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Full text of "Archiv für mikroskopische Anatomie"

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University of Illinois Library 


L161—H41° 


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Mikroskopische Anatomie 


herausgegeben 


von 
O. Hertwig in Berlin, 


v. la Valette St. George in Bonn 
und 


W. Waldeyer in Berlin. 


Innnnnnnnnnnnnnnn 


Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie. 


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Siebenunddreissigster Band. 


Mit 40 Tafeln und 4 Holzschnitten. 


Bonn 
Verlag von Friedrich Cohen 


1891. 


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Inhalt. 


Zur Entwicklungsgeschichte und feineren Anatomie des Hirm- 
balkens. Von Dr. L. Blumenau. (Aus dem I. anatomi- 
schen Institute in Berlin.) Hierzu Tafel 1. 


Imprägnation des centralen Nervensystens mit Quecksilbersalzen. 

€ Von W.H. Cox, Arzt an der Irren-Anstalt zu Deventer. 
Hierzu Tafel II. Ben i 

Beiträge zur Histologie des Blutes. Von Dr. med. et phil. 
H. Griesbach, Kaiserl. Öberlehrer u. Privatdocent. Hierzu 
Bauen... | 


Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. Von Max 
Wolters. (Aus dem anatomischen Institut der Universität 
Bonn.) Hierzu Tafel V—-VIN. 


Ueber die Regeneration der Mammilla nebst Bemerkungen über 
ihre Entwicklung. Von Prof. Dr. Ribbert, erstem Assi- 
stenten am pathologischen Institut zu Bonn. Hierzu Taf. IX. 

Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Öberhaut. Von 
James Loewy in Berlin. (Aus dem Laboratorium des 
Herrn Dr. Blaschko.) Hierzu Tafel X und 1 Holzschnitt. 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie nebst einigen Bemer- 
kungen über die unveränderten Follikel in den Eierstöcken 
der Säugethiere. Von Dr. J. Sehottlaender. Hierzu 
ma Al .. 


Weitere Beobachtungen an Gordius tolosanus und Mermis. Von 
Dr. v. Linstow in Göttingen. Hierzu Tafel XI. 

Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten, und über deren 
Attraetionssphären. Von W. Flemming in Kiel. Hierzu 
Tafel XIII und XIV.. ELF EN RT Ar 

Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 
Von Prof. Dr. F. Marehand in Marburg. Hierzu Tafel 
XV und XVl. 

Zur vergleichenden Anatomie der Placenta, Von Prof. E. Klebs 
in Zürich. Hierzu Tafel XVII. A ei 

Ueber die Entwickelung und Structur der Placenta bei der 
Katze. Von Prof. F. Heinricius in Helsingfors. Hierzu 
Tafel XVII und XIX. 


ILIRI 


Seite 


16 


99 


139 


159 


249 


259 


335 


IV Inhalt. 

Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung in der Ivmphati- 
schen Randschicht der Salamandrinenleber. Von Dr. 
'E. Göppert. (Aus dem II. anatomischen Institut der Uni- 
versität zu Berlin.) Hierzu Tafel XX. . 


Versuche zur functionellen Anpassung. VonD.Barfurth. (Aus 


dem vergleichend-anatomischen Institut in Dorpat.) Hierzu 


Tafel XX1.. ; 

Zur Regeneration der Gewebe. Von D. Barfurth. (Aus dem 
vergleichend-anatomischen Institut zu. Dorpat.) Hierzu 
Tatel XXII—XXIV. 

Zur Kenntniss der Grundsubstanz -und der Saftbahnen des Knor- 
pels. Von Dr. M. Wolters in Bonn. (Aus dem anatomi- 
schen Institut zu Bonn.) Hierzu Tafel XXV. ; 

Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. Von M. 
Nussbaum. Hierzu Tafel XXVI—XXX u. 1 Holzschnitt. 

Beitrag zur Lehre von der Entstehung der karyokinetischen 
Spindel. Von-Dr. F. Hermann. (Aus dem anatomischen 
Institut der Universität Erlangen.) Hierzu Tafel XXXI 
und 2 Holzschnitte. 

Ueber die Entwickelung der Ganglien beim Hühnchen. Von 
Max Goldberg zu St. Petersburg. Hierzu Tafel XXXIL 

Die Nervenendkörperchen (Endkolben, W. Krause) in der Cor- 
nea und Conjunctiva bulbi des Menschen. Von A. S. Do- 
giel, Professor der Histologie an der Universität Tomsk. 
Hierzu Tafel XXXII und XXXT. 

Ueber die Entwickelung des Uterus und der Vagina beim Men- 
schen. Von Dr. med. W. Nagel, Privatdocent, Assistenz- 
arzt der geburtshülflich-gynäkologischen Univ.-Klinik des 
Herrn Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Gusserow zu Berlin. 


(Aus dem I. anatomischen Institut in Berlin) Hierzu 
Tafel XXXV u. XXXVl. 
Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma und die 
Contraction der quergestreiften Muskelfasern. Von Prof. 
Dr. A. Rollett.in Graz. Hierzu Tafel AXXYVIErsE 
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. TI. Theil. Von W.Flem- 
ming in Kiel. Hierzu Tafel XXXVII, XXXIX u. XL. 


Seite 


378. 


392 


406 


620 


654 


685 


. . ‘ 


(Aus dern I. anatomischen Institute in Berlin.) 


Zur Entwicklungsgeschichte und feineren 
Anatomie des Hirnbalkens. 


Von 


Dr. L. Blumenan. 


Hierzu Tafel 1. 


Der Hirnbalken der Säugethiere entwickelt sich erst in 
späteren Stadien, ja von allen Theilen des Gehirns am spätesten 
(Mihalkovics). 

Bekannt ist, dass diese grosse Commissur des Vorderhirns 
unter partieller Verwachsung der medialen Flächen beider He- 
misphären entsteht und zwar innerhalb desjenigen Gebietes, wel- 
ches zuerst von F. Schmidt unter dem Namen des Randbogens 
eingehend beschrieben ist). Nach diesem Forscher bildet sich 
schon sehr früh (beim menschlichen Embryo etwa im Anfange des 
dritten Monats) oberhalb der Fissura choroidea eine tiefe Furche, 
Bogenfurche, die aus der medialen Wand der Hemisphäre einen 
die obere Seite der Fissur umzingelnden Halbring oder Rand- 
bogen abgrenzt. — Die Bogenfurche entspricht in ihrem vorderen 
oberen Theile dem Suleus ecorporis eallosi, welcher den Bal- 
ken vom Gyrus corporis callosi trennt; in ihrem hinteren unteren 
Theile der Fissura hippocampi. 

Der Randbogen bleibt aber keine einfache Windung, son- 
dern zerfällt in zwei bogenförmige Wülste — den äusseren 


1) Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Gehirns. Zeitschrift 

f. wissenschaftliche Zoologie, 11. Bd. 1862. -— Aeltere Angaben findet 
man in dem unten angeführten Werke von Mihalkovics. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 1 


2) Blumenau: 


(oberen nach Kölliker) und den inneren (unteren) Rand- 
bogen. Der sich entwickelnde Balken bricht nun nach Schmidt 
in der Grenzlinie zwischen den beiden Randbogen her- 
vor; der äussere Randbogen läuft demnach über den Balken hin 
und bildet die Stria teeta mit der Fasciola einerea und die Stria 
alba Laneisii; in dem inneren tritt ein Längsfaserzug. auf, wel- 
cher das Gewölbe sowie das Septum pellueidum bildet. Der Bal- 
ken selbst entwickelt sich, nach dem genannten Verfasser, . „durch 
Verwachsung der gegen einen bestimmten Punkt convergirenden 
Fasern“ beider Hemisphären; dieser Punkt liegt oberhalb der 
vorderen, vertical stehenden Abtheilung des unteren Randbogens, 
d. h. der Abtheilung des letzteren, aus welcher der vordere Ge- 
wölbeschenkel sich ausbildet. Die zuerst entstandene Commissur 
entspricht nicht einem Theile des Balkens, sondern dem ganzen 
Balken, gleichsam in nuce. Das weitere Wachsthum desselben 
geschieht, wie das der Hemisphären, vorzüglich in die Länge; 
auch nimmt seine Längsaxe an der Krümmung der Hemisphären 
allmählich Theil. 

Kölliker!) vertritt im Allgemeinen dieselbe Anschauung 
wie F. Schmidt. „Der Balken wird gleich in toto angelegt 
und wächst später nur in die Länge, setzt aber an den Enden 
keine neuen Theile an.“ Der obere Randbogen kommt an die 
obere Seite des Balkens zu liegen und wandelt sich später in die 
Stria alba Laneisii und die Stria tecta, sowie in die Faseia den- 
tata des Ammonshorns um. Aus dem unteren Randbogen, wel- 
cher sich, nach K., nach vorne zu in die Schlussplatte der He- 
misphären fortsetzt, entsteht das Crus posterius fornieis mit der 
Fimbria; der vordere und mittlere Theil des Gewölbes entwickelt 
sich aus der embryonalen Schlussplatte. Hinsichtlich der feineren 
Verhältnisse ist folgende Bemerkung (l. e. S. 531) Kölliker’s 
hierher zu ziehen: K. hat beim Kaninchen die ersten sicheren 
Spuren des Balkens am 18. Tage gesehen und zwar in Form 
einer Lage querer Fasern, welche an der medialen Wand der 
Hemisphären dicht über und vor der Schlussplatte ihre Lage hat. 
Diese Fasern grenzen zuerst an die primitive Sichel, durchwachsen 
dieselbe jedoch bald, so dass am zwanzigsten Tage der Balken 
in seinem freien Theile ganz gebildet ist. 

1) Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere, 
Leipzig, 1879. 2. Aufl. 


[2} 


Zur Entwicklungsgesch. u. feineren Anatomie d. Hirnbalkens. 5 


Die Entwicklung des Balkens wurde endlich, als Gegen- 
stand speeieller Untersuchung, von v. Mihalkovies!) behandelt, 
der den in Rede stehenden Vorgang folgendermaassen beschreibt. 

Bei Säugethieren geht der Entwicklung der Commissuren- 
systeme eine Verwachsung der Hemisphären vor der embryonalen 
Schlussplatte voran. Die Verwachsung geschieht in einem drei- 
eckigen Gebiete, dessen Spitze nach unten gerichtet ist, und dessen 
kurze Basis nach oben bis über das Monroe’sche Loch hinaufreicht. 
Ueber der verwachsenen Stelle (der Scheidewand) beginnt eine 
Furche, die von dort an der medialen Wand der Hemisphäre 
bogenförmig bis zum Ende des Schläfenlappens hinunterzieht; 
sie wird Ammons- oder Bogenfurche genannt und grenzt von 
der übrigen Hemisphärenwand den halbzirkelförmigen Theil, den 
Randbogen ab. 

Die verwachsene Scheidewand besteht Anfangs nur aus 
rundlichen embryonalen Zellen. Bald treten aber hier verschie- 
dene Commissurensysteme auf und zwar zuerst die vordere Com- 
missur, dann das Gewölbe und zuletzt der Balken. Der letztere 
erstreckt sich Anfangs nur auf den oberen Theil der Scheidewand 
und liegt also ganz vor dem dritten Ventrikel. Dieser zuerst 
entstandene Balken entspricht dem Knietheil des ausgebildeten 
Organes; die weitere Entwicklung desselben schreitet nach rück- 
wärts allmählich fort, indem die Randbogen beider Seiten sich 
über dem dritten Ventrikel an einander legen und dann von 
vorne nach hinten verwachsen. Gleich nach der Verwachsung 
differenziren sich in ihnen die Balkenfasern (ebenso wie das früher 
in den Scheidewänden stattfand), so dass der Balken seine de- 
finitive Länge durch eine Art Apposition nach hinten, nicht 
durch eine Intussusception neuer Fasern (wie Schmidt und Köl- 
liker meinen) erhält. 

Beim Menschen unterscheidet sich der ursprüngliche Ver- 
wachsungsprozess dadurch, dass im igonum septi pellueidi nur 
die Peripherie verwächst, indem innerhaw des Dreiecks die He- 
misphärenwände getrennt bleiben und den sogenannten Ventrieulus 
septi seitlich begrenzen. Die fernere Ausbreitung des Balkens 
nach hinten geschieht gerade so wie bei den Säugethieren; der 


1) Entwicklungsgeschichte des Gehirns. Leipzig, 1877. — Vor- 
läufige Mittheilung im Centralblatt f. med. Wissensch. 1876. 


Br Blumenau: | 


Unterschied besteht nur darin, dass die verwachsene Stelle der 
Randbogen beim Menschen ganz zu querliegenden Nervenfasern 
differenzirt wird, während bei Säugethieren ein Theil des weit 
nach vorne reichenden Ammonshorns nach der Verwachsung der - 
Randbogen unter den Balken zu liegen kommt. 

Die erste Verwachsung der Hemisphärenwände (im Gebiete 
des Trigonum septi) beginnt beim Menschen in der Mitte des 
vierten Monats; seine definitive Entwicklung erreicht der Balken 
erst zu Ende des fünften Monats. 

Die angeführten litterarischen Angaben leiden, RE 
von einigen Widersprüchen, an Unvollständigkeit, welehe sehr 
begreiflich ist, denn gewisse T’hatsachen der feineren Anatomie 
des Balkens sind erst in neuerer Zeit hinreichend beachtet 
worden. 

Meiner Untersuchung, die ich auf Anempfehlung des Herrn 
Prof. H. Virchow in seinem Laboratorium unternommen habe, 
diente als nächster Ausgangspunkt eine Arbeit von Prof. Gia- 
comini über die Fascia dentata!). Bezüglich der feineren Strue- 
tur des Balkens enthält diese Arbeit folgende Ergebnisse. 

Die Fasciola einerea, die obere Fortsetzung der Fasecia 
dentata, steht, um das Splenium des Balkens herumbiegend, mit 
den auf der oberen Fläche des letzteren sichtbaren Reliefs, den 
sogenannten Nervi Laneisii in Verbindung. Die Volumabnahme 
der Fascia dentata bei ihrem Uebergange in die Faseiola wird 
durch eine Abnahme der Körnerschieht bedingt, indem diese letz- 
tere sich allmählich auf eine kleine Anhäufung der Kömer be- 
schränkt, welche sich noch in den Nervi Laneisii verfolgen lässt. 
Den wesentlichen Bestandttheil der „Nervi“ bilden, abgesehen von 
longitudinalen Nervenfasern, die grossen Pyramidenzellen, die 
mit der Schicht gleichartiger Zellen in den Striae teetae und 
den anliegenden Gyri einguli direet zusammenhängen. Aber selbst 
über die Nervi Laneisii hinaus setzen sich medialwärts die Ele- 
mente der Hinrinde an der Oberfläche des Balkens fort; denn 
auch zwischen ihnen findet man eine dünne Lage grauer Sub- 
stanz, in der sich noch zwei Schichten unterscheiden lassen: eine 
oberflächliche (Fortsetzung der Stratum moleeulare) und eine tiefe, 


1) Giornale della r. Accademia di medicina di Torino. Nov.— 
die. 1883. | Li 


Zur Entwicklungsgesch. u. feineren Anatomie d. Hirnbalkens. 5 


welche stellenweise zerstreute Nervenzellen mit vielen Fortsätzen 
enthält. — Die graue Substanz der Hirnrinde bedeckt 
also die ganze freie obere Fläche des Balkens mit einer, 
obwohl stellenweise dünnen, doch nirgends fehlenden Lage ?). 

Es war nun der Untersuchung werth, die Theilnahme dieser 
grauen Substanz an der Entwicklung des Balkens und somit auch 
den ganzen Prozess der Verwachsung der Randbogen 
näher kennen zu lernen. Zu diesem Zwecke unternahm ich mi- 
kroskopische Untersuchungen an embryonalen -Gehirnen, die auf 
versehiedenen Stufen der Entwicklung des Balkens standen, theils 
menschlichen, theils thierischen, und von letzteren namentlich an 
solehen von Schweineembryonen. 


Schon bei der makroskopischen Untersuchung der Median- 
schnitte embryonaler menschlicher Gehirne kann man zur Ueber- 
zeugung gelangen, dass der Balken innerhalb des oberen 
Randbogens, nicht zwischen oberem und unterem Randbogen, 
entsteht. An einem median durchschnittenen Gehirn, namentlich 
deutlich nach Entfernung des Sehhügels, sieht man (wie in Fig. 1) 
das hintere Ende des Balkens aus dem oberen Randbogen her- 
austreten; die Furche, welche dasselbe vom Crus posterius for- 
nieis trennt, ist zugleich die Grenzfurche zwischen dem oberen 
und dem unteren Randbogen. Ä 

Es ist aber zu bemerken, dass die erwähnte Furche erst 
unter dem hinteren Theile des oberen Randbogens deutlich wird: 
derjenige Theil des unteren Randbogens, der dem Gewölbekörper 
entspricht, wird vom oberen Randbogen, d.h. vom Balken, nicht 
durch eine Furche getrennt. Damit ist die Verbindung des Bal- 
kens mit dem Corpus fornieis keine sekundäre Verwachsung, son- 
dern erklärt sich daraus, dass die beiden Gebilde aus einem un- 
getheilten Stücke des embryonalen Randbogens entstehen. 


l) Dass die Gyri cinguli sich zum Theil auf die Oberfläche des 
Balkens fortsetzen, war gewiss schon früher bekannt, wenn auch nicht 
so sicher und vollständig. So behauptet Zuckerkandl (Zeitschrift f. 
Anatomie, 1877), dass die unteren Ränder der genannten Windungen 
oft mit ihren stark verdünnten Ausläufern die obere Fläche des Bal- 
kens in sehr verschiedener Ausdehnung bedecken. In diese 
graue Deckschicht, bemerkt Zuckerkandl, geht die Fascia dentata 
häufig über. 


6 Blumenau: 


Der folgenden histologischen Beschreibung der Entwicklung 
des Balkens liegen meine Präparate von Gehirnen von Schweine- 
embryonen von verschiedener Körperlänge zu Grunde !). Bei der 
Vergleiehung mit einigen menschlichen Embryonen hat sich er- 
geben, dass die Hauptzüge des Vorgangs in beiden Fällen die 
gleichen sind; einige. Verschiedenheiten werden an gehörigen 
Orten zur Sprache kommen. 

Die kleinsten Sehweineembryonen, bei denen ich die erste 
Spur des Balkens fand, hatten eine Körperlänge von eirca 8 em. 
Bei den 6!1/,—7 em langen Embryonen waren schon die vordere 
Commissur und das Gewölbe vorhanden, die zur Bildung des 
Septum pellueidum führende Verwachsung der Hemisphärenwände 
zeigte sich auch mehr oder weniger vorgeschritten; vom Balken 
selbst aber war noch nichts zu sehen, — die Entwicklung des 
letzteren wurde, wie gesagt, erst bei denjenigen Embryonen be- 
obachtet, deren Länge etwa 8 cm erreicht hatte. 

Der Vorgang nahm seinen Anfang mit dem Erscheinen der 
Balkenbündel, sowohl in der verwachsenen Scheidewand, wie 
auch in den derselben von vorne und von hinten anliegenden Theilen 
der Innenwände. Diese Bündel gingen aus der tiefsten Schieht 
beider Hemisphären hervor und wuchsen gegen die Medianebene, 
also einander zustrebend. Im Gebiete der verwachsenen 
Scheidewand, namentlich im oberen Rande derselben, vereinigten 
sich die gegenseitigen Bündel; dort aber, wo die medialen Wände 
noch getrennt waren, näherten sich die Fasern der Oberfläche 
und erreichten die Hirnsichel. 

Die Entwicklung des Balkens setzt sich, einmal aufgetreten, 
bei älteren (10, 14, ja 16 cm langen) Embryonen fort. In 
der nächsten Umgebung der beiden Enden eines schon ausgebil- 
deten, d.h. verwachsenen Balkenstückes findet sich bei allen 
diesen Embryonen ein Gebiet, wo verschiedene Stufen des in Rede 
stehenden Vorgangs beobachtet werden können. Da zugleich in 
dem Maasse, wie sich die Schichten der Hemisphärenwände diffe- 
renziren, auch die mikroskopischen Bilder an Klarheit gewinnen, 


1) Was die Technik anbetrifft, sei hinzugefügt, dass die in Er- 
lizki’scher Flüssigkeit gehärteten Gehirne, bald mit bald ohne Hüllen, 
in Celloidin (nach Apathy) eingebettet und die erhaltenen Schnitte 
mit verschiedenen Sorten Karmin (neutralem,.Borax- und Alaunkarmin), 
zuweilen auch noch mit Bleu de Lyon gefärbt wurden. 


Zur Entwicklungsgesch. u. feineren Anatomie d. Hirnbalkens. 7 


so halte ich für zweckmässig, ein Gehirn eines solchen älteren 
Embryo als Grundlage für weitere, mehr eingehende Beschreibung 
zu verwenden. 

Eine Reihe frontaler Schnitte durch das Vorderhirn eines 
10 em langen Schweineembryo gestattet nach und nach alle 
die Veränderungen zu verfolgen, welche die Entwicklung des 
Balkens begleiten. (Drei dieser Schnitte sind in Fig. 2—4 dar- 
gestellt.) Ich beginne die Beschreibung mit dem Schnitte, auf 
welchem, wenn man von vorne nach hinten geht, zuerst die 
oben erwähnten Balkenbündel in den Innenwänden der Hemis- 
phären erscheinen. 

Man erkennt hier (Fig. 2) in jeder Innenwand dieselben 
Sehichten, welche sich überhaupt in den Hemisphären des Em- 
bryo unterscheiden lassen, nämlich: 1) eine oberflächliche, zellen- 
arme Schicht, 2) die eigentliche Zellenschieht der Rinde, 3) weisse 
Substanz und 4) eine tiefe, unmittelbar an das Epithel des lateralen 
Ventrikels grenzende Zellenschicht. Von allen diesen Schichten 
zeigt sich nur die letztere (bei Embryonen unverhältnissmässig 
dieke) insofern verändert, dass in ihrer Masse neue Fasern zum 
Vorschein kommen, die parallel mit der Wand des Ventrikels 
verlaufen, an der Stelle aber, welche etwas unter der Mitte der 
Ventrikelhöhe gelegen ist, nach der medialen Seite umbiegen und 
sich zu einem eompacten Bündel sammeln. Dieses Bündel liegt 
gänzlich in der tiefen (vierten) Zellenschicht t) und stülpt einen 
Theil derselben nach innen, gegen die Hirnsichel aus. Dadurch 
werden die übrigen, oberflächlicheren Schichten der Hemisphären- 
wand einem Druck ausgesetzt, der auf den folgenden Schnitten 
immer ausgeprägter wird (vergl. Fig. 5). Man sieht hier, wie 
die beiderseitigen Bündel sich einander nähern und alle zwischen 
ihnen liegende Theile der Hemisphären in zunehmende Atrophie 
versetzen. Zuerst verschwindet die dritte, weisse Schicht, dann 
auch die der Zellen und die zellenarme; die Balkenbündel werden 
bloss durch die Hirmsichel getrennt, welche selbst schon in Atro- 


1) Dieses Bündel, ebenso wie die weiterhin in der Wand des 
Ventrikels verlaufenden Fasern, aus welchen sich das Bündel zusam- 
mensetzt, berühren die Fasern der dritten Schicht nicht unmittelbar ; 
vieimehr schiebt sich zwischen beide ein Theil der vierten Schicht ein. 
Erst im weiteren Verlaufe der Fasern nach oben zu verschwindet all- 
mählich diese trennende Lage. 


8 Blumenau: 


phie begriffen ist. Noch weiter verschwindet auch diese Grenze, 
und die betreffenden Bündel der beiden Hemisphären schmelzen 
zusammen, die Hauptmasse des Balkens bildend. 

Hier nun aber, wo von den Theilen der Hemisphärenwände, 
welche zwischen beiden einander zustrebenden Bündeln gelegen 
waren, jetzt keine Spur mehr geblieben ist, zeigen sich die ver- 
wachsenen Bündel auf ihrer freien Oberfläche mit einer Fortsetzung 
der Rindenschichten bedeckt; die letzteren, wie sehr sie auch 
verdünnt sind, lassen sich doch immer deutlich unterscheiden. 
Bei den Thieren findet dicht unter dem Balken die schon öfters 
erwähnte Verwachsung der Hemisphären im Gebiete des Septum 
pellueidum statt, so dass bei ihnen nur die obere Balkenfläche 
frei bleibt. Auf diese Fläche gehen nun, wie gesagt, die Schich- 
ten der Innenwand über; die Medianebene erreichend, treffen die 
Fortsetzungen der beiden Hemisphären zusammen und verschmelzen 
ebenso, wie die Balkenbündel. Daher kommt es, dass die ganze 
obere Fläche des Balkens mit den Schichten der ee 
bedeckt ist, und zwar (von oben gezählt): 

1) mit der oberflächlichen, zellenarmen Schicht, 

2) mit der Zellenschicht, 

3) mit der Lage weisser Substanz und 

4) mit einem Theile der tiefen Zellenschicht, | 
in welcher zuerst die Balkenbündel beobachtet wurden. Bei ihrer 
weiteren Fortentwicklung verdrängten die Bündel diesen Theil 
der Schicht, so dass er, nach ihrer Verwachsung auf die Ober- 
fläche des Balkens zu liegen kam. 

Alle diese Schichten bilden, zusammen genommen, einen 
Ueberzug, dessen Dicke bei verschiedenen Individuen und auf 
verschiedenen Stellen eines und desselben Balkens sehr variirt, 
. bei Embryonen aber, im Verhältniss zur Dicke des Balkens, durch 
einen viel grösseren Bruchtheil ausgedrückt wird, als bei Er- 
wachsenen. Bei den menschlichen Embryonen bietet diese Lage 
schon früh örtliche Verdiekungen dar, welche, ihrer Vertheilung 
nach, den Striae longitudinales entsprechen. Die aufgezählten 
Schichten lassen sich am besten auf den lateralen Partieen des 
Balkens unterscheiden; auf der Mitte desselben, also an der Ver- 
wachsungsstelle, unterliegen dagegen sowohl die Dieke wie die 
Differenzirung der Schichten den grössten Abweichungen. 

Von der beschriebenen Stelle, wo der Balken schon aus- 


ae er 


Zur Entwicklungsgesch. u. feineren Anatomie d. Hirnbalkens. 9 


gebildet erscheint, gehe ich nun zu den Schnitten über, welche 
jenseits des Verwachsungsgebietes der Hemisphären angelegt wur- 
den. Ich füge nur noch hinzu, dass auf jenen Schnitten, die das 
hintere Ende des ausgebildeten Balkenstückes treffen, an die 
untere Fläche des letzteren das schon früher entwickelte Corpus 
fornieis zu liegen kommt. 

Indem wir unsere Untersuchung, wie bisher, in der Rich- 
tung von vorne nach hinten fortsetzen, treffen wir immer dieselben 
Stufen der Entwieklung des Balkens, wie am vorderen Ende, nur 
in umgekehrter Ordnung: Anfangs wird der Balken durch die 
Hirnsichel in zwei Hälften oder Bündel geschieden; dann ent- 
fernen sich diese Bündel mehr und mehr von der Oberfläche der 
Innenwände und werden mit den Rindenschichten des oberen 
Randbogens bedeckt, welche auch auf ihre untere, durch das 
Auseinanderweichen der hinteren Gewölbeschenkel frei bleibende 
Oberfläche übergehen. Aus diesen Schichten entsteht hier bei 
Thieren der obere Theil des Ammonshorns, der, wie bekannt, 
unter dem Balken liegt. 

Bei menschlicher Embryonen bleibt von dieser, die 
untere Fläche der Balkenbündel bedeckenden Rindensubstanz des 
oberen Randbogens nur eine dünne, oberflächliche Schicht; der 
übrige grössere Theil derselben verschwindet und wird durch 
Fasern ersetzt. 7 

Im Uebrigen gestaltet sich die Verwachsung der Balken- 
bündel am hinteren Ende, d.h. oberhalb des dritten Ventrikels, 
bei den menschlichen Embryonen ebenso, wie bei den thierischen. 
Im fünften Monate des intrauterinen Lebens ist dieser Process 
beim Menschen, nach meiner Erfahrung, noch nicht zu Ende ge- 
kommen. 

Aus dem bisher Gesagten haben wir folgende Schlüsse zu 
ziehen: 

1) Der Balken wird nicht „gleich in toto angelegt“, son- 
dern entwickelt sich nach und nach, binnen einer längeren 
Zeitperiode. 

2) Zuerst bildet sich sein mittlerer Theil (dieht vor 
und über dem Monroe’schen Loche), und von hier aus schreitet 
seine weitere Entwicklung nach beiden Seiten (ebenso wie nach 
hinten nach vorne) fort. 

3) Der dabei stattfindenden Verwachsung neuer Par- 


10 Blumenau: 


tieen der medialen Wände geht eine Ausbildung der Bal- 
kenbündel in letzteren voran, also nieht umgekehrt, d. h., 
nicht die Verwachsung kommt der Ausbildung der Fasern zuvor, 
wie Mihalkovics behauptet!). 

4) Nachdem er entstanden ist, zeigt der Balken auf seiner 
oberen Fläche die Fortsetzungen aller der Schichten, aus 
welchen die medialen Hemisphärenwände der Embryonen be- 
stehen. 

Es fragt sich nun: in welchem Grade sind diese Hemis- 
phärenschichten auf dem Balken des erwachsenen Menschen 
erhalten ? 

Um diese Frage zu lösen, untersuchte ich verschiedene 
Theile des ausgebildeten Balkens mit den ihnen anliegenden 
Wülsten (Gyri Cinguli), wobei ich die (frontal oder sagittal an- 
gelegten) Schnitte mit Hämatoxylin nach Pal oder mit Karmin 
färbte. 

Die nach Pal’scher Methode gefärbten Präparate haben 
gezeigt, dass auf der oberen Balkenfläche zwei Schichten 
markhaltiger sagittal verlaufender Fasern gelegen sind. An den 
Stellen der Längsstreifen (Striae longitudinales) lassen sich die 
beiden Schichten sehr deutlich unterscheiden, und hier sind sie 
von einander durch eine Zwischenschicht grauer Substanz ge- 
trennt, welche grosse Ganglienzellen enthält; an anderen Stellen 
dagegen ist die letztere bis auf eine Reihe von Zellen redueiert, 
oder scheinen die Faserschichten sogar zu verschmelzen, was in 
der Medianebene und unmittelbar neben derselben (zwischen beiden 
Striae mediales) vorkommt. 

Die eine von diesen Schichten liegt oberflächlich und ent- 
spricht der obersten (zellenarmen) Schicht am Balken der Em- 
bryonen. Auf frontalen Schnitten durch die hinteren Theile 
des Balkens und die angrenzenden Gyri einguli sieht man deut- 
lich, wie die betreffende Faserschicht, nachdem sie den Sulcus 


1) Nur im Gebiete des Septum pellueidum verwachsen die Hemi- 
sphärenwände vor der Entwicklung der ersten (mittleren) Balkenbündel, 
wie das von mir bei den 6 cm langen Schweineembryonen beobachtet 
wurde. Aber schon gleich nach ihrem ersten Erscheinen finden sich 
die Bündel nicht nur in diesem verwachsenen, sondern auch in den 
anliegenden, noch getrennten Theilen der Innenwände. 


Zur Entwicklungsgesch. u. feineren Anatomie d. Hirnbalkens. 11 


corporis eallosi umgangen hat, sich in die oberflächliche, dieselben 
sagittalen Fasern enthaltende Schicht der genannten Gyri fortsetzt. 
In den vorderen Theilen der Hemisphären büsst die letztere ihre 
Längsfasern allmählich ein, und dementsprechend ist auch die be- 
treffende Faserschieht auf den vorderen Parthieen des Balkens 
schwächer entwickelt. 

Die andere, tiefere Sehieht der Längsfasern geht ebenso 
um den Suleus herum und setzt sich in die weisse Substanz der 
Gyri einguli fort. Sie ist somit der dritten der embryonalen 
Schichten gleichzustellen. 

(Der Zusammenhang der Faserlagen auf der Oberfläche des 
Balkens mit denen im Gyrus einguli ist in Fig. 5 leicht zu ver- 
folgen.) | 

Die graue Substanz, die zwischen beiden Faserzügen ge- 
legen ist, ist der zweiten zellenreichen Schicht gleichwerthig. 
An der lateralen Seite des Suleus eorporis eallosi geht sie auch 
in die entsprechenden (Zellen-) Schichten der Gyri einguli über. 
Auf der Oberfläche des Balkens ist diese Substanz, wie schon 
gesagt, sehr unregelmässig vertheilt: an einigen Stellen wird sie 
bis zum Verschwinden verdünnt, an anderen erreicht sie dagegen 
eine beträchtliche Dicke und grössere Deutlichkeit der Structur. 
Diese letzteren Stellen fallen mit den Längsstreifen, den Striae 
longitudinales zusammen. 

Innerhalb der Stria longit. lateralis s. tecta behält die 
Schicht noch eine typische Anordnung der Nervenzellen, welche 
mit ihren Längsaxen in einer schrägen Richtung gegen die queren 
Bündel des Balkens stehen. Es sind am meisten (wenn auch 
nicht ausschliesslich) die grossen Pyramidenzellen, die hier zur 
Ansicht kommen. 

Die Striae mediales s. liberae sind Erhabenheiten, die 
hauptsächlich durch eine Anhäufung grauer Substanz bedingt 
werden, wesshalb ihr älterer Name „Nervi Laneisii“, als unpassend 
zu vermeiden ist. Die Ganglienzellen, welche Giacomini mit 
Recht den grossen Pyramidenzellen zuzählt, liegen hier ziemlich 
unregelmässig, sind aber grösstentheils, wie sagittale Schnitte 
sehen lassen, mit ihren längeren Axen parallel den oben beschrie- 
benen Längsfasern gerichtet. Dieselbe Richtung behält auch die 
Mehrzahl der Zellen in den übrigen, zwischen den Striae gelege- 
nen Theilen der Schicht. 


12 Blumenau: 


Aus dem Obigen geht hervor, dass die drei wesentlichen 
Schichten, welche einen embryonalen Balken bedecken, auch beim 
Erwachsenen vertreten sind. Wir fanden aber bei den Embryonen 
noch eine vierte Schicht, die als ein Theil der tiefsten, an das 
Ventrikelepithel unmittelbar angrenzenden Schieht der Hemisphären 
betrachtet wurde. Diese vierte Schicht zeigt sich nach der de- 
finitiven Ausbildung des Balkens am wenigsten erhalten; sie ist 
nur durch eime sehr dünne, aus Gliazellen bestehende Lage ver- 
treten, welche die tiefe Schicht der Längsfasern von den eigent- 
lichen Querfasern des Balkens abgrenzt. Durch gleichartige 
Zwischenlagen aus den Gliazellen werden auch grössere Bündel 
des Balkens von einander getrennt. 

Weiter müssen die Verbindungen der beschriebenen Sehich- 
ten mit den hinteren Theilen der medialen Fläche der Hemis- 
phäre erwähnt werden. Am hinteren Ende des Balkens geht 
die Hauptmasse der denselben bedeckenden Rindensubstanz in 
die Faseiolae cinereae über. Die zwischen den letzteren ge- 
legene obere Fläche des Splenium ist nur von einer rudimentären 
Rinde überzogen, welche sich noch auf die untere Balkenfläche 
fortsetzt, bis an die Stelle, wo die hinteren Gewölbeschenkel zu- 
sammentreffen (s. unten). Der Uebergang der grauen Substanz 
der Striae im die der Fasciolae ist von Giacomini ausführlich 
beschrieben worden. Nur in Betreff der zwei Faserschiehten will 
ich hinzufügen, dass dieselben sich auch in der Fasciola ver- 
folgen lassen; die oberflächlichere von ihnen geht weiter in 
die Lamina medullaris Fasciae dentatae über; die tiefere 
bildet, soweit die Fasciola dem Balken anliegt, eine Grenze 
zwischen beiden; dann setzt sie sich in die weisse Substanz 
des Gyrus hippocampi fort. 

Betrachten wir endlich die Beziehung der Striae zu vor- 
deren Theilen. Schon Meynert!) hat hervorgehoben, dass der 
sog. Nervus Laneisi mit der inneren Riechwindung (dem 
inneren Riechstreifen) in Verbindung steht. Nach meiner Beob- 
achtung kommt die Verbindung der Längsfasern der oberen Bal- 
kenfläche mit dem Tuber olfactorium auf zwei verschiedenen 
Wegen zu Stande. Erstens geht die tiefere Schicht derselben 
vom vorderen Ende des Rostrum in die weisse Substanz des- 


1) S. Stricker’s Handbuch, Bd. I. 


Zur Entwicklungsgesch. u. feineren Anatomie d. Hirnbalkens. 13 


jenigen Theiles der ersten frontalen Windung über, welcher auf 
der inedialen Fläche der Hemisphäre liegt und nach rückwärts 
mit dem Gyrus einguli zusammenhängt. Durch Vermittlung die- 
ser (frontalen) Windung, also indireet, verbinden sich die be- 
treffenden Fasern mit dem Riechlappen. — Zweitens giebt es 
einen direeten Zusammenhang des letzteren mit den oberfläch- 
lichen Sagittalfasern des Rostrum, die am Rande der genannten 
frontalen Windung in den inneren Riechstreifen übergehen und 
demselben das characteristische weissliche Aussehen verleihen. 

‚Bei verschiedenen Thieren bietet die obere graue Substanz 
des Balkens bedeutende Differenzen dar. Beim Affen (Cyno- 
cephalus) sind die Verhältnisse derselben denen beim Menschen 
am meisten ähnlich. Die grossen Längsstreifen, in welchen 
man auch die drei beschriebenen Schichten unterscheidet, liegen 
auf den vorderen Theilen des Balkens nahe der Medianebene; 
nach hinten zu entfernen sie sich von der Letzteren, werden von 
den Rändern der Hemisphären bedeckt und gehen am Splenium 
in die Fasciolae einereae über. — Beim Schweine ist der graue 
Ueberzug des Balkens gut entwickelt, besonders zeichnen sich 
durch ihre Grösse die lateralen Wülste desselben aus, in denen 
die oberflächliche Schicht der Längsfasern und eine wohlgebildete 
Zellenschieht stark hervortreten. Gegen das hintere Ende des 
Balkens stehen die Wülste von der Medianebene immer weiter 
ab und werden zugleich flacher. Zwischen ihnen liegt eine mi- 
nimale Schicht grauer Substanz, welche jedoch stellenweise gut 
entwickelte Nervenzellen enthält. — Beim Kaninchen ist die 
freie obere Fläche des Balkens sehr schmal und nur mit einer dün- 
nen kaum merkbaren Schicht bedeckt. Die den Striae tectae ent- 
sprechenden unteren Theile der medialen Flächen der He- 
misphären werden meistens nicht durch eine Furche von der 
übrigen Medianfläche getrennt, sondern bloss durch eine ab- 
weichende Anordnung der Hemisphärenschichten und zwar der 
grossen Pyramidenzellen bezeichnet. 


Es bleibt nun übrig, einige Bemerkungen über die untere 
Fläche des Balkens beizufügen. Ich übergehe hier die den 
Ventrikeln zugewandten Theile dieser Fläche; sie sind natürlich 
mit Epithel bedeckt, und zwar, wie die Untersuchung von Prof, 


14 Blumenat: 


Mierzeiewski) gezeigt hat, mit einem ebenso hohen Epithel 
wie die Bodentheile des Ventrikels. Ich lasse auch die Strecke 
der unteren Balkenfläche unerwähnt, welche mit dem Gewölbe- 
körper verwachsen ist, und beschränke mich auf die freie 
Partie derselben. 

Wir haben von vornherein zu erwarten, dass auch die 
untere Fläche des Balkens, wo sie frei bleibt, die ursprüngliche 
graue Substanz des oberen Randbogens immer behalten muss. 
Und in der That findet sich eine dünne graue Schicht auf 
der betreffenden Fläche, erstens an der Stelle, wo der Balken 
den sogen. Ventrieulus septi begrenzt. Diese Schicht ist der- 
jenigen gleich, welche die lateralen Wände desselben Ventrikels, 
also die Laminae septi, bedeckt. Auch enthält sie markhaltige 
sagittale Nervenfasern. 

Dann kommt noch an einer andern Stelle der unteren Bal- 
kenfläche eine dünne graue Lage vor. Diese Stelle beginnt da, 
wo die Gewölbeschenkel auseinanderweichen, und erstreckt sich 
von hier bis zum Ende des Splenium (s. oben). Die Rindensub- 
stanz ist hier ebenso rudimentär, wie die, welche auf der oberen 
Fläche des Balkens zwischen den Striae mediales (bez. den Fas- 
ciolae cinereae) liegt. Sie enthält eine oberflächliche, mit den 
Crura fornieis direct zusammenhängende Schicht markhaltiger, 
longitudinaler Fasern. 

Es folgt hieraus, dass die ganze freie untere Fläche des 
Balkens einen, wenn auch rudimentären, Ueberzug aus grauer 
Substanz besitzt. Und wenn wir diese Thatsache mit den oben 
angeführten zusammenstellen, so dürfen wir den allgemeinen Satz 
formuliren, dass der ganze Balken auf seiner freien äusse- 
ren Fläche von einer hier dicekeren, dort dünneren 
Schicht von Rinde überzogen ist. 

Eine physiologische Bedeutung ist aber wohl nur in Be- 
treff der oberen Balkenrirde zu vermuthen. Diese letztere ent- 
hält die Fasern, welche das Tuber olfactorium mit der Fascia 
dentata in Verbindung setzen; ihre graue Substanz geht in die 
der Fasciolae einereae continuirlieh über, und überall finden wir 
da die grossen, gut entwickelten Zellen, deren funtionelle ne: 
auf einen künftigen Aufschluss wartet. 


1) Medicin. Centralblatt, 1872. 


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Fig. 1. 


Zur Entwicklungsgesch. u. feineren Anatomie d. Hirnbalkens. 15 


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Erklärung der Abbildungen auf Tafel I. 


Mediale Hemisphärenfläche eines menschlichen Foetus aus der 
ersten Hälfte des fünften Monates. (Etwas kleiner, als natür- 
lich; nach einem paraffinisirten Präparate.) Das Zwischenhirn 
ist bei T abgetragen. Sc Sulcus calloso-marginalis. Fe Fis- 
sura calcarina. Bf Bogenfurche. FM Foramen Monroi. S 
Septum pellueidum. G Gewölbe (der bezeichnete Theil ent- 
spricht dem vorderen Schenkel desselben). F hinterer, frei 
bleibender Abschnitt des oberen Randbogens (Fascia dentata). 
D hinterer Theil des unteren Randbogens (Fimbria). S. im 
Text 8.5. 


Fig. 2—4 sind frontalen Schnitten entnommen, die mit Boraxkarmin 


gefärbt waren, und stellen drei hinter einander liegende fron- 
tale Schnitte durch das Vorderhirn eines 10 cm langen Schweine- 
embryos dar. Die Vergrösserung (Leitz O.], Syst. III), ebenso 
wie die Bezeichnungen sind bei allen drei Figuren dieselben. 
SS Hirnsichel. B Balkenbündel, die in Fig. 3 die Hirnsichel 
erreichen und in Fig. 4 mit einander verwachsen (C bezeichnet 
in der letzteren Figur die obere Commissur der Ammonshör- 
ner — ein Homologon der Lyra beim Menschen). Die Zahlen 
1—4 entsprechen den im Text (S. 7) aufgezählten Schichten 
der Hemisphären ; 4 — einem durch die Balkenbündel abge- 
schnittenen Theile der vierten Schicht. In Fig. 4 sieht man 
diesen Theil auf der oberen Seite des Balkens (unmittelbar 
an den Querfasern des letzteren) liegen. Man unterscheidet 
hier deutlich auch die anderen Hemisphärenschichten auf der 
oberen Balkenfläche. Ve seitlicher Ventrikel. 


Frontalschnitt durch den seitlichen Theil des Balkens und den 
anliegenden Gyrus ceinguli eines erwachsenen Menschen, nach 
einem mit Hämatoxylin (nach Pal) gefärbten Präparate. (Ver- 
grösserung wie bei den vorhergehenden Figuren.) BB Balken. 
Se Suleus corporis callosi, in welchem ein Gefäss liegt. oF 
oberflächliche Faserschicht des Gyrus einguli; Zs Zellenschicht, 
wS weisse Substanz desselben Gyrus. Es lässt sich sehen, 
wie die beiden Faserschichten (oF und wS) und die dazwischen 
liegende graue Zs sich auf der oberen Fläche des Balkens 
(unter dem Sulcus Se) fortsetzen. (S. darüber im Text S. 10.) 


16 Cox: 


Imprägnation des centralen Nervensystems 
mit Quecksilbersalzen. 
Von 


WW. H. Cox, 


Arzt an der Irren-Anstalt zu Deventer.. 


Hierzu Tafel TI. 


Zur Imprägnirung vom Gehirn oder von Gehirntheilen, nach 
der Sublimat-Methode Golgi-Mondino’s, werden diese bekanntlich 
erst in Bichromas-Kalieus gehärtet und danach in eine Lösung 
von 0,5°/, Sublimat gebracht. 

Es entsteht hierbei, bald in mehr, bald in weniger Nerven 
und Bindegewebselementen und bisweilen ausserhalb derselben 
ein Präeipitat einer Quecksilberverbindung. Nach Mondino!) — 
und eigene Untersuchung hat dies bestätigt — macht diese Ver- 
bindung die Elemente nicht schwarz, sondern opak. Dies zeigt 
sich beim Betrachten mit dem Mikroskop; die Zellen und Fasern 
sind bei durchfallendem Lichte dunkel (nieht schwarz), bei auf- 
fallendem Lichte gelb. 

Obige Methode giebt jedoch sehr wechselnde und meistens 
wenig befriedigende Resultate. Man erhält aber eine constante 
und gleichmässige Imprägnation, wenigstens beim centralen Ner- 
vensystem von Menschen, Kaninchen und Ratten, wenn man die 
Härtungs- und die Imprägnations-Flüssigkeit, d. h. die Bichromas- 
Kalieus und Sublimat-Lösungen in bestimmtem Verhältniss zugleich 
einwirken lässt. 

So werden eine Anzahl Ganglienzellen, Nervenfasern und 
Gliazellen im Cortex des grossen Gehirns vollkommen imprägnirt, 
wenn man Stückchen der Rinde zwei oder mehr Monate lang 
in einer Flüssigkeit von folgender Zusammensetzung härtet: 

Kalium bichromat 5°/, 20 
Sublimat 5°], 20 
destillirtes Wasser 40 


1) Zeitschrift f. wissensch. Mikroskopie. Bd. II, S. 157, 


Imprägnation d. centr. Nervensystems mit Quecksilbersalzen. 17 


Die Nerven-Ausläufer der Ganglienzellen indessen werden 
durch diese Härtungsflüssigkeit sehr selten, die verwickelten von 
Golgi beschriebenen Nervennetze niemals sichtbar. Die Entstehung 
des gewünschten Präcipitates in den Nervenausläufern und Netzen 
ist aber nur dann möglich, wenn die Reaction der Här- 
tungs-Flüssigkeit möglichst wenig sauer ist. Es ent- 
spricht aber obengenannte Mischung, da sie aus zwei in Auf- 
lösung ziemlich stark sauer reagirenden Flüssigkeiten besteht, die- 
ser Bedingung nicht. Man kann indessen ohne Furcht vor Prä- 
eipitat von Mereurichromat die sauere Reaction bedeutend Beualn 
setzen, obwohl nicht*gänzlich aufheben. 

Wird das im Handel vorkommende Kalium ehromat, welches 
ziemlich stark alkalisch reagirt, (in 5°/, Solution) oder Lithium 
carbonat (in gesättigt wässeriger Lösung) angewendet, so erhält 
man Lösungen, welche sowohl Nervenfasernetze und Ausläufer, 
wie Ganglien- und Gliazellen imprägniren, indem auch hier wie- 
der die Imprägnation gleichmässig und constant und dabei voll- 
kommener erscheint, je nachdem die Härtungsflüssigkeit länger 
eingewirkt hat. Es fällt dabei auf, dass Ganglienzellen schon 
bei ziemlich starker, Nervenfasern jedoch erst bei höchst geringer 
saurer Reaction imprägnirt werden. 

Da ich mit der Kaliumchromat enthaltenden Lösung die 
besten Resultate erhielt, will ich nur ihr Verhältniss hier angeben: 
Kalium bichromat 5°/, 20 
Sublimat 596,20 
Kalium chromat. 5°/, 16 

destillirtes Wasser 30—40. 

Bei der Zubereitung dieser »Mischung achte man darauf, 
dass die Kaliumchromat-Solution hinzugefügt wird, nachdem sie 
mit dem angegebenen Quantum Wasser verdünnt worden. Dies 
darf man nieht unberücksichtigt lassen, um dem Niederschlagen 
des Mercurichromats vorzubeugen. 

Wird ein, mit dem Eismierotom gemachter Durchschnitt 
des in obengenannter Weise erhärteten Centralnervensystems in 
Wasser ausgewaschen, und nachher mikroskopisch betrachtet, 
dann zeigt sich, dass in den imprägnirten Zellen und Fasern sich 
eine gelbe körnige Verbindung niedergeschlagen hat. Diese Ver- 
bindung entsteht allmählich, und man bemerkt den Anfang des 
Entstehens erst nach drei- bis viertägiger Einwirkung der Här- 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 2 


18 Cox: 


tungsflüssigkeit. Die Beschaffenheit dieser Verbindung erhellt 
aus dem Folgenden. 

Bringt man den Schnitt in eine verdünnte Ammoniaklösung, 
so wird das Präeipitat schwarz und desshalb auch sichtbar bei 
auffallendem Liehte. „Dasselbe Resultat erhält man, wenn statt 
Ammoniak eine Lösung von Lithium carbonat (gesättigt) oder 
Natrium earbonat (5°%,) zur Verwendung kommt. Man darf also 
rubig annehmen, dass die Imprägnation in einer Quecksilber- 
oxydule-Verbindung besteht, welche mit Ammoniak in schwarzes 
Mercuroamid, mit den Carbonaten auch in SPIweeE Quecksilber- 
oxidule (carbonat) übergeht. ‘ 

Die letzterwähnte Verbindung kann man mittels (1 procentiger) 
Salzsäure in Calomel überführen, sodass die Imprägnirung alsdann 
wieder bei auffallendem Lichte weiss und unsichtbar ist. 

Es zeigt sich also, dass eine grosse Zahl Gliazellen, 
Ganglienzellen und Nervenfasern, auf eine Sublimatlösung bei 
Anwesenheit von Kaliumcehromat und -bichromat reduzirend ein- 
wirken. Bei näherer Betrachtung wird unsere Aufmerksamkeit 
noch durch folgende merkwürdige Erscheinung gefesselt. 

Es fällt nämlich auf, dass in der Rinde eines Kaninchen- 
oder Ratten-Gehirns ein grosses Quantum Ganglienzellen und Fa- 
sern eine schöne Imprägnirung zeigen, hingegen viele Andere 
vom Präeipitat vollkommen frei bleiben. Man kann diese Er- 
scheinung nicht dem ungleichmässigen Eindringen der Härtungs- 
flüssigkeit zuschreiben, da die Imprägnirung im Ganzen gar keine 
Ungleichmässigkeit zeigt, m. a. W. die nicht imprägnirten Zellen 
und Fasern gleichmässig unter die wohl imprägnirten vertheilt 
sind. Dies sieht man bei allen Ganglienzellen und Fasern im 
ganzen Gehirn. Es kann nicht anders, es muss in der chemischen 
Zusammensetzung oder den physischen Eigenschaften in Verbin- 
dung wahrscheinlich mit Differenzen im physiologischen Zustand 
oder dem Absterben der Zellen ein Unterschied sein, da sie sich 
dermassen. verschieden verhalten, dass eine Sublimat zu reduziren 
im Stande ist, während die andere, dieht daneben sich befindend, 
gar keine Wirkung auf diese Verbindung ausübt. — 

Das schnelle Eindringen der Härtungsflüssigkeit ist von so 
grosser Wichtigkeit, dass in der Mitte von grossen Stücken die 
Imprägnirung bisweilen ganz fehlt; und dann auch später, weder 
durch Erneuerung der Härtungsflüssigkeit noch durch Vertheilung 


Imprägnation d. centr. Nervensystems mit Quecksilbersalzen. 19 


in kleinere Stückehen hervorzurufen ist. Das reduzirende Agens 
ist alsdann wahrscheinlich verloren gegangen. 

Es ist desshalb vorsichtig, die Stücke nicht zu gross zu 
nehmen, von einem Rattengehirn z. B. die Hälfte. 

Gehirnpräparate nach der Sublimatmethode Golgi-Mondino’s 
angefertigt, können nicht unter einem Deckglas aufbewahrt wer- 
den, wenn sie in Canadabalsam oder Damar eingebettet sind. 
Dies kann ebensowenig mit Durchschnitten des Gehirns, welche, 
in Auflösung 1 oder 2 gehärtet, danach in Natrium earbonat ver- 
weilt haben. Man sieht in diesem Fall, dass nach kurzer Frist 
(2 oder 4 Wochen) das Präeipitat sieh verspreitet, und als eine 
grosse Zahl Körnehen sich sichtbar macht, welche schliesslich 
grossentheils verschwinden. 

Anfänglich war ich geneigt, das Zugrundegehen der Impräg- 
nirung nur der sauren Reaction des angewandten Canadabalsams, 
welcher mit Lacmuspapier leicht zu beweisen ist, zuzuschreiben. 
(Dies ist auch mit Damar, wiewohl in geringerem Masse, der Fall.) 

Zur Richtigstellung dieser Voraussetzung wurden eine grosse 
Zahl von Durchschnitten einige Monate in verschiedenen Flüssig- 
keiten aufbewahrt. Da stellte sich heraus, dass ausser der sauren 
Reaction auch noch eine andere chemisch-physische Wirkung, 
welehe ich nicht näher erklären kann, das Zugrundegehen der 
Imprägnirung veranlasst. ä 

Die Flüssigkeiten, welche geprüft wurden, kann man in 
drei Gruppen eintheilen: 

1) Diejenigen, welche die Imprägnirung nicht ändern, wie 
destillirtes Wasser, Ammoniak-, Lithium carbonat- (gesättigt), Kalium 
chromat- (5°/,), Kalium biehromat- (5°/,) und Silbernitrat- (20/,) 
Lösung, Lavendelöl, Rieinusöl, Glycerin, Chloroform, Steinölbenzin, 
Creosot aus Buchenholz. 

/ 2) Andere, welche durch ihre sauere Reaction auf die Im- 
prägnirung wirken: Essigsäure (1°/, und 5°/,), Salpetersäure (1°/,), 
Chromsäure (1°/,), Pierinsäure (gesättigt). | 

3) Wieder Andere, welche die Imprägnirung schwinden 
lassen durch physich-chemische Wirkung unbekannter Art: Ab- 
soluter Alkohol, Phenol, Origanumöl, Bergamotöl, Caryophylöl, 
Terpentin, Anilin, Ether in geringem Masse, Damar, Canadabalsam 
und eine grosse Zahl anderer Harze. 

Wird Canadabalsarm angewandt, nachdem derselbe während 


I) Cox: 


einiger Zeit mit Ammonium carbonat in Berührung gewesen oder 
für kurze Zeit damit erwärmt worden ist, wodurch die saure 
Reaction verschwunden und die Farbe dunkler geworden, dann 
sieht man — wenn der Durchschnitt von einem Deckglase be- 
deckt ist, dass nach langer Zeit (3 oder 4 Monaten) die Impräg- 
nirung an Intensität abnimmt, indem man sowohl im dem Durch- 
schnitt als um denselben herum eine grosse Zahl kleiner, schwarzer 
Körnchen zu sehen bekommt. 

Der Prozess, der diese Wirkung veranlasst, fährt stetig fort, 
bis schliesslich die Zeichnung der Zellen und Fasern verschwun- 
den ist, und nur eine grosse Zahl Körnchen übrig bleibt. 

Im Canadabalsam kann man dem Gang des Zugrundegehens 
der Imprägnirung also leicht folgen, bei Alkohol u. s. w. ist dies 
sehr schwer. Da ich mich überzeugen konnte, dass der an- 
gewandte Alkohol absolntus neutral reagirte, ist es gewiss, dass 
hierin das Quecksilberoxydule (carbonat) nicht aufgelöst wurde. 

Weder die sub II noch die sub III genannte Wirkung kann 
entstehen, wenn Präparate in Canadabalsam oder Damar ohne 
Deckglas conservirt werden, und diese Harze schnell trocknen; 
dies hat die Erfahrung gelehrt. Für das Anfertigen der Durch- 
schnitte muss das Eismierotom zur Hand genommen werden, da 
der Alkohol, welcher sowohl beim Einschmelzen in Parafin als m 
Colloidin?!) in Anwendung kommt, die Imprägnirung gefährdet. 

Man bringt die Durchschnitte während ein oder zwei Stun- 
den in Sprocentige Natrium carbonat-Lösung, um sie nachher in 
Wasser auszuwaschen. Danach bringt man dieselben für kurze 
Zeit in Alkohol absolutus und in irgend ein Oel, welches letztere 
durch Filtrirpapier entfernt wird, und schliesslich bedeckt man 
sie mit einer dünnen Schicht schnell trocknenden Harzes. Hier- 
für kann ich empfehlen: 


Sandarack 75 Lavendelöl 22,5 
Campher 15 Absoluter Alkohol 75 
Terpentin 30 Rieinusöl gtt. 5—10. 


Will man die auf diese Weise conservirten Präparate doch 
aus irgend einem Grunde mit einem Deckglas versehen, dann 
warte man, bis die Harzschicht gut trocken ist, bedecke dieselbe 


1) Nur bei kleinen Stückchen und schnellem Verfahren kann 
Celloidineinbettung ohne grossen Nachtheil für die Imprägnirung zur 
Anwendung kommen. 


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Archiv f. mikroskop. Anatomie. Bd. KXXVI. 


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Imprägnation d. centr. Nervensystems mit Quecksilbersalzen. 21 


mit Rieinusöl und drücke hierauf das Deckglas so stark als 
möglich an, damit das überflüssige Oel entfernt werden könne. 

Auch in Wasserglas oder arabischem Gummi und Wasser 
zu gleichen Theilen gemischt, bleiben die Präparate unter Deck- 
glas unverändert, jedoch achte man darauf, dass diese zwei 
Flüssigkeiten geringeren Brechungsexponenten haben als Harze. 
Wird Styrax liquidus in Chloroform gelöst, aus der Harzlösung 
der auf der Oberfläche schwimmende Schmutz entfernt, und diese 
durch; Erwärmen von überflüssigem Chloroform befreit, so erhält 
man eine Harzmischung, die mit !/,; Monobrom naphtalin auch für 
lange Zeit (5 Monate) die Imprägnation vollkommen conservirt. 
Der Brechungsexponent dieser Mischung ist höher als der des 
Canadabalsams, Damars und Sandaracks. 

Zur Conservirung eines Durchschnitts in Styrax bringt man 
denselben aus Alcohol abs. in Ether, daraus in Monobromnaphtalin, 
nachher auf das Objectglas, wo er nach Trocknung mit Filtrir- 
papier mit Styrax und Deckglas versehen wird. 
| Obige Methode hat den Vorzug, dass sie stets!) gute Re- 

sultate giebt und man mit einigen Monaten Geduld stets eine 
schöne Imprägnirung erhält. — 

Zur Illustration sind zwei Photographien hinzugefügt worden, 
beide verfertigt bei Kalklicht und mit Hülfe des Zeiss’schen 
mierophotographischen Apparats. Die eine mit Objectiv 35 mm, 
die andere mit Apochromat 16 mm und Projeetionsoeular 2. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel II. 


Fig. 1. Cornu Ammonis des Kaninchens. Verticaler parieto-parietaler 
Durchschnitt. Vergr. %/,. 

Fig. 2. Fascia dentata des Ammonshorns eines Kaninchens. Verticaler 
parieto-parietaler Durchschnitt. Vergr. 15%/,. 


1) Nur die Rinde (Stratum moleculare) des menschlichen Klein- 
hirns macht hiervon eine Ausnahme. 


2 Griesbach: 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 
Von 


Dr. med. et phil. H. Griesbach, 
Kaiserl. Oberlehrer und Privatdocent. 


Hierzu Tafel III und IV. 


I. Das Blut der acephalen Mollusken. 


I. Einleitung. 


Durch des Kgl. preuss. Herrn Cnltusministers hohe Vermitt- 
lung und durch das geneigte Wohlwollen des Kaiserl. Oberschul- 
rathes für Elsass-Lothringen, welchen beiden ich mich zu erge- 
benstem Danke verpflichtet fühle, war es mir vergönnt, während der 
Monate Mai und Juni 1889 auf der zoologischen Station in Neapel zu 
arbeiten. Hauptsächlich waren es das Blut und das Gefäss-System 
der dort zugänglichen marinen Acephalen, welchen ich meine Auf- 
merksamkeit zuwandte. Im August und September wurden die 
Untersuchungen an Süsswasserarten und an marinen Formen der: 
Ost- und Nordsee fortgesetzt und zu einem gewissen Abschluss 
gebracht. Die bei dem Studium des Blutes der lebenden Thiere 
gewonnenen Resultate habe ich nunmehr ausgearbeitet und möchte 
darüber in Nachstehendem Bericht erstatten. 


II. Histerischer Ueberblick. 


Im Jahre 1850 untersuchte Leydig!) das Blut von Palu- 
dina vivipara. Der Fibringehalt, meint er, sei ein geringer, erst 
nach längerem Stehen könne durch das Mikroskop ein fadenför- 


1) Leydig, Ueber Paludina vivipara. Zeitschrift f. wiss. Zool, 
Bd. 2, S. 169, 170, Taf. 12, Fig. 46, 47, 48. 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 23 


miges Gerinnsel bemerkt werden. Die Blutkörperchen messen 
0,0044 und in frischem Blute giebt es von ihnen zweierlei For- 
men: Die einen sind rundliche Körper, die sich auf Zusatz von. 
Essigsäure als Zellen mit granulirtem Kern (Fig. 48) darstellen, 
dem an einer Seite ein oder mehrere Kernkörperchen anliegen, 
die anderen tragen Fortsätze, welche stets nur nach einer Seite 
hin gerichtet sind. Essigsäure macht solche Fortsätze verschwin- 
den und verursacht ein Aufquellen der Blutkörperchen, so dass 
sie dieselbe Beschaffenheit annehmen wie diejenigen, welche von 
Anfang an rundliche Form zeigten und ebenfalls mit Essigsäure 
zum Quellen gebracht wurden. 

Im Jahre 1854 beschrieb Lieberkühn!) die Blutzellen 
von Anodonta, sah auch Bewegung an ihnen, hielt sie aber nicht 
für zellige Elemente des Blutes, sondern betrachtete sie als ein- 
zellige, selbständige Organismen. — Nach Semper?) (1857) ist 
das Blut gewisser Schnecken bald eine bläulich-weisse (Limax, 
Arion, Helix, Lymnaeus), bald eine ziemlich rothe (Planorbis) 
Flüssigkeit mit geringem Fibringehalt. Die wenig zahlreichen 
Blutkörperchen sind stets runde Zellen mit einem nach Essigsäure- 
zusatz deutlich hervortretenden Kern. Formen, welche Ausläufer 
zeigen, hält Semper für Kunstprodukte, bedingt durch irgend- 
welche Einflüsse der Luft. In rasch hergestellten _ Präparaten 
präsentiren sie sich ohne Ausläufer, ebenso im kreisenden Blute 
der Lungengefässe. — Keferstein?) lässt die Blutkörperchen 
auch im kreisenden Blute mit mehr oder weniger Fortsätzen aus- 
gerüstet sein. — Bei Unio pietorum findet Witting *) (1858) das 
Blut schwach blau gefärbt, von Hessling 5) (1859) bildet die Blut- 
körperchen der Perlmuschel ohne Ausläufer ab, letztere hält er für 
Veränderungen. Ray-Lankester‘) hat das Blut von Planorbis, Solen 


1) Lieberkühn, Ueber die Psorospermien. Müller’s Arch. 1854, 
S.19, Taf. 2, Fig. 33. 

2) Semper, Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Pulmo- 
naten. Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. 8, S. 378. 

3) Keferstein, Bronn’s Klassen und Ordnungen der Weichthiere, 
S. 1208, Taf. 104. 

4) E. Witting, Ueber das Blut einiger Crustaceen und Mollus- 
ken. Journal f. prakt. Chemie. 1858, S. 121—132. 

5) von Hessling, Die Perlmuscheln und ihre Perlen. Leipzig, 

1859, S. 219, Taf. 7, Fig. 4 und 5. 

6) E. Ray-Lankester, Spectroscopical examination of certain 


24 Griesbach: 


legumen und S. ensis einer eingehenden Untersuehung unterzogen, bei 
den beiden ersteren Thieren konnte er mit Hülfe der Speetralanalyse 
Hämoglobin nachweisen. Das Blut, welches durch eine Ver- 
letzung des Mantels von Solen legumen zum Ausfliessen veranlasst 
wurde, zeigte in seinem Plasma unter dem Mikroskope scharf 
eontourirte Zellen von rother Farbe und ausserdem noch amö- 
boide Zellen. Das Blut von Solen ensis erwies sich als völlig 
farblos, die gefärbten Elemente fehlten darin, die farblosen aber 
zeigten lebhafte amöboide Bewegung. Hämoglobin führende 
Plutkörperchen wies Ray-Lankester!) später auch noch bei 
Arca nach. Hinsichtlich des Vorkommens von Hämoglobin zieht 
Ray-Lankester weitere Folgerungen. Er bringt den Gehalt 
an Hämoglobin in direeten Zusammenhang mit der Respiration. 
Für Planorbis, welche wegen ihrer Lebensweise in morastigem 
Terrain zur Athmung auf eine Luft angewiesen ist, der es an 
respirabelen Gasen mangelt, und für Solen legumen, ein Thier, 
welches lebhafte Bewegungen macht, .ist der Vortheil, welchen 
der Hämoglobingehalt des Blutes gewährt, ersichtlich, doch bleibt 


es auch für Ray-Lankester unerklärlich, warum ein soleher denn 


‚nieht auch bei den übrigen Solenarten und bei den, mit Planorbis 
die gleiche Lebensweise theilenden Lymnaeusarten vorkommt. 

Ferner ist der genannte Autor der Ansicht, dass, wenn 
Hämoglobin im Blute von Wirbellosen vorkommt, dasselbe stets 
an besondere Formenelemente gebunden ist, welche hinsichtlich 
ihrer Funktion mit den rothen Blutzellen der Wirbelthiere ver- 
slichen werden können. 

Sabatier?) (1877) gab mehrere Abbildungen der Blut- 
körperchen von Mytilus edulis. 

In dem frischen Kiemenfaden (pl. 26 Fig. 3), in einem sol- 
chen nach der Behandlung mit Goldehlorid (pl. 27 Fig. 8) und 


Animal Substances. Journal of Anatomy and Physiology. 1869, p. 119. 
— A Contribution to the Knowledge of Haemoglobin. Proceed. of the 
Royal Society. Vol. 21. 1873, p. 70 ff. 

1) In der englischen Ausgabe von Gegenbaur’s vergl. Anato- 
mie. Zu vergleichen: Zool. Anz. 1883, No. 145, 8. 417. 

2) Sabatier, Etudes sur la Moule commune (Mytilus edulis). 
Memoires de l’Acad&mie des Sciences et Lettres de Montpellier. Section 
des Sciences. 1877. Separat bei Coulet in Montpellier und Delahaye 
in Paris 1877. 


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Beiträge zur Histologie des Blutes. 25 


in den Lacunen (pl. 26 Fig. 9) werden dieselben ohne Ausläufer dar- 
gestellt, in Fig. 8 pl. 26 werden sie als in amöboider Bewegung 
begriffen gezeichnet. 

Besondere Aufmerksamkeit wandte Flemming ?) (1878) den 
Blutzellen der Acephalen zu. In dem Blute, welches dem ange- 
sehnittenen Herzen entfliesst, begegnet man Zellen mit farblosem, 
ziemlich stark lichtbrechendem Plasma, ihr Durchmesser schwankt 
für die Najaden zwischen 10 und 20 u, etwas kleiner ist er hei 
Mytilus und Serobieularia. Die Mehrzahl der Zellen besitzt nur 
einen Kern, doch kann derselbe auch in der Zweizahl vorhanden 
sein. Der Kern ist verhältnissmässig klein zur Grösse der Zelle 
und besitzt ein dichtes Kernnetz. Oftmals finden sich fettartig 
glänzende, mit gelbem Pigment versehene und mit Osmiumsäure 
sich schwärzende Tröpfehen in den Zellen. Von Pseudopodien, 
welche von den amöboiden Elementen ausgestreekt werden, unter- 
scheidet Flemming zweierlei Arten. Die einen erscheinen lang, 
spitz und strahlartig, die anderen zeigen lappige Formen. „Durch 
gegenseitiges Verfangen mit den Stacheln ballen sich die Zellen 
sehr vielfach zu verschieden grossen Häufchen zusammen.“ Im 
strömenden Blute besitzen die Blutkörperchen andere Formen 
wie im ausgeflossenen oder ruhenden Blute. 

Blutzellen, welche mit der Pipette dem Herzen entnommen 
und gleich darauf untersucht werden, sind sehr arm an Pseudo- 
podien, und unter diesen finden sich eben so viele lappige als 
spitze Formen, die letzteren erscheinen meist kurz; auch findet 
man Zellen, denen Fortsätze gänzlich fehlen. Während der Unter- 
suchung bemerkt man dann nach einiger Zeit, dass die Pseudo- 
podien sich mehr und mehr ausbilden. Flemming kommt zu 
dem Schluss, dass die meisten Zellen im strömenden Blute zwar 
Pseudopodien ausstrecken, dass dieselben aber wenig zahlreich 
und kurz bleiben. Mittels Osmiumsäure lassen sich die Zellen in 
allen Stadien fixiren und conserviren, gute Formerhaltung erzielt 
man auch mit Alkohol, während Chromsalze ungeeignet erscheinen. 
Die genannten Zellen sind nicht die einzigen Formenelemente des 
Muschelblutes; es finden sich ausser ihnen noch kleine, blasse, 
kernführende Körperchen ohne Ausläufer und ohne Bewegung in 


—-— [0.00 


1) W. Flemming, Ueber die Blutzellen der Acephalen etc. Ar- 
chiv f. mikr. Anatomie. 1878. Bd. 15, S. 243—248. 


26 Griesbach: 


sehr geringer Anzahl; ob ihnen eine physiologische Bedeutung 
beizumessen ist, bleibt fraglich. | 

Geddes!) (1880) hat das Blut verschiedener Wirbellosen, 
unter den Acephalen das von Pholas, in Bezug auf die Formen 
der Leukoeyten und die Gerinnung untersucht. In dem frisch 
aufgefangenen Blut bemerkt er früher oder später zwei verschie- 
dene Portionen, die eine oberflächliche Aehnliehkeit mit dem 
Kuchen und dem Serum des Wirbelthierblutes besitzen. Bei vielen 
Wirbellosen findet er zwei verschiedene Formen von Leukoecyten, 
die er als grobkömige und feinkörnige unterscheidet; der Ver- 
einigung der letzteren schreibt er die Bildung des Blutkuchens 
zu, welchen er als Plasmodium bezeichnet. Blut, welches von 
seinen Leukoeyten durch Filtration befreit wird, eoagulirt nicht. 
„All the evidence points to the conelusion that the elot, which 
appeares in any invertebrate corpusculate fluid is formed, always 
partly, and sometimes wholly, by the fusion of the finely granular 
amoeboid corpuscles, there in suspended... and the power of 
coalescing is at any rate a very widely-spread, if not a general 
property of the amoeboid cell. 

In den Lacunen der bindegewebigen Wandung des Bojanus- 
schen Organes der Auster zeichnet Hoek ?) (1883) die Blutkörper- 
chen ohne Ausläufer. Aus der Figur und ihrer Erklärung auf 
der Tafel und in dem Text ist leider nicht ersichtlich, welcher 
Art das Präparat war, nach dem die Zeichnung angefertigt 
wurde. 

J. A. Ryder:) (1883) beschrieb für Ostrea in mehreren 
Fällen grünfarbige Blutkörperchen ohne Neigung Pseudopodien 
auszustrecken, während die farblosen diese Eigenschaft in hohem 
Grade besassen. Die grüne Farbe möchte er mit Leberpigmenten 
in Zusammenhang bringen. Spectroskopische Untersuchungen 
wurden zwar nicht angestellt, doch scheint die Annahme nicht 


1) P. Geddes, On the coalescence of Amoeboid Cells into Plas- 
modia, and on the so-called Coagulation of Invertebrate Fluids. Pro- 
ceed. of the Roy. Soc. of London. 1880. Vol. XXX, p. 252. 

2) P.P.C. Hoek, De Voortplantingsorganen van de Oester. (hol- 
ländisch und französisch). Tijdschrift Ned. Dierk. Vereen. 1883. Suppl. 
Deel L' Pl. V, Fig.80x&: 

3) J.A.Ryder, On the green colour of the Oyster. in: The 
American Naturalist. 1883, Vol, XVII, No. 1, p. 86—88. 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 27 


ausgeschlossen zu sein, dass die grüne Farbe von Chlorophyll 
oder gar von pflanzlichen Parasiten herrühre. Mac Munn !) hat nun 
aber für verschiedene Lamellibranchiaten (Ostrea, Mytilus, Cardium, 
Anodonta, Unio) Chlorophyll auf speetroskopischem Wege in der 
Leber nachgewiesen, von dem er annimmt, dass es thierischen 
Ursprungs ist, und da Ryder die grüne Farbe der Blutkörper 
auf Leberpigmente zurückführt, so verdient seine Beobachtung 
grüner Blutkörperchen besondere Beachtung. — Nach Behandlung 
mit Osmium-Pikrinsäure fand Hanitsch ?) bei Cyelas in den La- 
eunen des Fusses amöboide Zellen von dunkler Färbung zerstreut, 
oder zu Haufen vereinigt; diese Zellen wurden als Blutkörperchen 
erkannt, ihr mehr oder weniger protoplasmareicher Zellenleib 
zeigte oft sternförmige Ausläufer, ein gleiches Aussehen zeigten 
die Blutkörperchen von Anodonta. „Ausser in den Lacunen in 
Mitte des Fusses kamen sie in den Drüsengängen in grosser 
Menge vor“, wo sie bald einzeln, bald zu kleineren oder grösse- 
ren Klumpen zusammengeballt, die Kanäle mitunter um das Zehn- 
fache der sonstigen Weite aufgetrieben haben mochten. (!) 

In einem Aufsatze, welcher hinsichtlich der Wasseraufnahme 
bei den Mollusken gegen mich gerichtet ist, betont Ray-Lankester°) 
(1884) aufs Neue das Vorkommen von Hämoglobin in dem Blute 
von Solen legumen und Planorbis corneus. — In einer kurzen 
Mittheilung, welche die Leukocyten der Wirbellosen im Allgemeinen 
betrifft, hebt N. Wagner *) (1885) hervor, dass eine Betheiligung 
derselben bei der Regeneration der Gewebe nach Verwundungen 
nicht unwahrscheinlich sei. Hinsichtlich. der Lebensphänomene 
der Leukoceyten wird bemerkt, dass sie in zwei sich gegenseitig 
abwechselnden Zuständen existiren können: in einem thätigen — 


1) Mac Munn, ÖObservations on the Colouring-matters of the so- 
called Bile of Invertebrates etc. Proceed. Roy. Soc. 1883. Vol. 35, p. 378. 
id. Further Observations on Enterochlorophyll and allied Pigments. 
Philos. Transactions. 1886. P. I, p. 187. 

2) R. Hanitsch, Die Wasseraufnahme bei Eyes und Anodonta. 
Inaug.-Diss. Jena 1884. S. 21 und 25. 

3) E. Ray-Lankester, The supposed taking-in and shedding- 
out of Water in relation to the vascular system of Molluses. Zoolog. 
Anzeiger. 1884, No. 170, S. 343—346. 

4) N. Wagner, Ueber die Rolle der Leukocyten in plastischen 
Processen bei den Wirbellosen. Zool. Anzeiger. 1885, No. 198, S. 387. 


28 | Griesbach: 


wo sie in fortwährender Bewegung begriffen sind und ihre Pseudo- 
podien auslassen — und in einem ruhigen Zustande, in wel- 
chem sie Sphäroidalform annehmen und ihre Funetion aufgeben. 
Die Vermuthung, dass die Leukocyten an manchen Orten des 
Organismus von höheren Thieren eme wichtige physiologische 
Bedeutung als „Bildungszellen“ haben könnten, wird auch von 
Lavdowsky!) geäussert. — L. Roule?) (1886) vergleicht die 
Blutkörperchen der Lamellibranchiaten den Leukoeyten der Wirbel- 
thiere, sie nehmen in den Kiemen den für die Gewebe erforder- 
lichen Sauerstoff auf. Gut conservirte Blutkörperchen zeichnet 
Grobben?) (1886) bei Mylitus edulis (Taf. II Fig. 22 Cs.), 
wo der kugelige granulirte Zellenleib einen deutlichen Kern auf- 
weist. Auch in Fig. 51 und 56 Taf. V präsentiren sich die Blut- 
zellen von Cardium edule und Pholas dactylus in ähnlicher Weise. 
Auf Taf. III Fig. 29 und Taf. IV Fig. 35 zeigen die Blutzellen 
von Dreissena polymorpha und ÖOstrea eristata deutliche Ausläufer. 
Mit Ausnahme des letzten Präparates, welches nach Sublimat- 
erhärtung gewonnen wurde, entstammen die übrigen Schnitte sol- 
chem Material, welches mit Chromsäure oder deren Salzen ge- 
härtet wurde. Die Thatsache der ausgezeichneten Conservirung 
in diesen Fällen eontrastirt mit meinen eigenen Erfahrungen. Ich 
habe weder bei Süsswasseracephalen noch bei marinen Formen 
nach Erhärtung mit den zuletzt genannten Reagentien in Schnitten 
so tadellos conservirte :Blutkörperchen, wie Grobben sie zeich- 
net, auffinden können. Dass bei der direeten Behandlung des 
Blutes mit Chromsalzen die Zellen mehr oder weniger verunstaltet 
werden, gab schon Flemming *) an. 

Egger?) (1887) findet für die Pholadiden die Blutkörper- 
chen nach Form und Grösse von denjenigen anderer Muscheln 
nicht merklich unterschieden. In seinen Präparaten von conser- 


1) Lavdowsky, Mikroskopische Untersuchungen einiger Lebens- 
vorgänge des Blutes. Virchow’s Arch. Bd. 97, Heft 2, S. 208. 

2) L. Roule, Sur quelques particularitös histologiques des mol- 
lusques ac&phales. Compt. rend. 1886, T. 103, p. 937. 

3) C. Grobben, Die Pericardialdrüse der Lamellibranchiaten. 
Arbeiten aus dem zool. Inst. Wien. 1886. Tom. VII. 

4) Flemming, a.a.0. S. 247, Fig. 6. 

5) E. Egger, Iouannetia Cumingii. Inaug.-Diss. Würzburg. Wies- 
baden. Kreidel. 1887. 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 3) 


'virtem Material zeigen dieselben keine Ausläufer mehr (Tafel II 
Fig. 39 und 50 BK.). | 
Die Blutflüssigkeit und ihre Formelemente bei den Wirbel- 
losen, sagt Cuenot !) (1887), dienen der Ernährung und der Ath- 
mung. Die erstere wird durch die Umwandlung der bei der Ver- 
dauung resultirenden Peptone in unzerlegbare Albuminoide ge- 
sichert, welche von sämmtlichen thierischen Zellen direct assi- 
milirt werden können, die letztere wird durch die Gegenwart 
eines besonderen Albuminoids gesichert, welches mit der Eigen- 
schaft ausgerüstet ist, sich in verschiedenen Verhältnissen mit 
Sauerstoff zu verbinden. Beide Albuminoide sind chemisch ver- 
schiedene Körper. Bei den Vertebraten, Anneliden, Sipuneuliden 
und vielleicht auch bei den Aseidien wird das Sauerstoff bindende 
Albuminoid durch das Hämoglobin oder einen analogen Körper, 
das andere Albummoid durch das Serumalbumin repräsentirt. Bei 
den Arthropoden und Mollusken spielt ein und dasselbe Albumi- 
noid beide oben genannten Rollen, wie dies zuerst für die Cepha- 
lopoden von Frederieq?) gefunden wurde, welcher ihm den 
Namen Hämoeyanin gab. Dasselbe konnte isolirt werden; es 
gab mit dem Millon’schen Reagenz die Eiweissreaction und wurde 
reich an Kupfer gefunden, welches in ihm physiologisch dieselbe 
Aufgabe zu haben scheint wie das Eisen im Hämoglobin. 
Cuenot fand von den Echinodermen aufwärts bis zum 
Menschen ein albuminogenes Ferment, welches die Umwandlung 
der Peptone in Albumine bewerkstelligt. Dasselbe hat für diese 
ganze Gruppe von Organismen ungefähr dieselben Eigenschaften, 
und ist sicher weniger verschieden als das die entgegengesetzte 
Rolle spielende Verdauungsferment bei denselben Thieren. Dieses 
Ferment istin Form von schwach gelb, braun, violett oder grünlich 
gefärbten, stark lichtbrechenden Körnchen mit wenigen Ausnahmen 
in den amöboiden Blutkörperchen enthalten, welchen Cuenot 
den Namen Amoeboeyten giebt. Dieselben werden sammt ihrem 
Ferment, je nach Bedarf, in besonderen Organen: den Lymph- 


— 00000220 


1) L. Cu&not, Etudes sur le sang, son role et sa formation 
dans la Serie animale 2e partie: Invert&brös. Archives de Zoologie ex- 
perimentale 2e Ser. T. V, 1887, p. XLII. 

2) Fredericgq, Sur l’'h&mocyanine, substance nouvelle du sang 
de Poulpe. Compt. rend. 1878, T. 87, p. 996. 


30 Griesbach: 


drüsen, gebildet. Während die chemische Zusammensetzung des 
Fermentes im Grunde stets die gleiche ist, können seine physio- 
logischen Eigenschaften doch sehr variiren. Die Lymphdrüsen 
liegen bei den Mollusken im Allgemeinen in der Nachbarschaft 
der Athmungsorgane, bei den Acephalen, speciell pei Dreyssena 
polymorpha und Mytilus edulis, in der Kieme selbst, in der Nähe 
des Vas afferens, so dass das durch dasselbe einströmende Blut 
die von den Drüsen produeirten Elemente an sich reisst. 

Nach Roule!) (1887) haben die Blutkörperchen, Endothel- 
und Bindesubstanzzellen, bei den Lamellibranchiaten alle denselben 
embryologischen Ursprung und können sich während des ganzen 
Lebens gegenseitig ersetzen; sie zeigen dieselbe Struetur und be- 
sitzen dieselben Eigenschaften. Sie besitzen eine zarte aber deut- 
lich wahrnehmbare Wand (paroi) [!J, ihr Zellenleib zeigt die ver- 
schiedenartigsten Granula, welche sich scharf färben lassen und den 
Kern oft verdecken; der letztere erscheint häufig wie ein heller 
Raum und schliesst ein mehr oder weniger dichtes, stark gefärbtes 
und gut wahrnehmbares Kernnetz ein. Die Formen wechseln. Die 
Blutkörperchen liegen oftmals in den sogenannten Langer’schen Bla- 
sen, von denen einige Forscher (bekanntlich Flemming) annehmen, 
dass sie Zellen seien, während sie in Wahrheit Bindesubstanzlacunen 
sind. Auf Tafel VII Fig. 21 giebt Roule eine Abbildung der 
Blutzellen von Lima inflata [?] in den verschiedensten Formen, an 
denen man in der That einen ziemlich scharfen Contour erkennt. 
Im „Resume general“ vergleicht er nochmals den ganzen Gefäss- 
apparat dem Lymphgefässsystem der Wirbelthiere mit den Worten: 
„Enfin, de m&me que chez les Tuniciers et par tous ses caracteres, 
l’ensemble de l’appareil eireulatoire des Lamellibranches rapelle 
le systeme Iymphatique des Vertebres; les globules correspon- 
dent en tout aux globules de Iymphe, de telle sorte que le sang 
de ces animaux n'est autre que de la Iymphe allant elle-m&me 
puiser dans la branchie l’oxygene necessaire aux tissus.“ 

Apathy?) (1884—87) findet, dass das Coagulum, welches 

u 1) L; Roule, Recherches histologiques sur les mollusques La- 
mellibranches. Journal de 1l’Anatomie et de Physiologie (Robin et 
Pouchet). 1887, T. XXIII, pl. IVsa VIII. Im „Extrait“ (Paris, Felix 
Alcan) p. 44, 52, 80. 1 

2) J. Apathy, Studien über die Histologie der Najaden, Ab- 
handl. der ungar. Akademie. Bd. 14. 4 Taf., 121 Seiten. Im Auszuge:; 
Biolog. Centralblatt Bd. VII, No. 20, 1887, S. 621. 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 31 


beim Stehen des Blutes auftritt, aus einem fibrinartigen Netze 
besteht und sich nur dann bildet, wenn das Blut Blutkörperchen 
enthält. Die Vermuthung Flemming’s, dass die Blutzellen im 
lebenden Organismus nur wenige und kurze Fortsätze besitzen, 
konnte er nicht bestätigen. Ausser den gewöhnlichen Blutkörper- 
chen lässt sich noch eine zweite Form unterscheiden, deren Zahl 
sich zu der der gewöhnlichen wie 1:5 verhält; sie besitzen einen 
relativ grösseren Kern, treiben fast keine Pseudopodien und bil- 
den mit anderen keine Knäuel. 

Während die Blutzellen sich auf dem Objectträger aus- 
breiten, treten ausser den stark lichtbreehenden Körnchen va- 
kuolenartige Bläschen in ihnen auf (in der ungar. Abhälg. Taf. I 
Fig. 5 bei e.), „welche an den Strömungen des Protoplasmas nicht 
Theil nehmen, von Zeit zu Zeit verschwinden und wieder auf- 
treten.“ Wenn die Blutkörperehen absterben, bemerkt man sei- 
denglänzende, scharf contourirte, myelintropfenartige Kügelchen, 
welehe man manchmal auch im frischen Blute schwimmen sieht. 
Die Kügelehen besitzen einen Durchmesser von 2—8 u und zeigen 
die Brown’sche Molekularbewegung. Apathy hat an den Blut- 
körperchen indireete Theilung wahrgenommen. 

J. Brock !) (1888) beschreibt in den Blutbahnen des Mantels 
von Tridacena eigenthümliche grüne Zellen. Die Frage, ob der 
Farbstoff Chlorophyll ist, und ob man es in diesen Zellen mit 
pflanzlichen Symbionten zu thun hat, bleibt unentschieden, da ein 
Beweis an dem conservirten Untersuchungsmaterial nicht mehr 
erbracht werden konnte. Dass sich aber die fraglichen Zellen 
wirklich im Blute befinden, dafür spricht nach ihm die Anwesenheit 
von Blutkörperchen au denselben Orten. Für die pflanzliche Natur 
dieser Gebilde lässt Brock den Umstand sprechen, dass er in 
ihnen Stärke nachweisen konnte. Unter Berücksichtigung der 
oben angeführten schönen Untersuchungen von Mac Munn über 
Enterochlorophyll und den Bemerkungen Ryder’s über das Vor- 
kommen grüner Zellen im Blute der Austern, Nachrichten, welche 
Brock bei seinen Beobachtungen nicht gekannt zu haben scheint, 
dürfte die Vermuthung, dass die grünen Zellen von Tidacena 
pflanzlichen Ursprungs sein könnten, eine bedeutende Einschränkung 
erfahren. 


1) J. Brock, Ueber die sogenannten Augen von Tridaena ete. 
Zeitschr. f. wiss. Zool. 1888, Bd. 46, S. 280 ff., Taf. XXI, Fig. 7 u. 8. 


33 Griesbach: 


Brock !) giebt ferner einige Mittheilungen über die Blut- 


körperchen. Sie zeigen trotz der verschiedenen Behandlung des 


Untersuchungsmaterials (Chromsäure, Alkohol, Osmium) in den 
Präparaten mehr oder weniger dieselbe Beschaffenheit. Das 
Plasma findet er stets m zwei Abschnitte gesondert, der eine ist 
hyalin und enthält den Kern, der andere zeigt sehr ausgesprochene 
faserige Gerinnung. Ausser diesen Blutzellen findet er noch an- 
dere, welche er Körnchenzellen nennt. Dieselben sind in der 
Minderzahl vorhanden, haben rundliche oder ovale, gelappte oder 
sonst unregelmässige Form und ihr ganz hyalines Plasma ist mit 
fettähnlich glänzenden, stark liehtbrechenden Körnchen derartig 
vollgestopft, dass ein Kern nicht gesehen werden «kann. Die In- 
haltskörner färben sich mit Osmium braun, Glykogen ist in ihnen 
nicht nachzuweisen. 

Zwei verschiedene Formenelemente im Molluskenblute be- 
schreibt auch Plate?) für die Dentalien; beide sind farblos und 
amöboid, sie differiren aber in der Grösse und im Bau der Kerne. 

Obgleich sich die Untersuchungen von Dewitz ?) (1889) spe- 
ciell über das Blut der Gliederthiere erstrecken, so finden sich 
darin doch einige allgemeine Bemerkungen über die Lebenser- 
scheinungen der Leukocyten. Die zur Ruhe gekommenen Blut- 
körperchen sollen sich durch Ersehütterung oder Erwärmung wie- 
der in Bewegung versetzen lassen. Dewitz beobachtete mehr- 


fach ruck- oder sprungartige Bewegung, deren Ursache er nicht 


in einer Strömung, sondern darin erblickt, dass die Körperchen 
Blutflüssigkeit in sich aufnehmen und wieder auslassen. 

Wohl am eingehendsten hat sich Cattaneo*) neuerdings (1889) 
mit dem Studium der Blutzellen einiger Mollusken beschäftigt, und, 
da meine eigenen Untersuchungen über die Beschaffenheit der 
Leukoeyten in manchen Punkten mit den seinigen übereinstimmen, 
in anderen davon abweichen, so kann ich nicht umhin, diese Ar- 


1) Brock, 3. 2.0.8 281%. 

2) L. Plate, Bemerkungen über die Organisation der Dentalien 
Zool. Anzeiger 1888, No. 288, S. 514. 

3) H. Dewitz, Eigenthätige Schwimmbewegung der Blutkör- 
perchen der Gliederthiere. Zool. Anzeiger 1889, No. 315, S. 457 ff. 

4) Cattaneo, Sulla morfologia delle cellule ameboidi dei mol- 
luschi e Artropodi. Bollettino scientifico redatto da Maggi, Zoja e@ 
De-Giovanni. Anno XI, Marzo 1889, No. 1, 1889, p. 9—29, 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 33 


beit hier ausführlicher zu berücksichtigen. Cattaneo studirte 
das Acephalenblut an Anodonta, Unio und Tellina radiata; von 
‘anderen Mollusken wurden Helix pomatia, Sepia offieinalis und 
Sepiola vulgaris zur Untersuchnng herangezogen. — Die amöboiden 
Zellen von Anodonta und Unio sind im lebenden Zustande ovale 
oder runde Körper, welche ein oder zwei oder mehrere lange und 
zarte Pseudopodien besitzen. Der Zellkern liegt entweder central 
oder excentrisch und schliesst, stets Körnchen oder Stäbchen ein. 
Im Zellenleibe sind stets mehr oder weniger zahlreiche Granula 
enthalten, welche als Fermentkörner betrachtet werden. In einigen 
Zellen, namentlich den grösseren, sind solche so zahlreich, dass sie 
den Kern verdecken. Die kleineren Zellen enthalten weniger 
Fermentkörner, manchmal erscheinen sie auch ganz hyalin. Von 
Pseudopodien kann nur ein einziger vorhanden sein, giebt es zwei, 
so finden sich diese an entgegengesetzten Polen, treten sie in 
grösserer Zahl auf, so werden sie an verschiedenen Stellen her- 
vorgetrieben, und die Zelle hat alsdann ein strahliges oder mul- 
tipolares Aussehen, die Länge der Pseudopodien übertrifft den 
Durchmesser des Zellenleibes um das Drei- bis Fünffache, ge- 
wöhnlich erscheinen sie gewellt und an ihrem distalen Ende sind 
sie manchmal keulenartig verdickt. In den multipolaren Zellen 
sind sie häufig gespalten und verzweigt. Diese Pseudopodien 
enthalten keine Fermentkörner; in ihrer Substanz sind sie so be- 
schaffen wie das Ektoplasma, mit welchem sie zusammenhängen. 
Weder die Pseudopodien ein und derselben Zelle, die sich manch- 
mal kreuzen können, noch die verschiedener Zellen verschmelzen 
unter einander. Diese Pseupodien der lebenden Zellen sind bis 
jetzt noch nicht beschrieben worden. An den Kiemen jugend- 
licher Thiere kann man ihre Bewegung studiren, bald werden 
sie zurückgezogen, bald aufs Neue ausgestossen, so dass die uni-, 
bi- oder multipolare Zellform keinen constanten Zustand reprä- 
sentirt, sondern derselbe vielmehr als ein fortwährend wechselnder, 
von dem Vorstossen oder Zurückziehen der Pseudopodien abhängi- 
ger, erscheint. 

Unter spontanen Veränderungen der Blutzellen muss man 
solche verstehen, welche sieh im Innern des Organismus beim 
Absterben des Thieres, oder in dem entleerten Blute ereignen. 


Von den spontanen Veränderungen, welche man im Präparate 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 3 


34 Griesbach: 


an den Blutkörperchen verfolgen kann, unterscheidet Cattaneo 
vier Stadien. 

Das erste Stadium erstreckt sich auf die allmähliche Ver- 
kürzung der beschriebenen Pseudopodien bis zu dem Punkte, wo 
dieselben vom Ektoplasma des Zellkörpers völlig eingezogen 
worden sind und der letztere eine kugelige Form repräsentirt. 

Das zweite Stadium umfasst das Ausstreeken von Sarkode- 
fortsätzen. Kaum sind die Pseudopodien zurückgezogen oder doch 
sehr verkürzt, so wachsen aus irgend einer Gegend des Zellrandes 
oder überall an demselben kleine hyaline Protuberanzen hervor, 
welche allmählich in nadelförmig scharfe Fortsätze oder in ab- 
gerundete Lappen übergehen. Diese Fortsätze erreichen an Länge 
den Durchmesser der Zelle nicht; manchmal bilden sie auf einer 
Seite der Zelle ein Büschel, gewöhnlich bedecken sie strahlen- 
förmig ihre ganze Oberfläche. y. 

Während die Pseudopodien Ausstülpungen des Ektoplas- 
mas sind, kommen die Sarkodefortsätze aus dem Innern der Zelle, 
wobei die letztere ihren Contour vollständig bewahrt. Ausserdem 
ist die Substanz der Sarkodefortsätze anders beschaffen als die 
der Pseudopodien, und wenn diese Fortsätze einmal ausgestreckt 
sind, gleichgültig ob nadelförmig oder lappig, so werden sie aktiv 
nie mehr in den Zellkörper zurückgezogen. 

Im dritten Stadium verschmelzen die Sarkodefortsätze an 
ihrer Basis und bilden um die ganze Zelle herum eine hyaline 
Zone, die immer grösser wird; über den Rand derselben können 
die Spitzen noch frei hinweg ragen. 

Das vierte Stadium endlich offenbart sich dadurch, dass die 2 
Spitzen der Sarkodefortsätze benachbarter Zellen mit einander 
verschmelzen und eine ausgebreitete, oft zwanzig Zellen enthal- 
tende Masse bilden, deren Rand ebenfalls lappig oder stachelig 
beschaffen ist. Solche, aus verschmolzenen Zellen entstandene 
Massen nennt Cattaneo Syneytien oder Plasmodien. 

Nach diesem letzten Stadium findet die Gerinnung des Plas- 
mas statt, das Deckgläschen haftet fest am Objectträger, und die 
zelligen Elemente können als abgestorben betrachtet werden. Alle 
diese Veränderungen ereignen sich in einer viertel Stunde oder 
in noch kürzerer Zeit. Das Studium dieser Erscheinungen führt 
nun zu dem Schluss, dass die in frisch entleertem Blute an den 
Zellen beobachteten Pseudopodien und die späteren Sarkodefort- 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 3 


sätze ganz verschiedener Natur sind. Abgesehen von der ver- 
schiedenen physikalischen Beschaffenheit ihrer Substanz und ab- 
gesehen davon, dass die Sarkodefortsätze mit dem Zellrande nicht 
in Zusammenhang stehen, sind namentlich die beiden Thatsachen 
von Wichtigkeit, dass die Sarkodefortsätze, ob spitz oder blasig 
und lappig, in hohem Grade die Eigenschaft besitzen, mit ein- 
ander zu verschmelzen und sich zu Plasmodien zu vereinigen, 
was bei den Pseudopodien niemals geschieht, und dass diese 
spitzen und die blasigen oder lappigen Fortsätze in ihrer Be- 
schaffenheit identisch sind. Frühere Beobachter haben die ver- 
schiedenen Fortsätze nicht von einander unterschieden. Durch 
die Anwendung brauchbarer Reagentien (Ösmiumsäure, Palladium- 
ehlorür, destillirtes Wasser, Essigsäure und verschiedene Farb- 
stoffe) kommt man zu der Erkenntniss, dass die Blutzelle aus 
drei verschiedenen Abschnitten besteht. Zu äusserst liegt eine 
sehr dünne Schicht, darauf folgt der granulirte Theil, und das 
Innere wird von hyaliner Sarkode ausgefüllt. Zum besseren Ver- 
ständniss der geschilderten Verhältnisse giebt der Autor eine all- 
gemeine morphologische Betrachtung. Wie alle andern freien 
oder zu Geweben vereinigten Zellen, bestehen auch die amöboiden 
Zellen im Blute der Mollusken aus zwei Hauptbestandtheilen: aus 
einem consistenteren, contractilen und maschig angeordneten, 
welcher als Gerüst und Stütze dient, und aus einem homogenen, 
halbflüssigen, welcher das Maschenwerk der Stützsubstanz durch- 
dringt und hauptsächlich an den Ernährungsprozessen der Zelle 
Theil nimmt. Beide sind von Heitzmann auch an den amö- 
boiden Zellen des Flusskrebses und neuerdings von Fabre-Do- 
mergue!) an den Infusorien erkannt worden. Ohne auf den 
Werth oder Unwerth der verwirrenden Nomenklatur der verschie- 
densten Autoren (Heitzmann, Carnoy, Kupffer, Hanstein, 
Flemming, Wiedersheim u.a.) auf dem Gebiete der Zellen- 
lehre einzugehen, schliesst sich Cattaneo für die Blutzellen dei 
Mollusken der von Fabre-Domergue für die Infusorien ge- 
wählten Bezeichnung an und nennt die contractile, maschige Ge- 
rüstsubstanz: Hyaloplasma und die diese durchdringende, den 
Zellkern bergende Masse Paraplasma (Enchylem oder Sarkode); 


— 


1) Fabre-Domergue, Recherches ee. et physiolo- 
giques sur les infusoires cilies. Paris 1888, 


36 Griesbach: 


zwischen beiden ist eine Schicht stark liehtbreehender Körner - 
eingeschoben. Durch diese Anordnung der Substanzen kann man 
auch, wie bei den Amöben und Infusorien, eine Unterscheidung 
von Ekto- und Entoplasma machen. Das Hyaloplasma (Ekto- 
plasma) ist es, welches vermöge seiner Contraetilität Pseudopodien 
zu treiben vermag, welche wie diejenigen der Amöben als Fang- 
organe in der Erscheinung des Phagoeytismus dienen können. Fint- 
sprechend der Feinheit des Hyaloplasmas ist die Masse des Para- 
plasmas sehr umfangreich. Man darf dasselbe nicht als ein un- 
thätiges Element der Zelle betrachten, es steht vermittels der es 
umgebenden Granula in engstem Zusammenhange mit dem Er- 
nährungsprozess der Zelle und mit Regenerationsvorgängen. Diese 
Granula bilden denjenigen Theil, welcher physiologisch am schwie- 
rigsten zu erklären ist. Anfangs sah man sie als Fetttröpfehen an, 
jetzt aber gelten sie als Fermentkörner. — Die häufigen Fälle 
von doppelten oder sich theilenden Kernen beweisen, dass die 
Reproduction durch direkte Theilung erfolgt. — Auf Grund die- 
ses fundamentalen Entwurfes der Schichtung der amöboiden Zel- 
len der Weichthiere sind alle regressiven Erscheinungen, die bis 
jetzt unrichtig aufgefasst wurden, leicht erklärbar; da sie wäh- 
rend des Lebens des Thieres im Blutplasma kreisen, sind die 
Zellen einer besonderen Lebensart angepasst; ihre Umgebuug ver- 
ändert sich, sobald das Blut aus dem Körper tritt, oder wenn 
der Organismus abstirbt. Im ersteren Falle treten natürlich phy- 
sikalische Veränderungen ein (Temperaturwechsel, Zutritt von 
Luft und Licht), welche das Blutplasma berühren. Ein Beweis 
dafür ist der rasche Niederschlag des Hämoeyanin, die opalblaue 
Farbe, welche das Blut sofort annimmt. Unter solchen nicht 
physiologischen Umständen ist das erste was geschieht, die rasche 
Contraction des Ektoplasmas, welche das Zurückziehen der Pseu- 
dopodien bedingt. Die Contraction der äusseren Schicht muss 
einen Druck auf die halbflüssige enchylematische Masse ausüben, 
so dass dieselbe unter der Form von feinen hyalinen Zapfen durch 
die Maschen des Hyaloplasmas dringt. Wo dagegen ein Riss im 
Ectoplasma entsteht, tritt das Enchylem in grossen Blasen hervor. 

Diese Umstände müssen die Ursache der spitzen und lap- 
pigen Sarkodeausflüsse im zweiten Stadium der Rückbildung sein. 
Da jedoch das Enchylem das Vermögen besitzt, Wasser und in- 
differente Flüssigkeiten aufzusaugen, ohne sich damit zu vermischen 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 37 


und es in allen seinen Theilen im höchsten Grade plastisch ist, 
so findet die basale Verschmelzung der Sarkodeausstülpungen, 
die Ausbreitung des hyalinen Gürtels um den ganzen Zellenleib 
und die Bildung von Syneytien und Plasmodien statt. Alle diese 
Erscheinungen, welche man als Diffluenz bezeichnen Kann, sind 
degenerativer Natur und finden sich nie während des Lebens. 

Löwit!) meint, dass gerade die langen strahlenförmigen 
oder mehr stacheligen Fortsätze an den Leukocyten (es handelt 
sich um die Blutkörperchen des Flusskrebses) nicht dem gewöhn- 
lichen Bilde der amöboiden Bewegungen entsprechen. Es werden 
zwar derartige Fortsätze von einzelnen Beobachtern erwähnt, indes- 
sen entsprechen doch die breiten kurzen, oder die sich mantelförmig 
ausbreitenden Fortsätze weit mehr dem eigentlichen Bilde der 
amöboiden Bewegungen der Leukoeyten. 


III. Untersuchungsmaterial. 


Dank der ausgezeichneten Einrichtung in der zoologischen 
Station zu Neapel ist es mir gelungen, ein umfangreiches Material 
aus dem Mittelmeer zur Untersuchung heranzuziehen. 

Wer selbst mit Schlepp- und Stechnetz ausgerüstet, im Segel- 
oder Ruderboot, in Begleitung. unerfahrener und kein Verständniss 
für die Sache besitzender Fischer stundenlang oft vergebens das 
Material zu beschaffen suchte, wie ich dies an den Küsten der 
Ostsee gethan, der weiss die Annehmlichkeit einer zoologischen 
Station wie die in Neapel zu schätzen, wenn er die ihm zur 
Verfügung gestellten Aquarien täglich mit reichlichem und frischem 
Material gefüllt findet. 

Nachstehende Tabelle enthält die Formen, deren Blut unter- 
sucht wurde, nach Familien geordnet, zusammengestellt: 

I. Siphoniata. 


1. Pholadidae. 3. Myidae. 
Pholas dactylus L. Mya arenaria L. 
Teredo navalis L. Corbula gibba 'Oliv. 
2. Anatinidae. Poromya granulata Nyst. 
Thracia papyracea Poli. 4. Solenidae. 
Lyonsia corruscans Scacchi. Solen vagina L. 


1) M. Löwit, Ueber die Beziehung der weissen Blutkörperchen 
zur Blutgerinnung. Beiträge zur patholog. Anatomie und zur allge- 
meinen Pathologie, herausg. von Ziegler. Bd. V, S. 507. 


38 Griesbach: 


Solen siliqua L. Tapes geographica Ch. 

Solen legumen (Ceratisolen le- Cytherea chione Gmelin. 
gumen) L. Cytherea rudis Poli. 

Solecurtus strigillatus L. Artemis exoleta L. 

5. Tellinidae. 8. Cyprinidae. 

Tellina planata L. Cirece minima Mtg. 
Tellina exigua Poli. 9. Cyeladidae. 

Tellina donaeina L. Cyelas cornea Pfeiff. 
Tellina baltica L. 10. Astartidae. 
Psammobia vespertina Lm. Astarte fusca Poli. 
Capsa fragilis L. Cardita aculeata Poli. 
Donax politus Poli. 11. Lueinidae. 

Donax truneulus L. Lueina spinifera Mtg. 

6. Mactridae. Galeomma Turtoni Sow. 
Mactra stultorum L. Solemya togata Poli. 
Mactra helvacea Lm. 12. Cardidae. 

7. Veneridae. 2 Cardium tubereulatum L. 
Venus gallina L. Cardium edule L. 


Venus verrucosa L. 


I. Asiphoniata. 


1. Unionidae. 4. Aviculidae. 
Unio. pietorum L. Avicula hirundo L. 
Anodonta cellensis Schroet. Pinna nobilis L. 

2. Arcidae. 5. Pectinidae. 
Arca tetragona Pol. Pecten varius L. 
Arca Noae L. Pecten opercularis L. 
Pectunculus glycimeris Lam. Pecten Jacobaeus L. 
Nucula nucleus L. Pecten textae Biv. 

3. Mytilidae. Lima hians Gm. 
Mytilus edulis L. Lima inflata Lm. 
Modiola adriatica Lm. Lima squamosa Lm. 
Modiola barbata Lm. 6. Ostreidae. 
Lithodomus dactylus Sow. Ostrea edulis L. 


Dreyssena polymorpha Pallas. Anomia ephibbium L. 


IV. Untersuchungsmethode. 


Die mikroskopische Untersuchung des Blutes wurde nur an 
lebendem und frischem Material vorgenommen. Um Veränderungen 
der Zellenelemente bei der Entfernung aus den Kreislaufsorganen 
durch Luft, Licht und Temperaturdifferenzen, allgemein gesagt 
durch die abnormen Umgebungsverhältnisse, möglichst zu ver- 
meiden, wurden verschiedene Methoden versucht. Das schnelle 
Oeffnen der Schalen mit nachfolgender Untersuchung des ab- 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 39 


fliessenden Blutes, ein Verfahren, welches von Flemming!) an- 
gewandt wurde, erwies sich zur Erreichung eines Bildes der nor- 
malen Blutkörperchen bald als unbrauchbar. Das Blosslegen des 
Herzens nach Entfernung einer oder beider Schalen und das An- 
stechen desselben mittels einer fein ausgezogenen Glaspipette ist 
für einen geschickten und schnellen Arbeiter nicht zu verwerfen, 
und kann nach meinen Erfahrungen, namentlich bei grösseren 
Thieren, mit Erfolg ausgeführt werden, wenn man nach Eröffnung 
des Pericardiums über dem lebhaft pulsirenden Herzen den Liquor 
pericardii mit Hülfe einer zweiten Pipette oder eines Stückchens 
Filtrirpapier vorsichtig entfernt. | 

Cattaneo?) meint zwar, dass eine derartige Operation zu 
lange Zeit beanspruche, doch kann ich ihm darin nicht beistim- 
men; auch möchte ich noch besonders bemerken, dass durch die 
betreffende Operation der Kreislaufsapparat, speciell das Herz, 
keinen Schaden nimmt, wenigstens keinen solchen, der sich in 
einer Veränderung der Blutzellen bemerken liesse. Bei den 
grossen Süsswassermuscheln habe ich sogar ohne Nachtheil für 
die Blutkörperchen eine für Cattaneo vielleicht noch gewagter er- 
scheinende Operation angewandt. Ich habe nämlich das blossgelegte 
Herz vorne und hinten am Darm und seitlich an den Atrien mit 
einem Faden unterbunden, dann aus dem Körper herausgehoben 
und die Punetur mit der Pipette in einem Osmiumsäure enthal- 
tenden Gefässe vorgenommen. 

Eine andere Methode, Blut direct aus dem Herzen zu er- 
halten, welche auch von Cattaneo?) geübt wurde, besteht 
darin, den Herzstich von Aussen durch das Schalenschloss auszu- 
führen, nachdem man sich an etlichen Versuchsthieren nach ge- 
nauer Örientirung über die Herzlage einige Uebung verschafft 
hat. Cattaneo?) benutzte hierzu eine gewöhnliche starke Nadel 
und fing den hervorquellenden Blutstropfen mit dem Objeetträger 
auf. Ich benutzte, um zum Ziele zu gelangen, in vielen Fällen 
eine Art Hohlsonde, am einen Ende scharf aber weniger schräg 
geschliffen wie die Canülen der Pravaz’schen Spritzen, am anderen 
Ende mit einem als Handgriff dienenden aufschraubbaren Ring 


1) Flemming, a..a. 0. S. 246. 
2) Cattaneo, a.a. 0. S. 10. 
3) Cattaneo, a.a.0. 8.10, 11. 


40 Griesbach: 


versehen. Die Anwendung eines solehen hohlen Bohrers hat, wie 
ich glaube, einige Vortheile. Bei dem Gebrauch der Nadel kann 
man nicht verhindern, dass der hervorquellende Blutstropfen mit 
der Aussenfläche der Schale in Berührung kommt. Wenn dieselbe 
auch vorher sorgfältig geremigt worden ist, so gelangen häufig 
doch noch allerhand Fremdkörper, namentlich Diatomeen, in das 
Objeet, welche unter Umständen das Bild beeinträchtigen. Ausser- 
dem vermeidet man mit Hülfe des Bohrers den plötzlichen Zu- 
tritt des Lichtes und die allseitige Einwirkung der Luft. Etwaige 
Kalkstückehen, welche in die Röhre eindringen, sind wenig hinder- 
lich und lassen sich nach dem Gebrauch durch einen eingeführ- 
ten Draht leicht entfernen. Die Entleerung eines Bluttröpfchens 
aus dem Bohrer oder aus der Glaspipette, wenn letztere zur Ver- 
wendung kam, bewirkte ich durch Klopfen mit dem Finger auf 
die weite Oeffnung, oder durch Druck auf ein über dieselbe ge- 
stülptes Kautschukrohr; beim Blasen mit dem Munde könnte die 
zutretende Kohlensäure der Exspirationsluft für die Blutkörperchen 
von Nachtheil sein. Je nach der Grösse der Thiere und je nach 
der Beschaffenheit ihrer Schale und des Schlosses derselben wird 
sich eine der genannten Methoden als die zweckmässigste erwei- 
sen. Bei kleinen und dünnschaligen Thieren ist die Punetur mit 
der Nadel durch das Schalenschloss am Platze; bei manchen 
Thieren aber lässt sich diese nach meinen Erfahrungen mit der 
Nadel gar nicht, mit dem genannten Bohrer nur sehr mangelhaft 
ausführen. Ich meine diejenigen Bivalven, deren Schale sehr 
hart oder deren Schloss mit allerhand Zähnen und Leisten aus- 
gerüstet ist, beispielsweise: Unio, Peetuneulus, Artemis, Venus, 
Cytherea, Cardium und andere. 

Der durch eine dieser Methoden erhaltene Blutstropfen wurde 
mit einem Deckgläschen aufgefangen und dieses entweder regel- 
recht mit einer feuchten Kammer in Verbindung gebracht, oder auf 
einen, mit einer Delle versehenen, Objeetträger derartig aufgelegt, 
dass die mikroskopische Beobachtung am hängenden Tropfen vor- 
senommen werden konnte. Zum Studium der Blutkörperchen in 
ihrer normalen Form habe ich behufs Fixirung verschiedene 
Reagentien angewandt. Der am Deckglase hängende Tropfen 
wurde entweder den Dämpfen von starker Osmiumsäure aus- 
gesetzt, oder es wurde ihm mit dem Glasstabe ein Tropfen ein- 
procentiger Osmiumsäure zugesetzt. Die beste Fixirung aber er- 


ü 
Ä 
- 
4 


- ° Beiträge zur Histologie des Blutes. 41 


reicht man, wenn man das Blut direet in ein das Fixativ ent- 
!altendes Uhrschälchen tropfen lässt und von hieraus mit” der 
Pipette auf ein Deckgläschen überträgt. — Bei der oben be- 
sehriebenen Herausnahme des Herzens und Einlegen desselben 
in einprocenfige Osmiumsäure wird die Fixirung der Blutzellen 
schon vor dem Anstich erreicht. Soll die Punetur des Herzens 
nach Entfernung der Schale vorgenommen werden, so ist es 
zweekmässig, in die Spitze der dabei zu verwendenden Pipette 
vorher ein Tröpfehen Osmiumsäure hineinzubringen. Soviel von 
der Osmiumsäure, sie lässt nichts zu wünschen übrig. 

Die Erhaltung der normalen Form der amöboiden Blutzellen 
kann aber noch auf andere Weise erreicht werden. Ich habe 
dazu mit Vortheil Kleinenberg’sche Pikrinschwefelsäure, Flem- 
ming'’s Chromosmiumessigsäure und Goldehlorid (ein- bis dreipro- 
eentig) verwandt. — Um Bewegungserscheinungen der nicht 
fixirten Leukocyten zu verfolgen, um namentlich die ersten Ver- 
änderungen zu sehen, welche die fremdartige Umgebung alsbald 
nach der Entfernung der Zellen aus dem Kreislaufsapparat an 
diesen hervorruft, benutzte ich bei den Süsswassermuscheln zum 
Auffangen des Blutes häufig auf Eis gekühlte Pipetten, Deck- 
gläschen und Objectträger. Die normale Form der Leukocyten 
habe ich in den Gefässen der Kiemen, der Mundlappen, des 
Mantels und seiner Anhänge, wie sie beispielsweise Lima besitzt, 
zu beobachten versucht, doch will ich hinzufügen, dass es dabei 
nicht zu umgehende Hindernisse (Wimperspiel ete.) giebt, welche 
die Untersuchung im höchsten Grade stören und das Beobach- 
tungsfeld undeutlich machen. Dennoch erhält man nach einiger 
Mühe und hinreichender Uebung befriedigende Resultate. Inter- 
essante Aufschlüsse über gewisse Bewegungserscheinungen und 
spontane Veränderungen erhält man, wenn man den zu unter- 
suchenden Blutstropfen an ein mit einer dünnen Oelschicht ver- 
sehenes Deckgläschen hängt. Ich benutzte zu diesem Zwecke 
Oliven-, Mandel- oder Rieinusöl. Behufs Feststellung der feineren 
Strueturverhältnisse der zelligen Elemente des Blutes habe ich 
verschiedene Reagentien und Farbstoffe verwendet. Von ersteren 
kamen destillirtes Wasser, 0,5- bis 2procentige Kochsalzlösung, 
Essigsäure in den verschiedensten Concentrationsgraden, 1- bis 

2 procentige Osmiumsäure, Pikrinschwefelsäure, Chromosmiumessig- 
 säure, 1- bis 3procentige Gold- und Palladiumchloridlösung, essig- 


42 Griesbach: - 


saures Kali, Alkohol und Glycerin mit Erfolg in Gebraueh; von letz- 
teren benutzte ich namentlich Methylenblau, Methylviolett, Eosin, Me- 
thylgrün, Congoroth, die farblose Rosanilinbase in Verbindung mit 
Pikrinschwefelsäure, das farblose Hexamethyleukanilin in Verbin- 
dung mit Chromosmiumessigsäure, das Rhodamin !) und eine con- _ 
centrirte Lösung von Jod in Jodkalium. Die Farbstoffe wurden 
theils in Substanz. oder in Lösung dem hängenden Tropfen bei- 
gemischt, theils, wo dies zulässig, mit dem Fixativ vermengt. 

Letztere Methode, durch welche Fixirung und Färbung gleich- 
zeitig erreicht wird, habe ich namentlich dann angewandt, wenn 
es sich um Herstellung von Dauerpräparaten handelte. Dieselben 
habe ich in der Weise angefertigt, dass ich ein Tröpfehen des 
die fixirten und gefärbten Zellen enthaltenden Blutes mit Glycerin 
auf ein Deckgläschen brachte, dieses zum Schutze gegen Druck 
und Hervorquellen des Glycerins mit einem schmalen Rahmen 
von weisser Oelfarbe versah und nach dem Auflegen auf den 
Öbjeetträger mit Wachs oder mit Apathy’s?) Deckglaskitt um- 
rahmte. Harzige Einschlussmittel sind für Dauerpräparate nach 
meiner Erfahrung ungeeignet. — Die Anwesenheit von rothem 
Pigment im Blute der Acephalen wurde mittels des Vogel’schen 
Speetralapparates a vision direete (Schmidt und Haensch, Berlin) 
in einzelnen Fällen mit dem Mikrospeectroskop constatirt. Von der 
Messung der Wellenlängen musste aus Mangel eines geeigneten 
Apparates Abstand genommen werden. In mehreren Fällen ge- 
lang es in der bekannten Weise mit Eisessig und Kochsalz vom 
Blute auf dem Objectträger charakteristische Krystallbildungen 
zu erhalten. 


1) Unter diesem Namen kommen ungefähr seit anderthalb Jahren . 
die Phtaleine des Metaamidophenols und seiner Derivate in den Handel, 
welche thierische Gewebe prachtvoll roth färben. Das von mir benutzte 
Rhodamin, ein schwach basischer Farbstoff, ist das chlorwasserstoffsaure R 
Salz des Anhydrids des Metatetramethylamidodioxyphenolphtalein mit 
der Formel: ; 

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GH gene 
2% ee CE 


rs HC. 
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N GHLN(CHj)s 
2) Apathy, Zeitschr. f. wissensch. Mikroskopie 1889. 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 43 


V. Histochemische und histologische Beschaffenheit 
des Blutes. 


A. Chemisch-physikalisches Verhalten des Blutes. 


Das Blut der Acephalen ist in den meisten Fällen farblos, 
in einzelnen Fällen reth. Bei allen von mir untersuchten Thieren 
mit farblosem Blut besitzt dasselbe eine mehr oder weniger aus- 
geprägte alkalische Reaction. Die frisch dem Herzen entnom- 
mene Flüssigkeit färbt rothes Lackmuspapier deutlich blau, durch 
Essigsäure gebläutes Congopapier wird wieder roth. 

Ueber den Grad der Alkalescenz habe ich keine genauen 
Untersuchungen angestellt, doch scheint derselbe innerhalb ge- 

- wisser Grenzen für verschiedene Arten zu schwanken. Auch 
glaube ich für eine und dieselbe Art Unterschiede in der Alka- 
lescenz wahrgenommen zu haben. Bei Anodonten, die längere 
Zeit (3 Wochen) in der Gefangenschaft gehalten worden waren, 
fiel die Reaction gegen Reagenzpapier unter sonst gleichen Umstän- 
den schwächer aus, als bei solchen, die kurz vor der Untersuchung 
gefangen waren. Ob die Lebensweise oder andere Verhältnisse 
dabei in Betracht kommen, vermag ich nicht zu entscheiden. 

Mit Blut, welches längere Zeit nach der Entleerung aus 
dem Körper untersucht wurde, fiel die alkalische Reaction eben- 
falls schwächer aus. Bei den marinen Formen mit rothem Blut 
liess ich das frisch entleerte Fluidum gegen Meerwasser diffun- 
diren. Das Diffusat erschien zwar nicht völlig farblos, doch 
beeinträchtigte der schwach gelblich-rothe Farbenton die Probe 
gegen das Reagenzpapier nicht und das letztere ergab auch hier 
die alkalische Reaction. Bei einigen Arten fanden sich im Blute 
Krystallbildungen, welche ich in Fig. 28 u. 29 gezeichnet habe. 
Auf Zusatz verdünnter Mineralsäuren entweicht aus dem Blute 
Kohlendioxyd, welches mit geeigneten Hülfsmitteln in der be- 
kannten Weise durch Kalkwasser nachgewiesen werden kann. Auf 
die Gerinnung des Blutes werde ich in einer anderen Arbeit zu 
sprechen kommen. 

Farbloses Acephalenblut zeigt wenige Secunden nach der 
Entnahme aus dem Kreislaufsapparat einen schwach grauvioletten 

 Farbenton, der in kurzer Zeit noch deutlicher und mehr blau 


44 Griesbach: 


wird, eine Nuance, welche das Blut alsdann beibehält. Diese Farbe 
ändert im Spectrum nichts. Der Farbstoff ist nicht an zellige Ele- 
mente gebunden, sondern im Blutplasma gelöst enthalten, scheidet 
sich aber, wenn dasselbe mit Luft in Berührung kommt, aus. 

Nach den Untersuchungen von Frederieq!) scheint der 
Farbstoff Hämocyanin zu sein. Frederiegqg fand, dass bei Ce- 
phalopoden das arterielle Blut durch diese Substanz blau erscheint, 
während das venöse farblos ist. Das Hämoecyanin soll dieselbe Rolle 
spielen, wie bei den Wirbelthieren das Hämoglobin 2). Rothes oder 
gelbrothes Blut führen von den von mir untersuchten Siphoniaten : 
Poromya granulata, Solen legumen, Tellina planata, die grösste im 
Golfe von Neapel vorkommende Art, Capsa fragilis, Astarte fusca (?), 
Cardita aculeata; von den Asiphoniaten: Arca tetragona, Noae 
und Peetuneulus glyeimeris. 

Oeffnet man eine dieser Muscheln, so fliesst, wenn irgend 
welche Gewebe verletzt wurden, das Blut als rothes oder gelb- 
rothes Fluidum aus. Wählt man ein grösseres Thier mit reich- 
lichem Blutgehalt, wie beispielsweise Peetunculus oder Tellina, 
so lässt sich die Flüssigkeit mit einem Uhrgläschen auffangen. 
Dieselbe färbt sich, auf einige Zeit der Luft ausgesetzt, allmählich 
dunkler. Einen ähnlichen Farbenwechsel sah Schwalbe?) bei 
der rothen Blutflüssigkeit des Sternwurmes Phascolosoma elonga- 
tum. Ob derselbe durch das Licht, oder durch bestimmte Be- 
standtheile der atmosphärischen Luft bedingt wird, weiss ich mit 
Sicherheit nicht anzugeben. Für experimentelle Untersuchungen 
in dieser Richtung, beispielsweise für das Durchleiten der che- 
misch rein bereiteten Gase Sauerstoff, Stickstoff und Kohlensäure 
unter geeigneten Cautelen, mangelte es mir in Neapel an Zeit 
und an den erforderlichen Apparaten. 

Nach Krukenberg*) wird das Dunkelwerden des Blutes 


1) Frederieg, Extr. des Bulletins de 1l’Acad. r. de Belgique. 
2. ser. 1878, No. 11, p. 4—21. Zu vergl. auch: Mae Munn, On the 
chromatology of the Blood of some Invertebrates. Quart. Journ. of 
mieroscop. Sc. 1885, October, im Separatabdruck (London, Adlard). 
1885, S. 6. 

2) Frederieq, Sur l’hemocyanine, substance nouvelle, du sang 
de Poulpe. Compt rend. T. 87, 1878, p. 996. 

3) Schwalbe im Archiv f. mikr. Anat. Bd. V, 1869, S. 248 ff. 

4) Krukenberg, Vergleichende physiolog. Studien. I. Reihe, 
Abth. 3, 1880, S. 85. - 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 45 


von Sipuneulus nudus durch Einfluss des Luftsauerstoffes bewirkt, 
während Kohlensäure die Farbe verschwinden lässt. 

Die dem Blute die Farbe verleihende Substanz ist bei den 
Acephalen an besondere Formenelemente gebunden; bevor ich 
aber an die Beschreibung derselben herantrete, will ich die von 
mir gefundenen spectroskopischen Resultate mittheilen. Bei allen 
rothblütigen Acephalen erhielt ich dasselbe Spectrum. Das frisch 
entleerte Blut wurde. in ein enges Reagenzröhrchen, oder in eine 
an einem Ende zugeschmolzene Glasröhre, oder endlich in eine 
der bekannten bei speetralanalytischen Arbeiten zur Verwendung 
kommenden Glasfläschehen gebracht. Je nach der Verdünnung 
mit mehr oder weniger Wasser findet man zwei mehr oder weni- 
ger dunkle Absorptionsstreifen zwischen D und E. Der blauvio- 
lette Theil des Spectrums ist ausgelöscht. Ein Intensitätsunter- 
schied beider Streifen ist vorhanden, der schmälere ist um einige 
Nuancen dunkler. Blut, welches aus dem Herzen mehrerer Tellinen 
genommen wurde, zeigt ohne Verdünnung die beiden Streifen fast 
zu einem verschmolzen. In 5 emm Blut von Peetuneulus, welche 
mit der zehnfachen Menge Wasser verdünnt wurden, fand ich die 
beiden Streifen nur sehr schwach und verwischt. Mischt man 
das mit Wasser verdünnte Blut mit Schwefeläther, so nimmt 
derselbe beim Schütteln den Farbstoff mit violettrother Farbe 
auf. Auf Zusatz von Mineralsäuren und Essigsäure verschwinden 
die beschriebenen Streifen im Spectrum. Bei Behandlung mit 
Essigsäure entstehen noch eigenthümliche Veränderungen. Ich 
bemerkte hierbei einige Male einen neuen Streifen bei C, bei 
anderen Versuchen, in welchen das Blut mit Wasser stark ver- 
dünnt war, glaubte ich einen schwachen und verwischten Streifen 
ungefähr in der Mitte von Grün und Blau wahrzunehmen. Wenn 
man dem frisch entleerten Blute ungefähr die anderthalbfache 
Menge concentrirter Kalilauge zusetzt, so wird die Lösung blau- 
grün; beobachtet man dann mit dem Speetroskope, so erkennt 
man einen scharfen Absorptionsstreifen auf B. Mit Ammonium- 
hydrosulfid versetztes Blut zeigte mir im Speetrum ungefähr in 
der Mitte zwischen D und E einen Absorptionsstreifen; andere 
Banden waren mit dem von mir benutzten Apparate nicht wahr- 
zunehmen. 

Vergleicht man diese Resultate mit denen, welehe vom Blute 
der Wirbelthiere bekannt sind, so kann man sich der Ansicht 


46 Griesbach: 


kaum enthalten, dass man es in dem Blute der genannten Mol: 
lusken mit Hämoglobin zu thun hat, welches bei Solen legumen 
von Ray-Lankester?!) mit dem Mikrospeetroskop nachgewie- 
sen wurde. Untersuchungen mit geeigneten Apparaten, welche 
eine Messung der Längen zulassen, dürften entscheidende Be- 
weise geben. | 

In meiner Ansicht, dass man es in dem rothen Pigmente 
des Acephalenblutes wirklich mit Hämoglobin zu thun hat, wurde 
ich noch bestärkt, als es mir gelang, von Peetunculus glyeimeris 
und anderen Acephalen mit Kochsalz und Eisessig in der be- 
kannten Weise charakteristische Krystallbildungen zu erhalten, 
die mit den vom Blute der Maus erhaltenen Häminkrystallen in 
allen Eigenschaften übereinstimmen.‘ Die Beschreibung dieser 
Krystalle von Peetunculus gebe ich nach einem in Neapel ange- 
fertigten Präparate (Fig. 1). Sie sind durchschnittlich 10 u lang 
und 2,5 u breit. Sie sind prismatisch ausgebildet und besitzen 
ziemlich starken Pleochroismus und zwar nach Fresnel für - 
Strahlen, welche mehr parallel der Längsriehtung schwingen, dun- 
kelbraun (Fig. 2a), und für solehe, welehe mehr senkrecht hierzu 
sind, hellgelb (Fig. 2b). Eine Hauptschwingungsrichtung (Aus- 
löschungsrichtung) bildet mit der Längsrichtung der Krystalle 
den Winkel ß von 271/,°. Der Winkel a (Fig. 2a) konnte wegen 
der Kleinheit der Krystalle nicht genau gemessen werden. Noch 
in den neueren Lehrbüchern ?2) wird angegeben, dass die Teich- 
mann’schen Häminkrystalle dem rhombischen Systeme angehören. 
Die Krystalle von Peetuneulus und der Maus scheinen mit Rück- 
sicht auf ihre gleichartige schiefe, weder parallele, noch anschei- 
nend diagonale Auslöschung (Fig. 2a u. b) diesem Systeme nicht 
zugeschrieben werden zu können. Ob das mono- oder asymme- 
trische System vorliegt, liess sich wegen der Kleinheit und ‚der | 
stets gleichen Lage der Krystalle nicht ermitteln. 


1) Ray-Lankester, A Contribution to the Knowledge of Hae- 
moglobin. Proceed. Roy. Soc. Vol. XXI, 1873, p. 75. 

2) Hermann, Lehrbuch der Physiologie. 9. Aufl. Hirschwald. 
Berlin, 1889, S. 48. — Landois, Lehrbuch der Physiologie. 1885, 
S.45. — Orth, Cursus der normalen Histologie. 1886, S. 162 und 
viele andere. 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 47 


B. Die farbigen Zellen des Blutes. 


Ich sagte, dass bei den rothblütigen Acephalen das Pigment 
an besondere zellige Elemente gebunden sei. Bei längerem Stehen- 
lassen des Blutes senken sich dieselben und bilden auf dem Boden 
des Gefässes eine zusammenhängende Schicht, während die über- 
stehende Flüssigkeit fast farblos erscheint. 

Die farbigen Blutkörperchen sind in den meisten Fällen 
mehr oder weniger kugelige Zellen (Fig. 3, 4,5abe, 8, 9, 10), 
in einzelnen Fällen (Solen legumen Fig. 6, Arca tetragona Fig. 7) 
zeigen sie die Form einer ovalen Scheibe, welehe sieh von der 
Kante gesehen abgestumpft spindelförmig oder schiffehen- oder 
sichelförmig ausnimmt (Fig. 6b, Te). Die Zellen sind einfach 
liehtbreehend. Man erkennt ihre normale Gestalt am besten, 
wenn man frisch aus dem Herzen genommenes Blut unter Zusatz 
einer 1- bis 2procentigen Kochsalzlösung im hängenden Tropfen 
untersucht. Destillirtes Wasser, Glycerin, wässerige Farbstoff- 
lösungen und verdünnte Essigsäure verursachen ein Aufquellen ; 
Alkohol, alkoholische Farbstofflösungen, starke Essigsäure eine 
Schrumpfung der Zellen. 

Namentlich bei den kugeligen Formen erleidet unter dem 
Druck _des Deckgläschens, oder durch Zusammenprallen, oder 
gegenseitige Reibung der Zellen im Präparate ihre Öberfläche 
allerhand Faltungen und Kniekungen (Fig. 8a bis e, Fig. 9a, b), 
welche bei verschiedener Einstellung bald hell, bald dunkel er- 
scheinen. Dabei nehmen die Zellen die wunderbarsten Formen 
an: Sie sehen mützenförmig aus, sie lassen sich vergleichen mit 
einem eingedrückten Gummiball, sie ähneln dem Hut eines Pilzes, 
und durch die eingedrückte Stelle sieht man deutlich den Kern 
durchscheinen (Fig. 9e,d). Es kann bei der Betrachtung dieser 
Dinge kaum einem Zweifel unterliegen, dass die Oberfläche der 
Zellen mit einer zarten und dehnbaren Membran versehen ist. 
Setzt man zu den im Präparat befindlichen Blutkörperchen etwas 
mit Eosin oder Fuchsin gefärbten Alkohol, so wird der Farbstoff 
aus dem Zellenleibe extrahirt und die Membran erscheint doppelt 
eontourirt und rosa gefärbt. Auch Glycerin, Chromosmiumessig- 
säure (Flemming), Pikrinschwefelsäure (Kleinenberg), Gold- 
ehlorid und Essigsäure machen sie deutlich. Jodjodkaliumlösung 
färbt sie gelbbraun. 


48 Griesbach: 


Aehnliche Beobachtungen kann man bekanntlich an den 
rothen Blutkörperchen der Wirbelthiere machen). Nach Ley- 
dig?) lässt sich allgemem für die Membran einer Zelle ein drei- 
facher Ursprung annehmen. Man kann sie sich dadurch entstan- 
den denken, „dass die Bälkchen und Knoten der Gerüstsubstanz 
oder des Spongioplasma zusammenrücken und sich plättchenartig 
verbreitern“, oder dadurch, dass die Zwischensubstanz, das „Hyalo- 
plasma“ nach Aussen tritt und schichtenweise erhärtet, oder end- 
lich, dass sich an ihrer Bildung Spongioplasma und Hyoloplasma 
betheiligen, indem das erstere fädige Fortsätze bildet, welche 
von letzterem gewissermaassen mit einander verklebt werden. Ob 
eine dieser Möglichkeiten und welche für die Membranbildung 
der in Rede stehenden Zellen zutrifft, muss ich dahingestellt sein 
lassen. Die Membran scheint structurlos zu sein. Auch Poren 
im Sinne Leydig’s?) habe ich nicht wahrzunehmen vermocht, 
doch will ich nicht bezweifeln, dass solche vorhanden sein können. 

Durch Druck mit dem Deckgläschen kann “man die Mem- 
bran zum Platzen bringen, ebenso durch Quellung bewirkende 
Agentien, wobei durch intracellulären Druck ihre Continuitäts- 
trennung erfolgt. Auch Kalilauge ruft eine solche hervor, dabei 
scheinen jedoch nicht Quellungen oder Schrumpfungen des Zellen- 
leibes die eigentliche Ursache zu sein, sondern die Membran wird 
chemisch umgewandelt und aufgelöst. Nach Zerstörung der Mem- 
bran wird ein Theil des Zelleninhaltes m Form eines Detritus 
entleert und in der Umgebung vertheilt. Dabei zeigt der Farb- 
stoff äusserst feinkörnige Beschaffenheit und man bemerkt oftmals 
daran die bekannte Erscheinung der Molekularbewegung. Eine 
Structur des Zellenleibes, deren Existenz man heute ja voraus- 
setzen muss, wird durch den ihn durchtränkenden Farbstoff bis 
zur Unkemntlichkeit verdeckt. Ein allen Anforderungen Genüge 
leistendes Mittel, den Farbstoff auszuziehen und dabei die Struetur 
unbeeinträchtigt zu lassen und deutlich zu machen, habe ich 
leider nicht auffinden können. 

Wenn sich beim Platzen der Wand der Zelle deren Inhalt 


a 


1) Zu vergl. L. Ranvier’s Technisches Lehrbuch der Histologie. 
Uebersetzt von Nicati und Wyss. Leipzig, Vogel, 1888, S. 184. 

2) Leydig, Zelle und Gewebe. Bonn, Strauss, 1885, S. 14. 

3) Leydig, Zelle und Gewebe, S. 15 ff. 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 49 


zum grössten Theile entleert hat, so bemerkt man mit starken 
- Systmen in der zurückgebliebenen Masse wohl noch eine feine 
- Struetur, beispielsweise nach Zusatz von Altmann’schem Säure- 
- fuchsin '), Dimethyleyanin oder Jodgrün. Es hat den Anschein, 
als ob zarte, feine Streifehen, die aus dicht nebeneinander liegen- 
den, äusserst zarten, sich je nach dem Färbemittel roth, violett- 
blau oder smaragdgrün färbenden Körnchen aufgebaut erscheinen, 
vorhanden wären; ob aber diese Structur, die sich durch eine 
Zeichnung kaum wiedergeben lässt, der Ausdruck irgend welcher 
im Plasma enthaltenen Formenelemente ist, wage ich nicht zu 
behaupten. — Das Pigment ist dem ganzen Zellenleibe anschei- 
nend in feinsten Körnchen eingelagert. Oftmals finden sich auch 
gröbere Farbstoffkörner in grösserer oder geringerer Menge, sie 
besitzen meist polygonale Gestalt. Bei Einwirkung von Essig- 
säure gruppiren sich die Farbstoffpartikel manchmal zu einem 
Haufen; indem sich ein solcher um den Kern herumlegt, kann er 
denselben völlig verdecken, das Plasma erscheint dann fast farblos 
und äusserst fein granulirt (Fig. 10). 

Der Kern der rothen Blutkörperchen zeigt verschiedene 
Gestalt. Bald ist er kugelig (Fig. 3, 4, 5e, 6d, Tb, 9e de), bald 
eiförmig (Fig. 8f), auch nieren- oder stäbchenförmige Gestalt kann 
er besitzen (Fig. $h, 9fgh). Diese Verhältnisse deuten vielleicht 
auf eine selbständige Formveränderung, wie sie von mehreren 
Autoren für verschiedene Zellkerne angenommen wird 2). Man 
findet in einer Zelle manchmal zwei Kerne dicht nebeneinander 
(Fig. 8g). Bei Einwirkung von Essigsäure (Fig. 6d, 9efgh), 
Chromosmiumessigsäure, Pikrinschwefelsäure tritt der Kern deut- 
lich hervor. Der Kern färbt sich in toto mit basischen Anilin- 
farbstoffen, Pikrokarmin und Jodjodkaliumlösung distinet und 
dunkel, während das umgebende Protoplasma heller dagegen ab- 
sticht. Nach solchen Behandlungen bemerkt man an ihm einen 
scharfen Contour und im Inneren eine streifige Structur. Die in 
allen Richtungen vorhandenen Streifen lassen bei gesonderter Be- 
handlung mit Methylgrün-Osmiumsäure eine feine Granulirung wahr- 


1) Altmann, Studien üb. d. Zelle. Leipzig, Veit & Co. 1886, S. 46. 
2) Die Literatur findet sich besprochen bei Korschelt, Beiträge 
zur Morphologie und Physiologie des Zellkernes. Zool. Jahrb. Abth. 
f. A u. ©. Bd. IV, im Separatabdruck S. 102, 103. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 4 


50 Griesbach: 


nehmen. Kernfiguren habe ich nieht gesehen. In einzelnen Fällen 
(Arca tetragona) sah ich den Kern von einer hellen Zone umge- 
ben (Fig. 7d), welche den Eindruck macht, als hätte er seine 
Lage in einer Höhlung, die er nicht vollständig ausfüllt. Wenn 
ich nicht irre, war Ransom!) der Erste, der eine solehe Höhlung 
beobachtete, die Leydig?) später als „freier Raum um den 
Kern“ beschrieb. Letzterer findet sie auch in den Blutzellen der 
Wirbelthiere 3). 

Es ist mir, selbst bei Anwendung der stärksten Systeme, 
nicht gelungen, von der Peripherie des Kernes aus radienartig 
durch den liehten Abschnitt in das umgebende Protoplasma irgend- 
welche Fädchen verlaufen zu sehen, für deren Existenz Leydig *) 
für die Zelle im Allgemeinen mit Bestimmtheit eintritt. — Ueber- 
haupt gehen die Meinungen über einen Zusammenhang zwischen 
Kern und Zellsubstanz sehr auseinander. Klein) spricht sich 
für denselben aus, Flemming‘) konnte ihn nicht constatiren. 
Frommann’s”) Kernanlagen in den Leukocyten des Krebsblutes 
sollen durch fädige Stränge mit dem Fadengerüst des Zellenleibes 
zusammenhängen, doch erscheinen sie abgeschnürt, wenn der Kern 
als „selbständiges abgeschlossenes Gebilde“ hervortritt. An einer 
anderen Stelle sagt Frommann®), dass ein Zusammenhang der 
Formenelemente des Kernes mit denen jedes Zellkörpers direkt 
oder indirekt zu Stande kommt. Einzelne Fäden oder kleine 
Netzschichten, welche die Lücken der Kernhülle durchsetzen, 
vermitteln einen direkten Zusammenhang des Kerninneren mit der 
Zellsubstanz, indirekt wird ein solcher Zusammenhang dadurch 
bewerkstelligt, dass „feinere oder derbere Fäden, gleichviel ob 


1) Ransom, Observations on the ovum of osseous fishes. Phil. 
Trans. R. Soc. London. V. 157. 1867. 

2) Leydig, Untersuchungen zur Anatomie und Histologie der 
Thiere. Bonn, Strauss, 1883, S. 60. 

3) Leydig, Zelle und Gewebe, S. 22, Taf.I Fig,6. 

4) Leydig, Zelle und Gewebe, S. 22. 

5) Klein, Quaterly Journal of microscop. Sc. 1878 u. 1879. 

6) Flemming, Zellsubstanz, Kern und Zelltheilung. Leipzig, 
Vogel, 1882, S. 171. 

7) Frommann, Untersuchungen über Struktur, Lebenserschei- 
nungen und Reaktionen thierischer und pflanzlicher Zellen. Jen. Zeit- 
schrift f. Naturw. Bd. 17, N. F. Bd. 10, 1884, S. 9. 

8) Frommann, a.a.0. 8.195 und 1%. 


rl 


y- . 


e 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 51 


sie Theile von Netzen, oder von einem Gerüst sind, oder nicht“, 
sich in der Kernhülle, sowohl von Seiten des Kerninneren, als 
auch von Seiten der Zellsubstanz inserir@&n. — In Ganglienzellen, 
Leberzellen und Wimperepithelien sah Arnold!) Fäden der Ge- 


_ rüstsubstanz des Kernes sich mehr oder weniger weit in den 


Zellenleib erstrecken. Rabl?) bemerkt, dass „sich in vielen 
Zellen in unmittelbarer Umgebung des Kernes ein mehr oder 
weniger ansehnlicher Hof findet, der von schwächer lichtbrechen- 
der, nicht genetzter Substanz erfüllt ist, oder m welchem sich 
bis an den Kern heran nur einzelne Netzzüge fortsetzen.“ 

Es kann nicht meine Absicht sein, hier alle die zahlreichen 
Ansichten, die über, den Zusammenhang des Zellenleibes mit dem 
Kern, sowie über dessen Natur und Herkunft laut geworden sind, 
zu berühren. Die Möglichkeit des Vorhandenseins von Verbin- 
dungsfäden zwischen Kern und Zellenleib im Sinne der Autoren 
ist im Allgemeinen und auch in den von mir untersuchten Blut- 
zellen gewiss nicht ausgeschlossen; aber was von solchen Bil- 
dungen präformirt, was spontanen Veränderungen zuzuschreiben 
ist, lässt sich nicht immer entscheiden. Selbst der in Rede 
stehende lichte Raum um den Kern ist solchen Veränderungen 
zugeschrieben worden (Henking). Korschelt?) bemerkt hierzu: 
„Diese Deutung mag in vielen Fällen berechtigt sein,in anderen 
ist sie es nicht. Man bemerkt die in verschiedener Breite den 
Kern umziehende Zone auch an lebenden Kernen und kann sie 
dann an Präparaten in überzeugender Weise darstellen.“ ... 
Beim Platzen der Zellmembran wird der Kern mit oder ohne 
einen Theil der ihn umgebenden Zellsubstanz häufig entleert. 
Sein Contour tritt auch in solchem Falle deutlich hervor, ob derselbe 
aber eine mehr oder weniger homogene, cutieulaartige Bildung, 
oder, wie Pfitzner*) und Retzius?) meinen, ein als Wand 


1) Arnold, Ueber feinere Struktur der Zellen unter normalen 
und pathologischen Bedingungen. Virchow’s Archiv Bd. 77. 

2) Rabl, Ueber Zelltheilung. Morpholog. Jahrb. 1885. Bd. X, 
8. 298, 299. 

3) Korschelt, a. a. 0. S. 107. 

4) Pfitzner, Ueber den feineren Bau der bei der Zelltheilung 
auftretenden fadenförmigen Differenzirung des Zellkerns. Morpholog. 
Jahrbuch, Bd. 7. 

5) Retzius, Biologische Untersuchungen. Stockholm, 1881. 


59 Griesbach: 


erscheinendes Gerüstwerk oder ein feines Maschennetz ist, oder, 
wie Leydig!) sagt, durch „die nahe zusammenstehenden End- 
stücke des Balkenwerkes im Inneren des Kernes“ gebildet wird, 
vermag ich nicht zu entscheiden. 

„Wie es nicht zu bezweifeln ist“, meint Korschelt?), 
„dass vielen Kernen eine wohl unterscheidbare Membran zukommt, 
so sicher ist es auch, dass andere einer solchen Abgrenzung ent- 
behren. Es ist möglich, dass demselben Kern, welcher zu ge- 
wisser Zeit eine Membran besitzt, dieselbe zu einer anderen Zeit 
fehlt. Die Abgrenzung des Kernes gegen das Zellprotoplasma 
richtet sich bei gewissen Zellen, z. B. bei den Eizellen der In- 
sekten, ganz nach dem Zustande der Thätigkeit, in welchem es sich 
befindet.“ 

Gewöhnlich führt der Kern ein oder zwei mehr oder we- 
niger excentrisch gelegene, stark lichtbrechende kugelige Gebilde 
(Fig. Sh, Fig. eh), die als sogenannte Kernkörperchen in An- 
spruch genommen werden dürften, doch will ich hier auf die 
Frage, ob diese Gebilde selbständige Substanzportionen sind, oder 
nur als solche vorgetäuscht werden, nicht eingehen. 


©. Die amöboiden Zellen des Blutes. 


Ich gehe jetzt zur Besprechung der farblosen, amöboiden 
Zellen des Blutes der Acephalen über. Ihre wahre Beschaffen- 
heit bei diesen und vielen anderen Tkieren ist bis in die neuste 
Zeit unbekannt geblieben, und diese Unkenntniss hat nicht nur 
manche Irrthümer in der normalen Histologie verschuldet, sondern 
sie ist auch die Ursache gewesen, dass in der pathologischen 
Gewebelehre manche wnrichtige Anschauungen herrschen, worauf 
ich später zurückkomme. 

Es gebührt unzweifelhaft Cattaneo als Erstem das Ver- 
dienst, die normale Gestalt der Leukocyten eingehend studirt zu 
haben. Seine Untersuchungen wurden im März und Juni des 
vorigen Jahres veröffentlicht. Das Märzheft des „Bolletino scien- 
tifico“ enthält die an Mollusken, das Juniheft die an Arthropoden 
gewonnenen Resultate. Als ich im Frühlinge des vorigen Jahres 


1) Leydig, Zelle und Gewebe, S. 27. 
2) Korschelt, a. a. O. S. 105. 


en 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 53 


mit der Absicht, Blut und Gefässsystem der Lamellibranchiaten 
zu studiren, nach Neapel kam, wusste ich von Cattaneo’s Ar- 
beiten nichts, obwohl das Märzheft schon erschienen war. Erst 
nach meiner Rückkehr, als ich, mit der Ausarbeitung meiner Re- 
sultate beschäftigt, die einschlägige Literatur genauer durchsuchte, 
als es mir die Zeit in Neapel. gestattete, fand ich im anatomischen 
Anzeiger No. 11 Cattaneos Arbeiten aufgeführt. 

Am 7. Mai dieses Jahres erst gelang es mir, durch die Güte 
des Herrn Professor Bergonzini in Modena, die Arbeiten zur 
Einsicht zu erhalten, und ich war nicht wenig überrascht, darin, 
was die normale Gestalt der Leukocyten anbetrifft, meine eigenen 
Resultate in der Hauptsache wiederzufinden. Ich glaubte dies 
Alles nicht unerwähnt lassen zu dürfen, um die völlige Unab- 
hängigkeit meiner Untersuchungen mit denen Cattaneos zu 
constatiren. 

Von Süsswasseracephalen hat Gattaneo Anodonta cygnea 
und Unio pietorum, von marinen Formen nur Tellina radiata un- 
tersucht, während sich meine Beobachtungen über den grössten 
Theil der in Neapel erhaltbaren marinen Formen, ferner über 
Anodonta, Unio und Dreyssena, sowie über einige nördliche ma- 
rine Arten erstrecken. 

Durch den Umstand, dass Cattaneo und ich von einander 
unabhängig, hinsichtlich der Gestalt der Leukoeyten, zu denselben 
Resultaten gelangten, dürfte die Deutung der Beobachtungen an 
Sicherheit gewinnen. | 

Auf die Herkunft der Leukocyten, sei es embryonal oder 
postembryonal, eine Frage, welche durch die Ansichten Rabl’s'), 
der sie für den Hühnerembryo für freigewordene Epithelien hält, 
durch Cue@not's?) Untersuchungen, die alle Thierklassen berück- 
sichtigen, sowie durch die Angaben Kükenthal’s®) über die 
Entwicklung der Iymphoiden Zellen der Anneliden, eine brennende 
geworden ist, kann ich in diesen Mittheilungen für die Mollusken 
nicht näher eingehen, da eigene Beobachtungen sich bis jetzt 
nicht in positive Resultate zusammenfassen lassen. Es sei nur 


1) Rabl, Ueber die Prinzipien der Histologie. Verhandl. d. anat. 
Ges. Jena, Fischer 1889, S. 55, mit Diskussion; Kölliker, Ibid. S. 59. 

2) Cuenot, a.2.0. 

3) Kükenthal, Ueber die lIymphoiden Zellen der Anneliden. 
Jen. Zeitschr. f. Naturw. Bd. 18, N. F. Bd. 11. 1885, S. 319 ff. 


54 Griesbach: 


bemerkt, dass nach Cu&not bei den Acephalen Iymphdrüsen- 
artige Organe in den Kiemen liegen und das durch das Vas 
afferens einströmende Blut die von diesen. Drüsen gebildeten 
zelligen Elemente mit sich führen soll. Die Iymphoiden Zellen 
der Anneliden werden nach Kükenthal!) im vorderen Abschnitte 
des Körpers auf zwei Arten gebildet. „Entweder schnüren sie 
sich von den grossen bindegewebigen, das Bauchgefäss umgeben- 
den Zellen ab, oder sie entstehen durch Loslösen von Zellen der 
Leibeswand.“ Von besonderen drüsigen Organen erwähnt Kü- 
kenthal nichts. Für eine Art der Zellen liefert die Oberfläche 
der Rückengefässwand gelbbraune Inhaltskörner, so dass man 
gekörnte und ungekörnte Zellen unterscheiden kann. Das Vor- 
handensein verschiedenartiger Leukoeyten in der Blutflüssigkeit 
von Vertretern der verschiedensten Thierklassen wird von den 
meisten Autoren, die sich eingehend mit dem Thema beschäftig- 
ten, besonders betont. 

Heitzmann?) und Frommann?) unterscheiden im Krebs- 
blute hinsichtlich der im Zellenleibe enthaltenen Granulationen 
Körner- und Körncehenzellen. Bei niederen Wirbellosen sind nach 
Metschnikoff*) ähnliche Verhältnisse vorhanden. Geddes?) 
beschrieb gewöhnliche und feinkörnige Blutzellen bei Krebsen, 
und hyaline und granulirte Zellen bei Echinodermen®). Lav- 
dowsky’”) findet im Amphibienblute homogene und körnige Leu- 
koeyten und hat auch bei Säugethieren und beim Menschen beide 
Arten von Zellen aufgefunden. Bergonzini°) unterscheidet bei 


1) Kükenthal, a. a. 0. 8. 337. 

2) Heitzmann, Untersuchungen über das Protoplasma etc. 
Sitzungsber. der K. Akad. der Wiss., math.-naturw. Classe. Bd. 67, 1873. 
3. Abth. S. 100 ff. 

3) Frommann, a.a.0. 

4) E. Metschnikoff, Untersuchungen über die intracelluläre 
Verdauung bei wirbellosen Thieren. Arbeiten aus dem zoolog. Inst. 
Wien. Vol.5. 1883. 

5) Geddes, a.a. 0. S. 252. 

6) Geddes, Observations sur le fluide perivisceral des Oursins. 
Arch. de Zool. exper. Vol. VIII. 1879/80, No. 4. 

7) Lavdowsky, Mikroskopische Untersuchungen einiger Lebens- 
vorgänge des Blutes. Virchow’s Arch. Bd. 96. 1888. Heft 1, S. 62. 179. 

8) Bergonzini, ‚Sopra alcuni metodi nuovi di colorazione mul- 


tipla. Atti della Societä dei Naturalisti di Modena. Ser. 3. Vol. IX. 1890. 


2 m 


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Beiträge zur Histologie des Blutes. 


Besprechung seiner Färbeversuche dreierlei Formen: „di globuli 


piecoli col nucleo verde e lo scarso protoplasma incoloro, di 
globuli grossi pure col nucleo verde e il protoplasma abbondante 
ma incoloro, e di globuli granulosi col nucleo verde, ed i grossi 
granuli del protoplasma colorati in rosso mattone.“ Ehrlich!) 
unterscheidet mehrere Formen, während nach Renaut?) die 
Leukoeyten des Menschen und der Säugethiere im Allgemeinen 
gleichartige Beschaffenheit besitzen. 

Wie Cattaneo finde ich im Blute der Acephalen zwei 
charakteristische Arten von Leukocyten. Bei der einen Art sehe 


-ieh den Zellenleib mit verhältnissmässig groben, farblosen, in 


einzelnen Fällen grünlich schimmernden, stark, aber einfach licht- 
brechenden Körnern oft vollgestopft (Fig. 1labe, 12, 16, 17ab, 
22), bei den anderen finden sich solehe Körner nicht (Fig. 13, 
14, 15, 19b, 24a, 26), oder nur in geringer Zahl (Fig. 17e, 18, 20, 
21, 26a! bt). Bei der Betrachtung der mit groben Körnern er- 
füllten Zellen habe ich wohl den Eindruck erhalten, als seien 
diese Körner keine eigenen histologischen Bestandtheile und Struk- 
tureigenthümlichkeiten der Zellsubstanz, sondern vielmehr Gebilde, 
welche von der Zelle irgendwo aufgenommen und transportirt 
werden, um unter bestimmten Verhältnissen an irgend welchen 
Orten wieder ausgeladen zu werden. Ich bin natürlich weit da- 
von entfernt, auf einen solchen Eindruck hin eine Hypothese auf- 
zustellen. Ob diese Körner der Zelle als wesentliche Bestand- 
theile angehören, ob sie irgendwo aufgenommen werden, zeitweilig 
oder immer darin bleiben, welche Bedeutung sie intra vitam haben, 
ob sie überhaupt in einer physiologischen Beziehung zur Zelle 
selbst stehen, darüber haben mir bis jetzt eigene Untersuchungen 
keinen Aufschluss gegeben). Mit Rücksicht auf die Beobach- 


1) Ehrlich, Methodologische Beiträge zur Physiologie und Pa- 
thologie der Leukocyten. Zeitschr. f. klin. Medizin. Bd. 1. 1888. 

2) Renaut, Arch. de Physiologie et Pathologie. 1881. S. 649. 

3) Ueber die Körner in den Blutkörperchen der Amphibien sagt 
Lavdowsky a.a.0. S. 72: „Mehrere haben die Eigenschaften des 
Fettes, sind also Fettpartikelchen, die anderen scheinen Eiweisskör- 
perchen zu sein, die lebhaft an die Zymogenkörnchen der netzkörni- 
gen Zone der Pankreaszellen erinnern. Die dritten endlich — seltener 
vorkommende und weniger lichtbrechende Körnchen — sind entweder 
glycogenähnliche Klümpchen, wie sie so oft bei Säugethieren vorkom- 
men, oder Pigmentkörnchen,“ 


56 Griesbach: 


tungen von Cuenot und Kükenthal verdienen diese Fragen 
besondere Beachtung, und weitere Untersuchungen müssen eine 
Aufklärung zu geben bestrebt sein. 

Auffallend muss es erscheinen, dass die Zahl der gekörnten 
Zellen häufig eine sehr schwankende ist; manchmal sind sie 
ausserordentlich zahlreich, manchmal in nur geringer Menge vor- 
handen, manchmal scheinen sie fast zu fehlen, so dass man suchen 
muss, um einige zu finden. Auf ihr Vorkommen scheinen auch 
die Lebensbedingungen ihrer Besitzer, je nachdem dieselben frisch 
zur Untersuchung herangezogen, oder längere Zeit in der Gefan- 
senschaft gehalten wurden, nicht ohne Einfluss zu sein. Doch 
weiss ich auch darüber nichts Bestimmtes auszusagen. Abgesehen 
von der Körnelung, habe ich hinsichtlich der Gestalt und Be- 
schaffenheit, also im histologischen Sinne, zwischen beiden Zell- 
formen keine nennenswerthen Unterschiede auffinden können. In 
den Dimensionen weichen sie wohl von einander ab, indem die 
Körnerzellen oft grösser und massiger erscheinen ; auch die Pseu- 
dopodien der letzteren fand ich häufig kürzer und weniger gracil. 

In sehr eingehender Weise besprichtt Frommannt) die 
Körnerbildungen der Krebsblutkörper, doch beziehen sich diese 
Besprechungen auf die unter nicht mehr natürlichen Bedingungen 
eintretenden „spontanen“ Veränderungen, welche sich an den 
Zellen auf dem Objeetträger ereignen. Diese Veränderungen be- 
stehen in einer Vacuolisirung der Körner, in Formveränderung, 
Theilung und Verschwinden derselben, in ihrer Theilnahme an 
der Bildung von Kernen, in der Entstehung von allerhand Faden- 
bildungen im Zellenleibe ete.. Der Autor zweifelt nicht daran, 
dass alle derartigen Vorgänge als Lebenserscheinungen des Pro- 
toplasmas aufzufassen seien, hält es aber für fraglich — Flem- 
ming?) fügt hinzu: „gewiss mit Recht* — ob dieselben im 
lebenden Organismus im derselben Weise verlaufen. Ich habe 
diese Dinge nicht eingehender berücksichtigt. 

An den Leukoeyten der Acephalen, die unmittelbar nach 
der Entfernung aus dem Kreislauf in der angegebenen Weise fixirt 
wurden, also Verhältnisse repräsentiren, wie sie noch gerade vorher 


1) Frommann, a.a. 0. S.1 bis 49 und in vorherigen Abhand- 
lungen in der Jen. Zeitschr. f. Naturw. 1875, Bd. 9 u. 1880, Bd. 14. 
2) Flemming, Zellsubstanz etc. S. 15. 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 57 


_ am lebenden Organismus existirten, konnte ich derartige Verän- 
derungen nicht ceonstatiren. Die Grösse der Körner in den fixirten 
Zellen schwankt im Allgemeinen zwischen 1 und 2,5 u, doch 
- können diese Dimensionen nach dem Mehr oder Weniger zu über- 
_ sehritten werden. Ich sah die Körner in den meisten Fällen ku- 
geligz, bei Osmiumfixirung erscheinen sie oft geschwärzt; bei 
_ verschiedener Einstellung empfängt man an den fixirten Präpa- 
raten allerdings manchmal den Eindruck, als hätte man es mit 
hohlen Gebilden zu thun. 
{ Ich schreite jetzt zur Schilderung der übrigen Strueturver- 
hältnisse der Leukocyten. „Es hat sich herausgestellt“, sagt 
- Leydig, indem er von der Zelle im Allgemeinen spricht), dass 
_ eine festere Substanz in Form eines Gerüstwerkes den Zellkörper 
- durchzieht ; dieselbe lässt sich wiederum zerlegen in ein derberes, 
welches desshalb leichter in die Augen fällt und dessen Gefüge in ty- 
pischer Weise verschieden ist nach der Art der Zelle, und in ein 
feineres Netzwerk, welches man meist nur stellenweise mit emi- 
ger Sicherheit zu erkennen vermag, am ehesten in seinem Ab- 
_ gange vom derberen Balkenwesen.“ „Die vom Gerüstwerk um- 
- schlossenen Räume sind eingenommen von der zweiten Substanz 
des Zellenleibes, welche nach ihren physikalischen Eigenschaften 
als weicher, heller, halbflüssiger Zwischenstoff erscheint. und nach 
_ Maassgabe unserer Hülfsmittel der Untersuchung von gleichartiger 
Natur ist; nur so viel lässt sich noch da und dort erkennen, dass 
er abermals von einem feinsten Netzwesen durchzogen wird.“ 
An einer anderen Stelle ?) heisst es: „In Bau und Anordnung der 
Elemente des Gerüstes macht sich insofern ein Wechsel bemerk- 
lich, dass die Bälkehen im der einen Zelle feiner, in der anderen 
 gröber sind, auch das Netzwesen im Ganzen bald eng-, bald weit- 
maschiger auftritt.“ 

Flemming schildert den Bau der Zellsubstanz im Allge- 
meinen in gleicher Weise, nur findet er kein Recht die Faden- 
werke ohne Weiteres netzförmig zu nennen ?). Rabl*) findet es 
„oft ungemein schwer, wenn nicht geradezu unmöglich, zu ent-“ 


1) Leydig, Zelle und Gewebe S. 34, 36. 
2) Leydig, Zelle und Gewebe 8.3. 

3) Flemming, Zellsubstanz etc. S. 58. 
4) Rabl, a.a. 0. S. 298. 


>85 Griesbach: 


scheiden, ob die Fäden nur über- und aneinander vorbeiziehen, 
oder mitemander in netzförmige Verbindung treten.“ 

Das Fadenwerk macht auf ihn „in den meisten Zellenarten 
den Eindruck, als ob es in der Nähe des Kernes ein schwammi- 
ges oder netzförmiges Gefüge besässe, im Sinne Leydig’s, und 
sich gegen die Peripherie, entweder allseitig, oder nur an bestimmten 
Stellen, Fäden, Stäbchen, Balken, Plättchen u. dgl. aus dem cen- 
tralen Netzwerke entwickelten, die untereinander nicht mehr netz- 
förmig in Verbindung treten.“ 

Was speciell die Structur der Leukoceyten anbelangt, so sei 
hier hinsichtlich der Ansichten der Autoren Folgendes bemerkt. 
Flemming!) sieht in der Zellsubstanz derselben bei Salamandra 
eine sehr zarte verwaschene Zeichnung; dass dieselbe einem Fa- 
denbau entspricht, hält er unter Vergleich mit anderen Zellenarten 
für wahrscheinlich, um so mehr, da ein soleher in den Leuko- 
cyten des Flusskrebses von Heitzmann und Frommann fest- 
gestellt wurde. Ob diese Fadenstructur aber ein „überall in sich 
zurücklaufendes Netzwerk“ repräsentirt, lässt er zweifelhaft. 

In den Blutkörperchen der Larve von Cetonia aurata sah 
Leydig?) ein Balkennetz im Plasma, und in "den Leukocyten 
insbesondere der Insekten, Krebse, Gastropoden und Anneliden 
sowie in den Blutzellen von Wirbelthieren (Triton), Larve von 
Salamandra maculosa ist überall, gehörige Vergrösserung voraus- 
gesetzt, das Plasmanetz nachweisbar ?). Bei Anneliden unter- 
scheidet Kükenthal®) an den Iymphoiden Zellen eine äussere 
sehr dünnflüssige und eine innere zähere Schicht; dasselbe Ver- 
halten findet sich in den gleichartigen Zellen der Polychaeten?°); 
über Fadenstrueturen habe ich in diesen Arbeiten keine Angaben 
gefunden. | 

Die grobkörnigen Elemente des Amphibienblutes bestehen 
nach Lavdowsky®) aus einer homogenen, aber doch ein 
schwach lichtbrechendes Fadengerüst enthaltenden, manchmal 


1) Flemming, Zellsubstanz 8. 47. 
2) Leydig, Untersuchungen etc. S. 97. 
3) Leydig, Zelle und Gewebe 9.3. 
4) Kükenthal, a.a.O. S. 322. 
5) Kükenthal, Die Iymphoiden Zellen der Polychaeten. Jen. 
Zeitschr. f. Naturw. 1885. Bd.18, S. 357. 
„&) Lavdowsky, a.a.0. 8.72. 


- 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 59 


Vacuolen einschliessenden, isotropen, contractilen Grundsubstanz, 
und einer darin enthaltenen, undurchsichtigen, aus Körnchen be- 
stehenden, manchmal anisotropen, nicht contractilen Masse. 

Für diese verschiedenen Substanzen, aus denen jede Zelle 
zu bestehen scheint, existiren fast ebenso viele Benennungen als 
Autoren, welche sie beschrieben haben. Wenn man bei der Be- 
nennung historisch zu Werke gehen wollte, so müsste man wohl 
auf dievon Frommann gebrauchte zurückgreifen, welchen Flem- 
ming bei der Besprechung der Literatur in seinem Werke: Zell- 
‚substanz ete. als Entdecker der Plasmastructuren hinstellt. Flem- 
ming selbst und viele andere Forscher haben andere Namen ge- 
raucht. „Es muss nicht Alles griechisch klingen“, meint Rabl, 
und greift daher zu — lateinischen Namen. Welche von alle 
den vorgeschlagenen Bezeichnungen nach unserer heutigen Kennt- 
niss vom Bau des Zellenleibes die zutreffendsten sind, lässt sich 
schwer entscheiden. — In den Leukocyten der Acephalen sehe 
ich mit aller Deutlichkeit ebenfalls zwei verschiedene Substanzen. 
Da ich mit Sicherheit aber nicht anzugeben vermag, ob nur eine 
von ihnen oder beide einen wirklich fädigen Bau besitzen oder 
nicht so werde ich bestimmte, darauf bezügliche Bezeichnungen 
‚vermeiden. 

Cattaneo!) findet in den Blutkörperchen eine contractile, 
netzartige Substanz, auf deren Fadenbau er nicht näher eingeht, 
und eine nicht contractile, halbflüssige, homogene Masse, welche 
die Maschen des Netzes ausfüllt. An den mit Osmiumsäure, Pi- 
. krinschwefelsäure, Chromosmiumessigsäure oder Goldehlorid fixirten 
_Blutzellen erblicke ich zunächst eine eigenthümliche Zeichnung, 
ähnlich wie die, welche Leydig?) von den Blutkörperchen von 
“ Salamandra maculosa giebt, und welche ich in Fig. 12,13 ab, 
 19b darzustellen versucht habe. Man empfängt den a 
als besitze der Zellenleib eine schwammige Beschaffenheit in der 
_ Art, dass eine, bis zu einem gewissen Grade consistente Mässe 
ehlreiche grössere und kleinere, mit einander in Verbindung 
stehende Räume zwischen sich lässt, welche von einer weicheren 

Substanz ausgefüllt werden. Die spongiöse Masse besitzt nach 
der Peripherie der Zelle hin keine besondere Begrenzungsmem- 


| 1) Cattaneo, a.a. 0. 8. 24. 
= 2) Leydig, Zelle und Gewebe. Taf. II, Fig. 6. 


60 Griesbach: 


bran, und die in den Hohlräumen eingelagerte weichere Substanz 
steht ebenso wie der peripherische Theil der Spongiosa mit dem 
umgebenden Medium in direeter Berührung. Die auf die Zell- 
oberfläche eingestellte Linse entwickelt das Bild einer unregel- 
mässig mosaikartigen Zeichnung, in welcher helle und dunkle 
Stellen ohne bestimmte Anordnung abwechseln. Dieses Bild wird 
dadurch hervorgerufen, dass man sowohl auf die nach der Peri- 
pherie zu frei liegenden Grenzgebiete der Spongiosa, als auch auf 
die in ihren Hohlräumen eingebettete Substanz blickt, welche sich 
oftmals ausnimmt, als wäre sie im Begriff aus diesen hervorzu- 
quellen (Fig. 12). Die dunklen Stellen, glaube ich, werden von 
der Spongiosa, die hellen von der Zwischensubstanz gebildet. 
Verbindet man mit der Fixirung zugleich Färbung, so wird das 
Bild deutlicher. 

Bekanntlich werden viele unserer brauchbarsten Farbstoffe 
durch Säuren derartig umgewandelt, dass Niederschläge entstehen, 
welche die Färbung beeinträchtigen, oder ganz verhindern. Die 
Osmiumsäure ist aber derartig beschaffen, dass sie sich mit Farb- 
stofflösungen, und wie es scheint, in beliebigen Verhältnissen 
mischen lässt, ohne dass Zersetzungen entstehen, welche von 
Niederschlägen begleitet sind. Sie verträgt sich beispielsweise 
mit Methylgrün, Eosin, Safranin, Rhodamin und manchen ande- 
ren schon genannten Farbstoffen. Lässt man nun das durch 
Herzpunetur entleerte Blut in eine solche Mischung fallen — ich 
bewerkstelligte dies am besten in einem Uhrschälehen — hebt 
dann nach einiger Zeit etwas von derselben mit der Pipette her- 
aus und untersucht im hängenden Tropfen, oder zwischen Ob- 
jeetträger und Deckglas, welches letztere, um Zertrümmerung der 
zelligen Elemente durch Druck zu verhindern, mit einem Oel- 
oder Oelfarbenrahmen versehen wurde, so findet man die Zellen 
gleichzeitig fixirt und gefärbt. Auch Pikrinschwefelsäure fixirt, 
wie ich schon angegeben habe, die Zellen. Mit dieser jedoch 
vertragen sich Farbstoffe im Allgemeinen sehr schlecht. Mischt“ 
man sie aber mit der farblosen Rosanilinbase und erwärmt, so. 
erhält man eine prachtvolle rothe Farbstofflösung, welche (nach 
dem Filtriren) gleichzeitig fixirt und färbt. Chromosmiumessig- i 
säure, welche sich mit Farbstofflösungen gemischt in Bezug auf 
Umsetzungen ähnlich verhält wie Pikrinschwefelsäure, giebt mir” 
nach dem Erwärmen mit Hexamethylleukanilin eine fixirende und 


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| 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 61 


Pr‘ 


färbende Lösung, doch ist der violette Farbenton nur schwach 
und diffus und giebt weniger brauchbare Bilder. Bei Anwendung 
von Goldehlorid zur Fixirung habe ich auf Färbung verzichtet, 
_ da ich keinen geeigneten Farbstoff finden konnte. Brauchbare 
Bilder aber liefert noch die erwähnte Lösung von Jod in Jod- 
kalium (Fig. 19 ab), die sich auch mit Osmium-, Pikrinschwefel- 
und Chromosmiumessigsäure, nicht aber mit Goldehlorid mischen 
lässt. 

Wendet man nun eine dieser genannten Fixirungs- und 
"Tinetionsmischungen an, so findet man die spongiöse Substanz 
der Ilweukocyten mit dem betreffenden Farbenton dunkel, die 
Zwischensubstanz dagegen hell gefärbt. Noch instructiver wird 
das Bild, wenn man Mehrfachfärbung verwendet. Bei dem 
Mischen der Fixirungsmittel mit zwei verschiedenen Farbstoff- 
lösungen kommt aber noch der Umstand in Betracht, ob sich 
auch diese untereinander und mit dem Fixativ vertragen. Von 
mehreren Dutzend daraufhm geprüften Substanzen habe ich nur 
zwei gefunden, welche sich untereinander und mit Osmiumsäure 
mischen lassen, nämlich Methylgrün und Rhodamin. Wenn ich 
dieses letztere Gemisch anwende, so erblicke ich bei schwächeren 
Vergrösserungen in den Leukoeyten die Zellsubstanz blaustichig 
roth, den Kern grün gefärbt; wähle ich aber bei denkbar bester 
Beleuchtung starke Immersionslinsen, so offenbart sich sowohl in 
der Zellsubstanz, als auch im Kern eine Doppelfärbung. Die 
Spongiosa erscheint dunkel blauroth, die Zwischensubstanz violett- 
roth, im Kern tritt das Gerüst blaugrün, die Zwischensubstanz 
roth hervor. Ich habe versucht ein solches Bild in der Fig. 
14 wiederzugeben. Ich will noch erwähnen, dass die Farben- 
töne, je nach dem Concentrationsgrad der Lösungen sich etwas 
nüanciren. 

Ich habe auch versucht, die Leukocyten im Innern des le- 
benden Organismus zu färben. Zu diesem Zwecke legte ich die 
frisch gefangenen Thiere in verschieden concentrirte Lösungen 
von Eosin, Methylgrün, Methylenblau u. s. w. Bei marinen Formen 
wurden die Lösungen mit Meerwasser angesetzt. Der Herzstich 
wurde in den verschiedensten Zeitintervallen vorgenommen. Kowa- 
lewsky !) giebt an, dass er Lymphkörperchen des Frosches auf 


w 
> 


1) Kowalewsky, Ueber das. Verhalten der morphologischen Be- 


62 3riesbach: 


dem Deckglas „intra vitam“ (!) mit Methylenblau gefärbt habe. 
Dem gegenüber möchte ich bemerken, dass dieser, sowie auch 
die übrigen genannten Farbstoffe durch Diffusion allerdings in 
die Gewebe der Muscheln, insbesondere auch in das Blut hinein- 
dringen; dass aber eine Färbung der in ihrer Funktion nicht 
geschwächten Leukoeyten ausbleibt. Nach Herzstich und Fixi- 
rung der Zellen sieht man im Präparat Methylenblau im Blut- 
plasma, die Zeilen aber erscheinen so lange farblos, als sie noch 
die normale Gestalt aufweisen. Erst nach längerer Einwirkung 
der Farbstofflösungen (22 bis 36 St.) erhielt ich durch Herzstich 
gefärbte, dann aber auch in ihrer Form veränderte Leukocyten. 
Auch andere lebende Zellen setzen dem Eindringen von Anilin- 
farben Widerstand entgegen. Ich habe hierauf früher schon mehr- 
fach aufmerksam gemacht!) Buchner?) findet ein ähnliches 
Verhalten bei Baecterien, namentlich Typhusbacillen. Fixirt man 
die noch unveränderten Leukocyten nicht und beobachtet als- 
bald, so sieht man, unter der für diesen Zustand charakteristi- 
schen Form, den Farbstoff allmählich aus dem Blutplasma in 
dieselben eindringen, die anfangs schwächere Färbung wird aber 
nach kurzer Zeit ausserordentlich intensiv. Namentlich ist es 
(ie Spongiosa, welche deutlich gefärbt ist und nun bei Anwen- 
dung starker Systeme einen mehrfädigen Bau repräsentirt, wie 
ich diesen in der Figur 15a b) wiederzugeben versucht habe. 
Damit soll nieht mehr ausgedrückt werden, als in dem Begriff 
„fädig“ liegt, dass sich nämlich die Struetur zarter und feiner 
als gewöhnlich darstellt. Die Frage, ob dabei die einzelnen 
Theilstücke noch aus feinsten Fibrillen bestehen und nach allen 
Dimensionen des Raumes netzartig verknüpft sind, wird in die” 
Bezeichnung nieht eingeschlossen. An einzelnen Stellen kann 
sich. der Farbstoff massig anhäufen (Fig. 15a bbeif). Die unter” 
den verschiedensten Formen ausgetretene Zwischensubstanz bleibt 
farblos. | N 


standtheile der Lymphe und des Blutes zu Methylenblau. Anat. Anz. s 
1888, No.2 u.3, 8.53 ff. | 
1) In der Zeitschrift f. wiss. Mikroskopie Bd. III, IV, V. | 
2) Buchner, Färbungswiderstand lebender Pilzzellen. Gesellsch. 
f. Morphol. u. Physiol. München. Sitz. v. 6. Mai 1890. Ref. Münch. med. | 
Wochenschrift. 1890. No. 29, S. 510.- 


. 


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“ 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 63 


O.Hertwig!) hat mit Methylenblau am thierischen Ei ex- 
perimentirt und kommt zu dem Schluss, dass je nach dem Grade 


_ der Farbstoffspeicherung, worunter er eine gleichmässig diffuse 


Verbreitung des Farbstoffes im ganzen Dotter versteht, die Eier 
in ihrer Lebensthätigkeit geschwächt sind. Zu demselben Schluss 
gelange ich durch obige Versuche für die Leukoeyten der Ace- 


phalen. Ich muss hier bemerken, dass ich zwischen der Färbung 


des Zellenleibes in toto und der Speicherung des Farbstoffes in 
einzelnen Abschnitten des Zellenleibes oder Kernes in Form 


äusserst fein vertheilter Partikelehen unterscheide. Ohne hier 


näher auf diese Dinge einzugehen, möchte ich nur erwähnen, 
dass unter Beibehaltung der oben geschilderten Methode die Leu- 
koeyten einiger Accephalen aus einer wässerigen Lösung von 
Kaliumhypermanganat braune Substanzen (MnO, Mn,0,?) in Form 


- feiner Partikelehen zu reduciren vermögen. 


Auf ein anderweitiges Verhalten der nicht mehr unter nor- 
malen Verhältnissen befindlichen Zellen gegen Reagentien und 
Farbstofflösungen will ich hier nicht näher eingehen, doch soll 
kurz bemerkt werden, dass ich hinsichtlich eines solchen im All- 
gemeinen die Angaben Frommann’s ?), welche er für Krebsblut- 
körperchen macht, auch für die Leukoeyten der Acephalen be- 
stätigen könnte. - 

Ob die spongiöse Substanz nach Art eines Gerüstwerkes 
den ganzen Zellenleib durchsetzt, wie es allerdings den Anschein 
hat, ob ihr Bau dabei überall gleichartig beschaffen ist, ob sie 
sich mit noch geeigneteren Hülfsmitteln, als ich sie verwendete, 
als ein Faden- oder Netzwerk im Sinne mancher Autoren dar- 
stellen würde, und ob dann die Netzfäden noch eine fibrilläre 
oder granulirte Beschaffenheit zeigen würden, darüber kann ich 
nichts Bestimmtes angeben. Auch an der Zwischensubstanz ist 
es mir mit Hülfe der besten Linsen nicht gelungen, eine Faden- 
oder Netzstruetur zu constatiren. Nur an nicht fixirten Zellen, 
in welchen durch Einwirkung von Essigsäure eine Zerreissung 
im Zusammenhange des Zellenleibes erfolgt war, schien es mir 


1) O0. Hertwig, Experimentelle Studien am thierischen Ei vor, 
während und nach der Befruchtung. Theil I. Jena. Fischer. 1880. 
S. 33—37. 

2) Frommann, Untersuchungen über Structur ete. S. 71—115, 


64 Griesbach: 


einige Male, als wäre die weit ausgetretene Zwischensubstanz, 
welche den Kern zugleich beherbergte, von blassen fein granu- 
lirten Streifen durchzogen (Fig. 16). In wie weit aber derartige 
Bilder der structurellen Beschaffenheit entsprechen, in wie weit 
sie durch Einwirkung der Reagentien künstlich erzeugt werden, 
wage ich nicht zu entscheiden. 

Vacuolen konnte ich in den gut fixirten Zellen nieht ent- 
decken, doch will ich die Möglichkeit ihres Vorkommens nicht 
bestreiten. Manchmal werden grössere vaecuolenähnliche Bil- 
dungen meiner Ansicht nach vorgetäuscht, indem die Spongiosa 
während der Einwirkung des Fixativs an einer oder mehreren 
Stellen auseinanderweicht, so dass die mehr oder weniger deut- 
lieh durchscheinende Zwischensubstanz sich wie ein Kkugeliges 
Gebilde ausnimmt (Fig. 17abe bei v.. In den nicht fixirten, 
während ihrer Bewegungen beobachteten Zellen dagegen bemerkte 
ich bläschenförmige Einschlüsse, welche wohl mit Recht als Va- 
cuolen angesehen werden können. Die Grenze des oft die Ge- 
stalt wechselnden Bläschens hebt sich so deutlich von der um- 
gebenden Zellsubstanz ab, dass es den Anschein gewinnt, als 
wäre sie em zartes Häutehen. Der Umstand aber, dass ich 
(diese Gebilde nur in nicht fixirteu Zellen fand, spricht dafür, dass 
sie durch irgendwelche physikalische oder chemische Einwir- 
kungen entstandene Neubildungen sind. 

Die Leukoeyten strecken bekanntlich Pseudopodien aus, 
und ich komme jetzt bei der Besprechung dieser zu einem wich- 
tigen Punkte: Gestalt und Zahl der Pseudopodien erscheinen an 
den normalen Zellen in den unverletzten Gefässbahnen anders !) 
als an solehen, die ohne Fixirung aus dem Blute entleert wur-” 
den. Darüber giebt gerade die letztere Aufschluss. Woher kom- 
nen nun diese Fortsätze und in welcher Beziehung stehen sie 
zu den beiden Substanzen des Zellenleibes? Ich weiche in der” 
nachfolgenden Darstellung von den Angaben Cattaneo’s ab, 
mit dem Bemerken, dass ich der Möglichkeit der Richtigkeit sei- 
ner Angaben nicht entgegentrete. Die vorliegenden Verhältnisse 


, 

1) Neuerdings bildet A. Kölliker in der neuen Auflage seines” 
Handbuches der Gewebelehre (Leipzig, Engelmann 1889) die normalen 
Pseudopodien der 2 bephıtlörperchen ab, S. 69 Fig. 46a,b,c,d, hai | 
aber näher darauf einzugehen. 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 65 


‚sind so ausserordentlich subtil, dass man bei der Entscheidung, 
welches der wahre Sachverhalt sei, nicht vorsichtig genug zu 
Werke gehen kann. Ich darf aber, was ieh mit meinen Metho- 
den gesehen habe, angeben. Nach Cattaneo werden die Pseu- 
 dopodien vom Ektoplasma, dem contraetilen und retieulirten 
Hyaloplasma, wie er es nennt, ausgestreckt. Betrachtet man eine 
gut fixirte Zelle mit mittleren Vergrösserungen, so hat es in der 
- That den Anschein, als ständen die Pseudopodien in directem 
Zusammenhange mit dieser Substanz (Fig. 11a, 17, 18,20, 26 a! 
bis g1). An Stellen, von welehen die Pseudopodien ausgehen, 
scheint dieselbe allmählich in die verbreiterte Basis des Fortsatzes 
 überzugehen. Aber dies dürfte nur Schein sein! Wenn ich 
fixirte und gefärbte Leukocyten mit starken Systemen betrachte, 
so fällt mir zunächst der Umstand auf dass sich irgendwo an 
der Basis des Fortsatzes ein quer über demselben verlaufender 
Contour bemerklich macht (Fig. 12, 13, 14, 19a, 21b). Dieser 
kann als die periphere Begrenzung der Spongiosa betrachtet wer- 
den, über welche hinaus der Fortsatz verfolgbar ist. Demselben 
ist ein gewisser Zusammenhang mit der Spongiosa nicht abzu- 
- sprechen, man braucht aber nicht anzunehmen, dass er ein Theil 
- derselben ist. Ich glaube vielmehr, dass es die Zwischensubstanz 
ist, Cattaneo’s Sarkode oder Enchylem (Entoplasma), welche 
die Eigenschaft der Contractilität besitzt und aus den Zwischen- 
räumen der” Spongiosa in verschiedener Weise austritt. Oftmals 
mag die Zwischensubstanz an der gesammten Peripherie der Zelle 
_ aus den Räumen der letzteren hervortreten und eine mehr oder 
weniger voluminöse Zone um dieselbe bilden (Fig. 13b). In den 
meisten Fällen fliesst sie an einer Stelle (Fig. 11a, 12, 13, 18a, 
26a!e!) oder an zwei Polen (Fig. 14, 17ab, 18be, 20b e, 
26e! d!f!g!), oder an mehreren, doch nur in geringer Zahl vor- 
handenen-Stellen (Fig. 17, 20a, 21) zu Pseudopodien zusammen. 
Da es in- den letzteren zu einer gewaltigen Anhäufung der Zwi- 
schensubstanz kommt, so ist es leicht verständlich, dass die nicht 
absolut starre Spongiosa an solehen Orten in der Richtung des 
Zuflusses der Zwischensubstanz, also in der Längsrichtung der 
Pseudopodien, sich ebenfalls bis zu einem gewissen Grade aus- 
dehnt und den Fortsatz eine Strecke weit wie mit einer schützen- 
den Scheide umhüllt (Fig. 14, 19a, 21b). Der Zellenleib erscheint 
auf diese Weise an solchen Stellen verschmälert, so dass die ganze 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 5 


66 Griesbach: 


Zelle bei uni- oder bipolar entwickelten Pseudopodien eine ovale, 
bei multipolar entwickelten Fortsätzen eine mehr oder weniger 
polygonale Gestalt aufweist. Ebenso leuchtet es ein, dass bei 
retrahirter Zwischensubstanz die Zelle eine mehr kugelige Form 
repräsentirt (Fig. 11b). Ich lasse es dahingestellt, ob die Zwi- 
schensubstanz, wenn sie überhaupt das contractile Element ist, 
im normalen Zustande so weit zurückgezogen werden kann, dass 
sie sich, ohne über die peripheren Ränder der Spongiosa hinwegzu- 
ragen, ganz in den Hohlräumen der letzteren zu verbergen vermag. 

‘ Für den Umstand, dass es die Zwischensubstanz ist, welche 
Pseudopodien bildet, spricht das Bild, welches Färbung, nament- 


lich Doppelfärbung-+mit Methylgrün und Rhodamin erzeugt, wobei. 


sich, wenn diese Färbung gut gelungen ist, die Zwischensubstanz 


violettroth färbt und aueh die Fortsätze ın demselben Farbenton 


nur, blasser erscheinen, während die Spongiosa dunkel blauroth 
aussieht). ” 

Bei dieser Deutung glaube ich mich im Einverständniss 
mit Leydig?) zu befinden, welcher der Ansicht ist, „dass die 


weichere Zwischensubstanz der Zelle das erst Bewegliche sein 


möge“. Er verlegt in sie den Sitz der Contraetilität und fasst 


sie, da sie aus dem Gerüstwerk der Zelle gleichsam hervorkriecht 
und Fortsätze auszustrecken vermag, als Träger der Bewegung 


auf. — Es würde mich zu weit führen hier auf die Membran- ° 


 \ 


bildufg der Zeile nochmals näher einzugehen. Im histologischen ° 


Sinne fehlt den Leukoeyten selbstverständlich eine solche. Wenn 
ich vom Fehlen einer Membran im histologischen Sinne rede, so 
vergesse ich dabei den Umstand nicht, dass jede plasmatische 
Substanz eine Grenze aufweist, welche Bütschli?) der Haut- 


1) Hinsichtlich dieser Doppelfärbung möchte ich hier bemerken, 


dass sie sich füm die Untersuchung frischer Präparate recht wohl 


eignet. Mit Dauerpräparaten aber ist es recht unglücklich bestellt. 


Die Farben bleichen ganz: oder theilweise aus, oder erscheihen diffus. 
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieser unerfreuliche Umstand durch 
das Glycerin, welches ich in Ermangelung und in Unkenntniss eines 


besseren Einschlussmittels, bis jetzt stets verwendet habe, bewerk- 


stelligt wird. 
2) Leydig, Zelle und Gewebe S.41 u. 43. 


3) Bütschli, Ueber die Structur des Protoplasmas. Verh. des’ 


naturh.-med. Vereins. Heidelberg. N. F. Bd. IV, Heft 3. 1889. Ref. Biol. 
Centralblatt 1889, No. 18, S. 560—63. 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 67 


sehicht künstlich erzeugter Oelschäume vergleicht. Ob die 
„Schaumstructur-Hypothese“ uns vielleicht auch noch über die 


_ physikalisch-chemische Beschaffenheit dieser Grenze und über 
_ einen etwaigen Unterschied zwischen ihr und der übrigen Plasma- 
masse befriedigenden Aufschluss geben wird? Vor der Hand 


dürfte sich eine Entscheidung über die Bildung der Plasmahaut 


_ und über die hierzu erforderlichen Bedingungen nicht fällen lassen. 


Wenn dieselbe nicht nur eine Erscheinung von Oberflächenspan- 


_ nung ist, sondern chemische Prozesse im Protoplasma für ihren 
‚Aufbau erforderlich sind, so werden wir über den letzteren nicht 
früher Aufschluss erwarten dürfen, als bis die physiologisch-che- 


mische Beschaffenheit der Eiweisskörper unserem Verständnisse 
näher gerückt ist. 

Zweifelsohne aber steht die Plasmahaut zu den Functionen 
der Zellen im strömenden Blute in inniger Beziehung. Dafür 
scheinen mir namentlich die Färbungsversuche intra vitam zu 


- sprechen. Sie kommt bei dem Austausch von Flüssigkeiten und 
Gasen in Betracht, sie spielt eine Rolle bei der Aufnahme und 


a 


Abgabe geformter Gebilde. Ihre Existenz scheint an chemische 


- Vorgänge des lebenden Protoplasma geknüpft zu sein. Ausser- 


halb der Blutbahn bewirken die Einflüsse der Umgebung eine 


- mehr oder weniger schnelle Veränderung der Plasmahaut, womit 


eine Schädigung der vitalen Eigenschaften der Levkocyten Hand 
in Hand geht. 

Was die Form der normalen Pseudopodien anbelangt, so 
erblicke ich dieselbe so, wie sie schon von Cattaneo beschrie- 
ben wurde. Bald sind sie kürzer, bald länger, in den meisten 


- Fällen übertreffen sie den Durchmesser der Zelle oft um das 


drei- bis fünffache. Sie sind nicht platt, sondern ihr Querschnitt 
würde mehr oder weniger oval zu nennen sein. Sie sind nicht 


 gleichmässig dick, sondern an ihrem proximalen Ende dicker, als 


am Mittelstück. Auch macht an ersterem oftmals eine Anschwellung 
den Eindruck, als wäre der sich eontrahirende Fortsatz in diesem 


Geschäft plötzlich durch das Fixativ gestört worden. An ihrem 


distalen Ende sind die Fortsätze meist keulenförmig und dabei 
oft sanft gebogen (Fig. 12, 13a, 14, 17e, 18, 20, 21), manchmal 
erscheint dieses Ende auch gespalten (Fig. 14, 22h bei w!). An 
dem meist Sförmigen, manchmal wellenlinigen Mittelstück sieht 
man seltener eine Abzweigung, und wenn dieselbe vorhanden ist, 


r De ar I R ri 


68 Griesbach: 


bleibt sie nur klein (Fig. 21a bei w). Bei Anwendung starker 
Immersionslinsen kommt es mir mitunter so vor, als biete sich in 
den Pseudopodien eine äusserst blasse Längsstreifung dar. Dies 
würde dafür sprechen, dass die ganze Zwischensubstanz, falls die 
Pseudopodien davon abstammen, nieht völlig homogen ist. Bal- 
lowitz!) meint sogar, „dass die meisten, wenn nicht alle Bewe- 
gungsvorgänge, welche viele Lebensäusserungen der Zelle und 
ihrer Organe begleiten, soweit sie auf einer vitalen Contraction 
der Zelle und ihrer Theile beruhen und nicht nur molekulärer 
-oder rein physikalischer Natur sind, an das Vorhandensein einer 
_ feinfädigen oder auch „„fibrilloiden“* Structur im oder am Zell- 
körper geknüpft sind“» Flemming?) bemühte sich dagegen 
vergebens in den „hyalin erscheinenden Säumen und Protoplasma- 
lappen des Umfanges kriechender Leukocyten“ etwas von einer 
Struetur wahrzunehmen. Ich möchte ausdrücklich bemerken, 
dass ich die oben genannte Längsstreifung als Ausdruck eines 
natürlichen Verhaltens mit aller Reserve auffasse. Die Verhältnisse 
sind so zart, dass ich nicht wage sie durch eine Abbildung wie- 
derzugeben. Bei gelungener Fixirung finde ich die beschriebenen 
normalen Pseudopodien benaehbart liegender Zellen nie mit ein- 
ander verschmolzen, in den Kreislaufsorganen dürfte es daher 
während des Lebens wohl ebenso sein ?). 


1) Ballowitz, Ueber Verbreitung und Bedeutung feinfaseriger 
Strueturen in den Geweben und Gewebselementen des thierischen Kör- 
pers. Biol. Centralblatt 1889, No. 20 u. 21, S. 668. 

2) Flemming, Zellsubstanz ete. S. 48. 

3) Es dürfte kaum anzunehmen sein, dass die eigenthümlichen, 
bisher nicht genügend gewürdigten Formen der normalen Pseudopodien 
durch das Fixativ hervorgerufene Kunstprodukte sind, wie mir einmal 
bei der Demonstration meiner Präparate auf dem intern. med. Congress 
in Berlin eingewendet wurde. Wir schätzen gerade die Osminmsäure 
deswegen so hoch, weil sie selbst die zartesten Formen unverändert 
erhält. Ueberdies müsste es doch seltsam erscheinen, dass auch die 
übrigen Fixative dieselbe Veränderung hervorrufen. Endlich gelingt 
es für einen schnellen Arbeiter manchmal, auch ohne Fixirung im 
Präparate dieselben Formen zu erblicken. Die Beobachtung der Zellen 
im strömenden Blute ist dagegen bei Acephalen mit Schwierigkeiten 
verknüpft, worauf schon Cattaneo aufmerksaur machte. Es ist selbst- 
verständlich, dass die Leukocyten im strömenden Blute auch ohne Pseu- 
dopodien, also als kugelige oder ovale Zellen sich finden, Formen, 
denen man auch in gut fixirten Präparaten begegnet. | 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 69 


An den aus dem Blute entleerten, nicht fixirten Zellen er- 
‚blieke ich alle dieselben Verhältnisse, welche die Autoren beschrie- 
ben haben. Die Pseudopodien ragen alsdann in Form von Spitzen 
und Dornen von einzelnen oder vielen Stellen der Zellperipherie 
aus den Hohlräumen der Spongiosa hervor (Fig.19b, 22e, 25). 
‚Oft bildet die eontractile Zwischensubstanz blasige und lappige 
Fortsätze (Fig. 15, 16, 19b, 22ab, 23a, 24b), wie sie schon From- 
mann!) abbildete. Alle diese Gebilde zeigen mehr oder weniger 
lebhafte Bewegungen, die sich stundenlang, in der feuchten Kam- 
mer tagelang, verfolgen lassen. Dabei treten, wenn die beob- 
achtete Zelle eine Körnerzelle ist, die Körner häufig aus, wie ich 
dies bei Mytilus edulis in der Figur 25 wiederzugeben versucht 
habe. Sehr interessant sind die Erscheinungen, welche sich dar- 
bieten, wenn man einen Tropfen frisch entleerten Herzblutes ohne 
Fixirung der Elemente auf ein mit Oel (Rieinus-, Oliven-, Mandel- 
Oel, weniger gut eignet sich Vaselin oder Lanolin) bestrichenes 
Deckglas bringt und im hängenden Tropfen oder bei gut gestütz- 
tem Deckglase untersucht. Da giebt es gewaltige Bewegungen. 
Die Zellen haften an der Oelschicht. Mächtige vorgestülpte 
_ Blasen zeigen, ohne zunächst ihren inneren Zusammenhang und 
den mit dem Zellkörper aufzugeben, eine Art wogende Bewe- 
gung (Fig. 23a). Auch Formen, wie Figur 23be sie_zeigt, sind 
zu sehen. Plötzlich schnürt sich ein Theil des Zellenleibes ab 
(Fig. 23b), oder es platzt eine blasenartige Ausstülpung und zahl- 
reiche kleine Substanzportionen werden ausgestreut (Fig. 24a b). 
Ich möchte derartige Erscheinungen, die auch auf ungeölten 
Deckgläschen zu beobachten sind, mit Löwit?) als Plasmoschise 
bezeichnen. Auf einen etwaigen Zusammenhang zwischen ihnen 
und der Blutgerinnung komme ich an einem anderen Orte zurück. 
Die Bewegungen der stacheligen und dornenförmigen Fortsätze 
und der kleineren lappigen Ausstülpungen lassen sich im hängen- 
den Tropfen an solchen Zellen am besten verfolgen, die in dem- 
- selben schwimmen, also nicht an dem Deckglase haften. Bei 
allen diesen Bewegungen spielen die Reibung in der Flüssigkeit, 
- Öberflächenspannung, Diffusion, Absorption von Flüssigeit und 
- Gasen und im Falle des Anhaftens eigenthümliche Adhäsions- 


1) Frommann, Untersuchung über Structur etc. Taf. III, Fig. 32. 
2) Löwit, a.a. 0. S. 492. 


70 Griesbach: 


erscheinungen meiner Ansicht nach keine geringe Rolle. Ich gedenke 
bei dieser Gelegenheit einer Untersuchung von G. Quincke!), bei 
welcher durch allerhand Salzlösungen und andere Flüssigkeiten auf 
künstlichem Wege ähnliche Erscheinungen hervorgerufen wurden. 

Die genannten Bewegungen enden häufig mit einem plötz- 
lichen Zerfall der ganzen Zelle (Fig. 26a), oft während des man- 
nigfaltigsten Wechsels der verschiedenartig gestalteten Fortsätze. 
In anderen Fällen geht die Formveränderung der letzteren ganz 
allmählich vor sich (Fig. 25), ihre Dimensionen werden kleiner 
und schliesslich kann der Leukoeyt kugelig erscheinen, um auch 
dann über kurz oder lang einem Zerfall entgegenzugehen. Ich 
möchte hier kurz einige Bemerkungen über die. myelintropfen- 
ähnlichen Gebilde, welche Apathy und andere Autoren im Blute 
der Acephalen beschrieben haben, einflechten. 

Auch ich habe derartige Gebilde häufig gesehen, aber nie- 
mals in schnell und gut fixirten Präparaten, sondern stets nur in 
solchen, in denen die Leukocyten nicht abgetödtet worden waren 
(Fig. 25b, 24a b, 28). Ich glaube nicht irre zu gehen, wenn ich 
sie aus dem normalen Blute verbanne und sie für abgelöste Theile 
der Zwischensubstanz oder für ausgetretene, durch physikalisch- 
chemische Einflüsse entstandene Vacuolen halte. Wenn das, was 
ich an dem von Reagentieneinwirkung freien Blute von solchen 
Dingen sehe, dasselbe ist, was die Autoren erwähnen, und das 
Aussehen spricht durchaus dafür, so kann ich hinzufügen, dass 


ich oft Gelegenheit hatte, von den blasigen und lappigen Aus- 


stülpungen contractile Substanzpartikel sich ablösen zu sehen, 
welche alsbald als opake Kügelehen der verschiedensten Grösse 
umherschwammen. Auch freie Kerne habe ich im Blute wahr- 
genommen, ihre Natur lässt sich nicht leicht verkennen, ihr Vor- 
handensein erklärt sich wohl ebenfalls aus dem Zerfall des Zellen- 


leibes; manchmal sind sie noch von Resten der Zellsubstanz 


umgeben. Alle die verschiedenen Formen der Ausläufer, welche 


ohne Anwendung von Fixirungsmitteln an den Zellen wahrge- 
nommen werden, sind meiner Ansicht nach ebenso Bestandtheile 


der Zwischensubstanz, wie die wahren Pseudopodien. Dafür 


spricht erstens der Umstand, dass man sie mit Hülfe starker 


1) G. Quincke, Ueber Protoplasmabewegung. Biol. Centralblatt. 


1888. No. 16, 8. 499 ff. 


Beiträge zur Histologie des Blutes. TA 


Vergrösserungen aus den Hohlräumen der Spongiosa hervortreten 
sieht, und zweitens die Thatsache, dass sie bei Färbungen mit 
denselben Farbstoffen den gleichen Farbenton aufweisen, wie die 
Fortsätze der fixirten Zellen. Durch welche Veranlassung das 
Vorstossen der in Rede stehenden Gebilde geschieht, ob dabei 
_ ein Druck seitens der Spongiosa mitwirkt, ob die contractile 
 Zwischensubstanz selbst ein solches bewerkstelligt, ob und in 
 weleher Weise die ungewöhnliche Umgebung, Temperatur und 
 Lieht dabei eine Rolle spielen, weiss ich vorläufig nicht zu ent- 
scheiden, aber normal kann man alle diese Fortsatzbildungen 
wid ihre Bewegungserscheinungen nicht mehr nennen. Was hier 
über die Leukoeyten der Acephalen gesagt wurde, gilt im All- 
gemeinen auch für viele von mir bereits untersuchte Wirbel- 
thiere, über welche ich eingehender ein anderes Mal zu berichten 
gedenke!). Formen, wie sie Lavdowsky?) beschreibt und ab- 
_ bildet, kommen im Blute, falls man dasselbe unter den nöthigen 
Cautelen untersucht, nicht vor, sie repräsentiren keinen normalen 
Zustand, sondern werden durch allerhand physikalisch-chemische 
. Einflüsse bedingt. 
R Cattaneo giebt an, dass die Fortsätze, welche er als 
Sarkodeausläufer bezeichnet, einmal ausgestreckt, nie mehr zurück- 
gezogen würden. Das Bild, welches eine nicht fixirte, nach mehr 
oder weniger langer Zeit zur Ruhe gekommene, das heisst in die 
Kugelform übergegangene Zelle repräsentirt, scheint bei dem ersten 
_ Bliek gegen diese Annahme zu sprechen. Allein betrachtet man 
_ eine’solehe Zelle genau, so empfängt man den Eindruck, als ob 
dieselbe in der gesammten Peripherie von einer schmalen, ganz 
hyalinen Zone umgeben sei. Um ein derartiges Bild zu deuten, 
_ braucht man allerdings ein wirkliches Zurückziehen der Fortsätze 
_ nieht anzunehmen, sondern es lässt sich auch in der Weise erklä- 
_ ren, dass die ausgetretene Zwischensubstanz bei allmählichem 
 Absterben, wobei sie die Eigenschaft der Contraetilität mehr und 
mehr einbüsst, unter den Einflüssen der umgebenden Medien und 
unter bestimmten physikalischen Verhältnissen zu einer gleich- 
förmigen Masse zusammenfliesst. 


1) Hierauf bezügliche Präparate habe ich auf dem X. interna- 
tionalen med. Congress in der Section für Anatomie demonstrirt. 
= 2) Lavdowsky, a.a. 0. S. 67 u. Taf. V, Fig. II, III, IV etc. 


5 am Dir 


Bi v* 


72 Griesbach: 

Die weiteren spontanen Formveränderungen der Leukocyten, 
das Zusammenfliessen der Fortsätze (Fig. 22b) und die Bildung 
von Syneytien und Plasmodien sind allgemein bekannt; auch ich 
erblicke sie so, wie sie von den Autoren, für die Acephalen spe- 
ciell von Cattaneo, beschrieben worden sind. 

Es entsteht die Frage nach der Ursache der Gestaltverän- 
derungen der Leukoeyten. Die Beantwortung wird durch den 
thatsächlichen Befund ermöglicht, dass die Zellen innerhalb der 
unverletzten Gefässbahn Formenwechsel zeigen. Wenn das Proto- 
plasma unter normalen Lebensbedingungen fähig ist, Pseudopodien 
zu entwickeln, so muss die Contractilität eine vitale Eigenschaft 
desselben sein, es muss also die bewegende Energie in ihm ihren 
Sitz haben. Anders allerdings gestalten sich die Verhältnisse, 
wenn wir die Bewegungen der Zellen auf dem Objectträger be- 
obachten. Aus dem Umstande, dass der Formenwechsel alsdann 
ein ganz anderer ist, dass ferner gleich nach der Entfernung der 
Zellen aus der Blutbahn an ihnen ein theilweiser Zerfall beob- 
achtet wird, muss geschlossen werden, dass in diesem Falle phy- 
sikalische Ursachen der Umgebung bei den Formveränderungen 
eine wesentliche Rolle spielen. Dass die Contraetilität eine vitale 
Eigenschaft des Leukoeytenleibes ist, dafür sprechen auch die Ver- 
suche von Massart und Bordet!!), welche zeigten, dass im Zu- 
stande der Anästhesie die Entwieklung von Pseudopodien unter- 
bleibt, während sie nach Aufhören derselben aufs Neue beginnt. 

Ich wende mich jetzt zur Besprechung des Kernes der 
Leukocyten. Nach Robin?) soll in den weissen Blutkörperchen 
in ihrem physiologischen Zustande ein Kern nicht vorhanden 
sein. Durch Einwirkung der verschiedenartigsten Reagentien 
kann aber Veranlassung zur Entstehung kernartiger Körper ge- 
geben und andererseits ein Verschwinden derselben bewerkstelligt 
werden. Dass in den lebenden Leukocyten wohl aller Thiere 
ein wirklicher Kern vorhanden ist, dürfte heute kaum noch zu | 
bezweifeln sein 3), doch ist derselbe häufig unsichtbar und tritt 


1) Massart et Bordet, Recherches sur lirritabilit€ des Leuco- 
cytes. Journ. publ. par la Soc. royale des sciences medicales et natu- 
relles de Bruxelles. 1890. Extr. p. 15, 16. | 

2) Robin, Sur les corpuscules nucleiformes des leucocytes. Jour- 
nal de l’anatomie et de la physiologie. 18831. | 

3) Zu vergleichen hierzu Flemming's Zellsubstanz ete. 8. 88 ff. 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 73 


erst bei Anwendung gewisser Reagentien deutlich hervor. Die 
_Leukoeyten der Acephalen sind stets kernhaltig. In den meisten 
Fällen ist der Kern in der Einzahl, seltener in der Zweizahl vor- 
handen; mehr als zwei Kerne, wie dies in den Blutzellen anderer 
 Thiere nach Flemming!) vorkommen soll, habe ich nicht auf- 
finden können. In den fixirten Zellen der Acephalen ist auch 
ohne Beihülfe von Färbungen ein meiner Ansicht nach völlig aus- 
gebildeter Kern zu erkennen, so dass ich von Kernanlagen im 
Sinne Frommann’s, die sich erst unter bestimmten Bedingungen 
in Kerne umwandeln, nicht reden kann. Gut fixirte Zellen lassen 
"sich dureh leichten Druck in schwankende und wälzende Bewe- 
gung versetzen, so dass man den Kern von verschiedenen Seiten 
betrachten kann. Man erkennt alsdann beim Vergleiche vieler 
Zellen, dass er keinen bestimmten Ort im Zellenleibe einnimmt, 
sondern dass seine Lage in der einen Zelle mehr central (Fig. 
12, 13b, 18b, 20b, 26d! ft), in einer anderen mehr peripherisch 
ist (Fig. 11a b, 13a, 14, 17, 21,22). Bei „wandernden“ Leukoeyten 
‘sah Lavdowsky?) den Kern selten in der Mitte, sondern fast 
immer im „hinteren“ Theile der Zelle gelegen. Die Bestimmung 
‚des Lageverhältnisses des Kernes zu den beiden beschriebenen 
 Zellsubstanzen ist mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. 
Seine Lageveränderung steht, wie ich zu glauben geneigt bin, 
mit dem Formenwechsel des gesammten Zellenleibes in Zusam- 
menhang, und zwar scheint sie bedingt zu werden durch Span- 
nungsunterschiede feiner, radiär angeordneter Stränge und Stütz- 
fäden (Fig. 13 St.), über deren Ursprung und Beschaffenheit ich 
nichts Näheres anzugeben wage. Ich befinde mich mit der An- 
sicht, dass die Bewegungen des Kernes mit denen des Zellen- 
leibes im Zusammenhange stehen, nicht im Einverständnisse mit 
denjenigen Forschern, welche ihm Eigenbewegungen zuschreiben, 
gleichgültig, ob diese mit Theilungserscheinungen in Verbindung 
gebracht werden oder nicht. Zugleich muss der Kern als Ganzes 
einen bestimmten Grad von Festigkeit besitzen, so dass er seine 
Form nur sehr wenig verändert, denn ich habe ihn in fixirten 
Zellen stets in kugeliger oder schwach ovaler Gestalt wahrgenom- 


1) Flemming, Zellsubstanz etc. S. 89. 
= 2) Lavdowsky, a.a. 0. Bd. 9%, S. 831. 


74 Griesbach: 


men. Gestaltsveränderungen, wie sie Arnold!) an den Kernen 
von Wanderzellen beschreibt, kommen an den Leukoeytenkernen 
von Acephalen nicht vor. Ob die genannten Stützgebilde nur 
mit der Kernperipherie, oder auch mit seinem Innern zusammen- 
hängen, und in welcher Beziehung sie zu den Zellsubstanzen 
stehen, vermag ich nicht zu entscheiden. Es beruht aber nicht 
auf Täuschung, wenn ich den Kern der Leukoeyten in einem be- 
sonderen Raum eingebettet liegen sehe (Fig. 19b) und wenn ich 
in demselben die Stützfäden erblicke (Fig. 13a b). Ob dieser Ab- 
schnitt immer oder zeitweilig ein abgeschlossener, den Kern be- 
herbergender Hohlraum ist, und m diesem Falle ausser den ihn 
radiär durchsetzenden Fäden weiter nichts enthält, weiss ich 
nicht anzugeben. 

Es ist annehmbar, dass durch ungewöhnliche Einflüsse, 
welchen die Leukocyten ausgesetzt sind, die Kernstützen reissen, - 
und der Kern alsdann mit der Zwischensubstanz aus den Spon- 
giosahohlräumen heraustritt, eine Erscheinung, welche bei nicht fixir- 
ten Zellen, wie bereits angegeben, häufig wahrnehmbar ist (Fig. 16). 
— Pfitzner ?) will bei Amphibien in den rothen Blutkörperchen 
mit nicht -mitotischen Kernen eine besondere Abgrenzung des 
Zellenleibes gegen die „Kernhöhle* wahrgenommen haben, für 
welche er den Ausdruck continuirliche Membran (geschlos- 
sene Haut) gebraucht, den zwischen dieser und der Randschicht 
des Kernes gelegenen freien Raum fand er aber von Strängen 
nieht durchsetzt. 

Eine weitere Frage ist die nach der Beschaffenheit des 
Leukoeytenkernes. Ich unterscheide in ihm mit aller Deutlich- 
keit zwei Substanzen. Beide Substanzen lassen sich leicht durch 
ihr Aussehen unterscheiden: die eine Masse besteht aus balken- 
förmigen Gebilden, welche in der anderen, mehr gleichförmigen 
Grundsubstanz eingebettet liegen. Verbindet man mit der Fixirung 
zugleich die Doppelfärbung mit Methylgrün und Rhodamin, so färbt 
sich das Balkenwerk dunkelblaugrün bis grün, die Zwischensub-' 
stanz roth (Fig. 14). Dieser Thatsache müssen gerade wie im Zel- 


ZZ en 


Pe  E 


1) Arnold, Ueber Theilungsvorgänge an den Wanderzellen etc. 
Arch. f. mikr. Anat. Bd. 30. 1887. 

2) Pfitzner, Zur morphologischen Bedeutung des Zellkernes. 
Morphol, Jahrb. 1886. Bd. 11, S. 60, 61. | 


| Beiträge zur Histologie des Blutes. 75 


lenleibe ehemische Differenzen zu Grunde liegen. Die Balken be- 
sitzen die verschiedenste Form, sie sind bald kürzer, bald länger und 
mit Biegungen und Kniekungen versehen (Fig. 13 u. 30). Es hat 
den Anschein, als fehle zwischen den einzelnen Balkenabschnitten 
ein Zusammenhang (Fig. 30b). Bei optischer Einstellung auf den 
Rand des Kernes erscheint dieser ebenfalls unterbrochen und 
zwar in der Art, dass die Theilstücke bald einen kleineren, bald 
einen grösseren Zwischenraum zwischen ihren abgerundeten oder 
knotigen Enden freilassen, oder sich mit diesen gerade berühren 
(Fig. 13 u. 30). Ob zwischen den Enden der Theilstücke noch 
eine zarte fadenartige Verbindung besteht, vermag ich nicht zu 
entscheiden, auch habe ich keine völlige Sicherheit gewinnen 
können, ob die radienartig den freien Raum um den Kern dureh- 
setzenden Fäden mit der Zwischensubstanz zusammenhängen und 
ob letztere homogen ist, oder noch eine streifige oder granulirte 
Struetur, wie es manchmal den Anschein hat, besitzt. Jedenfalls 
kann ich von einer eigentlichen Netzstructur, wie sie für andere 
Kerne so oft beschrieben worden ist, nicht reden. Das beschrie- 
bene Aussehen des Kermes führt zu der Vermuthung, als besitze 
er keine zusammenhängende, ihn umhüllende Membran. Leydig!) 
meint, dass die Begrenzung eines Kernes entweder nur durch die 
Balken bewerkstelligt werde, oder dass eine hautartige Lage sich 
auf den Enden derselben absetze. In beiden Fällen aber hält 
er die Peripherie des Kernes für porös. Im Allgemeimen gehen 
die Ansichten der Autoren über die Begrenzung des Zellkernes 
sehr auseinander. Die Einen, und unter ihnen namentlich Flem- 
ming, schreiben dem Kerne eine geschlossene Membran zu, die 
Anderen lassen die Begrenzung nur durch die freien Enden des 
Balkenwerkes zu Stande kommen. Für Leukoeyten soll eine 
Kernmembran nach Lavdowsky?) gar nicht existiren. Im 
letzteren Falle würde zwischen dem Kerninneren und der Zellsub- 
stanz ein directer Zusammenhang bestehen können, wie dies that- 
sächlich von vielen Autoren für die verschiedenartigsten Zellen 
beschrieben worden ist. 

Vielleicht besteht ein gewisser Zusammenhang zwischen 
dem Vorhandensein einer Kernmembran und dem einer Zell- 


1) Leydig, Zelle und Gewebe S. 37. 
2) Lavdowsky, a.a. 0. Bd. 96, S. 9. 


76 Griesbach: 


wand in der Weise, dass da, wo die letztere fehlt, auch der Kern 
hüllenlos bleibt, und dass bei Zellen, welche eine Membran ent- 
wickeln, auch die erstere zur Ausbildung gelangt. Wenn wir E 
nach Gründen für einen derartigen Zusammenhang suchen, so | 
würden sich dieselben vielleicht darin finden lassen, dass bei 
hüllenlosen Zellen, an welchen auf das Lebhafteste Bewegungs- 
erscheinungen vor sich gehen können, denen der Kern mehr oder | 
weniger zu folgen gezwungen ist, eine Kernhülle der Gefahr des | 
Zerreissens ausgesetzt sein würde. — Ich bin weit davon ent- 
fernt in diesem Sinne eine Hypothese aufzustellen, allein der Ge- | 
danke ist nicht. ohne Weiteres von der Hand zu weisen. Ob der 
Kern der Acephalenleukocyten unter bestimmten Verhältnissen ° 
und zu bestimmten Zeiten noch weitere Gebilde, wie Körner, Pig- | 
mente, Vacuolen ete. einschliesst, darüber kann ich positive An- 
gaben zur Zeit nicht machen. Das Einzige, was ich stets m 
dem Balkenwerke wahrnehme, sind stark lichtbrechende, kugelige 
Einlagerungen (Fig. 13b bei n, Fig. 30n), in der Ein- oder Mehr- 
zahl vorhanden, welche ich als Nucleolen deute, an denen ich 
eine besondere Structur aber nicht zu erkennen ‚vermag, und über 
deren Herkunft und Bedeutung, sowie über die Frage, ob sie 
selbständige Gebilde, oder vielleicht die kugelig und knotig ver- 
diekten Enden der einzelnen Theilstücke des Balkenwerkes sind, 
ich mich jeder Aeusserung enthalte !). 

Bis in die neuere Zeit wurden hinsichtlich der Kernthei- 
lung mitotische Prozesse, nachdem solehe schon längst für die 
meisten anderen Zellen bekannt geworden waren, in amöboiden’ 
Zellen nieht wahrgenommen, bald aber häuften sich dann die 
hierauf bezüglichen Angaben. Von Peremeschko?, Flem- 
ming3), Kultschitzky*, Lavdowsky?°), J. Arnold) und 


: 


1) Die Literatur und die verschiedenen Ansichten der Autoren 
finden sich übersichtlich besprochen bei Korschelt a.a. 0. 8.108 ff. 

2) Peremeschko, Arch. f. mikr. Anat. Bd. 17, S. 170—171. 

3) Flemming, Studien über die Regeneration der Gewebe. 
Arch. f. mikr. Anat. Bd. 24. 1885. Ganz neuerdings hat derselbe Autor 
über Theilung der Leukocyten auf dem X. internat. med. Congress 
in Berlin berichtet. 

4) Kultschitzky, Centralblatt für die med. Wiss. 1885. 5. Jan., 
und Archives slaves de Biol. T. IV, fasc. 2, S. 230. 

5) Lavdowsky, a. a. 0. Bd. 9, S. 89, 90. 

6) J. Arnold, Ueber Theilungsvorgänge an den Wanderzelle 


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Beiträge zur Histologie des Blutes. IT 


Anderen ist mitotische Theilnng in Leukocyten beobachtet wor- 
den. „J. Arnold kommt zu dem Schlusse, dass Wanderzellen, 
farblose Blutzellen, Lymphzellen und die entsprechenden Zellfor- 
men des Knochenmarkes, der Milz und der Lymphdrüsen sich 
nach dem Typus der Mitose vermehren können, dass aber 
der stringente Beweis dafür noch nicht erbracht sei, jeden- 
falls sei es zurückzuweisen, dass diese Zellen nur mitotisch sich 
theilten“ 2). 

Ich habe in den Leukocyten der Acephalen, welche dem 
Herzen lebenskräftiger Thiere entstammten, weder eine directe 
Theilung oder eine Fragmentirung im Sinne Arnold’s?), noch 
eine mitotische Kerntheilung, wie sie Apathy °) gesehen haben 
will, wahrzunehmen vermocht. 

Zwar habe ich manchmal in diesen Zellen, wie schon im 
Vorhergehenden angegeben, zwei Kerne, deren Vorkommen auch 
Cattaneo*) beschreibt, beispielsweise bei Mytilus edulis, Sole- 
eurtus strig. und Pectenarten gesehen, ohne aber einen Anhalts- 
punkt dafür zu besitzen, wie dieselben entstanden und ob diese 
Erscheinung mit einer Zelltheilung in Zusammenhang zu bringen 
ist. Oftmals erscheinen solche Kerne, welche verschiedene Grösse 
besitzen können, so nahe aneinander gelagert (Fig. 18a), dass 
man an einen Zusammenhang beider denken könnte, ähnlich wie 
dies Flemming?) für Leukocytenkerne beschrieben hat. Ob in 
solchen Fällen wirklich zwei Kerne vorliegen, oder ob man es 


etc. Archiv für mikr. Anatomie. 1887. Bd. 30, S. 205 ff., und: Weitere 
Mittheilungen über Kern- und Zelltheilungen in der Milz, zugleich ein 
Beitrag zur Kenntniss der von der typischen Mitose abweichenden 
Kerntheilungsvorgänge. Archiv. f. mikr. Anat. 1888. Bd. 31, S. 547. 

1) Zu vergl. Waldeyer, Ueber Karyokinese und ihre Beziehun- 
gen zu den Befruchtungsvorgängen. Arch. f. mikr. Anat. 1888. Bd. 32, 
im Separatabdruck S. 44. In dieser Arbeit befindet sich eine über- 
sichtliche Zusammenstellung des jetzigen Standes der Karyokinese mit 
umfassender Literaturangabe. 

2) Arnold, Beobachtungen über Kerne und Kerntheilungen in 
den Zellen des Knochenmarkes. Virchow’s Arch. Bd. 93, S. 32. 

3) Apathy, a.a.0. 

4) Cattano, Boll. scientif. 1889. No.1, 8.11. Hier wird ange- 
geben, dass der Kern in Theilung begriffen sei, welcher Art aber die- 
selbe ist, geht aus den Angaben nicht hervor. 

— ) Flemming, Studien über Regeneration. S. 80, 81. 


78 Griesbach: 


mit einem „polymorphen“ Kern!) zu thun hat, lasse ich dahin- | 
gestellt. E 
Da ich bei einer grossen Anzahl von Lamellibranchiaten 
mit besonderer Aufmerksamkeit nach Theilungsvorgängen der 
Leukocyten suchte, jedoch stets mit negativem Resultat, so möchte | 
ich die Vermuthung aussprechen, dass für gewöhnlich eine Zell- 
theilung im Blute der Thiere nicht nachzuweisen ist, ohne aber | 
die Möglichkeit einer solchen zu bestreiten und ohne die Angaben 
Apathy’s und Cattaneo’s in Zweifel zu ziehen 2). | 

In dem nachfolgenden Abschnitte gebe ich einige specielle 
Mittheilungen über das Blut der von mir untersuchten Aoepbaiei 


1) Zu vergl. Paulsen, Zellvermehrung und ihre Begleiterschei- 
nungen in hyperplastischen Lymphdrüsen. Arch. f. mikrosk. Anatomie. 
1885. S. 349. f 

2) Als das Manuskript dieser Arbeit bereits druckfertig vorlag, 
es wurde der verehrl. Red. am 25. Aug. 1890 eingereicht, machte ich’ 
behufs Demonstration der normalen Gestalt der Leukocyten an einem 
Exemplar einer Anodonta die Herzpunktur. Durch Zufall wählte ich 
ein Thier, an welchem eine solche, wie ich an dem Loch in dem Scha- 
lenschloss bemerkte, bereits einige Tage vorher schon einmal ausge- 
führt war. Als ich die mit OsO, fixirten Leukocyten betrachtete, fiel mir 
auf, dass in vielen von ihnen der Kern eigenthümlich verändert aussah, 
dass in den Zellen relativ häufig zwei Kerne zu finden, und dass Zellen 
vorhanden waren, die von dem gewöhnlichen Verhalten durchaus ab- 
wichen. Sie waren kleiner, oval bis kugelig, besassen keine Pseudo- 
podien ; ihr Kern war ganz diaphan und entbehrte der sonst so cha- 
rakteristischen Balken, enthielt aber grössere und kleinere kugelige 
oder unregelmässig klumpige Gebilde. Ob wir es hier mit Theilungs- 
erscheinungen, und wenn, ob mit Amitose oder Mitose zu thun haben, 
bleibt aufzuklären. Ich beschränke mich hier auf diese kurze Bemer- 
kung. Die Sache erfordert eine genaue Prüfung, die sich ja leicht 
bewerkstelligen lässt, indem man absichtlich in verschiedenen Zeitinter- 
vallen, soweit die Thiere es vertragen, die Herzpunktur wiederholt. 
Sollten Theilungserscheinungen vorliegen, so würden wir wohl vor der 
interessanten Thatsache stehen, dass, falls die Thiere die Operation 
überstehen, die Leukocyten sich an der Gewebsregeneration betheiligen 
und sich bei diesem Geschäft auf dem Wege der Amitose oder Mitose 
vermehren, ein Umstand, auf dessen Möglichkeit von Flemming 
(Arch. f. mikr. Anat. 1885. Bd. 24, S.51) für andere Zellen bereits hin 
gewiesen wurde. Dann würde auch die Vermuthung Wagner'’s, das 
sich die Leukocyten an plastischen Prozessen betheiligen, bestätigt. 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 79 


VI. Besondere Bemerkungen über das Blut der 
untersuchten Acephalen. 


I. Siphoniata. 


1. Pholas daetylus (Neapel). Das Blut zeigt kein Spec- 
trum !) und besitzt als zellige Elemente nur Leukoeyten. Diesel- 
ben messen durchschnittlich 12 u, der Kern 4 u. 

2. Teredo navalis (Ostsee: Pfahlwerk in der Travemünder 
Bucht). Das Blut zeigt kein Speetrum. Unter 12 untersuchten 
Thieren waren drei, bei denen die Leukocyten fast ausschliesslich 
als Körnerzellen erschienen, ihre Grösse schwankte beträchtlich. 

3. Thracia papyracea (Neapel. Das Blut zeigt kein 
Spectrum, der Durchmesser der farblosen Blutzellen beträgt 
durchschnittlich 8 u. 

4. Lyonsia eorruscans (Neapel). Blut gewöhnlich. Der 
Durchmesser der farblosen Zellen beträgt 5 u, der des Kernes 2 u. 

5. Mya arenaria (Sandgrund im Aussenhafen der Trave- 
münder Bucht). Das Blut hat die gewöhnlichen Eigenschaften. 
Die farblosen Blutzellen messen bis 15 u. Nach Behandlung mit 
Osmiumsäure oder Goldehlorid war ein Raum um den Kern sehr 
deutlich wahrzunehmen (Fig. 13b). 

6. Corbula gibba (Neapel). Die amöboiden Zellen des die 
gewöhnlichen Eigenschaften zeigenden Blutes messen durchschnitt- 
lich 9 bis 11 u. 

7. Poromya granulata (Neapel. Durch die dünne und 
durchsichtige Schale scheint das gefärbte Thier durch. Das von 
acht Exemplaren aus dem Herzen durch Schalenstich entnommene 
Blut zeigt deutlich das beschriebene Spectrum. Ausser den ge- 
‚ wöhnlichen Leukocyten, welche durchschnittlich 10 u messen, 
‚finden sich noch gefärbte kugelige Zellen mit schwach gelbem 
Plasma und braunrothen Pigmentkörnern (Fig. 3), deren Durch- 
messer 10 u beträgt. 


1) Wenn ich in diesem Abschnitte von einem Spectrum rede, 
ist stets dasjenige gemeint, welches im IV. Abschnitte beschrieben 
wurde, 


80 Griesbach: : 


8. Solen vagina und siliqua (Neapel. Das mit den ge- 
wöhnlichen Eigenschaften ausgerüstete Blut enthält nur farblose 
Elemente, welehe durehschnittlich 8 bis 11 u messen. 

9. Solen legumen (Neapel). Es ist eine der Muscheln, in 
deren Blut Ray-Lankester mit dem Mikrospeetroskop Hämo- 
globin na:hwies. Die Organe des Thieres erscheinen roth. Das 
durch Herzstich gewonnene Blut giebt die beschriebenen Absorp- 
tionsstreifen im Spectrum und enthält ausser den Leukoeyten, 
welche das gewöhnliche Verhalten zeigen, gefärbte, ovale, scheiben- 
förmige Zellen (Fig. VIabed), welche schon Ray-Lankester 
in Fig. IVabe im normalen Zustande und in Fig. Vabe nach 
Einwirkung von Essigsäure zeichnete. Was es für eine Bewandtniss 
mit den excentrisch gelegenen Flecken hat, welehe nach Behand- 
lung mit Magenta in den gefärbten Zellen auftreten, weiss ich‘ 
nicht auszusagen. Mit den von mir angewandten Färbungsme- 
thoden habe ich etwas Aehnliches nicht gesehen. Ray-Lan- 
kester ist der Ansicht, dass ihr Erscheinen entweder einem’ 
Zersetzungsprodukt des Hämoglobin, oder einem nothwendigen 
Begleiter desselben zuzuschreiben ist. — Die lange Axe der ge- 
färbten Elemente des frisch dem Herzen entnommenen Blutes’ 
finde ich zu 17 u, die kurze zu 12 u. Nach Einwirkung starker 
Essigsäure tritt eine Schrumpfung auf 11 und Qu ein und ein 
3,7 u messender kugeliger Kern wird deutlich. Die Zahl der’ 
gefärbten Blutzellen überwiegt die der Leukoeyten ‚bedeutend. 
Mit Hülfe des bekannten Schüttelmischers habe ich ihre Anzahl 
annähernd zu 103 Tausend in 1 emm bestimmt. Aus dem Blute’ 
lassen sich mit Eisessig und Kochsalz die Teiehmann’sehen Kıy- 
stalle erhalten. i 

10. Solecurtus strigillatus (Neapel). Das Blut giebt kein’ 
Speetrum, die amöboiden Zellen zeigen das gewöhnliche Verhalten, 
ihre Grösse beträgt 17 bis 22 u (Fig. 21). 

11. Tellina planata (Neapel. Das mit dem Spectroskop 
untersuchte Blut giebt auf das Deutlichste die beschriebenen Ab- 
sorptionsstreifen. Die farbigen Blutzellen (Fig. 10) sind mehr 
oder weniger kugelige Gebilde und messen 10 u. Der Kern, den” 
ich auf Wasserzusatz häufig austreten sah, ist 5 u gross. Bei® 
Behandlung des Blutes mit Eisessig und Kochsalz erhielt ieh die” 
Teichmann’schen Krystalle. Die Anzahl der farbigen Elemente 
schätze ich annähernd auf 160 Tausend in 1 cmm. Ob Tellina 


Beiträge zur Histologie des Blutes. - 81 


radiata, welche Cattaneo untersuchte, farbige Blutzellen führt, 
wird von diesem Autor nicht angegeben. Seine Figur 20 zeigt 
eine gewisse Aehnlichkeit mit den rothen Blutzellen von T. pla- 
nata. Die Leukocyten messen 9 bis Il u. Als eigenthümliche 
Erscheinung muss ich hervorheben, dass unter 16 untersuchten 
Exemplaren eines mit farblosem Blut war, doch sind wnir später 
Zweifel aufgestiegen, ob dieses derselben Species angehörte. 

12. 13. 14. Bei Tellna exigua, donacina (Neapel) und 
baltica (Ostsee: Travemünder Bucht) habe ich vom Blute weder 
ein Spectrum erhalten, noch darin farbige Zellen auffinden können. 
Die Leukocyten messen 8 bis 11 u, ihr Kern 3 bis 4u. Im 
Herzblute von Tellina baltica fand ich kleine farblose Krystalie 
von verschiedener Form (Fig. 29). 

15. Psammobia vespertina (Neapel). Vom Blute erhielt 
ich kein Spectrum, es finden sich darin die gewöhnlichen Zellen 
mit 9 bis 11 u im Durchmesser. 

16. Capsa fragilis (Neapel. Das Blut giebt das charak- 
teristische Spectrum. Die farbigen Blutkörperchen (Fig. 8) ent- 
halten den rothgelben Farbstoff nur in wenigen Körnern, ihr 
Durchmesser beträgt 10 u, der des Kernes 4 u. Kalilauge lässt 
die farbigen Elemente zunächst aufquellen, dann zerfällt die ganze 
Zelle in eine feinkörnige gelbrothe Masse. Pikrokarmin macht 
den Kern deutlich, er erscheint meist kugelig, manchmal oval 
‚oder stäbchenförmig. In einzelnen Fällen hatte es den Anschein, 
als ob die Zelle zwei dicht aneinander gelagerte Kerne beher- 
berge. Die Leukoeyten zeigen das gewöhnliche Verhalten. 

17. 18. Im Blute von Donax politus und trunculus (Neapel) 
nehme ich kein Spectrum wahr. Die Grösse der farblosen Zellen 
beträgt 6 bis 9 u. 

19. 20. Mactra stultorum und helvacea (Neapel). Im Blute 
habe ich kein Spectrum wahrgenommen ; die Grösse der farblosen 
Zellen beträgt 9 bis 11 u. Ich sah an ein und derselben Zelle 
zweimal Substanzportionen sich ablösen, welche sich als myelin- 
tropfenähnliche Gebilde von 3 bis 4 u darstellten. 

21. 22. Venus gallina und verrucosa (Neapel). Vom Blute 
war ein Spectrum nicht zu sehen. Farblose Zellen gewöhnlich, 
16 bis 18 u. | 

23. Tapes geographica (Neapel. Wie Venus. 

24. 25. Cytherea chione und rudis (Neapel. Die Opa- 


Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 6 


i : ER 


82 Griesbach: 


lescenz des Blutes erschien mir auffallend stark. Kein Spectrum. 
Die farblosen Zellen messen durchschnittlich 11 u (Fig. 20a). 

26. Artemis exoleta (Neapel). Kein Speetrum. Unter den 
Leukocyten waren namentlich Körnerzellen in reichlicher Menge 
vertreten. Durchmesser der Zellen 10 bis 13 u. 

27. \:Circe minima (Neapel), Aus Mangel an Untersuchungs- 
material konnte ich zu einem sicheren Resultate über die Eigen- 
schaften des Blutes nicht gelangen. 

28. Cyelas ecornea (Rhein-Rhone-Kanal). Das Blut zeigt 
die gewöhnlichen Eigenschaften. Die Zellen messen durchschnitt- 
lich 10 u. | 

29. Astarte fusca (Neapel). Aus Mangel an Untersuchungs- 
material konnte ich ein sicheres Resultat nicht erhalten. Das 
Blut erscheint schwach gelblich. Spectrum unsicher, in einigen ° 
Blutzellen glaube ich gelbrothes Pigment wahrgenommen zu haben. | 

30. Cardita aculeata (Neapel). Das Blut ist hell weingelb ° 
und giebt ein schwaches Spectrum. Die farbigen kugeligen Zellen 
erscheinen diffus gelbroth, enthalten ebenso gefärbte Körner (Fig.4) ° 
und messen 10 u. Die Grösse ihres Kernes, der mit Pikrokarmin 
distinet hervortritt, beträgt 4 u. Farblose Zellen 11 bis 13 u. 

31. Lucimia spinifera (Neapel). Kein Spectrum. Unter ° 
den Leukocyten zahlreiche Körnerzellen. Grösse 12 bis 13u. 

32. Galeomma Turtoni (Neapel). Kein Spectrum. Leuko- 
eyten 8 bis 11 u. 

33. Solemya togata (Neapel). Wie Galeomma. 

34. Cardium tubereulatum (Neapel) und edule (Ostsee: Tra- 
vemünder Bucht). Kein Speetrum, Leukoeyten 10 bis 12 u. Nicht 
- fixirte Zellen s. Fig. 16. | 


II. Asiphoniata. 


35. Unio pietorum (Rhein-Rhone-Kanal). Das Blut ändert 
im Speetrum nichts und. führt nur amöboide Zellen, deren Grösse 
10 bis 15 u beträgt, Kern 4 bis 5 u (Fig. 12, 18). | 
36. Anodonta cellensis (Rhein-Rhone-Kanal). Wie Unio. 
(Fig. 13a, 14, 17e, 19, 23, 24). | 
37. Arca tetragona (Neapel. Das rothgelbe Blut giebt 
die charakteristischen Absorptionsstreifen. Die farbigen Blutzellen’ 
(Fig. 7) sind grosse ovale Scheiben, der lange Durchmesser be- 
trägt 20 u, der kurze 11 u; die Dicke der Zelle, wenn dieselbe‘ 


Beiträge zur Histologie des Blutes. I: 


; 


Pr 


_ auf der Kante liegt (Fig. Te), erreicht 5u. Der Farbstoff scheint 
- den Zellenleib gleichmässig zu durchtränken, so dass derselbe 
 grünlichgelb bis olivenfarbig aussieht. Der kugelige Kern misst 
- 5u und ist ohne Anwendung von Reagentien deutlich sichtbar. 
- Mit Jodjodkaliumlösung tritt die Zellmembran deutlich hervor, 
- der Zellenleib färbt sich gelbbraun und der Kern dunkelbraun. 
Essigsäure ruft in der Zellsubstanz eine Körnelung hervor, auch 
- wird der Kern dadurch scharf contourirt und erscheint von einem 
_ farblosen Hofe umgeben (Fig. 7d). Die Leukocyten (Fig. 26), 
‚welche in der Minderzahl vorhanden sind, zeigen das gewöhn- 
- liehe Verhalten, ihre Grösse beträgt 14 bis 20 u. 
38. Arca Noae (Neapel). Das Blut ist schwächer gefärbt, 
_ als bei der vorhergehenden Art und die Absorptionsstreifen im 
- Speetrum erscheinen weniger scharf. Die pigmentführenden Ku- 
- gelzellen (Fig. 5) sind in geringerer Zahl vorhanden und verhält- 
nissmässig klein (6 bis 7 u). Der Farbstoff ist röthlichbraun 
und in Körnern abgelagert. Der Kern misst 2 bis 3u. Die 
- farblosen Zellen zeigen das gewöhnliche Verhalten und messen 
ET bis 9. 
- 39. Peetunculus glyeimeris (Neapel). Das rothe Blut lässt 
die charakteristischen Absorptionsstreifen auf das Deutlichste er- 
_ kennen und liefert bei der bekannten Behandlung braunrothe 
- Teichmann’sche Krystalle (Fig. 1). Die farbigen Blutzellen (Fig. 9) 
- präsentiren sich in den seltsamsten Formen, wie ich dies im all- 
_ gemeinen Theil beschrieben habe; ihre Anzahl berechnete ich zu 
_ ungefähr 90 Tausend für den Kubikmillimeter. Der gelbrothe 
- Farbstoff färbt den ganzen Zellenleib diffus und ist ausserdem 
noch in mehr oder weniger zahlreichen Körnern vorhanden. 
Der Zelldurchmesser beträgt 13 bis 20 u, der Kern 5u. Der 
Kern ist in der Form sehr variabel, häufig sieht man einen 
grösseren und einen kleineren Kern, oder zwei gleich grosse 
Kerne, ähnlich wie bei Capsa fragilis (Fig. 8g), dicht aneinander 
gelagert, und nur der grössere führt alsdann 1 bis 2 besonders 
deutliche Nucleoli. Die Leukocyten, unter denen reichliche Kör- 
nerzellen, messen durchschnittlich 10 u, ihr Kern misst 4 u. Im 
frisch entleerten Herzblute von Pectunculus traf ich mehrfach 
einen eigenthümlichen Flagellaten, dessen Aussehen ich in Figur 27 
wiederzugeben versuchte. 
= 40. Nueula nucleus (Neapel). Kein Spectrum. Von geformten 


Be 


84 Griesbach: 


Elementen sind nur amöboide Zellen vorhanden, welche das ge- 
wöhnliche Verhalten zeigen. Ihre Grösse beträgt 10 bis 12 u. 

41. Mytilus edulis (Ostsee: Travemünder Bucht). Das Blut 
giebt keine Absorptionsstreifen. Die meisten der 10 bis 13 u 
srossen amöboiden Zellen sind mit zahlreichen gelblichgrünen bis 
grasgrünen Körnern angefüllt, namentlich im Blute solcher Thiere, 
welche sich an Pfählen angesponnen ‚hatten. Bei den Bewegungen 
der nicht fixirten Zellen werden. diese Körner häufig aus dem 
Zellenleibe ausgestossen; in mehreren Fällen habe ich auch den 
4 u grossen Kern austreten sehen. Derartige lebhaft grün ge- 
färbte Inhaltskörper der Leukocyten habe ich ausser bei Mytilus 
nur noch einige Male bei Ostrea angetroffen. Aehnliches ist von 
Ryder für Ostrea beschrieben worden. Die während 1!/, Stun- 
den verfolgten Bewegungserscheinungen der nicht fixirten Leuko- 
cyten habe ich in Figur 25 wiedergegeben. 

42. Modiola adriatica und barbata (Neapel). Kein Spectrum, 
Leukocyten gewöhnlich, 10 bis 12 u im Durchmesser (Fig. 17a). 

43. Lithodomus dactylus (Neapel. Wie Modiola. | 

44. Dreyssena polymorpha (Rhein-Rhone-Kanal). Wie Mo- 
diola. Leukocyten 8 bis 11 u. | 

45. Avicula hirundo (Neapel). Das Blut giebt keine Ab- 
sorptionsstreifen, die Grösse der amöboiden Zellen beträgt 12 bis 
14 u (Fig. 15a b). 

46. Pinna nobilis, die in Neapel schwer zu beschaffen ist, ge- 
langte einen Tag vor meiner Abreise in meine Hände. Ich konnte 
nur noch feststellen, dass das Blut keine Absorptionsstreifen aufweist. 

47. Pecten varius (Neapel). Absorptionsstreifen sind im 
Blute nieht wahrzunehmen. Die Blutkörperchen zeigen das ge- 
wöhnliche Verhalten und ihre Grösse beträgt 11 bis 14u. Im 
Herzblute finden sich allerhand Krystalle (Fig. 28), dieselben 
zeigen langgestreckte oder vieleckige Form und brechen das 
Licht doppelt. Die ersteren erscheinen bei bestimmter Einstellung 
oft röhrenartig und legen sieh häufig mit ihrer Längsseite anein- 
ander. Alle Krystalle sind farblos und zerfallen bei Säurezusatz 
unter Aufbrausen !). 

48.49.50. Pecten Jacobaeus, pr und textae(Neapel). 
Wie Pecten varius, doch habe ich im Blute keine Krystalle angetroffen. 


1) Ich lasse es dahin gestellt, ob solche Krystallbildungen im strö- 
menden Blute vorkommen, oder sich erst nach der Entleerung bilden. 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 85 


51. 52. 53. Lima hians, inflata und squamosa (Neapel). 
Im Blute dieser Thiere habe ich Absorptionsstreifen nicht auf- 
finden können, auch nicht bei L. inflata, welche namentlich an 
den Mantelfäden lebhaft roth gefärbt erscheint. Die Grösse der 
Leukoeyten, von denen bei L. squamosa die Körnerzellen an Zahl 
überwiegen, beträgt 8 bis 12 u. 

54. ÖOstrea edulis (Nordsee: Wattenmeer bei Wyk auf Föhr). 
Kein Speetrum. Die Leukoeyten enthalten häufig grasgrüne Körner- 
einlagerungen, über deren Natur ich keine sichere Angaben machen 
kann. Ihre Grösse beträgt 9 bis 13 u, der Kern 3 bis 4u. 

55. Anomia ephibbium. Kein Spectrum, Leukocyten ge- 
wöhnlich, Grösse 9 bis 11 u. 


VII. Allgemeine Bemerkungen über den Formenwechsel 
von Leukocyten. 


Ich bin weit davon entfernt, den nicht fixirten, mannigfal- 
tigen Formenwechsel zeigenden Leukocyten alles Leben abzu- 
sprechen, aber ich glaube, dass man bei der Entscheidung der 
Frage, was bei diesem Formenwechsel etwa vorhandenen Lebens- 
äusserungen der contractilen Materie zuzuschreiben ist, was da- 
gegen physikalisch-ehemischen Erscheinungen, welche an und in 
einer Substanz von der Beschaffenheit des Protoplasmas in Bezug 
auf ihre Umgebung sich abspielen, nicht vorsichtig genug zu 
Werke gehen kann. 

Ein grosser Theil dessen, was als Wanderung von Leuko- 
ceyten auf Deckgläsern und Objeetträgern beschrieben, was als 
Bewegung an Holundermarkscheibehen gedeutet worden ist, wel- 
che eine Zeit lang im Lymphsacke des Frosches verweilten und 
dann in der feuchten Kammer unter Beihülfe einer „physiolo- 
gischen Chlornatriumlösung“, oder irgend einer anderen Substanz 
untersucht wurden, muss ohne Zweifel den wechselvollen und 
mannigfaltigen, aber rein physikalisch-chemischen Erscheinungen 
der Adhäsion, Diffusion und Absorption von Gasen und Flüssig- 
keiten zugeschrieben werden. Einwurfsfreie Beobachtungsmetho- 
den, die an den Zellen innerhalb der Blutbahn ausgeübt werden, 
und exacte Fixirung beweisen, dass es hinsichtlich der Form- 
und Bewegungsverhältnisse der amöboiden Zellen im Organismus 


“ während der vollen Entfaltung aller Lebensprocesse ganz anders 


86 Griesbach: 


hergeht als unter künstlichen Bedingungen und unter dem Mi- 
kroskope. Wie ärmlich sind doch unsere technischen Hülfsmittel: 
heizbare Objecttische, feuchte Kammern, Reagentien von der Zu- 
sammensetzung des Blutserums, dass sie nicht einmal im Stande 
sind uns ohne Abtödtung der Zellen die normale Gestalt, ge- 
schweige denn die dadurch bedingten ursprünglichen Bewegungen 
vorzuführen. 

Man spricht von einer physiologischen und pathologischen 
Wanderung und Auswanderung der weissen Blutkörperchen und 
die Literatur über derartige Beobachtungen ist zu einer enormen 
Höhe angeschwollen. Beide Vorgänge werden als Lebensprozesse 
gedeutet, Lebensprozesse, bei denen es zu einer staunenswerthen 
Kraftentwicklung kommen soll !). Berücksichtigt man aber den 
Umstand, dass die Formveränderungen der amöboiden Zellen in- 
nerhalb der Gefässbahn, wie die angeführten Methoden uns leh- 
ren, in bestimmten und verhältnissmässig engen Grenzen blei- 
ben und ganz anderer Art sind als diejenigen, welche man unter 
dem Mikroskope beobachtet, so dürfte es geboten erscheinen, die 
sogenannten Wanderungen der Leukocyten aufs Neue zu prüfen. 
Ein Satz, wie Lavdowsky?) ihn aufstellt: „Die Leukocyten 
können im Innern der Gefässe ganz so wandern oder kriechen, 
wie ausserhalb derselben“ ermangelt vorläufig eines einwurfsfreien 
Beweises. Dass das Umgekehrte nicht der Fall ist, geht zunächst 
für die von mir untersuchten Wirbellosen aus den gegebenen Mit- 
theilungen mit Sicherheit hervor. Unter solchen Gesichtspunkten 
dürfte die bisherige Lehre vom Phagocytismus einer genauen 
Revision und insofern einer Einschränkung bedürfen, als von 
einer Beobachtung desselben auf dem Objeetträger mit Hülfe 
der bisher üblichen Methoden nicht die Rede sein kann). Das 
Nämliche gilt auch für Versuche über intracelluläre Verdauung, 
falls dieselben an Zellen angestellt werden, welche den Einflüssen 
einer ungewohnten Umgebung ausgesetzt sind. j 

Ja, meine Bedenken gehen noch weiter. Ich bezweifle 
natürlich nicht, dass innerhalb des Organismus amöboide Zellen 


1) Lavdowsky, a.a.O. die betreffenden Beschreibungen und 
Abbildungen. 

2) Lavdowsky, a. a. 0. Bd. 97, S. 188. 

3) Dieselben Ansichten spricht Cattaneo a.a.O. aus. 


ne 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 87 


fremdartige Elemente irgendwelcher Art aufzunehmen vermögen, 
aber ich vermisse in den hierüber existirenden Untersuchungen 
einen unanfeehtbaren Beweis einerseits dafür, dass die aufneh- 
menden Zellen völlig ungeschädigt sind, andererseits dafür, dass, 
wenn die Eindringlinge beispielsweise lebende Mikroorganismen 
sind, diese nicht schon vor ihrer Einverleibung. in die Phagocyten 
bereits durch die Gewebsflüssigkeiten auf physikalische oder che- 
mische Weise abgetödtet oder doch erheblich geschädigt wurden. 

Bei eigenen Beobachtungen über die Aufnahme feinvertheil- 
ter Substanzen durch die amöboiden Blutzellen der Acephalen 
habe ich aus hinreichend betonten Gründen natürlich von Objeet- 
trägerversuchen Abstand genommen. Ich liess die frisch gefan- 
genen Thiere unter möglichst normalen Verhältnissen im Wasser, 
setzte diesem aber fein vertheilte Substanzen, wie Carmin-, Kohlen-, 
Kreide- ete. Pulver zu, in der Hoffnung,‘ dass dasselbe auf irgend 
einem Wege in das Blut dringen würde. Da dies nicht geschah, 
so injieirte ich die in Wasser suspendirten Substanzen durch Ein- 
stich in den Fuss und schritt in verschiedenen Zeitabschnitten 
zur Untersuchung des Blutes mittels Herzpunetur und schneller 
Fixirung der zelligen Elemente. Ich hoffte bei der mikrosko- 
pischen Untersuchung die langen Pseudopodien und das Innere 
der Zellen mit Carmin ete. beladen zu finden und auf diese Weise 
ein instructives Bild über die Aufnahme der genannten Substanzen 
zu erhalten. In der That fand ich dieselben in dem Zellenleibe 
abgelagert; die Zelle selbst aber in ihrer Form total verändert. 
Von den langen normalen Pseudopodien war nichts mehr zu 
sehen, sondern entweder erschienen die Fortsätze in der Art, wie 
man sie an nicht fixirten Objeeten erblickt, oder die Zellen waren 
völlig kugelig und die Zellsubstanz zeigte allerhand Zerklüftungen. 
Ich legte mir die Frage vor, ob diese Umwandlungen die Folge 
der Substanzaufnahme seien, oder ob vielleicht, ganz abgesehen 
von einer aktiven Aufnahme und von einem durch physikalisch- 
chemische Bedingungen bewerkstelligten Eindringen der Fremd- 
körper in den Zellenleib, das bei der Injection in die Gefässbahn 
eingedrungene Wasser die Veränderung der Zellen bewerkstelligt 
habe, oder ob beide, die Fremdkörper und das Wasser, dieselbe 
hervorgebracht haben könnten. Hinsichtlich der Wirkung der 
Fremkörper vermag ich eine sichere Entscheidung nicht zu geben, 
dass aber das eingedrungene Wasser in besagter Weise wirksam 


838 Griesbach: 


ist, dafür spricht folgender Befund: Man braucht das Thier nur 
durch Einstich mit Wasser zu injieiren, oder ihm irgend eine mit 
Substanzverlust verbundene Wunde?) beizubringen, in welche Wasser 
über kurz oder lang eindringen kann, um alsdann bei der unter 
den nöthigen Cautelen vorgenommenen Herzpunctur die Leukocy- 
ten in derselben Weise verändert zu finden; sie präsentiren sich 
auch in diesem Falle entweder als kugelig aufgequollene, oder als 
verschieden gestaltete, mit den bekannten stacheligen und lappi- 
sen Ausstülpungen versehene Gebilde. 


‘ VIII. Kurze Bemerkungen über das Gefässsystem 
der Acephalen. 


Es ist hier wohl der Ort auf die Frage nach der Wasser- 
aufnahme der Mollusken, ‚über welche ich schon seit längerer Zeit 
Stillschweigen bewahrt habe, mit einigen. Worten einzugehen. 
Nachdem ich vor Jahren, angeregt durch die Untersuchungen 
Kollmann’s ?), das Gefässsystem der Najaden und Mytiliden unter- 
suchte, kam ich zu der Ansicht, dass bei diesen Thieren eine directe 
Wasseraufnahme in das Blut durch Oeffnungen auf der Fusskante, 
welche ich Pori aquiferi nannte, vermittelt würde, wodurch ich dann 
auch das enorme Schwellungsvermögen der Thiere erklärte. Meine 
Mittheilungen riefen alsbald eine Fluth von anderen Arbeiten her- 
vor, welche, abgesehen von einigen wenigen, alle zu demselben 
Resultate kamen, dass eine directe Wasseraufnahme in das Blut 
bei den Acephalen nicht vorkomme, nnd dass die von mir be- 
schriebenen Pori aquiferi theils zufällige Zerreissungen, theils 
Ausführungsöffnungen von Drüsen seien. Es erscheint überflüssig, 
die gesammte Literatur, die seit meinen ersten Mittheilungen über 
den Gegenstand erschien, hier besonders aufzuführen, da sie in 
betheiligten Kreisen zur Genüge bekannt ist. — Während meiner 
Studien über das Blut der Acephalen wurde es mir von Tag zu 


1) Es würde festzustellen gewiss ganz interessant sein, inwieweit 
die Thiere kleinere oder grössere Wunden überstehen, und ob und in 


welcher Weise die Leukocyten sich bei der Regeneration betheiligen. 


Eine einmalige Herzpunktur scheint das Leben der Thiere nicht zu 
gefährden. | 

2) Kollmann, Der Kreislauf des Blutes bei den Lamellibranchia- 
ten etc. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 26, S. 96 ff. 


| 
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Beiträge zur Histologie des Blutes. 89 


Tag unwahrscheinlicher, dass bei denselben eine direete Wasser- 
zufuhr zum Blute stattfinde. Ich lernte die äusserst empfindlichen 
Eigenschaften der Leukoeyten, ihr Verhalten gegen Wasser und 
Kochsalzlösung kennen, ich fand bei vielen Arten hämoglobin- 
artiges Pigment an besondere zellige Elemente gebunden, das 
Alles, im Verein mit den gegentheiligen Angaben der Autoren 
liess mich in meinen Ansichten immer schwankender werden. 
Als ich endlich erkannte, dass das, durch eime dem Thiere bei- 
gebrachte Wunde, in das Blut eindringende Wasser im höchsten 
Grade die normale Beschaffenheit der amöboiden Zellen und der 
farbigen Elemente, wo solche vorhanden, beeinträchtigt, stand es 
bei mir fest, dass eine permanente oder zeitweilige direkte 
Wasseraufnahme in das Blut eine physiologische Unmöglichkeit 
sei. — Es musste daher mein Bestreben sein, mich durch er- 
neuerte anatomische Untersuchung selbst davon zu überzeugen, 
dass die von mir als Pori aquiferi beschriebenen Oeffnungen, 
wenn überhaupt als natürliche Oeffnungen existirend, eine Com- 
munication des umgebenden Mediums mit dem Blute nicht ver- 
mitteln. Während meines Aufenthaltes in Neapel hatte ich Ge- 
legenheit, mit Schiemenz öfters über den in Rede stehenden 
Gegenstand zu sprechen und auch dessen Präparate von Natica 
zu studiren, für welche er bekanntlich ein vom Kreislaufsappa- 
rat gesondertes Wassergefässsystem beschrieb. Ich ‘sammelte in 
Neapel manches Material, welches zum Theil nach den Angaben 
von Schiemenz und mit den von ihm verwendeten Massen in- 
Jieirt wurde. Ich habe seitdem einen Theil dieses Materiales, 
namentlich Cardium, welches auf seinem Fusse eine sehr eigenthüm- 
liche Spalte trägt, nachuntersucht, bin damit aber noch nicht 
zum Abschluss gelangt. Dagegen habe ich mich nach Anferti- 
gung zahlreicher Schnittserien durch den Fuss der Najaden 
selbst endlich davon überzeugt, dass die speciell für Anodonta 
von mir beschriebenen Spalten durch irgend welche Umstände 
hervorgebrachte zufällige Zerreissungen sein müssen, wobei es 
mir allerdings noch bis auf den heutigen Tag räthselhaft geblieben 
ist, warum dieselben gewöhnlich an derselben Stelle auftraten. Ich 
habe viele Mittel versucht, das Thier behufs der vortheilhaftesten 
Untersuchung so schnell abzutödten, oder doch zu lähmen, dass 
es seinen Fuss nicht mehr in so heftige Contraetionen zu ver- 
setzen vermag, wie dies für gewöhnlich bei der geringsten 


90 Griesbach: 


Manipulation, welche man mit ihm vornimmt, geschieht. Seit- 
dem ich bei meinen Untersuchungen über das Blut in der 
Punetur des Herzens durch das Schalenschloss einige Fertigkeit 
erlangt hatte, verfiel ich auf den Gedanken, den Thieren auf 
diese Weise lähmende Nerven- und Muskelgifte beizubringen, um 
Contractionen, wenn auch nicht ganz zu beseitigen, doch mög- 
lichst einzuschränken. Ich habe mich zu diesem Zwecke des 
Curare, allerdings mit wechselndem Erfolge, bedient, auch habe 
ich versucht, die Contractionen durch Einlegen der Thiere in 
Lösungen von Chloralhydrat abzuschwächen. 

Nach meinen Controluntersuchungen bin ich jetzt zur Ueber- 
zeugung gelangt, dass eine direete Wasseraufnahme in das Blut 
durch Oeffnungen auf der Fusskante bei den Najaden nicht vor 
sich geht. Durch die Erkennung der Thatsache, in welch hohem 
Grade Wasser verändernd auf die normale Beschaffenheit der im 
Blute enthaltenen zelligen Elemente einwirkt, muss überhaupt eine 
permanente oder temporäre direete Vermischung des Blutes mit 
Wasser für den Organismus als unpraktisch und schädlich zu- 
rückgewiesen werden. Dies gilt meiner Ansicht nach nicht nur 
für Mollusken, sondern auch für andere im Wasser lebende Wir- 
bellose, deren Blut ähnlich wie das der Mollusken beschaffen ist. 
— Damit ist allerdings die Frage nach der Wasseraufnahme im 
Allgemeinen und nach der bei den Mollusken im Speciellen kei- 
neswegs aus der Welt geschafft. Es ist möglich, dass Wasser, 
wie bei Echinodermen, auch bei Weichthieren behufs mechani- 
scher Verwendung in ein besonderes Wassergefässsystem aufgenom- 
men wird, wie dies nach den Untersuchungen von Schiemenz 
kaum noch zu bezweifeln ist. Dass dies nur bei Natiea josephina 
und „vielleicht wenigen anderen Meeresschnecken“, wie Fleisch- 
mann!) meint, der Fall sein soll, scheint mir, bevor darüber 
nicht weitere Untersuchungen vorliegen, eine voreilige und etwas 
kühne Behauptung. 


1) Fleischmann, Die Wasseraufnahme bei Mollusken. Biolog, 
Centralblatt. 1888. No. 23, S. 716. 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 91 


IX. Zusammenfassung. 


1. Der rothe Blutfarbstoff mancher Acephalen (Poromya 
- granulata, Solen legumen, Tellina planata, Capsa fragilis, Astarte 
 fusea (?), Cardita aculeata, Arca tetragona, Arca Noae, Peetunculus 
ge eimeris) ist Hämoglobin, oder steht diesem sehr nahe. 

2. Das Pigment ist in besonderen scheiben- oder kugel- 
j förmigen Zellen enthalten, welche eine deutliche Membran be- 
‚sitzen. Das Pigment ist theils überall gleichmässig vertheilt, 
theils findet es sich noch in gröberen Kömern abgelagert. 

3. Die Structur des Zellenleibes der farbigen Blutzellen 
erscheint nach besonderen Behandlungsmethoden als eine fein- 
 streifige, die Streifen zeigen zarte Granulirung. 

| 4. Die farbigen Zellen führen einen deutlichen, mit so- 
genannten Kernkörperchen versehenen Kern von verschiedener 
Form, welcher von einer Membran und manchmal von einem 
„freien Raume“ im Sinne der Autoren umgeben wird. In einzel- 
nen Zellen finden sich zwei Kerne. Eine fädige Beschaffenheit 
_ der Kernsubstanz im Sinne der Autoren kam nicht zur Beob- 
| achtung. Theilungsprozesse wurden nicht wahrgenommen. 

e 5. Von Leukoeyten der Acephalen kann man_zwei ver- 
" schiedene Arten unterscheiden, solche, die mit gröberen Körnern 
_ angefüllt sind, und solche, in denen sich diese Körner nicht fin- 
den. Die Zahl der Körnerzellen ist eine schwankende. Die 
‚Körner besitzen bei einzelnen Arten eine grünliche Farbe. 

6. Beide Arten von Leukocyten bestehen in ihrem Zellenleibe 
aus zwei verschiedenen Substanzen, eine von ihnen ist mehr eonsistent 
und besitzt eine spongiöse Beschaffenheit, die andere ist mehr weich 
und füllt die Zwischenräume der ersteren aus. Beide Substanzen 
lassen sich durch geeignete Fixirungs- und Färbemittel deutlich 
von einander unterscheiden, woraus auf ihre chemische Verschie- 
denheit zu schliessen ist; doch gelang es mit Sicherheit nicht, in 
"ihnen weitere Structuren aufzufinden. 

1. Bei Versuchen die Zellen im lebenden Organismus mit 
Hülfe der durch Diffusion in das Blut eindringenden Farbstoff- 
lösungen zu tingiren, stellt sich heraus, dass eine Aufnahme des 
Farbstoffes erst dann stattfindet, wenn die Zellen ihre normale 
Beschaffenheit eingebüsst haben. 


92 Griesbach: 


8. Vacuolen wurden in den intacten Zellen nieht aufge- | 
funden, wohl aber bilden sich solche in nicht fixirten Zellen. 

9. Die von der Spongiosa umschlossene Zwischensubstanz ° 
besitzt in hohem Grade die Eigenschaft der Contraetilität und 
vermag Pseudopodien auszustrecken. An den Stellen, wo dies - 
geschieht, begleitet die Spongiosa den Fortsatz eine Strecke weit 
in Form einer Scheide. Manchmal ist nur ein Fortsatz vorhan- 
den, in anderen Fällen finden sich zwei oder mehrere Pseudo- 
podien, doch bleibt ihre Anzahl nur gering. 

10. Diese normalen innerhalb der unverletzten Gefässbahn | 
von den Zellen entwickelten Fortsätze haben bisher nicht genü- 
gende Berücksichtigung erfahren. Ihre Bildung hängt lediglich 
von der Contractilität, als vitale Eigenschaft des Protoplasma, 
ab. Mit diesen Fortsätzen verankern sich die Zellen unter ein- 
ander nie. An Länge übertreffen sie den Zelldurchmesser oft. 
um das Drei- bis Fünffache. Ihr Aussehen ist ein ganz charak- 
teristisches, so dass eine Verwechslung mit anderen Fortsätzen, 
welche an nicht fixirten Zellen ausserhalb der Gefässbahn auf- 
treten, unmöglich ist. Diese letzteren, die sehr verschiedene 
Form besitzen, sind zwar auch Bestandtheile der Zwischensub- 
stanz, können aber nicht mehr als normal betrachtet werden, und 
die Ursache ihrer Bildung muss ausserhalb der Zelle in Einflüssen 
der Umgebung gesucht werden, welche tiefgreifende Verände- 
rungen an den Leukocyten hervorzubringen vermögen. Zu die- 
sen gehört beispielsweise die Plasmochise und die Bildung von 
Plasmodien. | 

11. Die Bewegungen der normalen Pseudopodien lassen | 
sich mit Hülfe der bisher bekannten Methoden auf dem Deckglas’ 
nicht verfolgen. 

12. Die periphere Begrenzung der contractilen Materie’ 
wird durch eine sogenannte Plasmahaut bewerkstelligt. Dieselbe 
ist für die Funetion der Zelle im strömenden Blute von wichtiger 
Bedeutung. Ausserhalb der Blutbahn bewirken die Einflüsse der 
Umgebung eine mehr oder weniger schnelle Veränderung der 
Plasmahaut, womit eine Schädigung der vitalen Eigenschaften 
der Zelle Hand in Hand geht. | 

13. Alle Leukocyten der von mir untersuchten Acephalen 
besitzen einen deutlich ausgebildeten, kugeligen oder etwas ovalen 
Kern, derselbe wird von einem „freien Raume“ umgeben, durch 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 93 


welchen radienartig feine Stützfäden verlaufen, deren Ursprung 
und Endigung nicht festgestellt werden konnte. 

