen.
II. Einwirkung der trockenen und feuchten Hitze.
Mit Rücksicht auf die übereinstimmenden und erfolglosen
Versuche von Renon und Lucet wurde es unterlassen, Pilz¬
sporen hinsichtlich ihrer Widerstandsfähigkeit niederen Tempera¬
turen gegenüber zu prüfen.
Dagegen bemühten wir uns, die Leistungsfähigkeit trockener
und feuchter Hitze festzustellen.
Für die Prüfung der Einwirkung trockener Hitze diente ein
Trockenschrank, der, mit Asbestpappe verkleidet und mit einem
1) Lancet, XI, 965, cit. nach Flügge, Mikroorganismen, I, S. 474.
Digitized by
Google
144 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarteu.
Thermoregulator versehen, leicht auf eine beliebige Temperatur
eingestellt werden konnte. Die Sporen waren wie bei den
Formaldehydversuchen auf Sporenfäden angetrocknet. Die Fäden
kamen zu bestimmten Zeiten in den Trockenschrank, der einige
Stunden vor dem Beginn des Versuches hinsichtlich der Gleich¬
förmigkeit seiner Wärme kontrolliert worden war. Und zwar
wurden die Fäden ohne Papierhülle in im Schranke befindliche
Petrischalen gelegt. Macht man diese Einbringung nicht schnell
genug, so fällt das Thermometer im Schranke beträchtlich. Hat
man jedoch eine Übung im raschen Öffnen und Schliefsen des
Kastens erlangt, vielleicht auch die Verschlufsvorrichtung durch
Ölen oder Ausfeilen, Ausbiegen vervollkommnet, so ist man leicht
imstande, für das Einbringen kaum mehr als eine Sekunde Zeit
zu beanspruchen, in welcher Zeit das Thermometer nicht merk¬
bar absinkt.
Die Versuche wurden bei 135° C., 125° C., 110° C., 100° C. uud
80° C. angestellt und keine Versuchszeit unter 15 Min. gewählt.
Letzteres geschah, um den Versuchsfehler möglichst zu verkleinern,
der durch den schwankenden und unbestimmbaren Zeitverlust
bis zur vollständigen Durchhitzung des Fadeninnern gegeben ist.
Die Resultate ergaben, dafs alle vier Sporengattungen, sowohl
bei 135° als bei 125° C. in 15 Min. abgestorben waren. Bei
110° und 15 Min. Einwirkungszeit blieb nur der Aspergillus
fumigatus lebensfähig, nach 30 Min. war auch dieser abgestorben.
Einer Temperatur von 100° C. widerstand Aspergillus fumi¬
gatus, niger und flavescens durch 1 Stunde und 15 Minuten.
Aspergillus clavatus war hingegen in dieser Zeit bereits abge¬
storben, während er 45 Minuten nach Beginn des Versuches sich
noch züchtungsfähig erwies. Nach 2 Stunden 30 Minuten waren
alle Sporen abgetötet worden.
Die trockene Hitze von 80° C. tötete selbst nach sieben-
stündiger Einwirkung keine Sporenart. 1 )
1) Unsere Versuche zeigen mit einigen aus der Litteratur erhobenen
Daten eine leidliche Übereinstimmung.
Gramer erwähnt Arch. f. Hyg. XIII, 105, dafs die Conidien des Brot*
Schimmels nach Versuchen von Pasteur erst bei 127—132° C. absterben:
nach II o fmann ertrugen die Sporen von Ustilago carbo und destruens
Digitized by v^.ooQle
Von Prof. A. Lode.
145
Wie zu erwarten stand, war feuchte Hitze ungleich wirk¬
samer. Die höchste Temperatur, die wir prüften, war die des
strömenden ungespannten Wasserdampfes, welche übrigens infolge
der hohen Lage Innsbrucks (ca. 580 m über dem Meere) nur 97°
bis 98° C. betrug. Um ganz kurze Zeiträume in den Versuchen
zur Anwendung bringen zu können, bedienten wir uns des im
Institute üblichen Verfahrens. An das Dampfventil eines ca. 101
Wasser fassenden Autoklaven ist mittels Schlauch, Glasrohr und
Kautschukstopseis ein ziemlich weiter Glascylinder geschaltet, so
dafs, durch das Ventil regulierbar, Dampf in den Oy linder ein¬
geleitet werden kann. Die vom Autoclaven abgewendete Seite
des Cylinders ist mit einem leicht aufsteckbaren und abnehm¬
baren Stöpsel verschlossen, der 2 Bohrungen trägt, von denen
die eine für ein feines Thermometer, die andere für ein ca. 1 cm
im Durchmesser fassendes rechtwinkelig nach abwärts gebogenes
Glasrohr bestimmt ist. Das Thermometer trägt in unmittelbarer
Nähe seines Quecksilbergefäfses ein Körbchen aus Messingdraht¬
netz, welches leicht die Aufnahme mehrerer Sporenfäden ermög¬
licht. Der Cylinder, welcher mittels des Schlauches am Ventil¬
ansatz des Autoclaven befestigt ist, wird mittels Stativ leicht
geneigt fixiert, damit das sich bildende Kondenswasser beim
Abnehmen des Stöpsels sofort ausfliefsen kann. Bei länger
dauernden Versuchen fliefst der (Jberschufs an Kondenswasser
durch das Dampfausströmungsrohr aus.
Temperaturen von 104—128° C. Leider fehlen in dieser Litteraturangabe
die Einwirkungszeiten.
Koch und G. Wolffhügel (Mitteilungen aus dem Reichs-Gesund¬
heitsamte, Bd. I, S. 301) berichten über Desinfektionsversuche im Trocken¬
schranke, angestellt an Sporen des Penicillium glaucum und Aspergillus
niger. Der letztere ertrug eine Inständige Erhitzung, bei welcher durch
länger als eine Stunde die Temperatur über 100° C. (im Maximum 128° C.)
betragen hatte.
In einem zweiten Versuche wirkte eine Temperatur von 120—128° C.
durch l 1 /. Stunden ein; es erwiesen sich als getötet die Sporen von Peni¬
cillium glaucnm, Aspergillus niger und Botrytis vulgaris.
Unter den Schlufssätzen der Arbeit findet sich: Schimmelpilze er¬
fordern zur Abtötung ungefähr eine l*/ 2 ständige Erhitzung auf 110—11b 0 C.
Archiv für Hygiene. Bd. XLII. 10
Digitized by
Google
j4(> Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
Den Beginn der Einwirkung der Siedehitze rechnet man von
jenem Momente, in welchem das Thermometer die für den Ver¬
suchstag geltende maximale Temperatur erreicht hat. Dieser
Wert wird durch einen blinden Versuch vorher ermittelt. Bei
Verwendung eines dünnen Quecksilbergefäfses und eines empfind¬
lichen Thermometers ist die Differenz zwischen dem Einfügen
des Stöpsels und dem Zeitpunkte, an welchem die gewünschte
Temperatur erreicht ist bei einiger Übung kaum mehr als zwei
Sekunden. Nachdem man diese Differenz aufserdem bestimmen
und durch Subtraktion eliminieren kann, lassen sich kleine Zeit¬
räume für den Versuch heranziehen.
Die geringsten Zeiten, die wir verwendeten, waren 15 Sekun¬
den. In keinem einzigen Falle gelang es, selbst nach dieser
Zeit, die Sporen einer der geprüften Aspergillusarten lebend zu
finden, so dafs wir annehmen können, dafs die Einwirkung des
strömenden Wasserdampfes bei 100°C. eine momentane Abtötung
bewirkt.
Es entfiel somit die Notwendigkeit, den abtötenden Eiufiufs
gespannten Wasserdampfes zu prüfen.
Weiterhin wurde die Wirksamkeit der Temperaturen von
80, 70 und 60° C. geprüft; hierbei wurde so vorgegangen, dafs
kleine Wassermengen (ca. 2 ccm) in sterilen Eprouvetten im
konstant temperiert gehaltenen Wasserbade durch etwa */ 2 Stunde
vorgewärmt und zu gemessenen Zeiten mittels der Pipette mit
einem Tropfen der dichten Sporenaufschwemmung beschickt
wurden. Die Eintragung des Tropfens geschah, so wie die Aus¬
saat, zu gemessenen Zeiten, ohne dafs die Eprouvetten aus dem
Wasserbade entfernt wurden, so dafs die Temperatur des Wassers
als konstant angenommen w T erden konnte. Die Probenentnahme
geschah mittels einer Platinöse.
Die zahlreichen Versuche ergaben folgendes Durchschnitts¬
ergebnis :
Digitized by v^.ooQle
Von Prot. A. Lode.
147
Tabelle XXVII.
Die verschieden energische Einwirkung trockener und feuchter
Hitze hat übrigens Gramer 2 ) schon gekannt und eingehender
studiert.
Bei dem relativ hohen Wassergehalte der Schimmelsporen
erscheint diese Thatsache auffallend. Gramer zeigte in seinen
unter Rubners Leitung angestellten Versuchen, dafs der Wasser¬
gehalt der Schimmelsporen als hygroskopisches und nicht die
Gewebe durchsetzendes und benetzendes Wasser vorhanden sei.
Der Nachweis wurde dadurch erbracht, dafs feuchte Sporen ge¬
trocknet und abermals in feuchte Luft gebracht wurden. Die
Wägungen zeigten, dafs so wie andere hygroskopische Substanzen
auch die Sporen in vollkommen mit Wasserdampf gesättigter
Luft unabhängig von der Temperatur gleichviel Wasser auf¬
nehmen, als sie bei 100° wieder abgeben, während Substanzen,
die mit tropfbar flüssigem Wasser durchsetzt und benetzt sind,
nach dem Trocknen weit weniger Wasser aufnehmen.
Wenn also Sporen in hohe trockene Temperaturen gebracht
werden, so entweicht rasch das hygroskopisch gebundene Wasser,
1) = Wachstum, — = gelungene Abtötung, = inkonstantes
Resultat.
2) Archiv f. Hygiene, B<1. XIII.
10 *
Digitized by v^.ooQle
148 Studien Üb. d. Absterbebedingüngen d. Sporen einiger AspergilluBarten.
und es resultiert ein wasserfreier Eiweifskörper, dessen Wider¬
standsfähigkeit gegen das Ooagulieren verständlich und bekannt
ist. In feuchter Luft, also auch im Wasserdampf oder im Wasser,
kann das hygroskopische Wasser nicht abgegeben werden und
der leicht gerinnbare Eiweifskörper fällt rasch der Abtötung
anheim.
Überblickt man die Ergebnisse, welche in den vorstehenden
Tabellen und Angaben zum Ausdrucke gebracht sind, so ist man
über die geringe Widerstandsfähigkeit der Aspergillussporen
einigermafsen überrascht. Insbesondere ihre Empfindlichkeit der
feuchten Hitze, Alkalien und starkem Alkohol gegenüber zeigt
uns, dafs sie hinsichtlich ihrer Abtötung nicht wesentlich
schwierigere Bedingungen stellen als resistentere vegetative Formen.
Starkem Alkohole gegenüber zeigen sie sich besonders hin¬
fällig, so dafs sie als beträchtlich weniger widerstandsfähig diesem
Reagens gegenüber sich erwiesen, als z. B. in den Versuchen
Mi nervi nis 1 ) der Micrococcus tetragenus, der Bacillus pyocyaneus,
der Micrococcus prodigiosus, der Aureus und das Bakterium coli
commune, von dem geprüften sporentragenden Anthraxbacillus
und dem Heubacillus nicht zu reden. Hierbei handelt es sich
nicht um unerhebliche Zeitdifferenzen, sondern um aufserordent-
liche Unterschiede. Nach Minervini erhielten sich B. pyo¬
cyaneus, M. prodigiosus durch 12 und 24 Stunden im 99 °/ 0
Alkohol lebend, Staphylococcus pyogenes aureus sogar durch drei
Tage; unsere Schimmelpilzsporen waren fast ausnahmslos nach
2 Minuten nicht mehr lebensfähig. Neben der quantitativ un¬
gleichen Wirkung ist es befremdend, dafs hinsichtlich der Kon¬
zentration und bactericiden Fähigkeit ein Parallelismus besteht,
der wie Epstein 2 ) und Minervini 3 ) feststellten, hinsichtlich der
Bakterien sich nicht findet. Bei diesen hatte 50 °/ 0 — 70% Alkohol
annähernd die höchste Wirkung entfaltet; war die Konzentration
1) Minervini, Über die bactericide Wirkung des Alkohols. Zeitschrift
f. Hygiene u. Infektionskrankheiten, Bd. 29, S. 117.
2) Epstein, Zeitschrift für Hygiene und Infektionskr., 1897, Bd. XXIV
3) Minojvini, ebendb, Bd. XXIX, S 117.
Digitized by VjOOQle
Von Prof. A. Lode.
149
höher oder geringer, so fiel die desinfektorische Wirkung. 25 °/ 0
Alkohol übertraf noch etwas die Wirkung des 80°/ 0 .
Die wasserentziehende Fähigkeit des starken Alkohols für
dies Verhalten den Schimmelpilzsporen gegenüber verantwortlich
zu machen, geht nicht an, da ja die Schimmelsporen die Eintrock¬
nung, also die Wasser Verarmung, durch lange Zeiträume schadlos
ertragen.
Ungezwungener erscheint uns die Annahme einer durch
Alkohol leicht lösbaren, schützenden Hülle, nach deren Beseiti¬
gung das Sporenprotoplasma der antiseptischen Einwirkung des
Äthylalkohols bedingungslos ausgeliefert ist, eine Hypothese,
welche bereits oben erwähnt wurde 1 ).
Gegenüber diesem eigentümlichen Verhalten erscheint es
befremdend, dafs selbst die stärksten Mineralsäuren in hohen
Konzentrationen die Sporen nicht zu vernichten vermochten.
Besondere Erwähnung verdient hier nochmals der Versuch
mit der fast 28%, also ca. fast 5% fach normalen Schwefelsäure.
Nach fünf Tagen wuchs noch der Aspergillus niger. Vergleicht
man die Widerstandsfähigkeit dieser Sporen mit den vegetativen
Formen, so fällt der gewaltige Unterschied leicht in die Augen.
Unser Aureus vertrug Normalschwefelsäure, also eine 4,9 %
Lösung durch 2—3 Stunden; v. Wunschheim 2 ) fand Aurei, die
eine %% Lösung nicht durch 5 Minuten aushielten.
Allerdings wirkt nach den Versuchen von Krönig und
Paul 3 ) die Schwefelsäure entsprechend ihrem geringeren Dis-
1) Für Penicillium glaucum wies Craraer (Arch. f. Hyg., ßd. XX
S. 197: Die Zusammensetzung der Sporen von Penicillium glaucum und ihre
Beziehung zu der Widerstandsfähigkeit derselben gegen äufsere Einflüsse,
aus dem hygienischen Institute zu Heidelberg) in Analysen mit Verhältnis-
mäfsig viel Untersuchungsmaterial Alkoholextrakte von rund 30°/ 0 des Ge¬
samtgewichtes nach. Der Alkohol extrakt stellte eine harzige, braune Masse
dar. Dafs den fettartigen Körpern der Spore, welche auch durch einen
hohen Ätherextrakt von mehr als 7 % zum Ausdrucke kommen, eine Be¬
deutung hinsichtlich der Widerstandsfähigkeit gegenüber wasserlöslicher Des-
inficientien zukomme, welche auch in der schweren Benetzbarkeit Wasser
gegenüber in Erscheinung tritt, hebt ebenfalls Cr am er a. a. O. S. 205 hervor.
2) Archiv f. Hygiene, XXXIX, 2. Heft.
3) Krönig und Paul, Die chemischen Grundlagen der Lehre von der
Giftwirkung und Desinfektion. Zeitsehr. f. Hyg. u. Inf., Bd. XXV, S. 1.
Digitized by v^.ooQle
150 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen einiger Aspergillusarten.
sociationsgrade, etwas schwächer als einige andere Mineralsäuren,
Salzsäure, Bromwasserstoffsäure, Überchlorsäure. Immerhin gehört
diese Säure zur Gruppe der starken Säuren im Sinne der vor¬
genannten Autoren und der Schluls erscheint gerechtfertigt, dafs
in praktischer Hinsicht, Säuren bei der Abtötung von Schimmel¬
pilzen aufser Erwägung zu bleiben haben.
Wenn also die günstige Einwirkung von stark verdünnten
Säuren, wie 1—2proz. Borsäure, Benzoesäure, z. B. bei mykoti¬
schen Ohraffektionen hervorgehoben wird, so dürfte dies zumeist
auf einen Irrtum beruhen. In Fällen, und dies geschieht wohl
meist, wo die Säure in Alkohol gelöst, dispensiert wird, ist die
günstige Beeinflussung sicher dem Alkohol zuzuschreiben.
Bei den Alkalien fiel die energische Einwirkung des Am¬
moniaks, die hinter der des Natriumoxydhydrates nicht zurück¬
blieb, auf. Krönig und Paul fanden in Versuchen mit dem
Staphylococcus pyogenes aureus selbst dann ganz aufserordent-
liche Unterschiede zu Gunsten der Desinfektionskraft des Natrium-
oxydhydrates, wenn eine 3,5 % NH 4 -OH-Lösung gegenüber einer
l°/ 0 NaHO-Lösung geprüft wurde. Nach 10 Minuten langer Ein¬
wirkung waren im ersten Falle alle Keime abgestorben, beim
Ammoniumhydroxyd hingegen unzählbare Keime auf der Platte
zur Entwicklung gekommen.
Von dem Gesetze, dafs die Basen im Verhältnisse ihres
Dissociationsgrades, d. h. entsprechend der Konzentration der in
der Lösung enthaltenen Hydroxylionen desinfizieren, haben wir
hier eine scheinbare Ausnahme vor uns, die sich vermutlich auf
das verschiedene Verhalten der beiden Basen gegenüber der
harzreichen schützenden Hülle der Sporen zurückführen läfst.
Die tüchtige Wirkung der Halogenen: Chlor, Brom, Jod
wurde früher gewürdigt, ebenso wie die Unverlässlichkeit der
Sodalösungen und des Kaliumpermanganates besonders dem
Aspergillus fumigatus gegenüber hervorgehoben wurde.
Wenn wir mit Rücksicht auf praktische Verhältnisse auf
Grund unserer Versuche Ratschläge erteilen wollten, so wäre
folgendes zu bemerken:
Digitized by CjOOQle
Von Prof. A. Lode.
151
Handelt es sich um die Abtötung von Pilzen aufserhalb des
tierischen Organismus, z. B. um die Desinfektion von . Ställen
von Geflügel, oder Gebrauchsgegenständen, so würde in Betracht
kommen:
die Desinfektion im strömenden Wasserdampfe durch min¬
destens eine Viertelstunde,
die ausgiebige Benetzung mit 2% Sublimatlösung, mit 5%
Phenollösung, mit 2°/o Lysollösung oder mit etwa 3 °/ 0 Chlorkalk¬
lösung. Das harmloseste und, zweckmäfsig bewahrten, Chlorkalk
vorausgesetzt, billigste und am leichtesten zu beschaffende Mittel ist
das letztgenannte, dem wir pro praxi den Vorrang ein räumen würden.
Bei Affektionen des äufseren Gehörganges scheint Alkohol
allein zur Abtötung der Vegetationen auszureichen. Sind zarte
Schleimhäute befallen, z. B. die Schleimhaut der Conjunctiva, wird
inan durch wiederholte Anwendung von V2 °/oo 1 °/(H) Sublimat¬
lösung oder noch besser von 1 / 2 — 1% Silbernitratlösung zum
Ziele kommen.
Für die Therapie der Pneumomykosen haben wir keinen
Anhaltspunkt gewonnen, da man kaum eines der als wirksam
gefundenen Mittel in genügender Dosis an die erkrankten Stellen
wird bringen können.
Prophylaktisch wird man hingegen, insbesondere bei den
eingangs erwähnten Gewerben der Haarkämmer und der Taubem
mäster vorgehen können. Die zu sortierenden Haare müfsten
statt mit Mehl in anderer Weise, etwa mit Alkohol oder Benzin,
gereinigt werden. Würde dies aus technischen Gründen unzulässig
oder minder geeignet sein, müfste man Arbeitstische mit Staub¬
absaugung vorschreiben und auf jeden Fall für strengste Rein¬
lichkeit in solchen Betrieben, die keinesfalls als Hausindustrie
geduldet werden dürften, sorgen.
Den Taubenmästern sollte die Fütterung von Mund zu Mund
untersagt werden. Es scheint mir ein Leichtes zu sein, eine
Vorrichtung, etwa einen mit einem geeigneten Mundstücke ver¬
sehenen Kautschukballon zu konstruieren, mittels welchem der
Mehlbrei ebenso schnell den Tauben eingespritzt werden könnte,
als dies mit dem Munde möglich ist.
Digitized by
Google
152 Studien üb. d. Absterbebedingungen d. Sporen etc. Von Prof. A. Lode.
Anhang.
Die vorliegenden Ergebnisse sind die wenigen positiven
Resultate von ursprünglich gröfser angelegten Untersuchungen
über die Pathologie der Aspergillusmykosen. Insbesondere
sollte auch die Frage geprüft werden, ob nicht auf dem Wege
der Schutzimpfung der Erkrankung beizukommen wäre. Gearbeitet
wurde nur mit dem mir zur Verfügung stehenden, stark virulenten
Aspergillus fumigatus. Zuerst wurde die Immunisierung ver¬
sucht, indem die in Bouillon oder Bierwürze nach längerem
Wachstum entstandenen Stoff Wechsel produkte Tauben in kleinen,
dann ansteigenden Mengen subcutan einverleibt wurden. Wurden
die Tiere nach 1—2 monatlicher Behandlung zugleich mit frischen
Kontrolltauben durch Inhalation infiziert, war weder hinsichtlich
Dauer, Schwere, noch Eintritt der Erkrankung ein Unterschied
zu bemerken.
Ab und zu war eine Versuchstaube bei nasser oder trockener
Versprayung nach deutlichem Kranksein am Leben geblieben;
wir hofften bei solchen Tieren eine Immunität konstatieren zu
können. Wurden sie nebst Kontrollieren einer zweiten Inhalation
ausgesetzt, so war ebenfalls kein erworbener Schutz zu bemerken.
Ebenso wenig hatte ein Schutz sich nach subcutaner Einver¬
leibung von auf 70° C. durch */ 2 Stunde erhitzten Kulturen aus¬
gebildet.
Auch die Frage wurde zu beantworten gesucht, ob die Ur¬
sache des Todes eine Intoxikation der Körpers mit einem Gifte
sei. Stoffwechselprodukte aus Würze und Bouillon erwiesen sich,
selbst wenn die Kulturen mehrere Monate alt waren, als wirkungs¬
los oder riefen höchstens eine leichte Fieberbewegung hervor.
Die Berkefeldfiltrate aus Leber und Lunge von/Tauben, die der
Infektion erlegen waren, zeigten sich ebenfalls als unschädlich,
wenigstens für das Leben des Versuchstieres. Wir sind also zur
Annahme gelangt, dafs die Gesundheitsstörung nicht in erster
Linie auf die Ausscheidung chemischer Gifte, als vielmehr in
mechanischen Störungen, die durch die reichlich wuchernden
Mycelien hervorgerufen werden, zurückzuführen sind.
Digitized by CjOOQle
Über die Verunreinigung des städtischen Hafens und
des Flusses Akerselven durch die Abwässer der Stadt
Christiania.
Von
Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold,
o. o. Professor. Assistent am hygien.Institute,
und
Sigval Schmidt-Nielsen,
Chem.-Ingenieur.
(Aus dem hygienischen Institute der Universität Christiania.)
(Mit Tafel II —IV.)
I. Einleitung.
Zur Geographie Christi&nias. — Über die Ursachen der Verun¬
reinigung des städtischen Hafens und des Flusses Akerselven.
— Zusammensetzung der städtischen Abwässer. —
Untersuchungsmethoden.
Christiania, die Hauptstadt Norwegens, zählt zur Zeit ziem¬
lich genau 220000 Einwohner. Sie liegt am nördlichsten Ende
des etwa 100 km langen Christianiafjords, von dem sich
bei der Stadt ein blind endender, schmaler, ca. 20 km langer
Arm, der ßundefjord, in südlicher Richtung abzweigt; dieser
ist durch eine entsprechend lauge Landzunge, Näsodden,
deren nördlichste Spitze etwa 6 km von der Stadt entfernt ist,
vom Hauptfjorde getrennt. Letzterer ist zwischen Christiania
und dem Städtchen Dröbak (2200 Einwohner), d. h. auf eine
Strecke von ca. 35 km, bis etwa 8 km breit; bei Dröbak wird
er dagegen auf die Breite von 1 */ 2 km eingeengt, um sich dann
südlich von diesem Punkte bis zum Skagerack mehr und mehr
zu erweitern. — Ferner sei hervorgehoben, dafs die Stadt durch
Digitized by v^.ooQle
154 Cher d. Verunreinigung d. stüdt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
den kleinen Flufs Akerselven, der aus dem ca. 10 km nörd¬
lich von der Stadt gelegenen Maridalssee entspringt, durchflossen
wird; die Wassermenge des Flusses ist auf ca. 5 cbm pro Sekunde,
d. h. 432000 cbm pro Tag geregelt. Akerselven läuft in den öst¬
lichen Hafen der Stadt, »Björviken«*) aus; letzterer wird durch
eine kleine Landzunge, auf der die alte Festung Akershus ge¬
baut ist, vom westlichen Hafen, »Piperviken«, getrennt. An
Piperviken schliefst sich wieder eine flache Bucht, »Frogner-
kilen« 2 ), in westlicher Richtung an; dieselbe ist etwa 2 km
lang und bis ca. 1 km breit. Am nördlichen Ufer des Frogner-
kilen verläuft die Promenade »D rammens weg«, die nebst
den anstofsenden Strafsen als Villenquartier benutzt wird; die
andere Seite der Bucht wird durch die Halbinsel »Bygdö« be¬
grenzt. Bygdö ist ziemlich dicht mit Sommervillen bebaut;
zwischen ihrem nordöstlichen Ufer und den kleinen Inseln
»Hovedöeiu, »Lindöen« und »Nakholmen« ist die sog.
»westliche Einfahrt« zum Hafen; hier befindet sich, in der
Entfernung von ca. 3 km vom Pipervikens-Quai, der Leucht-
turm »Dyna«. — Zwischen den Inseln Hovedöen und Lindöen
auf der einen und »Blegöen« und »Gräsholmen« auf der
andern Seite findet sich die »östliche Einfahrt« des Hafens
mit dem etwas mehr als 3 km von dem innersten Quai Björ-
vikens entfernten Leuchtturm »Hägholmen«.
Zur Orientierung über diese Verhältnisse dienen die um¬
stehenden Karten; die kleinere (Karte I) derselben gibt eine Über¬
sicht über den Fjord bis Dröbak, während die gröfsere Karte
einen genaueren Einblick in die örtlichen Verhältnisse der nächsten
Umgebungen Christianias gestattet.
Gehen wir nach dieser Besprechung zur Verunreinigung des
genannten Flusses und des Hafens über, so sei zunächst hervor¬
gehoben, dafs dieselbe fast ausschliefslich von den städtischen
Abwässern bedingt wird. Zwar betrug die Zahl der Schiffe,
die während des Jahres 1900 in den Hafen einliefen, im ganzen
10850, von denen 2350 aus- und 8500 inländische waren; im
1) Vik = Bucht. 2) Kil = langgestreckte Bucht.
Digitized by v^.ooQle
Von Dr Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 155
Durchschnitt wird die Besatzung dieser auf 12 Mann pro Schiff
vom Auslande und 6 Mann pro Schiff von norwegischen Häfen
geschätzt, was zusammen etwa 80000 Seeleute jährlich gibt.
Selbst wenn man aber rechnet, dafs jedes Schiff einen ganzen
Monat im Hafen verweilt — eine Angabe, welche selbstverständ¬
lich viel zu hoch gegriffen ist — mufs man, um sich die Anzahl
Seeleute zu vergegenwärtigen, die sich pro Tag im Hafen auf¬
halten, 80000 durch die Zahl der Monate dividieren. Dafs die
Verunreinigung, die von der so gewonnenen Zahl von etwa
(>—7000 Seeleuten herrührt, im Vergleich mit den Abwässern
einer Bevölkerung von 220000 Menschen keine gröfsere Rolle
spielt, ist einleuchtend. Insofern ist es auch nicht von
gröfserer Bedeutung, dafs die Zahl der Schiffe während der
letzten Jahre vor 1900 etwas gröfser wie die oben erwähnte war
(z. B. war der Verkehr anno 1899 um etwa 400 aus- wie in¬
ländische Schiffe gröfser). Ebensowenig hat auf die Verunreini¬
gung des Hafens der Umstand einen erheblichen Einfiufs, dafs
der Hafen von Christiania zu gewissen Jahreszeiten von nor¬
wegischen und fremden Kriegsschiffen und Yachten ange¬
laufen wird.
Im grofsen Ganzen stammt, wie gesagt, die Verunreinigung
des Flusses und Hafens von den städtischen Sielen. (Letztere
nehmen in Christiania keine Fäkalien auf, da die Stadt seit
einigen Jahren ihre früheren Abtrittsgruben durch Kübelsystem
zu ersetzen im Begriffe steht.) Die Hauptsiele sind auf der
gröfseren der beigegebenen Karten mit blauer Farbe eingezeichnet;
sie ergiefsen sich an zahlreichen Mundungen teils in den ge¬
nannten Flufs, teils in den Hafen oder in Frognerkilen. Aufser-
dem gibt es aber auch im südöstlichen Teile der Stadt einige
Häuserreihen, deren Abwässer sich in den kleinen Bach Loelven
entleeren.
Kurz oberhalb dieser Mündungen entnommene Proben des
Sielwassers haben eine gelbliche oder graue Farbe und gewöhn¬
lich eine neutrale, mitunter schwach alkalische Reaktion. Nur
ausnahmsweise haben sie einen auffallenden Geruch; das spezifische
Gewicht ist nach unseren Untersuchungen ca. 1008—1012 (mittels
Digitized by CjOOQle
156 Überd. Verunreinigung d. etädt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
Westphalscher Wage bestimmt) und unterscheidet sich somit in
Christiania, wie man auch anderswo gefunden hat, sehr wenig
von demjenigen des reinen Süfswassers. Die Flüssigkeit ist
trübe, was von verschiedenen Mengen von mehr oder weniger
voluminösen Schwebestoffen herrührt, die sich zum Teil als
Futterreste, Pferdemist u. dergl. identifizieren lassen; zum Teil
sieht man auch zahlreiche kleinste suspendierte Flöckchen.
Bei ruhigem Stehen, z. B. in einem hohen Glase, setzen
sich die gröberen Schwebestoffe und ein Teil der Flöckchen
recht schnell als ein Bodensatz ab; mit den übrigen Flöckchen
geschieht dies dagegen erst allmählich, und selbst nach mehreren
Tagen — wenn die Flüssigkeit meist nach Schwefelwasser¬
stoff zu riechen angefangen hat — behält sie eine Trübung,
die auch nicht beim Filtrieren durch Fliefspapier gänzlich
verschwindet, und die sich bei mikroskopischer Untersuchung
als durch Mikroorganismen (Bakterien, Infusorien) verursacht
zeigt.
Wir haben von diesem Sielwasser zu verschiedenen Jahres¬
zeiten eine Reihe von Analysen ausgeführt, deren Resultate
in Tabelle I pag. 158 dargestellt sind. Zur Ausführung dieser Be¬
stimmung haben wir jedesmal 2 bis ca. 13,5 1 Wasser in Arbeit
genommen; die gröfseren Portionen repräsentieren eine Mischung
der Vor- und Nachmittagsproben von verschiedenen Sielen
(bis 6); die kleineren Portionen sind zum Teil nur Vor- oder
Nachmittagsproben von einem oder mehreren Sielen. Aus der
Tabelle ist ersichtlich, dafs der Gesamtgehalt des Sielwassers
an sog. Schwebestoffen durchschnittlich 0,45 g pro
Liter ausmachte; es läfst sich ferner aus den angeführten Zahlen
leicht berechnen, dafs der Glühverlust dieser Stoffe durchschnitt¬
lich ca. 60°/ 0 derselben entspricht; diesen Verlust haben wir in
der Tabelle als »organische Bestandteile« aufgeführt. Ferner sei
bezüglich der Schwebestoffe erwähnt, dafs sie durchschnittlich
ca. 3°/ 0 organischen Stickstoff enthielten (Kjeldahls Verfahren).
(Siehe Tabelle I auf S. 158 u. 1590
Digitized by CjOOQle
Von th\ Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 157
Nach Entfernung der Schwebestoffe wurden im Filtrat —
wie ebenfalls aus der Tabelle ersichtlich — durchschnittlich
ca. 0,64g gelöster Stoffe pro Liter nachgewiesen; ihr Glüh¬
verlust war im Durchschnitt 38 °/ 0 und ihr Gehalt an organischem
Stickstoff gleichfalls ca. 3°/ 0 . Zur letzteren Zahl — die aller¬
dings bedeutenden Schwankungen unterlag — kommt noch etwas
Stickstoff, der als freies Ammoniak oder Ammoniakderivate vor¬
handen war. Die Menge dieser freien und flüchtigen Verbin¬
dungen haben wir jedoch nur in Einzelfällen bestimmt ; als Durch¬
schnitt fanden wir ca. 23 mg Ammoniak pro Liter Sielwasser
(entsprechend ca, 19 mg Stickstoff). Ferner war der durchschnitt¬
liche Chlorgehalt des Filtrats 167 mg und der Sauerstoffverbrauch
bei den wenigen Untersuchungen, die nach dieser Richtung vor¬
genommen wurden, 62 mg pro Liter. Schliefslich mag hier noch
erwähnt sein, dafs die Zahl der Bakterien im Sielwasser von
einigen Hunderttausenden bis 50 Millionen pro Kubikmeter
schwankte.
Weil unter anderem das Sielwasser nur während des Tages
und nicht auch während der Nacht untersucht worden ist, können
diese Ergebnisse keineswegs auf Vollständigkeit Anspruch machen.
Im grofsen Ganzen stimmen sie jedoch einigermafsen mit ver¬
schiedenen Analysen derselben Art, die an anderen Orten vor¬
genommen sind, überein; auf der anderen Seite gibt es zwar
Städte, bei denen sowohl der Gehalt des Sielwassers an Schwebe¬
stoffen wie an gelösten Bestandteilen erheblich höher gefunden
wurde. Zum Vergleiche dient die Tabelle 2, die nach König
zusammengestellt ist.
(Siehe Tabelle II auf S. 160.)
Aus diesen Zahlen läfst sich leicht berechnen, dafs die
städtischen Siele dem Flusse und Hafen allmählich Verunreini¬
gungen beträchtlicher Art zuführen müssen. Nach den dies¬
bezüglichen Erfahrungen ist die Menge Sielwassers, die pro Tag
auf jeden Einwohner einer Stadt die Siele verläfst, ungefähr dem
(Fortsetzung des Textes auf S. 161.)
Digitized by CjOOQle
Tabelle I.
Zusammensetzung des
Datum
der
Proben¬
entnahme
Entnahmestelle
20. XII.
Nachm. 5 h
22. XII.
Vorm. 9 h
Nachm. 1 h
1901 .
7.1. ,
Vorm. 11 h
Nachm. 5 h
21. I.
Vorm. 11h
Nachm. 5 h
28. I.
Vor- und
Naehm.
15. II.
Vor- und
Nachm.
27. III.
Vor- und
Nachm.
16. IV.
Vor- und
Nachm.
21. IV
Vor- und
Nachm.
Durchschnitt
Aussehen, Reaktion u. s. w.
Anzahl Keime
pro ccm
1900 .
21. VI. Vorm. | Sophienbergbach am Aus¬
lauf in Akerselven.
Bisletsi el: Ecke Störth i n gs- 1
1 u. Tordenskjoldsstrafse.
Ecke Svolders- und Leif |
Eriksensstrafse (Skille-
bftk, Frognerkilen).
Ecke Munkedamsweg u.
Nils Juellsstrafse (Skille-
bäk, Frognerkilen).
Ecke Munkedamsweg u.
Drammensweg (Skillebäk,
Frognerkilen).
Bisletsiel: Ecke Torden-
skjold8- u. Storthingsstr.
Ecke Reichweins- u. Han
steensstrafse (mündet bei
Filipstad, Piperviken)
Ecke Rödfyld- u. Karl XII.-
Strafse. Ecke Rathaus- u.
Königestrafse.
Ecke Neue Strafse u. Gun-
nerusstr. Hauptsiel bei
Neue Brücke. (Die Siele
münden in Akerselven)
do.
Bisletsiel: Storthingsstr.
(Vor- und Nachm.)
Hauptsiel: Rödfyldstr.
(Vor- u. Nachm.); das Siel
mündet in Akerselven
Bräunlich-grau, schwacher eigentümlicher
Geruch, neutrale Reaktion, bildet einen
spärlichen, feinflockigen, grauen Bodensatz
(ca. 2 1).
Grau, trübe, bildet schnell einen grauen,
etwas grobflockigen Bodensatz, neutrale Re¬
aktion, schwacher Geruch (ca. 2 1).
Hellgrau, fader Geruch, neutrale Reaktion, i
bleibt trübe beim Stehen (ca. 2 1).
Schwärzlich-grau, fauler Geruch, schwach
alkalische Reaktion, wird beim Stehen fast J
klar (ca. 2 1).
Grau-gelblich, fader Geruch, neutrale Re¬
aktion, bildet einen erheblichen Bodensatz
(ca. 2 1). ■
54 400 OOO
(3 500 000
Schimmel,
ca. 30 000 000
Schmutzig-grau mit spärlichem Bodensatz, „ J 95500OO
ohne Geruch, neutrale Reaktion. Die Ana- Vrm, j £655(XX‘
lyse bezieht sich auf ein Gemisch von je .
1 1 von jeder Entnahmestelle. Nm. | *
(106150t*
Mittlerer Bodensatz, sonst wie die vorigen. Vorm. 300 000
Von den Entnahmestellen werden gleich (in 2 Proben
grofse Proben, im ganzen 13,6 1, gemischt
und analysiert.
Aussehen u.s w. ungefähr wie vorige Probe;
wurde auf dieselbe Weise behandelt. Im
ganzen 10 1 wurden analysiert.
do. do. Im ganzen 8 1.
a) Storthingsstrafse. Vorm. Grau, ohne Ge¬
ruch, geringer Bodensatz.
b) Rödfyldstrafse. Vorm. Bräunlich, fader,
salzartiger Geruch, geringer Bodensatz.
c) Storthingsstrafse. Nachm. Grau, fader
Geruch, mehr Bodensatz als Vorm.
d) Rödfyldstrafse. Nachm. Grau, ohne Ge¬
ruch, Bodensatz wie Vorm.
I Vorm. .
Wie vorige. { „ ,
6 Nachm. .
Vorm. 300 OOO
(1 Probe)
a) 2 950 OOO
b) 2 700 000
c) 35500<X<
d) 380000
do. do.
Vorm.
Nachm.
1) Im Trockenrückstande nach Kjeldahls Verfahren bestimmt. 2) Während
um das Entweichen möglicherweise vorhandenen freien Ammoniaks zu verhindern.
Digitized by
Google
Sielwassers, Chrlstiania.
Tabelle I
Schwebestoffe pro Liter |
Ttoo k.-: Glüh- Stick- Trock
Ruck-' rer- Stick- stoff % Rücks
«tancl , lust Asche Stoff auf i. ganj
i. ganz. I des ‘ p ro Trock.- ] in g
in Trock - Liter 1 ) Rückst.|i pro
her.
Gelöste Stoffe pro Liter
Trock.-; I Sauer- , 'Stickst.I
Rückst 1 Glüh- , rhl r Stoff- i Stick * I °/n Freies
i. ganz. | Verlust ' nior ver . j lauf den 1 Am¬
in K (organ. i Asche ,^ ru brauch '■ pro I Trock.- moniak
P ro Stoffe)
Liter
1?
g
g
g
g
g
g
g
g
0,484
—
—
—
—
0,716
0,278
0,438
0,137
—
—
—
—
—
—
—
—
0,516
0,132
0,384
0,096
'
—
—
—
0,388
—
—
0,0069
1,78
—
—
—
0,113
—
—
—
—
0,293
0.130
0,163
| 0,0102
3,48
0,560
0,093
0,467
0,135
—
—
—
—
0,334
0,183
0,151
0,0110
3,29
0,706
0,148
0,558
0,21«
—
-
0,463
0,275
0,188
0,0128
2,76
0,315
0,086
0,229
0,188
—
—
—
—
0,448
0,348
0,100
0,0112
2,50
1,080
0,376
0,704
!
0,281
—
0,0442
—
—
0,443
0,256
0,187
0,0111
2,50
1,026
i
0,357 t
0,669
0,0158
1,54
1 —
0,477
—
—
—
—
0,452
i
—
_
! —
—
—
—
Jo.429
0,348
0,061 !
0.0115J
2,68
0,565
0,339 !
0,226
0,120
0,0678
0,0182
3,22
-
} 1,524
1,140
0,384 ;
1
0,0439
1
2,88
0,959
0,310
0,649
0,286
0,0910 0,0173
i
1,80
—
0,340
0,070
0,270
i
0,0060
1
1,77
i
0,519
0,342
0,770
j
0,0161 i
3,10
» 1
1
0,0381 '
0,214
0,074
0,140
0,0054
2,52
0,471
0,173
0,298 |
—
0,0377
8,00
0,284 '
0,201
0,083
0,0104|
3,66 ,
, 0,499
0,348
0,121
0,126 '
0,0355
0,0095
1,90
0,0218
0 205
0,129
0,166
0,0189
6,40
0,560
0,199
0,361 1
I
0,133
0,0560
0,0100
1,79
0,0097
2 1 jeder
Probe wur¬
den zur Ana¬
lyse heraus-
genotnmen
(4 1 Vorm. u.
4 1 Nach in .;
D.Vorm -Pro¬
ben wurden
vermischt,
nmn. Neluu.
ebenso.
<*,458 0,286 0,172 0,0133 3,02 0,639 0,215 0,437 0,167 0.0626j 0,0178 3,05 (',0232
«lampfens mit einigen Tropfen verdünnter Schwefelsäure (bis zur schwach sauren Reaktion) versetzt,
Digitized by
Google
160 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
Digitized by v^.ooQle
Zusammensetzung des Sielwassers einiger europiischer Stttdte. Nach König, Verunreinigung der Gewässer, II, 8.8
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus (Udrsvold u. Sigval Schinidt-Nielsen. lf>l
täglichen Wasserverbrauch pro Kopf gleich. Dieser ist in Ohristi-
ania ca.. 130 1; man wird deshalb kaum zu hoch greifen, wenn
man in Übereinstimmung mit den besprochenen Zahlen die
Schwebe- und gelösten Stoffe, die sich pro Kopf und Tag
(ca. 24 Stunden) durch die Siele Christianias entleeren, etwa auf
130 X 0,4 = 52 g und 130 X 0,6 = 78 g veranschlagt. Dies gibt
für die erwähnte Bevölkerung von 220000 Seelen ca. 28000 cbm
Sielwasser mit ca. 11000 kg (11 Tonnen) Schwebe- und ca. 17 000 kg
gelösten Stoffen in 24 Stunden, d. h. ca. 4000 Tonnen der ersteren
und 6000 Tonnen der letzteren Art pro Jahr. Hierzu kommen
noch enorme Mengen von Mikroorganismen.
Von besonderer Wichtigkeit ist aber nun die Beantwortung
der Frage, in welcher Ausdehnung diese Schmutzstoffe sich im
Flusse und Hafen nach weisen lassen. Bevor wir zu den dies¬
bezüglichen Untersuchungen übergehen, sei in Kürze folgendes
hervorgehoben:
Während verschiedene Verfahren, die bezüglich der Untersuch¬
ung von verunreinigtem Siifswasser uns zur Verfügung stehen,
durchaus brauchbare Resultate ergeben, sind die entsprechenden
Methoden, die sich auf die Verunreinigung des Salzwassers
beziehen, noch sehr wenig ausgearbeitet, da diese Verunreinigung
bei den verhältnismälsig wenigen Untersuchungen, die bisher
vorliegen, meistens allein vermittelst Bakterienzählungen fest¬
gestellt wurde. Indem wir bezüglich der einschlägigen Litteratur
(Russell 1 ), de Giaxa 2 ), Cassedebat 3 ), Alessi 4 ), Schier¬
beck 0 ) u. a.) auf die Originalarbeiten und hauptsächlich auf die
umfassenden Arbeiten Fischers 6 ) verweisen, sei als Ursache
dieser Erscheinung erwähnt, dafs weder der Sauerstoffverbrauch,
noch der Glühverlust oder der Chlor- und Stickstoffgehalt, wie
dies so sorgfältig von Fischer untersucht worden ist, Anhalts¬
punkte in Bezug auf die Verunreinigung des Salzwassers geben.
r Zeitschr. f. Hygiene, Kd. XI.
2) Ebenda, Bd. VI
3) Revue d’Hygi&ne, 1894.
4) Referiert von Fischer, S 112—11G.
5) Hospitalstidende (Dänisch), 1899.
6) Zeitachr. f. Hygiene, Kd. XXIII.
Archiv fiir Hygiene. Bd. XL1I. 11
Digitized by CjOOQle
162 Über d. Verunreinigung d. stftdt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc
Bei den Untersuchungen des Hafenwassers zu Christiania
liaben wir deshalb von diesen Verfahren abgesehen. Dasselbe
gilt für die von Fischer u. a. (z. B. Schi erb eck) benutzten
Bestimmungen des Gehaltes an Schwebestoffen, zumal da es im
Hafen von Christiania häufig vorkommt, dals das Wasser während
und nach südlichen Stürmen stark getrübt wird, ohne dafs dies
auf eine Verunreinigung mit Sielwasser zurückzuführen ist. Da¬
gegen bezogen sich unsere Untersuchungen erstens auf den am
Grunde des Flusses Akerselven und des Hafens befindlichen
Schlamm; dieser wurde meistens nur chemisch analysiert.
Zweitens untersuchten wir das Flufs- und Hafenwasser,
das erstere nach dem sonst üblichen Verfahren, das letztere teils
mittels Bakterienzählungen, teils aber auch vermittelst Bestim¬
mung seines Salzgehaltes. Zwar gibt der letztere, wie erwähnt,
bezüglich der Verunreinigung keinen direkten Anhaltspunkt;
nach den Untersuchungen, die während der späteren Jahre von
skandinavischen Hydrographen ausgeführt sind, konnten wir in¬
dessen hoffen, durch derartige Bestimmungen, in Verbindung
mit Beobachtungen der Ström ungs- und Temperatur Verhältnisse
des Hafens, uns darüber ein Urteil zu bilden, in welcher Aus¬
dehnung das Hafenwasser als stillstehend angenommen werden
muls, oder umgekehrt, in welcher Ausdehnung es regelmäfsig
gegen nicht verunreinigtes Wasser vom äufseren Teile des Fjords
ausgetauscht wird — ein Unterschied, der natürlich für die Ver¬
unreinigung des Hafens von gröfster Bedeutung sein wird.
2. Über die Verunreinigung des Grundes des Akerselven und des
Hafens.
Wie oben besprochen, setzt sich ein wesentlicher Teil der
im Sielwasser aufgeschwemmten Schwebestoffe bei Versuchen
im Laboratorium ziemlich schnell als Bodensatz ab. Es ist da¬
her ä priori nicht unwahrscheinlich, dafs derselbe Vorgang sich
auch nach Entleerung der Abwässer in den Flufs (d. h. Akers¬
elven) und den Hafen statthaben wird. Um so wahrscheinlicher
ist dies gerade in Bezug auf den Hafen, als es sich bekanntlich
ergeben hat, dafs die Sedimentierung von Schwebestoffen durch
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 163
Vermischen mit Meerwasser erheblich beschleunigt wird. (Diese
u. a. von Fischer besprochene Thatsache haben auch wir durch
Versuche mit Sielwasser konstatieren können.)
Falls aber ein grofser Teil der Schwebestoffe sich schon im
Flusse und in der nächsten Umgebung der Sielmündungen am
Hafen u. s. w. absetzt, mufs diesem Umstande eine grofse Be¬
deutung beigemessen werden. Denn wie wir bereits angedeutet
haben, gehen diese Stoffe leicht in Fäulnis über unter Bil¬
dung von Schwefelwasserstoff. Dies ist ja auch leicht
zu erklären, wenn man daran erinnert, dafs ihr Glühverlust und
ihr durchschnittlicher Gehalt an organischem Stickstoff im Durch¬
schnitt zu 60°/ 0 bezw. 3 °/ 0 bestimmt wurde, welche letzter Zahl
nach der üblichen Berechnung etwa 19 °/ 0 Ei weifsstoffen ent¬
spricht. Falls sich deshalb ein gröfserer Teil der Schwebestoffe
schon im Flusse, bezw. im innersten Teile des Hafens u. s. w.
absetzt, werden diese Bestandteile des Sielwassers
mitten in der Stadt und in der nächsten Umgebung
derselben eine erhebliche Verunreinigung der Luft
veranlassen können.
Diese Vermutungen werden auch durch die tägliche Er¬
fahrung bestätigt. Fortwährend müssen diese Stoffe durch aus¬
gedehntes Baggern vom Flusse und Hafen entfernt werden. So
lagert sich nach gütiger Mitteilung seitens des Herrn Hafen¬
ingenieurs Schiötz fortwährend eine bedeutende Menge eines
losen schwärzlichen Schlammes, des sog. »Schlick«, am Boden
des inneren Hafens ab. Diese Ablagerung nimmt um so mehr
an Mächtigkeit zu, je mehr man sich den Mündungen der Siele
nähert. Aber noch in einer Entfernung von 150 m von der Stelle,
wo sich durch das »Bisletsiel« die Abwässer von ca. 40 bis
50000 Einwohnern in den westlichen Hafen (Piperviken) entleeren,
kann dieser Schlamm so tief sein, dafs die Taucher bis zur
Achselhöhle einsinken. (An dieser Stelle hat bisher kein Baggern
stattfinden können; die Konstruktion der hierzu bisher benutzten
Maschinen läfst nämlich das Ausbaggern nur bis zu einer
Wassertiefe von 10 m zu.) Derselbe »Schlicke deckt auch den
Grund des ganzen Bootshafen in Filipstad (an der Westseite
11 *
Digitized by CjOOQle
164 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etr.
von Piperviken); in einer Entfernung von 15 m von dem dort
mündenden gröfseren Siele wurde z. B. während dieses Früh¬
lings eine meterhohe Schicht des genannten Schlammes ange¬
troffen, obwohl daselbst im Mai 1900, also erst vor einem Jahre,
gebaggert worden war. Der »Schlick« deckt aber nach der
Mitteilung des Herrn Schiötz auch den Grund des ganzen
östlichen Hafens (Björviken), wo derselbe ebenfalls in grofser
Ausdehnung eine Tiefe von ca, 1 m erreicht. Diese Verschlam¬
mung Björvikens geht teils von der Mündung des Akerselven
aus, teils und hauptsächlich nimmt sie an einer Schleuse, durch
welche der Flufs kurz oberhalb der Mündung mit dem Hafen
kommuniziert, ihren Ausgangspunkt.
Aber auch im Flusse Akerselven läfst sich fortwährend
eine Verschlammung derselben Art nachweisen. So finden sich
immer grofse Massen des losen schwärzlichen »Schlicks* beim
Baggern, das allerdings nur von der Mündung und bis zur sog.
Schweigaardsbrücke, d. h. auf einerStrecke von ca. 800 m
flufsaufwärts, vorgenommen wird. Zum selben Resultat sind wir
auch durch unsere Versuche gekommen. Oberhalb der erwähn¬
ten Brücke fanden wir dagegen Verhältnisse anderer Natur. So
war der Grund des Flusses bei Vaterlands brücke (1030 m
flufsaufwärts von der Mündung des Akerselven) von einer com-
pakten Masse von Futterresten, Pferdemist u. dergl. bedeckt;
dieselbe hatte allerdings noch eine schwärzliche Farbe; aber
die erwähnte lose Konsistenz, wie auch der unten zu besprechende
Schwefelwasserstoffgeruch ging ihr ab. Oberhalb dieser Stelle
war dagegen der Grund des Flusses überall von einem grauen
Schlamme bedeckt, welcher zwar ebenfalls etwas Futterreste u. ä.
enthielt, aber überwiegend aus Sand und Lehm bestand. Ob¬
wohl also auch der Grund des oberen Teiles des Flusses mit
dem unbewaffneten Auge sich als verunreinigt erwies, scheinen
schon diese Beobachtungen darauf zu deuten, dafs die Haupt¬
masse sowohl der im Sielwasser enthaltenen schwereren Sink¬
stoffe, wie die erwähnten leichteren Flöckchen, erst eine ver-
hältnismäfsig kurze Strecke oberhalb der Mündung des Flusses
Gelegenheit dazu linden, sich als Bodensatz abzulagern — eine
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Axel Holst, I)r. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 165
Erscheinung, die auch durch andere Beobachtungen, die unten
zu erwähnen sind, bestätigt wird. In diesem Schlamme spielen
sich aber ferner ausgedehnte Gärungsprozesse ab. So
ist es leicht zu beobachten, dafs in der Umgebung der Mün¬
dungen der Siele an den Hafen«juais und in Frognerkilen kon¬
tinuierlich zahlreiche Gasblasen durchs Wasser emporsteigen.
Dasselbe ist ferner in dem unteren Teile des Akerselven der
Fall; aber auch im oberen Teile desselben kann dieselbe Er¬
scheinung, wenn auch in viel geringerem Mafse, bis an die nörd¬
liche Grenze der Stadt beobachtet werden. Aufserdem sei erwähnt,
dafs diese Gasblasen um so zahlreicher sind, je wärmer die
Jahreszeit ist, und je mehr man sich den Mündungen der Siele
nähert ; besonders während des Sommers und auf der untersten
Strecke des Flusses geben sie dem Wasser das Aussehen, als ob
es fortwährend regne. Nicht selten ist ihr Umfang ein recht
beträchtlicher; so erzählt ein Gewährsmann, er habe solche von
der Gröfse eines »Tellers« gesehen, und vor dem erwähnten
Siele in Filipstad (westlicher Hafen) will man jgar Blasen von
dem Durchschnitte eines ganzen Meters beobachtet haben, d. h.
von derselben Gröfse wie die in der unten citierten Arbeit der
Pariser Kommission erwähnten. Diese Gase haben einmal die
Eigenschaft, brennbar zu sein — eine Erscheinung, die ja
auch sonst häufiger zu beobachten ist überall da, wo organische
Stoffe unter Wasser vergären. Es ist auch ein von der Jugend
des Hafens oft geübter Sport, ein brennendes Zündholz an die
Oberfläche des Wassers hinzuhalten, wodurch man dieselbe ganz
wie ein Sprühmännchen anzünden kann. Auch läfst sich die
Brennbarkeit dieser Gase dadurch nachweisen, dafs man Schlamm
vom Hafen oder Flusse in Gärungskölbchen bringt; es bilden
sich dann allmählich bedeutende Mengen von Gasen, welche,
angezündet, kleine Explosionen hervorrufen.
Bei dieser Gärung bilden sich aber aufser den brennbaren
zweitens erhebliche Mengen von übelriechenden Fäulnis¬
gasen. Hierauf deuten schon die verbreiteten Klagen seitens
der Bewohner von Piperviken und am Frognerkilen über »Ge¬
stank nach Kanalgasenx ; es ist auch allgemein bekannt, dafs in
Digitized by CjOOQle
166 >er d. Verunreinigung d. stiklt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
der Nähe des Akerselven die Luft zeitweise sehr übelriechend
sein kann. Um uns über diesen Punkt näher zu orientieren,
haben wir durch die Freundlichkeit des Herrn Ingenieurs Sali-
caths Assistance dazu erhalten, Umfrage über Gestank in ver¬
schiedenen Strafsen abzuhalten, die den Mündungen einiger
Siele in und um den Hafen benachbart sind. Diese Unter¬
suchungen beziehen sich auf 128 Familien in Piperviken (west¬
licher Hafen), am Drammenswege und der nächsten Um¬
gebung desselben (bei Frognerkilen). Im ganzen klagten 69,
d. h. ca. 53°/ 0 der Familien, mehr oder weniger über lästigen
Gestank, der — wie zu erwarten war — als besonders unange¬
nehm im Sommer und bei südlichem Winde empfunden wurde.
Die Klagen waren um so häufiger und stärker, je näher die
Häuser der See lagen, und wurden unter anderem sehr laut in
der Sögade (d. h. Seestrafse) Pipervikens, wo 30 von 48, d. h.
62°/ 0 der gefragten Familien, sich beschwerten. Da der Gestank
längs des Akerselven von allen Seiten anerkannt wird, und
wir wiederholt auch denselben selbst festgestellt haben, konnten
wir eine entsprechende Untersuchung daselbst als überflüssig
unterlassen. Wie nach dem schon Angeführten zu erwarten ist,
ist der Gestank auf der unteren Strecke des Flusses — von der
Mündung aufwärts bis zur erwähnten Vaterlandsbrücke — weit¬
aus am schlimmsten. Aber auch oberhalb dieser Stelle spürt
man bisweilen, besonders im Sommer und bei niedrigem Wasser¬
stande, einen üblen Geruch; vor allem ist dies dort der Fall,
wo die Ufer nicht gepfählt sind.
Dafs diese Klagen im wesentlichen berechtigt sind, davon
kann man sich leicht überzeugen. Erstens verspürt man meistens
sofort einen starken Gestank an den Mündungen der gröfseren
Siele. Zweitens verbreitet der Schlamm, der durch das Baggern
im inneren Hafen, bezw. auf der unteren Strecke des Akerselven
an den Tag befördert wird, oder den man sich selbst leicht
mittels eines Schleppnetzes oder schweren Eimers verschaffen
kann, fast immer einen sehr üblen Geruch. Letzterer wird ohne
Zweifel durch verschiedene Gase verursacht; wir möchten nur
hervorheben, dafs im beschriebenen losen »Schlicke fast immer
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Axel Holst, J)r. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. IßT
sowohl durch den Geruch als durch einen mit Bleiacetat ge¬
tränkten Papierstreifen beträchtliche Quantitäten von freiem
Schwefelwasserstoff nachgewiesen werden können, das ist
eben das giftige Fäulnisgas, welches sich auch im Laboratorium
beim Stehenlassen der im Sielwasser enthaltenen Schwebestoffe
bildet. Dagegen beobachteten wir keinen Geruch nach diesem
Gase in den mehr compakten Schichten von Futterresten u. a.,
die, wie erwähnt, den Grund des Flusses (Akerselven) bei
Vaterlandsbrücke bedeckten. Auch entwickelte der sand- oder
lehmartige Schlamm, der an verschiedenen Stellen des Flusses
oberhalb dieser Brücke untersucht wurde, keinen Geruch nach
Schwefelwasserstoff. Wie diese Schlammproben, verhielten sich
auch diejenigen vom äufseren Teile des Hafens (Kavringen,
Dyna u. s. w.). Schliefslich sei auch hervorgehoben, dafs der
Geruch dieses Gases auffallend oft in dem Schlamme fehlte, der
in den unmittelbaren Umgebungen der Sielmündungen des
Hafens und Frognerkilens entnommen worden ist; trotzdem die
besprochene Gasbildung eben hier sehr reichlich stattfindet, und
die Luft sehr übel riecht, zeigen diejenigen Schlammproben,
die wir an diesen Stellen wiederholt entnommen haben, nur den¬
selben muffigen Geruch, den der Schlamm von Vaterlandsbrücke
verbreitete. Indessen gilt dies, wie gesagt, nur für die unmittel¬
bare Umgebung der Sielmündungen, indem wir z. B. stark
schwefelwasserstoffhaltigen »Schlick« schon in 4 — 5 m Ent¬
fernung von der Mündung des erwähnten Bisletsieles in Piper-
viken gefunden haben.
Man darf von vornherein annehmen, dafs diese Erscheinungen
durch mikroskopische Organismen verursacht werden;
dies wird auch dadurch bestätigt, dafs Kolben mit Schlamm, die
durch starkes Erhitzen sterilisiert waren, nicht mehr in Gärung
gerieten, während eine solche dagegen eintrat, wenn die ge¬
kochten Schlammproben mit einer geringen Menge frisch ent¬
nommenen Schlammes geimpft wurden. Wahrscheinlich wird
die Gärung durch verschiedene Mikroorganismen verursacht.
Wir haben indessen bisher nur zwei Arten derselben isoliert.
Diese waren in zwei verschiedenen Proben frisch entnommenen
Digitized by CjOOQle
188 Über d. Verunreinigung d. stitdt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
Schlammes zugegen. Beide waren Stäbchenbakterien; der eine
gehört zur Gruppe des Bacillus coli; der andere ist ein sporen¬
bildendes Bakterium, das fakultativ anaerob wächst und etwas
kleiner als der Milzbrandbacillus ist. Beide bilden bedeutende
Mengen von brennbaren Gasen, die reichlichen Schwefelwasser¬
stoff enthalten.
Wir haben aber auch vermittelst anderer Verfahren ver¬
sucht, ein Urteil darüber zu gewinnen, in welcher Ausdehnung
die ungelösten Stoffe des Sielwassers sich im Akerselven und
Hafen zu Boden setzen. Da es nicht möglich war, z. B. direkt
die Höhe zu messen, in welcher sich der > Schlick« daselbst ab¬
gelagert hat, haben wir uns darauf beschränken müssen, zu
untersuchen, ob und wo sich mittels chemischer Analysen quan¬
titativer Art eine bedeutende Verunreinigung des Grundes des
Flusses und Hafens nach weisen läfst. Bezüglich dieser Unter
suchungen sei zunächst folgendes erwähnt:
Es ist eine wohlbekannte Erscheinung, dafs der Grund ver¬
schiedener untiefen Fjordbuchten zum grofsen Teil von einem
Schlamm gedeckt wird — »Gy t j e« —, der aus Tangresten u.dergl.
besteht und deshalb schon an und für sich viel organischen Stoff
enthalten kann. Eine Gasbildung, wie die erwähnte, kann daher
— wenn zwar in geringerem Grade — auch an Stellen statt¬
finden, die mit Sielinhalt nicht verunreinigt sind; im Gegenteil
sammeln sich im Winter an den verschiedensten Stellen Gase
unter dem Eise der Fjorde (wie auch der Flü c se), und es ist
nicht nur am Hafen Christianias, sondern auch anderswo ein
beliebtes Vergnügen, Löcher durchs Eis zu bohren, um durch
ein brennendes Zündhölzchen das ausströmende Gas zum Ex¬
plodieren zu bringen.
Schon wegen dieser Thatsachen, die es unseres Erachtens
zweifelhaft lassen, in welcher Ausdehnung die erwähnten Gärungs¬
erscheinungen im oberen Teile des Akerselven dem Inhalte der
Siele zuzuschreiben sind, mufsten vergleichende Analysen
des Schlammes von verschiedenen Lokalitäten vorgenommen
werden.
Digitized by CjOOQle
Von Pr. Axel Holst, Pr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 1(J9
Um den Grad dieser Verunreinigung zu bestimmen, unter¬
suchten wir den Glühverlust und Stickstoffgehalt, wie dies wohl
sonst üblich ist. 1 )
A. Bestimmungen des Glühverlustes des Schlammes.
Der Glühverlust wurde als Prozent der Trockensubstanz be¬
rechnet; wie von vornherein zu erwarten war, scheint er nicht
ein ganz zuverlässiger Malsstab der Verunreinigung zu sein.
Zwar entsprechen unsere Resultate, die in der Tabelle 3 ange¬
geben sind, insofern den Verhältnissen, die a priori zu erwarten
sind, als der Glühverlust des Schlammes am Akerselven nach
oberhalb von der besprochenen Vaterlandsbrücke (ca. 1030 m
oberhalb der Mündung gelegen) sehr schnell abnimmt, indem
die Zahlen, z. B. an Hausmanns- und Treschows Brücke (resp.
1200 m und 5200 m von der Mündung des Flusses) um die
Hälfte, bezw. zwei Drittel der an dem erstgenannten Orte ge¬
fundenen Werte abgenommen haben. Und zwar ist der Glüh¬
verlust des Schlammes in der Umgebung einiger Sielmündungen
des westlichen Hafens (Bisletsiel, Siel bei Filipstad) und Frogner-
kilen (Skillebäk) ca. 2 ! / 2 —4 x / 2 mal gröfser als bei dem Leucht¬
turm Dyna (der wie oben erwähnt, ca. 3 km von Piperviken ent¬
fernt ist), und zwischen Blegöen und Kongshavn, welcher Punkt
ca. 1,5 km südöstlich von der Mündung des Akerselven liegt.
Zur gleichen Zeit war aber der Glühverlust an den beiden
letzteren Stellen ebenso grofs wie mitten auf dem östlichen Hafen
(Björoiken), wo doch die Verunreinigung a priori bedeutend
gröfser anzunehmen ist; schliefslich ist es auch etwas befremdend,
dafs die Zahlen von dem westlichen Hafen nicht wesentlich den
Wert überschreiten, den wir bei der Untersuchung einer Probe
*Gytje« (Schlamm) von Christiania, Süfswasserbadeanstalt (von
Laroik am südlichen Ende des Christianiafjords bezogen) er¬
mittelt haben.
1) Siehe z. B. Ohlmüller (Arbeiten aus d. Kais. Gcsundheitsamte,
Bd. XIV, 180*}; Wolffhügel (citiert von Km nie rieh und Brunner,
Zeitschrift f. Biologie, 1*78); Reports of the English rivers pollution Com¬
mission (1808/
Digitized by CjOOQle
170 Über (1. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
Tabelle in.
Glühverlust des Schlammes. (Siehe die Karte.)
Entnahmestelle
Zeit der Glüh-
Entnahme Verlust
An der Sielmündung, Filipstad (Westlicher Hafen)
Probe Nr. 1.
1 März
1901
45,2
An der Sielmündung, Filipstad (Westlicher Hafen)
Probe Nr. 2.
1 April
1901
29,0
>
An der Sielmündung, Piperviken (Bisletsiel) . .
>
> 1
25,7
>
Westlicher Hafen, 200 m südlich von letzterem
>
15,5
>
östlicher Hafen, Mitten auf Björviken ....
Novbr
. 1900
10,5
>
An der Sielmündung, Skillebäk in Frognerkilen
>
>
33,2
>
Am Leuchtturm Dyna, Bygdö (3 km südwestl. vom
•
Bisletsiele).
>
>
10,4
»
Zwischen Blegöen und Kongshavn (1,5 km südl.
von der Mündung Akerselvens).
>
9,9
-
Im Hafen, 200 m südwestlich von der Mündung
des Akerselven. ...
>
>
16,4
>
An der Mündung des Akerselven (Nylands Werk-
1
stätte) .
>
>
48,9
>
Im Akerselven, Bischofsbrücke Nr. 1 (400 m flufs-
!
aufwärts von der Mündung).
I März
v.m
33,1
>
Im Akerselven, Bischofsbrücke Nr 2.
Mai
1901 II
45,4
>
Ira Akerselven, Vaterlandsbrücke (1030 m flulsauf*
wärts von der Mündung.
i
>
34,2
Im Akerselven, Hausmannsbrücke (1200 m flul's-
(
aufwärts von der Mündung).
>
i
»
14,5
>
lin Akerselven, Neue Brücke (1500 m tiufsaufwärts
von der Mündung).
»
>
16,9
»
Im Akerselven, Bentsehrücke (4500 m flufsaufwärts
von der Mündung).
>
>
11,6
>
Im Akerselven, Treschowbrücke (5200 in tiufsauf¬
wärts von der Mündung).
>
t
9,6
>
»Gytje* *) (Schlamm) von Christiania Süfswasser-
Badeanstalt.
März
1901 i
23,0
>
B. Stickstoffgehalt des Schlammes.
Wir haben ferner den Stickstoffgehalt des Schlammes nach
dem K j eld ah 1-Verfahren bestimmt. Diese Untersuchungen zer¬
fallen in zwei Reihen; in der einen Versuchsreihe schlemmten
wir den Schlamm durch ein Sieb mit 1 mm Maschenweite
1) Auh Larvik, am Südende des Christianiafjords, bezogen.
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 171
(um gröfsere Tiere, Steine und dergl. zurückzuhalten) und ana¬
lysierten nur, was durch das Sieb ging; in der anderen Versuchs¬
reihe wurde das Sieb weggelassen.
a) Analysen von gesiebtem Schlamme.
Die Resultate dieser Analysen sind in Tabelle 4a wieder¬
gegeben; es ist aus dieser ersichtlich, dafs der Stickstoffgehalt
des Schlammes in der Umgebung des Bisletsieles in Piperviken,
welches, wie früher erwähnt, die Abwässer von ca. 40—50000 Ein¬
wohnern aufnimmt, und in der Umgebung der Sielmündung in
Filipstad (ebenfalls in Piperviken) wie auch der Stickstoffgehalt
des Schlammes vom unteren Teile des Akerselven ungefähr doppelt
so grofs gefunden wurde wie zwischen Hovedöen und Blegöen
und wie in der einen Probe von Herbern an der Ostseite Bygdös;
von letzteren Punkten ist der erstere ca. 1,5 km von der Mün¬
dung Akerselvens, der letztere ca. 2 km von der genannten Siel¬
mündung entfernt. In der anderen Probe von Herbern — welche
Entnahmestelle von vornherein als verhältnismäfsig wenig ver¬
unreinigt angenommen werden mufste — wurde dagegen ein
wenig mehr StickstofE als in der nächsten Umgebung der er¬
wähnten Sielmündungen u. s. w. gefunden.
Wie nähere Untersuchungen ergeben haben, ist dies Resultat
dadurch zu erklären, dals die Futterreste u. ä., die eben viel
StickstofE enthalten, auf einem Siebe wie dem besprochenen
zurückgehalten werden. Wir haben deshalb, wie erwähnt, in der
zweiten Versuchsreihe das Sieb weggelassen, der frisch ent¬
nommene Schlamm wurde sorgfältig gemischt, ein Teil davon
von mikroskopisch sichtbaren Steinen, Holzstückchen, Seesternen,
Anneliden u. dergl. befreit, und davon wieder eine Probe zur
Analyse verwendet.
(Siehe Tabelle IV a und IV b auf S. 172 und 173.)
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in Tabelle 4 b
zusammengestellt, wegen des etwas schwankenden Wassergehaltes
des Schlammes ist der StickstofE in dieser Tabelle als Promille
der in parallelen Proben des Schlammes bestimmten Trocken¬
substanz berechnet.
Digitized by CjOOQle
172 Überd. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
Tabelle IV a. Stickstoffanalysen des Schlammes.
Gesiebter Schlamm (»Feinerdet). Mai und Juni 1900. Über die Entfer¬
nungen vom Hafen bzw. von der Mündung Akerselvens siehe auch Tab. III.)
1 kg feuchter ^ ~
>1 Schlamm enthält ? ^
Entnahmestelle
lufttrockene
Fein erde
Rückstand a. d.
Sieb (überl mm
Masche mvolte) j
1 Vj
1
i
m tj;
i i c »•
\ s i 4
g
K
K
Grt
Vor der Sielemündung
340
120
1,56
4,ti
Filipstad
Vor der Mündung des 350
55
1,54
4,4
Bisletsieles, Piperviken
Im Akerselven, an der
320
50
1,44
4,5
Bischofsbrücke
'i
ll
Rodelökkens Lan-
450
10
1,31
2,9 !
dnngsbrticke, Frogner-
1;
i 1
kilen
li
An der Sielemündung,
305
90
1,16
p i
3,2 j
Skillebäk, Frogner-
kilen
'1 ■
Herbern, Ostseite ,
r ai
a)
a
a)
Bygdös (2 km vom 1
275
80
1,29
4,7
Quai d. westl. Hafens, |
1 bj
b)
b)
b)
(Piperviken) !
! 450
50
1,04
2,3 | |
i j
Zwischen Hovedöen u.
410
150
0,98
M |
Blegöen
•i '
Vippetaugen an der
(»20 '
i
o
0,49
1
0,8
Halbinsel zwischen
westl. und östl. Hafen
Schwarz, übelriechend,
alkal. Reakt. Die Probt 1
von Filipßtad enthält in
dem auf d. Siebe zurück¬
geblieben. Pferdemist :
dieanderen Proben sind
zugleich reich an Pflan¬
zenresten , besonders
Futterstoffen.
I Schwärzlich grau, ent¬
hält nicht Tiere, ohne
J Geruch, lehmartig.
Alkal. Reakt. m . Kohlen -
partikeln, Schlacken u.
lebend. Schlangenster¬
nen zugemischt; grau,
ohneGeruch, lehmartig,
a) Schwärzlich grau,neu¬
trale Reakt., m.Muschel¬
kalk, Kohlen- u. Schla-
ckenpartik. vermischt;
ohneGeruch, lehmartig,
b) Schwärzl. grau, neu¬
trale Reakt., enthält An¬
neliden, ohne Geruch,
wie vorige.
Grau, lehmartig, ohne
Geruch, enthält kleine
Steine.
Reiner blauerLehm; die
oberflächlich. Schichten
waren b. yorausgegaiig.
Baggern entfernt. (Die
Probe wurde von einem
Moderprahme genom.)
Digitized by
Google
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 173
Tabelle IV b. Analysen des uichtgesiebten Schlammes.
(Steine, Muscheln und Tierchen sind entfernt.) November 1900 bis Mai 1901.
Entnahinestelle
Zeit der
Proben¬
entnahme
Htiekstoff
pro ktr ge¬
trockneten
Sehlamms
Bemerkungen
Vor dem Siele in Filipstad
Nov. 1900
g
10,8
Schwarzer Schlamm, starker Gestank
nach Schwefelwasserstoff
Vor d. Bisletsiele, Piperviken
t >
8,0
do. do. enthält w. d. vorig. Probe zahl¬
reiche Reste von Futter u. Pferdemist
Vor dem Bisletsiele (200 in
südwestl. von demselben
April 1901
6,24
Schwarz, starker Gestank n. Schwefel¬
wasserstoff, Reste v. F utterstoffen etc.
Vor dem Bisletsiele (400 m
südwestl. von demselben
' Nov. 1900
5,17
Grau, ohne merkbaren Geruch
Mitten auf Björviken
> >
2,97
Grau, lehmartig, ohne Geruch
Zwischen Skillebäk und
Skarpsno, Frognerkilen
> >
2,43
do.
Kavringen (1200 m südwestl.
vom Piperviksquai
> >
2,95
do.
Herbern, Bygdö (2 km süd-
westl. vom Piperviksquai)
> t
4,65
do.
Leuchtturm Dyna (3 km süd-
westl. vom Piperviksquai)
» >
| 2,99
do.
Zwischen Hovedöen und Ble-
göen (1,5 km südl. von d. Mün
düng Akerselvens)
> >
3,12
| ’
i
1
do.
A kersel ven (200 m südsüdwest¬
lich von der Mündung)
April 1901
6,76
1 Schwarz, starker Gestank n. Schwefel¬
wasserstoff, zahlreiche Futterreste
Aker8elvena.d.Münd.(Nyland)
Nov. 1900
10,15
wie vorige
Akerselven, an der Bischofs
brücke (400 m flufsaufw. v. d. 1
Mündung) Probe 1 1
> »
!
6,73
do.
Akerselven, an der Bischofs-!
brücke, Probe 2 \
Mai 1901
10,SO
do.
Akerselven, an d. Vaterlands¬
brücke (1030 m flufsaufw. v. d.
Mündung) 1
» >
!
13,60
Schwarz, modriger Geruch, kompakte
Massen v. Futterrest, Pferdemist etc.
Akerselven, an d.Hausmanns-
brücke (1200 m flufsaufw. v. d.
Mündung)
1 > >
4,85
i
Schmutziggrau, in. Sand u.Lehm stark
verin , etwas Futterreste, ohne Geruch
Akerselven, a. d. Neuen Brücke
(1500 m flufsaufw. v.d. Mündg.)
) >
5,49
wie vorige
Akerselven, a d Bentse-Brücke
4500 m flufsaufw. v. d. Mündg.)
> >
5,17
do.
Akerselven, an der Treschows-
Briicke (5200 m flufsaufw. v. d.
Mündung)
> >
4,23
do.
Gytje(Schlamm) v. Sandefjord,
Seebad
Nov. 1900
1
5,20
Schmutzig grau, wie Lehm, ohne
Geruch
Gytje von Christiania Süfs-
wasserbade-Anstalt von Larvi k
i
» * |
,
4,90
do.
Gytje von Hallangspollen bei
Dröbak
i *
3,40
do.
Gytje v. Sandefjord Bad (Ana¬
lyse v. Dr. E. Bödtker 1893/94)
> >
i
10,2
do.
Digitized by v^.ooQle
1 74 tfber d. Verunreinigung d. stÄdt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
Aus den Zahlen geht hervor, dals der Stickstoffgehalt im
Schlamme vom inneren Teil des Hafens und vom unteren Ab¬
schnitt des Akerselven durchgehends gröfser ist, als wir ihn
anderswo gefunden haben. Was den Hafen betrifft, wurde z. B.
der Gehalt in der Umgebung der Mündung des Bisletsieles in
Piperviken zu 8°/ 00 bestimmt; in 200 m Entfernung von dieser
Mündung war er dagegen 6,24 °/ 00 , d. h. er war um 22 °/ 0 geringer,
während er in 400 m Entfernung 5,17 °/ 00 betrug, also um 35 °/ 0
abgenommen hatte. Schliefslich war der Gehalt bei Kavringen
(1200 m von der Mündung des Bisletsieles) auf 2,95 ^ gesunken,
d. h. er hatte mehr als 60°/ 0 abgenommen. Ähnliche niedrige
Werte wie die letztgenannten, fanden wir auch bei Düna (5 km
von Bisletsiele) und zwischen Hovedöen und Blegöen (l 1 ^ km
von der Mündung Akerselvens).
Was ferner den Flufs Akerselven betrifft, haben wir
(vgl. Tabelle 4 b) von der Mündung bei Nyland und bis Vater¬
lands-Brücke (ca. 1030 m üufsaufwärts) dreimal einen Stickstoff¬
gehalt von ca. 10—16,8 0, l00 und einmal 6,73 ^ gefunden, während
der oberhalb Vaterlands-Brücke nur zwischen 4,23 °j 0Q (Treschows-
Brücke, 5 km flufsaufwärts) und 5,49 °/ 00 (Neue Brücke, 1,5 km
tlufsaufwärts) schwankte.
Die höheren dieser Zahlen entsprechen u. a. dem Stickstoff¬
gehalt, den die englische Flufsverunreinigungskommission im
Schlamme des Flusses Irwells fand 1 ) (2,9 °j 00 im feuchten,
10,5°/oo im getrockneten Schlamm. Eine weitere Untersuchung
unserer Tabelle 4b ergibt indessen, dafs eine Verunreinigung
des Schlammes sich kaum immer durch einen beson¬
ders hohen Stickstoffgehalt desselben zu erkennen
geben braucht. Dies ist z. B. nicht unwahrscheinlich, weil
der Stickstoffgehalt des Schlammes mitten auf Björviken (öst¬
licher Hafen) und bei Skillebäk in Frognerkilen ungefähr der¬
selbe oder sogar viel kleiner war, als wir bei Kavringen, Dyna,
Herbem und an anderen Orten gefunden haben; und doch
1) Rivers pollution Commission (1868). Report on the Mereey and
Ribble Rasins. Vol. I, p 22.
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Scbmidt-NielHcn. 175
spricht alle Wahrscheinlichkeit für eine bedeutend gröfsere Ver¬
unreinigung an den erstgenannten Stellen (vgl. z. B. die früher
besprochenen Gärungserscheinungen bei Skillebäk). Kommt
hierzu, dafs der Stickstoffgehalt der »Gytje« von Sandefjord —
der zwar in der von uns untersuchten Probe nur ca. 5 °/ 00 war —
im Jahre 1893/94 von Herrn Dr. E. Bödtker zu ca. 10% 0 be¬
stimmt wurde (d. i. dieselbe Zahl, die wir an stark verun¬
reinigten Stellen gefunden haben), so ziehen wir den Schlufs,
dafs auch der Stickstoffgehalt nicht als ein absoluter Mafsstab
für die Verunreinigung des Schlammes mit Sielinhalt benutzt
werden kann, wenn er auch in den meisten Fällen als wertvolle
Richtschnur für die Beurteilung desselben gelten mag.
C. Schwefelwasserstofifianalysen.
Da also die bisher erwähnten Ergebnisse nicht ganz be¬
friedigten, haben wir uns nach einem anderen Mafsstabe für den
Grad der Verunreinigung des Schlammes seitens der Siele um-
gesehen. Mit Rücksicht auf die Fäulnisprozesse, die sich, wie
erwähnt, im Schlamme des Hafens und Flusses abspielen, haben
wir versucht, einen solchen Mafsstab für den gröfseren oder
kleineren Gehalt des Schlammes an Fäulnisprodukten zu
finden.
Zu dem Zwecke haben wir quantitative Bestimmungen des
im Schlamme enthaltenen Schwefelwasserstoffes vor¬
genommen, d. h. das giftige Gas, das in dem früher besprochenen
»Schlick« fast immer schon durch den Geruch nachweisbar ist,
und welches sehr wesentlich, wenn auch nicht ausschließlich,
den Gestank hervorruft, der sich vor Akerselven und dem Hafen
verbreitet. Auf das Vorhandensein desselben in den Fäulnis¬
gasen, die sich im Schlamm, welcher mit Sielinhalt verunreinigt
ist, bilden, hat früher die Pariser Kommission aufmerksam
gemacht, die anfangs der siebziger Jahre die Verunreinigung der
Seine untersuchte ; zufolge des Berichtes der Kommission enthielt
das gebildete Gasgemenge 72,88 °/ 0 Kohlenwasserstoff, 12,30 °/ 0
Kohlensäure, 2,54 °/ 0 Kohlenoxyd, 6,70% Schwefelwasserstoff und
4,58% andere Gase Als Mafsstab der Verunreinigung des
Digitized by
Google
170 Ober <1. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven ete.
Schlammes selbst wurde indessen das Vorhandensein des Gases
damals nicht benützt.*)
Der Schwefelwasserstoff kam in den untersuchten Schlamm¬
proben sowohl frei wie gebunden, d. h. als Sulfid, vor. In der
Mehrzahl unserer Versuche haben wir beide Formen derselben
zusammen bestimmt. Diese Analysen der totalen Schwefel¬
wasserstoffmenge umfassen zwei Versuchsreihen; in beiden wurden
ca. 20 g Schlamm öder mehr (bis 150 g) aus frisch entnommenen
Proben in einen Kolben gebracht und mit einem Überschüsse
verdünnter Salzsäure versetzt. Das gebildete Gas wurde mittels
Durchleitung von Kohlensäure oder Wasserstoff ausgetrieben und
in Will-Varrentrapsche Absorptions-Röhrchen mit Jodlösung
von bekannter Stärke geleitet. Nach beendeter Reaktion wurde
die Jodlösung mit Natriumthiosulfat in gewöhnlicher Weise
titriert, und die Menge des entwickelten Schwefelwasserstoffes
aus dem Titrationsergebnis berechnet. Die gefundenen Mengen
wurden teils — wie sonst üblich — pro kg »feuchten«, d. h.
frisch entnommenen Schlammes, teils — da die Wassermenge
des letzteren öfters schwankte — pro kg Trockensubstanz um-
gerechnet; bei den letzteren Versuchen wurde der Wassergehalt
in parallelen Proben bestimmt.
In der ersten Versuchsreihe (Tabelle 5a), wo nur
Kohlensäure zum Durchleiten verwendet wurde, dauerte dies ca.
12 Stunden; um diese Zeit abzukürzen, wurden die Proben der
ersten Reihe noch etwa 2 Stunden rasch aufgekocht, damit die
letzten Schwefelwasserstoffspuren ausgetrieben werden konnten.
Dm zu verhindern, dafs die hierbei entwickelten warmeu Dämpfe
die Jodlösung erhitzen und dadurch ein Entweichen von Jod
bewirken sollte, wurde zwischen dem Schlammkolben und der
Jodlösung eine Kühlvorrichtung mit Eis eingeschaltet. Dies
Verfahren hat indessen etwas zu hohe Werte gegeben, indem
1) Annaies d'hygiene publ. et de m&l£cine legale, 2e s<»rie, toine 44,
1875, p. 254. Leider sind wir auf diese, soweit uns bekannt alleinstehende
Analyse so spät aufmerksam geworden, dafs uns die Zeit gefehlt hat, zu
untersuchen, ob auch unter den entsprechenden Hasen in Akerselven ein
so giftiges Produkt wie Kohlenoxyd vorkommt.
Digitized by H.ooQle
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 177
der Schlamm Verbindungen enthält, die nicht als Schwefelwasser¬
stoff präformiert sind, sondern diesen erst durch Kochen abspalten.
Obschon wir diesem Umstande keinen besonderen Wert beimessen
— indem die genannten Verbindungen wahrscheinlich auch im
Schlamm, wie dieser in natura im Wasser vorkommt, Schwefel¬
wasserstoff abspalten können — haben wir in einer anderen
Versuchsreihe, deren Resultate in Tabelle 5b wiedergegeben
sind, das Kochen weggelassen und nach Zusetzen der Salzsäure
die Kohlensäure so lange durch den kalten Schlamm durch¬
geleitet, bis die aus dem letzteren entweichenden Gas» ein mit
Bleiacetat getränktes Fliefspapier nicht mehr färbten. Dies
dauerte bisweilen ca. 18—24 Stunden. Bei den Untersuchungen
im April—Mai 1901 haben wir anstatt Kohlensäure Wasserstoff
verwendet, ohne dafs dies irgend einen Unterschied machte.
Tabelle V a.
Analysen des totalen Hchwefelwasserstoffgehaltes des Schlammes.
Am Ende der Analyse wurde der Schlamm kurz aufgekocht.
(Über die Entfernungen vom Hafen bezw. von der Mündung Akerselvens
siehe Tabelle HI.
l > c
2 “ |
. jg ö
»- Q. 0>
Entnahmestelle
Zeit der Probe
entnähme
E ^ |
o © ,2
£ C ä
2 p. o
t s &
& 5 s
« §S
? rn Ü
v a &
m ~ V-
1 0 a 5
; s . B
||||
% H S«
■gtt tu®
M o ^
cn rH
Vor dem Bisletsiele, Piperviken.
Juni 1900
2,9
8,3
In Akerselven, Bischofsbrücke .
>
>
1,95
6,2
In Frognerkilen, Rodelökquai.
