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University of Illinois Library
L161—H41°
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Mikroskopische Anatomie
herausgegeben
von
O. Hertwig in Berlin,
v. la Valette St. George in Bonn
und
W. Waldeyer in Berlin.
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Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie.
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Siebenunddreissigster Band.
Mit 40 Tafeln und 4 Holzschnitten.
Bonn
Verlag von Friedrich Cohen
1891.
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Inhalt.
Zur Entwicklungsgeschichte und feineren Anatomie des Hirm-
balkens. Von Dr. L. Blumenau. (Aus dem I. anatomi-
schen Institute in Berlin.) Hierzu Tafel 1.
Imprägnation des centralen Nervensystens mit Quecksilbersalzen.
€ Von W.H. Cox, Arzt an der Irren-Anstalt zu Deventer.
Hierzu Tafel II. Ben i
Beiträge zur Histologie des Blutes. Von Dr. med. et phil.
H. Griesbach, Kaiserl. Öberlehrer u. Privatdocent. Hierzu
Bauen... |
Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. Von Max
Wolters. (Aus dem anatomischen Institut der Universität
Bonn.) Hierzu Tafel V—-VIN.
Ueber die Regeneration der Mammilla nebst Bemerkungen über
ihre Entwicklung. Von Prof. Dr. Ribbert, erstem Assi-
stenten am pathologischen Institut zu Bonn. Hierzu Taf. IX.
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Öberhaut. Von
James Loewy in Berlin. (Aus dem Laboratorium des
Herrn Dr. Blaschko.) Hierzu Tafel X und 1 Holzschnitt.
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie nebst einigen Bemer-
kungen über die unveränderten Follikel in den Eierstöcken
der Säugethiere. Von Dr. J. Sehottlaender. Hierzu
ma Al ..
Weitere Beobachtungen an Gordius tolosanus und Mermis. Von
Dr. v. Linstow in Göttingen. Hierzu Tafel XI.
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten, und über deren
Attraetionssphären. Von W. Flemming in Kiel. Hierzu
Tafel XIII und XIV.. ELF EN RT Ar
Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn.
Von Prof. Dr. F. Marehand in Marburg. Hierzu Tafel
XV und XVl.
Zur vergleichenden Anatomie der Placenta, Von Prof. E. Klebs
in Zürich. Hierzu Tafel XVII. A ei
Ueber die Entwickelung und Structur der Placenta bei der
Katze. Von Prof. F. Heinricius in Helsingfors. Hierzu
Tafel XVII und XIX.
ILIRI
Seite
16
99
139
159
249
259
335
IV Inhalt.
Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung in der Ivmphati-
schen Randschicht der Salamandrinenleber. Von Dr.
'E. Göppert. (Aus dem II. anatomischen Institut der Uni-
versität zu Berlin.) Hierzu Tafel XX. .
Versuche zur functionellen Anpassung. VonD.Barfurth. (Aus
dem vergleichend-anatomischen Institut in Dorpat.) Hierzu
Tafel XX1.. ;
Zur Regeneration der Gewebe. Von D. Barfurth. (Aus dem
vergleichend-anatomischen Institut zu. Dorpat.) Hierzu
Tatel XXII—XXIV.
Zur Kenntniss der Grundsubstanz -und der Saftbahnen des Knor-
pels. Von Dr. M. Wolters in Bonn. (Aus dem anatomi-
schen Institut zu Bonn.) Hierzu Tafel XXV. ;
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. Von M.
Nussbaum. Hierzu Tafel XXVI—XXX u. 1 Holzschnitt.
Beitrag zur Lehre von der Entstehung der karyokinetischen
Spindel. Von-Dr. F. Hermann. (Aus dem anatomischen
Institut der Universität Erlangen.) Hierzu Tafel XXXI
und 2 Holzschnitte.
Ueber die Entwickelung der Ganglien beim Hühnchen. Von
Max Goldberg zu St. Petersburg. Hierzu Tafel XXXIL
Die Nervenendkörperchen (Endkolben, W. Krause) in der Cor-
nea und Conjunctiva bulbi des Menschen. Von A. S. Do-
giel, Professor der Histologie an der Universität Tomsk.
Hierzu Tafel XXXII und XXXT.
Ueber die Entwickelung des Uterus und der Vagina beim Men-
schen. Von Dr. med. W. Nagel, Privatdocent, Assistenz-
arzt der geburtshülflich-gynäkologischen Univ.-Klinik des
Herrn Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Gusserow zu Berlin.
(Aus dem I. anatomischen Institut in Berlin) Hierzu
Tafel XXXV u. XXXVl.
Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma und die
Contraction der quergestreiften Muskelfasern. Von Prof.
Dr. A. Rollett.in Graz. Hierzu Tafel AXXYVIErsE
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. TI. Theil. Von W.Flem-
ming in Kiel. Hierzu Tafel XXXVII, XXXIX u. XL.