14. Die Lage des Kernes ist eine verschiedene, die Lage- 
veränderung steht mit dem Formenwechsel der Zelle in Zusam- 
menhang. | 

15. Der Kern besteht aus zwei chemisch verschiedenen 
Substanzen, welche durch Doppelfärbung deutlich zu machen 
sind; in der Grundsubstanz ist mit Sicherheit eine feinere Struec- 
tur nicht wahrzunehmen. In derselben befinden sich allerlei 
Bälkchen und klumpige Massen, welehe die verschiedensten For- 
men zeigen. Von einer Netzstructur im Sinne der Autoren kann 
im dem Kerne der Acephalenleukocyten nieht die Rede sein. 
Eine Kernmembran konnte nicht nachgewiesen werden. 

16. An den Leukocyten kamen Theilungsvorgänge nicht 
zur Beobachtung. R; 

17. Bei einigen Acephalen finden sich im Blute Krystall- 
bildungen, die auf Säurezusatz unter Aufbrausen zerfallen, doch 
muss es dahin gestellt bleiben, ob diese Krystalle im strömenden 
Blute vorkommen, oder sich erst nach der Entleerung bilden. 

18. Die manmnigfaltigen Bewegungserscheinungen der mit 
dem Blute entleerten Leukocyten sind zum grossen Theil Tempe- 
raturdifferenzen und physikalisch-chemischen Einflüssen_der Um- 
gebung zuzuschreiben. Aus diesem Grunde bedarf die Lehre vom 
Phagoeytismus einer gründlichen Revision. 

19. Das Eindringen von Wasser in die Blutbahn des le- 
benden Thieres schädigt das normale Verhalten der farbigen und 
farblosen Blutzellen. » 

20. Eine directe Wasserzufuhr zum Blute ist daher aus 
physiologischen Gründen unmöglich. 


Nachtrag. 


Erst vor Kurzem habe ich von der mir gütigst übersandten, 
am 20. Juni im Abdruck vollendeten Arbeit Pfeffer’s: „Ueber 
Aufnahme und Ausgabe ungelöster Körper und zur Kenntniss 
der Plasmahaut und der Vacuolen ete.“, (Abhdlg. der math.-phy- 
sik. Kl. der Kgl, Sächs. Gesellschaft d. Wiss. Bd. XVI) Einsicht 
nehmen und dieselbe aus diesem Grunde nicht mehr berücksich- 
ligen können. Pfeffer’s Mittheilungen über Bildung von nor- 
malen und künstlichen Vacuolen im Zellplasma, über die Ent- 
stehung einer Plasmahaut und deren Verhalten zu der Umgebung 


94 Griesbach: 


der Zellen, sowie über die Cohäsion und die Ausgestaltungen 
des Protoplasma sind von weitreichender biologischer Bedeutung, 
die sich auch bei ferneren Studien über thierische Zellen, beson- 
ders über Leukocyten, bemerklich machen wird. 

Schon in meiner vorstehenden Arbeit finden sich manche 
Punkte, welche sich an die Ausführungen Pfeffer’s anlehnen. 

In einer neuen Arbeit von Auerbach: „Zur Kenntniss der 
thierischen Zellen“ (Sitzungsb. der Königl. Preuss. Akad. d. Wiss. 
Sitzung der physik.-mathem. Kl. vom 26. Juni, ausgegeben am 
3. Juli), welehe mir durch die Güte des Herm Verf. zuging, 
wird ebenfalls, wie in meinen vorstehenden Mittheilungen, eine 
Doppelfärbung im Zellkerne beschrieben, wobei sich zahlreiche 
Nucleoli darstellen, die nicht Knotenpunkte eines Netzwerkes 
sind, welches Auerbach überhaupt nicht als normales Verhalten 
betrachtet (S. 740 [6]), sondern welches, wie er meint, theils un- 
absichtlich hervorgerufen, theils planmässig in schönster Form 
erzeugt werden könne. | 

Ich habe schon an anderen Orten, zuletzt in der Münchener 
Medizin. Wochenschrift, 1889 Nr. 43, darauf hingewiesen, dass” 
wir durch Färbungsmethoden, welche den Werth von chemischen 
Reactionen besitzen, auch der chemischen Beschaffenheit des Zell- 
kernes allmählich näher kommen dürften. Wie sehr überhaupt‘ 
geeignete Färbungen immer mehr den Werth von chemischen 
Reactionen beanspruchen, zeigt auch wieder die Arbeit von 
Hoyer: „Ueber den Nachweis des Mucins in Geweben mittels” 
der Färbemethode“ (dieses Archiv Bd. 36), welche mir der Herr Verf. 
gütigst übersandte. Es war mir unbegreiflich, dass Hoyer, der, 
wie ich, die chemische Theorie der Färbung, wenigstens für das von’ 
ihm behandelte Object, vertritt, wie aus seinen Mittheilungen auf 
S. 320, 333, 350 und 360 unzweideutig hervorgeht, meine Arbeiten‘ 
über Färbungen mit keinem Worte erwähnt. Dies zwar mir um 
so auffälliger, da ich bei der Beschreibung meiner auf der Würz- 
burger Anatomenversammlung demonstrirten Präparate (A. A. 1888 
Nr. 23—25) ein zu Tinetionen sehr geeignetes Phenosafranin” 
für die Muein führenden Lippendrüsen erwähnte, und schon 
früher das Jodgrün als vortrefflieh zur Erkennung von Schleim” 
produeirenden Drüsen bezeichnete. Aus brieflichen Mittheilungen, 
welche Herr Prof. Hoyer mir zu machen die Güte hatte, erkenne” 
ich nun, dass er diese, so wie einige andere, das Knorpelgewebe” 
betreffende, Punkte in meinen Arbeiten übersehen hatte. | 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 95 


Ganz neuerdings erhielt ich eine Arbeit von Löwt: Ueber 
Amitose (Centralbl. f. allgem. Pathol. u. pathol. Anat. Bd. I 1890), 
in weleher er das Aussehen des Kernes der Krebsblutleukocyten 
in ähnlicher Weise beschreibt, wie ich dies für die Acephalen 
gethan habe. Endlich möchte ich noch bemerken, dass ich auf 
das Buch Altmann’s: Die Elementarorganismen, Leipzig, Veit. 
1890, in vorstehender Arbeit nicht mehr eingehen konnte. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel III u. IV. 


Es bedeutet für alle Figuren: k Kern; pg Pigment; m Membran; mf 

Membranfalten ; ps normale Pseudopodien ; g Körnereinlagerungen der 

Leukocyten; p nicht normale Pseudopodien; n Nucleolen; st Stütz- 

fäden des Kernes; h freier Raum um den Kern. 

Fig. 1. Blutkrystalle, welche durch Einwirkung von Eisessig und 
Chlornatrium auf das Blut von Peetunculus glycimeris gewon- 
nen wurden. 

Fig. 2. Dieselben in Bezug auf den Pleochroismus und die Auslöschung 
XB=271/,0; Ka konnte wegen der Kleinheit der Krystalle 
nicht genau gemessen werden. - 

Fig. 3. Farbiges Blutkörperchen von Poromya granulata. Der Zellen- 
leib ist schwach gelb gefärbt und enthält mehrere gröbere 
braunrothe Pigmentkörner. Der excentrisch gelegene Kern 
tritt deutlich hervor. Engelbert und Hensoldt Syst. IV. 
Oe. I. Cam. 

Fig. 4. Farbiges Blutkörperchen von Cardita aculeata nach Behand- 
lung mit Pikrokarmin. E. & H. Syst. IV. Oc. I. Cam. 

Fig. 5. Farbige Blutkörperchen von Arca Noae mit spärlichen roth- 
braunen Pigmentkörnern. a, b im natürlichen Zustande, c 
nach Behandlung mit Essigsäure vom spec. G. 1,060. E.&H. 
Syst. IV. Oc. I. Cam. 

Fig. 6. Farbige Blutkörperchen von Solen legumen. a Form von der 
Fläche gesehen, b Form von der Kante gesehen. Bei c und 
d sind dieselben mit dem Pigment dargestellt; bei d nach 
Einwirkung von concentrirter Essigsäure. E. & H. Syst. IV. 
Oc. II. Cam. 

Fig. 7. Farbige Blutkörperchen von Arca tetragona. Bei a und b, 
Flächenansicht, bei e Kantenansicht. Bei d mit dem Pigment 
dargestellt, um den Kern ist eine pigmentfreie Zone sichtbar. 

= E. & H. Syst. IV. Oc. I. Cam. 


Fig. 10. 


inne au Ei 


Tue, 19. 


Fig. 14. 


Fig. 15. 


Griesbach: 


Farbige Blutkörperchen von Capsa fragilis. Bei a bis e zeigen 
die Zellen durch Druck allerhand Faltungen ihrer Membran. 
f bis h die Zellen nach Einwirkung von Pikrokarmin, bei g 
erscheint der Kern doppelt, bei h nierenförmig. i nach Ein- 
wirkung von Glycerin. E. & H. Syst. IV. Oc. I. Cam. 
Farbige Blutkörperchen von Pectunculus glyeimeris. a bis d 
Druckformen. E. & H. Syst. IV. Oe. I. Cam. e bis h nach 
Einwirkung von Essigsäure vom spec. Gew. 1,060; bei e er- 
scheint der Kern kugelig, bei f und h nierenförmig, bei g 
mehr in die Länge gezogen. E. & H. Syst. IV. Oec. I. Cam. 
Farbige Blutkörperchen von Tellina planata. a bis e nach 
Einwirkung von Glycerin. E. &H. Syst. IV. Oc. I. Cam. Bei 
f nach Einwirkung von Essigsäure vom spec. Gew. 1,060. Die 
Pigmentkörner haben sich zusammengehäuft und verdecken 
den, wie es scheint, an dieser Stelle gelegenen Kern, im Zel- 
lenleibe tritt eine feine Granulirung auf. E. & H. Syst. IV. 
Oe. I. Cam. 

a bis e Körnerzellen aus dem Herzblute von Mya arenaria 
mit Osmiumsäure fixirt. In e ist der Kern nicht sichtbar. In 
b der Fortsatz stark retrahirt, oder im Begriff sich auszu- 
strecken. E. & H. Syst. IV. Oc. III. Cam. 


. Körnerzelle aus dem Herzblute von Unio pietorum mit AuCl; 


fixirt. Es hat den Anschein, als bestände der normale Fort- 
satz aus zwei der ganzen Länge nach dicht aneinander gela- 
gerten dünneren Pseudopodien. An einzelnen Stellen hat die 
Zelle das Aussehen, als wolle die Zwischensubstanz aus der 
Spongiosa hervorquellen, oder als hätte sie sich soeben re- 
trahirt. E. & H. Syst. IV. Oe. II. Cam. 

a Leukocyt aus dem Herzblut von Anodonta cellensis nach 
Fixirung mit Osmiumsäure, b von Mya arenaria nach Fixirung 
mit Goldehlorid. Die Spongiosa erscheint dunkel, die Zwischen- 
substanz hell. Um den Kern erscheint ein freier Raum, durch 
welchen feine Fasern verlaufen. In b umgiebt die contractile | 
Zwischensubstanz die ganze Zelle, und fliesst an einem Pole 
pseudopodienartig zusammen. Zeiss. Homog. Imm. Num. Apert. | 
1,30 aeq. Brennw. 2,0. Tubuslänge 160. Oc. VIII. Abb. Cond. 
Irisbl. 1 mm. j 
Leukocyt aus dem Herzblute von Anodonta cellensis. Gleich-” 
zeitige Fixirung mit Osmiumsäure und Doppelfärbung mit 
Methylgrün und Rhodamin. Die Spongiosa erscheint dunkel- 
blauroth, die Zwischensubstanz violettroth, letzteren Farbenton 
zeigen auch die bipolar angeordneten normalen Pseudopodien, 
der eine Fortsatz ist dichotomisch gespalten. Der Kern tritt 
deutlich hervor, die Balken erscheinen blaugrün, die Zwischen- 
substanz ist roth. Zeiss. Homog. Imm. Num. Apert. 1,30. aeg. 
Brw. 2,0. Tubuslänge 160. Oc. XTI. Abb. Cond. Irisbl. 1Imm. 
a, b nicht fixirte Leukocyten aus dem Herzen von Avicula 


Fig. 16. 


Fig. 17. 


Fig. 18. 


Fig. 19. 


Fig. 21. 


Fig. 22. 


Beiträge zur Histologie des Blutes. 97 


hirundo bei Behandlung mit Methylenblau nach 4stündiger 
Einwirkung der Farbstofflösung auf das darinliegende Thier. 
An den Zellen, welche anfangs kaum gefärbt erschienen, färbt 
sich die Spongiosa während der Beobachtung durch Aufnahme 
des Farbstoffes aus der Blutflüssigkeit immer dunkler und 
zeigt einen mehr fädigen Bau. Die Zwischensubstanz, welche 
in Form grosser gelappter Fortsätze aus der Spongiosa her- 
vortritt, bleibt so gut wie ungefärbt. In b ist der Kern sicht- 
bar, doch war derselbe, als die Zeichnung angefertigt wurde, 
kaum gefärbt; bei f ist der Farbstoff massig abgelagert. E.&H. 
Syst. IV. Oe. II. Contouren mit Cam. 

Nicht fixirte Zelle aus dem Herzen von Cardium tuberculatum 
bei Einwirkung von Essigsäure vom spec. Gew. 1,060. Die 
hervorquellende Zwischensubstanz lässt eine Art fädig-granu- 
lirte Beschaffenheit erkennen und beherbergt den mit ausge-_ 
tretenen Kerh. E. & H. Syst. V (Imm.). Oe. I. 

a Körnerzelle aus dem Herzblute von Modiola adriatica, b 
von Anodontä cellensis, Fixirung mit Osmiumsäure c von 
Anodonta cellensis, Fixirung mit Goldchlorid, Körner wenig 
zahlreich. Bei v eigenthümliche Bildungen, die wie Vacuo- 
len aussehen, s. Text. E. & H. Syst. IV. Oec. DH. Contouren 
mit Cam. 

a, b, € Leukocyten aus dem Herzblute von Unio pietorum. 
Der Zellenleib enthält nur wenige Körner. Fixirung mit Os- 
miumsäure E. & H. Syst. IV. Oc. II. Cam. 

Leukoecyten aus dem Herzblute von Anodonta cellensis. a mit 
Pikrinschwefelsäure und Jodjodkaliumlösung fixirt und gefärbt. 
b ebenfalls mit Jodjodkaliumlösung gefärbte nicht fixirte Zelle. 
Die Zelle a trägt einen starken normalen Fortsatz, welcher 
denselben Farbenton aufweist wie die stacheligen und lappi- 
gen nicht normalen Fortsätze der Zelle b; den helleren Far- 
benton zeigt auch die nicht ausgeflossene Zwischensubstanz. 
In b ist um den Kern eine helle Zone sichtbar. E. & H. 
Syst. IV. Oc. I. Contouren mit Cam. 

Leukocyten mit wenigen Körnern aus dem Herzblute a von 
Cytherea chione, b und c von Mactra stultorum. Fixirung 
mit Goldehlorid. Bei b und c sind die normalen Pseudopo- 
dien bipolar, bei a multipolar angeordnet. E. & H. Syst. IV. 
Oe. II. Cam. 

Leukocyten aus dem Herzblute von Solecurtus strigillatus. 
Fixirung mit Osmiumsäure. Bei a zeigt das Mittelstück eines 
der normalen Ausläufer eine kurze Abzweigung w. Bei b ist 
das Ende eines derselben diehotomisch gespalten w!., Dieser 
Ausläufer scheint eine Strecke weit mit einer Spongiosascheide 
umgeben zu sein. E. & H. Syst. IV. Oe. II. Formen mit Cam. 
Körnerzellen aus dem Herzblute von Anodonta cellensis, 10 
Minuten nach der Entleerung auf dem Deckglas fixirt. a und 


Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 37 {| 


98 


Fig. 


23. 


ID 
SL 


„26. 


. 1 bis 11 Formänderung einer und derselben Zelle aus dem 


. Im Herzblute von Peetunculus glyeimeris gefundener Flagel- 


. Nichtfixirte Zelle, myelintropfenähnliche Gebilde und Kr ystalle 


. Krystalle aus dem Herzblute von Tellina baltica. E. & H. 


. Leukocytenkerne von Anodonta cellensis. a bei Behandiung 


' 


b mit Chromosmiumessigsäure, ce und d mit Pikrinschwefel- 
säure. Die Zellen a, b, d haften am Deckglase und ihre lap- 
pigen Ausläufer zeigten vor der Fixirung eigenthümliche Be- 
wegungen. Die beiden Zellen bei b, ursprünglich von einan- 
der getrennt, flossen während der Beobachtung vor der Fixi- 
rung mit ihren lappigen Ausläufern zusammen. Die Zelle e 
haftete nicht am Deckglase, sondern war im Tropfen suspen- 
dirt. Nach Zusatz der Fixative hörten die Bewegungen auf 
und es schien eine geringe Verkleinerung der Dimensionen 
einzutreten. Kerne und Körner treten scharf hervor. E.&H. 
Syst. IV. Oe. III. Contouren mit Cam. 

a, b, e Contouren von »Leukocyten aus dem Herzblute von 
Anodonta cellensis, unmittelbar nach der Entleerung auf ein 
mit Oel bestrichenes Deckglas gebracht. Die beiden Figuren 
bei a repräsentiren dieselbe Zelle, deren blasige Ausstülpung 
fortwährend wechselnde, wogende und gleitende Bewegung 
ausführte. Von der Zelle b haben sich myelintropfenähnliche 
Gebilde abgelöst. Die Zelle bei e erscheint langgestreckt mit 
mehreren Einschnürungen versehen. E. & H. Syst. IV. Oc.l. 


Griesbach: 


. a, b Plasmoschise zweier Leukocyten aus dem Herzblute von 


Anodonta cellensis. Zelle a 3 Minuten nach der Entleerung, 
Zelle b 91/, Minute nach der Entleerung. Anwendung von Eis 
s. Text: E.”& H. Syst. IV. Oc. HI. 


Herzblute von Mytilus edulis während 11/, St. Der Zellenleib 
enthält grobe, mehr oder weniger kugelige grünliche Körner, 
deren Austritt aus demselben während der Veränderungen 
wahrgenommen wurde. E. & H. Syst. IV. Oe. I. Cam. : 
al bis g! Leukocytenformen aus dem Herzen von Arca tetra- 
gona. Fixirung mit Pikrinschwefelsäure E. & H. Syst. IV. 
06.1. Cam. N 


lat. Zeiss homog. Imm. !/ıa Oc. VII. 


aus dem Herzblute von Pecten varius. E. & H. Syst. IV. 
06.8. Cam. 


Syst. II. Oc. I. €ain. 


mit Chromosmiumessigsäure, b mit Goldehlorid. Die Bieg gungen 
und Knickungen zeigenden Kernbalken erscheinen bald me 
oder weniger zusammenhängend, bald isolirt. Zeiss homog 
Imm. Num. Apert. 1,30. Aeq. Brennw. 2,0. Tubusl. 160 mm. Oe.1 
Abl. Cond. Irisbl. 1 mm. 


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‚Archiv [[mikroskon. Anatomie. Bd. KK. 


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Beiträge zur Histologie des Blutes. y9 


Verbesserungen. 


"S eite 42 Zeile 5 der Anm: 1 lese man: Metatetramethyldiamidodioxy- 
j phenolophtalein. 

Seite 55 Zeile 15 muss es vor der Zahl 26 statt 24a 24 heissen. 

Seite 65 Zeile 31 muss hinter der Zahl 17 noch der Buchstabe ce stehen. 
Seite 69 Zeile 7 muss es statt Fig. 22a b Fig. 22a Db.d heissen. 

Seite 70 Zeile 6 muss es statt 96 2 a 24a heissen. 

‚Seite 82 Zeile 28 muss es statt fixirte Zellen fixirte Zelle heissen. 


(Aus dem anatomischen Institut der Universität Bonn.) 
Die Conjugation und Sporenbildung 
bei Gregarinen. 

Von 
Max Wolters. 


Hierzu Tafel V— VII. 


Einleitung. 
Die letzten Jahrzehnte haben die Systematik und die Kenntniss 
jder biologischen Vorgänge bei den Gregarinen wesentlich gefördert. 
ine übersichtliche und erschöpfende Darstellung ist erst vor we- 
nigen Jahren von Bütschli gegeben worden. 3 
Obwohl man aber auf den verschiedensten Wegen versucht 
hat, Klarheit über die Lebensvorgänge zu erhalten, so ist es doch 
bisher nur zum kleinsten Theile gelungen, absolut feststehende 
Resultate zu gewinnen. Das Beobachtungsmaterial ist äusserst 
reich, aber auch äusserst verschieden, sodass eine durchgreifende 
Gesetzmässigkeit vorläufig sich nicht wird erkennen lassen. 
5 Einer der am meisten bearbeiteten und untersuchten Lebens- 
processe, dessen Erforschung gleichwohl noch nicht zu einem 
befriedigenden Abschluss gekommen, ist der der Fortpflanzung. 
Am zahlreichsten sind die Untersuchungen über diesen Vorgang 
bei den leicht zugänglichen Gregarinen des Regenwurmhodens, 
der Monocystis magna und agilis. | 
_ Ein Punkt, der von allen Forschern, mögen sie zu Resultaten ge- 
Ommen sein, zu welchen sie wollen, noch nicht berücksichtigt wurde, 
ist der: Welche Rolle spielt der Kern bei der Fortpflanzung, welche 
Veränderungen lassen sich an ihm während dieses Vorganges wahr- 
iehmen ? „Ueber Theilungsvorgänge des Kernes der Gregarinen ist 


100 Wolters: 


bis jetzt durchaus Nichts bekannt; sein Verhalten bei der Eneysti- 
rung, Copulation und der Fortpflanzung überhaupt wird späterhin 
zu betrachten sein.“ So lautet der Schlusssatz des dem Nucleus 
in Bütschli’s Werk gewidmeten Kapitels. In den späteren Ab- 
theilungen über Copulation und Eneystirung ist aber auch nur 
wenig über den Kern und seine Betheiligung enthalten, da die 
bis zum Erscheinen des Werkes bekannten Arbeiten ebenso wenig 
darüber enthalten, wie die neuesten Publieationen. 

Auf Vorschlag meines verehrten Lehrers, Herrn Professor 
Nussbaum, unternahm ich es, den Kerm der Gregarinen, sein 
Verhalten bei der Fortpflanzung ebenso wie diese selbst einer 
erneuten Untersuchung zu unterziehen. 

Meine Studien beschränkte ich auf die Monoeystideen des 
Regenwurmhodens, die Clepsidrina Blattarum und die Klossia der 
Schneckenniere. Ich werde daher im Wesentlichen nur auf diese 
Species eingehen und alles andere thunlichst bei Seite lassen. 


Gegenwärtiger Stand der Kenntnisse. 


1. Die Kernverhältnisse der Gregarinen. 


Die Monocystideen des Regenwurmhodens, vor allem‘ des 
Lumbrieus agricola, den ich vornehmlich verwendet habe, sind 
die Monocystis magna und agilis, die in jedem Hoden zu finden 
sind. Die andern Species, Zygocystis cometa, Monoeystis cristata, 


Monoeystis euneiformis, Monocystis minuta, habe ich kaum darin ' 


gefunden. Die erstgenannte Species, Monoeystis magna, besitzt 
einen längsovalen Kern mit grossem Kernkörper, der gewöhnlich 
schräge bis senkrecht zur Längsaxe des Thieres liegt. Der Kern 
soll bei allen erwachsenen Individuen vorkommen, während jugend- 
liche Entwickelungsformen diesen vermissen lassen. Bütschli?) 
glaubt aber auch für diese den Kern als vorhanden behaupten 
zu müssen. D’Udekem beschreibt, zwei Kerne bei der Mo- 
nocystis magna gesehen zu haben; ähnliche Erscheinungen bei 
anderen Gattungen haben Kölliker, Leydig, A. Schneider 


1) Ich verweise in Bezug auf die Litteratur auf die Zusammen- 
stellung in Bütschli’s Werk und werde nur die später erschienenen 
Arbeiten eitiren. 


_ Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 101 


‚behauptet. R. Pfeiffer (Berlin) trat gelegentlich der Demon- 
‚strationen im Hygienischen Institut für einen doppelten Kern bei 
Polyeystideen ein, von denen der eine sogar im Protomerit lie- 
‚gen sollte. 
Von der Monoeystis agilis wird auch allgemein das Vorhan- 
densein eines Kernes berichtet. Nur Ray-Lankester vermisste 
ihn gelegentlich. Der Kern ist nach v. Beneden und A. Schnei- 
_ der bläschenförmig voll Flüssigkeit, nach v. Frantzius und 
Stein ein solider, gallertartiger Körper, der nach A. Schneider 
allein den Kern ausmacht, oder sogenannte Nucleoli verschiedener 
Zahl und Beschaffenheit enthält. Die Nucleoli sind homogen stark 
liehtbrechend. | 
h Die Gattung Clepsidrina soll nach A. Schneider nur einen 
und zwar ansehnlichen Kernkörper enthalten. Bütschli beschreibt 
‚dagegen einen Haufen kleiner Nucleoli, die in ihrer Gesammtheit 
als einer imponiren können; doch soll das jugendliche Individuum 
nur einen solchen besitzen und erst das zunehmende Älter diesel- 
ben vermehren. Kölliker glaubt die grössere Anzahl Nucleoli 
durch Zerfall entstanden, da man auch gelappte findet, die nach 
Bütschli’s Ansicht ebenso gut für eine spätere Verschmelzung 
‚sprechen können. 

2. Die Conjugation der Gregarinen. 
Stein fasste zuerst die Syzigienbildung als Conjugation auf, 
die von anderen Forschern, wie Kölliker, als ein 'Theilungs- 
 vorgang angesehen wurde. A. Schneider giebt die Syzygien- 
bildung als Copulation zu, lässt die Individuen sich dann wieder 
trennen und solitär eneystiren, oder wenigstens nieht verschmolzen, 
Doppeleysten bilden. Bütschli, der bei zwei Polyeystideen die 
Eneystirung der Syzygie beobachtet, stimmt der Ansicht Stein’s 
bei. Henle sah zuerst Regenwurmmonocystis gepaart mit 
den gleichnamigen Körperenden aneinander. Bruch und Lie- 
berkühn behaupten eine solitäre Eneystirung der Monoeystis 
agilis im Regenwurmhoden, ohne den Beweis dafür beizubringen. 
A. Schmidt bestreitet die Conjugation; er sah einen sich ab- 
_ schnürenden Theil des Gregarinenleibes, der sich dann eneystiren 
soll. Ruschhaupt!) hat eine ähnliche Auffassung des Vorganges 


4 


1) Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaften Bd. 18, S. 713, 


102 Wolters: 


geäussert. Die Gregarine des Regenwurmhodens eneystire sich soli- 
tär, oder sie schnüre ihre Leibessubstanz ein; es resultiren zwei 
kugelförmige Gebilde, in denen die Sporulation vor sich gehe. 

Ob nieht zwischen den beiden Individuen der eneystirten 
Syzygie doch ein vorübergehender conjugativer Austausch statt- 
findet, der für die Sporulation von Bedeutung, ist noch nicht 
ausgemacht (Bütschli). | 

Welche Rolle dem Kerne bei all diesen Vorgängen zukommt, 
ist nirgend erwähnt; er hat für die meisten Forscher bei dem 
ganzen Process nicht viel zu bedeuten, wie es scheint. 

Kurz nach erfolgter Eneystirung soll der Kern, respective 
die Kerne der beiden Copulanten schr undeutlich werden. Sie 
entziehen sich zuletzt dem beobachtenden Auge ganz und sind 
im Inhalte der ausgequetschten Cyste nicht mehr zu finden. Der 
Schluss, der daraus gezogen wird, lautet: Der Kern geht nach 
der Eneystirung durch Auflösung zu Grunde. Bütschli bezwei- 
felt die Richtigkeit dieser Ansicht, da es bei einer Gregarinen- 
form geglückt sei, auf späteren Entwickelungsstadien der Cysten 
zahlreiche Kerne zu constatiren. Wesentliche Umbildungen lassen 
sich nach der Eneystirung schon an den noch vorhandenen Kernen 
zum Theil constatiren, da sie bei Clepsidrina Blattarum die Nu- 
cleoli ganz verloren haben und in ihrer Grösse redueirt erscheinen. 


5] 


3. Sporenbildung bei den Gregarinen. 

Auf die Eneystirung folgt nach einiger Zeit die Bildung der 
Sporen. Bütschli behauptet, vor der Verschmelzung der Leiber 
träten bei Clepsidrina Sporen an der Peripherie auf, während 
Stein die Thierleiber vor der Sporenbildung verschmelzen lässt. 

Bei den Monoeystideen des Regenwurmes soll der Process 
vor sich gehen, wie ihn Bütschli zusammenfassend in seinem 
Werke beschreibt: Die Sporulation geschieht dadurch, dass auf 
der Oberfläche des solitär eneystirten, oder der beiden noch nicht 
verschmolzenen copulativ eneystirten. Thiere helle, plasmatische 
Zellen hervorknospen, welche sich schliesslich ablösen, frei wer- 
den und gewöhnlich in einer Schieht peripherisch unterhalb der 
Cystenhaut angeordnet sind. Der bei der Sporulation unver- 
brauchte körnige Rest des oder der Gregarinenkörper zerfällt” 
nun in eine wechselnde Zahl kugeliger oder unregelmässig ge- 
stalteter Gebilde, vielleicht nachdem vorher eine Verschmelzung” 


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Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 103 


_ der beiden Körper stattgefunden. Diese Reste der ursprünglichen 
_ Gregarinenkörper haben, wie es scheint, keine weitere Bedeutung. 
In ihrem Inneren treten gewöhnlich mehr oder minder ansehn- 
 liehe Vaceuolen auf und häufig sieht man von ihrer Oberfläche 
protoplasmatische Fadennetze entspringen, welche das Innere der 
Cyste bis zu deren Wänden durchsetzen. 
Dem gegenüber sind von anderen Forschern, besonders 
- Lieberkühn, drei Arten der Sporenbildung angenommen werden: 
#) ich beobachtete einen Furchungsprocess an der Mo- 
nocystideeneyste, dessen Endergebniss dreissig und mehr 
kugelige Körnerhaufen waren, aus denen sich auf Kosten 
der Körnermasse die Sporen entwickeln. 

i Nach A. Schneider soll eine fortgesetzte Theilung 
I des Kernes und eine Vertheilung der entstandenen Pro- 
ducte im Protoplasma zur Sporenentwickelung führen. 
2. Der Gregarinenleib zerfällt in eme Anzahl Kugeln, an 

deren Oberfläche plasmatische Zellen auftreten, aus denen 


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$ sich die Sporen entwickeln. 

4 3. Auf der Oberfläche beider kömigen Kugeln, die nach 
x Bruch und Lieberkühn durch eine erste Theilung 
Pi entstehen, sprossen sogenannte Sporoblasten (A. Schnei- 
4 der) hervor, die sich als kugelförmige Plasmakörner ab- 
R lösen und sich weiter in Pseudonavicellen entwickeln. 


Nach Lieberkühn sollen sie sich auf Kosten des körnigen 
- Inhaltes der Cyste noch weiterhin vermehren können, sodass dieser 
zuletzt ganz verschwinde. Ruschhaupt (l. e.) behauptet die 
- Sporenbildung um den imtacten Kern herum beobachtet zu haben. 
Von da aus sollen die Sporoblasten nach der Peripherie gehen; 
die körnigen Restballen wurden zur Sporenbildung mehr und 
mehr verbraucht. Wo der intacte Kern geblieben, neben dem 
b: die Sporenbildung auftrat, ob Veränderungen an ihm auftraten 
u. 8. f., darüber fehlt jede Mittheilung. 
| Bei Clepsidrina sollen, wie oben bereits erwähnt, nach 
Bütschlis Untersuchungen die Sporoblasten durch Knospung an 
der Oberfläche entstehen, schon vor dem die T'hiere verschmelzen. 
Die völlige Verschmelzung der unverbrauchten Reste tritt erst nach 
der Sporulation ein. Die zuerst nach der Peripherie abgegebenen 
Sporen wandern dann in das Innere des körnigen Cysteninhaltes 
zurück und werden durch die Sporoduete entleert, 


104 i Wolters: 


4. Die Spore und ihre Entwickelung zur Gregarine. 


Die Structur der Clepsidrinaspore zeigt längere Zeit nach 


dem Austritt aus der Cyste nach Bütschli eine feste Hülle, 
einen granulirten Protoplasmainhalt mit körnigem Kerne. 

Durch Infeetionsversuche hat genannter Forscher zu erwei- 
sen unternommen, wie die Spore sich weiter entwickele. Er 
fand im Mitteldarme der mit dem Infeetionsmaterial gefütterten 
Schaben jugendliche, kernhaltige, hüllenlose Individuen in die 
Epithelzellen eingesenkt, die er als die Jugendform der Clep- 
sidrina anspricht. Weiter entwickelte Formen zeigten Differen- 
zirung in Epi-, Proto- und Deutomerit. Der direete Nachweis, 
dass diese Formen aus der Spore entstanden und wie dies ge- 
schehen, steht noch aus. 

Ueber die Sporen oder Pseudonavicellen der Regenwurm- 
monoeystideen ist von vielen Seiten berichtet worden. 

Der kernhaltige Sporoblast umgiebt sich nach Bütschli 
mit einer Hülle und es entstehen acht wie die Theile einer Orange 
nebeneinander liegende sichelförmige Körper mit deutlichen Kernen. 
Von dem Protoplasma bleibt ein Theil unbenutzt übrig als Rest- 
körper. Die gleichen Beobachtungen hat A. Schneider gemacht. 
Auch ihm gelang der Nachweis von Kernen in den sichelförmigen 
Körpern. Ruschhaupt (l. ec.) hat sich nie von Kernen in diesen 
Körpern überzeugen können. Nach seiner Auffassung enthält die 
mit fester Sporenhaut umgebene Pseudonavicelle neben einer An- 
zahl von Gregarinenkörnern (sichelförmige Körper) den sogenannten 
Restkörper (nucleus de reliquat Schneiders), in dem sich ein Kern 
nachweisen lässt. Dieser Restkörper ist der sogenannte Keimling, 
während die sichelförmigen Körper das Nährmaterial für diesen 
darstellen, da ja oft längere Zeit vergeht bis zur Einwanderung 
in ein passendes Nährsubstrat. Nach demselben Forscher soll 
die Pseudonavicelle direct in den ganz jungen Spermatoblasten 


(Kleinkugler A. Schmidt’s) einwandern, respective durch dessen 


Protoplasmabewegung passiv in denselben hinein befördert werden. 
Hier löst sich die Hülle und der Keimling liegt frei in dem Organe, 
entwickelt sich weiter bis zur Gregarine mit dem Haarkleide 
A. Schmidt’s. Andere Forscher wie A. Schmidt und Bütschli 
nehmen eine Entleerung der Pseudonavicellen nach Aussen, even- 


Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 105 


‚tuell einen Wirthswechsel und neue Infecetion des Organismus an, 
‚nieht aber, wie Ruschhaupt, eine fortwährende Selbstinfeetion. 


Eigene Beobachtungen). 
1. Die Gregarinen des Regenwurmhodens. 

Die Gregarinen des Regenwurmes (Lumbriceus agricola) Mo- 
nocystis magna und agilis, die ich fast allein?) bei meinen Un- 
 tersuchungen des Hodens fand, leben in verschiedenen Absehnitten 
der männlichen Generationsorgane ihres Wirthes. Monoeystis 
magna hält sich vorwiegend in dem Nebenhoden, mit dem vor- 
deren Ende in das Epithel eingesenkt, auf, wird aber zu einer 
bestimmten Zeit, der der Conjugation, mobil, und wandert in den 
Hoden ein, wo auch ihre Cysten leicht zu finden sind. Mir sind 
die Cysten nie im Nebenhoden aufgestossen, wie A. Schmidt 
es beschrieben hat. 

Monoeystis agilis hält sich als kleiner kermnhaltiger Proto- 
plasmaleib in dem centralen Protoplasmareste der Samenkugeln 
(Spermatogemmen) auf, verbraucht mit fortschreitendem Wachs- 
thum nach und nach die ganze ihr zu Gebote stehende Substanz 
desselben und findet sich dann als lebhaft beweglicher Parasit in 
dem Haarkleide aus degenerirten Samenfäden, wie A. Schmidt 
es beschreibt. | n. 

Aus diesem tritt sie hervor zum Zwecke der Conjugation, 
die auch im Hoden selbst vor sich geht. 

Mehrere Male wurde diese Species im frischen Präparate 
in Conjugation gesehen, ohne dass sich mit Bestimmtheit hätte 
feststellen lassen, ob die Thiere mit gleichen oder ungleichen 
K örperenden aneinander hafteten. In beiden Thieren war der 
Kern und die Copulationsebene deutlich sichtbar. Auf Schnitt- 
präparaten waren nie recht charakteristische Bilder zu erhalten. 
Die Gregarinen waren da meist Uförmig gebogen und ich vermochte 


u 1) v. Roboz (Mathem. u. Naturw. Berichte aus Ungarn IV, 
pag. 166) uud Henneguy (©. R. Soc. Biol. 1887) scheinen bei Grega- 
1 ina flava und Monocystis ähnliche Beobachtungen gemacht zu haben 
wie ich. Auf die kurzen Referate über diese Abhandlungen bin ich 
erst während des Druckes vorliegender Arbeit durch eine Notiz 
Solger’s aufmerksam gemacht worden. Die Originale waren mir 
_ leider nicht zugänglich. 

2) Monoeystis ceristata, cuneiformis, minuta ebenso wie Zygocystis 
 eometa habe ich nur in wenigen Exemplaren beobachtet. 


106 Wolters: 


nicht mit absoluter Gewissheit den Zusammenhang zu behaupten, 
obwohl nach den am frischen Präparat gewonnenen Bildern nicht 
daran zu zweifeln war. Auch ist aus den Beobachtungen Henle’s 
ersichtlich, dass er eine Copulation der Regenwurmmonoeystis 
(spec.?) bereits gesehen hat. Bei der Monoeystis magna habe ich 
einmal eine Conjugation im frisch angefertigten Präparate gesehen, 
konnte aber auch hier nicht mit Sicherheit die Behauptung Henle’s 
bestätigen, dass die Vereinigung mit gleichnamigen Körperenden 
stattfinde. Ein in Serienschnitte zerlegter Lumbrieushoden lie- 
ferte das Bild emer Conjugation der Monoeystis magna, die durch 
mehr als 30 Schnitte zu verfolgen war und unzweifelhaft die 
Anwesenheit je eines Kermes in jedem Syzygiten nachwies. Die 
Thiere hafteten aneinander, ohne verschmolzen zu sein. 

Beide Arten von Gregarinen, sowohl die Monoeystis magna, 
als auch die Monoeystis agilis haben zu allen Zeiten, auch in den 
jüngsten Stadien, einen deutlichen Kern. Bei der ersteren ist 
derselbe relativ gross und oval, in der Regel zur Richtung 
des Thieres senkrecht liegend oder nur wenig geneigt. Doch ist 
seine Lage keineswegs eine fest fixirte, sondern bei jeder Con- 
traction des Thieres wird er hin und her geworfen und von einem 
Ende zum andern transportirt. Gleichwohl pflegt der Kern ım 
Ruhezustande der Gregarine ungefähr in der Mitte zu liegen; 
dann nimmt er auch die obenerwähnte Lage senkrecht zur Axe 
des Körpers an. Er scheint aus einer zähen, festeren Substanz 
zu bestehen. Aus dem frischen Thiere herausgelassen und 
stark gequetscht reisst seine Membran ein. Gleichwohl tritt 
der Inhalt nicht aus, sondern hat das Bestreben, sich auf seine 
frühere Form zurückzuziehen. Eine gleiche Beobachtung machte 
ich bei Monoeystis agilis. Der Kern hat eine feste, scharf con- 
tourirte Membran, und enthält in der jüngsten von mir beobach- 
teten Form einen rundlichen Kernkörper, der sich gut färbt und 
in seinem Inneren sich stärker tingirende chromatische Kugeln 
führt. ‘Bei Monoeystis magna wächst der Kern mit dem Thiere. 
Aus dem anfänglich runden wird ein etwas gelappter, der in den 
einzelnen Lappen und Ausbuchtungen sich stärker färbende Cen- 
tren zeigt. Die Veränderungen gehen noch weiter und man findet 
dann Kerne, die einen aus mehreren (ieh sah bis zu acht) Kugeln 
bestehenden Nucleolus haben. Diese Kugeln führen in ihrem 
Inneren wieder Stäbehen und Körner von diehterem Gefüge, 


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Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 107 


welehe die Farben intensiver annehmen und länger zurückhalten. 
Diese grössern und kleinern Kugeln des Kernkörpers ziehen sich 
‚auseinander und sind dann, gewöhnlich an der Peripherie des 
Kernes liegend, durch breitere und schmalere, weniger färbbare 
"Substanzbrücken verbunden. Diese werden dann eingezogen und 
wir haben Kerne mit eimer Anzahl gleich grosser oder meist 
grösserer und kleinerer Kernkörper. Diese letztbeschriebene Kern- 
"form findet sich bei den in Conjugation tretenden Thieren. 

Bei Monoeystis agilis sind die Veränderungen schon wegen 
der Kleinheit des Objeetes weniger deutlich. Das jugendliche 
Thier hat auch einen ovalen Kern der im Zustande der Ruhe 
‚senkrecht zur Leibesaxe zu stehen pflegt, doch finden sich ge- 
legentlich auch abgerundetere Formen. Sie enthalten in der 
Regel nur einen runden Nucleolus, der späterhin gelappt wird, 
aber keine stärker färbbaren Körner erkennen lässt. Auch hier 
findet ein Zerfall des Kernkörpers statt, so dass im weiteren 
Verlaufe ein oder mehrere grosse und eine Anzahl kleinerer 
Nucleoli im Kerne gelegen sind. 

Eines merkwürdigen Befundes möchte ich hier noch Erwäh- 
nung thun, auf den später bei der Clepsidrina Blattorum noch 
näher eingegangen werden soll. 

Bei einer nicht conjugirten, ziemlich ausgewachsenen Mono- 
€ eystis agilis fand sich ein geflammter Kern, wie ich es nennen | 
möchte. Der scharfe Contour, der dem Kern sonst eigen ist, war 
| aufgelöst, d. h. die senken war geschwunden, und die Sub- 
 stanz des fein granulirten Kernes setzte sich strahlig in das Proto- 
plasma des Thieres hinein fort. In der ungefärbten Grundmasse 
des Kernes lagen mehrere färbbare Körner. Ein ähnliches Bild 
fand sich auch einmal bei der anderen Gattung, doch war es 
nicht so vollkommen ausgebildet; es war nämlich der Kerneontour 
_ auf einer Seite noch erhalten. 

4 Der Leib der Gregarinen beider Gattungen besteht aus 
ovalen Körnern, die stark liehtbreehend, noch stärker liehtbre- 
 ehende Stäbehen enthalten. Diese letzteren treten auf Schnitten 
7 'gehärteter Präparate deutlich hervor. Nach ihrem optischen Ver- 
Pi halten am gehärteten Präparat sind dieselben als Hohlräume in 
den Körnern anzusprechen. Die Körner werden durch schwache 
 Mineralsäuren ebensowenig gelöst wie durch Essigsäure. Concen- 
 frirte Säuren lösen sie rasch, ebenso Kalilauge, Die Farben- 


108 Wolters: 


reaction mit Jod ergiebt nach Leidy braune Färbung, welche 
nach Kloss durch Schwefelsäure in blau umschlägt. Bütsehli 
hat aus diesen Reactionen geschlossen, dass die Körner aus einer 
amyloidartigen Substanz bestehen. Jedenfalls sind Fett oder 
Kalksalze nicht an ihrer Constitution betheiligt, wie Stein und 
Henle annahmen. 

Verfolgt man die Entwickelungsstadien der Gregarinen, ihre 
CUopulation und Sporenbildung, so findet man, dass die Gregarinen- 
körner bei der Sporenbildung völlig von den Sporoblasten auf- 
genommen und verbraucht werden. Sie stellen also ein Reserve- 
Nährmaterial dar, das zur Entwiekelung und Fortpflanzung unum- 
gänglich nothwendig ist. Es stimmt damit überein, dass gleiche 
Körner sich bei den Eiern und Samenkörpern von Ascaris me- 
galocephala finden, bei denen der Cirrhipedien und vieler niederen 
Thiere, sodass auch eine Bezeichnung als Gregarinenkörner wohl 
kaum mehr zulässig bleibt. 

Dieses körnige Nährmaterial liegt eingebettet in ein mehr 
oder weniger flüssiges Substrat. Nach der ungeheueren Beweg- 
lichkeit der Körner, nach dem Hin- und Hertransportiren des 
Kernes und des gesammten Inhaltes von einem Ende zum andern 
scheint die Annahme eines Netzwerkes schwer denkbar. Bütschli 
hat ein solches nach Behandlung mit Kali erhalten, aber auch am 
lebenden Thiere nichts davon nachzuweisen vermocht. Bei dem 
von mir gehärteten und in Serienschnitten verarbeiteten Material 
habe ich stets ein gröberes oder feineres Maschenwerk nach- 
weisen können, in dem die Körner eingebettet waren. In dem 
feineren Maschenwerk traten wieder derbere Züge auf, welche, 
besonders bei Monocystis magna ein groberes Gefüge darbieten. 
Dies Maschenwerk steht in der Regel mit einem Protoplasmahofe 
in Zusammenhang, der sich fast in allen Fällen um den Kern 
gelagert vorfand. Nach all dem könnte es scheinen, als ob es 
sich um ein präexistirendes Maschenwerk handelte. Ich möchte 
mich aus oben angeführtem Grunde nicht dafür erklären, viel- 
mehr das nach Anwendung von Reagentien und Härtungsflüssig- 
keiten auftretende Structurbild als durch Gerinnung der proto- 
plasmatischen Substanz ansehen, in weleher die Körner suspen- 
dirt sind. | 

Haben die Monocystideen des Regenwurmhodens die oben 
beschriebenen Veränderungen ihres Kernes, besonders in Bezug 


Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 109 


auf den Nucleolus durchgemacht, so ist der Zeitpunkt der Con- 
jugation gekommen. Es ist daher vielleicht nieht unberechtigt, 
diese ganze Reihe der Umgestaltungen und Veränderungen aın 
Kerne als Vorbereitungen zur Conjugation und Copulation an- 
zusehen. 

Zum Zwecke dieses Vorganges scheiden je zwei vereinigte 
und kugelig eontrahirte Thiere eine Cystenhülle ab, von der man 
- die den Individuen selbst zugehörigen Contoure deutlich scheiden 
"kann. Von Seiten des Wirthes wird, da die Cysten meist in 
den Interstitien und Gängen des Hodens liegen, in der Regel 
keine Haut abgeschieden. Gleichwohl kommen Bilder vor, welche 
- deutlich die Abscheidung einer kernhaltigen Haut vom Wirthe 
2 — dureh reactive Entzündung des Bindegewebes — demon- 

striren. Es scheint demnach auf die Lage der Cyste anzukommen, 
ob dem Wirthe noch neben dem Eindringling die Bildung einer 
Eonhatnng zufällt. Eine solitäre Eneystirung der Monocystideen 
"habe ich nie beobachtet. Ist die Cystenhaut ausgeschieden, in 
der die beiden eonjugirten Thiere, die Syzygiten, eingeschlossen 
sind, so findet man den Kern wie oben beschrieben, bei der 
_ Monoeystis magna oval, bei der Monoeystis agilis öfters mehr 
rundlich mit einer Zahl von grösseren und kleineren Nucleoli. 
Wo die Leiber der beiden Syzygiten mit abgeplatteten Ebenen 
aneinander lagern, ist eine scharfe Trennungslinie bei jeder Ein- 
stellung deutlich. Die Peripherie ist frei von Ausscheidungen 
und Sporen; Sporoblasten sind noch nicht vorhanden. Im wei- 
teren Verlaufe wandert nun der Kern jedes der Syzygiten nach 
‚der Peripherie, die Kernkörperchen verschmelzen und klumpen 
sich zusammen, während der Kern sich streekt. Es entsteht 
eine charakteristische Kernspindel mit Anhäufung der ehromati- 
schen Substanz in der Mitte. Die Chromosomen sind, wie Fig. 1 
auf Taf. VI zeigt, sehr klein. An Präparaten aus Flemmingscher 
Mischung konnten sie im Spindelstadium nicht erkannt werden, 
bis Erhärtung in Pikrinessigsäure sie schliesslich deutlich zeigte. 
Die Kerntheilung geht weiter, und die eine Hälfte mit einer Zahl 
von Chromatin-Körnern, ich Er bis zu neun, wird als Richtungs- 
körper ausgestossen. Das Gefüge der Thierleiber ist bei diesem 
"Vorgange dasselbe geblieben; doch ist, wie ich auf Serienschnitten 
auf das Deutlichste sehen konnte, eine Verschmelzung der Leibes- 
 substanz, wenn auch nur an einer begrenzten Stelle, bereits ein- 


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110 Wolters: 


getreten. Der scharfe Contour, der wie beschrieben auf früheren 
Stadien beide Thierleiber trennte, war auf den mittleren Schnitten 
vieler Serien nur eine Strecke weit zu verfolgen, dann wurde er 
ganz verschwommen und fehlte zuletzt ganz.- 

Der Process der Richtungskörperbildung geht nicht immer 
genau zu gleicher Zeit in beiden Thieren vor sich. Es kann in 
einem bereits die Spindel völlig ausgebildet sein, während im 
anderen der Kern länglich gestreckt, die Zusammenballung der 
Nucleoli deutlich erkennen lässt. 

Die Veränderungen zur Ausstossung der Richtungskörper 
gehen erst dann vor sich, wenn der Kern aus der Mitte jedes 
Syzygiten an der Peripherie angelangt ist. Die Richtungsspindeln 
liegen demgemäss immer an der Peripherie und zwar an den 
Polen einer die Verschmelzungsbrücke nahezu senkrecht schnei- 
denden Axe in den beiden eopulirten Thieren. 

Ist die Ausstossung der Ricehtungskörper vorüber, so recon- 
struirt der Kern sich. Man sieht noch die Strahlung um den 
Kern, der dicht an der Peripherie liegend eine grössere Anzahl 
färbbarer Körnchen aufweist. Es lässt sich leicht nachweisen, 
dass der reconstruirte Kern bei weitem nicht mehr die Grösse 
des ursprünglichen erreicht. In seine frühere Gestalt zurück- 
gekehrt, begiebt er sich wieder nach dem Innern seines zuge- 
hörigen T'hieres, in: dem man ihn dann wiederfindet. Gleich nach 
der Ausscheidung der Richtungskörper lässt sich um beide Thier- 
leiber eine zweite Hülle nachweisen. Die auf der Rückwanderung 
begriffenen Kerne machen, auf ihrem früheren Platze angelangt, 
nicht Halt, sondern streben weiter der Verschmelzungsstelle zu. 
Wir finden sie bis dieht an diese heran gewandert wieder. Auf 
den Serienschnitten ist überall die Trennungslinie noch vorhanden 
bis auf einen oder zwei Schnitte durch das Centrum der Cyste, 
wo sie auf eine kurze, mediane Strecke verschwunden ist. Dies ist 
die bereits oben beschriebene Verschmelzungsstelle, welcher der 
Kern zustrebt. Es ist nicht immer die Mitte, wo diese Communi- 
cationsstelle sich etablirt, bisweilen rückt sie auch näher an die 
Peripherie heran, doch ist das seltener. Die Kerne beider Thiere 
scheinen ungefähr gleichzeitig diese Stelle zu erreichen. Ihre 
Substanz verschmilzt und in der Mitte der vereinigten Kerne 
finden wir kurz darauf Kernkörperchen. In Fig. 13 u. 14, Taf. V 
sind zwei aufeinander folgende Schnitte wiedergegeben; auf einem 


Be 


Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 111 


(Fig. 13) sieht man den dureh die Verbindungs- oder Conjugations- 
‚brücke zwischen den Leibern der Syzygiten durchgewanderten 
Kerm, der mit dem des anderen Thieres (auf dem folgenden 
'Sehnitte, Fig. 14) in Zusammenhang steht. 
Das auf dieses Stadium folgende zeigt in beiden Syzygiten 
‘eine Kernspindel, welche dicht am Aequator, und etwas gegen 
diesen geneigt in unmittelbarer Nähe der Conjugationsbrücke liegt. 
- Sie unterscheidet sich von der oben beschriebenen Spindel bei 
der Ausstossung ‘des Riehtungskörpers durch ihre charakteristische 
Lage an der Verschmelzungsbrücke. Es scheint, dass die ver- 
schmolzenen Kerne sich wieder getrennt haben nach Austausch 
ihrer chromatischen Elemente. Ob dieser Process durch einfache 
Abschnürung erfolgt, oder auch unter Bildung einer Kernspindel, 
ist nieht sicher zu sagen, da ich Genaues darüber nicht beobachtet 
habe; doch möchte ich mich mehr der letzten Ansicht zuneigen. 
Jedenfalls finden wir Stadien, welche in der Nähe der Copu- 
ationsbrücke zwei getrennte Kerne; dann in ihr selbst einen ein- 
zigen grossen Kern, den Copulationskern, und späterhin wieder 
in jedem Syzygit eine Kernspindel zeigen. In jeden Syzygit ist 
also ein Kern zurückgewandert, der sich nunmehr zu theilen be- 
ginnt. Um diese Spindeln sah ich bei Präparaten, welche durch 
eneeche Lösung abgetödtet waren, viele sich stark färbende 
Körnchen in der Substanz vertheilt, ebenso hier und da, auch 
weit ab von den Spindeln, in den Syzygiten. Ich war geneigt 
dieselben als chromatische Substanz anzusprechen. Spätere Unter- 
suchungen an Hoden, die ich mit Umgehung dieser Lösung ab- 
‚tödtete und härtete, zeigten nichts davon, sodass ich von meiner 
Ansicht zurückgekommen bin, ohne eine befriedigende Erklärung 
‚dieser Körnchen geben zu können. 
Die Structur des Gregarinenkörpers ändert sich zur Zeit der 
‚Spindelbildung in so fern, als die Körner sich um die Spindel 
‚anordnen, und zwar liegen diese strahlig an den Polen und halb- 
kreisförmig von einem Pol zum andern. Das Stadium, welches 
auf das eben beschriebene nun zu folgen scheint, zeigt in jedem 
eyzygit zwei Kernspindeln, die bedeutend kleiner sind als die 
eben beschriebenen; sie liegen ausserdem ganz an der Peripherie. 
sanze Serien, die solehe Bilder zeigten, habe ich untersucht, und 
mich überzeugt, dass sonst keine Spindel mehr vorhanden war. 
"Von den Riehtungskörperspindeln sind sie leicht durch die Grösse 


# 


113 Wolters: 


zu unterscheiden, und dadurch, dass man bei Durchmusterung 
der weiteren Schnitte auf eine zweite trifft. Die beiden durch 
den ersten Theilungsprocess entstandenen Kerne haben sich, wie 
ich aus meinen Beobachtungen schliesse, sofort wieder in Kern- 
spindeln umgewandelt. 

Im weiteren, finden wir Cysten in denen in beiden Syzygiten 
zahlreiche Syindehn dieht an der Peripherie nachzuweisen sind. 
Auf 19 Serienschnitten, in die eine Cyste zerlegt war, konnte ich 
12 kleinere, peripherer liegende Spindeln in jedem Thiere nach- 
weisen. Es geht eine simultane Kerntheilung vor sich, deren 
Produete, kleine, mit einem Hofe dieht gefügteren Protoplasmas 
umgebene Kerne, immer von neuem in Theilung gerathen. Das 
um den Kern liegende Protoplasma steht noch mit dem Netzwerk 
im Leibe des Thieres in Zusammenhang. Nach und nach erst 
lösen diese kleinen Zellen sich von dem ceentralen Protoplasma 
des alten Thieres ab. Die Zahl dieser peripher gelegenen Zellen 
nimmt durch Theilung fortwährend zu; während dem Oentralkörper 
mehr und mehr zu ihrem Ausbau das Bildungsmaterial entzogen 
wird. In Folge dessen bietet derselbe auch ein ganz eigen- 
thümliches zernagtes, zerfallenes Aussehen. Vacuolen treten auf, 
bald rundlich, bald mehr gestreckt, umgeben von Resten der 
ursprünglichen Substanz. Die Ansammlung der Sporoblasteu, 
die zwischen der nach der Richtungskörperbildung ausgeschie- 
denen Hülle und dem Centralkörper liegen, führt durch Raum- 
mangel nach und nach zu Einbuchtungen desselben, die durch 
die ganze Substanz durchgeben können. So entstehen Bilder, die 
mehrere Forscher zu der Annahme von verschiedenem Modus 
der Sporenbildung führten. Die ursprünglichen Syzygiten scheinen 
in zwei und drei und mehr Kugeln zerfallen zu sein, die von 
Sporoblasten an ihrer Oberfläche besetzt sind. Die secundär aus-" 
seschiedene Hülle geht jedoch nicht in diese Buchten mit hinein. 
Wie lange die Vermehrung der Zellen an der Peripherie andauert, 
vermag ich nicht zu sagen, doch scheint der Process nach einem 
gewissen Verbrauche des Nährmaterials sein Ende zu erreichen, 
und wir wollen von nun an jede an der Peripherie gelegene” 
Zelle eine Sporogonie nennen, da die weiteren Veränderungen 
zur Sporenbildung führen. 4 

Die Sporogonie, die im Anfang einen deutlichen, kömnigen’ 
Kern zeigte mit geringer Menge protoplasmatischer Substanz, 


f nn 
= 
bi} 


Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 118 


vermehrt diese bedeutend und umgibt sich jetzt mit einer feinen 
Hülle, die im weiteren Verlaufe an Dicke beträchtlich zunimmt 
und die schon oft beschriebenen knopfartigen Verdiekungen an 
den Polen zeigt. Es entsteht die Pseudonavicelle, welche man 
besser als Sporoeyste wird bezeichnen können. 

Hand in Hand mit der Ausscheidung und der Wandver- 
diekung dieser euticularen, von der Sporogonie gelieferten Oysten- 
hülle verlaufen am Leibe der Sporogonie und ihrem Kerne Thei- 
Jungsvorgänge, die zur Bildung von acht Sporen und einem cen- 
tralen Protoplasmareste, dem Sporophor, in jeder Cyste führen. 
| Es gelang zwar nicht, eine zusammenhängende Reihe von 
Bildern für die Constatirung der mitotischen Theilung an den 
Sporogonien zusammen zu stellen, doch liess sich mit Sicherheit 
eonstatiren, dass die Kernmembran an manchen Kernen der un- 
getheilten Sporogonie geschwunden war und die färbbare Substanz 
in zwei, durch einen grösseren Zwischenraum getrennte Reihen 
angeordnet war. Die Kernsubstanz lag excentrisch (vgl. Fig. 13, 14, 
Taf. VI). Eine Cystenhülle war, wie oben bereits angedeutet, von 
der Sporogonie um diese Zeit noch nicht gebildet worden. Erst das 
jüngste der weiter folgenden Theilungsstadien zeigt ‘eine solche 
von ausserordentlicher Zartheit, In ihr liegt ein centraler Körper 
von Protoplasma und an den beiden Polen der schon spindel- 
förmigeu Cyste je ein feinkörniger Kern. Man darf somit ver- 

yuthen, dass bei der Kerntheilung je eine Kernhälfte an jeden 
Pol gewandert sei. Weiterhin wurden Sporocysten beobachtet, 
an deren einem Pole ein Kern in der Grösse des bei dem eben 
seschilderten Stadium beschriebenen lag, während am anderen 
Pole zwei kleinere neben einander zu finden waren. Andere 
essen dann wieder zwei Kerne von gleicher Grösse an einem 
| Pole erkennen, während am anderen ein eben so grosser und zwei 
k einere Kerne lagen. Die Entstehung der Kerne durch fort- 
laufende Theilung scheint eben nicht immer zu gleicher Zeit 
stattzufinden, wodurch diese Bilder bedingt und erklärt werden. 
Die Vermehrung der Kerne geht bis zur Zahl acht. Man 
sieht Sporocysten, in denen man deutlich acht, in der protoplasma- 
tis ischen Substanz ziemlich regellos vertheilte, intensiv färbbare 
Erne nachweisen kann. Diese Kerne umgeben sich mehr und 
mehr deutlich mit einem Protoplasmahofe und ordnen sich, indem 


sie den so gewonnenen Leib strecken, derart, dass die Kerne auf 
4 


€ 


Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 8 


5 


id Wolters! 


dem Querschnitte durch die aequatoriale Region, kreisförmig den 
Sporophor, das heisst den Rest der protoplasmatischen Substanz 
der Sporogonie, der nicht in die Bildung von Sporen aufging, 
umstehen (Fig. 20, Taf. VD). Während zu Anfang die acht 
Sporen zerstreut in der Cyste an den Polen und den Seiten des 
spindelförmigen Sporophor sich fanden und auch noch nicht so 
deutlich gegen einander abgesetzt waren, dass man die Zell- 
grenzen erkennen konnte, sind somit späterhin in der reifen diek- 
wandigen Cyste alle acht Sporen genau zu ihrer Axe orientirt; 
(lie Spitzen der spindelförmigen Leiber sind nach den Polen zu 
gerichtet, die Kernzone liegt in der Kreisfläche, welche die Cyste 
quer halbirt, und welche wir oben als Aequator bezeichneten. 
Die Sporoeysten sind in jeder Syzygie auf annähernd dem- 
selben, Stadium der Entwickelung. Von der Grössendifferenz, die 
Ruschhaupt hervorhebt, habe ich mich nie überzeugen können. 
Ruschhaupt (I. e.), der den Sporophor (Noyau de reliquat 
Schneider) auf Kosten der sichelförmigen Körper, denen er den 
Kern abspricht, entstehen lässt, hat augenscheimlich die Ent- 
wieklungsstadien in umgekehrte Reihenfolge gestellt. Was er 
als Anfangsglied annimmt, ist sicherlich das Endstadium, da die 
Dieke der Cystenwand einen absolut sicheren Maassstab für das’ 
relative Alter der Sporoeyste abgiebt. f 
Die Centralkörper der ursprünglichen Gregarinencyste werden, 
soweit meine. Beobachtungen reichen, völlig verbraucht. Die Leibes- 
substanz der Syzygiten wird von den Sporogonien aufgenommen, 
so dass wir in reifen Cysten keinen Rest mehr vorfinden, oder‘ 
nur noch Spuren derselben. 
Ueber die Weiterentwiekelung der in den Sporocysten ent- 
wiekelten acht Sporen kann ich aus eigener Beobachtung nur 
Weniges mittheilen. Jugendformen der Monoeystis agilis habe ich 


B 

; 
. 
A 


weisen acc) Er ER eibt aber einen pr ee u | 
in ' dem Spermatophor!), den er aus dem Restkörper 2) entstehen 


1) Die centrale Protoplasmamasse der Spermatogemme. 
2) Unser Sporophor. 


Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 115 


lässt. Ich leugne nicht, dass sich späterhin nur noch ein Körper 
"könnte nachweisen lassen, zumal bei anderen Gregarinen, z. B. 
"Klossia, Clepsidrina Blattarum, eine multiple Infeetion einer Zelle 
vorkommt, und doch für gewöhnlich nur ein Keim zur Entwicke- 
‚lung gelangt. Es ist aber wahrscheinlicher, dass die Sporen, 
"bevor sie in die Hodenzellen eindringen, die Cyste sprengen und 
als frei bewegliche wurmförmige Parasiten in die Zellen ge- 
langen, um dann hier alsbald birnförmig zu werden. Wie es 
‚scheint, liess sich Ruschhaupt durch die entfernte Aehnlichkeit 
eines jungen Sporophor mit einer jungen Gregarine dazu ver- 
‚leiten, die Gregarine aus dem Sporophor entstehen zu lassen. Der 
-Sporophor geht aber sicher zu Grunde, da die Sporen allein 
leben und sich bewegen, wie das leicht festzustellen ist. Auch 
"kann ich mich mit der Ansicht von der permanenten Selbst- 
"infeetion, wie sie von Lieberkühn und Ruschhaupt vertreten 
wird, nicht befreunden, glaube vielmehr mit Bütschli, dass eine 
‘so unendliche Masse von Sporen, die in einem Hoden entstehen, 
nicht im Verhältniss stehe zu der verhältnissmässig geringen Zahl 
junger Thiere. Dagegen scheint es mir wohl denkbar, dass die 
Sporoeysten nach Aussen entleert werden und von da aus durch 
die Nahrungsaufnahme in einen neuen Wirth gerathen. Die Cyste 
würde hier gelöst werden resp. aufspringen und die Sporen frei 
sich bewegend den Magen oder Darm perforiren können, um an 
ie ihnen zusagende Entwickelungsstätte zu gelangen. Dieser 
Ansicht würde die Angabe A. Schmidt’s entsprechen, der würm- 
‚chenartige Gebilde in der Leibeshöhle des Lumbrieus vorfand. 
Im Vorstehenden ist der Vorgang der Copulation und 
"Sporenbildung bei Monoeystis magna geschildert; bei Monoeystis 
agilis ist er der gleiche. Man findet daher auch nieht von beiden 
rten separate Reihen von Abbildungen, sondern bald von der 
einen, bald von der anderen, je nachdem an den mir zur Ver- 
ei; stehenden Präparaten die eine oder andere Species ein 
zur figürlichen Wiedergabe geeignetes Bild darbot. 


% 


N 2. Die Conjugation und Sporulation bei 
r Clepsidrina Blattarum. 


T Die zu den Polyeystideen gehörige Clepsidrina Blattarum 
ist von Bütsehli (Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. 35) in be- 
sonderer eingehender Studie behandelt worden; genaue Mitthei- 


h 


Di 
A 


116 Wolters: 


lungen über das Verhältniss der Kerne vor und während der 
Copulation fehlen. Ehe ich auf meine in dieser Richtung ge- 
machten Beobachtungen eingehe, mag es gestattet sein, einige 
Worte über die Cuticula vorauszuschieken. Die Polyeystideen 
haben in den meisten Fällen eine deutliche Outieula, wie sie auch 
bei vielen Monocystideen beschrieben worden ist. Bei letzteren 
ist dieselbe dünner, während fast alle Beobachter der ersten Art 
eine Cutieula von ziemlicher Dieke zuerkennen. Der ganze Zell- 
leib wird ohne Unterbrechung von der Hülle überzogen, die hell 
durchschemend, eventuell etwas ins Grünliche oder Gelbliche 
überspielt. Bei vielen, besonders kleineren Gregarinenarten soll 
(dieselbe homogen, ohne jegliche Structur, ohne Auflagerung sein. 
Bei Clepsidrina Blattarum und ihren Verwandten hat Bütschli 
eine deutliche Längsstreifung bei aufmerksamem Zuschauen be- 
merkt. Er sah hier „die Streifen auf dem optischen Querschnitte 
schwach über die äussere Fläche hervortreten“, und es schienen ihm 
sich dieselben durch die Dicke der Cutieula fortzusetzen, da 
dieselbe auf dem Querschnitte zart gestrichelt erschien. Zahl- 
reiche an Olepsidrina Blattarum gemachte Studien haben mich die’ 
Beobachtungen Bütschli’s zum Theile bestätigen lassen. | 

An frischen, in Eiweisslösung oder physiologischer Kochsalz- 
lösung untersuchten Thieren war keine Streifung wegen der Un 
durehsichtigkeit ihrer Leibessubstanz zu bemerken. Erst nach 
Entfernung derselben trat die Structur deutlich vor. Um dies 
zu erlangen, ohne fehlerhafte, dureh Faltung entstandene Bil 
dungen zu Gesicht zu bekommen, wurde Flemming’sche Lösung, 
zehnfach mit Aqua dest. verdünnt, an den Rand des Deckglases 
&ebracht und rasch durehgesogen. Nachdem zwei- bis dreimal 
(diese Procedur wiederholt, waren die Gregarinen abgetödtet und 
zugleich soweit erhärtet, dass sie ihre Form beibehielten. 7 
kurzer Stoss auf das Deckglas brachte die Hülle des Thieres| 


Thierkörper. An ein Ausdrücken der Leibessubstanz ist alsdann 
nicht mehr zu denken. An so vorbereiteten, in Kochsalzlösung 
oder Glycerin untersuchten Objeeten liess sich thatsächlich eine 
feine Streifung wahrnehmen, welche in der Längsaxe des ri 
körpers verlief. Dieselbe war auf dem Deutomerit, nicht auf dem 


2 


Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 117 


\ 


Protomerit nachweislich. Sie unterscheidet sich von den durch 
altung entstandenen Streifungen durch die regelmässigen Ab- 
stände der einzelnen Streifen von einander und durch die con- 
stante, mit der Längsaxe des Thieres zusammenfallende Richtung. 
Durch Reagentien und ihre Einwirkung entstandene Faltungen halten 
diese Richtung nicht ein, sie liegen schräg zur Axe des Thieres 
nach der einen oder anderen Seite, oft fast senkrecht zu ihr. 
Ausserdem ist, wie oben bemerkt. der Abstand zwischen den ein- 
zelnen Cutieularstreifen ein eonstanter, der bei den Faltungs- 
streifen fehlt. Obwohl nun die Structur als „feine Streifung“ 
‚bezeiehnet werden kann, so muss der Dentliehkeit wegen hervor- 
gehoben werden, dass jeder Streif, jeder Strich zwei deutliche 
Contouren hat. Je zwei derselben fassen zwischen sich einen 
Intervall von gleicher Breite; dies stimmt nicht ganz zu der 
Schilderung Bütschli’s, der seinen Beobachtungen entsprechend 
weiterhin erwähnt. dass die der Cutieula angehörigen Streifen 
leicht über die äussere Fläche hervortreten. Da es schwer und 
vor allem ungewiss ist, an frisch abgetödteten Präparaten in's 
Klare zu kommen, ob es sich thatsächlieh nur um ein leichtes 
Hervortreten handelt, wurden in Flemming’scher Lösung gehärtete 
D ärme der Periplaneta orientalis in Serienschnitten verarbeitet. 
Die bei frisch abgetödteten und wie oben geschildert untersuchten 
Objeeten gewonnenen Resultate fanden ihre volle Bestätigung. 
Das Deutomerit der Clepsidrina ist von ziemlich breiten, 
doppelt eontourirten Streifen bedeckt, die in der Längsaxe des 
Thieres liegen. Im Weiteren fand sich auf Ovalär- und Quer- 
‘schnitten, dass diese Streifen über das Niveau der Cutis hervor- 
ragen, nicht leicht hervortreten, sondern mehr als ihre eigene 
Breite beträgt. Auf den Querschnitten hatte man völlig das 
Bild eines Kammrades. Die Zacken waren nicht alle scharf 
eckig, sondern etwas abgerundet, und zeigten ein etwas ge- 
Stipptes Aussehen, was eine aus feinen Fäserchen bestehende 
Structur nieht unwahrscheinlich macht. Die direet unter den 
Zacken liegenden Schichten der Cutis zeigen auch ein fein zer- 
stipptes Aussehen mit feiner Strichelung, die eoncentrisch verlief, 
Ohne dass eine Continuität in ihr nachweislich war. Der innere, 
dem Ectoplasma anliegende Contour war glatt ohne Einkerbungen, 
was wiederum gegen die Annahme spricht, es könne sieh um 
‚Faltungs- oder Schrumpfungsproduete handeln. 

R 


z 


118 Wolters: 


Unter der Cuticula folgen die auch von den früheren 
obachtern beschriebenen Muskeln, die am lebenden Thier ich 
Breite Längsfasern gesehen werden. e 

Das Beobachtungsmaterial, die Clepsidrina Blattarum, findet 
sich im Darminhalte des Mittel- und Enddarmes der Periplanetal 
orientalis. Einzeln und in Conjugation nur in ersterem, während 
Cysten in beiden Darmabschnitten vorkommen. Die Thiere ha- 
ben deutliche Kerne, die nach Bütschli's Beobachtungen bei 
jüngeren Individuen einen Kernkörper führen, bei älteren einen 
Haufen kleinerer, die durch Vermehrung hinzukommen sollen. ” 
Kölliker glaubt, da auch gelappte Nucleoli vorkommen, durch 
Zerfall des ursprünglichen Kernkörpers das spätere Auftreten der 
Menge kleinerer erklären zu sollen. 1 

Die nachfolgenden Beobachtungen sind geeignet, die letztere 
Ansicht als die richtigere zu erweisen. ’ 

Der Kern der jüngeren Individuen ist ein runder mit schar-” 
fem Contour. Er enthält einen Nucleolus, der, wie man sich auf 4 
Schnittpräparaten leicht überzeugt, stärker gefärbte Kügelehen in 
wechselnder Grösse und Gestalt enthält. Seine Substanz scheint 
ebenso wie bei den Monoeystideen von sehr zähflüssiger Consistenz 
zu sein. Stark gedrückt reisst seine Membran ein, ohne dass 
der Inhalt austräte. In anderen Kernen erscheinen neben einem 
grösseren Kernkörper eine Zahl von kleineren, lebhaft die Farbe 
aufnehmenden Körnern, während auch der grössere Nueleolus ähn- 4 
liche sich stark tingirende Körperchen führt. Wieder andere Kerne | 
liessen nur eine grosse Anzahl ehromatischer Körner erkennen, 
ohne dass noch ein grösserer „Nucleolus“ nachweislich gewese ne 
wäre. Diese Körner lagen nicht wirr durcheinander, sondern 
waren in Fäden und Schlingen, drei, vier und mehr an Zahl, 
angeordnet. Häufig fanden sich dieselben wie die aufgeschnürten | 
Perlen eines Rosenkranzes hinter einander liegend, so dass das 
Ganze ein äusserst zierliches Bild darbot. Weiterhin wurden da 
gegen Kerne beobachtet, in denen unzählige kleine chromatische 
Körner lagen, wie es schien regellos, ohne besondere Anordnung 
vertheilt. Allen bisheran geschilderten Kernformen war dagegen 
eine scharf contourirte Kernmembran gemeinsam. Im Gegensat | 
dazu stehen Formen, die ebenfalls häufig beobachtet wurden, 
welche einer solchen Membran entbehrten. Der Kern breitet sieh 
sternförmig mit seinen Fortsätzen in die Leibessubstanz des Thieres 


E 


= “ Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 119 


aus und steht mit dem protoplasmatischen Gefüge derselben in 


direetem ununterbrochenen Zusammenhange. Es sind dies For- 


men, die bei den Monoeystideen des Regenwurmes bereits oben 


erwähnt und als „geflammte Kerne“ bezeichnet wurden. Es 
unterliegt für mich keinem Zweifel, dass alle im Vorstehenden 
beschriebenen Veränderungen des Kernes und der in ihm enthal- 
tenen ehromatischen Substanz, sowohl rücksichtlich der Zahl wie 
Anordnung der Körner, und zwar in der Reihenfolge wie sie ge- 
schildert wurden, successive Vorbereitungen zur Kerntheilung dar- 


stellen. Später zu berichtende Beobachtungen bei Klossia machen 


es nicht unwahrscheinlich’ dass wir die geflammten Kerne viel- 
leicht schon als Kernspindeln anzusehen haben, die von dem ge- 


- wohnten Typus abweichen. Gleichwohl bemerke ich, dass der 


ze 


Nachweis von typischen Spindeln bis heran noch nicht gelang, vor 
allem durch Unzugänglichkeit des Materiales in Folge von hier- 
orts, für meine Studien allzu eifrig betriebener Vertilgung der 
Schaben. Fortgesetzte Untersuchungen an reichlichem Unter- 
suchungsmaterial sind vielleicht geeignet auch typische Spindel- 
bildung nachzuweisen. Vorläufig muss das Vorkommen derselben 
als noch nicht erwiesen betrachtet werden. 

Kerne mit einem grossen Nucleolus oder mit einem grossen 
und mehreren kleinen fand ich meist bei noch nicht conjugirten 
Thieren. Die anderen Formen wurden dagegen alle bei Syzy- 
gien beobachtet oder bei bereits eneystirten Clepsidrinen. 

Oft fand sich dieselbe Kernform, z. B. der Kern mit rosen- 
kranzförmiger Anordnung der chromatischen Elemente, bei beiden 
Syzygiten oder aber der zweite Kern war ein geflammter (Fig. 7 
Taf. VID), oder beide waren geflammt. Ebenso war es bei den 
Cysten. Entweder beide Kerne geflammt, beide mit rosenkranz- 
-artiger Anordnung der chromatischen Körner, oder der eine von 


dieser, der andere von jener Form. Die Leibessubstanz war 


stets die gleiche bei Syzygien und nicht conjugirten Thieren. 
Ebenso zeigten die eneystirten Syzygien keine Differenz , so 


Jange noch ein Kern vorhanden war. Die das Entoplasma fül- 


F 


lenden Körner der Clepsidrina sind kleiner als bei den Monoeysti- 


 deen, und zeigen ein rundes, sich stärker färbendes Centrum. 


4 


Solange der Kern noch nicht geflammt ist, zeigt auch das deut- 


lieh durch doppelten Contour abgesetzte Protomerit keine Struetur- 


 veränderung, Beginnt aber die scharf begrenzte Kernmembran 


120 Wolters: 


undeutlich zu werden, oder ist der Kern bereits geflammt, so 
treten im Protomerit eigenthümliche Zeichnungen auf von un- 
regelmässig fadigem Aussehen, bald gröber, bald feiner endigend 
(Fig. 8, Taf. VID. 

Diese Bildungen sind es auch wohl gewesen, welche 
R. Pfeiffer, wie oben erwähnt, einen zweiten Kern im Proto- 
merit annehmen liessen. Jedes Schnittpräparat hätte ihn vor 
diesem Irrthum sicher bewahren können. Dass der geflammte 
Kern im Deutomerit kein Kunstproduct sei, wie ich zuerst glaubte, 
beweist der, völlig verschwundene Contour, des Kernes. Ausser- 
‚dem gelang es an frisch untersuchten Objeeten den gleichen Kern 
nachzuweisen, wenn ich denselben aus dem lebenden Thier vor- ° 
siehtig in physiologische Kochsalzlösung ausschlüpfen liess. Här- 
tungen mit Pikrinsäure und Alecohol-Essigsäure ergaben überein- 
stimmende 'Kernbilder. 

Die zahlreichen Cysten der Clepsidrina, die auf verschie- 
ddene Weise gehärtet und in Serienschnitten untersucht, oder frisch 
beobachtet wurden, ergaben ebenfalls emige werthvolle Resultate. 
Sowohl im Mitteldarme wie im Enddarm- fanden sich Cysten, 
welche eine deutliche 'Trennungslinie zeigten, dann wieder im 
Mitteldarm solche, die keine Spur mehr davon aufwiesen. Es 
seht daraus hervor, dass der Enddarm nieht unbedingt die älte- 
sten Stadien enthalten müsse, und dass auch junge bereits hier 
mit dem Kothe entleert werden. Sobald die Cysten ausgebildet 
sind, scheinen sie vielmehr aus dem Darme entleert zu werden, 
und ausserhalb desselben, vielleicht in einem anderen Wirthe, 
ihre Weiterentwickelung bis zur Ausbildung der reifen Sporen 
durchzumachen. Falls durch glückliche Verhältnisse die Cyste 
länger zurückgehalten wird, könnte sich ein Theil dieser Vor- 
gänge natürlich auch noch innerhalb der Blatta abspielen. 

An frischen Präparaten, und besonders an Serienschnitten 
von rasch abgetödteten und gehärteten Cysten konnte in Ueber- 
einstimmung mit den Beobachtungen Bütschli’s festgestellt wer- 
den, dass die beiden Syzygiten sich auseinander legen, eine derbe 
doppelt contourierte Cystenhaut ausscheiden, welche wiederum 
von einer Gallerthülle umgeben ist. Deutlich ist Protomerit und 
Deutomerit noch zu unterscheiden. In jedem Thiere liegt ein 
Kern, der geflammt oder durch rosenkranzartige Anordnung der. 


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Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 121 


ehromatischen Körner characterisirt ist, wie oben beschrieben. 
Im weiteren legen die beiden Syzygiten sich mit ihrer Breitseite 
fest und innig aneinander. Die Trennungslinie bleibt noch scharf, 
das Protomerit ist deutlich abgesetzt. Man vermag ohne Mühe 
die Cystenhülle und die jedem Thiere zugehörige Gutienla zu 
unterscheiden. Die Kerne sind geflammt oder mit rosenkranz- 
artiger Anordnung ihrer chromatischen Elemente, oder der eine 
‘von dieser, der andere von jener Form. Der Leib der Syzygiten 
zeigte keine von den nicht eneystirten differente Struetur. Die von 
Bütschli angegebene Ausstossung der Sporen an der Peripherie 
bei noch nieht völlig verschmolzenen Thieren habe ich nicht be- 
obachtet. Da kein Grund vorliegt, diese Angaben in Zweifel zu 
ziehen, so muss ich annehmen, dass ich des entsprechenden Sta- 
diums noch nicht habhaft geworden bin. Analog den oben über 
die Monoeystideen mitgetheilten Beobachtungen dürfte es aber 
auch hier vor der Sporenbildung zu einer Verschmelzung an be- 
srenzter Stelle kommen. An dieser Stelle würde dann auch ein 
Austausch der Leibes- und Kernsubstanz stattfinden, der aller- 
dings an frischen Präparaten nicht nachweisbar ist. 

Einige sporenhaltige Cysten, die in Serienschnitte zerlegt 
untersucht wurden, zeigten die Sporen an der Peripherie der 
Cyste und strahlig nach dem Centrum hin angeordnet. - Ein Kern 
der ein Rest eines solchen war nicht mehr nachzuweisen. Die 
Cystenhaut ist doppelt contourirt, ziemlich diek und von derberer 
Beschaffenheit als bei den eneystirten Syzygien. Es scheint in 
den eben beschriebenen Präparaten ein Stadium vorzuliegen, in 
dem die an der Peripherie angehäuften Sporen sich nach der 
Mitte hin bewegen, wodurch, nach Bütschli’s Untersuchungen, 
sine Aufhellung des Centrums stattfindet. Eine andere, nach 
‚gleicher Methode behandelte Cyste zeigte die sehr zahlreichen: 
Sporen in Kreisen und sich verästelnden breiten Streifen ange- 
rdnet, die von einer feinen Membran umschlossen waren. Durch 
Reconstruetion der Öyste aus den in der Serie aufeinander fol- 
genden Bildern bin ich zu der Ansicht gelangt, dass es sich um 
Gänge handelt, in denen die Sporen liegen. Wie es scheint, 
hängen diese untereinander zusammen, bilden vielleicht in ihrem 
Zusammenhang nur einen Gang. Jedenfalls liess sich feststellen, 
dass Endpunkte direet an der Cystenhaut liegen. Vermuthlich 


‘ F 


15 
& 


122 Wolters: 


sind dies die Punkte, an denen nach Bütschli durch Sporoduete 
die Entleerung nach Aussen bewerkstelligt wird. Kernreste wa- 
ren in dieser Cyste nicht mehr nachzuweisen. | 

Ueber die Weiterentwickelung der Sporen in der Cyste oder 
in einem anderen Wirthe nach Entleerung derselben kann ich 
abschliessende Beobachtungen noch nicht vorlegen. Möglich, 
dass Periplaneta orientalis sofort durch die Sporen sieh selbst | 
wieder infieirt. Bütschli hat Fütterungsversuche gemacht, die 
ihn zu dem Resultat führten, dass durch sporenhaltiges Material | 
sofort eine Infeetion der Periplaneta erzeugt werden könne. 

Es ist bei diesen Versuchen doch wohl zu bedenken, dass 
der Beweis nicht erbracht worden ist, dass Bütschli’s Versuchs- 
thiere wirklich vor den Versuchen noch nieht infieirt waren, und 
dass die von dem Untersucher in die Epithelzellen eingesenkt ge- | 
fundenen jugendlichen Stadien nicht schon vor den Fütterungs- 
versuchen vorhanden waren und also von früherer Infeetion her- 
rührten. Was diese Bedenken hervorruft und stärkt, sind fol- 
sende Beobachtungen: Häufig findet man Exemplare der Peri-° 
planeta orientalis, deren Darm keine Syzygie, keine Gregarine, 
selbst kein jüngeres Stadium derselben enthält; und doch möchte 
ich dieselben als bereits durch Gregarinen infieirt ansehen. Der 
Darm enthält eine grosse Anzahl gelbliehbrauner homogener Ge- 
bilde, bald länglich gestreckt, wie, die Würmehen der Klossia, 
bald vom Aussehen der ÖOlepsidrina mit Proto- und Deutomerit” 
(vgl. Taf. VIII, Fig.2u.4), bald oval, bald kugelig zusammengezogen. 
Alle diese Formen enthalten einen sichtbaren Kern. Därme die- 
ser Art, ebenso wie solche, die auch Syzygien enthielten, habe € 
ich nach verschiedenen Methoden gehärtet und in Serienschnitten 
untersucht. Die Epithelzellen des Mitteldarmes zeigen einen 
‚schönen Fransenbesatz (Bürstensaum), der nur wenigen etwas” 
kugelig aufgetriebenen bis auf Rudimente fehlt. Diesen Zellen’ 
sitzen auf die auch im Darminhalte vorgefundenen und eben er 
wähnten jungen Gregarinen, welche an einem Ende länglich aus- 
gezogen in die Zelle hineinreichen. Die anderen Formen finden sich 
gleichfalls kleiner oder grösser, kugelig, langgestreckt, halbmond- 
förmig in zwei, drei oder mehr Exemplaren in die Epithelzellen” 
eingelagert, oft bilden sie ganze Klumpen. Die befallenen Zellen 
haben oft noch ihren Fransenbesatz, meist ist er nicht mehr ganz 
intact, völlig geschwunden aber wohl nie, Alle diese eben be 


Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 123 


 sehriebenen Körper, die in den Epithelzellen liegen, zeigen deut- 
lichen, dureh Safranin tingirten Kern. Weiterhin fanden sich 
E die mehr körnigen, helleren und grösseren "Gebilde aus den Epi- 
 thelzellen austretend, und ihnen noch aufsitzend, wie Bütschli sie 
 abbildet. Auch weiter entwickelte Formen, in denen man sofort die 
_ Clepsidrina mit Epi-, Proto- und Deutomerit erkennt, fanden sich 
noch mit der Epithelzelle in Verbindung vor (vgl. Taf. VIII, Fig. 3). 
Der Kern dieser Formen ist grösser, zeigt. gelappten Kernkörper, 
eventuell schon mehrere derselben. Die eben geschilderten Befunde 
machen mich glauben, dass wir in den homogenen gelblichen kern- 
- haltigen Körpern die ersten Stadien der Clepsidrina vor uns haben, 
welche noch hüllenlos amöboider Bewegung fähig sind, ähnlich den 
_ Würmcehen der Klossia und anderen. Da dieselben aber bedeutend 
& grösser als die in den Cysten gefundenen Sporen, so scheint eine 
7 Weiterentwieklung der Sporen ähnlich wie bei den Monoeystideen 
wahrscheinlich, die zum Schluss zur Bildung einer Anzahl von 
- sichelförmigen Körpern, von Würmehen führt, in der erheblich 
- vergrösserten Sporocyste. Erst nach völliger Reife der Würm- 
hen und nach Sprengung der Sporenceyste würde es dann durch 
die Keime zur neuen Infection kommen können. Ob diese Vorgänge 
im Kothe der Blatta statthaben, oder ob ein Zwischenwirth dazu 
 nöthig ist, ist vor der Hand noch nicht zu sagen,- und kann 
erst dureh genaue Thierversuche erwiesen werden. Nach allem, 
was ich beobachtet, möchte ich letzterer Ansicht mich anschliessen, 
dass nämlich die Sporocyste, in einem anderen Wirthe weiter sich 
entwickelnd, ihre Keime frei macht, die dann als Infeetionsmaterial 
aus den Entleerungen von der Periplaneta orientalis wieder auf- 
_ genommen wird. Die Keime dringen einzeln oder zu mehreren 
in die Epithelzelle ein, wo sie bis zu einer gewissen Entwicke- 
 Jungsstufe verbleiben; alsdann entwickeln sie Proto- und Deuto- 
_ merit und treten nach und nach aus der Wirthzelle heraus (vgl. 
Taf. VIII, Fig.3). Darauf lösen sie ihre Verbindung mit der Zelle 
_ und conjugiren. Die Conjugation tritt sehr frühzeitig ein, denn 
man findet ungemein kleine Syzygien. Die eonjugirten Thiere 
_ wachsen heran, eneystiren sich, und der ganze Bee beginnt 
von neuem. 
Die Untersuchung des Hinterdarmes der Periplaneta ergab 
in allen Fällen, dass die mit je einem Stachel versehenen Epithel- 
zellen frei waren von jeder fremden, zelligen Einlagerung. Der 


124 Wolters: 


Darminhalt wies noch emige der beschriebenen Gebilde auf, doch 
äusserst gering an Zahl und nicht mehr in dem alten Zu- 
stande. Der scharfe Contour fehlte, der Rand war uneben höcke- 
rig, hie und da mit klumpigen Gebilden besetzt, die aus dem 
Innern ausgetreten zu sein schienen. 


3. Die Gregarine der Schneckenniere. 


Obwohl meine Untersuchungen über die Klossia noch keines- 
wegs abgeschlossen sind, möchte ich doch die bis heran gewon- 
nenen Resultate hier mittheilen, da dieselben geeignet sind, einige 
von L. Pfeiffer im seiner neusten Arbeit (Die Protozoen als 
Krankheitserreger, Jena 1890) noch als durchaus dunkel bezeich- 
nete Punkte zu klären. 

Die ersten Stadien sind die sichelförmigen Körperchen oder 
Würmehen, die man, eingeschlossen in ihre Hülle, in lebhafter 
Bewegung sich leicht zur Ansicht bringen kann. Aus dieser 
Hülle hervorgetreten, stellen sie kernhaltige würmchenförmige 
Gebilde dar, mit einem spitzen und eimem abgerundeten Ende. 
Sie bewegen sich schlängelnd weiter. Selten während der Lo- 
eomotion, meist in den Ruhepausen ändern sie ihre Gestalt und sind 
dann bald eylindrisch, bald flaschenförmig, gestreckt, zusammen- 
gerollt, länger oder kürzer. Immer ist ein Kern in ihnen nach- 


weislich. Diese von Kloss zuerst als Anfangsstadien gedeuteten 


Gebilde sind noch von vielen Forschern beobachtet und jüngst 
von L. Pfeiffer wieder beschrieben worden. Man wird sich 
unschwer davon überzeugen können, dass man es thatsächlich 
mit den ersten Stadien des Parasiten zu thun hat. Eine oder 


mehrere dieser würmchenartigen Sporen kriechen in rascher Folge 


oder erst nach einer gewissen Zeit in die Zelle hinein. Man 


findet nämlich Zellen, welche 3, 4 und noch mehr ganz kleiner 


Parasiten enthalten, die. auf gleicher Entwickelungsstufe stehen; 
in andern Zellen haben sie sich bereits einzeln mit einer Cysten- 
haut umgeben. Es sind dies Zellen, bei denen die Keime unge- 
fähr gleichzeitig eingewandert sind. Andere Zellen zeigen Keime 
von verschiedenen Entwickelungsstufen, neben eneystirten noch freie 
Parasiten, und diese Bilder sprechen dafür, dass in die bereits 


durch einen Keim infieirte Zelle nach Verlauf von einiger Zeit 


ein neuer Keim, ein zweiter und dritter hmeingelangte. ‘Die Form 


r 


ı D : I 114 ı s ‘ 
Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 125 


des in die Zelle eingedrungenen Fremdlings ändert sich in so- 
weit, dass er sich zusammenzieht, und ovale, hin und wieder ein- 
‚seitig in der Mitte etwas eingeschnürte, nierenförmige Gestaltung 
zeigt. Kern und Kernkern ist deutlich sichtbar. Nach einiger 
Zeit umgiebt sich der Parasit mit einer Hülle. Sind mehrere 
Keime in die Zelle eingewandert, so sieht man wohl, dass alle 
Keime sich mit einer Cystenhaut umgeben. Doch damit ist, wie 
es scheint, das Ende in der Entwickelung der meisten Keime 
erreicht. Nur einer derselben wächst weiter heran, während die 
anderen an die Zellwand gequetscht liegen bleiben. Wie Kloss 
zuerst beobachtet, und Pfeiffer neuerdings bestätigt, hypertro- 
phiren die infieirten Nierenepithelien sehr stark. 

L. Pfeiffer sagt (l. e. pg. 15): „Der Kern der Epithel- 
zelle nimmt nur langsam Theil an der Hypertrophie, wird un- 
förmig, höckerig, später verschwindet er allmählich, sobald der 
Eindringling ungefähr seine halbe Grösse erreicht hat; nur wenn 
er sehr peripher gelegen ist, bleibt er bis zuletzt als höckeriger, 
dunkler und färbbarer Körper sichtbar.“ Meine Untersuchungen 
haben mich zu etwas anderen Resultaten geführt. Die Kerne 
der befallenen Nierenzellen waren stets als stark granulirte Ge- 
bilde vorhanden, in denen die chromatische Substanz in inten- 
siv färbbaren Körnchen vertheilt war. War der Parasit noch 
klein, führte er z. B. noch keine Hüllen, so war der Zellkern 
nicht grösser als bei den umliegenden normalen Zellen. (Vergl. 
Taf. VIII, Fig. 5.) Bei weiter herangewachsenen 'Thieren war 
auch der Kern entsprechend grösser, oftmals dabei etwas ver- 
lagert und verdrängt. (Vergl. Taf. VIII, Fig. 6.) Trotzdem 
war er auf Serienschnitten immer nachweislich. In einzelnen Fäl- 
len war die Grössenzunahme des Kernes derartig, dass er in seinen 
Maassen hinter dem Parasiten nicht zurückstand. (Vergl. Taf. VII, 


Fig. 6.) Mit der weiteren Entwickelung des Parasiten nimmt 


der Kern an Grösse wieder ab; er verschwindet aber nie ganz. 
(Vergl. Taf. VII, Fig. 15.) Im Weiteren bezeichnet L. Pfeiffer 
(ll. e. pg. 14) die Entstehung des Borstenbesatzes auf dem frei- 
stehenden Theile der hypertrophirten Nierenzelle als ein völlig 
unerklärtes Verhalten. Er schliesst sich darm völlig an Kloss 
an. „Keine gesunde Nierenzelle hat einen Borstenbesatz, wohl 
aber bereits die ganz wenig hypertrophirten Epithelien mit einem 


 Fremdling. Bei Wasserzusatz zum Präparate löst sieh derselbe 


196 Wolters! 

theilweise ab, und es treten aus den Epithelien Plasmakugeln 
aus.“ Späterhin sagt er dann: „Bei lang gezogenen Epithelien 
fehlt am Schweif der Borstenbesatz.“ L. Pfeiffer erwähnt dann, ° 
dass er bis zu 15 Parasiten, jeder für sich mit einer Cystenhülle 
umgeben, in einer gemeinschaftlichen Borstenhaut gesehen, und 
schloss daraus, dass dem Parasit, als solehem die Ausscheidung 
dieser Borsten nicht zukomme. Die Beobachtungen Pfeiffer’s, 4 
welche die von Kloss bestätigen, wird jeder Untersucher bald ° 
als zu Rechte bestehend anerkennen müssen, mit Ausnahme der 
ersten, dass nämlich keine normale Nierenzelle einen Borstenbesatz 
habe. Auf dieser nicht zutreffenden Beobachtung fussend, fehlte ° 
ihm, wie früher Kloss, der Schlüssel zu dem unerklärlichen Ver- 7 
halten der Epithelzellen. 

Wie Nussbaum seiner Zeit nachgewiesen, haben die nor- 
malen Nierenzellen verschiedener Thiere einen Borstenbesatz, was 
später von vielen andern Forschern bestätigt und an immer neuen 
Thiergattungen aueh von anderen secernirenden Drüsen berichtet ° 
wurde. Es gelang nun auf Schnitten der Niere von Helix nemo- ° 
ralis und Helix hortensis, die in verschiedenen Reagentien abge- 
tödtet und gehärtet waren, überall einen schönen Fransen- oder 
Borstenbesatz nachzuweisen, und zwar an normalen wie infieirten ” 
Epithelien. Der Borstenbesatz ist also ein der normalen Nieren- 
zelle zukommender Bestandtheil, und so erklärt es sich leicht, 
dass der Schweif langgezogener Zellen keinen Borstenbesatz ” 
führt, weil eben dieser Theil dem Zellkörper entspricht, der auch 
normaler Weise keine Borsten trägt. Der von Pfeiffer aus’ 
semen Beobachtungen gezogene Schluss, dass die Parasiten die 
Borsten zu bilden nicht vermögen, ist damit als richtig erwiesen, N 
und zugleich der Grund dafür gefunden. 

Somit wird durch den Nachweis des Borstenbesatzes an 
normalen Epithelien der Schlüssel gegeben sein zur Erklärung 
aller in dieser Hinsicht räthselhaften Bildungen. Die normale, 
borstentragende Epithelzelle der Niere wird durch Einwanderung 
einer oder mehrerer Keime infieirt. Der Parasit wächst, und die 
Zelle giebt dem Wachsthum an der Stelle nach wo sie es ver- 
mag, das heisst an ihrer freien, nicht mit der Umgebung ver-” 
bundenen Seite, also an ihrer borstentragenden Oberfläche. Diese 
dehnt sieh mehr und mehr, und die Borsten rücken dabei etwas 
auseinander; der Zellkern hypertrophirt. So kommt es, dass der 


Die Conjugation ind Sporenbildung bei Gregarinen. 12% 


Parasit zum Schlusse in einer mit Borsten besetzten Hülle liegt; 
dem Schweif, das heisst der Stelle: der Nierenzelle, wo der Kern 
liegt, fehlt der Besatz, da er hier in gesunden Tagen ebenfalls 
nicht vorhanden ist. Dass der Borstensaum bei Wasserzusatz 


_ denselben verlieren, wie wir bei schlecht eonservirten Präparaten 
zu unserem Leidwesen so oft erfahren haben. 

Das Austreten von Plasmakugeln bei Wasserzusatz, wie 
Kloss und nach ihm Pfeiffer beschrieben, wurde im Verlaufe 
der Untersuchungen des öfteren beobachtet. Bilder, die Pfeiffer 
als lang gestreckte, ausgezogene Zellen bezeichnet, wurden auch 
auf Schnittpräparaten häufig gesehen. Es konnte festgestellt 
werden, dass die mehr und mehr an Grösse zunehmenden Zellen, 
weit über das Niveau sich erhebend, schliesslich wie Beeren einer 

Traube an einem dünnen Stiele in das Lumen hinein hängen. 
Es fanden sich auf Schnitten Bilder, die es zweifellos erscheinen 
lassen, dass der dünne Stiel auch abreissen kann, wobei der 
Zellkern zurückbleibt. Es sind das Gebilde, welche Veranlassung 
geben können, an ein Verschwinden des Epithelkernes zu denken. 

Was den Kern der Klossia angeht, so konnte, wie oben be- 
reits erwähnt, auch in den jüngsten Stadien ein deutlicher Kern 
nachgewiesen werden, der gewöhnlich einen runden Kernkörper 

- führte. Bei weiter vorgeschrittenen Formen wurden auch gelappte 
"Nuclei gesehen, die wie bei den Monoeystideen stärker färbbare 
Körner enthielten. Der zuerst hüllenlose Keim ändert seine Ge- 
stalt in der Zelle, indem er rundlicher wird. Sehr bald scheidet 
er eiue Hülle aus, durch die er sich von dem Zellinhalte und 
von den etwa mit ihm in der Nierenzelle zusammenliegenden 
anderen Klossiakeimen abschliesst. An dieser von dem Thiere 
ausgeschiedenen Hülle zeigen sich merkwürdige Bildungen, welche 

‚als kleine lang gestreckte Körperchen der Membran eingelagert 
sind. Kloss, der dieselben beobachtet und abgebildet, hat sie 

als Kerne gedeutet. Chromatische Einlagerungen lassen sich nicht 
erkennen, auch macht es bei den verschiedenen Einstellungen nie 
den Eindruck, als handle es sich um körperliche Gebilde. Es 
scheint vielmehr nach dem optischen Verhalten, als wenn es kleine 
 Oeffnungen in der Membran seien, die später zur Sprengung der 

- Hülle oder zum direkten Auskriechen der Sporen zu dienen haben 


Beer | 


198 Wolters: 


würden. Der Parasit hat also um diese Zeit bis zum Auskriechen 
der Sporen zwei Hüllen, von denen die äussere mit Fransenbesatz 
aus der Nierenzelle der Schnecke gebildet ist, die innere ein 
Abscheidungsproduet des Parasiten ist. Beide sind übrigens zur ” 
Zeit der Sporenbildung sehr elastisch; man kann sie durch Druck 
nur schwer sprengen. | 

Der heranwachsende Parasit hat meist einen grossen runden 
oder ovalen Kern, in dem die chromatische Substanz in Form 
eines grösseren Nucleolus vertreten ist, neben welchem kleinere 
Körner liegen; es findet sich auch in manchen eine Anzahl von 
stärker färbbaren Körnern vor. Immer aber ist der Kern von 
einer scharf eontourirten Kernmembran umgeben. Der Inhalt des 
Gregarinenkörpers besteht wie bei den vorher beschriebenen Gat- ö 
tungen aus einer flüssigen protoplasmatischen Substanz, der läng- 
liche ovale Körner eingelagert sind. Der Kern verliert im wei- 1 
teren Verlaufe seine scharfe Begrenzung; er erscheint unregel- 
mässig, zackig und gleicht den früher beschriebenen geflammten 
Kernen ungemein. Seine Ausläufer und Zacken stehen, wie man” 
auf Schnitten gehärteter Objeete sieht, mit dem Protoplasma des” 
Thierleibes direct in Zusammenhang und geht in dieses unmittel- 
bar über. Im Inneren dieser geflammten Kerne lassen sich wie- 
derum multiple, stark färbbare Körner nachweisen. Wie bei der 
Besprechung der Clepsidrina Blattarum bereits erwähnt wurde, 
scheint es sich hier auch um ein direktes Vorstadium der Kern- 
theilung zu handeln, wenn nicht um diese selbst. Typische” 
Spindelbildung, wie sie die Monoeystideen darboten, liess sich auch ° 
hier niemals constatiren. Es fanden sich dagegen Bilder, an 
denen man auf der ganzen Serie keinen Kern mehr nachweisen | 
konnte. An der Peripherie lagen jedoch rundliche oder ovale | | 
Körper mit körnigem Inhalt, die als Kerne angesprochen werden 
mussten. Es ist also wohl nicht zu bezweifeln, dass durch die’ 
eben beschriebene Veränderung des grossen Kernes, oder direet 
nach ihr eine Theilung desselben stattgefunden haben muss, deren 
Produete durch fortgesetzte Theilung die’Kerne an der Peripherie” 
erzeugten. Dass sich an diesen Kernen thatsächlich Theilungen 
abspielen, wurde durch den Befund von Bildern bewiesen, wie 
Fig. 22, Taf. VIII sie darstellt. Nach und nach treten an der 
Peripherie eine grosse Menge immer kleiner werdender Kerne auf. 
Bis zu welcher Zahl diese Vermehrung statthat, ist wohl kau m 


Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 129 


zu sagen. Ist aber diese Grenze erreicht, so sistirt die weitere 
Vermehrung, und es tritt nun erst eine Theilung des Thierleibes 
‘ein, entsprechend der Anzahl der gebildeten Kerne. Auf passen- 
‘den Präparaten einer Serie sieht man die doppelt eontourirte 
Zellmembran, in der die Cyste ruht. Auf den ersten Schnitten 
‚bietet sich ein Bild, das eine deutliche Mosaik von Zellen zeigt. 
Kommt man weiter in die Tiefe, so ist das Centrum der Oyste 
noch homogen, ungetheilt, während an der Peripherie die kleinen 
Kerne liegen, welche von seichten Einbuchtungen an beiden 
"Seiten umschlossen werden. Geht der Process weiter, so schnei- 
den diese Einbuchtungen bis zum Centrum durch, und wir er- 
‚halten auf jedem Schnitt einer solchen Oyste Bilder, welche birn- 
förmige kernhaltige Zellen, rosettenförmig um einen Punkt, das 
Centrum der Cyste, angeordnet zeigen. 

Im weiteren Verlaufe lösen alle diese Zellen ihre Verbin- 
dung in der Mitte und ziehen sich kugelig zusammen. Die Bil- 
dung der Sporogonien ist beendet. Unterzieht man diese Gebilde 
einer genaueren Untersuchung, so zeigt sich, dass dieselben einen 
kleinen Kern führen. Mr. zeigen dagegen schon zwei, andere 
drei und noch mehr Kerne, welche alle sich intensiv fär- 
bende Körner führen. Diese Sporogonien mit getheiltem Kern 
sind von einer Cystenhaut umgeben, die von der zuerst nackten 
Sporogonie ausgeschieden wurde. Wir nennen die eneystirte 
Sporogonie mit ihrer Hülle die Sporocyste. Die Sporoeysten 
liegen ohne Zwischenraum dicht aneinander und unterscheiden 
sich demgemäss von den gleichen Bildungen bei Lumbricusgre- 
garinen, die alle peripher von einem Restkörper gelegen sind, in 
den sie sich erst später einsenken. Hier fehlt ein Restkörper. 
In einigen Sporoeysten konnte in den Kernen eine Sonderung der 
 ehromatischen Substanz in 2 Theile wahrgenommen werden, die in 
anderen scheinbar regellos durcheinander lag. — Absolut sicher 
liess sich die Zahl der Keme in der reifen Sporoeyste nicht 
nachweisen, doch wurden fast constant sechs wahrgenommen. Es 
stimmt dies mit den Beobachtungen von Kloss und Anderen, 
die gewöhnlich 6 Würmehen in einer Hülle sahen. Um die durch 
die Theilung entstehenden Kerne grenzt sich später ein zuge- 
höriges Protoplasma deutlich ab; doch wird wie bei den Sporen 
der Lumbrieusgregarinen nicht alles Protoplasma aufgebraucht: 
ein Theil bleibt als Sporophor zurück. Dann liegen die Sporen 


Archiv f, mikrosk. Anat. Bd. 37 5, 


130 Wolters! 


als deutlich eontourirte kernhaltige wurmartige Gebilde mit einem 
spitzen und einem abgestumpften Ende in der Weise dem ziem- 
lich umfangreichen Sporophor auf, dass sie strahlenförmig von 
einem Punkte auszugehen scheinen, also rosettenförmig angeordnet 
sind. Der Sporophor wird durch weiteres Wachsthum der Sporen 
immer mehr verkleinert, sodass man zuletzt nur noch ganz ge- 
ringe Reste von ihm vorfindet. Die wurmartigen Sporen sind 
meist in ihrer Sporocyste in lebhafter Bewegung. An frischen ° 
Präparaten lassen sich diese äusserst lebhaft sich bewegenden 
Sporen leicht darstellen. Auf Schnittserien fällt dies natürlich 
schwerer, gleichwohl kann man auch hier durch Reconstruirung 
der Form die Anordnung und Structur sich vor Augen führen. 
Kloss hat am frisch untersuchten Objeet die Würmechen aus 
ihrer Hülle austreten und sich bewegen gesehen. Nach ihm ist ° 
dieser Vorgang noch von Anderen beschrieben worden. Verweilt 
man länger bei der Untersuchung, so wird man sicherlich bei 
geeignetem Material die Auswanderung der Sporen beobachten 
können. Die jungen Keime bewegen sich wurmartig sich schlän- 
gelnd und zeigen deutliche Kerne. Auf Schnittpräparaten wur- 
(den dieselben äusserst selten angetroffen, häufiger die etwas grös- | 
seren schon zu ovaler Gestalt zusammen gezogenen Formen. Diese” 
fanden sich bereits in Zellen vor. Wie in der Helixniere die 
Sporen frei werden und eine neue Infection stattfindet, ist noch | 
eine offene Frage. Eine Selbstinfeetion in infinitum .anzuneh- 
men, dürfte wohl aus manchen Gründen nieht riehtig sein, wie 
schon bei den Monoeystideen berichtet wurde. Es scheinen auch 
in diesem Falle die Sporen durch die Niere ausgeschieden zu 
werden, und durch sie eine neue Infeetion stattzufinden. Für 
diese Annahme sprieht neben der Analogie der Umstand, dass 


rinen erhielt, deren Haus lädirt war. Dass eine Infeetion auch 
sonst denkbar, ist nieht zu bestreiten, da auch Schnecken mit, 


Jedenfalls enthält die Niere der mit lädirtem Hause lebenden 
Schnecke ungleieh mehr Fremdlinge als andere, und es scheint 
daher nieht wnrichtig anzunehmen, dass von Aussen her, durch 
die lädirte Stelle die Parasiten ihren Einzug halten. In die 


Niere eingedrungen infieiren sie die Epithelzellen, wo wir sie 


Led 
we; 


Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 131 


machen sie dann, beständig von der Zelle umschlossen, ihre 
Weiterentwiekelung bis zur multiplen Sporenbildung durch. Eine 
Konjugation findet nicht statt. 


4. Untersuchungsmethoden. 


Um bei den im Vorstehenden behandelten Gregarinen zu 
definitiven Resultaten zu gelangen, mussten die Methoden der 
Untersuchung des öfteren gewechselt und geändert werden. Die 
frischen Präparate wurden ebenso zum Studium herangezogen als 
die gehärteten und gefärbten. 

Zur frischen Untersuchung kam in erster Linie die 0,75°/, 
physiologische Kochsalzlösung zur Anwendung. Die Parasiten 
bleiben darin am Leben, doch nimmt ihre Beweglichkeit enorm 
ab. Es gilt dies besonders von der Clepsidrina Blattarum. Die 
Anfangs lebhaft sich drehenden Syzygien liegen still. Die Mono- 
-eystideen und Klossia-Keime reagiren weniger. Ich fand die 
letzteren im hängenden Tropfen noch am dritten Tage in Bewe- 
gung. Jodserum wurde nur sehr wenig angewendet, da es in 
kurzer Zeit, wohl durch die Anwesenheit des Jod, die Parasiten 
abtödtet. Es kam späterhin nur noch als Dahliajodserum zur 
Verwendung, wo es sich darum handelte, rasch ein gefärbtes . 
Präparat zu haben. Aber auch diese Lösung wirkte bei der 
wechselnden Dieke der einhüllenden Membranen ungleich. Die 
besten Resultate lieferte die Untersuchung in Eiweisslösung, wie 
sie von Bütschli bei Clepsidrina Blattarum empfohlen wurde. 
Bei Klossia untersuchte ich fast nur in dem aus der Niere 
mit ausfliessenden Safte oder im Blute aus dem angeschnittenen 
Herzen der Schnecke. ‘Frisch entnommenes Kammerwasser des 
Frosches leistete mir gute Dienste bei den Monoeystideen, obwohl, 
wie sich später fand, CINa-Lösung die gleichen Resultate giebt. 
Die Präparate wurden, nachdem ein kleines Deckglassplitterchen 
zur Verhütung der Quetschung untergeschoben war, mit dem 
Deckglas bedeckt und mit Vaselinerand umgeben. Wachs zum 
Verschluss zu gebrauchen habe ich später unterlassen, da doch 
leicht bei dem Erkalten Quetschung eintritt. Präparate im hängen- 
den Tropfen wurden nach den bei bacteriologischen Unter- 
suchungen üblichen Methoden angefertigt. Sie geben entschieden 

die besten und zuverlässigsten Bilder, erlauben allerdings nicht 
inter dem Deckglase eine Abtödtung oder Färbung vorzunehmen. 


132 Wolters: 


Bei der Undurchsichtigkeit der Gregarinenleiber lag es nahe, 
durch die Anwendung der Schnittmethode weitere Resultate zu 
gewinnen. Zur Abtödtung und Fixirung wurde vor. allem die 
Flemming’sche Lösung benutzt, und zwar wurden z. B. die Syzy- i 
gien der Clepsidrina sowohl als ihre Cysten isolirt abgetödtet, 
als auch ganze Därme der Blatta so gehärtet. 

Die gehärteten Objeete wurden Anfangs in Celloidin ein- 
gebettet und in Serienschnitte zerlegt, auf dem Öbjeetträger in 
Aetherdampf fixirt. Zur Färbung diente Saffranin. Diese Me- 
thode wurde wegen ihrer Mühsamkeit später verlassen und die 
Objecte in Paraffin eingeschmolzen und geschnitten. Zur Fär- 
bung diente auch hier Saffranin. Auch bei den Hoden des Re- 
senwurmes und der Niere der Helix nemoralis und hortensis wurde 
zum Abtödten und Fixiren Flemming’sche Lösung benutzt, dann 
aber in Paraffın eingebettet und die Sehnitte durch Collodium- 
Nelkenöl fixirt. Zur Färbung diente Saffranin und das Delafield’- 
sche Hämatoxylin. So behandelte Präparate sind wohl geeignet‘ 
Uebersichtsbilder, und wohl auch hie und da Details erkennen 
zu lassen. Da ich aber durch die Flemming’sche Lösung Ge- 
rinnungen entstehen sah, welche stellenweise nur mit Abbe’scher ° 
Beleuchtung Kerne erkennen liessen, währeud oft der ganze Oy- 
steninhalt braunschwarz gefärbt war, falls dieselben nahe der Peri- 
pherie lagen, so wurde diese Methode der Fixirung verlassen. 3 
Zuerst wurde kurze Einwirkung von Alcohol. absol. versucht, doch‘ 
bald wieder verlassen, da die Schrumpfung zu stark war und der 
Borstenbesatz der Zelle bei dieser Behandlung leicht abfällt. Al 
cohol. absol. und Eisessig, zu gleichen Theilen, besonders erwärmt, 
leistete gute Dienste, brachte jedoch auch noch zu starke Schrum- 
pfung hervor. # 

Bessere Resultate ergab wässerige eoneentrirte Pikrinsäure- 
lösung, der auf 100 Theile 1 Theil Eisessig zugesetzt wurde, 
doch war die Conservirung, besonders der Epithelien, nicht sehr 
schön. Folgende Lösung genügte auch diesen Anforderungen: 

Coneentrirte wässerige Pikrinsäure 100,0 
Aqua dest. 200,0 
Eisessig 3,0. 

Fixirung kleiner Stücke 24 Stunden, dann in 70°/, Aleohol 
bis zur völligen Entfärbung. Härtung in Alcohol successive 
ansteigender Concentration. Das so gehärtete Material wurde m 


Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. A: 


. u s 

Paraffin eingebettet und in Serienschnitte zerlegt. Die Färbung 
geschah mit Saffranin; sowohl die gewöhnliche Lösung in Alcohol 
und Wasser aa als auch die von Vittorio Mibelli (Monitore 
zoologico Italiano 1890 Nr. 1) kamen zur Anwendung, beide über- 
färben leicht und bedingen dann zum Erkennen feinerer Struc- 
turen eine Entfärbung durch Salzsäurealeohol. Diese hat ihre 
Unzuträglichkeiten. Der richtige Farbenton ist schwer zu treffen, 
und die Präparate werden oft blauviolett und lassen kaum feinere 
‚Structur erkennen. Es wurde daher im weiteren Verlaufe, wo 
es sich um die feinere Kernstructur der Sporogonien und Sporo- 
eyten ‘handelte, die Färbung mit Hämatoxylin in Anwendung ge- 
zogen. Von emer alcoholischen Lösung dieses Farbstoffes, gleich- 
"viel welcher Concentration, wurden soviel Tropfen einer !/,/, 
Alaunlösung zugefügt, bis dieselbe eine leicht veilchenblaue Fär- 
bung annahm. In dieser Lösung verblieben die Schnitte 24 Stun- 
den, event. auch länger, bis sie eben bläulich wurden. Der rich- 
tige Färbegrad wurde durch das Mikroskop festgestellt. Es trat 
so keine Ueberfärbung ein und die lästige und unsichere Entfär- 
"bung durch Salzsäurealeohol fiel weg. Es färbten sich auf diese 
Weise nur die chromasischen Elemente. Die Kerntheilungsfiguren 
in der Hodensubstanz des Regenwurmes dienten als Kriterium der 
gelungenen Färbung. Auf diese Weise gelang,es vor. allem in 
den Sporogonien und später in den Sporocyten die Vorgänge zu 
-eonstatiren, die im Vorhergehenden beschrieben wurden. Auch 
die anderen Parasiten wurden nach dieser Methode gefärbt und 
ergaben immer klare und distinete Färbungen. Bei Schnecken- 
nieren ist es oft von Vortheil, besonders im Winter, die Unmassen 
von Harnsäurekörnchen durch Lithion earbonicum zu entfernen. 
Das Bild gewinnt dadurch bedeutend an Uebersichtlichkeit. 

Zu erwähnen ist noch, dass die meisten Copulationen und 
Kerntheilungsvorgänge Ende Mai und Anfangs Juni beobachtet 
wurden. Es stimmt dies mit den Angaben von Ruschhaupt 
überein. Bei der Clepsidrina scheint dagegen keine Zeit beson- 
ders bevorzugt zu sein. Helix nemoralis und hortensis habe ich 
von verschiedenen Plätzen und Gärten untersucht, und dabei nie 
die Parasiten vermisst. Die Beobachtung von Kloss, dass die 
Exemplare die zahlreichsten Parasiten haben, deren Schaale ver- 
‚letzt gewesen, wurde durchweg bestätigt. Helix pomatia wurde 
nie infieirt gefunden, 


134 ‘ Wolters: 
’ “ 


Die Zeichnungen zu den beigefügten Tafeln verdanke ich 
der Güte meines verehrten Lehrers, Herın Prof. Nussbaum. 
Ich bin ihm dafür ebenso verpflichtet wie für das Interesse, das 
er dem Fortschreiten meiner Untersuchungen bewahrte. j 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel V—VIL. 


Tatel 5, 


Fig. 1. Schnitt durch eine Syzygie von Monocystis magna vor Aus- 
scheidung der Cystenhaut. Flemming’sche Lösung. Vergr. 

Zeiss E, Oc. 2. E 

Fig. 2. Schnitt durch eine Cyste von Monocystis magna. Präparation 
und Vergrösserung wie vorher. In jedem Copulanten ein Kern. 

Fig. 3. Kern und umgebende Leibessubstanz aus einer frei beweg- 
lichen Monoecystis magna. Flemming’sche Lösung. Vergr. 

Winkel Syst. 8, Oc. 3. 

Fig. 4 Schnitt durch eine freie Monocystis magna. Der Bau der’ 
Leibessubstanz ist nur zum Theil auf der rechten Seite” 
wiedergegeben. Der Kern ist bläschenförmig, im lei@ht tin- 

girten Nucleolus mehrere stärker gefärbte Körnchen. Flem- 
ming’sche Lösung. Vergr. Zeiss F, Oc. 2. h 

Fig. 5. Schnitt Aurch eine Monocystis agilis. Unten in der Figur” 
ein „geflammter* Kern. Flemming’sche Lösung. Vergr 

Winkel 6, Oc. 3. | 

Fig. 6. Schnitt durch eine Monocystis agilis. Kern mit einem com- 
pakten Nucleolus. Präparation und Vergrösserung wie in’ 

Fie. ». 

Fig. 7. Schnitt durch eine Cyste der Monoeystis magna im Stadium 
der Richtungskörperbildung. Kerntheilung links im oberen 
Syzygiten. Flemming’sche Lösung. Vergr. Zeiss E, Oc.2. 

Fig. 8-10. Schnitte durch eine Cyste der Monoeystis agilis. Schnitt- 
stärke 15u. Fig. 9 ist um zwei Schnitte von Fig. 8, und 

Fig. 10 um 3 Schnitte von Fig. 9 entfernt. In der ganzen 

Cyste kommen nur die in Fig. 8 und 10 abgebildeten und in 
Theilung begriffenen Kerne vor. Fig. 8 stellt den Kern des 

einen, Fig. 10 den des anderen Syzygiten dar. In Fig.9 die 
Communicationsbrücke. Flemming’sche Lösung. Vergr 

Zeiss E, Oc. 2. E 
Fig. 11 u. 12. Zwei aufeinander folgende Schnitte durch eine Cyste 
von Monocystis agilis. Der Kern liegt in jedem der Syzy- 

giten nahe der Copulationsfläche. Cystenhaut ist nicht dar 

gestellt. Präparation und Vergrösserung wie vorher, 


Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 135 


Fig. 13 u. 14. Zwei aufeinander folgende Schnitte durch eine Cyste 


Fig. 3. 


= Fig. 7. 


von Monocystis agilis. Der Kern in Fig. 13 geht durch die 
Communicationsbrücke von einem Syzygiten in den andern 
über. Der Kern der Fig. 14 stellt die Fortsetzung des Kernes 
der Fig. 13 in den oberen Syzygiten hinein, dar. (Der ein- 
zige Kern der Cyste fiel, da er gebogen ist, in zwei Schnitte.) 
Präparation und Vergrösserung‘ wie vorher. 


. Syzygiten der Monocystis agilis innerhalb der Cyste mit den 


in der Nähe der Conjugationsebene gelegenen Theilungs- 
spindeln. Flemming’sche Lösung. Vergr. Zeiss. Im. 3, 
Oe. 2. 

Die Kernfigur aus Fig. 5 stärker vergrössert. 


Tafel VI 


2. Kernformen aus den beiden Syzygiten einer Cyste von 
Monocystis agilis, beide an der Peripherie gelegen. Fig. 1 
zeigt den einen Kern im Stadium der Mitose mit ausgebil- 
deter Polstrahlung, achromatischer Spindel und den Chromo- 
somen. Die achromatische Spindel zerfällt in zwei Theile, 
der centrale Theil derselben ist fein längsgestrichelt, ihr 
äusserer Mantel besteht aus derberen Fasern, die sicher nicht 
von einem Pol zum anderen ziehen. Der Kern der Figur 2 
hat eine deutliche Membran, sein fester Inhalt ist in zwei 
grössere Klumpen angeordnet, von denen feine Fortsätze aus- 
strahlen und in denen stärker gefärbte Körnchen. liegen. In 
der Figur ist auch die ringförmige Anordnung des Proto- 
plasmas um den Kern mit den feinen Ausstrahlungen nach 
der Peripherie hin angedeutet. Pikrin-Essig-säure. Vergr. Leitz 
homog. Im. !/y, Oe. 4. 

Sehnitt durch eine Cyste der Monoeystis agilis mit einem 
Kern und der Protoplasmaanhäufung an der Communica- 
tionsbrücke. Flemming’sche Flüssigkeit. Vergr. Leitz hom. 
Im. 1/8, Oe. 0. 

Peripherer Schnitt durch eine Cyste der Monocystis agilis mit 
Kernen verschiedener Grösse und verschiedenen Stadien der 
Theilung. Präparation und Vergr. wie vorher. 

Schnitt durch eine Cyste der Monocystis agilis mit Sporo- 
blasten an der Peripherie des Centralkörpers. 

Schrägschnitt durch eine Cyste der Monocystis agilis; der 
obere Syzygit mit verschiedenen Kernformen und ihrem 
Protoplasmahof peripher, der untere central getroffen. Die 
Sehnittriehtung ergiebt sich aus der Controlle der übrigen 
Schnitte dieser Cyste. Pikrin-Essig-säure. Vergr. Leitz hom, 
Im. !/, Oe. 0. 

Cyste der Monoeystis agilis mit bindegewebiger Kapsel, 


136 Wolters: 


Fig. 8. Peripherer Schritt durch eine Cyste der Monoeystis agilis mit 
Kerntheilungsfiguren in jedem Syzygiten. Pikrin-Essig-säure. 
Vergr. Zeiss E, Oec. 2. 

Fig. 9-11. Sporogonien und eingebuchteter Centralkörper in Oysten 
der Monocystis agilis und magna. 

Fig. 12—20. Entwickelung der Sporen und ihrer Cyste aus der Sporo- 
sonie bei Monocystis magna. Pikrin-Essig-säure. Leitz hom. 
Im. 1/, Oe. 4. 


Tafel VII N 


Fig. 1. 2. 3. 4. Kernformen aus Syzygiten der Clepsidrina Blattarum. 
Flemming’sche Lösung. Vergr. Zeiss F, Oc. 2. 

Fig. 5. Feiner Schnitt. 

Fig. 6. Dickerer Schnitt durch den „geflammten“ Kern und seine Um- 

gebung von Ülepsidrina Blattarum. Präparation und Ver- 

grösserung wie vorher. 

Syzvgie der Cleps. Blatt. mit „geflammtem“ Kerne im oberen 

und membranhaltigem Kerne, dessen chromatische Substanz 

rosenkranzartig angeordnet ist, im unteren Syzygiten. 

Fig. 8. Schnitt durch eine junge Cyste der Cleps. Blatt. Ausser den 

Deutomeriten ist auch das Protomerit des einen Syzygiten im 

Schnitt getroffen. 

Schnitt durch eine gleiche Cyste mit Theilen der Deutomerite 

oben und unten von der Contactlläche, einem „geflammten“ 

Kern im oberen Syzygiten und Abschnitten der Protomerite 

rechts und links von der Contactfläche. 

Fig. 10. Schnitt durch die Contactfläche zweier Syzygiten mit einem 
Kerne in rosenkranzförmiger Anordnung des Chromatins im 
oberen Syzygiten. 

Fig. 11. Schnitt durch eine Cyste desselben Thieres mit Sporen im 
Centrum. Die Hüllen der Cyste sind nicht dargestellt. 

Fig. 12. Peripherer Schnitt durch eine ältere Cyste mit grösseren 
Sporen in Strängen und Lücken im Restkörper. Präparation 
bei Fig. 8-12 Flemming’sche Lösung. Vergr. Zeiss CC, 
08.2 


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Fig. 


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Fig. 1. Schnitt durch die äussere Leibesschicht einer Clepsidrina Blatt. 
senkrecht zu den Längsrippen der Cutieula. In der Figur 
folgen sich von oben nach unten Cuticula, Eetosark, Ento- 
sark. Flemming’sche Lösung. Leitz hom. Im. 1/e- = 

Fig. 2. Epithelzellen mit Fransensaum aus dem Mitteldarme der Blatta 
orientalis, inficirt mit verschiedenen Entwickelungsstadien der 
Clepsidrina Blattarum. Flemming’sche Lösung. Vergr. 
Leitz hom. Im. 1, Oc. 2. | 

Fie. 3. Eine Clepsidrina Blatt. mit dem Epimerit in einer Zelle des 
Mitteldarmes der Blatt. orientalis festgeheftet. 


Fine 


Fig. 6. 


Fig. 7. 


Die Congugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 137 


Junge Form der Clepsidrina Blatt, frei im Mitteldarme der 
Blatt. orientalis. Flemming’sche Lösung Safranin, Balsam. 
Wegen der Präparationsmethode ist die äussere Leibesgrenze 
und die Cutieula nicht sichtbar. Vergr. Leitz hom. Im. Y/ıe, 
Oe. 2. 

Nierenepithelien der Helix nemoralis mit Fransenbesatz, Harn- 
säureeoncerement in der nach links gelegenen äussersten Zelle 
und einer jungen Klossia in der daneben gelegenen. Flem- 
ming’sche Lösung. Vergr. Zeiss F, Oc. 2. 

Schnitt, durch eine Nierenzelle mit vergrössertem Kerne und 
in der Zelle liegenden Klossia. 

Sehnitt durch eine lang ausgezogene Nierenzelle von Helix 
nemoralis mit hypertrophischem Kern an der Basis, vier kleinen 
und einer grossen Klossia. Präparation bei 6 und 7 Pikrin- 
Essig-säure. Vergrösserung Zeiss F, Oec. 2. 


Fig. 8 u. 9. Kernformen und netzförmige Anordnung des Protoplasmas 


Fig. 10. 


Fig. 13. 


Fig. 14. 


Fig. 15. 


Fig. 16. 


gehärteter Klossia. 

11. 12. Sporogonienbildung bei Klossia. Fig. 10 und 11 aus 
derselben Cyste, Fig. 10 von der Peripherie, Fig. 11 durch 
den Aequator der Cyste, Fig. 12 durch den Aequator einer 
älteren Cyste. Pikrin-Essig-säure Vergr. Leitz 5, Oc. 2. 
Schwund der Kernmembran und Auftreten von färbbaren 
Körnchen neben dem Nucleolus im Inneren des Kernes. Schnitt 
durch eine Klossia in Pikrin-Essig-säure gehärtet. Vergr. Leitz 
hom. Im. 1/., Oe. 2. 

Schnitt durch den Aequator eines membranlosen „geflamm- 
ten“ Kernes und den gefärbten Körnchen im Inneren sowie 
durch die umgebende Leibessubstanz einer Klossia. Pikrin- 
Essig-säure. Vergr. Leitz hom. Im. Ye, Oc. 4. 

Isolirte Nierenzelle von Helix nemoralis mit stark entwickeltem 
Borstensaum ringartig verdünnter Zellsubstanz, in der unten 
der Kern der Zelle, links eine junge Klossia, und in der Mitte 
eine kugelig gewordene ausgewachsene Klossia ohne sicht- 
baren Kern in ihrer Cystenhaut gelegen ist. Frisch in Schnecken- 
blut bei Leitz Syst. 7, Oc. 2 untersucht. 

Schnitt durch eine Nierenzelle, die mit einer Klossia auf dem- 
selben Stadium der Entwickelung wie auf der vorhergehenden 
Figur infieirt ist. Der Kern der Nierenzelle ist in diesem 
Schnitt nicht getroffen. Der Kern der Klossia ist geflammt. 
(Alle anderen Kernformen sind auch während des Lebens 
sichtbar.) Präparation Flemming’sche Lösung. Vergr. Leitz 
hom. Im. !/., Oe. 2. 

Flimmerzelle und Heidenhain’sche Stäbchenzellen aus dem 
zweiten Abschnitt der Niere von Helix nemoralis. Flem- 
ming’sche Lösung. 

Schnitt durch eine Nierenzelle und ihren Kern von Helix ne- 
moralis mit einer eingelagerten Klossia, deren Kern geflammt 


138 

Tie. 19: 
Fig. 20. 
Fig. 21 
Fig. 22 
Fig. 23. 
Fig. 24. 


. Sporoeysten und Kernbilder in denselben. Klossia.. Flem- 


. Schnitt durch eine Nierenzelle der Helix nemoralis mit einer 


Wolters: Die Conjugation und Sporenbildung ete. 


ist und viele einzelne färbbare Körnchen enthält. Pikrin-Essig- 
säure. | | 
Eine Sporogonie der Klossia in Flemming’scher Lösung ge- 
härtet. Vergr. Leitz hom. Im. Y., Oe. 4 bei ausgezogenem- 
Tubus. 

Kernvermehrung in den Sporoeysten. Pikrin-Essig-säure. Vergr. 
wie Fig. 19. | 


ming’sche Lösung. Vergr. Leitz !/;, hom. Im. Oe. 4. 


Klossia, die an der Peripherie kleinere Kerne zeigt, während 
im Centrum kein Kern mehr vorhanden ist. Der Kern der 
Nierenzelle ist in diesem Schnitt nicht getroffen. Pikrin-Essig- 
säure. Vergr. Leitz hbom. Im. 1/;, Oc. O0 bei ausgezogenem 
Tubus. : 
Sporocyste mit Sporen und dem Sporophor von Klossia, frisch“ 
in Schneckenblut untersucht. (Die Kerne der Sporen sind. 
nach einem Präparat aus’ Pikrin-Essig-säure eingezeichnet.) 
Vergrösserung Leitz hom. Im. Y/, Oe. 2 bei ausgezogenem 
Tubus. | 

Nierenzelle einer Helix nemoralis mit Kern und Borstensaum 
mit einer in ihrem Inneren gelegenen encystirten und in die 
einzelnen Sporocysten getheilten Klossia. Frisch in Schnecken- 
blut untersucht. Vergr. Leitz Syst. 7, Oe. 2. 


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Ribbert: Ueber die Regeneration der Mammilla etc. 139 


Ueber die Regeneration der Mammilla nebst 
Bemerkungen über ihre Entwicklung. 


Von 


- Prof. Dr. Ribbert, 
erstem Assistenten am pathogischen Institut zu Bonn. 


Hierzu Tafel IX. 


Ueber die Regeneration der Mammilla haben unter meiner 
Leitung Stuckmann!) und Krapoll?) Untersuchungen ange- 
stellt und in ihren Dissertationen beschrieben. Die gewonnenen 
Resultate habe ich durch weitere Experimente ergänzt. Sie 
scheinen mir wichtig genug, um einem grösseren Leserkreis, als 
er Dissertationen beschieden zu sein pflegt, vorgelegt zu werden. 
Sie gaben mir auch Veranlassung, einzelne Stadien der normalen 
" Entwicklung der Mammilla, die zuletzt von Rein?) eingehend 
untersucht wurde, mit Bezug auf ihre feinere Histologie einer 
Prüfung zu unterziehen, deren Ergebnisse ich im Anschluss an 
die Darlegungen über die Regeneration mittheilen werde. 


I. Die Regeneration der Mammilla. 


Die Mammilla wurde bei jüngeren und älteren weiblichen 
und männlichen Kaninchen und bei Hündinnen mit der Scheere 
oder dem Messer zu einem Drittel oder zur Hälfte abgetragen. 
Auf der Wunde bildete sich sehr bald ein Schorf, unter welchem 


1) Stuckmann, Experimentelle und histologische Untersuchun- 
gen über die Regeneration der weiblichen Mammilla, Bonn 1889. 

2) Krapoll, Exper. u. histol. Unters, über die Regeneration der 
männlichen Mammilla, Bonn 1890. 

3) Dieses Archiv, Bd, 20 u. 21. 


140 Ribbert: | 


die Heilungsvorgänge abliefen. Die in verschiedenen Intervallen 
ausgeschnittenen, in Flemming’scher Lösung oder in 0,2 procen- 
tiger Chromsäure und Alkohol gehärteten Objeete wurden in 
senkrechte, mit den Ausführungsgängen parallele Sehnitte zerlegt. 


a) Uebersicht über den Verlauf der Regeneration. 


1. Untersuchung nach 24 Stunden. 
(Fig. 1.) 


Der Schorf hängt fest mit der Wundfläche der Mammilla 
in einer leicht unregelmässigen welligen Linie zusammen. Er be- 
steht aus zwei rasch ineinander übergehenden Lagen, einer dunkel 
gefärbten unteren und einer helleren oberen. Die dunkle Be- 
schaffenheit ist bedingt durch die Gegenwart dicht gedrängter 
kleiner, unregelmässiger Kerne, die sich in der helleren oberen 
Schicht nur spärlich finden. Das angrenzende Bindegewebe der 
Mammilla ist mit mehrkernigen Leukoeyten infiltrirt, durch deren 
gegen die Wundlinie zunehmende Zahl der Uebergang in den 
Sehorf rasch und ‘ohne scharfe Grenze vermittelt wird. Nach 
abwärts verliert sich die zellige Infiltration allmählich. Die fixen 
Gewebszellen sind in ihrem Bereich deutlich vergrössert. 

Die Ausführungsgänge der Milchdrüse sind weit, verengen 
sich aber in der Nähe des Schorfes. Ihr Lumen findet vielfach 
in letzterem eine enge, unregelmässige, frei ausmündende Fort- 
setzung, die von einem dunkel tingirten, nach innen zackig, gegen 
den Schorf sehr scharf begrenzten Saum umgeben ist (Fig. 6). 
Dieser Saum besteht aus schräg gestellten, nach der Mittellinie 
bogenförmig convergirenden, sehr schmalen Zellen, deren lang 
ausgezogene Kerne intensiv gefärbt sind. Er geht nach unten 
continuirlich über in das Epithel der Milchgänge und zwar so, 
dass die Zellen ziemlich rasch breiter und niedriger, die Kerne 
ovaler und heller werden. Es kann also nicht zweifelhaft sein, 
dass die Drüsenepithelien in die aufgelagerte Gerinnungsmasse 
hineingedrungen sind, hier aber Veränderungen erleiden, welche 
als degenerative aufzufassen sind. Man kann annehmen, dass sie 
später mit dem Schorf, dem sie fest anhaften, abgestossen werden. 
In der That finden wir diese Voraussetzung, wie vorweg bemerkt 
sein mag, an den Präparaten der folgenden Tage bestätigt. 


re 
Uebe die Regeneration der Mammilla nebst Bemerkungen ete. 141 
En | 

Die Epithelien der Drüsengänge zeigen ihrer Vermehrung 
entsprechende Proliferationsvorgänge. Ich konnte in jedem Gange 
gewöhnlich zwei, nieht selten aber auch drei und vier Mitosen 
nachweisen. 

Das Vordringen der Drüsenepithelien in den Schorf ist aber 
nicht in allen Präparaten und nicht über allen Ausführungsgängen 
nachzuweisen. Sehr oft ragt es nur auf eine kurze Strecke, in 
vielen anderen Fällen gar nicht in die untere dunkle Schicht 
‚desselben hinein. 

Die Epidermis an der Seite der Mammilla nimmt gegen die 
Wundgrenze hin an Dicke allmählich zu, um am Rande derselben 
etwa die doppelte oder dreifache Dicke der normalen Lage zu 
besitzen. Es ragt beiderseits etwas unter den Schorf vor, ent- 
weder als kurzer mit ihm paralleler oder auch als leicht nach 
abwärts geneigter Fortsatz, der nach innen gewöhnlich abgerundet 
endet. Es findet also die Regeneration schon in einem Vordringen 
des Epithels auf die Wundfläche ihren Ausdruck und dement- 
sprechend bemerkt man in dem: neugebildeten Fortsatz sowohl 
wie in dem angrenzenden an der Seite der Mammilla gelegenen 
Epithel einzelne Mitosen. Jedoch fällt auf jeden Sehnitt dureh- 
schnittlich nicht mehr als eine. 

Diese Angaben gelten für den ersten an einem jungen weib- 
hi chen Kaninchen angestellten Versuch. Bei einem aufgewachsenen 
Thier war das Verhalten in der Hauptsache das gleiche, indessen 
war das Deckepithel schon weiter zwischen Sehorf und Wund- 
fläche vorgedrungen, etwa bis zur Hälfte der Entfernung des 
Wundrandes vom nächsten Ausführungsgang. Es verjüngte sich 
vielfach in der Richtung seines Wachsthums bis zu einer ein- 
zelligen Lage. In dem neugebildeten Epithel fanden sich nur 
spärliche, in dem angrenzenden restirenden ziemlich zahlreiche 
Mitosen, etwa zwei auf jeder Seite in jedem Schnitt. Das Epithel 
ler Ausführungsgänge enthielt nur sehr wenige Kerntheilungs- 
f Rai en. 

In einem dritten und vierten Falle boten die Präparate in 
den wichtigsten Punkten das gleiche Aussehen. 

Die Verhältnisse während der ersten 24 Stunden genauer 
zu schildern erscheint überflüssig. Erwähnt sei nur, dass die 
Diekenzunahme des Deckepithels am Wundrande schon nach acht 


143 Ribbert: 


Stunden deutlich ist und auf einer Grössenzunahme der einzelnen 
Epithelien beruht, dass ferner auch an einem siebzehnstündigen 
Präparat schon einzelne Mitosen in der Epidermis und dem Epithel 
der Milchgänge sichtbar waren. 


2. Untersuchung nach 48 Stunden. - 
(Fig. 2.) 


Der Schorf haftet der Kuppe der Mammilla noch fest an, 
indessen sitzt er an keiner Stelle dem Bindegewebe mehr auf, 
sondern überall dem Deckepithel, welches über die ganze Wund- 
fläche herübergewachsen ist. Es übertrifft zwischen den Oeffnungen 
der Milchgänge und seitlich von ihnen das normale Epithel um 
das Vielfache an Dicke, verjüngt sich gegen den Rand der frü- 
heren Wunde sehr rasch um !/,—!/, und geht darauf an der 
Seitenfläche der Warze allmählich in die normale Lage über. 
Es bildet also in den mittleren "Theile der Amputationsfläche einen 
sehr breiten Zapfen, der, oberflächlich ziemlich glatt, an seiner 
unteren Seite kürzere und längere Fortsätze besitzt. Durch ihn 
treten nun die Milchgänge hindurch und zwar so, dass sie unten 
zunächst von jenen Fortsätzen umgeben sind. Sie verengen sich 
in der Nähe seines unteren Randes und ihr Lumen geht als ver- 
hältnissmässig schmaler Kanal mit theils glatter, theils zackiger 
Begrenzung durch ihn hindurch. Die Cylinderzellen der Aus- 
führungsgänge reichen nun nicht nur bis au die Epidermis, son- 
dern setzen sich auf der Innenfläche des in dieser gelegenen 
Kanales bis fast an seinen äusseren Rand fort. Dabei liegen 
sie dem Deckepithel direkt auf, sind aber zum Lumen nicht 
so regelmässig geordnet wie in den erhaltenen T'heilen der Milch- 
sänge, sondern entweder schräg oder parallel zu ihm gestellt 
(Fig. 7). Dadurch ist es auch bedingt, dass die zellige Aus- 
kleidung des engen Kanalabschnittes meist beträchtlich niedriger 
ist, als die des restirenden Theiles der Ausführungsgänge. 

Um eine möglichst übersichtliche Darstellung der Regene- 
rationsprocesse zu ermöglichen, soll hier und in den zunächst 
folgenden Beschreibungen von den Beziehungen des Drüsenepithels 
zu dem neuen äusseren Epithel nur in den Hauptzügen, nicht in 


 Veber die Regeneration der Mammilla nebet Bemerkungen ete. 143 


allen Einzelheiten die Rede sein. In einem besonderen Absehnitt 
werde ich unten darauf zurückkommen. 

F- Im Deckepithel, im Epithel der Milehgänge und im Binde- 
_ gewebe finden sich zahlreiche Mitosen. 

| Von dem Verlauf des Regenerationsvorganges während der 
_ ersten beiden Tage können wir uns nunmehr folgende Vorstel- 
lung machen. Die Epidernfis ist vom Rande her allmählich über 
‚die ganze Wundfläche herübergewachsen und an den Ausführungs- 
_ gängen der Milehdrüse mit dem Epithel derselben zusammen- 
gestossen, dann aber hat sie über ihren Oeffnungen keine Decke 
gebildet, sondern als Fortsetzung ihres Lumens einen engen Kanal 
freigelassen, auf dessen Innenfläche sich das Cylinderepithel in 
unregelmässiger Weise bis zur freien Oberfläche vorgeschoben 
hat. In der Umgebung der Ausführungsgänge ist sie dann mit 
breiteren und schmaleren Fortsätzen in die Tiefe, in das restirende 
Bindegewebe der Mammilla hineingewachsen. 


3. Untersuehung nach 72 Stunden. 


(Fig. 3 u. 4.) 


| Von dem Schorf findet sich nur noch ein kleiner unregel- 
mässig geformter Rest. Er sitzt nicht mehr auf einer glatten 
Epithelfläche, da die Mitte derselben eine in einzelnen Schnitten 
flache, in anderen etwas zugespitzte Vertiefung zeigt, in welcher 
der Schorf noch lose anhaftet. Das Epithel ist über der Wund- 
fläche wieder stark verdickt, aber nun gegen das Bindegewebe 
nicht nur in flachen Bogen abgesetzt, sondern mit tiefgreifenden 
_ Fortsätzen versehen. In der Mitte des Zapfens, der Einsenkung 
entsprechend, ist das neugebildete Epithel am dieksten, und 
springt am weitesten, mit mehreren fingerförmigen Ausläufern, 
nach unten vor (Fig.3). In diesem mittleren Abschnitte münden 
nun die Drüsengänge. Ihr Lumen setzt sich durch die Epidermis 
als enger, etwas unregelmässiger Kanal fort und ist auch hier 
mit einem, vielfach zerfallenden Öylinderepithel ausgekleidet, 
_ welches den Epidermiszellen wieder unvermittelt aufsitzt. Die 
Gänge treten aber durch das Epithel nieht parallel hindurch, 
‚sondern mit einer mehr oder weniger deutlichen Neigung gegen 
die Mittellinie, also gegen die erwähnte Einziehung der Ober- 


144 Ribbert: 


fläche, an deren tiefster Stelle und Seitenfläche ihre äusseren 
Oeffnungen liegen. Wie ist nun die Einsenkung zu Stande ge- 
kommen? Da man seitlich von ihr unter dem neuen Epithel deut- 
lich jugendliches proliferirendes Bindegewebe von dem alten Ge- 
webe «der Mammilla abgrenzen. kann, so handelt es sich offenbar 
(darum, dass die peripheren Parthien der Amputationsfläche durch 
las Granulationsgewebe höher gewoftden sind, während central 
(lie Epidermis im Zusammenhang mit dem Rande der durch- 
schnittenen Ausführungsgänge nicht in gleichem Maasse aufge- 
stiegen ist und dadurch zu einer nabelartigen Vertiefung desjenigen 
mittleren Abschnittes der neuen Epithellage geführt hat, in 
welchen die Drüsengänge ausmünden. Diese mussten daher eine 
convergirende Richtung annehmen und in die Einsenkung aus- 
münden. 

Nicht selten sieht man auch, dass die Ausführungsgänge 
nicht einzeln die Epidermis durchbrechen, sondern sich dicht 
unter ihr zu zweien oder dreien zu einem gemeinsamen Lumen 
vereinigen, welches für sich dann aber die gleichen Beziehungen 
zum Deckepithel aufweist. ' 

In einem zweiten Falle (Fig. 4), bei eimem jungen weib- 
lichen Kaninchen, ist der Zapfen gleichfalls central etwas einge- 
bogen, aber nach unten noch vielgestaltiger. Er greift wie mit 
Wurzeln in eine Tiefe von fast !/, Millimeter, ist aber noch weit 
beträchtlicher als in dem vorigen Falle in das alte Bindegewebe 
unter das Wundniveau vorgedrungen, dessen Grenze an dem 
Unterschiede zwischen dem restirenden Gewebe und dem aus ihm 
hervorsprossenden jugendlichen Granulationsgewebe leicht zu er- 
kennen ist. 

Das Abwärtswachsen des Epithels ist nun dieht am Rande 
oder besser an der Aussenseite der Ausführungsgänge erfolgt. 
Dabei spitzt es sich nach unten gewöhnlich etwas zu. Dement- 
sprechend treten die Drüsengänge am unteren Umfange der einzelnen 
Epidermiszapfen ein, um, nicht immer geradlienig und meist zu ein- 
andergeneigt, mit unregelmässigem COylinderepithel ausgekleidet, 
eine Strecke weit in ihm nach aufwärts zu verlaufen. In keinem 
Sehnitte dieses Objectes konnte aber eine Ausmündung von Drü- 
sengängen auf der Oberfläche gesehen werden. Es musste sich 
daher, da die Sehnittreihe vollständig war, um eine blinde Endi- 
sung der Gänge im Deckepithel handeln, welches somit in die- 


Ueber die Regeneration der Mammilla nebst Bemerkungen etc. 145 


sem, allerdings auch dem einzigen zur Beobachtung gekommenen 
Falle, von der Seite her nicht nur bis an den Rand der Drüsen- 
-_ öffnungen gelangt, sondern über diese continuirlich hinweggewach- 
sen ist. 

Die besprochene Einsenkung des centralen Theiles der neu- 
gebildeten Epidermis findet sich nun nicht in allen Fällen. Bei 
einem nahezu ausgewachsenen Thiere war die Oberfläche eben 
_ und die Ausführungsgänge verliefen parallel mit einander durch 
die neue Epithellage, die aber auch hier an der Seite der Gänge 
Fortsätze nach abwärts schickte und um das Mehrfache dicker 
war als die normale Epidermis. Eine Vereinigung von zwei oder 
drei Gängen zu einem gemeinsamen Lumen war auch in diesem 
Falle in vielen Schnitten vorhanden. 

Die von den einzelnen Thieren gewonnenen Präparate des 
dritten Tages unterscheiden sich also durch die Dicke und die 
Gestalt des neugebildeten Epidermiszapfens.. So weit ich sehe, 
hat dies seinen Grund in dem verschiedenen Alter der Thiere. 
Bei jungen Kaninchen wuchert das Epithel lebhafter und bildet, 
nachdem es die kleinere Wundfläche schneller überwachsen hat, 
_ eine diekere Lage, die tiefer in das alte Bindegewebe vordringt 


als bei älteren Thieren. 


4. Untersuchung nach 4 und mehr Tagen. 
(Fig. 5.) 


Die Präparate vom vierten Tage ab einzeln zu beschreiben, 
würde viele Wiederholungen bedingen, da die von Tag zu Tag 
_ sich vollziehenden Veränderungen nicht sehr gross sind und da 
andererseits auch nicht nach Ablauf der gleichen Zeit in allen 
- Versuchsreihen dieselben Entwicklungszustände vorhanden sind. 

So fand sich z.B. bei einem erwachsenen weiblichen Kaninchen 
- an einem Präparat vom fünften Tage dasselbe Verhalten, wie wir 
es an den bisher beschriebenen Objeeten schon am zweiten Tage 
_ wahrnahmen. Diese Verschiedenheit erklärt sich theils daraus, 
dass bei jüngeren Thieren die Regenerationsprozesse lebhafter 
ablaufen als bei älteren, bei denen dementsprechend auch die 
_ Dieke des neuen Epithels nicht so beträchtlich wird, theils da- 
raus, dass bei erwachsenen Kaninchen in Folge des grösseren 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 10 


146 Ribbert: 


Durchmessers der Mammilla die mit Epithel zu überkleidende 
Fläche erheblich grösser ist und desshalb längere Zeit zur Ueber- 
häutung beansprucht. 

Die Schilderung soll also nunmehr im Zusammenhang weiter- 
seführt werden. 

Die Regenerationsvorgänge sind vom vierten Tage ab haupt- 
sächlieh dadurch gekennzeichnet, dass die Mammilla im Ganzen 
in die Höhe wächst. Dies kommt dadurch zu Stande, dass aus 
dem Bindegewebe der Amputationsfläche junges Granulations- 
gewebe hervorsprosst und, wenn wir so sagen dürfen, das neu- 
gebildete Epithel nach oben vor sich herdrängt. In einem Prä- 
parate vom siebenten Tage war die Dicke dieses neuen Binde- 
gewebes etwa das Doppelte von derjenigen der neuen Epithel- 
lage, während diese selbst etwa 3—4 Mal so diek war wie das 
normale Epithel an der Seite der Mammilla. 

Das Höhenwachsthum gestaltet sich nun etwas verschieden 
(dadurch, dass in einigen Versuchsreihen, vorwiegend bei jungen 
Thieren, wie eben beschrieben, die neue: Epitheldecke central 
eine Einziehung und eine grössere Dicke zeigt und dass hier die 
Drüsengänge convergirend nahe neben einander ausmünden, wäh- 
rend bei den übrigen Versuchen, die hauptsächlich ältere Thiere 
betreffen, die Ausführungsgänge parallel, wenn auch nur selten 
jeder für sich, sondern meist zu zweien oder dreien vereinigt, 
durch das gleichmässig dieke, nicht mit centralem Nabel ver- 
sehene Epithel hindurchtreten. Die letzteren Fälle als die ein- 
facheren, seien zunächst dargestellt. 

Wenn wir nun die Mammilla durch die seitlich von den 
Ausführungsgängen und zwischen ihnen vor sich gehende Neu- 
bildung von Granulationsgewebe höher werden, dabei aber den 
Zusammenhang der Epidermis mit dem Epithel der Drüsenkanäle 
erhalten sehen, so kann dies nur dadurch geschehen, dass entweder 
die um die Gänge gebildeten eylindrischen Einsenkungen der 
Epidermis mit dem Wachsthum der ganzen Brustwarze höher 
werden oder die Ausführungsgänge sich durch Wucherung ihres 
Epithels nach oben verlängern. Der letztere Vorgang kommt 
nun für die definitive Gestaltung hauptsächlich in Betracht. 

In der ersten Zeit nach dem dritten Tage ist freilich von 
einem Wachsthum der Drüsengänge nach oben noch wenig wahr- 
zunehmen, so dass dann der weitaus grösste Theil der durch 


das neugebildete Bindegewebe hindurchtretenden Lumina noch 
rings vom Deckepithel umgeben ist. Weiterhin aber zieht dieses 
sich mehr und mehr nach oben zurück, gefolgt von dem nunmehr 
in gleicher Richtung wachsenden Drüsenepithel. Jedoch bleibt 
auch in den ältesten Präparaten nach Analogie der normalen 
Verhältnisse ein mehr oder weniger grosser Abschnitt der Aus- 
führungsgänge von dem cylindrisch sich einsenkenden äusseren 
Epithel umgeben (Fig. 5 u. 9). 

Am einfachsten sind diese Verhältnisse dann zu übersehen, 
wenn nur ein einzelner Gang für sich ausmündet. Aber auch 
wenn zwei oder drei sich vereinigen, ist in der Hauptsache das 
gleiche zu beobachten. Die zwischen ihnen gelegenen, sie tren- 
nenden, auch auf ihrer Kante von Cylinderepithel überzogenen 
Leisten (Fig.5) erheben sich nur wenig und langsam und so ent- 
stehen sehr weite Ausmündungsabschnitte, die nun noch dadurch 
der Form rundlicher Hohlräume sich nähern können, dass das 
äussere Epithel meist vorpsringt und so nicht eine der gemein- 
samen Strecke entsprechende, sondern eine engere Oeffnung 
freilässt. 

Die einzelnen Gänge sowohl wie die mehreren Gängen ge- 
meinsamen Abschnitte können durch Reste des Schorfes oder 
oder durch verhorntes Epithel verengt oder verlegt sein. 

Der Verlauf des Regenerationsprocesses bei jungen Thieren 
mit der erwähnten nabelartigen Einziehung auf der Höhe der 
Mammilla, der diekeren Epithellage und mit der wurzelähnlichen 
Verzweigung derselben gestaltet sich nun in den späteren Stadien 
ganz analog. Die centrale Einsenkung verschwindet allmählich 
und zwar dadurch, dass das Epithel sich auch in ihrem Bereich 
immer mehr erhebt. Es geschieht dies wie in den seitlichen 
Theilen durch Bildung eines jungen Granulationsgewebes an sei- 
ner Unterfläche. Dasselbe drängt die Epithellage nach aufwärts 
vor sich her, wobei sich auch das um die Milchgänge ringsum 
nach abwärts gewachsene äussere Epithel mehr und mehr nach 
oben zurückzieht. So werden die Ausführungsgänge zunächst 
wieder bis zur Höhe der Amputationsfläche von Bindegewebe 
umgeben, dann geht das weitere Wachsthum ganz wie eben be- 
reits beschrieben vor sich. Auch hier vereinigen sich häufig 
mehrere Gänge und bilden in ihrem gemeinsamen Abschnitt la- 
eunäre Erweiterungen. Die anfänglich so beträchtlich dicke Epi- 


148 Ribbert: 


thellage wird rasch dünner, bis sie am Ende der dritten Woche 
nur noch etwa drei Mal höher ist, als die benachbarte (Fig. 9). 
Das junge Bindegewebe hat zu dieser Zeit etwa die neunfache 
Dicke der neuen Epithellage. 


b) Genaue Erörterung einiger Einzelheiten des Regenerations- 
vorganges. 


1. Das Verhalten der Kerntheilungsfiguren in 
der Epidermis. 


Wie oben bemerkt, konnten schon in den siebzehnstündigen 
Präparaten in der Epidermis am Rande der Wundfläche einzelne 
Mitosen aufgefunden werden. In grösserer Zahl sieht man sie 
nach 24 Stunden, in Präparaten also, in denen das Epithel erst 
mit einem kurzen Fortsatz unter dem Schorf vorspringt, der 
grösste Theil der Wunde aber noch unbedeckt ist. Die einzel- 
nen Schnitte verhalten sich freilich sehr verschieden. Bald nimmt 
man nur 1—2 Kerntheilungsfiguren und zwar zuweilen nur auf 
einer Seite des Präparates, bald bis zu 4 auf jeder Seite wahr. 
Nach 48 Stunden, wenn die ganze Wundfläche mit Epithel über- 
zogen ist, sind die Mitosen noch zahlreicher. 

Auch in den von älteren Thieren herrührenden Objecten, 
in denen selbst am dritten, vierten und fünften Tage die Ampu- 
tationsfläche noch nicht ganz mit Epidermis überzogen ist, finden 
sich viele karyokinetische Figuren in dem vordringenden Epithel, 
oft nicht weniger als in den anderen Versuchsreihen am zweiten 
Tage. 

Dass in den späteren Stadien die Mitosen allmählich an 
Zahl abnehmen, bedarf kaum einer besonderen Erwähnung. 

Was die Lage der Figuren angeht, so sieht man sie haupt- 
sächlich in den tieferen Schichten der Epidermis. Ferner liegen 
sie am zahlreichsten nicht sowohl in dem unter dem Schorf vor- 
gedrungenen Abschnitt, als vielmehr in dem an ihn angrenzenden 
alten aber gleichfalls etwa auf die Hälfte bis auf das Doppelte 
verdiekten Epithel. Jedoch gilt das nicht für alle Schnitte. Ge- 
legentlich beobachtet man die Figuren auch am reichlichsten in 
jenem Abschnitt und zwar selbst in seinen am weitesten vorge- 
drungenen Zellen. 


Ueber die Regeneration der Mammilla nebst Bemerkungen ete. 149 


Pr Die Wachsthumserscheinungen des Epithels der 
Ausführungsgänge. 


Das Epithel der durchschnittenen Ausführungsgänge wächst 
in vielen Fällen, wie wir sahen, schon während der ersten 24 
Stunden in den Schorf hinein und durch ihn hindurch. Es ist 
aber leicht verständlich, dass die so in die Höhe gewachsenen 
Zellen bald absterben und mit dem Schorf entfernt werden. In- 

dessen ist diese Entfernung gewöhnlich nicht so vollständig, dass 
_ nicht noch eine 3—4 Lagen umfassende Zellschicht über dem 
Niveau der Wundfläche zurückbliebe. Sie bildet aber keine gleich 
weite röhrenförmige Fortsetzung des Ganges. Vielmehr conver- 
giren die Zellen nach der Mittellinie und stossen hier nicht selten 
an einander, so dass eine bald mit enger Oeffnung versehene, 
bald nicht durchbrochene Kuppe den Milchgang nach oben ab- 
schliesst. Begünstigt wird dieser Vorgang dadurch, dass die an- 
geschnittenen Mündungen durch die Hyperämie des Bindege- 
webes und die in dasselbe erfolgte Exsudation von vornherein 
comprimirt und verengt werden. 

Bemerkenswerth ist es nun, dass das Drüsenepithel zwar 
senkrecht in die Höhe wächst, niemals aber Neigung zeigt, nach 
Analogie der Epidermis zwischen dem Schorf und der Wund- 
_ fläche vorzudringen und auf letzterer eine epitheliale Decke zu 
- bilden. Sein Verhalten ist demnach ein anderes, als wir es z.B. 

bei dem Epithel der Magendrüsen finden. Griffini und Vas- 
sale!) zeigten, dass bei Wunden der Magenschleimhaut der Er- 
satz des Oberflächenepithels nicht von dem Wundrande, sondern 
von den Zellen der mehr oder weniger hoch durchschnittenen 
Drüsen ausgeht. Wenn man nun auch beide Untersuchungsreihen 
nicht voll in Parallele setzen kann, so hätte man doch vielleicht 
erwarten können, dass das Epithel der Milchgänge wenigstens 
über die nächste Umgebung ihrer Oeffnungen hinüberwachsen 
würde. Das ist aber nicht der Fall und nur, wo 2 oder 3 Milch- 
gänge in der beschriebenen Weise ihr Lumen vereinigen, um 
- dann gemeinsam durch die Epidermis hindurchzutreten, bemerkt 
man, dass ihr Epithel die Kanten der Septa, durch welche die 


nn nn m 


I) Zieglers Beiträge zur pathologischen Anatomie, Bd. III, p. 239. 


150 Ribbert: 


Gänge getrennt werden, mit einem mehr oder weniger regel- 
mässigen Ueberzug versieht (Fig. 5). 

Ich habe nun versucht, die Ueberhäutung der Wunde mit 
Epidermis noch weiter hinauszuschieben, um zu sehen, ob nicht 
doch nach längerer Zeit ein Oberflächenwachsthum des Drüsen- 
epithels eintritt. Zu dem Ende schnitt ich die Mammilla dicht 
an ihrer Basis ab und entfernte ausserdem mit flachen Scheeren- 
schnitten die anstossende Epidermis ringsum auf mehrere Milli- 
meter. Trotzdem nun hier die Ueberhäutung stets viele Tage in 
Anspruch nahm, fand doch kein nennenswerthes Vordringen des 
Drüsenepithels auf die Wundfläche statt. Zwar wuchs es etwas 
aus den Mündungen heraus, aber es wurde dann sehr rasch so 
kümmerlich und unregelmässig, dass es nicht deutlich mehr von 
den freiliegenden Zellen des Granulationsgewebes abzugrenzen 
war. Das Epithel der Ausführungsgänge scheint also nicht mehr 
die Fähigkeit zu haben auf der äusseren Oberfläche des Körpers 
eine Deeke zu bilden. | 


iD} 


3. Die Beziehungen der Epidermis zu dem Epithel 
der Ausführungsgänge. 


| Die neugebildete Epidermis, die vom Rande her über die 
Wundfläche wächst, muss natürlich, sobald sie die Ausführungs- 
sänge erreicht hat, mit ihrer unteren Fläche an die Umrandung 
derselben und mit ihrer Seitenfläche an das aus den Mündungen 
hervorragende Epithel anstossen. Ueber dieses aber wächst sie 
nicht hinweg, sondern lässt, da sie eine diekere Lage bildet, als 
das vorspringende Drüsenepithel, über diesem eine kanalförmige 
Stelle als Verlängerung des Lumens der Ausführungsgänge frei. 
Gleichsam als Ersatz für dieses unterbrochene Wachsthum sehen 
wir dann aber das Epithel rings um die Drüsenkanäle nach ab- 
wärts vordringen, wobei es sich unten bald verjüngt, bald die 
gleiche Breite beibehält, bald kolbenförmig anschwillt. Sein Ver- 
halten zu dem Epithel der Milchkanäle ist nun verschieden. In 
einem Theil der Fälle schen wir es dieht an der Aussenseite 
desselben, so dass die Drüsenzellen direct auf dem epidermoidalen 
Epithel gelagert und so von ihrer bindegewebigen Unterlage ab- 
getrennt sind (Fig. 7 links). Nicht immer aber stossen die bei- 
den Epithelarten in ganzer Ausdehnung an einander, vielmehr 


Ueber die Regeneration der Mammillä nebst Bemerkungen ete. 151 


bleibt zwischen ihnen oft noch ein schmaler Streifen von Binde- 
gewebe erhalten (Fig. 7 rechts). In diesen Präparaten kommt 
daher die für die gesammten Regenerationsprocesse besonders 
charakteristische Erscheinung, das Wachsthum nämlich der einen 
Epithelart, der Drüsenzellen auf der anderen, den Epidermiszellen 
nicht von vornherein in gleichem Umfange zur Beobachtung, wie 
in anderen Präparaten. In ihnen berühren sich ja die beiden 
Zellarten zunächst nur am Rande des Durchschnittes der Aus- 
führungsgänge. Aber im weiteren Verlaufe tritt jene Erscheinung 
bei dem Höhenwachsthum der Mammilla auch hier deutlich zu 
Tage. 

Wenn die Epidermis den Rand der Milchgänge erreicht 
hat, dauert das Aufwärtswachsen des proliferirenden Drüsen- 
epithels an. Es schiebt sich auf der Innenfläche der in der 
, Epidermis freigebliebenen Oeffnung weiter in die Höhe und sitzt 
dabei stets dem Deckepithel unvermittelt auf. Die Zellen stehen 
aber hier nicht senkrecht zur Wand, sondern, wie theilweise auch 
- sehon vor ihrer Vereinigung mit der Epidermis zu erkennen war, 
mehr oder weniger schräg, so dass sie nahe der äusseren Mün- 
dung fast parallel zum Lumen angeordnet sind (Fig. 7). Sie 
werden dabei immer ungleichmässiger in ihrer Form, oft spinde- 
lig ausgezogen, mit langem schmalem Kem. Sie bilden auch 
vielfach, besonders in der Nähe der Oberfläche, “kein dichtes 
Stratum, sondern lösen sich von einander und da andererseits 
auch die obere Lage der Epidermiszellen nach innen nicht immer 
glatt begrenzt ist, so schieben sich beide Zellarten zuweilen regel- 
- los dureh einander. 

In besonders grossem Umfange sieht man das Wachsthum 
der Drüsenzellen auf der Innenfläche des epidermoidalen Kanales 
in jenen Präparaten vom dritten Tage, in denen das neue Epithel 
- die umfangreichen, wurzelförmig nach abwärts vorgedrungenen 
Zapfen gebildet hat. Aber hier ist auch die Unregelmässigkeit 
der Cylinderzellen am grössten. Während sie in der Nähe des 
- Bindegewebes noch gut entwickelt sind, werden sie weiter davon 
‚entfernt mehr und mehr verändert, so dass man sie, für sich be- 
 trachtet, kaum noch als Drüsenzellen ansprechen und nur aus 
ihrem Zusammenhang mit dem Epithel der Ausführungsgänge 
ihre Bedeutung erschliessen kann. Denn nieht nur dass ihre 
Form ungleiehmässig ist, erscheint auch ihr Kern durch vacuoläre 


153 Ribbert: 


Quellung, der wir sogleich noch wieder begegnen werden, in ein- 
sreifender Weise verändert. Wir müssen annehmen, dass es sich 
um Degenerationserscheinungen handelt. In Figur 8 sehen wir 
sie auf der linken Seite in verhältnissmässig geringem Umfange 
und aus einem älteren Stadium dargestellt. 

Aus der Vergleichung der Fig 7 mit den Figuren 8 und 9 
ergibt sich nun noch ein für unsere weiteren Betrachtungen be- 
deutungsvoller Umstand. Während wir nämlich in Fig. 7 das 
Drüsenepithel in zwei Schichten auf den epidermoidalen Flächen 
wachsen sehen, finden wir in den späteren Stadien stets nur eine 
Zelllage. Die Bedeutung dieser Erscheinung wird sich aus den 
folgenden Auseinandersetzungen ergeben. 

Wenn nun die Mammilla in dieHöhe wächst, das neugebildete 
Epithel also durch das junge Bindegewebe gehoben wird, so 
kommt die Verlängerung der Ausführungsgänge nicht dadurch zu . 
Stande, dass sich der epidermoidale Antheil derselben nach oben 
verlängerte, im Uebrigen aber die eben geschilderten Verhält- 
nisse bestehen blieben, sondern auch das um die Kanäle nach 
unten gewachsene Deckepithel zieht sich allmählich in die Höhe. 
Die Drüsenzellen aber folgen dem gesammten Wachsthum dadurch 
nach, dass sie andauernd auf der Innenfläche des von der Epi- 
dermis gebildeten Kanales in einschiehtiger Lage aufwärts rücken 
und auch noch an einem Präparate vom einundzwanzigsten Tage 
fast bis an die äussere Oeffnung heranreichen (Fig. 9). Dabei 
pflegen sie nun besser geordnet zu sein, als es in den ersten 
Tagen der Fall war. An den Stellen, an denen die gesammte 
Entwickelung am regelmässigsten erfolgt ist, die man daher auch 
wohl als die typischen ansehen kann, setzen sich die Epithelien 
der Milchgänge auf die Epidermis stets in einschiehtiger Lage 
fort. Es hat aber den Anschein, als ob sie, je weiter sie auf 
der Epidermis aus der Tiefe aufrücken, desto ungünstigere Er- 
nährungsverhältnisse vorfinden. Denn wenn sie unten noch deut- 
lieh eylindrisch und parallel angeordnet sind (Fig. 9), auch einen 
regelmässigen Kern besitzen, so werden sie weiter oben immer 
undeutlicher. Dabei geht der Kern eine Veränderung ein, die 
in dem Auftreten einer Vacuole und in der Zusammendrückung 
des Chromatins zu einem halbmondförmigen oder ungleichmässig 
‚eckigen Körper ihren Ausdruck findet. Dergleichen wohl als 
Degenerationsprocesse zu deutende Erscheinungen, auf deren 


Ueber die Regeneration der Mammilla nebst Bemerkungen etc. 153 
Aehnliehkeit mit manchen aus Careinomen beschriebenen Bildern 
hier nur hingewiesen sei, finden sich auch schon in den ersten 
Tagen und nicht selten auch in den an das Lumen anstossenden 
Epidermiszellen. Man darf daraus entnehmen, dass die dem Deck- 
epithel aufsitzenden Drüsenzellen in den oberen Parthien des 
Kanales nieht genügende Ernährung finden und zu Grunde gehen, 
während von unten immer neue nachrücken. 

Von besonderem Interesse sind nun ferner die Verhältnisse, 
wie sie sich an dem unteren Ende des in die Tiefe gewachsenen 
Epithels zwischen ihm und den Zellen der Ausführungsgänge 
gestalten. In den normalen Milchgängen ist das Epithel zwei- 
schichtig, während es bekanntlich in den Alveolen einschichtig 
ist. Die dem Bindegewebe aufsitzende äussere Schicht, deren 
Kerne sich gewöhnlich etwas blasser färben als die der inneren 
Schicht, ist aber nur im Bereich der Hauptausführungsgänge gut 
entwickelt. Auch in ihnen wird sie nach unten allmählich nie- 
driger, bleibt aber zunächst noch gut erkennbar, bis sie in den 
ersten und noch mehr in den ferneren Verzweigungen immer un- 
deutlicher wird und sich schliesslich ganz verliert. Ihre Kerne 
werden dabei kleiner, unregelmässiger und nehmen die Farbstoffe 
intensiver auf. 

Während wir nun anfänglich das epidermoidale Epithel 
aussen vielfach direkt, wenn auch stets mit gut wahrnehmbarer 
Grenze, an das Drüsenepithel anstossen sehen, ist es in den spä- 
teren Stadien zu innigerer Verschmelzung gekommen. Wenn wir 
zuächst die ältesten Präparate betrachten, so sehen wir deutlich, 
dass die äussere Zelllage der Kanäle sich eontinuirlich in die dem 
Bindegewebe aufsitzende Zelllage der Epidermis fortsetzt, ‚dass 
andererseits die innere Schicht in der besprochenen Weise Bf die 
Innenseite des epidermoidalen Kanales gelangt. ‚Beide Zellreihen 
trennen sich somit spitzwinkelig von einander und fassen zwi- 
schen sich die nach oben an Breite zunehmenden Epidermiszapfen. 
Wenn diese sich nun zurückziehen, so rücken successive auch die 
beiden Zellreihen der Ausführungsgänge zusammen und bilden 
von unten herauf immer weiter die doppelte Zellauskleidung 
(Fig. 8u.9). Der Uebergang zwischen den Verhältnissen der 
ersten Tage und den nach Verlauf von 3 Wochen vorhandenen 
ist ein allmählicher und wird dadurch vermittelt, dass die Grenze 
zwischen den epidermoidalen Zapfen und den Drüsenzellen sich 


ed 
Q 


154 Ribbert: 


verwisecht (Fig. 8 links), dass beide zusammenfliessen und so schliess- 
lich die dureh Fig. 9 wiedergegebenen Verhältnisse zu Stande 
kommen. 

Dieser gesammte Wachsthumsvorgang ist nun auch noch 
desshalb von Interesse, weil wir ihn bei dem gleich zu bespre- 
chenden normalen Entwicklungsvorgang in vielfacher Hinsicht 
ähnlich antreffen werden. 


Il. Einige Beobachtungen über die Entwicklung 
der Mammilla. 


(Ti. 10a 1% 


Die vorstehenden Ausführungen über die Beziehungen des 
Epithels der Epidermis zu dem der Ausführungsgänge bei der 
Regeneration der Brustwarze legten die Frage nach den Beziehun- 
gen der gleichen Epithelien bei der normalen Entwicklung nahe. 
Ich habe mich desshalb veranlasst gesehen, die Mammillae älterer 
Embryonen vom Rind, Kaninchen und Menschen, sowie von Neu- 
geborenen und von Kaninchen und Kindern aus den ersten Lebens- 
wochen und -Monaten zu untersuchen. I 

Die frühesten Entwieklungszustände liess ich unberücksich- 
tist und begann mit dem Stadium, in welchem aus der primären 
Verdiekung der Epidermis solide Sprossen als Anlagen der Aus- 
‚führungsgänge hervorgegangen sind. 

Es ist durch Rein!) bestätigt worden, dass der primäre 
epidermoidale Zapfen durch Verhornung der centralen Zellen und 
spätere Ausstossung dieser verhornten Massen hohl wird. Man 
darf aber den so entstehenden Kanal nicht als die Anlage eines 
Drüsenganges auffassen. Hertwig?) hat ausgeführt, dass die 
kanalförmige Vertiefung des Epithelzapfens sich im Verlauf der 
Entwieklung allmählich abflacht, oder besser sich zu einem ebe- 
nen Felde, dem „Drüsenfelde* ausbreitet, welches dann weiterhin 
dureh Erhebung über das Niveau der Haut zur Warze wird. Die 
aus dem Epidermiszapfen hervorgegangenen, zunächst soliden 


Pe, Adi ch 
2) Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte. 3. Aufl. p. 441. 


_ Ueber die Regeneration der Mammilla nebst Bemerkungen etc. 155 


| Sprossen machen die Erhebung und Ausbreitung desselben mit 
_ und münden zu einer gewissen Zeit parallel zu einander in dem 
flachen Drüsenfelde, um dann mit diesem weiter anzusteigen. 
Vergleichen wir diesen Entwicklungsvorgang mit den Re- 
_ generationsprocessen in denjenigen Fällen, in denen bei jungen 
Kaninehen sich um die Drüsengänge und zwischen ihnen eine 
sehr beträchtliche wurzelförmig in die Tiefe greifende Verdiekung 
des neuen Epithels und eine centrale nabelförmige Vertiefung 
desselben gebildet hatte, so ist eine gewisse Aehnlichkeit nicht 
zu verkennen. Auch bei der Regeneration hebt sich der Epithel- 
zapfen allmählich, die nabelförmige Grube breitet sich aus, die 
_ anfänglich eonvergirend durch das vertiefte Epithel hindurchtre- 
 tenden Milcehgänge liegen nachher parallel nebeneinander. Mit 
der Herstellung einer ebenen Oberfläche der Mammilla hört dann 
freilich die Möglichkeit eines ferneren Vergleiches auf. 

Von grösserem Interesse ist es, die Beziehungen des Epithels 
der sprossenförmigen Anlagen der Milchdrüse zu dem der Epi- 
_ dermis bei der Entwicklung der Mammilla zu verfolgen. 

Man nimmt gewöhnlich an, dass der Vorgang der Kanali- 
sirung der gesammten Milchdrüsenanlage beginnt mit der cen- 
tralen Verhornung der primären Epidermisverdiekung und dass 
dann die aus ihr hervorgegangenen Sprossen durch Verfettung 
oder einen sonstigen Zerfall gleichfalls hohl werden. Dazu stim- 
men aber die Bilder nicht, die bei drei 20—25 em langen Rinds- 
 embryonen gewonnen und durch Figur 10 wiedergegeben sind. 
Man sieht von der Unterfläche der epidermoidalen Verdiekung 
eine Sprosse in die Tiefe gehen, die schon im grosser Ausdeh- 
nung kanalisirt ist. Das noch enge Lumen setzt sich nach oben 
in die Epidermis fort. Es ragt fast bis zur Hälfte der Höhe 
‚des Epithelkolbens, ist aber nicht von unveränderten Zellen des- 
selben umgeben, sondern von einer direkten Fortsetzung der das 
Lumen des Ganges begrenzenden Epithelien. Wir sehen die 
- Wand des späteren Ausführungsganges in seinen oberen Absehnitten 
‚von mehreren Zellagen gebildet, von denen die äussere continuir- 
lieh in die untere Zellreihe des Epidermiskolbens übergeht, regel- 
mässig gestellte ovale Kerne enthält und sich von den nach 
innen gelegenen Zellen durch eine helle kernfreie Protoplasma- 
pme abgrenzt. Auf ihr sitzen dem Lumen zugewendet 2—3 
chiehten kleinerer rundlicher Zellen, von denen die innerste 


156 Ribbert: 


Reihe die mehrfach erwähnte vacuoläre Umwandlung der Kerne 
aufweist. Man darf annehmen, dass diese Veränderung den Zer- 
fall der Zellen andeutet und dass auf diesem Wege auch die 
Bildung des Lumens zu Stande gekommen ist. Letzteres setzt 
sich nun, wie angegeben, nach oben fort, wird dann aber inner- 
halb der Epidermis enger und ist schliesslich nur noch angedeu- 
tet. Es ist ebenfalls von einer mehrfachen Schicht derselben 
kleinen runden Zellen umgeben und nach oben abgeschlossen. 
Dieselben sind da, wo sie an den weiteren Theil des Lumens 
anstossen, gleichfalls degenerirt, in dem engeren Abschnitt da- 
gegen nur vereinzelt vacuolär verändert. An diese mehrfache 
Zellreihe grenzen nun ringsum und oben Epidermiszellen an, die 
erstens durch degenerirte vacuoläre Kerne und zweitens dadurch 
ausgezeichnet sind, dass sie die geschilderte Verlängerung des 
Ganges concentrisch umgeben. Weiter nach der Oberfläche zu 
ist dann der Epidermiszapfen in seinen mittleren Theilen von 
gequollenen, vielfach mit veränderten Kernen versehenen, wahr- 
scheinlich in Verhornung begriffenen Zellen gebildet, die aber 
noch als regelmässiges Stratum zusammenhängen und peripher 
allmählich in die unveränderte Epidermis übergehen. Von einer 
Ausstossung der verhornenden Zelle und dadurch bedingter Her- 
stellung eines Kanales ist noch keme Rede. Das Bild lässt sich 
so erklären, dass aus der nach unten gewachsenen Ganganlage 
die mittleren Zellen in den Epidermiskolben unter Verdrängung 
eines Theiles der verhornenden Zellen himeingewachsen sind, 
während die äussere Zellreihe in ununterbrochenem Zusammen- 
hang mit der untersten Zelllage der Epidermis blieb. Zwischen 
ihr und jenen mittleren aufwärtswachsenden Zellen entsteht auf 
diese Weise ein durch die Epidermiszellen ausgefüllter spitzer 
Winkel, ein Verhalten, wie wir es bei der Regeneration kennen 
lernten und sogleich auch bei den älteren Stadien normaler Ent- 
wieklung wiederfinden werden. 

Bei Kaninchen und dem Menschen habe ich ähnliche Bil- 
der, wie die eben beschriebenen, nieht gesehen, vielmehr schien 
mir hier die Aushöhlung der Epidermisverdickung und der aus 
ihr hervorgegangenen Ganganlagen ziemlich gleichzeitig zu er- 
folgen. Aber auch hier ergaben sich in den späteren Stadien, 
bei Neugeborenen, Kindern aus dem ersten Lebensjahre und jun- 
gen Kaninchen dieselben Beziehungen zwischen dem Epithel der 


I dd I A ne 


Ueber die Regeneration der Mammilla nebst Bemerkungen etc. 157 


Drüsenkanäle und dem der Epidermis, wie wir sie eben bei dem 
Rindsembryo und in ganz ähnlicher Weise bei den Regenerations- 
processen kennen lernten. Man sieht immer wieder (Fig. 11), 
dass die Epidermis sich um das Lumen der Drüsenkanäle cylin- 
drisch einsenkt und dabei noch in wechselnder Ausdehnung die 
oberflächliche Verhornung eine Strecke weit beibehält. Der un- 
tere,Rand des so entstehenden Rohres’ spitzt sich oft lang zu, 
wobei die äussere Zelllage desselben continuirlich in die dem 
Bindegewebe aufsitzende Zellreihe des zweischichtigen Gangepi- 
thels übergeht. Die das Lumen begrenzende innere Zellreihe 
des letzteren wächst unter einer durch das nach unten vorragende 
Deckepithel bedingten spitzwinkeligen Abzweigung auf der Innen- 
fläche des epidermoidalen Kanales in einfacher Schicht nach 
oben, fliacht sich dabei aber mehr und mehr ab und stösst so 
mit oft undeutlicher Grenze an die verhornte Lage der Epider- 
miseinsenkung an. 

Wir können uns demnach den Vorgang des Höhenwachs- 
thums der Mammilla ganz ähnlich vorstellen, wie wir ihn bei der 
Regeneration kennen lernten. Auch hier wird die Epidermis all- 
mählich in die Höhe gehoben. Die dabei gleichzeitig aufsteigen- 
den, um das Lumen der Ausführungsgänge in die Tiefe reichen- 
den Abschnitte ziehen sich, wenn wir so sagen dürfen, aus dem 
Winkel zurück, der von den auseinanderweichenden beiden Zell- 
lagen der Ausführungsgänge gebildet wird. Dabei bleibt die 
äussere Zeillage im Zusammenhang mit der untersten Zellreihe 
der Epidermis und die innere schiebt sich immer wieder auf der 
Innenfläche des Kanales des Deckepithels nach oben. Die beiden 
Zelllagen der Gänge legen sich nach dem Verschwinden der zwi- 
schen ihnen befindlichen Epidermiszellen dicht an einander und 
kleiden nach oben immer längere Strecken der Milchgänge aus. 


158 Ribbert: Ueber die Regeneration der Mammilla etc. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel IX. 


Fig. 1. Regeneration der Mammilla nach 24 Stunden. 
Fig. 2. Dasselbe nach 48 Stunden. 


Fig. 3 u. 4 Dasselbe nach 72 Stunden. 
Fig. 5. Dasselbe nach 7 Tagen. 


In den halbschematischen Figg. 1—5 bedeuten die punktirten 

Parthien die Epidermis. 

Das angeschnittene Ende eines Milchganges == seiner Fort- 

setzung durch den Schorf. 

Fig. 7. Die Vereinigung von Epidermis und Milchgangepithel nach 

48 Stunden. 

Dasselbe nach 7 Tagen. 

Dasselbe nach 21 Tagen. 

Fig. 10. Senkrechter Durchschnitt durch die Mammilla eines 23 cm 
langen Rindsembryo. 

Fig. 11. Die eine Seite der Ausmündungsstelle eines Milchganges von 
einem 6Gwöchentlichen Kinde. 


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Archiv £ mikroskon. Anatomie... Bd. XXXVI. 


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(Aus dem Laboratorium des Herın Dr. Blaschk 0.) 


Beiträge zur Anatomie und Physiologie der 
Bi. Oberhaut. 

4 | Von 

James Loewy in Berlin. 


" ‘ Hierzu Tafel X und 1 Holzschnitt. 
Mi ö 


ik en MEER 


N Dureh die Arbeit Blaschko’s „Beiträge zur Anatomie der 
- Öberhaut“'!) wurde eine neue Methode für die Betrachtung des 
- Baues der Oberhaut eingeführt. Im Gegensatz zu früheren For- 
‚schern, welche ihr Hauptaugenmerk auf die Papillen richteten 
‚und deren Anordnung auf Querschnitten zu studiren suchten, eine 
Methode, welche bei dem komplieirten Bau der Oberhaut zu un- 
genügenden und falschen Resultaten führen musste, nahmBlaschk o 
als Ausgangspunkt aller Untersuchung die Unterfläche der Epi- 
dermis. Indem er die Oberhaut faultodter Früchte nach Fär- 
bung in Hämatoxylin theils feucht in Glycerin, theils trocken 
untersuchte, fand er, dass die bisherigen Anschauungen von dem 
-architektonischen ihau der Oberhaut auf ganz falschen Vor- 
wussetzungen beruhten. Es wurden nämlich jene Epithelwuche- 
rungen, die sich zwischen die Cutispapillen einsenken und die 
verschiedene Figuration derselben bedingen, für zapfenförmige 
Gebilde gehalten und als Epithelzapfen bezeichnet. Blaschko 
wies nun nach, dass diese Epithelzapfen nur Querschnitte von 
Leisten darstellten, welche, von der Epidermis gegen die Cutis 
in wuchernd, ein System von einander kreuzenden Längsleisten 
und Querleisten bildeten, vergleichbar einem Bienenwabennetz von 


1) Archiv für mikroskop. Anatomie Bd. 30, pag. 495. 
Archiv für mikrosk. Auat, Bd. 37 11 


160 James Loewy: 


verschieden grossen Maschenräumen. Jenes Netzwerk bildet das 
Negativ, den Ausguss der Papillen. Fehlt das Leistennetz, so 
fehlen die Papillen, fehlen einige Querleisten oder Längsleisten, 
so fliessen mehrere einzelne Papillen oder Papillenreihen zu- 
sammen. | 

Diese Eigenthümlichkeiten hat Blaschko als Eintheilungs- 
prinzip für die Aufstellung einer Reihe von Typen benutzt, welche 
das charakteristische Bild der Oberhaut der einzelnen Körper- 
abschnitte wiedergeben sollen. 

Wurden durch diese Flächenbilder unsere Kenntnisse sehr 
bereichert, so musste es doch als ein Mangel betrachtet werden, 
dass die Herstellung der Präparate durch Kochen oder Fäulniss 
unsichere Resultate lieferte, indem theils die natürlichen Verhält- 
nisse durch jene Proceduren vernichtet wurden, theils für ein- 
zelne Organe brauchbare Präparate nicht zu gewinnen waren, 
und so beträchtliche Lücken in dem Gesammtbilde der Körper- 
decke zurückblieben. 

Diesem Mangel’wurde abgeholfen, als Philippson durch 
seine Arbeit „Ueber Herstellung von Flächenbildern der Oberhaut 
und der Lederhaut“!) uns eine Methode kennen lehrte, durch 
chemische Mittel die Trennung der Oberhaut von der Lederhaut 
herbeizuführen. — Philippson legte Hautstückehen, je nach 
ihrer Grösse, ein bis drei Tage in !/;—!/, °|, Essigsäure, fügte, 
um Fäulniss zu vermeiden, einige Tropfen Chloroform hinzu und 
war, da die verschiedene Quellungsfähigkeit der Epidermis und 
Cutis eine Trennung beider bewerkstelligte, im Stande, die Ober- 
haut als feinen Schleier von der darunter liegenden Lederhaut 


abzuziehen. Die weitere Untersuchung war dieselbe, wie Blaschko N 


sie angegeben hatte. 


Die Resultate, welche Philippson gewann, bestätigten die f 
Angaben Blaschk o’s und erweiterten dieselben in einigen Punkten. 


Den grössten Theil seiner Arbeit widmet Philippson der Ober- 


hautfelderung. Er unterscheidet drei genetisch verschiedene Arten ° 


von Furchen: die eine Art soll durch Proliferation der Epidermis 
und nachfolgendes Einsinken der Hormschicht, also aktiv ent- 
standen sein, die zweite und dritte durch die Bewegungen der 
Haut durch Kniekung und Spannung derselben, also passiv. Die 


1) Monatshefte für prakt. Dermatolog. Bd. VIII, pag. 389. 


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Be a 3 ee neu Bean 


Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 161 


Haut des ganzen Körpers zeige alle drei Arten von Furchen, 
welche der Autor mit den Namen der Senkungs-, Kniekungs- 
und Spannungsfurchen belegt. 

Anknüpfend an diese Arbeiten unternahm ich es auf An- 
resung und mit freundlicher Unterstützung des HerınDr. Blaschko, 
die gewonnenen Resultate einer Nachprüfung zu unterziehen. 

Lieferte auch die Methode Philippson’s, was die Gewin- 
nung der Präparate anbetrifft, günstige Resultate, so stellte ich 
doch eine Reihe von Versuchen an, welche durch andere Mittel 
zu gleich günstigen Ergebnissen führen sollten. Angeregt wurde 
ieh hierzu durch Herrn Dr. Blaschko. Dieser hatte, ausgehend 
von den günstigen Resultaten, welche ihm die Maceration in 
25 °/, Holzessig bei der Darstellung der Darmnervenplexus!) ge- 
liefert hatte, lange vor Philippson versucht, durch Holzessig 
eine Trennung der Cutis von der Epidermis herbeizuführen, je- 
doch keine zufriedensteilenden Erfolge erzielt. Ich nahm nun 
die Versuche wieder auf und fand, dass Holzessig in 6 °/, Lösung 
ebenso schnell als die Philippson’sche Lösung und vollkommen 
sicher zum Ziele führt. Bei den zartesten Geweben, wie bei der 
Epidermis der weiblichen Geschlechtsorgane ging ich bis auf eine 
1°/, Lösung herunter. Dabei setzte ich die Haut einer konstanten 
Wärme von 40° aus und war, wenn an haarreichen Stellen die 
langen und dichtstehenden Haare vorher durch Rasiren entfernt 
waren, stets im Stande, nach 24—48 Stunden die Epidermis von 
der Cutis abzuziehen. In gleicher Weise lieferte die Citronen- 
säure, wie auch Philippson angiebt, in schwacher Lösung, die 
Salzsäure und, wie mir scheint, alle organischen und Mineral- 
säuren in geeigneter Concentration mehr oder weniger günstige 
Resultate. Am besten verwendbar erwies sich jedoch das ur- 
sprüngliche Philippson’sche Verfahren, sowie die Holzessig- 
methode, welch letztere ich für die Herstellung meiner Präparate 
ausschliesslich angewendet habe. Die Bilder, welche ich auf 
diese Weise gewann, zeigten manche Abweichungen von dem 
bisher Bekannten und manche bisher noch nicht beschriebenen 
Verhältnisse. 

Im Anschluss an die Blaschko’sche Arbeit will ich nun 


1) Ueber eine Erkrankung der sympathischen Geflechte der Darm- 


wand. Virchow’s Archiv Bd. 9. 


162 James Loewy: 


die verschiedenen Hautstellen einzeln durchgehen und auf diese 
Weise eine Art von topographischer Schilderung der gesammten 
Hautdecke zu entwerfen suchen. | 


Unbehaarte Haut. 


Was die Fusssohle und den Handteller anbetrifft, so kann 
ich ebenso wie Philippson die Angaben, welche Blaschko 
hierüber gemacht hat, voll und ganz bestätigen. 

Es findet sich ein kleinmaschiges Netzwerk, aus Längs- 
und Querleisten zusammengesetzt. Die Längsleisten entsprechen 
den oberflächlichen Riffen und Furchen dieser Hautpartien, wäh- 
rend die Querleisten als sekundäre Gebilde zwischen zwei Längs- 
leisten verlaufen. 

Die Längsleisten zerfallen in zwei Arten, die Drüsen- 
leisten und Falten, Namen, die Blaschko gewählt hat, weil 
die Drüsenleisten die Ausführungsgänge der Drüsen aufnehmen, 
während die Falten das Produkt einer Einstülpung der Oberhaut 
darstellen. Die Falten verlaufen stets zwischen zwei Drüsenleisten 
und ihnen parallel. — Die Cutispapillen sind also begrenzt 
durch zwei Querleisten, eine Drüsenleiste und die Falte. Sie sind 
klein, meist zusammengesetzt (sekundäre Querleisten Blaschk o’s) 
und schräg gegen die Oberfläche gerichtet. 


Ohne einen Zusammenhang mit diesen Leisten und Falten 


zu zeigen, durchzieht ein System heller, bald schmaler, bald brei- 
terer durchscheinender Linien das Gesichtsfeld. Sich gabelnd 
und kreuzend erzeugen diese regellos verlaufenden Gebilde ein gross- 
fächeriges Netzwerk. Diese Linien entsprechen den Kniekungs- 
und Spannungsfurchen Philippsons. — Ich werde später noch 
genauer auf dieselben zurückkommen, vorläufig den Namen 
Funktionsfalten für diese Gebilde gebrauchen. 

Auch in Bezug auf den Bau der Oberhaut der Lippen 
stimmen im Grossen und Ganzen meine Befunde mit denen 
Blaschko’'s überein. — Wenn auch seine Abbildungen von der 
Lippenepidermis (Fig. 15 seiner Arbeit) noch unvollkommen die 
wahren Verhältnisse wiedergeben, so ist doch der Grundtypus 
der Architektonik richtig getroffen. | 

Da es mir gelang, die ganze Lippenoberhaut im Zusammen- 


hange mit der äusseren Haut und der Mucosa abzulösen, möchte 


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Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberbaut. 163 


ich mit der Darstellung der Lippenoberhaut die seiner angren- 
zenden Theile verbinden (Fig. 1, 2, 3). 

Es lassen sich fünf verschiedene Zonen deutlich erkennen, 
von welchen zwei der äusseren Haut angehören, zwei den Lippen 
und eine der Mundschleimhaut. | 

| Die erste Zone ist charakterisirt durch die zahlreich vor- 
handenen Haare, welche in der Richtung radiär zum Lippen- 
rande angeordnet sind. Zwischen ihnen, ganz regellos vertheilt, 
verlaufen schwach angedeutete Leistenstümpfe. Die gleiche 
Richtung mit den Haaren verfolgen zahlreiche Funktionsfalten. 
Zwischen diesen Gebilden zerstreut liegen die Drüsenausführungs- 
gänge. — Mit ziemlich scharfer Grenze reiht sich die zweite 
Zone, welehe den Uebergang zum freien Lippenrand bildet, der 
ersten an: Die Haare sind bis auf eine geringe Anzahl geschwun- 
den (Fig. 1), dafür treten aber die Drüsen mit grossen Mün- 
dungsöffnungen als fast alleinige Beherrscher des Gesichtsfeldes 
auf und verleihen dem Bilde einen typischen Charakter. In zehn 
bis fünfzehn Reihen angeordnet verlaufen sie quer von einem 
Mundwinkel zum anderen, dieht aneinander gedrängt. Zwischen 
ihnen und sie gleichsam mit einem Kranze umgebend ziehen 
schmale Epidermisleisten, häufig unterbrochen und wie aus kleinen 
Segmenten zusammengesetzt erscheinend. Wie abgeschnitten ver- 
schwinden plötzlich die Drüsenöffnungen, gegen den vorderen 
Lippenrand eine scharfe Grenze bildend. Dagegen verdichten 
sich die Leisten der Drüsenzone immer mehr, werden breiter 
und gehen in das Leistensystem des vorderen Lippenab- 
schnittes über. Bekanntlich haben Luschka und Blaschko 
die Lippenhaut in zwei Abschnitte oder Zonen getheilt, von 
denen die vordere wegen ihrer glatten Oberfläche von Luschka 
als Pars glabra bezeichnet worden ist, während die hintere 
rauhere und mit kleinen Höckerchen versehene Hälfte den Na- 
men Pars villosa führt. 

Die Pars glabra wird nun gebildet dureh Längsleisten 
(Fig. 1 u. 2), welche, von der äusseren Haut zur Mucosa ver- 
laufend, mit minimalen seitlichen Querleisten versehen sind. Von 
beiden Seiten gehen sie meist gleichständig ab, ohne die be- 
nachbarten Querleisten zu erreichen und geben dem Bilde ein 
äusserst charakteristisches Aussehen. Weiter nach hinten rücken 
die Längsleisten näher aneinander, die Querleisten werden stärker, 


164 James Loewy: 


verschmelzen mit den benachharten, und es entwickelt sich so 
das Bild eines Netzwerks. 

In dieser Zone treten wieder die in der Richtung der Lei- 
sten verlaufenden Funktionsfalten, welche in der Drüsenzone 
nicht erkennbar waren, sichtbar hervor. 

Die nächste Zone, die Pars villosa der Lippen (Fig. 3), 
bildet die Partie der dieken und gewulsteten Epidermisleisten. Die 
Längsleisten des Netzwerks verbreitern sich, werden höher und 
tragen auf der Oberfläche eine grosse Zahl dicht neben einander 
stehender Wärzchen, zottenähnlicher Gebilde, welche die Quer- 
leisten beschatten, sie unsichtbar machen und dem Bilde ein 
tannenzapfenähnliches Aussehen verleihen. An einigen Stellen, 
besonders in den centralen Partien der Lippe, sind diese zot- 
tigen Auswüchse nicht so ausgeprägt, wenn auch angedeutet, 
die Querleisten daher sichtbar. 

Der Uebergang in das weitmaschige Netzwerk der Mucosa 
giebt sich durch das Verschwinden der Zotten zu erkennen, 
während die Leisten sonst nichts an Stärke einbüssen. 

Construirtt man sich aus dem Bilde des Rete dasjenige, 
welches der Papillarkörper darstellt, so erhalten wir in der Pars 
glabra der Lippen niedrige Cutisleisten, welche mit kleinen seit- 
lichen Fortsätzen versehen sind. Diese Uutisleisten wachsen in 
der Pars villosa zu grossen Gebilden heran, welche theils grosse 
Leisten darstellen, theils wahre Papillen, beide an der Oberfläche 
mit flachen, zottigen oder warzenförmigen Erhabenheiten bedeckt. 

Am wenigsten bekannt ist der Bau. der Oberhaut der 
äusseren Geschlechtsorgane (Fig. 4—7). 

Die wenigen Angaben, welche Henle, Kölliker, Krause 
und Suppey veröffentlichten, sind durch Blaschko’s Unter- 
suchungen nur unvollkommen erweitert worden und lassen nicht 
das wechselvolle Bild, welches gerade diese Theile liefern, er- 
kennen. 

Da ich an dieser Stelle nicht die Absicht habe, eine ge- 
naue Beschreibung des Baues der Oberhaut der Geschlechtsorgane 
zu liefern, sondern mir diese für eine besondere Arbeit vorbe- 
halte, will ich nur kurz die allgemeinen Verhältnisse wiedergeben. 

Was die männlichen Geschlechtsorgane betrifft, so 
muss man bei ihnen verschiedene Entwieklungsstadien unterschei- 
den. Beim Foetus bestehen zwischen Serotum, Penis, Präpu- 


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Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 165 


tium und Glans nur geringe Unterschiede, und die Oberhaut 
stellt meist ein System von Längsleisten dar, zwischen denen 
schwache Querleisten verlaufen, die das Bild eines kleinmaschigen 
Netzwerks vervollständigen. Doch schon bei Kindern von einigen 
Monaten haben wir an den verschiedenen Abschnitten der Ge- 
nitalien, sowohl was die Grösse, Form und Anordnung der Lei- 
sten betrifft, wenig übereinstimmende Bilder, welche sich mit zu- 
nehmendem Alter immer mehr complieiren. 

So wachsen am Serotum die Längsleisteu, welche von der 
Peniswurzel zum Perineum angeordnet sind, also in Bogenlinien 
(Fig. 4 u. 5) von vorn nach hinten das Serotum umziehen, zu 
breiten Gebilden aus und treiben zottige Erhebungen an der 
Oberfläche hervor. An anderen Stellen finden wir überhaupt 
keine zusammenhängenden Leisten, sondern einzelne Segmente 
setzen sich zu dem Bilde eines Leistensystems zusammen. Die 
Querleisten bleiben in der Entwicklung sehr zurück. Ganz schwach 
sind jene Leistehen angedeutet, welche die einzelnen. Maschen- 
räume in Unterabtheilungen sondern und die Cutispapillen des 
Hodensacks als zusammengesetzte charakterisiren. Einen typischen 
Charakter erhält erst die Hodensackoberhaut im etwas vorge- 
schrittenen Alter, wo zahlreiche breite, äusserst flache 
Funktionsfalten das Gesichtsfeld durchziehen, welche auf ihrer 
Oberfläche theils parallel, theils quer zu ihrer Verlaufsrichtung 
gestellte Epidermisleisten zeigen. Häufig und besonders bei älteren 
Individuen fehlen letztere ganz. Die Haare, welche in reichlicher 
Anzahl vorhanden sind, verfolgen die gleiche Richtung wie die 
Leisten. 

Einen vom Scerotum völlig verschiedener Bau weist die Ober- 
haut des Penis auf. Wir finden hier ein grossmaschiges Netz- 
werk (Fig.4) stark entwickelter Leisten, welche meist einfache 
Papillen von runder, ovaler oder polygonaler Basis bedingen. An 
der Peniswurzel am stärksten, werden die Leisten nach dem Prae- 
putium hin schwächer, die Querleisten sind nur noch angedeutet. 
Die ganze Epidermis ist von zahlreichen, regellos verlaufenden 
Funktionsfalten durchzogen, welche auf ihrer Oberfläche meist 
keine Epidermisleisten erkennen lassen. 

Am Praeputium nimmt der Verlauf der Leisten eine 
eirculäre Richtung an. Quere Verbindungsstücke zwischen den 


_ einzelnen Leisten sind fast gar nicht zu bemerken. Dafür bilden 


166 James Loewy: 


die Längsleisten, welche meist mit flachen warzenförmigen Er- 
habenheiten besetzt sind, Schlangenlinien, welehe bald sieh kreuzen, 
bald weit auseinanderweichen, um wieder eine konvergirende 
Richtung einzuschlagen. So entstehen auch hier Maschenräume, 
freilich sehr verschieden von denen, welche wir auf der übrigen 
Oberhaut zu finden gewohnt sind. Nachdem die Leisten ein 
immer gedrängteres Aussehen angenommen haben und fast zu 
einer Platte verschmolzen sind, in welche die Maschenräume wie 
mit einem Locheisen hineingeschlagen erscheinen, wechselt plötzlich 
die Richtung derselben und wird parallel der Längsachse des 
Penis. Dabei theilen sich die zusammengeflossenen Leisten wieder 
in einzelne Strahlen, welche im weiteren Verlaufe spiralige und 
schleifenförmige Gebilde, die einen grösseren Abstand zwischen 
sich lassen, darstellen. Auch hier sind keine Querleisten zu er- 
kennen. Dies ist das charakteristische Bild des Suleus, und die 
Schleifen, welche die grössten Papillen darstellen, bezeichnen die 
Stelle der Corona glandis. 

Auf der Glans selbt ist wieder ein deutliches Netzwerk 
(Fig. 6) zu erkennen. Grosse gewulstete Leisten ziehen radiär 
zum Orifiecium, untereinander verbunden durch Querleisten und so 
Maschenräume darstellend, welche wieder in Unterabtheilungen 
getheilt sind. 

Ich will hier nicht genauer auf den äusserst wechselnden 
und komplieirten Bau dieser Hautpartien eingehen und nur noch 
(darauf aufmerksam machen, dass am Orifieium die Leisten plötzlich 
wieder eine eireuläre Richtung annehmen, um in die Leisten der 
Mueosa urethrae überzugehen, welche an dieser Stelle eireulär 
verlaufen und, da sie mit zahlreichen kleinen Querleisten besetzt 
sind, einen gefiederten Typus darstellen. 

Von den weiblichen Geschlechtsorganen will ich nur 
ganz kurz den Unterschied der kleinen und grossen Labien an- 
geben. Hat das gleichmässige, stark entwickelte Leistennetz der 
letzteren eine Achnlichkeit mit dem Maschenwerk der Penis- 
epidermis, so gleicht die Oberhaut der ersteren (Fig. 7) mehr der 
des Praeputiums. Jene gewulsteten Epithelleisten, welche auch 
der pars villosa (u. a.) eigen sind, treten hier in äusserst ent- 
wickelter Form auf. Daneben finden sich schollenähnliche Ge- 
bilde, aus verbreiterten Leisten bestehend, welche nach allen 
Richtungen hin eine sich dendritisch verzweigende Schaar von 


Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 167 


Leisten entsenden, in grosser Anzahl. Diese gewulsteten Leisten, 
_ ihr Zusammenfluss, die Schollenbildung verleihen der Epidermis 
der kleinen Labien ein so typisches Gepräge, dass eine Ver- 
_ wechslung dieser Hautpartien mit einer anderen unmöglich ist. 
- — Gleieh mannichfaltig und wechselvoll wie das Leistensystem 
_ der Geschlechtsorgane ist ihr Ausguss, d. h. die Cutispapillen, 
deren genauere Beschreibung ich mir für eine spätere Arbeit vor- 
behalten möchte. 


Behaarte Haut. 


Was die behaarte Haut betrifft, so möchte ich an dieser 
- Stelle darauf hinweisen, dass die Behauptung Blaschkos, die 
Leisten dieser Haut seien durchweg schwächer als die der unbe- 
haarten, weil durch die Bildung der Haare die produktive Energie 
des Epithels bis zu einem gewissen Grade erschöpft werde, in 
ihrem ganzen Umfange nicht aufrecht erhalten werden kann. Ich 
- fand nämlich, dass an der behaarten Haut fast überall ein gut 
entwickeltes System von Leisten vorhanden ist, deren Höhe an 
einzelnen Stellen die der unbehaarten Haut erreicht, vielleicht 
sogar übertrifft. Diese Thatsachen konnten Blaschko freilich um 
so leichter entgehen, als sein Material sich auf die Haut von 

Foeten beschränkte, welche eine vollständige Entwicklung der 
- Leisten noch nicht erkennen liessen. 

Ging nun auch jener Forscher bei der Eintheilung seiner 
Arbeit in zwei Haupttheile und’zwar der behaarten und unbehaarten 
Hautpartien von jener Voraussetzung aus, so habe ich diese Ein- 
_ theilung aus Zweckmässigkeitsgründen beibehalten, und bin nur 
bei den Geschlechtsorganen, um sie im Zusammenhange abzu- 
- handeln, von diesem Prinzipe abgewichen. 
| Der specielleren Eintheilung der Leistensysteme der be- 
— haarten Haut in vier Typen, wie sie Blaschko aufgestellt und 
_ Philippson bestätigt hat, kann ich mich nieht anschliessen, da 
jene Typen nicht als regelmässig wiederkehrende Grundformen 

- anzusehen sind. Allerdings habe auch ich Bilder gefunden, welche 
diesen Typen entsprachen und die Beobachtungen jener Autoren 
bestätigten, aber ich fand nirgends einen Beweis dafür, dass es 
_ sich um wirkliche Typen handele, da dieselben Hautstellen 


168 James Loewy: 


verschiedener Individuen sämmtliche vier verschiedenen Typen 
aufweisen können. 

Sehen wir vom Serotum ab, so zeigt die Epidermis der be- 
haarten Haut eine überraschende Uebereinstimmung in den einzelnen 
Körperregionen. Ueberall ein gleichmässiges Netzwerk einfacher 
Längs- und Querleisten, welches sich an den verschiedenen Stellen 
nur durch die Breite der Leisten, die Grösse der Maschen oder 
die vorwiegende Richtung, welche die Leisten verfolgen, unter- 
scheidet. 

Am Halse findet sich ein kleinmaschiges, vielgestaltiges 
Netzwerk von schmalen Leisten. Wo eine ausgesprochene Längs- 
richtung der Leisten vorwiegt, fehlen die Querleisten hin und 
wieder ganz, oder erreichen nicht die nächste Längsleiste. Häufig 
bilden sich Centren oder Wirbel (Fig. 8), indem das Leisten- 
netzwerk sich in einfache Längsleisten auflöst, welche dann 
strahlenförmig in einem Knotenpunkt zusammenfliessen. Die ein- 
zelnen Radien bilden keine geraden Linien, sondern spiralige 
und parabolische Curven. Soleher Centren habe ich am Halse 
eine grosse Anzahl gefunden. Was die Funktionsfalten betrifft, 
so finden sie sich in diesen Hautbezirken äusserst zahlreich vor. 
Sie stellen sich als breite Linien dar, in deren Verlauf weder das 
Maschennetz der Leisten noch einzelne Segmente desselben er- 
halten sind. 

Der Papillarkörper stellt, dem Bilde des Rete entsprechend, 
einfache Papillen dar, welche oft konfluiren, oft langgestreckte 
Cutisleisten bilden. Die Abstände der einzelnen Papillen und 
Leisten von einander sind äusserst gering. Häufig vereinigen 
sich bogenförmig auslaufende Papillenreihen sternförmig in einem 
Knotenpunkt. An zahlreichen Stellen ist, dem Verlaufe der Funk- 
tionsfalten entsprechend, ein vollständiges Fehlen der Papillen zu 
konstatiren. 

Die Brust zeigt ein dem Halse sehr ähnliches Aussehen. 
Nur die Maschenräume des Leistennetzwerks zeigen einen grösseren 
Durchmesser und das Faltensystem ist viel schwächer entwickelt. 
Wirbel habe ich hier seltener beobachtet. 

Bauch und Rücken stimmen in ihrer Oberhautarchitek- 
tonik fast vollkommen überein. Ein gleichmässiges, gutentwickeltes 
kleinmaschiges Netzwerk mit meist völlig geschlossenen Räumen 
ist das Charakteristische bei beiden (vergleiche im Gegensatz 


Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 169 


hierzu die Darstellung bei Blaschko). Die Richtung welche 
die Leisten verfolgen, entspricht meist den Haarströmen, ist jedoch 
an manchen Stellen nieht mit Sicherheit zu bestimmen. Häufig 
bilden die einzelnen Haare Centren (Fig. 8), von welchen die 
Leisten radiär nach allen Seiten sich ausbreiten, oder die Maschen- 
räume sich terrassenförmig um eine kreisförmige Leiste formiren, 
welche das einzelne Haar umgibt. 

Auch die Epidermis der Extremitäten zeigt ein meist 
gleichmässiges Gepräge. Das Leistensystem (Fig. 9—11) stellt 
- ein Netzwerk dar, bald ganz geschlossen, bald durch Fortfall 
von Querleisten konfiuirende, grosse Räume bildend, bald mit 
vorwiegender Ausbildung der Längsleisten, bald mit gleich stark 
entwiekelten Querleisten. Die Leisten sind meist schmäler als 
die des Rumpfes und der Längsaxe der Extremitäten parallel. 
Die Falten dagegen übertreffen an Zahl und Breite diejenigen 
des Stammes, treten besonders stark über den Gelenken auf und 
lassen an den Partien, die sie durchziehen, nur selten vereinzelt 
stehende Stümpfe von Längs- und Querleisten erkennen. 

Die Cutispapillen des Rumpfes und der Extremitäten, 
von Hand- und Fussrücken abgesehen, bilden somit dicht gedrängte 
Reihe niedriger Gebilde, von runder, ovaler oder polygonaler 
Basis, welche meist eine ausgesprochene Verlaufsrichtung zeigen. 
Die Unterschiede zwischen den einzelnen Hautregionen bestehen 
nur in den grösseren oder kleineren Abständen der Papillen 
untereinander und in wechselnden Grösse (d. h. Höhe und Basis- 
umfang). Jene Partien, welche von Funktionsfalten durchzogen 
werden, zeigen eine ebene Fläche und besonders die Haut über 
den Gelenken weist eine äusserst geringe Anzahl von Papillen auf. 

Abweichend von diesem allgemeinen Typus ist das Bild, 
welches die Oberhaut des Handrückens und Fussrückens 
liefert. Die Leisten des Handrückens stellen eine gleichmässige 
Masse dar, fast einem Brette vergleichbar, in welches die Papillen R 
theils einzeln, theils in Gruppen von verschiedener Anzahl, schräg 
gegen die Oberfläche geneigt, als Zapfen eingelassen sind. Das 
Leistensystem des Fussrückens ist dem eben beschriebenen äusserst 
ähnlich. Nur die Zahl und Ausdehnung der Papillenöffnungen, 
welche hier dicht gedrängt, nur von schmalen Leisten getrennt 
neben einander liegen, ist eine bedeutend grössere. Die Cutis 
_ weist demnach grosse Papillen auf, welche theils einzeln, theils 


170 James Loewy: 


dicht gedrängt in Haufen auf einer im Uebrigen gleichmässig 
ebenen Fläche aufsitzen und schräg gegen die Oberfläche ge- 
richtet sind. 

Im Gegensatz zu dem Hand- und Fussrücken zeigt die Ex- 
tensorenseite der Finger wieder ein völlig geschlossenes, äus- 
serst kräftig entwickeltes, grossmaschiges Netzwerk, welches 
grosse Papillen darstellt, die dieht gedrängt neben einander liegen 
und in der Längriehtung der Finger verlaufen. Auch hier fand 
ich einen spiraligen Zusammenfluss der Papillen zu einem Cen- 
trum oder Wirbel. 

Auch die Kopfhaut weist ein stark entwickeltes Leisten- 
system auf. Zwischen den Haaren, ohne die gleiche Richtung 
mit denselben zu verfolgen, sondern mit den Bindegewebsfasern 
der Cutis in ihrem Verlaufe übereinstimmend, ziehen breite Lei- 
sten hin, welche schräg gegen die Oberfläche geneigt, weite 
Maschenräume umschliessen. Dementsprechend besitzt die Cutis 
der Kopfhaut meist einfache grosse Papillen, die, im gleichen 
Winkel wie die Haare gegen die Oberfläche geneigt, dem Ver- 
laufe der Bindegewebsfasern der Cutis folgen. 

Stellen die Bilder, welche ich bisher beschrieben habe, Ver- 
hältnisse dar, wie sie bei erwachsenen Individuen ange- 
troffen werden, so zeigen Präparate dieser Hautpartien von 
Neugeborenen und ganz alten Personen ein von jenen sehr 
verschiedenes Aussehen. So fand ich, dass das Leistennetz der 
Oberhaut (Fig. 4. 6. 9) wenige Monate alter Kinder sowohl am 
Rumpf, wie an den Extremitäten eine auffallende Gleichmässig- 
keit zeigte. Gut entwickelte Leisten, ein meist völlig geschlosse- 
nes Netzwerk sind auf allen Präparaten anzutreffen. Die Falten 
sind minimal, durch feinste Linien angedeutet, unter denen in F' 
den meisten Fällen das Leistennetz noch sichtbar ist. Im Greisen- 7 
alter dagegen ist von dem architektonischen Aufbau der Ober- 
haut nur noch äusserst, wenig zu erkennen (Fig. 11). Ein zu- 
sammenhängendes Netzwerk ist nieht mehr vorhanden, nur ein- 
zelne Stümpfe ganz schmaler Längs- und Querleisten, welche 
manchmal mit einander zusammenhängen und einige Maschenräume 
bilden, beleben das Gesichtsfeld im Verein mit den Falten, welche 


bedeutend verbreitert und vertieft sind. Dieser Schwund jeglicher 


Leisten und Papillen ist individuell verschieden, tritt bei dem 
einen früher, bei dem andern später auf und ist unabhängig von 


* 


Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 171 


den einzelnen Körperregionen. So finden wir z. B. die Epider- 
mis der über die Gelenke ausgespannten Haut viel früher ver- 
ödet als diejenige des Rückens nnd Bauches. 

Was die Oberhautformation des Gesichts anbetrifft, so 
zeigt dieselbe ein sehr mannigfaches Aussehen. 

Unter den wenigen Angaben, welche darüber vorliegen, er- 
wähne ich die von Kölliker, dass sich im Gesicht, nament- 
lich an den Augenlidern, Stirn, Nase, Wange und Kinn die 
kleinsten Papillen finden, diese ganz fehlen und durch ein Netz- 


- werk niedrigster Leistehen ersetzt werden können. Auch Blaschko 


hat zwischen den Haaren und Talgdrüsen nur kleine, gebuckelte, 
wellige Erhabenheiten gefunden, welche an der Ohrmuschel und 
der Stimm einer glatten Fläche ohne jede Leiste Platz machen. 
Bedürfen diese Angaben auch in vielen Punkten der Er- 
sänzung und Richtigstellung, so bezeugen sie doch übereinstim- 
mend, dass die Oberhaut des Gesichts in dem Alter, wo sie auf 
dem Höhepunkt der Entwicklung stehen sollte, einen rudimen- 
tären Charakter trägt, die Cutispapillen nur schwach angedeutet 


sind, ja ganz fehlen können. 


Was nun den Bau der Oberhaut desselben anbetrifft, so ist 
das Leistennetz allerdings das am wenigsten ausgebildete des 
ganzen Körpers und schon im jugendlichen Alter -finden sich 
Stellen, welche kaum Spuren eines vorhandenen Leistensystems 
erkennen lassen. Dennoch ist die Behauptung, dass an einigen 
Partien die Leisten und so auch auf der Cutis die Papillen 
fehlen, nicht aufrecht zu erhalten. Präparate von Neugeborenen 
zeigen nämlich überall ein System von Leisten, meist den Haar- 
strömen entsprechend angeordnet und der Querleisten ermangelnd. 
Oft strahlen sie büschelförmig von den einzelnen Haaren aus, in- 
dem sie die gleiche Richtung wie jene beibehalten, wie am Ohr, 
oder setzen sich, wie an der Nase, aus kleinen Segmenten zu- 
sammen, so dass die Lederhaut Leisten bildet. Schon nach 
einigen Jahren macht sich eine einschneidende Veränderung be- 
merkbar. In der Umgebung des Mundes, an den Wangen, dem 
Kinn und der Stirn ist fast nichts mehr von einem Netzwerk 
zu erkennen, und nur schwach angedeutete Reste von Leisten 
sind Zeugen des ehemaligen Bestehens derselben. 

Nähern wir uns aber der Gegend des Halses, des Ohres 


oder den Schläfen, so begegnen wir wieder einem gut ausge- 


172 James Loewy: 


bildeten Netzwerk, welches an Stärke der einzelnen Leisten dem 
des übrigen Körpers nicht nachsteht und z.B. an den Schläfen 
in seinem regelmässigen Aufbau und seiner kräftigen Entwick- 
lung dem Leistensysteme der Rückenoberhaut äusserst ähnelt. 
Im Gegensatz zu Kölliker möchte ich noch besonders her- 
vorheben, dass ich bei Erwachsenen an den Augenbrauen und 
Augenlidern ein sehr entwickeltes Leistensystem gefunden 
habe, welches in seinem Aussehen ganz dem der Kopfhaut gleicht 


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und so grosse, schräg gegen die Oberfläche gestellte Papillen ° 


darstellt. 

Am inneren und äusseren Rande des Augenlides fand ich 
auch jene Formen, welche den Leisten der Pars glabra der Lippen 
eigen ist. 

An der Nase verläuft das Leistennetz (Fig. 12) in zwei typi- 
schen Formen. Entweder finden wir ein geschlossenes Netzwerk oder 
nahe an einander liegende Leistensegmente. Die Cutispapillen 
sind gross, durch breite Abstände getrennt und an. manchen 
Stellen auf Cutisleisten ruhend. 


Schon bei der Beschreibung der Oberhaut der verschiedenen 


Körperregionen habe ich auf die jedesmalige Richtung, welche 


die Leisten und so auch die Papillen verfolgen, kurz hingewiesen; 
an dieser Stelle möchte ich jedoch ausführlicher auf diese Frage 


eingehen, deren Erörterung mir um so wichtiger erscheint, als 


eine Reihe anderer Formelemente der Haut ebenfalls eine regel- ° 


mässige Anordnung aufweisen, und es von Interesse wäre, die 


Frage zu erörtern, ob zwischen diesen Gebilden und den Epi- 
dermisleisten regelmässig wiederkehrende Beziehungen obwalten. 
Zunächst haben Voigt!) und Eschricht?) uns eine solche für 
die Haare kennen gelehrt, indem sie nachwiesen, dass dieselben 
eine bestimmte Richtung verfolgen, konstante Curven, welche an 
bestimmten Stellen eine grosse Zahl convergirender und diver- 
sirender Wirbel bedingen; diese treten besonders bei Embryonen 


1) Ch. A. Voigt, Ueber die Richtung der Haare am mensch- 
lichen Körper. Denkschrift d. Wien. Akad. d. Wissenschaften Bd. 13, 
Wien 1857. 

2) Eschricht, Ueber die Richtung der Haare am ı mensch 
Körper, Müller’s Arch. 1857, pag. 37. 


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Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 173 


plastisch hervor, während sie beim Erwachsenen durch die Rück- 
bildung des embryonalen Haarkleides nur noch wenig deutlich 
und vereinzelt zu erkennen sind. 

Ein zweites, konstantes Liniensystem weist die Haut in der 
Spaltbarkeitsrichtung auf, welche, wie Langer!) in seinen 
klassischen Arbeiten festgestellt hat, in der bestimmten Verlaufs- 
richtung der Bindegewebsfasern der Cutis ihre Ursache hat. Die 
Einstiche mit dem Pfriem, welche Langer systematisch auf der 


E ganzen Körperoberfläche machte, lieferten längliche Oeffnungen, 
- welche sich zu Linien zusammensetzten, die wiederum ein System 
darstellten, charakteristisch für jeden Körpertheil und konstant 


bei allen Individuen auftretend. Eine Vergleichung des Verlaufes 
der Haarrichtung mit der Spaltbarkeitsrichtung lässt eine auffällige 
Aehnlichkeit beider erkennen. 

Eine dritte Gruppe von Linien, welche wir noch an der 
Hautoberfläche erkennen können, ist die sogenannte Oberhaut- 
felderung, jenes System feinster Furchen, welche, unter Bildung 
drei- oder mehreckiger Felder, die gesammte Hautoberfläche 
durchziehen. Die Frage liegt nahe, in wie weit Leisten und 
Papillenverlauf mit der Oberhautfelderung übereinstimmt, indem 
beide Liniensysteme häufig parallel verlaufen, sich kreuzen oder 
einander decken. — Schliesslich wäre noch in Erwägung zu ziehen, 
ob nicht zwischen der Endausbreitung der Nerven und Gefäss- 
bäume einerseits und der Anordnung der Reteleisten anderer- 
seits gewisse Beziehungen obwalten, eine Frage, welche bei dem 
eigenthümlichen Verhältnisse der Gefässe und Nerven zu den Pa- 
pillen besondere Beachtung verdient. 

Bevor ich jedoch auf die Gleichheit und Abweichungen der 
Verlaufsriehtung jener Systeme mit derjenigen der Leisten und 
Papillen näher eingehe, möchte ich einem naheliegenden Einwurfe 
begegnen, der gegen die Constanz der von mir beobachteten 
Leistenvorrichtung gemacht werden könnte. Bekanntlich zieht 
sich die Haut, wenn sie aus der Continuität gelöst wird, durch 
die Wirkung der elastischen Fasern in der Riehtung der Spalt- 
barkeit zusammen, während sie im Breitendurchmesser im gleichen 


1) K. Langer, a) Ueber die Spaltbarkeit der Cutis. Sitzungs- 


; berichte der Wiener Akad. Math.-naturwissenschaftl. Cl. Bd. 44. — 
b) Die Spannung der Cutis, ebenda Bd. 45, 


174 JamesLoewy: 


Verhältniss zunimmt. Die Folge davon ist, dass wir an ausge- 
. schnittenen Hautstücken Bilder der Epidermis erhalten, welche 
uns die wahren Verhältnisse, die wirkliche Verlaufsriehtung der 
Leisten nicht mehr erkennen lassen. Die Thatsache ist unbe- 
streitbar, jedoch nur so lange als die Epidermis noch nicht von 
der Cutis gelöst ist. Um zu eruiren, wie sich die Grössenver- 
hältnisse der Epidermis nach ihrer Trennung von der Cutis ge- 
stalten, habe ich an zahlreichen exeidirten Stücken folgende ge- 
nauere Messungen vorgenommen. Zuerst zeichnete ich mit einem 


Oelstift die Umrisse des auszuschneidenden Hautstückes auf der 


Leiche vor, wobei ich mieh stets der Figur zweier aneinander- 
geschobener Rechtecke bediente. Ich wählte diese Figur, weil 
ich einerseits durch ein verhältnissmässig kleines Präparat das 
Bild eines ziemlich grossen Hautbezirkes erhielt, zweitens an den 
beiden Schenkeln, deren Längsdurchmesser senkrecht auf einan- 
der stehen, dig Contraction sehr leicht zu erkennen ist, indem 
der eine Schenkel im Durchmesser wächst, wenn der andere sich 
verkleinert. 

Nachdem ich also diese Figur auf der Leiche vorgezeichnet 
hatte, pauste ich die Zeichnung durch, schnitt dann das Haut- 


stückehen heraus und trug die Kontraktionsdifferenz genau auf 


dem durchgepausten Bilde ein. Hatte ich dann die Epidermis 
von der Cutis gelöst und breitete ersteyge auf jenem Bilde aus, 
so zeigte es sich, dass die Epidermis wieder ihre ur- 
sprüngliche Grösse zurückgewonnen hatte, dass somit 
‘an den zur Untersuchung benutzten Epidermisstücken das Leisten- 
system sein ursprüngliches Gefüge beibehalten haben musste. Auch 


gewaltsames Dehnen und Verziehen der Epidermis bewirkte nur ” 
eine minimale Verschiebung der Diagonalen der einzelnen Maschen- 
räume, war aber nicht im Stande die Hauptrichtung des Leisten- 


verlaufes zu verändern. 
Was zunächst das Verhältniss der Verlaufsrichtung der 


Leistenreihen und Papillen zu den Haarströmen betrifft, so finden ° 
sich verschiedene Verhältnisse vor. Meist ist eine Uebereinstim- 


mung beider vorhanden. Besonders am Rumpf, am Serotum, dem 
behaarten Theil des Penis und an einigen Partien der Extremi- 


täten tritt diese gleiche Verlaufsriehtung deutlich hervor. Frei- 


lich erwächst bei der Bestimmung derselben eine Schwierigkeit 
daraus, dass man selbst mit schwachen Vergrösserungen (20 mal 


= Fol - - = . a 
- u. EU Din Zn re het r 
ee u 2 ARE re Er 


Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 175 


oder selbst 10 mal) nur ein kleines Gesichtsfeld übersehen kann, 
woraus für die Beurtheilung des Allgemeinverlaufes der Haare 
sowohl wie der Leistenreihen leicht Irrthümer entstehen können. 

An den wenigen Stellen, wo sich an der behaarten Haut 
ein soleher Parallelismus der Verlaufsrichtung nieht nachweisen 
lässt, finden wir Verhältnisse, wo entweder die einzelnen Leisten 
eine Art von Centren bilden, d.h. Punkte, von denen radiär nach 
allen Seiten die Maschenräume der Leisten und so auch die Pa- 
pillen ausstrahlen, wie ich dieses an einigen Stellen des Rückens, 
des Bauches und anderer Körperregionen mehrfach beobachtet 
habe (Fig. 8). Oder es besteht überhaupt keine Beziehung 
zwischen den Haarströmen und der Verlaufsriehtung der Leisten 
und Papillen; das Leistennetzwerk zieht anscheinend regellos 
zwischen den Haaren hin, gleichsam die Zwischenräume derselben 
ausfüllend. Eine solehe Anordnung findet sich, wenn auch nur 
vereinzelt, an der Kopfhaut. In anderen Fällen folgt auch auf 
dem Kopfe die Richtung der Leisten derjenigen der Haarstämme 
und, was sehr wichtig ist, auch ihrer Neigung. Es liess sich 
dies übrigens schon aus den beiden von Blaschko abgebildeten 
Schnitten der Kopfhaut erwarten. 

Ist nun im Ganzen die Uebereinstimmung der Haarströme 
mit der Richtung der Papillen eine geradezu auffallende, so lässt 
uns an der unbehaarten Haut dieser Vergleichsfaetor im Stich, 
gerade an den Hautpartien, welche die ausgesprochenste und best 
charakterisirte Verlaufsriehtung aufweisen. 

So verlaufen am Penis die Leisten und Papillen von der 
Wurzel zum Präputium, dort eireulär um die Urethra, um 
an der Glans, nachdem sie am Suleus und der Corona glan- 
dis wieder längsgerichtete Schleifen gebildet, radiär zum Ori- 
fieium ihren Weg zu nehmen und schliesslich in eireulären Tou- 
ren in das Leistensystem der Mucosa überzugehen. 

An den Lippen ziehen die Leisten von der äusseren Haut 
zur Mucosa, am Handteller, der Beugeseite der Finger 
und der Fusssohle verlaufen sie genau den Riffen und Furchen 
entsprechend. 

Sehen wir uns nach einem Momente um, welches uns zum 
Vergleiche der Verlaufsrichtung der Leisten und Papillen auch 
- an der unbehaarten Haut dienen kann, so giebt uns die Spalt- 
 barkeitsriehtung diesen Vergleichsfaktor an die Hand, da ja die 


Archiv f, mikrosk, Anatomie, Bd, 37. 12 
e 


176 James Loewy: 


sie bedingenden Bindegewebsfasern, sowohl die behaarte wie un- 
behaarte Haut durchziehen. Durch genauere Untersuchungen 
habe ich über das Verhältniss der Spaltbarkeitsrichtung zu der 
Verlaufsriehtung der Leisten und Papillen Folgendes feststellen 
können. 

Wie schon Langer angiebt, stimmt im Grossen und Ganzen 
der Verlauf der Bindegewebsfasern mit den Haarströmen überein, 
und nur an wenigen Stellen, wie an den Extremitäten und am 
Kopf weicht er von denselben ab. An den Stellen nun, an wel- 
chen die Spaltbarkeitsriehtung mit den Haarströmen übereinstimmt, 
wie am Rumpf, dem Serotum, Penis u. a. ist auch der Verlauf 
der Leisten ein gleicher. Besteht kein Parallelism us 
der Haarströme und der Spaltbarkeitsriehtung, wie 
7. B. auf dem Kopf und besonders auf der Patella, so 
folgen die Leistenreihen und Papillen den Bindege- 
websfasern. Lässt sich keine Richtung der Papillen und Lei- 
sten feststellen, oder bilden die einzelnen Leisten Uentren, so habe 
ich bisher eine Analogie mit der Spaltbarkeitsriehtung Hirt fest- 
stellen können. 

An der unbehaarten Haut liegen die Verhältnisse noch viel 
charakteristischer. 

An der Hohlhand, der Beugeseite der Finger und der Fuss- 
sohle entsprechen die Bindegewebsfasern den Riffen und Furchen, 
also auch den Leisten. An den männlichen Geschlechtsorganen 
habe ich die Langer’schen Versuche wiederholt und eine völ- 
lige Uebereinstimmung der Spaltbarkeitsriehtung mit 
dem Verlaufe der Leisten und Papillen gefunden. Auch 
jene feineren Verhältnisse, welche Langer entgangen sind, finden 
sich vor, insofern nämlich am Präputium auch die Bindegewebs- 
fasern einen eireulären Verlauf aufweisen, während dieselben an 
der Glans radiär zum Orifieium gerichtet sind. 

Sprechen diese Thatsachen mit fast zwingender Gewalt für 
die Annahme, dass die Richtung der Leisten und Papillen mit 
derjenigen der Bindegewebsfasern übereinstimmt, so zeigt sonder- 
barer Weise der Bau der Lippen gerade das entgegengesetzte 
Verhältniss. Während, wie ich feststellte, die Spaltbarkeits- 
richtung eireulär von rechts nach links verläuft, sind die Leisten 
und Papillen radiär von der äusseren Haut zur Mueosa gerichtet. 

Ob für diese auffallende Differenz besondere Gründe vor- 


Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 177 


_ liegen, kann ich noch nicht entscheiden, für den ganzen übrigen 
- Körper jedoch möchte ich den vollkommen gleichen 

‚Verlauf der Leisten und Papillen einerseits und der 
h Bindegewebsfasern andererseits als allgemein giltiges 
| Gesetz hinstellen, eine Abhängigkeit, welche aus den anato- 
mischen Verhältnissen leicht erklärt wird. 

Auch O. Simon!) hat dieses Gesetz schon in gleicher Form 
aufgestellt. Allerdings sind die Beweisgründe, welche er für 
seine Behauptung ins Feld führt, wenig bindend. Aus der Ueber- 
einstimmung der Oberhautfelderung mit der Verlaufsrichtung der 
_ Papillen einerseits und der Spaltbarkeitsrichtung andererseits, 
schliesst Simon auf den gleichen Verlauf der Papillen und der 
Bindegewebsfasern, welche die Spaltbarkeitsrichtung repräsentiren. 
Nun sind aber die Gründe, welche dieser Autor für seine Prä- 
_ missen angiebt, wenig stichhaltig, ja, wie ich weiter unten 
darthun werde, den thatsächlichen Verhältnissen geradezu ent- 
gegengesetzt, so dass Simon, von zwei falschen Voraussetzungen 
_ ausgehend, zu seiner richtigen Behauptung gelangt ist. 

An dieser Stelle möchte ich noch auf folgenden Punkt auf- 
 merksam machen. 

Im Verlaufe der Leisten treten, wie ich es besonders an 
_ der Brust, am Bauch, an den Genitalien und an anderen Stellen 
beobachtet habe, Centren oder Wirbel auf (Fig. 8), d. h. Figuren, 
welche sich aus radiär zu einem Punkte hin zusammenströmenden 
Leisten zusammensetzen. Solcher Wirbel lassen sich verschiedene 
nachweisen. Manchmal sind die Querleisten, welche die das 
“Centrum bildenden Leisten untereinander verbinden, äusserst 
wenig, manchmal im vollkommenen Maasse ausgebildet, oft ist das 
Centrum klein, ja punktartig, oft stellt es em schollenartiges 
Gebilde dar, von dem baumartig die Leisten ausstrahlen (Fig. 7). 

Es läge ja sehr nahe, die Gebilde in eine Linie zu setzen 
mit den Haarwirbeln und den an den Tastballen der Fingerkuppen 
befindlichen wirbelförmigen Figuren und sie gleich diesen als eine 
Art von Tasteentren, Centralpunkten der tastempfindenden Organe 
und vielleicht auch Punkten erhöhter Tastempfindung zu be- 
frachten. ‘Doch möchte ich eine solche Auffassung nur als hypo- 
‚thetische hinstellen, um so mehr, als es sich nicht um so ausser- 


Bo 


z 1) OÖ. Simon, Lokalisation der Hautkrankheiten. Berlin 1873, 


178 James Loewy: 


ordentlich regelmässig gebaute und auch nicht einmal in regel- 
mässiger Anordnung wiederkehrende Gebilde handelt, wie bei 
Haarwirbeln und Tastballen. 

Um schliesslich die Frage näher zu untersuchen, ob und m 
wieweit die Oberhautfelderung mit der Verlaufsrichtung der 
Leisten und Papillen übereinstimmt, sollen einige Worte über die 
Entwicklung und den heutigen Stand der Frage vorausgeschickt 
werden. 

Die Oberhaut ist nicht glatt über den ganzen Körper aus- 
gespannt, vielmehr finden wir die gesammte Hautoberfläche von 
einem System feiner und feinster Linien, einander kreuzender 
Furchen durchzogen, welche zwischen sich die sogenannten Ober- 
hautfeldehen einschliessen. Ausserdem finden wir noch am Hand- 
teller, der Fusssohle und der Beugeseite der Finger und Zehen 
ein zweites ganz typisch angelegtes System von Riffen und 
Furchen, welche theils gerade, theils in Bogenlinien verlaufen 
oder jene bekannten Spiralen bilden, welehe besonders die Finger- 
kuppen charakterisiren. 

Diese letzteren Bildungen sind von Alters her bekannt und 
schon von Malpighi beschrieben worden. Purkinje unterwarf 
sie einer genaueren Untersuchung und stellte eine Reihe von 
Typen auf, welche in neuester Zeit von Engel und besonders 
von Kollmann eingehend erörtert und erklärt worden sind. 
Auf die Felderung und Faltung der übrigen Haut hat zuerst 
Bichat!) sein Augenmerk gerichtet und eine Eintheilung der 
gesammten Linien, welche die Oberhaut durchziehen, gegeben. 
Er unterschied im Ganzen fünf Arten: 

1. Falten, welche durch den Muskelzug bedingt werden, 
wie die Runzeln der Stirn und des Hodensacks. 

2. Die Runzeln, welehe sich im Alter einstellen. 

3. Falten, welche durch Gelenksbewegungen veranlasst 
werden, wie die Falten über den Fingergelenken. 

4. Die regelmässigen Furchen der Flachhand, Fusssohle und 
an den Beugeseiten der Finger und Zehen. 

5. Die unregelmässig sich kreuzenden Furchen, welche sieh 
auf der ganzen Hautoberfläche vorfinden. 


1) Bichat, Allgemeine Anatomie, übersetzt von Pfaff. Leipzig 
1803, -IL. H,, DL. Abih, 8. 166 


Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 179 


Diese Eintheilung Bichat’s ist lange Zeit die Grundlage 
für alle späteren Beschreibungen geblieben und auch OÖ. Simon, 
der nach ihm als erster sich genauer mit der gesammten Ober- 
hautfelderung beschäftigte, hat sie übernommen und an die Spitze 
des Kapitels über „die Richtungslinien der Hautarchitektur“ ge- 
setzt. Allerdings reduzirt er die Zahl der Falten auf vier, indem 
er die Falten der Hohlhand ete. und die sich unregelmässig kreu- 
zenden der gesammten Hautoberfläche als gleiehwerthig be- 
zeichnete. 

Erst in neuester Zeit ist diese Eintheilung der Furchen und 

Falten der Oberhaut durch Lewinski erschüttert worden, welcher 
jene fünf Arten auf zwei zurückführte. Er unterschied nur noch 
die regelmässigen Furchen an der Hohlhand, Fusssohle ete. einer- 
seits und alle übrigen von Bichat beschriebenen andererseits, 
welche er auf eine gemeinsame Entstehungsursache, auf die Be- 
wegung der Haut durch Einwirkung der Muskeln zurückführte. 

Sehliesslich hat Philippson in einer neueren Arbeit!) über 
eine bisher noch nicht bekannte Art von Linien berichtet, die er 
als Analogon der regelmässigen Furchen in der Hohlhand auf 
der gesammten Körperoberfläche gefunden haben will und welche 
er gleich den letztgenannten als Senkungsfurchen bezeichnet. 

Dass die spiraligen Kurven, welche in der Hohlhand, auf der 
Fusssohle und den Beugeseiten der Finger und Zehen verlaufen, 
ein besonderes und eigenartiges Gebilde sind, haben mit Recht 
alle Forscher hervorgehoben und es bedarf kaum weiterer Aus- 
einandersetzung, um darzuthun, dass zwischen ihrer Anordnung 
und derjenigen der Reteleisten der Cutispapilten eine völlige 
Uebereinstimmung herrscht. Sind doch eben die Riffe und Fur- 
chen weiter nichts als der auf der Oberfläche zu Tage tretende 
Ausdruck der tiefer liegenden Formelemente, wie dies Blaschko 
des ausführlicheren dargethau hat. Es entsprechen den Riffen 
und Furchen auf der unteren Seite der Epidermis jene Hervor- 
wölbungen, welche auf dem Querschnitte zapfenförmige Gebilde, 
in Wirklichkeit jedoch dem Verlaufe der Riffe und Furehen ent- 
sprechende Leisten darstellen. Diese Leisten sind keine gleich- 
werthigen Gebilde, sondern sind scharf in zwei Arten zu trennen. 
Entsprechen sie nämlich den Riffen, so sind es aktive Produkte, 


I) Monatshefte für prakt. Dermatolog. Bd. VIII, pag. 589. 


180 James Loewy: 


bedingt dureh Proliferation der Epidermis, entsprechen sie den 
Furchen, so sind sie passiv, erzeugt durch die Einstülpung der 
sesammten Oberhaut. .Die ersteren, welche an Höhe die letzteren 
weit überragen, nehmen die Ausführungsöffnungen der Drüsen- 
kanälehen auf. Blascehko, welcher zuerst diese Verhältnisse 
klarstellte, hat daher die Namen Drüsenleiste und Falte für 
jene Gebilde in die Anatomie eingeführt. i 

Gegen diese Anschauung hat sich Unna!) gewandt, indem 
er geltend machte, dass Blaschko’s Falte keine Einstülpung, 
sondern eine wahre Leiste, hervorgebracht durch Proliferation 
der Epidermis, darstelle. Wäre es nämlich eine Falte, so müsste 
nach Unna sich am untersten Winkel derselben ein Maximum 
des Druckes auf die Cutisunterlage, erzeugt durch das Einstülpen 
(ler Epidermis, geltend machen und abgeplattete Epithelzellen er- 
zeugen. Dies sei nicht der Fall, in Wahrheit werde die 
Stachelschicht nach unten leistenartig durch Proliferation vorge- 
trieben und bei mangelndem Nachwuchs sinke die Hornschicht 
und Körnerschicht, im Maasse als die Stachelschieht verhorne, 
allmählich ein. 


Diesen Ausführungen Unna’s kann ich mich nicht anschlies- 


sen. Vor allem ist jener Forscher den Beweis dafür schuldig 
geblieben, dass ein nachträgliches Einsinken der Körnerschicht 


und Hornschicht stattfindet. Kem Präparat Blaschko’s, welches 


der Haut verschiedenaltriger Foeten entnommen war, liess eine 


solche Deutung zu, im Gegentheil fand sich stets A Oberhaut | 


von Anfang .an mit allen Schichten gleichmässig eingestülpt. 


Ferner zeigen Querschnitte foetaler Haut, welche dureh die Fuss- 


sohle und den Handteller gelegt werden, einen an allen Stellen 
gleichmässig starken Durchmesser der Epidermis. Dieselbe nimmt 


nur dort etwas an Dieke zu, wo an der Oberfläche die Riffe hervor- 
treten und in der Tiefe sich die Drüsenleisten bilden. Denkt 


man sich also die Epidermis ausgezogen und zwar so stark ge- 


spannt, dass die Falten verschwinden, so erhält man an den 
vorher gefalteten Partien eine gleich starke Epidermis wie an 
den angrenzenden, und nur die Drüsenleisten erweisen sich als 


wahre Proliferationen. 


Auch das Fehlen plattgedrückter Epithelien am tiefsten ‘ 


1) Monatshefte für prakt. Dermatolog. Bd. VH, Nr. 16. 


> 


4 


Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 181 


Winkel der Falte sprieht nicht gegen Blaschko’s Deutung, da 
während der Bildung der Falten eine Zellenwucherung innerhalb 
der Epidermis und zwar grade an ihren untersten Schichten statt 
hat. Denn nehmen wir an, auf einer Flächeneinheit Grenzfläche 
sässen vor Bildung der Falte x Zellen eylindrischer Form, 
so wären, wenn nach Bildung der Falte dasselbe Stück der 
Grenzfläche einen doppelten Raum einnähme, die Zellen nur in 
dem Falle abgeplattet, wenn die Zellvermehrung nur in den 
oberen Epidermisschichten vor sich gegangen wäre; hat sich 
jedoch während der Bildung der Falte die Anzahl der Basal- 
zellen grade verdoppelt (auf 2x Zellen), so muss die Cylinder- 
form bestehen bleiben. Und eine solche Vermehrung der Basal- 
zellen während des Wachsthums der Epidermis ist nicht nur 
wahrscheinlich, sondern durch die Ergebnisse aller Untersuchun- 
sen, welehe in dieser Schicht die zahlreichsten Karyokinesen 
gezeigt haben, gradezu für erwiesen zu erachten, wie ja denn 
auch Blaschko selbst die Proliferation innerhalb der Oberhaut 
als Ursache der Einfaltung angenommen hat. Darum ist es jedoch 
nicht angängig, die Falte selbst als Wucherungsprodukt aufzu- 
fassen, was nur dann erlaubt wäre, wenn wie bei der Bildung 
der Drüsenleiste an einer Stelle eine eireumscripte Zell- 
proliferation stattfände. Hiervon ist, wie man sich an jedem 
Präparate überzeugen kann, nicht die Rede. fi 

Ein anderer von Unna und Philippson nicht gemachter 
Einwand liesse sich gegen Blaschko’'s Falte vorbringen. Sehen 
wir von den Papillen der Handteller und der Fusssohle ab, so 
finden wir alle Papillen begrenzt von zwei Längs- und zwei 
(uerleisten. Fehlen die letzteren, so fliessen zwei Papillen zu- 
sammen; nirgends finden wir jedoch bei jugendlichen Individuen 
eine Falte als einen die Gestalt der Papillen bestimmenden Fak- 
tor. Dies ist aber am Handteller und der Fusssohle der Fall, 
wie es deutlich aus der Figur 2 der Blaschko’schen Arbeit her- 
vorgeht. Hier verlaufen die Falten stets zwischen zwei Drüsen- 
leisten, und die Maschenräume, welche das Negativ der Papillen 
darstellen, sind durch zwei Querleisten, eine Drüsenleiste und eine 
Falte gebildet. Da läge es allerdings nahe, nach Analogie der 
übrigen Haut zu dem Schlusse zu kommen, dass wir es hier mit 
keiner Einstülpung, sondern einem Proliferationsprodukte der Epi- 
dermis, mit wahren Leisten zu thun haben. Schon eine einfache 


182 James Loewy: 


Erwägung lehrt, dass wir eine solehe Analogie nicht zu fordern 
berechtigt sind. Ist ja doch auf der Palma und Planta auch 
schon von aussen eine ständige Einfaltung in Form der „Furehen“ 
sichtbar, während die übrige Haut, abgesehen von den Funktions- 
falten (s. unten), vollkommen glatt verläuft. Es ist nieht einzu- 
sehen, warum nicht ebenso wie bei anderen Organen (z. B. beim 
Gehirne) auch bei der Haut neben der Zellvermehrung aueh 
andere, mechanische Momente gestalt- und formgebend wir- 
ken können. Diese Auffassung gewinnt noch eine Stütze dureh 
eine Arbeit von Klaatsch und Krause), welche beim Affen 
auf ein sehr eigenthümliches Verhältniss aufmerksam gemacht 
haben. Diese Autoren fanden eine gesetzmässige Verbindung 
zwischen Epithel und dem Bindegewebe der Haut. „Von der 
Tiefe der Cutis aus erheben sich nämlich Bindegewebszüge und 
steigen in dem mittleren Theile der Cutisleisten empor, um sich 
in der Falte an die untersten Epidermiselemente zu heften. Die 
feinere Struktur ist dabei die, dass in der Mitte der Cutisleisten 
die Bindegewebszüge immer parallel mit den Cutisleisten ver- 
laufen, auf Schnitten senkrecht zu den Leisten also im Quer- 
schnitt ihrer Fasern erscheinen, während zu beiden Seiten dieser 
mittleren Züge andere senkrecht nach oben zur Falte hin ver- 
laufen, so dass sich in der oben genannten Sehnittriehtung die 
Fasern in ihrer ganzen Länge zeigen. Man kann somit einen 
fixen und einen mobilen Theil der Haut unterscheiden. Denn 
diese senkrecht aufsteigenden Faserzüge verbinden gleichsam als 
mikroskopische Ligamente in der Falte die Cutis mit der Epi- 
ddermis. Die Blaschko'sche Falte ist also der Insertionspunkt auf- 
steigender Bindegewebsfasern, während die Drüsenleiste, von 
Bindegewebsfasern, umkreist einen freibeweglichen Theil der Haut 
darstellt.“ Dieses Ergebniss lässt sich für die Entstehung der 
Falten in vortrefflicher Weise verwerthen, indem man folgende 
Entwicklung derselben annehmen kann. i 

Haben wir fixe Punkte in den Falten vor uns, die dureh 
ein Bindegewebsligament an die Cutis gehaftet sind, und wirkt 
das Wachsen der Lederhaut als auftreibende Kraft gegen die 
Epidermis, so werden die freibeweglichen Theile nachgeben, die 

1) Krause, Beiträge zur Kenntniss der Haut der Affen. In- 
augural-Dissertation. Berlin 1888. 


I Eng 


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Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 185 
fixirten dagegen nicht, sondern jene regelmässigen Einkniekungen 
bedingen. Im gewissen Sinne würde hierdurch die ursprüng- 
lich von Blaschko über die Entstehung der Falten gehegte Vor- 
stellung modifizirt werden. Nach Blaschko sollten nämlich — 
ebenso wie die Drüsenleisten durch Wucherung — die Falten 
durch eine spontane Einsenkung der Epidermis, also durch ein 
aktives Hervordrängen der wachsenden Epidermis gegen die 
Cutis entstehen; nach der neuen Auffassung würde, ohne dass 
ein gleichzeitiges Wachsthum der Epidermis ausgeschlossen wäre, 


für die Entstehung der Falte wenigstens die aktive Rolle mehr 


[3 
f 


v 
= 


der Cutis zufallen, wie ja denn auch Blaschko in seiner zweiten 
Mittheilung eine gegenseitige Aktion der beiden Gewebe zugiebt. 
Führen nun diese Befunde Klaatsch und Krause’s die Streit- 
frage über die Entstehung der Falte einer einfachen und über- 
zeugenden Lösung entgegen, so kann dennoch der strittige Punkt 
nieht als entschieden bezeichnet werden. Hat doch Krause 
selbst angegeben, nur beim Gibbon und Kynocephalus diese 
Strukturverhältnisse klar gefunden zu haben. Für die Cutis der 
menschlichen Haut steht bisher der Beweis für die gleiche 
Anordnung der Bindegewebsfasern noch aus, und bei der Durch- 
musterung der zahlreichen mir von Dr. Blaschko überlassenen 
Präparate fötaler Haut habe ich eine derartige Anordnung nicht 
nachweisen können. Soviel geht jedoch aus dem bisher Gesag- 
ten hervor, dass ein Grund, die Blaschko’sche Bezeichnung 
„Falte“ fallen zu lassen und dafür den von Philippson vorge- 
schlagenen der „Senkungsfurche“ einzuführen, überhaupt nicht 
vorliegt, um so weniger, als die letzte Bezeichnung gar nicht 
einmal besonders deutlich die Philippson’sche Vorstellung von 
der Entstehung derselben — d.h. Wucherung mit nachfolgender 
Einsenkung — wiedergiebt. 

Ganz verschieden von den bisher besprochenen Leisten und 
Falten der Oberhaut, welche in der Anlage gegebene und 
erblich übertragbare Formgebilde darstellen, die für 
die menschliche Species, die einzelnen Racen und Individuen be- 
sondere eigenthümliche Merkmale tragen, ist eine zweite Art von 
Falten, welche erst später durch die Lebensäusserungen des 
Organismus entstehen, in Form, Zahl und Anordnung 
von der Art der physiologischen Bewegungen abhän- 
gige Gebilde. Sie halten, wie ich aus einer sehr grossen 


184 James Loewy: 


Reihe von Präparaten konstatiren konnte, keine bestimmte 
Riehtung inne, stehen in keinem Verhältnisse zu den 
Epidermisleisten, sondern stellen sich als regellose, 
bald parallel neben einander herziehende, bald sieh 
kreuzende und gabelnde, durchscheinende Leisten auf 
der Unterfläche der Epidermis dar. Diese Gebilde ent- 
sprechen den Faltungen und Kniekungen der Haut, welche be- 
sonders scharf an den Gelenken und im Handteller hervortreten 
und, wie Lewinski!) namentlich dargethan hat, durch die physio- 
logischen Bewegungen bedingt werden. Bei jeder Bewegung 
findet im Gebiete der Muskelaktion eine Verschiebung der in 
Form eines rhomboidalen Maschenwerkes angeordneten Bindege- 
websfasern der Cutis statt, wodurch diese befähigt ist, einer je- 
den auf sie wirkenden Kraft nachzugeben durch blosses Verlän- 
gern oder Verkürzen bald der einen, bald der anderen Rhombus- » 
diagonale. Die Epidermis besitzt diese Einrichtung nicht. Sie 
ist nicht sehr elastisch und kann die äusseren Einwirkungen nicht 
durch innere Umlagerung ausgleichen, sondern beantwortet jede 
Verschiebung der einzelnen Punkte zu emander mit einer Faltung 
und Kniekung nach der einen und Ausziehen von Falten in der 
anderen Richtung. Daher ist die Epidermis von vornherein im 
Ueberschuss angelegt und liegt beständig in Falten, welche je- 
doch entsprechend den einzelnen Bewegungen ihre Form und Lage 
ändern. 

Bei der Besprechung der Lewinski schen Arbeiten hat Unna 
einen wesentlich anderen Standpunkt vertreten. Er sagt?): „Die 
Linien der wahren Oberhautfelderung im natürlich erhaltenen 
Hautstücke reichen nur bis in die Stachelschieht und stellen niehts 
weiter dar als linienförmige, tiefere Einsenkungen der Hornschicht, 
deren Lage dureh einen entsprechenden striehförmigen Mangel 
der Papillen vorgezeichnet ist. Der Mangel der Papillen ist eben ” 
an diesen Stellen der zureichende Grund für das tiefere 
Herabsteigen der Hornschicht, weil er einen geringeren Nahrungs 
zuschuss dieser Stellen und daher einen geringeren Nach- 
wuchs junger Stachelzellen zur Folge hat.“ Die „Model- 


1) Lewinski, Ueber die Furchen und Falten der Haut. Vir- 
chow’s Arch. Bd. 92. v 
2) Monatshefte d. prakt. Dermatolog. 1883, Bd. II, pag. 228 unten. 


Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 185 


lierung der Hornschicht“ ist nach ihm durch „die vorauf- 
gehende und sehr verschiedenartige Vertheilung der Papillen“ 
bedingt. Die Oberhautfelderung sei daher — und Unna fügt 
ausdrücklich hinzu, dass er hierbei auf dem O0. Simon ’schen 
Standtpunkte stehe — ein Ausdruck der verschiedenartigen Pa- 
pillenvertheilung. | 

Schwer verständlich ist der Standpunkt Philippson’s!). 
Philippson nennt Kniekungsfurchen nur die über den Gelenken 
gelegenen Falten, alle übrigen Spannungsfurchen. Er geht zur 
Erklärung der Oberhautfalten aus von den Striae gravidarum 
und den Bildern, welche die Unterfläche der Epidermis daselbst 
darbietet. Die Stachelscehicht zeigt daselbst „eine glatte, durch- 
scheinende Fläche, welche nur wenige, niedrige, querverlaufende 
Leisten, einige Maschen von annähernd normaler Grösse und 
zahlreiche von viel kleinerem Umfange aufweist. Die der Mitte 
anliegenden Leisten sind nach ihr zu ausgezogen.“ Jene Bilder 
sind leicht zu erklären: „Die überaus starke Spannung, welcher 
die Haut Schwangerer ausgesetzt ist, und welche eine parallele 
Anordnung der Bindegewebsbündel der Cutis bewirkt, überträgt 
sich auch auf die aus dem Niveau derselben heraustretenden 
Bindegewebsfasern der Papillen und strebt danach sie in die 
Zugriehtung hineinzuziehen. Daher die Abflachung und das Ver- 
schwinden der Papillen, durch welche Formveränderung anderer- 
seits wieder die Abflachung und das Verstreichen der zwischen 
ihnen befindlichen Epidermisleisten verursacht wird. Zuerst wer- 
den diejenigen Leisten, welche genau oder annähernd senkrecht 
zur Zugrichtung verlaufen, ausgeglichen, bis schliesslich, wenn 
überhaupt, nur noch die in die letztere fallenden Leisten übrig 
bleiben.“ 

Auf gleiche Weise entstehen nach Philippson die Falten 
der Oberhautfelderung, darum von ihm Spannungsfurchen genannt. 
Ist nämlich die auf die Haut ausgeübte Kraft noch grösser wie 
bei den Striae, so kann es wie bei den bekannten Lewinski'schen 
Versuchen zum vollständigen Papillenschwund kommen, ist sie 
aber kleiner, setzt sie nicht plötzlich ein und ist sie über eine 
grössere Fläche vertheilt, „dann erzeugt sie in der Haut keine 
Striae mehr, sondern nur lineäre Einsenkungen der Haut, Furchen 


1) a. a. O. und Virchow’s Arch. Bd. 120, pag. 186, 


186 James Loewy: 


senannt. Der Beweis für die letzte Behauptung liegt in dem 
Flächenbild der Epidermis eines Erwachsenen: mitten durch das 
Leistennetz zieht eine durchscheinende Zone ohne Leisten; die 
an dieselbe stossenden Maschen sind nach ihr zu offen, die Leisten 
derselben verstreichen in die glatte Fläche der Zone und sind 
mehr oder weniger senkrecht auf dieselbe gerichtet. Alles dies 
sind Eigenschaften, welche dem durch Spannung veränderten 
Leistennetz der Epidermis zukommen. Sieht man neben jenem 
auch noch das entsprechende Flächenbilde beim Kinde, wo quer 
über die dünnere, die Zone bildende Partie der Epidermis noch 
niedrige Leisten ziehen oder wo auf der Zone. noch Maschen vor- 
handen sind — trifft man dann auch beim Erwachsenen in jener 
Zone gelegentlich kleine Oeffnungen für entsprechende Papillen, 
so ist es nahe liegend, diese Partien im Leistennetz nicht als 
etwas ursprünglich Angelegtes anzusehen, sondern vielmehr als 
das Produkt einer auf emem überall gleichmässig entwickelten 
Papillarkörper und auf ein dem entsprechendes epitheliales Leisten- 
netz wirkenden Zugkraft aufzufassen. 

Eine solche Kraft liegt in der von der Muskelaktion abhän- 
sigen Spannung vor und ist bereits von Lewinski als Ursache 
jener auf dem epithelialen Flächenbild als durchscheinende 
Zonen auftretenden Furchen im Anspruch genommen worden.“ 

Wie man sieht hat Philippson den Standpunkt seines 
Lehrers Unna wieder aufgegeben. Nach ihm sind die Falten 
der Oberhautfelderung nieht in der Anlage gegeben, sondern — 
in Uebereinstimmung mit Lewinski — durch die Körperbewe- 
sung entstanden; von letzterem Autor aber unterscheidet er sich 
wesentlich dadurch, dass er sich den * Entstehungsmodus der 
Oberhautfelderung auf ganz andere Weise vorstellt. Lewinski 
lässt, wie wir oben gesehen, durch Kniekung der im Ueberschuss 
angelegten Haut Falten entstehen, wenn diese zusammengedrückt 
wird; durch Spannung der Haut werden Falten parallel der Zug- 
richtung erzeugt. 


Nach Philippson ist offenbar — er spricht sich hierüber 
nicht des genaueren aus, aber seine Anschauungen sind anders 


gar nicht zu deuten — die Haut anfangs nicht im Ueberschuss 
angelegt und erst durch die Spannung der also eigentlich zu 
kurzen Haut wird die Epidermis an einzelnen Stellen “ ausge- 
zogen, verdünnt und wenn dann die Spannung nachlässt, bilden 


hard 


Beiträge znr Anatomie und Physiologie der Oberhanut. 187 


diese ausgezogenen verdünnten Partien die „Falten“. Räthselhaft 
ist nur warum, wenn von vornherein das Leistennetz völlig 
sleichmässig angelegt ist, ein auf dieses Netz wirkender 
Zug dasselbe nicht gleichmässig auszieht, räthselhaft ferner, 
dass dieser Papillenschwund beim Neugeborenen noch nicht 


- sichtbar ist, während die Falten schon beim Embryo deutlich 


ausgeprägt sind. 

Dass die Philippson’sche Anschauung völlig unhaltbar, 
lässt sich auch sonst leicht darthun. Zunächst ist schon sein 
Vergleich mit den Striae ein völlig verfehlter, bei denen es sich 


_ bekanntlich um ein thatsächliches Zerreissen von Bindegewebs- 


fasern handelt; eben sowenig können die Lewinski’schen Ver- 
suche, welche zum Schwunde der Leisten und Papillen führen, 
zum Beweise herangezogen werden, da auch hier eine Rückkehr 
in die alte Form nicht stattfindet. Das Wesentlichste aber ist, 
dass in der That, wie Lewinski schon mit vollem Recht be- 
hauptet, die Epidermis von vornherein im Ueberschuss angelegt 
ist, was eben durch das frühe Vorhandensein der Falten ange- 


. zeigt wird. In Folge dieses Ueberschusses kommt es zu einer 


wesentlichen Spannung der Epidermis weder in noch zwischen 
den Falten überhaupt jemals, selbst bei den ausgiebigsten Bewe- 
gungen werden die der Zugriehtung senkrechten Falten nie ganz 
entfaltet, wovon man sich jederzeit leicht überzeugen kann. Ja 
wenn wirklich bei ganz excessiven Bewegungen eine Spannung 
eintritt, so wirkt sie nieht besonders stark in den Falten, denn 
diese sind ja jetzt verstrichen, sondern muss gleichmässig auf 
die ganze, eine glatte Fläche bildende Epidermis wirken, so dass 
ein Auseinandergehen der Gewebselemente gerade in den Falten 
und im besonderen in der Mitte der Falten nicht möglich erscheint. 
In sofern sind also diese Falten der Oberhautfelderung nicht 
„Spannungsfalten“, sondern ebenso gut Kniekungsfalten wie die 
über den Gelenken. Wirkliche Spannungsfalten sind nur die von 
Lewinski so genannten, bei starkem Zuge auftretenden der Zug- 
richtung parallelen Falten. Da es aber meist nicht möglich 
ist, im Ruhezustand die durch Kniekung und die durch Spannung 
erzeugten Falten zu unterscheiden, ja die meisten Falten wohl 
Kniekungs- und Spannungsfalten zugleich sind, indem sie bei 
Kniekung senkrecht, bei Spannung parallel der wirkenden Kraft 
entstehen und die bestehenden Falten bei umgekehrt einsetzender 


188 James Loewy: 


Kraft entfaltet werden, so möchte ich alle Falten der Ober- 
hautfelderung mit dem gemeinsamen Namen Funktionsfalten 
bezeichnen. 