'
0,19
0,37
Herbem, Ostseite Bygdös.
i
0,023
0,052
Zwischen Hovedöen und Blegdöen.
»
I
Spuren
Spuren
Vippetangen (reiner blauer Thon).
nichts
nichts
Mitten auf Björviken.
Sept
1900
1,3
nicht
bestimmt
In Frognerkilen, Skillebak, an der Sielemün¬
dung .
0,75 !
do.
In der Bucht an der N-Seite von Hovedöen
>
0,28
do.
Zwischen Hovedöen und Vippetangen ....
J *
»
0,18
do.
Zwischen Sjursöen und Blegöen.
'1 »
>
0,13
do.
Kavringen.
>
»
0,10
do.
>Gytje< (Schlamm) von Hallangspollen bei Dröbak
>
*
0,13
do.
»Gytje« (Schlamm) von Larvik.
*
0,04 |
I
du.
Archiv für iiygiene. Bd. XMI.
Digitized by v^.ooQle
178 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
Tabelle Vb.
Analysen ohne Erhitzen des Schlammes.
(Über die Entfernungen vom Hafen bezw. von der Mündung Akerselven9 siehe
Tabelle IH und IV b.)
Entnahmestelle
Zeit der
Proben¬
entnahme
Schwefel¬
wasserstoff
S tc a e 1 £ ^2 2
i-zlPU
5 EgS!« £§3
Allgemeines Verhalten, Aus¬
sehen, Geruch u. s. w.
Filipstad, in der Umgebung der
Sielemündungji Probe Nr. 1
März 1901
k
' 0,82
' 4,0
Schwarzer, loser Schlamm, Ge¬
ruch nach Schwefelwasserstoff
Filipstad, in der Umgebung der
1 April 1901
1 1,46
6,02
do. do.
Sielemttndung, Probe Nr. 2
Piperviken, in der Umgebung
der Sielemündung, Probe Nr. 1
März 1901
0,37
1,32
! Schwftrzl. grau, modriger Geruch
gerade am Sielauslauf genommen
Piperviken, in der Umgebung
der Sielemündung, Probe Nr. 2
j April 1901
i
1,19
i
5,11
1 Schwarzer, loser Schlamm, Ge¬
stank nach Schwefelwasserstoff;
wurde in 4—5 m Abstand von
derSielemündung aufgenommen
(gleich an dieser wurde dagegen
auch nun Schlamm v. demselben
Aussehen wie bei der vorigen
Untersuchung gefunden)
Piperviken, 200 m südwestl. von
> >
; 0,81
2,85
do.
der Mündung des Sieles
i
Frognerkilen, vor der Siele*
mündung Skillebäk
| Nov. 1900 | 0,125
' 1
0,43
Schmutzig grau, lehmarlig, etwas
modriger Geruch
Mitten auf Björviken (östl. Hafen)
* i >
: 0,36
1,43
' Schwärzlich grau — wie vorige
Leuchtturm Dyna
v >
0,044
0,11
Grau, ohne Geruch
Zwischen Blegöen u. Kongshavn
» >
j 0,026
0,073
do.
Björviken, 200 m von der Mün¬
dung des Flusses
April 1901
! 1,05
3,27
Schwarzer, loser Schlamm, Ge
' stank nach Schwefelwasserstoff
An der Mündung des Akers-
März 1901
1 1,25
5,27
do.
elven (Nylands Werk)
In Akerselven, an der Bischofs-
> >
: 1,54
1
5,80
do.
brücke
In Akerselven, zw. Bischofs-
! Mai 1901
! 1,01
6,02
do.
brücke u. Schweigaardsbrücke
In Akerselven, an der Vater*
landsbrticke
> >
.
'
j
> 0,249
i
i
1
1,24
Schwarz, mehr kompakt als die
1 vorigen, besteht beinahe aus-
| schliefslich von Futterresten;
i modriger Geruch
In Akerselven, an der Haus¬
mannsbrücke
> ■»
0,135
0,399
Schmutzig grau, wesentl. Sand u.
Lehm mit einzelnen Futterresten
In Akerselven, an der Neuen
Brücke
> >
0,29
1,24
Etwas dunkler als vorige Probe,
im übrigen ähnlich
In Akerselven, an der Bentse-
i > » i
0,041
0,135
Wie Hausmannsbrücke
Brücke
In Akerselven, an der Tre*
> >
0,032
0,083
1
do ; keine deutlichen FutterresU»
schowsbrticke
>Gytje* von Larvik
»Gytje von Sandefjord Bad (nach
März 1901
* >
0,144 |
0,081!
0,46
Grau wie Lehm
Analysen von I)r. E. Bödtker
189394) | I
1 |
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt Nielsen. 179
Aus den Tabellen 5a und b geht hervor, dafs der
Schwefelwasserstoffgehalt immer erheblich gröfser
imSchlamme aus dem inneren Abschnitte des Hafens
und aus dem unteren Teile Akerselvens gefunden
wurde, als in dem Schlamme, der in einiger Entfer¬
nung von den Hafenquais bezw. weiter flufsaufwftrts
entnommen worden ist.
Was erstens den Hafen betrifft, so wurde in der ersten
Versuchsreihe 160 mal mehr Schwefelwasserstoff in der nächsten
Umgebung' des Bisletsieles in Piperviken (8,4 g pro kg getrock¬
neten Schlamms) als bei Herbern (Bygdö, ca. 1,5 km von der
Sielmündung) gefunden. Und in der zweiten Versuchsreihe war
der Gehalt vor der Mündung des genannten Sieles und desjenigen
in Filipstad (ebenfalls in Piperviken) zwischen ca. 12 und 80 mal
gröfser als bei Dyna und zwischen Blegöen und Kongshavn,
d. h. in einer Entfernung von ca. 3 und 1,5 km von den Sielen
bezw. von der Mündung Akerselvens. Und was zweitens Akers-
elven betrifft, wurden an der Mündung des Flusses 5,27 g pro
kg getrockneten Schlamms, d. h. ca. 4 1 j i mal mehr als bei
Vaterlands-Brücke (1,24 g ; 1 km flufsaufwärts) und Nybroen
[Neue Brücke], 1500 m flufsaufwärts), und bezw. ca. 13, 40 und
63 mal mehr als bei Hausmanns, Bents und Treschows-Brücken
gefunden (letztere Stellen liegen bezw. ca. 1200, 4500 und
5200 m flufsaufwärts von der Mündung).
Ferner ist aus der ersten Versuchsreihe ersichtlich, dafs der
Gehalt auf dem Hafen schon bei Kavringen (1200 m von
Bisletsiele), wo er nur pro kg feuchten Schlammes bestimmt wurde,
29 mal kleiner gefunden wurde als in der Umgebung des Bislet¬
sieles in Piperviken. Bei dieser Gelegenheit heben wir auch
hervor, dafs der Schwefelwasserstoff des Schlammes von der
kleinen Bucht an der Nordseite der Insel Hovedöen — die ca.
1200 m südlich von der Mündung Akerselvens liegt, und die wir
untersucht haben, weil die Strömung, die von dieser Mündung
ausgeht, hier zum Teil einsetzt — und ebenso von Vippetangen
(auf der Landzunge zwischen dem westlichen und östlichen Hafen),
obgleich etwas höher als bei Kavringen, gleichfalls bedeutend
12 *
Digitized by CjOOQle
180 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
niedriger als in der Umgebung des Bisletsieles und im unteren
Teile des Flusses gefunden wurde. Dagegen näherte sich das
Resultat der einen Untersuchung bei Skillebäk in Frognerkilen
den Zahlen, die wir an den mehr verunreinigten Stellen gefunden
haben; dies Resultat bildet also einen Gegensatz zu demjenigen,
welches aus dem oben erwähnten Verfahren hervorging, während
es mit dem Ergebnisse, welches man nach den erhobenen Klagen
der betreffenden Einwohner erwarten sollte, übereinstimmt. (Bei
Skillebäk fanden wir 0,75 g Schwefelwasserstoff pro kg feuchten
Schlammes, d. i. zufolge des sonst gefundenen Wassergehaltes
ca. 4—5 g pro kg getrockneten Schlammes.) Ferner sei der er¬
hebliche Unterschied hervorgehoben, den diese Analysen — im
Gegensätze zu den Stickstoffbestimmungen — zwischen Dr.
Bödtkers Untersuchungen von Gytje aus Sandefjord und dem
Schlamme aus den verunreinigten Lokalitäten zeigen.
Überhaupt sehen wir bei diesen Schwefelwasserstoffanalysen
niemals eine Ausnahme von demjenigen Resultate, welches wir
von vornherein erwartet haben, nämlich: dafs der Schlamm
eben im innersten Teile des Hafens und untersten
Teile des Flusses am meisten verunreinigt war.
Was die Untersuchungen betrifft, bei welchen in der Umgebung des
Bisletsieles in Piperviken nur 1,32 g pro 1 kg getrockneten Schlammes ge¬
funden wurden, sei erwähnt, dafs diese Schlammprobe in der unmittel¬
baren Nähe des Sielauslaufes entnommen wurde, wo der lose »Schlick«, in
dem sonst fast immer bedeutende Mengen Schwefelwasserstoffs nachgewiesen
sind, wie bereits früher besprochen, vollständig fehlte. Dagegen wurde letztere
Art Schlamm schon in 4—5 m Entfernung von der Sielemündung angetroffen,
und es ist das Resultat einer Analyse an dieser Stelle, welches als Nr. 2
derselben Versuchsreihe aufgeführt worden ist. Einen entsprechenden Unter¬
schied haben wir bei den Stickstoffanalysen nicht beobachtet. Da der
Schwefelwasserstoff aus dem Schlamme nur in freiem Zustande entweichen
und dadurch die Luft der betreffenden Lokalitäten verunreinigen kann,
haben wir z. T. auch die Menge des freien Schwefelwasserstoffes für sich
bestimmt. Für diesen Zweck wurden gewogene, mit etwas Wasser ver¬
mischte Proben von »Schlick« ohne Säurezusatz in Kolben gebracht und
Wasserstoff durchgeleitet; der Schwefelwasserstoff mufste eine Jodlösung
passieren etc. wie in den oben besprochenen Versuchen; er wurde nicht
erhitzt Die Menge des freien Gases wurde bei diesen Analysen (April 1901)
in bezw. 200 und 4—5 m Entfernung von dem Bisletsiele in Piperviken zu
0,24 und 1,06 g pro 1 kg getrockneten Schlammes bestimmt Zur gleichen
Digitized by tjOOQle
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 181
Zeit war der entsprechende Gehalt einige Meter vor dem Auslaufe des Sieles
in Filipstad 0,41 g Nachdem Salzsäure zugesetzt war, wurde ferner bezw.
2,6 1, 4,05 und 5,61 g Schwefelwasserstoff in gebundener Form gefunden.
Auf den »feuchten« Schlamm berechnet, entsprechen diese Werte bezw.
0,068, 0,247 und 0,098 g pro 1 kg. Von diesen Zahlen ist die erste kleiner,
die zweite ca. dreimal so grofs, und die dritte ein wenig gröfser als die von
Dr. Bödtker in Gytje aus Sandefjord gefundene; in letzterer war indessen
aller Schwefelwasserstoff in freiem Zustande vorhanden.
Indessen haben diese Untersuchungen u. E. insofern wenig zu be¬
deuten, als die im Schlamme enthaltenen Gasblasen und dadurch ein
Teil des freien Schwefelwasserstoffes beim Aufholen des Schlammes ent¬
weichen und deshalb auch nicht durch die Analyse bestimmt werden.
Hierzu kommt weiter, dafs die bedeutende Menge Schwefelwasserstoffs, die
in dem Schlamme in gebundener Form zugegen ist, zum grofsen Teil in so
leicht spaltbaren Verbindungen vorkommt, dafs sie auch von Kohlensäure,
die nach unseren Untersuchungen ebenfalls im Schlamme gebildet zu werden
scheint, freigemacht werden kann. 1 ) In dem »Schlick«, der den Grund des
Flusses und des inneren Abschnittes des Hafens bedeckt, wird daher die
Entwickelung von freiem Schwefelwasserstoff und dadurch auch eine Ver¬
unreinigung der Luft viel erheblicher und kontinuierlicher sein, als wo es
sich um die von Dr. Bödtker untersuchte »Gytje« handelt; denn, wie
erwähnt, enthält letztere neben dem freien Gase keine Sulfide.
Aus den in diesem Abschnitte besprochenen Untersuchungen
geht hervor:
Dafs man schon nach dem Verhalten des Sielwassers im
Laboratorium annehmen darf, dafs sich die Schwebestoffe desselben
zum grofsen Teil schon in verhältnismäfsig kurzer Entfernung
von den Sielemündungen im Flusse Akerselven und im, bezw.
um den Hafen zu Boden schlagen;
dafs diese Annahme auch mit den bei den Baggerarbeiten
der Hafendirektion gewonnenen Erfahrungen übereinstimmt;
dafs sie auch bestätigt wird durch die Gärungsprozesse,
die an den erwähnten Lokalitäten unter dem Wasser stattfinden
und mit dem unbewaffneten Auge beobachtet werden können;
ebenfalls stimmt die erwähnte Annahme mit dem Gestanke, der
dem Flusse, dem Hafen und Frognerkilen entlang zu berechtigten
Beschwerden Anlafs gibt;
1) Wenn man daher versucht, den Gehalt des Schlammes an freiem
Schwefelwasserstoff mittels Durchleiten von Kohlensäure zu bestimmen, be¬
kommt man gröfsere Zahlen, als der Wirklichkeit entspricht. In solchen
Versuchen mufs man deshalb Wasserstoff zum Durchleiten verwenden.
Digitized by CjOOQle
182 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselveu etc.
dafs diese Annahme auch durch den Unterschied bestätigt
wird, der in Bezug auf Geruch und chemische Zusammensetzung
zwischen Schlammproben besteht, die einerseits aus dem inneren
Hafen und dem unteren Teile des Flusses, anderseits in kurzer
Entfernung von den Hafenquais und im oberen Laufe des Flusses
entnommen sind.
Es würde daher von Interesse sein, während des Sommers
auch den Grad der Verunreinigung der Luft in der Um¬
gebung des Flusses und Hafens quantitativ zu bestimmen; vor
allem würde es interessieren, den Schwefelwasserstoffgehalt dieser
Luft festzustellen. Auf diesem Wege könnte man vielleicht auch
einen zahlenmäfsigen Beweis dafür leisten, dafs der Gestank
längs dem oberen Abschnitte Akerselvens — von Hausmanns-
Brücke oder Nybroen und weiter flufsaufwärts — weitaus ge¬
ringer ist, als längs dem unteren Teile des Flusses, ein Verhalten,
welches wir bisher nicht endgültig als erwiesen ansehen.
Solche Versuche haben wir indessen aufser Betracht lassen
müssen und können uns schon aus diesem Grunde nicht darüber
aussprechen, inwiefern die in Frage stehenden, übelriechenden
Gase die Gesundheit der umwohnenden Bevölkerung direkt schäd¬
lich beeinflussen.
Wir geben daher als eine Möglichkeit zu, was im Jahre 1875
von der erwähnten Pariser Kommission ausgesprochen wurde,
nämlich dafs ein solcher schädlicher Einflufs durch die starke
Verdünnung der stinkenden Gase mit der umgebenden Luft ver¬
hindert wird. Doch ist dies erstens nicht aufser allem Zweifel
festgestellt, indem Schwefelwasserstoff selbst in einer Verdünnung
von 3—5 auf 10000 »acute* Vergiftungen hervorrufen kann 1 ),
und daher, wenn er durch längere Zeit eingeatmet w r ird, auch in
noch gröfserer Verdünnung vielleicht Vergiftungen mehr chro¬
nischer Natur hervorrufen könnte. Und ferner ist der entwickelte
Gestank so belästigend, dafs er vollauf den Übelständen gleich¬
gestellt werden mufs, welche durch grofse stinkende industrielle
1) K. B. Lehmann, Experimentelle Studien über den Einflufs tech¬
nisch und hygienisch wichtiger Hase und Dämpfe auf den Organismus.
Teil V. Schwefelwasserstoff. Archiv f. Hygiene, 18Ü2, Bd. 14, S. 17G.
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 183
Betriebe verursacht werden, Betriebe, die weder die Gesundheits¬
behörde noch die Stadtbewohner überhaupt sich gefallen lassen
würden, falls sie in privaten Händen wären.
3. Über die Verunreinigung Akereelvene und des Hafens mit den
gelösten Stoffen und Bakterien des Sielwassers.
Wir haben im vorigen Abschnitte gesehen, dafs die Schwebe¬
stoffe der städtischen Abwässer Christianias sich nach Entleerung
in den Flufs Akerselven und in den Hafen in grofser Ausdehnung
mittels Sedimentierung abscheiden — eine »Selbstreinigung«,
welche, wie allgemein anerkannt, sehr uneigentlich diesen Namen
verdient; denn obwohl das Wasser selbst hierdurch reiner wird,
wird anderseits der Grund des Flusses und Hafens zum Nachteil
für die Stadt um so unreiner. Die Frage ist nun weiter, ob die
Verhältnisse sich günstiger stellen, wo es sich um die »Selbst¬
reinigung« des Flufs- und Hafenwassers von den übrigen Be¬
standteilen des Sielinhalts handelt. Um dies festzustellen,
haben wir das Wasser des Flusses Akerselven und des
Hafens untersucht.
Was erstens den Flufs betrifft, haben wir nur wenige Unter¬
suchungen vorgenommen, indem schon das trübe Aussehen des
Wassers zu dem Schlüsse berechtigt, dafs es während des längsten
Teiles des Verlaufes durch die Stadt mit den ungelösten Stoffen
des Sielinhalts erheblich verunreinigt sein mufs. Und wenn dies
der Fall, ist es auch nicht wahrscheinlich, dafs auf dieser Strecke
irgend welche nennenswerte Selbstreinigung von den übrigen
Bestandteilen des Sielinhalts eingetreten sei. Unsere diesbezüg¬
lichen Untersuchungen des Flufswassers waren teils chemischer,
teils bakteriologischer Natur. Von diesen haben die ersteren,
wie dies bezüglich des Süfswassers erfahrungsgemäfs öfters der
Fall ist, nicht immer die erwarteten Resultate gegeben. An einem
und demselben Tage (Frühling 1901) war zwar der Sauerstoff¬
verbrauch pro Liter bei Nybroen (1,5 km flufsaufwärts von der
Mündung) 10,8, bei Vaterlands-Brücke (1 km) 12,38 und bei Bis-
pebroen (Bischofsbrücke 400 m flufsaufwärts von der Mündung)
11,87 mg — also 5—6 mal mehr als man für »reines« Wasser
Digitized by CjOOQle
184 Über d. Verunreinigung d. st&dt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
rechnet. Dagegen betrug der Chlorgehalt bei Treschows-Brücke
(ca. 5 km von der Mündung), bei Myren (ca. 4,1 km), bei Holms
Fabrik (ca. 3,6 km) 7,08 und bei Schultzehougens Ziegelbrennerei
(3,2 km) 8,58 mg pro Liter. Bei Vaterlands- und Schweigaards-
Brücken, von denen letztere 800 m flufsaufwärts von der Mündung
des Flusses liegt, war letztere Zahl nur bis 14,12 mg gestiegen,
um dann allerdings bei Bispebroen und gerade vor der Mündung
des Flusses (Nyland) plötzlich zu 142 und 740 mg Chlor pro
Liter emporzusteigen. Wenn man bedenkt, dafs z. B. Flügge
30 mg Chlor pro Liter als die höchste Grenze für brauchbares
Trinkwasser anführt, und dals gleichzeitig der Flufs auch an
denjenigen Punkten seines Verlaufes, wo der Chlorgehalt nur zu
ca. 7—9 mg pro Liter bestimmt wurde, immerfort Verunreini¬
gungen von Sielwasser empfängt, kann diesen Chloranalysen
keine Bedeutung beigemessen werden. Dagegen stimmt es einiger-
mafsen mit der Verunreinigung, die wir im voraus erwarten
durften, dafs wir z. B. an einem Tage in diesem Frühling bei
der soeben erwähnten Treschows-Brücke, oberhalb welcher der
Flufs u. a. durch das Schmutzwasser einer grofsen Weberei ver¬
unreinigt wird, 7370 Keime pro ccm fanden (im Wasser des
Maridalssees, aus dem der Flufs entspringt, und der ea. 10 km
oberhalb der Stadt liegt, hält sich die entsprechende Zahl ge¬
wöhnlich unter 100). An demselben Tage wurden an verschie¬
denen der soeben besprochenen Stellen stromabwärts (nämlich
Myren, Holms Fabrik, Sehultzehougen, Vaterlands-Brücke und
Nyland mechanische Werkstätte) bezw. 2300, 1600, 4250, 106000
und 208 000 Keime pro ccm gefunden.
Weit umfassendere Untersuchungen haben wir dagegen vor¬
genommen, um bezüglich der Verunreinigung des Hafenwassers
ein Urteil zu gewinnen. Wie in der Einleitung dieser Abhand¬
lung erwähnt, gibt es zur Zeit keine sichere Methode, um den
Grad der Verunreinigung, welchen die gelösten Stoffe des Siel¬
inhalts im Meerwasser verursachen, direkt nachzuweisen. Da¬
gegen haben wir auf indirektem Wege einen Einblick darin
zu gewinnen versucht; zu diesem Zwecke verwendeten wir teils
hydrographische Untersuchungen, teils Bakterienzählungen, deren
Digitized by VjOOQle
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Heirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 185
Resultate ja nicht allein den Grad der Verunreinigung mit den
Bakterien selbst, sondern auch mit den gelösten Stoffen der Ab¬
wässer annähernd angeben.
A. Hydrographische Untersuchungen über das Wasser des
Hafens von Christiania.
Im Gegensätze zu den zahlreichen Beobachtungen über die
Bedingungen der Selbstreinigung des Süfswassers sind die ent¬
sprechenden Untersuchungen über das Meerwasser bisher sehr
sparsam. Es ist indessen von vornherein selbstverständlich, dal's
die Verunreinigung, die der städtische Sielinhalt im Hafenwasser
Christianias verursachen kann, allmählich um so gröfser werden
mufs, je unbewegter das Wasser des Hafens ist; und umgekehrt:
diese Verunreinigung wird um so weniger auffallend werden, je
häufiger das Hafenwasser gegen reines Meerwasser von den
äufseren Teilen des Fjordes ausgetauscht wird. Es war uns daher
viel daran gelegen festzustellen, in welchem Umfange man an¬
nehmen kann, dafs ein solcher Austausch stattfindet.
Zur Orientierung sei folgendes vorangestellt:
Wie in der Einleitung erwähnt, nimmt der Christianiafjord
bei Dröbak erheblich an Breite ab. Gleichzeitig wird aber auch
seine Tiefe geringer, ^ indem der Meeresboden sich wie eine
Schwelle quer über den Fjord als ein Rücken erhebt, der sich
60 m und weniger unter der Oberfläche des Wassers befiudet,
während der Fjord innerhalb Dröbak erstens viel breiter ist,
zweitens aber auch eine viel gröi'sere Tiefe — bis 100 und 180 m
— erreicht. Es ist somit wahrscheinlich, dafs diese Verhältnisse
dem Austausch der Wassermassen innerhalb Dröbaks Hindernisse
in den Weg legen werden. Durch Untersuchungen über den
Salzgehalt und die Temperatur des Wassers, wie durch Beobach¬
tungen biologischer Natur haben denn auch Petterson und
Ekman für schwedische und Johan Pljort und seine Mitarbeiter
für norwegische Muldenfjorde nachgewiesen, dafs diejenigen
Wassermengen, die an der Innenseite dieser Schwellen unter dem
Niveau derselben stehen, während längerer Zeiträume ruhig
Digitized by CjOOQle
186 Über d. Verunreinigung d stitdt. Hafens und d. Flusses Akerselven cte.
stehen bleiben, ohne weder ausströmen resp. einströmen zu kön¬
nen, noch mit den oberhalb der Schwelle stehenden Wasser¬
schichten in Austausch treten zu können. Dies ist auch von
Hjort für die innerhalb Dröbak auf einer Tiefe von 60 m und
darüber stehenden Wassermengen dargethan. Die natürlichen
Verhältnisse bei Dröbak wirken aber wahrscheinlich auch un¬
günstig auf die Erneuerung derjenigen Wassermassen, die im
inneren Fjorde oberhalb des Niveaus der »Schwelle« bei Dröbak
stehen.
Erstens haben nämlich Hjort und Gran 1 ) durch Unter¬
suchungen des äufseren Teiles des Christianiafjordes — welcher
durch eine neue Schwelle, die ungefähr in derselben Tiefe wie
diejenige bei Dröbak liegt, von Skagerack getrennt wird — nach-
weisen können, dafs dieselben Eigenschaften, welche die tiefsten
Wasserschichten des Fjordes charakterisieren, nämlich ein ver-
hältnismäfsig hoher Salzgehalt in Verbindung mit einer relativ
niedrigen Temperatur bis zu 20—30 m unter der Oberfläche ver¬
folgt werden können — eine Erscheinung, welche in starkem
Gegensatz zu den gleichzeitigen Verhältnissen im Skagerack
stehen. Dieses Verhalten kann allein in der Weise erklärt werden,
dafs das Wasser in dieser Tiefe nicht umgetauscht werden kann;
und wenn dies der Fall ist, gilt dasselbe wahrscheinlich auch in
Bezug auf den Fjord innerhalb der Schwelle bei Dröbak.
Was aber für die vorliegende Frage von der weitaus gröfsten
Bedeutung ist, sind die Untersuchungen von Hjort und seinen
Mitarbeitern über das Verhalten der oberf lächli chen Wasser¬
schichten des Fjordes. Er hat nämlich gefunden, dafs die¬
selben im Sommer um so weniger salzhaltig werden, d. h. dafs
sie um so mehr Süfswasser enthalten, je weiter man den Fjord
hinauf kommt. So war dies der Fall während der Sommer 1897
und 1898, indem Hjort z. B. im September 1897 folgende Salz¬
gehalte der Fjordoberfläche fand: bei Horten (ca. 60 km von
1) Die hierher gehörenden Untersuchungen von Hjort und seinen
Mitarbeitern sind unter dem Titel gesammelt: Joh. Hjort, Report on
Norwegian fishery- and marine investigations. Vol. I, 1900.
Christiania, 1900. Ebendaselbst ist auch die übrige Litteratur citiert.
Digitized by CjOOQle
Vun Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Oeirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 187
Christiania) 20,94, bei Dröbak (ca. 35 km) 20,34, bei Spro (zwi¬
schen Dröbak und Christiania, ca. 20 km von der letzten Stadt)
19,37 und bei dem Leuchtturm Dyna (3 km südlich von Christi¬
ania) 17,01 %. Im Dezember 1896 war das Verhalten inso¬
fern ein anderes, als der Salzgehalt der Oberfläche des ganzen
Fjordes etwas höher als im Sommer gefunden wurde; aber auch
zu dieser Jahreszeit war er bei Steilene (14 km von Christiania)
niedriger als bei Dröbak und — zwar erst in einiger Tiefe —
niedriger als bei Horten, indem in bezw. 0 und 30 m Tiefe bei
Horten 29,83 und 34,10, bei Dröbak 31,4 und 34,13, aber bei
Steilene 30,94 und 32,67 °j 00 Salz gefunden wurde.
Ganz anders waren dagegen die Befunde im März 1897, da
das Oberflächenwasser des Fjords umgekehrt um so salzhaltiger
gefunden wurde, je weiter man den Fjord hinauf kam. Der Salz¬
gehalt der Oberfläche war nämlich: in Skagerack 25,06, bei Färder
(südlichster Punkt des Fjords) 25,06, bei Dröbak 29,66, aber bei
Steilene 32,03 °l 00 .
Da die hierher gehörenden Untersuchungen meistens nicht
kontinuierlich, sondern mit längeren Zwischenräumen ausgeführt
sind, sprechen sich Hjort und Gran etwas reserviert über die
Ursachen ihrer Befunde aus; im grofsen Ganzen nehmen sie
aber an, dafs dieselben folgendermafsen zu erklären seien:
Wenn das Süfswasser sich im Meer entleert, mischt es sich
nach den Untersuchungen der Hydrographen nur sehr langsam
mit dem Meerwasser; da es leichter als das letztere ist, mischt
es sich während längerer Zeit nur mit den oberflächlichen Schich¬
ten desselben, was sich dadurch zu erkennen gibt, dafs das
spezifische Gewicht und der Salzgehalt dieser Schichten verhältnis-
mäfsig gering sind.
Nun haben indessen andere Untersuchungen gezeigt, dafs die
Richtung der Strömungen in diesen oberflächlichen Schichten
des Meeres in wesentlichem Grade von dem Winde bestimmt
wird, der, wie von Hjort hervorgehoben, nach den vieljährigen
Beobachtungen von Prof. Mohn im Christianiafjorde vom Mai
bis September vorherrschend südlich ist, während umgekehrt vom
Oktober bis April nördliche Winde daselbst die häufigsten sind.
Digitized by CjOOQle
188 Über d. Verunreinigt! og d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
Die oberflächlichen Wasserschichten mit dem darin enthal¬
tenen Süfswasser müssen daher während des Sommers im Fjorde
aufgehäuft werden; während sie im Winter und Frühjahr durch-
gehends den Fjord hinaus getrieben werden, so dafs zuletzt
Wasserschichten, die früher verhältnismäfsig tief lagen und daher
erheblich mehr Salz enthalten, an deren Stelle an die Oberfläche
emporrücken.
Diese Annahme stützt Hjo rt u. a. auch darauf, dafs das
Plankton, welches sonst in der Oberfläche des ganzen Fjords vor¬
handen ist, im Frühjahr nicht im inneren Teile des Fjordes (bei
Steilene und Dröbak) nachgewiesen werden konnte. Dies stimmt
gut mit der Ansicht überein, dafs Wasserschichten, die früher
tiefer lagen, zu dieser Jahreszeit an die Oberfläche emporgerückt
sind; denn die tieferen Wasserschichten sind besonders plankton¬
arm. Hierdurch erklärt es sich auch, dafs die Temperatur der
oberflächlichen Wasserschichten im März 1897 im inneren Teile
des Fjordes höher war als im äufseren Abschnitte desselben, an
welcher letzteren Stelle das Oberflächenwasser nach den oben¬
stehenden Voraussetzungen eben am längsten mit der kalten
Winterluft in Berührung gewesen sein sollte.
Bevor wir weiter gehen, mufs hervorgehoben werden, dafs
die hier in Frage stehenden Verhältnisse vielleicht auch mit den
gleichzeitigen Zuständen des Skageracks in Verbindung stehen.
Es ist eine Thatsache, auf die schon Prof. Mohn in den Arbeiten
der norwegischen Nordmeerexpedition aufmerksam gemacht hat,
dafs sich im Frühjahr und Frühsommer eine recht starke west¬
gehende Oberflächenströmung von dem südlichsten Ende des
Christianiafjords der Südküste Norwegens entlang bewegt. Dieser
Strom repräsentiert den nördlichen Zweig der Strömung, die
durch die Frühlingsflut in der Ostsee durch die nordeuropäischeu
Flüsse entsteht, und kann möglicherweise dazu beitragen, dafs
zu dieser Jahreszeit die oberflächlichen Wasserschichten aus dem
Christianiafjorde ausgesaugt werden.
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen Hjorts sind durch
schwedische Beobachtungen bestätigt und vervollständigt worden
und haben ferner in den Ergebnissen der biologischen Unter-
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 1&9
suchungen, die er selbst später vorgenommen hat, eine Stütze
gefunden. Wenn sie sich auch durch detaillierte Beobachtungen
am Hafen Christianias als stichhaltig erweisen, darf man ihnen
eine grofse Bedeutung für die vorliegende Frage beimessen.
In diesem Falle mufs man nämlich annehmen, dafs nicht allein
das Süfswasser, sondern auch der Sielinhalt, der direkt oder durch
Akerselven dem Hafen zugeführt wird, während langer Zeiten
des Jahres im letzteren aufgehäuft wird. Wie in der Einleitung
erwähnt, ist das spezifische Gewicht des Sielinhalts nahezu wie
dasjenige des Süfswassers, w r eshalb auch die Verunreinigung,
welche der Sielinhalt nach Sedimentierung der Schwebestoffe dem
Meere zuführt, vor allem in den oberflächlichen Wasserschicbten
des letzteren zu suchen ist. Dies Verhalten ist von mehreren
Seiten, u. a. von Fischer mittels Bakterienzählungen fest¬
gestellt worden; dasselbe haben auch wir, wie später zu be¬
sprechen ist, in derselben Weise darthun können. Insofern ist
es auch lehrreich, dafs das Kanal wasser, welches von dem Oesterbro-
quartier in Kopenhagen auf 10 Fufs Tiefe in den Oeresund
hinausgepumpt wird, nach Schierbecks Untersuchungen (Ho-
spitalstidende 1899) senkrecht bis zur Oberfläche des Meeres empor¬
steigt, um sich erst an dieser auszubreiten. Nicht unwahrschein¬
lich würde es in ähnlicher Weise gehen, wenn man, wie von
Ingenieuren angedeutet worden ist, durch eine Leitung unter
dem Wasser den Sielinhalt Christianias auf gröfsere Tiefen, z. B.
aufserhalb der Insel Hovedöen, herauspumpen würde.
Die oben besprochenen Verhältnisse sind auch von uns speziell
untersucht worden, nämlich erstens mittels
a. Bestimmungen des Salzgehaltes des Hafenwassers.
Unsere diesbezüglichen Untersuchungen sind kontinuierlich
vom April 1900 bis Mitte Mai 1901 ausgeführt worden. Die
nötigen Wasserproben von der Fjordoberfläche wurden mittels
eines Eimers oder mittels Flaschen aufgenommen. Was die
tieferen Wasserschichten betrifft, wurden mit Kautschukpfropfen
versehene Flaschen von 500 ccm in einem kleinen, zu diesem
Digitized by OjOOQle
190 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
Zwecke konstruierten Eimer mit schwerem bleiernen Boden ein
geschlossen und zur betreffenden Tiefe hinabgesenkt, worauf
mittels einer Schnur der Pfropfen hinausgerissen wurde. Wenn
keine Luftblasen mehr durch das Wasser emporstiegen, wurden
die Flaschen heraufgeholt. Da sie sich durch Kontrollversuche
zuverlässig bis 25 m Tiefe erwiesen, und unsere Untersuchungen
sich nur selten auf gröfsere Tiefen erstreckten, wurden nur aus¬
nahmsweise andere »Wasserschöpfer« gebraucht.
Um den Salzgehalt zu bestimmen, titrierten wir das in
10 ccm des Wassers enthaltene Chlor mittels einer Silbernitrat-
lösuug von bekannter Stärke. Durch Vergleichen der hierdurch
gewonnenen Zahlen mit denjenigen, die man mittels Aräometer
erhält (wir benutzten einen Satz von speziell für Seewasser an¬
gefertigten Aräometern Küchlers), ergaben die letzteren Resul¬
tate, welche einem Fehler von 1 °/ 00 Salz nacli auf- oder abwärts
entsprechen, weshalb wir von deren Benutzung abstanden. Aus
der durch Titrieren gefundenen Chlormenge wurde der Salzgehalt
nach den von Petterson und Ekman in »Grunddragen af
Skageraks och Kattegats Hydrografi« 1891 angegebenen Daten
berechnet. Der Salzgehalt ist infolgedessen als Salz pro Mille
ausgedrückt, d. h. die Anzahl Gramm Salze, die in einem
Kilogramm Meerwasser enthalten sind. Als Grundlage
für die Bestimmung des Titers der Silbernitratlösung wählten
wir das von Prof. Otto Petterson und Chemiker S. Schmidt-
Nielsen im Jahre 1898 in Vorschlag gebrachte »Standard¬
wasser« 1 ), das ist eine Chloridlösung (Meerwasser), dessen Chlor¬
gehalt durch untereinander unabhängige Gewichtsanalysen von
verschiedenen Chemikern bestimmt ist; dagegen ist die Silber¬
nitratlösung nicht wie gewöhnlich auf kleine Portionen Kochsalz
eingestellt. Der Vorteil dieses Verfahrens ist darin zu suchen,
dafs man die möglichst gröfste Übereinstimmung unter den ein¬
zelnen Analysen erhält, und ebenso, dafs diese völlig mit den
Untersuchungen anderer Hydrographen verglichen werden können.
1) Vergl. H. H. Gran, Ilydrographic-biological studies of the North
atlantic Ocean and the coast of Nordland, s. III. Reports on Norwegian
Fishery- and marine-investigations. vol. I, 1900, no. 5. Christiania, 1900.
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 191
Unsere sämtlichen Analysen beziehen sich auf das in Stockholm
1898 eingeführte »Standard 1899«. Beim Ausrechnen haben wir
die Manuskript-Tabellen von Prof. Petterson benutzen können,
die nach gegenseitigem Übereinkommen bis auf die letzte Zeit
von den gemeinschaftlich arbeitenden skandinavischen Hydro¬
graphen gebraucht worden sind.
Wir werden nicht auf alle Details der so ausgeführten Unter¬
suchungen eingehen, indem sie nicht alle für die uns hier
interessierenden Fragen von Bedeutung sind. Wir heben nur
diejenigen Beobachtungen hervor, die an einem Punkte zwischen
Herbern (an der Nordostspitze Bygdös) und Kavringen (an der
Nordwestspitze der Insel Hovedöen) kontinuierlich bis zu 25 m
Tiefe ausgeführt worden und in der Tabelle 6 wiedergegeben
sind. Der Übersicht halber haben wir den Durchschnitt der
daselbst angeführten Zahlen berechnet in der Tabelle 7 a (S. 194.)
Aus diesen zwei Tabellen geht erstens hervor, dafs auch das
Meerwasser des Hafens Christianias in Übereinstimmung mit der
oben gegebenen Darstellung immer in den oberflächlichen Schich¬
ten den niedrigsten Salzgehalt aufweist, d. li. dafs eben diese
*
Schichten am meisten mit Süfswasser vermischt sind. Ferner
wird man aber sehen, dafs der Salzgehalt der oberflächlichen
Wasserschichten periodischen Schwankungen unterworfen ist, die
von der Jahreszeit abhängig sind und genau den Schlüssen ent¬
sprechen, die Hjort in Bezug auf den ganzen Fjord gezogen hat.
Insofern mufs zwar die Oberfläche selbst aufser Betracht gesetzt
werden, als ein niedriger Salzgehalt derselben bisweilen nach
Regengüssen eintreten kann (3./VII., 2./VIII., 9./VIII. 1900); auf
der andern Seite schien ein solcher Gehalt im März 1901 durch
einsetzendes Tauwetter mit Schmelzen und Lösen des Eises im
und um den Fjord verursacht zu sein; und was den niedrigen
Gehalt der Oberfläche am 23./IV. und 2./V. 1901 betrifft, ist der¬
selbe wahrscheinlich mit dem stärkeren Schneeschmelzen in Ver¬
bindung zu setzen, das durch eine bedeutende Steigerung der
Temperatur während der zweiten Hälfte des Aprils im Nieder¬
schlagsdistrikt Akerselvens und in den übrigen Umgebungen des
(Fortsetzung des Textea auf S. 194.)
Digitized by CjOOQle
Bestimmunieren der Temperatur nebst des Chlor- und Salzgehaltes des Wassers zwischen Kavringen und Herbern
(ca. 2 km Tom Bisletsiel.)
(Der Chlorgehalt ist in Gramm per Liter, der Salzgehalt in Gramm per Kilo Meerwasser angegeben.)
192 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
Digitized by v^.ooQle
per Kilo (siehe oben).
Fortsetzung zu Tabelle VI.
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. 8ig?al 8chmidt*Nielsen. 19ä
,
'
16.
V.
iC h* CM
O^x^
i-T «T co*'.
H H d
X X
CM^irq
©" co" V
HH rH 01
h.2S
ÖI^jO
HH Ol
■* HH
t^rH^O^
cd'»g C^
lO fr
05 r- x
v 2gf
X X
05 O^tr^
ißfr H
rH x
^ 05
X cqx^
x" Ch" of
hh X
<oo^ n
05 " co" V
Ol
1- O
tox^
x" co" h*t
HH Ol
co x
x" V »p
rH Ol
01 in
iO Ä OJ^O
X* in"
H Ol
X rH
c* ao^x
ts"x"o5
hH OJ
Or»
■°5S
CM O
t^OI^
x"x"ef
HH X
2>
CO ©
pin oi
C-" -*0
hh Ol
oSS
t> to
H Ol
05 X
x"io"t>f
rH 01
X HH
©.Ci^oq
in in co
H- Ol
^ x"x
OJ
t^o^x,
in x hh
rH X
hS Ol
ißqn
x"acfof
hh CO
oo >
Ol hh
iO —
aTco hs
hh OJ
rH O
*^x oi w
o«oV
rn Ol
Ol X
X^iO
0 0 r*
|H OJ
Ch X
in x
v 28
in^S^S^
V f>T O"
1-H X
X t'-
X Ä X ^
in" x' of
HH X
X hh
^xo,
x" x" x"
rH X
1901,
<N >
cd >
Ol hH
CO o
X iO
5 = 8“
in ^
05^05^
t*-" aTcfiT
X tH
Ot^<N
-“3f8‘
O X
Ol^COrn
x" m" t>r
rH Ol
X 05
i>-in^o^
x" 05 "
hh OJ
X X
t^^05
c-" Q
hH X
«22
x"x"of
hh X
t- m
05 f-rr
x"x"gj"
1 1 i
1 1 1
l- f»
X^rt ^
H Ol
rqr X 05
rH OJ
05 C*r
<NXI^
fr CT
HH co
X X
O 0^05^
X X"rH
H x
CM X
x^p
x"x"x
hh CO
x >
rH t-H
in c§ §
X" iS t-"
hh Ol
CO ^
X t»
cToTof
H Ol
X 01
CO 01
co x" oT
rH Ol
h- 82
x"tr. O
rH X
x" i>-" 0 "
rH x
X
t—^OJ c«
in"adof
HH CO
§ia
1 l 1
1 1 1
X iO
ir^oi^ir^
x" r-T 0 “
hH x
X X
t>- h-T
rH X
X X
X ^ 10
x" x" of
hH X
fH. 05
qißt^
x" x" of
H x
! 1 1
1 1 1
1 1 1
25
ho x"
H- 1 ’-H
r- 05
otoo
CO" f>f r-T
H X
f- X
05^05^
T#r t— ▼—<
rH X
X 01
X OJ^X^
x" x" of
HHX
r?h
triCO
X fr HH
hH x
x^x^x
x" x" of
HH X
oi HS
cT^Tjo
rH Ol
1 1 1
Ol Ol
OJ^O^-rr
ofx"ad
H Ol
OJ X
OJ^Oi^OS^
in" x" 05 "
rH Ol
05 H
o^c^uq
fr fr H
HH x
1900.
28.
XII.
X
x^co x^
of icT c-"
hh Ol
! 1 1
X
X/X X
CI iß fr
HH Ol
in^x^oj^
co in" x"
rH Ol
hH
X rH
v 28
in in
CO^HCO^
x" fr" 0 "
rH CO
x Eh
-ä
o
cq05 X
of co V
y-* Ol
1 1 1
1 1 1
I I 1
1 1 !
1 1 1
*"8“8“
x^aB^
x" m" 05 "
rH OJ
H x 05
■*jS8
1 1 1
2 oj
1 1 1
05 J 0 S
x~ co h$T
hh Ol
hS8.
(T.lßtr
HH Ol
X 0
X^X^05 w
x" x" 05 "
H Ol
,S8
1 fr y—4
HH X
1 1 1
1 1 1
^ iO
OJ^X^
c-" co *r
rH Ol
05
H« Ä
05 lO fr
H Ol
C5 OJ X
in" of r-T
HH j—l OJ
lO X rH
m" of of
hhCi
in ^
ao/x^n
of x" of
HH OJ
OJ^X^X^
of 0 " r-“
nnd
e- x
co^yi
of 0 " r-
hhOJ
1 I 1
1 1 I
^d
— ^
<*eOC*
^ *-»" cT
«Hd
rH H^l
x co oi
s=sT
“ X t-
X^X^rt^
05 " x" 05 "
HH OJ
oj
X x 0
0 " x" 05 "
nnd
X
HH^rH^X
05 " t-" 0
rH X
OJ HH
in-tx^
x" r-" 0 "
hh X
1 1 1
1 1 1
1 1 1
1 1 1
1 1 1
1 1 1
1 1 1
-_8
0
°
O CB
X co
rH 05 X
x"©"af
co S w 3
iOh ffs
^
1 1 1
in x oi
XX. OI Ä
X* H r-f
H Hd
CD OJ
^ X OJ
X" r-T H
H HH Ol
m x x
05^0.
of in" e-"
hhin
frS8
0 " x" x"
rH rH OJ
H X
05 05^05^
x" x" 05"
rH OJ
^ in
in ch x
«Sgf
1 1 !
1 1 1
x in
hF h#T »n"
HHd
11,7 111,1
15,83 16,10
28,1028,57
cd ^
t-H
rH 3
CO-
' “ OJ co
X IÄ X
x "h p"
_1-H H Ol
1 1 1
in co
H- X X
CO H 0 "
hhOJ
X X
x^oj^n
rr" rfT 0 "
H HOI
lO fr
x w qt^
f-H Ol
hH ■*— <
1 1 1
Ol X
x m x
5 = 8 “
CfifO
X^ rH Ol^
rjf-rfTiO
HH 1— Ol ....
rH OJ
^x^c^
of in" fr-"
HHd
'in ih x
^x^uq
05 " x" 05 "
HH CM
'in x
OO^hh
05 1-0
HH X
l-H O
O
.-•tUO““
0
° - H
OX
-
© rj
*=>
X~^~“
hX^O^
r-*' ©" of
HH H
l-i 0
0 0 -«
0 -Ä
OX
xoT^
rH O
h H d
- s
0
° J«
O X
X X
tßt-O
x" —" H
H H Ol
— c-
0
r < ü c"
0 — "S
Ox
" O —
O OJ 0 ^
x" m" t>r"
rH rH OJ
^ ■ ti 0^
^ a«
0 a
O /
X Ä X
0 " x" CG
HHd
r< *-
°
0 —; -cö
O cß
f
liuoiourm
'■
i
0
co
in
0
in
0
p .2 in
|i »PTX
—
Ol
Ol ,0 Ol
Archiv für Hygiene. Bd. XUI
Digitized by
Google
194 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
Fjords eintrat. Wenn man aber hiervon absieht, geht es aus
den Tabellen hervor, dafs der Salzgehalt des Hafenwassers, in
voller Übereinstimmung mit Hjorts Schlüssen, im Frühling 1900
sehr hoch war, um dann — nach einem Übergange im April und
Mai — während des Sommers bedeutend abzunehmen. Darauf
ging der Gehalt wieder im Herbst und Winter etwas in die Höhe,
um im März 1901 ein neues Maximum zu erreichen. Nach
dieser Kulmination trat wieder eine neue Abnahme ein, welche
etwas stärker als diejenige der entsprechenden Monate des vorigen
Jahres gewesen ist.
Tabelle Vlla.
Salzgehalt im Durchschnitt pro Mille
Tiefe
. 9. IV.
1 1900
118. IV. bis 1 3. VI. bis
|2.VI. 1900 j7.DC. 1900
24 X. bis
11.1.1991
März 19011
i |
April bis
Mai 1901
An d. Oberfläche
r
32,86
26,6
1
18,7
25,5
20,8 1
23,2
5 m ...
I; 33,10
29,0
20,8
27,7
30,9 ■
27,1
10 m . . . i
II
j 30,6 '
25,0
29,1
31,6
28,6
20 m ...
! —
I 32,5
30,3
31,0 i
32,8
32,1
s
£
1
%
i
! 32,8
, (29. IV.)
32,5
nicht ,
untersucht
nicht ;
untersucht
32,8
Dieser Unterschied ist, wie aus den Tabellen (Tab. 7 a) er¬
sichtlich, besonders augenfällig in 5 m Tiefe, wo der Salzgehalt
am 9. April 1900 sogar 33,10°/ 00 erreichte — eine Zahl, die wir später
erst in 20—25 m Tiefe gefunden haben. Im Laufe der nächsten
Monate wurde in derselben Tiefe als Durchschnitt 29 °/oo gefunden,
worauf der Gehalt während des ganzen Sommers bis zum Septem¬
ber durchschnittlich auf 21 pro m herunterging, d. h. der Salz¬
gehalt war im Durchschnitt ca. 27 °/oo niedriger als in den zwei
vergangenen Monaten. Gegen das Ende des Jahres wurde er
wieder als Durchschnitt zu ca. 27,7 °/oo bestimmt, erreichte dann
im März 1901 sein zweites Maximum mit ca. 31 °l 00 und ist in
den paar folgenden Monaten bis ca. 27 °j 00 gesunken.
Wie die Tabelle zeigt, ist dieselbe Erscheinung noch bis 20 m
Tiefe sehr deutlich, jedoch in der Weise, dafs sie um so weniger
hervortritt, je tiefer man kommt, bis der Unterschied zwischen
den Jahreszeiten in 20—25 m Tiefe — wo wir zwar wenig Unter¬
suchungen vorgenommen haben verschwindend ist.
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 195
Es ist einleuchtend, dafs diese Schwankungen, die wir auch
an anderen Punkten des Hafens festgestellt haben, allein dadurch
zu erklären sind, dafs das den oberflächlichen Wasserschichten
beigemengte Süfswasser während des Sommers in gröfseren
Mengen aufgehäuft ist als im Herbste und Winter, und dafs diese
Mengen während der letztgenannten Jahreszeiten wieder gröfser
sind als im Frühling. Fragt man, wodurch diese Erscheinung
hervorgerufen wird, kann sie nicht dadurch zu erklären sein,
dafs durch den Flufs Akerselven oder durch Niederschläge dem
Hafen während gewisser Jahreszeiten mehr Süfswasser zugeführt
wird, als während anderer. Wie wir gesehen haben, können zwar
solche Schwankungen zum Teil einen vorübergehenden Einflufs
auf den Salzgehalt der Oberfläche selbst ausüben; im allgemeinen
wird aber dieser Gehalt sowohl, wo es sich um die Oberfläche
als um die tieferen Wasserschichten handelt, von ganz anderen
Faktoren bestimmt. Sonst könnte nicht der Salzgehalt im Früh¬
jahr, wenn der Schnee schmilzt und damit speziell grofse Mengen
Sülswassers dem Hafen zugeführt werden, um vieles höher als im
Sommer sein.
Wir müssen daher mit Hjort die Erklärung darin suchen,
dafs in den oberflächlichsten und damit süfsesten (und damit zu
gleicher Zeit auch am meisten verunreinigten) Wasserschichten
Strömungen stattfinden, die zu gewissen Jahreszeiten dieselben
im Hafen aufstauen, zu anderen Zeiten ihnen dagegen einen
leichteren Abflufs aus dem Fjord hinaus gestatten.
Uro diesen Fragen näher zu treten, haben wir ferner eine
Reihe
b. Untersuchungen über die Strömungsverhältnisse
des Hafens
ausgeführt. Es ist ohne weiteres klar, 'dafs solche Untersuch¬
ungen ohne Rücksicht auf die obenstehenden Beobachtungen
über den Salzgehalt von wesentlicher Bedeutung für die vor¬
liegende Frage sein müfsten. Denn falls die Richtung der Strö¬
mung der oberflächlichen Schichten des Hafenwassers in gröfserer
Ausdehnung konstant den Fjord hinausgeht, wird das Hafen-
13 *
Digitized by CjOOQle
196 Über d. Verunreinigung d. etädt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
wasser nach dem» was bezüglich der Verunreinigung eben dieser
Wasserschichten angeführt worden ist, sich ganz anders rein
halten müssen, als wenn es eine solche Strömung nicht gibt und
das Hafenwasser im wesentlichen als ein stillstehendes Bassin
betrachtet werden mufs. Da diese beiden Anschauungen häufig
in der täglichen Diskussion der Bewohner von Christiania aus¬
gesprochen werden, ohne dafs Beweise für die Richtigkeit der
einen oder der andern derselben erbracht sind, haben wir auf
verschiedene Weise diesen Punkt selbst aufzuklären versucht.
Leider haben wir diese Untersuchungen wegen fehlender
Assistenz auf den Sommer 1900 beschränken müssen. Teils
wurden sie während unserer gewöhnlichen Expeditionen auf dem
Hafen ausgeführt, teils haben wir spezielle Exkursionen zu diesem
Zwecke veranstaltet; sie wurden hauptsächlich vom ca. 18. Juli
bis zum 20. August 1900 vorgenommen und wurden gewöhnlich
mehrere Tage nacheinander und zu den verschiedensten Tages¬
zeiten ausgeführt; zum Teile fanden sie am Abend und während
der Nacht statt.
In allem Wesentlichen haben wir uns auf die Oberfläche des
Hafenwassers beschränkt. Teils haben wir die Richtung be¬
obachtet, nach welcher die Schaumblasen, kleinste Holzspäne
u. dgl., die überall an der Wasseroberfläche herumschwimmen,
hintreiben. Teils haben wir die Orts Veränderungen ausgeworfener
hohler Glaskugeln und Holzklötze beobachtet; diese haben wir
öfters durch längere Zeit von einem Boote aus beobachten müssen,
weil sie sonst von Vorüberrudernden aufgefischt wurden. Aus den
diesbezüglichen Untersuchungen ergeben sich folgende Schlüsse:
Die Strömungen der oberflächlichen Wasserschichten des
Hafens Christiania werden im Sommer zum gröfsten Teile aus-
schliefslich von der Windrichtung bestimmt. Ist der Wind
südlich, ist die Richtung der Strömung eine nördliche, d. i. die
oberflächlichen Schichten treiben nach den Quais zu; ist der
Wind dagegen nördlich, geht die Strömung umgekehrt zum Fjord
hinaus. Ein ganz schwacher Wind genügt, um diese Wirkung
hervorzubringen; selbst wenn das Wasser ganz still scheint,
genügt der schwache, südliche Luftzug, der dennoch während
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Axel Holet, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 197
eines Sommertages gewöhnlich verspürt wird, um alle Schaum
blasen u. s. w. an der Oberfläche des Wassers in der Richtung
der Quais zu treiben, und umgekehrt vermag der schwache nörd¬
liche Zug, der sich während der Sommerabende und -Nächte so
oft einstellt, selbst wenn das Wasser spiegelglatt liegt, der Trift
eine Richtung den Fjord hinaus zu geben. Schliefslich ist dies
Verhalten um so ausgesprochener, je stärker der Wind ist; ist
der Wind einigermafsen stark, so ist es nicht allein an der Ober¬
fläche, sondern öfters auch bis mehrere Meter Tiefe, dals der
Wind nachweisbar diesen Einflufs übt. Unter diesen Umständen
mufs es aber in Übereinstimmung mit Hjorts Schlüssen eine
Folge werden, dafs die oberflächlichen Wasserschichten des
Hafens im Sommer, wenn südliche Winde vorherherrschend
sind, nur zum geringsten Teil den Fjord hinaus Abflufs bekom¬
men können; und ist dies der Fall, mufs auch das Süfswasser
und damit auch der Sielinhalt, der, wie erwähnt, eben diesen
Wasserschichten beigemengt ist, zu dieser Jahreszeit im Hafen
aufgehäuft werden.
Wir sind demnach auch mit Rücksicht auf die Strömungs¬
verhältnisse im Sommer zum selben Resultat gekommen, welches
sich aus den Bestimmungen des Salzgehaltes ergab, nämlich dafs
der Hafen sehr ungünstige Bedingungen für eine »Selbstreinigung«
des Meerwassers darbietet.
Man kann indessen gegen einen solchen Scblufs vielleicht
erstens einwenden wollen, dafs es im Hafen Christianias wenigstens
eine konstante auslaufende Strömung gibt, nämlich diejenige,
welche die Fortsetzung des Stromes der Mündung von Akers-
elven bildet. Eine solche Strömung hat u. a. seit lange der
Stadtbaurat Andersen beobachtet, wie auch wir dieselbe haben
feststellen können; sie setzt von der Mündung Akerselvens
schräg 1 ) über den östlichen Hafen (Björviken) ein und biegt
dann in südlicher Richtung um, indem ein Zweig des Stromes
in die früher besprochene Bucht an der Nordostseite Hovedöens
1) Diese schräge Richtung wird durch den Auslauf des Baches Loelvens
verursacht; letzterer mündet etwas südlich vom Akerselven und senkrecht
auf die Richtung der Mündung des letzteren.
Digitized by CjOOQle
198 Über d. Verunreinigung d. etädt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
einsetzt, während der Hauptstrom um die Nord Westseite dieser
Insel umbiegt. An dem südwestlichen Ende der Insel lälst diese
Strömung sich aber zufolge unserer Untersuchungen nicht
mehr nach weisen, indem Holzspäne u. dgl., die bis hierher
geführt sind, teils mit dem Winde zu treiben anfangen, wodurch
sie, wenn er südlich ist, gegen die Stadt zu und besonders
gegen den westlichen Hafen, Piperviken, getrieben werden; so
wird es verständlich, dafs Holzklötze, die wir in den Akerselv
ausgeworfen haben, bei Filipstad im westlichen Hafen wieder¬
gefunden sind.
Teils kann auch bisweilen im Sunde, welcher das südliche
Ende Hovedöens von der Insel Lindöen trennt, eine Strömung auf-
treten, die vom Bundefjord schräg gegen den nordöstlichen Teil
von Bygdö hinübersetzt, wo sie sich verliert, und der Wind
für die Richtung der Trift wieder bestimmend wird.
Andere konstante Strömungen der Oberfläche des Hafen¬
wassers haben wir nicht nach weisen können. Indessen wird
man einen anderen Einwand gegen unsere Schlüsse erheben
können, der auf den ersten Blick von grofsem Gewicht zu sein
scheint, nämlich dafs es doch im Hafen von Christiania
auch Ebbe und Flut gibt, die durchschnittlich eine Höhe von
ca. 30 cm erreichen. Dafs dies an und für sich genügt, um
grofse Wassermengen in Bewegung zu setzen, geht aus einer
Berechnung hervor, die Herr Ingenieur Salicath gütigst vor
genommen hat.
Der Flächeninhalt desjenigen Abschnittes des Hafenbassins
und dessen Umgebungen, der vom festen Lande und den Inseln
Nakholmen, Gräsholmen, Blegöen und Sjursöen eingeschlossen
wird, d. h. das gesamte innere Hafenterritorium, beträgt nach
Abzug des Areals der Inseln ca. 7,6 qkm, d. h. wenn die Höhe
der Ebbe und Flut die eben genannte (30 cm) ist, sollte diesem
Teile des Hafens während der Flut ca. 2 x / 4 Millionen cbm Wasser
aufsen vom Fjorde zugeführt werden, während umgekehrt bei
der Ebbe dieselbe Wassermenge entleert werden sollte. Da nun
in 24 Stunden zweimal Flut und Ebbe eintreten sollten, also in
diesem Zeiträume durchschnittlich dem genannten Hafenabschnitte
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. Axel Holet, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Scbmidt-Nielsen. 199
in allem ca. 4*^ Million cbm Wasser, welches als sehr rein an¬
genommen werden darf, zugeführt werden. Gleichzeitig mufs
aber in demselben Zeiträume eine entsprechende Wassermenge
den Fjord hinaus Abflufs bekommen haben. Da nun ferner ein
solches Wasserquantum dem Zehnfachen der durchschnittlichen
Wasserführung von Akerselven in 24 Stunden (ca. 432000 cbm)
entspricht, wird man sich vielleicht vorstellen können, dafs, wie
es sich auch sonst mit den Strömungen verhält, diese Wasser¬
mengen mehr als genügend sein müssen, um den Sielinhalt, der
sich in den Hafen entleert, immer stark zu verdünnen. Nach
unseren Untersuchungen ist dies aber auch nicht richtig. Wenn
Flut und Ebbe für die Verdünnung des Sielinhaltes Bedeutung
haben soll, müssen nämlich zufolge der gegebenen Darstellung
die daraus bedingten Strömungen die oberflächlichen Wasser¬
schichten des Hafens betreffen; und eben dies ist nach unseren
Beobachtungen während der Sommermonate nicht der Fall. Bei
südlichen Winden war die Strömung der Oberflächenschichten
des Hafenwassers immer nach der Stadt gerichtet, und war der
Wind auch noch so schwach, hatte weder Ebbe noch Flut einen
Einflufs auf dieses Verhalten. Umgekehrt ging die Strömung bei
nördlichem Winde unter denselben Verhältnissen immer den
Fjord hinaus.
Um dies näher festzustellen, haben wir erstens einen von
Hjort angegebenen »Tiefenflotteurc verwendet; derselbe
besteht aus zwei zirkulären Flügeln aus Segeltuch von ca. 1 m
Diameter, die in zwei entsprechenden Ringen aus dünnem
Kupferdraht befestigt und kreuzweise und senkrecht ineinander
angebracht sind. Der Flotteur wird im Wasser zu verschiedenen
Tiefen hinuntergesenkt, nachdem er mittels einer dünnen Schnur
an eine auf der Oberfläche schwimmende, schmale, hölzerne
Stange festgebunden und abbalanciert worden ist. Wenn wir
von einem einzigen Male absehen, da ein starker Nordwind eine
südwärts gehende Strömung an der Oberfläche hervorrief, während
der Flotteur schon in einer Tiefe von einigen Metern sich in
nördlicher Richtung bewegte — haben wir sonst regelmäfsig ge¬
funden, dafs der Flotteur in wenigen Metern Tiefe sich in der-
Digitized by v^.ooQle
200 Über d. Verunreinigung <1. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
3elben Richtung wie die Schaumblasen u. s. w. an der Ober
fläche des Wassers bewegte; Ebbe und Flut waren insofern ohne
Einflufs. In gröfseren Tiefen haben wir dagegen kein über¬
zeugendes Resultat erhalten.
Dafs die oberflächlichen Wasserschichten unter
gewöhnlichen Verhältnissen nicht von Ebbe und
Flut beeinflufst werden, scheint auch aus einigen am
3.—7. September und 30.—31. August 1900 ausgeführten Unter¬
suchungen über den Salzgehalt hervorzugehen (vgl. Tabelle 6
und 7 b ). Obgleich diese teils am Vormittage während der Flut,
teils am Nachmittage während der Ebbe vorgenommen wurden,
war das Resultat durchgehends ein und dasselbe, welches auch,
wenn von der Wasseroberfläche abgesehen wird, bezüglich der
Nachmittagsuntersuchungen in der Nacht, die am 10. August
1900 vorgenommen wurden, der Fall war.
(Siehe Tabelle 7 b auf S. 201.)
Möglicherweise wird man imstande sein, diese Verhältnisse
mit einem neulich von Prof. Nansen konstruierten Strom¬
messer näher festzustellen. Wir kommen demnach zu dem Re¬
sultate, dafs die oberflächlichen und somit am meisten ver¬
unreinigten Wasserschichten des Hafens Christiania im Sommer
wegen der Windrichtung in der Hauptsache — wenn auch nicht
wörtlich — als stillstehend zu betrachten sind; wenn sie z. B.
von dem schwachen nördlichen Zuge, der, wie erwähnt, so oft
während der Sommerabende und -Nächte verspürt wird, den Fjord
hinaus in Trift gesetzt werden, wird der viel stärkere Südwind,
der zu dieser Jahreszeit durchgehends am Tage herrscht, sie
schnell wieder in den Hafen zurücktreiben.
Bevor wir diesen Abschnitt verlassen, müssen wir wieder
betonen, dafs diese Untersuchungen über die Strömungen aus-
schliefslich dem Sommer gelten, d. h. der Jahreszeit, da die Ver¬
unreinigung des Hafens mit Rücksicht auf den Boden die weitaus
gröfste Bedeutung für die Bevölkerung hat. Dafs die Resultate
korrekt sind, wird auch durch einige Untersuchungen bestätigt,
die Ekman im Monat April 1901 mit dem erwähnten, von Prof.
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 201
Tabelle VIIb.
Beobachtungen Uber Flut und £bbe.
Salzgehaltbestimmungen.
Tiofp
Temp.
Salz¬
Datum
Tageszeit
Untersuchungsstation
X lülC
in m
des
gehalt
(i
Wassers
pr. kg
1900
b
o
10./8.
6.30 Nachm.
Boje westlich von Kavringen
0
—
19,65
Ebbe)
ca. 1 km von der Sielemündung
3
—
19,99
—
in Piperviken)
5
—
20,42
—
—
10
—
21,92
12 Mitter-
0
—
17,86
nacht (Flut)|
—
3
—
19,99
1
—
5
—
20,42
i
—
10
—
21,97
30./8.
Nachmittag
Grönlien
0
18,5
16,22
(Ebbe)
Hovedöen, N.-O.-Spitze
0
18,7
19,63
—
Hägholmen
0
17,9
19,63
—
Langö-Malmökalven
1 o
18,2
20,17
—
S. Skjärholme
0
17,9
20,69
—
Helvik (Näsodden)
1 0
17,8
20,62
—
Näsodden-Snaröen
0
17,9
20,29
—
Näsodden
1 0
17,8
, 20,42
31-/8. |
Vormittag ,
Grönlien
0
16,9
17,93
(Flut)
Hovedöen, N.-O.-Spitze
0
17,3
19,51
—
8jursöen-Kongshavn
1 0
17,4
20,17
—
Hägholmen
1 0
17,2
19,37
—
Hägholmen-Näsodden
0
17,3
20,22
| —
Näsodden
! 0 ■
17,6
20,29
|i
Näsodden Snaröen
1 o i
17,6
20,17
ij - ;
Snaröen
0
17,6
18,71
— |
Frognerkilen (Insel >Dron-
1 0
17,5
19,42
ningenc)
Frithjof Nansen konstruierten Strommesser 1 ) in der
Lysakerbucht bei Christiania vorgenommen hat, und die auch
zu dieser Jahreszeit den überwiegenden Einflufs des Windes auf
die Richtung der Strömung an der Wasseroberfläche zu zeigen
scheinen. Schon in Betracht der früher (S. 188) erwähnten Wir¬
kung, welche die Strömung, die im Frühjahre längs der Südküste
1) V. Walfrid Ekman, On a new current-meter, invented by Prof.
Frithjof Nansen. Nyt Magazin for Naturvidenshab. Bd. 39, H. 2. Christi¬
ania, 1901.
Digitized by v^.ooQle
202 Ober d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
Norwegens westwärts geht, möglicherweise auf das Wasser im
Christianiafjorde ausüben kann, möchten wir uns jedoch noch
einmal dagegen reservieren wollen, dafs die Windrichtung immer
oder zu allen Jahreszeiten der einzige Faktor sei, der für die
Strömungsverhältnisse des Hafens Christianias bestimmend ist.
Ferner haben wir ein Mafs für die Verunreinigung des
Hafenwassers zu gewinnen versucht durch
B. Untersuchungen über den Bakteriengehalt des Hafenwassers.
Wenn Bakterienzählungen in der Methodik der Unter¬
suchungen auf Verunreinigung der Gewässer eine so grofse Rolle
spielen, kommt dies daher, dafs das Sielwasser so grofse Mengen
Keime enthält, dafs schon eine geringe Verunreinigung mit dem¬
selben genügt, um den Bakteriengehalt des Süfswassers und der
See bedeutend zu erhöhen. So schwankt, wie bereits früher er¬
wähnt, der Keimgehalt des Sielwassers zu Christiania zwischen
einigen Hunderttausenden und 50 Millionen per Kubikcentimeter.
Zum Vergleiche erwähnen wir, dafs Fischer bei seinen genannten
Untersuchungen in Kiel dreimal zwischen 2 und 4*/ 2 Millionen,
einmal etwas über 1 Million und zweimal 190 000 bezw. 325 000
per Kubikcentimeter Kanalwasser nachwies.
Für die hier zu besprechenden Untersuchungen wurde uns
meistens vom Herrn Hafenkapitän Bassöe in liebenswürdigster
Weise ein kleines Dampfboot zur Verfügung gestellt. Nur auf
diese Weise konnten wir nämlich die nötigen Apparate, u. a.
einen kleinen Eiskühler, zum Erstarren der Gelatineplatten während
des Sommers mitführen.
Im übrigen sei nur über das Verfahren bei diesen Unter¬
suchungen erwähnt, dafs die aufgehenden Kolonien immer nach
48 Stunden gezählt wurden. Die Ausflüge, die wir zu diesem
Zwecke vorgenommen haben, gingen immer von dem Piperviks-
quai, in der unmittelbaren Nähe des öfter genannten Bisletsieles
(westlicher Hafen) aus. Meistens haben wir uns auf folgende
Route beschränken müssen: Wir fuhren durch die westliche Ein¬
fahrt des Hafens (d. i. längs der Südostseite Bygdös) bis nach
der Spitze Näsoddens, d. h. 6 km in südwestlicher Richtung von
Digitized by CjOOQle
Von Dt. Axel Holet, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 203
der Stadt; von diesem Punkte kehrten wir zurück durch die
5 östliche Einfahry, welche am Leuchtturm Hägholmen vorüber
zwischen Hovedöen und Blegöen gelegen ist; gewöhnlich nach
einem Abstecher nach Sjursöen, Kongshavn und Grönlien, bezw.
1,7, 1,2 und 0,6 km südlich von der Mündung Akerselvens,
fuhren wir dann über Björviken (östlicher Hafen) zurück zum
Piperviksquai *). In den Sommermonaten untersuchten wir zum
Teil auch den Bundefjord, wie wir auch bisweilen die Ver¬
hältnisse bei Snaröen (7 km WSW. von der Stadt), bei Bygdö
Seebad (ca. 6 km W. von der Stadt, von letzterer durch Bygdö
getrennt) und im Frognerkilen u. a. a. 0. untersucht haben.
Ein einziges Mal, am 29. April 1900, sind wir auch so weit wie
bei Dröbak (ca. 35 km) gewesen.
Auf diesen Ausflügen, die mit den verschiedenen Unter¬
suchungsstationen auf der Karte II abgesetzt sind, schöpften wir
stets Wasserproben an verschiedenen Punkten des Weges. Gewöhn¬
lich wurden sie allein der Oberfläche des Wassers entnommen; zum
Teil wurden sie aber auch aus verschiedenen Tiefen heraufgeholt,
wozu die im vorigen Abschnitte beschriebenen Flaschen mit
Kautschukpfropfen, die vorher sterilisiert waren, benutzt wurden.
Diese Flaschen bleiben zwar offen von dem Augenblicke an, da der
Pfropfen herausgezogen ist; wenn sie sich aber in der betreffenden Tiefe
gefüllt haben, was sich dadurch zu erkennen gibt, dafs keine Luftblasen
mehr durchs Wasser aufsteigen, riskiert man indessen nicht, dafs der Inhalt
während des Heraufholens mit den mehr oberflächlichen Wasserschichten
des Fjordes verunreinigt wird, indem das Wasser unter einem desto gröfseren
Drucke steht, je tiefer man kommt, und daher auch der Inhalt der Flaschen
unter einem gröfseren Drucke steht als die Wasserschichten, durch welche
sie aufgeholt werden.
Bevor wir die Ergebnisse dieser Untersuchungen besprechen,
mufs zuerst abgemacht werden, wie viele Bakterien ge¬
wöhnlich im reinen Meerwasser pro Kubikcentimeter
Vorkommen. Der einschlägigen Litteratur entlehnen wir, dafs
Fischer in 74 °/ 0 von 121 Untersuchungen an der Oberfläche des
Atlantischen Meeres weniger als 250, in 21°/ 0 mehr wie 500 und
im ganzen 5°/ 0 mehr wie 1000 per Kubikcentimeter fand (vgl.
1) Diese Route ist als »Hauptroute* auf Karte II mit einer roten
Linie aufgezogen; die Stationen sind mit römischen Zahlen bezeichnet.
Digitized by CjOOQle
204 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
die früher citierte Arbeit in »Zeitschrift für Hygiene«, Bd. 23,
S. 57). Um zu untersuchen, ob dieselben V|rhältnisse in dem
innern Teil des Christianiafjords wiedergefunden werden und
dadurch eine Norm dafür zu gewinnen, welcher Gehalt, als auf
eine Verunreinigung desselben deutend, angenommen werden
mufs, hat der Eine von uns — Schmidt-Nielsen — entsprechende
Untersuchungen mitten in Dröbaksund vorgenommen; die Re¬
sultate derselben sind in Tabelle 8 wiedergegeben. Aus dieser
ist ersichtlich, dafs der Keimgehalt der Fjordoberfläche bei keiner
der 15 Untersuchungen 62 per Kubikcentimeter überstieg; und
wenn die Zahlen in der Tiefe — wie dies auch von Anderen
beobachtet worden ist — etwas höher gefunden wurden, und der
Gehalt hier sogar ein einziges Mal (in 10 m Tiefe) 10 000 er¬
reichte, war es doch trotz zahlreicher Beobachtungen eine reine
Ausnahme, dafs die Zahl 240 überschritten wujde. (Aufser den
erwähnten 10 000 wurden nur einmal 540 und einmal 900 —
in beiden Fällen in 15 m Tiefe — und schliefslich einmal 420
[25 m] gefunden).
Tabelle VIII.
Keimgehalt des Meerwassers per ccm in Dröbaksund; Sommer 1900.
Tiefe in m
Datum i}---
9
2
! 3
5 1
10
15
25
14. Juli
1900
_
54
_ j
45
_
225
19. >
>
* io
56
—
—
10 000
—
116
23. *
>
16
113
—
50
172
—
88
24.
>
24
42
,
60
26
—
110
28. *
>
28
—
31
16
76
— (
26
30. >
>
8
—
—
72
187
— I
239
4. August
>
14
—
—
104
157
—
—
7. >
>
62
—
78
50
48
57
64
10.
60
—
91
100
91
540») i
—
18.
>
6
—
i 16
—
105
68 i
233
25.
>
32
—
■ —
—
—
— !
—
30.
>
32
—
56
34
—
34
135
31.
>
20
—
148
j 130
112
—
163
8. September >
39
—
51
I 86
104
900 .
72
22.
47
—
87
96
62
—
420
I) Genau 17 m
Digitized by v^.ooQle
Von Dt. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 205
Wir können diese Untersuchungen mit anderen Daten vervoll¬
ständigen, indem Schmidt-Nielsen 1 ) im Monat August 1898
an der Meeresoberfläche bei Jäderen (West-Norwegen) 20 bis 30
und im September desselben Jahres bei Frederiksvärn (südliches
Ende desChristianiafjords) 20—30—90 Keime per Kubikcentimeter
fand; im Oktober ds. Js. fand er an der Mündung des Langesunds¬
fjords (südlich vom Christianiafjord) an der Meeresoberfläche
20—30 per Kubikcentimeter. Ferner fand er in demselben Herbst
im Dröbaksund mehrmals ca. 50 per Kubikcentimeter, während
dagegen der Gehalt bei Dröbak im Herbst 1899 zum Teil etwas
höher war, indem am 20. Oktober 361 und am 21. dess. Monats
168 per Kubikcentimeter (am 20. November und 17. Dezember
dess. Js. bezw. 39 und 88) gefunden wurden: und am 1. Sept.
1900 wurden an derselben Stelle bezw. 345, 130 und 63 Keime
gezählt. Mit Rücksicht auf diese letzteren Untersuchungen mufs
jedoch hervorgehoben werden, dafs sie in der nächsten Nähe
der Stadt Dröbak vorgenommen wurden, wo nicht unwahrschein¬
lich das Wasser mittels des Wellenschlages, durch Abfallstoffe,
von der Stadt herrührend, verunreinigt sein kann. (Die in
Tabelle 8 referierten, wie die sonst besprochenen Wasserproben
wurden stets per Boot mitten im Sunde entnommen.) Schliefslich
sei hinzugefügt, dafs Schmidt-Ni eisen an einem Tage im
Oktober 1900 an der Biologischen Station von Drontheim 400
Keime per Kubikcentimeter an der Oberfläche des Meeres fand,
während die entsprechenden Zahlen in 3, 4, 10, 15 und 25 m
Tiefe bezw. 93, 96, 50, 161 und 20 m waren (am Tage vorher
waren heftige Regengüsse eingetreten).
Diese Zahlen stimmen insofern mit den von Fischer und
Anderen gefundenen, als sie zeigen, dafs ein einmaliger Nachweis
eines hohen Keimgehaltes im Meerwasser nicht für eine Ver¬
unreinigung desselben zu sprechen braucht. Anders dagegen,
wenn ein verhältnismäfsig hoher Bakteriengehalt sich durch
wiederholte Untersuchungen während längerer Zeit nachweisen
läfst; etwas Derartiges kommt nicht vor, wenn das Wasser rein
ist, sondern nur, wenn etwas Abnormes, d. i. wenn eine Ver-
1) Vergl. Schmidt-Nielsen, Biologisches Centralblatt, 1901, Nr. 3.
Digitized by CjOOQle
206 Über d. Verunreinigung d. städt. Halens und d. Flusses Akerselven etc.
unreinigung dem Wasser zugeführt worden ist; und eine solche
kann man sich im Hafen Christianias nur durch Sielinhalt und
ähnliche Stoffe entstanden denken. Vor allem wird dies der
Fall sein müssen, wenn eine Verunreinigung des Hafenwassers
mit Bakterien nachweisbar, um so mehr abnimmt, je mehr man
sich von den Mündungen der Siele entfernt.
Wenn man nun fragt, welche Erhöhung des Keimgehaltes
man als Ausdruck einer Verunreinigung betrachten soll, hat
Fischer in der citierten Arbeit auf Grundlage eigener und
Anderer Untersuchungen den Satz aufgestellt, »dafs das nicht
verunreinigte Meerwasser an der Oberfläche in der Regel weniger
als 500 Keime im Kubikcentimeter enthält, und dafs eine gröfsere
Bakterienzahl den Verdacht einer stattgehabten Verunreinigung
nahelegt, und zwar um so mehr, je höher sich der Keimgehalt
erweist« (a. a. 0. S. 59).
Auf unsere erwähnten Untersuchungen gestützt, müssen wir
davon ausgehen, dafs diese Zahl, was den inneren Teil des
Christianiafjords betrifft, zu hoch ist, indem hier höch¬
stens schon ein Keimgehalt von mehr als 250 per
Kubikcentimeter auf eine Verunreinigung sowohl der
oberflächlichen Wasser schichten als bis zu 25 m
Tiefe herab deuten wird; d. h. unter der Voraussetzung,
dafs ein solcher Gehalt sich nicht blofs ein einziges Mal, sondern
mittels wiederholter Untersuchungen nachweisen läfst. Wie wir
unten sehen werden, spielt doch dieser Unterschied von der
Fischer sehen Norm für die Beurteilung der Verunreinigung
des Hafens keine Rolle, aufser wo es gilt, einen Einblick darin
zu gewinnen, wie sich die tieferen Wasserschichten verhalten.
Um nach dieser Einleitung zu unseren bakteriologischen
Analysen des Hafenwassers überzugehen, fangen wir mit dem
Keimgehalte der Oberfläche desselben an, indem eine Verunreini¬
gung dieser, wie mehrmals früher berührt, in den Hafenstädten
sich immer ungleich gröfser zeigt als in verhältnismäfsig geringer
Tiefe unter der Oberfläche. Die diesbezüglichen Ergebnisse sind
in Tabelle 9 wiedergegeben; diese ist der Übersicht wegen in
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 207
zwei Abschnitte geteilt, von denen der erste die Untersuchungs¬
stationen unserer früher erwähnten Hauptroute umfafst — von
dem Bisletsiele des Piperviksquai (westlicher Hafen) durch die
»westliche Einfahrt« des Hafens hinaus nach Näsodden und
zum Ausgangspunkte durch die »östliche Einfahrt« über Björ-
viken (östlicher Hafen) zurück. Hierzu kommt als ein zweiter
Abschnitt die Untersuchungen an verschiedenen »Nebenstationen«,
die teils an die westliche, teils an die östliche Einfahrt stofsen,
teils im Bundefjorde gelegen sind. (Wenn Kongshavn unter den
»Nebenstationen« aufgeführt ist, ist dies insofern fehlerhaft, als
wir hier ebenso viele und mehr Untersuchungen als an manchen
Stationen der »Hauptroute« vorgenommen haben. Wie die Tabelle
geordnet ist, ist sie indessen mit den auf der Karte abgesetzteu
Stationen übereinstimmend.)
(Tabelle IX siehe Tafel IV.)
Aus der Tabelle geht hervor, dafs der untersuchte Zeitraum
sich in drei Perioden teilen läfst, von denen die erste den Früh¬
ling und Frühsommer 1900, die dritte den entsprechenden Zeit¬
raum 1901, und die zweite Periode die Zeit zwischen den zwei
vorigen umfafst.
In der ersten Periode, d. h. im Frühling und Früh¬
sommer — vom Anfang April bis Anfang Juni 1900
gerechnet — wird man sehen, dafs der Keimgehalt der
oberflächlichen Wasserschicht, sowohl der westlichen wie
der östlichen Einfahrt, durchgehends schon in verhältnis-
raäfsig kurzer Entfernung von der Stadt niedrig
oder mäfsig gewesen ist. Zwischen Kavringen und Herbern
(d. h. in einer Entfernung von ca. 1,5 km von der Mündung des
Bisletsieles in Piperviken) wurde es z. B. bei 2 von 8, beim
Leuchtturm Dyna (ca. 3 km vom selben Siele) bei 3 von 6 und
zwischen Dyna und Näsodden (ca. 4,7 km) bei 4 von 6 Unter¬
suchungen niedriger als die aufgestellte Norm für »reines« Meer¬
wasser, d. h. 250 per Kubikcentimeter gefunden. Beim Leucht¬
urm Hägholmen (ca. 3 km von der Mündung Akerselvens) zeigte
sich sogar in 4 von 5 Beobachtungen der Gehalt unter dieser
Digitized by
Google
208 Über d. Verunreinigung d. städt Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
Norm und was Näsodden und die Strecke zwischen diesem
Punkte und Snaröen betrifft (ca. 6,5 km), war dasselbe der Fall
in 3 von 4 Untersuchungen, während in der vierten der Gehalt
400 war (Näsodden). Kommt nun hierzu, dafs die Zahlen der
gesamten Untersuchungsstationen in einer Reihe der übrigen
Beobachtungen nur in verhältnismäfsig geringem Grade die er¬
wähnten 250 Keime per Kubikcentimeter überschreiten, gibt es
einen augenfälligen Unterschied zwischen diesem Zeitraum und
dem zweiten.
Periode von Ende .J uni 1900 bis ca. Mitte März 1901.
Wir finden hier durchgehends auf allen Stationen der westlichen
und östlichen Einfahrt weit höhere Zahlen als im vorigen Zeit¬
raum. Zwar können wir kein Gewicht darauf legen, dafs im
April—Juni 1900 aufserhalb des Bisletsieles in Piperviken durch¬
schnittlich allein etwas mehr wie 200,000 Keime per Kubikcenti-
raeter gefunden wurden, während die entsprechenden Zahlen für
die hier zu besprechende Periode zwischen ca. 1 x / 3 und 19 1 /*
Millionen schwankten; bei den wenigen Untersuchungen, die an
diesem Orte im April—Juni ausgeführt wurden, gaben wir näm¬
lich nicht darauf acht, die Wasserproben unmittelbar vor der
Mündung des Sieles zu entnehmen. Auch wollen wir nicht in
Betracht der verhältnismäfsig wenigen Beobachtungen bei Kav-
ringen (1,2 km vom genannten Siele entfernt) zu viel Gewicht
darauf legen, dafs der Keimgehalt daselbst während der vorigen
Periode nur bis zu 5050 emporstieg, während er mit einer ein¬
zigen Ausnahme (8500) vom Juli an zwischen ca. 28 000 und
81 000 schwankte. Dagegen mufs hervorgehoben werden, dafs
der Gehalt zwischen Kavringen und Herbern (2,5 km vom Bis-
letsiele entfernt), wo er in der vorigen Periode zum Teil niedriger
als die Norm für »reines« Meerwasser gefunden wurde und sonst
als Maximum 2054 betrug, in dieser Periode bei 6 von 18 Be¬
obachtungen zwischen 1050 und 8500, in 4 Beobachtungen
zwischen ca. 12 000 und 17 000 und bei den übrigen 8 Unter¬
suchungen zwischen 29 500 und ca. 100 000 per Kubikcentimeter
schwankte. Ähnliche Verhältnisse zeigen auch die übrigen Unter-
suchungsstationen der »westlichen« und »östlichen Einfahrt«":
Digitized by VjOOQle
Von Dr. Axel Holst, t)r. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 209
u. a. erhellt aus der Tabelle, dafs in diesem Zeiträume zwischen
Dyna und Näsodden, wie auch bei Hägholmen nur bei einer
einzigen von bezw. 17 und 18 Untersuchungen ein Keimgehalt,
welcher der Norm für »reines Wasser« entsprach, gefunden wurde,
während sonst zwischen einigen Tausenden bis 80 000 Bakterien
per Kubikcentimeter zugegen waren. Ebenfalls ist zu bemerken,
dafs der Keimgehalt zwischen Näsodden und Snaröen bei 9 von
10 und bei Näsodden bei 7 von 13 Untersuchungen noch auf eine,
wenn auch meistens mäfsige oder verschwindende Verunreini¬
gung mit Sielwasser deutet. (Diese Punkte sind beide ca. 6—6,5 km
von der Stadt entfernt.)
Es läfst sich aber auch ein Unterschied zwischen den zwei
Perioden an anderen Stellen des untersuchten Bereiches nach-
weisen. Man findet z. B. in der Tabelle durchgehends die Unter¬
suchungsstationen Kongshavn Bad und zwischen Sjursöen (weiter
südlich) und dem Festlande mit weit niedrigeren Zahlen während
des ersten als während des zweiten der hier besprochenen Zeit¬
räume aufgeführt; und was Grönlien (etwas nördlich von Kongs¬
havn) betrifft, zeigt auch diese Station in der zweiten Periode
durchwegs hohe Zahlen (bis ca. 220 000), die jedoch, da an diesem
Orte in der ersten Periode nur eine einzige Untersuchung aus¬
geführt ist, keinen direkten Vergleich mit der letzteren erlauben.
Bevor wir weiter gehen, sei noch erwähnt, wie weit die Ver¬
unreinigung bisweilen zur Sommerzeit den Bundefjord
hinaus nachgewiesen werden kann. Aus der Tabelle 9
wird man sehen, dafs bei Malmökalven Seebad (ca. 4,5 km von
der Stadt) ein einziges Mal, den 20. Juni, 42 000 Keime per
Kubikcentimeter nachgewiesen wurden, ein Verhalten, das neben
den übrigen hohen Zahlen, die an diesem Tage gefunden wurden
(21 500 bei Bydö Seebad, Nordwestseite Bygdös — ca. 63 000
zwischen Bygdö und Brandskjärene, mitten in der Einfahrt des
Frognerkilen — ca. 36 000 bei Kavringen), dazu berechtigt, den
20. Juni zur zweiten Periode zu rechnen, wenn auch sonst eben
an diesem Tage nur wenige Beobachtungen vorgenommen wurden.