Seite
378.
392
406
620
654
685
. . ‘
(Aus dern I. anatomischen Institute in Berlin.)
Zur Entwicklungsgeschichte und feineren
Anatomie des Hirnbalkens.
Von
Dr. L. Blumenan.
Hierzu Tafel 1.
Der Hirnbalken der Säugethiere entwickelt sich erst in
späteren Stadien, ja von allen Theilen des Gehirns am spätesten
(Mihalkovics).
Bekannt ist, dass diese grosse Commissur des Vorderhirns
unter partieller Verwachsung der medialen Flächen beider He-
misphären entsteht und zwar innerhalb desjenigen Gebietes, wel-
ches zuerst von F. Schmidt unter dem Namen des Randbogens
eingehend beschrieben ist). Nach diesem Forscher bildet sich
schon sehr früh (beim menschlichen Embryo etwa im Anfange des
dritten Monats) oberhalb der Fissura choroidea eine tiefe Furche,
Bogenfurche, die aus der medialen Wand der Hemisphäre einen
die obere Seite der Fissur umzingelnden Halbring oder Rand-
bogen abgrenzt. — Die Bogenfurche entspricht in ihrem vorderen
oberen Theile dem Suleus ecorporis eallosi, welcher den Bal-
ken vom Gyrus corporis callosi trennt; in ihrem hinteren unteren
Theile der Fissura hippocampi.
Der Randbogen bleibt aber keine einfache Windung, son-
dern zerfällt in zwei bogenförmige Wülste — den äusseren
1) Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Gehirns. Zeitschrift
f. wissenschaftliche Zoologie, 11. Bd. 1862. -— Aeltere Angaben findet
man in dem unten angeführten Werke von Mihalkovics.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 1
2) Blumenau:
(oberen nach Kölliker) und den inneren (unteren) Rand-
bogen. Der sich entwickelnde Balken bricht nun nach Schmidt
in der Grenzlinie zwischen den beiden Randbogen her-
vor; der äussere Randbogen läuft demnach über den Balken hin
und bildet die Stria teeta mit der Fasciola einerea und die Stria
alba Laneisii; in dem inneren tritt ein Längsfaserzug. auf, wel-
cher das Gewölbe sowie das Septum pellueidum bildet. Der Bal-
ken selbst entwickelt sich, nach dem genannten Verfasser, . „durch
Verwachsung der gegen einen bestimmten Punkt convergirenden
Fasern“ beider Hemisphären; dieser Punkt liegt oberhalb der
vorderen, vertical stehenden Abtheilung des unteren Randbogens,
d. h. der Abtheilung des letzteren, aus welcher der vordere Ge-
wölbeschenkel sich ausbildet. Die zuerst entstandene Commissur
entspricht nicht einem Theile des Balkens, sondern dem ganzen
Balken, gleichsam in nuce. Das weitere Wachsthum desselben
geschieht, wie das der Hemisphären, vorzüglich in die Länge;
auch nimmt seine Längsaxe an der Krümmung der Hemisphären
allmählich Theil.
Kölliker!) vertritt im Allgemeinen dieselbe Anschauung
wie F. Schmidt. „Der Balken wird gleich in toto angelegt
und wächst später nur in die Länge, setzt aber an den Enden
keine neuen Theile an.“ Der obere Randbogen kommt an die
obere Seite des Balkens zu liegen und wandelt sich später in die
Stria alba Laneisii und die Stria tecta, sowie in die Faseia den-
tata des Ammonshorns um. Aus dem unteren Randbogen, wel-
cher sich, nach K., nach vorne zu in die Schlussplatte der He-
misphären fortsetzt, entsteht das Crus posterius fornieis mit der
Fimbria; der vordere und mittlere Theil des Gewölbes entwickelt
sich aus der embryonalen Schlussplatte. Hinsichtlich der feineren
Verhältnisse ist folgende Bemerkung (l. e. S. 531) Kölliker’s
hierher zu ziehen: K. hat beim Kaninchen die ersten sicheren
Spuren des Balkens am 18. Tage gesehen und zwar in Form
einer Lage querer Fasern, welche an der medialen Wand der
Hemisphären dicht über und vor der Schlussplatte ihre Lage hat.
Diese Fasern grenzen zuerst an die primitive Sichel, durchwachsen
dieselbe jedoch bald, so dass am zwanzigsten Tage der Balken
in seinem freien Theile ganz gebildet ist.
1) Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere,
Leipzig, 1879. 2. Aufl.
[2}
Zur Entwicklungsgesch. u. feineren Anatomie d. Hirnbalkens. 5
Die Entwicklung des Balkens wurde endlich, als Gegen-
stand speeieller Untersuchung, von v. Mihalkovies!) behandelt,
der den in Rede stehenden Vorgang folgendermaassen beschreibt.