Aber wie kommt denn nun der thatsächlich mit zunehmen- 
dem Alter sich einfindende Papillenschwund zu Stande? Um 


diesen zu erklären, muss man sich vergegenwärtigen, dass nicht 


die Entfaltung, sondern die Knieckung der Falten den Normal- 
zustand der Epidermis darstellt, und dass bei vollkommener 
Ruhe fast alle Falten ziemlich stark 
eingeknickt sind. Es besteht somit an 
den Knickstellen, wie nebenstehende 
Figur zeigt, ein beständiger, nur bei 
der theilweisen Entfaltung etwas nach- 
Jassender Druck der Epidermis gegen die Cutis, während die 
Elemente der untersten Rete und obersten Cutisschiehten in der 
auf der Falte senkrechten Richtung ausgezogen werden. Es 
herrscht also in diesen Schichten thatsächlich eine kleine Span- 
nung senkrecht zur Falte, eine Spannung, welche aber über die 
allernächste Nachbarschaft der Falten nicht hinausgeht und gerade 
umgekehrt wie Philippson sich das vorstellt, bei der Kniekung 
und nicht bei der Ausziehung der Falten in Wirksamkeit tritt. 
An der Knickstelle muss also durch den beständigen, nur m 
seiner Stärke wechselnden Druck eine Ernährungsstörung und 
somit eine Atrophie zu Stande kommen. Eine gleiche Ernäh- 
rungsstörung bewirkt mit der Zeit den Schwund der angrenzen- 
den, parallel den Falten verlaufenden Leisten, welche bei jeder 
Kniekung etwas ausgezogen werden. Zu gleicher Zeit ordnen 
sich die Bindegewebsfasern und Gefässe senkrecht zur Falte und 
bewirken so ein stärkeres Hervortreten der senkrecht zur Falte 
verlaufenden Leistenstümpfe, wie aus Figur 1 der oben erwähnten 
Philippson’schen Arbeit ersichtlich ist!). Dieser Vorgang ist 
nicht identisch, wie Philippson glaubt, mit der Verödung des 
Rete und des Strat. papillare im Gebiete der Stria.. Bei der 
Stria bleiben auch in der Mitte derselben einzelne quer verlau- 
fende Leistenstümpfe, ja ganze Maschenräume stehen, ein Beweis, 
dass es sich wirklich hier um ein Auseinanderreissen han- 
delt, während bei den Falten zuerst und am vollständigsten der 


— 


I) Virehows Arch. BEL. CRR, Tacn, 


en‘ 


Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 189 


Leistenschwund gerade in der Mitte, an den Kniekstellen sich 
zeigt. 

An dieser Stelle möchte ich noch mit wenigen Worten auf 
_ die sogenannten „Senkungsfurehen“ Philippsons eingehen. 
Er will nämlich neben den Funktionsfalten (seinen Kniekungs- 
und Spannungsfurchen) auf der Oberfläche der gesammten Haut 
ganz feine Furchen entdeckt haben, welche sich an der Unter- 
fläche der Epidermis durch feinste Linien kund thun sollen und 
in keinem Präparate fehlen; nach ihm sind, wie ich oben schon 
kurz angedeutet, diese Gebilde nicht zu verwechseln mit den 
durch Körperbewegungen entstandenen Falten, sondern analog 
den regelmässigen an der Hohlhand, der Fusssohle und der Beuge- 
seite der Finger und Zehen verlaufenden, schon in der Anlage 
gegebenen Furchen. 

Trotz eifrigsten Suchens ist es weder Herm Dr. Blaschko 
noch mir gelungen, diese Gebilde zu entdecken. Alles was zu 
sehen war, liess sich leicht als sekundäre Funetionsfalten 
deuten, so dass ich vorläufig die Sonderexistenz solcher „Senkungs- 
furchen“ als zweifelhaft bezeichnen muss. Man muss abwarten, 
ob Philippson seine Entdeckung durch genauere Beschrei- 
bung und Demonstration an Präparaten erhärten können wird. 

Zu einem gleichen Ergebniss, zur Vernichtung des Leisten- 
systems und des Papillarkörpers führt noch ein anderer Prozess, 
der zu gleicher Zeit mit dem oben beschriebenen verläuft, aber 
streng von diesem zu scheiden ist. Es ist dies die Alters- 
atrophie. 

Schon oben!) habe ich Bilder beschrieben von Präparaten 
der Oberhaut, die ganz alten Individuen entnommen sind. Die 
Leisten sind, wenn überhaupt noch vorhanden, sehr schmale 
Stümpfe, welche vereinzelt noch zusammenhängen und Maschen- 
räume bilden können. Man könnte freilich einwenden, dass mit 
zunehmendem Alter die Falten breiter und tiefer werden, der 
Druck auf die Grenzsehichten also stärker und die Ermährung 
in diesen Hautpartien behinderter, «dass daher der Schwund des 
Strat. papillar. und der Leisten auf die vorher beschriebenen 
Ursachen zurückgeführt werden müsse. Dass dies nicht der Fall 
ist, re daraus hervor, dass auch in den Ruhecentren (nach Ph.) 


1) pag. 170. 


190 James Loewy: 


d. h. in den von den Falten umschlossenen Feldern diese Pro- 
zesse sich abspielen, dass sich die Leisten ebensogut an denjeni- 
sen Punkten verschmächtigen und schwinden, welche der gering- . 
sten Krafteinwirkung ausgesetzt sind. Hält man Präparate ver- 
schiedenartiger Individuen nebeneinander, so erkennt man deutlich, 
wie, vom Neugeborenen an gerechnet, mit zunehmendem Alter 
die Leisten und die Papillen wachsen. Haben sie dann den 
Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht, so beginnt eme allmähliche 
Rückbildung, welche im Greisenalter mit völliger Atrophie endet. 
Von diesem Prozess wird die Epidermis en masse ergriffen, d.h. 
die Epidermis wird dünner und die Leisten schmäler und 
niedriger, bis letztere schliesslich ganz verschwinden. 

Allerdings giebt es hierbei individuelle Unterschiede. So 
fand ich bei einem 74jährigen Manne das Leistensystem der 
Rückenoberhaut noch völlig erhalten, während ich die völlige 
Atrophie bei anderen schon in früheren Jahren eintreten sah. 
Auch die verschiedenen Körperregionen zeigen ein verschiedenes 
Verhalten. Im Allgemeinen: tritt an den Stellen, welche, den 
inechanischen Einflüssen am meisten ausgesetzt sind, wo die 
Ruhecentren nur kleine Felder darstellen, die Altersatrophie am 
frühesten ein. Hier findet ein inniges Zusammenwirken der 
Druck- und Altersatrophie statt, deren Grenzen nicht mehr aus- 
einanderzuhalten sind. | 

Sehliesslieh möchte ich noch auf die verschiedene Disposi- 
tion der Entwieklungsfähigkeit der Leisten und Papillen der 
einzelnen Hautpartien aufmerksam machen. Was die Papillen 
- des Gesichts betrifft, so liegt vielleicht ein Grund ihrer minimalen 
Entwieklung in der Anlage derselben, aber man darf auelı den 
Einfluss mechanischer Momente nicht unterschätzen. 

Keine Stelle ist so sehr den Faltungen und Kniekungen 
der Haut ausgesetzt als das Gesicht, und dass die Papillen an 
Grösse zunehmen, je mehr man sich von den um den Mund ge- 
legenen Hauptpartien entfernt, spricht m der That dafür, dass 
die Mimik als ein die Entwicklung der Papillen hemmendes Ele- 
ınent zu betrachten ist. ; 

Ob ein Zusammenhang zwischen den Endausbreitungen der 
Nerven und Gefässe und der Verlaufsrichtung der Leisten be- 
steht, habe ich mit Sicherheit nicht feststellen können. Aus ” 
Fig. 2 Taf. 27 der Blaschko’schen Arbeit ist für die Palma 7 


Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 191 


allerdings, wenigstens für die Gefässe, ein solcher Parallelismus 
ersichtlich. Um diese Frage näher zu untersuchen, versuchte ich 
Flächenbilder der ganzen Haut herzustellen. Ich bediente mich 
hierbei der von Sappey') empfohlenen, mit dem sonderbaren 
und wenig bezeichnenden Namen belegten thermo-chemischen 
Methode. Diese besteht darin, dass man Hautstücke 24 Stun- 
den in eine Lösung aus einem Theile Salzsäure und sechs Theilen 
Wasser bestehend bringt und dann dieselben 4—5 Minuten in 
einer 2,5°/, Salzsäurelösung kocht. Durch diese Behandlungs- 
methode sollen nach Sappey die vorher undurchsichtige Haut 
oder andere Organtheile durchscheinend werden und alle ihre 
Strukturverhältnisse bis zur feinsten Vertheilung der Nerven und 
(Gefässe hervortreten lassen. 

Obgleich ich nun eine ganze Reihe von Versuchen nach 
den Angaben Sappey’s anstellte, obgleich ich die Salzsäure- 
lösung in allen möglichen Concentrationen anwandte, die Haut- 
stückehen während der 24 Stunden auf die verschiedensten Tem- 
peraturen erwärmte und auch die Zeit während welcher die 
Präparate in der Flüssigkeit lagen, mannigfach modifizirte, ferner 
der Sappeyschen Methode die Holzessigmethode und 
Abziehung der Epidermis vorausschiekte, schliesslich mich der 
verschiedensten Säuren an Stelle der Salzsäure bediente, so ge- 
lang es mir dennoch nicht, brauchbare Präparate zu gewinnen. 
Allerdings traten die Drüsen mit ihren Ausführungsgängen und 
einzelnen Gefässschlingen aus der völlig erweichten, zähflüssigen, 
glasig durchscheinenden Masse vollkommen plastisch hervor, doch 
die feineren Strukturverhältnisse wurden durch die eingreifende 
Behandlung vernichtet. Vielleicht gelingt es durch verfeinerte 
Methoden, die Endausbreitungen der Nerven und Gefässe auf 
Flächenbildern darzustellen und so über ihr Verhältniss zu den 
übrigen Gebilden der Haut Klarheit zu verschaffen. 

Zum Schlusse ist es mir eine angenehme Pflicht, Herrn 
Dr. Blaschko für seine freundliche Anregung und liebenswür- 
dige Anleitung, sowie Herrn Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Wal- 
deyer für die gütige Ueberlassung des nothwendigen Materials 
meinen aufrichtigsten Dank zu sagen. 


1) Comptes rends. T. CIX, Nr. 1 (1 Juillet 1889). 


Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37. 13 


> 
8 
= 


J. Schottlaender: 


Erklärung der Photegramme auf Tafel X. 


Lippe vom Kind. Pars glabra und Uebergangspartie zur 
äusseren Haut. Vergr. 21. 

Lippe eines Erwachsenen. Pars glabra. Vergr. 21. 
Lippe eines Erwachsenen. Pars villosa. Vergr. 21. 
Scrotum eines Kindes (neugeborenen). Vergr. 21. 
Scrotum eines Erwachsenen. Vergr. 21. 

Glans vom Kind (neugeborenen). Vergr. 12. 

Kleine Schamlippe einer Erwachsenen. Vergr. 17. 
Bauch eines Erwachsenen. Leistencentrum. Vergr. 12. 
Ellbeuge eines Neugeborenen. Vergr. 21. 

Ellbeuge eines Erwachsenen (26 J.). Vergr. 21. 
Ellbeuge eines 70jährigen Mannes. Vergr. 21. 
Nasenrücken eines Erwachsenen. Vergr. 21. 


Beitrag zur Kenntniss der F'ollikelatresie nebst 
einigen Bemerkungen über die unveränderten 
Follikel in den Bierstöcken der Säugethiere. 


Von 


Dr. J. Schottlaender. 


Hierzu Tafel X]. 


Die nachstehenden Untersuchungen, welche sich mit dem 
Rückbildungsprocess ungeplatzter Follikel im Säugethier-Eier- 
stock beschäftigen, wurden im Anschluss an eine 1885 veröffent- 


lichte Arbeit W. Flemming’s!) und auf Anregung des genannten 


beim Untergang Graaf’scher Follikel. Arch. f. Anat. u. Entw. gesch. 
Jahrg. 85, 3. u. 4. Heft. 


| 


1), Ueber die Bildung von Richtungsfiguren in Säugethiereiern 


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4 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. 195 


Autors unternommen. Flemming stiess gelegentlich seiner For- 
schungen über die Riehtungsfiguren in Säugethiereiern auf eine 
bis dahin noch nicht beschriebene Art des Untergangs Graaf- 
scher Follikel. Es galt nun zu prüfen, ob die im Eierstock des 
Kaninchens wahrgenommenen Erscheinungen sich auch in den 
Eierstöcken anderer Säugethiere wiederholen, mit anderen Worten 
festzustellen, ob dieselben verallgemeinert resp. ergänzt werden 
dürfen oder nicht. 

Wie schon früher mehrfach hervorgehoben worden ist, lässt 
eine einfache Ueberlegung und Berechnung erkennen, dass eine 
relativ grosse Reihe von Eiern abortiv im Eierstock zu Grunde 
gehen muss; denn der in späteren Zeiten gegenüber der geschlechts- 
reifen Periode zu constatirende Ausfall an Eiern wird bei Weitem 
nicht durch die bei der Ovulation ausgestossene Anzahl gedeckt, 
hinsichtlich deren man in den wahren und falschen gelben Kör- 
pern sichere Anhaltspunkte besitzt. — Das Mikroskop bestätigte 
vollauf die Richtigkeit des Exempels; es wies ferner, wie a priori 
zu erwarten war, nach, dass diese ohne Continuitätstrennung der 
Hülle verlaufende Zerstörung der Eier von einer Zerstörung des 
ganzen Follikels begleitet ist. Während nun aber der Vorgang 
an sich schon geraume Zeit als feststehend anerkannt wird, gehen 
bis auf den heutigen Tag die Ansichten über seine Einzelheiten 
noch weit auseinander. Ein kurzer Einblick in die diesbezüg- 
liche Literatur wird das Gesagte verdeutlichen. 

Grohe!), den wir als den Ersten?) nennen, führt wie alle 
Späteren bis van Beneden die Rückbildung, welche sogar 
schon in Primordialfollikeln nach seiner Ansicht eintreten kann, 
ganz vornehmlich auf fettige Entartung der zelligen Elemente 
zurück. Von dem Ei, das sich oft schon früh verflüssigt, er- 
halten sich relativ am längsten Zona und Keimbläschen. Schliess- 
lich entsteht durch Verdichtung des umgebenden Stromas eine 
pigmentlose bindegewebige Narbe, die bisweilen die Reste einer 
während des Unterganges an der Innenfläche (der Theca?) ent- 
standenen Glasmembran enthält. | 


1) S. Flemming (l. ec.) Literaturverz. 11. 

2) Reinhardt’s (Flemming [l. e.] Literaturverzeichniss 18) und 
Luschka’s (ibid. Literaturverz. 15) Beobachtungen sind schon ein- 
gehender von Flemming (l. ec.) gewürdigt worden. 


194 J. Schottlaender: 


Pflüger!) beschränkt sich in seinem bekannten Werke, und 
zwar in dem vom Katzeneierstock handelnden Kapitel, fast aus- 
schliesslich auf die Mittheilung seiner hochbedeutsamen Ent- 
deckung, dass die Granulosazellen als sog. Nagelzellen bald brei- 
tere, bald schmälere Fortsätze in die Eihöhle entsenden, während 
der Inhalt von der Zona abrückt und sich zum Theil in Körner- 
kugeln, zum Theil in Flüssigkeit umwandelt- 

His?) fand die Ueberbleibsel der durch Fettdegeneration 
zerstörten Granulosazellen meist von einem pigmentlosen fein- 
gestreiften Bindegewebe umgeben. Einmal jedoch (bei einer 
2 Tage p. p. gestorbenen Frau) fand sich in kleinen Zellen ein- 
geschlossenes Pigment, welches, innerhalb der aus der Membr. 
follieuli int. entstandenen Bindegewebsschicht , bogenförmigen 
Strängen, d. h. obliterirten Gefässen, folgte. 

Slavjansky?°), der in zwei sehr ausführlichen Arbeiten 
aus dem Anfang der siebziger Jahre unseren Gegenstand behan- 
delt, verlegt den Produktionsherd des Fettes in die sog. Granu- 
lationsschicht*) der Theka, deren präexistentes Fett sich vermehrt 
und zunächst die Follikelwand bis auf die Membrana propria, 
dann allmählich den ganzen Follikelinhalt zerstört. Der Vor- 
gang bleibt unter normalen wie pathologischen Verhältnissen der 
gleiche; er schliesst, im letzteren Falle nur energischer verlau- 
fend, ab mit der Ausbildung einer Narbe aus schleimigem Binde- 
gewebe, das der Metamorphose von Wanderzellen seinen Ursprung 
verdankt. 

Aus der zweiten Publikation ist bemerkenswerth, dass Sl. 
pigmenthaltender Zellen in der Theca erwähnt, ferner, dass er 
zwischen Theca und dem zu Bindegewebe umgewandelten Fol- 
likelinhalt, gleich Grohe, glänzende discontinuirliehe und ana- ' 
stomosirende dicke Streifen beschreibt, die er als Abkömmlinge 
der Membrana propria deutet und deren Identität mit etwa übrig 
gebliebenen Zona-Resten er ausdrücklich negirt. Dass er end- 


1) Flemming, Literaturverz. No. 17. 

2) ibidem Nr. 13. 

3) ibidem Nr. 21 und 22. 

4) Nach Ansicht des Verfassers treten bei grösseren Follikeln in 
der Theca, welche durch eine homogene Membrana propria gegen die 
Granulosa abgesetzt ist, durch den Wachsthumsreiz Wanderzellen als 
sog. Granulationsschicht auf. } 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. 195 


lieh der Membrana propria einen durch Arg. nitr. nachweisbaren 
endothelialen Charakter zuspricht, bedarf ganz besonderer Be- 
tonung, weil Beulin!) in seiner drei Jahre später erschienenen 
Dissertation darauf die Vermuthung basirt, das an Stelle des 
Follikelinhalts befindliche Bindegewebe nehme statt von Wander- 
zellen, eben von jenen Endothelien seinen Ursprung. Ausser 
menschlichen Eierstöcken untersuchte B. noch diejenigen eines 
Schweines und eines Hundes. Die Glasmembranstreifen (s. oben) 
waren stets vorhanden, sollen jedoch durch Sklerosirung des 

perifollikulären Bindegewebes entstehen. Erst nach ihrem Schwund 
zeigen sich in dem schleimigen Narbengewebe Gefässe. Fett 
vermochte B. im Gegensatz zu Slavjansky innerhalb der Um- 
hüllung zu Grunde gehender Follikel nicht zu entdecken; doch, 
meint er, könnten ihm die ersten Anzeichen dieses Zerstörungs- 
moments entgangen sein. Die nur spärlichen Eier besassen dicke 
glänzende Zonae, dunkelkörnigen Dotter und undeutliche Keim- 
bläschen. 

Nach Wagner?) vermehren sich (in den Eierstöcken von 
Menschen, Hunden, Katzen und verschiedenen Nagern) zunächst 
die Granulosazellen, zerfallen dann in körniges Fett und ver- 
flüssigen sich zuletzt. Am längsten erhält sich der Diseus. Das 
Ei, in dem sich nicht selten späterhin kohlensaure Salze ablagern, 
wird gemeinhin durch Einwanderung von Nagelzefen im Sinne 
Pflüger's zerstört. Schliesslich weist der Follikel, dessen Wand 
sich inzwischen durch Wucherung der ihr eingelagerten Spindel- 
zellen verdickt hat, nur noch durch Härtung erstarrte Flüssig- 
keit, Epithelreste und amöboide Elemente auf. 

Beigel?), der wiederum nur menschliches Material ver- 
arbeitet hat, sieht drei verschiedene Vorgänge als maassgebend 
an. Bei dem ersten, in reifen Follikeln sich abspielenden, zer- 
fallen die durch den Liquor von der Wand abgelösten Epithelien 
nach vorheriger Aufblähung in eine körnige Masse (Fett). An 
ihrer Stelle liegt später ein feinfilziges Gewebe, welches aus 
Fortsätzen der inneren Follikelwand entsteht. Aussen verdichtet 


1) Das Corpus luteum und der obliterirte Follikel. Inaug.-Diss. 
Königsberg 1877. 

2) Flemming, (l. c.) Literaturverz. No. 23. 

3) Flemming, (l. e.) Literaturverz. No. 7. 


195 J. Schottlaender: 


sich das gefässreiche Stroma kapselartig. — Der zweite, vor- 
nehmlich bei nicht ganz reifen Follikeln wahrgenommene Vor- 
sang ist durch die geringe Ausdehnung der bindegewebigen Fol- 
likelumhüllung und dadurch ausgezeichnet, dass in den Follikel- 
raum eingewanderte weisse und auch rothe Blutkörperchen 
vorhanden sind. Bei dem dritten und letzten Vorgang endlich 
soll es sich um beginnende Cystenbildung handeln. 

van Beneden!), dessen Schilderung der Follikelatresie 
bei Fledermäusen viel Bemerkenswerthes bietet, fand fast aus- 
schliesslich die Follikel mittlerer Entwicklung betroffen. Was 
zunächst die Eier anbetrifft, so verwandelt sich der Dotter all- 
mählich in eine homogene Masse, welche Anfangs (meist nur in 
der Peripherie, bisweilen aber auch in der ganzen Ausdehnung) 
unregelmässige schwach tingirbare Gebilde ohne Zellencharakter 
enthält. Die Zona widersteht der Zerstörung am längsten. Ge- 
wöhnlich schon vor dem Untergang des Eies gehen die Epithelien 
zu Grunde und zwar nicht durch fettige Entartung, sondern, wie 
es scheint, durch direkte Atrophie. Die die Innenfläche der 
Theeca auskleidende Membrana basilaris (propria) wird von einer 
bindegewebigen, der Theca ohne Betheiligung der Granulosa 
entstammenden Wucherung durchbrochen, welche schliesslich den 
sanzen Follikelraum erfüllt. Das Bindegewebe war stets fibrillär, 
nie retikulirt. — Ob eine abnorme Vermehrung der Epithelien 
ihrem Untergang vorangeht, lässt v. B. unentschieden. Doch 
weist er darauf hin, dass auch der normal heranreifende Follikel 
ein gewisses Stadium der Epithelvermehrung durchmacht. 

Sehr eingehend hat sich weiterhin Sehulin?) mit unserem 
Thema beschäftigt. Auch nach seiner Ansicht?) fallen schon 
Primordialfollikel der Zerstörung anheim. Die Epithelien sollen 
nicht durch fettige Degeneration zerfallen, sondern sich zu Wan- 
derzellen umbilden, wie durch das Vorhandensein deutlicher Pseudo- 
podien nach Ansicht des Verfassers erwiesen wird. Gleichzeitig 
erfolgt eine Einwucherung hyalin umsäumter Gefässe in den Ei- 
diskus. Die Verkleinerung resp. Schrumpfung der Follikelhöhle 
wird durch das Eindringen fibrillären Bindegewebes mit stern- 


1) Flemming, Literaturverz. Nr. 6. 
2) ibidem Nr. 19. 
3) cf. pag. 19. 


Be 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 197 
= 


förmigen Zellen bewirkt!)., Das Bindegewebe soll zum Theil 
von dem Endothel der Membrana propria, zum Theil von der 
umgewandelten Granulosa stammen. Schliesslich ist der Follikel 
fast ganz von einer gefässlosen mit spärlichen Kernen versehenen 
Masse erfüllt. Seine Umhüllung ist beträchtlich verdiekt. — Bei 
den Eiern bildet sich zunächst zwischen Zona und Dotter ein von 
feinen Fäden durchzogener Zwischenraum. Das Keimbläschen 
schwindet früh; der Dotter ist nicht selten imäqual gefurcht und 
besitzt. lichtbrechende Körner. Später wird er durch die Pflü- 
serschen Nagelzellen zerstört, während die Zona noch lange 


_ erhalten bleibt. — Beim Sehafe wurden mehrere Male verkalkte 


Kugeln als Abkömmlinge von Eiern gefunden. 

Ausser Flemming (l. ce.) hat in der neueren und neuesten 
Zeit nur noch der Italiener Palladino die Follikelatresie ein- 
gehender studirt?). Ich habe weiter unten ausführlich auf die 
Mittheilungen der beiden genannten Autören einzugehen. Hier 
sei nur erwähnt, dass Palladino’s, aus dem Jahre 1887 stam- 
mende Arbeit?) fünf Typen des Untergangs aufstellt: einfache 
Atrophie, hyaline, fettige, körnige resp. chromatolytische Dege- 
neration, endlich die Bildung des sog. falschen gelben Körpers®). 

Die genauere Prüfung und Vergleichung der im Obigen 
enthaltenen Urtheile der Autoren über die Follikelatresie ergiebt, 
dass mit Ausnahme der ziemlich allgemein ceonstatirten Fettdege- 
neration, eine Uebereinstimmung eigentlich nur insofern existirt, als 


_ dasselbe Endergebniss, nämlich Deckung des in der Zerstörung des 


Eies und der Granulosa begründeten Substanzverlustes durch eine 
Bindegewebswucherung, sich fast durchweg wiederholt. Für eine 
Erklärung der vielfach bestehenden Differenzen kommen wohl 


1) Bleibt die Schrumpfung aus, so können Cysten entstehen. 

2) Von Waldeyer’s in seinem Werke (Flemming, Litteratur- 
verzeichniss Nr. 24) eingeflochtenen Bemerkungen glaubte ich absehen zu 
dürfen, da Flemming (l. c.) derselben ausführlicher gedenkt. 
v.Brunns’ Arbeit (ibid. Nr. 8) durfte nicht direkt herangezogen wer- 
den, da sie von dem Vogel-Eierstock handelt. 

3) Ulteriori ricerche sulla distruzione e rinnovamento continuo 
del parenchima ovarico nei mammiferi etc. Napoli 1887. 

4) Autor adoptirt den schon von deutscher Seite gemachten Vor- 
schlag, die Bezeichnung falscher gelber Körper auf ein anderes, als 
das gemeinhin so benannte Gebilde anzuwenden. 


198 J. Schottlaender: 
. 


nur folgende drei Möglichkeiten in Betracht. Entweder der be- 
sagte Vorgang ist in der That bei dem verschiedenen, zur Unter- 
suchung verwendeten Thiermaterial, event. sogar bei demselben 
Thier in verschiedenen Lebensphasen, ein verschiedener, oder der 
Vorgang ist überhaupt kein einheitlicher, setzt sich vielmehr aus 
verschiedenen, gleichzeitig verlaufenden Varianten, von denen 
bald die eine, bald die andere wahrgenommen und beschrieben 
worden ist, zusammen; oder endlich, es liegen zu öfteren Malen 
verschiedene, vornehmlich auch durch die Wahl der Reagentien 
beeinflusste Deutungen ein und desselben Vorgangs vor. Es 
dünkt mich kaum zweifelhaft, dass wir fast, wenn nicht ganz 
ausschliesslich mit den beiden letzteren Eventualitäten zu rechnen 
haben. Einerseits spricht für den Umstand, dass das nämliche 
Endresultat auf verschiedenen Wegen gleichzeitig erreicht wird, die 
Erfahrung einiger früherer, sowie die der neuesten Beobachter, u.a. 
meime eigene. Andererseits muss die oft ausserordentliche Schwie- 
rigkeit, welche sich der Deutung mancher Bilder bei Anwen- 
dung der gleichen, und noch mehr bei Anwendung verschiedener 
Methoden entgegenstellt, betont werden. Ein definitiver Abschluss 
wird erst von der Zukunft und mit Bezug auf das Letztgesagte 
erst dann zu erwarten sein, wenn eine noch genauere Abgrenzung 
der einzelnen Methoden bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit resp. 
Unzulänglichkeit möglich ‚ist )). | 

Mir war, wie Eingangs berichtet, eine bestimmte Aufgabe 
gestellt. Es kam mir vor Allem auf das Studium des chroma- 
tischen Epithelkernnetzes und seiner Veränderungen im Sinne 
Flemming’'s an, somis war mir zunächst die Anwendung einer 
bestimmten Methode, derjenigen Flemming’s (Härtung mittelst 
Chrom-Osmium - Essigsäure-Gemischs, nachfolgende Färbung mit 
Saffranin resp. Gentianaviolett) zur Pflicht gemacht. Da ich nun 
aber mit wenigen Ausnahmen ?) diese Methode ausschliesslich be- 


1) Den ausgedehntesten Gebrauch von den verschiedenen Här- 
tungs- und Färbungsmitteln scheint mir Palladino (l. ec.) gemacht zu 
haben. Es ist mir indessen nicht gelungen, abgesehen von der rüh- 
menden Erwähnung des einen oder anderen Mittels, Genaueres in 
dieser Richtung zu eruiren. 

2) Ein Hunde-Eierstock wurde mit Alkohol gehärtet (der andere 
kam in Gemisch); ein menschlicher Eierstock wurde mit Kal. bichrom. 
behandelt. 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. 199 


nutzt und ihre Grenzen, wie aus dem Folgenden zu ersehen sein 
wird, kennen gelernt habe, so darf ich eine Publikation meiner 
Befunde nur unter dem Vorbehalt der Unvollständigkeit wagen, 
in der Hoffnung, trotzdem auf der einmal betretenen Bahn einen 
kleinen Schritt vorwärts zu inauguriren. 

Als Material, bei dessen in bekannter Weise vorgenomme- 
ner Verarbeitung Herr Professor Flemming so liebenswürdig 
war mich zu unterstützen, dienten mir die Eierstöcke eines Meer- 
schweinchens, mehrerer weisser und grauer Mäuse und Ratten, 
eines Hundes, endlich ein menschlicher Eierstock, den ich der 
- Güte des Herrn Professor Flemming verdanke. Mit Ausnahme 
des zuletzt aufgeführten wurden sämmtliche Eierstöcke frisch ge- 
tödteten, zum Theil trächtigen Thieren entnommen. Im Allgemeinen 
habe ich nach Flemming ’s Vorgang Längsschnitte bevorzugt. 

Die Anzahl der Follikel, welche sich im Eierstocksgewebe 
vertheilt finden, ist entsprechend dem am raschesten und ener- 
gischsten verlaufenden Geschlechtsleben bei der Maus relativ und 
absolut am grössten. Dieses Thier ist wegen der Zierlichkeit 
und Prägnanz aller Verhältnisse für unsere Untersuchungen in 
vieler Hinsicht sehr geeignet. — Es folgen hierauf Ratte und Meer- 
schweinchen, welche gleichfalls noch grosse Mengen von Follikeln 
aufweisen. Bei Ersterer ist die Zahl etwas geringer, weil auch bei 
den nicht trächtigen Thieren zahlreiche gelbe Körper das Gewebe 
des Eierstocks durchsetzen, während bei dem trächtigen Meer- 
. schweinchen, dessen Uterus einen schon hoch entwickelten Foetus 
barg, der eine Eierstock gar keinen, der andere nur drei frische 
gelbe Körper enthielt. — Bei der Hündin, einem allerdings älte- 
ren Thiere, sinkt die Zahl der Follikel gleich relativ um ein Be- 
deutendes; beim Menschen endlich, einer älteren Jungfrau, wies 
der Eierstock nur spärliche Primordial- und ganz junge, sowie 
zwei oder drei etwas grössere Follikel auf‘). Mit Ausnahme von 
Mensch und Hund — auch hier sind die Primordialfollikel zahl- 


reicher — überwiegt bei sämmtlichen Thieren die Zahl der Fol- 
likel mittlerer Entwicklung weit diejenige der Primordial- und 
wirklich reifen Follikel. — Was nun noch das Verhältniss 


1) Leider ist es mir nicht gelungen, bei diesen Präparaten den 
technischen Anforderungen völlig zu genügen. Sie konnten deshalb 
nur sehr bedingt verwerthet werden (s. unten). 


» 


200 J. Schottlaender: 


zwischen nicht atretischen und atretischen Follikeln anbetrifft, 
so stellt sich dasselbe so ausgesprochen zu Ungunsten ersterer, 
(dass eigentlich nur die jüngsten Follikel in grösserer Zahl nicht 
atretisch, die mittelreifen Follikel schon eben so oft atretisch 
wie nicht atretisch, die nicht atretischen reifen Follikel endlich 
so selten angetroffen werden, dass ich bei der Hündin keinen 
einzigen, bei Meerschweinchen, Ratte und Maus nur einige wenige 
mit Sicherheit zu constatiren in der Lage war. Allerdings ist 
hierbei zu berücksichtigen, dass einmal die reifen Follikel über- 
haupt selten, weiter aber, dass absolut sichere Normen für die 
Reife eines Follikels bisher nicht gefunden worden sind, wohl 
auch nicht gefunden werden können; letzteres aus dem Grunde, 
weil bei den verschiedenen Thieren individuelle Schwankungen 
vorkommen und weil kein plötzlicher, sondern ein allmählicher 
Uebergang von der Nicht-Reife zur Reife stattfmdet. Palla- 
dino!) hat neuerdings gewisse besondere Merkmale?) als charak- 
teristisch für die eintretende Reife des Follikels hingestellt. 
Umsonst habe ich in meinen sämmtlichen Objekten nach den be- 
züglich der Theca angegebenen Veränderungen geforscht; da- 
gegen stimme ich, wie das Folgende lehren wird, Palladino in 
einigen anderen der in der Anmerkung aufgeführten Punkten bei. 
Viel scheint mir indessen damit nicht gewonnen, wir bleiben 
nach wie vor hauptsächlich auf die relative Grösse des Follikels, 
die Entwicklung des Liquorraumes, die Lage des Eies und die 
übrigen bekannten Hauptkriterien angewiesen. 

Es wurde weiter oben des numerischen Uebergewichts ge- 
dacht, welches die atretischen Eierstocksfollikel über die nicht 
atretischen besitzen. An dieser Stelle ist hinzuzufügen, warum 
sich darüber mit ziemlicher Bestimmtheit ein Urtheil abgeben 
lässt. Die Erscheinungen, die der reife Follikel dem Auge des 


1% 1..% 

2) In die Theca soll eine grosse Anzahl protoplasmareicher po- 
lvedrischer Zellen mit markirten Kernen einwandern, an der Oberfläche 
der Tunica propria (Theca int.) eine molekulare Schicht sich bilden, 
während sich bei den Epithelien ein gewisser Turgor bemerkbar macht, 
und zwischen ihnen eine fadenziehende klebrige Substanz, ferner gelb- 
liches Pigment entsteht, das den Liquor färbt und sich körnig darin 
und in den Epithelien selbst ansammelt. Ueber die Veränderungen 
des Eies und seines Inhalts später. 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 201 


Beobachters bietet, mussten wir, da sich in ihnen nur die höchste 
Steigerung und Vervollkommnung eines früher schon bestehen- 
den Zustandes ausprägt, als schwer zu normirende hinstellen. 
Anders ist es mit den Erscheinungen der Follikelatresie. Die 
letztere gesellt sich den bis dahin auf den Bestand des Follikels 
einwirkenden Faktoren als ein neuer, davon grundsätzlich 
verschiedener hinzu und ist daher als solche relativ frühzeitig 
‚kenntlich und in ihrem Wesen abgrenzbar. 

Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass bei der gegen- 
wärtigen Beschaffenheit unserer optischen Hülfsmittel sich die 
_ allerersten Anfänge der Atresie unserer Erkenntniss entziehen und 
dass erst die Häufung der durch sie bedingten Veränderungen 
uns bemerklich wird. Es ist daran festzuhalten, dass auch hier 
kein unvermittelter, sondern ein allmählicher Uebergang des einen 
in den anderen Zustand stattfmdet. Neben der soeben urgirten 
thatsächliehen Verschiedenheit, welehe zwischen dem atretischen 
und dem nicht atretischen Follikel existirt, besitzen beide einen 
gewissen zeitlichen Zusammenhang und insofern eine Gemein- 
schaft, als sich in beiden durchaus nur eine physiologische 
Phase dokumentirt. Die Atresie ist keine Erkrankungsform, 
kein pathologischer Befund und darum auch nicht als solcher zu 
bezeichnen (ebenso wie der Ausdruck normal im Sinne von 
„nicht atretisch* nur der Kürze halber zulässig ist), wir haben 
vielmehr darin gerade wie in der Bildung der gelben Körper 
ein Glied jener Kette von typischen Processen zu sehen, welche, 
sich stetig wiederholend, den heranreifenden oder gereiften Fol- 
likel wieder vergehen lassen. 

Die Kenntniss, welche wir von dem Bau des nicht atre- 
tischen Follikels besitzen, ist dank den treffliehen Arbeiten 
Waldeyer’s und anderer Forscher so weit gefördert, dass hier 
nur wenige Punkte noch einer kurzen Besprechung bedürfen. 
Die Theca, deren zwei Schichten sich bekanntlich erst allmählich 
sondern, besitzt nach meinen Beobachtungen nicht, wie vielfach 
angenommen wird, ihre grösste Breiten-Ausdehnung zur Zeit der 
Reife des Follikels,. sondern erreicht dieselbe schon früher. Bei 
den mittelgrossen, nicht bei den grössten Follikeln, finden wir 
in der Theca interna die reichlichste Anhäufung von Zellen und 
Gefässen. Mit zunehmendem Alter des Follikels, vielleicht be- 
schleunigt durch den Gegendruck des inzwischen reichlicher an- 


202 J. Schottlaender: 


gesammelten Liquors, nimmt der Zellenreichthum auf Kosten von 
Intereellularsubstanz entschieden ab; das Gewebe der Theca ver- 
liert an Masse, gewinnt aber dafür an Festigkeit und Wider- 
standsfähigkeit, Momente, welche für die späteren Schicksale des 
Follikels gewiss nicht ohne Bedeutung sind. Die erwähnten 
Zellen der Theca, deren eckige oder runde Kerne meist schwächer 
gefärbt und grösser erscheinen als die Epithelkerne, besitzen nur 
wenig Protoplasma. Schon aus diesem Grunde), dann weil sie bei 
mittelgrossen Follikeln zahlreicher sind als bei den grössten, endlich 
weil sie wohl in der Hauptsache Abkömnlinge der präexistenten 
Bindegewebskörper sind ?), dürfen sie nicht mit den von Palla- 
dino beschriebenen, die Reife des Follikels anzeigenden identi- 
fieirt werden. Ausser den genannten Bestandtheilen soll nach 
Slavjansky°), Benckiser®) u. A. auch die Theca nicht atretischer 
Follikel Fett enthalten. Ich muss im Uebereinstimmung mit den 
Ausführungen van Beneden’s?’) betonen, dass Fett (oder fett- 
artige Körper s. u.) nur in der Theca solcher Follikel vorhanden 
waren, welche die Merkmale beginnender oder schon fortgeschrit- 
tener Atresie an sich trugen. — Gegen die Granulosa hin er- 
schien die Theea stets durch die homogene Kölliker-Slav- 
jJansky’sche Membrana propria abgeschlossen. Das liess sich 
am deutlichsten da verfolgen, wo die Continuität der Theca 
unterbrochen war und dieselbe auf eine kurze Strecke isolirt 
über die ihr anhaftende Granulosa hervorragte. Das nach Slav- 
jansky und Beulin®) existirende eontinuirliche Endothel konnte 
bei der angewandten Methode nicht zur Anschauung gebracht 
werden, wie denn überhaupt zum Studium der Membrana propria 
nur frische Präparate sich eignen. Indessen nahm ich wiederholt 
bei starker Vergrösserung und scharfer Einstellung die schatten- 


1) ef. pag. 200, Anm. 2. 

2) Die gar nicht seltenen Mitosen erbringen hierfür wohl den 
Beweis; natürlich erscheint aber eine Betheiligung von Wanderzellen 
an ihrer Entstehung nicht ganz ausgeschlossen. 

A 

4) Zur Entwicklungsgeschichte des Corpus luteum. Arch. für 
Gyn. 23. Bd. 

Diidite: 

6) cf. pag. 19. 


Be 
er 


haft und undeutlich begrenzten Contouren von Spindelzellen wahr. 

Ob es sich hier um ein Analogon der Slavjansky schen Beob- 

achtungen oder etwa um Capillarendothelien !) gehandelt hat, muss 
‘ unentschieden bleiben. 

Bei der Granulosa interessirte es mich speciell im Hinblick 
auf eine kurze Mittheilung Lachi's?), welcher bei der Kuh unter 
Anwendung 30°/,igen Alkohols drei scharf unterschiedene, zum 
Theil mit Fortsätzen versehene Gattungen fand, die Zellen auf 
ihre äussere Gestaltung zu prüfen. Obwohl Flemming’s Methode 
bekanntlich viel weniger für Protoplasma- als für Kernunter- 

suchungen geeignet ist, gelang es doch unter Controle der von 
dem Hundeeierstock angefertigten Alkoholpräparate zweifellos 
festzustellen, dass für die oben genannten Thiere Lachi’s Befunde 
keine Geltung besitzen. Bei den Nagern sind die Epithelien, 
etwa dem Typus 2 und 3 der Lachi’schen Zellen entsprechend, 
rund oder mehr eckig, in den äusseren, der Theca genäherten 
Lagen nur um Weniges höher, als in den inneren; bei der Hün- 
din sind sie, genau wie sie auch Palladino abbildet, länglich, 
schmäler und bedeutend höher, auch bei Ansicht von der Fläche 
(Fig. 1). Sie erinnern an Zelltypus 1 bei Lachi. Die verschie- 
denen Typen habe ich bei einem Thiere nie vereinigt gefunden; 
ebensowenig waren Ausläufer von der Länge und Beschaffenheit 
der von Lachi beobachteten vorhanden. Dagegen bin ich ge- 
neigt, Palladino ?) beizustimmen, welcher den Epithelien kleine 
Ausläufer in Form eines zur Ernährung dienenden Interepithelial- 
netzes zuspricht. Eine genaue Besichtigung lehrt, dass die 
Spitzen, Zacken und Vorsprünge, in welche das Protoplasma aus- 
läuft, keineswegs nur zur Verbindung mit den Nachbarzellen die- 
nen; sie besitzen vielmehr eine gewisse Selbstständigkeit, welche 
darin zum Ausdruck gelangt, dass sie in deutlich sich abheben- 
den Knotenpunkten zwischen den Zellen zusammenstossen. Be- 
sonders klar ist das in Folge der Contrastwirkung an der Grenze 
des glänzenden Liquorgerinnsels ausgesprochen (vergl. Fig. 36—39 
T.IV bei Palladino, Fig. 10 bei mir), dem in der That bei reifen 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 203 


1) Vgl. Benckiser, |. c. 

2) De la membrane granuleuse ovarienne et de ses &l&ments. 
Arch. ital. de Biol. 1884, T. VI. 

3) l. <. 


204 J. Schottlaendei‘: 


Follikeln ein, zwischen den turgescenten Epithelien sich ansam- 
melndes, körnig gelbliches Pigment beigemischt zu sein scheint. 

Sobald sich in Folge der Auflösung von Epithelzellen 
Liquor anzusammeln begonnen hat, treten hier und da, besonders 
in grossen Follikeln, zwischen den Epithelien Hohlräume auf, 
welche durch ihre Configuration zu Täuschungen Veranlassung 
gegeben haben. Ihre körnige Beschaffenheit, ihre Form und 
Grösse erinnert, auch wenn der meist vorhandene Epithelkranz, 
welcher sie umgiebt, fehlt, in der That an junge Eier '), ganz 
besonders, wenn noch in der Mitte ein zelliges Gebilde gleich 
einer vesicula germ. liegt. Es ergiebt sich indessen sehr bald, 
dass der körnige Inhalt der Höhle seinem Aussehen nach viel 
mehr dem Liquorgerinnsel, als dem Dotter gleicht, ferner, dass 
das vermeintliche Keimbläschen nichts weiter als der zu- 
fällig noch erhaltene Kern einer Epithelzelle ist; endlich lösen 
benachbarte kernlose Hohlräume alle Zweifel. Flemming's 
mehrfach und zuerst geäusserte Ansicht ?), dass es sich hier um 
Umwandlungsprodukte einer oder mehrerer Epithelzellen im Sinne 
der Verflüssigung handelt, dürfte wohl kaum noch Widerspruch 
erfahren ?). 

Die Granulosa resp. ihr Diseus besitzt gegen das Ei keine 
scharfe lineare Grenze. Die Zona nämlich, welche sich vom Dot- 
ter glattrandig abhebt, ist aussen rauh und sieht nicht selten 
wie angenagt aus. Das gilt besonders von den Follikeln des 
Meerschweineierstocks, bei denen schon Reichert?) auf diese 
Erscheinung aufmerksam gemacht hat. Allerdings sehe ich die 
Epithelzellen meist nicht direkt, wie es Reichert beschreibt, 
den flachen Gruben der Zona aufsitzen, sondern letztere sind ge- 
meinhin ausgefüllt von eimer die Eiperipherie stellenweise oder 
ganz umgebenden, gekörnten und netzförmig angeordneten Masse, 
die wohl als Interepithelialnetz aufzufassen ist (Fig. 42 Taf. V b. 
Palladino). Das Bild ist so klar und wiederholt sich so regel- 
mässig, auch bei den dünnsten Schnitten, dass Ueberlagerung der 


1) Vgl. Call undExner. Flemming, Literaturverzeichniss Nr. 9. 

2) Archiv f. mikr. Anat. Bd.24, 1885, S. 378—383; ferner 1. c. 

3) Palladino (l. e.) tritt lediglich in Folge eines Missverständ- 
nisses Flemming entgegen. 

4) cf. Waldeyer (l. ce.) S. 40, Anm. 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. 205 


äusseren Zonagrenze, Täuschung durch Reagentienveränderung, 
dass endlich (die unveränderte Beschaffenheit der inneren Grenze 
vorausgesetzt) beginnende Degeneration mit ziemlicher Sicherheit 
ausgeschlossen werden kann. 

Die Radiärstreifung der Zona ist, wie bei Anwendung un- 
serer Methode schon a priori zu erwarten war, nur sehr selten an- 
deutungsweise zu erkennen. Ist sie vorhanden, so ist ihr im 
Vergleich zu der typischen Radiärstreifung eine gewisse Ver- 
waschenheit eigen, welch’ letztere mit Flemming auf die durch 
das Gemisch hervorgerufenen Veränderungen bezogen werden 
muss. 

Der Dotter zeigt bei meinen Objekten durchweg ein gleich- 
mässiges Aussehen!). Die Lagerung des Keimbläschens darin ist 
eine durchaus inconstante, bei jüngeren Eiern ebenso oft der Pe- 
ripherie genäherte wie bei älteren und umgekehrt. Das Chro- 
matinnetz des Bläschens ist bei Gemischhärtung meist vortrefflich 
und bis in alle Einzelheiten sichtbar; um so mehr musste es auf- 
fallen, dass ausser in atretischen Follikeln mitotische Vor- 
gänge darin mit Sieherheit nicht nachzuweisen waren. Der Keim- 
fleck, der in seinem Inneren gar nicht selten mehrere schwärz- 
liche Hohlringe (Luftblasen? Nucleoli ??) ?) birgt, tritt, wenn über- 
haupt, stets scharf und klar hervor; ein Unterschied zwischen 
unreifen und reifen Eiern war in dieser Hinsicht-nicht zu no- 
tiren. | 

Die letztbesprochenen Thatsachen bedurften insofern beson- 
derer Berücksichtigung, als Bischoff ausser aus der sog. Co- 
rona radiata auch aus der peripherischen Lage des Keimbläs- 
chens, Palladino’aus der Bildung von Richtungsfiguren, Keh- 
rer?) u.A. aus dem deutlicheren Hervortreten des Keimflecks 
einen Rückschluss auf die nunmehr nahende oder vollendete Reife 
des Eies machen zu dürfen glaubten. Mir scheint nach meinen 
Befunden, ausser der sog. Corona radiata, das einzig stichhaltige 
Kriterium für die Reife des Eies, ebenso wie mutatis mutandis 
beim Follikel, in den relativen und individuellen Grössenverhält- 


1) Ein äusserer Dotter war von einem inneren nicht zu diffe- 
renziren. 

2) Vgl. Waldeyer (l. ce.) S. 41, besonders die Anmerkung. 

3) Vgl. Benckiser (l. c.). 


206 J. Sehottlaender: 


nissen zu liegen. — Eine weitere Frage, die sich naturgemäss 
hier anknüpft, ist, ob Reifung des Eies und Follikels stets gleich- 
zeitig erfolgen oder nicht!)? Allem Anscheine nach ist gleich- 
zeitige Reifung die Regel, ungleichzeitige die, allerdings nicht 
sehr seltene, Ausnahme. Wenn nun aber auch das Ei vielleicht 
um ein Weniges früher?) (vgl. Fig. 5) als der Follikel reifen 
kann, so habe ich doch nirgends in meinen Präparaten Anhalts- 
punkte dafür gewinnen können, dass, wie Schulin?) will, sogar 
dem Neugeborenen reife Eier zukommen. Einmal finden sich 
thatsächlich niemals in so jungen Follikeln, wie sie einzig beim 
Neugeborenen vorhanden sind, gleich grosse Eier wie in den 
reifen Follikeln desselben Thieres®), weiter aber sind auch, wie 
mich dünkt, die zur Reifung nöthigen Bedingungen, d. h. die 
erforderliche Menge von Nährmaterial in dieser Zeit für das Ei 
noch gar nicht gegeben. Die umgebende ernährende Epithel- 
schicht ist klein, dünn und wenig entwickelt. 

Nicht ohne Absicht beginnen wir die Schilderung der 
Atresie mit den Veränderungen, welche das Ei in seiner soeben 
skizzirten Configuration erleidet. Diese Veränderungen sind so 
mannigfaltige und treten in einer solchen Fülle von Bildern in * 
die Erscheinung, dass erst ein genaueres Studium und eine fort- 
gesetzte Vergleichung den zuerst fehlenden Zusammenhang auf- 
deckt und, behufs übersichtlicher Beschreibung, ihre Einordnung 
in eine (vielleicht hier und da noch lückenhafte, aber doch im 
Ganzen continuirliche) Reihe ermöglicht. An das obere Ende der 
letzteren stellen wir die Eier, bei denen die Form wohlerhalten, 
die Zona nicht unterbrochen, bei denen in der Hauptsache die 
ehemalige Struktur des Dotters kenntlich ist. Dennoch haben 
diese Eier Modifikationen erlitten. An der Zona fällt auf, dass 
hier nicht nur, wie auch sonst wohl (ef. pag. 204) die äussere, son- 
dern auch die innere, nach dem Dotter hin gelegene Grenzlinie 
bisweilen unregelmässig contourirt und mit Unebenheiten aller ° 


1) An sich haben jedenfalls beide Zustände nichts mit einander 
gemein, und Schulin weist m. A. n. mit Recht auf die in der Lite- 
ratur mitunter vorgekommene Verwechslung hin. 

2) Bisweilen wohl auch später. 

=y 8 2 

4) Schulin führt selbst die individuelle Grösse des Eies als 
Merkmal für die Reife an. 


E i 
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be d 

“ 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 207 


Art versehen ist, welchen die äusserste Dotterschicht, ohne selbst 
speciell verändert zu sein, überall folgt. Des Weiteren ist die 
ungleichmässige Breitenausdehnung und im Allgemeinen grössere 
Dicke der Zona bemerkenswerth. Die hierbei wahrnehmbaren 
Schwankungen stehen öfters durchaus nicht im Verhältniss zu 
der Irregularität der Contouren; es muss also, ausser der meist 
totalen, häufig eine «davon unabhängige partielle Verdiekung ein- 
treten, welche aller Wahrschemlichkeit nach durch Aufnahme 
von Flüssigkeit oder homogener Substanz erfolgt, also in einer 
Quellung besteht. Von irgend welcher Gewebsdifferenzirung ist 
ausser selten angedeuteter Radiärstreifung in dem blass bis dunkel- 
rothen resp. blauen Zonaring nichts zu erkennen. Das beschrie- 
bene Bild fand sich zu wiederholten Malen bei allen Thieren, 
einerlei, welches Härtungsverfahren eingeschlagen worden war. 
Gleichwohl würde ich angesichts der bekannten Empfindlichkeit 
der Zona gegen Reagentien, besonders gegen das Flemming’sche Ge- 
misch '), nicht gewagt haben, (demselben. besondere Bedeutung 
beizulegen, wenn es nicht mitunter noch mit charakteristischen 
Dotterveränderungen combinirt gewesen wäre. Fig. 2 gibt letztere 
sowie diejenigen der Zona wieder. Für gewöhnlich bildet der 
Dotter ein Netzwerk von dunkelen schmalen Fäden, die in feinsten 
schwärzlichen Punkten auf hellem Grunde zusammenstossen; er 
erscheint weniger hell und dichter als das Liquorgerinnsel, und 
zumeist wird jede gröbere Anhäufung darin vermisst. Hier nun 
enthält er, einzeln oder gehäuft, braun- bis tiefschwarze Körner 
von wechselnder Grösse, welche auf Strecken hinaus seine gelbe 
Farbe verdecken und ihm ein gesprenkeltes Aussehen verleihen. 
Die Vertheilung der Körner ist eine völlig reguläre; Centrum 
und Peripherie sind ohne Unterschied betroffen (vergl. d. Fig.). 
Die Intensität der Schwärzung hängt selbstverständlich einmal 
von der Intensität des Processes selbst, dann aber auch von der 
Dicke des betreffenden Objektschnittes ab; bei einigen diekeren 
von der Hündin stammenden Präparaten zeigte sich der Dotter- 
raum von tief schwarzer körniger Masse fast vollkommen ausge- 
füllt (s. Fig. 3). Das Keimbläschen, wofern es überhaupt sichtbar 


‚ist, besitzt die ursprüngliche Gestalt. Bisweilen liegt es auf- 


1) Nach Flemming (l. e.) schrumpfen die Zonae aller Eier bei 
Anwendung des Gemisches. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 14 


308 J. Schottlaender: 


fallend weit peripherisch, ein Vorkommniss, dem indessen wohl 
nur in den extremsten Fällen ein Werth beizumessen ist (ef. 
pag. 205). Das für gewöhnlich den ganzen Bläschenraum erfüllende 
Chromatinnetz ist unter körniger Umwandlung häufig auf einen 
Theil des Raumes redueirt; mehrere Male fanden sich ausserdem, 
wenn auch nicht zahlreich, schwarze Körnchen im Bläschenraume 
verstreut. In dem lebhaft tingirten Keimfleck waren bei starker 
Vergrösserung die luftblasenähnlichen Hohlringe?) besonders deut- 
lich. Die ausser den so veränderten Eiern vorhandenen übrigen 
Bestandtheile des Follikels liessen auch nicht die geringste Ab- 
weichung von dem sonstigen, theilweise auch oben pag. 201 ff. erör- 
terten Bau erkennen. Vor Allem fehlte in dem Epithel jede 
Spur einer chromatolytischen oder fettigen Entartung. 

Ganz anders in den leider nur sehr spärlichen Follikeln, deren 
Eier das zweite Glied der. oben aufgestellten Reihe bildend, aus- 
geprägte Richtungsfiguren enthielten. Ich habe von solchen im 
Ganzen nur zwei gefunden; dass sie beide dem Mäuseeierstock 
(und zwar den Schnitten verschiedener Thiere) entstammen, liegt 
zum Theil vielleicht daran, dass gerade hier die relativ grösste 
Anzahl von Eiern und die dünnsten Schnitte zur Verfügung 
standen. Ich bilde die beiden betreffenden Follikel m Fig. 4 
und Fig. 5 ab. 

Das Ei des ersteren erweist sich von einer, in ihrem Be- 
stande, wie es scheint, schon hochgradig alterirten Zona umgeben. 
Muss man sich auch hier sowohl, wie bei dem Ei des zweiten 
Follikels (Fig. 5) die Möglichkeit artifieieller Veränderung gegen- 
wärtig halten, so ist doch im Zusammenhalt mit den Modifika- 
tionen des Dotters (s. u.) höchst auffällig, dass die nur theilweise 
sichtbare Zona bei starker Vergrösserung die erwähnten Unregel- 
mässigkeiten der Contouren erkennen lässt und dass sie nicht nur 
in der Quer-, sondern auch in der Längsrichtung unterbrochen ist. 
Anders als durch eine Längsspaltung wüsste ich es mir wenig- 
‘stens nicht zu erklären, dass der die Eihöhle nieht mehr aus- 
füllende Dotter eine Strecke weit von einem deutlichen äusseren 
Saum begrenzt ist. — Bei dem Ei des zweiten Follikels (Fig. 5) 
ist die Zona fast nirgends scharf erkennbar. Nur hier und da 
gewahrt man einen hellen, öfters mit dunkelrothen Elementen 


1) ef. pag. 205. 


| 


[7% 


5 


bekleideten resp. davon unterbrochenen Saum. Mag die im Uebri- 
gen schwache Färbung des Präparats, in dem die Zonae sämmt- 
lieh nicht sehr prägnant hervortreten, und seine geringe Dicke 
diese Undeutlichkeit begünstigen, so liegt der Hauptgrund dafür 
doch jedenfalls in einer anderen, später zu besprechenden Er- 
scheinung‘). Die Menge des unregelmässig vertheilten Dotters 
ist bei beiden Eiern gering. In Fig. 4 enthält er reichlich, in 
Fig. 5 spärlich die uns schon bekannten schwarzen Körnchen. 
An Stelle des Keimbläschens liegt, bei Fig. 5 auffallend weit 
peripherisch, die Richtungsfigur. Dieselbe hat in beiden Fällen 
annähernd den gleichen Bau (Fig. 4a u. 5a); nur ist sie einmal 
sestreckter. Die nach den Polen eonvergirenden achromatischen 
Fäden werden im Centrum von einer doppelten oder noch mehr- 
fachen Reihe chromatischer Körperchen durchsetzt, über deren 
genauere Beschaffenheit wegen ihrer Kleinheit auch die stärksten 
Linsen nieht hinreichenden Aufschluss zu geben vermögen. — 
Die die Eier umgebende Granulosa, in Fig. 4 ausserdem die Theca, 
zeigen in beiden Follikeln theilweise sehr hochgradige Verän- 
derungen, über die später der Bericht folgt. — Diese Verände- 
rungen fehlen auch nie in den weiteren Stadien, in denen wir 
das Ei jetzt zu verfolgen haben. Wie Fig. 6 lehrt, hat das Ei 
_ eine Gestalt angenommen, die sich jedenfalls nicht allein durch 
die Sehnittrichtung erklären lässt. Die Zona ist diek und ziemlich 
gleichmässig gequollen; es liegen ihr fast gar keine unveränder- 
ten, sondern nur chromatolytisch oder fettig entartete?) Epithel- 
kerne an. Innerhalb des Gewebes der Zona lässt sich mit Sicher- 
heit eine Epithelzelle nicht nachweisen. Der Dotter besteht aus 
einzelnen, unzusammenhängenden Schollen von verschiedener 
Grösse, zwischen denen die Lücken stellenweise beträchtlich sind 
und deren Substanz nur noch zum geringsten Theil der durch 
schwarze Körner getrübten Dottersubstanz entspricht. Meist erin- 
nert sie vielmehr in Farbe und Aussehen an die Zona, wie sie 
uns hier entgegentritt, jedoch mit dem Unterschiede, dass das 
Gewebe nicht homogen ist, sondern neben wenigen wohlerhaltenen 
- Epithelkernen zahlreiche rothe und schwärzliche Körner, offenbar 
die Ueberreste solcher enthält. Das chromatische Netz des noch 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 209 


x 1) cf. pag. 212. 
% 2) Siehe unten. 


210 J. Schottlaender: 


unzerstörten Keimbläschens ist kömig zerstreut und zersprengt. 
Von mitotischen Vorgängen ist nichts wahrzunehmen. — In 
Fig. 7 besitzt das Ei eine ausgesprochen spindelförmige Gestalt 
und füllt die Eihöhle des völlig verwandelten Follikels bei Weitem 
nicht mehr aus. Zona und Dotter bilden eine kaum mehr trenn- 
bare glasige Masse, in der man nur noch wenige Epithelkerne 
resp. deren Ueberreste findet. Die Zona erscheint, soweit sie 
isolirbar ist, noch stärker gequollen wie in Fig. 6. In etwas 
exeentrischer Stellung liegt das nur undeutlich begrenzte Keim- 
bläschen, dessen Inhalt ausschliesslich aus schwarzen Körnchen 
besteht. Bei dünnen Schnitten wird in dieser Phase des Unter 
gangs das Ei oft nur durch eine helle homogene Masse reprä- 
sentirt, in welcher die Epithelkerne oder die von ihnen herrüh- 
renden Lücken die einzige Unterbrechung verursachen. Fig. 8a 
und 8b und Fig. 9 veranschaulichen die letzten Glieder unserer 
Reihe. Fig. 8 gibt die vielfach gewundene Zona ohne jeglichen 
Inhalt wieder; ähnliche Bilder sind überaus häufig. In Fig. 9 
endlich ist die ursprüngliche Eihöhle ganz leer; auch die Zona 
ist geschwunden. 

Die Wandlungen, welche wir die einzelnen Eitheile erfahren 
sahen, haben mit den in der Litteratur niedergelegten, theils 
angeführten, theils noch anzuführenden Befunden mancherlei Be- 
rührungspunkte. Bei der Zona, die verschiedentlich als diek und 
glänzend beschrieben wird), schildert Palladino?) — es handelt 
sich um beginnende hyaline Degeneration der Eier?) — die näm- 
liche Quellung und Diekenzunahme, welche wir oben constatirten, 
eine Veränderung, „welche mit Verlust der regelmässigen Con- 
touren, die zerstückelt erscheinen“ endet. Fig. 3 Tafel I seines 
Werkes erinnert (abgesehen von der Atrophie des Epithels) aus- 
gesprochen an meine Fig. 2. Anfangs hatte ich mit wohl den 
meisten früheren Beobachtern *) diese Volumensmehrung der Zona 
sammt den damit verbundenen Unregelmässigkeiten ihrer Be- 
srenzung, auf eine durch Flüssigkeitsaufnahme erfolgte Quellung 


1) Vol, Beuun, 1. c. 

a Ba! ch 

3) ci. page. 97T. 

4) v. Beneden (l. e.) spricht zwar von hyaliner Verquellung;, 
führt aber nicht näher aus, was er darunter verstanden wissen will. 


. | 


bezogen. Die Mittheilungen Palladino's, welcher dieselbe als 
Resultat von Durchsetzung mit echter hyaliner, die Reekling- 
hausen’schen Reaktionen liefernden Substanz darstellt, hatten 
für mich ein um so grösseres Interesse, als auch seine Angaben 
über die späteren Schieksale des Dotters und des Kies in toto!) 
Manches mit den meinigen gemein haben. Darüber, dass die 
Zona, welche nach Verlust ihres Inhalts zusammenklappt?), von 
allen Theilen des Eies am widerstandsfähigsten ist, dass sie sich 
im Allgemeinen am längsten erhält?), kann ein Zweifel nicht mehr 
bestehen. Wie Schulin*) und die meisten Früheren hervor- 
gehoben, findet man die modifieirte Zona sogar noch zu einer 
Zeit, wo alle charakteristischen Bestandtheile des Follikels fehlen 
und statt ihrer einzig Narbengewebe vorhanden ist. 

Die ersten Anzeichen einer Alteration des Dotters bestehen 
in Erfüllung desselben mit den oben erwähnten schwarzen Kör- 
nern. Ihr Vorhandensein in den Eiern atretischer Follikel wird 
fast durchweg bestätigt und von den Meisten naturgemäss als 
durch eingetretene Fettanhäufung bedingt angesehen. Die Be- 
funde Flemming's, der in seiner Arbeit?) noch die Frage auf- 
wirft, ob man es nicht vielleicht statt mit wirklichem Fett, mit 
leeithinähnlichen oder anderen Substanzen zu thun hat, die gleich- 
falls durch die Gemisch-Osmiumsäure gebräunt werden, stimmen 
bis auf einen Punkt mit den meinigen völlig überein Auf 8.233 
heisst es bei Flemming: „vielleicht hat sie (die Fleckigkeit des 
Eies) mit dieser (der Richtungskörperbildung) gar nichts Näheres 
zu thun und mag vielmehr auf einen schon abnormen Zustand 
des Eies zu beziehen sein, welcher mit der beginnenden Entar- 
tung des Follikelepithels eintritt. Dies möchte ich auch deshalb 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 211 


1) S. unten. 

2) v. Brunn (Zur Kenntniss der physiol. Rückbildung der Eier- 
stockseier bei Säugethieren. Ort.d. Publ.?) führt das Zusammenklappen 
der Zona vornehmlich auf eine nachträgliche Verkürzung der gal- 
lertigen Ausläufer, welche die eingewanderten Epithelien besitzen, 
zurück. 

3) Ein einziges Mal fand ich ein Ei mit fleckigem Dotter, dem 
die Zona gänzlich fehlte. Ob es sich hier um ein nacktes Ei, um früh- 
zeitige Zerstörung der Zona oder um einen zufälligen artificiellen Be- 
fund gehandelt hat, wage ich nicht zu entscheiden. 

4) 1. c. 

5) l ce. 


212 J. Schottlaender: 


glauben, weil ich diesen Zustand noch niemals ausgesprochen an 
Eiern völlig normaler Follikel gesehen habe u. s. f.“ Meine 
bereits mitgetheilte Erfahrung (ef. pag. 208) steht damit insofern in 
Widerspruch, als die beginnende Epithelentartung vielfach bei 
meinen Objeeten fehlt. Da aber im Verein mit dem veränderten 
Habitus der Zona die betreffenden Eier sich als degenerirende 
erweisen, so treffen Flemming’s und meine Ansicht wiederum 
zusammen. 

An der weiteren Zerstörung des Eies betheiligen sich die 
Pflüger 'schen Nagelzellen?). Ihre Einwanderung durch die Zona 
muss im Allgemeinen schnell verlaufen: anders wüsste ich es 
wenigstens kaum zu. erklären, dass mir bei der Beobachtung 
einer relativ grossen Zahl von Eiern fast ausschliesslich die 
spätesten Stadien, d. h. solehe zu Gesicht gekommen sind, bei 
denen die Einwanderung schon vollzogen war. Nur selten war 
die Zona noch mit einer zusammenhängenden Schicht von Epithe- 
lien besetzt (cf. pag. 209). Gemeinhin fanden sich in der schon 
stark metamorphosirten und redueirten Dottermasse nur noch 
einzelne Elemente oder die Trümmer soleher (s. Fig. 6). Gerade 
aus diesen Bildern erhellt aber auf das Unzweideutigste, dass 
wirklich nur Epithel- und nieht auch Wanderzellen in den Dotter 
gelangen, wie verschiedentlich vermuthet worden ist; es lässt 
sich die Herkunft der Zellen aus den verschiedenen, successive 
zu verfolgenden Phasen des Untergangs, in dem sie sich befinden, 
sicher ableiten. Da um diese Zeit die ausserhalb des Eies liegen- 
den Granulosaepithelien bisweilen noch völlig unverändert erhalten 
sind, so lässt sich vielleicht mit einigem Recht annehmen, dass 
die vorher intakte Epithelzelle erst in Folge ihrer Berührung mit 
dem fettig entarteten Dotter zu Grunde geht; des Weiteren darf 
man daraus schliessen, dass die Einwanderung der Nagelzellen, 
wenn sie sich auch gewöhnlich gleichzeitig oder gar später voll- 
zieht, sich doch schon vor der Richtungsfigurenbildung im Keim- 


1) ef. pag. 194, ferner H. Vircho w’s Arbeit: Durchtreten der Gra- 
nulosazellen durch die Zona pellucida der Säugethiereier. Arch. f. 
mikr. Anat. 85, Bd. 24. — Nagel’s „Beitrag zur Anat. gesunder und 
kranker Ovarien (Gyn. Arch. Bd. 31, H. 3), sowie Petitpierre’s Publi- 
kation „Ueber das Eindringen von Granulosazellen durch die Zona 
pellueida von menschlichen Eiern u. s. f.“ (ibid. Bd. 35, H. 3) sind, wie 
ich hier bemerken will, leider erst zu spät zu meiner Kenntniss gelangt. 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 213 
” ” 


bläschen vollziehen kan n; Riehtungsfiguren wurden nämlich, 
wie wir schon sahen'), nur in Follikeln mit nicht mehr intaktem 
Epithel angetroffen. 

Ein anderer Modus der Zerstörung des Dotters resp. des 
ganzen Eies ist nach Palladino?) die hyaline Degeneration. 
Dieselbe soll in jedem Alter, jeder Entwicklungsphase, die foetale 
eingesehlossen, und bei allen Thieren vorkommen. Zunächst soll 
sich das Hyalin gleich dem Amyloid vornehmlich im Binde- 
gewebe und in den Gefässen ablagern; erst sekundär werden die 
drüsigen Elemente ergriffen. Das Ei, dessen einzelne Theile 
nach einander und in verschiedener Ausdehnung entarten, wird 
in eine hyaline Lamelle, deren Enden die mannigfaltigsten Um- 
biegungen zeigen, oder in eine hyaline Kugel umgewandelt; 
schliesslich liegt oft im Ovarialstroma an Stelle des Follikels nur 
ein hyaliner Klumpen, dessen Durchmesser bis 280 u betragen 
kann. — Ich muss bekennen, dass hinsichtlich der Zona?) wie 
des Dotters viele meiner Bilder durchaus den zahlreich von 
Palladino wiedergegebenen ähneln. Nicht nur das zu gewissen 
Zeiten auftretende, gleichmässig glasige Aussehen des Dotters®), 
sondern auch die lamellöse Anordnung, ja bisweilen die Umbie- 
gungen an den Enden waren deutlic. Da nun in Folge 
der gut übereinstimmenden, immer wiederkehrenden Befunde an 
Gemisch- und Alkoholpräparaten Reagentienveränderungen mit 
ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden können, so liegt, 
in Ermangelung positiver Beweise, wenigstens die Vermuthung 
nahe, dass es sich in meinen Objekten um in ähnlicher 
Weise degenerirte Eier handelt. Allen auch manche Be- 
denken lassen sich nicht unterdrücken. Vor Allem ist es auf- 
fallend, dass es mir nirgends gelungen ist, weder die Anfangs- 
noch die Endstadien der fraglichen hyalinen Degeneration zu ent- 
decken. Nirgends habe ich Anzeichen dafür wahrgenommen, 
dass Granulosa und Theca sich an dem Process betheiligen. Wenn 
wir nun mit dieser Thatsache zusammenhalten, dass nach der 
Ansicht mancher Pathologen 5) unter dem Recklinghausen’schen 


1) ef. pag. 209, ferner pag. 215 f. 

2a le. 

3) S. oben. 

4) cf. pag. 196. 

5) Cf. Ziegler, Lehrb. d. allgem. path. Anat. $. 76. 


214 J. Schottlaender: 


Hyalin eine Summe „von nicht ganz eleichwerthigen Substanzen“ 
zusammengefasst ist; wenn wir ferner berücksichtigen, dass die 
betreffende Modifikation der Eier nur als eine Vorstufe ihrer 
Auflösung dient und wohl nur ihre leichtere Resorptionsfähigkeit 
bezweckt, so erscheint die Ansammlung echten Hyalins, das ähn- 
lich dem Amyloid bekamntlich sehr widerstandsfähig ist, für 
unsere Objecete mindestens zweifelhaft. Wahrschemlicher ist wohl, 
dass eine auf das Ei beschränkte Coagulationsnekrose mit Aus- 
scheidung fibrinös-hyaliner Massen eintritt; dass das Bindegewebe 
der Theca überhaupt und gar zu Beginn davon befallen wird, 
erscheint um so weniger plausibel, als, wie wir sehen werden, 
vor Allem von der Theca aus ein Ersatz für das abgestorbene 
und entfernte Gewebe stattfindet. — Inäquale Furchung des 
Dotters!), Ablagerung von Kalksalzen?), sowie die van Beneden- 
schen Gebilde ohne Zellencharakter?) habe ich darin nie wahr- 
genommen. 

Der hyalinen Degeneration des Eies soll nach Palladino®) 
stets eine körnig-chromatolytische, im Keimbläschen sich abspie- 
lende, vorangehen. Palladino verlegt überhaupt den ganzen 
Schwerpunkt dieser weiteren Zerstörungsart in das Keimbläschen 
und erwähnt des Granulosaepithels nur ganz nebenher, ohne, 
wie ich sehe, Flemming an dieser Stelle überhaupt zu nennen. 
Das chromatische Keimbläschennetz soll bei beginnender Atresie 
in den verschiedensten Phasen der Mitose körnig zerfallen und 
dadurch atypische Kernfiguren bilden, während bei nicht atreti- 
schen Follikeln alle Phasen der typischen Mitose zu verfolgen 
seien?). Wie man sich erinnern wird, handelte es sich in meinen 
beiden Fällen um Richtungsfiguren in Follikeln mit chromatoly- 
tischem ®) Epithel, also genau um dieselben Verhältnisse, wie sie 
Flemming”) beim Kaninchen beobachtet hat, nur dass die Rich- 
tungsfiguren «dort häufiger waren und dass etliche Male das Fol- 


RE Paz. WIT. 

2) ibidem. — Vielleicht kommt die entkalkende Wirkung des 
Chrom-Osm.-Essigs.-Gemischs in Betracht. 

3) ef. pag. 1%. 

4) 1. c. 

5) S. die zahlreichen Abbildungen. 

6) In einem Fall ausserdem fettig entarteten. 

2.1.36. 


likelgewebe schon durch Narbengewebe ersetzt erschien. Es 
kann demnach ebensowenig bei meinen, wie bei Flemming 's 
Fällen zweifelhaft sein, dass die Richtungsfiguren sich in zu 
Grunde gehenden oder auch (bei Flemming) in zu Grunde 
gegangenen Follikeln finden. Während wir aber auf den 
Untergang des Epithels ete. später einzugehen haben, müssen 
wir hier unsere Meinung darüber abgeben, ob uns die gewöhn- 
liche „vielleieht durch die Epithelentartung bedingte“ Richtungs- 
körperbildung oder Richtungsfiguren vorliegen, die als ein Zeichen 
beginnenden Untergangs früher als sonst auftreten und das Ei 
als absterbendes charakterisiren. Flemming entscheidet sich 
in letzterem Sinne!); er begründet seine Entscheidung damit, 
dass die für das reife mtakte Ei charakteristische Corona radiata 
_ stets fehlte und dass nie, oder wenigstens nur bei ganz ge- 
schrumpften Folliken, ein schon abgetrennter Richtungskörper 
unter der Zona lag. Prüfen wir unsere Figuren auf diese Kriterien 
hin, so ergibt sich gleichfalls ein negativer Befund und zwar noch 
dazu aus leicht erklärlichen Gründen: Handelt es sich doch das 
eine Mal um einen unreifen (Fig. 5), das zweite Mal um einen 
halbreifen (Fig. 4) Follikel; und ist doch höchstens das Ei 
des ersteren seiner Grösse nach vielleicht als reif anzusehen. 
Daraus folgt aber, dass die Richtungsfiguren verfrüht aufge- 
treten sind und wenn wir nun noch die Dotter= und Zona- 
veränderungen beider Eier in Betracht ziehen, so darf mit 
grosser Wahrscheinlichkeit geschlossen werden, dass auch bei 
unseren Objekten ihre Bildung auf degenerative Vorgänge im 
Ei zurückzuführen ist. Es ist gewiss nicht zu erwarten, dass 
die betreffenden Figuren nothwendig immer atypische sein müssen, 
schon deshalb nicht, weil die bei der typischen Richtungskörper- 
bildung im Ei auftretenden Mitosen von den gemeinhin bekannten 
Mitosen in mancher Hinsicht abweichen?) und weil zwischen dem 
Gebiet typischer und atypischer Kerntheilung manche Uebergänge 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 215 


1) Bellonei (mem. dell’ acad. d. scienz. Bologna T. 6. 1885) 
fasst die Richtungsfiguren, welche er fast gleichzeitig mit Flemming 
"im Ei des Säugethier-Eierstocks beobachtet und beschrieben hat, als 
im Beginn ihrer Bildung stehende Richtungskörper auf; nach seiner 
Darstellung dürfte es sich aber doch vielleicht um Richtungsfiguren 
in atretischen Follikeln handeln. 

2) Flemming, Zellsubstanuz, Kern und Zelltheilung. 


—_ 


216 J. Schottlaender: 


\ 


bestehen). Gleichwohl würde es nicht ohne Werth sein, wenn 
in diesen Fällen häufiger hochgradig missgebildete Figuren sich 
nachweisen liessen; es würde unsere Anschauung, ohne durch 
den gegentheiligen Befund umgestossen zu werden, durch diesen 
Nachweis noch mehr gestützt sein. Leider muss der letztere bei 
unseren Figuren ihrer geringen Dimensionen wegen unterbleiben ; 
dureh Palladino ist er, wie es scheint, für die Spirem- und 
Asterphase (nicht jedoch für die Metakinese) erbracht. Ich muss 
mich auf Erwähnung seiner diesbezüglichen Ausführungen be- 
schränken, da ich mit Sicherheit Aehnliches im Ei nicht gesehen 
habe. Anders verhält es sich mit dem körnigen Zerfall des 
chromatischen Keimbläschennetzes olme Mitosen. Einige meiner 
Bilder (Figg. 2, 6, 12.) weisen entschieden darauf hin, dass ein 
solcher Zerfall, wie wir ihn im Chromatinnetz der Epithelkerne 
näher kennen lernen werden und von dem das dort?) Gesagte 
gilt, vorkommt. Ob es sich dabei um Zertrümmerung atypischer 
Mitosen handelt, ob eine Mitosenbildung vorher gar nicht statt- 
sefunden, war nicht zu entscheiden. — Das Keimbläschen als 
Ganzes schwindet meist erst spät?); es war in seinen Contouren 
noch in Eiern erhalten, deren Dotter kaum mehr als soleher 
kenntlich war. Gemeinhin scheint es erst zugleich mit der Haupt- 
menge des Dotters sammt seinem Keimfleck der Auflösung an- 
heimzufallen. | 

Noch. im Verlaufe seiner und des ganzen Eies Auflösung, 
meist kurz nachdem letztere begonnen, immer aber erst nach 
ihrem Beginn, setzen die Processe ein, welche das Granulosa- 
epithel unaufhaltsam zu Grunde richten. Unter diesen Processen 
ist an erster Stelle die Flemming’sche sog. Chromatolyse*) auf- 
zuführen, welche sich bei sämmtlichen von mir unter- 
suchten thierischen und auch bei dem menschlicheu 
Eierstocek in ausgedehntester Weise wiederfindet. Wir haben 

1) ef. Flemming und meine Arbeit „Ueber Kern und Zellthei- 
lungsvorgänge in dem Endothel der entzündeten Hornhaut“. Arch. ° 
für mikr. An. Bd. 36. 

2) cf. pag. 217 ff. 

3) ef. dagegen pag. 197. 

4) cf. pag. 195. Dass dieselbe schon vor Flemming gesehen 
worden ist, dafür sind sichere Beweise nicht zu erbringen. (Vgl. Flem- 
ming’s Arbeit S. 228 u. ff.) 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. 217 


darin nach Flemming einen Vorgang zu sehen, bei dem, wie 
der Name es kurz ausdrücken soll, „das veränderte eonsolidirte 
Chromatin der Kerne, naclidem der umgebende Zellkörper ver- 
quollen und zerfallen ist, selbst zunächst körnig zerfällt, sich im 
Liquor follieuli vertheilt und allmählich in ihm gelöst wird.“ Die 
allmähliche Deeomposition des chromatischen Kernnetzes verläuft 
in meinen ÖObjeeten, wie successive zu verfolgen ist, durchaus 
der Flemming’schen Beschreibung gemäss. Im Follikeln, deren 
Theca verändert sein kann, deren Eier stets verändert sind, 
wird (vergl. die Figg. 10, 11, 12, 15; ferner Figg. 4, 5, 6, 15b, 
16 und 17.) zunächst in dem einen oder anderen Epithelzellenkern 
das bekannte verzweigte Fadennetz unsichtbar und ersetzt durch 
ein oder mehrere Klümpchen stark gefärbter Substanz, die fast 
durchweg die Gestalt solider, selten hohler, kreisrunder Körner 
von wechselnder Grösse besitzt. Eigentliche Stäbehen und Halb- 
ringe, wie deren Palladino erwähnt, fanden sich in meinen 
Präparaten nirgends. Allmählieh mehrt sich die Zahl der Kör- 
ner, die verschiedenen kleineren beginnen mit einander zu einem 
srossen Korn zu verschmelzen, während die vorher scharfen Kern- 
eontouren verschwimmen; schliesslich wird die Stelle der ur- 
sprünglichen Epithelzelle nur noch durch ein solches Korn mar- 
kirt; denn nicht nur die übrige Kern- sondern auch die Zellsub- 
stanz sind inzwischen zu Grunde gegangen, letztere häufig schon 
zu Beginn der Chromatolyse, ohne dass immer der Modus ihrer 
Zerstörung eruirbar wäre!). Bei der Maus bilden sich, indem 
sich die Chromatinkörner einer ganzen Reihe von degenerirten 
Epithelkernen zusammenballen, auffallend grosse Chromatinklum- 
pen, die an einigen Stellen länglich gestaltet sind. Fig. 5 stellt 
solche in dem uns bereits bekannten Follikel des Mäuseeierstocks 
dar. Noch etwas Anderes erhellt aus der nämlichen Figur. 
Wenn Flemming beim Kaninchen die Chromatolyse nur in 
Follikeln mit vorhandenem, meist reichlichem Liquor, zu Gesicht 
bekam und als integrirendes Faktum des ganzen, danach be- 
nannten Processes, die Auflösung der Chromatinkörner im Liquor 
ansieht, mit dem sie vielleicht chemische Verbindungen eingehen, 


1) Gemeinhin wird sie nur, wie es Flemming gleichfalls be- 
schrieben, kleiner und blasser. Ueber weitere Veränderungen s. unten 
S. 222. 


218 J. Schottlaender: 


so trifft das für die von mir untersuchten Thiere nieht durchaus 
zu; aus der vorliegenden, aus Fig. 6 und zahlreichen anderen 
jildern geht unzweifelhaft hervor, ‘dass derselbe Process auch 
in unreifen Follikeln, ohne Liquor, vorkommen kam. Es ist, 
vorausgesetzt, dass das Ei im Schnitt fehlt, gewiss nicht immer 
leicht, bei mittelgross erscheinenden, völlig mit Epithel gefüllten 
und mit entwickelter Theca versehenen Follikelschnitten festzu- 
stellen, ob es sich wirklich um einen Follikel ohne Höhle oder 
um einen solehen handelt, dessen Höhle vom Sehnitte nicht mit- 
getroffen ist. Sobald aber das Ei vorhanden, sind die Zweifel 
gelöst und da mittelgrosse Follikel existiren, die Eier enthalten 
und deren Epithel chromatolytische Entartung zeigt, so ist die 
obige Behauptung erwiesen !). — Es möchte nun scheinen, dass 
auf Grund der gemachten Beobachtung auch der Name des Pro- 
cesses anders gewählt werden müsste. Da indessen, behufs leich- 
terer Abfuhr durch die Gefässe offenbar auch in Follikeln ohne 
Liquor eine Lösung des Kernchromatins stattfmdet, so darf der 
einmal gewählte Name mit gutem Recht beibehalten werden. — 
Bedeutend häufiger als in solehen ohne, ist, namentlich beim 
Meerschweinchen, die Chromatolyse in Follikeln mit Liquor zu beob- 
achten. In beiden Fällen beginnt sie entschieden dem Centrum 
senähert und schreitet, ohne sich indessen regelmässig auszu- 
breiten, nach den peripherischen Zellreihen fort. Bei grossen, 
liquorhaltigen Follikeln ist gerade das Stadium oft sichtbar, in 
welchem der erhaltenen Membrana propria nur noch eine oder 
einige Reihen unveränderter Epithelien anliegen, während die 
übrigen resp. deren Ueberbleibsel als feine dunkelrothe oder blaue 
Körner im Liquorgerinnsel vertheilt sind. Mit Flemming ist 
hier auf die entschieden auch noch anderweitig veränderte Be- 
schaffenheit des letzteren aufmerksam zu machen. Es ist dunkler 
als sonst, die Fäden seines Netzes erscheinen gröber und mar- 
kirter; es erhält höheren Glanz. 

Dass es sich bei der Chromatolyse um eine ganz typische 
Form des Untergangs von Epithelzellen in Graaf’schen Follikeln 
handelt, kann nach dem Gesagten wohl nicht mehr bezweifelt 


1) Beim Menschen waren überhaupt keine reifen Follikel mit 
Höhlung vorhanden; trotzdem liess sich Chromatolyse des Epithels 
constatiren. S. Fig. 11. 


& 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 219 


werden. Gegen die Annahme, dass hier Wanderzellen von aussen 
eingedrungen sind oder dass sich die Epithelien gar in solche 
verwandelt haben '), spricht deutlich und bestimmt, dass man die 
Decomposition des Kernehromatins fast Schritt für Schritt verfol- 
sen kann, dass die geschilderten Körner ganz vorwiegend kreis- 
rund erscheinen und anfangs noch von deutlichen Kerncontouren 
umgeben sind; dass sie später sich bisweilen zu ganz grossen 
Klumpen zusammenballen (s. ob. Fig. 5) oder frei einem etwa 
vorhandenen Liquorgerinnsel als feinste Bröckchen beigemischt 
sind. Des Weiteren ergibt sich, dass m der Theca eine stär- 
kere Anhäufung von Zellen, die etwa als Wanderzellen gedeutet 
werden könnten, nur dann existirt, wenn die Theca gleichzeitig 
mit dem chromatolytischen Vorgang im Epithel, jedenfalls aber 
ganz unabhängig davon, zu wuchern anfängt. Sehr häufig ist 
sie völlig unverändert; ja gerade die schönsten Bilder ausge- 
sprochener Chromatolyse wurden im Follikeln mit völlig intakter 
Theea angetroffen. — Den Einwand, dass wir es lediglich mit 
Reagentienveränderungen zu thun haben, hat schon Flemming?) 
beseitigt. Es sei hier nur noch hinzugefügt, dass auch in Al- 
koholpräparaten und bei Hämatoxylinfärbung die Chromatolyse 
deutlich erkannt werden kann. 

Eine der Zerstörung vorangehende und damit zusammen- 
hängende Vermehrung der Epithelien®) fehlte ebensowohl in 
Flemming’s, wie in meinen Objekten und zwar, wie gleich hier 
vorausgeschickt werden kann, nicht nur bei der Chromatolyse, 
sondern auch bei den übrigen Formen des Unterganges. Eine 
diehtere Lagerung der Epithelien war überhaupt nur selten 
und dann immer nur in mittelreifen Follikeln, deren Gra- 
nulosa häufiger intakt als im Beginn chromatolytischer oder an- 
derweitiger Degeneration erschien, deutlich zu constatiren. In 
reifen chromatolytischen Follikeln fehlte die Vermehrung nicht 
nur, sondern es war sogar meist eine Abnahme der sonst reich- 
licheren Mitosen vorhanden®). Somit darf entweder in der be- 
treffenden Ephithelvermehrung nur die dem heranreifenden Follikel 
stets eigenthümliche gesehen werden und es ist, wenn sich Ver- 


1) cf. pag. 196. 

2) 1. c. S. 25—26. 

3) cf. pag. 19. 

4) ef. Flemming |. c 


220 J. Schottlaender: 


mehrung und beginnende Zerstörung gleichzeitig finden, diese 
Thatsache nur so aufzufassen, dass die Zerstörung zufällig m dem 


heranreifenden Follikel Platz gegriffen hat; oder aber — und 
das scheint mir auch in Anbetracht der Seltenheit dieser Fälle 


das Wahrscheimlichere — es sind dem untergehenden Epithel 
Zellen anderer Herkunft und zwar Wanderzellen beigemischt, zu 
deren Eindringen die bei dieser Gelegenheit fast ausnahmslos 
zahlreich vorhandenen, wohl neugebildeten Gefässe vollauf Anlass 
geben. 

Als zweiter Modus der Zerstörung der Granulosa kommt 
in Betracht die Ablagerung von Fett oder fettähnlicher Substanz !) 
innerhalb ihres Gebietes. Im Hinblick auf die hierin durchaus 
übereinstimmenden Berichte fast aller früheren Beobachter?) ist 
elie Bildung wirklichen Fettes mit grosser Wahrscheinlichkeit 
anzunehmen; es erfahren also unter dieser Voraussetzung die 
Epithelzellen eine fettige Degeneration. Flemming sagt ın 
seiner Arbeit?) darüber Folgendes: .... „es tritt gleichzeitig 
(sc. mit der Chromatolyse) und schon vorher eine Durchsetzung 
der Zellsubstanz mit feinen Fetttröpfehen ein, oder doch mit Tröpf- 
chen, welehe bei stärkerer Emwirkung von Osmiumsäure ähnlich 
wie Fett gedunkelt werden. Diese Körmehen oder Tröpfehen 
erkennt man jedoch nicht an den Präparaten, welche nach mei- 
nem Verfahren mit Osmiumgemischen, Saffranin- oder Gentiana- 
färbung und Aufhellung hergestellt sind; denn in dem Gemisch, 
in Verbindung mit Chrom- und Essigsäure, wirkt die Osmiumsäure 
auf die kleinen Körnehen nicht hinreiehend dunkelnd ein und 
(durch die Aufhellung werden diese dann so gut wie unsichtbar. 
Um sie deutlich zu sehen thut man gut, reine Osmiumpräparate 
zu benutzen, die durch Stehen am Licht in Alkohol gut nachge- 
(dunkelt sind“ u. s. f. Ich kann mit dem Gesagten in zweierlei 
Hinsicht nicht ganz übereinstimmen. Obschon unbedingt zugegeben 
werden muss, dass das Fett in reinen Osmiumpräparaten viel 
schärfer hervortritt und dass die letzteren den Gemischpräparaten 
in dieser Hinsicht vorzuziehen sind, so erweisen doch, wie mich 


1) ch. pa2.. 21% 
2) Vgl. die oben angeführte Literatur. 
3) l. c. 8. 228. 


u ”) 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. Ep 


dünkt, die braunen oder schwarzen, pigmentähnlichen !) Körner, 
welehe bei Gemisehpräparaten innerhalb und zwischen den Epithel- 
zellen liegen (Fig. 13 u. a.), zunächst zweifellos, dass auch die 
im Gemisch vorhandene Osmiumsäure genügt, um das Fett, we- 
nigstens in den allermeisten Fällen, wo es vorhanden, zu schwärzen 
und dem Auge sichtbar zu machen. Wenn dem aber so ist, so 
lassen des Weiteren diejenigen chromatolytischen Follikel, bei 
denen jede Ansammlung von gebräunten Körnchen vermisst wird 
— solcher sind wiederum in meinen Objekten eine grosse Anzahl 
vorhanden — nur eine bestimmte Deutung zu. Es kann sich 
trotz des sicher vielfach ungleichmässigen Eindringens der Gemisch- 
Osmiumsäure kaum darum handeln, dass das Fett hier überall als 
solches nicht erkennbar ist; es muss vielmehr wenigstens in den 
meisten Fällen wirklich fehlen?). Das heisst mit anderen Worten: 
Die Chromatolyse des Follikelepithels kommt zwar sehr häufig com- 
binirt mit fettiger Degeneration, durchaus nicht selten aber auch 
allein, ohne dieselbe, vor, ebenso wie umgekehrt die fettige De- 
generation als gesonderter Vorgang, unabhängig von der Chroma- 
tolyse, zu beobachten ist. Bei gemeinschaftlichem Auftreten haben 
wir uns die Sache vielleicht so zu denken, dass die primär chro- 
matolytisch entarteten Epithelzellen sekundär fettig zerfallen. Im 


1) Wegen ihres Aussehens an wirkliches Pigment zu denken, 
dazu dürfte keine Veranlassung vorliegen. 

2) Zwei kleine Veröffentlichungen Flemming's: „Ueber die Lös- 
lichkeit osmirten Fettes und Myelins in Terpentinöl“ und „Weiteres 
über die Entfärbung osmirten Fettes in Terpentin und anderen Sub- 
stanzen (Zeitschr. f. wissensch. Mikr. und für mikr. Technik Bd. 6, 1889, 
pag. 39—40 und pag. 178—181) sind mir noch nachträglich durch die 
Güte des Verfassers zugegangen. In Anbetracht des in den beiden 
Arbeiten geführten Nachweises, dass Terpentinöl oder terpentinhaltiger 
Canadabalsaım osmirtes Fett löst, darf ich nieht unterlassen zu er- 
wähnen, dass meine Präparate ausnahmslos mittelst Nelkenöles aufge- 
hellt, und wenn ich mich recht erinnere, in Xylol-Canadabalsam ein- 
gebettet worden sind. Nelkenöl aber und Xylol, letzteres allerdings 
nur mit Einschränkung, d. h. nur unter dem Deckgläschen, sollen 
nach Flemming osmirtes Fett nicht lösen. Sollte ich mich bezüglich 
des Balsams täuschen und derselbe mit Terpentin bereitet gewesen 
sein, so ist damit gleichwohl kaum eine genügende Erklärung für 
die enorme Verschiedenheit der Bilder gegeben. Das Entscheidende 
dürfte nach wie vor der thatgächlich verschiedene Fettgehalt der Ob- 
jekte bleiben. 


292 J. Sehottlaender: 


Uebrigen scheint bedingungsweise eme Gesetzmässigkeit nur 
darin zu bestehen, dass in grösseren Follikeln die Chromatolyse, in 
kleineren die Fettdegeneration (combinirt oder jede für sich) vor- 
waltet. Ganz ausnahmsweise habe ich auch in Primordialfollikeln, 
hier allerdings nur reine Fettdegeneration des Epithels wahrge- 
nommen). — Die feineren oder gröberen Fettkörner — selten 
waren es Tröpfehen — liegen, wie gesagt, ausser- oder innerhalb 
dder Zellen. (S. Figg. 15, 16, 4.) Im letzteren Fall ist, einerlei 
ob das Kerncehromatin in Auflösung begriffen oder nicht, die ur- 
sprüngliche Form der Zelle zerstört; sie ist bläschenförmig aufge- 
trieben und nach einiger Zeit nicht mehr abgrenzbar. Oft ist 
sie ganz compakt mit Fett erfüllt; die einzelnen Körner bilden 
auch hier dann durch Zusammenballen grössere Klumpen. Kıy- 
stallinische Fettsäure-Anhäufungen und eine den ganzen Eierstock 
ergreifende Fettdegeneration, wovon Palladino?) berichtet, habe 
ich nie wahrgenommen. 

Das Epithel, besonders dasjenige junger Follikel, scheint 
bisweilen ausser in der geschilderten, noch in anderer Weise zu 
Grunde zu gehen. In Fig. 14 — einem jedenfalls nicht melhır 
intakten Follikel — sehen wir, umgeben von einer fibrillären 
Bindegewebshülle, eine grosse Zahl, stellenweise undicht liegen- 
der Zellkerne mit blass und diffus gefärbtem, undeutlichem Chro- 
matinnetz vor uns. Diese Zellkerne sind von einem unvollkommen 
schliessenden Netze dunkler Sprossen, welche mit einem benach- 
barten Gefäss in Verbindung stehen, umgeben. Wenn aus dieser 
Thatsache, wie wir noch sehen werden, unzweifelhaft hervorgeht, 
dass die Theca in einem Zustande der Wucherung begriffen ist, 
wie denn überhanpt dem Kerneomplex Bindegewebskerne beige- 
mischt zu sein scheinen (in der Figur weggelassen), so stellen 
die übrigen Kerne ebenso unzweifelhaft verkleinerte und verän- 
derte Epithelkerne dar. In den Figg. 18 und 19 zeigt sich, wie 
ich glaube, ein früheres Stadium derselben Veränderung bei einem 
anderen Follikel. Die Epithelkerne sind zwar nicht oder kaum 
verkleinert, aber sie sind blasser wie sonst. Die dunkelen Sprossen 
sind ebenfalls vorhanden, nur ist der Zusammenhang mit einem 
Gefäss der Peripherie hier nieht nachweisbar. In allen diesen 


1) cf. pag. 196. 
I 


DO 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 25 
Fällen fehlt jede Spur von Chromatolyse oder Fettdegeneration. 
Man wird mir bezüglich letzterer einwenden wollen, dass viel- 
leicht gerade hier de facto vorhandenes Fett durch unzulängliche 
Einwirkung der Gemischosmiumsäure nicht sichtbar geworden, 
und anfangs glaubte ich mich auch in diesem Sinne entscheiden 
zu müssen. Nachdem ich jedoch anderorten in denselben Objek- 
ten sehr reichliche Fettansammlung und zahlreichere ähnliche 
Bilder entdeckt, bin ich zu einer anderen Ueberzeugung gelangt, 
zumal da auch die ganze Configuration der Zellen positiv zu 
‚einer anderen Deutung drängt. Man könnte an zweierlei den- 
ken: Erstens an eine hyaline Degeneration!), zweitens an eine 
dureh die gewucherte Theca bedingte einfache Druckatrophie 
des Epithels, das nach Palladino (der das Resultat dieses Vor- 
sangs als falschen gelben Körper?) bezeichnet), dann in situ und 
ohne seinen Zusammenhang zu verlieren, schwindet. Während 
gegen eine hyaline Degeneration die oben angeführten theoreti- 
schen Gründe und der Umstand sprechen, dass niemals fortge- 
schrittenere Stadien, also etwa Schollenbildung oder dergl.?) zu 
verfolgen war, so braucht eine Analogie unserer Befunde mit 
Palladinos sog. falschen gelben Körper wohl nicht ganz von 
der Hand gewiesen zu werden, obwohl letzterer nach Palladino’s 
Angaben nur aus reifen oder nahezu reifen Folliken entstehen 
soll. Es ist sehr wohl möglich, dass uns in unseren Bildern 
(Figg. 14, 18, 19.) eine Art des durch Druck verursachten Ge- 
webstodes vorliegt. Ka 

Wie dem nun auch sein mag, durch die soeben vermuthungs- 
weise bezeichnete, durch die beiden anderen sicher beobachteten 
Formen der Epithelzerstörung, welche ebenso wie die beim Ei 
geschilderten Processe damit endigen, ein durch die Gefässe 
leicht zu resorbirendes Material zu schaffen, wird der Anstoss zu. 
den inzwischen eingetretenen Veränderungen der Theca gegeben: 
es hat für das verlorene Gewebe der Ersatz begonnen, der nun 
seinerseits mit der Narbenbildung abschliesst. 

Die Wandlungen, welche die Theca im Verlaufe der Fol- 
likelatresie erfährt, sind sehr verschiedene, z. Th. ausserordent- 


1) ef. pag. 213 £. 
2) cf. pag. 197. 
3) ef. pag. 213. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 15 


294 J. Schottlaender: 


lieh schwierig zu erklärende. Gerade in dieser Beziehung herr- 
schen noch die grössten Differenzen unter den Autoren, obschon 
darin wenigstens jetzt Einigkeit erzielt zu sein scheint, dass die 
durch den Untergang von Ei und Epithel entstandene Lücke 
durch Inanspruchnahme der Theca gedeckt wird. Während aber 
die Einen!) diese Deckung mittelbar auf Endothelvermehrung der 
Membrana propria, Andere?) mittelbar auf Anhäufung und Ver- 
mehrung von Wanderzellen, resp. Umbildung in solche?) zurück- 
führen, rekuriren wieder Andere?) vornehmlich auf die präexi- 
stenten Bindegewebskörper der Theca und nehmen an, dass durch 
deren Vermehrung die geschaffene Höhle ausgefüllt wird. Wir 
wollen an der Hand unserer Präparate das Mitgetheilte einer 
Prüfung unterziehen. 

Sehr häufig ist zunächst bei Follikeln der verschiedensten 
Grösse vom reifen oder nahezu reifen bis zum kleinsten hinab 
(mit Ausnahme des Primordialtollikels) folgendes Bild: Granulosa 
und Ei sind fast immer, gewöhnlieh schon hochgradig verändert 
oder gar theilweise oder ganz geschwunden. Die Theca externa 
ist, als die bekannte dünne, fibrilläre Bindegewebsschicht in ihrer 
ursprünglichen Beschaffenheit erhalten; nicht so die Theca interna.” 
Anfangs fällt darin neben anderen Erscheinungen?) nur ein grös- 
serer Zellreichthum auf; die innere, durch die Membrana propria 
gegebene Begrenzung ist noch regulär und scharf. Bald jedoch 
hört die scharfe Begrenzung auf: Die Membrana propria wird 
an einzelnen Stellen oder an der gesammten Cireumferenz un- 
sichtbar; eine Gewebsneubildung greift entweder insulär oder 
concentrisch in die Follikelhöhle resp. den Epithelialraum ein; 
letzterer wird eingeengt. In der Intensität. dieser Einengung 
sind alle Abstufungen vertreten: bald rückt das neue Gewebe nur 
in der Dieke einer Zellenschieht an einzelnen Punkten oder auf 
der ganzen Linie gegen das Centrum vor; bald zieht ein breiter 
brückenartiger Strang, dessen verschiedene Ausdehnung an auf 


= 


1) Beulimell. €.; Schulrn, L’e, 
2) Slavjansky, l. c.; Beigel, 1. «.; Pallaginess re 
3,’ Schaan, 1 & | 
4) Wagner, l.c.; v. Beneden, | e. u. A.: andeutungsweis® 
Flemminel® 
5) S. unten S. 225 ff. 


% 


Pe a £ s 
- ” 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. 225 


einanderfolgenden Schnitten trefflich zu verfolgen ist, quer durch 
die ganze Höhle und scheidet dieselbe, am gegenüberliegenden 
Ende angelangt, in 2 Hälften (s. Fig. 16). — Aus welchen Be- 
standtheilen setzt sich das neugebildete Gewebe zusammen ? So 
lange es durch die Membrana propria noch in feste Grenzen ge- 
 bannt ist, bietet die Beantwortung der Frage keine Schwierigkeit: 
ie neu hinzugekommenen Thecazellen verhalten sich, mit Aus- 
nahme ihrer dichteren Lage und noch grösseren Armuth an Inter- 
eellularsubstanz, genau wie die ursprüsglichen!); sie scheinen 
aus diesen, wie die grössere Zahl von Mitosen und das Auftreten 
Junger Zellen erweist, entstanden. — Wir können aber noch weiter 
gehen. Auch da, wo unter Aufhören der festen Begrenzung die 
Wucherung beginnt sich in den Epithelraum (resp. die Höhle) ein- 
zusenken (Figg. 15, 15a.), ist der gleiche Ursprung ihrer Zellen 
aus denselben Gründen mit grosser Sicherheit anzunehmen. Viel 
schwieriger wird es den letzteren zu analysiren, sobald das neue 
Gewebe, weit gegen oder über die Mitte des Follikels hinaus vor- 
rückend, mit den zerfallenden, aber noch nicht geschwundenen 
Elementen der Granulosa in Berührung kommt und von diesen 
durchsetzt ist. Bei der oben erwähnten Fig. 16 z. B. ergibt sich 
erst nach genauerer Betrachtung und nach Ausschaltung der chro- 
matolytisch und fettig zerfallenen Epithelkerne, dass der brücken- 
artige Strang, welcher die Membrana propria an einer Stelle durch- 
brochen, gleichfalls einer Wucherung der bindegewebigen Theca 
interna entstammt. Allerdings fällt hier Eines gewaltig auf: der 
grosse Fibrillenreichthum und das entsprechende Zurücktreten 
der Zellen. In dieser Hinsicht besteht unzweifelhaft ein ganz 
bedeutender Unterschied zwischen kleineren und grossen Follikeln. 
Was für die Theca nicht atretischer Follikel galt?), darf auch 
auf die Thecawucherung atretischer Follikel angewendet werden: 
bei jüngeren ist sie zellenreich, bei älteren zellenarm. Es ergeben 
sich daraus verschiedene, später verwerthbare Schlüsse. 

Bisher haben wir zwei Erscheinungen, welche in dem neu- 
gebildeten Gewebe, so lange es zellenreich ist, eine ganz bedeu- 
tende Rolle spielen, unberücksichtigt gelassen, nämlich die Neu- 
bildung resp. Einwucherung von Gefässen ?) und die Ansamm- 


1) ef. pag. 202. 
2) cf. pag. 201. 
3) ef. pag. 196. 


226 J. Schottlaender: 


lung von fettiger Substanz. Lässt sich schon innerhalb der noch 
starr begrenzten Theca, sobald ihr Zellengehalt grösser geworden, 
eine deutliche Zunahme der Gefässmenge constatiren, so ist 
weiter auch innerhalb des irregulär in die Höhle vordringenden 
Gewebes das Vorhandensein von Gefässen verschieden klar, nicht 
selten aber so klar ersichtlich, dass ein Zweifel an der That- 
sache ihrer Einwucherung nieht mehr bestehen kann. Zwischen 
den Zellen liegen sehr zahlreich zerstreut (Figg. 14, 15a, 17.) dop- 
pelt eontourirte, ab und’ zu gabelig getheilte Gebilde von verschie- 
dener Länge, die wie Perlen- oder Korallenschnüre glänzen und 
deren capillarer Charakter durch ihren oft, aber nicht immer er- 
kennbaren Inhalt — erhaltene und veränderte rothe Blutkörperchen 
— hinreichend erwiesen wird !). Bei günstiger Schnittführung lässt 
sich durch den Zusammenhang der Capillaren mit einem peri- 
pherischen Gefäss (Fig. 14) direkt erweisen, was schon a priori 
wahrscheinlich war, dass in den Gefässen der Peripherie die Ma- 
trix der neuen Capillaren zu suchen ist. — Für gewöhnlich tritt 
naturgemäss die Anhäufung von Bindegewebszellen gegenüber 
derjenigen von Capillaren in den Vordergrund, mitunter jedoch, 
wie in eben der Fig. 14, ist das Verhältniss auch umgekehrt; ja 
manche Anzeichen deuten darauf hin, dass die Gefässe im All- 
gemeinen früher in den Epithelialraum eindringen, als die Haupt- 
masse des Bindegewebes. Bei einigen. Thieren mit überhaupt 
sehr gefässreichen Follikeln (Ratte, Maus) liegen die feinen, läng- 
lichen, gleichmässig oder spitz endigenden Capillarsprossen ohne 
‚jede wahrnehmbare Betheiligung von Bindegewebszellen zwischen 
dem nur abgeblassten (atrophirenden?) (Fig. 18, 19.) oder gar un- 
veränderten Epithel. Da sie kurz, lebhaft tingirt, meist homo- 
genen Inhalts sind und dadurch quergetroffenen Epithelien ausser- 
ordentlich ähneln, so war es anfangs nicht leicht, über ihre Ge- 
fässnatur ins Klare zu kommen. Ihre Vergleichung mit den in 


benachbarten gelben Körpern befindlichen Gefässen, sowie häufige 
Vorbuehtungen der in diesen Fällen äusserst gefässreichen Theca 


in den Epithelialraum, liessen mich zwar das Richtige vermuthen; 
(Gewissheit wurde mir indessen erst, als ich nach langem Suchen 


bei hellster Beleuchtung Blutkörperchen, resp. deren Derivate in } 


1) Ein umgebender hyaliner Saum (ef. Schulin |. e.) war nicht 


sicher nachweisbar. 


le u re re rn in ah en — De, 


DELETE u 


a 


den Sprossen entdeckte. Einige Male glaube ich ferner auch 
hier eine Verbindung der letzteren mit peripherischen Gefässen 
gesehen zu haben. — Ein besonderes, in dieser Art nur einmal 
vorhandenes Bild ‘giebt Fig. 20 wieder. Im Centrum des von 
auffallend blasser und sehr gefässreicher Theca umgebenen Fol- 
likels findet sich ein compaktes Convolut von Capillaren mit 
zahlreichen Blutkörpern. Letztere sind, wie man scharf und be- 
stimmt sieht, hintereinander aufgereiht, also in feste Bahnen ge- 
bannt. Zwischen Centrum und Theca liegen dicht gedrängt stark 
gefärbte Zellkerne von der Art der Granulosakerne, nur oft klei- 
ner, ohne sichtbares Zellprotoplasma. Es macht durchaus den 
Eindruck, als ob hier nur die Epithelien sich stark vermehrt; 
doch ist, glaube ich, eine Betheiligung von Zellen anderer Her- 
kunft (Wanderzellen?) nicht sicher auszuschliessen ). Wie kom- 
men die Gefässe in die Mitte des Follikels, da am Rande eine 
Einwucherung nicht zu constatiren ist? Giebt uns eine das Epi- 
thel irregulär durchziehende Lücke (s. die Fig.) einen Fingerzeig 
dafür, dass hier ein grösseres, Peripherie und Centrum verbinden- 
des Gefäss, welches zufällig nicht in den Schnitt gefallen, gelegen 
hat? Wenn auch diese Fragen unbeantwortet bleiben müssen, so 
ist durch das Bild die Thatsache der frühzeitigen Gefässein- 
wucherung wohl sicher dargethan. 3 

In dem gewucherten Bindegewebe der Theca sammeln sich 
sehr häufig grössere (Ratte, Maus) oder geringere Mengen von 
Fett oder fettähnlicher Substanz an, welche bei Gemischhärtung in. 
Gestalt verschieden grosser, braunschwarzer Körner, gleich denen des 
Epithels, von denen sie jedoch ganz unabhängig sind, zwischen und 
in den Zellen auftreten. Die Bedeutung der in dieser Art aufgespei- 
cherten Fettpartikel, die mitunter in Folge ihrer Zahl alle übrigen 
Bestandtheile des Follikelraumes unkenntlich machen, scheint mir 
keine unwesentliche zu sein. Bei der auf Deckung der entstan- 
denen Lücke hinzielenden Gewebsneubildung wird ohne Zweifel 
überschüssiges, später durch die Gefässe wieder abzuführendes 
Material angebildet. Es dürfte nun durch fettigen Zerfall des 
letzteren dieser Zweck am leichtesten und schnellsten erreicht 
werden. 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 227 


1) Vgl. unten 


228 J. Schottlaender: 


Wir haben oben die Entstehung der geschilderten Bindege- 
webswucherung aus einer Vermehrung der ursprünglichen, fixen 
Bindegewebskörper der Theca als erwiesen betrachtet, ohne die 
weiteren Möglichkeiten der Entstehung (aus Wanderzellen resp. 
dem Slavjansky’schen Endothel) !) eingehender zu diskutiren. 
Ich glaube, wir dürfen mit gutem Recht den angegebenen Stand- 
punkt einnehmen. Denn sprachen positiv für denselben gewisse 
Thatsachen ?), so machen noch ausserdem per exclusionem ganz 
besondere Gründe die Betheiligung von Wander- resp. Endothel- 
zellen an der Constituirung der betreffenden Gewebsneubildung 
unwahrschemlich. 

Betrachten wir zunächst die mittelgrossen und kleineren 
Follikel, so ergiebt sich, dass mitunter innerhalb der ersten peri- 
pherischen noch eine zweite, deutlich davon zu scheidende, cen- 
trale Wucherung gefunden wird, deren Beschaffenheit deutlich 
darauf hinweist, dass hier ein anderes Moment als die Vermeh- 
rung der fixen Thecazellen ins Spiel kommt. In Figur 15, an 
welche wir wieder anknüpfen, zeichnet sich die centrale Gewebs- 
schicht gegenüber der peripheren, mit der sie streckenweise zu- 
sammenhängt, dadurch aus, dass die Zellkerne bedeutend kleiner 
und zahlreicher sind, dass sie dichter gedrängt liegen und ein 
stärker gefärbtes dichteres Chromatinnetz besitzen. Ganz beson- 
ders fällt weiter auf, dass dieselben nur selten die rundovale, 
nie die längliche Gestalt der anderen besitzen, dass sie häufig 


halbmondförmig , mit kleinen Ausläufern versehen sind und 


dergl. m. — Von der Zellsubstanz ist nur an den äussersten Gren- 
zen der ganzen Gewebsschicht etwas nachweisbar; ausser hier 


und da verstreuten rubinrothen Körnern fehlen weitere Besonder- 


heiten. — Auf den ersten Blick liegt die Täuschung nahe, dass 
es sich hier um nichts weiter, als um vermehrte Granulosaepi- 
thelien handelt. Berücksichtigt man jedoch die genannten Form- 


veränderungen, so kann man bei der Annahme einer einfachen 
Vermehrung kaum stehen bleiben; man muss auf die Unter- 


mischung des Epithels mit anderen Zellen rekuriren. Dass diese 


anderen Zellen Pseudo-Wanderzellen im Sinne Scehulin’s sind, 
wird man desshalb kaum vermuthen können, weil die chromatolyti- 


1) Vgl. oben. 
2) cf, pag. 225, 


.j 
a 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 229 


schen Körnchen unzweifelhaft auf eine beginnende, wahrscheinlicher 
schon weit vorgeschrittene, jedenfalls vorhandene Zerstörung des 
Epithels zurückzuführen sind. Es bleiben demgemäss nur die 
zwei weiteren Möglichkeiten, nämlich, dass wir echte Wander- 
zellen oder die Abkömmlinge des Endothels !) oder endlich Bei- 
des vor uns haben. Eine sichere Entscheidung hierüber zu tref- 
fen, ist bei den angewandten Methoden, vielleicht auch überhaupt 
nicht möglich. Immerhin lässt sich wenigstens Einiges pro et 
eontra anführen. Ist einerseits durch die zahlreich eingewucher- 
ten Gefässe reichlich Gelegenheit zum Austritt von Wanderzellen 
geboten, so ist, vorausgesetzt, dass ein solches existirt, auch eine 
Betheiligung des Endothels insofern nicht von der Hand zu wei- 
sen, als analoge endotheliale Neubildungen im Sinne der Rege- 
neration oder Narbenbildung häufig genug zur Beobachtung ge- 
langen ?). Indessen erregt in dieser Beziehung hier doch ein 
Umstand Bedenken. A priori sollte man meinen, dass wenigstens 
stellenweise, da, wo die Theca noch unverändert geblieben und 
die centrale Gewebsschicht der Peripherie anliegt, die Membrana 
propria als solche erhalten oder wenigstens eine scharfe Abgren- 
zung sichtbar sein müsse. Das ist aber nicht der Fall. Ebenso- 
wenig konnte ich in meinen Präparaten jemals Glasmembran- 
streifen ?) oder etwas Analoges auffinden. War ein heller Strei- 
fen da, so bildete er, central gelagert, die innere Grenze des 
Narbengewebes und war seiner ganzen Configuration nach sicher 
als Eirest oder Zona zu erkennen. Es bleibt somit, wollen wir 
an der Betheiligung des Endothels festhalten, gegen die des Wei- 
teren vielleicht die Unregelmässigkeit der centralen Gewebsschicht 
ins Feld geführt werden kann, nichts übrig, als mit v. Beneden‘) 
eine frühzeitige Resorption der Membrana propria nach erfolgter 
Funktion des Endothels vorauszusetzen. 

Nieht immer sind die beiden different zusammengesetzten 


1) cf. pag. 224. 

2) Unwillkürlich bin ich an Bilder erinnert worden, wie ich sie 
s. Z. nach Chlorzinkätzung der Hornhaut des Froschauges wahrge- 
nommen. Fast genau dieselben Formveränderungen wie hier fanden 
sich dort an den Endothelien einige Tage nach vollzogener Aetzung 

3) cf. pag. 193 u. 19. 

4) cf, pag. 19%, 


230 J. Sehottlaender: 


Gewebscomplexe auch noch als different zu analysiren. Weit 
häufiger findet man innerhalb des Ovarialstromas eine ein- 
heitliche, meist ovale, aus stark gefärbten dieht gedrängten 
Zellkernen (Zellsubstanz ist nicht sichtbar) von wechselnder 
Grösse und Gestalt bestehende Gewebsmasse. Dieselbe lässt 
hier und da zarte Bindegewebsfibrillen, ausserdem oft Fett und Ge- 
fässe deutlich erkennen. Ich war anfangs versucht hier statt an 
ddegenerirte Follikel an gelbe Körper späterer Stadien zu denken. 
Die wahre Sachlage erhellte jedoch sehr bald aus den nicht 
selten im Centrum vorhandenen Eiresten, namentlich der zusammen- 
geklappten Zona (vergl. Figg. 7 u. 9.). Es waren dadurch alle 
übrigen Fälle ohne Weiteres klar. — Die Herkunft des zellen- 
reichen Bindegewebes, in dem wir ein gegenüber Fig. 15 weiter 
fortgeschrittenes Wucherungsstadium zu sehen haben, muss bis 
auf Weiteres auf gleichzeitige Vermehrung der fixen Thecazellen, 
Wanderzellen, ev. auch Endothelien zurückgeführt werden; viel- 
fach sind ihm jedenfalls erhaltene Granulosakerne beigemischt. 
Bei den jüngsten Follikeln scheint, wie aus manchen Bildern 
hervorgeht, die Vermehrung der Thecazellen im Vergleich zu der- 
jenigen der anderen Elemente zurückzutreten. | 

Ueber die späteren Schicksale der zellenreichen binde- 
sewebigen Neubildung gibt uns Fig. 21 Aufschluss. Während 
von der äusseren Form und den peripherischen Schichten genau 
das eben Gesagte gilt, zeigt das Centrum eine durchaus andere 
Beschaffenheit. Dasselbe ist ausgefüllt von einer aus hellglän- 
zenden straffen Bindegewebsfibrillen bestehenden Grundsubstanz, 
die zerstreut nur spärliche, kleine, langgestreckte Bindegewebs- 
körper birgt. Es ist ohne Weiteres ersichtlich, dass wir hier 
spätere Stadien der Figg. 7 u. 9 vor uns haben. Die letzten 
Zweifel werden durch die oft noch erhaltene, oft aber auch schon 
ausgefüllte geschrumpfte Eihöhle beseitigt. Was demnach a priori 
zu erwarten war, wird durch die Thatsachen bestätigt: Aus dem 
zellenreichen, fibrillenarmen wird zunächst ein schleimiges, dann 
aber ein festes fibrillenreiches narbiges Gewebe. Es schreitet 
dabei die Narbenbildung vom Centrum nach der Peripherie fort. 
Durch v. Brunn!) ist bei den Vögeln nach Zerstörung des 
Epithels eine Einwucherung typisch sternförmiger Zellen mit cen- 


1) ef. pag. 197, Anm. 2. 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 231 


tralwärts gerichteten Ausläufern beschrieben worden, ein Befund, 
der vielfach!) auch für die Säugethiere bestätigt worden ist. 
Ich kann, wenigstens für einen Theil meiner Objekte, versichern, 
dass die Bildung eines derartigen Gewebes nur eine Zwischen- 
stufe ist, der die Entwicklung stark fibrillären Bindegewebes 
folgt. — Die geschilderten Corpora fibrosa besitzen bisweilen eine 
nieht unbeträchtliche Grösse, offenbar weil dem Wachsthum des 
mittelreifen Follikels, auch nach Beginn der Zerstörung, nicht 
plötzlich, sondern erst allmählich ein Ziel gesetzt wird. Dass 
wir uns trotz ihrer Grösse die Narbenkörper nieht oder nur aus- 
nahmsweise aus ganz oder nahezu reifen Follikeln entstanden 
‘denken dürfen, erhellt aus Fig. 16 und ähnlichen Bildern. Ist 
bei mittelreifen Follikeln der Zustand des vollkräftigen Theea- 
gewebes zur Ausfüllung der durch Ausfall des Eies und Epithels 
hervorgerufenen, überdies kleineren Lücke, ferner zu zweckdien- 
licher sekundärer Umwandlung geeignet, so gilt nicht das Gleiche 
für die grössten Follikel. Hier kommt es zwar zur Vernichtung 
dies Inhalts, aber der Ersatz von der Peripherie bleibt entweder 
ganz aus — möglicher Weise ist dadurch Veranlassung zu Cysten- 
bildung ?) gegeben — oder er ist unvollständig. Im letzteren 
Fall, wenn also eine Thecawucherung vorhanden, nimmt die 
Intercellularsubstanz relativ frühzeitig auf Kosten der Zellen an 
Masse zu; es kommt nur zu spärlicher Anbildung von Gefässen; 
ein centrales von dem peripherischen zu unterscheidendes Gewebe, 
wie wir es bei kleineren Follikeln beobachtet, wird vermisst. Da 
somit für eine reichlichere Ansammlung von Wanderzellen die 
Gelegenheit abgeschnitten ist und gegen eine Betheiligung des 
Endothels der thatsächliche Befund spricht, so kann des Wei- 
teren geschlossen werden, dass in grossen Follikeln die Deckung 
des Substanzverlustes fast ausschliesslich, wenn nicht ganz durch 
Vermehrung der fixen Thecazellen erfolgt. 

Betrachten wir die zur Atresie führenden Veränderungen 
der Follikel mit Berücksichtigung des Beginnes und der Ver- 
theilung auf die verschiedenen Thiere sowohl wie auf die 
verschiedenen Entwicklungsphasen der Follikel, nochmals im 
Zusammenhang, so gelangen wir zu folgendem Resultat: 


1) Vgl. die oben angeführte Literatur. 
2) Grohe, Beigel und Schulin. 


232 J. Schottlaender: 


Die Follikelatresie verläuft in gemeinhin durchaus überein- 
stimmender Form in den Eierstöcken des Meerschweinchens, der 
Ratte, der Maus und des Hundes. Beim Menschen konnte in 
Folge der ungünstigen Beschaffenheit der betreffenden Präparate 
nur eine Theilerscheinung, die Chromatolyse des Follikelepithels 
nachgewiesen werden; es ist indessen auf Grund der Befunde 
bei genannten Thieren die Vermuthung zu hegen, dass auch hier 
die übrigen Erscheinungen nicht fehlen. — Mit Ausnahme der 
Primordialfollikel, bei denen gleichfalls nur eme Theilerscheinung, 
die Fettdegeneration des Epithels gefunden wurde, können der 
Atresie sämmtliche Follikel, vom jüngsten bis zum ältesten, er- 


liegen; am häufigsten erliegen ihr die mittelreifen noch wachsenden 


Follikel. — Die Atresie beginnt in der Mehrzahl der Fälle mit 
der Zerstörung des Eies; im Verlaufe der letzteren setzen die 
zum Untergang des Epithels führenden Processe ein; meist vor 
völliger Vernichtung des Epithels, selten erst später, wird der 
entstandene Substanzverlust von der Theca aus gedeckt. 

Im Ei erfährt zunächst die Zona eine wahrscheinlich hyaline 
Verquellung; dazu gesellt sich bald darauf eine fettige Degene- 
ration des Dotters, welche mit einer Umlagerung der chroma- 
tischen Keimbläschensubstanz im Sinne chromatolytischer Ent- 
artung verbunden ist. Ob der letzteren immer mitotische Pro- 
cesse vorangehen, muss dahingestellt bleiben, jedenfalls kommen 
aber solche vor, wenn auch im Ganzen selten, vielleicht auch 
nicht bei allen Thieren. Die Mitosenbildung, höchst wahrschein- 
lich durch die beginnende Umwandlung des Dotters veranlasst, 
weicht insofern von dem gemeinhin bekannten Verlaufe ab, als 
sie verfrüht, d. h. schon in unreifen Eiern ihren Anfang nimmt. 
Um die Zeit, in welcher sie beobachtet wird, ist immer die 
Granulosa mehr oder weniger hochgradig verändert, bisweilen 
ausserdem die Theca; nie mehr ist der ursprüngliche Bestand 
des Follikels gewahrt. Von den verschiedenen Phasen der Mitose, 
die in zu Grunde gehenden Eiern anderweitig gesehen und als 
nicht typisch beschrieben worden sind, fanden sich in meinen 
Präparaten nur (zweimal) wohlerhaltene? Richtungsfiguren. — 
Während die Fettdegeneration um sich greift und der mitotische 


resp. chromatolytische Vorgang sich abspielt, erfolgt, selten schon 


vor der Entstehung der Richtungsfiguren, die im Ganzen jeden- 
falls schnell verlaufende Einwanderung von Granulosazellen in 


eu 
5 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. 233 


den Dotter. — Fernerhin wird letzterer, falls er nicht schon 
vorher zerstört ist, schollig umgewandelt durch eine, wie es 
scheint, fibrinös-hyaline Degeneration. Diese besteht nie für sich 
allein, sondern schliesst sich stets den geschilderten Formen des 
Untergangs später an. Allmählich in einen für die Abfuhr geeig- 
neten Zustand versetzt, wird der Dotter durch die zum Theil 
neugebildeten Gefässe aufgenommen und schwindet schliesslich 
ganz. Die nach- Entleerung ihres Inhalts meist zusammengeklappte 
Zona erhält sich wegen der relativ grossen Festigkeit ihres Ge- 
webes am längsten, wird jedoch endlich wohl auch resorbirt, 
wobei möglicher Weise die präliminare Verquellung nicht ohne 
Einfluss ist. 

Das Epithel wird gleichfalls in verschiedener Weise ver- 
niechtet. Entweder es zersetzt und löst sich das Chromatin 
seiner Kerne, der Zellkörper wird gleichzeitig kleiner und blasser, 
ohne dabei besondere. Veränderungen erkennen zu lassen (reine 
Chromatolyse); oder der Zellkörper zerfällt fettig, ohne dass dabei 
das Kernchromatin sich modifieirt (reine Fettdegeneration); oder 
endlich beide Processe verlaufen combinirt (Chromatolyse und 
Fettdegeneration).. Reine Chromatolyse war absolut und relativ 
(zur Anzahl der Follikel) am häufigsten beim Meerschweinchen; 
es folgt, jedoch nur relativ, die Hündin!). Reine Fettdegene- 
ration war am häufigsten bei der Ratte, die Combination von 
Chromatolyse und Fettdegeneration am häufigsten bei der Maus. 
— Ausser dem Genannten scheint noch, nur bei kleineren Fol- 
likeln und vielleicht nicht bei allen Thieren, eine einfache, durch 
den Druck der in diesen Fällen eingedrungenen Thecagefässe be- 
dingte Atrophie des Epithels vorzukommen. 

Noch bevor Ei und Epithel endgültig der Auflösung anheim- 
gefallen sind, geräth die Theca in einen Wucherungszustand. Es 
senkt sich eine Gefäss-, später auch fettführende Bindegewebs- 
schicht in den Follikelraum ein. Das Fett dient vielleicht zur 
Zerstörung überschüssig angebildeten Materials. Der Gehalt an 
Fett und Gefässen, der bei meinen Objekten ziemlich parallel 
geht, ist bei den verschiedenen Thieren ünd individuell sehr 
wechselnd. Am geringsten ist er bei der Hündin, am grössten 
bei Ratte und Maus. Bei den letztgenannten Nagern scheint 


1) In Betreff des Menschen s, oben. 


234 J. Schottlaender: 


nicht selten die Gefäss-, gegenüber der Bindegewebseinwucherung 
das Primäre zu sein, ja sogar bisweilen das erste Anzeichen der 
Atresie überhaupt darzustellen. — Die Bindegewebsneubildung 
verhält sich je nach dem Alter der Follikel verschieden. Bei 
nahezu oder ganz reifen Follikeln, die im ganzen seltener 
von der Atresie befallen werden als die wachsenden mittelreifen, 
ist sie, wenn überhaupt vorhanden, nur unvollkommen d. h. sie 
füllt, frühzeitig fibrillär umgewandelt, die Follikelhöhle nicht ganz 
aus. Während sie in diesen Fällen ihre Entstehung fast oder 
ganz ausschliesslich der Vermehrung fixer Thecazellen verdankt, 
entspringt die Bindegewebsneubildung bei mittelgrossen und 
kleineren Follikeln höchst wahrscheinlich der Concurrenz meh- 
rerer Faktoren: sicher betheiligen sich daran die fixen Theca- 
zellen, vermuthlich Wanderzellen, vielleicht endlich die bis auf 
Weiteres supponirten Endothelien der Membrana propria. Hier 
bleibt die Neubildung lange zellenreich; sie erstreckt sich über 
das ganze Gebiet des absterbenden Follikels. Erst allmählich 
macht sich eine vom Centrum nach der Peripherie fortschreitende 
Narbenbildung geltend, welche an Stelle des ursprünglichen zuerst 
ein schleimiges, dann ein festes fibrilläres Gewebe entstehen lässt. 
Wir kommen zum Schlusse. Wir haben die Geschicke des 
atretischen Follikels vom Anbeginn bis zum Ende verfolgt. Aus 
lem verschiedenartig zusammengesetzten, die Eizelle enthaltenden 
Gebilde ist durch eomplieirte Vorgänge ein nur an der äusseren 
Form kenntlicher Bindegewebskörper geworden. Ob derselbe 
wirklich räumlich dem Aufbau neuer Follikel dient, die wie 
Palladino glaubt, stetig in demselben Maasse entstehen, wie 
andere vergehen, darüber muss erst die Zukunft Klarheit schaffen, 
wie denn auch die Lösung mancher unbeantwortet gebliebener 
Fragen von zukünftiger Forschung erwartet werden darf. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XI. 


Alle Figuren sind in natürlicher Grösse hergestellt. Sie ent- 
stammen sämmtlich Schnittpräparaten, bei denen, wofern nicht eine 
besondere Bemerkung beigefügt ist, zur Härtung Chrom-Osmium-Essig- _ 
säure-Gemisch (Flemming) und Alkohol, zur Färbung Saffranin mit 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 235 


"nachfolgender Alkoholextraktion angewandt worden. Ungleichmässig- 
keiten ihres Colorits erklären sich durch die verschiedene Schnitt- 
dicke, sowie durch die Verschiedenheit der benutzten Vergrösserung. 
Alles Weitere siehe unten. 


Fig. 1. 


Fig. 3. 


Fig. 4. 


. Fig. 4a. 


Fig. 5. 


1) 


Segment der Parietal-Granulosa aus dem Durchschnitt durch 
einen halbreifen Follikel des Hundeeierstocks. Alkoholhärtung. 
(2. apochr. Imm. 2,0 mm Comp. Oc.4. Tubusl. 18.) — Zellen 
und Kerne langgestreckt, erstere spitz auslaufend. 

Ei nebst Discus aus einem nahezu reifen Follikel des Meer- 
schweineierstocks. (Z. DD. Comp. Oe. 4. Tubusl. wie oben.) 
— Das Ei im Beginn der Degeneration. Zona gequollen, 
von wechselndem Volumen, aussen und innen irregulär con- 
tourirt, theilweise durch Epithelkerne überlagert. Dotter mit 
schwärzlichen Fettkörnchen!) erfüllt, enthält einen unverän- 
derten Epithelkern. Keimbläschen, stark excentrisch gelegen, 
zum grössten Theil ohne Inhalt, zum kleineren Theil gleich- 
falls fetterfüllt. Das chromatische Gerüst in Gestalt kleiner 
Körnehen auf die Peripherie zusammengedrängt. 

Im Untergang begriffenes Ei aus einem Follikelschnitt des 
Hundeeierstockes. Vergr. wie oben. — Volumen der ge- 
quollenen, an mehreren Stellen Fettkörnchen enthaltenden 
Zona nicht ganz gleichmässig. Aeusserer Dotter bis zur 
völligen Unkenntlichkeit seiner Struktur mit Fettkörnchen er- 
füllt. Geringere Fettansammlung im inneren Dotter und im 
Keimbläschen, das wiederum, stark excentrisch gelegen, kein 
chromatisches Gerüst wahrnehmen lässt. 

Durchschnitt durch einen halbreifen atretischen Follikel des 
Meerschweineierstocks. Vergr. wie oben. Theca nicht mehr 
in ursprünglichem Zustande, besonders einseitig fetterfüllt. 
Einzelheiten nicht erkennbar. Epithel gleichfalls besonders 
einseitig, in hochgradiger fettiger Degeneration befindlich, 
zeigt ausserdem hochgradige Chromatolyse. Zona des Eies 
nirgends in ihrer ganzen Dicke, zum Theil gar nicht sichtbar. 
Der Dotter, welcher die Eihöhle nicht ganz ausfüllt und nir- 
gends ihre Begrenzung erreicht, ist an einer Seite von einem 
scharfen Saume umgeben (Längsspaltung der Zona?). Er ent- 
hält Fettkörnchen und eine excentrisch gelegene Richtungs- 
figur. | 

Die Richtungsfigur mit Z. apochr. Imm. 2,0 (Oe. und Tubusl. 
wie oben). Beschreibung s. Text S. 209. 

Durchschnitt durch einen unreifen atretischen Follikel des 
Mäuse-Eierstockes. Z. DD. Oc. 4. Tubusl. wie oben. Weit 
fortgeschrittene chromatolytische Entartung des Follikelepithels. 


Der Kürze halber ist hier und im Folgenden stets der Aus- 


druck „Fett“ gebraucht. 


Fig. 5a. Dieselbe Richtungsfigur mit Z. apochr. Imm. 2,0 Comp. Oc.4 


Fig. 9. Theil eines Schnittes durch ein Follikelderivat des Meerschwein- 


Fig. 11. Segment eines Durchschnittes durch einen unreifen, rein 


£. 6. Sehnitt durch einen hochgradig atretischen unreifen Follikel 


, 7. Theil eines Schnittes durch ein Follikelderivat aus dem Meer- 


'. 8a u. b. Zusammengefaltete Zonae ohne Inhalt aus degenerirten 


&. 10. Segment eines Durchschnittes durch einen reifen, rein chro- 


J. Schottlaender: 


Grosse Chromatinbrocken. Zona des auffallend grossen (reifen?) 
Eies nicht sichtbar. Im der Peripherie der im Uebrigen 
grösstentheils leeren Eihöhle finden sich ein chromatolytisch 
veränderter Epithelkern, mehrere längliche Chromatinstreifen 
und spärliche Mengen fettig degenerirten Dotters mit Rich- 
tungsfigur. 


(Tubusl. wie oben). . Beschreibung s. Text S. 209. 


des Mäuse-Eierstocks. Z. DD., Oc. und Tubusl. wie oben. 
Theca nicht mehr in ursprünglichem Zustande, theilweise an- 
scheinend gewuchert. Einzelheiten nicht erkennbar. Epithel 
fettig und chromatolytisch entartet. Zona gequollen. Dotter, 
der Fett, einzelne unveränderte, ferner chromatolytisch ent- 
artete Epithelkerne, sowie deren Ueberreste enthält, schollig 
zersprengt und von eigenthümlich glasiger Beschaffenheit. 
(fibrinös-hyaline Metamorphose?) Keimbläschen, peripherisch 
gelegen, in seiner Form erhalten, zeigt nur einzelne Bröck- 
chen chromatischer Substanz. 


schwein-Eierstock. Vergr. wie oben. Ein zellenreiches, stellen- 
weise Fett (f) enthaltendes Bindegewebe umgiebt, in dieselbe 

eindringend, die spindelförmige, eingeengte Eihöhle. Das 
gleichfalls spindelförmige Ei, welches letztere nicht mehr aus- 
füllt, enthält nur noch einen glasigen Dotterrest mit mehreren 
Epithelkernen und das kleine fettgeschwärzte Keimbläschen. 
Die gequollene Zona ist halb zusammengefaltet und hebt sich 
stellenweise von dem veränderten Inhalt nicht mehr ab. | 


Follikeln des Mäuse-Eierstockes. Vergr. wie oben. 


Eierstockes. Ein in den äusseren Lagen zellenreiches (s. Fig. 7), 
in den inneren fibrilläres Bindegewebe umgiebt, in sie ein- 
dringend, die hier leere Eihöhle. 


matolytisch degenerirten Follikel des Meerschwein-Eierstockes. 
Z. apochr. Imm. 2,0 Oc., Tubusl. wie oben. Th. — Theca, 
e. = externa, i. — interna, E. = Epithel, E, poor ET 
Interepithelialnetz . (Palladino). — In dem Kern einer nach 
aussen gelegenen und denjenigen der inneren Epithelzellen 
ist Zerfall des Chromatinnetzes eingetreten. Zelleontour nur 
bei einer der betroffenen Zellen noch undeutlich sichtbar. 
Kerneontouren theils noch, theils nicht mehr erkennbar. Chro- 
matinbrocken hier durchweg kreisrund. 


chromatolytisch degenerirten Follikel des menschlichen Eier- 
stockes. Härtung mit Kal. bichr. und Alkohol. Hämatoxylin- 


Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. 237 


färbung. Vergr. wie oben. Th. —= Theca, mit ce. = capillare, 
Ep. = zhromatolytisch zerfallenes Epithel. An Stelle des 
völlig zerstörten Epithels finden sich in dem Zellprotoplasma 
theils zerstreut, theils noch in die ursprüngliche Kernform ge- 
bannt, kleine Chromatinkörner. Zellgrenzen unsichtbar. 


. Durchschnitt durch einen der Reife nahen chromatolytisch de- 


generirten Follikel des Hunde-Eierstockes. Saffranin-Gentiana- 
färbung. Z. DD. Comp. Oe. 2. Tubusl. wie oben. Epithel 
chromatolytisch zerfallen. Der von einer gequollenen, an 
einer Stelle unterbrochenen Zona umgebene Dotter ist stark 
mit Fettkörnern imprägnirt. Das weit excentrisch gelegene 
Keimbläschen enthält gleichfalls Fett. Sein Chromatinnetz be- 
steht aus zahlreichen dicht gedrängten Chromatinkörnern. 


. Segment eines Durchschnitts durch einen oberflächlich ge- 


legenen reifen chromatolytisch und fettig degenerirten Follikel 
des Ratten-Eierstockes. Z. apochr. Imm. 2,0 Comp. Oe. 4. 


Tubusl. wie oben. 0. = Oberfläche des Eierstockes, Th. 
ec. — Theca, an dieser Stelle nur durch ein Capillargefäss re- 


präsentirt. Ep. = Epithel, Liq. = Liquor. Die bläschenförmig 
aufgeblähten Zellen enthalten theils nur Fettkörnchen (der 
Kern ist schon zu Grunde gegangen), theils enthalten sie 
ausserdem unveränderte oder chromatolytisch entartete Kerne 
oder endlich Chromatinbrocken (einmal in Form eines Ringes). 
Dass in einigen Zellen der Figur scheinbar mehrere Kerne 
resp. auch deren Ueberreste liegen, erklärt sich durch ver- 
schiedene Einstellung. 

Schnitt durch einen unreifen atretischen Follikel des Meer- 
schwein-Eierstockes. Z. DD. Oc. Tubusl. wie oben. Beschrei- 
bung s. Text S. 222 f. (Atrophie des Epithels?). 


. Durchschnitt durch einen unreifen atretischen Follikel des 
Meerschwein-Eierstockes. — Halbschematisch. Z. A. 0Oe. 
Tubusl. wie oben. Th. int. = Theca interna, a = der in 
Fig. 15a vergrössert wiedergegebene Theil derselben. Ep. — 
Epithel, b = der in Fig. 15b vergrössert wiedergegebene 


Theil desselben. Bindegewebseinwucherung in das Gebiet der 
Epithelien. 


Fig. 15a. Z.apochr. Imm. 2,0. Oc. Tubusl. wieoben. Die mit grossen 


Kernen versehenen Bindegewebszellen der Theca int., welche 
zwischen sich Capillaren (c.) erkennen lassen, dringen zwi- 
schen die Epithelien ein. 


Fig. 15b. Vergr. wie oben. Beschreibung s. Text S. 228. 


Fig. 16. 


Durchschnitt durch einen reifen oder jedenfalls nahezu reifen 
atretischen Follikel des Meerschwein-Eierstockes. Z. DD. Comp. 
Oe. 2. Tubusl. wie oben. Bindegewebseinwucherung in die 
Follikelhöhle. Die Follikelhöhle, deren Inhalt im Uebrigen 
aus unveränderten, chromatolytisch zerfallenen Epithelien resp. 
deren Ueberresten und Fett- und Chromatinerfülltem Liquor 


238 


Fie. 


Fig. 


J. Sehottlaender: Zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 


18. 


besteht, ist durch einen brückenartigen, von der Theca aus- 
sehenden, deutlich fibrillären Bindegewebsstrang in zwei un- 
gleiche Abschnitte getheilt. Der Strang ist mit Chromatin- 
brocken und Fett durchsetzt. An der Stelle seiner Einsenkung 
in die Follikelhöhle ist das Epithel und die Membrana propriäa 
geschwunden. In dem oberen Abschnitt befindet sich anschei- 
nend ein fettig degenerirter Eirest. 


. Theil eines Schnittes durch einen halbreifen atretischen Follikel 


des Ratten-Eierstockes. Z. apochr. Imm. 2,0. Comp. 0Oe. 4. 
Tubusl. wie oben. Bindegewebs- und Gefässeinwucherung in 
die Follikelhöhle. Die Theca int. (Th.), welche reichlich Ca- 
pillaren (ce) enthält, beginnt sammt letzteren in die Follikel- 
höhle einzudringen.. Die Grenze gegen das Epithel, wel- 
ches sich im Zustande chromatolytischer Entartung befindet, 
ist geschwunden. 

19. Theile eines Schnittes durch einen unreifen atretischen 
Follikel des Ratten-Eierstockes. Vergr. wie oben. Gefässein- 
wucherung zwischen die im Beginn der Atrophie (?) befind- 
lichen Epithelien. 

Th. = Theca interna und Ep. — Epithel gehen ohne scharfe 
Grenze in einander über. Das chrom. Gerüst der nicht ver- 
kleinerten Epithelkerne abgeblasst. Zwischen ihnen wie zwi- 
schen den Bindegewebszellen stark gefärbte Capillarsegmente. 
Blutkörperchen hier nicht sichtbar. 

Zwischen den Epithelkernen (Ep.), für die das in Fig. 18 Ge- 
sagte gilt, die gleichen Capillarsegmente wie oben. Hier 
stellenweise Blutkörperchen sichtbar. 


. Durchschnitt durch einen unreifen oberflächlich gelegenen 


Follikel des Ratten-Eierstockes. Z.DD. Comp. Oe. 2. Tubusl. 
wie oben. Centrale Gefässeinwucherung. Beschreibung siehe 
Text 8. 227. 

Schnitt durch ein Follikelderivat aus dem Eierstock des Meer- 
schweinchens. Z. DD. Comp. Oec. 4 Tubusl. wie oben. Pe- 
ripherisch dasselbe im ÖOvarialstroma gelegene zellenreiche, 
spärliche Gefässe enthaltende Gewebe wie in den Figg.7 u. 9. 
Central eine ovale stark fibrilläre Bindegewebsschicht, welche 
an Stelle der ursprünglichen Eihöhle und ihrer Umgebung ge- 
treten ist. 


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239 


Weitere Beobachtungen an Gordius tolosanus 
und Mermis. 
Von 


Br. v. Linstow in Göttingen. 


Hierzu Tafel XII. 


Gordius tolosanus Duj. 
Fig. 1—9. 

Im Frühling und Sommer des Jahres 1890 setzte ich meine 
Untersuchungen an Gordius tolosanus fort und hatte im Auffinden 
dieses Helminthen Glück, denn ich fand in der nächsten Nähe 
Göttingens nicht weniger als 105 Exemplare. Zunächst versuchte 
ich wieder Larven in aus dem Wasser gefischten Käfern zu erhalten, 
und gelang es mir, in 17 Käfern 8 Gordius-Larven zu finden; 
im Monat April schwammen wieder die schwarzen Laufkäfer an 
der Oberfläche der Wiesengräben, theils lebend, theils sterbend, 
theils todt, wie ich es im Frühling 1889 in ähnlicher Weise be- 
obachtete und in diesem Archiv!) geschildert habe; man wird 
also diese Art und Weise der Gordius-Larven in das Wasser zu 
gelangen als die regelmässige ansehen können. Pterostichus niger 
war auch dieses mal der Wirth der Larve. Die Fundzeit er- 
streekte sich vom 9. bis 19. April, doch hatten meine Exeursionen 
wohl etwas zu spät begonnen, denn am erstgenannten Tage fand 
ich bereits 3 Gordien frei in einem Graben. : Nie fand sich mehr 
als eine Larve in einem Käfer, welche dessen Hinterleib bewohnte; 
neben derselben fand man nur noch den Darm; der Fettkörper, 
von dem der Gordius offenbar lebt, war gänzlich geschwunden, 
ebenso die Geschlechtsorgane (Fig. 5). 

Die Käfer schwammen alle auf der Wasseroberfläche, nur 
einmal fand ich einen Pterostichus, der zu Boden gesunken war 
und bei der Untersuchung einen Gordius ergab. Als ich eines 


1) Bd. XXXIV, pag. 249. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 16 


TE 
ER Bu 


240 v. Linstow: 


Abends eine Anzahl dieser Käfer aus dem Wasser gefischt und 
mit nach Hause genommen hatte, ohne dass ich sie gleich unter- 
suchen konnte, zeigte sich am andern Morgen ein freier Gor- - 
dius neben ihnen im Glase, der sich während der Nacht selbst- 
ständig aus einem der Käfer herausgebohrt hatte. 

Nur in einem Falle traf ich noch im Sommer eine Larve ° 
in einem Käfer; am Rande eines kleinen Tümpels im Felde lief 
am 22. Juni ein Pseudophonus pubescens, der eine Gordius-Larve 
enthielt. 

Was die Fundstätten der freilebenden Exemplare betrifft, so 
waren es ausnahmslos kleine, seichte, stagnirende Gewässer oder 


solche mit kaum merklichem Strom. Im Frühling ist das Auf- 


finden leicht, wenn der Grund der Gräben und Tümpel noch 
ohne Vegetation ist und die sich unaufhörlich bewegenden Thiere 7 
leicht in die Augen fallen; später wird das Entdecken bei dem 7 
Ueberhandnehmen des Pflanzenwuchses bald unmöglich. Uebri- ° 
gens müssen die Gordien massenhaft durch Austrocknen der Ge- 
wässer sterben; die Gräben und Tümpel, welche mir in diesem ” 
Jahre die Gordien lieferten, waren am Ende des Sommers fast 
alle ausgetrocknet; diese Gewässer können also nur durch Käfer 
im kommenden Frühling von neuem mit Gordien bevölkert wer- 
den. Im Folgenden gebe ich eine Uebersicht der in diesem 
Jahre gefundenen Gordien mit Angabe der Tage. 


j en Larven in Käfern | Frei im Wasser 
Datum | Käfer E 


RR» EN 

9. April 12 1 2 En - 2 
10,05 — — = 2 — 
14.5 1 1 u 3 1 
19,3%, 2 1 1 _ — 
I HE 1 — T — E= 
13. Mai — = — ii — 

6. Juni — — E= 3 2 

HRS, — — _ <. | 

Sl — — — 14 8 

ae — — — 2 3 
10:2 _ — — 5 — 
13.7), _ — _! 1 1 
Dr 1 — 1 5 2 
DR. — — — 10 1 
BEN = — — 2 1 
a - — 1 —_ 
SEE — — RE 1 
21. Juli — — — 94 — 
Du — — = 1 
2: 1 MER — — _ 10 2 


Weitere Beobachtungen an Gordius tolosanus und Mermis. 241 


Am 19. April fand ich in einem Pterostichus eine noch 
ganz schneeweisse Larve, welche am Kopfende noch den em- 
bryonalen Bohrstachel zeigte. Sie war 65 mm lang und 0,62 mm 
breit und ungemein zart und zerreisslich; sie wurde 5 Minuten 
in eine concentrirte Sublimatlösung gelegt, dann ausgewässert 
und nun in 70-, 80-, 90- und 991/,-procentigem Alkohol vor- 
sichtig gehärte, um dann in der gewöhnlichen Weise gefärbt 
und eingebettet zu werden. 

Weisse Gordius-Larven mit embryonalem Bohrstachel hat 
Villot bereits in seiner Monographie des Dragonneaux erwähnt. 
Diese weissen Larven müssen in den Käfern aufgewachsen sein, 
denn sie vertragen kein Wasser; in den Käfern machen sie eine 
Häutung »-durch. 

Unter dem Mikroskop gewähren diese weissen Larven einen 
sehr merkwürdigsn Anblick; die ganze Körperoberfläche erscheint 
zellig (Fig. 1); überall sieht man rundliche, gekernte Zellen, 
welche der Hypodermis angehören, die durch das noch kaum 
entwickelte Derma durchscheinen; auf Durchschnitten erkennt 
man letzteres (Fig. 4, d) als sehr dünne, hyaline Membran, dar- 
unter die aus grossen, schönen, gekernten Zellen bestehende Hy- 
podermis (Fig. 4, h), unter ihr die Muskellage und darunter eine 
Schicht, weiche aus gewellten Fibrillen besteht (Fig. 4, f); in 
ihr liegt in der Bauchlinie dicht unter dem Darm ein Strang, 
welcher aus 3 parallelen Zellsträngen besteht (Fig. 4, n), die An- 
lage des Bauchnervenstranges.. Die Hypodermis ist also die 
Matrix der Hautschicht, was Villot!) in Abrede stellt. 

Mächtig ist der Darm entwickelt, der aus granulirten Zellen 
mit Kern und Kernkörperchen besteht und von einer Membrana 
propria eingehüllt wird; er ist viel stärker als in den älteren, 
braunen Larven, in denen er !/;, des Körperdurchmessers gross 
ist, in den weissen, jüngeren Larven aber !/,; in geschlechts- 
reifen Larven misst er oft nur '/,, des Körperdurchmessers; um- 
geben wird er hier von einer gekernten Bindegewebshülle. Der 
Zellkörper besteht aus Zellen mit verhältnissmässig sehr grossen 
Kernen. Der embryonale Bohrstachel findet sich in zurückge- 
zogenem Zustande; er ist 0,034 mm lang und 0,011 mm breit, 
während der Körper vorn eine Breite von 0,28 mm hat (Fig. 3). 


1) Sur l’anatomie des Gordiens. Ann. des sc. natur. 7. ser. 


Nr. 3—4, Paris 1887, pag. 193. 


342 v. Linstow: 


Die Hypodermis-Zellen erscheinen von der Körperoberfläche 
gesehen kreisförmig, die Kerne sind 0,021 mm gross (Fig. 2); 
das Derma ist unfärbbar und hat eine Dicke von 0,0012 mm. 
Der Darm ist 0,12 mm breit und 0,075 mm hoch; seine Wandung 
misst 0,021 mm; die Kerne sind 0,01lmm gross. Die Anlage 
des Bauchnervenstranges ist 0,094 mm breit und 0,021 mm hoch. 

Nach diesen Beobachtungen halte ich das Ertrinken der 
Käfer in den Frühlingsmonaten für ein regelmässiges Vorkomm- 
niss im Gegensatz zu Villot!), welcher das Vorkommen der 
Gordiuslarven in Käfern und deren ins Wasser fallen „un cas“ 
nennt, „qui a un caractere trop exceptionnel pour servir de base 
a une explication rationelle du phenomene“. 

In einfachster Weise wird so auch das Vorkommen grosser 
Gordien in Fischen erklärt; man hat sie gefunden in Thymallus 
vulgaris, Salmo spec. (?), Trutta fario, Coregonus Wartmanni, 
Aspius rapax und Abramis brama?), was wohl nicht wunderbar 
ist, da alle diese Fische gelegentlich Käfer und andere Insekten 
fressen, also nur zu leicht einen Käfer, welcher eine Gordius- 
larve enthält, verschlingen können. In Holstein habe ich Aspius 
rapax mit grossem Erfolg durch Maikäfer gefangen, welche auf 
einen Angelhaken gespiesst waren. | 

Da die Bäche und Tümpel, in welchen die Gordien leben, 
im Sommer häufig austrocknen, wird durch die Käfer ihr Aus- 
sterben verhindert, welche zugleich für eine Weiterverbreitung 
sorgen. 

Das Geschlecht der erwachsenen, im Wasser lebenden 
Thiere kann man an der Farbe erkennen, denn die Männchen 
sind schwärzliehbraun, die Weibchen hell lehımbraun; durchschnitt- 
lich sind erstere 120mm lang und 0,55 mm breit, letztere aber 
170 mm lang und 1,04mm breit; häufig findet man unter ihnen 
Zwergexemplare; die männlichen erreichen nur eine Länge von 
39mm und eine Breite von 0,32 mm, während diese Weibchen 
51 und 0,35 mm messen; ob diese Zwerge zu mehreren in einem 
Pterostichus oder ob sie in einem kleineren Käfer, etwa einer 
Amara gelebt haben, vermag ich nicht zu sagen. 


1) Nouv. rech. sur le d&volopp. des Gordiens. Ann. des sc. natur. 
zoolog. f. XI, Paris 1881, pag. 17. ke 

2) E. Dallmer, Fische und Fischerei im süssen Wasser. Schles- 
wig 1877, pag.59. 


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Weitere Beobachtungen an Gordius tolosanus und Mermis. 243 


Die Männchen sind erheblich häufiger als die Weibchen, 
und ihre Menge verhält sich zu der der letzteren etwa wie 7:3. 

Beim Studium des Baues der geschlechtsreifen Thiere habe 
ich dieses Mal nur auf einen in meiner vorigen Arbeit zweifel- 
haft gebliebenen Punkt geachtet, auf die Verbindung des Rücken- 
kanals beim Weibehen mit den Geschlechtsorganen und hat sich 
meine dort!) ausgesprochene Vermuthung, derselbe möchte ein 
gegen Ende des Geschlechtslebens funktionirender Verbindungs- 
gang sein zwischen Ovarien und Eiersäcken, wenn die directen 
Communicationen zwischen beiden sich wieder geschlossen haben, 
bestätigt. 

0,9 mm vom Kopfende entfernt findet man die Verbindung 
zwischen dem Rückenkanal und den Eiersäcken (Fig. 7, r); der- 
selbe endet hier und läuft nach der Bauchseite hin in 2 Aeste 
aus, von denen jeder in einen der Eiersäcke tritt; das hintere 
Ende aber verbreitert sich 0,66 mm vom Schwanzende entfernt 


plötzlich sehr (Fig. 8, r), um links und rechts in die Ovarien 


einzumünden. So werden also, wenn die Eiablage fast vollendet 
ist und die Verbindungen zwischen Ovarien und Eiersäcken nicht 
mehr bestehen, die letzten- Eier in der Weise entleert, dass sie 
im Ovarium von vorn nach hinten geleitet, hier in den Rücken- 
kanal gelangen, in diesem bis zum Kopfende geführt werden 
und von da in die Eiersäcke gelangen, in denen “sie von vorn 
nach hinten in den Uterus kommen. 

Mit Rücksicht auf diese Veränderungen im Körper kann 
man mit Sicherheit annehmen, dass das Leben der Thiere nur 
em einjähriges ist; der fast ausgeleerte Körper des Weibchens 
wird sich nicht wieder füllen können, da im Wasser keine Nah- 
rung aufgenommen wird. 

Die Copula, welche bereits im April vollzogen werden kann,. 
ist schon von Meissner?) beobachtet und abgebildet; nach der- 
selben bemerkt man am Schwanzende beider Geschlechter weisse, - 
flockige Massen, die sich als Samen erweisen. 

Bald darauf umschlingen die befruchteten Weibehen dünne 


Pflanzenstengel im Wasser, um an dieselben die anfangs schnee- 


1) 1. ce. pag. 266. 
2) Zeitschr. für wissensch. Zoolog. VIII, Leipzig 1855, Tab. VI, 
Fig. 27. 


244 | Yv Linsios 


weissen Eierschnüre zu kleben (Fig. 6), während die Männchen 
sich lebhaft im Wasser bewegen; die. erste Eiablage bemerkte 
ich am 14. April, die letzte am 2. August und scheint dieselbe 
für jedes Weibehen 4 Wochen. zu dauern. Die schneeweissen 
Eimassen werden nach 24 Stunden bräunlich; die Eier sind 
kugelförmig und 0,039 mm gross. Bald tritt der granulirte Dotter 
weit von der hyalinen Hülle zurück, es werden zwei Richtungs- 
körperchen ausgeschieden, und die Embryonalentwicklung ist in 
etwa vier Wochen vollendet. 

Am Embryo, den schon Meissner!) beobachtet und abge- 
bildet hat, unterscheidet man einen 0,031 mm langen und 0,018 mm 
breiten Vordertheil mit Querriegeln (Fig. 9) und einen 0,034 mm 
langen und 0,016 mm breiten Hintertheil mit zwei Spitzen am 
Ende; der ein- und ausstülpbare Rüssel ist 0,017 mm lang und 
besteht aus drei Chitinstäben; an der Basis stehen zwei Kränze 
von je sechs mit einer Spitze versehenen Wülsten; die der bei- 
den Kränze stehen alternirend. Der ganze Apparat wird in 
zurückgezogenem Zustande gebildet und kann erst nach der Voll- 
endung vorgedrängt werden. 

Das Eindringen dieser Embryonen in Ephemera-Larven 
wurde von Meissner beobachtet, der auch in der Göttinger 
Gegend, vermuthlich an denselben Orten, an welchen ich die 
zweite Larvenform in Käfern fand, seine Funde machte; ver- 
muthlich werden die Gordiuslarven mit den entwickelten Ephe- 
meren aus dem Wasser gebracht und so am Lande von den 
Laufkäfern gefressen. 


Mermis erassa. 
Fig. 10. 

In dem Graben, in welehem ich die in diesem Archiv?) 
beschriebene Mermis erassa fand, suchte ich in diesem Sommer 
nach den Larven derselben und war so glücklich, sie in den 
Wasserlarven von Chironomus plumosus zu finden. Am 14. Juli 
und am 15. August untersuchte ich eine grössere Menge der- 
selben und fand am ersteren Tage vier, am letzteren ein Exem- 
plar, das die Larven Mermis erassa enthielt, die zu 1 bis 6 Exem- 


1) a.a.O.pag. 126—129, Tab. VI, Fig. 28—29, Tab. VII, Fig. 30—38. 
2) Bd, XXXIV, 1889. pag. 392—396, Tab. XXII, Fig. 2—8. 


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Weitere Beobachtungen an Gordius tolosanus und Mermis. 245 


plaren in diesen Dipteren-Larven leben. Die Helminthen sind 
ungemein zart und verletzbar, sie sind ganz unbeweglich und 
liegen frei in der Leibeshöhle neben dem Darm ihres Wirthes. 
Der Körper ist durchscheinend, die Cutieuda ist sehr dünn und 
zart, sie zeigt schwer erkennbare, 0,005 mm entfernte Querringel; 
dazwischen stehen undeutlichere, unmessbar nahe Längsstreifen 
der Muskulatur. Ein scharf contourirtes, an der Bauchseite ver- 
laufendes Chitinrohr des Oesophagus lässt sich weit nach hinten 
verfolgen, das. Ende ist nicht genau zu bestimmen. Der Darm 
endet blind 0,3 mm vom Schwanzende entfernt; ein Anus fehlt. 


- Die Grösse beträgt 5,53 bis 9,5 mm, die Breite 0,15 bis 0,25 mm. 


Die Breite verhält sich zur Länge wie 1:37—38. Vermuthlich 
verlässt die Mermis-Larve diejenige von Chironomus plumosus vor 
deren Verwandlung im Wasser; im andern Falle würde das 
vollkommene Insekt zur Verbreitung des Helminthen beitragen 
und den Parasiten vielleicht nach der Eiablage in's Wasser frei 
geben, da diese Dipteren nach Vollendung derselben oft erschöpft 
ins Wasser fallen und sterben, worauf die Mermis-Larven frei 
würden. Diese letzteren sind so fein und zart, dass Durchschnitte 
nicht zu erlangen sind. 

Grosse Mermis-Larven 'sind früher schon zweimal in Chiro- 
nomus plumosus, nicht in der Wasserlarve desselben gefunden, 
zuerst von v. Siebold!) der einen Fadenwurm ohne Schwanz- 
horn, vielleicht zu Mermis albicans gehörig, erwähnt, und Krae- 
mer?), der einen 31 mm langen und 0,5 mm dicken, Merinthoidum 
mueronatum genannten Helminthen anführt, den v. Siebold eben- 
falls für eine Mermis hält. 


Mermis Hyalinae. 
Fig. 11—14. 


Herr V.v.Koch in Braunschweig hatte die Güte, mir eine 
von ihm in Hyalina cellaria Müller in einem Buchenwalde auf 
Plänerkalk im Braunschweigischen gefundene Mermis zu schicken, 
wofür ich an dieser Stelle nochmals bestens danke. Der Fund- 


1) Stettin. entomolog. Zeitung, Bd. IX, 1848, pag. 299. 
2) Münchener illustr. medic. Zeitung, Bd. III, 1855, Heft 6, 
pag. 291, Tab. XI, Fig. 9—10. 


946 v. Linstow: 


ort liegt am Nordabhange der Höhenzüge von Weddingen bis 
Dören bei Liebenburg, und unter 10 Exemplaren von Hyalina 
enthielt eins die Mermis. 

Das Exemplar ist 96 mm lang und 0,36 mm breit. Das 
Schwanzende ist abgerundet, ohne griffelförmigen Fortsatz, wie 
man ihn bei anderen Mermis-Larven, so bei der von M. albicans 
und M. crassa findet; die Cutieula ist glatt, die Cutis ist in der 
Gegend der Dorsolateral- und der Ventrolateral-Wülste verdickt 
nach der Innenseite zu; der Oesophagus hat ein starkwandiges, 
enges Chitinrohr, das im Scheitelpunkt des Kopfes seinen An- 
fang nimmt und dann von der Mittel- zur Bauchlinie hinabsteigt; 
am Kopfende (Fig. 12) stehen 6 Papillen in der Dorsal-, Ven- 
tral-, in den Dorsolateral- und den Ventrolateral-Linien; dicht 
hinter der an der Bauchseite gelegenen mündet das Exeretions- 
gefäss (Fig. 12 e); 1,76 mm vom Kopfende entfernt bemerkt man 
in der Bauchseite zwei länglich-runde, dunkle Organe, welche 
die Anlage der Geschlechtsorgane zu sein scheinen (Fig. 118g). 
Eine Subeuticularschicht sendet an den sechs genannten Linien 
Wülste nach innen, von denen die vier lateralen sehr mächtig 
sind und in Längsreihen geordnete, granulirte Kerne zeigen 
(Fig. 14); zwischen ihnen stehen sechs Muskelfelder (Fig. 14 m), 
und der übrige Raum wird grösstentheils vom Zellkörper aus- 
gefüllt, dessen grosse, meistens 0,11 mm breite Zellen man durch 
die sehr derbe Cutis hindurch schimmern sieht, welche die bei 
Mermis gewöhnlichen zwei sich unter bestimmtem Winkel kreu- 
zenden Liniensysteme zeigt. 

Mermis-Larven scheinen in Mollusken nur höchst selten vor- 
zukommen; soweit mir bekannt ist, wird ausser dem hier mit- 
getheilten Fall nur über zwei andere berichtet. 

v. Siebold erwähnt im Jahre 1837!) das Vorkommen 
eines Rundwurms in Suceinea putris Lin. (=. amphibia); er 
spricht von einem dünnen Fadenwurm von 41/, Zoll = etwa 
122mm Länge, der eher einem Gordius als einer Filaria glich 
und mehrere Wochen im Brunnenwasser lebte. Im Jahre 1855?) 


1) Archiv für Naturgeschichte IM. Jahrg., Berlin 1837, Bd.JJ, 
pag. 255. 

2) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoolog. Bd. VII, Leipzig 1855, 
pag. 144. 


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Weitere Beobachtungen an Gordius tolosanus und Mermis. 247 


zog er die Form mit zu Mermis albicans, aber wohl mit Un- 
recht, denn es ist kaum anzunehmen, dass eine Art, deren 
Larve in Insekten, vorwiegend in Schmetterlingsraupen lebt, 


_— aueh in Mollusken vorkommen sollte. Die Larve von Mermis 


nigreseens lebt nach van Beneden!) in Melolontha vulgaris und 
zwar enthielten die Weibchen beim Verlassen der Käfer be- 
reits Eier. 

Der zweite Fall wurde von W. Mitten?) beobachtet, der 
eine Mermis-Larve in Limax agrestis Lin. fand. Das Exemplar 
war 3Zoll = 81mm lang; es war rahmfarben mit einer feinen, 
schwarzen Linie und zeigte sich fest und starr (firm and rigid) 
wie gewöhnlich. Der Artikel ist überschrieben „Mermis ni- 
srescens“, da eine Beschreibung aber hier wie bei v. Siebold 
fehlt, ist es gestattet, die richtige Bestimmung anzuzweifeln. 

Eine andere Form ist in Spinnen beobachtet, so in Pha- 
langium opilio, Mieryphantes bieuspidatus, Lycosa seutulata (?), 
Lyeosa spec. (?), Drassus spee. (?), I.atrodeetus spee. (?), Taran- 
tula inquilina, Saltieus formicarius, Tegeneria atriea, und viel- 
leicht gehört auch der von Rösel?) beobachtete Fall aus Epeira 
diademata hierher. Die Beobachtungen der Mermis-Larven in Ta- 
rantula, Saltieus und Tegenaria stammen von Bertkau®). Die 
geschlechtsreife Form dieser aus Spinnen und der aus Mollusken 
kommenden Larven kennen wir nicht, und so lange sie unbe- 
kannt ist, halte ich es der gänzlich verschiedenen Larvenwirthe 
wegen für nicht thunlich, sie mit Mermis albicans und nigrescens 
zu vereinigen. Unsere Kenntniss der geschlechtsreifen Mermis- 
Formen ist ja noch eine sehr lückenhafte, was wohl seinen Grund 
in ihrem Aufenthaltsorte hat; leben sie doch entweder in der 
Erde, aus der sie nur bei seltenen Gelegenheiten, im Sommer 
nach heftigen Regengüssen, an die Oberfläche kommen, oder am 
Boden schlammiger Gewässer. ing 


1) Memoire sur les vers intestinaux. Paris 1861, pag. 277—278, 
tab. XXIV, Fig. 10—23. 
2) Annals and magaz. of nat. hist. 3. ser., vol. XX, London 1867, 


pag. 445—446. 


3) Insektenbelustigung Bd. IV, Nürnberg 1761, pag. 264, Tab. 
XXXIV, Fig. 5. 

4) Verhandl. d. naturhist. Vereins d. preussischen Rheinlande etc. 
Bd. 45, Bonn 1888, pag. 91—9. 


248 f v. Linstow: 


Was den anatomischen Bau des Genus Mermis betrifft, so 
ist allen Arten gemeinsam eine dünne, anscheinend strukturlose 
Outieula, eine sehr derbe Cutis, welche von zwei sich in einem 
bestimmten Winkel kreuzenden Systemen von Parallellinien - be- 
deckt ist, eine Hypodermis, die an sechs Linien nach innen zu 
Längswülsten vorgebuchtet ist, sechs zwischen ihnen liegende 
Muskelbänder und sechs am Kopfende stehenden Papillen. Der 
Oesophagus ist lang und zeigt im Innern ein diekwandiges Chi- 
tinrohr. Als Darm scheint der Zellkörper zu funktioniren; ein 
Anus fehlt. Der Hauptnervenstrang verläuft wie bei Gordius in 
der Bauchlinie. Später schwindet der Oesophagus bis auf das 
Chintinrohr. Die sechs Längswülste liegen in der Dorsal-, der 
Ventral-, den Dorsolateral- und den Ventrolateral-Linien. Meiss- 
ner!) findet bei Mermis albicans zwei Zellenschläuche in den 
Seiten- und eine in der Bauchlinie; drei andere Längsstränge, 
welche in der Rücken- und in der Mitte zwischen Bauch- und 
Seitenlinie liegen, hält er für Nervenstränge. Aehnlich schildert 
Schneider?) diese Verhältnisse bei Mermis nigrescens. Hier 
werden eine Bauch-, eine Rückenlinie, zwei secundäre Bauch- 
Iinien und zwei Seitenfelder unterschieden. Ich kann aber auf 
Grund eigener Untersuchungen versichern, dass auch hier sechs 
Längswülste der Hypodermis an den mehrfach bezeichneten Orten 
vorkommen. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XII. 


Fig. 1—9. Gordius tolosanus. 

1. Kopfende einer weissen Larve aus Pterostichus niger mit em- 
bryonalem Bohrstachel und durchscheinenden Zellen der Hy- 
podermis. 

Diese Zellen sehr stark vergrössert. 

Der Bohrstachel, ebenso. 

4. Theil eines Querschnitts einer weissen Larve; Bauchgegend. 
d Derma, h Hypodermis, m Muskulatur, n Zellen, aus denen 
der Bauchnervenstrang entsteht, z Zellkörper, i Darm, f Fibril- 
lenschicht. 


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1) Zeitschr. f. wiss. Zoolog. Bd. V, Leipzig 1856, Tab. XI, Fig.1. 
2) Monographie der Nematoden, Berlin 1866, Tab. XVI, Fig. 12. 


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Weitere Beobachtungen an Gordius tolosanus und Mermis. 249 


2 5. Hinterleib von Pterostichus niger, von dem die Rückenwand 
BE entfernt ist, um die in ihm liegende Gordius-Larve zu zeigen. 
6. Wasserpflanze, die von einem weiblichen, eierlegenden Gordius 
umschlungen wird, am Schwanzende Eiermassen, e weisse Ei- 
schnüre. 
7u.8. Querschnitte geschlechtsreifer, weiblicher Gordien, 7 vom 
Kopf-, 8 vom Schwanzende, e Epidermis, d Derma, h Hypo- 
| dermis, m Muskulatur, z Zellkörper, n Bauchnervenstrang, 
I i Darm, s Samenblase, o Ovarium, ei Eiersack, r Rückenkanal. 
B 9. Embryo im Ei; b Bohrstachel, II u. III die Kränze von je 
6 Spitzen. 
Fig. 10. Kopfende der Larve von Mermis crassa aus der Larve von 
h Chironomus plumosus. 
Fig. 11—14. Mermis Hyalinae. 
| 11. Vorderende, z Zellkörper, & Geschlechtsanlage. 
12. Kopfende, p Papille, e Exceretionsgefässöffnung. 
13. Querschnitt durch die Gegend der Papillen ;o Vesophaguslumen. 
14. Querschnitt durch die Mitte; e Epidermis, d Derma, h Hypo- 
dermis, d Dorsal-, v Ventral-, di Dorsolateral-, vl Ventrolateral- 
wulst, z Zellkörper, m Muskulatur, o Oesophaguslumen. 


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Ueber Theilung und Kernformen bei Leuko- 
cyten, und über deren Attractionssphären. 


Von 
Ww. Flemming in Kiel. 


Hierzu Tafel XIII und XIV. 


I. Mitotische Theilung bei Leukoeyten. 


Es besteht bis jetzt noch Meinungsverschiedenheit über die 
Frage, ob Zellen, wie Leukocyten des Blutes, der Lymphe und 
ähnlich beschaffene Wanderzellen in Geweben, sich ausser auf 
‚amitotischem Wege auch auf dem der Mitose theilen können. 
Die Frage hat nicht nur Bedeutung vom cellular-physiologischen 


' 250. W. Flemming: 


Standpunkt, sondern gewiss auch einiges praktisches Interesse 
für die pathologische Gewebelehre; denn der Forscher in dieser 
hat ja vielfach damit zu rechnen, ob eine Zelle, die er irgendwo 
in Mitose findet, eine wirkliche freie Wanderzelle sein kann 
oder nicht. 

Die ersten Angaben über mitotische Theilung von Wander- 
zellen und farblosen Blutzellen hat Peremeschko nach Be- 
obachtungen bei der Tritonlarve gemacht!). Sie gaben zwar 
keine bestimmte Gewähr dafür, dass jene Zellen in der That 
freie Wanderzellen, und dass die in Gefässen gesehenen nicht 
vielleicht junge rothe Blutzellen waren; doch habe ich mich der 
Deutung Peremeschko's angeschlossen?2), nachdem ich bei 
eigenen Arbeiten an der Salamanderlarve, an verschiedenen Stellen 
des Bindegewebes, Zellen gefunden hatte, bald verstreut, bald in 
Häufehen angeordnet, die sich durch Form und Färbungseigen- 
schaften sicher als freie Elemente kundgaben und von denen 
einzelne in Mitose waren. Eine solche Zellengruppe ist a.a. O.,. 
S. 296, Fig. R, gezeichnet. Bereits früher?) hatte ich Mitosen 
aus dem leukämischen menschlichen Blut beschrieben, aber dar- 
aus allein noch keinen sicheren Schluss dahin wagen können, 
„dass farblose Blutzellen sich mit Mitose vermehren“, da sich 
nicht feststellen liess, ob die betreffenden Zellen nicht etwa aus 
dem Knochenmark oder der Milz stammten; ich schloss jenes 
erst nach den vorher erwähnten Beobachtungen. 

Etwa gleichzeitig ®), und weiter 1884°), theilte Arnold den 
Befund von Kernfiguren vom Typus der indirekten Kerntheilung 
in erkrankten (chronisch- und acut-hyperplastischen) Lymph- 
drüsen mit und beschrieb) das häufige Vorkommen von Mitosen 


1) Kurze erste Notiz im Centralblatt f. d. med. Wiss. 1878, 
7. Juli, S. 547, und Arch. f. mikr. Anat. 1880, S. 170. 

2) Zellsubstanz, Kern und Zelltheilung, 1882, S. 256. 

3) Beiträge zur Kenntniss der Zelle ete. 1881, 8, 57—58. 

4) Arnold, Beiträge zur Anat. des miliaren Tuberkels. Ueber 
Tuberkulose der Lymphdrüsen und Milch, Virch. Arch. 1882, S. 132. 

5) Ueber Kern- und Zelltheilung bei acuter Hyperplasie der 
Lymphdrüsen und Milz, daselbst 1884, S. 46. 

6) Beobachtungen über Kerne und Kerntheilungen in den Zellen 
des Knochenmarks. Daselbst 1883, S. 23 ff. Sep.-Abdr. — Eine frühere 
Angabe von Mayzels. bei Arnold S.3 a. a. O. 


Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 251 


in Zellen des Knochenmarks; letztere Angabe ist für unseren 
_ Gegenstand dadurch bemerkenswerth, dass Arnold hierbei nach 
seiner ganzen Beschreibung (S. 21 ft.) offenbar farblose Knochen- 
markzellen im Auge hatte, nicht Hämatoblasten, bei welchen letz- 
_ teren die Mitose ja damals schon bekannt war. 
1 Nach den eben erwähnten Angaben Arnold’s über die 
_ hyperplastisch erkrankten Lymphdrüsen trat in diesen die mito- 
tische Zelltheilung gegenüber den anderen von ihm beschriebenen 
Kerntheilungsvorgängen — Fragmentirung, direete Segmentirung 
— so sehr in den Hintergrund, dass man sich fragen musste, ob 
sie in diesen Organen ein physiologischer Vermehrungsmodus 
‚und nicht vielleicht bloss Folge des vorliegenden pathologischen 
- Zustandes sei, ob also nicht die Amitose für die wesentliche Er- 
neuerungsform der Leukocyten zu gelten habe. Bei Untersuchung 
_ der normalen Lymphdrüsen mit geeignetem Verfahren fand ich!) 
_ jedoch alsbald in denselben fast nichts von amitotischen Thei- 
_ lungen, dagegen so massenhafte Mitosen, dass ich den Schluss 
ziehen konnte: die normale Neulieferung von Lymphzellen in 
diesen Organen beruht auf mitotischer Theilung, die amitotische 
— an deren wirklichem Vorkommen ja schon damals kein Zweifel 
sein konnte — kann in den Lymphdrüsen und -Knötchen selbst 
dabei wohl keine wesentliche Rolle spielen. Und mit Hinblick 
_ auf meinen vorher eitirten Befund — Mitosen im augenschein- 
liehen Wanderzellen bei den Larven —, sowie nach den Ver- 
hältnissen in den Lymphdrüsen selbst?) konnte ich zugleich 
schliessen, dass es wesentlich freie Zellen sind, die sich hier 
mitotisch theilen, wenn ich auch das einzelne Vorkommen dieses 
Vorgangs in fixen Zellen des Reticulums selbst beobachtete und 
notirte?). Es lag somit für mich in diesem Ergebniss ein neuer 
Beleg dafür, dass Leukocyten sich auch mit Mitose theilen können. 
Diese Verhältnisse in den Lymphdrüsen sind allgemein be- 
stätigt, und von Vielen ist die Deutung, die ich ihnen gab, an- 
genommen worden; es sind aber auch zwei andere, von ihr wie 
unter sich abweichende, aufgetreten. 


1) Die Zellvermehrung in den Lymphdrüsen und verwandten 
Organen und ihr Einfluss auf deren Bau. Dieses Archiv 1884, Bd. 24, 
und Studien über Regeneration der Gewebe, 1885. 

2) Daselbst S. 64—65 (Sep.-Abdr. S. 15—16). 

3) Ebenda. 


2 W. Flemming: 


Löwit!) betrachtete wie ich die Mitosen in den Iymphati- 
schen Organen als solche von freien Zellen, nahm aber an, 
dass diese hier nicht Leukoeyten, sondern künftige rothe Blut- 
zellen zu produciren hätten. Denn, wie bekannt, besagt seine 
Ansicht über die Blutzellenbildung, dass nur die Vorstufen der 
letzteren (Erythroblasten) zur Mitose befähigt und dabei anfangs 
farblos sind, während die eigentlichen Leukocyten (Leukoblasten) 
sich mit einer besonderen Art vereinfachter Kerntheilung ohne 
Mitose (nach Löwit: divisio per granula) vervielfältigen sollen. 

Baumgarten?) und Ribbert?) andererseits fassten gleich 
mir die Zellen, die sich in den Lymphdrüsen theilen, als Mütter 
von Leukocyten auf; aber sie hielten diese Mütter nicht für 
freie Zellen, sondern für fixe, zum retieulären Bindegewebe 


der Drüsen gehörige — nach Baumgarten Reticulumzellen, 
nach Ribbert Endothelzellen, die noch ausser jenen vorhanden 
sind ®). 


Arnold hat vor zwei Jahren in seiner bekannten Arbeit 
„Ueber Theilungsvorgänge an den Wanderzellen“5) unter den 
freien Zellen, die er in seinen Hollundermarkplättchen aus der 
Lymphe und vom Mesenterium des Frosches auffing, solche ge- 
funden, die in Mitose standen (S. 263). Für ihre Deutung ver- 
hehlt er sich aber nicht das Bedenken (S. 266), „dass dieselben 
vielleicht verschleppte, in Theilung befindliche rothe Blutkörper, 
oder Endothelien oder fixe Bindegewebszellen, welche mobil ge- 
worden sind“, sein könnten. Arnold kam danach zu dem Schluss: 
„Dass die Wanderzellen nach dem Typus der Mitose sich theilen 
können, ist zwar sehr wahrscheinlich, aber nicht sicher erwiesen.“ 


1) Ueber Bildung rother und weisser Blutkörperchen, Wiener 
Sitzungsber. Bd. 88, Abth. II1l, 1885. Ueber Neubildung und Zerfall 
weisser Blutkörperchen, ebenda Bd. 92, Abth. III, 1885, und: Die Um- 
wandlung der Erythroblasten in rothe Blutkörperchen, ebenda Bd. %, 
Abth. III, 1887. 

2) Ueber Tuberkel und Tuberkulose, Berlin 1885. Besonders 
S. 60 ff. | 

3) Ueber Regeneration und Entzündung der Lymphdrüsen. 
Ziegler’s Beiträge zur pathol. Anat. und allg. Pathol., Bd. VI, 1889. 

4) Ribbert spricht sich auch für die Möglichkeit aus (S. 223), 
dass „die einkernigen Wanderzellen in den späteren Stadien der Ent- 
zündung zum grossen Theil aus den fixen Zellen an Ort und Stelle 
entstanden sind“. 

5) Dieses Archiv 1888, 3. 270. 


Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten ete. 253 


Löwit, wie man aus einer Aeusserung in seiner letzt er- 
schienenen Arbeit schliessen kannt), scheint gegen diese Mög- 
liehkeit sehr starke Zweifel zu hegen. 


Um in dieser Frage der Sicherheit weiter zu kommen, 
_ schien es mir zweckmässig, weitere Arbeit an meinen eigenen 
_ vorher eitirten Befund anzuknüpfen. Denn es handelt sich dort, 
bei Amphibienlarven, um Fundorte, wo man den natürlichen Situs 
_ der Gewebstheile, physiologische Verhältnisse, ein lebhaftes Wachs- 
thum, und vor allem grosse und- grosskernige Zellen vor sich 
hat. Es schien mir aber zunächst auch weiteres Suchen nöthig, 
denn es hatte sich bei jenen Befunden nur um wenige (5) Prä- 
parate gehandelt, und diese besass ich nicht mehr, um sie von 
Löwit's Gesichtspunkt aus auf’s neue prüfen zu können; auch 
hatte ich keinen bestimmten Beweis geben können, dass die be- 
treffenden Zellen nicht etwas anderes seien als Leukocyten, und 
hatte deshalb dieser Bezeichnung a. a. O. selbst noch ein Frage- 
zeichen angehängt. 

Ich habe also seitdem weiteres Material gesammelt, zunächst 
ebenfalls bei mittelgrossen und älteren Salamanderlarven, wegen 
der Grösse ihrer Zellen. Es ist das keine ganz leichte Arbeit, 
und sie hat darum etwas lange gedauert. An dünnen Schnitten 
und Serien kommt man damit nicht gut vorwärts, weil es dar- 
auf ankommt, grössere solcher Zellengruppen in situ, mit den 
vorhandenen Bindegewebszellen und Blutgefässen daneben, über- 
sichtlich vor Augen zu haben; dafür hat man sich an Membranen 
oder dünne Bindegewebsfetzen zu halten, die man in toto als 
Präparate benutzen kann. Um diese ablösen zu können, ist ein 
gewisser Macerationsgrad zu treffen, und das Suchen wird ferner 
dadurch langwierig, dass Vorkommen und Reichliehkeit der 
Wanderzellen sehr wechselnd ist. Ich habe besonders das parie- 


1) M. Löwit, Ueber Amitose. Centralbl. f. allg. Pathol. und 
pathol. Anatomie 1890, S. 282: „Hier möchte ich die Resultate andeuten, 
welche ich bei der Verfolgung der Frage erhielt, warum sich die 
Leukocyten nicht durch Mitose, sondern durch Amitose 
ee möhren,..:... wobei ich den nach der Anschauung zahl- 
reicher Autoren noch strittigen Punkt, ob eine Neubildung der weissen 

Blutkörperchen nicht auch durch Mitose erfolgt, hier nicht weiter er- 


254 W. Flemming: 


tale Bauchfell!), Bindegewebsblättehen aus dem Kopf (besonders 
aus der Gegend der ersten Kiemenbögen), die Lunge der Larve 
und das Lungenmesenterium benutzt. In der Bindegewebs- ' 
platte, welche unter dem Zungenwulst dem Mylohyoideus an- 
srenzt und das schöne grosszellige Epithel trägt, das ich mn 
meinen früheren Arbeiten kurz als „Mundbodenepithel“ bezeich- 
nete, finden sich die betreffenden freien Zellen oft recht häufig, 
bald einzeln, bald gruppirt?). Um sie hier recht deutlich zu 
studiren, wird am besten das Epithel abgeschabt. 

Als Verfahren, um die Wanderzellen an allen diesen Orten 
recht scharf hervorzuheben, habe ich theils das gleiche Verfahren 
wie früher?) benutzt, wobei ich eine vorherige lange Autbewah- 
rung am Licht (über 2 Monate) in starker Chromosmiumessig- 
säure oder Hermann’scher Lösung*) zweckmässig fand, um die 
Leukoeytenleiber bei nachfolgender Hämatoxylinfärbung recht 
dunkel gegenüber den fixen Zellen hervorzuheben. Noch besser 
gelingt dies bei gleicher Vorbehandlung dureh Safranin-Gentiana- 
färbung mit Gram’schem Verfahren?) und dann noch folgender 
Hämatoxylintinetion. Ferner habe ich sehr guten Erfolg mit dem 
am Schluss dieser Arbeit angegebenen Verfahren gehabt, bei dem 
die Leukoceytenkörper etwas weniger dunkel als mit Hämatoxylin, 
blassgrau bis braungrau, aber immer recht deutlich abgrenzbar 
hervortreten ®). 


örtern will.“ Wenn ich auf die interessanten Fragen, die Löwit in 
diesem Aufsatz weiter anregt, hier nicht eingehe, so geschieht dies 
nur, weil ich glaube, dafür seine bevorstehende ausführliche Mitthei- 
lung abwarten zu sollen. 

1) Präparation: siehe dieses Archiv Bd. 355, S. 276. 

2) Dass es sich hier und anderswo bei diesen Zellen nicht um 
irgendwelche lIymphatische oder anderweitige Organanlagen handeln 
kann, wird eben dadurch gezeigt, dass diese Zellen bei gleich grossen 
Larven am selben Orte bald fehlen, bald einzeln verstreut sind, bald 
endlich in verschieden grossen Häufchen auftreten, und öfter bei 
jüngeren Larven dort vorkommen, wo sie bei älteren fehlen. 

3) Zellsubstanz ete. S. 256. 

4) F. Hermann, Beiträge zur Histol. des Hodens, dieses Archiv 
B0.34,8:99% 

5) Dieses benutzten wir hier schon seit seiner Einführung mei- 
stens bei der Safranin- und Gentianafärbung. 

6) Arnold spricht in seiner oben eitirten Arbeit (S. 214) aus, 
dass unter anderen Mitteln mein Chromessigosmium-Gemisch, beson- 
ders das starke „den Nachtheil habe, bei Leukocyten (ich weiss nicht, 


Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 255 


Von den mehr als 40 Fällen, in denen ich an solchen Prä- 
paraten die fraglichen Zellengruppen fand!) und die sich ohne 


ob auch andere Zellenarten gemeint sind) den Leib der Zelle mangel- 
haft zu conserviren; die peripheren Protoplasmaschichten würden da- 
_ durch in Form einer Membran abgehoben, in fadenförmige Ausläufer 
ausgezogen oder aber sie zerfielen, so dass der Contour der Zellen 
wie angenagt aussähe“. Ich gestehe, dass mir diese Erfahrungen Ar- 
nold’s unerklärlich sind; ich bekomme mit meinem starken Gemisch, 
wie auch mit der Hermann’schen Mischung, Formerhaltungen der 
Leukocytenleiber, welche, wie der Vergleich mit lebenden kriechenden 
Zellen zeigt, ganz naturgetreu sind, und so ist es auch bei anderen 
Zellenarten. Die Gemische müssen allerdings für diesen Zweck nicht 
zu lange gestanden haben, so dass sie noch reichlich Osmiumsäure 
enthalten; wenn die Essigsäurewirkung zu sehr überwiegt, bekommt 
man wohl auch die bekannten Abhebungen künstlicher Membranen 
vom Zellumfang. So starke Verstümmelungen aber, wie sie Arnold 
beschreibt, sind mir auch dabei nicht begegnet. — Ich will übrigens 
gern zugeben, dass, wie Arnold hervorhebt, Sublimat und Alkohol 
für die Erhaltung feinster Ausläufer kriechender Wanderzellen noch 
besser wirken mag als die Osmiumgemische, durch deren Action solche 
Fortsätze (wie z.B. die an den meisten Figuren von Arnold’s Taf. 14) 
meist ganz zur Einziehung gebracht werden und mehr lappige Aus- 
läuferformen herauskommen, wie z.B. in meiner Figur 7, 8 u. a. ähn- 
lichen. Auf Erhaltung dieser Fortsätze kam es mir für diese Arbeiten 
nicht an. — Auch darin kann ich Arnold nicht beistimmen, dass, 
wie er sagt (a. a. O.), „das starke Chromessigosmiumgemisch, so gute 
Dienste es bei der Auffindung der Mitosen leiste, in allen Fällen zu 
vermeiden sei, in denen es auf den Nachweis der Structur der 
Kerne, sei es in ruhendem Zustand, sei es in dem der mitotischen 
oder amitotischen Theilung ankomme“. Da Arnold die Nachtheile, 
die das Reagens für diesen Zweck haben soll, nicht namhaft macht, 
so weiss ich auch nicht, wogegen ich es in diesem Fall zu vertheidigen 
habe; ich kann also nur anführen, dass ich die Mitose und den Bau 
der ruhenden Kerne, unter Vergleich der lebenden Objecte, mit die- 
sem Reagens wie mit den meisten übrigen sehr lange untersucht habe 
und dass ich dabei in den Fällen, wo man Natur und Fixirungspro- 
duet recht sicher vergleichen kann (z. B. Mitose), kein Mittel kennen 
gelernt habe, welches den Osmiumgemischen (auch den starken) in der 
Bewahrung der Naturtreue gleickkäme. Im Uebrigen möchte ich auf 
das verweisen, was bei der Mittheilung des Verfahrens (Zeitschr. für 
wiss. Mikroskopie Bd. I, S. 353), sowie hier am Schluss bei „Methode“ 
gesagt ist. — Mit Arnold bin ich aber ganz einig in der Meinung, 
dass man in manchen Fällen einen zu einseitigen Gebrauch von dem 
ÖOsmiumgemisch gemacht und ihm mehr Vorzüge zugetraut hat, als 
ich ihm je habe anrechnen wollen. 

1) Es sind hierbei nur die Fälle gerechnet, wo grössere Mengen 


Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37 17 


256 W. Flemming: 


Zweifel durch weiteres Suchen beliebig vermehren lassen würden, 
sind hier zur Uebersicht im Fig. 1—35 emige in toto abgebildet; 
aus denselben Objeeten sind viele der einzelnen, im Fig. 7 u. folg. 
gezeichneten Zellen In 8 von diesen Fällen waren darunter 
Zellen mit Mitosen, bald viele, bald wenige. 

Nach meinem Urtheil, das sich aus dem Folgenden moti- 
viren wird, sind diese Zellen Leukoeyten, oder um ganz objeetiv 
zu reden: farblose, freie, amöboide Zellen, die aus Gefässen aus- 
sewandert und in den Gewebslücken weitergedrungen theils 
noch gruppirt liegen, theils sich lockerer verstreut haben; zum 
Theil dureh Theilung vermehrt worden sind. Dass sie aus Ge- 
fässen gewandert sind, ist deshalb anzunehmen, weil in zahlrei- 
chen der Fälle die Zellenhäufehen dieht um Blutgefässe her 
lagern (wie in Fig. 1, 3), während die benachbarte gefässlose 
Umgebung von ihnen frei ist; es sind das ganz dieselben Bilder, 
wie man sie bei geringeren Graden von Auswanderung am leben- 
den Object beobachten kann, und wie ich sie mir bei "früheren 
Arbeiten?) durch künstliche Reizung der Harnblasenwand sehr 
vielfach fixirt verschafft habe. 

Ausserdem sprechen schon an sich die Eigenschaften der 
betreffenden Zellen für die obige Ansicht, nichts aber dafür, dass 
diese Zellen irgendwie localisirte Gewebszellen der betreffenden 
Orte sein könnten. Von den grossen, zarten, platten oder ver- 
ästelten Bindegewebszellen, zwischen denen sie verstreut sind, 
stechen sie scharf ab durch die erwähnten Färbungen und auch 
— bei dieser Fixirung — schon durch: das stärkere Licht- . 
brechungsvermögen ihrer Leiber. Ihre Kerne haben, wie die 
Abbildungen zeigen, sehr vielfach polymorphe Formen°), Ab- 


Wanderzellen an einer Oertlichkeit vorkamen. Einzeln, oder in meh- 
reren, wie etwa in Fig. 3, Taf. XIII, findet man sie fast überall in der 
Bindesubstanz der Amphibienlarven, wie auch bei erwachsenen Thieren. 

1) Letzteres ist an. anderen der Präparate der Fall, die hier, 
wegen der Grösse des dazu nöthigen Flächenraumes, nicht gezeich- 
net sind. ü 

2) Dieses Archiv 1878, S. 361—62. 

3) Unter polymorphen Kernen verstehe ich, wie es jetzt wohl 
meistens Gebrauch ist, nicht bloss stark mehrlappige Kerne, sondern 
alle, die von der regelmässigen runden oder ellipsoiden Form stärker 
abweichen, also sowohl Formen wie Fig. 7, 14, 20, als die von Fig. 6b 
oder 17. 


Ueber Theilung und Kernformen bei Leuköcyten etc. 257 


_ sehnürungsformen (wie Fig. 7, 14 u. a.), nicht so oft regelmäs- 
_siger runde Gestalt. Ein Theil der Zellen enthält Körnerbildun- 
gen von wechselnder Grösse und Menge (Fig. 2 links oben). Die 
Gestalt der Zeilenleiber wechselt zwischen rundlichen!) und allen 
möglichen Kriechformen, wie die Abbildungen zeigen, und wie 
sie von Wanderzellen bekannt sind. Mit einem Wort, diese Zel- 
len verhalten sich völlig so, wie Blutleukocyten von Salaman- 
dra oder Rana sich verhalten, wenn man ihnen in einem frisch- 
eingedeckten Blutpräparat Zeit gegeben hat, theilweise in amö- 
boide Bewegung überzugehen; oder wie wandernde Zellen, die 
man in der Flosse oder in Kiemenblättchen der Larve lebendig 
eontroliren, und unter dem Deckglas in ihren verschiedenen For- 
men fixiren kann. 

Dieselbe Aehnlichkeit besteht in Bezug auf die innere Be- 
schaffenheit der Kerne dieser Zellen; ich kann darüber im We- 
sentlichen auf das verweisen, was ich früher über die Kernstruc- 
turen von Leukocyten bei Urodelen und ihren Larven gesagt 
habe?) und auf die ausführliche Beschreibung, die H. F. Müller?) 
im vorigen Jahre davon gegeben hat. Die Kerne sind hier, wie 
auch bei den Blutleukoeyten, relativ zu ihrer Grösse recht ehro- 
matinreich, die Anordnung ihrer Innenstructur ist wechselnd. 
Es kommen reichlich Formen vor, wie sie bei Leukocyten so 
häufig sind (Fig. 6, b—h), bei denen das Chromatin in einzelnen 
grösseren Massen, innen oder zugleich an der Kernwand, vertheilt 
ist und diese Massen durch dünne, chromatinlose oder -arme 
-_ Stränge verbunden sind, Kerne also von grob-scheckigem Aus- 
sehen, die Löwit’s Leukoblastenkernen ähneln. Solches Aus- 
sehen ist bei den polymorphen Kernen stark kriechender Zellen, 
welche durch Ausbreitung des Zellleibes stark in die Fläche ge- 
dehnt sind, besonders auffallend (Fig. 7, 8, 9, 16, 19). Es kom- 
men aber auch Kerne vor (besonders bei Zellen die keine stär- 
ker amöboiden Formen zeigen, doch auch bei letzteren), in denen 
die Innenstruetur mehr gleichmässig durch den ganzen Kern 
vertheilt, die Knoten darin kleiner und die Bälkehen dieker sind 


1) Rein kugelrund oder regelmässig ellipsoid finde ich sie nur, 
_ wo sie in Mitose und zwar in Metaphasen sind (Fig. 2a, Fig. 3). 

| 2) Dieses Archiv Bd. 16, S. 312. 

3) Wiener Sitzungsberichte 1889, Abth. III, Juni 1889. 


258 W. Flemming: 


x 


(wie z. B. Fig. 6a, 10, 15); und zwischen diesen und jenen 
Formen findet man reichliche Zwischenglieder). 

Nach Allem, was ich über Kerne von Blut-, Lymph- und 
Wanderzellen bis jetzt gesehen habe, kann ich mien von der 
specifischen Verschiedenheit zweier Typen darunter, wie die Leu- 
koblasten- und Erythroblastenkerne Löwit’s, ebensowenig wie 
Andere (Müller, Neumann) überzeugen; ich gebe völlig zu, 
dass Löwit die extremen Formen durchaus richtig geschildert 
hat, finde sie aber durch sehr viel Mittelformen verbunden. Ich 
habe den Eindruck, dass die Kernstructur der Leukocyten je» 
nach dem Lebens- und Bewegungszustand dieser Zellen die ver- 
schiedenen Formen annehmen kann, die wir finden. 

Von denen dieser freien Zellen, die in Mitose stehen, sind 
die in Prophase befindlichen rundlich, wenigstens habe ich noch 
keine stärker amöboide Form darunter gefunden, als z. B. Fig. 5; 
die Metaphasen sind regelmässig rund oder ellipsoid (Fig. 2a, 3). 
In den Anaphasen zeigt sich dagegen eine Eigenthümlichkeit 
gegenüber anderen Zellenarten: die Abschnürung und Trennung 
des Zellkörpers tritt etwas verfrüht, bereits in dem Ende der 
Dyasterphase ein, statt wie sonst im Dispirem. Ob dies durch- 
gehend ist, kann ich freilich nicht sagen, denn ich habe bis jetzt 
erst vier dieser Phasen zu sehen bekommen (drei davon gez. 
in Fig. 2be und Fig. 4); in diesen allen ist es, wie eben ge- 
sagt. Ferner ist es bemerkenswerth, dass die Tochterzellen nach 
der Abschnürung alsbald in amöboide Formen zu verfallen schei- 
nen, wie es die Figuren, besonders Fig. 4, zeigen. Spronck 
(s. unten, a. a. OÖ. p. 573) hat vor 2 Jahren an Mitosen farb- 
loser Zellen im freien Blutstrom das gleiche Verhalten gefunden; 
er sah ‚sehr deutlich kleine Ausläufer an den Zellen im Dy- 
asterstadium, wenn die Körper der beiden Tochterzellen nur noch 
eben durch einen kleinen Protoplasma-Strang verbunden waren.“ 
Da eine solche letzte dünne Abschnürungsbrücke bei anderen 
Zellenarten nicht im Dyaster, sondern erst im Dispirem vorliegt, 


1) Kerne zum Beispiel, wie die der Fig. 6a, 10 und 22, haben 
Structuren ähnlich den Erythroblastenkernen Löwit’s, sind aber viel- 
fach polymorph (vgl. Fig. 22) und gehören offenbar amöboiden Zellen 
an, und es finden sich in Bildern wie Fig. 6b, 9, 20, 12, 21 Ueber- 
gangsformen genug zwischen ihnen und den leukoblastenartigen Kern- 
formen. 


Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 259 


so kann ich schliessen, dass die von Spronck beobachteten Zel- 
len sich im Bezug auf die verfrühte Abschnürung ganz so ver- 
hielten wie die meinigen. Diese Uebereinstimmung kann als wei- 
terer Beleg dafür dienen, dass es sich in meinen Präparaten um 
Zellen vom Charakter farbloser Blutzellen handelt. 

Mehrfach habe ich Prophasen in Knäuelform getroffen, 
wie Fig.5. Nach der Totalform ist es ein polymorpher, strang- 
förmiger, zum Ringe gebogener!) Leukocytenkern; mit einer 
engen Blendung würde man nicht denken, dass er eine Mitose 
vorstellt, im Farbenbild aber zeigt er das schönste gleichmässige 
Spirem. Wiederum ein Hinweis darauf, dass es sich hier um 
amöboide Zellen handelt, und dass solche im Stande sind, ihre 
Kerne geradezu noch aus dem polymorphen Zustand heraus in 
Mitose treten zu lassen, ohne Dazwischenkunft einer ausgerunde- 
ten Form der Kernruhe. Dies ist der einzige so stark poly- 
morphe Knäuel, den ich bis jetzt sah; halbeingeschnürte, wie 
einer in Fig. R, a. a. OÖ. meines Buches gezeichnet ist, kommen 
öfter, und auch bei verschiedenen Gewebszellen vor. 

Im Uebrigen finde ich an den Mitosen der freien Zellen 
keine Abweichung vom gewöhnlichen Typus. Polkörperchen und 
Spindelenden sind recht gut sichtbar, die übrige achromatische 
Figur wegen der starken Lichtbrechung des Zellkörpers nicht 
gut erkennbar. > 

Ausser den Mitosen finden sich Fragmentirungen der Kerne 
bei diesen Wanderzellen häufig, stellenweise viel reichlicher als 
jene und auch, wo Mitosen fehlen; ich verweise dafür auf den 
zweiten Abschnitt. 


Nach alledem liegen hier also Zellen vor, die zunächst auf 
den Namen „Wanderzellen“ vollstes Anrecht haben. Es kann 
für das Folgende nur noch die Frage in Betracht kommen: sind 
sie deshalb auch gleichwerthig mit den Leukocyten, die im Blute 
strömen? Können diese freien Zellen nicht vielleicht in loco im 
Gewebe entstanden sein, entweder so, dass fixe Gewebszellen ohne 
Weiteres „frei wurden“, wie man zu sagen pflegt; oder so, dass 
sie in Theilung traten, eine der Toochterzellen oder auch beide 


1) Die Enden sind jedoch hier nicht verbunden, sondern decken 
einander nur, wie die Einstellung zeigt. 


260 W. Flemming: 


sich ausrundeten und loslösten, und dann als freie Zellen weitere 
Vermehrung eingingen ? / 

Ich habe bis jetzt vergeblich gesucht etwas zu sehen, das 
sich als Stütze für diese Annahme brauchen liesse. Die fixen 
Bindegewebszellen sind im Bauchfell und in der Lunge äusserst 
platt, dünn und zart, gar nicht oder nur undeutlich abgrenzbar 
und haben grosse, platte, chromatinarme Kerne (Fig. 1, 2, 5); 
im Kopfbindegewebe sind sie und ihre Kerne kleiner und sie be- 
sitzen besser sichtbare Ausläufer, die Form und Verzweigung 
der letzteren ist aber stets ganz anders, wie die Körperform 
kriechender Wanderzellen. Ich habe noch keine Form gefun- 
den, die als Uebergangsform — als eine fixe Zelle, die im Be- 
griff wäre frei zu werden — brauchbar genannt werden könnte. — 
Was ferner die Mitosen fixer Bindegewebszellen angeht, so sind 
sie an all diesen Orten reichlich zu finden!), ebenso bei den 
Endothelzellen des Bauchfells, und sowohl in Objeeten, welche 
zugleich jene Haufen freier Zellen enthalten, als in solchen wo 
diese fehlen. Ich habe grade hier die Mitosen für andere Zwecke 
eben näher studirt und werde in einem folgenden Aufsatz auf 
sie zurückkommen. Ich kann ihnen aber nichts anmerken, was 
zu der Annahme berechtigte, dass die Tochterzellen, welche eine 
solche Mitose liefern, plötzlich frei werden sollten?). Die Binde- 
gewebszellen behalten, wie sehon lange bekannt3), während der 
Mitose ihre Ausläufer; in den Metaphasen und im Anfang der 
Anaphase tritt an ihrem Zellkörper, wie ganz allgemein bei der 
Mitose, die bekannte Dunkelung?*) des Zellkörpers ein, durch 


1) Das heisst, natürlich nicht an jedem Präparat; es ist hier wie 
überhaupt imewachsenden Gewebe, die Zelltheilungen treten schub- 
weise auf und sind also individuell und local bald reichlich, bald 
fehlend. 

2) Für die serösen Häute weisen die neuen Arbeiten Dekhuy- 
zen’s (Nederl. Tijdschrift voor Geneeskunde 1890, S. 341, und: Berliner 
int. med. Congress) darauf hin, dass fixe Bindegewebszellen proto- 
plasmareich werden, und an die Stelle von absterbenden Endothel- 
zellen sich einschieben können. Dies ist aber natürlich etwas anderes, 
als eine dauernde Production freier Wanderzellen von jenen aus. 

3) Dieses Archiv Bd. 16, Taf. 18, Fig. 10; Bd. 35, S. 279. 

4) Zuerst gesehen von van Beneden an Kaninchen-Keim- 
scheiben (La maturation de l’oeuf etc., 1875), näher beschrieben von 
mir in: Zellsubstanz etc., S. 206 ff.,; z.B. Fig. 23, Taf. Ib daselbst, 
von Epithelzellen. 


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Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten ete. 261 


_ welche sie in diesem Zustand den dunklen diehten Körpern der 
Wanderzellen etwas ähnlich werden, und die ein Neuling in 
diesen Dingen also vielleicht als eine Erscheinung des Ueber- 


ganges „zum Freiwerden* ansehen könnte; aber wie ja ebenso 
bekannt ist, geht diese Dunkelung in der späteren Anaphase 


wieder zurück und die Tochterzellenpaare sehen dann wieder 


ebenso blass aus, wie die ausser Theilung stehenden fixen Zellen. 
Ebenso bei den Bauchfellendothelien. 

Bei der Häufigkeit, in der die freien Zellen grade an Blut- 
gefässen!) zu finden sind, und zwar hier in so wechselnder 
Menge, wird es jedenfalls viel mehr Wahrscheinlichkeit haben 
sie auf eine locale Auswanderung, als auf eine Entstehung an 
Ort und Stelle zu beziehen. 

Ausgeschlossen ist letztere hiermit natürlich nicht; die eben 
erwähnten Befunde sind negativ, es könnte jederzeit ein posi- 
tiver gemacht werden. Ueberhaupt bin ich weit entfernt, 
die Möglichkeit einer Bildung von Wanderzellen aus 
fixen Gewebszellen, auch während des physiologischen 
Wachsthums, anzuzweifeln; ich verweise dafür auch auf den 
Schluss dieses Aufsatzes. Aber gesetzt, sie käme vor, so lohnt 
es wohl hier einmal die Frage zu stellen, was die Conse- 
quenzen davon wären. 

Würden wir damit einen plausiblen Grund Ks streng 
zu unterscheiden zwischen Leukocyten, die im Blut treiben, und 
zwischen Wanderzellen, die aus fixen Gewebselementen entstan- 
den sind? Wenn solehe Wanderzellen eben so aussehen, sich 


1) Es könnte etwa noch die Hypothese gemacht werden: „die 
freien Zellen hier seien zwar nicht Abkömmlinge von fixen Binde- 
substanzzellen, oder von Flächenendothel, sie seien aber entstanden 
durch Theilung von Blutgefässendothelien, indem bei diesen die 
eine Tochterzelle nach aussen sich von der Wand ablöse. So seien 
die Zellenhaufen an Gefässen aufzufassen, wie in meiner Fig. 1 und 3“. 
— Diese Hypothese würde meines Erachtens nach jetziger Kenntniss 
noch weniger Halt haben, als die, dass die freien Zellen hier frei- 
gewordene Bindegewebszellen sein sollten. Denn ein solcher externer 
Absprossungsprocess von Capillargefässen müsste bei längerem Suchen 
ziemlich leicht zu sehen sein; ich habe bis jetzt nichts davon ge- 
funden, obwohl ich (dieses Archiv Bd. 35, S. 283) viel an den wachsen- 
den Capillaren herumgesucht habe. Wo ich an ihnen Anaphasen fand, 
lagen die Tochterzellen immer flach in der Wand. 


262 W. Flemming: 


ebenso bewegen, ebenso wechselnde und polymorphe Kernformen 
und wechselnden Körnerinhalt zeigen, wie ausgewanderte Blut- 
leukocyten oder Lymphzellen thun — und das ist ja mit meinen 
freien Zellen hier der Fall — wie will man dann beide noch 
irgendwo auseinanderhalten? Diese Wanderzellen, die ja in Ge- 
websspalten liegen, werden natürlich bald hier bald dort durch 
die Lymphwege ihren Weg ins Blut finden können. Dann strö- 
men sie also in diesem; und da wir ihnen ja keine reelle Ver- 
schiedenheit gegenüber den sonstigen Leukoeyten des Bluts an- 
merken können, kämen wir — wenn wir sie mit diesen nicht 
gleichwerthig setzen wollten zu dem eigenthümlichen Schluss, 
dass im Blut nebeneinander insgeheim zwei Arten von farblosen 
Zellen eireuliren: die einen wirkliche, d. h. schon vom frühen 
Embryoleben her durch Theilung im freien Zustand fortgepflanzte; 
die anderen extraordinäre, d.h. mobil gewordene und in das 
Blut verschleppte Producte fixer Gewebszellen — aber beide von 
einander nicht zu unterscheiden. Sonach würde man niemals 
beurtheilen können, ob eine in der Lymphe, im Blut oder im 
ausgewanderten Zustand befindliche farblose Zelle zur einen oder 
zur anderen Kategorie gehört. 

Dann bleibt uns aber auch nichts übrig, als von einer theo- 
retischen und hypothetischen Eintheilung der farblosen Zellen 
abzusehen, die sich auf ihre fragliche Herkunft.-bezieht, und diese 
Zellen einfach nach den Eigenschaften zu beurtheilen, die sie 
uns zeigen. Und in diesem Sinne kann ich wohl sagen, dass 
man die hier beschriebenen amöboiden Wanderzellen im Binde- 
gewebe mit amöboiden Leukocyten des Blutes gleichwerthig 
setzen darf, wie sie nun auch entstanden sein mögen; denn sie 
zeigen alle Charaktere der letzteren; sie können ohne Zweifel 
auf dem Wege der Lymphbahnen in das Blut gelangen; und 
wenn wir sie uns dann aus, diesem wieder ausgewandert und 
in derselben Gestalt, wie hier in den Präparaten, im Gewebe 
verweilend denken, so würde uns eben jeder Anhalt dafür fehlen 
zu entscheiden, wo sie entstanden sind. — 

_  Löwit hat meinen früheren Befund dieser Art nicht über- 
sehen und wohl erkannt, dass seiner Erythroblastentheorie Schwie- 
rigkeiten daraus erwuchsen: nach dieser würden ja Leukoblasten 
nicht zur Mitose im Stande sein. Löwit stellte deshalb die Ver- 


Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 263 


| muthung auf!), die bezüglichen freien Zellen mit Mitosen könnten 


Erythroblasten sein. Für ihr gemischtes Vorkommen mit Zellen 
von offenbaren Leukoblasteneigenschaften an diesen Orten stellte 
er zwei Erklärungen als möglich hin: entweder, beide zugleich 
könnten local aus Blutgefässen ausgewandert sein, oder es könnte 
sich hier um eine verspätete Blutbildung im Bindegewebe, ausser- 
halb von Gefässen, handeln. Ich habe hier noch zu sagen, wes- 
halb mir Beides nieht durchführbar erscheint. 

Dass die vorliegenden freien Zellen aus Blutgefässen aus- 
gewandert sind, habe ich von vornherein selbst als das Wahr- 
scheimlichste angenommen und den Grund dafür oben genannt. 
Wenn nun aber, unter dieser Voraussetzung, die einen dieser 
Zellen Erythroblasten, die anderen und meisten Leukoblasten 
sein sollten, so würde es nicht erklärlich sein, wie die ersteren 
dorthin gerathen sind, wo sie liegen, ganz untermischt mit den 
letzteren. Denn nach Löwit ist der Mangel amöboider Beweg- 
lichkeit ein wesentlicher Charakter der Erythroblasten?). Diese 
könnten also nieht in der gewöhnlichen Weise, wie Leukocyten 
es thun, durch die Gefässwände gekommen und dann im Ge- 
webe weiter gewandert sein; sondern sie müssten, wie es bei 
Stauungen mit rothen Blutzellen geschieht, durch passive Diapedese 
herausgepresst sein. Gesetzt, es wäre so geschehen, dann liegen 
sie also neben dem Gefäss; sie wären nicht im Stande mit den 
mobilen Leukocyten weiter zu kriechen, und doch findet man 
sie vielfach unter diesen verstreut, auch wo kein Gefäss in der 
Nähe ist. Vor Allem aber: wenn diese Zellen mit Mitosen 
durch passive Diapedese aus den Gefässen gekommen sind, dann 
muss das zu gleicher Zeit doch auch mit rothen Blutzellen 
geschehen sein, welche im Blut der Larve so sehr viel zahlreicher 
sind, als jene; wir müssten also dann erwarten, unter den in 
Rede stehenden Haufen freier Zellen auch reichlich rothe Blut- 
zellen zu finden: das ist niemals der Fall?). 

Gegenüber dem zweiten Erklärungsversuch Löwit’s: dass 


1) Wiener Sitzungsberichte Bd. 88, Abth. III, 1883. 

2) Was freilich seitdem (Denys a. a. O.) in Abrede gestellt wor- 
den ist. 

3) Abgesehen von einzelnen Fällen, wo bei der Präparation ein 
Gefäss zerbrochen und sein Inhalt herausgestreut ist; dies ist dann 
natürlich leicht festzustellen. 


264 W. Flemming: 


eine locale Blutzellenbildung im Gewebe vorliegen könnte, ist zu- 
nächst darauf hinzuweisen, dass die bezüglichen Zellen, wie 
schon beschrieben, vielmehr nach ihrer häufigen Lage an Blut- 
gefässen (Fig. 1 u. 3) augenscheinlich aus solehen ausgewandert 
sind. Aber selbst wenn man dies bezweifeln und annehmen 
wollte, sie wären in loco ausserhalb der Gefässe entstanden, 
woraus könnten sie dann entstanden sein? Doch nur aus den 
in loco vorhandenen fixen Zellen des Bindegewebes. Denn andere 
Elemente sind an den Orten, wo sie sich finden, nicht vorhanden!). 
Dies sind nun flache Zellen mit grossen platten Kernen (vgl. 
Fig. 2, Taf. XII) und Zellkörpern von solcher Zartheit und 
Blässe, dass. sie im ruhenden Zustand nicht einmal klar begrenzt 
sichtbar sind; zwischen diesen Zellen und den in Rede stehenden 
findet man keinerlei Uebergänge in Form, Grösse, Liehtbrechung 
und Färbungsvermögen. Aber wenn man dies auch annimmt, so 
wird damit die Hypothese nicht haltbarer gemacht, dass an den 
hier beschriebenen Stellen eine locale Blutbildung im Gewebe 
und aus fixen Gewebszellen statthaben sollte. Denn nach solcher 
Annahme würden sich aus diesen Gewebszellen nebeneinander 
und durcheinander bilden: erstens, in viel grösserer Zahl Zellen, 
mit polymorphen Kernen und amöboider Bewegung, also nach 
Löwit Leukoblasten, und zweitens Zellen, die in Mitose treten 
können, also Erythroblasten. Es wäre nun doch für die Annahme 
einer specifischen Verschiedenheit dieser beiden Zellenarten sehr 
bedenklich, dass sie beide aus einer und derselben Zell- 
form, der plattverästelten Bindegewebszelle, oder der Endothel- 
zelle sich reerutiren sollten. Und zwar müsste dies geschehen an 
den verschiedensten Orten des Körpers, wie die Lungenwand, 
das Bauchfell, das intermusceuläre Bindegewebe, und es müsste 
geschehen zu einer Zeit des Wachsthums, wo das Blut selbst 
schon längst von Mitosen rother Blutzellen wimmelt, so dass sich 
für einen Zuschuss durch extravasculäre Blutbildung gar kein 
Erforderniss sehen lässt. | 

Die Annahme einer solehen in diesem Falle ist also mit so 
vielen Unwahrscheinlichkeiten verknüpft, dass sie selbst erst 


1) Es handelt sich bei allen diesen Befunden um Larven von 
bereits 3,5—5 em Länge, bei denen die betreffenden Stellen der Binde- 
substanz längst nicht mehr dichtzellig-embryonalen Charakter haben 
und vielfach reichliche Fibrillenmassen führen. 


Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten ete. 265 


_ irgend eines Beweises bedürfte, ehe sie zur Erklärung von etwas 


Anderem benutzt werden soll. 

Zum Schluss dieser Erörterung will ich auf den Punkt in 
meinen Befunden zurückverweisen, der mir für die Beurtheilung 
der Sache besonders wesentlich erscheint. Zellen, wie Fig. 2b, 
2e und Fig. 4, Taf. XIII, sind offenbar amöboid, würden also 
nach Löwit’s Ansicht nicht „Erythroblasten“ sein können. Dann 


‘wären sie also „Leukoblasten“. Da sie sich nun in Mitose be- 


finden, so habe ich hinreichenden Grund, gegen Löwit an mei- 


nem früheren Ausspruch festzuhalten, dass Leukocyten sich so- 


wohl mitotisch als amitotisch zu theilen vermögen. 

Hierfür kann ich mich jetzt auch auf eine Reihe anderer 
Forscher beziehen: Bizzozero, Denys, H. F. Müller, 
Spronck und Neumann, welche bei Verfolgung des Problems 
der Blutbildung an anderen Objeceten ebenfalls zu dem Schluss 


- gekommen sind, dass Vermehrung von Leukoeyten (Leukoblasten) 


durch Mitose reichlich vorkommt. Bizzozero hatte schon vor 
langer Zeit!) gefunden, dass im Knochenmark der Vögel die Re- 
generation der rothen Blutzellen durch Mitose innerhalb vasculärer 
(venöser) Bahnen vor sich geht, während in dem Gewebe ausser- 
halb dieser Bahnen keine hämoglobimhaltigen Zellen lagern, son- 
dern farblose; dass zahlreiche der letzteren hier bei den Vögeln 
eigenthümliche stäbehenförmige Körper enthalten, und dass farb- 
lose Zellen mit diesen selben Stäbchen reichlich auch im Blute 
der Vögel vorkommen, wodurch die Leukocytennatur jener extra- 
vasculären Zellen des Knochenmarks dargethan wird. 

Diese Befunde hat Denys?), ohne Kenntniss der erwähnten 
Angaben Bizzozero’s, bestätigt, und Beide haben gefunden, 
dass in jenen extravasculären Leukoeyten häufig Mitosen vor- 
kommen?). Wenn nach meinen Beobachtungen an der Salamander- 


1) Siehe Bizzozero, Neue Untersuchungen über den Bau des 
Knochenmarks bei den Vögeln, Arch. f. mikr. Anat. 22. Juli 1890. Die 
früheren Angaben des Autors sind dort eitirt. 

2) Denys, Ja structure de la moelle des os etc., in La Cellule, 
T. 4, 1887, pag. 3. 

3) Für den Hauptgegenstand der beiden genannten Arbeiten, 
die Regeneration der rothen Blutzellen, der mein hiesiges Thema nicht 
näher berührt, darf ich auf die Originalien und besonders auf Bizzo- 
zero’s Abhandlung verweisen. 


266 W. Flemming: 


larve vielleicht noch daran gedacht werden könnte, dass die Be- 
fähigung dieser Zellenart zur Mitose nur bei embryonalen und 
Larvengeweben vorliege, so kann das also jetzt nicht mehr in 


Betracht kommen. — H. F. Müller hat in einer sehr um- 
fassenden und sorgfältigen Arbeit!) zwar — wie auch ich dies 
thun kann, s. oben — das Vorhandensein der beiden extremen 


Kernformen bestätigt, durch welche sich nach Löwit die Leuko- 
blasten einerseits und die Erythroblasten andererseits kennzeichnen 
sollen; er hat aber auch farblose Zellen gefunden, welche im 
Kernbau und in sonstigen Eigenschaften weder mit dem einen 
noch mit dem andern Typus übereinstimmen, — die von ihm so- 
genannten theilungsreifen ruhenden Zellen — welche er von ein- 
kernigen Leukocyten ableitet, und welche nach ihm sowohl zu 
Erythroblasten werden, als anderseits vermittelst mitotischer Thei- 
lung Leukoeyten liefern können. Er lässt somit die weissen und 
die farbigen Blutzellen von einem gemeinsamen Ausgangspunkt 
aus entstehen. Es ist hier nicht die Stelle, das Für und Wider 
dieser Auffassung und den Gegensatz zu erörtern, in dem sie be- 
sonders zu Bizzozero’s Befunden über die Blutbildung steht; 
ich wollte nur darauf hinweisen, dass Müller die Befähigung 
von Leukocyten (Leukoblasten) zur Mitose nieht nur durchaus 
festgehalten hat ($ 70 semer Arbeit Satz 3, und ff.), sondern 
selbst eine Menge von Belegen dafür beigebracht hat. 

Die Arbeit Spronck’s?) ist für den hier behandelten Punkt 
von besonderem Interesse. Er hat das strömende Blut des Säuge- 
thiers (Kaninchen und Mensch) auf das Vorkommen von Mitosen 
untersucht, bei zwei Kaninchen an gefärbten Durchschnitten des 
mit Chromosmiumessigsäure gehärteten Inhalts der Vena cava 
inf., beim Menschen an Blut aus der Fingerspitze, das in glei- 
cher Weise fixirt war und in Celloidin vertheilt geschnitten 
wurde. Das höchst überraschende Ergebniss war, dass unter 
sämmtlichen kernhaltigen Zellen des Blutes beinahe 2 pro Mille 


1) Hermann Franz Müller, Zur Frage der Blutbildung. 
Wiener Sitzungsberichte 6. Juni 1889. 

2) Over Regeneratie en Hyperplasie van Leukocyten in het eir- 
culeerend bloed. Nederlandsch Tijdschrift voor Geneeskunde, 29. März 
1889. Ich gehe auf den Inhalt etwas näher ein, da die Arbeit noch 
wenig bekannt zu sein scheint; in den neuesten Publikationen über 
den Gegenstand ist sie nicht berücksichtigt. 


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b) 


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Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 267 


in Mitose sind!); das heisst, wie Spronck berechnet, es würden 
sich im Blut des erwachsenen Kaninchens in jedem Augenblick 
ungefähr 1,000,000 Zellen in Mitose befinden, eine genügende 
Zahl, um in 24 Stunden ein Zwanzigstel der im Blut strömenden 
Gesammtzahl farbloser Zellen zu erneuern, ganz abgesehen von 
denen, die noch durch die Lymphe zugeführt werden. 

Es könnte gesagt werden, dass diese Zählungen noch nicht 
ohne Weiteres allgemein maassgebend sind, weil sie — so müh- 
sam sie schon an sich waren — erst drei individuelle Fälle um- 
fassen, in denen zusammengenommen auf 10000 bis 11000 farb- 
lose Zellen erst 20 Mitosen im normalem Blut gefunden worden 
sind. Immerhin bleibt es gewiss höchst bemerkenswerth, dass 
gleich in diesen drei ersten Fällen die Verhältnisszahl so auf- 
fallend constant blieb, wie es die eitirten Ziffern zeigen, und wir 
können den Nachweis als durch Spronck geführt ansehen, dass 
Mitosen im Blutstrom in einer bisher ungeahnten Menge vor- 
kommen. 

Den Gedanken, dass man es bei denselben mit Hämato- 
blasten aus den Knochenmarksvenen zu thun haben könnte, die 
noch in Mitose stehend in den Blutstrom gelangt wären, wies 
Spronck mit der Erwägung zurück?), dass man in solchem‘ 
Falle noch in viel grösserer Zahl kernhaltige rothe Blutzellen 
(Hämatoblasten), wie sie ja im Knochenmark vorkommen, auch 
im Blute finden müsste, was bekanntlich nicht der Fall’ ist. 
Spronck hält demnach seine im Blut gefundenen Mitosen für 
solche von Leukocyten, indem er sich dafür auch auf meine 
früheren und auf Denys’ Angaben beruft, nach welchen ja freie 
Leukocyten zur Mitose befähigt sind. 

Von Löwit's Standpunkt könnte nun aber gesagt werden: 
die Spronck’schen Mitosen im Blut sind vielmehr solche von 
noch farblosen Erythroblasten aus den Lymphdrüsen, die aus 
den letzteren, noch in Theilung stehend, in die Lymphe und 


1) Kaninchen A (Vena cava) unter 3053 gezählten kernhaltig. Zellen 
6 Mitosen (0,19 p. c.). 
Kaninchen B (ebenso) unter 6600 gezählten kernhaltig. Zellen 
12 Mitosen (0,18 p. c.). 
Mensch, Fingerblut unter 1091 gezählten kernhaltig. Zellen 
2 Mitosen (0,18 p.c.). 

2) a. a. OÖ. pag. 14—15. 


268 W. Flemming: 


weiter in’s Blut geschwemmt. worden sind, oder die vielleicht 
erst in der Lymphe oder im Blut mit der Mitose begonnen 
haben. 

Hierauf lässt sich zunächst antworten, was ich meinem 
Freunde Löwit schon vor Jahren in einem Briefwechsel über 
seine erste Arbeit eingewandt hatte: wenn überhaupt Erythro- 
blasten in noch farblosem Zustand aus den Lymphdrüsen in’s 
Blut gelangen, und wenn — was jetzt nach Spronck hinzu- 
käme — ein Theil dieser Zellen noch im Blut in Theilung ist, 
dann müssen diese noch weissen kernhaltigen Zellen, beziehungs- 
weise ihre Töchter, ihre Metamorphose zu kernlosen rothen (beim 
Säugethier) im Blutstrom durchmachen, und wir müssten also in 
diesem recht reichlich die Uebergangsformen — kernhaltige rothe 
Blutzellen — vorfinden, während sie, wie bekannt, äusserst spär- 
lich sind. 

Dieser Einwand ist, wie ich nicht verkenne, nach Löwit's 
zweiter Hauptarbeit!) nicht mehr ausreichend. Der Verfasser be- 
schreibt in dieser, als reichlich im Blut vorkommend, die Gebilde, 
die er „gekernte rothe Blutzellen“ nennt?), unterscheidet sie 
durchaus von den aus dem Knochenmark bekannten „kernhaltigen 
rothen Zellen“ (Hämatoblasten), und sieht in ihnen die Formen 
der Umbildung seiner Erythroblasten zu kernlosen rothen Scheib- 
chen. Er lässt diese Umbildung sehr rasch vor sich gehen: auf 
dem Wege von den Venen durch den kleinen Kreislauf bis zum 
linken Herzen. soll sie schon vollendet sein, oder sollen minde- 
stens die „gekernten“ rothen Zellen schon ihre Kerne verloren 
haben?). Wenn es so zuginge, würde man also im Blut auch 
keine aus den Lymphdrüsen stammende Zellen vom Habitus der 
Hämatoblasten (rothe kernhaltige) erwarten können. 

Dem gegenüber hat kürzlich Neumann) gewiss mit gutem 
Grund den Nachweis vermisst, dass die „gekernten rothen Blut- 
körper“ Löwit's auch sicher physiologisch-normale Elemente, 
und nicht vielleicht ebenso Reagentienprodukte seien, wie die 


1) Die Umwandlung der Erythroblasten in rothe Blutkörperchen. 
Wiener Sitzungsberichte Bd. 92, Abth. III, 1885. 

2) Für das Nähere ihrer Eigenschaften siehe a. a. O. 

3) ara) 0 BA 

4) Ueber die Entwicklung rother Blutkörperchen in neugebilde- 
tem Knochenmark. Virchow’s Archiv 1890, S. 397—98. 


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Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 269 


schon verschiedentlich beschriebenen gekernten rothen Blutzellen 
bei Säugethieren, und hat das Bedenken erhoben, dass nach 
Löwit’s neuer Auffassung „die Entwicklung der Erythroblasten 
der Milz und Lymphdrüsen zu rothen Blutzellen in ganz anderer 
Weise vor sich gehen müsste, als im Knochenmark“. Ich theile 
dies Bedenken ganz; Löwit selbst wird dies wohl nicht thun, 
denn ein zweifacher Habitus der Blutzellenbildung liegt schon 
a priori in seiner ganzen Auffassung bedingt: im Knochen- 
mark und beim Embryo theilen sich Vorstufen rother Blutzellen 
in hämoglobinhaltigem Zustand, in den Lymphdrüsen aber müss- 
ten sie es nach Löwit als farblose Zellen thun. 

Ich habe aber einen weiteren Einwurf gegen Löwit's 
neueste Darstellung, der sich auf die Spronck’schen Mitosen 
im Blut stützt. 

Diese können doch nur entweder Theilungen von Leuko- 


_ eyten (Leukoblasten) sen, was die Theorie Löwit's nicht zu- 


geben könnte, oder Theilungen von Erythroblasten aus den 
Iymphatischen Organen. Gesetzt, das Letztere wäre der Fall mit 
den Mitosen, die 2 per Mille der farblosen Zellen in der Vena 
caya des Kaninchens ausmachen (Spronck). Nach Löwit 
müssten die Töchter dieser Mitosen im Venenblut und im kleinen 
Kreislauf bis zum linken Herzen bereits die Umwandlung durch 
die Formen der „gekernten rothen Blutzellen“ zu” rothen kern- 
losen Körpern durchmachen. Nun wissen wir zwar die Dauer 
einer solchen Mitose beim Säugethier noch nicht genau, es ist 
möglich, dass sie mit einer halben Stunde, wie Spronck sie 
ansetzt, viel zu hoch gegriffen ist, aber angesichts der mehr- 
stündigen Dauer bei Amphibien, derjenigen bei Eiern, und über- 
haupt des ganzen compliceirten Vorganges der Mitose wird wohl 


_ Niemand glauben, dass sie beim Säugethier weniger als einige 


Minuten beansprüchen sollte. Eine Zelle also, die sich in der 
Vena cava in einer Prophase oder Metaphase der Kermtheilung 
befindet, müsste die Theilung vollenden, ihre Tochterzellen müss- 


ten die Kerne zur Ruheform zurückkehren lassen, diese Kerne 


27 


2. 
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= 


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müssten sich deconstituiren und der Zellleib müsste Hämoglobin 
erhalten — und Alles das binnen der Zeit, welche der Blut- 
strom von der Vena cava bis zum linken Herzen braucht. Das 
ist nicht möglich; die Hälfte der Mitose allein wird länger dauern, 
als dieser Stromweg. Sollen diese Zellen Erythroblasten sein, 


370 W. Flemming: 


dann müssten nicht nur zahlreiche Mitosen bis über das linke 
Herz hinaus in's Arterienblut gelangen — wo ja Spronck auch 
solche gefunden hat — sondern es müssten sich die weiteren 
Umwandlungsformen, die „gekernten rothen Blutzellen“ ‘ebenso 
gut im Arterienblut finden, wie im venösen und dem des kleinen 
Kreislaufs, was doch nach Löwit nicht der Fall ist. Wie mir 
scheint, würde man also auch vom Boden seiner neuen. Ansicht 
zu dem Schluss zurückgelangen, dass die Spronck’schen Blut- 
mitosen nicht Erythroblasten, sondern Leukoblasten angehören. 
Doch ich will diese Betrachtungen nicht weiter fortsetzen 
und mich lediglich an die Thatsachen halten, die für den vor- 
liegenden Gegenstand die wichtigsten sind. Nach meinen früheren 
und hier mitgetheilten Beobachtungen, sowie nach denen von 
Bizzozero und Denys, können freie, farblose, amöboide 
Zellen mit polymorphen Kernen, Zellen von der Be- 
schaffenheit, wie Leukocyten des Blutes, als Wander- 
zellen im Bindegewebe und als Inhaltszellen der Knochenmark- 
räume vorkommend, sich dureh Mitose theilen, und es ge- 


schieht dies recht reichlich. Angesichts dieser Thatsachen hat 


man vollkommenen Grund, die von Spronek im Blut gefundenen 
Mitosen, mit diesem Autor, gleichfalls für solehe von Leukoeyten 
zu halten, so lange nicht mit irgend einer sicheren Gewähr ge- 
zeigt werden kann, dass sie etwas anderes sind. 

Im Anschluss hieran möchte ich noch meine Stellung zu 
der Deutung bezeichnen, welche Baumgarten und Ribbert!) 
den Mitosen in den Lymphdrüsen gegeben haben. Nach beiden 
Autoren sind es Theilungen von fixen Gewebszellen; nach 
Baumgarten von Zellen des Reticulärgewebes, nach Ribbert, 
der hier zwei Arten von fixen Zellen, Retieulumzellen und Endo- 
thelien, auseinanderhält, den letzteren angehörig. Beide Autoren 
haben diese Ansicht dadurch gestützt, dass sie an Schnitten von 
Chromsäurepräparaten, welche die Freilegung des fixen Gewebes 
in den Lymphdrüsen besser gestatten als Osmiumgemische, Mi- 


tosen der fixen Zellen feststellten. Gegen deren Vorkommen 
habe ich gewiss nichts einzuwenden, um so weniger, als ich ” 


selbst schon früher Theilungsfiguren in fixen Bälkchenzellen aus 
den Lymphbahnen der Drüsen erwähnt hatte?); auch gebe ich 


1) An den im Eingang citirten Orten. 
2) Dieses Archiv 1885, 8. 65. 


en Ynahle 


naar. mE 


> I, 


Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten ete. 271 


nach Baumgarten’s und Ribbert's Befunden völlig zu, dass 
diese Theilungen fixer Zellen auch in den Keimcentren häufiger 
sind, als ich es damals annahm. Dagegen kann ich keinen Be- 
weis dafür erbracht sehen, dass nicht auch freie Zellen hier in 
den Keimeentren in Mitose sind. Denn ich habe, wie $ 16 
a. a. O. schon erwähnt ist, oft genug in den Keimeentren Zellen 
in soleher Theilung gefunden, die rund oder länglich-rund und 
ohne Ausläufer waren, und habe bei neueren Arbeiten Dr. Heil- 
brunn’s seitdem noch manche weitere solche Bilder gesehen. Es 
scheint mir auch nicht, dass die beiden genannten Forscher dies in 
Abrede stellen wollen; Ribbert zeichnet die Mitose einer freien 
Zelle in seiner Fig. 4 und spricht von solchen auf Seite 192; 
er wie Baumgarten leugnet nur das Vorkommen von Mitosen 
in „typischen Lymphzellen“. Wenn hierunter das verstanden 
sein soll, was Baumgarten auf seiner Seite 62 definirt als 
„typische Lymphkörperchen, d.h. frei in den Maschen liegende 
kleine, dunkel tingirte, fast nackte Kerne“, dann sind wir auch 
über diesen Punkt einig; in einer solchen Lymphzelle klein- 
sten Calibers, wie sie besonders in der Peripherie der Keim- 
centren zusammengedrängt liegen, habe auch ich in den Lymph- 
drüsen noch keine Mitosen beschrieben oder gefunden, wenn ich 
auch nicht annehmen möchte, dass solche Zellen in ihrem wei- 
teren Leben steril bleiben müssen. Es weist ja Vieles darauf 
hin, dass eine gewisse Grösse des Leibeswachsthums nöthig ist, 
um eine Zelle theilungsreif zu machen. 

Danach dürfte hier weniger eine Differenz über die that- 
sächlichen Befunde, als über die Deutung bestehen, und auch in 
dieser bin ich nicht gemeint unbedingte Opposition zu machen; 
mir scheint, wir stehen hier vor einer noch unentschiedenen 
Frage. Nach Baumgarten’s und Ribbert’s Auffassung wür- 
den alle Zellen, die aus den Lymphdrüsen und sonstigen Iym- 
phatischen Organen in die Lymphe treten, in diesen Organen in 
letzter Instanz von fixen Zellen produeirt sein. Dies ist mög- 
lich, aber wie mir scheint, nicht sicher gestellt. Es wird nicht 
dadurch erwiesen, dass eine ziemliche Anzahl fixer Zellen am 
Reticulum normaler Lymphdrüsen mit Mitosen demonstrirt ist"). 


1) Wenn sich hier und speciell im Bereich der Keimcentren die 
fixen Zellen reichlicher theilen, als an anderen Orten, so könnte dies 
Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 37 18 


972 W. Flemming: 


Denn die freien Zellen, die. hier aus den Maschen herausfallen 
mussten, damit jene erkennbar wurden, sind jedenfalls viel zahl- 
reicher gewesen als die restirenden, und man weiss nicht, wie 
viele von ihnen im vorliegenden Falle in Theilung standen. Dass 
die grösseren dieser freien Zellen, in denen ja sicher auch Mi- 
tosen vorkommen, alle von den fixen Zellen abstammen, ist 
wiederum möglich, aber nicht bewiesen. Es wird nicht dadurch 
belegt, dass die Kerne der grossen freien Zellen hell und von 
lockerer Structur sind und dadurch Aehnlichkeit mit-den Kernen 
der Endothelzellen (Ribbert) haben; ich wenigstens muss daran 
festhalten, dass Leukocytenkerne je nach dem Zustand der Zellen 
sehr variable Gebilde sind, und dass sie, wenn jene sich durch 
Wachsthum vergrössern, dies ebenfalls thun und damit einen 
lockeren Bau erhalten können. Mir scheint also, dass die Auf- 
fassung der Vorgänge in den Lymphdrüsen, die ich in meinen 
früheren Arbeiten gegeben habe!), durch Baumgarten und 


auch von anderem Gesichtspunkt versändlich sein: erstens, weil das 
Reticulärgewebe vermöge der wechselnden Anfüllung seiner Maschen 
eine sehr plastische Formation sein muss, dann aber und besonders 
mit Hinsicht darauf, dass.die Zelltheilungen in den Lymphdrüsen ja 
augenfällig local gruppirt, nesterweise auftreten, wovon eben der 
Ausdruck in den Keimcentren vorliegt; es muss nothwendig eine eng- 
locale Disposition angenommen werden, die das bedingt, wenn ihr 
Wesen uns auch unbekannt ist, und diese Disposition kann ebenso- 
wohl die am Orte befindlichen fixen Zellen, als die freien mitbetreffen. 
— Aehnliches findet man, wie ich früher beschrieben habe, vielfach 
deutlich ausgesprochen bei wachsenden Geweben: bei Amphibienlarven 
zeigen sich ganz auffallend locale Häufungen von Zelltheilungen, 
welche sowohl die in loco befindlichen Epitnhelien, als die 
Bindegewebs-Gefässzellen etc. betreffen. 

1) Studien über Regeneration der Gewebe, a.a.0. Nach dieser 
beruht die Erneuerung der Leukocyten wesentlich oder grossentheils 
auf mitotischer Theilung freier Zellen und geschieht wesentlich in den 
Lymphdrüsen und Iymphoiden Knötchen; die Zellen, welche diesen 
Organen durch die Lymphe zugeführt werden, stauen in den Maschen 
des Reticulums der Knoten und Stränge, unter ihnen bilden sich lo- 
cale Wucherungsnester (Keimcentren), die hier gebildeten Tochter- 
zellen werden nach und nach in die Lymphbahnen hinausgedrängt ° 
und aus den Drüsen geführt. — Dass ausserdem auch Mitose von 
frei im Blut und in der Lymphe circulirenden Leukocyten mitspielt, 
konnte ich damals noch nicht in Rechnung stellen; dass. ferner Ver- 
mehrung von wandernden Leukocyten durch amitotische Theilung 


EEE 


Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten ete. 273 


Ribbert ebensowenig widerlegt ist, als ich die ihrige wider- 
_ legen kann, deren Möglichkeit ich vollkommen anerkenne. 

Das aber lässt sich jetzt wohl behaupten, dass mitotische 
Theilungen freier Zellen vom Charakter der Leukocyten des 
Blutes und der Lymphe wirklich, reichlich und als physiologischer 
Process vorkommen. Baumgarten konnte in seiner erwähnten 
Abhandlung noch mit Grund bezweifeln‘), dass dergleichen in 
der Blutbahn geschähe, und annehmen, dass in dieser „nur em 
allmählicher Untergang der Blutkörperchen, rother wie weisser, 
sich vollziehe“; heute aber ist zu solchem Zweifel wohl kein 
Anlass mehr, angesichts der fremden und eigenen Beobachtungen, 
die hier besprochen sind. Wenn Wanderzellen im Bindegewebe 
des Salamanders und Leukoceyten im Knochenmark der Vögel, 
die sicher gleichartig mit denen des Blutes sind ?), sich mitotisch 
theilen, so lässt sich füglich kein Grund dagegen finden, dass 
Zellen dieser Art das Gleiche auch im Blut und in der Lymphe 
thun können, und dazu stimmt es sehr gut, dass Spronck 
gleich bei der ersten Untersuchung des strömenden Blutes in 
situ mit geeigneter Methode darin nach seiner Berechnung etwa 
eine Million Mitosen gefunden hat. 

Das Gesagte wird hoffentlich nicht dahin missverstanden 
werden, als ob ich eine Entstehung von freien wanderfähigen 
Zellen aus fixen Gewebszellen leugnen, oder auch mür ihre Mög- 
lichkeit anzweifeln wollte. Die pathologischen Arbeiten geben 
ja zahlreiche Hinweise dafür, dass aus sessilen Gewebselementen 
durch Theilung zunächst freie und bewegungsfähige Granulations- 
zellen werden können; in der Embryologie herrscht zwar über 
die ersten Quellen der Blutbildung noch grosse Meinungsverschie- 
denheit, ich wüsste aber nicht, womit von den heutigen Kennt- 
nissen aus die Ansicht K. E. Ziegler’s?) widerlegt werden 
könnte, nach welcher die farblosen Blutzellen aus dem mesen- 


En 
7 


reichlich vorkommen kann, habe ich auch damals angenommen; nur 
in den normalen Lymphdrüsen selbst konnte ich sie nicht häufig 
finden und weiss auch jetzt nicht, ob man sie für die physiologische 
Regeneration in Anschlag bringen darf. 

1) a. a. 0. S.39 und Anmerkung daselbst. 

2) Bizzozero und Denys, a. a. O. 

3) Die Entstehung des Blutes der Wirbelthiere. Berichte der 

. naturf. Gesellschaft zu Freiburg i. B. Bd. 4, 1889. 


274 W. Flemming! 


chymatischen Bildungsgewebe, einem Gewebe also, das man ein 
fixes nennen kann, hervorgehen. Die Frage, die ich hier behan- 
delt habe, stellt sich also nicht so: ob freie Zellen wie die Leu- 
kocyten auch immer von freien Zellen abstammen müssen; son- 


dern so: ob farblose amöboide Zellen, die sich, auf 


welche Weise sie nun entstanden sein mögen, frei im 
Säftekreislauf oder frei in den Gewebsspalten befin- 
den, und die dabei nicht Vorstufen’rother Blutzellen 
sind — durch mitotische Theilung ihresgleichen pro- 
duciren können. Diese Frage müssen wir jetzt, wie mir 
scheint, mit ja beantworten, so bedauerlich es auch gefunden 
werden kann, dass damit der pathologischen Gewebelehre ein 
früher erhofftes Unterscheidungsmerkmal zwischen fixen und wan- 
dernden Zellen entgeht. | 

Gesetzt also auch, es würde durch weitere Forschung der 
Beweis beigebracht, dass in den Iymphatischen Drüsen die fixen 
Zellen einen ständigen Mutterboden für die Lymphzellen abgeben, 
indem sie durch Mitose solche erzeugen: so würde doch zuzu- 
geben sein, dass ihre frei gewordenen Töchter auf ihrem ferneren 
Lebenswege die Fähigkeit zur Vermehrung auf gleiche Art be- 
halten und ausgedehnten Gebrauch davon machen können. 


II. Ueber Attraetionssphären und Gentralkörper in 
Leukocyten und ihr Verhalten bei der Kernfragmentirung. 


Bei den Untersuchungen, über die im vorigen Abschnitt be- 
richtet ist, suchte ich zugleich mich über andere, ausser der Mi- 
tose noch vorkommende Theilungsvorgänge bei Wanderzellen zu 


unterrichten; denn diese Zellen sind an den Präparaten, die ich 


verwendete, ja sicher in ganz physiologischen Verhältnissen von 


der Fixirung überrascht, dabei sehr gross, und bei der Behand- 


lung klar zu studiren. 

Was ich dabei sehr reichlich zu sehen bekam, sind Vor- 
gänge der Kernfragmentirung oder -Zerschnürung, von der Art, 
wie sienach Arnold als direkte Fragmentirung zu be- 
zeichnen wäre. Denn es macht sich bei ihnen keine Zunahme, 
oder besondere Anordnung der chromatischen Substanz im Kern 
bemerklich, wie solche von Arnold als Kennzeichen seiner „in- 


ers 


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Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten ete. 275 


_ direkten Fragmentirung“ hingestellt worden sind?). Formen, 
welehe bestimmt der Definition dieser letzteren, oder auch der 
„direkten Segmentirung“ entsprechen würden, habe ich unter 
diesen Wanderzellen der Salamanderlarve nicht angetroffen. 
Direkte Fragmentirungen von Leukocytenkernen, wie ich sie 
hier in den Figuren 7—9, 14, 16, 19, 20 darstelle, sind bekannt- 
lich schon vor längerer Zeit im lebenden Verlauf beobachtet wor- 
den, zuerst in einzelnen Fällen von Bizzozero, Stricker, 
Klein und Ranvier?), weitervon Lavdowsky?°) und beson- 
ders genau neuerdings von Arnold?) experimentell an lebenden 
 Wanderzellen studirt worden. Ueber die Bilder, die man davon 
an fixirten und gefärbten Objeeten erhält, hatte ich früher in 
meinem Buch (S. 348 ff.) Einiges mitgetheilt; Arnold hat dar- 
über a. a. O. jetzt mit Rücksicht auf das lebende Object so aus- 
führliche Schilderungen gegeben, dass ich eine nähere Beschrei- 
bung dieser Kernzerschnürungsformen hier füglich unterlassen kann. 


1) Dabei muss ich auch die ringförmigen Kerne einbegreifen, 
die unten näher besprochen werden, denn auch ihnen fehlt eine Chro- 
matinvermehrung, sowie irgendwelche besondere Aenderung des inne- 
ren Kernbaues; und da sie sich dabei doch sicher zerschnüren können, 
müssen sie nach Arnold's Definition doch wohl unter den Begriff der 
directen Fragmentirung fallen. — Ein bestimmter Unterschied zwi- 
schen directer und indirecter Fragmentirung will mir überhaupt nicht 
recht durchführbar erscheinen. Auch kann ich eine vorgängige Ver- 
mehrung der chromatischen Substanz nicht als ein ständiges und noth- 
wendiges Kennzeichen irgend einer Art von Kerntheilung ansehen; 
bei der Mitose, bei welcher Arnold sie als ein solches ebenfalls be- 
trachtet, kann sie nach meinen Erfahrungen oft genug auch fehlen, 
oder doch in keiner Art nachweisbar sein (vgl. dieses Arch. 1889, 
S. 449, Anm.). — Da in dem Fall von Fragmentirung im Blasenepithel 
(am eben eitirten Ort) in der That ein Theil der Kerne, und darunter 
die in Abschnürung befindlichen, stärkere Färbbarkeit zeigte als die 
übrigen, habe ich besonders darauf geachtet, ob das Gleiche nicht 
auch bei den hier vorliegenden Leukocytenkernen Geltung haben 
könnte und habe deshalb nicht bloss Safranin- und ähnliche regressive 
Tinetionen benutzt — bei denen ja ungleiche Ausziehungsgrade vor- 
kommen können — sondern auch progressive Färbung (Hämatoxylin). 
Aber auch bei letzteren zeigen sich die in Fragmentirung stehenden 
Kerne nicht chromatinreicher, als es die der Leukocyten überhaupt 
im Durchschnitt sind. 

2) Citate dieser Angaben s. dieses Arch. Bd. 24, 1885, 8. 75. 

3) Virchow’s Arch. 1884, Bd. 96, H. 1, S. 60. 

4) Ueber Theilungsvorgänge an den Wanderzellen am oben a.O. 


276 W. Flemming: 


Nur das Eine will ich darüber anmerken, dass ich bei den 
Wanderzellen der Larve das Vorkommen von wirklich voll 
ständigen Zerschnürungen der Kerne in zwei bis mehr Frag- 
mente, und damit also das Vorkommen von wirklich mehrker- 
nigen Leukocyten, recht selten gefunden habe; zu 
meiner eigenen Verwunderung, denn bei früheren Arbeiten waren 
mir diese Fälle weit häufiger erschienen, ebenso reichlich, wie 
sie auch Andere angenommen haben. Aber es gab damals noch 
kein System Zeiss 2mm 1.40, und ich hatte auch keine ganz 
so geeigneten Färbungen wie jetzt. 

Mit diesen Hülfsmitteln sehe ich vielfach Zusammenhänge 
der Kernfragmente durch sehr zarte lange Brücken, wo ich solche 


früher nicht sah (wie in Fig. 8); und in vielen Fällen, wo die 


Kerne getrennt scheinen, findet man sehr feine Zipfel von 
einem Fragment ausgehen (Fig. 7 unten, 9), die man zwar nicht 
bis zu einem andern verfolgen kann, die aber in feinster Form 
doch wohl noch hinanreichen könnten. Solche Zipfel sah ich in 
der grossen Mehrzahl der Fälle, wo die Zellen mehrkernig er- 
schienen. — Hiermit soll nicht etwa Zweifel dagegen gerichtet 
sein, dass wirklich vollständige Fragmentirungen der Kerne und 
auch der Zellen vorkommen; denn Arnold (a. a. O.) hat nicht 
nur die Fragmentirung der Kerne, sondern auch die Zerschnürung 
der Zellenleiber selbst in manchen Fällen im Leben beobachtet, 
ich selbst habe ferner im einem, wohl pathologischen Falle, aller- 
dings bei Epithelzellen, eine vollständige Kernfragmentirung als 
sicher und eine nachfolgende der Zelle als sehr wahrscheinlich 
annehmen können), und endlich kommen doch auch die Verhält- 


nisse in Betracht, die sich bei starker lokaler Leukoeytenanhäufung 


unter pathologischen Verhältnissen darbieten. Wo man in solchen 
Fällen — wie bei Eiterungen, Katarrhen — Massen von Wander- 
zellen mit polymorphen Kernen örtlich auftreten und sich excessiv 


vermehren sieht, bliebe zwar immer die Möglichkeit, dass diese 
Vermehrung ganz, oder so gut wie ganz auf Nachrücken von” 


Zellen durch Auswanderung beruht; aber nachdem überhaupt ein- ” 


mal am lebenden Objeet der Nachweis geführt ist, dass solche 
Wanderzellen ihre Kerne und dann sich selbst wirklich auf amı- 
totischem Wege theilen können, liegt es gewiss sehr nahe, solche 


1) Dieses Arch. 1887, S. 437. 


RE ne: 


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Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 277 


Theilungen auch als eine fortdauernde Vermehrungsquelle der 
ausgewanderten Zellen zu betrachten. 

Damit sind meine eben erwähnten Befunde nicht in Wider- 
spruch; sie zeigen uns, dass man die Reichlichkeit der amitoti- 
schen Theilung für normale Verhältnisse nicht zu sehr überschätzen 
darf und nicht — wie es wohl manchmal geschieht — glauben 
darf, dass jede Wanderzelle, die einen stark polymorphen, in 
mehrere Lappen zerschnürten Kern führt (wie etwa Fig. 18, 21), 
nun auch immer der Kernfragmentirung entgegengehen, und sich 
gar nachher selbst theilen würde. Dass solche Formen vielmehr 
wieder in einen mehr ausgerundeten Zustand des Kerns zurück- 
fallen können, habe ich verschiedentlich an lebendigen Wander- 
zellen in den Kiemenblättern der Larve verfolgt. 

Ausser den bisher besprochenen Kernzerschnürungen von ge- 
wöhnlicher und bekannter Art finden sich in meinen Präparaten nicht 
selten Zellen mit den eigenthümlichen ringförmigen Ker- 
nen, wie solche hier in Fig. 11, 13, 22 gezeichnet sind; Formen, 
wie sie Arnold in seinen früheren Arbeiten über das Knochen- 
mark und die Milz, sowie in den Abhandlungen über Theilungs- 
vorgänge an Wanderzellen und über die Milz der Maus!) vielfach 
beschrieben hat?), und wie ich sie in dem oben eitirten Falle von 
Fragmentirung im Epithel der Blase auch dort vorfand?) und mit 
Bestimmtheit als Ausgangsformen amitotischer Kerntheilung er- 
kennen konnte. 

Die ringförmigen Kerne, die sich bei der Salamanderlarve 
finden, gehören jedenfalls zum grössesten Theil wandernden 
Leukocyten an. Nur in ganz vereinzelten Exemplaren habe 
ich sie auch in Lungenepithel- und Bauchfellendothelzellen ge- 
gefunden. Sehr auffallend ist das loeal gehäufte Vor- 
kommen der Leukocyten mit Ringkernen: man findet Stellen, wo 
unter grossen Gruppen von Wanderzellen kein einziger solcher 
Kern zu sehen ist, und an anderen Orten besitzt fast die Mehr- 


1) a. a. O.; die früheren Arbeiten sind dort eitirt. 

2) Wenn auch Arnold’s Auffassung dieser Kernformen darin 
von meinem Befund etwas abweicht, dass er nicht eigentliche Löcher 
in den Kernen, sondern helle Differenzirungen in ihrem Inneren an- 
zunehmen scheint, so muss ich doch glauben, dass wir hier die glei- 
chen Dinge vor uns gehabt haben. 

3) Dieses Archiv 1889, 8. 438. 


278 W. Flemming: 


zahl der vorhanidenen Leukocyten diese Kernform. Für diese 
locale Prädisposition zum Auftreten der Ringkerne weiss ich für 
jetzt keine Erklärung, nur eine Analogie: das ist die, dass auch 
die Mitosen local gehäuft aufzutreten pflegen, wovon im vorigen 
Abschnitt die Rede war. Es könnte mit diesen Fragmentirungen 
ähnlich sein; der Grund bleibt in beiden Fällen noch dunkel. 

Die Ringkerne, welche mir in den hier besprochenen Prä- 
paraten vorliegen, besitzen ein ganz sicher durchgehendes 
Loch von verschiedener Grösse; die Deutung, welche Denys 
manchen solehen von Arnold besehriebenen Kernbildern gegeben 
hat: dass sie Vacuolisirungen im Kernkörperchen entsprächen, ist 
für diese meine Bilder durchweg ausgeschlossen. Mehrfache 
Durchlöcherungen der Kerne, wie sie Arnold verschiedentlich 
aus der Milz der Maus und an Riesenzellenkernen des Knochen- 
marks gefunden hat (a. a. O.), sind mir an diesen Wanderzellen 
vom Salamander noch nicht begegnet!). — Ihrem inneren Baue 
nach zeigen die Ringkerne an diesen meinen Objeeten keine be- 
merkliche Verschiedenheit gegenüber anderen, polymorphen oder 
rundlichen Leukocytenkernen, wie solche im vorigen Abschnitt 
beschrieben wurden; sie sind auch nicht reicher an chromatischer 
Substanz. Zackige Aussenformen der Ringkerne, wie sie Arnold 
aus der Milz der Maus gezeichnet hat, finde ich bei Salamandra 
in Präparaten aus Osmiumgemisch nicht vor, habe sie aber-einige 
Male in Chromsäureobjeeten gesehen, an denen auch die Binde- 
sewebskerne geschrumpft waren, und möchte sie demnach nicht 
für vital halten. 

Jedenfalls muss ich aber diese Ringformen, in’Uebereinstim- 
mung mit Arnold, als Anfangsformen einer Kernzersehnürung 
ansehen; oder doch, um ganz vorsichtig zu reden, annehmen, dass 
sie in eine solche Zerschnürung ausschlagen können und es oft 
thun. Denn es bleibt gewiss auch möglich, dass sie es nicht 
immer thun, sondern sich wieder zu geschlossenen Kernen zurück- 
bilden können. 


1) Dies bitte ich nicht so zu deuten, als ob damit ein Zweifel 
gegen das Vorkommen jener von Arnold beschriebenen Formen er- 
hoben sein sollte. Sie mögen wohl entweder beim Säugethier reich- 
licher sein als bei Amphibien, oder in Geweben wie Knochenmark und 
Milz häufiger vorkommen, als bei wandernden Zellen im Bindegewebe. 
Im Blasenepithel fand ich einige Male Kerne mit Doppellöchern. 


Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten ete. 279 


Dafür aber, dass sie in volle Fragmentirung übergehen 
können, habe ich nieht nur einen Beleg in meinen erwähnten Er- 
fahrungen am Blasenepithel, auf die ich hierfür verweisen darf, 
sondern auch zahlreiche bei den hier besprochenen Wanderzellen. 
Fig. 11 (vergl. Erklärung), als Beispiel für viele andere, giebt 
dafür Zeugniss. Auseinanderschnürungen der Kernringe mittelst 
dünner Brücken sind nicht eben selten und in allen Abstufungen 
der Durchmesser dieser Brücken -zu finden; manchmal wird man 
erst durch sehr genaues Nachsehen mit der starken Linse und 
bestes Licht gewahr, dass eine Form, die man für einen in zwei 
Portionen gezerrten, zwerchsackartigen Kern gehalten hat, in der 
That einer sehr lang ausgezogenen Ringform entspricht, bei der 


die eine Verbindungsbrücke äusserst dünn ist oder verdeckt liegt. 


In dem eben Gesagten ist auch zugleich ein Beleg dafür 
enthalten, dass die Ringkerne nicht etwa durchweg ganz un- 
natürliche Dinge, reine Kunstprodukte der Reagentien oder der 
postmortalen Veränderung sein können. Mit einem solchen Ver- 
dacht muss man deshalb reehnen, weil F. Reinke kürzlich hier 
die merkwürdige Thatsache gefunden hat, dass ringförmige Kerne 
in absterbenden Geweben »und bei Anwendung gewisser Re- 
agentien — und zwar nicht bloss bei Leukoceyten — massenhaft 
auftreten können, wo sie im intacten Gewebe nicht vorhanden 
waren!). Ganz gewiss können also solche Formen -unter unnatür- 
lichen Bedingungen entstehen; dies schliesst aber nicht aus, dass 
das Gleiche auch im physiologisch lebenden Gewebe geschehen 
kann, und dass solches der Fall ist, dafür geben die eben be- 
schriebenen Dinge wohl hinreichende Gewähr. Denn Formen, 


- welehe den Ausgang einer wirklichen Zerlegung von Kernen bil- 


den, müssen wohl vital genannt werden. Uebrigens wird der 
Verdacht, man könnte es mit Artefaeten zu thun haben, auch 
8chon dadurch ausgeschlossen, dass sich die Leukocyten mit Ring- 
kernen überall in den gleichen Präparaten vorfinden, in denen 


- daneben die Mitosen ganz vorzüglich erhalten sind, und in denen 


die Kerne kriechend ausgebreiteter Wanderzellen (wie z. B. Fig. 9 
oder 18) den gleichen Zustand ihrer Innenstruktur fixirt darbieten, 
den man auch lebend erkennen kann?). 


1) Eine nähere Beschreibung darüber wird von Reinke an an- 
derem Orte gegeben werden. 
2) In Kernen von kriechenden Zellen wie Fig. 9, 15, 18, wenn 


280 W. Flemming: 


Besonders interessirte es mich nun, zu prüfen, ob bei diesen 
relativ grossen und klaren Objeeten von Kernfragmentirung, so- 
wohl an den Ringformen als an den sonstigen, etwas über das Ver- 
halten der Attractionssphären und Centralkörper 
sich ausmachen liess, die ja bei der Mitose nach van Bene- 
den’s!) Entdeckung eine so wesentliche Rolle spielen. 

Die Sphären und ihre Centralkörper sind bei Leukocyten, 
so viel ich weiss, bis jetzt noch nicht beschrieben worden. Mit 
der hier benutzten Methode sind sie unter einem guten starken 
System sehr leicht in solchen Formen von Wanderzellen zu sehen, 
die flachkriechend ausgebreitet liegen (wie Fig. 7 und andere 
auf der zweiten Tafel. Aber auch in etwas mehr gerundeten 
Zellenformen kann man sie meistens noch erkennen, natürlich mit 
Ausnahme solcher Fälle, wo sie durch den Kern, oder durch 
Körner im Zellenleib verdeckt liegen. Ist man einmal darauf auf- 
merksam, so kann man sie selbst mit weniger als 300facher Ver- 
grösserung wahrnehmen. Gegenüber dieser Deutlichkeit der Cen- 
tralkörper und Sphären in den Leukoeyten ist es bemerkens- 
werth, dass sie in anderen flachgeformten Zellen (Epithelien, 
Endothelien, flache Bindegewebszellen) viel weniger leicht er- 
kennbar sind. Die Üentralkörper sind in diesen Zellenarten, 
ausserhalb der Mitose, sehr viel kleiner als in den Wanderzellen 
und ich erkenne sie dort nur bei gut gelungener scharfer Fär- 
bung nach der am Schluss besprochenen Methode, und auch dies 
nur an einer Minderzahl der Zellen. Die Sphäre um die Cen- 


man sie in Kiemenblättern oder im Blutpräparat lebend beobachtet, 
lässt sich oft die Anordnung der chromatischen Structur deutlich in 
vivo sehen und in ihren langsamen Verschiebungen verfolgen, und 
wenn man solche Zellen dann durch Osmiumgemisch abtödtet, kann 
man finden, dass sich diese Anordnung ebenso fixirt, wie man sie 
lebendig gesehen hat. — Dies giebt wohl auch einen der besten Be- 
lege dafür ab, dass ich Recht habe, für die Fixirung von Kernstructu- 
ren, Fragmentirungen und Mitosen in dem Gebrauch der Osmium- 
gemische, und zwar auch der starken, fortzufahren, obwohl Arnold 
(s. 0.) ihnen in dieser Hinsicht Vorwürfe gemacht hat. _Kerne, wie 
z.B. der in Fig. 18, sind mit starkem Osmiumgemisch fixirt und zeigen, 
dass dasselbe sogar so zarte fluctuirende Formen, wie deren Innen- 
structur, getreu in dem Zustande abtödtet und festhält, der sich auch 
im Leben controliren lässt. 

1) E. van Beneden und Neyt, Nouvelles recherches s. ]. fe- 
condation de l’Asc. meg., 1887, Arch. de Biologie. 


Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 281 


tralkörper sehe ich an den genannten fixen Zellenarten nur manchmal 
angedeutet als eine verwaschene, etwas dunkler tingirte und un- 
bedeutend stärker liehtbreehende Stelle nahe dem Kernrande; 
diese ist besonders oft an Toochterzellen, die zur Ruhe zurück- 
kehren uud eine Polbucht haben, in letzterer zu finden, an wel- 
chem Orte schon Rabl!) bei Triton diese hervorstechende Stelle 
bemerkt und als Attractionssphäre gedeutet hat. Ueber die 
Centralkörper und Sphären bei diesen fixen Zellen theile ich an 
anderem Orte Näheres mit. 

Jedenfalls also sind für deren Beobachtung ausserhalb der 
- Mitose die Leukocyten weit günstigere Objecte, als die genannten 
fixen Zellenarten. 

An Leukoeyten mit ringförmigen Kernen, welche dem 
Auge gerade die Oeffnung des Ringes zukehren, »sieht man den 
Centralkörper mit seiner Sphäre scheinbar — aber nicht wirklich, 
wie unten erläutert wird — in dem Raum des Kernringes gelegen 
(Fig. 13, 22). Ich habe in meiner erwähnten früheren Mittheilung ?) 
bei Lochkernen des Blasenepithels eine Differenzirung erwähnt, 
die in einigen Fällen anscheinend im Inneren der Löcher in Ge- 
stalt von Fäden und Körnern sich zeigte, und habe dort die 
Frage aufgeworfen, ob diese Dinge nicht Attraetionssphären ent- 
sprechen könnten; wegen der Unzulänglichkeit des damals be- 
nutzten Mittels (Chromsäure) musste ich dies unentschieden lassen. 
Jetzt kann ich bei Vergleich meiner neuen Präparate nicht mehr 
daran zweifeln, dass dort in der That die Sphäre in verstüm- 
meltem Zustand vorliegt. 

Auch glaube ich, dass wohl der gleichen Deutung die Dinge 
zu unterliegen haben, die schon Arnold an den ringförmigen 
Kernen mehrfach besprochen und gezeichnet hat?): er bemerkt 
(a. a. 0. S. 559), dass in der Mitte der hellen Felder der Kern- 
ringe „sehr häufig ein glänzendes Korn gelegen sei und einzelne 
lichte Fädchen in der Substanz der vermeintlichen Vaeuole ein- 
gebettet seien“. Arnold deutete dort allerdings die Entstehung 


1) Ueber Zelltheilung. Anatomischer Anzeiger 1889, Nr. 1, 
S. 23—24. 