Aber auch sonst wird man aus der Tabelle sehen, dafs zur
Sommerzeit mehrmals im Bundefjorde eine, zwar in diesen Fällen
Archiv für Hygiene. Btl. XLI1. H
Digitized by v.ooQle
210 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
sehr oder relativ mäfsige Verunreinigung in beträchtlichen Ent¬
fernungen von der Stadt beobachtet worden ist (vgl. die Zahlen
des 22. August), wie man auch in diesem Teil des Fjords den
genannten Unterschied zwischen den zwei Perioden beobachten
kann (vgl. den Sund zwischen Rambergö und Langö, Tabelle 9).
Überhaupt ist aus der Tabelle ersichtlich, dafs der Keimgehalt
während des hier besprochenen Zeitraumes in der
Nähe derStadt sehr oft so grofs ge wesen ist, dafs die
Verunreinigung als sehr bedeutend bezeichnet
werden mufs —eine Anschauung, deren Richtigkeit vor allem
einleuchten wird, wenn man auf die vielen hohen Zahlen bei
Kongshavn und Grönlien mit den daselbst befindlichen städtischen
Badeanstalten Rücksicht nimmt. Diese Zahlen entsprechen auch
denjenigen bei Kavringen, wo man vor einiger Zeit eine Bade¬
anstalt anlegen wollte, weil das Wasser daselbst als speciell rein
vorausgesetzt wurde; hierzu fügen wir noch, dafs wir bei den
Badeanstalten »Sölyst* und >Svömmeflaaten«, die am Fufse der
Festung Akershus zwischen dem westlichen und östlichen Hafen
gelegen sind, im vorigen Sommer zwischen 20 000 und 48 000
Keime per Kubikcentimeter gefunden haben.
Gehen wir nun zum dritten Zeitraum über, so entspricht
er dem Frühling und Frühsommer 1900, in dem er mit dem
22. März 1901 anfing und noch andauerte, als unsere letzte
Untersuchung am 15. Mai d. J., ausgeführt wurde. Aus der
Tabelle geht hervor, dafs die Zahlen in diesem Zeitraum sich
durchschnittlich bedeutend niedriger als in der Periode Juni 1900
bis 12. März 1901 gehalten haben. Wir verweisen insofern auf
die Untersuchungen bei Kavringen mit einem Keimgehalte
zwischen 1450 und 8450 gegen H500—28 500 und 75 500 in der
vorigen Periode; ferner vergleiche man die Zahlen bei Dyna,
wo der Gehalt zwischen 1500 und 6250 gegen 2265—10 600—
19 500—38 800—114 500 in der vorigen Periode schwankte; wir
verweisen ferner auf die Resultate bei Hägholmen, wo der Keim¬
gehalt in der vorigen Periode zwar einmal nur 60 war, sonst
aber zwischen 2550—7900—11 150—38 750 — 79 500 schwankte,
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 211
während er in dem hier besprochenen Zeitraum nur 330—8300
betrug.
Insofern haben sich also die Verhältnisse denjenigen ge¬
nähert, die zur selben Jahreszeit im Jahre 1900 vorhanden waren;
doch sind sie mit letzteren keineswegs identisch gewesen, indem
wir in diesem Frühlinge erst (bei 5 von 7 Beobachtungen) bei
Näsodden (d. h. 6 km von der Stadt) einen Keimgehalt gefunden
haben, der nicht die aufgestellte Norm für »reines Meerwasser«
überschreitet; dies war aber im vorigen Frühjahr schon in einer
gröfseren Nähe der Stadt häufig der Fall, wie der Keimgehalt
sich damals auch sonst durchgehends viel niedriger hielt.
Aus diesen Untersuchungen geht hervor, dafs auch der
Keimgehalt der Oberfläche des Hafenwassers in einer
wesentlichen Beziehung den Verhältnissen entspricht, die man
zufolge der früheren Abschnitte dieser Darstellung erwarten sollte.
Denn wenn der Keimgehalt eben im Frühjahr und Frühsommer
am niedrigsten ist, entspricht dies der Jahreszeit, wo ein Steigen
des Salzgehaltes darauf deutet, dafs die oberflächlichen, mit
Süfswasser und daher auch mit Sielinhalt am meisten bei¬
gemengten Wasserschichten in der gröfsten Ausdehnung den
Fjord hinaus getrieben sind. Und umgekehrt: wenn der Keim¬
gehalt im Sommer sehr hoch ist, entspricht dies eben der Jahres¬
zeit, da eine Abnahme des Salzgehaltes eine Aufstauung der¬
selben Wasserschichten im Hafen zu erkennen gibt. Hierzu ist
zwar zu bemerken, dafs der Keimgehalt in diesem Frühjahr
(1901) erst am 22. März abzunehmen anfing, während die Kulmi¬
nation des Salzgehaltes schon am 12. desselben Monats ein¬
getreten war (vergl. Tabelle 6, 5 m Tiefe); an letzterem Tage
wurde aber der Keimgehalt besonders hoch gefunden. Doch darf
dies nicht Wunder nehmen; denn, wie früher erwähnt, war ge¬
rade vorher ein Tauwetter eingetreten, welches dem Hafen von
den Strafsen der Stadt u. a. eine überaus grofse Verunreinigung
zugeführt haben mufs; dies Verhalten kann auch den geringen
Salzgehalt, den wir eben am 12. März an der Oberfläche fanden,
erklären.
Digitized by CjOOQle
212 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
Demnächst war uns auffällig, dafs der Keimgehalt in diesem
Frühjahr, wie schon oben erwähnt, obschon verhältnismäfsig
niedrig, doch erheblich höher als zur selben Zeit des Jahres 1900
gewesen ist. Auch dies ist indessen verständlich, indem die
Temperatur der Monate April und Mai 1901 in Christiania viel
höher war und in viel gröfserem Umfange von südlichen Win¬
den begleitet wurde als die entsprechenden Monate des Jahres 1900.
Hiermit stimmt ja auch überein, dafs der Salzgehalt im Laufe
von April und Mai 1901 niedriger wie in den entsprechenden
Monaten 1900 gefunden wurde. Was wir dagegen besonders
hervorheben wollen, ist die Thatsache, dafs der Keimgehalt vom
29. Oktober 1900 bis zum 11. Januar 1901 trotz der Zunahme
des Salzgehaltes (vergl. Tabelle 6) ebenso hoch war, als wir im
Laufe der Sommermonate beobachteten. Diese beträchtliche
Verunreinigung der oberflächlichsten Schichte des Hafenwassers
am Ende des vorigen und Anfang dieses Jahres haben wir noch
nicht in befriedigender Weise erklären können.
Bevor wir weitergehen, wollen wir von dem Einflüsse
'des Windes (sowohl Richtung, als Dauer und Stärke) auf
den Keimgehalt noch folgendes bemerken: Wir haben am
29. April 1900 feststellen können, dafs ein Nordwind von kurzer
Dauer eine augenfällige Wirkung auf den Keimgehalt ausgeübt
hat. An diesem Tage machten wir einen Ausflug bis nach Drö-
bak. Auf der Hinreise, am Vormittage, wehte wie am Tage zu¬
vor ein frischer Südwind; wir fanden dann zwischen Kavringen
und Herbern 2054, zwischen den Nordenden von Hovedöen undBle-
göen 2880 und bei Hägholmen 564 Bakterien per Kubikcentimeter.
Als wir indessen am Abend um 6—7 Uhr die Untersuchung an
denselben Stellen wiederholten, hatten wir in einigen Stunden
eine frische Brise von N. gehabt und fanden nun an den¬
selben Stellen allein bezw. 199, 499 und 139 Keime per Kubik¬
centimeter (Tabelle 9). 1 ) Dafs dies darauf beruhte, dafs die ober¬
flächlichen , süfseren und somit mehr verunreinigten Wasser¬
schichten den Fjord hinausgejagt waren, ergibt sich daraus, dafs
1) Vergl. auch, dafs der Keimgehalt zwischen Herbern und Kavringen
in 3 m Tiefe am Vormittage 1392, am Nachmittage aber nur 425 war (Tab. X;.
Digitized by CjOOQle
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt Nielsen. 213
zu gleicher Zeit der Salzgehalt in 10 m Tiefe von 27,98 zu
31,69 0 /oo gestiegen war, d. h. die oberflächlichen Schichten von
weniger salzhaltigem Wasser hatten an Tiefe abgenommen. Es
darf ferner erwähnt werden, dafs auch am 4. April und 14. Mai
1900, als der Keimgehalt ebenfalls niedrig gefunden wurde, ein
frischer Nordostwiud wehte, und dafs dasselbe auch ein paar
Tage der Fall gewesen war, bevor die merkbare Abnahme des
Keimgehaltes am 10. Mai 1901 bei Hägholmen, zwischen Häg¬
holmen und Näsodden und zwischen Näsodden und Dyna be¬
obachtet wurde ; diese Brise hatte einige Stunden vor der Unter¬
suchung am 8. Mai angefangen. Bei letzterer Untersuchung war
der Bakteriengehalt dagegen höher; schon dies zeigt also, dafs
ein kurzdauernder Nordwind keineswegs immer einen
gröfseren Einflufs auf den Keimgehalt ausübt, — eine Erschei¬
nung, die wir auch sonst, u. a. während der Sommermonate,
öfters nachzuweisen Gelegenheit gehabt haben. Indessen müssen
wir zugeben, dafs wir niemals bei sehr starkem Winde dieser
Art untersucht haben.
Was sonst zu den Schwankungen des Keimgehaltes, die nach Tab. 9
zu allen Zeiten des Jahres beobachtet worden sind, beigetragen haben kann,
darüber können wir uns zur Zeit nicht mit Bestimmtheit aussprechen. Viel¬
leicht kommt hier auch die Höhe der Wellen in Betracht. Dieser Faktor
war bei den Untersuchungen, die Cassedebat 1894 im Hafen von Oran
in Algier ausführte, sehr augenfällig, wie er auch später von Fischer als
Erklärung der Schwankungen des Keimgehaltes des Kieler Hafens hervor-
gehoben worden ist. Die Bedeutung der Wellenhöhe ist darin zu suchen,
dafs die oberflächlichen und am meisten verunreinigten Wasserschichten mit
den tieferen und weniger verunreinigten um so mehr gemischt werden, je
höher die Wellen sind.
Unsererseits haben wir nur einmal eine besonders merkbare Wirkung
dieser Art beobachtet, nämlich am 19. Juli 1900, den einzigen Tag im Hoch
sommer, als wir >reines Wasser« so weit nach der Stadt zu als bei Häg¬
holmen und zwischen Dyna und Näsodden gefunden haben; an diesem
Tage gingen die Wellen sehr hoch, — höher als wir sie bei unseren Unter¬
suchungen sonst gehabt haben. Auch sonst haben wir hin und wieder ge¬
glaubt, einen etw'as höheren oder niedrigeren Keimgehalt damit in Ver¬
bindung setzen zu können, dafs die Oberfläche des Fjords ruhig war oder
nicht, ohne dafs wir indessen die Wirkung besonders hervortretend gefunden
haben. — Schliefslich sei noch erwähnt, dafs der verhältnismäfsig hohe
Keimgehalt, der auch während des Herbstes und Winters gefunden wurde,
die Einwendung widerlegt, dafs der grofse Keimgehalt der Sommermonate
Digitized by v^.ooQle
214 Über d. Verunreinigung d. städt. Hafens und d. Flusses Akerselven etc.
nur darauf beruht, dafs die hohe Temperatur eine Vermehrung der Bakterien
nach Entleerung des Sielinhalts in den Hafen begünstigt. Eine solche
Anschauung wird übrigens auch dadurch widerlegt, dafs auch die im See-
wasser ursprünglich enthaltenen Keime keine Neigung zeigen, sich
während des Sommers im Fjorde zu vermehren; vergl. z. B. die niedrigen
Zahlen, die wir zu dieser Jahreszeit immer bei Dröbak fanden und öfters im
Wasser des Bundefjords nachgewiesen haben.
Bevor wir diesen Abschnitt verlassen, mufs noch kurz die
Verunreinigung der tieferen Wasserschichten erwähnt werden.
Wie mehrmals hervorgehoben, werden diese bei den entsprechen¬
den Untersuchungen anderer Hafenstädte erheblich weniger ver¬
unreinigt als die Oberflächenschicht gefunden. Dafs dies sich auch
bezüglich des Hafens von Christiania wiederholt, geht aus der
Tab. 10 S. 216 u. 217 hervor. Diese enthält nur Untersuchungen, die
zwischen Herbern und Kavringen ausgeführt wurden; an anderen
Punkten haben wir dagegen nur ausnahmsweise Beobachtungen
dieser Art vorgenommen 1 ). Was diese Tabelle betrifft, genüge
es, unter Berücksichtigung der entsprechenden Untersuchungen
bei Dröbak, darauf aufmerksam zu machen, dafs häufig, und be¬
sonders während der Sommermonate, in 5 m Tiefe eine mäfsige,
wenn auch deutliche Verunreinigung nachgewiesen ist. Eine
gröfsere Abnahme war in 10—20 m Tiefe zu spüren; im Gegen¬
sätze zur Keimzahl der Oberflächenschicht wurde der Keim¬
gehalt in dieser Tiefe schon Anfang November bezw. am Ende des
Jahres auffallend kleiner gefunden als während des Sommers.
(Zwar überschritt der Gehalt auch im Sommer nur in geringem
Grade die 250 Keime pro Kubikcentimeter, die wir als Norm
für »reines« Seewasser aufgestellt haben.)
Wie die Bakterien diesen tieferen Schichten zugeführt werden
— ob sie z. B. nur durch eine »Sedimentierung« von der keim¬
reicheren Oberfläche heruntergesunken sind —, das müssen wir
unentschieden lassen.
1) Von diesen erwähnen wir ein Paar, die in Übereinstimmung mit den
Beobachtungen Anderer zeigen, wie stark der Keimgehalt schon unmittelbar
vorden Sielemündungen in geringer Tiefe unterhalb der Oberfläche abnimmt.
Vor den Sielen des Thingvallaquais und in Filipstad (beide im westlichen
Hafen) wurden am 18. April 11 HX) an der Wasseroberfläche 1212 000 bezw.
HW000 Keime pro Kubikcentimeter gefunden; aber schon in 2 m bezw. 0,9 m
Tiefe hatte der Gehalt auf 6000 und 60 000 per Kubikcentimeter abgenommen.
Digitized by CjOOQle
Keimgehalt und Temperatur des Wassers.
Von Dr. Axel Holet, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 215
Digitized by v^.ooQle
Fortsetzung zu Tabelle X.
Von Dr. Axel Holst, Dr. Magnus Geirsvold u. Sigval Schmidt-Nielsen. 217
Schlu fe.
Aus den voranstehenden Untersuchungen ziehen wir den
Schlufs, dafs die Verunreinigung, die das Sielwasser Christi-
anias dem Akerselv und Hafen zuführt, bedeutend ist, und dafs
die Bedingungen einer »Selbstreinigung« des Flufs- wie des
Hafenwassers im ganzen sehr wenig günstig sind.
Insofern nämlich die Selbstreinigung in einer Sedimen-'
tierung der Schwebestoffe besteht, findet dieselbe im wesentlichen
schon im Flusse oder im inneren Hafenabschnitte statt; hier¬
durch entstehen mitten in der Stadt und in den nächsten Um¬
gebungen derselben ausgedehnte Fäulnisprozesse, die einen lästi¬
gen Gestank hervorrufen.
Insofern ferner die Selbstreinigung durch eine Verdünnung
der gelösten Stoffe und Bakterien des Sielwassers geschieht, ist
diese Verdünnung in Akerselven ganz ungenügend; und wenn man
vom Frühling und Frühsommer absieht, findet dieselbe wegen der
natürlichen hydrographischen Verhältnisse als Regel auch nicht
im Hafenwasser in besonderer Ausdehnung statt.
Digitized by CjOOQle
Digitized by v^.ooQle
(Aus dem hygienischen Institute der Universität Wien.)
Über Buttersäuregärung.
(II. Abhandlung.)
Von
Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh.
A. Zur Morphologie des beweglichen Buttersäurebacillus.
Von Dr. R. Grafsberger,
Assistent am Institute.
(Mit Tafel V—VIII.)
Die grofse Verbreitung der zuckervergärenden anaeroben
Buttersäurebacillen in der Natur, die umfangreichen Zersetzungen
und deren charakteristische Produkte, sowie gewisse höchst auf¬
fällige Veränderungen der Bakterienzellen während des Ablaufes
der Versporung liefsen von vornherein das Auffinden und Be¬
stimmen von anaeroben Buttersäurebacillen nicht allzuschwierig
erscheinen. Doch hat sich im Laufe der letzten Jahre heraus¬
gestellt, dafs einmal die Zersetzungen der zuckerhaltigen Nähr¬
medien durch Buttersäurebacillen auch bei Vorhandensein der
gleichen Art durchaus nicht immer gleichartig, und keineswegs
im Sinne einer im voraus bestimmten Gleichung ablaufen, —
dafs ferner die an der Buttersäuregärung der Kohlehydrate be¬
teiligte Bakterienflora anscheinend aus einer, wenn auch kleinen,
Zahl von verschiedenen, wohlcharakterisierten Arten besteht. Die
Schwierigkeiten der Sichtung dieser Bakterienflora w r erden aber
nicht unbeträchtlich durch den Umstand vermehrt, dafs infolge
weitgehender Vielgestaltigkeit der Formen und der kulturellen
Erscheinungen einer und derselben Art, — wne sie gerade bei
den Buttersäurebacillen angetroffen w 7 ird, — die Gefahr sehr nahe
Archiv für Hygiene. Bd. XIJT. 15
Digitized by
Google
220
Über Buttersäuregftrung.
liegt, natürlich Verwandtes zu trennen und dort mehrere Arten
aufzustellen, wo es sich in der That nur um verschiedene Er¬
scheinungsformen handelt.
Daraus erhellt bereits, dafs nur auf Grund eines reichhaltigen
Materials von Untersuchungen, welche sich sowohl auf die kul¬
turell morphologischen als auch auf die chemisch-biologischen
Eigenschaften der Buttersäurebacillen beziehen, eine erfolgreiche
Sichtung dieser Bakterienarten angebahnt werden kann.
Schattenfroh und ich haben in unserer ersten ausführ¬
lichen Abhandlung (s! d. Archiv Bd. 37) unter dem Namen
granulobacillus saccharob. immob. liquefaciens (unbeweglicher
Buttersäurebacillus) eine sehr weitverbreitete anaerobe Bakterien¬
art beschrieben, deren Stellung im System der Bakterien erst
durch eingehende Studien erschlossen werden konnte.
An diese Bakterienart reiht sich ein anderes, lange bekanntes
Stäbchen an, das von Gr über im Jahre 1887 zuerst in Rein¬
kultur gezüchtet und beschrieben und später insbesondere
von Bejerinck, dann von v. Klecki u. A. studiert wurde.
Gruber hat diese Art »Amylobakter«, Bejerinck »Granulo-
bakter saccharobutyricum«, v. Klecki »Bacillus saccharobutyricus«
genannt.
Die vorliegende Arbeit soll nun die Resultate einer ver¬
gleichenden Untersuchung wiedergeben, welche mit den Stämmen
dieser Autoren, sowie mit einer gröfseren Anzahl von Butter¬
säurebacillen angestellt wurden, die von Schattenfroh und
mir aus verschiedenen Materialien gezüchtet und im Verlaufe
der Prüfung als einer Art angehörig erkannt wurden. Und zwar
soll es speciell meine Aufgabe sein, die kulturellen Erscheinungen
zu schildern, welche dieser Bakterienart zukommen, sowie die
morphologischen Bilder genauer zu beschreiben, welche bei dem
Studium dieser ungemein pleomorphen Bakterienart zur Beobach¬
tung kommen. Ich will zu diesem Zwecke mit der Schilderung
der Kulturen auf den üblichen zuckerhaltigen Nährböden be¬
ginnen und erst an diese die mikroskopischen Befunde anschliefsen,
unter welchen der Darstellung des Versporungvorganges ein
breiterer Raum gewidmet werden soll.
Digitized by
Google
Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh.
221
Verhalten auf Gelatine.
Auf gewöhnlicher Nährgelatine ohne Zuckergehalt ist der be¬
wegliche Buttersäurebacillus des Typus »Amylobakter« nicht zum
Wachstum zu bringen. Gelatine mit Trauben* oder Rohrzucker
bildet hingegen für denselben einen ausgezeichneten Nährboden,
der insbesondere mit Vorteil zur sicheren Erzeugung von Sporen
(s. w. u.) verwendet werden kann, wie dies bereits von Grub er
hervorgehoben worden ist. Das Verhalten des beweglichen
Buttersäurebacillus in Zuckergelatine ist insofern ein bemerkens¬
wertes, als auf diesem Nährboden je nach besonderen Umständen
ein sehr verschiedenes Aussehen der Vegetation zu beobachten ist.
Dieselbe kommt sowohl im Zuckergelatinestich als auch in
Zuckergelatineplatten in dreierlei Typen zur Entwicklung. Bei
einer Temperatur von 18 — 23° C. beobachtet man in hoch¬
geschichteter Zuckergelatine oder in der im Buchnerrohr gehaltenen
Eprouvette (sorgfältiges Auskochen bezw. Evacuieren der Gelatine
hat stets unmittelbar vor der Impfung zu geschehen) nach 24 bis
48 Stunden das Auftreten von kugeligen oder knopfförmigen,
längs des Stichkanals aneinandergereihten compakten Vegetationen,
die im weiteren Verlaufe etwas an Gröfse zunehmen; bald aber
sistiert das Wachstum, die Vegetation kommt zum Abschlufs,
und es zeigt dann eine solche Kultur den Anblick eines aus
knolligen oder scheibenförmigen Massen zusammengesetzten
Stichfadens.
In manchen Fällen bilden sich nun als Übergang zum
Typus 2, von dieser centralen Vegetation aus vereinzelte stachelige
oder fadenförmige Ausstrahlungen. Kommt es im Verlaufe des
Wachstums oder von vornherein sehr reichlich zur Entwicklung
von solchen Ausläufern, so bieten die Gelatinekulturen ein sehr
zierliches Bild. Der Nährboden zeigt sich dann durchsetzt von
überaus zierlichen, langen, geschlungenen, mannigfach gedrehten,
dickeren bis haarfeinen Gebilden, die oft in weitem Abstand
vom centralen Stichfaden, von dem sie ausgehen, in bogen¬
förmigen Windungen die Gelatine, welche keine Spur von Ver¬
flüssigung oder Erweichung zeigt, durchsetzen. Diese Vegeta¬
tionen, ebenso wie der übrige Nährboden sind dann in wechselndem
16 •
Digitized by CjOOQle
222
Über Buttersäuregärung.
Grade von Gasblasen durchsetzt. Diese Form der Gelatine Vegeta¬
tionen stellt den zweiten Typus vor. In wieder anderen Fällen
kommt es schon in 48 Stunden nach der Aussaat zu einer ganz
eigentümlichen Veränderung der Gelatine. Diese erscheint reich¬
lich von Gasblasen durchsetzt, diffus getrübt, das Gesamtvolumen
der Vegetation dadurch oft aufs Doppelte vergröfsert, dabei aber
tritt keine Spur von Verflüssigung auf. Man kann die Eprouvette
umkehren, schütteln, es zeigt sich weder in den Gasblasen
eine Bewegung noch sonst eine Veränderung, die auf Verflüssigung
hinweisen würde.
Stellt man nun eine so veränderte Eprouvette, im Buchnerrohr
verwahrt, auf 24 Stunden in den Brutschrank, so steigen natur-
geraäfs nach der Verflüssigung der Gelatine die Gasblasen an
die Oberfläche. Die Gelatine erstarrt aber in kürzester Zeit
wieder in ihrer Gesamtheit, wenn die Eprouvette in kaltes Wasser
gegeben wird und bleibt, bei Zimmertemperatur aufbewahrt,
dauernd unverändert.
Hält man die Eprouvette durch viele Tage im Brutschrank,
so beobachtet man allerdings eine herabgesetzte Erstarrungs-
fäbigkeit der Gelatine, ein Umstand, der gewifs nicht in Erstaunen
setzen kann, wenn man bedenkt, dafs es sich um langdauernde
Einwirkung von Brutwärme auf eine durch die gebildete Butter¬
säure und Milchsäure stark sauer gemachte Leimlösung handelt.
Jedenfalls darf man bei dieser Versuchsanordnung nicht ohne
weiteres an die Einwirkung eines peptonisierenden Enzyms
denken.
Von welchen Umständen hängt nun das jeweilige Auftreten
einer der drei Typen des Wachstums auf Gelatine ab? Da wirft
sich zunächst die Frage auf, ob sich zwischen den einzelnen
Arten der untersuchten Stämme des beweglichen Buttersäure¬
bacillus Unterschiede ergeben. Der Hinweis darauf, dafs jeder
der untersuchten Stämme in allen drei Typen auf Zuckergelatine
zur Beobachtung kommt, zerstört bereits alle Illusionen, welche
darauf hinzielen, etwa mit Hilfe der Zuckergelatinekultur einzelne
Stämme voneinander zu unterscheiden. Davon kann bei dem
aufserordentlich wechselnden Verhalten der Reinkultur jedes
Digitized by CjOOQle
Von Pr. R. Grafsberger und Pr. A. Schattenfroh.
223
einzelnen Stammes nicht die Rede sein. Es gelingt zwar durch
Züchtung bei einer Temperatur, welche der YerHüssigungstempe-
ratur der Gelatine sehr nahe kommt, häufiger die Form diffusen
Wachstums zu erhalten, doch tritt diese anderseits auch bei
sehr niederer Temperatur (12—14°) gelegentlich auf. Die Kon¬
zentration des zngesetzten Zuckers ist belanglos; bei starker
Herabsetzung des Zuckergehaltes werden die Bedingungen zum
Anwachsen sehr ungünstige, die geimpften Eprouvetten bleiben
oft steril, bei höherer als 2proz. Zuckerkonzentration bleiben
die Resultate ebenso wechselnd wie bei Gelatine mit 2 °/ 0 Zucker.
Ja man kann nicht selten bei Abimpfung von einer Rein¬
kultur in eine Anzahl von Eprouvetten, die mit Nährboden
derselben Bereitung gefüllt sind, das Auftreten von verschie¬
denen Wachstumstypen beobachten. Die Bedingungen für das
wechselnde Verhalten der beweglichen Buttersäurebacillen in
Zuckergelatine sind uns also im einzelnen Falle nicht bekannt.
Auch durch Wasserzusatz, bezw. Gelatinegehaltherabsetzung kann
keine sichere Beeinflussung erzielt werden, ebensowenig liefs sich
ein Einflufs von seiten der ursprünglichen Nährbodenreaktion fest¬
stellen. Zweifellos ist der augenblickliche Charakter des über¬
impften Stammes, der wieder von den Wachstumsbedingungen
der vorausgegangenen Generationen abhängt, von grolser Be¬
deutung, wie dies später noch auseinandergesetzt werden soll.
Im übrigen können wir nur vermuten, dafs es aufserordent-
lich feine Differenzen in der Beschaffenheit des Nährbodens
einerseits, in der augenblicklichen Wachstumsenergie der Keime
anderseits sind, die in verschiedenen Impfungen, ja in einer und
derselben Kultur zeitweise langsames, geschlossenes Wachstum,
dann rasches, diffuses Durchwachsen des Nährbodens herbeiführen.
Jedenfalls läIst sich kein Zusammenhang mit den Verhältnissen
der Anacrobiose feststellen.
Ganz analog wie das Verhalten des beweglichen Butter¬
säurebacillus in Gelatinestich ist dessen Wachstum auf Gelatine¬
platten. Auch hier kommt es gelegentlich, wenn auch seltener,
zu einer diffusen, mit reichlicher Gasbildung verbundenen Vege¬
tation, die sich mikroskopisch (50 fach) als eine sehr feinkörnige
Digitized by
Google
224
Über Buttersäuregärung.
Trübung darstellt, meistens aber zeigen sich kompakte Kolonien,
auch bei dichter Aussaat. Diese sind nun wieder entweder knollig,
und die einzelnen Knollen oder deren Aggregate erreichen dann
oft in sechs Tagen eine Gröfse von mehr als 2 mm Durchmesser,
oder es treten bereits frühzeitig zahlreiche, zierliche Ausläufer
auf, die sich bei schwacher Vergröfserung als korkzieherförmig
gewundene, zopfartige oder strahlige, manchmal auch geldrollen¬
förmig gestaltete Gebilde darstellen, welche die Gelatine nach allen
Richtungen durchziehen.
Auch hier kommt es stellenweise zu diffuser, feinkörniger
Infiltration; manchmal erscheint eine solche Ausbreitung, ins¬
besondere in der Umgebung von Gasblasen unter dem Mikroskop
als Geflecht von binsenförmig verfilzten Fäden. So bieten
diese verschiedenen Typen, welche in einer und derselben Platte
in verschiedener Form zur Ansicht kommen, einen Anblick, der
an die Vegetationen des Proteus vulgär, auf Gelatine täuschend
erinnert.
Am ehesten bekommt man hier noch mit einiger Regel-
mäfsigkeit knollige Kolonien ohne Ausläufer zu Gesicht, wenn
man Oberflächenkulturen anlegt, indem man eine mit der Rein¬
kultur beschickte Platinnadel auf der Oberfläche der Platte
verstreicht, ein Verfahren, das unter den absolut anaeroben
Verhältnissen unseres Kulturverfahrens auch bei Verwendung
von sporenfreiem Ausgangsmaterial, einige Schnelligkeit beim
Anfertigen und Verarbeiten der Kulturen vorausgesetzt, mühelos
zum Ziele führt. Es hat dies insofern eine gewisse Bedeutung,
als man derart besonders schöne, reichliche Clostridien in Rein¬
kultur erzielen kann (s. u.).
Es läfst sich nämlich feststellen, dafs in Kolonien, welche
dem knolligen Typus entsprechen, die Menge der granulose-
führendeu und insbesondere der sporentragenden Stäbchen häufig
eine auffallend grofse ist, während bei Vegetationen mit diffuser
Infiltration fast regelmäfsig Clostridien und Sporen in den Hinter¬
grund treten. Dieses Verhalten steht in gutem Einklang mit
der Beobachtung, dafs auch unter anderen Umständen langsames
Anwachsen und Sporenbildung einander nicht selten parallel gehen.
Digitized by CjOOQle
Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 225
Auch hier hat man wieder den Eindruck, dafs die günstigsten
Bedingungen zur Sporenbildung regelmäfsig in den allerersten
Zeiten des Anwachsens bereits vorhanden sein müssen, bezw.
dafs in Kulturen, die von vornherein sporenfrei vegetieren,
in der späteren Zeit der Vegetation die Bedingungen zur Ver-
sporung keineswegs günstiger werden.
Verhalten auf Zuokeragar.
Im Zuckeragarstich (38° C.) entwickelt sich mit ganz wech¬
selnder Geschwindigkeit, je nach Nährbodenverhältnissen, nach
Lebensfähigkeit und Menge der übertragenen Keime in wenigen
Stunden bis zu einem Tage, eine Vegetation, die, dem Stichkanal
folgend, keinerlei charakteristische Eigenschaften aufweist; es
braucht wohl nicht erwähnt zu werden, dass es von der Agar¬
konsistenz, von der Entwicklungsenergie der übertragenen
Kultur und von dem Grade der vorhergegangenen oder fort¬
wirkenden (Büchner) Sauerstoffbefreiung des Nährbodens ab¬
hängt, ob in diesem Stadium der Stichfaden mit seiner oberen
Grenze mehr oder weniger weit von der Oberfläche entfernt ist.
Ebenso kommt die gewöhnlich bald auftretende Gasbildung unter
den verschiedensten Intensitätsgraden zur Erscheinung. Hat man
günstige Bedingungen getroffen, so zeigt sich bereits 10 Stunden
nach der Impfung der Zuckeragar von Gasblasen ganz durch¬
setzt, dabei diffus getrübt, an der Oberfläche sammelt sich eine
Flüssigkeit, die durch Bakterien reichlich getrübt, längs des Stich¬
kanals und mit den Gasblasen nach oben geprefst wurde. Im
ungünstigsten Falle erscheint die Vegetation noch nach 24 Stunden
unter dem Bilde eines die Oberfläche nicht erreichenden, gleich-
mäfsig dicken oder unregelmäfsigen Fadens. Beim Offnen der
gut gewachsenen Zuckeragarkulturen macht sich ein mehr oder
minder intensiver Geruch nach Buttersäure bemerkbar, Fäulnis¬
geruch wird stets vermifst. In gewöhnlichem Agar erfolgt eben¬
falls ziemlich reichliches Wachstum, die Gasbildung ist ceteris
paribus geringer. Das beim Wachstum in Zuckeragar und Agar
zur Beobachtung kommende Verhalten hinsichtlich Granulose-
und Sporenbildung wird später auseinandergesetzt werden. Die
Digitized by CjOOQle
226
Über ButtersäuregÄrung.
anaeroben Zuckeragarplatten zeigen gewöhnlich bereits nach
12 Stunden in den ersten Verdünnungen reichlich Gasblasen.
24 Stunden nach der Aussaat zeigen sich tiefe Kolonien, wetz¬
steinförmig oder mit stacheligen Ausläufern, letztere besonders in
den dichtbesäten Platten. Sehr selten, nur bei Aussaat von Raqen
mit ganz ausgesprochener Neigung zur Versporung, beobachtet
man Kolonien mit haarigen Ausläufern. Aufserdem sieht man oft
sehr zahlreich grofse Gasblasen, welche den Nährboden vom Glase
abheben und in ihrer Randbucht mit trüber Flüssigkeit gefüllt sind.
Diese Gasblasen mit Randinfiltration bieten die beste Gelegenheit,
die rasche Beweglichkeit der hier unter anaörobem Verschlufs
(durch die darüber liegende Agardecke) befindlichen Bakterien zu
konstatieren, indem eine Beobachtung des Gasblasenrandes bei
etwas stärkerer Vergröfserung über dieses charakteristische Ver¬
halten sofort Aufschluls gibt (s. auch unsere erste Mitteilung).
Voraussetzung ist, dafs die Platten nicht älter als 24 Stunden sind.
Denn in solchen älteren Kulturen ist sehr häufig die Beweglich¬
keit dieser Stäbchen, welchen eine sehr kurze Lebensdauer zu¬
kommt, vollständig erloschen, ein Umstand, der seine Analogie
darin findet, dafs auch Abimpfungen von älteren Kolonien häufig
erfolglos bleiben. Dasselbe gilt von Kulturen, in denen über¬
reichliche Granulosebildung von vorneherein einsetzt Auch
in solchen zeigen sich gelegentlich die meisten Stäbchen bereits
nach 24 Stunden unbeweglich.
Es mag hier nebenbei erwähnt werden, dafs anaörobe Zucker¬
agarplatten des beweglichen Buttersäurebacillus ebenso wie die
des unbeweglichen, welche nach 24 Stunden noch keine Kolonien
oder Gasblasen erkennen lassen, gewöhnlich auch dauernd steril
bleiben; es handelt sich dann entweder um mangelhafte Anaero-
biose oder um Verwendung von abgestorbenen Stäbchen Vege¬
tationen zur Aussaat.
Der schädliche Einflufs der Gegenwart von rasch wachsen¬
den, fakultativ anaeroben Bakterien in Mischkulturen, welcher
auch bei Verwendung von Ausgangsmaterial (flüssige Nähr¬
böden) , das scheinbar überwiegend die Stäbchen des beweg¬
lichen Buttersäurebacillus enthält, zur Geltung kommt, macht
Digitized by
Google
Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh.
227
sich auch hier (Zuckeragar) in hohem Grade bemerkbar, eine
Erfahrung, die von Wichtigkeit für die Beurteilung des Mengen¬
verhältnisses verschiedener Arten von Gärungserregern in flüssigen
Medien ist. Es mag hier hervorgehoben werden, dafs in vielen
Fällen eine Isolierung des beweglichen Buttersäurebacillus aus
flüssigem Material, das er in dem betreffenden Falle gärend
beherrscht, durch das einfache Plattenverfahren ausgeschlossen
ist. Damit soll ein Punkt von wesentlicher Bedeutung berührt
werden: strengste Anaerobiose, Wahl eines sonst günstigen Sub¬
strates (Zuckeragar), vermögen nicht die Nachteile aufzuwiegen,
welche der feste Nährboden dem Anwachsen mancher Ra^en
der Buttersäurebacillen in Mischkultur entgegensetzt, ja, man
glaube nicht, im festen Nährboden durch Beimischung aerober
Bakterien etwa ähnliche Wachstumsbegünstigungen herbeizu¬
führen, wie dies in flüssigen Medien der Fall ist.
Es scheint uns, dafs dies trotz aller Erfahrungen der älteren
bakteriologischen Zeit gerade in den letzten Jahren zu wenig
berücksichtigt worden ist. Das angeführte Verhalten kann nun
aber auch in umgekehrter Richtung zu folgenschweren Irrtümern
führen. Es kann nämlich der Fall eintreten, dafs bei Abimpfung
von solchen fakultativ anaeroben Kolonien, Sporen des spezi¬
fischen Gärungserregers, welche im Nährboden zerstreut gelagert
sind, nun neuerlich, wenn die Übertragung in flüssiges Material
stattfindet, auskeimen, neuerlich Gärung verursachen und
das Feld beherrschen, während die fakultativ anaeroben Bak¬
terien zurücktreten. Damit liegt die Vermutung nahe, dafs ein
Teil der rätselhaften Befunde, welche von Autoren angegeben
werden, z. B. die Existenz von Organismen, die nur einmal oder
einigemale spezifische Gärung verursachen, die sich dabei aus
streng anaeroben Bakterien in morphologisch und biologisch
ganz anders geartete Keime umwandeln, auf solche Fehlerquellen
zurückzuführen ist. Eine Methode, die zum Teil die Nachteile
des festen Nährbodens paralysiert und damit auch unter sonst
ungünstigen Bedingungen Ra<;en von Gärungserregern (welche
unter gewöhnlichen Verhältnissen trotz strengster Anaerobiose, trotz
verhältnismäfsig reichlicher Gegenwart im flüssigen Ausgangs-
Digitized by CjOOQle
228
Über Butter8äureg&rung.
material etc. nicht züchtbar sind), über die Schwelle der Züchtbarkeit
in festen Nährmedien hebt, soll von uns später mitgeteilt werden.
Ein sehr auffallender Unterschied zwischen den Kolonien
des beweglichen und jenen des unbeweglichen Buttersäure¬
bacillus ergibt sich in dem Aussehen der Oberflächenkolonien
auf Zuckeragar.
Während sich in Reinkulturen des unbeweglichen Butter¬
säurebacillus auf Zuckeragarplatten fast regelmäfsig saftige, gut
abgegrenzte, im gewissen Grade charakteristische Oberflächen¬
kolonien entwickeln (s. unsere erste Abhandlung im Archiv für
Hygiene), zeigen sich beim beweglichen Buttersäurebacillus die an
die Oberfläche durchbrechenden tiefen Kolonien an der Durchbruchs¬
stelle von einer schleierartigen, oder etwas dichteren Vegetation
umgeben, die sich allmählich nach aufsen verliert. Unter dem
Mikroskop läfst sich die mehr diffuse Ausbreitung dieser Vege¬
tationen über die Oberfläche in weitem Abstand von dem Zentrum
der Kolonien deutlich verfolgen, offenbar sind eben die Bedin¬
gungen für das Ausschwärmen der beweglichen Buttersäurebacillen
in dem Kondenswasser, das sich unter den besonderen Bedin
gungen der Anaerobiose leichter erhält, sehr günstige.
Dafür spricht auch der Umstand, dafs man nicht selten an
Kolonien, die auf der Höhe der Kuppe von Gasblasen durch¬
brechen, schärfer abgegrenzte, rundliche, etwas dichtere Ober¬
flächenvegetationen bemerkt, die einigermafsen schlecht ent¬
wickelten Oberflächenkolonien des unbeweglichen Buttersäure¬
bacillus gleichen.
Das Abfliefsen des Kondenswassers von der kuppenförmigen
Wölbung der Oberfläche dürfte hier günstige Verhältnisse für
ein mehr begrenzt bleibendes Wachstum herbeiführen.
Die mitgeteilten Befunde sollen durch die Angabe ergänzt
werden, dafs sich aus dem Studium der Zuckeragarkolonien
keinerlei Unterschiede zwischen den einzelnen untersuchten
Stämmen des beweglichen Buttersäurebacillus feststellen liefsen.
Was die Gasbildung in Zuckeragarplatten betrifft, so zeigen
sich dieselben meist reichlich von Gasblasen durchsetzt, welche
teils von Kolonien ausgehen, teils sich im kolonienfreien Teil
Digitized by CjOOQle
Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh.
229
des Nährsubstrats ansammeln, aber auch dann häufig vegetations¬
reiches Kondenswasser enthalten. Die Gasbildung ist im Zucker¬
agar überhaupt ceteris paribus gewöhnlich reichlicher, als dies
beim unbeweglichen Buttersäurebacillus zur Beobachtung kommt.
Das Wachstum der Reinkulturen auf Kartoffeln, welche im
Buchnerrohr oder in Scheiben zerschnitten in Petri sehen Schalen
verwahrt und unter strenger Anaerobiose bebrütet wurden, ist
bei allen untersuchten Stämmen ein gleichartiges. Es bildet
sich innerhalb 48 Stunden ein üppiger, schaumiger weifser Rasen
aus, welcher die Oberfläche bedeckt, wobei die Kulturen stark
nach Buttersäure riechen.
Das Wachstum auf Bouillon mit Zuckerzusatz tritt rasch
ein, die Gärung verläuft hier unter den an anderer Stelle an¬
gegebenen Erscheinungen.
Morphologie der Individuen.
Eine einheitliche morphologische Beschreibung des beweg¬
lichen Buttersäurebacillus stöfst auf grofse Schwierigkeiten. Denn
der Umstand, dafs bei diesem Bakterium der die Vielgestaltigkeit
der Formen beherrschende Versporungsprozefs so überaus häufig
zur Entwicklung kommt, macht die Bilder so aufserordentlich
wechselnd, dafs es schwierig ist, das Gemeinsame hervorzusuchen
und das Typische zu gruppieren. Diese grofse Neigung zur Ver-
sporung, bezw. zu den die Versporung auf unseren gebräuch¬
lichen bakteriologischen Nährböden einleitenden Prozessen
schafft eine wesentliche Differenz zwischen dem beweglichen
Buttersäurebacillus und der unbeweglichen Art, die uns unter
den üblichen Bedingungen fast stets unter dem Bilde der sporen¬
freien Stäbchenvegetation zu Gesichte kommt.
Anderseits wäre es falsch, dieser Differenz ein zu grofses
Gewicht beizumessen und sie etwa im Sinne einer sehr getrennten
Gruppierung der beiden Arten im Rahmen des natürlichen
Systems zu verwerten. Denn alle Erfahrungen zeigen, dafs unter
anderen Verhältnissen in den von der Natur gebotenen Substraten
mit allen ihren besonderen Eigenschaften (Symbiose etc.) auch
der unbewegliche Buttersäurebacillus regelmäfsig, ja reichlich
Digitized by
Google
230
Über Buttersäuregärung.
versport (beständige Anwesenheit von Sporen im Darminhalt!).
Es ist also eine Differenz, welche vor allem auf eine für den
unbeweglichen Buttersäurebacillus durchaus nicht gleichgültige
Änderung der natürlichen Bedingungen zurückzuführen ist, die
wir hervorrufen, wenn wir ihn zwingen, in Reinkultur auf unseren
Nährböden Besitz zu ergreifen. Anderseits aber kennen wir doch
eine Reihe von Einflüssen, die bei beiden Arten parallel die Ver-
sporung im günstigen oder ungünstigen Sinne beeinflussen.
Was nun die Formen betrifft, unter welchen die Individuen
des beweglichen Buttersäurebacillus erscheinen, so sind die
Differenzen zwischen denselben insbesondere, soweit es sich nicht
um eigentliche reine Degenerationserscheinungen handelt, durch
die im wechselnden Grade erfolgende Ablagerung der stärke-
artigen Substanz im Innern der Bakterienzellen, der sogenannten
»Granulöse« bedingt, viel mehr als durch die räumliche Ver¬
änderung, welche durch die Einlagerung der Spore selbst ge¬
schaffen wird.
Die quantitativ verschiedene Ablagerung der Granulöse im
Innern der Zelle — quantitativ im Sinne einer ganz bedeutenden
Spielweite — veranlafst, dafs die beweglichen Buttersäurebacillen
einmal als schlanke Stäbchen, ein anderes Mal als Clostridien
auftreten, und alle Übergänge zwischen beiden, die sich so über¬
aus häufig in einer und derselben Vegetation vereinigt vorfinden,
lassen sich auf dieselbe Ursache zurückführen. Es soll gleich
hier erwähnt werden, dafs aufser dieser spezifischen, auf wech¬
selnder Granuloseablagerung basierenden Vielgestaltigkeit der
Formen, auch der sonst bei allen Bakterien zur Beobachtung
kommende Formenwechsel, teilweise unter uns bekannten Um¬
ständen erfolgend (Kapsel-, Scheinfädenbildung etc.), auftritt. Die
grofse, ins Auge springende Differenz zwischen den Extremen
»Stäbchen« und »Clostridium« hat einen Forscher, Bejerinck,
veranlafst, offenbar unter dem Eindrücke einer Reihe schwer
zu erklärender Erscheinungen bei der Buttersäuregärung, die
Theorie aufzustellen, dafs es sich bei dieser Bakterienart (es handelt
sich um das gr. saccliarobut.) um zwei Formen, eine Sauerstoff¬
form und eine anaerobe Form handle.
Digitized by
Google
Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh.
231
Bejerinck unterscheidet diese beiden Formen, indem er
ihnen nicht nur morphologische Unterschiede zuschreibt, Sauer¬
stoffform = schnell bewegliche Stäbchen, Körner enthaltend und
zu Ketten verbunden, Clostridien form = die bekannten langsamer
beweglichen, plumpen, granulosereiehen Gebilde, sondern er vin-
dicirt ihnen auch verschiedene biologisch-chemische Charaktere,
indem er die schlanken, lebhaft beweglichen Stäbchen als Formen
auffafst, die bei Gegenwart geringer Mengen von Sauerstoff auf-
treten, die überdies ihre Beweglichkeit in strenger Anaerobiose
einstellen, während die Clostridien sich im Gegensätze hierzu bei
strenger Anaerobiose entwickeln, und sich sowohl bei Gegenwart
als bei Abwesenheit von Sauerstoff bewegen sollen: Ja, auch die
quantitativen Verhältnisse der gebildeten Produkte sollen nicht
unwesentlich voneinander abweichen, je nachdem es sich um die
eine oder die andere Form handle. Es ist hier nicht der Platz,
auf eine erschöpfende Kritik der Be j erinck sehen Behaup¬
tungen einzugehen, da diese der Schlufsbesprechung am Anhänge
unserer fortlaufenden Untersuchungen Vorbehalten bleibt. Wir
wollen hier nur unserer Ansicht Raum geben, dafs wir einer der¬
artigen Zweiteilung in anaerobe und aerobe Form dieser Bakterien¬
art unter keinen Umständen beipflichten können. Wir haben
uns stets überzeugen können, dafs auch die schlanken Stäbchen
gegenüber dem Sauerstoff empfindlich sind, dafs Anaerobiose
und Auftreten der einen oder andern Form in gar keinem
direkten Zusammenhang stehen. Unserer Ansicht nach sind die
beweglichen Buttersäurebacillen Organismen, die zum Anwachsen
stets der Abwesenheit des freien 0 bedürfen, gleichgültig ob
diese durch unsere Manipulationen oder durch vorhergehende
Sauerstoffbefreiung des Nährbodens unter dem Einflüsse der
Symbiose hergestellt wird.
Das häufige Auftreten von Clostridien in Mischkulturen, das
häufige Fehlen von Clostridien in Reinkulturen, flüssige Nähr¬
böden gleicher Zusammensetzung vorausgesetzt, beziehen wir
nicht auf die in Mischkulturen leichter erfolgende Sauerstoff¬
befreiung, sondern auf eine Alteration des Bakterienstoffwechsels
durch die gleichzeitige Anwesenheit anderer Bakterien, sei es
Digitized by CjOOQle
232
Über Buttersäuregärung.
dafs es sich um Einwirkung der von diesen gelieferten Stoff¬
wechselprodukte oder um eine andere Art der Beeinflussung
handelt, zum Teil auch auf den Umstand, dafs bei der Rein¬
isolierung aus Mischkulturen in festen Nährböden häufig zu¬
nächst Abnahme der Neigung zur Versporung festzustellen ist.
Wir wissen heute mit Bestimmtheit, dafs sowohl bei dem un¬
beweglichen als bei dem beweglichen Buttersäurebacillus die
Sporenbildung auch durch die Gegenwart anderer streng an-
aCrober Bakterien begünstigt wird.
Zum Studium der Stäbchen- und der Übergangsformen em¬
pfiehlt sich vor allem die Kultur in Zuckeragar.
Wegen der grofsen Empfindlichkeit des beweglichen Butter¬
säurebacillus gegen freien Sauerstoff stellt man die ausgekochten,
rasch erstarrten und mit einer Reinkultur geimpften Eprouvetten,
im Buchnerrohr verwahrt, in den Brutschrank.
Ist nach 16—20 Stunden üppiges Wachstum eingetreten, mit
reichlicher Gasbildung etc., so öffnet man das Buchnerrohr und
fertigt sofort einen hängenden Tropfen an, indem man mit der
Platinöse eingeht und etwas Kondenswasser entnimmt. Es em¬
pfiehlt sich dies mehr, als das Vermischen von Vegetation mit
einem Tropfen ausgekochter Bouillon, weil bei dieser Manipulation
leicht reichlich Luft von der Flüssigkeit, in welcher die Aufschwem¬
mung stattfindet, absorbiert wird, so dafs die Eigenbewegung
der Bakterien erlischt, bevor man die Beobachtung im Mikroskop
beginnt. In vielen Fällen kommen bei dieser Kulturmethode
(Zuckeragar) die Buttersäurebacillen als schlanke, ziemlich lange
Stäbchen zu Gesicht, die sich mit grofser Geschwindigkeit, leb¬
haft schlängelnd oder schiefsend durch das Gesichtsfeld bewegen.
Dabei zeigt sich, dafs auch solche Individuen, welche bereits die
Sporenanlage — gewöhnlich dem einen Ende nahe gerückt —
aufweisen, gut beweglich sind.
Bald macht sich nun eine auffällige Erscheinung bemerkbar,
indem die Stäbchen sich immer zahlreicher in Häufchen grup¬
pieren, die Haufen immer dichter werden, immer weniger Bak¬
terien sich beweglich zeigen, bis endlich, gewöhnlich im Verlaufe
einer viertel bis halben Stunde nahezu sämtliche Stäbchen, in
Digitized by CjOOQle
Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 233
Haufen gruppiert, regungslos verharren. Diese, unter der zu¬
nehmenden Sauerstoffabsorption der Flüssigkeit erfolgende Haufen¬
bildung hat äufserlich grofse Ähnlichkeit mit den bekannten Ag¬
glutinationserscheinungen, welche bei Einwirkung von normalem,
bezw. spezifischem Serum auf Bakterien gesehen werden. Auch
makroskopisch beobachtet man leicht, dafs der ursprünglich
gleichmäfsig trübe Tropfen seine diffuse Trübung verliert, bis end¬
lich in der klaren Flüssigkeit feinste Flöckchen suspendiert sind.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dafs die beschriebene Er¬
scheinung, die sich in ähnlicher Weise auch bei einigen anderen
anaeroben Bakterien zeigt, auf einer unter dem Sauerstoffeinflufs
erfolgenden Veränderung der Leibessubstanz beruht, welche diese
klebrig macht. Jedenfalls mufs diesem Verhalten beweglicher
anaerober Bakterien besondere Aufmerksamkeit zugewendet wer¬
den, wenn es sich um das Studium spezifischer Agglutination
handelt. Die aufserordentliche Empfindlichkeit gegen Sauerstoff¬
zufuhr macht sich nun auch in der Weise bemerkbar, dafs es nicht
leicht gelingt, in der Deckglastropfenkammer bei Durchleiten von
reinem Wasserstoff die Beziehungen der Stäbchen zur Sauerstoff¬
anwesenheit oder -abwesenheit festzustellen. Manipuliert man
nämlich bei dieser Versuchsanordnung so, dafs man auch nur
durch einige Zeit mit Luft gemengten Wasserstoff vorbeileitet, so
erlischt die Beweglichkeit der Stäbchen unter dem Einflufs des vor¬
beistreichenden Sauerstoffes so rasch, dafs die Stäbchen für immer
ihre Beweglichkeit verlieren, und dann auch der beliebig lang fort¬
gesetzte Aufenthalt in reiner Wasserstoffatmosphäre keine Ände¬
rung herbeiführt.
Hat man aber zuerst den Zufuhrschlauch durch längeres Durch¬
leiten von reinem H ganz luftfrei gemacht, so läfst sich im Gegenteil
eine aufserordentliche Zunahme der Beweglichkeit, die lange un¬
verändert anhält, leicht feststellen. Damit ist der Beweis erbracht,
dafs dasjenige, was Bej erinck als Sauerstoffform bezeichnet, aller
dings in der morphologischen Beschaffenheit ganz dem von diesem
Autor gegebenen Bilde entspricht, keineswegs aber biologisch —
hinsichtlich der Resistenz oder dem Bedürfnis gegenüber Sauerstoff
— der von demselben gegebenen Beschreibung gleichkommt.
Digitized by CjOOQle
234
Über Buttersäuregärung.
Die Gröfsen- und Formverhältnisse der Individuen des be¬
weglichen Buttersäurebacillus, welche man in solchen jungen
Kulturen zu Gesicht bekommt, sind aufserordentlich wechselnd.
Sie sind bei Reinkulturen desselben Stammes unter scheinbar
denselben äufseren Verhältnissen äufserst verschieden, indem das
Aussehen des Gesamtbildes, welches man bei Betrachtung einer
geringen Menge der Vegetation unter dem Mikroskop erhält,
ganz von dem Umstande abhängt, ob die Ansammlung der Gra¬
nulöse im Innern der Stäbchen eine geringe oder hochgradige
ist, ob viele oder nur wenige Stäbchen mit Granulöse beladen
sind. Man hat es nun durchaus nicht in der Hand, im Einzel¬
falle das Mafs der Granuloseentwicklung gleichmäfsig zu beein¬
flussen; daraus erhellt bereits die Unmöglichkeit, einzelne Stämme
etwa nach feineren morphologischen Differenzen als verschiedene
Varietäten zu trennen. Auch unter den granulosefreien Stäbchen
in einer solchen jungen Reinkultur machen sich allerdings ge¬
ringere Differenzen in dem Dickendurchmesser der Zellen be¬
merkbar.
Die meisten granulosefreien Individuen im hängenden Tropfen
aus jungen Zuckeragarkulturen stellen ziemlich gleichmäfsig dicke,
gerade oder schwach gekrümmte Stäbchen dar mit abgerundeten
Enden, die entweder einzeln oder in kurzen Verbänden, zu 2
oder 3 sich mit ziemlich grofser Geschwindigkeit durch das Ge¬
sichtsfeld bewegen.
Das Plasma erscheint entweder gleichmäfsig hell oder leicht
fleckig, nicht selten trifft man insbesondere Doppelstäbchen an
deren freie Enden eine bei hoher Einstellung helle, bei tiefer
Einstellung dunklere Partie erkennen lassen.
Die Stäbchen sind etwa 3—5 fx lang, 0,6—1,0 jx breit. Sieht
man scheinbar längere Exemplare, so handelt es sich wohl meist
um Doppelstäbchen mit undeutlicher Trennung der Individuen.
In solchen Dimensionen bewegen sich die granulöse- und
sporenfreien Individuen. Hat man nun, was allerdings selten
geschieht, eine Zuckeragarkultur vor sich, in welcher die Ab¬
lagerung von Granulöse in Stäbchen, die Versporung ganz aus¬
geblieben ist, so zeigen sich die Formen nach dem Mitgeteilten
Digitized by
Google
Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 235
ziemlich regelmäfsig, insbesondere ist der Dickendurchmesser der
Individuen ein ziemlich gleichartiger.
Diese sporenfreien Stäbchen sind offenbar insbesondere gegen
die schädliche Einwirkung der sauren Produkte bei höherer Tem¬
peratur (37°) sehr widerstandslos. Solche Kulturen sind oft,
selbst wenn sie im Buchnerrohr verschlossen, nur 48 Stunden im
Brutschrank verweilten, bereits nicht mehr übertragbar. Mikro¬
skopisch erkennt man aufser rasch abnehmbarer Färbbarkeit und
Auftreten einer nicht spezifischen Plasmakörnung (degenerativ)
keine auffallende Veränderung. *)
Wir haben bereits erwähnt, dafs uns die näheren Bedingungen
für Auftreten oder Ausbleiben von Granulöse in Zuckeragar¬
kulturen im Einzelfalle nicht bekannt sind. In sicheren Rein¬
kulturen unter scheinbar sonst ganz gleichartigen Verhältnissen
zeigen sich die wechselndsten Mengen von granulosetragenden
Stäbchen, wie es auch für den unbeweglichen Buttersäurebacillus
zutrifft.
Nach unseren Erfahrungen und Anschauungen hängen Gra-
nulosebildung und Versporung bei den Buttersäurebacillen in dem
Sinne zusammen, dafs in der Regel die Granulosebildung als
einleitender Prozefs im Stäbchen der Versporung vorangeht. (Siehe
auch unsere Abhandlung über den unbeweglichen Buttersäure¬
bacillus.) Der Umstand, dafs bei der Granulosebildung im Gegen¬
satz zum gewöhnlichen Stoffwechsel der lebhaft gärenden Zellen
die Kohlehydrate nicht zersetzt werden, sondern im Gegenteil,
wenigstens Anteile derselben, polymerisiert und abgelagert werden,
spricht für eine wesentliche Alteration des Lebensprozesses der
Bakterien. Die Granulöse wird nun in aufserordentlich wechseln¬
dem Grade in der Zelle abgelagert. Gewisse Bilder, von denen
später die Rede sein soll, beweisen, dafs Anteile dieser Granu¬
löse auch in die sich bildenden Sporen übertreten. Es könnte
zunächst fraglich bleiben, ob dies — im Sinne einer Ablagerung
von Reservesubstanz — nicht regelmäfsig stattfindet und ob nicht
1) Sehr häufig beobachtet man, dafs sich granulöse- und sporenfreie
Stäbchen mit Jod intensiv gelb färben. Dieser Zustand dürfte der Granulose-
entwicklung vorausgehen.
Archiv f. Hygiene. Bd. XLn 16
Digitized by CjOOQle
236
Über Buttersfturegftrung.
etwa durch eine vorhergehende weitere Veränderung der Granu¬
löse der Nachweis dieser Substanz mit Jod in der Spore versagt,
oder ob andererseits der Zusammenhang Granulöse und Ver-
sporung in dem Sinne aufzufassen ist, dafs die Granuloseablage-
rung in dem Stäbchen nur ein Ausdruck des geänderten Stoff¬
wechsels ist, der zur Sporenbildung führt, ohne dafs die Substanz
»Granulöse« selbst ein wesentlich wichtiges Baumaterial für die
Spore darstellt.
Wie dem auch sei (siehe später), das Mafs der Granulose-
Entwicklung im Stäbchen selbst beherrscht das morphologische
Verhalten der Individuen im hohen Grade. Selbstverständlich trifft
man in einer und derselben Kultur meist alle Stadien der Ent¬
wicklung dieses merkwürdigen Prozesses. Noch bevor sich an
den Stäbchen im ungefärbten Zustande schärfer abgegrenzte
Sporenanlagen erkennen lassen, findet man reichlich solche, die
bei erhaltener Stäbchenform gleichmäfsig oder etwas ungleich-
mäfsig verdickt erscheinen (0,9 bis 1,3 ju Durchm.); färbt man
mit Jodlösung, so zeigen sich sehr häufig diese Stäbchen aus¬
gedehnt intensiv braun oder blau gefärbt. Die Form, in welcher
die Granulöse abgelagert ist, ist wechselnd, doch scheint es am
häufigsten in diesen jungen Stadien zu einer solchen Ablagerung
in der Zelle zu kommen, dafs diese in ihrem einen Ende voll¬
ständig von dieser Substanz erfüllt ist, während das andere freie
Ende keine Granulöse aufweist. Infolge des außerordentlich
häufigen Auftretens von Doppelstäbchen in den Kulturen findet
man dann fast regelmäfsig längere Stäbchen, die scheinbar in
der Mitte Granulöse tragen, während die beiden Enden frei von
dieser Substanz sind. (Auch das entgegengesetzte Verhalten
findet sich nicht selten.)
Bei genauerem Zusehen erkennt man, dafs es sich um Ver¬
bände von zwei Stäbchen handelt, die mit ihrem granulosetragenden
Ende zusammenstofsen, während die freien Enden ungefärbt sind.
Der granuloseerfüllte Anteil des Stäbchens ist sehr ver¬
schieden grofs, geradlinig, bogenförmig oder unregelmäfsig gegen
das Ende abgegrenzt; oft zeigen sich nur geringe Ansammlungen
dieser Substanz in Form von körnigen oder fleckigen Gebilden,
Digitized by
Google
Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh.
237
oft ist nahezu die ganze Zelle gleichmäfsig hiervon durchsetzt,
wenn auch in der Regel stets ein Anteil an dem einen Ende
ungefärbt erscheint.
In manchen Fällen, insbesondere dann, wenn die Granulöse
nur spärlich zur Entwicklung gekommen ist, färbt sich diese
Substanz mit Jod nicht blau oder schwarz, sondern bräunlich
oder rötlich. 1 )
In den weitaus meisten Fällen ist die Färbung so intensiv,
dafs es nicht möglich ist, in den blaugefärbten Partien nähere
Struktureigentümlichkeiten festzustellen.
Tritt in Verbänden von drei oder mehr Individuen Granulöse
auf, dann erscheinen diese nicht selten blau gebändert oder gefleckt.
Kommt es nun zu einer uoch reichlicheren Ansammlung
der Granulöse im Zellleib, dann geht eine auffällige Form¬
veränderung mit demselben vor sich, indem die Wandung der
Zelle offenbar unter dem Drucke der sich ansammelnden Massen
ausgedehnt wird, wobei die ganze Zelle Eiform annimmt. So
entsteht jenes Gebilde, das sich auf den ersten Anblick so auf¬
fällig von den typischen Stäbchen unterscheidet.
Auch diese granulosereichen Eiformen lassen in der Regel,
selbst dann, wenn noch keinerlei differenzierte Spore mit Hof
zu erkennen ist, an einem Ende einen granulosefreien Abschnitt
erkennen. Über die Gestalt dieses granulosefreien Abschnittes
soll später berichtet werden.
Die eiförmigen Formen kommen auch in Verbänden zu drei
und mehreren zu Gesicht. Länge und Dicke sind sehr ver¬
schieden.
Im hängenden Tropfen zeigen sie sich gut beweglich, die Be¬
wegungen sind, entsprechend der sich der Kugel nähernden Ge¬
stalt, häufig rollend oder drehend und wackelnd.
Bei allen den bisher beschriebenen granulosetragenden Stäb¬
chen und Eiformen kann es sich um solche Exemplare handeln,
hei denen sich ohne Jodfärbung, im ungefärbten Präparat keinerlei
Differenzierung im Sinne einer entwickelten Sporenaulage er¬
kennen läfst.
1) Kommt bei allen untersuchten Ra<;en vor.
16 *
Digitized by CjOOQle
238
Über Battersäuregärung.
Das Plasma erscheint in solchen dicken Stäbchen und Clo¬
stridien (ungefärbtes Präparat) gleichmäfsig feinkörnig. Jedenfalls
beweist aber auch hier das Freibleiben eines Abschnittes der
Zelle von Granulöse, eines Abschnittes, welcher der regelmäfsigen
Sporenlage entspricht, dafs schon bei dem ersten Auftreten der
Granulöse auch die Sporenanlage eingeleitet wird. Aber es kann
die weitere Ausbildung der Spore im Gegensatz zu der Granulose-
ablagerung in der Zelle Zurückbleiben; so dafs der Prozefs mit
einer excessiven Granuloseablagerung endgültig abschliefst.
Dieses Verhalten — excessive Granuloseablagerung — mangel¬
hafte Sporenausbildung — kann in manchen Fällen das ganze
Bild einer Vegetation beherrschen.
Es führt insbesonders in älteren Zuckerbouillonkulturen,
welche mit hartnäckig sporulierenden Ra 9 en geimpft sind, zur
Entstehung abenteuerlicher Gebilde.
In sehr vielen Fällen aber beginnt sich schon frühzeitig die
Spore in dem früher geschilderten granulosefreien Anteil der
Zelle (Stäbchen oder Clostridium) als stark lichtbrechender, ovaler
Körper zu differenzieren, der oft durch einen deutlichen, scharf
abgegrenzten Hof vom übrigen Zellinhalt getrennt ist. Hat sich
die Bildung der Spore in einer Zelle vollzogen, die infolge
verhältnismäfsig bescheidener Granuloseablagerung den Stäbchen¬
charakter gewahrt hat, so erscheint die Spore als endständig
gelagertes Gebilde, freilich nicht immer streng endständig, insofern
noch Plasma zwischen freiem Ende und Spore vorhanden sein
kann. Hat sich aber inzwischen oder von vornherein so reichlich
Granulöse abgelagert, dafs die Zelle Clostridienform angenommen
hat, so entwickelt sich gewöhnlich folgendes Verhalten.
Die Spore liegt dem einen Ende näher, sehr häufig mit
ihrer Achse nicht parallel zur Zellachse, sondern in mehr oder
minder starkem Winkel zu derselben. So kommt es, dafs bei
der Betrachtung ira hängenden Tropfen, wenn es sich um noch
bewegliche sporentragende Clostridien handelt, infolge der Ro¬
tation der Clostridien der täuschende Anschein ensteht, als ob
sich die Spore beständig in einer weichen Inhaltsmasse des
Clostridiums umherbewegte (s. Bejerinck).
Digitized by v^.ooQle
Von Pr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh.
239
Bei näherem Zusehen zeigt sich aber, insbesondere an
solchen Exemplaren, die durch ihre Stellung im Verband die
rotierende Bewegungsart erkennen lassen, dafs die Spore ihre
Stellung zum Clostridium nicht verändert. In manchen Exem¬
plaren von Clostridien nimmt die Spore einen Platz nahe der
Mitte des eiförmigen Gebildes ein, auch hier oft excentrisch
gelagert. Der Sporenhof ist in den Clostridien oft besonders
deutlich entwickelt.
Sporentragende Clostridien zeigen im ungefärbten Zustande
häufig eine auffälligere grobe Plasmagranulierung.
Bei der Färbung mit Jod erscheint es als gewöhnliches Ver¬
halten, dafs die Spore samt Hof von dem granulosetragenden
Plasma der Zelle mantelförmig umscheidet wird, derart, dafs oft
nur ein kleiner Abschnitt des Clostridiums, entsprechend dem aus
demGranulosemantel hervorragenden Sporenanteil ungefärbt bleibt,
ja oft grenzt sich bei mit Jod gefärbten Clostridien der granu-
losetragende Körper gegen die granulosefreie Spitze infolge dieses
Verhaltens wallartig ab. In ungefärbten Präparaten sieht man
von einer solchen Form der Abgrenzung nichts, es ist des¬
halb wahrscheinlich, daTs es sich um ein Kunstprodukt, durch
Anschwellen des Zellinhalts bei der Jodimprägnieruug handelt.
Die allermannigfachsten Bilder entwickeln sich nun, wenn
an Individuen im Verbände alle die bisher beschriebenen Ver¬
änderungen vor sich gehen. So beobachtet man häufig, dafs von
zwei verbundenen Stäbchen das eine zum Clostridium wird und
eine Spore enthält, während das zweite nur Granulöse ablagert.
So entsteht oft, wenn die Individuen kurz und die Zollgrenzen
schwer feststellbar sind, der Anschein eines Stäbchens mit end¬
ständiger Auftreibung samt Spore in diesem, während es sich um
einen Stäbchen-Clostridium verband handelt. Daneben finden sich
selbstverständlich alle Übergänge von Stäbchen zu Clostridien,
Verbände von Stäbchen oder Clostridien mit solchen Übergangs¬
formen etc.
Zum Schlüsse soll noch erwähnt werden, dafs man auch
gelegentlich, allerdings selten, in zuckerhaltigen Nährboden auf
Präparate stöfst, die den Vorgang der Granulosebildung in sehr
Digitized by VjOOQle
240
Über Buttersäuregärang.
geringem Mafse erkennen lassen, und trotzdem zahlreiche Stäb¬
chen mit je einer bereits deutlich endständigen Spore zeigen.
Hier handelt es sich also um Zurückbleiben der Granulose-
anhäufung trotz fortschreitender Sporenbildung. Ja, es gelingt
sogar mit Sicherheit auf sterilen Nährböden, die neben Spuren
von Zucker natives Eiweifs enthalten, vollkommen granulosefreie,
lebhaft verspürende Vegetationen zu erhalten.
Wichtig erscheint es nun, zu verfolgen, wie sich im Ver¬
laufe des Versporungsvorganges das Plasma der Zellen gegenüber
Anilinfarben verhält.
Junge, granulosefreie Stäbchen färben sich leicht, intensiv
und gleichmäfsig mit diesen Farbstoffen. In Stadien, welche bei
Jodfärbung Granulöse an den einander zugekehrten Enden von
Doppelstäbchen erkennen lassen, zeigen sich die Stäbchen an
den freien Enden fast regelmäfsig intensiver gefärbt, während der
übrige Zellinhalt blasser, häufig leicht fleckig gefärbt erscheint.
In manchen Fällen ist die mit Anilinfarben (Fuchsin) stärker
färbbare endständige Partie kappenförmig abgegrenzt.
Die Clostridien sind fast regelmäfsig mit Fuchsin nur schwach
tingierbar.
Sehr häufig findet man an dem einen Pole, seltener an
beiden Polen, eine kappenförmig gestaltete, intensiv rot gefärbte
Partie. Derart verhalten sich Clostridien, in denen im ungefärbten
Präparat noch keine Spore erkennbar ist.
Färbt man sporenhältige Clostridien mit Fuchsin, dann er¬
hält man gewöhnlich eine noch schärfere Differenzierung, indem
sich die ungefärbte Spore samt Hof scharf gegen den blafsrot
gefärbten übrigen Zellinhalt abgrenzt. Auch hier zeigt sich häufig
an dem der Spore entgegengesetzten Ende eine kuppenförmig
gestaltete, dunkler gefärbte Partie.
Der Geifselfürbung unterzogen, zeigen die beweglichen Butter¬
säurebacillen eine Anzahl von peritrichen Geifseln, und zwar
G—20 und mehr; in gut gefärbten Präparaten von Clostridien
läfst sich deutlich erkennen, dafs die Geifseln, unmittelbar sich
verbreiternd, in die Hülle der Bakterienzelle übergehen. Die
Thatsache, dafs Clostridien gewöhnlich arm begeifselt sind, dürfte
Digitized by CjOOQle
Von Dr. R. Grafeberger und Dr. A. Schattenfroh. 241
auf einen mit der Formveränderung vor sich gehenden Verlust
an Geifseln zurückzuführen sein.
Gegenüber der Färbung nach Gram verhalten sich die be¬
weglichen Buttersäurebacillen sehr wechselnd. Junge, sporen-
und granulosefreie Stäbchen bleiben nach Gram gefärbt, wenn
man die Entfärbung mit Alkohol nicht allzulange fortsetzt.
Granulosetrogende Stäbchen, Clostridien sind gegenüber der
Entfärbung sehr empfindlich, ein Teil wird rasch völlig entfärbt,
andere bleiben fleckig oder körnig gesprenkelt. Berücksichtigt
man den Umstand, dafs die beweglichen Buttersäurebacillen an
und für sich die Gramsche Färbung nicht sehr fest halten, über¬
dies ihre Resistenz gegenüber dem Alkohol bei der Granulose-
differenzierung weiter abnimmt, dann erklären sich die sehr
wechselnden Bilder in einfacher Weise.
Die freien Sporen der beweglichen Butlersäurebacillen sind
oval, manchmal leicht unregelmäfsig, bohuenförmig oder ähnlich
gestaltet. Ihre Länge beträgt ca. 1,8—2,3 fi, ihr Querdurchmesser
1,3-1,7 #i.
In Präparaten, welche reichlich freie Sporen enthalten, sieht
man häufig solche, welche noch in den zerfallenden Stäbchen
stecken oder noch aus dem einen offenen, wie zerfaserten Ende
der von der Mutterzelle dargestellten Hülle hervorragen.
Der Formenkreis, welcher auf Gelatinekulturen zur Beobach¬
tung kommt, entspricht im ganzen und grofsen dem Bilde der
Zuckeragarkulturen. Das wichtigste über die Sporenbildung wurde
bereits eingangs mitgeteilt.
In älteren (10 Tage alten) Gelatinekulturen sieht man be¬
sonders reichlich lange Scheinfäden, welche mehr als 50 (.i lang
und entweder dünner, 0,5—0,8, oder (und dann meist ungleich-
mäfsig) dick und mit Granulöse streckenweise erfüllt sind. Stäb¬
chen und Scheinfäden bewahren in solchen alten, gut verschlossen
aufbewahrten Gelatinekulturen lange Zeit ihre Beweglichkeit.
In alten Gelatinekulturen (44 Tage) sieht man oft folgendes
Bild: Neben reichlichen granulosefreien Stäbchen und Schein-
fäden, reichlich freie Sporen, Clostridien, dann Stäbchen, die an
einem Ende etwas Granulöse enthalten, nahe der Mitte eine Spore
Digitized by CjOOQle
242
Über Buttersäuregttrung.
(ohne Hof, wie denn überhaupt die Ausbildung des Sporenhofes
sehr inconstant ist). Bei vielen Clostridien und granulosetragenden
Stäbchen zeigt sich die Granulöse in, oft in Reihen geordneten
rundlichen Körnern, ja man sieht freie Haufen von solchen
braunviolettgefärbten winzigen Körnchen, die oft noch durch die
Form des Haufens erkennen lassen, dafs sie ursprünglich in
einem Clostridium, dessen Zellwand vollständig aufgelöst wurde,
enthalten waren.
Stärkeagar verhält sich hinsichtlich Granulosebildung und
Versporung nicht wesentlich anders als Zuckeragar. Eine Reihe
von Versuchen, die darauf angestellt wurden, ob der von Haus
aus im Nährboden vorhandene Alkalescenzgrad auf die Ver¬
sporung von Einflufs sei, zeigte, dafs zwar anscheinend einigemale
in alkalischen Nährböden Granulosebildung und Versporung besser
vor sich gingen, doch liefs sich keine konstante Beeinflussung
durch willkürlich abgestufte Alkalescenz erkennen, wie dies für
den unbeweglichen Buttersäurebacillus zutraf.
Flüssige Nährböden, insbesondere zuckerreiche, bilden
hinsichtlich Granulose-Entwicklung und Versporung auch bei
Kreidezusatz an sich kein besonders geeignetes Substrat,
wenn nicht besonders hartnäckig sporulierende Vegetationen
verimpft wurden (die blofse Aussaat von Sporen genügt nicht!).
Man findet sehr häufig, z. B. in Milch oder in Zucker¬
bouillon mit Kreide, welche, mit Reinkultur geimpft, wochen¬
lang in Gärung war, nur wenige granulosetragende Stäbchen
und oft fehlen Sporen vollständig. Dieses Verhalten bezieht
sich, was hier besonders hervorgehoben werden
soll, allerdings nur auf Reinkulturen im strengen Sinne. Sehr
reichlich findet man in solchen flüssigen Kulturen kommaförmige
oder s-förmig gekrümmte, mit Jod und Anilinfarben schlecht
färbbare, granulosefreie Stäbchen mit körnigem Plasma und Ver¬
bände von solchen.
Auf Kartoffeln wachsen die beweglichen Buttersäurebacillen,
wie schon erwähnt, gut an, und entwickeln sich auf diesem Nähr¬
boden reichlich Granulöse und Sporen. Eine besondere Neigung
zur Bildung abnormer Formen dieser Bakterienart, scheint diesem
Digitized by
Google
Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 243
Nährboden nicht zuzukommen (vgl. den unbeweglichen Butter¬
säurebacillus).
Ganz auffällige Neigung zur Bildung reichlicher Mengen von
Granulöse und Sporen zeigt sich oft in Kulturen (und hier sind
es gerade zucker- oder stärkereiche flüssige Nährböden), in
welchen neben dem beweglichen Buttersäurebacillus noch andere
Bakterienarten, aerobe oder anaerobe zur Entwicklung gelangen.
Es gelingt nicht regelmäfsig, durch künstliches Zusammengeben
von Reinkulturen die Bedingungen für diese besondere Granulöse-
begünstigung zu erzielen. Einmal scheinen nicht alle Bakterien¬
arten in gleichem Grade hiezu geeignet zu sein, dann hängt aber
das Gelingen offenbar auch davon ab, in welchem Verhältnis die
beiden Bakterien von vornherein vorhanden sind, resp. im Verlaufe
der ersten Vegetation zur Entwicklung kommen. Aus zahlreichen
Experimenten gebt weiters hervor, dafs sich diese Beeinflussung
des VersporungsVorganges durch Symbiose vor allem darin be¬
merkbar macht, dafs bei der Reinzüchtung aus Bakteriengemischen,
insbesondere dann, wenn aus flüssigen Nährböden Zuckeragar¬
platten gegossen werden, die auf den Platten zur Entwicklung
kommenden Kolonien sehr häufig sporenarm sind, ja dafs die
Generationen, welche von solchen sporenarmen Kolonien weiterhin
unter verschiedensten Verhältnissen angelegt werden (auf flüssigen
und festen Nährböden) oft geringe Neigung zur Versporung bei¬
behalten. Ist das Versporungs vermögen noch nicht völlig verloren
gegangen, so lassen sich durch reichliches Überimpfen von
Material, z. B. in Zuckeragar, und bei mehrmaliger Wiederholung
des Vorganges unter fortlaufender mikroskopischer Kontrolle
und Auswahl sporenreicher Vegetationen zur Weiterimpfung
Vegetationen erzielen, die ihrerseits wieder unter Umständen
die Neigung zur Versporung mehr oder minder hartnäckig fest-
halten, ja selbst unter Verhältnissen, die sonst der Versporung
ungünstig sind. Bei diesem Wiederanzüchten von Neigung zur
Versporung macht es keinen Unterschied, ob man in dem Material,
das man zu Überimpfungen verwendet, die vegetativen Formen
durch Erhitzen abtötet oder nicht. Berücksichtigt man die so¬
eben mitgeteilte Thatsache, dafs bei der Reinzüchtung oft zunächst
Digitized by CjOOQle
244
Über Buttersäuregärung.
Vegetationen mit geringer Neigung zur Versporung entstehen,
dafs ferner durch geeignete Züchtung Neigung zur Versporung
erworben, bezw. verloren gehen kann, dafs überdies die
einzelnen Stämme, die man in Reinkultur erhält, sich in der
genannten Richtung, je nach den Bedingungen, unter welchen
die vorausgegangenen Generationen gestanden waren, graduell
sehr verschieden verhalten, so wird es leicht verständlich er¬
scheinen, dafs man bei der Differenzierung von Racen etc. der
Buttersäurebacillen gar nicht genug vorsichtig sein kann.
Ebenso wird es auch angezeigt erscheinen, bei der Be¬
urteilung des Einflusses, welchen verschiedene Nährbodenzusammen¬
setzung und Wachstumsbedingungen auf kulturelle und morpho¬
logische Erscheinungen äufsern, sehr skeptisch zu sein, da diese
Bedingungen oft weniger ins Gewicht fallen als der eben vor¬
handene ererbte Zustand der überimpften Generationen.
In Mischkulturen kommt es nun besonders oft zu einer
Form excessiver Einlagerung von Granulöse, wie wir sie in
Reinkulturen bisher nur in Zuckergelatinen und auch dann nur
recht selten beobachten konnten. 1 ) Das Charakteristische besteht
hier darin, dafs in der freien Spore Granulöse nachweisbar ist.
Wir wollen in folgendem die Bilder beschreiben, wie wir sie
an einem fortlaufend beobachteten Stärkebouillonkolben, der mit
B. saccharobutyr. Klecki und einem sehr zarten anaöroben Ba¬
cillus mit Köpfchen-Sporen geimpft worden war, wahrnahmen.
Alle die Bilder, welche hier in der Reihenfolge der Ent¬
wicklung geschildert werden, fanden sich auch in zwei Gelatine¬
reinkulturen der beweglichen Buttersäurebacillen, überdies w T ar
durch die charakteristischen morphologischen Verhältnisse der
künstlich zugesetzten fremden Art jede Verwechslung ausge¬
schlossen :
Bereits 14 Stunden nach der Impfung lebhafte Gärung
mikroskopisch neben den schlanken Stäbchen der fremden Art,
sehr reichlich Individuen des Klecki sehen Bacillus. Letztere
ausschliefslich in der Clostridiumform. Clostridien sehr dick.
1) In neuester Zeit konnten wir hei allen Stämmen auch in Rein¬
kultur das Vorkommen dieser Erscheinung feststellen.
Digitized by CjOOQle
Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh.
245
Bei Jodfärbung zeigt sich in fast allen Clostridien das typische
Bild der Granuloseansammlung mit Freilassung eines scharf
abgegrenzten ovalen Raumes an einem Pole der Zelle. In diesem
granulosefreien Raume ist central ein mit Jod blau gefärbtes kleines
Korn sichtbar. In einigen Clostridien ist bereits die junge Spore
zu sehen. In .diesem Falle zeigt sich, dafs das kleine Granulose-
kom in das Innere der Spore selbst zu hegen kommt.
Die mikroskopischen Präparate, welche aus den Kolben in
den nächsten 24 Stunden angefertigt wurden, zeigten im wesent¬
lichen dasselbe Bild, am dritten Tage waren aber bereits reichlich
freie Sporen sichtbar uud die meisten derselben, oval und regel-
mälsig geformt, von entsprechender Gröfse zeigten im Innern
(bei Jodpräparaten) je ein deutlich abgegrenztes blaues Körnchen.
Dieses Granulosekorn ist in vielen Sporen ganz central gelagert,
in anderen etwas excentrisch, immer läfst sich erkennen, dafs es
in der Spore selbst liegt. Das Körnchen ist, soweit sich bei der
Kleinheit des Gebildes erkennen läfst, entweder rundlich oder
unregelmäfsig umrandet. Bei der Betrachtung im ungefärbten
Präparat zeigen sich die Sporen von normalem Glanz, gegen¬
über Anilinfarben verhalten sie sich wie gewöhnliche Sporen,
insbesondere erfolgt hier auch bei gewöhnlicher Färbung im
Centrum keinerlei Farbstoffaufnahme. Eine Prüfung der Resistenz
wurde wegen der gleichzeitigen Gegenwart anderer, normaler
Sporen nicht vorgenommen.
Auffallend erscheint es, dafs in diesen Fällen bei der be¬
kannten Widerstandsfähigkeit gegenüber Färbung Sporen so leicht
das Jod in das Innere eindriugen liefsen.
Die Sache liegt hier wohl so, dafs das Jod überhaupt die
Sporenmembran leichter durchdringt als dies Anilinfarben thun,
und hier bei dem Vorhandensein einer mit Jod charakteristisch
färbbaren Substanz in der Spore besonders zur Geltung kommt.
Ich stehe nicht an, diesen Versporungsvorgang 1 ) als einen
abnormen, krankhaften zu bezeichnen, wie denn auch die cha¬
rakteristische Überproduktion von Granulöse als eine erbliche
1) Es hat den Anschein, als ob bei der gewöhnlichen Clostridien-
versporung alles darauf ankommt, dafs der granulosefreie Teil des Plasmas
Digitized by CjOOQle
246 Über Buttersäuregärung. Von Dr. R. Grafsberger u. Dr. A. Schattenfroh.
Erkrankuug der Buttersäurebacillen anzusehen sein dürfte, von
der diese so oft befallen werden, wenn sie sich zur Versporung
anschicken.
Besonders bemerkenswert sind weiterhin auffällig kleine, oft
kreisrunde, granulose-erfüllte Gebilde, die bei gleichzeitiger reich¬
licher Versporung dann zur Beobachtung kame/i, wenn den
zuckerhaltigen Flüssigkeiten nennenswerte Mengen von inaktiver
Milchsäure bezw. milchsaurem Kalk von vornherein zugesetzt
wurden. Die Untersuchungen über diesen Gegenstand sind noch
nicht abgeschlossen, doch kann es nach den bisherigen Befunden
keinem Zweifel unterliegen, dafs — in Analogie zu sichergestellten
ähnlichen Beobachtungen bei Stämmen, die zur Gruppe des un¬
beweglichen Buttersäurebacillus gerechnet werden müssen — die
Gegenwart von Milchsäure hier eine besondere Rolle spielt.
Was die Widerstandsfähigkeit der Sporen 1 ) des beweglichen
Buttersäurebacillus vom Amylobaktertypus gegen Erhitzen be¬
trifft, so konnten wir in einer Reihe von Versuchen feststellen,
dafs dieselben ihre Lebensfähigkeit bereits nach drei Minuten
langem Aufenthalt im 100° Dampf einbüfsen, sie erscheinen
demnach bedeutend weniger resistent als die Sporen des unbe¬
weglichen Buttersäurebacillus. Weitere Untersuchungen sollen
feststellen, ob den unter verschiedenen Bedingungen (Versporung
mit oder ohne Granulöse etc.) entstandenen Sporen eine ver¬
schieden hohe Widerstandsfähigkeit gegen Erhitzen zukommt.
sich möglichst frühzeitig und scharf von dem mit Granulöse beladenen Rest¬
plasma sondert, während hier der Plasmaanteil, welcher sich zur Sporen¬
anlage differenziert, bereits in diesem Zeitpunkt mit einem nicht mehr aus¬
stofsbaren Anteil von Granulöse behaftet ist.
1) Die angeführten Versuche wurden mit Sporen aus Zuckergelatine¬
kulturen angestellt.
Digitized by v^.ooQle
Erklärung der Lichtdrncktafeln.