Bei Säugethieren geht der Entwicklung der Commissuren-
systeme eine Verwachsung der Hemisphären vor der embryonalen
Schlussplatte voran. Die Verwachsung geschieht in einem drei-
eckigen Gebiete, dessen Spitze nach unten gerichtet ist, und dessen
kurze Basis nach oben bis über das Monroe’sche Loch hinaufreicht.
Ueber der verwachsenen Stelle (der Scheidewand) beginnt eine
Furche, die von dort an der medialen Wand der Hemisphäre
bogenförmig bis zum Ende des Schläfenlappens hinunterzieht;
sie wird Ammons- oder Bogenfurche genannt und grenzt von
der übrigen Hemisphärenwand den halbzirkelförmigen Theil, den
Randbogen ab.
Die verwachsene Scheidewand besteht Anfangs nur aus
rundlichen embryonalen Zellen. Bald treten aber hier verschie-
dene Commissurensysteme auf und zwar zuerst die vordere Com-
missur, dann das Gewölbe und zuletzt der Balken. Der letztere
erstreckt sich Anfangs nur auf den oberen Theil der Scheidewand
und liegt also ganz vor dem dritten Ventrikel. Dieser zuerst
entstandene Balken entspricht dem Knietheil des ausgebildeten
Organes; die weitere Entwicklung desselben schreitet nach rück-
wärts allmählich fort, indem die Randbogen beider Seiten sich
über dem dritten Ventrikel an einander legen und dann von
vorne nach hinten verwachsen. Gleich nach der Verwachsung
differenziren sich in ihnen die Balkenfasern (ebenso wie das früher
in den Scheidewänden stattfand), so dass der Balken seine de-
finitive Länge durch eine Art Apposition nach hinten, nicht
durch eine Intussusception neuer Fasern (wie Schmidt und Köl-
liker meinen) erhält.
Beim Menschen unterscheidet sich der ursprüngliche Ver-
wachsungsprozess dadurch, dass im igonum septi pellueidi nur
die Peripherie verwächst, indem innerhaw des Dreiecks die He-
misphärenwände getrennt bleiben und den sogenannten Ventrieulus
septi seitlich begrenzen. Die fernere Ausbreitung des Balkens
nach hinten geschieht gerade so wie bei den Säugethieren; der
1) Entwicklungsgeschichte des Gehirns. Leipzig, 1877. — Vor-
läufige Mittheilung im Centralblatt f. med. Wissensch. 1876.
Br Blumenau: |
Unterschied besteht nur darin, dass die verwachsene Stelle der
Randbogen beim Menschen ganz zu querliegenden Nervenfasern
differenzirt wird, während bei Säugethieren ein Theil des weit
nach vorne reichenden Ammonshorns nach der Verwachsung der -
Randbogen unter den Balken zu liegen kommt.
Die erste Verwachsung der Hemisphärenwände (im Gebiete
des Trigonum septi) beginnt beim Menschen in der Mitte des
vierten Monats; seine definitive Entwicklung erreicht der Balken
erst zu Ende des fünften Monats.
Die angeführten litterarischen Angaben leiden, RE
von einigen Widersprüchen, an Unvollständigkeit, welehe sehr
begreiflich ist, denn gewisse T’hatsachen der feineren Anatomie
des Balkens sind erst in neuerer Zeit hinreichend beachtet
worden.
Meiner Untersuchung, die ich auf Anempfehlung des Herrn
Prof. H. Virchow in seinem Laboratorium unternommen habe,
diente als nächster Ausgangspunkt eine Arbeit von Prof. Gia-
comini über die Fascia dentata!). Bezüglich der feineren Strue-
tur des Balkens enthält diese Arbeit folgende Ergebnisse.
Die Fasciola einerea, die obere Fortsetzung der Fasecia
dentata, steht, um das Splenium des Balkens herumbiegend, mit
den auf der oberen Fläche des letzteren sichtbaren Reliefs, den
sogenannten Nervi Laneisii in Verbindung. Die Volumabnahme
der Fascia dentata bei ihrem Uebergange in die Faseiola wird
durch eine Abnahme der Körnerschieht bedingt, indem diese letz-
tere sich allmählich auf eine kleine Anhäufung der Kömer be-
schränkt, welche sich noch in den Nervi Laneisii verfolgen lässt.
Den wesentlichen Bestandttheil der „Nervi“ bilden, abgesehen von
longitudinalen Nervenfasern, die grossen Pyramidenzellen, die
mit der Schicht gleichartiger Zellen in den Striae teetae und
den anliegenden Gyri einguli direet zusammenhängen. Aber selbst
über die Nervi Laneisii hinaus setzen sich medialwärts die Ele-
mente der Hinrinde an der Oberfläche des Balkens fort; denn
auch zwischen ihnen findet man eine dünne Lage grauer Sub-
stanz, in der sich noch zwei Schichten unterscheiden lassen: eine
oberflächliche (Fortsetzung der Stratum moleeulare) und eine tiefe,
1) Giornale della r. Accademia di medicina di Torino. Nov.—
die. 1883. | Li
Zur Entwicklungsgesch. u. feineren Anatomie d. Hirnbalkens. 5
welche stellenweise zerstreute Nervenzellen mit vielen Fortsätzen
enthält. — Die graue Substanz der Hirnrinde bedeckt
also die ganze freie obere Fläche des Balkens mit einer,
obwohl stellenweise dünnen, doch nirgends fehlenden Lage ?).