2) Dieses Archiv Bd. 34, S.439 und 446, Fig. 4 u. 5, Taf. 27. 

3) Kern- und Zelltheilungen in der Milz a. a. O., S. 558; Thei- 
lungsvorgänge an den Wanderzellen a. a. OÖ. in manchen Figuren, 
auch schon in Arnold’s früheren Arbeiten in Virchow’s Archiv 
1883 und 1884. 


282 W. Flemming: 


dieser Dinge als eine Metamorphose im Kern selbst und be- 
trachtete offenbar das betreffende Korn und die Fädehen als spe- 
cielle Erscheinungen der Fragmentirung und als aus dem Kern 
hervorgegangen. Da er aber kleinere Objeete vor sich hatte 
als die hier beschriebenen, lässt sich gewiss daran denken, dass 
es sich auch bei diesen seinen Bildern um Centralkörper und 
Sphären gehandelt hat. 

An Ringkernformen aus der Milz der Maus hat F. Reinke 
hier bereits am Anfang letzten Sommers, bei Behandlung mit 
Methylenblau und pikrinsaurem Kali gefunden, dass eine Substanz, 
die m dem Kernringe zu liegen schien, sich stärker gelb färbte 
und stärker lichtbrechend erschien als der übrige Zellenleib, und 
hat schon damals in diesem Theil die Attractionssphären ver- 
muthet. Manehmal liess sich in dieser Substanz ein undeutlich 
radiärer Bau erkennen; Üentralkörper traten bei dieser Behand- 
lung nicht erkennbar hervor. Reinke wird an anderem Orte 
über diesen und weitere Befunde berichten. 

Bei der hier benutzten Methode und an den grossen Leu- 
kocyten des Salamanders sieht man die Sphäre bald ziemlich 
regelmässig, bald verwaschener radiär gestreift, und den Central- 
körper in ihr als ein einfaches, stark lichtbrechendes Korn, das in 
Safranin-Gentiana-Orange-Präparaten, bei günstigem Ausziehungs- 
grade, hellröthlich gefärbt ist (viele der Figg.), aber auch wo 
diese Farbe extrahirt wurde, durch seinen Glanz noch recht deut- 
lich vortritt. In einzelnen Fällen erscheint der Centralkörper 
etwas länglich geformt; die Frage, ob dies nicht auf schräger 
Ansicht und Mitsehen von verkürzten Sphärenstrahlen beruht, 
kann ich bei der Kleinheit des Dinges noch nicht entscheiden. 
Zweifachheit des Centralkörpers habe ich bei diesen Leukoeyten 
noch nicht gesehen. 

Die Fragen, die mir nach Erkundung dieser Dinge vor- 
lagen, stellten sich zunächst so: geschieht bei der Fragmentirung 
des Kerns in Leukoeyten eine Theilung der Sphäre und ihrer 
Centralkörper, so wie sie bei der Mitose erfolgt, oder bleibt sie 
aus? Und zweitens: lässt sich ein mechanischer Einfluss der 
Sphären auf die Kerntheilung erkennen, oder nicht? 

Ich fand alsbald, dass die erstere Frage verneint werden 
muss. Weder die Sphäre noch ihr Centralkörper zer- 
legt sich während der Kernzerschnürung. Ich kann da- 


Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 283 


für auf die Figuren der zweiten Tafel verweisen. Es ist mir 
wenigstens nie gelungen, in einer Wanderzelle, welche zwei Kerne 
hatte oder (wie etwa 19, 16, 20) einen in zwei Portionen beinahe 
abgeschnürten Kern zeigte, mehr als eine Sphäre zu sehen, oder 
eine Andeutung von Verdoppelung des Centralkörpers zu finden. 
Die Bilder der Fig. 7, 16 und 9 zeigen vielmehr, dass in Fällen, 
wo die Kernzerlegung schon vollständig geworden ist, nur eine 
einfache Sphäre mit einfachem Centralkörper in der Zelle besteht. 
— Es wird durch weitere Untersuchung zu entscheiden sein, wie 
es sich hiermit in solchen Fällen verhält, wo der Kernzerschnü- 
rung in eimer Wanderzelle eine Zerschnürung des ganzen Zell- 
leibes nachfolgt, wie dies ja durch Arnold und Andere in vivo 
_ beobachtet ist. Von vornherein ist zu vermuthen, dass dabei dann 
eine Theilung der Sphäre erfolgen wird, da wir dieselbe nach den 
vorliegenden Beobachtungen (van Beneden, Boveri, Solger, 
v. Kölliker und Andere) doch wohl als einen wesentlichen und 
ständigen Bestandtheil jeder Zelle zu betrachten haben. 

Für die amitotische Theilung eines Kernes aber in einer 
Wanderzelle ist eine Zerlegung der Sphäre nach dem Gesagten 
offenbar nicht erforderlich. 

Damit ist jedoch die zweite, oben aufgestellte Frage nicht 
beseitigt: ob bei dieser Art der Kernzerlegung . Sphäre nicht 
irgend einen Einfluss äussern kann. 

Allerdings, wenn nach den Befunden van Beneden’s sowie 
denen Boveri’s und Rabl’s — auf die ich mich in einem fol- 
genden Aufsatz noch näher zu beziehen habe — die Theilung 
der Kernsubstanz bei der Mitose sich auf eine direete Auseinander- 
ziehung, ausgehend von den getheilten Centralkörperhälften und 
vermittelt durch die achromatischen Fäden, zurückführen lässt, so 
kann man hier zwar an Aehnliches nicht denken, da ja Central- 
körper und Sphäre ungetheilt bleiben. Dagegen scheint mir die 
Lage, welche diese Dinge während der Kernfragmentirung in 
dem Leukocytenkörper einhalten, doch nicht ohne Bedeutung 
zu sein. 

Bei den Leukocyten mit Ringkernen fällt es auf, dass die 
Sphäre stets einseitig dem Innenraume des Ringes gegenüber, 
und dabei nahe am Kern liegt, so dass ein Loth, das man sich 
von ihrem Centralkörper gegen die Ebene des Kernringes gefällt 
denkt, ungefähr in dessen Mitte treffen würde. Sphäre und Kern 


284 W. Flemming: 


liegen einander dabei so nahe, dass, wie ich schon sagte, beim 
Einblick in den Kernring (z. B. Fig. 15) das Centralkörperchen 
in diesem zu liegen scheint; jedoch man erkennt an diesen grossen 
Zellen schon durch die Einstellung, dass dies nicht so ist, und 
bleibt vollends bei Ansichten, wie in Fig. 11 ab (vergl. Erklä- 
rung) nicht in Zweifel, dass die Sphäre vielmehr an einer Seite 
des Ringes gelegen ist; sie mag sich vielleicht in diesen mit der 
zugewendeten Kuppe etwas eindrängen, der Centralkörper liegt 
aber jedenfalls ausserhalb der Mittelebene des Ringes. 

Noch bemerkenswerther erscheint die Lage der Sphäre an 
solchen stark zerschnürten Kernen, wie in Fig. 8, 14, 18, 19, 20, 
sowie nach völliger Trennung der Kernportionen (Fig. 7, 9, 16). 

An halbmondförmigen Kernen, wie in Fig. 12, liegt sie, so 
viel ich finde, immer in der Bucht des Halbmonds. Bei Formen, 
wie Fig. 18, wo zwischen zwei Kernlappen eine erst mässig ver- 
dünnte Brücke ausgezogen ist, steht die Sphäre dieser Brücke 
gegenüber. Wo letztere länger ist (Fig. 8, 19, 20) befindet sich 
die Sphäre nahe der verdünntesten Kernstelle: meistens so, dass 
ein von ihr auf den gezerrten Kern gefälltes Loth dessen Masse 
in zwei ziemlich gleiche Portionen theilen würde. Oder, wo wie 
in Fig. 14 und 8 mehr als zwei Kernlappen auseinandergezerrt 
sind, steht die Sphäre doch auch hier einer der dünnen Abschnü- 
rungsbrücken gegenüber. Bei Formen letzterer Art, und über- 
haupt bei Leukocyten, die offenbar in sehr erheblicher Kriech- 
bewegung lang und flach ausgedehnt sind (Fig. 14, 16), findet 
sich die Sphäre zuweilen in einer Gestalt, wie in den beiden Fi- 
guren gezeichnet: ihre Radien sind nach einer Seite gegen einan- 
der umgeklappt, etwa wie die Spangen eines halbgeschlossenen 
Regenschirms, die Spitze des Kegels nimmt der Centralkörper ein. 
Es ist wohl angenscheinlich, dass der Zug der Kriechbewegung 
das Gebilde in diese Lage gebracht hat. 

Wo endlich eine Fragmentirung der Kernportionen ganz oder 
anscheinend vollständig geworden ist, und diese sich nur noch 
eben dünne Zipfel zusenden, an denen der Ort der Abschnürung 
sich erkennen lässt (Fig. 7, 9), liegt die Sphäre zwischen den 
getrennten Portionen, und so, dass die Verlängerung jener Zipfel 
dicht an ihr vorbeilaufen würde!). 


1) In einigen Fällen schien die Verlängerungslinie eines Zipfels 


Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten ete. 285 


Nach alledem scheint es mir unverkennbar, dass irgend 
eine Beziehung zwischen der Lage der Sphäre und dem Orte 
der Kernfragmentirung vorliegt. Man kann zwar sagen: die 
Sphäre liegt ja überhaupt ganz nahe am Kern!), also wird sie 
ihm auch nahe sein, wenn er sich zerschnürt, ihre Lage und 
seine Fragmentirung brauchen deshalb nichts mit einander zu thun 
zu haben. Dem gegenüber ist aber im Auge zu behalten, dass 
bei den Abschnürungen die Sphäre eben nicht einer beliebigen 
- Stelle der Kernmasse benachbart liegt, sondern grade an den Ab- 
schnürungsbrücken; was doch wohl auf eine topographische Ab- 
hängigkeit der letzteren von ihrer Lage hinweist. 

Auch zwischen dem Auftreten der Kernringformen 
und der Sphäre muss nach dem, was ich hier beschrieb, wohl 
eine Abhängigkeit existiren. Denn die Mitte der Sphäre mit dem 
Centralkörper liegt ja, soviel ich gefunden habe, stets der Mitte 
des entstehenden Ringes gerade oder doch ungefähr gegenüber. 
Wäre das Auftreten des letzteren ganz ohne Beziehung zu der 
Lage der Sphäre, dann sollte man doch erwarten, auch Ring- 
kerne zu finden, bei denen die letztere statt dessen irgendwo an 
der äusseren Peripherie des Ringes gelegen wäre. Es wäre ja 
möglich, dass dies vorkommt, ich habe es aber noch nie gesehen; 
und denke mir demnach, dass durch die Lage der Sphäre die 
Stelle der Perforation am Kern in irgend einer Weise prädisponirt 
sein muss. Ob es sich dabei aber um einen direeten, mechani- 
schen Einfluss der Sphäre handelt, lässt sich für jetzt nicht ent- 
scheiden. 

Es knüpft sich hier die Frage an, ob die Entstehung der 
Ringkerne bei den Leukocyten nicht vielleicht immer die Vor- 
läuferin von Fragmentirungen der Kerne sein mag. In vielen 
Fällen ist sie es gewiss, wie dies ja auch schon von Arnold 
a.a. 0. angenommen, und hier oben und in meiner eitirten früheren 
Arbeit motivirt wurde. Wenn man nun Formen, wie hier meine 


auf den Centralkörper zuzulaufen; da dies aber selten war, glaube 
ich, dass sie hier nur mit dem letzteren in Deckung lag, und nahe 
über oder unter ihm verlief. 

1) Dies ist übrigens bei diesen mobilen Zellen nicht stets der 
Fall: mehrfach sah ich Exemplare wie Fig. 17, wo, offenbar durch die 
Ausdehnung des kriechenden Zellenleibes, die Sphäre ziemlich weit 
vom Kern entfernt war. 


286 Ww. Flemming: 


Figuren sie wiedergeben, in der entsprechenden Folge in eine 
Reihe ordnet, so liesse sich wohl daran denken, dass alle Formen, 
wie sie auf der zweiten Tafel vorliegen, in gleicher Weise, ver- 
mittelst des Durchreissens von Ringkernen, entstanden sein könnten. 
Ich will diese Annahme hier nicht vertreten, aber doch ihre Mög- 
lichkeit als disceutirbar hervorheben. Arnold hat zwar in seiner 
letzten Arbeit, dort wo er die durchlöcherten Kerne aus der Milz 
uäher bespricht, offenbar eine solche Annahme nicht gemacht, 
sondern geschlossen, dass die Fragmentirung der Kerne an seinen 
dortigen Objeeten bald mit Vorhergang von Ringformen, bald ohne 
solchen stattfinden kann. Dies geht wohl bestimmt aus Arnold’s 
Worten auf 8. 547—8 a. ar 0. hervor: „Kerner mr zeigen 
Abschnürungen der Kernfiguren !) bei gleichzeitiger Abfurchung 
des Zeilleibes in zwei, drei und mehr Theile. Anderemale geht 
ein Auftreten von hellen Feldern?) an einer oder mehreren Stellen 
in der eben geschilderten Weise voraus und dann erst kommt es 
zur Zerschnürung der Kernfigur.“ Aber Arnold hatte hierbei, 
ganz ebenso wie ich jetzt, fixirte Formen vor Augen, deren 
Reihenfolge man sich nur durch Schlüsse zu construiren vermag: 
es scheint nicht ausgeschlossen, dass die Ringform doch immer 
die Anfangsform sein könnte. Die Untersucher lebender Leu- 
koeytentheilungen, wie Arnold selbst, Lawdowsky und Andere, 
haben zwar dabei von Ringformen als Anfängen der lebenden 
Kerntheilung nichts gemeldet, soviel ich wenigstens finde; aber 
es ist zu bedenken, dass an den blassen lebenden Kernen die 
Feststellung solcher Ringformen sehr schwer, in den meisten Fällen 
wohl nieht sicher möglich sein "müsste, auch wo sie existirten. 
Es kann nun noch die weitere Frage gestellt werden, ob 
die Centralkörper und Sphären bei den Leukoeyten vielleicht nur 
in Zuständen der Kernfragmentirung so deutlich werden, wie ich 
sie gefunden habe; dann würde dieses ihr scharfes Hervortreten 
überhaupt als eine Erscheinung angesehen werden können, die 4 


1) Dieser Ausdruck ist im Sinne von Fragmentirungsformen ge- 


meint, es sind nicht Mitosen darunter verstanden. 

2) Dass diese „Kerne mit hellen Feldern“, wenigstens grossen- 
theils, denselben Dingen entsprechen, die ich hier als Ring- oder Loch- 
kerne geschildert habe, glaube ich sowohl nach Arnold’s Beschrei- 
bung und Bildern, als nach eigener Kenntnissnahm& der Mäusemilz 
bestimmt annehmen zu können, wovon oben schon die Rede war. 


‘Ueber Theilung und Kernformen bei Leukoecyten etc. 27 


mit der amitotischen Kerntheilung zusammenhängt. Man könnte 
an dergleichen deshalb denken, weil ja (wie oben erwähnt ist) 


in Epithelien, Endothelien u. a. fixen Zellen die Sphären und 


Centralkörper während der Kernruhe wenig deutlich sind, während 
der Mitose aber deutlicher sichtbar werden; ähnlich könnte es 


- sich ja auch bei der amitotischen Kerntheilung verhalten. — Diese 


Frage ist nach dem vorliegenden Material wohl noch nicht spruch- 


reif. Ich habe schon gesagt, dass man Sphären und Centralkörper 
- auch an Leukoceyten von rundlicher Form sehen kann, in denen 
_ die Kerne keine Fragmentirungserscheinungeu oder auch nur Ein- 


-sehnürungen zeigen, wie z. B. Fig. 10; auch in ganz runden 


kleineren Formen von Wanderzellen und Leukocyten des Blutes 
meine ich sie manchmal zu erkennen, meistens werden sie hier 


natürlich durch die Kerne verdeckt und bei der Kugelform der 
- Zelle überhaupt schwer sichtbar sein. Es lässt sich aber freilich 


nicht sagen, ob nicht alle solche Zellen, in denen man die Sphären 
überhaupt sieht, sich vielleicht schon im Begriff befinden in eine 
Kernfragmentirung einzutreten, und ich muss also in dieser Hin- 


sicht vorläufig mit einem Fragezeichen schliessen, bis sich Mate- 


rialien oder Methoden finden, um diese immerhin sehr zarten Dinge 


- der Beobachtung zugänglicher zu machen. 


Wie sehon gesagt glaube ich mit van Beneden, dass die 


-_Sphären und Centralkörper allgemeine Attribute der Zelle zu 


nennen sind; ihre Feststellung auch bei Leukocyten, einer Zellen- 
art, die man als eine besonders einfache und indifferente zu be- 


-trachten pflegt, kann gewiss nur in diesem Sinne sprechen. Doch 
scheint mir überhaupt ein Zweifel gegen das allgemeine Vorkommen 


dieser Dinge schon deshalb nicht berechtigt, weil nachgewiesener- 
maassen bei der Mitose die Polkörperchen aus einer Theilung 
des Centralkörpers hervorgehen, Polkörperchen aber nach Allem, 
was wir wissen, doch wohl bei einer jeden mitotischen Theilung 
vorkommen. 


III. Schlussbetrachtungen über Theilung der Leukocyten 
| und über Amitose. 
Aus allem Vorstehenden ergiebt sich, dass der Satz heute 
Ohne Bedenken hingestellt werden kann: Leukocyten vermögen 
sich sowohl mit Mitose, als ohne Mitose zu theilen. 


Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 37 19 


288 W. Flemming: 


Eine andere Frage ist es, ob beide diese Theilungsarten 
hier die gleiche physiologische Bedeutung haben: das heisst, ob 
durch die eine wie die andere fortdauernd neue, weiterlebende 
und fortpflanzungsfähige Zellen gebildet- werden. Diese Frage 
lässt sich nicht bloss für die Leukocyten, sondern auch ganz all- 
gemein für andere Gewebe stellen. 

Für die Mitose kann es ohne Zweifel gelten, dass sie wie 
überhaupt, so auch bei den Leukoeyten solches keimfähige Ma- 
terial liefert; da wir ja sehen, dass durch sie bei den Säuge- 
thieren in den Iymphatischen Organen eine fortwährende Neu- 
lieferung von Lymphzellen stattfindet. Danach ist der Schluss 
gestattet, dass bei Thieren, welche keine solehen Organe besitzen, 
bei denen aber in den Geweben und Körpersäften Mitosen von 
Leukocyten vorkommen, diese die gleiche regenerative Bedeutung 
haben. 

Es handelt sich nun darum, ob wir eine gleiche Bedeutung 
auch der Amitose zuschreiben können. 

A priori bestände hiergegen kein Einwand. Vor längerer 
Zeit, als die Mitose und ihre grosse Verbreitung eben erst be- 
kannt geworden war, und Kenntnisse über amitotische Vorgänge 
noch fast ganz fehlten, liess sich wohl daran denken, dass 
alle normale Zellenvermehrung und Kernvermehrung nur auf mi- 
totischem Wege erfolge. Heute würde es nicht mehr berechtigt 
sein dies zu behaupten; ich für mein Theil habe es schon seit 
lange nicht mehr geglaubt. Aus der grossen Zahl von einschlä- 
gigen Angaben über Amitose, die schon vorliegen, mögen hier 


nur einige der wichtigsten kurz erwähnt sein: bei den Infusorien 
theilen sich zwar bekanntlich die Geschlechtskerne mitotisch, die 


Stoffwechselkerne aber durch Fragmentirung®). Bei den Radio- 
larien erfolgt nach den. Untersuchungen Brandt’s?) die Schwär- 
merbildung unter Erscheinungen, welche offenbar zu den amito- 
tischen zu rechnen sind. Bei Arthropoden sind von Frenzel, 
Carnoy, Platner u. A. Beobachtungen gemacht, nach denen 
sich bei der Regeneration verschiedener Gewebe des erwachsenen 


h 
1) Es darf dafür auf die neueste Arbeit R. Hertwig’s und die J 


dort erwähnte Literatur verwiesen sein. 
2) Mitth. des Vereins Schleswig-Holst. Aerzte, 13. Januar 1890, 


12. Heft, Stück 3. 


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Körpers keine Betheiligung der Mitose ersehen lässt, Kernfrag- 
mentirungen dagegen reichlich zu finden sind). 

Wenn nach diesen und anderen Erfahrungen die Amitose 
überhaupt an normaler Kern- und Zellenvermehrung betheiligt sein 
kann, so wäre es an sich vollkommen möglich, dass auch die 
Leukocyten des Wirbelthieres sich je nach den Umständen bald 
mit ihr, bald mit Mitose fortpflanzen; und es wäre danach zu 
verstehen, dass sich unter den Wanderzellen, die hier beschrieben 
wurden, beide Vorgänge vertreten finden. Und da es sich hier 
ja um junge, lebhaft wachsende Thierkörper handelt, würde sich 
der erstere Weg der Vermehrung als ein ebenso physiologisch- 
normaler ansehen lassen, als der letztere. 

Es giebt aber doch einige Punkte, die dem gegenüber 
Zweifel bedingen können, und zwar folgende: 

Erstens kann es auffallen, dass sich die amitotische Ver- 
mehrung hier bei meinen Objeeten ganz, oder so gut wie ganz, 
auf die Leukocyten beschränkt zeigt. In den sämmtlichen 
Arten fixer Gewebszellen bei den wachsenden Larven finden 
sich amitotische Theilungen nicht vor, oder doch so vereinzelt, 
dass man sie für das normale Wachsthum gegenüber den massen- 
haften Mitosen gar nicht in Anschlag bringen kann. Der einzige 
Fall, wo ich beim gleichen (erwachsenen) Thier die erstere Thei- 
lungsart an fixen Zellen fand, war offenbar ein “pathologisches 
oder doch abnormes (Harnblasenepithel, s. oben). 

Zweitens kommt in Betracht, dass in den normalen Lymph- 
drüsen und Lymphknötchen der Säugethiere die Regeneration der 
Lymphzellen ohne Zweifel von der Mitose beherrscht wird, und 
die Amitose, wenn sie hier überhaupt mitspielt, dagegen ganz in 
den Hintergrund tritt. 

Drittens ist es meines Wissens noch für kein anderes Ge- 
webe der Wirbelthiere — und so auch der höheren Pflanzen — 
dargethan oder wahrscheinlich gemacht, dass amitotische Theilung 
bei normalem Gewebswachsthum, oder bei physiologi- 
scher Regeneration überhaupt mitwirkt. Wenn dies der Fall 


Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten: ete. 289 


1) Ich füge hier bei, dass im Anschluss an die Arbeiten Plat- 
ner’s über amitotische Kerntheilung in den Malpighi’schen Gefässen 
des Wasserkäfers Herr stud. Meves hier Untersuchungen am glei- 
chen Object angestellt hat, bei denen es uns nicht gelang, dort eine 
einzige Mitose zu finden, während Fragmentirungen sehr häufig waren. 


290 | W. Flemming: 


wäre, so müsste man solche Kemtheilungsformen doch bei Em- 
bryonen und bei lebhaftem postembryonalen Wachsthum irgendwo 
in den Geweben finden; nach jetziger Kenntniss findet sich dabei 
aber nur Mitose, und diese in solcher Menge, dass sie für die 
statthabende Zellenvermehrung nach aller Schätzung sehr wohl 
ausreicht). 

Hiernach scheint es mir nicht ausgeschlossen, dass man sich 
über die Fragmentirungen der Leukocytenkerne — und über 
die amitotische Theilung überhaupt — auch folgende 
Anschauung bilden könnte: 


1) Es scheint verschiedentlich angenommen zu werden, dass beim 
physiologischen Wachsthum der Muskeln die amitotische Theilung 
mitspielt; ich wüsste aber nicht, womit das bis jetzt zu begründen 
wäre. Mitose der Muskelfaserkerne, die ich vor 12 Jahren zuerst be- 
schrieben habe (dieses Archiv Bd. 16, S. 394), kommt in wachsenden 
Muskeln so massenhaft vor, dass man angesichts solcher Präparate 
nicht versucht wird, noch eine andere Kerntheilungsart für betheiligt 
zu halten; auch finde ich in derartigen Objecten, die ich zahlreich be- 
sitze, keinerlei Formen, die sich mit Grund als Fragmentirungen oder 
sonstige amitotische Theilungen ansehen liessen. Aus der genauen 
Besprechung, die v. Kölliker in seinem Handbuch der Gewebelehre 
(1889, S. 400 ff.) der Muskelentwicklung zuwendet, scheint mir hervor- 
zugehen, dass auch dieser Forscher die normale Vermehrung der 
Muskelkerne durchweg auf Mitose bezieht, nicht allein für die anfäng- 
lichen, sondern auch für die späteren, von Felix genau untersuchten 
Wachsthumsvorgänge, bei denen die eigenthümlichen massenhaften 
Kernwucherungen vorliegen; es findet sich wenigstens weder bei 
Felix selbst} noch a. a. O. bei v. Kölliker ein Hinweis darauf, dass 
bei letzteren eine amitotische Kernvermehrung anzunehmen wäre, be- 
stimmt ausgedrückt. — Dass bei pathologischer Regeneration von 
Muskelfasern nicht bloss Mitosen, sondern auch Fragmentirungserschei- 
nungen an Muskelkernen auftreten, ist bekannt; ich darf dafür auf 
die Arbeit Robert’s (Ueber Wiederbildung quergestreifter Muskel- 
fasern. Diss. Kiel, 18%) und die darin zusammengestellte Literatur 
verweisen. Nach der sorgfältigen Untersuchung des Genannten, welche 
ich verfolgen konnte, bin ich jedoch gleich dem Verfasser undLeven 
zu dem Eindruck gelangt, dass die Mitose hier der generatorische 
Vorgang ist, und die nebenher gehenden amitotischen Kernvermeh- 
rungen die Bedeutung degenerativer Erscheinungen haben; wenn 
auch Nauwerck in seiner soeben veröffentlichten Arbeit (Ueber 
Muskelregeneration noch Verletzungen, 1890) zu einer etwas abwei- 
chenden Anschauung gekommen ist. 


Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 291 


Die Leukocyten finden ihre normale physiologische Neu- 
bildung, gleich den Zellen anderer Gewebe, durch Mitose; 
nur die auf diesem Wege neuentstandenen erhalten das Ver- 
mögen, länger fortzuleben und auf demselben Wege ihres 
Gleichen zu erzeugen. 

Fragmentirung des Kerns, mit oder ohne nachfolgende 
Theilung der Zelle, ist überhaupt in den Geweben der Wirbel- 
thiere ein Vorgang, der nicht zur physiologischen Vermehrung 
und Neulieferung von Zellen führt, sondern wo er vorkommt, 
entweder eine Entartung oder Aberration darstellt, oder viel- 
leicht in manchen Fällen (Bildung mehrkerniger Zellen durch 
Fragmentirung) durch Vergrösserung der Kermperipherie dem 
cellulären Stoffwechsel zu dienen hat?!). 

Wenn sich also Leukocyten mit Fragmentirung ihrer Kerne 
theilen, so würden hiernach die Abkömmlinge dieses Vorganges 
nicht mehr zeugungsfähiges Zellenmaterial sein, sondern zum Unter- 
gang bestimmt, obwohl sie zunächst noch lange in den Geweben 
und Säften weiterleben mögen. 

Eine solche Anschauung stände mit den jetzt vorliegenden 
Kenntnissenüber das Vorkommen von Amitose, so viel ich sehen kann, 
keineswegs in Widerspruch. Wo immer man in Geweben der Wirbel- 
thiere noch sichere amitotische Kerntheilung gefunden hat, ist die 
Möglichkeit nicht abzuweisen, dass es sich dabei”um abartende, 
oder verkümmernde, oder erkrankte?) Zellen, kurz um Vorgänge 
handelt, die irgendwie von der Norm abweichen; in diesen sämmt- 
lichen Fällen — und es sind gar nicht sehr viele — ist wenig- 
stens kein Beweis geliefert, dass solche Vorgänge in Bezug auf 
Gewebsersatz irgendwie der Mitose gleichwerthig dastehen. Die 
Kernfragmentirungen in den grossen Spermatogonien des Ho- 


1) Dies letztere entspricht einem Gedanken, den Chun in einem 
kürzlich veröffentlichten Aufsatz (Ueber die Bedeutung der directen 
Kerntheilung. Phys.-ökon. Gesellsch. zu Königsberg, 3. April 1890) 
geäussert hat. Doch möchte ich nicht mit Chun die vielkernigen 
Muskelzellen, so auch nicht die Nervenfasern der Wirbelthiere dabei 
heranziehen, da es sich bei deren physiologischem Wachsthum nicht 
um directe, sondern um mitotische Kerntheilung handelt (vgl. die 
letzte Anmerkung). 

2) Dieser Ausdruck ist in dem Sinne gemeint, dass auch in 
einem Gewebe, das als Ganzes nicht krank zu nennen ist, einzelne 
Zellen sehr wohl abnorm oder krankhaft verändert sein können, 


292 W. Flemming: 


dens der Amphibien, die von v. la Valette St. George und 
Nussbaum), mir?), und Bellonei?) untersucht sind, können 
sehr wohl, wie ich es gleich dem letztgenannten Forscher an- 
nehme, entartenden Zellen angehören; denn im Hoden finden sich 
ja in solchen Zellen dabei Mitosen übergenug, um für alle nor- 
male Spermatogenese aufzukommen, und die erwähnten Fragmen- 
tirungen finden sich in Reichlichkeit nieht zu den Zeiten, wo 
die Samenbildung anbricht, sondern zu denen, wo sie ruht. — 
Die zahlreichen Formen von Amitose, welche Arnold*) aus dem 
Knochenmark und aus der Milz bekannt gemacht hat (Fragmen- 
tirung, directe Segmentirung), können, soweit sie als unzweifelhafte 
Kerntheilungen anzusprechen sind), zwar beweisen, dass in diesen 
eigenthümlichen Organen bei Iymphoiden Zellen Amitosen von 
Kernen häufig sind, aber nicht, dass sie einer normalen Regene- 
ration zu Grunde liegen. Denn gerade in denselben Organen findet 
sich als ein Factor derselben ja wiederum die Mitose in grosser 
Reichliehkeit; und in den normalen Lymphdrüsen, wo solche Re- 
generation durch Mitose doch besonders stark geschieht, fehlen 
jene amitotischen Formen fast ganz. Unzweifelhaft verfällt ja 
eine Menge von Leukocyten an anderen Orten fortwährend dem 
Untergang: dafür braucht nur an diejenigen erinnert zu werden, 
die aus den Tonsillen, den Lymphknötchen des Mundes und des 
Darms und auch anderswo durch das Epithel wandern, um draussen 
zu sterben. Wenn also hier eine Ueberproduetion dieser Zellen- 
art und ein entsprechender Untergang stattfindet, so lässt sich 
fragen, ob das Gleiche nicht auch in der Milz — in der ja auch 
rothe Blutzellen’ zu Grunde gehen — und im Knochenmark der 
Fall sein kann. — Die Riesenzellen in dem letzteren, in der 
Milz, der Embryoleber und der Deeidua, bei welchen die von 


1) Nussbaum, Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen, 
dieses Archiv 1882, S. 28. 

2) Zellsubstanz, Kern und Zelltheilung, 1882, S. 335 u. £. 

3) Bellonci, Sui nuclei polimorfi delle cellule sessuali degli 
Anfıbi. Memorie della Reale Acad.d.Sc. dell’ Istituto de Bologna, 1886. 

5) Ich vermag nicht alle die Formen so zu deuten, die Arnold 
als indirecte Fragmentirungen beschrieben hat; für einen Theil. der- 
selben scheint mir der Beweis auszustehen, dass sie überhaupt Kern- 
theilungen sind. Vgl. dieses Archiv Bd. 24, S. 449. 


ei 


3 N Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 293 


Arnold und Hess!) beschriebenen Kernfragmentirungen gewiss 
keinem Zweifel unterliegen, sind schwerlich für die Ansicht zu 
verwerthen, dass die Amitose bei normaler Gewebsregeneration 
mitspielen soll. Denn nach Allem, was wir über diese sonder- 
baren Gebilde wissen und nicht wissen, steht der Annahme noch 
nichts entgegen, dass sie abnorm angewachsene und funetionslose 
Lymphoidzellen sind), die ihre Entstehung nur den eigenartigen 
Stoffwechselbedingungen in den wenigen Geweben verdanken, in 
welchen sie vorkommen. Niemand hat nöch irgend eine Funktion 
der Riesenzellen nachgewiesen), und das müsste doch vor allem 
geschehen, wenn man ihre Kerntheilungsformen den bei normalem 
Gewebswachsthum vorkommenden gleichwerthig setzen will. Ich 
habe früher*), gezeigt, dass vielkernige Zellen, die denen der De- 
eidua ganz ähnlich sein können, aus gewöhnlichen Fettzellen ent- 
stehen, aber nur unter krankhaften oder atrophischen Bedingungen: 
das giebt schon einen Hinweis darauf, dass solche Zellen, wo sie 
anderswo vorkommen, auch nur aberrirte Nebenproducte sein 
können. — Ein weiterer solcher Hinweis wird durch die Mitosen 
der Riesenzellen gegeben. Diese sind verschiedentlich be- 
schrieben, im Knochenmark sowie in der Milz der Maus sehr 
häufig, und mir aus früheren eigenen Arbeiten am Knochenmark 
und aus Untersuchungen Reinke’s an der Milz, die demnächst 
publieirt werden, wohlbekannt’). Ich habe aber ebensowenig wie 


1) Ziegler’s Beiträge Bd. 8, 1889, S. 221 ff. 
2) Diese Annahme würde der Ansicht Löwit’s, nach der die 
Bildung der Riesenzellen geradezu ein degenerativer Process zu nennen 
wäre, nahe stehen; doch es lässt sich ja ein Unterschied zwischen Bil- 
dungsanomalie und Degeneration machen, und ich möchte die Riesen- 
zellen eher unter den ersteren, als unter den letzteren Begriff stellen. 
3) Ich rede hier nicht von den Osteoklasten v. Kölliker’s, die 
"an den Knochenwänden liegen, sondern von den viel zahlreicheren 
Riesenzellen, die sich mitten im Knochenmark, in der Milz und De- 
eidua mancher Thiere finden, und deren Vorkommen an letzteren 
Orten schon beweist, dass sie mit Knochenresorption nichts zu thun 
haben. 
4) Dieses Archiv 1871, S. 329 u. f., Taf. 28, und Virchow's 
Archiv, 1872. 
5) Es handelt sich bei diesen meinen und bei Reinke’s Ob- 
jeeten nicht um Formen wie Fig. 21—23 bei Hess a. a. O., welche, 
| wenn Mitosen, dann entweder keine typischen oder irgendwie ver- 
ändert sind; sondern um unzweifelhafte mitotische Figuren, mit gleich- 


294 » W. Flemming: 


Hess (a. a. O. S. 234) je eine normale bipolare Mitose in einer 
Riesenzelle gesehen, sondern nur pluripolare, also atypischet); 
meines Wissens ist auch noch nicht gezeigt, dass aus einer -mehr- 
poligen Mitose einer Riesenzelle im Mark oder in der Milz auch 
eine Theilung des Zellkörpers in mehrere Tochterzellen hervor- 
singe. Wenn dies aber auch geschehen so.lte, so geschieht es 
hier also jedenfalls auf ungewöhnlichem Wege. — Dass sich an 
die Kernfragmentirungen der Riesenzellen Theilungen des ganzen 
Zellkörpers anschliessen können, wird für das normale Milz- und 
Knochenmarkgewebe zwar nur durch wenige, von Arnold be- 
schriebene Fälle von Einschnürung der Zellenleiber wahrscheinlich 
gemacht; unter pathologischen Verhältnissen aber (unter Milztumor 
nach Impfung mit Milzbrand) hat Hess (a. a. O.) ein sehr reich- 
liches Auftreten von Fragmentirungstheilungen der Riesenzellen 
in der Mäusemilz ermittelt. Grade dies spricht doch aber wohl 
nicht dafür, sondern dagegen, dass derartige Theilungen bei nor- 
maler Gewebsbildung mitspielen sollten. — Es ist ferner für die 
Deutung der Riesenzellen daran zu erinnern, dass sie ausser in 
den relativ wenigen, vorher genannten Geweben im Wirbelthier- 
körper normal nicht vorzukommen scheinen; dass sie in der Milz 
bei einzelnen Thieren (Maus) sehr reichlich sind, während sie bei 
anderen dort fast ganz fehlen, und auch in anderen Iymphatischen 
Organen wie Lymphdrüsen, Tonsillen, Darmknötchen sich in der 
Norm nicht finden. Endlich ist es nicht erwiesen, dass sie dort, 
wo sie vorkommen, eine bestimmte Art von Gewebselementen sind, 
die sich aus sich selbst regenerirt, denn es finden sich alle mög- 


- mässig dicken Fäden, bald in Knäuel-, bald in Radiäranordnung, und 
dabei mehrpolig: gleich als hätte in einem viellappigen Kern ein jeder 
Lappen für sich eine Mitose begonnen. 

1) Arnold (dieses Arch. Bd. 31, S. 541) wendet sich gewiss mit 
Recht dagegen, dass man die pluripolare Mitose ohne Weiteres als 
„pathologisch“ bezeichne, da sie doch auch in der normalen Milz vor- 
komme. Aber „atypisch“ oder „anomal“ muss ich doch fortfahren 
diese Formen zu nennen. Denn sie fehlen, oder finden sich nur 
äusserst selten einmal bei normalem Wachsthum fast aller Gewebe, 
ausgenommen die wenigen, in denen Riesenzellen vorkommen; sie 
sind, ausser unter pathologischen Bedingungen, eigentlich nur bei 
eben dieser einen Zellenart häufig, von welcher es — wie ich ja hier 
ausführe — recht fraglich bleibt, ob sie nicht selbst als eine Art Ano- 
malie zu betrachten ist. | 


Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 295 


lichen Uebergangsstufen in der Grösse zwischen ihnen und den 
kleinen Milz- und Knochenmarkzellen. 

Die Riesenzellen können demnach mit Grund dem Verdacht 
unterliegen, dass sie nur Bildungsanomalien einiger weniger Ge- 
webe sind; dann kann man aber auch nicht sagen, dass eine 
Kerntheilungsform, die bei ihnen besonders reichlich vorkommt, 
deshalb ein Factor normaler Gewebsbildung sein müsste. 

Nach alledem ist, soviel mir scheint, der Gedanke nicht ab- 
zuweisen, dass die amitotische Theilung, bei Protozoen und bei 
einigen Metazoenformen noch vielfach in generativer Wirksamkeit, 
diese bei den übrigen, und speciell bei Wirbelthieren und höheren 
Pflanzen verloren hat; dass sie sich hier in der Norm nur noch 
in der von Chun vertretenen Bedeutung (Erzeugung vielkerniger 
Zellen, s. oben) geltend macht, sonst aber nur entweder unter 
pathologischen Bedingungen, oder doch als ein Vorgang auftritt, 
der kein keimfähiges Zellenmaterial mehr liefert. Es würde dies 
auch mit der Auffassung Waldeyer’s!), nach welcher wir in 
der amitotischen Theilung die Grundform zu erblicken haben, 
in phylogenetischem Sinne sehr wohl vereinbar sein. 

Indem ich die Hypothese hinstelle, die auf den letzten Seiten 
ausgeführt ist, möchte ich mich keineswegs als ihr Vertreter auf- 
thun, sondern bis auf Weiteres ganz neutral bleiben; denn ich 
glaube, wir wissen von diesen Dingen noch immer“ nicht genug, 
um endgültig urtheilen zu können. Es schien mir aber richtig, 
darauf hinzuweisen, dass eine solche Anschauung bei dem jetzigen 
Stand der Kenntnisse ganz wohl zulässig ist, und also bei der 
Beurtheilung des Befundes von amitotischen Theilungen in irgend 
welchen Geweben Berücksichtigung verdient. 


Behandlung der Präparate. 


Im Eingang dieses Aufsatzes ist erwähnt, dass ich ausser 
der Hämatoxylintinetion auch die Doppelfärbung von Osmium- 
gemisch-Objeeten mit Safranin-Gentiana, meist mit Gram’scher 
Behandlung, benutzt habe, ein Verfahren, das ich schon seit 1884 


1) Waldeyer, Ueber Karyokinese. Bonn 1888, S. 45, Sep.-Abdr. 


296 W. Flemming: 


viel verwende (s. dies Archiv Bd. 24, 1885, S. 53 Anm.). Zur 
Vorbehandlung für solche Färbung hat im vorigen Jahre F. Her- 
mann, in seinen Arbeiten über die Spermatogenese (dies Archiv 
Bd. 34, 1889, S. 59) eine Aenderung empfohlen, die für das 
Studium der achromatischen Figur, der Centralkörper und Sphären 
von grossem Nutzen ist: Ersetzung der Chromsäure in dem ÖOs- 
miumgemisch durch Platinchlorid in 1°/,iger wässeriger Lösung. 
(Näheres s. a. a. O.) Man kann zwar. die genannten Dinge auch 
mit meinem (chromsäurehaltigen) Osmiumgemisch scharf sichtbar 
erhalten, wenn das letztere nicht zu wenig Essigsäure enthält und 
die Aufbewahrung darin länger gewährt hat; doch gelingt dies 
seltener, als mit der Hermann’'schen Lösung, die ich deshalb 
bei Untersuchung der Sphären und Centralkörper der Leukocyten 
bevorzugt habe. 

Für die Färbung habe ich mir ein Verfahren herausprobirt, 
welches, wenn gelungen, die Centralkörper, Sphären und Spindel- 
fäden vorzüglich scharf sichtbar macht: lange Vorbehandlung mit 
schwächerem Osmiumgemisch oder mit Hermann’scher Lösung, 
Auswaschen mit Wasser, Doppelfärbung successive mit Safranin 
und Gentiana; dann kommen die Objeete, nach kurzer Abspülung 
der Gentianafarbe mit Wasser, in eine concentrirte wässerige Lö- 
sung von Orange. In dieser (sauren) Flüssigkeit wird nach und 
nach der grösste Theil der Gentianafarbe ausgezogen; wenn nur 
noch schwache violette Wölkehen beim Schütteln des Schälchens 
abtreiben, überträgt man die Objeete in absoluten neutralen Al- 
kohol, bis sich keine oder sehr wenig Farbe mehr löst, darauf in 
Nelken- oder Bergamottöl, und schliesst in Damar oder Canada 
ein. — Die Chromatinfärbung ist dann gleichmässig, purpurroth 
in etwas schwankenden Nuancen, die Nucleolen nicht besonders 
gefärbt; die achromatischen Spindelfäden aber, bei richtig ge- 
troffenem Färbungsgrad, graubraun, grau oder in manchen Fällen 
violettgrau und sehr deutlich, die Centralkörper entweder ebenso 
oder leicht röthlich gefärbt; die Attractionssphäre zwar ohne be- 
sondere Färbung, aber etwas dunkler als der umgebende Zell- 
körper!). — Leider habe ich diese Methode bis jetzt nicht so 


1) Präparate dieser Art habe ich im August d. J. auf der Ber- 
liner Versammlung der Anatom. Gesellschaft vorgelegt, wo auch über 
den Gegenstand des I. Abschnittes berichtet wurde (Verhandlungen 
der Anat. Gesellschaft, noch nicht publiecirt). 


Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 297 


sicher in der Hand, dass sie jedesmal gleich gut anschlüge; es 
kommt sehr darauf an, bei der Orangebehandlung den richtigen 
Ausziehungsgrad genau zu trefien. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIII und XIV. 


In den roth oder schwarz dargestellten Kernstructuren sind 
überall die gröberen und mittelfeinen Chromatinmassen und -Stränge 
möglichst treu nach Dicke und Vertheilung unter dem Oelsystem ein- 
getragen, so dass die sehr wechselnden Mengen und Anordnungen des 
- Chromatins (ich bitte die Figuren der zweiten Tafel vergleichend zu 

überblicken) keineswegs schematischer Darstellung, sondern wirklich 
_ verschiedenem Reichthum an färbbarer Kernsubstanz und sehr un- 
gleicher Disposition derselben entspreche\. 

Schematisch ist bei den Kernen der zweiten Tafel nur, dass ich 
zur Erleichterung der Wiedergäbe die feinsten Lininstränge, die kein 
oder sehr wenig Chromatin enthielten, nicht m?t gezeichnet habe. In 
Fig. 6 der ersten Tafel sind dieselben mit angegeben. 

Ferner sind, ebenfalls zur Erleichterung des Farbendrucks, auf 
der zweiten Tafel alle Chromatinstränge und -Körper in eine Ebene 
projieirt und in gleich starker Farbe dargestellt; einzelne derselben 
müssten, da sie weniger chromatinreich sind als andere, blasser roth 
_ schattirt sein, wie dies in Fig. 6 der ersten Tafel in Schwarz ge- 
schehen ist. 

In Fig.8, 9, 11, 16, 21 ist absichtlich nur der Contour des Zellen- 
 leibes angegeben, um die feinen Kernbrücken und die Sphären recht 
_ deutlich zu geben. | 

Alle Figuren sind von Objecten aus dem Bauchfell, der Lunge 
oder dem fibrillären Bindegewebe der Salamanderlarve; ein Theil der 
Zellen in Fig. 6 aus dem Blut des erwachsenen Salamanders. Nähere 
Erklärungen der Bilder im Text. 


Fig. 1. Bauchfell. Haufen von Leukocyten an einem Capillargefäss, 

| schwach vergr. zur Uebersicht. Die blassen Kerne gehören 
fixen Bindegewebs- und Endothelzellen an. 

Fig. 2. Ebendaher, bei mittelstarker Vergr. Nicht unmittelbar an 

- einem Gefäss. Unter den Wanderzellen 3 Mitosen, eine (a) 
lag etwas entfernter und ist herangezeichnet. 

Fig. 3. Kleine Gruppe von nur 5 Wanderzellen an einer Lungen- 
capillare. 

Fig. 4. Zwei ebengetrennte Tochterzellen aus der Mitose einer Wander- 
zelle, Bindegewebe, in amöboiden Formen; vgl. auch die beiden 
Dyasteren in Fig. 2. Näheres s. im Abschnitt I oben. $. 258 ff. 


7 5 
Fig. 


ea 


Fig. 


% 


F. Marchand: 


Ein Leukoeyt mit bogenförmigem polymorphem Kern, der in 
Knäuelform der Mitose steht. (Der Kern ist kein geschlossener 
Ring, die Enden, rechts, decken sich eben, vgl. z. B. Fig. 22). 
Die Attractionssphäre war hier nicht deutlich im Innern der 
Kernbucht zu sehen, lag wahrscheinlich halb unter dem con- 
caven Kernrand. 

Verschiedene Kernstructuren in Leukocyten, Osmiumgemisch, 
Hämatoxylin. d—h aus dem Blut, die übrigen Wanderzellen 
im Bindegewebe. Vergl. im Abschnitt I oben, S. 257—58. 


g. T. u. folgende: Leukocyten, grösstentheils mit Kernfragmenti- 


rungsformen. Alles Nähere über diese, sowie über die Sphären 
und Centralkörper in ihnen, im Abschnitt II oben. 

Zu bemerken ist noch zu 
b zeigt genau nach verschiedener Einstellung, dass der Kern 
ein Ring mit zwei sehr dünn ausgezogenen Stellen ist; die 
dunkel schattirte Stelle deckt sich mit der darüberliegenden. 
Die Sphäre liegt nicht in, sondern neben der Ebene des Kern- 
ringes, welche vert‘ ol steht. 


13 u. 22 (viele ähni. "ie wur&:n beobachtet): Die Sphären mit 


io. 20. 


Centralkörpern sind auch hier nicht genau in der Ebene des 
Kernringes zu den .en, ın welchen man hineinsieht, sondern, 
wie wechselnde Einstellung zeigt, etwas ausserhalb dieser 
Ebene. 

In eine der zarten Kern-Abschnürungsbrücken ist ein kleines 
Chromatinklümpchen hineingezogen, was öfter vorkommt. 


Kiel, December 1890. 


Ueber die Entwickelung des Balkens im 


menschlichen Gehirn. 
Von 
Prof. Dr. F. Marchand in Marburg. 


Hierzu Tafel XV und XVl. 


Abth. I. Morphologie. 


Die bisherigen Darstellungen der Entwickelung des Balkens 
im menschlichen Gehirn enthalten noch immer manche Dunkel- 
heiten und Widersprüche. 

Meine eigenen, hauptsächlich mit Rücksicht auf das Ver- 
ständniss gewisser Gehirn - Missbildungen unternommenen Ver- 


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Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 299 


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suche, mir über diesen Gegenstand Klarheit zu verschaffen, be- 
schränkten sich zunächst auf das Studium der morphologischen 
Verhältnisse, soweit dieselben makroskopisch und mit der Lupe 
Be: sind, doch ergab sich sehr bald, dass ohne gleich- 
 zeitige Berücksichtigung der Faserentwickelung an Serienschnitten 
eine genauere Einsicht nicht möglich war. Die Schwierigkeit, 
hinreichend gut conservirtes Material von menschlichen Embryonen 
zu erhalten, hat sich mir dabei leider sehr fühlbar gemacht, so 
- dass ich auch jetzt nicht in der Lage bin, über eine vollständige 
- Reihe gut erhaltener Gehirne zu verfügen. Dennoch erlaube ich 
mir, das Resultat der über einen mehrjährigen Zeitraum, wenn 
auch mit vielen Unterbrechungen sich erstreckenden Unter- 
suchungen, für welche ich die Nachsicht der Fach-Embryologen 
erbitten muss, hier vorzulegen, in der Hoffnung, dadurch etwas 
zur Lösung der Frage beizutragen. 

Es sei mir gestattet, die wichtigsten Angaben der neueren 
Autoren über die Entwickelung des Balkens hier in Kürze vor- 
auszuschicken, da sich hierbei wohl am besten die noch strei- 
tigen Punkte ergeben werden. Von den Aelteren seien hier nur 
die Namen Döllingert), J. F. Meckel?), Tiedemann?), Va- 
lentin®), v. Baer’), Bischoff‘) und Arnold’) angeführt, auf 
deren zum Theil noch heute sehr werthvolle Beobachtungen im 
weiteren Verlauf noch Rücksicht zu nehmen sein wird. 

Eine von den Anschauungen der Vorgänger wesentlich ab- 


1) Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des menschlichen Ge- 
hirns. Frankf. a.M. 1814. 

2) Versuch einer Entwickelungsgeschichte der Centraltheile des 
Nervensystems in den Säugethieren. Deutsches Archiv für die Phy- 
siologie Bd. I, 1815, S. 1 und S. 334. 

3) Anatomie und Bildungsgeschichte des Gehirns im Foetus des 
Menschen. Nürnberg 1816. 

4) Handbuch der Entwickelungsgeschichte des Menschen. Berlin 
1835, S. 167. 

5) Entwickelungsgeschichte der Thiere. 2. Abth. Königsberg 
1837, S. 217. 

6) Entwickelungsgeschichte der Säugethiere und des Menschen 
Bd. IV und Soemmerring, Vom Bau des menschlichen Körpers. 
Neue Ausg. Leipzig 1842, S. 178. 

| 7) Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Zürich 1842, Th. II, 
8. 1237. 


300 F. Marchand: 


weichende Meinung vertritt zuerst Reichert!), welcher die im 
Beginn der Commissurenbildung auftretende Verdickung im oberen 
Theile der Endplatte nicht für die Anlage des Balkens ansah, 
wie Tiedemann, sondern für die Anlage der „Commissura an- 
terior, der Commissur der Stiele des Septum pellueidum und der 
Säulchen des Fornix“. Von hier aus sollte die Verwachsung 
der Hemisphären, also die Anlage des Balkens, gleichzeitig auf 
die ganze Umgebung einer durch mangelhaftes Diekenwachsthum 
ausgezeichneten Stelle der Hemisphärenwand, des Septum pellu- 
cidum, fortschreiten. Der Balken sollte daher gleich im Ganzen 
angelegt, ein Weiterwachsen desselben von vorm nach hinten 
nur scheinbar sein. 

Auch F. Schmidt?), dessen sorgfältige Untersuchungen 
die wichtigste Grundlage der späteren Beobachtungen bilden, 
unterscheidet die Anlage des Balkens von der ursprünglichen 
Verbindungsstelle am vorderen Umfange der ersten Hirnblase, 
lässt den Balken aber dieht am oberen Ende dieser Verbindung 
(durch Verwachsung der gegen diesen Punkt convergirenden 
Fasern der inneren Schicht der Hemisphärenwandung) entstehen, 
und zwar in der Grenzlinie zwischen den beiden concentrischen 


Halbringen, in welche sich der Randbogen der Hemisphäre im 


Anfang des vierten Monats sondert. Der äussere dieser beiden 
Halbringe, welcher den Balken somit von oben her umgiebt, 
bildet das Corpus fimbriatum, die Stria obteeta und die Stria 
alba Laneisi, der innere, wie schon allgemein bekannt, das Ge- 
wölbe und die Scheidewand. Nach Schmidt’s Ansicht ist von 
vorn herein gleich der ganze Balken angelegt, wie aus dem Ver- 
halten der Faserung hervorgehe; das Wachsthum geschieht aber 
vorzüglich in der Längsrichtung; das anfangs nicht vorhandene 
Knie ist am Schluss des fünften Monats erst deutlich. In der 
ersten Zeit ist noch keine eigentliche Scheidewand da, indem 
der ganze unter dem Balken gelegene Raum von dem vorderen 
(Gewölbeschenkel eingenommen wird; während der Balken wächst, 
dehnt sich dieser (oder vielmehr der vordere Theil des inneren 


1) Der Bau des menschlichen Gehirns, Th. I, Taf. XI; Th. IH, 
S. 70, 1859—1861. 

2) Beitr. zur Entwickelungsgeschichte des Gehirns. Zeitschrift 
für wissensch.. Zoologie von Siebold und Kölliker Bd. XI, 1862, 
S. 43, Taf, VI. 


m 


eber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 301 


Ringes des Randbogens) immer mehr in eine dünne dreieckige 
Platte aus, die sich gegen die untere Fläche des Balkens er- 
hebt; eine Communication der Höhle der Scheidewand mit dem 
dritten Ventrikel ist nicht vorhanden, da das obere Ende der 
Verwachsung der beiden Hemisphären dicht unter dem hinteren 
Ende des Balkens gelegen ist. 

Kollmann!) lässt den Balken von einer kleinen Brücke 
Nervensubstanz in der Höhe des oberen Randes der Sehhügel 
entstehen, welche den Rest der ehemaligen Verbindung der He- 
misphären darstellen soll. Dieser Theil wird nach ihm zum Knie, 
von welchem aus sich der Balken durch Auswachsen nach hinten 
verlängert. Die Höhle des Septum pellueidum steht nach K. an- 
fangs in weiter Verbindung mit dem dritten Ventrikel. 

Kölliker?) schliesst sich im Wesentlichen an die Dar- 
stellung von Schmidt an. Bei dem viermonatlichen Foetus ist 
der noch sehr unentwickelte Balken in dem vorderen etwas ver- 
breiterten Theil des Randbogens bereits erkennbar; von dieser 
Stelle aus zieht vor der Schlussplatte des dritten Ventrikels ein 
schmales dreieckiges Feld nach der Basis des Gehirns nach ab- 
wärts. Dieser Raum, welcher als die Anlage des Septum pellu- 
cidum bezeichnet wird, ist jedoch noch nicht allseitig geschlossen, 
sondern vorn offen. An dem Gehirn eines fünfmonatlichen Em- 
bryo zeigt sich der Balken bereits ganz gut ausgeprägt, und 

_ Knie, Wulst und Rostrum deutlich, wasK. für einen Beweis an- 
- sieht, dass der Balken gleich in toto angelegt ist, und später 
nur in die Länge wächst, nicht aber an dem einen Ende neue 
Theile ansetzt. Das Septum pellucidum ist nunmehr eingefasst, 
und die Höhle desselben gebildet. Während der Balken nach 
hinten wächst, zieht sich mit demselben auch das Septum pellu- 
eidum und der Fornix immer mehr in die Länge. 

Ganz abweichend ist die Darstellung des Vorganges von 
v. Mihalkovicz?). Auch er beschreibt allerdings einen drei- 
eckigen Raum, in dessen Bereich die Hemisphäreninnenwände 


1) Die Entwickelung der Adergeflechte, ein Beitrag zur Ent- 
wickelungsgeschichte des Gehirns. Leipzig 1861. 

2) Entwickelungsgeschichte 2. Aufl. 1879, S. 554 ff., Fig. 352 
bis 355. 

3) Entwickelungsgeschichte des Gehirns, nach Untersuchungen 
an höheren Wirbelthieren und dem Menschen. Leipzig 1877. 


302 F. Marchand: 


vor der Schlussplatte sich einander nähern und verwachsen. 
Während aber bei Säugethieren diese Verwachsung eine totale 
ist, beschränkt sie sich beim Menschen nur auf die Peripherie 
des Dreiecks, und zwar soll sie in der Mitte des dritten Mo- 
nats zu Stande kommen. Die verwachsene Stelle unmittelbar 
vor der Schlussplatte differenzirt sich zu den Säulchen des Fornix, + 
welche von dort aus im unteren Saume des Randbogens weiter 
ziehen, während der vordere und obere Theil der Verwachsungs- 
‚stelle zur Bildung des Balkenknies verwendet wird. Körper und 
Wulst werden dann an den Knietheil von vorne nach rückwärts 
angesetzt, nach vorheriger Verwachsung der beiderseitigen Rand- 
bögen (pag. 129). Bei Embryonen vom fünften Monat findet 
man nur den Knietheil des Balkens ausgebildet; die definitive 
Entwickelung dauert bis zum Ende des fünften Monats. Durch 
die Vereinigung der beiden Randbögen wird zugleich der untere 
Theil der embryonalen Hirmsichel von der definitiven Sichel ab- 
getrennt (pag. 132); der Zusammenhang des verticalen Theils 
der Hirnsichel mit den horizontalen Seitenschenkeln (den nach- 
herigen Plexus laterales) wird dadurch gelöst (S. 166). 

Löwe!) schildert die Entwickelung des Balkens und des 
Septum pellueidum in sehr eigenthümlicher Weise, indem er zu- 
nächst durch die Vorwölbung der medialen Hemisphärenwand 
(nach den schematisirten Abbildungen Fig.: 14 und Fig. 15 auf 
S. 45 und 53, oberhalb des Sule. Ammonis und nahe dem oberen 
Rande der Hemisphäre!) eine Verdünnung der primitiven Hirm- 
sichel, schliesslich eine vollkommene „Dehiscenz“ derselben zu 
Stande kommen lässt, wodurch die Hirnsichel in einen oberen 
und einen unteren Abschnitt zerfällt, welch’ letzterer an beiden 
Endpunkten die Plexus laterales trägt. „In dem Raum zwischen 
den beiden von einander dehiseirten Abschnitten berühren sich 
die früher durch die primitive Hirmsichel getrennt gewesenen 
Innenwände der Hemisphären und kommen nun theils vollständig 
(Kaninchen), theils unvoilständig (beim Menschen) zur Verwachsung. 
An dem gesammten vorderen und oberen Rande der Verwachsungs- 
stelle brechen die Stabkranzfasern quer durch die verwachsene 


1) Ludw. Löwe, Beiträge zur Anatomie und zur Entwicke- 
lungsgeschichte des Nervensystems der Säugethiere und des Menschen. 
Berlin 1880. 


WOWREEWEN EL ur een 


Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 303 


Hirnrinde hindurch und formiren den Balken.“ An dem hinteren 
Rande der Verwachsungsstelle bildet sich der Fomix aus dem 
Verwachsungsrande parallel verlaufenden Längsfasern. Das Ver- 
schwinden des Bindegewebes aus der Höhle des Septum pellueidum 
erklärt sich nach L. dadurch, dass „sofort nach Dehiscenz der 
Hirnsichel die durehbrochenen bindegewebigen Theile sich in ent- 
gegengesetzten Richtungen retrahiren“ (S. 53). Wenn L. selbst 
sagt, dass „der Prozess des Durchbruches der primären Hirnsichel 
so wenig in den Rahmen der übrigen bei der Gehimbildung zu 
beobachtenden Vorgänge passt, dass man sich a priori denselben 


- gar nicht vorstellen kann“ (S.56), so kann ich dieser Aeusserung 


nur beipflichten. Wenn L. ferner meint, dass seine Darstellung 
mit der von Mihalkoviecz gegebenen Schilderung übereinstimmt, 
so ist das in sofern nicht richtig, als letzterer die Ablösung des 
Plexus von der Hirnsichel durch die Vereinigung der Rand- 
bögen zu Stande kommen lässt, in welchen dann durch Diffe- 
renzirung der Fasern der hintere Theil des Balkens im Anschluss 
an das vorher gebildete Knie entstehen soll. 

Die neueren Angaben Hamilton’s!) über die Entwicke- 
lung der Balkenfasern werden später noch berücksichtigt werden. 
Vom vergleichend-anatomischen Standpunkte ist die Kenntniss 
der Bildung des Balkens und der übrigen Hirn-Commissuren bei 
den Wirbelthieren durch eine Reihe wichtiger Untersuchungen 
wesentlich gefördert, und dadurch auch für die Entwiekelung 
dieser Theile beim Menschen mancher werthvolle Anhaltspunkt 
geliefert worden. Unter anderen sind hier die Arbeiten von 
Flower?) Rabl-Rückhard?), ganz besonders aber die um- 
fassende Darstellung von Osborn®) zu erwähnen. 

Nachdem meine eigenen Untersuchungen im Wesentlichen 


1) On the corpus callosum in the embryo. Brain, July 1885. 

2) On the commissures of the cerebral hemispheres of the Mar-. 
supialia and Monotremata as compared with those of the Placental 
mammals. Philosophical Transactions. London 1865, vol. 155, p. 633. 

3) Einiges über das Gehirn der Edentata, Archiv f. mikrosk. 
Anat. Bd. XXXV, 1890, S. 165. 

4) The origin of the corpus callosum, a contribution upon the 
central commissures of the Vertebrata. Morpholog. Jahrbuch Bd. XII, 
1877, S. 223 u. S. 530. 


Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 20 


304 F. Marcehand: 


bereits beendet waren, erschien die wichtige Arbeit von W. His!) 
über die Formenentwickelung des menschlichen Vorderhirns vom 
Ende des ersten bis zum Beginn des dritten Monats. Wenn dem- 
nach diese Untersuchung bereits vor dem Beginn der ersten An- 
lage des Balkens abschliesst, ist sie doch von grosser Bedeutung 
für das Verständniss der Formen, und es war mir daher von 
grossem Werth, die His’sche Arbeit noch bei der Darstellung 
meiner Ergebnisse benutzen zu können. Auf einige Differenzen, 
welche sich dabei ergaben, werde ich weiter unten zurückkommen. 
Leider war es mir nicht möglich, einige zweifelhafte Punkte der 
Morphologie durch Nachprüfung an meinem Material zu contro- 
liren, da das letztere bereits verarbeitet war. 

Meine eigenen Beobachtungen beginnen erst mit dem dritten 
Foetal-Monat. Die Gehirne wurden nach möglichst sorgfältiger 
Härtung (meist in Müller'scher Flüssigkeit und Alkohol) in der 
Medianebene durchschnitten, die jüngeren Stadien in situ, nach 
Abtragung der Schädeldecke, die grösseren nach der Herausnahme. 
Sodann wurde die mediale Fläche möglichst genau untersucht 
und gezeichnet, bevor zur weiteren Verarbeitung geschritten wurde. 
Häufig war es bei dieser Methode nur möglich, die eine Hälfte 
des Gehirns in brauchbarem Zustande zu erhalten, ausserdem 
musste (mit einer Ausnahme) darauf verziehtet werden, Durch- 
schnitte des ganzen Gehirns im Zusammenhang herzustellen, da 
es an hinreichend gut erhaltenem Material fehlte. Dennoch schien 
es mir aber vortheilhaft, vor der Anfertigung der Schnitte die 
makroskopisch und mit der Lupe sichtbaren morphologischen Ver- 
hältnisse möglichst genau festzustellen, da dies Verfahren doch 
noch grössere Sicherheit ergeben dürfte, als die nachherige Re- 
construction, besonders da es sich hier bereits um grössere Gegen- 
stände handelt. Ich halte es für zweckmässig, zunächst die rein 
morphologische Beschreibung vorauszuschicken, und dann in einem 
zweiten Theil der Arbeit die Ergebnisse der Untersuchung der 
Serienschnitte zusammenzufassen. Ich brauche nicht hervorzu- 
heben, dass die nachfolgende Beschreibung keineswegs alle Ge- 
hirme zum Gegenstand hat, welche mir im Laufe der Jahre durch 
die Hände gegangen sind, sondern nur diejenigen, welche hin- 


1) Abhandlungen der mathematisch-physischen Classe der Königl. 
Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften Bd. XV, Nr. 8, 1889. 


7 


Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 305 


 reichend gut, wenn auch leider nicht immer ganz fehlerlos, er- 
halten waren. Man erlebt bei der Untersuchung des foetalen 
_ menschlichen Gehirns so viele unangenehme Enttäuschungen, dass 
man häufig zufrieden sein muss, wenn man wenigstens Einzelnes 
genau feststellen kann. Andere, welche in der glücklichen Lage 
sind, über ein grösseres Material gut conservirter Embryonen zu 
verfügen, mögen die zahlreichen noch vorhandenen Lücken ausfüllen. 
- Wenn die nachfolgenden Beschreibungen vieles bereits Bekannte 
enthalten, so bitte ich den Leser, dies zu entschuldigen; eine 

möglichst genaue Beschreibung der fortlaufenden Entwickelungs- 
" stadien schien mir nothwendig sowohl mit Rücksicht auf die viel- 
fach ungenauen älteren Angaben, als auf das Verständniss der 
 Durehschnitte. 


Dritter Foetalmonat. 


Ich beginne mit der Beschreibung eines sehr gut erhaltenen 
-Gehirnes vom 3. Monat (C SSL = 45 em; Fig. 1, 2). Die 
- Länge der Grosshirnhemisphäre im gehärteten Zustand beträgt 
14,5 mm. Der Schläfenlappen ragt wenig nach abwärts, der 
Hinterhauptlappen bildet einen kaum merklichen Vorsprung nach 
hinten. Die Fossa Sylvii ist eben angedeutet; die convexe Fläche 
der Hemisphäre ist übrigens vollkommen glatt. 

An der Medianfläche der Hemisphäre erkennt man die hin- 
tere Bogenfurche (Sule. Ammonis s. Hippocampi), welche den 
Sehhügel umgiebt; von ihrem vorderen Ende, ungefähr dem Vor- 
derrande.des letzteren entsprechend, gehen nach aufwärts und 
vom einige flache Radiärfalten ab; die mediale Fläche des Stirn- 
hirns ist etwas concav eingesunken und leicht faltig (Effekt der 
Härtung). Auch in der Nähe des hinteren Randes des Sehhügels 
steigt eine etwas geschlängelte tiefere Furche von der Bogen- 
furche nach aufwärts bis in die Nähe des oberen Hemisphären- 
'randes (Artefact?). 

Am unteren Rande der Hemisphäre wird der Stirnlappen 
durch eine tiefeinschneidende senkrechte Furche von dem dahinter 
liegenden Stammtheil abgegrenzt (vordere Bogenfurche, später 
Ineisura prima von His). Das obere Ende dieser Furche geht 
durch eine ganz seichte Vertiefung in das vordere Ende der hin- 
teren Bogenfurche über, wodurch das Gebiet des vorderen Theiles 
des Randbogens abgegrenzt wird. Die vordere Bogenfurche senkt 


306 F. Marchand: 


sich ziemlich tief in der Richtung von hinten nach vorn in den 
Stirnlappen ein; ihr unteres Ende setzt sich nach vorn im den 
Suleus olfactorius fort, während ein hinterer Schenkel sich in 
mehr schräger Richtung lateralwärts wendet, wo er die Grenze 
zwischen dem Stirnlappen und der Gegend der späteren Sub- 
stantia perforata bildet; der zwischen beiden Schenkeln gelegene 
Raum wird durch den mehr lateral entspringenden, noch ziemlich 
kurzen Riechlappen ausgefüllt. 

Der zwischen der vorderen Bogenfurche und der vorderen 
Begrenzung des 3. Ventrikels gelegene Theil besitzt eine voll- 
kommen glatte (mit zarter Pia mater überzogene) Oberfläche, an 
welcher man indess einen etwas ebeneren hinteren, und einen 
etwas mehr gewölbten vorderen Abschnitt unterscheiden kann. 
Die ebene (senkrechte) Fläche liegt der entsprechenden der an- 
deren Hemisphäre unmittelbar gegenüber, und ist nur durch den 
hinteren unteren Rand der Sichel von dieser getrennt. Lateral- 
wärts geht die Fläche am unteren Rand der Hemisphäre in die _ 
untere (schräg geneigte) Fläche des Stammlappens, der spätern 
Substantia perforata anterior über. Nach aufwärts verläuft der 
leicht gewölbte vordere Abschnitt in die Oberfläche des Rand- 
bogens, während der kleinere hintere Abschnitt sich in einer ganz _ 
seichten Vertiefung in der Richtung nach dem freien Rande des 
letzteren verliert. 

Die vordere Begrenzung des 3. Ventrikels wird durch die 
srösstentheils . sehr dünne vordere Schlussplatte gebildet, welche 
von dem Recessus opticus His (R. chiasmatis Michel) in einem 
nach vorn convexen Bogen aufsteigt; die stärkste Krümmung liegt 
gegenüber dem Ursprung des Riechlappens. Unmittelbar darüber 
geht die dünne Platte in eine längliche senkrecht gestellte Ver- 
diekung über, welche nach hinten und vorn durch eonvexe Linien 
begrenzt ist, und dadurch auf dem Durchschnitt spindelförmig, 
mit leichter S-förmiger Krümmung erscheint. Die Höhe dieser 
Verdiekung der vorderen Schlussplatte beträgt an dem vorliegen 
den Gehirn kaum 1,5, die Dicke 0,5 mm. Der untere Theil 
ihrer nach hinten vorspringenden Oonvexität wird, wie sich aus 
den Durchschnitten ergiebt, durch die vordere Commissur ein- 
genommen, von welcher ich jedoch auf dem Medianschnitt mit der 
Lupe nichts zu entdecken vermochte. 

Das obere Ende der verdiekten Schlussplatte setzt sich in 


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Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 307 


Gestalt eines etwas geschlängelten, feinen Saumes in den Rand- 
bogen fort; hier beginnt gleichzeitig die Anheftungsstelle der Tela 
chorioidea (auf der Figur nur zum Theil erhalten). Der erwähnte 
Saum hat demnach eine ähnliche Bedeutung, wie die Taenia me- 
dullaris des Sehhügels für den oberen Theil der Decke des 3. 
Ventrikels. 

Dieht hinter dem vorderen Ende des Randbogens und dem 
oberen Theil der verdiekten Schlussplatte kommt an der Wand 
des 3. Ventrikels eine senkrecht verlaufende abgerundete Leiste 
zum Vorschein, welche dem medialen Stiel des Streifen- 
hügels angehört. Ihr unteres Ende entspricht ungefähr der hin- 
teren Convexität der verdickten Schlussplatte. Nach vorn ist der 
Stiel des Streifenhügels von der medialen Hemisphärenwand (dem 
Randbogen) durch einen tiefen Einschnitt getrennt, welcher nichts 
anderes ist, als der hier an der Verbindung zwischen 3. Ventrikel 
und Seitenventrikel mündende Recessus olfactorius, oder richtiger 
die von diesem noch übrig gebliebene tiefe Furche zwischen 
Streifenhügel und medialer Hemisphärenwand. Nach hinten wird 
der Stiel des Streifenhügels durch einen zweiten Einschnitt, oder 
Spalt vom Sehhügel getrennt, welcher sich an der Seitenwand 
des Ventrikels in Gestalt einer ziemlich tiefen Rinne bis an das 
untere Ende des Recessus opticus fortsetzt. Dieser Einschnitt 
bildet den Eingang in die noch sehr tiefe Furche-zwischen Seh- 
und Streifenhügel (Suleus striae corneae nach His). 

Eine zweite etwas flachere Furche, welche in schräger Rich- 
tung nach dem vorderen oberen Theil des Sehhügels verläuft, 
und sich nach abwärts etwas fächerförmig ausbreitet, bildet ge- 


_ meinschaftlich mit der vom hinteren Umfange herkommenden 


Furche die Abgrenzung der oberen und unteren Abtheilung der 
Ventrikelwand (S. Monroi). Die Höhlenfläche der beiden Abthei- 
lungen ist im Uebrigen ziemlich flach und eben, nur nach oben 
und vorn leicht gewölbt. Eine Andeutung der grauen Commissur 
ist noch nicht zu entdecken, vielmehr ist (wie auch die Durch- 


 schnitte zeigen) die glatte Epithelfläche nirgends unterbrochen. 
— Am unteren Umfang des Ventrikels tritt das Chiasma, das Infun- 


dibulum und das Corpus mammillare mit den entsprechenden Aus- 
buchtungen der Höhle hervor, am oberen Rande die nach hinten 
an Höhe zunehmende Markleiste mit ihren leichten Faltungen, 
welche an ihrem hinteren Ende eine etwas stärkere, dem Ganglion 


308 F. Marchand: 


habenulae entsprechende Anschwellung bildet; darunter verläuft 
der Suleus habenulae His. Die Anlage der Gland. pinealis ist 
nicht hinreichend deutlich erhalten. An der Stelle des von His 
so genannten Recessus geniculi ist noch ein ziemlich tiefer Ein- 
schnitt am hinteren Umfang des Thalamus-Wulstes vorhanden. 

An einem ungefähr demselben Entwickelungsstadium ange- 
hörigen Gehirn!) (A), an welchem die rechte Hemisphäre an der 
Grenze zwischen Seh- und Streifenhügel abgetragen worden war, 
zeigt die mediale Fläche der Hemisphäre ein etwas abweichendes 
Verhalten (Fig. 3). Bei der Betrachtung von der rechten Seite 
sieht man die Trennungsfläche, welche die Gestalt einer 8 hat; 
der untere vordere Rand derselben erreicht nicht ganz die Mittel- 
linie; die obere etwas schräg nach abwärts ‚geneigte Abtheilung 
entspricht der Ausbreitung der Stammstrahlung, die untere dem 
Stammtheil der Hemisphärenwand, die Trennung verläuft zwischen 
der Seitenwand des 3. Ventrikels (Triehter-Region) und der Sub- 
stantia perforata anterior. Dicht vor dem sich vorwölbenden 
rechten Sehhügel, unmittelbar oberhalb der Trennungsfläche sieht 
man den scharfen Saum des Randbogens der linken Hemisphäre, 
welcher sich etwas von der Medianebene entfernt; dieht dahinter, 
nur durch die oben erwähnte Spalte getrennt, den Stiel des 
(linken) Streifenhügels; hinter diesem kommt noch eben die 
Furche zwischen Seh- und Streifenhügel zum Vorschein. Von 
der vorderen Schlussplatte des 3. Ventrikels ist selbstverständlich 
nur der vordere Rand sichtbar, welcher nach abwärts in den 
Vorsprung des Chiasma übergeht. An der Medianfläche der Hemi- 
sphäre zeigt sich oberhalb des Sehhügels die sehr tiefe hintere 
Bogenfurche, welehe sich nach hinten in eine tiefe zweischenke- 
lige Falte fortsetzt; von ihrem vorderen Ende geht eine tiefe 
Furche nach aufwärts bis nahe an den Hemisphärenrand, eine 
zweite Furche nach vorn und abwärts nach der Spitze des Stirn- 
lappens. Die vordere Bogenfurche ist ebenfalls stark ausgeprägt 
und grenzt den prung des Riechlappens nach hinten ab. 

Ich bin der Ansicht, ‘dass die drei tiefen Radiärfurchen 
Folgen der Härtung sind, wenn auch Andeutungen derselben be- 


1) Leider ist dies Gehirn, welches sehr gut erhalten war, durch 
Eintrocknen für die weitere Untersuchung unbrauchbar geworden. 
Auch die Zeichnung entbehrte leider noch der letzten Correctur. 


Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 309 


reits normaler Weise vorhanden sein mögen, wie an dem vorher 
beschriebenen Gehirn; auch die Bogenfurchen sind abnorm vertieft. 

An dem nun folgenden etwas älteren Gehirn E (Fig. 4, 5, 
SSL 5,5 em, Länge der Grosshirnhemisphäre 18 mm) sind die 
Hemisphären augenscheinlich durch die Härtung stark deformirt; 
ihr oberer Rand ist herabgedrängt, die mediale Fläche ein- 
gerollt und stark gefaltet. Die Ammonsfurche ist sehr tief; weiter 
nach vorn findet sich noch eine zweite tiefe Furche unter dem 
Hemisphärenrande, durch welche von oben her eine stark her- 
vortretende Falte an der medialen Fläche abgegrenzt wird. (Diese 
vorspringende Falte wird nicht selten beobachtet, und kann leicht 
zu erheblichen Täuschungen, namentlich auch in Bezug auf die 
Anlage des Balkens Anlass geben.) Auch hier findet sich die in 
der Richtung nach ‚der Spitze des Stirnlappens verlaufende schräge 
Furche, sowie eine Anzahl radiärer Einkerbungen an dem oberen 
Rande des Stirnlappens und in der Nähe der hinteren Spitze. 

Die vordere Bogenfurche ist deutlich, und verläuft nach 


aufwärts allmählich in einen flachen Eindruck. 


Der Ursprung des Riechlappens tritt an der medialen Fläche 
des Stirnlappens, an dessen hinterem unterem Winkel hervor, 
ebenso wie an dem vorigen Gehirn; es fehlt also die Verbindung 
zwischen vorderer Bogenfurche und Sule. olfactorius. Der ver- 
dickte Theil der vorderen Schlussplatte hat sich im Vergleich zu 
- dem jüngeren Gehirn erheblich in der Richtung von oben nach 
unten gestreckt, und besitzt auf dem Durchschnitt eine schwach 
S-förmig gekrümmte Gestalt, 3,5 mm Länge und etwa 0,5 mm 
Dicke. Die nach vorn gerichtete Convexität liegt gegenüber dem 
Ursprung des Riechlappens, die nach hinten‘ gerichtete, welche 
der Lage nach der makroskopisch noch nicht erkennbaren vor- 
deren Commissur entspricht, liegt dieht unterhalb des Emganges 
in den Seitenventrikel; der untere, die vordere Begrenzung des 
Recessus chiasmatis bildende Theil der vorderen Schlussplatte ist 
dünn; nach aufwärts endet die Schnittfläche der verdickten 
Schlussplatte abgerundet; lateralwärts schliesst sich dann das 
etwas geschlängelte Fältchen an, welches in den Saum des Rand- 
bogens übergeht). 


1). Die Gestalt der Schnittfläche der verdickten Schlussplatte habe 
ich möglichst genau festzustellen gesucht, indess ist es natürlich, dass 


310 F. Marchank: 


An der Höhlenfläche des 3. Ventrikels zeigt sich zunächst 
hinter der Schlussplatte der spaltförmige Eingang in den Seiten- 
ventrikel, dahinter der Stiel des Streifenhügels, welcher nur m 
Gestalt einer schmalen Leiste zum Vorschein kommt, und nach 
abwärts in die Höhlenfläche des 3. Ventrikels übergeht. Dahimter 
liegt der Eingang in den Suleus striae corneae (His), welcher 
sich nach abwärts in Gestalt einer ziemlich tiefen Rinne fortsetzt. 
Auch die übrigen Furchen stimmen mit denen ‚des Gehirns C über- 
ein, sie sind nur flacher. 

Bezüglich einiger Abweichungen der vorstehenden Beschrei- 
bung von den ungefähr dasselbe Stadium betreffenden Darstel- 
lungen von His gestatte ich mir Folgendes hervorzuheben. 

1) Nach His entsteht die Commissura mollis noch vor Ende 
dies zweiten Monats, indem sich die beiden- Thalamuswülste in 
der Mittelebene begegnen. Dieser Angabe kann ich nicht bei- 
stimmen, da ich auch an viel älteren Gehirnen noch keine solche 
Verbindung gesehen habe. Möglicherweise kommen individuelle 
Verschiedenheiten vor, welche auch an Gehirnen Erwachsener in 
Bezug auf die graue Commissur nicht selten sind. Schon Meckel 
hebt indess ausdrücklich hervor, dass er weder beim Embryo von 
14, noch bei dem von 16—18 Wochen eine Verwachsung der 
Sehhügel gefunden habe, wohl aber im 6. Monat eine sehr aus- 
gedehnte. 2) Die vordere Schlussplatte verläuft nach His 
vom Recessus optieus aufwärts concav nach vorn (Fig. 37), bei 
einem etwas älteren Embryo von 2!/, Monat (SSL 4,5 em, also 
dem ‘oben beschriebenen entsprechend) etwas weniger als früher. 
3) Die auffälligste Differenz ist in diesem Stadium das Fehlen 
der Verdiekung im oberen Theil der Schlussplatte in den Ab- 
bildungen von His; diese Verdiekung ist aber von den älteren 
Autoren bereits ziemlich übereinstimmend beschrieben worden. 
4) Der Stirntheil der Hemisphäre ist weit weniger entwickelt dar- 
gestellt, der Riechlappen noch sehr viel weniger ausgebildet und 
unvollkommen abgegrenzt. Diese Unterschiede beruhen theilweise 


bei so kleinen Gebilden bereits sehr geringe Abweichungen von der 
Mittellinie die Gestalt der Schnittfläche wesentlich beeinflussen. Auch 
waren einige kleine Stückchen ‚aus der Schnittfläche ausgebrochen, 
wodurch ebenfalls Irrthümer möglich waren, doch ergab der Vergleich 
mit den Durchschnitten die Richtigkeit der obigen Beschreibung und 
der Abbildung. 


- 


Ueber die Entwiekelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 311 


vielleicht darauf, dass der mir vorliegende Embryo © (welcher 


4 'am besten als Vergleichsobjeet mit dem von His beschriebenen 


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dienen kann) bei ziemlich gleicher Länge weiter entwickelt war; 
auch ist- das Gehirn im Ganzen etwas grösser. Besonders auf- 
fallend ist mir indess 5) auf den Abbildungen von His der Mangel 
des Einscehnittes zwischen dem Stiel des Streifenhügels und 
der medialen Hemisphärenwand, welchen ich kaum auf eine Un- 
-genauigkeit der Zeichnung beziehen kann. Auf Fig. 37 und 
38 ist zwischen vorderem Rand des Sehhügels. und Schlussplatte 
nur eine Oeffnung vorhanden, welche demnach das bleibende 
Foramen Monroi darstellen würde. Denkt man sich den oberen 
Theil des Sehhügels (auf meinen Abbildungen) nach vorn ver- 
schoben, so würde derselbe wohl die beiden Spalten, zunächst die 
hintere, ziemlich verdecken können, doch entspricht dies nicht 
den natürlichen Verhältnissen. Auch später sind diese beiden 
Spalten noch vorhanden, welche aus dem ursprünglichen Foramen 
Monroi durch Hervortreten des Stieles des Streifenhügels gebildet 
werden (vergl. die Darstellung des Modells Fig. 8, Taf. 1 der 
His’schen Arbeit). Da His (auf S. 56 des Sep.-Abdr.) angiebt, 
dass von der 7. Woche ab im hintern Bereiche der Area trape- 
zoides die Sichelfalte (d. h. die vordere mediale Wand der Hemi- 
sphäre) mit dem sie berührenden Theil des Streifenhügels zu ver- 
schmelzen beginnt, so dass von dieser Zeit ab der letztere nicht 
mehr bis unten hin isolirbar ist, so kann ich die Fig. 37 und 38 
nur so verstehen, als sei diese Verschmelzung bereits bis zur Höhe 
des vorderen Endes des Sehhügels vorgeschritten, was jedoch 
nicht der Fall ist, da die mediale Wand des Stirnlappens in 
dieser Gegend eine selbständige Verdiekung bildet, welche von 
dem Streifenhügel dauernd durch eine Spalte getrennt bleibt. 
Die Verschmelzung erstreckt sich nicht viel über die vordere 
Commissur nach aufwärts. Gerade die vordere Spalte wird zum 
bleibenden Formen Monroi, während die hintere Spalte, der An- 
fang des ‚Sulcus striae cormmeae allmählich durch die Ver- 
wachsung zwischen Seh- und Streifenhügel verstreicht, und ebenso 
auch die senkrechte in den Recessus opticus hinabsteigende Furche 
schwindet. 

Eine erhebliche Differenz findet sich ferner 6) zwischen meiner 
Fig. 3 und der Abbildung der Seitenansicht des Gehirns eines 
menschlichen Foetus von 42 mm SSL, nach Wegnahme der rechten 


312 F. Marchand: | 


 Hemisphäre bei His (Fig. 26, welche ziemlich genau der Abbil- 
dung des Medianschnittes Fig. 37 entspricht). Nach His be- 
schränkt sich die Verbindung der Hemisphäre mit dem Zwischen- 
hirn auf den Stiel des Streifenhügels, wozu dann später die secun- 
däre Verwachsung zwischen Seh- und Streifenhügel hinzu kommt; 
die Grenze der Verwachsung nach vorn und unten fällt zusam- 
men mit einer concaven Linie, „welche vom vorderen Ende der 
Deckplatte des dritten Ventrikels in einem etwas zurirckweichen-- 
den Bogen nach dem Stiel des Streifenhügels hinabsteigt. Längs 
dieser Linie findet der Umschlag der Sehhügelwand!) in die me- 
diale Wand der Hemisphäre statt“ (S. 37). Diese Linie ist dem- 
nach identisch mit der vorderen Grenze der Schlussplatte, wie 
auch der Vergleich mit der Fig. 57 ergiebt. Wo bleibt dann 
die Verbindung an der Basis der Hemisphäre, der eigentliche Stamm- 
lappen, welcher doch nothwendig durchtrennt sein muss? Denkt 
man sich die Abtrennung der Hemisphäre medianwärts fortgesetzt 
bis zur Schlussplatte, so muss nothwendig die Seitenwand der 
Regio infundibuli mit entfernt sein, der dritte Ventrikel müsste 
also offen vorliegen. - 
Was nun die Furchenbildung der Hemisphären in diesem 
Stadium anlangt, so halte ich das zuerst beschriebene Gehirn für 
dasjenige, welches die natürlichen Verhältnisse am besten wieder- 
giebt (abgesehen von der geringen Einsenkung der medialen 
Fläche des Stirnlappens). Abweichend von den beiden übrigen 
Gehirnen desselben Stadiums ist das Verhalten der vorderen 
Bogenfurche zum Ursprung des Riechlappens. Bekanntlich ent- 
springt dieser (der „vordere Riechlappen“ von His) lateralwärts 
am hinteren Rande des Stirnlappens; in der Fortsetzung desselben 
verläuft an der Oberfläche der Hemisphäre, an der oberen Grenze 
des noch weit nach aussen reichendem Stammtheils, der späteren 
Substantia perforata, ein bogenförmiger weisslicher Streif nach 
dem vorderen Ende des Schläfenlappens, der spätere äussere 
Riechstreifen. Oberhalb dieses Streifens beginnt also erst das 
Gebiet der späteren Insel. In der Seitenansicht der Hemisphäre 
sieht man den hier befindlichen Ursprung des Riechlappens vor 
sich. Bei der Ansicht von unten wird der letztere am hinteren 
Rande durch einen querverlaufenden Einschnitt von der Substantia 


1) Ventrikelwand ? 


pP u He. a 
1 


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Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 313 


perforata abgegrenzt, welcher sich als „vordere Bogenfurche“ 
(Ineisura prima) auf die mediale Fläche fortsetzt!). Bei der An- 
sicht von der medialen Fläche scheint der Riechlappen aus dem 
hinteren Winkel dieser Fläche des Stirnlappens hervorzugehen; 
dies würde also einer medialen Wurzel entsprechen, so bei dem 
Gehirn A und E, sowie bei allen späteren. 

Es mag sein, dass die Tiefe der vorderen Bogenfurche an 
ihrem unteren Theile am Gehirn © in Folge der Härtung zuge- 
nommen hat, und dass im Folge dessen ein direeter Uebergang 
dieser Furche in den Suleus olfactorius, und in Folge dessen eine 
scheinbare Abtrennung des Riechlappens von der medialen Wand 
des Stirnlappens zu’ Stande gekommen ist; jedenfalls zeigt aber 
auf den Durchschnitten die Hemisphärenwand an dieser Stelle ein 
durchaus normales Verhalten. 

An den hier in Betracht kommenden Abbildungen 26, 37 
und 38 von His sind, wie mir scheint, die Abgrenzungen der 
Theile, namentlich die vordere Bogenfurche, zu wenig scharf 
ausgeprägt, auch erscheint der Stirntheil der Hemisphäre zu kurz 
und wulstig, indess mögen hierbei Verschiedenheiten des Conser- 
virungs- und Härtungsgrades eine Rolle spielen. 

Die ‘flachen Radiärfurchen an der Convexität der Hemi- 
sphäre, die- am stärksten im Gehirn E ausgebildet sind, welche 
ich aber auch an anderen Gehirnen dieses Entwickelungsstadiums, 
ebenso wie Andere, in wechselnder Ausbildung beobachtet habe, 
möchte ich wegen ihrer Unregelmässigkeit für Produkte der Här- 
tung halten, wenn mir auch Thatsachen, besonders aus dem Ge- 
biete der Hirnmissbildungen bekannt sind, welche auf eine Son- 
derung des Gehirnmantels in keilförmige Segmente durch tiefe 
Radiärfalten hindeuten. 

Die 'Verdiekung der vorderen’ Schlussplatte wurde zuerst 
von Tiedemann für die Anlage des anfangs noch senkrecht 
stehenden Balkens gehalten (l.e. S. 21. Taf. IT 12, q.). Viele 
der späteren Autoren sind ihm hierin gefolgt, u. a. auch Hen- 
sen, während Reichert, Schmidt und Andere sich dagegen 
aussprechen, und zwar mit Recht. Von der Anlage des Balkens 


1) Vgl. auch die Fig. 22—24 bei Kölliker, Zur Entwickelung 
des Auges und Geruchsorganes menschlicher Embryonen. Würzburger 
Verhandlungen Bd. XVIII, Nr. 8, 1883. 


314 F. Marchand: 


ist in dem beschriebenen Stadium an der Medianfläche noch nichts 
zu sehen. Dem zwischen 3. Ventrikel und vorderer Bogenfurche 
gelegenen Raum, der-Pars trapezoides von His, entspricht nach 
der Darstellung von Mihaleoviez die umrandete Verwach- 
sungsstelle der Hemisphären als erste Anlage des Balkenknies 
und des Septum. Die Verwachsung beschränkt sich indess, wie 
wir sahen, auf die verdiekte vordere Schlussplatte; der davor- 
gelegene Theil ist durch die Sichel von der anderen Seite 
getrennt, und ist auch am ausgebildeten Gehirn noch als kleiner 
dreieckiger Raum nachweisbar. 

Was den Fornix- anlangt, welcher bekanntlich in naher Be- 
ziehung zum Randbogen steht, so ist für die vorderen Säulchen 
desselben in diesem Stadium der Entwiekelung noch so gut wie 
kein Raum vorhanden. Weiteres wird sich bei der Betrachtung 
der Durchschnitte ergeben. F 


Vierter Foetalmonat. 


Das Grosshirn unterscheidet sich in diesem Stadium durch 
einige sehr wichtige Eigenthümlichkeiten von den vorhergehenden 
Entwickelungsstufen. Die Länge der Grosshirnhemisphäre beträgt 
nach der Härtung 24—25 mm, der Schläfenlappen ragt bereits 
erheblich nach abwärts hervor, dementspreehend bildet auch die 
Fossa Sylvii eine deutlichere Vertiefung; das hintere Ende der 
Hemisphäre ist zugespitzt und reicht nach hinten bereits über die 
Mitte der Vierhügel hinaus; gleichzeitig mit der Verlängerung 
der Hemisphäre hat eine gewisse Drehung derselben um eine 
ideale Queraxe in der Gegend des Foramen Monroi nach aufwärts 
und hinten stattgefunden. Die, convexe Fläche der Hemisphäre 
‘war an einem besonders gut erhaltenen Exemplar (F.Fig. 10) 
vollkommen glatt und frei von Furchen; an einem zweiten dagegen 
mit einigen flachen Radiärfurchen in der Gegend der Fossa Sylvi, 
und einigen tieferen Einkerbungen am vorderen und hinteren 
Ende, ebenfalls in ziemlich radiärer Richtung versehen. 

Die Höhlenfläche des 3. Ventrikels ist fast ganz eben, die 
Abgrenzung der oberen und unteren Region durch Abflachung 
des Suleus Monroi sehr viel undeutlicher; auch ‘die übrigen Fur- 
chen an der Innenfläche sind fast verstrichen. Der Stiel des 
Streifeihügels ist in Gestalt eines schmalen leistenförmigen Vor- 
sprunges von dem vorderen Ende des Sehhügels an der Höhlen- } 


er 


Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 315 


fläche sichtbar, dahinter der Anfang der Furche zwischen Seh- 
und Streifenhügel (Suleus striae corneae), davor der Eingang in 
den Seitenventrikel. Das Conarium ragt bereits etwas über den 
Vorderrand der Vierhügel hervor, die hintere Commissur, der 
Recessus infrapinealis, die Stiele des Conarium sind deutlich sicht- 
bar. Besonders charakteristisch ist die Streckung der vorderen 
Schlussplatte nach aufwärts; der untere Theil derselben ist noch 
immer nach vorn convex, der obere senkrecht oder selbst leicht 
concay nach vorn (Gehirn G. — vielleicht Folge der Härtung). 
Von der früheren Verdiekung der Schlussplatte ist nichts mehr zu 
sehen, dagegen geht diese an ihrem oberen Ende in eine rund- 
liche Anscehwellung über, welche den Durchschnitt 
einer neu entstandenen Verbindung beider Hemisphä- 
ren darstellt. Diese Verwachsungsstelle liegt genau vor dem 
Foramen Monroi; ihr Durchmesser von vorn nach hinten beträgt 
1—1,5 mm; der vordere Rand ist halbkreisförmig, der hintere 
etwas concav; der hintere obere Winkel setzt sich in den zu- 
geschärften Saum des Randbogens fort, während der untere etwas 
allmählich in die vordere Schlussplatte übergeht; etwas unterhalb 
liegt (noch in der letzteren) die vordere Commissur, welche je- 
doch auf dem Medianschnitt nicht deutlich erkennbar ist. Das 
vordere Ende des Sehhügels überragt die Verwachsungsstelle der 
Hemisphären ziemlich erheblich nach aufwärts. Eine Andeutung 
der mittleren Commissur ist weder an diesem noch an dem 
zweiten Gehirn dieses Stadiums vorhanden. 

Die mediale Fläche der isolirten (rechten) Hemisphäre zeigt 
eine sehr charakteristische Ausbildung der Furchen oder Faltungen, 
welche jedoch an den beiden dargestellten Gehirnen etwas ver- 
schieden ist. Eine tiefe Bogenfurche umgiebt die Hemisphären- 
öffnung in einiger Entfernung vom freien Rande derselben; das 
untere Ende des hinteren Schenkels erstreckt sich bis in die 
Nähe des unteren Randes des Schläfenlappens; durch einen etwas 
flachen Eindruck, welcher mehr nach vorne gegen das untere 
Ende des Randbogens ansteigt, wird bereits eine stumpfrund- 
liche Hakenwindung abgegrenzt. Der vordere Schenkel der 
Bogenfurche verläuft in schräg absteigender Richtung nach der 
Spitze des Stirnlappens und schneidet hier ein dreieckiges Ge- 
biet ab, welches nach hinten von der Schlussplatte des dritten 
Ventrikels begrenzt wird. Die ganze Bogenfurche zerfällt am 


316 F. Märchand: 


deutlichsten in einen vorderen oberen und einen hinteren unteren 
Schenkel, welcher die eigentliche Ammonsfurche darstellt. Von 
der Vereinigungsstelle beider Schenkel erstreckt sich eine Fort- 
setzung des oberen in ziemlich gerader Richtung nach hinten 
gegen die Spitze des Hinterhauptlappens (an der linken Hemi- 
sphäre mehr nach aufwärts). Das dreieckige Gebiet der me- 
dialen Fläche zwischen dieser Furche und der Ammonsfurche 
wird durch einen etwas flacheren Eindruck in zwei Hälften ge- 
theilt. Der vordere obere Schenkel der Bogenfurche giebt zwei 
radiäre Furchen ‚nach aufwärts und nach vorn ab. Die soge- 
nannte vordere Bogenfurche (His) stellt sich nicht mehr deut- 
lich als vorderer Theil der eben beschriebenen Furche dar; sie 
bildet nur noch einen wenig ausgedehnten Einschnitt am hin- 
teren Rande des Riechlappens, welcher aus dem medialen unteren 
- Theile des Stirnlappens hervorgeht. Der oberhalb der Bogen- 
furche gelegene Theil der Hemisphärenwand ist, abgesehen von 
den erwähnten radiären Furchen, glatt und eben; er hängt deckel- 
artig über den Randbogen herab, und zwar zeigt diescr über- 
hängende Theil entsprechend der Wölbung des Sehhügels eine 
leichte Concavität. . In ähnlicher Weise entspricht der Eindruck 
im hinteren unteren Theil der Hemisphäre der Hervorragung der 
Vierhügel und der Kleinhirnhemisphären. Man erhält bei der 
Betrachtung der medialen Fläche vollständig den Eindruck, als 
sei dieselbe einerseits vom oberen und vorderen, andererseits vom 
hinteren unteren Rande her um den mittleren Theil, in Folge 
des stärkeren Flächenwachsthums, eingerollt und dabei gefaltet. 

Was den freien Rand der Hemisphärenöffnung, den Rand- 
bogen Schmidt’s anlangt, so schliesst sich dieser oberhalb der 
Verwachsungsstelle unmittelbar an das erwähnte untere Dreieck 
des Stirnlappens an, welches eine ziemlich ebene, in seinem obe- 
ren Theil allmählich mehr lateralwärts geneigte Oberfläche 
besitzt. Im vorderen oberen Theil ist der Randbogen selbst 
etwas convex gewölbt (nicht bloss in der Längs-, sondern auch 
in der Querriehtung). Dieser Theil geht im weiteren Verlauf, 
indem der freie Rand sich etwas gegen die Höhle umschlägt, 
in eine leichte Concavität über, welche genau der oberen Wöl- 
bung des Sehhügels entspricht; nach abwärts wird die Ober- 
fläche des Randbogens wieder convex, während sich der freie 
zugeschärfte Rand mehr nach vorne und etwas medianwärts 


Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 317 


_ wendet. Die flache rinnenförmige Vertiefung des Randbogens in 


_ seinem mittleren Theile ist durch eine schwache Kante oder 
 kielförmige Erhabenheit begrenzt, welche concentrisch um den 
- freien Rand verläuft und sieh im unteren Theile allmählieh verliert. 


An dem zweiten Gehirn (G Fig. 8, 9), welches ziemlich 
genau demselben Entwickelungsstadium angehört, zeigt die me- 
diale Fläche der Hemisphäre dieselbe Ausbildung der Bogen- 
furche, jedoch zahlreichere radiäre Furchen, von welchen vier 
gegen den convexen Rand der Hemisphäre gerichtet sind. Die 
an dem Uebergang des oberen in den hinteren unteren Schenkel 


‚der Bogenfurche abgehende tiefe Furche theilt sich gabelförmig 


und umfasst hierbei ein keilförmiges Gebiet, welches selbst vom 


 convexen Rande her tief eingekerbt ist. Die vordere Bogen- 


furche ist etwas stärker ausgebildet; das dreieckige Feld zwi- 


schen dieser und der vorderen Schlussplatte ist etwas breiter 


(vielleicht nur in Folge der etwas concaven Einsenkung der 
Schlussplatte). 

Wie sich aus dem Verhalten der Durchschnitte der Hemi- 
sphäre ergiebt, ist die Verwachsungsstelle am oberen Ende der 
Schlussplatte die erste Anlage des Balkens. Ebenso sicher 
ist, dass die Stelle mit der ursprünglichen Verdiekung der Schluss- 
platte nicht identisch ist, wie sich bereits aus ihrer Lage ent- 
nehmen lässt. Die Verwachsung schliesst sich aber unmittelbar 
an das obere Ende der Schlussplatte an, und beginnt, wie ich 
vermuthe, an derselben, um dann weiter nach vorn vorzuschreiten. 
Von der Anlage eines Septum pellueidum ist noch nichts nach- 
weisbar. 

Schmidt hat dieses Stadium mit der ersten Anlage 
des Balkens zuerst richtig dargestellt und gedeutet, doch ist 
seine Abbildung nicht hinreichend genau, namentlich ist das 
Verhältniss der Balkenanlage zum Saum des Randbogens und 
der vorderen Schlussplatte nicht ganz richtig dargestellt; die vor- 
dere Commissur liegt zu tief; auch die Deutung der als Crus an- 


- terius, Corpus des Fornix und Septum pellucidum bezeichnete 


Theil ist nicht ganz zutreffend. Kölliker giebt in Fig. 352 
und 353 eine gute Abbildung desselben, oder eines etwas spä- 
teren Stadiums, doch stimmt die Bezeichnung Septum pellueidum 
für den unterhalb der Balkenanlage befindlichen dreieckigen 
Raum, welcher sich bis zur vorderen Bogenfurche erstreckt, nicht 


318 F. Marchand: 


genau. Uebrigens bemerkt K. selbst ausdrücklich, dass dieses 
kleine Feld nach vorn noch offen ist (l.e. S. 555). Die Figuren 
21 und 22 bei Mihalcoviez, welche gleiche Entwickelungs- 
stadien zum Gegenstand haben, sind nicht richtig und geben auch 
die Verhältnisse des Randbogens nicht genau genug wieder. 

Das folgende Gehirn (P) gehört einem nur wenig späteren 
Entwickelungsstadium an!) (Länge der Grosshirnhemisphäre nach 
der Härtung 26 mm, Fig. 11, 12). 

Die Gestalt der Grosshirnhemisphäre entspricht im Ganzen 
der im Vorhergehenden beschriebenen, doch sind die Hemisphären 
etwas gedrungener und compacter in Folge einer merklichen 
Diekenzunahme der Wandung. Die convexe Fläche ist glatt, 
die Fossa Sylvii kaum stärker ausgeprägt als an den beiden 
letzten Gehirnen. An der medialen Fläche der Hemisphäre 
(welehe nicht vom Hirmstamm abgelöst wurde) zeigt die Bogen- 
furche die gleiche Entwickelung wie dort; sie ist mit vier schräg 
nach dem oberen Rande aufsteigenden radiären Furchen ver- 
sehen; ihr vorderes Ende ist nach dem vorderen unteren Winkel 
des Stirmnlappens gerichtet. Das unterhalb dieses Theiles der 
Furche gelegene dreieckige Feld der medialen Fläche ist sehr 
eben und senkrecht, nach aufwärts geht dasselbe in die obere 
Fläche des Randbogens über. Die vordere (senkrechte) Bogen- 
furche ist schwach ausgeprägt. 

Die Gestalt des dritten Ventrikels ist in sofern verändert, 
als der Durchmesser der Triehter-Region von vorn nach hinten 
verringert ist, während die Höhe etwas zugenommen hat. 

Besonders bemerkenswerth ist, dass der Stiel des Streifen- 
hügels an der Höhlenfläche des dritten Ventrikels nicht mehr 
sichtbar ist, mdem der vordere Rand des Sehhügels sich der 
Vorderwand des dritten Ventrikels mehr genähert hat. (Dies 
könnte zum Theil wohl auch durch Compression des Gehirns in 
der Richtung von vorne nach hinten bedingt werden, bleibt aber 


1) Leider fehlt jede Angabe über das Alter des Embryo und 
über die Körperlänge, da der abgetrennte Kopf, welchen ich der 
Freundlichkeit des Herrn Collegen Strahl verdanke, von ausserhalb 
in einem Gefäss mit Müller’scher Flüssigkeit eingesandt war. Leider 
zeigte das Gehirn nach der Durchschneidung einige Beschädigungen, 
es konnte jedoch zur Anfertigung einer Schnittserie noch verwendet 
werden. 


u 
Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 319 


auch in den späteren Stadien so.) Es findet sich also nur eine 
senkrechte Spalte, welche den Eingang in den Seitenventrikel 
bildet und sich nach abwärts in den Suleus Monroi fortsetzt. 


- Ausserdem sind zwei bis drei flache Fältchen vorhanden, welche 


vom unteren Ende des Foramen Monroi auf die Seitenwand der 
Triehterregion übergehen. 

Die sehr dünne vordere Schlussplatte des dritten Ventrikels 
bildet einen schwach convexen Bogen nach vorn; an ihrem oberen 
Ende ist die vordere Commissur sichtbar, welche einen leichten 
Vorsprung nach hinten bedingt. Die wichtigste Veränderung 
betrifft die Verwachsungsstelle der Hemisphären, welche an Aus- 
dehnung, besonders in der Richtung nach vorn zugenommen hat. 
Ihre Länge beträgt 2,5 mm, die Entfernung von ihrem oberen 
Rande bis zum unteren Rande der vorderen Commissur 4°/, mm. 
Die Gestalt der Schnittfläche ist keulenförmig, mit leicht con- 
caver hinterer und kreisförmiger vorderer Begrenzung; am Ueber- 
gang vom hinteren zum oberen Rande findet sich ein kleiner 
Vorsprung, welcher mit dem Saum des Randbogens zusammen- 
fällt; von hier aus steigt der obere Rand der Verwachsungsstelle 


noch etwas nach vorn an; dieser Rand schneidet etwa mit 


dem Oberrande des Sehhügels ab. 

Bei sorgfältiger Untersuchung mit Hülfe der Lupe zeigte 
sich im unteren Theil der Verwachsungsstelle auf, dem Durch- 
schnitt eine flachgrubige Vertiefung, welche ich anfangs geneigt 
war für ein Artefact zu halten, da die Oberfläche der kleinen 
Vertiefung etwas rauh und höckerig erschien. Doch zeigte die 
weitere Beobachtung, besonders mit Hülfe der Mikrotomschnitte, 
dass im Bereiche der kleinen Grube in der That keine Verbin- 
bindungsfasern zwischen beiden Hemisphären vorhanden waren. 


- Die Vertiefung hat die Gestalt einer kleinen Bucht, welche sich 


- von unten nach oben etwa bis in die Mitte der Verwachsungs- 
stelle erstreckt, und zwar näher an dem Vorderrande; die hin- 


tere Grenze ist undeutlicher, indem die vertiefte Stelle hier all- 
mählicher in die Schnittfläche übergeht. Die untere Begrenzung 
der kleinen Ausbuchtung bildet eine scharfe Linie, doch ver- 


- mochte ich nicht zu entscheiden, ob im Bereiche dieser Linie 


die gegenüberliegenden Flächen der Hemisphäre verwachsen 
waren, oder ob die kleine Bucht sich nach abwärts öffnete. Aus 
dem ganzen Verhalten derselben dürfte aber zweifellos hervor- 


Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37. 21 


390 | F. Marchand: 


gehen, dass es sich hier um die erste Anlage der Höhle des 
Septum pellueidum handelt, deren Entstehung bisher noch sehr 
zweifelhaft war. Der vordere Theil der Verwachsungsstelle ist 
. demnach die Anlage des Balkenknies und des Rostrum, der 
stärkere obere Theil der Körper des Balkens.. Ein an .der 
Höhlenfläche des dritten Ventrikels gesondert hervortretendes 
Fornix-Säulchen ist auch in diesem Stadium noch nicht erkennbar. 

Es dürfte sich empfehlen, hier einige Worte über die Deu- 
tung des beschriebenen Befundes einzuschalten, soweit dies vor- 
läufig ohne Berücksichtigung der Durchschnitte möglich ist. 

Die erste Anlage des Balkens nimmt demnach den vorder- 
sten Theil des Randbogens unmittelbar oberhalb der verdickten 
vorderen Schlussplatte ein und kommt in der Weise zu Stande, 
dass die Verwachsung der Hemisphären durch Commissurfasern 
sich an die bereits oberhalb der vorderen Commissur bestehende 
Verbindung derselben anschliesst. Die halbkreisförmige vordere 
Begrenzung der neuen Verwachsungsstelle entspricht bereits 
frühzeitig dem PBalkenknie mit dem Rostrum, während an- 
dererseits der Winkel, in welchem der Balken mit dem freien - 
Rande des Bogens zusammentrifft, die hintere Begrenzung des 
Balkens bildet, also die Anlage des Splenium darstellt. In so- 
fern kann ich also nur Kölliker beistimmen, dass in diesem 
Stadium (Gehirn P) bereits der ganze Balken angelegt ist. 
Indem nun im weiteren Verlauf jener hintere Winkel immer 
weiter unterhalb der Bogenfurche nach hinten rückt, muss auch 
der Verwachsungsrand zwischen jenem Punkt und der vorderen 
Commissur sich mehr und 'mehr in die Länge streeken. Beides 
ist untrennbar von einander, und es ist keineswegs richtig, dass 
zuerst die gegenüberliegenden Randbogen mit einander ver- 
wachsen und dass dann längs dieser Linie ein allmähliches Hin- 
durchtreten der Balkenfasern stattfindet (Mihalkoviez). Dar- 
aus ergiebt sich aber auch weiter, dass die angebliche Durch- 
breehung der primären Hirnsichel durch jene Verwachsung, welche 
an sich wenig plausibel erscheint, gar nicht erforderlich ist, da 
der von vorn herein vorhandene Ausschnitt der Hirnsichel, wel- 
cher der vorderen Schlussplatte entspricht, bei der ganz allmäh- 
lich und continuirlich fortschreitenden Vergrösserung der Ver- 
wachsungsstelle einfach zurückgedrängt wird. 

An dem Gehim P habe ich mich aufs deutlichste über- 


Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 321 


zeugen können, dass der freie Rand der Hirnsichel von der 
 Sehädelbasis aufsteigend sich genau dem oberen Rand der Ver- 
wachsungsstelle anpasst und in Gestalt eines spitzen schnabel- 
förmigen Fortsatzes hinter derselben mit der Tela choroidea resp. 
dem Plexus zusammenhängt. Bei der allmählich weiter nach 
hinten fortschreitenden Streckung des Balkens wird dieser con- 
vexe Ausschnitt der Sichel immer weiter nach hinten zurück- 
gedrängt, bleibt aber hinter dem Splenium in dauernder Ver- 
bindung mit der Tela chorioidea. Dass die Ansicht Löwe's 
über die Bildung des Balkens vollständig verfehlt ist, braucht 
_ hiernach wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden. 

Die Ausbildung des Fornix, namentlich der vorderen Säul- 
chen, ist in diesem Stadium noch sehr im Rückstande; der schmale 
Saum, längs dessen die Verwachsung der Randbogen oberhalb 
- der vorderen Commissur allmählich nach hinten fortschreitet, ge- 
- wissermaassen als wenn dieser Theil durch das immer weiter 
nach hinten rückende Splenium ausgezogen würde, bildet eine 
unmittelbare Fortsetzung der vorderen Schlussplatte, welche daher 
als „verlängerte Schlussplatte* bezeichnet werden kann. 
 Schwieriger zu deuten ist die Bildung des Septum pellucidum, 
besonders der Höhle desselben. Dass die alte Ansicht von 
ihrem ursprünglichen Zusammenhang mit dem dritten Ven- 
trikel (ef. Tiedemann Taf. II, Fig. 3) nicht richtig ist, ist 
lange erwiesen (Schmidt, Reichert). Allerdings bildet der 
dritte Ventrikel oberhalb der vorderen Commissur eine schmale 
- spaltförmige Ausbuchtung nach vorn, indess ist diese so gering, 
dass sie auf dem Sagittalschnitt nur die Gestalt eines ganz 
flachen Bogens besitzt (Fig. 12). Die Begrenzung des dritten 

Ventrikels wird aber hier durch den oberhalb der vorderen Com- 
- missur gelegenen Theil der vorderen Schlussplatte gebildet. 

In welcher Weise die erste Anlage der Höhle des Septum 
pellueidum zu Stande kommt, ob durch allmähliches Herum- 
wachsen des Balkenschnabels, oder durch -Spaltbildung innerhalb 
der ursprünglich totalen Verwachsung, ist nicht leicht zu ent- 
scheiden. Ich halte jedoch das letztere für wahrscheinlicher und 
zwar erstens aus dem Grunde, weil die Form der Balkenanlage 
im Ganzen bei dem Gehirn P ganz der Verwachsungsstelle des 
früheren Stadiums entspricht, und nur vergrössert ist, zweitens, 
weil die kleine Vertiefung in der Verwachsungsstelle am unteren 


329 F. Marchand: 


Rande durch eine Linie begrenzt ist, welche dem ursprünglichen 
Rande der Verwachsungsstelle entspricht. Weitere Gründe ergaben 
sich aus dem Verhalten der Durchschnitte. Dafür würde ferner 
noch der Mangel der Höhle bei Thieren sprechen, bei welchen 
die Lückenbildung in der Verwachsungsstelle nicht eintritt, wäh- 
rend die Form der Verwachsung im übrigen dieselbe und der 
Balkenschnabel, welcher den Vorderrand bildet, ebenfalls aus- 
gebildet ist. 

Dass die Faltenbildung an der Medianfläche der Hemi- 
sphäre, welche im vierten Monat ihre vollständige Ausbildung 
erfährt, kein Kunstprodukt ist, ist eine hinlänglich erwiesene 
Thatsache (vgl. Ecker, Kölliker, Mihalkoviez, Anton u.A. 
Beiläufig hebt ersterer ausdrücklich hervor, dass er die Faltungen 
an frischen Gehirnen beobachtet habe, nicht erst nach Chlor- 
zinkbehandlung, wie Mihalkoviez und nach ihm Anton angiebt). 
Nichtsdestoweniger ist einleuchtend, dass die vorhandenen Fal- 
tungen durch Schrumpfung in Folge von Härtung, Abnahme und 
Gerinnung der Flüssigkeit der Seitenventrikel stärker hervortreten 
können, ebenso wie im früheren Stadium, denn die Wand der 
Hemisphäre ist auch jetzt noch sehr dünn, der Ventrikel weit. 
Auch das Gehirn G (Fig. 8, 9) macht den Eindruck, dass die 
Faltung durch die genannten Einwirkungen abnorm verstärkt ist. 
Die Zahl der Radiärfalten (oder Furchen) ist nicht ganz con- 
stant, ebenso wie ihre Lage. (Ueber das Verhältniss derselben 
zu den bleibenden Furchen weiter unten.) 


Fünfter Monat. 


Das folgende Gehirn (J) gehört meiner Schätzung nach 
einem Embryo vom Anfang des fünften Monats an (SSL? Länge 
der gehärteten Grosshirnhemisphäre 28 mm, Fig. 13, 14). Leider 
erwies sich das Gehirn nach der Durchschneidung als beschädigt 
durch Druck, wodurch besonders der mittlere und vordere Theil 
der Bogenfurche erheblich verändert war, während im übrigen 
das Gehirn sehr gut conservirt war!). 


1) Es war daher anfangs schwer zu entscheiden, was normal und 
was künstlich alterirt war; erst die Mikrotomschnitte ergaben volle 
Sicherheit, dass erstens ein Einbruch der Wand in der Gegend des 
vorderen Theils der Bogenfurche und eine Einrollung (dieses Theils) 


Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 323 


Die wichtigste Veränderung, welche beim Vergleich mit 
dem vorhergehenden Stadium zunächst hervortritt, ist die Er- 
hebung des hinteren Endes des Balkens nach aufwärts, welche 
gleichzeitig mit einer Streckung desselben verbunden ist. 

Eine erhebliche Verschiebung des Balkenknies nach vorn 
hat augenscheinlich nicht stattgefunden, da dasselbe (bei gleieher 
Lage der Hemisphäre) noch immer ziemlich genau senkrecht 
über dem Hinterrande des Riechlappens steht. Durch die Er- 
hebung des hinteren Endes des Balkens über den vorderen Theil 
des Sehhügels ist gleichzeitig eine Verlängerung des zwischen 
jenem und der vorderen Commissur gelegenen Bogentheiles be- 
dingt, längs dessen die beiden Hemisphären mit einander ver- 
wachsen sind. Die Fortsetzung der vorderen Schlussplatte nach 
aufwärts bildet jedoch nur mit dem untersten Abschnitt noch die 
Begrenzung des dritten Ventrikels, nämlich nur bis zur Anhef- 
tungsstelle der Tela chorioidea etwas oberhalb der vorderen Com- 
missur; nur bis hierher ist der Bogen an seiner hinteren (unteren) 
Fläche mit Epithel bekleidet, welches sich dann sowohl seitlich 
auf den Plexus lateralis durch das Foramen Monroi, als auf die 
Unterfläche der Tela chorioidea des dritten Ventrikels fortsetzt 
und sich an der Stria medullaris des Sehhügels inserirt. Der 
oberhalb jener Stelle gelegene Theil der hinteren (später unteren) 
Fläche des Bogens ist frei von Epithel. 3 

Gleichzeitig mit der Formveränderung des Balkens hat auch 
das darunter gelegene ursprünglich ganz kleine Feld an Aus- 
dehnung in der Höhe und Breite gewonnen. Die vordere untere 
Begrenzung dieses Feldes, des Septum pellueidum, war leider an 
dem vorliegenden Gehirn nicht vollkommen zweifellos erkennbar, 
nur der obere Theil war in Gestalt einer feinen vorspringenden 
Linie sichtbar, welche sich vom Balkenknie in der Richtung nach 
der vorderen Commissur fortsetzte, ohne dieselbe ganz zu er- 
reichen. Die grösste Länge des Balkens beträgt 3,5 mm; die 
Länge des Verwachsungsrandes von der vorderen Commissur bis 


nach innen stattgefunden hatte, und dass ferner der vordere obere 
Theil des Randbogens offenbar in noch weichem Zustande über die 
Mitte der Bogenfurche nach aufwärts geschoben und hier mit der me- 
dialen Fläche oberhalb in so innige Verbindung getreten war, dass 
dieselbe vollkommen natürlich erschien. Durch die Compression er- 
klärt sich die verhältnissmässig geringe Höhe des Stirnhirns. 


324 F. Marchand: 


_. 


zum hinteren Balkenrande 5mm. Die Entfernung zwischen der 
ersteren und dem Chiasma ist nicht erheblich verändert. 

Von besonderer Wichtigkeit ist ferner das Verhalten des 
Randbogens zu dem überhängenden (gewissermaassen eingerollten) 
Theil der Hemisphärenwand. Die anfangs tiefe und weite Bogen- 
furche hat sich derartig verengert, dass ihre Ränder sich be- 
rühren, nur in der Nähe des unteren Endes findet ein stärkeres 
Klaffen zwischen Randbogen und dem angrenzenden Theil des 
Schläfenlappens statt. Auch die radiären Furchen sind eng, die 
mediale Fläche der Hemisphärenwand oberhalb des Ausschnittes 
ist glatt und setzt sich hier durch eine deutliche Kante von der 
dem Sehhügel zugekehrten Fläche ab. Der Randbogen, ‚welcher 
sich genau dieser zur Aufnahme des Sehhügels bestimmten Con- 
eavität anschliesst, zerfällt durch eine nach abwärts sich ab- 
flachende Rinne deutlicher in einen äusseren und einen inneren 
Ring (Schmidt). Am Uebergang des oberen mehr horizontalen 
Theiles in den unteren senkrechten bildet der äussere Ring eine 
kleine Anschwellung, welche auch später noch an der Faseia 
dentata sichtbar ist. 

Was die Furchen der Medianfläche der Grosshirnhemisphäre 
anlangt, so sind am Hinterhauptlappen zwei derselben offenbar 
übereinstimmend mit der späteren Fissura parieto-oceipitalis und 
calearina; unterhalb der letzteren findet sich noch ein Einschnitt, 
welcher unter der Spitze des Hinterhauptlappens auf den Hemi- 
sphärenrand übergeht. Die vordere (senkrechte) Bogenfurche ist 
deutlich. 

An der Höhlenfläche des dritten Ventrikels zeigt sich das 
Foramen Monroi bereits stark eingeengt durch das Hinüber- 
wachsen des Balkens mit dem „Verwachsungsrand“* oder der 
verlängerten Schlussplatte nach hinten. Eine Commissura mollis 
ist nicht sichtbar. 

Das folgende Stadium (Ende des fünften Monats) wird durch 
die grössere Streckung des Balkens nach hinten charakterisirt. 
Die Länge des Balkens beträgt bei einem Gehirn (L) von 33 mm 
Hemisphärenlänge, in gerader Richtung gemessen bereits 1Omm. 7 
Bei der von zufälliger Gestaltveränderung durch Druck, Härtung 


u. 8. w. abhängigen Verschiedenheit der Krümmung kann dieses 


Maass sich ebenfalls ändern. Der Abstand des Balkenknies vom | 
vorderen Ende der Hemisphäre ist 9, der Abstand des Splenium 7 


RR he 


DEREN TEN 


WED 


Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 325 


_ vom hinteren Ende 19mm, die Dicke des Balkens an seinem 


hinteren Ende etwa 1,2mm, die Höhe des Septum pellucidum 
oberhalb der vorderen Commissur 5 mm, seine grösste Länge 
9 mm. 

Das hintere Ende des Balkens reicht auf dem Medianschnitt 
bis zur Mitte des Sehhügels; dem entsprechend bildet der Ver- 
wachsungsrand zwischen vorderer Commissur und Splenium einen 
flachen gegen die Horizontale geneigten Bogen, welcher sich 
genau der Wölbung des Sehhügels anschliesst und das Foramen 
Monroi fast vollständig verdeckt. Die mediale Fläche des Septum 


- pellueidum ist nach oben und lateralwärts geneigt, so dass die 


Höhle dieht unter dem Balken am weitesten ist; hier ist auch 
die Wand der Hemisphäre am stärksten verdünnt, weswegen an 
dieser Stelle leicht Einrisse bei der Härtung entstehen. An dem 
Gehirn L bildet das Knie am Uebergang zum Schnabel einen 
ziemlich scharfen Winkel, und zwar ist die Trennungsfläche des 
Rostrum etwas nach aufwärts gerichtet, wohl in Folge einer 
geringen Einziehung der Hemisphärenwand bei der Härtung. Zwi- 
schen dem Ende des Rostrum und der vorderen Commissur ver- 
läuft eine glatt abgerundete Kante, als untere Begrenzung des 
Septum, doch vermochte ich keine Spur einer Trennungslinie zu 
erkennen. Das unterhalb dieses Randes gelegene dreieckige 
Feld vor der Schlusslamelle wird nach vorn von dem Rest der 
vorderen Bogenfurche (Ineisura prima) begrenzt. Der ganze 
Balken wird an seinem convexen Umfang von der Spitze des 
Rostrum an durch einen schmalen nach hinten etwas verdickten 
Saum umgeben, welcher so aussieht, als stecke der Balken in 
einer Art Hülse, die durch den lippenförmig hervorgedrängten 
Saum der Hemisphärenoberfläche gebildet wird. Nach hinten 
geht der Saum mit einer leichten Anschwellung unmittelbar in 
den äusseren Ring des Randbogens über. Das Splenium tritt in 
Form eines abgerundeten Keils in schräger Richtung aus der 
Rinne zwischen beiden Abtheilungen des Randbogens hervor und 
geht nach vorn mit seiner unteren Fläche allmählich. in den 
inneren Ring über; die Verbindung zwischen beiden wird durch 


den flügelartig verbreiterten Theil des Bogens gebildet, welcher 


nach vorn in das Septum sich fortsetzt. Die Verbindung der 


- Hemisphären längs des Bogens bildet dauernd eine ganz schmale 


Linie. Wie aus der Abbildung (Fig. 16) ersichtlich ist, kreuzen 


326 F. Marchand: 


sich die beiden Bögen, der Fornix mit seiner Fortsetzung nach 
vorn, welche das eigentliche Septum bildet, und der median- 
wärts verbreiterte Bogen, welcher sich an das Splenium anlegt, in 
eigenthümlicher Weise, nach Art der Flügel einer Schiffsschraube. 
Bei aufmerksamer Betrachtung sieht man um den freien Rand 
des Splenium eine zarte Streifung verlaufen, welche sich auf 
die „verlängerte Schlussplatte“ fortsetzt. Dieselbe ist nichts an- 
deres als die Stria longitudinalis Laneisi, während der den Bal- 
ken umgebende Saum die Taenia tecta darstellt. Der innere 
Randbogen mit seiner vorderen Fortsetzung hat bereits ganz die 
Bedeutung des Fornix, doch sind die vorderen Säulchen desselben 
auch in diesem Stadium noch wenig ausgebildet. Der äussere 
Randbogen bildet, wie dies bereits ebenfalls längst bekannt ist, 
die Fasceia dentata, welche aber noch keine Einkerbungen be- 
sitzt. Die Furche zwischen beiden Theilen des Bogens ist stark 
verschmälert, nach unten jedoch wieder erweitert. 

Was die Beschaffenheit der Medianfläche der Hemisphäre 
im übrigen anlangt, so zeigt dieselbe nur im hinteren Theile zwei 
Einkerbungen, als letzte Reste der entsprechenden Radiärfurchen, 
die Anfänge der F. parieto-oceipitalis und der F. calcarina; an 
der Medianfläche des Stirnlappens den Anfang des 8. calloso-mar- 
ginalis, welcher anscheinend aus den Resten des vorderen Theils 
der Bogenfurche hervorgegangen ist; der den Balken umgebende 
Theil der letzteren ist ganz abgeflacht. 

In diesem Stadium hat das Grosshirn seine wesentliche 
Ausbildung erhalten. 

An der convexen Fläche zeigt sich die Fossa Sylvii als 
allseitig umgrenzte Vertiefung, nur die vordere Begrenzung ist 
noch flacher; anderweitige Furchen sind noch nicht vorhanden. 

Ein zweites, ungefähr demselben Stadium angehöriges Ge- ° 
hirn (Hemisphärenlänge 38 mm) zeigte leider den Balken im vor- 
deren Theil auseinandergerissen, den vorderen oberen Theil des 
Septum pellueidum beiderseits durch eine länglieh-runde Lücke ° 
durehbrochen, indess war das Gehirn im übrigen sehr gut er- ” 
halten und gut gehärtet (K Fig. 15). 
Ventrikels in sehr charakteristischer Weise gegen"/früher)/durch 
das Hinüberwachsen des Balkens mit der verlängerten Schluss- N 
platte, welche sich mehr und mehr der Horizontalen nähert, ver- ” 


Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 327 


ändert. Hierdurch wird die Regio thalamiea erheblich eingeengt, 
das Foramen Monroi verdeckt. - Unterhalb der verlängerten 
Sehlussplatte liegt die Tela chorioidea des dritten Ventrikels mit 
dem Plexus, welcher dieht oberhalb des Foramen Monroi durch 
Gefässe mit der Sehlussplatte verbunden ist, während zugleich 
das Epithel an dieser Stelle von der Unterfläche der Ventrikel- 
decke auf die vordere Schlussplatte übergeht. In dem vom 
Balken noch nicht überdeckten Theile des dritten Ventrikels 
wölbt sich die Decke desselben (d. h. Epithel mit Tela chorioi- 
dea) blasenförmig hervor, an der Insertion seitlich die Fälte- 


‚lung des sich entwickelnden Plexus zeigend. Die Bildung des 


Conarium, der Stiele desselben und der hinteren Commissur ent- 
spricht bereits der bleibenden Form. Die mittlere Commissur 
war auch an diesem Gehirn noch nicht nachweisbar. 


Sechster bis achter Monat. 


An dem Gehirn des sechsten Monats (OÖ, Länge der 
Grosshirnhemisphäre 42 mm) reicht der Balken, dessen Länge 
14 mm beträgt, mit seinem hinteren Ende noch nicht ganz über 
den Sehhügel.e. Knie und Rostrum sind vollständig ausgebildet, 
das erstere an dem abgebildeten Gehirn etwas schärfer gebogen 
als gewöhnlich (Folge der Härtung, wodurch der Stirntheil etwas 
stärker eingedrückt ist). Das Rostrum setzt sich in die Tmm 
lange dünne Lamina genu fort, welche das Septum pellueidum 
von unten begrenzt!). Der obere Rand des Septum war auch 
an diesem Gehirn von dem Balken durch eine Spalte getrennt. 

Die Höhle des Septum erstreckt sich nach hinten bis zum 
Splenium und wird zwischen diesem und dem Foramen Monroi 
durch die sogenannte „verlängerte Schlussplatte* abgegrenzt, 
welehe nunmehr als „Bodenlamelle des Cavum septi* zu bezeichnen 
ist. Der vorderste, das Foramen Monroi umgebende Theil dieser 
Platte bildet einen kleinen Vorsprung an der unteren Fläche, 
welcher die Verbindungsstelle mit der Tela chorioidea an der 
Decke des dritten Ventrikels bezeichnet. Von hier an liegt die 


1) Die Bezeichnung „Commissura baseos alba“ (Henle) ist für 
diesen Theil nicht zutreffend, da diese Lamelle gar keine Commissur- 
fasern enthält. Jener Ausdruck passt füglich nur auf das hintere 
Ende des Rostrum, wie aus der Betrachtung der Durchschnitte her- 
vorgehen wird. 


328 F. Marchand: 


dünne Lamelle frei über der letzteren, jedoch noch durch ein 
zartes Blatt der Pia mater von derselben getrennt. Der hintere, 
der Oberfläche des Sehhügels sich anlegende Theil der Lamelle 
ist ausserordentlich zart und durchscheinend. Seitlich geht das 
Blatt in den bereits deutlich zum Fornix umgebildeten Theil des 
Randbogens über, bildet jedoch keineswegs eine zwischen den 
freien Rändern des letzteren ausgespannte Verbindung; eine 
solche findet eigentlich nur in dem vordersten Theil statt, wel- 
cher der Gegend des späteren Corpus fornieis entspricht. Doch 
liegen hier die beiden Hälften des Fornix- so eng aneinander, 
dass der dieselben verbindende Theil der Lamelle nur äusserst 
schmal ist (s. Fig. 22e).. Aus der ganzen Darstellung geht 
ohne Weiteres hervor, dass keineswegs die ganze Wandung 
der Höhle des Septum pellueidum der eigentlichen Wand 
des Seitenventrikels angehört. Man hat vielmehr den Sei- 
tenwandtheil, welcher dem bleibenden Septum entspricht, von 
der Boden-Lamelle zu unterscheiden, welche später mit dem 
Balken verschmilzt. Der Seitenwandtheil besitzt eine ziemlich 
beträchtliche Dieke und hat auf dem Querschnitt in den vorderen 
Abschnitten eine zugespitzt konische, weiter hinten mehr drei- 
eckig prismatische Form, dem Querschnitt des Fornix entsprechend, 
weleher sich nach vorn flügelförmig verbreitert. 

Der zwischen Splenium und Glandula pinealis freibleibende 
kaum wird durch die kappenförmig sich vorwölbende Decke 
des dritten Ventrikels eingenommen, an deren Innenfläche, 
der Taenia medullaris des Ventrikels folgend, der regelmässig 
gefältelte Plexus chorioideus erscheint, welcher sich bis auf die 
Stiele der Zirbeldrüse fortsetzt. Hier liegt auch die Insertions- 
stelle der Tela chorioidea. | 

An der Höhlenfläche des dritten Ventrikels ist das sehr deut- 
liche Ganglion habenulae sichtbar, welches sich in die allmählich 
sich verschmälernde, etwas eingekerbte Taenia medullaris fort- 
setzt, davor der noch erkennbare Suleus habenulae, welcher unter 
der Regio thalamica mit dem Suleus Monroi zusammenfliesst. Am 
vorderen Theile des letzteren ist eine Anzahl feiner Fältchen 
an der Ventrikelwand sichtbar, welche über die bereits einen 
deutlichen Vorsprung bildende Columna Fornieis hinziehen. Die 
mittlere Commissur ist vollständig entwickelt. | 

An der isolirten (rechten) Hemisphäre dieses Gehirns (Fig. 18) 


Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 329 


treten die Verhältnisse des ursprünglichen Randbogens zu dem 


- Fornix, Splenium und der noch ganz glatten Fascia dentata am 


deutlichsten bei geneigter Stellung in der Ansicht von hinten und 


_ unten hervor. Man sieht hier gleichzeitig die noch sehr zarten 


Striae albae um das Splenium auf die untere Fläche der Boden- 
lamelle, und zwar seitlich von der am meisten verdünnten Stelle 
derselben übergehen. Alles übrige ergiebt die Erklärung der 
Abbildungen. 

An der Medianfläche der Hemisphäre sind einige Furchen 
bemerkbar, und zwar erstens der sehr tiefe Einschnitt der Fissura 


‚parieto-oceipitalis, der weniger tiefe der F. calcarina. Am Stirn- , 


hirn sind die Anfänge des Sule. calloso-marginalis (Pars anterior 
und P. intermedia oder posterior (?) nach Eberstaller)t), sowie 


des Suleus rostralis vorhanden. Der Rest der vorderen Bogen- 


furche verläuft in senkrechter Richtung nach aufwärts. 


Die späteren Stadien bieten keine wesentlich neuen Ver- 
hältnisse; ich kann mich daher begnügen, den Abbildungen einige 
kurze erläuternde Bemerkungen hinzuzufügen. 

Die Darstellung des Kopf-Durchschnittes eines Foetus von 
14,5 cm SSL ist hauptsächlich gewählt, um die Gestaltverhält- 


_ nisse des Balkens in möglichst natürlichem Zustande an einem 


Gefrierschnitt zu zeigen, da alle stark gehärteten Gehirne durch 
die unausbleibliche Schrumpfung mehr oder weniger erhebliche 
Formveränderungen des Balkens darbieten. An der gezeichneten 
linken Hälfte ist die Hirnsichel nebst den weichen Häuten in 
Verbindung mit dem Schädel und Gehirn gelassen. 

Die Länge der Hemisphäre beträgt eirca 50mm. Der 
Balken erscheint in seiner natürlichen Krümmung, welche viel 
stärker ist, .als an den vorher beschriebenen Gehirnen. Er reicht 


nach hinten bis zum Hinterrande der Zirbeldrüse, ist aber von 


1 


dieser noch durch einen Abstand von 3 mm getrennt. Seine 
Länge beträgt 20 mm, seine Dicke 1,5mm. Die Höhle des 
Septum, welche sich noch bis an das Splenium erstreckt, misst 
17—18 mm in der Länge und 6 mm in der Höhe. 

In dem Raum zwischen dem Splenium und der Glandula 
pinealis ragt die Tela chorioidea des dritten Ventrikels in Ge- 
stalt einer nach hinten etwas zugespitzten Kappe hervor, indem 


1) Das Stirnhirn, Wien und Leipzig 1890. 


330 | F. Marchand: 


sie sich mit ihrer oberen Grenze genau an den bogenförmigen 
unteren Rand der Sichel anlegt. Die untere Wand der Kappe 
bedeckt die obere Fläche der Glandula pinealis, an deren Vorder- 
rand die Tela chorioidea fixirt ist. Die Fixirungslinie geht seit- 
lich auf die Stiele der Zirbel über, dann weiter auf die Taenia 
medullaris des Sehhügels. 

An einem Gehirn aus dem siebenten bis achten Monat be- 
trägt die Länge des Balkens im gehärteten Zustande 34 mm, 
doch ist der Balken durch "stärkere Krümmung des vorderen 
Theiles etwas verkürzt. Das Splenium bildet bereits eine deut- 
liehe Anschwellung am hinteren Ende. Die Höhle des Septum 
pellueidum reicht nach hinten bis an das Splenium heran (Länge 
25 mm, grösste Höhe 8mm). Die Bodenlamelle des Cavum septi 
ist in ihrem ganzen hinteren Theile sehr dünn und durchschei- 
nend; sie legt sich hier dieht an die. Oberfläche des Thalamus. 
an. Die Tela chorioidea des dritten Ventrikels ist in ihrem 
hinteren freien Theile, wo dieselbe .zwischen Splenium und Glan- 
dula pinealis hervorragt, noch etwas spitzer kappenartig hervor- 
gezogen, als früher; sie reicht noch etwa 4mm über die Glan- 
dula pinealis nach hinten und ist mit der oberen Fläche der 
letzteren bereits fest vereinigt. 

Das Foramen Monroi ist spaltförmig verengt; die Säulchen 
des Fornix, welche dasselbe im Bogen von vorn her umgeben, 
sind nur an ihrem unteren Rande durch einen schmalen Saum 
vereinigt, welcher sich nach hinten in die dünne Bodenlamelle 
des Cavum septi fortsetzt; dieht hinter dem Foramen Monroi 
liegt die Fixirungsstelle der Tela chorioidea. 

Der Ueberrest der vorderen Bogenfurche ist als scharf aus- 
geprägte, senkrecht nach der Spitze des Rostrum gerichtete ge- 
rade Furche erkennbar; zwischen ihr und der vorderen Schluss- 
platte bleibt ein unregelmässig dreieckiges ebenes Feld. Der 
Suleus ealloso-marginalis ist bereits vollständig ausgebildet, ebenso 
der Suleus rostralis. i 

Von der linken Hemisphäre dieses Gehirns wurde eine 
Reihe frontaler Durchschnitte angefertigt, welche die Gestalt- 
und Lageverhältnisse des Seitenventrikels, des eigentlichen Septum ° 
pellueidum, des Fornix und der Bodenlamelle des Cavum septi 
zeigen (s. Fig. 22). Die Gestalt des letzteren ist auf dem Durch- ” 
schnitt dreiseitig prismatisch, mit nach unten gerichteter Kante; i 


m. 8 


Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 331 


der Fornix nimmt nach hinten gar nicht mehr Theil an der Be- 
grenzung der Höhle). 
Im weiteren Verlauf der Entwiekelung kommt bekanntlich 


_ eine Verkleinerung des Cavum septi dadurch zu stande, dass 1) 


die beiden Seitentheile des Formix sich oberhalb und hinter dem 
Foramen Monroi an einander legen und verwachsen, und dass 2) 
die Bodenlamelle des Cavum septi sich an die untere Fläche 
des Balkens anlegt und sich meist untrennbar mit ihr verbindet. 
Eine Querfaserung ist in dieser sehr feinen Lamelle nicht be- 
merkbar. Die Verschmelzung scheint vom Splenium nach vorn 
fortzuschreiten. Zuweilen bleibt ein spaltförmiger Raum zwischen 
der Lamelle und der unteren Fläche des Balkens übrig (sog. 
Verga’scher Ventrikel); ich habe nur einmal beiderseits neben 
dem vollständig verschmolzenen mittleren Theile Reste eines sol- 
chen Spaltraumes beim Erwachsenen gefunden. 

Der kappenförmige hintere Theil der Tela chorioidea des 
dritten Ventrikels redueirt sich allmählich zu einem sehr engen 
spitzen Fortsatz, welcher sich in den schmalen Zwischenraum 
zwischen Splenium und Corpora quadrigemina einschiebt (Recessus 
suprapinealis Reichert). Auf dem Querschnitt ist dieser Fort- 
satz kreisförmig’?). 

In einer späteren Arbeit soll die innere Entwickelung des 
foetalen Gehirns mit besonderer Berücksichtigung des Balkens 
und der vorderen Commissur nach den Durchschnitten dargestellt 
werden. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XV und XVI. 


Gemeinschaftliche Bezeichnungen. 


e Grosshirn. vb Vordere Bogenfurche. 
bf Bogenfurche, oberer Theil. rr’ Radiärfurchen. 

em Sule. calloso-marginalis. po Fiss. parieto-ocecipitalis. 
sh S. Hippocampi. ca Fiss. calcarina. 


1) Diese Gestaltverhältnisse des Cavum septi sind bereits gut 
dargestellt von Reubold, Festschrift zur 3. Säcularfeier der Univer- 
sität Würzburg, 1882, Bd. I, S. 176 und Taf. VII. 

2) Eine gute Darstellung dieser Theile vom Gehirn des Er- 
wachsenen auf den Längsschnitt findet sich in dem grossen Pracht- 
werk von Key und Retzius. 


339 F. Marchand: 


ıb Randbogen. | i Infundibulum. 
rb’ Aeusserer Randbogen. h Hypophysis. 
fx Fornix. fm Foramen Monroi. 
fi Fimbria. . sm Sule. Monroi. . 
fd Fascia dentata. ı 1% Tela chorioidea ventr. II. 
sh Gyrus Hippocampi. pl? Plexus ventric. II. 
u Uneus. lit Lamina terminalis, vordere 
is Insel. Schlussplatie. 
ce Corp. callosum. it‘ Verdickung derselben. 
spl Splenium. cp Commissura posterior. 
ro Rostrum. em Comm. mollis. 
sc Genu corporis callosi. sp Glandula pinealis. 
sl Stria longitudinalis (Nerv. Lan- | rp Recessus pinealis. 
eisi). tm Taenia medullaris ventr. II. 
tt Taenia tecta. (s. habenula). 
sp Septum pellucidum. gh Ganglion habenulae. 
ssc Sule. striae corneae. sh Suleus habenulae. 
cs Corp. striatum. ro Recessus opticus (s. chiasmatis). 
ss Stiel des Corp. striatum. ch Chiasma. 
pl Plexus lateralis. o Nerv. opticus. 
ol Nerv. olfactorius, Riechlappen. | ma Corp. mammillare. 
so Sulcus olfactorius. a Aquaeductus. 
th Thalamus opticus. | eq Corp. quadrigemina. 
p Pulvinar. cb Cerebellum. , 
v3 Ventriculus II. v* ventrieul. IV. 
rt Regio thalamica. pl* Plexus ventric. IV. 


ri Regio infundibuli. 


Fig. 1. Gehirn aus dem dritten Foetalmonat, Ansicht von der rechten 
Seite, natürl. Grösse, geometr. Zeichnung. (Embryo von 
45mm SSL; Länge der Grosshirnhemisphäre 14,5 mm). (C). 

Fig. 2. Dasselbe Gehirn, nach Abtragung der rechten Hemisphäre 7 
und des rechten Sehhügels durch Medianschnitt. Vergr. 4 mal. 
(©). x Schnittfläche. 11” der feine Saum des Randbogens ober- 
halb der Verdickung der vorderen Schlussplatte. 

Fig. 3. Gehirn aus dem dritten Foetalmonat, nach Abtrennung der 
rechten Hemisphäre an der Verbindung mit Sehhügel und 
Stammlappen; Ansicht von der rechten Seite 2 mal vergr. 
Länge der Grosshirnhemisphäre 17 mm. (A). x Schnittfläche der 
Stammstrahlung (Caps. interna). xx Schnittfläche des Stamm- 
lappens. i Aeussere Fläche der Trichter-Region. 

Fig. 4. Gehirn eines Embryo von 5,5 cm SSL; Länge der Grosshirn- 
hemisphäre circa 20 mm; Ansicht von der rechten Seite, natür- 
liche Grösse. (E). An der Oberfläche eine Anzahl flacher 
radiär angeordneter Furchen, von der Fossa Sylvii ausgehend, 
eine tiefere Furche in der Verlängerung der letzteren nach 
der Spitze des Hinterhauptlappens. 


BZ 


Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


5. 


6. 


10: 


ER, 
. 12 


38 


15. 


Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 333 


Dasselbe Gehirn, nach Abtragung der rechten Hälfte des 
Grosshirns durch einen Medianschnitt. 4mal vergr. 
Medianschnitt des Kopfes eines Embryo von 4 Monaten, nach 
Abtragung des Schädeldaches. Natürl. Grösse. 

Medianschnitt des Gehirns (in situ) desselben Embryo (G), 
2mal vergr. cc erste Anlage des Balkens. 

Die isolirte linke Hemisphäre, von aussen gesehen, mit einer 
Anzahl mehr oder weniger tiefer radiärer Furchen und Ein- 
schnitte, welche als Folge der Härtung zu betrachten sind. 
Dieselbe Hemisphäre, nach der Ablösung vom Sehhügel, me- 
diale Fläche, 2mal vergr. r/’—r* Radiärfurchen. cc erste An- 
lage des Balkens. rb Randbogen mit der sich nach hinten 
vertiefenden Rinne zwischen dem inneren und dem äusseren 
Ring. Unter dem Saum des ersteren schiebt sich der sichel- 
förmige Rand des Plexus lateralis hervor, welcher bei der 
Ablösung des Sehhügels von der Stria cornea (richtiger vom 
Suleus striae corneae) abgetrennt ist. 

Rechte Hemisphäre eines zweiten Gehirns desselben Ent- 
wickelungsstadiums nach Ablösung vom Sehhügel (F). x Tren- 
nungsfläche. 

Medianschnitt des Kopfes eines Embryo von 4 Monaten. 
Länge der Hemisphäre 26mm. Natürl. Gr. (P). 

Linke Hälfte dess@lben Gehirns, Medianschnitt, 2mal vergr. 
Erster Anfang der Höhle des Septum pellueidum. 

Linke Hälfte eines Gehirns vom fünften Foetalmonat, natürl. 
Gr. (J). Länge der Hemisphäre 23mm. Das Gehirn war 
durch Compression des Kopfes in der Gegend des Stirn- und 
Scheitellappens beschädigt und erscheint dadurch etwas ab- 
geflacht; der vordere Theil der Bogenfurche ist tiefer als 
normal; die Hemisphärenwand erwies sich im Grunde der 
Furche als eingebrochen und einwärts gerollt; oberhalb des 
noch kurzen Balkens ist die Bogenfurche verstrichen, indem 
hier ein Wulst aus Hirnsubstanz vorgedrängt ist. 


. Linke Hemisphäre desselben Gehirns, 2mal vergr. Die Bogen- 


furche ist in der Zeichnung wiederhergestell. Der kurze 
Balken lässt Splenium und Knie mit Rostrum deutlich er- 
kennen; die vordere untere Begrenzung des Septum pelluc. 
ist dagegen nicht deutlich. auch ist der Raum zwischen vor- 
derer Schlussplatte des dritten Ventrikels und der vorderen 
Bogenfurche (Ineisura prima) ungewöhnlich breit, wie es 
scheint, in Folge einer geringen Abweichung des Schnittes 
von der Medianebene nach links. 

Medianschnitt eines Gehirns vom fünften Monat (K), linke 
Hälfte. Länge der Hemisphäre 38mm. Der vordere Theil 
des Balkens ist in der Mitte auseinandergewichen; in Folge 
dessen ist eine Lücke im Septum pellucidum beiderseits ent- 
standen. An der medialen Fläche des Hinterhauptlappens sind 


334  F. Marchand: Ueber die Entwickelung des Balkens etc. 


ig. 17. 


ig. 18. 


Fig. 


ig. 20. 


.. 16; 


19, 


Bl, 


als Residuen der Radiärfurchen zwei tiefe Furchen erkennbar, 
welche den Cuneus zwischen sich fassen, also die F. parieto- | 
oceipitalis und Fissura calcarina darstellen. Die schräge 
Furche, welche über die mediale Fläche des Stirnlappens ver- 
läuft und der Lage nach dem vorderen Ende der Bogenfurche 
entsprechen würde, scheint durch die Härtung stärker aus- 
geprägt zu sein. i 


Rechte Hemisphäre eines zweiten Gehirns vom fünften Monat, 
vom Sehhügel abgelöst, 2mal vergr. (L). (Im Septum pellu- ° 


cidum ein kleiner Einriss.) 


Gehirn eines 6monatl. Embryo, rechte Hälfte, zweimal vergr. ; 


(0). Der Stirnlappen in Folge der Härtung etwas abgeflacht. 
Rechte Hemisphäre desselben Gehirns, isolirt, Ansicht schräg 
von hinten und medianwärts, um die Verhältnisse des Fornix 


und der jetzt noch glatten Fascia dentata zum Splenium und 


der Verwachsungslinie der Randbogen (sog. verlängerte 


Schlussplatte) zu zeigen. Ueber das Splenium verlaufen die 


zarten Striae longitudinales. 
Durchschnitt des Kopfes eines Embryo von 14,5 cm SSL, nach 
einem Gefrierschnitt, der in Alkohol aufgethaut wurde. fFalx. 7 


t Tentorium cerebri. sl Sin. longitudinalis, im hinteren Theil 


angeschnitten. st Sin. tentorii. Leider weicht der Schnitt im \ 
unteren Theil von der Mitte nack rechts ab, so dass die Me- 
dulla oblongata unten schräg abgeschnitten ist. 


Die mittleren Theile des Gehirns von demselben Durchschnitt, 
2mal vergr. Man sieht das Maschenwerk der Pia mater, wel- 7 


ches den Raum zwischen Dura und Hirn ausfüllt.e x Spalt- 
raum zwischen dem oberflächlichen Blatt der Pia und der 
Dura mater. k Knochenkern im Keilbein. v Vena magna. 
a Aeste der Arteria cerebri ant. . 
Vorderer Theil der Medianfläche der rechten Hemisphäre eines 
7monatl. Foetus. Die vordere Krümmung des Balkens ist in 
Folge der Härtung etwas stärker als gewöhnlich. 


. Frontalschnitte durch Balken und Septum pellueidum mitden 


angrenzenden Theilen, von demselben Gehirn. Natürl. Gr. 
a Schnitt dicht hinter dem vorderen Ende des Septum pellu- 
cidum. b Schnitt durch die Lamina genu. c Schnitt durch x 
das Foramen Monroi und die Commissura ant. d,e Etwas 
weiter nach hinten. f etwa in der Mitte des Sehhügels. 
& Schnitt durch den hinteren Theil des Balkens. h Kurz vor 
dem Splenium corp. callosi. 1 bedeutet die Bodenlamelle des 
Cavum septi, th die freie Fläche des Thalamus, tch die Tela 
chorioidea des dritten Ventrikels. 


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335 


Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 
ß Von 
Prof. E. Klebs in Zürich. 


Hierzu Tafel XV1M. 


Die allmählichen Umgestaltungen, welche nach der An- 
nahme Darwin’s unter dem Einfluss der Anpassung und Zucht- 
wahl die Umformung einfacherer zu vielgestaltigen Wesen be- 
wirkt haben, bringen an den Einrichtungen für die Ernährung 
des Foetus so bedeutsame Veränderungen hervor, dass auch von 
phylogenetischem Gesichtspunkt aus ein vergleichendes Studium 
derselben grosses Interesse darbietet. ‚Welche Bedeutung in 
dieser Beziehung der Placentabildung zukommt, ist allerseits an- 
erkannt und hat seinen Ausdruck gefunden in der Bezeichnung 
der grossen Gruppe der Placentathiere, der Placentalia. Legt 
man sich die Frage vor, welche Bedeutung diese Art der.Foetal- 
ernährung besitzt, so kann dieselbe wohl nur in einer Verbesse- 
rung oder Verfeinerung des Nährmaterials gesucht werden, durch 
welche eine Weiterentwickelung der Foetalanlage,. vielleicht nur 
in gewissen Richtungen bewirkt wird; als solche müsste nament- 
lich an das Nervensystem gedacht werden, welches die bedeut- 
samsten Weiterentwickelungen bei den Placentathieren erfährt. 
Aber auch innerhalb der ganzen Reihe der letzteren bestehen 
gewaltige Verschiedenheiten sowohl in der Entwickelung des 
Central-Nervensystems, wie auch in derjenigen der Foetalanhef- 
tung und -Ernährung. Auch die Dauer der Foetalentwickelung 
nimmt zu mit der höheren Stellung in der Thierreihe, wenn hier 
auch vielfache Ausnahmen bekannt sind. So mag eine nach Quan- 
tität und Qualität reichlichere Ernährung in der Foetalperiode 
einen mitbestimmenden Einfluss auf die Phylogenese gewinnen und 
kann es daher nicht Wunder nehmen, dass die dieser wichtigen 


Funetion gewidmeten Einrichtungen ausserordentlich mannigfaltige 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 99 


336 E. Klebs: 


Verhältnisse darbieten können. In allen diesen variablen Zu- 
ständen aber wird sich ohne Zweifel eine stetige Reihenfolge der 
Entwickelungsvorgänge nachweisen lassen. Das erste Erforder- 
niss hierzu wäre eine genaue Kenntniss von der Bedeutung, 
welche die einzelnen, an dieser Bildung theilnehmenden Gewebe 
sowohl in morphologischer, wie in physiologischer Beziehung be- 
sitzen. 

Betrachtet man die mächtigen Bluträume, welche die Zotten 
der menschlichen Placenta erfüllen, so könnte man geneigt sein, 
den Placentaten einen sehr hohen Grad des Gasaustausches zwi- 
schen Mutter und Foetus zuzuschreiben. Dennoch bleibt nicht 
zu übersehen, dass auch bei diesen Thieren eine einfache, oft 
doppelte Schicht von Epithelien, vielleicht auch Endothelien 
(Waldeyer), sowie die nicht unbeträchtliche Dicke des meso- 
dermalen Antheils der Chorionzotten die beiden Blutarten von 
einander trennt. Es ist dies ein Verhältniss, welches sehr wohl 
geeignet ist, dem mächtigen Bau dieser Placentarbildungen in 
erster Linie andere, mehr den electiven Leistungen der Drüsen 
sich anreihende Funktionen zuzuschreiben, Anschauungen, welche 
durch die Glycogenbildungen in der maternen Placenta nicht 
wenig unterstützt werden. 

In höherem Maasse wird diese Auffassung gefördert bei 
denjenigen Formen der Placenta, bei denen nur ein lockerer Zu- 
sammenhang mütterlicher und embryonaler Theile stattfindet, wie 
bei den Wiederkäuern, bei denen sich die Chorionzotten leicht 
aus dem mütterlichen Gewebe herausziehen lassen. Bei der Pla- 
centa zonaria dagegen der Raubthiere, wie bei der discoiden 
Form der Nagethiere, Affen und Menschen ist bekanntlich der 
Zusammenhang beider Theile ein so inniger, dass die Loslösung 
der Eihäute stets innerhalb des mütterlichen Gewebes erfolgt. 
Auch in dieser letzten Gruppe kommen noch Differenzen in der 
Fixirung vor, indem z.B. die Nagethiere, namentlich das Kanin- 
chen, eine totale Trennung des reifen Eies zulassen, wie die von 
Dohrn und mir beschriebenen freien Eisäcke in’ der Bauchhöhle, 
von Kaninchen beweisen, sowie andererseits das beim Menschen 
nicht allzuseltene Zurückbleiben foetaler Theile im Uterus, in wel- 
chem sie selbständige Weiterentwieckelungen durchmachen und 
zu Geschwulstbildungen (Deeiduome und Placentome) Veran- 
lassung geben können. Es ist dies unzweifelhaft der Fall bei 


- 


Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 337 


dem Placentarpapillom (vgl. Klebs, Allg. Pathologie II, S. 610), 
während die von R. Maier vor längerer Zeit beschriebene, in 
jüngster Zeit von V. Pfeiffer (Prager med. Wochenschr. 1890, 
Nr. 26) als Deciduoma malignum bezeichnete Neubildung im 
Uteruskörper vielleicht als eine dauernde Weiterentwickelung 
mütterlicher Placentarbestandtheile aufgefasst werden kann. 
Namentlich diese letzteren Befunde drängen den pathologi- 
schen Anatomen dazu, sich in jeder möglichen Weise Aufschluss 
zu verschaffen über die Histogenese der menschlichen Placenta 
und insbesondere die genauere Bestimmung der verschiedenen 
Gewebsbestandtheile zu ermitteln, welche dieselbe zusammen- 
setzen und unter Umständen zu schweren pathologischen Stö- 
rungen Veranlassung geben können. Indem die vergleichende 
Anatomie eine so grosse Verschiedenheit in dem Bau der Pla- 
centa erkennen lässt, war zu hoffen, dass sich unter den ver- 
schiedenen Formen auch solche finden würden, welche die eine 
oder die andere der hier in Betracht kommenden Fragen leichter 
aufzuklären im Stande sein würden. Prineipiell dürfte ja wohl 
anzunehmen sein, dass im Grunde in allen Formen der Placenta 
derselbe Entwickelungsvorgang stattfindet; allein indem die 
Durchwachsung mütterlicher und foetaler Theile sich gegen das 
obere Ende der Reihe mehr und mehr steigert, wird die ur- 
sprüngliche Anlage mehr und mehr verwischt und unkenntlich, 
wie u. A. die Discussion über die Auskleidung der mütterlichen 
Bluträume in der menschlichen Placenta erweist. Nachdem der 
Satz von E. H. Weber von der intravaseulären Lagerung der 
Chorionzotten durch die neueren Arbeiten, namentlich aus der 
Schule von Langhans (Nitabuch, Rohr), sowie durch die 
unter meiner Leitung von L. Bloch ausgeführte Arbeit durch 
den genauen Nachweis der Einmündungen der Uterusgefässe in 
die intervillösen Bluträume sicher erwiesen erscheint, und Wal- 
deyer an der Affenplacenta sicherer als dies bei dem Menschen 
möglich, die endotheliale Auskleidung dieser letzteren erwiesen 
hatte, bleiben doch noch manche Fragen zu lösen übrig, unter 
denen namentlich diejenige nach der Natur der grossen, von 
Minot als Monstercells bezeichneten Deeiduazellen im Vorder- 
grund steht. Indem dieser Forscher in auffallender Weise die- 
selben erst etwas zurückhaltend (Uterus und Embryo, Boston 
1889, S. 375) und hypothetisch als Abkömmlinge des mütter- 


338 E. Klebs: 


lichen Epithels bezeichnet, dann in einer späteren Arbeit (Biolo- 
gisches Centralblatt Bd. 10, Nr. 4, S. 119, 1890) diese Deutung 
mit grösserer Bestimmtheit aufrecht erhält, geräth er in auf- 
fallenden Widerspruch zu allgemein angenommenen Anschauungen, 
welche ihnen eine mesodermale Abkunft zuschreiben. Noch mehr 
werden die neu gewonnenen Anschauungen Minot’s an der Ka- 
ninchenplacenta in Frage gestellt werden müssen, indem derselbe 
die zuerst als glandulöse Theile gedeuteten, in den oberen Schich- 
ten der Placenta vorhandenen grobkörnigen, verzweigten und ana- 
stomosirenden Züge (Uterus und Embryo S. 376) jetzt für inter- 
villöse Scheidewände erklärt, ohne eine histogenetische Erklärung 
zu geben (Biol. Centralbl. 1. e. S. 121). 

Diese Zweifel, welche auch auf die Beurtheilung patholo- 
gischer Vorgänge im Uterus zurückwirken müssen, veranlassen 
mich, auf ein Object einzugehen, welches ich bereits seit längerer 
Zeit kenne und das wohl geeignet erscheint, einzelne der un- 
sicheren und schwieriger zu deutenden Verhältnisse bei Kanin- 
chen- und Menschen-Placenten zu erklären. Es ist dies der gra- 
vide Uterus der weissen Ratte, über welches Objeet sich Minot 
(Uterus und Embryo S. 379) folgendermaassen äussert: Sections 
of the rat’s placenta near full term show that the structure in 
that species is strietly comparable to what exists in the rabbit. 
The surface is covered by a thin epithelium overlaying a vascular 
connective tissue layer; the vacuolated tubular glands, very much 
degenerated, oceupy the greater part of the placenta, leaving 
only a thin vascular zone from which the outer zone ist lost (?), 
and which is therefore oceupied solely by the much altered 
subglandular zone of multinucleated cells. There are many diffe- 
rences in details of structure from the rabbit, but the funda- 
mental likeness is self-evident. 

Die beifolgenden Zeichnungen, welche nach Paraffinschnit- 
ten von 10—12 Mikren Dieke angefertigt und in Delafield’s 
Hämatoxylin gefärbt sind, mit Nachfärbung von Eosin oder, in 
neuerer Zeit, mit Ponceau 4R und Orange 2L (von Meister- 
Lucius), wurden theilweise zuerst photographisch aufgenommen 
und stellt Fig. 1 eine genaue Copie eines solehen Photogramms 
dar (Vergr. 27 lin... Nur einzelne Details wurden auf Grund 
vergleichender Betrachtung vieler Objecte auch bei stärkeren 
Vergrösserungen abgeändert. Allein die Schwierigkeit der Her- 


Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 339 


stellung eines guten photographischen Drucks hat mich genöthigt, 
zur Zeiehnung zu greifen, welche ja immer noch Raum bietet 
für willkürliche Darstellung. Kollege Waldeyer, welchem ich 
die Photographie mittheilte und mit dem ich als einem der com- 
petentesten Kenner der vergleichenden Anatomie der Placenta 
über viele Punkte correspondirt habe, wird mir die Ueber- 
einstimmung der Zeichnung mit dem Original bezeugen können. 
Indem bei der weiteren Verfolgung der Schnittserie, die im All- 
gemeinen senkrecht zur Achse des Uterus geführt war, sich ein- 
zelne, zuerst zweifelhafte Punkte, namentlich die Unterscheidung 
des mütterlicehen und foetalen Epıthels in unerwarteter Weise 
aufklärten, war ich genöthigt, noch zwei weitere Zeichnungen 
zu geben, welche die eentralen und seitlichen Parthien der Pla- 
centa darstellen (Fig. 2, 3). Hier konnten auch einige De- 
tails gegeben werden, welche in dem Uebersichtsbilde der ge- 
ringen Vergrösserung wegen nicht so wiedergegeben werden 
konnten, wie sie in der Photographie bei Anwendung von Loupen- 
vergrösserung noch ganz deutlich wahrgenommen werden können. 

Das Uebersichtsbild Fig. 1 zeigt bei 27facher Linear-Ver- 
grösserung einen Querschnitt durch die das Ei enthaltende An- 
schwellung. Der Ansatz des Mesenterium findet sich an der 
unteren, placentaren Seite und sieht man hier die mit schwarzen 
Massen, den gelb gefärbten rothen Blutkörperchen vollkommen 
ausgefüllten Arterien (a); die oraıgegelbe Farbe ergab die tiefe 
Schwärzung in der Photographie, welche auch in der Zeichnung 
beibehalten wurde. Nach rechts und links von diesen Arterien 
sieht man nur kleinere Gefässdurchschnitte, welche, nach ihrem 
Blutgehalt zu urtheilen, gleichfalls arterielle Bahnen darstellen. 
Central über den grösseren Arterien sieht man dieselben theils 
im Querschnitt (2), theils ‘aber auch im Längsschnitt (3); die 
grossen Venen dagegen finden sich weiterhin in den Seitentheilen 
des Uterus (V) und erscheinen vorzugsweise im Längsschnitt. 
Nach der Ausdrucksweise von Minot befinden sich demnach 
die arteriellen Zuflüsse vorzugsweise in dem der Subplacenta an- 
liegenden Uterusabschnitt, die Venen dagegen unter der Peri- 
placenta. Es wird daher der Blutstrom in der Decidua vera 
(D. v.) von der arteriellen Eintrittsstelle nach Art einer Fon- 
taine gegen das Uteruscentrum gerichtet sein; indem er aber 
hier zahlreichen Widerständen begegnet, welche durch das Ueber- 


340 E. Klebs: 


wiegen querverlaufender Bahnen, namentlich im den äusseren 
Schichten der Deeidua gegeben sind, wird ein bedeutender Theil 
des Stromes von vorne herein nach den Seiten der Placenta hin 
abgelenkt. Indem ferner die einen capillaren Charakter besitzen- 
den Gefässbahnen der Decidua vera sieh enorm erweitern gegen 
die Innenfläche derselben, wird die Strömungsgeschwindigkeit 
in hohem Maasse verringert werden, während der Seitendruck 
vielleicht nur eine geringe Abschwächung erfährt. Es bleiben 
also auch am Ende des Gefässsystems, in den Seitentheilen der 
Placenta bedeutende Triebkräfte disponibel, durch welche die 
relativ grosse Blutmasse in die Abflussvenen geschafft wird. Es 
findet sich hier somit ein Zustand arteriell capillarer Stauung, 
ähnlich wie-sie nach den Exstirpationen des Hals-Sympathieus 
im Kaninchenohr auftritt, ein Zustand, der, wie neuerdings durch 
Morpurgo (Arch. ital. d. Biologie XII, 2) gezeigt ist, beson- 
ders günstig für die Vegetationsvorgänge sich darstellt. Nur 
ist in dem vorliegenden Falle nicht die Erweiterung der Ar- 
terien, sondern des Capillarraums die Ursaehe der höheren Druck- 
übertragung. Ob eine Verlangsamung der Bluteireulation bei 
der vasomotorischen Lähmung besteht, hängt natürlich von der 
Weite des capillaren Blutraumes und den Abflussverhältnissen ab; 
die unter allen Bedingungen angenommene Beschleunigung er- 
scheint nicht genügend gesichert und kann schon die bei län- 
gerem Bestande der vasomotorischen Lähmung eintretende mehr 
venöse Färbung des Theils dagegen angeführt werden. Im Glei- 
chen zeigt sich ja auch bei der venösen Stauung eine merkbare 
Hypertrophie der Theile in Gestalt der braunen Induration. Die 
Mehrleistung des höheren Kapillardruckes für die Ernährung des 
Gewebes ist wichtiger, als der Sauerstoffreichthum des Blutes. 
Diesem höheren Kapillardruck leistet nun in der Deeidua 
vera ein Gewebe Widerstand, welches als zellreiches Granula- 
tionsgewebe bezeiclınet werden kann. Dasselbe besteht in dem 
mittleren Theil der Placenta, soweit dieselbe von weiten Gefäss- 
bahnen durchzogen ist, aus einem feinen Grundnetz von Fäden, 
die in Eosin und anderen hyalinfärbenden Anilinfarbstoffen, z. B. 
Ponceau, eine intensivere Färbung annehmen, als dies bei der 
gewöhnlichen Bindegewebsgrundsubstanz der Fall ist. Auch das 
sonst ähnlich gebaute Gewebe der Periplacenta (P. pl.) erscheint 
vie] liehter und setzt sich hierdurch in der Photographie sehr 


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Der 
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Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 341 


deutlich von den gefässreichen Theilen der Placenta materna ab. 
Ich möchte annehmen, dass wir es hier auch mit einem höheren 
Gewebsdruck zu thun haben, wie sich Aehnliches auch bei der 
braunen Induration zeigt. 

In dieses Maschennetz sind nun sehr dicht grosskernige 
Zellen mit mässig entwickeltem Protoplasmakörper eingelagert, 
welehe entweder rund sind oder etwas länglich je nach der über- 
wiegenden Richtung der sie umgebenden Fasermassen, welche 
ihrerseits durch die Gefässanordnung bestimmt wird. In der 
Kaninchenplacenta finden sich diese perivasculären Zellen, wie 
Minot ganz richtig angiebt, nur in schmälerer Schicht; bei der 
Ratte füllen sie den ganzen Raum zwischen den Gefässen aus. 

Bemerkenswerth ist dann das Verhalten der Endothelien in 
diesen Gefässen, welche ungewöhnlich gross, dicht gelagert sind 
und stark vorspringende Kerne besitzen. 

Wir müssen nunmehr die innere Oberfläche der deeidualen 
Gefässschicht in's Auge fassen. In der Photographie sehen wir 
dieselbe durch eine schmale dunkler gefärbte Schicht angedeutet 
(M), welche von den zahlreichen und weiten Oeffnungen der 
Blutgefässe durchbrochen wird. Die Untersuchung mit stärkeren 
Vergrösserungen zeigt, wie auch mein Kollege Stöhr sofort be- 
stätigte, dem ich das Präparat ohne Erläuterung vorlegte, dass 
es sich hier kaum um etwas anderes, als glatte Muskelfasern 
handeln kann. Es sind lang gestreckte, namentlich in Ponceau 
sehr intensiv gefärbte Spindelzellen, die sämmtlich einen tief mit 
Hämatoxylin gefärbten, länglichen schmalen, stäbchenförmigen 
Kern enthalten. — Da die deciduale Wucherung, ‘wie bekannt, 
sich nicht auf die Submukosa beschränkt, die im Uterus höch- 
stens als eine sehr dünne Bindegewebsschicht nachgewiesen wer- 
den kann, vielmehr die grossen Deeiduazellen, wie auch Minot 
angiebt, vielfach zwischen glatten Muskelfaserschichten liegen, 
nehmen auch die muskelhaltigen Theile der Uterinwand an der 
Deecidualbildung Theil und wird die oberste Schicht der Muskel- 
fasern durch die Zell- und Gefässwucherung weit von der nächst- 
folgenden abgehoben und entfernt; diese letztere findet sich als 
ein dunkel gefärbter Streifen an der äusseren Fläche der De- 
eidua vera in der Subplacenta. Nur längs der grösseren Gefäss- 
stämme greift das deciduale Granulationsgewebe durch diese 
Schicht hindurch und dringt ein wenig in die tieferen Schichten 


342 E. Klebe: 


der Muskularis ein. Es erweist sich somit auch klar, wie bei 
dem Kaninchen als eine echte perivasculäre Bildung!), fast 
könnte man sagen als eine vasculäre selbst, indem es unzweifel- 
haft die Gefässzellen sind, welche das Material liefern; damit 
tritt diese Schicht in eine Reihe mit sarcomatösen Bildungen, 
denen sie auch durch das starke Klaffen ihrer Gefässlumina 
gleicht. Für beide Fälle dürfte die gleiche Ursache, ein in 
höherem Maasse auf das: Grundgewebe übertragener Gefässdruck 
in Anspruch zu nehmen sein, ein physikalisches Verhältniss, wel- 
ches von nicht geringerer Bedeutung sein würde, wenn auch 
noch andere Ursachen sich an der hyperplastischen Gewebsent- 
wickelung betheiligen sollten. 

Man sollte nun nach den früheren Darstellungen auch nach 
Minot erwarten, an diesen weitesten Theilen des decidualen 
Gefässbaumes die epithelialen mütterlichen und foetalen Bestand- 
theile zu finden. Allein davon ist in dem seitlichen Placentar- 
felde, das in Fig. 1 vorliegt, keine Spur vorhanden, sondern es 
breitet sich über den Gefässöffnungen eine zusammenhängende 
Schicht auffallend grosser, platter Zellen’ aus, welche selbst bei 
der geringen Vergrösserung des Bildes Kerne von ca. 1—2 mm 
Länge erkennen lassen, die in Wirklichkeit einen längeren Durch- 
messer von 42 u und einen kürzeren von 33 « besitzen. 

In der eigentlichen oder Gefäss-Placenta bildet diese Lage 
eine aus etwa 6—7 übereinandergeschichteten Zellen bestehende 
Lage, verdünnt sich beim Uebergange auf die Periplacenta zu 
einer zwei- und einzelligen Lage und lässt sich an der Innen- 
fläche der Ob-Placenta, der Deeidua reflexa, noch als eine nicht 
mehr continuirliche einzellige Lage verfolgen. Die grössten dieser 
Zellen liegen, wo sie in mehrfachen Lagen vorhanden sind, stets 
zunächst der vasculären Placenta und erscheint hier auch der 
Zusammenhang zwischen den einzelnen Zellen lockerer, als in den 
oberflächlichen, dem Ei zugewendeten Lagen. 

Die Zellen sind piatt und spindelförmig, die flachen Seiten 
parallel der Ei- und Uterus-Oberfläche, der kürzere Durchmesser 
befindet sich in der Längsrichtung des Uterus, der längere in 
der Querrichtung; doch kommen manche Abweichungen nament- 
lich an den mehr vereinzelten Zellen der Ob-Placenta vor. Auch 


1) Vgl. hierüber Waldeyer, Arch. f. mikrosk. Anatomie 35. Bd., 
1890, S. 47 ff. . 


pP 

ö Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 343 
an den dichtesten Lagen dieser Zellen bemerkt man, dass sie 
nur mit ihren Ausläufern, deren oft eine grosse Anzahl an den 
spitzen Enden vorhanden ist, zusammenhängen, so dass sie eine 
Art Maschenwerk bilden, dessen Dichtigkeit von der Gefäss- 
schicht der mütterlichen Placenta gegen die Eioberfläche zu- 
nimmt. 

Nun bleibt die innere und äussere Oberfläche dieser Monster- 
zellenschicht zu betrachten, von denen die letztere an guten Prä- 
paraten sofort sicheren Aufschluss über die Bedeutung derselben 
ergiebt. Schon bei der Betrachtung des Uterus-Querschnittes in 
Fig. 1 ergiebt sich, dass dieselben regelmässige Einsenkungen in 
die weiten Gefässöffnungen der vasculären Schicht aussenden, 
welche wie Zapfen in dieselben eintreten, ohne sie gänzlich aus- 
zufüllen. An zahlreichen Stellen sieht man diese Zapfen an die 
eine Wand des Gefässes sich anschliessen, während an anderen 
sie scheinbar frei im Lumen liegen. Gerade in der Mitte der 
Zeichnung, an der tiefsten Stelle der Aushöhlung der becher- 
förmigen Placenta sieht man diese beiden verschiedenen Verhält- 
nisse dicht neben einander in deutlichster Weise. Bei stärkerer 
Vergrösserung erkennt man aber in den aufeinanderfolgenden 
Schnitten den Uebergang eines jeden dieser Zapfen in das Ge- 
fässendothel, dessen Zellen gegen die offene Mündung des Ge- 

® fässes hin ziemlich plötzlich an Höhe und Breite zunehmen. Wäh- 
rend jene stark vorspringende, aber blasse, nur wenig chroma- 
tinreiche Kerne besitzen, erscheint bei diesen der Kern um das 
10fache vergrössert und enthält ein sehr reiches Fadennetz, das 
mit zahlreichen Chromatinkugeln besetzt ist und ausserdem ein 
oder mehrere Nucleolen besitzt. Die letzteren färben sich na- 
mentlich intensiv in Saffranin und erreichen mit 5 « Grössen, 
welche derjenigen der ursprünglichen Kerne gleichkommen. Mi- 
tosen habe ich auffälliger Weise in diesen Monsterzellen nicht 
gesehen, obwohl sie sich in dem von der Oberfläche viel weiter 
entfernten embryonalen Gewebe ausserordentlich häufig vorfinden. 
Jene erscheinen daher mehr als eine stationäre Bildung, deren 
Volum, durch gesteigerte Nahrungsaufnahme bewirkt, eine reine 
Form der Hypertrophie darstellt. Es wird dadurch natürlich 
nicht ausgeschlossen, dass in jüngeren Entwickelungsstadien, bei 
der ersten Bildung dieser Zellen auch hier mitotische Processe 
stattfinden. 


344 E. Klebs: 


Die innere Oberfläche dieser Zone von Monsterzellen ver- 
hält sich verschieden in der eigentlichen, vasceulären Placenta 
und in der gefässarmen Ob-Placenta. Dort tritt mütterliches und 
foetales Epithel in nächste Beziehung zu demselben, indem sich 
in den seitlichen Theilen der Placenta nur eine schmale und 
auch nach den Seiten hin wenig ausgedehnte Auflagerung des 
ersteren zeigt (Fig. 1), während dagegen in den Figuren 2 und 3 
diese Lage immer mehr zunimmt in beiden Dimensionen (m. E.). 
In den mittleren Zonen (Fig. 2) stellt dasselbe einen senkrechten, 
parallel zur Achse geführten Kegelschnitt dar, während im Cen- 
trum der Placenta sich die Spitze des Kegels vorfindet in Ge- 
stalt einer drüsenartigen Bildung, deren Ende nach oben umge- 
bogen ist (Fig. 3), so dass der ganze Durchschnitt der mütter- 
lichen Epithelmasse die Form einer umgekehrten phrygischen 
Mütze besitzt. Der tiefste Theil derselben trägt unverkennbar 
den Charakter einer Drüse an sich, welche nur gegenüber den 
sewöhnlichen Uterindrüsen enorm vergrössert ist; auch entspricht 
dieser Theil nur einer einzigen Drüse. In dem ganzen übrigen 
Umfang der durch die Eientwiekelung aufgetriebenen Uterus- 
höhle. ist keine einzige Uterindrüse erhalten ausser dieser. Es 
lässt sich also annehmen, dass die befruchtete Eizelle sich in 
oder an einer einzigen Drüsenmündung implantirt hat und beide 
mit einander dann zu der gegenwärtigen Grösse herangewachsen 
sind. Der Deeidua-Sack aber, welcher das Ei umhüllt, ist aus 
der nächsten Umgebung dieser Drüse hervorgegangen, die übrigen 
Drüsen des durch den Eisack aufgetriebenen Uterinabschnitts 
scheinen gänzlich verloren gegangen zu sein. Die ersten, etwas 
atrophischen und verdrückten, der Oberfläche parallel gestellten 
Uterindrüsen finden sich erst am unteren und oberen Ende der 
Uterinauftreibung, wo dieselbe in engere Abschnitte des Uterus- 
schlauches eindringt. Ich komme später auf die Verhältnisse 
dieser Theile nochmals zurück. 

Die die Grundlage der Eientwiekelung. und Placentarbil- 
dung liefernde Uterindrüse besteht, wie Fig. 3 zeigt, aus einem 
tieferen, horizontal oder parallel zur Uterusoberfläche gestellten 
Fundustheil, der eine regelmässige Epithelauskleidung zeigt mit 
cubischen oder etwas eylindrischen Zellen und ein freies Lumen, 
in welchem sich stellenweise einige Leukocyten vorfinden, und 
aus einem aufsteigenden, sich kegelförmig erweiternden Theil. 


Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 345 


Dieser letztere besitzt nur in dem unteren Abschnitt, bis etwa 
zur Oberfläche der ursprünglichen Schleimhaut, ein Lumen, das 
aber nach oben hin von immer dieker werdenden Lagen von 
Epithelzellen ausgekleidet ist. Es endet dieses Lumen L genau 
in der Höhe der Monsterzellenschicht. Der oberste Theil der 
mütterlichen Epithelschieht bildet eime solide Ausfüllungsmasse 
der triehterförmigen Einsenkung der Monsterzellen-Schicht und 
verbreitet sich nur in der Mitte noch ein wenig als mehrfache 
Zelllage über die innere Oberfläche der letzteren (Fig. 3 rechts). 
An dem vorderen Ende, gegen den Uterus hin hört diese Schicht 
viel früher auf, indem sie sich hier bald zu einer dünnen, ober- 
flächlich gelegenen Zunge verschmälert, deren Querschnitt in 
Fig. 1 zu sehen ist; dieselbe ist auch hier der Monsterzellen- 
schicht aufgelagert. 

Dieser obere, eines Drüsenlumens entbehrende Theil der 
mütterliehen Epithelschicht erscheint nun von zahlreichen, bald 
rundlich-eckigen, bald länglichen Lücken durchzogen, welche in 
querer oder schräger Richtung zur Längsachse des Drüsentheils 
verlaufen und sich vielfach an der äusseren Oberfläche des Epi- 
thelzapfens eröffnen (Fig. 3); hier lagert sich das Monsterzellen- 
gewebe ihnen unmittelbar an und sendet Fortsätze in diese 
Epithelspalten hinein, wie namentlich in Fig. 2 zu sehen ist. Ob 
der in dieser Figur abgebildete grössere Hohlraum in der Mitte 
noch ein Theil des Drüsenlumens sei, konnte ich nicht sicher 
ermitteln, doch entbehrte derselbe der Monsterzellen. Zahlreiche 
dieser Kanäle münden auch an der inneren Oberfläche der 
Epithelschieht aus und zwar in einen breiten Spalt (Sp.), der die 
Oberfläche des mütterlichen von dem foetalen Epithel scheidet; 
nur an relativ weit entfernten Stellen wird derselbe von Epithel- 
balken durchzogen, welche die beiden Epithellager mit ein- 
ander verbinden. 

Das foetale Epithellager (Foet. Ep.) ist überall von ziem- 
lich gleicher Breite, welche nur in der Mitte derjenigen der 
mütterlichen Epithellage (m. Ep.) gleichkommt, so dass hier die 
Enden beider in gleicher Höhe sich finden (Fig. 3, namentlich 
rechts). Weiter gegen das obere und untere Ende der Placenta 
behält die foetale Epithellage ihre Breite bei, während das 
mütterliche Epithel sich, wie schon bemerkt, mehr und mehr 
 verschmälert. Hier sind nur noch einzelne Epithelbalken vor- 


346 E. Klebs: 


handen, welche den Spalt überbrücken und sich unmittelbar der 
Monsterzellenschicht anlegen, wie dies hier auch der Fall ist mit 
den äusseren Enden dieser Schicht (bei Fig. 1B). 

Betrachten wir nun die foetale Epithelschicht, so begegnen 
wir bekannten Gebilden und Anordnungen. Dieselbe ist viel- 
fach gefältelt und dringen in die der Eihöhle zugekehrten Hohl- 
räume dieser Falten die foetalen Blutgefässe der Chorionzotten 
ein, namentlich in Fig. 3 bei v. F. S. (vasculäre Foetalschicht) 
gut zu sehen. 

Die Chorionzotten sind also hier nur von foetalem Epithel 
überzogen, dem sich vielleicht stellenweise endotheliale Elemente 
(in den Zeichnungen nicht abgebildet) in. geringer Menge bei- 
mischen. Die Epithelbalken, welche den interepithelialen Spalt 
durchsetzen, scheinen theils dem mütterlichen, theils dem foetalen 
Epithel anzugehören; es ist dies schwierig zu unterscheiden, da 
beide Elemente nahezu die gleiche Grösse besitzen. Im Allge- 
meinen mögen allerdings die foetalen Elemente etwas kleiner 
sein, als die mütterlichen, aber indem manche der ersteren an 
Grösse zunehmen und manche der letzteren auffällig klein sind, 
wird eine scharfe Grenzbestimmung zwischen diesen beiden Ele- 
menten ganz unmöglich. Es liegt natürlich auch die Möglich- 
keit einer Vermischung derselben vor, so dass mütterliche Zellen, 
indem sie balkenförmig auswachsen, in die eigentliche foetale 
Epithelschicht hineingelangen, wie dieses an solchen Stellen wahr- 
scheinlich, an denen die Balken mit breiter Basis von der zu- 
sammenhängenden mütterlicehen Epithelschicht entspringen, wie 
dies auf der rechten Seite der Fig.3 und in der Mitte von Fig. 1 
dargestellt ist. Für diejenigen Epithelbalken, welche seitlich 
von der mütterlichen Epithelschicht von dem zusammenhängen- 
den Lager des foetalen Epithels mit breiterer Basis entspringen 
(Fig. 1 links), erscheint eine foetale Abstammung derselben wahr- 
scheinlich. Ich gebe zu, dass zur sicheren Entscheidung der 
hier von mir vertretenen Anschauung über die Bedeutung des in 
Rede stehenden Zellenlagers noch weitere Untersuchungen, na- 
mentlich jüngerer Entwiekelungsstadien, erforderlich sind. 

Zur Erläuterung des Ursprungs des Epithelüberzugs der 
Chorionzotten sei hier nur einiges über den Bau der Eihäute hin- 
zugefügt, wie er sich in dem vorliegenden Objecte darstellt. 
Vielleicht komme ich bei einer anderen Gelegenheit darauf zurück 


Zur vergleichenden Anatomie der Placentä. 347 


und behalte mir vor, dann eingehender diese Fragen zu behan- 
deln. Die Eihäute bestehen in der ganzen Ausdehnung des Ei- 
sacks der Ratte aus 3 Lamellen, die sich leicht von einander 
trennen. Zu innerst befindet sich, theilweise noch dem Foetus- 
körper dieht angelagert, das Amnios, hier eine einfache Schicht 
platter spindelförmiger Zellen. Dann folgt nach aussen eine 
breite, dunkler gefärbte Schicht, welche Blutgefässe enthält, die 
nach innen zu stark vorspringen und mit kermhaltigen foetalen 
Blutkörperchen gefüllt sind, so in Fig. 1 bei All. Es ist dies 
die allantoide Schicht, welche aber nicht bloss mesodermale Ele- 
mente und Blutgefässe enthält, sondern noch eine continuirliche 
Lage Allantois-Epithel besitzt. An anderen Schnittserien habe 
ich den Uebergang der Epithelauskleidung des Allantoisganges 
in diese Epithelschicht nachweisen können. 

Eine besondere Beachtung verdient nun die dritte, am wei- 
testen nach aussen gelegene Schicht der Eihäute, welche aus 
einer feinen doppelteontourirten Membran besteht, die an ihrer 
inneren Oberfläche damit fest verbundene Zellen trägt. Die 
Kerne derselben sind kugelig und springen stark hervor, wäh- 
rend der Zellkörper nur sehr schwach entwickelt ist. Die Mem- 
bran erscheint daher auf dem Querschnitt wie eine Perlschnur 
(S. M. Figur 1), deren Perlen aber einseitig aufgereiht sind. 
Von der Fläche gesehen, stellen sie polygonale Elemente dar, 
deren Ränder vielfach in feine Fäden übergehen, die Lücken 
zwischen sich lassen. Sie erinnern am meisten an die bekannt- 
lich eontractilen Endothelzellen der inneren Fläche der desceme- 
tischen Membran. Ich wäre geneigt, sie für den ursprünglichen 
inneren Zellüberzug der Zona pellueida zu halten, eine Bildung, 
die aus eingewanderten Elementen hervorgeht. Ob sie mit Minot 
als Eetoderm bezeichnet werden dürfen, ist mir zweifelhaft; 
besser ist die in der Zeichnung gewählte Bezeichnung „seröse 
Membran“ (S.M.). Jedenfalls stehen die Zellen dieser Schicht in 
keiner Verbindung mit den epithelialen Elementen, welche von 
Seiten der Allantois den Eihäuten zugeführt werden. Von den 
letzteren unterscheiden sie sich in ihrer Gestalt sehr wesentlich. 

Sicherer zu deuten ist die zweite Schicht, die ich als allan- 
toide Lage der Eihäute bezeichnen kann. Dieselbe enthält die 
beiden Elemente, aus denen sich die Allantois zusammensetzt, 
eine nach innen gelegene Gefässmembran, deren grosse Gefäss- 


348 E. Klebs: 


querschnitte stark über die Innenfläche hervorragen und in den 
Präparaten mit kernhaltigen rothen Blutkörperchen gefüllt sind 
(z. B. bei All. in Fig. 1). Die foetalen rothen Blutkörperchen haben 
in diesem Fall, indem noch nicht die völlige Schliessung der Bauch- 
wand stattgefunden hat, noch keine. rothe Substanz entwickelt, 
welehe bei der angewendeten Färbung eine intensive Orange- 
färbung annimmt. Die äussere Lage der Allantoisschieht bilden 
dagegen protoplasmareiche Epithelzellen, die m ein-, auch zwei- 
facher Schicht angeordnet sind und, wie an Durchschnitten des 
Nabelstrangs gezeigt werden kann, in direetem Zusammenhang 
mit den Epithelien des Allantoiskanals stehen. Derselbe öffnet 
sich im dieser Lage. Selbstverständlich werden die beiden 
Schiehten der Allantoisepithelien, die innerhalb der Eihautaus- 
breitung verschmolzen sind, durch diese Schicht repräsentirt; 
andererseits hat sich das als geschlossene Blase hervorwuchernde 
Allantoisepithel in der Rückengegend des Foetus durch Ver- 
wachsung zu einer den Foetuskörper umhüllenden Schicht um- 
gestaltet. 

Die innerste Lage der Eihäute bildet das Amnios, welches 
theilweise noch der Oberfläche des Foetuskörpers anliegt. In 
Fig. 1 ist an dem kleineren Foetaldurchschnitt, der einem Theile 
der Bauchhöhle entspricht, der Ursprung des Amnios aus der 
seitlichen Leibeswand gut zu erkennen. Es besteht dasselbe hier 
aus einer einfachen Zellmembran, deren platte, spindelförmige 
Elemente dicht aneinander gelagert sind. Die Kerne sind schmal, 
länglich, stäbehenförmig, intensiv vom Hämatoxylin gefärbt; über 
die Deutung dieser Zellen vermag ich nichts Bestimmtes zu 
äussern, ausser dass sie mesodermalen Ursprungs sind; vielleicht 
lässt sich eine Beziehung zu glatten Muskelfasern annehmen, für 
welche Deutung auch ihre Contractilität sprechen würde. Manche 
andere Beziehungen des Amnios, namentlich seine Verhältnisse 
am Nabelstrang und seine Insertion an das Herz und die grossen 
Gefässstämme gedenke ich später zu berühren. 

Es bleibt nun der Antheil zu erörtern, welchen diese Eihaut- 
schichten an der Bildung der Placenta foetalis nehmen. Zunächst ist 
unzweifelhaft, dass die allantoide Gefässschicht der ersteren in die 
Gefässschicht der letzteren unmittelbar übergeht: sie wandelt sich 
durch reichere Gefässentwickelung und durch die Bildung eines 
myxomatösen Grundgewebes in die placentare Gefässschicht um (v. 


Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 349 


F. S.!) Fig. 2 u. 3). An ihrer äusseren Fläche hervorspriessende, 
nahezu nackte Gefässe dringen in die foetale Epithelschicht (Foet. 
Ep.)und bilden, indem sie dieselbe einstülpen, mit ihr die Chorion- 
zotten. — Die Epithelschieht der Chorionzotten, welche in die- 
sem Entwickelungsstadium noch eine bedeutende Breite besitzt, 
kann wohl nur von der allantoiden Epithelschicht abgeleitet 
werden, mit deren Zellen sie die grösste Uebereimstimmung dar- 
bietet; doch ist ein unmittelbarer Uebergang der einen in die 
andere nicht sicher festzustellen, da sich die Allantoisschicht 
bei ihrem Uebergang in die Placenta sehr bedeutend verdünnt 
und hier in meinen Präparaten kein unmittelbarer Uebergang 
stattfindet. Auch der weitere Verbleib der Zellschicht der 
serösen Membran, wie der letzteren selbst innerhalb des placen- 
taren Gebiets ist nicht aus den Objeeten zu ersehen und müssen 
hier weitere Zwischenstadien zur Entscheidung herangezogen 
werden, ob wirklich ein Verschwinden derselben stattfindet oder 
ob sie sich am Aufbau der Placenta betheiligen. 

Der leicht übersichtliche Autbau der Rattenplacenta ge- 
stattet, in diesem Falle die Ernährungsverhältnisse des Foetus, 
welche durch dieses Organ vermittelt werden, genauer festzu- 
stellen und zu übersehen, als dies bei complieirteren Placentar- 
formen möglich ist. Andererseits aber wird angenommen wer- 
den können, dass auch bei den letzteren, namentlich bei der 
menschlichen Placenta, die gleichen Einrichtungen, wenn auch 
in modifieirter Form, vorhanden sein werden. 

Wie schon hervorgehoben bei der Erläuterung der Cireu- 
lation in der vasculären Schicht der mütterlichen Placenta, wird 
durch die weiten Bluträume derselben ein stark verlangsamter, 
aber unter relativ hohem Druck stehender Blutstrom eireuliren, 
welcher, am Mesenterialansatz beginnend, in den Seitentheilen, 
der sog. Peri-Placenta, seine Hauptabflüsse findet. Unter dem 
Einfluss der von diesem Strome in reichlicher Menge dem um- 
gebenden Gewebe gelieferten Ernährungsmaterialien wird dieses 
in allen seinen Theilen eine mächtige hypertrophische Entwicke- 
lung erlangen. Dieselbe betrifft sowohl die mütterlichen Epithelien, 
hier repräsentirt durch eine einzige Uterindrüse, die bindegewe- 
bige Grundsubstanz, wie in erster Linie die Endothelien der sich 


1) In den Zeichnungen 2 und 3 ist irrthümlich v. F.r. geschrieben. 


350 E. Klebs: 


erweiternden Gefässe selbst. Diese endotheliale Wucherung bildet 
in der Schiehte der Monsterzellen den Abschluss der offenen Ge- 
fässmündungen; aber diese Schlussmembran ist keine undurch- 
dringliche, sie lässt vielmehr in den zahlreichen Spalten, welche 
zwischen den Monsterzellen übrig bleiben, rothe Blutkörperchen 
hindurchtreten und findet man die letzteren sowohl in dem breiten 
Spalte zwischen mütterlichem und foetalem Epithel (Sp.), wie 
auch zwischen der dünner werdenden Ausbreitung der Monster- 
zellen in den Seitentheilen der Placenta und der serösen Mem- 
bran des Eisackes. Freilich sind in meinen Präparaten nicht 
alle diese Hohlräume prall mit Blutmassen gefüllt, sondern bilden 
dieselben nur schmale streifige Einlagerungen zwischen den Mon- 
sterzellschichten und ebenso zwischen diesen und der serösen 
Membran, an letzterem Orte namentlich regelmässig in der am 
Querschnitt des Eies als spitzer Winkel sich darstellenden Ein- 
senkung zwischen der Eihaut und dem stark vorwuchernden 
foetalen Epithel, an der mit einem X bezeichneten Stelle der 
Fig. 1. Gerade diese Art der Vertheilung widerlegt aber die 
Annahme einer traumatischen Verbreitung, auch abgesehen da- 
von, dass die Thiere durch Entbluten mittelst Abtrennung des 
Kopfes getödtet wurden. Handelte es sich um Blutextravasate, 
vielleicht durch Quetschungen herbeigeführt, so müsste das in 
diese Räume ergossene Blut in grossen zusammenhängenden 
Massen sich daselbst vorfinden, da auch postmortale Contrac- 
tionen des Uterus wohl kaum eine so vollständige Entleerung be- 
wirkt haben würden, wenn nicht besondere Einrichtungen, prä- 
formirte Bildungen, die leichte Entleerung dieser Bluträume unter- 
stützt hätten. Wir müssen daraus schliessen, dass auch während 
des Lebens das hier eindringende Blut einen leichten und ge- 
nügenden Abfluss findet. 

Indessen eben so sicher erscheint es, dass dieser Abfluss 
nicht mehr auf die Triebkraft des Blutstroms zurückgeführt wer- 
den kann, indem Zufluss- und Abflusswege auf der gleichen Seite 
liegen und die durch das Sieb der Monsterzellen gepresste Blut- 
masse der unübersteiglichen Schranke der Chorionzotten und der 
serösen Eihaut begegnet. So würde in dem für die Ernährung 
des Foetus wichtigsten Theil der placentaren Bluträume, dem 
interepithelialen Spalt (Sp.) eine ruhende Blutmasse ent- 
stehen, welche nicht auf die Dauer die Ernährung und den Gas- 


Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 4 851 


austausch des Foetus vermitteln könnte, zumal sie auch die, 
allerdings vielleicht nicht bedeutenden Secrete des Foetus in sich 
aufnehmen müsste. . 

Es macht diese Anordnung die Annahme von Triebkräften 
zur Entleerung der interepithelialen (und intervillösen) Bluträume 
zu einer physiologischen Nothwendigkeit. In dem vorliegenden 
Falle werden dieselben von der glatten Muskelfaserschicht ge- 
liefert, welche die Innenfläche der vasculären Schicht der mütter- 
lichen Placenta überzieht. Durch ihre Contraction wird der 
durch die Punkte ABO bezeichnete biconcave Raum verengert, 
indem die äussere, von einem kleineren Radius gebildete Kugel- 
fläche sich der inneren mit grösserem Radius mehr und mehr 
nähert; dabei verhindert die durchaus tangentiale Richtung der 
Fasern eine Verengerung der offenen Gefässmündungen der 
mütterlichen Gefässschicht und erleichtert hierdurch das Zurück- 
treten des in den Spalträumen der Monsterzell- und Epithel- 
schichten vorhandenen Blutes. Es lässt sich wohl annehmen, 
dass diese Auspressung in regelmässigen Zeiträumen sich wieder- 
holt, deren Rhythmus von der Absorption des Sauerstoffs Seitens 
des Foetus und dem zunehmenden Kohlensäurereichthum des 
intervillösen Blutes abhängt. Zweifelhaft mag es gelassen wer- 
den, ob dieser Rhythmus von Einrichtungen unterstützt wird, die 
innerhalb der rhythmisch wirkenden Musculatur sich befinden, 
oder ob er nur vom wechselnden Reiz abhängt, der durch die 
Blutveränderung ausgelöst wird. Immerhin aber erscheint es 
nicht ganz unzulässig, auch hier an Einrichtungen zu denken, 
welche eine gewisse Aehnlichkeit mit den rhythmisch wirkenden 
Theilen vieler Abschnitte des Gefässsystems niederer Thiere oder 
wenigstens mit den von dem Secretstrom ausgelösten rhythmi- 
schen Contractionen der Ureteren (Engelmann) verglichen wer- 
den können. Mit einer allerdings etwas kühnen Metapher 
könnte somit von einem Placentar-Herzen gesprochen werden. 

Leider werden wir der experimentellen Lösung dieses 
Problems, das durch die anatomischen Verhältnisse gegeben ist, 
kaum irgendwie näher treten können, es sei denn, dass ähn- 
liche Einrichtungen auch bei grösseren Thieren nachgewiesen 
werden. Für den Menschen und das Kaninchen können sie 
nicht in Betracht kommen, da deren Placenten nach einem gänz- 
lich abweichenden Typus gebaut sind. Während die Ratten- 

Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 37 93 


BD * E. Klebs: 


placenta einem Typus entspricht, welcher als Aneinander-Lage- 
rung der foetalen und mütterlichen »Bestandtheile bezeichnet 
werden kann,'sind die beiden letzteren Formen gebildet durch 
ein Hineinwachsen der foetalen Elemente in die mütterlichen Ge- 
webe. Bei dem Menschen geht dieses Hineinwachsen der Cho- 
rionzotten in die mütterlichen Blutgefässe so weit, dass die 
Wandelemente der letzteren nur in sehr spärlicher Menge in 
Jüngeren Stadien nachzuweisen sind; leichter scheint dies nach 
Waldeyer in der Affenplacenta nachweisbar. In der Placenia 
des Kaninchens findet dagegen ein einfaches Durchwachsen der 
mütterlichen und foetalen Blutbahnen statt, ohne dass es zu 
einem Eindringen dieser in jene kommt. In Bezug auf die letz- 
tere kann ich nach den mir vorliegenden Präparaten bestimm- 
tere Angaben über die Zusammensetzung der oberflächlichen 
Schicht der Placenta machen, welche Minot zuerst als glandu- 
läre Zone bezeichnete, während er in der zweiten oben eitirten 
Arbeit mittheilt, dass er nunmehr die von ihm als Uterindrüsen 
bezeichneten Gebilde als „intervillöse Scheidewände“ auffasst. 
Bis zu einem gewissen Grade ist diese zweite Auffassung rich- 
tiger, als die erste, doch erläutert sie nicht vollständig die Ver- 
hältnisse des Theils. Einige Andeutungen werden genügen, um 
auch ohne Abbildungen die Sachlage an dem so viel besprochenen 
Objecte klarzulegen. 

Der mittlere Theil einer älteren Kaninchenplacenta ragt 
pilzförmig in das nahezu kreisförmige Lumen des Uterus und des 
Eisacks hinein, so dass nur der oberste Theil der Eihöhle für 
den Embryo vorbehalten bleibt. Ueber demselben ist die Uterus- 
wand auf das Aeusserste verdünnt, so dass hier eine Ruptur der- 
selben, wie sie zum Austreten der ganzen Eisäcke in die Bauch- 
höhle angenommen werden muss, sehr leicht verständlich wird. 
Der pilzförmige Körper der Placenta kann, wie auch Minot 
angiebt, als aus drei Schichten zusammengesetzt betrachtet wer- 
den. Die unterste besteht aus dem stark wuchernden Schleim- 
hautgewebe, dessen Zusammensetzung Minot ganz riehtig schil- 
dert. Die grossen Deeiduazellen, welche hier aus den Binde- 
gewebselementen hervorgehen, umlagern in breiter Schicht die 
weiten Blutgefässe, deren Endothelien sich enorm vergrössern, 
ganz ähnlich wie in der Rattenplacenta. Diese als Subplacenta 
bezeichnete Schicht erstreckt sich weit über die Area placentalis 


Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 353 


hinaus und wird wahrscheinlich nicht abgestossen. In ihrem 
grössten Theil ist sie von den von Minot sehr treffend beschrie- 
benen wuchernden Epithelmassen überzogen. Dieselben bilden 
hier zusammengeflossene protoplasmatische Massen, in deren 
innerer Lage die enorm vermehrten Kerne in grossen Haufen 
liegen. Das Protoplasma ist hyalin, lässt keine Zellgrenzen mehr 
erkennen und färbt sich intensiv mit Ponceau, während die Kerne 
ehromatinreich sind und Hämatoxylin in reichlicher Masse an- 
nehmen. Der Zustand dieser Zellen hat somit eine grosse Aehn- 
lichkeit mit demjenigen der pathologischen Riesenzellen, wie sie 
im Tuberkel und den leprösen Neubildungen vorkommen. Die 
Kerne wuchern, während das Protoplasma hyalin degenerirt, 
man kann hier in der That von Nekrose mit Kernwucherung 
sprechen, bei der aber die hyaline Infiltration als das primäre 
zu deuten ist. Da die tieferen Zellen namentlich in den Drüsen 
von dieser Veränderung freibleiben, so wird dieselbe wohl als 
eine unter dem Einfluss reichlicher hyaliner Transsudation auf- 
tretende Alters-Nekrose aufzufassen sein. 

Die zweite Schicht, von Minot als subglanduläre Zone be- 
zeichnet, bildet sich, indem an einer ziemlich beschränkten Stelle 
das Grundgewebe mit seinen hier besonders gewaltig entwickelten 
Blutgefässen noch stärker hervortritt und sich pilzartig an der 
Oberfläche der ersten Schicht ausbreitet. In der Mitte dieser 
Schieht, wo Minot eine spaltförmige Einsenkung abbildet, sehe 
ich in meinen Präparaten die mächtigsten Blutgefässe aufsteigen. 
Wahrscheinlich beziehen sich seine Angaben auf ein früheres 
Entwickelungsstadium. Zwischen den enorm weiten, aber im 
Ganzen gestreckt verlaufenden Gefässen der zweiten Schicht 
finden sich die von Minot beschriebenen vielkernigen Riesen- 
zellen mit netzartig entartetem Protoplasma, vielleicht glykogen- 
haltige Elemente; in den Seitentheilen dagegen finden sich aus- 
gebreitete Zellnekrosen in Form von Kernschwund und möchte 
ich die vorhandenen Bildungen mit den Bildern identifieiren, 
welehe Minot in Fig. 12 abbildet und als degenerirte Drüsen 
bezeichnet. Die Deutung ist schwierig, weil hier an Stelle der 
Zellen überall, oft in langen verzweigten Zügen, sich grosse 
Massen von Tropfen vorfinden, die in Orange stark gefärbt 
werden und somit eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Globulin 
der rothen Blutkörperchen besitzen. Auch Pigmentmassen finden 


354 E. Klebs: 


sich hier vor, so dass ein reichlicher Austritt rother Blutkörper- 
chen wohl anzunehmen ist. Ob hier Nahrungssubstanzen für den 
Foetus aus einem theilweisen Zerfall des mütterlichen Gewebes 
hervorgehen, kann zur Zeit nur vermuthet werden. Die das 
Centrum dieser Schicht durchsetzenden ausserordentlich weiten 
Blutgefässe breiten sich an ihrer Oberfläche zu der dritten Schicht 
aus, die wegen ihres ungeheuren Gefässgehalts am besten als 
vasculäre Schicht bezeichnet werden kann, entsprechend der 
glandulären Minot's. Drüsen habe ich in dieser Schicht nicht 
wahrnehmen können, vielmehr besteht dieselbe durchweg aus 
netzartig verzweigten Blutgefässen, welche einen gewundenen Ver- 
lauf darbieten und sich vielfach durchflechten. Die Gefässe 
tragen alle einen capillaren Character an sich und fliessen nir- 
gend zu cavernösen Räumen zusammen. Ihre Wandungen sind 
äusserst zart und mit ‚regelmässigen Ausbuchtungen versehen. 
Die regelmässig, etwa in der Breite des betr. Gefässlumens auf- 
einander folgenden Einschnürungen werden gebildet von feinen 
Fäden, welche sich über das prall gefüllte Gefäss in der Quer- 
richtung himüberspannen. Im leeren Zustande wird diese bei 
höchster Blutfüllung so auffallende Erscheinung wahrscheinlich 
fehlen und wird es dann schwerer sein, die Natur dieser Stränge 
zu erkennen. Darauf beruht wahrscheinlich der Zweifel Minot’s. 

Von foetalen Zotten erkennt man in dieser Schicht, wenn 
man an die von der menschlichen Placenta bekannten Bildungen 
denkt, keine Spur. Zunächst ist überhaupt in den schmalen 
Zwischenräumen zwischen den mit mütterlichem Blut gefüllten 
Gefässen nichts zu erkennen, was als foetales Gewebe gedeutet 
werden könnte. Es scheint sich hier um geringe Mengen eines 
lockeren Bindegewebes zu handeln, in denen man nur hier und 
da schmale Gefässbahnen erkennt. Die meisten derselben sind 
leer, unterscheiden sich indess von den weiten mütterlichen Ge- 
fässen durch ihren Kernreichthum und einen mehr gestreckten 
Verlauf; wahrscheinlich gehören hierher die von Minot in seiner 
Figur unter v abgebildeten verzweigten Gefässbahnen. An 
meinen, mit Ponceau und Orange nachgefärbten Präparaten er- 
kennt man indessen mit Leichtigkeit in zahlreichen dieser Blut- 
gefässe runde kernhaltige Elemente, deren helles Protoplasma 
eine intensive Orangefärbung angenommen hat; es sind dies 
foetale rothe Blutkörperchen, welche vollkommen mit denjenigen 


od 


Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 355 


übereinstimmen, welche die in den gleichen Schnitten vorhan- 
denen Blutgetässe und das Herz des Foetus erfüllen. Es sind 
demnach foetale Gefässbahnen, welche das materne Blutgefäss- 
netz ihrerseits netzartig durchflechten und so den intimsten Aus- 
tausch der in den beiden Blutarten vorhandenen Substanzen ver- 
mitteln. Mit Bezug auf die Blutgefässe ist daher die Anordnung 
der vasculären Schicht der Kaninchenplacenta als eine geflecht- 
artige zu bezeichnen, und kann man die letztere als eine plexi- 
forme Placenta bezeichnen, während die menschliche Placenta 
die Bezeichnung einer Pl. cavernosa, die Rattenplacenta die- 
jenige einer appositionellen, eimer Pl. per appositionem 
verdienen würde. Alle drei Formen könnten aber auf den Cha- 
racter einer vasculären Placenta Anspruch erheben, indem es. 
Bestandtheile des Blutgefässsystems sind, an welche sich die 
Chorionzotten anlagern. Somit dürften die Weiterentwickelungen 
des Organs in der Thierreihe wohl auf einer mit der fortschrei- 
tenden phylogenetischen Entwickelung zunehmenden Betheiligung 
des mütterlichen Gefässsystems beruhen. Die Ratte würde in 
dieser Beziehung die. niedrigste Stufe einnehmen, das Kaninchen 
die stärkste Fixation der Foetuslage darbieten, während bei dem 
Menschen die günstigsten Ernährungsbedingungen für den Foetus 
gewonnen sind. Die sich träge hewegende, meist in engen 
Räumen lebende Ratte und das heftige Sprungbewegungen aus- 
führende Kaninchen scheinen demnach auf dem Wege der An- 
passung ihren Lebensverhältnissen entsprechende Eimrichtungen 
der Foetalanheftung gewonnen zu haben. Die grossen Verschie- 
denheiten der letzteren werden hierdurch eimigermaassen ver- 
ständlich, 


356 E. Klebs: Zur vergleichenden Anatomie der Placenia. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVII. 


Fig. 1. Querschnitt durch den trächtigen Uterus einer weissen Ratte. 
27fache Vergr., nach einer Photographie gezeichnet. M. U. 
Uteruswandung, ar. arterielle, v. venöse Gefässe, S. pl. Sub- 
placenta, P. pl. Paraplacenta, O. pl. Obplacenta, D. v. Deeidua 
vera, M. glatte Muskelschicht an ihrer inneren Fläche, M. z. 
Monsterzellschicht (Gefässendothelien), A.B.C. der Wirkung 
der glatten Muskelschicht M. z. ausgesetzte Räume, S.M. se- 
röse Membran, All. Allantoisschicht der Eihäute, Am. Amnios. 


I 
Fig. 2, Theil eines Querschnittes ungefähr in der Mitte zwischen Cen- 
trum und Rand der Placenta. Föt. Ep. Foetales Epithel, 
m. Ep. mütterliches Epithel, Sp. Spalt zwischen beiden, v. F.S. 
vasculäre Foetalschicht, M. Monsterzellen, gl. M.f. glatte Muskel- 
faserschicht der Decidua v., D. v. Decidua vera. 


Fig. 3. Centraler Querschnitt. D. Fundus der Uterindrüse, L. Lumen 
derselben, sonst wie in Fig. 2. 


Zürich, 13. August 1890. 


LIBRARY 
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357 


Ueber die Entwickelung und Structur der 
Placenta bei der Katze. 


Von 


Prof. &. Heinrieius in Helsingfors: 


Hierzu Tafel XVIII und XIX. 


In diesem Archiv, Bd. 33, S. 419, habe ich meine Unter- 
suchungen über die Entwickelung und Structur der Placenta beim 
Hunde veröffentlicht. Seitdem habe ich mich mit Untersuchungen 
über die Katzenplacenta beschäftigt, deren Ergebnisse ich nach- 
stehend zu schildern gedenke. 

Die Methode blieb dieselbe, wie ich sie in meinen Unter- 
suchungen über die Hundeplacenta befolgt und beschrieben habe. 

Ich werde hier keine historische Uebersicht über die ein- 
schlägigen Arbeiten geben, sondern nur die Resultate meiner eige- 
nen Untersuchungen mittheilen und durch eine grössere Anzahl 
Abbildungen erläutern. 

Betrachten wir den Querschnitt des normalen, nicht schwag- 
geren Uterus der Katze, so finden wir die Uteruswand aus drei 
Häuten, einer Serosa, Muscularis und Mucosa bestehend. Die 
Schleimhaut ist ohne eine Zwischenlage direct und fest an die unter- 
liegende Ring-Muskellage angeheftet; eine Submucosa fehlt also. 

Die normale Schleimhaut besteht aus Drüsen, Bindegewebe 
und Epithel. Die Drüsen sind zweierlei Art, theils lange, welche 
durch die ganze Dieke der Mucosa bis zu der Muscularis hinab- 
reichen, theils kurze, sogen. „Krypten“. Die langen Drüsen ha- 
ben im allgemeinen einen geraden, gestreckten Verlauf, einige 
besitzen jedoch am Ende eine etwas geschlängelte Form. Das 

Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37. 24 


358 G. Heinricius: 


Epithel der Drüsen ist ein niedriges Cylinderepithel; von der- 
selben Beschaffenheit ist auch das Epithel der Uterusinnenfläche 
und das der Kıypten. Die Zellen des Uterus-Epithels sind et- 
was niedriger, als die der Drüsen, die Kerne sind queroval. 
Zwischen den einzelnen Drüsen und Krypten findet sich Binde- 
gewebe aus spindelförmigen Zellen mit ovalen und runden Ker- 
nen bestehend; -gegen die Muscularis ist das Bindegewebe der 
Schleimhaut reichlicher vorhanden. 

Mit dem Eintritt der Gravidität treten bedeutende Verän- 
derungen der Uteruswand, besonders der Schleimhaut auf, welche 
bald zu einer vollkommenen Zerstörung des Baues der normalen 
Mucosa führen. 

Meine frühesten Präparate stammen von einer Katze, bei 
welcher der Uterus an mehreren Stellen erweitert sich zeigte, 
wo die Fruchtsäcke deutlich als runde Anschwellungen des Ge- 
bärmutterhorns vorhanden waren. Der Entwickelungsgrad des 
Embryo ist aus. Fig. le ersichtlich. Die Chorionzotten fangen 
an in die Schleimhaut hineinzudringen. 

Die Uterinschleimhaut ist bereits wesentlich a Die 
Drüsen sind im sehr lebhafter Hyperplasie begriffen; mit Aus- 
nahme einiger Drüsenabschnitte dicht auf der Museularis, sind 
die übrigen ziemlich stark erweitert, sie‘ haben ihre langge- 
streckte Form im allgemeinen beibehalten, obgleich sie seitliche 
Sprossen und Aussackungen treiben. Das zwischenliegende Binde- 
gewebe wird durch die Ausdehnung der Drüsenschläuche stark 
zusammengepresst, und man sieht jetzt statt der früheren ver- 
hältnissmässig stärkeren Balken nur noch dünne bindegewebige 
Septen; in diesen verlaufen die mütterlichen Capillaren. Unmit- 
telbar über der Museularis befindet sich eine etwas stärkere, aus 
spindelförmigen anastomosirenden Zellen bestehende Bindegewebs- 
lage, in welcher man die Querschnitte einiger nicht erweiterten 
Drüsenabsehnitte sieht. Die Uterindrüsen münden nicht mehr in 
das Lumen der Gebärmutter; die Ausführungsgänge sind nach 
der Oberfläche hin von einer Bindegewebslage (Figur lc) be- 
deekt, die Drüsen sind nunmehr ringsum verschlossen. Ich 
finde wenigstens diese bindegewebige Schicht nicht von Ausfüh- 
rungsgängen der Drüsen durchsetzt. Diese Schicht besteht aus 
ziemlich weit von einander stehenden, mit einander anastomosi- 
renden Zellen mit ovalen oder runden Kernen (siehe Fig. 2d 


Ueber die Entwickelung und Structur der Placenta bei der Katze. 359 


und 3fl. In diese bindegewebige Schicht wach- 
sen die Chorionzotten hinein. — Strahl beschreibt beim 
Maulwurf einen erheblichen Wucherungsprocess des Bindegewebes 
an der zukünftigen Placentarstelle bereits zu einer Zeit, in wel- 
cher die Ansatzstellen der Eier im Uterus eben als kleine 
Knoten äusserlich sichtbar sind. In meinen Präparaten dieses 
Entwickelungsstadiums der Katze sind die Chorionzotten nur an 
einer eirecumsceripten Stelle entwickelt; in den grössten Theil der 
Schleimhaut sind sie noch nicht hineingedrungen, sondern dic 
oberflächliche bindegewebige Schicht, welche die Drüsen ver- 


‚deckt, liegt grösstentheils nackt, wahrscheinlich, weil durch die Ein- 


wirkung der Härtungsflüssigkeit und des Xylols das fötale Eetoderm 
an den Präparaten sich zurückgezogen hat; auf andere Stellen 
liegt wohl das Eetoderm der Schleimhaut mehr oder weniger 
dieht an, aber nirgendwo habe ich, wenigstens an diesen Präparaten 
ein deutlich erhaltenes mütterliches Epithel der Uterus-Schleimhaut 


_ gesehen. Die Frage: wie verhält sich bei der Katze das foetale 


Epithel zum mütterlichen und wie verhält sich das mütterliche 
Epithel, verschwinden dessen Zellen oder bleiben sie erhalten? 
kann ich leider nicht entscheiden. Ich finde nur, dass da, wo 
das fötale Ectoderm resp. das Chorionepithel an die Uterin- 
schleimhaut herantritt, das oberflächliche Epithel dieser letzteren 
verschwunden ist. Wahrscheinlich werden die mütterlichen Zel- 
len von den fötalen zerstört resp. resorbirt, denn dieses Vermögen 
ist, wie wir weiterhin finden werden, in hohem Grade diesen 
letzteren eigen. 

Beobachtungen über den Vorgang der ersten Anlagerung 
des Eies an die Uteruswand sind nicht viel vorhanden. Aus 
den Untersuchungen von Strahl über die Anlagerung des Eies 


an den Uterus beim Hund, Kaninchen und Maulwurf ergiebt sich, 


dass der Eetoblast des Embryo sich an das erhalten gebliebene 
Epithel der Gebärmutter grösstentheils Fläche an Fläche anlegt. 
Fleischmann fand ein Zugrundegehen des Epithels nur beim 


_ Fuehse, nicht bei der Katze; in ihren Abhandlungen über die 


| 


Placenta der Fledermaus nehmen E. van Beneden und From- 
mel ein Zugrundegehen des Uterusepithels während der Anlage- 
rung des Eisackes an. Beim Hunde habe ich gefunden, dass 
da, wo das Ectoderm auf die Uterinschleimhaut übertritt, das 
oberflächliche Epithel dieser letzteren verschwindet. 


360 : G. Heinricius: 


Schon in diesem Stadium, in welchem das Ei sich an die 
Uterusschleimhaut zu befestigen anfängt, unterliegt das Drüsen- 
epithel eigenthümlichen Veränderungen, den grossen Einfluss, 
welchen der Foetus resp. die Eihüllen der Frucht auf die müt- 
terlichen Elemente ausüben, andeutend.. Während das Drüsen- 
epithel in den unteren Theilen der erweiterten Drüsen sich ziem- 
lich unverändert verhält und in einer regelmässig angeordneten 
Lage sich befindet, werden die Zellen in den oberen, näher dem 
Chorion gelegenen Abschnitten der Drüsen etwas vergrössert und 
es findet sich an manchen Stellen eine Proliferation der Zellen. 
An anderen Stellen wieder sind die Zellen von der Drüsenwand 
abgelöst, liegen im Drüsenlumen angehäuft. Die Kerne der Zel- 
len sind bald vergrössert, bald geschrumpft, aber immer stär- 
ker gefärbt. Darum zeichnen sich schon bei geringer Ver- 
grösserung die Anhäufungen der Zellen als dunkler gefärbte 
Klumpen von den umgebenden Gewebselementen ab. Fleischmann 
nimmt auf Grund von Untersuchungen des Fuchses an, dass es 
bei diesem Thiere zu einer Zerstörung des Uterusepithels kommt, 
bevor noch die seröse Hülle mit der Uteruswand verwächst. 
Meine Beobachtungen an der Katze stimmen mit dieser Angabe 
theilweise überein. 

Bereits in diesem frühen Stadium sieht man Veränderungen 
in den Drüsenzellen, sowohl in den höher zum Gebärmutterlumen 
hin belegenen Theilen der Drüsen, wie auch in den tieferen; 
man bemerkt nämlich, wie vom Rande des dem Drüsenlumen zu- 
gewandten Theiles der Zellen theils runde grössere Klumpen, 
theils feine Körner ausgehen (vergl. Fig. 4). Der Drüsenraum 
ist in höherem oder geringerem Grade von ähnlichen Zellproduk- 
ten erfüllt. Eine homogene geronnen erscheinende Masse um- 
giebt reichlich die Keimblase da, wo sich noch keine Chorion- 
zotten gebildet haben, und das fötale Eetoderm im Präparat sich 
von der Schleimhaut zurückgezogen hat; ich halte diese Massen 
für Produkte der Drüsenzellen, welche durch die oberflächliche 
Bindegewebsschicht in die Uterincavität gelangt sind, wo sie ver- 
muthlich von den Zellen des Eetoderms resorbirt werden. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung der Uterinschleim- 
haut desjenigen Theiles des Uterus, welcher das Verbindungsstück 
zwischen den einzelnen Fruchtsäcken bildet, sieht man auch die Be- 
standtheile der Schleimhaut, besonders das Bindegewebe und die 


el 


Ueber die Entwickelung und Structur der Placenta bei der Katze. 361 


oberflächlichen Drüsen, verstärkt. Bei stärkerer Vergrösserung 
bemerkt man, wie die Zellen dieser Drüsen fein granulirte Kör- 
perchen entwickeln (Schleim ?). 


In einem Fruchtsack, wo die Entwiekelung des Embryo so 
weit vorgeschritten ist, wie es Fig. 5 zeigt, sehen wir, wie die 
Chorionzotten in den grössten Theil der Schleimhaut hinein- 
gedrungen sind; allein die Schleimhaut an den beiden Polen des 
Fruchtsackes, wo dieselbe an die Schleimhaut des Verbindungs- 
stückes zwischen den Fruchtsäcken übergeht, nimmt nicht an dem 
Autbau der Placenta Theil. Die Verschmelzung der Eihäute mit 
der Uteruswand zur Bildung der Placenta findet im Bereich einer 
breiten mittleren gürtelförmigen Zone des citronenförmigen Eies 
statt, die beiden Kuppen des Eies bleiben frei in der Gebärmut- 
terhöhle liegen. Doch hat der Theil der Schleimhaut, welcher 
in die Bildung der eigentlichen Placenta nicht einbegriffen ist, 
seine normale Beschaffenheit nicht beibehalten, sondern die Drü- 
sen sind gleichfalls in lebhafter Hyperplasie begriffen und haben 
auch Seitensprossen entwickelt. In Folge der Schrumpfung der 
Uterinwand bei der Erhärtung sind Querfalten der Schleimhaut 

_ entstanden und geben im Durchschnittsbilde allerdings das Bild 
eines dendritischen Aufbaues zottenartiger Auswtchse (Fig. 5 
bei 8, 8). 

An einem Querschnitt der Uteruswand resp. der Placenta 
dieses Stadiums sieht man (Fig. 6) dieht über der Museularis ei- 
nige nicht erweiterte Uterindrüsen mit erhaltenem Epithel (e), 
dann die unregelmässig erweiterten Drüsen (e,e). Das zwischen- 
liegende Bindegewebe ist durch die Ausdehnung der Drüsen- 
schläuche ziemlich stark redueirt; in diesen dünnen bindegewe- 
bigen Septen verlaufen die mütterlichen Gefässe. Ueber den er- 
weiterten Drüsen befindet sich ein Zellenlager (h, h), einem Syn- 
eytium gleichend, entsprechend der oberflächlichen bindegewebi- 
gen Schicht des vorhin beschriebenen früheren Entwickelungssta- 
diums (vergl. e Fig. 1), in welcher die Chorionzotten eingedrun- 
gen sind, ohne jedoch die Schicht der erweiterten Drüsen schon 
erreicht zu haben. 

Das bindegewebige Gerüst der Zotten ist nur spärlich ent- 
wickelt; es besteht aus einem zarten Gallertgewebe und hat sich 


362 G. Heinrieius: 


in den Präparaten wahrschemlich durch den Einfluss der Här- 
tungsflüssigkeit und des Xylols vom foetalen Epithel zurückge- 
zogen; es erscheint wie feine, vom Chorion selbst herabhängende 
Zapfen (k, k). Das foetale Epithel (i, i) ist (s. Fig. 6) in Ver- 
bindung mit dem mütterlichen Gewebe geblieben und ist innig 
mit demselben vereint. Im Chorion selbst sieht man foetale 
Blutkörperchen, theils zerstreut, theils zusammengehäuft, beson- 
ders an den Stellen, von denen eine Zotte ausgeht. 

Ich habe in meinem vorhin genannten Aufsatze „Ueber die 
Entwickelung und Structur der Placenta beim Hunde“ die Frage 
wie die Chorionzotten in die Schleimhaut hineinwachsen, berührt 
und gezeigt, wie die Meinungen der Autoren in dieser Hinsicht 
auseinandergehen. Die Untersuchungen über die Placentarbildung 
beim Kaninchen und Maulwurf von Strahl, beim Hunde von Strahl 
und mir, bei der Katze von mir ergeben, dass bei diesen Thie- 
ren vor oder während der festeren Anlagerung des Embryo an 
den Uterus es zu einem entweder ganz oder nahezu vollständi- 
sen Verschluss der Uterindrüsen kommt. Es kommt demnach 


niemals zu Anfang, bei diesen Thieren wenigstens, zu einem Ein- 
wachsen des Chorion-Eetoderms in offene Uterindrüsen, sondern 
diese werden in nach oben abgeschlossene Räume verwandelt. 
Ein direetes Einwachsen von Zotten in offene Uterindrüsen 
schliessen auch Turner, Ercolani, Romiti, Tafani, E. van 


Beneden, Kupffer und Frommel aus. 


Die Chorionzotten bei der Katze dringen zuerst $: 
nicht in die Uterindrüsen, sondern in das oberfläch- 7 
liche Bindegewebe (e Fig. 1) hinein. In diesem Punkte ” | 
muss ich von Fleischmann abweichen; nach Fleisehmann © 
wachsen die Zotten bei der Katze unmittelbar und durchgängig ° 
in Uterindrüsen hinein. Im Anfang, wann die Chorionzotten nur 7 
ganz wenig in die oberflächliche bindegewebige Lage hinein- 
gewachsen sind, besteht diese (wie aus Fig. 2d und 3f ersicht- 
lich ist) aus ziemlich weit von einander stehenden, durch Aus 
läufer anastomosirenden Zellen; aber sobald die Zotten tiefer ein- 
gedrungen sind, besteht das zwischenliegende Gewebe aus einem 
Syneytium (h Fig.6, S Fig. 7), welches theils aus durch Aus-” 
läufer mit einander verbundenen Zellen, theils aus grossen, De- 


ciduazellen ähnlichen Zellen mit grossen Kernen, theils aus einer 


feingranulirten Masse, in welcher grosse, stärker gefärbte Kerne” 


% ” 
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Ueber die Entwickelung und Structur der Placenta bei der Katze. 363 


eingelagert sind, zusammengesetzt ist (Fig. 8). In diesem Syn- 
eytium bemerkt man Längs- und Querschnitte von Gefässen, be- 
sonders an der Oberfläche dicht unter dem Chorionepithel (Fig. 9). 

Die Bildung des Syneytium ist eine Erscheinung, die bei der 
Placentarentwicklung weit verbreitet ist. Fein granulirte Proto- 
plasmamassen mit eingestreuten Kernen sind bereits von Lau- 
lanie, Duval, Masquelin und Swa&n, vanBeneden, Strahl, 
Klaatsch, Frommel, Masius, Fleischmann und mir be- 
schrieben. Die meisten Autoren halten das Syneytium für müt- 
terliehen Ursprungs; Duval, van Beneden und Masius sind 
der Ansicht, dass es sich bei dem Syneytium theilweise um foe- 
tale Zellen, welche erhalten bleiben, theilweise um mütterliche, 
die zu Grunde gehen, handle. Ich fasse das Syneytium als eine 
Art Deeiduabildung auf; man sieht oft in dem Syneytium Zellen, 
welehe den vom Menschen bekannten Deeiduazellen sehr ähnlich 
sind. Es ist gewiss sehr schwer, eine sichere Entscheidung über 
den Ursprung des Syncytiums zu geben. Meine Präparate be- 
rechtigen mich jedoch die Meinung auszusprechen, dass es bei 
der Syneytiumbildung bei der Katze sich um eine Umwandlung 
mütterlicher Zellen handle. Die oberflächliche bindegewebige 
Schieht, in welche die Zotten Anfangs hineindringen, verwandelt 
sich bei vorgeschrittener Entwickelung und tieferem Eindringen 
der Zotten in ein Syneytium. Statt der weit auseinander ste- 
henden, oft durch Ausläufer anastomosirenden Zellen des ober- 
flächlichen Bindegewebes (vergl. Fig. 2,3) sieht man jetzt (vergl. 
Fig. 6, 7) das von den Zotten durchzogene mütterliche Lager 
als aus grossen, Decidua ähnlichen Zellen bestehend, die vielfach 
nach Art eines Synceytium unter einander verschmelzen. Ich bin 
nun der Meinung, dass weder das Drüsenepithel, noch das foetale 
Epithel eine Rolle bei der Syneytiumbildung spiele. Der grösste 
Theil des Syneytium geht später zu Grunde, wird mit aller 
Wahrschemlichkeit von dem Foetus aufgenommen, wie wir spä- 
ter sehen werden. 

In den zunächst den Zotten befindlichen Drüsenräumen er- 
leiden die Drüsenzellen Veränderungen derart, dass sie einem 
Zerfalle unterliegen; man sieht die Zellen vom Rande losgelöst, 
an manchen Stellen angehäuft, in Zerfall begriffen; man bemerkt 
stark gefärbte, rundliche oder geschrumpfte Kerne, Protoplasma- 
klumpen, feinkörnigen Detritus. In den tieferen Abschnitten der 


364 *G. Heinricius: 


Drüsenräume sind die Zellen ziemlich gut erhalten, doch sieht 
man auch hier dieselben Erscheinungen der Zellenthätigkeit wie 
in Fig.4. Die Vermuthung liegt nicht weit, dass diese Drüsen- 
zellen in irgend einer Beziehung zur Ernährung der foetalen Ge- 
webe stehen, denn wir werden weiter unten sehen, dass die 
Drüsenzellen eine grosse Rolle für die frühzeitige Ernährung des 
Foetus spielen. 

Rund herum an den Polen des Fruchtsackes, wo das Cho- 
rion sich von der Schleimhaut abhebt und diese nicht mehr un- 
mittelbar von demselben bedeckt wird, sieht man eine Menge 
rother Blutkörperchen zwischen den aus Drüsen und Bindegewebe 
zusammengesetzten Leisten und in den Drüsenräumen, sowie 
grössere zusammenhängende Massen derartiger Blutkörper im 
Raume zwischen Schleimhaut und Chorion (vergl. Fig.5f). Diese 
Blutkörperchen treten aller Wahrscheinlichkeit nach dureh die 
Gefässwände aus, gehen durch das Drüsenepithel und gelangen 
so nach aussen. Gegen das Chorionepithel häufen sich diese 
Blutkörperchen in relativ grossen Massen an, sie liegen dicht 
dem Epithel an, welches an diesen Stellen schon eine an- 
dere Form angenommen hat; die Zellen sind bedeutend grösser, 
länglich, mit grossem Kern versehen. Dass diese Zellen ganze 
rothe Blutkörperchen in sich aufnehmen, ist in diesem Stadium 
noch nicht, wie es in einem höheren Entwickelungsstadium allerdings 
der Fall ist, zu bemerken; aber das Zellenprotoplasma scheint an 
einigen Stellen eine bräunliche Schattirung zu besitzen und ist 
dicht besetzt mit kleinen dunklen Punkten. 


In einem etwas weiteren Entwickelungsstadium, wo der 
Fruchtsack nach Härtung in Alkohol einen Durchmesser von 2,5 cm 
und der Embryo die Länge von 11 mm hat, sind die Zotten an 
Zahl vermehrt, sowohl dadurch, dass neue Zotten sich in die 
Schleimhaut hineingesenkt haben, wie auch durch Ausbildung 
von Seitensprossen auf Kosten des intervillösen Gewebes, welches 
jetzt besonders gegen die Mitte der Placenta aus ganz schmalen 
Balken besteht. Das Chorionepithel liegt unmittelbar an den in 
den Balken verlaufenden mütterlichen Capillargefässen. Gegen 
den Rand der Placenta hin findet sich noch reichlich das Syn- 
cytium zwischen den Zotten. Die Zotten sind jetzt auch tiefer 


122 Aus 
# 


Ueber die Entwieckelune und Structur der Placenta bei der Katze. 365 


in die Schleimhaut eingedrungen, die Schicht der erweiterten 
Drüsen ist komprimirt und nimmt im Hinblick auf die Höhe der 
Sehleimhaut keinen so grossen Theil derselben mehr ein, wie im 
vorher beschriebenen Entwieckelungsstadium. Doch haben die 
Enden der Zotten noch nicht die Drüsenräume erreicht, weshalb 
auch das Chorionepithel fast überall noch von derselben Be- 
schaffenheit ist. Das Epithel in den Drüsen unterliegt denselben 
Veränderungen wie vorher und weiterhin beschrieben. Am 
Rande der Placenta geht das Chorion auf die zur Placenta im 
eigentlichen Sinne nicht umgewandelte Uterinschleimhaut über, 
doch scheint diese schon jetzt in Bezug auf die Ernährung der 
Frucht eine wichtige Rolle zu spielen, welche im nächsten Ent- 
wiekelungsstadium ganz deutlich wird und dort näher beschrie- 
ben werden soll. Man sieht nämlich hier Anhäufungen von Blut- 
körperchen theils in den nach dem Gebärmutterlumen münden- 
denden Drüsenräumen, theils ausserhalb derselben unter dem die 
Sehleimhaut bedeckenden Chorion. Die Epithelzellen des Chorion, 
welche in der Placenta klein und rund sind, sind hier länglich 
und mit Blutkörperchen gefüllt (wie weiter unten beschrieben 
wird). Weiter von der Placenta entfernt, wo man keine Anhäu- 
fungen von Blut unter dem Chorion mehr findet, sind die Epithelzellen 
des Chorion wieder niedrig und klein, wie auch das Drüsenepi- 
thel hier aus regelmässig angeordneten CylinderzeHen besteht. 


Betrachten wir die Placenta in einem Fruchtsack, wo der 
Embryo eine Länge von 5 em besitzt, so finden wir, dass die- 
selbe schon die endgültige Ausbildung erreicht hat; ihre Struc- 
tur ist in der Hauptsache dieselbe wie in einem weiter fortge- 
schrittenen Stadium der Schwangerschaft. Das, was die Placenta 
jetzt auszeichnet, ist, dass das Gewebe zwischen den Zotten in 
bedeutendem Grade redueirt ist; die Zotten sind fast in ihrer 
ganzen Länge nur durch schmale Balken getrennt, welche je ein 
mütterliches Capillargefäss enthalten, dem das Chorionepithel un- 
mittelbar anliegt. Das Syneytium, jene grossen Zellen, welche 
sich im früheren Stadium in reichlicher Menge zwischen den 
Zotten befanden, ist jetzt zum grossen T'heil verschwunden; nur 
um die oberflächlichen mütterlichen Blutgefässe herum, welche 
sich in senkrechten Durchschnitten in Querdurchschnitt präsen- 


366 6 Heiarieins: 


tiren (siehe Fig. 1l1e) sowie weiter nach unten näher den übrig- 
gebliebenen Uterindrüsen, von deren Scheidewänden sie sich 
zwischen die in diese Drüsenräume ausmündenden Zottenenden 
fortsetzen, findet man noch Anhäufungen von Syneytiumzellen 
(vergl. Fig. 12d). Ferner haben die Chorionzotten nunmehr die 
tiefen erweiterten Drüsenräume erreicht, sich in sie versenkt und 
es hat das Chorionepithel daselbst eine andere Form angenom- 
men, welche geeignet erscheint, die in den Drüsenräumen befind- 
lichen Zellprodukte, die s. g. Uterinmilch, aufzunehmen. 

Betrachten wir einen senkrechten Durchschnitt der Placenta 
in diesem Entwickelungsstadium, sei es vom Rande derselben, 
sei es aus der Mittelpartie (Fig. 10, 1 und Fig. 11), so finden 
wir, wie die schmalen, dicht an einander gelegenen Chorionzotten 
sich leicht geschlängelt tief hinunter erstrecken und mit ihren 
breiteren Enden im die Drüsenräume eindringen. Das Chorion- 
epithel besteht überall, ausser an dem in den Drüsenraum mün- 
denden Ende der Zotten, aus niedrigen Zellen mit verhältniss- 
mässig kleinem Kern. Das Stroma der Zotten besteht aus Gal- 
lertgewebe. Das Zottenepithel ist innig mit dem mütterlichen 
Gewebe der intervillösen Balken vereint. Während das Gallert- 
gewebe in den Härtungsflüssigkeiten schrumpft, bleibt das Epithel 
fest mit dem mütterlichen Gewebe in Verbindung. Fig. 13 und 14 
zeigen das Verhältniss zwischen der Zotte und dem mütterlichen 
intervillösen Gewebe. Im senkrechten sowohl wie im parallel der 
Oberfläche gemachten Durchschnitt der schmalen intervillösen 
Balken findet man in der Mitte derselben ein geschlängeltes Blut- 
gefäss; unmittelbar an das Gefässendothel grenzt das Chorionepi- 
.thel; die Zellen des letzteren sind grösser, mit schwach gefärbtem, 
srossen Kern, die ersteren kleiner mit stärker tingirtem Kern. 
Durch diese Anordnung wird natürlich die Ernährung des Foetus 
durch das mütterliche Blut erleichtert. Es finden sich jedoch 
Stellen in den intervillösen Balken, wo das Chorionepithel nicht 
unmittelbar den mütterliehen Blutgefässen anliegt, sondern sich 
noch Anhäufungen von grossen Syneytiumzellen in grösserer oder 
geringerer Menge finden, wie um die oberflächlichen mütterlichen 
Gefässe (s. vorhin), am Knotenpunkte der Balken und weiter 
nach unten zwischen den Enden der Zotten, wo die intervillösen 
Balken dieker sind und in das zwischen den Uterindrüsen be- 
findliche Gewebe übergehen (siehe Fig. 12d). 


BT: 
i \ 


k 


Ueber die Entwickelung und Struetur der Placenta bei der Katze. 367 


Die Zotten erstrecken sich nunmehr in die erweiterten Drü- 
senräume (Fig. 10e, Fig. 11b, Fig. 12D). Wie bereits bemerkt, 
sind die Seiten der Zotten von einem kleinzelligen Epithel be- 
kleidet; ihr Ende dagegen ist mit einem ganz anderen Epithel 
versehen (Fig. 12a, Fig. 15). Die Zellen sind grösser, länglich, 
mit schwach tingirten Kernen und wenig gefärbtem Protoplasma, 
oft in Wucherung, so dass sie eine mehrfache Schicht bilden. 
Bei starker Vergrösserung sieht man, wie diese Chorionzellen die 


‚Eigenschaft besitzen, die Zellprodukte der Drüsenräume, die s.g. 


Uterinmilch, in sich aufzunehmen. Eine lebhafte Thätigkeit in 
den mütterlichen Drüsen findet nämlich statt, wenn das foetale 
Gewebe eingedrungen ist. Man sieht den Drüsenraum erfüllt 
von ganz kleinen Körnern, ähnlich einem feinkörnigen Detritus; 
grösseren und kleineren homogenen, runden, hellen Körpern: 
Fettkügelehen; ganzen, losgerissenen Zellen mit oder ohne Kern 
und feinkörnigem oder netzförmigem Protoplasma; Kernen von 
Drüsenzellen, oft geschrumpft, stark gefärbt, theils in Häufchen, 
theils isolirt, bisweilen mit noch anhaftendem Protoplasma; gros- 
sen Protoplasmaklumpen. Diese s. g. Uterinmilch besteht theils 
aus den Bestandtheilen der zerfallenden Drüsenepithelien, theils 
aus den Secretionsprodukten der Drüsenzellen (siehe Fig. 15). 
Hier wirft sich nun die Frage auf, warum verändert sich das 
Zottenepithel, so wie es die erweiterten Drüsenzellen erreicht? 
So lange die Zotten noch nicht in die erweiterten Drüsenräume 
eingedrungen sind, besteht das Epithel m der früheren Form 
und verwendet wahrscheinlich die mütterlichen Gewebselemente, 
die in ein Syneytium umgewandelt sind, zur Aufnahme. Der Um- 
stand, dass das im Anfang so mächtig entwickelte Syneytium in 
diesem Entwickelungsstadium der Frucht, wo die Enden der 
Zotten die erweiterten Drüsenräume erreichen, grösstentheils ver- 
schwunden ist, scheint mir ein Beweis dafür, dass das Syneytium 
theilweise zur Nahrung des Embryo dient. Nachdem dieses ab- 
sorbirt worden ist, müssen die Zotten sich ihre Nahrung anderswo 
suchen; die Zellenprodukte der erweiterten Drüsen dienen nun- 
mehr dem Foetus als Nahrung durch Vermittelung der Zotten, und 
um dieselben aufnehmen zu können, verändert das Epithel wohl 
seine Form. Es herrscht eine grosse Uebereinstimmung in der 
Form und in den Funktionen der Zellen der Darmzotten und den- 
jJenigen der Chorionzottenenden. 


368 G. Heinricius: 


Eine solche Bildung von Uterinmilch geht nicht allein in 
den Drüsen der eigentlichen Placenta vor sich, sondern auch in 
dem der Placenta zunächst belegenen Theile der Schleimhaut, 
in die keine Chorionvilli eingedrungen sind, sondern die nur 
vom Chorion bekleidet ist (Abschnitt 2 Fig. 10). Auch hier fin- 
det sich eine Hyperplasie der Uterindrüsen; das Epithel verän- 
dert sich derart, dass die dem Chorion zunächst belegenen Zellen 
grösser werden und das Protoplasma dicht angehäufte, kleine runde 
Körmer (Fettkörner) enthält; der Kern ist dunkler gefärbt. In 
den Drüsenräumen, wie auch unter dem Chorion sieht man Pro- 
dukte der Uterindrüsen, ähnlich den eben beschriebenen, in den 
erweiterten Drüsenräumen der Placenta (Fig. 16). So besteht 
auch das Chorionepithel nicht aus kleinen, niedrigen Zellen wie 
in der Placenta, sondern dieselben sind lang, schmal, ähnlich 
denen, welche die Zottenenden bekleiden und besitzen gleich die- 
sen die Eigenschaft, die aus den Drüsenzellen bereiteten Produkte 
in sich aufzunehmen. Es findet sich eine wesentliche Ueberein- 
stimmung der Ergebnisse meimer Untersuchungen über die Ent- 
stehung und Verwendung der Uterinmilch bei der Katze mit 
dlenjenigen über denselben Gegenstand, die Tafani in seiner 
schönen Arbeit: „Sulla eondizioni uteroplacentari della vita fetale“* 
niedergelegt hat. | 

Etwas weiter von der Placenta entfernt sieht man An- 
häufungen von Blut zwischen Uterinschleimhaut und Cho- 
yion. Schon in früheren Stadien finden sich, wie bereits er- 
wähnt, solche Blutanhäufungen, aber nicht in der Ausdehnung, 
wie in einem Fruchtsack der jetzt besprochenen Grösse (vergl. 
Abschnitt 3 in Fig. 10). In den Drüsenräumen, besonders aber 
ausserhalb derselben unter dem bekleidenden Chorion sieht man 
mehrere Blutanhäufungen; bei mikroskopischer Untersuchung des 
Inhalts findet man darin vorzugsweise rothe Blutkörperchen, aber 
auch Fibrinfasern, Blutkrystalle, Epithelzellen der Drüsen, ge- 
wöhnlich mit geschrumpftem, stark tingirten Kern, und feinkörni- 
sem, braunen Detritus (Fig. 17). Wie dieses Blut in die Drüsen- 
räume und ausserhalb derselben gelangt ist, kann ich nicht ent- 
scheiden, wahrscheinlich geschieht eine Filtration von Blut zwi- 
schen oder durch die Cylinderzellen hindurch, obgleich ich in 
und zwischen diesen Zellen keine deutlichen Blutkörpercher un- 
terscheiden konnte; doch scheint es, als ob in einigen zunächst 


Ueber die Entwickelung und Structur der Placenta bei der Katze. 369 


an dieses Blut grenzenden Zellen das Protoplasma mit kleinen 
runden, den Blutkörperchen ähnlichen Körpern besetzt wäre; es 
könnten dies aber auch Protoplasmakörner sein. 

Diese Blutanhäufungen sind nach oben vom Chorion bekleidet, 
dessen Epithel also vom mütterlichen Blute bespült wird. Die 
Zellen nun sind von dem Epithel, welches die Mehrzahl der Zot- 
ten bekleidet, ganz verschieden; sie sind bedeutend grösser und 
länglich und enthalten rothe Blutkörper. Man sieht nämlich 
in diesen Zellen, sowohl in den quer- wie längsgetroffenen das 
Protoplasma eine Menge runder, bräunlicher Bildungen enthalten, 
die ihrer Grösse, Form und Farbe nach vollständig mit den die 
Zellen umgebenden Blutkörperchen übereinstimmen. Ausser die- 
sen Blutkörpern bemerkt man auch in den Zellen kleine, feine 
Körnehen, dem feinkörnigen Detritus gleich, den man ebenfalls 
in den Blutanhäufungen beobachtet und welcher wahrschemlich 
zerfallene rothe Blutkörperchen darstellt. Die rothen Blutkörper- 
chen sind in dem peripheren, gegen das Blut gerichteten Theil 
der Zellen vorhanden. Die Zellkerne werden stets deutlich mit 
Hämatoxylin gefärbt, ebenso die im Gallertgewebe des Chorion 
befindlichen Kerne. Dieses Verhalten der Chorionzellen gegen- 
über den Blutanhäufungen ähnelt vollständig der von Lieber- 
kühn und mir, unabhängig von einander, beobachteten und be- 
schriebenen Erscheinung an der Hundeplacenta; dort sind es 
die Zellen des Chorion, welche die gefässartigen Blutanhäufungen 
ringsum, aber innerhalb der eigentlichen Placenta, bekleiden, die 
dieselbe Rolle spielen. Vor mir hat Tafani dieses Verhalten 
der Chorionzellen der Katze, Blutkörperchen aufzunehmen, be- 
schrieben. Auf Grund dieser angeführten Beobachtung muss ich 
annehmen, dass das Chorionepithel dort, wo es die Blutanhäu- 
fungen ausserhalb der Placenta bei der Katze bekleidet, die 
Eigenschaft, in sich rothe Blutkörperchen aufnehmen zu können, 
besitzt und diese wahrscheinlich so zu verändern vermag, dass 
sie weiterhin als Nahrung dienen können. 


In einem noch weiter fortgeschrittenen Stadium, Embryo 
von 9,5 em, sind die Zotten dicht aneinander gelagert und noch 
mehr geschlängelt. Zwischen den Zotten sieht man die mütter- 
lichen Gefässe, deren Wände aus grossen Endothelzellen mit 
grossem hellen Kern bestehen; diesem liegt das Chorionepithel un- 


370 G. Heinriecius: 


mittelbar an; die Zellen sind aber nicht mehr so regelmässig an- 
geordnet wie im früheren Stadium (vergl. Fig. 18), sondern mehr 
in Gruppen; die Zellenkerne sind theils grösser, unverändert, 
theils kleiner, stark gefärbt, was auf einer reicheren Entwicke- 
lung von stark gefärbten Kernkörperchen beruht. 

Fig. 20 zeigt die nächste Umgebung einer mütterlichen Ge- 
fässwand tiefer in, der Placenta (entspricht Fig. 12e). In der Nähe 
der Gefässmündung unter seinem Endothel sieht man grosse Zel- 
len mit grossem hellen Kern: Syneytiumzellen; ausserhalb dieser 
wieder Zellen, theils isolirt, theils in Reihen angeordnet, theils 
in Haufen mit stark gefärbtem Kern; das Zellprotoplasma ist 
auch dunkler, es liegt gleichsam coagulirt um den Kern. 

In diesem Stadium sieht man keine Blutanhäufungen mehr 
zwischen Uterusschleimhaut und Chorion; das Chorionepithel 
ausserhalb der Placenta besteht aus niedrigen Zellen; das Epithel 
der Uterindrüsen jedoch aus hohen Cylinderzellen (Fig. 19). 

‚Bei hochsehwangeren Thieren ist die Struetur der Placenta 
ziemlich dieselbe wie in Fruchtsäcken von 4 bis 9,5 em langen 
Embryonen. 


Nachtrag. 


Als ich mein Manuseript druckfertig an die Redaktion des 
Archivs für mikroskop. Anatomie eingesandt hatte, erschien die 
Arbeit von Strahl: Untersuchungen über den Bau der Placenta. 
IV: Die histologischen Veränderungen der Uterusepithelien in der 
Raubthierplacenta. Archiv f. Anat. und Phys. Anatom. Abthei- 
lung, Suppl.-Band 1890 p. 118. Ich freue mich, dass wir in 
vielen Punkten zu übereinstimmenden Resultaten gelangt sind; 
so in Bezug auf die Veränderungen der Uterindrüsen im Anfang 
der Schwangerschaft, welche nach oben abgeschlossen werden ; 
ferner darin, dass die Zotten nicht direet und von vorn. herein 
in die Uterindrüsen einwachsen. Auch damit sind wir einver- 
standen, dass die extravasirten Blutkörperchen am Randgebiete 
der Placenta vom Chorionepithel aufgenommen werden. 

In einem wesentlichen Punkte muss ich indessen von Syrahl 
abweichen: in Bezug auf die Herkunft und Bestimmung des Syn- 


ee 


Ueber die Entwickelung und Structur der Placenta bei der Katze. 371 


eytium, welches Strahl im Wesentlichen als eine Umwandlung 
des Drüsenepithels auffasst, während ich ein Syneytium binde- 
gewebiger Abkunft annehme., Die Präparate Strahl’s stammen 
vom Uterus eingr Katze, deren Embryonen schon eine Länge von 
etwa 2 em besassen; ich habe die Syneytiumbildung in früheren 
Entwieklungsstadien verfolgt, zu Zeiten, wann die Zotten noch 
ziemlich weit entfernt von den in nach oben geschlossene Räume 
verwandelten Üterindrüsen sich befinden und die Zellen der Drü- 
sen noch keine weitgreifenden Veränderungen durchgemacht 
haben. In diesem Entwickelungsstadium sind die Zotten schon 
von dieken Massen Syneytium umgeben; das Syneytium geht 
hier jedoch unzweifelhaft aus dem oberflächlichen Bindegewebe, 
welches die Drüsen verschliesst, hervor. Die Drüsen selbst sind 
alle geschlossen, die Räume noch nicht von geformten Zellen- 
produkten in grösserer Menge gefüllt; einen Durchbruch der 
Drüsenzellen nach oben habe ich nicht beobachtet (vergl. meine 
Fig. 6 und 7). Eine Betheiligung des Bindegewebes wird übri- 
gens auch von Strahl angenommen, denn S. 122 sagt er: „Auch 
das zwischen den Drüsen gelegene spärliche gefässführende Binde- 
gewebe geht nach oben in die Umlagerungszone weiter, indem 
es sich in eine grosszellige Bindesubstanz umwandelt, welche die 
Gefässe einschliesst.* Und weiter S.123: „In der Umlagerungs- 
zone gehen vielfach Bindegewebszellen und das epitheliale Syn- 
eytium so durcheinander, dass man sie gewissermassen als ver- 
flochten bezeichnen kann. Trotzdem bleiben dieselben auch in 
dieser Situation wohl unterscheidbar.“ 

In einem weiteren Entwickelungsstadium (Embryo von 11 mm 
Länge) ist das Syneytium schon theilweise verschwunden; doch 
finden sich noch ziemlich grosse Massen davon um die oberfläch- 
lichen Gefässe, in den Knotenpunkten der intervillösen Balken 
und nach unten im der Nähe der erweiterten Drüsenräume, zwi- 
schen den Enden der Zotten. An vielen Stellen wieder, beson- 
ders in der Mitte der Placenta, ist das Syneytium derart ver- 
schwunden, dass das Chorionepithel unmittelbar an das mütter- 
liche Gefäss anstösst, so wie ich in Fig. 13 und 14 (Embryo 
5 em) gezeichnet habe. Was das doppelte Epithel Strahl’s an- 
geht, so bin ich zwar in meiner Arbeit nicht auf dieses Verhalten 
eingegangen, bemerke übrigens nachträglich, dass ich besonders 
da, wo vom Syneytium mehr zurückgeblieben ist, ein Verhältniss 


3723 G. Heinriecius: 


vollkommen ähnlich dem von Strahl in seiner Fig. 4 dargestell- 
ten, wo die mütterlichen Gefässe von den foetalen durch zwei 
epitheliale Zellenlagen getrennt werden, beobachtet habe. (Vergl. 
meine Fig. 12, zwischen d und b in der Nähe des Gefässes c.) 

Die Zellenklumpen und das Netzwerk, welche im späteren 
Entwickelungsstadium das Lumen der Drüsen ausfüllen und von 
Strahl für eine Vorstufe des Syneytium gehalten werden, fasse 
ich auf als Sekretionsprodukte des Uterusepithels, als s. g. Uterin- 
milch; zur Syneytiumbildung vermag ich sie nicht in Beziehung 
zu bringen. 

Die in den Drüsenräumen der Zone 2 Fig. 10 (Periplacenta 
Minot’s) befindlichen Zellen betrachte ich gleicherweise als Um- 
wandlungsprodukte und veränderte Epithelzellen in dem Sinne 
einer Uterinmilch. In den Abschnitten 3 und 4 Fig. 10 der 
Placenta, bezw. des Uterus habe ich keine Syneytiumbildung an- 
getroffen. 

Die Blutextravasate habe ich bei der Katze in derselben 
Weise gefunden, wie Strahl sie genau beschrieben hat. Was 
den grünen Saum der Hundeplacenta anlangt, so habe ich den- 
selben nicht als einen Raum verstanden, in welchem Blut eireu- 
lirt. Ich fasse das Blut der Hundeplacenta als extravasirtes ganz 
so wie bei der Katze und anderen Thieren auf. Ich habe in 
meiner früheren Arbeit den Namen „Sinus“ nur gewählt, um den 
Saum als eine gefässähnliche Blutanhäufung zu bezeichnen. Ich 
gestehe zu, dass diese Bezeichnung nicht passend gewählt war und 
es besser gewesen wäre, die betreffende Bildung kurz und gut 
„Blutanhäufung“ oder „extravasirtes Blut“ genannt zu haben. 
Pag. 432 in meiner Arbeit über die Hundeplacenta 1. c. schreibe 
ich: „Eine Endothelauskleidung des Sinus lateralis habe ich 
nicht gesehen und scheint es, als ob das Blut sich frei in das 
Gewebe des Placentarrandes ergossen hätte.“ 

Schliesslich muss ich noch der von Selenka inzwischen 
gemachten Veröffentlichungen in den „Sitzungsberichten der Kgl. 
Preussischen Akademie der Wissenschaften 1890° gedenken, in 
welchen für den Menschen und für Affen wieder das Eiiwachsen 
der Zotten in die Uterindrüsen vertreten wird. 


Ueber die Entwickelung und Structur der Placenta bei der Katze. 373 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVII und XIX. 


Fig. 1. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Querschnitt des Embryo und der Uterinwand im Anfang der 
Schwangerschaft. a Muscularis, b die erweiterten Uterin- 
drüsen, ce die bindegewebige Schicht, später die Decidua- 
schicht, Syneytium, d Chorion und beginnende Zotten, e Em- 
Bro, Werick Obj. 2, Oc. II. 

Das Eindringen der Chorionzotten in die Uterinschleimhaut. 
a Zwischenwände der erweiterten Drüsenräume, b Drüsen- 
abschnitt mit gewöhnlichem, erhaltenden Epithel, e Drüsen- 
abschnitt mit zerfallendem, veränderten Epithel, d die binde- 
gewebige Schicht (späteres Syncytium), e Zottenepithel, f zarte 
bindegewebige Axe der Zotte, & Querschnitt eines Gefässes. 
Merick; Obj. 7, Oc. Ill. 

Die Uterinschleimhaut, in welcher die Zotten nicht hinein- 
gedrungen sind, stärker vergrössert. a Muscularis, b nicht 
erweiterte Drüse, e Zwischenwände der erweiterten Drüsen, 
d Drüsenraum mit unverändertem Epithel, e Drüsenraum mit 
zerfallendem, veränderten Epithel, f die bindegewebige Schicht 
(späteres Synceytium). Verick, Obj. 7, Oe. II. 

Drüsenzellen und deren Produkte. Zeiss hom. I.1/;, Oec.IV. 
Querschnitt des Embryo und der Uteruswand von einem 
vorgerückteren Stadium. aSerosa, b Muscularis, e die Schicht 
der erweiterten Drüsen, d die oberflächliche Bindegewebs- 
schicht resp. Syneytium, in welches die Chorionzotten einge- 
drungen sind, e der bindegewebige Theil der Zotten vom 
Epithel zurückgewichen, f Anhäufungen von Blutkörperchen, 
g der in Placenta nicht umwandelte Theil der Uterinschleim- 
haut, sich in das Verbindungsstück der Fruchtsäcke fort- 
setzend. Verick, Obj. 2, Oe. 1. 

Das weitere Eindringen der Chorionzotten in die Uterinschleim- 
haut. Durchschnitt der Uteruswand. a Serosa, b Muscularis, 
e tiefe, nicht dilatirte Drüsen, d Zwischenwände der erwei- 
terten Drüsen, e Drüsenräume mit ziemlich erhaltenem Epithel, 
f Drüsenräume mit zerfallenem, verändertem Epithel, & Quer- 
schnitt der Gefässe, h Syneytium, i Zottenepithel, k zarte, 
bindegewebige Axe der Zotten vom Chorion ausgehend, vom 
Epithel zurückgewichen. V&rick, Obj. 7, Oc. I. 

Ende einer Zotte (Z), welche die erweiterten Drüsenräume (D) 
mit den losgelösten, theilweise veränderten Epithelzellen bei- 
nahe erreicht hat. G Gefäss, S Syneytium. Zeiss hom. I !/ıo, 
Oec. II. 

Syneytium mit Gefässen. Z eine Zotte. Querschnitt. Zeiss 
hom. I. 1/jo, Oe. IV. 

Oberflächliches Gefäss mit Blutkörperchen, nach oben von 
Chorionepithel, nach unten von Syncytium umgeben. Zeiss 
hom. I. 1/9, Oec. IV. 


Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37 25 


374 


G. Heinricius: 


Fig. 10. Randplacenta und Uterusschleimhaut, theilweise von Chorion 


Fig. 


ig. 13. 


47. 


. 14. 


‚19. 


t. 16. 


101% 


bedeckt. Embryo5cm lang. 1 Placenta, 2 Theil der Schleim- 
haut, in welcher Chorionzotten nicht hineinragen; die Drüsen 
sind hyperplasirt, die Drüsenräume mit Zellprodukten (Uterin- 
milch) gefüllt, Chorion ohne Zotten, mit vergrössertem Epithel. 
3 Theil der Schleimhaut, wo Anhäufungen von Blut zwischen 
der Schleimhaut und Chorion sich befinden, 4 Theil der von 
Chorion nicht bedeckten Schleimhaut. a Serosa, b Muscularis, 
c die erweiterten Drüsenräume, in welchen die Zotten hinein- 
ragen und wo Uterinmilch gebildet wird, d Zotten und inter- 
villöse Balken, e Chorion. V&erick. Obj. 2, Oe II. 

Eine mittlere Partie der Placenta. Embryo5cem lang. a Muscu- 
laris, b die erweiterten Drüsen, in welche die Zotten hinein- 
ragen, c Ende einer Zotte mit grösseren, ovalen Epithelzellen, 
d Zotten und mütterliches Zwischengewebe, e Querschnitt 
eines oberflächlichen mütterlichen Gefässes, f Chorion. V&rick, 
Obj. 2, Oe. IL. 


. Ende einer Zotte (Z); die niedrigen Epithelzellen (b) gehen in 


grössere, ovale Zellen (a) über. D Drüsenräume, bei x An- 
häufungen-von Zellenprodukten (Uterinmilch), e mütterliches 
Gefäss, d Syneytium, e Drüsenepitheil. Embryo 5 cm lang. 
Zeiss hom. I. 1/, Oe. IV. 
Querschnitt eines intervillösen Balkens. Embryo 5 em lang. 
Z Zottengewebe, a Chorionepithel, b mütterliches Gefäss mit 
Endothelzellen. Zeiss hom. I. 1, .Oe. V. 

Mit der Oberfläche paralleler Schnitt eines intervillösen Bal- 
kens. Embryo 5 cm lang. Die Buchstaben wie in Fig. 13. 
Zeiss hom. I. Yo, Oc. V. 

Zellen der Zottenenden und Uterinmilch. Die Zellen in Thätig- 
keit Uterinmilch aufzunehmen. Embryo 5 em. Zeiss hom. 
I 1, Oe. V. 

Zellen der Uterindrüsen am Placentarrande in Thätigkeit, 
Uterinmilch zu bilden begriffen. Embryo 5em. Zeiss hom. 
1. I ne... V. 

Chorionepithel an die Blutanhäufungen der Uterinschleimhaut 
ausserhalb der Placenta grenzend. In den Zellen sieht. man 
Blutkörperchen. C Choriongewebe, D Drüsengewebe. Em- 
bryo 5em. Zeiss hom. I. !/j, Oe. V. 


. Querschnitt intervillöser Balken. Embryo 9,5 cm lang. Z Zotten- 


gewebe. Zeiss hom. I. !/, Oec. V. 


. Drüsenepithel (D) und Chorionepithel (C) ausserhalb der Pla- 


centa. Embryo 9,5 cm. Zeiss hom. I. Yı, Oec. IV. 


. Gefässwand aus der Placenta. G Gefässlumen. Embryo 


95cm... Zeiss hom. I. 1/ja, Oe. IV. 


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375 


(Aus dem II. anatomischen Institut der Universität zu Berlin.) 


Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung 
in der Iymphatischen Randschicht der 
Salamandrinenleber. 


Von 
Dr. E. Göppert. 


Hierzu Tafel XX. 


In der Iymphatischen Randschicht der Leber von Sala- 
_ mandra maculata und Triton alpestris fand ich einen Kernthei- 
lungsvorgang, der, wie sich bald herausstellte, als „indirekte 
Fragmentirung“ aufgefasst werden musste. — Vor der Beschrei- 
bung desselben will ich kurz das, was bisher über die indirekte 
Fragmentirung veröffentlicht worden ist, besprechen. 

Bekanntlich hat J. Arnold!) zuerst diesen Kerntheilungs- 
modus beschrieben. Nach ihm tritt bei diesem Vorgang in den 
Zellkernen zunächst eine Vermehrung der chromatischen Sub- 
stanz und eine Veränderung in der Anordnung derselben ein. 


1) J. Arnold, a) Beobachtungen über Kerne und Kerntheilungen 
in den Zellen des Knochenmarks. Virchow'’s Archiv Bd. 93. — b) Ueber 
Kern- und Zelltheilung bei acuter Hyperplasie der Lymphdrüsen und 
Milz. Virchow’s Archiv Bd. 95. — c) Weitere Beobachtungen über 
die Theilungsvorgänge an den Knochenmarkzellen und weissen Blut- 
körpern. Virchow’s Archiv Bd. 97”. — d) Ueber Kerntheilung und 
vielkernige Zellen. Virchow’s Archiv Bd. 98. — e) Ueber Theilungs- 
vorgänge an den Wanderzellen, ihre progressiven und regressiven 
Metamorphosen. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 30. — f) Weitere Mitthei- 
lungen über Kern- und Zelltheilungen in der Milz; zugleich ein Bei- 
trag zur Kenntniss der von der typischen Mitose abweichenden Kern- 
theilungsvorgänge. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 31. 