Die vorliegenden Abbildungen sollen in möglichst vollständiger Weise
einen Überblick über den Formenkreis des beweglichen Buttersäurebacillus
vom Typus des Amylobakter bringen. Vorausgeschickt soll werden, dafs
sämtliche Präparate von strengen Reinkulturen angefertigt wurden mit Aus¬
nahme des Bildes Nr. 6 (s. u.). Es wurde überdies kein Bild in die Tafeln
aufgenommen, das sich nicht bei sämtlichen untersuchten Stämmen durch
geeignete Züchtung hervorrufen liefs. Um jedoch anderseits die Pleomorphie
des einzelnen 8tammes zum Ausdruck zu bringen, wurden fast für alle
Bilder Präparate verwendet, die aus Kulturen des Gr über sehen Original¬
stammes angefertigt wurden. Die absolute Reinheit der Kulturen erscheint
dadurch garantiert, dafs immer wieder von einzelnen Kolonien des Original¬
stammes oder dessen Abkömmlingen ausgegangen wurde. Dabei wurde es
sogar vermieden, von Gasblasen mit Randinfiltration abzuimpfen.
Fig. 1 zeigt uns das mikroskopische Bild einer 20stündigen, kräftig
gewachsenen Kultur des Amylobakter auf Zuckeragar, wie es aufserordent
lieh häufig zur Beobachtung kommt, wenn man Stämme verwendet, die
nach der Behandlung, welche frühere Generationen erfuhren, ihre Neigung
zur Versporung verringert haben. Das Präparat ist vorsichtig fixiert, mit
Lugolecher Lösung gebadet und liegt bei der photographischen Aufnahme
in derselben Lösung. Die ausgesprochen dunklen Partien entsprechen
solchen, welche sich mit Jod violett bis blau färbten.
Man sieht die Stäbchen (häufig Doppelstäbchen) mit Granulöse gefleckt,
sehr ungleich dick, auch Stäbchen, die keine charakteristische Jodfärbung
annehmen, zeigen Unregelmäfsigkeiten im Plasma, sie färben sich überdies
mit Jod sehr wenig gelb. Schon finden sich einzelne Übergänge zu Clostridien.
Digitized by v^.ooQle
248
Über Buttersäuregärung.
Fig. 2 zeigt denselben Stamm auf demselben Nährboden, ebenfalls 20 Stunden
alt, jedoch mit anderer Vorgeschichte (insoferne die früheren Generationen
wiederholt auf Zuckerbouillon reichliche Clostridien gebildet hatten und von
einer solchen Zuckerbouillon zuletzt auf Zuckeragar abgeimpft wurde).
Hier finden sich bereits ausgesprochene Clostridien, auch solche, die
eine deutlich ausgebildete Spore tragen. Die Neigung zur Bildung von
Scheinfäden, sowie zur Bildung von in Ketten gereihten kurzen, voll¬
ständig mit Granulöse erfüllten Formen ist bemerkenswert.
Fig. 3 und 4 zeigen Präparate aus einer und derselben Kultur (Zucker¬
gelatine 3 Tage, s. Fig. 14). Fig. 3 gibt das Bild des in Lugol scher
Flüssigkeit, Fig. 4 dasjenige des in wässeriger Fuchsinlösung eingebetteten
Präparates. Hier sieht man fast nur Clostridien, die Granulöse erfüllt den
einen Teil der Zellen, das mit Fuchsin gut färbbare Plasma (Fig. 4) nimmt
das Ende der Zellen in Beschlag. Die Ausbildung der 8pore ist noch nicht
erfolgt (in solchen Kulturen bleibt oft der gröfste Teil der Clostridien auf
diesem Stadium stehen).
Fig. 5 zeigt das Bild einer Reinkultur des B. s. Klecki auf Zucker¬
gelatine (5 Tage), welche sich durch eine überaus reichliche Granulosebildung
auszeichnet; hier ist es fast in allen Clostridien zur Bildung eines Granulose-
kornes im Sporenanteil des Plasmas gekommen. Dies führt unter geeigneten
Verhältnissen zu merkwürdigen Bildern. Die freien Sporen nehmen in einer
central oder mehr peripher gelagerten Partie Jodfärbung an.
Präparat 6, welches derartige Sporen in besonders reichlicher Zahl
aufweist, entstammt einem Kolben (siehe Text der Abhandlung), der mit B.
s. Klecki und einem sehr zarten anaöroben Bacillus geimpft war. Die Stelle
rechts unten verrät die Anwesenheit dieses Stäbchens, sie zeigt zugleich
(Vergröfserung = 2000!) die Feinheit desselben.
Die Versporung ist nicht unbedingt mit Granulosebildung verbunden,
oder, richtiger gesagt, es mufs nicht stets im Verlaufe der Versporung Gra¬
nulöse nachweisbar sein. Dies zeigt Fig. 7 (Amylobakter auf sehr zucker
armem Nährboden mit leicht angreifbarem, nativem 1 Eiweifs, 20 Stunden).
Das Jodpräparat zeigte (hier nicht abgebildet) nirgends Granulöse, das Prä¬
parat ist nach Gram gefärbt, eine weitgehende Pleomorphie hinsichtlich Lage
der Spore und Gestalt der verspürenden Stäbchen ist unverkennbar, be¬
achtenswert ist die verschieden intensive Färbung der Stäbchen, der Besitz
von Kapseln. Wie anders verläuft hier die Versporung im Vergleich zu
Bild 2! Dort fast völlige Scheidung des Zellinhalts in Plasma und Granulöse,
hier dagegen bildet sich die Sporenanlage inmitten des noch gut färbbaren
Zellplasmas, ja selbst bei reifer Spore ist der übrige Teil des Zellinhalts mit
Anilinfarben intensiv färbbar. (Diese granulosefreie Versporung konnten wir
mit absoluter Sicherheit bei allen Stämmen nachweisen.) Überimpft man
von dieser Kultur auf Zuckeragar (Bild 8, 20stündige Kultur, Gram), so
bilden sich reichlich Clostridien.
Wie verhalten sich die extremen Degenerationsformen clostridienreicher
Vegetationen? Fig. 0 zeigt uns Centrifugenrückstand einer 2 Tage alten
Zuckerbouillon von Amylobakter Gruber, abenteuerlich gequollene, mit Granu
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. R. GraTsberger und Dr. A. Schattenfroh.
249
lose vollgestopfte Gebilde, daneben reichlich mit blafsvioletten, feinsten
Körnern gefüllte Clostridienschatten, überdies reichlich zerfallende Stäbchen
und detritus, auch freie Sporen.
Gelingt es etwa regelmäfsig, durch Übertragung in zucker- (bezw.
stärke- etc.)freies Medium granulosefreie Versporung zu erhalten?
Fig. 11 zeigt den Effekt einer solchen brüsken Übertragung in Bouillon
(gewöhnt. Zusammensetzung), nach 6 Stunden centrifugiert. Die Ausgangs¬
kultur entsprach etwa dem Bilde 4. Massenhafte Kettenbildung, mit ganz
kurzen Elementen, zum Teil mit Granulöse vollgestopft (rasche Zellteilung
und Vorhandensein durchwegs degenerativer Individuen gehen hier parallel!).
Von dieser Kultur wurde auf Agarplatte (ohne Zucker) oberflächlich geimpft,
dieselben wurden sofort in den Bo tk in sehen Apparat (siehe Archiv Bd 37)
gebracht, stürmisch Wasserstoff durchgeleitet etc., nach 20 Stunden ober¬
flächliche Rasen, das Präparat Fig. 12 (in wässeriger Fuchsinlösung) zeigt
regelmäßige Formen, das Plasma jedoch leicht fleckig, dabei ist mit Jod
keine Granulöse nachweisbar. Solche granulosefreie Vegetationen kommen
in anderer Form zu Gesicht, selbst bei Gegenwart von Zucker, wenn man
ganz junge Bouillonkulturen oder noch besser die eben besprochenen jungen
Rasen sofort nach dem Herausnehmen aus den anaeroben Behältern auf
tadellos ausgekochte und erstarrte Zuckergelatine überimpft. Siehe Fig. 10
( 4 Tage alte Zuckergelatinekultur vergl. Bild 20). Die Vegetationen sind mit
Fuchsin zum grofsen Teil gut färbbar, im extremen Falle granulosefrei, sie
zeigen aber Wachstum in Scheinfäden.
Geht man wiederholt in der bei Beschreibung von Fig. 12 geschilderten
Weise vor (diese Versuche stammen aus der jüngsten Zeit), so gelingt es
mühelos, die regelmäfsigsten und schönsten, vollkommen granulosefreien
Stäbchen zu erzielen, die Präparate lassen Schein faden fast vollkommen
vermissen. Die Stäbchen sind ganz aufserordentlich lebhaft beweglich, ihre
Bewegung im hängenden Tropfen hält oft durch länger als eine Stunde an,
nicht weil sie eine besondere Form des B. sind, sondern weil sie am lebens¬
kräftigsten sind. Die nach der Ermengh e m ’ sehen ausgezeichneten Methode
angefertigten Geifselpräparate zeigen den Geifselreichtum dieser Stäbchen,
für ihr gesundes Plasma spricht die aufserordentlich leichte Beizbarkeit der
Bakterienleiber. (Clostridien sind arm begeifselt, auch das Plasma schwer
beizbar.) Man kann entweder durch Modifikation der Beizen und Färbe¬
mittel oder durch Auswahl von Nährböden und Züchtungsverfahren, welche
Bakterienzellen mit normalem Plasma garantieren, gute Geifselpräparate
erzielen. Der letztgenannte Weg scheint mir der sicherere.
Kommen diese Extreme: einerseits Fig. 21 bezw. 12, 10 — anderseits
3, 4. 9 auch im Bilde der Kulturen zum Ausdruck ? Diese Frage entscheidet
das Aussehen der Vegetationen auf Zuckergelatine. Reichliche Clostridien
finden sich in Zuckergelatine-Kolonien (anaerobe Platten), die Fig. 13, 14 u.
16 entsprechen (Zuckergelatinestich Fig. 18); solche Kolonien färben sich
mit Jod intensiv schwarz. In Fig. 16 resp. 19 sind Vegetationen zu sehen,
in welchen spontan der Charakter der Kulturen sich zu ändern beginnt, es
dringen korkzieherförmige Ausläufer in die Gelatine ein. Fig. 20 und 17
Digitized by
Google
250 Ober Butters&ureg&rung. Von Dr. R. Grafsberger u. Dr. A. Schattenfroh.
endlich entsprechen den rasch beweglichen, granulosefreien Stäbchen, die io
die Gallerte stürmisch einwachsen. Fig. 20 entspricht einer 2 Tage (!) alten
Zuckergelatine-Stichkultur (abgeimpft von Kultur siehe Bild 21).
Besonders charakteristisch ist die Zuckergelatineplatte Fig. 17. Man
sieht reichlich Gasblasen (die lichthofschleierfreie Platte hat für die Dar¬
stellung hier leider etwas zu gut gearbeitet) und um diese eine schleierartige
Trübung, das ist die Vegetation.
Fig. 27 zeigt das Aussehen der Milchkulturen (viele Wochen alte Kultur).
Das Caseingerinnsel ist vollkommen ungelöst.
Fig. 25 zeigt eine tiefliegende Kolonie in Zuckeragar (20 Stunden alte
Zuckeragarplatte). Fig. 26 eine ebenso alte Kolonie in zuckerfreiem Agar
(Aussaat: erhitztes Sporenmaterial). Fig. 24 zeigt eine Stelle aus dem
Präparat Fig. 8 bei 2500facher Vergröfserung. Man sieht in zahlreichen
Clostridien, wabige Räume begrenzende Plasmastränge. In diesen Hohl¬
räumen liegen die (hier ungefärbten) Granuloseballen, ein Verhalten, das
ebenso bei der weiterhin auftretenden Lösung der Granulöse in der Lage¬
rung der einschmelzenden Granuloseballen zum Ausdruck kommt. Das
Plasma der normalen, granulosefreien Zellen zeigt im extremen Fall keinerlei
Differenzierung.
Überblickt man die vorliegenden Tafeln, so läfst sich am besten durch
Kombination einer Anzahl von Bildern ein Einblick in den merkwürdigen
Formenkreis des Amylobakter gewinnen. Will man ihn in seinem granu¬
losefreien Entwickelungsgang verfolgen, so reihe man Fig. 21 (22—23), 17,
20, 10, 7 aneinander, im anderen Falle (Versporung mit Granulöse) Bild 1, 3,
4, 9, 13—15, 18.
Die Phologramme habe ich im Vereine mit Herrn Universitätslehrer
Hinterberger in dessen musterhaft eingerichtetem Privatlaboratorium an¬
gefertigt.
Fig. 1—5, 7—12, 21—23 Vergr. = 1000,
Fig. 6 Vergr. = 2000,
Fig. 24 Vergr. = 2500,
Fig. 13—16 Vergr. = 14,
Fig. 25 und 26 Vergr. = 21,
Fig. 18, 19, 20, 27 Vergr. = 1*/,,
Fig. 17 natürliche Gröfse.
Digitized by v^.ooQle
ß. Biologisches Verhalten nnd Verbreitung des beweg¬
lichen Buttersänrebacillus.
Von Dr. A. Schatten froh,
Assistent am Institute.
Im ersten Teile dieser Abhandlung wurden die verschiedenen
Formen des beweglichen Buttersäurebacillus, wie sie im Verlaufe
der Versporung und im sporenfreien Entwicklungskreise zur Be¬
obachtung kommen, ausführlich beschrieben, es wurde auch hervor¬
gehoben, dafs derselbe ein streng anaerobes Bakterium ist
und stets, auch bei völligem Sauerstoffmangel des Mediums,
Eigenbewegung zeigt.
Es erübrigt noch, über sein sonstiges biologisches Verhalten,
insbesondere aber über die Zersetzungen zu berichten, die er
durch seine Gärthätigkeit in den Kulturflüssigkeiten bewirkt.
Was die zum Gedeihen des beweglichen Buttersäurebacillus
notwendige Temperatur betrifft, so wäre hervorzuheben, dafs
die Grenzen, innerhalb deren seine Entwicklung möglich ist,
ziemlich weit gezogen sind. Er vermehrt sich zwar am üppigsten
— auch die Gärerscheinungen sind hier am stürmischesten —
bei Bruttemperatur, doch findet er auch — günstige Nähr¬
bedingungen und strenge Anaerobiose vorausgesetzt — bei wesent¬
lich niedrigeren Temperaturen sein Auskommen. Wir sahen
sogar im Kühlschrank bei ca. 10° C. und darunter ein wenn auch
verzögertes und langsames Wachstum desselben bei gleichzeitiger
Vergärung des Substrates — ein Verhalten, das wir in der
letzten Zeit auch bei zur Gruppe des unbeweglichen Butter¬
säurebacillus gehörigen Stämmen konstatieren konnten.
ArcbiT rar Hytfene. Bd. XLn. 17
Digitized by CjOOQle
2f>2
Über Buttersäuregärung.
Während nun die bei niedriger Temperatur langsam ange¬
wachsenen Kulturen — stets dauernd anaöroben Verschlufs voraus¬
gesetzt — langG übertragungsfähig bleiben, sind die bei höheren
Temperaturen rasch und üppig gewucherten Generationen ge¬
wöhnlich wenig widerstandsfähig und gehen oft schon in wenigen
Tagen zugrunde. Dies konnten wir besonders häufig bei Zucker¬
agarplatten beobachten, deren Kolonien, wenn die Kulturen
mehrere (2—4) Tage alt waren, meist nicht mehr überimpfbar
waren. Besser konservierten sich die Zuckeragarstich- und
Bouillonkulturen, doch war auch in solchen Kulturen, selbst
dann, wenn Sporen gebildet waren, die Lebensdauer der Vege¬
tationen keine sehr lange, wenn nicht für besonders exakten Ab-
schlufs des Luftsauerstoffs gesorgt war. In solchen Fällen — z. B.
behufs Aufbewahrens der Stämme — wendeten wir auch stets
die Grub ersehe Evacuationsmethode an, die die einzige ist, bei
welcher unbegrenzte Zeit die Kulturen sauerstofEfrei bleiben.
Der bewegliche Buttersäurebacillus stellt gewisse Anforde¬
rungen an die Zusammensetzung des Nährsubstrats, so dafs er
durchaus nicht in allen gebräuchlichen Nährböden wächst. Vor
allem ist für ein lebhaftes Wachstum desselben die gleichzeitige
Abwesenheit von organischen, stickstoffhaltigen Sub
stauzen, unter denen er die Eiweifsstoffe bevorzugt, und
löslichen, vergärbareu Kohlehydraten unerläfslich. So
wie der »unbewegliche« Buttersäurebacillus vermag er in kohle¬
hydratfreien Nährlösungen, wie Peptonbouillon, nicht oder nur
kümmerlich zu wachsen, ebenso wie er in »künstlichen Nähr¬
lösungen«, die nur anorganischen Stickstoff enthalten, selbst bei
Anwesenheit von Kohlehydraten nur ausnahmsweise die Beding¬
ungen zur Entwicklung findet; wir sahen ein einzigesmal in
Uschinskyscher Lösung, die 2°/ 0 Traubenzucker enthielt, eine
kurzdauernde Vermehrung desselben eintreten 1 ), meist blieben
jedoch die Versuche, ihn in so einfachen Medien zu züchten,
erfolglos.
1) Betont soll werden, dafs die ausgeführten Verhältnisse fttr die Rein¬
kultur des Buttersäurebacillus gelten.
Digitized by
Google
Von Dr. R. Grafaberger und Dr. A. Schattenfroh. 253
Der bewegliche Buttersäurebacillus ist ein echter Gärungs¬
erreger. Gleichzeitig mit seinem Wachstum in den Nährlösungen
wie auf den festen Nährböden kommt es daher zu intensiven
Zersetzungen in denselben, die sich jedoch entsprechend der
schon früher gegebenen Definition des Begriffes »Buttersäure¬
gärung« auf die Kohlehydrate beschränken. Die Eiweifs¬
körper, deren er zum Aufbau des Leibesplasmas so dringend bedarf,
greift der bewegliche Buttersäurebacillus in ausgiebigerem Mafse
nicht an, so dafs es in seinen Kulturen niemals zu tiefergreifenden
Veränderungen derselben kommt. Man vermifst daher in den
Gärflüssigkeiten auch alle jene Stoffe, die auf Eiweifsfäulnis
deuten, ebenso wie die sinnfälligen Erscheinungen derselben(s.w.u.).
Von Kohlehydraten vergärt der bewegliche Buttersäure¬
bacillus M o n o * und Disaccharide, ebenso Stärke, während
er Cellulose nicht angreift. Neben den Kohlehydraten unter¬
liegen dann noch eine Reihe verwandter Stoffe seiner Gärung,
so insbesondere das Glycerin, das er viel leichter angreift und
zersetzt, als beispielsweise der stammverwandte unbewegliche
Buttersäurebacillus.
Mannit blieb in unseren Versuchen unzersetzt, doch möchten
wir mit einem endgiltigen Urteile über diesen Punkt bei der
kleinen Zahl derselben und im Hinblicke auf die positiven
Resultate Bejerincks zurückhalten, indem es möglich wäre,
dafs in unseren Versuchen die günstigen Bedingungen zum
Zustandekommen dieser Gärung fehlten.
Milchsäure Salze werden von seiner Reinkultur nach
unseren bisherigen Erfahrungen gleichfalls nicht angegriffen, wenn¬
gleich eine Beeinflussung des Formenkreises, hauptsächlich in Bezug
auf das Eintreten der Versporung und das Aussehen der granulose-
führenden Individuen, zweifellos konstatiert werden konnte (s. I.T.).
Wir sind übrigens noch mit Studien über diesen Punkt
beschäftigt und gedenken später noch einmal darauf zurück¬
zukommen, wenn wir die Gärungserreger der Milchsäure be¬
schreiben.
Die Untersuchungen der Gärprodukte nahmen wir in
ähnlicher Weise vor, wie wir es in unserer ersten Abhandlung
17 •
Digitized by ejOOQle
254
Über Buttersäuregärung.
beschrieben haben. Wir versetzten demnach Fleischwasser,
Peptonbouillon oder ikünstliche Nährlösung«, die einen Zusatz
von Pepton erfahren hatte, mit den zu untersuchenden Sub¬
stanzen in solchen Mengen, dafs Konzentrationen von 2—4 %
resultierten (s. Protokolle) und nahmen die Verarbeitung des
Materiales eine bis mehrere Wochen nach der Aussaat im wesent¬
lichen nach derselben Vorschrift vor, die wir früher eingehalten
hatten. Es wurde dementsprechend auf flüchtige und nichtflüchtige
Säuren, auf Alkohole, auf Ze’rsetzungsprodukte der Eiweifsstoffe
geprüft, und gegebenenfalls wurden diese Stoffe quantitativ
bestimmt; weiters wurden gelegentlich die bei der Gärung stets
reichlich gebildeten Gase nach der exakten Analyse untersucht.
Hierbei stellte sich nun heraus, dafs aus Dextrose, Saccharose
und Laktose, sowie aus Stärke (verkleistert und in löslicher Form)
und Glycerin regelmäfsig Buttersäure, Milchsäure, Koh¬
lensäure und Wasserstoff gebildet werden.
Alkohole, die von manchen Autoren als konstantes Gär¬
produkt des beweglichen Buttersäurebacillus gefunden wurden
— es handelte sich im wesentlichen hierbei stets um Butyl-
alkohol — fanden wir ein einziges Mal in gröfserer Menge bei
der Analyse der Gärprodukte eines frisch aus Erde gezüchteten
Stammes vor, wobei sich beim Absättigen des Destillats mit
Pottasche etwa 4 ccm eines bei 118° C. übergehenden Alkohols
abschieden; wir waren jedoch nicht imstande, bei mehrfacher
Wiederholung des Versuchs ein gleiches Resultat zu erzielen.
Das Mengenverhältnis der gebildeten Gärprodukte ist
kein konstantes, sondern hängt von einer Reihe von Einflüssen
ab. Wenngleich bei den Gärungen des beweglichen Buttersäure¬
bacillus — im Gegensatz zur unbeweglichen Art — stets ver-
hältnismäfsig grofse Mengen von Buttersäure gebildet werden,
was zunächst hervorgehoben werden soll, ist doch innerhalb ge¬
wisser Grenzen das Verhältnis der Buttersäure und Milchsäure
zu einander ein recht wechselndes, indem von letzterer bald nur
kleine Mengen, bald ansehnliche Quantitäten gebildet werden.
In den meisten Fällen entstehen aus den Kohlehydraten durch
den beweglichen Buttersäurebacillus zwar gröfsere Mengen
Digitized by CjOOQle
Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh.
255
von Buttersäure als Milchsäure, doch sehen wir aus¬
nahmsweise das Verhältnis von Buttersäure und Milchsäure sich
umkehren, so dafs neben beträchtlichen Mengen von
Milchsäure nur kleine Mengen von Buttersäure ge¬
bildet werden.
Diese aufsergewöhnlichen Befunde entziehen sich vollständig
einer zutreffenden Erklärung, wie überhaupt zugegeben werden
mufs, dafs wir nur einen Teil der Einflüsse kennen, welche für
den Ausfall der Gärung bedeutungsvoll sind. So ist es zweifellos,
dafs der Milchzucker zum gröfsten Teile in Buttersäure über¬
geführt wird und nur ein sehr kleiner Rest desselben zu Milch¬
säure vergärt. Ganz besonders tritt dies in Milchkulturen her¬
vor, in denen wir nur ausnahmsweise Spuren von Milchsäure
nachweisen konnten.
Es ist dies wieder ein übereinstimmendes Verhalten beider
bisher beschriebenen Buttersäurebacillen, dafs von ihnen in Milch
absolut und relativ die gröfsten Mengen Buttersäure gebildet werden.
Die übrigen untersuchten Zucker, sowie die Stärke
zerfallen in Buttersäure und Milchsäure ohne gesetzmäfsige
Regelmäfsigkeit in dem Mengenverhältnisse der Säuren. Wir
haben daher auch in diesem Falle von dem Aufstellen einer
Gärungsgleichung Abstand genommen und registrieren einfach
die Thatsache.
Beide Säuren entstehen nach unserer Auffassung aus dem
Zucker direkt; dafs Buttersäure durch nachträgliche mehr oder
minder vollständige Vergärung der Milchsäure in statu nascendi
zustande kommt, ist uns unwahrscheinlich, da Milchsäure, den
Nährböden zugesetzt, wie schon erwähnt, vom beweglichen
Buttersäurebacillus anscheinend nicht angegriffen wird.
Die Modifikation der Milchsäure ist bei den einzelnen
Racen des beweglichen Buttersäurebacillus eine verschiedene,
indem von einer Reihe von Stämmen inaktive, von anderen
Rechts-Milchsäure gebildet wird. Es scheint dies, soweit
unsere Beobachtungen reichen, konstant zu sein, wenigstens
konnten wir Ausnahmen nicht konstatieren. Die einzelnen Stämme
entsprechend der Modifikation der Milchsäure voneinander zu
Digitized by CjOOQle
256
Über Buttereäuregärung.
trennen, ist uns nicht gelungen, so dafs wir das diesbezüglich
abweichende Verhalten derselben nur als eine Stammeseigen-
tümlichkeit ansehen können.
Über die Milchkultur hätten wir noch einiges zu be¬
merken. Vor allem, dafs nicht alle untersuchten Stämme sich in
diesem Nährboden gleich verhielten. Alle jene, welche wir nach
Botkins Vorschrift in Milch angereichert hatten, zeigten in
derselben auch in Reinkultur das typische Bild, wie wir es für
den unbeweglichen Buttersäurebacillus beschrieben haben: Stür¬
mische Gasbildung, Gerinnung des Caseins und Entführung des
Coagulums an die Oberfläche durch die entweichenden Gase.
Andere Stämme, die wir auf andere Weise isoliert hatten (s. u.)
wuchsen aber langsamer in Milch an, in ganz vereinzelten Fällen
blieb die geimpfte Milch steril, oder das Wachstum der ein¬
gesäten Bakterien stand, bevor es noch zu sinnfälligen Ver¬
änderungen der Milch gekommen war, still. Wenn Wachstum
in Milch eingetreten war, blieb das Caseingerins el an¬
dauernd ungelöst; die beweglichen Buttersäurebacillen pro¬
duzieren daher in Milch ebensowenig wie ihre unbeweglichen
Verwandten peptonisierende Enzyme. Dies ergab sich aufser der
makroskopischen Betrachtung der Milchkultur auch noch aus
dem Stickstoffgehalt der Molke (nach Kjeldahl bestimmt); der¬
selbe erhob sich auch in alten Kulturen nicht über 0,13 °/ 0 und
blieb vom Tage der Ausfällung des Caseins an konstant.
Dem Fehlen der peptonisierenden Enzyme entsprechend,
konnten auch Phenol, Indol, Schwefelwasserstoff und Ammoniak
in der Molke nicht nachgewiesen werden, so dafs weitergehende
Zersetzungen des Milcheiweifses wohl füglich ausgeschlossen
sind. Weiter wahrscheinlich machen konnten wir dies durch
die Konstatierung der Thatsache, dafs der bewegliche Butter¬
säurebacillus — wir konnten für den unbeweglichen den Versuch
nachholen — in reinen Casein lösungen trotz reichlicher Aus¬
saat nicht wächst.
Die in Milch gebildeten Gärprodukte sind daher ebenso wie
beim unbeweglichen Buttersäurebacillus zum überwiegenden Teile
aus dem Milchzucker entstanden. Eine vollständige Zersetzung
Digitized by CjOOQle
Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfröh.
257
desselben konnte jedoch niemals beobachtet werden; stets blieb
ein Rest von mindestens 2 1 / 2 °/ 0 noch nach Wochen unvergoren.
Der bewegliche Buttersäurebacillus bildet in den Kulturen
di astatische Enzyme. Doch stiels der Nachweis auf gröfsere
Schwierigkeiten, und wir können heute nur die regelmäfsige
Bildung von Amylase behaupten, während die Sucrase trotz
aller Bemühungen nur ein einziges Mal — und da nicht völlig
einwandfrei — nachgewiesen werden konnte.
Die Technik dieser Versuche soll bei einer späteren Gelegen¬
heit besprochen werden. 1 )
Ob Milchzucker invertierende Enzyme bei der Gärung
in Milch entstehen, haben wir nicht näher untersucht; jedenfalls
aber ist in solchen Kulturen, wie die Gärprobe mit Dextrosehefe
ergab, keine Dextrose gebildet.
Labenzyme entstehen, wie zu erwarten, in den Milch¬
kulturen nicht; die Gerinnung des Caseins erfolgt
durch Säure Wirkung. Man darf sich durch den Umstand
nicht irreführen lassen, dafs auch in Milchkulturen, die Kreide
enthalten, Caseinfällung eintritt; es setzt sich die durch das
Sterilisieren geballte Kreide eben nur allmählich mit den ent¬
standenen Säuren um, so dafs die Reaktion der Milch und später
der Molke stets eine deutlich sauere ist.
Giftigkeit und Pathogenität.
Der »bewegliche« Buttersäurebacillus vom Typus »Amylo¬
bakter« ist nach unseren bisherigen Erfahrungen für Meer¬
schweinchen nicht pathogen. Wir glauben, dafs, wenn beweg¬
liche Buttersäurebacillen als Krankheitserreger beschrieben werden,
es sich um Bakterien handelt, die einer anderen Gruppe zu¬
gehören. Hierüber soll später noch ausführlich die Rede sein. 2 )
1) Auch der unbewegliche Buttersäurebacillus bildet — wie wir uns
nachträglich durch bessere Methodik überzeugen konnten — in den Kulturen
Diastasen, und zwar sowohl Amylase als auch Sucrase.
2) Über die pathogenen Varietäten des unbeweglichen Buttersäure¬
bacillus bezw. die Zugehörigkeit des Gasphlegmonebacillus und des Rausch¬
brandbacillus zur Gruppe desselben, ist an anderer Stelle bereits kurz
berichtet worden (Münch, med. Wochenschr., 1000 u. 1901).
Digitized by
Google
258
Über Buttersäuregärung.
Verbreitung des beweglichen Buttersäurebacillus.
Der bewegliche Buttersäurebacillus scheint so wie der un¬
bewegliche Buttersäurebacillus in ganz allgemeiner Ver¬
breitung in der Natur vorzukommen, indem er in den ver¬
schiedensten Ausgangsmaterialien, wie in Erde, in Wasser (Wiener
Hochquellwasser), in verschiedenen Käsesorten, in einer Reihe
von Mehlproben — ausnahmsweise auch in Marktmilch — auf¬
gefunden wurde.
Am besten hält man sich bei seinem Nachweise an das
Be j er in ck sehe Rezept, das sich auch uns gut bewährt hat.
Man übergiefst in einem enghalsigen Gefäfse 5 g Glykose
und 5 g feingemahlenes Fibrin (oder auch Pepton) mit 100 g
Wasser und bringt die Mischung zum Sieden; in die siedende
Flüssigkeit trägt man das zu prüfende Material, wie Gartenerde,
Schlamm, Mehl von Cerealien etc. in kleinen Mengen ein. Am
nächsten Tage ist in der bei 37° gehaltenen Probe lebhafte
Gärung eingetreten, die fast stets durch den beweglichen Butter¬
säurebacillus hervorgerufen ist.
Weniger häufig gelang uns seine Anreicherung, wenn wir
die Ausgangsmaterialien in steriler Milch erhitzten, ähnlich wie
wir behufs Gewinnung des unbeweglichen Buttersäurebacillus ver¬
fahren waren.
Verschiedene Gründe sind wohl dafür mafsgebend, dafs in
solchen Fällen der unbewegliche Buttersäurebacillus meist die
Oberhand gewann. Einmal dürften bei dem Bo tkin sehen Ver¬
fahren (Erhitzen durch 10—30 Minuten im strömenden Dampfe)
die wenig widerstandsfähigen Sporen des Granulobacillus mobilia
in den meisten Fällen zu Grunde gehen, dann ist aber wohl
weiters der Schlufs berechtigt, dals eine Proliferation derselben
bei diesem Verfahren deshalb meist ausbleibt, weil für viele
Varietäten der beweglichen Art die Milch keinen günstigen Nähr¬
boden vorstellt (s. o.). Dafs der unbewegliche Buttersäurebacillus
in den nach Bejerincks Angabe angelegten Vorkulturen nie¬
mals seinen beweglichen Verwandten zu verdrängen vermag,
kann darin seinen Grund haben, dafs letzterem die Dextrose in
Digitized by CjOOQle
Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh.
259
besonders hohem Mafse zusagt; doch konnten wir in den Dex¬
trose-Reinkulturen beider Arten Unterschiede in der Gärungs¬
intensität nicht wahrnehmen.
Die in der vorliegenden Abhandlung gegebene Beschreibung
des »beweglichen« Buttersäurebacillus läfst erkennen, dafs wohl
manche Beziehungen ihn mit dem unbeweglichen Buttersäure¬
bacillus verbinden, dafs aber genügend Unterschiede vorhanden
sind, die die Aufstellung eiuer eigenen Art rechtfertigen und ge¬
boten erscheinen lassen.
Sind schon für den Fernerstehenden eine Reihe von leicht
kenntlichen Verschiedenheiten gegeben, wie vorhandene oder
fehlende Beweglichkeit, Peptonisierung der Gelatine und der
Mangel einer solchen, anderes Aussehen der Kolonien u. s. w.,
so ist für denjenigen, der sich lange und viel mit dieser Gruppe
von Bakterien beschäftigt hat, der Gesamteharakter der¬
selben, welcher sich unter wechselnden biologischen Bedingungen
stets unverkennbar ausprägt, vor allem mafsgeberid und ent¬
scheidend.
Wir möchten auf letzteren Umstand besonderen Wert legen,
hauptsächlich auf Grund von Erfahrungen aus der letzten Zeit,
die uns belehrten, dafs manche bis dahin für charakteristisch
gehaltene Eigenschaft der »unbeweglichen« Art verloren gehen,
eine fehlende Fähigkeit zeitweise auch erworben werden kann,
ohne dafs die Zugehörigkeit zum Typus hierdurch auch nur im
geringsten zweifelhaft würde.
Die Einzelheiten hierüber zu bringen, ist einer späteren Ab¬
handlung Vorbehalten, in ihr soll auch von den Übergangsformen
zwischen »beweglichen« und »unbeweglichen« Buttersäurebacillen
die Rede sein.
Protokollauszüge.
Verbreitung:.
1. Milch in Original flasche aus Breslau eingesandt; 15 Minuten im
strömenden Dampfe sterilisiert. Typische Gärung. Auf Zuckeragarplatten
wetssteinförmige Kolonien mit Gasblasen; hiervon Reinkultur des beweg¬
lichen Bnttersäurebacillus.
Digitized by CjOOQle
260
Über Buttersäuregärung.
2. Milch aus Wien, nach 12 Min. langem Erhitzen im Dampftopfe ge¬
ronnen (aerobe Milcbsäurebakterien?'}; im Brutschränke deutliche Gärung mit
Buttersäuregeruch; auf den Platten Reinkultur von beweglichen Buttersäure¬
bacillen.
3. Sterile Milch mit 20 ccm Wiener Hochquellleitungswasser
versetzt, hierauf 5 Min. im strömenden Dampfe erhitzt; stürmische Gärung;
bewegliche Buttersäurebacillen, anscheinend in Reinkultur.
4. Sterile Milch, mit einem linsengrofsen Stück Schweizerkäse be¬
schickt; 15 Min im Dampftopf erhitzt; neben aeroben Bakterien und unbeweg¬
lichen Buttersäurebakterien Isolierung von beweglichen Buttersäurebacillen.
5. Sterile Milch mit »Schmierkäse« geimpft; typische Gärung. Neben
unbeweglichen Buttersäurebacillen auch bewegliche reingeztichtet.
6. Rohrzuckerbouillon mangelhaft sterilisiert, bei der Prüfung im
Thermostaten stürmisch vergoren; bewegliche Buttersäurebacillen in prak¬
tischer Reinkultur.
7. Sechs Proben mit Gartenerde, nach Bejerinck (s. o.) angesetzt. Nach
48 Stunden Zuckeragarplatten; überall bewegliche Buttersäurebacillen.
8. Fünf Proben, ähnlich wie 7., doch statt Fibrin Pepton zugesetzt.
Roggen- und Hafermehl; in allen Proben bewegliche, granulosetragende
Buttersäurebacillen.
9. Peptonbouillon mit 1 % milchsaurem Kalk. Sehr fette Gartenerde
eingebracht. Nach 48 Stunden sehr schwache Gärung; neben dünnen, be¬
weglichen Stäbchen auch granuloseführende, bewegliche Buttersäurebacillen
daraus isoliert.
Untersuchung der Grttrprodukte.
Die Methoden glichen völlig den in der ersten Abhandlung ausführlich
beschriebenen, weshalb hier nicht darauf eingegangen wird. Kleine Ab¬
weichungen vom gewöhnlichen Analysengang sind in den Protokoilanszügen
verzeichnet.
1. Milch 27*1; frei von Milchsäure; Kreide. Mit »Breslauerstamm« ge¬
impft; Bunsenventil. Nach 14 Tagen 2400 ccm in Arbeit genommen; in
gewöhnlicher Weise verarbeitet 16 g Barytsalz der flüchtigen Säuren ; keine
fixen Säuren, keine Alkohole. Barytgehalt des Salzes = 46,2 °/ 0 Ba
(noch kohlensauren Baryt enthaltend). Milchzuckergehalt der Molke = 2,65° 0 ;
Eiweifsgehalt der Molke = 0,71 °/ 0
2. Milch 21. Kontrolle frei von Milchsäure. »Breslauerstamm«. Bunsen¬
ventil, Kreide. Nach 12 Tagen verarbeitet. 18 g buttersaures Ba, keine fixen
Säuren, keine Alkohole. Der gröfste Teil des Barytsalzes wird mit Schwefel¬
säure zersetzt und im Schacherischen Apparate mit Äther extrahiert. Ab¬
sättigen mit Baryt, fraktioniertes Fällen mit Silbernitrat.
Erste Fraktion — 1,6172g; hiervon wurden 1. 0,3971 g abgewogen
und verascht; Gewicht des metallischen Silbers = 0,2215 g, entsprechend
einem Silbergehalt von 55,9 °/ 0 ; 2. 0,2676 g Silbersalz gaben beim Veraschen
einen Rückstand von 0,1493 g Silber; der Silbergehalt dieser Probe betrug
= 55,8 V
Digitized by v^.ooQle
Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh. 261
Zweite Fraktion = 2,9137 g; 0,3804 g Salz geben nach dem Ver¬
aachen einen Silberrückstand von 6,2140 g = 56,2 %
Das Filtrat von der zweiten Fraktion schwärzte sich in kürzester Zeit,
was auf Ameisensäure schliefsen läfst.
3. Milch. Buttersäurebacillus aus Hochquellwasser. Wie 2. 12g
Barytsalz der flüchtigen Säuren, keine Alkohole, keine fixen Säuren.
4. Milch. Buttersäurebacillus aus Schweizerkäse. 11,8g Ba-Salz der
flüchtigen Säuren, keine Alkohole, keine fixen Säuren.
5. Milch. Kontrolle frei von Milchsäure. Buttersäurebacillus aus
Schmierkäse. 10 g buttersau rer Baryt; keine fixen Säuren und Alkohole.
6. Milch. Bej eri nckscher Stam m. Paraffinverschlufs. Kreide. Erst
nach 4 Tagen Gärung geronnen. 7,6 g Barytsalz der flüchtigen Säuren ;
geringe Mengen fixer Säure.
7. 30 g Milchzucker in künstlicher Nährlösung und 10 g Pepton.
»Breslauer Stamm«. 13 g buttersaures Ba, geringe Mengen fixer Säure.
8. Wie 7. Paraffinverschlufs. Bejerinckscher Stamm. 12 g Baryt¬
salz der flüchtigen Säuren, keine fixen Säuren.
9. Wie 7. Ein von v. Hi bl er in Innsbruck als B. sporogenes
Klein übersandter Stamm. 15 g buttersaures Ba, geringe Mengen Milch¬
säure.
10. Wie 7. Stamm »Hochquell«. 15 g buttersaures Ba, geringe Mengen
Milchsäure.
11. 40 g Dextrose (kryst. Kahl bau in) in Peptonbouillon (2 1) mit
Paraffinverschlufs, Kreide. »Breslauer Stamm«. Nach 4 Wochen ver¬
arbeitet. Zucker vollständig vergoren. 25 g buttersaurer Baryt, 5 g milch¬
saures Calcium, (Ca-Gehalt = 18,1 °/ 0 ), keine Alkohole.
12. Wie 11. »Breslauerstamm.« 12 g buttersaures Ba, 5 g milch¬
saures Ca.
13. 30 g Dextrose in 1 1 Peptonbouillon (Paraffinverschlufs), Kreide.
Aus spontan vergorener Rohrzuckerbouillon isolierter Stamm. Zucker
nicht vollständig zersetzt. 7,5 g buttersaurer Baryt; 3,2 g Kalksalz der fixen
Säuren in grofsen Drusen aup der wäfsrigen Lösung krystallisierend.
14. 30g Dextrose in 11 Peptonbouillon und Kreide. Paraffin¬
verschlufs; Bejerinckscher Stamm. 7,2 g Barytsalz der flüchtigen Säuren,
5,3 g Kalksalz der fixen Säuren. Alkohole dem Gerüche nach vorhanden,
doch nicht aussalzbar.
15. 30 g Dextrose in 11 künstlicher Nährlösung mit Pepton und
Kreide. Bejerinck scher Stamm. In der Botkin-Glocke durch 7 Tage gehalten.
14 g Barytsalz flüchtiger Säuren, 1,3 g Kalksalz fixer Säure, keine Alkohole.
16. 30 g Dextrose in 11 künstlicher Nährlösung mit Pepton und
Kreide. Bejerinckscher Stamm. 11 g Barytsalz flüchtiger Säure. Von
den fixen Säuren etwa */ 8 verloren; der Rest mit pulv. Zinkkarbonat ge¬
kocht = 1,9 g milchsaures Zink; zwei Krystallisationen, beide optisch
nakti v.
17. 30 g Dextrose in 1,5 1 Bouillon und 15 g Pepton und Kreide.
Paraffinverschlufs. Bacillus saccharobutyricus Kl eck i. 10,4 g Barytsalz
flüchtiger Säure, 13,2 g Kalksalz fixer Säure. Keine Alkohole.
Digitized by v^,ooQle
262
Über Buttersäuregärung.
18. 30 g Dextrose, künstliche Nährlösung und Pepton; Paraffin.
K 1 eckischer Stamm; 7 Tage alte Kultur. 4,7 g Barytsalz flüchtiger Säure,
2,3 g Kalksalz fixer Säure. Letzteres durch Ausäthern der angesäuerten
wässerigen Lösung und Kochen mit ZnC0 8 ins Zinksalz übergeführt; zwei¬
mal umkrystallisiert. Starke Linksdrehung der Lösung.
19. Wie 17. In gleicherweise verarbeitet; das Kalksalz der fixen Säure
ins Zinksalz tibergeftihrt; zweimal umkrystallisiert, starke Linksdrehung
der wässerigen Lösung.
20. 30 g Dextrose, 11 Peptonbouillon und Kreide, Paraffinverschlufs.
Zehntägige Kultur von Amylobakter Gruber. 9 g Barytsalz der flüch¬
tigen Säure, 6,7 g Kalksalz der fixen Säure, keine Alkohole.
21. 30 g Dextrose in künstlicher Nährlösung mit Pepton und Kreide,
Paraffinverschlufs. Amylobakter Gruber. 13 g Barytsalz flüchtiger
Säure, 0,9 g Kalksalz fixer Säure.
22. Wie 21. Amylobakter Gr über. 5g buttersaures Ba; 2 g milch¬
saures Zink, optisch inaktiv.
23. 30 g Dextrose in 11 künstlicher Nährlösung mit Pepton und
Kreide, Paraffinverschlufs. Beweglicher Buttersäurebacillus aus Schmier¬
käse. 11 g buttersaures Ba; 3,2 g Zinksalz der fixen Säure. Optisch
i n a k ti v.
24. 30 g Dextrose. Wie 23. Buttersäurebaciilus »Hochquell«.
11 g buttersaures Ba, 3 g Zinksalz der fixen Säure. Erste Krystallisation
wiederholt gereinigt, optisch inaktiv. Mutterlauge mit Alkohol-Äther gefällt.
Keine Alkohole.
25. 30 g Dextrose. Wie 23. »B. sporog. Klein« (v. Hibler). 12g
buttersaures Ba; 3,1 g milchsaures Zink (optisch inaktiv).
26. 30 g Sacc h aro se (käuflich, krystallisiert) in künstlicher, mit Pepton
versetzter Nährlösung; mit Paraffin überschichtet, Bejeri nck scher Stamm.
Nach 12 Tagen verarbeitet. 11 g buttersaures Ba. Die fixen Säuren mit Kreide
abgesättigt und nach dem Verjagen des Wassers in heil’sem Methylalkohol
gelöst; mit Äther gefällt. 1,5 g Ca-Salz. Im Rest Kalkbestimmung ge¬
macht, die einen Gehalt von 0,67 g Milchsäure berechnen liefs. Im ganzen
demnach 1,87 g Milchsäure. (Diese Methode der Reindarstellung des milch-
sauren Kalkes wurde später aus verschiedenen Gründen wieder verlassen.)
27. 30 g Saccharose. Wie 26 >B. sporogenes Klein« (v. Hibleri.
17 g buttersaures Ba; Kalksalzkrystallisation der fixen Säure aus Methyl¬
alkohol hochgradig hygroskopisch und zertliefsend. Die wässerige Lösung
des Kalksalzes mit etwas mehr als der theoretischen Menge Oxalsäure ver¬
setzt und das Filtrat mit Zn CO s gekocht. Beim Eindampfen Krystallisation.
Erste gereinigte Krystallisation = 1,2 g. Optisch inaktiv. Krystallwasser
gehalt (Krvstalle 5 Tage an der Luft getrocknet, offenbar schon etwas ver¬
wittert) = 17,3 °/ 0 (18,3 °/ 0 — 3 Moleküle Krystallwasser). Zinkgehalt 33,2%
(0,236 g Substanz — 0,0784 g Zn O'.
28. 30 g Saccharose. Wie 26. Beweglicher Buttersäurebaciilus aus
Schmierkäse. 10 g buttersaures Ba; 1,98 g milchsaures Ca. Keine Alkohole.
Digitized by v^,ooQle
Von Dr. R. Grafsberger und Dr. A. Schattenfroh.
263
29. 30g Saccharose. Wie 26. Stamm »Hochquell«. 9 g buttersaures
Baryum; zwei Krystallisationen des Zinksalzes der fixen Säure, beide
inaktiv.
30. 30g Saccharose, künstliche Nährlösung mit Pepton und Kreide,
Paraffinverschlufs. Amylobakter Gruber. Der Kolbeninhalt wird im
Vacuum eingedampft, dann angesftuert und mit Äther extrahiert. (9 Tage.)
Nach dem Verjagen des Äthers wird der Rückstand in Wasser gelost und
destilliert; die flüchtigen Säuren werden mit Baryt, die nicht flüchtigen mit
ZnCO s abgesättigt. 10 g buttersaures Ba, 2,1 g milchsaures Zn
31. 30g Saccharose. Wie 26. Aus Rohrzuckerbouillon gezüch¬
teter Stamm. Geringe Mengen buttersaures Ba (2,3 g), 9,7 g milch-
saures Zink. Starke Linksdrehung der Krystalle. Keine Alkohole.
(Das Mengenverhältnis der fixen und flüchtigen Säuren in diesem, völlig ein¬
wandfreien Versuche ist ein analoges wie beim unbeweglichen Buttersäure¬
bacillus. Wir waren später nie mehr in der Lage, bei einem beweglichen
Buttersäurebacillus eine ähnliche Zersetzung zu beobachten; auch derselbe
Stamm, in Rohrzuckerbouillon ein zweites Mal untersucht, wies dieses Ver¬
halten nicht mehr auf.)
32. 30 g Saccharose. Wie 26. Ein aus Erde gezüchteter Stamm.
5 g buttersaures Ba, 4,2 g milchsaures Zink. Aufserdem circa 4 ccm
eines zwischen 115 und 118° C. übergehenden Alkohols, der
demnach als Butylalkohol anzusehen ist.
(Der gleiche Stamm bildete in zwei weiteren Versuchen, in denen wir
nur auf Alkohole geprüft haben, keine Alkohole und ist dieser Versuch
somit als der einzige in einer grofsen Reihe anzusehen, in welchem uns der
Nachweis gröfserer Alkoholmengen gelang)
33. 20 g Saccharose in 1,51 Peptonbouilion. »Breslauerstammt.
10 g buttersaures Ba, 4,7 g Ca-Salz der fixen Säure.
34. 30 g Saccharose in künstlicher Nährlösung mit Pepton und Kreide.
Ein aus Fitzschem Sporenkalk gezüchteter Stamm. 5 g buttersaures Ba;
2,1 g milchsaures Zink, keine Alkohole. (Linksdrehung der Lösung.)
35.40g verkleisterter Stärke in Peptonbouillon. Breslauer¬
stamm. 15 g buttersaures Ba, 2,8 g Kalksalz der fixen Säure, keine Alkohole.
36. 50 g verkleisterter Stärke in künstlicher Nährlösung und
Pepton. Be j er i nck scher Stamm. Im Filtrat Zuckerreaktion. 10 g
buttersaures Ba, keine Alkohole, 2,7 g milchsaures Ca.
37. 30 g verkleisterter Stärke in künstlicher Nährlösung und
Pepton; in der Botkinglocke gehalten. Stamm »Hochquell«. 19g butter¬
saures Ba, 2,9 g milchsaures Zn.
38. 35 g verkleisterter Stärke in künstlicher Nährlösung und
Pepton. (Paraffinverschlufs). >B. sporogenes Klein« (v. Hibler). 11 g
buttersaures Ba, 3,78 g milchsaures Zink.
39. 30 g verkleisterter Stärke in künstlicher Nährlösung und
Pepton. Paraffinverschlufs. Kleckis Stamm. 9 g buttersaures Ba, 1,8 g
milchsaures Zink; letzteres stark linksdrehend.
40. 40g Glycerin in einfacher Nährlösung und Pepton, ln der Bot¬
kinglocke 20 Tage gehalten. ^Bre sl a u e rs ta in m«. Bei der Destillation
Digitized by v^,ooQle
264 Über Buttersäuregärung Von Dr. R. Grafsberger u Dr. A. Schattenfroh
schwacher Geruch nach Aldehyden. Die flüchtigen Säuren, mit Baryt neu
tralisiert, erst durch kleine Mengen salpetersaures Silber von Salzsäure be¬
freit, hierauf mit überschüssiger Silberlösung gefällt Der entstandene Nieder¬
schlag, abgesaugt, gewaschen, getrocknet (4,2 g), enthielt 56,2 % Ag. (0,8304 g
Substanz, 0,4667 g Silber). Keine Alkohole; kleine Mengen fixer Säuren
gebildet (eine Krystallisation, Mutterlauge mit Alkohol-Äther gefällt).
41. 30 g Glycerin in 1 1 einfacher Nährlösung mit Pepton und 5 g
Liebigschem Fleischextrakt. (Paraffinverschlui's.) Bejerinckscher Stamm.
7 g Barytsalz der flüchtigen Säuren. Kleine Mengen fixer Säuren (wegen
des Gehaltes der Lösung an Fleischextrakt nicht ohne weiteres als Gär¬
produkt zu deuten). Keine Alkohole.
42. 30 g Dextrose in 11 peptonfreier Bouillon. Botkinsche Glocke.
Amylobakter Gruber (der gewaschene Bodensatz einer Pepton-Dextrose-
Kultur). Stürmische Gärung, nach 48 Stunden einsetzend. Nach 14 Tagen
untersucht. Keine Alkohole. 8 g buttersaurer Baryt, 3 g milchsaures
Zink (inaktiv).
43. Gasanalyse. Amylobakter Gruber. 30 g Dextrose in
künstlicher Nährlösung und 10 g Pepton. Dickwandiger Kolben, seitlicher
Ansatz am Gasentbindungsrohr zur Verbindung mit der Wasserstrahlpumpe
(Sieden im Vacuum). Auffangen der Gase im Eudiometer über Wasser.
Analyse der Gase nach Ansammlung von etwa 300 ccm Gas. Abmessen
von 100 ccm in der Hem pel sehen Bürette. Überleiten in die Kalilauge-
Pipette. CO, = 10°/o des Gasgemenges. Von dem entkohlensäuerten Gas
wird ein Teil in ein graduiertes Eudiometer mit Niveaugefäfis (Hg) gesaugt
= 21,5 ccm. Nach Hinzuleiten von Sauerstoff aus geschmolzenem chlor¬
sauren Kali, Volumen = 37,4 ccm ; nach der Explosion = 20,2 ccm. Nach
abermaligem Überleiten in die Kalilangepipette und Zurückführen =20,1 ccm.
Nach Überleiten in die Pyrogallolpipette und Zurückführen = 8,4 ccm. Das
analysierte Gasgemenge bestand demnach aus 10% Kohlensäure, 47,97%
Wasserstoff und 42,03% Luft. ^Schlechte Dichtung des Apparates! Höherer
Stickstoffgehalt der analysierten Luft [86,6 % N] als der Zusammensetzung
der Atmosphäre entspricht, wegen selektiver Absorption durch das Sperr¬
wasser.)
Die Gärungsgase bestanden demnach aus 17,25% Kohlen
säure und 82,75% Wasserstoff.
Sumpfgas wurde keines gebildet.
Digitized by v^,ooQle
Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen.
Von
Oberarzt Dr. Jürgens.
(Aus dem hygienischen Institut der Universität Berlin.)
Für die genauere Kenntnis der Flagellaten, welche seit dem
Nachweis ihrer Bedeutung für die Nagana, Surra und Dourine-
Krankheit lebhaft an Interesse gewonnen haben, erscheint das
Studium der scheinbar nicht pathogenen Trypanosomen des
Rattenblutes nicht unwichtig. Auf Veranlassung von Herrn
Stabsarzt Dr. v. Wasielewski wurde daher die Prüfung einer
Reihe von Fragen über das Verhalten dieser Parasiten innerhalb
und aufserhalb des Tierkörpers vorgenommen.
Die ersten erfolgreichen Übertragungsversuche der
Rattentrypanosomen auf andere Ratten wurden von Koch aus¬
geführt. Zwar berichtet schon Lingard (1895) über gelungene
Überimpfungen auf Kühe, Pferde, Affen und Feldmäuse, doch
kann man diesen positiven Versuchen keinen allzuhohen Wert
beilegen, weil die Erreger der Surra-Krankheit und die anschei¬
nend harmlosen Rattenblutparasiten nicht scharf auseinander ge¬
halten werden. Auch geben sämtliche späteren Untersucher
übereinstimmend an, dafs eine Übertragung auf andere Tiere als
nicht infizierte Ratten mifslingt.
Robert Koch (1898) erkannte den Unterschied zwischen
Rattentrypanosomen und den Parasiten der Surra-Krankheit
upd tiberimpfte einwandsfrei Rattentrypanosomen mit positivem
Erfolg auf nicht infizierte Ratten, während ihm die Übertragung
auf andere Tiere als Ratten nicht gelang.
Digitized by CjOOQle
266
Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen.
Genauere Studien über die uns beschäftigenden Organismen
sind dann von Rabinowitsch und Kempner (1898), sowie
von v. Wasielewski und Senn (1900) angestellt worden.
Es wurde parasitenhaltiges Rattenblut, mit steriler Kochsalz¬
lösung oder Bouillon vermischt, dem Versuchstier in die Bauch¬
höhle gespritzt. Am 3. oder 4. Tage nach der Impfung traten
spärliche Parasiten in dem Blut des geimpften Tieres auf, und
zwar sahen v. Wasielewski und Senn anfangs stets nur er¬
wachsene Exemplare, während Rabinowitsch und Kempner
fast nur »Entwicklungsformen c am 1. und 2. Tage ihres Auf¬
tretens im Schwanzblut fanden, darunter allerdings einige wenige
ausgewachsene Parasiten. Die Inkubationszeit dauert also, wie
übereinstimmend angegeben wird, etwa 3—7 Tage, selten kürzere
oder längere Zeit, und nur in Bezug auf die Form der ersten
Ankömmlinge im Schwanzblut der geimpften Ratten stehen sich
zwei Beobachtungen gegenüber und geben Veranlassung, die
Frage nach der Hauptentwicklungsstätte der Parasiten verschieden
zu deuten. Rabinowitsch und Kempner glauben aus ihren
Beobachtungen schliefsen zu müssen, dafs die Parasiten in der
Bauchhöhle zur Entwicklung kommen und als Entwicklungs¬
formen in die Blutbahn Vordringen, während v. Wasielewski
und Senn die Hauptentwicklung im Blute vor sich gehen lassen
und glauben, dafs eine Überwanderung hauptsächlich von den
erwachsenen und jungen Parasiten ausgeführt wird, während die
in Entwicklung begriffenen durch ihre Gröfse verhindert werden,
durch die Lymphbahnen ins Blut überzutreten. Bei der Besprech¬
ung meiner eigenen Versuche komme ich auf diese Frage zurück.
Mesnil undGazeau (1901) verwendeten bei ihren Impfungen
defibriniertes Blut oder nahmen einen Zusatz von Oxal- oder
Citronensäure. Sie konstatierten bisweilen schon am 1.—3. Tage
nach der Impfung das Auftreten der Parasiten im Blut, aber immer
erst nach dem 3.—5. Tage fanden sie eine gröfsere Anzahl, welche
dann innerhalb von 24 Stunden stark zunahm. Während dieser Zeit
gelang es ihnen dann auch, alle Entwicklungsstadien aufzufinden.
Das Ausgangsmaterial, womit ich meine eigenen Versuche
anstellte, bildeten zwei wilde graue Ratten, welche ziemlich zahl-
Digitized by CjOOQle
Von Oberarzt Dr. Jürgens.
267
reiche Trypanosomen beherbergten. Die Übertragung der
Parasiten auf weifse Ratten gelang in allen 47 Fällen. Es wurde
etwas Blut vom Schwanz der infizierten Ratten entnommen, mit
etwa der gleichen Menge Kochsalzlösung vermischt und dem
Versuchstier in die Bauchhöhle gespritzt. Der erste Nachweis der
Parasiten im Schwanzblut des geimpften Tieres gelang meistens
am 3. oder 4. Tage, selten später. Die Beobachtung von Mesnil
und Gazeau, dafs sich öfters schon am 1.—3. Tage Parasiten
im Blute finden, wird durch meine Versuche bestätigt, doch ge¬
lingt ein so frühzeitiger Nachweis nur nach der Impfung mit
grofsen Dosen. In allen Fällen, wo erwachsene Tiere mit 0,1 ccm
oder mit noch kleineren Mengen geimpft wurden, konnten nie
vor dem 3. Tage Trypanosomen im Blute aufgefunden werden.
Wurden dagegen kleine Tiere mit 0,5—1,0 ccm trypanosomen¬
haltigem Blute geimpft, so erschienen stets nach wenigen Stunden,
in einzelnen Fällen bereits nach 20 Minuten, Parasiten im Schwanz¬
blut des geimpften Tieres. Eine merkliche Vermehrung der
Flagellaten machte sich aber niemals von diesem Moment des
ersten Auftretens im Blut bis zum 3. oder 4. Tage nach der
Impfung geltend; erst nach dieser Zeit trat ziemlich plötzlich
eine Überschwemmung des Blutes mit Trypanosomen ein. Offen¬
bar handelt es sich hier nicht um eine abgekürzte Inkubations¬
zeit, sondern um ein Über wandern der eingeimpften Parasiten
in die Blutbahn. Denn unter diesen so frühzeitig im Blute auf¬
tretenden Trypanosomen fanden sich niemals Vermehrungsformen
oder kleine, junge Exemplare; stets waren es alte erwachsene
Parasiten, die den eingeimpften genau glichen. Erst am 3. Tage
oder noch später erschienen neben diesen ausgewachsenen Formen
plötzlich ganz kleine, junge und grofse, sich zur Vermehrung an¬
schickende; und am nächsten Tage waren dann Vermehrungs¬
formen und alle Entwicklungsstadien im Blute zu finden. Auch
Gazeau und Mesnil fanden niemals vor dem 3. Tage eine
gröfsere Menge Parasiten, und Vermehrungsformen sahen sie
ausschliefslich nur nach dem 4. Tage. Wenn man also unter
der Inkubationszeit diejenige Zeit versteht, welche vom
Moment der Impfung bis zum Auftreten einer neuen
Archiv für Hygiene. Bd XLII. 18
Digitized by
Google
268
Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen.
Parasiten-Generation im Blut verstreicht, so beträgt diese
Inkubationszeit in der Regel mindestens drei Tage. Auf einen
Fall, der von Rabinowitsch und Kempner berichtet wird
und gegen diese Regel zu sprechen scheint, komme ich weiter
unten zurück.
Da es nahe liegt, anzunehmen, dafs die Anzahl der ver-
impften Parasiten auf den Nachweis des ersten Auftretens im
Schwanzblut von merklichem Einflufs ist, wurden in dieser Rich¬
tung Versuche angestellt und Ratten mit verschieden grofsen
Dosen trypanosomenhaltigen Blutes geimpft. Es zeigte sich ein
ähnliches Verhalten, wie es Mesnil und Gazeau bei den Er¬
regern der Nagana beobachtet haben, dafs nämlich die Quantität
der überimpften Parasiten keinen merklichen Einflufs auf die In¬
kubationszeit ausübt. Differenzen von 0,5 und 0,0005 ccm
machten sich für die Inkubationszeit überhaupt nicht bemerkbar,
und erst ganz bedeutend kleinere Mengen (0,000005 ccm) be¬
wirkten eine Verzögerung um 1—2 Tage. Diese kleinen Dosen
wurden durch Verdünnung mit Kochsalzlösung derart hergestellt,
dafs zunächst 0,1 ccm Blut mit neun Teilen Kochsalzlösung ver¬
dünnt wurde, davon dann wiederum ein Teil mit neun Teilen
vermischt und so fort bis 1 ccm der Lösung die gewünschte
Menge Bluts enthielt. Durch diese allmählich vorgenommene
Verdünnung erhält man eine ziemlich gleichmäfsige Verteilung
des Blutes in der Kochsalzlösung und damit eine genauere Do¬
sierung. Anderseits mufs man aber auch möglichst rasch arbeiten,
und nach Herstellung der beabsichtigten Verdünnung das Impf¬
material dem Versuchstier sofort in die Bauchhöhle spritzen, da¬
mit die schädigende und selbst lähmende Wirkung, welche durch
die Konzentrationsänderuug des die Parasiten umgebenden Me¬
diums verursacht wird, nicht allzulange bestehen bleibt.
Eine derartige Verzögerung des ersten Nachweises der Flagel¬
laten im Schwanzblut tritt auch ein bei Überimpfung von alten,
lange Zeit im Eisschrank aufbewahrten Trypanosomen. Laveran
und Mesnil (1900) konnten bei Übertragung von 47 Tage altem
Blut erst am 6.—7. Tage die ersten Parasiten im Schwanzblut
nachweisen. Die von mir vorgenommenen Infizierungsversuche
Digitized by
Google
Von Oberarzt Dr. Jürgens.
269
mit 32 und 53 Tage altem Blut ergaben dasselbe Resultat. Da
in solchem, Wochen und Monate im Eisschrank gestandenen
Blut sich gewöhnlich nur sehr wenige Trypanosomen lebensfähig
erhalten, so erscheint die Ähnlichkeit mit dem Verhalten sehr
kleiner Dosen nicht wunderbar.
Einen merkwürdigen Einflufs auf die Inkubationszeit zeigte
das Entwicklungsstadium der überimpften Parasiten. Wurde
nämlich zur Übertragung das Blut einer solchen Ratte verwendet,
welche noch Entwicklungsstadien beherbergte, so dauerte die In¬
kubationszeit bei dem Versuchstier nicht die üblichen 3—4, son¬
dern nur 1—2 Tage. Bereits 24 Stunden nach der Impfung er¬
schienen Parasiten im Schwanzblut und schon am nächsten oder
spätestens übernächsten Tage fand die Überschwemmung des
Blutes mit Trypanosomen statt. Während also bei einer Impfung
mit alten erwachsenen Flagellaten sich erst nach 3—4 Tagen
frühestens eine Vermehrung der eingeführten Parasiten bemerk¬
bar machte, geschah dies bei Impfungen mit Entwicklungsstadien
oder Jugendformen zwei Tage früher. Augenscheinlich ge¬
brauchen die alten überimpften Trypanosomen in der Bauchhöhle
oder im Blut des neuen Wirtes eine gewisse Zeit, bevor sie sich
zur Vermehrung anschicken. Der Vorgang der Impfung, sowie
die Einflüsse des neuen Wirtes scheinen auf die alten erwach¬
senen Formen entwicklungshemmend einzuwirken, während die
Jugend- und Vermehrungsformen in ihrer Entwicklungsenergie
weniger gestört werden und die hemmenden Einflüsse leichter
zu überwinden vermögen.
Auf diese Weise erklärt sich nun auch die oben erwähnte,
von Rabinowitsch und Kempner einmal beobachtete ein-
tägige Inkubationszeit Das Versuchstier (Ratte Nr. 19) wurde
mit dem Blut einer Ratte geimpft, welche erst seit zwei Tagen
Parasiten in ihrem Blute hatte, also ohne Frage Entwicklungs¬
stadien beherbergte.
Hier ist der Ort, um auf die Frage nach der Hauptent-
wicklungsstätte der Trypanosomen zurückzukommen. Wie
schon oben erwähnt, sprechen die Beobachtungen von Rabino¬
witsch und Kempner für die Entwicklung in der Bauchhöhle,
18 •
Digitized by v^.ooQle
270 Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen.
die von v. Wasielewski und Senn für eine solche im Blut.
Zunächst bestätigen meine Beobachtungen die von den letzt¬
genannten Verfassern gemachte Angabe, dafs unter den ersten
Ankömmlingen im Schwanzblut einer geimpften Ratte sich nie¬
mals Teilungsformen finden. Es wurden in jedem einzelnen
Fall immer eine ganze Reihe von Präparaten in frischem und
gefärbtem Zustand genau durchmustert, aber stets fanden sich
nur junge oder ausgewachsene schlanke Exemplare, niemals
Teilungsformen. Wenn nun diese Beobachtung schon sehr dafür
spricht, dafs die Überwanderung aus der Bauchhöhle in die Blut¬
bahn nicht von den Vermehrungsformen, sondern von erwach¬
senen und jungen Individuen ausgeführt wird, so läfst sich diese
Frage experimentell direkt durch Überimpfung von grofsen
Mengen Teilungsformen zur Entscheidung bringen. Da nämlich
die Parasiten sofort nach der Impfung anfangen, aus der Bauch¬
höhle ins Blut überzuwandern, so dafs sie bei grofsen Dosen
schon nach wenigen Stunden im Schwanzblut nachzuweisen sind,
so müfsten nach einer Impfung mit Entwicklungsstadien nach
der Theorie von Rabino witsch und Kempner viele Teilungs¬
formen im Schwanzblut erscheinen^ während das Fehlen dieser
Formen und das Auftreten von jungen und schlanken erwachsenen
Individuen für die Richtigkeit der v. Wasielewski scheu An¬
nahme sprechen würde. Es zeigte sich nun in der That, dafs
bei diesen Versuchen immer nur erwachsene und junge Trypano¬
somen ins Blut überwanderten, manchmal fand sich auch wohl
ein dicker, sich zur Teilung anschickender Parasit, aber nie
wurden Rosetten oder andere Teilungsstadien gefunden, die doch
im verimpften Material so zahlreich vertreten waren. Ihre
gröfseren Dimensionen lassen augenscheinlich den Übertritt ins
Blut durch die Lyjnphgefäfse nicht zu.
Die in die Bauchhöhle gebrachten Parasiten schreiten also
hier nicht gleich zur Entwicklung, sondern einige von ihnen
wandern sofort ins Blut und beginnen dort erst nach 2—3 tägigem
Aufenthalt sich zu vermehren. Das plötzliche Auftreten von
jungen Formen am 3. Tage nach der Impfung neben diesen
erwachsenen Parasiten beweist, dafs inzwischen auch in der Bauch*
Digitized by v^.ooQle
Von Oberarzt Dr. Jürgens.
271
höhle eine Vermehrung stattgefunden hat und Jugendformen ins
Blut übergewandert sind. Die am 3.—4. Tage im Blut vorhan¬
denen Trypanosomen sind demnach zum Teil sofort nach der
Impfung aus der Bauchhöhle ins Blut übergewandert, zum Teil
haben sie sich bereits aus den eingeimpften in der Bauchhöhle
entwickelt und sind dann als Jugendformen ins Blut übergetreten.
Es besteht demnach die v. Wasieiewskisehe Annahme zu
Recht, dafs nämlich die nach 4—5 Tagen im Blute vorhandenen
zahlreichen Kolonien herrühren:
1. von den direkt übergewanderten, im Blute bereits in zweiter
Generation geteilten Parasiten,
2. von den in einer Generation in der Bauchhöhle zur
Teilung geschrittenen, als Jugendformen ins Blut über¬
getretenen und hier in einer neuen Generation vermehrten
Parasiten.
Ohne Frage bildet also das Blut den günstigsten Nähr¬
boden und den Hauptvermehrungsort. Merkwürdig erscheint es
nur, warum nicht alle eingeimpften Trypanosomen gleich aus
der Bauchhöhle ins Blut überwandern, denn ein mechanisches
Hindernis schaffen sie sich ja erst selbst durch ihre Gröfsen-
zunahrae nach zweitägigem Verweilen. Noch wunderbarer aber
wäre es, wenn sie nach der Beseitigung dieses selbstgeschaffenen
Hindernisses, nämlich nach vollendeter Teilung und Loslösung
der einzelnen Jugendformen aus der Peritonealflüssigkeit völlig
verschwinden würden, wie dies Rabinowitsch und
Kempner angeben. Über einen ähnlichen Befund berichtet
übrigens neuerdings auch Schilling bei der Surra-Krankheit
der Pferde. In den ersten 3 X 24 Stunden nach der intraperi¬
tonealen Impfung sollen sich im Peritonealexsudat massenhaft
Trypanosomen und zahlreiche Teilungsformen gefunden haben,
während das periphere Blut erst am 5. Tage die erwachsenen
Formen beherbergte. Am 19. Tage soll dann das Peritoneal¬
exsudat wieder frei von Parasiten gewesen sein, während im
peripheren Blut massenhaft Trypanosomen angetroffen w ? urden.
Indessen hatte schon v. Wasielew’ski nach einer mir münd¬
lich gemachten Mitteilung bei einer am 25. Tage nach der
Digitized by
Google
272
Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen.
Infektion gestorbenen Ratte noch zahlreiche Parasiten im Peri¬
toneum gefunden, und, gestützt auf diesen Befund, versuchte ich
durch eigene Untersuchungen mir über diese Frage Rechenschaft
zu geben. Diese Beobachtung ergab nun, dafs die Flagellaten
keineswegs einige Tage nach der Impfung aus der Bauchhöhle
verschwanden. Auch nachdem die Vermehrung der Parasiten
im grolsen und ganzen beendet und die Höhe der Infektion
überschritten war, fanden sich noch zahlreiche Trypanosomen
in der Peritonealflüssigkeit, und ein völliges Verschwinden der
selben aus der Bauchhöhle trat erst mit dem Ende der Infek¬
tion ein.
Die Untersuchung des Peritoneums in den ersten Tagen
nach der Impfung ergab Resultate, welche von den Berichten
von Rabinowitsch und Kempner, sowie von den neuesten
Untersuchungen von Laveran und Mesnil 1 ) ab weichen. Es
wurden vier junge Ratten mit je 0,3 ccm trypanosomenhaltigen
Blutes geimpft. Am nächsten Tage hatten bereits alle vier
schlanke erwachsene Parasiten im Schwanzblut, und die Peritoneal¬
flüssigkeit einer zu diesem Zwecke getöteten Ratte zeigte die¬
selben Parasiten ohne Andeutung von beginnender Vermehrung.
Auch am 2. und 3. Tage nach der Impfung zeigte das Scbwanz-
blut und in gleicher Weise die mittels Kapillarröhrchen entnom¬
mene Peritonealflüssigkeit nur schlanke erwachsene Trypanosomen
ohne Teilungsformen. Um die Peritonealhöhle genauer durch¬
suchen zu können, wurde am 2. wie am 3. Tage je eine Ratte
getötet, aber bei der darauffolgenden Untersuchung wurden in der
Peritonealflüssigkeit noch keine Vermehrungsformen gefunden.
Erst am 4. Tage, als auch im Blute die beginnende Vermehrung
1) Anm : Nachdem diese Arbeit bereits zum Drucke gegeben war, er
hielt ich Kenntnis von den neuesten Untersuchungen von Laveran und
Mesnil: Recherches morph. et exp^riment sur le Trypanosome des rata.
(Annales de l’Institut Pasteur), Sept. 1901. Die Beobachtungen dieser Forscher
über das Verhalten des Trypanosomen in der Bauchhöhle und das völlige
Verschwinden aus derselben nach der Vermehrungsperiode können durch
meine Untersuchungen nicht bestätigt werden.
Ich werde Gelegenheit nehmen, auf diese Frage sowie auf einige
andere Punkte der erwähnten Arbeit später näher einzugehen.
Digitized by v^.ooQle
Von Oberarzt Dr. Jürgens.
273
zu erkennen war, fanden sich in der Bauchhöhle einzelne in
Teilung begriffene Parasiten, und als am 10. Tage im Schwanz¬
blut keine Vermehrungsstadien mehr angetroffen wurden, fehlten
sie auch in der Peritonealflüssigkeit, dagegen waren noch zahl¬
reiche erwachsene schlanke Exemplare vorhanden.
Über die Dauer der Entwicklung der Parasiten ist
nichts genaueres bekannt. Aus dem Schicksal der in die Bauch¬
höhle eingespritzten Trypanosomen lafst sich natürlich für die
Dauer der Entwicklung nichts folgern, weil sich hier, wie wir
oben gesehen haben, entwicklungshemmende und andere störende
Einflüsse geltend machen. Die weiter unten erwähnten Beob¬
achtungen im hängenden Tropfen hei Brutschranktemperatur
zeigen indessen, dafs die Entwicklung der sich zur Teilung vor¬
bereitenden Parasiten bis zur beendeten Teilung und Loslösung
der Jugendformen bei diesen offenbar nicht sehr günstigen
Aufsenbedingungen in 12—24 Stunden beendet sein kann. Wahr¬
scheinlich geht die Teilung in wenigen Stunden vor sich, sonst
wäre auch ein so plötzliches Anwachsen der Parasitenzahl am
4. und 5. Tage nach der Impfung kaum zu erklären.
Die Höhe der Infektion wird bereits 2—3 Tage nach
dem Auftreten der ersten Vermehrungsformen im Blut erreicht,
und zwar ist die Stärke der Infektion unabhängig von der
Quantität der eingeimpften Parasiten, wie dies Mesnil und
Gazeau auch für die Erreger der Nagana angeben. Sie erreicht
in diesen Tagen oft eine aufserordentliche Stärke. Mesnil und
Gazeau fanden bisweilen ein Verhältnis der Parasiten zu den
roten Blutkörperchen wie 1:1—2 und selbst wie 2—3:1. Es
ist jedoch nicht ersichtlich, ob nur in einzelnen Präparaten oder
Gesichtsfeldern dieses Verhältnis angetroffen wurde oder im
Durchschnitt. Beurteilung einzelner Gesichtsfelder führt natür¬
lich zu Täuschungen, da die Erfahrung zeigt, dafs die Verteilung
im Blut keineswegs gleichmäfsig ist. Für die Entscheidung dieser
Frage würde weiter in Betracht zu ziehen sein, dafs wahrschein¬
lich auch ein Unterschied in den verschieden grofsen Gefäfsen,
sowie im arteriellen und venösen Blut zu finden ist. In meinen
Präparaten fanden sich bisweilen auch aufserordentlich zahlreiche
Digitized by
Google
274 Beitrag znr Biologie der Ratten trypanosomen.
Parasiten. Doch übertraf auch bei der stärksten Infektion die
Zahl der Trypanosomen niemals die der roten Blutkörperchen.
Genauere Zählungen wurden nicht ausgeführt.
Am 4. Tage nach dem ersten Auftreten fanden Rabino-
witsch und K e m p n e r keine Vermehrungsformen mehr, sondern
fast ausschliefslich wieder isolierte, ausgewachsene Individuen.
Auch nach den Untersuchungen von v. Wasielewski und Senn
verschwinden die Teilungsstadien etwa am 8.—10. Tage nach der
Impfung, und Mesnil und Gazeau sahen nach dem 8. Tage
keine Entwicklungsstadien mehr. v. Wasielewski wirft die
Frage auf, ob in der That mit diesem Zeitpunkt die Vermehrung
aufhört oder ob sie nur so spärlich wird, dafs sie gegenüber der
Unzahl erwachsener Formen zurück tritt. Er entscheidet sich
für die letztere Annahme, und in der That konnte ich bei
manchen Ratten nach langem Suchen noch in der 3. Woche
nach der Impfung vereinzelte Teilungsformen auffinden, bei
einigen jungen Tieren mit deutlichen Krankheitssymptomen traten
zu dieser Zeit Vermehrungsformen sogar noch in beträchtlicher
Zahl auf.
Über die Dauer der Infektion liegen sehr verschiedene
Beobachtungen vor. Rabinowitsch und Kempner berichten,
dafs die weifsen Ratten ihre Parasiten im allgemeinen nach 4 bis
6 Wochen wieder verlieren, in einzelnen Fällen bereits nach
1—2 Wochen und mitunter noch früher. Nur zwei weifse Ratten
hatten noch nach 3 und 4 Monaten Trypanosomen, v. Wasie¬
lewski und Senn konnten noch ö 1 ^ Monaten nach der Injek¬
tion bei einigen weifsen Ratten Flagellaten reichlich nachweisen,
und kein Versuchstier verlor vor der 6. Woche seine Parasiten.
Mesnil und Gazeau sahen wiederum in einigen Fällen schon
am 7. oder 8. Tage das Ende der Infektion, bei anderen Ratten
erst nach 4—5 Monaten. Meine Versuchstiere beherbergten ihre
Blutparasiten in der Regel 1—2 Monate, selten etwas länger;
nur in zwei Fällen konnten noch nach 7 Monaten zahlreiche
Trypanosomen gefunden werden. Kürzere Zeit als einen Monat
dauerte die Infektion nur ein einziges Mal. In diesem Falle
verschwanden die Parasiten ganz plötzlich am 3. Tage nach dem
Digitized by CjOOQle
Von Oberarzt Dr. Jürgens
275
Auftreten der ersten Vermehrungsformen. Das Tier brachte am
nächsten Morgen acht Junge zur Welt. Die Annahme, dafs diese
beiden Ereignisse in ursächlichem Zusammenhang stehen, liegt
sehr nahe. Auch Rabinowitsch und Kempner erklären zwei
Fehlversuche bei intraperitonealer Infektion zweier trächtiger
Ratten mit der veränderten und in verschiedenen Organen ver¬
mehrten Blutcirkulation.
Die beiden grauen, natürlich infizierten Ratten verloren ihre
Parasiten nach drei- und fünfmonatlicher Gefangenschaft.
Erneute Übertragungsversuche nach einmal über¬
standener Infektion ergaben stets ein negatives Resultat, auch
selbst bei Ratten, welche bereits vor 7 Monaten ihre Trypano¬
somen verloren hatten.
Wurden die Wiederimpfungen mit grofsen Dosen ausgeführt,
so wanderten zwar einige Parasiten ins Blut über und konnten
hier am nächsten und übernächsten Tage nachgewiesen werden,
am 3. oder 4. Tage nach der Impfung waren aber diese Parasiten
wieder verschwunden und weder im Blute noch in der Bauch¬
höhle konnten Flagellaten gefunden werden.
Die Trypanosomeninfektion wird im allgemeinen von den
weifsen Ratten sehr gut vertragen. Mattigkeit, geringe Frefslust,
vorübergehende geringe Gewichtsabnahme: Das sind die einzigen
Krankheitserscheinungen, welche Rabinowitsch und
Kempner bei ihren weifsen Ratten konstatieren konnten. Keine
davon ging an der Infektion zu Grunde. Bei den grauen Ratten
vermifsten sie jeden Unterschied zwischen gesunden und spontan
infizierten Tieren. Doch beobachteten sie bei künstlich infizierten
grauen Ratten zuweilen schwere Krankheitserscheinungen, an
deren Folgen sogar einige Tiere eingingen. Leider fehlt jede
Andeutung über die Art der Erkrankung und eine Mitteilung
über den histologischen und pathologischen Befund ist bisher
noch nicht erfolgt.
v. Wasielewski berichtet über den Tod eines jungen Tieres
am 25. Tage nach der Impfung. Bei der Sektion zeigte sich
die Blase stark mit blutigem Urin gefüllt, im übrigen wurde
aber kein Anhalt für die Ursache des Todes gefunden.
Digitized by
Google
276
Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen.
Mesnil und Gazeau fanden Temperatur, Körpergewicht,
Allgemeinbefinden und Aussehen ihrer Versuchstiere nicht beein-
flufst, nur in einigen Fällen fanden sie bei starker Infektion
junger Ratten (Verhältnis der Trypanosomen zu den roten Blut¬
körperchen wie 2—3 : 1) eine Gewichtsabnahme, die aber allmählich
wieder ausgeglichen wurde und den Tieren keinen dauernden
Schaden brachte.
Es sind also bisher bei weifsen infizierten Ratten nur sehr selten
geringe Krankheitserscheinungen wahrgenommen worden. Um so
auffallender war es daher, dafs von meinen Versuchstieren sehr
viele erkrankten und anscheinend der Trypanosomeninfek¬
tion erlagen. Von 47 weifsen Ratten erkrankten 16 etwa am
4.—7. Tage nach der Impfung. Sie zeigten ein struppiges Aus¬
sehen, waren nicht so munter wie vorher und nahmen an Gewicht
bedeutend ab. Temperaturmessungen wurden anfangs zwar vor¬
genommen, da es sich jedoch zeigte, dafs auch bei gesunden,
nicht geimpften Tieren die Temperatur im Rektum grofsen
Schwankungen ausgesetzt war, wurde weiterhin von Messungen
Abstand genommen. Die Ratten wurden einige Tage später
dyspnoisch, bekamen Ödeme an den Hinterbeinen, zum Teil
mit Blutungen ins Unterhautbindegewebe, und starben dann
sämtlich, gewöhnlich etwa in der 2. Woche nach der Impfung.
Zwei Ratten starben bereits am 4. Tage, eine erst am 2b. Tage
nach der Impfung. Auffallend war es, dafs nur junge Ratten
erkrankten. Bei alten erwachsenen Tieren konnten nie, auch
nicht nach Impfung mit sehr grofsen Dosen (2 ccm), und mit
Teilungsformen Krankheitserscheinungen wahrgenommen werden.
Da aber nicht alle jungen Ratten erkrankten, so wurde durch
Impfungen mit sehr grofsen und sehr kleinen Dosen, mit alten
erwachsenen Parasiten und mit Teilungsformen festzustellen ver¬
sucht, ob die Dosis und die Beschaffenheit des Impfmaterials den
schweren Verlauf der Infektion bedingte. Es liefs sich jedoch
kein Grund finden, warum die einen erkrankten und starben,
die andern die Infektion ohne merkliche Störung überstanden.
Die Sektion ergab in allen Fällen dasselbe Bild. Die
Lungen waren im allgemeinen ziemlich blutreich und zeigten
Digitized by CjOOQle
Von Oberarzt Dr. Jürgens.
277
mehrere erbsen- bis bohnengrofse dunkelrote Stellen, die stets
bis zur Pleura reichten und sich ziemlich derb anfühlten, so dafs
sie an pneumonische Herde erinnerten. Auf dem Durchschnitt
erschien die Schnittfläche jedoch völlig glatt, und im mikrosko¬
pischen Präparat sah man starke blutige Infiltrationen im Ge¬
webe und Austritt von Blut in die Alveolen. Trypanosomen
fanden sich in auffallend grofser Anzahl in der Lunge. Die
linke Herzkammer stand in der Diastole. Die Milz war aufser-
ordentlich stark vergrößert und die Lymphdrüsen geschwollen.
Das Blut enthielt fast immer noch Vermehrungsformen, in einem
Falle also noch am 25. Tage nach der Impfung.
Um die Möglichkeit auszuschliefsen, dafs es sich um septische
Infektionen bei der Übertragung handelte, wurden bakteriologische
Untersuchungen der Peritonealflüssigkeit und des Herzblutes
vorgenommen. Nach aseptisch vorgenommener Eröffnung des
Peritoneums und des Herzens wurden in jedem Falle je drei
Agarausstriche vom Peritoneum und dem Herzblut hergestellt,
aber stets blieben die Röhrchen steril.
Was endlich den natürlichen Infektionsmodus betrifft,
so glauben Rabinowitsch und Kempner aus ihren vergeb¬
lichen Versuchen, Ratten durch Fütterung zu infizieren, schliefsen
zu dürfen, dafs eine Infektion auf dem Digestionswege nicht er¬
folgen kann. Dagegen wurden sie durch die Beobachtung, dafs
gesunde Ratten, mit infizierten weifsen Ratten zusammengebracht,
nach 11—15 Tagen Entwicklungsformen in ihrem Blute zeigten,
zu der Vermutung gedrängt, die Trypanosomen - Infektion der
Ratten könne ein Analogon darbieten zu verschiedenen, durch
blutsaugende Insekten verbreitete Infektionskrankheiten. Über¬
tragungsversuche durch intraperitoneale Injektion von Flohkör¬
pern, und die durch Flohstiche erzeugte Infektion einer Ratte,
bestärkten sie in ihrer Annahme und ihrer Überzeugung, dafs
Flöhe als die gewöhnlichen Vermittler der Trypanosomen-Infek-
tion angesehen werden können. Meine in dieser Richtung an-
gestellten Versuche sind noch nicht zum Abschluß gekommen,
doch ist es auffallend im Gegensatz zu den Beobachtungen von
Rabinowitsch und Kempner, dafs monatelang infizierte und
Digitized by CjOOQle
278
Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen.
gesunde Ratten in einem Käfig beisammen gehalten werden
konnten, ohne dafs eine Infektion erfolgte, obgleich die Tiere
stark mit Flöhen besetzt waren, während eine spätere Impfupg
der gesund gebliebenen Tiere in typischer Weise erfolgreich
war. Es bleibt indessen die Möglichkeit bestehen, dafs die
Jahreszeit einen Einflufs auf die Übertragung der Parasiten aus¬
übt. Die Analogie mit der Dourine-Krankheit gab zu Versuchen
Veranlassung, ob vielleicht beim coitus eine Übertragung vor
sich ginge. Es wurden dreimal gesunde weibliche Ratten mit
infizierten männlichen zusammengebracht. Zwei davon wurden
trächtig, jedoch ohne Parasiten zu bekommen. Auch in diesen
Fällen war eine spätere Impfung erfolgreich.