Es war nun der Untersuchung werth, die Theilnahme dieser
grauen Substanz an der Entwicklung des Balkens und somit auch
den ganzen Prozess der Verwachsung der Randbogen
näher kennen zu lernen. Zu diesem Zwecke unternahm ich mi-
kroskopische Untersuchungen an embryonalen -Gehirnen, die auf
versehiedenen Stufen der Entwicklung des Balkens standen, theils
menschlichen, theils thierischen, und von letzteren namentlich an
solehen von Schweineembryonen.
Schon bei der makroskopischen Untersuchung der Median-
schnitte embryonaler menschlicher Gehirne kann man zur Ueber-
zeugung gelangen, dass der Balken innerhalb des oberen
Randbogens, nicht zwischen oberem und unterem Randbogen,
entsteht. An einem median durchschnittenen Gehirn, namentlich
deutlich nach Entfernung des Sehhügels, sieht man (wie in Fig. 1)
das hintere Ende des Balkens aus dem oberen Randbogen her-
austreten; die Furche, welche dasselbe vom Crus posterius for-
nieis trennt, ist zugleich die Grenzfurche zwischen dem oberen
und dem unteren Randbogen. Ä
Es ist aber zu bemerken, dass die erwähnte Furche erst
unter dem hinteren Theile des oberen Randbogens deutlich wird:
derjenige Theil des unteren Randbogens, der dem Gewölbekörper
entspricht, wird vom oberen Randbogen, d.h. vom Balken, nicht
durch eine Furche getrennt. Damit ist die Verbindung des Bal-
kens mit dem Corpus fornieis keine sekundäre Verwachsung, son-
dern erklärt sich daraus, dass die beiden Gebilde aus einem un-
getheilten Stücke des embryonalen Randbogens entstehen.
l) Dass die Gyri cinguli sich zum Theil auf die Oberfläche des
Balkens fortsetzen, war gewiss schon früher bekannt, wenn auch nicht
so sicher und vollständig. So behauptet Zuckerkandl (Zeitschrift f.
Anatomie, 1877), dass die unteren Ränder der genannten Windungen
oft mit ihren stark verdünnten Ausläufern die obere Fläche des Bal-
kens in sehr verschiedener Ausdehnung bedecken. In diese
graue Deckschicht, bemerkt Zuckerkandl, geht die Fascia dentata
häufig über.
6 Blumenau:
Der folgenden histologischen Beschreibung der Entwicklung
des Balkens liegen meine Präparate von Gehirnen von Schweine-
embryonen von verschiedener Körperlänge zu Grunde !). Bei der
Vergleiehung mit einigen menschlichen Embryonen hat sich er-
geben, dass die Hauptzüge des Vorgangs in beiden Fällen die
gleichen sind; einige. Verschiedenheiten werden an gehörigen
Orten zur Sprache kommen.
Die kleinsten Sehweineembryonen, bei denen ich die erste
Spur des Balkens fand, hatten eine Körperlänge von eirca 8 em.
Bei den 6!1/,—7 em langen Embryonen waren schon die vordere
Commissur und das Gewölbe vorhanden, die zur Bildung des
Septum pellueidum führende Verwachsung der Hemisphärenwände
zeigte sich auch mehr oder weniger vorgeschritten; vom Balken
selbst aber war noch nichts zu sehen, — die Entwicklung des
letzteren wurde, wie gesagt, erst bei denjenigen Embryonen be-
obachtet, deren Länge etwa 8 cm erreicht hatte.
Der Vorgang nahm seinen Anfang mit dem Erscheinen der
Balkenbündel, sowohl in der verwachsenen Scheidewand, wie
auch in den derselben von vorne und von hinten anliegenden Theilen
der Innenwände. Diese Bündel gingen aus der tiefsten Schieht
beider Hemisphären hervor und wuchsen gegen die Medianebene,
also einander zustrebend. Im Gebiete der verwachsenen
Scheidewand, namentlich im oberen Rande derselben, vereinigten
sich die gegenseitigen Bündel; dort aber, wo die medialen Wände
noch getrennt waren, näherten sich die Fasern der Oberfläche
und erreichten die Hirnsichel.