376 E. Göppert: 


Dies betrifft anfangs nur das geformte Chromatin, das ın Kör- 
nern, Fäden und Balken, oft in gerüst-, netz- oder knäuelförmiger 
Anordnung angetroffen wird. Dazu kommt später eine diffuse 
Vertheilung von Chromatin im Kernsaft, welche oft den Kernen 
ein homogenes Ansehen verleiht. Gelegentlich findet sich das 
Chromatingerüst innerhalb des Kerns radiär angeordnet. Bereits 
in diesem Stadium kann eine Zerschnürung des Kerns eintreten. 
Gewöhnlich nimmt derselbe aber vorher eine mehr oder weniger 
complieirte Gestalt an: er wird ring- oder netzförmig, gelappt 
oder verästigt u.s.w. Auch in den Kernringen kommt eine 
radiäre Anordnung der chromatischen Substanz vor. — Die in 
solcher Weise umgestalteten Kerne zerschnüren sich nun in eine 
meist grössere Reihe von Tochterkernen, welche Anfangs noch 
durch helle Bänder und Fäden zusammenhängen, später nach 
dem Schwund der letzteren selbständig werden und auch zu dem 
gewöhnlichen Chromatingehalt zurückkehren. Darauf kann eine 
Neubildung junger Zellen erfolgen, indem entweder die Zelle, 
deren Kern sich in der besprochenen Weise getheilt hat, in eine 
der Zahl der Tochterkerne gleiche Anzahl von Theilen zerlegt 
wird, oder, indem Theile des Protoplasma der Stammzelle endogen 
oder peripherisch sich in der Umgebung der kleinen Kerne los- 
schnüren. — Dieser eben beschriebene Kerntheilungsvorgang ist 
hauptsächlich charakterisirtt durch Erhaltenbleiben der Kern- 
membran und durch die Vermehrung und Umordnung der chro- 
matischen Substanz. Das letztere kennzeichnet ihn als eine in- 
direkte Theilung, das erstere unterscheidet ihn von der Mitose. 
Dieser Unterschied wird ferner markirt durch das Fehlen einer 
äquatorialen Umordnung der chromatischen Substanz und das 
Fehlen der achromatischen Figur bei der indirekten Fragmen- 
tirung. — Arnold hält die letztere aber nicht für einen ganz 
isolirt dastehenden Vorgang, sondern nimmt eine Verknüpfung 
derselben durch Uebergangsformen mit der Mitose an. Mög- 
licherweise bestehen auch Beziehungen zur direkten Kerntheilung. 
Er konstatirte den Vorgang sowohl unter pathologischen wie 
unter normalen Verhältnissen, und zwar im Knochenmark, ın 
Lymphdrüsen, in der Milz, an Wanderzellen und an Zellen von 
Geschwülsten (Sarcome und Careinome). 

Eine ganze Reihe von Arbeiten bestätigte die Arnold- 
schen Beobachtungen und erweiterte die Kenntniss von der Ver- 


breitung der indirekten Fragmentirung. Dazu gehören zunächst 
drei Arbeiten aus dem Arnold’schen Laboratorium: Werner?) 
eonstatirte diese Art der Kerntheilung an den Riesenzellen des 
Knochenmarks auch bei Hund, Katze und Mensch, während die 
Resultate Arnold’s hauptsächlich beim Kaninchen gewonnen 
waren. — Schottländer?) fand in dem hinteren Hornhaut- 
epithel der mit Chlorzink geätzten Froscheornea Kerntheilungs- 
figuren, die der indirekten Fragmentirung angehören. — Hess®) 
endlich kam bei seiner Untersuchung über die grossen Zellen 
der Milz von mit Milzbrand infieirten Mäusen auch wieder zu 
dem Resultat, dass bei der Vermehrung dieser Zellen die indirekte 
Fragmentirung eine wichtige Rolle spiele, dass ausserdem zwi- 
schen pluripolarer Mitose und indirekter Fragmentirung keine 
scharfe Grenze bestehe; er fand Kermfiguren, die als Uebergangs- 
formen aufzufassen waren. 

Auch von anderer Seite stammen bestätigende Beobach- 
tungen: die Befunde Geelmuyden’s?) an Myeloplaxen weichen 
von denen Arnold’s nieht ab. — Beltzow®) fand auf indirekte 
Fragmentirung zu beziehende Kerntheilungsfiguren bei seinen Be- 
obachtungen über die Regeneration des Harnblasenepithels beim 
Kaninchen. — Besonders erwähnenswerth ist eine Arbeit von 
Ströbe?): Derselbe sagt (S. 355) über die Riesenzellen im 
Knochenmark junger Kaninchen: „Wer ganz wunbefangen die 
Präparate durchmustert, wird sozusagen mit Gewalt dazu ge- 
drängt, sich den Arnold’schen Anschauungen, insbesondere mit 


Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung etc. 377 


2) Werner, Ueber Theilungsvorgänge in den Riesenzellen des 
Knochenmarks. Virchow’s Archiv Bd. 106. 

3) Sehottländer, Ueber Kern- und Zelltheilungsvorgänge in 
dem Endothel der entzündeten Hornhaut. Archiv f. mikr. Anat. Bd. 31. 

4) Hess, Ueber Vermehrungs- und Zerfallsvorgänge an den 
grossen Zellen in der acut hyperplastischen Milz der weissen Maus. 
Beiträge zur pathol. Anat. u. zur allg. Pathol., herausg. von Ziegler, 
Bd. VII. 

5) Geelmuyden, Das Verhalten des Knochenmarks in Krank- 
heiten und die physiologische Funktion desselben. Virchow’s Arch. 
Bd. 106. 

6) Beltzow, Zur Regeneration des Epithels der Harnblase. 
Virchow’s Arch. Bd. 97. 

7) Ströbe, Ueber Kerntheilung und Riesenzellenbildung in Ge- 
schwülsten und im Knochenmark. Beitrg. z. pathol. Anat. u. zur allg. 
Pathol., herausg. von Ziegler, Bd. VI. 


378 E. Göppert: 


Bezug auf die indirekte Fragmentirung mehr oder weniger rück- 
haltslos anzuschliessen.“ Ebenso fand Ströbe in Sarecomen und 
Carcinomen, namentlich aber in den ersteren, Kernfiguren, „die 
in die Formenreihe der Arnold’schen mehrfachen indirekten 
Fragmentirung“ gehören (S. 357). — Ferner ist eine Arbeit von 
Flemming?) zu erwähnen über „amitotische Kerntheilung im 
Blasenepithel des Salamanders“. Der Kerntheilungsvorgang, der 
übrigens in diesem Fall wahrscheinlieh abnormen Verhältnissen 
seinen Ursprung verdankte, begann mit einer Zunahme der Tin- 
girbarkeit des Kerns. In ihm traten stark ehromatische Stränge 
und Körner auf. Der Kern konnte sich jetzt schon zerschnüren. 
Gewöhnlich wurde er vorher von einem Loch durchsetzt, das 
sich allmählich vergrösserte. Auch mehrfache Durchbohrungen 
kamen vor. Die Seitenränder dieser Lücken wurden zu ver- 
schmälerten Strängen ausgespannt, nach deren Durchbrechung 
die Theilung vollendet war. Nach Allem ist der geschilderte 
Vorgang doch als indirekte Fragmentirung zu bezeichnen. — 
Hervorzuheben ist schliesslich noch, dass Löwit?) bei amitotischen 
Theilungen von Leueocyten, speciell auch beim Salamander, 
eine Vermehrung des Chromatins, sowie eigenthümliche Umlage- 
rungen desselben beobachtet hat. 

Gegen die Arnold’schen Angaben sind eine Anzahl von 
Einwendungen erhoben worden (so von Cornil!?), Denys!), 
Ayoama!?), Löwit(?), Demarbaix!3). Auf diese ist zum Theil 


8) Flemming, Amitotische Kerntheilung im Blasenepithel des 
Salamanders. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 34. 

9) Löwit, Ueber Neubildung und Zerfall weisser Blutkörper- 
chen. Ein Beitrag zur Lehre von der Leukämie. Sitzungsber. der 
mathem.-naturw. Klasse der kaiserl. Akad. der Wissenschaft Bd. 92, 
Heft LI. 

10) Cornil, Sur la multiplication des cellules de la moelle des 
os par division indirecte dans l’inflammation. Arch. de physiol. norm. 
et pathol. T. X, 3me serie. 

11) Denys, a) La cytodierese des cellules g&antes et des petites 
cellules incolores de la moelle des os. La Cellule T.IH. — b) Quel- 
ques remarques & propos du dernier travail d’Arnold sur la fragmen- 
tation indirecte. La Cellule T.V. 

12) Ayoama, Indirekte Kerntheilung in verschiedenen Neubil- 
dungen. Virchow’s Arch. Bd. 106. 

13)Demarbaix, Division et dögönerescence des cellules g6antes 
de la moelle des os. La Cellule T. V. 


TEE 


Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung ete. 379 


Arnold selbst (*f), zum Theil Hess(t) und Ströbe(?) ein- 


_ gegangen. Ich will deshalb bloss einiges über die letzte Arbeit 


Zu 


u 12 2, 22 


von Denys(!!”) und die Arbeit Demarbaix(!?) sagen und zwar 
nur deshalb, weil nach Kölliker!*) durch sie die ganze Lehre 
der indirekten Fragmentirung in Zweifel gestellt werden soll. 


Demarbaix behauptet nämlich auf Grund seiner Beobachtungen, 


dass der Chromatinreichthum der Kerne, welchen Arnold als 
ein Zeichen der indirekten Fragmentirung auffasst, nur der Aus- 


‘druck einer cadaverösen Veränderung der Kerme sei, welche 


immer erst einige Zeit nach dem Tode eintrete. Nun hat aber 


‘ Arnold zweifellos seine Beobachtungen an ganz frischem Ma- 


terial anstellen können. Dasselbe heben Hess(*) und Ströbe(”) 
mit Rücksicht auf die Demarbaix’schen Angaben für ihre 
Untersuchungen hervor. Der erstere hat überdies die Versuche 
Demarbaix’s an der Milz der Maus wiederholt, ohne zu dessen 
am Knochenmark gewonnenen Resultaten zu kommen. Demar- 
baix giebt nun ferner seiner Arbeit Zeichnungen mit, welche die 
eadaverösen Veränderungen an den Kernen der Riesenzellen dar- 
stellen und zugleich beweisen sollen, dass diese, thatsächlich 
durch postmortale Degeneration zu Stande gekommenen, Kern- 
strueturen identisch seien mit denjenigen, welche Arnold fälsch- 
lich für seine indirekte Fragmentirung in Anspruch nehme. Bei 
der Vergleichung der hierher gehörigen Arnold’schen und De- 
marbaix’schen Figuren fallen aber fast überall” so bedeutende 


_ Unterschiede in die Augen, dass an eine Identität der von beiden 


beobachteten Erscheinungen nicht zu denken ist. Nirgends sieht 
man nämlich in den von Demarbaix abgebildeten Kernen, so- 
weit sie überhaupt nicht völlig homogen erscheinen, den Unter- 
schied von diffus vertheiltem und geformtem Chromatin; aber 
auch abgesehen davon, habe ich derartige Structuren, wie sie 
z.B. in den Figuren 3,4, 5, 6, 16, 17, 18, 19, 20, 30, 37, auch 
43 wiedergegeben sind, weder in den Arnold’schen Zeichnungen 
dargestellt, noch in seinen Arbeiten beschrieben gefunden. Nach 
alledem entbehrt also die oben eitirte Behauptung Demarbaix’s 
thatsächlich der Begründung. — Derselbe behauptet weiter, dass 
die Kernfiguren, in denen die Theilstücke noch durch Bänder 


14) Kölliker, Handbuch der Gewebelehre des Menschen (6. Aufl.) 
Seite 62). 


380 E. Göppert: 


und Fäden zusammenhängen, zurückzuführen seien auf eine Zer- 
zerrung der cadaverös veränderten Kerne durch die Präparir- 
nadel. Abgesehen davon, dass Arnold seine Beobachtungen 
auch an Schüttelpräparaten machte, ist die Annahme, die hier- 
hergehörigen complieirten Kernfiguren könnten auf diese Art 
entstanden sein, noch dazu, ohne dass am Kern wie an den Zell- 
körpern deutliche Spuren einer derartigen gewaltsamen Einwir- 
kung erkennbar gewesen wären, einfach undenkbar. — Schliess- 
lich sagt Demarbaix auf S. 53 seiner Arbeit: La division eine- 
tique multiple est le seul mode de division bien etabli des cel- 
lulles geantes de la moelle. Dass die Riesenzellen auch amitotisch 
sich theilen können, ist sicher bewiesen durch den Befund von 
kleinen Zellen im Innern der Riesenzellen, deren Kerne noch mit 
dem Kern der letzteren durch dünne Fäden in Zusammenhang 
stehen. — Auf die eben zurückgewiesenen Behauptungen De- 
marbaix’s stützt sich nun auf Denys in seiner letzten Arbeit (!!”), 
in der er das Vorkommen einer indirekten Fragmentirung gänz- 
lich leugnet. Durch die Widerlesung Demarbaix’s fällt also 
zugleich ein Theil der Grundlagen für die Denys’sche Ansicht. 
— Hess(*) ist bereits auf einige Punkte dieser Arbeit einge- 
gangen. Ich will deshalb nur noch die Behauptung Deny’s an- 
führen, die Beobachtung Arnold’s von ringförmigen Kernen be- 
ruhe auf einem Irrthum; thatsächlich handle es sich in den 
Fällen, in welchen Arnold zu dieser Auffassung geführt wurde, 
um Kerne, deren Nucleolus sich in eine Vacuole umgewandelt 
habe. Von vornherein erscheint es schon undenkbar, dass Ar- 
nold sich in dieser Weise hätte täuschen lassen können; Denys 
hat ausserdem in keiner Weise, weder in seiner Beschreibung 
noch in seinen Abbildungen dieser vacuolisirten Kerne den Be- 
weis geliefert, dass seine Befunde wirklich identisch seien mit 
den Beobachtungen Arnold’s und nur eine falsche Deutung von 
Seiten des letzteren vorliege. Schliesslich beweisen die in den 
Binnenräumen von Kernringen von Arnold angetroffenen Struc- 
turen: Fäden, welche mit den chromatischen Elementen der Kern- 
figur in Zusammenhang stehen können, dass es sich hier unmög- 
lich um Vacuolisirung des Nucleolus handeln kann ®). 


15) Flemming(®) bestätigt das Vorkommen von ringför- 
migen Kernen in Lymphzellen, speciell auch in der Milz der Maus. 


B 
ı 


Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung etc. 381 


Trotz dieser Entgegnungen ist also an dem Vorkommen 
der Arnold’schen indirekten Fragmentirung nicht zu zweifeln. 
Ich gehe jetzt zur Besprechung meiner Befunde über. 

Bei der Durchmusterung der Randschicht der Urodelenleber 
fallen besonders Zellen auf, deren Kerne Ringform besitzen. Ein 
 soleher Kern stellt einen wirklichen Ring vor, ist thatsächlich 
— durehbohrt. Durch Heben und Senken des Tubus kann man die 
 Perforation durch die ganze Dicke des Kerns verfolgen und 

kann sich davon übezeugen, dass man es nicht etwa blos 
mit einem vacuolisirten Kern zu thun hat (Fig. 5). Ohne 
Weiteres ergiebt sich dies auch, wenn man in dickeren 
Schnitten einen derartigen Kern etwas von der Seite zu sehen 
bekommt. Der Zusammenhang zwischen der nach Aussen und 
der nach Innen, gegen den Binnenraum gerichteten Begrenzung 
desselben ist dann deutlich zu erkennen. An solchen Bildern 
sieht man ausserdem noch, dass die Kernringe in der Richtung 
der Durchbohrung etwas abgeplattet sind (Fig. 4). Die Kern- 
substanz wird ebenso, wie an allen übrigen Stellen, auch gegen 
den Binnenraum des Ringes durch die unveränderte Kernmembran 
begrenzt. Die Substanz, welche die Perforation ausfüllt, unter- 
scheidet sich in nichts von dem den ganzen Kern peripher um- 
schliessenden Protoplasma. Besondere Structuren, wie sie Arnold 
in den „hellen Feldern“ der durch indireete Fragmentirung sich 
theilenden Zellen der Mausmilz auffand (!f), konnte ich in den 
Binnenräumen der Kernringe nirgends wahrnehmen. Die Grösse 
des Loches schwankt; meist stellt es sich nicht grösser dar, als 
es in Figur 5 erscheint. Anderseits findet man Kerne, deren 
Perforationen ihrer Kleinheit wegen sich leicht der Beobachtung 
entziehen können. Verschieden ist auch die Form der Kernlöcher. 
Häufig nähert sie sich der Kreisform, oft erscheinen die Durch- 


Ferner sind unzweifelhaft ringförmige Kerne noch beschrieben in einer 
Arbeit von Poljakoff: „Ueber eine neue Art von fettbildenden Or- 
ganen im lockern Bindegewebe.“ Arch. f. mikr. Anat. Bd. 32, S. 138 
u. 139. P. beobachtete an gewissen Zellen im subeutanen Bindegewebe 

der Ratte einen Theilungsvorgang, bei welchem der Kern erst Ring- 
form annahm, um sich dann in gewöhnlich zwei Theile zu zerlegen, 
„welche, ähnlich, wie es Arnold beschreibt, noch längere Zeit durch 
helle Streifen mit einander in Verbindung bleiben. An die Kernthei- 
lung schliesst sich die Zelltheilung an. Die Kernstructur hat hier 
keine Berücksichtigung gefunden. 


382 -- E. Göppert: 


brechungen fast polygonal mit etwas abgerundeten Ecken, ge- 
legentlich auch als längliche Spalten. Das letztere fällt oft, aber 
nicht regelmässig mit einer gestreckten Form des ganzen Kernes 
zusammen. — In einigen Fällen ergab sich, dass die Mündung 
des den Kern durchbohrenden Kanals auf der einen Seite der 
Kernoberfläche einen ziemlich grossen Spalt, auf der entgegen- 
gesetzten nur ein kleines rundliches Loch darstellt. An dieses 
Verhalten schloss sich der Befund von Kernen an, in denen nur 
eine Einsenkung von einer Stelle der Peripherie aus in’s Innere 
des Kernes zu constatiren war, aber keine vollständige Durch- 
bohrung vorlag. Derartige Kerne sind dann etwa mit einem sehr 
diekwandigen Becher zu vergleichen (Fig. 2). Diese beiden zu- 
letzt beschriebenen Kernformen zeigen nie weitergehende Thei- 
lungserscheinungen, wie dies bei den Kernringen der Fall ist. 
Man ist deshalb berechtigt, in ihnen Vorstufen zur Ringform zu 
sehen. Danach würde der Vorgang der Kerndurchbohrung aufzu- 
fassen sein, als eine Durchschnürung der Kernsubstanz, welche 
wenigstens in vielen Fällen an einem Pol des ursprünglich mehr 
oder weniger kugeligen Kerns beginnt, denselben zunächst in 
einen sich allmählich vertiefenden Becher und schliesslich in einen 
Ring umwandelt. Das Stadium, in welchem die Durchbohrung 
eben eingetreten ist, stellen die Kerne vor, an welchen die eine 
Oeffnung kleimer ist, als die andere. Die letztere weitere wird 
dann als die Ausgangsstelle des ganzen Processes zu gelten haben. 
Die Differenz in der Weite des den Kern durchbohrenden Kanals 
gleicht sich später aus. Es scheint, als wenn der eben beschrie- 
bene Vorgang seinem Wesen nach nicht verschieden ist von dem 
gewöhnlich zu beobachtenden Zerschnürungsprozess, welcher z.B. 
bei der direkten Kerntheilung die Zweitheilung eines Kerns be- 
wirkt 19). 

Die Ringform bildet den Ausgangspunkt für die weitere 


16) Hatschek hat bei Amphioxuslarven einer gewissen Ent- 
wickelungsstufe ringförmige Kerne in dem äusseren stark abge- 
platteten Fpithel beobachten können. Da derartige Kernformen in 
dem vorhergehenden und folgenden Stadium, welche eylindrische 
Epithelzellen an der entsprechenden Stelle aufweisen, fehlen, bringt 
Hatschek die Entstehung derselben mit der starken Abplattung der 
Epithelschicht in Zusammenhang (Anatom. Anzeiger 1889, Verhandl. 
d. Anatom. Ges. auf d. III. Vers. in Berlin 10—12. Okt. 1889). 


- Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung etc. 383 


Zerlegung der Kerne, welche zur Bildung von 2—-8 Tochter- 
kernen führt. Man unterscheidet dabei zwei Modificationen. Das 
Resultat des häufigeren Modus ist, dass man den Kernring durch 
Scheidewände in eine Anzahl von Theilstücken zerlegt findet, 
ohne dass die ursprüngliche Form des Ringes wesentlich beein- 
trächtigt ist. Die Orientirung dieser Scheidewände ist eine der- 
artige, dass dieselben im optischen Querschnitt des Kerns sich 
als dunkle Linien darstellen, welche mehr oder minder genau in 
den Radien des von der Kernperipherie begrenzten Kreises oder 
Ovals verlaufen (Fig. 6). Aus diesem Verhalten ergiebt sich‘ 


- schon, dass die Trennungsebenen etwa senkrecht zur Aequatorial- 


* 


ebene des Ringes stehen. Nicht immer greifen die Scheidewände 
dureh die ganze Dicke der Kernsubstanz hindurch. Gelegentlich 
findet man sogar die Trennungsstelle zwischen 2 Kerntheilen ge 
rade nur angedeutet durch eine kleine Einfurchung der Kern- 


- membran, welche scharf etwas in’s Innere der Kernsubstanz vor- 
, 


springt. In anderen Fällen besteht allerdings eine deutliche 
Scheidewand, dieselbe ist aber auf die Nähe der Kernperipherie 
beschränkt und würde dann etwa die Form einer rundlichen, mit 
einem grösseren oder kleineren Loch versehenen Scheibe haben. 
Man findet schliesslich alle Uebergangsformen zwischen diesem 
Zustand und dem Zustand völliger Trennung der Theilstücke von 
einander; aber auch hier wird man immer zwischen je zweien 
derselben eine kleine Einfurchung wahrnehmen, da die Scheide- 
wand sich stets in der Nähe der Kernperipherie in zwei Lamel- 
len spaltet, welche auseinander weichend in die Kernmembranen 
der betreffenden Tochterkerne übergehen (Fig. 19, 22). Aus 
alledem ergiebt sich, dass die Zerlegung des Kernrings durch 
einen Einfurchungsprocess von der Kernperipherie her erfolgt. 
Wenn man im Innern der Kernsubstanz die Zusammensetzung 
der Scheidewand aus zwei Lamellen nicht feststellen kann, so 
liegt dies an der grossen Feinheit und dem engen Aneinander- 
liegen der letzteren. — Zu erwähnen ist noch, dass die eindrin- 
gende Furche sich nicht in allen ihren Punkten gleichmässig ein- 
zusenken braucht, oft greift sie an der einen Stelle tiefer ein als 
an der andern. Auch braucht die Einschnürung nicht gleich 
von vornherein die ganze Peripherie der Ringwandung in der 
oben bezeichneten Richtung zu umgreifen. Der Process kann 
auch an einem einzelnen Punkt beginnen. So erkennt man z.B. 


384 E. Göppert: 


in Fig. 17, dass an zwei Stellen die Einfurchung an der inneren, 
an einer an der äusseren Peripherie des Kerns aufgetreten ist, 
ohne dass an den gegenüberliegenden Punkten der Peripherie 
das Gleiche zu bemerken wäre. 

Ist die Durchtrennung des Kernrings erfolgt, so fangen die 
Theilstücke, welche bisher mit abgeplatteten Flächen zusammen- 
stiessen, an, sich gegeneinander abzurunden, so dass sie schliess- 
lich als selbstständige, mehr oder weniger kugelige Gebilde neben 
einander liegen (Fig. 7, 8, 12, 13, 15). Eine häufige Folge die- 
ses Vorgangs ist, dass die Ringe weiter werden, der Binnenraum 
sich vergrössert, wenn es nicht durch eine Verschiebung der 
Theilstücke gegen einander verhindert wird. 

Nieht immer sieht man nun aber die Kerntheile so dicht 
neben einander gelagert und in so regelmässiger Weise gegen ein- 
ander abgegrenzt, wie dies eben beschrieben wurde. Oft findet 
man zwei benachbarte Kerntheile mehr oder weniger von einan- 
der abgerückt und zwischen ihnen eine band- oder fadenartige 
Verbindung (Fig. 9, 10, 24, 26, 27). Diese Brücke scheint im- 
mer farblos zu sein. Von irgend welcher Struetur konnte ich an 
ihr in der Regel nichts wahrnehmen, nur selten war eine äusserst 
zarte Längsstreifung zu bemerken. Die Substanz der mit einan- 
der verbundenen Kerntheile war stets ‚scharf gegen die Brücken- 
substanz abgegrenzt, aber nie durch eine Membran von ihr ge- 
schieden. Die Kernmembran ging in die Brücke über. Der 
Querdurchmesser eines derartigen Verbindungsstranges blieb stets 
kleiner als derjenige der von ihm zusammengehaltenen Theil- 
stücke. Zwischen die beiden letzteren senkt sich somit immer 
eine ringförmige Furche ein, deren Boden eben von dem Ver- 
bindungsstrang. gebildet wird. Gelegentlich war der Verbindungs- 
faden so dünn, dass er gerade nur noch wahrnehmbar blieb; da- 
bei war in der Regel zu beobachten, dass die Fadendicke um- 
gekehrt proportional war der Entfernung beider Kerntheile von 
einander, je grösser die letztere, desto dünner der Faden. Zu- 
weilen fand sich aber auch zwischen .dieht neben einander ge- 
legenen Kerntheilen eine nur äusserst zarte Verbindung (Fig. 9). 
In den Fällen mit langem, dünnem Verbindungsfaden waren öfters 
die der Anheftung desselben dienenden Stellen der Kernperipherie 
etwas in der Längsrichtung des Fadens verzogen, so dass der- 
selbe von kleinen kegelförmigen Erhebungen entsprang (Fig. 10). 


- 


Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung ete. 385 


Dann war der Faden häufig in seiner Mitte dünner als an beiden 
Enden. — Die letzteren Befunde weisen darauf hin, dass der 
Verbindungsfaden relativ stark gespannt ist, dass er gedehnt wird, 
indem sich die dureh ihn verbundenen Theilstücke von einander 
entfernen. Daraus ergiebt sich der Zusammenhang zwischen den 
beiden Theilungsmodi. Von vornherein ist es schon klar, dass 
eine tiefere Verschiedenheit zwischen beiden nicht bestehen wird. 
Man findet sie nämlich neben einander an derselben Kernfigur. 
Ein Kerntheil kann gegen den einen Nachbartheil in der oben 
besehriebenen Weise abgeplattet und scharf begrenzt sein, mit 
- dem andern dagegen durch einen hellen Faden zusammenhängen 
(Fig. 24, 26). Die Faden- oder Bandverbindung kommt also wohl 
dann zu Stande, wenn zwei in Abschnürung von einander begriffene 
Kernstücke sich während dieses Vorgangs von einander entfernen. 
— Ob das letztere nun aber geschieht durch Bewegungen innerhalb 
des Kernrings oder von Seiten des Protoplasma, ist natürlich schwer 
zu sagen. — Die Verbindung wird wahrscheinlich gelöst durch 
ein Zerreissen des dünn ausgezogenen Fadens. Schon vorher hat 
sich die dem einen Theilstück zugehörige Kernsubstanz von der 
des andern Kerntheils getrennt, so dass die Verbindungsbrücke 
dann nur aus Kernmembran und achromatischen Kernbestand- 
theilen zusammengesetzt ist. In den Fällen, bei welchen sich 
zwischen zwei nur wenig von einander entfernten Tochterkernen 
ein ganz dünner Faden befindet, wird das Auseinanderrücken 
beider erst eingetreten sein, als sie sich bereits durch den an 
erster Stelle beschriebenen Vorgang fast völlig von einander los- 
geschnürt hatten. 

In der Regel bleiben die Theilstücke des Kerns auch spä- 
terhin wenigstens annähernd kreisförmig angeordnet. Sie sind 
oft von ziemlich gleicher (Fig. 7, 8), oft aber auch recht ver- 
schiedener Grösse (Fig. 12). Sie weichen ferner in ihrer Form 
zuweilen selbst innerhalb derselben Zelle ganz bedeutend von ein- 
ander ab: man findet längliche Tochterkerne neben kugeligen, 
spindelförmige neben wurst- und bohnenförmigen (Fig. 11, 13, 15, 
20, 25). Gelegentlich ist die Grössendifferenz eine so bedeutende, 
dass man annehmen muss, die grösseren Theilstücke werden spä- 
ter nochmals zerschnürt werden (Fig. 16). Man findet ferner oft 
in derselben Kernfigur die Trennung der einzelnen Stücke ver- 
schieden weit vorgeschritten. Einen sehr häufigen Befund bilden 


386 E. Göppert: 


sichel- oder hufeisenförmige Kerne, die beiden Enden des Kern- 
bandes können verschieden weit von einander entfernt sein, sich 
aber auch gegenseitig berühren oder sogar gegen einander ver- 
schoben sein, sodass der ganze Kern eine leichte Spiraldrehung 
aufweist (Fig. 23, 24, 25, 18, 14, 19, 17, 21, 22). Im VUebrigen 
braucht eine Zerlegung desselben in kleinere Stücke noch gar nicht 
eingetreten zu sein; sie kann aber auch bereits mehr oder weniger 
grosse Fortschritte gemacht haben. Derartige Kernformen können 
natürlich entstanden gedacht werden durch entsprechende Verbiegung 
von wurst- oder bandartigen Kernen. Wenn man dies nun auch im 
einzelnen Fall nicht ausschliessen kann, so wird es doch sehr 
unwahrscheinlich dadurch, dass man nirgends solche langgestreckte 
Kerne findet, welche als Vorstufen für die erwähnten Kernfiguren 
angesehen werden können. Dass letztere aber aus Ringen ent- 
stehen können, indem dieselben an einer Stelle eine frühzeitige 
Durehsehnürung erfahren, wird klar bewiesen durch den Befund 
von Sicheln und Hufeisen, deren Enden noch durch einen mehr 
oder weniger dünnen Verbindungsfaden zusammenhängen (Fig. 26). 
— Nach Allem kann also die Zertrennung eines Kerns an seinen 
verschiedenen Stellen sehr ungleichzeitig erfolgen. 

Gewöhnlich liegen die Kernringe, namentlich die Tochter- 
kernringe nicht in einer Ebene, sondern sind in der verschieden- 
sten und mannigfaltigsten Weise verborgen und verkrümmt. Ge- 
legentlich kommen sogar Achterfiguren vor. 

Es bleibt noch zu bemerken, dass man manchmal an die 
Möglichkeit einer Umgehung des Ringstadiums bei der Kernzer- 
schnürung denken könnte. Man findet nämlich zuweilen in einer 
Zelle zwei kleine Kerne ziemlich gleicher Grösse neben einander 
gelagert, welche einander eine etwas abgeplattete Fläche zuwen- 
den; an einer kleinen peripheren Stelle dieser Fläche hängen 
manchmal derartige Kerne noch unmittelbar mit einander zusam- 
men. Dieser Befund kann den Anschein erwecken, als wenn ein 
Kern durch eine an seiner einen Seite einsetzenden, nach der 
anderen fortschreitenden Einfurchung in zwei Theile zerlegt wer- 
den könnte. Man findet nun aber auch Kerne, welche sich nur 
dadurch von der zuletzt beschriebenen Form unterscheiden, dass 
noch eine zweite, aber fadenförmige Verbindung zwischen ihnen 
existirt, welche annähernd symmetrisch zu der ersten gelegen, 
die ganze Kernfigur zu einem Ring abschliesst. In anderen Fällen 


N 
4 


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Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung ete. 387 


sieht man nur noch die beiden Kerntheile durch zwei oft schon 
sehr dünne, helle Fäden an den entsprechenden Stellen verbunden 
(Fig. 27). Danach sind also die beiden Befunde, welche auf 
eine einfache Zerschnürung hinzuweisen scheinen, auch abzuleiten 
von ringförmigen Kernfiguren, in denen eine Zweitheilung ein- 
geleitet ist, und bei welcher die zwischen beiden Theilstücken 
_ ursprünglich vorhandene Verbindung bereits an einer oder an bei- 
- den Stellen verloren gegangen ist. 

Betrachtet man die noch ungetheilten Kernringe mit Rück- 
“sieht auf ihre feinere Struktur bei starker Vergrösserung, so be- 
obachtet man in ihnen ein feines maschiges Gerüstwerk von chro- 
 matischer Substanz. Die Balken desselben sind von verschiedener 
Dicke, aber auch die dicksten stellen immer noch sehr zarte Ge- 
bilde vor. In vielen, manchmal in fast allen Knotenpunkten des 
Netzes finden sich kleine rundliche, scharf begrenzte Chromatin- 
körnehen eingelagert. Die Grösse derselben schwankt. Im höch- 
sten Fall erreichen sie meist doch nicht den Umfang der Nucleoli 
ruhender Kerne, während die kleinsten Gebilde dieser Art nur 
als Punkte erscheinen. Im Grossen und Ganzen zeigen die Ge- 
rüstbalken eine deutlich radiäre Anordnung um das Kernloch 
herum (Fig. 3), sodass man schon bei relativ schwacher Ver- 
grösserung in den Kernringen eine strahlige Struktur erkennt 
(Fig. 5). —: Wenn man sich nun unter den nicht perforirten Ker- 
nen der Leberrandschicht umsieht, so findet man bald solche, 
deren Struktur im Allgemeinen genau übereinstimmt mit der der 
Kernringe, nur eine radiäre Anordnung der chromatischen Sub- 
stanz fehlt bei ihnen (Fig. 1). Denselben Bau zeigen auch die 
nur unvollständig durchbohrten, becherförmigen Kerne (Fig. 2). 
Die eben beschriebenen Strukturverhältnisse weichen nun erheblich 
ab von dem inneren Bau der übrigen noch nicht umgestalteten 
Kerne der Randzone. In diesen sieht man nämlich ausser den 
Kernkörperchen auch Chromatinfäden oder -balken, die wohl 
selbst in netzförmiger Verbindung unter einander angetroffen wer- 
den; von einer so deutlichen und regelmässigen Structur aber, 
wie in den vorher beschriebenen Kernen, ist nicht die Rede. 
Die letzteren zeichnen sich auch dadurch aus, dass die Chromatin- 
körnchen in ihnen meist in grösserer Anzahl vorhanden und 
gleichmässiger über den Kern vertheilt, aber auch im Durchschnitt, 
wie schon oben erwähnt, von geringerer Grösse sind, als es in 


388 E. Göppert: 


den unveränderten Kernen der Fall ist. Ob es sich nun aber in 
ihnen wirklich um eine Vermehrung oder ob es sich nur um eine 
veränderte Anordnung des Chromatins handelt, ist natürlich schwer 
zu sagen; oft scheint allerdings thatsächlich eine Zunahme der 
chromatischen Substanz vorzuliegen. — Wenn man nun also die- 
selbe Struktur, welche man in ring- und becherförmigen Kernen 
beobachtet, auch in einzelnen noch kugeligen Kernen wahrnimmt, 
so wird man dadurch zu der Ueberzeugung gebracht, dass letztere 
auch bereits in Theilung begriffen sind und dicht davor stehen, 
die Ringform anzunehmen. Somit leitet sich der vorliegende 
Kerntheilungsprozess ein durch eine Veränderung der Anordnung 
des Chromatins, wahrscheinlich verbunden mit einer Vermehrung 
desselben. Sobald dann der Kern Ringform angenommen hat, 
gruppirt sich das chromatische Netzwerk radiär zu dem Mittel- 
punkt des Kernrings. — Von weiteren Veränderungen im Bau 
des Kernes kann ich nicht viel berichten. Auch nach dem Be- 
ginn der Zerschnürung des Ringes besteht die radiäre Anordnung 
des Chromatinnetzes noch fort. Bei hufeisenförmigen Kernen habe 
ich sie sogar oft besonders gut wahrnehmen können. Während 
des weiteren Fortschrittes der Zertheilung tritt das Chromatin- 
netz dann wieder mehr zurück. Die Chromatinkörnchen scheinen 
an Zahl abzunehmen, dafür zeichnen sich wieder ein oder mehrere 
Nucleoli in jedem Theilstück durch besondere Grösse aus. — Ir- 
gend welche Veränderungen an der Kernmembran konnte ich 
nicht wahrnehmen. Von einer diffusen Vertheilung des Chroma- 
tins im Kernsaft habe ich mich nicht ganz sicher überzeugen 
können. 

Die auf die beschriebene Weise entstandenen multinucleären 
Zellen finden sich nun nicht nur in dem Iymphatischeu Gewebe 
der Leber, sondern auch ziemlich zahlreich frei im Blut schwim- 
mend vor (Fig. 20). Die Art und Weise, wie sie dorthin ge- 
langen, ist ohne Weiteres klar: durch Eberth!”) ist schon die 
Fähigkeit zu amöboiden Bewegungen bei den Zellen der Leber- 
randschicht nachgewiesen worden. Dazu sieht man, wie die 
Blutgefässe der Leber unmittelbar an die Randzone herangehen 
(Fig. 28), so dass eine Einwanderung auf dem direktesten Wege 


17) Eberth, Untersuchungen über die Leber der Wirbelthiere. 


Arch. für mikr. Anat. Bd. 3. 


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Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung etc. 389 


möglich ist. — Dieselben vielkernigen Zellen trifft man auch in 
der Milz. Ich habe aber nicht feststellen können, ob sie bloss 
eingeschwemmt sind oder einem an Ort und Stelle vor sich gehen- 
den Theilungsprocess ihren Ursprung verdanken. 

Es sei noch erwähnt, dass ich in einem Präparat des Blutes 
von Protopterus annecteus Kernfiguren gesehen habe, die genau 
den oben beschriebenen Formen entsprechen. Es fanden sich 
ring- wie hufeisenförmige Kerne. — Schliesslich muss ich noch 
hervorheben, dass in meinen Präparaten sich in der Leberrand- 


‚schieht gar nicht selten Mitosen vorfanden. 


Kurz zusammengefasst stellt sich der im Vorhergehenden 
beschriebene Kerntheilungsvorgang etwa folgendermassen dar: 
Zuerst wird in den Kernen ein deutliches, maschiges Chromatin- 
gerüst- sichtbar mit Chromatinkörnchen in den Knotenpunkten. 
— Darauf giebt ein Durchschnürungsprocess den Kernen Ringform. 
Das Chromatinnetz ordnet sich nun radiär zu der Perforation an. 
— Dann wird der Kernring in 2 bis 8, häufig nach Form und 
Grösse ungleiche Theilstücke zerschnürt, welche nunmehr annähernd 
in einem Kreis angeordnet bleiben. — Während des ganzen Vor- 
gangs bleibt der Kern in seinen Theilen stets an allen Stellen 
durch eine Kernmembran gegen das Protoplasma abgegrenzt. — 
Eine an die Kerntheilung sich anschliessende Zelltheilung Konnte 
ich nicht sicher nachweisen. Ich muss aber auch hervorheben, 
dass ich nirgends degenerative Erscheinungen an denmultinucleären 
Zellen finden konnte. | 

Vergleicht man nun diesen Kerntheilungsvorgang mit dem 
von Arnold als indirekte Fragmentirung beschriebenen Processe, 
so ergiebt sich in allem Wesentlichen eine völlige Uebereinstim- 
mung zwischen beiden: Entsprechend den Arnold’schen Befunden 
wird auch die eben beschriebene Kerntheilung durch Umordnung 
und auch wohl Vermehrung des Chromatins eingeleitet1®). Nur die 
diffuse Vertheilung desselben konnte ich nicht nachweisen. Auch 
Arnold beobachtete ein ringförmiges Stadium, und konnte auch 


hier gelegentlich eine radiäre Anordnung der chromatischen Sub- 


= 
. 


. 


5, 
_ 


stanz um die Perforation herum nachweisen. Ferner fand er 


18) Es muss hervorgehoben werden, dass manche von Arnold 


 wiedergegebenen Kernstrukturen grosse Aehnlichkeit besitzen mit 


denjenigen, welche ich oben beschrieben habe. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 26 


390 E. Göppert: 


gleichfalls die Tochterkerne durch helle Fäden und Bänder ver- 
bunden. Im vorliegenden Fall findet sich nun aber noch eine 
zweite Modification der Kernzersehnürung: die einzelnen Stücke 
können sich durch regelmässige Theilungsflächen gegen einander 
abgrenzen. Dies berührt die Fassung der ersten Definition, wel- 
che Arnold von der Fragmentirung gab, als eines Theilungsvor- 
gangs, bei welchem die Kernabschnitte sich nicht durch regel- 
mässige Theilungsflächen abgrenzten (1%). Da aber diese zweite 
Modification der Theilung, wie oben gezeigt wurde, nicht wesent- 
lich verschieden ist von derjenigen, bei welcher die Stücke noch 
eine Zeitlang durch Bänder und Fäden mit einander in Verbin- 
dung stehen, so giebt sie keinen irgend erheblichen Differenz- 
punkt zwischen den oben wiedergegebenen Arnold’schen und den ° 
hier beschriebenen Befunden ab. Uebereinstimmend mit Arnold 
fand schliesslich auch ich die Kernmembran während des ganzen 


Vorgangs erhalten. 


Aus Allem geht also hervor, dass die Kerne Iymphatischer 
Zellen bei Salamandrinen eine indirekte Fragmentirung im Arnold- 
schen Sinn durehmachen können. 


Zum Schluss spreche ich Herrn Professor O0. Hertwig 
meinen besten Dank für die freundliche Unterstützung aus, die ” 
derselbe mir bei meiner Arbeit hat zu Theil werden lassen. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XX. 


Die Figuren geben mit zwei Ausnahmen Zellen aus der Iympha- 
tischen Randschicht der Leber von Triton alpestris wieder. 
1. Kugliger Kern mit einem deutlichen netzartigen Chromatin- 
gcerüst. Die Balken desselben sind von verschiedener Stärke. 
In den Knotenpunkten des Netzes sind Chromatinkörnchen 
verschiedener Grösse eingelagert. 
Fig. 2. Optischer Querschnitt eines becherförmigen, also eben in 
Durchschnürung begriffenen Kernes, mit demselben inneren 
Bau, den Fig. 1 zeigt. 
Fig. 3. Kernring mit deutlich radiärer Anordnung des Chromatin- & 
gerüstes, welches sich im übrigen wie in Fig. 1 u. 2 verhält. 
Fig. 1—3 gezeichnet mit Zeiss homog. Imm. 1/jo, Oc. 8. 


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e Kermntheilung dureh indirekte Fragmentirung etc. 391 


Seitliche Ansicht eines Kernringes. Die Umrisse desselben 
sind bei starker. Vergrösserung genau wiedergegeben. Die 
Schattirung ist hergestellt entsprechend der leicht zu consta- 
tirenden Lagebeziehungen der einzelnen Kernabschnitte zu 
einander.. Der Kern erscheint in der Richtung der Perfo- 
ration abgeplattet. 

Kernring. Man erkennt auch hier die radiäre Anordnung der 
chromatischen Substanz. 

In 6 Theilstücke zerlegter Kernring. Die Theilstücke grenzen 
sich durch regelmässige Theilungsflächen gegen einander ab. 
Die äussere Form des Kernringes ist durch die Zertheilung 
nicht verändert. ! 


7u.8 Die Theilstücke haben sich gegen einander abgerundet 


2: 


= 10. 


und sind damit selbständig geworden. 

An zwei Stellen stehen benachbarte Kerntheile noch durch 
helle dünne Fäden mit einander in Verbindung. 

Der Verbindungsfaden zweier Theilstücke entspringt nament- 
lich an einer Seite von einer kleinen kegelförmigen Erhebung 
der Kernperipherie; er ist in der Mitte dünner als an beiden 
Enden. .. 


11—16. Die einzelnen Tochterkerne weisen auch innerhalb der- 


selben Zelle verschiedene Form und Grösse auf. 


. 17-25. Hufeisen- und sichelförmige Kerne. Die beiden Kern- 


26. 


27. 


. 28. 


enden stehen verschieden zu einander; sie berühren sieh in 
Fig. 18; sie sind entfernt von einander in Fig. 19, 20, 23, 24, 
25; sie sind gegen einander verschoben in Fig. 17, 21, 22; 
hier zeigt also der Kern eine leichte Spiraldrehung. (Fig. 20 
stammt aus dem Blut.) 1 

Hufeisenkern, dessen Enden noch dutch einen dünnen Faden 
zusammenhängen. 

Zweitheilung eines Kernringes. Die Theilstücke hängen noch 
durch zwei helle Fäden zusammen. (Lymphatische Zelle aus 
der Leber von Salamandra maculata). In Fig. 5—27 haben 
die feineren Strukturverhältnisse der Kerne keine besondere 
Berücksichtigung gefunden. Fig. 5—27 gez. mit Zeiss, 
0B2,D,:0e. 8, ; 

Darstellung eines Stückes der Iymphatischen Randschicht der 
Leber von Triton alpestris (R) mit dem anstossenden Leber- 
parenchym (L). Ein Capillargefäss tritt unmittelbar an die 
Randzone heran; in ihm liegen mehrere polynucleäre Zellen. 


399 D. Barfurth: 


(Aus dem vergleichend-anatomischen Institut in Dorpat.) 


Versuche zur functionellen Anpassung. 
Von 
D. Barfurth. 


Hierzu Tafel XXI. 


Vorbemerkung. 


Die Untersuchungen, über die ich in diesem und dem nach- 
folgenden Aufsatze berichte, wurden zum grössten Theile im ana- 
tomischen Institut zu Göttingen, an welchem ich drei Semester 
als Proseetor arbeitete, ausgeführt. Ich nehme hier Veranlassung, 
dem Director des genannten Instituts, Herrn Professor Dr. Fr. 
Merkel, herzlich zu danken, da er mir nfcht nur in bereitwillig- 
ster Weise die Beschaffung des Materials und der Apparate er- 
möglichte, sondern auch meinen Arbeiten volles Interesse zuwandte 
und» mich in jeder Hinsicht wissenschaftlich förderte. 

Um über die schwierigsten Objeete der Regenerationsstudien, 
Stützapparat (Chorda und Skelet) und quergestreifte Muskulatur, 
zu einem besseren Verständniss zu gelangen, habe ich dann in 
Dorpat weitere Experimente und Untersuchungen besonders an 
jüngeren Amphibienlarven (Axolotl) angestellt. Sie sind im Zu- 
sammenhang mit den früheren Beobachtungen in der nachfolgen- 
den Arbeit „Zur Regeneration der Gewebe“ mitgetheilt. 


Einleitung. 


Das alte Lamarck’sche Prineip der Wirkung des Gebrauchs 
und Niehtgebrauchs der Organe hat in der neueren Zeit steigende 
Anerkennung gefunden. , Ueber die einschlägige Literatur, beson- 
ders die Stellung Darwin’s und Haeckel’s zu diesem Prineip 
verdanken wir Roux eine ausführliche Darstellung !), so dass ich 


1) W. Roux, Ueber die Leistungsfähigkeit der Prineipien der 
Descendenzlehre zur Erklärung der Zweckmässigkeiten des thierischen 
Organismus. Breslau, 1880. — Roux, Der Kampf der Theile im Or- 
ganismus. Ein Beitrag zur Vervollständigung der mechanischen 
Zweckmässigkeitslehre. Leipzig, 1881. 


Versuche zur functionellen Anpassung. 393 


mich mit einer kurzen, die neueste Zeit betreffenden Literaturan- 
gabe begnügen kann. Dieselbe macht aber keineswegs Anspruch 
auf Vollständigkeit; die hier in Betracht kommenden Arbeiten, 
besonders der Kliniker und pathologischen Anatomen sind so zahl- 
reich, dass ich auf das Literaturverzeichniss hinweisen muss, 
welches Roux seit 1887 unter der Bezeichnung „Entwickelungs- 
mechanik* im Jahresbericht von Hermann und Schwalbe ver- 
öffentlich. Ich möchte nur denjenigen Fachgenossen, deren Ar- 
beitsfeld auf einem anderen Gebiete liegt, einen Einblick in diese 
Bestrebungen ermöglichen. | 

Als Pflüger!) in seinem „allgemeinen Prineip der Selbst- 
steuerung der lebendigen Natur“ eine neue Erklärung des Zweck- 
mässigen in der organischen Welt gab, wies er auch auf die Be- 
deutung der Function für die zweckmässige Gestaltung der Or- 
gane hin. Er erkannte in der Ursache des Bedürfnisses nach 
einer gesteigerten Function zugleich die Ursache der Befriedigung 
dieses Bedürfnisses durch Hypertrophie des Organs, beziehungs- 
weise durch eompensatorische Hypertrophie. 

Roux ?) war der erste, der das Lamarck’sche Prineip kurz 
und treffend als „funetionelle Anpassung“ bezeichnete. In einer 
ausführlichen Untersuchung °) stellte er die Wirkung derselben 
auf die äussere Form und Qualität (Leistungsfähigkeit), sowie die 
innere Gestalt (Structur) der Organe fest und fand die Erklärung 
für diese Wirkung wesentlich in einer Activitätshypertrophie und 
Inactivitätsatrophie, die durch den Kampf der Theile im Organis- 
mus, beziehungsweise durch functionelle Reize bedingt werden. 
Auf diese Weise ist es möglich, dass das Zweckmässige direct 
dem Willen des Individumus oder dem Bedürfniss entsprechend 
ausgebildet wird, ohne dass der Umweg einer „Auslese“ dabei 
nöthig wäre. 

Roux hat in einer Anzahl von Speeialarbeiten *) die Wir- 


1) Pflüger’s Archiv 29. Bd., pag.28. In der eigentlichen Ar- 
beit (Pflüger’s Archiv 15. Bd.: „Die teleologische Mechanik der leben- 
digen Natur“) war das Prineip „teleologische Mechanik“ genannt. 

2) Roux,a.a. O. pag. 14 und 15, und „Der Kampf der Theile 
im Organismus“ pag. 6. 

3) Roux, Der Kampf der Theile im Organismus. Leipzig, 1881. 

4) W. Roux, a) Ueber die Verzweigung der Blutgefässe. Je- 
naische Zeitschrift für M. u. Naturw. 12.Bd. — b) Ueber die Bedeu- 


394 ’ D.-Barfurth, 


kung des Prineips an einzelnen Organen (Gefässe, Schwanzflosse 
des Delphins, Skeletmuskeln, Kniegelenksanchylose) dargethan. 

Dasselbe geschah von Strasser!) an der quergestreiften 
Muskulatur, von Hans Stahel?) an Arterien. 

Fraisse 3) wies darauf hin, dass bei der Regeneration gan- 
zer Körpertheile eine funetionelle Anpassung als beständig corri- 
sirendes Prineip wirksam sei. 

Fr. Eilh. Schulze) führte die theilweise Umwandlung 
der ursprünglichen Epithelzellen embryonaler Lungen in grosse, 
helle, strueturlose Platten auf den Druck der sich erhebenden 
Capillaren und die Spannung der sich ausdehnenden Alveolen 
zurück. | | 

John Berry Haycraft und E. W. Carlier’) beobachte- 
ten die Verwandlung von Flimmerepithel im mehrschichtiges Plat- 
tenepithel in der Trachea der Katze und erklären dieselbe aus 
der Reibung der Ringknorpel während der Contraetion des hintern 
M. trachealis. 

Reinhold Altmann) behandelte die Inactiyiesiägtronhie 
dder weiblichen Brustdrüse. 


tung der Ablenkung des Arterienstammes bei der Astabgabe. Ebenda, 
Bd. 13. — ec) Beiträge zur Morphologie der funetionellen Anpassung; 
No. I. Arch. f. Anat. u. Physiol., anat. Abth. 1883; No.IHl. Jenaische 
Zeitschrift f. Med. u. Naturw., 16. Bd., 1883; Nr. IIL Archiv f. Anat. u. 
Physiol., anat. Abth. 1885. 

1) Strasser, Zur Kenntniss der functionellen Anpassung der 
quergestreiften Muskeln. Stuttgart, 1883. 

2) Hans Stahel, Ueber Arterienspindeln und über die Be- 
ziehung der Wanddicke der Arterien zum Blutdruck, I. u. H. Abhand- 
lung in: Archiv für Anatomie und Physiol, anat. Abtheilg. pag. 45 ff. 
und pag. 307 ff. | 

3) Fraisse, Die Regeneration von Geweben und Organen bei 
den Wirbelthieren, besonders Amphibien und Reptilien. Cassel und 
Berlin, 1885. 

4) Fr. Eilh. Schulze, Die Lungen. Stricker’s Handbuch 
der Lehre von den Geweben. Leipzig 18711. Vgl. auch: N. J. de la 
Croix, Die Entwickelung des Lungenepithels beim menschlichen Foetus 
und der Einfluss der Athmung auf dasselbe. Dieses Archiv Bd. 22, 
pag. 3 ff. 

5) John Berry Haycraft u. E. W. Carlier, Ueber die Ver- 
wandlung von Wimper- oder Flimmerepithel in mehrschichtiges a 
epithel. Centralblatt für Physiol. 1889, pag. 221 ft. 

6) Reinhold Altmann, Ueber die Inactivitätsatrophie der 
weiblichen Brustdrüse. Virchow’s Archiv Bd. 111. 


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. 
Versuche zur functionellen Anpassung. 395 


R. Thoma!) machte die Bindegewebsneubildung in der 
Arterienintima von den mechanischen Bedingungen des Blut- 
umlaufs abhängig. 

| R. Fiek?) stellte im Anschluss an die grundlegenden Unter- 
‚suchungen von L. Fiek und Henke über den Einftuss der Mus- 
kelfunetion auf die Form der Gelenke neuerdings Versuche an 
‘über den Einfluss der Muskelansätze auf die Gelenkform und 
kam zu dem Ergebniss, „dass dasjenige Gelenkende, bei wel- 
“chem die Muskeln nahe am Gelenk ansetzen, zur Pfanne, das- 
jenige, an dem sie entfernt angreifen, zum Kopf wird“ (p. 401). 
Ferner sprechen sich mehr gelegentlich zu Gunsten unseres 
Prineips aus: Kölliker°), Eimer*), Claus), Kleinenberg®), 
BWasnerd), Gegenbaur®), O. Hertwig?’, Kölliker °’®), 
ER. Merkel!!), Wiedersheim '?), Götte '?). 


1) R. Thoma, Ueber die Abhängigkeit der Bindegewebsneu- 
bildung in der Arterienintima von den mechanischen Bedingungen 
des Blutumlaufs. - I.—VI. Mittheilung. Virchow’s Archiv Bd. 93, 95, 
104, 105, 106. 

2) Rudolf Fick, Ueber die Form der Gelenkflächen. Archiv 
für Anatomie und Entwickelungsgeschichte, anatomische Abth. 1890, 
'pag. 391 ff. | 
3) Kölliker, Die Aufgaben der anatomischen Institute. Ver- 
‚handlungen der physik.-med. Gesellschaft zu Würzburg. 1884, pag. 93. 
4) Eimer, Die Entstehung der Arten auf Grund vom. Vererben 

erworbener Eigenschaften nach den Gesetzen organischen Wachsens. 
Jena 1888, pag. 165 ff. 
£ 5) Claus, Ueber die Werthschätzung der natürlichen Zucht- 
wahl als Erklärungsprincip. Wien 1888. 

6) Kleinenberg, Die Entstehung des Annelids aus der Larve 
von Lopadorhynchus. Zeitschrift für wiss. Zool. Bd. 44, pag. 6 ff. 
| 7) Moriz Wagner, Die Entstehung der Arten durch räumliche 
-Sonderung. Gesammelte Aufsätze von M. Wagner. Herausgegeben 
von Dr. med. Moriz Wagner. Basel 1889, pag. 472, 483. 

8) Gegenbaur, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 3. Aufl. 
1888, pag. 294 ff., pag. 308, pag. 992. 
| 9) OÖ. Hertwig, Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte des Men- 

schen und der Wirbelthiere. 3. Aufl. 1890, pag. 132, pag. 496 u. 497. 
10) Fr. Merkel, Handbuch der topographischen Anatomie I. Bd. 
Braunschweig, 1885—90, pag. 39, pag. 217. 

11) Kölliker, Entwickelungsgeschichte, 2. Aufl. 1879, pag. 493. 

12) Wiedersheim, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der 
"Wirbelthiere. Jena 1886, pag. 232 (2. Aufl.). 
13) Götte, Die Entwickelungsgeschichte der Unke. Leipzig, 
1875, pag. 407. 


396 D. BAaTTurshe E 


Wesentlich im Anschluss an die vortrefflichen Untersuchungen 
von Fraisse möchte ich im Nachfolgenden einen kleinen experi- 
mentellen Beitrag zum Nachweis der functionellen Anpassung 
bei der Bildung und Gestaltung der Organe liefern. 


Versuche. 


Als Objeete für meine Versuche dienten mir mehrere ein- 
heimische Amphibien und ihre Larven; von Anuren Rana fusca, 
R. esculenta und Bufo vulgaris; von Urodelen besonders Triton 
eristatus, T. taeniatus und Salamandra maculosa. Die Larven 
sämmtlicher angeführten Species eignen sich durchweg besser für 
solche Versuche als die erwachsenen Thiere. Da die Thiere sich 
in Wasser von höherer Temperatur zu bald verwandeln und da- 
durch die Dauer des Versuchs in unliebsamer Weise abkürzen, 
so habe ich sie meist in kühleren Räumen gehalten, so dass die 
Temperatur des Wassers in der Regel 17°C. nicht überstieg. 
Als Behälter dienten mir von la Valette’sche Fischbruttröge aus 
Porcellan, die ich früher!) beschrieben habe. Für Wasserwechsel 
und gleichmässige Temperatur wurde in der früher angegebenen 
Weise gesorgt. 

Die Schnelligkeit der Regeneration ist durchaus abhängig 
von der Temperatur 2). Bei 10°C. hört sie fast ganz auf, bei 
28° verläuft sie sehr schnell. Die Vernarbung lässt man nach 
meiner Erfahrung am besten bei niedriger Temperatur (10—15° C) 
geschehen. Als ich einmal eine grosse Zahl von amputirten 
Krötenlarven direet in Wasser von ec. 28°C brachte, ging nach 
und nach die ganze Schaar zu Grunde, wahrscheinlich, weil das 
warme Wasser die Blutung zu lange unterhielt. Ich habe des- 
halb später die Thiere immer erst m kühlerem Wasser gehalten, 
bis die Vernarbung (in 1—2 Tagen) fertig war; darauf brachte 
ich sie in wärmeres Wasser, um die Regeneration etwas zu be- 
schleunigen. Die Ernährung hat keinen wesentlichen Einfluss 


1) Dieses Archiv 29.-Bd., pag. 2. 

2) Das haben schon Spallanzani und Leydig beobachtet. 
Fraisse (pag. 153) beobachtete bei 15—18° C. eine schnellere Regene- 
ration, bei 20°C. sank die Reproduktionsfäkigkeit. und die Thiere 
gingen meist bald zu Grunde. Ich habe Tritonenlarven in mit Wasser- 
pflanzen versehenen Aquarien bei 26° C. wochenlang gehalten. Die 
Regeneration erfolgt entsprechend schneller. 


BE EN 


Versuche zur functionellen Anpassung. 397 


auf die Regeneration; hungernde Thiere regeneriren gerade so gut 
wie gefütterte. f 

Ich theile nun zunächst das Ergebniss einer Anzahl von 
Vorversuchen mit, die mir die Grundlage für die eigentlichen 
Versuche lieferten. | 

Einer grösseren Anzahl Larven der Rana fusca hatte ich 
im April die Schwanzspitze etwa im letzten Drittel mit scharfer 
Scheere amputirt, um Regenerationsstudien vorzunehmen. Auf 
die Riehtung des Schnittes hatte ich dabei nicht geachtet. Nach 
etwa 14 Tagen fand ich, dass alle diese Thiere die Schwanz- 
spitze zum grössten Theil regenerirt hatten. Das Regenerations- 
stück war aber vielfach nicht gerade, sondern schief angewachsen, 
und es fand sich bei näherer Besichtigung, dass die Ursache da- 
von in der Richtung des Schnittes zu suchen sei. 

Um darüber Klarheit zu erlangen, stellte ich die weiteren 
Versuche in folgender Weise an. Eine grössere Zahl — ge- 
wöhnlich 455—60 — Froschlarven theilte ich in drei Gruppen. 
Der ersten Gruppe wurde die Schwanzspitze ganz gerade ab- 
geschnitten, also so, dass die Schnittebene senkrecht auf der 
Längsachse des Schwanzes stand; der zweiten Gruppe wurde das 
Schwanzende schief nach oben, der dritten schief nach 
unten zu abgeschnitten, so dass also in den beiden letzten Fällen 
die Schnittebene mit der Längsachse des Schwanzes einen nach 
oben oder unten spitzen Winkel bildete (Taf. XXI, Fig. 14—16). 
Diese Versuche wurden mehrfach an Kröten- und auch Tritonen- 
larven wiederholt und hatten immer folgendes Ergebniss: 

Liegt die Schnittebene senkrecht zur Längsachse ‘des 
Schwanzes, so erfolgt die Regeneration genau in der Rich- 
tung derselben Achse, fällt die Schnittebene schief nach oben 
oder unten, so steht auch die Achse des Regenerationsstückes 
schief nach oben oder unten. Immer also steht die Achse 
des Regenerationsstückes senkrecht auf der Schnitt- 
ebene. 

Wie sicher diese Regel ist, konnte ich am erwachsenen 
Triton taeniatus darthun. Fiel der Schnitt nach einer der oben 
bezeichneten Richtungen , so erfolgte auch die Regeneration 
in der beschriebenen Weise (Taf. XXI, Fig. 13). Und legte ich 
den Schnitt sehief seitwärts an, so wuchs auch das 
Regenerationsstück schief nach der Seite heraus. 


398 D. Barfurth: 


Hieraus ergab sich also, dass die Regeneration an sich 
ganz mechanisch so vor sich &eht, als ob auf der. Schnittfläche 
ein Baustein auf den andern gelegt würde. Ich hebe dies beson- 
ders hervor, weil es die Grundlage für die folgenden Erörterungen 
und Versuche ist. 

Beobachtet man so operirte Thiere 3—4 Wochen lang, so 
bemerkt man, dass sich das schief gewachsene Regene- 
rationsstück allmählich zu strecken beginnt, so dass 
also der Winkel, den seine Längsachse mit der des Schwanzes 
bildet, sich immer mehr dem normalen Winkel von 180° nähert. 
Dabei muss betont werden, dass es sich hier vorzugsweise um 
das starke Mittelstück des Schwanzes handelt, welches alle 
wesentlichen Organe: Chorda dorsalis, Rückenmark, Muskulatur 
und die grossen Gefässe enthält. Diese Streckung ist keine 
Folge der Regeneration an sich, die lediglich in der oben her- 
vorgehobenen Weise erfolgt, sondern sie ist vorzugsweise eine 
Wirkung der Schwerkraft und der Schwimmfunetion 
des Schwanzes, also der funetionellen Anpassung. Die 
Wirkung der letzteren lehren die nachfolgend mitgetheilten Ver- 
suche. Bei diesen habe ich entsprechend grosse, schief oben 
oder unten amputirte Thiere in zwei Gruppen getheilt, die eine 
Gruppe (Schwimmer) in tiefes Wasser gesetzt, die andere (Nicht- 
schwimmer) in sehr seichtes.. Die Brutapparate wurden mit 
Wasserpflanzen versehen, die im seichten Wasser das Schwimmen 
fast ganz verhinderten, im tiefen nicht. Auf diese Weise wurde 
bei den Niehtschwimmern die Function auf ein Minimum be- 
schränkt, wenn auch nicht ganz aufgehoben. Die ersten Ver- 
suche, deren Ergebniss im Uebrigen ganz mit den späteren über- 
einstimmte, theile ich desshalb nicht mit, weil sie nicht ganz 
einwandfrei waren. Ich hatte nämlich zwar den Nichtschwim- 
mern dasselbe Futter (Froschfleisch) verabreicht, wie den Schwim- 
mern, glaubte aber zu bemerken, dass dieselben in dem seichten 
Wasser schlechter an das Futter heran könnten und weniger 
frässen als die Schwimmer. Um deshalb die Versuchsbedingungen 
ganz gleich zu machen, legte ich bei den späteren Versuchen 
in gewissen Zeiträumen für beide Partien einen Futtertag ein, 
an welchem auch die Nichtschwimmer in tiefes Wasser 
kamen. Nachher wurde dann aus beiden Behältern das Futter 
wieder entfernt. 


Versuche zur functionellen Anpassung. 399 


Da die Versuche ganz gleichmässig verliefen und während 
ihrer Dauer wenig Bemerkenswerthes geschah, so begnüge ich 
mich damit, ein Versuchsprotokoll ausführlich mitzutheilen und 
bringe von den übrigen nur das Ergebniss. 

Zu Versuch I wurden 48 im Institut gezüchtete Larven 
der Rana fusca verwandt, in zwei Partien getheilt und von die- 
sen je 12 schief oben, 12 schief unten amputirt. Von den 
Schwimmern starben bald nach der Operation 6 Thiere, von den 
‚Niehtehwimmern 2. 

| Versuch I. 


Da- Schwimmer Niehtschwimmer 


tum: 


Temp.) ° Bemerkung Temp.| Bemerkung 


— 27./5. | 18,90 | Liegen meist still, so dassj 19,02, Wie bei denSchwimmern. 
der Schwanz flach auf | 5 
auf dem Boden liegt. — | 
Die schiefstehendeSpitze 
krümmt sich nach der 
Mitte zu. 

28./5. | 18,50 S. nebenan. 18,55 | Beginnende Vernarbung: 

Schwärzlicher Rand an 
der Schnittfläche. 

29./5. | 19,00 | Schwarzer Vernarbungs-| 19,02 | S. nebenan. Liegen mehr 


rand. auf der Seite, als die’ 
| Schwimmer. 
30./5. | 19,78 | Futtertag. 19,78 | Futtertag. 
31./5. | 19,25 en 19,10 ||) Der schwarze Saum 
e1./6.1 19,72 ? Aa 19,12 fängt an den ganzen 
Stummel zu über- 
ziehen. 
2./6.| 20,72 Die Seitenplatten ragen] 20,60 | S. nebenan. Liegen mehr 
1—2mm über das Mit- auf der Seite, als die 
h’ telstück hervor. Schwimmer. 
 3./6. | 20,80 | Futtertag. 21,00  Futtertag. 


— 4./6.| 19,72 | Schwanzende fängt an| 19,50 |S. nebenan. 
E- sich abzurunden. 
5./6.1 20,10 | Länge desRegenerations-| 20,10 | Das Mittelstück wächst 
stückes 2,5—3mm. Mit- schief nach oben oder 
telstück wie nebenan. unten. 
6./6.} 21,90 | Ein Thier verwandelt. 22,00 Schwanzende bei den 
meisten stumpf. 

1./6. | 22,62 | Futtertag. 22,78 | Futtertag. 
- 8./6.| 22,70 Nur bei 2 Thieren ist| 22,64 
das Schwanzende noch 
ungleich, sonst überall 


zugespitzt. 
19 21.82 
23,12 23,14 
22,98  Futtertag. 22,90 | Futtertag. 
21,40 21,20 
23,84 | Ende des Versuchs. 23,92 | Ende des Versuchs. 


 Temperatur-Mittel = 20,600 C. | 20,61°C. 


400 D.Barfurth« 


Am Ende des Versuches wurden sämmtliche Thiere in 
Flemming’scher Mischung abgetödtet und dann bei Schwim- 
mern und Nichtschwimmern der Winkel, den die Längsachse des 
Schwanzstumpfes mit der des Regenerationsstückes (Streckungs- 
winkel) bildet, gemessen. Dazu muss bemerkt werden, dass diese 
Messungen natürlich nicht mathematisch genau werden können. 
Fehler bis zu mehreren Graden sind selbstverständlich. Da man 
aber nur vergleicht und bei einer grossen Zahl von Messungen 
die Fehler sich ausgleichen, so ist das Ergebniss trotzdem wissen- 
schaftlich brauchbar. Auch sind die Unterschiede so gross, dass 
es auf kleine Messungsfehler wahrlich nicht ankommt. 

Das Ergebniss des ersten Versuches war folgendes: 


A. Schwimmer: 
13 Thiere mit Streckungswinkel 1800 (7 schief oben, 6 schief unten), 


B) ” ” „ 1 76 8 (2 „ ” 1 Ze} b)) ); 
1 „ b)) ” 162 . (0 ” ” 1 „ ” } 
1 „. verwandelt. 


B. Nichtschyinne 
10 Thiere mit Streckungswinkel 1800 (6 schief oben, 4 schief unten), 


8 „ )) „ 155° (4 )) „ 4 ” $)) In 
A „ „ b3) 1320 (2 b) b) 2 b) „ ). 


Versuch LI. 


64 Rana fusca, im Institut gezüchtet. Im die Versuchs- 
behälter je 16 schief oben und 16 schief unten amputirte Thiere 
eingesetzt. Dauer des Versuches vom 23./6. bis 28./7. Tem- 
peratur im Mittel 18,65°C. Es starben 10 Thiere. Ergebniss: 


A. Sehwimmer: 


Bei 9 Thieren Streekungswinkel 180° (7 schief oben, 2 schief unten), 
2) 10 » „ 165° 6) 2) ” ) 0) » ); 
» 2) » „ 150° (0 ) » B) ” ” ). 

B. Nichtschwimmer: 
Bei 12 Thieren Streckungswinkel 162° (5 oben, 7 unten), 
„ 12 ” ”„ 136° (7 b)] 5 ” ), 
” 6 „ ”„ 114° (4 „ 2 ” ). 


Versuch Il. 


40 Rana exceulenta. Grosse kräftige Thiere aus einem 
Tümpel im Freien. Je 10 schief oben und unten amputirt. 23./6. 
bis 16./8. Temperatur 18° C. Sehwanzenden ganz regenerirt 


mit Seitenplatten und Mittelstüick; nur bei wenigen noch eine 
Einkerbung zwischen dem alten Stumpf und dem Regenerations- 


ne ze oz 


Versuche zur functionellen Anpassung. 461 


# stick, was mit der ausserordentlichen Breite der Schwänze dieser 
Species zusammenhängt. Regenerationsstück 10—18 mm lang. 
Ergebniss: 
A. Schwimmer: 
Bei 13 Thieren Streckungswinkel 180° (8 oben, 5 unten), 
b) 2 2) ” 176° (0 » 2 »„ 
„4 z a 15 Kal ER: 
B. Nichtschwimmer: 
Bei 6 Thieren Streekungswinkel 180°.(2 oben, 4 unten), 


» 6 ” ” 163° (8 ” B) r) > 
6,» 5 1. ee we Be 
en » a a a 
TE ME" » A Dr ee! 


Versuch IV. 
48 R. esculenta, gross und kräftig, natürliche Zucht. Je 
12 oben und unten amputirt für beide Behälter. 3 Thiere starben. 
23./6. bis 17./8. Temperatur 18°. Ergebniss: 


A. Schwimmer: 
12 Thiere mit Streckungswinkel von 180° (6 oben, 6 unten), 


7 » ” ” „ 1 74 a (2 ” 5) „ ) 
2 » ” ”„ ”„ 1 70 : (1 ” 1 ” If 
1 er and u 


”„ „ ”„ „ 
B. Niehtschwimmer: 


8 Thiere mit Streckungswinkel 180° (4 oben, 4 unten), 
2. > = ae Br; 2: 
2 RE 5 F 5 u A Se > 
4 NEE | u)‘ 


” » ” 


Versuch V. 

Ein im Beginn meiner Untersuchung angestellter Versuch 
mag noch mitgetheilt werden, weil er gewissermaassen als Con- 
trolversuch gilt. 

80 Rana fusca künstlicher Zucht wurden in zwei Partien 
getheilt, je 20 schief oben und unten amputirt und dann in zwei 
Brutgefässe, die beide viel Wasser enthielten, gesetzt. Be- 
ginn 27./5. Am 14./6., also nach 18 Tagen, ist ein Unterschied 
in der Grösse des Streckungswinkels bei beiden Partien nicht zu 
bemerken. Derselbe war bei einer grösseren Anzahl von Thieren 
noch stumpf. Von diesen wurden je 10 Thiere aus jedem Be- 
hälter ausgewählt und nun die ersten 10 in tiefes, die anderen 
10 in seichtes Wasser gebracht. Nach 7 Tagen wurde der Ver- 
such abgebrochen und die Thiere, wie oben beschrieben, unter- 


* 


402 D. Barfurth: 


sucht. Es fand sich kein irgendwie bemerkbarer Unterschied 
zwischen beiden Gruppen. . Das negative Resultat dieses Ver- 
suches lehrt, dass eine so kurze Zeit (7 Tage) nicht aus- 
reicht, um die Wirkung der Function deutlich zu 
machen und — beim Vergleich mit den übrigen Versuchen —, i 
dass die Streekung. mit der Regeneration gleichen” 
Schritt hält, in der Weise, dass die Funetion ganz langsam 4 
auf alle neugebildeten Zelleomplexe einwirkt. 

Ich stelle nun zunächst das Gesammtresultat fest. 


Gesammt-Ergebniss der Versuche. 


A.Schwimmer B. Niehtschwimmer 
schief schief schief schief 
oben unten oben unten 
Kersnchle on & „ 5 Streckungs- |_ Sp 5 iR en. 3 | Streckungs- & 
T = 3_® = => winkel— 2Rl= Bu ® = Sl ® winkel = 2R2 
äesrlä|lea” desrde2gr 
I Fr a E > E 
1 91 179 0 | 8| 1779 13 12| 164 0 110) 160 0 10 
71. 1217720212 7161°%: 9 14| 132 0 16) 142 0 0 
- BI 103779491769 13 12] 146 9 | 8} 168 9 6 
IV 110! 176 0 |12|.177 0 12 10] 173 0 || 9| 163 © 8 
Summa J41|176 ® 41] 1720| 47 48! 152 0143| 155 © 24 


Bei 82 Schwimmern betrug also der [Bei 91 Nichtschwimmern betrug 
mittlere Streckungswinkel 174°, also der mittlere Streckungs- 
winkel 153°. | 

Dieses Ergebniss ist deutlich genug. Unter den Schwim- 
mern fanden sich doppelt so viel Thiere (47) mit ganz gerader 
Sehwanzspitze (L=2R), als unter den Nichtschwimmern (24). 
Bei ersteren betrug der Streckungswinkel im Mittel 174°, bei 
letzteren nur 153°; die Funetion hat also eine grössere 
Streekung von 21° zu Stande gebracht. | 
Sieht man sich das Gesammt-Ergebniss genauer an, so wird 

man sich sogleich die Frage vorlegen: Welche Kraft oder welche 
Kräfte wirken denn aber noch ausser der Function, da ja doch & 
auch bei den Niehtschwimmern eine Streckung er- 
folgt? In der That ist die Funetion nieht die einzige wirk- 
same Kraft. Es bedarf keines Beweises, dass die Schwer- 
kraft ebenfalls beständig und erheblich mitwirkt, und es bleibt 


a 


Versuche zur functionellen Anpassung. 403 


ein grosses Verdienst Pflüger's!), dass er neuerdings die Auf- 


merksamkeit der Morphologen auf die Einwirkung der Schwer- 


- kraft bei Entwickelungsvorgängen gelenkt hat. 


Ob man aber berechtigt ist, den ganzen Rest der Streckung 
auf Rechnung der Schwerkraft zu setzen, muss ich in Zweifel 


ziehen. Ich habe bei der Beschreibung des ersten Versuches 


hervorgehoben, dass die Nichtschwimmer sehr viel mehr seit- 


lich flach auf dem Boden liegen, als die Schwimmer, wie das 


seichte Wasser es bedingt. Es ist klar, dass in dieser Lage die 
Schwerkraft nicht streckend wirken kann. Trotzdem aber wird 
bei einer grossen Zahl von Thieren (24) der Schwanz wieder 
vollkommen gerade. Ich schliesse daraus, dass ausser der Func- 
tion und der Schwerkraft noch andere Kräfte an der stillen Ar- 
beit der Streckung sich betheiligen. Diese Kräfte müssen wir 
ohne Zweifel im Organismus selber suchen. 

Man mag hier die Herzaction zur Erklärung heranziehen. 
Die unter der Chorda gerade verlaufende Schwanzarterie führt 


den Blutstrom in direetem Stoss auf den regenerirten Theil der 
“Arterie und könnte an demselben von vornherein eine Streckung 


erzwingen. Thatsächlich aber sehen wir, dass die regenerirte 


"A. eaudalis mit dem Mittelstück zuerst schief wächst und sich 


nachher erst‘ wieder im Verband mit dem Mittelstück gerade 
richtet. Eine irgendwie erhebliche Einwirkung des Blutstromes 
darf daher wohl nicht angenommen werden. Wäs aber machen 
wir mit dem ungelösten Rest unseres Problems ? 

Wie wohl alle Forscher ?) der neueren Zeit, die solchen 


1) Pflüger, Ueber den Einfluss der Schwerkraft auf die Thei- 
lung der Zellen und auf die Entwickelung des Embryo. Pflüger’s 
Archiv 32. Bd. I. Mittheilung. Bd. 32, Il.; Bd. 34, III. Mittheilung. 

2) Pflüger, Die teleologische Mechanik der lebendigen Natur. 
Archiv für die gesammte Physiologie Bd. 15, pag. 57 ff. — W. Roux, 
Der Kampf der Theile im Organismus. (Besonders pag. 226 ff.) — Der- 
selbe, Die Entwickelungsmechanik der Organismen, eine anatomische 
Wissenschaft der Zukunft. Festrede, gehalten in Innsbruck 1889. 
Wien, 1890. In letzterer Schrift gibt Roux eine Zusammenstellung 
von neuerdings gefundenen „regulatorischen Thatsachen bei atypi- 
schen Vorgängen, welche bei gehöriger Würdigung auf ein viel inni- 
geres Zusammenwirken der Theile zum Ganzen und auf eine grössere 
Abhängigkeit der Theile vom Ganzen hindeuten“ (pag. 17 ff.). Dahin 
gehören die Regenerationserscheinungen, die von Koux entdeckte 
„Postgeneration“, die eigenartige Regeneration durch Umlagerung von 


404 D. Barfurth: 


Fragen nachgespürt haben, komme ich zu der Ueberzeugung, 
dass der Organismus gewisse regulatorische Fähigkeiten 
besitzt, vermöge welcher Störungen des normalen Zustandes bald 
wieder ausgeglichen werden. In dem von mir untersuchten Falle 
kommt ganz gewiss auch diese Fähigkeit des Organismus zur 
Geltung. Die sich regenerirenden Zellen der einzelnen Gewebe 
repräsentiren gewissermassen untergeordnete Organe: sie 
häufen mechanisch eine Zelle auf die andere und bringen durch 
diese Arbeit das schiefgewachsene Regenerationsstück des Schwan- 
zes zu Stande. Der Organismus als solcher vertritt nun hierbei 
die Oberleitung, indem er die Gewebstheile allmählich in die- 
jenige Lage !) bringt, die der Funktion des Organs und damit 
Zellen bei Hydra (Trembley und Nussbäum), die Eneystirung und 
Panzerbildung der Englypha alveolata bei Gefahr des Eintrocknens 
(Gruber, Blochmann, Schewiakoff) und die höchst interessanten 
Beobachtungen von Ribbert und seinen Schülern, dass nach Entfer- 
nung noch nieht fungirender Organe bei Säugethieren, z.B. 
eines jugendlichen Hodens, Eierstocks ete. die anderen gleichen Or- 
gane compensatorisch grösser werden. 


1) Man vergleiche die wichtigen Versuche von Nussbaum an 


Hydra, die sich auf die „Orientirung der Zellen und ihrer kleinsten 


Theile“ beziehen. „Was sich in den Plan des Ganzen gelegentlich des 


störenden äusseren Eingriffs nicht fügen will, wird resorbirt und durch 
Neubildung ersetzt. Es kann nicht dem Zufall überlassen sein, dass 
am vorderen Ende des kopflosen Polypen die Tentakel mit dem Mund- 
ring wieder wachsen, dass an der Stelle des abgeschnittenen Fusses 
sich wiederum neue Drüsenzellen bilden; dieses muss in der Orienti- 
rung der Zellen im Raume begründet sein.“ M. Nussbaum, Ueber 
die Theilbarkeit der lebendigen Materie. II. Mittheilung. Beiträge 
zur Naturgeschichte des Genus Hydra. Archiv für mikr. Anatomie 
Bd. 29, pag. 265 f. (pag. 346). Die Regenerationen und Umlagerungen 
von Zellcomplexen bei Hydra mit vollständiger Wiederherstellung 
eines normalen Thieres erscheinen um so wunderbarer, als sogar Theil- 
stücke eines Leibesringes neue vollständige Organismen bilden 
(Nussbaum, page. 325 ff.), der Begriff des „Individuums“ hier also 
verloren geht. Dass aber bei manchen Thieren auch äussere Um- 
stände die Organbildung beherrschen können und zwar in der 


Weise, „dass wir an der Stelle eines weggeschnittenen Organs ein der 


Form und den Lebenserscheinungen nach von dem abgeschnittenen 


verschiedenes Organ wachsen lassen können“, berichtet in einer so- 


eben erschienenen Schrift J. Loeb: er nennt diese bei Hydroidpolypen 
beobachteten Vorgänge Heteromorphose. J. Loeb, Untersuchungen 


zur physiologischen Morphologie der Thiere. I. Ueber Heteromor- 


phose. Würzburg, 1891. 


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drin 
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Versuche zur functionellen Anpassung. 405 


der Wohlfahrt des ganzen Individnums am förderlichsten ist. Dass 
dabei das Centralnervensystem eine Rolle spielt, erscheint mir 
sicher, wäre aber durch weitere Versuche zu beweisen. Denkbar 
wäre eine streckende Wirkung durch die blosse stets gleichartig 
arbeitende Innervation der quergestreiften Stammesmuskulatur, 
auch wenn es dabei nicht zur Ausübung der Function kommt; 
das wäre also eine versteckte functionelle Anpassung. 

Auch Roux!) schreibt der Innervation an sich einen gros- 
sen Einfluss zu. Nach ihm hängt von der Reizcentralisation 
des ganzen Individuums im Gehirn die für das Ganze zweck- 
mässige Ausbildung der Theile ab. „Die vom Gehirn ausgehen- 
den Willensimpulse gehen durch die Ganglienzellenlager und die 
Nerven zu den Muskeln und beeinflussen damit, neben der Aus- 
bildung dieser Theile, zugleich auch die ihrer Stützorgane, der 
Neuroglia (des Nervenkitts), der Sehnen, Knochen, Knorpel, 
Bänder und Faseien in quantitativer Weise.“ 


Zusammenfassung. 


1. Die abgeschnittene Schwanzspitze unserer einheimischen Am- 
phibien und ihrer Larven wird vollständig regenerirt. 

2. Für die Wundheilung und Vernarbung ist eine niedrigere 
Temperatur günstiger, als eine höhere. Die Regeneration 
selber erfolgt um so schneller, je höher die Temperatur ist. 

3. Die Regeneration geschieht mechanisch in der Weise, dass 
sich die Achse des Regenerationsstückes senkrecht auf die 
Schnittebene stellt, also gerade, schief oben oder schief 
unten. 

4. Die schief regenerirte Schwanzspitze wird im Verlauf des 
Wachsthums gestreckt. 

5. Streckend wirkt zunächst die Schwimmfunetion des Schwan- 
zes; sie erzielt durch funetionelle Anpassung eine bedeu- 
tend stärkere und schnellere Streckung. 

6. Streckend wirkt ferner die Schwerkraft. 

1. Ausser den mechanischen Kräften der Function und der Gra- 
vitation muss eine ordnende Einwirkung des Organismus selber 
angenommen werden. 


i) Roux, Der Kampf der Theile ete. pag. 208. 


Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 37 2 


406 D. Barfurth: 


(Aus dem vergleichend-anatomischen Institut zu Dorpat.) 


Zur Regeneration der Gewebe. 


Von 
D. Barfurth. 


Hierzu Tafel XXII-XIV. 


Im vorhergehenden Aufsatz habe ich darauf hingewiesen, 
dass sich die amputirte Schwanzspitze unserer einheimischen Am 
phibien und ihrer Larven vollständig regenerirtt. Da diese Rege- 
neration sich auf sämmtliche Gewebe erstreckt, so hat man in 
einem verhältnissmässig kleinen Objeet alle Gewebsarten vertreten, 
und deshalb eignet sich diese regenerirte Schwanzspitze ausge- 
zeichnet zu Regenerationsstudien. a, 

Es ist nun nicht meine Absicht, diese Regeneration aus- 
führlich zu schildern, da das in vortrefflicher Weise ganz vor 
Kurzem von Fraisse!) geschehen ist. Ich habe mich über- 
zeugt, dass Fraisse’s Angaben in den wesentlichen Punkten 
richtig sind?) und stimme vor allen Dingen auch in dem Haupt- 
ergebniss mit ihm überein, dass die Regenerationen durch- 
weg vom alten Gewebe aus erfolgen. 


Wenn ich nun trotzdem in aller Kürze meine Beobaehtungen 


mittheile, so geschieht das hauptsächlich, um den Gesichtspunkt 
zur Geltung zu bringen, dass bei der zeitlichen Aufeinander- 
folge der Gewebsregenerationen im Grossen und Gan- 
zen ebenso die erste Entwickelung wiederholt wird, 
wie es beim Modus der Regeneration geschieht. 

Da die einschlägige Literatur von Fraisse nahezu er- 


1) Fraisse, Die Regeneration von Geweben und Organen bei 
den Wirbelthieren. Cassel und Berlin 1885. : 
2) Meine abweichende Auffassung einiger Fragen werde ich 
weiter unten am geeigneten Ort zur Sprache bringen. 


schöpfend mitgetheilt worden ist, so kann ich mich darauf be- 
schränken, einzelne Schriften da zu eitiren, wo es meine Dar- 
stellung nöthig macht; besonders werden dabei die seit dem 
Erscheinen des Fraisse’schen Werkes (1885) veröffentlichten 
Untersuchungen zu berücksichtigen sein. 

Aus meinen früheren Angaben erhellt, dass die Zeit allein 
für die Regenerationsstadien nieht maassgebend ist, sondern viel- 
mehr die Temperatur. Bei 28° C. wird in vier Tagen so viel 
regenerirt, wie bei 14° C. in 8—10 Tagen. Am sichersten ent- 
scheidet über das Stadium der Regeneration die Länge des 
Regenerationsstücks. Ich habe gewöhnlich die drei An- 
gaben über Zeit, Temperatur und Länge des regenerirten Stückes 
vereinigt. 

Die Regenerationsfähigkeit der Schwanzspitze ist unbe- 
grenzt (Spallanzani): nach wiederholter Amputation wächst sie 
immer wieder; ich habe vom regenerirten Schwanzende noch 

_ wieder dreimal nacheinander die Spitze weggeschnitten und sie 
immer wieder sich regeneriren sehen. 

Die Sehnittgrenze bleibt sehr lange sichibar: selbst wenn 
nach 3—4 Wochen keine Spur von Verjüngung an den regenerirten 
Stück mehr zu sehen ist, hebt sich dasselbe durch seine hellere !) 
Farbe vom alten Schwanzstummel deutlich ab. Für die mikrosko- 
pischen Studien habe ich fast stets gerade amputirte: Thiere 

* genommen, weil bei diesen das Regenerafionsstück wieder ge- 
rade wächst und dadurch die Anfertigung geeigneter ‚Schnitte 
leichter macht. 

Die Untersuchung machte fast stets die Anfertigung von 
Sehnitten, besonders von Schnittreihen, nöthig. Die abge- 
schnittenen Schwanzenden wurden sofort in Flemming’sche 
Chromsäuregemische, selten in Pikrinsäure, Sublimat und abso- 

* luten Alkohol gebracht, entsäuerf, mit Hämatoxylin oder Borax- 
Carmin durchgefärbt, in Paraffıin eingebettet und geschnitten. Es 
wurden Querschnitte, frontale und sagittale Längsschnitte ange- 
fertig. Zum Aufkleben der. Schnitte bediente ich mich nach 
dem Vorgang von Schällibaum eines Gemisches von 2 Theilen 
Nelkenöl und 1 Theil Collodium. Ausgezeichnet schöne Kern- 


Zur Regeneration der Gewebe. 407 


1) Bei den Reptilien ist im Gegensatz dazu der neugebildete 
Schwanzstummel stärker pigmentirt, als der alte Schwanzstumpf. 


408 D. Barfurth: 


färbungen erzielt man beim Färben der Schnitte auf dem Objeet- 
träger mit Hämatoxylin. Zum Sichtbarmachen der Fibrillen 
junger Muskelfasern bediente ich mich öfter mit sehr schönem 
Erfolge des mir von Herrn Professor Dr. Merkel empfohlenen 
Naphthylaminbraun und des Vesuvin. 

In manchen Fällen habe ich auch das dünne Schwanz- 
ende von Rana fusca in toto frisch in Wasser untersucht. Für 
das Studium von Capillaren und jungen Muskelfasern erwies sich 
folgende Methode sehr brauchbar. Die regenerirten Schwanz- 
enden. wurden in*eine Mischung von Wasser (350,0), Alkohol 
(125,0) und Glycerin (25,0) gebracht und blieben längere Zeit 
darin, bis sich die Epidermis leicht entfernen liess. Die Schwanz- 
enden wurden dann leicht mit Hämatoxylin gefärbt und in toto 
in Glycerin oder Canadabalsam untersucht. 

Bei «der Anfertigung von Schnittreihen habe ich nach der 
Fixirung die für die Untersuchung unwesentlichen Seitenplatten 
weggesehnitten und nur das Mittelstück, in dem alle wesentlichen 
Gewebe vertreten sind, benutzt. Vom alten Gewebe des Schwanz- 
stumpfes nahm ich nur 0,5—1,5 mm mit. 

Die Schwanzspitze habe ich öfter unter Wasser abgeschnit- 
ten, ohne das Thier selber weiter zu berühren; gewöhnlich aber 
nahm ich die Larven aus dem Wasser und schnitt dann die 
Schwanzspitze ab. Erstere Methode wählte ich für die aller- 
ersten Stadien der Regeneration, letztere — die bequemere — 
für die vorgeschritteneren. Nimmt man nämlich die Thiere am 
ersten oder zweiten Tage nach der Amputation aus dem Wasser, 
so genügt ein etwas starker Schlag des Schwanzes, um eine Blu- 
tung aus den angeschnittenen und noch nicht genügend ver- 
schlossenen Gefässen hervorzurufen. Bei den grossen wilden 
Larven von Rana esculenta {rat solche Blutung oft noch am 
vierten Tage ein. x 

Um bei meiner Darstellung Wiederholungen vermeiden zu 
können, schildere ich der Reihe nach die Regenerationserschei- 
nungen, wie sie sich an den einzelnen Geweben abspielen. Die 
Reihenfolge, der ich dabei nachgehe, ist keineswegs willkürlich 
gewählt, sondern entspricht der zeitlichen Aufeinanderfolge 
der Regeneration bei den Geweben. Es ergiebt sich dabei die 
eingangs erwähnte Thatsache, dass bei dieser Aufeinander- 
folge die erste Entwiekelung im Allgemeinen wieder- 


BRERREN: Fe 


Zur Regeneration der Gewebe. 409 


holt wird. In Bezug auf den Modus der Regeneration sind 
bekanntlich zahlreiche Beobachter, z. B. Götte!), Bülow?), Car- 
riere®), Nussbaum®), Ribbert?), Podwyssozki°) u.a. zu 
dem Ergebniss gelangt, dass die primäre Entwicekelung wieder- 
holt wird. Auf die etwas abweichende Auffassung Fraisse’s 
komme ich später zurück. Ich selber muss diesen Satz eben- 
falls etwas modifieiren, da bei dieser Wiederholung nicht immer 
nur einfach die primäre, sondern je nach dem Alter des Ver- 
suchsthieres auch die postembryonale Entwickelung in Be- 
tracht kommt. | 


1. Epidermis. 


Ich stimme mit Fraisse (l. e. p. 155) und anderen Autoren 
darin überein, dass die ersten Regenerationserscheinungen sich 
an der Epidermis bemerkbar machen. Von keinem Gewebe sind 
nun diese Erscheinungen so oft beschrieben worden, wie von der 
Epidermis und es mag überflüssig erscheinen, die zahllosen Dar- 
stellungen ?) des Vorganges noch um eine weitere zu vermehren. 


1) Götte, Ueber Entwickelung und Regeneration des Glied- 
massenskelets der Molche. Leipzig, 1879. 

2) Bülow, Ueber Theilungs- und Regenerationsvorgänge bei 
Würmern. Archiv für Naturgeschichte. 49. Jahrg. 1883. 

3) Carrie&re, Studien über die Regenerations-Erscheinungen 
bei den Wirbellosen. I. Die Regeneration bei den Pulmonaten. Würz- 
burg, 1880. 

4) Nussbaum, Ueber die Theilbarkeit der lebendigen Ma- 
terie. II. Mittheilung. Beiträge zur Naturgeschichte des Genus Hydra. 
Dieses Archiv Bd. 29, pag. 265 ff. (pag. 327). 

5) Ribbert, Ueber die Regeneration des Schilddrüsengewebes. 
Virchow’s Archiv, 117. Bd. (pag. 157, 158). 

6) Podwyssozki, Experimentelle Untersuchungen über die 
Regeneration der Drüsengewebe. I. In: Ziegler und Nauwerck, 
Beiträge zur pathol. Anatomie und Physiologie, 1. Bd. Jena, 1886, 
pag. 259 ff. (pag. 325). 

7) Eine der besten und bekanntesten ist die von Klebs: Die 
Regeneration des Plattenepithels. Archiv für experiment. Pathologie 
und Pharmakologie, 3. Bd., pag. 125 ff. (pag. 134 ff). Eine kurze Be- 
sprechung der einschlägigen Arbeiten findet man bei Klebs, a.a.0. 
pag.225 ff.; bei Fraisse, a. a. O. pag. 44 ff., bei Flemming [Ueber 
Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. Dieses Arch., 
18. Bd., pag. 347 ff. (pag. 361 ff.)], A. Peters [Ueber die Regenera- 


410 D. Barfurch; 


Trotzdem müssen wir zugeben, dass über sehr wichtige Fragen 
der Epithelregeneration eine Einigung noch nicht erzielt ist. 
Desshalb werde ich meine Beobachtungen in aller Kürze mit- 
theilen und dabei besonders auf strittige Punkte Rücksicht 
nehmen. | 

Einer Anzahl Larven von Rana fusca, 3—4 em lang, am- 
putirte ich mit einer kleinen scharfen Scheere !) die Schwanz- 
spitze, Temperatur 18°. Nach 4 Stunden brachte ich ein Thier, 
in feuchtes Fliesspapier gewickelt, unter: das Mikroskop und unter- 
suchte den Wundrand frisch in Wasser. Nach dem Wundrande 
zu waren die Epithelzellen von aufgelöstem Blutfarbstoff blass 
röthlich gefärbt und ihr Zusammenhang gelockert, so dass die 
Zellgrenzen deutlicher waren als an centralen Stellen. Vielfach 
ragten die Zellen buckelförmig über den Wundrand hervor, die 
Zellkerne waren bei scharfer Einstellung siehtbar. Die Wund- 
fläche selber war bei dieser Methode nicht zu sehen. Drei an- 
dern Exemplaren wurde dann nach 5!/, Stunden ein Stückchen 
des Schwanzes (0,5 em lang) abgeschnitten und sofort in eine 
Fixirungsflüssigkeit 2) gebracht. Sie wurden später mit Borax- 
Carmin oder Hämatoxylin durchgefärbt, in Paraffin eingebettet 
und mikrotomirt. Die Schnittserien zeigten, dass bei allen diesen 
Thieren die Wundfläche schon von einem 2—3schichtigen 
Epithel bedeckt war?). Die Wundfläche war an der breite- 
sten Stelle, dem Mittelstück des Schwanzes, 1 mm breit. Die 
centraleren Partien der Epidermis sind normal und weisen die 
bekannten 2 Schichten auf. Von Interesse ist aber das Verhalten 
der persistirenden Epidermis in der Nähe des Wundrandes. Hier 
ist sie dünner, die keulenförmigen Zellen der unteren Schicht 
sind platter und manchmal findet man nicht mehr zwei Schichten, 


tion des Epithels der Cornea. Dissertation, Bonn, 1885, pag. 6 ff.. Von 
neueren Arbeiten werden im Laufe der Darstellung noch mehrere er- 
wähnt werden. 

1) Nur selten habe ich nach Fraisse’s Angabe (pag. 52) ein 
Rasirmesser benutzt. 

2) Ich verwandte die Flemming’schen Gemische: Osmium- 
chromessigsäure und Chromessigsäure, wässerige Pikrinsäurelösung 
und Sublimat nach Heidenhain. 

3) Fraisse fand, dass bei Siredon nach Verlauf von 5—6 Stun- 
den eine Wunde von 2mm Breite und beliebiger Länge völlig ge- 
schlossen ist (pag. 53). 


* Zur Regeneration der Gewebe. 411 


sondern nur eine einzige. Dieser eigenthümliche Befund wird 
verständlich, wenn man annimmt, dass eine Anzahl von Zellen 
in der Nähe des Wundrandes zur Deckung des Defects !) heran- 
gezogen wurden. Die verschmächtigten Stellen der Epidermis 
in der Nähe des Wundrandes fallen um so mehr auf, als die 
- Epitheldecke der Wundfläche viel dieker (2—3 mal dieker) er- 
scheint. Während an der persistirenden Epidermis der Aussenrand 
fast gerade verläuft, ist der Rand der jungen Epitheldeeke un- 
regelmässig, weil die Köpfe der Epithelzellen noch buckelförmig 
vorragen. Die Zellgrenzen sind meist gut sichtbar, Kerne vor- 
_ handen, meist mit Kernkörperchen versehen. Unter der neuen 

"Epitheldecke liegt über den durchschnittenen Geweben eine theils 
_ homogene, theils mit Körnchen und Schollen durchsetzte Masse 
— das Wundeoagulum. Mitosen sind in der Epitheldecke nicht 
vorhanden 2). Von Rana fusca und R. esculenta habe ich dann 


1) Vgl. dazu: Eberth, Untersuchungen zur normalen und 


pathologischen Anatomie der Froschhaut. Leipzig, 1869. — Fraisse, 
a.a. O. pag.55. — A. Peters, Ueber die Regeneratlon des Epithels 
der Cornea. Dissertation Bonn, 1885. — Derselbe, Ueber die Regene- 


ration des Endothels der Cornea. Dieses Archiv, 33. Bd. 

2) Mayzel (Ueber eigenthümliche Vorgänge bei der Theilung 
der Kerne in Epithelialzellen. Centralblatt für die med. Wissensch. 
1875, pag. 849 ff.) gebührt der Ruhm, die Mitosen bei pathologischen 
Epithelneubildungen zuerst gesehen zu haben (Pag. 81 ff). May- 
zel’s Verdienste um die Karyokinese hat Flemming [Beiträge zur 
Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. I. Dieses Arch., 
16. Bd., pag. 302 ff. (pag. 401 ff.)], seine Verdienste um die Epithelrege- 
neration (W. Mayzel, Ueber die Regeneration der Epithelien und die 
Zelltheilung. I. Theil. 127 Seiten. Arbeiten aus den Laboratorien der 
med. Facultät der Universität in Warschau, unter Redaction von FE. 
Nawrocki. Heft IV, 1878. Autoreferat im Jahresbericht von Hof- 
mann und Schwalbe, 1878, pag.45. Das Original war mir leider 
nicht zugänglich.) hat Fraisse anerkannt (a.a. O. pag. 45 ff., pag. 54). 
Mayzel fand die Mitosen im Epithel des Wundrandes am häufigsten 
am 6.—9. Tage. — Man vergleiche ferner dazu: Fraisse, a. a. O0. 
pag. 55. Peters, a. a.0.I. pag. 26 und II., pag. 161. Im Endothel 
traten sogar erst am sechsten Tage Mitosen auf. Beltzow (Unter- 
suchungen über Entwickelung und Regeneration der Sehnen. Dieses 
Archiv, 22. Bd., pag. 714) fand die ersten Mitosen am 3.—4. Tage. Si- 
manowsky (Ueber die Regeneration des Epithels der wahren Stimm- 
bänder. Dieses Archiv Bd. 22, pag. 710 ff.) fand Mitosen nach 24 Stun- 
den, mehr nach 48 Stunden. O. Fischer (Experimentelle Unter- 


412 D. Barfurtn: 


— 


noch zahlreiche spätere Regenerationsstadien an Schnittreihen 
studirt (6.—24. Stunde) und im wesentlichen dieselben Erschei- 
nungen gefunden. An älteren Stadien (2.—3. Tag) sah ich in 
der Vertiefung, die durch das Zurückschnurren der abgeschnit- 
tenen Chorda entsteht, grosse Epithelmassen (Taf. XXI, Fig. 22e) 
angehäuft. Mitosen finde ich erst am 2. Tage. 

Von Triton taeniatus untersuchte ich die Epithelregeneration 
am amputirten Schwanze nach 6 Stunden. Ich beschreibe nur 
den Befund an einem etwas grösseren Exemplar (3,2 em), bei 
welchem die knorpeligen Wirbelkörper schon vorhanden waren. 
Das Präparat war zuerst eine Stunde lang mit Flemming’s 
Osmiumehromessigsäure, dann 23 Stunden mit Chromessigsäure 
behandelt worden, es wurde mit Borax-Carmin durchgefärbt und 
in eine Serie von Sagittalschnitten zerlegt. Ein Schnitt, der durch 
Rückenmark und Chorda geht und einem Medianschnitt nahe 
kommt, zeigt folgendes. Ueber den durchschnittenen Organen 
liegt eine sehr zarte helle Linie, das Coagulum. Blutkörperchen 
sehe ich im Coagulum nicht, wohl aber unter demselben. Die 
dorsale Partie der Epidermis ist sehr reich an Pigmentzellen 


suchung über die Heilung von Schnittwunden der Haut unter dem 
Jodoformverband. Dissertation. [Unter Ziegler’s Leitung.] Tübingen, 
1888. Citirt nach: Fortschritte der Medicin, 1889, No. 3, pag. 102—103) 
fand nach 30 Stunden Mitosen im Epithel in der Umgebung des Wund- 
randes. — Stilling und Pfitzner (Ueber die Regeneration der 
glatten Muskeln. Dieses Archiv, 28. Bd., pag. 306 ff.) fanden in dem 
sich regenerirenden Peritonealepithel einer Magenwunde von Triton 
taeniatus Mitosen nach mehreren Tagen (pag. 401), im Bindegewebe 
in den ersten zwei Monaten (pag. 403), in der glatten Muskulatur nach 
etwa 8 Tagen (pag. 409 ff.), während der Defect der Muskulatur selber 
viel später (nach 2—3 Monaten, pag. 405 ff.) ausgeglichen wird. Ritschl 
(Ueber Heilung von Wunden des Magens, Darms und Uterus mit be- 
sonderer Berücksichtigung des Verhaltens der glatten Muskeln. Vir- 
chow’s Archiv, Bd. 109, 1887, pag. 507 ff.) sah schon am ersten Tage 
der Wundheilung (beim Kaninchen) Mitosen in allen Geweben. — Pod- 
wyssozki (Experimentelle Untersuchungen über die Regeneration 
der Drüsengewebe. II. Theil. Beiträge zur pathol. Anat. u. Physiol. 
von Ziegler, II. Bd., 1887, pag.1 ff.) fand in der Infraorbital- und 
Submaxillardrüse des Kaninchens schon nach 24—30 Stunden fast alle 
Stadien der mitotischen Kerntheilung (pag. 17). Somya (Ueber die Re- 
generation des Epithels der Cornea. Diss. Bonn, 1889) sah Mitosen 
schon während der Bekleidung des Epitheldefects (1. Tag). Her- 
mann u. Schwalbe, Jahresbericht 1889. 


\ * 
\ 


Zur Regeneration der Gewebe. 413 


(Chromatophoren), aber auch die Epithelzellen dieser Gegend 
selber sind mit Pigmentkörnern reichlich versehen; der 
ventrale Abschnitt der Epidermis hat wenig Pigment. Es hat 
nun auf diesem Stadium der Regeneration die Bedeekung der 
Wunde mit Epithelzellen begonnen und man kann von oben 
und unten her das Vordringen derselben deutlich beobachten. An 
den Rändern, in der Nähe des_persistirenden Epithels, ist die 


Wunde schon mit einer mehrfachen (3—4fachen) Epithelschicht 


bedeckt, weiter nach dem Centrum der Wunde zu findet man 
nur noch eine einzige Zelllage, und die ganze mittlere Partie 
(Chorda, Rückenmark und Wirbelbögen) ist noch ganz unbe- 
deekt. Dieses Vorrücken des Epithels beruht nur auf einer 
Wanderung der jüngeren persistirenden Epithelzellen 
vom Wundrande her, wie das schon von Klebs!) und neuer- 
dings sehr zutreffend von A. Peters?) in seiner unter Nuss- 
baum’s?°) Leitung ausgeführten Dissertation ausführlich beschrie- 
ben wurde. Dies liess sich in meinem Falle durch eine eigen- 
thümliche Erscheinung sicher stellen. ” 
Ich habe oben hervorgehoben, dass die dorsalen Epithelien 
sehr reich an Pigment waren, die ventralen aber sehr wenig 
davon enthielten. Nun zeigten auch sämmtliche junge 
Epithelzellen auf dem dorsal gelegenen Theil der Wunde 
dasselbe braune Pigment, wie die persistirenden Epi- 


1) Klebs,.a.a. O. schildert das Auftreten contractiler Epithel- 
zellen am Wundrande, die amöboide Bewegung ihres Protoplasmas 
(pag. 134, 135), ihre Loslösung vom Mutterboden (pag. 138) und ihren 
Marsch, der Klebs Veranlassung gab, sie „epitheliale Wanderzellen 
(pag. 138) zu nennen. Treffen sie auf der Wundfläche zusammen, so 
bilden sie netzartige Figuren oder grössere Platten polygonaler Zellen 
(pag. 139). 

Bea Peters, a. a. O. (I) pag. 20 ft. 

3) Nussbaum (Fortgesetzte Untersuchungen über spontane 
und künstliche Theilung der lebendigen Substanz. Sitzungsberichte 
der Niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Bonn, 
1885) hatte schon früher eine sehr weitgehende Verschiebung und Ver- 
lagerung des Eetoderms und Entoderms umgestülpter, auf einer Borste 
oder einem feinen Silberdraht befestigter Polypen (Hydra) beschrieben. 
Die ausführliche Arbeit ist schon oben (pag. 409) eitirt. 

Von einer sehr merkwürdigen Wanderung neugebildeten 
Epithels berichtet Marchand (Wanderungsfähigkeit neugebildeten 
Epithels. Tageblatt d. Vers. d. Naturf. zu Wiesbaden, 1887, 8. 275, eitirt 
nach dem Jahresbericht vonHermann u. Schwalbe, 1887, pag. 676). 


414 ü D. Barfurth: - 


thelzellen, die ventral gelegenen waren dagegen fast 
ganz pigmentfrei. Diese Thatsache lässt nur die eine Deu- 
tung zu, dass die Epithelien auf der Wundfläche vom persistiren- 
den Epithel herstammen. 

Aber könnten nicht die neu aufgetretenen Zellen durch 
Theilung von den stehengebliebenen herstammen ? Nein, denn 
dann müsste bei der fortgesetzten Theilung und der gleichbleiben- 
den Grösse der Zellen das Pigment so schnell abnehmen, dass 
die vorgerückten Zellen gar nichts mehr davon enthalten dürften; 
dieselben haben aber so viel Pigment, wie die in der Nähe des 
alten Epithels befindlichen. 

Von Triton eristatus untersuchte ich einige ältere Regene- 
rationsstadien. Ich berichte nur weniges über ‚ein regenerirtes 
Schwanzende, welches 24 Stunden nach der Amputation (Tempe- 
ratur 18°) zur Untersuchung kam. Ein Sagittalschnitt, der durch 
Chorda und Rückenmark ging und einem Medianschnitt nahe 
kam, zeigte auf der Wundfläche ein doppelschichtiges Epithel 
und in der unteren Lage desselben ventralwärts eine Mitose. 

Ich habe dann bei jungen 3—4 em langen Larven von 
Siredon pisciformis die ersten Stadien der Wundbedeckung 
und Regeneration untersucht. 45 Minuten nach erfolgter Ampu- 
tation zeigte die Wundfläche mit Sublimat fixirter und mit Borax- 
carmin gefärbter Präparate folgendes Aussehen. An den schmalen 
Seitenplatten war die Wundfläche vom alten Epithel be- 
deckt, welches bei Application des Scheerenschnittes ?) ledig- 
lich durch Quetschung so zusammengedrückt war, dass die Epi- 
thelränder durchaus zusammen stiessen ?2). Die ganze Wundfläche 


1) Fraisse hat also ganz Recht (pag. 52), wenn er der Scheere 
quetschende Wirkungen auf zarte Theile zuschreibt. Ich bin trotz- 
dem der einfacheren Anwendung wegen in der Regel bei der Scheere 
geblieben, habe aber der Sicherheit wegen nicht die zarten Seiten- 
platten, sondern das resisiente Mittelstück des Schwanzendes sStudirt. 

3) Man hat freilich den Eindruck, als ob doch nicht bloss me- 
chanisch das Aneinanderlegen der Epithelränder zu Stande käme, 
sondern als ob die Natur, bez. die selbststeuernde Kraft des Organismus 
mitwirkte. Durch das Austreten des Blutes und der Lymphe aus 
den angeschnittenen Gefässen muss nothwendiger Weise eine Art 
Schrumpfung im Wundbezirk eintreten, wodurch die Bedeckung des 
Defeets und der Abschluss der Wunde von der Aussenwelt erleich- 
tert wird. 


Zur Regeneration der Gewebe. 415 


des Mittelstüicks mit Chorda, Rückenmark, Schwanzarterie war 
dagegen vollständig epithelfrei; es waren hier nur Rudimente 
durehschnittener Zellen und rothe Blutkörperchen — wenig weisse 
— zu sehen; ein eigentliches Coagulum war -nicht vorhanden. 
- Die Zeit war also zu kurz gewesen, als dass eine Reaction der 
Gewebselemente hätte erfolgen können. Es stimmt diese Erfah- 
_ rung mit der von Fraisse gemachten (p. 53) überein. 

% Die Wundfläche eines anderen Exemplars von Siredon, die 
1!/, Stunde nach Amputation der Schwanzspitze untersucht wurde, 
zeigte die ersten Reactionen der Epidermis. Am Wund- 
rande waren ihre Zellen platt geworden und schoben sich über 
die Wundfläche vor. An den schmaleren Stellen war die Ver- 
_ einigung mit entsprechenden Zellen der andern Seite erfolgt, an 
3 den breiteren war noch eine Lücke vorhanden. Da gerade dieses 
Stadium der Regeneration von -prineipieller Wichtigkeit ist, so 
habe ich das Ende eines Schnittes der Serie mit dem Nachet- 
schen Zeichenapparat möglichst naturgetreu wiedergegeben (Taf. 
XXIV, Fig. 26). 

Die Zeichnung wurde mit dem Leitz’schen Objectiv 7, 
Oeular 1 bei 250 mm Abstand des Zeichentisches von dem Zeichen- 
_ apparat entworfen. Der Scheerenschnitt traf die Epidermis bei 
e und e’; die Wundränder sind etwas zusammengedrückt, wess- 
halb besonders bei e’ (vonL.Z. an) die Epidermis um die Wund- 
ecke herum gebogen erscheint. Die elastische Cutis wich dem’ 
Schnitt etwas aus und legte sich desshalb bis e und e’ über die 
Wundfläche. Bei f liegen die Bindegewebsfasern wahrscheinlich 
in Folge der Quetschung dichter gedrängt als weiter seitlich ; 
sie färbten sich mit Borax-Carmin kräftig roth. Die Pigment- 
schicht ist der Cutislamelle gefolgt. Bei m und m‘ liegen durch- 
schnittene Stücke quergestreifter Substanz, an der andern Seite 
des Schnittes lagen dieselben etwas höher. Der Schnitt (frontal) 
fiel durch die Muskulatur des Mittelstückes, hat aber die wich- 
tigen Organe des Mittelstücks (Chorda, Rückenmark ete.) nicht er- 
reicht. Ueber der Wundfläche liegt kein Coagulum ; etwas. tiefer 
findet man wenige rothe Blutkörperchen (b), die aus angeschnit- 
tenen Capillaren ausgetreten sind. Wie hat nun der Organismus 
_ auf den Wundreiz reagirt ? 

Was zunächst die Wundfläche selber anbetrifft, so sehen 
wir sie von einem 1—2schichtigen Epithel bedeckt (e—e‘). Die 


416 D. Barfurth: 


Grenzen der Zellen sind nicht überall deutlich, hier und da sieht 


man Vaeuolen zwisehen denselben. Kernlose Zellen finde ich 


nicht; die beiden Zellen (kz), die ich zuerst bei Besichtigung 
mit Leitz Objectiv 7 als kernlos gezeichnet hatte, erwiesen 
sich später bei Untersuchung mit !/,, Immersion als kernhaltig. 
Einige Spalten (sp) zwischen Epithelbelag und Wundfläche sind 
der Einwirkung der Fixirungsflüssigkeit (Sublimat) zuzuschreiben. 
Mitosen sind weder hier noch in dem persistirenden Epithel der 
Wundränder vorhanden. Ebenso fehlen Erscheinungen, die man 
auf „direete* Kerntheilung beziehen könnte, durchaus. Sehr 
auffallend ist, dass in dem neuen Epithelbelag 
keine Leydig’sche Zellen vorhanden sind; das gilt 
nicht nur von diesem Schnitt, sondern von der ganzen Serie, 
und ich stimme Fraisse (a.a. ©. p. 64) darin vollständig bei, 
dass die specifischen Organe der Epidermis, die 
durch Umwandlung aus Epithelzellen entstehen, also Drüsen 
und nervöse Apparate, erst viel späterin der re- 
generirten Epithelschicht sich differenziren. 

Am epithelialen Wundbelag fällt ferner der Mangel einer 
gestreiften Cutieula !) und der Zellbrücken ?) auf; von grösse- 


1) Man vergleiche darüber: Leydig, Ueber die Schleichenlurche 
(Coeeiliae). Zeitschrift für wiss. Zool. 18. Bd., pag. 280 ff. (pag. 284). 
F. E. Schulze, Ueber cuticulare Bildungen und Verhornung von 
Epithelzellen bei den Wirbelthieren. Dieses Archiv, Bd.5, pag.295 ff. 
(pag. 299). — Leydig, Ueber die allgemeinen Bedeckungen der Am- 


phibien. Dieses Archiv, 12. Bd., pag. 119 ff. (pag. 132). — Auf Frosch- 


larven (Bombinator igneus) speciell bezüglich: Eberth, Zur Unter- 
suchung der Gewebe im Schwanze der Froschlarven. Dieses Archiv, 
Bd. 2, pag. 490 ff. (pag.497). — Auf Salamanderlarven bezieht sich: 
Langerhans, Ueber die Haut der Larve von Salamandra maculosa. 
Dieses Archiv, 9. Bd., pag. 745 ff. — Pfitzner, Die Epidermis der 
Amphibien. Morphol. Jahrbuch, 6. Bd., pag. 469 ff. (pag. 484). — Ba- 
trachierlarven (Rana, Hyla) untersuchte: Kölliker, Histologische 
Studien an Batrachierlarven. Zeitschr. für wiss. Zool., 43. Bd., pag.1 ff. 
(pag. 17). — Ueber Ichthyophislarven handeln: P. u. F. Sarasin, Er- 
gebnisse naturwissenschaftlicher Forschungen auf Ceylon. Wiesbaden, 


1887. — Vgl. ferner: Eisig, Monographie der Capitelliden des Golfes 
von Neapel etc. in: Fauna und Flora des Golfes von Neapel etc. 


XVI. Monographie. Berlin, 1887, pag. 414 (Cuticularbildungen bei 
den Vertebraten). — Leydig, Altes und Neues über Zellen und Ge- 
webe. Zool. Anzeiger 1888. 


2) Leydig, Untersuchungen zur Anatomie und Histologie der 


Zur Regeneration der Gewebe. 417 


rerBedeutung aber ist, dass diese Einrichtungen 
aufeine grosse Strecke hin auch der persistiren- 


 denEpitheldecke fehlen; erst in einer Entfernung von ca. 


0,3 mm vom Wundrande sehe ich den Cutieularsaum wieder deutlich; 


die Zellbrücken haben sich, wenigstens an einigen Stellen, besser er- 


halten (Zb). Mitosen finden sich weder im Epithelbelag der Wund- 


fläche, noch in den anstossenden Partien des stehen gebliebenen 
_ Epithels. In Bezug auf letzteres ist noch die wichtige Thatsache 
_ hervorzuheben, dass seine Zellen nicht den regelmässigen Verband 


zeigen, den man an der normalen Epidermis findet: der Zusam- 


_ menhang der Zellen ist gelockert, ihre Formen sind vielfach un- 


regelmässig, sie liegen an manchen Stellen in einfacher Schicht, 
statt in der doppelten des normalen Epithels. 
Die Cardinalfrage nun: Woher stammen die Epithelzellen 


der Wunddecke? lässt nach meiner Ansicht auch in diesem Falle 


nur eine Antwort zu: Sie stammen her vom persistirenden Epi- 
thel des Wundrandes, sind nicht etwa durch Theilung aus diesen 


- Epidermiszellen hervorgegangen, sondern haben sich aus dem Epi- 


thelverbande losgelöst, sind embryonal beweglich (amöboid) ge- 
worden und schieben sich langsam über die Wundfläche vor, bis 
sie mit den Zellen der andern Seite Fühlung gewonnen haben. 


Aber auch dann hört der Nachschub von Zellen noch nicht auf, 


es kommen immer neue, bis eine mehrfache Schicht die Wunde 
bedeckt. Bei diesem Vorschieben der Zellen gehen feine Struc- 
turen (Cuticularsaum, Zellbrücken) !) verloren; es treten gelegent- 


Thiere. Bonn, 1883. E. Strauss. — Derselbe, Die Hautdecke und 
Hautsinnesorgane der Urodelen. Morphol. Jahrb., 2.Bd., pag.3. — 
Flemming, Zellsubstanz, Kern und Kerntheilung, pag. 52 ff. — 
Eeiizuer, a a ©. pag. 44 fe. — P.uF.Sarasin, a a.0. 
pag. 66 f. — Mitrophanow, Ueber die Intercellularlücken und 
Intercellularbrücken im Epithel. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 41. Bd., 
pag. 302 ff. — Das Verschwinden der Zellbrücken wird (pag.55) von 
Fraisse beschrieben: „Die Riffzellen, welche den Wundrändern an- 


- liegen, runden sich ab.“ — Neuerdings hat Ko dis in einer interessanten 


Untersuchung (Epithel und Wanderzelle in der Haut des Froschlarven- 
schwanzes. Archiv für Anatomie und Physiologie, Physiol. Abtheil., 


1889, Supplement pag. 1 ff.), diese Zellbrücken gezeichnet (Taf. I, 


a 


Mi kr u 


Fig. 1, 2 etc.) und als „Querfäden“ beschrieben (pag. 8). 

1) Fraisse fand das „intercelluläre Lacunensystem“ im rege- 
nerirten Epithel von Pleurodeles erst nach 48 Stunden wieder, nach- 
dem schon 5—6 übereinanderliegende Zellschichten da waren (pag. 63). 


418 D. Barfurth: 


lich Vaeuolen auf und die Zellgrenzen werden hier und da un- 
deutlich. An der Zellwanderung nehmen die Zellen des Stratum 
corneum und des Stratum mucosum Theil, nieht aber die zu 
speceifischen Organen differenzirtenLeydig’schen 
Zellen. 

Zum Schluss bemerke ich ganz kurz, dass ich wie viele 
früheren Beobachter !) im Wundgebiete fast aller Regenerations- 
stadien Epithelzellenkerne mit den Erscheinungen der Zerklüftung, 
der Maulbeerform u. s. w., sowie Wanderzellen gesehen habe. 
Einen Einfluss auf die Regeneration vermag ich aber diesen Din- 
sen nicht zuzuschreiben. 

Aus den mitgetheilten Thatsachen ziehe ich folgende 
Schlüsse: 

1. Die Angabe Fraisse’s?), dass die erste Reaction des 
Organismus nach Anlage der Wunde bei Amphibien ungefähr 
nach 1 Stunde sich bemerkbar macht, wird durch meine Beob- 
achtungen bestätigt. Die in der Nähe der Wunde liegenden Ge- 
webstheile collabiren wegen des Verlustes an Blut und Lymphe 
und desshalb nähern sich die Wundränder einander. Die Wund- 
fläche wird in vielen Fällen mit einem Coagulum überzogen, 
welches aber auch fehlen kann; dann erfolgt die Bedeckung der - 
Wunde mit Epithelzellen. 

2. Mit A. Peters?) bin ich der Ansicht, dass der erste 
Epithelbelag der Wundfläche von restirenden Epithelzellen der 
Wundränder durch einfache „Verschiebung“ (Nussbaum) *), also 
nicht durch Neubildung, geliefert wird. Die durch den Schnitt 


1) Von neueren Forschern eitire ich nur: Pfitzner, Zur patho- 
logischen Anatomie des Zellkerns. Virchow’s Archiv Bd.103, pag. 
275 HE. RER TE EEE PEN: | 

2) Fraisse, a.a.0. pag. 53, bezeichnet diese erste Reaction als ° 
„Neubildung von Epidermiszellen“ Wir sind offenbar darin einig, 
dass es sich hier um die erste Bedeekung der Wunde mit Epithel- 
zellen handelt. Dass ich dabei keine „Neubildung von Epidermis- 
zellen“, sondern nur ein Vorschieben vorhandener Epidermiszellen ” 
finde, ergiebt sich aus meiner Darstellung. 5 

3) A. Peters, aa. O.Tjipae: TE | B 

4) Nussbaum, a.a. O0. (Fortgesetzte Untersuchungen ete.): f 
„Es hat keine Neubildung und keine Umwandlung, bloss eine Ver- 
schiebung der Zellen stattgefunden.“ (pag. 7.) # 


Zur Regeneration der Gewebe. 419 


- hergestellte „Unterbrechungsfläche* (Roux) !) bewirkt durch Auf- 
hebung des Seitendrucks zunächst eine wohl nur passive Ver- 
_  schiebung der Epidermiszellen. Es scheint aber, dass der „stetige 
einseitige Druck“ die Zellen bald „zu einer Art aetiver Umord- 
nung“) veranlasst. Das ergiebt sich aus der merkwürdigen 
Thatsache, dass zur. Bedeckung der Wundfläche nur die ge- 


5 wöhnliehen und indifferenten Zellen des Stratum mueo- 


E sum und corneum, nicht aber die zu specifischen Or- 
ganen (Leydig'sche Zellen ete.) differenzirten Epithelzellen ver- 


wandt werden. Die Ursache liegt wohl darin, dass diese Zellen die 
ursprüngliche leichte amöboide Beweglichkeit verloren haben ?°). 


3. Mit fast allen neueren Forschern bin ich zu dem Re- 
sultat gelangt, dass die ersten Kerntheilungserscheinungen erst 
geraume Zeit *) nach Anlage des Defects im praeexistirenden Epi- 
 thel, also meist erst nach Bedeckung der Wundfläche mit Epithel, 
auftreten. Die Theilungserscheinungen an den Kernen sehe ich in 
den Mitosen, bin also der Ansicht, dass die dann auftretenden 
_ Kern- und Zelltheilungen auf dem Wege der sog. „indireeten 
Kerntheilung“ ablaufen. Die eigentliche „Regeneration* geht 
von den an der Schnittgrenze gelegenen Epithelzellen aus, 
was ich aus den gerade an dieser Stelle immer am hänfigsten 
auftretenden Mitosen schliesse. Eine „direete“ Kermtheilung an- 
zunehmen habe ich keinen Grund, denn die Erscheinungen, die 


1) W. Roux, Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Em- 


_ bryo. Nr. 5. Ueber die künstliche Hervorbringung halber Embryonen 


durch Zerstörung einer der beiden ersten Furchungskugeln, sowie 
über die Nachentwickelung (Postgeneration) der fehlenden Körper- 
hälfte. Virchow’s Archiv Bd. 114, Separatabdruck pag. 68. 

2) Roux, a. a. O. pag. 62 u. 63. 

3) Damit ist nicht gesagt, dass diese Zellen unverändert an ihrem 
Ort sitzen bleiben. Die mikroskopischen Bilder (siehe Figur 26) 
weisen vielmehr darauf hin, dass dieselben von der allgemeinen Fluth, 
wenn auch vielleicht nur passiv, ergriffen werden, Gestaltsverände- 
rungen erleiden und verschoben werden. Ueber der Wundfläche seiber 
aber fand ich keine einzige dieser Zellen. 

4) Nur Neese (Ueber das Verhalten des Epithels bei der Hei- 
lung von Linear- und Lanzenmesserwunden in der Hornhaut. Archiv 
- für Ophthalmol. Bd.33, pag. 1 ff.) sah die karyokinetischen Figuren am 
- reichlichsten schon in der vierten Stande nach der Verletzung in 
einem gewissen Abstande vom Wundrande; in der zwölften Stunde 
fanden sie sich zum ersten Mal im Epithel der Wunde selbst (pag. 13). 


420 D. Barfurth: 


man wohl für eine solche verwerthet hat (Zerklüftung, Einschnü- 
rung etc.), sehe ich mit Pfitzner') als Rückbildungen an. Da- 
gegen tritt Fraisse?) lebhaft für eine direete Kerntheilung ein 
und hält es für höchst wahrscheinlich, dass alle diese typischen 
Figuren (Mitosen) nur dort auftreten, wo es zur Bildung eines 
speciellen Organs kommt 3). 


l) Pfitzner, Zur pathologischen Anatomie des Zellkerns, 
a. a. O. pag. 294 ff. 

2) Fraisse, a. a. O. pag. 143. 

3) Die Frage der amitotischen und mitotischen Kerntheilung ist 
in letzter Zeit von Waldeyer eingehend und übersichtlich behandelt 
worden (Waldeyer, Ueber Karyokinese und ihre Beziehungen zu 
den Befruchtungsvorgängen. Dieses Archiv, 32. Bd., pag.1 ff. [pag. 38 ff.]). 
Die Beobachtungen über das Vorkommen amitotischer (direeter) Kern- 
theilung sind dort zusammengestellt. Ich glaube aber, dass wir in der 
Diagnose dieser Art von Theilung immer vorsichtiger werden müssen. 
So beschreibt in jüngster Zeit Oscar Schultze (Ueber den Einfluss 
des Hungers auf die Zellkerne. Sitzungsberichte der Würzburger 
phys.-med. Gesellschaft, 1888) Epithelzellenkerne von Tritonenlarven, 
die durch langes Hungern eine eigenthümlich lappige Form bekommen 
haben. Derselbe giebt einen Ueberblick über das Vorkommen der 
eingeschnürten und gelappten Kerne überhaupt (pag. 4 des Separat- 
abdrucks). Solche Erscheinungen am Zellkern sind früher wohl un- 
bedenklich als auf beginnende Theilung bezüglich gedeutet worden. 
Ferner erinnere ich daran, dass Flemming vor Kurzem erst eine 
amitotische Kerntheilung im Blasenepithel des Salamanders (dieses 
Archiv, 34. Bd., pag. 437 ff.) als abnormen Ausnahmezustand nachwies, 
der „wahrscheinlich auf irgend eine pathologische, vielleicht katarrha- 
lische Veränderung zurückzuführen sein wird“ (pag. 448). Derselbe 
(Ueber die Theilung von Pigmentzellen und Capillarwandzellen. Dieses 
Archiv, 35. Bd., pag. 276 ff.) wies mitotische Kerntheilung von Pigment- 
zellen nach, während Kodis (Epithel und Wanderzelle in der Haut 
des Froschlarvenschwanzes, Archiv für Anat. und Physiol., Physiol. 
Abtheil., 1889, Suppl. pag. 23) karyokinetische Figuren bei den Pigment- 
zellen nie beobachtet hatte und eine Vermehrung der Pigmentzellen 
nicht annahm, und Solger (Nachtrag zu dem Artikel: Zur Structur 
der Pigmentzelle. Zool. Anzeiger 1890, pag. 93 ff.) angegeben hatte, 
dass „(in späteren Entwickelungsstadien wenigstens) die Vermehrung 
der Kerne nicht auf dem Wege der Mitose, sonderf der einfachen 
Zerschnürung vor sich geht“ (pag. 94). Wie schnell die Mitosen post 
mortem undeutlich werden oder ganz verschwinden und wie sehr 
ihre Conservirung von der Fixirungsflüssigkeit abhängig ist, hat jüngst 
H. Schenck in seiner unter Ribbert’s Leitung ausgearbeiteten ° 
Dissertation (Ueber Conservirung von Kerntheilungsfiguren, Bonn, 


Zur Regeneration der Gewebe. 421 


4. Abweichend von Fraisse gelange ich zu dem Resul- 
tat, dass nicht nur bei erwachsenen Thieren, sondern auch 
bei Larven (Siredon, Triton, Rana) eine freie Kernbildung 
nicht vorkommt. Fraisse fand, „dass bei Larven, besonders 
den Larven der Tritonen, neben der einfachen Kerntheilung 
auch eine freie Kernbildung in einem gleichmässig über die 
Wundfläche vertheilten Blastem bei der Epithelregeneration vor- 
kommt, während bei erwachsenen Thieren die freie Kernbildung 
wenigstens sehr beschränkt, wenn nicht ganz aufgehoben wird.“ 
(Fraisse a.a. O. p. 59). Fraisse’s Ahnung, dass seine Ansicht 
über diesen Punkt „ganz besonders angefochten werden würde“, 
wird sich wohl erfüllen. Ich will ihm wohl zugeben, dass die 
Zellgrenzen oft undeutlich sind, oder ganz verschwinden, dass 
die Kerne blass, chromatinarm nach Analogie der embryonalen 
Kerne !) sein können, dass einmal Kerne sich der Beobachtung 
entziehen können, aber das alles veranlasst mich nicht, Fraisse 
beizustimmen, wenn er meint, die in das proliferirende Gewebe 
eintretenden Wanderzellen bildeten durch ihren Zerfall „das Blastem, 
in welchem dann wiederum später die Kerne der neuen Epider- 
miszellen secundär dadurch entstehen, dass nach und nach die 
feineren Körnchen zusammentreten, um dann allmählich zu rich- 
tigen Kernen zu werden“ (p. 57). Wie schon oben bemerkt 
wurde, habe ich im Wundbelag bei Siredon mit einer guten Im- 
mersion in einigen Zellen Kerne gesehen, die mit einem schwäche- 
ren System der Beobachtung unzugänglich waren. 

Was die Wanderzellen anbetrifft, so stimme ich mit Fraisse 
darin überein, dass sie zerfallen. Dass aber dieser Zerfall plötzlich 
da Halt macht, wo das „Blastem“ sich bildet, glaube ich nicht. 
Es wird hier wie in so vielen andern Fällen die Decomposition 


1890) nachgewiesen. Nach dem jetzigen Stande der Frage müssen 
wir sagen, dass eine positive Beobachtung von mitotischer Kernthei- 
lung mehr Werth hat als drei negative. — Soeben erscheint eine Ar- 
beit von Giovanni über Regeneration von Haaren nach der Epila- 
tion, in welcher derselbe zu dem Ergebniss kommt, dass „cette r&g6- 
neration s’opere par karyokinese des cellules &pitheliales restees A 
Vinterieur du follieule atrophi6e“. Giovanni, De la regencration des 
poils apr&s l’Epilation. Dieses Archiv, 36. Bd., 4. Heft. 

1) Pfitzner, Zur pathologischen Anatomie des Zellkerns, a.a. 0. 
pag. 281: „Die Chromatinarmuth des Kerns ist ein Kennzeichen für 


den embryonalen Charakter der Zelle.“ 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 98 


429 D. Barfurth: 


weiter schreiten, bis das verflüssigte Material durch die Lymph- 
bahnen aufgenommen wird, oder es mag dieses Material als Nah- 
rung direet von andern Zellen (Epithelzellen), wie Fraisse und 
vanRees?) angeben, aufgenommen werden. Wenn ich Fraisse’s 
Darstellung und Zeichnungen (p. 56 ff. Taf. I Fig. 5, Fig. 11) rich- 
tig verstehe, so entspricht sein „Blastem“ dem mehr oder weni- 
ger zusammen geflossenen Protoplasma der vorrückenden Epithel- 
zellen. In den dunkel gefärbten Körnchen sehe ich mit ihm Zer- 
fallsprodukte der Leukocyten und die vorhandenen Kerne deute 
ich als Kerne der vorgeschobenern präexistirenden Epithelzellen. 
So erklärt sich auch das Fehlen „der Kermfiguren und der ein- 
fachen Kerntheilungen in den jüngsten Stadien“ (Fraissea.a. O. 


1) Fraisse, A: 2. -O.'pag.57. 

2) J. van Rees, Beiträge zur Kenntniss der inneren Metamor- 
phose von Musca vomitoria. Spengel’s Zoologische Jahrbücher, 
3. Bd., 1888 (pag. 116). Die Angaben von van Rees über die Thä- 
tigkeit der Leukocyten stimmen mit meinen Beobachtungen (Biolo- 
gische Untersuchungen über die Bachforelle. Dieses Archiv, 27. Bd., 
1886, pag. 152 ff. und: Die Rückbildung des Froschlarvenschwanzes 
und die sog. Sarkoplasten. Dieses Archiv, 29. Bd., pag. 42 ff.) überein. 
Man vergleiche dazu die vor van Rees’ Arbeit erschienene interessante 
Untersuchung von Kowalevsky, Beiträge zur Kenntniss der nach- 
embryonalen Entwickelung der Museiden. Zeitschrift für wiss. Zool., 
45. Bd., 1887, pag. 542 ff. Neuerdings wurde dieser Gegenstand be- 
arbeitet von A. Looss, Ueber die Betheiligung der Leukocyten an 
dem Zerfall der Gewebe im Froschlarvenschwanze während der Re- 
duction desselben. Ein Beitrag zur Phagocytenlehre. Leipzig, 1889. 
Ich eitire diesen Titel nach der Literaturangabe im „Anatomischer 
Anzeiger“, 1889, pag. 677, da mir die Arbeit, wie die später erschienene 
Preisschrift nicht zugänglich waren. Den Angaben von Looss über 
die Rolle der Leukocyten bei der Muskeldegeneration tritt neuerdings 
entgegen: Bataillon, La degenerescence musculaire dans la queue 
des larves d’anoures et la phagocytose. Comptes rendus des s&ances 
de la societe de biologie. Paris, 1890. — Die älteren Arbeiten von 
A. von Brunn, Metschnikoff etc. habe ich früher berücksichtigt. 
Einer ganz eigenartigen Auffassung über das Auftreten der Leuko- 
cyten hat Sigmund Mayer Ausdruck gegeben: „Meiner Ueberzeu- 
gung nach sind die bei vielen Rückbildungsprocessen auftretenden 
Leukocyten das direete Product der sich rückbildenden Gewebe.“ 
Sigmund Mayer, Einige Bemerkungen zur Lehre von der Rück- 
bildung quergestreifter Muskelfasern. Zeitschrift für Heilkunde, 8. Bd., 
Prag, 1887, pag. 177 ff. (pag. 187). 


de 


Zur Regeneration der Gewebe. ” 423 


p- 56). Die Annahme einer freien Kernbildung 1) scheint mir 
 desshalb hier nicht begründet zu sein. 
5. Ich stimme Fraisse (p. 64) darin bei, dass anöditnche 


1) Dieser Modus der Kern- und Zellbildung ist neuerdings von 
- Flemming (Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kern- 
bildung. Dieses Archiv Bd.18, pag. 347. Literaturangaben pag. 359 ff.) 
F "erfolgreich bekämpft worden. Wenn Fraisse sich auf die „Dotter- 
— kerne‘“, als frei entstehend, beruft (pag. 59), so ist dagegen auf die 
= Untersuchungen von Rückert und Kastschenko zu verweisen, 


denen zufolge die Merocyten von Furchungskernen mach Rückert 


sicher vom ersten Furchungskern) abstammen. [Kastschenko, 
Zur Entwiekelungsgeschichte des Selachierembryos. Anat. Anzeiger, 
1888, pag. 445 ff. (pag. 459); Rückert, Weitere Beiträge zur Keim- 
 blattbildung bei Selachiern. Anat. ge er, 1889, pag. 353 ff. (pag.. 362). 
Ich eitire nur diese neuen Arbeiten.] Zu ee Ergebniss gelangt 
C. K. Hoffmann (Ueber den Ursprung und die Bedeutung der so- 
genannten „freien“ Kerne in dem Nahrungsdotter bei den- Knochen- 
fischen. Zeitschr. f. wiss. Zool., 46. Bd., pag. 517 ff) in Bezug auf die 
_ Kunochenfische. Die Mittheilungen von Henking (Die ersten Ent- 
wickelungsvorgänge im Fliegenei und freie Kernbildung. Zeitschr. 
für wiss. Zool., 46.Bd., pag. 289 ff.) über freie Kernbildung wurden 
u.a. von Blochmann (Ueber die Zahl der Richtungskörper bei be- 
fruchteten und unbefruchteten Bieneneiern. Morphol. Jahrbuch, 15. Bd., 
 pag. 85 ff.) bekämpft. (Ich eitire nur diese beiden Aufsätze.) — Die 
Mittheilungen Stadelmann’s (Die Histologie des Pseudoknorpels in 
_ der Achillessehne des Frosches und dessen Veränderung bei entzünd- 
licher Reizung. Königsberg, 1878, Dissertation, und Virchow’s Arch., 
- 80.Bd., pag. 105 ff.) können nicht ohne weiteres für eine „freie Kern- 
- bildung“ verwerthet werden, weil zu der Zeit die „Karyokinese“ noch 
in den ersten Anfängen lag und die Deutung solcher Befunde in den 
Zellen durchaus unsicher war. Mayzel, der von Fraisse und Sta- 
 delmann als Gewährsmann eitirt wird, konnte für seine Angabe, 
_ dass die am freien Rande des sich regenerirenden Epithels der Cornea 
„reichlich auftretenden Kerne ohne Zweifel durch Differenzirung aus 
dem Protoplasma sich frei bilden“, nach eigener Erklärung unzweifel- 
hafte Beweise nicht beibringen (Mayzel, Ueber eigenthümliche Vor- 


— gänge etc. Centralblatt für die med. Wissenschaften 1875, pag. 849 ff.). 


Dass Mayzel noch an der „freien Kernbildung“ festhält, muss nach 
den Mittheilungen Flemming’s (dieses Archiv, 18. Bd., p. 361, An- 
merkung 4) zweifelhaft erscheinen. — Nach dem jetzigen Stande der 
Frage müssen wir wohl Hertwig (Entwickelungsgeschichte, 3. Aufl., 
1890) beistimmen, wenn er sagt, „dass nach unserer jetzigen Kenntniss 
_ überhaupt freie Kernbildung im Thier- und Pfianzenreich nicht vor- 
zukommen scheint“ (pag. 56). 


424 “ | _ D. Barfurth: 


Organe der Epidermis sich viel später regeneriren, d. h. in diesem 
Falle aus gewöhnlichen Epithelzellen differenziren. Zu dem- 
selben Resultat gelangten Griffini und Vassale!) bei ihren 
Versuchen über. die Regeneration der Magenschleimhaut. Aus 
dem restirenden Drüsenepithel der Wundränder bildete sich ein 
indifferentes Ueberzugsepithel und aus diesem entstanden wieder 
neue Drüsen. Diese Vorgänge entsprechen den von Kölliker?) 
ausgesprochenen Prinzipien über Regeneration. 


2. Rückenmark (und peripheres Nervensystem). 


Die Regeneration des Rückenmarks beginnt bei Frosch- 
und Tritonenlarven am 2. Tage (15°C.). Diese schnelle Neu- 
bildung ist um so auffallender, als Schiefferdecker?) bei Säu- 
gern eine Regeneration des Rückenmarks überhaupt nicht nach- 
weisen konnte; in der die Stümpfe verbindenden bindegewebigen 
Narbe war bei einem Hunde 238 Tage nach der Operation Keine 
einzige Nervenfaser aufzufinden. 

Bei Amphibien und Reptilien scheint durchweg eine Regenera- 
tion des abgeschnittenen Rückenmarks vorzukommen, wie namentlich 
durch die Untersuchungen von Heinrich Müller, Fraisse und 
Caporaso bewiesen wurde *). Die Regeneration desselben im 
Reptilienschwanz hat deshalb ein besonderes Interesse, weil hier 


1) Griffini und Vassale, Ueber die Reproduction der 
Magenschleimhaut. Beiträge zur pathol. Anat. und allg. Path. von 
Ziegler und Nauwerck, 3. Bd. pag. 425 ft. 

2) A. Kölliker, Die Bedeutung der Zellenkerne für die Vor- ‘ 
gänge der Vererbung. Zeitschr. f. wiss. Zool., 42. Bd.: „In allen Fällen, 
in denen ein Organ oder ein Gewebe fähig ist sich wieder zu er- 
zeugen, muss dasselbe Elemente von embryonalem Charakter ent- 
halten oder wenigstens solche, die diesen Charakter anzunehmen im 
Stande sind.“ „Diese Zellen bedingen dann nach denselben Gesetzen, 
wie beim Embryo, die Organgestaltung.‘“ (pag. 44.) 

3) Schiefferdecker, Ueber Regeneration, Degeneration und 
Architeetur des Rückenmarkes. Virchow’s Archiv, 67. Bd. 

4) Schiefferdecker (a. a. OÖ. pag.545) meint, die Beobach- 
tungen Müller’s sprächen direct gegen eine Regeneration (bei Rep- 
tilien), weil die functionelle Wiederherstellung gleich Null war; eine 
Regeneration müsse sowohl anatomisch, wie physiologisch sein. Es 
scheint mir aber, dass eine thatsächliche Regeneration angenommen 
werden darf, wenn dieselbe aus morphologisch gleich- 
werthigen Elementen besteht. 


De 


Zur Regeneration der Gewebe. 425 


ein in einem Knorpelrohr eingeschlossenes, nicht mehr funetioniren- 


des und schon der Degeneration unterliegendes Organ wiederher- 
gestellt wird. Fraisse bemerkt dazu: „Trotz alledem aber 


müssen wir dieses Organ doch als ein nervöses Centralorgan an- 


> sehen, wenigstens morphologisch; denn physiologisch ist allerdings 


dieser Vergleich nicht mehr durchzuführen.“ Ich habe diese 


-  "Thatsache besonders hervorgehobeu, weil ich hierin ein Analogon 
zu dem sich regenerirenden Schwanze älterer Froschlarven finde: 


auch bei diesen wird noch kurz vor und während der Metamor- 


phose der zur Degeneration bestimmte Schwanz regenerirt! 


Fraisse beobachtete 24 Stunden nach der Verletzung Kern- 


_ wucherung in den Elementen des Rückenmarkstumpfes und zwar 


in den sogenannten Körnern (Siredon) (p. 111). Nach 46 Stun- 
den und noch am 3. Tage sehe ich folgende Regenerationserschei- 


4 nungen am Rückenmark von Froschlarven (Taf. XXI, Fig. 20, 


Taf. XXIIH, Fig. 22). An der Schnittstelle ist das Gefüge der Zel- 
len um den Centralkanal etwas gelockert, die eylindrische Ge- 
stalt der Zellen ist verschwunden, die Kerne sind undeutlicher, 


 blasser. Leukocyten („Körnehenzellen“, nicht zu verwechseln 
mit den „Körnern“, von denen Fraisse spricht) findet man in 
der Umgebung des Rückenmarks, manchmal im Centralkanal. 
- Das Bemerkenswertheste ist aber die eigenthümliche kolben- 


artige Erweiterung (Taf. XXII, Fig. 20) am untersten Ende 


- des Medullarrohres und das Verhalten der dort liegen- 


den Zellen (az). | 
Diese Erweiterung des Medullarrohres ist keine zufällige, 
denn ich finde sie an sämmtlichen Präparaten mehr oder weniger 


$ stark ausgeprägt. Sie findet sich auch nicht bloss in den ersten 
Tagen der Regeneration, sondern erhält sich in ‘geringerem Grade 


bis zum 10. Tage. Auch Fraisse hat Taf. III, Fig. 4, AS, am 
regenerirten Rückenmark von Lacerta agilis diese Erscheinung 


3 dargestellt. Ihr Zustandekommen erkläre ich mir auf folgende 
_ Weise. Das Rückenmark, welches hier als einfaches Epithelial- 
_ rohr (Leydig) auftritt, enthält innerhalb des Canalis centralis 


eine dem Liquor cerebrospinalis der Säuger analoge Flüssigkeit, 


die nach Durchsehneidung des Centralkanals frei. austritt !). Wie 


1) Die Epitheldecke, die nach ca. 24 Stunden die ganze Wund- 
fläche überzogen hat, hindert schliesslich den weiteren Austritt von 
Flüssigkeit. Der Druck lässt aber noch nicht nach: Grössere Vacuolen 


426 D. Barfurth: 


ich-nun gleich ausführlicher mittheilen werde, bemühen sieh die 
untersten Zellen des durchschnittenen Rohres möglichst schnell, 
den Abschluss nach aussen wiederherzustellen, indem sie durch 
protoplasmatische Ausläufer mit einander in Verbindung treten 
und dadurch den provisorischen Verschluss des Rohres bewerk- 
stelligen. Der sich wieder ansammelnde Liquor cerebrospinalis 
drückt aber nun auf die neugebildeten, noch wenig resistenten 
untern und seitlichen Theile des Rohres und treibt sie kolben- 
artig auseinander. Die Zellen passen sich einstweilen durch ihre 
Lagerung diesem Druck an und behalten später diese Lage noch 
eine Zeit lang bei. 

Was dann das Verhalten der Zellen oh so möehie 
ich hier eine Eigenthümlichkeit besprechen, die ich an einem 
Präparat von Rana fusca wahrnahm und auf Tafel XXII, Fig. 20, 
dargestellt habe. Man sieht hier, dass die Zellen amöboid!) ge- 
worden sind, also ähnliche Veränderungen durchmachen, wie die 
Epithelzellen bei der ersten Bedeckung eines Defeets. Die Zellen 
treten dabei manchmal etwas aus dem Verbande mit den benach- 
barten Zellen heraus und senden nun durch das Lumen des Cen- 
tralkanals hindurch, also auch durch den Liquor cerebrospinalis, 
protoplasmatische Fortsätze, wie Fühler, aus, um die gegenüber- 
liegende Wand herauszutasten und dann mit ihr in Verbindung ° 
zu treten. Diese Art, den Verschluss des Rohres allmählich zu ° 
bewerkstelligen, hat einige Mängel im Gefolge, wie die Betrach- 
tung von Fig. 20 lehrt. Da die Zellen von verschiedenen Stellen 
der Wand aus zur gegenüberliegenden Wand hinstreben, entsteht 
zuerst wohl eine Anzahl von Fächern, Abtheilungen, ehe unten ° 
ein genügender Abschluss hergestellt ist. Spätere Stadien (Fig. 
22r;. das Präparat ist mehrere Stunden älter.) zeigen dann die 
fertige, nach unten zu ausgebauchte, aber glatte Wand des 
Rohres. 


Wr 


zwischen Rückenmark und Chorda einerseits und Epidermis anderer- 
seits führe ich ihrer Entstehung nach auf ihn zurück. Auch die 
Blasenbildungen, die Fraisse gerade in der Verlängerung des 
Rückenmarks in der Epidermis bei Amphibien und Reptilien fand 
(pag. 117), haben wohl gleichen Ursprung. | 

1) Man denkt dabei an die „Neuroblastenwanderung“: W. His, 
Histogenese und Zusammenhang der Nervenelemente. Arch. f. Anat. u. 
Entwickelungsgeschichte. 1890. Supplement. pag.% ff. (pag. 101).. | 


Zur Regeneration der Gewebe. 427 


Diese merkwürdige amöboide Bewegung an den Zellen des 
Centralkanals habe ich in diesem Maasse an keinem andern Prä- 
parat wahrgenommen. Es ist aber interessant, ‘dass die Zellen 
des Rückenmarks sich gewissermaassen wieder auf ihre Herkunft 
vom Ecetoderm zu besinnen vermögen und wie ihre nächsten Ver- 
wandten, die Epidermiszellen, amöboid werden können. 

Das regenerirte Medullarrohr ist in seinem untern Theile 
durchweg aus einer einschichtigen Lage von Cylinderzellen zu- 
sammengesetzt. Die dieser Schicht peripher aufsitzende Lage 
von ‚hohen hyalinen Zellen, die man in Querschnitten von Frosch- 
larvenschwänzen sehr schön sieht, ist nicht vorhanden; erst in 
viel älteren Stadien — bei R. eseulenta nach 9 Tagen — findet 
man auch diese Schicht regenerirt. 

Eine Kerntheilung mittels Mitosen finde ich in den ersten 
Stadien der Regeneration so wenig, wie Fraisse (p. 111). Spä- 
ter freilich (nach 3—5 Tagen) treten sie gerade im Rückenmark 
massenhaft auf (Tafel XXII, Fig. 21). Dabei zeigt sich wieder 
die Eigenthümlichkeit, dass man an der Schnittgrenze in der 
Regel die meisten Mitosen findet, als wären durch den Reiz 
der Verwundung gerade diese Zellen zur Proliferation angeregt 
worden (Fig. 21). 

Der unterste Theil des regenerirten Medullarrohres beher- 
bergt in seinem Innern und zwischen seinen Epithelzellen zahl- 
reiche fettig degenerirende Leukoeyten; viele kleine und grosse 
Fetttropfen, die man hier überall findet, führe ich ihrem Ursprunge 
nach auf solche zerfallene Wanderzellen zurück. Ausserdem fin- 
den sich hier auch viele Pigmentkörncehen, die wohl bei der re- 
gressiven Metamorphose der zerfallenden Leukocyten entstehen 
(Pigmententartung) }). 

Man könnte nun im Anschluss an die Auffassung Schieffer- 


1) Versuche, die ich über die Resorption nicht abgelaichter Ge- 
schlechtsstoffe bei Fröschen und Kröten angestellt habe, ergaben 
auch in den Ovarien eine Pigmentbildung beim Zerfall alter Eier. Ein 
jJungfräuliches Ovarium in den ersten Lebensjahren ist ganz farblos, 
weiss; fast in jeder Laichperiode bleiben aber Eier zurück, die dem 
Zerfall und der Resorption unterliegen. An der Stelle im Ovarium, 
wo ein altes Ei zerfällt, liegt später ein schwarzer Pigmentklumpen. 
Solche findet man im Sommer bei Krötenweibchen, die wegen ihres 
Aufenthalts in Gärten sehr oft nicht zum Ablaichen kommen, ausser- 
ordentlich häufig. 


428 D: Barfurth: 


deckers (a. a.0.p.545) in Zweifel ziehen, ob das regenerirte 
Epithelialrohr, welches hier als Rückenmark auftritt, wirklich 
als solches aufgefasst werden darf, ob also hier eine thatsächliche 
Regeneration vorliegt oder nicht. 

Dass die Regeneration in morphologischer Beziehung 
als vorhanden anerkannt werden muss, geht daraus hervor, dass 
ich, wie Fraisse, die Entstehung des regenerirten Theils aus 
den Elementen des alten Medullarrohres direet verfolgt habe (Fig. 
20 und 21). Fraisse sieht das Epithel als Matrix für sämmt- 
liche Nervenelemente an und hat bei Pleurodeles Waltlii die Ent- 
stehung der Spinalganglien am regenerirten Rückenmark beob- 
achtet (p. 123, 124). Ich finde ein regenerirtes Spinalganglion 
im Schwanzende einer Rana esculenta (Larve), welches 12 Tage 
bei 170°C. regenerirt war; das regenerirte Schwanzstück misst 
6mm und ist durch eine verjüngte Stelle deutlich vom alten 
geschieden. Dieses Ganglion liegt fast 1 mm unterhalb der Schnitt- 
grenze zu beiden Seiten des Rückenmarks (an Frontalschnitten). 
Weiter oberhalb nach dem Kopfe zu findet sich das nächstliegende 
erste Ganglienpaar !) des alten Schwanzendes in der Höhe des 
Schnittes. Da gerade hier auch die alten Muskelfasern aufhören 
und weiter unten zu beiden Seiten des regenerirten Ganglions 
lauter junge Muskelfasern liegen, so kann kein Zweifel ob- 
walten, dass wir hier in der That ein regenerirtes Ganglion vor 
uns haben. Nach oben und unten gehen von demselben Nerven- 
stränge aus und an dem drittnächsten Schnitt sieht man auch 
die Wurzeln des Ganglions vom regenerirten Rückenmark aus- 
gehen. Aus dem Gesagten folgt, dass die anatomische Regene- 
ration auch der peripheren Nervenelemente im Anschluss an 
das Rückenmark vollendet ist. Ob auch eine physiologische 
Regeneration, also Herstellung der Function erfolgt war, habe 
ich damals an dieser Larve nicht festgestellt. Ich habe aber 
durch einfache Versuche an anderen Thieren, Larven von Siredon 
pisceiformis, die Wiederherstellung der Function in diesem Stadium 
der Regeneration constatirt. Berührte ich mit einer spitzen Nadel 


1) Fraisse beobachtete an demselben bei Eidechsen eine be- 
sondere Hyperplasie (pag. 122), die er mit der verstärkten Function 
desselben in Zusammenhang bringt; denn diese Ganglien haben die 
physiologische Function für das ganze Schwanzende, an dem sich 
keine regenerirten Ganglien finden, zu übernehmen. _ 


Zur Regeneration der Gewebe. 429 


das regenerirte Schwanzende des ruhig schwimmenden Thieres, 
so erfolgte eine sofortige energische Bewegung des Schwanzendes 
und das Thier schoss davon. 

Aus meinen Mittheilungen ergibt sich ferner, dass die Re- 
generation der peripheren Nervenelemente lange Zeit erfordert: 
am 12. Tage ist erst ein einziges Spinalganglion regenerirt. Es 
ist ganz gut möglich, dass die Herstellung der Function noch 
mehr Zeit in Anspruch nimmt. 

An dieser Stelle will ich noch darauf aufmerksam machen, 
dass auch angeschnittene Spinalganglien und Nervenstränge !) 
sich regeneriren. Eine Serie von Frontalschnitten durch das 8 
Tage bei 16°C. regenerirte, 3,5 mm lange Schwanzstück einer 
Larve von R. esceulenta zeigt diese Regeneration (Fig. 25). Bei 
g liegt eine auffallend grosse Mitose dicht über einer Ganglien- 
zelle; Lage und Grösse derselben lassen nur die Deutung zu, 
dass wir es hier mit dem Kern einer Ganglienzelle zu thun haben, 
deren Protoplasma nicht mit getroffen wurde. An demselben 
Schnitt sieht man bei n ein angeschnittenes Nervenbündel (m), 
“welches mit dem Ganglion & in Verbindung steht. Bei mn liegt 


* 


1) Neumann beobachtete die Regeneration gequetschter 
Nerven am 12. Tage nach der Operation (dieses Archiv, 18. Bd., 
pag. 328); die Regeneration durchschnittener Nerven findet nach 
Eichhorst bei Fröschen frühestens am 30. Tage statt (Vir- 
chow’s Archiv, 59. Bd.); die Literatur findet man bei Neumann. 
— Neuere Arbeiten sind: Vanlair (Archives de Biologie, T. VI). Aus 
seinen Untersuchungen „ressort la demonstration objective de la possi- 
bilit&e d’une r&egeneration complete, par drageonnement central, des 
nerfs peripheriques sectionnes“ (pag. 232). Eine zweite Regeneration 
erfolgte nicht. — von Hochwart, Ueber De- und Regeneration von 
Nervenfasern. Wiener med. Jahrb. N. F. II, pag. 1 fl. — Hanken, 
Ueber die Folgen von Quetschung peripherer Nerven. Internat. Mo- 
natsschrift für Anat. und Histol., Bd. III, pag. 265 ff. Derselbe fand 
Mitosen im peripher von der Quetschungsstelle gelegenen Theil 
vom fünften Tage an (pag. 270). — Albrecht, Klinische Beiträge 
zur Nervenchirurgie. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, Bd. 26, 
pag. 4350. Albrecht ist mit Ranvier der Ansicht, dass sich das 
centrale Ende des durchschnittenen Nerven nur durch Sprossung der 
Axeneylinder in der Bahn der alten Nerven, nicht aber immer inner- 
halb der einzelnen Fasern vollzieht. — Grosses Interesse hat die Mit- 
theilung von Landerer: Einheilung eines Kaninchennerven in einen 
Defeet des Nervus radialis. Deutsche Zeitschrift für Chir., 28. Bd., 
pag. 604 ff. 


430 D. Barfurth: 


eine Mitose, deren Theilungsprodukte nach meiner Auffassung zur 
Regeneration der Nerven beitragen sollen; dafür spricht wieder 
die Lage, die Grösse und die Richtung der Kernachse. 
Die Stümpfe der angeschnittenen Axenceylinder wachsen später 
aus der Markscheide hervor, wiederholen also das eentrifugale 
primäre Wachsthum (His). Regeneration nervöser Elemente durch 
Zelltheilung mit Karyokinese wiesen Mondino, Torre und Fıl. 
Cattani nach). | 

Die Regeneration einer marklosen Nervenfaser habe ich in 
Fig. 26 dargestellt. Die Mitose liegt nach dem Schwanzende zu. 
Näheres über das Präparat bringt die Figurenerklärung. Hier- 
nach geht die Regeneration dieser Fasern gerade so vor sich, 
wie das normale Wachsthum, worüber jüngst Kölliker 2) Mit- 
theilungen gemacht hat. 


3. Chorda dorsalis und Knorpelstab. . 


Obgleich die Regeneration der Bindesubstanzen fast gleich- 
zeitig mit der der Chorda erfolgt, bespreche ich doch die letztere 
zunächst und gesondert, weil sie im Schwanzende eine so her- 
vorragende Wichtigkeit hat und weil ich die ersten Regene- 
rationserscheinungen an ihr doch früher sehe, als am Binde- 
gewebe. | 

Die Untersuchung zeigt, dass nach Anlage des Schnittes 
die äussere und innere Chordascheide 3) bei Rana wegen ihrer 
Rlastieität zurückschnurrt und sich dabei am äussersten Ende 
etwas verdickt. Die grossen glashellen Chordazellen liegen dann 
frei zu Tage; die angeschnittenen werden resorbirt, die nächst 
folgenden bleiben intact. Am 2. Tage findet man von dem Blut- 


1) Bizzozero, Ueber die Regeneration der Elemente der Ge- 
webe unter pathologischen Bedingungen. Centralblatt für die med. 
Wissenschaften, 1886, pag. 81. Bizzozero hat hier die Ergebnisse 
der Forschung zahlreicher italienischer Autoren, die ihre Untersuchungen 
in wenig verbreiteten italienischen Journalen veröffentlicht haben, 
zusammengestellt. 

2) Kölliker, Histologische Studien an Batrachierlarven. Zeit- 
schrift für wiss. Zoologie, 43. Bd., pag. 3, Tafel I, Fig. 4. 

3) Näheres darüber bei Götte, Die Entwickelungsgeschichte der 
Unke, pag. 353 ff. 


Be 


een 


A Er ee rt &: 


Zur Regeneration der Gewebe. 431 


coagulum, welches die Chorda wie die ganze Wundfläche über- 
zogen hatte, zwischen den Chordazellen nur wenige Reste: rothe 
und weisse Blutkörperchen; auch wandern wohl aus der Um- 
gebung Leukoeyten hierher, wie zu allen andern gereizten Partien. 
Da die Epithelschieht, mit der sich die Wunde in der beschrie- 
benen Weise überzogen hat, schon am 2. Tage auch das Centrum 
der Wunde, d.h. die Chorda, ganz bedeckt, so findet man hier 
die Epithelzellen direet auf den obersten Chordazellen 
liegen, eine eigenthümliche ‚Lagerung, die an ein Pflaster auf 
einer Wundfläche erinnert. In der That ist ja auch dieses Lage- 
verhältniss nur vorübergehend. 

Am 3. Tage finde ich die äussere Chordascheide an allen 
Präparaten von Froschlarven ausserordentlich diek und zwar so 
verdickt, dass ich an eine wirkliche Zunahme -ihres Volums glau- 
ben möchte (Fig. 23s). Dass die blosse Retraction diese starke 
Verdiekung hervorrufen sollte, erscheint mir nicht recht glaub- 
lich; eine Vermehrung ihrer Elemente ist nicht anzunehmen, da 
die Entstehung derselben — Bindegewebsfasern — eine vorherige 
Zellvermehrung doch wohl voraussetzen würde. Die nächstliegende 
Erklärung scheint mir aber die zu sein, dass wir eine Volums- 
zunahme durch Quellung der Fasern in Folge starker 


Durehtränkung mit Lymphe (oder Liquor cerebrospinalis aus 
_ dem angeschnittenen Centralkanal) vor uns haben. Diese Verdiekung 


der Scheide erhält sich recht lange. Bei Rana esculenta finde 
ich sie noch am 7. Tage. Hier ist die regenerirte Chorda aus 
der Scheide hervorgesprosst und lässt dieselbe wie einen Wall 
seitlich stehen. Solche Präparate zeigen deutlich, dass die junge 
Chorda sich ihre Scheide selbst bildet und zwar nicht direet im 
Anschluss an die alte Scheide. Die erste Anlage der regenerirten 
Chorda ist ein Kegel, dessen Basis mit der Wand der alten 
Scheide zusammenstösst, aber so, dass die alte Scheide sich noch 
eine kleine Strecke weiter über diese Basis fortsetzt und auf 
diese Weise den oben erwähnten Wall bildet. Letzterer wird 
später resorbirt und dadurch die vollständige Verschmelzung des 
regenerirten Chordaendes mit dem alten Stumpf hergestellt. 
Wovon geht nun die Regeneration der Chorda aus? Ich 
finde mit Fraisse, dass dasChordaepithel, eine Lage kleiner 
protoplasmatischer Zellen auf der inneren Chordascheide, die Ma- 
trix des neuen Chordaendes ist. Schon am 2., noch mehr am 


432 D. Barfurth; 


3. Tage (Fig. 22) findet man die Zahl dieser Zellen an der in- 
neren Wand der Chordascheide vermehrt; etwas später rücken 
sie nach der Mitte zu zusammen und bilden hier einen Kegel, 
den ersten Ansatz der zu regenerirenden Chorda. Diese Zellen 
sind klein, protoplasmatisch, die Kerne treten ziemlich scharf 
hervor. Mitosen finde ich in früheren Stadien (1.—2. Tag) nicht; 
auch Fraisse erwähnt sie nicht, fand also wohl keine (p. 93). 
Diese Zellen treten schon am zweiten Tage in grosser Zahl am 
Ende der Chordascheide auf und schieben sich dann zwischen 
der neuen Epitheldecke und den grossen Chordazellen nach der 
Mitte zu vor (Fig. 22). In der ersten Zeit mag wohl bloss eine 
Verlagerung schon vorhandener Zellen nach der Wunde zu statt- 
finden; schon am dritten Tage aber ist ihre Zahl so gross, dass 
diese Erklärung ‘nicht als ausreichend angesehen werden kann, 
dass man vielmehr eine Vermehrung derselben annehmen muss. 
Dass diese Vermehrung durch Karyokinese erfolgt, ist hier keines- 
wegs leicht zu erweisen. Es liegen an und in dem Regenerations- 
kegel so viele Blutelemente, zerfallende Wanderzellen, Fetttröpf- 
chen, Pigmentkörner ete., dass die Untersuchung sehr erschwert 
wird. Selbst an feinen Schnitten ist es manchmal unmöglich, die 
Chordaepithelzellen von Leukocyten zu unterscheiden; nur der 
Umstand, dass in letzteren die Kerne gewöhnlich in den verschie- 
densten Modificationen zerfallen, gestattet in der Regel die Unter- 
scheidung. Mit Anwendung der Leitz’schen Immersion !/,, fand 
ich indessen nach 72 Stunden die erste Mitose in einer Chorda- 
epithelzelle bei Rana fusca, bei einem andern Präparat vom 9. 
Tage sind sie häufiger, nach 7 Tagen ist der junge Chordakegel 
schon ziemlich lang und zeigt viele Mitosen. 

In späteren Stadien erscheint die Chorda als ein Cylinder, 
dessen Durchmesser sehr viel kleiner ist, als der der alten Chorda 
und dessen Wand sich allmählich zum Umfang der alten Chorda 
verbreitert. Der ganze Cylinder besteht nur aus mehr oder we- 
niger plattgedrückten Zellen, die zuerst protoplasmatisch sind und 
später den grossen hyalinen Chordazellen ähnlich werden. Nur 
diese protoplasmatischen Zellen bewerkstelligen durch ihre Ver- 
mehrung das Wachsthum der Chorda; in allen diesen Stadien 
findet man sehr zahlreiche Mitosen. Die Zellen der jungen Chorda 
stossen direct an die Bindegewebskörper; die Verbindung ist oft 
so innig, dass es schwer wird, beide Arten von Elementen aus- 


en en 


n 2. 


Zur Regeneration der Gewebe. 433 


einander zu halten. Die Chordascheide bildet sich erst in spä- 
teren Stadien. 

Die Regeneration der Chorda bei den Urodelen kann ich 
erst besprechen, wenn ich einige Bemerkungen über das normale 
Chordaende desselben vorausgeschickt habe. 

Bei seinen Untersuchungen über die Wirbelsäule der Tri- 
tonen gelangte H. Müller!).zu dem Ergebniss, dass die- 
selbe nicht‘ mit einem knöchernen Wirbel endigt, sondern in 
einem knorpeligen Strang verläuft“ (p.T). Dieser Befund wurde 
von Flesch ?) und Fraisse?) bestätigt. H. Müller warf nun 
die naheliegende Frage nach der Beziehung dieses Knorpelstabes 
zur Chorda dorsalis auf. Im Knorpelstab sieht er nichts von der 
_ Chorda, wiewohl ihre Reste in den Intervertebralstellen der vor- 
deren Schwanzwirbel leicht zu sehen sind. „Ist die Chorda“, so 
fragt nun H. Müller weiter, „im Schwanzende innerhalb des 
Knorpels spurlos verschwunden, oder hat sie sich selbst in den 
Knorpelstrang umgewandelt? Im letzten Fall würde die Auffas- 
sung von A. Müller), welcher letzteren bei den regenerirten 
Schwänzen mit einer Chorda verglich, etwas für sich haben. Es 
ist aber nicht wohl anzunehmen, da sich der Knorpelstrang des 
normalen Schwanzendes an den Intervertebralknorpel anschliesst, 
hinten diffus in eine weiche Masse ausgeht und der so sehr ähn- 
liche regenerirte Knorpelstrang sicher nieht aus der eigentlichen 
Chorda entstand“ (p. 8). 

Lasse ich die Beweiskraft der von H. Müller angegebe- 


1) H. Müller, Ueber Regeneration der Wirbelsäule und des 
Rückenmarks bei Tritonen und Eidechsen. Frankfurt a. M., 1864. 

2) Flesch, Ueber das Schwanzende der Wirbelsäule. Verhandl. 
der physik.-medicinischen Gesellschaft in Würzburg, N. F., 13. Bd., 1879. 
(Sitzungsberichte pag. XXX ff.) 

3) Fraisse, Eigenthümliche Structurverhältnisse im Schwanze 
erwachsener Urodelen. Zool. Anzeiger 1880, pag. 12. Fraisse hatin 
seinem Werke über Regeneration die älteren Angaben über den | 
Knorpelstab eitirt (pag. 14, 35 etc.). 

4) A. Müller, Beobachtungen zur vergleichenden Anatomie der 
Wirbelsäule. Müller’s Archiv, 1853, pag. 260 ff. (pag. 262). Weiter- 
hin werde ich auseinandersetzen, dass ich mich der Auffassung von 
A. Müller anschliesse, nach welcher der „Knorpelfaden“ des regene- 
rirten Urodelenschwanzes jüngerer Stadien eine echte Fortsetzung der 
Chorda ist. 


434 D. Barfurth: 


nen Gründe, die er gegen die Chordanatur des „Knorpelstranges“ an- 
führt, einstweilen dahin gestellt, so ergiebt sich, dass derselbe mit. 
einiger Zurückhaltung die Ansicht aussprieht, der Knorpelstrang 
stehe in keinem genetischen Zusammenhange mit der Chorda. 

Flesch war der erste, der über die Entwickelung des 
„Knorpelstabes“ Untersuchungen anstellte. Er fand die erste 
Anlage des Stabes bei Siredonlarven von 25 mm Länge als klei- 
nen, dem Chordaende aufliegenden, aber durch die Chorda- 
scheide von ihm abgesetzten Zellhaufen. Bei älteren 
Larven war dieser Zellhaufen zu einem Strange ausgewachsen, 
der später in Hyalinknorpel übergeht und eine eigenthümliche 
Gruppen-Anordnung zeigt; letztere führt weiterhin zum „Auftreten 
von Wirbelsegmenten hinter dem Ende der Chorda“ (p. XXX). 
Flesch erkannte dann später bei jüngeren Tritonlarven den- 
selben Entwickelungsmodus des Chordaendes und weist in seiner 
kurzen, aber inhaltreichen Mittheilung darauf hin, dass bei Fischen 
ähnliche Verhältnisse vorkommen. „Auch bei diesen läuft viel- 
fach die Wirbelsäule in ein ungegliedertes, meist nach aufwärts 
gerichtetes Endstück aus. Auch hier reicht das Chordagewebe 
nicht immer bis an das Ende der Wirbelsäule, sondern wird, wie 
v. Kölliker u.a. für Polypterus gezeigt hat (Ueber das Ende der 
Wirbelsäule der Ganoiden und einiger Teleostier, Leipzig 1860) 
durch Hyalinknorpel ersetzt“ (p. XXXD. 

Flesch zieht aus seinen Beobachtungen folgende Conse- 
quenzen: | 
„Die beschriebene Endverlängerung der Wirbelsäule der ge- 
schwänzten Amphibien geht aus Elementen hervor, die selbstän- 
dig sind, weder zu dem Chordagewebe, noch zu deren Scheiden, 
noch auch zu den beim Axolotl in der Nähe der Schwanzspitze 
zwischen deren Blättern nachweisbaren kleinen Zellen in Beziehung 
stehen. Der Endstab erscheint daher als eine selbständige Bil- 
dung, aus welcher sich wirkliche Wirbel abzugliedern vermögen. 
Die mikroskopische Untersuchung zeigt, . dass der Endstab nicht 
aus Chordagewebe besteht. Wenn man ihn aber auch zur Chorda 
zählen wollte, dann müsste man eine direete Abgliederung des 
Chordagewebes in Wirbel annehmen, eine Aufstellung, für welche 
bis jetzt analoge Beobachtungen in der hier besprochenen Wirbel- 
form nicht existiren“ (p. NXXII). Wie Flesch ist auch Fraisse!) 


1). Fraisse, Zool. Anzeiger a. a. O. pag. 12. 


Zur Regeneration der Gewebe. 435 


der Ansicht, dass der Knorpelstab der Chorda oder Chordascheide 
durehaus nicht angehört. 

Um in dieser Sache ein eigenes Urtheil zu gewinnen, habe 
ich den Knorpelstab in jungen Stadien bei Triton untersucht und 
kann mich, wenigstens in Bezug auf diesen Molch, den Ausfüh- 
rungen der genannten Autoren nicht anschliessen. Mir schien es 


nämlich, als wenn der „Knorpelstab“ ursprünglich doch mit der 


Chordazusammenhinge undzwarinder Weise, dassdieChorda- 
epithelzellen denselben bilden, dass also hier eine ähnliche 
Umwandlung in Knorpelzellen stattfindet, wie wir sie durch Gegen- 
baur !) bei der Bildung „des Chordaknorpels“ in der Chorda kennen 
gelernt haben und wie sie auch Götte?) an gewissen Stellen der 
Chorda fand. Die Art, wie sich der „Knorpelstab“ aus dem Chorda- 
epithel bildet, habe ich auf Taf. XXIII, Fig. 23 dargestellt. Auf eine 
genauere Schilderung der Entwickelung des Knorpelstabes gehe 
ich aber nicht ein, weil ich dadurch zu weit von meinem Gegen- 
stand abgedrängt würde und weil ausserdem Herr Dr. V. Schmidt 
auf meine Veranlassung mit einer Untersuchung über diese Ent- 
wickelung im hiesigen Institut beschäftigt ist. 

Es gibt also jedenfalls in der Entwickelung der Chorda bei 
den Urodelen drei Hauptphasen: 

1. Ausbildung der Chorda dorsalis mit den bekannten grossen 
hyalinen Chordazellen. 

2. An das caudale Ende der Chorda setzt sich ein knorpeliger 
Stab an, den ich Chordastab °) nennen will. 

3. Die Chorda wird von der sich mächtig entwickelnden äus- 
seren Chordascheide, der skeletogenen Schicht, von 
Strecke zu Strecke eingeschnürt, und der Chordastab glie- 
dert sich in sich selbst. Diese Vorgänge leiten die Wirbel- 
bildung ein. 


1) Gegenbaur, Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie 
der Wirbelsäule bei Amphibien und Reptilien. Leipzig, 1862, pag. 19 ff. 

2) Götte, Die Entwickelungsgeschichte der Unke, pag. 365, 
pag. 401 ff. 

3) Ich wähle die Bezeichnung „Chordastab“ statt des von H. 
Müller gebrauchten Ausdrucks „Knorpelstrang“ („knorpeliger End- 
stab“ bei Flesch, „Knorpelstab“ bei Fraisse), weil ich dem Gebilde 
eine andere Genese zuschreibe und durch dieses Wort die von allen 
Autoren anerkannte innige Verbindung mit der Chorda besser her- 
vorgehoben wird. 


436 D. Barfurth: 


Ob in der letzten Phase das skeletogene Gewebe auch auf 
den Chordastab übergreift, muss durch weitere Untersuchungen 
entschieden werden. 

Aus meiner Darstellung ergiebt sich, dass ich den Chorda- 
stab nicht dem Leydig’schen „Knorpelfaden“ im regenerirten 
Schwanz der Eidechsen!) („Knorpelrohr“, Heinrich Müller), 
noch auch dem „Knorpelstrang* des regenerirten und normalen 
Tritonenschwanzes nach H. Müller?) homologisiren kann. Vom 
„Knorpelfaden“ giebt Leydig an, „dass er jene Schichten und 
Theile in sich begreift, welche sonst aus der Scheide der Chorda 
ihren Ursprung nehmen“ (pag. 69), und Fraisse?) macht mit 
Vorbehalt die Annahme, „dass das Knorpelrohr homolog sei einer 
Bildung, die durch Verschmelzung der obern und untern Bögen 
mit Ausfall der Wirbelkörper zu Stande gekommen“ (pag. 107). 
Beide schliessen sich im Grossen und Ganzen der morphologi- 
schen Deutung an, die schon Gegenbaur®*) dem Knorpelrohr 
gegeben hatte: „Das Knorpelrohr erscheint als nichts anderes, 
als ein neugebildetes, ungegliedertes Rückgrat, eine Hülle für 
das in der Fortsetzung des Rückenmarkes neugebildete Gewebe, 
entspricht somit einer Summe von Wirbelkörpern und oberen 
Bogenstücken“ (pag. 49). 

Ueber den regenerirten „Knorpelstrang“ sagt H. Müller, 
dass er als „Aequivalent des Stranges von äusserer skeletbil- 
dender Substanz“ betrachtet werden müsse, welcher aussen an 
der Chorda liegt. Hiernach wäre der „Knorpelstrang“ ein De- 
rivat der skeletogenen Schicht und hätte mit der Chorda gar 
nichts zu thun. Später macht H. Müller aber folgende Con- 
cession: „Allenfalls kann man die Sache so ansehen, dass der 
neue Knorpelfaden das Aequivalent der Chorda sammt 
äusserem Beleg ist, welche in dem reprodueirten Theil der 
Wirbelsäule unter wesentlich anderen Verhältnissen nicht zur 
Differenzirung gekommen ist“ (pag. 21). Ich habe in diesem Citat 
die Worte, auf die es ankommt, gesperrt. Die Ansicht Fraisse’s 


1) Leydig, Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier. 
Tübingen, 1872. 

2) H. Müller, a. a. O. pag. 8. 

3) Fraisse, Die Regeneration etc. a. a. O. pag. 107. 

4) Gegenbaur, Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie 
der Wirbelsäule bei Amphibien und Reptilien ete., pag. 49. 


Zur Regeneration der Gewebe. 437 


_ über den regenerirten „Knorpelstab“ werde ich später bei Be- 


sprechung meiner Versuche im Zusammenhang mit meiner eigenen 
Anschauung erörtern. 

Hier will ich aber noch des „Chordastäbchens“ (Braun) 
gedenken, welches zuerst E. Rosenberg!) bei menschlichen 
Embryonen fand, nachher von Braun?) an der Schwanzspitze 
von Säugern und Vögeln nachgewiesen wurde. Es entspricht 
nach meiner Auffassung morphologisch dem „Chordastab“ der 
Urodelen. 

Nach diesen Vorbemerkungen schildere ich nunmehr meine 
Versuche über die Regeneration der Chorda bei den Urodelen. 
Es wird sich dabei herausstellen, dass ich nach genauerer Unter- 
suchung des normalen Chordaendes und nach Anstellung umfang- 
reicherer Versuche meine früher mitgetheilten Anschauungen 
(Anat. Anzeiger, 1888, pag. 403 ff.) bedeutend modifieirt habe. 
Ich halte es für richtig, auch hier, wie bei Besprechung der 
Epithelregeneration, über meine Versuche zuerst historisch zu be- 
richten und nachher meine Folgerungen aus den Beobachtungen 
übersichtlich zusammenzustellen. 

Die ersten Versuche machte ich an Larven von Triton 
eristatus, die frei in der Natur aufgewachsen, gross und kräftig 
waren; ihre Länge betrug 4—6cm. Am sechsten Tage nach 
Amputation der Schwanzspitze wurde eine Larve in Flemming- 
scher Mischung abgetödtet und das regenerirte Stück, welches 
bei 17° C. 3,2 mm lang geworden war, in Verbindung mit einem 
etwa ebenso langen Stück des persistirenden Schwanzstückes in 
sagittaler Richtung mikrotomirt. Ich beschreibe den Regenera- 
tionsbefund an einem Schnitte, der nahezu ein Medianschnitt 
war. Das regenerirte Rückenmark (Tafel XXII, Fig. 17) liegt 
in der Mitte, unter demselben hat der Schnitt einen Wirbel- 
körper, über demselben einen oberen Bogen getroffen. Im ver- 
schmächtigten Theile des Körpers liegt der Gegenbaur’sche 
Chordaknorpel, an den sich nach der Schnittgrenze zu die Chorda 


1) E. Rosenberg, Ueber die Entwickelung der Wirbelsäule 
und das Centrale carpi des Menschen. Morphol. Jahrb., 1. Bd., 1876, 
pag. 83 ff. (pag. 124 ff., Tafel III, Fig. 2, 4, 10). 
2) Braun, Aus der Entwicklungsgeschichte der Papageien. IV, 
pag. 174. Verhandl. der physic.-med. Gesellschaft in Würzburg. Neue F. 
15. Bd., 1881. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 29 


438 D. Barfurth: 


anschliesst. Die Chorda verbreitert sich etwas nach unten zu, und 
an dieser Stelle liegt nun die erste Regenerationszone des Knorpel- 
stabes. Man bemerkt hier an den seitlich von der Chorda ge- 
legenen Geweben eine lebhafte Bildung spindelartiger Zellen, die 
so gekrümmt sind, dass ihre convexe Seite nach unten, die con- 
cave nach oben zu gerichtet ist; auf diese Weise entsteht eine 
zwiebelschalenartige Kappe, die dem angeschnittenen Wirbel- 
körper aufsitzt. Der mittlere Theil dieser Kappe hängt in ziem- 
licher Ausdehnung sehr enge mit dem Chordarest zusam- 
men, und hier sehe ich nun sehr deutlich, dass vom untersten 
Ende der Chorda her eine grosse Zahl junger proto- 
plasmatischer Zellen sich mit den von der Seite her 
nach unten zu proliferirenden Elementen verbindet. 
Dass diese Zellen echte junge Ohordazellen sind, ist mir un- 
zweifelhaft. Sie liegen nicht nur den alten grossen hellen Chorda- 
zellen ganz dieht an, sondern manchmal gar zwischen ihnen. 
Es scheint also, dass auch hier in der Chorda einzelne den 
Zellen des Chordaepithels gleichwerthige Zellen zurückbleiben 
und nach dem durch die Verwundung gesetzten Reiz zur Proli- 
feration gelangen. Die junge Brut betheiligt sich demgemäss 
an der Bildung der ersten Regenerationskappe und weiterhin des 
Knorpelstabes; in letzterem würden also auch die Elemente der 
Chorda vertreten sein, und dadurch gewinnt die Anschauung von 
der „Chordaähnlichkeit“ des Knorpelstabes!) noch eine genealo- 
gische Grundlage. Zu verwundern ist es ja durchaus nicht, dass 
an der Bildung des Knorpelstabes, der den Ersatz der ganzen 
Wirbelsäule darstellt, auch die noch vorhandene jugendliche 
Chorda theilnimmt. | 

Ich habe ferner Larven und erwachsene Individuen von 
Triton taeniatus auf den regenerirten Knorpelstab untersucht und 
denselben so gefunden, wie er von H. Müller und Fraisse be- 
schrieben wurde. Bei einer Larve, deren Schwanzspitze 12 Tage 
lang bei 20° C. regenerirt war, fand ich den Knorpelstab in 
Gliederung begriffen; es liessen sich sechs Segmente erkennen. 


1) Leydig, Lehrbuch der Histologie, pag. 62 u. Die in Deutsch- 
land lebenden Arten der Saurier, pag. 64. Leydig meint von dem 
regenerirten Knorpelfaden der Eidechsen mit Recht, er „behalte etwas 
Chordaähnliches und sei in gewissem Sinne auch Chorda“, 


Zur Regeneration der Gewebe. 439 


- Der Knorpelstab eines erwachsenen T. taeniatus weist nach 
20 Tagen (15° C.) noch keine deutliche Gliederung auf. Es 
ist dies ein Beweis dafür, dass erwachsene Thiere langsamer 
regeneriren als jugendliche und dass die höhere Temperatur die 
Regeneration beschleunigt. 

Um nun eine Regeneration des eigentlichen Chordagewebes 
zu erzielen, amputirte ich ganz junge, eben erst ausgeschlüpfte 
Larven von Triton taeniatus, die im anatomischen Institut zu 
Göttingen gezüchtet waren. Die Thiere waren, wie die von 
- Fraisset) benutzten, 6—10 mm lang. Der Erfolg entsprach in- 
sofern nieht meinen Erwartungen, als nicht der „Gallertkörper“ 
der Chorda mit seinen grossen hyalinen Zellen, sondern wieder 
ein stabähnliches Gebilde („Knorpelstab“, Fraisse) regenerirt 
wurde. Ich stimme also Fraisse in der Beobachtung ganz bei, 
nicht aber in der Deutung. Fraisse leitet die Regeneration 
seines Knorpelstabes auch bei diesen jungen Larven vom skeleto- 
senen Gewebe ab und kommt desshalb folgerichtig zu dem Schluss, 
dass die Chorda sich „überhaupt nur bei den Anuren regene- 
rirt, und zwar bei den Larven derselben; auch bei den jüngsten 
Urodelenlarven, die ich zu diesem Zwecke amputirte, konnte ich 
niemals eine Regeneration der Chorda constatiren* (pag. 93). 
Dass Fraisse das Verhalten der Chordazellen bei der Regene- 
ration sehr gewissenhaft geprüft hat, ergiebt sich aus dem fol- 
senden Satze: „Allerdings sitzt bei diesen kleinen Larven ... 
der neugebildete axiale Stab nicht so kappenartig den letzten 
Chordazellen, die unverletzt geblieben sind, auf, wie das bei den 
älteren Larven und den erwachsenen Thieren der Fall ist, son- 
dern es scheint sogar mitunter, als ob die Elemente 
der Chordazellen direet in den regenerirten Knorpel- 
stab übergingen“ (pag. 95). Den gesperrten Druck der letzten 
Zeilen habe ich veranlasst, um die Wichtigkeit derselben hervor- 
zuheben. Ich bin nun nicht der Meinung, dass die ausgebildeten 
hyalinen Chordazellen sich etwa in embryonale protoplasmatische 
Zellen umwandeln und auf diese Weise direct in den Knorpel- 
stab übergehen, sondern ich leite die Regeneration hier, 
wie bei den Urodelen und überall in der Chorda, vom 
Chordaepithel ab. Wie das geschieht, habe ich in Fig. 23b, 


1) Fraisse, a. a. O. pag. 93. 


440 D. Barfurth: 


Tafel XXIII zu veranschaulichen gesucht. So wie im normalen 
Schwanzende die Zellen des Chordaepithels den Chordastab da- 
durch erzeugen, dass sie sich nicht mehr in hyaline Chorda- 
zellen, sondern allmählich in Knorpelzellen umwandeln, genau so 
geschieht die Bildung des regenerirten Chordastabes. Die proto- 
plasmatischen Chordaepithelien (che) proliferiren unter Bildung 
von Mitosen und legen sich kappenförmig um das abgeschnittene 
Chordaende. Sie bilden dabei nach aussen eine nicht immer 
deutliche Begrenzung, das Homologon der inneren Chordascheide 
(ich). Die Zellen selber bekommen später eine sehr deutliche 
Zellmembran (zm) und die Zwischensubstanz wird copiöser; eine 
Umwandlung in eigentliches Knorpelgewebe war aber bei diesem 
Thier (Triton taeniatus, Larve, 0,8em lang, Vorderglieder vor- 
handen, sechs Tage bei 20° C. regenerirt) noch nicht nachzu- 
weisen. Nach der Schwanzspitze zu werden die Zellen wieder 
protoplasmatisch und verlieren sich zuletzt in das anstossende 
Bindegewebe. Es sei noch hervorgehoben, dass ich eine Bethei- 
ligung des skeletogenen Gewebes bei der Regeneration des Chorda- 
stabes deshalb ablehnen muss, weil die Chorda noch ganz frei 
liegt, ohne Umhüllung der äusseren Chordascheide. 

Aus diesen Versuchen hatte sich ergeben, dass das eigent- 
liche Chordagewebe (Gallertkörper) nicht regenerirt wurde, dass 
vielmehr sogleich der Chordastab hergestellt wurde. Da nun 
unter den Urodelen die Salamandrinen sich verhältnissmässig 
schnell zu Landthieren umwandeln, beschloss ich, weitere Ver- 
suche über die Regeneration der Chorda an einem sich lang- 
samer entwickelnden Perennibranchiaten anzustellen. Dazu eig- 
nete sich Siredon vortrefflich. Versuche an jungen, im hiesigen 
vergleichend-anatomischen Institut gezüchteten Larven wurden 
von mir im Laufe des letzten Sommers im grosser Zahl ange- 
stellt und hatten durchweg das interessante Ergebniss, dass 
bei ganz jungen, noch im Ei oder gleich nach dem 
Ausschlüpfen operirten Thieren sich zunächst eine 
Partie echter hyaliner Chordazellen und dann erst im 
Anschluss an diese der Chordastab regenerirt. | 

Die im Ei operirten Thiere waren etwa Tmm lang und be- 
kundeten durch zeitweilige energische Schwanzschläge, dass sie 
beinahe zum Ausschlüpfen reif waren. Die Schwanzspitze wurde 
im Ei mit einer feinen Scheere abgeschnitten; zuweilen blieb ein 


Zur Regeneration der Gewebe. 441 


Rest des angeschnittenen Eies und seiner Hüllen!) noch kurze 
Zeit am Thiere sitzen, in der Regel wurde es ganz frei, lebte 
aber auch dann ganz munter weiter. Die ausgeschlüpften Thiere, 
die ich operirte, waren bis zu 11 mm lang. Alle operirten 
Larven wurden isolirt und in reinem Quellwasser gehalten. Ob- 
gleich die Larven auch nach dem Ausschlüpfen ja noch längere 
Zeit keine Nahrung zu sich nehmen können und auf die Resorption 
der in den Zellen massenhaft aufgespeicherten Dotterschollen 
angewiesen sind, regeneriren sie in 1—2 Wochen die abge- 
schnittene Schwanzspitze bis zu ca. 1,5 mm Länge. Den Thieren 
wurde dann nach 3, 5, 6 etc. Tagen die Schwanzspitze (also 


das Regenerationsstück mit einem kurzen Stück des persistirenden 


Schwanzes) abgeschnitten, fixirt, gefärbt und sagittal oder frontal 
mikrotomirt. Da es mir hierbei auf feinere histogenetische Stu- 
dien ankam, fertigte ich Schnittserien von 7,5u an. 

Um nicht weitläufig zu werden, bespreche ich nur zwei 
Präparate ausführlicher. 

Das erste Präparat stammte von einer im Ei amputirten 
Larve, deren Schwanzspitze dann 7 Tage lang bei 18° C. rege- 
nerirt war. Das abgeschnittene Schwanzende wurde in Chrom- 
essigsäure fixirt und mit Borax-Carmin gefärbt. Die regenerirte 
Chorda eines Schnittes der angefertigten Serie wurde mit der Ca- 
mera lueida, Leitz Obj. 7, Oc. 1 in Fig. 29, Tafel XXIV ge- 
zeichnet. Die Schnittgrenze liegt bei g, wie sich aus dem Ver- 
halten der Chordazellen und der nebenan liegenden quergestreiften 
Muskulatur (die in der Zeichnung nicht berücksichtigt wurde) 
mit Sicherheit schliessen liess. Man sieht die grossen hyalinen 
Zellen der persistirenden Chorda bei pch; Chordaepithelzellen 
liegen an der Innenseite der inneren Chordascheide is bei che. 
Neugebildete Chordazellen liegen in der ersten Regenerations- 
zone bei rch. Im Anfangstheil dieser Zone finden sich merk- 
würdiger Weise noch einige Dotterkörper K; sie waren in diesem 
Schnitt zufällig nicht vorhanden, sind aber aus dem drittfolgenden 


1) Oscar Schultze, Untersuchungen über die Reifung und Be- 
fruchtung des Amphibieneies, Zeitschrift für wiss. Zool., 45. Bd., pag. 
177 ff, gab neuerdings eine sorgfältige Beschreibung (pag. 212) und 
Zeichnung derselben am Amphibienei (Rana) nach der Befruchtung 
Tafel XIII, Fig. 42. Ueber die Dotterkörper, die eine kugel-, schlecht 
würfelförmige oder eiförmige Gestalt haben, handelt pag, 190 ff, 


442 D. Barfurth: 


Schnitt der Serie hier eingetragen. In anderen, auch noch’ länger 
regenerirten Präparaten fanden sich die Dotterkörper noch in 
grossen Mengen an derselben Stelle. Ich war zuerst der Mei- 
nung, es handle sich hier vielleicht um Tröpfehen von Muein, 
fand aber bald genau dieselben Körper noch sporadisch in anderen 
Zellen desselben Präparats und stellte durch Vergleich mit un- 
zweifelhaften Dotterkörpern in embryonalen Zellen die Identität 
fest. Sie färben sich mit Hämatoxylin und Borax-Carmin (schwächer). 

Dass wir nun in der Zone rc h echte regenerirte Chorda- 
zellen vor uns haben, zeigt ein Blick auf die Zeichnung. Das 
Charakteristische dieser Zellen, die allmähliche Verdrän- 
sung oder Umwandlung des Protoplasma durch Bil- 
dung einer hyalinen Substanz, finden wir in ausgesproche- 
nem Maasse. Dabei sieht man deutlich, dass das Protoplasma 
hier und da noch in grösserer Menge vorhanden ist, als in den 
persistirenden Zellen. Die hyalinen Tropfen aber haben 
sich, wie in den persistirenden Chordazellen, mit einer sehr 
deutlichen Membran umgeben, und da sie noch nieht überall 
die ganze Zelle erfüllen, so werden die Zellgrenzen selber 
an vielen Stellen zweifelhaft. Die Eigenthümlichkeit der 
hyalinen Substanz, eine feste Membran zu bilden, erklärt nun 
eine Erscheinung an dem regenerirten Chordastab älterer Larven, 
wie sie in Fig. 23b, Tafel XXIII dargestellt ist. Da diese Mem- 
branen natürlich da aufhören, wo die hyaline Substanz aufhört, 
so sieht es so aus, als überzöge an der Schnittgrenze 
& die innere Chordascheide den Amputationsstumpft. 
Wäre das der Fall, so hätten Flesch und Fraisse Recht, wenn 
sie angeben, dass der „Knorpelstab“ in keinem genetischen Zu- 
sammenhang mit der Chorda stünde. Gerade aber das Studium. 
dieser Regenerationsstadien von Siredon beweist, dass dies 
eine Täuschung ist. Die Membran, die den Amputationskegel 
überzieht, ist nur die Gesammtheit der Membranen, die 
die hyaline Substanz einschliessen, ist aber nicht 
gleichwerthig der innern Chordascheide; diese zieht 
vielmehr aussen um den Regenerationskegel weiter. Sie 
folgt den neugebildeten Chordazellen, weil sie ein Produkt 
derselben ist und hört in Folge dessen am peripheren Theil 
des Regenerationskegels auf, weil hier die Zellen noch durchweg 
protoplasmatisch sind. 


Zur Regeneration der Gewebe. 443 


Auf die Zone der regenerirten hellen Chordazellen folgt 
eine Zone von Zellen, die mit deutlichen Membranen versehen 
sind (zm), in denen aber die Bildung hyaliner Substanz abnimmt. 
Zuletzt werden die Zellen, wie schon erwähnt, ganz protoplasma- 
tisch, haben keine Membran und nicht einmal deutliche Proto- 
plasmagrenzen mehr. Sie stossen dann an das caudale Binde- 
gewebe und sind zuletzt von den Zellen desselben mit Trocken- 
linsen gar nicht, mit Immersionslinsen aber meist gut zu unter- 
scheiden. 

Zum Schluss beschreibe ich noch ein weiter vorgeschritte- 
nes Stadium, an dem’ in mehrfacher Hinsicht etwas neues zu 
sehen war. Das Thier war nach dem Ausschlüpfen amputirt, 
die Schwanzspitze war 14 Tage bei 18°C. regenerirt. Das Prä- 
parat war fixirt mit Chromessigsäure, gefärbt mit Hämatoxylin; 
Sehnittdicke 7,5u. Man sieht in der ersten Regenerationszone 
Junge Chordazellen, die ganz hyalin geworden sind, wie die per- 
sistirenden, aber nur etwa halb so gross sind. Darauf folgt eine 
Zone von Zellen mit sehr scharf begrenzter Membran, in denen 
nur hier und da noch hyaline Substanz sich findet. Einige die- 
ser Zellen zeigen nun sehr deutlich in ihrem Umkreise diejenigen 
Veränderungen, die wir durch Born!) und Strasser?) bei der 
Bildung des jungen Knorpels kennen gelernt haben und die 
auch von Fraisse?) bei der Entwiekelung des Knorpelstabes 
von Pleurodeles Waltlii beobachtet wurden. Der Kern ist gross, 
wie gewöhnlich im Chordastabe in der Richtung der Längsachse 
etwas abgeplattet. Um ihn findet sich ein leicht granulirtes Pro- 
toplasma, welches sich durch seine hellere Farbe scharf von einer 
äusserst fein concentrisch geschichteten Zwischensubstanz (Inter- 
cellularsubstanz) abhebt: letztere ist durch Hämatoxylin- zart blau 
gefärbt und geht an einer Seite in ei dunkleres fast spindel- 
förmiges Gebilde über. Diese zart geschichtete Zwischensubstanz 
entspricht nach meiner Auffassung dem primären Alveolen- 


1) G. Born, Zum Carpus und Tarsus der Saurier. . Morphol. 
Jahrb., 2. Bd., pag. 1 ff. (pag. 20). 

2) Strasser, Zur Entwickelung der Extremitätenknorpel bei 
Salamandern und Tritonen. Morphol. Jahrb., 5. Bd., pag. 240 ff. 

3) Fraisse, Beitr. zur Anatomie von Pleurodeles Waltlii, Disser- 
tation. Würzburg, 1880, pag. 23, 24. 


444 D. Barfurth: 


werk Strasser’s (p. 248) und geht gelegentlich in die dunkeln 


prochondralen Elemente über (p. 254). 

Während hier schon die ersten Anfänge der Knorpelbildung 
zu sehen sind, findet man peripher nur die schon vorhin beschrie- 
benen Zellen mit deutlichen Membranen, denen noch weiter peri- 
pher die ebenso schon erwähnten protoplasmatischen Zellen folgen. 
Nach einer 14tägigen Regeneration wird also bei genauer histo- 
genetischer Untersuchung des jungen Chordakegels folgendes klar: 
“ Die durch Proliferation der Chordaepithelien zunächst 
entstehenden protoplasmatischeu Zellen haben in der 
ersten Zeit noch die Fähigkeit Sieh dureh Bildung 
hyalinen Inhalts in gewöhnliche Chordazellen zu ver- 
wandeln; bald aber geht ihnen diese Fähigkeit ver- 
loren, sie bilden Knorpelsubstanz und werden selber 
zu Knorpelzellen. 

Nach dem Vorgange von Roux versuchen wir neuerdings 
Umbildungen dieser Art vom Standpunkte der Entwicklungs- 
mechanik aus zu durchleuchten. Das ist nun gerade für den 
Knorpel in vortrefflicher Weise schon von Strasser geschehen 
und ich wüsste für mein Objeet seinen Ausführungen kaum etwas 
zuzusetzen. Es scheint, dass bei den Schwimmbewegungen des 
Schwanzes Druck und Zug eigenthümliche Reaectionen der Gewebe 
erzwingen. Bei den Anuren, deren Chorda durchweg bis zur 
äussersten Spitze aus hyalinen Zellen besteht, wird die grössere 
Widerstandsfähigkeit durch eine sehr starke Verdiekung der 
Chordascheiden herbeigeführt. Das Analogon dieser Ver- 
diekung liefert bei den Urodelen die skeletogene Schicht 
durch die eigentliche Skeletbildung. Da diese aber in den 
jüngsten Entwicklungsstadien und besonders am 
periphersten Theile der Chorda noch nicht vor- 
handen ist, so tritt eine Art Selbsthülfe des Chorda- 
gewebes in der Weise ein, dass statt der weniger resistenten 
hyalinen Zellen Knorpelgewebe gebildet wird. Ich sehe 
also mit Fraisse in dem Chorda- und Knorpelstabe eine 
funetionelle Anpassung, erkläre mir aber das Zustandekommen 
derselben in anderer Weise ?). 


1) Fraisse, Die Regeneration etc. a.a. O. pag. 104: „Dagegen 
beruht die Bildung des Knorpelstabes aber selbst allerdings auf einer 


Zur Regeneration der Gewebe. 445 


Aus meinen Mittheilungen ergeben sich folgende Schlüsse : 

1) Die Chorda regenerirt sich nicht nur bei anuren, sondern 
auch bei urodelen Amphibien. 

2) Die Umwandlung der neugebildeten Chordazellen- in grosse 
hyaline Zellen geschieht nur bei sehr jungen Individuen 
(Siredon) und auch hier nur in den ersten Stadien der Re- 
generation. Später wandeln sie sich zum „Chordastab“ um. 

3) Etwas ältere Larven von Siredon und wie es scheint von 
Triton* schon die jüngsten Larven regeneriren den 
Chordastab, der dem echten Chordagewebe isogene- 
tisch ist. ? 

4) Noch ältere Larven, bei denen das skeletogene Ge- 
webe um die Chorda schon überall entwickelt ist, regene- 
riren aus skeletogenem und Chordagewebe (Chordaepithel) 
den .„Knorpelstab“ (H. Müller, Fraisse). 

5) Es ergiebt sich also für die Regeneration der Chorda und 

des Skelets (Knorpelstab) das einfache Gesetz, dass die 

Art der Regeneration durchaus abhängig ist 

vom jeweiligen Entwicklungsstadium des 

Stützapparats (Chorda und skeletogenes Gewebe). 


Anhangsweise will ich hier noch auf die verschiedene 
Schnelligkeit in der Regeneration des Rückenmarks und des 
Stützapparats hinweisen. Wie früher schon bemerkt wurde, ist 
in den ersten Tagen das Rückenmark der Chorda resp. 
demKnorpelstab etwasvoraus. Bei den Anuren wächst 
dann aber etwa vom 4. Tage an die Chorda schneller und 
holt das Rückenmark ein. Etwa vom 5.—9. Tage finde ich 
beide Organe gleich lang, beide gehen bis dicht an die Haut 
heran. Dann aber beginnt die Chorda das Rückenmark zu über- 
holen oder, was auf dasselbe hinauskommt, das Rückenmark 
wächst langsamer: an zahlreichen Präparaten vom 12. Tage 


funetionellen Anpassung, denn es kann constatirt werden, wie ich das 
auch an anderen Orten erwähnt habe, dass eine Turgescenz des ganzen 
Schwanzendes zu bestimmten Zeiten, und zwar zur Brunstperiode der 
Urodelen eintritt und dass höchst wahrscheinlich dann beim Landauf- 
enthalt der Thiere wiederum eine, wenn auch geringe, Reduction der 
so gebildeten Wirbel stattfindet.“ 


446 D.»Barfurfh: 


(R. esceulenta, regenerirt bei 17°C., Regenerationsstück 5,5 mm) 
ragt die Chorda beträchtlich weiter nach dem Schwanzende vor, 
als das Rückenmark. Noch viel auffallender ist das Verhältniss 
bei den Urodelen, deren Knorpelstab sich auch in dieser Be- 
ziehung ähnlich verhält wie die Chorda der Anuren. Hier hat 
das Rückenmark einen Vorsprung, der sich viel länger geltend 
macht, als bei den Froschlarven. An einer Querschnittsserie von 
Triton eristatus (6. Tag der Regeneration, 17°C.) ragt das 
Rückenmark bis zum 36. Schnitt = 0,54mm vom 'Schwanzende 
vor, der Knorpelstab (50. Schnitt) bei 0,75 mm, der obere Wir- 
belbogen und die Muskulätur (81. Schnitt) bis 1,22mm vom 
Schwanzende. Zum Vergleich damit habe ich eine Querschnitts- 
serie durch das normale Schwanzende einer gleichaltrigen Larve 
von Triton eristatus angefertigt. Hier fand sich das Ende des 
Knorpelstabes und der obere Wirbelbogen schon im 6., das Rücken- 
mark im 10. Schnitt. Bei der Regeneration hat das Rückenmark 
noch am 8. Tage einen kleinen Vorsprung, dann wird es vom 
Knorpelstab eingeholt und endlich überholt. Es wachsen also hier 
wie bei den Anuren Chorda und Rückenmark in Folge ungleich 
schneller Regeneration an einander vorbei. 


4. Bindegewebe, Cutis und Gefässe. 


Fast gleichzeitig mit der Chorda beginnt die Gruppe der 
Bindesubstanzen ihre Regeneration. Zwei so enge zusammenhän- 
gende Gewebe, wie Epidermis und Cutis, werden nicht gleich- 
zeitig, sondern nach einander regenerirt: die Epidermis 
viel früher als die Cutis ?). | 

Wenn in der Chorda dorsalis (2. und 3. Tag) die Vermeh- 
rung der Chordaepithelzellen und ihre Anhäufung zwischen dem 
Ende der Chordascheide und dem nach innen zu liegenden alten 
Chordagewebe (Fig. 22 ce) begonnen hat, zeigen sich auch im 
Bindegewebe schon Regenerationserscheinungen. An einer 
Serie von Sagittalschnitten einer Larve von R. esculenta finde ich 
am 3. Tage (17°C.) die ersten Mitosen in fixen Binde- 
sewebzellen, sehr bald werden diese überaus zahlreich. Die 
neugebildeten Zellen sind zuerst protoplasmatisch (Fig. 25 mb); 


1) Fraisse, 2.2. 0, pag.7i. 


Zur Regeneration der Gewebe. 447 


‚später wächst das Protoplasma nach einer oder mehreren Seiten 
‚aus und bildet die Fibrillen. Näheres darüber hat Fraisse mit- 
‚getheilt (p. 78). Das regenerirte Bindegewebe ist ausserordentlich 
reich an Kernen; ausserdem findet man sehr viele Wanderzellen 
- (Körnehenzellen) und Pigmentzellen. Nach 5 Tagen ist bei Frosch- 
larven die bindegewebige Grundlage des Schwanzes am äussersten 
Ende ganz so regenerirt, wie wir sie nach den Untersuchungen 
vonLeydig, Hensen, Eberth u.a. im normalen Schwanze 
finden. 
| Die erste Anlage der Cutis ist regenerativ wie embryonal 
„zuerst ein homogenes dünnes Häutehen (Remak), welches dann 
mit dem Diekerwerden ganz und gar in feine Fibrillen zerfällt“ !). 
Dieses Häutchen ist stark lichtbrechend und liegt in den ersten 
Stadien der Regeneration der untersten Zellenschicht der Epider- 
mis so dicht an, dass ich wohl verstehen kann, wie Hatschek ?) 
zu der Ansicht kam, es sei „eine von der Epidermis ausgeschiedene 
Basalmembran“. Ich bin indessen der Meinung, die auch Hat- 
schek als disceutabel gelten lässt, dass wir hier die äusserste 
Schieht der Cutis ?) vor uns haben. Diese Cutislamelle sehe ich 


1) Kölliker, Histologische Studien an Batrachierlarven. Zeit- 
schrift für wiss. Zool., 43. Bd., pag.1 ff. (pag. 15). 

2) Hatschek, Ueber den Schichtenbau von Amphioxus. Ana- 
tomischer Anzeiger, 1888, pag. 662 ff. (pag. 666). Häatschek’s Ansicht 
erinnert an eine ähnliche Anschauung Hensen’s, nach welcher die 
gallertige Substanz zwischen den Epidermisplatten des embryonalen 
Froschlarvenschwanzes „von der Epidermis ausgeschieden 
werde“. — Hensen, Ueber die Entwickelung des Gewebes und der 
Nerven im Schwanze der Froschlarve. Virchow’s Archiv, 31. Bd., 
1864, pag. 51 ff. (pag. 54). 

3) Diese Ansicht wurde zuerst von Remak ausgesprochen: Die 
erwähnte gallertige Substanz „verdichtet sich unterhalb der zelligen 
leicht ablösbaren Oberhaut zu einer festen glashellen Membran“. Unter- 
suchungen über die Entwickelung der Wirbelthiere. Berlin, 1855, 
pag. 152. Hensen gab zu, dass eine dichtere Schicht sich auf der 
Oberfläche des Schwanzes findet, glaubte aber nicht, dass dieselbe als 
eine besondere Membran aufzufassen sei. Hensen, Virchow’s 
Archiv, a. a. O. pag.55. Später stimmte er dann Eberth zu, der 
den Nachweis geführt hatte, dass in späteren Entwickelungs- 
stadien die Cutislamella allerdings zu einer besonderen Membran 
werde. Hensen, dieses Archiv, 4. Bd. pag. 111ff. (pag. 114). — 
Eberth, dieses Archiv, 2. Bd., pag. 490 ff. — Siehe ferner Fraisse, 
a. a. OÖ. pag. 76. 


448 D-Barfurtfh: 


am deutlichsten an den Larven von Rana und etwas ältern Uro- 
delenlarven; bei den im Ei oder gleich nach dem Ausschlüpfen 
amputirten Siredonlarven ist sie äusserst schwach entwickelt und 
. vielfach schwer zu sehen, weil sich fast gleichzeitig mit ihr eine 
Pigmentschicht entwickelt (Fig. 27, Taf. XXIV p). 

Die neue Cutislamelle setzt sich, wie ich an einem Präparat 
von R. esculenta (3 Tage bei 16 ° regenerirt) deutlich sehe, ganz 
genau an die persistirende an; letztere ist an dem Präparat etwa 
dreimal mächtiger, als die regenerirte. Trotzdem ist wohl ein 
genetischer Zusammenhang zwischen beiden nicht anzunehmen, 


da das feine Häutchen der jungen Cutis mit der Entwiekelung 


des Bindegewebes zwischen den Epidermisplatten gleichen Schritt 
hält und — nach meiner Ansicht — als Verdichtungsschicht der 
Bindegewebsfasern resp. „der gallertigen Substanz“ an der Epider- 
mis aufzufassen ist. 

Was die Regeneration der Gefässe anbetrifft, so 
habe ich den Angaben Fraisse’s kaum etwas zuzufügen. Ich 
habe mich damit begnügt die Regeneration der Capillaren 
zu studiren und finde diese so verlaufen, wie wir durch die Un- 
tersuchungen von Arnold, Ziegler, Rouget, Mayer, 
Bobritzki, Fraisse, Kölliker!) ete. wissen. Nur in 
einem, allerdings nicht unwesentlichen Punkte, weiche ich von 
Fraisse ab. Fraisse findet bei dem Vorgange keine Mitosen, 
ich finde sie. Ich will ganz kurz einige Beobachtungen schildern. 
Das Präparat stammt von einer Siredonlarve, die bald nach dem 
Ausschlüpfen amputirt war und dann 12 Tage bei 18°C. regene- 
rirt hatte. Zwischen zwei Capillarschlingen hat sich eine Ana- 
stomose gebildet, die von der einen Capillare aus schon bis zu 
zwei Drittel eanalisirt ist und in diesem Theil zwei rothe Blut- 
körperchen enthält; das letzte mit der andern Capillare verbundene 
Drittel ist noch durchaus solide und ist nichts anderes als das 
langausgezogene Protoplasma einer Zelle, deren Kern in mito- 
tischer Theilung begriffen ist. Während dieser Kern schon 


in der jüngsten Capillare liegt, seine Herkunft vom Endothel der 
Muttercapillare also nicht direct sichtbar ist, sehe ich an einer 


andern Siredonlarve, die 10 Tage bei 18°C. regenerirt hatte, 


1) Die Literatur ist bei Fraisse, pag. 134 ff. und bei Kölliker 
(Histologische Studien an Batrachierlarven a. a. O. pag. 34 ff.) eitirt. - 


WER RE MER 


Zur Regeneration der Gewebe. 449 


eine ın Karyokinese begriffene Zelle in der Wand 
einer Capillare liegen und von ihr den jungen 
_ protoplasmatischen Spross direet ausgehen. 


Ich ziehe aus diesen Beobachtungen den Schluss, dass Binde- 
 gewebe, Cutis und Gefässe sich vom entsprechenden restirenden 
EBewebe auf dem Wege der mitotischen Kerntheilung regeneriren. 
_ Der Zeit nach kommt erst das Bindegewebe an sich, dann Cutis, 
zuletzt Gefässe. 


5. Quergestreifte Muskulatur. 


LE PURE 


Am spätesten von allen Geweben?!) des Amphibienschwanzes 
(mit Ausnahme des peripheren Nervensystems) regeneriren sich 
die quergestreiften Muskelfasern. Damit soll keineswegs gesagt 
sein, dass auch die Elemente, aus denen sie entstehen, am späte- 
sten auftreten: diese, die jungen Muskelzellen, sind schon längst 
vorhanden, bevor die Differenzirung derselben zu quergestreiften 
Muskelfasern nachweisbar ist. 

Die Art der Regeneration dieses Gewebes setzt nach allen 
Erfahrungen der Untersuchung die grössten Schwierigkeiten ent- 
gegen. Dem entsprechend giebt es nächst dem Epithel wohl 
kein Gewebe, dessen Regeneration so oft untersucht und beschrie- 
ben 2) wurde, wie die der quergestreiften Muskulatur. Diese zahl- 
reichen Untersuchungen haben immerhin schon manche der vielen 
strittigen Punkte erledigt. So kann es nach den neuesten Unter- 


u 


1) Ich bestätige damit die Angaben Fraisse’s, pag. 128. „Immer 
ist doch ein gutes Stück des Schwanzes regenerirt, welches Epithel, 
Bindegewebe, Blutgefässe und Knorpel enthält, ehe einmal Be: Mus- 
kulatur zur Proliferation sich anschickt.“ 

2) Literaturangaben findet man bei Fraisse, pag. 129 ff. — 
Zaborowski, Experimentelle Untersuchungen über die Regeneration 
der quergestreiften Muskeln. Dissertation (unter Leitung von Zahn 
in Genf ausgeführt). Leipzig, 1889. — Nauwerck, Ueber Muskel- 
regeneration nach Verletzungen. Jena, 1890. — Felix, Ueber Wachs- 
thum der quergestreiften Muskulatur nach Beobachtungen am Men- 
schen. Zeitschrift für wiss. Zoologie, 48. Bd., pag. 224 ff. (pag. 226 ff.). 


450 D. Barfurth: 


suchungen von Fraisse, Leven?!), Steudel?), Zaborowski 
und Nauwerck als sicher gelten, dass die Bildung der jungen 
Muskelfasern nicht von weissen Blutkörperchen (Maslowsky, 
Erbkam), nicht von Bindegewebszellen (von Wittich, Zenker, 
Waldeyer), auch nicht von präexistirendem Muskelgewebe und 
Bindegewebszellen (©. OÖ. Weber, C. E. E. Hoffmann, Doze) ), 
sondern ganz allein vom präexistirenden Muskelgewebe 
ausgeht. Hier stehen aber zwei Theorien einander gegenüber. 
Nach der einen, die besonders von C.O. Weber ®), C.E.E. Hoff- 
mann?) und P. Kraske‘) vertreten wird, lösen sich die alten 
Muskelfasern gewissermaassen erst in ihre Elemente, die Muskel- 
körperehen, Sarcoblasten, auf; diese vermehren sich und ent- 
wickeln sich zu jungen Muskelfasern (Sarcoblastentheorie); nach 


\ 


der andern, hauptsächlich durch Neumann’) und Nauwerck ®) 


1) Leven, Experimentelle Untersuchungen über die Regenera- 
tion der quergestreiften Muskelfasern unter besonderer Berücksichti- 
gung der Karyokinese. Dissertation. Halle, 1887, und: Deutsches 
Archiv für klin. Mediein, 43. Bd., 1888. 

2) Steudel, Zur Kenntniss der Regeneration der quergestreiften 
Muskulatur. Dissertation. Tübingen, 1887. 

3) Zaborowsky (a. a. OÖ. pag.”7) zählt zu den Autoren dieser 
Anschauung auch Neumann (Ueber den Heilungsprocess nach Mus- 
kelverletzungen. Dieses Archiv, 4. Bd., pag. 323 ff). „In gleicher 
Weise nimmt auch Neumann (8.330) neben der Neubildung aus 
Muskelknospen die Möglichkeit einer solchen aus den zelligen Ele- 
menten des Perimysiums an.“ Ich möchte dazu bemerken, dass Neu- 
mann jedenfalls für seine Person die Neubildung aus Bindegewebs- 
zellen abweist. Er giebt nur zu, dass viele muskulöse Elemente in 
der Narbe „zur Beobachtung kommen, von denen es zweifelhaft sein 
muss, ob sie durch die Präparation aus ihrer Verbindung mit den 
alten Fasern abgelöst sind, oder ob sie ursprünglich keinen Zusammen- 
hang mit diesen hatten“. 

4) C.O. Weber, Ueber die Neubildung quergestreifter Muskel- 
fasern, insbesondere die regenerative Neubildung derselben nach Ver- 
letzungen. Virchow’s Archiv, 39. Bd., pag. 216 ff. 

5) C. E. E. Hoffmann, Ueber die Neubildung quergestreifter 
Muskelfasern, insbesondere beim Typhus abdominalis. Virchow'’s 
Archiv, 40. Bd., pag. 505 ff. 

6) P. Kraske, Experimentelle Untersuchungen über die Rege- 
neration der quergestreiften Muskeln. Habilitationsschrift. Halle, 1878. 

7) Neumann, Ueber den Heilungsprocess nach Muskelver- 
letzungen. Dieses Archiv, 4. Bd., 1868. 

8) Nauwerck, a. a. OÖ. Ich hebe oben bloss das wesent- 


- Zur Regeneration der Gewebe. 451 


verfochtenen Lehre wachsen von den angeschnittenen Muskelfasern 
Knospen oder Sprossen heraus, die proliferirende Kerne enthalten 
und junge Muskelfasern bilden (Knospentheorie). Diese verschie- 
denen Anschauungen werden uns im Laufe der Darstellung noch 
öfter beschäftigen. 

° Ich schildere nun meine Beobachtungen, indem ich mit den 
jüngsten operirten Thieren (Siredonlarven) beginne und nachher 
die Untersuchungen an älteren Larven (Rana), die zu einem viel- 
fach modifieirten Resultat führten, mittheile. 

Bei einer Siredonlarve, deren Schwanzspitze 7 Tage lang 
bei 18°C. regenerirt war, dann in Chromessigsäure fixirt, mit 


_ Borax-Carmin durchgefärbt und in eine Serie von 7,5 « dieken 


Frontalschnitten zerlegt war, liessen sich folgende Regenerations- 
erscheinungen an der quergestreiften Muskulatur feststellen. De- 
generative Veränderungen!) der präexistirenden Muskelfasern waren 
nicht vorhanden; dagegen sind auch in den weiter von der Sehnitt- 
grenze entfernten Fasern nicht gerade selten Mitosen zu sehen; 
ein Sarcolemm ist noch nicht gebildet. Die der Schnittgrenze 
zunächst liegenden Muskelfasern sind auffallend reich an Mitosen 
und gerade in der peripheren Spitze derselben findet man öfter 
Kernfiguren. Die spindelförmigen Muskelfasern liegen der Seg- 
mentirung des Körpers entsprechend in gewissen Abständen von 
einander und sind meist zu Gruppen von 2 und 3 so verbunden, 
dass die Gesammtfigur wieder spindelartig wird. Die Querstreifung 
ist kräftig und überall sehr deutlich; nur die äussersten Fasern 
vor der Schnittgrenze sind manchmal matt gestreift (Fig. 27). 
Da gerade diese Fasern für die Regeneration die grösste Bedeu- 
tung haben, so habe ich eine solche mit ihren Eigenthümlichkeiten 
in Fig. 27 bei starker Vergrösserung (Leitz, Obj. 7, Oe. 1) mit 
der Camera lueida gezeichnet. 


liche der Neumann-Nauwerck’schen Lehre hervor. Einige 
Besonderheiten der Nauwerck’schen Anschauung werden später 
berücksichtigt werden. 

1) An anderen Objecten sah ich scholligen Zerfall der quer- 
gestreiften Substanz in den angeschnittenen Fasern. Die Resorption 
dieser Bruchstücke scheint hier leicht zu verlaufen. Complieirtere De- 
generationserscheinungen, wie sie bei älteren Larven und erwachsenen 
Thieren bekannt geworden sind, scheinen bei ganz jungen Larven 
kaum vorzukommen. 


459 D. Barfürth: . 


Man sieht in dem untern Theil der Faser einen grossen 
Kern, in dem das Chromatin zu mehreren Klumpen angehäuft ist. 
Links oben liegt bei p seitlich in der Faser eine Anhäufung leicht 
granulirten Protoplasmas, wahrscheinlich der Rest eines Muskel- 
körperchens, dessen Kern weggeschnitten ist. Am wichtigsten 
sind ohne Zweifel die an der rechten Seite (k) und am peripher- 
sten Ende (k’) gelegenen Kerne. Ein Blick auf die Figur zeigt, 
dass sie aus der präexistirenden Muskelfaser entspringen, wie 
etwa eine laterale und terminale Neumann-Nauwerck- 
sche Muskelknospe. Dass diese Kerne eine lebhafte Neigung zur 
Theilung haben, ist nicht zu bezweifeln; k ist in Karyokinese be- 
griffen und von k’ hat sich vor nicht langer Zeit der weiter oben 
liegende Kern !) s abgetrennt, der nun seinerseits schon wieder 
die mitotischen Veränderungen begonnen hat. Ich habe ihn mit 
s „Sarcoblast“ bezeichnet, weil er nach meiner Auffassung den 
Kern einer jungen Muskelzelle repräsentirt. Dass diese Auffassung 
richtig ist, wird sich bei Besprechung der späteren Regenerations- 
stadien ergeben. 

Die gezeichnete (Fig. 27) und beschriebene Muskelfaser war 
durchaus nicht die einzige, an der sich knospenartige Bildungen 
fanden; sie zeigen sich mehr oder weniger deutlich fast an allen 
Schnitten, die die äussersten präexistirenden Muskelfasern getroffen 
haben. Der viertnächste Schnitt der Serie enthält eine solche 
Faser, die am periphersten Ende eine Bifureation mit aller- 
dings sehr kurzen Zacken aufweist; Kerne waren in denselben 
auf diesem Schnitt nicht getroffen. Es ist dies eine ähnliche, 
nur einfachere Bildung, wie sie Nauwerck p.48 ff. beschreibt 
und Tafel V, Fig. 12 zeichnet. 

Eine Längsspaltung der präexistirenden Muskelfasern, wie 
sie von vielen Autoren beschrieben wird, habe ich an diesem Ob- 
jeet nicht beobachtet ?), ich werde aber später zu berichten haben, 
dass sie bei älteren Larven (Rana) vorkommt. 


1) Man darf keinen Anstoss daran nehmen, dass ich nur vom 
„Kern“ spreche und nicht ausdrücklich noch des allerdings nur spär- 
lich vorhandenen Protoplasmas Erwähnung thue. Da der Kern durch- 
aus der allein maassgebende Theil bei den oben beschriebenen . Vor- 
gängen ist, so gewinnt die Darstellung an Einfachheit, wenn nicht 
immer noch wieder das Protoplasma erwähnt zu werden braucht. 

2) Damit soll nicht gesagt sein, dass in einer angeschnittenen 


EEE NE 


Zur Regeneration der Gewebe. 453 


Was die Art der Kerntheilung anbetrifft, so fand ich in der 
lateralen „Knospe“* eine Mitose (Fig. 27 k); Mitosen trifft man 
fast auf jedem Schnitt in den äussersten präexistirenden Muskel- 
fasern ; es muss jedoch hinzugefügt werden, dass man dieselben 
in diesen sehr jungen Muskelfasern überhaupt oft findet. Ich 
habe aber in dieser Serie nicht solche Kernveränderungen wahr- 
genommen, wie wir sie durch Arnold’s Untersuchungen zuerst 
kennen gelernt haben und wie sie nachher von mehreren Forschern 
(Steudel ?), Zaborowski?°), Nauwerck %)) auch bei der Kern- 
wucherung in verletzten Muskelfasern beobachtet wurden. 

Von dem weiteren Fortschritt der Regeneration giebt Fig. 28 
eine Anschauung. Sie stellt einen Theil eines Sagittalschnittes 
durch das regenerirte Schwanzende einer Siredonlarve dar. Das 
Thier war nach dem Ausschlüpfen amputirt worden; die Dauer 
der Regeneration betrug 10 Tage bei 15°C., die regenerirte 
Schwanzspitze maass 1,5 mm. Sie wurde in Chromessigsäure 
fixirt, mit Hämatoxylin durchgefärbt und in eine Serie von 7,5 u 
dieken Sagittalschnitten zerlegt. Nach oben rechts (im Bilde) ist 
die Epidermis zum Theil flach geschnitten, weil hier das Seiten- 
stück des Schwanzes etwas gekrümmt war. Auch die Chorda 
ist nicht median getroffen, weshalb vom eigentlichen Regene- 
rationskegel derselben nicht viel zu sehen ist;, aus demselben 
Grunde hat der Schnitt den Chordastab oben links (im Bilde) 
nur eben gestreift. Die präexistirende Muskulatur, die der Chorda 
ganz dicht anliegt, ist gut getroffen (pm). Man sieht die Quer- 
streifung der Fasern deutlich, die Zahl der Kerne ist in den 
meisten Muskelfasern, besonders aber in den äusseren, stark 


Muskelfaser nicht einmal Spalten aufträten; es handelt sich aber dabei 
wohl bloss um eine rein mechanische Wirkung des operativen Ein- 
griffs, nicht um eine echte Reaction der Muskelfaser selber. 

1) Arnold, Beobachtungen über Kerne und Kerntheilungen in 
den Zellen des Knochenmarks. Virchow’s Archiv, 9.Bd., pag. 1 ff. 
— Derselbe, Weitere Beobachtungen über die Theilungsvorgänge an 
den Knochenmarkzellen und weissen Blutkörperchen. Virchow’s 

Archiv, .97. Bd., pag. 107 ff. — Derselbe, Ueber Theilungsvorgänge in 
den Wanderzellen, ihre progressiven und regressiven Metamorphosen. 
Dieses Archiv, 30. Bd., pag. 205 ff. 

2) Steudel, a. a. O. pag. 17 ff. 

3) Zaborowski, a. a. O. pag. 13 ff. 

4) Nauwerck, a. a. O. pag. 23 ff. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 30 


454 D. Barfurth: 


vermehrt. Diese Kernwucherung geschieht nach dem Typus der 
Karyokinese, wie zahlreiche Mitosen zeigen. Das Characteri- 
stische des Bildes liegt nun in der mehrzeiligen Zell- 
reihe, die sich von den äussersten präexistirenden Mus- 
kelfasern aus dicht unter der Epidermis eine ganze 
Strecke weit nach dem Schwanzende zu erstreekt. Diese 
Zellstrasse wird zusammengesetzt aus jungen Muskel- 
zellen, die ich mit Klebs u. a. Sarcoblasten!) nennen 
will. Die Beweise dafür, dass diese jungen Zellen in der That 
die neuen Muskelfasern bilden, sehe ich in folgenden That- 
sachen. 

1) Die erwähnten Zellen entstehen aus den Mus- 
kelkörperehen der präexistirenden Muskelfasern, sind 
also Abkömmlinge echter Muskelzellen. Die mitotischen Kern- 
theilungen in den präexistirenden Muskelkernen, die häufig mit 
einer Knospenbildung einhergehen, lassen sich an den Schnitten 
dieses Präparates, wie des vorher beschriebenen Stadiums mit 
Sicherheit feststellen. Die jungen Muskelzellen werden durch den 
Act der Theilung selbst gezwungen aus dem Verbande der Mus- 
kelfaser herauszutreten und sich vorzuschieben. Das wird natur- 
gemäss am meisten terminalwärts geschehen, weil nach dieser 
Richtung in dem neugebildeten Gewebe Platz ist; aber auch la- 
teral treten solche Zellen aus und liegen dann eine Zeit lang 
zwischen den alten Muskelfasern oder auch zwischen Muskel- 
fasern und Epidermis (Fig. 27). Ueber das weitere Geschick 
derselben wird nachher noch ein Wort zu sagen sein. Das Vor- 
schieben der Zellen und ihre starke Vermehrung scheint um diese 
Zeit den höchsten Grad zu erreichen. Die Zellen heben sich 
durch die dunkleren chromatinreichen Kerne deutlich von Binde- 
gewebs- und Epithelzellen ab, ihre Form ist mehr oder weniger 


1) „Sarcoblast“ ist etymologisch gleichbedeutend mit „Sarco- 
plast“. Da der letztere Ausdruck schon von Margo und Paneth für 
andere Bildungen, die ich nach $S. Mayer’s Vorgang Sarcolyten ge- 
nannt habe, verwandt wurde, so wähle ich im Anschluss an die durch 
Klebs eingebürgerte Bezeichnung die Schreibweise „Sarcoblast“. Vgl. 
Barfurth, Die Rückbildung des Froschlarvenschwanzes und die so- 
genannten Sarcoplasten. Dieses Archiv, 29. Bd., pag. 35 ff. — Klebs, 
Die allgemeine Pathologie oder die Lehre von den Ursachen und dem 
Wesen der Krankheitsprocesse, Jena, 1889, pag. 467. 


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gestreckt, die Lagerung in der Regel so, dass ihre Längsachse 
‘der Längsachse des Schwanzes parallel gerichtet ist; das Proto- 
plasma ist spärlich, mit Immersionssystem aber fast stets leicht 
zu sehen. Längs- oder Querstreifen sind dagegen in diesem Sta- 
dium mit den stärksten Vergrösserungen nicht wahrzunehmen. 
Die Frage, woher das Protoplasma der Zellen stammt, ist in 
meimem Falle leicht zu beantworten: es hat denselben Ursprung, 
wie das Protoplasma jeder Tochterzelle, die sich beim karyo- 
kimetischen Process bildet, d.h. es stammt vom Protoplasma der 
- Muskelzelle, des Muskelkörperchens. Dass bei meinem Object 
nicht etwa das Material der quergestreiften Substanz direct zur 
Umhüllung des neugebildeten Kerns mit Protoplasma verwandt 
wird, folgt daraus, dass die präexistirende Muskelfaser auch post- 
existirt). Kraske?) sah an seinem Object (Kaninchenmuskel), 
dass bald nach der Kernwucherung in der alten Muskelfaser sich 
jeder Kern mit einem stark granulirten Protoplasmahof (p. 6) „aus 
der contraetilen Substanz der Faser“ (p. 13) umgab. Ziegler?) 
sieht dagegen, wie Nauwerck (p. 17) hervorhebt, das Protoplasma 
als eine neu entstandene Bildung an, zu der die Faser nur 
Rohmaterial liefert %). Meine Beobachtung beweist, dass jeden- 
falls die Anwesenheit zerfallender quergestreifter Substanz zur 
Bildung des Protoplasmas junger Muskelzellen nieht nöthig ist. 
2) Die mehrbesprochenen Zellen entwickeln sich 
nach bekanntem embryonalen Modus zu jungen Muskel- 
fasern. Dies zeigen die weiteren Regenerationsstadien, von denen 
ich eins in Fig. 29 topographisch zur Anschauung gebracht habe. 


Zur Regeneration der Gewebe. 455 


1) Dies könnte nur zweifelhaft sein von dem abgeschnittenen 
und etwas vorgeschobenen Muskelfaserrest mr (Fig. 28, Tafel XXIV). 
Da aber bei Amphibienlarven die Resorption unbrauchbaren Materials 
in der Regel schon nach einer Woche beendigt ist, das vorliegende 
Stadium aber 10 Tage alt ist, so glaube ich, dass dieser Muskelrest 
ebenfalls postexistiren wird. 

2) Kraske, a. a. O. pag.6 und pag. 13. 

3) Ziegler, Lehrbuch der allgemeinen und speciellen patholo- 
gischen Anatomie, Bd. II, 2. Aufl., Jena, 1885, pag. 1096—1097 und 
pag. 1098. 

4) Bremer (dieses Archiv, 22.Bd., pag. 329) glaubt, dass die 
Vermehrung des Protoplasma von der eingeschmolzenen contractilen 
Substanz unter „Rückumwandlung derselben in Protoplasma“ ausgeht. 


456 D. Barfurth: 


Es mag die Besichtigung dieser Figur zur Grundlage für die Be- 
sprechung des folgenden Regenerationsstadiums dienen. 

Dasselbe stammt von einer Siredonlarve, die nach dem Aus- 
schlüpfen operirt wurde; die Schwanzspitze regenerirte 14 Tage 
lang bei 18°C. bis zu einer Länge vonıca. 2mm. Die ab- 
geschnittene Schwanzspitze wurde in Chromessigsäure fixirt, mit 
Hämatoxylin durchgefärbt und in eine Serie von 7,5 u dicken 
Frontalschnitten zerlegt. Die Zeichnung geschah mit der Camera 
lucida bei Leitz, Obj.4, Oe.5. Die Feinheiten wurden mit !/,, 
Immersion und starken Oeularen controlirt, die Längsstreifung in 
m und m’ mit !/,, Immersion, Oe. 4 eingezeichnet. Bei pm lie- 
gen die äussersten präexistirenden Muskelfasern; p.ch bezeichnet 
die präexistirenden, rch die regenerirten Chordazellen; oberhalb 
rch sind die Membranen einiger Chordazellen ausgefallen ; ich in- 
nere Chordascheide, ch Chordastab. Die Kernwucherung in den 
präexistirenden Muskelfasern hat fast ganz aufgehört, eine lange 
Reihe von Sarcoblasten (s) erstreckt sich jederseits unter der 
Epidermis bis ans Ende des regenerirten Chordastabes. Das 
Characteristische dieses Regenerationsstadiums liegt 
nun darin, dass sich meist in gewissen Abständen die 
Sarcoblasten dureh Bildung von Fibrillen in junge 
Muskelfasern umgewandelt haben. Diese Fibrillen sind 
nur mit den stärksten Vergrösserungen bei günstiger natürlicher 
oder künstlicher Beleuchtung zu sehen. Dasselbe Verhalten zei- 
gen die Sarcoblasten auf einer ganzen Zahl von Schnitten; Mi- 
tosen sind häufig. Ob ein einkerniger Sarcoblast schon Fi- 
brillen bildet, kann ich nicht mit Sicherheit entscheiden, glaube 
es aber nicht. Fig. 29 giebt einen der Wirklichkeit genau ent- 
sprechenden Befund und dieser lehrt, dass die junge Muskelfaser 
schon mehrere Kerne besitzt, wenn die erste Streifung auftritt. Im 
Uebrigen muss ich auf diesen Punkt später noch zurückkommen. 
Es ergiebt sich aus diesen Mittheilungen, dass ich mit Nau- 
werck!) die Längsstreifung früher sehe, als die Querstreifung, 
während Kraske?) nur von Querstreifung spricht. 


1) Nauwerck, a. a. O. pag. 30. — Auch Zaborowski sieht 
eine solche „schwache Längsstreifung“, kann aber nicht sagen, ob 
diese Spindelzellen sich zu jungen Muskelfasern umbilden (pag. 22). 

2) Kraske, a. a. O. pag. 2. 


Zur Regeneration der Gewebe. 457 


Von grossem Interesse ist nun hier die Beobachtung (Fig. 
29), dass in diesem Stadium einzelne Sarcoblasten (m und m‘) 
sich dureh Fibrillenbildung schon zu jungen Muskelfasern ent- 
wickeln, während andere (s) auf dem Zellenstadium verharren. 
Eine genaue Musterung der ganzen Serie zeigt nun zwar, dass 
die zu Muskelfasern sich umwandelnden Sarcoblasten nicht in 
regelmässigen Abständen liegen, wie man aus Fig. 29 
schliessen könnte; indessen ist es doch Thatsache, dass einzelne 
Sarcoblasten bevorzugt werden. Mit dieser Auslese bevorzugter 
Sarcoblasten scheint ein Untergang der andern Hand in Hand 
zu gehen. Während auf dem vorigen Stadium die Sarcoblasten 
dieht gedrängt meist zu zweien neben einander liegen (Fig. 28), 
hat sich in diesem Stadium die Schaar schon sehr gelichtet. 
Man sieht in der Regel nur eine einschichtige Reihe von Sarco- 
blasten (Fig. 29,s) und nicht selten Abstände zwischen den ein- 
zelnen. Wie die Besichtigung der ganzen Reihe (Fig. 29sss) 
lehrt, sind mehrere Kerne auffallend klein geworden; es scheint 
also, dass der Untergang der Sarcoblasten durch einfache Atrophie 
erfolgt. Ich gelange also hier zu demselben Resultat wie Zabo- 
rowskit), der die Spindelzellen (Sarcoblasten) später spärlicher 
werden sah, „da eine gewisse Zahl derselben atrophirt“, wäh- 
rend Nauwerek ?) an seinem Objeet beobachtete, dass sämmt- 
liche Muskelzellen durch Verfettung zu Grunde gingen. 

Bei den von mir untersuchten Amphibienlarven bleibt ein 
so grosser Theil der Sarcoblasten erhalten, dass dieselben nach 
ihrer Umwandlung zu jungen Muskelfasern ganze, fast durchaus 
lückenlose Muskelbänder bilden. So sehe ich an einer Larve 
von Rana esculenta (12 Tage?) bei 17°C. regenerirt) jederseits 


1) Zaborowski, a. a. O. pag. 18. 

2) Nauwerck, a. a. O. pag.18; es wird sich übrigens aus der 
weiteren Darstellung ergeben, dass diese Verschiedenheit mit dem 
Auftreten der „Muskelzellschläuche“ im Zusammenhang steht und dass 
die in denselben sich bildenden Muskelzellen nicht ohne weiteres meinen 
Sarcoblasten gleichgesetzt werden dürfen. 

3) Dieses Regenerationsstadium (12 Tage) ist also der Zeit nach 
Jünger, als das besprochene von Siredon (14 Tage); es betrug 
aber die Länge des Regenerationsstückes beim ersten Object 4,5, 
beim letzteren nur 2mm und dem entsprechend war die Regeneration 


458 D. Barfurtı: 


dieht unter der Epidermis ein langes Muskelband sich hinziehen, 
in dem nur hier und da Lücken sind. Diese Lücken sind um 
so zahlreicher und regelmässiger, je näher sie der 
präexistirenden Muskulatur kommen; es geht also die Aus- 
merzung von Sarcoblasten und jungen Muskelfasern vom persisti- 
renden Schwanzende aus. Das Endziel dieser Vorgänge 
ist die Herstellung einer Anordnung der Musku- 
latur, die der normalen entspricht. Diese Anordnung 
ist durch die Bildung von Segmenten (Myomeren) charakte- 
risirtt. Wie ein Blick auf Taf. XXI, Fig. 1—6, Fig. 14—16 und 
auf Taf. XXIII, Fig. 22 zeigt, ist die quergestreifte Muskulatur des 
Stammes bei den Amphibienlarven kammartig in schmalen nach hin- 
ten convergirenden Bändern um das kräftige Mittelstück gelagert. 
Sie umfasst in diesem Mittelstück die Chorda, resp. die Wirbel- 
säule, das Rückenmark und die Arteria caudalis und zerlegt den 
sanzen Schwanz in so viele Segmente, als Muskelbänder vorhan- 
den sind. Zwischen je zwei Segmenten bleibt also ein schmaler 
Raum (Ligamentum intermusculare), der selber keine quergestreifte 
Muskulatur enthält, sondern von den Insertionen zweier benach- 
barter Muskelbänder begrenzt wird. Für die Muskelsegmente und 
Chordaabschnitte bezw. Wirbelkörper gilt das allgemeine Gesetz, 
dass sie sich nicht decken, sondern in ihrer Stellung mit einander 
alterniren!), wie es die Function der Muskulatur erfordert. Durch 
die beschriebene Eigenthümlichkeit in der An- 
ordnung der Muskulatur ist nun die Auslese unter 
den Sarcoblasten und späterhin unter den noch 
sebildeten jungen Muskelfasern bedingt: diejeni- 
gen, die durch ihre Lage bevorzugt sind, werden schneller zur 
Function herangezogen und wandeln sich schneller in junge Mus- 
kelfasern um, als die andern. Die gebildeten jungen Muskelfasern 
‘erhalten sich in den Muskelkämmen, während in den Zwischen- 
räumen (Ligg. intermuscularia) die Ausmerzung der Sarcoblasten 


im ersteren auch weiter vorgeschritten. Es beweist dieser Befund, 
dass nicht die Zeit in erster Linie, sondern andere Factoren (Species- 
unterschied, individuelle Anlage, Temperatur) für die Schnelligkeit 
maassgebend sind. Die ausserordentlich kräftigen wilden Larven von 
Rana esculenta regeneriren an und für sich viel schneller, als die trägen 
Siredonlarven. 

1) Hertwig, Entwicklungsgeschichte, 3. Aufl., pag. 496. 


Zur Regeneration der Gewebe. 459 


und jungen Muskelfasern so lange dauert, bis der definitive Zu- 
stand hergestellt ist. 
| Die hier beschriebene Proliferation der Muskelkörperchen 
und die massenhafte Bildung von Sarcoblasten hat ihre Ursache 
ohne Zweifel in dem durch die Wunde gesetzten Reiz. Dieser 
Reiz hat ähnlich, wie beim Stoffwechsel '), eine Art Ueber- 
compensation ?) zur Folge: es werden viel mehr Zellen producirt, 
als später nothwendig sind. Diese Wirkung des Wundreizes hört 
nun nach Ausbildung des Sarcoblastenmantels ?) und Herstellung 
einer neuen Schwanzspitze allmählich auf, und nun tritt ein an- 
derer Reiz, die Function, an seine Stelle. Hier findet dann 
eins der von Roux formulirten Gesetze des Kampfes der Theile 
im Organismus-eine sehr schöne Anwendung. „Aendert sich die 
Qualität des Reizes, so. wird wiederum, wie beim Kampf der 
Molekel, aus den vorkommenden Variationen auch eine neue 
Zellqualität gezüchtet werden, welche siegend 
die alte direet inihrer Ernährung beeinträch- 
tigt, ganz abgesehen davon, dass die alte durch den ihr nun 
mangelnden Lebensreiz auch von selber schon der Atrophie ver- 
fallen muss.“ Aus den ursprünglich gleichwerthigen Sarcoblasten 
wird eine Anzahl durch den funetionellen Reiz zu jungen Muskel- 
zellen gezüchtet, die anderen atrophiren. | 

Ich habe die Regenerationserscheinungen an der Muskulatur 
ganz junger Siredonlarven so ausführlich besprochen, weil ich der 
Ansicht bin, dass sie uns den einfachsten Modus dieser Re- 
generation vorführen, den ich zugleich für den typischen 
halte. Wollte man mir einwenden, dass diese Thiere zu jung 
gewesen seien, so würde ich den Einwand gern und dankend zu 
meinen Gunsten entgegennehmen. Ich will aber aus guten Grün- 
den allgemeine Erörterungen nicht hier, sondern zuletzt bringen. 

Aus meinen bisherigen Angaben darf man nicht schliessen, 
dass ich den Modus der Muskelregeneration bei ganz jungen Si- 


1) Pflüger, Die teleologische Mechanik der lebendigen Natur. 
Pflüger’s Archiv, 15. Bd., pag. 84. 

2) Roux, Der Kampf der Theile im Organismus, pag. 217 ff. 

3) Die Combination der Frontal- und Sagittalschnittserien er- 
gibt, dass die Gesammtheit der Sarcoblasten die Form eines platt- 
gedrückten Hohlkegels bildet, der oben (dorsal) einen schmalen, unten 
(ventral) einen weiten offenen Schlitz aufweist. 


460 D. Barfurth: 


redonlarven ohne weiteres auch für ältere und erwachsene Thiere 
als gültig ansehe. Wie die Angaben der Autoren lehren und 
wie mir meine eigenen Beobachtungen zeigen, bietet die Muskel- 
regeneration wieder einmal einen Beweis dafür, dass die Natur 
nicht nach der Schablone arbeitet, die wir ihr so gerne auflegen 
sondern dass sie bei der Verfolgung ihres Zieles mancherlei durch 
die Umstände gebotenen Variationen wählt. 

Solche Abweichung habe ich gleich bei älteren Larven von 
Rana gefunden. Es waren die Species Rana fusca und R. eseu- 
lenta. Die Thiere wurden in dem Stadium der Entwickelung 
verwandt, welches durch Hervorsprossen der hinteren Extremi- 
täten charakterisirt ist. Die Regeneration der Schwanzspitze er- 
folgt aber merkwürdiger Weise auch dann noch, wenn die vor- 
deren Extremitäten schon angelegt und.unter der Haut sichtbar 
sind!). Die Methode der Operation und Untersuchung entsprach 
der früher angegebenen. Wie schon bemerkt, zeichnen sich die 
ausserordentlich muskelkräftigen Larven von Rana esculenta, die 
ja auch durch ihre Grösse die meisten übrigen Amphibienlarven 
übertreffen, durch eine ungewöhnliche Regenerationsfähigkeit aus; 
dem entsprechend ist auch die Muskelregeneration in derselben 
Zeit viel weiter vorgeschritten, als bei Siredon und Triton. 

Ich halte es nun im Interesse der Uebersichtlichkeit meiner 
Darstellung für zweckmässig, die an diesen Objeeten von mir 
beobachteten Erscheinungen zunächst ganz kurz zusammenzu- 
stellen und dann erst im einzelnen zu besprechen. Es wird sich 
dabei gleich zeigen, dass meine Befunde von denen anderer 
Autoren wenig abweichen; es sind ja auch weniger die Beob- 
achtungen, die die Muskelregeneration zu, einem so heiss 
umstrittenen .Objeet machen, als die Deutung derselben. An 
diesen älteren Larven zeigte sich folgendes: 

1. Scholliger Zerfall angeschnittener Muskelfasern und ab- 
gerissener Bruchstücke quergestreifter Substanz; Auftreten von 
Leukoeyten. | 

2. Wucherung der Kerne in den Muskelkörperchen, Zer- 


1) Vgl. Barfurth, Versuche über die Verwandlung der Frosch- 
larven. Dieses Archiv, 29. Bd., pag. 1ff. „Selbst solche, die sich schon 
am ersten oder zweiten Tage verwandelten, hatten wenigstens die Re- 
generation eingeleitet.“ (pag. 24.) 


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_ fall der quergestreiften Substanz zu ‚‚Sarcolyten“, Bildung von 
„Muskelzellschläuchen‘“ und ‚Sarcoblasten“. 

3. Zerspaltung von Muskelfasern der Länge nach, ver- 
bunden mit Kernwucherung der Muskelkörperchen: Bildung 
schmaler Bänder, ‚„bandförmiger Platten‘; Auftreten von Spindel- 

zellen und Sarcoblasten. 

4. Bildung kernhaltiger Sprossen (Neumann, Sokolow, 
Nauwerck ete.) an gewissen alten Muskelfasern. Sie laufen 
vielfach wirr durcheinander und sind oft ziemlich lang. Aus 
diesen lösen sich terminal Sarcoblasten ab, schieben sich vor und 
bilden, wie auch die Sprossen, junge Muskelfasern. 

Von genauen Zeitbestimmungen für die einzelnen Stadien 
nehme ich Abstand, weil die Erscheinungen zeitlich vielfach 
neben einander herlaufen. Es mag genügen, wenn ich erwähne, 
dass die beiden ersten Stadien bei Rana in der ersten Woche 
ablaufen, die beiden letzten Anfang und Mitte der zweiten Woche 
auftreten. Ich bespreche jetzt die einzelnen Stadien etwas 
genauer. | 

Ad 1. In den ersten Tagen nach der Verletzung spielen 
sich vorzugsweise die Erscheinungen der Rückbildung und 
Resorption in den der Wunde nahe gelegenen Muskelfasern 
ab. Auffallender Weise sind es nicht allein die direet vom 
Schnitt getroffenen Fasern, die der Rückbildung unterliegen, 
sondern auch ganz unverletzte. Das hier angedeutete verschie- 
dene Verhalten der Muskelfasern wird leicht verständlich, wenn 
man einen Blick auf Tafel XXIII, Fig. 22 wirft. Aus der Anord- 
nung der Muskulatur ergiebt sich, dass der Schnitt etwa die 
Muskelfasern bei m in der Mitte treffen könnte, während die 
Muskelfasern bei m’ ganz unverletzt bleiben würden. Nun zeigt 
die Untersuchung der Regenerationsstadien, dass keineswegs immer 
die Muskelfasern bei m zerfallen, sondern dass manchmal bei m’ 
die Rückbildung viel umfangreicher ist, als bei m. Es wird 
sich nachher zeigen, dass dieses eigenthümliche Verhalten für die 
Art der Regeneration von grosser Bedeutung ist. 

Auf die ersten Stadien der Rückbildung will ich hier nicht 
näher eingehen, weil über diese kaum ein Zwiespalt der Ansichten 
herrscht und ich mich ausserdem darüber. an anderer Stelle!) 


Zur Regeneration der Gewebe. 461 


1) Die Rückbildung des Froschlarvenschwanzes und die soge- 
nannten Sarcoplasten. Dieses Archiv, 29. Bd., pag. 35 ff. 


462 D. Barfurth; 


schon ausgesprochen habe. Der schollige Zerfall der querge- 
streiften Substanz, die Verfettung und Atrophie der untergehenden 
Muskelfasern werden wohl von allen Autoren übereinstimmend 
geschildert. Ich will nur noch speciell die Angabe Nauwerck’s 
über blasige Entartung an den Muskelfasern bestätigen. Am 
siebenten und achten Tage sah ich öfter helle Bläschen in den 
Fasern, die wie hyaline Tröpfehen aussahen; in andern Fällen 
hatten sich grössere und kleinere Bläschen vereinigt und die 
Muskelfasern, bez. den Rest derselben ganz aufgetrieben. Ob in 
allen Fällen eine vollständige Zerstörung und Resorption solcher 
Fasern eintritt, kann ich nicht mit Sicherheit entscheiden; da 
aber manchmal nur einzelne kleine Tröpfehen (Fig. 29 r) vor- 
handen sind und dabei die Muskelfaser sonst durchaus normal 
aussieht, so glaube ich, dass die geringeren Grade dieser Ent- 
artung wieder verschwinden. 

Auch das Auftreten der Wanderzellen und der Riesenzellen 
bespreche ich hier nicht weiter, weil ich in der erwähnten Arbeit 
meine Beobachtungen darüber schon mitgetheilt habet). Nur 
neige ich jetzt mehr zu der Ansicht, dass die hierbei auftretenden 
Riesenzellen nicht aus Leukocyten oder aus zunächst „epitheloid 
gewordenen Leukocyten“ (Stschastny), sondern aus fixen 
Bindegewebszellen entstehen (Baumgarten, Mar- 
chand, Ribbert, Nauwerck). 

Ad 2. Einer Besprechung bedürfen aber diejenigen Bil- 
dungen, die wir mit Waldeyer als „Muskelzellen- 
schläuehe“2) bezeichnen und die Kölliker?) schon früher 
am Froschmuskel gesehen und beschrieben hatte. Ueber die 
Bedeutung dieser Schläuche, bez. der in ihnen liegenden Zellen 
sehen nun die Ansichten der Forscher auseinander: die einen 
sehen sie als dem Zerfall geweihte Producte der Rückbildung 
an, die andern glauben dagegen, dass sie die neuen Muskelfasern 


1) Dieses Archiv, 29. Bd., pag. 54. 

2) Waldeyer, Ueber die Veränderungen der quergestreiften 
Muskeln bei der Entzündung und dem Typhusprocess, sowie über die 
Regeneration derselben nach Substanzdefecten. Virchow’s Archiv, 
34. Bd., pag. 473 ff., pag. 478. 

3) Kölliker, Einige Bemerkungen über die Endigungen der 
Hautnerven und den Bau der Muskeln. Zeitschrift für wiss. Zool., 
8. Bd., pag. 312 ff. (pag. 315, Anmerkung, Tafel XIV, Fig. 9). 


Zur Regeneration der Gewebe. 463 


bilden, und eine dritte Richtung nimmt eine vermittelnde Stellung 
ein. Zu den ersteren gehören!) die Entdecker der Muskelzellen- 
‚schläuche, Kölliker und Waldeyer, selber, ferner Neu- 
mann und seine Anhänger Dagott, Lüdeking, Perron- 
eito, Sokolow?) und besonders Nauwerck, sodann De- 
marquay, Hayem, Bergkammer, endlich Sigmund 
_ Mayer und Fraisse; als Anhänger der andern Anschauung 
sind besonders Otto Weber), Kraske?) und Leven?) zu 
nennen; die vermittelnde Anschauung wird vertreten durch Ü. 
E. E. Hoffmann‘) und Zaborowski?)). 


1) Die Literatur ist bei Fraisse, a. a. O. pag.129 ff, Zabo- 
_ rowski, a.a.0.pag. 15ff, Nauwerck, a.a.0. pag. 19 ff. angegeben. 

2) Sokolow, der unter Peremeschko arbeitete, hat eben- 
falls die Ueberzeugung gewonnen, dass die Regeneration durch di- 
rectes Auswachsen der durchschnittenen Fasern in die Länge bewirkt 
wird. — Sokolow, Ueber die Regeneration der quergestreiften Mus- 
keln nach traumatischen Eingriffen. Universitätsnachrichten von Kiew, 
1881, October, pag. 147—184 (pag. 177, Fig. 3.) (Russisch.) 

3) O0. Weber, Ueber die Neubildung quergestreifter Muskel- 
fasern, insbesondere die regenerative Neubildung derselben nach Ver- 
letzungen. Virchow’s Archiv, 39. Bd., pag. 216 ff. Weber Mndet, 
„dass diese Zellen unter regelrechtem Verlaufe der Verletzung fast 
nie fettig degeneriren“ und hat „nur bei Muskeleiterung fettig 
entartete und zu Grunde gehende Elemente der Art beobachtet“ 
(pag. 238). 

4) Kraske, a. a. O. pag. 23. 

5) Leven, a. a. O. pag. 173 ff. 

6) C. E. E. Hoffmann, Ueber die Neubildung quergestreifter 
Muskelfasern, insbesondere beim Typhus abdominaliss. Virchow’s 
Archiv, 40. Bd., p.505 ff. Derselbe glaubt, dass von den gewucherten 
Muskelkernen eine grössere Zahl durch fettige Entartung zu Grunde 
geht, als Weber annimmt, meint aber, dass ein Theil derselben er- 
halten bleibt und sich in junge Muskelfasern umwandelt. 

7) Zaborowski, a.a. O. pag.18. „Späterhin werden sie (die 
Spindelzellen) sogar spärlicher, da eine gewisse Zahl derselben atrophirt.“ 

Anmerkung. Eine von den Ansichten der erwähnten Autoren 
ganz abweichende Anschauung über die Entstehung und Bedeutung 
der Muskelzellenschläuche haben Erbkam, der dieselben als mit ein- 
gewanderten Leukocyten erfüllte Sarcolemmschläuche (,„Wanderzellen- 
schläuche“) und Gussenbauer, der die Muskelzellenschläuche als 
Faserabschnitte ansieht, ‚in welchen die schollig zerklüftete oder körnig 
veränderte contractile Substanz von farblosen Zellen umlagert und in 
der Weise durchsetzt ist, dass diese Zellen in die zwischen den klei- 


464 D. Barfurtb: 


Nur wenige der genannten Autoren haben bei Besprechung 
der Muskelzellenschläuche der Angaben von Margo und später 
Paneth über die „Sarcoplasten‘ gedacht, in denen dieselben 
die Bildungselemente neuer Muskelfasern erkennen wollen, wäh- 
rend Sigmund Mayer und ich, wie später auch Looss!), 
die Ansicht aussprachen, dass diese Gebilde vielmehr Zerfalls- 
produete degenerirender Muskelfasern vorstellen ; demgemäss habe 
ich sie in einer früheren Arbeit?) nach Sigmund Mayer’s?) 


neren rundlichen oder eckigen Stücken befindlichen Spalträume ein- 
gedrungen sind“ (pag. 1034). Die „farblosen Zellen“ sind der Abstam- 
mung nach Leukocyten oder Bindegewebszellen des Perimysium inter- 
num. — Erbkam, Beiträge zur Kenntniss der Degeneration und Re- 
generation von quergestreifter Muskulatur nach Quetschung. Vir- 
chow’s Archiv, 79. Bd. — Gussenbauer, Ueber die Veränderungen 
des quergestreiften Muskelgewebes bei der traumatischen Entzündung. 
Archiv für klinische Chirurgie, 12. Bd., pag. 1010 ff. (pag. 1034). Hier 
ist ferner die eigenartige Auffassung Aufrecht’s zu erwähnen, der 
sich über das Verhalten der zu Muskelzellenschläuchen umgewandelten 
Muskelfasern folgendermaassen ausspricht: „Ueberall wo dasselbe (das 
Sarcolemm) erhalten ist, regenerirt sich die Muskelfaser innerhalb der- 
selben zu einer in Aussehen und Grösse den vor der Verwundung 
vorhäfndenen vollkommen gleichen, wo dasselbe zerstört ist, gehen 
unter der Vermittelung der Muskelkerne neue Muskelfasern aus ihnen 
hervor.“ Wie das letztere geschehen soll, wird nicht ausdrücklich ge- 
sagt und über die jungen Muskelfasern selber äussert sich Aufrecht, 
wie Nauwerck hervorhebt, sehr zurückhaltend. — Aufrecht, Ueber 
die Genese des Bindegewebes, nebst einigen Bemerkungen über die 
Neubildung quergestreifter Muskelfasern und die Heilung per primam 
intentionem. Virchow’s Archiv, 44. Bd. pag. 180 ff. (pag. 196). — 
Rachmaninow hält mit Erbkam die zelligen Elemente in den Mus- 


kelzellenschläuchen für ausgewanderte farblose Blutkörperchen. — 


Rachmaninow, Zur Frage der Regeneration quergestreifter Muskel- 
fasern. Dissertation. Moskau, 1881, pag. 82. (Russisch.) 

1) Looss, Ueber die Betheiligung der Leukocyten etc. a. a. O. 
Referat von J. H. List im Biolog. Centralblatt, 9. Bd., pag.5%f. — 
Looss, Ueber Degenerationserscheinungen im Thierreich, besonders 
über die Reduction des Froschlarvenschwanzes und die im Verlaufe 
derselben auftretenden histologischen Processe. Leipzig, 1889 (Preis- 
schriften, gekrönt und herausgeg. von der Fürstlich Jablonowski- 
schen Gesellschaft zu Leipzig, No. 10 der mathematisch - naturwiss. 
Section, XXVII). 

2) Dieses Archiv, 29. Bd., pag.52 ff. 


3) Sigmund Mayer, Zur Histologie des quergestreiften Mus- 


kels. Biol. Centralblatt, 4. Bd., pag.129 ff. (D. — Derselbe, Die soge- 


GE EIEE  ei  w 


Zur Regeneration der Gewebe. 465 


1 Vorgang als „Sarcolyten“ bezeichnet. Es sind dies spindel- 
oder wurstförmige Stücke quergestreifter Substanz, die von den 
_ amöboiden!) (S. Mayer) Muskelzellen aufgenommen werden oder 
auch frei im Sarcolemmschlauch — nach Paneth auch ausser- 
halb desselben — liegen. Diese Sarcolyten findet man nun 
manchmal in grosser Menge in den „Muskelzellschläuchen‘“ nor- 
_ maler Thiere (Frosch, Land- und Wassersalamander [S. Mayer], 
Sperling, Wanderratte, Barsch, menschlicher Embryo von 6 cm 
Länge [Margo], Froschlarven, junge Frösche, Schweinsembryo 
‚von 16em Länge [Paneth]). Es scheinen sich hier Vorgänge 
abzuspielen, durch welche einzelne ‚„Muskelfasern in ihrer nor- 
malen Form und Zusammensetzung zeitweilig eingeschmolzen 
werden, um dann in der Folge wieder einem Neubildungsprocesse 
anheim zu fallen“ (Sigmund Mayer, I, pag. 155). Solche 
Sarcolyten kommen nun ohne Zweifel auch, manchmal in grosser 
Menge, in degenerirenden Muskelfasern an einer 
Wundstelle vor. Waldeyer zeichnet sie z.B. Tafel X, 
Fig. 5—7 (Virehow’s Archiv, 34. Bd.); 0. Weber stellt auf 
Tafel IV, Fig. 2 solche Gebilde aus einer eiternden granulirenden 
Muskelwunde vom Kaninchen am siebenten Tage dar, die er für 
junge Muskelzellen mit schon deutlich quergestreifter Substanz 
hält; ich halte dieselben für Sarcolyten, da man in so frühen 
Stadien noch keine echten jungen Muskelzellen mit Querstreifung 
findet; ich werde in dieser Auffassung bestärkt durch Weber's 
Angabe, dass er schon am dritten und vierten Tage solche Zellen 
mit quergestreifter Substanz sah?). Ich selber finde solche Sarco- 
Iyten bei Froschlarven in den ersten Tagen nach Amputation der 
Schwanzspitze; Querstreifung ist selten zu sehen, fettige Ent- 
artung tritt frühzeitig auf. 
Diese Befunde sind nun deshalb von grosser Wichtigkeit, 
weil die Sarcolyten nach den Beobachtungen von Sigmund 


nannten Sarcoplasten. Anat. Anzeiger, 1.Bd., 1886, pag. 231 ff. (ID). 

— Derselbe, Einige Bemerkungen zur Lehre von der Rückbildung 
quergestreifter Muskelfasern. Zeitschrift für Heilkunde, Bd.8, pag. 
20 3 (I). 

1) S. Mayer, III., pag.187. Derselbe hat sehr angemessen den 
Vorschlag gemacht, die Sarcolytenin freie undin eingeschlossene, 
quergestreifte und glatte Sarcolyten zu trennen. 

2) O0. Weber, Virchow’s Archiv, 39. Bd., pag. 245. 


466 D. Bäarfurth: 


Mayer und mir in ungeheurer Menge in den der 


Rückbildung unterworfenen Muskelfasern des 
Schwanzes metamorphosirter Batrachierlarven 
vorkommen, also sicherlich Produete der Rückbildung, 
nicht der Neubildung sind. S. Mayer hat deshalb ganz 
Recht, wenn er die atrophirendeu Froschlarvenschwänze die 
„klassischen Stätten‘ für den Nachweis der Sarcolyten nennt. 

Nach diesen Erörterungen trage ich kein Bedenken mich 
mit der grossen Mehrzahl der Forscher dahin auszusprechen, 
dass die Muskelschläuche der regressiven Meta 
morphose unterliegen und bei der eigentlichen 
Regeneration keine Rolle spielen. 