Aufserhalb des Tierkörpers zeigen die Trypanosomen
sich aufserordentlich lebens-und widerstandsfähig. Danilewskv
(1889) bezeichnet diese Eigenschaft als eine charakteristische
Eigentümlichkeit der Trypanosomen überhaupt. Nach seinen
Beobachtungen bleiben die Parasiten im Blut aufserhalb des
Tierkörpers 8—9 Tage lebensfähig. In Pipetten oder im mikro¬
skopischen Präparat bei gewöhnlicher Zimmertemperatur auf¬
bewahrt, zeigten sie noch am 5.—8., junge Tiere sogar noch am
10.—12. Tage ihre unveränderte Form und Beweglichkeit. Ein
Zusatz von 0,6 proz. Kochsalzlösung zum Blut änderte nichts
daran.
Rabinowitsch und Kempner fanden das Blut einer in¬
fizierten Ratte, bei Zimmer- und Brutschranktemperatur aufbewahrt,
noch nach einer Woche infektionsfähig, wie erfolgreiche Über¬
tragungsversuche an zwei Ratten bewiesen.
Laveran und Mesnil (1900) erhielten die Parasiten im
defibrinierten Blut (rein oder zur Hälfte mit Kochsalzlösung ver¬
dünnt) im Laboratorium 4—5 Tage, im Eisschrank bei einer
Temperatur von + 5 bis -f 7 0 etwa 1—1 */ 2 Monate lebens- und
infektionsfähig. Eine Impfung mit solchem, 23 Tage lang im
Eisschrank aufbewahrtem Blute ergab ein positives Resultat;
ebenso hatten die beiden Forscher schon früher mit 47 Tage
altem Blut zwei Impfungen vorgenommen, von denen eine er¬
folgreich war. Und obwohl sie am 51. Tage in dem Blute keine
Digitized by
Google
Von Oberarzt Dr. Jörgens. 279
Parasiten mehr mikroskopisch nach weisen konnten, so war doch
eine damit ausgeführte Impfung von Erfolg begleitet.
Auch ich hatte Gelegenheit, die Trypanosomen sehr lange
aufserhalb des Tierkörpers lebens- und infektionsfähig zu er¬
halten. Selbst bei —5° bis —8° blieben sie mehrere Tage lang im
mikroskopischen Präparat lebend. Die Präparate wurden bei dieser
Temperatur im Freien hingestellt und am nächsten resp. einem
der folgenden Tage wieder untersucht. Zunächst erschienen die
Parasiten in dem im warmen Zimmer wieder aufgetauten Präparat
regungslos, nach einigen Minuten begannen aber wieder langsame
Bewegungen, die sich oftmals nach weiteren 20—30 Minuten zur
normalen Schnelligkeit steigerten. Sogar nach siebentägigem Ver¬
weilen bei dieser Aufsentemperatur konnten noch bewegliche Try¬
panosomen im aufgetauten Präparat gefunden werden. In einem
Kältegemisch von —17° starben die Flagellaten ab und durch
Impfungen mit solchem Blut, welches 2 Stunden lang in dieser
Kältemischung gestanden hatte, konnte keine Infektion mehr
erreicht werden. Gegen Erwärmung scheinen die Parasiten
empfindlicher zu sein. Schon im Wärmkasten bei 45° unter¬
sucht, nahmen die Ortsbewegungen oftmals bedeutend an Schnel¬
ligkeit zu, doch starben die Trypanosomen bei dieser Temperatur
nicht ab. Das Blut wurde in Kapillarröhrchen in zimmerwarmes
Wasser gebracht und dann allmählich auf 50° erwärmt. Auf
dieser Temperatur wurde das Wasser 2 Stunden erhalten und
dann wieder allmählich abgekühlt. Die hernach mit diesem Blute
ausgeführten Übertragungsversuche ergaben ein positives Resultat.
Doch liegt die obere Temperaturgrenze, bei welcher die Flagel¬
laten lebensfähig bleiben, nur wenige Grade höher. Wenigstens
konnte nach zweistündigem Erwärmen auf 58° keine Infektion
mehr erreicht werden, und im mikroskopischen Präparat waren
keine Parasiten mehr zu finden, sie scheinen bei dieser Tempera¬
tur nicht allein abzusterben, sondern auch aufgelöst zu werden.
Am längsten konnten die Trypanosomen im Eissehrank bei
-f- 5° bis -j- 10° in Kapillarröhrchen oder im hängenden Tropfen
lebensfähig erhalten werden. Zwei Impfungen mit 32 und 53 Tage
lang bei dieser Temperatur aufbewahrtem trypanosomenhaltigem
Digitized by v^.ooQie
280
Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen.
Blut erzeugten, wie schon oben erwähnt, noch Infektionen mit
siebentägiger Inkubationszeit. Bei Zimmertemperatur oder im
Brutschrank starben die Parasiten bedeutend schneller ab, bei
37° spätestens nach 2—4 Tagen, bei Zimmertemperatur (16—18°)
nach 1 —\ l \ 2 Wochen. Für die ungünstigen Verhältnisse bei diesen
Temperaturen glauben Laverau und Mesuil den Einflufs von
Bakterien und die etwaige Einwirkung von veränderten und zer¬
fallenen roten Blutkörperchen ausschliefsen zu können, weil sie
das Blut stets aseptisch entnahmen, und öfters bereits das Ver¬
schwinden der Parasiten bei noch intakten roten Blutkörper¬
chen konstatiert wurde. Meine Beobachtungen deuten indessen
gerade auf den schädigenden Einflufs der Bakterien im Brut¬
schrank hin. Denn in nicht aseptisch hergestellten hängenden
Tropfen waren im Brutschrank bei üppiger Bakterienentwicklung
am anderen Tage die Trypanosomen stets abgestorben, während
in aseptisch hergestellten Präparaten die Parasiten noch 2—3 Tage
lebensfähig blieben. Nach dieser Zeit gingen sie auch in asep¬
tischen Präparaten zu Grunde. Ob der Zerfall der Blutkörper¬
chen für die Lebensfähigkeit der Flagellaten so ganz ohne Be¬
deutung ist, wie Laverau und Mesnil angeben, vermag ich
nicht zu entscheiden. Überzeugen konnte ich mich nicht davon,
denn die Parasiten gingen niemals früher als die roten Blutkörper¬
chen zu Grunde.
Um den Einflufs der Bakterien genauer zu beobachten,
wurden Trypanosomen mit faulendem Rattenblut zusammen¬
gebracht. Es zeigte sich dann unter dem Mikroskop schon nach
wenigen Minuten die schädigende Wirkung dieser bakterien¬
haltigen Flüssigkeit. Die Parasiten nahmen an Beweglichkeit ab,
ihre Gestaltsveränderungen erfolgten langsamer und ungleicb-
mäfsiger. Ortsbewegungen wurden oft gar nicht mehr aus¬
geführt, und nach einigen Stunden waren die Trypanosomen
abgestorben.
Unter solch ungünstigen Lebensbedingungen ver¬
ändern die Parasiten öfters in auffallender Weise ihre Form.
Schon Danilewsky bemerkte in dem längere Zeit aufbewahrten
trypanosomenhaltigen Blut eine Verdickung am hinteren Ende
Digitized by
Google
Von Oberarzt. Dr. Jürgens.
281
der Flagellaten. In anderen Fällen sah er eine Verlängerung
bis zur doppelten natürlichen Länge. Schliefslieh will er bei
absterbenden Parasiten die Beobachtung gemacht haben, dafs die
undulierende Membran und die Geisel allmählich kleiner wurden
und endlich verschwanden, während der Körper eine sphärische
Form annahm Künstlich konnte Danilewsky durch Chloro
form die Trypanosomen in unregelmäfsig geformte amoeboide
Körper von durchscheinendem Aussehen verwandeln.
Auch Rabinowitsch und Kempner beobachteten, dafs
längere Zeit aufbewahrte Parasiten allmählich in ihren Bewegungen
träger wurden, sich zu Klumpen zusammenballten und öfters am
hinteren Ende eine köpfchenförmige Anschwellung zeigten. Auf
die von Danilewsky und auch von Rabinowitsch und
Kempner beschriebene Einziehung der Geifsel, Auflösung der
undulierenden Membran und die Umwandlung des langgestreckten
Parasitenkörpers in eine mehr oder weniger ausgesprochene
Kugelform brauche ich hier nicht näher einzugehen, da bereits
in der Arbeit von v. Wasielewski und Senn nachgewiesen
wurde, dafs es sich um ungenaue und wahrscheinlich infolge
nicht gelungener Geifselfärbung falsch gedeutete Beobachtungen
handelte. Indessen zeigten auch in meinen Präparaten die Para¬
siten oft auffallende Gestaltsveränderungen, und zwar manchmal
bereits nach einigen Stunden, besonders wenn im Präparat eine
starke Bakterienentwicklung stattgehabt hatte. Das hintere Ende
der Flagellaten erschien dann stark verdickt, so dafs eine ent¬
fernte Ähnlichkeit mit sich zur Teilung anschickenden Trypano¬
somen vorgetäuscht wurde; eine Ähnlichkeit, die durch das Auf¬
treten zackiger Vorsprünge, welche mit neuen Geifseln verwech¬
selt werden konnten, noch gesteigert wurde. In dem verdickten
Teil der Parasiten erkannte man einen grofsen glänzenden Kör¬
per, welcher bisweilen stark lichtbrechend, bisweilen aber auch
ungleichmäfsig und aus einer Anzahl kleiner Kügelchen zusammen¬
gesetzt erschien. Die Bewegungen erfolgten ruckweise und
bewirkten fast gar keine Ortsveränderungen. In gefärbten Prä¬
paraten solcher Parasiten erschien der Kern sehr aui'gelockert,
manchmal auch geteilt, das Protoplasma sehr matt gefärbt und
Digitized by CjOOQle
282
Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen.
die Geifsel öfters auffallend lang. Man geht wohl nicht fehl,
wenn man diese Bilder als Degenerationsformen anspricht,
besonders da diesen Gestaltsveränderungen stets völlige Auflösung
der Parasiten folgte. Öfters wurden diese Formen auch im Herz¬
blut gestorbener und erst nach Verlauf von mehreren Stunden
secierter Tiere gefunden.
Eine eigentümliche Eigenschaft der Parasiten bemerkten
La v er an und Mesnil zuerst in dem lange Zeit im Eisschrank
aufbewahrten Bhite. Sie fanden, dafs die Trypanosomen sich
manchmal schon am 3. Tage, gewöhnlich aber erst später zu
Haufen vereinigten. Sie bildeten mit ihrem Hinterende
Verschlingungen und führten mit dem Geifselende ihre lebhaften
Eigenbewegungen ungestört weiter aus, so dafs sich dem Be¬
obachter ein rosettenähnliches Gebilde präsentierte, welches im
Centrum ein mehr oder weniger homogenes Aussehen darbot,
während in der Peripherie nach allen Seiten in radiärer Richtung
die Geifseln der einzelnen Flagellaten lebhaft beweglich erkenn¬
bar waren. Im ungefärbten Präparate können derartige Gebilde
sehr wohl mit rosettenförmigen Vermehrungsstadien verwechselt
werden. Und in der That scheint Danilewsky bei seinen Be¬
obachtungen über die Vermehrung durch Segmentation öfters
derartige Knäuel für Vermehrungsformen gehalten zu haben,
denn derartige Teilungsformen mit 30—60 Tochterindividuen,
wie er sie beschreibt und abbildet, sind nach ihm von anderen
Untersuchern nicht wieder beobachtet worden.
Die Knäuel blieben nach den Untersuchungen von Laveran
und Mesnil tagelang besteheu und nahmen mit der Zeit noch
an Gröfse zu, ohne dafs jedoch sämtliche Parasiten sich zu
Knäueln verbanden. Die in den ersten Tagen ungeschwächte
Beweglichkeit begann erst nach 20—30 Tagen deutlich langsamer
zu werden, und die Trypanosomen nahmen dann ein granuliertes
Aussehen an.
Auf diese knäuelbildende Eigenschaft des Rattenblutes
wurde ich zuerst aufmerksam, als das Blut einer Ratte, welche
ganz plötzlich ihre Parasiten verloren hatte, mit dem Trypauo
somen enthaltenden Blute einer anderen Ratte zusammengebracht
Digitized by CjOOQle
Von Oberarzt Dr. Jürgens.
283
wurde. Im hängenden Tropfen konnte man beobachten, wie die
Flagellaten sich näherten und nach einigen Minuten mit ihrem
hinteren Ende Verschlingungen bildeten. Diese Verbindungen der
Parasiten waren anfangs nur sehr locker, dann bei Zusatz von
wässeriger Methylenblaulösung oder Formel, oder beim Eintrock¬
nen konnte man unter dem Mikroskop beobachten, wie sich ein
Parasit nach dem anderen loslöste, bis nach einigen Minuten
sämtliche Flagellaten aus ihren Verschlingungen gelöst und wieder
frei und isoliert waren. Je länger aber der Knäuel bestand,
desto fester wurde die Verschlingung, jedenfalls liefsen sich die
Trypanosomen später nicht mehr durch die oben genannten
Mittel auseinanderbringen. Man konnte daher die Knäuel fixieren
und färben, so dals die Struktur genauer beobachtet und die
Zahl der Parasiten wenigstens annähernd festgestellt werden
konnte.
In solchen Bildern von kleinen Knäueln erscheinen die
Geifselenden der Parasiten zwar nicht mehr genau in radiärer
Richtung ausgestreckt, aber man erkennt doch noch die rosetten¬
ähnliche Anordnung. Bei den gröfseren Knäueln ist allerdings
von einer regelmäfsigen Lagerung nicht mehr die Rede, manch¬
mal macht es zwar den Eindruck, als ob auch hier die Hinter¬
enden aneinanderhaften, im allgemeinen liegen aber in den grofsen
Knäueln die Parasiten wirr und planlos durcheinander, wie
dies auch von Laveran und Mesnil beschrieben wurde.
Die Zahl der Flagellaten beträgt in den grofsen Knäueln
oft 30—50 und in einzelnen Fällen noch bedeutend mehr, be¬
sonders wenn sich mehrere Knäuel vereinigt haben. Diese Ver¬
bindung zweier oder mehrerer Knäuel zu einem grofsen Haufen
tritt aber nicht immer ein, oft liegen mehrere grofse und kleine
Knäuel lange Zeit bei einander, und im hängenden Tropfen lassen
sie sich oftmals durchaus nicht in ihren Ortsbewegungen durch
die Nähe anderer gröfserer Knäuel stören. Auch finden sich in
ihrer nächsten Nähe oft noch einzelne isolierte Parasiten, weiche
isoliert bleiben, während andere aus weiter Entfernung näher
kommen, um sich schliefslich mit den Knäueln zu vereinigen.
Niemals wurden in Übereinstimmung mit den Beobachtungen
Archiv für Hygiene. Bd. XLU. 19
Digitized by v^.ooQle
284
Beitrag zur Biologie der Battentrypanosomen.
von Laveran und Mesnil alle Parasiten im Präparat zu Knäueln
vereinigt gefunden.
Die Ähnlichkeit dieser Knäuelbildung mit der Agglutina¬
tion der Bakterien veranlafste Laveran und ^lesnil, das
Serum verschiedener Tiere auf agglutinierende Eigen¬
schaften zu prüfen. Sie fanden, dafs das Tauben-und Ratten¬
blut-Serum keinen Einflufs auf die Parasiten ausübte, während
das Serum vom Schaf, Kaninchen, Hund, Pferd und Huhn
knäuelbildend wirkte. Die beiden letzten noch in einer Ver¬
dünnung von 1 : 4—5. Bedeutend stärker, nämlich in einer Ver¬
dünnung von 1 : 20, wirkte das Serum von Ratten, welche eine
Trypanosomeninfektion überstanden hatten.
Auffallend ist es, dafs Rabinowitsch und Kempner ge¬
legentlich ihrer experimentellen Untersuchung über aktive und
passive Immunität der einmal infizierten Ratten diese Knäuel¬
bildungen nicht beobachtet haben. Am Schlufs der Untersuch¬
ungen heifst es ausdrücklich: »was die Agglutinationsfähigkeit
betrifft, so zeigt das Trypanosomenserum in keiner Weise irgend
welche agglutinierende oder entwicklungshemmende Eigen¬
schaften c.
Meine eigenen Untersuchungen bestätigen nun vollauf die
Erfahrung von Laveran und Mesnil, dafs das Blut gesunder
weifser Ratten niemals, dagegen nach überstandener Trypano-
someu-Injektion stets knäuelbildende Eigenschaften zeigt. Ein
Unbeweglich werden vor der Knäuelbildung trat nicht ein, wie
es auch von Laveran und Mesnil beobachtet wurde, jedoch
zeigten manche Parasiten oft eine veränderte, krampfartig oder
ruckweise ausgeführte Bewegung in dem agglutinierenden Serum.
Bei der weiteren Untersuchung zeigte sich nun, dafs die
Knäuelbildung nicht immer und überall gleich schnell und gleich
stark auftrat. Das Blut mancher Ratten, z. B. derjenigen, welche
3 Tage nach dem Nachweis der gelungenen Infektion plötzlich
ihre Parasiten verlor, wirkte sofort sehr stark knäuelbildend,
während das Blut anderer Ratten, welche ihre Trypanosomen
ganz allmählich verloren (z. B. die beiden grauen) erst nach
einigen Stunden deutlich diese Wirkung erkennen liefs. Da nun
Digitized by
Google
Von Oberarzt Dr. Jürgens.
285
die Ratten, wie oben erwähnt, nach einmal überstandener Infek¬
tion nicht von neuem infiziert werden können, so war es wichtig,
das Verhalten des Blutserums nach solch wiederholten Impfungen
zu prüfen. 7 Tage nach dem Verschwinden der Parasiten wurden
Ratten von neuem mit trypanosomenhaltigem Blut geimpft, und
dann 4 oder 5 Tage später das Serum auf knäuelbildende Eigen¬
schaften geprüft. Dabei zeigte sich, daf9 diese Eigenschaft nach
einer Impfung jedesmal erheblich, mindestens um das Doppelte
zunahm, und zwar nicht allein nach der ersten Wiederimpfung,
sondern in gleicher Weise nach einer 2., 3. und 4. Wiederholung
der Impfung. Durch derartige Einspritzungen konnten also sehr
stark knäuelbildende Sera erhalten werden, die das ursprüngliche
Serum mindestens um das 4 fache in der Wirkung übertrafen.
Auch Menschen-, Pferde-, Mäuse- und Tauben-Serum wurde
untersucht. Menschen- und Mftuse-Serum veranlagte keine Knäuel :
bildung, während Taubenblut-Serum etwas schwächer, Pferde-
Serum stärker als das Blut immuner Ratten wirkte.
Worauf übrigens diese Knäuelbildung beruht, ist noch völlig
dunkel. Es mag ja nahe liegen, an eine Ähnlichkeit mit der
Agglutination der Bakterien zu denken, aber einen thatsächlichen
Anhalt für die Verwandtschaft dieser beiden Vorgänge haben
wir bisher nicht. Und bevor nicht genaue Untersuchungen und
Beobachtungen erfolgt sind, ist jegliche Vermutung über diese
Angelegenheit unnütz.
Eine Vermehrung der Parasiten ist aufserhalb des Tier¬
körpers bisher noch nicht beobachtet worden. Zwar berichtet
Danilewsky von einer stattgehabten Entwicklung der Trypano¬
somen in sterilisierten Pipetten. Es ist jedoch nicht deutlich
zu ersehen, ob er dieselbe auch bei den Parasiten des Ratten¬
blutes, oder nur bei den Trypanosomen der Frösche und Fische
unter dem Mikroskop beobachtet hat. Wahrscheinlich haben ihm
auch Knäuelbildungen als Vermehrungsformen imponiert. Ra-
binowitsch und Kempner konnten niemals eine Entwicklung
der Ratten-Trypanosomen aufserhalb des Tierkörpers konstatieren.
Nur die Teilung der Rosetten in die einzelnen Spröfslinge gelang
ihnen im hängenden Tropfen zu verfolgen, v. Wasielewski
19*
Digitized by v^.ooQle
286
Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen.
und Senn waren nicht so glücklich in ihren Beobachtungen.
Im hängenden Tropfen sahen sie nie eine Entwicklung der Para¬
siten erfolgen, auch nicht bei Bruttemperatur. Insbesondere
konnte auch nicht nach stundenlanger Beobachtung einzelner in
Teilung begriffener Exemplare ein Fortschreiten der Teilung fest¬
gestellt werden.
Auch ich konnte unter dem Mikroskop keine Weiterentwick¬
lung eines bereits in Teilung begriffenen Parasiten beobachten,
aber doch scheint die Weiterentwicklung unter bestimmten
Umständen auch im hängenden Tropfen vor sich zu gehen.
Wurden nämlich unter aseptischen Kautelen mehrere hängende
Tropfen von Rattenblut mit jungen Trypanosomen angefertigt,
und davon einige in einen Brutschrank von 37° gestellt, so sah
man sehr oft am anderen Tag in diesen Präparaten Teilungs¬
formen und Entwicklungsstadien, welche man am Tage vorher
nicht darin bemerkt hatte, während eine derartige Veränderung
in den im Zimmer aufgestellten Präparaten niemals auftrat. Auch
fänden diese Vorgänge nie bei alten Parasiten statt, sondern nur
bei jungen, vor der Teilung stehenden, also bei solchen, welche
im Blute einer geimpften Ratte am 3.—4. Tage nach der Impf¬
ung erschienen. Da nun bei frischen Infektionen die grofse
Menge der Parasiten es unmöglich macht, sich über die Zahl und
Form der in einem hängenden Tropfen vorhandenen Trypano¬
somen genau zu orientieren, so wurden Verdünnungen hergestellt,
um jedes Präparat genau durchmustern und die darin vorhandenen
Flagellaten zählen zu können. Aber in derartigen, auch noch
so schwachen Verdünnungen fand nie eine Entwicklung statt;
wahrscheinlich schädigt die angewandte Flüssigkeit die Parasiten.
Man mufste daher die zu verschiedenen Zeiten in einem hängen¬
den Tropfen vorhandene Zahl und Form der Trypanosomen auf
andere Weise zu vergleichen suchen. Dies geschah folgender-
mafsen: Es wurden mit derselben Platinöse drei möglichst gleich
grofse hängende Tropfen von dem zu untersuchenden Blute her-
gestellt. Nr. 1 wurde in den Brutschrank, Nr. 2 ins Zimmer
gestellt und von Nr. 3 wurden Deckglasausstrich-Präparate ge¬
macht, die darin vorhandenen Parasiten gefärbt und gezählt. Am
Digitized by v^.ooQle
Von Oberarzt Dr. Jürgens.
287
anderen Tag wurden dann Zahl und Form der in Nr. 1 und
Nr. 2 beobachteten Trypanosomen mit den in Nr. 3 vorhandenen
verglichen. Diese Untersuchung nach 24 Stunden wird dadurch
aufserordentlich erleichtert, dafs fast sämtliche Parasiten aus der
Mitte des hängenden Tropfens (dem Blutkuchen) an den Rand
(in das Serum) treten. Am anderen Tag ergab nun die Beob¬
achtung, dafs Präparat Nr. 2 stets dieselben Verhältnisse zeigte
wie Nr. 3 am vorhergehenden Tage, während im Präparat Nr. 1
mehr Parasiten und vor allem ganz andere Entwicklungsformen
vorhanden und im gefärbten Präparat deutlich nachweisbar waren.
Fanden sich z. B. in Nr. 3 dicke, zur Teilung sich vorbereitende
Parasiten, so zeigte Präparat Nr. 1 am anderen Tag stets Ro¬
setten und Teilungsformen, während in Nr. 2 keine Vermehrungs¬
form zu entdecken war. Um etwaige Täuschungen und Ver¬
wechslungen mit Degenerationsformen auszuschliefsen, wurden
die Präparate nach dem Eintrocknen fixiert und gefärbt, so dafs
die Verhältnisse im gefärbten Bilde genau mit Nr. 3 verglichen
werden konnten.
Diese Beobachtungsart kann selbstverständlich keinen An¬
spruch auf Exaktheit machen, da aber in den Brutschrank-Prä¬
paraten immer wieder dieselben Veränderungen gefunden wurden,
und niemals in einem bei Zimmertemperatur aufgestellten Prä¬
parat auch nur eine Andeutung einer Weiterentwicklung be¬
obachtet werden konnte, so wird es hierdurch meines Erachtens
doch wahrscheinlich, dafs unter bestimmten Bedingungen gewisse
Stadien der Parasiten sich auch außerhalb des Tierkörpers zu
vermehren vermögen. Ob und in wieweit die Mifserfolge von
v. Wasielewski und Senn etwa auf die Einwirkung des
Lichtes zurückzuführen sind, darüber müssen weitere Beobach¬
tungen Aufschlufs geben.
Die Arbeiten wurden im hygienischen Institut der Universi¬
tät Berlin ausgeführt, woselbst mir Herr Geh.-Rat Rubner in
liebenswürdigster Weise einen Arbeitsplatz zur Verfügung ge¬
stellt hatte. Für dieses weitgehende Entgegenkommen, sowie
Digitized by CjOOQle
288 Beitrag zur Biologie der Rattentrypanosomen. Von Oberarzt Dr. Jürgens
für das stete Interesse für den Fortgang der Arbeiten, spreche ich
Herrn Geh.*Rat Rubner meinen ganz gehorsamsten Dank aus.
Auch bin ich Herrn Stabsarzt Dr. v. Wasielewski für die
Anregung zu der Arbeit und die Unterstützung bei derselben zu
grofsem Dank verpflichtet.
Litteratur.
Danilewsky (1889), La parasitologie comparäe du sang.
Koch (1898), Reiseberichte über Rinderpest, Tsetse oder Surrakrank-
heit u. s. w.
Laveran und Mesnil (1900), De la longue Conservation ä la glaciere des
Trypanosomes du rat et de l’agglomäration de ces parasites. (Compt.
rend. de la Soc. de Biologie.)
— (1900), Sur l’agglutinaüon des Trypanosomes du rat par divers särums.
(Ibidem.)
Lin gar d (1895), Summary of further report of Surra.
Mesnil et Gaze au (1901), Les Trypanosomes et leur rüle pathogfene. (Extr.
des Archives de mädicine navale.)
Rabinowitsch und Kempner (1899), Beitrag zur Kenntnis der Blut¬
parasiten, speciell der Rattentrypanosomen. (Zeitschr. f. Hygiene und
Infektionskrankheiten, Bd. 30.)
Schilling (1901), Bericht über die Surra-Krankheit der Pferde. (Centralbl.
f. Bakt., XXX, Nr. 15.)
von Wasielewski u. Senn (1900), Beiträge zur Kenntnis der Flagellaten
des Rattenblutes. (Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskrankheiten, 1900.)
Digitized by v^.ooQle
Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und
Disposition.
Von
Otto Ammon.
Hueppe 1 ) hat schon 1893 ausgesprochen, dafs zur Entstehung
einer Infektion eine Anlage gehört, welche unter geeigneten
Bedingungen die Auslösung der Krankheit durch die Erreger
gestattet. Im Jahre 1896 hat Hueppe 2 ) diesen Satz in einem
Punkte noch etwas schärfer gefafst durch die genauere Dar¬
legung, dafs sowohl die Krankheitsanlagen als die Virulenz der
Erreger von Null bis Unendlich variieren können. Hieraus er¬
gibt sich mit Notwendigkeit, dafs die Intensität der Infektion
und der Seuchen in weiten Grenzen schwanken kann.
In dem folgenden Jahre hat Gottstein 3 ) das Verhältnis
der durchschnittlichen Höhe der normalen Konstitutionskraft C zu
der Höhe der pathogenen Eigenschaften sämtlicher zu dem
Menschengeschlechte in Krankheitsbeziehungen tretender Para¬
te
siten p durch den Bruch - ausgedrückt und dieses Verhältnis
die »Disposition« genannt.
Es scheint mir jedoch, dafs in dem, was Hueppe »Virulenz«
und Gottstein p genannt hat, zwei Faktoren zu unterscheiden
1' Über die Ursachen der Gärungen und Infektionskrankheiten und
deren Beziehungen zum Kausalproblem und zur Energetik. Berlin, 1893.
2) Naturwissenschaftliche Einführung in die Bakteriologie. Wiesbaden,
1896, S. 152.
3) Allgemeine Epidemioogie. Leipzig, 1887, S. 179.
Digitized by CjOOQle
290 Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und Disposition.
sind, ein quantitativer und ein qualitativer. Es kommt
nämlich erstens auf die Menge der Parasiten an, welche in den
Körper innerhalb einer gewissen Zeit eindringen, und zweitens
auf die erregende Kraft dieser Parasiten, auf ihre »Virulenz« im
engeren Sinne. Eine geringere Zahl sehr virulenter Parasiten
kann ebensoviel Wirkung thun, wie eine gröfsere Zahl weniger
virulenter. Die Virulenz im weiteren Sinne ist daher eine
Funktion der Zahl und der Ansteckungsfähigkeit der Parasiten,
welche in einer Zeiteinheit in den Körper einzudringen vermögen.
Bis zu einer gewissen Grenze ist die Hauspolizei im
stände, der Eindringlinge Herr zu werden; darüber hinaus ent¬
steht die Infektion, die zum Ausbruch der Erkrankung führt.
Es hat mir geschienen, dafs dieses Verhältnis einer näheren
theoretischen Untersuchung durch die Anwendung der Wahr¬
scheinlichkeitsrechnung zugänglich sei. Der Übersicht¬
lichkeit wegen unterscheiden wir in dem Folgenden die beiden
Faktoren der »Virulenz« nicht, sondern nehmen an, dafs wir
es jeweils mit einer gewissen Zahl von Erregern von mittlerer
Virulenz zu thun haben. Alsdann fragen wir uns:
Wie sind die Krankheitserreger in der Natur verteilt?
Wir wissen durch die Untersuchungen, die an der Luft ver¬
schiedener Gegenden und zu verschiedenen Zeiten angestellt
worden sind, dafs der Gehalt eines einheitlichen Raumteiles Luft
an Erregern sehr wandelbar ist. Bald fand man deren viele,
bald nur sehr wenige. Es ist auch theoretisch als gewifs anzu¬
nehmen, dafs nicht jeder Kubikdecimeter Luft, der an uns
vorüberzieht, gleich stark mit Krankheitskeimen gemischt ist.
Neben dem Kubikdecimeter, den ein Bakteriologe untersucht hat,
befand sich zur Zeit der Luftentnahme vielleicht ein anderer
Kubikdecimeter mit einem bedeutend gröfseren oder kleineren
Erregergehalt. Etwas Bestimmtes hierüber ist nicht empirisch
ermittelt, aber theoretisch können wir allerdings nach der Wahr¬
scheinlichkeit vermuten, dafs die Zufälligkeiten des wechselnden
Erregergehaltes einem Gesetze folgen, dem alle derartigen Zufällig¬
keiten ohne Ausnahme unterliegen: der Gaufsschen Formel
Digitized by CjOOQle
Von Otto Ammon.
291
für die Häufigkeit der Kombinationen. Gemeinverständlich sagt
die Formel aus, dafs eine gewisse Kombination am häufigsten
vorkommt, und dafs die Häufigkeit der Kombinationen um so mehr
abnimmt, je mehr dieselben in ihrer Zusammensetzung von
jenem Mittel abweichen. Quötelet 1 ) hat die Formel aul ver¬
schiedene Phänomene angewendet, Gal ton 2 ) und andere haben
auf sie gebaut, um menschliche Begabungen leichtfafslich dar*
zustellen; neuerdings hat Prof. Ludwig 3 ) in Greiz die An¬
wendung auf botanische Tbatsachen gemacht und damit grofse
Erfolge erzielt. Eigentlich gehört die Formel den Astronomen,
welche sie benutzen, um die Beobachtungsfehler unschädlich zu
machen; denn auch hier gilt das Gesetz, dafs kleine Fehler
häufiger sind als grofse, und dafs die Fehler um so seltener
werden, je mehr sie von der Wahrheit ab weichen.
Es kommt für unsere weitere Untersuchung gar nicht darauf
an, ob die Erreger diese oder jene Krankheit hervorrufen, auch
nicht darauf, ob sie durch den Mund, durch die Lungen, durch die
Schleimhäute, oder durch Verletzungen der Oberhaut ins Innere
des Körpers dringen. Es kommt einzig und allein darauf an,
wie häufig die Erreger in Gruppen von 1, 2, 3, 4 und mehr
Gelegenheit zum Eindringen erhalten. Um aber nicht gar zu
abstrakt zu verfahren, mit Rücksicht darauf, dafs eine konkrete
Annahme meistens leichter verstanden wird, stellen wir uns
zunächst die Frage so: wieviele Erreger irgend einer Krankheit
werden in einer Zeiteinheit mit der Atemluft eingezogen? Da
können wir nun nach Gaufs mit ziemlicher Bestimmtheit die
Annahme machen, dafs irgend eine Zahl von Erregern in der
Zeiteinheit am häufigsten Vorkommen wird, und dafs die Häufig¬
keiten kleinerer und gröfserer Zahlen beiderseits von diesem
1) Lettres sur la theorie des probabilites, Brüssel 1845; L’Anthropo-
metrie und andere Schriften.
2) Hereditary Genius, London 1869; Inquiries into Human Faculty,
London 1883; Natural Inheritance, London, 1889.
3) Beiträge zur Phytarithmetik. Botanisches Centralblatt 1897; Über
Variationskurven, daselbst, 1898; Die pflanzlichen Variationskurven und die
Gau fesche Wahrscheinlichkeitskurve, daselbst, 1898, u. A.
Digitized by Cjooole
292 Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und Disposition.
Mittel symmetrisch abnehmen werden. Um noch konkreter zu
sein, sagen wir, die Zahl der in einer Zeiteinheit eingeatmeten
Bacillen sei 50, so werden die Zahlen 49 und 51 auch noch
ziemlich häufig sein, und die Zahlen 48 und 52, 47 und 53 eine
abnehmende Häufigkeit zeigen. Die Abnahme ist jedoch keine
gleichmäfsige, d. h. sie folgt nicht dem Gesetz der geraden Linie,
sondern der mehrgenannten Gauls sehen Formel, bezw. der
Gaufsschen Wahrscheinlichkeitskurve, die in Fig. 1 neben¬
stehend abgebildet ist. Streng genommen, ist die Kurve im Sinne
Hu epp es eine unbegrenzte, beiderseits von Null bis Unendlich
gehende, indem die beiden Arme sich nicht wie in der Figur
mit der Abscissenachse bei 0 und 100 verschmelzen, sondern die
Verteilung der Krankheitserreger in der Natur.
Achse zur Asymptote haben; für praktische Zwecke ist dies jedoch
unerheblich, da der zwischen der Kurve und der Achse ver¬
bleibende Raum verschwindend klein und graphisch nicht mehr
darstellbar ist. Luft mit 0 Erregern wird natürlich auch schon
ausnehmend selten sein, und Luft mit mehr als 100 wird nicht
Vorkommen. Wir erkennen aus der Figur, dafs schon die Zah¬
len 25 und 75 verhältnismäfsig recht selten sind; überhaupt
können wir uns nach dieser Kurve ein ziemlich deutliches Bild
davon machen, wie die Krankheitserreger in der Natur verteilt
sind, und wie sie bald vereinzelt, bald in kleineren oder gröfseren
Gruppen ihre Angriffe auf den Menschen ausführen. Denn was
wie soeben über die Einatmung gesagt haben, können wir nun
auf jede Art des Angriffs ausdehnen. Die Verallgemeinerung
Digitized by VjOOQle
I
Von Otto Ammon. 293
ist nicht blofs zulässig, sondern eine logische Notwendigkeit. Es
ist nun die Frage, welche Folgerungen für die Ansteckung von
Menschen sich hieraus ergeben?
Wie sind die Dispositionen der Individuen verteilt?
Es gibt Individuen, die sehr leicht angesteckt werden und
solche, die mehr oder weniger seuchenfest sind. Wenn wir nach
einem Mafsstab suchen, um die Gröfse der Disposition auszu¬
drücken, so bietet sich uns im Anschlufs an das Vorhergehende
die Zahl der Erreger (von mittlerer Virulenz) dar, welche in den
Körper eindringen mufs, um eine Ansteckung hervorzubringen.
Um die Sache nicht zu verwickelt zu machen, sehen wir zu¬
nächst davon ab, dafs die Disposition eines Individuums nach Zeit
und Umständen wechselt, denn das sind Verhältnisse, die nachher
leicht für sich betrachtet werden können. Ebenso kümmern wir
uns nicht darum, ob die Disposition angeboren oder erworben
ist, sondern suchen nur die vorhandene Disposition exakt zu messen.
Gar keinen Einflufs auf unsere Betrachtungen hat der Umstand,
dafs für die eine Krankheit mehr, für die andere weniger Erreger
aufzunehmen sind, um eine Wirkung zu erzeugen: wir denken
uns eine Art von Normalkrankheit.
Unter keinen Umständen unterliegt es einem Zweifel, dafs
die Verteilung der Grade der Disposition zu einer Ansteckungs¬
krankheit ebenfalls durch das Gaufssche Gesetz bestimmt wird.
Nennen wir x die Zahl der Erreger, die von der relativ gröfsten
Zahl von Menschen gerade noch ohne Schaden ertragen wird
(immer innerhalb einer Zeiteinheit), so wird die Zahl der Indivi¬
duen, welche weniger oder mehr als x Erreger ertragen könneu,
eine etwas geringere sein und die Zahl wird beiderseits von dem
Mittel x abnehmen und bei 0 Erregern ebenfalls 0 werden, denn
ohne irgend einen Erreger aufzunehmen, wird kein einziger
Mensch erkranken. Auch in diesem Falle wird die Abnahme
von der Mitte nicht gleichmäfsig in einer geraden Linie vor sich
gehen, sondern nach dem Gaufssehen Gesetz. Der entgegen¬
gesetzte Nullpunkt der Kurve wird daher bei 2x zu suchen sein.
Digitized by
Google
294 Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und Disposition.
Dabei ist jedoch nicht gesagt, dafs die G aufs sehe Kurve
für die Verteilung der Dispositionen genau derjenigen für die
Verteilung der Erreger gleichen müsse. Denn die Formel ent¬
hält 2 Konstante, die für jeden Fall neu zu bestimmen sind,
und nach ihnen richtet sich die Gestalt der Kurve, die auf einer
schmalen Grundlinie mehr in die Höhe gezogen, oder auf einer
breiten mehr flachgedrückt sein kann. Hierüber habe ich das
Nötige in meiner kleinen Schrift »Der Abänderungsspielraum«,
Berlin (Ferd. Dümmler) 1896 auseinandergesetzt.
Wir haben nun für die Wechselwirkung der Erreger und
der Dispositionen die verschiedenen Möglichkeiten näher zu
untersuchen.
Wechselwirkung der Erreger und der Dispositionen.
Wieviele Erreger (von mittlerer Virulenz) erforderlich sind,
um einen Menschen anzustecken, ist uns unbekannt. Wenn wir
uns aber ins Gedächtnis zurückrufen, daTs wir vorhin angenom¬
men haben, es kämen einzelne Schwärme von Erregern (inner¬
halb der Zeiteinheit) von 100 Stück vor und die häufigste Zahl,
gewissermafsen der Normalschwarm, sei 50 Stück, dann ist eines
ganz gewifs: die Zahl der Erreger, die der Mensch im Mittel
aufnehmen kann, ist entweder kleiner, oder gleich, oder gröfser
als die Zahl 50, die ganze Variationsbreite der individuellen
Dispositionen entsprechend kleiner oder gleich gröfser als 100.
Betrachten wir nun die drei Fälle der Reihe nach, jeden
für sich.
a) Erster Fall.
Die Zahl der Erreger, die der Mensch innerhalb einer Zeit¬
einheit in sich aufnehmen kann, ohne angesteckt zu werden, sei
kleiner als 50. Es versteht sich, dafs wir für 50 jede andere
Zahl setzen können und setzen müssen, wenn die Zahl der
häufigsten Erregerschwärme eine andere ist.
In Fig. 2 auf der folgenden Seite haben wir der Einfach¬
heit wegen angenommen, die Zahl der Erreger, denen der Durch¬
schnittsmensch gerade noch widersteht, sei 25. Dann verteilen
sich die individuellen Dispositionen zwischen 0 und 50; letzteres
Digitized by CjOOQle
Von Otto Ammon.
295
ist die Zahl, bei der jedes Individuum von der Krankheit er-
fafst wird. In der nebenstehenden Fig. 2 ist die entsprechende
Gestalt der Gau Ts sehen Kurve dargestellt. Auf der Abscissen-
achse erstreckt sich die Kurve von 0 bis 5U und der höchste
Gipfel findet sich bei 25. Die Ordinaten geben wieder die ver-
hältnismäfsige Häufigkeit der Individuen für jeden Grad von
Disposition. Wir müssen uns aber vorstellen, dafs wir nicht
eine absolute Zahl von Fällen als Ordinaten auftragen, sondern
eine Verhältniszahl, etwa auf 100 berechnet, und dafs wir vorhin
bei den Erregern ebenso verfahren
seien. Dann ist klar, dafs für die
Dispositionen der Scheitel der Kurve
auf das Doppelte der Ordinate in die
Höhe gezogen sein mufs, denn die
ganze, von der Kurve und der Ab-
scissenachse eingeschlossene F1 ä c h e
mufs hier wie dort 100°/ 0 ergeben, mit
anderen Worten, die eingeschlossenen
Flächen müssen in beiden Fällen
einander gleich sein.
Gehen wir nun einen Schritt weiter
und fragen wir nachderWechselwirkung
der Erreger und der Dispositionen.
Zu diesem Zwecke zeichnen wir
die beiden Kurven von Fig. 1 und Fig 2
Fig. 2 aufeinander, wie dies in Fig. 3 Verteilung der individuellen Krankheits-
Dispositionen bei den Menschen.
zu sehen ist. Die Nullpunkte decken
sich natürlich, denn mit 0 Erregern wird 0 Mensch angesteckt.
Was wird nun ein treten V Die Figur gibt Aufschluls. Sämtliche
Individuen ohne Ausnahme werden angesteckt werden, denn jedes
wird mit einer Zahl von Erregern in Berührung kommen, die
zü einer Ansteckung hinreicht. Um dies auszudrücken, ist die'
ganze Fläche der Kurve der Menschen schraffiert worden. Es
gibt keinen Funkt der Menschenkurve, der rechts aufserhalb der
Erreger-Kurve in den ansteckungsfreien Teil der Abscissen-
achse fallen würde. Die Frage, ob die angesteckten Individuen
Err+per
Digitized by
Googk
296 1 Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und Disposition.
sterben oder genesen, lassen wir hier ganz aufser acht, da sie
für unsere Betrachtung unerheblich ist; wir haben es nur mit
der Disposition zur Erwerbung der Krankheit zu thun. Nach
dem weiteren Schicksal der Befallenen werden wir später fragen
müssen, es liegt aber kein Grund vor, die Sache jetzt schon
mehr als nötig verwickelt zu machen.
Es wäre falsch, anzunehmen, die Individuen, welche durch
den in der Höhe über die Erreger Kurve hinausragenden Teil
° *s SO 75 XmycMa
Fig. 8
Wechselbeziehung der Erreger-Kurve und der Menschen-Kurve im Fall 1.
der Menscheu-Kurve vorgestellt werden, könnten seuchenfrei
bleiben. Die Erreger-Kurve stellt nur die Erreger dar, welche
in einer Zeiteinheit sich dem Menschen zur Aufnahme darbieten.
Wer sie nicht in der ersten Zeiteinheit aufnimmt, hat in der
zweiten, dritten, oder irgend einer folgenden ausreichend Gelegen¬
heit dazu.
b) Zweiter Fall.
Die Zahl der Erreger, die der mittlere Mensch ohne Schaden
aufnehmen, kann, sei der mittleren Zahl der Erregerschwärme
gleich.
Digitized by v^.ooQle
Von Otto Ammon.
297
Dies ist ein Grenzfall, den wir erhalten, wenn wir in der
vorhergehenden Fig. (3) den Endpunkt der Menschen-Kurve von
dem Punkt bei der Zahl 50 allmählich über 75 nach 100 rücken
und den Scheitel entsprechend erniedrigen. Sind wir bei 100
angekommen, so wird die Menschen-Kurve mit der Erreger-Kurve
vollständig zusammenfallen, und es wird sich an den vorhin
gezogenen Folgerungen nichts ändern. Die ganze Fläche bleibt
schraffiert, denn auch bei dieser Annahme kann kein Mensch
der Ansteckung entgehen. Die Fälle a und b können daher
keine Dauerzustände darstellen: sie würden die Menschheit aus¬
rotten.
o) Dritter Fall.
Die mittlere Zahl, die der Mensch ertragen kann, sei gröfser
a 1 s 50. Dann ändert sich die Sache.
Wechselbeziehung der Erreger-Kurve und der Menschen-Kurve im Fall 8.
In der nebenstehenden Fig. 4 haben wir gleich beide Kurven
übereinander gezeichnet. Die Erreger-Kurve ist die nämliche
wie vorhin, aber die Menschen-Kurve ist auf der Abscissenachse
bis in das seuchenfreie Gebiet rechts von dem Punkte 100,
und zwar des Beispiels wegen bis zu dem Punkte 150 ausge¬
dehnt. Hier ergeben sich nun sehr bedeutsame Unterscheidungen.
Die Individuen, welche in den dunkel schraffierten Teil der
Menschen-Kurve fallen, werden unbedingt angesteckt, weil sie
jedenfalls mit einer gröfseren Zahl von Erregern in Berührung
kommen als sie ertragen können. Sie sind die ersten und
sichersten Opfer, die schon in der ersten Zeit ergriffen werden.
Digitized by CjOOQle
298 Theoretische Betrach tun ge o über Ansteckung und Disposition.
Die entgegengesetzt und lichter schraffierte Fläche zeigt uns
Individuen, die nur unter Bedingungen von der Krankheit
heimgesucht werden. Ihre Widerstandsfähigkeit liegt gröfstenteils
über Mittel, und die Kurve der Erreger bleibt innerhalb der
Mensclien-Kurve, d. h. die betreffenden Individuen fallen nur
dann, der Seuche anheim, wenn sie zufällig in einer Zeiteinheit
mit einem der stärkeren Erregerschwärme in Berührung kommen,
und diese Schwärme gehören verhältnisraäfsig zu den selteneren,
so dafs die Individuen nicht unter allen Umständen ergriffen zu
werden brauchen. Alle, bis zur Zahl 100, sind der Gefahr aus¬
gesetzt.
Aber alle zwischen der Zahl 100 und der Zahl 150 — freilich
nur ein ziemlich kleiner Teil wegen der Einbuchtung der Kurve
sind vor jeder Ansteckung gesichert — sind immun und
zwar vollständig immun. Dabei rufen wir aber die Voraus¬
setzung ins Gedächtnis: die Kurve der Erreger hat nur in der
Praxis bei 100 ein Ende, theoretisch nähert sie sich der Ab-
scissenachse asymptotisch und verschmilzt sich mit ihr erst im
Unendlichen. Das heifst mit Worten, es können unter gegebenen
Umständen, ausnahmsweise, auch Erregerschwärme von
mehr als 100 Stück Vorkommen, und gegen solche abnorme
Angriffe sind auch die Individuen unserer Kurve zwischen 100
und 150 nicht mehr gefestigt. Selbstverständlich gilt die
gleiche Bemerkung hinsichtlich der Menschen-Kurve, d. h. es
giebt immer einzelne Leute, die auch mehr als 150 Erreger ver¬
tragen können, aber sie sind gewifs sehr selten und nur als Aus¬
nahmen anzusehen. Machen wir jedoch die Voraussetzung, dafs
die Menschen-Kurve auf der Abscissenachse bis 200,300, 400 u. s. w.
Erreger gehe, so rückt ihr Scheitel nach 100, 150, 200, d. h.
der seuchenfeste Teil der Individuen wird grölser und gröfser.
Die Betrachtung dürfte gerade deswegen von Wert sein, weil sie
die gröfsere oder geringere Häufigkeit der absoluten Seuchen¬
festigkeit begreifen lehrt.
Die Erreger-Kurve und die Menschen-Kurve durchschneiden
sich in Figur 4 an einem Punkte, dessen Abscisse ungefähr bei
der Zahl 64 liegen dürfte; eine rechnerische Bestimmung würde
Digitized by CjOOQle
Von Otto Ammon.
299
sehr schwierig und an viele Voraussetzungen geknüpft sein, und
der Wert für unsere weitere Erkenntnis würde nicht im Verhält¬
nis zu der Mühe stehen. Zwischen 64 und 100 giebt es Indi¬
viduen von verhältnismäfsiger Immunität, und die Wahr¬
scheinlichkeit, dafs solche angesteckt werden, nimmt von 64 bis
100 beständig ab, um bei 100 gleich 0 zu werden. Es giebt also
jedenfalls unter den gemachten Annahmen eine gewisse Zahl von
Individuen, deren Ansteckung sehr unwahrscheinlich oder prak¬
tisch unmöglich ist, neben solchen von absoluter Immunität.
Folgerungen.
Bis jetzt haben wir uns um das weitere Schicksal der er¬
krankten Individuen nicht bekümmert. Es giebt meines Wissens
keine Infektionskrankheit, bei der alle Befallenen sterben müssen,
wiewohl der Prozentsatz der Opfer sehr wechselnd ist und bei
einigen Krankheiten hoch ansteigt. Aus diesem Grunde ist die
Fortsetzung einer allgemeinen Betrachtung von hier an nicht
möglich. Wir müfsten die verschiedenen Grade von Sterblichkeit
und Genesung untersuchen, und das würde sehr umständlich
sein. Besonders schwierig wird die Sache dadurch, dafs bei
manchen Krankheiten die genesenen Individuen auf kürzere
oder längere Zeit verschont werden, also eine fast unbedingte
Immunität besitzen, während bei anderen Arten von Krankheit
gerade die einmal befallen Gewesenen der Gefahr einer Wieder¬
holung besonders ausgesetzt sind.
Um eine Vereinfachung zu erzielen, wollen wir uns an die
allerschwerste Form halten und nun einmal uns fragen, was
weiter geschieht, wenn alle Erkrankten ohne Ausnahme sterben.
In diesem Falle gehen uns die Individuen der dunkel schraffierten
Fläche (Fig. 4) gänzlich verloren. Wir können eine neue Kurve
(Fig. 5, I) zeichnen, in der die links von Abscisse 64 liegenden
Individuen fehlen, die Kurve also erst bei 64 beginnt. Von hier
bis 100 nimmt die Wahrscheinlichkeit des Befallen Werdens ab
bis zu 100, aber der gröfste Abstand der Erreger-Kurve und der
Menschen-Kurve liegt vermöge der Gestalt der Kurven nicht bei
Arohir für Hygiene. Bd. XLII. ^0
Digitized by CjOOQle
300 Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und Disposition.
100, sondern etwas links davon bei 82. Tragen wir uns die
Differenzen der Ordinalen, d. h. die der hell schraffierten Fläche
auf einer neuen Abscissenachse auf und fügen wir die rechtseitige,
unschraffierte Fläche der Menschen-Kurve hinzu, so bekommen
wir eine Kurve, die in der nebenstehenden Figur mit 1 be¬
zeichnet ist, und die eine eigentümliche Form hat. Sie ist, wie
der Augenschein sofort erkennen läfst und die Überlegung be¬
stätigt, nicht symmetrisch; der Scheitel liegt bei 82 statt bei 100.
Solche asymmetrische Kurven entstehen immer, wenn die natür¬
liche Auslese auf einer Seite der Kurve eingreift, oder auch
m
Fl*. 5.
Wirkung der natürlichen Auslene und Entatehung neuer Mennchen-Kurven
in den nächsten Geschlechterfolgen.
dann, wenn dieselbe auf einer Seite tiefer eingreift als auf der
anderen Seite des Abänderungsspielraumes. Hierauf braucht
nicht weiter eingegangen zu werden, weil dies in meiner vorhin
zitierten Schrift ausführlich dargelegt ist. Wir haben auf der
Abscissenachse, links von der Scheitelordinate, nur 18 Einheiten,
auf der rechten jedoch 68 Einheiten. Das ist die Folge davon,
dafs die natürliche Auslese auf der linken Seite einen grolsen
Teil der Individuen hinweggerafft hat
Ehe wir weiter gehen, müssen wir die Fläche der Kurve
wieder auf 100°/ 0 bringen, um für die weggefallenen Flächen
Ersatz zu schaffen und einen gleichen Malsstab anzuwenden.
Digitized by
Google
Von Otto Ammon.
301
Wir haben deswegen alle Ordinaten entsprechend im gleichen
Verhältnis zu erhöhen und bekommen dadurch die Kurve II, die
wieder 100 °/ 0 einschliefst.
Bei dieser Kurve bleibt aber die Art (hier der Mensch) nicht
stehen, und bei dem ferneren Verlauf der Sache spielt die zwei-
geschlechtige Fortpflanzung eine bedeutsame Rolle.
Die Kurve II gilt im allgemeinen sowohl für Männer als
für Frauen. Bei den Eheschliefsungen verbinden sich beliebige
Individuen ohne Rücksicht anf die Grade ihrer Seuchenfestigkeit
miteinander, d. h. es herrscht in dieser Beziehung Panmixie.
Es paaren sich Individuen mit geringer Festigkeit mit solchen
mit hoher Festigkeit und solche von mittlerer Festigkeit mit
solchen von mittlerer, auch solche von niederer mit mittlerer.
Die Kinder eines Paares sind in der Regel sehr verschieden.
Wenn ein Erzeuger geringe, der andere hohe Seuchenfestigkeit
besitzt, so werden Kinder zum Vorschein kommen, die teils
niedere, teils hohe, teils mittlere Festigkeit haben. Die letzteren
werden jedoch an Zahl überwiegeu, weil auch für diese Ver¬
hältnisse die Gaufssche Kurve mit ihrer Ausbauchung in der
Mitte Geltung hat. Die Folge ist, dafs in der nächsten Ge¬
schlechterfolge die mittelguten Individuen etwas zunehmen. Da
die Kinder aus den Ehen von Eltern, die beide mittlere Festig¬
keit besitzen, ebenfalls zum gröfsten Teil mittlere Festigkeit zeigen
werden, und die Kinder der Paare mit mittlerer bis hoher, sowie
der Paare von mittlerer bis niederer ebenfalls der Mittellinie
nahe stehen, so kann man sich die Gestalt der entstehenden
Kurve ungefähr vorstellen. Man mufs aber dabei den Umstand
berücksichtigen, dafs die elterlichen Individuen unterhalb des
Scheitels (links von demselben) an Zahl seltener sind als die
oberhalb, weil die Kurve dort sich nur über 18 Einheiten erstreckt
und steiler abfällt, als auf der oberen Seite (rechts), wo sie über
68 Einheiten geht und flacher verläuft. Deswegen wird der
Gesamteinflufs der schlechten Seite auf die Gestaltung der
Kurve der Nachkommenschaft geringer sein als der der
guten Seite, und wir werden mehr gute als schlechte Indi¬
viduen vor uns haben.
20 *
Digitized by
Google
302 Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und Disposition.
Wegen der Überzahl der mittelguten Individuen wird sich
der Scheitel der neuen Kurve etwas heben, und wegen der
geringeren Zahl der schlechten und der Überzahl der guten In¬
dividuen wird er nach rechts hinüber wandern.
Wir bekommen also für die erste Generation nach der¬
jenigen, auf welche wir zuerst die Auslese wirken liefsen, eine
Kurve wie die mit III bezeichnete in Figur 5.
Diese Kurve würde von rechtswegen links bei Abscisse 64
endigen, aber nur, wenn es keine Rückschläge gäbe. Bei
der Fortpflanzung treten jedoch immer Rückschläge auf, und
namentlich die Individuen, die sich unmittelbar rechts von
Abscisse 64 befinden, werden in ihrer Nachkommenschaft nicht
wenige Individuen zählen, die auf die linke Seite von Abscisse 64
fallen. In der Fig. 5 haben wir deswegen die Kurve III mit
ihrem linken Ast nicht bei 64 an die Abscissenachse angeschlossen,
sondern sie noch ein Stückchen weiternach links geführt. Der Punkt
des schlechtesten Rückschlages läfst sich theoretisch nicht be¬
stimmen, da man über Rückschläge wenig weifs. Ich habe die
Kurve bei 50 in die Abscissenachse einmünden lassen, aber dieser
Punkt ist willkürlich gewählt. Für die Theorie ist es gleich¬
gültig, ob die Kurve etwas weiter nach links geht oder nicht.
Wirkt nun die natürliche Auslese auf die neue Generation,
die durch die Kurve III dargestellt wird, ebenso ein, wie sie
auf die ursprüngliche Kurve in Fig. 4 eingewirkt hat, so werden
abermals alle Individuen von weniger als 64 Seuchenfestigkeit
und zum Teil auch die zwischen 64 und 100 weggerafft, ganz
so, wie es oben beschrieben wurde. Die Zahl derselben ist
aber geringer als sie bei den Eltern war. Die Folge ist, dafis
mit jeder Generation der Gipfel der Kurve sich etwas er¬
höht und dabei um stets abnehmende Beträge immer weiter
nach rechts rückt. Die zweigeschlechtige Fortpflanzung strebt
darnach, die Individuen einander ähnlicher zu gestalten, die
Abweichungen vom Typus an Zahl einzuschränken, und die Zahl
derer, die durch ungenügende Seuchenfestigkeit und durch Rück¬
schlag der Krankheit zum Opfer fallen, kleiner und kleiner zu
machen.
Digitized by CjOOQle
Von Otto Ammon.
303
Gäbe es keine Rückschläge, so würde bald ein Punkt er¬
reicht werden, an dem alle lebenden Individuen seuchenfest sind
* und der Anfangspunkt der Kurve bei 50 würde bald über 64
hinaus bis nach 100 rücken, wobei der Gipfel ebenfalls immer
weiter nach rechts geschoben würde, ohne jedoch die Mitte der
Abscissen zu erreichen. Mit anderen Worten, die natürliche
Auslese würde sich ganz rein in der ihr von Darwin zugeschrie¬
benen Rolle zeigen, die Rasse zu verbessern. Die unvermeid¬
lichen Rückschläge vermindern die erfolgreiche Wirksamkeit der
Auslese und führen derselben immer neue Opfer iu jeder Ge¬
schlechterfolge zu.
Wenn nicht alle Angesteckten sterben, sondern viele ge¬
nesen, aber nun entweder für längere Zeit seuchenfest oder
noch weniger widerstandsfähig sind als zuvor, so wird die Sache
unübersichtlich. Wird die erlangte Seuchenfestigkeit nicht ver¬
erbt, so kann man nur so viel mit Gewifsheit sagen, dafs je
höher die Zahl der Genesungen Befallener ist, desto gröfser die
Zahl der Erkrankungen in den folgenden Generationen sein wird.
Besondere Verhältnisse.
Die Rückschläge sind nicht der einzige Faktor, welcher der
natürlichen Auslese Opfer zuführt. Es ist jetzt Zeit, eines Um¬
standes zu gedenken, auf den schon im Eingang angespielt
wurde, den wir aber absichtlich aufser acht liefsen, um die Be¬
trachtung nicht zu verwickelt zu machen. Dies sind die beson¬
deren Verhältnisse, in denen die Individuen leben. Ein seuchen¬
fester Mensch kann durch eine vorübergehende Überanstrengung
oder schlechte Ernährung in seinem Widerstandsvermögen so
geschwächt werden, dafs eine geringere Zahl von Erregern hin¬
reicht, um ihn anzustecken. Oft ist es auch eine leichtere, an
sich unbedeutende Erkrankung, die den verhängnisvollen An¬
steckungskeimen einer tödlichen Seuche den Boden bereitet.
Wir erinnern nur daran, wie oft ein Katarrh oder eine leichte
Lungenentzündung in Tuberkulose übergehen.
Deswegen sind die Seuchen auf zwei Wegen zu bekämpfen:
Einmal durch möglichste Kräftigung der Individuen durch
Digitized by CjOOQle
304 Theoretische Betrachtungen über Ansteckung und Disposition.
Volkshygiene, wodurch die Widerstandsfähigkeit erhöht, also
mit anderen Worten eine gröfsere Zahl von Erregern erforderlich
wird, um eine Ansteckung hervorzurufen. Sodann durch Ver¬
minderung des Erregergehaltes der Luft etc. in der Umgebung
der Menschen, wodurch ebenfalls eine bedeutende Zahl von
weniger seuchenfesten Individuen über die Gefahrgrenze gehoben
wird. In diesen Folgerungen treffen wir wieder mit Hueppe
zusammen.
Sehr bedeutende Gestaltsveränderungen erleidet die Menschen-
Kurve jedenfalls dadurch, dafs bei manchen Krankheiten das
einmalige Überstehen derselben für eine gewisse Zeit immun
macht, sowie auch durch die spezifische Impfung, die den
gleichen Effekt hat. Dadurch werden mehr Individuen auf der
rechten Seite der Kurve angehäuft, die vorher auf der linken
standen, und es tritt eine Form hervor, die nicht mehr eine
reine G aufs sehe Kurve sein kann. Diese Verhältnisse sind
jedoch so unbestimmt und verwickelt, dafs sie sich einer all¬
gemeinen Betrachtung entziehen.
Zum Schlufs möchten wir die Aufmerksamkeit einem bis
jetzt nicht immer beachteten Umstande zuwenden. Es ist ein
grofser Unterschied, ob eine Seuche es namentlich auf das kind¬
liche Alter abgesehen hat und die schwach widerstandsfähigen
Individuen beseitigt, wie z. B. Scharlach, Diphtherie, Pocken u.
oder ob sie, wie die Tuberkulose, einer gröfseren Anzahl dis¬
ponierter Individuen gestattet, das zeugungsfähige Alter zu er¬
reichen und Nachkommenschaft zu hinterlassen. Dadurch wird
die erbliche Anlage sozusagen verewigt, und es erklärt sich
leicht, warum diese Krankheit eine um so viel gröfsere Rolle
bei den Todesfällen spielt als jene vorgenannten. Die Venneidung
der Heirat Tuberkulöser oder mit tuberkulöser Anlage Behafteten
müfste deswegen in den Kreis der prophylaktischen Ratschläge
aufgenommen werden.
Ein Rückblick auf das Vorgetragene lehrt auch, warum
Menschen, die in eine neue Umgebung versetzt werden, von den
dort heimischen Volkskrankheiten viel öfter befallen werden als
Digitized by CjOOQle
Von Otto Ammon.
305
die Einheimischen, z. B. Weifse von den bösen Fiebern in Afrika,
Neger von der Tuberkulose in Europa. Ihr Zustand ist der
von Fig. 4. Sind aber ihre Nachkommen längere Zeit der be¬
treffenden Auslese unterworfen gewesen, so wird ihr Zustand
durch Fig. 5 dargestellt mit der abnehmenden Zahl der Opfer.
Das nennt man Anpassung.
Unsere Betrachtungsweise ist daher geeignet, über manches
klarere und bestimmtere Vorstellungen hervorzurufen, die einigen
theoretischen Wert haben, wenn sie auch schwer auf ganz
specielle Krankheiten und sonstige specielle Verhältnisse anzu¬
wenden sind.
Digitized by v^.ooQle
Digitized by v^.ooQle
Versuche über Typhusagglutinine ond -Präcipitine
Von
Privatdozent Dr. Oskar Bail,
Assistenten des Institutes.
(Aus dem hygienischen Institute der deutschen Universität in Prag.
Vorstand : Prof. F. H u e p p e.)
I. Historische Einleitung.
Die ältere Litteratur dieses Gegenstandes ist mehrfach in
erschöpfender Weise zusammengestellt worden, so dafs es genügt,
auf einige diesbezügliche Arbeiten 1 ) zu verweisen. Die überaus
zahlreichen, seither erschienenen Mitteilungen, die sich auf die
durch Gruber-Widal begründete Verwertung des Agglutina¬
tionsphänomens zu diagnostischen Zwecken beziehen, kommen
für das Folgende kaum in Betracht. Ebenso rückt die Frage
nach der absolut qualitativen oder nur relativ quantitativen
Specifität der Haufenbildung von Bakterien durch das zugehörige
Immunserum mehr in den Hintergrund, während die Erörterung
des Wesens der Agglutination und Präcipitation, der haufbilden-
den und niederschlagenden Eigenschaften des Serums vor¬
behandelter Tiere in erster Reihe steht.
In Anbetracht der kurzen Bekanntschaft mit diesen Eigen¬
schaften ist die Zahl der mehr minder abweichenden Anschau¬
ungen, die von berufenen Forschern hierüber zum Ausdruck
gebracht wurden, nicht gering.
1) Namentlich: Ben sau de, R., Le ph^nomene de I’agglutination des
microbes et ses applications ä la pathologie, 1897, Paris. Carr4 et Naud.
Trumpp, J., Dieses Archiv, Bd. 31, S. 70 ff.
Archiv für Hygiene. Bd. XLII. 21
Digitized by CjOOQle
30«
Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
Der eigentliche Entdecker der Agglutination, Gruber 1 ), nahm
an, dafs die im Serum immunisierter Tiere vorhandenen Stoffe,
die Agglutinine, die Hüllen der Bakterienleiber zum Verquellen
bringen. Infolgedessen werden nunmehr die Bakterienzellen
klebrig, haften aneinander, verkleben zu grofsen Klumpen, selbst¬
verständlich unter Verlust ihrer Beweglichkeit.
Eine weitere Folge der Quellung der Bakterienmembran ist
nun ihre leichte Durchgängigkeit für die bakterienfeindlichen
Stoffe des Serums, die im normalen Organismus vorhandenen
Alexine Büchners, die nunmehr zu einer erhöhten Wirkung
ohne weiteres befähigt sind. Abgesehen von dieser, hier weniger
interessierenden Erklärung der specitischen Baktericidie der
Immunsera, die sich an die kurz vorher erschienene Anschauungs¬
weise Bordets 2 ) anschliefst, machte schon damals Gruber die
für die Folge überaus wuchtige Beobachtung, dafs die Agglutinine
durch den Prozefs der Haufenbildung verbraucht werden.
Nach dieser Erklärungsweise ist somit sowohl das Unbew r eg-
lichwerden der Bakterien, wie ihr Zusammentreten zu Haufen,
etwas Sekundäres, das nur eine notwendige, gewissermafsen
mechanische Folge der primären Wirkung ist, welche lediglich
die Bakterienmembranen zur Quellung bringt und klebrig macht.
Man kann sofort zugeben, dafs eine so tiefgreifende Ände¬
rung der Leibeshülle, die zarten Leibesanhänge der Bakterien,
die Geifseln vernichtet, und dafs damit die Bewegungslosigkeit
nach Zusatz von Immunserum aufs beste erklärt wird.
Unerklärt bleibt aber dabei die Erscheinung, dafs die
Bakterien nun, wie von einer unsichtbaren Gewalt, zu einander
hingezogen werden, selbst dann, wenn sie vorher abgetötet 3 )
und in einer so dünnen Aufschwemmung vorhanden sind, dafs
grofse Zwischenräume die einzelnen Zellen trennen. Immerhin
würde sich schliefslich hierfür eine Erklärung vielleicht finden
1) Gruber, Wiener klinische Wnchenschr., 1896, Nr. 11 ff., Münchner
medizin. Wochenschr., 1896, Nr. 13 (mit Durhain), ebenda, 1897, Nr. 17,
Autoreferat im Centralblatt f. Bakteriologie, Bd. 19, Nr. 15.
2) Bordet, Annales de l’Institut Pasteur, 1895 u. 1896.
3) Widal et Sicard, Society de biologie, 1897, Januar, u. a.
Digitized by v.ooQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
309
lassen, etwa durch Flüssigkeitsströmungen, welche die Bakterien
einander nähern, und die wohl schwer zu vermeiden sein
werden. In der That hat ja Dineur Versuche angeführt, wo¬
nach eine Haufen- und Flockenbildung unter Umständen durch
passive Bewegungen gefördert werden kann 1 ).
Die unerläfsliche Forderung aber, welche die Gru bersche
Erklärungsweise erfüllen mufs, ist das sinnliche Sichtbarwerden
der Quellung. Trotz der Kleinheit von Typhusbakterien oder
Choleravibrioneu müfste sich diese Erscheinung nachweisen
lassen. Thatsächlich ist Ähnliches beobachtet worden 2 3 ) und
besonders die Untersuchungen Rogers'*) über das Aufquellen
von Soorpilzzellen im Serum dagegen immunisierter Tiere scheinen
tiefen Eindruck gemacht zu haben.
Diese Beobachtungen verloren jedoch ihr Gewicht vollständig,
als man erkannte, wie reine, nur die Agglutinine enthaltenden
Sera wohl typische Haufenbildung, niemals aber Quellung von
Bakterien hervorrufen konnten, während diese zu beobachten
war, sobald noch Alexin im Serum vorhanden ist 4 5 ).
Die durch Belfanti und Car hone eingeleiteteu, durch
Bordet, Ehrlich u. v. a. zu hoher Vollkommenheit gebrachten
Studien über die Auflösung von roten Blutkörperchen durch
normale und specilische Sera, welcher sehr oft eine Agglutina¬
tion vorangeht, zeigten dann weiter, dafs Haufenbildung auch
an Zellen stattfindet, die einer Membran im üblichen Wortsinne
entbehren, und die bei reiner Agglutinationswirkung in keiner
sichtlichen Weise verändert werden.
Im wesentlichen nur eine Modifikation der Gruberschen
Anschauungsweise stellt die Lehre von Dineur’) dar, welche
auf Veränderungen der Geifselu das Hauptgewicht legt. Eine
1) Dineur, cit. nach Bordet, Annales de l’Institut Pasteur, 1899,
Nr. 3; daselbst auch Kritik der Versuche.
2) Reiche Litteraturangaben Biehe bei Tr um pp, Dieses Archiv, Bd. 31,
S. 138 ff.
3) Roger, cit. nach Trum pp.
4) Bordet, Annales de lTnstitut Pasteur, 1899, Nr. 3.
5) Dineur, Recherches nur le mecanisme de l’agglutiuation du bacille
typhique. Cit. nach Bordet, a. a. O.; daselbst auch Kritik.
21 *
Digitized by
Google
310
Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
besondere Verbreitung hat diese Lehre, die sich nur auf einen
speciellen Fall bezog und für welche z. B. die Haufenbildung
der roten Blutkörperchen eine unüberwindliche Schwierigkeit
bildet, nicht gefunden.
Auf einem ganz andern Prinzip fufst die Erklärung der
Agglutinationsmechanik durch Pal tauf 1 ). Dieselbe wurde er¬
möglicht durch die schönen Entdeckungen von Kraus' 2 ) über
specifische Fällungsreaktionen durch Immunsera. Setzte man
nämlich Serum typhus- oder choleraimmuner Tiere zu Filtraten
der entsprechenden Bakterienkulturen, so entstand nach einiger
Zeit Trübung und Niederschlagsbildung. Diese »präcipitierende«
Fähigkeit, die das Serum vorbehandelter Tiere annehmen kann,
zurückgeführt auf eigene Stoffe, die Präcipitine, wurde in neuerer
Zeit als weit verbreitet erkannt und zum Teil auoh für praktische
Zw r ecke diagnostischer Natur verwertet 3 ).
Solche Niederschlagsbildungen sollen nun nach Pal tauf
auch bei nicht filtrierten, bakterienhaltigen Kulturen entstehen,
gewi8sermafsen mechanisch und sekundär die Bakterien einhülleu,
bewegungslos machen und zu grofsen Haufen zusammenführen.
Die überaus ansprechende Hypothese hat ihre ersten Schwierig¬
keiten in dem Milsverhältnisse zwischen Stärke der Agglutination
und der Niederschlagsbildung gefunden. Die Niederschläge des
Kraus sehen Phänomens kann man mikroskopisch wahrnehmen,
sie sind auch der Färbung zugänglich 4 ). Selbst bei stärkster
Agglutination von Bakterien sieht man aber nichts davon. Ferner
1) Pal tauf, Wiener klin. Wochenschrift, 1897, Nr. 10.
2) Kraus, Wiener klin Wochenschrift, 1897, Nr. 16 u. 32.
3) Um nur einige Beispiele zu geben: Kaninchen mit Hühnerblut
behandelt, liefern ein »Serum, welches mit Hühnerserum, Kaninchen mit
Menschenserum behandelt, geben ein solches, welches mit Menschenserum
Trübung gibt. (Bordet, Uhlen huth u. a.) Vorbehandlung mit verschie¬
denen Eiweifskörpern läfst ein diese Stoffe aus Lösungen fällendes Serum
entstehen (Myers u. a). In die Reihe dieser Präcipitationserscheinungen
gehören wohl auch Versuchsergebnisse, die bisher mit Agglutination s. str.
in Zusammenhang gebracht wurden, z. B. die casel’nfällende Kraft des
Serums von Kaninchen, die mit Milch vorbehandelt sind, sowie die »Aggluti¬
nation von Tuberkelbacillen« nach Kochs neuesten Mitteilungen.
4 Nico Ile, Annales de l’Institut Pasteur, 1898, Nr. 3.
Digitized by
Google
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail
311
findet die Agglutination gleich intensiv statt, ob man nun reine
Bouillonkultur z. B. von Typhusbakterien verwendet, oder aus
der gleichen Bouillon die Bakterien durch mehrmaliges Waschen
mit physiologischer Kochsalzlösung reinigt. Wenn auch durch
letzteren Vorgang eine Entfernung der niederschlaggebenden
Stoffe nicht erreicht werden könnte, eine Verdünnung müfste
doch eintreten. Gleichwohl ist kein Unterschied in der Schnellig¬
keit des Eintretens, wie in der Intensität der Haufenbildung
wahrzunehmen. Ferner wurde das zeitliche Mifsverhältnis zwischen
Entstehung der Fällung und Eintritt der Haufenbildung betont.
Erstere braucht oft viele Stunden, letztere tritt binnen wenigen
Minuten ein. Diese Schwierigkeit wäre vielleicht nicht unüber¬
windlich, denn abgesehen davon, dafs die Trübung durch Fällung
zu einer Zeit, wo sie erst auf unsere Sinne einwirkt, schon vor¬
her unsichtbar thätig gewesen sein kann, so gibt es auch Sera,
bei denen Präcipitation wie Agglutination sehr rasch erfolgen,
wie weiter unten gezeigt werden wird.
Der Pal tauf sehe Erklärungsversuch wurde aber unzuläng¬
lich, als gezeigt werden konnte, dafs präcipitierende und aggluti¬
nierende Eigenschaften im Serum vollständig voneinander unab¬
hängig seien, dafs man die eine durch entsprechende Bindung
aufheben könne, ohne die andere zu schädigen. Diesem Nach¬
weise wird ein eigenes Kapitel gewidmet werden.
Eine eigentümliche Verbindung der Palta ufsehen Hypothese
mit der Grube rsehen Vorstellung des Mechanismus der Haufen¬
bildung findet sich bei Nicolle 1 ). Der agglutinierenden Sub¬
stanz im Serum des Immuntieres entspricht eine agglutinable
Substanz (substance agglutince), die sich in den Bakterien selbst,
besonders in deren äufserer Schicht findet. Bei länger dauernder
Kultur in flüssigen Nährböden, unter Umständen auch durch
geeignete Auslaugeweisen, geht sie gelöst in das umgebende
Medium über. Die agglutinable Substanz verbindet sich mit der
agglutinierenden und dadurch entsteht in Kulturfiltraten Trübung
1) Nicolle, Oh., Recherchen sur la substance agglutince. Annales de
1'Institut Pasteur, 1898, Nr. 3; sowie: Comptes renclus de la soc. de biol.,
1898 ^letztere Arbeit war leider nicht zu erhalten).
Digitized by
Google
312
Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
und Fällung, in bakterienhaltigen Flüssigkeiten aber, durch Auf¬
quellen der agglutinablen Stoffe in den Zellmembranen und
Zusammenfliefsen der äufseren Schichten benachbarter Mikrobien
Haufenbildung. Die sehr wertvollen Beobachtungen Nicolles
über Beeinflussung seiner agglutinablen Stoffe durch verschiedene
äufsere Einflüsse werden gelegentlich erwähnt werden. Seine
Anschauung über das Wesen der Agglutination steht und fällt
mit der Beantwortung der Frage der Selbständigkeit oder gegen¬
seitigen Abhängigkeit der niederschlag- und haufbildenden
Fähigkeit des Immunserums.
In anderer Weise als die bisherigen Forscher fafste Bordet 1 )
das Agglutinationsphänomen auf. Er betrachtete zunächst das
Eintreten der Haufenbildung als den Ausdruck der molekularen
Attraktion zwischen körperlichen, kleinen Partikeln und der
umgebenden Flüssigkeit. Eine solche Veränderung der nor¬
malen Attraktion gibt das alte Beispiel einer feinen Thonauf¬
schwemmung, die an sich lange Zeit trübe bleibend, schon nach
kurzer Zeit Klärung unter Flockenbildung zeigt, sobald man
Kochsalz zusetzt. Später unterschied Bordet zwei Phasen der
Agglutination: Die erste ist eine biologische, gekennzeichnet
namentlich durch die ausgesprochene Specifität des Vorganges,
bei welchem das Agglutinin auf den Bakterien fixiert wird. Erst
dadurch, unter dem Einflüsse der Agglutinine, wird in der jetzt
folgenden zweiten Phase die Molekularattraktion der Bakterien
untereinander und mit der umgebenden Flüssigkeit geändert und
dadurch das Zusammenfliefsen zu grofsen Haufen bewirkt. Letztere
Anschauungsweise stimmt überein mit der von Duclaux 2 ) ver¬
tretenen Ansicht über das Wesen des GerinnungsVorganges.
Die Arbeit Bordets bedeutet einen sehr wesentlichen Fort¬
schritt; namentlich die Trennung des Vorganges in zwei Phasen,
deren erstere bedingt ist durch die von Gr über entdeckte,
lange Zeit nicht genügend beachtete Bindung (Fixation) des
Agglutinins an die zugehörigen Bakterien und die erst dadurch
1) Bordet, Le mecanisme de l'agfflutination. Annales de l’Institut
Pasteur, 1890, Nr. 3.
2) Duclaux, Traite de raicndriologie, Bd. II, 1899, Chap. XV u. XVI.
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
313
bedingte Ermöglichung der Haufenbildung ist von gröfster Be¬
deutung und findet in den folgenden Versuchen ihre Erklärung.
Für dieselbe lagen übrigens bereits Versuche in der Litteratur
vor, die aber fast ganz vernachlässigt wurden, weil eine Deutung
z. Z. unmöglich sein mufste. Hierher gehört die von Ransom
und Kitashima 1 ) beobachtete Thatsache, dafs Choleravibrionen,
in agglutininhaltiger Bouillon gezüchtet, die Fähigkeit zur Haufen¬
bildung mehr weniger einbüfsen.
Die Bordetsche Anschauungsweise macht auch die Be¬
deutung der Salze einigermafsen verständlich, welche in neuester
Zeit in den Vordergrund der Diskussion getreten ist 2 ). Was
man den Bordetsehen Arbeiten zum Vorwurfe machen kann,
ist die nicht genügend scharfe Auseinanderhaltung von Präcipi-
tation und Agglutination, obwohl Bordet selbst es gewesen ist,
der diesen Unterschied gegen Pal tauf hervorgehoben hat.
Allerdings gibt hierfür die weitgehende Analogie, welche er und
noch mehr Duclaux (»Pagglutination est une coagulation«) in
der Haufenbildung mit der Gerinnung (nach Duclaux’ Hypothese)
suchen, eine Erklärung. Das von Bordet bei Erklärung der
Agglutination herangezogene Beispiel, die Caseinausfällung durch
das Serum von Tieren, die mit Milch vorbehandelt wurden,
gehört wohl sicher in das Gebiet der Präcipitationserscheinungen.
Gerade für die Untersuchungen an Bakterien mufs Haufen-
uud Niederschlagsbildung auf das Strengste auseinandergehalten
werden; denn die Unabhängigkeit der sie bewirkenden Eigen¬
schaften des Serums läl'st sich Fall für Fall nach weisen. Das
hindert nicht, einen nahen genetischen Zusammenhang beider
anzunehmen; denn beide wirken jedenfalls auf nahe verwandte
Stoffe der Bakterienzelle, die bei der Agglutination
ungelöst im Zusammenhänge mit der lebenden oder
frisch getöteten Bakterien ze 11 e, bei der Nieder¬
schlagsbildung von der Zelle getrennt, im gelösten
Zustande in der Flüssigkeit vorhanden sind.
1) Mitteilungen aus dem Institute für experimentelle Therapie in Mar¬
burg. III. Deutsche mediz. Wochenschrift, 1898, Nr. 19.
2) Bordet, a. a. 0. Joos, Zeitschrift f. Hygiene, XXXVI.
Digitized by v.ooQle
314
Versuche Aber Typhueagglutinine und -Präcipitine.
Diese Auseinanderhaltung beider Vorgänge hindert auch
nicht, für beide den analogen Mechanismus des Zustandekommens
von Haufen und Niederschlagsbildung anzunehmen und zwar
im Sinne der Erklärung Bordets, welche von allen bisherigen
Versuchen den Thatsachen am meisten gerecht wird.
In welchem Zusammenhänge die Versuche der neueren
Zeit, die Agglutination als Wirkung von Ausscheidungsprodukten
der Mikroorganismen selbst zu betrachten, mit den Befunden im
Immunserum stehen, läfst sich gegenwärtig wohl kaum noch
entscheiden. Emmerich und Löw 1 ), die eigentlichen Be¬
gründer dieser Anschauung, haben in Müller 2 ) einen Wider¬
sacher gefunden, dessen Gründe dagegen nicht leicht zu ent¬
kräften sein dürften. Aus eigener Anschauung läfst sich be¬
haupten, dafs die Zusammenballung von Pyocyaneusbakterien
am Grunde alter Bouillonkulturen, denn doch mit dem, was wir
sonst Agglutination nennen, nur eine sehr oberflächliche Ähnlich¬
keit besitzt.
Jedoch finden sich ähnliche Angaben in der Litteratur häufig
genug, um diese Frage noch als eine offene bezeichnen zu
können. Die Angaben von Malvoz 3 ) und Nicolle 4 ) gehören
u. a. hierher.
II. Teil. Eigene Versuche.
V orbeme rfcungen.
Der Verlauf einer intraperitonealen Typhusinfektion beim
Meerschweinchen ist bekannt und im allgemeinen so regel-
mäfsig, dafs bemerkenswerte Eigentümlichkeiten kaum je auf-
treten. Ist die Menge der eingespritzten Bakterien grofs genug,
so sind die Krankheitserscheinungen und der Sektionsbefund
völlig übereinstimmend, gleichgültig, ob es sich um virulente oder
abgeschwächte Typhusbakterien handelt. Die Tiere werden sehr
bald matt, sitzen mit gesträubten Haaren unbeweglich in einer
1) Zeitschr f. Hygiene, XXXI.
2) Centralblatt f. Bakteriologie, 1900, Nr. 18.
3) Malvoz, Annales de l’Institut Pasteur, 1899, 8. 630.
4) Nicolle, siehe Anmerkung S. 311.
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
315
Ecke, die Temperatur ist anfangs meist, aber nicht immer, erhöht,
um späterhin subnormale Werte anzunehmen. Die Schnelligkeit
des Eintretens dieser Symptome, sowie des Todes hängt nur
von der Menge der injicierten Bakterien, die natürlich je nach
der Virulenz derselben eine ganz verschiedene sein kann, ab.
Das nach dem Tode entnommene Exsudat ist dicht trüb
und wimmelt von lebhaft beweglichen Typhusbakterien. Die
Zahl der zeitigen Elemente ist in der Regel eine mäfsige. Poly-
nucleäre Leukocyten herrschen weitaus vor. Häufig zeigen die¬
selben schon im ungefärbten Präparate unzweideutige Zeichen
des Zerfalles.
Immerhin fand sich einige Male ein abweichender Befund.
Dies war namentlich der Fall bei Verwendung eines sehr lange
auf künstlichen Nährböden fortgezüchteten, wenig virulenten
Typhusstammes. Hier kam es, auch nach Anwendung hoher
Dosen (1. Agarkultur und mehr) vor, dafs die Tiere das gewöhn¬
liche Krankheitsbild darboten, innerhalb 20 Stunden starben,
im Peritoneum reichlich Exsudat aufwiesen; aber in diesem waren
nur sehr spärliche Bakterien vorhanden, so dafs sie zum Versuche
nicht hinreichten. Seit den ersten Versuchen Pfeiffers ist dieses
Verhalten für Cholera bekannt genug geworden. Bei Verwendung
des zweiten, viel virulenteren Typhusstammes, der, in zweiter
Generation aus der Galle einer Typhusleiche gezüchtet, haupt¬
sächlich zu den Versuchen benutzt wurde, ereignete sich dieses
Vorkommnis niemals, weder nach Anwendung grofser noch
Kleiner Kulturmengen. Die Virulenz betrug zu Beginn der
Versuche weniger als eine halbe Öse 20 stündiger Agarkultur.
Auf eine genaue Virulenzbestimmung wurde der zahlreichen
Tieropfer wegen, sowohl zu Anfang der Versuche, wie auch nach
vielfachen Tierpassagen, Verzicht geleistet, da dieselbe für den
beabsichtigten Zweck — Erlangung frischen, bakterienreichen
Exsudates — in keiner Weise erforderlich schien. Ebenso
wurden stets relativ grofse Kulturmengen, 1 Öse bis l / 4 Agar¬
kultur (selten mehr) intraperitoneal injiciert, d. h. soviel, um ein
Meerschweinchen bis zu 400 g Gewicht sicher binnen längstens
24 Stunden zu töten.
Digitized by
Google
316
Versuche Aber Typhusagglutinine und -Präcipitine.