Die Entwicklung des Balkens setzt sich, einmal aufgetreten,
bei älteren (10, 14, ja 16 cm langen) Embryonen fort. In
der nächsten Umgebung der beiden Enden eines schon ausgebil-
deten, d.h. verwachsenen Balkenstückes findet sich bei allen
diesen Embryonen ein Gebiet, wo verschiedene Stufen des in Rede
stehenden Vorgangs beobachtet werden können. Da zugleich in
dem Maasse, wie sich die Schichten der Hemisphärenwände diffe-
renziren, auch die mikroskopischen Bilder an Klarheit gewinnen,
1) Was die Technik anbetrifft, sei hinzugefügt, dass die in Er-
lizki’scher Flüssigkeit gehärteten Gehirne, bald mit bald ohne Hüllen,
in Celloidin (nach Apathy) eingebettet und die erhaltenen Schnitte
mit verschiedenen Sorten Karmin (neutralem,.Borax- und Alaunkarmin),
zuweilen auch noch mit Bleu de Lyon gefärbt wurden.
Zur Entwicklungsgesch. u. feineren Anatomie d. Hirnbalkens. 7
so halte ich für zweckmässig, ein Gehirn eines solchen älteren
Embryo als Grundlage für weitere, mehr eingehende Beschreibung
zu verwenden.
Eine Reihe frontaler Schnitte durch das Vorderhirn eines
10 em langen Schweineembryo gestattet nach und nach alle
die Veränderungen zu verfolgen, welche die Entwicklung des
Balkens begleiten. (Drei dieser Schnitte sind in Fig. 2—4 dar-
gestellt.) Ich beginne die Beschreibung mit dem Schnitte, auf
welchem, wenn man von vorne nach hinten geht, zuerst die
oben erwähnten Balkenbündel in den Innenwänden der Hemis-
phären erscheinen.
Man erkennt hier (Fig. 2) in jeder Innenwand dieselben
Sehichten, welche sich überhaupt in den Hemisphären des Em-
bryo unterscheiden lassen, nämlich: 1) eine oberflächliche, zellen-
arme Schicht, 2) die eigentliche Zellenschieht der Rinde, 3) weisse
Substanz und 4) eine tiefe, unmittelbar an das Epithel des lateralen
Ventrikels grenzende Zellenschicht. Von allen diesen Schichten
zeigt sich nur die letztere (bei Embryonen unverhältnissmässig
dieke) insofern verändert, dass in ihrer Masse neue Fasern zum
Vorschein kommen, die parallel mit der Wand des Ventrikels
verlaufen, an der Stelle aber, welche etwas unter der Mitte der
Ventrikelhöhe gelegen ist, nach der medialen Seite umbiegen und
sich zu einem eompacten Bündel sammeln. Dieses Bündel liegt
gänzlich in der tiefen (vierten) Zellenschicht t) und stülpt einen
Theil derselben nach innen, gegen die Hirnsichel aus. Dadurch
werden die übrigen, oberflächlicheren Schichten der Hemisphären-
wand einem Druck ausgesetzt, der auf den folgenden Schnitten
immer ausgeprägter wird (vergl. Fig. 5). Man sieht hier, wie
die beiderseitigen Bündel sich einander nähern und alle zwischen
ihnen liegende Theile der Hemisphären in zunehmende Atrophie
versetzen. Zuerst verschwindet die dritte, weisse Schicht, dann
auch die der Zellen und die zellenarme; die Balkenbündel werden
bloss durch die Hirmsichel getrennt, welche selbst schon in Atro-
1) Dieses Bündel, ebenso wie die weiterhin in der Wand des
Ventrikels verlaufenden Fasern, aus welchen sich das Bündel zusam-
mensetzt, berühren die Fasern der dritten Schicht nicht unmittelbar ;
vieimehr schiebt sich zwischen beide ein Theil der vierten Schicht ein.
Erst im weiteren Verlaufe der Fasern nach oben zu verschwindet all-
mählich diese trennende Lage.
8 Blumenau:
phie begriffen ist. Noch weiter verschwindet auch diese Grenze,
und die betreffenden Bündel der beiden Hemisphären schmelzen
zusammen, die Hauptmasse des Balkens bildend.
Hier nun aber, wo von den Theilen der Hemisphärenwände,
welche zwischen beiden einander zustrebenden Bündeln gelegen
waren, jetzt keine Spur mehr geblieben ist, zeigen sich die ver-
wachsenen Bündel auf ihrer freien Oberfläche mit einer Fortsetzung
der Rindenschichten bedeckt; die letzteren, wie sehr sie auch
verdünnt sind, lassen sich doch immer deutlich unterscheiden.