Hier kann man mir nun gleich einige Emwände machen. 
Zunächst den, dass ich ineonsequenter Weise das eine Mal die 
gewucherten Muskelkörperchen als ‚Sarcoblasten‘ weiterleben und 
Junge Muskelfasern bilden lasse, das andere Mal sie als ‚Sarco- 
lyten“ dem Untergang weihe. Dieser Einwand fällt aber vor 
der Erwägung, dass recht wohl bei schwerer Ernährungs- 
störung eine Muskelfaser nach vorhergegangener „atrophischer 
Kernwucherung“ (Bergkammer)!) ganz zu Grunde gehen 
kann, während bei leichterer Störung des Stoffwechsels wenig- 
stens ein Theil der Faser erhalten bleibt und die gewucherten 
Kerne lebenskräftig sind. 

Ein anderer Einwand aber fällt hier schwerer in’s Gewicht. 
Wie ist das von neuern Forschern?) constatirte Auftreten von 


1) Bergkammer, Beiträge zur Lehre von der Entzündung und 
Entartung der quergestreiften Muskelfasern. Dissertation, Strassburg, 
1884. (Unter von Recklinghausen’s Leitung gearbeitet.) „Die Kern- 
wucherung in denselben (kernreichen Bändern und Platten) hat nur 
die Bedeutung einer atrophischen Wucherung.“ (pag. 32.) Nauwerck, 
8,8: Oi pa. 12. 

2) Dazu gehören Tizzoni (vom fünften Tage an), Leven und 
Zaborowski (nach 24 Stunden), Steudel (die ersten nach 24 Stun- 
den, „sehr ausgebreitete Wucherung unter dem Bilde der mitotischen 
Karyokinese“ nach 48 Stunden); Nauwerck fand an den alten 
Muskelfasern in den beiden ersten Tagen eine eigenartige Kernthei- 
lung, die der Arnold’schen indirecten Fragmentirung ähnlich 
ist (pag.24), nach 48 Stunden traten an den jungen Muskelzellen 
(Sarcoblasten) Kerntheilungsbilder auf, die sich in den folgenden Tagen 
mehrten und ausschliesslich typische Karyomitosen waren (pag. 16). 
S. Nauwerck, pag.25 ft. 


r | Zur Regenerätion der Gewebe. 467 


Mitosen in den Kernen der Muskelschlauchzellen zu erklären, 
wenn man die Elemente für Todescandidaten erklärt? Da die 
mitotische Kerntheilung eine Bethätigung der Lebensenergie ist, 
.so muss hier doch ein Widerspruch vorliegen! Dieser schein- 
‚bare Widerspruch wird aufgeklärt durch die neueste Untersuchung 
von Nauwerck. Er fand, dass die Muskelzellenwucherung 
ihren Höhepunkt am dritten bis fünften Tage erreicht, dass nach 
48 Stunden Kerntheilungsbilder auftreten, die sich in den fol 
senden Tagen mehren, dann aber abnehmen, dass aber vom 
fünften Tage an nach der Verletzung die neugebildeten Muskel- 
zellen einer zunehmenden Verfettung unterliegen und rasch zer- 
fallen; schon Ende der zweiten, Anfang der dritten Woche waren 
die Muskelzellen völlig verschwunden (pag. 16, 18). Hiernach 
muss der Vorgang so aufgefasst werden, dass die Muskelkörper- 
chen allerdings noch Lebensenergie besitzen und sich lebhaft 
theilen, dass aber die junge Brut untergeht, weil die Ermährungs- 
bedingungen zu ungünstig sind. Man wird wohl nicht irren, 
wenn man annimmt, dass die schnell zerfallende quer- 
gestreifte Substanz die Schuld trägt. Das zerfallende 
Material kann nicht schnell genug weggeschafft werden und be- 
einträchtigt die Emährung und weitere Entwicke- 
lung der jungen Zellen. Eine Analogie hierzu bietet die 
früher von mir festgestellte Thatsache, dass nicht abgelaichte 
und nachher in loco zerfallende Geschlechtsprodnete 
(Eier, Samenkörper) die Entwickelung der jungen 
Eier und Samenelemente vollständig verhindern 
können!). Es scheint, dass die beim Zerfall der Gewebsele- 
mente sich bildenden Producte der regressiven Metamorphose 
eine toxische Wirkung auf junge Zellen ausüben, die stärker 
ist, als die vitale Energie derselben. Dem entsprechend melden 
fast alle Autoren übereinstimmend, dass die eigentliche Re- 
generation erst beginnt, wenn die Resorption des zerfallenen 
alten Materials der Hauptsache nach beendigt ist. 

Nachdem ich diese Einwände durch — wie ich glaube — 
gute Gründe beseitigt habe, wiederhole ich den oben schon aus- 


1) Barfurth, Biologische Untersuchungen über die Bachforelle. 
III. Die Rückbildung nicht abgelaichter Geschlechtsstoffe bei der Bach- 
forelle. Dieses Archiv, 27. Bd., pag.129 ff. (pag. 145). 


468 D. Barfurth: 


gesprochenen Satz: dass ich mit Nauwerck in den Mus- 
kelzellsehläuchen Bildungen sehe, die dem Unter- 
gang geweiht sind, obgleich die in den Zellen 


auftretenden Mitosen auf eine noch vorhandene. 


Lebensenergie hinweisen. | 

Ad 3. Ich wende mich jetzt zur Besprechung der dritten 
Gruppe von Regenerationserscheinungen, die durch eine Längs- 
zerspaltung einzelner Muskelfasern und Bildung kernreicher Bänder, 
Spindelzellen und Sarcoblasten gekennzeichnet ist. 

Wie ich oben (pag. 460) angab, kommt für die Beobach- 
tung und das Verständniss dieser Bildungen die Art der Muskel- 
. faseranordnung bei Rana sehr in Betracht; ich verweise deshalb 
auf meine früheren Bemerkungen darüber. An Präparaten vom 
siebenten und achten Tage sieht man nun, dass einzelne, ge- 
wöhnlich in. der Mitte des Muskelbandes (Fig. 22 m/, seltener 
terminal m) gelegene Fasern sich der Länge nach in immer 
kleiner werdende Faserbündel zerspalten haben. Manchmal ist 
die ganze Faser vollständig aufgelöst in eine ziemlich weit zer- 
streute Anzahl von Bündeln, die kernreich und meist spindel- 
förmig oder bandartig sind; auch sind spindelzellenartige Bil- 
dungen mit zwei und mehr Kernen oder Sarcoblasten mit einem 
Kern nicht selten. Die Kerne theilen sich nach der typischen 


Karyomitose. Ob an einkernigen Sarcoblasten Fibrillenbildung ® 


oder gar Querstreifung vorkommt, kann ich nicht mit Sicherheit 
angeben; ich sah Formen von Sarcoblasten, wie ich sie in Fig. 24, 
Tafel XXIII dargestellt habe; ich sehe auch hier die Fibrillen- 
bildung zuerst!), später erst die Querstreifung (Fig. 24b,e). Ich 
muss hierzu bemerken, dass die Präparate mit Flemming's 


Osmiumehromessigsäure fixirt sind, die, wie die Chromsäure- 


gemische überhaupt, die Längsstreifung besser erhält, als die 
Querstreifung, während die ehromsauren Salze die Querstreifung 
besser zur Anschauung bringen; letztere waren aber für meine 
Zwecke unbrauchbar, da sie, wie Flemming nachgewiesen 
hat, die Mitosen nicht conserviren. d 

Eine solche Längsspaltung von Muskelfasern hat zuerst” 


1) Vgl. Nauwerck, „An dem Protoplasma macht sich schon 3 
sehr frühzeitig eine leichte Andeutung von Längsstreifung erkenn- 
bar.‘ (pag. 28.) 


Zur Regeneration der Gewebe. 469 


Weismann!) bei Fröschen beobachtet. Sein Befund wurde 
dann von andern Forschern (Aeby, Waldeyer, Born) als 
Kunstproduct aufgefasst, von Kölliker aber, Rouget und 
neuerdings Felix?) als normal bestätigt. Aehnlich wie bei 
diesen im unverletzten Muskel ablaufenden Spaltungen sind nun 
die Ansichten der Forscher über die nach künstlichen Verletzungen, 
also bei der Muskelregeneration, auftretenden Spaltungsproducte 
verschieden. Die einen halten sie für degenerirende Bruchstücke 
alter Muskelfasern (Waldeyer, pag. 510, Bergkammer, 
pag. 20, 21), die andern für Zwischenstufen zwischen den Sarco- 
blasten und den fertigen jungen Muskelfasern (0. Weber, 
pag. 247, C.E.E. Hoffmann, pag.513). Peremeschko?), 
der die Spalten bei der Regeneration zuerst beobachtete, lässt 
durch dieselben die alte Muskelfaser in ein ganzes Bündel neuer 
Fasern zerfallen. Kraske*) und Leven?) sehen in den Spal- 
tungsprodueten nur Stufen weiterer Auflösung der alten Muskel- 
faser in Muskelzellen. Nauwerck‘) hält sie für Spaltungs- 
producte alter Muskelfasern, von denen ein geringer Theil er- 
halten bleibt und sich höchst wahrscheinlich zu kürzeren oder 
längeren quergestreiften Muskelfasern umwandelt; er glaubt aber, 
dass dieser Modus der Regeneration durchaus in den Hintergrund 
tritt vor der durch Knospenbildung (Neumann) erfolgenden 
Regeneration. Nach meinen Beobachtungen kann ich mich Nau- 
werck im allgemeinen anschliessen: ich halte ebenfalls die Ge- 
bilde für Abspaltungsproducte präexistirender Muskelfasern, die 
zum Theil wieder neue Muskelfasern bilden, glaube aber mit 
Kraske, dass hierbei auch Muskelzellen?) frei werden können, 


1) Ueber das Wachsen der quergestreiften Muskeln nach Be- 
obachtungen am Frosch. Zeitschrift für rationelle Mediein, 3. Reihe, 
X. Bd., 1861, pag. 263 ff. (271 ff.). 

2) Felix, a. a. O. pag. 242. Literaturangaben bei demselben 
pag. 226 ff. 

3) Peremeschko, Die Entwickelung der quergestreiften Mus- 
kelfasern aus Muskelkernen. Virchow’s Archiv, 27. Bd., page. 116 ff. 
(pag. 119). 

4) Kraske, a. a. O. pag. 23. 

5) Leven, a. a. O. pag.175. 

6) Nauwerck, a. a. O. pag. 31. 

7) Nauwerck lässt für diese Bildung nur eine Möglichkeit 
offen; er sagt: An diesen Muskelfasern lassen sich gleichzeitig zwi- 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 3l 


470 D. Barfurth: 


und dass diese Muskelzellen die Fähigkeit besitzen, neue Muskel- 
fasern zu bilden. 

Wie ich oben bemerkte, kommt an meinen Objeeten die 
Längsspaltung vorzugsweise an Fasern vor, die m der Mitte 
eines Muskelbandes liegen; sie findet sich aber auch an den am 
weitesten vorgeschobenen, terminal liegenden Fasern (Fig. 22 m)). 
Im ersteren Fall scheinen die Spaltungsproduete nur insofern ver- 
wandt zu werden, als die Deckung des Defeets erfordert; man 
sieht da, wo die alte Muskelfaser sich durch Spaltung auflöste, 
eine helle Stelle zwischen den seitlich erhaltenen Fasern und in 
diesem hellen Raum kernreiche Bänder, Spindelzellenverbände, 
Spindelzellen und einzelne Sarcoblasten; wir haben auch hier 
wieder eine Ueberproduction, die den Untergang der meisten 
dieser Gebilde im Gefolge hat. Im andern Fall, bei der 
Längszerspaltung der äussersten Fasern, spielen die Spaltungs- ° 
_ produete und Sarecoblasten eine viel wichtigere Rolle, da sie 
für das neugebildete Schwanzstück eine fort- 
laufende Reihe von jungen Muskelfasern zu bil- 
den haben. Am achten Tage sehe ich einen vollständigen 
Längszerfall solcher angeschnittenen äussersten Muskelfasern und 
caudalwärts von diesen Spaltungsproducten Sarcoblasten. Dass 
die letzteren durch Wucherung von Muskelkörperehen in den 
abgespaltenen Faserpartien entstanden sind, schliesse ich aus 
den zahlreichen Mitosen in den Muskelkörperehen und aus dem 
Umstande, dass die Sarcoblasten die direete periphere Fort- 
setzung der Muskelbruchstücke sind. | 

Freilich sieht man nun recht oft statt der Spaltungspro- 
ducte alter Muskelfasern ein ganzes Gewirre von Muskel- 


schen den beschriebenen Gebilden (Bänder, Spindelzelleneomplexe, 
Spindelzellen) keine der runden oder vielgestalteten Muskelzellen 
nachweisen, womit indessen nicht gesagt sein soll, dass 
eine Muskelfaser, dieanihrem Stumpfe Muskelzellen 
produeirt, nicht in ihrem weitern Verlauf die ge23 
schilderte Zerspaltung eingehen kann (pag. 29). 

1) Ich verweise auf diese Figur nur, um den Leser über die’ 
topographischen Verhältnisse zu orientiren; die Muskelregeneration 
selber ist in diesem Stadium (dritter Tag) noch nicht zu sehen. Von 
weiteren topographischen Zeichnungen, die viel Zeit kosten, musste 
ich Abstand nehmen, weil mich äussere Umstände zwangen, diese Ar- 
beit abzuschliessen. ; 


Te a re ee 


Zur Regeneration der Gewebe. 471 


sprossen, die bis an die Sarcoblasten heranreichen. Dieser 
Umstand führt mich zur Besprechung der letzten Regenerations- 
erscheinung, die nach Neumann die einzige, nach Nau- 
werck die wichtigste ist: die Bildung von Knospen 
oder Sprossen aus den präexistirenden Muskel- 
fasern. 

Ad 4. An Präparaten vom 7.—10. Tage (Rana esculenta, 
Larven) finde ich zahlreiche Muskelfasern, die an dem einen, 
oralwärts gelegenen Ende die normale Structur fast vollständig 


- erhalten haben, die aber am peripheren Ende sich vollständig 


auflösen in eine grosse Menge blasser, meist schmaler kernreicher 
Fortsätze. Man hat den Eindruck, als ob solche Fasern peripher 
in ein ganzes Büschel ausserordentlich blasser Sprossen ausein- 
anderflössen. 

In den Sprossen liegen zahlreiche Kerne, oft reihenweise, 
mit vielen Mitosen. Sie zeigen eine äusserst feine Längsstreifung, 
von Querstreifung ist nichts zu sehen. Der Zusammenhang mit 
den alten Fasern ist durch Heben und Senken des Tubus leicht 
festzustellen. Eine Verwechselung mit zerspaltenen Muskelfasern 
wird durch diesen Zusammenhang, durch die oft bedeutende 
Länge der Sprossen, sowie durch die Thatsache unmöglich, dass 
diese Sprossen selbst an mit Flemming'scher Mischung be- 
handelten Präparaten auffallend blass sind, während Spaltstücke 
stets einen dunkleren Ton und kräftige Fibrillenbildung aufweisen. 
Es kann desshalb keinem Zweifel unterliegen, dass dies die ech- 
ten Neumann’schen Muskelknospen!) sind. Im Uebrigen 
habe ich der vortrefflichen Beschreibung dieser Gebilde bei Neu- 
mann und Nauwerck nichts hinzuzufügen. 

Die erwähnten Gebilde entsprechen den terminalen Mus- 
kelzellen Neumann’s, laterale, wie ich sie wenigstens der An- 
lage nach bei den früher beschriebenen Siredonlarven fand, habe 
ich hier nicht gesehen. Es scheint, dass etwa sich ausbildende 


seitliche Defecte der Muskelbänder durch den Modus der Zer- 
spaltung alter Muskelfasern ausgeglichen werden. Ich sehe 


darin nur einen Beleg zu der früher geäusserten Anschauung, dass 
die Natur um Varianten bei ihrer Arbeit nie verlegen ist und 


1) Neumann,a. a. O. pag. 327, Nauwerck, a.a.0.p.37 ff. 


472 D. Barfurth: 


dass sie sich bei solehen Vorgängen dem jedesmaligen Bedürf- 
niss in einer uns oft räthselhaften Weise anzupassen versteht. 

Die terminalen Sprossen erreichen, wie schon erwähnt, zu- 
weilen eine bedeutende Länge, die besonders an nicht zu feinen 
Schnitten leicht verfolgt werden kann. Sie erstreeken sich manch- 
mal über einen Raum, der zwei Myomeren umfasst; dazu 
ist zu bemerken, dass die normaler Weise vorhandenen muskel- 
freien Scheidewände zwischen den Myomeren (Ligamenta 
intermuscularfa) in dem neugebildeten Schwanzstück dieser Sta- 
dien noch nicht ausgebildet ist. Dieselben, sowie die deut- 
lich abgegrenzten Muskelbänder findet man erst in der 3. Woche. 
Dass nun aus diesen Muskelknospen im Laufe der Regeneration 
echte junge Muskelfasern werden, kann keinem Zweifel unter- 
liegen. Man sieht in etwas älteren Stadien die Längsstreifung 
kräftiger, die Fasern dicker werden und bald (Ende der 2. Woche) 
stellt sich Querstreifung ein. Das Sarcolemm ist aber dann noch 
nicht vorhanden. Wie Nauwerck sehe ich gabelige Theilungen 
(p. 47) und seitliche Abspaltungen (p. 48) der Muskelfortsätze. 

Caudalwärts von den erwähnten Sprossen finde ich nun 
ebenfalls wieder frei liegende, meist längliche Zellen, die ich mit 
Nauwerck für aus den Sprossen ausgetretene Sarcoblasten halte, 
weil sie in derselben Flucht liegen, weil ihre Längsachse fast 
stets der Längsachse des Schwanzes parallel liegt und weil sie 
ungewöhnlich viele Mitosen aufweisen. Diese Sarcoblasten bilden 
die langgestreckte Reihe von jungen Muskelfasern, die man an 
ältern Regenerationsstadien (12.—15. Tag) jederseits dicht am 
Epithel verlaufen sieht ?). 

Hier könnte man nun gleich folgenden nicht unberechtigten 
Einwand erheben: Wenn die Muskelsprossen sich über einen Raum 
von 2 Myomeren erstrecken und sich nachher im Bereiche derselben 
neue Muskelbänder mit Ligg. intermuseularia bilden, so steht prin- 
eipiell der Auffassung nichts entgegen, dass die Sprossen immer 
weiter wachsen und ohne ausgetretene Sarcoblasten die neuen 
Myomeren bilden; die freiliegenden als Sareoblasten gedeuteten 
Zellen können abgeschnittenene Theile von Muskelsprossen sein. 


1) Nauwerck sah diese freien Muskelzellen in seinen Objecten 
nur ausnahmsweise und konnte keine Weiterentwickelung an ihnen 
entdecken (pag. 48). 


3 Zur Regeneration der Gewebe. 473 


Dagegen ist zu sagen, dass sich dann bei einer Länge des rege- 
nerirten Stückes von etwa 0,5cem auch die Sprossen un- 
sefähr bis zu dieser enormen Länge, d.h. über ca. 
6—8 Myomeren erstrecken müssten, oder mit anderen Worten: 
die Sprossen müssten 6—8 mal so lang werden, wie die normale 
Faser. Diese Annahme wäre abenteuerlich und ist durch keine 
Beobachtung gestützt. Andererseits sieht man aber auch an et- 
was diekeren Schnitten deutlich, dass die Sarcoblasten nicht ab- 
geschnittene Knospentheile, sondern abgegrenzte Zellen sind. 

Aus den mitgetheilten Thatsachen ziehe ich den Schluss, 
dass bei älteren Amphibienlarven (Rana) der ursprüngliche ein- 
fachste Modus der Regeneration eomplieirter geworden ist: Die 
Regeneration geschieht 1) durch Längszerspaltung prä- 
existirender Fasern und Entwicklung dieser Theilstücke, 
sowie der aus ihnen freigewordenen Sarcoblasten zu jungen Mus- 
kelfasern; sie geschieht ferner 2) durch Bildung terminaler 
Sprossen (Neumann) aus den alten Muskelfasern und durch 
Freiwerden und Vorschieben vonSarcoblasten aus 
den Sprossen. 

Meine Beobachtungen sind, wie erwähnt, durchaus an jun- 
gen Thieren (Larven) gewonnen worden; es lag nicht im Plane 
dieser Arbeit auch erwachsene Thiere zu untersuchen. Ich kann 
also über den Modus der Muskelregeneration bei diesen Thieren 
nichts aussagen. Die grundlegenden Beobachtungen Neumann's, 
die mit Unrecht so viel angefochten sind, und die sorgfältige ex- 
perimentelle Untersuchung vonNauwerck liefern hier eine will- 
kommene Ergänzung. Man wird mit mir den Eindruck bekom- 
men, dass im Prineip die Vorgänge der Regeneration bei ganz 
jungen und bei erwachsenen Thieren nicht mehr von einander 
verschieden sind als es die embryonale und die postembryonale 
physiologische Entwickelung der Muskelfasern sind. Nauwerck 
hat mit Recht auf die werthvolle Arbeit von Felix hingewiesen 
und „in dem Regenerationsvorgang an der Muskulatur des er- 
wachsenen Thieres nach Verletzungen die wesentlichen Grundzüge 
der embryonalen* — (ich hätte hier lieber gesagt postembryo- 
nalen) — „Entwickelung wieder zu erkennen“ geglaubt (p. 53). 

Hält man nun Fraisse’s und meine Befunde bei ganz jun- 
gen und jungen Thieren mit denen zusammen, die von zahlreichen 

Forschern (0. Weber, Kraske, Neumann, Nauwerck, 


474 | D. Bar£urth: 


Leven, Zaborowski u.a.) an erwachsenen Thieren gefunden 
wurden, so ergiebt sich folgendes. 

I. Bei ganz jungen Amphibienlarven (Siredon) sind die 
Degenerationserscheinungen an den angeschnittenen Muskelfasern 
gering: schollige Zerklüftung, Resorption. Die Regeneration er- 
folgt durch Wucherung und Vorschieben von Muskelkörperchen, 
wobei knospenähnliche terminale und laterale Bildungen auftreten. 
Die vorgeschobenen Muskelzellen (Sarcoblasten) entwickeln sich 
grösstentheilss nach embryonalem Typus (F. E. Schulze) 
zu neuen Muskelfasern (Weber, Kraske, Leven, Zabo- 
rowski). 

. IL Bei älteren Larven (Rana) und erwachsenen Thieren 
(Kaninchen) sind alle Erscheinungen complieirtter. Man kann 
unterscheiden : 

A. Degenerative Vor ae 

I. Scholliger Zerfall angeschnittener Muskelfasern und ab- 
gerissener Bruchstücke quergestreifter Substanz; als Begleiterschei- 
nungen die Anhäufung von Wanderzellen und Bildung von Riesen- 
zellen. 

2.. Atrophische Wucherung der Kerne in den Muskel- 
körperchen degenerirender Muskelfasern, Zerfall der quergestreif- 
ten Substanz zu Sarcolyten, blasige Entartung, Verfettung und 
einfache Atrophie der Muskelsubstanz (Nauwerck), Bildung von 
„Muskelzellenschläuchen“ (Waldeyer) und von bald absterbenden 
Sarcoblasten. 

B. Regenerative Vorsänsz 

1. Längsspaltung von Muskelfasern mit Kernwucherung der 
Muskelkörperchen nach postembryonalem Entwicklungstypus 
(Weismann, Kölliker, Felix). Bildung schmaler Bänder, 
bandförmiger Platten, “Auftreten von Spindelzellen und Sarco- 
blasten. 

2. Bildung kernhaltiger Sprossen (Neumann, Nau- 
werck, Sokolow etc.) an präexistirenden Muskelfasern. Die- 
selben entwickeln sich zu jungen Muskelfasern und erzeugen durch 
Kernvermehrung Sarcoblasten, die sich peripher ebenfalls zu neuen 
Primitivbündeln ausbilden. | 

Ich habe in dieser gedrängten Zusammenstellung natürlich 
nicht die Differenzen in der Anschauung der Beobachter einfügen 


Zur Regeneration der Gewebe. 475 


können. Es stehen sich hier im wesentlichen zwei Richtungen: 
Neumann-Nauwerck und Weber-Kraske gegenüber. 
Nachdem die Angaben Neumann's durch Nauwerck in man- 
chen Punkten ergänzt und modifieirt sind undNeumann!) sich 
der Nauwerek’schen Darstellung wohl. anschliessen wird, so 
erscheinen einige Gegensätze nicht mehr so ganz unversöhnlich 
wie früher. Die Bildung von Muskelzellen, Sareoblasten, 
aus den Muskelkörperchen der präexistirenden Fasern ist im 
Prineip von beiden Parteien anerkannt; Neumann-Nauwerck 
lassen dieselben untergehen oder sich nur in geringem Maasse 
an der Neubildung von Muskelfasern betheiligen, Weber-Kraske 
sehen in ihnen die Elemente, aus denen allein ?) die Neubildung 
erfolgt. Die Längszerspaltung sehen ebenfalls beide Parteien; 
Weber-Kraske lassen diese erst Halt machen bei der voll- 
ständigen Auflösung .der alten Faser in Sarcoblasten und lassen 
wieder nur aus diesen die neuen Muskelfasern entstehen; nach 
Neumann-Nauwerck geht die Zerspaltung bis zu Bändern, 
Spindelzelleneomplexen und Spindelzellen, nur in wenigen Fällen 
können Sarcoblasten frei werden; die genannten Spaltungsprodukte 
regeneriren sich zu neuen Muskelfasern. , 

Unlösbar ist aber der Widerspruch in Bezug auf die Neu- 
mannschen Muskelknospen, von denen Kraske nicht zugiebt, 
dass sie wirkliche Auswüchse seien und als solche weiter wach- 
sen, während Neumann-Nauwerck gerade das Hervorsprossen 
aus den alten Muskelfasern betonen und ihnen die Hauptrolle bei 
der Neubildung von Muskelfasern erwachsener Thiere zuschreiben. 

Mir scheinen meine Untersuchungen an Amphibienlarven 
insofern eine Lücke auszufüllen, als sich der Zusammenhang der 
Regenerationserscheinungen mit den embryonalen und postembryo- 
nalen Entwickelungsvorgängen jetzt besser übersehen lässt. Die- 
sen Zusammenhang will ich durch folgende Sätze ins Licht zu 
stellen suchen. 

I. Primäre Entwickelung der Muskelfasern aus einzel- 
nen Zellen der Ursegmente, die den Sarcoblasten morphologisch 
gleichwerthig sind; ihr entspricht der erste und einfachste 


1) Vgl. die Aeusserung Nauwerck’s pag.15 u. 32. 
2) Auf kleinere Abweichungen der Weber’schen Lehre gehe 
ich hierbei nicht ein. 


476 D. Barturik: 


Modus der Regeneration bei ganz jungen Larven: nach mi- 
totischer Vermehrung der Muskelkörperchen treten einzelne (Sar- 
coblasten) unter knospenähnlichen Bildungen aus dem Verbande 
der Mutterfaser heraus, rücken vor und bilden junge Muskel- 
fasern. 

II. Postembryonale Entwickelung der Muskelfasern 
aus Sarcoblasten, durch Längstheilung alter Muskel- 
fasern, sowie durch Längen- und Diekenwachsthum der einzelnen 
Fasern !). Diesem Uebergangsstadium entspricht die Regeneration 
bei ältern Larven (Rana) und bei erwachsenen Thieren (Nau- 
werck)?): Die Neubildung geschieht durch Spaltungsprodukte und 
Knospen präexistirender Muskelfasern, ausserdem aber durch 
Sarcoblasten, die sich bei diesen Vorgängen frei machen. 

III. Postembryonale Neubildung von Muskelfasern nur durch 
Längstheilung (Felix)!) vorhandenergFasern. Ihr ent- 
sprechen die bei der Regeneration älterer Larven und erwachsener 
Thiere vorkommenden „Spaltungen und Abfurchungen“, die wie 
in dem vorher besprochenen Stadium zur Neubildung von Mus- 
kelfasern Veranlassung geben. Dieses Stadium unterscheidet sich 
also von dem vorigen wesentlich dadurch, dass weder bei der 
physiologischen Neubildung (Felix), noch bei der Re- 
generation (Nauwerck) eine Bildung von Muskelfasern 
aus Muskelzellen (Sarcoblasten) vorkommt. 


1) Felix, a. a. O. pag.255 ff. „Bei Tritonenlarven oder Frosch- 
larven überwiegt in der ersten Zeit die Neubildung nach einbryonalem 
Typus bei weitem diejenige durch Längstheilung, man sieht in der 
Peripherie der Muskeln ungemein zahlreiche spindelförmige Muskel- 
fasern mit ein oder zwei Kernen, während man Mühe hat, Kernreihen- 
fasern zu finden.“ Im dritten Monat (Homo) tritt ein Stillstand in der 
Vermehrung der Fasern ein, der „zum Längen- und Dickenwachsthum 
der einzelnen Fasern benutzt wird“ (pag. 256). „Von einer bestimmten 
Grenze an, die zwischen der Mitte des dritten Monats und dem vierten 
Monat liegen muss, beginnt wieder eine Vermehrung der Faserzahl, 
diesmal nur durch Theilung der vorhandenen Fasern. Von dieser 
Grenze an scheint die Vermehrung der Faserzahl immer durch Längs- 
theilung der vorhandenen Fasern stattzufinden (pag. 256). 

2) Nauwerck, a.a. 0. pag.53—54 Es ist hierzu ausdrück- 
lich zu bemerken, dass Nauwerck überhaupt eine Entwickelung 
neuer Muskelfasern aus muskulären Bildungszellen (Sarcoblasten) nicht 
anerkennt. 


Zur Regeneration der Gewebe. 477 


Zum Schluss noch einige allgemeine Bemerkungen. Ich 
habe das Kapitel der Kerntheilungen, welches besonders 
von den andern neueren Beobachtern so sorgfältig erörtert wird, 
wenig berührt. Das letzte Wort über das Arnold’sche Kerm- 
theilungsschema ist noch nicht gesprochen. Bis wir in den Ar- 
nold’schen Befunden die Degeneration von der physiologisch- 
regenerativen sicher unterscheiden können, bedarf es noch vieler 
Untersuchungen an normalen Objeeten. Bis dahin bin ich mit 
Pfitzner, Krafft u. a. der Ansicht, dass sicherlich viele der 
Arnold’schen Kermtheilungserscheinungen auf Rückbildung 
beruhen. Bilder, wie sie z.B. Zaborowski in Fig. 1,a, b 
darstellt, habe ich bei meinen Studien öfter gesehen, aber als 
Degenerationserscheinungen aufgefasst: es möchte auch Zabo- 
rowski schwer werden, die „indireete Fragmentirung“ von Mus- 
kelkernen in Figgla von dem „Zerfall“ in Fig. 1b zu unter- 
scheiden. Andererseits habe ich bei meinen Objecten an den 
entscheidenden Stellen so viele typische Mitosen gefunden, dass 
ich auch für die Regeneration der quergestreiften 
Muskeln, wie für die der übrigen Gewebe die mi- 
totischeKern- und Zelltheilung als den normalen 
Modus ansehe. 

Ich bin mir wohl bewusst, dass meine Untersuchungen 
lückenhaft sind; andererseits bin ich aber “überzeugt, dass 
Fraisse und ich den richtigen Weg, den vergleichend- 
anatomischen und entwicklungsgeschichtlichen, 
zur Untersuchung der Muskelregeneration eingeschlagen haben. 
Kölliker!) undHertwig ?) empfehlen übereinstimmend Amphi- 
bienlarven zum Studium der Entwickelungsgeschichte des Muskel- 
gewebes; die bisherigen Arbeiten über Muskelregeneration sind 
aber fast alle an Säugethieren (Ratte, Kaninchen ete.) ausgeführt 
worden, und ich erkläre mir aus diesem Umstande die Thatsache, 
dass eine ungeheure Menge von Fleiss und Arbeit diesem Gegen- 
stande geopfert wurde, ohne dass dabei eine Einigung über viele 
prineipiell wichtige Dinge erzielt werden konnte. 

Eine dieser prineipiell wichtigen Fragen ist nach meiner 
Ansieht schon durch die neuere vergleichend-embryologische und 


1) Kölliker, Gewebelehre, 6. Aufl., 1889, I. Bd., pag. 402. 
2) Hertwig, Entwickelungsgeschichte, 3. Aufl., 1890, pag. 291. 


478 D. Barfwefh: 


und biologische Forschung erledigt worden, nämlich die Frage, 
ob bei der Muskelregeneration die Kerne oder das Proto- 
plasma bez. die quergestreifte Substanz alsmodi- 
fieirtes Protoplasma die Hauptrolle spielen. Dass 
diese Frage zu Gunsten der Kerne entschieden werden muss, 
geht aus folgenden Thatsachen hervor: 

1. Die ganze neuere durch O. Hertwig, Auerbach, 
Bütschli, van Beneden, Strasburger u.a. begründete 
Befruchtungslehre fusst auf der Thatsache, dass der Kern das 
eigentliche Befruchtungs- und Vererbungsorgan der Zelle ist. 

2. Durch die Untersuchungen von Nussbaum, Gruber, 
Schmitz, Klebs u. a. an einzelligen Thieren und Pflanzen 
ist festgestelit worden, dass kernlose Protoplasmastücke 
nicht lebensfähig sind. 

9. Die Versuche von Nussbaum, Gruber und Ver- 
worn an einzelligen Thieren haben ergeben, dass die Regene- 
ration gewisser abgeschnittener Theile (Wimper, 
Schalenstücke) ohne Anwesenheit eines Kernes un- 
möglich ist. 

Diese Anschauung scheinen übrigens die meisten neueren 
Bearbeiter der Muskelregeneration zu hegen, auch die Haupt- 
vertreter der Knospentheorie. Zaborowski sagt zwar: „Die 
Einen, wie 0.O.Weber, C.E.E.Hoffmann und P.Kraske 
finden den Ursprung der jungen Muskelfasern mn den Muskel- 
kernen.... Andere, wie Neumann, C. A. Dagott, Lüde- 
king und neuerdings Perroncito dagegen verlegen den Ur- 
sprung der neuen Fasern in die contractile Substanz“ 
(p. 5). Dem gegenüber muss ich doch darauf hinweisen, dass 
sowohl Neumann wie Nauwerck das Vorhandensein und 
die Wirksamkeit der Kerne in den Muskelknospen sehr bestimmt 
hervorheben. So fällt Neumann „ein grosser Kernreichthum 
auf, die Kerne erscheinen häufig in so grosser Zahl von den alten 
Fasertheilen aus in die Fortsätze derselben vorgeschoben, dass 
diese von ihnen bisweilen fast bis zur Spitze hin erfüllt sind“ 
(Neumann, a.a.O.p. 328). Und N.auwerck betont, „dass 
an den beiden Enden der Muskelfortsätze ein sehr lebhaftes 
Wachsthum in die Länge, gegen die Narbe hin, stattfindet, wel- 
ches mit einer erheblichen Protoplasmaanhäufung und einer ent- 
sprechenden Kernproliferation einhergeht“ (Nauwerck, 


Zur Regeneration der Gewebe. 479 


a.a.0.p. 41). Den wesentlichen Unterschied zwischen der 
Weber-Kraske’schen Sarecoblastentheorie und der Knospentheorie 
von Neumann-Nauwerck habe ich früher schon hervor- 
gehoben. 


Besprechung und Zusammenfassung der Ergebnisse. 


Bei meinen Untersuchungen ergab sich, dass der Zeit 


nach die Regeneration der Gewebe bei den Amphibien in fol- 


Rasııc 


gender Reihenfolge verläuft: 1. Epidermis; 2. Rückenmark; 3. 
Chorda und Knorpelstab; 4. Bindegewebe, Cutis, Gefässe; 5. 
Quergestreifte Muskulatur und fast gleichzeitig peripheres Nerven- 
system. Man sieht, dass diese Reihenfolge im Prineip derjenigen 
entspricht, die wir auch bei der embryonalen Entwickelung 
finden. Dieses Zusammentreffen kann wohl nicht zufällig sein, 
sondern muss einen innern Grund haben und dieser kann nur in 
der specifischen Qualität der Gewebe liegen: die einfachen 
Gewebe werden schneller regenerirt, die höher 
differenzirten langsamer). Dieser Grundsatz tritt be- 
sonders schlagend hervor bei der Regeneration der Epidermis: 
die gewöhnlichen Epithelzellen werden sehr schnell regenerirt, 


- die aus ihnen hervorgehenden complieirteren Leydig’schen Zellen 


und Sinneszellen differenziren sich viel später (Fraisse). 

Es ergab sich ferner, dass dem Modus nach bei der Re- 
generation ebenfalls im Prineip die Entwickelung wieder- 
holt wird. 

Dieser Satz bedarf jedoch nach meinen Untersuchungen in- 
sofern einer Erläuterung, als nicht gerade immer die primäre 


1) Podwyssozki, A. jun. (Experimentelle Untersuchungen über 
die Regeneration der Drüsenepithelien unter physiologischen und 
pathologischen Redingungen. Fortschritte der Medicin. Bd. 5, 1887) 


kam zu einem gleichen Ergebniss in Bezug auf die Drüsenzellen; 


nach ihm „steht die Schnelligkeit in Bezug auf den Beginn der rege- 
nerativen Erscheinungen an den Drüsenzellen, sowie im allgemeinen 
die Intensität und Fähigkeit zur Fortpflanzung, resp. zur Regeneration 
von verschiedenen Drüsenzellenarten in einem umgekehrten Verhält- 
niss zur physiologischen Differenzirung oder zur Compliecirtheit ihrer 
seeretorischen Function“. Jahresbericht von Hermann u. Schwalbe, 
1887, pag. 577. 


480 Dı Barfurth: 


Entwickelung ganz rein wieder in die Erscheinung tritt, sondern 
auch die etwas modifieirte postembryonale Entwickelung 
(Wachsthum und physiologische Regeneration) eine Rolle spielen 
kann. Richtiger würde der Satz desshalb nach meiner Ansicht 
in folgender Fassung sein: die Art der Regenerationist 
abhängig vom jeweiligen Entwickelungsstadium 
des Versuchsthieres und wiederholt im allgemei- 
nen die diesem Stadiumentsprechendennormalen 
Entwickelungsvorgänge. 

Eine freie Zell- und Kernbildung habe ich bei der Regene- 
ration nicht gefunden. 

Die Kerntheilungen verlaufen nach der typischen Karyo- 
kinese. | 

Alle Gewebsarten im Amphibienschwanz besitzen die Fähig- 
keit sich zu regeneriren (Fraisse). ' 

Jedes Gewebe kann nur gleichartiges Gewebe wieder er- 
zeugen (Fraisse). 

Alle Regenerationen gehen in letzter Instanz aus von den 
Kernen der präexistirenden Gewebselemente; das Protoplasma 
spielt nur eine untergeordnete Rolle (Deckung eines Epitheldefects 
durch Verlagerung [Klebs, Peters], Bildung von Knospen bei 
der Muskelregeneration [Neumann, Nauwerck]). 

Das Auftreten der Leukocyten bei der Regeneration ist eine 
Begleiterscheinung; sie spielen bei der Regeneration keine Rolle?). 
Bei der Rückbildung betheiligen sie sich in untergeordnetem 
Maasse als „Phagocyten“, zerfallen aber bald selber. Ihre Zer- 
fallsprodukte gelangen in die Lymphbahnen oder werden direct 
zur Ernährung anderer Zellen verwandt. 

Aus Fraisse’s und meinen Untersuchungen ergiebt sich ein 
starker Beweis für die Speeifieität der Gewebe. Kölliker?) 
hat ganz Recht, wenn er meint, dass die Elemente der fertigen 
Gewebe das Vermögen, andere Gewebe zu bilden, eingebüsst haben. 


Es ist hier der Ort, der schon erwähnten grundlegenden 


1) Ribbert (Ueber Regeneration und Entzündung der Lymph- 
drüsen. Ziegler’s Beiträge etc. 6.Bd.) wies nach, dass die Lymph- 
zellen nicht einmal bei der Regeneration der Lymphdrüsen mitwirken; 
sie geht von den Endothelien und fixen Reticulumzellen aus (pag. 206). 

2) Kölliker, Die embryonalen Keimblätter und die Gewebe. 
Zeitschrift für wiss. Zool., 40. Bd., pag. 179 ff. (pag. 211). 


Zur Regeneration der Gewebe. 481 


Versuche Roux’s!) über künstliche Erzeugung halber Embryonen 
und der von ihm entdeckten Postgeneration zu gedenken, um 
die Beziehung der letzteren zur Entwickelung und Regene- 
ration feststellen zu können. Roux gelangte zu folgenden Er- 
gebnissen: 

Jede der beiden ersten Furchungskugeln vermag sich unab- 
hängig von der andern zu entwickeln und bildet ihre entsprechende 
(rechte oder linke) Körperhälfte (p. 25ff). 

Nach Zerstörung einer der beiden ersten Furchungszellen 
vermag die andere sich auf dem normalen Wege zu einem im 
Wesentlichen normalen halben Embryo zu entwickeln (Semi- 
morula, Semiblastula, Semigastrula, Hemiembryo, p. 85, p. 13 ff.). 

Die durch die Operation ihrer Entwickelungsfähigkeit be- 
raubte Furehungszelle kann allmählich wieder belebt werden. 
Dies geschieht zum Theil dadurch, dass das noch vorhandene 
Dottermaterial mit Kernen, die von dem Furchungskern der 
operirten Zelle stammen, wieder belebt und direct ver- 
wendet wird; zum andern Theil aber dadurch, dass eine 
grössere Anzahl von Zellkernen (nebst Protoplasma? 
[Roux]) aus der normal entwickelten Eihälfte in die 
operirte Furchungskugel übertritt (p. 85, p. 43 ft.). 

Dieser Reorganisation der operirten Eihälfte schliesst sich 
eine nachträglicheEntwiekelung, Postgeneration, 
an, die den fehlenden Hemiembryo vollkommen herstellen kann 
(p. 86). Die Postgeneration unterscheidet sich von der primären 
Entwickelung wesentlich dadurch, dass sie nicht durch selbst- 
ständige erste Anlage der Keimblätter vor sich geht, sondern 
dass sievondenbereitsinderentwickeltenHälfte 
gebildeten Keimblättern aus stattfindet (p. 86). 

Sie unterscheidet sich ferner von der gewöhnlichen Rege- 
neration dadurch, dass bei dieser die verletzten Gewebe sich 
nur aus den Nachkommen ihrer eigenen Elemente 
regeneriren, während bei der Postgeneration das Zellmaterial 
nicht von den Elementen des sich postgenerirenden Blattes ab- 
stammt, sondern, wie schon erwähnt, zum Theil vom Material der 
operirten Eihälfte, zum Theil durch nur an zufälligen Stellen 

1) Roux, a. a. OÖ. Virchow’s Archiv, 114. Bd. Ich eitire die 


Seitenzahl nach dem Separatabdruck und hebe nur die wichtigsten, 
für meine Zwecke speciell verwerthbaren Resultate hervor. 


482 D. Barfurth: 


aus der primär entwickelten Hälfte übergetretenen Kernmaterial 
(PT 

„Bine wichtige Uebereinstimmung zwischen 
Postgeneration undRegeneration spricht sichje- 
doch darin aus, dass beide nur von den schon prä- 
existirenden Gewebsschichten und nur nach Her- 
stellung von Unterbrechungsflächen vor sich 
Sehen” Ip. A79% | 

Hiernach wird man verstehen, wesshalb ich mit Roux 
(p. 80) überzeugt bin, dass „die erwähnten Verschiedenheiten der 
Postgeneration von der Regeneration und beider von der normalen 
Entwickelung nicht in dem Sinne aufzufassen sind, dass bei der 
Post- und Regeneration wesentlich neue, bei der normalen Ent- 
wickelung nicht vorkommende Bildungsvorgänge stattfinden“; son- 
dern wir dürfen „vermuthen, dass die Nachbildung und die 
Wiederbildung in der Art ihrer Vorgänge bloss 
unter minimalen, durch den Chafacter des Ersatzes fehlen- 
der Theile von der Abgrenzungsfläche des Defectes aus beding- 
ten, AbweichungenvondernormalenEntwickelung 
sich vollziehen, während im Uebrigen die Grundvorgänge 
dieselben seien.“ | 

Was nun speciell’ die Regeneration der Gewebe nach 
traumatischen Eingriffen anbetrifft, so möchte ich noch auf Vor- 
gänge hinweisen, die den Regenerationserscheinungen nieht nur 
durchaus verwandt, sondern nach meiner Meinung in gewissem 
Sinne sogar gleichartig sind; ich meine die Vorgänge beim 
postembryonalen Wachsthum und der „physiologischen“ 
Regeneration. | 

Ich bin mit vielen, vielleicht gar allen Histologen, der Mei- 
nung, dass die Gewebselemente nicht so lange leben, wie das 
Individuum, welches sie zusammensetzen, sondern dass sich Wer- 


den und Vergehen bei ihnen in einem zeitlich begrenzteren Cyclus 
abspielen. Obgleich unsere Kenntnisse in diesem Punkte noch sehr 


lückenhaft sind, wissen wir doch von manchen Geweben (Epi- 
dermis, quergestreifte Muskulatur, Capillaren, periphere Nerven, 
Drüsenzellen) schon mit Sicherheit, dass in ihnen fortwährend 
Untergang und Neubildung stattfindet. Man pflegt diese Neubil- 
dung als physiologische von der nach Verletzungen erfol- 
genden pathologischen zu unterscheiden. Vergleicht man aber 


Zur Regeneration der Gewebe. 483 


die Vorgänge genauer, so wird man mit mir zu der Ueberzeugung 
kommen, dass prineipielle Unterschiede nicht vorliegen, son- 
dern dass die „pathologische“ Regeneration nur 
eine gesteigerte „physiologische“ ist. Die Unter- 
schiede sind bedingt durch die Herstellung einer „Unterbrechungs- 
fläche“ (Roux) und den hierdurch erzeugten „Wundreiz“. Diese 


_ beiden Umstände zwingen die Gewebe zur höchsten Entfaltung 


ihrer regenerativen Potenz, und desshalb verlaufen Rückbildung 
und Neubildung schneller und in grösserem Umfange als bei der 
physiologischen Regeneration. Von diesem Gesichtspunkte aus 
wird die öfter hervorgehobene Thatsache verständlich, dass M o- 
dus undProduetderRegenerationvon den jeweili- 
gen Entwickelungsstadien abhängig sind. So re- 
generirt z. Be die Chorda das specifische hyaline 
Chordagewebe nur solange, als sieauchnormaler 
(physiologischer) Weise diese Elemente zu bilden 
im Standeist; späterbedingtdasfortgeschrittene 
Entwickelungsstadium die Regeneration des 
Chordastabes. Ganz entsprechende Verhältnisse finden wir 
in Bezug auf Knorpelstab und Skelet, sowie bei der Regeneration 
der quergestreiften Muskulatur. Nauwerck!) hatte desshalb 
ganz Recht, wenn er auf Grund seiner Befunde an- erwachsenen 
Säugethieren die Muskelregeneration nicht ohne’Weiteres mit der 
primären, sondern mit der postembryonalen Ent- 
wiekelung (Wachsthum, Felix) parallelisirtte.e. Nimmt man 
dazu meine Resultate über die Muskelregeneration bei ganz jun- 
gen Amphibienlarven, die nach Analogie der primären Ent- 
wickelung verläuft, so finden wir den oben festgestellten Satz 
bestätigt, dass Modus und Product der Regeneration von dem 
gerade vorliegenden Entwickelungsstadium abhängig sind. 

Ich stelle jetzt die wesentlichsten Ergebnisse meiner Unter- 
suchung zusammen. 

1) Alle Gewebsarten der Amphibienlarven be- 
sitzen‘ die BrAsaa ieh: zur vegemerimen 
(Fraisse). 

2) JedesGewebe kann nur gleichartigesGewebe 
wieder erzeugen (Fraisse). 


1) Nauwerck, a. a. O. pag. 53. 


484 


3) 


6) 


N 


8) 


9) 


10) 


D. Barfurth: 


Alle Regenerationen gehen aus von den prä- 
existirenden Elementen (Fraisse); die Kerne 
spielen dabei die Hauptrolle. 
Die regenerativen Kerntheilungen verlaufen 
nach der typischen Karyokinese. 
Die Leukocyten spielen bei den Regenera- 
tionen selber keine Rolle. 
Die „pathologische“ Gewebsregeneration ist 
eine gesteigerte und durch Herstellung einer 
Unterbreehungsfläche(koux)modificirte „phy- 
siologische* Regeneration. 
Die Art der Regeneration ist abhängig vom 
jeweiligen Entwickelungsstadium und wie- 
derholt im allgemeinen die diesem Stadium 
entsprechenden normalen Entwiekelungsvor. 
gänge. A 
DieGrundvorgängebeider „Postgeneration“, 
derRegeneration unddernormalenEntwicke- 
lung (Wachsthum) sind dieselben (Roux). 
Die einfachen Gewebe werden schneller re- 
senerirt' als die.höher, differ enzirten. dieE 
isteineAnalogie zu der Thatsache, dassauch 
bei der ersten Entwickelung die primitiven 
Gewebe (Epithelien) früher ausgebildet sind, 
als die complicirten (quergestreifte Musku- 
latur). 
Dem entsprechend wird bei der zeitlichen 
Aufeinanderfolge der Regeneration der Ge- 
webe die primäre Entwickelung im allgemei- 
nen wiederholt. DieGewebe regenerirensich 
in dieser Reihenfolge: | 
a) Epidermis.DerersteEpithelbelagderWund- 
fläche wird von den restirenden Epithel- 
zellen der Wundränder durch einfache Ver- 
schiebung (Klebs, A. Peters) geliefert. Spä& 
ter erst beginnt die eigentliche Regene- 
ration durch mitotische Theilung der prä- 
existirenden Epithelzellen an der Schnitt- 


grenze. 


BET 7 
X 
ri 
v; ram 


y 
4 


Zur Regeneration der Gewebe. 485 


'b) Rückenmark. Der angeschnittene Central- 
kanal wird provisorisch durch amöboide 
Fortsätze der präexistirenden Medullar- 
rohr-Epithelien verschlossen. Nach etwa 
rasen verfolgt. dieseigentliche Regene- 
ration auf mitotischem Wege von den Epi- 
thelien der Schnittgrenze aus. Der Druck 
des Liquor cerebrospinalis baucht die zu- 
erst wenig widerstandsfähige Wand kolben- 
artig nach Analogie eines Sinus caudalis 
(W. Krause) vor. 

ec) Chorda und Knorpelstab. 


#: 


2. 


Die Chorda regenerirt sich nicht nur bei 
anuren, sondern auch bei urodelen Amphibien. 
Die Regeneration geht aus von den zu- 
rückgebliebenen Chorda-Epithelzellen 
(Fraisse). 
DieUmwandlungderneugebildetenChorda- 
zellen in grosse hyaline Zellen („Fächer 
desGallertkörpers“, Götte) geschieht nur 
beisehrjungenThieren(Siredon)undauch 
hier nur in den ersten Stadien der Rege- 
neration. Später wandeln sie sich zum 
„Chordastab“ um. 

EtwasältereLarven vonSiredon und von 
Tritonscehondiejüngsten Stadien (Fraisse) 
regenerirendenChordastab(Knorpelstab, 
Fraisse, knorpeliger Endstab, Flesch), 
der nach meiner Auffassung dem echten 
Chordagewebe isogenetisch ist. 
NochältereLarven, bei denen das skeleto- 
gene Gewebe um die Chorda schon überall 
entwickeltist, regeneriren aus skeleto- 
genem undChordagewebe(Chordaepithel) 
den Knorpelstab (H. Müller, Fraisse). 

Es ergiebt sich also für dieRegeneration 
der Chorda und desSkelets (Knorpelstab) 
das einfache Gesetz, dass die Art der Re 
generation durchaus abbängigistvomje 


Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 37 32 


486 


D. Barfurth: 


weiligenEntwicekelungsstadium des Stütz- 
apparates (Chorda und skeletogenes Ge- 
webe). 


d) Bindegewebe, Cutis, und Capillaren. Die 


e) 


Elemente des Bindegewebes und der Cutis 
regeneriren sich vom entsprechendenresti- 
renden Gewebe auf dem Wege der mito- 
tischen Kerntheilung. Die Capillaren ent- 
stehen durch Sprossenbildung von den prä- 
existirendenEndothelienundnachfolgende 
Canalisirung (Arnold, Ziegler, Rouget, 
Mayer, Bobritzki, Fraisse, Kölliker ete.). 
QuergestreifteMuskulatur. DerModusihrer 
Regeneration ist abhängig vom Entwicke- 
lungsstadium des Versuchsthieres. Die Be- 
ziehung zwischen Regeneration und Ent- 
wieklung ergibt sich ausfolgenden Sätzen: 
1. Primäre Entwickelung der Muskelfasern 
aus einzelnen Zellen der Ursegmente die 
den Sarcoblasten (Klebs) gleichwerthig 
sind. Ihr entspricht der/erstezund ein- 
fachsteModus der Regeneration bei ganz 
jungenLarven: nach mitotischer Vermeh- 
rung der Muskelkörperchen treten ein- 
zelne (Sarcoblasten) unter knospenähn- 
lichen Bildungen aus dem Verbande der 
Muskelfaser heraus, rücken vor und bil- 
den junge Muskelfasern. 


2. Postembryonale Entwickelung der Mus- 


kelfasernausSarcoblasten, durchLängs- 
theilung aller Muskelfasern, sowiedurch 
Längen- und Diekenwachsthum der ein- 
zelnen Fasern (Felix). Diesem VUeber- 
gangsstadium entspricht die Regenera- 
tion bei älteren Larven (Amphibien) und 
bei erwachsenen Thieren (Säuger, Nau- 
werek): Die Neubildung geschieht durch 
Spaltungsprodukte und Knospen präexi- 
stirender Muskelfasern (Neumann, Nau- 


BETTER ED dh 


ee, 


u var 


Se 


Zur Regeneration der Gewebe. 487 


werck), ausserdem aber dureh Sarco- 
blasten, die sich bei diesen Vorgängen 
frei machen. 
3. Postembryonale Neubildung von Muskel- 
fasern nur durch Längstheilung vorhan- 
dener Fasern (Felix). Ihr entsprechen die 
beider Regeneration älterer Larven und 
erwachsenerThierevorkommenden,„Spal- 
tungen und Abfurcehungen“ (Nauwerck), 
die wiein dem vorher besprochenen Sta- 
dium, zur Neubildung von Muskelfasern 
Veranlassung geben. Dieses Stadium 
unterscheidet sich also von dem vorigen 
wesentlich dadurch, dass weder bei der 
physiologischen Neubildung (Felix), noch 
bei der Regeneration (Nauwerck) eine 
Bildung von Muskelfasern aus Muskel- 
zellen (Sarcoblasten) vorkommt. 
ti) Peripheres Nervensystem. Angeschnittene 
Ganglien und Nerven regeneriren sich auf 
mitotischem Wege aus den restirenden Ele- 
menten; die Axencylinder regeneriren sich 
durch centrifugales Auswachsen der cen- 
tralen Stümpfe nach Analogie der primä- 
ren Bildung (His). 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXI-XXIV. 


Die in Fig. 1—12 dargestellten Froschlarven sind in natürlicher 
Grösse photographirt und dann nach der Photographie lithographirt 
worden. Sie veranschaulichen die Wirkung der Schwimmfunction auf 
die Streckung des schief regenerirten Schwanzendes. 

Fig. 1—3. Rana esculenta, Nichtschwimmer. 

Fig. 4—6. Rana esculenta, Schwimmer. 

Fig. 7, 9, 11. Rana fusca, Nichtschwimmer. 

Fig. 8, 10, 12. Rana fusca, Schwimmer. 

Fig. 13. Triton taeniatus. Der Schwanz ist in der Zeichnung zur 
Seite gedreht, um das schief regenerirte Schwanzende zu zeigen. 
ab Schnittrichtung. 


Fig. 


ig. 14. 


„.lD, 


IB, 


IT 


Ro) 


: 19; 


ig. 20. 


D. Barfurth: 


. 14—16 veranschaulichen an Froschlarvenschwänzen bei Loupen- 


vergrösserung, wie die Regeneration bei verschiedener Schnitt- 
richtung erfolgt. Es bedeutet immer ab die Schnittrichtung, 
od die Axe des alten, oc die Axe des regenerirten Schwanz- 
stückes; / aoc mag kurz als Regenerationswinkel, / cod 
als Streckungswinkel bezeichnet werden. 

» 
Gerade regenerirtes Schwanzende einer Larve von Rana fusca. 
Der Regenerationswinkel aoc beträgt 90% der Streckungs- 
winkel cod 180°. H 
Schief unten regenerirtes Schwanzende einer Larve von Rana 
fusca. Regenerationswinkel = R, der Streckungswinkel ist 
ein stumpfer Winkel. 
Schief oben regenerirtes Schwanzende einer Larve von Rana 
fusca. BRegenerationswinkel = R, Streckungswinkel stumpf. 


. 17—19. Querschnitte durch den regenerirten Schwanz von Triton 


eristatus (Larve). Sechster Tag der Regeneration; Temperatur 
17°C.; Länge des Regenerationsstückes 4,5 mm. Vom Schwanz- 
ende an findet man am weitesten vorgeschritten das Rücken- 
mark (36. Schnitt), dann den Knorpelstab (50. Schnitt), 
dann erst Wirbelbogen und Musculatur (81. Schnitt). 
Da man im normalen Schwanzende das Rückenmark im 
zehnten Schnitt, „Knorpelstab“ und Wirbelbogen schon im 
sechsten Schnitt findet, so ergiebt sich, dass bei der Regene- 
ration das Rückenmark einen bedeutenden Vorsprung hat; 
später erst wachsen die andern Organe schneller und schliess- 
lich über das Rückenmark>hinaus. Flemming’sche Mischung. 
Winkel, Oc. 2, Obj. 4. 

81. Schnitt des oben beschriebenen Präparats, 1,22mm vom 
Schwanzende. dc Drüsen der Cutis, de Drüsen der Epidermis, 
m Muskeln, r Rückenmark, K Knorpelstab, g Gefässe, wb 
Wirbelbogen (oberer Bogen, Neuralbogen), n Nervenbündel. 


50. Schnitt desselben Präparats, 0,75 mm vom Schwanzende. 
de Drüsen der Epidermis, r Rückenmark, K Knorpelstab. 


36. Schnitt desselben Präparats, 054mm vom Schwanzende. 
de Drüsen der Epidermis, r Rückenmark. 


Regenerirtes Rückenmark von Rana esculenta. Dritter Tag 
der Regeneration; 15,50 C.; Länge des Regenerationsstücks 
0,2mm. Das Medullarrohr ist noch nicht ganz geschlossen, 
die amöboiden Zellen az suchen Fühlung mit den benach- 
barten Zellen, um die Verbindung herzustellen und den Ab- 
schluss des Rohres zu vollenden. Der Druck des Liquor cere- 
brospinalis verursacht die Ausbauchung des untern Theils des 
Rohres. kz Körnchenzelle (mit glänzenden Körnern gefüllte 
Wanderzelle).. — Flemming, Hämatoxylin. Winkel, Oec. 2, 
Obj. 8. 


£ 


Zur Regeneration der Gewebe. 489 


Fig. 21. Regenerirtes Rückenmark einer Larve von Triton cristatus. 


Fig. 22. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Sechster Tag der Regeneration. Temperatur 17%. Länge des 
Regenerationsstückes 3,2mm. s Schnittlänge, an welcher sich 
die meisten Mitosen finden. lc Leukocyten im caudalen er- 
weiterten Theil des Centralcanals und aussen an den Zellen 
desselben. f Fetttröpfchen, durch fettig degenerirte Leuko- 
eyten entstanden. — Flemming, Winkel, Oc. 2, Obj. 8. 
Medianschnitt durch den regenerirten Schwanz einer Larve 
von R. esculenta; drei Tage regenerirt; 17° C.; Regenera- 
tionsstück 0,2mm lang. ch Chorda dorsalis. Sie ist nach 
dem Schnitt durch ihre Elastieität etwas zurückgeschnurrt und 
ihre Scheide (s) bildet deshalb ringsherum einen gekräuselten 
Wulst. Die Epidermis (e) hat den ganzen Stumpf schon über- 
zogen und bildet in der Nähe der Chorda zur Ausgleichung 
des Defects einen ringförmigen Wulst. ce Chordaepithel, 
n Nervenfasern, & Gefäss, m, m’ alte Muskeln, r Rücken- 
mark. Das Medullarrohr ist schon ganz geschlossen, die cau- 
dale Erweiterung sehr auffallend. — Flemming, Hämato- 
xylin. Winkel, Oc. 2, Obj. 4. 


. 23a. Normales Chordaende einer 0,8cm langen Larve von Triton 


taeniatus. Flemming’s Mischung, Borax-Carmin. Median- 
schnitt. Leitz 4, Oc. 1. chz letzte hyaline Chordazelle vor 
dem Chordastab, chz’ helle (hyaline?) Zelle im Chordastab, 
che Chordaepithel, ich innere Chordascheide, zm Zelle mit 
deutlicher Membran, „dichte Grenzschicht* (Strasser), zp 
protoplasmatische Zellen ohne deutliche Zellgrenzen. 


23b. Regenerirtes Chordaende von Triton, taeniatus, Larve, 


24. 


25. 


26. 


0,8cm lang, Vorderglieder vorhanden, 6 Tage bei 20° C. re- 
generirt. Flemming’s Mischung, Eosin-Hämatoxylin. g Schnitt- 
grenze, sonst alles wie in 23a. 

Junge Muskelzellen (Sarcoblasten): a ohne Fibrillen, b mit 
einer Fibrille, e mit zwei Fibrillen und beginnender Quer- 
streiffung. Bei b ist der Kern bei der Karyokinese fast 
ganz aus dem Protoplasma herausgetreten. Aus einem Fron- 
talschnitt durch den regenerirten Schwanz einer Larve von 
Rana esculenta, 8 Tage regenerirt bei 16° C.; Länge des Re- 
generationsstückes 3,5 mm. Flemming, Hämatoxylin. Winkel, 
Oc. 4, Obj. 10. 

Aus demselben Präparat. Gruppe von Ganglienzellen (g) mit 
einem Nervenbündel. mn Mitose einer Nervenzelle (in der 
Nervenfaser), mg Mitose einer Ganglienzelle (das Protoplasma 
ist weggeschnitten), m b Mitose einer Bindegewebszelle, n Ner- 
venbündel markhaltiger Nerven, p Pigmentzellen. Winkel, 
Oc. 2, Obj. 10. 

Caudales Ende eines Frontalschnitts der Schwanzspitze von 
Siredon pisciformis, Larve, 4,0cm lang, 1!/, Stunde bei 189 C. 
regenerirt. Sublimat, Borax-Carmin. Mit der Camera lucida 


490 


D. Barfurth: 


nach Leitz, Obj. 7, Oeular 1 gezeichnet. p Pigmentzellen, 
f Fasern des Bindegewebes, m Muskelrest, b rothe Blutkörper- 
chen, Zb Zellbrücken, L.Z. Leydig’sche Schleimzellen, v Va- 
cuolen, e—e’ Epithelbelag der Wunde, aus vorgeschobenen 
persistirenden Epidermiszellen bestehend, ee’ Grenze der durch- 
schnittenen Cutislamelle, ke scheinbar kernlose Zellen, deren 
Kerne aber durch Anwendung von !/ Immersion sichtbar 
wurden, sp Spalt zwischen dem Wundbelag und der etwas 
retrahirten bindegewebigen Grundsubstanz. 


Fig. 27—29. Drei Stadien der Muskelregeneration bei Larven vom 


Fig. 27. 


Fig. 28. 


Fig. 30. 


Axolotl; die Pfeile geben die Richtung der Regeneration an. 
Siredon piseif.; Schwanzspitze im Ei amputirt, 7 Tage bei 18° 
regenerirt. Chromessigsäure, Borax-Carmin. Schnittdiecke der 
Serie (frontal) 7,5 u. g Schnittgrenze, die regenerirte Partie 
liegt in der Figur nach oben. pm äusserste präexistirende 
Muskelfaser, k seitlich heraustretender Muskelkern entsprechend 
einer Neumann’schen Lateralknospe, k’ peripher heraus- 
tretender Kern (Terminalknospe), von dem sich der in Mitose 
begriffene Kern s als Sarcoblast abgetrennt hat; p schwach 
granulirtes Protoplasma an der Muskelfaser. Gezeichnet mit 
der Camera lucida bei Leitz Obj. 7, Oe. 1. 

Siredon piscif.; Schwanzspitze nach dem Ausschlüpfen am- 
putirt, 10 Tage bei 18% regenerirt. Chromessigsäure, Häma- 
toxylin. Serie von Sagittalschnitten, 7,5« dick. p Pigment, 
e Epidermis, oben etwas flach getroffen; pm präexistirende 
Muskelfasern mit Kernreihen. Letztere setzen sich fort in eine 
langgezogene Reihe junger Muskelzellen: s Sarcoblasten, 


'g Gefäss, pch präexistirende Chorda; ch Chordastab. Ge- 


zeichnet mit der Camera lucida, Leitz Obj. 4, Oe.5. 


. Siredon piscif.; Schwanzspitze nach dem Ausschlüpfen am- 


putirt, 14 Tage bei 180 regenerirt. Chromessigsäure, Häma- 
toxylin. Serie von Frontalschnitten, 7,5 u dick. e Epidermis, 
ich innere Chordascheide mit Chordaepithelzelle; pm prä- 
existirende Muskelfaser, pch präexistirende Chorda; rch re- 
ssenerirte Chordazellen; oberhalb derselben sind die Scheide- 
wände der Zellen herausgefallen. ch Chordastab, s Reihe von 
Sarcoblasten, in der sich segmentweise aus den Sarcoblasten 
die jungen Muskelfasern m, m’ ausbilden. Bei m ist die Fi- 
brillenbildung deutlich, bei m’ äusserst zart. Gezeichnet mit 
der Camera lucida bei Leitz Obj.4, Oc.5. Die Fibrillen in 
m und m’ wurden mit 1/) Immersion, Oc. 4 eingezeichnet. 

Regenerirtes Chordaende von Siredon pisciformis, im Ei am- 
putirt, 7 Tage bei 180 C. regenerirt. Chromessigsäure, Borax- 
Carmin, Serie 7,5u dick. Mit Camera lucida, Leitz Obj. 7, 
Oc. 1 gezeichnet. che Chordaepithelzelle, p ch persistirende 
Chordazelle, & Schnittgrenze, rch regenerirte Chordazellen, 
k Dotterkörner und -schollen, h hyaline Massen in den rege- 


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Irchiv Fmikroskon. Anatomie. Bd. XXXVI. 


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- Taf. AXIV. 


Archiv mikroskop. Anatomue. Ba.XAXVI. 
: Br 


Zur Regeneration der Gewebe. 491 


nerirten Chordazellen, is innere Chordascheide, bz Binde- 
gewebszelle, chz äusserste Chordazelle. 

j Fig. 31. Aus einem Sagittalschnitt durch den regenerirten Schwanz 
\ einer Larve von Rana esculenta, 7 Tage regenerirt bei 17% 
Regenerationsstück 4,0 mm lang. Marklose Nervenfaser in 
Regeneration; m Mitose. Flemming’s Mischung, Hämato- 
xylin. Winkel, Oc. 2, Obj. 10. 


Nachtrag. 


Als der Druck dieser Arbeit fast vollendet war, erschien die 
Untersuchung von Flemming: Ueber Theilung und Kernformen 
bei Leukocyten. Dieses Archiv, 37. Bd., 2. Heft. Die von ihm 
erwähnte Dissertation von Robert — Ueber Wiederbildung quer- 
gestreifter Muskelfasern. Kiel, 1890 —, die mir nicht bekannt 
war, habe ich mir noch verschafft und aus derselben ersehen, 
dass wir beide in dem Satze übereinstimmen: „Die mitotische 
Theilungsform der Kerne ist es allein, welche zur Wiederbildung 
von Muskelfasern zu führen vermag“ (p. 39). Ebenso wird man 
den von Flemming ausgesprochenen Gedanken, dass die Mitose 
wenigstens bei den Wirbelthieren die normale generative Kern- 
theilungsform sein dürfte, in meinen Ausführungen öfter wieder- 
finden. — Die Arbeit von Ribbert über die Regeneration der 
Mamilla (dieses Archiv, 37. Bd., 1. Heft) konnte ich bei meiner 
Darstellung der Epithelregeneration nicht mehr berücksichtigen, 
weil die Correetur der betreffenden Bogen schon abgesandt war. 
Bei Ribbert’s Objeet erfolgt die Regeneration unter einem der 
Wundfläche fest anhaftendem Schorf, der hier die erste Bedeckung 
des Defects bildet. Nach 24 Stunden springt das Epithel erst 
mit einem kurzen Fortsatz unter dem Schorf vor; einzelne Mitosen 
treten schon nach 17 Stunden, mehr nach 24 Stunden am Wund- 
rande auf. Von Interesse ist das Verhalten der Epidermis zu 
dem Epithel der Ausführungsgänge (p. 150 ff.) und die Analogie 
des Höhenwachsthums der Mamilla bei der Regeneration und der 
Entwickelung (p. 154 ff.). 


| 


492 M. Wolters: 


(Aus dem anatomischen Institut zu Bonn.) 


Zur Kenntniss der Grundsubstanz und der 
Saftbahnen des Knorpels. 


Von 
Dr. M. Wolters in Bonn. 


Hierzu Tafel XXV. 

In der Zeitschrift für wissenschaftliche Mikroskopie (Bd. VI, 
pag. 508) hat Herr Prof. Schiefferdecker ein Referat ge- 
geben über die Mörner’sche Arbeit „Chemische Studien über 
den Trachealknorpel‘“ (Skandinavisches Archiv für Physiologie 
Bd.I, 1889, pag. 216). Die in dieser Veröffentlichung beschrie- 
benen Versuche, soweit sie mikroskopisch sichtbare Reaktionen 
und Färbemethoden anlangten, habe ich im letzten Sommer nach- 
zuuntersuchen Veranlassung genommen. 

Die Anregung dazu gab Herr Prof. Schiefferdecker, 
der neben der Prüfung der. Mörner’schen Methoden auch einen 
Vergleich mit den durch Hämatoxylin und Pikrinsäure hervor- 
gerufenen Bildern dabei im Auge hatte. 

Es wird daher im Folgenden zuerst über die bei Anwen- 
dung der ersten Methode gewonnenen Resultate zu berichten 
sein, um dieselben alsdann mit den durch Hämatoxylin erhal- 
tenen Bildern zu vergleichen. | 

Die Untersuchungen wurden, soweit dies möglich war, an 
frischem, nicht gehärtetem Knorpel angestellt. Bei den vom 
Menschen stammenden Objekten muss dabei zwei- bis dreimal 
24 Stunden post mortem noch als frisch gerechnet werden. Denn 
früher als nach der angegebenen Zeit gelangten die Untersuchungs- 
objekte meist nicht zur Verarbeitung. Zuweilen konnte aber 
nicht alles Material durchuntersucht werden und wurde daher 
theilweise in 96 °/, Alkohol konservirt. Die an diesen konser- 
virten, gehärteten Objekten gewonnenen Resultate waren ebenso 
günstig wie die an nicht gehärteten. Mörner erwähnt darüber 
nichts in seiner Abhandlung, darum sei hier darauf hingewiesen. 


Zur Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knorpels. 493 


Was die angegebene Concentration der Farblösungen an- 
langt, so stellte sich bald heraus, dass die 2—3°/, Tropäolin- 
lösung zu stark ist. Der Farbstoff wird in einer so geringen 
_ Menge Wassers nicht mehr gelöst. Es entsteht keine Lösung, 
sondern ein Brei, der mit gleichen Theilen Wasser verdünnt wer- 
den musste. Ebenso ist die Lösung des indigoschwefelsauren 
Natrons zu 4—-5°/, zu stark. Nur ein Theil löst sich, der Rest 
bleibt als Bodensatz zurück. Indigoschwefelsaures Kali war von 
Gehe u. Comp. nicht zu beziehen, da die Firma solches nicht 
liefert. Gleichwohl führt Mörner, unter Beziehung auf obige 
Firma, das Kali als von ihm benutzt an. 

Die mit indigoschwefelsaurem Natron angestellten Versuche 
schlugen alle fehl. Die Färbung war sehr blass und dabei diffus. 
Eine Differenzirung, wie Mörner sie angiebt, wurde niemals er- 
reicht. Die Methode mit Eisenchlorid und gelbem Blutlaugen- 
salz ergab ebenfalls Resultate, die in keiner Weise befriedigten. 
Es fehlt bei Angabe dieser Methode jede Mittheilung über Con- 
centration der anzuwendenden Flüssigkeiten, sowie über die 
Dauer der Einwirkung. 

Für die Färbung des Balkennetzes wurde Tropäolin, für 
die der Chondrinballen ausschliesslich Methylviolett angewendet, 
beides immer mit gleich vorzüglichem Erfolge. Beide Methoden 
wurden dann im weiteren nach Mörner’s Angäbe combinirt und 
gaben so allerdings die eklatantesten Resultate. Das Verfahren, 
welches ich anwandte, war folgendes. 

Die möglichst dünnen Knorpelschnitte werden auf !/, Stunde 
in 1°/, wässerige Lösung von Tropäolin 000 Nr. 2 von Schu- 
chard gebracht, in Wasser ausgewaschen, ungefähr 3 Minuten 
darnach dann auf 1—2 Minuten in eine 0,15°/, wässerige Me- 
thylviolettlösung gebracht, in Wasser abgespült und einige Minuten 
in 10°, Essigsäure entfärbt; in Alcohol abs. entwässert tritt 
erst die deutlichste Differenzirung ein. Dann folgt Aufhellen in 
Oel und Lack. 

Die ersten Versuche mit der Mörner’schen Färbung wurden 
an dem Thyreoid-, Cricoid- und Arytaenoid-Knorpel, sowie der 
Epiglottis des erwachsenen Rindes gemacht, alsdann auch die 
Rippenknorpel herangezogen. In allen Fällen wurden dieselben 
farbenprächtigen Bilder erhalten, wie Mörner sie in seiner Publi- 
kation abbildet. Die Gelenkknorpel gaben die Reaktion nicht. 


494 M. Wolters: 


In zweiter Linie wurden dann die gleichen Knorpel des 
Kalbes zum Versuche verwendet, zuerst die des Kehlkopfes, 
späterhin auch die anderen. Alle diese Knorpel sollen, da nach 
Mörner erst bei erwachsenen Thieren die Trennung der Chondrin- 
und Albumoidsubstanz stattfindet, keine Farbenreaktion aufweisen. 

Diese Behauptung wurde durchgehends bestätigt. Allein 
es fand sich eine Ausnahme. 

Der Arytaenoidknorpel gab in der frappantesten Weise die 
Farbenreaktion. Die Epiglottis wiederum zeigte nichts davon. 
Da in dem Aryknorpel, ebenso wie in der Epiglottis, früher als 
in allen andern Knorpeln elastische Elemente auftreten, so wäre 
vielleicht daran als Grund für die Differenzirung der Substanzen 
zu denken gewesen. Doch die Befunde an Epiglottis und Ohr- 
knorpel, die negativ waren, liessen diese Auffassung als nicht 
richtig erkennen. Alle anderen Knorpel ergaben, um dies noch- 
mals hervorzuheben, keine Resultate. 

Thyreoid-, Crieoid-, Arytaenoid-Knorpel, Epiglottis, ebenso 
wie Gelenk- und Rippenknorpel eines fast ausgetragenen Rinder- 
foetus lieferten auch nur negative Befunde. 

Im Anschlusse an diese Untersuchungen wurden auch die 
Knorpel des Menschen nach denselben Methoden behandelt. Hier 
wäre es von dem grössten Interesse gewesen, das erste Auftreten 
der Differenzirung zu konstatiren, um eine ungefähre Alters- 
grenze festzustellen. Doch fehlte mir leider ausreichendes Ma- 
terial von jüngeren Individuen. 

Zur Verfügung standen mir Stücke der Gelenk-, Rippen- 
und Kehlkopf-Knorpel eines Mannes von 50 Jahren und zweier 
Männer von etwa 25 Jahren; Stücke der Kehlkopf- und Tra- 
cheal-Knorpel zweier Männer von 25 Jahren; kleine Stücke des 
Tracheal-, Thyreoid- und Crieoidknorpels eines 13-jährigen Mäd- 
chens; sämmtliche Knorpel eines 6-tägigen Knaben. 

Die Versuche an den genannten Kehlkopfknorpeln sowie 
an den Gelenk- und Rippenknorpeln der Erwachsenen führten 
alle zu den gleichen Resultaten, wie die mit den Knorpeln des 
erwachsenen Rindes angestellten. Ueberall, mit Ausnahme der 
Gelenkknorpel, erschienen die Chondrinballen prachtvoll blau ge- 
färbt auf gelbem Grunde. Die Asbest-Zerfaserung fand sich 
auch bei den jugendlichen Individuen in den zwanziger Jahren 
bereits vor. Es stimmt dies überein mit der Ansicht von Chie- 


Zur Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knorpels. 495 


_ vitz, dessen Untersuchungen nachwiesen, dass diese Zerfaserung 
normaler Weise bereits im zwanzigsten Jahre eintritt. Auch bei 
den drei mir zur Verfügung stehenden Knorpeln von dem 
13-jährigen Mädehen — dem Thyreoid-, Cricoid- und Tracheal- 
‚knorpel — trat eine Farbendifferenz deutlich zu Tage. Aller- 
dings war dies nicht überall der Fall, sondern meist in klei- 
neren, central im Knorpel gelegenen Partien. Der Arytaenoid- 
" knorpel dieses Individuums stand mir nicht zur Verfügung. 
Bei den Knorpeln des 6-tägigen Knaben führten alle Ver- 
suche zu negativen Resultaten. Auch die Aryknorpel zeigten 
keine Differenzirung. Ebenso liess die zwischen Epiphysen- 
-Diaphyse liegende Knorpelplatte desselben Individuums keine 
 Farbenreaktion erkennen. Dagegen wiesen Schnitte aus dem 
- Epiphysenknorpel eines 10—12 Tage alten Kaninchens, das in den 
_ übrigen Knorpeln keine Differenzirung zeigte, deutliche Färbung 
_ der Chondrinballen auf. Die Epiphyse zeigte noch keinen 
 Knochenkern, und in der Gegend, wo dieser sich später ent- 
— wiekelte, war eine deutliche Differenzirung zu erkennen. Es 
ist dies der einzige Fall, wo bei einem so jungen Individuum an 
dieser Stelle schon eine Differenz der Knorpelsubstanz konstatirt 
_ wurde, ein Fall, der zu bedenken giebt, ob als Uebergang zu 
_ der Bildung der Knochenkerne nicht schon eine Trennung der 
“Knorpelsubstanz statthabe. An der Ossificationsstelle selbst zeigte 
sich die ganze Substanz gelblich gefärbt, ohne eine Spur von 
- Abgrenzung der Chondrinballen. Die Mörner’sche Färbung er- 
giebt also auch beim erwachsenen Menschen bis zu 13 Jahren 
-_ und vielleicht noch weiter abwärts. ausser einer Gelbfärbung des 
- Periehondriums eine Differenzirung der Grundsubstanz in Chon- 
_ drinballen und Balkenwerk. Foetale und junge Knorpel zeigen 
von dieser Differenzirung keine Spur mit Ausnahme der erwähnten 
- Epiphyse bei dem jungen Kaninchen. 

Zum Vergleiche wurden Knorpel vom Rinde und vom Men- 
schen, und zwar die erwähnten Kehlkopfknorpel, Rippen- und 
Gelenkknorpel, mit Hämatoxylin gefärbt. Zu diesem Zwecke 
wurde die Delafield’sche Hämatoxylinlösung mit Aqua dest. 
soweit verdünnt, dass sie noch leicht veilchenblau war. In diese 
Lösung kamen die möglichst dünnen Schnitte auf 24 Stunden, 
nach Bedürfniss auch länger. Alsdann wurden die blau gewor- 
denen Schnitte auf 10 Minuten in eine eoncentrirte Lösung von 


wi EZ 2 


496 M. Wolters: 


Pikrinsäure in Alkohol gebracht, in Oel aufgehellt und in Lack 
eingeschlossen. Längere Einwirkung der Pikrinsäure bis zu‘ 
24 Stunden hatte absolut keinen andern Erfolg, als die kurze 
Einwirkung. Bei den auf diese Weise hergestellten Präparaten 
von frischem Knorpel vom Rinde zeigte sich, dass Streifen und 
unregelmässig geformte Partien zwischen den Knorpelzellen durch 
das Hämatoxylin gefärbt worden waren, während die Zellen in 
gelbgefärbter Grundsubstanz lagen. Gleiche Resultate ergaben 
die verschiedenen menschlichen Knorpel, die auf diese Art ge- 
färbt waren. An den Knorpeln der älteren Individuen, in denen 
sich um die Zellen schon Kalkablagerungen zeigten, wurden be- 
sonders an den im Knorpel central gelegenen Stellen Färbungen 
der direkten Umgebung der Knorpelzellen beobachtet, welche 
entfernt an die durch die Mörner’sche Methode erhaltenen 
Bilder erinnerten. Stellenweise umgab die Zelle ein intensiver 
gefärbter Ring, stellenweise war nur ein stark gefärbtes Oval 
zu erblicken, woraus zu schliessen ist, dass diese Färbung allein 
die Kapsel oder einen Theil derselben betraf. An den peri- 
pheren Partien fehlten derartige Bilder ganz. Doch waren diese 
Färbungen weder konstant noch so scharf abgegrenzt, dass 
man sie als chondrinballenförmig hätte bezeichnen können. Die 
Knorpel des sechs Tage alten Knaben ergaben ebenfalls eine 
Hämatoxylinfärbung, die in Flecken und Strichen die Substanz 
durchsetzte, ohne dass man daraus einen Schluss auf bestimmte 
Strukturverhältnisse hätte machen können. In den Epiphysen 
dieses Individuums sowohl wie des jungen zu den Versuchen be- 
nutzten Kaninchens zeigte sich die bekannte distinkte Färbung 
der Knorpelsubstanzreste in den schon verknöcherten Partien, 
eine Färbung, welche in ähnlicher Weise zwischen die grossen 
Zellsäulen hinaufstieg. 

Eine Uebereinstimmung mit der Mör ner’schen Färbung 
ergab somit die Tinetion mit Hämatoxylin nicht, ebensowenig 
aber eine irgend sonst zu verwendende Differenz. Aehnliche 
Bilder wurden von Spina, Fürbringer, Flesch, Strasser, 
Renaut, Schiefferdeeker und anderen durch Hämatoxylin- 
und Anilinfärbungen erhalten. 

Die geringen Reste der von menschlichen Objekten stam- 
menden Präparate wurden in 96°/, Alkohol conservirt und erst 
nach längerer Zeit zu nochmaliger Kontrolle der oben geschil- 


Zur Kenntniss der Gründsubstanz ü. der Saftbahnen d. Knorpels. 497 


derten Resultate wieder herangezogen. Es fanden sich dabei 
an einer Stelle wesentlich neue Strukturverhältnisse, auf die im 
Folgenden ihrer Wichtigkeit wegen eingegangen werden soll. 
Die von den früheren Versuchen übrig gebliebenen Stücke waren 
leider nur gering und die mir noch vor Uebertritt in eine an- 
dere Stellung zu Gebote stehende Zeit zu kurz, um die Re- 
sultate in ihrer ganzen Bedeutung zu verfolgen. Ich muss mich 
daher darauf beschränken, die am Thyreoidknorpel eines ca. 
- 25jährigen Mannes gemachten neuen Beobachtungen mitzutheilen. 

Es handelt sich dabei um das System der Saft- 
bahnen im Hyalinknorpel. 

Die zahlreichen Arbeiten über diesen Gegenstand haben, 
obwohl meist die gleichen oder verwandte Methoden angewendet 
wurden, nicht zu einer Uebereinstimmung geführt, oft sogar bei 
fast identischen Befunden zu conträren Deutungen Veranlassung 
gegeben. 

Wie von Solger, Spina, Vogel und Zuckerkandl er- 
_ wähnt wird, sind nach den bisher geltend gemachten Ansichten 
_ vornehmlich drei Arten zu nennen, auf welche der Saftstrom 
den Knorpelzellen zugeführt werde. 

1) Längs der protoplasmatischen Fortsätze der Knorpel- 
zellen, die unter einander verbunden sind. 

2) Durch die zwischen den Fibrillen des Knorpels bestehen- 
den Spalten. 

3) Durch eigene Kanälchen. 

4) Ausser diesen ist als vierte noch Gerlach’s Ansicht zu 
erwähnen, der durch Injektion von Zinnober zwar negative Re- 
sultate erhielt, aber bei Anwendung vom Indigokarmin Farbstoff 
in Kapsel und Zelle fand. Aus seinen Befunden schloss er, dass 
der Saftstrom keine eigenen Wege habe, sondern den Knorpel 
diffus durchdringe. 

Der ersten Ansicht, dass durch protoplasmatische Zellfort- 
sätze der Saftstrom geleitet werde, neigen Stricker und Noris 
zu. Sie schlossen, dass die Knorpelzellen, unter einander in Ver- 
bindung stehend, Nahrungsmaterial zugeführt erhielten, analog 
den Zellen der entzündeten Hornhaut, die bei einem mit Farb- 
stoffen gefütterten Thiere zahlreiche Farbkörnchen in ihren Fort- 
sätzen führten. Gestützt wurde diese Ansicht durch die verglei- 
chend anatomischen Untersuchungen, welche das Vorkommen von 


498 M. Wolters: 


verästelten, unter einander eommunieirenden Knorpelzellen nach- 
wiesen. Beobachtungen derart wurden von Queckett bei Ce- 
phalopoden und Plagiostomen, Gegenbaur bei Selachiern, Boll 
bei Cephalopoden, Leydig bei Haien und Rochen, Kölliker 
bei Cephalopoden, Flesch, Fürbringer u.a.m. gemacht. Bei 
Säugern und dem Menschen fand Waldeyer in den oberfläch- 
lichen Schichten des Gelenkknorpels Zellen mit Fortsätzen, die 
communieirten. 

Heitzmann wies 1872 am Gelenkknorpel des Hundes 
durch Anwendung von Gold- und Silberehlorid ein Protoplasma- 
netz nach, das in den Hohlräumen der Grundsubstanz ver-. 
läuft. Petrone beschreibt wie Heitzmann ein mit protoplas- 
matischen Fortsätzen gefülltes Canalsystem im hyalinen Knorpel, 
das mit der Synovial-Membran zusammenhänge. Auch Rubnoff 
wies durch Osmiumsäure, neben anderen Structurverhältnissen, 
bei Säugern derartige Zellen nach. Van der Stricht, der Ce- 
phalopoden-, Selachier- und Amphibienknorpel neben dem von 
Gelenken und Trachea des Kalbes und Menschen (Kniescheibe der 
Neugeborenen) verwendet, fand bei letzteren beiden Zellen mit 
Fortsätzen, die spärlich anastomosirend in Kanälchen liegen, de- 
ren eigne Wandung eine Fortsetzung der Kapsel ist. Hertwig 
und Colomiatti bestätigten diese Befunde an nicht hyalinem 
Knorpel bei Amphibien und Säugern. Die Streifung, die beide 
ausserdem im Knorpel beobachteten, ist Hertwig geneigt, als 
Saftkanälchen zu deuten, während Colomiatti sie als elastische 
Fasern ansieht. Aehnlich spricht sich auch Deutschmann über 
diese Gebilde aus. Spina fand nach Alkoholeinwirkung bei 
Froschgelenken solide Fogtsätze an den Knorpelzellen, die zumeist 
von den geschrumpften Zellen ausgehen und, indem sie sich mit 
den Fortsätzen anderer Zellen verbinden, die Grundsubstanz durch- 
ziehen. Dieselben sind in den obersten Schichten am feinsten 
und zahlreichsten und gehen von der Zelle aus wie die Speichen 
eines Rades. In der Regel verzweigen sich diese Fortsätze nicht 
und treten gewöhnlich von zwei conträren Punkten der Zelle ab, 
doch kommt auch eine Netzbildung vor. Die Knorpelkapsel soll 
auf diese Fortsätze übergehen. Zum weiteren Beweise injieirte 
Spina Fröschen Carminlösung und fand, dass nach Verlauf eini- 
ger Zeit sich Farbstoffkörnchen in dem durch die Zellausläufer 
gebildeten Netzwerke und den Kapseln vorfanden. Er schloss 


Zur Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knorpels. 499 


-_ aus alle dem, dass der Saftstrom im Knorpel durch dies protoplas- 
 matische Netz gehe. In seiner neuesten Knorpelarbeit (1886), zu 
der er Arytaenoid-Knorpel des Pferdes nach Alkoholhärtung ver- 
f wendet, beschreibt er ein Netzwerk, das von dem weissen Knor- 
 pel gebildet wird. Dazwischen liegen die Bogen gelben Knorpels. 
- Der gelbe färbt sich mit Hämatoxylin und Methyl violett. Die 
Granulirung, die bei Alkoholpräparaten erscheint, ist der optische 
Ausdruck eines feinen Netzwerkes, das an den Zellen wurzelt. 
‘Dieses wird gebildet durch protoplasmatische Fortsätze der Knor- 
pelzellen, deren sich verästelnde Enden durch Anastomosen sich 
zu einem dichten Netze verbinden. 

Die Versuche Spina’s, sowie die der meisten anderen Au- 
toren sind von Vogel nachgemacht worden. Er fand nirgendwo 
Stellen, die ihm ein Uebergehen der Kapsel auf die Zellfortsätze 
gezeigt hätten. Seine weiteren Befunde führten ihn zur Annahme 
der zweiten Ansicht, dass der Saftstrom durch die Fibrillenstruk- 
tur geleitet werde. Dagegen sah auch er nach Alkoholbehand- 
lung eine Streifung im Knorpel auftreten, konnte sich aber, im 
Gegensatz zu Spina, nicht von einem Zusammenhange derselben 
mit den Zellen überzeugen. Kleine Fortsätze der Zellen, die 
durch präformirte Lücken in der Kapsel durchtreten können, 
- werden von ihm anerkannt. Sie endigen in der fibrillären Grund- 
substanz, ohne mit denen anderer Zellen zu communieiren. Diese 
Fortsätze kommen oft nicht zur Beobachtung, da sie sehr fein 
sind und durch Schrumpfungsprozesse leicht abreissen. Zellfort- 
sätze beschrieb auch Flesch und ebenso Frommann, der an 
Knorpel von Amphibien, Schwein und Rind ganz feine Fäserchen 
in die Grundsubstanz übergehen sah. 

Vogel kommt zum Schlusse seiner Arbeit zu dem Resul- 
tate, dass der Knorpel niederer Thiere als nicht gleichwerthig 
mit dem hyalinen Knorpel der Säuger zu betrachten sei. 

Die Zellen bei Wirbelthieren haben kleine Fortsätze, die 
Kapseln Lücken zum Durchtritt des Saftstromes, welcher ge- 
leitet wird in der Kittsubstanz der Fibrillen, aus denen der Knor- 
pel sich aufbaut. 

Schon vor Vogel hat Zuckerkandl bei dem Nasen- 
knorpel des Tapir eine fibrilläre Struktur im Knorpel beschrieben, 
welche, aus zarten, büschelweise angeordneten Fasern bestehend, 
die Knorpelsubstanz durchzieht, immer zwischen benachbarten 


500 M. Wolters: 


Kapseln ausgespannt. So entsteht ein Netzwerk, zwischen dem 
eine homogene Kittsubstanz liegt. Gegen die Oberfläche wird 
das Netzwerk enger. Das Faserwerk zieht sich hier auch ausser- 
halb der Zellterritorien und füllt die Lücken des Maschen- 
werkes aus. 

Eine Verbindung zwischen Zelle und Faserbündeln konnte 
Zuckerkandl niemals nachweisen, ebensowenig Verbindungen 
zwischen den einzelnen Fasern. Das Faserwerk nahm das alko- 
holische Anilin-Roth intensiver auf, als die übrige Substanz. 

Auch Spronck, der besonders mit Alkohol arbeitete, sah beim 
Knorpel des Caput Femor der Rana esculenta zahlreiche eiweiss- 
artige Fasern in der Grundsubstanz, welche die Kapsel durch- 
bohren und benachbarte Zellen verbinden. Er deutet sie als so- 
lide Fasern, die auf dem Ausschnitt stärker lichtbrechend sind, 
als die übrige Substanz. Spronck spricht sich auf Grund seiner 
Befunde dahin aus, dass es sich um Bahnen handle, auf denen 
den Knorpelzellen die Ernährungsflüssigkeit zugeführt werde. 

Ebenso beschreibt van der Stricht fibrilläre Streifung 
der Grundsubstanz, die er neben den obenerwähnten Ausläufern 
der Knorpelzellen sah. Beides zu gleicher Zeit darzustellen sei 
unmöglich. Die Fibrillen seien zu Lamellen angeordnet, welche 
durch Fasern verbunden seien. Ausserdem sah er intercapsulare 
Faserbündel zwischen den Kapseln der Knorpelzellen, verbunden 
durch eine interfibrilläre Kittsubstanz, die mit der interlamellären 
identisch sei. 

Auf Grund seiner Befunde, die durch Injektion von indig- 
schwefelsaurem Natron beim Frosch und Kaninchen erhalten 
wurden, spricht sich Arnold dahin aus, das durch die Gefässe 
des Perichondriums zugeführte Material dringe in engen Spalten 
der Zwischensubstanz vor, um dann durch feine, in der Kapsel 
befindliche Poren in den pericellulären Raum zu gelangen und 
die Zelle zu versorgen. -Er fand die Kapseln von radiären Strei- 
fungen durchsetzt, zum Theil Netzbildungen. Die Streifung ging 
theilweise in der Intercellularsubstanz als körnige, feine Linien 
weiter. 

Wie Arnold nimmt auch Socolow an, dass die ernährende 
Flüssigkeit durch die interfibrillinen Räume gehe. Seine Befunde 
an Knorpeln von Pferd, Kuh, Schwein, Hund, Schaf, Kaninchen 
und Katze, die er mit Osmiumsäure nach Bubnoff erhielt, lassen 


ır Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knörpels. 501 


deren Befunde als Kunstprodukte ansehen und er glaubt so- 
gar die Spalträume vielleicht dureh Einwirkung der Osmiumsäure 
erklären zu sollen, wodurch das Gewebe brüchig werde. Achn- 
E durch Chromsäure und Müller’sche Flüssigkeit erhaltene 
Bilder scheinen das zu bestätigen. 

Eine grössere Anzahl Autoren wie Colomiatti, Betainn, 
Brückner, Gerlach und viele andere halten die von Arnold durch 
_ Injektionen hervorgerufenen Bilder für Kunstprodukte im Folge 
der Imbibitionsfähigkeit des Knorpels und des Druckes bei der 
Injektion. M 
Für die Existenz präformirter Kanälchen trat vor allen 
Budge ein. Auch er machte, um die Saftkanälchen darzustellen, 
Injektionen mit Berliner Blau und Asphalt, den er in verschie- 

denen Reagentien löste. Er erhielt Farbniederschläge in den Knor- 

pelkapseln und hier und da in der Zwischensubstanz Linien, die 
_ sich aus Körncehen zusammensetzten. Reitz injieirte Zinnober, 
den er in den Zellen als Körnchen wiederfand. Hutob bestä- 
tigte diesen Befund, ebenso Heitzmann, Maass und Stricker, 
_ dagegen fand Barth den Farbstoff nur in den jüngeren Zellen. ° 
 Ponfick, Hoffmann, Langerhans, vor allen aber Cohnheim 
sprachen sich mit der grössten Entschiedenheit dahin aus, dass 
es unmöglich sei, durch Injektion Farbstoff in dem Thierkörper in die 
| - Knorpelzellen zu bringen und leugneten dadurch die Existenz eines 
- Saftkanalsystems. Bubnoff, der unter Stricker arbeitete, stellte 

auch Injektionsversuche an. Er fand, dass der Farbstoff in die Knor- 
 pelkapseln eindringt und sich in Form eines feinen Netzwerkes 
 ablagert, ebenso wie in einer dicken pericellulären Schicht in der 
— Knorpelkapsel. Nycamp erhielt durch Behandlung mit 5%, 
Ammonium biehromat. eine fibrilläre Streifung im Knorpel, in 
welcher er Hohlräume mit verzweigten Ausläufern konstatiren 
konnte. Injektionsversuche mit indig-schwefelsaurem Natron liessen 
an diesen von ihm als Kanälchen betrachteten Gebilden Farbstoff- 
- körner nachweisen, woraus er schloss, dass es Saftkanälchen 
seien. 


en 


Budge versuchte im weiteren, das Kanalsystem, welches 
die Injektionen ihn annehmen liessen, auch auf andere Weise 
darzustellen. Macerationsversuche mit Trypsin, Pepsin, sowie mit 
- den verschiedensten Säuren hatten nur beschränkte Resultate. 


Es zeigte sich hie und da eine Streifung der Substanz. 
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 37. 33 


ieh 


502 M. Wolters: 


Chromsäure nach der Angabe von Henoeque liess ein Netz- 
werk stark glänzender Balken vortreten. Die besten Bilder von 
allen erhielt Budge aber durch Aether in Verbindung mit Col- 
lodium. | 

Von den Kapseln aus sah er nach allen Richtungen hin 
doppeltkonturirte Fasern ziehen, die bündelweise angeordnet waren. 
Sie communieiren hier und da mit einander und gehen von einer 
Kapsel zur benachbarten. Es entsteht so ein Netzwerk. Die 
Wandung der Kanälchen soll aus einer eigenthümlich modifizirten 
Grundsubstanz bestehen, die gegen Chromsäure und Kalilauge 
sehr widerstandsfähig it. Budge nimmt darauf gestützt an, 
dass die geschilderten Fasern ein eigenes, festbegrenztes Röhren- 
system seien, in dem die Ernährungsflüssigkeit eireulire und das 
mit den grösseren Lymphstämmen communieire. 

Orth bildet in seinem Lehrbuche der Histologie auch die 
sogenannten Saftkanälchen des hyalinen Knorpels ab, die er durch 
Behandlung mit Aether darstellte und giebt an, dass aller Wahr- 
scheinlichkeit nach diese so erhaltenen Gebilde als Saftkanälchen 
- würden zu deuten sein. Seine Bilder stimmen mit denen von 
Budge überein, zum Theil auch mit denen von Solger. Letz- 
terer Autor, der die Einwirkung des Alkohols auf den Knorpel 
genau studirte, kommt in Bezug auf die Deutung der gewonne- 
nen Bilder zu ganz anderen Resultaten. Den mit Aether dar- 
gestellten Strichelungen der Grundsubstanz, ebenso wie den nach 
Alkohol auftretenden identischen Zeichnungen erkennt er nur den 
Werth von Schrumpfungsphänomenen zu. Auch nach seiner 
neuesten Arbeit betrachtet er die Frage nach Vorkommen von 
Saftkanälchen im Hyalinknorpel noch für ungelöst und erkennt 
den in frischem Zustand in Aether und Alkohol fixirten Objekten 
keine Beweiskraft zu. | 

Wie bereits oben erwähnt, hatte ich die Reste des zu den 
Färbeversuchen verwendeten Materiales in Alkohol konservirt und 
erst nach geraumer Zeit wieder zu neuen Versuchen hervor- © 
gesucht. j 

Zu diesen wurde auch ein etwa 2 Quadratcentimeter grosses ' 
Stück der mittleren Partie der einen Platte des Thyreoidknorpels 
aus dem Kehlkopf eines ungefähr 25jährigen Mannes verwendet. 
Vor dem Schneiden brachte ich dasselbe noch 24 Stunden in 
Aleoh. abs. und fertigte dann 5—7 u dieke Schnitte an, welche 


Zur Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knorpels. 503 


nach der oben genau angegebenen Art und Weise mit Hämatoxy- 
lin und Pikrinsäure-Alkohol gefärbt wurden. Die zuerst ange- 
wendete Schnittrichtung war senkrecht zur Knorpeloberfläche, 
horizontal zur Körperachse. 

Die auf diese Weise hergestellten Präparate zeigten schon 
bei schwacher Vergrösserung ein eigenthümlich streifiges Aussehen, 
hervorgerufen dadurch, dass ein Theil der Substanz die Häma- 
toxylinfärbung zurückgehalten hatte und sich scharf von den 
durch Pikrinsäure gelb gefärbten Partien absetzte. 

Bei näherem Zusehen erwiesen sich die gelb gewordenen 
Streifen als ein netzartiges Flechtwerk, welches immer auf die 
Knorpelzellen als Knotenpunkte zulief. Die Zellen selbst waren 
augenscheinlich nur an ihrer Oberlläche gefärbt und zeigten da- 
her bald tief dunkle Färbung, bald ganz helle, je nachdem der 
Schnitt oberflächliche oder centrale Partien getroffen. Im letzte- 
ren Falle waren die hellen Zellen von einer intensiv gefärbten 
Peripherie umgeben. Das Perichondrium war gelb gefärbt, die 
Kerne traten dunkel hervor. 

Das ganze System von Streifen, das gelb gefärbt auf dem 
violetten Grunde sich abhob, war in seiner Hauptrichtung senk- 
recht zur Peripherie und liess 5 Zonen erkennen, wie die Abbil- 
dung Tafel XXV, 2 es darstellt. 

1. Zone. Kleine, längliche Knorpelzellen, die der Peri- 
pherie parallel gerichtet liegen und keinen sich besonders aus- 
zeichnenden Hof zeigen, sind durch zarte gelbe Streifen verbun- 
den, die meist nur an zwei entgegengesetzten Seiten der Zelle 
entspringen. Richtung: senkrecht zur Peripherie. Anastomosen 
sind unter diesen Streifen selten. Mitunter überspringen dieselben 
wohl eine Zelle, um zwischen zwei benachbarten durchgehend zu 
einer entfernteren zu ziehen. 

2. Zone. Die Knorpelzellen sind mehr rundlich geworden. 
Ihre Richtung zur Peripherie ist keine konstante mehr. Die we- 
nig zahlreichen Streifen sind bedeutend verbreitert und lassen 
grosse violettgefärbte Territorien zwischen sich. Die Richtung 
bleibt im allgemeinen senkrecht zur Peripherie, doch sind zahl- 
reiche Anastomosen vorhanden und die Streifen treten von allen 
Seiten der Zellen ab zu den benachbarten. Die der dritten Zone 
nahe liegenden Zellen zeigen Anfänge der Bildung von besonders 
differenzirten Höfen. 


504 i M. Wolters: 


3. Zone. Die Zellen sind grösser, haben deutliche Höfe, 
welche durch die Pikrinsäure, wie die Streifen, gelb gefärbt sind 
und liegen zu mehreren zusammen. Eine Richtung der Zellen 
zur Peripherie ist nicht mehr zu erkennen. Die Streifen sind 
zarter, das durch sie und ihre Anastomosen gebildete Netzwerk 
ist engmaschiger. Trotz der nach allen Richtungen, von den 
Zellen abgehenden Streifen bleibt die Richtung im allgemeinen 
senkrecht zur Peripherie. 

4. Zone. Die Zellen liegen, meist zu mehreren, in breiten, 
gelb gefärbten Höfen und haben an Grösse sehr bedeutend zu- 
genommen. Sie sind nicht mehr zur Peripherie rangirt. Hier 
und da sind sie geschrumpft und füllen die Knorpelhöhlen nicht 
mehr ganz aus. Die Höfe besitzen theilweise, besonders an dem 
Uebergang zur folgenden Zone, körnige Kalk-Einlagerungen. Das 
Maschenwerk der Streifen ist enger geworden, doch lassen die 
zahlreichen Anastomosen die zur Peripherie senkrechte Richtung 
immer noch als hauptsächliche erkennen. Die Streifen treten 
an allen Seiten von den Höfen ab. 

5. Zone. Die Zellen, in ihrer Grösse ungemein verschieden, 
liegen einzeln oder meist zu mehreren umgeben von breiten 
Höfen, welche die erwähnten körnigen Einlagerungen in grosser 
Verbreitung aufweisen. Das Netzwerk der Fasern zeigt nur 
noch undeutlich die prinzipielle Richtung radiär zur Peripherie. 
Die Anastomosenbildung ist eine ungemein reiche, die Maschen 
sind dementsprechend sehr enge. Während in den früheren Zonen 
die anastomosirenden Züge im spitzen Wimkel abtraten, stehen 
dieselben jetzt fast senkrecht und ergeben so ein Netzwerk von 
eckigen Maschen, welches an die Struktur der Knochenspongiosa 
lebhaft erinnert. Die Fasern gehen von der ganzen Peripherie 
der Zelle resp. des Hofes aus. 

Die gelben Streifen verbinden meist alle Zellen mit ein- 
ander, nur wo die Streifenbildung überhaupt nachzulassen _be- 
ginnt, bleibt hin und wieder eine Zelle in der violett gefärbten 
Grundsubstanz isolirt liegen. | 

Auf die fünfte, eben geschilderte Zone folgt unter allmäh- 
lichem Verschwinden der gelben Streifen eine solche, in welcher % 
in der violetten Grundsubstanz eine verschieden grosse Anzahl 
von grösseren und kleineren Kalkkrümeln eingelagert sind, die 
sich durch ihre gelbe Farbe auszeichnen. Die gelben Höfe um 


Zur Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knorpels. 505 


die Zellen sind noch vorhanden. Verschiebt man das Objekt 
- weiter, so tauchen wieder Fasern auf und zwar die fünfte Zone, 
an welche sich dann successive rückwärts gehend die andern 
anschliessen bis zum Perichondrium. 

Die geschilderten fünf Zonen sind nicht an allen Stellen 
der Schnitte und nicht überall gleich schön vorhanden. Es 
kommt vor, dass eine oder mehrere Zonen ausfallen, ja es kann 
die fünfte sofort an die erste anschliessen. Es folgt alsdann aber 
keine der anderen mehr. Niemals findet sich ein Durcheinander- 
werfen der einzelnen Zonen, so dass es den Anschein hat, als 
wenn die fünf geschilderten das Schema bildeten, in welchem 
wohl eine oder die andere ausfallen, nie aber ihre Stellung zu den 
übrigen wechseln könne. 

Auf Schnitten, die senkrecht zu den oben beschriebenen 
entweder senkrecht zur Knorpeloberfläche und gleichzeitig pa- 
rallel der Körperaxe oder parallel der Knorpeloberfläche gemacht 
wurden, zeigten sich mutatis mutandis dieselben Bilder. Nie- 
mals — und das verdient besonders hervorgehoben zu werden 
— waren Bilder zu sehen, die als Querschnitte von eylindri- 
schen oder prismatischen Gebilden zu deuten gewesen wären. 
Es ist dieser Umstand schwer zu verstehen, aber nur dahin zu 
deuten möglich, dass die gelben Streifen eben nicht eylindrische 
oder prismatische Gebilde sind, sondern der Ausdruck des Quer- 
resp. Schrägschnittes von mässig breiten Platten oder ähnlichen 
Bildungen. Vielleicht ist so auch das mitunter zu beobachtende 
plötzliche Auftreten von breiteren gelben Streifen zu erklären 
(Fig. 2, 2 unten); es würden die Platten dann mehr flächenhaft 
gesehen werden. Für eine plattenartige Ausdehnung spricht auch 
der Umstand, dass man die gelben resp. am Alkoholpräparat 
stark lichtbrechenden Streifen mit der Mikrometerschraube mehr 
oder weniger weit in die Tiefe des Schnittes zu verfolgen vermag, 
wobei man konstatiren kann, dass die Krümmung der Platten 
sich ändert. Auffallend ist es dabei immerhin, dass man nur 
selten ausgedehntere Platten wirklich der Fläche nach sieht, 
indessen kommt das doch vor, es erscheinen dann ev. die gelb 
gefärbten Partien breiter als die violetten. Wir würden es hier 
also mit einem Netz von plattenförmigen Zügen sich gelb fär- 
bender Substanz zu thun haben, die mit Höfen um die Zellen 
zusammenhängen. Wichtig zu bemerken ist noch, dass in der 


506 M. Wolters: 


Umgebung einiger in den Knorpel eintretender Blutgefässe ganz die- 


selben Bildungen hervortraten, wie in Bezug auf das Periehondrium. 

Die geschilderten Strukturverhältnisse, die, wie leicht er- 
sichtlich, eine ungemeine Aehnlichkeit mit den als Saftbahnen 
angesprochenen Bildungen haben, legten es nahe, die von Budge, 
Orth und anderen so warm empfohlene Darstellungsmethode durch 
Aether und Collodium in Anwendung zu ziehen. Schnitte von 
dem gleichen Knorpelstücke, 10 Minuten in Aether behandelt 
und in Collodium eingeschlossen, ergaben prinzipiell die gleichen 
Bilder, wie aus Figur 1, Tafel XXV zu ersehen ist. 

Allerdings sind auch hier kleinere Differenzen. Ich sehe 
ab von den Breite-Unterschieden der einzelnen Zonen, die ja auf 
jedem Schnitte wechseln. In der Zone, welche dem Perichon- 
drium zunächst liegt, erblickt man im Vergleich mit dem „Hä- 
matoxylinbilde“ eine grössere Anzahl von Streifen, welche von 
allen Seiten der Zellen abgehen, obwohl auch hier die Haupt- 
richtung senkrecht auf die Peripherie geht. Ebenso zeigt die 
zweite Zone zahlreichere Anastomosen. Die Zellen haben in den 
unteren Partien deutliche Höfe, sind aber durch die Behandlung 
vielfach geschrumpft. 

Intensiv tritt schon in der vierten Zone die körnige Kalk- 
einlagerung in den Höfen und ihrer Umgebung auf, während 
auch hier die Zellen stark geschrumpft erscheinen. Die Mittel- 
zone ist ohne Streifung, zart granulirt. 

Trotz dieser leichten Differenzen wird man nicht anstehen, 
die Identität beider durch verschiedene Methoden gelieferten 
Bilder anzuerkennen. 

Vergleicht man die von anderen Autoren früher gegebenen 
Bilder mit den vorliegenden, so kommt man zu dem Schlusse, 
dass dieselben mit einzelnen Zonen unverkennbare Aehnlichkeit 
haben. So ist z.B. die Abbildung von Zuekerkandl und 
Spina mit der Zone 1 fast übereinstimmend u. s. f. Gleich- 


wohl ist bisher ein solches den ganzen Knorpel durchsetzendes 


Streifensystem noch nicht dargestellt worden. 
Behandelte man die Schnitte nach der von Spronck an- 
gegebenen Chromsäure-Methode, so traten die Streifen genau in 


derselben Weise sehr klar hervor, dagegen fehlten die Höfe; die 
Streifen gingen entweder bis an den Rand der Knorpelhöhle 
‘ heran oder — da, wo schon Kalkablagerungen vorhanden waren 


Taf. XXV. 


Archiv £ mikroskon. Anatomie. Ba. XXXVH. 


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= 


Zur Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knorpels. 507 


_ — endigten an der Peripherie der Ablagerungen. Es muss dar- 
_ aus geschlossen werden, dass die Spronck’sche Flüssigkeit noch 
_ anders wirkt, als die beiden anderen’ Methoden, und dass die 
Höfe und Streifen von einander verschieden sind, trotz der Ueber- 
einstimmung bei Färbung und Behandlung mit Collodium. 

Was die Deutung der Bilder angeht, so ist dieselbe eine 
ungemein schwierige, die wohl auch nur bis zu einem gewissen 
Punkte positiv sicher sein kann. Ich greife zu diesem Zwecke 
zurück auf die im Vorhergehenden gemachten kurzen Angaben 
über die bisher ausgesprochenen Ansichten. 

Fortsätze der Knorpelzellen habe ich an meinen Präparaten 
niemals gesehen und kann daher nicht annehmen, dass es sich 
im Vorliegenden um protoplasmatische Netze handele, die von 
den Zellen ausgehen, abgesehen davon, dass auch die Form der 
Streifensysteme durchaus nicht für solche spricht. Die Zone 1 
könnte vielleicht noch am ersten einen solchen Eindruck machen. 
Bei den anderen Zonen ist das nicht mehr der Fall. Irgend- 
welche darauf hindeutende Strukturen (Poren etc.) in den Höfen, 
wie Arnold und Vogel sie beschrieben, sind ebenfalls nicht 
vorhanden. Auch. würde es nicht verständlich sein, weshalb die 
Zelle das Hämatoxylin annehmen und zurückhalten sollte, das 
protoplasmatische Netzwerk aber nicht. 

Als elastische Fasern können die gelben Streifensysteme 
sicher auch nicht gedacht werden. Es spricht alles dagegen und 
nichts dafür. 

Dass die erste Zone grosse Aehnlichkeit mit einer Abbil- 
dung von Zuckerkandl hat, ist bereits erwähnt. Doch stim- 
men seine übrigen Bilder, welche Faserzüge von einer Zelle 
zur andern verlaufend darstellen, nicht zu meinen Befunden, die 
überhaupt keine Faserung in den gelben Streifen ergaben. Eine 
solche trat auch nicht im Alkoholbilde hervor, wie Fig. 1 es zeigt. 
Es erscheinen die Streifen und Höfe hier einfach, homogen und 
stärker lichtbrechend (daher in der Zeichnung dunkler wieder- 
gegeben). Die grösste Aehnlichkeit mit meinen Bildern hat eine 
Abbildung in Spina’s letzter Arbeit. Seiner Annahme indessen, 
dass es sich um zwei verschiedene Knorpelsubstanzen, weissen 
und gelben, handle, von denen der erste eine spätere Differen- 
ziırung des letzteren sei, vermag ich mich nach meinen Präpa- 
raten nicht anzuschliessen. Das massenhafte Auftreten der gelben 


508 M. Wolters: 


spricht schon . gegen seine Annahme, die ausserdem im ganzen 
mehr als eine Umschreibung der Thatsachen, denn als eine Er- 
klärung anzusehen sein dürfte. Mitunter habe auch ich Zellen 
gesehen, die nur in der violetten Substanz lagen, doch waren 
dieses entschieden Ausnahmen und befanden sich dieselben immer 
in solchen Partien, an denen im ganzen eine Abnahme der Menge 
der gelben Streifen zu beobachten war. Desshalb aber Zellen 
des gelben und des weissen Knorpels anzunehmen, wie Spina 
es thut, scheint mir nicht hinreichend begründet zu sein. Proto- 
plasmatische Fortsätze und Netze, welche von solchen in den 
beiden Knorpelarten, wie Spina will, gebildet werden, habe ich, 
wie schon mehrfach erwähnt, niemals auch nur in irgendwelchen 
Andeutungen gesehen. Am meisten scheint mir die Beschreibung von 
Spronck, der leider in seiner Arbeit keine Abbildung gegeben 
hat, mit meinen Befunden zu stimmen. Er betont, dass das von 
ihm gefundene Netzwerk senkrecht zu dem Perichondrium ver- 
laufe und sich in dieses verliere. Er nimmt an, dass die Fasern, 
die er als solide Körper auffasst, von einer eiweisshaltigen Sub- 


stanz gebildet seien, dass sie die Kapseln durchbohren und die’ 


Zellen untereinander verknüpfen und glaubt, dass sie die Bahnen 
des Ernährungsstromes seien. Spronck hat Querschnitte der 
soliden Fasern gesehen, die stärker lichtbrechend waren, als die 
Umgebung. 

Wie oben erwähnt, habe ich auf meinen Schnitten niemals 
Querschnitte geschen, die annehmen liessen, dass es sich um pris- 
matische oder eylindrische Fasern handele; in dieser Hinsicht 
vermag ich also Spronck nicht beizustimmen. 

Die von Solger für die Alkoholbilder versuchte Erklärung, 
dass es sich dabei um Schrumpfungen und dadurch bedingte 
Wellen im Verlaufe der Knorpelfibrillenbündel handele,‘ ist für 
meine Bilder absolut nicht verwendbar; einmal würde sie zur Er- 
klärung der Alkoholbilder nicht ausreichen und zweitens würde 
es nach ihr nicht zu erklären sein, wie die verschiedene Färbung 
zu Stande kommt. 

Fassen wir alles zusammen, so haben wir also in einem be- 
stimmten Bezirke eines menschlichen Kehlkopfknorpels ein die 
Knorpelgrundsubstanz durchsetzendes System von eigenthümlichen, 
platten, mit einander anastomosirenden Bildungen gefunden, das 


: 


Streifen (Spina’s „weissem“ Knorpel) dieht am Periehondrium 


RE RER 


Zur Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knorpels. 509 


sich durch Alkohol resp. Collodium, durch die Methode von 
Spronek und durch eine besondere Färbemethode leicht dar- 
stellen lässt. Dasselbe zeigt ganz bestimmte Beziehungen zu den 
Zellen und zu dem Perichondrium, zu dem die Verlaufsrichtung 
senkrecht ist. Die Bildungen, die diesem System zu Grunde 
liegen, können weder als einfache Schrumpfungsprodukte auf- 
gefasst werden, noch als elastische Elemente, noch als Ausdruck 
der Knorpelfibrillenbündel oder als Zellfortsätze. Die Annahme 
zweier Knorpelarten (Spina) ist an sich keine Erklärung und 
stimmt auch nicht mit den Thatsachen. Der ganze Verlauf dieser 
Bildungen, ihre Beziehungen zu den Zellen, ihre Veränderlich- 
keit, ihr eventuelles Aufhören spricht dagegen noch am meisten 
für die Annahme, dass es Saftbahnen sind. Dieselben würden 
— und darin würde ich mich in Uebereinstimmung mit der An- 
schauung von Herrn Prof. Schiefferdecker befinden — so auf- 
zufassen sein, dass der Saftstrom, der den Knorpel durchsetzt, 
die Grundsubstanz auf beliebigen Wegen durchzieht; welche nur 
durch das Prinzip der Wahl des geringsten Widerstandes bedingt 
werden. So erklärt sich leicht der Wechsel der Bahnen in’ ver- 
schiedenen Schichten bei Veränderung der Beschaffenheit der 
Grundsubstanz, so wären die sehr feinen Bahnen im jüngsten 
Knorpel zu verstehen, so würde die eigenthümliche plattenartige 
Form, wenn auch auffallend, doch verständlich sein. Welche 
Bedeutung die durch zwei Methoden darstellbaren Höfe haben, 
müsste erst durch weitere Untersuchung klargelegt werden. Her- 
vorzuheben wäre, dass sich in diesen Höfen später zuerst Kalk- 
ablagerungen finden, wobei noch besonders darauf hinzuweisen 
ist, dass — wie die vorliegenden Bilder lehren — die Ablagerung 
zuerst nicht im Hofe, sondern an dessen Peripherie ausser- 
halb vor sich geht und erst bei stärkerer Zunahme in den 
Hof hineinrückt. Wie weit diese Höfe mit dem zusammen- 
fallen, was man als „Knorpelkapseln“ zu bezeichnen pflegt, ist 
durchaus nicht zu sagen. 

Es würde aus dieser Annahme natürlich folgen, dass diese 
Saftbahnen weder eigene Wandungen haben, noch überhaupt 
Kanälchen oder Hohlräume darstellen; es sind nur stärker mit 
Flüssigkeit durchtränkte Partien der Grundsubstanz. Man müsste 
hierzu die weitere, zunächst hypothetische Annahme machen, dass 
diese so durchtränkten Partien das Hämatoxylin nicht so stark 


510 M. Wolters: 


aufnehmen resp. es nicht so festhalten, wie die übrige Grund-. 
substanz, so dass sie in Folge dessen die Pikrinsäure aufnehmen, 
welche ja eine diffuse Färbung aller der Theile ergiebt, aus denen 
das Hämatoxylin herausgeht. Diese Annahme würde indessen 
wohl einigermassen wahrscheinlich sein. Wir wissen, dass die 
Grundsubstanz des Knorpels an sich eine ausgeprägte Neigung 
hat, sich mit Hämatoxylin zu färben und dass es besonderer Ver- 
änderungen derselben bedarf, wenn diese Färbung nicht eintreten 
soll. An solchen Stellen nun, an denen die Grundsubstanz in re- 
lativ geringer Menge vorhanden ist wegen der sie durehtränkenden 
Flüssigkeit, wird sie die Farbe auch nicht so stark zurückhalten 
können, daher dann die Streifenfärbung, daher auch die über- 
haupt schwache Färbung in der Nähe des Perichondriums, wo- 
selbst die Grundsubstanz noch nicht so stark entwickelt ist, wie 
weiter im Innern des Knorpels. 

Nun wäre noch die Frage zu beantworten, warum die eigen- 
thümlichen Bildungen sich auf einen bestimmten Bezirk dieses einen 
Knorpels beschränkten. Meiner Meinung nach kann man da nur 
annehmen, dass es sich an dieser Stelle um eine besonders leb- 
hafte Saftströmung handelte, und dass diese wieder bedingt war 
durch den ersten Anfang der Umwandlung des Knorpels in Knochen. 
Es war ja Verkalkung schon vorhanden, wenn auch noch nicht 
sehr hochgradig, und ebenso fanden sich bereits einzelne (nur 
wenige) Blutgefässe im Knorpel. In der Umgebung dieser ver- 
hielt sich, wie oben schon gesagt, das hypothetische Saftbahnen- 
system ganz so wie am Perichondrium. Es würde demnach nur 
in einem ganz bestimmten Zeitpunkte der Knorpel solche deut- 
liche Saftbahnen aufweisen. Dieser Zeitpunkt stimmt mit dem 
von Chievitz für den Beginn der Verknöcherung angenommenen. 
Auch Spina hat seine beiden Knorpelformationen besonders gut 
in der Umgebung von Knorpelgefässen gesehen und Spronck 
giebt an, dass nur an einer ganz bestimmten Zone des Gelenk- 
knorpels am Femurköpfehen des Frosches sich seine ev. Saftbahnen 
gut ausgebildet vorfanden, wo aussen schon Periehondrium, innen 
ein breiter Knochenring war. Es würde jetzt also darauf an- 
kommen, bei günstig erscheinenden Objekten weiter nach ähnlichen 
Befunden zu suchen, um,so aus einer grösseren Anzahl das Wesent- 
liche ableiten und daraus noch nähere Schlüsse auf die ev. Bedeu- 
tung ziehen zu können. Dazu fehlt mir augenblicklich leider, wie 


Zur Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knorpels. 511 


oben angegeben, die Zeit und daher habe ich schon jetzt diese 
kurze Mittheilung veröffentlicht. 


Litteraturangabe. 


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gewebe. Virch. Arch. Bd. 13, 1878. 
Barth, Medic. Centralblatt 1869, Nr. 40. 
, Boll, Beiträge zur vergl. Histologie des Molluskentypus. Arch. für 
m. A. 1869. 
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Bubnoff, Sitzungsber. d. k. Acad. d. W. in Wien, Bd. 57. 
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Deutschmann, Ueber die Entwickelung der elast. Fasern im Netz- 
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rer 1880. 
Frommann, Untersuchungen über normale und patholoe. Anatomie 
des a eunirken. Jena, 1867. 
Fürbringer, Ueber die Gewebe des Kopfknorpels der Cephalopoden. 
Morphol. ah. 1877. 
Gegenbaur, Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung 
der Gewebe. Arch. f. m. A. VII u. VIII. 
Gerlach, Ueber das Verhalten des indigoschwefelsauren Natrons im 
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Henocqgue, Structur des cartilages. Gaz. medic. 1873. 
Hertwig, Ueber die Entwickelung und den Bau des elastischen Ge- 
webes im Netzknorpel. Arch. f. m. A. IX. 
Heitzmann, Studien am Knorpel u. Knochen. Wiener med. Jahr- 
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Hoffmann u. Langerhans, Ueber den Verbleib des in der Circu- 
lation eingeführten Zinnobers. Virch. Arch. Bd. 48. 
Hutob, Untersuchungen über Knorpelentzündung. Wiener med. Jahr- 
bücher 1871. | 
Kölliker, Entwickelungsgeschichte der Cephalopoden. Zürich, 1844. 
— Handbuch der Gewebelehre. Leipzig, 1889. 
x Langerhans, v. Hoffmann. 


512 M. Wolters: Zur Kenntniss der Grundsubstanz ete. 


Leydig, Beiträge zur mikroskop. Anatomie d. Rochen und Haie. 
Leipzig, 1852. A 

— Zur Anatomie und Histologie der Chimaera monstros. Müller’s 
Arch. 1881. | 

— Lehrbuch der Histologie. Frankfurt, 1857. 

Maass, Ueber das Wachsthum und die Regeneration der Röhren- 
knochen. Langenbeck’s Arch. XX. 

Nycamp, Beitrag zur Kenntniss der Structur des Knorpels. Arch. f. 
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Orth, Cursus d. normalen Histologie. 

Ponfick, Studien über das Schicksal körniger Farbstoffe. Virch. 
Arch. Bd. 48. - 

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Reitz u. Stricker, Sitzungsber. d. k. Acad. d. W. in Wien, Bd.55. 

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Socolow, Ueber den Bau des Nasenknorpels ete. V.H. Jahresber. 1870. 


Solger, Die Wirkung des Alcohols auf den hyalinen Knorpel. Leip- 


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—  Schrumpfungserscheinungen am hyalinen Knorpelgewebe des Men- 
schen und deren Beziehungen zu den Fibrillen. Arch. f. m. A. 
Bd. XXXL 

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— Beiträge zur Histologie des Hyalinknorpels. Wiener med. Jahr- 
bücher 1886. 

Spronck, Zur Kenntniss der Struktur des Hyalinknorpels. Anat. 
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Tillmanns, Ueber die fibrille Structur des Hyalinknorpels. Arch. f. A. 
Rx. Bi, IT: 

Vogel, Die Saftbahnen des hyalinen Knorpels. Dissert. Bern, 1883. 

Waldeyer, Jahresber. V. H. 1875. 

Zuckerkandl, Beiträge zur Lehre von dem.Bau des hyalinen Knor- 
pels. Sitzungsberichte der Acad. d. Wiss. Bd.91, 1885. 


3 


513 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungs- 
versuches. 


Von 


M. Nussbaum. 


Hierzu Tafel XXVI—XXX und 1 Holzschnitt. 


In der von Weismann angefochtenen Kritik!) belegte 
ich mit Citaten, dass Ischikawa meine Abhandlung?) nicht genau 
genug und Trembley’s Schriften?) gar nicht gekannt habe. 

Wenn der „nicht orientirte“ Leser‘) den Eindruck erhielt, 
— wie Weismann meint und fürchtet — die Arbeit Ischi- 
kawa’s gebe nur eine Bestätigung meiner eigenen Resultate, so 
habe ich in ganz rechtmässiger Weise erreicht, was ich zu be- 
weisen unternommen hatte. 

Die von Weismann?) zur Vertheidigung seines Schülers 
Ischikawa veröffentlichten Bemerkungen gehen auf die Trem- 
bley betreffenden Stellen nicht ein; sie reprodueiren aus meiner 
Kritik die mich angehenden Citate zum Theil und versuchen 
dann den Leser zu folgender Annahme zu bestimmen: 

Wenn Nussbaum auch schliesslich von einer Rückstülpung 
der Leibesschichten spricht, so musste Ischikawa doch zu der 
Meinung kommen, der Vorgang werde als eine Wanderung des 
Eetoderm über das Entoderm dargestellt. Hat Nussbaum auch 
die richtige Ansicht ausgesprochen, so kann ein umgestülpter und 
quer durchbohrter Polyp doch niemals in der beschriebenen Weise 
zur natürlichen Lagerung seiner Leibesschichten zurückkehren. 

Demzufolge wird es meine Aufgabe sein, aus meiner früheren 
Abhandlung nachzuweisen, 


1) Dieses Archiv Bd. 35. 

2) Dieses Archiv Bd. 29. 

3) M&moires, Leide 1744. 

4) Siehe die Bemerkungen Weismann’s, dieses Archiv Bd. 36, 
pag. 627. 

5) Dieses Archiv Bd. 36, pag. 627—638. 


514 M. Nussbaum: 


dass man beim aufmerksamen Lesen derselben zu keinen 

anderen Schlüssen kommen kann, als zu den meinigen, und 

dass umgestülpte und quer durchbohrte Polypen in der von 
mir beschriebenen Weise am Leben bleihen. 

Da ich aber nach dem Erscheinen der Weismann’schen 
Bemerkungen mich durch Befragen mehrerer Biologen davon 
überzeugt habe, dass das Verständniss des von mir beschriebenen 
Umstülpungsvorganges auf Schwierigkeiten stosse, so musste ich 
mich dazu entschliessen, neben der Erwiderung auf die An- 
griffe Weismann’s noch eine detaillirtere Auseinandersetzung zu 
geben und die einzelnen Variationen, dureh die ein umgestülpter 
und gefesselter Polyp zur ursprünglichen Lage zurückkehren 
kann, im Einzelnen zu besprechen. Alle diese Variationen er- 
folgen nach demselben, in meiner Abhandlung (dieses Archiv, 
Bd. 29) dargethanen Prineip der einfachen oder complieirten 
Rückstülpung. Das Prineip festzustellen war damals meine Auf- 
gabe, um durch die Widerlegung der alten Trembley’schen Er- 
klärung einen gewichtigen Einwand gegen meine Theorie von 
der continuirlichen Abstammung durch die Geschlechtszellen zu 
beseitigen. 


I. 


Es steht fest, dass Ischikawa die Trembley’schen Ver- 
suche über die Verschmelzung zweier Polypen nicht gekannt hat. 

Sollte die gleichfalls für neu gehaltene Erklärung des 
Trembley’schen Umkehrungsversuches bei Ischikawa nicht 
auf ähnliche Weise zu Stande gekommen sein ? 

Das ist, was ich dem Leser meiner Kritik zur Beurtheilung 
überliess. Durch Weismann’s Bemerkungen veranlasst, komme 
ich auf die Untersuchung dieser Frage nochmals zurück und gehe 
die Bemerkungen der Reihe nach durch. 

Entgegen Weismann!) muss ich statt meiner für Trembley 
noch immer die Anerkennung fordern, dass er zuerst Polypen 
umgekehrt und am Leben erhalten habe. Trembley irrte nieht 
in der Beobachtung, dass nach einiger Zeit bei umgestülpten 
und mit einer Borste durchbohrten Polypen das Ectoderm wieder 
aussen liege, sondern in der Deutung dieses Vorganges. | 

Wie Trembley uns auf Seite 254 seiner vierten Abhand- 


H) 1. €. P38:628. 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 515 


_ Jung zur Geschichte der Polypen berichtet, ging er bei seinem 
Experiment von dem Gedanken aus, die Bläschen „auf der 
äusseren Oberfläche der Haut‘ füllten sich mit Nährsaft, der von 
den Bläschen der Magenwand zuerst aufgenommen sei. Er 
dachte daran, der äusseren Oberfläche diesen gelösten Nährsaft 
mit Umgehung der Bläschen der Magenwand (oder wie man 
jetzt sagen würde: der Entodermzellen) direet zuzuführen und 
suchte zuerst nach einer Nährflüssigkeit, worin er die unver- 
sehrten Polypen einsetzen könnte. Da ihm dies nicht gelang, 
so glaubte er den Beweis für die Möglichkeit einer unmittelbaren 
Ernährung der äusseren Oberfläche ebenso leicht erbringen zu 
können, wenn er die Polypen umkehrte, und so die äussere Ober- 
fläche ihrer Haut in-den Magen umwandelte. 

Nach anfänglich vergeblichen Versuchen gelang ihm in 
Jahresfrist die erste Umstülpung an einer Hydra grisea (seconde 
espece, Trembley). Das Fussende eines mit einem Wurm 
oder einer Insectenlarve vollgepfropften Polypen wurde ver- 
mittelst einer Schweinsborste eingestülpt und durch die Mund- 
öffnung wieder nach aussen geführt. Trembley überzeugt 
sich durch directe Beobachtung mit einer Lupe von dem Erfolg: 
die innere Oberfläche liegt in der That aussen. Bald nach der 
Umstülpung schliesst sich die Mundöffnung des Polypen, und 
seine Lippen kehren sich sogar ein wenig einwärts; dann aber 
stülpen sich die Lippen nach auswärts, und der Polyp ist vor 
Ablauf einer Stunde wieder zur früheren Lage zurückgekehrt. 
Bei manchen Exemplaren dauert die Rückstülpung ungefähr 
24 Stunden. Die zurückgestülpten Polypen fressen, wachsen, 
vermehren sich: man kann sie von anderen nicht unterscheiden. 

Dieser Versuch entsprach jedoch nicht den gehegten Er- 
wartungen. Trembley musste einen Polypen in umgekehrtem 
Zustande am Leben erhalten. Es schloss sich der Versuch an, 
den umgekehrten Polypen mit einer Borste zu durchbohren und 
an der Rückstülpung in die natürliche Lage zu hindern. 

Nach Trembley’s Versicherung macht es den Polypen 
nichts aus, gespiesst zu sein: sie fressen und vermehren sich weiter. 

Trembley beschreibt weiter einen Versuch, den ich schon 
in meiner Abhandlung über die Polypen wieder anzustellen ver- 
sprochen habe, zu dessen Ausführung es mir bis jetzt jedoch an 
der nöthigen Zeit gebrach. Man findet in der zweiten Abthei- 


516 M. Nussbatim: 


lung der vorliegenden Abhandlung die Beschreibung des von 
mir nunmehr wiederholten Versuches. Was Trembley selbst 
mittheilt, gewährt keine klare Vorstellung über den Vorgang. 

Es handelt sich um die Umstülpung von Polypen mit an- 
haftender Knospe, wenn die Magenräume des erwachsenen Thieres 
und der Knospe noch miteinander zusammenhängen. 

Der Einfachheit halber möge die betreffende Stelle aus 
Trembley’s vierter Abhandlung hier wörtlich folgen. 

Pag. 262: „L’ouverture de communication, qui est encore 
entre l’estomae de ces petits et celui de leur mere, est encore 
dans toute sa grandeur. Lorsque la mere est retournee, le jeune 
peut se retourner de lui-me&me; et c’est ce quiil fait. Il arrive 
alors preeisöement ce qui arriveroit, si, apres avoir retourne un 
gant, les doigts de ce gant se retournoient d’eux memes. Sion 
observe avee attention le corps de la mere, d’abord apres quelle 
a 6t6 retournee, on voit, & lrendroit ou tient un de ces jeunes 
dont je parle, un ereux qui peu-A-peu se remplit; apres quoi, on 
distingue sensiblement le corps du jeune Polype, qui en sort en 
se retournant. C’est ce que j’ai vu 'plusieurs fois et avec un 


tres grand plaisir. Il ne faut que quelques minutes, pour que 


le petit Polype soit tout-A-fait retourne. Ensuite, il continue & 
croitre, il se detache de sa mere, et ne differe en rien de tout 
autre Polype. J’ai nourri de pareils jeunes, et eux et leurs pe- 
tits ont multipli& dans mes verres. | 

Wer die Beschreibung aufmerksam liest, wird finden, dass 
in der Beobachtung eine empfindliche Lücke ist. Der Ausdruck 
„retourne“ in dem Satze: „Il ne faut que quelques minutes pour 
que le petit Polype soit tout-A-fait retourne“ spricht zwar dafür, 
dass die Knospe bei der Umstülpung der Mutter nicht sofort mit 
umgestülpt gewesen sei, sondern erst später diese Umstülpung 
‚spontan vollzogen habe. Wäre dem nicht so, so würde die 
Knospe auch nicht im Leibe der Mutter, sondern wieder wie 
vor der Umstülpung aussen gesessen haben. 

Ferner gebraucht Trembley stets für die Umstülpung, 
d. h. — im Sinne unserer heutigen Kenntnisse über die Polypen 
ausgedrückt — sobald das Entoderm aussen liegt, das Wort re- 
tourner; deretourner dagegen, wenn das Ectoderm sich wieder 
aussen befindet, nachdem ein umgestülpter aber nicht mit einer 
Borste durchbohrter Polyp sich zurückgestülpt hat. 


Mr 
i 


er ee ah > 


’ 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 517 


7 
Ts 


ä Es kommt aber nicht darauf an, mit Worten zu streiten, 
3 sondern durch die Beobachtung die vedenkall: richtigen aber nieht 
vollständigen Angaben Trembley’s zu ergänzen. 

Bis jetzt sind wir nicht darüber renrichter, wie eine Junge 
— Knospe nach Umstülpung ihrer Mutter in die natürliche Lage 
zurückkehre. 

Wir sind durch Trembley auch nicht damit bekannt ge- 
macht worden, auf welche Weise an einem umgekehrten Polypen 
sich die ursprüngliche Lagerung der Theile wiederherstelle. 

Wohl findet sich pag.263 der vierten Abhandlung folgende 

Stelle: La superficie extörieure d’un Polype, nouvellement re- 
tourne, n’est pas d’abord aussi unie que celle d’un Polype non 
retoumme. Elle est telle, que j’ai deerit, dans le premier M&moire 
(pag. 55), la superficie interieure de la peau des Polypes. 1 
arrive meme, la plupart du tems, que plusieurs des grains, qui 
tapisseut cette superficie exterieure d’un Polype retourne, se de- 
tachent: elle paroit pendant quelques jours environnde de ces 
grains qui s’en separent: mais, ensuite, elle devient absolument 

- aussi unie que l’est la superficie exterieure des Polypes qui n’ont 
pas e&t& retournes. 

Daraus geht sachlich so viel hervor, dass nach einiger 
Zeit bei einem umgekehrten und aufgespiessten Polypen die ur- 
sprüngliche Lage der Theile wiederhergestellt ist, dass das Ee- 
toderm sich wieder aussen befinde. Dies ist unwiderleglich, da 
Trembley mit seinen optischen Hülfsmitteln schon sehr wohl Ecto- 
derm von Entoderm zu unterscheiden"vermochte. Trembiey hat 
einen umgekehrten Polypen mehr als zwei Jahre am Leben erhalten. 

Damit endet die Beschreibung des Umkehrungsversuches. 
Der folgende Theil der Abhandlung ist der Beschreibung nicht 
hierher gehöriger Experimente gewidmet. 

Man vermisst ein Raisonnement über die Bedeutung, die 
Trembley dem Umkehrungsversuch beimisst und namentlich 
eine Auseinandersetzung über die das Experiment veranlassende 
Absicht zu erfahren, ob Bläschen der äusseren Hautoberfläche 
denn in der That direct Nahrung aufnehmen können, wenn sie 
in die geeigneten Bedingungen versetzt werden. 

Wie Trembley sich. den Vorgang vom Beginn der Um- 
stülpung bis zur Wiederherstellung der natürlichen Lagerung der 
Leibesschichten vorstelle, kann aus einer auf pag.253 zu den 

Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37 34 


\ 


518 M. Nussbaum: 


* 


Umstülpungsversuchen gegebenen „einleitenden Bemerkung ge- 
schlossen werden. | 

Pag. 253: „Si jJavois scu qu’un morceau de peau de Po- | 
Iype pouvait devenir un Polype complet, seulement en s’enflant 
de maniere qu'il se forme dans le milieu de cette peau simple 
un vuide qui devient l'estomae du Polype; si dis-je, javois seu 
cela, jaurois eu plus d’esperance de voir vivre un Polype re- 
tourne: jJ’aurois deja eu une preuve que la superfieie interieure 
de la peau d’un Polype peut devenir, au moins en partie, super- 
ficie exterieure, ainsi qu’on l’a vu dans les Experiences preee- 
dentes. Mais, lorsque j’entrepris de retourner les Polypes, je 
n’avois pas encore fait ces Experiences.“ 

Somit war Trembley, soweit unsere Kenntniss reicht, der 
Erste, der mit Erfolg Polypen umkehrte und am Leben erhielt. 

An dieser Sachlage wird Nichts geändert, ob man Trem- 
bley’s Beschreibungen Glauben schenkte oder nicht. 

Da nun in der That, was ich bisher nicht geglaubt habe, 
der Versuch eine besondere Geschicklichkeit vorauszusetzen 
scheint, so konnte es mir nur erwünscht sein, wenn Weismann 
in seinem Schüler Ischikawa den rechten Mann entdeckt hatte, 
der die nöthige feine Untersuchungsgabe besass, die seit beinahe 
150 Jahren beschriebenen, aber mehr oder weniger angezwei- 
felten Versuche der Umstülpung von Polypen nochmals zu wieder- 
holen. Mir würde eine Bestätigung der von mir aus meinen 
Versuchen abgeleiteten Ansichten durchaus nicht überflüssig er- 
schienen sein; da jedes Experiment unter den geeigneten Be- 
dingungen, hier unter der Voraussetzung einer besonderen Ge- 
schicklichkeit, muss wiederholt werden können. 

Damit erledigt sich auch die Frage, ob ich die „Form“ 
der Ischikawa’schen Publikation hätte für die richtige halten 
müssen. FEbensowenig als ich in der Ischikawa’schen Arbeit 
einen persönlichen Angriff gefunden habe, ebensowenig erwiderte 
ich in gereiztem Tone; ich überliess dem Leser, sich ein Urtheil 
zu bilden, ob Ischikawa oder ich den Trembley’schen Um- 
kehrungsversuch an Hydra erklärt habe. 

Kam der Leser zu der Ansicht, oder hatte er sie sich schon 
früher gebildet, dass vor Ischikawa schon ich die richtige Er- 
klärung gegeben hätte, so war die „Form“ der Ischikawa- 
schen Veröffentlichung verfehlt; da sie nur eine — mir immer- 


Tr N PER 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 519 


- hin werthvolle — Bestätigung bekannter, aber nur unter gün- 
‚stigen Bedingungen zu beobachtender Thatsachen enthielt. 
Wir kommen jetzt zu dem sachlichen Theil der We is- 
_ mann’schen Bemerkungen (l. e. pag. 629). 
Nach Weismann suchte Ischikawa zu zeigen, „dass die 
-Borste nur scheinbar ein Hinderniss für die Umstülpung ist, dass 
sich in Wahrheit der Polyp an der einen Seite der quer durch 
seinen Körper gesteckten Borste hervorstülpt, was natürlich nur 
- dann vollständig gelingen kann, wenn die Substanz des Thieres 
_ an der anderen Seite schliesslich einreisst, um sich nach dem 
- Durchpassiren der Borste:. wieder zusammenzuschliessen.“ 
Der Autor der Bemerkungen ist ganz im Recht, wenn er 
annimmt, ich verstände diese Erklärung des Vorganges; ich be- 
 streite aber, dass sie neu sei und bestreite, dass umgekehrte 
- Polypen ausschliesslich auf diese Weise sich wieder zurückstülpen. 
Es ist gar nicht nöthig, dass die Subianz des Thieres an der an- 
deren Seite einreisse. 
| Man betrachte nur den auf Tafel XIV, Fig. 47 meiner Ab- 
_ handlung vom Jahre 1887 (dieses Archiv Bd. XXIX) abgebildeten 
 Polypen. Die Zeichnung ist nach einem lebenden Polypen ge- 
fertigt, der umgestülpt und mit einem Silberdraht quer durch- 
- bohrt auf eine Kautschukplatte gespiesst wurde und der nach 
drei Tagen, wie die eitirte Figur zeigt, noch immer völlig durch- 
- bohrt auf der Platte haftete. Wir kommen noch auf diesen 
Versuch später zurück. 
Weismann und Ischikawa haben beide die Vorstellung, 
Nussbaum lasse die Restitution des umgestülpten Polypen durch 
active Wanderung der Ectodermzellen erfolgen. Dafür eitirt 
_ Weismann mit einigen Abkürzungen nochmals zwei schon von 
 Ischikawa abgedruckte Stellen meiner Abhandlung und eine 
dritte in meiner Kritik enthaltene Stelle aus derselben Quelle. 
Vergleicht man die Weismann’schen Citate und die sie 
verbindenden Worte: „Dann aber folgt die von Nussbaum ete.“ 
 (pag. 629) mit dem Text meiner Abhandlung auf den beiden 
Seiten 342 und 343 (dieses Archiv Bd. XXIX), so findet man, 
dass diese beiden Gruppen von Citaten in meiner Abhandlung 
durch eine für das Verständniss nicht unwichtige Auseinander- 
setzung von einander getrennt sind, also nicht so unvermittelt 
einander folgen, wie Weismann es darstellt. 


590 M. Nussbätm! 


Die beiden ersten Citate Weismann’s auf Seite 629 des 36. 
Bandes sind der mit Seite 342 des 29. Bandes zu Ende gehenden 
Beschreibung meiner Versuche entnommen und enthalten die Schilde- 
rung dessen, was man ohne weitere Präparation am lebenden 
Thiere „bei öfterem Untersuchen mit nicht zu schwachen!) 
Linsen“ (pag. 339) erkennen kann. Der Abschnitt schliesst bei 
mir mit den Worten (pag. 345): 

„Hiermit sei der Beschreibung der ohne weitere Präparation 
am lebenden umgestülpten Polypenleibe wahrnehmbaren Ver- 
änderungen genug.“ 

Ehe nun die von Weismann in seinen Bemerkungen mit 
einigen Auslassungen am Fusse der Seite 629 abgedruckte 
Stelle folgt, spreche ich mich in meiner Abhandlung zusammen- 
fassend über das aus, was an umgestülpten und mit einem durch- 
bohrenden Draht an der Rückstülpung gehinderten lebenden Po- 
lypen unter dem Mikroskop zu sehen ist. Es ist in der That 
nur Eetoderm zu sehen, und jeder unbefangene Beobachter würde 
glauben, es sei das Eetoderm allem, „das stets in dünner Schicht, 
wie ein zarter Schleier mit seinen Muskelzellen und den Nessel- 
apparaten von den drei bestimmten Lokalitäten, der Mundöffnuns 
und den beiden durch den fixirenden Silberdraht gemachten 
Stichöffnungen“ her vordringt. Die zu den beiden ersten Ci- 
taten Weismann’s gehörigen Stellen meiner Abhandlung schil- 
dern somit, was man am lebenden Versucherkin unter dem Mi- 
kroskop sehen kann. | 

War nun durch die Beobachtung am lebenden Thiere schon 
nachgewiesen, dass das Entoderm sich nicht in Eetoderm um- 
wandelte, wie Trembley geglaubt hatte, so suchte ich durch 
die weitere Untersuchung der im Leben beobachteten Versuchs- 
thiere Aufschluss darüber zu erhalten, ob denn in der That, wie 
es nach den bis dahin von mir gewonnenen Erfahrungen schien, 
allein das Ecetoderm von den drei genannten Punkten es das 
Entoderm hinkrieche. | 

Zu dem Zwecke tödtete ich die Versuchsthiere in verschie- 
denen Stadien der Rückbildung ab, zerlegte sie in feine Schnitte 
und gab in dem mit dem Weismann’schen dritten Citat: „Da 
man nun“ ete. eingeleiteten Abschnitt meiner Abhandlung?) die 

1) Zeiss A (siehe |. c. pag. 325). 

2) Dieses Arch. Bd.29, pag. 343. 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 521 


Beschreibung dessen, was an den in feine Schnitte zerlegten, vor- 
her umgestülpten Polypen zu sehen ist. Dabei zeigte sich, dass 
das Eetoderm mit der Stützlamelle, und, wie man annehmen muss, 
auch mit dem zugehörigen Entoderm über das vorher nach aussen 
verlagerte Entoderm hinzieht. 

Wenn nun Weismann glaubt, dass „Nussbaum jetzt also 
bei der Ansicht angelangt sei, dass an diesen Stellen eine par- 
tielle Umkrempelung stattfinde“, so hätte Ischikawa uns Allen 
gewiss einen Dienst erwiesen, wenn er von dieser meiner An- 
sicht Notiz genommen hätte. 

Weismann sucht die Beweiskraft der Thatsachen, die ich 
für diese meine Anschauung vorgebracht habe, zu entkräften und 
wiederholt nochmals den theilweise schon von Ischikawa ge- 
machten Einwand, „dass aus dem Stichkanal keine Zurück- 
stülpung erfolgt und dass der weisse Schleier, den Nussbaum 
beschreibt und abbildet, wie er sich vom Stichkanal aus über 
die Aussenfläche des umgestülpten Polypen hinzieht (s. a. a. O. 
Tafel XIX, Fig. 104), entweder auf einer Quellung der Ento- 
dermzellen durch Wirkung des Wassers, oder auf einer wirklichen 
Auswanderung später zu Grunde gehender Ectodermzellen beruht, 
die aber mit der eigentlichen Restitution der Schichten nichts zu 
thun hat“. 

Ischikawa habe ich auf diese Einwendung nicht geant- 
wortet, weil ich mich in meiner Abhandlung hinlänglich darüber 
ausgewiesen hatte, dass ich Eetoderm von Entoderm zu unter- 
scheiden verstehe !). 

Auf die von Weismann hinzugefügte Alternative, es möge 
der Schleier aus später zu Grunde gehenden Eetodermzellen be- 
stehen, kann ich vorläufig nur erwidern, dass diese Erklärung 
meiner Beobachtungen ebenfalls nicht zutrifft. Man findet im 


1) Vgl. dazu noch folgende Stellen. Pag. 329 des 29. Bandes 
dieses Archivs: „oft genug ging ein grosser Theil des umgestülpten 
und nach aussen gekehrten Entoderm in Fetzen ab und löste sich 
völlig im Wasser auf.“ Pag. 341. „Von den Wundöffnungen und von 
den Tentakeln zieht sich das Ectoderm wie ein feiner weisser Schleier 
über das gefärbte und an den übrigen Stellen des Leibes nach 
aussen gelagerte Entoderm hin. Die verletzte Stelle mit dem abgän- 
gigen Entoderm liegt unverändert nahe dem Fuss, von der Stichwunde 
durch normales Entoderm getrennt.“ 


522 M. Nussbaum: 


experimentellen Theil dieser Abhandlung die Beweise für meine F 


Behauptung, freilich nur in einer Wiederholung meiner alten 


Beobachtungen. 


In seinen Bemerkungen sucht Weismann nunmehr die 


Deutung zu widerlegen, die ich den in Fig. 14—30 der Ischi- 
kawa’schen Abbildungen zu Grunde liegenden Versuchen ge- 
geben hatte. 


Für die Fig. 14—18 (Versuch Nr. 15, Ischikawa), muss 


man gestehen, ist der Erfolg auf Weismann’s Seite, nachdem 
er die Fig. 18 anders orientirt, d.h. um 180° gegen die Ischi- 
kawa’sche gedreht hat. Mein Einwand bezog sich auf die 
Ischikawa’sche Originalfigur 18, die als solche niemals für eine 
erfolgte Rückstülpung beweisend sein konnte. Ich weiss, dass 
ausser mir noch vielen Anderen die Ischikawa’schen Figuren 
und die zugegebenen Erläuterungen unverständlich blieben. 

Da nach Weismann’s Holzschnitten die Tentakel aber in 
der That lagen, wo sie nach meiner Argumentation hätten liegen 
müssen, wenn der Polyp, wie wir jetzt wissen, sich wirklich in 
toto umgestülpt hatte, so ist damit dieser Punkt erledigt. 

Auf die Ischikawa’schen Figuren 19—30 geht Weis- 
mann nicht ein. Da an diesen Versuchsthieren sicher keine 
Rückstülpung im Sinne Ischikawa’s vorgekommen ist, und ich 
vor wie nach in denselben eine werthvolle Bestätigung des von 


mir zuerst beschriebenen Vorganges der‘ gleichzeitigen Rück- 


stülpung von verschiedenen Stellen her erblicke, so will ich dies- 
mal eingehender auf dieselben zurückkommen. 

Zuvor müssen wir jedoch an einem Handsehuhfinger als 
Modell untersuchen, welche Lageveränderungen für verschiedene 
Formen der Umstülpung charakteristisch sind, um aus diesen Be- 
trachtungen sichere Daten zu gewinnen für die Beurtheilung der 
stattgehabten Verlagerungen nach Ablauf eines Versuches am 
lebenden Polypen. 


Tafel XXVI, Figur 15. 


1) Ein Handschuhfinger, dessen eine Seite gegen das offene 
Ende zu mit einer Nadel von aussen nach innen durehbohrt und 
auf einer Unterlage befestigt ist, wird nach der Umstülpung vorn 
mit hinten vertauscht haben, d. h. das offene Ende wird jetzt da 
liegen, wo die geschlossene Fingerspitze zuvor gelegen hatte. 


ee DEF rg 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 523 


Die Nadel geht jetzt nicht mehr von aussen nach innen durch 
die durehbohrte Seite hindurch, sondern von innen nach aussen. 
Man kann dem Handschuhfinger seine frühere Orientirung mit 
Bezug auf die Längsaxe wieder geben, wenn man ihn 180° 
um die fixirende Nadel rotirt: dann liegt das offene Ende wieder 
genau so, wie vor der Umstülpung, aber die vorher sichtbare 
Nadel wird dem Beschauer jetzt durch die nicht durchbohrte 
Seite des Handschuhfingers verdeckt. Man kann weiter durch 
Rotation von 180° um die Längsachse des Fingers die Nadel 
‚zum grössten Theil wieder sichtbar machen. Dann ist der Hand- 
schuhfinger aber nicht mehr an der aufwärts gerichteten Wand, 
sondern an der unteren durchbohrt. Die Nadel bleibt bei dieser 
Rotation um die Längsachse des umgestülpten Fingers von innen 
nach aussen durchgestochen. 


Tafel XXVI, Figur 6—8. 


2) Führt man an einem Handschuhfinger durch die untere 
Wand von innen nach aussen eine Nadel durch und stülpt das 
blinde Ende durch das offene hindurch, so vertauschen wieder 
die beiden Enden der Längsachse des Fingers ihren Platz. Man 
kann aber jetzt, wenn die durchgesteckte Fingerspitze vor der 
völligen Durchstülpung gefasst und über den oberen Rand des 
offenen Endes vom Handschuhfinger in ihre alte Richtung zurück- 
geführt wird, durch einfaches Umklappen die beiden Enden trotz 
der Umstülpung wieder so lagern, wie sie vor der Umstülpung 
gelegen hatten. Die Nadel steckt aber jetzt in der oberen Wand 
des offenen Endes von aussen nach innen und der Finger hat 
seine obere Fläche mit der unteren vertauscht. 


Tafel XXVI, Figur 9—12. | 

3) Man kann aber auch an einem Handschuhfinger eime 
Nadel durch die obere und untere Wand hindurchstecken, den 
Finger also doppelt durchbohren, ohne dass die Möglichkeit ihn 
umzustülpen geschwunden wäre, sobald die Durchstechung nur 
seitlich genug liegt, um den durchzustülpenden Finger vorbeiführen 
zu lassen. Die Enden der Längsaxe vertauschen nach der Um- 
stülpung ihren Platz. Konnte man bei der Seitenansicht die 
durchgesteckte Nadel im Innern des vorderen Fingerendes sehen, 
so wird sie jetzt durch die nicht durchbohrte Partie des vorderen 


524 M. Nussbaum: 


Endes verdeckt. Man kann aber wiederum den Handschuhfinger 
durch Drehung von 180° um die Nadel mit Bezug auf sein blin- 


des und .offenes Ende so legen, wie vor der Umstülpung. Nur 


liegt jetzt die Nadel auf der dem Beschauer zugewandten Seite 
mit ihrem Mittelstück an der Aussenseite des Fingers, die Enden 
ragen aus der Lichtung hervor. 

Bei der voraufgehenden Schilderung ist die Nadel jedesmal 
senkrecht auf einer Unterlage befestigt gedacht; es ändert aber 
offenbar an dem Ganzen nichts, wenn die Nadel horizontal durch- 
gesteckt und in dieser Lage fixirt wäre. 

Es wäre also möglich, dass ein umgestülpter Polyp, der 
nach einer der vorbeschriebenen Arten mit einer Borste oder mit 
einem Draht durchbohrt wurde, sich zurückstülpe. Es muss dann 
aber abgesehen von der Umkehrung seiner Leibesschiehten auch 
vorn mit hinten vertauscht sein. Um diese Fälle handelt es sich 
aber gar nicht bei dem Umkehrungsversuch Trembley’s und 
der zugehörigen Erklärung. 

Auch der folgende Verlauf eines Umstülpungsversuches ge- 
hört nicht hierher. 


Tafel XXIX, Figur 1la und b. 


4) Rückt die durchbohrende Nadel weiter gegen das blinde 
Ende des Handschuhfingers zu, so tritt der von Weismann als 
die einzige Möglichkeit für die Rückstülpung eines doppelt durch- 
bohrten Polypen hingestellte Fall ein. Wie Fig. 11b der Taf. XXIX 
zeigt, wird die völlige Umstülpung des vorderen Endes durch die 
von der Nadel gefasste und zwischen den beiden Löchern gele- 
gene Partie gehindert. Die Nadel muss aus einem Loch zurück- 
gezogen werden, dann kann die völlige Rückstülpung wie in 
Fig. 3, Tafel XXVI stattfmden. In Fig. 11a ist das Ausgangs- 
stadium dieser Abart des Umkehrungsversuches dargestellt. Man 
gelangt zu dem Endstadium in Figur 11b derselben Tafel XXIX, 
wenn man den Handschuhfinger vom blinden Ende aus ein- und 
durchstülpt, 180 0 um die Nadel dreht und das blinde Ende nach 
abwärts klappt. Die Nadel ist horizontal durchgebohrt und in 
dieser Lage befestigt. 

Hier handelt es sich vielmehr um umgestülpte und durchbohrte 
Polypen, die während der von mehreren Stellen aus erfolgenden 
Rückstülpung durchbohrt bleiben und in Folge dessen die Characte- 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 525 


 zistiea der einfachen Um- oder Rückstülpung mit Bezug auf 
die Längsaxe nicht zeigen: d.h. um umgestülpte Polypen, die, 


wenn sie aussen statt des Entoderm ganz wie normale Polypen 
wieder Eetoderm zeigen, trotzdem die absolute Lage von Mund 
und Fuss im Raume nicht gewechselt haben. Es muss somit die 
Frage entschieden werden, ob ein an der einheitlichen Rück- 
stülpung von vorn nach hinten oder von hinten nach vorn gehin- 
_ derter umgekehrter Polyp lebensfähig sei, und auf welche Weise 
das Eetoderm wieder aussen zu liegen komme. 

Wir argumentirten nach der von Trembley gelieferten Be- 
schreibung, dass der von ihm umgestülpte und durchbohrte Polyp 
in Fig. 16, Taf. XI seines Buches zu dieser Kategorie gehörte. 
Er versichert uns, dass das Thier am Leben blieb, dass die innere 
Haut zur äussern sich umwandle. Somit ist nicht daran zu zweifeln, 
dass das Eetoderm an diesem auf der Borste verbliebenen Polypen 
wieder aussen lag. Von einer Rückstülpung berichtet Trembley 
Nichts. Wir machten dabei die Annahme, dass wenn eine Rück- 
stülpung vorgekommen wäre, sie von Trembley, der diesen Vor- 
gang in anderen Versuchen oft genug beobachtet hatte, nicht 
würde übersehen worden sein. Leider kann man keinen zwin- 
genden Beweis für diese Annahme beibringen, da es ein Ding 
der Unmöglichkeit ist, viele Stunden eontinuirlich zu beobachten, 
und Trembley dies auch sicher nicht gethan hat. Man könnte 
wegen der von Trembley gewählten Manier der Aufhängung des 
umgestülpten Polypen an einer Borste immerhin den Einwand 
machen, der Polyp habe sich doch in toto zurückgestülpt und sei 
späterhin durch Drehung um seine Queraxe zur anfänglichen Lage 
zurückgekehrt, d. h. Mund oben und Fuss unten bei der Trem- 
bley’schen Versuchsanordnung. 

Bei meinen Versuchen habe ich nun umgestülpte Polypen 
am Leben erhalten, die nicht durch einfache und einheitliche 
Rückstülpung ihre Leibesschichten umkehren konnten, so dass 
Eetoderm wieder aussen lag. Die Polypen meiner Versuche 
waren wirklich durch den durchgestossenen und senkrecht auf 
einer Platte befestigten Draht daran gehindert. 

Die Möglichkeit eines derartigen Experiments bestreiten 
Ischikawa und Weismann. Damit wäre der Trembley’sche 
Versuch aus der Welt geschafft und man müsste mit Ischikawa 
annehmen, dass ein an der einheitlichen, von Weismann in 


526 M. Nussbaum: 


seinen Holzschnitten erläuterten Rückstülpung gehinderter Polyp 
zu Grunde gehen müsse. 

Die Versuche Ischikawa’s, zu denen die Figuren 19—20 
und 26—30 gehören, wurden in meiner Kritik, wie oben erwähnt, 
gedeutet, wie ich meine eignen Versuche und den Versuch Trem- 
bley’s erklärt habe, und ich will jetzt ausführlicher an Isehikawa’s 
Figuren zeigen, dass ein Polyp doch am Leben bleiben kann, 


wenn er an der einheitlichen Rückstülpung gehindert und ge- 


zwungen ist, von zwei oder mehreren Stellen aus Rückstülpungen 
auszuführen. 

Wie oben auseinandergesetzt wurde, kann ein durchbohrter, 
umgestülpter Handschuhfinger nach der Rückstülpung nur durch 
Rotation um eine Queraxe, die mit der fixirenden Nadel zusam- 
menfällt, in seine ursprüngliche Lage mit Bezug auf sein offenes 
und blindes Ende zurückgebracht werden. 

In Ischikawa’s Versuchen, wo der umgestülpte Polyp auf 
dem Glasstäbchen verblieb, fiel aber das Fixirungsmittel in die 
Längsaxe der Versuchsthiere (l. ec. Figg. 19—30); es konnte somit 
keine Drehung der Thiere um eine Queraxe erfolgen. Lag des- 
halb das Mundende vor der Rückstülpung und nach derselben 
oben am Glasstab, so konnte dies keine einfache Rückstülpung 
nach Art eines Handschuhfingers sein, da ihr die Merkzeichen 
derselben fehlen. 

Die Ischikawa’schen Versuche eignen sich deshalb ganz 
besonders zum Nachweis, dass eine mehrfache, von verschiedenen 
Stellen aus getrennt erfolgende Rückstülpung an dem an einer 
einheitlichen Rückstülpung gehinderten Polypen möglich ist. Denn 
man kann auch ohne continuirliche Beobachtung eine einfache 
Rückstülpung in diesen Versuchen ausschliessen. 

Wählen wir für unseren Beweis die zum Versuch 17 gehöri- 
sen Fig. 21—25 der Ischikawa’schen Abhandlung aus. 

Ein Polyp war über ein Glasstäbchen umgestülpt und etwas 


unter seiner Leibesmitte von demselben Glasstäbehen durehbohrt } 


worden, so dass das tentakelführende vordere Ende das Glasstäb- 
chen einhüllte, das hintere Ende dagegen frei war. Nach Ischi- 
kawa’s Beschreibung und den beigefügten Abbildungen stülpte 
sich das hintere Ende zurück wie ein Handschuhfinger. Da nun 
gemäss Fig. 23 das blinde Fussende des zurückgestülpten hinte- 
ren Abschnittes wieder so lag wie in Fig. 21 und 22, d.h. wie 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 527 


_ vor der Rückstülpung, so muss dieser Theil eine Drehung um 
seine Queraxe vollzogen haben und der Eingang zu seinem Inne- 
ren von der dem Beschauer zugewandten auf die entgegengesetzte 
Seite gerückt sein. (Vgl. auf Seite 522 die Auseinandersetzung über 
_ die Umstülpung eines einseitig am offenen Ende durchbohrten 
— Handschuhfingers Absatz 1); ebenso Taf. XXVI, Fig. 1—5). Am 
- tentakelführenden Ende erschien gleichzeitig mit der Rückstülpung 
des vorhin betrachteten Theiles das Eetoderm wieder auf der 
Aussenfläche; die Rückstülpung erfolgte aber nicht wie beim 
hinteren Ende, da die Tentakel in ihrer Lage verharrten und eine 
Drehung um die Queraxe durch die Versuchsanordnung ausge- 


 sehlossen ist. 


An diesem vorderen Abschnitt erfolgte eine Rückstülpung 
der Leibesschiehten vom Mundrande und von der in der Mitte 
des Körpers gelegenen Wundfläche her, die zur Verwachsung 
führte, wie Ischikawa in seiner Tafelerklärung auf Seite 458 
(Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. 49) selbst angiebt. „Der freie 
Rand des Körpers mit a bezeichnet schob sich weiter nach oben 


zu und wuchs endlich mit dem freien Rande des Mundes zusammen.“ 


Hätte Ischikawa den in Fig. 30 (l.e.) dargestellten Poly- 
pen in feine Schnitte zerlegt und ebenso das tentakelführende 
Ende statt des Fussstückes aus Fig. 25, so würde er gewiss 
Bilder erhalten haben, die ihn mit meiner Erklärung des Trem- 
bley’schen Versuches mehr befreundet hätten. In solchen Prä- 
paraten würde innen und aussen Ectoderm gelegen haben, da- 
zwischen Entoderm. Eetoderm und Entoderm wären durch die Stütz- 
lamelle mit einander verbunden gewesen. Um kein Missverständ- 
niss aufkommen zu lassen, soll die Schichtfolge von einer Seite eines 
Querschnittes solcher Polypen bis zur andern hier aufgezählt wer- 
den: Eetoderm, Stützlamelle, Entoderm, Stützlamelle, Eetoderm; 
Loch, wo die Borste gelegen hatte; Eetoderm, Stützlamelle, En- 
toderm, Stützlamelle, Eetoderm. 

Das könnte man an einem aus der Umstülpung zur normalen 
Lagerung des Eetoderm durch einfache uncomplieirte Rückstül- 
pung zurückgekehrten Polypen nicht finden. Das Fussende der 
Fig. 25 (Tafel 18 der Ischikawa’schen Abhandlung) ist durch 
_ einfache Rückstülpung zur normalen Lage zurückgekehrt: dess- 
halb bietet der Schnitt in Figur 68, Tafel XX 1. e. Nichts zur 
Erklärung des Trembley’schen Versuches. 


528 M. Nussbaum: 


Das vordere Ende dagegen hat sich vom Mundrande und 
der Wundfläche aus gleichzeitig und in entgegengesetzter Rich- : 
tung, vom Mundrande von vorn nach hinten, vom Wundrande 
von hinten nach vorn zurückgestülpt, bis beide Ränder mit ein- 
ander verwachsen konnten. 

Das ist aber genau dasselbe, was ich von der Verheilung 
der vom Mundrande und den Wundöffnungen meiner Versuchs- 
thiere her vorkriechenden freien Ränder gesagt habe. 

Es ist somit möglich, einen umgestülpten Polypen am Leben 
zu erhalten, der an der einheitlich vom Mund zum Fuss oder vom 
Fuss gegen den Mund zu erfolgenden Rückstülpung gehindert ist, wie 
dies Fig. 47 meiner früheren Abhandlung zeigt. An diesem Po- 
Iypen liegt das Eetoderm wieder aussen; der Polyp lebt und ist 
vor wie nach von einer Borste quer durchbohrt. Er kann sich 
somit nicht in der Art, wie Weismann sie in seinen Holz- 
sehnitten illustrirt hat, zurückgestülpt haben. Ueberdies war an 
meinem Polypen die absolute Lage von Mund und Fuss vor und 
nach der Rückstülpung dieselbe, was gleichfalls unmöglich wäre, 
wenn der Polyp sich einfach vom Fuss durch das Innere hindurch 
zurückgestülpt hätte. Ich begnüge mich vorläufig mit dem bis- 
hierher geführten Beweise, um im zweiten Abschnitt ausführlich zu 
zeigen, dass neben der von Weismann als der einzig möglich hinge- 
stellten Art der Rückstülpung noch eine Reihe anderer vorkommt. 

Ob dabei, wie Weismann als unbedingt nothwendig vor- 
aussetzt (l. ec. pag. 630) eine mehrfache Zerreissung des ganzen 
Polypen sich ereignen müsse, wollen wir im zweiten Abschnitt 
an einem Handschuhfinger als Modell prüfen. Am Handschuh- 
finger sind die von Weismann bezweifelten Formen der Rück- 
stülpung, wie ich im Voraus bemerken will, ohne irgend welche 
Zerreissung angängig. Es dürfte also wahrscheinlich sein, dass 
der ceontractile und zugleich stark dehnbare Polypenleib ohne 
Schaden einen Vorgang vollziehen könne, der ohne Zerreissung 
am Handschuhfinger vorzunehmen ist. _ | 

Weismann bildet zwar einen mit zwei Borsten kreuzweise 
durchbohrten Polypen ab, der einen Tag nach der Umstülpung 
zu Grunde ging. Man wird sich doch wohl hüten müssen, einen 
Versuch mit negativem Erfolge für einen Beweis gegen die Mög- 
lichkeit eines andern Versuches mit positivem Ergebniss zu hal- 
ten. Bei Trembley’s, meinen eigenen Versuchen, den Versuchen 


| 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpüngsversuches. 529 


a Ischikawa’s sind viele umgestülpte, undurchbohrte oder durch- 
 bohrte Polypen zu Grunde gegangen, andere haben sich zu viel- 


wi, 


_köpfigen Hydren umgestaltet. Sehr viele Experimentatoren haben 


vergeblich den Versuch angestellt. Giebt das ein Recht zu sagen, 
die Möglichkeit, ein umgestülpter und an der einfachen totalen 
_ Rückstülpung gehinderter Polyp könne am Leben bleiben, sei 


ausgeschlossen ? 
Nun noch ein Wort zur „heimlichen“ Rückstülpung. Da ich ge- 
sehen hatte, dass die Verlagerung des Ecetoderm auf die Aussenseite 


- eines umgestülpten gefesselten Polypen in dem Umschlag der Leibes- 


schiehten vom Mund und den Wundrändern her beruhe, dass die 
gewöhnliche Umstülpung nach dem Schema des umgestülpten 
Handschuhfingers aber ausbleibe, so nannte ich die modifieirte 
Umstülpung, die in diesen Fällen nicht am lebenden Thier, sondern 
erst an den feinen Schnitten durch die gehärteten Versuchsthiere 
erkannt werden kann, eine heimliche. Durch dieses Wort wurde 
in einfachster Form ausgedrückt, dass auch bei dem ächten 
Trembley’schen Versuch das Wiedererscheinen des Ectoderm auf 
einer Umstülpung beruhe, die aber dem geschickten Experimen- 
tator Trembley verborgen bleiben musste, weil sie am lebenden 
Thier nicht augenfällig verläuft. Es war somit nicht allein die 
Möglichkeit des Versuchs, sondern auch der Grund dafür ange- 
geben worden, wie Trembley zu seiner Theorie von der Ver- 
wandlung von Entoderm in Eetoderm kommen konnte, ja kommen 
musste. Zu seiner Zeit war es absolut unmöglich, in den Vor- 
gang dieser Form der Rückstülpung tiefer einzudringen, und am 
lebenden Thier ist von einem ohne Weiteres mit dem Vorgang 
der Umstülpung oder Rückstülpung vergleichbaren Vorgange nichts 
zu sehen. 

Auch für Ischikawa ist die Rückstülpung bei dem ächten 
Trembley’schen Versuch eine „heimliche“ geblieben, da er die- 
sen Versuch gar nicht angestellt hat. Der ächte Trembley’sche 


"Versuch setzt voraus, dass ein umgestülpter Polyp sich zurück- 


stülpe und dabei von der Borste quer durchbohrt bleibe. 

In meiner früheren Abhandlung schloss ich, das Wiederer- 
scheinen des Eetoderm auf der Oberfläche eines umgestülpten 
und quer durchbohrten Polypen erfolge durch den Umschlag der 
Leibesschichten, weil ich an Schnitten durch die gehärteten 
Versuchsthiere gesehen hatte, dass unter dem Eetoderm in, allen 


530 M. Nussbaum: 


Fällen auch die Stützlamelle liege. Selbstverständlich folgte unter 
der Stützlamelle Entoderm. Ob dies aber zu dem darüber liegenden : 


Eetoderm gehöre, konnte nicht in allen Fällen nachgewiesen wer- 


den. Dazu hätte gehört, dass wie beim normalen Polypen die 


Kerne des Entoderm an den umgeschlagenen Stellen überall 
der Stützlamelle anlagen, dass überall ein deutliches Lumen 
zwischen den einander zugewandten Entodermzellen der zurück- 
gestülpten und der noch nicht zurückgestülpten Leibeswand 
sichtbar gewesen wäre, und dass man in diesem Lumen 
die Cilien auf den Köpfen der Entodermzellen hätte erken- 
nen müssen. Da aber die Contraction der Theile eine so 
grosse ist, dass die Entodermzellen, an den meisten Umschlag- 
stellen dicht aneinandergepresst, ihre normale Gestalt total ver- 
ändert haben und kein Zwischenraum die zu der einen Schicht 
gehörige Reihe von der andern trennt, so konnte ich nicht mehr 
als die Annahme machen, es schlage sich mit dem Eetoderm und 
der Stützlamelle auch das Entoderm an den bezeichneten Stellen 
um. Zu beweisen war dies nur an einigen günstigen Partien 
weniger Schnitte. Um keinem Zweifel Raum zu geben über die 
Art, wie ich zu dem Schluss gekommen war, das Wiederscheinen 
' des Eetoderm auf der Oberfläche umgestülpter Polypen sei durch 
Rückstülpungsvorgang bedingt, hob ich hervor, dass man zu der 
Annahme gezwungen sei, mit dem Eetoderm und der Stützlamelle 
schlage sich gleichzeitig das Entoderm um. Von dem Eetoderm 
war dies schon am lebenden Thiere zu beweisen, von der Stütz- 
lamelle an den mikroskopischen Schnitten, aber selbst an den 
Schnitten vom Entoderm nicht immer. 

Macht man eine Annahme, so leitet man nur aus der Ana- 
logie den Schluss ab. Die Analogie war durch die günstigen 
Schnitte, an denen der Umschlag der Leibesschichten wirklich 
gesehen worden war, gegeben. Der allgemeine Schluss war be- 


rechtigt, weil kein zwingender Grund vorlag, nach den weniger 


günstigen Schnitten die Erscheinung anders zu deuten, als ich” 


es gethan habe. 
Die auf Seite 634 und 635 folgenden Auseinandersetzungen 


Weismann’s, der Kampf mit dem „proteusartigen Gegner“, sind 


durch das von mir vorhin vorgebrachte Beweismaterial erledigt. 
Es ist sicher, dass Ischikawa meine Erklärung nicht ge- 


kannt hat; denn sonst würde er die von mir als unrichtig be- 


ET N ae 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsverstiches. 531 


zeichnete Meinung nicht noch einmal mit dem Aufwand von drei 


 Holzsehnitten (siehe pag. 452 der Abhandlung Ischikawa's, 


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Zeitschr. für wissensch. Zool. Bd. 49) bekämpft haben. Wäre 


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ihm meine Erklärung bekannt gewesen, so hätte er sich sicher 
ebenso gut damit befasst, als mit einer, die ich selbst verwerfe. 
Dem Leser seiner Bemerkungen gesteht Weismann, dass 


wenn ihm auch die ganze Nussbaum’sche Abhandlung nicht 
_ mehr im Gedächtniss war, er sich doch sehr gut erinnerte, dass 
_ dort fortwährend von einem „Herauskriechen“ der im Inneren 


- des umgestülpten Polypen liegenden Eetodermzellen „aus den 
 Stichöffnungen“ der fixirenden Borste und vom Mundrand her die 


Rede sei. 
Wenn Weismann sich nur dieser Worte erinnerte, so 
konnte dies auch auf eine Erinnerung an ein Referat im Biolo- 


gischen Centralblatt Bd. VI, pag. 571!) zurückgehen und eher 


noch als auf meine Abhandlung; da in der Abhandlung auch von 


Umstülpung der Leibesschichten die Rede ist. 
Die betreffende Nummer des Biologischen Centralblattes 
(Bd. VI, No. 18) datirt vom 15. November 1886 und enthält ein 


sinn- und wortgetreues Referat meines in der zoologischen Section 


der Naturforscher-Versammlung in Berlin im Herbst 1886 gehal- 
tenen Vortrages über die Umstülpung der Polypen. 

In Berlin beschrieb ich die Veränderungen, “die an lebenden 
umgestülpten Polypen zu sehen sind: das Eetoderm kriecht vom 
Mundrande und den Durchbohrungsstellen her bis zur völligen 
Umwachsung des vom Draht gefesselten umgestülpten Polypen 
vor. Ob die zu den betreffenden Partien des Eetoderm zugehörige 
Stützlamelle mit dem Entoderm sich mitumklappe, konnte ich nicht 
sagen, da die Antwort auf diese Frage erst nach einer genauen 
mikroskopischen Untersuchung feiner Schnitte durch meine ge- 
härteten Versuchsthiere gegeben werden konnte. Dies ist m 
meiner ausführlichen Abhandlung geschehen. Das Bioiogische 
Centralblatt hat aber über meine im Jahre 1887 erschienene Ab- 
handlung kein Referat gebracht. 

Als nun Weismann meine Abhandlung nach dem Er- 
scheinen meiner Kritik gelesen hatte („Sehe ich jetzt die Abhand- 
lung nach“ pag. 629 d. Arch. Bd. 36), übersah er, dass die beiden 


1) Von Weismann auch auf pag. 636 seiner Bemerkungen eitirt, 


539 M. Nussbaum! 


in der Abhandlung vorgetragenen Meinungen nicht gleiehwerthig 
seien. Die erste lautete }): 

„Da man nun das allmähliche Vorwärtsschieben des fertigen 
Eetoderm von den Punkten aus, wo ein einfaches Ueberwandern 
möglich ist, direct unter dem Mikroskop verfolgen kann, so könnte 
man glauben, das Ectoderm vollziehe diese Wanderung ganz allein.“ 
Spricht schon die Fassung des Satzes dafür, dass ich es nur 
für möglich halte, man könnte zu dieser Ansicht kommen, so 
sagt doch der folgende Satz: „Das ist aber nicht richtig“ deut- 
lich genug, dass ich persönlich diese Ansicht nicht theile. 

Ebenso bestimmt, wie ich die vorhin besprochene Möglich- 
keit einer Erklärung zurückgewiesen habe, gebe ich am Schlusse 
der Schilderung des mikroskopischen Befundes an feinen Schnit- 
ten durch gehärtete Versuchsthiere die Erklärung, an der ich 
auch festhalte ?): 

„Die bei der Restitution eines umgestülpten und gefesselten 
Polypen auftretenden Vorgänge haben nichts Besonderes und von 
anderweitig Bekanntem Abweichendes; sie bestehen im Umschlagen 
der verwundeten Theile, so dass Eetoderm wieder aussen liegt; 
in der Resorption der nicht weiter lebensfähigen Elemente und 
in dem Ersatz des Abgängigen durch Zelltheilnng und Neu- 
bildung.“ 

Die irrige Vorstellung Trembley’s, der auch die Regene- 
ration kleiner Stücke der Leibessubstanz zu ganzen Polypen in 
unzutreffender Weise erklärte, hatte ich durch den Nachweis be- 
seitigt, dass sowohl bei der Restitution umgestülpter Polypen, 
als auch bei der Regeneration aus kleinen Stücken die Leibes- 
schichten bis zur Verwachsung sich einander zuwenden und dass 
bei diesen Vorgängen, möge man die Thiere oder die Stücke 
lagern wie man wolle, das Eetoderm stets nach aussen zu liegen 
komme. 

Ich muss somit dabei beharren, dass Trembley umgestülpte 
und mit einer Borste durchbohrte Polypen am Leben erhalten, 
dass Nussbaum das Wiedererscheinen des Eetoderm auf der” 
Aussenfläche der quer mit der Borste durchbohrt bleibenden Ver- 
_ suchsthiere durch die vom Mundrand und den Stichöffnungen her 


1) Dieses Archiv Bd. 29, pag. 343. 
2) Dieses Archiv Bd. 29, pag. 347. 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. H38 


olgende gleichzeitige Rückstülpung erklärt hat. An der Rück- 
 stülpung nicht durchbohrter oder schlecht durehbohrter Polypen 
‚hatte Niemand gezweifelt. 
Der von Weismann reprodueirte Versuch Ischikawa’s 
t kein Trembley’scher Versuch, da der Polyp bei der Rück- 
stülpung sich zum Theil von der Borste befreite, und Mund und 
Fuss ihre absolute Lage im Raum veränderten. 
A Die von Isehikawa gegebene Erklärung seines Versuches 
geht auf directer Beobachtung, ist aber nicht neu. Sie ist eine 
Bestätigung der Nussbaum’ a Ansicht, dass das Wiederer- 
€ scheinen des Eetoderm auf der Oberfläche umgestülpter Polypen 
nieht in einer Umwandlung, sondern in einer Umlagerung bestehe, 
_ eim Rückstülpungsvorgang sei. 
| Die von Weismann aufgestellte Behauptung, ein umge- 
 stülpter Polyp könne sich nicht vom Mundrande und der Stich- 
öffnung her zugleich zurückstülpen, kann nicht allein aus der Ar- 
_ beit Nussbaum’s, sondern auch aus der Arbeit Ischikawa’s 
_ widerlegt werden. 
| Wir wenden uns nun mit Weismann zu dem zweiten 
Punkte, die „intermediären Zellen“ anlangend. Da, wie Weismann 
zugiebt, Ischikawa mir hier etwas zugeschrieben hat, was meine 
Meinung gar nicht ist, so soll Ischikawa zwar etwas unvorsich- 
tig gewesen sein, aber wiederum nothgedrungen zu seiner Ansicht 
- über meme Meinung gekommen sein, wie gelegentlich der Erklä- 
rung des Umstülpungsversuches. Dieser zweite Punkt der Weis- 
_ mann’schen Bemerkungen betrifft die Regeneration von Polypen 
_ aus abgeschnittenen Tentakeln. In den Tentakeln der Hydren 
kommen im Ectoderm die von mir intermediäre Zellen genannten 
Bildungszellen nicht vor. Im Entoderm der Tentakeln fehlt die 
zweite Art von Drüsenzellen. Die Basis der Tentakel, der eigent- 
- Jiehe Mundring, hat beides. 

Eine Reihe von Beobachtern hat aus abgeschnittenen Ten- 
takeln der Hydren keine neuen Thiere züchten können. 

Nun sagte ich bei der Beurtheilung der positiven Ergebnisse 
Engelmann’s, pag. 332: 

„Man müsste die Annahme machen, dass aus der einen Art 
von Entodermzellen der Arme sich auch die andere bilden könne. 
um den fehlenden Magentheil zu ersetzen.“ 

2 Es hätte also Ischikawa weder zu vermuthen noch zu 


Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37 35 


R 


994 M. Niussbaum! 


schliessen brauchen, ieh mache die Annahme, dass sich Entoderm 
aus intermediären Zellen bilde. - | 

Weismann fährt dann in seinen Bemerkungen fort: 

„Wenn doch, wie Nussbaum glaubt, die Entodermzellen 
des Tentakels die andern Entodermzellen des Magentheils nicht 
hervorbringen können, intermediäre Zellen aber an der Tentakel- 
basis vorkommen, müssen dann nicht diese letzteren nach N uss- 
baum die sonst nicht hervorzubringenden Magen-Entodermzellen 
bei der Regeneration gebildet haben? Mir schemt dieser Schluss 
logisch unabweisbar.“ 

Darauf ist zu antworten, dass dieser Schluss gar nicht lo- 
sisch ist; da an den zur Regeneration fähigen Tentakelbasen 
nicht allem intermediäre Zellen im Eetoderm, sondern auch beide 
Zellenarten im Entoderm vorkommen. 

Nun soll ich heute, nachdem Isehikawa’s Versuche ver- 
öffentlieht worden sind, meine Meinung klar und bestimmt dahim 
ausgesprochen haben, dass zur Regeneration eines ganzen fort- 
pflanzungsfähigen Polypen mindestens eine Eetoderm-, eine Ento- 
derm- und eine Zelle des intermediären Keimlagers nöthig seien. 
„Aber — fährt Weismann fort pag. 637 — warum sprach er 
sich nicht schon in seiner Arbeit 1887 so verständlich aus, wie 
in diesem Satz?“ Ich glaube dies gethan zu haben und eitire 
von pag. 322 des XXIX. Bds. d. Arech.: 

„Wir werden zeigen können, wie durch die definitive Ar- 
beitstheilung in Form einer strengen Sonderung von Entoderm 
und Eetoderm zur Reproduction eines Ganzen nieht einmal mehr 
eine Entoderm- und Eetodermzelle zusammengenommen oder Theile 
von ihnen genügen, sondern wie zur Ergänzung des Ganzen nun- 
mehr schon indifferente Zellen erforderlich sind, die unter Umständen 
auch zu Geschlechtsprodukten sich heranbilden“ und von pag. 332: 

„Die Regeneration eines Armes zu einem ganzen Polypen 
schliesst stillschweigend die Annahme in sich ein, dass derselbe 
auch fructifieiren, Knospen und Gesehleehtsprodukte bilden könne. ; 
Dazu sind aber die indifferenten intermediären Zellen unerläss- 
lich. Es müsste sich somit aus völlig charakteristisch gebildeten 
Muskel- oder Nesselzellen dies Keimlager [die intermediären Zel- 
len, die den Tentakeln fehlen, sind gemeint Ref.] rückläufig resti- 
tuiren können; an dieser Annahme wird man aber vorläufig 
einigen Anstoss zu nehmen nicht umhin können.“ 


| 
; 
| 
| 
| 
| 


f andersetzung über die mögliche Ursache des Erfolges und Nicht- 
 erfolges bei der Züchtung von Polypen aus abgeschnittenen Ten- 


% 


Pr 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 535 


| Die in den Bemerkungen Weismann’s folgende Ausein- 


 takeln sprieht deutlich dafür, dass zwischen meiner Theorie von 


der eontinuirliehen Abstammung durch die Geschlechtszellen und 


\ 


_Weismann's Lehre von der Continuität des Keimplasmas eine 


grössere Verschiedenheit besteht als man nach unseren ersten Pub- 


 lieationen !) über diesen Gegenstand hätte erwarten sollen. Wenn 


die Grösse der Tentakel, wie Weismann annimmt, die Ursache 


sein sollte, dass trotz des Mangels an intermediären Zellen in den 


-_ 


Pr 


Tentakeln — wir dürfen das Entoderm bei dieser Frage ausser 
Acht lassen, da sich bei den Hydren des süssen Wassers .die 
Geschlechtsprodukte aus den intermediären Zellen des Ectoderm 
entwickeln —, wenn also ohne die intermediären Zellen ein ab- 
geschnittener Tentakel zum ganzen fortpflanzungsfähigen Polypen 
auswachsen könnte, so wäre damit der Beweis geliefert, dass aus 
einer Nessel- oder Muskelzelle sich Samen und Eier bilden könn- 
ten, was ich noch immer zu bezweifeln mir erlaube ?). 

Wenn freilich alle Körperzellen auch Keimplasma entbalten, 
so ist der Zweifel an der von mir bestrittenen Möglichkeit be- 
seitigt. Dann wäre es aber nicht nöthig, die Geschlechtszellen so 
früh auszusondern, als wir für viele Thiere bis jetzt nachgewiesen 
haben; die ganze Mechanik der Keimblätterbiklung durch die 
Gastrulation wäre überflüssig, die Bildungsgeschichte des Auges 
unverständlich, wenn eben aus Allem Alles werden könnte. 

Die Frage nach der Möglichkeit der Regeneration eines 
Polypen aus abgeschnittenen Armen, in denen sich nur eine Zel- 
lenart im Entoderm, und im Eetoderm keine intermediären Zellen 
finden, ist noch ebenso unentschieden, als ich sie 1887 lassen 
musste; sie bleibt es, bis durch das Experiment die Abwesenheit von 
intermediären Zellen im Eetoderm abgeschnittener regenerations- 
fähiger Polypenarme nachgewiesen ist und die Bildung einer 
zweiten Form von Entodermzellen aus der in den Tentakeln aus- 
schliesslich vorhandenen Form beobachtet wurde. 


1) Vgl. dieses Archiv Bd. XVIII vom Jahre 1880, pag. 112 u. 113. 
— Weismann, Ueber die Vererbung. Ein Vortrag. Jena, 1883, 
pag.57 und 58. 

2) Auf die Einwände, die in neuerer Zeit auch O. Hertwig 
gegen meine Theorie erhoben hat, werde ich an einer anderen Stelle 
näher eingehen. 


536 M. Nussbaum! 


‚Il. 


Eine nochmalige Beschäftigung mit dem Umkehrungsversuch 


an Hydra grisea während der beiden ersten Monate dieses Jahres 
hat mir die Veranlassung geboten, genau darauf zu achten, worin 
die Schwierigkeiten des Versuches begründet seien, und an 
welchen Etappen seiner Ausführung am leichtesten ein Misslingen 
desselben stattfinden kann. Der Beschreibung der einzelnen Ver- 
suche soll deshalb eine Schilderung der Methodik und eine An- 
weisung voraufgehen, am Handschuhfingermodell den Vorgang der 
Um- und Rückstülpung nachzuahmen. 


Methodik. 


Gehalten werden die Polypen in grossen, mit Wasserpflanzen 
gut besetzten Aquarien. Die von mir in diesem Jahre benutzten 
Thiere sind alle einem solehen Aquarium entnommen, das im 
Jahre 1885 mit Polypen besetzt worden war. Schwankungen 
erheblicher Art im Salzgehalt des Wassers haben dem Bestand nicht 
geschadet. Ausgetrocknet ist das Aquarium freilich nieht gewesen. 

Man kann die Umstülpungsversuche, wie ich neuerdings 
gefunden habe, an grossen und kleinen Polypen anstellen; nur 
muss man die zum Umstülpen und zur Durehbohrung benutzten 
Borsten entsprechend auswählen. Namentlich bei der von Ischi- 
kawa eingeführten Modification des Trembley’schen Versuches 
hängt das ganze Gelingen von der Dicke der Borste ab. Vor 
allen Dingen darf man nur solche Borsten auswählen, an denen 
der vertrocknete Rest der Haarbalgtasche erhalten und diese basale 
Partie ganz gerade ist. Man weicht das stumpfe Ende mit der 
Haarbalgtasche in Wasser auf und reibt mit einem feinen Tuche 
gut ab, bis alle Fetzen glatt entfernt sind. Unterlässt man das 
vorherige Aufweichen, so quillt die Haarbalgtasche während des 
Versuches selbst und führt Zerreisungen herbei. 

Der Polyp wird mit dem Fuss nach rechts gewandt in einem 
Wassertropfen auf eine Kautschuk- oder schwarze weiche Wachs- 
platte gelegt und so lange mit dem stumpfen Ende der ge- 
reinigten Schweineborste betupft, bis er Napfform angenommen 
hat. Jetzt wird der Wassertropfen mit Fliesspapier abgesaugt, bis 
er so weit abgeflacht ist, dass er den zusammengezogenen Polypen 


E 
2 


EN PB een ER EREFNELER 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 537 


nur eben bedeckt. Die Procedur ist insoweit wichtig, als der 
Polyp dadurch relativ fest gelegt wird; nur muss man sich hüten, 
zuviel Wasser abzusaugen, weil sich sonst der Polyp abflacht und 
an seiner oberen Wand in störender Weise das Licht refleetirt. 

Hierauf folgt die Umstülpung, wobei man rasch und sicher 
vorgehen muss, da bei längerem Verweilen der Fuss sich an der 
Borste festsaugt und dadurch das Gelingen des Versuches ge- 
fährdet wird. Man kann alsdann auch in vortheilhafter Weise 
den Versuch so abändern, dass man den umgestülpten Polypen 
beim Zurückschieben von der Borste nicht mehr am Fussende, 
_ wie ich dies früher angegeben habe, mit der Pineette leicht zu 
fassen braucht; da der Fuss bei schneller Ausführung der Um- 
stülpung gar nicht Zeit gehabt hat, sich an der Borste festzu- 
saugen, also anch nicht durch Zug davon entfernt zu werden braucht. 

Man schiebt mit der rechten Hand die Borste, genau das 
Centrum des Fusses fassend, gegen die Mundöffnung vor und 
hält mit der Linken eine glattarmige feine Pincette wider die 
Tentakel, dieht in der Umgebung des Mundes. Dann schlüpft 
alsbald die Borste mit dem umgestülpten Polypenleib durch die 
Pincette hindurch. Zieht man jetzt die Borste aus dem Innern 
des Polypen hervor, während man mit der Pincette einen leichten 
Gegendruck von der Mundöffnung des Polypen her ausübt, so 
hat man die Umstülpung ohne jede Verletzung ausgeführt. 

Zur weiteren Durehführung des eigentlichen Trem bley’schen 
Versuches muss nunmehr der Polyp mit einer Borste quer durch- 
bohrt werden. ‘Dabei zeigte sich für die Anwendung einer 
Schweinsborste die Benutzung einer weichen schwarzen Wachs- 
tafel vortheilhafter als die Kautschukplatte, die nur bei der 
Durehbohrung mit Silberdraht zulässig ist. Die Borste darf nur 
kurz sein und muss in einem Winkel von 45—60° durchgestossen 
werden, weil die senkrechte Anbringung derselben der mikro- 
skopischen Beobachtung in auffallendem Licht hinderlieh ist. 

Um die äusserlich sichtbaren Veränderungen an dem umge- 
stülpten und quer durchbohrten Polypen unter dem Mikroskop 
bequem verfolgen zu können und gleichzeitig über die Lagerung 
von Mund und Fuss vor und nach der Rückstülpung gut orientirt 
zu sein, bringt man den, soweit wie angegeben, hergerichteten 
Polypen in eine Glasdose, die folgendermaassen beschaffen und 
in nachstehender Figur abgebildet ist. 


38. M. Nussbaum: 


Eine Glasdose von 4 cm Durchmesser, 1,5 em Höhe. mit 
einem auf dem Boden und nach einer Seite hin befestigten Klötz- 
chen von weichem schwarzen Wachs wird bis zur Höhe des 
Klötzehen mit Wasser gefüllt und mit Wasserpflanzen besetzt, die 
in der Verlängernng der Längsaxe des Wachsklötzehen eine freie 
Gasse lassen. Der Polyp wird von der Platte, auf der er vor- 
läufig durchbohrt festhaftete, durch Zug an der Borste in die 
Höhe gehoben und die Borste auf dem Klötzchen. des Glaseylinders 
nicht wieder so tief eingestossen, als vorher, damit der untere 
Wundrand nicht fest auf der Unterlage aufliege, und eine Rück- 
stülpung von dieser Stelle aus nicht gehindert werde. 

Zum Schluss giesst man noch soviel Wasser aus dem Aqua- 
rıum, aus dem der Polyp genommen wurde, in die Dose, bis der 
Polyp mit einer Imm dicken Wasserschicht bedeckt ist. 

Ueber das Ganze wird, wenn man nicht gerade unter dem 
Mikroskop beobachtet, ein passender Glastrichter gestülpt, der 
vor Staub und rascher Verdunstung schützt. Die Vorrichtung 
darf nieht von der Sonne beschienen werden, da die Versuchs- 
thiere sonst in dem erwärmten Wasser absterben. 

Die von Isehikawa eingeführte Modifikation des Trem- 
bley’schen Versuches habe ich zum Zweck der direeten Be- 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 539 


obachtung und der Orientirung über die Lageveränderung von 
Mund und Fuss in folgender Weise ausgeführt. 

Der Polyp wird in der vorhin angegebenen Weise umgestülpt; 
diesmal aber mit einer Borste, die diek genug ist, um das Innere 
‚des Polypen ganz auszufüllen. [Ist die Borste zu dünn, so stülpt 
sich der Polyp nieht von beiden Seiten, sondern nur von einer 
zurück, der Versuch gehört alsdann nicht in die Categorie des 
 Trembley’schen, da der Polyp nicht an der gewöhnlichen 
Rückstülpung gehindert wird.| Man schneidet mit einem feinen 
_ Lanzenmesser die Gegend des Fusses über dem stumpfen Ende 
der Borste ein und schiebt vorsichtig den Polypen eine kurze 
_Streeke über die Borste hin vor. Um ein Abgleiten des Fusses 
zu hindern, wird an das stumpfe Ende der Borste eine kleine 
Wachskugel angeschmolzen, die Borste mit dem aufsitzenden um- 
gestülpten und am Fussende von der Borste durchbohrten Polypen 
horizontal in die freistehende Schmalseite des Wachsklötzehen der 
Glasdose eingelassen. Man erreicht dies am einfachsten dadurch, 
dass man mit einem heissen Draht eine Rinne in das Wachs- 
klötzehen einschmilzt und die Borste mit ihrem Treien Ende in 
das verflüssigte Wachs bringt. Dann wird Wasser nachgefüllt, bis 
der Polyp bedeckt ist. 

Soll der Versuch abgebrochen werden, so hebt man die 
horizontal befestigten Polypen mit ihrer Bortse aus der Glasdose 
heraus und tödtet sie mittelst aufgespritztem absoluten Alkohol, 
den man alsbald durch 50 °/, Alkohol ersetzt, um erst von dieser 
Concentration aus die Vorbereitung für die Zerlegung in feine 
Schnitte ausgehen zu lassen. 

Bei der Vorbereitung der quer durchbohrten Polypen für das 
Mikrotom saugt man, sobald die Beobachtung am lebenden Thier 
zu Ende geführt ist, soviel Wasser ab, bis der Polyp nur noch 
in einem kleinen Tropfen auf dem Wachsklötzchen in der Glas- 
dose daliegt, spritzt "Alkohol auf, der das T'hier sofort abtödtet 
und durch Mischung mit dem in der Dose verbliebenen Wasser 
soweit verdünnt wird, dass keine Schrumpfung des Präparates ein- 
tritt. Alsdann wird die Borste mit dem Polypen von der Unter- 
lage herausgehoben und das Präparat völlig entwässert. 

Zur Entfernung der Borsten, die bis vor dem Eimlegen in 
die Einbettungsmasse im Polypen stecken bleiben, muss man das 
längere Ende dicht am Polypen mit einer starken, gut schliessenden 


540 M. Nussbaum: 


Pincette fest fassen, das andere Ende der Borste mit einer Scheere 
dieht am Polypen durchschneiden und diesen selbst von der Borte 


abstreifen. Hält man beim Schneiden die Borste nicht ganz fest, 


so wird durch die Elastieität der Borste der gehärtete Polyp fort- 
geschnellt.. An diesem Punkte scheint mir die Gelegenheit, den 
ganzen Versuch zu verderben, am ehesten gegeben zu sein; doch 
wird man bei genauer Befolgung der gegebenen Vorschrift gute 
Resultate erzielen und die Polypen von der Borste befreien, ohne 
dass auch nur eine Zelle dabei verloren gegangen wäre. 
Besondere Vorsicht erfordert auch das Einschmelzen in 
Paraffin, wenn man eine gewünschte Schnittrichtung mit Sicher- 


heit einhalten will. Einfacher ist dies beim Einbetten in Celloidin; - 


nur ist die Methode langwieriger. 


Der Umkehrungsversuch am Modell. 


In dem ersten Theil dieser Abhandlung wurde schon gezeigt, 
dass man einen quer durchbohrten Handschuhfinger völlig um-, 
oder, wenn man will, zurückstülpen kann, ohne dass er die Nadel 
verlässt, wenn diese nur nahe genug der Oeffnung quer durch- 
gestossen ist (siehe Tafel XXVI, Fig. 9—12). Selbstverständlich 


müssen dabei die Lagen des blinden und offenen Endes vertauscht 


werden; wo früher die Oeffnung lag, liegt nach der Umstülpung 
das blinde Ende. | 

1) In Fig. 13—16 der Tafel XXVI ist nun ein Fall dar- 
gestellt, wo die Rückstülpung erfolgt, ohne dass ein Lagenwechsel 
eintrete; freilieh combiniren sich dabei in zwei Abarten des Ver- 
suches die einaktigeRückstülpung, die Weismann als die einzig 
mögliche anerkennt und die mehraktige, wie sie früher von mir 
beschrieben wurde. 

Man findet in Fig. 13, Tafel XXVI einen Handschuhfinger 
quer durchbohrt und die aufwärts gerichtete Durchbohrungs- 
stelle ein wenig erweitert. Stülpt man jetzt das blinde Ende 
ein, so kann man es durch die erweiterte Stichöffnung hervor- 
holen, wie Fig. 14 zeigt und durch Umlegen in seine frühere 
Lage zurückbringen, wie in Fig. 15 dargestellt "ist. Dadurch 
wird die untere und früher nur von innen sichtbare Stichöffnung 
nach aussen und oben verlagert und die erweiterte, frühere obere 
Stichöffnung umgiebt mit ihren Rändern wie ein Reif den umge- 
stülpten blinden Abschnitt. Siehe in Fig. 15 die obere Ansicht 


a 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. D41 


nach der Umstülpung und in Fig. 16 die untere Ansicht. Es 
würde jetzt nur noch nöthig sein, das vordere offene Ende durch 
dieselbe Stichöffnung von innen her zurückzustülpen, dann läge 
: der Handschuhfinger in seiner ursprünglichen Lage wieder da, 
ein dass er die Nadel verlassen hätte. Es wäre aber auch mög- 
_ lich, den Rand der Handschuhfingeröffnung nach aussen und dem 
E blinden Ende zu umzuklappen und die entsprechenden Stich- 
$ ränder nach aussen und der Handschuhfingeröffnung zu, damit 
der ganze Handschuhfinger ohne Lagewechsel und ohne Verlassen 

der Nadel völlig umgestülpt sei. | 
2) Zur Erläuterung dieses Vorganges sind die Figuren 9 und 

10 der Tafel XXIX beigegeben worden. 

z Beide Durchbohrungstellen sind breit gehalten; der dem 
 Beschauer zugewandte Rand der einen ist mit a bezeichnet, der 
andere Rand mit b und der Rand der Oeffnung mit ec. In das 

Innere ist die Borste dd’ eingeführt. | 
Die Fig. 10 stellt ein Mittelstadium der beabsichtigten 
völligen Umstülpung dar und ist so entstanden, dass das blinde 
— Ende der Fig. 9 nach innen und im Sinne der Axenrichtungen 
auf unserer Tafel nach oben eingestülpt wurde. Holt man das 
— eingestülpte Ende aus dem Loch a hervor, so wird das untere 
Ende d’ der Borste dd’ frei (s. Fig. 10), der obere Theil 
des Randes a bleibt dem Beschauer zugewändt, der untere 
Theil wendet sich vom Beschauer ab, der dafür jetzt die ganze 
Umrandung b direet übersehen kann; der untere Sack ist also 
umgestülpt, sein blindes Ende liegt an derselben Stelle wie vor 
der Umstülpung, und der Eingang zu ihm ist auf die entgegen- 
gesetzte Seite gerückt. Zur Demonstration dieser Verlagerung 
ist die Borste ee’ in den untern Blindsack nach der Umstülpung 
eingeführt worden. An dem obern Abschnitt unseres Modelles 
ist der vordere Rand umgeklappt worden. Um zu einer völligen 
Umstülpung zu gelangen, muss nunmehr noch folgendes gemacht 
werden. Man klappt den oberen und jetzt dem Beschauer zu- 
gewandten Abschnitt des Randes a nach aufwärts um und heftet 
ihn an den entsprechenden Theil des nach abwärts umgeschlagenen 
Randes ec. Auf dieselbe Weise wird der obere Theil des Randes 
b mit dem zugehörigen Theil des Randes e vereinigt, die unteren 
Abschnitte der Ränder a und b aneinandergelegt, ebenso die 
linken Seitentheile der Ränder a und b und die rechten Seiten- 


Er) 


ZuyEer 


Fe 


542 M. Nussbaum: 


theile derselben Ränder, indem man sie unter der Tafelebene ein- 
ander zuführt. Dadurch entsteht ein Körper, der oben einen : 
Doppelring darstellt, dessen innere Lichtung durch die Lage der 
Borste d.d’ gekennzeichnet ist. Der Raum zwischen der Doppel- 
wand des Ringes führt durch zwei eylindrische Gänge in einen 
unteren kugeligen Hohlraum. Man findet aussen an diesem Körper 
nur die früher im Innern der Figur 9 gelegene Oberfläche und 
in dem soeben beschriebenen Hohlraum des durch die complete 
Umstülpung gebildeten Körpers nur die Aussenfläche des in Fig. 9 
abgebildeten Handschuhfingers. Die Lage von oben und unten 
hat sich in unseren Figuren nicht verändert. 

5) Ebenso nun wie das blinde Ende nach innen und oben 
eingestülpt und zu einer der Durchbohrungsstellen herausgeführt 
werden kann, kann man das blinde Ende nach unten und aussen 
von den unteren Abschnitten der Ränder a und b der Fig. 9 
umstülpen und diese Ränder dann unten aneinanderheften. Die 
Umstülpung des offenen Endes bleibt - dabei dieselbe wie die in 
Fig. 10 angedeutete und vorhin ausführlich beschriebene. 

Man findet keine Abbildungen dieses Vorganges am Modell 
in den beigegebenen Tafeln, weil ich in meiner früheren Ab- 
handlung diesen Vorgang am lebenden Thier schon ausführlich 
beschrieben habe. Ist das blinde Ende gross genug, so kann es 
bequem durch eine Stichöffnung hervorgezogen und in seine alte 
Lage zurückgebracht werden; dann werden die Theile secundär 
die Lage einnehmen, wie sie bei der vorhin beschriebenen Ab- 
art des Versuches sich ergiebt. Ist das blinde Ende kleiner, 
so bleibt es nach der Herausstülpung der unteren Ränder der 
Stichöffnungen und deren Verlöthung am blinden Pole im Innern 
dies Modelles und zwar am unteren Rande der Stichöffnung liegen. 

Fig. 6 und 7 der Tafel XXX stellen schematische Durch- 
schnitte durch umgestülpte Polypen dar, wo bei dem einen das 
hintere Ende nach innen und bei dem anderen nach aussen um- 
gestülpt worden ist. Obschon dieselben Unterschiede am Modell 
gezeigt werden können, so werde ich auf eine Beschreibung doch 
erst bei der Schilderung der Versuche am lebenden Thiere ein- 
gehen, die nunmehr folgen. 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches,. 543 


Der Umkehrungsversuch am lebenden Thiere. 


Bi. Umkehrung eines Polypen mit einer noch nicht 
abgeschnürten Knospe. 


Tafel XXVIL, Fig. 1-4, Tafel XXVII, Fig. 1. 


Versuch vom 10. Januar 1891. Hydra grisea mit zwei 
- Knospen nahe dem Fussende. Die eine ältere, deren Magenraum 
sich schon von dem des Mutterthieres abgeschnürt hat, wird dicht 
an ihrer Insertion abgeschnitten (Tafel XXVII, Fig. 1) und dar- 
auf das Thier mit der jungen, noch als einfache Ausstülpung 
erscheinenden Knospe vom Fusse aus mittels einer Borste umge- 
‚stülpt, das Fussende eingeschnitten und der Polyp, wie Figur 2, 
Tafel XXVII erläutert, auf der Borste belassen. Die Knospe ist 
noeh nicht umgestülpt; man sieht vielmehr von aussen in ihren 
Gastralraum hinein. Die Tentakel strecken sich und ziehen sich 
zusammen. Nach 45 Minuten hat sich auch die Knospe ganz 
hervorgestülpt, so dass sie, wie vor der Umstülpung des Polypen 
als ein Sack mit ectodermaler Oberfläche, jetzt als ein gleich be- 
‚schaffener Sack mit entodermaler Oberfläche dem umgestülpten 
- Polypen anhaftet (siehe Taf. XXVII, Fig. 3). Nach 7 Stunden liegt 
der Polyp stark contrahirt da; überall aussen mit Entoderm be- 
kleidet; die Tentakel unverändert wie vor der Umstülpung. 
24 Stunden nach der Operation ist der Polyp wie direet 
nach der Umstülpung orientirt, die Tentakel bilden einen Kranz 
in der Mitte eines vom Eetoderm aussen bekleideten Ringes. 
Bei stärkerer Vergrösserung erkennt man auf der einen Seite im 
Eetoderm einen feinen Spalt, aus dem das Entoderm hervorsieht 
(Tafel XXVII, Fig. 4). Die Knospe ist nach der Wachskugel 
zu gerichtet und hat inzwischen einen Tentakel getrieben; auch 
bei ihr liegt das Eetoderm wieder aussen (Taf. XXVII, Fig. 4, a). 
Der Polyp wird in Alkohol abgetödtet und von der Borste ab- 
genommen. Es zeigt sich, dass die Innenfläche des Ringes con- 
tinuirlich mit Eetoderm bekleidet ist. Das Präparat wird in 
Celloidin eingebettet und in eine Serie von Längsschnitten zerlegt. 
Tafel XXVIIL, Fig. 1 zeigt einen solehen, der auch die Knospe 
getroffen hat. Der Raum zwischen beiden Partien bezeichnet die 
Stelle, wo die Borste gelegen hatte. Beide Hälften sind ringsum 
mit Ausnahme einer kleinen lateralen Stelle eontinuirlich von Ee- 


544 M. Nussbaum: 


toderm bekleidet, das hier wie auf allen Figuren weiss gehalten 
ist; das Entoderm ist in einem grauen Tone wiedergegeben. Die : 
frühere Leibeshöhle ist wegen der starken Contraetion der Theile 


nicht überall sichtbar; nur in der Knospe ist sie deutlich. 


An diesem Polypen konnte wegen der Ungunst der Verhält- | 
nisse während des Lebens die Restitution nicht verfolgt werden; 


doch dürfte sich der Vorgang aus dem mikroskopischen Befund 
unzweideutig genug ergeben. 

Ich würde aus meinem Beobachtungsmaterial diesen Versuch 
nicht besonders ausgewählt haben, wenn nicht gerade die noch 
Junge Knospe dem Polypen angehaftet hätte und schon früher von 


mir es als eine Lücke empfunden war, gerade einen Umstülpungs- 
versuch mit einem solchen Thier nicht angestellt zu haben. Wieder- 


holen konnte ich den Versuch bis jetzt auch nicht, da die Ge- 
legenheit einen Polypen mit einer geeigneten Knospe aufzufinden, 
sich mir nicht wieder darbot. Doch ist mir der Vorgang wohl 
an anderen in gleicher Weise umgestülpten Hydren in seinem 
ganzen Ablauf zu Gesichte gekommen, so dass ich mich für be- 
rechtigt halte, ihn in folgender Weise auch für den vorliegenden 
Versuch zu schildern. 

Der umgekehrte und am Fuss durehbohrt auf der Borste 
belassene Polyp stülpt zuerst die Knospe hervor, so dass überall, 
mit Ausnahme an den Tentakeln, aussen Entoderm liegt. Dann 
klappt sich das Thier von der Mundöffnung und vom Fuss gleich- 
zeitig wieder um, nähert die beiden aussen jetzt wieder mit Ee- 
toderm bekleideten Ränder der Mittellinie des Körpers, bis sie 
miteinander verwachsen. Es kommt auf die Schnelligkeit an, 
mit der die entgegengesetzten, zurückgestülpten Ränder aufeinander 
losrücken, um am Ende des Versuches die Tentakel ganz vorn 
(siehe Taf. XXIX, Fig. 3) in der Mitte des Leibes (Fig.4, Taf. XXVI]) 
oder ganz in der früheren Gegend des Fusses zu finden. Im 
letzteren Falle hat sich. der Polyp aber ganz einfach zurückge- 
stülpt, und es kommt nicht zur Verwachsung, nicht zur Bildung eines 
Doppelringes. Da bei der letzten Art der Rückstülpung wie 
am normalen Polypen innen Entoderm und aussen Eetoderm wieder 
liegt, so ist keine Abbildung eines Schnittes durch einen sol- 


chen Polypen beigegeben worden, obschon ich die betreffenden 
Präparate besitze. In allen den Fällen, wo eine einfache Rück- 


stülpung stattfinden konnte, war die Borste, die der Länge nach 


hi a 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 545 


ewesen. 
Es kommt auch gelegentlich vor, dass einige Teentakel nach 
vorn und andere nach hinten gerichtet sind (vgl. Tafel XXIX, 
‚Fig. 1), wenn ein am Fuss durchbohrter umgestülpter, auf einer 
‘Borste der Länge nach haftender Polyp sich zurückstülpt und 
einen innen und aussen von Ectoderm bekleideten Ring gebil- 
_ det hat. i 
Dass die Fig. 4 aus der Fig. 3 der Tafel XXVII in der 
beschriebenen Weise hervorgegangen ist, beweist die Anwesenheit 
des kleinen Entodermstreifen auf der Aussenfläche zwischen dem 
sonst eontinuirlichen Eetoderm, und dass es wirklich zur Ver- 
-_ wachsung kommen wird, geht aus der Verschmächtigung und 
dem schliesslichen Verschwinden dieses Streifen nach rechts hin 
- hervor. Wo die Borste gelegen hatte (siehe Taf. XXVIIL, Fig. 1) 
ist das Eetoderm dicker als an der Oberfläche des Ringes (die 
lateralen Eetodermpartien in beiden Hälften unserer Figur) eine 
Erscheinung, die immer während der Restitution nach der Um- 
- stülpung wiederkehrt. Die vorgeschobenen Ränder zu Beginn 
und im Verlauf der Rückstülpung sind stets verdünnt. War nun 
durch den gleichzeitigen Umschlag der Leibesschichten von der 
Mund- und Fussgegend das Eetoderm wieder an die Oberfläche 
gekommen, so konnte sich auch die Knospe ebenso wieder zu- 
 rückstülpen, wie sie sich unserer Beobachtung gemäss kurz nach 
der Umstülpung des Polypen ebenfalls umgestülpt hatte. Es ist 
somit richtig, wie Trembley angiebt, dass man Polypen mit 
anhaftenden jungen Knospen umstülpen kann, dass der Polyp und 
_ die Knospe am Leben bleiben, und dass nach einiger Zeit an 
beiden Eetoderm wieder aussen liegt. Doch hat, wie ich dies 
schon früher für die erwachsenen Polypen nachgewiesen habe, 
und wie Ischikawa es bestätigt hat, keine Umwandlung, son- 
dern eine Umlagerung stattgefunden. Will man die Assonanz in 
den Worten Um-wandlung und Um-lagerung vermeiden, die ich 
absichtlich wählte, um meine Erklärung nicht allein in Gegensatz 
zu Trembley’s Erklärung zu bringen, so kann man den Vor- 
gang auch „Rückstülpung“* nennen. Man findet beide Bezeich- 
nungen in meiner früheren Abhandlung. Das Wort Umlagerung 
ist die allgemeinere Bezeichnung. Für mich war es nöthig, auch 
_ die Regeneration der Polypen aus kleinen plattenförmigen Stücken 


ir. 


546 M. Nussbaum: 


ihres Leibes anders zu erklären, als es Trembley gethan hatte. 
Da ich fand, dass sowohl bei der Rückstülpung umgekehrter 
Polypen, als bei der Umbildung platter Stücke der Leibessubstanz 
zu ganzen Polypen derselbe Vorgang sich abspielt: nämlich das 
Umklappen der Leibesschichten von den freien Rändern aus, so 
dass das Eetoderm wieder aussen liegt, so nannte ich den Vor- 
sang eine Umlagerung. Eine Umlagerung bedingt keine innere 
Verschiebung, und die Regenerationsvorgänge bei der Entstehung 
neuer Polypen aus klemen platten Stücken sind keine Rückstül- 
pung. 


2. Versuche über die Orientirung der ursprünglichen 
Leibesaxen nach der Umstülpung. r 

Sollte ein in dem vorigen Versuch beschriebener Polyp nach 
der Verwachsung des Leibes zu einem Ringe, der an der ganzen 
Oberfläche von Eetoderm bekleidet war und zu dessen Entoderm 
keine Mundöffnung mehr hinführte, am Leben bleiben, so musste 
sich ein neuer Mund bilden. Es schien mir von grosser Wichtig- 
keit den Ort dieser Neubildung durch den Versuch festzustellen. 
Da weithin in vielen Fällen die Gegend des Fusses bis dicht 
unter die Tentakel verlagert worden war, jedesmal dann, wenn 
die Tentakel an Ort und Stelle verblieben waren, so war es zur 
völligen Wiederherstellung nöthig, dass der alte Fuss verschwinde 
und ein anderer neugebildet werde. Es war zu erwarten, dass 
dieser gegen den neu entstandenen Mund orientirt sei, wie am 
normalen Thier. 

Aus dieser Reihe von Versuchen sollen zwei näher beschrie- 
ben werden. Es war nöthig, die mikroskopische Untersuchung 
von Serienschnitten an verschiedenen Stellen des Versuches durch- 
zuführen. Ein Thier genügte also nicht zur Aufklärung des gan- 
zen Verlaufs der Veränderungen. 

Versuch vom 25. Januar 1891. Eine Hydra grisea wird 
umgestülpt, ihr Fuss von der Borste nach der Umstülpung durch- 
bohrt, und das Thier auf der Borste (siehe die Methodik) in das 
kleine Beobachtungsaquarium gebracht (vgl. Taf. XXVII, Fig. 2). 
Aussen liegt jetzt Entoderm mit Ausnahme an den sieben Ten- 
takeln. Nach drei Stunden erscheint vorn und hinten Eetoderm 
an der Aussenfläche, doch geht die Rückstülpung von der Ten- 
takelgegend schneller vor sich als vom Fusse her. Am folgenden 


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2 Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 547 
Tage (26. Januar) ist der Polyp ein schmaler, ganz von Eetoderm 
bekleideter Reif geworden. Fünf Tentakel sehen nach der Rich- 
tt ıg, wo früher der Fuss gelegen hatte, zwei nach der entgegen- 
gesetzten Richtung. (In Fig. 1, Tafel XXIX sind von den fünf 
nach der Wachskugel gerichteten Tentakeln nur vier sichtbar.) 
Einen Tag später ist der Polyp von der Borste abgefallen und 
liegt als ein eylindrisches Rohr auf dem Boden des Gefässes. In 
"Alkohol abgetödtet, nimmt das Thier die etwas contrahirte Form 
der Fig. 2 auf Tafel XXIX an. Die Tentakel liegen nach der 
einen Seite; an der entgegengesetzten Seite liegt ein Fuss, von 
dem ich in diesem Falle nur der Analogie nach, in dem sogleich 
zu beschreibenden jedoch gemäss der direeten Beobachtung be- 
haupten kann, dass er neugebildet sei. Die Lage des Fusses ist in 
der Figur 2, Tafel XXIX durch Strichelung in dem weiss gehaltenen 
Eetoderm kenntlich gemacht. Das Eetoderm ist allseitig ge- 
schlossen und an dem abgetödteten Thier auf den Tentakeln in 
Folge der Contraction geringelt. Aus der Serie von Schnitten 
_ dureh diesen Polypew, im Ganzen waren es 38, sind drei Stück 
in den Figuren 2, 3 und 4 auf Tafel XXVII abgebildet. Der 
Polyp wurde annähernd genau senkrecht zur Längsaxe von rechts 
nach links (siehe Fig. 2, Taf. XXIX) geschnitten. Alle Selnitte 
sind aussen rings von Eetoderm, innen von Entoderm bekleidet. 
- Zwischen beiden Häuten liegt die Stützlamelle. Das Entoderm um- 
giebt einen geschlossenen Hohlraum, die ursprüngliche Magen- 
höhle. Entsprechend der Form von Fig. 2, Taf. XXIX findet 
man am 9. Schnitt (Fig. 3, Taf. XXVIII einen Tentakel im 
Längsschnitt, am 25. Schnitt ‘Fig. 2, Taf. XX VIII) dem längsge- 
 troffenen Tentakel gegenüber im Eetoderm die durch Strichelung 
bezeichneten Drüsenzellen des Fusses und neben dem längsgetrof- 
fenen Tentakel auch den Querschnitt eines andern. Im Sehnitt 3 
ist ein Tentakel der Länge nach, der andere schräg getroffen ; 
- der Innenraum beider ist in offenem Zusammenhang mit der 
- früheren Leibeshöhle (Taf. XXVIH, Fig. 4). 
Wie war die Umwandlung eines Ringes in den geschlossenen 
- Cylinder mit den einseitig anhaftenden Tentakeln vor sieh ge- 
 gangen? Wo würde sich der neue Mund bilden? Diese Fragen 
‚sollen durch die Mittheilung des folgenden Versuches ihre Er 
_ledigung finden. 
Versuch vom 27. Januar 1891. Eine Hydra grisea wird 


548 M. Nussbaum: 


umgestülpt und nach der Durchbohrung ihres Fusses auf der 
Borste in das Beobachtungsaquarium gebracht. Die vor der Um- 
stülpung im Magenraum enthaltenen Daphnien werden gelegentlich 
der Umstülpung durch den Mund entleert. Vier Stunden nach 
Beginn des Versuches beginnt an den freien Rändern durch Um- 
schlag das Ecetoderm wieder zu erscheinen. Diesmal geht das 
Vorschieben des aussen sichtbaren Eetoderm von der Fussgegend 
her rascher vor sich, als von der Gegend der Mundöffnung. 

Am folgenden Tage hat der Polyp Ringform angenommen 
und liegt der Längsaxe nach orientirt wie direet nach der Um- 
stülpung, d.h. die Tentakel sind von der Wachskugel abgewandt 
(vgl. Fig. 2 auf Tafel XXVII und Fig. 3 auf Tafel XXIX). 
Dies war bei dem schnelleren Vorwärtsschieben des umgeschlage- 
nen Randes vom Fusse aus auch zu erwarten. Fig. 3 auf Taf. XXIX 
zeigt den Polypen vom 28. Januar 1891. | 

Am folgenden Tage fand sich eine eingeschnürte Stelle im 
Ringe, an der kein Entoderm durch das Eetoderm mehr durch- 
schimmerte. Man findet das Stadium in Fig. 4 der Taf. XXIX. 
Da am folgenden Tage, dem 30. Januar 1891, der Polyp von 
der Borste abgefallen war und nunmehr einen geschlossenen langen 
Hohleylinder darstellte, so muss man annehmen, dass die Figur 4, 
Taf. XXIX ein vorbereitendes Stadium zu dieser Umänderung 
der Form des Polypen darstellt. Es muss somit durch Resorption 
des Entoderm an der eingeschnürten Stelle mit gleichzeitiger Ver- 
löthung der zurückweichenden Ränder auf den beiden Seiten der 
weiss erscheinenden Partie die Aufspaltung des Doppelringes ein- 
geleitet werden. Darauf wird die Resorption der betreffenden 
Eetodermzellen folgen, und aus dem Doppelring der geschlossene 
Hohleylinder der Fig. 5, Taf. XXIX hervorgehen, an dem natur- 
semäss die Tentakel auf einer Seite liegen. Die entgegengesetzte 
Seite entspricht der Mitte des Polypen vor der Umstülpung. Diese 
tentakellose Seite liegt also der früheren Lage des Fusses näher 
als die tentakelbesetzte. 


Was wird aus diesem Monstrum werden, das mit einem 


normalen Polypen gar keine Aehnlichkeit mehr besitzt? Zog ich 
meine früheren Erfahrungen zu Rathe, so war es ganz sicher, 
dass der Polyp einen neuen Mund und einen neuen Fuss bilden 
würde. Würden dabei aber auch die alten Tentakel erhalten 
bleiben ? Unbedingt nöthig würde dies letztere nicht vorauszu- 


de Eng 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 549 


setzen sein, da ich es oft beobachtet hatte, dass alte Tentakel 
an Stellen, wo sie nicht in die Organisation und die gegebene 
Orientirung hineinpassten, resorbirt wurden. Wo würde der Mund 
und wo der Fuss erscheinen müssen? An den Längsseiten oder 
an den stumpf geschlossenen Enden? Wollte man an der als 
sicher durch meine Versuche erwiesenen und von Ischikawa 
- bestätigten zähen Beständigkeit der Orientirung festhalten, so 
mussten Mund und Fuss an der Längsseite durch Neubildung 
wieder auftreten, da die Längsseiten dem vorn und hinten des 
- alten Polypen der Richtung, wenn auch nicht der Form nach 
-_ entsprechen. Der Mund musste auf der Seite der Tentakel sich 
- entwiekeln und der Fuss auf der entgegengesetzten Längsseite. 
- Berücksiehtigte man ferner, dass die Muskelfasern des normalen 
Polypen im Ecetoderm Längszüge, im Entoderm eine Ringlage 
bilden, so würde, falls man Neuentstehung von Mund und Fuss 
- an den stumpfen Enden des Cylinders erwartete, der umgeformte 
- Polyp eine äussere Ringmuskulatur und eine innere Längsmusku- 
- Jatur erhalten haben. Wenn dies sich durch die Beobachtung 
- als irrig erwies, wenn der Polyp in der That an den stumpfen 
- Enden des Cylinders der Fig. 5, Taf. XXIX Mund und Fuss 
neu gebildet und trotzdem aussen Längs- und im Entoderm 
Ä Ringmuskelfasern besessen hätte, so müssten beide Muskellagen 
neugebildet worden sein. Da dies nicht wahrscheinlich war, so 
- durfte darauf gerechnet werden, dass auf den Längsseiten selbst 
und nicht an den Enden Mund und Fuss wieder erscheinen 
würden. Die Entscheidung liess den folgenden Tag noch auf 
sich warten. 

Am 1. Februar jedoch zeigte der Poly folgende Gestalt. 
Der lange Cylinder ist in drei Abtheilungen eingeschnürt. Jede 
-_ Abtheilung hat zwei der alten Tentakel, die auf einer Seite 
eines kleinen Mundkegels sitzen. Der siebente der alten Ten- 
takel haftet der Brücke zwischen der zweiten und dritten Ab- 
theilung an. An den beiden Mundkegeln der beiden ersten Ab- 
theilungen ist je ein neuer Tentakel auf der den beiden alten 
Tentakeln entgegengesetzten Seite aus der Mundkegelbasis hervor- 
gesprosst (siehe Fig. 6, Tafel XXIX). Die Einbuchtung zwi- 
schen erster und zweiter Abtheilung (von links aus gerechnet) 
ist nicht so tief, als zwischen der zweiten und dritten. Auf der 
den Tentakeln entgegengesetzten Seite ist ein Fuss vorhanden, 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 36 


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550 M. Nussbaum: 


in der Figur durch Strichelung im Eetoderm kemtlich ge- 
macht. 

Am 3. Februar ist wiederum eine auffallende Veränderung 
an dem Polypen nachzuweisen. Die beiden Abtheilungen, die 
direet über dem Fuss gelegen waren (siehe Fig. 6, Tafel XXIX 
vom 2. Februar 1891), sind mehr zusammengerückt und haben 
jetzt das Aussehen von einem Polypen mit zwei Köpfen. Neue 
Tentakel sind nicht hinzugekommen, aber der früher an der 
Brücke zur dritten Abtheilung sitzende alte Tentakel steht jetzt 
in einer Flucht mit den beiden anderen an der Basis des Mund- 
kegels des zweiten Kopfes (siehe Fig. 7, Tafel XXIX), so dass 
dieser zweite Kopf rechts drei alte Tentakel und einen neuen, 
der erste Kopf links nur zwei alte und einen neuen Tentakel 
aufweist. Die ursprünglich dritte am meisten nach rechts ge- 
legene Abtheilung hat auch gestreckt eylindrische Form ange- 
nommen. Um den Mundkegel derselben stehen zwei alte und 
ein kleiner junger Tentakel (in Fig. 7, Tafel XXIX nicht sicht- 
bar, weil auf der dem Beschauer abgewandten Seite gelegen). 
Die Brücke zwischen dem zweiköpfigen nach links gelegenen 
Polypen und dem einköpfigen rechts gelegenen Polypen liegt 
nahe dem Fussende, ist breit und setzt die Magenräume beider 
Abtheilungen in offene Verbindung (Fig.7, Tafel XXIX). Auch 
der rechts gelegene Polyp hat einen Fuss. 

Bis dahin war das eigenartig gestaltete Thier am Boden 
des Glasgefässes zuerst mit dem einen, dann mit beiden Füssen 
festgeheftet, ohne Ortswechsel liegen geblieben. Am 4. Februar 
erfolgten spontane Ortsveränderungen. _ Die Tentakelzahl ist 
nicht vermehrt, die jungen Tentakel sind gewachsen. 

Am 5. Februar ist die Brücke zwischen beiden Abtheilungen 
versehmälert, aber noch im Imnern durchgängig, so dass die 
Communication der beiden Magenräume erhalten ist. An diesem ” 
Tage, folgte ich den Bewegungen des Thieres genauer. Oft hing 
es mit den Füssen an der Oberfläche des Wassers, die Köpfe F 
nach abwärts gerichtet: eine Beobachtung, die schon Trembley 
mitgetheilt hatte (siehe Trembley, Mem.I, Pl.III, Fig. 11). 

Kroch das Thier zwischen den Wasserpflanzen umher, so 
heftete es oft den einen Fuss an ein Blatt und den zweiten 
Fuss an ein anderes Blatt. | 

Die Zahl der Tentakel war auf 12 gestiegen, 7 alte und 5 neue. 


n ” 1 \ 4 r su . 
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 551 


Von diesem Zeitpunkte an trat keine eigentliche Neubil- 
dung, sondern nur noch Wachsthum und Rückbildung weiter auf. 
Die jungen Tentakel wurden länger, die alten Tentakel und die 
ganzen Leiber schmächtiger, die Brücke dünner und dünner, bis 
‘sie am 8. Februar resorbirt war, und die beiden Abtheilungen 
als ein zweiköpfiger Polyp mit 8 Tentakeln und ein einköpfiger 
-Polyp mit 4 Tentakeln weiter lebten. Beide wurden am 10. Fe- 
- bruar getödtet und in Figur 8 und 3a der Tafel XXIX ab- 
gebildet. Alsdann wurde von dem kleineren Polypen ein Stück 
der Leibeswand zum Zweck der histologischen Untersuchung mit 
_ eimer feinen Nadel abgespalten. Die Längsmuskeln lagen im 
 Eetoderm. Somit war die ursprüngliche Richtung der Muskel- 
elemente durch die Rückstülpung nicht verändert worden. Sie 
war es aber auch nicht auf dem früheren Stadium, dargestellt 
in den Figuren 2 und 5 der Tafel XXIX. An den Schnitten 
durch den in Fig.2, Tafel XXIX abgebildeten Polypen, die man 


Er 


schwach vergrössert in den Figuren 2, 3 u. 4 auf Tafel XXVII 
findet, erkannte man bei starker Vergrösserung deutlich die Quer- 
_ schnitte der Muskelfasern des Entoderm. Dies ist aber nur 
_ möglich, wenn die ursprüngliche Richtung der Muskelfasern in 
- den beiden Schichten beibehalten worden ist. Die Muskeln des 
- Eetoderm werden auf Querschnitten, die Muskelfasern des Ento- 
derm auf Längsschnitten durch einen unveränderton Polypen als 
” Punkte erscheinen. Da nun in Fig.5 auf Tafel XXIX die 
- Längsriehtung des ursprünglichen Polypen in die kurze Axe des 
aufgespaltenen Ringes fällt, so müssen von rechts nach links vor- 
- schreitende Schnitte, obschon sie Querschnitte der Figur 5 dar- 
a stellen, doch in der Anordnung ihrer Muskeln sich wie Längs- 
 sehnitte des normalen ursprünglichen Polypen verhalten. Sie 
müssen die Entodermmuskelfasern der Quere nach, die Muskeln 
_ des Eetoderm längs getroffen haben, wenn keine Umordnung 
der histologischen Theile während der Veränderung der äusseren 
Gestalt stattgefunden hat. Gemäss den Präparaten ist jedoch 
die ursprüngliche Anordnung der Muskeln im Entoderm und Ee- 
- toderm trotz der veränderten äusseren Form (siehe Fig. 1 und 2, 
Tafel XXIX) dieselbe geblieben. 
Zu den übrigen Abbildungen bemerke ich noch, dass Fig. 5 
aus ökonomischen Rücksichten um 90° nach rechts gedreht ist. 
Hätte die Zeichnung mit den Tentakeln nach aufwärts auf der 


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559 M. Nussbaum: 


Tafel angebracht werden können, so wäre die Uebersicht er- 
leichtert gewesen. Man wird aber trotzdem aus den Figuren den 
eben beschriebenen Ablauf der Veränderungen herauslesen können; 
auch die Ersparung einer Abbildung des eben umgestülpten Po- 
Iypen, die der Fig. 3 auf Tafel XXIX hätte voraufgehen müssen, 
wird das Verständniss nicht stören, da bei allen. diesen Umkeh- 
rungen, wo der Polyp auf der umkehrenden Borste verblieb, der 
Fuss nach der Umkehrung auf der Seite der Wachskugel lag 
(siehe die Methodik) und man mit Zuhülfenahme der Figuren 1 
bis 4 auf Tafel XXVII sich ein Bild machen kann von den Ver- 
änderungen vor und nach der Umstülpung bis zur Umwandlung 
des Polypen in die Figur 3 der Tafel XXIX. 

Fassen wir die Umwandlungen, die der ursprüngliche Polyp 
erlitten hatte, kurz zusammen, so war er nach der Rückstülpung 
in einen Doppelring umgewandelt, an dem die Tentakel an der 
‚Stelle liegen geblieben waren, wo sie nach der Umstülpung ge- 
legen hatten (vgl. Fig.2 auf Tafel XXVII und Fig. 3 auf“ 
Tafel XXIX). Dann spaltete sich der Ring auf und ging da- 
durch in emen langen Cylinder über. Auf der einen Seite lagen 
die Tentakel, auf der entgegengesetzten, der ursprünglichen 
Leibesmitte, war kein Fuss zu erkennen. Es folgte eine zwei- 
fache Einschnürung, die schliesslieh zur Bildung von zwei Po- 
Iypen führte. Die Axen blieben dabei genau so orientirt, wie 
am ursprünglichen Polypen: die alten Tentakel umstanden an der- 
selben Stelle mit mehreren neuen den neugebildeten Mundkegel, 
und die Füsse waren an der entgegengesetzten, m Fig. 5, Tafel 
XXIX nackten Längsseite des Cylinders neugebildet worden. 

Ob bei der Aufspaltung des Doppelringes, d.h. bei der 
Umwandlung der Fig. 4 in Fig. 5 auf Tafel XXIX nachweisbare 
mechanische Ursachen mitwirken, soll durch spätere Versuche 
entschieden werden. Bei den eomplieirten Vorgängen von Neu- 
bildung und Resorption,. welche die Umwandlung begleiten, bei 
dem Schwund der verbindenden Brücke, dem Kleinerwerden der 
ganzen Thiere im Laufe der Beobachtung, der Vergrösserung der 
neuen .Tentakel und der Verkleinerung der alten, der Neubildung 
von zwei Füssen an Stellen, wo sie zwar der Axenrichtung nach 
auftreten mussten, wo sie aber am normalen Thier niemals auf- 
getreten wären, bei allen diesen Umwälzungen im Leibe des ur- 
sprünglichen Polypen ist es wohl erlaubt, daran zu denken, dass 


nz 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 553 


- der ursprüngliche Fusstheil, der durch den Umschlag nach der 
- Umstülpung seine Axenrichtung änderte, im Laufe der Restitution 
resorbirt und von der Nachbarschaft her dureh riehtig orientirte 
_ neugebildete Zellen allmählich ersetzt worden sei. Naturgemäss 
_ stösst der Beweis dieser Hypothese auf erhebliche, wenn nicht 
; unüberwindliche Schwierigkeiten. | 
| Trotzdem wird durch die beschriebenen Versuche der von 
-_ mir schon früher erbrachte Nachweis bestätigt und erweitert, dass 
- ein umgestülpter Polyp sich gleichzeitig von mehreren Stellen, 
und zwar in dem vorliegenden Falle von zweien aus, zurückstülpen 
kann, und dass die. ursprüngliche Orientirung dabei erhalten 
bleibt. Die Erhaltung der ursprünglichen Orientirung beruht auf 
complieirten Neubildungs- und Resorptionsvorgängen (vergl. d. 
Arch. Bd. 29, pag. 346— 348). 


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3. Umstülpung und quere Durehbohrung eines Polypen. 
(Der Trembley’sche Versuch.) - 


Versuch vom 21. Januar 1891. Umstülpung einer Hydra 
grisea. Beim Zurückziehen der Borste aus der Mundöffnung des 
umgestülpten Polypen stülpt sich ein kleiner Theil des Fussendes 
in die künstlich geschaffene und jetzt mit Eetoderm bekleidete 
Leibeshöhle zurück. Dies konnte sich ereignen, weil ich nach 
der modifieirten Methode nicht mehr das Fussende beim Zurück- 
ziehen der Borste fasse, sondern eine Pincette als Widerlager 
gegen die Mundöffnung halte!) und weil ich bei diesem Versuche die 
Borste nicht sofort nach der Umstülpung zurückgezogen hatte. 
Der Fuss gewann Zeit, sich än der. Borste festzukleben. 

Nachdem die zur Umstülpung verwandte Borste wieder ent- 
fernt worden war, wurde der Polyp dicht unter den Tentakeln 
mit einer Borste quer durchbohrt und auf dem Wachsklotz des 
Beobachtungsaquarium mittelst der senkrecht eingestossenen Borste 
befestigt. 

Am folgenden Tage liegt das Fussende wieder an der Stelle, 
wo es gestern auf dem Wachsklotz gelegen hatte. Der Polyp 
ist mit Ausnahme eines schmalen Ringes nicht weit unterhalb der 
Tentakel von Ecetoderm bekleidet; die Saugscheibe des Fusses 
ist deutlich zu erkennen, und der Polyp haftet fest auf der Borste 
(siehe Tafel XXVII, Fig. 5). 


1) Vgl. Ischikawa’s Methodik, 


M. Nussbaum: 


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Die Ursachen der Veränderungen werden sich aus dem Stu- 


dium der Schnitte und einem Vergleich mit dem entsprechenden 
‚Versuch am Modell ergeben. 


Der Polyp wurde in eine Serie von Längsschnitten zerlegt, 


die parallel der Lage der Borste geführt wurden. Auf Taf. XXVIII 
sind in Fig.5 und 6 zwei von den erhaltenen 27 Schnitten abge- 
bildet. Fig. 5 stellt den zwölften Schnitt, von rechts nach links 
in der Fig. 5, Taf. XXVII gerechnet, vor. Der Schnitt hat die 
Durehbohrungsstelle der Borste getroffen. Unten im Bild liegt 
ein von Eetoderm aussen und innen von Entoderm bekleideter, 
nach oben auf der Tafel geöffneter Sack; seine Lichtung ist die 


alte Leibeshöhle. Durch einen Zwischenraum — die von der 


Borste durch den Polypen quer hindurchgetriebene Oeffnung — 
getrennt, folgen weiter aufwärts rechts und links Theile des Mund- 
‘randes, an denen medial Eetoderm und lateral Entoderm sich 
findet. Weiter nach oben zu liegt links ein Tentakel schräg 


‘vom Messer getroffen. Der Zusammenhang mit dem Mundrande 


ist nur an dem äusseren rechts ersichtlich, wo. der Uebergang 
der Magenhöhle in das Innere des Tentakel getroffen wurde. 
Selbstverständlich muss dieser Eingang zur Höhle des Tentakels 
auf der Seite des Entoderm des Mundrandes liegen, hier also la- 


teral, da die Mundgegend sich, wie Fig.5 auf Taf. XXVII zeigt, ° 


noch nicht zurückgestülpt hatte. 

Betrachtet man den in Fig. 6 der Tafel XXVLDI abgebil- 
deten 21. Schnitt, der nach links von der Borste durch Figur 5 
auf Tafel XXVII gelegt ist, so findet man rechts im Bilde eine 
grössere zusammenhängende Partie und durch einen Kanal davon 
getrennt oben links eine kleinere. Beide Theile wenden dem tren- 
nenden Kanal Eetoderm zu. Die links gelegene Partie ist lateral 


von Entoderm bekleidet. Auf jeder Hälfte ist ein Tentakel, rechts ” 


im Längsschnitt, Imks im Schrägschnitt getroffen. Die Tentakel 


sind der Raumersparniss halber nicht in ihrer ganzen Länge dar- 
gestellt. Der grössere rechts gelegene Theil, der dieht unter dem 
Tentakel medial von Eetoderm und lateral von Entoderm bedeckt 
ist, setzt sich nach abwärts in eine Tasche fort, deren Eingang 


nach rechts in der Figur in einiger Entfernung vom Ansatz des 
Tentakels liegt und die aussen mit Eetoderm, innen aber mit En- 


toderm bekleidete Wandungen zeigt. Unten in der Figur sind 


die Drüsenzellen des Fusses durch Strichelung hervorgehoben. 


_ 


_ 


NE 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. DD5 


Die mikroskopischen Schnitte entsprechen somit, was die 
Anordnung von Entoderm und Eetoderm anlangt, dem Befund 
am lebenden Thier, da auch an den Schnitten aussen dicht 
unter den Tentakeln eine Zone von Entoderm, im Uebrigen aber 
nur Eetoderm sich findet. Die Schnitte erlauben aber einen wei- 
teren Schluss, der auch am lebenden Thiere bei eontinuirlicher 
Beobachtung sich ergeben haben würde: Das Fussende hat sich 


- durch die obere von der Borste geschaffene Wundöffnung zurück- 


gestülpt. Eingeleitet wurde diese Rückstülpung durch die vorhin 


- beschriebene Festheftung des Fusses an die bei der Umstülpung 


benutzte Borste. Der Polyp weist die am Modell studirten Cha- 
racteristica auf, die sich bei einer solchen partiellen Rückstülpung 


- ereignen müssen, da er gemäss den Schnitten, in die er nach der 


Erhärtung zerlegt wurde, genau der Figur 10 auf Tafel XXIX 
entspricht. Die Orientirung der Figur 5 auf Tafel XXVII und 
der Figur 10 auf Tafel XXIX ist dieselbe, so dass man ihre 
Uebereinstimmung nach dem Gesagten leicht erkennen wird. 

Nur ist bei der Erhärtung offenbar die beginnende Rück- 
stülpung vom Mundrande her in Folge der Oontraction rückgängig 
gemacht worden, da an den Schnitten (Fig.5 u.6, Taf. XXVII) 
in der Tentakelregion das Ectoderm lateral nicht so weit herab- 
zieht, als man es nach dem Aussehen des lebenden Thieres hätte 
erwarten sollen. } 

Um die Beschreibung der einzelnen Versuche nicht zu einer 
leeren Wiederholung des schon Gesagten herabzudrücken, will 
ich nur hinzufügen, dass bei anderen gleichen Versuchen die Ver- 
wachsung des Tentakelendes zu einem Ringe, der seitlich mit 
zwei Röhren in das zurückgestülpte Fussende einmündete, zu 
Stande kam, wenn die Thiere nicht so früh als in dem vorlie- 
genden Falle abgetödtet wurden. 

Somit kann sich ein umgestülpter Polyp, ohne die quer 
durchgestossene Borste zu verlassen, zurückstülpen und am Leben 
bleiben. 

Diese Form der Rückstülpung ist aber nicht die einzige. 
Es wäre denkbar und am Modell auch zu zeigen, dass ein um- 
gestülpter und quer durchbohrter Polyp mit seinem vorderen Ende 
sich durch dieselbe -Wundöffnung zurückstülpte, wodurch vorher 
das Fussende geschlüpft war. Diesen Fall habe ich freilich am 
lebenden Thier noch nicht beobachtet. Dabei würde der Polyp 


556 M. Nussbaum: 
die Borste gleichfalls nicht verlassen müssen; er bliebe nach der 
Rückstülpung genau so orientirt, wie vor derselben. 

Begünstigt wird die im Versuch vom 21. Januar 1891 be- 
schriebene Art der Rückstülpung durch langsame Umstülpung 
und dadurch verursachte Festheftung des Fusses an der umstül- 
penden Borste. Man leitet durch das Zurückziehen der Borste 
die Rückstülpung schon ein. Sie wird weiter erleichtert, wenn 
man den umgestülpten Polypen dicht unter den Tentakeln quer 
durehbohrt und die Ränder der unteren Wundöffnung durch die 
quer durchgestossene Borste fest gegen die Unterlage anpresst. 

Ein umgestülpter Polyp kann sich aber auch nach der von 
mir schon früher beschriebenen Art. zurückstülpen. Im Folgenden 
soll einer der im Laufe dieses Jahres angestellten Versuche mit- 
getheilt werden. 3 

Versuch vom 19. Januar 1891. Eine Hydra grisea wird 
umgestülpt und mit einer quer durch den Leib gesteckten Borste 
auf dem Wachsklotz des Beobachtungsaquarium befestigt (Fig. 6, 
Tafel XXV). 

Am folgenden Tage, dem 20. Januar, liegt der Polyp un- 
verändert da; nur an den Wundrändern zeigt sich ein feiner 
Saum von Eetoderm. Am 21. Januar hat sieh das Eetoderm 
von der Wunde aus ganz über den hinteren Abschnitt ausge- 
breitet). Der Polyp ist am 22. Januar aussen ganz von Eeto- 
derm bekleidet (siehe Tafel XXVII, Fig. '). An den Schnitten 
durch das getödtete Thhier lässt sich feststellen: 

Dass der Polyp sieh vom Mundrande und von den Wund- 
rändern her zurückgestülpt hat. Während bei dem vorigen Ver- 
such das Fussende sich nach innen und gegen die Tentakel zu 
einstülpte, stülpt es sich jetzt von den Wundrändern nach ab- 
wärts zu heraus. Während bei dem vorigen Versuch der Fuss 
schon am lebenden Thier an seiner alten Stelle zu erkennen war, 
wird er bei dem vorliegenden Versuch erst auf den Schnitten 
deutlich und liegt an der unteren Peripherie der Borste, also im 
Innern des Thieres. 


1) Man kann am lebenden Thier nicht mehr sehen, als hier be- 
schrieben ist. Erst die, mikroskopische Untersuchung der Schnitte 
durch den abgetödteten Polypen lehrt, dass mit dem Eetoderm auch 
das zugehörige Entoderm und die Stützlamelle sich vom Wundrande 
aus umgeschlagen haben. 


_ 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 557 


Das Tentakelende hat sieh in beiden Versuchen zu einem 


- Doppelring umgestaltet. Will man den Bau dieses Ringes an 
_ einem einfachen Modell nachahmen, so denke man sich ein Rohr 
_ ringförmig.gebogen und an den freien Rändern ohne Aufhebung 
- der Liehtung verlöthet. Von diesem jetzt geschlossenen Hohlraum, 


nicht von der Ringöffnung, mittelst derer man den Ring über 
einen passenden Cylinder streifen könnte, führen an unseren Ver- 
suchsthieren, sobald sie aussen wieder ganz von Eetoderm be- 
kleidet sind, seitliche Röhren in die Lichtung des Fussendes. 


Die Liehtung des Fussendes ist bis auf die Communications- 


stellen mit der Lichtung des Ringes in beiden Abarten der 
Rückstülpung durch Verwachsung der Wundränder geschlossen 
worden. Im Versuch, begonnen am 21. Januar 1891, kam die 
Verwachsung. in der Mitte des Thieres zu Stande, der Fuss lag 
somit wieder an seiner alten Stelle. Im Versuch, begonnen am 
19. Januar 1891, dem zweiten der unter dieser kubrik mitge- 
theilten Versuche, fand die Verwachsung der nach aussen um- 
geklappten Wundränder in der Gegend des alten Fusses statt; 
dieser selbst lag in der Mitte des Thieres. 

Zur Illustration des Gesagten sind auf Tafel XXX die 
schematisirten Längsschnitte durch zwei umgekehrte, in der Mitte 
des Leibes quer durehbohrte Polypen nach der Rückstülpung in 
den Figuren 6 und 7 abgebildet worden. Beiden ist die äussere 
Form gemeinsam. Ein zwei Tentakel im Längsschnitt tragender 
Hohlraum in normaler Weise innen von Entoderm und aussen von 
Eetoderm begrenzt, hat zwischen den Tentakeln eine tief ein- 
gesenkte Höhlung, die aber nirgendwo in die Lichtung zwischen 
den Wänden des Leibes hineinführt, sondern auf unseren Schnitten 
in den von der Borste erzeugten und, wie man sieht, wieder mit 
Eetoderm überkleideten Wundkanal übergeht. In Fig. 7 — 
Schema des nach aussen zurückgestülpten Fussendes — liegt der 
unteren Peripherie des Borstenkanals der Fuss an, kenntlich an 
der Schraffirung im weissen Eetoderm. In Fig. 6 — Schema 
des nach innen und gegen die Tentakel zurückgestülpten Fuss- 
endes — liegt der Fuss wie an einem normalen Polypen an der 
Basis und nicht, wie in Fig. 7, in der Mitte des Leibes. Das 


- Verständniss dieser Schemata wird durch Vergleich von Fig. 10 


auf Tafel XXIX erleichtert. Fig. 6 und 7 der Tafel XXX sind 
als Längsschnitte durch die Figur 10 in der Ebene der Tafel 


558 M. Nussbaum: 


XXIX zu denken, nachdem man an der Figur auf Tafel XXIX 
die Verlöthung der Ränder in der bei der Schilderung der Modell- 
versuche angegebenen Weise gemacht hatte. 

Es erübrigt nunmehr noch einige Längs- und Querschnitte 
durch die nach der zweiten Art zurückgestülpten Polypen zu be- 
schreiben. 

Die in den Figuren 1, 2 und 3 auf Tafel XXX abgebildeten 
Schnitte stammen von deh: in Fig. 6 und 7, Tafel XXVII dar- 
gestellten und am 19. Januar 1891 umgestülpten Polypen. Die 
Schnitte sind schräg zur Tafelebene der Fig. 7 der Länge nach ° 
geführt und gegen die Figur 7 auf Tafel XXVII um 90° nach 
rechts gedreht, so dass die Tentakel in den Schnitten auf der - 
Tafel XXX nach oben und beim ganzen Thier auf Tafel XXVU 
nach links gerichtet sind. 

Figur 1 auf Tafel XXX stellt einen Schnitt dar, der die 
Tentakelgegend und den Wundkanal schräg getroffen hat und 
nahe der Oberfläche gelegen ist. Fig. 2, Tafel XXX liegt sechs ° 
Schnitte mehr nach dem Innern zu; der Wundkanal ist ganz ge- 
troffen und wird von einem ringförmigen Hohlraum umgeben, der 
in seinem Innern mit Entoderm, aussen von Eetoderm bekleidet 
ist. Zwei Schnitte weiter folgt ein Bild, wie es in Fig. 7 der- 
selben Tafel schematisirt dargestellt ist. Der Schnitt würde ab- 
gebildet worden sein, wenn Tentakel und Fuss an ihm sichtbar 
gewesen wären; so stellt er aber blos einen C-förmig gebogenen 
Hohleylinder: dar. Die Oeffnung in dem © entspricht, wie an 
Figur 7 schon erläutert wurde, dem Durchschnitt des Wund- 
kanales, wie er gerade in die Oeffnung des von der Tentakel- 
region gebildeten Ringes übergeht. 

Taf. XXX, Fig. 3 zeigt die Lage des Fusses, an der Schraf- ” 
firung des weissen Eetoderm kenntlich. Diesem Schnitt folgen 
noch fünf, an denen der Durchschnitt des Fusses gleich orientirt 
ist und nicht an der Peripherie unten, sondern im Borstencanal 
sich findet. E 
Fig. 4 und 5 der Taf. XXX sind Querschnitte durch einen 
umgestülpten, quer durchbohrten und zurückgestülpten Polypen 
(Versuch vom 26. Juni 1886). | 

Fig. 4 stellt einen Querschnitt durch die Tentakelregion 
dar: Querschnitt des Hohlringes. Fig. 5 giebt einen Querschnitt 
durch das Fussende wieder. Im ersten Schnitt Fig. 4 (vgl. den ° 


- 


EETEITUGTLENNE 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 559 


schematischen Längsschnitt in Fig. 6 auf Tafel XXX), der nach 
oben links einen Tentakel getroffen hat, ist gleichsam in den 
äusseren von normal gelagerter Wandung der Polypen gebildeten 
Ring — aussen Ectoderm, dann Stützlamelle und Entoderm — ein 
anderer hineingesetzt mit umgekehrter Reihenfolge der Schichten. 


- Fig. 5 hat aussen Eetoderm, innen Entoderm und zwischen bei- 


den die Stützlamelle. Der Magenraum ist unregelmässig vom Ento- 
derm begrenzt. Die Querschnitte durch die verschiedenen Re- 
sionen entsprechen somit den Längsschnitten und dem was man 


nach dem Modellversuch erwarten konnte. 


Gelegentlich meiner früheren Versuche waren die Polypen, 
nachdem das Eetoderm wieder aussen lag, vom Draht befreit 
worden und hatten nach zwei Tagen ihre normale Leibesbeschaffen- 


heit wieder erlangt. 


Diesmal versuchte ich festzustellen, wie lange ein umgestülp- 
ter Polyp nach der Rückstülpung auf der Borste würde sitzen 
bleiben, und welche Wege er etwa zu seiner Befreiung einschlagen 
möchte. 

Da die umgestülpten Polypen, wenn sie nicht die vordere 
Leibeshälfte gleich der hinteren zurückstülpen, nach den bisheri- 
gen Erfahrungen in der Tentakelregion einen Doppelring bilden, 
siehe Taf. XXX, Fig.4, 6 und 7, so wäre es denkbar gewesen, 
dass ähnlich wie bei den Versuchen, wie sie in den Figuren 1 
bis 8 auf Tafel XXIX bildlich dargestellt wurden, auch hier der 
Doppelring sich in der Längsaxe des Thieres aufspalte. Das 
traf jedoch nieht ein. Es ereignete sich vielmehr eine Resorption 
der inneren Wand des Doppelringes, wie ich dies auch schon 
früher nach Befreiung der Polypen von der Borste gesehen hatte. 

Hier folgt die Beschreibung eines derartigen Versuches. 

Eine kräftige Hydra grisea wird am 10. Februar 1891 um- 
gestülpt und mit einer Borste quer durchbohrt. Nach 24 Stunden 
hat sich das hintere Leibesende durch die eine der Wundöffnungen 
zurückgestülpt und hat sich mit den Drüsenzellen des Fusses am 
Wachsklotz des Beobachtungsaquarium festgeheftet.. Die Ten- 
takelregion ist zu einem Doppelring umgestaltet. Fuss und Ten- 
takel liegen wie vor der Rückstülpung orientirt, und die ganze 
äussere Oberfläche mit Einschluss des ursprünglichen Wundeanals 
ist mit Eetoderm bekleidet. Am 15. Februar sind zwei neue 
Tentakel an der vorderen Grenze des Doppelringes erschienen. 


560 M. Nussbaum: 


Am 18. Februar kann man die Ringöffnung nieht mehr erkennen, 
der Polyp haftet aber noch gut auf der Borste. Eine Aufspaltung 
des Ringes ist nicht erfolgt, da die Tentakel noch immer eine 
Kreisfläche umstehen. Hätte man es wagen dürfen, den Polypen 
auf eine durchsichtige Unterlage zn bringen, so würde man er- 
kannt haben, dass nunmehr die Resorption der inneren Ringwand 
erfolgt war. Den Beweis hierfür kann ich jedoch erst aus den 
folgenden Beobachtungen erbringen. | 

Am 21. Februar war ein dritter junger Tentakel am vor- 


deren Leibesende hervorgesprosst, der Polyp haftete gut auf der 


Borste. Am folgenden Tage zeigte sich, wie ich dies auch bei 
dem Versuch vom 27. Januar d. J. beobachtet hatte (s. S. 548), 
ein weisslicher Streif auf einer Seite des Borsteneanals — dies- 
mal quer zur Längsaxe des Polypen. — Am 23. Februar, also 


nach 13 Tagen, war der Polyp von der Borste abgefallen. Er 


sass mit seinem Fuss festgeheftet an einer Wasserpflanze, das ent- 
gegengesetzte Ende, die frühere Mundregion war von sechs alten 
und drei jungen Tentakeln umgeben. Die äussere Form glich 
einem U, öfters auch durch Drehung des Leibes einem Z. Oben 
an dem Längsbalken lag der Tentakelkranz, unten der Fuss. 
Die kurzen Querbalken waren durch die quere, einseitige Aufspal- 
tung des Borstencanales entstanden. Der Polyp war ganz von 
Eetoderm bedeckt. Wie man jetzt bei durchfallendem Lichte 
ohne Weiteres erkennen konnte, war der Innenraum von Ento- 
derm bekleidet und zog sieh continuirlich durch den ganzen ge- 
bogenen und an den Enden geschlossenen Cylinder hin. Somit 
war der Doppelring, den die Tentakelregion gebildet hatte, eben- 
falls in einen einfachen, innen von Entoderm und aussen von Eec- 
toderm gebildeten Cylinder umgewandelt worden. Bis zum 16. Fe- 
bruar hatten sich aus der vorderen und hinteren Oeffnung des 
direet nach der Rückstülpung entstandenen Doppelringes abge- 
storbene Gewebsfetzen entleert, die nach der mikroskopischen 
Untersuchung aus Entoderm- und Eetodermzellen bestanden. Es 
waren somit Theile zu Grunde gegangen. Auch später noch, be- 
vor sich wieder eine Mundöffnung gebildet hatte, lagen in dem 
Magenraum des Polypen geballte Massen, die nur von abgestosse- 
nen Theilen des Leibes herrühren konnten, da jede Möglichkeit 
einer Aufnahme ‘von aussen ausgeschlossen war. Schon bei den 
Beobachtungen über die Regeneration aus länglichen Stücken der 


ae a 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 561 


ru 
4 


Leibeswand hatte ich feststellen können, .dass bei den Restitutions- 
sangen Resorptionserscheinungen auftreten (d. Arch, Bd. XXIX, 
Taf. XIX, Figg. 90—94). Im vorliegenden Versuche müssen 
4 aber nach der Ausschaltung der unbrauchbaren Theile durch Aus- 
: stossung und durch Resorption auch noch Verwachsungen der 
- Wundränder eingetreten sein; denn sonst hätte aus einem Doppel- 
ring kein einfacher Hohleylinder entstehen können. Einen ähn- 
_ lichen Vorgang wird man in den folgenden Versuchen beschrie- 
ben finden, wo ebenfalls aus der Continuität ein Stück der Lei- 
 bessubstanz verloren ging und darauf Verwachsung der dureh 
- Demarkation gebildeten freien Ränder erfolgte. 

) Der Polyp hatte am 26. Februar seine Gestalt noch nicht 
geändert; an der alten Stelle sass ein Kranz von 12 Tentakeln; 
es waren somit 6 neu gebildet. An diesem Polypen sah ich zum 
ersten Male die schon von älteren Autoren beschriebene Gabelung 
eines Tentakels. Nach meinen Beobachtungen ist der zweiarmige 
Tentakel durch Verschmelzung zweier alten Tentakel entstanden; 
da mit der Zeit die basale Partie immer länger, die freien Zin- 
ken dementsprechend kleiner und der verwachsene Tentakel allmäh- 
lieh resorbirt wurde. Diese Verwachsung von Tentakeln wurde 
- im Laufe der weiteren Beobachtung noch zweimal festgestellt. 
_ Am 6. März hatte der Polyp 7 Tentakel, darunter zwei ver- 
wachsene, von denen der eine aus zwei alten umd der andere aus 
drei alten Tentakeln bestand, die in beträchtlicher Ausdehnung 
an ihrer Basis verwachsen waren. 

Nach drei Tagen, am 9. März, waren alle Tentakel einfach, 
_ die beiden aus dem Zusammenfluss von je zwei oder drei ent- 
 standenen dicker, als die übrigen fünf. Die seitlichen Zinken 
waren fast ganz geschwundeu. Die beiden verwachsenen Tentakel 
wurden resorbirt; man konnte ihr Schwinden von Tag zu Tag 
beobachten. Am 12. März war ein neuer Tentakel hervorgesprosst. 
Am 15. März war der Polyp in Nichts mehr von einem normalen 
Polypen mit sechs Armen zu unterscheiden. 

Greifen wir jetzt wieder zurück auf die bei den Versuchen 
vom 25. und 27. Januar 1891 (pag. 552) aufgeworfene Frage, 
ob bei der Aufspaltung des Doppelringes zu einem eylindrischen 
Rohr nachweislich mechanische Ursachen mitgewirkt haben, so 
wird man nach den bei dem vorigen Versuch gemachten Erfah- 
rungen diese Frage bejahen müssen. In den Versuchen vom 25. 


Erw 


562 M. Nussbaüm: 


und 27. Januar 1891 hat offenbar die longitudinale Aufhängung 
der Polypen zu einer Längsspaltung des Doppelringes die Ver- 
anlassung gegeben; da mit dem Wegfall der Aufhängung im Ver- 
such vom 10. Februar, dem so eben beschriebenen Versuche, 
auch die Längsspaltung des Doppelringes nicht eintrat. Hier 
wurde der Doppelring durch den eomplieirten Process der localen 
Nekrose, Resorption und seeundären .Verwachsung der neu 
geschaffenen freien Ränder in ein einfaches eylindrisches Rohr 
umgewandelt. Dagegen wirkte die quer durchgestossene Borste 
auch beim letzten Versuche in ähnlicher Weise wie bei den Ver- 
suchen vom 25. und 27. Januar 1891. Nur erfolgte hier der 
Lage der Theile entsprechend eine quere Aufspaltung ah der Pe- 
ripherie des Borstencanals, wie wir sie vorhin des Näheren be- 
schrieben haben. Wäre der Polyp wie in allen im 29. Bd. d. Arch. 
beschriebenen Versueheu früher von der Borste, also etwa am 
zweiten oder dritten Tage nach der Rückstülpung, befreit wor- 
den, so würde nach dem Wegfall der mechanischen Ursache auch 
hier keine Aufspaltung erfolgt sein, da in meinen früheren Ver- 
suchen der Borstencanal einfach verschwand. 