Die Absicht der Versuche war auf die Gewinnung möglichst
frischen Peritonealexsudates gerichtet, und es war daher notwendig,
sofort nach dem erfolgten Tode des Tieres die Entnahme des¬
selben zu veranlassen. Abgesehen von dem eigenartigen Zustande
der >Exsudatbakterien«, der nicht allzulange vorhält, war dies
schon mit Rücksicht auf die Möglichkeit eines Durchwachsens
der Darrawand von Colonbakterien in der warmen Jahreszeit
dringend geboten. Deshalb wurde vielfach der natürliche Tod
der Versuchstiere gar nicht erst abgewartet, sondern dieselben
wurden in agone, zu einer Zeit, wo sie nicht mehr imstande
waren, sich, auf die Seite gelegt, aufzurichten, durch Aufschneiden
der Halsadern getötet. Das Exsudat wurde mit steriler Pipette,
aus der, mit den erforderlichen Vorsichtsmafsregeln eröffneten
Bauchhöhle entnommen. Der Menge nach wechselte es nicht
allzusehr: 2 ccm liefsen sich fast immer, mehr wie 5 ccm nur
selten gewinnen. Die Neigung desselben zu Gerinnung war
immer nur sehr gering und kurz dauerndes Schütteln oder
Schlagen mit einem dicken Platindraht genügte stets, um es
dauernd flüssig zu erhalten.
Wenn übrigens der Zweck des Versuches die Gewinnung
des reinen Exsudates nicht geradezu verlangte, so wurde auf
das mühsame, oft tropfenweise erfolgende Ansaugen verzichtet,
und die Bauchhöhle von vornherein mit physiologischer Koch¬
salzlösung, bisweilen auch mit keimfreiem destillierten Wasser
ausgespült. In der Regel konnten 20—30 ccm Flüssigkeit nach
und nach eingebracht, Därme und Organoberflächen damit ab¬
gespült und wieder aufgesaugt werden, ehe die geringe Trübung
eine Fortsetzung der Spülung als nicht mehr ergiebig genug er¬
scheinen liefs.
Enthielt das Exsudat gröfsere Mengen von Blut beigemischt,
so wurde es nicht verwendet; dies war nur sehr selten der Fall.
Sonst sind rote Blutkörperchen nur so spärlich aufgetreten, dafs
sie erst beim Centrifugieren als dünnste Fleckchen überhaupt
bemerklich wurden.
Immer wurden aus dem Exsudate direkt Kulturen (Ver¬
dünnung auf schrägen Agarröhrchen) angelegt und so die Rein-
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
317
heit geprüft. Das Verfahren reicht übrigens hier nicht aus, wie
ein zu Anfang der Versuchsreihe vorgekommener Fall, der Ver¬
unreinigung mit Bacterium coli commune, lehrte. Ein solches,
für eine dem Studium stärkerer oder schwächerer Agglutinierbar-
keit gewidmete Versuchsreihe höchst unangenehmes Ereignis
läfst sich am frühesten erkennen, wenn man eine volle Öse
Exsudats direkt in Bouillon impft und die Kultur sofort in den
Brutschrank einsetzt. Nach 3—5 Stunden ist die Trübung stark
genug, um einen Agglutinationsversuch mit Immunserum zu¬
zulassen, der dann sofort Aufschlufs über eine etwaige Verun¬
reinigung giebt.
Was die zunächst verwendeten, agglutinierenden Immunsera
betrifft, so waren sie ausschliefslich von Kaninchen durch intra¬
venöse Einspritzung von bei 60 n getöteten Agarkulturen gewonnen.
Erst in den späteren Versuchszeiten wurden auch die Sera von
auf andere Weise immunisierten Kaninchen sowie die von Hunden
in Verwendung genommen. Soweit die diesbezüglichen Erfahrungen
reichen, — genaue vergleichende Versuche wurden nicht angestellt,
— ist der Hund weit weniger als das Kaninchen befähigt, Ag¬
glutinin© in seinem Blute auszubilden. Es gelang auch durch oft
wiederholte Typhusinjektionen nicht, Hundesera mit einem Wir¬
kungswerte über 1 : 1000 zu erhalten, was bei Kaninchen oft
schon nach einer oder wenigen Einspritzungen erreicht wurde.
Was die Anstellung der Agglutinationsversuche betrifft, so
standen die üblichen beiden Methoden der mikroskopischen und
makroskopischen Beobachtung zur Verfügung. Beide wurden
meist gleichzeitig angewendet, so dafs die eine Beobachtungs¬
weise die andere kontrollierte. Doch brachte es die ganze Ver-
suchsanordung mit sich, dafs in den späteren Stadien der Ex¬
perimente immer mehr die makroskopische Methode in den
Vordergrund trat. Durch das für viele Experimente notwendige
Waschen von Bakterien auf der Centrifuge, durch Verwendung
grölserer Mengen Agarkultur u. dgl. kommt es oft zur Bildung
von falschen Häufchen (»pseudo-amas« der französischen Autoren),
die sich nicht zerschütteln lassen. Filtration durch dichtes Papier,
die übrigens sehr vielfach angewendet wurde, bedingt jedesmal
Digitized by
Google
318
Versuche über Tyiihusagglutinine und -Präcipitine.
grofse Verluste an Bakterienmaterial, ganz abgesehen davon, dafs
sie auch nicht vollständig hilft. Bei mikroskopischer Beobach¬
tung wirkt dies alles sehr störend, wenngleich reichliche Anfer¬
tigung von Kontrollpräparaten einigermafsen schützt. Das makro¬
skopisch sichtbare Eintreten der Agglutinationsreaktion wird da¬
gegen durch diese kleinen, falschen Haufenbildungen nicht be¬
einträchtigt, da sich dieselben nicht zu Boden setzen und überdies
das Entstehen der Flockenbildung unter Klärung der zwischen
den Flocken liegenden Flüssigkeit unter dem» Einflüsse eines
Immunserums so charakteristisch ist, dafs es kaum mit etwas
Anderem verwechselt werden kann.
Die schon in den ersten Arbeiten Grubers hervorgehobene,
allseitig bestätigte Thatsache, dafs/die mikroskopische Beobachtung
der makroskopischen an Empfindlichkeit weit überlegen sei, kam
bei den hochwertigen Seris, die in Verwendung genommen wurden,
nicht in Betracht.
Zur Ausführung der Reaktion wurden kleine, schmale Eprou¬
vetten, welche sich übersichtlicher aufstellen lassen als die sonst
für die Grube r-Wi dal sehe Reaktion vielfach beliebten Stand¬
gläschen verwendet. Mischung von gleichviel Tropfen Bakterien¬
aufschwemmung und Serum oder sonstiger Flüssigkeiten gestattet
die gleichzeitige Herstellung zahlreicher Proben mit verhältnis-
mäfsig geringen Mengen Materials.
Von Wichtigkeit ist weiterhin die Aufbewahrung der Ver¬
suchsproben (sowohl der Mischungen für die makroskopische,
als der hängenden Tropfen für die mikroskopische Beobachtung),
sowie die Zeitdauer der Versuche. Durchgehends wurde immer
bei 37° gearbeitet. Die hängenden Tropfen wurden sofort nach
ihrer Anfertigung in geeigneten Gestellen aus durchbrochenem
Eisenblech in den Brutschrank gestellt, nach bestimmten Zeit¬
abschnitten so rasch wie möglich durchmustert und wieder in
die erhöhte Temperatur zurückgebracht. Die Anfertigung oft
sehr zahlreicher hängender Tropfen mit den notwendigen Kon¬
trollen bedingt eine, oft recht beträchtliche Zeitungleichmäfsig-
keit, da naturgemäfs zwischen Fertigstellung des ersten und letzten
Präparates eine gewisse Zeit verfliefsen mufs. So kann es ge*
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
319
schehen, dafs die Bakterien des einen Präparates wohl eine Viertel¬
stunde länger der Serumwirkung ausgesetzt sind als die eines
zweiten. Da sich dieser Übelstand auch bei raschestem Arbeiten
nicht beseitigen läfst, so wurde wenigstens als Regel eingehalten,
dafs die Präparate, welche voraussichtlich die schwerer aggluti-
nierbaren Bakterien enthielten, zuerst angefertigt wurden und
dann erst die Kontrollpräparate. Die Zeit wurde vom Augen¬
blicke des Einsetzens in den Brutschrank an gerechnet.
Bei der makroskopischen Arbeitsweise fällt auch dieser Übel¬
stand viel weniger ins Gewicht, da der Zusatz der Bakterien¬
suspension zu den sonstigen, bereits fertiggestellten Mischungen
nur sehr wenig Zeit in Anspruch nimmt.
Was die Beobachtungsdauer betrifft, so konnte diese, schon
aus den im Versuche liegenden, später ( näher auszuführenden
Gründen, nicht allzusehr ausgedehnt werden. Aber auch sonst
dürfte sich bei Anstellung der Versuche bei Körpertemperatur
eine Ausdehnung der Beobachtung über 2 Stunden hinaus nicht
empfehlen. Die überaus zahlreichen Versuche mit allen mög¬
lichen Serumverdünnungen und sonstigen Körperflüssigkeiten
haben gelehrt, dafs wenn eine Haufenbilduug im hängenden
Tropfen bei 37° nach */ 2 Stunde nicht eingetreten ist, sie über¬
haupt ausbleibt oder jedenfalls nicht mehr als sicher beweisend
angesehen werden kann. Wohl aber kann es zweckmäfsig sein,
zum Studium besonderer Wachstumsverhältnisse unter dem Ein¬
flüsse eines agglutinierenden Serums, namentlich der in der vor¬
liegenden Versuchsreihe so oft beobachteten Pfau n dl ersehen
Fadenreaktion, die Präparate längere Zeit bei 37° zu belassen.
Was für die mikroskopische Beobachtung gilt, kann nicht ohne
weiteres auf die makroskopische im Reagenzglase übertragen
werden. Hier wird eine Haufenbildung thatsächlich oft erst
nach 2 Stunden und nach noch längerer Zeit erst deutlich.
Wenn trotzdem auch hier in der Regel der eigentliche Versuch
nach zweistündigem Aufenthalt bei 37° abgebrochen wurde, so
liegt der Grund hierfür teils in besonderen, erst später zu würdi¬
genden Verhältnissen, teils in der starken Wirkung der hier
meist konzentriert verwendeten Sera, welche in normalen Kontroll-
Digitized by
Google
320
Versuche (Iber Typhusagglutmine und -Präcipitine.
proben schon nach Verlauf von Minuten vollständige Aggluti¬
nation bewirkten.
Die Herstellung der Kontrollproben war von besonderer
Wichtigkeit. Im ersten Teile der Versuche, wo es sich darum
handelte, die Wirkung eines und desselben Immunserums einer¬
seits auf Typhusbakterien aus dem Peritonealexsudate von Meer¬
schweinchen, anderseits auf künstlich gezüchtete Kulturen zu
vergleichen, wurden dazu Impfungen in Bouillon benutzt. Das
Impfmaterial bildete dieselbe Agarkultur, welche auch zur In¬
fektion des betreffenden Versuchstieres diente. Dabei standen
die Proben ebensolange bei 37 0 als das Tier lebte, im ungefähren
Mittel also 20 Stunden. Sie wurden darauf ganz denselben
Manipulationen unterworfen, die sich für die Gewinnung und
Verarbeitung der Bakterien aus dem Meerschweinchenexsudate
als notwendig erwiesen, z. B. Centrifugieren, Waschungen u. dgl.
Später, als alle Versuche ohne Verwendung von Tieren vor-
genoramen werden konnten, dienten die gleichen, höchstens 18Stun-
den alten Agarkulturen sowohl zum Versuche, wie zur Kontrolle.
A. Versuche an tierischen, b&cillenreichen Exsudaten.
Den Ausgangspunkt aller weiteren Untersuchungen bildete
die Erscheinung, dafs Typhusbakterien aus dem Exsudate intra-
peritoneal inficierter Meerschweinchen viel weniger Neigung zeigen,
auf Zusatz eines Immunserums zu Haufen zusammenzutreten,
als gewöhnliche, etwa in Bouillon gezüchtete.
Von den ersten, mit dem sehr wenig virulenten, lange auf
künstlichen Nährböden gezüchteten »Typhus Prag« angestellten
Versuchen sei der folgende angeführt. Das dabei verwendete,
sehr hochwertige Immunserum stammte von einem, mit toten
Agarkulturen immunisierten Kaninchen.
Yersuch I.
Meerschweinchen 6, 240 g, erhalt 1 Agarkultur Typhus in 5 ccm Bouillon
intraperitoneal. Stirbt nachts. Aus der Bauchhöhle lassen sich ca. 4 ccm
trüben Exsudates mit relativ wenigen Zellen, aber sehr zahlreichen, mäfsig
beweglichen Bakterien entnehmen.
a) Mikroskopische Beobachtung. Das Exsudat wird ohne weiter ver¬
ändert zu sein, in hängenden Tropfen mit Seruinkocbsalzverdünnung 1 : 7500,
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
321
10000, 12 500, 15 000, 20 000, 30 000 versetzt. Ebenso eine gleichzeitig mit
der Tierimpfung angelegte Bouillonkultur. Beobachtung bei Zimmertemperatur.
Nach 7* Std. ist in allen Tropfen mit Bouillonkultur typische Aggluti¬
nation eingetreten, doch sind die Häufchen von der Verdünnung 1 : 15000 an
noch klein. Das Exsudat zeigt nur bei 1 : 7500 durch teilweise Immobili¬
sation einen Unterschied gegen die serumfreie Kontrollprobe.
Nach 7« Stunden: Unverändert.
Nach 1 Stunde: Alle Bouillonkulturproben typisch agglutiniert. Exsudat
unverändert, jedenfalls von 1 : 10 000 an keinerlei Serumwirkung.
Die Verhältnisse ändern sich weiterhin nicht mehr.
Hängende Tropfen mit Serumverdünnungen 1 : 1000 zeigten schon nach
7* Std. deutliche Serumwirkung, bestehend in Immobilisation, sowie später in
Bildung sehr grofser lockerer Haufen, unter denen aber noch überall freie,
z. T. bewegliche Bakterien vorhanden waren.
Das Resultat des Versuches war, dafs die Typhusbakterien im Exsudate
erst bei einer Serumverdünnung 1 : 1000 — 7500 beeinflufst wurden, während
das gleiche Serum Bouillonkultur noch bei 1 : 40 000 in typischer Weise
agglutinierte.
b) Makroskopische Beobachtung. Je 1 ccm verdünnten Exsudates bezw
Bouillonkultur erhält einen Zusatz von 0,2 ccm der Serumverdünnung 1 : 100,
1000, 5000. Versuch bei 37°.
Nach 7i Std. Bouillon : Agglutination bei Serum 1 : 100 und 1000 weit
vorgeschritten, bei 1 : 5000 undeutlicher Beginn. Exsudat: keine Serum¬
wirkung.
Nach 7* Std. Bouillon: Beendete oder weit vorgeschrittene Agglutination.
Exsudat: ohne Veränderung.
Nach 3 /i Std.: Bouillon völlig geklärt, Exsudat unverändert.
Nach 1 Std.: zeigt erst das Exsudat mit Serum 1 :100 schwach sichtbare
Häufchen.
Nach 17, Std. sind sie deutlicher geworden und auch Exsudat mit Serum
1: 1000 zeigt spurenweise ein Beginnen der Reaktion, das bei 1 : 5000 erst nach
2 Std. zu konstatieren ist. Erst nach 5 Std. ist die Reaktion in allen Proben
vollständig geworden.
Schon in diesem Versuche tritt die charakteristische Un¬
empfindlichkeit der Exsudatbakterien gegen die Agglutiuine des
Immunserums sehr deutlich hervor. Noch viel schöner tritt dies
bei dem folgenden Versuche mit dem frisch aus der Leiche ge¬
züchteten Typhusstamme hervor, mit dem dann alle weiteren
Experimente angestellt wurden.
Meerschweinchen 16. Erhält 19./I. 1901 2 Ösen Typhusagarkultur intra¬
peritoneal. Stirbt 20./I. 7 Uhr a. m. Aus der Bauchhöhle des noch warmen
Tieres lassen sich 5 ccm dicht trüben Exsudates mit zahllosen, inäfsig beweg¬
lichen Bakterien und wenig roten und teilweise zerfallenden weil'sen Blut¬
körperchen entnehmen.
Digitized by
Google
322 Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
Versuch n.
Es werden sofort hängende Tropfen mit dem frischen Exsudate und
Serumverdünnungen 1 : 100, 250, 500, 750, 1000. 2000, 3000, 4000, 5000 an
gelegt Kontrolle mit Bouillonkultur wie beim ersterwähnten Versuche. 37*.
Nach V 4 Std. Bouillonkulturen sämtlich vollständig agglutiniert. Exsudat mit
Serum Verdünnung 1:100: Massenhaft freie zum grofsenTeil bewegliche Bakterien.
Daneben aber auch Bildung ziemlich lockerer, grofser, in die Länge
gestreckter Haufen, die unmittelbar an der Unterseite des
Deckglases haften, während die tieferen Schichten des
Tropfens von freien Bakterien wimmeln Dasselbe Verhalten
zeigen die Präparate mit den Serumverdünnungen 1 : 250, 500 und teilweise
noch 1 : 750, von 1 : 1000 an fehlt jede Serumwirkung.
Nach */, Std. ebenso.
Nach 1 Stunde: Auch in den Exsudatproben 1 : 1000 und 2000 sind
die eigenartigen Haufen unter der Oberfläche aufgetreten, aber in viel
schwächerer Ausbildung. Weitere wesentliche Veränderungen treten nicht ein.
Versuch III.
Das gleiche Exsudat mit Verdünnungen desselben Serums 1 : 10, 20,
40, 60, 80 und mit reinem Serum. Kontrolle Boüillonkultur 1: 80.
Nach V 4 Std. Bouillonkultur vollständig agglutiniert. Exsudat mit reinem
Serum zeigt überall nur gröfsere und kleinere typische Haufen mit freien
Zwischenräumen, vollständige Agglutination. Ein ähnliches Bild liefert die
Serumverdünnung 1 : 10, doch finden sich hier schon freie, aber unbeweg¬
liche Bakterien in ziemlicher Zahl zwischen den Haufen. Die übrigen Serum¬
verdünnungen haben die vorhin beschriebenen langgestreckten Anhäufungen
an der Unterseite des Deckglases hervorgerufen, während in den tiefen
Flüssigkeitsschichten nur freie bewegliche Bakterien vorhanden sind.
Nach 1 Stunde. Nur das reine Serum und die Serumverdünnungen
1 : 10 und 1 : 20 haben vollständige Agglutination hervorgerufen, d. h. aufs er
den oberflächlichen grofsen, langgestreckten Anhäufungen zeigen auch die
tieferen Schichten vorwiegend kleinere und gröfsere typische Haufen, während
freie unbewegliche Bakterien in den Zwischenräumen an Menge zurücktreten.
Doch ist die Zahl dieser letzteren bei Serum 1 : 20 bereits eine ansehnliche.
Die übrigen Proben wie vorher.
Nach 2 Std. keine wesentliche Veränderung.
Bezeichnet man als vollständige Agglutination eine solche, bei
welcher die Bildung von fest zusammenschliefsenden Bakterien¬
haufen so überwiegt, dafs die von ihnen freigelassenen Zwischen¬
räume keine oder nur wenige, nicht zusammengeballte und jeden¬
falls keine beweglichen Bakterien mehr enthalten, so hat die
Wirkung des Serums, über 1 : 20 hinaus verdünnt, den Exsudat¬
bakterien gegenüber versagt. Da das verwendete Serum Bouillon-
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
323
kultureil vom Typhus bis 1: 10000 noch vollständig zu aggluti-
nieren vermochte, so war seine Wirkung gegen die im Tiere
gebildete Typhusgeneration etwa 400 mal schwächer. Jegliche
Haufenbildung im Exsudate blieb bei ca. 1 : 2000 bis 1 : 3000
Serumverdünnung aus, also auch dann noch ergibt sich eine
ca. 5 mal geringere Wirkung des Serums.
Immerhin ist aber die Wirkungslosigkeit des Immunserums
und die Nichtagglutinierbarkeit der Bakterien nur relativ. Denn
einerseits bringt reines und wenig verdünntes Serum eine voll¬
ständige Agglutination hervor und anderseits bewirken auch
stärkere Verdünnungen eine rudimentäre Haufenbildung. Diese
sieht allerdings etwas anders aus als diejenige, welche in
Bouillonkulturen eintritt. Erreicht man mit solchen in hängenden
Tropfen die Grenze der Serumwirkung, so entstehen die be¬
kannten Bilder der kleinen Häufchen neben beweglichen Bak¬
terien, oder wenn gröfsere Haufen entstehen, so enthalten sie
selbst noch mehr oder weniger mobile Stäbchen. Bei der un¬
vollständigen Agglutination aber, wie sie bei den Exsudatbakterien
eintritt, handelt es sich um sehr grofse, aufserordentlich in die
Länge gestreckte, untereinander vielfach verbundene Haufen
von unbeweglichen, ziemlich dicht gedrängten Zellen, die in
den oberflächlichsten Schichten des Tropfens eine Art Netzwerk
bilden, während in den tieferen Schichten jede durch Serumwirkung
veranlafste Zusammenballung vollständig fehlt. Der Umstand,
dafs diese sonderbare Erscheinung in gleicher Weise bei sehr
verschiedener Verdünnung des Serums (im vorliegenden Versuche
z. B. ebenso bei 1 : 50 wie bei 1 . 500) auftritt, weist jedenfalls
darauf hin, dafs es sich dabei nicht um eine Grenzwirkung des
Serums handeln kann.
An dem abweichenden Verhalten der Exsudatbakterien der
Wirkung des Typhus-Immunserums gegenüber könnten äufsere
Verhältnisse Schuld sein. Thatsächlich stellte sich zunächst bei
allen Versuchen heraus, dafs das Exsudat der mit so reichlichen
Mengen Typhuskultur geimpften Meerschweinchen in dem gleichen
Flüssigkeitsquantum sehr viel mehr Bakterien enthielt als die
entsprechende gleich alte Bouillonkultur. Durch entsprechende
Archiv für Hygiene. Bd. XLII. 2^
Digitized by
Google
324 Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
Verdünnung des Exsudates liefs sich diese Ungleichmäfsigkeit
beseitigen.
Yersuch IY.
Exsudat von demselben Meerschweinchen wie auf S. 321 wird im Ver¬
hältnisse 1 : 25 mit physiologischer NaCl-Lösung verdünnt. Im mikrosko¬
pischen Präparate zeigt es sich, dafs darnach im hängenden Tropfen weniger
Bakterien vorhanden sind als in der unverdünnten Bouillonkultur. Es werden
Präparate mit Serumverdünnung 1 : 100, 250, 500, 750, 1000, 3000 und 5000
angelegt. 37 °.
Nach l / 4 Std. Alle Bouillonpräparate in vollständiger, starrer Aggluti¬
nation. Exsudat : In den Verdünnungen bis 1 : 500 vielfach, aber nicht
durchgehends Immobilisation, aber keine Haufenbildung. Von 1 : 750 an
fehlt jede Serumwirkung.
Nach 72 Std. unverändert.
Nach 1 Std. Bouillonpräparate w r ie vorher. Exsudatverdünnung mit Serum
1 : 100: Fast vollständige Immobilisation, sehr kleine Häufchen in geringer
Zahl. Das Bild ist das einer Endreaktion bei der Gruber-Widalschen Probe.
Exsudatverdünnung mit Serum 1 : 250: Sehr wenige kleine Häufchen, sehr
viele Bakterien beweglich. Die übrigen Proben enthalten nur freie, bei
1 : 500 noch zum kleinen Teil unbewegliche, sonst wimmelnde Bakterien.
Nach 2 Std. keine wesentliche Veränderung.
Versuch Y.
Meerschweinchen 17, mit 1 Öse Agarkultur intraperitoneal inficiert, nach
16 Std. gestorben. Aus der Bauchhöhle des noch warmen Tieres lassen sich
3 ccm trüben Exsudates entnehmen. Danach wird die Bauchhöhle nach und
nach mit 20 ccm physiologischer NaCl-Lösung ausgespült, das noch stark
trübe Spülwasser durch dichtes Fliefspapier filtriert und zu hängenden Tropfen
mit reinem Serum und Verdünnungen desselben 1 ; 10, 25, 50, 75, 100, 500.
1000 verarbeitet. Kontrolle mit Bouillonkultur und Serumverdünnungen
1 : 100, 1000, 5000, 6000. 37°.
Nach V 4 Std. Bouillonkultur mit Serum 1 : 100 vollständige Agglutination
mit grofsen, 1 : 1000 mit kleinen Haufen, 1 : 5000 sehr unvollständige, 1 : 6000
keine Agglutination. Spülwasser mit reinem Serum und Verdünnung 1 : 10
Immobilisation, keine Häufchenbildung. Die übrigen Präparate enthalten
meist bewegliche Bakterien.
Nach '/j Std: Bouillonkultur durch alle Serumverdünnungeu vollständig
agglutiniert bis auf 1 : 6000, wo noch viele freie, aber unbewegliche Bakterien
vorhanden sind. Spülwasser mit reinem Serum: Häufchen von 5—10 Indi¬
viduen, daneben freie, unbewegliche Bakterien in grofser Zahl. Ähnlich, aber
mit noch spärlicheren Zusammenlagerungen bei Verdünnung 1 : 10 und 1 : 25.
Bei 1 : 50 tritt bereits an vielen Individuen eine träge Beweglichkeit auf;
von 1 : 100 au keine Beeinflussung durch das Serum mehr.
Nach 1 Std. hat die Haufenbildung durch die Serumverdünnuugen bis
1 : 50 weitere Fortschritte gemacht, doch treten schon bei 1 : 50 viele beweg¬
liche auf, die in den stärkeren Verdünnungen das Gesichtsfeld völlig be¬
herrschen.
Digitized by v^.ooQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
325
Nach 2 Stunden: Agglutination im Spülwasser ziemlich vollständig bis zur
Serumverdünnung 1 : 25, von da an alles von frei beweglichen Bakterien
wimmelnd
Nach 5 Std. ist überall Vermehrung festzustellen und zwar in den Spül¬
wasserpräparaten mit Serumverdünnungen bis 1 : 75 mit ausgesprochenem
Pf a u n dl er sehen Phänomen.
Die angeführten Versuche zeigen bereits deutlich, dafs die
gröfsere Zahl der Bacillen im Exsudate das Versagen der Serum-
vvirkung nicht erklären kann. Es geht aber daraus auch hervor,
dafs bei starker Verdünnung die Bildung der oberflächlichen, an
der Unterseite des Deckglases haftenden langgestreckten Haufen
entweder vollständig ausbleibt oder, wie in anderen Versuchen,
doch wesentlich schwächer ist, wie im unverdünnten Exsudate,
wo sie niemals fehlte.
Es wäre nun daran zu denken, dafs diese merkwürdige An¬
ordnung der Bakterien durch Gerinnen des Exsudates veranlafst
werde. Das Aussehen dieser Haufen würde allerdings einige
Ähnlichkeit mit Zusammenballungen von Bakterien darbieten,
die etwa durch Fibrinfäden zusammengehalten werden. Damit
würde übereinstimmen, dafs diese Haufenbildung im verdünnten
Exsudate ausbleibt. Nun ist allerdings von einer eigentlichen
Gerinnung des Exsudates in der Regel nichts zu bemerken, aber
es wäre immerhin möglich, dafs in der kleinen Flüssigkeitsmenge
des hängenden Tropfens physikalische Verhältnisse herrschen, die
eine volle Wirkung des Serums nicht zulassen. Dafs aber die
blofse Gerinnung weder die Nichtagglutinierbarkeit der Exsudat¬
bakterien noch die Bildung der oberflächlichen Haufen erklärt,
beweisen jene seltenen Fälle, wo auch im verdünnten Exsudate,
bezw. im Spülwasser, aus der Bauchhöhle noch eine makro¬
skopisch sichtbare Gerinnung eintrat und die Agglutination vor
und nach Beseitigung derselben beobachtet wurde.
Versuch VI.
Meerschweinchen 19 war noch intraperitonealer Infektion mit */ 4 Öse
Agarkultur binnen 18 Std. gestorben. Aus der Bauchhöhle liefsen sich 3 ccm
dicht trüben Exsudates entnehmen, dessen Bakterien nach Filtration durch
Fliefspapier durch Immunserum (das gleiche wie im Versuch V) nur bis zur
Verdünnung 1: 10 vollständig, bei 1 : 50 bereits ganz unvollständig agglutiniert
wurden. Die Bauchhöhle wurde mit 20 ccm physiologischer Kochsalzlösung
22 •
Digitized by
Google
•526 Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
auegespiilt, das trübe Spülwasser durch Papier filtriert und das Filtrat mit
reinem Serum und den Verdünnungen 1 : 10, 25, 50, 100, 500 versetzt. Kon¬
trolle mit Bouillonkultur in der bisherigen Weise. 37°.
Nach V 4 Std. sind alle Proben mit Bouillonkultur vollständig agglutiniert.
Spülwasserfiltrat mit reinem Serum zeigt fast- durchgehende Immobilisation
mit Bildung weniger, kleiner Häufchen. Verdünnung 1 : 10 hat nur einen
Teil der Bakterien unbeweglich machen können, sonst fehlt jede Serumwirkung.
Nach 1 Std. ist im Spülwasser mit konzentriertem Serum ziemlich voll¬
ständige Agglutination eingetreten, bei 1 : 10 ist die Zahl der meist sehr
kleinen Häufchen sehr gering, nur wenig Serumwirkung ist bei 1 : 25 zu sehen.
Nach 2 Stunden kann man im reinen und 1 : 10 verdünnten Serum
von vollständiger, bei 1 : 25 von unvollständiger Agglutination sprechen, die
übrigen Proben lassen eine Serumwirkung nicht erkennen.
Während der Beobachtung der hängenden Tropfen war das bei Zimmer¬
temperatur aufbewahrte Spülwasser durch Gerinnung zu einer zitternden,
gallertigen Masse erstarrt. Durch Schlagen mit einem starken Platindraht
werden aus derselben grofse Mengen am Drahte anhaftender viscöser Sub¬
stanz entfernt; dann wird noch heftig geschüttelt und neuerdings durch
Papier filtriert. Das viel weniger wie beim ersten Versuche trübe Filtrat wird
im hängenden Tropfen mit reinem Serum und den Verdünnungen 1 : 20, 25,
50 und 100 versetzt. 37°.
Nach 1 \ Std. hat das reine Serum die meisten Bakterien, noch ohne
Haufenbildung immbilisiert; in 1 : 10 sind noch viele Stäbchen beweglich, in
den übrigen Proben ist nichts von einer Serumwirkung zu beobachten.
Nach 1 Stunde. Im reinen Serum durchwegs Immobilisation mit Bildung
von kleinen Häufchen, die auch bei Verdünnung 1 : 10 im schwächeren
Grade vorhanden sind, in den übrigen Proben fehlen.
Nach 2 Stunden ist im reinen und 1 : 10 verdünnten Serum ziemlich
vollständige Agglutination eiugetreten, die übrigen Proben sind unbeeinflusst
geblieben.
Es können somit nicht die physikalischen Verhältnisse des
Exsudates sein, welche die Wirkungslosigkeit des agglutinierenden
Immunserums erklären. Jedenfalls ist auch bei der Bildung der
oberflächlichen Haufen im unverdünnten Exsudate die etwaige
Gerinnung nicht direkt beteiligt. Das zeigt sich übrigens am
deutlichsten bei der makroskopischen Beobachtungsmethode, wo
eine etwa doch auftretende Gerinnung nicht unbemerkt bleiben
kann.
Versuch VII.
Das nach dem Gerinnen zerschüttelte, somit 2 mal filtrierte Spülwasser
des Versuches VI wird zu je 1 ccm mit je 0,25 ccm reinen sowie 1 : 10, 25,
50, 75, 100, 500 verdünnten Serums versetzt. Kontrolle mit auf den gleichen
Trübungsgrad gebrachter Bouillonkultur. 37°.
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
327
Nach */* Std. sind die Bouillonen mit reinem Serum and den Verdünnungen
1 : 10 — 1 : 75 fast ganz geklärt, die übrigen mit schönen, aber noch nicht
vollständig abgesetzten Flocken. Alle Exsudatproben sind gleichmftfsig trüb.
'Nach 1 Std. ist die Agglutination in den Bouillonkulturen durchweg
vollendet, im Spülwasser fehlt sie ganz.
Nach 2 Std. beginnt nur im reinen Serum eine schwache Flockenbildung,
die übrigen Proben sind gleichmäfsig trüb.
Ohne vorläufig auf den Mechanismus der Ausbildung der
grolsen oberflächlichen Haufen im Exsudate näher einzugehen,
möge nunmehr die Frage beantwortet werden, auf welchen An¬
teil des Typhusexsudates die relative Unwirksamkeit des Immun¬
serums zurückzuführen wäre. Es wäre möglich, dafs der Exsudat¬
flüssigkeit selbst eine antiagglutinative Fähigkeit zukäme. Die
im Exsudate angesammelten Zellen sind natürlich ohne Einflufs,
wie schon daraus hervorgeht, dafs man dieselben, wenigstens
der grölsten Mehrzahl nach, durch Filtration entfernen kann,
ohne dadurch irgend etwas zu ändern. Viel Wahrscheinlichkeit
besitzt diese Annahme allerdings von vornherein nicht, da aus
den bereits mitgeteilten Versuchen bereits hervorgeht, dafs starke
Verdünnung des Exsudates die Wirkung des Immunserums in
keiner Weise deutlicher hervortreten läfst.
Weiterhin könnte die Ursache des Nichteintretens der
Agglutination in den Bakterien selbst liegen. Dafür würde ein¬
mal die Beobachtung des Ausbleibens oder doch nur rudimen¬
tären Auftretens der Haulenbildung im aktiv oder passiv im¬
munisierten Tiere sprechen, dann aber auch das Weiterbestehen
der Nichtagglutinierbarkeit der Bakterien nach Verdünnung des
Exsudates.
Die endgültige Entscheidung war leicht zu treffen, sobald
es gelang, die Bakterien eines Exsudates aus diesem zu ent¬
fernen, von den anhaftenden Resten tierischer Flüssigkeit zu
befreien und nun ihr Verhalten in einem indifferenten Medium
gegen die Agglutination des Immunserums zu studieren. Dies
läfst sich durch Centrifugieren des Exsudates leicht erreichen.
Allerdings gelangen dabei nicht nur die Typhusbakterien, sondern
auch alle anderen geformten Elemente des Exsudates in den
beim Centrifugieren gebildeten Bodensatz. Ein Teil dieser kann
Digitized by
Google
328
Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
durch vorhergehende Filtration mittels dichten Filtrierpapiers
entfernt werden, aber auch die durchs Filter gegangenen Zellen
lassen sich dann noch beseitigen, wenn man den Bodensatz
mit destilliertem Wasser bei 37° eine kurze Zeit lang behan¬
delt. Dabei lösen sich rote Blutkörperchen auf, ihre Stroma,
sowie die nebenbei noch vorhandenen farblosen Blutzellen quellen
so auf, dafs sie bei einer weiteren Filtration nunmehr mit ziem¬
licher Sicherheit zurückgehalten werden. Freilich sind diese
Manipulationen auch mit einem bedeutenden Verluste an Bak¬
terien verbunden; dieser Übelstand läfst sich aber nicht ver¬
meiden und wird dadurch wieder einigermafsen gut gemacht,
dafs man es in der Hand hat, die durch das Filter gegangenen
Bakterien neuerdings durch Oentrifugieren zu konzentrieren, und
dann durch Einträgen von gröfseren oder kleineren Flüssigkeits¬
mengen sich Aufschwemmungen von der jeweils erforderlichen
Dichte zu bereiten.
Es wurde daher das aus der Bauchhöhle typhusinficierter
Meerschweinchen gewonnene Exsudat sofort filtriert, centrifugiert,
der Satz in destilliertem Wasser bei 37 0 aufgeschwemmt, neuer¬
dings filtriert und centrifugiert und die danach ziemlich rein
erhaltenen Bakterien, eventuell nach nochmaliger Waschung mit
physiologischer Kochsalzlösung entweder in dieser oder in steriler
Bouillon aufgeschwemint. War die Erlangung reinen, konzen¬
trierten Exsudates nicht notwendig, so wurden in die Bauch¬
höhle des eben gestorbenen oder in agone getöteten Tieres sofort
physiologische Kochsalzlösung oder auch steriles destilliertes
Wasser eingegossen, und die erlangte trübe Flüssigkeit in gleicher
Weise weiter verarbeitet. Namentlich nach dieser letzteren
Methode erhält man ohne Mühe so grofsc Mengen von Bakterien
von einem einzigen Tiere, dafs sie zu allen notwendigen Ver¬
suchen ausreichen.
Es zeigte sich nun sogleich, dafs das Versagen der Serum¬
wirkung in einem besonderen Zustande der Bakterien des Typhus
exsudates seinen Grund haben müsse.
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
329
Versuch VIII.
Meerschweinchen 23 war nach intraperitonealer Infektion mit 1 Öse
Typhusagarkultur nach 14 Std. gestorben. Aus der sofort eröffneten Bauch¬
höhle lassen sich 7 ccm dicht trüben Exsudates entnehmen, das nach Defi-
brinieren mit dem Platinstabe filtriert und centrifugiert wird. Die schwach
gelbliche, klare Exsudatflüssigkeit wird abgegossen, der Bodensatz in destil¬
liertem Wasser von 37° aufgeschwemmt und darin ca. 1 / i Std. im Brutschrank
belassen. Hierauf wird neuerdings filtriert, centrifugiert, abgegossen und
der aus Bakterien bestehende Satz in physiologischer Kochsalzlösung auf¬
geschwemmt. In gleicher Weise werden auch 2 Bouillonkulturen (von je
5 ccm Flüssigkeit), die wie bisher immer angelegt waren, filtriert, centrifugiert,
mit destilliertem Wasser behandelt etc.
Die Präparate wurden in der Weise angefertigt, dafs je ein Tröpfchen
Bakteriensuspension aus deni Typhusexsudate, steriler Bouillon und Serum¬
verdünnung in der einen, je ein Tröpfchen Bakteriensuspension aus Bouillon¬
kultur, Exsudatflüssigkeit und Serumverdünnung in der zweiten Reihe auf
dem Deckglase gemischt und zum hängenden Tropfen verarbeitet wurden.
Das zum Versuche verwendete Serum agglutinierte Kulturtyphus bis 1 : 5000
und kam in den Verdünnungen 1 : 10, 25, 50, 100 und 1000 zur Ver¬
wendung. 37°.
Nach */ 4 Std. sind sämtliche Bakterien aus den Bouillonkulturen in meist
grofsen Haufen agglutiniert. Sämtliche Exsudatbakterien sind frei und nur
durch die Serumverdünnung 1 : 10 teilweise gelähmt.
Nach 1 Std. Nur in der Serum Verdünnung 1 : 10 finden sich neben
durchgreifender Immobilisation kleine Häufchen.
$ach 2 Std. In der Serumverdünnung 1 : 10 sind alle Exsudatbakterieu
unbeweglich und vielfach zu kleinen Haufen von wenigen Individuen vereint.
Ungefähr das gleiche Bild bietet die Serumverdünnung 1 : 25. Alle anderen
Proben sind ohne jede Serumwirkung geblieben. Die Bouillonbakterien be¬
harren wie vorher in vollständiger Agglutination.
Versuch IX.
Dieselbe sehr dichten Suspensionen von Exsudat und Bouillontyphus¬
bakterien werden zu je 10 Tropfen je % ccm Serum Verdünnung 1 : 1000
zugesetzt. 37 °.
Nach l / 2 Stunde sind alle Bouillonbakterien zu groben Flocken vereinigt
und teilweise schon abgesetzt Die Exsudatbakterien trüben gleichmäfsig.
Nach 1 Stunde sind die Flüssigkeiten mit den Bouillonbakterien völlig
geklärt, die Exsudatbakterien nicht beeinflufst.
Nach 2 und 3 Std. der gleiche Befund.
Versuch X.
Meerschweinchen 24 war nach Infektion mit 1 Öse Typhusagarkultur
noch 10 Std. agonisierend und wurde durch Aufschneiden der Halsadern
getötet. Die Bauchhöhle wird sofort mit destilliertem Wasser von 37° aus¬
gespült, das Spülwasser (ca. 20 ccm filtriert und centrifugiret. Vom Boden¬
sätze wird abgegossen, derselbe nochmals in destilliertem Wasser auf-
Digitized by
Google
330
Versuche Ober Typhusagg.utinine und -Präcipitine.
geschwemmt, filtriert und wieder centrifugiert. Der schliefslich erhaltene
8atz wird in physiologischer NaCl-Lösung aufgeschwemmt In gleicher Weise
werden 2 Bouillonkulturen behandelt. Hängende Tropfen, wie bei Versuch VIII,
werden mit reinem Serum und den Verdünnungen 1 : 10, 25, 50, 100, 500
und 1000 angelegt. 37°.
Nach x / 4 Std. sind alle Bouillonbakterien typisch agglutiniert, alle Exsudat¬
bakterien frei; dabei aber unbeweglich im reinen und im 1 : 10 verdünnten
Serum.
Nach 1 Std. sind die Exsudatbakterien im reinen und 1 : 10 verdünnten
Serum vielfach zu kleinen, individuenarmen Häufchen zusammengeballt, die
bereits viel spärlicher bei 1 : 25 auftreten, aber auch bei 1 : 50 noch nicht
ganz fehlen. Von da an keinerlei Serumwirkung mehr sichtbar.
Nach 2 Std. wesentlich unverändert, im reinen Serum zeigt sich
Pfaundlersches Phänomen.
Versiicli XL
Die gleichen, gewaschenen Bakterien werden zu je 10 Tropfen in je
'/, ccm einer Serum Verdünnung 1 : 100 gebracht. 37°.
Nach 7a Std. sind die Bouillonbakterien vollständig agglutiniert, die
Exsudatbakterien trüben gleichinäfsig.
Nach 1, 2 und 3 Std. ist bei den Exsudatbakterien nirgends eine Haufen¬
bildung zu konstatieren.
Der Ausfall der Versuche läfst nicht daran zweifeln, dafs
der Grund der Nichtagglutinierbarkeit in einem besonderen
Zustande der Bakterien im tierischen Exsudate gesucht werden
müsse.
Nebenbei sei darauf aufmerksam gemacht, dafs sich die
Typhusbakterien aus den Exsudaten der beiden Meerschwein¬
chen 23 und 24 zwar im Vergleich zu Bouillonbakterien quali¬
tativ gegenüber der Wirkung eines und desselben Serums iden¬
tisch verhielten, dafs aber geringe quantitative Unterschiede
nicht zu verkennen sind. Denn ganz entschieden erwies sich
das Serum gegen die Bakterien aus dem Exsudate von Nr. 24
etwas wirksamer. Derartige kleine quantitative Differenzen, die
natürlich an der Bedeutung des Gesamtbefundes nichts ändern,
wurden mehrfach beobachtet.
Die Ursache der Wirkungslosigkeit des Typhus-Immunserums
konnte nur eine zweifache sein. Entweder sind die Agglutinine
desselben überhaupt nicht imstande, die Exsudatbakterien anzu¬
greifen; dann dürfen sie auch durch Berührung mit denselben
nicht aufgebraucht, nicht gebunden werden. Oder aber, es ist
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Rail.
331
die Wirkungslosigkeit des Immunserums nur eine scheinbare;
dann müfsten die Bakterien eine ungewöhnlich starke Bindungs¬
fähigkeit für Agglutinine besitzen, so dafs die Anwesenheit einiger
weniger Bakterien genügen würde, um die Wirksamkeit des
Serums zu erschöpfen, wonach natürlich dann alle anderen Bak¬
terien unbeeinflufst bleiben würden. Für die letztere Möglichkeit
schien namentlich das Auftreten der eigentümlichen Haufen-
bildungen im reinen Exsudate zu sprechen.
Aufschlufs konnten naturgemäfs nur Bindungsversuche geben,
die ja überhaupt für den Nachweis und das Studium der von
der modernen Immunitätslehre geforderten hypothetischen Stoffe
von so hoher Bedeutung geworden sind.
Versuch XI a.
Meerschweinchen 27 nach Injektion von */ 4 Typhusagarkultur nach
12 Std. in agone. Wird durch Aufschneiden der Halsadern getötet, die Bauch¬
höhle mit 20 ccm destillierten Wassers ausgespült. Das Spülwasser wird
filtriert, centrifugiert, nochmals mit Wasser aufgeschwemmt, filtriert und
centrifugiert. Der Bodensatz wird in physiologischer Kochsalzlösung auf¬
geschwemmt. Die Prüfung der Agglutinationsfähigkeit der so erhaltenen
Exsudatbakterien und in gleicher Weise behandelter Bouillonbakterien er¬
folgte im hängenden Tropfen mit reinem und 1 : 10, 25, 50, 100, 500 und
1000 verdünntem Serum vom ungefähren Wirkungswerte 1 : 10000. 37°.
Nach V 4 Std. sind alle Proben mit Bouillonbakterien vollständig agglu-
tiniert. Exsudatbakterien zeigen in reinem Serum Immobilisation ohne
Häufchenbildung, in der Verdünnung 1 : 10 nur teilweise Unbeweglichkeit.
Nach 1 Std. sind die Exsudatbakterien im reinen Serum fast durchaus,
in der Verdünnung 1 : 10 zum kleineren Teil zu Häufchen vereint; in allen
anderen Proben fehlen Haufenbildungen, doch ist bis zur Verdünnung 1 : 50
vielfach Immobilisation zu finden.
Nach 2 Stunden herrscht im reinen Serum vollständige Agglutination,
in der Verdünnung 1 :10 finden sich kleine Häufchen neben vielen einzelnen,
anbeweglichen Stäbchen, auch bei 1 :25 noch spärliche Häufchen. Die
übrigen Präparate sind von wimmelnden Bakterien erfüllt.
Die Aufschwemmung der gewaschenen Exsudat- und Bouillonbakterien
wird in der Menge von 5, 10, 15, 20 Tropfen zu je 0,5 ccm einer Serum¬
verdünnung 1 : 800 zugesetzt. 37°. Schon nach 1 / 4 Std. sind alle Bouillon-
bakterien zu groben Flocken vereinigt, die sich nach s / 4 Std. unter vollständiger
Klärung der Flüssigkeit abgesetzt haben. Die Exsudatbakterien trüben um
diese Zeit und auch noch nach 3stünd. Aufenthalt bei 37° vollkommen
gleichmäfsig.
Nach dieser Zeit wurdeD sämtliche Proben centrifugiert, die obenstehenden
klaren Flüssigkeiten werden abgegossen und mit Bouillonkultur zu hängenden
Tropfen verarbeitet.
Digitized by v^.ooQle
332
Versuche über Tvphusagglutinine und -Präcipitine.
Nach V* Std. ist in allen Proben, bei denen die Serumverdünnung Ex*
sudatbakterien enthalten hatte, vollständige Agglutination ein¬
getreten; von den Proben, denen Bouillonbakterien zugesetzt gewesen
waren, haben nur die mit den geringsten Zusätzen (5 und 10 Tropfen) kleine
Häufchen bilden können.
Nach 1 Std. finden sich in den Serumproben, auf welche 5 und 10 Tropfen
Rouillonbakteriensuspension gewirkt hatten, kleine Häufchen neben beweg¬
lichen Bakterien, die mit 15 und 20 Tropfen sind völlig wirkungslos geworden.
Alle Präparate, die mit Serum angefertigt sind, auf welches Exsudatbakterien
gewirkt hatten, zeigen vollständige, starre Agglutination.
Der übrig gebliebene Rest, der durch Centrifugieren wiedergewonnemn
Sera wird in schmale Eprouvetten gefüllt und jedes Röhrchen mit 15 Tropfen
trüber Typhusbouillon versetzt. 37°.
Nach 1 Std. sind alle Bakterien der Serumproben, die früher Exsudat-
bakterien erhalten hatten, zu groben Flocken vereinigt, die Serumproben,
welche dem Einflüsse von Bouillonbakterien ausgesetzt gewesen waren, sind
gleichmäfsig trüb.
Nach 2 Std. ist die Agglutination der ersteren Serie überall beendet, die
zweite Serie ist gleichmäfsig trüb.
Plattenkulturen der Aufschwemmungen (hergestellt durch Einträgen von
1 Tropfen Aufschwemmung in 5 ccm physiologischer Kochsalzlösung, davon
1 Öse zur Platte verarbeitet) ergaben für Exsudatbakterien 24300, für Bouillon¬
bakterien 17 200 Kolonien.
Yersuch XII.
Meerschweinchen 80 stirbt nach Impfung mit 1 / 4 Typhusagarkultur in
weniger wie 24 Std. Die Bauchhöhle wird mit 25 ccm physiologischer NaCl-
Lösung ausgespült, das trübe Spülwasser durch Papier filtriert und centri-
fugiert. Der Bodensatz wird in der gewöhnlichen Weise mit destilliertem
Wasser bei 37® behandelt, abermals filtriert und centrifugiert. Der schliefs-
lich erhaltene Bodensatz wird wie der von 2 in gleicher Weise behandelten
Bouillonkulturen in wenig physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt.
Der Bindungsversuch erfolgt in der Weise, dafs zu je 5 Tropfen der Ver¬
dünnung 1 : 50 und 1 : 100 eines bis 1 : 12500 wirksamen Kaninchenserums
tropfenweise die Aufschwemmungen der tierischen und der Kulturbakterien
bei 37° zugesetzt werden. Dabei erfolgt jedesmal bei Zusatz der letzteren
prompte Agglutination, während die ersteren andauernd trüben. Der Zusatz
wird so lange fortgesetzt, bis auch die Bouillonbakterien nicht mehr agglu-
tiniert werden, und die Flüssigkeit neben den starken agglutinierten Flocken
des Bodensatzes noch eine bleibende Trübung aus freien Typhusbakterien
aufweist. Dazu waren nötig für 5 Tropfen Serum 1 50 im ganzen 27 Tropfen
Aufschwemmung von Bouillon bezw. Exsudatbakterien, für 5 Tropfen Serum
1 : 100 16 Tropfen der betreffenden Suspensionen. Darauf.wurde centrifugiert
und mit den überstehenden klaren Flüssigkeiten wurden hängende Tropfen
mit empfindlicher Typhusbouillonkultur angelegt.
Digitized by v^.ooQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Rail.
333
Schon nach V» Std. bei 37° hatten alle Proben, welche vorher Exsudat-
oakterien erhalten hatten, vollständige Agglutination erzeugt, in den anderen
war jetzt und auch noch nach weiteren 2 Std. die Beweglichkeit ungehemmt.
Weiter wurden je 10 Tropfen der abcentrifugierten klaren Flüssigkeiten
mit einer Aufschwemmung gewaschener Bouillonbakterien in engen Eprou¬
vetten versetzt. 37 ®.
Nach Va Std. hatten sich in den Serumverdünnungen, die der Ein¬
wirkung von Exsudatbakterien ausgesetzt gewesen waren, grobe Flocken ge¬
bildet, die nach einer weiteren halben Stunde unter völliger Klärung der
Flüssigkeit zu Boden gesunken waren, während alle anderen Proben auch
nach 3 Std. gleichmäfsig trüb blieben.
Das Ergebnis dieser Versuche ist ein vollkommen ein¬
deutiges. Die Typhusbakterien im Meerschweinchenexsudate
sind inagglutinabel, weil die Agglutinine eines Immunserums
nicht imstande sind, sie anzugreifen. Die Bindung der Aggluti¬
nine an die Bakterienzellen bleibt vollständig aus.
Dieser Befund schien in besterWeise mit der bereits in der
Einleitung gewürdigten Thatsache des Nichtauftretens der Haufen¬
bildung im Körper aktiv oder passiv immunisierter Tiere über¬
einzustimmen. Auch hier könne eine Agglutination nicht ein-
treten, nicht etwa deshalb, weil das Immunserum im lebenden
Tierkörper anders wirkt als aufserhalb desselben in vitro, sondern
deshalb, weil die Bakterien selbst die Eigenschaft erlangen, der
agglutinierenden Serumkomponente zu widerstehen. Da aber
das Immunserum, wie später zu zeigen sein wird, auch gegen
diese inagglutinablen Bakterien ebenso schützt, wie gegen ge¬
wöhnliche Kulturen von Typhus, so schien der in diesem Stadium
der Versuchsreihe gezogene Schlufs berechtigt, dafs das Aggluti¬
nationsphänomen nur eine sehr geringe Bedeutung für die Er¬
klärung des Wesens der Typhusimmunität besitzen könne 1 ).
Nun besitzen aber die einem Meerschweinchen intraperitoneal
beigebrachten Typhusbakterien die Eigenschaft der Nichtaggluti-
nierbarkeit nicht von vornherein. Sie müssen sie vielmehr erst
in jenen Generationen erlangen, welche in der Bauchhöhle des
inficierten Tieres erzeugt werden. Den Zeitpunkt, in welchem
1) Prager inediz. Wochenschrift, 1901, Nr. 7.
Digitized by
Google
334 Versuche Ober Typhusagglutinine und -Präcipitine.
dies geschieht, kann man leicht feststellen, wenn man Exsudat¬
proben von Zeit zu Zeit mittels Glaskapillaren entnimmt und
mit Typhusserum prüft. Dafs die Nichtagglutinierbarkeit bereits
im noch lebenden Tiere vorhanden ist, beweisen einige sehr früh¬
zeitig angestellte Versuche, wo das Exsudat des bereits schwer
kranken Meerschweinchens untersucht wurde.
Yersuch XIII.
Meerschweinchen 18 ist nach intraperitonealer Infektion mit 1 Öse
Typhusagarkultur nach 14 Std. schwer krank Dem Tiere wird mit Glas¬
kapillaren Exsudat entnommen und dasselbe sofort mit reinem, sowie 1 : 10,
25, 50, 75, 100, 500, 1000, 2500 verdünntem Serum zu hängenden Tropfen
verarbeitet. Um die dazu hinreichende Menge Exsudats zu erhalten, waren
3 Entnahmen notwendig. Kontrolle mit in gewöhnlicher Weise hergestelltor
Typhusbouillonkultur und Serum 1 : 500, 1000, 2500 und 5000.
Nach l / 4 Std. sind alle Bouillon proben agglutiniert. doch sind die Häuf
chen bei Serum 1 : 2500 und 5000 erst sehr klein.
Exsudat mit reinem Serum zeigt die Bakterien immobilisiert, aber ohne
Haufenbildung. Diese fehlt auch in den übrigen Präparaten.
Nach 1 Std. Alle Bouillonproben agglutiniert.
Exsudat mit reinem Serum zeigt grofse, oberflächliche Haufen, darunter
einzelne, aber immobilisierte Bakterien und spärliche kleine Häufchen.
Ähnlich, aber schwächer ausgebildet, bei 1 : 10. Die Verdünnungen
1 : 25 und 1 : 50 zeigen durchaus Immobilisation, aber keine Haufenbildung.
Alle übrigen Präparate bieten keinen Unterschied gegen die serumfreie Kon
trolle dar, in welcher diesmal die Beweglichkeit der Bakterien auch nur
gering ist.
Nach 2 Std. Reines Serum hat neben den grofsen oberflächlichen Haufen
in der Tiefe der Flüssigkeit nur kleine Häufchen bilden können. Auch sind
einzelnliegende, unbewegliche Bakterien in grofser Zahl vorhanden.
In der Verdünnung 1 : 10 haben sich spärliche oberflächliche Haufen
gebildet, sonst beschränkt sich die Serumwirkung ebenso wie bei den Ver¬
dünnungen 1 : 25 und 50 wesentlich auf Unbeweglich werden der Bakterien.
Im übrigen fehlt jede Serumwirkung.
Die folgenden Versuche, welche die fortlaufende Prüfung
des Verhaltens der Bakterien während der Typhusinfektion zum
Gegenstände haben, werden später noch einmal besprochen und
erweitert werden müssen. Vorläufig handelt es sich dabei nur
um die Feststellung des Eintretens der schweren Agglutinierbar-
keit. Die Mengen der den Versuchstieren injicierten Agar¬
kulturen waren stets sehr beträchtlich. Die Aufschwemmungen
wurden vor der Injektion durch Fliefspapier filtriert.
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
335
Yersuch XIY.
Meerschweinchen 26 erhält l J 4 filtrierte Agarkultur intraperitoneal.
Die Prüfung der verwendeten Aufschwemmung mit Serumverdünnungen
1 : 10, 100, 500 und 1000 ergab nach l i 4 Std. bereits überall vollständige,
typische Agglutination, die nach 1 und 2 Std. bestehen bleibt.
1. Entnahme sofort nach der Injektion. (Die hängenden Tropfen mit den
Serumverdünnungen und mit physikalischer NaCILösung allein wurden so
rasch als möglich angefertigt, besichtigt und dann in 37° gebracht.)
Die entnommene Flüssigkeit enthält eine Anzahl roter, wenig weifser
Blutkörperchen und wimmelt von einzeln liegenden Typhusbakterien.
Nach l / 4 Std. Exsudat ohne Serum unverändert.
Die Verdünnungen 1 : 10, 100, 500 haben bereits typische, vollständige
Agglutination in grofsen Häufchen hervorgebracht. Bei 1 : 1000 finden sich
neben zahlreichen Häufchen noch freie unbewegliche Bakterien.
Nach 1 Std. vollständige Agglutination überall. Serumfreie Kontrolle
wie vorher.
Nach 2 Std. nicht wesentlich verändert.
2. Entnahme, 1 / i Std. nach der Injektion,)
3. Entnahme, V 2 Std. nach der Injektion, |
4. Entnahme, 1 Std. nach der Injektion :
Das Exsudat enthält spärliche rote und weifse Blutkörperchen, neben
massenhaft wimmelnden Bakterien finden sich kleine Häufchen.
Nach V 4 Std. Serumfreie Kontrolle zeigt vielfach kleine und mitunter
auch recht ansehnliche Häufchen, mehrfach um offenbar zerfallende Leuco-
cyten herum, neben wimmelnden Bakterien.
Ensudat mit Seruinverdünnungen zeigt überall typische Agglutination.
Nach 1 Std. wesentlich wie vorher.
Nach 2 Std. In der aerumfreien Kontrolle ist unzweifelhaft Agglutination
und zwar mit recht vielen, z. T. grofsen Häufchen eingetreten. Von der
wirklichen Agglutination, die in allen anderen Proben herrscht, unterscheidet
sich das Präparat nur durch die überall neben den Haufen sich bewegenden
freien Bakterien.
bieten wesentlich das gleicheBild.
5. Entnahme, 2 Std. nach der Infektion.
Das leicht in die Kapillare aufsteigende Exsudat ist wenig trübe, enthält
mäfsig zahlreiche rote, wenig weifse Blutkörperchen und massenhaft Bakterien,
die meist lebhaft schwärmen, hie und da aber auch kleine Häufchen von
4—8 Individuen bilden. Immerhin scheint es, als ob die Beweglichkeit gegen¬
über der bisher an den Bakterien der toten Tiere beobachteten etwas ver¬
mindert wäre.
Nach ’/ 4 Std. Serumfreie Kontrolle zeigt neben zahllosen beweglichen
Bakterien viele Häufchen, teils frei, teils um Leukocyten herum, mitunter
von ansehnlicher Gröfse. Innerhalb dieser gröfseren Haufen herrscht vielfach
noch wackelnde Beweglichkeit.
Alle Serum Verdünnungen haben typisch agglutiniert.
Nach 1 Std. herrscht in der serumfreien Kontrolle sicher Agglutination,
durch sehr zahlreiche Häufchen gekennzeichnet.
Digitized by v^.ooQle
336
Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
Die übrigen Proben agglutiniert.
Nach 2 Std. ist die bisher vorhandene Agglutination in der serumfreien
Kontrolle zum gröfsten Teile gelöst Dasselbe ist in geringerem Grade bei der
Serumverdünnung 1 : 1000 der Fall. Die übrigen Präparate in starrer
Agglutination.
6. Entnahme, 3 Std. nach der Infektion.
Exsudat dicht trüb, leicht zu entnehmen. Es hat sich nunmehr das
gewohnte typische Bild, wie es das Exsudat eines eben gestorbenen Tieres
bietet, entwickelt: relativ spärliche, z. T. degenerierte Leukocyten, massenhaft
schwärmende Bakterien, die nur sehr spärlich zu kleinsten Häufchen ver¬
einigt sind.
Nach */< Std. zeigt die serumfreie Kontrolle nur wimmelnde Bakterien.
Serumverdtinnung 1 : 1000 keine Haufenbildung, fast überall freie Beweg¬
lichkeit.
Serumverdünnung 1 : 500 und 1 : 100 nur spärliche lockere Haufen.
Mehrzahl der Bakterien gehemmt beweglich.
Serumverdünnung 1 : 10 ziemlich vollständige Agglutination.
Nach 1 Std. ist die serumfreie Kontrolle nicht wesentlich verändert.
Serumverdünnung 1 : 1000 sehr spärliche kleine Häufchen, meist freie,
zum gröfsten Teil unbewegliche Bakterien.
Serum Verdünnung 1:100 und 500 ähnlich, aber mit mehr hervortretender
Haufenbildung.
Serumverdünnung 1 : 10 fast vollständige Agglutination.
Nach 2 Std. wesentlich das gleiche Bild.
7. Entnahme, 4 Std. nach der Infektion.
Das Exsudat trüb, mit wenig Leukocyten und wimmelnden Bakterien,
keine Haufenbildung.
Nach l / 4 Std. serumfreie Kontrolle unverändert.
Serumverdünnungen 1 : 100, 500, 1000 haben keine Haufenbildung, wohl
aber vielfach Immobilisation hervorrufen können.
Serumverdünnung 1 : 10 vielfach, aber nur sehr kleine Häufchen, viele
freie, immobile Bakterien.
Nach 1 Std. und 2 Std. ist das Aussehen der Präparate wenig verändert;
mir hei Serum Verdünnung 1 : 10 kann von Agglutination gesprochen werden.
8 Entnahme, 5 Std. nach der Infektion.
Das entnommene Exsudat zeigt im wesentlichen das gleiche Verhalten
wie hei der 7. Entnahme.
0. Entnahme, 16 Std. nach der Infektion.
Das Tier ist agonisierend. Das Exsudat ist dicht trüb, die Bakterien
sind, neben wenig Leukocyten, so massenhaft vorhanden, dafs eine aus¬
giebige Bewegung, rein mechanisch unmöglich erscheint.
Hängende Tropfen mit reinem, sowie 1 : 10, 50, 100, 500 verdünntem
Serum lassen nach */ 4 Std. nur bei reinem Serum grofse, oberflächliche Haufen
.erkennen; nach 1 Std. ist hier ziemlich vollständige Agglutination, bei 1 : 10
spurenweise eingetreten. Nach 2 Std. zeigt sich in den durch reines Serum
gebildeten Haufen schwaches P aundlersches Phänomen, bei Serum 1 : 10
Digitized by v^.ooQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
337
ist die Wirkung äufserst schwach, bei den übrigen Verdünnungen überhaupt
(vielleicht von einer Hemmung der Beweglichkeit abgesehen) nicht vorhanden
Yersuch XY.
Meerschweinchen 29 erhält \ 8 Typhusagarkultur intraperitoneal
1. Entnahme sofort nach der Infektion.
Das Exsudat enthält wenig rote und weifse Blutkörperchen, überaus
zahlreiche bewegliche Bakterien. Haufenbildung tritt während der 2stünd.
Beobachtung bei 37° erst ganz zum Schlüsse, um einige wenige Leukocyten
herum, ein.
Die angewendeten Serum Verdünnungen 1 . 10, 50,100 und 500 agglutinieren
sowohl die Bakterien des Exsudates, wie die der zur Injektion verwendeten
Suspension binnen V 4 Std. vollständig.
2. Entnahme, 1 Std. nach der Infektion.
Liefert ein wie vorher beschaffenes Exsudat. Dasselbe zeigt nach
l / 4 Std. spärliche, nach 1 und 2 Std. ziemlich zahlreiche kleine Häufchen,
neben wimmelnden, freien Typhusbakterien.
Die Serumverdünnungen agglutinieren binnen */ 4 Std.
3. Entnahme, 2 Std. nach der Infektion.
Leukocyten sind im Exsudate zahlreicher geworden. Nach 1 und 2 Std.
haben sich, wie bei der 2. Entnahme, reichlich kleine Häufchen gebildet.
Agglutination tritt bei allen Serumverdünnungen ein, aber bei 1 : 500
nur unvollständig, bei 1 : 100 etwas verspätet.
4. Entnahme, 3 Std. nach der Infektion.
Häufchenbildung kommt im reinen Exsudate zu allen Beobachtungszeiten
vor, ist aber weniger ausgesprochen wie vorher.
Die Serumverdünnungen 1 : 100 und 500 sind, aufser dafs sie vielfach
Immobilisation hervorbringen, wirkungslos. 1 : 50 erzeugt kleine Häufchen,
wobei die Mehrzahl der immobilisierten Bakterien frei bleibt. 1 : 10 macht
stärkere, aber ebenfalls nur unvollständige Agglutination.
5. Entnahme, 4 Std. nach der Infektion und
6. Entnahme, 6 Std. nach der Infektion :
Im Heinexsudat ist das Auftreten von Häufchen äufserst geringfügig
oder bleibt ganz aus. Die Serum Verdünnungen bleiben wirkungslos, bis auf
1 : 10, wo kleine Häufchen neben der Mehrzahl freier Bakterien zu linden sind.
6 1 /* Std. nach der Infektion werden dem bereits deutlich kranken Tiere
0 ccm einer Serumverdünnung 1 : 10 injiciert.
5 Minuten später wird Exsudat entnommen und teils rein, teils mit
normalem Kaninchenserum und den Immunserumverdünnnngen 1 : 10, 50
und 100 zu hängenden Tropfen verarbeitet. 37°.
Nach l j A Std. zeigt sich nirgends, nach 1 s Std. nur bei linmuuserum
1 : 10 schwache Haufenbildung. Doch linden sich nach 2stünd. Aufenthalt im
Brutschrank in allen Proben kleine Häufchen, am reichlichsten bei den 1 : 10
und 1 : 50 verdünnten Immunseris.
Zwei weitere Entnahmen, l i 4 und 1 Std. nach der Seruminjektion, zeigen
nur bei Immunserum Verdünnung 1 : 10 unvollständige Agglutination.
Digitized by
Google
338 Versuche über Typhusagglutiaioe uud -Präeipitine
Das Tier stirbt 9 Std. nach der Typhusinfektion. Der Befund an den
Bakterien des Exsudates ist der gewöhnliche.
Das Resultat dieser Versuche ist ebenfalls ziemlich eindeutig.
Die injicierten Typhusbakterien bleiben während der ersten Zeit
der Infektion der Wirkung der Serumagglutinine vollständig zu¬
gänglich. Erst ungefähr 3 Stunden nach der Impfung — die
Zeit ist nicht völlig gleich, doch gibt das Intervall von 3 Stunden
für die verwendeten grofsen Kulturmengen eine gute Mittelzahl
— hört die Agglutinationsfähigkeit der Typhusbakterien des
Exsudates auf. Dabei erfolgt aber dieser Wechsel ziemlich un¬
vermittelt: die Bakterien sind auf einmal gegen die verschie¬
denen Serumkonzentrationen unempfindlich geworden; nur an¬
deutungsweise bemerkt man, wie in dem als Nr. XIV mitgeteilten
Versuche, dafs zunächst nur die Wirkung der stärksten Verdün¬
nungen aufhört.
Es müssen also während der ersten drei Stunden die Typhus¬
bakterien unter dem Einflüsse einer Körperreaktiou gestanden
haben, welche dann das Ausbleiben der Agglutination zur Folge
hat. Dafs eine derartige Reaktion bestehen mufs, beweist das
Auftreten von kleinen, agglutinierten Häufchen im Exsudate,
ohne dafs Serum zugesetzt wurde. Freilich ist die Bildung
dieser im übrigen ganz typischen Agglutinationen insofern nur
eine rudimentäre, als sie mitten unter Bakterien erfolgt, die
sich andauernd in vollster Bewegungsfreiheit befinden. In¬
teressant war es zu beobachten, wie sehr oft Leukocyten, und
zwar soweit darauf geachtet wurde, immer zerfallende Leukocyten
den Ausgangspunkt dieser Häufchen bildeten. Es wäre nicht
unmöglich, dafs bei diesem Zerfall Stoffe frei würden, welche
späterhin die Haufenbildung veranlassen oder unterstützen könnten.
Dafs sich auch Häufchen finden, deren Mittelpunkte farblose
Blutzellen nicht abgeben, wurde bereits bemerkt; es ist aber
möglich, dafs hier doch ursprünglich ein Leukocyt vorhanden
war, der dann durch vollständige Auflösung unsichtbar wurde.
Die vorläufig noch nicht näher zu definierenden Einflüsse,
denen die Typhusbakterien im lebenden Tierkörper, einige Zeit
nach erfolgter Infektion ausgesetzt sind, müssen bei verschiedenen
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
339
\
Tierarten verschieden mächtig sein. Denn die Widerstands¬
fähigkeit der Typhusbakterien gegen die Serumagglutinine ist im
Exsudate verschiedener Tiere deutlich wechselnd. Ähnlich wie
in der Bauchhöhle von Meerschweinchen verhalten sich die
Bakterien im Körper von weilsen Mäusen.
Versuch XVI.
Grofse weifse Maus erhält 1 Öse Typhusagarkultur intraperitoneal; ist
innerhalb 13 Std. gestorben. Durch vorsichtiges Ausspülen der Bauchhöhle
mit physiologischer Kochsalzlösung lassen sich etwa 5 ccm trüber, sehr
bakterienreicher Flüssigkeit gewinnen. Es werden hängende Tropfen mit
reinem und 1 : 10, 50, 100, 500 und 1000 verdünntem Serum angelegt. Kon¬
trolle mit in gewöhnlicherWeise hergestellter Bouillonkultur und Serum 1 : 100,
500, 1000. 37®.
Nach */ 4 Std. Alle Tropfen mit Bouillonkultur agglutiniert, doch sind
bei der Serumverdünnung 1 : 1000 die gebildeten Häufchen nur klein.
Exsudat mit reinem Serum zeigt fast durchwegs grofse, schöne ober¬
flächliche und tiefe Haufen.
In der Serumverdünnung 1 : 10 finden sich neben vielen Haufen zahl,
reiche einzelne, meist immobile Bakterien. *
Bei 1 : 50 sind nur wenige Oberflächenhaufen vorhanden, sonst ist das
Serum überall wirkungslos geblieben.
Nach 1 Std. wesentlich unverändert. Vollständige Agglutination findet
eigentlich nur im reinen Serum statt, doch reicht die sichtbare, wenn auch
unvollkommene Serumwirkung bis zur Verdünnung 1 : 50.
Das Exsudat wird centrifugiert, der Satz in Wasser aufgeschwemmt,
filtriert, wieder centrifugiert und schliefslich in physiologischer Kochsalzlösung
suspendiert. Hängende Tropfen mit reinem, sowie 1 : 10, 50, 100, 500 ver¬
dünntem Serum. Kontrolle mit dem Satze einer in gleicher Weise behandelten
Bouillonkultur. 37 °.
Nach 1 / 4 Std. sind alle Bakterien der Bouillon vollständig agglutiniert.
Das reine Serum hat ziemlich vollständige Agglutination, das 1 : 10 ver¬
dünnte nur die Bildung einiger weniger, typischer Häufchen hervorrufen
können, neben denen viele freie, zum grofsen Teil bewegliche Bakterien vor¬
handen sind.
Nach 1 Std. im wesentlichen wie vorher. Die Serumverdünnung 1 : 10
ist nur unvollständig wirksam, die 1 : 50 wirkungslos.
Ein wesentlich anderes Resultat lieferte ein Versuch mit
dem Exsudate der Ratte.
%
Versuch XVII.
Grofse bunte Ratte erhält 4 Ösen Typhusagarkultur intraperitoneal und
stirbt darnach in weniger als 13 Std. Die mit 10 ccm physiologischer NaCl-
Lösung ausgespülte Bauchhöhle ergiebt eine äufserst zellarme und dabei sehr
bakterienreiche Flüssigkeit von rötlicher Färbung, die offenbar durch gelöstes
Archiv für Hygiene. Bd. XLII. 23
Digitized by v^.ooQle
340 Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
Hämoglobin bedingt ist, da Erythrocyten sowohl im Exsudate selbst, wie in
dem daraus abcentrifugierten Satze vollständig fehlen.
Es werden hängende Tropfen mit 1 : 10, 100, 500, 1000, 2500 verdünntem
Serum angefertigt. Kontrolle Bouillonkultur. 37°.
Nach */ 4 Std zeigt die Bouillonkultur überall Agglutination in grofsen
Haufen. Die Exsudatbakterien sind durch die Verdünnungen bis 1 : 500
vollständig, durch 1 : 1000 unvollständig agglutiniert, sonst frei und beweglich.
Nach 1 Std. ist auch die Agglutination durch das 1000 fach verdünnte
Serum ziemlich vollständig. Von da an fehlt jede Wirkung.
Das Exsudat wird centrifugiert und der in üblicher Weise gereinigte
Satz in physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt. Kontrolle mit den
Bakterien einer in gleicher Weise behandelten Bouillonkultur. Hängende
Tropfen mit Serumverdünnungen 1 : 500, 1000, 2500, 5000, 7500, 10000. 37°.
Nach V 4 Std. sind alle Bouillonpräparate agglutiniert.
Exsudatpräparate zeigen bei 1 : 500 verdünntem Serum viele Häufchen,
bei 1 : 1000 wenige, sonst keine Beeinflussung.
Nach 1 Std. hat das 500 fach verdünnte Serum ziemlich vollständige,
das 1 : 1000 verdünnte eine teilweise Agglutination hervorgerufen. Sonst
keine Wirkung.
OJowohl somit auch hier die Thatsache der schwierigen
Agglutinierbarkeit der tierischen Bakterien qualitativ in derselben
Weise zu konstatieren ist, bestehen quantitativ immerhin merk¬
bare Unterschiede.
Bei Verwendung von kleinen Kaninchen, die man intra-
pleural mit Typhus impft, kann man in der Regel eine noch
höhere Widerstandskraft der Exsudatbakterien gegen die Serum-
agglutinine beobachten. Doch kamen hier auch Ausnahmen vor.
Versuch XVIII.
Kleines Kaninchen erhält 1 Typhusagarkultur intrapleural. Aus der
Pleurahöhle des innerhalb 14 Std. gestorbenen Tieres können 5 ccm trüben,
sehr leukocytenreichen Exsudates entnommen werden, das aber nur relativ
wenige und dabei schwach bewegliche Typhusbakterien enthält. Dieselben
zeigen im Exsudate, selbst in hängenden Tropfen untersucht, auch bei der
Serumverdünnung 1 : 10 nur wenige Häufchen und unvollständige Aggluti¬
nation, während Bouillonkultur durch Serum 1 : 5000 binnen l j A Std. voll¬
ständig agglutiniert wird.
Im gewaschenen Satze besteht das gleiche Verhalten.
Die bisher mitgeteilten Versuche geben über die nähere
Ursache des Versagens der Agglutininwirkung eines Typhus-
immunserurns noch kaum Aufschlüsse. Nur das Eine erscheint
sicher, dafs im Tierkörper während der Infektion etwas zu den
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail,
341
Bakterien hinzutreten mufs, was dieselben nunmehr bis zu einem
gewissen Grade inagglutinabel macht. Dieser unbekannte Ein-
flufs ist aber jedenfalls nur kurzdauernd wirksam und betrifft
wahrscheinlich nur die im Tiefe selbst entstandenen oder nur
wenige, nachher im Exsudate selbst in vitro erzeugte Genera¬
tionen. Jedenfalls ist die Nichtagglutinierbarkeit nicht etwa zum
Merkmale einer neuen Rasse von Typhusbakterien geworden.
Denn impft man Exsudattröpfchen in Bouillon, so wird die da¬
selbst entstandene Typhuskultur sofort durch Zusatz von Imraun¬
serum agglutiniert.
Versuch XIX.
Mit einer Öse des Exsudates des mit 1 Öse Tvphusagarkultur geimpften
Meerschweinchens 17 werden 5 ccm Bouillon inficiert. Nach 5 Std. Aufent¬
halt bei 37° ist die Flüssigkeit deutlich trüb. Es werden hängende Tropfen
mit einem 1 : 5000 sicher wirksamen Serum angelegt und zwar in den Ver¬
dünnungen 1:1000, 2500, 5000. Kontrolle mit gewöhnlicher Bouillonkultur. 37°.
Nach l / 4 und 1 Std. sind alle Proben unterschiedslos vollständig
agglutiniert.
Im Gegensätze dazu hält sich die Widerstandskraft der Bak¬
terien im Exsudate selbst ziemlich lange Zeit; dabei ist aller¬
dings zu bemerken, dafs die Vermehrung der Typhusbakterien
darin sich innerhalb enger Grenzen hält. Aber auch dann,
wenn man zum Exsudate Nährstoffe in Gestalt von wenig
Bouillon hinzufügt, bleiben die Bakterien eine Zeitlang in¬
agglutinabel.
Versuch XX.
Meerschweinchen 25 hatte 1 Öse Typhusagarkultur intraperitoneal er¬
halten. Je 4 Tropfen des frischen, unveränderten Exsudates kamen in 6
schmale, mit Stöpsel verschlossene Eprouvetten. Zu 3 derselben werden
je 8 Tropfen Bouillon zugesetzt.
Die Untersuchung des frischen Exsudates mit Serumverdünnungen
1 :50, 100, 500 und 1000 zeigte, dafs sich nach 2 Std. bei 37 0 nur in der
Verdünnung 1 : 50 einige oberflächliche und wenige kleinste tiefe Häufchen
gebildet hatten.
Nach 1 stünd. Aufenthalt bei 37° wurde je eine Eprouvette mit reinem
und eine mit bouillonverdünntem Exsudate entnommen und in der gleichen
Weise mit Serum in hängenden Tropfen geprüft. Die Verhältnisse zeigten
sich nicht wesentlich verändert.
Nach 3 Std. wurde eine 2. Serie geprüft. Das reine Exsudat zeigte mit
reinen Typhusbakterien ungefähr dieselbe Widerstandskraft wie vorher, das
23 •
Digitized by
Google
342 Versuche, über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
mit Bouillon verdünnte, in dem nach Mafsgabe des mikroskopischen Bildes
massenhaft Vermehrung eingetreten war, zeigte insofern ein charakteristische»
Bild, als bei allen Serumverdünnungen Häufchenbildung stattgefunden hatte,
daneben aber reichlich freie und bewegliche Bakterien vorhanden waren.
Das gleiche Verhalten, aber mit Vorwiegen der Haufenbildung, zeigen
in der 3., nach Östünd. Aufenthalte bei 37° entnommenen Serie, beide
Proben derselben.
In anderen Versuchen hielt sich die Widerstandskraft der
Typhusbakterien im Exsudate noch länger, namentlich dann,
wenn dasselbe kühl aufbewahrt und dadurch eine starke Ver¬
mehrung verzögert wurde.
Es sah ganz so aus, als ob ein Stoff im Exsudate in sehr
geringer Menge vorhanden sei, der auch einigen wenigen, aulser-
halb des Tieres entstandenen Bakteriengenerationen die Nicht-
agglutinierbarkeit verleihen könne, aber bald aufgebraucht werde.
Dafs dieser, wie sich weiterhin zeigen wird, zum richtigen
Wege führende Schlufs zunächst nicht verfolgt wurde, hatte
seinen Grund einmal in dem, durch die bereits unter Nr. VIII
und X mitgeteilten Versuche geführten Nachweise des Mangels
einer antiagglutinativen Fähigkeit der Exsudatflüssigkeit; dann
aber imponierte zu dieser Zeit auch das ganz ungewöhnliche
Versagen der haufenbildenden Serumwirkung so sehr, dafs daraus
gefolgert wurde, es müsse ein inagglutinables Typhusbakterium
auch in sonstiger Hinsicht von den gewöhnlichen Kulturbakterien
verschieden sein. 1 ) Dabei wurde namentlich an die Virulenz
solcher »tierischer Mikroorganismen« gedacht, sowie an die
Wirkung der schützenden Anteile eines Typhusimmunserums
auf dieselben. Die Folge dieser irrigen Annahme war eine lange
Reihe von zum Teil vergeblichen, jedenfalls dem Ziele einer
Erklärung der beobachteten Grundthatsache nicht näher führenden
Versuchen, über die nur insoweit ausführlicher berichtet werden
soll, als sie einigermafsen neue Ergebnisse hatten. Vorher aber
sei noch einer eigenartigen Erscheinung gedacht. Schon 1897
hatten Widal und Siccard-) gezeigt, dals die Abtötung der
1) Prager luedizin. Wochenschrift, Nr. 12.
2) Widal und Siccard, Soc. de Biologie, 30 janv. 1897, cit. nach
B e n s o u d e.
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
343
Typhusbakterien bei 57—60° die Agglutinationsreaktion nicht
stört. Davon kann man sich jederzeit an gewöhnlichen, auf
künstlichen Nährböden gezüchteten Bakterien überzeugen. Doch
ist dazu zu bemerken, dafs die Haufenbildung nie so schön und
grols ausfällt, wie das bei Anwendung lebender Kulturen in aus¬
gezeichneter Weise der Fall zu sein pflegt. Auch bilden sich,
namentlich in Bouillonkulturen, durch das Erwärmen leicht von
selbst kleine Häufchen, welche die Beobachtung sehr stören.
Überdies fällt dabei das sehr wertvolle Merkmal der Beweglich¬
keitsstörung weg.
Es zeigte sich nun, dafs Typhusbakterien aus tierischen Ex¬
sudaten, welche 1 Stunde lang auf 60° erhitzt worden waren,
leichter agglutiniert wurden als im lebenden Zustande.
Yersuch XXI.
Meerschweinchen 32 war nach Injektion von l / 2 Typhusagarkultur inner¬
halb 12 Std. gestorben. Ans dem mit physiologischer NaCl-Lösung aus-
gespülten Peritonealexsudate werden die Bakterien in der üblichen Weise rein
gewonnen und in NaCl-Lösung aufgeschwemmt. In gleicher Weise wird eine
Suspension von Bouillonbakterien hergestellt. Je eine Hälfte dieser 2 Suspen¬
sionen wird 7a &td. auf 60° erhitzt. Darauf wird in hängenden Tropfen mit
lebenden und toten Bakterien und den Serumverdünnungen 1 : 10, 50, 100,
500, 1000 und 2500 angefertigt. 37°.
Nach 7 4 Std. Alle Bouillonbakterien agglutiniert, die toten in wesentlich
kleineren Häufchen als die lebenden.
Lebende Exsudatbakterien sämtlich frei und zum grofsen Teil beweglich.
Von den erhitzten Exsudatbakterien sind die in den Präparaten mit Serum
Verdünnungen 1 : 10, 50, 100 zweifellos zu kleinen Häufchen vereint. In den
übrigen Präparaten finden sich wenige Häufchen neben freien Bakterien.
Auch eine seruirifreie Kontrolle zeigt kleine Häufchen.
Nach 1 Std. Lebende Exsudatbakterien nur bei Serum 1 : 10 immobili¬
siert und teilweise agglutiniert, tote bei Serum 1 : 10 und 50 in schönen
Haufen, hei 1 : 300 und 500 ebenfalls agglutiniert, aber nur in kleinen Häuf¬
chen, bei den (ihrigen ist das Resultat aus dem bereits angegebenen Grunde
zweifelhaft.
Versuch XXII.
Meerschweinchen 34 war 12 Std. nach der Infektion mit V H Agarkultur
gestorben. Die reichlich freies Exsudat enthaltende Bauchhöhle wird nach
und nach mit 30 ccm destillierten Wassers ausgespült, das noch immer enorm
bakterienreiche Spülwasser wird filtriert, centrifugiert, der Satz neuerdings
in Wasser aufgenommen, filtriert und centrifugiert. Schliefslich wird er in
physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt; die eine Hälfte dieser und
einer gleich bereiteten Suspension der Bakterien einer Bouillonkultur wird
Digitized by
Google
344 Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
1 Std. auf 60° erhitzt. Mit den lebenden und toten Bakterien werden hän
gende Tropfen unter Zusatz der Verdünnungen 1 : 10, 25, 50, 100, 250 und
500 eines bis 1 : 5000 wirksamen Serums angefertigt. 37 °.
Nach 1 / a Std. sind alle Bouillonbakterien, lebende wie tote agglutiniert.
Lebende Exsudatbakterien zeigen nur bei Serum 1 : 10 teilweise Im¬
mobilisation, sonst keine Beeinflussung; die toten zeigen neben freien Bak¬
terien viele Häufchen, bis zur Serumverdünnung 1 : 100. Von da an kein
Unterschied gegen eine Berumfreie Kontrolle.
Nach 2 Std. ist bei den Präparaten mit lebenden Exsudatbakterien und
Serum 1 : 10 und 25 ganz unvollständige Agglutination eingetreten, während
die toten bis 1 : 250 unzweideutige Serumwirkung erkennen lassen.
Die übrigen Präparate sind unbeeinflufst.
Durch das Erwärmen ist also zweifellos der die schwere
Agglutinierbarkeit der Exsudatbakterien bedingende Umstand,
wenigstens teilweise, in Wegfall gekommen.
Ein Versuch, die Virulenz der aus dem Exsudate inficierter
Meerschweinchen direkt erhaltenen Typhusbakterien zu be¬
stimmen, hat natürlich nur dann einen Sinn, wenn es gelingt,
in Kontrollversuchen die genau gleiche Menge von entsprechend
gezüchteten Kulturbakterien Tieren beizubringen. Dafs die
Mitübertragung anhaftender Exsudatreste auf das Sorgfältigste
vermieden werden mufs, bedarf nicht erst eines Hinweises.
Es ist aber, wenn überhaupt möglich, jedenfalls sehr schwer,
sowohl von gewaschenem Exsudat, wie von Kulturbakterien Auf¬
schwemmungen herzustellen, welche eine gleich grofse Anzahl
lebender Zellen enthalten. Das einzige Verfahren, welches einige
Aussicht auf Erfolg darbietet, ist die Aussaat gleicher Flüssig¬
keitsmengen in Agar, Zählung der aufwachsenden Kölonien und
eine, je nach dem Ergebnis derselben geregelte Verdünnung.
Um dies aber durchzuführen, bedarf es wenigstens eines Zeit¬
raumes von 24 Stunden, während welchen die Exsudatbakterien
unkontrollierbare Veränderungen eingehen können.
Auffallend schlechte Resultate gab der Versuch, die Zahl
der Bakterien in Aufschwemmungen von Exsudat und Bouillon¬
bakterien im gefärbten Deckglaspräparate festzustellen und im
Verhältnis der gewonnenen Werte, Verdünnungen vorzunehmen.
Einige derart vorgenommene, ungemein zeitraubende Feststel¬
lungen wurden durch das Plattenzählverfahren nachgeprüft und
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Pr. Oskar ßail.