Bei den Thieren findet dicht unter dem Balken die schon öfters
erwähnte Verwachsung der Hemisphären im Gebiete des Septum
pellueidum statt, so dass bei ihnen nur die obere Balkenfläche
frei bleibt. Auf diese Fläche gehen nun, wie gesagt, die Schich-
ten der Innenwand über; die Medianebene erreichend, treffen die
Fortsetzungen der beiden Hemisphären zusammen und verschmelzen
ebenso, wie die Balkenbündel. Daher kommt es, dass die ganze
obere Fläche des Balkens mit den Schichten der ee
bedeckt ist, und zwar (von oben gezählt):
1) mit der oberflächlichen, zellenarmen Schicht,
2) mit der Zellenschicht,
3) mit der Lage weisser Substanz und
4) mit einem Theile der tiefen Zellenschicht, |
in welcher zuerst die Balkenbündel beobachtet wurden. Bei ihrer
weiteren Fortentwicklung verdrängten die Bündel diesen Theil
der Schicht, so dass er, nach ihrer Verwachsung auf die Ober-
fläche des Balkens zu liegen kam.
Alle diese Schichten bilden, zusammen genommen, einen
Ueberzug, dessen Dicke bei verschiedenen Individuen und auf
verschiedenen Stellen eines und desselben Balkens sehr variirt,
. bei Embryonen aber, im Verhältniss zur Dicke des Balkens, durch
einen viel grösseren Bruchtheil ausgedrückt wird, als bei Er-
wachsenen. Bei den menschlichen Embryonen bietet diese Lage
schon früh örtliche Verdiekungen dar, welche, ihrer Vertheilung
nach, den Striae longitudinales entsprechen. Die aufgezählten
Schichten lassen sich am besten auf den lateralen Partieen des
Balkens unterscheiden; auf der Mitte desselben, also an der Ver-
wachsungsstelle, unterliegen dagegen sowohl die Dieke wie die
Differenzirung der Schichten den grössten Abweichungen.
Von der beschriebenen Stelle, wo der Balken schon aus-
ae er
Zur Entwicklungsgesch. u. feineren Anatomie d. Hirnbalkens. 9
gebildet erscheint, gehe ich nun zu den Schnitten über, welche
jenseits des Verwachsungsgebietes der Hemisphären angelegt wur-
den. Ich füge nur noch hinzu, dass auf jenen Schnitten, die das
hintere Ende des ausgebildeten Balkenstückes treffen, an die
untere Fläche des letzteren das schon früher entwickelte Corpus
fornieis zu liegen kommt.
Indem wir unsere Untersuchung, wie bisher, in der Rich-
tung von vorne nach hinten fortsetzen, treffen wir immer dieselben
Stufen der Entwieklung des Balkens, wie am vorderen Ende, nur
in umgekehrter Ordnung: Anfangs wird der Balken durch die
Hirnsichel in zwei Hälften oder Bündel geschieden; dann ent-
fernen sich diese Bündel mehr und mehr von der Oberfläche der
Innenwände und werden mit den Rindenschichten des oberen
Randbogens bedeckt, welche auch auf ihre untere, durch das
Auseinanderweichen der hinteren Gewölbeschenkel frei bleibende
Oberfläche übergehen. Aus diesen Schichten entsteht hier bei
Thieren der obere Theil des Ammonshorns, der, wie bekannt,
unter dem Balken liegt.
Bei menschlicher Embryonen bleibt von dieser, die
untere Fläche der Balkenbündel bedeckenden Rindensubstanz des
oberen Randbogens nur eine dünne, oberflächliche Schicht; der
übrige grössere Theil derselben verschwindet und wird durch
Fasern ersetzt. 7
Im Uebrigen gestaltet sich die Verwachsung der Balken-
bündel am hinteren Ende, d.h. oberhalb des dritten Ventrikels,
bei den menschlichen Embryonen ebenso, wie bei den thierischen.
Im fünften Monate des intrauterinen Lebens ist dieser Process
beim Menschen, nach meiner Erfahrung, noch nicht zu Ende ge-
kommen.
Aus dem bisher Gesagten haben wir folgende Schlüsse zu
ziehen:
1) Der Balken wird nicht „gleich in toto angelegt“, son-
dern entwickelt sich nach und nach, binnen einer längeren
Zeitperiode.
2) Zuerst bildet sich sein mittlerer Theil (dieht vor
und über dem Monroe’schen Loche), und von hier aus schreitet
seine weitere Entwicklung nach beiden Seiten (ebenso wie nach
hinten nach vorne) fort.
3) Der dabei stattfindenden Verwachsung neuer Par-
10 Blumenau:
tieen der medialen Wände geht eine Ausbildung der Bal-
kenbündel in letzteren voran, also nieht umgekehrt, d. h.,
nicht die Verwachsung kommt der Ausbildung der Fasern zuvor,
wie Mihalkovics behauptet!).
4) Nachdem er entstanden ist, zeigt der Balken auf seiner
oberen Fläche die Fortsetzungen aller der Schichten, aus
welchen die medialen Hemisphärenwände der Embryonen be-
stehen.
Es fragt sich nun: in welchem Grade sind diese Hemis-
phärenschichten auf dem Balken des erwachsenen Menschen
erhalten ?