Diese Fähigkeit der Verwachsung von ächten Canälen er- 
innert an die Verwachsung epithelialer Flächen oder Ränder bei 
höheren Thieren. Nur scheint sie bei Polypen in etwas anderer 
Weise vor sich zu gehen; da der Verwachsung stets ein Substanz- 3 
verlust, also gewissermassen eine Anfrischung voraufgeht. Man 
würde zur genaueren Erkenntniss dieses Vorganges erst durch 
eigens darauf gerichtete Versuche kommen können. Hier genügt 
es vorläufig, gezeigt zu haben, dass ein abnorm gestalteter Polyp 
je nach den äusseren Bedingungen in verschiedener Weise zur 
naturgemässen Gestalt zurückkehren kann. Um in der Sprache 
der Chirurgen zu reden würde man sagen müssen, dass bei den 
Polypen ächt benarbte Canäle entweder durch mechanische Aut- 
spaltung oder durch Verwachsung verschwinden können. 


4. Zur Frage, ob ein an der Rückstülpung gehinderter 
Polyp zu Grunde gehen müsse. 1 


Die sogleich mitzutheilenden Beobachtungen verdanke ich 


dem Zufall; da in beiden Fällen kein ersichtlieher und durch 


das Experiment beabsichtigter Grund für die Erscheinungen vorlag. 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpunesversuches. 563 
h pung 


Versuche vom 14. Janunr 1891. Eine umgestülpte Hydra 
R grisea wurde in ein Beobachtungsaquarium gebracht, ohne dass 
sie irgendwie verletzt worden wäre. Der Polyp war am 19. Ja- 
mar noch nicht zurückgestülpt. Am 20. Januar zerfiel das Fuss- 
3 ende zum Theil, es erfolgte von ‘dort eine totale Rückstülpung. 
Bald darauf hatte die Fusswunde sich geschlossen und dort ein 
neuer Fuss sich gebildet. Am 21. Januar zeigte das Thier seine 
- ursprüngliche, aber verkleinerte Form. 

a Eine umgestülpte Hydra grisea wird mit einem Draht quer 
durchbohrt, nachdem sie vorher 5 Stunden dagelegen hatte, ohne 
sich zurückzustülpen. Am 19. Januar ist der Polyp vom Draht 
; abgefallen und mit Ausnahme eines kleinen Reifes in der Mund- 
— gegend aussen ganz von Entoderm bekleidet. Am 21. Januar 
liegt der Polyp als eine verkleinerte von Eetoderm aussen ganz 
bekleidete Kugel da, wird am 22. Januar eylindrisch und hat 
am 23. Januar drei neue Tentakel gebildet. 

Somit kann ein umgestülpter Polyp doch länger als man 
früher glaubte, in den geschilderten Versuchen sechs Tage lang, 
am Leben bleiben, ohne sich zurückgestülpt zu haben. Erfolgt 

- dann die Rückstülpung, so ist immer eine bedeutende Verkleine- 
rung des Thieres damit verbunden. Da die Thiere, so lange sie 
umgestülpt sind, hungern müssen, so ist die Verkleinerung erklär- 

_ lieh. Der Polyp zehrt vom eigenen Leibe. Darin ist aber zugleich 
der Grund gegeben, dass ein an der Rückstülpung absolut gehin- 
derter Polyp zu Grunde gehen müsse. Er wird nie wieder zur 

- Nahrungsaufnahme geschickt, wenn das Entoderm nicht innen liegt. 


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& 
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Y 
.. 


Vol 


564 M. Nussbaum: 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVI—XXX. 


TaIeLIiSaXxyE 


Fig. 1—5. Umstülpung eines Handschuhfingers, dessen eine Wand 
nahe der Oeffnung von aussen nach innen durchbohrt wurde. 


Fig. 1. Ausgangstadium, Fig. 2incomplete, Fig. 3 complete Umstül- 
pung vom blinden Ende aus, Fig. 4 Drehung des umgestülpten 
Handschuhfingers von 180° um die Nadel, Fig.5 Drehung von 
150° um die Längsaxe des umgestülpten Handschuhfingers. 


Fig. 6—8. Umstülpung eines Handschuhfingers, dessen eine Wand 
nahe der Oeffnung von innen nach aussen durchbohrt wurde. 
Die Nähte sind der besseren Orientirung halber eingezeichnet. 


2] 
—. 
= 
Q 


8.6. Ausgangstadium: die Nähte liegen aufwärts, Fig.7 incom- 
plete Umstülpung. Fig. 8. Der blinde Zipfel ist 180° um die 
horizontale kurze Axe des Fingers gedreht. Die in Fig. 6 
und 7 sichtbaren Nähte sind nach abwärts gerichtet und des- 
halb nicht mehr zu sehen. 


Fig. 9—12. Umstülpung eines Handschuhfingers, der nahe der Oeff- 
nung doppelt durchbohrt ist. 


Fig. 9. Ausgangstadium, Fig. 10 incomplete Umstülpung vom 
blinden Ende aus, Fig. 11 complete Umstülpung, Fig. 12 
Drehung von 1800 um die Nadel. 


Fig. 13—16. Theilweise Umstülpung eines in der Mitte doppelt durch- 
bohrten Handschuhfingers. 


Fig. 13. Ausgangstadium, wo die obere Durchbohrungsstelle erwei- 
tert ist, Fig. 14 Ein- und Durchstülpung des hinteren Endes durch 
die Oeffnung in der oberen Wand, Fig. 15 Drehung von 90° 
um die horizontale Queraxe des Handschuhfingers, Fig. 16 
stellt Fig.15 von der Unterseite her dar. 


Tafel XXVI. 


N.B. In allen folgenden Figuren ist das Entoderm grau, das 
durchschimmernde Entoderm mattgrau und das Eetoderm weiss ge- 
halten, die Fussgegend mit ihren Drüsenzellen gestrichelt. 

Fig. 1—4.. Umstülpung und Rückstülpung eines Polypen, der mit 
seiner Knospe noch einen gemeinschaftlichen Magenraum hat. 


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Fig. 


Fig. 6 


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8 


| Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 565 


Fig.1. Der lebende Polyp, Fig. 2 der lebende Polyp 10 Minuten nach 


der Umstülpung, Fig. 3 der lebende Polyp 55 Minuten nach 
der Umstülpung, Fig. 4 der 24 Stunden nach der Umstülpung 
in Alcohol abgetödtete Polyp. — Vergr. Zeiss a, Oc. II; a die 
Knospe; b unteres Ende einer abgeschnittenen Knospe, deren 
Magenraum nicht mehr mit dem des Mutterthieres in offener 
Verbindung stand; ce die zur Orientirung über die Lage und 
zur Verhinderung des Abgleitens an dem einen Ende der 
Borste angeschmolzene Wachskugel. 


Ein umgestülpter und mit einer Borste quer durchbohrter 
Polyp 24 Stunden nach der Umstülpung in Alcohol abgetödtet. 
Vergr.!) Zeiss a, Oc.II. f der Fuss. 


Ein umgestülpter und quer durchbohrter, lebender Polyp. 
Derselbe Polyp nach drei Tagen in Alcohol abgetödtet. Vergr. 
Zeiss a, Oc. I. 

Tafel XXVIl. 


Längsschnitt durch den in Fig. 4 der Tafel XXVII darge- 
stellten Polypen; rechts unten die Knospe mit ihrem Tentakel 


“ getroffen. Vergr. Zeiss A, Oc. II. 


. 2, 3, 4 Querschnitte durch den in Fig.2 der Tafel XXIX abge- 


bildeten Polypen. Der Polyp wurde in eine von rechts nach 
links vorschreitende Serie feiner Schnitte_zerlegt. 


Fig. 3 ist die Abbildung des 9. Fig. 2 des 25. und Fig. 4 des 


34. Schnittes. Der Schnitt der Fig. 2 fällt durch den oberen 
Höcker der Fig. 2 auf Tafel XXIX. Dieser Höcker ist der 
Fuss, in den Zeichnungen längsschraffirt. Vergr. Zeiss A, 
Gel, 


Fig. 5 und 6. Längsschnitte senkrecht zur Tafelebene durch den in 


Fig. 5 der Tafel XXVII abgebildeten Polypen. 


Fig.5. Schnitt durch die Borstenwunde; Fig. 6 seitlich davon. Vergr. 


Zeiss A, Oc. II. — N.B. Die Schnitte durch den Polypen der 
Fig. 2, Tafel XXIX sind conform den übrigen Schnitten der 
Tafel XXVIII orientirt worden, was hoffentlich zu keinem 
Missverständniss führen wird, da der Polyp in Fig. 2 der 


1) Würde man die Theile auseinander ziehen, so erhielte man 


die Figur 10 auf Tafel XXIX, wie sich auch aus den Längsschnitten 

durch die vorliegende Figur auf Taf. XXVII, Fig. 5 und 6 ergibt. 

Die aussen weisse Wand, die man von der Borste durchbohrt sieht, 

geht somit unter der aussen grauen, tentakelwärts gelegenen durch. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 37 


566 M. Nussbaum: 


Tafel XXIX mit seinem Fuss nach aufwärts und mit den Ten- 
takeln nach abwärts gerichtet ist, die Schnitte auf der vor- 
liegenden Tafel XXVIII aber umgekehrt gerichtet sind. — Die 
Magenhöhle und die Umgebung des Polypen sind auf den 
Abbildungen schwarz. 


Tafel XXX. 


Fig. 1. Polyp über eine Borste umgestülpt, das Fussende durchbohrt 
wie auf Tafel XXVII, Fig.2; 24 Stunden nach der Umstülpung, 
lebend. Vergr. Zeiss a, Oc. DI. 


Fig. 2. Derselbe Polyp, 24 Stunden später in Alcohol abgetödtet. 
Vergr. Zeiss a, Oc.I. 


Fig. 3—-8a. Umwandlungen eines über eine Borste umgestülpten, am 
Fussende wie in Fig. 2, Tafel XXVII durchbohrten Polypen. 


Fig. 3. Der Polyp 24 Stunden nach der Umstülpung. Fig. 4. Der 
Polyp 2 Tage nach der Umstülpung. Fig. 5. Dasselbe Thier 
am dritten Tage nach der Umstülpung. Fig.6. Derselbe Polyp 
am fünften Tage nach der Umstülpung. Fig. 7. Aussehen 
des lebenden Polypen am sechsten Tage nach der Umstülpung. 
Fig. 8 und 8a. Zwei in Alcohol abgetödtete Polypen,. die am 
zwölften Tage nach der Umstülpung des ursprünglichen Po- 
lypen sich durch Schwund der in den Figg. 6 und 7 sicht- 
baren Brücke von einander trennten und bis zur Abtödtung 
in Alcohol noch zwei Tage unverändert weiter lebten. — Der 

. Polyp in Fig.8 hat 2 Köpfe mit 3 Tentakeln, der Polyp in 
Fig. 8a hat 4 Tentakel, jeder Polyp hat einen Fuss. Vergr. 
Zeiss a, Oc. I. 


Fig. 9 u. 10. Zweiactige Umstülpung eines in der Mitte doppelt durch- 
bohrten Säckchen. 


Fig. 9. Ausgangstadium. a Der von aussen sichtbare Rand des 
Loches in der vorderen Wand; b der von innen sichtbare 
Rand des Loches in der hinteren Wand; c der freie Rand der 
Lichtung; dd‘ eine in das Innere eingeführte Sonde. Fig. 10. 
Endstadium, hervorgegangen aus Fig. 9, indem der untere 

linde Theil des Säckchen eingestülpt und aus dem Loch in 
der vorderen Wand hervorgezogen wurde, so dass der Rand a, 
wie Fig. 10 zeigt, sowohl auf der vorderen wie auf der hin- 
teren Seite und das untere mit d’ bezeichnete Ende der Borste 
dd’ frei liegt. In den unteren Sack, dessen Oeffnung jetzt 
nach hinten gerichtet ist, wurde die Borste ee’ eingeführt. 
Der freie Rand e ist nach unten umgeklappt. In der Oeffnung 
des hierdurch entstandenen Doppelringes steckt noch, wie ur- 
sprünglich, der mit d bezeichnete Anfangstheil der Borste dd’. 


Fig. 11. 


Fig. 4. 


Fig. 5. 


Fig. 


Fig. 


Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 567 


Umstülpung eines nicht ganz nahe der Oeffnung doppelt durch- 
bohrten Handschuhfingers. a Ausgangstadium, b Endstadium 
nach der vom blinden Ende her erfolgenden Umstülpung 180° 
um die Nadel gedreht. (Das blinde Ende der Raumersparniss 
wegen nach abwärts umgeklappt.) 


Tafel XXX. 


Fig. 1-3. Schnitte durch den in Fig.7 der Tafel XXVII abgebildeten 


Polypen schräg zur Tafelebene. 


1 stellt den 4. Schnitt, Fig. 2 den 10. Schnitt und Fig. 3 den 
15. Schnitt der Serie dar. (Die Schnitte sind gegen die Fig. 7 
auf Tafel XXVII um 90° gedreht.) Vergr. Zeiss A, Oc. II. 


Querschnitt durch die obere Partie (Tentakelgegend, oberhalb 
der durchgesteckten Borste) eines umgestülpten, quer mit 
einer Borste durchbohrten und nach 24 Stunden restituirten 
Polypen. Ein Tentakel ist oben schräg getroffen. Das Ganze 
stellt einen Doppelring vor, dessen Oeffnung keine Magenhöhle 
ist, da sie von Ectoderm begrenzt wird. Die alte Magenhöhle 
liegt zwischen den beiden Wandungen des Doppelringes 
selbst; sie ist an manchen Stellen spaltförmig, an andern er- 
weitert und an noch andern durch Querbrücken im Schnitt 
verdeckt. Vergleiche hierzu den Längsschnitt eines solchen 
Doppelringes in Fig. 1, Tafel XXVII. 


Querschnitt durch die untere Region desselben Polypen. 


Fig. 6 u. 7. Ideale Längsschnitte median durch umgestülpte, mit einer 


Borste quer durchbohrte und wieder restituirte Polypen, senk- 
recht zur Borstenebene. 


6. Umstülpung des unteren Abschnittes vom Fuss aus — also 
nach innen und oben — und Herauskriechen durch den einen 
Wundrand (vgl. Figg. 14—16, Tafel XXVI und die Fig.5 auf 
Tafel XXVII. Der schraffirte Fuss liegt unten, auf der ent- 
gegengesetzten Seite der Tentakel. Fig.7. Umstülpung des 
unteren Abschnittes von den Wundrändern aus, also nach 
aussen und unten. Der schraffirte Fuss liegt nach unten der 
Borste an. Die oberen Abschnitte haben sich in beiden Fällen 
durch Umschlag von den Wundrändern und den Tentakeln her 
zu einem Doppelring umgebildet, und in beiden Fällen kann 
man von der Lücke zwischen den Tentakeln, wo früher die Mund- 
öffnung lag, nicht mehr in die Magenhöhle eindringen. Diese 
Lücke ist die innere Lichtung des Doppelcylinders (ef. Fig. 4, 
Tafel XXVII), die auf den durch die quer durchgesteckte 
Borste geschaffenen Wundcanal hin und von da beiderseits 


568 M. Nussbaum: Mech. des Trembley’schen Umstülpungsversuches. | 


wieder ins Freie führt. Der obere Rand des Borstencanals ist 
in den Schemata nicht getroffen. Da es bei der Wiedergabe . 
dieser Schemata wesentlich darauf ankam, die verschiedene 
Lage der Fussdrüsenzellen bei den beiden Arten, nach denen 
die Rückstülpung des Fussendes möglich ist und vorkommt, 
zu zeigen, so sind keine weiteren schematisirten Durchschnitte 
beigegeben worden. Man kann sie leicht aus den Figuren 5 
und 6 der Tafel XXVIII und namentlich mit Zugrundelegung 
der Figur 10 auf Tafel XXIX construiren. 


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569 


(Aus dem anatomischen Institut der Universität Erlangen.) 


Beitrag zur Lehre von der Entstehung der 
karyokinetischen Spindel. 


Von 


Dr. F. Hermann. 


Hierzu Tafel XXXI und 2 Holzsehnitte. 


In dem Studium des Kerntheilungsvorganges ist in neuerer 
Zeit in sofern eine gewisse Wandlung eingetreten, als die Beob- 
achtung jener wunderbar gleichmässigen Bewegungserscheinungen 
der gefärbten Kernbestandtheile während der Karyomitose mehr 
und mehr in den Hintergrund trat gegenüber der Frage nach 
einer mechanischen Erklärung der Kerntheilung, gegenüber der 
Frage nach dem Sitze der Kräfte, welche die bei der Karyo- 
kinese sich abspielenden Bewegungen auszulösen vermögen. Es 
war wohl van Beneden!) der erste, welcher auf Grund seimer 
Untersuchungen am Ascarisei den Satz aussprach, dass die dicen- 
trische Anordnung der Chromatinelemente durch eine direkte 
Contraction jenes farblosen Fibrillenapparates erfolge, der ja 
schon lange als die „achromatische Spindelfigur“ bei der Thei- 
lung der Zellen bekannt war. Wenn wir also den Versuch einer 
mechanischen Erklärung des Kerntheilungsvorganges wagen wollen, 
so muss sich wohl unser Augenmerk vor allem der Entstehungs- 
geschichte jener achromatischen Spindel zuwenden, und ich kann 
es wohl als bekannt voraussetzen, dass die Arbeiten über diesen 
Gegenstand gerade in neuerer Zeit ziemlich zahlreich geworden 
sind. Von einer sog. „historischen Uebersicht“ glaubte ich an 


1) Bulletins de l’acad&emie royale des sciences de Belgique. 97. 
1887, pag. 279. 
Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37 38 


570 F. Hermann: 


dieser Stelle um so mehr Abstand nehmen zu dürfen, als Stras- 
burger!) erst jüngst eine sehr umfassende Zusammenstellung 
der Angaben der verschiedenen Autoren gegeben hat. Freilich 
sind diese Angaben noch weit davon entfernt, eine einheitliche 
Auffassung über die Entstehungsweise der Kernspindel berechtigt 
erscheinen zu lassen und auch die Beobachtungen, die in den 
folgenden Seiten zur Kenntniss der Fachgenossen gebracht werden 
sollen, sind viel zu wenig ausgedehnt, eine solche zu erlauben. 
Wenn trotzdem die Resultate . meiner Untersuchungen hier Ver- 
öffentlichung finden sollen, so glaubte ich dazu die Berechtigung 
aus der Ansicht herleiten zu dürfen, dass wir nur durch mög- 
lichst zahlreiche, an den verschiedensten Objekten durchgeführte 
Einzelbeobachtungen mit der Zeit das Ziel erreichen werden, 
uns eine allgemeine Ansicht über die Genese der achromatischen - 
Kerntheilungsfigur zu bilden. 

In einer in diesem Archiv erschienenen Arbeit?) über „die 
Histologie des Hodens“ habe ich neben dem Kerne der grossen 
Spermatocyten des Salamanders einen farblosen Körper von ovaler 
oder rundlicher Gestalt beschrieben und habe nachweisen können, 
dass derselbe während der. Theilung dieser Zellen erhalten bleibt, 
ja dass er gerade zu diesem Vorgange in gewisse Beziehungen 
tritt, die lebhaft an die von van Beneden?) und von Boveri‘) 
am Ascarisei zuerst beschriebenen Verhältnisse erinnert. Leider 
erlaubten meine damaligen Untersuchungsmethoden, die mehr dem 
Studium der Chromatinelemente dienen sollten, nicht, einen ge- 
naueren Einblick in die erwähnten Beziehungen zu erhalten. Ich 
sing deswegen an eine wiederholte Untersuchung der Spermato- 
cyten des Salamanders, indem ich dabei eine Methode in An- 
wendung brachte, die neben der Beobachtung der ehromatischen 
Bestandtheile auch eine solche der Protoplasmaverhältnisse ge- 
stattete. Die Hoden von Ende Juli oder Anfangs August ein- 
gefangenen Salamandern wurden in dem schon früher angegebenen 
Gemisch von Platinchlorid-Osmium-Essigsäure ein bis zwei Tage 
fixirt, nach sorgfältigem Auswässern in fliessendem Wasser in 


1) Histologische Beiträge. 

2) Archiv für mikrosk. Anatomie Bd. 34. 
3) 8a./ar ®: 

4) Zellenstudien. Heft 2. 


Be; 


$ zur Lehre von d. Entstehung d. karyokinetischen Spindel. 571 


ohol von steigender Concentration nachgehärtet und hierauf 
wf 12 bis 18 Stunden in rohen Holzessig gelegt. Es erfolgt 
durch denselben. eine so ausgiebige Reduktion des Osmiums, dass 
eben den dunkel schwarzbraun gefärbten Chromatin-Elementen 
auch die feinsten Protoplasmafäden distinkt graugrün tingirt er- 
scheinen. Dabei ist die ganze Färbung eine so starke, dass die nach- 
trägliche Anwendung eines Kernfarbstofies vollständig unnöthig er- 
scheint. Einen Nachtheil freilich muss man mit in Kauf nch- 
‚men, darin bestehend, dass wenigstens in gewissen Fällen, ver- 
schiedene Granula im Zellleibe so sehr geschwärzt werden, dass 
dadurch ein Einblick m die feineren Protoplasmastrukturen er- 
schwert werden kann. Auch mag darauf aufmerksam gemacht 
werden, dass die erwähnte Methode, soweit meine Erfahrungen 
reichen, nicht an allen Zellen das Gleiche leistet; wenigstens er- 
schienen die Eikerne aus dem Salamanderovarium. etwas ge- 
-_ sehrumpft, ein Nachtheil, dem übrigens sicher durch eine passende 
Wahl der Concentration der Flüssigkeiten abgeholfen werden 
könnte. Die in Paraffın eingebetteten Organe wurden in feine 
Schnitte zerlegt und sind hier bei der Feinheit der Verhältnisse 
Sehnitte von Du unerlässlich. 

Bei der Schilderung der Befunde, der wir uns nun zu- 
wenden wollen, halten wir uns zunächst an jene grossen Zellen 
(28—30 u), die Flemming!) als die erste Generation der Sper- 
matocyten bezeichnet. Der grosse (Fig. 1) kügelige oder auch 
ovale Kern dieser Zellen wird im Ruhestadium von einem derben 
Chromatingerüste durchsetzt, dessen leicht geschwungene Stränge 
aus rosenkranzartig aneinander gereihten Chromatinelementen be- 
stehen und durch schwächer chromatische feine Brückenfäserchen 
untereinander in Verbindung stehen. Ausserhalb der deutlich 
- sichtbaren Kernmembran liegt nun diesen Kernen ungefähr in der 
Form eines flachen Brodlaibes eine Scheibe körmigen Proto- 
plasmas an, die durch ihre dunklere Färbung deutlich sichtbar 
wird; eine eigentliehe Fibrillirung ist in derselben sicher noch 
nicht nachzuweisen, wenn man auch von ihr aus in radiärer An- 
ordnung zarte Stränge in das Protoplasma ausstrahlen sieht, wo- 
durch es den Anschein bekommt, als sei der ganze Zellleib gegen 
die erwähnte Scheibe dunkleren Protoplasmas centrirt. Leider 


1) Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. 29. 


572 F. Hermann: 


war es mir aber nicht möglich, etwas aufzufinden, was einem 
Polkörperchen, Centrosoma entsprechen würde, da der Umstand, 
dass gerade in der Protoplasma-Ansammlung mehr oder minder 
reichlich durch Osmiumsäure geschwärzte Körnerbildungen ge- 
legen sind, eine sichere Diagnose eines Polkörperchens un- 
gemein erschwert. Gleichwohl zögere ich nicht, die dem Kern 
angelagerte Protoplasmamasse mit dem Namen: Archoplasma zu 
belegen und nehme die Berechtigung hierzu aus den Vorgängen, 
die sich, wie wir sogleich sehen werden, in ihr bei der Kern- 
theilung abspielen. 

Wenn nämlich der Kern in das Spiremstadium tritt und 
die Längstheilung der einzelnen Kernfäden beginnt, werden auch 
die Verhältnisse in dem Archoplasma klarer; man sieht deutlich 
(Fig. 2) zwei Centrosomen, die eben auseinander weichen und 
noch durch eine lichte Brücke mit einander in Verbindung 
stehen. In der Mitte wird die letztere von einer etwas dunk- 
leren Binde überquert, über deren Bedeutung ich mir jedoch 
keine Ansicht bilden konnte; von einer eigentlichen Polstrahlung 
ist auch in diesem Stadium noch nichts zu sehen, nur einige 
wenige ziemlich grobe Fibrillen gehen von den beiden Centro- 
somen in den Zellleib hinein. Es muss übrigens dieser Thei- 


lungsprocess der Centrosomen enorm rasch erfolgen, da ich den- 


selben nur zweimal deutlich beobachten konnte an Präparaten, 
die mit Platinosmiumessigsäure ohne nachherige Reduktion mit 
Holzessig behandelt waren. Die Fig. 2, welehe diesen für die 
Genese der Spindel so überaus wichtigen Vorgang der Centro- 
somentheilung illustriren soll, stellt die Copie einer bei Zeiss 
Apochr. 2,0 mit Projektionsokular IV aufgenommenen Photo- 
sraphie dar und sind nur wenige Details, die auf dem Negativ 
nicht mit erwünschter Schärfe hervortraten, in das etwas unter- 
exponirte Platinpapierpositiv eingetragen. | 
Während sich nun die einzelnen Chromatinfäden verdicken 
und verkürzen, beginnt allmählich der Schwund der bis dahim 
deutlich sichtbaren Kernmembran; sie verliert durch leichte 
buchtige Einkerbungen ihren glatten Contour und verschwindet 
endlich vollkommen. Bevor dies aber eintritt, sieht man deut- 
lich, wie sich die ehromatischen Fäden konstant an der dem 
Archoplasma gegenüberliegenden Seite des Kernes 
zusammenballen und hier einen Knäuel bilden, dessen Elemente 


"Beitr. zur Lehre von d. Entstehung d. karyokinetischen Spindel. 573 


‘so dieht ineinander geschlungen sind, dass sich nur in Ausnahme- 
fällen ein Einblick in die Verlaufsrichtung der einzelnen gewinnen 
lässt (Fig.3). Auch Flemming!) sind diese dichten, der Aster- 
form der gewöhnlichen Mitose entsprechenden Knäuel aufgefallen; 
er bemerkt, die Knäuel hätten „die sonderbare Disposition, dass 
nach der einen Seite sich die Windungen dieht geschlängelt zu- 
sammenhäufen“ und dass „sich das Fadengewinde immer mehr 
_ eentrisch zusammenlagert“. Ich verweise hier auf die Fig. 10 
bis 12 a. a. OÖ. Durch die erwähnte Retraction der Chromatin- 
‘fäden wird nun im Inneren des Kernes das achromatische 
Kerngerüst auf das prägnanteste sichtbar, und man sieht klar, 
_ wie sämmtliche Fasern desselben nach dem Archoplasma hin 
centrirt sind. 

Wodurch übrigens diese geschilderte Retraetion der Chroma- 
tinfäden an die dem Archoplasma gegenüberliegenden Kernseite 
erfolgt, ist natürlich schwer direkt zu entscheiden. Man könnte 
sich ja denken, dass dieselbe durch eine active Bewegung der 
5 Chromatinelemente, durch eine gewisse Contraction derselben er- 
| folge; allein abgesehen davon, dass wir vielleicht gut thun werden, 


nach gewissen Erfahrungen, die man beim Studium sich theilender 
Kerne gemacht hat, eine eigentliche active Beweglichkeit der 
. ehromatischen Elemente mehr und mehr zu leugnen, ist auch 
nicht recht einzusehen, warum die Contraction der Chromatinfäden 
stets an jener Stelle des Kernes erfolgen soll, die dem Archo- 
- plasma direkt gegenüberliegt. Es ist demnach wahrscheinlicher, 
an etwas anderes zu denken; es ist kaum zu leugnen, dass dort, 
wo das Archoplasma dem Kerne anliegt, in den Prophasen der 
Karyokinese zuerst die Selbständigkeit des Kernes gegenüber 
dem Zellleib gelockert wird und dass dann von dieser Stelle ge- 
wisse Flüssigkeitsströmungen in das Innere des Kernes eindringen. 
Lässt man dieselben an den achromatischen Gerüststrängen, die 
ja, wie oben erwähnt, sämmtlich zum Archoplasma centrirt sind, 
erfolgen, so ist es unschwer einzusehen, dass die Chromatinfäden 
sämmtlich an die entgegengesetzte Kernseite, wo die Kernmem- 
 bran ihre Selbständigkeit am längsten beibehält, gewissermaassen 
- angeschwemmt werden und hier, zu einem dichten Knäuel zu- 

sammengeballt, einstweilen liegen bleiben. 
Für die Folge müssen wir nun dem Archoplasma unsere 


{ 1) a.a. 0. 


_ A a 
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574 F. Hermann: 


volle Aufmerksamkeit widmen, da sich innerhalb desselben Vor- 
gänge von der einschneidendsten Bedeutung abspielen. Ich habe 
oben angegeben, dass die während des Spiremstadiums ausein- 
anderrückenden Centrosomen durch eine lichte Brücke mit ein- 
ander in Verbindung stehen; diese bildet sich nun zu einer 
äusserst zierlichen kleinen Spindel (Fig. 4) um, die als 
liehter Körper sich von dem körnigen dunklen Archoplasma, in 
dessen Mitte sie gelegen ist, scharf abgrenzen lässt. An den 
beiden Polen finden wir die Centrosomen (Polkörperehen) und 
sehen, wie dieselben durch wenige äusserst feine Fädcehen mit 
einander in Verbindung stehen. Von einer eigentlichen Strahlen- 
sonne ist aber auch jetzt noch nichts wahrzunehmen; allerdings 
fällt eine gewisse zu der kleinen Spindelfigur zentrische Verlaufs- 
richtung sämmtlicher Protoplasmastrukturen deutlich in die Augen, 
allein es handelt sieh hier noch nicht um jene charakteristischen 
feinsten Fibrillen, wie wir sie bei den Polstrahlungen zu sehen 
gewohnt sind, und ausserdem sind die im diesem Stadium zu be- 
obachtenden Protoplasmastrukturen nach der jungen Spindel in 
toto, nicht nach deren beiden Centrosomen hin centrirt. Die 
kleinste junge Spindelfigur, die ich beobachtet habe, habe ich in 
Fig. 4 bei 1000facher Vergrösserung unter Benutzung der Ca- 
mera lucida abgebidet; vergleicht man dieselbe in Hinsicht ihrer 
Grösse mit der bei der nämlichen Vergrösserung gegebenen Dar- 
stellung der fertigen Kernspindel in Fig. 11, so zeigt sich, dass 
diese um ca. das Siebenfache grösser ist, als jene. Die junge 
Spindel kann ziemlich weit von dem Knäuel der chromatischen 
Fäden entfernt sein, wodurch sich die Thatsache erklärt, dass 
man an feinen Schnitten von 5 u nicht selten in den Zellen le- 
diglich die Spindel, von den ehromatischen Fäden aber gar nichts 
zu sehen bekommt und auch in dem Schnitte, der im Fig. 4 dar- 
gestellt ist, finden sich nur zwei chromatische Elemente. 

Solche kleine neben den sich theilenden Kernen gelegene 
Spindelfiguren sind schon von van Beneden beschrieben und 
abgebildet worden. Er schildert am Ascaridenei die sich bei der 
Bildung der Furchungsspindel abspielenden Vorgänge in einer 
Art, die mit unseren oben mitgetheilten Befunden vollständig 
übereinstimmt und ich kann es mir nicht versagen, die betreffenden 
Sätze van Beneden’s!) hier wörtlich wiederzugeben: „Les deux 


1) a. a. ©. pag. 277. 


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Sn ee ee a ud a ai nt 


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Beitr. zur Lehre von d. Entstehung d. karyokinetischen Spindel. 575 


spheres attractives, quoique separces l’une de Tautre, se trouvent 


eneore du m&me cöte du noyau, au stade de pelotonnement (spirem). 


Leurs eorpuseules centraux sont relies entre eux par des filaments, 
qui eonstistuent avec les fibrilles dirigdes vers le noyau un fuseau 


zachromatique de tr&s petites dimensions.“ (ef. Pl. I. 


BA Z IE PEWNT. Fig. 1. 5. 14.) 

Ein gewisser Unterschied besteht jedoch zwischen diesen 
Befunden van Beneden’s und den hier mitgetheilten darin, dass 
‘dort schon eine Zweitheilung des körnigen Archoplasmas, der 
sphere attraetive van Beneden's, stattgefunden hat, während 
hier die kleine Spindel mitten in der einheitlichen Archoplasma- 
ansammlung gelegen ist und eine Zweitheilung dieser letzteren, 
wie hier gleich bemerkt werden soll, überhaupt auszubleiben 
scheint. Boveri, dessen schöne Untersuchungen bekanntlich an 
demselben Objecte wie die van Beneden’s angestellt wurden, 
leugnet das Auftreten einer kleinen, die beiden Centrosomen ver- 
knüpfenden Spindelfigur (pag. 96) vollständig und ist auch auf 
den schönen Zeichnungen dieses Forschers nichts davon zu sehen; 
doch mag darauf hingewiesen werden, dass auf seiner Fig. 40 
Fädehen von Polkörperchen zu Polkörperchen zu ziehen scheinen, 
ein Umstand, der später noch nähere Berücksichtigung finden 
wird. 

Ist nun die junge Spindel ungefähr zum, doppelten (Fig. 5) 
oder dreifachen ihrer Länge herangewachsen, so treten plötzlich 
von den Centrosomen ausgehende Fibrillenstrahlungen zu Tage 
(Fig. 6, 7). Man beobachtet dann, dass, und zwar konstant, stets 
zuerst von einem der beiden Öentrosomen ein mächtiges 
Bündel ausgeht, dessen feinste, ziemlich glattrandige Fäserchen 
divergent auseinander strahlend, sich an den Chromatinschleifen 
ansetzen und zwar derart, dass mit dem einzelnen ehromatischen 
Element stets eine grössere Anzahl von Fäserchen in Verbin- 
dung tritt. Ich kann damit die Angabe Rabl’s!), der zufolge 
„die Zahl der von einem Pol zu einer ganzen Schleife ziehenden 
Fasern etwa 16—20 beträgt“, vollkommen bestätigen. 

Wir haben oben gesehen, dass durch die Retraktion der 
Chromatinschleifen das achromatische Kerngerüst frei sichtbar 
wird und dass sämmtliche Bälkchen desselben nach dem Archo- 


1) Anatomischer Anzeiger 1889. 


576 F. Hermann: : 


plasma centrirt sind; dies ist auch dann noch der Fall, wenn 
die Kernmembran schon längst unsichtbar geworden und die 
Junge im Archoplasma gelegene Spindelfigur schon ziemlich heran- 
gewachsen ist. Ich möchte jedoch von vorneherein dem Ein- 
wurf begegnen, dass es etwa diese achromatischen Kernfasern 
seien, die sich als Fibrillenbündel an die Centrosomen der Spindel 
ansetzen; davon kann absolut nicht die Rede sein, man sieht zu 
deutlich die Fibrillen von den Polkörperehen aus gegen die Chro- 
matinelemente hinziehen, namentlich m den Fällen, wo die Fi- 
brillen in der Nachbarschaft der Spindelpole schon ausgebildet 
sind, die Kernschleifen aber noch nicht erreicht haben. Damit 
soll keineswegs geleugnet werden, dass sich die Polstrahlungen 
nachträglich mit den achromatischen Gerüstfasern in Verbindung 
setzen und letztere so bei der Bildung der Spindel verwendet 
werden können; doch ist das eine Frage, die sich direkt wohl 
schwer wird entscheiden lassen. 

Haben nun beide Centrosomen ihre Strahlenbündel nach 
den Kernelementen hin entsendet, so stehen dieselben durch einen 
ganzen Wald feiner Fäserchen mit den beiden Spindelpolen in 
Verbindung (Fig. 8, 9) und zwar: will es mir scheinen, als wenn 
jedes Ohromatinelement von beiden Centrosomen her Fasern 
bezöge. Allerdings, dies gestehe ich gerne ein, habe ich diesen 
doppelten Ansatz von Fibrillen an die einzelne Kernschleife bei 
der eminenten Feinheit der ganzen Verhältnisse nicht direkt be- 
obachten können, möchte ihn aber aus dem Umstande, dass die 
beiden Strahlensysteme sich unter den verschiedensten Winkeln 
durchkreuzen und durchflechten, für höchst wahrscheinlich an- 
sehen. 

Ist einmal durch die Fibrillenbündel von der Spindel nach 
dem Knäuel der Kernschleifen eine Brücke geschlagen, so findet 
der weitere Verlauf des Prozesses in ganz einfacher Weise statt. 
Während nun die Spindel sich rasch vergrössert, kommen die 
von den Polen derselben abgehenden Fibrillen in Contraction 
und werden so die Chromatinelemente mehr und mehr in die 
Nähe der Spindel ziehen (Fig. 10). Wir kommen so auf ganz 
natürlichem Wege zu jenen eigenthümlichen Kerntheilungsfiguren, 
‚die auch Flemming aufgefallen sind und von ihm auf das ge- 
"naueste beschrieben und abgebildet wurden. „Die Spindel liegt 
schräg neben dem Kerngewinde, sie ist demselben einseitig eng 


- Beitr. zur Lehre von d. Entstehung d. karyokinetischen Spindel. 577 


_ angelagert“, so sagt Flemming; den Grund dieser „einseitigen 
- Lage“ haben wir wohl in der Genese der ganzen Spindelfigur 
_ und ihrer Fibrillenzüge deutlich genug vor Augen gehabt. Mit 
dem Eintritt der Contraction der Fibrillen ist übrigens noch etwas 
_ anderes sichtbar geworden; von der Spitze der Spindel geht nun 
auch die typische Polstrahlung in den Zellleib hinein, die übrigens, 
wie dies ja auch schon von Flemming erwähnt wird, nur 'von 
- geringer Ausdehnung ist und deshalb wenig in die Augen fällt. 
Die ferneren Prozesse sind einfach und vermögen uns nicht 
mehr zu interessiren. Durch richtende Einflüsse, die wir doch 
wohl den Spindelfibrillen zuzuschreiben berechtigt sind, werden die 
Chromatinschleifen an der Oberfläche der Spindel herumgeschoben 
und es entsteht dadurch in der Metakinese jener Gleichgewichts- 
zustand, der zu jener tonnenförmigen, bauchigen Kernfigur führt, 
die ja schon vor längerer Zeit in dem klassischen Werke Flem- 
ming’s über Zellsubstanz, Kern- und Zelltheilung als besonders 
charakteristisch für die Spermatocyten des Salamanders angeführt 
wird. Zur Demonstration der Grösse, bis zu welcher die Spindel 
aus kleinen Anfängen sich ausgebildet hat, habe ich in Fig. 11 
ebenfalls bei 1000facher Vergrösserung ein halbschematisches Bild 
dieser metakinetischen Tonnenfigur gegeben. t 

Damit bin ich mit der Schilderung der thatsächlichen Ver- 
hältnisse, wie sie sich aus dem Studium meiner Präparate ergaben, 
zu Ende gelangt und ich hoffe auf Grund derselben zu dem 
Satze berechtigt zu sein, dass in den grossen Spermatocyten des 
Salamanders die achromatische Spindel dem Zellleib, dem 
Protoplasma ihre Entstehung verdankt. Uebrigens möchte ich 
auf eine rein protoplasmatische Herkunft der Spindel selbst nicht 
zu starken Nachdruck legen, da ich ja oben die Möglichkeit zu- 
geben musste, dass vielleicht auch. das achromatische Kerngerüst 
beim Aufbau der Spindel sekundär Verwendung findet. Prüft 
man allerdings in unserm Falle diese Möglichkeit etwas näher, 
so wird man sich doch wohl der Ansicht nicht verschliessen 
können, dass diese Theilnahme der achromatischen Kerngerüstsub- 
stanz, wenn sie wirklich stattfinden sollte, jedenfalls nur eine ge- 
ringe und unwesentliche sein wird, denn für den Haupttheil der 
Spindel ist doch die protoplasmatische Herkunft unverkennbar. 
Ja, für einen gewissen Theil der Spindelfaserung konnte diese Ge- 
nese aus den Präparaten direkt bewiesen werden, nämlich für jenen, 


578 F. Hermann: 


der sich aus der die beiden auseinanderweichenden BEEnRomen 
verbindenden Brücke ableiten liess. 

Wenn nun auch die Genese der Spindel aus dem Zellleib 
in unserem Falle direkt beobachtet und bewiesen, während die 
Mitbetheiligung der achromatischen Kernsubstanz nur als eine 
Möglichkeit nieht abgewiesen werden konnte, so möchte ich mich 
doch jenen anschliessen, welche die Spindelfigur im Allgemeinen 
aus dem Protoplasma und dem achromatischen Kerngerüste ent- 
stehen lassen. Dabei kann die mögliche Betheiligung dieses letz- 
teren eine verschiedengradige sein; sie kann, wie wir eben bei 
den Spermatocyten des Salamanders gesehen haben, eine ver- 
schwindend geringe sein, während in anderen Fällen — dazu 
müssen wir z. B. die von Platner!) bei der Bildung der ersten 
Furcehungsspindel in den Eiern von Aulostomum gulo gemachten 
Erfahrungen rechnen — recht wohl mehr oder minder ausge- 
dehnte äquatoriale Bezirke der Spindel dem achromatischen Kern- 
gerüste ihre Entstehung verdanken dürften. Ja, wie ich glaube, 
dürfte die Frage, ob neben dem Zellleib auch die geformte achro- 
matische Kermsubstanz bei der Genese der Spindelfigur in ver- 
schiedenem Grade sich betheiligt, überhaupt nicht so sehr unser 
Interesse beanspruchen, vielmehr scheint mir in theoretischer Be- 
ziehung darin die Hauptsache zu liegen, dass die Bildung der 
karyomitotischen Spindel von dem Protoplasma aus einge- 
leitet wird, indem von den sich theilenden Gentrosomen 
nach dem Kerne hin kontraktile Fibrillenzüge sich 
entwickeln, die eventuell mit den achromatischen Ge- 
rüstfasern des Kernes eine sekundäre Verbindung ein- 
sehen können. Wir sind gewohnt, den ganzen Prozess der 
Kerntheilung als einen innerhalb der Zelle sich abspielenden Be- 
wegungsvorgang anzusehen, indem die gefärbten Kernbestandtheile 
nach zwei in dem Protoplasma auftretenden Centren hin sich 
ordnen, und wir haben namentlich durch die Untersuchungen 
van Beneden’s und Boveri’s kennen gelernt, dass diese die 
zentrische Anordnung durch die Kontraktion der Spindelfibrillen 
nach den Polkörperchen zu erfolgt. Nun ist es das entschiedene 
Verdienst von Ballowitz?), in jüngster Zeit auf den intimen 


1) Archiv für mikroskop. Anatomie Bd. 33. 
2) Archiv für die gesammte Physiologie Bd. XLVI. 


kas TE 


- Beitr. zur Lehre von d. Entstehung d. karyokinetischen Spindel. 579 


Zusammenhang von Contraetilität und fibrillärer Struktur aufmerk- 
sam gemacht zu haben; hinweisend auf das schon lange bekannte 
Vorhandensein von fibrillären Strukturen in den Flimmerzellen, 
in den Fortsätzen amöboid sich bewegender Zellen, in der Muskel- 
substanz, konnte er auch für das Bewegungsorgan des Spermato- 
zoons, den Schwanzfaden, eine Zusammensetzung aus feinsten Fi- 
brillenzügen sicher stellen. Gelegentlich meiner Untersuchungen 
über die Spermatogenese bei Salamandra maeulosa habe ich die 
Ansicht vertreten, dass der Schwanz des Spermatozoons wahr- 
scheinlicherweise der extranuclear im Protoplasma entstehenden 
Mittelstückanlage entsprosst; seitdem haben mich Beobachtungen 
über die Entstehung der Selachierspermatosomen belehrt, dass das, 
was ich für Salamandra als möglich festgestellt, 'Thatsache ist, 
dass nämlich der Schwanz des Spermatosoms in einer körnigen 
Protoplasmaansammlung neben dem Spermatidenkerne seine Ent- 
stehung nimmt und erst sekundär mit dem letzteren in Verbindung 
tritt. Wir sehen also, dass auch die Fibrillensysteme, aus denen 
nach den Ballowitz’schen Untersuchungen das Bewegungsorgan 
des Samenfadens zusammengesetzt ist, dem Zellleib entstammen; 
halten wir damit unsere oben beschriebenen Erfahrungen über 
die Entstehung der karyokinetischen Spindel zusammen, die ja 
wenigstens sicher für den Haupttheil der Spindelfibrillensysteme 
einem protoplasmatischen Ursprunge das Wort reden, so dürften 
wir vielleicht zu dem Schlusse bereehtigt erscheinen, die Hypo- 
these von Ballowitz dahin zu erweitern, dass wir sagen: 
sämmtliche die Contraetilität vermittelnden Fibrillen- 
strukturen entstammen dem Zellleib, oder allgemeiner, 
sämmtliche aktiven Bewegungen der Zelle werden vom 
Protoplasma ausgelöst. Man könnte mir nun gegen diese 
Ansicht einwenden, dass ja bei dem Zustandekommen der sich 
so häufig findenden gelappten Kernformen, die wir doch auch 
auf Bewegungsphänomene zurückführen müssen, bislang noch nichts 
von fibrillären Strukturen in Form von Polstrahlungen ete. habe 
nachwgisen lassen. Nun sind freilich gerade über die Struktur 
der sog. gelappten Kerne unsere Kenntnisse noch recht dürftige, 
allein ich möchte nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass es 
mir gelungen ist, neben den exquisit gelappten Kernen” der Sper- 
matogonien des Frosches Strahlungen mit einem im Centrum des- 
selben gelegenen Polkörperchen zur Anschauung zu bringen (Fig. 12), 


580 F. Hermann: 


- 


und zwar erfolgt die Lappung des Kernes stets nach der Seite, 
wo sich im Zellleib das radiäre Fihrillensystem gelagert findet. 
(Anmerk.) 

Wenn wir uns nun, nachdem wir im Hoden des Salaman- 
ders die Genese der karyokinetischen Spindel verfolgt haben, 
ein Bild zu machen suchen, welche Fasersysteme wir in der 
fertigen Spindel anzunehmen haben, so dürften wir zu folgenden 
Schlüssen gelangen. Wir haben gesehen, dass die beiden aus- 
einanderweichenden Centrosomen durch eine Brücke mit einander 
in Verbindung stehen, die, sich ausbauchend, zu einer sich rasch 
vergrössernden Spindel heranwächst; an der fertig ausgebildeten Spin- 
del wird dieser Theil die axiale Mitte derselben einnehmen, weshalb 
ich ihn mit dem Namen Centralspindel belegen möchte und wird 
aus Fibrillen bestehen müssen, die direet und eontinuirlich 
von Polkörperchen zu Polkörpercehen ziehen, ohne 
auf ihrem Wege überhaupt mit chromatischen Kern- 
elementen in Beziehung zu treten (Holzschnitt Fig. 1). Ge- 


\ Fig. 2. 


Schematische Darstellung der Zusammensetzung der Spindelfigur. 


6 
Anmerkung. Die Beobachtung eines Archoplasmasystemes 
neben gelappten Kernen findet eine rasche Bestätigung in einer, erst 
nach Abschluss vorliegenden Manuscriptes erschienenen Mittheilung 
von Flemming (Anatom. Anzeiger, Jahrg. VI, Nr.3). InFig.5 findet 
sich die Abbildung eines Leucocyten der Salamanderlarve, die mit 
unserer Fig. 12 bis auf’s Kleinste übereinstimmt. 


Beitr. zur Lehre von d. Entstehung d. karyokinetischen Spindel. 581 


wissermassen als Mantel werden sich über diese Centralspindel 
jene Fasersysteme herüberlegen, die von den beiden Centrosomen 
aus zur Herbeiholung der Chromatinelemente entsendet wurden, 
und diese Fibrillenzüge können nicht von Pol zu Pol ziehen, son- 
dern werden in der Nähe des Spindeläquators durch ihren Ansatz 
an die sich färbenden Kernbestandtheile eine Unterbrechung er- 
leiden müssen. Geht nun aus der Metakinese das Stadium 
des Dyasters hervor (Holzschnitt Fig. 2), so werden die letz- 
teren Fibrillenzüge durch Contraetion die dieentrische Verschie- 
bung der Chromatinschleifen längs der Centralspindel besorgen, 
und ich kann mich dabei des Gedankens nicht erwehren, dass 
die Centralspindel jene Fibrillen darstellt, welche als Verbindungs- 
fasern bezeichnet werden und von denen bekannt ist, dass sie 
sich auch in optischer Hinsicht etwas anders verhalten, wie die 
übrigen Spindelfibrillen. Unleugbar dem Protoplasma entstam- 
mend, kehren die Fibrillen der Centralspindel bei Rekonstruktion 
der Tochterkerne, radienartig ausstrahlend, wieder in das Proto- 
plasma zurück, während die übrigen Spindelfasern nach ihrer 
Contraetion in Verbindung mit der Polstrahlung, indem sie ihre 
fibrilläre Struktur aufgeben, das Archoplasmasystem der neugebil- 
deten Tochterzelle darstellen. 

Die Angaben, die ich mir über die Zusammensetzung der 
ausgebildeten Spindel des Salamanderspermatocyten zu machen 
* erlaubte, finden eine Stütze in den Beobachtungen, die van Be- 
neden an einem anderen Objeete, den Eiern von Ascaris me- 
galocephala, machte. Er giebt an, dass die Spindel aus zwei 
Fibrillenkegeln bestände, die mit ihren Basen aneinander stossen, 
und dass zwischen diese Halbspindeln die chromatischen Elemente 
im Aequator eingeschaltet seien; er bemerkt aber auch, dass 
nicht alle Fibrillen mit den Chromatinschleifen in Contact treten, son- 
dern „dass eine gewisse Zahl derselben die beiden Cen- 
tren der dicentrischen Figur miteinander verknüpfen“ 
und leitet diese Fäden von der Verbindungsbrücke der ausein- 
anderweichenden Centrosomen ab. Dagegen huldigt van Beneden 
in Bezug auf die Verbindungsfäden der Ansicht, dass dieselben 
dem Achromatin des Kernes entstammen, indem bei der Trennung 
der Schwesterfäden die achromatische Grundlage derselben ge- 
dehnt und zu Fadenbildungen ausgezogen wird, und. wird diese 
Ansicht auch von Boveri getheilt. Ich bin natürlich weit da- 


582 | F. Hermann: 


von entfernt, dieses Verhalten bei Ascaris megalocephala bestreiten 
zu wollen, möchte aber darauf hinweisen, dass in den Spermato- 
cyten von Salamandra maculosa die Sache sich jedenfalls anders 
verhalten dürfte, schon deshalb, weil hier in der Metakinese be- 
kanntlich überhaupt keime Längsspaltung der chromatischen 
Fäden eintritt, sondern eine Quertheilung der ringförmigen 
Chromatinfäden in zwei Tochterschleifen erfolgt. Nun könnte 
man sich freilich denken, dass zwischen den freien Schenkeln 
der auseinanderweichenden Schleifen die achromatische Substanz 
sich zu einem Fadenwerke, dass den Verbindungsfasern entsprechen 
würde, ausziehen könnte; allein auch dies scheint mir nicht recht 
wahrscheimlich zu sein. Denn dann müsste man ja die Verbin- 
dungsfasern ausschliesslich zwischen den freien Schleifenschenkeln 
ausgespannt finden, was aber nicht der Fall ist, vielmehr ragen 
die letzteren ziemlich weit über die seitliche Begrenzung des 
Bündels der Verbindungsfäden frei hervor. 

In Bezug auf die Konstitution der Spindel stimmt Boveri 
mit den Ansichten van Beneden’s, die ja den von mir an den 
Spermatoceyten gemachten Befunden im grossen und ganzen ent- 
sprechen , nicht überein. Er lässt die Spindel lediglich aus 
zwei im Aequator durch die chromatischen Elemente in Contact 
stehenden Spindelhälften bestehen und leugnet Fasern, die direkt 
ohne Berührung chromatischer Elemente von Pol zu Pol ziehen, 
vollständig. Wie diese Differenz zwischen van Beneden und ' 
Boveri zu erklären ist, vermag ich, da ich die Verhältnisse bei 
Ascaris aus eigener Anschauung viel zu wenig kenne, nicht anzu- 
zugeben, möchte jedoch betonen, dass auf den Fig. 40 und 41 
Boveris doch Verhältnisse wiedergegeben werden, die dafür 
sprechen dürften, dass auch hier Fäserchen direkt von Pol zu 
Pol gehen. Bei der geringen Schleifenzahl bei Ascaris mögen ja 
diese Fäserchen selbst stark reduzirt sein und durch den Um- 
stand, dass hier die Chromatinschleifen an die Spindelaxe voll: 
ständig heranrücken, der Beobachtung weniger leicht zugänglich 
werden, als es an den bauchigen Spindeln der Salamandersperma- 
toeyten der Fall ist. 


4 


Beitr. zur Lehre von d. Entstehung d. karyokinetischen Spindel. 583 


Nachtrag. 


Vorstehende Mittheilungen waren bereits niedergeschrieben, 
als ich so glücklich war, in den Besitz eines nahezu geschlechts- 
reifen, lebenden Proteus anguineus zu gelangen. Die Hoden, in 
Grösse und äusserem Habitus ziemlich denen des Salamanders 
gleichend, wurden gleichfalls der oben angeführten Methode mit 
Platinehlorid-Osmiumessigsäure und nachheriger Reduetion mit 
Holzessig unterworfen, im Weiteren aber etwas abweichend be- 
handelt. Ich wandte nämlich zur Darstellung der Protoplasma- 
verhältnisse die von Pal eingeführte Methode der Nervenfärbung 
mit passenden Modificationen auf das Object an. Zu diesem Be- 
hufe kommen die Hoden in toto im Dunkeln in die P al’sche 
Hämatoxylinlösung (Hämatoxylin 1,0, Aleoh. abs. 70,0, Wasser 30,0) 
auf 12—18 Stunden, werden hierauf auf dieselbe Zeit ebenfalls 
im Dunkeln mit Aleohol von 70 °/, bis abs. behandelt und hierauf 
eingebettet. Die undurchsichtig schwarze Farbe, die die mit Ei- 
weiss aufgeklebten dünnen Schnitte zeigen, wird mit einer ganz 
verdünnten Lösung von Kalihypermanganat (Färbung hellrosa) 
extrahirt, so lange, bis die Schnitte (unter steter Controlle des 
Mikroskopes) ein ockerfarbiges Aussehen zeigen. Nach flüchtigem 
Abspülen in Wasser wird die braune Farbe des in den Schnitten’ 
gebliebenen Mangansuperoxyds durch das auf das 5—10fache ver- 
dünnte Pal’sche Säuregemisch (Acid. oxal. 1,0) Kal. sulfuros. 1,0, 
Aq. dest. 200,0) gelöst und die Schnitte hierauf auf 3—5 Minuten 
(nicht länger!) mit Saffranin in gewöhnlicher Weise nachgefärbt. 
Die gelungenen Präparate zeigen ein sehr elegantes und instruc- 
tives Bild: nur die Körnchen des Archoplasmas sind durch. das 
Hämatoxylin verschieden intensiv geschwärzt, das übrige Proto- 
plasma ist völlig farblos, während die Kernelemente das leuch- 
tende Roth des Saffranin zeigen. 

Auch bei Proteus hielt ich mich zunächst an jene grosse 
Form der Spermatocyten, die, etwas, wenn auch nicht viel grösser 
als bei Salamandra, ziemlich grosse Partien des Hodengewebes 
ausschliesslich zusammensetzten. 

Die meist leicht ovalen Kerne (Fig. 13) zeigen im Wesentlichen 
die gleichen Verhältnisse wie bei Salamandra, nur sind die chroma- 
tischen Fäden graciler gebaut und lassen in ihrer Anordnung mit 
einer geradezu frappirenden Deutlichkeit und Schärfe das Rabl- 


584 F. Hermann: 


sche Pol- und Gegenpolfeld erkennen. An dem Polfelde findet 
sich constant eine leichte Delle und hier liegt dem Kern, in Form 
einer mächtigen, granulirten Kugel, das Archoplasma an. 

Die intimere Structur desselben, die ich an meinen Präpa- 


paraten von Salamandra vergeblich aufzudecken suchte, liegt hier 


klar und deutlich zu Tage. Es besteht bei Proteus das Archo- 
plasma aus einer kugeligen Ansammlung differeneirten Protoplas- 
mas, dessen Zusammensetzung aus feinen Körnehen deutlich in 
die Augen fällt und zwar liegen dieselben so dicht gelagert, dass 
irgend eine radiäre Anordnung derselben sich nieht nachweisen 
lässt; auch vermag ich nicht anzugeben, ob die einzelnen Archo- 
plasmakörncehen untereinander durch irgend ein Netzwerk zusam- 
menhängen. Dagegen liessen sich, eingebettet in die körnige 
Archoplasmakugel, zweierlei Gebilde mit aller Schärfe beobach- 
teten. Erstens gelang es, das in den Salamandraspermatoeyten 
vergeblich gesuchte Centrosoma nachzuweisen und zwar fand sich 


dasselbe in den meisten Zellen als ein sehr kleines, sich scharf 


färbendes Kügelchen, welches stets im Centrum des Archoplas- 
mas gelegen war. Der lichte Hof, der von van Beneden und 


von Boveri als ceharacteristisch für das Centrosoma bei Asearis 


angegeben wird, scheint hier nieht immer vorzukommen, wenig- 
stens konnte ich desselben nur in relativ wenigen Zellen ansich- 
tig werden. | 

Mitunter, wenn auch selten vorkommende hantelförmige Cen- 
trosomen dürften wohl unschwer als Formen der Theilung der 
Polkörperchen zu deuten sein, die danach noch während des 
Ruhezustandes des Zellkernes sich einzuleiten scheint. In einer 
zunächst um das Centralkörperchen gelegenen Zone birgt das 
Archoplasma aber noch andere, recht eigenthümliche, Gebilde, die 
meines Wissens bis jetzt noch nicht in Wirbelthierzellen beob- 
achtet sein dürften. 

Durch eine dunklere Tinetion auffallend, liessen sich näm- 
lich in jeder Zelle ohne Ausnahme Fadenstructuren nachweisen, 
die bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck machen, als sei 
das Centralkörperchen von einem sperrigen Netzwerk oder einem 
lockeren Fadenknäuel umgeben. Genauere Untersuchungen, na- 
mentlich an Spermatoeyten, deren Archoplasma weniger dunkel 
gefärbt ist, lehren aber, dass diese Anschauung nicht der Wirk- 
lichkeit entspricht und zeigen auf das Deutlichste, dass es sich 


hir han nie ug a 


Par EUER ar 
STAHL 


- Beitr. zur Lehre von d. Entstehung: d. karyokinetischen Spindel. 585 


_ um Gruppen einzelner kurzer, S-förmig oder schleifen- 
förmig gebogener Fädchen handelt, die um das Centrosoma 
gelagert sind. Bei der Feinheit der ganzen Verhältnisse und der 
- Unmöglichkeit, eine scharf differeneirende Tinetion dieser Fäd- 
chen zu erhalten, waren meine Bemühungen, genaue Zählungen 
derselben vorzunehmen, leider erfolglos; trotzdem möchte ich 
nicht versäumen, darauf aufmerksam zu machen, dass jede Gruppe 
aus annähernd gleichviel Elementen zu bestehen scheint, und dass 
die Zahl derselben schätzungsweise höchstens 16—20 betragen 
dürfte. 
| Ueber die Bedeutung dieser Archoplasmaschleifen, wie ich 
die beschriebenen Fadenstructuren benennen möchte, will ich mir 
vor der Hand kein Urtheil erlauben, ich möchte nur auf Erfah- 
rungen hinweisen, die ich gelegentlich emer Nachprüfung der 
Beobachtungen von Platner !) und Prenant?) an den Spermato- 
ceyten von Helix pomatia gemacht habe. Platner beschreibt an 
den ruhenden Spermatocyten von Helix den „Nebenkern“ als ein 
gewundenes Element und lässt denselben mit dem Beginn der 
Theilung in eine bestimmte Anzahl von Stäbchen (Helix 6, Li- 
max 8) zerfallen, die, sich durch Längsspaltung verdoppelnd, in 
zwei Gruppen auseinanderrücken und an den Spindelpolen die 
sog. „Hauptstrahlen“ der Polstrahlung darstellen. Ich will an 
dieser Stelle auf die Angaben Platner's nicht näher eingehen, 
möchte vielmehr hier nur erwähnen, dass sich”unter Anwendung. 
der oben beschriebenen Tinetionsmethode an jeder ruhenden Sper- 
matocyte von Helix (Fig. 14) nachweisen lässt, dass der „Neben- 
kern“ von vornherein aus einer bestimmten Anzahl regellos ge- 
lagerter, schleifenförmig gebogener Stäbchen besteht und zwar 
konnte ich in einer grossen Zahl: von Fällen stets 12 soleher 
Schleifen zählen. Auch Prenant fand neben ruhenden Sper- 
matocytenkernen solche Gruppen von schleifenförmigen Fädchen 
und hält dieselben für rudimentäre Formen der Nebenkernes, 
eine Deutung, die jedenfalls nicht richtig erscheinen dürfte. 
Halten wir diese an den Geschlechtszellen der Pulmonaten 
gemachten Beobachtungen mit den oben bei Proteus beschriebenen 
Verhältnissen zusammen, so dürfen wir wohl die Nebenkernstäb- 


1) Archiv für mikrosk. Anatomie Bd. 26 u. 33. 
2) La Cellule. IV, 1. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 39 


# 


586 F. Hermann: Beiträge zur Lehre von der Entstehung etc. 


3 
3 
chen von Helix und die Archoplasmaschleifen bei Proteus als h 
identische Bildungen auffassen und wird uns die typische Anzahl 
von 12, in der die Stäbehen bei Helix auftreten, darauf hinweisen 
müssen, dass diese Gebilde bei der Theilung der Spermatocyten 
eine gewisse Rolle spielen, die freilich noch eimer eingehenden 
Untersuchung bedarf. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel NXXT. 


Sämmtliche Zeichnungen sind bei Zeiss Apochromat homog. 
Immers. 2,0. 1,3 und Ocular 8 unter Benützung des Ab be’schen Zeichen- 
prismas entworfen. Vergr. 1000:1. | 
Fig. 1. Ruhende Zelle mit der Archoplasmazone. G 
Fig. 2. Theilung des Centrosoma’s während des Spiremstadiums. Vergr. 
ca. 800:1. Näheres im Text. | 

Fig. 3. Retraction der Chromatinschleifen. Sichtbarwerden des achro- 
matischen Kerngerüstes. 

Fig. 4. Frei im Archoplasma gelegene kleinste Spindel. % 

Fig. 5. Archoplasmazone mit darin befindlicher Spindel. Centrirung 
des Protoplasmas nach dem Archoplasma. h 

Fig. 6 u. 7. Ausstrahlung der Fibrillenzüge von :. den Centrosomen 
nach den Kernelementen. 

Fig. 8 u. 9. Durchkreuzung der Fibrillenzüge. 

Fig. 10. Annäherung der Chromatinelemente an die Centralspindel. 

Fig. 11. Halbschematische Ansicht der ausgebildeten Spindel (lediglich 
zur Vergleichung der Grössenverhältnisse). 

Fig. 12. Gelappter Kern einer Spermatogonie des Frosches mit an- 
liegender Archoplasmastrahlung. 

Fig. 13. Proteus anguineus. Spermatocyt im Ruhestadium mit 
Archoplasmakugel. 

Fig. 14. Helix pomatia. Spermatocyt im Ruhestadium mit Archo- 
plasmastrahlung und darin enthaltenen Archoplasmaschleifen. 


Erlangen, 3. Februar 1891. 


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587 


Ueber die Entwickelung der Ganglien beim 
S Hühnchen. 


Von 


Max Goldberg (St. Petersburg). 


Hierzu Tafel XXXII. 


Die Forscher auf dem Gebiete der Ganglienentwiekelung !) 
zerfallen in zwei Gruppen: Der ersten, welche auf eine oder die 
_ andere Weise die Ganglien von dem Mesoderm ableitet, gehören 
_ an: Bidder und Kupffer, Goette, Hahn, Kölliker (1866), 
 Salensky, Foster und Balfour und Remak an ihrer Spitze. 
Zur zweiten Gruppe, welche die Ganglien von dem Eetoderm 
‚herleitet, zählen: Balfour (später), Beard, Hensen, His, 
O0. Hertwig, Kölliker (1879), Loewe, Marshal, Owsjan- 
nikow, Onodi, Ostroumow, Sagemehl, Schenk und: 
 Birdsal. r 

Der Zeit nach fallen die Untersuchungen der genannten 
Forscher mit wenigen Ausnahmen in zwei Perioden: 

1) von 1843— 1876 
2) von 1876—1889. 

Was die erste Periode anbetrifft, so hat sie für uns gegen- 
wärtig nur ein rein historisches Interesse; die zweite Periode 
hingegen ist noch insofern interessant, als die verschiedenen Au- 
toritäten, ungeachtet der vervollkommneten Forschungsmethoden 
der letzten Jahre, dennoch von einander abweichende Ansichten 
aufstellen. Die einen leiten die Ganglien unmittelbar von dem 


1) Ein Verzeichniss der benutzten Werke s. am Schlusse der 
Abhandlung. Ausserdem verweise ich auf meine in russ. Sprache 
— Beilage zum LXII. Bd. der Berichte der kaiserl. Akad. d. Wissensch. 
Nr. 3, St. Petersburg 1890 — erschienene Arbeit „Zur Geschichte der 
Ganglienentwickelung beim Hühnchen.“ 


588 Max Goldberg: 


Central-Nervensystem her, andere von dem Eetoderm als solchem 
und eine dritte Gruppe von einem zwischen diesen beiden liegen- 
den Bildungsmaterial. Zu diesem letzteren Schlusse bin auch ich 
gekommen [bezüglich aller Spinalganglien, aber nicht sämmtlicher 
Ganglien des Kopfes, wie aus den weiteren Auseimandersetzungen 
ersichtlich] auf Grund einer grossen Anzahl meiner eigenen Prä- 
parate, welche mir folgendes zeigten: 

Die erste Anlage (Keim) der Nervenganglien beim Hühnchen 
beobachtet man bei Durchschnitten von Embryonen aus der ersten 
Hälfte des zweiten Bruttages.. Am besten lässt er sich an Quer- 
schnitten beobachten, die man aus der Halsgegend genommen, 
wo der Nervenkanal sich zuerst zu einer Röhre schliesst. Wir 
sehen hier an der Rückenseite des Medullarrohres zwischen dem 
Halse und dem Ecetoderm eine Masse von Zellen, die dem Um- 
fange nach grösser sind als die übrigen in der Nähe befindlichen 
Zellen. Diese Zellenmasse steht dureh ihren oberen Theil mit 
dem Eetoderm, durch den unteren mit dem Medullarrohr in Verbin- 
dung, so dass sie den Eingang in dasselbe verschliesst, da, wo 
es- sich noch nicht ganz geschlossen hat (Fig. D; da, wo das 
Medullarrohr schon vollkommen geschlossen ist, steht der Zellen- 
strang mit ihm längs der dorsalen Mittellinie (Schlussnaht) in Ver- 
bindung. 

Dieser Zellenstrang, welcher sich durch die ganze Länge 
des Embryo als ein ununterbrochener Streifen zeigt, geht hervor 
aus Zellen der unteren Schichten des Eetoderms, in Folge ihrer 
Trennung von der oberen Schicht, und später — bei der Ab- 
schnürung des Medullarrohres — wird er, d. h. der hier in Rede 
stehende Strang, dünner. 

Nach meinen Präparaten halte ich die folgenden Sätze für 
sicher: 

1. Der in Rede stehende Zellenstrang ist ein Product des 

Ectoderms. } 

2. Sein Zusammenhang mit dem Medullarrohr ist ein secun- 

därer. ! 

3. Dieser Zellenstrang ist der Keim der Ganglien des 

Rumpfes wie der meisten Ganglien des Kopfes, sowie 
der peripherischen Nervenganglien. | 


1) Nach Beard (s. Nr. 2, Seite 182) wird der Anfang der Gang- 
lienbildung zwischen der 22.—26. St. beobachtet. — Den von Beard 


Ueber die Entwickelung der Ganglien beim Hühnchen. 589 


- Ich komme zu Fig. 2. Wir sehen hier, dass von dem Zellen- 

strange jederseits ein Zellenwulst abgeht; die ihn bildenden 

ellen entsprechen den Epithelzellen, auf die Prof. Owsjannikow 
hindeutet, indem er sagt: „Ich habe Epithelzellen zapfenartig von 
der Haut nach innen zu, zwischen die Urwirbel, sich erstrecken 
gesehen.“ 
Den hier in Rede stehenden Wulst nennen einige Autoren 
gangliös, andere (Balfour, Kölliker, Marshal, Loewe) be- 
zeichnen ihn als Anlage der hinteren Wurzel. Mir scheint die 
_ erstere Benennung richtiger, und zwar weil dieser Wulst später, 
indem er wuchert, die dorsalen Ganglien abgiebt, während 
die hintere faserige Wurzel unabhängig von ihm erscheint. 
Gegen das Ende des zweiten Bruttages besteht der Gang- 
lienwulst schon aus 2—3 Zellenreihen und hat die obere Seiten- 
wand des Urwirbels erreicht; das Wachsthum seiner Zellen geht 
energischer vor sich in dem freien dreieckigen Raume als zwischen 
Medullarrohr und Eetoderm, wo die Zellen mehr zusammenge- 
drückt sind. 
In demselben Zustande wie beim Hühnchen fand ich den 
Ganglienwulst an einem zweitägigen Embryo (dem einzigen Exem- 
plare) der Schnepfe. 
Indem wir weitergehen, sehen wir in der zweiten Hälfte 
des dritten Tages, dass der Ganglienwulst, übereinstimmend mit 
der Ansicht Onodis, bedeutend in seiner Entwiekelung vorge- 
schritten ist, indem er sich schon als eine bedeutende Ganglien- 
masse darstellt; er erfüllt den ganzen dreieckigen Raum. An den 
Urwirbel schliesst sich diese Masse von Ganglienzellen so eng an, 
dass nur bei starker Vergrösserung die Grenze zwischen diesen 
beiden Gebilden sichtbar wird. Stellenweise kann man die Fort- 
setzung dieser Ganglienzellen sehen, welche zwischen den Ur- 


eingeschlagenen Weg verfolgte Golowin in seiner Untersuchung 
(„Zur Frage der Entwickelung des Gangliensystems bei den Wirbel- 
thieren“ (diese Arbeit wurde ausgeführt im Laboratorium des zootom. 
Kab. d. St. Petersburger kaiserl. Univ. Nr. 2, 1890, unter Anleitung 
von Prof. Schimkewitsch)] und giebt als Anfang der Ganglien die- 
selben Punkte an, auf die auch Beard hinweist. Völlig unverständ- 
lich ist jedoch seine Schlussfolgerung (auf S. 11), „dass die obere 
Schicht des Eetoderms bei der Bildung von Ganglienzellen eine grössere 
Rolle spielt als die untere“. 


590 Max Goldberg: 


wirbeln und das Medullarrohr unter die ventrale Seite des letz- 
teren hinuntersteigt. Von der Selbständigkeit des Ganglions am 
dritten Tage (Onodi) kann man, wie mir scheint, indessen nicht 
sprechen, da die Ganglienmasse mit dem Medullarrohr an dem 
dorsalen Theile desselben vermittelst des dünneren, jetzt auch 
kürzeren Ganglienwulstes in Verbindung bleibt. 

‘ Die Ganglienzellenmasse, welche wir auf Fig. 3 sehen, fin- 
den wir auch auf frontalen Durchschnitten längs des ganzen Rohres 
(Fig. 4). Der Länge nach bildet diese Ganglienmasse eiförmige 
Gruppen, die unter einander verbunden sind, jede derselben ent- 
spricht einem Segmente des Medullarrohres. Zwischen diesen 
Gruppen von Ganglienzellen treten die Gefässe hindurch (v); an 
der äusseren Seite sehen wir auf der Abbildung die Muskelplatten, 
deren innere ‚Seite sich schon im Muskelfasern verwandelt hat. 
Zwischen den Ganglienzellen und dem Medullarrohr befindet sich 
ein Fasergebilde, das auf der Abbildung nicht dargestellt ist. 

Ganz ebenso finden wir die Gangliengruppen auf Längs- 
durchschnitten von Kaulquappen, bei denen die Elemente bedeu- 
tend grösser sind. 

An Querschnitten von Hühnerembryonen aus der Mitte des 
vierten Tages kann man (zwischen dem Medullarrohr und dem 
Ectoderm an der lateralen Seite) drei Schichten unterscheiden, 
nämlich: 

l. Die Muskelplatte, deren einer Theil sich in Fasern ver- 

wandelt hat. 

2. Die Ganglienmasse, die eine Fortsetzung des Zellenwul- 
stes bildet und ihrerseits in weiterer Fortsetzung in ven- 
traler Richtung bis zur Chorda dorsalis sich erstreckt. 

3. Ueber den ganzen übrigen Raum zerstreute Mesodermal- 
zellen. 

Diese Mesodermalzellen sind nach oben gelangt in den Zwi- 
schenraum zwischen Eetoderm und Medullarrohr, wo sie Ratlıke’s 
Vereinigungshaut bilden, übereinstimmend mit der Angabe dieses 
Autors, wie auch Remak’s, Foster’s und Balfour's; das ver- 
hindert die Anlagen der Spinalganglien jedoch nicht die Fort- 
setzung derjenigen Eetodermalzellen zu bilden, welche (Fig. 1) im 
Moment der Abschnürung des Medullarrohres mit diesem in Ver- 
bindung blieben. Diese Zellen gerade bilden die Spinalganglien, 
ebenso auch ihre Kapsel, welehe an der Innenseite des Ganglions als 


_ Ueber die Entwickelung der Ganglien beim Hühnchen. 591 


‚Hülle für das Mark dient, auch geben sie die Fortsetzung, welche 
unter die ventrale Seite des Nervenrohrs hineingeht und sich über 
‚die Chorda spinalis legt, wo sie eine ebensolche von der anderen 
Seite kommende Fortsetzung trifft. Auf diese Weise ist das 
‚ganze Nervenrohr von einer dünnen Schnur umschlungen, die aus 
Eetodermalzellen besteht. Diese Schnur legt sich an den dorsalen 
Theil des Medullarrohres eng an, an den Seiten bleibt sie davon 
"aber abgesondert. Und alles dieses — das Medullarrohr, die 
dasselbe umgebende Eetodermalschnur mit Ganglien an den Sei- 
ten — ist von Zellen des mittleren Keimblattes umgeben. 

Das hier Gesagte wird noch deutlicher an Präparaten vom 
Ende des vierten Bruttages. Bei ihnen sind die Ganglien schon 
mit der im Medullarrohr erschienenen weissen Substanz verbun- 
den vermittels der Nervenwurzeln, von denen die vorderen schär- 
fer ausgeprägt sind. 
| Das erste Auftreten der Wurzeln bemerkt man schon am 

Ende des dritten Tages. An der Stelle, wo die weisse Substanz 
_ erscheinen muss, die dann die Wurzelfasern aussendet, drängt 
‚sich das Medullarrohr nach aussen heraus. 

Die Wurzeln bilden, indem sie unterhalb und ausserhalb 
des Ganglions ihre Fasern vereinigen, einen gemeinschaftlichen 
Nsrvenstamm. 

Die hier aufgeführten Beziehungen bleiben dieselben während 
des fünften und sechsten Tages bis zum sechsten Tage 8 Stun- 
den, dem Zeitpunkte, über den hinaus ich die Bebrütung nicht 
geführt habe. Und aus welchem Theile des Embryo-Rumpfes wir 
- auch Querschnitte nehmen, auf allen sehen wir während dieser 
Tage das Spinalganglion so, wie es auf Fig. 6 dargestellt ist. 
Auf dieser Abbildung sehen wir, dass das Ganglion an einem 
dünnen Zellenstrange hängt, der sich an der dorsalen Seite des 
Medullarrohres hinauf erstreckt; dass die hintere Wurzel, indem 
sie aus dem oberen oder hinteren lateralen Theile des Medullar- 
rohres hervorkommt, als dünne Fäserchen durch die Masse des 
Ganglions selbst hindurchgeht, und ebenso längs seiner oberen 
äusseren seitlichen Grenze. | 

An Längsdurehschnitten von Embryonen vom Ende des 
vierten Tages bemerken wir, dass das auf Fig. 4 gesehene Bild 
complieirter wird zufolge des Auseinandergehens und sich Kreuzens 
der Wurzelfasern. Während, wie oben angeführt, die Beziehungen 


292 Max Goldberg; 


zwischen den Ganglien und dem Medullarrohr unverändert bleiben 
bis zum 6. Tage und 8 Stunden der Bebrütung, so gehen in dem 
Medullarrohr selbst folgende Veränderungen vor sich: Es treten 
immer mehr Schichten der weissen Substanz hervor, der Charakter 
der Zellen selbst verändert sich — vom Länglichen ins Ovale 
übergehend; der centrale Kanal bedeckt sich mit einem scharf 
ausgeprägten Epithel. 

Das in Bezug auf die Spmalganglien Gesagte lässt sich fol- 
sendermaassen resumiren: 

1. Von dem Ganglienkeim geht ein Zellenwulst, der soge- 


nannte Ganglienwulst ab (erste Hälfte des zweiten Tages). 


2. Dieser Wulst wuchert in die Ganglienmasse aus, welche 
sich an den Urwirbel anlehnt (zweite Hälfte des dritten 
Tages). 

8. Die Ganglienmasse senkt sich herab bis zu der Stelle 
des Austritts der vorderen Wurzel (ÖOnodi) aus dem 
Medullarrohr; sie verschiebt sich zur Seite des Medullar- 
rohres zufolge des Auftretens des Fasergebildes (Loewe) 
zwischen ihnen: in dem dorsalen Theile des Medullar- 
rohres, zwischen ihm und den anliegenden Ganglien- 
zellen, erscheint eine scharfe Abgrenzung (erste Hälfte des 
vierten Tages). 

4. Die Ganglienmasse erscheint in der Gestalt gesonderter 
Ganglien, die mit dem Medullarrohr durch die Wurzeln 
verbunden sind (Ende des vierten Tages und weiter). 

Zu dem Gesagten füge ich noch hinzu, dass jedes Ganglion 
topographisch einer Segment-Krümmung des Medullarrohres ent- 
spricht und dass alle Spinalganglien sich nach einem und dem- 
selben Typus bilden. 

Die Ganglien des Kopfes entstehen auf zweierlei Weise: die 
einen aus demselben Zellenstrange wie die Spinalganglien, die 
anderen aus den Wänden der Gehirnblasen. 

Den Beginn der Ganglien des Kopfes finde ich an Quer- 
schnitten von Embryonen aus der 36. Brütstunde. An derjenigen 
Stelle, wo die Abschnürung des Eetoderms von dem Medullar- 
rohre vor sich gegangen ist, finden wir zu beiden Seiten der 
Nähte des letzteren, in der Gegend der Gehörblasen, die uns 
bekannte zwischenliegende Zellenmasse, und hier sehen wir eine 
vollkommene Analogie dessen, was wir bei den Spinalganglien 


EWG 


Ueber die Entwickelung der Ganglien beim Hühnchen. 593 


gesehen haben: Die zwischenliegende Zellenmasse wird dünner; 
von ihr geht ein Zellenwulst von 2—3 Zellenreihen aus. Dieser 
"Wulst giebt, indem er etwas später auswächst, die Ganglienmasse 
(Fig. 7) ab. 
| Nehmen wir einen Längsschnitt aus dem Kopfe eines 48 stün- 
digen Embryo, so sehen wir auch auf ihm vollständig abgeson- 
derte Ganglien und dem entsprechend, wo der Schnitt durchge- 
führt ist, finden wir die Ganglien bald näher zum Gehirne liegend, 
bald weiter von ihm entfernt. Es ist wichtig zu bemerken, dass 
schon am Ende des zweiten Tages die in der Gegend der Ge- 
hörblasen liegenden Ganglien des Kopfes mit dem Gehirn nicht 
in Verbindung stehen; zwischen ihnen besteht eine scharfe Ab- 
grenzung, natürlich ist ein Zusammenhang vorhanden, aber nur 
von der dorsalen Seite vermittels des Ganglienwulstes (wie bei 
den Spinalganglien.. Da wir in den Zwischenstadien (von 36 bis 
48 Stunden) nirgend finden, dass die Wände der Gehirnblasen 
mittels Ausbiegung irgend welche Ganglien bilden, so können 
wir auf diesem Stadium nicht von eimer Abschnürung solcher 
Ganglien vom Gehirn reden, um die es sich hier handelt, d. h. 
solcher Ganglien, die im Gebiete der Ohrbläschen liegen. Wir 
sehen zwar, dass das Gehirn mittels Ausbiegung Segmente bildet; 
‚aber dieselben haben an der Ganglienbildung wenigstens auf 
dem beschriebenen Stadium keinen Antheil. , 
Nach der Angabe Ostroumow’s nimmt Orr an, dass die 
D Segmente, die man im Nachhirn gezählt hat, den 5 Nerven- 
paaren entsprechen: V, VI, VII, VIII, IX. Wenn man auch 
dieses Entsprechen nur im topographischen Sinne zu verstehen 
hat, wie oben für die Spinalganglien angegeben wurde, so ist auch 
dann die Bemerkung Ostroumow’s richtig, „dass man sehr 
_ vorsichtig sein muss beim Zählen der Furchen, da dieselben eine 
grosse Symınetrie beim Zerschneiden erfordern, um so mehr, da 
- diese Furchen auch künstlich erzeugt sein können“ (durch die 
Wirkung des Alcohols bei der Entwässerung des Präparates). 
Rabl zählt im Nachhirn 7—8 Segmente auf; an meinen Präpa- 
raten habe ich ihrer nur 5 gefunden. 
Nehmen wir einen Längsschnitt aus dem Kopfe eines Em- 
bryo von 77 Stunden, so sehen wir auf ihm (Fig. 9), dass die 
| Ganglien mit dem Gehirn durch aus demselben ausgetretene Fäser- 
chen verbunden sind. Das Heraustreten dieser Fäserchen er- 
| 


594 Max Goldberg? 


innert an das, was: wir an den ventralen Wurzeln der Spinal- 
nerven gesehen haben: Dort wie hier biegt sich das Medullar- 
rohr an der Stelle, wo die Fasern heraustreten sollen, stark nach 
auswärts, nach der Seite des Ganglions, aus. 

Auf der genannten Abbildung sehen wir auf ihrer rechten 
Hälfte zwei Ganglien vor dem Ohrbläschen; auf der linken Hälfte 
derselben sind diese Ganglien durch Punktirung bezeichnet; aber 
ausser diesen sehen wir auf der linken Hälfte der Abbildung noch 
zwei Ganglien hinter dem Öhrbläschen. 
| 3evor ich diese Ganglien jedoch mit ihren Namen benenne, 
will ich die Aufmerksamkeit darauf riehten, dass in Fig. 9 auf 
der linken Hälfte noch ein Ganglion liegt. Es liegt vor dem 
Ohrbläsehen, näher zum Eetoderm als das ihm angrenzende, durch 
Punktirung bezeichnete und mit dem Medullarrohr verbundene. 

Es erhebt sich die Frage, woher dieses Ganglion gekommen ist. 

Um die Antwort zu finden, wenden wir uns zu Fig. ®. 
Auf dieser Abbildung eines 5dstündigen Embryo sehen wir an 
der Wand des Gehirns in der Ohrgegend (der Durchschnitt ist 
nicht symmetrisch: die Ohranlage nur auf einer Seite getroffen) 
einen bedeutenden Auswuchs, und dieser ist eben das Ganglion, 
das im Begriff ist sich abzuschnüren und das auf Fig. 9 schon 
als abgeschnürt dargestellt ist. Dieses Ganglion können wir an 
dem Präparate eines 5dstündigen Embryo bei Verschiebung des 
Präparates unter dem Mikroskop ebenfalls von dem Medullarrohr 
getrennt liegen sehen, doch hängt dies von der Stelle ab, wo 
der Schnitt durchgegangen ist. Auf Präparaten von 77stündigen 
Embryonen finden wir an keinem einzigen Durehschnitte das in 
Rede stehende Ganglion mit dem Medullarrohr mehr in Ver- 
bindung, was daher kommt, dass dieses Ganglion sich inzwischen 
ganz vom Medullarrohr losgelöst hat. Dieses unmittelbar vom 
Medullarrohr abgeschnürte Ganglion ist eben ein typischer Re- 
präsentant der zweiten Kategorie von Ganglien, die sich später 
differenziren als die der ersten Kategorie. 

Nachdem ich so den Ursprung der Ganglien beider Kate- 
gorien untersucht habe, gehe ich zu ihrer Benennung über. 

Auf Fig. 10 sehen wir hinter dem Ohr drei Ganglien, dar- 
unter das nächste zum Ohr, das G. petrosum für den N. glosso- 
pharyngeus, die beiden anderen: das G. jugulare und nodo- 
sum für den N. vagus. 


_ Ueber die Entwickelung der Ganglien beim Hühnchen. 595 


Bezüglich der vor dem Ohrbläschen liegenden Ganglien 
haben wir folgende Angaben: 

1) Das G. genieuli kommt aus den tiefer liegenden Theilen 
(His))). | | 
2) Das G. genieuli geht wahrscheinlich aus dem Zwischen- 
strang hervor (Hertwig). 
| 3) Vor dem Öhrbläschen befindet sich der Anfang des Fa- 
eialis (?) — (Kölliker). 

4) Der Anfang des Facialis ist im G. acusticum gelegen 
(Foster und Balfour). | 

5) Dasselbe sagt Ostroumow. 

Auf Grund meiner Präparate kann ich folgendes sagen: 
Am Ende des zweiten Tages sehen wir vor dem Ohrbläschen, 
demselben ganz nahe, ein Ganglion. Anfangs des dritten Tages 
beginnt vor dem Ohrbläschen aus dem Medullarrohr ein anderes 
Ganglion hervorzukommen (Fig. 8), das wir abgeschnürt finden 
in der 77. Stunde (Fig. 9), wo wir also zwei gesonderte Gang- 
lien sehen; das eine, welches früher erschienen, das G. acusticum, 
ist mit dem Gehirn und dem Epithel des Ohres in Verbindung, 
das audere liegt näher zum Eetoderm. (Das letztere Ganglion 
finden wir mit dem ersteren in Zusammenhang auf Fig. 10.) 

Alles von diesem Ganglion Gesagte, seme unmittelbare Ab- 
schnürung vom Medullarrohr, seine topographische Lage (die 
geringe Entfernung vom Eet.) und sein Zusammenhang mit dem 
G. acusticum, spricht dafür, dass dieses Ganglion das G. genieuli 
für den VII. N. (Facialis) ist. 

Die Verbindung zwischen den Ganglia genieuli und acu- 
stieum, welche wir gesehen haben, ist kein Ausnahmefall; nach 
Angabe Marshal’s (für die Vögel) sind anfangs auch die Gang- 
lien der Nervi vagi und glossopharyngei verbunden, was ich bei 
meinen Präparaten nicht finde, ‚ebenso wenig wie die von Fro- 
riep?) angegebene Verbindung zwischen dem Eetoderm und den 
Ganglia genieuli, petrosum, jugulare und nodosum; ich finde 
nur, dass das G. geniculi sehr nahe an das Eetoderm herankommt. 

Das zweite Ganglion vor dem Ohrbläschen ist das G. Gasseri, 
in welchem His zwei Theile unterscheidet: 


Brssts,.Nr.9. 
2) Froriep, Nr. 40, 8S.1—2. 


596 Max Goldberg: 


1) Den vorderen, das G. ciliare, Wegweiser für die N. ocu- 
lomotorius und trochlearis. 

2) Den hintern, das G. Gasseri, für die Portio major tri- 
gemini. 

Ostroumow stellt das G. eiliare als abgesondert hin; im 
G. Gasseri sieht er gleichfalls zwei Theile: „Der N. oculomo- 
torius kommt als eine Masse äusserst dünner Fäserchen aus der 
Basis des mittleren Hirns nahe seiner Medianlinie hervor. Ein 
sehr dünner Zweig dieses Nerven, Ramus anastomotieus, geht 
zu dem bedeutend entfernten G. eiliare.* . . . : (Dasselbe sagt 
Schwalbe!) Fig. 15. — Embryo der Gans.) 

Weiter sagt Ostroumow: „Der N. trigeminus beginnt 
mit einer breiten Wurzel vor der Seitenwand des verlängerten 
Markes und bildet ein umfangreiches Ganglion. Der vordere 
Theil dieses Ganglions sendet in der Richtung zum Auge einen 
kegelförmigen Ausläufer ab, Ramus ophthalmieus. Die beiden 
anderen Zweige des Nerven gehen von einem anderen Theile des 
Ganglions nach hinten und niedriger als gemeinschaftlicher Stamm 
hervor.“ 

Bezüglich des G. ceiliare sagt Krause?): | 

1) Der N. oculomotorius entsendet mehrere Zweige für 
die bekannten Augenmuskeln und ausserdem die Radix brevis 
g. eiliaris. 

2) Der N. nasociliaris giebt die Radix longa g. eiliaris so- 
wie zwei Nn. ciliares longi ab. 

3) Das G. eiliare liegt an der lateralen Seite des N. opticus, 
enthält eine Radix longa vom N. nasociliaris, eine Radix brevis 
vom N. oculomotorius, entsendet die Nn. ciliares (Taf. V, Fig. 4 
vom Kaninchen). 

Von der Complieirtheit des G. eiliare kann ich mir nach 
meinen Präparaten kein Urtheil bilden, dieselben bestätigen mir 
aber, dass das G. Gasseri wirklich aus drei Theilen besteht; 
diese sind auf Figur 10 dargestellt; der dem Auge am nächsten 
liegende ist wahrscheinlich das G. ciliare. 

Nach Kölliker geht das G. Gasseri unmittelbar aus dem 
Gehirn hervor (Embryo des Kaninchens). 


1) Schwalbe, Nr.37. 
2) Krause, ind 


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Ueber die Entwickelung der Ganglien beim Hühnchen. 597 


Also, wie wir weiter oben gesehen haben, ist der typische 
Repräsentant der Ganglien zweiter Kategorie das G. genieuli. 

Auf gleiche Weise, d h. unmittelbar aus dem Gehirn ent- 
stehen die Gg. n. optiei (Fig. 11). Diese Ganglien werden 
indessen nieht völlig gleich dem G. genieuli vom Gehirn abge- 
schnürt, sondern bilden einen unmittelbaren Theil der Augen- 
stiele, welehe später (am fünften Bruttage) sich in die Sehnerven 
(Nervi optiei) umbilden. 

Am fünften Tage finden wir auch die Nervi acustici. 

Es lässt sich also für die Ganglien des Kopfes folgendes 

aufstellen: 
1. Aus der zwischenliegenden Zellenmasse entwickeln sich 
nach Art der Spinalganglien die folgenden: Gg. Gasseri 
(V n.) und eiliare (III u. IV n. nach Balfour, His, Krause, 
Ostroumow, Schwalbe und Erlitzky)!), ferner das G. acu- 
stieum (VIII n.), petrosum (IX .n.), jugulare und nodosum 
(X n.). Die letzten beiden Ganglien muss man auch zu den 
Nn. XI und XII rechnen, deren Zweige durch dieselben hin- 
durch gehen. 

2. Sämmtliche aufgezählten Ganglien werden mit dem Ge- 
hirn verbunden vermittels der aus diesem hervortretenden Fasern 
(vergl. Spinalganglien). 

3. Unmittelbar aus dem Gehirn entstehen die Gg. geni- 
euli (VII n.), wohin man (nach Balfour und Erlitzk y) auch den 
n. VI zählen muss, dann die Ganglien der Sehnerven (IIn.), 
welche sich vom G. genieuli dadurch unterscheiden, dass sie nicht 
vom Gehirn abgeschnürt werden. 

Zu den zuletzt aufgezählten Ganglien müssten wir noch die 
Gg. olfactorii (In.) hinzufügen, die nach Angabe vieler Autoren 
unmittelbar aus den Wänden des Gehirns entstehen ?). 

Was die sympathischen Ganglien anbetrifft, so lässt 
sich von ihnen folgendes sagen: In der Periode der Herrschaft 
der Theorie Remak’s wurden auch die sympathischen Ganglien 


1) Erlitzky, Nr. 41, S. 833. 

2) Die Schlussfolgerung Golowin’s l. e., dass die Ganglien des 
Kopfes und des Rumpfes sich ganz unabhängig vom Centralnerven- 
system bilden, halte ich demnach für zweifelhaft in Bezug auf die 
Ganglien genieuli, Nn. optici und olfactorii. (?) 


598 Max Goldberg:: 


vom mittleren Keimblatt abgeleitet; selbst His, der sich (nächst R 
Hensen) zuerst für den ectodermalen Ursprung der Spinal- 
ganglien und der Ganglien des Kopfes aussprach, stimmt in Be- 
zug auf die sympathischen Ganglien und deren Ursprung Re- 
mak bei. 

Während der zweiten Periode, da fast alle Forscher in der 
Frage über den Ursprung der Ganglien anfingen, sich zu Gunsten 
des eetodermalen Ursprungs der Spinalganglien und der Ganglien 
des Kopfes auszusprechen, wurden auch die sympathischen Gang- 
lien bald als Produkte des centralen Nervensystems, aus dem sie 
unmittelbar hervorgehen sollten, bald als Produkt der Spinalgang- 
lien angesehen. 

In diesem Zustande befand sich die Frage bis zum Jahre 1885, 
bis zum Erscheinen der eingehenden Abhandlung von Onodi); 
seitdem spricht die grösste Wahrscheimlichkeit zu Gunsten des 
Ursprunges der symp. Ganglien aus den Spindelganglien. Onodi 
sagt (vom Hühnchen) folgendes: „Hühnerembryonen vom dritten 
Bruttage zeigen noch nichts von der Entwickelung des sympa- 
thischen Nervensystems; an den Querschnitten eines in seiner Ent- 
wickelung vorgeschrittenen 3tägigen Hühnerembryo hatten wir 
Gelegenheit, an mehreren Stellen einen Zellenstrang zu beobachten, 
welcher unmittelbar unter dem vorderen Wurzelbündel lag und 
dessen Elemente mit ihrer entschieden runden Form von den um 
die Chorda dorsalis gelagerten Mesodermalzellen verschieden 
waren (Fig. 1, Embryo 80 St.) .... Hühnerembryonen vom 
vierten Tage zeigen ähnliche Bilder. An den Querschnitten von 
Hühnern des fünften Bruttages lassen sich schon vorgeschrittenere 
Verhältnisse beobachten. An einzelnen Schnitten sind die ersten 
Communicansfasern gut ausgegrägt zu sehen (Fig. 2, Embr. 5 Tg.). 
Einige Nervenfasern sind die Vorläufer der Rami ecommunieantes.“ 

An meinen Präparaten sehe ich erst an viertägigen Embryonen 
die sympathischen Ganglien in dem von Onodi angebenen Zu- 
stande. Am fünften Tage befinden sich diese deutlicher ausge- 
prägten Ganglien nicht nur nahe der Chorda und Aorta, sondern 
sie begleiten den spinalen Nervenstamm eine bedeutende Strecke. 

Noch besser ausgeprägt sind diese Ganglien bei Embryonen 
von 6 Tg. 8 St. In diesem Stadium sind die Rami eommuni- 


1) Onodi (Nr. 25), T.I, 8.68, T.II, 8.558. 


Ueber die Entwickelung der Ganglien beim Hühnchen. 599 


 eantes schon in entwiekelter Form vorhanden (vgl. Fig.3 — Em- 
- bryo der Ente — bei Onodi mit meiner Abbildung 12). 

Zum Schlusse füge ich noch hinzu: 

1. Wenn, wie Prof. Sernow sagt, „die Ganglien in phy- 
siologischem Sinne der centrale Theil des Nervensystems“ genannt 
werden müssen, so muss man sie im embryologischen „als einen 
Theil des eentralen Nervensystems“ bezeichnen. 

2. Wenn Ostroumow die Segmeute als bequemen Punkt 
zur Vergleichung des Rückenmarkes mit dem Gehirn bezeichnet, 
so erscheinen die Ganglien als ein nicht minder wichtiger Punkt. 

3. Auf Grund der Forschungsergebnisse der letzten Jahre 
(1876— 89) und gestützt auf meine eigenen Präparate, kann ich 
mit den Worten Hertwig's schliessen: „Bezüglich des Ent- 
stehens der Ganglien aus Elementen des oberen Keimblattes be- 
steht kein Zweifel mehr.“ 


Verzeichniss der benutzten Werke. 


1. Bidder und Kupffer, Untersuchungen über die Textur des 
Rückenmarks und die Entwickelung seiner Formelemente. Leipzig 
1857. 

Beard, Quarterly journal of Microscopial Seience 1889. 

3. Balfour, On the developement of the spinal nerves in Elasmo- 
branch fishes. Philosoph. Transactions. Bd. 166, 1876. 

4. Desselben Handbuch der vergleichenden Embryologie. II. Bd. 
. Jena 1881. 

5. Goette, Die Entwickelungsgeschichte der Unke. Leipzig 1875. 

6. Hahn, Cursus der Entwickelungsgeschichte des menschlichen Em- 

bryo. Charkow 1876 (in russ. Sprache). 

7. Hensen, Zur Entwickelung des Nervensystems. Virchow’s Arch. 
Bd. XXX, 1864. 

8. Derselbe, Beobachtung über die Befruchtung und Entwickelung 
des Kaninchens und Meerschweinchens. Zeitschrift für Anat. und 
Entwickelungsgesch. Bd. I, 1876. 

9. His, Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbelthierleibes. 
Die erste Entwickelung des Hühnchens im Ei. Leipzig 1868. 

10. Derselbe, Ueber die Anfänge des peripherischen Nervensystems. 
Arch. für Anat. u. Entwickelungsgeschichte. Anat. Abtheil., 1879. 

11. Derselbe, Anat. menschlicher Embryonen. Abtheil. IT, 1880. 

12. Derselbe, Die Lehre vom Bindesubstanzkeim (Parablast). Arch. 
für Anat. und Entwickelungsgeschichte. 1882. 


D 


600 


13. 


18. 


19. 


34. 


ID. 


Max Goldberg: 


Hertwig, O., Entwickelungsgesch. des Menschen und der Wirbel- 
thiere. Jena 1880 (in russ. Uebersetzung von Schulgin. I. und 
II.. Th. Odessa 1889). 

Dursy, Der Primitivstreif des Hühnchens. 1867. 

Salensky, Entwickelungsgeschichte des Sterlets (in russ. Spr.). 
Sernow, Anatomie des Nervensystems. Moskau 1885 (in russ. 
Sprache). 

Kölliker, Entwiekelungsgesch. des Menschen und der höheren 
Thiere. 1866. 

Derselbe, Entwickelungsgesch. des Menschen und der höheren 
Thiere. Auflage’ H, Th. I, 1879. 

Krause, W., Ueber die Doppelnatur des G. eiliare. Morphol. 
Jahrb. Bd. VH. 

Loewe, L., Beiträge zur Anat. u. Entw. des Nervensystems der 
Säugethiere und des Menschen. Berlin 1880. | 
Marshal, On the early stages of developement of the nerves in 
birds. Journal of Anat. and Physiology, vol. XI, 1877. 
Owsjannikow, Zur Entwickelungsgesch. des Flussneunauges. 
1888. (Bulletin de ’Academie Imperiale des Sciences de St. Peters- 
bouürg; 2. XI) 

Derselbe, Von der Zusammensetzung der hinteren Stränge des 
Rückenmarkes auf Grund der Geschichte ihrer Entwickelung (in 
russ. Spr.). 

Onodi, Ueber die Entwickelung der Spinalganglien und Nerven- 
wurzeln. Internat. Monatsschrift, Bd. I, Heft 3—4, 1884. 
Derselbe, Ueber die Entwickelung des sympathischen Nerven- 
systems. Archiv für mikroskop. Anat. 1886, I. u. II. Th. 
OÖstroumow, Zur Entwickelungsgesch. der Eidechse. Kasan 1888. 
Remak, Ueber die Entwickelung des Hühnchens im Ei. Müller’s 
Archiv 1843. 

Derselbe, Ueber ein selbständiges Darmnervensystem. Berlin 1847. 
Derselbe, Untersuchungen über die Entwickelung der Wirbel- 
thiere. Berlin 1855. 

Rathke, Entwickelung der Natter. 1839. 

Derselbe, Entwickelungsgeschichte der Wirbelthiere. 1861. 
Rattone, Ueber das Vorhandensein von Ganglienzellen in den 
hinteren Wurzeln der Spinalnerven beim Menschen. Mediein. 
tundschau (in russ. Sprache). 

Rabl, Bemerkung über die Segmentirung des Hirns. Zool. An- 
zeiger, VIII. Jahrg., 1885. 

Sagemehl, Die Entwickelung der Spinalnerven. Dorpat 1882 
oder „Aus welchem Keimblatt entwickeln sich die Spinalnerven 
der Wirbelthiere“. Sitzungsber. der Nat. Gesellsch. zu Dorpat. 
Bd. VI, Heft’ EX1831: 

Schenk, Entwiekelungsgeschichte der Ganglien und des Lobus 
electrieus. Sitzungsber. der k. k. Akad. der Wissensch. in Wien, 
Math.-Nat. Klasse, Bd. 73, III. Abtheilung, 1876. 


LIBRARY 
0 THE 
UNIVERSITY OF ILLINOIS 


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OF THE ; 
UNIVERSITY OF ILLINOIS 


j - Ueber die Entwickelung der Ganglien beim Hühnchen. 601 


Schenk und Birdsal, Die Entwickelung des Sympathicus. Mit- 

theilungen aus dem embryol. Institut in Wien, Bd.TI, 1879. 

. Sehwalbe, Das G. oculomotorii. Jenaische Zeitschr. für Natur- 
wissenschaft, Bd. XIII, 1879. 

Foster u. Balfour, Elemente der Embryologie. 

Freud, Spinalganglien und Rückenmark des Petromyzon. Sitzungs- 

berichte der math.-naturw. Klasse der Akad. Wien, Bd. 78, 1878. 

Promien,. A, Ueber Anlagen von Sinnesorganen am Facialis 

und ee eharyngeus. Arch. f. Anatomie u. Physiologie. Anat. 

Abth. 1885. 

Erlitzky, Das Rückenmark und die Ganglien zwischen den Wir- 

beln. (Siehe Grundzüge zur Untersuchung der mikroskopischen 

Anatomie des Menschen und der Thiere. Unter der Red. von M. 

D. Lawdowsky und Ph. W. Owsjannikow [in russ. Spr.|.) 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXTI. 


Die Abbildungen sind angefertigt mit Hülfe des Zeichenprismas 
und eines Hartnack’schen Mikroskops. 0Oe. 3, Ob. 4 u. 3; die Längs- 
zeichnung (Nr. 4) ist etwas verkleinert. (Bei Abzeichnung der Um- 
risse lag das Papier auf dem Tische.) 


Bedeutung der Buchstaben. 

A — Augenblase. Mr. — Medullarrohr. 

FI — erste Kiemenöffnung. mp. — Muskelplatte. 

glk — Ganglienkeim. ‚, mw. — Wurzel des Bewegungs- 
glv — Ganglienwulst. nerven.’ 

 glm Ganglienmasse. n. st. — Nervenstamm. 

 gls Ganglienfortsatz. OÖ. — Ohrbläschen. 

g.II — G..n. optici. R.c. — Rami communicantes. 
g.V — G. Gasseri. x S. gl. — Spinalganglion. 

g. VII — G. genieuli. Sw. — Sensible Nervenwurzel. 

g. VHI — G. acusticum. Sp. gl. — Sympathisches Ganglion. 
g.IX — G. petrosum. v. — Gefäss im Durchschnitt. 
8.X — G. jugulare oder nodosum. | Ze. — Grenzzellen zwischen den 
8.c. — G. ciliare. Spinal- und den symp. G. 


Abbild. 1. Querschnitt aus der Halsgegend eines Embryo von 55 St. 
Wässerige Berlinerblaulösung. 
Abbild. 2. Querschnitt durch den Rumpf eines BEIN von 47 St. 
Wässerige Berlinerblaulösung. 
Abbild. 3. Querschnitt durch den Rumpf eines Embryo von 62 St. 
u Eosin. 
Abbild. 4. Frontalschnitt eines Embryo von 69 St. 
Abbild. 5. Querschnitt eines Embryorumpfes von 81 St. 
Abbild. 6. Querschnitt eines Embryorumpfes’von 4 Tagen. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 40 


602 A. S. Dogiel: 


Abbild. 7. Querschnitt durch die Gegend der späteren Ohrbläschen 
eines Embryo von 47 St. (von welchem Abbild. 2 ge- 
nommen ist). 

Abbild. 8. Querschnitt (unsymmetrisch) durch das Nachhirn eines 
5ostündigen Embryo. 

Abbild. 9. Längsschnitt dureh das Nachhirn und das mittlere Hirn 
eines 77stündigen Embryo. 

Abbild. 10. Der Schnitt hat einen Theil des Nachhirns und einen Theil 
des vorderen Hirns getroffen, Embryo vom vierten Tage. 

Abbild. 11. Durchschnitt durch das vordere Hirn eines Embryo von 
77 Stunden. 

Abbild. 12. Querschnitt durch den Rumpf eines Embryo von 6 Tagen 
8 Stunden. 


Die Nervenendkörperchen (Endkolben, 
W. Krause) in der Cornea und Conjunctiva 
bulbi des Menschen. 

Von 


A. 8. Dogiel, 


Professor der Histologie an der Universität Tomsk. 


Hierzu Tafel XXXII und XXXIV. 

Als ich die Hornhautnerven des Menschenauges mit Me- 
thylenblau färbte, stellte es sich heraus, dass sowohl in dem ge- 
sammten gefässhaltigen Hornhautrande, als auch 1—2 mm nach 
innen von demselben, in der Substantia propria corneae, eigen- 
thümliche Nervenendapparate — Terminalkörperehen — enthalten 
sind. Ganz ähnliche Nervenendbildungen finden sich, wie dies 
durch weiter fortgesetzte Untersuchungen von mir in Gemeinschaft 
mit dem in meinem Laboratorium arbeitenden stud. J. Michai- 
lowsky festgestellt wurde, auch in der Conjunetiva bulbi, wo- 
selbst sie zuerst von W. Krause entdeckt und von ihm unter 
dem Namen „Endkolben“ beschrieben worden sind. 

In Betracht dessen, dass die Endkörperchen in der Cornea 
bis jetzt noch von Niemand beschrieben worden und dass auch 
die analogen Endapparate in der Conjunetiva noch nicht genügend 


e.. 


Die Nervenendkörperchen in der Cornea u. Conjunctiva bulbi ete. 6083 


erforscht sind, will ich in der vorliegenden Arbeit die Resultate 
meiner Untersuchungen über den Bau der fraglichen Endkörper- 
chen ausführlich darlegen. Wie bereits oben erwähnt, benutzten 
wir behufs der Nervenfärbung hauptsächlich das Methylenblan. 

| Mein Verfahren bestand in folgendem: die in toto ausge- 
‚sehnittene Cornea wurde in ein Uhrgläschen oder auf einen 
-srösseren Objectträger in einige Tropfen Humor aqueus gebracht, 
sodann wurden 2—5 Tropfen einer t/,‚procentigen Methylen- 
- blaulösung auf die concave Hornhautoberfläche aufgetröpfelt. Um 
den Gang der Nervenfärbung verfolgen zu können, brachten wir 
die Cornea von Zeit zu Zeit auf einen reinen Objeetträger und 
untersuchten dieselbe bei nach oben gewandter Vorderfläche mit- 
telst schwacher Objective; eine mehr oder minder vollständige 
Nervenfärbung erfolgte, soweit ich bemerken konnte, in den 
_ meisten Fällen nach 1—1'/,stündiger Einwirkung der Farblösung. 
Während dieser Zeit musste, um ein Eintrocknen des Präparates 
zu verhüten, demselben mehrmals entweder ein Tropfen Humor 
aqueus oder ein Tropfen der Farblösung beigefügt werden. 

Sobald die Nerven der Cornea hinreichend gefärbt erschienen, 
wurde sie sogleich in ein mit gesättigter Lösung von pikrin- 
saurem Ammoniak oder pikrinsaurem Kali gefülltes Schälchen 
übertragen. In dieser Lösung blieb das Präparat 18—20 Stunden 
und wurde dann, mit der Epithelfläche nach oben, auf einem 
Objeetträger in verdünntem Glycerin eingeschlossen. Gewöhnlich 
erscheint nach Ablauf eines Tages das Hornhautgewebe bereits 
so durchsichtig, dass die darin enthaltenen Nervenendkörperchen 
selbst mittelst starker Systeme untersucht werden können. In 
denjenigen Fällen, in welchen die unversehrte Hornhaut sich 
nicht in toto unter dem Deckglase ausbreiten liess, wurde sie zu- 
vor in mehrere Theile zerschnitten. 

Bei der Färbung der Endkolben der Conjunetiva ist es am 
zweckmässigsten, die letztere in ihrem Zusammenhange mit der 
Sclera und der Cornea zu belassen; zu diesem Behufe wird der 
Augapfel sammt seiner Bindehaut längs einer Linie durchschnitten, 
welehe 5—8 mm weit hinter dem Cornealrande und dem Aequator 
parallel verläuft. Der so erhaltene vordere Abschnitt des Bulbus 
wird von dem Ciliarkörper, der Linse ete. befreit und darauf in 
mehrere Theile zerschnitten, deren jeder für sich nach der oben 
angegebenen Methode gefärbt wird. 


604 A. S. Dogiel: 


An den besagter Weise gefärbten und fixirten Präparaten 
ist es leicht ersichtlich, dass die zur Cornea sich begebenden 
Nervenstämmcehen (und zwar hauptsächlich die vorderen, mit- 
unter aber auch die hinteren, d. h. tiefer gelegenen dieser Stämm- 
chen) unter mehr oder weniger geradem oder aber unter spitzem 
Winkel abgehende Aestehen von verschiedener Dicke entsenden; 
ein Theil dieser Aestchen verläuft dem Rande der Hornhaut 
fast parallel, ohne ihre Randzone zu überschreiten, während die 
übrigen ein wenig weiter in die Substantia propria cormea vor- 
dringen. Sowohl die einen als auch die anderen dieser Aestehen 
zeigen einen mannigfach gewundenen Verlauf, wobei sie ihrerseits 
mehr weniger feine Aestehen abgeben und schliesslich durch 
mannigfaltige Verflechtung unter einander einen diehten Plexus 
(Randplexus) bilden, welcher vorwiegend in dem gefässhaltigen 
Randtheile der Hornhaut gelegen ist. Die diekeren, aber mit- 
unter auch die dünneren Stämmcehen dieses Randplexus bestehen 
gewöhnlich aus marklosen Nervenfasern, denen sich markhaltige in 
geringer Zahl beigesellen ; letztere treten sodann aus den Stämmehen 
aus und lassen sich in ihrem isolirten, mannigfach geschlängelten 
Verlaufe nicht selten auf weitere Strecken hin verfolgen (Fig. 1), 
wobei einige dieser Nervenfasern sogar in die Substantia propria 
corneae eindringen, um von da auf's Neue in die gefässhaltige 
Randzone dieser Membran zurückzukehren. Während des be- 
schriebenen Verlaufes theilen sich viele dieser markhaltigen Fasern 
an Stelle der Ranvier’schen Schnürringe in 2 oder 3 Fasern, 
welehe ihrerseits, nachdem sie eine gewisse Strecke zurückgelegt, 
auf's Neue in 2—3 mehr weniger kurze Theilungsfasern zer- 
fallen (vgl. Figg. 1, 5, 6, T u. 8); schliesslich treten die be- 
schriebenen markhaltigen Nerven sowie deren Theilungsfasern in 
die Endkörperehen ein und enden hier in Gestalt eigenthümlicher 
Bildungen, die ich Nervenendknäuel nenne. Vor ihrem 
Eintritte in die Endkörperehen verlieren die Nervenfasern ihre 
Markscheide, was gewöhnlich an einem der Pole des Endkörper- 
chens oder an dessen Seitenfläche stattfindet; indessen ist es 
kein seltenes Vorkommniss, dass die eine oder die andere dieser 
Nervenfasern bereits in einer beträchtlichen Entfernung von dem 
Terminalkörperehen ihre Markscheide verliert (Figg. 1, 3, 4, 
5, 6, T und 8). Mitunter sehen wir direet aus einer markhal- 
tigen Nervenfaser, an Stelle einer Ranvier’schen Einschnürung, 


Die Nervenendkörperchen in der Cornea u. Conjunctiva bulbi ete. 605 


entweder eine oder zwei, oft recht lange marklose Fasern aus- 
treten, welche letzteren schliesslich in Endkörperchen übergehen 
(Fiss. 5, 6, Tu. 8). Endlich hatten wir Gelegenheit zu be- 
obachten, dass der Axenceylinder einer oder der anderen, be- 
reits marklos gewordenen Nervenfaser, ohne in ein Endkörper- 
chen einzutreten, sich in 2—3 mehr weniger feine marklose Aest- 
chen spaltet; diese letzteren erscheinen mannigfach gewunden 
_ und durchsetzen nicht selten eine beträchtliche Strecke, ehe sie 
in den Endknäueln ihr Ende finden, oder sie theilen sich auf’s 
- Neue in mehrere feine Zweige, welche letzteren schliesslich in 
die Terminalkörperchen übergehen (Figg. 1, 5, 7 A); nicht selten 
sehen wir den beschriebenen marklosen Fasern ovale oder runde 
Bemeranhesen (Fig. 51‘ u. f!V). 

_ Die Gestalt der Endkörperehen kann sehr wechseln; am 
häufigsten aber zeigen dieselben eine rundliche, ovale oder ei- 
förmige Gestalt (wie es zum Theil auch aus den  beigegebenen 
Abbildungen ersichtlich ist), wobei sie manchmal stark längs ge- 
streekt und an irgend einer Stelle mehr weniger eingeschnürt er- 
scheinen. Ungeachtet dieser verschiedenartigen Gestalt der End- 
körperehen ist dennoch, soviel ich bemerken konnte, die runde 
oder die ovale Form derselben verhältnissmässig die häufigste. 
Die Grösse der Endkörperchen ist gleichfalls eine ver- 

schiedene: die einen derselben erscheinen als kleine Gebilde von 

0,02—0,03 mm Länge und 0,015—0,025 mm Querdurchmesser, 
_ während andere von ihnen grössere Dimensionen bieten, indem 
sie eine Länge von 0,045—0,10 mm und eine Breite von 0,02 
bis 0,08 mm erreichen. 

Sämmtliche Endkörperchen, d. h. sowohl die der gefäss- 
haltigen Randzone der Cornea als auch die der Conjunetiva bulbi, 
liegen unmittelbar unter dem Epithel, so dass dessen Innenfläche 
mitunter durch ein darunter liegendes Endkörperchen ein wenig 
eingedrückt erscheint (Fig. 2); nur diejenigen Endkörperchen, 
welche aus der Randzone in die Substantia propria corneae 
vorragen, liegen gewöhnlich unterhalb der vorderen Basilarmem- 
bran und nur in seltenen Fällen direet unter der Epitheldecke. 
Grösstentheils sind die Körperchen gruppenweise angeordnet, in- 
dem 3—5 und mehr Körperchen zusammentreten; innerhalb des, 
jeder einzelnen Gruppe zugehörigen Bezirkes verzweigen sich ge- 
wöhnlich eine, zwei oder drei markhaltige Nervenfasern, an 

8 


606 A. 8. Dogiel: 


deren Endverästelungen die 'Terminalkörperehen gleich Beeren 
an den Stengeln sitzen (Fig. 1). 

In der gefässhaltigen Randzone der Hornhaut finden sich 
diese Endkörperchen in beträchtlicher Menge, so dass ich inner- 
halb einer etwa einen halben Millimeter langen Strecke über 20 
solcher Endkörperchen zählte; viel spärlicher sind sie hingegen 
in der Substantia propria corneae vertreten, während sie in der 
Conjunetiva bulbi, namentlich aber in dem, 2—3 mm breiten 
Randtheile derselben auf's Neue in grosser Menge zugegen sind. 

Die Strucetur der Endkörperchen und die Nerven- 
endigungen in denselben. Die Methylenblaufärbung ermög- 
licht wohl die Klarstellung der Nervenendigungen in den End- 
körperchen, aber die Structur dieser letzteren selbst, wie nament- 
lich das etwaige Vorhandensein einer Umhüllung, sowie die Be- 
standtheile des sogenannten Innenkolbens sind an solchen Präpa- 
raten der Untersuchung nieht zugänglich. Zu letztgenanntem Be- 
hufe ist es erforderlich, das Gewebe zunächst durch halbverdünnte' - 
Müller’sche Flüssigkeit, Alkohol, Sulbimatlösung oder in der 
Flemming’schen Lösung (1 Vol. dieser letzteren mit 2—3 Vol. 
destillirten Wassers verdünnt) zu fixiren und dann Schnitte an- 
zufertigen; letztere können in Hoyer ’schem Pierocarmin, Häma- 
toxylin oder auch in anderen Farbstoffen gefärbt werden. Von 

allen oben genannten Fixirungsmitteln gibt die mit Wasser ver- 

_ dünnte Flemming’sche Lösung die besten Resultate. Das Prä- 
parat wird mehrere Stunden lang in der genannten Lösung ge- 
lassen, darauf in Wasser ausgewaschen und behufs definitiver Er- 
härtung in schwächeren und sodann successive in stärkeren Al- 
kohol übertragen. | 

An so erhaltenen Sehnittpräparaten ist es leicht ersichtlich, 
dass ein jedes Endkörperchen von einer mehr oder weniger 
(dünnen, nicht selten mehrschichtigen Bindegewebskapsel umhüllt 
wird. Diese letztere besitzt recht zahlreiche Kerne mit einem 
oder mehreren Kernkörperchen. Die in der Kapsel mancher 
dieser Endkörperchen enthaltenen Kerne liegen theils der Längs- 
axe des Körperehens parallel, theils aber sind sie zu derselben 
quer oder schräg gerichtet; die letztgenannten Kerne gehören 
aller Wahrschemliehkeit nach den, das Körperchen umwindenden 
markhaltigen Nervenfasern an (Figg. 2 u. 3). Die Bindege- 
webskapsel ist zwar auch an den, mit pierinsaurem Ammoniak 


& 
_ 


ie Nervenendkörperchen in der Cornea u. Conjunetiva bulbi ete. 607 


fixirten Präparaten wahrnehmbar (Fig. 3), indessen tritt sie 

ier nicht sehr deutlich hervor und wenn das Präparat hinreichend 
aufgehellt ist, lässt sich die Kapsel fast gar nicht mehr von dem 
umgebenden Gewebe unterscheiden. Bei Emwirkung des Methylen- 
blau's auf eine nicht genug frische Cornea oder Conjunetiva 
bleibt die Nervenfärbung in den Endkörperchen meist ganz aus, 
während die Kerne der Bindegewebskapsel an solehen Präparaten 
eine intensive blaue Färbung annehmen und nunmehr scharf her- 
vortreten. 

In dem von der Bindegewebskapsel umschlossenen Hohlraume 
— dem Innenkolben — gelang es mir an Schnittpräparaten nie, 
‚die geringste Spur von Kernen oder von Zellen irgend welcher 
Art zu entdecken, der ganze Innenkolben erscheint von einer 
_ Masse stark glänzender und scharf coutourirter Körnchen angefüllt; 
inmitten dieser Körnehen liegen kurze, nicht selten varieöse und 
ebenfalls glänzende Fäden, die gewöhnlich in verschiedenen Rich- 
tungen verlaufen (Fig. 2); oft erscheinen emige von diesen Fäden 
in Gestalt kurzer Schlingen. Die Körnchen des Innenkolbens 
sind von sehr geringer Grösse und erscheinen meist rundlich, 
oval oder spindelförmig; bei wechselnder Einstellung fällt es aber 
nicht schwer sich zu überzeugen, dass viele von diesen Körnchen 
allmählich in bogenförmig gekrümmte, mehr weniger kurze Fäden 
_ übergehen; es ist mithin die Mehrzahl dieser Körnchen als op- 
tische Querschnitte von Fäden anzusehen, welche letzteren sich 
in dem Bereiche der Endkörperehen mannigfach winden. Die 
spärlichen Zwischenräume zwischen den fast den ganzen Binnen- 
raum des Endkörperchens einnehmenden Fäden und Körnern wer- 
den durch eine geringe Menge leicht granulirter oder homogener 
Substanz ausgefüllt. 

So präsentiren sich die Endkörperehen, wenn man sie an 
Schnittpräparaten studirt, welche in den oben angegebenen Fixi- 
rungsmitteln erhärtet waren. Die im Inneren der Körperchen 
sichtbaren glänzenden Fäden sind auf die Nervenfäden zu be- 
ziehen, welche, wie dies weiter unten erörtert werden wird, an 
der Bildung der Endknäuel theilnehmen. 

Was das Verhalten der Nervenfasern zu den beschriebenen 
Endkörperehen anlangt, so sehen wir, wie dies zum Theil bereits 
früher erwähnt wurde, zu jedem Körperchen entweder ein einzel- 
nes, oder noch häufiger zwei oder gar drei Nervenästchen heran- 


608 A. S. Dogiel: ; 


treten, welche letzteren aus der Theilung einer oder aber zweier 
verschiedener markhaltiger Nervenfasern hervorgegangen sind 
(Figg. 1, 2, 3, 4, 5, 6,7 u. 8). In dem ersteren Falle nähert 
sich das Nervenästehen dem einen der. Pole des Terminal- 
körperehens und verliert hier (aber nicht selten auch schon viel 
früher) seine Markscheide, der nackte Axeneylinder tritt ın 
dlas Körperchen ein und zerfällt meist sogleich in 2—3 dünne 
varicöse Fäden (Figg. 3, 5B, 6); letztere schlagen entweder 
sämmtlich die gleiche Richtung ein oder sie gehen in verschie- 
denen Richtungen hin, indem sie hierbei eine oder mehrere bogen- 
oder ringförmige Krümmungen bilden, darauf spalten sie sich auf's 
Neue in eine Anzahl feiner varieöser Fäden, die sich auf die 
verschiedenste Weise hin- und herwinden und mit einander ver- 
flechten. Die letztbeschriebenen Fäden senden während ihres 
sesammten Verlaufes mehr oder weniger kurze laterale Fädchen, 
die unter häufiger Verästelung und mannigfachen Windungen die 
Verbindungen zwischen den nächstliegenden Nervenfäden vermit- 
teln (Fig. 3, 5, 6); solcher Weise entsteht ein, von einem 
diehten Netze varieöser Nervenfäden gebildeter Knäuel. Die ein- 
zelnen, in den Bestand dieses Knäuels tretenden Fäden sind der- 
massen mit einander verwickelt und verflochten, dass es in vielen 
Fällen fast unmöglich ist, den Verlauf irgend eines einzelnen 
Fadens eine gewisse Strecke weit zu verfolgen. Die soeben be- 
trachtete Form der Nervenendknäuel können wir den diehten 
Knäuel nennen, da er aus einem dichten Netze von Nervenfäden 
besteht, zwischen welchen nur sehr spärliche und kleine Lücken 
übrig bleiben. 

In den Endkörperchen, welche sich durch eine ovale oder 
mehr oblonge Form characterisiren, tritt der Axencylinder eines 
Nervenästehens an einen der Pole des Körperchens heran und 
dringt hier im dessen Inneres ein; darauf zerfällt der Axencylinder 
sogleich in mehrere feine varicöse Fasern, welche unter mannig- 
fachen Windungen der Längsaxe des Körperchens entlang ziehen 
und derart den entgegengesetzten Pol desselben erreichen; wäh- 
rend dieses Verlaufes entsenden sie zahlreiche, eleichfalls varieöse 
Fäden, welche auf's Neue häufige Theilungen eingehen und sich 
auf verschiedene Weise sowohl mit einander als auch mit den 
soeben erwähnten primären Theilungsfasern des Axencylinders ver- 
binden. Auf diese Weise entsteht ein Endknäuel von mehr oder 


Die Nervenendkörperchen in der Cornea u. Conjunctiva bulbi ete. 609 


weniger langgestreckter Form (Fig. 4B u. Fig. 7C”). Nicht 


selten treten ein, zwei oder auch drei varieöse Fädehen aus einem 
Endknäuel heraus, um in einer gewissen Entfernung von demsel- 
ben in das Innere eines oder zweier anderer solcher Körperchen 


einzudringen und hier ähnliche Endknäuel zu bilden (Fig.7, D, D/). 


Was den Fall betrifft, wo ein einziges Termmalkörperchen 


- 2—3 Nervenästehen aufnimmt, so sehen wir hierbei, dass eines 


oder auch zwei von ihnen an dem einen, die übrigen aber an 
dem entgegengesetzten Pole des Endkörperchens in dasselbe ein- 
treten (Figg. 4, 60, 7C u. ©, 8 B); aber mitunter sieht 
man auch eines oder das andere dieser Nervenästchen an einer 
Seitenfläche in das Körperchen treten. Die zu den Endkörper- 
chen sich begebenden Nervenfasern verlieren ihre Markscheide 
entweder unweit ihres Eintrittes in das Körperchen oder hart 


_ an dessen Oberfläche, oder endlich in selteneren Fällen in einem 


mehr oder weniger beträchtlichen Abstande oberhalb des Endkör- 
perchens. Nicht selten aber erscheint eines oder gar zwei der 
bezüglichen Nervenästchen in ihrem gesammten Verlaufe als mark- 
lose Faser (Figg. 7C, C’ u. 8). Ein jedes der beschriebenen 
Nervenästchen tritt demnach als marklose Faser in das Endkör- 
perchen ein und zerfällt hier in mehrere feine varieöse Fäden; 
letztere schlängeln sich Anfangs und entsenden dann in ihrem 
weiteren Verlaufe eine Anzahl varicöser Fäden, welche sich man- 
nigfach umwinden und sich hierbei mit einander verflechten und 
verbinden; derart gestaltet sich der ganze Endapparat zu einem 
diehten Knäuel (Figg. 4, 5B/, 60, TC, C’ u. 8B). 

Aber abgesehen von der beschriebenen Endknäuelform finden 
wir constant, zumal im Inneren der kleinen Endkörperchen, noch 
eine andere Form der Nervendigung, die man den lockeren 
Knäuel nennen kann; an der Bildung eines solchen Knäuels 
betheiligt sich ein einzelnes oder aber zwei Nervenästchen. 

Im ersteren-Falle tritt das Nervenästehen in das Innere 
des Endkörperchens ein und nimmt hier an Volumen zu, so dass 
es jetzt als ein ziemlich dieker varicöser Faden erscheint; letzterer 
beschreibt eine, zwei und mehr schlingenförmige Windungen 
(Fig. 8A u. C); an den so entstandenen Fadenschlingen ent- 
springen grösstentheils kurze varicöse Fädchen, die theils zu ge- 
genseitiger Verbindung der Schlingen dienen, theils aber in dem 
Binnenraume des Endkörperchens in Gestalt unregelmässiger oder 


4 


610 A.:8DögtTelk 


knopfförmiger Verdiekungen frei zu enden scheinen (Fig. 5C u. 
C’, Fig. 8A). Mitunter endet das Nervenästehen im Inneren 
des Körperchens in Gestalt eines einzelnen, bogen- oder ziekzack- 
förmig gekrümmten dieken varieösen Fadens, der schliesslich in 
eine Verdiekung ausläuft, während seine Ränder fein gezähnelt 
sich ausnehmen (Fig. 5D). 

Anlangend den andern Fall, d.h. wenn zwei Nervenästchen 
an der Bildung eines lockeren Knäuels Theil haben, mögen 
dieselben nun aus einer einzigen oder aus zwei verschiedenen 
markhaltigen Fasern hervorgegangen sein, so dringen beide Aest- 
chen an einem der Pole ‘des Körpershens in dasselbe ein, um hier 
alsbald in mehrere dieke varicöse Fäden zu zerfallen. Diese Fä- 
den zeigen einen mehr oder weniger gewundenen Verlauf und 
werden durch kurze laterale Fädehen unter einander verbunden. 
Soleher Weise entsteht ein loekerer Knäuel, wie es in den Figg. 
50’ und TD dargestellt ist. 

Indess sieht man nicht selten das eine Aestehen an dem einen, 
das andere an dem entgegengesetzten Pole in das Endkörperchen 
eindringen. Hier verlaufen sie schleifenförmig gewunden und 
bilden so einen lockeren Knäuel von spiraliger Form; die einzelnen 
Schlingen eines derartigen Knäuels sind gewöhnlich mittelst kurzer 
und feiner Nervenfädchen unter einander verbunden (Fig. 6). 

Die diehten Endknäuel erscheinen, soweit meine Beobach- 
tungen reichen, an dem einen oder an den beiden Polen, d.h. an 
den Eintrittsstellen der Axeneylinder der Nervenfasern in das End- 
körperehen dichter als in dessen übrigen Theilen, da die Nerven- 
ästehen und Fäden gleich nach ihrem Emtritte sich viel stärker 
winden als weiterhin (vgl. Fig. 5). | 

Sowohl die dichten als auch die lockeren Knäuel senden 
beständig eine gewisse Anzahl (1—2—3) feiner varicöser Nerven- 
fäden ab, welehe nach ihrem Austritte aus dem Endkörperchen 
eine oft mehr oder minder weite Strecke zurücklegen, ehe sie 
endlich in das Nervennetz eines der benachbarten Endknäuel über- 
gehen (Figg. 5h, 6e und 7a, a). Mittelst dieser Fäden wird 
die Verbindung zwischen den eimander nächstliegenden End- 
knäueln hergestellt und es ist zu bemerken, dass diese Ver- 
bindungsfäden niehts gemein haben mit denjenigen Nervenfäden, 
welche, wie bereits früher erwähnt, nach ihrem Austritte aus 
einem gegebenen Endkörperchen in ein anderes übergehen, um hier- 


ie Nervenendkörperchen in der Cornea u. Conjunctiva bulbi ete. 611 


selbst in dem Nervennetze des Endknäuels völlig aufzugehen. 
Manchmal gelingt es ein solches terminales Nervenfädchen eine 
Strecke weit in seinem Verlaufe innerhalb des Endkörperchens 
zu verfolgen; dann sieht man dasselbe nach seinem Eintritte in 
das Endkörperehen sich mannigfach windend mit den anderen 
Fäden des Endknäuels sich verflechten; schliesslich jedoch ent- 
zieht es sich unserer Beobachtnng inmitten des dichten Flecht- 
werkes der übrigen, in den Bestand des Endknäuels tretenden 
- Fäden (Fig. 6e). 
Wie bereits bemerkt, finden sich die Endkörperchen nicht 
nur in der gefässhaltigen Randzone der‘ Hornhaut, sondern auch 
innerhalb ihrer Substantia propria, in emem Abstande von 
1—2 mm von der Randzone. Die innerhalb der Substantia 
propria befindlichen Endkörperchen liegen unmittelbar unter der 
vorderen Basalmembran. Die zu diesen letzterwähnten Endkörper- 
chen hinzutretenden Nervenästchen haben einen zweifachen Ur- 
sprung: entweder sie gehen aus den Theilungsfasern der den vor- 
deren Cornealstämmcehen zugehörigen markhaltigen Nerven hervor, 
oder sie entstammen den durchbohrenden Fasern (Rami perforantes). 
In letzterem Falle löst sich in der Nähe der vorderen Basal- 
membran von einer perforirenden Faser gewöhnlich ein mehr oder 
weniger feines Aestehen ab, welches nicht selten bogenförmig ge- 
- wunden an das Endkörperchen herantritt, um hierselbst einen 
diehten oder einen lockeren Knäuel zu bilden (Fig. 9e). Mit- 
unter durchsetzt ein perforirendes Aestchen zunächst die vordere 
Basalmembran und geht darauf, ohne in die Fäden des subepi- 
thelialen Plexus zu zerfallen, in toto in ein unmittelbar unter 
dem Hornhautepithel gelegenes Endkörperchen über; solchenfalls 
treten bei der gleichen Tubuseinstellung sowohl die Fäden des 
subepithelialen Geflechtes als auch der Nervenknäuel deutlich her- 
vor (Fig. 10b). Was die Endkörperchen der Hornhaut betrifft, 
so bieten, soweit ich bemerken konnte, die Nervenknäuel dersel- 
ben meist das Ansehen von lockeren Knäueln dar; sie werden 
von einer oder von mehreren bogenförmigen Schlingen gebildet, 
die unter einander mittelst kurzer lateraler Fäden zusammenhängen. 
Dies sind die hauptsächlichsten Formen der Endknäuel, wie 
wir sie in den uns beschäftigenden Endkörperchen antreffen. 
Letztere finden sich, wie gesagt, in dem eigentlichen Hornhaut- 
gewebe, in der Gefässzone dieser Haut und endlich in der Con- 


| 
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612 A. S. Dogiel: 


junetiva bulbi, von wo aus sie aller Wahrschemlichkeit nach auch 
in. die Hornhaut vordringen. 

Aber ausser den oben beschriebenen Endknäuelformen treffen 
wir noch eine grosse Anzahl von Formvarietäten an, die sich in- 
dess nur durch geringfügige Differenzen in der Anordnung der 
Knäuelfäden von einander unterscheiden. 

Bevor ich die Beschreibung der Endkörperehen schliesse, 
erachte ich es für nothwendig, betreffs zweier der oben beschrie- 
benen Nervenendformen noch einige Worte hinzuzufügen, und 
zwar handelt es sich hier um diejenigen Endknäuel, deren Fäden 
scheinbar frei, in Gestalt knopfförmiger Verdieckungen enden, so- 
wie um diejenigen, in welchen der ganze Nervenendapparat als 
ein einzelner, im Binnenraume des Endkörperehens sich winden- 
der Faden erscheint. Diese beiden Endformen sind meiner Ueber- 
zeugung nach als Kunstproduete zu betrachten, die entweder in- 
folge einer unvollständigen Färbung der Endfäden des Knäuels 
entstanden sind, oder aber dadurch, dass die Fixirung des Prä- 
parates zu spät erfolgte, als bereits die Färbung der Nervenele- 
mente abzublassen begann und eine Anzahl der den Endknäuel 
bildenden Nervenfäden ihre Färbung vollständig oder wenigstens 
zum Theil verloren hatte. Zu Gunsten dieser Annahme kann ich 
die Thatsache anführen, dass an Präparaten, welche bei sehr 
vollständiger Nervenfärbung rechtzeitig fixirt waren, die in Rede 
stehenden Nervenendformen entweder gar nicht oder nur höchst 
selten anzutreffen sind. Einem jeden mit der Methylenblaumethode 
Vertrauten ist es wohl bekannt, dass es überhaupt kein Leichtes 
ist, in irgend einem gegebenen Gewebe eine vollständige Nerven- 
färbung zu erhalten, zumal wenn man sich behufs dessen der 
Ehrlich’schen Methode bedient, d.h. die Farblösung direct in 
das Blut der Versuchsthiere einführt. Gewöhnlich tritt unter sol- 
chen Bedingungen die Nervenfärbung sehr rasch ein, um aber 
leider eben so schnell zu entschwinden wie sie erfolgt war; nicht 
selten blasst die Färbung eines Theiles.der Nervenelemente be- 
reits ab, währenddem sie an anderen Nerven eben erst auftritt, 
und es ist daher manchmal recht schwierig, den Zeitpunkt zur 
Fixirung des Präparates richtig zu treffen. Angesichts des soeben 
Gesagten müssen wir sehr vorsichtig sein bei unseren Schluss- 
folgerungen betreffs der frei mit knopfförmigen Anschwellungen 
endigenden Nervenfäden. Denn diese Form der Nervenendi- 


Die Nervenendkörperchen in der Cornea u. Conjunctiva bulbi ete. 613 


- sungen kann wohl das Resultat einer unvollständigen Nervenfär- 
bung sein. | 
Abgesehen von den beschriebenen Endkörperehen finden 
sich in dem eigentlichen Hornhautgewebe, in einer Entfernung 
von !/,—2 mm von dem gefässhaltigen Cornealrande noch andere 
_ eigenthümliche Nervenendapparate in Gestalt von Endplättehen. 
- Die vorderen Nervenstämmcehen der Cornea entsenden gewöhnlich 
- nach ihrem Eintritte in dieselbe mehrere markhaltige Fasern, 
- welehe bald darauf ihre Markscheide verlieren und in je 2—4 
 varieöse Aestchen zerfallen; dieselben verlaufen eine geringe 
Streeke weit entweder dem Hornhautrande mehr oder weniger 
parallel, oder aber in radialer Richtung zum Centrum der Cornea 
hin und schliesslich geht ein jedes dieser Aestchen in ein End- 
plättehen über (Fig. 11 b). Diese Endplättchen präsentiren sich 
als Gebilde von viereckiger oder unregelmässig abgerundeter 
Form; einige von ihnen erscheinen schaufelförmig ausgehöhlt und 
öfter hie und da wie eingeschnürt (Fig. 11). Die Ränder der 
Endplättchen sind häufig uneben, gezackt; mitunter löst sich von 
dem Rande eines Endplättchens ein kurzer varicöser Faden ab, 
welcher sich bald darauf wiederum dessen Rande nähert und mit 
demselben verschmilzt (Fig. 11). Die Grösse der Endplättchen 
ist verschieden und neben grösseren finden wir solche von sehr 
geringem Umfange. Die beschriebenen Endplättehen enthalten 
keine Kerne und ungeachtet dessen, dass sie” einigermaassen den 
Hormhautzellen ähneln, haben sie dennoch mit den letzteren nichts 
gemein. Bei Fixirung der Methylenblaupräparate mittelst pierin- 
sauren Ammoniaks entsteht bekanntlich ein feinkörniger Nieder- 
schlag; dieser letztere ist in den Endplättchen ungleichmässig 
vertheilt und in Folge davon bilden sich daselbst stellenweise in 
Reihen liegende, intensiv gefärbte Fleekchen und Körnchen 
(Fig. 11). Es ist sehr möglich, dass die Aehnlichkeit dieser End- 
plättehen mit den Hornhautzellen die Ursache gewesen ist, wess- 
halb mehrere Forscher, wie Kühne, Waldeyer und Izquierdo 
u.A. sich für einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den 
Nerven und dem Protoplasma der zelligen Elemente der Hirnhaut 
aussprechen. 


Die von mir in der Cornea und Conjunetiva bulbi beschrie- 
benen Endkörperchen sind durchaus identisch mit den zuerst von 


614 Ar. SrDogrei$ 


W. Krause in der Conjunetiva bulbi des Menschen, des Affen 
und anderer Thiere entdeckten Endkolben. Die Gegenwart die- 
ser letzteren in der Bindehaut des Menschenauges wurde bald 
darauf durch die Untersuchungen von Frey, Kölliker, Lüdden, 
Ciaccio, Longworth und Waldeyer, A. Key und G. Retzius, 
Merkel, Schwalbe u. A. bestätigt und gegenwärtig zweifelt 
wohl Niemand mehr an ihrer Existenz. Was den Bau der End- 
kolben anlangt, so stimmen fast sämmtliche Beobachter darin 
überein, dass diese Gebilde von einer, zahlreiche oblonge Kerne 
tragenden, bindegewebigen Kapsel umhüllt werden (W. Krause, 
Frey, Kölliker, Merkel u. A.). Die Kapsel einiger zusammen- 
gesetzterer Endkolben lässt nach G. Retzius einen geschichteten 
Bau erkennen, wobei ein Theil der in der Kapsel liegenden 
Kerne auf die Nervenfasern zu beziehen sind, welche die End- 
kolben an ihrer Oberfläche umwinden. Gemäss Longworth’s 
Ansicht besteht die Bindegewebshülle der kugeligen Endkolben 
beim Menschen aus zwei Lamellen, einer äusseren und einer in- 
neren; sie sind durch einen engen, von homogener Substanz ge- 
füllten Zwischenraum von einander getrennt und enthalten beide 
recht zahlreiche Kerne. 

Ganz anders verhält es sich mit der Frage über die Bestand- 
theile des sogenannten Innenkolbens und über die Nervenendi- 
gungen in demselben. 

Nach W. Krause tritt als Bestandtheil des Innenkolbens 
eine eigenthümliche, feingranulirte und längsgestreift erscheinende 
Substanz auf. Die Nervenfaser tritt, nachdem sie vorher ihre 
Markscheide verloren, in den Innenkolben ein und zeigt hier di- 
und trichotomische Theilungen und die daraus hervorgegangenen 
Theilungsästehen (Terminalfasern) zeigen einen gewundenen Ver- 
lauf und enden schliesslich in Gestalt knopfförmiger Anschwel- 
lungen. In einer späteren Arbeit hat W. Krause seine ursprüng- 
liche Ansicht über den Bau des Innenkolbens einigermaassen mo- 
difieirt; er betrachtet denselben nunmehr als aus besonderen Zellen 
bestehend, die er „Längskolbenzellen“ nennt; zwischen diesen 
Zellen liegen die gewundenen Endästchen (Termimalfasern) mit 
ihren knopfförmigen Endanschwellungen. In den Endkolben der 
Conjunetiva bulbi des Menschen zählt W. Krause je 1—4, mit 
den eben erwähnten Endknöpfehen endigende Terminalfasern. 
Mit den Beobachtungen von W. Krause stimmen Frey, Lüdden 


Die Nervenendkörperchen in der Cornea u. Conjunctiva bulbi etc. 615 


und Kölliker überein; letzterer schreibt, gleichwie Krause, 
den „Längskolbenzellen“ keine besondere physiologische Bedeu- 
‚tung zu, indem er meint, dass dieselben genetisch als zur Schwann- 
schen Scheide gehörig oder einfach als Theile des Neurilems 
aufzufassen seien. G. Retzius, welcher sehr detaillirte und 
sründliehe Untersuchungen über den Bau der Conjunetivalend- 
kolben des Menschen angestellt hat, kann die Existenz der Längs- 
kolbenzellen nicht bestätigen; nach seinen Beobachtungen besteht 
- der Innenkolben bloss aus einer granulirten Masse, in welcher 
- keinerlei zellige Elemente zu Tage treten. Der nackte Axen- 
- eylinder der Nervenfaser tritt nach Retzius in den Innenkolben 
ein, windet sich hier schlingenförmig und zerfällt bald in Fibrillen, 
welche die granulirte Masse in verschiedenen Richtungen durch- 
setzen, um als kurze, stabförmige Fäserchen hier und da hervor- 
zutreten. In den zusammengesetzten Endkolben zerfällt der Axen- 
eylinder in einzelne Fibrillen, die in der granulirten Substanz des 
Innenkolbens eingelagert sind; die besagte granulirte Masse wird 
von Retzius „Terminalsubstanz“ genannt und mit der analogen 
körnigen Substanz der Endknospen der Pacini’schen Körper- 
chen verglichen, wobei er vermuthet, dass die Nervenfibrillen in 
dieser granulirten Masse endigen. 

Longworth, Waldeyer und F. Merkel gelangen auf 
Grund ihrer Untersuchungen zu dem Schlusse, dass der ganze 
Innenkolben aus einer gewissen Menge über emander geschichteter, 
kernhaltiger Zellen bestehe; in den letzteren enden, nach Long- 
worth und Waldeyer, die aus Theilung des Axeneylinders der 
Nervenfasern hervorgegangenen Fibrillen. Merkel reiht die Con- 
junetivalendkolben auf Grund ihrer Struetur und der Endigungs- 
weise ihrer Nerven den Tastkörperchen an. 

Meine eigenen Beobachtungen betreffs der Structur und der 
Nervenendigungen in den Endkörperchen der Cornea und Con- 
junetiva bulbi des Menschen lassen sich, wie es aus der vorher- 

gehenden Beschreibung ersichtlich, folgendermaassen zusammen- 
fassen: 

Die Endkörperchen werden von einer mehr oder weniger 
dünnen Bindegewebshülle — der Kapsel — bekleidet; letztere 
enthält runde oder ovale Kerne, von denen einige, wie bereits 
Retzius mit Recht bemerkt, den marklialtigen Nervenfasern an- 
gehören. 


616 A. S. Dogiel: 


In dem von der Kapsel umgrenzten Binnenraume der End- 


körperchen ist nicht die geringste Spur von Zellen oder Kernen 
enthalten; derselbe wird vielmehr von Nervenästehen und Nerven- 
fäden ausgefüllt, welche einen Nervenendknäuel bilden; die zwi- 
schen den Fadenschlingen des Endknäuels übrigbleibenden spär- 
lichen Lücken sind von einer geringen Menge einer homogenen 
oder leicht granulirten Substanz besetzt. 

Zu einem jeden Endkörperchen treten ein, zwei oder drei 
Nervenästchen heran, welche aus der Theilung einer einzigen oder 
aber zweier verschiedener markhaltiger Nervenfasern hervorge- 
gangen sind. Die Nervenästchen treten, nachdem sie ihre Mark- 
scheide verloren haben, in den Hohlraum des Endkörperchens ein, 
um hier in mehrere feinere Zweige zu zerfallen, welche letzteren 
sich in ihrem mannigfach gewundenen Verlaufe wiederholt in 
feine varicöse Fäden spalten. Diese Nervenfäden bilden, indem 
sie sich auf die verschiedenste Weise verflechten, schlängeln und 
mit einander vereinigen, entweder einen diehten oder einen locke- 
ren Knäuel. 

Die in den Bestand des Endknäuels tretenden Nervenfäden 
laufen nicht etwa frei, in Gestalt knopfförmiger Anschwellungen 
aus, und wenn man mitunter auch solche, dem Anscheine nach 
freie Nervenendigungen m den Endkörperchen zu Gesichte be- 
kommt, so lassen sich derartige Bilder am wahrscheinlichsten 
aus einer unvollständigen Färbung der im Endknäuel enthaltenen 
Nervenfäden erklären. 

Aus den Endknäueln treten nieht selten mehrere Nerven- 
fäden aus, welche mehr oder minder beträchtliche Strecken durch- 
setzen, um in andere Endkörperchen einzudringen und hier auf’s 
Neue an der Bildung von lockeren oder dichten Knäueln theilzu- 
nehmen. 

Die Endknäuel benachbarter Endkörperchen stehen mittels 
besonderer, feiner, varieöser Fäden unter einander in Verbindung. 

In dem Gewebe der Hornhaut begegnen wir eigenthümlichen 
Endapparaten der Nervenfasern, welche ich Endplättehen ge- 
nannt habe. 


Die Endkörperehen der Cornea und Conjunctiva bulbi des 
Menschen stehen in Hinsicht ihres Baues, sowie in dem Verhalten 


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2 . 


BENETEEN 


Die Nervenendkörperchen in der Cornea u. Conjunctiva bulbi ete. 617 


ihrer Nervenendigungen den von A. Smirnoff!) in der Frosch- 
lunge beschriebenen Nervenendapparaten, gleichwie den sogen. 
„Genitalnervenkörperchen“, sehr nahe. In den letztgenannten Ge- 
bilden zerfallen, zufolge der neuesten Beobachtungen von Aron- 
son?) und G. Retzius?), die Axencylinder der Nervenfasern im 
Innern des Körperchens in einzelne Zweige und Fäden, die in 
Anschwellungen von verschiedener Gestalt auslaufen. 

Im Himbliek auf meine eigenen Beobachtungen betreffs der 
Endkörperchen der Cornea und Conjunetiva bulbi des Menschen 
und bei Durchmusterung einer ganzen Reihe von Abbildungen, 
welche der gründlichen Arbeit von G. Retzius beigelegt sind, 
gelange ich zu der Ansicht, dass die Anschwellungen, in welche 
nach seiner Meinung die Nervenfäden auslaufen, nichts anderes 
sind, als varicöse Verdickungen der durch Methylenblau unvoll- 
ständig gefärbten Nervenfäden. Aller Wahrscheinlichkeit nach 
bilden die Nervenfäden innerhalb der Genitalnervenkörperchen, 
ebenso wie wir es in den von uns beschriebenen Endkörperchen 
sahen, ein Nervennetz, dessen Schlingen sich auf verschiedene 
Weise umwinden und verflechten. 


Literatur. 3 


dh 


W. Krause, Zeitschrift für rationelle Medicin Bd. V, 1858. 

2. Derselbe, Die terminalen Körperchen der einfach sensiblen 
Nerven. Hannover, 1860. 

3. Derselbe, Die Nervenendigung innerhalb der terminalen Körper- 
chen. Arch. f. mikrosk. Anatomie Bd. XIX, 1881. 

4. Frey, Histologie und Histochemie des Menschen. Leipzig, 1859. 

5. Lüdden, Zeitschr. f. wissensch. Zoologie Bd. 12, 1863. 

6. A. Kölliker, Handb. der Gewebelehre des Menschen. 4. Aufl. 1863. 

7. Derselbe, 5 a es > h In. Ta 


1) A. Smirnoff, Ueber Nervenendknäuel in der Froschlunge. 
Anatom. Anzeiger, III. Jahrg., 1888. 

2) Aronson, Beitr. zur Kenntniss der centralen und peripheren 
Nervenendigungen. Inaug.-Diss. Berlin 1886. 

3) G. Retzius, Ueber die Endigungsweise der Nerven in den 
Genitalnervenkörperchen des Kaninchens. Internat. Monatsschr. für 
Anatomie und Physiologie Bd. VII, Heft 8, 1890. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 41 


618 A. S. Dogiel: 


8. 


9; 


10. 
11. 


12 


13. 


14. 


15. 


G. Ciaccio, Memorie dell’ Academia delle Seienze dell’ Istituto 
di Bologna. Ser. III. Tomo IV. Fascicolo 4, 1874. 

Derselbe, Ueber den Bau der Bindehaut des menschlichen Auges. 
Moleschott’s Untersuchungen zur Naturlehre. XT. 
Longworth, Arch. f. mikrosk. Anatomie Bd.XI, 1875. 
Waldeyer, Tageblatt d. Breslauer Naturforscher-Versamml. 1874. 
Derselbe, Ueber die Endigungsweise der sensiblen Nerven. Arch. 
für nike Anatomie Bd. XVII, 1880. 

Axel Key u. G. Retzius, Studien in der Anatomie des Nerven- 
systems und des Bindegewebes. Stockholm, 1876. 

F. Merkel, Ueber die Endigungen der sensiblen Nerven in der 
Haut der Wirbelthiere. Rostock, 1880. 

G. Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. Er- 
langen, 1887. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXIIHI u. XXXIV. 


Sämmtliche Abbildungen sind mit Hülfe der Camera lueida nach 


Präparaten gezeichnet, welche, ausgenommen das der Fig. 2, durch 
Methylenblau gefärbt und sodann mittels pierinsauren Ammoniaks oder 
Kalis fixirt waren. 


Fig. 1. Nervenästchen (a) des Randplexus der Hornhaut, in dem 
markhaltige Fasern (b) enthalten sind. Diese letzteren 
endigen in dichten und lockeren Endknäueln von ver- 
schiedener Form. Gefässzone der Cornea. Obj.4. Reichert. 

Fig. 2. Endkörperchen aus der Conjunctiva bulbi. Längsschnitt 
durch die in Flemming’scher Lösung fixirte Bindehaut 
des Auges. Obj. 8a. Reichert. 

Fig. 3. Endkörperchen aus dem Randtheile der Con bulbi. 
a) Markhaltige Nervenfaser, deren Axeneylinder in einen 
dichten .Endknäuel übergeht. Obj. 8a. Reichert. 

Fig. 4. A und B) Nervenendknäuelchen aus der Conjunctiva bulbi. 
a) Markhaltige, dem Knäuelchen A sich nähernde Nerven- 
faser, theilt sich in drei Aestchen, die das Knäuelchen bil- 
den. Obj. 83a. Reichert. 

Fig. 5. A) Markhaltige Nervenfaser, die in zwei Aestchen (d und e) 
zerfällt; das eine von diesen Aestchen (e) endigt mit einem 
dichten Knäuel (B), das andere (d) theilt sich auf’s Neue 
in drei Zweige (f, f’/ f”). Das marklose Zweigchen f zer- 
fällt in die beiden feinen Fasern A und :; die Faser h endet 
in einem lockeren Knäuel (C) und in einem bogenförmig 
verlaufenden dicken varicösen Faden (D), die Faser 2 da- 
gegen betheiligt sich an der Bildung des lockeren Knäuels 
C’; das marklose Zweigchen f’ geht in einen dichten Knäuel 
(B’) über. Das markhaltige Zweigchen f“” endlich theilt 
sich in die beiden marklosen Fasern f’”“ und fIV, welchen 


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letzteren Kerne anliegen; die genannten Fasern gehen in 
die lockeren Endknäuel C’ und C” über. g) Aestchen 
einer (in der Figur nicht abgebildeten) markhaltigen Faser, 
welches in mehrere varicöse Fäden zerfällt; letztere gehen 
in den Endknäuel B’ über. h) Anastomotischer Nerven- 
faden. Gefässzone der Cornea. Obj. Sa. Reichert. 
A und B) Zwei markhalti®e Fasern, von denen eine jede 
sich gabelförmig in zwei Aestchen (a, b und c, d) theilt. 
Das Aestchen a geht in einen lockeren Knäuel über, wäh- 
rend die übrigen dichte Endknäuel (C, C’/, C“) bilden. 
e) Varicöser Nervenfaden, der zwei Endknäuel mit einander 
verbindet. f) Aestchen, die aus der Theilung von (nicht 
in die Zeiehnung aufgenommenen) markhaltigen Fasern 
hervorgegangen sind. Gefässzone der Cornea. Obj. 8a. 
Reichert. 
A und B) Markhaltige Nervenfasern. Die aus der Theilung 
der Faser A hervorgegangenen marklosen Aestchen bilden 
zwei dichte Knäuel (C und C/. Das eine der Aestchen der 
Faser B geht in einen dichten Knäuel von länglicher Form 
(C*) über; letzterer entsendet fünf Nervenfäden; drei von 
ihnen gehen in den lockeren Knäueln D und D/ auf, wäh- 
rend die beiden anderen Fäden (a und a’) als anastomo- 
tische Fäden erscheinen. b) Aestehen markhaltiger Nerven- 
fasern. Gefässzone der Cornea. Obj. Sa. Reichert. 
A und C) Lockere Endknäuel. B) Dichter Endknäuel. 
a, b, ce und d) Aestchen, hervorgegangen aus der Theilung 
markhaltiger Nervenfasern. e) Anastomotischer Nerven- 
faden. Randtheil der Conjunctiva.- Obj. Sa. Reichert. 
a) Aestchen eines der vorderen Nervenstämmchen der Cor- 
nea. b) Perforirende Aestchen, die in die Fäden (d) des 
subepithelialen Nervenplexus zerfallen; von einem der per- 
forirenden Aestchen geht der Faden ce ab, der in einem 
lockeren Knäuel endet. e) Dickeres Nervenästchen, das in 
den Bestand des im Hornhautstroma gelegenen Nerven- 
 geflechtes tritt. Randtheil der Cornea. Obj. 7. Hartnack. 
a) Aestchen eines der vorderen Nervenstämmchen der Cor- 
nea. b) Perforirendes Aestchen in einem lockeren Knäuel 
endigend; letzterer liegt unter dem Epithel der Cornea. 
e) Fäden des subepithelialen Geflechtes. Randzone der 
Cornea. Obj. 4. Reichert. Tubus halb ausgezogen. 
A) Aestchen eines der vorderen Nervenstämmchen der 
Cornea. a) Axencylinder einer markhaltigen Nervenfaser; 
derselbe zerfällt in dünne Aestchen, welche in Endplättchen 
(b) auslaufen. Cornealrand. Obj. 8a. Reichert. 


620 W..Nialg el: 


(Aus dem I. anatomischen Institut in Berlin.) 


Ueber die Entwickelung des Uterus und der 
Vagina beim Menschen‘). 


Von 


Dr. med. W. Nagel, | ” 
Privatdocent, Assistenzarzt der geburtshülflich-gynäkologischen Univ.- 
Klinik des Herrn Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Gusserow zu Berlin. 


Hierzu Tafel XXXV u. XXXVL 

Bekanntlich waren es zunächst theoretische Erwägungen, 
welche verschiedene Forscher (siehe bei Kussmaul)?) zu der 
Behauptung führten, dass zwei symmetrische Uranlagen für Uterus 
und Vagina bestehen müssten. Für die Richtigkeit dieser Be- 
hauptung sprach das Verhalten der inneren Genitalien bei ver- 
schiedenen niederen Wirbelthieren und die Häufigkeit des Vor- 
kommens von Duplieität des Uterus und der Vagina (Leuckart, 
Thiersch, Dohrn). Die Untersuchungen von Thiersch, 
Dohrn, Kölliker, Kussmaul, Waldeyer u.A. haben längst 
die oben erwähnte theoretische Erörterung zu einer anatomischen 
Thatsache erhoben und die Annahme Johannes Müller ’s?), 
dass die nach ihm benannten Gänge als Bildungsstätte der Tuben 
und der Gebärmutterhörner dienten, dahin erweitert, dass der ge- 
sammte innere Genitaltractus des Weibes, einschliesslich des 
Hymens, aus den beiden genannten Gängen hervorgehen. 


1) Siehe Sitzungsberichte der kgl. preuss. Akademie der Wissen- 
schaften zu Berlin. Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 
vom 22. Mai 1890, Dr. W.Nagel, Ueber die Entwiekelung des Uterus 
und der Vagina beim Menschen. 

2) A. Kussmaul, Von dem Mangel, der Verkümmerung und 
Verdoppelung der Gebärmutter. Würzburg, 1859. 

3) Johannes Müller, Bildungsgeschichte der Genitalien aus 
anatomischen Untersuchungen an Embryonen des Menschen und der 
Thiere. Düsseldorf, 1830. 


Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 621 


- Sobald aber von der Trennung des Genitalkänals (der ver- 
einigten Müller'schen Gänge also) in Uterus und Vagina die 
_ Rede ist, dann liegt die Sache anders. Dohrn!) meint, dass sich 
der Nachweis, dass ausser dem Uterus auch die Vagina aus den 
Müller’schen Gängen hervorgehe, durch direkte Beobachtung 
schwer führen lasse und eine Durehmusterung der einschlägigen 
Literatur lehrt, dass Dohrn mit obigem Ausspruche bisher Recht 
behalten hat. 

In einer späteren Abhandlung sagt Dohrn?): — „gegen 
Ende der neunten Woche bildet der Genitalschlauch des Men- 
schen einen kurzen glattwandigen Kanal von nahezu gleich- 
mässig weitem Lumen, welcher nur leicht gekrümmt in das 
Becken hinabsteigt, um in den Sinus urogenitalis einzumünden; 
von einer Gliederung des Kanals in Uterus und Vagina findet 
sich dann, so wenig als von Anfängen einer Hymenalbildung, 
noch keine Spur.“ Gleichzeitig spricht der genannte Forscher 
_ die Ansicht aus, dass der Genitalkanal während der 9.—15. Woche 
des Embryonallebens keine für die makroskopische Betrachtung 
hervorstechenden Veränderungen erfährt; nur das wird ersicht- 
lich, dass sich der Kanal stärker dehnt und nach vorne zu- 
sammenbiegt. In der 15.—16. Woche findet nach den Unter- 
suchungen Dohrn’s die Trennung in Uterus und Vagina statt, 
indem um diese Zeit die vordere Lippe der Vaginalportion als 
flache halbkugelige Promimenz erkennbar wird, „welche hervor- 
 wachsend die hintere Wand des Genitalschlauchs zurückdrängt. 
Nach Tourneux und Legay’) zeigt der Genitalstrang 
des menschlichen Embryo zu Anfang des dritten Monats noch 
keine Trennung in Uterus und Vagina, und seine Wände sind 
in ihrer ganzen Länge mit dem einheitlichen “ursprünglichen 
Epithel der Müller’schen Gänge ausgekleidet. Im Laufe des 


1) F. A. R. Dohrn, Zur Kenntniss der Müller’schen Gänge 
und ihrer Verschmelzung. Schriften der Gesellschaft zur Beförderung 
der gesammten Naturwissenschaften zu Marburg Bd. IX. Marburg und 
Leipzig, 1872. | 

« 2) Derselbe, Ueber die Entwickelung des Hymens. — Schriften 
‚der Gesellschaft zur Beförderung der gesammten Naturwissenschaften 
zu Marburg. Bd.X, Supplement-Heft I. Cassel, 1875. 4°. 

3) Tourneux und Legay, Memoire sur le developpement de 
l’Uterus et du Vagin. Journal de l’Anatomie et de la Physiologie. 1884. 


622 Ww. Nagel: 


dritten Monats erleidet dieses Epithel eine Veränderung, indem 
es sich nach und nach umwandelt: in dem unteren Theile des 
Genitalstranges in ein mehrschichtiges Pflasterepithel (Epithelium 
pavimenteux stratifi6), im dem oberen Theile in Cylinderepithel 
(Epithelium prismatique). Die erste Anlage der Portio vaginalis 
uteri haben die Verfasser bei einem menschlichen Embryo von 
16,5 em Länge gesehen und zwar in der Weise, dass das Epithel 
sichelförmig in die bindegewebig-museulöse Wand des Genital- 
stranges einwucherte. 

v. Mihalkoviez!), auf dessen Arbeit zurückzukommen ich 
mehrfach Gelegenheit haben werde, fand bei einem 14 em langen 
Embryo Vagina und Uterus deutlich gesondert und sagt (a. a. 0. 
S. 348): „an der Grenze zwischen Uterus und Vagina hat die 
Scheide als Einleitung zur Bildung des Fornix eine geringe Di- 
latation erhalten, oberhalb welcher die Stelle des Muttermundes 
liegt“. 


3 


. Kölliker?) verlegt die Trennung zwischen Uterus und 
Vagina in den fünften und sechsten Monat, und zwar beginnt, 
nach diesem Forscher, der Uterus sich dadureh abzugrenzen, 
dass an der Stelle des späteren Orifieium externum ein leichter 
ringförmiger Wulst entsteht, der dann nach und nach in den 
letzten Monaten der Schwangerschaft zur Vaginalportion sich 
gestaltet. | 

Zu einem ähnlichen Ergebnisse kam van Ackeren?), in- 
dem er das erste Zeiehen einer Differenzirung bei menschlichen 
Embryonen aus der zweiten Hälfte des vierten Monats fand und 
zwar als eine plötzliche Erweiterung des Genitalkanals unterhalb 
einer engen spaltförmigen Stelle, dem Orificium uteri externum; 
damit verbunden war eine Wandverdiekung in derselben Höhe 
und im nächst höheren Abschnitte des Uterus®). Das ausklei- 


1) G. v. Mihalkovicz, Untersuchungen über die Entwickelung 
des Harn- und Geschlechtsapparates der Amnioten. Internationale 
Monatsschrift für Anatomie und Histologie. Bd. II. Paris, Leipzig, 
Londen, 1885. 

2) A. v. Kölliker, Entwickelungsgeschichte des Menschen und 
der höheren Thiere. 2. Aufl. Leipzig, 1879, S. 992. 

3) F. van Ackeren, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der 
weiblichen Sexualorgane des Menschen. Inaug.-Diss. Zeitschrift für 
wissenschaftliche Zoologie Bd. XLVII, S. 20. 

4) Bei Thieren hat E. von Baer (Ueber Entwickelungsgeschichte 


h IX it 


Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 623 


dende Epithel zeigt nach dem genannten Forscher ausserdem im 
unteren Theile des Uterus und in der Vagina nicht mehr den 
Charakter des Cylinderepithels bei jüngeren Embryonen, sondern 
erscheint als Pflasterepithel beziehungsweise aus kubischen und 
rundlichen Zellen zusammengesetzt. In Bezug auf die Entstehung 
der Portio vaginalis schliesst van Ackeren sich der oben an- 
geführten Ansicht Tourneux’ an, jedoch sagt er (a.a. 0. S. 17), 
dass er bei einem Embryo aus der Mitte des fünften Monats 


(Körperlänge 24,5, Rumpflänge 13,5 em) einen deutlich ausge- 


bildeten Fornix vaginae anterior gesehen hat, während von einem 
Fornix posterior nichts zu bemerken war. 

Cadiat?!) sagt, dass im dritten Monat noch keine Grenze 
zwischen Uterus und Vagina bestehe. Im vierten Monate soll 
eine Portio von 4mm Länge vorhanden sein. Bei einem mensch- 
lichen Embryo weiblichen Geschlechts von 13 cm Länge fand er 
einen wohlausgebildeten Uterus, aber ohne Unterschied zwischen 
Collum und Corpus. Die Arbeit Cadiat’s enthält indessen, wie 
auch van Ackeren mit Recht hervorhebt, so grosse Wider- 
sprüche, dass es schwer ist, sich eine klare Vorstellung über die 
Ansichten des Verfassers zu bilden. 

Die neueste Arbeit, welche die uns hier beschäftigende 
Frage streift, nämlich diejenige von Schaeffer?), beschäftigt 
sich nur mit älteren Embryonen. 3 

In den allgemein bekannten Lehrbüchern der Anatomie und 
Entwickelungsgeschichte werden im wesentlichen die oben ange- 
führten Ansichten vertreten, und der gegenwärtige Stand der 
Frage lässt sich demnach folgendermaassen kennzeichnen: An- 
fänglich ist der Genitalstrang (im Sinne von Thiersch) in 
seiner ganzen Länge mit dem ursprünglichen Cylinderepithel der 


der Thiere. Königsberg, 1828—1837) etwas ähnliches gefunden, indem 
er sagt (S. 224): „— es erweitert sich nämlich der, kurze gemeinschaft- 
liche Kanal von der Ausmündung aus gegen die beiden Eileiter, wird 
in seiner Wand dicker und theilt sich durch einen nach innen ring- 
förmig vorspringenden Wulst in Scheide und Hals des Fruchthalters.“ 

1) M. OÖ. Cadiat, M&emoire sur l’Uterus et les Trompes. Journal 
de l’Anatomie et de la Physiologie. Paris, 1884, S. 409. 

2) OÖ. Schaeffer, Bildungs-Anomalien weiblicher Geschlechts- 
organe aus dem fötalen Lebensalter mit besonderer Berücksichtigung 
der Entwickelung des Hymen. Archiv für Gynäkologie Band 37. 
Berlin, 1890. 


264 W. Nagel: 


Müller’schen Gänge ausgekleidet und zeigt ein gleichmässiges 
Aussehen; eine Trennung desselben in Uterus und Vagina findet 
erst um die Hälfte der Schwangerschaft statt dureh Bildung der 
Portio vaginalis. Etwas früher, nämlich im Laufe des dritten 
Monats, wandelt das Epithel des unteren Abschnittes des Geni- 
talstranges sich in ein mehrschichtiges Pflasterepithel um (Tour- 
neux und Legay). 

Meine Untersuchungen haben ein etwas anderes Ergebniss 
schabt; zum Theile mag dieses davon herrühren, dass ich in der 
Lage war, eine ziemlich vollständige, fortlaufende Reihe mensch- 
lieher Embryonen von 1,1 em Länge und aufwärts unter- 
suchen zu können und somit die Ausbildung des Genitalstranges 
von einer sehr frühen Entwickelungsstufe an Schritt für Sehritt 
zu verfolgen. 

Einige Hunderte mensehlicher Embryonen, welche ich in 
meiner mehrjährigen Thätigkeit als Assistenzarzt der Gusse- 
row’schen Klinik nach und nach, zum Theil mit freundlicher 
Unterstützung meiner Collegen, der Herren Doctoren Meyer, 
Hensoldt, Schwarze, Vowinkel, Hünermann, gesammelt 
habe, sind von mir untersucht worden. Durch die Reichhaltig- 
keit des Materials, für dessen freundliche Ueberlassung ich Herrn 
Professor Gusserow, meinem hochverehrten Lehrer, auch an 
dieser Stelle meinen aufriehtigen Dank sage, war ich in der 
glücklichen Lage, eine Auswahl treffen zu können, und ich habe 
nur diejenigen Objekte für meine Schlussfolgerungen verwendet, 
welche sich .bei der mikroskopischen Untersuchung von tadel- 
loser Beschaffenheit zeigten. Die Embryonen habe ich theils in 
Müller’scher Flüssigkeit, theils in Alkohol, Kleinenberg'’scher, 
Flemming’scher oder Fol’scher Lösung gehärtet. Die klei- 
neren Objekte wurden ganz in die Härtungsflüssigkeit eingelegt, 
von den grösseren habe ich das Becken abgetrennt und nur 
dieses gehärtet und zwar unter Belassung der Genitalorgane in 
ihrer natürlichen Lage. | 

Vor der Durehfärbung und Einbettung in Paraffin habe 
ich bei den grösseren Embryonen die Skelettheile entfernt, dabei 
jedoch jede Berührung der Genitalorgane möglichst vermieden; 
von den kleineren wurde der ganze Unterkörper in Paraffin ein- 
geschmolzen. Mittels eines Schlitten-Mikrotoms (von Becker in 
Göttingen) wurden die in obiger Weise hergerichteten Präparate 


zT 


Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 625 


in Reihenschnitte zerlegt theils in frontaler, theils in sagittaler 
oder querer Richtung und in üblicher Weise weiter behandelt. 

Dem Direktor des I. anatomischen Instituts zu Berlin, Herrn 
Geh. Medieinal-Rath Prof. Dr. Waldeyer sage ich für seine 
freundliche Theilnahme und werthvollen Rathschläge, die er mir 
auch während dieser Arbeit hat zu Theil werden lassen, meinen 
liefgefühlten Dank. 


Dureh frühere Untersuchungen habe ich!) nachgewiesen, 
dass der Müller ’sche Gang bei ganz jungen menschlichen Em- 
‚bryonen (von 11—15mm Länge) beiderlei Geschlechts als eine 
_ triehterförmige Einstülpung des Coelomepithels der Urniere an- 
gelegt wird, welche mit ihrem soliden, spitz zulaufenden Ende 
dem Wolff’schen Gange dieht anliegt, wobei eine innige Ver- 
„bindung des Epithels der beiden Gebilde eintritt, jedoch ohne 
dass es, wie es scheint, zu einer Verschmelzung kommt. 
Während der weiteren Entwickelung wächst der Müller'sche 
Gang der ventralen Wand des Wolff’schen Ganges entlang ab- 
wärts, bis er den Sinus urogenitalis erreicht. Dadurch, dass die 
ventrale Kante der Urniere durch eine spiralige Drehung des 
ganzen Organs nach innen, das heisst nach der Längenachse des 
embryonalen Körpers zu, allmählich umbiegt, wird es erklärlich, 
weshalb der Müller'sche Gang, der in dem proximalen Theile 
der Urniere nach aussen von dem Wolff’schen liegt, in dem 
distalen Theile des Organs, in der Plica urogenitalis (Wal- 
deyer) und in dem Genitalstrange (Thierseh) nach innen von 
dem genannten Gange belegen ist. Auf der letztgenannten Strecke 
liegen die beiden Müller’schen Gänge dieht aneinander; ihre 
nach innen liegenden Wandungen berühren sich und werden 
gleichzeitig an mehreren Stellen durchbrochen: durch diesen 
Vorgang entsteht schliesslich aus den ursprünglich getrennten 
Gängen ein einziger Hohlraum. Ferner habe ich?) nachgewiesen, 
dass die solide Spitze des Müller'schen Ganges aus eigen- 
artigen eubischen protoplasmareichen Zellen besteht, ganz gleich, 
ob es sich um weibliche oder männliche Individuen handelt. 


I) W. Nagel, Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems 
des Menschen. Archiv für mikrosk. Anatomie Bd. 34, 1889. 
2) 8. a’.0. 


626 W. Nagel: 


Während des Abwärtswachsens des Müller’sehen Ganges ändern 
die genannten Zellen ihr Aussehen nicht; in dieser ganzen 
Periode, von der ersten Anlage des Ganges als röhrenförmiges 
Gebilde bis zur Erreichung des Sinus urogenitalis, kann man 
vielmehr zwei Abtheilungen an demselben deutlich 
von einander unterscheiden: nämlich einen proximalen 
(grösseren) Abschnitt, welcher ein deutliches Lumen besitzt und 
dessen Wände mit hohen und schmalen Cylinderzellen ausgekleidet 
‘sind, und einen distalen (kleineren) Abschnitt, weleher keine 
Höhlung besitzt und aus den oben gedachten grossen Zellen von 
vorwiegend eubischer Gestalt gebildet wird. 

Dieser Unterschied in der epithelialen Auskleidung besteht 
auch noch fort, nachdem die Müller’schen Gänge den Sinus 
urogenitalis erreicht haben. Zahlreiche Schnittreihen in den 
oben erwähnten Körperrichtungen durch das Becken von mensch- 
lichen Embryonen, weiblichen Geschlechts, mit einer Rumpf- 
länge von 3 bis 4!/,cm haben übereinstimmend folgenden Be- 
fund gegeben (siehe Fig. 1, Tafel XXXV): Der Geschlechtsstrang 
und die angrenzenden Theile der Plicae urogenitales (der spä- 
teren uterinen Abschnitte der Tuben mit angrenzendem Stück‘ 
der Ligamenta lata) zeigen eine seichte dorso-ventrale Krümmung 
mit vorderer Concavität. An seinem proximalen Ende ist der 
Geschlechtsstrang gabelförmig getheilt, während sein distales 
Ende etwas spitz zulaufend die hintere Wand des Sinus urogeni- 
talis in schräger Richtung durehbohrt und in diesen hügelartig 
hineinragt; die hierdurch entstandene Erhabenheit hat v. Mihal- 
koviez!) mit dem Namen „Müller’scher Hügel“ belegt. In 
seinem mittleren Theil zeigt der Geschlechtsstrang eine gleich- 
mässige spindelförmige Verdiekung und besteht in seiner ganzen 
Länge aus dicht angehäuften mesodermalen Bildungszellen ?), 
zwischen welchen einzelne Gefässverzweigungen deutlich zu er- 
kennen sind. Der Geschlechtsstrang umschliesst folgende epi- 
theliale Gebilde: 


1) a. a. 0. 8.330. j 

2) Ich bemerke hierbei, dass ich unter „Bildungszellen“ die- 
Jenigen zelligen Elemente verstehe, aus welchen die nicht epithe- 
lialen Bestandtheile eines Organs ihren Ursprung nehmen und welche. 
noch keine histologische Differenzirung (in Bindegewebs- oder Muskel- 
zellen) zeigen. 


- Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 627 


1. DieMüller’schen Gänge, welche in dem proximalen 
Abschnitte, der oben erwähnten gabeligen Theilung entsprechend, 
divergirend nach den Plicae urogenitales verlaufen, in dem mitt- 
leren Absehnitte dagegen dieht aneinander liegen und an meh- 
_ reren Stellen — bei Embryonen von 3,5 bis 4em in ihrer ganzen 
Länge — zu einer einzigen epithelialen Röhre mit (auf dem 
Querschnitte) quer-ovalem Lumen verschmolzen sind. Das bisher 
geschilderte (proximale) Stück des Ganges ist mit einem Epithel 
ausgekleidet, welches aus 16—25 u hohen schmalen Cylinder- 
zellen mit länglichem Kern besteht. Bei Embryonen der oben 
erwähnten Grösse ist jedoch der Epithelsaum in dem mittleren 
Abschnitte, der oben erwähnten spindelförmigen Verdiekung des 
Geschlechtsstranges entsprechend, etwas höher, er misst an dieser 
Stelle 32—40, bis 50 u (je nach der Grösse des Embryo) und 
hat — bei Embryonen von 4--4,5 em Rumpflänge — auf Längs- 
schnitten einen wellenförmigen Contur; auch liegen hier, wie es 
scheint, die Cylinderzellen in mehreren Schichten über einander. 

Das letzte (distale) Stück des Ganges, der oben erwähnten 
distalen Verjüngung des Geschlechtsstranges entsprechend, und 
zwar bis zu einer Entfernung von 80 u von der Mündung in den 
Sinus urogenitalis, hat, wie bemerkt, kein Cylinderepithel und 
zeigt keine Höhle; es ist ausgefüllt mit grossen protoplasma- 
reichen Zellen, welche rundliche blasse_ Kerne tragen und im 
Uebrigen dasselbe Verhalten zeigen, wie auf früheren Entwicke- 
lungsstufen des Müller’schen Ganges (siehe vorne). 

An Sagittalschnitten durch den Geschlechtsstrang erkennt 
man, dass die Mündung bei den verschiedenen Embryonen ein 
etwas verschiedenes Aussehen hat, indem die Ränder der Mün- 
dung (Lippen) bald gegen einander umgekrümmt sind, bald pa- 
rallel zu einander stehen !). 

Da, wie eben gesagt, das distale Ende keine Höhle besitzt, 
so ist es einleuchtend, dass von einer Verschmelzung in dem- 
selben Sinne wie höher oben, wo zwei Röhren zu einer sich ver- 
einigen, nicht die Rede sein kann. Eine Grenze zwischen den 
epithelialen Massen der beiden Gänge lässt sich an meinen Prä- 
paraten aus dieser Entwickelungsstufe nicht nachweisen; es ist 


1) Fig. 1a, Tafel XXXV zeigt einige Beispiele von diesem un- 
gleichmässigen Verhalten der erwähnten Mündung. 


628 NW N age! 


demnach unmöglich zu entscheiden, welehe Zellen dem einen 
und welche dem anderen Müller'schen Gange angehören. Von 
diesem Gesichtspunkte aus kann ich mieh mit‘ Dohrn und 
Thiersch emig erklären, dass die Müller’schen Gänge in der 
Regel nieht getrennt in den Sinus urogenitalis einmünden. Ich 
bemerke aber, dass ich bei jüngeren Embryonen (von 3 em) noch 
dieht oberhalb des soliden Endes zwei Röhren gesehen habe, 
während höher oben die Verschmelzung vollzogen war. 

Das solide epitheliale Ende der vereinigten Müller’schen 
Gänge vermittelt also die Verbindung des Geschlechtsganges mit 
dem Sinus urogenitalis; es ragt hügelartig in denselben hinein, 
wobei das Epithel des Sinus etwas vorgestülpt wird. Das gilt 
besonders für die seitliche Begrenzung, wo die beiden Epithelien 
ganz gut von einander zu trennen sind (siehe Fig. 2, Tafel XXXV); 
auf der Höhe des Epithelhügels findet dagegen, wie es scheint, 
entweder eine innige Verschmelzung der beiden Epithelarten oder 
eine Atrophie des Sinusepithels statt; wenigstens lässt sich hier, 
an der Stelle des späteren Orificium vaginae vestibulare, keine 
Grenze nachweisen (siehe Fig. 2, Tafel XXXV). 

Aus dem eben geschilderten Verhalten des distalen Endes 
geht hervor, dass eine offene Einmündung der Müller’schen 
Gänge nicht bestehen kann und ich habe bei Embryonen dieser 
und der nächstfolgenden Grösse auch niemals eine solche gesehen. 
Dieser Befund stimmt also bis zu einem gewissen Grade mit 
demjenigen von Kölliker!) und Mihalkoviez überein, indem 
diese beiden Forscher die Müller’schen Gänge bei Embryonen 
von 3,5 bis 4 em Länge, beziehungsweise (Kölliker) aus dem 
4. Monate, als blind endigenden beschreiben. Ich betone aber, 
dass man den Verschluss nicht etwa als durch eine bindegewe- 
bige Membran bewerkstelligt auffassen darf; derselbe ist aus- 
schliesslich epithelialer Natur und kommt in der oben be- 
schriebenen Weise zu Stande. 

2. Die Wolffsehen Gänge. Dieselben verlaufen zu 
beiden Seiten der Müller’schen Gänge. In dem proximalen 


1) A.v.Kölliker, Einige Beobachtungen über die Organe junger 
menschlicher Embryonen. Sitzungsberichte der physik.-med. Gesell- 
schaft zu Würzburg. 1883. 

2) v. Mihalkoviez, a. a. O. S$. 349. 


ae Sa u EETEN 


Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 629 


Abschnitte des Geschlechtsstranges beträgt die Entfernung 1—2 u, 
während sie distalwärts den vereinigten Müller’schen Gängen 
dicht anliegen; jedoch vermag man die beiden Gänge auf dieser 
Entwiekelungsstufe bis zu ihrer Einmündung in den Sinus uroge- 
nitalis deutlich von einander abzugrenzen (siehe Figg. 2 u. 5). 

Das Epithel der Wolffschen Gänge besteht aus Cylinder- 
zellen, deren Protoplasma in geringerem Grade Farbstoff aufnimmt, 
als die Epithelzellen des Müller'schen Ganges und deren läng- 
liche Kerne excentrisch (nach dem Lumen des Ganges hin) liegen. 
Die Mündungen der Wolff'schen Gänge in den Sinus urogeni- 
talis finden sich — als notliwendige Folge der Entwickelung der 
Müller’schen Gänge — dieht neben der Einmündung dieser und 
in gleicher Höhe. Das gilt aber nur von derjenigen Ent- 
wickelungsstufe, wo die Müllerschen Gänge den Sinus 
urogenitalis soeben erreicht haben; um diese Zeit sind 
die Wolffschen Gänge noch mit einem deutlichen Lumen ver- 
sehen. Sobald aber der Geschlechtsstrang zu wachsen begimnt, 
so tritt in dem Verhalten der Mündungen der beiden Gänge zu 
einander eine bedeutende Aenderung ein, welche weiter unten 
besprochen werden soll. 

Der Geschlechtsstrang bei männlichen Embryonen der- 
selben Grösse unterscheidet sich von den eben geschilderten Ver- 
hältnissen in folgenden Punkten: ä 

Unter Beibehaltung der gabelförmigen Gestalt ist der proxi- 
male Theil viel dünner und schwächer entwickelt, als bei weib- 
lichen Individuen; auch macht sich an dieser Stelle eine begin- 
nende Atrophie der Müller’schen Gänge bemerkbar, indem ihr 
Lumen enger wird und das Epithel sein eigenthümliches Aussehen 
einbüsst. Dagegen zeigen die Wolff’schen Gänge eine stärkere 
Entwickelung, indem ihr Lumen etwas weiter wird; gleichzeitig 
treten die einzelnen Zellen ihres Epithels, dadurch, dass ihr Proto- 
plasma Farbstoff aufnimmt, schärfer hervor. Die untere Hälfte 
des Geschlechtsstranges zeigt in dieser Entwiekelungsperiode ein 
fast gleiches Aussehen bei beiden Geschlechtern; auch bei männ- 
liehen Individuen ist nämlich das letzte Stück der vereinigten 
Müller'schen Gänge solid und besteht aus grossen eubischen Zel- 
len, während der übrige Theil des &anges mit einem hohen Cy- 
linderepithel ausgekleidet ist. Die Einmündungen der vereinigten 
Müller’schen und der Wolff’schen Gänge in den Sinus urogeni- 


630 W. Nagel: 


talıs verhalten sich so, wie oben für-die weiblichen Embryonen 
beschrieben wurde (siehe Fig. 3, Taf. XXXV). 

Infolge des innigen Zusammenhanges in der Entwickelung 
der Wolff'schen und der Müller’schen Gänge sowie der Ure- 
teren ist die topographische Werthstellung der Mündung der ver- 
einigten Müller’schen Gänge bei beiden Geschleehtern leicht zu 
bestimmen. Wie ich früher !) beschrieben habe, münden die 
Wolff'schen Gänge bei menschlichen Embryonen von 12 bis 15 mm 
Länge in die hintere Wand des Urachusschlauches so ziemlich in 
derselben Höhe wie die Ureteren, aber etwas mehr nach innen. 
Durch die Entwickelung eines Theiles des Urachusschlauches zur 
Blase entfernen sich allmählich die Ureteren von den Wolff- 
schen Gängen, so dass man schon bei Embryonen beiderlei Ge- 
schlechts von 20—22 mm Länge von einem Trigonum vesicae 
Lieutaudii reden kann; die untere Spitze des Dreiecks wird von 
den dicht aneinander liegenden Mündungen der beiden Wolff- 
schen Gänge bezeichnet und die topographische Lage der Ein- 
mündungen der vier Kanäle (die beiden Wolff’schen Gänge und 
die beiden Ureteren) ist bei beiden Geschlechtern dieselbe. 

Da nun die Müller’schen Gänge in gleicher Weise bei bei- 
den Geschlechtern den Wolff’'schen Gängen entlang abwärts 
wachsen und in gleicher Weise den unteren Abschnitt des Urachus- 
schlauches (= Sinus urogenitalis) erreichen, nämlich zwischen 
den Einmünduugen der beiden Wolff'schen Gänge, so ist es 
von einem entwickelungsgeschichtlichen Standpunkte aus klar, 
dass, wie Mihalkoviez ?) auch betont, das Orifieium vaginae vesti- 
bulare mit dem Caput Gallinagimis gleichwerthig sein muss. Nur 
bei männlichen Individuen bleibt das Trigonum vesicae Lieutaudii 
im eigentlichen Sinne des Wortes bestehen, während es bei weib- 
lichen Individuen von dem Augenblicke an verschwindet, wo das 
distale Ende der vereinigten Müller’schen Gänge in die Länge 
zu wachsen beginnt. Zur Klarstellung der Bedeutung der so- 
genannten Gartner’schen Kanäle beim Weibchen und für das 
Aufsuchen der Endigungen derselben, worüber noch grosse 
Uneinigkeit herrscht, ist es wichtig die oben geschilderte topo- 
graphische Lage der Mündungen der Ausführungsgänge des Uro- 


“ 


1)'d.'&.10..87368, 
2) Mihalkovicz, a.a.0. 8. 330. 


Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 631 


genitalsystems auf den frühesten Entwiekelungsstufen in Erinne- 
rung zu behalten. 

Ich muss Dohrn Recht geben, wenn er es als falsch be- 

zeichnet, den Sinus urogenitalis als einen Blindschlauch darzu- 
stellen, in dessen obere Wand die Müller’schen Gänge einmünden. 
Derartige Verhältnisse bestehen überhaupt nicht während der 
- ganzen Entwickelung des menschlichen Urogenitalsystems, wenig- 
stens nicht, soweit meine Untersuchungen zurückreichen. 

Bevor ich zur Schilderung der weiteren Entwickelung über- 
gehe, möchte ich die Bemerkung vorausschicken, dass die Länge 
keinen sicheren Maassstab abgiebt für die Bestimmung des Alters 
und der Entwiekelung des Embryo. Embryonen gleicher Grösse 
zeigen nämlich unter sich manchmal eine grosse Verschiedenheit 
in der Entwickelung sowohl der Körperhüllen wie der inneren 
Organe. 

Andererseits muss ich aber bestreiten, dass ein so grosser 
Unterschied in dem Verhältnisse zwischen Alter und Länge be- 
stehen solle, wie aus der Arbeit Mihalkoviez’ hervorzugehen 
scheint; dieser Autor sagt z.B. (a.a. O.S.334) von einem 5,D.em 
langen Embryo, dass derselbe ca. 5 Monate alt sei und das Alter 
- eines 14 em langen Embryo berechnet er ebenfalls auf 5 Monate 
(a.a. 0.5. 348). 

Da augenscheinlich auch die Individualität eine Rolle spielt 
bei dem früheren oder späteren Erscheinen dieses oder jenes Ge- 
bildes, so ist es nach meinem Dafürhalten bis jetzt nieht möglich, 
den Zeitpunkt für die erste Anlage z. B. der Portio vaginalis be- 
stimmt anzugeben. Wir sehen auch, dass grosse Widersprüche 
in der Zeitangabe der Autoren über diesen Punkt bestehen; so 
verlegen Kussmaul, Tourneux und Legay das Erscheinen 
der Portio vaginalis uteri in den dritten Monat, v. Ackeren, 
Dohrn, Kölliker in den fünften Monat. 

Aus diesem Grunde nehme ich davon Abstand, die einzelnen 
Embryonen je nach ihrer verschiedenen Länge genau zu beschrei- 
ben. Letzteres würde leicht zu einer ermüdenden Wiederholung 
führen und ich ziehe es desshalb vor, eine gemeinsame Schilde- 
rung der Vorgänge in der nächstfolgenden Entwickelungs- 
periode zu geben, nämlich bis zum Erscheinen der Portio vagi- 
nalis. Diese Periode umfasst Embryonen mit einer Rumpflänge 
von 5—12—15 cm und ich werde zunächst nur die weib- 


TEE EEE TERTEN ENE 


EEE 


632 W. Nagel: 


liehen Individuen berücksichtigen. Die wichtigsten Entwicke- 
lungsvorgänge bei diesen sind folgende: 

Zu der bei Embryonen der vorhergehenden Entwickelungs- 
stufe beschriebenen dorso-ventralen Krümmung des Geschlechts- 
stranges mit vorderer Concavität kommt noch -eine besondere 
Neigung des obern Abschnittes des Geschlechtsstranges nach vorn 
hinzu, welche bei einigen Embryonen einen auffallend hohen Grad 
erreicht. So war bei zwei Embryonen mit einer Rumpflänge von 
6 (siehe Fig, 15, Taf. XXXVI) und 12!/, em die Beugung nach 
vorne eine so starke, dass der obere Theil des Geschlechtsstranges 
horizontal zur Körperachse lag. Bei beiden Embryonen begann 
die Kniekung dort, wo der die Höhle des Geschlechtsstranges 
auskleidende Epithelsaum anfängt höher zu werden und Einsen- 
kungen in die Tiefe zu treiben. Von dem erstgenannten 6 em 
langen Embryo besitze ich auch Schnittreihen durch die seitlichen 
Theile des Beckens, welche erkennen lassen, dass die erwähnte 
starke Beugung nach vorme sich bis in die seitlichen Partien 
der Plieae urogenitales erstreckt. 

An den gabelförmig getheilten proximalen Enden des Ge- 
schlechtsstranges ist die Verschmelzung der beiden Müller’schen 
Gänge weiter fortgeschritten und hat jetzt ihren Höhepunkt er- 
reicht. Die Gestalt des erwähnten Abschnittes lässt jedoch deut- 
lich die ursprünglich doppelte Anlage erkennen, indem derselbe 
viel breiter ist, als der übrige Theil des Geschlechtsstranges und 
auf seiner Kuppe mit einer seichten herzförmigen Einkerbung ver- 
sehen ist (siehe Fig. 4, Taf. XXXV). 

Die Eierstöcke sind in das kleine Becken herabgesunken 
und liegen bei den älteren Embryonen mit ihren untersten Spitzen 
hinter der Kuppe des Geschlechtsstranges. 

Der Wollf’sche Körper ist in starker Rückbildung begriffen 
und nur als schwache Spur zwischen Tuba und Ovarium zu er- 
kennen. 

Die Tube zeigt ungefähr in ihrer Mitte eine stumpfwinklige 
Kniekung und ausserdem mehrere seichte Faltungen. Wie die 
Beobachtung der unmittelbar auf einander folgenden Entwicke- 
lungsstufen lehrt, entspricht die Kniekung derjenigen Stelle inner- 
halb des Wolff’schen Körpers, wo derselbe — und infolgedessen 
auch der Wolff’sche und Müller’sche Gang — bei Jüngeren 
Embryonen nach innen abbiegt. 


Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 633 


Die Entstehung der Faltungen lässt sich wohl ungezwungen 
folgendermaassen erklären: Die Tuben wachsen fortwährend und 
schritthaltend mit der übrigen Entwickelung des Embryo; durch 
das Herabsinken der mit ihnen eng verbundenen Eierstöcke wer- 
den sie jedoch verhindert, der Länge nach sich auszudehnen und 
müssen infolgedessen sich in Falten legen. 

Sagittalsehnitte durch das Becken lassen an dem Geschlechts- 
strange deutlich zwei Hauptabschnitte erkennen. Der leich- 
teren 'Uebersicht halber werde ich jeden der beiden Abschnitte 


- für sich besprechen. 


1. Der proximale Abschnitt zeigt die schon erwähnte 
Neigung und Beugung nach vorne und ist durchweg mit einer 
Höhle versehen, welche, der äusseren Form entsprechend, oben 
am breitesten ist; eine epitheliale Scheidewand habe ich an die- 
ser Stelle nicht gesehen, die Verschmelzung zu einer Höhle ist 
vielmehr, so weit meine Untersuchungen reichen, eine vollkommene. 
Um diese Zeit ist es also besonders die äussere Form, welche 
die doppelte Anlage des Geschlechtsstranges verräth. 

In dem sehr zellenreichen (embryonalen) Gewebe der Wan- 
dungen dieses Abschnittes verzweigen sich zahlreiche Gefässe; 
in der Nähe der Höhle, senkrecht auf diese verlaufend, sieht 
man in regelmässigen Zwischenräumen zahlreiche Züge von zarten 
Fasern, welche sich allmählich in die Wand verlieren, ohne den 
peritonealen Ueberzug zu erreichen; sie sind am deutlichsten in 
den oberen Partien. Im übrigen ist es auffallend, dass glatte 
Muskelfasern während dieser Entwickelungsstufe im Geschlechts- 
strange nicht sichtbar sind, während doch Blase und Mastdarm 
bei ganz jungen Embryonen (von 3,5—4 em Länge) mit zahl- 
reichen Bündeln deutlicher glatter Muskelfasern versehen sind. 
Die Erklärung dieser Thatsache liegt wohl darin, dass Mastdarm 
und Blase viel früher in Thätigkeit treten müssen, als der Geni- 
taltractus und infolgedessen auf einer sehr frühen Entwickelungs- 
stufe ihre endgültige Gestalt und ihre völlig organisirten Bestand- 
theile bekommen. 

Erwähnen will ich noch, dass ich bei einem in Kleinen- 
berg’scher Lösung gehärteten und mit Hämatoxylin gefärbten 
Embryo von Sem Rumpflänge an sagittalen Längsschnitten durch 
den Geschlechtsstrang einen grossen Nervenstamm mit seinen Ver- 


zweigungen habe verfolgen können. Der Hauptstamm lag in der 
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 37 42 


634 W.-Nagel: 


Seitenwand des proximalen Abschnittes und schiekte seine Zweige 
in die vordere und hintere Wand desselben. 

Das Epithel des proximalen Abschnittes besteht durchweg 
aus hohen schmalen Cylinderzellen mit länglichen Kernen. Es 
hat aber nicht überall ein gleichartiges Aussehen, indem es in 
dem oberen Dritttheile einschichtig ist bei einer Höhe von 12 bis 
16—-28 u (je nach der Entwickelungsstufe des Embryo), während 
es in den unteren zwei Dritttheilen anscheinend aus mehre- 
ren Schichten besteht (bei einer Höhe von 2532-42 u). 
Diese allmählich anschwellende Epithelverdiekung hat bei jünge- 
ren Embryonen (von 4—8 cm Rumpflänge) mitunter ein welliges 
Aussehen, während sie bei etwas älteren Embryouen von 10 bis 
12 em Rumpflänge kleine Einsenkungen in die Tiefe zeigt. Da, 
wo das Epithel niedriger ist, also in den oberen Partien, sind 
keinerlei Einsenkungen zu bemerken. | 

2. Der distale Abschnitt beschreibt bei jüngeren Em- 
bryonen einen seichten Bogen nach unten, bevor er in den Sinus 
urogenitalis mündet, bei etwas älteren Embryonen (von 6—7 em 
Rumpflänge aufwärts) hat er einen mehr gestreckten Verlauf; 
seine Längsachse bildet nicht eine gerade Fortsetzung derjenigen 
des proximalen Abschnittes, sondern bildet mit dieser einen stumpfen 
Kniekungswinkel (siehe Figg. 12—14, Tafel XXXVD, welcher 
gleichwerthig ist mit dem ursprünglichen (ersten) Kniekungswinkel 
des Geschleehtsstranges (siehe vorm). Die Wände des distalen 
Abschnittes werden von zellenreichem embryonalem Gewebe ge- 
bildet, in welchem zahlreiche Capillaren sich verzweigen; die bei 
der Beschreibung des proximalen Abschnittes erwähnten senkrecht 
zur Höhle verlaufenden Faserzüge finden sich hier nirgends. 

Der Geschlechtsgang bietet im ganzen Bereiche dieses Ab- 
schnittes dasselbe Aussehen, wie bei den Embryonen der vorhin 
beschriebenen Gruppe, indem er hier wie dort mit grossen proto- 
plasmareichen Zellen ausgekleidet ist, welche das ganze Lumen 
des Kanals ausfüllen. Je älter der Embryo, um so mehr nimmt 
dieser distale Abschnitt an Länge zu; gleichzeitig tritt eine ge- 
wisse Aenderung in dem Verhalten der Epithelzellen ein, indem 
sie im ganzen etwas kleiner werden, den Wänden entlang sich 
regelmässig ordnen und nach der Mitte zu platt werden; zur 
Bildung einer Höhle kommt es jedoch auf dieser Ent- 
wiekelungsstufe nicht. Ich kann desshalb Tour- 


Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 635 


neux!) in keiner Weise beipflichten, wenn er die Sachlage so dar- 
stellt, als bestände in dem distalen Abschnitte von vorneherein eine 
Höhle, die sich nach und nach schliesse, indem die Wände mit 
einander verkleben. Auf diese nachträgliche Verklebung legt 
Tourneux so grosses Gewicht, dass er am Schlusse seiner hier 
angeführten Arheit gelegentlich der Beschreibung eines Embryo 
von 13 cm Rumpflänge als eine Merkwürdigkeit erzählt, dass eine 
- Verklebung noch nicht stattgefunden hatte, obwohl die Portio va- 
ginalis schon angelegt war. Nach meinen Untersuchungen muss 
ich vielmehr daran festhalten, dass während der ganzen hier in 
Frage kommenden Entwickelungsperiode keine präformirte Höhle 
in dem unteren Abschnitte besteht, welche nachträglich verklebt. 
- Dureh die vorhin erwähnte Umänderung der median belegenen 
- Zellen in platte Epithelzellen tritt wohl in der Mittellinie des Kanals 
eine gewisse Lockerung ein; es ist aber erst auf einer viel spä- 
teren Entwickelungsstufe, nach Bildung der Portio vaginalis, dass 
eine wirkliche Höhle durch Zerfall der medianen Schichten der 
Plattenepithelien entsteht. Zeigen die Präparate aus der hier in 
_ Rede stehenden Entwickelungsstufe eine Höhle im distalen Ab- 
 schnitte des Geschlechtsganges, so ist dieselbe nach meinen Unter- 
- suchungen stets als eine künstliche zu betrachten, indem eine 
kleine Zerrung genügt, um bei Embryonen von 8—12 em Rumpf- 
länge die locker mit einander verbundenen Epithelwände ausein- 
ander zu reissen. j 

Dicht oberhalb des Orificium vestibulare tritt nach und nach 
eine ampullenartige Erweiterung ein, indem an dieser Stelle eine 
stärkere Anhäufung von Epithelzellen stattfindet (siehe Fig. 7, 
- Tafel XXXV); zur Bildung einer Höhle kommt es jedoch hier 
ebenfalls nicht. Das Orifieium vestibulare behält sein vorhin ge- 
schildertes Aussehen und ragt als hügelartiger Vorsprung in den 
Sinus urogenitalis hinem. Da, wo die hintere Wand des Sinus uro- 
genitalis in die vordere Lippe des Orifieium vestibulare übergeht, 
- habe ich an einigen Embryonen von 4—5!/, em Rumpflänge 
- eigenthümliche, theils birnförmige, theils ceylindrische Zellen 
gesehen (siehe Figur 1, Tafel XXXV). Bei etwas grösseren 
Embryonen sind dieselben verschwunden, sie bilden also nur 
eine vorübergehende Erscheinung und haben weiter keine Be- 


1 


u a a BER 


1) Tourneux,a.2a. 0. 


636 W. Nagel: 


deutung. Da die erwähnten Zellen sich in der Gegend befinden, 
wo bei männlichen Individuen die Prostata sich bildet, so sind 
dieselben möglicherweise als Andeutung eines Organs aufzufassen, 
welches ausschliesslich bei männlichen Individuen zur Entwicke- 
lung kommt. DBestärkt wird diese meine Annahme dadurch, dass 
bei männlichen Embryonen zur Zeit der Entwiekelung der Pro- 
stata Zellen von ähnlicher Gestalt an derselben Stelle sich vor- 
finden. 

Die Abgrenzung des distalen Abschnittes nach oben wird 
gegeben durch den Uebergang des cubischen Epithels in das 
schon beschriebene hohe Cylinderepithel des proximalen Abschnittes. 
Der Uebergang, welcher zuweilen an der hinteren Wand höher 
liegt als an der vorderen, ist — darin pflichte ich Tourneux 
bei — kein plötzlicher, sondern vollzieht sich allmählich inner- 
halb einer Strecke von einigen Mikromillimetern (siehe Figg. 10 
u.11, Tafel XXXV). Durch das Längenwachsthum des distalen 
Abschnittes wird der Epithelübergang allmählich mehr und mehr 
von dem Orifiecium vestibulare entfernt; jedoch bleibt die topo- 
graphische Lage im kleinen Becken dieselbe. Abgesehen von 
individuellen Abweichungen, die bei Embryonen ebenso häufig 
sind wie bei Erwachsenen, wo bekanntlich eine grosse Verschieden- 
heit herrscht in Bezug auf Länge, Gestalt und Ausbildung von 
Uterus und Vagina (vergleiche auch Tourneux)!), so findet man 
die Epithelgrenze meist oberhalb des Bodens des Cavum Dou- 
slasii. Fällt man eine Senkrechte auf die höchste Stelle der durch 
die mehrfach erwähnte Neigung des Geschlechtsstranges nach vorne 
hervorgerufenen Krümmung der hinteren Wand, so liegt ferner 
die Uebergangsstelle der beiden Epithelarten einige Mikromilli- 
meter oberhalb dieser Linie. Je älter der Embryo, um so schärfer 
wird der Epithelunterschied und um so constanter seime Entfer- 
nung von den angeführten. Grenzlinien. 

Die Wolff’schen Gänge sind, soweit sie innerhalb des Ge- 
nitalstranges verlaufen, in Rückbildung begriffen. Ihre Mündung 
ist nicht mehr deutlich zu erkennen, und sie scheinen in der Höhe 
des erwähnten Epithelüberganges blind zu endigen; sie liegen 
nicht mehr, wie auf früheren Entwickelungsstufen, den vereinigten 
Müller’schen Gängen dicht an, sondern in einer gewissen Ent- 


1). Doufneu x ar a0 73 


; 
} 
\ 
24 
i 


Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 637 


fernung, welche mit dem Wachsthum des Embryos noch zunimmt. 


‘ Die Verödung schreitet schnell vorwärts, und die Regel ist, dass 


man bei Embryonen mit 12—14 em Rumpflänge den W olff’schen 
Gang als einen zusammenhängenden Kanal nur im Bereiche der 
Plieae urogenitalis verfolgen kann, während man in dem Geschlechts- 
strange denselben nur hier und dort als einzelne Epithelinseln zu 
beiden Seiten des Geschlechtsganges trifft. Am deutlichsten habe 
ich die Epithelinseln gesehen in der Höhe der Einmündung der 
Ureteren in die Blase und zwar bei Embryonen von 6!/,—7T cm 
Rumpflänge; die Epithelreste lagen zu beiden Seiten des Ge- 


schleehtsganges, etwa 0,1 mm von diesem entfernt; bei einzelnen 


Embryonen waren sie mit einer Höhle versehen und hatten eine 
Ausdehnung von 58 X 64u. Bekanntlich hat Beigel!) für den 
menschlichen Embryo zuerst die Ansicht ausgesprochen, dass diese 
Epithelinseln als Ueberbleibsel der Wolff’schen Gänge aufzu- 
fassen sind. 

Die Verödung des distalen Endes der Wolff’schen Gänge 
fängt zur selben Zeit an, wann das distale Ende der vereinigten 
Müller’schen Gänge in die Länge zu wachsen beginnt. Die 
Funktion der Wolff’schen Gänge ist um diese Zeit (bei Em- 
bryonen von 4—5 em Rumpflänge) beendigt und sie betheiligen 
sich nicht mehr an der weiteren Entwickelung des Geschlechts- 
stranges — wenigstens nicht, wie Kölliker?) auch betont, mit 
ihren epithelialen Elementen — und somit ist es erklärlich, 
dass man in der Regel unterhalb des vorhin beschriebenen 
Epithelüberganges in dem Geschlechtsgange, also unterhalb ihrer 
ursprünglichen Mündungsstelle, keine Spur der W olff’ schen Gänge 
mehr findet. 

Selbstredend ist es nicht ausgeschlossen, dass Ausnahmen 
vorkommen. So fand ich bei einem Embryo von 12 em Rumpf- 
länge den Wolff’schen Gang noch zum grossen Theile erhalten. 
Im Bereiche der spindelförmigen Verdiekung des Geschlechts- 
stranges, da wo das Cylinderepithel des Geschlechtsganges die 
oben besprochene Verdiekung zeigt, erweiterte derselbe sich zu 


1) H. Beigel, Zur Entwickelungsgeschichte des Wolff’schen 
Körpers beim Menschen. Centralblatt für die medicinischen Wissen- 
schaften. 1878. 

Zumolliker, a.a. 0. S. 9%. 


638 W. Nagel: 


einer 0,16 mm breiten Höhle. Diese war mit einem aus niedrigen 
zierlichen Cylinderzellen bestehenden, 16 u hohen Epithel ausge- 
kleidet; das Protoplasma der Zellen hatte nur in geringem Grade 
Farbstoff aufgenommen und sie zeigten in ihrem ganzen Verhalten 
eine grosse Aehnlichkeit mit den früher beschriebenen Epithel- 
zellen der Wolff’schen Gänge. Im distalen Abschnitte des Ge- 
schlechtsstranges desselben Embryo, nach vorne und hinten von 
dem geschlossenen epithelialen Gange, fanden sich drei Kanäle, 
welche eine verschieden lange Ausdehnung zeigten und weder 
mit dem soeben beschriebenen Wolff’schen Gange, oder mit 
dem Sinus urogenitalis noch unter sich in Verbindung standen. 
Der längste dieser Kanäle war mit einem 10 u hohen, aus kurzen. 
Cylinderzellen bestehenden Epithel ausgekleidet und zeigte stellen- 
weise Andeutung eines Lumens. Derselbe liess sich fast in der 
ganzen Länge des distalen Abschnittes verfolgen, ohne, wie ge- 
sagt, den Wolff’schen Gang zu erreichen; distalwärts verschwand 
er allmählich, ebenfalls ohne das Orificium vestibulare zu er- 
reichen. Dieser Befund steht unter meinen Präparaten vereinzelt 
da und es scheint mir fraglich, ob die erwähnten drei Bruch- 
stücke epithelialer Kanäle überhaupt etwas mit den Wolff’schen 
Gängen zu thun haben. Erwähnen will ich noch, dass ich bei 
demselben Embryo, und zwar an derjenigen Stelle, wo bei männ- 
lichen Individuen die Prostata sich bildet, mehrere traubenförmige 
Einwucherungen des Sinusepithels fand. Wahrscheinlich haben 
wir es hier mit eimer seltenen Missbildung zu thun, mit Erhal- 
tung von Gebilden, die sonst nur dem männlichen Geschlechte 
zukommen. 

Auf Grund meiner Untersuchungen muss ich Tourneux 
widersprechen, wenn er sagt, dass die Wolff’schen Gänge sich 
mit ihren unteren Endstücken an der Bildung des Genitalkanals 
in der Weise. betheiligen, dass sie mit den Müller’schen Gängen 
verschmelzen. An einem menschlichen Embryo, weiblichen Ge- 
schlechts, von 12,5em Länge meint Tourneux!) die innige 
Verschmelzung des Genitalkanals mit den beiden Wolff’schen 
Gängen gesehen zu haben und bildet auch ein solches Präparat 
ab, nämlich einen Schnitt durch das vestibulare Ende der Va- 
gina. Die epitheliale Masse, welche das distale Ende der Vagina 


1) Tourneux, a. a. O. 358. 


Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 639 


füllt, soll nach Tourneux zwei längliche Spuren von gelblichen 
Körnern zeigen („deux trainees longitudinales de granules jau- 
nätres“), analog denjenigen, welche man im Inneren der Wolff- 
schen Kanäle findet zur Zeit ihres Verschwindens. 

Bei zwei menschlichen Embryonen von 9 und 13 em Länge 
will van Ackeren!) gesehen haben, dass die Wolff’schen 
Gänge, wenigstens der rechte, in die Vagina und nicht in den 
Sinus urogenitalis mündeten. 

Es seheint mir, als werden die von Tourneux und van 
Ackeren aufgestellten Behauptungen nicht hinreichend durch 
ihre Beschreibung, beziehungsweise durch ihre bildlich darge- 
stellten Präparate gestützt, und ich habe etwas ähnliches unter 
meinen Präparaten nicht gesehen. Nach meinen Untersuchungen 
muss ich vielmehr folgende Darstellung für richtig halten: so 
lange die Mündungen der Wolff’schen Gänge bestehen, liegen 
dieselben allerdings dem Orificium vestibulare der vereinigten 
Müller’schen Gänge dicht an, sind aber deutlich von denselben 
zu trennen (siehe Figg. 2 und 3, Tafel XXXV). Da die Ver- 
ödung im Gange ist, wenn das distale Ende der vereinigten 
Müller’schen Gänge zu wachsen beginnt, so ist wohl ein fer- 
neres Wachsen der Wolff’schen Gänge ausgeschlossen; in 
Uebereinstimmung hiermit findet man ihre letzten Spuren dort, 
wo sie ursprünglich in den Sinus urogenitalis einmündeten, näm- 
lich etwas unterhalb oder in gleicher Höhe mit dem Epithel- 
übergange des Geschlechtsganges. Fände eine Verschmelzung 
der Wolff’schen und Müller’schen Gänge im Bereiche ihrer 
Mündungen statt, so müsste dieser Vorgang auf einer früheren 
Entwickelungsstufe sich vollziehen, als von Tourneux ange- 
nommen ist; nach Eintritt der Verödung entfernen sich nämlich 
die Wolff’schen Gänge mehr und mehr von den vereinigten 


Müller’schen. 
Anmerkung. Mit Dohrn?), bei dem man einen historischen 
Ueberblick dieser Frage findet, Rieder), Kölliker® u. A. bin ich 


1) van Ackeren, a. a. O. 

2) Dohrn, Die Gartner’schen Kanäle beim Weibe. Archiv 
für Gynäkologie Bd. XXI, 1883. 

3) ©. Rieder, Ueber die Gartner’schen Kanäle beim mensch- 
lichen Weibe,. Virchow’s Archiv für pathologische Anatomie Bd. 96. 

4) Kölliker, Ueber Zwitterbildung bei Säugethieren. Sitzungs- 
berichte der physik.-med. Gesellschaft zu Würzburg. N. F. 1883. 


640 Wı Nagel; 


darin einverstanden, dass man die Reste der Wolff’schen Kanäle, 
welche den Namen desjenigen Forschers!) tragen, der sie zuerst bei 
der Kuh und beim Schweine genauer beschrieb und welche als Gart- 
ner’sche Gänge bekannt sind, nur im Bereiche des Uterus, vorzüglich 
des Collum, zu suchen hat. In sehr seltenen Fällen lassen die Spuren 
sich vielleicht über das Collum hinaus verfolgen, es ist aber nach mei- 
nem Dafürhalten ein Irrthum, die von Skene, Schüller und Ober- 
dieck näher beschriebenen Gänge, welche man auch nach meinen Be- 
obachtungen fast constant an der Mündung der Urethra, wenigstens 
bei jüngeren Frauen findet, mit den Mündungen der Wolff’schen 
Gänge gleichzustellen, wie Kocks®), Böhm), Wassilieffd und 
v. Mihalkoviez°) thun. Ich kann Dohrn’s Ansicht bestätigen, 
dass die Gartner’schen Gänge im Bereiche des Uterus in der Regel 
in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft verschwinden, während 


sie bekanntlich im Bereiche der Ligamenta lata lebenslänglich — wie 
das Par- und Epoophoron — erhalten bleiben können. Da es aber 


keineswegs ausgeschlossen ist, dass die Gartner’schen Gänge nicht 
auch in dem erstgenannten Organe zuweilen bestehen bleiben können, 
so ist es wohl möglich, dass die von Freund, G. und J. Veit, 
v. Preuschen u. A. beobachteten eigenthümlichen Cysten im Be- 
reiche des Collum und des oberen Theils der Vagina derartigen Ueber- 
bleibseln der Wolff’schen Gänge ihren Ursprung verdanken. 

Da es für das Verständniss der Entwickelung und für die 
anatomische Werthstellung der weiblichen Geschlechtsorgane von 
besonderem Interesse ist, auch die Entwiekelungsgeschichte der 
männlichen Genitalien zu kennen, so gestatte ich mir an dieser 
Stelle auch über meine Untersuchungen an männlichen Em- 
bryonen desselben Entwickelungsabschnittes zu berichten. 

Seite 625 u. fig. habe ich dargelegt, dass der Geschlechtsstrang 
bei jüngeren Embryonen (von 1,5 bis 2,5em Länge) männli- 
chen Geschlechts in der Hauptsache ein ähnliches Aussehen 
darbietet wie bei weiblichen Individuen derselben Grösse. Diese 


1) H. Gartner, Anatomisk Beskrivelse dver et ved nogle Dyr- 
arters Uterus undersögt glandulöst Organ. Det kongelige Danske 
Videnskabernes Selskabs naturvidenskabelige og mathematiske Af- 
handlinger. I. Deel. Kjöbenhavn. 1824. 

2) Kocks, Ueber die Gartner’schen Gänge beim Weibe. 
Archiv für Gynäkologie Bd. 20. 

3) Böhm, Ueber Erkrankung der Gartner’schen Gänge. Arch. 
für Gynäkologie Bd. 21. 

4) Wassilieff, Betreffend die Rudimente der Wolff’schen 
Gänge beim Weibe. Archiv für Gynäkologie Bd. 22. 

5) v. Mihalkovicz, a. a. O. S. 338. 


Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 641 


Aehnlichkeit besteht jedoch nicht lange; während bei weiblichen 
Individuen die Verschmelzung des gabelig getheilten proximalen 
Endes des Geschlechtsstranges weiter fortschreitet, so bleibt bei 


männliehen Individuen der Geschlechtsstrang zunächst auf der 


eben genannten Entwickelungsstufe stehen (siehe Fig. 5, Tafel 
XXXV). Dureh die distalwärts fortschreitende Rückbildung der 


_ Müller’schen und die stärkere Entwickelung der Wolff’schen 


Gänge erhält derselbe ferner ein von dem weiblichen Typus ver- 
schiedenes Aussehen und auf Sagittalschnitten durch das Becken 
männlieher Embryonen von 5—8 cm Rumpflänge erkennt man 
folgendes: 

Im Bereiche der Plica urogenitalis (des späteren Vas deferens) 
findet man entweder gar keinen Müller’schen Gang, oder doch 
nur unbedeutende Spuren in Gestalt von Epithelresten. Der Ge- 
schleehtsstrang ist noch insofern erhalten, als der distale Abschnitt 
der Wolff’schen Gänge mit dem noch erhaltenen Rest der ver- 
einigten Müller’schen Gänge von einem schmalen, nach abwärts 
breiter werdenden Mantel von zellenreichem embryonalen Gewebe 
umgeben ist; derselbe zeigt noch eine deutliche seichte Krümmung 
mit vorderer Concavität. Die Wolff’schen Gänge münden in 
den Canalis urogenitalis dicht neben der hügelartigen Mündungs- 
stelle der vereinigten Müller’schen Gänge und sind mit einem 
regelmässigen 12—17 bis 25 u (je nach der Grösse des Embryo) 
hohen Saum von schmalen Cylinderzellen ‘mit länglichen Kernen 
ausgekleidet. Etwas oberhalb ihrer Einmündung zeigen die 
Wolff’schen Gänge eine spindelförmige Erweiterung (die spä- 
tere Ampulle des Samenleiters); bei den grösseren Embryonen 
zweigt sich von dieser zu beiden Seiten je ein horizontal ver- 
laufender blind endigender Kanal ab; sein Epitheil gleicht dem- 
jenigen des Wolff’schen Ganges und, wie dieser, ist er in sei- 
nem Verlaufe von einer Schichte dieht angehäufter Bildungs- 
zellen, welche in der Nähe des Kanals eine eirceuläre Anordnung 
zeigen, umgeben. Obwohl ich seine Entwiekelung bis zu be- 
endeter Ausbildung nicht verfolgt habe, so ist es doch zweifellos, 
dass dieser seitliche Kanal die erste Anlage des Samenbläschens 
darstellt. 

Die Wolff’schen Gänge fassen die zu einem gemeinschaft- 
lichen Kanale vereinigten Müller’schen Gänge zwischen sich. 
Dieser Kanal ist in dem proximalen Abschnitte des Geschlechts- 


442 W. Nagel: 


stranges in Rückbildung begriffen; er hat an dieser Stelle sein 
Lumen eingebüsst, und anstatt des Cylinderepithels sieht man 
nur einen formlosen Zelldetritus. Dagegen hat der gedachte 
Kanal weiter abwärts, im Bereiche der vorhin erwähnten spindel- 
förmigen Erweiterung der Wolff’sehen Gänge ein deutliches 
quer-ovales Lumen und ist mit einem 16—25 u hohen Saum von 
den dem Müller’schen Gange eigenartigen Cylinderzellen aus- 
gekleidet. Der Kanal misst bei den grösseren Embryonen von 
8em Rumpflänge in dem grössten Querdurehmesser immer noch 
145 u, in dem kleinsten 96 u. Etwas oberhalb seiner Einmün- 
dung in den Sinus uroge dislis verschwindet das Lumen und 
das Cylinderepithel hört © Mählich auf; statt dessen findet man 
ein aus grossen eubische' “Zellen bestehendes Epithel, welches 
das Endstück des Kanal a zur Mündung füllt. 

Man sieht also, ds ;. der distale Abschnitt der vereinigten 
Müller'schen Gänge eine gewisse Aehnlichkeit hat mit dem- 
jenigen bei weiblichen Individuen gleicher Grösse. Da ferner 
im Bereiche des soliden Endstückes eine bauchige Erweiterung 
sich findet, während die Mündung in den Sinus urogenitalis ihre 
ursprüngliche Enge behält, so bekommt diese eine noch grössere 
Aehnliehkeit mit dem Orificium vestibulare bei weiblichen Indivi- 
duen, welchem sie ja auch, wie gesagt, in topographischer Hin- 
sicht gleichwerthig ist. 

Da, wo die Wolff’schen und vereinigten Müller’schen 
Gänge in den Canalis urogenitalis einmünden, erfährt derselbe 
zuweilen eine auffallende Erweiterung, welche man in diesem 
Grade an der Pars prostatica urethrae der Erwachsenen vermisst. 

Die Anlage der Prostata kennzeichnet sich als Ein- 
wucherungen des Epithels des Canalis urogenitalis in die hintere 
Wand desselben sowohl oberhalb wie unterhalb der Einmündung 
des -Geschlechtsstranges. Zuerst stellen die Einwucherungen ein- 
fache Schläuche dar, später verzweigen sie sich. In der Um- 
gebung der Schläuche stehen die Bildungszellen dichter, weshalb 
die ganze Prostataanlage bei etwas älteren Embryonen (von 8 em 
Rumpflänge) ziemlich scharf gegen die Umgebung sich abgrenzt. 
An den Mündungen der Schläuche sieht man dieselben birn- 
förmigen Zellen, welche bei jüngeren Embryonen an der Mündung 
des Geschlechtsstranges sich befinden und welcher ich schon bei 
Beschreibung der weiblichen Embryonen Erwähnung gethan habe 


Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 643 


(siehe Seite 635). Die von Cadiat!) in seiner Figur 32 abge- 
bildete Prostata mit flügelartigen Lappen von einem mensch- 
liehen Embryo von 2!/, Monaten, männlichen Geschlechts, ist 
entschieden zu gross ausgefallen; nach der Zeichnung zu schliessen 
möchte ich indessen die von Cadiat als Prostata bezeichneten 
Gebilde eher als Querschnitte von Muskelbündeln ansehen. 

In der Figur 6, Tafel XXXV ist ein sagittaler Längsschnitt 
durch das Becken eines männlichen Embryo von 5!/, em Rumpf- 
länge abgebildet, welcher einen auffallend gut erhaltenen Ge- 
schlechtsstrang zeigt. Dem entsprechend zeigen die zu einem 
Kanal vereinigten Müller’schennetinge ein wohlerhaltenes, 15 u 
hohes Cylinderepithel, welches a* alwärts höher wird; soweit 
das Cylinderepithel reicht, besitztehier Gang eime Höhle. Der 
distale Abschnitt ist mit cubisch“n protoplasmareichen Zellen 
ausgefüllt; die Mündung in den Sinu:! rogenitalis zeigt das früher 
beschriebene Verhalten. | 

Anmerkung. Seitdem C.H. Weber (siehe bei Leuckart)?) 
das von Morgagni und Albin als Sinus prostatae beschriebene 
Organ als „Repräsentant eines Gebildes, welches man früher dem aus- 
gebildeten männlichen Säugethier absprach“, feststellte und als Rudi- 
ment eines Apparates bezeichnete, welches bei den weiblichen Säuge- 
thieren zu einer sehr mächtigen Entwickelung gelangt, ist es längst 
eine allgemein anerkannte Thatsache geworden, dass man auch beim 
Menschen in dem erwähnten Organ die Reste der Müller’schen Gänge 
zu suchen hat. Der Name „Uterus masculimus“ deutet an, dass man 
das Weber’sche Organ eine Zeit lang als den verkümmerten Uterus 
ansah; ich möchte mich jedoch den Ansichten späterer Forscher, wie 
Dohrn?), Ahlfeld®), v. Mihalkovicz5) anschliessen, dass in der 
Regel nur die Mündung und der distale Abschnitt der vereinigten 
Müller’schen Gänge (also die rudimentäre Vagina) sich an der Bil- 
dung des Weber’schen Organs betheiligen. Es ist jedoch nicht aus- 
geschlossen, dass auch ein grösserer Theil des Geschlechtsganges er- 
halten bleiben kann, und es ergiebt sich aus meinen Untersuchungen, 


1) Cadiat, Du Developpement du Canal de l’Urethre et des 
organes genitaux de l’embryon. Journal de l’Anatomie et de la Phy- 
siologie. Paris 1884. 

2) Leuckart, Das Weber ’sche Organ und seine Metamor- 
phose. Illustrirte medicinische Zeitung, I. Bd., 1852. 

Srohrn, a. a. 0. 

4) Ahlfeld, Die Missbildungen des Menschen. -Leipzig 1880 
bis 1882, S. 250. 

5) v. Mihalkovicz, a.a. 0. 


644 wi: NweSe, 


dass bei Embryonen von 8cm Rumpflänge ausser Introitus mit Hymen 
und der rudimentären Vagina noch derjenige Theil des Geschlechts- 
ganges, welcher mit hohem Cylinderepithel ausgekleidet ist und wel- 
cher, wie weiter unten dargelegt werden soll, dem Collum uteri ent- 
spricht, deutlich besteht. Auch sind mehrere Fälle in der Literatur 
bekannt, wo das Weber’sche Organ eine ausserordentliche Entwicke- 
lung erlangt hatte; die seltensten unter diesen sind wohl die von 
v.Franqu6 und Boogaardmitgetheilten. Indem vonv.Franque£!) 
beschriebenen Falle waren Vagina, Uterus und die zum Theil durch- 
gängigen Tuben mächtig entwickelt; die Samenleiter endeten jedoch 
blind im Bereiche des Collum uteri; ein Descensus testiculorum war nicht 
erfolgt, Eierstöcke fehlten. Boogaard's?) Mittheilung betrifft einen 
66Jjährigen Mann, bei welchem die Müller’schen Gänge als getrennte 
Kanäle persistirten; der rechte hatte eine Länge von 3,5 cm, der linke 
7—8 cm; ihre Dicke war ähnlich derjenigen der Ureteren, in deren 
unmittelbarer Nähe sie verliefen, anscheinend- in der Richtung nach 
der Niere. 

Hinzufügen möchte ich noch, dass ich öfters bei männlichen 
Embryonen der erwähnten Grösse im frischen Zustande eine mit 
klarer Flüssigkeit gefüllte Harnblase gefunden habe; ebenso oft 
fand ich bei Zerlegung der in Paraffin eingebetteten Objecte die 
mit glatter Muskulatur reichlich versehene Blase gleichmässig aus- 
gedehnt als Zeichen, dass dieselbe mit einer Flüssigkeit gefüllt 
gewesen sei. Das spricht zunächst für eine Absonderung von 
Seiten der Nieren in die Blase hinein während des embryonalen 
Lebens. 

Ferner deutet der Umstand, dass die gefüllte Harnblase 
keinen regelmässigen Befund bei allen Embryonen bildet, nebst 
anderen, früher von Anderen und mir?) besprochenen Merkmalen auf 
eine zeitweilige Entleerung des angesammelten Urins in die Frucht- 
blase hin. Für die Richtigkeit der letzteren Ansicht scheint mir end- 
lich die Thatsache zu sprechen, dass ich bei weiblichen Indivi- 
duen derselben Grösse verhältnissmässig selten eine Ansammlung 


1) v. Franque&, Beschreibung eines Falles von sehr hoher Ent- 
wickelung des Weber’schen Organs. Scanzoni’s Beiträge zur Ge- 
burtshülfe und Gynäkologie Bd. IV. Würzburg 1860. 

2) J. A. Boogaard, Persistancee du canal de Müller chez 
l’homme adulte (aus dem Holländischen: Verslagen en mededeelingen 
der Kongl. Akademie van Wetenschapen. Afdeeling Naturkunde, 2Reeks, 
9. Deel). Journal de l’Anatomie et de Physiologie 1877, S. 200. 

3) W. Nagel, Beitrag zur Lehre von der Herkunft des Frucht- 
wassers. Archiv für Gynäkologie Bd. 35. 


Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 645 


von Flüssigkeit in der Harnblase gefunden habe. Bei der kurzen 
fast geraden Urethra der weiblichen Embryonen genügt nämlich 
ein weit geringerer Druck von oben, um den angesammelten Urin 
herauszupressen, als bei der verhältnissmässig langen, engen und 
gekrümmt verlaufenden Urethra der männlichen Embryonen. 

Bei den weiblichen Embryonen der nächstfolgenden 
Gruppe mit einer Rumpflänge von 15—22 em vollziehen sich so 
wichtige Entwickelungsvorgänge, dass damit die endgiltige 
Trennung in Uterus und Vagina gegeben wird. 

An sagittalen Längsschnitten, welche am besten zum Studium 
dieser Entwickelungsperiode geeignet sind, erkennt man folgendes: 

Der proximale Abschnitt des Geschlechtsstranges zeigt 
die bei jüngeren Embryonen beschriebene zweifache Neigung 
nach vorne. In seinen Wandungen sind glatte Muskelfasern 
deutlich erkennbar, welche, in Bündeln geordnet, dicht unterhalb 
des Peritonealüberzuges zuerst auftreten. Bei Embryonen von 
20—22 em Rumpflänge ist die Wand in ihrer äusseren Hälfte 
mit wirr durcheinander liegenden Bündeln von glatten Muskel- 
fasern durchsetzt, während die innere Hälfte von solchen frei ist 
und nur aus embryonalem Bildungsgewebe zu bestehen scheint, 
in welchem die früher beschriebenen senkrecht zur Uterushöhle 
verlaufenden Faserzüge liegen. 

Nach der Höhle zu ist der proximale Abschnitt mit Cy- 
linderepithel ausgekleidet, welches im oberen Theile einschichtig 
ist und mit einer Höhe von 16 u einen regelmässigen Saum bildet; 
hier und dort ist jedoch eine seichte Falte siehtbar. Nach ab- 
wärts wird der Saum allmählich höher, indem das Epithel, wie 
es scheint, hier mehrschichtig ist, und bildet eine Verdiekung, 
welche sich über etwa zwei Dritttheil des proximalen Abschnittes 
erstreckt. Diese Epithelverdickung hat eine Höhe von 28—30 u 
und zeigt in ihrer ganzen Länge zahlreiche Einwucherungen in 
die Tiefe, wodurch dieser ganze Abschnitt nach der Höhle zu 
ein sägeförmiges Aussehen erhält und sich deutlich von dem ober- 
halb der Verdiekung belegenen Theile des Geschlechtsstranges 
unterscheidet. Die Epitheleinsenkungen haben bei den jüngeren 
Embryonen das Aussehen von einfachen Furchen, bei etwas älteren 
Embryonen dieser Gruppe (mit einer Rumpflänge von 16—17 em 
und darüber) zeigen sie jedoch mehrfache Verzweigungen. Sehritt- 
haltend mit der Ausbildung der genannten Einsenkungen nimmt 


646 W. Nagel: 


die Epithelverdickung an Höhe ab, so dass bei den älteren Em- 
bryonen der erwähnten Grösse das Cylinderepithel im ganzen 
Bereiche des proximalen Abschnittes eine fast gleiche Höhe hat. 

Wie auf früheren Entwickelungsstufen, so zeichet sich auch 
jetzt der distale Abschnitt durch seinen gestreekten Ver- 
lauf aus und bildet, dadurch, dass er schräg nach unten und 
vorne absteigt, mit dem proximalen Abschnitt einen stumpfen 
Winkel. Seine Wand besteht aus sehr zellenreichem embryonalem 
Bildungsgewebe, in welchem, wie auch im Bereiche des proxi- 
malen Abschnittes, zahlreiche Gefässe sich verzweigen und in 
dessen peripheren Lagen man stellenweise starke Bündel von 
Bindegewebsfasern bemerkt. Bei den jüngern Embryonen dieser 
Entwickelungsperiode besteht noch keine Höhle in dem distalen 
Abschnitte; die Wände desselben sind noch immer mit einander 
verklebt und ihr Epithel wird aus zweierlei Zellen gebildet, nämlich 
aus eubischen, welche der Wand zunächst liegen, und aus platten, 
die nach der Mitte zu belegen sind. Hier und dort schickt das 
Epithel kleine Einsenkungen in die Wand hinein, welche ge- 
wissermaassen ringförmige Verdickungen des Epithelstranges dar- 
stellen und demselben ein perlschnurähnliches Aussehen verleihen. 
Bei etwas älteren Embryonen nehmen diese Einwucherungen 
schnell an Tiefe zu und erreichen bei Embryonen von 20—22 cm 
Rumpflänge eine so mächtige Ausdehnung, dass der ganze distale 
Abschnitt nach innen zu ein stark faltiges Aussehen zeigt. Die 
nach der Mitte zu belegenen Plattenepithelien sind in regstem 
Zerfall begriffen; durch diese Detritusmassen sind die bis dahin 
verklebten Wände auseinander getrieben worden, so dass der 
distale Abschnitt des Geschlechtsstranges jetzt eine Höhle besitzt, 
welehe (auf dem Querschnitte) eine querovale Gestalt hat und 
deren Weite 5 mm beträgt. 

Die bauchige Erweiterung dicht oberhalb des Orificium 
vestibulare nimmt andauernd an Breite zu und streckt sich höher 
hinauf (siehe Fig. 8, Tafel XXXV). Ihr Epithel zeigt dasselbe 
Verhalten wie in dem übrigen Theile des distalen Absehnittes 
und es ist ohne weiteres einleuchtend, dass die bauchige Erwei- 
terung, sobald die oben beschriebene Falten- und Höhlenbildung 
eine gewisse Ausdehnung erlangt hat, eine besondere Abtheilung 
des Geschlechtsstranges nicht mehr bildet. 

Dieses Verhalten habe ich bei allen meinen Embryonen ge- 


- Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 647 


- funden und ich kann desshalb Dohrn !) nieht beipflichten, wenn 
er sagt, dass die Papillarwucherung in der Mitte der Scheide am 
meisten hervortritt und ferner, dass die Scheide — bei Embryonen 
der 17.—19. Woche — sich in ihrer oberen Hälfte ausweitet und 
sich dagegen unten mit fester werdenden Wänden enger zusam- 
menlegt. Nach meinen Untersuchungen fängt die Ausweiterung 
des distalen Abschnittes (der späteren Vagina, siehe unten) stets 
unten, dicht oberhalb des Orifieium vestibulare, an und schreitet 
allmählich aufwärts. 

Der in den Sinus urogenitalis hineinragende ringförmige 
Rand des Orifieium vestibulare des distalen Abschnittes ist 
nach innen umgebogen (siehe Fig. 9, Taf. XXXV). Die hintere 
Hälfte dieses Randes ist stärker entwickelt als die andere, wo- 
dureh die Mündung des Geschleehtsganges, welcher immer noch 
mit Epithelien verstopft ist, etwas mehr nach vorne verlegt wor- 
den ist. Die Gestalt der Oeffnung ist nicht rund, wie bei jünge- 
ren Embryonen, sondern bildet einen Schlitz, dessen Längenachse 
von vorne nach hinten verläuft. 

Die Grenze zwischen dem Cylinderepithel des proximalen 
und dem ceubischen Epithel des distalen Abschnittes des Ge- 
schlechtsstranges tritt insofern viel schärfer hervor, als der Ueber- 
gang auf einer kürzeren Strecke sich vollzieht als bei jüngeren 
Embryonen. ; 

Im Bereiche des distalen Abschnittes, 0,16—0,25—0,3 mm 
unterhalb der Uebergangsstelle zeigt das eubische Epithel eine 
sichelförmige Einwucherung im die hintere Wand des 
Geschlechtsstranges. Der Zeitpunkt für das erste Auftreten dieser 
Erscheinung lässt sich nicht genau bestimmen, weil Embryonen 
gleicher Grösse, wie oben gesagt, unter sich eine grosse Ver- 
schiedenheit in der Entwickelung zeigen. Der kleinste Embryo, 
bei welchem ich die erste deutliche Anlage der erwähnten Ein- 
wucherung gesehen habe, hatte eine Rumpflänge von 12 em; 
ich habe jedoch Embryonen von 14—15 em Rumpflänge unter- 
sucht, bei denen nicht das geringste von einer Einkerbung zu 
bemerken war, obwohl die vorhin beschriebene Epithelverdiekung 
im Bereiche des proximalen Abschnittes zahlreiche tiefe, zum 
Theil verzweigte Einsenkungen zeigte und die Embryonen also 


Deohrn, A. a, 0: 


648 W. Nagel: 


auf einer ziemlich weit fortgeschrittenen Entwiekelungsstufe 
standen. 

Ist die sichelförmige Einkerbung einmal angelegt, so wächst 
sie schnell weiter und alsbald erkennt man die Form der hin- 
teren Muttermundslippe (siehe Fig. 15, Taf. XXXVD. Erst nach- 
dem diese angelegt ist, entsteht eine ganz ähnliche Emwucherung 
in die vordere Wand des Geschlechtsstranges, wodurch die vor- 
dere Muttermundslippe gebildet wird (siehe Fig. 16, Taf. XXXV]). 

Alle meine Präparate zeigen, dass die erwähnte Epithelein- 
wucherung an derjenigen Stelle des Lumens stattfindet, 
wo der Kniekungswinkel der ursprünglichen ersten 
Krümmung sich befindet und damit ist eine entwickelungs- 
geschichtliche Erklärung gegeben, wesshalb die Portio vaginalis 
uteri unter normalen Verhältnissen nach hinten abwärts gerichtet 
ist (siehe Figg. 15 u. 16, Tafel XXXV]). 

Falls man die sichelförmige Epitheleinwucherung, die Bil- 
dung des Scheidengewölbes also, als erste Anlage der Portio 
vaginalis uteri betrachten will, wie Tourneux und v. Ackeren 
dies zu thun scheinen, so ist es, soweit meine Untersuchungen 
reichen, die hintere Lippe, welche sich zuerst bildet. Es 
scheint jedoch, als bilde sich zuweilen auch das vordere Scheiden- 
gewölbe früher als das hintere, denn v. Ackeren fand bei seinen 
Embryonen nur einen deutlich ausgeprägten Fornix anterior, wo- 
gegen der Fornix posterior entweder gar nicht oder doch nur 
eben angedeutet war. | 

Geigel!) hat bei einem 6monatlichen Embryo die Portio 
vaginalis zum ersten Male gesehen, aber nur das hintere Scheiden- 
sewölbe war vorhanden, kein vorderes. 

Tourneux äussert sich nieht darüber, ob vordere oder hintere 
Lippe sich zuerst bildet; in seiner Fig. 21 sind beide Lippen zu 
erkennen; gelegentlich der Beschreibung eines Embryos von 20 cm 
Rumpflänge sagt Tourneux (a.a. 0. $.365), dass nur die vor- 
dere Lippe deutlich angelegt ist. | 

An einigen meiner Embryonen habe ich gesehen, dass die 
vordere Wand eine buckelige Hervorragung nach innen zeigt genau 
an derjenigen Stelle, wo später die vordere Lippe liegt, ohne 


1) Geigel, Ueber Variabilität in der Entwickelung der Ge- 
schlechtsorgane beim Menschen. Verhandlungen der physik.-med. Ge- 
sellschaft zu Würzburg. N. Folge. Bd. XVIH, 1883. 


5 


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Ueber die Entwiekelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 649 


dass an der hinteren Wand von einer solchen Hervorragung oder 
von einer Epitheleinwucherung etwas zu sehen war. Dieselbe 
Beobachtung hat beim Menschen vor mir Dohrn gemacht, wess- 
halb dieser Forscher behauptet, dass die vordere Lippe sich zu- 
erst bildet. Auf Grund meiner Präparate muss ich für gewisse 


- Fälle Dohrn Recht geben und es wäre vielleicht richtiger, zumal 


auch v. Baer, Kölliker und van Ackeren von einem ring- 
förmigen Wulst sprechen, welcher in der Gegend des späteren 
Orifieium externum uteri auftritt, den Bildungsvorgang der Portio 
vaginalis folgendermaassen zusammenzufassen: die vordere 
Muttermundslippe wird zuweilen zuerst angelegt, je- 
doch entwickelt sich in der Regel das hintere Scheiden- 
gewölbe früher als das vordere, und die hintere Mutter- 
mundslippe erlangt dadurch früher als die vordere eine 
vollkommenere Ausbildung. 

Dureh das Auftreten der Portio vaginalis uteri lässt sich 
die anatomische Bedeutung der bisher beschriebenen Entwickelungs- 
vorgänge leicht feststellen: 

Die Uebergangsstelle zwischen den beiden Epithel- 
arten, mit welchen die Müller’schen Gänge von Anfang an 
ausgekleidet sind (soweit meine Untersuchungen reichen, nämlich 
bei Embryonen von 11—13 mm Länge) entspricht derjenigen 
Stelle innerhalb des äusseren Muttermundes, wo bei ausgebildeten 
Individuen die. Grenze zwischen dem Cylinderepithel des 
Uterus und dem Plattenepithel der Vagina sich findet (siehe 
Fig. 17, Tafel XXXV). 

Die Epithelverdiekung innerhalb des proximalen Ab- 
schnittes, welche sich ebenfalls bis auf eine frühe Entwickelungs- 
stufe zurückverfolgen lässt (bei Embryonen von 2,5—3,5 em 
Länge), wird zum Epithel des Cervicalkanals. 

Die Epitheleinsenkungen, welche im Bereiche der er- 
wähnten Epithelverdiekung entstehen, bilden die Anlage der Cer- 
viecaldrüsen und nicht, wie Tourneux meint, die Plicae pal- 
matae des Cervicalkanals („les sillons des arbres de vie“). Ich 
habe diese Einsenkungen von Stufe zu Stufe verfolgt von dem- 
jenigen Zeitpunkte an, wo sie das Aussehen seichter Falten haben, 
bis zu derjenigen Entwickelungsperiode, wo sie tiefe Furchen mit 
deutlichen fingerförmigen Ausbuchtungen bilden und somit ihre 


spätere Bestimmung als Drüsen kund geben. 
Archiv für mikrosk. Anat. Bd, 37 .. 43 


650 W. Nagel: 


Derjenige Abschnitt des Geschlechtsstranges, welcher der 
Epithelverdiekung entspricht und welcher schon bei ganz jungen 
Embryonen (von 5—6 em Länge) eine spindelförmige Ver- 
dickung zeigt und etwa zwei Dritttheil des proximalen Abschnittes 
einnimmt, wird zu Collum uteri. 

Da, wo die Epithelverdiekung mit den Einsenkungen nach 
oben aufhört, bildet sich der innere Muttermund; für die 
Richtigkeit dieser Auffassung spricht auch die Thatsache, dass 
der vorhin beschriebene zweite Kniekungswinkel stets an 
dieser Stelle sich vorfindet. Was oberhalb liegt, gehört dem Cor- 
pus uterian. Dasselbe hat also auf einer frühen Entwickelungs- 
stufe (bei Embryonen von 6—8 bis 12 em Rumpflänge und auf- 
wärts) eine mehr oder weniger ausgeprägte deutliche Beugung 
nach vorne und ist in seinem Inneren mit einem einreihigen Cy- 
linderepithel mit hohen schmalen Zellen ausgekleidet, welches 
um die Hälfte niedriger ist als das Epithel des Cerviecalkanals. 
Tourneux gegenüber betone ich dieses ganz besonders, weil er 
gelegentlich der Beschreibung eines menschliehen Embryo von 
19 em Rumpflänge sagt!), dass das Epithel des Corpus uteri 
viel höher sei als dasjenige des Collum uteri. 

Im Gegensatze zu van Ackeren, der einen solchen ver- 
neint, muss ich daran festhalten, dass ein Unterschied zwischen 
dem späteren Corpus und Collum uteri auf emer ganz frühen 
Entwickelungsstufe auftritt, nämlich von dem Augenblicke an, wo 
die Epithelverdiekung in dem unteren Theile des proximalen Ab- 
schnittes bemerkbar wird. 

Das Epithel des Corpus uteri besitzt keine oder doch nur 
ganz spärliche und seichte Epitheleinsenkungen, welche in der 
von mir untersuchten Entwickelungsperiode keine Verzweigungen 
zeigen. 

Die Drüsen des Corpus uteri entwickeln sich also viel später 
als diejenigen des Cervix; nach einigen (Tourneux, de Sinety 
u. a.) fehlen dieselben beim ausgetragenen Kinde, nach anderen 
Autoren (Cadiat) sind die Drüsen um diese Zeit, das heisst kurz 
nach der Geburt, wohl entwickelt. Beide Ansichten mögen zu 
Recht bestehen, auch Wyder?) sagt, dass „die kindliche Uterus- 


1), TouUrneuxX, a2 019,808, 
2) Wyder, Beiträge zur normalen und pathologischen Histo- 


a 


Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 651 


schleimhaut in Bezug auf das Vorkommen und die Entwiekelung 
der Drüsen sehr wechselvolle Bilder zeigt“. 

Dureh das Erscheinen der Portio vaginalis uteri- wird ferner 
die Bedeutung des distalen Abschnittes des Geschlechts- 
stranges klar, welcher zunächst keine Höhle besitzt, mit eubischem 
Epithel ausgekleidet ist und dessen erste Anlage, wie von mir 
nachgewiesen wurde, auf eine sehr frühe Entwickelungsstufe des 
Müller’sehen Ganges sich zurückführen lässt: dieser Abschnitt 
ist nämlich gleichwerthig mit der Vagina. 

Die Vagina entsteht also nicht, wie bisher allge- 
mein angenommen wurde, durch eine Umwandlung des 
ursprünglichen Cylinderepithels des Müller’schen 
Ganges, sondernist von vorneherein als eine besondere 
Abtheilung des Müller’schen Ganges angelegt, welche 
sich durch die Seite 627 beschriebenen Eigenschaften auszeichnet 
und deren weitere Entwickelung ich von Stufe zu Stufe verfolgt 
und in dem Vorhergehenden beschrieben habe. 

Es ist ferner einleuchtend, dass die Mündungsstelle der 
vereinigten Müller’schen Gänge in den Sinus urogenitalis mit 
dem Orifiecium vaginae vestibulare gleichbedeutend ist. 
Durch das stärkere Wachsthum der Vagina in die Länge gegen- 
über der langsamer fortschreitenden Entwickelung des Sinus uro- 
genitalis wird dieser allmählich abgeflacht und das Orificium va- 
ginae vestibulare nimmt schliesslich denjenigen Platz ein, welcher 
ihm in dem späteren Embryonalleben und bei ausgetragenen In- 
dividuen zukommt. Es ist demnach vollkommen berechtigt, wie 
Kölliker und Mihalkoviez thun, von emer Anlage des 
Hymens von dem Augenblicke an zu sprechen, wo das distale 
Ende der (vereinigten) Müller’schen Gänge den Sinus urogenitalis 
erreicht hat, jedenfalls bei denjenigen Embryonen, wo die Ränder 
der hügelartig in den Sinus hervorragenden Mündung des Ge- 
schlechtsstranges nach innen umgebogen sind. Noch deutlicher 
wird die Hymen-Anlage bei etwas grösseren Embryonen (mit einer 
Rumpflänge von 5,6—8 cm und darüber), wenn nämlich die 
Seite 635 beschriebene bauchige Erweiterung dicht oberhalb der 
Mündung erscheint. Dieselbe tritt nach meinen Untersuchungen 


logie der menschlichen Uterusschleimhaut. Archiv für Gynäkologie 
Bd. 13, S. 6. 


652 W. Nagel: 


viel früher auf als von Dohrn und Tourneux angegeben wird; 
und reicht vollkommen aus, um dem Orifieium vaginae vestibulare 
seine eigenthümliche spätere Gestalt zu geben, imdem die Mündung 
der vereinigten Müller’schen Gänge, wie berichtet, ihre ursprüng- 
liche Enge behält. Je grösser die bauchige Erweiterung wird, 
um so mehr müssen die Ränder der Mündung (Lippen) die Ge- 
stalt einer ringförmigen Membran annehmen, welche die spätere 
Vagina von dem Sinus urogenitalis abschliesst. Ich leugne jedoch 
keineswegs, dass nicht auch eine selbständige Hervorwucherung 
der Ränder der Mündung stattfinden kann; dieselbe hat aber nicht 
überall diejenige Bedeutung für die erste Bildung des Hymens, 
wie Dohrn und v. Ackeren ihr zuschreiben. Nach meinem 
Dafürhalten tritt ein actives Wachsthum erst dann ein, wann eine 
in obiger (passiver) Weise gebildete Scheidenklappe schon besteht. 
Da ich indessen bei einigen meiner Embryonen an Sagittalschnit- 
ten durch die Medianebene gesehen habe, dass die Hymenalöff- 
nung an dieser Stelle (in der Medianebene also) verhältnissmässig 
grösser ist, als es der Regel nach der Sachlage bei Neugeborenen 
und Erwachsenen entsprechen würde, so muss ich annehmen, 
dass in gewissen Fällen auf einer späteren Entwiekelungsstufe 
auch ein actives Wachsthum (im Sinne von Dohrn, v. Ackeren, 
Schaeffer), insbesondere des hinteren Theiles der Scheidenklappe, 
‚stattfindet, wodurch die Hymenalöffnung theils enger, theils mehr 
nach vorne verlegt wird. Hierbei muss man jedoch bedenken, 
dass auch bei Kindern und Erwachsenen die Hymenalöffnung in- 
dividuell ein verschiedenes Verhalten darbietet, sowohl in Bezug 
auf ihre Grösse wie auf ihre Lage. | 

Auf allen Entwiekelungsstufen, wenigstens bis zu einer Grösse 
des Embryo von 20—22 em Scheitel-Steisslänge, ist die Oeffinung 
des Hymenalringes mit Epithelien ausgefüllt. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXV u. XXXVI. 


Fig. 1. Menschlicher Embryo von 4cm Rumpflänge; weiblich. Sa- 
gittaler Längsschnitt durch die Mündungsstelle der vereinigten 
Müller’schen Gänge Flemming sche Lösung. — Leitz 8, 
Ocul. I. MG —Müller’scher Gang. Bl = Harnblase. $. U. — 
Sinus urogenitalis. 


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eber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 653 


Fig. la. Sagittale Durchschnitte durch die Mündungen der vereinigten 


Fig. 


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Fig. 


Fig. 


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Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


10. 


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. 12. 


. 14. 


Müller’schen Gänge (schematisirt) in den Sinus urogenitalis 
bei weiblichen Embryonen von 4—5—6 cm Rumpflänge. 

Einmündungsstelle der Müller’schen Gänge in den Sinus 
urogenitalis bei einem weiblichen Embryo von 3 cm 


Länge. — Flemming'sche Lösung; Querschnitt (etwas 
schräg). Leitz 6, Ocul. I. S. U. = Sinus urogenitalis; Mg = 


Müller’sche Gänge; Wg = Wolff’sche Gänge. 

Dieselbe Stelle bei einem männlichen Embryo von 4cm 
Länge. Flemming '’sche Lösung; Querschnitt. — Bedeu- 
tung der Buchstaben w. o. 

Menschlicher Embryo, weiblichen Geschlechts, von 4cm 
Rumpflänge. Topographische Lage der Beckenorgane; nach 
einem gehärteten Präparat gezeichnet. 

Menschlicher Embryo, männlichen Geschlechts, von 4cm 
Rumpflänge. Topographische Lage der Beckenorgane; nach 
einem gehärteten Präparat gezeichnet. 

Sagittaler Längsschnitt durch den Geschlechtsstrang eines 
menschlichen Embryo, männlichen Geschlechts, von 5l/,cm 
Rumpflänge. Aussergewöhnlich starke Ausbildung der ver- 
einigten Müller’schen Gänge und des Geschlechtsstranges. 
Bedeutung der Buchstaben wie oben. 

Sagittaler Längsschnitt durch das distale Ende des Geschlechts- 
ganges eines weiblichen menschlichen Embryo von 7 em 
Scheitel-Steisslänge. Auftreten der bauchigen Erweiterung. 
(v) = vorne. 

Sagittaler Längsschnitt durch das distale Ende des Geschlechts- 
ganges von einem weiblichen Embryo (Mensch) von 14 cm 
Rumpflänge. U — Urethra; R —= Rectum. 

Orificium vaginae vestibulare im sagittalen Längsdurchschnitte; 
weiblicher Embryo (Mensch). Rumpflänge 15 cm. Flem- 
ming'sche Lösung. — V — Vagina; 0 = Orificium vaginae 
vestibulare; (h) = hintere Hymenallippe. 

Sagittaler Längsschnitt durch den Geschlechtsgang eines weib- 
lichen Embryo (Mensch) von 7cm Rumpflänge. Uebergang 
vom Cylinderepithel des proximalen Abschnittes in das cubische 
Epithel des distalen Abschnittes. 

Sagittaler Längsschnitt durch den Geschlechtsstrang eines 
weiblichen Embryo (Mensch) von 10 em Rumpflänge. Uebergang 
vom Cylinderepithel des proximalen Abschnittes in das eubische 
Epithel des distalen Abschnittes. (Flemming sche Lösung.) 
Sagittaler Längsschnitt durch das Becken eines weiblichen 
Embryo (Mensch) von 4l/;, cm Rumpflänge. 

Sagittaler Längsschnitt durch das Becken eines weiblichen 
Embryo (Mensch) von 6cm Rumpflänge. 
Sagittaler Längsschnitt durch das Becken eines weiblichen 
Embryo (Mensch) von 10cm Rumpflänge. 


654. W. Nagel: Ueber die Entwickelung des Uterus ete. 


Fig. 15. Sagittaler Längsschnitt durch den Geschlechtsstrang eines 
weiblichen Embryo (Mensch) von 13cm ei Anlage 
des hinteren Scheidengewölbes. 

Fig. 16. Sagittaler Längsschnitt durch den Geschlechtsstrang eines 
weiblichen Embryo (Mensch) von 17cm Rumpflänge. Anlage 
der Portio vaginalis uteri. 

Fig. 17. Die Anlage der Portio vaginalis uteri von Fig. 16 bei starker ° 
Vergrösserung (Leitz 6, Oec. D. — F.a = vorderes, F.p = 
hinteres Scheidengewölbe. 


Die Zeichnungen sind auf Kosten der Gräfin Luise Bose- 
Stiftung angefertigt. 


Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das 
Sarkoplasma und die Oontraction der quer- 
gestreiften Muskelfasern. 


Von 
Prof. Dr. A. Rollett in Graz. 


Hierzu Tafel XXXVI. 


Es ist in jüngster Zeit von Prof. Dr. Gustav Retzius?) 
in Stockholm, der unter den lebenden Histologen einen so her- 
vorragenden Platz einnimmt, eine Arbeit über „Muskelfibrille 
und Sarkoplasma“ veröffentlicht worden. Diese Arbeit kommt 
durch die rückhaltlose Anerkennung der Fibrille und des Muskel- 
säulchen als präformirte Bauelemente der Muskelfaser den von 
Kölliker?) und von mir?) vertretenen Anschauungen über den 
Bau der quergestreiften Muskelfaser in sehr erfreulieher Weise 


1) Biologische Untersuchungen von G. Retzius. Neue Folge, 
I., pag. 51. Stockholm 18%. 

2) Zeitschrift für wiss. Zoolog. XLVI, 1888, pag. 689. — Handb. 
d. Gewebl., 6. Aufl., Bd.I, Leipzig 1889, pag. 356 u. d. f. 

3) N d. m. n. Klasse der kais. Akad. d. Wiss. in ‚Wien 
Bd. XLIX, 1885, pag.81 (I. Theil) und Bd. LI, 1886, pag.23 (II. Theil) 
und dieses Archiv Bd. XXXI, 1888, pag. 233. 


A.Rollett: Ueb.d. Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma ete. 655 


‚gegen Melland!), Carnoy?), van Gehuchten?) und Mar- 
shall®), welche die Fibrillen und Muskelsäulchen leugnen, zu 
Hülfe. Es wird das gewiss sehr wesentlich zur Klärung der An- 
schauungen über den Muskelbau beitragen. 

Allein der Freude, die man darüber empfinden muss, ist 
auch ein Wermuthstropfen beigemischt. 

Retzius leugnet die von Brücke an reich gestreiften 
Insektenmuskeln zuerst gesehenen, dann von Engelmann?) 
präeiser unter dem Namen der Nebenscheiben definirten und be- 
schriebenen Querstreifen, welche auch ich in meinen Unter- 
suchungen in vielfacher Weise studirt und mit dem Buchstaben 
N bezeichnet habe. Zwar stellt Retzius nieht in Abrede, dass 
dort, wo Engelmann, ich und auch Kölliker den Streifen N 
sehen, wirklich ein Querstreifen gesehen wird. Allein diese 
Streifen N sollen nieht, wie die Streifen Q (Querscheiben) und 
die Streifen J (isotrope Bänder) und die Streifen Z (Zwischen- 
scheiben) durch eine besondere Gliederung der Fibrillen bedingt 
sein, sondern die Streifen N sollen durch eine regelmässig an- 
geordnete Reihe von Körnern, Sarkosomen, die dem zwischen 
den Muskelsäulchen liegenden Sarkoplasma angehören, veranlasst 
werden. 

Das Sarkoplasma lässt aber Retzius zusammengesetzt sein 
aus Sarkosomen und feinen, die Sarkosomen verbindenden „proto- 
plasmaähnlichen Fäserchen“. Dasselbe soll aufgehängt sein in 
Räumen zwischen den Muskelsäulchen, den „intereolumnaren 
Spalträumen“, welche ausserdem einen Gewebssaft enthalten 
sollen, der die Muskelsäulchen rings umspülen und eine „seröse, 
chemisch sehr gemischte Flüssigkeit, ein interstitielles, intercolum- 
nares — Serum — der Muskelfaser* darstellen soll. Diese 
Flüssigkeit soll der contractilen Substanz sowohl die ernährenden 
Bestandtheile von aussen von den Blutgefässen her zuführen, als 
auch die Exeretionsstoffe in sich aufnehmen, um sie weiter nach 
aussen hin zu befördern. 


1) Quaterly Journ. of mic. Science. N. S. Vol. XXV, pag. 371, 1885. 

2) Biologie cellulaire 1884, pag. 193. 

3) La cellule T.II, 2. fasc., 1886. 

4) Quaterly Journ. of mic. Seienc. N.S. Vol. XXVIH, pag. 75, 
1887 u. Vol. XXXI, pag. 65, 1890. 

5) Pflüger’s Archiv Bd.T, pag. 18. 


656 A.:Rollett: 


Diese Anschauungen von Retzius befinden sich also in 
Bezug auf die Streifen N (Nebenscheiben) in einem völligen, in 
Bezug auf das Sarkoplasma aber in einem theilweisen Wider- 
spruche mit den von mir in meinen Untersuchungen niederge- 
legten Anschauungen. Es scheint, dass Retzius eine genauere 
Darlegung dieser Gegensätze vermeiden wollte. 

Trotz der Entschiedenheit, mit welcher Retzius die Neben- 
scheiben aus dem Schema der quergestreiften Muskelfaser ge- 
strichen wissen will und trotz der verlockenden Angabe von 
Retzius, dass dann ein Unterschied ausgetilgt sei, welehen man 
bisher zwischen den Muskelfasern von Arthropoden und Wirbel- 
thieren annehmen zu müssen glaubte, lautete die kurze Kritik, 
welche ich nach aufmerksamer Durchlesung der mir durch 
Retzius’ Güte zugekommenen Arbeit über die Darstellung, die 
Retzius von den Nebenscheiben giebt, doch: Unmöglich! 

Ich hatte ja so vielfache und schlagende Beweise für die 
Existenz der Streifen N im Smne Engelmann’s kennen gelernt, 
dass mir die Veranlassung derselben durch besondere Glieder 
der Muskelfibrillen als ganz unbezweifelbare Thatsache gelten 
musste. 

Die von Retzius nach der Behandlung der Muskelfasern 
mit Flemming’s Gemisch (Chrom-Osmium-Essigsäure) mit Ros- 
anilin und mit Kaliacetat erhaltenen Bilder mit den Sarkosomen- 
reihen an der Stelle der Nebenscheiben müssen eine andere Er- 
klärung zulassen, als die, welche Retzius von denselben ge- 
geben hat. Ich hätte es nun vielleicht der Zeit und andern 
Forschern überlassen, Klärung in diese widerstreitenden An- 
schauungen zu bringen, allen ich habe der Wiener Akademie 
schon am 20. Novbr. 1890 eime. Abhandlung unter dem Titel: 
„Untersuchungen über Contraetion und Doppelbreehung der quer- 
gestreiften Muskelfasern“ überreicht, welche demnächst erscheinen 
wird®), und ich kann die Leser dieser Abhandlung nicht unter 
dem Eindrucke stehen lassen, dass ich die Leugnung der Neben- 
scheiben durch Retzius acceptire. Ausserdem ist mir aber seit- 
her das überaus interessante Buch: „Theorie der Muskelcon- 
traetion“ von Prof. Dr. G. Elias Müller, 1. Th., Leipzig 1891, 


1) Denkschrift. der m. n. Kl. der kais. Akad. d. Wiss. in Wien 
Bd. LVII, pag. 4. 


tu wat. 


Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma etc. 657 


zugekommen, in welchem meine Untersuchungen vielfach heran- 
gezogen sind. In diesem Buche findet sich aber dufS. 295 auch 
die Bemerkung, dass die neuen Untersuchungen von Retzius 
kaum darauf schliessen lassen, „dass dieser Forscher die in den 
Abhandlungen Rollett’s niedergelegten Thatsachen und Gesichts- 
punkte voll und ganz berücksichtigt habe“, wenn er behauptet, 
„dass die sog. Nebenscheiben nicht den Fibrillen und Fibrillen- 
bündeln (Muskelsäulehen) angehören, d.h. nieht in ihnen liegen, 
sondern neben und zwischen den Fibrillenbündeln liegen und 
mehr oder weniger regelmässig angeordnete Körner des Sarko- 
plasma darstellen“. 

Auch daraus ergiebt sich, dass die Frage der Nebenscheiben 
eine nicht zu umgehende Actualität für mich gewonnen hat. 

Ich will darum hier die Existenz der Streifen N in dem 
Sinne, dass sie bedingt sind durch bestimmte anisotrope Glieder 
der Fibrillen, nochmals vertheidigen und zwar durch die Beob- 
achtung derselben im polarisirten Lichte, durch ihr Verhalten 
beim Scheibenzerfall der Muskelfasern in Alkohol, durch ihr Ver- 
halten bei schwacher Säurewirkung auf zerfallene Muskelfasern, 
durch ihr Verhalten bei Tinetionen und Imprägnation der Muskel- 
fasern und durch ihr Verhalten bei der Oontraction der Muskel- 
fasern. 

Erst darnach sollen die Bilder, welehe man bei starker 
Säurewirkung von dem Sarkoplasma und den Muskelsäulchen 
bekommt, und die nach der Methode von Retzius erhaltenen 
Muskelbilder besprochen werden, weil sich auf diesem Wege eine 
Erklärung für die letzteren finden lässt. 

Wie schon angeführt wurde, hat Brücke!) und zwar im 
Jahre 1858 die Streifen N an reich gestreiften Muskelfasern von 
Hydrophilus schon gesehen. Ebenso sah Brücke an denselben 
Muskeln die Streifen Z, welche in demselben Jahre auch von 
Amicei?) bei Inseetenmuskeln beobachtet und später unter dem 
Namen der Krause’schen Querlinien allgemeiner bekannt wurden. 
Und man weiss seit Brücke’s Untersuchungen, dass die Streifen 
N und Z ebenso wie die Streifen @ doppeltbrechend, und zwar 


1) Denkschriften der m. n. Klasse der kais. Akad. d. Wiss. in 
Wien Bd. XV, pag.69, Taf. II, Fig. 3. 
2) II Tempo, Vol. II, 1858, pag. 328. 


698 A. Rollett: 


alle einaxig positiv doppeltbrechend sind. Aber Brücke hat 
den Streifen N und Z dadurch, dass er sie als verschiedene An- 
ordnungen von Gruppen seiner hypothetischen Disdiaklasten in 
eine Linie mit den Streifen Q stellte, eine Deutung gegeben, 
welche von den späteren Untersuchern nicht festgehalten werden 
konnte. Genauer wurden die Streifen N und Z erst von Engel- 
mann?!) untersucht. Er führte für die ersteren die Bezeichnung 
Nebenscheiben, für die letzteren die Bezeichnung Zwisehenscheiben 
ein. Auch Engelmann erkannte, dass die Streifen N und Z 
eine Doppelbreehung von demselben Charakter wie die Streifen 
(Q besitzen, er machte aber auch die Bemerkung, dass die Streifen 
N und Z schwächer doppeltbrechend sind als die Streifen Q. 