345
ergaben Differenzen von vielen Tausenden Kolonien für 1 Öse
Aufschwemmung.
Noch die relativ besten Ergebnisse hatte die anscheinend
gröbste Methode, die darin bestand, die gleich dicht zu machenden
Aufschwemmungen in zwei völlig gleichartigen Eprouvetten bis
auf den gleichen optischen Trübungsgrad zu verdünnen. Dieses
Verfahren lieferte halbwegs brauchbare Resultate, als es sich
darum handelte, die Bindungskraft von Exsudat und Kultur¬
bakterien zu bestimmen, wozu es ebenfalls notwendig war, von
beiden ungefähr gleich viel in Anwendung zu bringen. Dabei
kam es freilich nur auf sehr annähernde Genauigkeit an, denn
es genügte schliefslich festzustellen, dafs von den Exsudatbakterien
nicht weniger als von den Kulturmikrobien verwendet worden
waren. Bedenkt man aber, eine wie geringe Flüssigkeitsmenge
man zahlenmäfsig auf ihren Bakteriengehalt prüfen kann, und
wie viel derselben man injicieren mufs, so ergiebt eine einfache
Überlegung, dafs Differenzen von einigen hundert Kolonien auf
der Platte thatsächlich Verschiedenheiten von vielen Hundert¬
tausenden Bakterien im Tierversuche entsprechen.
So wird es erklärlich, dafs trotz vieler angewendeter Mühe
keine wirklich einwandsfreien Versuche angestellt werden konnten.
Es würde wohl bei Verschwendung von Tieren und Anlage
sehr grofser Versuchsreihen, vielleicht mehr zufällig, gelingen,
Tierpaare zu erhalten, denen genau gleich grofse Mengen des
verschiedenartigen Bakterienmaterials einverleibt worden sind;
so unbeschränkte Mengen von Tieren standen aber nicht zur
Verfügung und ihr Verbrauch würde sich kaum gelohnt haben.
Denn jedenfalls sind die Unterschiede in der Virulenz, falls
solche überhaupt vorhanden sind, nicht sehr bedeutend. Ähnlich
liegen die Schwierigkeiten auch dann, wenn es sich darum
handelt, die schützende Wirkung eines auf die gewöhnliche
Weise, durch Immunisieren mit abgetöteten Agarkulturen, ge¬
wonnenen Immunserums gegenüber Exsudat und Kulturbakterien
zu vergleichen. Doch liegen hier die Verhältnisse insofern
günstiger, als die Feststellung der früher oder später erfolgenden
Sterilisation der Meerschweinchenbauchhöhle, nicht in so aufser-
Digitized by CjOOQle
346
Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
ordentlich hohem Grade von der Zahl der injicierten Bakterien
abhängt, vorausgesetzt, dafs das verwendete Serum genügend
wirksam ist.
Es ergab sich auch hier, dafs wesentliche Unterschiede bei
Anwendung von Exsudat und Kulturbakterien nicht vorhanden
sein können. Die Tiere waren durch die gleiche Menge Serums
zu schützen und die eingespritzten Bakterien verschwanden
ungefähr um dieselbe Zeit aus der Bauchhöhle. Ganz genaue
Feststellungen mufsten allerdings auch hier mit Rücksicht auf
das relativ geringe, verfügbare Meerschweinchenmaterial unter¬
bleiben, doch läfst sich trotzdem mit Sicherheit aussagen, dafs
im grofsen und ganzen die Abweichung der Exsudatbakterien
von künstlich gezüchteten gegenüber der Wirkung eines Immun¬
serums sich hauptsächlich nur auf ihr Verhalten gegen die Agglu-
tinine desselben beziehen kann.
Es mufste nun von Interesse sein, festzustellen, ob die Vor¬
behandlung von Kaninchen mit solchen, schwer agglutinablen
Bakterien ein Serum liefern könne, welches in Bezug auf seine
haufbildende Kraft Besonderheiten zeigt. liier hatten die Ver¬
suche in der That Erfolge zu verzeichnen. Freilich sind die¬
selben auch hier nicht leicht anzustellen. Zu jedem mufsten
zwei Tiere von genau gleicher Gröfse und gleichem Ernährungs¬
zustände genommen werden. Die immunisierenden Injektionen
mufsten ungefähr gleichviel Bakterien in jedes der Tiere hinein¬
bringen, Gewichtsverluste, die das eine Tier zeigte, nötigten auch
zur Aussetzung der Behandlung des zweiten, auch dann, wenn
es selbst gut gedieh.
Die von dem Tierpaare gewonnenen beiden Sera konnten
aber nur dann verwendet werden, wenn sie gegenüber Bakterien
aus künstlichen Kulturen ungefähr die gleiche agglutinierende
Wirksamkeit besafsen. Nur dann hatte eine stärkere haufbildende
Eigenschaft bei dem Serum des mit Exsudatbakterien behandelten
Tieres beweisende Kraft.
Die Berücksichtigung aller dieser Umstände hatte zur Folge,
dafs schliefslich nur zwei Serum liefernde Kaninchenpaare zur
Verwendung kommen konnten. Die Resultate, die damit
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bai*.
347
erhalten wurden, waren zwar vollkommen eindeutig und die in
mehrfacher Hinsicht vorhandenen Unterschiede ihrer Wirksamkeit
waren so auffallende, dafs an Zufälligkeiten nicht gut zu denken
ist; immerhin aber ist wegen dieser geringen Anzahl der ver¬
wendeten Sera eine gewisse Vorsicht bei der Verallgemeinerung
der erlangten Ergebnisse geboten.
Die Immunisierungstabelle eines derartigen Kaninchenpaares sei an¬
geführt. Die injicierten Bakterien waren lebend und wurden so frisch als
möglich verwendet. Gewichtsabnahmen erfolgten entweder gar nicht oder
glichen sich bald aus. Erst ganz am Ende sank das Gewicht des einen
Tieres ohne besonders bekannte Veranlassung so rapid ab, dafs beide Tiere
vorzeitig verblutet werden mufsten.
Kaninchen d erhielt intravenös Bakterien aus dem Exsudate von Meer¬
schweinchen, Kaninchen e die entsprechend behandelten und gewaschenen
aus Bouillonkulturen.
6. II 1901 1 Öse aus dem gewaschenen, centrifugierten Satze des Typhusmeer¬
schweinchens 2:1, bezw. ebensoviel Bouillonbakterien,
13. II. 1901 1 Öse aus dem gewaschenen, centrifugierten Satze des Typhusmeer¬
schweinchens 26, bezw. ebensoviel Bouillonbakterien,
19. II. 1901 2 Ösen aus dem gewaschenen, centrifugierten Satze des Typhus¬
meerschweinchens 29, bezw. ebensoviel Bouilloubakterien, '
22. II. 1901 den halben Bodensatz aus dem Exsudate von Nr. 30, bezw. Satz
aus 5 ccm Bouillonkultur,
27. II. 1901 den halben Bodensatz aus dem Exsudate von Nr. 32, bezw. Satz
aus 5 ccm Bouillonkultur,
3. III. 1901 fast der ganze Bakteriensatz aus dem Exsudate von Meerschwein¬
chen 34, bezw. Satz aus 10 ccm Bouillonkultur,
6.III. 1901 Blut aus den rechten Jugularvenen entnommen- Serum d und e.
7. III. 1901 Fast den ganzen Satz aus dem Exsudate von Meerschweinchen 36,
bezw. Satz von 10 ccm Bouillonkultur,
11. IV. 1901 Ebensoviel aus dem Exsudate von Meerschweinchen 38, bezw.
Bouillonkultur.
16. IV. 1901 Ebensoviel aus dem Exsudate von Meerschweinchen 45, hezw.
Bouillonkultur.
22. IV. 1901 Aus den rechten Carotiden Blut entzogen: Serum dl und ei.
Im Anschlüsse an die Blutentnahme magert Kaninchen d ohne sonstigen
sichtbaren Grund so rasch ab, dafs es am 6. V. ebenso wie Kaninchen c
ganz verblutet wird: Serum d II und e II.
Ähnlich ist die Immunieierungstabelle des Kaninchenpaares g und h.
Die erste Blutentnahme erfolgte nach 14 tägiger Behandlung mit ca. 6 Ösen
Bakterienmaterials,die zweite nach weiterer ebensolangen mit gröfseren Mengen.
Die Verschiedenheit beider Sera gab sich zunächst in ihrem
Verhalten gegen Exsudatbakterien zu erkennen.
Digitized by
Google
348
Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
Versuch XXIII.
Meerschweinchen 36 starb nach Infektion mit 1 Öse Typhusagarkultur
in ca. 20 Std. Hängende Tropfen mit dem deübrinierten Vollexsudate und
den Serumverdünnungen von c und d 1 : 25, 50, 100, 250, 500, 750, 1000,
2500, 5000. Kontrolle mit Bouillonkultur und den Verdünnungen 1 : 1000,
2500, 5000. 37°.
Nach */ 4 Std. Bouillonkultur durch beide Sera vollständig agglutiniert.
Serum des mit Bouillonbakterien immunisierten Tieres hat bis 1 : 50
vollständig, von da bis 1 : 500 sehr unvollständig, von da an gar nicht mehr
agglutiniert Das andere Serum d hat bis 1 : 2500 durchgreifend agglutiniert.
Nach 1 und 2 Std. hat auch das Serum c bis 1 : 250 ziemlich vollständig
agglutiniert und auch noch bei 1 : 500 viele Haufen gebildet, das Serum d
hat bei 1 : 2500 vollständige, bei 1 : 5000 noch teilweise Agglutination hervor
gebracht.
Die Überlegenheit des Serums ,d, das von dein mit Exsudat¬
bakterien behandelten Tiere stammt, ist ganz auffallend. Zu
bemerken ist, dafs beide Sera c und d gegenüber Bouillonkulturen
von Typhus ungefähr gleich wirksam waren, bei geringfügiger
Überlegenheit des Serums d. Beide agglutinierten um diese Zeit
bei der Verdünnung 1:10000 und 12 500 noch vollständig; bei
1:15000 war die Haufenbildung bei Serum c bereits unvollständig,
darüber hinaus auch bei Serum d. Doch erzeugte dieses auch
noch bei 1:20 und 24000 teilweise Agglutination, während das
andere in dieser Verdünnung bereits versagte. Ein derartiges
Verhalten wurde noch bei anderen Seris konstatiert, doch ist es
bisher nicht gelungen, eine Gesetzmäfsigkeit aufzufinden.
Der mitgeteilte Versuch ist aber auch noch in anderer Hin¬
sicht interessant. Er zeigt nämlich, dafs das durch Behandlung
mit Kulturbakterien gewonnene Serum gegen Exsudatbakterien
ganz ungewohnt starke Wirkungen entfaltete. Ganz deutlich
anders war das Resultat, als das Serum zwei Tage älter war,
im folgenden Versuche. Diese, auch sonst beobachtete Eigen¬
tümlichkeit, die hier besonders klar hervortritt, wird späterhin
von Wichtigkeit werden.
Versuch XXIV.
Vollexsudat eines der [intraperitonealen Impfung mit */ 4 Typhusagar-
kultur nach 18 Std. erlegenen Meerschweinchens 37 mit den Verdünnungen
1 : 25, 50, 100, 500, 1000, 2500, 5000, 10 000 der beiden 3 Tage alten Sera c
und d. Kontrolle mit Bouillonknltnr und den Serumverdünnungen 1 : 5000,
7500, 10000. 37 *.
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Rail. 349
•
Nach 7 4 Stunde: Bouillonkultur in allen Präparaten agglutiniert, doch
durch die Verdünnungen beider Sera auf 1 : 10000 nur unvollständig.
Gegen Exsudatbakterien hatte Serum c nur bei der Verdünnung 1 : 25
vollständig gewirkt, schon bei 1 : 50 fast ganz versagt.
Serum d hatte bis 1 : 500 typische Agglutination bewirkt, bei 1 : 1000
waren viele, aber nur kleine Häufchen vorhanden, sonst war es wirkungslos.
Nach 1 und 2 Std. war das Bild im wesentlichen dasselbe.
Unerwartet rasch war hier die haufenbildende Kraft gegen¬
über Bouillonkulturen gesunken und zwar glücklicherweise derart
dafs jetzt beide Sera bei dem gleichen Verdünnungsgrade auf¬
hörten, vollständige Agglutination herbeizuführen. Um so schöner
tritt die Überlegenheit des Serums d gegen Exsudatbakterien
hervor. Dennoch hatte dasselbe auch hierin gegen früher eine
merkbare Einbufse erlitten und ganz gewaltig war die auch bei
Serum c rudimentär vorhanden gewesene Wirkung gegen die
tierischen Exsudate zurückgegangen.
Ähnlich, wenn auch nicht so schön, zeigen dies die beiden
folgenden Versuche mit den letzten Seris, die von den Tieren c
und d gewonnen worden waren.
Versuch XXV.
In der üblichen Weise erhaltene und gewaschene Bakterien aus dem
Exsudate des Meerschweinchens 07, das der intraperitonealen Impfung mit
V 4 Agarkultur in 13 Std. erlegen war, werden mit den Verdünnungen 1 : 10,
50, 100, 500, 1000, 5000 und 10000 der ganz frischen Sera eil und d II zu
hängenden Tropfen verarbeitet. Kontrolle mit ebenso erhaltenen Bouillon*
bakterien. 37°.
Nach l U Std. sind die Bouillonbakterien durch alle Verdünnungen des
Serums d II vollständig agglutiniert, während eil bei 1 : 10000 nur eine un¬
vollkommene Haufenbildung geliefert hat.
Exsudatbakterien sind durch Serum d II bis 1 : 1000 agglutiniert, auch
1 : 5000 hat noch viele Häufchen erzeugen können. Serum eil zeigt bei
1 : 10 vollständige, bei 1 : 50 und 100 unvollständige, aber unzweifelhafte
Wirkung.
Nach 2 Std. hat Serum d II auch bei 1 : 5000 ziemlich vollständige
Haufenbildung hervorgebracht, Serum c II vollständige bei 1 : 50, ziemlich
umfassende bei 1 : 100.
Die Wirkung der beiden Sera ist also:
Serum c II für Exsudat bis 1 : 100 für Bouillon bis 1 : 5000.
; dH > > > 1 : 5000 * > > 1 : 10000.
Digitized by v^.ooQle
350
Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
Versuch XXYI.
In der üblichen Weise gewaschene Bakterien aus dem Exsudate des
der intraperitonealen Impfung nach 7 9 Typhusagarkultur nach weniger als
12 Std. erlegenen Meerschweinchens 74 werden mit Verdünnungen 1 : 10,
100, 500, 1000, 2500 und 5000 der nunmehr 9 Tage alten Sera cU und dH
zu hängenden Tropfen verarbeitet. Kontrolle mit ebenso behandelten Bouillon¬
bakterien. 37°.
Nach V 4 Std. haben beide Sera bei 1 : 2500 noch vollständig agglutiniert,
doch sind bei Serum c II nur sehr kleine Häufchen vorhanden. In den
Verdünnungen 1 : 5000 ist die Haufenbildung unvollständig.
Exfliidatbakterien sind durch Serum c II nur bei 1 : 10 teilweise agglu¬
tiniert durch Serum d II bis 1 : 1000, in letzterer Verdünnung aber nicht mehr
vollständig.
Nach 1 Std. sind Bouillonbakterien durch beide Sera zu Haufen ver¬
wandelt.
Exsudatbakterien sind durch Serum eil bei 1 : 10 vollständig, bei 1 : 100
fast gar nicht mehr beeinflufst worden, von Serum d II noch bei 1 : 1000
doch sind die gebildeten Häufchen hier nur klein.
Die Wirkung der beiden Sera ist somit beträchtlich gesunken.
Was die agglutinative Wirkung der Sera g und h des zweiten
verwertbaren Kaninehenpaares betrifft, so war sie nach der ersten
Blutentnahme nicht wesentlich verschieden. Die Wirkung gegen
Bouillonkulturen hörte für beide bei der Verdünnung 1:10000
auf; Exsudatbakterien gegenüber veranlafste das Serum g des
mit Bouillonbakterien immunisierten Tieres nur bei der Ver¬
dünnung 1:10 Ilaufenbildung, das des mit Exsudatbakterien be¬
handelten Kaninchens h bis zur Verdünnung 1:100. Die zweite
Entnahme zeigte die gleichen Differenzen beider Sera im Ver¬
halten gegen Exsudatbakterieu, indem Serum gl bei 1:25 gerade
noch vollständig agglutinierte, Serum hl dagegen noch bei 1:500.
Dabei waren auffallenderweise die haufbildenden Werte gegen
Bouillonkulturen gegen die Bestimmung der Sera der ersten
Entnahme fast genau die gleichen geblieben.
B. Die Entstehung von Fällungen in Typhusexsudaten und
Filtraten von Bouillonkulturen durch Immunserum.
Seitdem Kraus im Jahre 1897 zuerst die Aufmerksamkeit
auf die Bildung von Niederschlägen in Filtraten von flüssigen
Kulturen nach Zusatz des Serums gegen die betreffenden Mikro¬
organismen immunisierter Tiere gelenkt hatte, hat dieses
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
35
Phänomen in der Immunitätslehre stets eine grofse Rolle gespielt.
Pal tauf und Kraus selbst verwerteten dasselbe zunächst zu
einem Erklärungsversuche des Mechanismus der Agglutination,
indem sie annahmen, dafs die Haufenbildung von Bakterien
nichts anderes sei als eine sekundäre Zusammenballung infolge
der Entstehung von Niederschlägen in der Kulturflüssigkeit.
Diesem Erklärungsversuche nähert sich die Auffassung
Nicolles. Nicolle nimmt an, dafs eine Agglutination nur
beim Vorhandensein zweier Stoffe erfolgen könne, die sich ge-
wissermafsen zu einer unlöslichen neuen Verbindung vereinigen.
Die eine dieser Substanzen, die »agglutinierende« bilde einen
Bestandteil des Immunserums, die zweite, die »agglutinierte«
(wohl besser gesagt die »agglutinable«) sei ursprünglich nur in
dem Bakterienleibe vorhanden und zwar in dessen äufseren
Schichten. Bei länger dauernder Kultur gehe sie teilweise in
Lösung und befinde sich auch in der Kulturflüssigkeit. Setzt
man Immunserum zu Bakterien, so verbinde sich die aggluti
nierende Substanz in der Zelle selbst mit der agglutinablen, wo¬
durch die Membran der Bakterien nunmehr fähig werde, mit
der anderer, in gleicher Weise beeinflulster zu verkleben. Erfolgt
der Zusatz des spezifischen Serums zu älteren flüssigen Kulturen,
so verbindet sich die gelöste agglutinable Substanz mit der
agglutinierenden zu einem makroskopisch sichtbaren, der Färbung
zugänglichen Niederschlag. In einer späteren Arbeit von Kraus
und Seng 1 ) wird nochmals betont, dafs die Entstehung von
Niederschlägen bei der Agglutination das Wesentliche sei; durch
diese werden erst die Bakterien passiv zu Haufen vereinigt.
Kritische Bemerkungen zu diesen Ansichten finden sich,
mehr gelegentlich bei Nolf-), ferner bei Bordet 3 ) und nament¬
lich in der Arbeit Radzievskys 4 ).
Radzievsky betont zunächst das zeitliche MifsverhäUnis
zwischen dem Eintreten der Agglutination und dem Entstehen
1) Kraus und Seng, Wiener klin. Wochenschrift, 1809, Nr. 1.
2) Nolf, Annales de linst. Pasteur, 1900.
3) Bordet, a. a. O.
4) Radzievsky, Centralblatt f. Bakteriologie, 1899, Nr. 24; Zeitschrift
f. Hygiene, 1900, S. 369 ff.
Digitized by CjOOQle
352
Versuche über Typhuaagglutinine und -Präcipitine.
der Niederschläge; ersteres sei innerhalb von zwei Stunden im
wesentlichen beendet, letzteres bedürfe zum blofsen Sichtbar¬
werden mindestens eines Zeitraumes von 6 Stunden. Ferner
weist er darauf hin, dafs junge Kulturen in ihrem Filtrate über¬
haupt noch keine Niederschläge entstehen lassen, während sie,
so lange sie noch bakterienhaltig sind, schöne Agglutination
liefern, ein Einwand, der weniger Nico Ile, als namentlich die
K rau s-Pal tauf sehe Hypothese trifft.
Durch direkte Versuche wies er nach, dafs in einem Kultur¬
filtrate, dem Serum und durch dieses nicht agglutinable Bak¬
terien zugesetzt worden sind, dennoch eine Klärung der Flüssig¬
keit nicht zu erfolgen braucht, dafs also »ein spezifischer Boden¬
satz sich bilden kann, ohne die Mikroben mit sioh niederzu-
reifsen«.
Die gröfste Bedeutung kommt jedoch einem Versuche Rad-
z ie v s k y s zu, der die Unabhängigkeit des Agglutinationsphänomens
von der Bildung spezifischer Fällungen in zwingender Weise
klarlegt. Er versetzte Filtrat einer fünf Wochen alten Kultur
von Bacterium coli mit dem zugehörigen Immunserum; nach
24 Stunden hatte sich ein üppiger Bodensatz gebildet. Die über
demselben stehende klare Flüssigkeit vermochte aber wiederum
in Röhrchen mit frischer Bouillonkultur Agglutination hervor¬
zurufen, was nicht mehr hätte der Fall sein dürfeu, wenn die
niederschlagsbildende und agglutinierende Kraft des Immunserums
auf denselben StofE zurückgeführt werde. Man kann Rad-
zievsky nur vollständig beistimmen, wenn er neben der bak-
teriolytischen und der agglutinativen Eigenschaft eines Immun-
serums noch ein drittes, selbständiges Vermögen annimmt, das:
»eine Reaktion der spezifischen Bodensätze im Filtrate alter
Kulturen hervorzurufen«. In diesem Sinne stimmen die An¬
schauungen Radzievskys völlig mit den mehr minder deutlich
ausgesprochenen Versuchsergebnissen Bordets und Nolfs
überein. Immerhin läfst sich gegen den erwähnten Versuch
Radzievskys noch der Einwand erheben, dafs die quantitativen
Ausfällungsverhältnisse nicht genügend exakt berücksichtigt
worden seien. Es geht aus seiner Mitteilung nicht hervor, dafs
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 353
die ausfällende Substanz seines Coliserums wirklich durch das
Colifiltrat erschöpft wurde. Zusammengehalten mit der Angabe,
dafs die Agglutination von lebenden Bakterien, durch das mit
dem Filtrat in Berührung gewesene Serum verlangsamt ein*
getreten und etwas schwächer verlaufen sei, bleibt immer noch
der Vermutung Raum, dafs in dem Versuche von Radzievsky
die Fällungskraft nicht wirklich erschöpft war. Damit würde
natürlich der an sich vollständig richtige Versuch wesentlich
an Beweiskraft verlieren. Gelegenheit zu eigenen Versuchen
über die niederschlagbildende Komponente eines Typhusimmun¬
serums gab die Beobachtung, dafs das Serum des mit Typhus¬
exsudatbakterien vorbehandelten Tieres in aufserordentlich hohem
Mafse die Fähigkeit besafs, Fällungen bei Zusatz von Filtraten alter
Typhusbouillonkulturen zu geben. Ein wesentlich höheresinteresse
gewannen dieselben, als es sich zeigte, dafs auf Zusatz von Immun¬
serum zu bakterienfrei gemachten Typhusexsudaten
ebenfalls eine aufserordentlich starke Fällungsreaktion auftritt.
Alle bisherigen Angaben über die Entstehung der Niederschläge
in Filtraten von Bouillonkulturen stimmen darin überein, dafs
bis zum Sichtbarwerden einer Trübung in der vorher ganz klaren
Flüssigkeit und weiterhin bis zur Zusammenballung der Trübung
zu Flocken eine lange Zeit vergeht. Kraus stellte seine Ver¬
suchsproben 24 Stunden lang in den Brutschrank, Nicol! e
dehnte seine Versuche ebenfalls auf Stunden hinaus aus und
Radzievsky, der offenbar bisher die stärksten Reaktionen
erhalten hatte, giebt an, dafs der Niederschlag, gleichgültig ob bei
Zimmer- oder Bruttemperatur, gewöhnlich nach 5—6 und nur
mitunter schon nach 3 Stunden entstand.
Alle zwölf untersuchten, auf gewöhnliche Weise, d. h. durch
Behandlung mit toten oder lebenden Bakterien gewonnene,
Typhusimmunsera verhielten sich ähnlich. Doch wurde be¬
merkt, dafs sich auf Zusatz gröfserer Mengen von Immunserum
zu relativ geringen Quantitäten Kulturfiltrates die Bildung einer
Trübung wesentlich beschleunigen liefs.
Ebenso konnten die bisherigen Angaben dahin bestätigt
w f erden, dafs der Niederschlag um so reichlicher ausfällt, je älter
Digitized by CjOOQle
354
Versuche über Typhusagglutinine und -Pröcipitine.
und je üppiger gewachsen die Kultur war, aus welcher das
Filtrat hergestellt wurde.
Die Art und Weise der Ausbildung und Absetzung des
Niederschlags wird in den folgenden Versuchsprotokollen an¬
gegeben werden. Die erste Beobachtung starker Fällungseigen¬
schaften geschah bei Untersuchung des erstentnommenen Serums
des mit Exsudatbakterien vorbehandelten Kaninchens d.
Versuch XXVII.
Zu je 5 ccm Filtrat einer 1 Monat alten Typhusbouillonkultur (die Fil¬
tration erfolgte in diesem wie in allen anderen Versuchen durch Berkefeldt-
filter) werden 0,2, 0,1 und 0,05 ccm Serum d und c (s. die Immunisierungs¬
tabelle auf 8. .‘147) zugesetzt.
ln allen Röhrchen entsteht fast unmittelbar nach dem Zusatze von
Serum d dichte Trübung, die bei den Proben mit 0,2 und 0,1 ccm Serum
nach V, Std., bei der mit 0,05 ccm erst nach etwa 1 Std. bei Zimmertempe¬
ratur flockig wird und sich dann rasch absetzt. Nach 12 Std. ist überall ein
starker Bodensatz gebildet, der aber deutlich an Menge von der Probe mit
0,2 zu der mit 0,05 ccm Serum abnimint.
Serum c hatte bei Zusatz von 0,2 ccm nach 2 Std. eine spuren weise
Trübung gezeigt, nach 12 Std. hatte sich darin ein geringfügiger Satz ge¬
bildet, das Röhrchen mit 0,1 ccm war leicht trüb, das mit 0,05 ccm blieb klar.
Das Wichtigste, was aus diesem sowie den folgenden Ver¬
suchen neben Feststellung der ungemein starken fällenden
Wirkung des Serums d hervorgeht, ist die Tlmtsache, dafs ein
auf gewöhnliche Weise durch Immunisation mit. Kulturbakterien
gewonnenes Serum überhaupt nur relativ sehr wenig präcipitie-
rende Kraft besitzt. Wenn trotzdem beide Sera, d und c, nahezu
gleich stark lebende Bakterien agglutinierten, so folgt daraus
unmittelbar der Schlufs einer völligen Unabhängigkeit der nieder-
schlags- und der haufenbildenden Wirkung.
Versuch XXVIII.
Mit dem zweiten, den Kaninchen c und d entnommenen Sens ^als
Serum cl und dl bezeichnet; s. die Immunisierungstabelle auf S. 347). Das
selbe wird in der Menge von 0,4, 0,2, 0,1 ccm zu je 4 ccm Filtrat einer
2 Monate alten Typhusbouillonkultur zugesetzt.
Auf Zusatz von Serum d 1 entsteht in allen Proben sofort eine starke
Trübung, die nach 2stiind. Stehen bei Zimmertemperatur bereits dicht flockig
und nach 4 Std. bereits ganz unter Klärung der Flüssigkeit abgesetzt ist.
Zusatz von 0,4 ccm Serum c 1 erzeugt nach etwa 10 Minuten eine leichte
Trübung, die nach 2 Std. stärker ist, nach 6 Std. unverändert besteht. Bei
Digitized by VjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
355
Zusatz von 0,2 ccm Serum e I wird erst nach 2 Std. eine leichte Trübung
bemerkt, die nach 6 Std. unverändert ist. Nach 24 Std. hat sich bei 0,4
und 0,2 ccm Serum cl ein geringfügiger Bodensatz gebildet; Zusatz von
0,1 ccm Serum cl hat überhaupt weder Trübung noch Niederschlag erzeugt.
Versuch XXIX.
Mit dem dritten, den Kaninchen c und d entnommenen Serie (Serum eil
und d II), welche in den Mengen von 0,1, 0,0T> und 0,01 ccm zu je 5 ccm
Typhusbouillonfiltrat von einer fast 2 Monate alten Kultur zugesetzt werden.
Die Proben mit Serum d II werden fast sofort trüb, die Trübung wird nach
0,1 Serum binnen 2 Std. bei Zimmertemperatur grobflockig und setzt sich
ab, viel schwerer erfolgt der Absatz bei 0,05 ccm, wo er nach 4 Std. noch nicht
beendet ist. Zusatz von 0,01 ccm hat zwar die Flüssigkeit dicht getrübt, aber
Flocken sind um diese Zeit noch nicht gebildet Nach 24 Std. sind alle
Röhrchen klar mit reichlichen, aber an Menge deutlich von 0,1 zu 0,01 Serum
abnehmendem Satze. Serum c II hat erst bei 0,1 ccm nach 24 Std. eine
zweifelhafte Trübung erzeugt und ist sonst wirkungslos geblieben.
Wie bereits erwähnt, waren bei der Immunisierung eines
zweiten Kaninchenpaares, g und h, die zuerst entnommenen
Sera beider Tiere wenig voneinander verschieden; jedenfalls
war das des mit Exsudatbakterien vorbehandelten Tieres h
lange nicht so agglutinativ wirksam gegen Typhusexsudat wie
das des früher in gleicher Weise immunisierten Tieres d.
Ganz in Übereinstimmung damit waren auch seine fällenden
Eigenschaften wenig ausgesprochen.
Versuch XXX.
Zu je 5 ccm Typhusbouillonfiltrat werden 0,25, 0,1 und 0,05 ccm Serum g
und h zugesetzt. Nach ca. 10 Minuten zeigt sich schwache Trübung bei
0,25 ccm Serum h. Nach Vsßtünd. Aufenthalte bei 37° erscheint eine eben¬
solche bei 0,1 ccm Serum h und 0,25 ccm Serum g. Die Trübungen werden
binnen 3 Std. bei 37° nicht merkbar stärker. Nach weiterer 12stünd. Auf¬
bewahrung bei Zimmertemperatur hat sich in der Probe mit 0,25 Serum li
ein ziemlich starker, in 0,1 ein wesentlich geringerer, in 0,05 ein sehr un¬
bedeutender Satz gebildet. Serum g hat in der Menge von 0,25 ccm einen
geringen Satz erzeugt und war sonst wirkungslos.
Mit dem Steigen der agglutinierenden Wirkung gegen Ex¬
sudatbakterien war auch eine vermehrte Fällungskraft für
Typhusfiltrate verbunden. Dieses auffallende Zusammentreffen
macht es, trotz der zu geringen Zahl untersuchter Sera wahr¬
scheinlich, dafs die Behandlung von Tieren mit Exsudatbakterien
regelmäfsig mit einer wesentlichen Steigerung der niederschlags¬
bildenden Wirkung einhergeht.
Archiv für Hygiene Bd XIJI. 24
Digitized by
Google
356
Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
Versuch XXXI.
Zu je 5 ccm Typhusbouillonfiltrat werden 0,5,0,25, 0,1 und 0,05 ccm Serum
h l bezw. gl zugefügt. Bei 0,5 und 0,25 ccm Serum hl entsteht fast sofort
Trübung, die nach 7* Std. sehr stark und nach 1 Std. (Zimmertemperatur)
flockig wird. Bei 0,1 ccm Serum hl bedarf es 5, bei 0,05 ccm etwa 10 Minuten,
ehe Trübung entsteht, die nach d / 4 Std. stärker und wenigstens bei 0,1 ccm
Serum flockig wird. Serum g I erzeugt mit 0,5 ccm nach etwa */ 4 Std. leichte
Trübung, die ebenso wie die etwas später bei 0,25 und die nach ca. 1 Std.
entstehende, bei 0,1 ccm durch 2 Std. ohne stärker zu werden, bestehen
bleibt. Nach weiteren 18 Std bei Zimmertemperatur zeigen alle Proben mit
Serum h I reichlichen Satz, der aber von 0,25 ccm Serum an bis 0,05 ccm
an Menge deutlich abnimmt. Serum g I hat bei 0,5 und 0,25 ccm nur einen
sehr geringen Satz, bei 0,1 ccm nur eine Trübung erzeugen können, 0,05 ccm
sind wirkungslos geblieben.
Die starken fällenden Wirkungen des Serums d wurden dazu
benutzt, um einige auf die Niederschlagsbildung bezügliche
Fragen zu studieren. Zunächst galt es, die Abhängigkeit der
agglutinierenden und präcipitierenden Serumwirkung voneinander
festzustellen. Die dabei leitende Überlegung war dieselbe, welche
auch den bereits besprochenen Versuch von Radzievsky ver-
anlafst hatte. Wenn die fällende Wirkung mit der haufen¬
bildenden enge verbunden oder gar mit ihr identisch ist, so
mufs nach Erschöpfung eines Serums mit dem Filtrat von
Typhusbouillonkulturen auch die bakterienagglutinierende Eigen¬
schaft verschwunden oder doch wesentlich herabgemindert sein.
Der Gang der Versuche ist aus den nachfolgenden Protokollen
ersichtlich; zur Prüfung der etwa geschwächten agglutinierenden
Wirkung wurden empfindliche junge Typhusbouillonkulturen
und das der makroskopischen Beobachtung überlegene Ver¬
fahren 1 ) der mikroskopischen Prüfung im hängenden Tropfen
angewendet.
Versuch XXXII.
10 ccm Typhii8bouillonfiltrate8 werden mit 0,1 ccm Serum d versetzt
ebenso 10 ccm physiologische NaCl-Lösung zur Kontrolle. Es entsteht im
Augenblicke des Einfallens der Serumtropfen eine weifsliche Trübung, die
sich sehr bald der ganzen Flüssigkeit mitteilt, nach */, Std. sehr stark
und nach 3 Std. (Zimmertemperatur) bereits ganz flockig geworden ist. Nach
20 Std. hat sich unter Klärung ein sehr reichlicher Satz gebildet.
1) Ci ruber, Münchner mediz. Wochenschrift, 1897, Nr. 17.
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
357
Die Probe wird centrifugiert, die überstehende,. völlig klare Flüssigkeit
abgegossen und gleichzeitig mit der Kontrolle auf ihre agglutinierende Kraft
geprüft; ihr Serumgehalt (0,1 ccm zu 10 ccm Flüssigkeit) entspricht einer
Verdünnung 1 : 100. Die mit 14stünd. Bouillonkultur angelegten hängenden
Tropfen zeigen hier wie in der Kontrolle nach l / 4 Std. vollkommene Agglu¬
tination. i
Versuchsprobe wie Kontrolle werden nun nach und nach auf die Ver¬
dünnungen 1 : 1000, 5000, 7500, 10000, 12500, 15000 gebracht und erzeugten
unterschiedslos Agglutination. Von da an erzeugten die Verdünnungen 1 : 16-,
17-, 18-, 19-, 20-, 22 und 24000 noch unvollständige Agglutination, 1 : 25000
war wirkungslos bei beiden.
Inzwischen war 1,5 ccm sowohl der abgegossenen Flüssigkeit als der
Kon trollprobe mit 1,5 ccm frischen Typhusfiltrates versetzt. In der Kontroll-
probe entsteht Trübung, die Versuchsprobe blieb klar. Es war somit alle
fällende Substanz des Serums verbraucht worden. Schliefslich wurden 4,5 ccm
der abcentrifugierten Flüssigkeit mit 0,05 ccm frischen Serums d versetzt.
Es entsteht nach Verlauf von Std. eine leichte Trübung, die nach 3 Std.
viel deutlicher wird und sich nach 24 Std flockig abgesetzt hat. Ihre In¬
tensität ist aber wesentlich geringer als die, die früher in einem unveränderten
Filtrate aufgetreten war. Es hatte somit die zugesetzte Serummenge von
0,1 ccm die in 10 ccm Typhusfiltrat enthaltene Menge ausfällbarer Substanz
nicht völlig niederschlagen können. Von einem etwa im Überschüsse zu¬
gesetzten Serum ist also keine Rede.
Versuch XXXni.
Je 5 ccm Typhusbouillonfiltrat erhalten einen Zusatz von 0.2, 0,1,
0,05 ccm Serum d. Kontrolle mit ebensoviel Serum in 5 ccm steriler Bouillon.
Die fast augenblicklich trübe gewordenen und rasch abgesetzten Proben
werden nach 24stünd. Stehen bei Zimmertemperatur centrifugiert und die oben¬
stehenden Flüssigkeiten im hängenden Tropfen geprüft; sie agglutinieren unter¬
schiedslos bei 1 : 15000 vollständig. Je 2 ccm der abcentrifugierten klaren
Flüssigkeiten werden neuerdings mit je 1 ccm Typhusbouillonfiltrat versetzt.
Die serumhaltige Kontrollbouillon wird fast augenblicklich trüb, von den Ver¬
suchsproben bleibt die, welche 0,05 ccm Serum d enthalten hatte, überhaupt
klar, die mit 0,2 ccm Serum gibt nach */* Std., die mit 0,1 ccm erst nach
2 Std. Trübung. Nach 24 stünd. Stehen wird centrifugiert, und die abgegossenen
Flüssigkeiten werden insgesamt nochmals mit frischer Typhusbouillonkultur
im hängenden Tropfen geprüft. Es zeigt sich unterschiedslos vollständige
Agglutination bis 1 : 10000. Bei 1 : 15000 ist die Haufenbildung in allen
Proben unvollständig, wohl infolge des 2tägigen Stehens in verdünntem
Zustande.
Danach kann es wohl keinem Zweifel mehr unterliegen, dafs
das Kraus’sche Phänomen mit der Agglutination in keinerlei
engerem Zusammenhänge steht, und dafs die, eine Fällung ver¬
anlassenden, präcipitiereuden Substanzen des Typhusimmunserums
24*
Digitized by
Google
Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
3f>8
völlig unabhängig von den die Zusammenballung der Bakterien
bewirkenden, agglutinierenden sind. Zusammengehalten mit den
Erfahrungen Nolfs, Tchistowichs und Bordets an roten
Blutkörperchen, sowie denen Radzievskys an Colibakterien
dürfte diesem Satze wohl Allgemeingültigkeit für sämtliche
Immunsera zukommen.
Ganz entsprechende Fällungen wie im Filtrat von Typhus
kulturell in künstlichen Medien erhält man nun auch in Typhus¬
exsudaten, welche durch Filtration oder ausgiebiges Centrifugieren
von ihrem Bakteriengehalte befreit worden sind. Diese Nieder¬
schläge wurden schon mit gewöhnlichen Immunseris erhalten,
viel schöner und schneller aber traten sie wieder bei Verwendung
von Seris des Kaninchens d auf.
Versuch XXXIV.
Die Bauchhöhle den der Infektion mit 3 Ösen Typhusagarkultur in
weniger als lf> Std. erlegenen Meerschweinchens 33 wurde mit 25 ccm physio¬
logischer Kochsalzlösung ausgespült, das Spülwasser centrifugiert und die ab-
gegossene, leicht opalisierende Flüssigkeit durch Berkefeldttilter filtriert. Das
ganz klare, wenig gelbe Filtrat wurde zu je 1 ccm mit 0,1, 0,05, 0,01, 0,005
und 0,001 ccm eines auf gewöhnliche Weise gewonnenen bis 1 : 2500 agglu¬
tinierenden Serams versetzt. Kontrolle 1 ccm Exsudat mit 0,2 ccm Normal¬
serum. Nach 3stünd Aufenthalt bei 37° war nichts Besonderes zu bemerken,
nach 20stünd. Stehen waren bei 0,1 und 0,05 ccm Serum grobflockige starke,
bei 0,01 und 0,005 ebensolche, aber schwächere Bodensätze gebildet, die aus
feinkörniger Masse bestanden. 0,001 ccm Serum hatte ebenso wie das Nor¬
malserum nicht gewirkt.
Versuch XXXV.
Exsudat der im Versuche XVI verwendeten Maus mit physiologischer
Kochsalzlösung ausgespült, 2 fach centrifugiert, wird zu je 1 ccm mit 0,2,
0,1 und 0,05 ccm desselben Serums wie im vorigen Versuche versetzt. Kon¬
trolle 2 Röhrchen mit 1 ccm Exsudat und 0,2 und 0,1 ccm Norraalserum. 37
Nach 1 Std. ist in allen Proben mit Immunserum dicke Flockenbildung
eingetreten, der bald Absetzung und Klärung folgt. Das Normalserum hat
keine Veränderung hervorgerufen.
Versuch XXXVII.
Vereinte Spülwässer der Peritonealhöhlen zweier Meerschweinchen
werden centrifugiert und durch Berketeldt filtriert. Die durch die starke
Verdünnung nur mehr wenig gelb gefärbten Filtrate werden in Eprou¬
vetten zu je 5 ccm eingefüllt und mit 0,2, 0,1 und 0,05 ccm Serum c und d
versetzt. Zimmertemperatur.
Digitized by v^.ooQle
Von Privntdozent Dr. Oskar Bail.
369
Binnen l / 4 Std. entsteht in den Proben mit 0,2 und 0,1 innerhalb 1 Std.
in der mit 0,05 ccm Serum d Trübung. Nach Verlauf von 3 Std., innerhalb
welcher Zeit die Trübung immer stärker wurde, entsteht Flockenbildung und
rascher Absatz. Serum c hat während dieser Zeit eine sichtbare Änderung
nicht hervorgerufen.
Nach 20 Std. sind die Proben mit Serum d klar mit an Menge deutlich
abgestuften Bodensätzen. Serum c hat nur bei 0,2 ccm Bodensatz erzeugt.
Die Prüfung der überstehenden klaren Flüssigkeiten ergab unveränderte
Agglutinationskraft gegen Typhusbouillonkultur
Die Thatsache der Niederschlagsbildung in selbst sehr stark
verdünnten Typhusexsudaten hat an sich nichts Auffälliges.
Denn offenbar beruht die Fällung auf dem Vorhandensein von
Produkten des Typhusbakteriums, gleichgültig zunächst, ob das
von vornherein lösliche Stoffwechselerzeugnisse sind, oder aber
sekundär aufgelöste Bakterionsubstanzen. Beide müssen sich im
Exsudate ebensogut wie in der Kultur finden. Die Besonderheit
liegt nur darin, dafs die Exsudate in so kurzer Zeit, 12 bis
20 Stunden, fertig gebildet sind und schon starke Niederschläge
geben, während junge, 24 Stunden alte Kulturen, wenn sie über¬
haupt eine Fällungsreaktion erkennen lassen, auf Zusatz auch
von Serum d, dl und dII, nur äufsurst wenig reagieren. Es
mufs also die Ausbildung der mit Immunserum fällbaren Stoffe
im Exsudate ungewöhnlich reichlich vor sich gehen.
Weitere Untersuchungen befafsten sich mit der Widerstands¬
fähigkeit der fällenden Stoffe des Immunserums und der aus-
gefällten der Kulturfiltrate gegen Hitze.
Was die ersteren betrifft, so vertragen sie jedenfalls Tem¬
peraturen von 60°, ohne zerstört zu werden.
Versuch XXXIX.
Berum eil wird 1 / a Std. und 1 Std. auf 60° erhitzt und zu je 0,25 ccm
je 5 ccm Typhusbouillonfiltrat zugesetzt. 37°.
In allen Proben entsteht sofortige Trübung, ohne Unterschied gegen
die Kontrolle, welche nicht erhitztes Serum enthielt. Schon nach '/s Öt-d.
beginnt Flockenbildung, nach 2 Std. ist der gröfste Teil der Flocken bereits
am Boden abgesetzt.
Vielleicht findet aber doch durch die Temperatur von 60°
eine gewisse Schädigung statt, wofür der folgende Versuch zu
sprechen scheint. Diese betrifft vornehmlich das wenig fällende
Serum c,
Digitized by
Google
360 ( Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
Versuch XL.
a) Je 4 ccm Typhusbouillonfiltrat werden mit 0,4, 0,2, 0,1 ccm Serum dl
bzw. cl versetzt. In der einen Hälfte der Proben ist dasselbe unverändert,
in der andern 7a Std. auf 60° erhitzt. (Für das unerhitzte Serum dl und cl
bereits teilweise im Versuch XXIX mitgeteilt.) Die Proben mit erhitztem
Serum dl werden fast augenblicklich trübe, doch ist die Trübung nach
2 Std. schwächer als in den nicht erhitzten Proben, und auch nach 4 und
6 Std. noch nicht flockig abgesetzt. Das erhitzte Serum ei hat binnen
6 Std. nur in der Menge von 0,4 ccm eine leichte Trübung erzeugt Nach
24 Stunden haben alle Proben mit Serum dl Bodensatz gebildet, und unter¬
scheiden sich nicht von den Proben mit normalem Serum. Wie die Trübung
der mit 0,4 und 0,2 ccm erhitzten Serums ei versetzten Proben beweist, ist
auch hier die Serum Wirkung hervorgetreten, 0,1 ccm Serum cl hat in keinem
Falle eine Wirkung geäufsert.
b) Spülwasser aus der Bauchhöhle des Typhusmeerschweinchens 49
wird durch Berkefeldtfllter filtriert, und zu je 3 ccm mit 0,3 ccm teils nor¬
malem, teils ! / 2 Std. auf 60° erhitztem Serum cl und dl versetzt. Bei
Zusatz von Serum dl entsteht sofortige Trübung, die schon nach 7a Std.
flockig wird und nach 3 Std. ganz abgesetzt ist; dabei besteht keinerlei
Unterschied in der Wirkung erhitzten und normalen Serums. Unerhitztes
Serum cl erzeugt nach 1 Stunde Trübung, die nach 3 Std. stärker geworden
ist und nach 24 Std. einen schwachen Bodensatz bildet, das erhitzte Serum
ruft erst nach 2 Std. eine schwache Trübung hervor, die auch nach 24 Std.
stationär bleibt.
Bestimmtere Resultate ergaben sich bei der Untersuchung
der Hitzebeständigkeit der aus Kultur- und Exsudatfiltraten aus¬
fallenden Stoffe. Dieselben widersprechen aber den bisher über
diesen Gegenstand vorliegenden Angaben, wobei zu bemerken
ist, dafs diese Angaben selbst nicht untereinander überein¬
stimmen.
Nicolle fand, dafs seine >substance agglutinee« hitze-
beständig sei und durch 120° nicht geschädigt werde. Nur die
aus Typhuskulturen ausfällbare Substanz sei etwas empfindlicher.
Im Gegensätze dazu fand Spiegelberg 1 ), dafs Erwärmung
der Kulturfiltrate die Entstehung der Kraus sehen Niederschläge
verhindere.
Im direkten Gegensätze zu diesen Angaben lieferte das
Studium der Ausfällungserscheinungen mit Serum d das Resultat
einer geradezu absoluten Hitzebeständigkeit der aus Typhus¬
kulturen fällbaren Stoffe, ein Resultat, das durch die Unter-
1) Zeitschrift f. Hygiene, 1399.
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
361
suchung der Art dieser Substanzen eine Bestätigung und Er¬
klärung fand.
Versuch XLI.
Je 5 ccm Typhusbouillonfiltrat werden folgenden Erwärmungen aus-
eesetxt:
1. Vt Std. auf 60°
2 . 1 » >
3. 2 > > >
4. 7a > >75°
5 . 1 > » >
6 . 2 > > >
7. V 4 > im siedenden Wasserbade
8-7 3 > » > »
9. 2 > * >
10. ohne jede Erhitzung, als Kontrolle.
Danach werden jedem Röhrchen 0,25 ccm Serum dl zugesetzt.
Die Trübung erfolgt in allen Proben fast sofort nach Zusatz des Serums,
ist nach 7 a 8 tflnd. Aufenthalt bei Zimmertemperatur dichter geworden, zeigt
nach 2 Std. überall weit vorgeschrittene Flockenbildung und mehr oder
weniger vollständigen Absatz, der am frühesten bei den auf 100° erhitzten
Proben beendet wird.
Mit diesem Ergebnis stimmt völlig die Thatsaehe überein,
dafs man eine ältere Typhusbouillonkultur erst im strömenden
Dampfe ( l j 2 —1 Stunde) sterilisieren und dann erst filtrieren kann,
ohne die Ausfällbarkeit derselben durch Immunserum sinnfällig
zu schädigen.
Diese Hitzebeständigkeit gab durch folgende Überlegung
Veranlassung zur Ermittlung der Natur der ausfallenden Stoffe.
Von allen bisher bekannten Stoffen der Bakterienzelle sind es
die Bakterienproteine im Sinne Büchners allein, welche ohne
Schaden über 100° hinaus erwärmt werden können. Da sowohl
in alten Bouillonkulturen, wie auch sehr rasch im Tierkörper
eine Auflösung der Bakterienleiber stattfindet, so müssen sowohl
in Kulturfiltraten, wie in tierischen Exsudaten derartige Pro¬
teine vorhanden sein. Sind sie es aber wirklich, welche auf
Zusatz von Immunserum einen unlöslichen Niederschlag geben,
so mufs auch eine künstlich hergestellte Typhusproteinlösung
durch Immunserum fällbar sein.
Teilweise hat schon Kraus in seiner ersten Mitteilung den
Beweis für diese Anschauung erbracht. Denn was er durch das
Digitized by CjOOQle
362
Versuche über Tvphusagglutinine und -Präcipitine.
Antrocknen von Bakterien und nachheriges Auslaugen in alkali¬
scher Bouillon in Lösung brachte, waren wohl zum guten Teile
Buchnersehe Proteine.
Zur Herstellung der Proteine wurde ein schon bei früheren
Untersuchungen verwendetes, dem Buch nersehen nachgebil¬
detes Verfahren benutzt.
Versuch XLII.
12 Üppig gewachsene Typhusagarkulturen werden in physiologischer
Kochsalzlösung aufgeschwemmt und centrifugiert. Nach vollständigem Ab-
giefsen der spurenweise gelblichen (infolge ihres Kondenswassergehaltes)
Flüssigkeit wird der weissgraue Satz in 24 ccm physiologischer NaCl-Lösung
aufgeschwemmt und in einer'Druckflasche im ölbade 3 Std. lang bei 120 bis
130° gehalten. Nach dem Abktihlen resultiert eine trübe Flüssigkeit, die
auffallend leicht durch Berkefeldtfilter hindurchgeht. Das Filtrat, welches
das Aussehen einer lichten Bouillon hat und völlig klar ist, wird zu je
2 ccm in Eprouvetten verteilt und mit 0,2, 0,1, 0,05, 0,01, 0,005 und 0,001 ccm
Serum dH versetzt.
Es entsteht auf Zusatz von 0,2, 0,1 und 0,05 ccm Serum fast augen¬
blicklich dichte Trübung, die teilweise schon nach */ 4 Std. flockig wird. Bei
0,01 ccm Serum braucht es etwa eine, bei 0,005 ccm 10 Min. (37°), ehe Trü¬
bung eintritt. 0,001 ccm ist wirkungslos. Nach 24 stund. Aufenthalte bei 37°
ist Überall Bodensatz gebildet, reichlich und gleich stark in den Röhrchen
mit 0,2, 0,1, 0,05 ccm Serum, viel geringer bei 0,01 und 0,005 ccm. Nur die
Probe mit 0,001 ccm Serum ist unverändert klar geblieben.
Versueh XL1XL
Je 5 ccm in der gleichen Weise wie im vorigen Versuche gewonnenen
Typhusprotefns erhalten einen Zusatz von je 0,1 ccm Serum dll und eil.
Das Serum dll ruft sofort Trübung hervor, die zusehends stärker und
nach ca. 1 l / a Btd. flockig wird; Serum eil bleibt ohne Wirkung. Nach
20stünd. Aufenthalt bei Zimmertemperatur hat sich in den Röhrchen mit
Serum dll ein starker Bodensatz gebildet, das andere ist unverändert.
Es tritt also auch die sehr charakteristische Differenz der
Fällungsfähigkeit der beiden Immunsera in Proteinlösungen
gerade so gut auf wie in Tvphusbouillonfiltraten, eine sehr wert¬
volle Stütze der Annahme einer Proteinuatur der mit spezifischem
Serum fällbaren Stoße.
Diese wird noch weiter wahrscheinlich gemacht durch
folgende Versuche, deren Prinzip ein sehr durchsichtiges ist.
Die Versuche XXXII und XXXIII zeigen deutlich an, dafs
die agglutinierende Substanz eines Serums unabhängig ist
Digitized by CjOOQle
Von I*rivatdozent Pr. Oskar Bail.
36:;
von der ausfallenden; denn die Erschöpfung der letzteren hat
keine Schwächung der ersteren zur Folge. Theoretisch könnte
nun auch umgekehrt ein durch Bakterienzusatz an Agglutininen
erschöpftes Serum seine fällende Kraft beibehalten. Sind es aber
die Proteine, welche durch die Serumpräcipitine ausgefällt werden,
so mufs dieser Fall nicht ein treten, da eiu mit Typhusbakterien
versetztes Serum Gelegenheit hat, sich mit den noch in den
Zellleibern vorhandenen Proteinen zu verbinden. Falls wirklich
die Verbindung Bakterienprotein-Serumpräcipitin ebenso gut bei
den noch im Zellleibe vorhandenen Proteinen erfolgt, wie bei
den gelösten, so mufs ein mit Bakterien versetzt gewesenes
Serum auch an präcipitierender Kraft verloren haben.
Versuch XLIV.
Je 1 ccm Serum <111 wird mit 2 ccm physiologischer Na CT Lösung ver¬
setzt. In diesen 2 cein sind das eine Mal zehn müfsig gewachsene Typhus¬
agarkulturen aufgeschwemmt, die andern reinen 2 ccm dienen als Kontroll-
zusatz. Binnen kurzer Zeit erfolgt Agglutination. Hierauf wird centrifugiert,
in der klar abgegossenen Flüssigkeit wird wieder eine Agarkultur auf¬
geschwemmt und die trübe Flüssigkeit mit dem früheren Bodensätze wieder
vereint. In dieser Weise wurden nach und nach 17 Agarkulturen verwendet,
ohne dafs das Serum an Agglutininen völlig erschöpft gewesen wäre. Danach
wird die durch Centrifugieren neuerdings geklärte Flüssigkeit zu je 2 ccm
Typhusbouillonfiltrat zugesetzt; ebenso die bakterienfrei gebliebene Kon¬
trolle, und zwar:
1. Je 2 ccm Typhusfiltrat -{- 0,1 ccm Versuchs- bzw. 1 a) Kontrollflüssigkeit
2 . > 2 * > -|- 0,2 » » * 2 a)
3. > 2 » > 0,3 » » »3 a)
4. > 2 » > -|- 0,5 » * » 4 a)
o. » 2 > > -{- 0,75 > > > 5 a)
6 . > 2 » > -|- 1 » > »6 a)
Sämtliche Proben \jnit der Kontrollflüssigkeit werden fast sofort trübe,
in 4a bis 6 a bilden sich binnen l / % Std. bei Zimmertemperatur grobe Flocken.
Nach 1 Std. sind die Flocken in 3a bis 6 a abgesetzt, 2a ist grobflockig,
1 a dicht trüb.
Bei Zusatz der Versuchsflüssigkeit tritt in 5 und 6 nach 5 Min., in 4
nach V 4 Std., in 3 und 2 nach l /, Std. schwache Trübung auf, die nach
2 Std. weder stärker geworden ist, noch Flockenbildung zeigt. Probe 1 bleibt
überhaupt unverändert.
Versuch XLV.
6 frische, üppige Typhusagarkulturon werden in 5 ccm physiologischer
NaCl-Lö 8 iing aufgeschwemmt und , / 4 Std. lang im siedenden Wasserbade
gehalten. Hierauf wird centrifugiert und vom Bodensätze so gut als möglich
Digitized by v^ooole
364
Versuche über Typhusagglutinine und Präcipitine.
abgegossen. Derselbe wird in 2 ccm physiologischer Kochsalzlösung auf¬
geschwemmt and ebenso wie 2 ccm reiner Kochsalzlösung mit 0,075 ccm
Serum dll versetzt. Schon nach 10 Min. ist die obenstehende Flüssigkeit
bei 37° ziemlich geklärt und der aus groben Flocken bestehende Bodensatz
zeigt mikroskopisch typisch agglutinierte Bakterienhaufen, die sich nach
Zerschütteln immer wieder neu bilden.
Die Proben bleiben 10 Std. bei Zimmertemperatur und dann über Nacht
auf Eis stehen. Dann wird centrifugiert und die obenstehende Flüssigkeit
in 3 ccm frisches Typhusbouillonfiltrat eingetragen, ebenso die Kontrolle.
Wie immer bei stark verdünntem Serum dauert es einige Zeit, ehe
Trübung sichtbar wird. Doch ist nach 10 Min. die Kontrolle deutlich, nach
1 Std. bei 37° dicht trüb, beginnt nach 2 1 2 Std. Flocken zu bilden und ist
nach 4 Std. grofsenteils, nach 8 Std. ganz abgesetzt. Die Versuchsprobe hat
während der ganzen Zeit nicht die geringste Veränderung erlitten 1 ).
Durch solche Versuche wird die Proteinnatur der aus Typhus¬
kulturfiltraten ausgefällten Stoffe überaus wahrscheinlich und es
läge kein Anstand vor, sie mit Sicherheit zu behaupten, wenn
der bereits gewürdigte Widerspruch in den Angaben über die
Hitzebeständigkeit nicht vorhanden wäre oder befriedigend auf¬
geklärt werden könnte. Vermutlich ist die geringe Fällungskraft
der von den erwähnten Autoren benutzten Immunsera dabei
irgendwie beteiligt.
Was dann noch weiter gefolgert werden müfste, wäre, dafs
bei der eigentlichen Agglutination die Bakterienproteine nur
passiv und sekundär eine Rolle spielen. Denn sonst müfste die
Erschöpfung der Immunsera durch Typhusfiltrate, also durch
Proteine, einen Eintlufs auf die Agglutination haben, was nicht
der Fall ist.
Da man aber mit keimfrei gemachten Bouillonkulturen
agglutinierende Sera erzeugen kann, so mufs in solchen Kultur¬
filtraten neben den Proteinen noch der 'wirksame Bestandteil
vorhanden sein. Da ferner auch mit bei 100° sterilisierten
Bouillonkulturen Agglutinine erzeugt werden können, so mufs
die wirksame Substanz, bis zu einem gewissen Grade wenigstens,
hitzebeständig sein.
Durch fraktionierte Fällungen und Immunisation mittels der
partiell ausgefällten Substanzen wird sich möglicherweise noch
P Die Versuche wurden in der .Tulisitzung des Vereines > Lotos < vor¬
getragen.
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Rail.
365
ein genauerer Einblick in das Wesen der Agglutination erhalten
lassen. Derartige Versuche beanspruchen aber lange Zeit, da
sie nur dann beweisend sind, wenn sie gleichzeitig an vielen
Tieren angestellt werden. Merkwürdigerweise vertragen aber
Kaninchen derartige Behandlungen ziemlich schlecht, weswegen
noch nichts über diese Versuche berichtet werden kann.
Nur die in der zweiten Mitteilung über die vorliegenden Versuche
ausgesprochene Hoffnung, dafs die Behandlung von Kaninchen
mit den Niederschlägen von Bouillonfiltraten durch Typhus¬
serum wirksame Sera liefern könne, darf nach eingehenderen
Versuchen schon jetzt als trügerisch bezeichnet werden.
Die Entstehung starker Fällungen in den Exsudaten typhus-
inficierter Meerschweinchen klärt nun auch die Bildung der ein¬
gangs erwähnten oberflächlichen Haufen in Präparaten solcher
Exsudate mit starkem Immunserum wenigstens -teilweise auf.
Denn dafs derartige Niederschläge in einem so bakterienreichen
Medium eine mehr minder grofse Zahl von Bakterien einschliefsen
können, ist sehr wahrscheinlich. Damit stimmt nicht nur die
langgestreckte Form dieser Haufen gut überein, sondern auch
die Thatsache, dafs sie um so weniger zu bemerken sind, je
mehr .das Exsudat von vornherein verdünnt w r urde, und dafs sie
bei gut ausgewaschenen, isolierten Exsudatbakterien nicht auf-
treten. Leider gab die direkte mikroskopische Beobachtung
hierüber nicht die wünschenswerte Klarheit. In einigen Fällen
liefs sich sicher eine sehr feinkörnige Masse als schmaler Rand
an einzelnen Stellen dieser Haufen wahrnehmen, in anderen aber
wurde etwas Ähnliches nur sehr unsicher oder gar nicht be¬
merkt. Die Färbung, die, wie Nico Ile und Kraus gezeigt
haben, für Immunserumniederschläge sehr wohl anwendbar ist, gab
hier wegen der Mitfärbung des Grundes keine sicheren Aufschlüsse.
C. Versuche über die Konstitution der Agglutinine.
Die Thatsache der schweren Agglutinierbarkeit der Typhus¬
bakterien im Meerschweinchenexsudate hat durch die bisher
mitgeteilten Versuche eine befriedigende Erklärung nicht ge¬
funden. Namentlich der Versuch einer Immunisation von
Digitized by CjOOQle
366 Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
Kaninchen mit solchen Bakterien hatte die erhofften Aufschlüsse
nicht gebracht. Die Versuche, dieselben auch in anderer Hin¬
sicht als etwas von gewöhnlichen Kulturbakterien Verschiedenes
zu erweisen, hatten, soweit sie nicht an technischen Schwierig¬
keiten überhaupt gescheitert waren, schliefslich ein völlig ne¬
gatives Resultat ergeben. Dazu kam noch, dafs auch der Ver¬
such, eine irgendwie andersartige Schutzwirkung des durch Im-
munisation mit tierischen Exsudatbakterien gewonnenen Serums
nachzuweisen, mifslang.
Es blieb somit nichts wie das eigenartige Verhalten gegen
die Serumagglutinine übrig. Aber gerade dieses schien in be¬
friedigender Weise die Thatsache der fehlenden Haufenbildurig
im aktiv oder passiv immunisierten Tiere erklären zu können.
Es schien nur wünschenswert, das für Typhus Gefundene nun
auch für andere Mikroorganismen zu bestätigen, in allererster
Reihe für den Choleravibrio, von dem ja die Agglutinations¬
untersuchungen s. Z. ihren Ausgangspunkt genommen hatten.
Diese Bestätigung jedoch blieb aus: die Choleravibrionen
im Exsudate inficierter Meerschweinchen wurden gerade so gut
von gewöhnlichem Choleraserum agglutiniert, wie wenn sie in
Bouillon oder auf sonst einem künstlichen Nährboden gewachsen
gewesen wären. Dies wurde zuerst bei einem sehr wenig viru¬
lenten Cholerastamme der Institutssammlung festgestellt, dann
aber auch für die hochvirulente Königsberger Cholera, die Herr
Professor Pfeiffer in dankenswertester Weise zur Verfügung
gestellt hatte.
Versuch XLVI.
Meerschweinchen III, mit 2 Ösen Choleraagarkultur inticiert, stirbt nach
ca. 15 Std. Liefert ein sehr Vibrionen- und auch leukocytenreiches Exsudat,
welches wegen seiner geringen Menge mit 10 ccm physiologischer Na Cl-
Lösung ausgespült wird. Das Spülwasser wird mit den Verdünnungen 1 : 10,
25, 50, 75, 100, 250, 500, 1000, 2500 und 5000 eines auf gewöhnliche Weise
gewonnenen Cholera-Immunserums zu hängenden Tropfen verarbeitet. Kon¬
trolle mit Bouillonkultur.
Nach */ 4 Std. ist überall Agglutination eingetreten; es besteht kein
neraerkenswerter Unterschied zwischen Exsudat und Bouillon.
Nach 1 Std. ebenso; eher sind die Häufchen im Exsudate schöner
und gröfser als in der Bouillon. Mehrfach undeutliches Pfeiffersches
Phänomen.
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
367
Versuch XLVII.
Mit physiologischer Na Cl-Lösung ans der Bauchhöhle des mit V 4 Agar¬
kultur Cholera Pfeiffer inficierten Meerschweinchens V ausgespülte, in der
üblichen Weise gewaschene und in physiologischer Kochsalzlösung auf¬
geschwemmte Vibrionen mit den Serum Verdünnungen 1 : 100, 250, 500,
1000, 5000, 10000 und 15000 zu hängenden Tropfen verarbeitet. Kontrolle
mit Bouillonvibrionen, die in gleicher Weise behandelt wurden.
Nach l / i Std. sind in allen Präparaten mit Exsudatvibrionen bis 1:1000
Serum Verdünnung schöne grofse Haufen ausgebildet, von da an sind die
Häufchen kleiner und reicher als vollständige Agglutination bis 1 : 10000.
Im Gegensatz dazu sind die Bouillonvibrionen bis 1 : 15000 agglutiniert, wo
im Exsudate die Serumwirkung schon aufhört, die Häufchen sind aber
durchgehende nur sehr klein. Nach 1 und 2 Std. ungefähr das gleiche Bild.
Versuch XLVIII.
Die Aufschwemmung der gleichen Vibrionen wie im vorigen Versuche
wird zu je 1 ccm in Röhrchen gefüllt und mit der gleichen Menge der Serum¬
verdünnungen 1 : 10, 100, 500, 1000, 5000, 10000 und 15000 versetzt. 37°.
Nach 1 / t Std. sind in den Exsudatvibrionen mit Serum 1 : 10 und 100
gröbere Flocken sichtbar. Alle anderen Proben gleichmäfsig trüb.
Nach 2 Std. haben die Serumverdünnungen bis 1 : 1000 sowohl in den
Exsudat- wie in den Bouillonvibrionen-Suspensionen agglutiniert. Die Ver¬
dünnungen 1 : 5000 und 10000 haben kleinste Flöckchen, aber ohne Klärung
der Flüssigkeit erzeugt.
Nach 128tünd. weiterer Aufbewahrung bei Zimmertemperatur sind alle
Proben bis 1 : 5000 ausnahmslos agglutiniert ; darüber hinaus hat das Serum
in gleicher Weise für Exsudat- wie für Bouillonvibrionen versagt.
Danach erschien es nutzlos, weitere Versuche mit Cholera
allzustellen, da von einer Allgemeingültigkeit der für Typhus
aufgefundenen, schweren Agglutinierbarkeit durch Immunserum
offenbar keine Rede war. Die Verhältnisse, welche im Tier¬
körper das Versagen der Typhusimmunserumwirkung veranlafsten,
waren bei Cholera einfach nicht ausgebildet. Es schien zweck¬
mäßiger zu sein, erst diesen Verhältnissen uachzuspüren.
Einen Fingerzeig hierfür boten Beobachtungen der Exsudat¬
bildung bei Typhus, wonach während der Infektion Agglutinine
nachweisbar sind. Eine Wiederholung der Versuche an den
Meerschweinchen 75 und 76 ergab das gleiche Resultat. Es
zeigten sich in den ersten Stunden nach der Typhusinfektion
Agglutinationssymptome, indem ein Teil der aus der Peritoneal¬
höhle entnommenen Bakterien zu ganz typischen Häufchen zu¬
sammentrat. Diese partielle Haufenbildung hörte nach einiger
Digitized by Cjooole
368
Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
Zeit auf und ungefähr gleichzeitig damit waren auch die jetzt
kapillar entnommenen Bakterien inagglutinabel geworden, während
sie vorher auf Serumzusatz reagiert hatten.
Dieses Verhalten führte auf die Vermutung, es könnte in¬
folge des Aufenthaltes der Bakterien in einem Medium, dem in
geringer Menge, aber fortwährend Agglutinine hinzugefügt werden,
eine Gewöhnung an dieselben eingetreten sein, eine Art Immuni-
sation der Typhusbakterien gegen Agglutinine. Analoga dafür
würden die Gewöhnung von Bakterien an Alexine nach Tromms¬
dorff sowie die Versuche Danysz’ geliefert haben, nach denen
eine Gewöhnung und damit eine Widerstandsfähigkeit von Milz¬
brandbacillen gegen die baktericiden Wirkungen des Rattenserums
relativ leicht zu erzielen ist.
Normale Meerschweinchenexsudate bringen keine Aggluti¬
nationsresistenz hervor, wenn man Typhusbakterien in ihnen
wachsen läfst.
Yersuch XLIX.
Meerschweinchen 78 wird 24 Std. nach einer intraperitonealen Injektion
von f) ccm steriler Bouillon, der etwas Aleuronatbrei zugesetzt ist, durch
Verbluten getötet. Die Bauchhöhle wird mit physiologischer NaCl-Lösung
ausgespült, so dafs sich 10 ccm einer dicht trüben Flüssigkeit gewinnen
lassen. Die Trübung besteht aus massenhaft vorhandenen, zum gröfsten
Teil polynucleären, lebenden Leukocyten. Das leicht gerinnende Exsudat
wird zerschüttelt, die eine Hälfte desselben wird centrifugiert, die klare
Flüssigkeit wird abgegossen, der Zellsatz in 5 ccm physiologischer NaCl-
Lösung aufgenommen. Alle drei so erhaltenen Flüssigkeiten: zellhaltiges
Kxsudat, zellfreies und Zellsuspension werden \/, Std. auf 60° erhitzt und
dann nach Absetzen der Zellen auf der Centrifuge, aber ohne Abgiefsen der
Flüssigkeit, mit Typhus geimpft. Am nächsten Tage sind die Röhrchen
trübe, die gewachsenen Bakterien werden aber durch Serum g ebenso wie
Bouillontyphus schon nach l / 4 Std. agglutiniert.
Vom selben Meerschweinchen wurden durch nochmaliges Ausspülen
der Bauchhöhle ca. 10 ccm trüber leukocytenreicher Flüssigkeit gewonnen,
aus der die Zellen durch Centrifugieren isoliert wurden. Der Satz wurde
mit '/a ccm Serum g übergossen, ebenso eine gleiche Menge von Serum als
Kontrolle aufgestellt und beide Proben 3 Std. bei 37° in mit Kautschuk¬
kappen versehenen Eprouvetten aufbewahrt. Hierauf wurde mit 4,5 ccm
physiologischer Kochsalzlösung verdünnt, centrifugiert und nunmehr Ver¬
dünnungen von der klaren Flüssigkeit, welche Serum 1 : 10, 100, 250, 500,
750, 1000 enthielt, mit Typhus aus dem Exsudate des Meerschweinchens 7!»
Digitized by v^.ooQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 369
zu hängenden Tropfen verarbeitet. Die Leukocvten waren durch die Serum¬
behandlung alle tot, teilweise blasig degeneriert.
Nach */ 4 Std. nur bei der Verdünnung 1:10 unvollständige Agglutination.
Nach 1 Std. vollständige Agglutination bei Serum Verdünnung 1 :10, sehr
unvollständige bei 100, alle anderen Proben unbeeinflufst. Ein Unterschied
in der Wirkung beider Sera besteht nicht.
Es kann somit durch Zusatz normaler Leukocyten zum
Serum unter Bedingungen, welche eine, wenigstens teilweise
Lösung derselben herbeiführen 1 ), eine Erhöhung der aggluti¬
nierenden Serumwirkung gegen Exsudatbakterien nicht erreicht
werden.
Wurden Typhusbakterien in den Exsudaten typhusinficierter
Meerschweinchen gezüchtet, so waren die Resultate schwankend;
es gelang aber in einigen Fällen mit Sicherheit, in derartigen
Flüssigkeiten Kulturen heranzuzüchten, die eine gewisse Resistenz
gegen Serumagglutinine aufwiesen.
Versuch L.
Die Bauchhöhle des der Infektion mit Typusagarkultur in weniger
als 15 Std. erlegenen Meerschweinchen« 80 wird nach und nach mit 25 ccm
physiologischer Kochsalzlösung ausgespült, worauf sich über 30 ccm einer
trüben, sehr bakterienreichen, aber zellarmen Flüssigkeit erhalten lassen.
Die Hälfte derselben wird durch Berkefeldt filtriert. Im ganzen werden vier
verschieden behandelte Medien hergestellt und gleichzeitig mit Bouillon als
Kontrolle mit Typhus geimpft:
1. Exsudat 1 Std. auf 60° erhitzt, dann centrifugiert und abgegossen.
Gibt eine trotz sorgfältigen Ausschleuderns opalisierende Flüssigkeit.
2. Exsudat centrifugiert, dann 1 Std. auf 60° erhitzt. Klare, gelbliche
Flüssigkeit.
3. Exsudat durch Berkefeldt filtriert. Klare, schwach gelbliche Flüssigkeit.
4. Exsudat durch Berkefeldt filtriert, dann 1 Std. auf 60° erhitzt.
5. Bouillon.
Nach 24stünd. Wachstum bei 37° sind alle Proben trüb und zeigen im
hängenden Tropfen mit Serum g in den Verdünnungen 1 : 100, 500, 1000
nach 1 Std.:
Kultur in 1. bei 1: 100 viele typische Haufen, daneben bewegliche Bakterien,
bei 1:500 Präparat wimmelnd von beweglichen Bakterien, daneben
wenige aber typische Haufen,
bei 1:1000 fast alle Bakterien frei, wenige Haufen;
Kultur in 2 1 : 100 und 500 vollständige, 1 : 1000 ziemlich vollständige
Agglutination;
1) Büchner, Archiv f. Hygiene. Van der Velde, (’entralblatt f.
Bakteriologie. Laschtschenko, Archiv f. Hygiene.
Digitized by v^.ooQle
370 Versuche über Typhusagglutinine and -Präcipitine.
Kultur in 3. 1 : 100 sehr zahlreiche freie, z. T. bewegliche Bakterien neben
Haufen,
1:500 wenige typische Haufen, etwas mehr lockere Aneinanderlage¬
rungen, die Mehrzahl der Bakterien wimmelnd;
1:1000 wimmelnd, auch in den sehr spärlichen Haufen lebhafte Be¬
wegung ;
Kultur in 4. vollständige Agglutination bei 1:100 und 500; fast vollständige
bei 1:1000;
Kultur in 5 überall Agglutination.
Der Befund spricht ganz deutlich dafür, dafs unter Um¬
ständen der die Agglutinationsresistenz bedingende Faktor im
Exsudate typhusinficierter Meerschweinchen auch nach deren
Tode aufserhalb des Tierkörpers zur Wirkung kommen kann.
Doch lassen sich sichere Schlüsse daraus nicht ziehen, weil der
in Versuch L verzeichnete Erfolg nur in einem Bruchteile der
Fälle eintrat; ebenso kam es nur selten vor, dafs im Exsudat
bereits gestorbener Meerschweinchen eine Spur agglutinativer
Wirkung auf gewöhnlichem Kulturtyphus sich zeigte.
Viel bessere Resultate, die schliefslich zur Aufklärung des
eigenartigen Phänomens der Agglutinationsresistenz führten, ergab
die Züchtung von Typhus in agglutininhaltiger Bouillon. Die
Herstellung derselben geschah in der Weise, dafs kleine Quan¬
titäten von Immunserum zu je 5 ccm Bouillon zugesetzt wurden,
worauf das Gemisch 1 Stunde auf 60° erwärmt wurde. Letzteres
geschah einerseits, um etwaige baktericide und lytische Wir¬
kungen zu beseitigen und anderseits, um vor Verunreinigungen
geschützt zu sein.
Es gelang für Typhus sehr leicht, für Cholera nur sehr
schwer 1 ), eine »Gewöhnung« an die Agglutinine herbeizuführen,
in der Art, dafs Wachstum nicht mehr ausschliefslich in wand-
und bodenständigen Flocken, sondern nebenher auch trübend
erfolgte. Schon eine Züchtung durch wenige Generationen führte
dieses Resultat herbei.
Yersneh LI
(abgekürzt wiedergegeben; es waren stets eine Anzahl Bouillonen mit ver¬
schiedenem Gehalt an agglutinierendem Serum hergestellt worden, die dann
weiter verimpft wurden. Nur das Wachstum einer solchen Serie wird hier
mitgeteilt.)
1) Siehe Citat auf S. 313.
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 371
1. Tag. Bouillon mit 0,002 ccm Serum g (1) und serumfreie Bouillon (II)
mit Typhus geimpft. 37°.
2. Tag. II Typisches trübes Wachstum. I Wenig trüb mit klein-
flockigem Bodensatz. Geimpft Bouillon mit 0,002 ccm Serum aus I, (I a) und
II, (Ib), Bouillon aus II, (II a).
3. Tag. Wie früher. Geimpft Bouillon mit 0,002 ccm Serum Ib aus
Ia und Bouillon II b aus il a.
4. Tag. Ib trüb, ohne wesentlichen Unterschied gegen IIb.
Geimpft Bouillon mit 0,01 ccm Serum aus Ib (Ic) und IIb (Id). Bouillon
mit ILb (IIc).
5. Tag. Ic ist leicht trüb mit Wand- und Bodenflocken. Id ist fast
klar, mit flockigem Satze.
Geimpft Bouillon mit 0,02 ccm Serum aus Ic (Ie) und IIc (If), Bouillon
mit Ile (IId).
0. Tag. Ie ist leicht aber deutlich trüb, ziemlich starker, aus kleinen
Flocken bestehender Satz. If ist klar mit starkem, festflockigem Satze
Geimpft Bouillon mit 0,02 ccm Serum aus Ie (lg) und IId (Ih). Bouillon
mit IId (He).
7. Tag. Ig leicht trüb, mit leicht zerfallenden Wandflocken und fest¬
flockigem Satze, Ih ist fast klar mit flockigem Satze.
Es hat wenig Zweck, weitere Versuche anzuführen, deren
Resultat, die »Gewöhnung«, ein deutliches, aber im ganzen, auch
nach langer Züchtung in agglutininhaltigen Medien, ein ziemlich
mäfsiges war. Der eigentliche Wert dieser Versuche liegt auch
gar nicht in der mehr oder minder deutlichen Trübung, welche
die Bouillon trotz noch vorhandener agglutinierender Wirkung
aufweist, sondern in folgendem Verhalten: entfernt man auf ge¬
eignete Weise die gebildeten, agglutinierten Flocken und unter¬
sucht die frei gebliebenen Typhusbakterien, so findet man diese
resistent gegen die Agglutinine.
Für derartige Untersuchungen ist die Anwendung der makro¬
skopischen Beobachtungsmethode unerläl’slich. Die Entfernung
der Flocken ist durch Filtration mittels guten Filterpapiers
ziemlich leicht, aber kleine Häufchen gehen doch durch und
stören die Beobachtung im hängenden Tropfen ungemein. Ferner
sind die filtrierten Flüssigkeiten in der Regel recht bakterienarm
geworden, so dafs es notwendig wird, die geringe Zahl der vor¬
handenen Mikroorganismen durch Ausschleudern in einer kleinen
Flüssigkeitsmenge zu konzentrieren. Auch damit sind Aneinander¬
lagerungen verbunden, die zwar bei gehöriger Vorsicht das Unter-
Archiv für Hygiene Bd XLÜ. 25
Digitized by CjOOQle
372
Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
suchungsergebnis nicht zweifelhaft machen können, wie es die
Versuche mit dem Waschen der Exsudatbakterien beweisen,
immerhin aber zeitraubende Herstellungen und Beobachtungen
von Kontrollpräparaten bedingen. Bei der makroskopischen
Besichtigung sind solche unvermeidliche, kleine Aneinander¬
lagerungen von Bakterien einflufs- und bedeutungslos. Die unbe-
zweifelte Überlegenheit der Feinheit der Beobachtung im hän¬
genden Tropfen spielte bei Versuchen, in denen, wie sofort zu
erwähnen sein wird, ausschliefslich starke Sera zur Anwendung
kamen, keine Rolle mehr.
Yersnch LH.
(Versuchsresultat nur für die Kulturen angegeben, deren Herstellung
und Wachstum im vorigen Versuche beschrieben wurde.) Die Kulturen Ib
und II b werden filtriert, die Filtrate centrifugiert. Vom Bodensätze wird so
vollständig wie möglich abgegossen und derselbe in wenig physiologischer
NaCl-Lösung verteilt. Je 10 Tropfen der betreffenden Aufschwemmungen
werden mit ebensoviel Serum 1 : 100, 500, 1000 versetzt. 37 °.
Schon nach */ 4 Std. sind die Bakterien von II b in Serum 1 :100 und
500 grobflockig geworden, nach Vs Std. sind alle Proben von II b vollständig
agglutiniert und abgesetzt Die Röhrchen mit den Bakterien von I b sind
gleichmäfsig trüb bis 3 Std. nach dem Einsetzen in den Brutschrank. Dann
beginnt Agglutination, die nach 7 Std. beendet ist.
Versuch LIH.
In gleicher Weise wie der vorige mit den Proben lg, Ih und Ile an-
gestellt. Serumverdünnungen 1:100, 500 und 750. 37°.
Die Bakterien aus He sind schon nach */ 4 Std. in vollster Flocken¬
bildung und nach 1 Std. gänzlich abgesetzt, die aus lg und Ih fangen bei
Serum 1: 100 erst nach 2 Std. an, sich zusammenzuballen und bleiben sonst
trübend.
Die von lg und Ih abgegossene agglutininhaltige Bouillon agglutiniert
frische Bouillonkulturen im hängenden Tropfen binnen V 4 Std. vollständig.
Das Ergebnis dieser Versuche ist von aufserordentlicher
Wichtigkeit: es zeigt, dafs der Faktor, welcher die Agglutinations-
resistenz bedingt, auch aufserhalb des Tierkörpers, im aggluti¬
nierenden Immunserum vorhanden ist und hier unter Umständen
in Wirksamkeit treten kann.
Dafs es sich dabei lediglich um eine »Gewöhnung« der
Bakterien an die Serumagglutinine handeln könne, wird durch
den als LIII angeführten Versuch im höchsten Grade unwahr¬
scheinlich; denn die Unwirksamkeit des Serums tritt bei den
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
373
Typhusbakterien, die vorher mehrere Generationen in agglutinin-
haltiger Bouillon erzeugt hatten, gerade so gut hervor wie bei
denen, welche ebenso lange vorher in gewöhnlicher Bouillon
gelebt hatten. Der Aufenthalt in einem auf 60° erhitzten, ver¬
dünnten Immunserum scheint nach Mafsgabe der Versuche LII
und LIII das Wesentliche zu sein. Da aber in den Bouillonen,
welche zur Erzeugung der für diese Versuche benutzten Bak¬
terien gedient hatten, Haufenbildung eingetreten war, und da
noch, wie die Wirksamkeit derselben nach Entfernung der Bak¬
terien beweist, aktive Agglutinine vorhanden waren, so mufs der
fragliche, die Agglutinationsresistenz bedingende Faktor neben
den Agglutininen selbst im erhitzten Serum vorhanden gewesen
sein. Die Verhältnisse würden demnach so liegen, dafs ein auf
60° erwärmtes Serum wirksame Agglutinine enthält, welche
Haufenbildung veranlassen und daneben einen Faktor, welcher
Agglutinationsresistenz verleiht, so dafs in einer für Typhus¬
bakterien noch wirksamen Serumverdünnung eine Anzahl solcher
vorhanden sind, welche weder durch diese Verdünnung noch
durch ein anderes Immunserum agglutiniert werden können.
Versuch LIV.
1 ccm Serumverdünnung g wird 1 Std. auf 60° erhitzt, hierauf mit
5 ccm einer Aufschwemmung von einmal gewaschenen Typhusbakterien (aus
Agarkultur) versetzt und 3 Std. bei 37° belassen. Nach dieser Zeit haben
sich reichlich Flocken abgesetzt, aber die überstehende Flüssigkeit ist noch
trüb. Sie wird vorsichtig durch ein steriles Papiertilter abgegossen, und das
Filtrat, wie ein nicht mit Serum versetzt gewesener, in gleicher Weise be¬
handelter und entsprechend verdünnter Teil der Aufschwemmung centri-
fugiert. Die Bodensätze werden in wenig physiologischer NaCl-Lösung auf¬
geschwemmt und je 10 Tropfen der Suspensionen mit ebensoviel Serum¬
verdünnungen g 1: 500 und 750 versetzt.
In den Kontrollproben ist nach 1 / 2 Std. bei 37° alles dicht von groben
Flocken erfüllt, nach 1 Std. sind die Flüssigkeiten unter Absetzen geklärt;
die Versuchsproben sind bei 2stünd. Aufenthalt in 37° und weiteren 16 Std.
bei niederer Zimmertemperatur gleichmäfsig trüb.
Versuch LV.
Zum Versuche dient ein sehr wenig wirksames Kaninchenserum n,
welches nur bis 1 : 200 sicher agglutiniert. Je 1 ccm der Verdünnung 1:10
wird 1. als solches, 2. nach lstünd. Erhitzung auf 60°, 3. nach ebensolanger
Erwärmung auf 75° mit 1 ccm Aufschwemmungen von Typhusagarkulturen
versetzt. Nach 2stünd. Aufenthalt bei 37° ist in 1. Agglutination in groben
26 •
Digitized by v.ooQle
374 Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
Flocken vorhanden, bei ziemlicher Klärung, in 2. sind Flocken in gleich
mäfsig trüber Flüssigkeit eben sichtbar, 3. ist trüb. Es werden neuerdings je
0,5 ccm Aufschwemmung zugesetzt. Nach */t fcftd* ist 1. wie vorher unter
Flockenbildung etwas geklärt, 2. ist dicht trüb, doch erkennt man eben
noch Flocken, 3. ist gleichmäfsig trüb. Neuerlicher Zusatz von 1 ccm Auf¬
schwemmung, worauf alle Proben trüb bleiben. Die Flüssigkeiten werden
durch Papier filtriert, dabei zeigt sich, dafs das Filtrat von 1. nur wenig,
von 2. viel stärker, von 3. stark trüb ist. Die Proben werden centrifugiert,
die Sätze in wenig physiologischer Kochsalzlösung aufgenommen und sodann
je 5 Tropfen der Aufschwemmungen in engen Röhrchen versetzt mit:
1. 5 Tropfen Bakterien aus 1. mit 5 Tropfen Serum n 1 . 50
2.
5
>
>
>
1.
*
5
>
>
1 :100
3.
5
>
>
>
2.
>
5
>
>
1: 50
4.
5
>
>
>
2.
>
5
>
>
1 : 100
5.
5
>
>
*
3.
>
5
i
>
1: 50
6.
5
>
>
>
3.
>
5
>
>
1 : 100
7.