Um diese Frage zu lösen, untersuchte ich verschiedene
Theile des ausgebildeten Balkens mit den ihnen anliegenden
Wülsten (Gyri Cinguli), wobei ich die (frontal oder sagittal an-
gelegten) Schnitte mit Hämatoxylin nach Pal oder mit Karmin
färbte.
Die nach Pal’scher Methode gefärbten Präparate haben
gezeigt, dass auf der oberen Balkenfläche zwei Schichten
markhaltiger sagittal verlaufender Fasern gelegen sind. An den
Stellen der Längsstreifen (Striae longitudinales) lassen sich die
beiden Schichten sehr deutlich unterscheiden, und hier sind sie
von einander durch eine Zwischenschicht grauer Substanz ge-
trennt, welche grosse Ganglienzellen enthält; an anderen Stellen
dagegen ist die letztere bis auf eine Reihe von Zellen redueiert,
oder scheinen die Faserschichten sogar zu verschmelzen, was in
der Medianebene und unmittelbar neben derselben (zwischen beiden
Striae mediales) vorkommt.
Die eine von diesen Schichten liegt oberflächlich und ent-
spricht der obersten (zellenarmen) Schicht am Balken der Em-
bryonen. Auf frontalen Schnitten durch die hinteren Theile
des Balkens und die angrenzenden Gyri einguli sieht man deut-
lich, wie die betreffende Faserschicht, nachdem sie den Sulcus
1) Nur im Gebiete des Septum pellueidum verwachsen die Hemi-
sphärenwände vor der Entwicklung der ersten (mittleren) Balkenbündel,
wie das von mir bei den 6 cm langen Schweineembryonen beobachtet
wurde. Aber schon gleich nach ihrem ersten Erscheinen finden sich
die Bündel nicht nur in diesem verwachsenen, sondern auch in den
anliegenden, noch getrennten Theilen der Innenwände.
Zur Entwicklungsgesch. u. feineren Anatomie d. Hirnbalkens. 11
corporis eallosi umgangen hat, sich in die oberflächliche, dieselben
sagittalen Fasern enthaltende Schicht der genannten Gyri fortsetzt.
In den vorderen Theilen der Hemisphären büsst die letztere ihre
Längsfasern allmählich ein, und dementsprechend ist auch die be-
treffende Faserschieht auf den vorderen Parthieen des Balkens
schwächer entwickelt.
Die andere, tiefere Sehieht der Längsfasern geht ebenso
um den Suleus herum und setzt sich in die weisse Substanz der
Gyri einguli fort. Sie ist somit der dritten der embryonalen
Schichten gleichzustellen.
(Der Zusammenhang der Faserlagen auf der Oberfläche des
Balkens mit denen im Gyrus einguli ist in Fig. 5 leicht zu ver-
folgen.) |
Die graue Substanz, die zwischen beiden Faserzügen ge-
legen ist, ist der zweiten zellenreichen Schicht gleichwerthig.
An der lateralen Seite des Suleus eorporis eallosi geht sie auch
in die entsprechenden (Zellen-) Schichten der Gyri einguli über.
Auf der Oberfläche des Balkens ist diese Substanz, wie schon
gesagt, sehr unregelmässig vertheilt: an einigen Stellen wird sie
bis zum Verschwinden verdünnt, an anderen erreicht sie dagegen
eine beträchtliche Dicke und grössere Deutlichkeit der Structur.
Diese letzteren Stellen fallen mit den Längsstreifen, den Striae
longitudinales zusammen.
Innerhalb der Stria longit. lateralis s. tecta behält die
Schicht noch eine typische Anordnung der Nervenzellen, welche
mit ihren Längsaxen in einer schrägen Richtung gegen die queren
Bündel des Balkens stehen. Es sind am meisten (wenn auch
nicht ausschliesslich) die grossen Pyramidenzellen, die hier zur
Ansicht kommen.
Die Striae mediales s. liberae sind Erhabenheiten, die
hauptsächlich durch eine Anhäufung grauer Substanz bedingt
werden, wesshalb ihr älterer Name „Nervi Laneisii“, als unpassend
zu vermeiden ist. Die Ganglienzellen, welche Giacomini mit
Recht den grossen Pyramidenzellen zuzählt, liegen hier ziemlich
unregelmässig, sind aber grösstentheils, wie sagittale Schnitte
sehen lassen, mit ihren längeren Axen parallel den oben beschrie-
benen Längsfasern gerichtet. Dieselbe Richtung behält auch die
Mehrzahl der Zellen in den übrigen, zwischen den Striae gelege-
nen Theilen der Schicht.