Brücke und Engelmann haben ihre Beobachtungen an 
Muskelfasern im dunklen Sehfelde des Polarisationsmikroskopes 
zwischen gekreuzten Nikol’schen Prismen, oder an Muskelfasern, 
die noch überdies über Glimmer- oder Gypsplättchen lagen, in 
derselben Weise gemacht. Und das genügt auch vollständig, 
um die Doppelbrechung der Streifen N der Muskelfasern zu con- 
statiren. 

In späterer Zeit habe ich mich selbst mit der Untersuchung 
der Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern und zwar nach 
einer neuen Methode, nämlich unter Anwendung von spectral 
zerlegtem polarisirten Lichte beschäftigt. Die Resultate sind in 
der eitirten Abhandlung enthalten. Man erhält auf diese Weise 
noch viel schönere Bilder von den Muskelfasern und kommt auch 
in der Erkenntniss der anisotropen Streifen der Muskelfasern 
etwas weiter. Ich werde auch hier eine Reihe von nach dieser 
Methode zu erhaltenden Bildern besprechen, weil dieselben für 
die Frage der Nebenscheiben sehr belehrend sind, und darum 
muss ich hier auch. die Methode kurz besprechen. 

Eine für histologische Zwecke brauchbare Combination 
eines zusammengesetzten Mikroskopes mit einem Speectral- und 
einem Polarisationsapparate habe ieh?) zuerst ausführen lassen 
und beschrieben. Meine Anordnung wurde aber bald darauf von 
Abbe und Dippel?) modifieirt, und der letztere hat der Vor- 


IuyN RS 5 

2) Zeitschrift für Instrumentenkunde 1881, S. 366. 

3) Dippel, Das Mikroskop. I. Th., 2. Abth., S. 619, 2. Aufl. 
Braunschweig 1882. 


Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma ete. 659 


riehtung, welche das spectral zerlegte polarisirte Licht liefert, 
den Namen „Speetropolarisator“ gegeben, welchen ich der Kürze 
wegen gerne acceptire. 

Die wesentlichen Theile eines Spectropolarisators sind ein 
polarisirendes Nikol’sches Prisma und ein kleiner Spectralapparat, 
der in die Ebene des Objeetes ein kleines Speetrum projieirt; 
das Nikol’sche Prisma befindet sich vor dem Spalte des unter 
dem Objecttische angebrachten Speetralapparates; der Analysator 
befindet sich über dem Oeculare. 

Stehen Polarisator und Analysator mit ihren Schwingungs- 
richtungen gekreuzt und sind beide unter einem Winkel von 45° zum 
Spalte des Spectralapparates orientirt und bringt man vor dem 
Spalte, also zwischen diesen und den Polarisator eine Gypsplatte 
Roth I. Ordnung so an, dass die Schwingungsrichtung des stärker 
gebrochenen Strahles in der Gypsplatte (erste Mittellinie, grösste 
Elastieitätsaxe des Gypses) mit der Richtung des Spaltes zusam- 
menfällt, so sieht man im Sehfelde das Speetrum von Roth I. Ord., 
welches bekanntlich einen breiten dunklen Interferenzstreifen 
(Müller’schen Streifen) besitzt, dessen Mitte je nach der Nuance 
des Gypsblättehens auf die Wellenlängen von 0,000499 mm bis 
0,000545 mm fällt !). | 

Wie ein solches Sehfeld zur Bestimmung der Lage und re- 
lativen Grösse der Elastieitätsaxen doppeltbrechender Substanzen 
benutzt werden kann, findet sich in meinen früher eitirten Ab- 
handlungen und bei Dippel auseinandergesetzt. 

Hier nur das folgende: 

Wenn eine Muskelfaser so in das Sehfeld gebracht wird, 
dass ihre Längenaxe mit der Richtung des Spaltes zusammen- 
fällt, wobei sie als Verdiekung der wie früher orientirten Gyps- 
platte wirkt, so leuchten, wenn die Faser über dem dunklen In- 
terferenzstreifen des spectral zerlegten Roth I. Ord. sich befindet, 
alle ihre doppeltbrechenden Theile in dem vom Interferenzstreifen 


1) Vgl. darüber A. Rollett, Ueber die Bedeutung von New- 
ton’s Construction der Farbenordnungen dünner Blättchen für die 
Spectralanalyse der Interferenzfarben. Sitzungsberichte der m. n. 
Klasse der kais. Akad. d. Wiss. in Wien Bd. LXXV, Abth. III, 1877, 
pag.173, und: Ueber die Farben, welche in den Newton’schen Ring- 
systemen aufeinander folgen. Ebenda, Bd. LXXVII, Abth. III, 1878, 
pag. 177. 


660 A. Rollett: 


ausgelöschtem Lichte. Dagegen erscheinen alle einfach brechen- 
den Theile völlig dunkel. 

Wenn man aber nun das Spectrum unter der festliegenden. 
Muskelfaser senkrecht auf die Axe der letzteren verschiebt, so 
findet man bei der angegebenen Orientirung für die Streifen N 
und Z früher, für die Streifen @ später eine Speetralregion gegen 
das rothe Ende hin, in welcher die Streifen N und Z und dann 
die Streifen @ völlig dunkel erscheinen, während alle anderen 
Theile und der Grund hell im bestimmtem monochromatischem 
Lichte erscheinen. | 

Das ist dadurch bedingt, dass bei der Addition der Wir- 
kung der Gypsplatte und der doppeltbrechenden Theile des Mus- 
kels der beiden zusammen entsprechende dunkle Interferenzstreifen 
gegen das rothe Ende gerückt erscheint, denn jede Verdiekung 
der Gypsplatte verschiebt den Interferenzstreifen gegen das rothe 
Ende hin. 

Ich fand nach der neuen Methode bestätigt !), dass sowohl 
die Streifen N als auch die Streifen Z eine Doppelbrechung von 
demselben Character besitzen, wie die Streifen Q. Es ergab sich 
aber ausserdem, dass die Doppelbrechung der Streifen N und Z 
messbar schwächer ist, als die Doppelbrechung der Streifen Q. 

Für das Verständniss des Nachfolgenden wird das, was ich 
über die Untersuchung mittelst des Speetropolarisators gesagt 
habe, genügen. 

Und wir wollen hier mit Bezug auf die Frage der Streifen 
N hauptsächlich nur das Bild der Muskelfaser im dunklen Inter- 
ferenzstreifen des Roth I. Ord. näher betrachten. 

Die Figuren 1 und 2 stellen Muskelfasern im dunklen In- 
terferenzstreifen des Roth I. Ord. in der genannten Orientirung 
dar. Fig. 1 ist die Abbildung einer Muskelfaser von Lucanus 
cervus, Figur 2 die einer Muskelfaser von Onthophagus taurus. 
Beide Muskelfasern sind in 93°/,igem Alkohol ertränkten Thieren 
entnommen und in verdünntem Glycerin aufpräparirt. 

Im Allgememen sind diese Bilder ausgezeichnet durch die 
grosse Deutlichkeit, mit welcher alle einzelnen Querstreifen her- 
vortreten, ausserdem ist aber an den Speetropolarisatorbildern der 
Muskelfasern auch die den Sarkoplasmadurchgängen zwischen den 


1) Denkschrift. ete. 1.c. Bd. LVIIH, 1890, pag. 82. 


Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma etc. 661’ 


Muskelsäulehen entsprechende Längsstreifung mit seltener Präcision 
und Deutlichkeit zu sehen. 

Besehen wir zuerst die Querstreifen. Wir finden @ doppelt- 
brechend, nur der in der Mitte von @ befindliche Streifen h erscheint 
einfachbreehend. Doppeltbrechend erscheinen ferner die Streifen 
N und Z; einfachbrechend dagegen die Streifen J und E. 

Was die Längsstreifung betrifft, so erscheinen die Sarko- 
plasmadurchgänge. vollkommen dunkel. Die durch die dunklen 
Quer- und Längsstreifen auseinander gehaltenen doppeltbrechenden 
- Glieder der Muskelsäulchen, nämlich die Stäbe von Q und die 
Körner oder kurzen Stäbe vonN und vonZ erscheinen wie voll- 
ständig isolirt auf schwarzem Grunde in regelmässiger Anord- 
nung nebeneinander liegende glitzernde Edelsteine. Man kann 
die Reihe der doppeltbrechenden Glieder jedes zwischen zwei 
Sarkoplasmadurchgängen liegenden Muskelsäulchen genau verfolgen 
und in dieser Reihe liegen die Glieder Q, die Glieder N und 
die Glieder Z so genau hintereinander, dass N ebenso gut, wie 
Q und Z den Muskelsäulchen angehören muss, dagegen erscheinen 
die die Muskelsäulchen trennenden Sarkoplasmadurchgänge als 
schwarze ununterbrochen. zwischen den von den Gliedern Q, N. 
und Z der Muskelsäulchen gebildeten Längsreihen hinlaufende 
Trennungslinien. 

Die Nebenscheiben oder Streifen N der quergestreiften 
Muskelfasern können also nicht durch im Sarkoplasma liegende 
Sarkosomen, wie Retzius angibt, bedingt sein, sondern sie sind 
ebenso durch doppeltbrechende Glieder der Muskelsäulchen be- 
dingt, wie die Streifen @ und die Streifen Z. 

Ich füge hinzu, dass die Einstellung der Muskelfaser in jene 
Spectralregion gegen das rothe Ende hin, im welcher, wie wir 
früher auseinandergesetzt haben, die N dunkel erscheinen, unsere 
Wahrnehmungen über dem Interferenzstreifen vollkommen bestätigt. 
Es erscheinen dann auch die Z dunkel, dagegen die Q und die 
J und die E und die Sarkoplasmadurchgänge hell in monochro- 
matischem Liehte und man sieht auch in diesem Bilde die dunk- 
len Glieder Z und N mit den dann nur durch ihren Contour un- 
terscheidbaren Gliedern @ in ganz genauen Längsreihen zwischen 
je zwei hellen Sarkoplasmadurchgängen stehen. 

Nachdem wir uns so die Muskelsäulehen mit ihren doppelt- 
brechenden Gliedern in situ angesehen haben, erscheint es mir 


662 A. Rollett: 


passend daran zu erinnern, dass mit diesen Wahrnehmungen völ- 
lig übereinstimmend auch die Wahrnehmungen sind, welche man 
im gemeinen Lichte an Muskelfasern machen kann, an welchen 
sowohl die Querstreifung, als auch die Längsstreifung deutlich 
sichtbar ist. Ein wahrhaft classisches Beispiel habe ich unter 
Berücksichtigung aller einzelnen Querstreifen und der Sarkoplasma- 
durchgänge bei tiefer und hoher Einstellung beschrieben und ab- 
gebildet von den Muskelfasern von Osmoderma eremita ?). 

Ebenso übereinstimmend sind auch die mit Hämatoxylin 
tingirten Muskelfasern, bei welchen die Glieder Q, N und Z der 
Säulchen stark, die Glieder J und E sehwach und die Sarko- 
plasmadurchgänge noch schwächer oder nicht gefärbt erscheinen ?). 

Aehnliche Tinetionen von Alkoholmuskeln erhielt ich auch 
mit Fuchsin, Safranin, Eosin, lösl. Anilinblau, Methylenblau, Me- 
thylgrün, Gentianaviolett, Methylanilinviolett5B, Dahlia, Vesuvin 
und Bismarekbraun, welche sich im Kaliacetat lange Zeit vortreff- 
lich halten. An Alkoholmuskeln von Lucanus cervus und Apho- 
dius-Arten, die mit Pierocarmin gefärbt waren, sah ich die Glie- 
der @ schön roth, die Glieder N und Z dagegen wurden beide 
‚in demselben Tone stark gelbroth gefärbt, die Glieder J und 
E und das Sarkoplasma sehr blass röthlich. 

Man findet bei allen diesen Präparaten die differenzirten 
N immer im Verlaufe der Muskelsäulchen und hat niemals den 
Eindruck, als ob die Streifen N bedingt wären durch Körner, 
die neben den Muskelsäulchen im Sarkoplasma lägen. 

Wir wollen aber nun zur Untersuchung mittels des Spec- 
tropolarisators zurückkehren und aus Gründen, welche sich später 
ergeben werden, mittels desselben auch solche Käfermuskeln unter- 
suchen, welehe in Alkohol in Scheiben zerfallen sind. Es wieder- 
holt sich dabei Vieles, was wir schon an den unzerfallenen Fasern 
beobachtet haben, allein für die Auffassung der Streifen N ist es 
doch wesentlich, auf ‚diesen Scheibenzerfall näher einzugehen. 


Ich habe im Jahre 1885 den Scheibenzerfall in Alkohol 


an Käfermuskeln in sehr ausgedehntem Maasse beobachtet und 
eingehend beschrieben und habe mit Bezug auf denselben hier 


1) Untersuchungen, II. Theil, l.c. Bd. LI, pag. 51 u. d. f. Fig. 13, 
Tafel III. 
2) l.c. Tafel II, Fig. 8, 9, 10. 


Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma ete. 663 


zunächst eine Angabe von Retzius zu besprechen, von welcher 
ich nieht weiss, ob sie auf einem Druck- oder Schreibfehler be- 
ruht, jedenfalls möchte ich sie nicht unberichtigt lassen. 

Es heisst in der geschichtlichen Darstellung meiner Arbeit 
bei Retzius (l. e. pag. 64): „Zuerst bespricht er (Rollett) den 
- Scheibenzerfall von Käfermuskeln in Alkohol, welcher mit den 
von Bowman nach Säurebehandlung beschriebenen gar 
nicht identisch ist.“ Nun hat aber bekamntlich Bowman!) nur 
den kurz vor ihm, wie er angiebt, von Skey?) einmal gesehenen 
Scheibenzerfall der Muskelfasern in Alkohol an zahlreichen, ver- 
schiedenen Vertebraten entnommenen Muskelfasern beobachtet. 

Den Scheibenzerfall der Muskelfasern in Säuren 'habe da- 
gegen ich°) selbst im Jahre 1857 an Vertebraten-Muskeln be- 
schrieben und damals glaubte ich, dass der von Bowman be- 
obachtete Scheibenzerfall und der Scheibenzerfall in Säuren die- 
selben Scheiben aus den Muskelfasern isolire. Das war eine un- 
richtige Annahme, welche ich, als ich im Jahre 1885 den 'Scheiben- 
zerfall von Käfermuskeln in Alkohol auffand*), berichtigt habe. 
Ich behandelte damals den Scheibenzerfall in Alkohol und jenen 
in Säuren ausführlich und zeigte, dass der Bowman’sche Scheiben- 
zerfall etwas ganz anderes ist als der Scheibenzerfall in Säuren. 

Betrachten wir uns nach dieser Berichtigung nun den 
Scheibenzerfall in Alkohol. 

Ich habe in meinen Untersuchungen?) gezeigt, dass bei 
diesem Scheibenzerfalle in einzelnen Fällen die den Streifen Q 
entsprechenden Schichten isolirt werden. In anderen Fällen be- 
finden sich aber an den isolirten Scheiben @ auch noch die den 
Streifen N entsprechenden Schichten (die Nebenscheiben Engel- 
mann’s), und zwar hängt dann mit jedem Ende von Q eine 
solche Schiehte N zusammen, mit @ durch einen hellen Streifen 
J verbunden. 

Endlich kommt eine dritte Art von Scheibenzerfall vor, bei 


1) Philosophie. Transact. 1840. Part. II, pag. 469 und 470. 

2) Ibid. 1837, Plat. XIX, Fig.5. 

3) Sitzungsberichte der m. n. Kl. der kais. Akad. d. Wiss. in 
Wien, Bd. XXIV, pag. 291. 

4) Untersuchungen I. Theil, l.c. Bd. XLIX, pag. 84. 

5) l.c. Bd. XLIX, pag. 86. 


664 A. Rollett: 


welchem die Schichten Q einerseits, die Schichten NH E+Z' 
+ E-+ N andererseits in Form von Scheiben isolirt werden. 

Von diesen drei verschiedenen Arten von Scheibenzerfall 
sollen mit Bezug auf die Frage der Streifen N nur die zwei 
letzteren Arten beliandelt werden. Ich habe, als ich den Scheiben- 
zerfall in Alkohol an Käfermuskeln beobachtete, auch sofort be- 
merkt, dass die Sehiehten Q, N und Z auch an den isolirten 
Scheiben ihr Doppeltbrechungsvermögen bewahrt haben). 

An den isolirten Scheiben ist ferner meistens die Längs- 
streifung in sehr ausgezeichneter Weise hervortretend. 

Wenn man nun in die Schichten N+J + Q + J-+N zeı- 
fallene Muskelfasern über den dunklen Interferenzstreifen des 
speetral zerlegten Roth I. Ordnung im Sehfelde des Mikroskopes 
orientirt, so erhält man, wenn die Mantelfläche der Scheiben mit 
der Richtung der Fraunhofer’schen Linien zusammenfällt, das 
Bild, welches in Fig. 3 von Muskelfasern von Opatrum sabulosum 
dargestellt ist. Sowohl die Streifen Q, als die Streifen N leuchten 
in dem blaugrünen durch den Interferenzstreifen ausgelöschten 
Liehte des Spectrums. 

Was zunächst die Schichte @ betrifft, so sieht man in der 
Mitte derselben den Streifen h dunkel, also einfach brechend, 
ferner erweist sich @ zusammengesetzt aus blaugrünen Stäben, 
zwischen welchen schwarze Durchgänge, dem Sarkoplasma ent- 
sprechend, sich befinden. 

Entsprechend der Anzahl von Stäben, welche die Schichte 
() auf einem bestimmten optischen Längsschnitte zusammensetzen, 
erscheinen in den Schichten N, zu welehen wir jetzt übergehen 
wollen, wieder durch schwarze Durchgänge von einander getrennte 
kürzere blaugrün leuchtende Stäbe, deren Axe genau mit der 
Axe je eines auf dem optischen Längsschnitte sichtbaren Stabes 
von Q zusammenfallen, so dass auf demselben optischen Längs- 
schnitte der Scheibe die gleiche Anzahl von Stäben in@ und in 
N vorhanden ist. 

Bringt man Muskelfasern, die jene Art von Scheibenzerfall 
erlitten haben, bei welchen abwechselnd den Schichten @ und 
den Schiehten N+ E+Z+E-+ N entsprechende Scheiben er- 
halten werden, in der entsprechenden Orientierung über den 


1), Le. Pa2.108. 


Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma ete. 665 


dunklen Interferenzstreifen des spectral zerlegten Roth I. Ord- 
nung, in das Sehfeld des Mikroskopes, Fig. 4, so sieht man wieder 
die Stäbe, welche die Scheiben @ zusammensetzen, blaugrün 
leuchten und scharf getrennt durch dunkle Sarkoplasmadurchgänge, 
Fig. 4 Q, und ebenso erscheinen in den anderen Scheiben Fig. 4 
N+E+Z+E+HN die blau-grün leuchtenden Stäbe, welche N 
entsprechen, scharf getrennt durch dunkle Sarkoplasmadurchgänge 
und die Reihe der Stäbe, welche einen Streifen N bilden, er- 
scheint durch einen dunklen Streifen E verbunden mit der Reihe 
von kurzen Stäbehen oder Körnern, welche die Schichte Z zu- 
sammensetzen, in der letzteren sind die einzelnen Stäbehen wieder 
durch dunkle Durchgänge getrennt, welche ebenso in der Längen- 
richtung mit den dunklen Durehgängen zwischen den Stäben von 
N zusammentreffen, wie die leuchtenden Stäbe von N genau in 
der Längenrichtung mit den leuchtenden Stäbehen von Z zusammen- 
fallen. Fig. 4 ist einem Präparate der Muskeln von Scarabaeus 
laticollis entnommen. 

Wir sehen also an den in Scheiben zerfallenen Muskeln 
wieder, und zwar mit der grössten Uebersichtlichkeit, in jeder 
einzelnen Scheibe, dass die Streifen N der Muskelfasern ebenso 
gut wie die Streifen @ und die Streifen Z bedingt sind durch 
anisotrope Glieder der Muskelsäulchen, und nicht bedingt sein 
können durch Sarkosomenreihen im Sinne von Retzius. 

Ich habe aber hier an den in Scheiben zerfallenen Mus- 
keln gleichsam das, was uns auch schon die Bilder Fig. 1 u. 2 
von unzerfallenen Muskeln zeigten, wiederholt, weil ich jetzt, 
daran anknüpfend, an das erinnern will, was man beobachtet, 
wenn man auf Muskeln, welche in der Art, wie das Fig. 3 und 
4 darstellt, in Scheiben zerfallen sind, vorsichtig ganz schwache 
Säuren, z. B. sehr schwache Ameisensäure, wirken lässt. 

Ich reprodueire zur Bequemlichkeit des Lesers die be- 
treffenden Bilder aus meinen Untersuchungen in Fig. BA und B 
und in Fig. 6. | 

Es entspricht Fig. 5 einer Muskelfaser, welche nach Art 
der Fig. 3 in Scheiben zerfallen ist; Fig. 6 eimem Präparate, 
welches nach Art der Fig. 4 in Scheiben zerfallen ist. 

Ich muss auch hier wieder hervorheben, was ich gleich bei 
der ersten Beschreibung dieser Bilder bemerkte, dass man beim 
Anblicke der Zeichnung sich des Gedankens nicht erwehren 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 44 


666 A. Rollett: 


kann, dass die Darstellung eine stark schematische sei. In der 
That ist das aber durchaus nicht der Fall. Ich habe die Prä- 
parate oft demonstrirt und es ist mir immer bezeugt worden, 
dass sie in den Zeichnungen sehr naturgetreu dargestellt sind. 

‚ Aehnliches gilt überhaupt von einer grossen Zahl von Mus- 
kelbildern; je getreuer sie dargestellt sind, desto schematischer 
sehen sie aus, was auf Rechnung der überaus regelmässigen An- 
ordnung der verschiedenen Theile der quergestreiften Muskel- 
fasern zu setzen ist. | 

Man bemerkt in Fig. DA, dass in Folge der schwachen 
Säurewirkung die Schichten Q beträchtlich breiter geworden sind 
als die Schiehten N; diese kleben auf den beiden Grundflächen 
der stark verbreiterten @, ohne dass sie ihren Charakter wesent- 
lich verändert hätten, während @ um Vieles heller geworden ist 
und die Längsstreifung verloren hat oder dieselbe nur noch als 
sehr feine zarte Linie erkennen lässt. 

Sieht man eine Scheibe in diesem Stadium der Säure- 
wirkung von der Fläche, so zeigt sich das Bild Fig.5 B. Die innere 
Figur in dieser Zeichnung entspricht einem Querschnitte von N, 
sie ist gleichmässig von einem Hofe umgeben, dessen äussere 
Grenze der Peripherie der verbreiterten Schichte Q@ entspricht. 

Man sieht also auf der Fläche von N die Cohnheim- 
schen Felder, welche den Stäben von N entsprechen und zwi- 
schen den Cohnheim’schen Feldern das dieselben trennende 
Sarkoplasmageäder. Ich habe auch ausführlich auseinander ge- 
setzt, dass, dieses Bild von N beim Heben und Senken des Tubus 
an jeder Scheibe zweimal deutlich zu sehen ist, entsprechend 
dem oberen und unteren auf der verbreiterten Scheibe @ kle- 
benden N. | 

Würde man nun, wogegen aber alles bisher über die Stäbe 
von N Angeführte spricht, diese Stäbe für Sarkosomen im Sinne 
von Retzius halten, so würde auf unseren Querschnitten von N 
kein Raum mehr für die Querschnitte der Muskelsäulehen bleiben. 
Und man müsste fragen: Wo sind die Muskelsäulchen hinge- 
kommen ? 

Es geht also auch daraus hervor, dass die Deutung, die 
Retzius der Nebenscheibe giebt, nieht richtig sein kann. _ 

Das Bild Fig.6 zeigt uns wieder die Schichten @ beträcht- 
lich verbreitert, die Längsstreifung derselben verstrichen. Da- 


al 


ı 


Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma ete. 667 


gegen sind die Schichten NH-E+Z-+E-+N schmal. Die 
Längsstreifung der N tritt sehr deutlich hervor. | 
Aus diesen Bildern nach schwacher Säurewirkung und den 
Bildern nach starker Säurewirkung, auf welche ich später zurück- 
kommen werde, habe ich den Schluss gezogen, dass die den 
Scehiehten Q entsprechenden Glieder der Muskelsäulchen viel 
rascher und in viel höherem Grade in Säuren quellen, als die 
den Schichten N und Z entsprechenden Glieder der Muskel- 


 säulechen, und dass das verschiedene Quellungsvermögen der 


Glieder @ und der Glieder N und Z vor allem bestimmend auf 
die Bilder wirkt, welehe durch Säurewirkung von noch nicht in 
Scheiben zerfallenen Muskelfasern und Muskelsäulehen erhalten 
werden, während ein solcher bestimmender Einfluss der den 
Schiehten J und E entsprechenden Glieder der Muskelsäulchen 
nicht hervortritt, sondern das Verhalten dieser ein mehr passives 
ist. Durch eine ganze Reihe von Bildern habe ich die Richtig- 
keit dieser Voraussetzungen bestätigt gefunden. Würde man 
sich dagegen N aus der Reihe der. Glieder der Muskelsäulchen 
wegdenken, dann wären viele dieser Bilder nicht zu erklären. 
Wir kommen später bei der Besprechung der starken Säure- 
wirkung auf einzelne solcher Bilder zurück. 

Ich muss nun, ehe ich in der Vertheidigung der Streifen N 
(Nebenscheiben) fortfahre, auch darauf hinweisen, dass ich das 
Vorkommen der Streifen N einem genauen Studium unterworfen 
habe und dass dieses ergeben hat, dass die Streifen N kein con- 
stanter Befund an den Arthropoden-Muskeln sind. 

Im Gegentheile, das Vorhandensein oder Fehlen der Streifen 
N ist einem sehr grossen und anscheinend ganz regellosem Wechsel 
unterworfen. Wenn man aber eine grosse Anzahl von Thieren 
untersucht, findet man bald, dass gewisse Muskeln bestimmter 
Thiere in der Regel ausgezeichnet sind durch das Vorhanden- 
sein, dagegen andere Muskeln bestimmter Thiere ausgezeichnet 
sind durch das Fehlen der Streifen N in den jene Muskeln zu- 
sammensetzenden Fasern, dass ferner bei einzelnen Species das 
Fehlen von N, bei anderen Species das Vorkommen derselben 
die Regel ist. Als Beispiele habe ich angeführt die Dyticiden, 
bei welchen die N in der Regel fehlen, obwohl man immer auch 
an einzelnen Fasern die N vorfindet; bei den. Aphodius-Arten, 
bei Scarabaeus laticollis, bei den Geotrupes-Arten, bei den Hister- 


668 A. Rollett: 


Arten, bei Lucanus cervus, bei Stenomax lanipes ist das Vor- 
handensein der N die Regel, während das Fehlen derselben nur 
an einzelnen Fasern beobachtet wird. Solche Beispiele liessen 
sich von den Käfern noch sehr viele anführen. 

Wenn man Muskelfasern oder Fibrillen mit schön ent- 
wickelten Streifen N von Astacus fluviatilis beobachten will, 
nehme man die Muskeln, welche von den Coxopoditen der 
Scheeren- und Gehfüsse in die Thoracalsomite hineinlaufen, weil 


an diesen N ausnahmslos gut entwiekelt vorkommt, während das 


an den Scheeren- und Schwanzmuskeln nicht so der Fall ist. 

Ich habe ferner betont, dass die angeführten Unterschiede 
ebensowohl bei der Untersuchung der Muskeln von in Weingeist 
ertränkten Thieren, wie bei der Untersuchung lebender, ohne 
irgend welchen Zusatz unter das Mikroskop gebrachter Fasern 
wahrzunehmen sind. 

Bei der Untersuchung der letzteren kann man sich über- 
zeugen, dass ebenso wie an Muskelfasern, welchen die Streifen 
N fehlen, so auch an Muskelfasern, an welchen die Streifen N 
vorhanden sind, durch lange Zeit ganz energisch Contraetion und 
Erschlaffung mit einander abwechseln können. 

Mit Bezug auf alle diese Beobachtungen formulirte ich den 
Ausspruch, dass durch dieselben den Streifen N der Stempel 
schwerer Verständlichkeit aufgedrückt werde, dass aber aus den- 
selben zugleich hervorgeht, dass die Streifen N eine cardinale 
Bedeutung für den Contractionsvorgang nicht haben können. 

Es war mir darum von grossem Interesse, dass ich, ausser 
dem schon früher erwähnten ganz ähnlichen und von dem Ver- 
halten der @ beim Quellen in Säuren wesentlich abweichenden 
Verhalten der Z und N beim Quellen in Säuren, noch andere 
Hinweise auf eine Zusammengehörigkeit der Z und N auffand. 
Man erinnere sich hier an das früher angeführte Verhalten der @ 
einerseits, der Z und N andererseits bei der Färbung von Al- 
kohol-Muskeln mit Pikrocarmin. 

Ferner muss ich noch genauer eingehen auf die hier be- 
sonders in Betracht kommende Vergoldung der Muskeln nach 
Vorbehandlung derselben mit Alkohol. Die Resultate derselben 
sind ausführlich auseinandergelegt in dem zweiten Theile meiner 
Untersuchungen über den Bau der quergestreiften Muskelfasern 


EEE NE Are 


* 


Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma etc. 669 


und in meinen Untersuchungen über Contraetion und Doppel- 
brechung der quergestreiften Muskelfasern. 

An also vergoldeten Muskelfasern erscheinen die Streifen Q 
immer schön und rein roth, während die Streifen Z und die 
Streifen N blau-roth oder grau-roth, oder geradezu neutral grau 
erscheinen. 

Durch das letztere Verhalten ausgezeichnet fand ich die 
Muskeln von Astacus fluviatilis und Maja squinado. 

Ich will hier ausführlicher die Muskeln des Flusskrebses 
besprechen und von denselben zugleich den Ausgang nehmen, 
um das Verhalten der Streifen N bei der Contraetion zu erläutern. 
Zuerst aber noch die folgende Bemerkung. 

Sehr eigenthümlich ist, was Retzius über «die Muskel- 
säulchen des Flusskrebses mittheilt. Er nimmt an extendirten, 
mit Rosanilin gefärbten Muskelsäulchen dunkel gefärbte punk- 
tirte Zwischenscheiben (unsere Z), helle isotrope Bänder (unsere 
J) und schön rosagefärbte Quer- und Mittelscheiben (unsere @ 
mit h) und manchmal in den Querscheiben noch eine Reihe fei- 
nerer Querstreifen wahr. Früher schon führt er an, dass die 
Sarkosomen bei den Krebsmuskeln klein seien und dass sich 
eine regelmässige Anordnung derselben, wie bei den Käfern, 
kaum nachweisen lasse. 

„Aus dieser Darstellung“, so schliesst Retzius!) seine 
Mittheilungen über die Krebsmuskeln, „geht u. A. hervor, dass 
in den Astacus-Muskelfasern keine sog. „Nebenscheiben“ wor- 
kommen; es sind ja hier auch keine Sarkosomen vorhanden, 
welche solche Nebenscheiben vortäuschen können.“ 

Dieser Ausspruch von Retzius ist gewiss höchst merk- 
würdig, wenn man bedenkt, dass Engelmann?) Nasse?) und 
ich selbst*) die Nebenscheiben bei den Muskelfasern des Fluss- 
krebses mit, ich möchte fast sagen, greifbarer Deutlichkeit ge- 
sehen und abgebildet haben. | 

Ich sehe auch heute noch die Streifen N an Muskelfasern 
des Flusskrebses und weiss auch sicher und fern von jeder opti- 


1) l.c. pag.81. 

2) Pflüger’s Archiv Bd. 7, pag. 33, Tafel II, Fig.8 u. Fig. 24. 
3) Pflüger’s Archiv Bd. 17, pag. 282 und Holzschnitt auf p. 288. 
4) Untersuchungen, Ill. Theil, l.c. pag. 23, Tafel IV, Fig. 26. 


670 A. Rollett: 


schen Täuschung, dass die Streifen N hier, wie an allen Mus- 
keln, durch bestimmte Glieder der Muskelfibrillen bedingt sind. 

Die Streifen N sind an Muskelfasern des Flusskrebses zu 
sehen, wenn die Fasern frisch sind, wenn sie in Alkohol ge- 
härtet und im Glycerin aufpräparirt sind; sie sind an mit Häma- 
toxylin tingirten Fasern zu sehen, sie sind als doppeltbrechende 
Streifen auf Gypsgrund Roth I. Ord. und im Interferenzstreifen 
des speetral zerlegten Roth I. Ord. zu sehen und sie sind end- 
lich zu sehen an Muskeln, welche nach Vorbehandlung mit Al- 
kohol vergoldet wurden. An den letzteren wollen wir sie hier, 
wie schon gesagt, näher kennen lernen. Also vergoldete Krebs- 
muskeln lassen sich durch Zerfasern in die feinsten Fibrillen zer- 
legen und an diesen ist dieselbe Querstreifung zu sehen, wie an 
der Muskelfaser, aus welcher sie erhalten wurden. 

Fig. 7,I stellt eine solehe Fibrille aus einer erschlafften 
Muskelfaser dar. 

Die Glieder Q erscheinen roth, sie lassen drei satter ge- 
färbte Abschnitte und dazwischen zwei heller roth gefärbte Ab- 
schnitte erkennen. Die letzteren entsprechen dem an den meisten 
Muskeln einfach, bei den Krebsmuskeln aber häufig doppelt er- 
scheinenden Streifen h (Hensen’schen Streifen). Ein doppelter 
Hensen’scher Streifen wird übrigens nicht bloss an den Krebs- 
muskeln gefunden, ich habe ihn auch an Muskelfasern von Ce- 
tonia aurata, Tropinota hirta, Oxythyrea stietiea und Ragonycha 
melanura beobachtet und diese Deutung der zwei hellen Streifen 
in dem Streifen Q@ ausführlich begründet). 

Die Glieder J und E der vergoldeten Fibrille Fig. 7, I er- 
scheinen ganz blassroth, dagegen erscheinen die Glieder Z und 
N derselben grau und zwar Z sehr dunkel, N heller grau. 

Dieses Verhalten der einzelnen Querstreifen bei der Im- 
prägnation mit Gold habe ich als eine Rechtfertigung der ein- 
heitlichen Auffassung der: Glieder Q angesehen?); ferner habe 
ich hervorgehoben, dass es auf eine Verwandtschaft der Streifen 
N und Z und eine analoge Verschiedenheit derselben von den 
Streifen Q hinweist, und das steht im Einklange mit den oben 
angeführten Thatsachen. 


1) Untersuchungen, I. Theil, l.c. pag. 94; Il. Theil, pag. 64. 
2) Untersuchungen, II. Theil, l.c. pag. 66. 


Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma etc. 671 


Eine sehr bemerkenswerthe Erscheinung ist, dass bei den 
Muskeln des Flusskrebses die Streifen N immer viel heller als . 
Z, aber ganz deutlich dunkler als die Streifen E und J befunden 
werden, nicht bloss an den vergoldeten Muskeln, sondern auch 
_ an den in Weingeist gehärteten Muskeln und an den frischen 
Muskeln. | 

Es ist das wichtig für die Beurtheilung des Verhaltens der: 
Streifen N bei der Contraction. 

Bei dieser rücken nämlich die Streifen N durch Schwinden 
der Streifen E ganz an Z heran und man sieht dann den durch 
seine Helligkeit von Z wohl zu unterscheidenden Streifen N ganz 
unmittelbar an Z ansitzen. Ein Bild, welches man nicht in so 
schöner Weise beobachten kann, wenn N und Z, wie es bei Käfer- 
muskeln meistens der Fall ist, gleich hell, beziehungsweise gleich 
dunkel sind. Auch an vergoldeten Fasern ist dieses Bild aus 
den angeführten Gründen sehr deutlich. Es ist, und zwar wieder 
an einer isolirten Fibrille in Fig. 7, II dargestellt. Die Bilder, 
welche in Fig. 7, I und II dargestellt sind, zeigen uns also die 
Streifen N direet als Glieder der Muskelfibrillen des Krebses, an 
welehen nach Retzius keine Nebenscheiben vorkommen sollten. 

Um später noch andere Contraetionsbilder, welche für das 
Verhalten der Streifen N bei der Contraetion von Wichtigkeit. 
sind, besprechen zu können, will ich hier eine umfassendere Be- 
trachtung über die Veränderung der Querstreifung der Muskel- 
faser bei der Contraction einschalten. 

Es wird sich dieselbe auf meine an einem anderen Orte!) 
niedergelegten ausführlichen Untersuchungen des Contractionsvor- 
ganges an lebenden Muskelfasern und der Bilder, welche soge- 
nannte fixirte Contractionswellen darbieten, stützen. 

Ueber die sogenannten fixirten Contractionswellen, welche 
man in den Muskeln von Käfern und von Krebsen, die in Alkohol 
ertränkt wurden, sehr zahlreich auffmdet, bin ich dort zur An- 
schauung gelangt, dass ihnen nicht, wie bisher immer angenommen 
wurde, einheitlich rasch fixirte lebende Wellen zu Grunde liegen. 

Nein! Ihre Bildung erfordert eine grössere oder geringere 
Zeit, sie werden angelegt dadurch, dass eine ganze Reihe auf- 


1) Denkschrift, ete. Bd. LVIII, 1890, pag. 23. 


672 A. Rollett: 


einanderfolgender kurzer lebender Wellen successive partiell fixirt 
werden. 

Da sie nun zwar keine einheitliche Bildung, wohl aber eine 
Summe von festgelegten Theilen zeitlich aufemandergefolgter Con- 
tractionswellen sind, habe ich ihnen ihren hergebrachten Namen 
belassen. 

Die Vergleichung der lebenden und der fixirten Contraetions- 
wellen führte zu dem Schlusse, dass wir den Bildern, welche 
fixirte Oontraetionswellen darbieten, einen grossen Werth für die 
Beurtheilung der Contraetion der lebenden Fasern zugestehen 
müssen. Besonders ist die Veränderung der Querstreifung an 
fixirten Wellen der Hauptsache nach eine ganz ähnliche, wie an 
lebenden Wellen. Ich will hier unserer Betrachtung speeiell die Mus- 
keln des Flusskrebses, und zwar vergoldete  Muskelfasern, an 
welchen sich fixirte Contraetionswellen befinden, zu Grunde legen, 
während ich in den genannten Untersuchungen zwar darauf ver- 
wiesen, aber nicht ausführlich davon gehandelt habe. 

Die Betrachtung der Krebsmuskeln ist aber sehr belehrend 
und ganz besonders ist hervorzuheben, dass vergoldete Muskeln 
des Flusskrebses nicht nur in ihren erschlafften Theilen, sondern 
auch in ihren contrahirten Theilen und in den Uebergängen 
zwischen beiden sieh sehr leieht in feinste Fibrillen ‚zerfasern 
lassen. 

Zunächst kehren wir zu Fig. 7 zurück; die dort. mit I—V 
bezeichneten Fibrillen entsprechen anfänglich erschlafften, dann 
in Contraction übergehenden und endlich eontrahirten Fibrillen; 
sie sind einzeln ganz naturgetreu nach Zupfpräparaten dargestellt 
und nebeneinandergesetzt. | 

Wir sehen in Fig. ‚7, I die Streifenfflge JIJHN+E+Z 
+E+N+J+0Q u s f. einer reich gestreiften erschlafften 
Faser, in Fig. 7, II die Streifenfolge JHN+Z+ N +J + Qu. =. £. 
und in Fig. 7, III die Streifenfolge JIJ+Z2+J+0Q von der Er: 
schlaffung nahen Fasern, in Fig 7,IV die Streifenfolge J’ + Z 
+J)+0 u. s. f. eines Uebergangsstadiums und in Fig. 7, V die 
Streifenfolge C + Q@ u. s. f. der contrahirteu Fager. 

Alle diejenigen Streifen, welche an Goldpräparaten sehr 
satt gefärbt erscheinen, sind am ungefärbten Muskel bei tiefer 
Einstellung dunkel, die weniger satt gefärbten heller und am 
hellsten diejenigen, welche am wenigsten gefärbt erscheinen. 


3 3 a 


Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma ete. 673 


Die Goldbilder geben also zugleich eine gute Vorstellung 
von den ungefärbten Muskelfasern in verschiedenen physiologischen 
Zuständen und ganz etwas ähnliches lässt sich auch behaupten 
für Muskelfasern, die gut mit Hämatoxylin gefärbt wurden, denn 
‚an diesen sind alle Streifen, die mit Gold satt gefärbt erscheinen, 
auch am stärksten gefärbt, die weniger gesättigt gefärbten an 
den Goldbildern sind auch an den Hämatoxylinbildern weniger 
gefärbt und die in Goldbildern am wenigsten gefärbten sind auch 
an den Hämatoxylinbildern am wenigsten gefärbt. 

Um den Zusammenhang der in den Bildern Fig. 7, I—-V 
vorliegenden Querstreifungen und die Deutung, welche wir ihnen 
gegeben haben zu erläutern, verweise ich auf das Schema Fig. 8. 
Es entspricht einer vergoldeten fixirten Contractionswelle einer 
Muskelfaser von Astacus fluviatilis. Sie ist stark vergrössert, 
die Längsstreifung ist weggelassen und nur die Querstreifen sind 
als ununterbrochene Bänder in den Dimensionen, Entfernungen 
und Farben eingezeichnet, wie man sie wirklich sieht. 

I—XV in Fig. 8 bezeichnen 15 Muskelabschnitte oder Seg- 
mente. Ueber deren Abgrenzung orientirt man sich am besten durch 
die am Rande der Faser sichtbaren Durchschnitte der Tonnen- 
gewölbe. Die Bogen der letzteren werden vom Sarkolemma und 
einer demselben innen aufliegenden Schichte Sarkoplasma gebil- 
det!). Der höchste Punkt der Bogen liegt immer der Mitte der 
gleich später zu definirenden metabolen Schichten der Muskel- 
faser Fig. 8 u gegenüber; die Fusspunkte der Bogen fallen immer 
mit der Mitte der gleichfalls später zu definirenden arimetabolen 
Schiehten der Muskelfaser Fig. 8a zusammen. 

Unsere Abschnitte oder Segmente entsprechen dem, was 
Engelmann?) als Muskelfächer bezeichnet hat. Er geht dabei 
von dem Streifen aus, den ich mit Z und den er als Zwischen- 
scheibe bezeichnet hat. Diese Scheibe, sagt Engelmann, ist 
die festeste und theile die quergestreifte Substanz gleichsam in 
natürliche Fächer oder Etagen ab. 

Ich habe diese Bezeichnung vermieden und die obigen rein 
den Thatsachen entsprechenden Bezeichnungen gewählt, weil 
Muskelfächer ebensowenig existiren wie Scheiben oder eine 
Grundmembran (Krause). 


1) Siehe Untersuchungen, I. Theil, l. c. pag. 97 u. 9%. 
2) Pflüger’s Archiv Bd.7, pag. 37. 


674 | A. Rollett: 


Es entsprechen ferner in der erschlafften Muskelfaser unsere 
Streifen @ Fig. 8 der anisotropen Schiehte Engelmann’s, da- 
gegen unsere Streifen IHN+E+Z+E+NHI der iso- 
tropen Schichte Engelmann ’’s. 

Es ist ein hoch zu schätzendes Verdienst Engelmann’s, 
dass er, so wie er der erste war, der die reiche Streifung der In- 
seetenmuskeln genau beschrieben hat, auch zuerst das verschie- 
dene Verhalten der Streifen @ einerseits und der Streifen J+N 
+E+Z+E+ )J anderseits bei der Contraetion genauer be- 
schrieben hat. 

Mit der Bezeichnung der die Streifen JHN+E+ZHE 
+ N + J enthaltenden Schichte als isotrope Schiehte hat sich aber 
Engelmann eine seinen eigenen Beobachtungen widersprechende 
unzweckmässige Vereinfachung gestattet; um aber eine einheit- 
liche, auf das verschiedene Verhalten der Streifen @ und der 
Streifen JHN+E+Z+E+N+J bei der Contraetion hin- 
weisende Bezeichnung zu haben, werde ich dieQ@ (Engelmann’s 
anisotrope Schichten) als metabole Schichten, de JHN+E+Z 
+E+N+)J (Engelmann’s isotrope Schichten) als arimetabole 
Schiehten bezeichnen. Im Falle der weniger reichen Streifung 
werden die Q wieder als metabole, die J+Z-+ J aber als ari- 
metabole Schichten bezeichnet. 

Wir wollen nun die Veränderungen, welche die arimetabolen 
und die metabolen Schichten bei der Contraetion erleiden, an 
dem Goldpräparate verfolgen. 

In den arimetabolen Schichten rücken bei zunehmender Ver- 
kürzung der ganzen Schichte die Streifen N näher an die Streifen 
Z, heran, Fig. 8a zwischen Iu.II, Hu. III, HIu. IV und IV u.V, 
bis bei einer bestimmten Verkürzung der arimetabolen Sehichte 
der Streifen E, weleher früher zwischen N und Z vorhanden 
war, nieht mehr zu sehen, Fig. 8a zwischen Vu. VI. Schliess- 
lich vereinigt\ sich der Streifen N vollständig mit Z und es be- 
steht die arımetabole Schiehte nur mehr aus den Streifen IJ+Z 
+ J, wie das bei weniger reich gestreiften Muskeln gleich an- 
fänglich der Fall ist. 

Ganz entschieden in Abrede muss ich es tolle dass es 
vorkommen kann !), dass die Streifen N bei der Verkürzung der - 


1) Engelmann, Pflüger’s Archiv Bd.18, pag. 27. 


Eu ee 


Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma etc. 675 


Fasern auch mit Q@ verschmelzen, indem zuerst der Streifen J 
verschwindet. Ich habe immer nur das erstere, aber an sehr 
sehr zahlreichen, nach vielen Hunderten zählenden Präparaten 
niemals das letztere gesehen, und durch eine Reihe von That- 
sachen, welehe ich schon mitgetheilt habe, wird ein solches Ver- 
halten des Streifens N auch im höchsten Grade unwahrscheinlich. 

Eine sehr auffallende Veränderung tritt nun im nächstfol- 
senden Stadium in der arimetabolen Schichte auf. Man sieht 
an Stelle der hellen und wenig gefärbten Streifen J des früheren 
Stadiums zwei stark gefärbte dunkle Streifen und dazwischen 
einen hellen Streifen, der wenig mit graulichem Tone gefärbt er- 
scheint. Ich bezeiehne die dunklen Streifen mit J/, den hellen 
Streifen dazwischen mit Z/, Fig.8a zwischen VII u. VIII und 
VII u. IX und IX u. X. 

Es stellt sich nämlich heraus, dass die Streifen J’ als dun- 
kel gewordene J, die Streifen Z’/ als heller gewordene Z zu be- 
trachten sind. Entscheidend für diese Auffassung ist erstens 
das Verhalten im polarisirten Lichte, in welchem die J’ einfach 
breehend erscheinen, wie die J, die Z/ dagegen doppeltbrechend 
wie die Z, zweitens eine Thatsache, welche gleich erwähnt wer- 
den soll. Es kommt nämlich manchmal vor, dass zwischen 
dem Stadium der Veränderung, welches die arimetabole Schichte 
zwischen VI und VII Fig. 8 und zwischen VII und VIH 
Fig. 8 zeigt, noch ein Stadium eingeschaltet ist, in welchem J/ 


_ und Z’ sich so verhalten, dass J’ noch nicht ganz dunkel, dagegen 


Z’ noch nieht ganz hell erscheint. Da nun dieses Stadium, in 
welchem J’ und Z’ einander ähnlich sind, auch mit emer später 
zu besprechenden Veränderung der metabolen Schichten zusam- 
menfällt, durch welche auch diese Schichte den Schichsen J’ und 
Z’ ähnlich wird, so hat die Muskelfaser in diesem Stadium die 
undeutlichste Querstreifung. Es ist dann das sogenannte homo- 
gene Stadium der Autoren vorhanden, welches ein vor dem be- 
schriebenen Stadium J’ + Z’ + J’ gelegenes Uebergangsstadium ist. 

Ich habe aber dasselbe nicht als regelmässiges Stadium an 
fixirten Contraetionswellen von Arthropoden-Muskeln beobachtet. 
Dagegen habe ich die in Fig. 8 gezeichnete Streifenfolge J’ + Z 
+ J’ als Uebergang von den erschlafften Segmenten der Muskel- 
faser zu den contrahirten Segmenten in den meisten Fällen ge- 
sehen. 


676 A. Rollett: 


In den Zeichnungen, welehe Engelmann seinen Abhand- 
lungen !) beigiebt, finde ich die Streifenfolge + 2’ + J’ nirgends 
scharf dargestellt. Dagegen findet sich die beschriebene Streifen- 
folge J + Z°+ J’ in dem schematischen Bilde von Nasse?) an 
zwei Stellen und er giebt dazu an, dass die Endstreifen (i. e. un- 
sere J‘) der Querscheiben (i.e. unserer Q) dabei nur mehr durch 
einen schmalen Spalt, erfüllt von isotroper Substanz (i. e. unserem 
7’), von einander getrennt seien.: 

Ich habe schon angeführt, dass die dunklen Streifen J/ ein- 
fachbrechend, dagegen die hellen Streifen Z/ doppeltbreehend 
sind, woraus sich am besten die unrichtige Auslegung des von 
Nasse richtig gesehenen Stadiums ergiebt. Im weiteren Verlaufe 
der Contraetion lässt Nasse, wie ich gleich anführen will, den 
schmalen Spalt zwischen den Endstreifen der Querscheiben immer 
enger werden und endlich verschwinden, worauf die Endstreifen 
der Querscheiben zu dem von Nasse als Contraetionsstreifen be- 
zeichneten Streifen verschmelzen. Nach unserer Darstellung würde 
das heissen, es verschwindet das helle Z/ zwischen den dunklen 
J‘ und die letzteren verschmelzen zum Contraetionsstreifen; wenn 
wir letzteren mit © bezeichnen, so liesse sich sagen, an Stelle 
der Streifenfolge J’ + 2’ -+ J/ tritt m den arimetabolen Schichten 
der dunkle Streifen C Fig.8o zwischen Xu. XI, XIu.XII, XI 
und XIII ete. und das ist in der That auch die Anschauung, zu 
der ich durch genaue Verfolgung der Uebergänge an fixirten 
Contraetionswellen gelangt bin. 

Wir gehen nun über zu den metabolen Schichten. Diese 
zeigen Anfangs nur wenig Veränderung, sie verkürzen sich ver- 
hältnissmässig weniger als die arimetabolen Schichten, wie in Fig. 8 
zu ersehen ist. 

Endlich ändert sich aber auch das Aussehen der metabolen 
Schiehte, sie wird heller, die früher bestandene Differenzirung 
zwischen den satter gefärbten Partien und den hellen h schwin- 
det und in der Mitte der veränderten metabolen Schichte tritt 
ein schlecht begrenzter dunklerer Streifen auf, welchen ich mit 
m bezeichnet habe, Fig. 8 VIlu, VIHlu, IXyu, Xu u. s. f.; für die 
veränderte metabole Schiehte gebrauche ich die Bezeichnung Q/. 


1) Pflüger’s Archiv Bd.7, pag.155, Tafel III, Fig.1 und Bd. 18, 
pag.1, Fig. 1, 2, 4 und 5. 
2) Pflüger’s Arch. Bd, 17, Pag!288, 


Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma ete. 677 


Ich habe auf Grund dieser Beobachtungen unterschieden: 
1. Das Anfangs- oder Ruhestadium des erschlafften oder der 

Erschlaffung nahen Muskels mit der Streifenfolge JHN + E+Z 
+ E+N+)J oder der Streifenfolge J + Z-+ J in den arimeta- 
bolen Schiehten und dem Streifen @ (mit h) in den metabolen 
Schichten. 

2. Das Uebergangsstadium in seinen verschiedenen Erschei- 
nungsweisen mit der Streifenfolge J’ + Z’+J’ im den arimeta- 
bolen Sehiehten und dem Streifen @ (mitm) in den metabolen 
Schichten. 

| 3. Das Contractionsstadium mit den Streifen C in den 
- arimetabolen und den Streifen @ (mit m) in den metabolen 
Schichten. 

Zur weiteren Beleuchtung der Unterscheidungsgründe dieser 
drei Stadien muss ich noch einiges bemerken. Ich habe schon 
in dem ersten Theile meiner Untersuchungen !) angeführt, dass 
sie eine Darstellung der Querstreifung der Muskelfasern der In- 
secten im erschlafften oder der Erschlaffung nahen Zustande 
enthalten. Es ist aber selbstverständlich, dass das, was nicht 
ganz erschlafft ist, in einem mässigen Zustande der Contraction 
sich befindet und man könnte daher solche Muskelfasern auch 
als dem contrahirten Zustande nahe bezeichnen. Und es wäre 
ganz zweckmässig, für denselben Verkürzungszustand des Muskels 
einmal die eine und das andere Mal die andere Bezeichnung zu 
wählen, wenn man einmal den Uebergang in die Contraction, 
das andere Mal den Uebergang in die Erschlaffung oder bei le- 
benden Contraetionswellen das eine Mal die im Anfange, das an- 
dere Mal die im Ende der Welle befindlichen Theile der Faser 
im Auge hätte. Um diese Unterscheidungen soll es sich aber 
bei der Aufstellung unserer früheren Stadien nicht handeln. 

Die erschlaffte Muskelfaser zeigt eine ganz bestimmte Folge 
von Querstreifen. In allen Fällen, in welchen, abgesehen von der 
verschiedenen Breite und dem Fehlen einzelner dieser Streifen, 
die an der Faser vorhandenen Streifen wesentlich dieselbe mi- 
kroskopische Beschaffenheit aufweisen wie die Streifen der er- 
schlafften Muskelfasern, sprechen wir allein aus diesem mikros- 
kopischen Grunde von der Querstreifung der erschlafften oder 


I 1) l.c. pag. 83. 


678 Ateillert 


der Erschlaffung nahen Muskelfaser ; wenn dagegen die mikros- 
kopische Beschaffenheit der Querstreifen bei eontrahirten Muskel- 
fasern einmal wesentlich geändert erscheint, ist von der Quer- 
streifung des Uebergangsstadiums oder der contrahirten Faser 
die Rede. 

Mit den Thatsachen, welche wir über die Veränderung der 
Querstreifung bei der Contraetion an den Fibrillen der Krebs- 
muskeln und an der in Fig. 8 dargestellten Contractionswelle kennen 
gelernt haben, stimmen auch die Beobachtungen überein, welche 
man an einer Abart dieser Wellen, den seitlichen Contractions- 
wellen, machen kann. 

Eine Beobachtung Föttinger's!) weiter verfolgend, habe 
ich gefunden ?), dass man solche seitliche Contractionswellen 
immer 'in grosser Menge und Mamnigfaltigkeit an den Muskeln 
von in Alkohol ertränkten Chrysomeliden findet. Man weiss durch 
Föttinger, dass sich bei diesen Käfern die seitlichen Wellen 
an jenen Wellen der Muskelfasern bilden, wo Doyere’sche Hügel 
aufsitzen. Sucht man an solchen Muskeln eifrig, dann gelingt es 
allerdings mit nicht geringer Mühe und Schwierigkeit, solche seitliche 
Wellen zu finden, an welchen sich die Uebergänge von contra- 
hirten zu erschlafften Theilen in derselben Einstellebene verfolgen 
lassen. Alle seitlichen Wellen, die man findet, eignen sich aber 
nicht dazu und darin liegt eben die Schwierigkeit. 

Eine mit Hämatoxylin tingirte seitliche Welle von Cassida 
equestris habe ich in Figur 9 abgebildet. Es sind in derselben 
von den erschlafften gegen die contrahirten Theile hin die Ver- 
änderungen, welche die arimetabolen und die metabolen Schichten 
bei der Contraetion erleiden, in ein und derselben Schichte zu 
verfolgen. 

Mit Bezug auf das Verhalten der Streifen N bei der Con- 
traction ist die Vereinigung derselben mit Z hervorzuheben. Fer- 
ner ist bemerkenswerth die Gabelung, welche man beim Ueber- 
gange der Contractionsstreifen in die Streifenfolge /+Z+J 
wahrnimmt. | 


1) Onderzoek. Ged in het physiol. Labor. d. Utrecht. Hoogeschol. 
A. d. F. C. Donders en Th. W. Engelmann. Derd. Reeks V, 
1880, pag. 293. 

2) Untersuchungen, I. Theil, l.c. pag. 26 u. d. £. 


Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma etc. 679 


Diese Gabelung ist auch von Föttinger an einer seit- 
lichen Contraetionswelle von Passalus glaberimus sehr gut dar- 
gestellt worden. 

Ziehen wir nun aus unseren Untersuchungen über die mi- 

kroskopischen ‚Vorgänge bei der Contraction eine Folgerung für 
die Streifen N, so lautet dieselbe wieder: die Streifen N sind 
eben so gut wie die Streifen @, J, E und Z durch besondere 
Glieder der Muskelsäulchen bedingt. ’ 

Ich muss nun noch, wie ich schon angekündigt habe, auch 
auf die Veränderungen eingehen, welche starke Wirkung einer 
Säure an den Muskelfasern hervorbringt. 

Ich habe in meinen Untersuchungen !) die Versuche darüber 
ganz absichtlich mit solchen Muskeln begonnen, welche die reiche 
Streifung, also die Streifenfolge ZH E+N+J+Q+J-+N 
+ E+Zu.s.f. darboten. Es wird gut sein, wenn ich mich 
hier besonders genau an die Darstellung halte, die ich im Jahre 
1880 gegeben habe. 

Sobald der Säurestrom (1°/,ige Ameisensäure) sich über 
die Muskelfasern ergiesst, quellen dieselben beträchtlich und wer- 
den dabei blasser, das gilt namentlich von der Schichte @. Die 
Schichten N und Z bleiben anfänglich in Bezug auf Verbreiterung 
hinter Q zurück, so dass die Faser entsprechend den Schichten 
N und Z eingeschnürt erscheint. Die Schichten @ erscheinen in 
der gequollenen Faser höher, die Schichten N und Z dagegen 
aufeinandergedrängt. Nun folgen aber auch die so veränderten 
Schiehten N und Z der wachsenden Ausdehnung der Schichten 
Q in die Breite und es stellt sieh ein Bild her, welches leicht 
für das Bild einer Muskelfaser mit sehr dunklen Streifen N ge- 
halten werden könnte, siehe Fig. 10, welches aber in Wirklich- 
keit ganz anders zu deuten ist. 

Man sieht statt der früheren dunklen Elemente der Schichten 
N dunkle runde oder etwas längliche Gebilde, Fig. 10, 1, Iu. s. f., 
die wie neben einanderliegende Körner aussehen. Durch die 
Schichten @ laufen feine dunkle Linien, welche je zwei dieser 
Knoten der Länge nach verbinden, Fig. 10. Zwischen den im 
Zwischenraum je zweier aufeinander folgender Q liegenden Quer- 


BurzEnei L.e. pag: 115. 


680 A. Rollett: 


= 
reihen von Knoten I erscheint in einer verdunkelten Schichte 
noch deutlich der Streifen Z. 

Ein weiteres Stadium der Veränderung durch Säurewirkung 
ist m Fig. 11 von derselben Muskelfaser dargestellt. Die @ sind 
noch weiter gequollen und in der Mitte derselben tritt eine Tren- 
nung des Zusammenhanges auf. Es stellt sich der von mir aus- 
führlich beschriebene Scheibenzerfall in Säuren her, die Scheibe 
a ist schon völlig isolirt, b, e und d nur theilweise, da sie rechts 
noch ein wenig zusammenhängen. 

Nachdem wir diese Veränderung der Muskelfasern besprochen, 
kehren wir noch einmal zu dem Bilde Fig. SB zurück, welches 
aus in Alkohol in Scheiben zerfallenen Aphodiusmuskeln durch 
schwache Säurewirkung entstanden war. | 

Wir lassen auf solche Bilder die Säure nun stark, das ist 
länger und unter öfterer Erneuerung durch Drainage, einwirken. 

. Dabei beobachtet man, dass auch die N in dem inneren Felde 
(der Figur sich verbreitern. Dabei ändert sich aber auch bald das 
Ansehen des den N entsprechenden Mosaiks. Die Aenderung 
besteht darin, dass die dunklen Felder des Mosaiks immer grös- 
ser und heller werden, dagegen wird das früher helle Geäder 
zwischen den Feldern immer dunkler, so dass bald helle Felder 
von einem dunklen Geäder umgeben vorhanden sind. Es ist das 
das bekannte Bild, welches mit Säure behandelte Muskeln auf 
dem Querschnitte zeigen und welches eben so auch an vergolde- 
ten Muskeln zu sehen ist, bei welchen die Felder weiss, das Ge- 
äder roth erscheint. Die Seitenansicht der in Säuren also ver- 
änderten Scheiben gleicht dann völlig der Seitenansicht der Schei- 
ben in Fig. 11. 

Man könnte nun, so schrieb ich im Jahre 1885, die Seiten- 
ansicht, welche hier m Fig. 11 zu sehen ist, leicht mit der 
Seitenansicht, welche in Fig. 6 von den Scheiben N+E+Z 
+ E+N zu sehen ist, verwechseln und „die Querreihen I von 
dunklen Knoten für die Elemente (Stäbe) der Schichten N halten, 
während sie in der That etwas ganz anderes sind“. 

Die Querreihen von dunklen Knoten gehören dem Sarko- 
plasma an, welches neben den in Säure gequollenen Muskelsäul- 
chen das besprochene Ansehen annimmt. 

Da ich im Jahre 1885 absolut nicht ahnen konnte, dass 
ich die hier angezogenen Säurebilder im Jahre 1891 zur Ver- 


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In N - e i 


Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma etc. 681 


theidigung der Streifen N (Nebenscheiben) werde heranziehen 
müssen, wird es meinen folgenden Darlegungen zu Gute kommen, 


‚dass ich schon im Jahre 1885 auf diese Bilder und ihre gefähr- 


liche Beziehung zu der reichen Streifung der Muskelfasern ‚auf- 
merksam gemacht habe. 

Bald nachdem ich die im Eingange erwähnte Arbeit von 
Retzius erhalten hatte, beschäftigte ich mich auch mit der An- 
fertigung von Präparaten der quergestreiften Muskelfasern von 
Käfern nach dem Vorgange von Retzius. Ich habe zwar nicht die- 
selben Käfer untersuchen können, die Retzius untersuchte, und na- 
mentlich nicht Orycetes nasicornis, da dieser jetzt nicht lebend zu 
haben war, ich habe aber eine Reihe von Carabiden: Megadon- 
tus violaceus, Pterostichus transversalis, Platynus angusticollis und 
albipes, Amara communis und ferner Dytieus margimalis unter- 
sucht. 

Ich fand, dass die Bilder, welche man von den Muskeln 
erhält, wenn man sie behandelt mit Chrom-Osmium-Essigsäure- 
Gemisch, welches weniger Osmiumsäure enthielt, als das Gemisch 
Flemming’s, sehr verschieden sind je nach der Zeit, während 
welcher sie in diesem Gemische verweilen. 

Es hätte aber langwierige Studien erfordert, zu welchen 
mir jetzt die Zeit mangelt, wenn ich mich ganz entschieden über 
diese verschiedenen Bilder sollte äussern können. 

Nach bestimmtem Verweilen der Muskeln in jenem Gemische 
und Färbung derselben mittelst Rosanilin und Einschliessen in 
Kaliacetat erhielt ich aber Bilder mit den von Retzius beschrie- 
benen Körnerreihen zu beiden Seiten des Streifens Z. Diese 
Körnerreihen gehören, wie Retzius angiebt, dem Sarkoplasma 
an und man wird sofort an die Bildungen erinnert, welche in 
den Figg. 10 und 11 dargestellt sind. 

Man sieht, wie das auch Retzius angiebt, an solchen Mus- 
kelfasern auch in dem Sarkoplasma unter dem Sarkolemma stark 
gefärbte Klümpcehen und solche stark gefärbte Klümpehen treten 
auch in den Knotenreihen I, vergleiche Figg. 10 und 11, auf. 
Zerzupft man die Muskeln, dann kann man solehe Klümpehen 
frei zwischen den sichtlich gequollenen Muskelsäulchen beob- 
achten. 

Ich besitze noch zu wenig Erfahrung, um mich über die 
Provenienz dieser Klümpchen genauer aussprechen zu können. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 45 


683 A. Rollett: 


Dass dieselben mit den Körnehen identisch sind, die man überall 
im Sarkoplasma von frischen Muskeln und von- Weingeistmuskeln 
beobachtet und welche ich selbst vielfach abgebildet habe, kann 
ich für keine ausgemachte Sache ansehen. Die gefärbten Klümp- 
chen in den mit Chromosmium-Essigsäure, Rosanilin und Kaliacetat 
behandelten Muskeln erscheinen um Vieles grösser. Man kennt 
aber eben die Wirkung aller dieser Reagentien auf die Körnchen 
des Sarkoplasmas noch zu wenig. 

Zum Schlusse möchte ich noch ein paar Worte über die 
interecolumnaren Spaltenräume von Retzius vorbringen. 

Retzius!) führt darüber das folgende an: „sie sind zwar 
in der lebenden und nicht erhärteten Muskelfaser nicht sichtbar 
und an Säure- und Goldpräparaten verschwinden sie durch An- 
schwellung der Säulchen (resp. Fibrillen), lassen sich aber bei 
der Anwendung der gewöhnlichen Erhärtungsmethoden mehr oder 
weniger deutlich demonstriren.“ 

Dieser Ausspruch von Retzius scheint mir denn doch sehr 
dazu aufzufordern, an die Existenz der intercolumnaren Spalten- 
räume im lebenden Muskel noch eifrig die Sonde der Kritik an- 
zulegen. 

Am wichtigsten hierfür scheint mir das Querschnittsbild 
frischer, ganz ohne Zusatz unter das Mikroskop gebrachter Muskel- 
fasern zu sein. Wie man sich solehe Querschnittsbilder von 
Käfermuskeln verschaffen kann und dass man an denselben die 
Muskelsäulchen ebenso von dem enge anliegenden Sarkoplasma- 
geäder umschlossen sieht, wie an Säure- und Goldbildern, habe 
ich in meinen Untersuchungen ?) auseinandergesetzt. 

Ferner habe ich?) die Querschnittsbilder frischer Flossen- 
muskeln des Seepferdehens beschrieben und abgebildet; auch auf 
diesen werden die Muskelsäulchen dicht vom Sarkoplasma umgeben. 

Hier habe ich aber gesehen, dass nach länger dauernder 
Applikation von 1°/, Osmiumsäure sich die Muskelsäulchengruppen 
mit hellen Säumen umgeben, und durch die die Muskelsäulchen- 
sruppen und das Sarkoplasma trennenden hellen Säume liefen 
noch zarte Bälkchen von Sarkoplasma, welche sich in die die 


1).1. & page. TI undr73, 
2) II. Theil, 1. ec. pag. 44. 
3) Dieses Archiv Bd. XXXII, pag. 247 und 248, 


Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma ete. 6883 


= 


‚äulchen einer Gruppe trennenden Sarkoplasmabälkchen fort- 
etzten. Man hatte hier den Eindruck, dass sich die Muskel- 
äulchen durch Schrumpfen von Sarkoplasma zurückgezogen 
ıaben. 

Endlieh muss ich hervorheben, dass an allen in Weingeist 
rehärteten Muskeln von Käfern, Hymenopteren, Museiden und 
<rebsen und besonders auch an in Weingeist gehärteten Flossenmus- 
xeln von Seepferdehen, von welchen allen ich überaus zahlreiche 
Juerschnitte mit Hämatoxylin gefärbt und ungefärbt untersuchte‘), 
mmer nur gesehen wurde, dass die Muskelsäulchen ebenso dicht 
vom Sarkoplasmageäder umschlossen sind, wie an frischen Mus- 
keln und an mit Säure behandelten oder vergoldeten Muskeln. 

Von den Flossenmuskeln des Seepferdehens habe ich ganz 
besonders in genau der Wirklichkeit entsprechenden relativen 
Grössen in Fig. 1, Tafel VII, in Fig.7, Tafel VIII und in Fig. 9, 
Tafel VIII (Bd. XXXII dieses Arch.) der Reihe nach dargestellt: 
(Querschnitte von in Säure stark gequollenen, vergoldeten Muskel- 
fasern; von in Alkohol stark geschrumpften, mit Hämatoxylin 
gefärbten Muskelfasern und von in der Mitte zwischen beiden 
liegenden frischen Fasern. Man sieht auf allen die Muskel- 
säulchen von dieht anliegendem Sarkoplasma umschlossen. 

Zum Schlusse. wiederhole ich nur, was ich schon oft, um 
Missverständnisse nicht aufkommen zu lassen, betont habe, dass 
dem Sarkoplasma selbst noch eine feinere Structur zukommt. 
Auf die Wahrscheinlichkeit, dass diese Structur eine körnig 
fibrilläre ist, weisen auch die Untersuchungen von Retzius 
wieder hin. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXVI. 


Fig. 1-4 Muskelfasern, untersucht mittels des Speetropolarisa- 
tors. Dieselben sind gelagert über den dunklen Interferenzstreifen des 
spectral zerlegten Roth 1. Ordnung. 


1) Untersuchungen, LE, Theil, 1.€ pa2:23 u... Raid I und 
Tafel II, Fig. 11 A. 


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IL 


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©. 10. 


e. 11. 


A. Rollett: Ueber die Streifen N (Nebenscheiben) ete. 


Eine Muskelfaser von Lucanus cervus. 

Eine Muskelfaser von Onthophagus taurus. 

Scheibenzerfall in Alkohol einer Muskelfaser von Opatrum 
sabulosum. 

Scheibenzerfall in Alkohol einer Muskelfaser von Scarabaeus 
laticollis. 

A eine in Alkohol in Scheiben zerfallene Muskelfaser von 
Aphodius rufipes nach schwacher Säurewirkung; B eine Scheibe 
von der Fläche gesehen. | 

Eine in Alkohol in Scheiben zerfallene Muskelfaser von Apho- 
dius rufipes nach schwacher Säurewirkung. 

Vergoldete Muskelfibrillen von Astacus fluviatilis in verschie- 
denen physiologischen Zuständen. 


Schema einer vergoldeten Contractionswelle von Astacus 


fluviatilis. 

Seitliche Contractionswelle von Cassida equestris mit Häma- 
toxylin gefärbt. 

Muskelfaser von Staphylinus caesareus nach starker Säure- 
wirkung. 

Scheibenzerfall in Säure von einer Muskelfaser von Staphy- 
linus caesareus. 


Graz, April 1891. 


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685 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 
H. Theil). 
Von 


W. Flemming in Kiel. 


Hierzu Tatel XXXVIII, XXXIX und XL. 


Inhalt: 


Untersuchungsverfahren. 

. Ein muthmaassliches Aequivalent der Zellplatte bei Vertebraten. 
Veränderung im Zellkörper während der Mitose. 

Ueber die Attraetionssphären und Centralkörper in thierischen 
- Gewebszellen und Leucocyten. 

E. Zur Mechanik der Zelltheilung, und über die Entstehung der 
Kernspindel in Gewebszellen des Salamanders. 


ars 


A. Untersuchungsverfahren. 


| Mit dem Verfahren für Verdeutliehung der chromatinlosen 
Strueturen und der Centralkörper, das ich neulich in diesem 
Archiv beschrieb?), habe ich auch die Mitose, und insbesondere 
die Verhältnisse der Spindelfigur bei Amphibien näher studirt 
und einiges Neue darüber ermittelt. Um so klare Objecte als 
möglich zu haben, suchte ich dazu die grössesten und zugleich 
plattesten Zellen aus, die der Körper der Salamanderlarven dar- 
bietet: solehe sind die Epithelzellen wie auch viele Bindegewebs- 


1) Fortsetzung zu der Arbeit in diesem Arch. Bd. 29, 1887, S. 389. 

2) Bd. 37, Heft 2, März 1891, S.249, am Schluss. — Da die Me- 
thode, wie dort erwähnt, genau abgepasst sein will und auch so ziem- 
lich wechselnde Ergebnisse liefert, theile ich hier noch Genaueres dar- 
über mit. Bei folgender Behandlung habe ich die besten Erfolge und 
die wenigsten Fehlschläge gehabt: 

Vorbehandlung der Objecte wie a. a.O. angegeben. Sie kommen 
in die Safraninlösung (wenige cem) auf 2—-3 Tage (Färbung in der 
Wärme hat mir bis jetzt keinen Unterschied ergeben). Nach Ab- 


686 W. Flemminse: 


[e) 


zellen in der wachsenden Lunge bei jüngeren Larven — Thiere 
bis höchstens 4cm Länge — und Endothel- und Bindegewebs- 


zellen des parietalen Bauchfells und der Mesenterien. Aeltere 


waschen in dest. Wasser werden sie mit absolutem Aleohol, dem ganz 
wenig (höchstens 1/iooo) Salzsäure zugesetzt ist, ausgezogen, bis sich 
wenig Farbe mehr löst; sehr dünne Objecte (Bauchfell) habe ich auch 
oft mit gleichem Erfolg in neutralem Alcohol ausgezogen. Nach kur- 
zem Waschen mit Aq. dest. kommen dann die Objecte auf 1—3 Stunden 
in die Gentianalösung (geringes Quantum genügend); dann wieder 
nach kurzem Waschen in Wasser in concentrirte oder doch ziemlich 
starke wässerige Orangelösung, in der sich Farbe aus ihnen löst. Aus 
dieser werden sie (nach wenigen Minuten oder, bei sehr dünnen Ob- 
jeeten, auch früher), während noch blaue Farbwolken herausgehen, in 
absoluten neutralen Alcohol übertragen, worin sie anfangs eine Misch- 
farbe von Braungelb und Violett, dann mehr reines Violett abgeben. 
Noch während Reste dieser Farbe austreten, werden sie in ein anderes 
Schälchen mit absolutem Alcohol, und nach kurzem Verweilen darin, 
auf Nelkenöl oder Bergamottöl übertragen. Auch hierin (in Berga- 
mottöl weniger) gehen noch leichte Farbwolken heraus; am besten, 
bevor dies ganz aufgehört hat, wird in Lack eingeschlossen. Wie im 
Text erwähnt, bekommt man zwar so zuweilen ungleiche Färbungen, 
stärkere Reste von Orange in den einen Kernen und Zellen, während 
andere davon fast frei sind; aber andererseits, wenn man so lange 
wartet, bis sich keine Farbe mehr löst, findet man auch meistens die 
Centralkörper und Spindeln schon entfärbt und ganz blass. Auf das 
Abpassen der kurzen Zeit, wo diese Dinge gerade noch Farbe halten, 
kommt es an. 

Das Orange ist Orange G, von Herrn Dr. Grübler bezogen 
(nach dessen gütiger Mittheilung eingeführt von Meister, Lucius 
und Brüning in Höchst, später auch von der Actiengesellschaft für 
Anilinfabrication, Berlin). Es ist das Natronsalz der Anilin-azo-ß-Naph- 
toldisulfosäure, seine Lösung in Wasser reagirt sauer. Ob sich auch 
andere Orange-Marken für das Verfahren eignen, habe ich noch nicht 
probirt. 

Das Safranin wende ich bei dieser wie bei anderen Färbungen 
in starker dunkler Lösung an, die mit etwas Anilinwasser versetzt 
wird, falls sie nicht nach längerem Stehen schon stark nach Anilinöl 
riecht. Die Lösungen mache ich meist alcoholisch und setze etwa die 
Hälfte Wasser zu, wie ich bei der ersten Empfehlung dieses Farbstoffs 
(dieses Archiv 1881, S. 317 ff.) angab; man lässt dann die Lösung beim 
allmählichen Gebrauch durch Verdunsten Alcohol verlieren oder kann 
auch noch Wasser zusetzen, kann auch mit rein wässerigen Lösungen 
färben. Auf ein bestimmtes Verhältniss zwischen Wasser- und Alcohol- 
gehalt, auf das Einige Werth gelegt haben, scheint es mir nicht anzu- 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle, 687 


Larven sind weniger geeignet, weil hier, namentlich in der Lunge, 
das Gewebe bald klein- und dichtzelliger und die rasch wach- 
senden Capillarennetze störend werden. Ueber die Präparation 
‘ dieser Theile habe ieh schon an anderem Orte (dieses Archiv 
1889: Ueber Theilung von Pigmentzellen etc.) berichtet. Für 
die Lunge setze ich hinzu, dass für ihre rasche und gute Fixirung 
das vorherige Aufschneiden der Leibeshöhle und leichtes Her- 
vorzerren der Eingeweide unbedingt nöthig ist, damit die Lösung 
gleich an die Lunge kommt. Damit nicht durch Muskeleontrac- 
tion im Absterben Lunge und parietales Bauchfell in Falten ge- 
härtet werden, tödte ich die Larven erst durch ganz kurzes Ein- 
legen in Osmiumgemisch ab, öffne dann erst die Bauchhöhle und 
lege die Larve wieder in die Lösung. Von den Lungen gelingt 
übrigens nicht jedes Präparat, manchmal finden sie sich in ge- 
falteter Form gehärtet und dann sind sie meistens nicht zu brau- 
chen; sie müssen so fixirt sein, dass sie flach zusammengedrückt 
und ihre Wände fast eben liegen. Man kerbt dann auf einer 
Glasplatte mit einem scharfen Scalpell beiderseits ein schmales 
Streifehen des Lungenrandes ab, so dass die gegenüberliegenden 
planen Wände sich von einander ablösen und als dünne Flächen- 
präparate benutzen lassen. 

Von Sehnittpräparaten habe ich bei dieser Arbeit absicht- 
kommen, nur überwiegender Aleoholgehalt scheint mir weniger gute 
Färbungen zu liefern. 

Das Gentianaviolett wende ich in sehr dunkler wässeriger Lö- 
sung an. 

Die Färbung der Centralkörper und Spindelfäden ist mir auch 
an Präparaten, die nach der Osmiumgemisch-Behandlung ?/, Jahre in 
Wasser-Alcohol-Glycerin aufbewahrt waren, noch recht gut gelungen; 
über längere Zeiten besitze ich noch keine Erfahrung. Besonders 
guten Erfolg hatte ich an Material, das gar. nicht in Alcohol ge- 
wesen war. 

Das eben erwähnte Gemisch von Wasser-Alcohol-Glycerin brauche 
ich vielfach, um Präparate nach verschiedener Fixirung, die in blossem 
Alcohol zu hart werden oder schrumpfen würden, längere Zeit aufzu- 
bewahren, damit man dann noch die Wahl hat, sie nach kurzer Ma- 
ceration in reinem Wasser durch Zerzupfen zu zerlegen oder mit 
Nachhärtung in Alcohol für Schnitte zu benutzen. In einer Mischung 
der drei Bestandtheile zu ungefähr gleichen Theilen halten sich Prä- 
parate, die mit Ösmiummischungen fixirt sind, nach meinen Erfahrungen 
besser färbbar, als in reinem Alcohol. 


688 3 W. Flemming: 


lich zunächst abgesehen, da es für ihren Zweck jedenfalls besser 
ist, die ganze, als die eventuell angeschnittene Zelle vor sich zu 
haben und da die hier untersuchten Objeete völlig dünn genug 
sind, um Schnitte entbehrlich zu lassen. 

Während die Präparate, die mit Hermann’scher Lösung 
fixirt sind, sich durch scharfe Darstellung der Spindel, Central- 
und Polkörper besonders hervorthun, leisten sie mir in der natur- 
getreuen Erhaltung der cehromatischen Figur und der ruhenden 
Kerne nicht so Gutes, wie mein Gemisch — so wenigstens an 
den hier behandelten Geweben und überhaupt an Plattenepithelien, 
Endothelien und Bindegewebszellen!). Man findet an ihnen 
bei den Kernfiguren wie bei den ruhenden Kernen häufig erheb- 
liche Verzerrungen und Verbackungen, die an meinen hier be- 


sprochenen Präparaten — welche ja ohne jede Durchschmelzung 
gemacht sind — nicht der Nachbehandlung, sondern nur dem 


Fixirmittel zur Last fallen können. Ich wollte dies bemerken, 
damit man nicht von dem für seinen Speeialzweek vortrefflichen 
Hermann'schen Reagens auch alles Uebrige. erwartet. Wo es 
auf diesen Zweck ankam, habe ich dasselbe vor der Chromessig- 
osmiumsäure bevorzugt, doch auch mit dieser, in Form der 
schwächeren Lösung und bei nicht zu schwachem Essigsäure- 
sehalt, recht gute Hervorhebung der Spindeln und der Central- 
und Polkörper erreicht. — Darüber, dass man die Centralkörper 
der Leucoeyten. auch mit Chromsäure deutlich machen kann, 
vergl. unten. | 

Wie ın ‚der Anmerkung oben gesagt ist, erhält man bei 
der Orangebehandlung und beim Ausziehen in Alcohol nicht 
selten Präparate, in denen die einen Kerne noch Orangefärbung 
zeigen, die anderen nicht, ja zuweilen finden sich in denselben 
Kernen einzelne dunkelgelbe diffuse Orangeflecke, während der 
grösste Theil der Kernstructur von dieser Farbe schon frei ist. 
Solche Präparate sehen natürlich sehr wenig elegant aus, man 


1) Am Hoden, wo Hermann seine Lösung vorzüglich gebraucht x 


hat, sind die Resultate derselben viel besser, wie ich nach eigenen 
Untersuchungen bestätigen kann. Dies ist keine besondere Merkwür- 
digkeit, da ja die Gewebe der Genitalorgane auch gegen sonstige 
Reagentien sich von anderen Geweben abweichend verhalten (vgl. 
Zellsubstanz, Kern- und Zelltheilung, $. 34 u. a.). 


De, 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 689 


thut aber gut, sie für das Studium der Centralkörper in ruhenden 
Zellen, sowie der Zwischenkörper mit zu benutzen, denn manch- 
mal sind diese gerade in solehen Objeeten besonders scharf 
_ tingirt. 

Für die Verdeutlichung der achromatischen Spindel und 
der Polstrahlungen hat Rabl ein Verfahren!) empfohlen, das die 
Fasern derselben in vorzüglicher Schärfe sehen lässt. Nach dem 
Eindruck, den ich bei Nachprüfungen erhalten habe, muss ich 
aber doch finden, dass ich von diesen Dingen mit dem Orange- 
verfahren mehr sehe. Denn bei der Rabl’schen Methode 
können die Objeete nur in sehr schwach lichtbrechenden Flüssig- 
keiten untersucht werden, und darin haben die Fäden solchen 
Glanz, werfen so viele Reflexe, dass — soweit wenigstens meine 
Erfahrung reicht — eine genaue Feststellung ihres Verlaufs nur 
an besonders günstigen Stellen gelingt. Eben darum habe ich 
nach einem Mittel gesucht, durch das man Spindelfäden, Linin- 
fäden des Kerns und Zellstrueturen stärker färben kann, als es 
bei Hämatoxylinbehandlung gelingt, um sie dann im aufgehellten 
Object zu untersuchen. Dies leistet das Orangeverfahren und 
erlaubt zugleich dauernde Aufbewahrung in Balsam. Nur für 
die frühesten Anfangsstadien der Spindel im eben sich lockernden 
Spirem (wie Fig. 22—23, 31) gilt dieser Vorzug nicht, wenig- 
stens ist es mir noch nicht gelungen, damit in diesen Phasen 
die hblassen Stränge zwischen den Knäuelfäden und die ersten Pol- 
strahlungen stärker gefärbt zu erhalten, als man dies auch mit 
dem früher von mir dafür empfohlenen Mittel (Chromessigsäure- 
Hämatoxylin) erreichen kann. 

Die Nuance der Färbung bei dem Orangeverfahren ist, wie 
schon a.a. 0. kurz erwähnt war, für die Spindelfäden und (in 
schwächerem Grade) Zellstructuren wechselnd, blass rothbraun, 
graubraun, grau, in besonders günstigen Fällen violett; für die 
Centralkörper, Polkörper und Zwischenkörper bei starken Graden 
braunviolett bis schwarzbraun, bei schwachen roth. Es handelt 
sich also hier keineswegs um eine Separatfärbung irgend welcher 
Dinge durch Orange, überhaupt um keine „Dreifachfärbung“ im 


1) C. Rabl, Ueber Zelltheilung. Anat. Anzeiger 1889, Nr. 1. 
(Behandlung mit Platinchlorid, Kernfärbung, Untersuchung in Methyl- 
alkohol.) Ich sehe allerdings in Wasser so ziemlich das Gleiche. 


60 W. Flemming: 


eigentlichen Sinne, sondern um eine Mischwirkung der drei ver- 
wendeten Farbstoffe auf dieselben Strueturen. Es ist mir für 
jetzt keineswegs verständlich, wie diese zu Stande kommt und 
weshalb sie schwankend ist. Ich theile das Verfahren nur des- 
halb hier so genau mit, weil es eben genau gehandhabt sein 
will, und möchte es keineswegs präconisiren, sondern hoffen, dass 
sich noch einfachere und sicherere Mittel für den gleichen Zweck 
finden werden; für jetzt aber leistet mir dafür kein anderes so- 
viel wie dieses. 


B. Ein muthmaassliches Aequivalent der Zellplatte bei 
Vertebraten!). 


In den späteren Dispiremphasen, zur Zeit, wo die Tochter- 
zellen sich eben von einander abgeschnürt haben, fällt bei der 
besprochenen Dreifachbehandlung ein kleiner scharf gefärbter 
Körper auf, der gerade an der Abschnürungsstelle beider Zellen 
gelegen ist (Fig. 11—15a, Tafel XXXVII); ich bezeichne ihn hier 
einstweilen als „Zwischenkörper“?). Seine Färbung ist meistens 
roth, wie die des Kernchromatins, oder etwas heller, bei stärkeren 
Färbungsgraden geht sie in's Braune. Der Durchmesser des 


Körpers ist in diesem Stadium — für die hier besprochenen 
Zellarten — im Durchschnitt etwa 1—1,5 u in äquatorialer und 


ebensoviel in polarer Richtung‘; zuweilen überwiegt der eine oder 
der andere dieser Durchmesser. Der Form nach finde ich den 
Körper im Bilde entweder viereckig mit abgerundeten Ecken, 
was körperlich genommen einer Walzenform mit stumpfen End- 
kanten entspräche, oder auch rund. Einigemale war jene Walzen- 
form sehr scharf ausgesprochen und die Kanten fast ganz scharf 


1) Ueber das hier Folgende wurde eine kurze Mittheilung in der 
anatomischen Section des Berliner Intern. med. Congresses, August 
1890, gegeben und eine Abbildung vorgezeigt.: 

2) Denn eine Verwechselung mit den Zwisehenkörperchen des Ho- 
dens, wie OÖ. Hertwig die als „Corpuscules residuels“ von van Be- 
neden und Julin bei Ascaris, von mir und F. Hermann bei Sala- 
mandra beschriebenen, degenerirenden Zellen in den männlichen Keim- 
drüsen genannt hat, ist wohl ausgeschlossen. — Wenn übrigens meine 
unten geäusserte Deutung richtig ist, wird man das hier Beschriebene 
als Zellplatte oder als Zellplattenrudiment bezeichnen können. 


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I 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 691 


(Fig. 13). Einmal sah ich statt des einfachen Körpers zwei, die 
schräg dicht aneinander lagen (Fig. 15), es könnte dies aber auf 
zufälligem Bruch beruhen. 

Sobald ich auf dies Gebilde einmal aufmerksam war, fand 
ich es auch vielfach noch nach der völligen Zelltrennung er- 
kennbar. Ueberall, wo sich junge Tochterzellenpaare finden, 
deren Kerne noch Reste der Dispiremstructur und die bekannte 
Polbucht haben, lässt sich auch am Grenzrande der beiden Zellen 
der Zwischenkörper erkennen, ist aber zu dieser Zeit schon merk- 
lieh kleiner und weniger tingibel geworden. Hier und da sieht 
man ihn noch zwischen Zellen, deren Kerne völlige Ruheform 
zeigen. Schliesslich scheint er in der Zellgrenze zu verschwinden. 

Der Vergleich von älteren Präparaten aus Osmiumgemisch 
oder Chromsäure, die mit reinen Kernfärbungen hergestellt 
waren, ergab alsbald, dass die Zwischenkörper auch an solchen 
vielfach zu erkennen sind und gewiss allgemein bei Amphibien- 
zellen und also wohl überhaupt bei Wirbelthierzellen vorkommen 
werden; sie sind aber an solchen Objekten bloss durch ihre 
Lichtbreehung ausgezeichnet und ohne Markirung durch Tinetion 
so wenig auffallend, dass ich früher nicht auf sie aufmerksam 
geworden war. ' | 

Auffallend ist nun die Beziehung dieser Körper zur Structur 
der Tochterzellenleiber. Das Bündel-von Verbindungsfäden näm- 
lich, welches vor der Zelltrennung von je einer Tochterkernfigur 
zu der Abschnürungsstelle lief, wird um den Zeitpunkt der Ab- 
schnürung selbst an der Stelle der letzteren ganz eng zusammen- 
genommen, und an der Stelle dieser seiner Einengung erscheint 
das Körperchen (Fig. 12—15). Die Verbindungsfäden sind also 
nun, wie diese Figuren zeigen, in jeder Tochterzelle als ein 
conisches Bündel angeordnet, das seine Spitze in dem Zwischen- 
körper hat und sich mit seiner Basis gegen die antipole Seite 
des Kernes auffasert. Es sind nicht alle früheren Verbindungs- 
fäden in diesen Kegel einbegriffen; die peripher gelegenen strahlen 
neben ihnen in die übrige retieulirte Zellstruetur aus. 

Je längere Zeit nach vollendeter Zelltrennung verfliesst, 
desto mehr verkleinern sich diese Faserkegel und werden endlich 
undeutlich, und zwar so, dass ihre Spitzen, die an dem Zwischen- 
körper haften, am längsten bestehen bleiben (Fig. 11). 

Ueber die Entstehung dieser Zwischenkörper liess sich Fol- 


692 W. Flemming: 


gendes ermitteln: Wie ich vor längerer Zeit beschrieb!), tritt in 
der Dispiremphase das Bündel der Verbindungsfäden, auch in 
der lebenden Zelle, besonders deutlich abgegrenzt hervor, und es 
zeigt sich darin an der Abschnürungsstelle im Aequator eine 
eigenthümliche Differenzirung?), die ich schon damals und später >) 
mit der pflanzlichen Zellplatte in Vergleich brachte. Mit den da- 
mals angewandten Methoden, reinen Kerntinetionen, war an dieser 
Stelle niehts Gefärbtes zu sehen, und es musste mir fraglich 
bleiben, ob man es mit Anschwellungen der Verbindungsfäden 
oder mit zwischen diesen liegenden Dingen zu thun hatte. Bei dem 
jetzigen Verfahren sehe ich nun in Stadien, wie Fig. 9 und 10, 
sehr kleine, röthlich gefärbte Körperchen zwischen den blassen 
Verbindungsfäden; sie erscheinen oft nicht in gleicher Ebene ge- 
lagert, doch könnte dies auch auf geringe Schräglagerung der 
Axe gegen die Bildebene zu schieben sein. In einigen Fällen 
waren genau vier solehe Körper zu sehen, in anderen schienen 
es mehr zu sein; vielleicht kann ihre Zahl auch immer grösser 
und nur aus einem Theil von ihnen die Farbe schon ausgezogen 
sein. Ihre Form ist leicht länglich. Da sie bei dem Orange- 
verfahren die gleiche Färbung zeigen, wie nachher der einzelne 
Zwischenkörper, so kann man wohl nieht daran zweifeln, dass 
dieser entsteht, indem bei der Abschnürung der Zelle jene kleinen 
Partikeln zu diesem zusammengedrängt werden. Da die endgültige 
Abschnürung ziemlich rasch erfolgt, so ist es erklärlich, dass man 
den Uebergang zu dieser Zusammendrängung selten zu sehen be- 
kommen wird; bis jetzt habe ich noch keime Bilder gefunden, 
die ihn zeigen, die also zwischen Fig. 10 und 13 liegen würden. 

Woher aber stammen jene mehrfachen Körperehen zwischen 
den Fäden? Ich möchte gleich ausschliessen, dass sie etwa aus 
den Kernen zufällig versprengte Chromatinbröckchen sein sollten ®). 


1) Dieses Archiv 1878, Tafel 16, Fig. 9 und Text. Damals und 
weiter wurde, wie ich dies auch gethan habe, dies Faserbündel noch 
mit dem ganzen Mitteltheil der Spindel identificirt, was jetzt nach 
den Arbeiten van Beneden’s u. A. natürlich nicht mehr zutrifft. 

2) Ebenda, 1880, S. 223—24, Fig. 15b; damals, noch mit Wasser- 
immersion, freilich noch unvollkommen erkannt und dargestellt. _ 

3) Zellsubstanz etc. S. 246. 

4) Man könnte hieran denken, weil hier und da einmal Zellen 
vorkommen, wie Fig. 15, in denen an einem Tochterkern ein Divertikel 


=- 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 693 


Denn wäre dies der Fall, so müsste man natürlich das Vorkom- 
men solcher Körperchen auch in den vorherigen Dyasterphasen 
erwarten. Hier aber (Fig. 8) lässt sich in den gleichen Präpa- 
raten, also unter gleichen Färbungsbedingungen, nichts von sol- 
chen tingirten Dingen in dem Fädenbündel bemerken; in diesen 
Stadien sieht man in dem letzteren nur blasse, achromatische 
Körnehen, die ich in früheren Arbeiten schon gezeichnet habe. 
Ob aus ihnen vielleicht die nachherigen tingirten Körner im 
Aequator entstehen könnten, vermag ich nicht zu sagen. Jeden- 
falls ist nicht anzunehmen, dass die Körner im Aequator und 
die aus ihnen entstehenden Zwischenkörper eme dem Kernchro- 
matin gleiche Substanz wären; denn bei Behandlung mit ganz 
reinen Kernfärbemitteln bleiben sie blass, und ich habe ihre 
Tinetion bis jetzt nur mit dem Orangeverfahren erzielt. 

Die einzige Deutung, welche ich einstweilen für die Zwischen- 
körper zu geben weiss, ist die, welche ich schon früher ver- 
muthungsweise für die aequatorialen Differenzirungen im Fäden- 
bündel gab: dass sie in irgend welcher Weise Homologa der 
pflanzlichen Zellplatten sind. Man kann sie vielleicht rudimentäre 
Formen derselben nennen. Dass sie eine allgemeine oder doch 
sehr verbreitete Erscheinung bei der Zelltheilung durch Abschniü- 
rung sind, wird durch Folgendes sehr wahrscheinlich gemacht: 
als ich van,‚Beneden kürzlich von meinen Beobachtungen über 
die Zwischenkörper schrieb, theilte er mir brieflich mit, dass er 
einige Male bei Untersuchung lebender, furchender Ascariseier 
den folgenden, noch nicht veröffentlichten. Befund gemacht habe 
und stellte mir freundlich dessen Bekanntgebung zur Verfügung: 
„Au moment ou s’acheve la separation des deux blastom£eres, l’on 
voit tres distinetement, entre les deux, un corps lentieulaire assez 
refringent, r&pondant au milieu du faisceau de filaments r&unissants. 
Dans les preparations fixdces et colordes je n’ai rien trouve de 
semblable. Mais jai vu que le faisceau r&unissant s’etrangle A 
mi distance entre les deux noyaux en voie de r&constitution, et 
que les fibrilles deviennent convergents sur le plan &quatorial“ 


mit einem Tochterchromosom bis nahe an die Abschnürungsstelle her- 
vorgestülpt ist. Dies kommt auch in der vorhergehenden reinen 
Dyasterform öfter vor. Aber die hier oben angegebenen Gründe spre- 
chen überhaupt gegen eine Ableitung jener Körner aus dem Kern. 


694 W. Flemming: 


(letzteres ist auch in v. B.’s Arbeit von 1887 bemerkt). Einige 
Zeichnungen, die van Beneden mir beilegte, zeigen deutlich 
diesen linsenförmigen Körper im Bild des lebenden Eies, der hier 
nur relativ bedeutend grösser ist, als die Zwischenkörper bei 
Salamandra. van Beneden äussert sich in seinem Brief zu- 
stimmend für meine Ansicht, dass hier ein Aequivalent der Zell- 
platte vorliegt. Dass er am fixirten und gefärbten Ascaris-Ei 
nichts davon gesehen hat, erklärt sich einfach daraus, dass die 
Färbungen, denen dieses Ei bis jetzt zugänglich war, auch an 
meinen Objeeten die Zwischenkörper nicht tingiren würden. Wenn 
diese Dinge also sowohl bei Würmern wie bei Amphibien vor- 
kommen, so haben sie wohl Anspruch auf allgemeinere Geltung. 
Bei meiner kurzen Mittheilung über die Zwischenkörper auf 
der Berliner Versammlung führte L. Gerlach an, dass er bei 
der ersten Furchung des Mäuse-Eies einen entsprechenden und 
zwar färbbaren Körper zwischen den beiden Toehterzellen ge- 
funden hat, den er gleichfalls als Zellplattenrudiment zu deuten 
geneigt war. | 
Bei Dieyemiden sind schon seit lange durch van Beneden!?) 
bei Spirochona (Infusor.) durch R. Hertwig?) zellplattenartige 
Bildungen beschrieben. Carnoy?) hat sie bei Arthropoden, in- 
sonderheit bei ihren Spermatocyten, vielfach beschrieben und aus- 
führlich besprochen. Er unterscheidet (p. 393): 1. einfache Ab- 
schnürungen der Zelle, ohne oder mit Bildung einer Platte, 
welche dann funktionslos bleibt, 2. Fälle mit vollständiger Zell- 
plattenbildung und ohne Abschnürung (wie bei den Pflanzen), 
und 3. Fälle, bei denen Abschnürung und Bildung einer sich 
spaltenden Zellplatte zugleich vorkommt. Es werden dabei Plat- 
tenbildungen bloss im Faserbündel (Plaques fusoriales) und solche 
im gesammten Zellenleibe (Pl. eompletives) unterschieden. Car- 
noy nimmt an (p. 376), dass die Verbreitung der Zellplatten 
nicht nur bei den Arthropoden, sondern auch bei den übri- 
gen Thieren eine allgemeine sei, führt aber dabei, so viel ich 
finde, nur eine eigene Beobachtung an einem Wurm (Disto- 


1) Recherches sur les Diey&mides, Bruxelles, Hayez, 1876. 

2) Jenaische Zeitschr. f. N. 1877, Bd. 11. 

3) La Cytodierese chez les Arthropodes, in La Cellule, 1885, 
S. 375—39. 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 695 


mum elavigerum, Hodenzellen, Fig. 245) an. In einer Arbeit, 
die mir während der Abfassung dieser Zeilen zuging, beschreibt 
auch Henking!) von der Theilung der Spermatocyten von Pyr- 
rhoeoris apterus, dass hier eine Zellplatte, ähnlich wie bei Pflanzen 
aus äquatorial gelagerten Körnern bestehend, angelegt wird: „die 
völlige Durehschnürung der Mutterzelle geht in der Weise vor 
sich, dass die Zellplatte sich theilt. Dann lösen sich die Tochter- 
zellen ganz von einander“ (S. 703, 709) ?). 

Aus dem Wirbelthierkörper ist meines Wissens noch kein 
Fall von wahrer oder rudimentärer Zellplattenbildung mitgetheilt, 
ausser dem einen, über den ich selbst früher berichtete (Knor- 
pelzellen), der aber in seiner Deutung noch fraglich bleiben musste 
und bei dem auch, wenn er sicher eine Zellplattenbildung dar- 
stellt, dieselbe in anderer und viel ausgebildeter Form vorliegen 
würde, als bei den Objecten, die ich hier beschrieben habe. 

Ausser diesen prüfte ich noch die Spermatocyten des Sala- 
manders auf das Vorkommen von Zwischenkörpern und konnte 
sie auch hier zuweilen deutlich erkennen (Fig. 14), doch sind sie 
an diesen Zellen kleiner und, wenn nicht scharf tingirt, schwer 
zu sehen. 


6. Veränderung im Zellkörper während der Mitose. 
(Fig. 20 und_39.) 


Ich schliesse hier noch einige Angaben über eine besondere 
Erscheinung der Zelltheilung an: Die eigenthümliche Verdieh- 
tung der Substanz in Theilung stehender Zellen in ihrer Peri- 
pherie und das Auftreten einer hellen, lockerer beschaffenen Innen- 
schieht um den Kern her. van Beneden?) hat zuerst darauf 


1) H. Henking, Untersuchungen über die Entwickelungsvor- 
gänge in den Eiern der Inseeten. II: Ueber Spermatogenese etc. bei 
Pyrrhocoris apterus L. Zeitschrift für wiss. Zool. Bd. 51, 1891. 

2) An eine Beziehung der hier beschriebenen Zwischenkörper 
zu dem „Mitosoma“ Platner’s, dessen Entwickelung aus dem Verbin- 
dungsfädenbündel bei Pyrrhocoris Henking beschreibt, ist wohl nicht 
zu denken, da das Mitosoma hier aus dem (zum Tochterkern) proxi- 
malen Theil des Bündels entsteht, und ja auch, so viel wir wissen, 
nur den männlichen Generationszellen eigen ist. 

3) La maturation de l’oeuf ete. Bull. Acad. Roy. de Belg. 1876, 
2. Ser., T.40, pag. 50-51. 


696 W. Flemming: 


hingewiesen, dass die in Theilung stehenden Zellen im Blasto- 
derm von Säugethieren sich stärker mit Carmin und Häm. färben 
als die ruhenden. Ich habe an lebenden Objeeten gefunden, dass 
die Zelle im Theilungszustand stärker liehtbreehend ist, dies 
Verhalten durch Reagentien näher geprüft und in der Osmium- 
säure und den Osmiumgemischen, besonders mit nachfolgender 
Färbung, Mittel angegeben, um die Erscheinung vorzüglich deut- 
lieh zu machen). Unter Verweis auf die dortige nähere Be- 
schreibung komme ich hier auf den Punkt zurück, weil er ebenso 
wenig, wie irgend eine andere eonstante Erscheinung der Zell- 
theilung, für deren Physiologie gleichgültig sein kann, und doch 
meines Wissens seitdem, bei so vielen Arbeiten über Zelltheilung, 
kaum davon die Rede gewesen ist, und weil die einzige Aeusse- 
rung darüber, die mir bekannt ist und von einem 'vorzüglichen 
Beobachter herrührt?), dahin verstanden werden kann, als wäre 
diese Veränderung im Zellkörper inconstant und hätte keine be- 
sondere Bedeutung. Das würde aber durchaus nicht zutreffen. 

Wenn man die Dunkelung der in Theilung stehenden Zellen 
recht schlagend vor Augen haben will, hält man sich am besten 
an solehe Epithel- oder sonstige Zellen, welehe nicht sehr platt 
sind; Epithel der Mundbodenplatte, Kiemenblätter oder äusseren 
Körperfläche (diese letzteren an Flachschnitten) von der Larve. 
Bei sehr dünnen Zellen, wie im Lungenepithel und Bauchfell, ist 
die Erscheinung zwar ganz ebenso vorhanden (Fig. 39), tritt aber 
natürlich nicht so augenfällig wie bei jenen hervor. Man fixire 
mit Osmiumsäure, meinem Gemisch oder Hermann’scher Lösung, 
und lasse die Präparate bei Osmiumsäurebehandlung gut nach- 
dunkeln, bei den Gemischbehandlungen recht lange am Licht in 


dem Fixativ stehen; man färbe dann nach dem Auswaschen mit 


1) Zellsubstanz. S. 206—209. 

2) Rabl, Morphol. Jahrb. Bd.X, S.285; es ist dort gesagt, dass 
für tadellose Hämatoxylinpräparate meine Angabe über die Dunke- 
lung der in Mitose stehenden Zellen nicht zutreffe. Rabl wird sich 
gewiss seitdem überzeugt haben, dass sie sowohl für solche Präparate, 
als für die Erzeugnisse vieler anderer Methoden völlig zutrifft und 
dass die Erscheinung. durchaus typisch ist. Natürlich muss man sie 
nicht an solchen Präparaten studiren wollen, an denen nichts als reine 
Chromatinfärbung erzielt ist; s. hier oben im Text. 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 697 


Delafield ’schem oder Böhmer’schem Hämatoxylin (dünne 
Lösung, längere Tinetion) oder mit dem hier im Eingang ange- 
gebenen Verfahren!). Dann sieht man schon bei einer 80 bis 
100 fachen Vergrösserung sämmtliche sich theilende Zellen, die 
sich in späteren Spiremformen, Metaphasen und Anaphasen be- 
finden, graubraun, grau oder dunkelgelb sehr scharf gegen die 
viel blasseren ruhenden Zellen hervorstechen. Bei Tinetionen 
mit Azofarbstoffen haben sie oft eine Mitnuance in der betreffenden 
Farbe. Hat man Doppeltinetionen mit Safranin-Hämatoxylin, 
Safranin-Mauvöin, Safranin-Gentiana gemacht oder das Orange- 
verfahren angewandt, so sind zugleich in allen diesen Phasen 
die ehromatischen Figuren in rothem Safraninton gefärbt, wäh- 
rend die ruhenden Kerne durch den anderen Farbstoff blau oder 
violett sind und nur die Nucleolen roth zeigen; ich habe solche 
Doppeltinetionen bereits 1884 auf dem Kopenhagener Aerzte- 
congress und seitdem vielfach demonstrirt und benutzt. Wie Her- 
mann?) kürzlich nach Beobachtungen an Spermatoeyten mitge- 
theilt hat und wie ich es völlig bestätigen kann, zeigen bei 
Doppelfärbungen mit Safranin-Gentiana, übrigens auch bei ande- 
ren oben genannten, die Anfangsformen des Spirems und die End- 
formen des Dispirems keinen oder doch nur schwachen Safranin- 
ton, halten dagegen ebenso wie die Structuren der ruhenden - 
Kerne den andern angewandten blauen Farbstoff fest, während 
‘vom lockeren Spirem bis zur Mitte des Dispirems die Figuren 
reinen Safraninton haben?). Es scheint mir bemerkenswerth, 
dass also in denjenigen Stadien, wo noch Nucleolen vorhanden, 
oder eben erst verschwunden sind, oder eben wieder auftreten, 
die Neigung zur Blaufärbung vorliegt, während die Formen, in 
welchen sie völlig deconstituirt sind, sich rein safraninophil ver- 
halten, wie es ja die Nucleolen selbst sind. 


1) Wie ich früher angab, kann man Aehnliches auch an Präpa- 
raten aus Chromsäure bei Hämatoxylinfärbung erreichen, es sind aber 
dazu Präparate zu nehmen, die durch längeres Verweilen in Chrom- 
säure etwas gedunkelt worden sind. 

2) Beitr. z. Hist. des Hodens. Dieses Arch. Bd. 34, S. 60. 

3) Nach Hermann’s Angabe sind nur die Phasen vom Monaster 
bis zum Dyaster roth, Spireme und Dispireme blau; ich finde, wie ge- 
sagt, das letztere nur in den anfänglichen und endständigen Phasen 
der Knäuel ganz ausgesprochen und ständig. Uebrigens kommen je 
nach dem Ausziehungsgrad leichte Schwankungen in der Färbung vor. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 46 


698 W. Flemming: 


Gleichfalls bemerkenswerth ist nun, dass die Periode, wäh- 
rend welcher die chromatische Figur Safraninton hat, zeitlich 
ganz mit der zusammenfällt, in welcher der Zellenleib verdichtet 
und in Innen- und Aussentheil gesondert ist, und in welcher er 
bei Osmium- und ÖOsmiumgemisch-Behandlung gedunkelt wird. 
Denn im ersten Anfangsspirem und endständigen Dispirem fehlen 
ihm diese letzteren Eigenschaften. Ich wollte darauf hinweisen, 
wenn auch die Ursache noch aufzuklären bleibt. 

Wenn ich für diese Veränderungen im Zellleib kurz die 
Ausdrücke „Verdichtung“ und „Dunkelung“* benutze, so ist dies 
nicht so zu verstehen, als ob die sich theilende Zelle im Ver- 
gleich mit der ruhenden sich in toto auf ein kleineres Volumen 
zusammengezogen hätte, und allein hierdurch diehter und bei 
Osmirung dunkler erschiene. Zwar ist es sicher und stimmt auch 
gut überem mit van Beneden’s Lehre vom Wesen der Mitose, 
dass Zusammenziehungen des Zellleibes während der Mitose ein- 
treten können; dies ist z. B., wie früher beschrieben), sehr gut 
bei Pigmentzellen zu sehen, deren Ausläufer bei kleineren Zell- 
formen in der Mitose fast ganz eingezogen werden können und 
bei den grossen Chromatophoren wenigstens gedrungenere Ge- 
stalt annehmen. Fermer sind, wie gleichfalls bekannt), die 
Zellen in den Stadien vom Spirem bis Dispirem häufig von runden 


oder länglich runden Formen, in Geweben, wo sie in der Ruhe 


eckig sind, und zeigen sich in der Theilung von breiteren Inter- 
eellularräumen umgeben, was sich offenbar auf eine Contraetion 
ihres Leibes beziehen lässt. Bei den sehr platten Lungenepi- 
thelien findet man zwar solche runde Formen nicht, aber doch 
augenscheinliche Versuche zur Zusammenziehung des Zellkörpers, 
wofür Fig. 39 ein Beispiel giebt: Die Zellen im den "mittleren 
Theilungsstadien sind etwas kleiner als die umliegenden ruhen- 
den, und ihre Eeken in spitze, oft lange Zipfel ausgezogen; es 
sieht ganz aus, als ob sie sich zu contrahiren strebten, die ent- 
ferntesten Ecken des Zellleibes aber dieser Bewegung am wenig- 
sten mitfolgten und so zu schmalen Ausläufern würden, neben 


1) Dieses Archiv Bd. 35, 1890, 8.275, sowie (Zimmermann) 
ebenda Bd. 36, 1890, S. 404. 

2) Zellsubstanz ete., Tafel IT a, Fig. 19—21 und. zwei der dunklen 
Zellen in Fig. 23, s. Text S. 206 ft. 


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Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 699 


denen die ruhenden Nachbarzellen nachrückend sich herandrängen !). 
— Andererseits muss ich aber hervorheben, dass an denselben 
Objeeten viele Zellen, die in ganz den gleichen Mittelstadien der 
Mitose stehen, gar keine Verkleinerung und Ausrundung zeigen ?), 
und dabei doch ebensolehe Dunkelung haben, wie die von ge- 
rundeter Form. Und ferner kommt in Betracht, dass auch bei 
denjenigen Zellen, die sich wirklich verkleinert haben, dies keines- 
wegs in dem Grade der Fall ist, wie es ihrer starken Dunkelung 
entsprechen würde, wenn diese lediglich eime Folge der Zu- 
sammendrängung des Zellkörpers wäre. 

Somit kommt man zu dem Schluss, dass die Zellen in 
diesen Stadien unmöglich bloss deshalb dunkler aussehen und 
stärker gefärbt werden, weil sie kleiner geworden wären, son- 
dern dass während der Mitose eine innere Veränderung in 
ihrem Leibe eintreten muss, welche dem zu Grunde liegt. 

Eine solche Veränderung ist nun auch bei geeigneter Be- 
handlung, ja schon am lebenden Objeet, bemerkbar, und ich habe 
an den erwähnten Stellen schon davon gesprochen. Vom Ende 
der Knäuelphase an sieht man in der lebenden Zelle eine die 
Kernfigur umgebende blasse Partie und eine Aussenmasse darum 
her, die stärker lichtbrechend ist als die Substanz der ruhenden 
Zellen. An den Reagentienpräparaten kann man näher beur- 
theilen, woher dies rührt: in der hellen Innenmasse sind die 
Fadenstrueturen und die Polradien zwar verdiekt im Vergleich 
mit ihrem Zustand in der ruhenden Zelle, dafür aber auch locke- 
rer und von viel grösseren blassen Maschenräumen durchsetzt, 
und aus letzterem Grunde sieht eben dieser Innentheil hell aus. 
In der Peripherie sind die Fadenwerke zwar nicht verdickt, aber 


1) Und nach den wechselnden Formen der Zellen in ganz 
gleichen Theilungsphasen, bald mehr rund, bald mehr eckig, wie sie 
sich besonders bei Haut- und Kiemenepithel darbieten, kann ich nicht 
umhin anzunehmen, dass der Zellleib während der Mitose sich absatz- 
weise zusammenzuziehen sucht und wieder in die ausgedehnte Form 
zurückfällt; und dass dies in einer Beziehung stehen mag zu den ab- 
wechselnden Vergrösserungen und Verkleinerungen der chromatischen 
Figur während der Metaphasen, die ich in meiner ersten Arbeit am 
lebenden Object beobachtet und bildlich als „Systolen und Diastolen“ 
der Kernfigur bezeichnet hatte (dieses Archiv Bd. 16, S. 380 ff.). 

2) S. zwei der dunklen Zellen in Fig.23, Tafel 1a des eitirten 
Buches. 


700 W. Flemming: 


verdichtet, zusammengedrängt; es macht den Eindruck, als wäre 
die helle Interfilarmasse in diesem Zustand vom Umfang der 
Zelle in ihr Inneres um den Kern her angesammelt. Unter der 
Annahme, dass es nur die Fadenstrueturen allein sind, welche 
bei Osmiumwirkung und Tinetion gedunkelt werden, würde sich 
hiernach verstehen lassen, dass der Aussentheil der Zelle in die- 
sem Zustand durch die Behandlung eine so viel stärkere Schatti- 
rung erhält. 

Aber es scheint mir sehr fraglich, ob auch diese Erklärung 
allein ausreicht. Man findet nämlich an recht gut nachgedun- 
kelten und stark tingirten Präparaten die in Theilung stehenden 
Zellen in solchem Grade stärker gefärbt als die ruhenden, dass 
man ernstlich zweifeln muss, ob das lediglich an einer Verdich- 
tung der Filarmasse liegen kann. Die in Mitose begriffenen 
Zellen sehen an solehen Objeeten aus, wie von einem dunklen 
Lack durchsetzt!); im Abschnürungsstadium ist ihre Aussenschicht 
in der Nähe der Schnürmarke tief dunkel (s. die eitirte Figur), 
indem diese Farbe sich in den weniger dunklen übrigen Zellleib 
allmählich abtönt; mit stärksten Systemen sieht man, dass diese 
Färbung nieht bloss dem Zellfadenwerk selbst anhaftet, sondern 
dessen Bälkehen und auch den Aussenumfang der Zelle wie ein 
feinkömiger Reif beschlägt, ja bei sehr guten Dunkelungen auch 
die Interfilarmasse durchsetzt. Bei Haut- und Kiemenepithelien, 
welche grössere Dieke haben, wird bei der tiefen Färbung der 
Peripherie die nähere Beschaffenheit des Innentheils überhaupt 
dem Blick verdeckt. An dünneren Zellen aber, wie denen des 
Bindegewebes, Endothels oder Lungenepithels, kann man bei 
guter Dunkelung und Färbung nach dem Orangeverfahren er- 
kennen, dass auch die Interfilarmasse im Innern noch Farbe ge- 
halten hat. Wenn man das immer wieder sieht, bekommt man 
unwillkürlich den Eindruck, als sei die Zelle während ihrer Thei- 
lung dureh und durch mit einer besonderen Substanz durchtränkt 
oder — um mich vorsichtiger auszudrücken — als besitze sie 


1) Fig. 20 zeigt möglichst genau nachgeahmt das Verhältniss der 
Schattirung zwischen ruhenden und in Theilung stehenden Zellen, wie 
es an solchen Objecten vorliegt. An der gezeichneten Zelle ist die 
Dunkelung der Aussenschicht so bedeutend, dass man von den Ver- 
bindungsfasern im Innern nur einen undeutlichen Schimmer erkennt 
(nicht mitgezeichnet). 


3 


EEE EEE REEL ELBE DELETED LEBE DEE EEE EEE ELTERN 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 701 


durch und durch eine besondere physikalische oder chemische 
Beschaffenheit, welche sie eben auch durch und durch stärker 
geneigt macht, sich mit Osmium oder Chrom zu dunkeln nnd mit 
den nachfolgenden Tinetionen stärker zu färben. Etwas der- 
artiges aber kann für die Forschung über die Biologie der Zell- 
theilung und der Zelle überhaupt ganz gewiss nicht gleichgültig 
sein, und deshalb wollte ich hier diese vielfach vernachlässigte 
Erscheinung nochmals zur Sprache bringen und betonen, dass sie 
sicher kein zufälliges Reagentienproduet, sondern ganz typisch ist. 


D. Ueber die Attraetionssphären und Gentralkörper!) in 
thierischen Gewebszellen und Leucoecyten. 


(Fig. 1-7 Taf. I, Fig. 24—26 Taf. I.) 


Was ich über diesen Gegenstand letzthin fand, ist grossen- 
theils bereits in Kürze an einem anderen Ort beschrieben ?); hier, 
wo ich genauere Abbildungen geben kann, füge ich besonders in 
Bezug auf die Zellen fixer Gewebe noch Näheres hinzu. 

Bisher habe ich diese Dinge nur mit dem Orangeverfahren 


gut zu sehen bekommen°), an flachen Bindegewebs-, Endothel- 


und Lungenepithelzellen, sowie an Leueoeyten. In den fixen 
Zellenarten haben die Centralkörper an solchen Präparaten beim 


1) In diesen und früheren Aufsätzen habe ich die Ausdrücke 
van Beneden'’s „Attractionssphären“, oder kurz Sphären, und „Cen- 
tralkörper“ angewandt, da sie geschichtlich die Priorität vor den von 
Boveri gebildeten Worten „Archoplasma“ und „Centrosomen“ haben. 
Die Bezeichnung „Nebenkerne“ werden wir wohl für diese Dinge am - 
besten nicht brauchen, da es sich bei den unter diesem Namen be- 
schriebenen Gebilden zwar vielfach, aber nicht durchweg um die 
gleichen Dinge handelt. 

2) Anatomischer Anzeiger, 14. Februar 1891, und: dieses Archiv 
Bd. 37, S. 249 ff. 

3) Abgesehen von den Chromsäurepräparaten, von denen hier 
weiter unten die Rede ist, an denen sie aber in stark veränderter 
Form vorliegen. — Hermann empfiehlt am unten eitirten Orte für 


. die Darstellung der Sphären und der Spindeln an Spermatocyten die 


Behandlung von Präparaten aus seinem Gemisch mit Holzessig, welche 
nach Photographien, die ich seiner Güte verdanke, vorzüglichen Er- 
folg giebt. Mein jetziges Material, das wohl nicht mehr frisch genug 
war, wollte bei dieser Behandlung nichts ergeben. 


702 W. Flemming: 


Salamander etwa höchstens 0,5 u Durchmesser und sind ohne 
hervorhebende Färbung schlechterdings nieht zu erkennen, oder 
doch nieht von irgend welchen Körnungen im Zellkörper zu 
unterscheiden. Wo die Zelle überhaupt nur etwas grösseren Tiefen- 
durchmesser hat, wie bei Epithelien, Muskelfasern u. a., sind sie 
schon dadurch im Zellkörper in toto undeutlich und können nur 
an Schnittserien aufgesucht werden. Bei Leucoeyten messen sie 
bis 1,5 u. 

Von der Attractionssphäre, die bei letzterer Zellenart ver- 
hältnissmässig deutlich ist (s. an den ang. Orten), habe ich seit- 
dem auch an den fixen Zellen etwas bessere Bilder bekommen. 
Bei solehen stärker diffusen Färbungen, bei denen die Central- 
körper braun oder violett, bis selbst schwarz, die Zellfäden und 
Bindegewebsfibrillen in verschiedenem blasserem Ton mit tingirt 
sind), erscheinen die Sphären um die Centralkörper her als 
bräunlich hervorgehobene , an ihrer Aussengrenze verwaschene 
Stellen, die zuweilen eine auf die Centralkörper eingestellte 
Strahlung zeigen (Fig. 1; die Centralkörper sind in den Ab- 
bildungen überall roth, der braunröthliche Ton der Zellsubstanz 
srau gegeben). Die Strahlung ist aber von sehr ungleicher Deut- 
lichkeit, nur in wenigen Fällen recht scharf ausgesprochen, und 
zeigt keine scharfe Grenze im Umfang. 

Für die Gründe, aus denen man diese Dinge lange nicht 
in allen Zellen im Präparat sieht und über ihre wechselnde Lage 
bald an den Langseiten, bald an den Enden der Kerne, kann 
ich auf das a. a. O. Gesagte verweisen. Hinzusetzen möchte ich 
noch, dass die Entfernung der Centraikörper vom Kerne ver- 
schieden gross sein kann: manchmal liegen sie in den sehr 
flachen Zellen des Bauchfells, um mehr als den halben Durch- 
messer eines Kernes von dessen Rande bei Seite gerückt, mei- 
stens aber nahe an ihm. 

Wie ich in der vorläufigen Mittheilung (S.3—4 des Sep.- 
Abdr.) schon erwähnt habe, sind in den bei weitem meisten 
Fällen an diesen Gewebszellen in einer Zelle zwei Central- 
körper zu sehen, auch dort, wo die Kerne ihrer Struetur nach 
keine Spur von Ansatz zu einer Mitose zeigen (s. Fig 1 und’ 
3—5 hier). Indem ich diesen Befund dort als einen noch nicht 


1) Vgl. darüber im Anfang dieser Arbeit. 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 7103 


bekannten hervorhob, wollte ich mir gewiss nicht etwas an- 
maassen, das mir nicht gebührt: bei der ersten Theilung von 
Eizellen und ihren Blastomeren ist ja schon von Anderen ge- 


sehen worden, dass um die Zeit, wo die Tochterkerne sich aus 


dem Spirem eben in die Ruheform (Gerüst) zurückgebildet haben, 
die Sphären und Oentralkörper an jedem Tochterkern schon ge- 
theilt sind, und meines Wissens ist van Beneden der Erste, 
der dies beschrieben hat!); er bildet dort in Fig. 14, Pl. VI 
einen Tochterkern „au stade de repos“ mit verdoppelten Central- 
körpern und Sphären ab und sagt pag. 67: „Si la division de 
la sphere attractive est deja en partie effeetuge dans la cellule 
au repos, si tout au moins le corpuscule central se trouve deja 
dedoubl&, il est elair“ ete. Aber hier bei der Eifurchung han- 
delt es sich um Zellen, deren Theilungen sehr rasch aufeinander 
folgen, und wie u.A. der hier eitirte Aufsatz O0. Schultze's 
(S. 4) zeigt, wird diese Sache so angesehen, dass bei sehr rasch 
repetirenden Theilungen die Verdoppelung der Sphären und 
Centralkörper schon im Dyaster bis Dispirem erfolgt, bei lang- 
sam repetirenden aber noch nicht, so dass die Zelle dann in der 
folgenden Ruhepause nur eine Sphäre und einen Oentralkörper 
darin hätte. Bei meinen Objeeten handelt es sich nun aber um 
Zellen, die im Vergleich mit denen der furchenden Eier sehr 
lange Ruhepausen haben müssen, da-in meinen betreffenden Prä- 
paraten die Mitosen, auch dort, wo sie am reichlichsten sind, 
noch lange nicht 1°/, der vorhandenen Zellen betragen, und da 
die Kerne ganz die Ruheformen zeigen, wie sie auch in völlig 
mitosenfreien Geweben vorkommen; und doch sind an diesen 
Kernen die Centralkörper doppelt. Dies war es, was ich wohl 
als etwas Neues betonen durfte. 

Ich habe nun dort schon die Frage gestellt, ob sie nicht 
vielleicht ausserhalb der Mitose immer doppelt bleiben könnten, 
da in den Fällen, in denen man ein einfaches Körperchen zu 
sehen glaubt, vielleicht doch zwei in Deckung befindliche vor- 
liegen möchten. Die Centralkörper liegen nämlich an den platten 
Zellen des Bauchfells und der Lunge, wenn man diese von ihrer 
Fläche betrachtet, fast immer schräg gegeneinander orientirt, 
so dass das eine höher als das andere steht, und in manchen 


1) van Beneden et Neyt, a.a. 0. 1887. 


704 W. Flemming: 


Fällen, wo auf den ersten Blick ein einzelnes Körperchen er- 
scheint, lässt sich durch die Schraube deutlich feststellen, dass 
noch ein anderes fast oder ganz vertieal darunter legt. Ich habe 
diese interessante Frage weiter zu entscheiden gesucht, indem- 
ich Material prüfte, welches keine oder sehr wenig Mitosen ent- 
hielt. Unter der Annahme, dass die Centralkörper in der Ruhe 
einfach sind und sich nur bei der Mitose verdoppeln, sollte man 
erwarten in einem Gewebe, das arm an Mitosen ist, sie weit 
öfter einfach zu finden, als an einem in lebhaftem Wachsthum 
begriffenen. Ich kann aber in dieser Hinsicht bis jetzt keinen 
erheblichen Unterschied wahrnehmen. Dies würde eher zu Gun- 
sten einer dauernden Duplieität der Centralkörper sprechen. Was 
mich trotzdem veranlasst hat, a.a.O. an einer solehen zu zwei- 
feln, war erstens, dass bei den Leucoceyten, die viel grössere 


Centralkörper haben, diese meistens einfach erscheinen); so- 


1) Dieses Archiv Bd. 37, Heft 2, 1891, S.282. Damals hatte ich 
bei Leucocyten noch keinen sicheren Fall von Doppelheit der Central- 
körper gesehen; seitdem habe ich einen gefunden (Fig. 24 hier), wo 
mir zwei, allerlings sehr nahe zusammenliegende Körper vorhanden 
scheinen. | 

Beim Durchsehen älterer Präparate von Salamandergeweben, 
die grossentheils noch von 1879 datiren, finde ich zu meiner Ueber- 
raschung, dass an Objecten, die lediglich mit dünner Chromsäure 
fixirt und einfach mit Safranin oder Gentiana (neutrale Extraction) 
gefärbt sind, in den Leucocyten sehr deutlich hellroth gefärbte runde 
Körper zu sehen sind, welche entweder aufgequollenen Centralkörpern 
oder geschrumpften Attractionssphären entsprechen müssen. Sie sind 
nämlich viel grösser als die Oentralkörper von Leucocyten nach ÖOs- 
miumgemischbehandlung (Fig.25, vgl. mit Fig.1 u. 2), selten um mehr 
als die Hälfte kleiner, als der in:ersterer Figur gezeichnete. Um sie 
her liegt ein schmaler blasserer Raum; ihr Umfang ist rauh, oft stark 
höckerig. Ihre Umgebung zeigt manchmal eine ganz verwaschene 
radiäre Structur, aber lange nicht so deutlich und nicht so weitrei- 
chend, als die Sphärenstrahlung in Leucocyten aus Osmiumgemisch 
es ist. Entweder hat die Chromsäurewirkung hier die Sphäre zu einem 
abgegrenzten Körper zusammenschrumpfen lassen, so dass nur etwas 
von ihrer peripheren Strahlung am Zellkörper haften geblieben ist, 
oder sie hat den Centralkörper quellen lassen und die ganze Sphäre 
bis auf schwache Reste verwischt. Zunächst möchte ich an die erstere 
Wirkung denken; denn die Chromsäure äussert auf die chromatischen 
Fäden einen entschieden schrüumpfenden Einfluss, welchen man (8. 
unten) gut benutzen kann, um die früheste Längsspaltung festzustellen. 


ELLE WETTE ELEEESZLELEEELLWUTEEREEEN 


= 


— | 


357 _—ı 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 705 


dann, dass nach vorliegenden Angaben (dort eitirt) an Sexual- 
zellen eine Theilung vorher einfacher SAHOlRURHER vor und bei 
der Mitose beobachtet ist. 

Seitdem hat Guignard!) die Sphären und Centralkörper 
auch bei Pflanzenzellen vieler Arten aufgefunden; er gelangt zu 
dem Schluss, dass letztere auch in der ruhenden Zelle stets dop- 
pelt seien?), indem allgemein jedes Polkörperchen sich schon 
während der Mitose (in den Anaphasen) wieder in zwei theile. 
Sollten sich dafür bei den Pflanzenzellen, die ja vielleicht gün- 
stigere Objeete in dieser Hinsicht sein mögen, sichere Belege 
ergeben, so würde ich damit nicht in Widerspruch sein, da ich 
ja diese Frage offen gelassen habe?); nur würde dann zu er- 


— Ich glaube nicht, dass man umgekehrt annehmen kann, die Chrom- 
säurepräparate ständen der Natur näher als die Osmiumgemischobjecte, 
die ersteren zeigten die Centralkörper in wahrer Grösse, und an den 


- letzteren seien sie geschrumpft. Hiergegen spricht, dass die fraglichen 


runden Körper in. den Chromsäureobjecten so erheblich in der Grösse 
schwanken (von 2 bis gegen 44), während die Centralkörper der Leu- 
coceyten in den Osmiumgemischpräparaten viel kleiner, aber immer 
von gleichen Dimensionen sind. 

Jene runden Körper in meinen alten Chromsäureobjecten sind 
schon mit Mittelsystemen leicht zu sehen; es wäre leicht gewesen, sie 
schon damals zu finden, wenn man hätte ahnen können, dass etwas 
derartiges zu finden wäre. Ich habe sie damals für irrelevante Körner 
gehalten und nicht weiter beachtet. 

1) L. Guignard, Sur l’existence des „Spheres attractives“ dans 
les cellules vegetales. Comptes rendus Ac. d. sc. Paris, 9. mars 1891; 
der Aufsatz ging mir durch des Verfassers Güte während des Ab- 
schlusses dieser Zeilen zu. 

2) „Par suite, l’existence de deux spheres attractives, m&me dans 
l’etat de repos complet, me parait ötre un fait general“. P.3 a.a.O. 

3) Guignard hat mich zwar dahin verstanden, als ob ich zu 


dem Glauben neige: „que dans la periode du repos complet, il peut 


n’exister dans la cellule qu’une seule sph£re attractive, dont le dedouble- 
ment n’aurait lieu qu’au moment de la division du noyau“. Ich habe 
Ja aber gerade im Gegentheil, weil noch Niemand vor mir doppelte 
Centralkörper in Zellen mit anscheinend ganz ruhenden Kernen ge- 
sehen hatte, besonders darauf hingewiesen, dass eine Verdoppelung 
dieser Körper hier „schon lange zuvor erfolgen muss, ehe 
von einer Mitose im Kern etwas zu sehen ist“ (a. a. O. 8.4, 
Sep.-Abdr.), und habe mich über die fragliche Duplieität oder Ein- 
fachheit der Centralkörper während der Ruhe doch vorsichtiger aus- 
gedrückt, als man aus Guignard’s Worten entnehmen könnte, wie 


706 WU FTemmin®: 


klären bleiben, weshalb die Sphären und Centralkörper bei den 
Leucoeyten ausserhalb der Mitose sich fast immer einfach prä- 


sentiren, und es würden die Fälle, in denen man die Sphären, 


das Citat meiner Stelle zeigen kann (ebenda $.4, Sep.-Abdr.): „Ich 
finde die Centralkörper viel öfter doppelt als einfach. Und es wäre 
Ja denkbar, dass auch dort, wo sich ein einfacher zeigt, in der That 
zwei in Deckung befindliche vorliegen könnten; denn ihre Distanz ist 
oft sehr gering. Ich möchte dies aber nicht ohne Weiteres anneh- 
men, denn erstens findet sich bei den Leucocyten, wo diese Dinge so 
viel grösser und deutlicher sind, meistens nur ein einfacher Central- 
körper, und zweitens ist ja von van Beneden und Anderen, so neue- 
stens von O. Schultze beobachtet, dass in Ei- und Samenzellen im 
Anfang der Mitose ein einzelner Centralkörper besteht und sich im 
Verlauf derselben theilt. Danach wird auch für die hier besprochenen 
Gewebszellen die Annahme wohl am nächsten liegen, dass das Körper- 
chen bei voller Ruhe der Zelle einfach ist und sich erst verdoppelt, 
wenn diese der Theilung entgegengeht“. 

Letzteres heisst aber nicht, wie Guignard es übersetzt: „au 
moment de la division“; hätte ich gesagt, dass die Körperchen sich 
erst im Moment der Theilung verdoppeln, so würde ich dayıit etwas 
ganz Unmögliches ausgesagt haben. Denn wie ich ausdrücklich a. a. O. 
angab, sind in de: ‚Mehrzahl der betreffenden Gewebszellen — wenn 
nicht vielleicht in llen — doppelte Centralkörper vorhanden, und 
wenn alle diese Zellen sofort in Mitose treten wollten, so müsste man 
folgeweise auch häufig Fälle finden, wo in einem solchen Gewebe die 
Zahl der Mitosen grösser ist als die der ruhenden Kerne. Das kommt 
aber bekanntlich weder bei Amphibienlarven, noch überhaupt in Thier- 
geweben wohl jemals vor, abgesehen von den frühesten Keimstadien. 

Kurzgefasst, möchte ich also die Auffindung der Thatsache in 
Anspruch nehmen, dass in Zellen von Thiergeweben ausserhalb der 
Mitose, bei anscheinend vollständiger Kernruhe, doppelte Centralkörper 
vorkommen können, und zwar sicher bei der grössten Anzahl der vor- 
liegenden Zellen im Präparat, wenn nicht bei allen. 

In Bezug auf die Anschauung van Beneden’s über die Attrac- 
tionssphären muss Guignard offenbar ein Versehen begegnet sein, 
da er äussert (pag.3 a.a.O.): „Quant & leur origine (des spheres) dans 
l’oeuf, les Zoologistes n’ont pas encore pu la preeiser. M.E. van 
Beneden les voit apparaitre simultan&ment, sans savoir d’ou elles 
proviennent.“ Dem gegenüber möchte ich doch darauf hinweisen, dass 
E. vanBeneden in seiner bekannten Arbeit von 1887 (Bull. de l’acad. 
roy. de Belg. T.14), welche seiner schon von früher datirenden Ent- 
deckung der Sphären und Centralkörper den Abschluss giebt und 
ihre hohe allgemeine Bedeutung klarstellt — wörtlich gesagt hat: 
„Nous sommes done autorises A penser que la sphere attractive avec 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 7107 


oder was ja auf's Gleiche herauskommt, die Radiensysteme bei 
Eizellen in der Ruhe oder im Anfang der Mitose einfach und 
einseitig am Kern gefunden hat!), auf das Verhalten der Cen- 
tralkörper näher zu prüfen und zu untersuchen sein, ob es auch 
hier möglieh wäre, eine Duplieität der Sphären und doppelte 
Einstellung der Radien auf zwei Centralkörper anzunehmen. Bei 
den Leucoceyten, und so auch wohl in den anderen hier ange- 
zogenen Fällen, würde dies nur durchführbar sein unter der Vor- 
aussetzung, dass die zwei Sphären, nnd in ihnen die Central- 
körper, hier sehr eng aneinandergedrängt liegen müssten. Dies 
ist gewiss nicht unmöglich; ich will hier nicht unerwähnt lassen, 
dass ich vielfach die Centralkörper der Leucocyten nicht rund, 
sondern länglich geformt finde, und dass sie auch dort, wo sie 
die erstere Form zeigen, doch länglich sein könnten, indem sie 
hier in der Richtung ihrer Längsaxe gesehen vorliegen mögen 
und dann, bei den kleinen Dimensionen, über ihre Form durch 
die Einstellung kaum zu entscheiden sein würde. Die länglichen 
Formen sehe ich allerdings bis jetzt nur nach Fixirung mit Her- 
manns:hem oder mit meinem Osmiumgemisch, nicht an Chrom- 
säurepräparaten, von denen oben (Anm. S. 104) die Rede war; 
aber wie dort gesagt ist, müssen die runden Körper, die man an 


pn 


son corpuscule constitue un. organe permanent, non seulement 
pour les premiers blastom'res, mais pour toute cellule; q .elle 
constitue un organe de la cellule au m&me titre que le noyau lui- 
meme; que tout corpuscule central derive d’un corpuscule anterieur; 
que toute sphere procede d’une sphere anterieure, et que la division 
de la sphere precede celle du noyau cellulaire.“ (a. a.0. pag. 67; 
ferner sei besonders auf pag.61 oben bei van Beneden verwiesen, 
wo es heisst: „Elles persistent ...... A tous les moments de la vie 
cellulaire.“) 

1) Flemming, Beitr. zur Kenntniss der Zelle. III, dieses Arch. 
Bd. 20, 1881, S.19 ff., 30 ff. u. 34, Tafel 2, Fig. 9, und: Zellsubstanz etc. 
1882, S. 296 Ba yvan Beneden, Nouvelles Recherches etc. 1887 
(l. e. vor. Anmerkung) Pl.I, Fig.2, 3. — Boveri, Zellenstudien H. 2, 
verschiedene Abbildungen auf Tafel II. — v. Kölliker, Handbuch 
der Gewebelehre 1889, S. 51. — O0. Schultze, Sitzungsber. d. Würzb. 
Phys. med. Gesellsch. 26. Juli 1890. — Ich sehe allerdings, dass der 
letztere Autor nicht, wie ich a. a. ©. eitirte, selbst einfache Sphären 
an ruhenden Kernen beschrieben, aber deren Existenz nach den Be- 
obachtungen v. Kölliker’s und Anderer angenommen hat (S.2 a.a. O.), 


708 W. Flemming: 


Präparaten letzterer Art sieht, einer Veränderung entsprechen, 
und wenn sie aus den Centralkörpern entstanden sind, müssten 
diese einer sehr starken Aufquellung unterlegen sein. 

Als weiteres Bedenken gegen eine dauernde und allgemeine 
Doppelheit der Centralkörper könnte auch der Befund F.Hermann’s 
an den Spermatoeyten von Salamandra'!) in Betracht kommen: 
Hermann findet hier im Verlauf des Spirems (Fig. 14—16 
a. a. O0.) einen einfachen Körper neben dem Kern, der sich 
erst in der Metakinese (Fig. 17) theilt und dessen Hälften sich . 
dann an die Pole lagern (Fig. 18). Doch muss man wohl wei- 
teren Aufschluss darüber abwarten, wie sich dies mit den neue- 
sten Ergebnissen Hermann’s?) vereinbaren wird, nach welchen 
die Centralkörper bei den gleichen Zellen viel kleiner sind als 
jene Körper und sich früher, schon im Spiremstadium, ausein- 
anderbewegen, sowie es auch meinen Befunden (s. unten) entspricht. 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich ein Missverständniss 
aufklären, das mit dem Gegenstand Berührung .hat. v. Kölliker 
(a. a. ©. S.55) bezieht sich bei der Besprechung seines Befundes 
an den Blastomeren von Siredon (einseitig am Kern anliegende 
Sphäre) auf eine frühere Aeusserung von mir?): „es sei mir kein 
Fall bekannt, in welchem zur Zeit des Kerntheilungsanfanges 
ein einziges Radiärsystem mit dem ganzen Kern als Centrum ge- 
funden wäre“, und führt dazu an, dass ich doch selbst eine der- 
artige Beobachtung aufzuweisen habe, indem er dafür meine Fi- 
suren 34 u. 35 von Sphaerechinus®) anzieht. Nun habe ich 
aber mit jener Aeusserung, wie es ja ihr Wortlaut sagt, nur 
eine Strahlung mit dem ganzen Kern als Centrum ge- 
meint in dem Sinne, dass die Radien auf den Mittelpunkt des 
Kerns eentrirt ständen; ich habe an den betreffenden, hier eitir- 
ten Stellen ausschliessen wollen, dass eine derartige Strah- 
lung, die ringsum von der ganzen Peripherie des Ker- 


1) Dieses Archiv Bd. 34, .1889, S. 68—69, Tafel 4 Hermann 
stellt hier, doch mit grosser Vorsicht, die Vermuthung auf, dass es sich 
bei diesen Körpern um van Beneden’s und Boveri’s Central- 
körperchen handeln möge. 

r Münchener med. Wochenschrift 1890, Nr. 47. 

3) Zellsubstanz ete. S. 296; ferner dieses Archiv Bd. 20, 5.19, 32, 
33 und 34, Satz 4. 
4) Am soeben eitirten Ort. 


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Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 709 


nes eoncentrisch ausginge, bei der Theilung von Eiern oder 
anderen Zellen jemals sicher beobachtet sei. Nicht aber habe 


ich daran gedacht — wie es v. Kölliker aufgefasst zu haben 
scheint — das Vorhandensein einfacher Radiensysteme an Kernen 


überhaupt zu bezweifeln, habe ja vielmehr selbst mehrfache, auch 
bei v. Kölliker eitirte Belege dafür beigebracht. Wie man beim. 
Lesen meiner hier angezogenen Stellen finden kann, kam es mir 
vielmehr darauf an, hervorzuheben, dass beim Anfange der 
Theilung die Strahlungen einseitig an den Kernen auftreten, 
nicht, wie damals gemeint wurde, radiär zum ganzen. Kern. So 
viel ich weiss, sind H. Fol), E. L. Mark?) und ich die Ersten 
gewesen, die dies zu einer Zeit, wo man noch nichts von Pol- 
feld, Sphären und Centralkörpern wusste, bemerkt und als wichtig 
erwähnt haben. Die weitere Forschung hat uns darin ja Recht 


gegeben, und es steht also jene meine von Kölliker angezogene 


Aeusserung mit seinen und allen neueren Befunden nicht in 
Widerspruch, sondern im besten Einklang. 

Von den Centralkörpern der Salamanderzellen will ich noch 
eins berichten, was mir bemerkenswerth scheint. Es macht mir 
den Eindruck, dass von den doppelten Centralkörpern, die man 
an ruhenden Kernen, sowie an allerfrühesten Spiremformen sieht, 
der eine kleiner wäre als der andere. Bei der Kleinheit 
dieser Dinge überhaupt und der Schwierigkeit ihrer Darstellung 
kann man nicht gut wagen, dies bestimmt zu behaupten; denn 
es ist ja zu bedenken, dass es sich um regressive Färbungen 
(durch Extraction) handelt und dass also zufällig aus dem einen 
Körperehen mehr Farbe ausgezogen sen kann als aus dem an- 
deren. Aber der Grössenunterschied macht sich so sehr oft be- 


1) Commencement de l’Henogenie chez divers animaux. Archives 
des Sciences phys. et nat., T. 18, Avril 1877, Sep. p.29; s. auch Fig. 6, 
Tafel X in Fol’s Recherches sur la F&condation, 1879. Seine kurze 
Beschreibung (betreffend Sagitta) an der ersteren Stelle lautet: „Pen- 
dant ce mouvement de translation (du pronucl&us mäle) l’on voit tres- 
nettement que le centre de l’6toile se trouve en avant de la täche 
claire* (letzterer Fleck entspricht dem Spermakern). Für meine näheren 
Angaben verweise ich auf die erwähnten Stellen. Meine Beobachtungen 
waren freilich darin unvollkommen, dass ich damals noch glauben 
konnte, die Strahlung des weiblichen Pronucleus entstände frei an der 
Seite des Eikerns, welche dem Spermakern gegenüberliegt. 

2) Mark, Maturation etc. of Limax camp., Bull. Harv. Coll. 1880. 


710 W. Flemming: 


merklich, dass ich daran denken muss, es könnte sich hier um 
‘ein typisches Verhalten handeln. Und dies um so mehr, als 
noch ein anderer Umstand darauf hinweist, dass die beiden 
Centralkörper resp. die künftigen Polkörper nicht einander gleich 
beschaffen sind. Hermann hat in seiner letzten, eben eitirten 
Arbeit (S. 2) mitgetheilt, dass in den Spermatocyten bei begin- 
nender Bildung der Spindelenden constant zuerst von einem 
der beiden Centralkörper ausgehend ein Faserbündel auftritt. 
Hierfür kann ich mich auch schon auf viel frühere eigene Be- 
funde beziehen. Als ich vor 1882 die Entstehung und Herkunft 
der achromatischen Figur zu ermitteln suchte!), zu einer Zeit 
also, wo die Entdeckung des „Polfeldes“ durch Rabl (1884—85) 
noch nicht vorlag und man noch nicht an Attraetionssphären 
dachte, fand ich bei flachen, lockeren Knäuelformen, eben zu 
der Zeit, wo die Kernmembran schwindet, die ersten Spuren 
dieser Figur in der Form, dass die zwischen den ehromatischen 
Knäuelfäden angeordneten blassen und feinen Stränge an zwei 
Stellen eine unverkennbare radiäre Anordnung zeigten (s. die 
hier eitirten Figuren des Buches). Ich habe diese Stellen da- 
mals sofort als die Pole und ihre Centra als die künftigen Pol- 
körperchen in Anspruch genommen (a. a. OÖ. S. 24 und 26) und 
dabei auch angenommen, dass diese Polstellen von vornherein 
noch ausserhalb des Bereiches der Kernmembran gelegen sein 
müssten, weil nur dies mit den Befunden an Eiern stimmen 
konnte. Ich wusste nun damals noch nicht, was wir jetzt wissen, 
dass beide Pole anfänglich ganz nahe bei einander an derselben 
Seite des Kerns im Polfeld angelegt sind; deshalb habe ich da- 
mals noch geglaubt (S. 224), dass stets zu gleicher Zeit zwei 
solche Strahlungen angelegt werden und zwar an entgegenge- 
setzten Flachseiten des Kerns, wenn auch bei der grossen Platt- 
heit des letzteren sehr nahe bei einander, und habe darum ge- 
meint, dass, wo ich nur einen solchen blassen Stern. wahr- 
nehmen konnte und demnach auch nur diesen gezeichnet habe 
(Fig. 34, 36 a. a. O.), der andere dureh chromatische Fäden 
verdeckt gewesen sei. Diese Annahme erscheint jetzt unnöthig; 
denn wie es aus der angeführten Beobachtung Hermann’s und 
aus dem, was ich selbst unten zu sagen habe, hervorgeht, ist 


1) Zellsubstanz ete., S. 224 ff., Taf. Ill a, Fig. 34, 36, 37, 


A nn a Din 


} Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 711 


wirklich der eine Pol dem anderen in der Entwicklung voraus, 
bekommt seine Strahlung früher als dieser, und wenn auch der 
letztere eine solche erhalten hat, bleibt diese auf eine Zeit lang 
noch merklich geringfügiger als die des ersteren Poles. 

Wenn wir hiernach wirklich auf eine substantielle Ungleich- 
heit und also auf eine gewisse Ungleichwerthigkeit der 
Pole schliessen können, die sogar schon in einer ungleichen 
Grösse der beiden Centralkörper bei noch ruhendem Kern ihren 
Ausdruck fände, so würde dies, wie mir scheint, ein allgemei- 
neres Interesse beanspruchen. Seit die einseitige Lage der 
Attractionssphäre am Kern festgestellt ist, kann man gewiss mit 
Grund mit van Beneden sagen, dass die Zelle ein bilateral 
symmetrischer Organismus ist, der durch eine, die Sphäre und 
den Kern mitten durchschneidende Ebene in zwei Antimeren zer- 
legbar wäre. Wenn aber das zutrifft, was ich hier vermuthungs- 
weise hinstellte, so haben wir eine noch weiter gehende Orien- 
tirung in der Zelle. Wir haben dann nicht nur eine Medianebene 
derselben, in welcher die Lage der Axe ausserhalb der Mitose 
nicht bestimmt anzugeben wäre, sondern eine Axe, welche z. B. 
in meinen Figuren 1—7 durch die verlängerte Verbindungslinie 
der beiden Centralkörper gegeben wäre. Und zwar eine Axe, 
deren zwei Enden ungleichwerthig sein können, sowie die beiden 
Centralkörper ungleichwerthig sind: so dass Verschiedenheiten 
der Zellsubstanz in verschiedenen Tlieilen der Zelle auch hierauf, 
nicht bloss auf den antimeren Bau bezogen werden können. Man 
wird sich hier an die interessanten Ausführungen Hatschek’s 
und Rabl’s!) erinnern, welche auf der Grundlegung einer „Po- 
larität der Zelle“ fussen. Die Annahme eines „basalen Pols und 
freien Pols“ der Zelle, die den Betrachtungen Rabl’s zu Grunde 
liegt, ist von den beiden Forschern zunächst nach den erkennbar 
ungleichen Functionen und Beschaffenheiten der Fussenden und 
freien Enden epithelialer Zellen abgeleitet worden; vielleicht hätten 
wir für diese Ideen eine noch weit speziellere Grundlage zu hoffen, 
wenn meine obige Vermuthung sich durchführen lassen würde, 
dass in jeder Zelle die Theilungspole oder, was ja das Gleiche 


1) ©. Rabl, Ueber die Prineipien der Histologie. Verhandlungen 
der Anatom. Gesellsch., III. Versammlung, Berlin 1889, S. 39, 


112 Ww. Flemming: 


ist, die beiden Centralkörperportionen unter einander nicht gleich- 
werthig sind). 

Scheinbar müsste dies zwar die Voraussetzung bedingen, 
dass die Uentralkörper auch in der ruhenden Zelle dauernd zwei- 
fach wären, was, wie ich oben ausgeführt habe, noch die Frage 
bleibt. Sollte sich aber auch ganz sicher herausstellen, dass sie 
bei voller Ruhe der Zelle einfach sind?) oder sein können, so 
kann man sich doch vorstellen, dass sie auch in solehem Zustand 
aus zwei nur eng vereinigten Theilen bestehen. Zur Erläuterung 
mag Folgendes dienen: an einem Ascaris-Ei im der Dyaster- oder 
Dispiremphase, wie in Fig. 7 und 8 Pl. I m van Beneden’s 
Werk von 1887, sind bereits an jedem Tochterpol schon vor 
der Zelltheilung die Centralkörper wieder getheilt, in Fig. 9 auch 
die Sphären, denn hier folgt eine Zelltheilung sehr rasch der 
anderen. Dies braucht auch bei Eiern nieht immer so zu sein. 
OÖ. Schultze (a.a. O. S.4) hat schon darauf hingewiesen, dass 
bei niederer Temperatur am Siredonei die Furchung sich verlang- 
samt, die Theilung der Sphäre sich verschieben kann, und hat 
es damit erklärt, dass von Kölliker bei dem gleichen Ei am 
ruhenden Kern nur eine Sphäre fand. Es wäre nun wohl mög- 
lich, dass auch bei Gewebszellen und überhaupt vielfach dort, wo 
zwischen den Theilungen lange Ruhepausen auftreten, die Sphäre 
am Tochterpol sich noch nicht theilt, die Centralkörper zwar 
sich zerlegen oder doch in zwei Portionen sondern, dass aber 


1) Es ist zwar bei anderen Zellenarten, und namentlich bei Eiern 
wie die Wurmeier, bei denen die Centralkörper so viel grösser sind, 
von ungleichen Dimensionen der beiden Polkörper meines Wissens 
noch nichts bemerkt worden, und dies bestimmt mich um so mehr, 
das Obige nur als Muthmaassung hinzustellen; es ist aber wohl mög- 
lich, dass solche geringe Grössenunterschiede der Körper auch bei den 
Eiern vorkommen und nur bisher nicht beachtet worden sind. 

2) In diesem Fall müsste natürlich angenommen werden, dass 
in alle den weitaus häufigsten Fällen, wo ich in diesen Geweben zwei- 
fache Körperchen gefunden habe, das einfache sich bereits für eine 
bevorstehende Zelltheilung wieder verdoppelt hat. Diese Annahme 
wäre nicht unmöglich, da es sich ja hier um wachsende Larvengewebe 
handelt. Diese Theilung der Centralkörper könnte entweder schon in 
den Anaphasen der vorhergehenden Mitose erfolgt sein, wie dies bei 
Schlag auf Schlag sich theilenden Zellen geschieht (furchende Eier, 
Spermatoecyten, Pollenmutterzellen), oder auch später eingetreten sein, 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 7113 


diese beiden Portionen zunächst nicht aus einander zu rücken 
brauchen und dies erst thun, wenn eine neue Theilung heran- 
rückt. Dann also würde es eine polare Orientirung an der Sphäre 
und eine Duplieität der Centralkörper geben können, auch dort, 
wo diese wie ein einfacher aussehen. Ich erinnere hier auch an 
das, was einige Seiten zuvor über die scheinbar einfachen 
Sphären und Centralkörper der Leukocyten gesagt ist. 

Und selbst wenn auch diese Vermuthung schon zu weit 
ginge und sich bei weiterer Untersuchung zeigen sollte, dass es 
in ruhenden Zellen wirklich vollkommen einfache Centralkörper 
giebt, so würde es immer noch denkbar bleiben, dass es an 
einem solchen zwei verschieden beschaftene Pole giebt und dem- 
nach, wenn er sich theilt, seine beiden Theilproduete unter ein- 
ander ungleich ausfallen werden. Damit hätten wir aber dann, 
auch dort, wo solche Theilung noch nicht erfolgt ist, schon eine 
dureh die Polarität des Centralkörpers vorgezeichnete Axe der Zelle. 

Ich würde den letzteren, noch durchaus hypothetischen Be- 
trachtungen hier keine Stelle gewährt haben, wenn es nicht klar 
wäre, dass unter der Voraussetzung eines Doppelbaues oder einer 
ungleichen Polarität der Centralkörper die vorher erwähnte Er- 


scheinung -- das zeitlich-ungleiche Verhalten im Beginn der 
Mitose — viel leichter verständlich wird, als wenn wir annehmen, 


dass jene Körper, wo sie einfach erscheinen, völlig homogen sind. 

Ich übersehe nicht, dass die Annahme einer solchen axialen 
Örientirung in der Zelle auf den ersten Blick in Widerspruch 
mit Erfahrungen steht, die am Ascaris-Ei gemacht und besonders 
von Boveri hervorgehoben sind: danach ist dort die Theilungs- 
axe der Centralkörper an den Tochterpolen keineswegs eine be- 
stimmte, sie kann sehr verschiedene Richtung zur Axe der vor- 
hergegangenen ersten Theilung haben (Boveri a,a. O., S. 165). 
Hierin scheint mir aber kein ausschlaggebender Einwand zu liegen. 
Zunächst, wenn auch die Centralkörperaxe ihre Stellung wechseln 
kann, so kann sie doch während der Lage, die sie jeweilig hat, 
auf den ganzen Zellleib und seine geformte Structur einen orien- 
tirenden Einfluss äussern; dies erkennt Boveri selbst besonders 
an in den Worten (S. 132): „dass jedes in einer Zelle vorhandene 
Centrosoma eine nicht näher zu bestimmende Herrschaft über das 
Protoplasma ausübt“. Wenn nun im Ei und in den anfänglichen 
Furchungszellen ein Stellungswechsel der Axe häufiger eintritt, 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 47 


714 W. Flemming: 


wenn dementsprechend der Bau dieser ersten Körperzellen noch 
ein in sich flexibler ist, so lässt sich doch wohl daran denken, 
dass in ihren späteren Abkömmlingen, die sich an bestimmte 
feste Lage und bestimmte Function bequemt haben, auch eine 
mehr bestimmte Lage und Axenstellung der Centralkörper Platz 


gewinnt, und dass auf Grund dessen das, was Boveri Herrschaft 


über das Protoplasma nennt, sich in Form einer wirklichen topo- 
graphischen Differenzirung der Zellsubstanz geltend macht. 


In meinem letzten Aufsatz hatte ich die Frage, was bei 
amitotischer Fragmentirung eines Kerns mit nachfol- 
sender Absehnürung der Zelle mit der Attraetionssphäre 
geschieht, noch nieht beantworten und nur vermuthen können, 
dass Oentralkörper und Sphäre sich dann wohl vor der Abschnü- 
rung der Zelle wird theilen müssen). Seitdem habe ich einen 
Fall gefunden, der dies stützen kann (Fig. 26). Eine kleine Zelle 
in einem Kiemenblatt, die nach der dunklen Kerntinetion und 
der Ausläuferlosigkeit des Leibes ein Leukoeyt ist, befindet sich 
in offenbarer Abschnürung, jede Portion enthält einen Kern; diese 
beiden Kerne sind gleich gross, und da in ihnen jede Spur von 
mitotischer Anordnung fehlt, die in diesem Zustande des Zellen- 
leibes sonst einem Dyaster oder allenfalls Dispirem entsprechen 
müsste, so ist zu schliessen, dass eine Fragmentirung des Kerns 
in Form einer Absehnürung vorhergegangen ist. In jeder Zell- 
portion nun liegt ein blassröthlich gefärbter Körper neben dem 
Kern. Es handelt sich um ein Chromsäurepräparat; an solchen 
‚sind die Sphären so verändert, wie ich dies oben auf S. 704, 
Anm. 1 besprach, ich kann also nicht sicher sagen, ob diese 
Körper in Fig. 26 geschrumpften Sphären oder gequollenen Central- 
körpern entsprächen; jedenfalls zeigen sie ganz dieselbe Tinction 


und Liehtbreehung, wie die betreffenden Körper in Chromsäure- 
objecten überhaupt, sind also nicht als beliebige Körner zu be-. 


trachten. Der eine dieser Körper liegt, wie man sieht, dicht an 
der Abschnürungsstelle und zeigt ungefähr runden Umfang; der 
in der andern Hälfte, etwas entfernter von der Schnürstelle, ist 


platt und scheint kleiner zu sein als der erstere, doch kann dies 


1) Dieses Archiv Bd. 37, S. 283, 


PER TEN TO ER EN 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 715 


auch darauf beruhen, dass beide gleich gross und flach sind und 
der eine von der Fläche, der andere von der Kante gesehen 
wird. Hiernach würde sich also die Sphäre bei Fragmentirung 
von Leukoeyten theilen, bevor es zur Abschnürung der Zellleiber 
kommt, wie ja a priori zu vermuthen war (s. a. a.0.). Dass das 
Gleiche bei der blossen Fragmentation emes Zellkerns nicht 
erfolgt, habe ich dort gezeigt. 


E. Zur Mechanik der Zelltheilung und über die Entstehung 
der Kernspindel in Gewebszellen des Salamanders. 


Seit ich vor vier Jahren zuletzt Anlass hatte, diesen Gegenstand 
und was damit wesentlich zusammenhängt, die Spindelbildung zu 
besprechen !), ist die Forschung darin bekanntlich um grosse Schritte 
vorwärts gekommen; wir verdanken dies vor Allem Edouard 
van Beneden, dessen schon frühere Entdeckung der Attractions- 
sphären und ihrer Centralkörper im Ascaris-Ei?) die Hauptgrund- 
lage für diese Fortschritte war und in seinem folgenden Werke?) 
den glänzenden Ausbau erhalten hat, in dem sie uns jetzt ganz 
neue Gesichtspunkte für das Verständniss des Zelltheilungsvor- 
ganges eröffnet; ferner Boveri, dessen die Zelltheilung betreffende 
Arbeit‘), mit der letztgenannten van-Beneden’s gleichzeitig und 
von ihr unabhängig entstanden, in den wesentlichsten Punkten 
zu gleichen Ergebnissen gelangte. Eine höchst wichtige Vor- 
läuferin dieser Funde, wenn sie ihnen auch nichts an Origimalität 
entzieht, muss die Arbeit Rabl’s von 1885°) genannt werden, 
der noch ohne Kenntniss der Bedeutung, Wirkung und Theilung . 
der Attractionssphären van Beneden s die Thatsache entdeckt 
hatte, dass die Pole an einer eng beschränkten Stelle einseitig 
neben dem Kern auftreten und sich während der Mitose von 


1) Dieses Archiv 1887, S. 425. 
2) Recherches sur la maturation de l’oeuf, la fecondation et la 
division cellulaire. 1883. 
3) van Beneden et Neyt, Nouvelles Recherches sur la f@con- 
dation et la division mitosique chez l’Ascaris megaloc£phale, Brux. 1887. 
4) Zellen-Studien H.2. Die Befruchtung und Theilung des Eies 
von Ascaris megalocephala. Mit dem früheren Heft und sonstigen 
Publikationen Boveri’s berührt sich das Folgende nicht näher. 
5) Ueber Zelltheilung. Morph. Jahrb. Bd.X. 


716 W. Flemming: 


einander entfernen. Ich erlaube mir, von einer Anführung vieler 
anderer wichtiger Untersuchungen über Zelltheilungsprobleme ab- 
zusehen und ausser den genannten nur diejenigen zu besprechen, 
mit denen ich hier selbst näher in Berührung komme. 

In jener Besprechung von 1887 war ich zu dem Schluss . 
gelangt, dass 1. die Theilungspole, wie das ja schon früher an- 
zunehmen war, ausserhalb des Kernbereichs gelegen sind und 
zwar, wie Rabl gezeigt hatte, anfangs nahe beisammen in Er- 
scheinung treten und dann sich von einander entfernen; dem- 
gemäss ist die Spindel, wie es Rabl dargestellt hat und wie ich 
es damals bei den Spermatocyten bestätigt fand, anfangs klein 
und wächst an Länge und an Mächtigkeit; 2. hatte ich anzuer- 
kennen, dass auch die polaren Enden der Spindel bei Wirbel- 
thieren ebenso, wie nach van Beneden bei Ascaris, ausserhalb 
des Kerns entstehen können; da aber bei Amphibienzellen die 
Pole so sehr nahe am Kernumfang erscheinen, konnte ich das 
bei diesen Objeeten auch nur für die äussersten Enden der Spindel 
selten lassen und nalhım für deren dort im Verhältniss viel grös- 
seren Mitteltheil an, dass er aus achromatischen geformten Be- 
standttheilen des Kernes — wie wir jetzt nach F. Schwarz’s 
Ausdruck sagen, aus Lininfäden -—— entstehen müsse; dies stützte 
sich auf meine früheren eigenen Beobachtungen an Epithel- und 
Bindegewebszellen !), welche zuerst das Vorhandensein von blassen 
feinen Fäden innerhalb der späteren Knäuelstadien, noch vor 
dem Schwinden der Kernmembran, kennen gelehrt hatten. Ich 
konnte es danach schon am unten eitirten Ort (1882) als an- 
nehmbar hinstellen (S. 226): | | 

„Dass die Fäden der Spindel (mit Ausnahme ihrer polaren 
Enden und der Polkörper selbst) aus den blassen Strängen ent- 
stehen, die man in den Knäueln sieht und welche aus den 
seformten Structuren des Kerns, als chromatinlose Bestandtheile 
derselben, sich entwickeln. Es ist eine Attraction oder doch 
eine richtende Kraft von Seiten der Pole im Spiel, welche sich 
innerhalb der Knäuelphase verstärkt und diese Stränge als Ra- 
dien gegen die Pole configurirt, so dass dieselben im Anfange 
dieses Processes noch ungenau radiäre Ordnung zeigen, später 
immer regelmässigere und geradlinigere annehmen. — Eine gleiche 


1) Zellsubstanz ete., S. 223 u. folgende, Tafel IIIa. 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 717 


richtende Kraft üben die Pole aber auch auf die umgebende 
Zellsubstanz; sie wird gleichfalls radiär zu ihnen orientirt, und 
dies giebt die polare Zellstrahlung. — Die Kernmembran wird 
deconstituirt zu losen Strangwerken, welche mit denen, die sich 
jetzt im hellen Innentheil des Zellkörpers darstellen, in Zusam- 
menhang stehen und bleiben, und von ihnen nachher nicht weiter 
zu unterscheiden sind.“ 

Man sieht, dass diese Auffassung denjenigen schon recht 
nahe steht, welche van Beneden und weiter Rabl (s. unten) 
seitdem aufgestellt haben, wenn man in meinen Worten die Aus- 
drücke „Attraction oder richtende Kraft“ durch „Contraetion“ 
ersetzt. 

In Bezug auf die schon damals vorliegende Angabe van 
Beneden’s!), dass die Spindelfasern gegen den Aequator zu freie 
Enden\haben, mit denen sie sich an die Chromosomen heften 
und sie gegen die Pole auseinander ziehen, konnte ich mich 
nach dem Befund an meinem damaligen Objeet — Spermatocyten 
des Salamanders — nicht zustimmend verhalten?), da bei diesen 
ganz sicher Fasern zu finden waren, die im Aequator keine 
Unterbrechung zeigten, und da man nach van Beneden’s erster 
Darstellung meinen könnte, dass er eine solche Discontinuität 
für das ganze Fadenbündel annähme. Jetzt ist diese Diffe- 
renz, wie das Weitere ergiebt, ohne-Schwierigkeit zu beseitigen. 

In dem gleichen Jahr, wie meine eben eitirte, erschien die 
schöne Arbeit van Beneden’s und Neyt's (s.oben) und brachte 
als Hauptergebnisse: den vollen Nachweis der Sphären und Cen- 
tralkörper in der Bedeutung als bleibende Organe der Zelle; den 
Nachweis ihrer Theilung und ihrer wichtigen Rolle bei der Zell- 
theilung, in der Art, dass Spindelfasern (aber nicht sämmtliche) 
von den getheilten Centralkörpern (Polkörpern) von beiderseits 
an die Chromosomen treten und deren Spalthälften gegen je einen 
Pol ziehen, also die Entdeekung der nächsten Ursache für die 
Heteropolie*) der Chromosomenhälften und die Zurückführung . 


1) a. a. O. 1874. | 

2) S. 433 meiner Arbeit a. a. 0. 

=223.:0.8:335 u. and. 

4) Ich benutze den Ausdruck Heteropolie der Spalthälften 
als kurze Bezeichnung für die Thatsache, dass die beiden Schwester- 
hälften je eines Chromosoms nach verschiedenen Polen hin verlagert 


718 W. Flemming: 


dieses Vorganges wie des ganzen Theilungsprocesses auf eine 
Contraetion geformter Strueturen der Zellsubstanz, 
welche die Centralkörper, bezw. Polkörper zu Centren hat. In 
‚letzterer Hinsicht kommt noch als besonders wichtig die Ent- 
deekung van Beneden’s in Betracht, dass zwischen den Polen 
und der Eiperipherie bei der Theilung die Gegenpolkegel (cönes 
antipodes) als stärker markirte Theile der Polstrahlung erscheinen, 
deren Fibrillen dureh ihre Contraetion die Polkörper von ein- 


ander abspannen. van Beneden — wie auch Boveri, siehe 
unten — vergleicht die Contractilitätsäusserungen der Spindel- 


fasern und Polstrahlen geradezu mit denen von Muskelfibrillen. 
Der Punkt, mit dem ich mich hier besonders beschäftigen will: 
die Frage nach der Art, in welcher der Zusammenhang der 
Spindelfasern mit den Chromosomen zu Stande kommt oder prä- 
existirt, und ferner nach der ersten Ursache der Chromosomen- 
spaltung, ist in dieser Arbeit van Beneden’s nicht näher in’s 
Auge gefasst; er sagt (pag.41), dass die Fibrillen der Spindel 
nichts anderes seien, als differenzirte Theile der Zellstruetur („du 


werden und also für verschiedene Tochterkerne bestimmt sind; eine 
Thatsache, welche bekanntlich dwrch E. Heuser und van Beneden 
gleichzeitig (März und April 1884) festgestellt und im folgenden Jahre 
durch Rabl bestätigt worden ist. In einer kürzlich geführten, durch 
einen Aufsatz Guignard'’s veranlassten Controverse über die Priorität 
dieses Fundes zeigt sich sehr deutlich der Mangel eines einfachen 
Ausdrucks für das gesammte Verhalten; es wurde im Französischen 
mit den Worten: dedoublement, &cartement, cheminement des anses 
vers les pöles umschrieben, auch das Wort cheminement zur Bezeich- 
nung des Ganzen benutzt, und so konnte das Missverständniss mög- 
lich werden, als handele es sich um die lange bekannte Längsspaltung 
der Chromosomen oder um die ebenso bekannte Thatsache, dass durch 
diese Spaltung deren Zahl verdoppelt wird und jeder Tochterkern die 
Hälfte der Gesammtzahl erhält, oder gar um das Auseinanderrücken 
der beiden Tochtergruppen — denn cheminement heisst ja nichts 
weiter als Bewegung. Von diesen drei Dingen hatte ich die beiden 
ersten längst festgestellt, und das dritte verstand sich von selbst. Aber 
es stand nicht fest und war doch sehr wichtig zu wissen, ob von zwei 
Spalthälften eines Chromosoms die Hälfte a zum einen Pol und b zum 
andern geht. Dies habe ich nur als möglich hinstellen können; 
Guignard hat es mit richtigem Bliek angenommen, aber nicht be- 
wiesen; Heuser und van Beneden haben, unter völliger Einsicht 
in die Tragweite des Verhaltens, diesen Beweis geführt und sind da- 
mit ohne Frage die Entdecker der Heteropolie gewesen. 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 719 


treillis protoplasmique“), und dass der grösste Theil der Spindel 
(die eönes prineipaux) sich bei Ascaris aus den Sphären, also 
von ausserhalb des Kerns her bildet, und lässt sich, so viel ich 
sehe, nieht auf die Frage ein, ob auch achromatische Substanzen 
des Kerns für die Spindelbildung mit benutzt werden. In Bezug auf 
den ersten Anlass zur Längsspaltung der Chromosomen findet sich 
bei ihm nur die vorsichtige Aeusserung: „I est probable que 
les filaments des cönes prineipaux determinent en se contractant, 
sinon le dedoublement des anses primaires, tout au moins l’Ecarte- 
ment etc. des anses secondaires.* (pag. 67.) 

Boveri’s Ergebnisse schliessen sich, wie gesagt, denen 
der belgischen Forscher in den Punkten, welche für meine hiesige 
Aufgabe in Betracht kommen, sehr nahe an, indem er die Spindel 
offenbar durchaus von den Sphären herleitet und noch direeter, 
als van Beneden, von einem Ausgesandtwerden der Spindel- 
fasern von Seiten der Centrosomen, von einem Sich-Festheften 
_ derselben an den Chromosomen spricht, und für das Ascaris-Ei 

eine Betheiligung von Kernsubstanz an der Spindelbildung, so 
viel ich sehe, gar nicht in Rede stellt. In Bezug auf die Chro- 
mosomenspaltung betont Boveri jedoch bestimmt, „dass sie eine 
selbständige Lebensäusserung derselben sei“, und nicht, woran 
sich nach van Beneden’s und Neyts Beschreibung allenfalls 
denken liesse, bloss passiv durch Zug der Spindelfibrillen an den 
Chromosomen bewirkt werden könne; er begründet dies unter 
Anderem damit, dass in anderen Fällen die Längsspaltung schon 
vor der Fertigstellung der Spindel auftreten kann; ja, dass bei 
der Riehtungskörperbildung im Asearis-Ei die Spaltung, die bei 
der zweitfolgenden Theilung zum Vollzug gelangt, schon von der 
ersten her vorbereitet ist (a.a.O. S. 115). Es mag entschuldigt 
sein, dass ich auf einige andere Differenzen und überhaupt auf 
vieles Wichtige in Boveri’s Arbeit hier nicht eingehe und nur 
das berücksichtige, womit ich näher in Berührung komme. 

Vor zwei Jahren hat Rabl eine Hypothese über die Me- 
chanik der Zelltheilung aufgestellt!), welche sich in den meisten 
Beziehungen an die Auffassung van Beneden’s und Neyt's 
anlehnt, doch in zweien sich von ihr unterscheidet. Rabl’s 
Grundgedanke ist, dass in der gesammten Zelle eine Centrirung 


1) Ueber Zelltheilung. Anat. Anzeiger 1889, Nr. 1. 


720 w. Flemming: 


gegen den Centralkörper, bezw. gegen die Polkörper besteht, 
und zwar, wie Rabl selbst sagt: „auch für die Zeit der Ruhe, 
während van Beneden eine solche Centrirung nur für die Zeit 
der Theilung annimmt“. Ich entnehme zwar aus van Beneden's 
und Neyt’s Arbeit nicht, dass diese eine Centrirung ausserhalb der 
Theilung ausgeschlossen sein lassen wollten, und sie bemerken an 
mehreren Stellen), dass sie die Spindelfasern und die Polstrah- 
lungen für nichts anderes halten, als für differenzirte Theile der 
Zellstruetur („du treillis protoplasmique“), und betonen an letz- 
terer Stelle deren Contractilität; doch heben sie freilich eine 
Centrirung der ruhenden Zelle im Sinne Rabl’s nicht besonders 
hervor. — Das zweite und am meisten Besondere in Rabl’s 
Construction ist, dass er die Einstellung der Structur gegen das 
Centralkörperchen nicht nur für die ruhende Zellsubstanz, son- 
dern auch für den ruhenden Kern in’s Auge fasst, und zwar 
dies nicht nur für dessen chromatische Structuren, worauf ja 
schon seine frühere Arbeit abzielte, sondern auch für achroma- 
tische geformte Bestandtheile des Kerns (a. a. OÖ. bei Rabl 
S.24 unten, 25 oben, 26 und Fig. 1). Wo diese achromati- 
schen Bestandtheile während der Ruhe im Kern zu suchen sind, 
darüber spricht sich Rabl in diesem Aufsatz zwar nicht aus; 
doch aus dem, was in seiner früheren Arbeit im morphol. Jahr- 
buch (a.a. O. S. 323—24) über die Struetur des ruhenden Kerns 
und über die Rückbildung desselben aus dem Tochterknäuel gesagt 
ist, kann ich vielleicht annehmen, dass er sich gleich mir denkt, 
diese achromatische Substanz sei während der Kernruhe mit der 
_ ehromatischen zum Gerüst vereinigt, und dass er sich also meiner 
vorher eitirten Meinung über die Anlage der Spindelfasern — 
durch Sonderung von Lininsubstanz aus der ehromatinhaltigen, 
deren übriger Bestand sich zu den Knäuelfäden ordnet — an- 
schliesst, obwohl er dieselbe in seinem letzten Aufsatz nicht er- 
wähnt hat. 

Eine Anschauung dieser Art über die Verhältnisse des 
ruhenden Kerns, über eine bleibende Verknüpfung von dessen Bau 
mit dem der Zellstruetur, ist n van Beneden’s Theorie nicht 
enthalten; ich finde nicht, dass er ihre Möglichkeit irgendwo in 
Abrede stellt, aber auch nicht, dass er sie überhaupt in’s Auge 


1) Bd. 41 und pag. 67. 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 721 


fasst. Boveri hingegen ist in diesem Punkt offenbar anderer 
Meinung als ich und Rabl; er nimmt an, dass die Polradien 
(Arehoplasmastrahlen) von den Sphären ausstrahlen, auf die 
Chromosomen treffen und sich an sie anheften; dass es sich also 
bei der, Spindelbildung keineswegs um Ausprägung, Verstärkung 
und Contraetion einer schon vorhandenen Structur handelt, son- 
dern um Protoplasmastrahlen, die gegen den Kern und in seinen 
Raum vordringen!). In Bezug auf die Längsspaltung der Chro- 
mosomen steht Rabl’s Anschauung ebenfalls mit der Boveri’s 
in Widerspruch; Letzterer hebt hervor, dass sie von den Spindel- 
fasern unabhängig und eine selbständige Lebenserscheinung der 
chromatischen Elemente sei?). Auf diesen Punkt habe ich noch 
näher zurückzukommen. 

In neuester Zeit ist eine kurze Mittheillung F. Her- 
mann's?) über die Spindelbildung bei den Spermatocyten von 
Salamandra erschienen, welche an diesen die Sphären und ihre 
Theilung im Beginn der Mitose nachweist und die Entstehung 
der Spindel verfolgt; der centrale Theil der Spindel hat nach 
Hermann seine Herkunft ausserhalb des Kerns und stellt nach 
seiner Vermuthung später die „Verbindungsfasern“ dar; inwie- 
weit der übrige Theil der Spindel von ausser- oder innerhalb 
des Kerns stammt, lässt der Verfasser noch unentschieden. Uebri- 
gens schliesst seine Auffassung des. ganzen Theilungsvorganges 
sich wesentlich an die van Beneden’s und Boveri's an. 

Letzteres gilt der Hauptsache nach wohl auch von der 
neuen Mittheilung 0. Schultze’s*) über die Theilung des Eies 
und der Furchungszellen von Siredon pisciformis, so weit der kurz- 
gefasste Inhalt lehrt. In der am Schluss angedeuteten Hypothese 
führt der Verfasser die Zelltheilung auf eine Theilung der Mi- 
krosomen in der Zelle zurück und nimmt eine Längsspaltung 
der Spindelfasern an, die in der Theilung der in ihnen gelegenen 
Mikrosomen begründet ist und an welche sich die Halbirung der 
Mikrosomen in den Chromatinschleifen anschliesst. Ich vermag 


1) Dies geht wohl bestimmt aus den Worten Boveri’s S. 97, 
übrigens auch aus vielen anderen Stellen hervor. 

2) 8. 113. 

3) Die Entstehung der karyokin. Spindelfigur, Münchn. med. 
Woch. Nr. 47, 1890. 

4) Sitzungsber. d. phys. med. Ges. Würzburg, 26. Juli 1890. 


722 | W..Flemming: 


aus dem Wortlaut noch nicht zu ersehen, ob sich diese Hypothese 
an Rabl’s Idee näher anschliesst oder in wie fern sie davon 
abweicht. 

In ©. Hertwig'’s letztjähriger grosser Arbeit über Ei- und 
-Samenbildung bei Nematoden!), welche wesentlich andere Pro- 
bleme verfolgt, ist die Frage der Spindelbildung und Kermnthei- 
lungsmechanik nicht näher berührt; nach seiner Beschreibung der 
Spermatocytentheilung (8.38 ff. u. 40 ff.) und seinen Figuren 
auf Tafel I u. II scheint es klar, dass er die Bildung der Spindel- 
enden aus der Attractionssphäre annimmt; die nach der Kern- 
trennung bestehenden Verbindungsfäden sind nach seiner Be- 
schreibung und Fig. 25, 26 u. 27 auf den beiden Tafeln aus 
einer Lininmasse abzuleiten, von welcher anfangs die vier stäb- 
chenförmigen Chromosomen eingehüllt zu einem Bündel verbunden 
waren. 

Henking, in der neuesten Arbeit, die mit unserem Gegen- 
stand in Berührung tritt?), bezeichnet es an seinem Objeet (Sper- 
matocyten von Pyrrhocoris) als nicht zweifelhaft, dass die Spindel- 
fäden sich aus dem Kernnetz formiren. „Denn noch während 
des Vorhandenseins der Membran sieht man die Kernfäden auf 
die Polkörperehen zustreben, und ist die Membran verschwunden, 
so bieten die vom ÜOentrosoma zu den Chromosomen ziehenden 
Fäden denselben Anblick durch ihre körnige Beschaffenheit, ihre 
Färbung und den geknickten Verlauf, wie früher innerhalb der 
Membran.“ (S. 699, Fig. 23 e bis 29, Tafel 35.) In der fertigen 
Spindel hat Henking deren achromatische Fäden doppelt 
gefunden. 


Ich habe nun an meinen jetzigen Objeeten, besonders 
grossen, flachen und durchsichtigen Zellen, in denen die chroma- 
tinlosen Structuren durch die Methode recht gut verdeutlicht 
sind, zu ermitteln gesucht, was sich bei Gewebszellen des Sala- 
manders in Bezug auf die erste Anlage und das Wachsthum der 
Spindel, und über die Chromosomenspaltung ausmachen lässt. 


1) Dieses Archiv Bd. 36. | 

2) Untersuchungen über die ersten Entwickelungsvorgänge in 
den Eiern der Insekten. Zeitschrift für wiss. Zool. Bd.51, 4, 1891, 
Seite 686. 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 123 


Die ersten bestimmten Anfänge der Spindelbildung, die ich 
fand, zeigen Bilder, wie Fig.6 und 7, Tafel I. Die Central- 
körper rücken auseinander (Fig. 6); um jeden von ihnen her 
tritt deutlicher, als in der Zellruhe, eine leichte Verdichtung und 
eine sehr schwache Strahlung auf, und zwischen beiden Körpern 
erscheint ein blasser Streif, an dem ich, bei der Kleinheit der 
‚Verhältnisse, noch nicht erkennen kann, ob er eine Unterbrechung 
in der Mitte hat oder nieht. Wo man solche Anfänge der 
Spindel findet, zeigt die Kernstructur eine deutliche Centri- 
rung gegen das Polfeld (s. die Figuren), obwohl ihre Balken 
noch ganz ungleich diek und von grossen Knoten durchsetzt 
sind. Diese erste kleine, wie es scheint, ununterbrochene Spindel- 
anlage, welche ja in ähnlicher Form schon von van Beneden 
bei Ascaris, und von Hermann (a.a.0. S.2) an den Hoden- 
zellen beschrieben wurde und nur bei meinen jetzigen Objeeten 
noch kleiner ist, liegt an solchen Kernen, die Nierenform haben, 
immer an der Brustseite. In den nun zunächst folgenden Sta- 
dien ist es mir bisher nicht geglückt, völlig reine Profilbilder zu 
finden, wie Fig. 7, in denen man das weitere topographische 
Verhalten dieser Spindelanlage zum Kern deutlich vor Augen 
hätte; nach meinen früheren Befunden an den Spermatoeyten 
aber!), und nach den vielen Bildern, wie Fig. 31, 32, 33, 34, 
Tafel III, die ich von Lungen- und- Bauchfellzellen vor mir ge- 
habt hatte, kann ich glauben, dass die Spindelhälften sich mit 
ihren Basen schräg gegen den Kern wenden, so dass beide, als 
Ganzes vereinigt gedacht, die Form einer gekrümmten oder in 
der Mitte geknickten Spindel geben würden (Schema Fig. 29), 
wie ich ja solehe a.a. 0. (s. Anm.) von den Spermatoeyten be- 
schrieben habe. Dies giebt, wo man das Gebilde im halben 
Aufblick sieht, Bilder, wie Fig. 33, 34 und 35; die Hälften sind 
jetzt bedeutend gewachsen, eine deutliche Faserung darin zu 
unterscheiden; die Fasern laufen nicht geradlinig, sondern etwas 
geknickt, wellig, dies jedoch lange nicht in dem Grade, wie es 
Rabl’s schematischer Fig. 2b a.a. O. entsprechen würde. Ein 
Zusammenhang sämmtlicher Fasern beider Kegel besteht jetzt 


keinesfalls; wenn es auch hier — wie ich nach Hermann’s 
Beschreibung a.a. 0. S.3 gewiss gern annehmen möchte — eine 


1) S. 427 ff., Fig. 15—19 a.a.0. 


724 W. Flemming: 


zusammenhängende „Oentralspindel“ giebt, die aus dem ursprüng- 
lichen kleinen Verbindungsstreif (Fig. 7 hier) entstanden und 
herangewachsen ist, so muss sie an diesen Stadien sehr unsehembar 
sein. In Bildern wie Fig. 32 und 33 sieht man einzelne Spindel- 
fasern jetzt deutlich mit Chromosomen in Zusammenhang !). 

Die Kernmembran, die m den Stadien der Fig. 6—7, und 
noch etwas weiter, scharf markirt war, beginnt dann undeutlich 
zu werden, und in Formen wie Fig. 31, 32 zeigen sich an ihrer 
Stelle blasse Strangwerke, anfangs oft etwas dichter, als die im 
Kern vorhandenen. Im Kern selbst sind nämlich zwischen den 
chromatinhaltigen Structuren schon bei noch bestehender -Kern- 
membran zarte chromatinlose Strangwerke zwischen den ehroma- 
tischen sichtbar (Fig. 21—23, weiter 31—32), wie ich diese ja 
schon in meinen früheren Arbeiten gefunden und näher beschrie- 
ben hatte2); denn sie sind auch mit anderen Mitteln als meinen 
jetzigen (besonders Chromessigsäure-Hämatoxylin) sichtbar zu 
machen, sehr deutlich in den Stadien, wo eben die Kernmem- 
bran im Schwinden begriffen ist. 

Weiter (Fig. 34—36) erscheinen die Spindelfasern immer 
mehr gestreckt — obwohl vielfach noch immer nicht ganz gerad- 
linig — und zum Theil dieker geworden, sowie verlängert; eine 
immer grössere Zahl von ihnen ist im Verbindung mit Chromo- 
somen zu erkennen, und zwar treten die dieksten an die Schleifen- 
winkel. Die Polkörper sind sehr viel grösser geworden und 
färben sich bei der Orangemethode fast so lebhaft wie das Chro- 
matin. Die Polstrahlung, die schon vorher ausgesprochen ist, 
lässt jetzt sehr deutlich, übrigens auch schon in den übrigen 
Formen, einen Zusammenhang mit den aufgelockerten Faden- 
werken in dem hellen Innentheil des Zellenleibes (s. oben im 
2. Abschnitt) und dadurch wieder mit der Peripherie erkennen. 
In der Strahlung markiren sich eine Anzahl dickerer Fasern, 
welche ich für gleiehwerthig mit van Beneden’s „Cönes anti- 
podes“ halte. | ; 

Für die sämmtlichen gegebenen Bilder ist festzuhalten, dass 


1) Gekrümmte Spindelenden in den Anfangsstadien habe. ich 
an diesen Objeeten nicht selten gesehen; ob sie hier zu gewisser Zeit 
ständig sind, weiss ich nicht. Fig. 35 zeigt einen derartigen Fall, 

2) Zellsubstanz etc., S. 220 ff. 


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EEE EEE DEREEEEEEEEE, EEE EE G U 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 129 


es sich hier um sehr flache Kerne und Zellen handelt, und dass die 
Spindelanlage, ob sie nun anfangs am Schmalrande oder an einer 
Fläche des Kerns gelegen war, sich bei ihrer Vergrösserung 
immer über eine seiner Flachseiten neigt und von dieser aus 
sich gleichsam in ihn hineindrückt. Deshalb liegen im den ge- 
lockerten Knäueln anfangs die beiden Polstellen und ihre Spindel- 
kegel, so wie wir sie von der Fläche betrachten, umschlossen 
oder halbumschlossen von den chromatischen Knäuelfäden und 
erscheinen anfangs als eine gemeinsame (Fig. 32) und später als 
zwei getrennte helle Stellen in der Figur (Fig. 33 u. folg.). Solche 
Aufblicke auf noch einfache und auf schon doppelte Polfelder 
habe ich schon in früheren Arbeiten vielfach gezeichnet!) und 
dem hier Gesagten gemäss gedeutet?), ausgenommen dass ich, 
wie damals vor Rabl’s Arbeit Jedermann, noch ohne Kenntniss 
davon war, dass die Polstellen an der chromatischen Figur an- 
fangs einseitig und nahe beisammen liegen, und dass die Pol- 
körper von Anfang an präformirt sind. Deshalb war die im 
Buch gegebene schematische Fig. 1r, Tafel VIII (s. dort S. 224 
unten) natürlich in letzterer Hinsicht unrichtig; das Verhalten ist 
so, wie in der Fig. 23 resp. 29 hier. 

Wie eben berührt ist, liegen die Pole und die noch kleinen 
Spindelhälften in Figuren, wie hier Fig. 32, 33 und Fig. 37 in 
meinem Buch, in der That in die Masse der Chromosomen hin- 
eingesenkt; dies zeigt sich ganz deutlich daraus, dass man 
vielfach bei Einstellungen sowohl über, als unter. die Pole und 
Faserkegel chromatische Fäden in der Bildebene hat. Dieser 
Punkt ist nun offenbar für die Beurtheilung der jetzt 
obwaltenden Mechanik von Wichtigkeit. Er muss, wie 
mir scheint, durchaus dafür sprechen, dass schon jetzt eine sub- 
stanzielle Verbindung der Pole und Spindelendfasern mit dem 
Inneren der Knäuelfigur besteht, obwohl in Objeeten wie Fig. 
32 bis 34 von emer durchgehenden Anheftung von Spindel- 
fasern an die ehromatischen Segmente noch gar nichts deutlich 
ist, höchstens einmal an die nächstbenachbarten ein Fädehen der 
Spindel zu verfolgen ist. 

1) Zellsubstanz ete., Tafel Illa, Fig. 34, 36, 37, 38, auch schon 
in diesem Archiv 1880, Tafel VII, Fig. 6, 7; 1881 (Bd.20), Tafel III, 
Fig. 4 u. 6. 

2) Zellsubstanz etc., 5. 224—225 u. f. 


726 W. Flemming: 


Nach Allem nämlich, was van Beneden und Boveri ge- 
zeigt haben, können wir annehmen, dass das Auseinanderweichen 
der Pole bedingt wird durch eine centrifugale Verkürzung der 
Polstrahlen, speciell derer der Antipodenkegel. Wenn nun, wäh- 
rend das geschieht, die Pole noch keinerlei festere Verbindung 
mit der Kernfigur besässen, so müssten sie neben der Fläche 
der hier ganz platten Kernfigur entlang auseinandergezogen werden. 
Aber sie werden statt dessen in diesen Anfangsstadien in sie 
hinein versenkt, so zu sagen durch sie von einer Seite her um- 
hüllt (vgl. die Figg. 33—34 mit den schematischen Zeichnungen 
Fig. 27, 28, 29). Wenn man nun nicht annehmen will, dass die 
ganze chromatische Kernfigur sich activ wie eine Kappe um 
die Spindel her ausdehnen sollte — wofür doch bis jetzt weder 
hier, noch vollends an anderen Objeeten, wie Eier, eine Wahr- 
scheinliehkeit vorliegt —, so bleibt wohl nur die Annahme übrig, 
dass die Spindelenden schon in ihrem ersten Entstehen irgendwie 
mit dem Inneren der Kernfigur im Connex stehen und dadurch 
gegen sie angespannt werden, und dies wird wieder am einfach- 
sten verständlich durch meine frühere Annahme, auf deren ge- 
naueres Citat hier S. 716— 717 oben ich verweisen möchte: dass der 
Mitteltheil der Spindel, soweit er an die Chromosomen angreift, aus 
den Linin-Strangwerken entsteht, die zwischen den Knäuelfäden 
vorher erkennbar sind, indem diese in der Richtung gegen die 
Pole hin zu strafferen Fasern gerichtet werden, und zugleich aus 
den Zerlegungsproducten der Kernmembran. Mit dieser Auf- 
fassung tritt diejenige Rabl’s in sofern in besten Einklang, als 
auch sie eine derartige intranueleare Bildung eines grossen Theils 
der Spindel annimmt und erweitert sie darin, dass Rabl bestimmt 
eine Contraetion der Lininfäden in Anschlag bringt, wo ich 
nur von einer Attraction gegen die Pole gesprochen hatte. 
Dem Wesen nach kommt wohl dies Beides ziemlich auf’s Gleiche 
hinaus. Jedenfalls müssen ja diese Fäden, wenn sie aus dem 
lockeren Zustand in meimer Fig. 31 in den gestreckten meiner 
Fig. 32, 33 ff. übergehen, den Polen einen Halt gegen die Kern- 
figur geben, und das giebt eine Erklärung dafür, dass die Spindel- 
enden in diesen Anfangsstadien nicht an der Kernfigur vorbei- 
gezogen werden, sondern förmlich in ihr liegen (vgl. hierüber 
die Schemata Fig. 27—29, s. Erkl.). 

Die Bilder, welche Henking von der ersten Spindelbildung 


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Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 127 


bei Inseeten-Samenzellen giebt (oben eitirt), sprechen, wie ein 


Blick auf seine Abbildungen zeigt, gleichfalls schr für eine 
srösstentheils intranucleare Entstehung dieses Gebildes. 
Hermann (a.a. 0.) spricht zwar auf S.3 aus, dass für’ die 
Spermatoeyten „die Herkunft der Spindel eine protoplasmatische 
(das heisst also doch: extranucleare) sei, obwohl er allerdings 
noch nieht in der Lage sei, auszuschliessen, dass ein geringer 
Theil jener Fasersysteme, die die Centrosomen mit den Chromo- 
somen verknüpfen, sich vielleicht auch von dem achromatischen 
Gerüstwerk des Kerns ableiten liesse*“. Für die „Uentralspindel“ 


Hermann’s halte ich die erstere Anschauung gewiss für ge- 


sichert; ich habe die junge Spindel. seit seiner Mittheilung ver- 
schiedentlich in der von ihm beschriebenen Form in Spermato- 
eyten gesehen, an den hier beschriebenen Zellen, wie gesagt, 
noch nicht verfolgen können. Hermann’s Befund giebt zugleich 
eine erfreuliche Aufklärung dafür, dass bei den Salamander- 
Samenzellen in der That Spindelfasern vorkommen, die sicher im 
Aequator durchlaufen, was ich a.a. O.!) bestimmt hatte be- 
haupten können und was mit van Beneden’s Ansicht damals 
unvereinbar erschien; ich gebe dafür hier in Fig. 18, Tafel II 
noch den Längsschnitt einer solehen Spindel (s. Erkl.. Es wer- 
den eben die durchgehenden Fasern der Centralspindel ange- 
hören, die übrigen können sehr wold im Aequator unterbrochen 
sein, d.h. sich an Chromosomen ansetzen. — Dafür, dass Her- 
mann ausser der Centralspindel auch einen so grossen sonstigen 
Theil der achromatischen Figur von ausserhalb des Kerns ab- 
leitet, werden ja seine Gründe abzuwarten sein. 

Ich selbst sehe, wie gesagt, einstweilen kemen Weg, als 
den grössten Theil dieser Figur bei diesen meinen Objeeten aus 
dem Kern abzuleiten, und dazu bestimmt mich ausser dem Obigen 
noch mehreres Andere. Zunächst müsste wohl, wenn es anders 
sein sollte, gezeigt werden, wo dann die von mir gefun- 
denen Lininfadenwerke in den Knäueln (Fig. 21—23 
hier, Fig. 33—36, Tafel III in meinem Buch) bleiben, wenn 
sie nicht zum Aufbau der Spindel dienen? Sollen sie spurlos 
verschwinden? Blosse Artefacte können sie wohl nicht sein, da 
mit ihnen zugleich auch die Anfänge der Spindel selbst durch 


1) Dieses Archiv 1387, S. 432—433. 


128 W. Flemmine: 


die Reagentien dargestellt werden, und da, wenn diese vergrössert 
und fertig dasteht, in den Zwischenräumen der cehromatischen 
Fäden von solehen Strängen nichts mehr zu finden ist. 
Besonders aber verweise ich auf einen Punkt, an den, so 
viel ich sehe, von Anderen bis jetzt nicht näher gedacht worden 
ist. Alle neueren Beobachtungen zeigen ja ganz klar, dass die 
Spindel anfangs sehr klein ist im Vergleich zu -ihrer späteren 
Masse. Woher ist dieser Zuwachs an Substanz gekommen ? 
Sollte er aus der umgebenden Attraetionssphäre — die bei unseren . 
Zellen hier ebenfalls sehr klein ist — bezw. durch sie hindurch 
aus der Zellsubstanz in die kleine Spindel hineinbezogen werden, 
so müssten wir erwarten, die Fasern der wachsenden Spindel 
durch Seitenausläufer mit ihrer Umgebung in der Sphäre, und 
weiter im Zellleib, in Verbindung zu finden, welche in sie hin- 
ein contrahirt und so zu ihrer Vergrösserung verwendet würden. 
Solehe Seitenausläufer mögen ja nun existiren, müssen aber dann 
sehr klein und zart sein, da man nichts deutliches davon sieht; 
nach Hermann’s photographischer Darstellung, die er mir 
geütig zusandte, sieht der Umfang der kleinen Spindelanlage 
anfangs sogar auffallend glatt und abgesetzt aus. Ein gewisser 
Theil ihres Wachsthums muss trotzdem wohl auf dem Wege 
soleher Einbeziehung von Ausläufern aus der Zellsubstanz ge- 
sucht werden, da ja die Öentralspindel ohne Zweifel wächst; 
aber es würde doch sehr schwer verständlich sein, wenn die 
sanze Substanz der späteren fertigen Spindel, auch der Fasern, 
welehe an die Chromosomen angreifen, auf solehem Wege aus 
dem Zellkörper bezogen werden sollte. Man betrachte eine Form, 
wie Fig. 32 oder 33, oder das betreffende Schema Fig. 27, und 
vergleiche damit die grosse Spindel in Fig. 19 oder 38, die aus 
jener geworden ist. Nach Boveri's Vorstellung — anders kann 
ich diese nicht verstehen — müsste es dabei so zugehen, dass die 
Sphäre oder der Centralkörper Protoplasmastrahlen von sich aus- 
sendet, die zu den Spindelfasern würden. Dazu muss die Sphäre 
die Substanz besitzen oder von irgendwoher beziehen. Sphäre 
und Centralkörper sind aber bei meinen Objeeten anfangs um 
sehr viel kleiner, als die Masse der fertigen Spindel später ist; 
also, wenn eine Betheiligung von Substanz aus dem Kern aus- 
geschlossen sein soll, müsste man annehmen, dass auf dem Wege 
der Polstrahlung Substanz aus dem Zellkörper gegen den Central- 


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Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 129 


körper (bezw. Polkörper) attrahirt und dann von diesem aus 


in Gestalt von Spindelstrahlen gegen ‚und in die Kernfigur vor- 


‚geschickt würde!). Und während in dieser Art eine centripetale 


Strömung gegen je einen Polkörper im den Radien und eine cen- 
trifugale von ihm aus in den Spindelfasern erfolgte, müssten zu- 


gleich die Radien sich contrahiren und die Polkörper ausein- 


anderziehen, und in denjenigen Spindelfasern, welche bereits 
straff an Chromosomen sitzen, müsste eine Anspannung vor sich 
gehen. Eine solche Vorstellung scheint mir von so bedenklicher 
Sehwierigkeit zu sein, dass ich zu ihr nicht greifen möchte, so 
lange ein anderer Erklärungsweg sich bietet. Und dafür liegen 
doch die Lininstränge in der Knäuelfigur näher zur Hand?). 
Man möge bedenken, dass aus einer kleinen zarten Faser, 
die in Formen wie Fig. 32 eben vom Polkörper zu eimer Chro- 
matinschleife verfolgbar ist, nachher in der fertigen Spindel eine 
viel diekere und viel längere Faser geworden ist (Fig. 38), und 
dass diese Veränderung mit ihr vor sich geht, während sie zwi- 
schen die Chromosomen eingesenkt liegt und mit den Structuren 
im Zellleib keine andere sichtbare Verbindung besitzt, als durch 
den Polkörper. Man bedenke ferner, dass zwischen dem letz- 
teren und anderen Schleifen im Zustand der Fig. 32—35 noch 
nichts anderes zu sehen ist, als zarte lockere Fadenwerke, später 
aber statt dessen deutliche glänzende Fasern vorhanden sind. 
Dies ist erklärt, wenn man annimmt, dass letztere aus ersteren 
entstehen, und bleibt unerklärt, wenn man es bezweifelt, falls 
man nieht in die Schwierigkeit gerathen will, die soeben er- 


1) Es erinnert dies an ein früheres Stadium der Spindelfrage, 
in dem von Strasburger vertreten wurde, die Spindelfasern 
„wüchsen von den Polen in den Kern hinein“. Ich habe damals ent- 
gegengehalten, dass ja dann sämmtliche Fasern durch das Polkörper- 
chen hindurchwachsen ud sich in diesem kreuzen müssten. (Zell- 
substanz etc., S. 229.) 

2) Ich weiss nicht, ob jemand die Annahme machen will, dass 
die Spindel lediglich durch Intussusception wächst, durch Aufnahme von 
flüssigen Substanzen und Umsetzung derselben zu festen. Ich habe 
dieser Annahme in meiner oben eitirten Arbeit (S. 431—32) das Recht 
der Möglichkeit gelassen; sie ist aber, so viel ich weiss, noch von Nie- 
mandem gemacht worden, und wir werden wohl nicht zu ihr greifen, 
wenn wir irgendwie die Möglichkeit sehen, die Spindel aus geformten 
Substanzen abzuleiten. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 48 


730 W. Flemming: 


wähnt ist. Wenn man sich aber auch um diese Schwierigkeit 
nicht kümmern und annehmen will, die Spindelfasern ständen 
durch unsichtbare verästelte Ausläufer in reiehlichem Zusammen- 
hang mit der Zellstruetur, bezögen durch diese oder auch ge- 
radewegs durch die Polkörper hindurch ihr Wachsthumsmaterial, 
und wüchsen von den Polkörpern aus, gleichwie vordringende 
Rhizopodenstrahlen: so bleibt dann die andere Schwierigkeit, 
eine Erklärung dafür zu finden, weshalb die supponirten freien 
Enden dieser Strahlen auf die Chromosomen treffen und sich an 
sie heften. Nach meiner Anschauung würde dies leichter zu ver- 
stehen sein: denn wenn die verästelten Strangwerke in meiner 
Fig.31 oder 22 sich aus der chromatischen Kernstruetur heraus 
entwickelt haben, und wenn aus jenen Strangwerken durch 
Streckung oder Contraetion die Spindelfasern werden, dann ist 
es a priori aufgeklärt, dass diese Fasern mit den Chromosomen 
später in Zusammenhang sind. So lange ich also die Möglich- 
keit habe, emen solehen Zusammenhang als präformirt anzu- 
sehen, möchte ich sie nicht aus der Hand geben. Wenn ich 
also hierin nieht mit Boveri übereinstimme, so scheinen mir 
doch die schönen und sorgfältigen Untersuchungen dieses For- 
schers, wie auch diejenigen van Beneden’s mit meiner hier 
vorgetragenen Ansicht in keinem unlösbaren Widerspruch zu sein. 
Denn es lässt sich wohl nicht behaupten, dass in den Pronuclei 
des Ascaris-Eies und weiter in den Kernen der Blastomeren nicht 
auch Structuren, wie die blassen Lininfäden in meinen Knäueln, 
existiren könnten. Dafür, dass es so sein kann, darf man z.B. 
in Figuren Boveri’s, wie 19 Tafel I, 33—37 Tafel II, einen 
Hinweis erblicken, da in ihnen derartige blasse Structuren dar- 
gestellt sind. Wenn ich den Ausdruck: die Spindelfasern treten 
an die Chromosomen heran“ durch den anderen ersetzen dürfte: 
„die lockeren Fadenwerke zwischen Centralkörper und Chromo- 
somen prägen sich zu soliden Einzelfasern aus“, so würden Bo- 
veri’s und meine Ansicht mit einander vermittelt sein. 

Auf die Frage, woher die blassen Lininstränge im den 
Knäueln stammen, kann ich, wie eben schon berührt ist, nur 
dieselbe Antwort wie früher!) geben: wohl aus der chromati- 
schen Structur des ruhenden Kernes selbst, die ja ohne Zweifel 


1) Zellsubstanz ete., S. 227—28. 


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Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 731 


f 


eine nicht ehromatische Masse zur Grundlage hat. In ruhenden 
Kernen (wie Fig. 1—5, Tafel I hier) ist ja an meinen Objecten 
hier von solehen achromatischen Structuren nichts erkennbar. Ich 
denke mir also, dass mit der allmählichen Anordnung der Struetur 
zum Spirem (Fig.6, 7 bis 31) ehromatinlose Bälkchen sich aus 
der Kernstructur herausziehen, während das Chromatin sich 
immer mehr in gleich dieke Knäuelfadenzüge sammelt, und dass 
jene blassen Bälkcehen, untereinander in vielfache Verbindungen 
tretend, nach und nach zu geknickten Strängen zwischen den 
Knäuelfäden zusammenfliessen, die aber mit diesen durch Brücken 
in Verbindung bleiben (siehe Schemata Fig. 27—29 hier). 

Zur Verdeutlichung dessen führe ich am Besten ein Object 
an, bei welchem die Structurveränderung, die ich mir im Vor- 


_ stehenden im Geschehen dachte, auf eine Zeit lang dauernd ver- 


harrt: es sind dies die grossen Kerne der Spermatocyten erster 
Generation von Salamadra, in dem Zustand der vor der eigent- 
liehen Knäuelbildung liegt. Ich habe bei ihrer Beschreibung !) diese 
Kernform (daselbst Fig. 1 und hier Fig. 21, 22) ruhende Kerne 
genannt, im Gegensatz zu den eigentlichen Mitosen und insofern 
mit gutem Grund, als diese Form sich auf ziemlich lange Zeit- 
dauer bei Bestand erhält ?); es ist aber vielleicht richtiger, sie 
als erste Anfangsform der Mitose zu bezeichnen, und wie es An- 
dere schon thaten, zu sagen, dass hier ein Fall vorliegt, wo die 
Kerne zwischen zwei Mitosen nicht vollständig zur Ruheform zu- 
rückkehren; so wird das Verhalten ja meistens jetzt aufgefasst. — 
Bei diesen Kernen nun gehen deutlich von einem der chromati-. 
schen Stränge, die augenfällig zum Polfeld orientirt sind (s. a. a. O.), 
zum andern zarte, chromatinlose Bälkchen hinüber, wie ich sie 
schon in der früheren Figur gezeichnet habe. Aber mit bestem 
Lieht und System und besonders gut mit dem ÖOrangeverfahren 
gewahrt man, dass diese Zwischenstränge nicht bloss quer zwi- 
schen den Chromatinsträngen laufen, sondern auch unter sich wie- 
der durch viele Zwischenbrücken verbunden sind, so wie es hier 


1) Dieses Archiv 1887, S. 403 ff. 

2) Dies ergiebt sich daraus, dass man zur Zeit der Zellenwuche- 
rung in solchen Hoden oder an solchen Stellen darin, welche wenig 
Mitose haben, gleichwohl diese Form meistens sehr reichlich findet ; 
und dass sie auch dort, wo Cysten mit Mitosen sind, die letzteren an 
Masse meist überwiegt. 


733 W. Flemming: 


in Fig. 21—22 wiedergegeben ist!). In den Epithel- und Binde- 
gewebskernen in den allerfrühesten Anfängen der Knäuelbildung, 
wie Fig. 7, 17 und 30 hier, kann ich mit Zeiss Ap. 2 mm. 1.40 
hier und da auch zarte Andeutungen von solehen achromatischen 
Zwischenstructuren wahrnehmen, sie sind hier sehr viel feiner als 
in den Spermatocyten und ich habe sie nicht mit angegeben. 

Diese blassen Stränge nun sind also ihrer Entstehung nach 
einerseits in Connex mit den Chromosomen, andererseits unter- 
einander, und im Umfange mit der Kernmembran. Indem die 
letztere sich dann deeonstituirt und sich selbst in feine Strang- 
werke auflockert, welche wieder mit den Fasern der Polkegel- 
basen in naher Berührung oder Verbindung sind, kommen auch 
die Lininstränge in der Kernfigur in eine solche Verbindung; es 
giebt dann sonach ein zusammenhängendes Faserwerk zwischen 
Spindelenden und Chromosomen, und durch Streekung, bezw. 
Contraetion dieses Faserwerks zu kürzeren und diekeren Strän- 
gen entsteht, wie ich meine, der Theil der Spindelfasern, wel- 
cher an die Chromosomen angreift. 

Die Fig. 27 giebt eine schematische Veranschaulichung des 
Gesagten. Sie entspricht ungefähr dem Zustand der Fig. 22 a 
und 23: die Spindelfasern sind zwischen den Polen und einigen 
Schleifenwinkeln fertig, in Gestalt straffer dieker Fasern; zu an- 
dern Schleifenwinkeln und zu den meisten Schenkeln gehen noch 
keine solche, sondern nur die feinen lockeren Faserwerke, die 
später erst zu graden Fasern umgeprägt werden sollen. — 

Die Annahme, dass diese Fadenwerke aus der ruhenden 
chromatischen Kernstructur mit dem Beginn der Theilung sich 
entwickeln, ist allerdings nieht die einzig mögliche; ich habe 


1) Fig. 22a und 23 zeigen die nächstfolgenden Stadien, Längs- 
spaltung der Chromosomen, bei denen die Lininstränge noch viel 
deutlicher sichtbar, und bei der Orangebehandlung hier blau ge- 
färbt sind. 

Eine sehr ähnliche Structur, wie die der hier besprochenen 
Samenzellenkerne, ist die, welche ich in: Zellsubstanz ete. S. 133—135, 
Fig. G, von den jungen Eizellenkernen der Amphibien beschrieben 
habe und welche seitdem verschiedentlich von Anderen abgebildet ist. 
Hier stellt diese Structur jedenfalls nicht bloss ein kürzer dauerndes 
Zwischenstadium zwischen zwei Mitosen dar, sondern besteht lange 
Zeit; denn in Eierstockseiern von dem Reifestadium, in dem sie vor- 
handen ist, finde ich überhaupt niemals Mitosen. 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 733 


davon schon in der Arbeit von 1887 gesprochen. Carnoy hat 
die Meinung hingestellt, dass die Substanz, die man Kernsaft 
nennt, allgemein noch aus einer Structur (Retieulum) und einer 
homogenen Masse (Enchylem) bestehe. Vorausgesetzt, dass dies 
richtig wäre, würde man also die achromatischen Stränge in den 
Knäueln (wie Fig. 22 ff.) aus dem „Reticulum® Carnoy’s ab- 
leiten können !. Nach Allem, was ich über Zellkerne weiss, 
möchte ich meinen, dass diese Structuren im Kernsafte am na- 
türlichsten aufzufassen sind als chromatinfreie Theile der 
Kernstructur, welche bei der einen Kernart reichlich sind, bei 
der andern geringfügig, bei der dritten ganz fehlen können, indem 
hier Alles von Chromatin durchsetzt ist. Z. B. in Leucocyten- 
kernen der Amphibien findet sich sehr vielfach ein grosser, und 
zwar sehr wechselnder Theil der Kernstructur ehromatinlos, wo- 
für ich auf meine Abbildungen in diesem Arch. 1891, Taf. 13 
Fig. 6 verweisen kann; hier ist das Chromatin bald mehr, bald 
weniger zu Knoten und Strängen angehäuft, lässt also bald viel, 
bald wenig von der Lininstructur frei. In den Zellen der fixen 
Gewebe dagegen, die hier zum Objeet genommen sind, ist das 
Chromatin in der Ruhe durch die ganze Kernstructur vertheilt 
(vergl. z. B. Fig. 1 Taf. I); wenigstens lässt sich in der blassen 
Substanz zwischen den gefärbten Bälkchen nichts von einer an- 
derweiten achromatischen Struetur erkennen. Für die Bildung 
der Spindelanlage wird eben, wie ich denke, achromatische Sub- 
stanz der Kernstructur verwendet, mag sie vorher von Chromatin 
(durchsetzt gewesen sein oder nicht. 

Mit Rabl glaube ich also in dem Punkte in erfreulicher 
Uebereinstimmung zu sein, dass er wie ich einen erheblichen 
Theil der Spindel aus achromatischer Substanz des Kerns ab- 
leitet; unter anderer Voraussetzung würde mir wenigstens seine 
ganze Auffassung des Kermtheilungsvorgangs nicht verständlich 
sein. Ob seine Ansicht über die Art, in der sich die Lininbe- 
standtheile im Kern zu Spindelfäden formen, dieselbe ist wie die 
meinige, kann ich nicht bestimmt aus dem Wortlaut der bezüg- 


1) Carnoy selbst lässt die Spindel als eine Production des Kerns 
entstehen, aber nicht direet aus seinem Reticulum, sondern in einer 
complieirten Weise, über die man S. 342—343 seines Buches: La Cyto- 
dierese etec., nachsehen kann. 


134 W. Flemming: 


lichen Stellen in Rabl’s letzter Arbeit entnehmen, die hier eitirt 
sind !). Es ist in dieser zwar auf die achromatischen Stränge, 
die ich in den Knäueln gefunden hatte, und auf meine Ableitung 
derselben aus der Kernstructur kein Bezug genommen, aber das, 
was Rabl auf semer S. 1 u. 2 als Spindelfasern beschreibt, 
dürfte jedenfalls mit jenen das Gleiche sein oder doch nur ein 
etwas späteres Entwicklungsstadium dieser Faserwerke darstellen. 
Da Rabl in seiner früheren grossen Arbeit über die Struetur 
des ruhenden Kerns sich darin der meinigen ganz anschloss 2), 


1) S. 24: „Man wird daher annehmen müssen, dass nicht bloss, 
wie ich dies schon früher wahrscheinlich gemacht habe, die chromati- 
schen, sondern auch die achromatischen Bestandtheile des Kerns, so- 
weit sie geformt sind, in ihrer typischen Anordnung erhalten bleiben, 
m. a. W., dass die Gesammt-Organisation des jungen Kerns, 
wie sie sich im Tochterstern und zum Theil noch im Tochterknäuel zu 
erkennen giebt, auch in der Ruhe persistirt. Die ganze Figur 
ist gegen das Polkörperchen. centrirt.“ Etwas vorher auf der gleichen 
Seite sagt Rabl: „Als geformte Gebilde können die Spindelfasern beim 
Uebergange des Tochterknäuels zur Ruhe nicht einfach zu Grunde 
gehen; sie können undeutlich werden — und dies wird alsbald ge- 
schehen, wenn sie ihren geradlinigen Verlauf aufgeben —, aber sich 
auflösen und auseinanderfliessen, um dann beim Eintritt einer neuen 
Theilung abermals neu zu entstehen, werden sie wohl gewiss nicht.“ 
Auf S.26 ist dann bei der Beschreibung des Theilungsanfanges ge- 
sagt: „An das Polkörperchen treten aber auch die Spindelfasern heran.“ 
— Ich bin hiernach nicht ganz sicher darüber, ob Rabl sich die 
Spindelfasern während der Kernruhe als neben dem chromatischen 
Gerüst bestehende, unsichtbare Structuren vorstellt, oder ob er es 
gleich mir für annehmbar hält, dass sie in der Ruhe in die chromatin- 
haltige Kernstructur mit einbezogen und bei beginnender Theilung 
wieder aus ihr heraus entwickelt werden können. Jedenfalls aber 
scheint mir der Wortlaut darüber keinen Zweifel zu lassen, dass wir 
Beide die Substanz, aus der diese Spindelfäden während der Mitose ge- 
prägt werden, während der Ruhe als dem Kern angehörige Bestand- 
theile betrachten. 

2) Ein Differenzpunkt, der übrigens für diesen Gegenstand nicht 
in Betracht kommt, möge hier kurz erwähnt sein. Gleich einigen An- 
deren hatte Rabl sich damals von der Eigenschaft der Nucleolen 
als abgegrenzter und besonders beschaffener Körper in den chromati- 
schen Strueturen nicht überzeugen können. Diese Eigenschaft steht 
völlig fest, wofür ich schon auf mein Buch S. 158 ff. verweisen kann; 
fast sämmtliche von Rabl damals untersuchte Kerne haben solche 
Nucleolen, die in den Knoten des Gerüstes stecken; sie sind nur bei 
dem damals von Rabl angewendeten Verfahren nicht zu unterschei- 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. a; 


dass er in diesem (bei den hier in Rede stehenden Geweben) 
ein durchweg ehromatinhaltiges Bälkchenwerk annahm, so darf 
ich vielleicht denken, dass er sich die Sonderung der Lininbe- 
standtheilen aus diesem und ihre Formung zu Spindelfasern ähn- 
lieh vorstellt, wie ich sie in meinem Buch angenommen hatte und 
hier näher dargestellt habe. 

Die Vermuthung Rabl’s, dass an der Polfeldstelle die Kern- 
membran dauernd fehlen mag, discutire ich hier nicht; die Mög- 
lichkeit eines solchen Verhaltens habe ich, wenigstens für die 
Zeit der Mitose, schon an anderem Orte zugegeben, und das 
Bestehen einer permanenten Lücke hierselbst würde offenbar für 
die gesammte Physiologie des Kerns von grossem Interesse sein; 
ein Beweis dafür aber scheint mir bis jetzt nicht zu liefern. — 
Rabl nimmt übrigens (S. 23), wie ich (im Buch a. a. O.), eine 
Betheiligung der Kernmembran am Aufbau der Spindel an und 
bringt dafür den Beleg, dass um die Zeit der Auflösung der 
Membran besonders reichliche achromatische Fasern in der Peri- 
pherie des Knäuels verlaufen; er fragt sich, „ob nicht das, was 
man Kernmembran nennt, vielleicht aus eng zusammengedrängten 
achromatischen Fasern bestehen könnte“, eine Annahme, für die 
neuestens auch Camillo Schneider eingetreten ist und die ich 
für sehr plausibel halten möchte. 


Ich komme nun zu der Frage: ob die Längsspaltung 
der Chromosomen!) durch die Spindelfäden, oder ihre Vor- 
läufer, mechanisch veranlasst sein kann. 


den. — Auch in Bezug auf die Nucleolen der jungen Siredoneier, die 
Rablan gleicher Stelle bespricht, habe ich meine Beschreibung (Zell- 


‚substanz etc. 5.134) ganz aufrecht zu halten; die Nucleolen, die ich 


darin beschrieb, sind wirklich solche und liegen zwar vielfach reich- 


licher an der Peripherie — es verhält sich damit bei verschiedenen 
Amphibien und je nach dem Entwickelungszustande ungleich — aber 


auch im Inneren und sind nicht etwa hierhin, wie Rabl annahm, durch 
das Messer verschleppt, worüber eine Einstellung auf mittlere Schnitt- 
dicke ja leicht Aufschluss giebt. 

1) Ich möchte vorschlagen, künftig diesen Vorgang einfach 
„Spaltung“ zu nennen, da wir ja lange wissen, dass die Chromo- 
somen zwar wohl in der Mehrzahl der Zellenarten, aber nicht in allen 


76. W. Flemming: 


Um sich hier genau auszudrücken, muss man scharf unter- 
scheiden zwischen Spaltung der Chromosomen und Trennung 
ihrer Schwesterhälften. Wie ich vor 11 Jahren in diesem Archiv 
zeigte !) und in meinem Buch ausführte, tritt die Trennung, d. h. 
die vollständige Sonderung und Entfernung der Schwesterhälften 
von einander und damit die Verdopplung der Fädenzahl, erst in 
den Metaphasen — Aster bis Metakinese — ein, während die 
erste Spaltung, d. h. die zweireihige Anordnung des Chromatins, 
sich schon in der Knäuelphase zeigt). Dass der letztere Vor- 
gang, die Trennung, durch Vermittlung der Spindelfasern zu 
Stande kommt, für diese Annahme haben wir ja seit van Bene- 
den’s Arbeiten den besten Grund. Die hier vorliegende Frage 
aber ist, ob auch ‚schon die erste Spaltung, die zweireihige 
Anordnung der Chromatinelemente, durch Zug oder sonstige me- 
chanische Einwirkung von Spindelfasern bedingt sein kein. 

Dieser Ansicht schemt Rabil zu sein, und sie ist in der 
That eine Consequenz seines Grundgedankens, dass eine Oentri- 
rung der gesammten Zell- und Kernstructur gegen den Üentral- 
körper auch in der Ruhe fortbesteht. In der Mitose wird, wie 
er annimmt (8. 26), „die Theilung des Centralkörpers eine Thei- 
lung der Spindelfasern nach sich ziehen, die wahrscheinlich unter 
dem Bilde einer Längsspaltung verlaufen wird; und diese selbst 
wird wieder eine Längsspaltung der chromatischen Fäden im 
Gefolge haben“ 

Diese Vermuthung, wie die ganze Idee Rabl’s, ist mir 
deshalb sehr sympathisch gewesen, weil ich zu denen gehöre, die 
auf Grund siehtbarer Dinge eine wirkliche formelle Structur in 
der Zelle annehmen, wenn auch keine starre und feststehende, 
und die sich nicht der Meinung anschliessen können, dass die 
Zelle eine Emulsion und die darin erkennbaren Fasern nur der 


die Form von Fäden haben, und bei solchen, wo sie rundlich sind, 
der Ausdruck Längsspaltung nicht für alle Fälle zutrifft. Wenn ich 
ihn hier noch anwende, so geschieht es, weil er für meine hiesigen 
Objeete nicht misszuverstehen ist. 

1) Bd.18, 1880, Abschn. II. D, und in weiteren Arbeiten. 

2) Ich präcisire dies hier, weil in manchen Darstellungen — nicht 
etwa bei den hier eitirten Anlioich — der Vorgang so dargestellt wird, 
als wären die Chromosomen bis zur Sternform überhaupt einfach Men 
spalteten sich erst dann. 


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Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 737 


Ausdruck von Strömungen seien. Ich hoffte deshalb anfangs be- 
stätigen zu können, dass eine mechanische Wirkung von achro- 
matischen Fasern auch bei der ersten Spaltung der Chromosomen 
im Spiel ist, und muss mit einem gewissen Bedauern sagen, dass 
ich nichts finden kann, wodurch dies zu stützen wäre. 

Vor Allem kommt dafür in Betracht, dass die erste 
Spaltung in den Knäueln schon in einem viel früheren 
Stadium erfolgt, als viele Untersucher anzunehmen scheinen. 
Ich habe schon vor langer Zeit hierauf aufmerksam gemacht )), 
und weiter auf der Kopenhagener Versammlung einen frühen 
Knäuel von Fritillaria mit durchgehender Längsspaltung vorgezeigt, 
wie hier Fig. 17, in dem noch grosse Nucleolen vorhanden sind. 
Ich zeiehne dazu hier noch einige ähnliche Formen von Salama- 
dra (Fig. 16, 30), und bitte zu berücksichtigen, dass in Fig. 16 
nur die obere Hälfte der Figur gezeichnet, auch in den anderen 
einige Windungen, die gar zu sehr in Deekung lagen, nicht mit 
angegeben sind, so dass das Gewinde noch erheblich dichter zu 
denken ist, als es sich hier ausnimmt. 

Manchmal kann ich die Längsspaltung auch schon in noch 
frühzeitigern Formen des Knäuels, als die eben beschriebenen 
sind, erkennen; ich wollte solche hier wegen der Schwierigkeit 
der Wiedergabe nicht zeichnen, da die dargestellten für das, was 
ich hier zeigen will, schon völlig genügen. Es ist aber darnach 
gar nicht unmöglich, dass schon in Formen, welche sehr nahe 
auf Fig. 6 hier folgen, die Längsspaltung beginnt ?). 


1) Dieses Archiv Bd.20, 1881—82, S. 67, Fig.5, Taf. 4. 

2) Dies sind Kerne vom Bauchfell; bei ektodermatischen Epi- 
thelien von Salamandra, die sehr viel dichtere Kernstructur haben, 
entsprechen ihnen und den folgenden, die zu Fig.30 hier überleiten, 
der Zeit nach die äusserst zierlichen Formen, die ich schon in meinen 
ersten Beschreibungen der Mitose und weiter mehrfach gezeichnet habe 
(Fig. 2e u. a. Tafel 16, dieses Archiv Bd.16, Fig.12, 14, 15 Tafel 18 
ebenda, Fig. J auf S. 201 u. 31b, Tafel IIIa in meinem Buch). ‚Solche 
Formen sind es, die ich enge Knäuel genannt habe, und nur auf 
einem Missverständniss dieses Ausdrucks beruht es wohl, dass Rabl 
meine Beschreibung des engen Knäuels als nicht naturgetreu bezeichnet 
hat (a.a.0. S. 228). Denn Rabl hat diese Formen überhaupt nicht 
berücksichtigt und nennt das noch einen dichten Knäuel, was ich 
schon einen sehr lockeren nannte (Rabl’s Fig.1 a.a. 0. oder meine 
Fig. 32 hier). Dass ich diese letzteren Formen richtig dargestellt und 


138 :W. Flemming: 


Man kann in diesen ihren ersten Stadien, und überhaupt 
weiter bis zur Muttersternform, ja eigentlich nieht wörtlich von 
einer Spaltung reden, da es in den Chromosomen ausser den 
zwei Chromatinkörnerreihen jetzt, wie vor der Spaltung, ein 
achromatisches Lininsubstrat giebt, das im Zustande der Figuren 
30 bis 35, wie auch noch später, die beiden Chromatinreihen 
zusammen hält in Form einer flachen Platte !), der „lame inter- 
mediaire* van Beneden’s, welcher zuerst bei Ascaris in späte- 
ren Stadien deren Vorhandensein feststellte 2). Ich glaube aber 
wohl, ohne Missverständnisse anzuregen, den Ausdruck Spaltung 
hier anwenden zu können, da es keinen gleich kurzen und be- 
zeichnenden giebt, und bemerke nur ausdrücklich, dass er sich 
lediglich auf die Zweireihenanordnung des Chromatinsubstanz be- 
zichen soll. | 

Nun kann ich es nieht durchführbar finden, dass die Spal- 
tung der Chromosomen in diesen ihren ersten Stadien irgendwie „im 
xefolge einer Längsspaltung der Spindelfasern“ sollte auftreten 
können, wie Rabl annimmt. Denn in diesen Stadien sind die 
Endkegel der Spindel noch ganz klein, Fortsetzungen ihrer Fa- 
sern in den Raum der Knäuelfigur noch keineswegs zu erkennen, 
noch viel weniger also Fortsetzungen solcher Fasern an die ganze 
Länge der cehromatischen Fäden, wie Rabl sie bei seiner Be- 
schreibung auf S. 21—22 im Sinne hat und in seiner Fig. 1b 
veranschaulicht. In diesen Stadien sind gesonderte achromatische 
Fasern zwischen den Knäuelwindungen, die sich vom Pol her 
bis an ein Chromosom verfolgen liessen, meines Wissens über- 
haupt nieht zu sehen, es treten eben die ersten ganz blassen Faden- 


werke zwischen ihnen in Erscheinung (wie die im späteren Zustand . 
in meiner Fig. 28 oder 31 hier). Wenn man nun aber auch an- 


die queren Fadenverläufe darin, sowie deren Wiederkehr bei den 
Tochterkernen wohl erkannt habe, hat ja Rabl selbst erwähnt; auch 
die ersteren, dichten Formen können ganz die Bilder gewähren, welche 
ich gab, wenn man sie nicht gerade mit dem Polfeld am Profil vor 
sich hat. 

1) Das Vorhandensein solcher Substanz in den chromatischen 
Theilen des Kerns wurde schon in Zellsubstanz ete., S. 129 ff., 227 u.a. 
von mir anerkannt, insbesondere auf Grund der Entdeckung der kör- 
nigen Beschaffenheit des Chromatins durch Balbiani und Pfitzner. 

2) La maturation de l’oeuf etc. a.a. O., pag. 327. 


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Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 739 


nehmen will,. dass diese Fadenwerke schon einzelnen, nur 
äusserst geknickten oder wellig verlaufenden, von den Polen kommen- 
den Fasern entsprechen — und ein solcher stark welliger Ver- 
lauf ist ja auch von Rabl (S. 22 und Fig. 2a b) vorausgesetzt — 
so bliebe es doch unverständlich, wie die Längsspaltung einer so 
beschaffenen Faser die Längsspaltung eines chromatischen Fadens 
mechanisch bedingen könnte, an den sie sieh ansetzt. Jene Fa- 
ser wird sich erst selbst grade zu streeken haben, ehe sie an 
dem Chromosom irgend einen Zug ausübt, und doch ist die Zwei- 
reihenanordnung in dem letzteren schon längst gleichmässig vollen- 
det, ehe von ihm grade Spindelfasern oder auch nur gewundene zu 
den Polen zu verfolgen sind. 

Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass m den späteren 
Zuständen wie Fig. 32—33 hier, auf die sich, wir mir scheint, 
Rabl’s Beschreibung S. 21—22 beziehen dürfte, zwischen den 
Polen und den ihnen nächst benachbarten Schleifenwinkeln schon 
straffer verlaufende Spindelfasern zu sehen sind, keineswegs aber 
zu gleicher Zeit solehe vom Pol zu den ‘entfernteren Strecken 
derselben Schleifen oder zu anderen sich verfolgen lassen. Man 
sollte nach Rabl’s Construction also erwarten, dass die Längs- 
spaltung der Chromosomen in der Nähe der Pole beginnen und 
sich im übrigen Theil der Figur erst nach und nach einstellen 
müsste; so verhält es sich aber nicht, die Spaltung erfolgt viel- 
mehr ohne Zweifel gleichzeitig durch die ganze Figur hindurch, 
denn wo man sie in ihren feinsten Anfängen sieht, da besteht 
sie auch überall im Knäuel. 

Es lässt sich hier auch noch die Längsspaltung der Knäuel 


in den Spermatoeyten des Salamanders anführen, welche zu einer 


Zeit schon völlig durchgeführt ist !), wo die Kernmembran noch 
völlig scharf erhalten ist und wo, nach den neuen Befunden 
Hermann’s und seinen mir gütig gesandten Photographieen, die 
Spindelanlage noch ganz klein ist und noch gar keine Strahlun- 
gen bis in die chromatische Figur hinein erkennen lässt. 

Ganz entscheidend aber dafür, dass eine eventuelle Längs- 
spaltung der Spindelfasern kein Anlass für die Längsspaltung der 
Chromosomen sein kann, ist Folgendes: 

In meinen Figuren 35—38, sowie in Fig. 19 hier sind Mi- 


1) Dieses Archiv Bd. 29, 1887, Tafel 23, Fig. 3—8. 


740° W.Menıatng: 


tosen dargestellt, welche auf dem Uebergang vom Knäuel zur 
Sternform stehen oder schon in letzterer angelangt sind und bei 
welchen einzelne Schleifen zeitweilig abgerückt liegen !). Dies 
ist etwas sehr Häufiges, in meinen früheren Arbeiten schon 
vielfach Beschriebenes, und ganz sicher keine Abnormität, ob- 
wohl derartige Figuren von einigen Seiten als solehe angesehen 
worden zu sein scheinen. Dass sie ganz normal sind, ‚ergiebt 
sich erstens daraus, dass sie bei allen möglichen Zellenarten in 
diesen Stadien zur Beobachtung kommen, oft so reichlich, dass 
sie die Mehrzahl gegenüber typischen Sternformen ausmachen, 
während doch in denselben Präparaten alle folgenden Phasen 
nur in vollkommen normaler Form zu finden sind; zweitens aber 
mit voller Sicherheit daraus, dass ich solehe Formen mit abge- 
rückten Schleifen schon in meiner zweiten Arbeit ?), und seitdem 
sehr vielfach im Leben verfolgt und festgestellt habe, dass die 
abgewichenen Schleifen verfolgbar wieder an die übrigen heran 
rangirt werden, und weiter eine völlig normale Metakinese folgt. — 
Nun lassen sich bei solehen Figuren mit meinem jetzigen Orange- 
verfahren Spindelfasern aufs Deutlichste von den Polen bis zu 
den einzelnen Schleifen verfolgen, so auch zu den separirt gelege- 
nen (vergl. Fig. 19 und 38). Sämmtliche Schleifen in diesen 
Figuren aber besitzen, wie es nach der Phase selbstverständlich 
ist, längst ganz deutliche und gleichmässige Längsspaltung. 
Wenn nun diese Spaltung irgendwie eine Folge davon wäre, 
dass vorher an die Chromosomen ansetzende Spindelfasern sich 
längsgespalten hätten, so müsste man bei den abgewichenen 
Schleifen, z. B. bei a in Fig. 19 und 45, natürlich zwei Spin- 
delfasern oder genauer, zwei Bündel von solchen finden, deren 
eines von dem Pol x, das andere von dem Pol y zur Schleife 
zieht. Es gehen aber zu ihr Spindelfasern lediglich von dem 


1) In vielen Fällen würde besser der Ausdruck passen, dass 
diese Schleifen noch nicht heranrangirt sind, als dass sie abgerückt 
sind. Aber in reichlichen anderen Fällen müssen sie sich wohl wirk- 
lich etwas vom Aequator entfernt haben, wie man dies ohne weiteres 
sieht, wenn man die vorhergehenden Knäuelformen mit solchen Bil- 
dern vergleicht (s. Fig. 19 hier, wo die Distanz zwischen den entfernte- 
sten Schleifen viel grösser ist, als der Durchmesser auch der lockersten 
Knäuel). Ich verweise hierfür auch auf manche Bilder Boveri’s. 

2) Dieses Archiv 1880, S. 201—202, Fig. 8, 9, 35 b, 43, 44. 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 741 


Pol x. Die Fasern, welehe unter obiger Voraussetzung zwischen 
Pol y und Schleife o vorhanden sein müssten, würden zwar län- 
ger und durch Auszerrung verdünnter sein, als die Fasern xa; 
aber sie müssten um so mehr geradlinig gespannt sein, und bei 
der Deutlichkeit der achromatischen Fasern in diesen Präparaten 
müsste man sie selbst dann noch sehen, wenn sie selbst 3—4 mal 
dünner wären als die Fasern xa und die übrigen gezeichneten. 
Sie sind aber nicht da; an der Stelle, wo sie sein sollten, finden 
sich nur ganz lockere, feine, netzförmig vertheilte Fadenwerke 
der inneren blassen Zellleibportion. — Das Gleiche lässt sich 
übrigens auch an Figuren wie 36, 37 u. 38 demonstriren, bei 
denen keine besonders weit isolirten Schleifen vorhanden sind; 
auch diese Figuren sind, aus den obigen Gründen, durchaus unter 
die normalen zu rechnen und bei diesen flachen Zellen, übrigens 
auch in diekeren Epithelien, sehr häufig, ja man kann sagen, 
solehe sehiefe Figuren sind hier in diesen Stadien typisch: 
weil die Spindelhälften sich anfangs, wie oben schon beschrieben 
wurde, in solcher Art schräg gegeneinander in den Kern hinem- 
lagern, dass ihre Axen einen Winkel mit einander bilden, oder 
leicht gebogen sind. In solehen Figuren also wie 36, 37 und 38 
sind zwischen einer ganzen Menge von Schleifen und dem ent- 
gegengesetzten Pol im Mitteltheile der Figur gar keine Spindel- 
fasern zu finden !), es giebt hier mur die erwähnten feinen netzi- 
gen Fadenwerke (z. B. bei a in Fig. 37 u. 38, 44 u. 45. 

Das Fehlen solcher Fasern hier wäre unter Rabl’s Voraus- 
setzung unverständlich; es wird dagegen vollkommen erklärlich 
durch die Annahme, dass die verbindenden Fasern zwischen Pol 
y und a in Fig. 19, 38, 44, 45 sich noch erst zu bilden 
haben, indem die feinen gekräuselten Fadenwerke des inneren 
Zellentheils noch zu solchen Fasern gestreekt und consolidirt wer- 
den sollen, wie ich es ausdrücken möchte; oder wie Boveri es 
ausgedrückt hat: indem der Pol y erst später Fasern zu den 
betreffenden Schleifen aussenden wird. Wenn man übrigens B o- 
veri s Figuren 40—42 Taf. I, 56, 57, 63 Taf. III mit meinen 
eben erläuterten Bildern vergleicht, so wird man hier, unter den 
viel einfacheren Verhältnissen des Ascaris-Eies, sehr ähnliche Ver- 


1) Auch nicht etwa bei anderer Einstellung; die Zellen sind 
ganz flach und klar durchsichtig. 


742 W. Flemming: 


hältnisse wie dort erblicken: vielfach weit versprengt liegende 
Schleifen, die einstweilen nur von Strahlen einer Attractions- 
sphäre angegriffen werden und doch (Fig. 57) sehon gespal- 
ten sind. | 
Aus dem Gesagten ergiebt sich also zunächst, dass eine 
Längsspaltung von Spindelfäden nicht als ursächliches Moment 
für die der Chromosomen dienen kann. — Sodann, dass eine 
solche Längsspaltung, wenn sie überhaupt existirt, nieht in der 
von Rabl vermutheten Art es veranlassen kann, dass die Chro- 
mosomen in den Aequator eingestellt werden. Diese Art (s. Rabl’s 
S. 26-1-27) wäre’ die, dass „die Spalthälften der Spindelfasern 
entsprechend dem Auseimanderrücken der Pole selbst auseinander- 
weiche® (Rabl’s Fig. 2b), dabei in Folge ihrer Contraetion 


kürzer und dicker werden, und da sie — die Spalthälften 
der Spindelfasern — gleiche Länge haben, .... . nothwendig 


die chromatischen Schleifen, an die sie sich anheften, in gleiche 
Entfernung von den Polen bringen“, m. a. W. es wird die Knäuel- 
figur in das Stadium des Muttersterns übergeführt werden (Fig. 2e 
daselbst). — Dies scheint mir in keiner Weise durchführbar. 
Erstens können, jene Längsspaltung der Spindelfasern immer 
vorausgesetzt, ihre Spalthälften schon in Knäuelformen wie Figur 
31—33 hier, s. Schema Fig. 27 und 43 hier, wo sich die Pole 
schon etwas von einander entfernt haben, ja nicht gleich lang 
sein, wie die Figur ohne Weiteres zeigt; noch viel weniger in 
einer Figur wie etwa 38 hier, wo die Linie yb um fast das 
Sfache kürzer ist als die Lmie ya). Dann aber, wenn zwischen 


1) Gleiche Länge der hypothetischen Spalthälften von Spindel- 
fasern wäre angesichts solcher Figuren entweder nur unter der Vor- 
aussetzung denkbar, dass die Spalthälfte, die von einem Schleifen- 
punkt zum nächstliegenden Pol geht, in sehr starken Schlängelungen 
verharrte, während die zum entgegengesetzten Pol gehende Spalt- 
hälfte stark gedehnt würde, wie ich dies in dem Schema Fig. 41, 
Tafel XL angedeutet habe; vgl. Erklärung der Tafel. Diese Vor- 
aussetzung ist aber unmöglich, denn es verhält sich vielmehr schon 
in den Spiremen und weiter in den Uebergangsformen zum Aster 
ganz deutlich so, dass gerade die Spindelfasern, die von einem Pol 
zu den diesem nächstliegenden Schleifen gehen, relativ dick, straff 
und keineswegs geschlängelt sind (Fig. 32— 38). Dies könnte, von 
der Spaltungshypothese aus, nur so erklärt werden, dass die Spindel- 
faserhälfte b (in Schema Fig. 41) sich in all den eitirten Figuren in 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 743 


y und a eine Faser vorhanden wäre, so müsste sie erstens nicht 
kürzer: und dicker geworden sein, sondern viel länger und 
dünner, was man doch keine Contraetion nennen kann; und 


‚endlich, sie ist überhaupt nicht zu sehen, und dort, wo man 


ihren Mitteltheil suchen müsste, befindet sich ein feines netziges 
Faserwerk, in welches sie sich aufgelöst haben müsste, statt 
sich, wie die Anschauung Rabl’s dies fordert, zu con- 
trahiren. 

Ich kann also hiernach, und überhaupt, bisher keinen Beweis 
dafür sehen, dass eine Längsspaltung der Spindelfäden in der Art 
und zu der Zeit, wie es Rabl und auch ©. Sehultze (S. 4 a.ıa. OÖ.) 
vermuthen, eintritt 2). Sollte sie nachgewiesen werden, so würde 
sie doch wohl, aus den angeführten Gründen, keine Veran’'assung 
für die Längsspaltung in den Chromosomen abgeben können. 

Dagegen bezweifle ich nicht im Mindesten, dass im Stadium 
der Sternfigur des Mutterkerns Spindelfasern vorhanden sind, 
die von beiden Polen an je eine Hälfte eines gespaltenen Chro- 
mosoms treten und diese Hälften in der Metakinese gegen die 
Pole auseinanderziehen, wie dies namentlich aus van Beneden’s 
und Boveri’s Befunden hervorgeht, und gebe damit die An- 
nahme eines Entlanggleitens der Chromosomen an den Spindel- 
fäden, die Strasburger und ich früher vertraten, durchaus auf. 
Ich sehe aber auch keine andere Möglichkeit, als dass ein Theil 
dieser Fasern in Figuren wie 19 und 35—38 hier, wo ja viele 
Chromosomen nur mit einem Pol durch Spindelfasern verbunden 
sind, sich noch erst zu bilden hat, und sagte schon, dass ich mir 


einem äusserst starken Grade contrahirt hätte, so dass sie gerade ge- 
worden ist. Dann wären ja aber offenbar die Spalthälften der Spin- 
delfasern nicht gleich lang. — Doch der Haupteinwurf bleibt der oben 
im Text erwähnte, dass ja auch in den späteren Stadien, wie Fig. 19, 
37, 38, 44, 45, zwischen dem einen Pol (y im Schema und in den Fi- 
guren) und den Chromosomen a am Pole x noch gar keine straffen 
Verbindungsfasern existiren, sondern in der Aequatorialgegend nur 
lockere Fadenwerke. 

1) Die interessante Beobachtung von Henking (a.a.0. S. 701) 
über Doppelheit der Spindelfäden in der Metaphase bei Spermatocyten 
kommt für diesen Punkt offenbar nicht mit in Betracht, da sie ein 
viel späteres Stadium betrifft und der Verfasser, soviel ich wenigstens 
entnehmen kann, sie nicht mit der ersten Spaltung der Chromosomen 
in Beziehung bringt. | 


’ 


144 W. Flemming: 


ihre Entstehung auf Grund von Streekung und Contraetion der 
lockeren Zellfadenwerke zu gradlinigen Fasern zurückführen 
möchte. 

Ich bemerke hier noch, dass ich öfter im Figuren wie die 
besprochenen die stärkeren Fasern, die von einem Pol zu 
einem der nächstbenachbarten Schleifenwinkel ziehen , doppelt 
finde (Fig. 38) und diese zwei Fasern annähernd parallel; ob 
dies eine bestimmte Bedeutung hat, weiss ich für jetzt nieht zu 
sagen, jedenfalls kann es wohl nichts mit der künftigen Aus- 
einanderziehung der Fasern zu thun baben, da es sich ja dabei 
um einpolige Fasern handelt. 

Auf die Angaben van Beneden’s, Boveri’s und 
OÖ. Schultze’s, nach denen die Fäden der Spindel und der Pol- 
strahlen varieös sind, und auf die Annahme, dass sie aus Körn- 
chen (Mikrosomen) bestehen, bin ich hier nur deswegen nicht 
eingegangen, weil sich bei meinen Objeeten, wo die Fasern über- 
haupt viel zarter sind als bei den Eiern, davon nichts recht 
Deutliches sehen lässt; die Fäden erscheinen jedoch auch hier rauh 
und können wohl Körnchen enthalten, und ich möchte also, in- 
dem ieh den Gegenstand hier nieht weiter berücksichtige, durchaus 
nicht in eine Gegnerschaft zu der Meinung treten, dass sie aus 
Reihen von Mikrosomen oder Altmann schen Granulis bestehen. 


Es mag hier noch weiter eme Bemerkung über das zeit- 
liche Auftreten der Chromosomenlängsspaltung ange- 
schlossen werden, die mir angesichts der Literatur nicht über- 
flüssig scheint. | : 

So viel ich sehe, nimmt man jetzt ziemlich allgemein an, 
dass dieselbe bei der einen Zellenart früher, bei der anderen spä- 
ter erfolgen kann, bald im Spirem, bald im Aster, und auch 
selbst bei der gleichen Zellenart ihre Eintrittszeit schwanken 
kann. Dies habe ich zum Theil selbst mit veranlasst, indem ich 
als wahrscheinlich hinstellte, dass es so seit). Und in gewissen 
Fällen scheint es wirklich so zu sein. Ich erinnere dafür an den 


1) Zellsubstanz ete., S. 215—216. 


a un. 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 745 


Ausspruch Boveri s!): „Wir haben bei der Richtungskörperbil- 
dung von Ascaris meg. gesehen, dass sich in den (ehromatischen) 
Elementen eine Spaltung vorbereiten kann, die erst bei der zweit- 
folgenden Zelltheilung wirklich zum Vollzug gelangt.“ Um 
Aehnliches scheint es sich ja bei manchen Verhältnissen in der 
Entwieklung der männlichen Genitalzellen zu handeln. Es kann 
aber die Frage sein, ob diese eigenthümlichen Verhältnisse bei 
Sexualzellen ohne Weiteres einen Maassstab für alle sonstigen 
Gewebszellen des Körpers geben. 

Ich habe nun nach längerer Erfahrung den Eindruck, als 
ob das, was damals wahrschemlich aussehen konnte, doch sehr 
fraglich ist, und dass zum Mindesten für die Zellen der meisten 
Gewebe die Anfänge der Längsspaltung doch immer im 
Stadium desSpirems, wie Fig. 30 hier, eintreten könnten; 
dass es ganz auf die Reagentienwirkung ankommt, ob man 
sie hier schon sieht oder nicht. Dies habe ‚ich auch schon an 
der erwähnten Stelle erörtert, kann es aber jetzt nach einem 
weit grösseren Material beurtheilen. 

Man mache sich z. B. vom gleichen Objeet — etwa Sala- 
manderepithel, das reich an Mitosen ist — eine Reihe von Prä- 
paraten mit halbprocentiger Chromsäure, eine andere mit concen- 
trirter Pikrinsäure, eine dritte mit meinem Gemisch, eine vierte 
mit Hermann’scher Lösung, eine fünfte mit Chromessigsäure oder 
Methylgrünessigsäure.. An den Chromsäurepräparaten wird man 
bei günstiger Wirkung (diese wird freilich nicht immer erzielt, 
es kommt, wie mir scheint, dabei auch auf die Einwirkungsdauer 
an) sämmtlieche Knäuel von dem Stadium meiner Fig. 16 und 30 
hier in Längsspaltung finden; an misslungenen Präparaten dage- 
gen keinen einzigen. An letzteren ist auch an den Sternfor- 
men meistens keine Spaltung zu finden, während sie an gelunge- 
nen hier überall schon mit 300 facher Vergrösserung zu sehen 
ist. Die Chromsäure stellt an den gelungenen Präparaten die 
Spalthälften sehr schlank und dünn dar, als wären sie etwas ge- 
schrumpft. — Aehnlich ist es an den Pikrinpräparaten und denen 
an Chromosmiumessigsäure: namentlich an letzteren werden die 
Spaltfäden in den frühen Knäuelformen fast durchweg .getrennt 
erhalten, nur sind sie hier dicker, als bei Chromsäurewirkung. — 


1) Be 5113. 
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 37. 49 


146 W. Flemming: 


Bei Behandlung mit Hermann’scher Lösung (die stark essig- 
säurehaltig ist) sowie Chromessigsäure und Methylgrünessigsäure, 
findet man dagegen die chromatischen Fäden überhaupt sehr dick, 
und die Spaltung in den Knäuelformen, auch den späteren, selten 
erkennbar. 

Hiernach muss ich nieht nur, wie an jener früheren Stelle, 
den Verdacht äussern, sondern muss ihn geradezu zur Wahr- 
scheinlichkeit stempeln, dass wenigstens bei Wirbelthiergeweben 
die Fälle, in denen man die Längsspaltung in den Knäueln und 
gar in den Sternformen nicht findet, sämmtlich Artefaete sind, 
bei denen es sich um eine Aufquellung und Verklumpung der 
schon getrennt gewesenen Schwesterstränge handelt. Denn wäre 
es anders, träte die Spaltung wirklich bald früher bald später 
ein, so wäre es nicht erklärlich, dass man sie beim Gebrauch 
des einen Reagens an allen Knäueln im Präparat findet, bei dem 
des anderen an gar keinen !). 

Darum möchte ich es auch noch nicht für ausgeschlossen 
halten, dass beim Ei von Ascaris megalocephala die Spaltung 
der Chromosomen doch vielleicht schon früher als seine Unter- 
sucher annehmen, nämlich auch in der Knäuelform, auftreten 
könnte. Dieses Ei hat sich ja bisher solchen Reagentien, welche 
die Spaltung am besten fixiren, nicht gut zugänglich gezeigt; 
und der Umstand, dass seine Chromosomen in den Stadien, wo 
man jene noch nicht gesehen hat, doch schon deutlich band- 
förmig abgeplattet sind, kaum daran denken lassen, dass es sich 
dabei bereits um Conglutinirung schon getrennter Fädenhälften 
durch die essigsäurehaltigen Fixirmittel handeln könnte. 

Nach dem Vorstehenden kann es entschuldigt sein, dass 
ich hier die Ausdrücke van Beneden’s: „primäre und se- 
cundäre Fäden, Schleifen oder Chromosomen“ nicht viel in An- 
wendung gebracht habe, weil sie leicht missverstanden werden 


1) Dies war mir zur Zeit, als die vorher eitirte Stelle geschrieben 
wurde, noch nicht ganz klar, besonders weil ich damals noch nicht 
lange mit Osmiumgemisch gearbeitet hatte; deshalb konnte ich dort 
noch sagen, „dass man theils gespaltene, theils ungespaltene Knäuel 
und Sterne am gleichen Präparat bunt durcheinander finde“. So 
kann es sein, aber solche Präparate sind, wie ich jetzt glauben muss, 
nicht gelungen zu nennen und beruhen auf ungleichmässiger Reagen- 
tienwirkung. 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 747 


können. Sie sind zwar völlig klar und richtig, wenn man unter 
seeundären Chromosomen solehe versteht, die sich in der Meta- 
kinese bereits von eimander völlig getrennt haben, unter 
einem primären Chromosom ein solches, bei dem dies noch nicht 
der Fall ist; und so sind diese Worte ja auch von van Bene- 
den gemeint gewesen. Aber sie wurden eingeführt in der Mei- 
nung, für welche das Verhalten beim Ascaris-Ei zu sprechen 
schien, dass die Spaltung in den primären Fäden erst kurz vor 
der Metakinese begönne, und können also leicht zu der Meinung 
führen, dass ein primäres Chromosom in der Knäuelform oder 
dem Anfang oder Sternform der Mitose überhaupt noch gar keine 
Spaltung besässe. Dies würde, wie ein Blick auf meine Spirem- 
figuren hier zeigt, für sehr viele Objeete, und vielleicht für alle, 
nicht zutreffend sein, und deshalb wollte ich mich hier vor der 
Hand, um leicht verständlich zu sein, dieser. Namen nicht be- 
dienen, keineswegs aber damit auf ihren weiteren Gebrauch ver- 
zichten. 


Ich fasse kurz zusammen, was sich aus Allem, hier im Ab- 
schnitt E Gesagten schliessen lässt. 
1) Ueber die Herkunft der Spürdel: 

Die Anlage der Centralspindel und der Spindelenden liegt, 
wie die Pole, ohne Zweifel ausserhalb des Kerns. Wie 
viel von der Substanz der fertigen Spindel auf diese ex- 
tranucleare Anlage zu beziehen ist, darüber haben wir noch 
Aufschluss zu erwarten; es scheint sich damit bei verschie- 
denen Zellenarten nicht gleich zu verhalten. Für einen, 
bei meinen Objeeten grossen Theil der Spindelfasern kann 
ich eine extranucleare Herkunft nieht als erwiesen ansehen, 
und finde es viel näher gelegt, diesen Theil aus den Linin- 
substanzen des Kerns und der Kernmembran abzuleiten. 

Die Annahme einer in dieser Art doppelten Herkunft der 
Spindel hat keineswegs etwas Sonderbares oder Gezwunge- 
nes an sich. Denn die Lininsubstanzen des Kerns und der 
Kernmembran können sehr wohl mit den Structuren des 
Zellleibes und der Sphäre ihrer Beschaffenheit nach gleich, 
oder sehr nahe verwandt sein. Ich darf hierbei wohl an 


748 W. Flemming: 


meine früheren Worte!) erinnern: „Ob die Substanz, aus 

welcher die Spindelfasern geprägt werden, vorher dem 

Raume des Zellkerns oder des Zellkörpers angehört hat, 

das mag vielleicht gar keine so fundamentale Bedeutung 

haben, wie es manche Untersucher zu glauben scheinen.“ 
2) Ueber die Ursache der Chromosomen-Spaltung ?). 

Es erscheint nicht durehführbar, dass sie durch einen 
Zug oder eine sonstige mechanische Einwirkung der Spin- 
delfasern veranlasst sein sollte, in der Art, dass diese letzte- 
ren sich vorher längsgespalten hätten und mit ihren Halb- 
fäden trennend auf die Chromosomen einwirkten. Ueber 
die Ursache der Längsspaltung sind bei jetzigem Stande 
der Kenntnisse zwei Annahmen möglich. 

a. Entweder, wir sagen mit Boveri: „Die Längsspaltung 
ist eine selbständige Lebensäusserung, ein Fortpflanzungs- 
act der chromatischen Elemente“ (a. a. O. 8. 113). Diese 
Auffassung schliesst ja keine mechanische Erklärung in 
sich, aber sie stimmt mit den Thatsachen, die bis jetzt 
bekannt sind. 

b. Oder: Die Chromosomen-Längsspaltung steht in einer 
Beziehung zu der Bildung des intranuclear entstehenden 
Theiles der Spindelfasern. Während der ersten Ausbil- 
dung des Knäuels wird Lininsubstanz aus dem chroma- 
tischen Kerngerüst herausgezogen und zwischen den 
Knäuelfäden zunächst zu zusammenhängenden Netzen, 
dann zu Strängen formirt, welche zu Spindelfasern ge- 
streckt werden. Die Herausentwieklung der Lininfaden- 
werke aus der chromatischen Kernstructur kann ein Anlass 
dazu sein, dass mit-ihr zugleich eine Zweireihenanordnung 
(des zurückbleibenden Chromatins in den Knäuelsträngen 
bewirkt wird. Eine mechanische Aufklärung des letzte- 
ren Vorganges liegt natürlich auch in dieser Anschauung 
nieht. Sie lässt es noch unerklärt, weshalb die Spirem- 
fäden gleichmässigen Durchmesser bekommen, und wes- 


1) Dieses Archiv Bd.29, S. 435. 

2) Ich bitte zu berücksichtigen, dass hiermit die initialeLängs- 
spaltung, nicht aber die Längstrennung der Spalthälften (secun- 
dären Fäden, van Beneden) in der Metakinese gemeint ist. 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 749 


halb die Action der aus ihnen herausgezogenen Bälkchen 
an ihnen nicht allseitig, sondern nur nach zwei entgegen- 
gesetzten Seiten wirkt. Sie bietet aber wenigstens da- 
für ein Verständniss, dass später Spindelfasern mit den’ 
Chromosomen in Verbindung stehen. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXVIII—XL. 


Alle stärker vergrösserten Bilder sind mit Zeiss Apochr. 2 mm 
1,40 gezeichnet, meist mit Oc. 8, zum Theil mit 6 aufgenommen und 
mit diesem oder 4 näher ausgeführt. 

Das Roth, mit welchem ausser den chromatischen Bestandtheilen 
auch die Zwischenkörper (Zellplatten) auf Tafel II, und die Central- 
körper und Polkörper auf Tafel I und II gegeben sind, ist in der 
Nuance ebenso genommen wie bei jenen; an den Präparaten weicht 
es öfter etwas davon ab. — Uebrigens vgl. Abschnitt A. Alle Figuren 
von Salamanderlarven, mit Ausnahme von Fig. 17 und 18. 


Tafel XXxXVil 


Fig. 1-5. Kerne, mit einem Theil der Zellsubstanz (grau), von Endo- 
thelzellen des Peritoneum (1, 2, 4) und Bindegewebszellen 
(3, 5). Centralkörper; in Fig. 2 einfach erscheinend, sonst 
doppelt; in den letzteren Fällen scheint der eine etwas kleiner 
als der andere zu sein. — In Fig. 2 die Strahlung der Sphäre 
(wie oft) zart sichtbar. 
Fig. 6 u. 7. Beginnende Spireme, ebendaher. Auseinanderrücken der 
Centralkörpor, Spindelanlage. 
Fig. 8$-15a. Zwischenkörper (wahrscheinliches Zellplattenrudiment). 
Fig. 8 (Bauchfell, Bindegewebszelle). Zwischen den Verbindungs- 
fasern nur blasse Körnchen). 
Fig. 9 u. 10. Im Abschnürungsgürtel tingirte Körperchen. 
Fig. 11—15a. Zwischenkörper. 11 und 15a letzte Stadien, sehr ver- 
kleinert. 
12: Bindegewebszelle aus der Lunge, 14: Spermatocvt, 
10 und 13: Bauchfell, 9, 11 und 15: Lungenepithel. Näheres 
s. Abschn. B. 


Tafel XXXIX. 

Fig. 16. Spirem, Epithelzelle, Mundbodenplatte, Chromessigosmium- 
säure, Safranin. Es ist nur der obere Umfang der Figur ge- 
zeichnet. Durchgehende Chromosomenspaltung. Rechts ein 
Chromosom stärker vergrössert dargestellt. 


750 W. Flemming: 


Fig. 17. Spirem aus dem Wandbeleg des Embryosackes von Fritillaria 
imperialis, behandelt wie das vorige Object. Noch grosse 
Nucleolen im Knäuel. Spaltung durchgehend. 

Für beide Figuren vgl. Abschnitt E. 

Fig. 18. Aus einem Serienschnitt, Hoden, Salamandra; eine Metaphase 
eines grossen Spermatocyts längs durchsehnitten, so dass nur 
wenige Chromosomentheile im Schnitt sind und der Mittel- 
theil der Spindel frei vorliegt. Man sieht die im Aequator 
durchlaufenden Spindelfasern. — Hermann’sche Lösung, 
Orangeverfahren. 

Fig. 19. Sternphase einer Lungenepithelzelle, mit zwei separirt ge- 
legenen Chromosomen. Näheres vgl. im Abschnitt E. 

Fig. 20. Aus dem Kiemenepithel; zur Veranschaulichung der beson- 
deren Dunkelung der in Mitose stehenden Zellen bei Osmium- 
behandlung. Chromessigosmiumsäure, Safranin, Gentiana (die 
Kerne der beiden ruhenden Zellen, hier mit roth gezeichnet, 
sind mit Ausnahme der Nucleolen blau zu denken). Die Zelle 
links ist so gedunkelt, dass man von der hellen Innenportion 
des Zellkörpers und von den Verbindungsfäden, sowie auch 
von den Zellplattenelementen (vgl. Fig.9 u. 10, Tafel I) so gut 
wie nichts sieht. — Uebrigens vgl. Abschnitt C. 

Fig. 21. Kern aus dem Hoden, Salamandra, Juli; erste Spermatocyten- 
generation. Form vor dem eigentlichen Spirem (halbe Ruhe- 
form). Verästelte achromatische (Linin-) Brücken und Bälk- 
chen zwischen den chromatischen Strängen. Platinchlorid 
0,5 pCt., Safranin. 

Fig. 22. Ein ebensolcher Kern; an Serie durchschnitten, war in drei 
Schnitte zerlegt, der mittlere gezeichnet. Zwischen den Durch- 
schnitten der chromatischen Stränge die Lininbälkchen genau 
gezeichnet: zeigt, dass dieselben verästelt sind. Orangever- 
fahren wie im Abschnitt A beschrieben; die Lininstructuren 
sind blau zu denken. 

Fig. 22a. Schnitt aus einem Kern ebendaher, im Uebergang zum 
vollen Spirem und mit Längsspaltung der Chromosomen. Im 
Uebrigen siehe die Erklärung der vorigen Figur. 

Fig. 23. Ebenso, etwas späteres Stadium. 

Für Fig. 22—23 vgl. Text im Abschnitt E, S. 731. 

Fig. 24. Wanderzelle aus dem Peritoneum, Orangeverfahren: Links 
am Kern die Attractionssphäre; die Centralkörper sind hier 
doppelt, aber sehr nahe beisammen. Der Kern zeigt keine 
Spur von Mitose. S. Abschnitt D. 

Fig. 25. Wanderzelle aus dem Kiemenblatt, Chromsäure-Safranin. Die 
Sphäre, links neben dem polymorphen Kern, ist durch das 
Reagens verändert, grau gezeichnet, blass rosenroth zu denken. 

Fig. 26. Wanderzelle ebendaher. Chromsäure - Safranin. Färbung 
schwarz bezw. grau, statt roth-rosenroth angegeben. Die 


Fig. 


Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 751 


Zelle ist durch Fragmentirung getheilt, die Sphäre zerlegt. 
Vgl. im Abschnitt D. 


27—29. Schematische Zeichnungen für Abschnitt E, vgl. daselbst 


. 90. 


ig. 39. 


ig. 40. 


io. 41, 


besonders Seite 726, 728, 732. 
In Fig. 28 ist die Centralspindel nicht mitgezeichnet; 29 
verdeutlicht, in welcher Lage dieselbe hineinzudenken ist. 


Tatel' XL. 


Enges Spirem mit Längsspaltung, vgl. Fig. 16 u. 17, Tafel I. 
Die Chromosomen des oberen Umfangs dunkel, die des un- 
teren blass gezeichnet. Vergl. Abschnitt E, S. 7357 ff. und am 
Schluss S. 744. 


. 31—38. Stadien der Prophasen der Mitose bis zur Sternform, im 


wesentlichen nach der typischen Reihenfolge numerirt, von 
Lungenepithelien und Bauchfellendothelien der Larve. Die 
Erläuterung der Figuren ist im Abschnitt E enthalten. 
Lungenepithel mit mehreren Mitosen, zeigt die Dunkelung 
der in Theilung stehenden Zellen. Vgl. Fig. 20, Tafel II und 
Text im Abschnitt C. 

Sehr platter ruhender Bindegewebskern in der Wand eines 
Hodenkanälchens, von der Fläche, wahrscheinlich Tochterkern, 
der unlängst aus dem Dispirem zurückgebildet ist; zeigt An- 
deutung der Rabl’schen Polfeldanordnung. 

42, 43. Schemata zur Erläuterung des Textes im Abschnitt E, 
S. 735—744 (Fig.42 nach Rabl. Fig. 41 zeigt, dass bei An- 
nahme einer Längsspaltung der Spindelfasern die Spalthälf- 
ten derselben nicht gleich lang sein könnten. Fig.41 und 43 
vertritt nicht etwa meine Ansicht über die erste Anlage der 
Spindel (für diese siehe vielmehr Fig. 27—29, Tafel XXXIX), 
sondern dient zur Erläuterung, dass eine hypothetische Spal- 
tung von Spindelfasern im Knäuel keinen Einfluss auf die 
Spaltung der Chromosomen haben könnte. 


Fig. 44 u. 45. Diagramme von Fig. 57 (44) und 19 (45), s. Text im 


Abschnitt E, S. 739 u. folgende. 


Kiel, 24. April 1891. 


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