5
>
Bakteriensuspension ohne
Serum
mit
5 Tropfen Serum n.1 : 50
8. 5 > Bakteriensuspension ohne Serum mit
5 Tropfen Serum n.1 : 100.
Nach l \ Std. bei 37° ist die Agglutination in 7. und 8. weit vorge
schritten, nach Z I A Std. beendet. Erst nach 1 */, Std. beginnt Flockenbildung
in 1., 3. und 5., nach 2 Std. sind hier Flocken sichtbar, die sich absetzen,
aber die Flüssigkeit bleibt auch nach 3 Std. noch trüb In den übrigen
Proben trat keine Veränderung ein.
Yersuch LYI.
Typhusimmunserum von einem Hunde, bis 1 : 250 agglutinierend, wird
in drei Eprouvetten zu je 1 ccm 1. als solches, 2. nach 1 stünd. Erhitzung
auf 60°, 3. nach 1 stünd. Erhitzung auf 75° mit lebenden, gewaschenen
Typhusbakterien von Agarkulturen versetzt. Der erste Zusatz von 1 ccm
Aufschwemmung ist bei 37° in 1. binnen */* Std. so vollständig agglutiniert,
dafs die obenstehende Flüssigkeit klar erscheint, in 2. flockig abgesetzt,
aber bei Freibleiben der oberen Schichten; 3. bleibt trüb. Nun wurde stete
zu allen drei Proben gleichviel Bakteriensuspension zugesetzt, bis auch in
1. die Flüssigkeit leicht diffus trüb blieb. Es wiederholte sich immer der
Befund, dafs das auf G0° erhitzte Serum nur Flocken erzeugen, die Flüssig
keit aber nicht klären konnte.
Nachdem im ganzen 1,95 ccm Bnkterienaut'schwemmung zugesetzt
worden waren, wurden die Proben durch Papier filtriert, wobei 1. relativ
wenig, 2. stärker, 3. dicht trüb durchs Filter ging. Hierauf wurde ceutri-
fugiert und die Sätze in wenig physiologischer NaCl-Lösung suspendiert.
Darnach wmrden in engen Eprouvetten gemischt:
1. 5 Tropfen d. Bakteriensusp.
aus unerhitzt. Serum
-|- 5Tropfen Serum
1
10
2. 5
> >
>
+ 5
1
100
3. 5
> l li 00° erhitzt. >
+ 5 > >
1
10
4 5 > > »
> i
> >
+ 5 >
1
100
Digitized by v^.ooQle
Von Privatduzent Dr. Oskar Bail.
375
5. 5 Tropfen d. Bakteriensusp. aus 75° erhitzt. Ser. -|- 5 Tropfen Serum 1 : 10
6. 5» > * >» >1.100
7. 5 » Suspension normaler Typhusbakterien -j- 5 > > 1 : 10
8 . 5 » > > » + 5 > 1 : 100
Nach 1 /., Std. war 7. abgesetzt und geklärt, 8. mit groben Flocken dicht
erfüllt.
Nach s / 4 Std. war die Agglutination der Kontrollproben beendet.
Nach 1 Std. war in Nr. 5 eine Spur Haufenbildung wahrzunehrnen,
nach 6 4 Std. bestand deutliche Haufenbildung in 1., 3. und 5., die nach
t / 4 Std. zur Klärung führte.
: 2 ., 4 , 6. waren nach 2 Std. unverändert. Erst nach 4 Std. war Flocken¬
bildung in 2. und 4. zu bemerken, wobei aber die Flüssigkeit trüb blieb.
Aus den mitgeteilten Versuchen geht ganz übereinstimmend
hervor, dafs ein genügend langer Aufenthalt von Bakterien in
einem Immunserum, vorausgesetzt, dafs sie nicht selbst aggluti-
niert werden, Agglutinationsresistenz erzeugt. Solche inaggluti-
nable Bakterien kann man erhalten, entweder indem man z. B.
Typhusagarkultur in sehr geringem Überschüsse über die Agglu¬
tinationskraft hinaus dem unveränderten Serum zusetzt, oder
indem man sie in Serum suspendiert, dessen Agglutinine durch
Erhitzen auf 60° etwas geschädigt oder durch Erwärmen auf 75°
anscheinend vernichtet worden sind. Auf eine Schädigung der
Agglutinine bei 60° mufs man aus dem Umstande schliefsen,
dafs zur Sättigung eines derart behandelten Serums weit weniger
Bakterienmaterial erforderlich ist als zu der eines unveränderten,
wie dies namentlich aus Versuch LVI, entgegen den Angaben
der Autoren, mit Sicherheit hervorgeht.
Schon zu Anfang der Versuche wurden auf diese Weise
mitunter Bakterien so unempfindlich gemacht, dafs sie so gut
wie gar nicht mehr mit Immunserum reagierten.
Versuch LVH.
Je 1 ccm Serumverdünnung eil 1:250 wird 1. 1 Std. auf 00°, 2. 1 Std.
auf 75° erwärmt. Danach werden je 1 ccm Suspension, entsprechend einer
Typhusagarkultur zugesetzt und die Proben t> Std. bei 37° belassen. Nach
dieser Zeit war in dem auf 60° erhitzten Serum teilweise, in den anderen
keine Agglutination eingetreten. Die Proben wurden filtriert, die Filtrate
centrifugiert, die Bodensätze gewaschen und schliefslich in physiologischer
NaCl-Lösung aufgeschwemmt. Es wurden dann in engen Eprouvetten
gemischt:
1. 5 Tr Suspens d. Hakt, aus d. auf 00° erwärmten Serum -)- 5 Tr. Ser cTT 1 250
2. 6 i » > » > * 00° » > -|- 5 > * > 1:500
Digitized by
Google
376
Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
3. 5 Tr. Suspens. d. Bakt. aus d. auf 75° erwärmten Serum 4- 5 Tr. Ser. eil 1:250
4. 5 » > » » > » > 75° > > 4“ 5 » » > 1:500
5. 5 * > normaler Typhusbakterien +5 > > > 1:250
6. 5 > > > » 4-5 > > » 1:500
Nach */ 4 Std. war die Agglutination in 5. fast beendet, in 6. weit vor¬
geschritten.
Nach ! /j Std. waren die Proben 5 und 6 klar abgesetzt; alle anderen
Proben blieben bei der2stünd. Beobachtungsdauer bei 37° gleichmäßig trüb.
Versuch LVIU.
Je 1 ccm Serum g 1 :10 verdünnt, wird 1. als solches, 2. nach 1 stünd.
Erhitzung auf 75° mit je 2 ccm Aufschwemmung von Typhusagarktilturen
versetzt. Bleibt 2 Std. in 37°, wonach in 2. keine, in 1. starke Agglutination,
aber mit leichter Trübung der tiberstehenden Flüssigkeit eingetreten ist.
Wird in der in den früheren Versuchen angegebenen Weise filtriert, centri-
fugiert etc.
Es werden schliefslich hergestellt:
1. 5 Tr. Suspension v. Bakt. aus unverändertem Serum 4“ 5 Tr. Serum gl: 10
2. 5 > > > > » > » 4~ 5 > > > 1 • 500
3. 6 > » » » > auf 75° erhitzt. > 4"5> > »1:10
4 . 5» > >»>»» > » 4" 5 » > » 1 : 500
5. 5 » » normaler Bakterien 4“ 5 » » > 1: 10
6. 5» > » > 4 5 » » > 1:500
Nach V, Std. sind die Kontrollproben vollständig agglutiniert; die
Versuchsproben bleiben während der 2 stünd. Beobachtungsdauer bei 37°
gleichmäfsig trüb.
Von erheblichem Interesse und später näher zu besprechen
sind Versuche wie der folgende.
Versuch LIX.
Je 1 ccm der Verdünnungen 1: 10 des Serums g (durch Behandlung
von Kaninchen mit Kulturtyphus erhalten) und h (durch Immunisation mit
Exsudattyphus hergestellt) werden 1 Std. auf 75° erhitzt und dann mit 2 ccm
Typhusagarkultur-Aufschwemmungen versetzt, und ohne dafs Agglutination
eingetreten wäre, 3 Std. bei 37° belassen. Danach werden in der oft be¬
schriebenen Weise Bakteriensuspensionen hergestellt, die mit agglutinierendem
Serum versetzt werden:
1.
5 Tropfen Suspension d. Bakt.
aus
erhitzt. Serum g 4 5 Tr. Serum
g
1
10
2.
5
>
>
>
>
>
>
> > 4" 5
>
>
>
1
100
3.
5
»
>
>
>
>
>
> »4-5
>
>
h
1
10
4.
5
>
>
>
>
>
>
» »4-5
>
>
»
1
100
5.
5
>
»
>
>
>
>
» h 4 5
»
»
>
1
10
S.
5
>
>
>
»
>
>
» » 4 5
>
*
>
1
100
7
5
>
>
»
>
>
>
* » 4 - 5
»
>
g
1
10
8.
5
>
>
>
>
>
>
» » 4-5
>
>
>
1
100
Digitized by v^.ooQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 377
9.
5 Tropfen
Suspension
normaler Bakterien + 5
Tropfen
Serum g
1
10
10.
5
>
> »4-5
>
> >
1
100
11.
5
>
> » 4 - 5
>
> h
1
10
12
5
>
» > + 5
>
> >
1
100
Nach >/ 4 Std. (immer 37°) ist 9. und 11. beendet, in 10. und 12. weit
vorgeschrittene Haufenbildung. Sonst 0.
Nach */• Std. 9 , 10., 11., 12. beendet, sonst 0.
Nach s / 4 Std. 9.—12. beendet, 3. deutlicher, 5. zweifelhafter Beginn der
Agglutination, sonst 0.
Nach 1 Std. 1., 2. 0, 3. weit vorgeschrittene Haufenbildung, 4. undeut¬
licher Beginn derselben, 5. schwache Agglutination, 6., 7. 8. 0.
Nach V/ 4 Std. 1., 2. 0, 3. fast beendete, 4. sehr deutliche Agglutination,
6. Flocken in trüber Flüssigkeit, 6. Spur von Flockenbildung?, 7., 8. 0.
Nach Vj t Std. 1., 2., 0, 3., 4., 5. und in geringem Grade 6. Flocken¬
bildung mit mehr oder weniger vollständigem Absetzen der Haufen, aber
trüber, überstehender Flüssigkeit, 7. und 8. 0.
Nach 2 St. Unverändert.
Bei diesem Versuche ist besonders die Wirkung des Serums h
zu beachten; genau so wie dieses, durch Immunisation von
Kaninchen mit Exsudatbakterien gewonnene, die Typhusbakterien
aus dem Tierkörper leichter zur Haufenbildung veranlassen
konnte, so vermag es auch künstlich resistent gemachte Kultur¬
bakterien besser zu agglutinieren wie ein gewöhnliches Immun¬
serum. Das ist ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dafs die
Agglutinationsresistenz nicht durch eine Vielheit von Ursachen
bedingt wird, sondern durch eine einzige, die im Tierkörper in
gleicher Weise wirksam ist wie in einem etwa auf 75° erhitzten
Serum. Es bedarf nun einer genaueren Analyse, ob die bis¬
herigen Erklärungsweisen des Agglutinationsphänomens irgendwie
ein Verständnis dieser Erscheinungen ermöglichen. Die älteste,
die Grubersche Anschauung nimmt bekanntlich ein Verquellen
und Klebrigwerden der Bakterienhülle als Ursache der Haufen¬
bildung an. Man könnte sich, abgesehen von den bereits er¬
wähnten, gegen diese Auffassung geltend gemachten Bedenken,
ganz gut vorstellen, dafs sich einmal Typhusbakterien finden,
welche eine nicht quellbare Membran besitzen und infolgedessen
ungeeignet zur Aneinanderlagerung sind.
Es bestände demnach der Grund der Agglutinationsresistenz
in einer Veränderung der Konstitution der Bakterienmembran,
etwa im Sinne der Ni coli eschen Anschauung, dafs weniger
Digitized by CjOOQle
378
Versuche über Typhusagglntinine und -Präcipitine.
ägglutirmble Substanz innerhalb der äulseren Schichten der Bak¬
terienzelle abgelagert wäre. Etwas Derartiges könnte in einer
Änderung der Arteigenschaften seinen Grund haben: durch
irgend welche Veranlassungen gezwungen, wandelt sich der bisher
agglutininempfindliche Typhus in einen resistenten um. Im Sinne
der bereits mitgeteilten Gewöhnungsversuche würde etwa bei
der Störung der normalen Lebensvorgänge, wie eine solche die
Agglutination doch sicher bedeutet, dasjenige Individuum, welches
von vornherein etwas resistenter ist, sich besser in einer agglu¬
tininhaltigen Bouillon vermehren und hätte schliefslich Aussicht,
durch eine Art natürlicher Zuchtwahl eine neue, agglutinin¬
unempfindliche Rasse zu bilden. Der unter der Zahl LI mit¬
geteilte Gewöhnungsversuch widerspricht einer solchen Annahme
nicht. Vielleicht wäre es bei entsprechender genügend langer
Züchtung wirklich gelungen, einen inagglutinablen Stamm aus
den wenigen ursprünglich in die Bouillon eingeimpften Keimen
zu erlangen. Die Thatsache, dafs schliefslich bei relativ hohem
Agglutiningehalt ein gewisses trübendes Wachstum konstatiert
wurde, liefse sich als scheinbarer Beweis anführen; es wäre auch
wirklich möglich, dafs unter den durch das Papierfilter gegangenen
Bakterien sich schon Angehörige der neu entstehenden inagglu¬
tinablen Rasse befunden hätten: die Mehrzahl war es aber sicher
nicht; denn sonst hätte die unmittelbar aus einer längeren Zeit
agglutininfrei gezüchteten Kultur in die gleich stark agglutinierende
Bouillon vorgenommene Überimpfung nicht ebenfalls aggluti¬
nationsresistente Bakterien liefern dürfen.
Für die Verhältnisse im Tierkörper trifft diese Annahme
erst recht nicht zu. Denn hier werden agglutinierbare Bakterien
injieiert und ebensolche erhält man sofort wieder, wenn man
etwas von dem gebildeten Exsudate in Bouillon oder auf Agar
überträgt.
An eine plötzlich entstandene neue Rasse, eine Art Bakterien¬
mutation, läfst sich natürlich aus dem gleichen Grunde nicht
denken.
Es wäre weiterhin im Sinne der Gr übersehen An¬
schauung noch möglich, daran zu denken, dafs die ijuellbare
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
379
Membran, welche die Haufenbildung durch ihr Klebrigwerden
veranlafst, etwas für das Typhusbakterium ganz Nebensächliches
sei, das zw T ar regelmäfsig ausgebildet wird, aber ohne wesent¬
lichen Schaden für das Leben auch wegbleiben könnte, etwa so
wie grofse Kapseln bei gewissen Bakterien nur auf bestimmten
Substraten entstehen, bei Überimpfung auf andere Nährböden
aber kleiner werden oder ganz wegbleiben können, ohne Wachstum
und Fortpflanzung sichtbar zu beeinträchtigen. Soweit sich die
Litteratur überblicken läfst, gibt es zwar kein Beispiel für einen
Nährboden, auf dem der Typhus agglutinationsresistent wüchse,
aber mehr minder naheliegende Analogien liefsen sich finden,
etwa in dem verzögerten Auftreten der Fluorescenz beim Wachs¬
tum des Pyocyaneus im Serum u. dergl. Dann wäre es leicht
erklärlich, warum Rückversetzung in ein normales Nährsubstrat
das Wiederauftreten der Agglutination zur Folge hat. Dem
widerspricht aber wieder der Gewöhnungsversuch, welcher zeigt,
dafs agglutinierbare und resistente Bakterien in der gleichen
serumhaltigen Bouillon nebeneinander zur Entwicklung kommen.
Somit läfst die Grub ersehe Hypothese eine Deutung der
berichteten Versuche nicht zu und das Gleiche gilt, meist
aus denselben Gründen, für die Ansichten von Dineur und
Nie olle.
Nicht minderen Schwierigkeiten begegnet man, wenn man
die Thatsache der Agglutinationsresistenz der Pal tauf - K raus -
sehen Erklärungsweise anpassen will, immer abgesehen von den
sonst gegen diese Hypothese sprechenden Erfahrungen.
Warum in einer agglutininhaltigen Flüssigkeit eine Anzahl
Bakterien durch die gebildeten Niederschläge agglutiuiert werden
und andere nicht, obwohl von einer Erschöpfung keine Rede
sein kann, ist ebensowenig einzusehen, wie die Erscheinung zu
erklären ist, dafs bei der Niederschlagsbildung überhaupt Bak
terien unbehelligt bleiben können. Nach der Paltauf-Kraus*
sehen Theorie in ihrer gegenwärtigen Form kann es aggluti¬
nationsresistente Bakterien überhaupt nicht geben, so lange noch
wirksames Berum zugegen ist; die Änderung der Arteigenschaft
oder der Wachstumsverhältnisse, die bei der Gruberschen
Digitized by
Google
380 Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitinc.
Lehre unter Umständen hätte erklärend wirken können, würde
für die Zusammenballung durch Niederschläge völlig irrelevant
sein. Deshalb kann man auch nicht annehmen, dafs erst eine
gewisse Stärke der Niederschlagsbildung gefordert werden müsse,
ehe Agglutination eintritt, und dafs diese Stärke für die Exsudat¬
bakterien durch die Verdünnungen eines gewöhnlichen Immun¬
serums nicht zu erzielen sei. Auf den ersten Blick schiene dafür
allerdings die Erscheinung zu sprechen, dafs die oft erwähnten
Sera d und h, welche auch Exsudatbakterien noch agglutinierten,
gleichzeitig stärker fällende Eigenschaften besafsen. Warum sie
aber dann ungefähr die gleiche agglutinierende Kraft für Typhus¬
bouillon besafsen wie Sera, welche für Exsudatbakterien relativ
unwirksam waren, bliebe unerklärt.
Was die Bordetsche Auffassung des Agglutinations¬
phänomens betrifft, so wurde bereits in der historischen Ein¬
leitung die Einteilung der Bakterien in zwei Phasen als ein sehr
wesentlicher Fortschritt bezeichnet. Zu bedauern ist nur, dafs
die Bordetsche Theorie in sehr wesentlichen Punkten ganz
unbestimmt sich äufsert. Der erste Teil der Reaktion besitzt
nach Bordet einen rein »biologischen« Charakter. Dafür spreche
namentlich die specifische Natur der Serum Wirkung, die zunächst
in dem Unbeweglich werden der Mikroorganismen ihren Ausdruck
fände. Ist dieser erste Teil vorüber, so verhalten sich die Bak¬
terien wie beliebige sonstige, feinverteilte Partikelchen, welche
auf Zusatz gewisser Stoffe infolge geänderter Molekularattraktion
zu Haufen zusammenfliefsen.
Die Art und Weise, wie Bordet sich den Verlauf der ersten
Phase, deren Sichtbarwerden durch die spezifische Beweglichkeits¬
störung angedeutet ist, vorstellt, ist aus seinen Angaben nirgends
zu ersehen; denn dafs die Aufhebung der Motilität der Faktor
sein sollte, der an sich schon das Eintreten eines die Molekular¬
attraktion der Bakterien mit der umgebenden Flüssigkeit ändern¬
den Einflusses ermöglicht, geht aus Bordets Angaben nicht
hervor und wäre ja auch nicht wahrscheinlich, da sonst die
nicht spezifische Agglutination durch chemische Stoffe viel weiter
verbreitet sein inüfste, als sie es ohnehin ist (Blachstein,
Digitized by CjOOQle
Von Privatdor-ent Dr. Oskar Bail.
381
Malvoz u. a.) und fast von jedem Desinfektionsmittel bewirlct
werden könnte. #
Aus der ganzen Darstellungsweise Bordets scheint aber
hervorzugehen, dafs er sich seine erste Agglutinationsphase, die
»Periode de Timpression« , ähnlich vorstellt wie die Sensibili¬
sierung einer Bakterienzelle durch den spezifischen Bestandteil
eines bakteriolytischen Serums, die sich Bordet als mehr physi¬
kalischen Vorgang deutet, während bekanntlich Ehrlich eine
mehr chemische Bindung anzunehmen geneigt ist.
•Ist diese Auffassung der Bord et sehen Lehre richtig, so
würde ein in der ersten Agglutinationsphase befindlicher Mikro¬
organismus sich, die Beweglichkeitsstörung etwa abgerechnet,
ebenso verhalten wie ein spezifisch für die Wirkung der Alexine
sensibilisierter, der seinerseits von einem normalen nicht zu
unterscheiden ist, so lange er nicht mit frischem, normalem
Serum in Berührung tritt. Man könnte in der That annehmen,
dafs ein Typhusbakterium in einem Meerschweinchenexsudate
sich in dieser ersten Phase befände. Es sieht normal aus, ver¬
mag sich zu vermehren, und wenn Bordet eine Bewegungs¬
störung mit als charakteristisches Kennzeichen der Impressions¬
zeit auffafst, so hat man an den tierischen Exsudatbakterien
wie an solchen, die im erhitzten Serum verweilt hatten, oft
genug Gelegenheit, eine mehr oder weniger weitgehende Immobili¬
sation oder Bewegungsbeeinträchtigung während einiger Zeit zu
beobachten. Ein derartiger Mikroorganismus müfste nun auf
Zusatz des entsprechenden Serums sofort agglutiniert werden.
Denn ein solches Serum mufs nach der ganzen Darlegung
Bordets zwei Substanzen enthalten, deren eine die Impressions¬
periode, deren zweite die Periode der gestörten Molekular¬
attraktion hervorbringt. Leider sagt Bordet von dieser zweiten
Phase auch nichts Näheres, namentlich ob er sich die dieselbe
veranlassenden Einflüsse als spezifisch denkt oder nicht, wird
nirgends erwähnt. Sein aus Duclaux’ Theorien entlehntes Bei¬
spiel vermag da keinen Aufschlufs zu geben. Besteht beispiels¬
weise das Wesen der Labgerinnung der Milch wirklich, wie
Duclaux annimmt, in einer Zusammenballung der nur scheinbar
Digitized by
Google
382
Versuche über Typhusagglutinine und Prftcipitinc.
gelösten, in Wirklichkeit nur sehr fein verteilten Kaseinteilchen,
die auf Labzusatz durch Haufenbildung sichtbar werden, so fragt
es sich, ob hier ein einheitlicher Vorgang vorliegt oder nicht
ebenfalls eine Zweiteilung: ob nicht die Spezifität des Labenzyms
darin zu suchen ist, dafs es feinverteiltes Kasein und nur dieses
in eine »Periode de l’impression« versetzt, vermöge deren nun
die Molekularattraktion zwischen Kasein und Milchflüssigkeit
jetzt schon durch den geringsten Eingriff, z. B. schon durch das
Lösungsmittel des Labpulvers, das mit zugesetzt wurde, geändert
werden kann. In einem solchen Falle würde die Agglutination
von Typhusbakterien und die Labgerinnung der Milch dem
Wesen nach identisch sein.
Ist aber nach Duclaux’ Theorie die Labwirkung ein ein¬
heitlicher Vorgang, der einfach in einer spezifischen Änderung
der Molekularattraktion besteht, so ist nicht recht einzusehen,
warum die erste Phase notwendig sein soll. Dann ist ebenfalls
Agglutination und Labwirkung im Wesen gleichzusetzen.
Der Lähmung der Beweglichkeit kann ein weitgehender
Einflufs nicht zukommen, da unbewegliche Bakterien durch zu¬
gehörige Sera oder infolge Erhitzung auf 60° oder durch Formalin
u. dgl. unbeweglich gemachte Typhusbakterien durch Typhus¬
serum nicht anders zu Haufen vereinigt werden wie lebende.
Ob man heute das Recht besitzt, mit den bisherigen Er¬
fahrungen eine spezifisch erfolgende Änderung der Molekular¬
attraktion anzunehmen, ist eine Frage, deren Erörterung nicht
hierher gehört. Jedenfalls zeigt eine genauere Analyse der An¬
sichten Bordets, dafs sie einfach eine absolute Identifizierung
des Wesens der Agglutination und dem der Gerinnung im Sinne
der Duclaux sehen Theorie darstellt. Die Arbeit Bordet s
enthält aber noch ein überaus interessantes Experiment, dessen
Gelingen Bordet als wesentliche Stütze seiner Ansichten heran¬
ziehen möchte. Wenn Tieren eine Zeitlang Milch injiciert wird,
so liefern sie schliefslich ein Serum, welches imstande ist, das
Kasein der Milch auszufällen. Es ist kaum anzunehmen, dafs
dieser schöne Versuch überhaupt in den Kreis der eigentlichen
Aggiutjnationsversuche hineingehört. Hier handelt es sich offen-
Digitized by CjOOQle
Von Privatüozent Dr. Oskar Rail. 383
bar, wie bereits erwähnt, um denselben Vorgang, der das Auftreten
von sichtbaren Niederschlägen bei Zusatz des Serums eines gegen
Eiweifs immunisierten Tieres in Eiweifslösungen, oder eines gegen
Menschenblut immunisierten in Menschenblut, oder eines mit
Typhus immunisierten in Tvphusbouillonfiltraten erzeugt. Wo
dies aber möglich ist, läfst sich nachweisen, dafs diese fällenden
Eigenschaften ganz unabhängig sind von den agglutinierenden;
das gilt für die Agglutination von Typhusbakterien gerade so
gut wie für die von Coli oder Blutkörperchen.
Ist das Wesen des Agglutinationsvorganges wirklich auf
eine Änderung der Attraktionsverhältnisse zwischen Bakterien
untereinander und Bakterien und umgebenden Flüssigkeitsteilchen
zu beziehen, so ergibt sich die Annahme einer ungeheuer wirk¬
samen Substanz, für die eben nur die Immunitätslehre Analoga
liefern kann. Wenn eine Thonemulsion in Wasser durch Koch¬
salzzusatz zur Klärung und Haufenbildung veranlalst werden
kann, so ist dies schliefslich nicht allzu auffallend. Wenn aber
reine, gewaschene Bakterien in physiologischer Kochsalzlösung
durch eine mit derselben Lösung bereitete Serumverdünnung
von 1:40000 oder 1:500000 (wie ein Grubersches Serum)
noch eine so weitgehende Störung der molekularen Anziehungen
herbeiführt, so kann man sich von der Wirksamkeit der ver¬
anlassenden Substanz kaum mehr einen Begriff machen. Auf¬
fallend ist aber auch noch eine andere Erscheinung: die Substanz,
welche die Änderung der molekularen Attraktion herbeiführt,
verschwindet, wird verbraucht; das thut das Kochsalz nicht,
welches die Haufenbildung der Thonteilchen hervorbringt. Es
müfste überhaupt noch näher untersucht werden, ob die an¬
scheinende Analogie zwischen der Klärung der Thonemulsion und
einer Bnkterienaufsehwemmung wirklich eine vollkommene ist.
Dafs die Anwesenheit von Salz zur Ausbildung der Aggluti¬
nationsreaktion unbedingt notwendig ist, wie Bordet zuerst
gesagt und später andere bestätigt haben, deutet nur darauf
hin, dafs die Agglutininwirkung eben gewisser unterstützender
Digitized by CjOOQle
384
Versuche über Typhusa^glutinine und -Prftcipitine.
Momente bedarf, genau so wie etwa die Alexine eben auch nur
bei Anwesenheit von Salzen wirken können.
Trotz dieser mehr angedeuteten als ausgeführten Bedenken
kommt der Betrachtungsweise Bordets eine sehr grofse Bedeu¬
tung zu. Denn nur die Annahme einer »Impressionsperiodec,
welche der eigentlichen Agglutination vorausgeht, allerdings in
der Regel nur um einen unmefsbar kleinen Zeitraum, kann die
beobachtete Agglutinationsresistenz der Typhusbakterien befrie¬
digend erklären.
Angenommen, dieselben befänden sich, so wie sie aus einem
inficierten Meerschweinchen oder aus einem vorher auf 75° er¬
hitzten Serum kommen, in dieser Periode, so würden sie mit
Mikroorganismen, welche durch den spezifischen, hitzebeständigen
Anteil eines bakteriolytischen Immunserums »sensibilisiert« sind,
weitgehende Ähnlichkeit darbieten. Sie sehen normal aus, sind
vielleicht weniger beweglich wie sonst, können sich aber regel¬
recht teilen und vermehren. Eine tiefgreifende Störung haben
sie jedenfalls nicht erfahren. Aber normal sind sie ebensowenig
wie diejenigen, die in einem erhitzten spezifisch baktericiden
Serum waren. Diese lösen sich bei Anwesenheit geringer freier
Alexinmengen auf, jene widerstehen der Einwirkung der Aggluti-
nine, welche auf normale Bakterien sofort wirken. Wie sich
später zeigen wird, ist die Analogie allerdings nicht voll¬
ständig, da Alexine und Agglutinin, d. h. jenes Agglutinin, wie
man sich es bisher als im Serum vorhanden vorstellte, nicht
direkt vergleichbar sind. Aber auf den ersten Blick sieht es
doch so aus, als ob die »Impressionsperiode« Bordets die
Typbusbakterien nicht agglutinabel, sondern resistent gemacht
hätte.
Verständlich wird das Wesen der Bord et sehen »Impression«
erst dann, wenn man darauf die Vorstellungsweise Ehrlichs
an wendet, die bereits so viele Punkte der Immunitätslehre dem
Verständnisse näher gebracht hat.
Ehrlich hat sich mit dem Phänomen der Agglutination im
Vergleich zu seinen eingehenden Studien der Hämolyse nur
wenig und mehr nebenbei befafst. In der Zusammenfassung seiner
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
385
Lehre, die als bekannt vorausgesetzt werden mufs, betrachtet
er die Agglutinine als frei im Blute kreisende Receptoren zweiter
Ordnung, bei denen haptophore und zymotoxische Gruppe un¬
trennbar verbunden sind.
Nach dieser Anschauungsweise würde sich der Receptor mit
der ersteren an die geeignete Gruppe des Typhusbakteriums an¬
lagern. An sich bedeutet diese Anlagerung noch keine tiefer¬
gehende Schädigung der Bakterienzelle. Da aber gleichzeitig mit
der haptophoren Gruppe die mit ihr unzertrennlich verbundene
zymotoxische verkettet wird, so übt die letztere sofort ihre charakte¬
ristische Wirkung, deren Wesen Ehrlich unbestimmt läfst, das
aber in der Haufenbildung seinen sichtbaren Ausdruck findet.
Mit dieser Anschauung ist die Thatsache des Verschwindens der
Agglutinine durch die Bindung derselben an die Bakterienzelle
vollständig erklärt. Es ist aber danach ausgeschlossen, dafs
ein Mikroorganismus in einem Serum, welches die zugehörigen
Agglutinine in genügender Menge enthält, inagglutinabel sein
könnte. Für ein etwaiges Fehlen der Atom grupp ierung im
Bakterienleibe, welche zur haptophoren Gruppe pafst, liefert die
bisherige Litteratur keine einwandfreien Beweise. Da aber ein
solcher Mangel einzig und allein die Thatsache der Agglutinations¬
resistenz erklären könnte, so mufs diese Möglichkeit berück¬
sichtigt werden.
Gäbe es Typhusbakterien, denen infolge irgend welcher Um¬
stände die zu den Agglutininen passende Gruppe fehlt, so dürften
sie unter gar keinen Umständen agglutiniert werden. Die
Exsudatbakterien reagieren aber auf konzentrierte Sera, und die
in vitro resistent gemachten noch auf ganz andere Flüssigkeiten,
wie später zu zeigen sein wird. Eine Annahme einer nur schwach
ausgebildeten, passenden Gruppe im Bakterienkörper, die erst
durch eine besonders starke haptophore besetzt werden kann,
widerspricht natürlich vollständig dem Sinne der Ehrlichschen
Theorie, die eine stärkere Serumwirkung einzig und allein durch
eine vermehrte Anhäufung gleichkräftiger Einzelreceptoren er¬
klären mufs. Überdies wäre eine solche Ansicht auch mit dem
Folgenden unvereinbar.
Digitized by
Google
380
Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
Es wäre aber wohl denkbar, dafs die zum vollständigen
Agglutinin verbundenen beiden Gruppen des Ehrl ich sehen
Receptors zweiter Ordnung doch insofern unabhängig voneinan¬
der sind, als sie sich gegen verschiedene Eingriffe ungleich
widerstandsfähig zeigen, dafs z. B. die Erhitzung auf 75° nur
die zymotoxische, nicht aber die haptophore Gruppe vernichtet.
Die letztere würde dann ihre spezifische Verwandtschaft und
Anlagerungsfähigkeit zur entsprechenden Atomgruppierung in der
Bakterienzelle beibehalten und diese besetzen. Ein derart be¬
setzter Mikroorganismus könnte durch ein neu hinzutretendes
vollständiges Agglutinin nicht mehr beeinflufst werden: denn die
bindende Gruppe hat er zwar, aber sie ist von dem agglutinativ
unwirksamen Reste des Receptors zweiter Ordnung so einge¬
nommen, dafs sich die haptophore Gruppe eines neuen, vollstän¬
digen Agglutinins nicht mehr anlagern und infolgedessen auch
die zymotoxische nicht in Wirkung treten kann.
Wäre ein Typhusbakterium im Meerschweinchenexsudate
oder im erhitzten Serum in dieser Weise besetzt worden, so
könnte es thatsächlich resistent sein. Die Resistenz müfste bei
einer Teilung und Vermehrung sofort schwinden; denn dann
könnte natürlich von einer Besetzung der zum Agglutinin passen¬
den neuen Gruppen nicht mehr die Rede sein. Aber eine der¬
artige Bakterienzelle würde, so wie im vorher erörterten Falle,
für immer inagglutinabel sein. Eine Ergänzung der einmal zer¬
störten zymophoren Gruppe könnte nicht stattfinden, weil die
haptophore nicht die Konstruktion eines Amboceptors hat.
Da aber thatsächlich derartige Bakterien durch konzentrierte
oder besonders wirkende Sera (s. Serum h in Versuch LIX) zur
Haufenbildung gebracht werden können, so ist auch diese An¬
nahme unhaltbar.
Latst man aber die Anordnung der haptophoren und zymo-
toxischen Gruppe zum Ehrlichschen Receptor zweiter Ordnung
beiseite und schreibt den Agglutininen im wesentlichen dieselbe
Struktur zu wie den Bakterio- und Hämolysinen, so lassen sich
nicht nur alle beobachteten Erscheinungen befriedigend erklären
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail. 387
sondern die Versuche können auch in bestätigender Weise er¬
weitert werden.
Als sicherste Anordnung für diese Versuche hat sich die
folgende bewährt. Die Abspaltung und Isolierung der hapto-
phoren Agglutiningruppe, des Agglutinophors, wie sie der
Kürze halber bezeichnet werden möge, erfolgt teilweise aber un¬
zulänglich durch 1 stünd. Erhitzung auf 60°. Eine gänzliche
Reindarstellung gelingt aber erst dann, wenn das Serum 1 Stunde
lang bei 75° gehalten wird. Auf genaue Einhaltung der Tempe¬
ratur mufs gut geachtet werden, da bei nicht ganz sorgfältiger
Durchführung dieser Manipulation mehrfach noch eine Spur von
rückgebliebener Agglutinationswirkung beobachtet wurde.
Da reines Serum natürlich mehr oder minder vollständig
gerinnen würde, kann man nur mit Verdünnungen arbeiten,
welche aber nicht hoch getrieben werden dürfen. Eine Verdün¬
nung 1 : 10 dürfte in den meisten Fällen entsprechen; sie ist
nach dem Erhitzen opalescierend in verschieden hohem Grade.
Die Sera, die untersucht wurden, verhielten sich in dieser Hin¬
sicht aus einem nicht näher zu ermittelnden Grunde keineswegs
gleichartig. So liefs ein Typhus-Immunserum i bei 1 sjünd. Er¬
hitzung der Verdünnung 1:10 bereits eine Menge Eiweifs geronnen
ausfallen, während ein Choleraserum, 1 : 5 verdünnt, gerade nur
opalescierte.
In dieses Serum wird nach erfolgter Abkühlung die Typhus¬
suspension eingetragen. Es empfiehlt sich durchaus, von dem
erhitzten Serum, nicht wie in den bisherigen Versuchen eine ge¬
ringe Quantität, sondern mindestens 5 —10 ccm anzuwenden.
Was die Menge der anzuwendenden Bakterien anbetrifft, so
ergibt nach dem bereits Erwähnten eine einfache Überlegung,
dafs theoretisch ebensoviel Bakterien vom Agglutinophor besetzt
werden können, als vom nichterhitzten Serum agglutiniert werden.
Thatsächlich könnte sogar dieses Quantum noch ohne Schaden
um ein Geringes überschritten werden, da man, wie z. B. Ver¬
such LVIH zeigt, einen nicht mehr agglutinablen Überschuis
von Bakterien zusetzen kann, welcher sich weiterhin als resistent
erweist; daraus folgt, dafs auch im unveränderten, besonders im
Arf hir für Hygiene. P.rt XML 26
Digitized by CjOOQle
3*8
Versuche über Typhusagglutinine und «Präcipitine.
länger aufbewahrten Serum eine gewisse Menge freier Aggluti-
nophore vorhanden sein rnufs. Erhitztes Serum und Bakterien
bleiben dann längere Zeit bei 37°. Viel besser aber ist es, die
Besetzung durch Agglutinophore bei höherer Temperatur ein-
treten zu lassen ; man hält daher die Proben — 1 Stunde im
Wasserbade von 42 — 43°, einer Temperatur, welche Typhus¬
bakterien noch nicht wesentlich schädigt (Stern) und jedenfalls
ihre Agglutinationsfähigkeit unter normalen Verhältnissen nicht
beeinträchtigt. Das weitere Verfahren ist aus dem detailliert
mitgeteilten Versuche LX zu ersehen.
Dieser Versuch wurde durch das Ergebnis des als Nr. LIX
bezeichneten veranlafst. In diesem war das eine Serum g während
der Beobachtungsdauer für Bakterien unwirksam gewesen, die
vorher dem Einflüsse einer auf 75° erhitzten Serum Verdünnung
1 : 10 ausgesetzt gewesen waren, gleichgültig, ob diese Verdün¬
nung mit dem gleichen Serum g oder mit Serum h bereitet war.
Hingegen hatte das Serum h überall, wenn auch beträchtlich
verspätet, Agglutination hervorgerufen.
Dieser Versuch mufste die Vermutung waclirufen, dafs das
Serum h nicht nur fertige Agglutinine enthalte. Stellt man sich
den Agglutinophor mit derselben Struktur vor, wie ihn nach
Ehrlich der Immunkörper eines Hämolysins besitzt, so inufs
die complementophile Gruppe des Amboceptors ergänzt werden
können. Vorausgesetzt, dafs das Seurm h wirklich solche »Aggluti-
nations-Complemente« oder, wie sie weiterhin genannt sein mögen,
»Hemiagglu tin in ec enthält, so konnten sie sich mit den
Agglutinophoren, die bereits an die Bakterien herangetreten
waren, zu fertigen Agglutininen verbinden und Haufenbildung
herbeiführen.
Der exakte Nachweis der Hemiagglutinine war natürlich für
die soeben entwickelte Anschauung von höchster Wichtigkeit.
Gemäfs derselben durften sie selbst nicht gewöhnliche Typhus¬
bakterien agglutinieren, mufsten aber bei Bakterien aus erhitztem
Serum, welche einem Immunagglutinin gegenüber resistent waren,
Zusammenballung veranlassen. Gelang es, eine Flüssigkeit aus¬
findig zu machen, welche diesen Anforderungen entsprach, so
Digitized by
Google
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
389
war damit der vollständige Nachweis der Übereinstimmung der
Konstitution der Agglutinine mit der der Hämo- und Bakterio-
lysine erbracht.
Zunächst wurde der zufällige Befund am Serum h verwertet.
Es gab drei Wege, hier die Hemiagglutinine, die durch Erhitzen
naturgemäfs nicht von den Agglutinophoren zu trennen waren,
iiufzufinden. Einmal konnte versucht werden, in der Flüssig¬
keit, die im Versuche LIX die mit dem Agglutinophor besetzten
Bakterien zur Agglutination gebracht hatte, den restlichen
Agglutiningehalt zu bestimmen. Thatsächlich ergab die Bestim¬
mung den gleichen Agglutinationswert wie vorher, so dafs daraus
eine völlige Nichtbeteiligung der fertigen Agglutinine an der
Haufenbildung der besetzten Bakterien hervorging. Aber man
darf dieser Methode, die mühsam zu handhaben ist, kein allzu-
grofses Vertrauen schenken. Denn die Unterschiede müssen
hier bei der relativ kleinen Menge der in Betracht kommenden
Bakterien so gering sein, dafs sie der Beobachtung wohl ent¬
gehen können.
Die zweite Methode bestand darin, die im Serum h als frei
vermuteten Hemiagglutinine zu binden, ehe man das Serum auf
die mit dem Agglutinophor besetzten Bakterien einwirken läfst.
Dies konnte wieder auf doppelte Weise geschehen: 1. durch
Typhusbakterien, die schon vorher mit dem Agglutinophor be¬
laden waren (dieser Weg verdiente aus ähnlichen, wie den vor¬
her angeführten Gründen wenig Vertrauen und wurde daher gar
nicht versucht); 2. durch freie Agglutinophore, in der Hoffnung,
dafs bei Mischung von solchen mit Hemiagglutininen fertige
Agglutinine gebildet würden, auch ohne dafs Bakterien zugegen
sind. Das Resultat war nicht absolut ungünstig, aber auch nicht
unzweideutig.
Yersuch LX.
5 ccm Serum h in der Verdünnung 1:10 werden 1 Std. auf 75® er¬
hitzt. Mit dieser Flüssigkeit wird der Satz aus der Suspension von zwei
mäfsig gewachsenen Agarkulturen von Typhus übergossen und in derselben
durch oftmaliges Aufsaugen der Flüssigkeit in einer Pipette mit enger Öffnung
so gleichmäfsig als möglich verteilt. Die Probe wird sodann */* Std. bei
42 — 43° gehalten, wobei keine Agglutination eintrat, hierauf verdünnt,
26 •
Digitized by
Google
390
Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
zur Entfernung noch vom Centrifugieren zurückgebliebener oder etwa doch
neugebildeter Häufchen durch Fliefspapier filtriert. Wie die relativ geringe
Trübung lehrt, wird dabei ein sehr grofser Teil der Bakterien zurückgehalten.
Dann wird centrifugiert und der durch Abgiefsen völlig frei gemachte Boden¬
satz in physiologischer NaCl-Lösung auf geschwemmt. Inzwischen wurden
folgende Verdünnungen von Serum h hergestellt:
I. 0,1 ccm reinen Serums h -f- 0,9 ccm Serum h in Verdünnung 1:10
1 Std. auf 75° erhitzt,
II. 0,1 > > » > + 9,9 ccm physiologischer NaCl-Lösung,
IH. 0,1 » > > > -f- 4,9 ccm Serum h in Verdünnung 1:10
1 Std. auf 75° erhitzt,
IV. 0,1 > > > > -f- 4,9 ccm physiologischer NaCl-Lösung,
V. 0,1 ccm der Verdünnung I -f 0,9 ccm Serum h in Verdünnung 1:10
1 Std. auf 75° erhitzt,
VI. 0,1 > > » II —0,9 ccm physiologischer NaCl-Lösung,
VII. 0,1 » > > III -f- 0,9 ccm Serum h in Verdünnung 1 :10
1 Std. auf 75° erhitzt,
VIII. 0,1 » » » IV -f- 0,9 ccm physiologischer NaCl-Lösung.
Daraus wurden hergestellt:
1. 8 Tr. Suspens. v. ßakt. aus Sei
um h 1:10, 1 Std. 75° -j- 8 Tr. reines Serum h
2. 8 »
» > >
> > >
>
>
y
+ 8
>
d. Verdünn. 1
3. 8 >
> > >
i > >
>
>
y
+ 8
>
>
y 11
4. 8 »
» > i
> > >
>
>
y
+ 8
»
»
» III
5. 8 »
> > >
> > »
»
y
»
+ 8
>
y
> IV
6. 8 *
i » >
> > >
>
>
>
+ 8
»
y
> V
7. 8 >
> > >
> > >
>
>
»
+ 8
>
y
» VI
8. 8 >
> > >
* > »
i
>
y
+ 8
y
y
> VII
9. 8 .
i i >
> > »
>
y
y
+ 8
y
y
> VIII
10 8 Tropfen Suspension
normaler
Bakterien
+ 8
y
y
> I
11. s
> »
»
>
+ 8
y
>
> II
12. 8
> i
»
*
+ 8
y
y
> in
13. 8
i »
>
>
+ 8
y
y
> IV
14. 8
> >
>
>
4 8
y
y
» V
15. 8
> >
>
>
+ 8
y
>
> VI
16. 8
> >
>
>
+ 8
y
>
> vn
17. 8
> >
>
y
+ 8
y
y
> vin
Nach V 4 Std. 1.—9. 0, 10., 11., 13. fast beendete, 15. weit vorgeschrittene
Agglutination, 12. deutlicher Beginn derselben, 14., 16., 17. 0.
Nach V, Std. 1.—9. 0. 10., 11., 12., 13., 15., 17. beendete, 14. deutlich
beginnende Agglutination, 16. 0.
Nach 3 /< Std. 1—9. 0. 10., 11., 12., 13., 15., 17. beendete, 14. fast be¬
endete Agglutination, 16. 0.
Nach 1 Std. 1.—9. 0. 10.—15. und 17. beendete, 16. beginnende Agglu¬
tination.
Nach 1V' 4 Std. 1., 2., 3., 4., 6., 8., 9. 0, in 5. und 7. deutliche kleinste
Flöckchen in trüber Flüssigkeit sichtbar, 10.—15. und 17. beendete, 16. fast
beendete Agglutination.
Digitized by Google
Von Privatdozent I)r. Oskar Bail. 391
Nach l 1 /* Std. 1., 2., 4., 6., 8., 9. 0. 3., 5., 7. kleine Flöckchen in
trüber Flüssigkeit, 10.—17. beendete Agglutination.
Das Bild bleibt weiterhin während der zweistündigen Beobachtung bei 37°
unverändert. Die Flockenbildung in 3., 5., 7. ist nicht zu verkennen, doch kommt
es nur zu einem unvollständigen Absetzen, und die Flüssigkeit bleibt trüb.
In diesem Versuche wirkt nur das Eine störend, dafs von
dem mit Kochsalzlösung verdünnten Serum h noch eine gewisse
Wirkung auf die mit dem Agglutinophor beladenen Typhus¬
bakterien ausgeübt wurde, während das reine Serum wirkungslos
blieb. Von Interesse ist aber weiter, dafs auch normale Bakterien
in einer Serumverdünnung, welche im Überschul’s isolierte
Agglutinopbore enthält, viel weniger beeinflufst werden als durch
die gleich starke, mit Kochsalzlösung hergestellte Verdünnung.
Dieses, ganz auffallend an die von Neisser und Wechsberg
aufgeklärten, paradoxen Verhältnisse bei den bakteriolytischen
Seris erinnernde Verhalten wiederholte sich mehr oder weniger
deutlich auch in den späteren Versuchen.
Schliefslich war es noch möglich, die Wirkung der etwa vor¬
handenen freien Hemiagglutinine durch Erhitzen zu beseitigen.
.Denn aus dem Umstande, dafs ein auf 60° erwärmtes Serum
bereits eine- gewisse Menge von Agglutinophoren frei werden
läfst. geht mit Wahrscheinlichkeit hervor, dafs die ergänzenden
Hemiagglutinine diese Temperatur nur schlecht vertragen. In
der That erwies sich auch ein reines, auf 60° 1 Stunde lang
erhitztes Serum absolut unfähig, Bakterien, die mit dem Aggluti¬
nophor besetzt waren, zur Haufenbildung zu bringen.
Von weit gröfserer Bedeutung als die Versuche, in hoch¬
wertigem Immunserum freie Hemiagglutinine nachzuweisen, waren
die Bemühungen, sie in 'normalen, womöglich an sich gar nicht
agglutinierenden Flüssigkeiten festzustellen.
In der That gelang es manchmal, durch normales Serum
von Meerschweinchen, das an sich nicht agglutinierte, ein sonst
für mit Agglutinophoren beladene Typhusbakterien inaktives
Serum wirkungsvoll zu ergänzen.
Versuch LXf.
Bakterien in der gewöhnlichen Weise mit auf 75° erhitztem Serum eil
behandelt. Zugesetzt aufser reinem Serum gl noch ein Meerschweinchen-
serum, das weder makroskopisch noch mikroskopisch agglutinierte.
Digitized by CjOOQle
392 Versuche über Typhusagglutinine und Präcipitine.
1. 5 Tropfen Bakteriensuspension aus auf 75° erhitztem Serum + 5 Tropfen
Na CI Lösung 5 Tropfen reines Serum gll,
2. 5 Tropfen Bakteriensuspension aus auf 75 0 erhitztem Serum -f- 5 Tropfen
Meerschweinchenserum -f- 5 Tropfen reines Serum gll,
3. 5 Tropfen Suspension normaler Bakterien \~ 5 Tropfen Na Cl-Lösung -(-
5 Tropfen reines Serum gll,
4. 5 Tropfen Suspension normaler Bakterien + 5 Tropfen Meerschweinchen*
Serum + 5 Tropfen reines Serum gll.
Nach V 4 Std. ist in 3. und 4. weitvorgeschrittene Agglutination zu kon*
statieren, die nach 7* Std. unter völliger Klärung der Flüssigkeit beendet ist.
Nach a / 4 Std. beginnt in 2. Agglutination, die rasch fortschreitet und
nach 1 Std. beendet ist; 1. bleibt trübe.
Ein solches Resultat war aber nicht häufig; viel besser
wirkte das Peritonealexsudat von Meerschweinchen, wie es durch
eine vorhergehende Injektion von Bouillon oder noch sicherer
von Typhuskultur erzielt wurde. Die Entnahme des Exsudates
mufs, in letzterem Falle besonders, bald nach der Einspritzung
erfolgen, da sonst das Auftreten inagglutinabler Bakterien auf
reichliche Entstehung von freien Agglutinophoren hinweist.
Versuch LXII.
Gewaschene Bakterien von zwei Agarkulturen werden mit 10 ccm 110
verdünntem, 1 Std. auf 75° erhitztem Serum hl s /4 Htd. bei 42—43° ge
halten. Hierauf wird verdünnt, filtriert, centrifugiert, abgegossen und in
wenig physiologischer Na Cl-Lösung aufgeschwemmt. Inzwischen hatte Meer¬
schweinchen 91 5 ccm gewöhnlicher steriler Bouillon, Meerschweinchen 92
5 ccm Kochsalzlösung und V* Typhusagarkultur erhalten. Beide Tiere wurden
1 7 j Std. später durch Verbluten getötet. Nr. 91 lieferte fast 7 ccm mäfsig roten
Exsudates, das nach dem Centrifugieren klar und nur wenig gelblich gefärbt
ist. Der Satz besteht aus roten und weifsen, meist zu Klumpen vereinigten
Blutkörperchen. Nr. 92 gibt ca. 4 ccm trüben, wenig roten Exsudates, das
nach dem Centrifugieren fast wasserhell ist, und einen aus roten, einigen
weifsen Blutkörperchen und massenhaften Typhusbakterien bestehenden Satz
hat. Es werden folgende Proben hergestellt:
1.
5 Tr. Suspens. v. Bakt.
aus Serum hl 1^75°
► 5 Tr. Serum h I conc. + 5 Tr. Na Cl-Lösung
2.
do.
+ 5
> >
> >
+ 5
> Exsudat v. Nr. 92
3.
do.
+ 5
> >
+ 5
> Exs v.Nr.92 */ 3 b
4.
do.
+ 5
> >
9 9
+ 5
» Exs. v. Nr. 91
5.
do.
+ 5
» >
I >
+ &
> > > » VjhBO 0
G.
do.
+ ft
9 9
t 1:10
+ 5
» Na Cl-Lösung
7.
do.
+ &
» >
> »
+ 5
> Exs. v. Nr. 92
8.
do.
+ 5
» 9
> >
+ 5
> » » » 7,1*60°
9.
do.
+ 5
> 9
> 9
+ 6
> Exs. v. Nr. 91
10.
do.
9 >
f •'
t > > » 1 ,l» 00°
Digitized by v^.ooQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
898
11. 5 Tr. Suspens.
aus Serum hl
V ih 75 *;} 4- 5 Tr. NaCI-Lösung + 5 Tr. Kxs. v. Nr. ‘.>2
12. do.
+ 5 » * +5
» > » > 7,h 00°
13. do.
+ 5 » > + 5
y Kxs. v. Nr. 91
14. do.
+ 5 » » +5
» * » * 7,h 60°
15. 5Tr. Suspens. norm.Bakt.5 Tr. Serum h I 1:10 —f> Tr. Na Cl-Lösung
10. 5 >
> » -f 5 » » » >+5
> Exs. v. Nr. 92
17. 5 »
> > -f- 5 » > » > + 5
> » > > 7,h 60°
18. 5 > »
» » -f- 5 » > > > + 5
y Exs. v. Nr. 91
19. 5 >
» » + 5 > > > > -f- 5
> > > > 7 2* 1 80°
20. 5 >
» » -f- 5 Tr. Na Cl-Lösung -f- 5
y Exs. v. Nr. 92
21. 5 » »
» >-J-5» » -f- 5
» > > > 7,h 60°
22. 5 > >
» » -f- 5 > »
» Exs. v. Nr. 91
23. 5 >
» > -j- 5
> * y y 7ä h 90°
Nach */ 4 Std. Deutliche Agglutination in 2. und 4., weit vorgeschritten
in 15.—19.
Nach 7t Öld. 15.—19. vollendete, 2. und 4. weit vorgeschrittene Agglu¬
tination ; deutlicher Beginn derselben in 7., unsicherer in 9. Sonst keine
Beeinflussung.
Nach 3 ' 4 Std. 2. und 4. beendete, 7. weit vorgeschrittene, 9. deutliche
Agglutination.
Nach 1 Ski. 2., 4., 7., 9. beendete oder fast beendete Reaktion; schwacher
Beginn derselben in 3., 5., zweifelhafter in 8 Deutliche Agglutination in 11.
Nach 1V 4 Std. 2., 3., 4., 7., 8., 9. beendete, in 11. und 18. weit vor¬
geschrittene Agglutination.
Nach 17, Std. Wesentlich unverändert bis auf 22., wo schwacher Be¬
ginn der Haufenbildung zu konstatieren ist.
Nach l 3 / 4 Std. Wesentlich unverändert.
Nach 2 Std. Zur Zeit des Abbruches fehlt jede Reaktion in 1., 5 , 6.,
10., 14., 20., 21., 23. Beendet, aber mit leichter zurückgebliebener Trübung
der obenstehenden Flüssigkeit ist die Agglutination in 2., 3., 4., 7., 8., 9 ,
11. und 13., in deutlicher Ausbildung in 12. und 22. Vollständige Klärung
mit Satzbildung ist in den Kontrollen 15.—19. vorhanden.
Yersuch LXIII.
In genau gleicherweise wie der vorige, mit den Exsudaten der gleichen
Meerschweinchen angestellt. Die verwendeten Bakterien waren aber der
Einwirkung eines l: 10 verdünnten, 1 Std. bei 75° erhitzten Serums gl aus¬
gesetzt. Bezeichnung ist die gleiche wie im vorigen Versuch, die Kontrollen
20.—23. gelten auch hier, in den Proben 1.—1!>. ist statt Serum hl Serum gl
einzusetzen.
Nach 7-t Std. Undeutlich beginnende Agglutination in 2., weit vor¬
geschrittene in 15.—19.
Nach V s Std. In 15.—19. beendete Agglutination, in 2. immer noch
undeutlich.
Nach 3 / 4 Std. In 2. weit vorgeschrittene, in 4. undeutliche Agglutination.
Sie beginnt sicher in 7. und 11., zweifelhaft in 9.
Digitized by v^.ooQle
394
Versuche über Typhusagglutinine und -Pr&cipitine.
Nach 1 Std. In 2., 7., 11. weit vorgeschrittene, in 4., 9 deutliche, in
8. und 12. zweifelhafte Agglutination.
Nach l»/ 4 Std. In 2., 4., 7., 9., 11. beendete, in 3. und 8. deutliche
Agglutination. Weiterhin nicht wesentlich verändert.
Nach 2 Std. Zur Zeit des Abbruches der Beobachtung ist in 1., 5., 6.,
10., 13. und 14. keine Veränderung eingetreten, tadellos, d. h. unter voll¬
ständiger Klärung der obenstehenden Flüssigkeit ist die Agglutination be¬
endet in 2., 7., 11., 15.—19. Abgesetzt, aber mit Trübung der obenstehenden
Flüssigkeit, sind die Proben 4., 8., 9. Unvollständig ist die Reaktion in
3. und 12.
Versuch LXIY.
Zur Verwendung kommt ein frisches, bis 1:5000 agglutinierendes
Typbusserum i, in dessen 1 Std. auf 75° erhitzter Verdünnung 1:10 der
Satz von drei schwachen Typhusagarkulturen */a Std. bei 42° gehalten wird
(10 ccm Gesamtfltissigkeit). Hierauf Herstellung der Proben, ähnlich wie
beim vorigen Versuche, mit dem centrifugierten Exsudate zweier Meer¬
schweinchen, von denen das eine (Nr. 85) 5 ccm stärkehaltiger Bouillon, das
andere (Nr. 86) eine schwache Typhusagarkultur in 5 ccm physiologischer
Kochsalzlösung intraperitoneal erhalten hatte. 8ie wurden 2 Std. nach der
Injektion verblutet.
L au^Serum"! } + 5 ^ Serum 1 conc + & Tr. NaCl-Lösung
+ &
+ 5
+ 5
+ 5
2 .
3.
4.
5.
6 .
7.
8 .
9.
10 .
11 .
do.
do.
do.
do.
do.
do.
do.
do.
do.
do.
+ 5
+ 5
+ 5
+ 5
+ 5
+ 5
1 : 10
+ 5
+ 5
+ 5
> +5
> + 5
100+5
* +5
» + 5
NaCl-Lösung +5
, +5
Exsudat von Nr.
> > >
Na Cl-Iiösung
Exsudat von Nr.
86
85
86
> » > 85
Na CI-Lösung
Exsudat von Nr. 86
» > > 85
9 9 9 86
> » > 85
Die Zahlen 12.—22. bezeichnen die entsprechenden Kontrollproben mit
einer Aufschwemmung von normalen Typhuabakterien.
Nach 1 / A Std. 12.—20. weit vorgeschrittene Agglutination, sonst keine
Wirkung.
Nach '/ 2 Std. 12.—20. beendete Agglutination. Deutlicher Beginn ist
zu sehen in 10. und 22.
Nach 3 /i Std. Aufser den abgesetzten Kontrollproben 12.—20. ist in
5., 8., 10. und 22. deutliche Agglutination wahrzunehmen.
Nach 1 Std. ist in 5., 8., 10, 22. die Agglutination beendet oder fast
beendet und beginnt undeutlich in 21.
Nach V/ 4 Std. ist die Flockenbildung in 21. noch stärker geworden,
dabei aber ist die Flüssigkeit trüb.
Nach l'/s Std. beginnt Flockenbildung bei 2.
Nach l 3 / 4 Std. ist nichts Wesentliches verändert.
Digitized by v^.ooQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Rail.
395
Nach 2 Std. Zur Zeit des Abbruches der Beobachtung ergibt sich
folgendes Resultat: In 1., 3., 4., 6., 7., 9., 11. ist jede Reaktion ausgeblieben,
in 2., 5., 8, 10., 12.—22. ist die Reaktion vollendet, oder die obenstehende
Flüssigkeit doch nur unbedeutend trüb.
Der Versuch LXIV zeigt aufs deutlichste, dafs Ergänzungs-
fähigkeit für Agglutinophore und Agglutinationskraft für eine
Flüssigkeit ganz verschiedene Dinge sind. Das Exsudat des Meer¬
schweinchens 85 hat nach Einspritzung stärkehaltiger Bouillon
unzweideutig eine beträchtlich agglutinierende Wirkung, da es
schon nach */ 2 Stunde normale Bakterien zusammenballen konnte.
Hingegen vermochte es die mit dem Agglutinophor besetzten
Bakterien weder für sich allein (Probe 11), noch in Verbindung
mit dem Immunserum i (Probe 3, 6, 9) zu agglutinieren-; es ent¬
hielt also wahrscheinlich gar keine freien Hemiagglutinine. Im
Gegensatz dazu brachte das Exsudat des mit Typhus inficierten
Meerschweinchens normale Bakterien (Probe 21) erst nach 1 Stunde
undeutlich zur Flockenbildung, solche, die mit Agglutinophoren
besetzt waren (Probe 10) für sich allein nach J / 2 Stunde, mit Ver¬
dünnungen des Immunserums zusammen nach % Stunden zur
Agglutination.
Die interessante Erscheinung, dafs Hemiagglutinine allein
frühzeitig, in Verbindung mit verdünntem Immunserum später,
und erst ganz zuletzt mit reinem Immunserum wirkten, ist vor¬
läufig nicht zu erklären, gehört aber jedenfalls auch in den Kreis
jener merkwürdigen Befunde, um deren Aufhellung sich die
Ehrlichsche Theorie und die Neisser-Wechsbergsche
Arbeit so verdient gemacht haben.
In der Regel enthalten Meerschweinchenexsudate neben¬
einander Hemiagglutinine und fertige Agglutinine. Dafs erstere
nicht spezifisch sind, geht schon aus ihrem Vorkommen im nor¬
malen Organismus unzweideutig hervor.
Versuch LXIII zeigt ferner, dafs sie Temperaturen von 60°
nicht mehr gut ertragen, wenn sie auch durch dieselben zu¬
nächst nicht vollständig zerstört zu werden brauchen.
Versuch LXV.
Eine Verdünnung des Serums gl 2:14 (also lb ccm) wird 1 Std. auf
75° erhitzt. Dann wird damit der gewaschene Satz von drei Agarkulturen
Digitized by
Google
396
Versuche* über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
übergossen, die so gleichmäfsig als möglich verteilte Aufschwemmung V, Std.
bei 42— 43° gehalten, hierauf filtriert, centrifugiert, und aus dem Satze mit
wenig physiologischer Kochsalzlösung eine dichte Aufschwemmung bereitet.
Inzwischen hatten die beiden Meerschweinchen 93 und 94 eine intra¬
peritoneale Injektion von 5 ccm Bouillon bezw. 5 ccm NaCl-Lösung und eine
Typhusagarkultur erhalten und waren 5 / 4 Std- später verblutet werden. 93 gab
5 ccm farblosen, wenig trüben Exsudates, 94 kaum 3 ccm heller, aber trüber
Flüssigkeit, so dafs die Bauchhöhle noch mit 2 ccm Na Cl-Lösung ausgespült
und das Spülwasser mit dem Reinexsudate vereint werden raufste. Beide
Exsudate wurden zur vollen Klarheit centrifugiert und, wie folgt, verwendet:
1 } + 5 T, * I CO«. + 5 •!>. S. CI.T*.n,
2.
do.
+ 5 .
> >
+ 5
» Exs. v. Nr. 94
3.
do.
+ 5 ,
> >
+ 5
> » y y */ 2 ü 60“
4
do.
+ 5 .
y y
+ 5
» > » » lh60*
5.
do.
+ & >
y y
+ 5
» » » Nr. 93
6.
do.
+ 5 .
> >
4 5
* y y y */ a h 60“
7.
do.
+ 6 .
> »
+ 5
» » , , lb 60°
8.
do.
+ 5 .
Na Cl-Lösung
+ 5
> » > Nr. 94
9.
do.
+ 5 ,
>
+ 5
» > * > Vjh60°
10.
do.
+ 5 .
>
+ 5
» > y y lh 60°
11.
do.
+ 5 ,
>
+ 5
> > > Nr. 93
12.
do.
+ 5 .
»
+ 5
y y y y */ 2 b f>()°
13.
do.
+ 5 .
y
+ 5
> > » * \h 60°
14. 5 Tr. Susp. normaler Bakt
+ 5 Tr.
Serum gl cone.
4- 5 Tr. NaCl-I-rösung
15. 5
y
>
> >
+ 5 .
t >
+ 5
> Exs. v. Nr. 94
16. 5
y
>
» y
+ 5 »
> >
+ 5
> > > i lh60°
17. 5
>
>
y >
+ 5 >
> y
+ 5
> > > Nr. 93
18. 5
>
>
> >
+ 5 ,
y y
+ 5«
» > > » lb 60°
19. 5
y
>
> >
+ 5 ,
NaCl-Lösung
+ 5
> > y Nr. 94
20. 5
>
>
» y
+ 5 .
>
+ 5
> » > > y* h e>o°
21. 5
y
>
y y
+ 5 .
*
+ 5
> » > > lb 60°
22. 5
y
>
y y
+ 5 .
y
+ 5
> > » Nr. 93
23. 5
>
>
y »
+ 5 .
y
+ 5
» » » > l /* h 60°
24. 5
>
y
y >
+ 5 .
y
+ &
y » > » lb 60°
Nach
y 4 Std. sind die
Proben
14. — 18. fast vollständig agglutiniert, in
2. und 8. ist bereits sehr deutliche Haufenbildung sichtbar.
Nach */i $td. Wesentlich ebenso.
Nach 3 /< Std. Ebenso.
Nach 1 Std. 2. beendet, aber mit leichter Trübung der obenstehenden
Flüssigkeit; in 3. und 11. undeutlicher Beginn, 8. Ende der Agglutination;
in 22. beginnt deutliche Haufenbildung.
Nach 1 1 4 Std. In 3. noch immer zweifelhafte, in 11. und 22. weit vor¬
geschrittene, in 19. eben beginnende Agglutination.
Nach l*/ s Std. Beginnt Flockenbildung auch in 9. und 10., 19. und 22.
haben Flocken in trüber Flüssigkeit entstehen lassen.
Nach l 3 / 4 Std. Wesentlich unverändert.
Digitized by Google
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
397
Nach 2 Std. Zur Zeit des Abbruches der Beobachtung war in 1., 4.,
5., 6., 7., 12., 13., 20., 21., 23. und 24. keine Reaktion eingetreten, in 2., 9.,
10., 11., 19., 22. ist viel Bakterienmaterial flockig abgesetzt, die obenstehende
Flüssigkeit aber trübe, in 3. ist eben ein Absetzen in der dicht trüben
Flüssigkeit merkbar, 8., 14.—18. zeigen vollständig geklärte Flüssigkeiten.
Die Prüfung der Meerschweinchenexsudate im hängenden
Tropfen mit normalen Bakterien hatte ergeben, dafs das von
Nr. 93 noch bei der Verdünnung 1 : 25 ziemlich vollständig, das
von Nr. 94 gerade noch bei 1 : 10, nicht mehr bei 1 : 25 aggluti-
nierte. Damit stimmt das frische Auftreten der Flockenbildung
in Probe 22, das verspätete in 19 genau überein. Gerade um¬
gekehrt verhalten sich beide Exsudate gegen Bakterien, die mit
dem Agglutinophor beladen waren, und bei gleichzeitigem Zusatz
von Exsudat und Serum versagte das Exsudat von 93 ganz.
Die Übereinstimmung mit dem Ergebnisse des vorigen Versuches
ist also eine weitgehende; auch hier mufs man im Exsudate des
typhusinficierten Tieres einen relativ hohen, in dem des nor¬
malen Tieres einen sehr geringen Gehalt an freien Hemiaggluti-
ninen annehmen.
Auch die Thatsache, dafs Hemiagglutinine allein ebensogut
oder noch besser als in Verbindung mit Immunserum den Agglu¬
tinophor ergänzen, tritt hier, besonders beim Exsudate des Meer¬
schweinchens 93 wieder auf.
Aber das Resultat änderte sich, als bei Anwendung der
gleichen Meerschweinchenexsudate das durch Immunisation eines
Kaninchens mit Exsudatbakterien erhaltene Serum hl benutzt
wurde.
Versuch LXYI.
Die Bezeichnung ist, bis auf den Umstand, dafs statt Serum gl überall
Serum hl zu setzen ist, die gleiche wie im vorigen Versuche. Die Kon¬
trollen 19.—24. gelten auch hier. (Beide Versuche wurden, ebenso wie der
folgende, am selben Tage angestellt.)
Nach '/* Std. Deutliche Agglutination in 2. und 5., fast beendete in
14—18.
Nach */ a Std. Ebenso, in 14.—18. vollständige Klärung der Flüssigkeiten.
Nach a / 4 Std. 2. und 5. fast beendeter Absatz, aber bei noch trüber,
obenstehender Flüssigkeit. In 8. ist deutlicher, in 3. und 11. undeutlicher
Beginn der Agglutination wahrzunehmen.
Nach 1 Std. Entsprechend weiter vorgeschritten.
Digitized by
Google
398
Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
Noch 1V 4 Std. Agglutination beginnt auch in 9., vielleicht in 10.
Nach 17a Std. Beginn der Haufenbildung in 4., deutliche Reaktion in
9. und 10.
Nach l s / 4 Std. Wesentlich ebenso.
Nach 2 Std. Fehlt jede Reaktion in 1., 6., 7., 12., 13. Vollständige
Agglutination mit Klärung der obenstehenden Flüssigkeit ist eingetreten bei
8., 11. und 14.—18. Absetzung in Flocken bei trüber Flüssigkeit zeigt sich
in 2., 3., 4., 5., 9., 10.
Hier hatte sowohl das Exsudat des normalen wie das des
typhusinficierten Meerschweinchens ungefähr gleichzeitig die mit
dem Agglutinophor des Serums hl beladenen Bakterien zur
Agglutination gebracht, woraus sich ein ungefähr gleich hoher
Gehalt an Hemiagglutinin ergeben würde. Nur daraus, dafs die
Erhitzung auf 60° das normale Exsudat jeder ergänzenden Fähig¬
keit beraubt hatte, während dieselbe im Typhusexsudate noch
teilweise erhalten war, ergibt sich gleichwohl der gröfsere Gehalt
an Hemiagglutinin für das Typhusmeerschweinchen.
Auch der Umstand, dafs diesmal, ungleich dem vorigen
Versuche, Exsudat und Immunserum schneller gewirkt hatte als
Exsudat allein, wird wieder ausgeglichen durch das vollständige
Auftreten der Agglutination bei letzterer, das sehr unvollständige
bei ersterer Flüssigkeit.
Vermutlich ist es der geringfügige Eigengehalt des Serums hl
an Hemiagglutininen, der diese Unregelmäfsigkeit bedingt. Jeden¬
falls liegt die Schuld nicht an einer Verschiedenheit der Agglu-
tinophore in den beiden Seris hl und gl, wie der folgende
Versuch es deutlich macht.
Versuch LXVII.
Exsudate der gleichen beiden Meerschweinchen wie vorher.
L ftu^Senim'gi } + 5 Tr Serum h 1 <-onc - + 5 Tr Na CI Lösung
2. do. -f- 5 >
3. do. +5 *
4. do. Serum h 1 —|— 5 >
5. do. -)- 5 *
8. do. -|- 5 »
> > > -f" 5 > Exsudat v. Nr. 94
» » >-(-5» » >»93
> gl > -f-5 > NaCl-Lösung
> > , 5 » Exsudat v. Nr. 94
» » , 5 » > > > 93
I>ie entsprechenden Kontrollen siche in Versuch LXV und LXVI.
Digitized by CjOOQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
399
1
•/, h
t
< a h
3 u h
i 1»
17.“
e/,1-
17.“
2h
i;
! 0
0
0
0
0
0
0
0
2
| Weit vor*
geschritt.
Fast
beendet
Beendet
—
—
—
Wolkiger
Satz,dabei
deutlich
3
Weit vor-
Fast
Beendet
—
1 —
—
— 1
trüb
1
|
geschritt.
beendet
i
4 i
0
0 ,
0
0
0
0
0
0
5
Deutlicher
| Beginn
Weit vor* j Fast
1 geschritt. i beendet
Beendet
Trüb
beendet
—
—
Satz mit
* starker
6 i
!
0
0
0
Weit vor-
geschritt.
Flocken
daneben
ganz triib
“ !
1
Trübung
Abgesehen von der erst sehr verspätet aufgetretenen und
sehr unvollständig gebliebenen Agglutination in der sechsten Probe
herrschen somit absolut die gleichen Verhältnisse wie in den
Versuchen LXV und LXVI.
Wie bereits bemerkt, beweist das Vorkommen von freien
Hemiagglutininen im Exsudate wie auch im Serum normaler
Meerschweinchen bereits deutlich, dafs es sich hier um regel-
mälsig im Körper vorhandene, nicht spezifische Stoffe handelt.
Dafs dieselben auf einen spezifischen Anstois hin stärker kon¬
zentriert in Körperfiüssigkeiten auftreten, beweist nur, dals sie
sehr leicht im Organismus mobilisiert werden können.
Ihre relativ geringe Hitzebeständigkeit geht aus den aus¬
führlich wiedergegebenen Versuchen ebenfalls klar hervor: schon
eine halb-, noch mehr eine einstündige Erhitzung auf 60°
schädigt sie schwer. Vernichtet werden sie bei solchen Tempe¬
raturen nicht vollständig, was schon durch die relative Bestän¬
digkeit eines, wesentlich vollständige Agglutinine enthaltenden
Immunserums von vornherein wahrscheinlich war.
Hingegen handelt es sich bei den Agglutinophoren, soweit
dies untersucht werden konnte, um streng spezifische Körper.
Auch Choleravibrionen lassen sich, wie vorher bemerkt
werden mufs, durch Aulenthalt in einem zugehörigen, auf 75°
erwärmten Immunserum gegen die in dem unveränderten ent¬
haltenen Agglutinine unempfänglich machen. Doch scheint, wie
Digitized by
Google
400
Versuche über Typhusagglutinine und -Präcipitine.
aus den bereits Seile 366 erwähnten Tierversuchen hervorgeht
die Spaltung der Agglutinine in ihre beiden Anteile und die
Produktion der freien Agglutinophore hier schwerer zu erfolgen
als bei Typhus. Immerhin gelang es durch Einwirkung von
möglichst wenig verdünntem, hochwertigem, 1 Stunde auf 75°
erhitztem Immunserum Choleravibrionen absolut inagglutinabel
zu machen.
Versuch LX1X.
Choleraserum (im hängenden Tropfen noch bei 1:10000, nur noch
unvollständig bei 1:12500 agglutinierend) im Verhältnisse 1:5 verdünnt,
wird 1 Std. auf 75° erhitzt. Mit 5 ccm dieser Flüssigkeit wird der Satz von
zwei gewaschenen Agarkulturen übergossen, Vs Std. bei 42 — 43° gehalten
und in der üblichen Weise filtriert, centrifugiert und in wenig Na CI*Lösung
aufgenommen.
1. 10 Tr. Vibrionensusp. aus Iromunserum l h 75° + 10 Tr. Cboleraserum conc.
2. 10 >
» > » >
+ 10 >
>
1:10
3. 10 >
* > > >
+ 10 >
9
1:50
4. 10 >
Suspension normaler Vibrionen
+ 10 »
>
conc.
5. 10 >
i > i
+ 10 »
9
1 : 10
G. 10 »
> > >
+ 10 >
>
1:50
Nach V« Std. beginnt deutliche Agglutination bei 4. und 5., ist nach
V, Std. in allen drei Kontrollproben weit vorgeschritten und nach 1 Std.
beendet.
Die Proben 1.—3. bleiben während der zweistündigen Beobachtungs¬
dauer und auch noch 3 Std. nachher, bei 37 0 aufbewahrt, gleichmäfsig trüb.
Mit diesem Choleraserum wurde die Spezifität der Agglutino¬
phore und der durch sie veranlafsten Inagglutinabilität geprüft.
Versuch LXX.
Cboleraserum, im Verhältnis 1:7,5 mit physiologischer NaCl-Lösung
verdünnt, wird 1 Std. lang auf 75° erhitzt. Je 5 ccm dieser Flüssigkeit
werden zu dem Satze von je zwei centrif agierten Agarkulturaufschwemmungeo
von Typhus und Cholera gegeben, und die Suspensionen je V* Std. bei
42- 43° gehalten. Hierauf werden in der üblichen Weise Suspensionen
hergestellt.
1. 5 Tr. Typhussusp.
aus
lh 75°
erhitzt. Choleraser. + 5 Tr. Typhusser. g conc
2. 5 »
i
>
>
>
+ 6
» » 1.10
3. 5 »
>
»
>
>
+ 5
> Choleraserum conc.
4. 5 >
>
>
>
9
+ 6
> » 1:10
5 5 > Cholerasusp.
>
>
>
9
+ 5
9 Typhusser. g conc.
G. 5 » >
>
>
>
9
+ 5
> > 1 :10
7. 5 » >
>
>
>
9
+ 6
> Choleraserum conc.
N. 5 > »
>
>
>
i
+ 5
> > 1:10
Digitized by v^.ooQle
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
401
9. 5 Tr. Suspension
normaler Typbusbakterien
5 Tr. Typhusseruni
eonc
10. 5
> >
>
>
+ 5 > »
1 : 10
11. 6
> >
>
>
-f- 5 > Choleraserum
conc.
12. 5
> >
>
>
-J- 5 > >
1:10
13. 5
> >
»
Choleravibrionen
-+- 5 > Typhasserum
conc.
14. 5
> >
>
»
+ 5 >
1 : 10
15. 5
> >
>
-4- 5 » Choleraserum
conc.
16. 5
> >
>
»
+ 5 >
1 : 10
Nach V 4 Std. Weit vorgeschrittene Agglutination in 1., 2., 9., 10., 15., 16.
Deutlicher Beginn in 3. und 11.
Nach l /i Std. Vollständig beendete Agglutination in 1., 2., 9., 10., 15.,
16. Weit vorgeschrittene in 3. und 11. Deutlicher Beginn in 4. und 12.
Nach 3 / 4 Std. ist die Reaktion auch in 3. und 11. ganz, in 4. und 12.
fast ganz beendet. Weiterhin tritt während der zweiten Beobachtungsdauer
keine Veränderung ein.
Der Versuch ist besonders aus dem Grunde lehrreich, weil
hier das Choleraserum gleichzeitig Typhusbakterien agglutinierte.
Die Untersuchung im hängenden Tropfen mit Typhusbouillon
ergab noch vollständige Haufenbildung bei 1 :50, sehr unvoll¬
ständige bei 1 : 75. Wahrscheinlich handelt es sich hier um
einen jener durchaus nicht seltenen Fälle, wo bereits normales
Kaninchenserum Typhusbakterien agglutiniert; allerdings ist diese
Fähigkeit hier aufserordentlich stark. Die Konzentration dieser
normalen Typhusagglutiniue war aber viel zu gering, um durch
Spaltung bei 75° genügend Agglutinophore zur Besetzung der
grofsen Menge eingetragener Bakterien hervorzubringen. Die
Folge davon war, dafs selbst so relativ unbedeutende aggluti-
uative Effekte, wie sie das Choleraserum auf Typhus ausübte,
bei den im erhitzten Cholera-Immunserum gewesenen Typhus¬
bakterien gerade so deutlich sichtbar wurden wie bei normalen.
Dieser Beweis für die spezifische Wirkung der Agglutinophore
erschien so schlagend, dafs weitere Versuche nicht mehr angestellt
wurden. Durch die Fähigkeit eines auf 75° erhitzten Cholera¬
serums, in dem erst Typhusbakterien bei 42° verweilt hatten,
nunmehr noch Choleravibrionen inagglutinabel zu machen, würde
sich ein weiterer Beweis wohl unschwer erbringen lassen.
Der grofse Umfang, den die Untersuchungen bereits ange¬
nommen hatten, machte eine weitere Ausdehnung derselben
Digitized by CjOOQle
402
Versuche (Iber Typhusagglutinine und -Prftcipitine.
einerseits auf andere als die benutzten Typhus- und Cholera
Stämme, anderseits auf andere Bakterienarten für den Einzelnen
unmöglich. Namentlich die Untersuchung der Coli-Iinmunsera
hätte viel des Interessanten versprochen, besonders in der Hin¬
sicht, ob die verschiedene Wirksamkeit eines Serums gegen ver¬
schiedene Colistämme auf einer Verschiedenheit der agglutino-
phoren Gruppen beruht.
Immerhin berechtigen die angestellten Versuche zur Zu¬
sammenfassung folgender Sätze:
1. Die Agglutinine des Typhus-Immunserums sind keine
einheitlichen Körper, wie man bisher angenommen hat.
2. Ihre Konstitution setzt sie vielmehr in vollkommene
Analogie mit den Bakterio und Hämolysinen.
3. Wie diese bestehen sie aus einem spezifisch wirksamen
Anteile, dem Agglutinophor, der von dem zweiten, nicht spezi¬
fischen, dem Hemiagglutinin durch Erwärmen eines Serums auf
75° getrennt werden kann.
4. Die von Ehrlich zuerst auf die Agglutinine angewendete
Zweiteilung ihrer Wirkung in den Effekt einer haptophoren und
einer zymotoxischen Gruppe trifft vollständig zu und entspricht
der Agglutinophor der haptophoren, das Hemiagglutinin der
zymotoxischen Gruppe Ehrlichs.
5. Wie in allen bisher aus der Immunitätslehre bekannten
Fällen, ist auch hier die Wirksamkeit der haptophoren Gruppe
zunächst eine unsichtbare. Sie vermag sich mit dem zugehörigen
Bakterium zu verbinden und versetzt dasselbe, trotz seines nor¬
malen Aussehens, seiner ungestörten Vermehrungsfähigkeit u. dgl.
in einen besonderen Zustand, welcher dem der ersten Aggluti¬
nationsphase Bordets entsprechen dürfte.
6. Dieser Zustand ist dadurch charakterisiert, dafs das für
sich allein unwirksame Hemiagglutinin sich jetzt ebenfalls an
das Bakterium anlagern und dasselbe zur Haufenbildung bringen
kann.
Digitized by
Google
Von Privatdozent Dr. Oskar Bail.
403
7. Die Hemiagglutinine im freien Zustande lassen sich in
verschiedenen, teils agglutinierenden, teils nicht agglutinierenden
Flüssigkeiten nachweisen; am reichlichsten scheinen sie im
Exsudate intraperitoneal mit Typhus inficierter Meerschweinchen
aufzutreten, ohne dafs man ihnen aber deswegen eine Spezifität
zuschreiben dürfte.
8. Durch diese Ergänzungsmöglichkeit der freien hapto
phoren Gruppe, des Agglutinophors, durch eine freie zymotoxische,
das Hemiagglutinin, wird der ersteren der Charakter eines
Amboceptors verliehen. Das fertige Agglutinin gehört daher in
die Reihe der Receptoren dritter Ordnung nach Ehrlich,
während die Receptoren zweiter Ordnung, bei denen die beiden
Gruppen untrennbar verbunden sein sollen und für welche kein
weiteres sicheres Beispiel bekannt ist, als die bisher dazu ge¬
rechneten Agglutinine, nicht länger aufrecht erhalten werden
können.
9. Infolge der Besetzung eines Typhusbakteriums mit dem
isolierten Agglutinophor wird dasselbe in einer Flüssigkeit, welche
nur fertige Agglutinine enthält, inagglutinabel.
10. Eine derartige Besetzung erfolgt unter natürlichen Ver¬
hältnissen in der Bauchhöhle intraperitoneal mit Typhus infizierter
Meerschweinchen. Während dieser Infektion kommt es anfäng¬
lich zur reichlichen Bildung von freien Hemiagglutininen; Beweis
dafür die Möglichkeit, mit frühzeitig entnommenen Exsudaten
freie Agglutinophore ergänzen zu können. Daneben werden
auch Agglutinophore gebildet, aber in geringer Menge. Die¬
selben treten sofort mit den Hemiagglutininen zu fertigen Agglu-
tininen zusammen; Beweis dafür das rudimentäre Auftreten von
Haufenbildungen im Exsudate, kurze Zeit nach der Infektion.
Etwa 3 Stunden nach Einspritzung gröfserer Kulturmengen hört
die Bildung der freien Hemiagglutinine auf, während die der
Agglutinophore andauert, unter fortwährender Bindung derselben
an die im Exsudate befindlichen Bakterien; Beweis dafür ist das
Aufhören der spontanen Haufenbildung im Exsudate und das
Versagen der Wirkung eines Immunserunis gegen die jetzt die
Peritonealhöhle einnehmenden Mikrobien.
Archiv für Hygiene. Bd. XLI1. 27
Digitized by CjOOQle
404 Versuche über Typhusajrglutinine und präcipitine. Von Dr. Oskar Bail
11. Bei der Infektion mit Cholera Vibrionen unterbleibt eine
weitgehende Ausbildung freier Agglutinophore; denn die Vibri¬
onen ira Exsudate sind der Wirkung eines Immunserums zu¬
gänglich. Sonst aber läfst sich auch für ein Choleraserura die
Zusammensetzung der Agglutinine aus Agglutinophor und Hemi-
agglutinin nacbweisen.
12. Über die Art und Weise der Wirkung der zymotoxischeu
Gruppe, des Hemiagglutinins, geben die Versuche noch keinen
Aufschlufs.
Nachsatz zur Korrektur: Während der Drucklegung
erschien aus dem Paltaufschen Institute eine inhaltsreiche Mit¬
teilung über ein ähnliches Thema von Eisenberg und Volk
(Wiener klinische Wochenschrift, 1901, Nr. 50). Obgleich die
kurzen Angaben der Autoren einen vollen Einblick in die
wichtigen und interessanten Ergebnisse ihrer Untersuchungen
noch nicht recht gewähren, so bilden doch die Punkte 15 bis
17 der Arbeit eine deutliche Bestätigung der vorstehend mit¬
geteilten Versuchsresultate. Die von den Herren Verfassern
konstatierte Übereinstimmung der Konstitution der agglutinier-
baren Bakteriensubstanz mit den bakteriellen Giften (Punkt 8—11)
gewährt eine Klarstellung der so verwickelten Verhältnisse,
welcher eine hohe Bedeutung zukommt. Nur bezüglich des
Namens »Agglutinoidc, welchen die Herren Verfasser der binden¬
den Gruppe des Agglutinins geben, möge die Priorität zu gunsten
der oben angewendeten Bezeichnung: »Agglutinophore gewahrt
bleiben. Der Überfluls an Namen, über den die Immunitäts¬
lehre verfügt, rechtfertigt dieses Ersuchen selbst dann, wenn sich
Differenzen in der intimeren Auffassung der bindenden Gruppe
zwischen der Ansicht der Herren Autoren und der oben ver¬
tretenen heraussteilen sollten.
Digitized by CjOOQle
Digitized by
Digitized by
Digitized by
YO I1576
Digitized by
Google