12 Blumenau:
Aus dem Obigen geht hervor, dass die drei wesentlichen
Schichten, welche einen embryonalen Balken bedecken, auch beim
Erwachsenen vertreten sind. Wir fanden aber bei den Embryonen
noch eine vierte Schicht, die als ein Theil der tiefsten, an das
Ventrikelepithel unmittelbar angrenzenden Schieht der Hemisphären
betrachtet wurde. Diese vierte Schicht zeigt sich nach der de-
finitiven Ausbildung des Balkens am wenigsten erhalten; sie ist
nur durch eime sehr dünne, aus Gliazellen bestehende Lage ver-
treten, welche die tiefe Schicht der Längsfasern von den eigent-
lichen Querfasern des Balkens abgrenzt. Durch gleichartige
Zwischenlagen aus den Gliazellen werden auch grössere Bündel
des Balkens von einander getrennt.
Weiter müssen die Verbindungen der beschriebenen Sehich-
ten mit den hinteren Theilen der medialen Fläche der Hemis-
phäre erwähnt werden. Am hinteren Ende des Balkens geht
die Hauptmasse der denselben bedeckenden Rindensubstanz in
die Faseiolae cinereae über. Die zwischen den letzteren ge-
legene obere Fläche des Splenium ist nur von einer rudimentären
Rinde überzogen, welche sich noch auf die untere Balkenfläche
fortsetzt, bis an die Stelle, wo die hinteren Gewölbeschenkel zu-
sammentreffen (s. unten). Der Uebergang der grauen Substanz
der Striae im die der Fasciolae ist von Giacomini ausführlich
beschrieben worden. Nur in Betreff der zwei Faserschiehten will
ich hinzufügen, dass dieselben sich auch in der Fasciola ver-
folgen lassen; die oberflächlichere von ihnen geht weiter in
die Lamina medullaris Fasciae dentatae über; die tiefere
bildet, soweit die Fasciola dem Balken anliegt, eine Grenze
zwischen beiden; dann setzt sie sich in die weisse Substanz
des Gyrus hippocampi fort.
Betrachten wir endlich die Beziehung der Striae zu vor-
deren Theilen. Schon Meynert!) hat hervorgehoben, dass der
sog. Nervus Laneisi mit der inneren Riechwindung (dem
inneren Riechstreifen) in Verbindung steht. Nach meiner Beob-
achtung kommt die Verbindung der Längsfasern der oberen Bal-
kenfläche mit dem Tuber olfactorium auf zwei verschiedenen
Wegen zu Stande. Erstens geht die tiefere Schicht derselben
vom vorderen Ende des Rostrum in die weisse Substanz des-
1) S. Stricker’s Handbuch, Bd. I.
Zur Entwicklungsgesch. u. feineren Anatomie d. Hirnbalkens. 13
jenigen Theiles der ersten frontalen Windung über, welcher auf
der inedialen Fläche der Hemisphäre liegt und nach rückwärts
mit dem Gyrus einguli zusammenhängt. Durch Vermittlung die-
ser (frontalen) Windung, also indireet, verbinden sich die be-
treffenden Fasern mit dem Riechlappen. — Zweitens giebt es
einen direeten Zusammenhang des letzteren mit den oberfläch-
lichen Sagittalfasern des Rostrum, die am Rande der genannten
frontalen Windung in den inneren Riechstreifen übergehen und
demselben das characteristische weissliche Aussehen verleihen.
‚Bei verschiedenen Thieren bietet die obere graue Substanz
des Balkens bedeutende Differenzen dar. Beim Affen (Cyno-
cephalus) sind die Verhältnisse derselben denen beim Menschen
am meisten ähnlich. Die grossen Längsstreifen, in welchen
man auch die drei beschriebenen Schichten unterscheidet, liegen
auf den vorderen Theilen des Balkens nahe der Medianebene;
nach hinten zu entfernen sie sich von der Letzteren, werden von
den Rändern der Hemisphären bedeckt und gehen am Splenium
in die Fasciolae einereae über. — Beim Schweine ist der graue
Ueberzug des Balkens gut entwickelt, besonders zeichnen sich
durch ihre Grösse die lateralen Wülste desselben aus, in denen
die oberflächliche Schicht der Längsfasern und eine wohlgebildete
Zellenschieht stark hervortreten. Gegen das hintere Ende des
Balkens stehen die Wülste von der Medianebene immer weiter
ab und werden zugleich flacher. Zwischen ihnen liegt eine mi-
nimale Schicht grauer Substanz, welche jedoch stellenweise gut
entwickelte Nervenzellen enthält. — Beim Kaninchen ist die
freie obere Fläche des Balkens sehr schmal und nur mit einer dün-
nen kaum merkbaren Schicht bedeckt. Die den Striae tectae ent-
sprechenden unteren Theile der medialen Flächen der He-
misphären werden meistens nicht durch eine Furche von der
übrigen Medianfläche getrennt, sondern bloss durch eine ab-
weichende Anordnung der Hemisphärenschichten und zwar der
grossen Pyramidenzellen bezeichnet.
Es bleibt nun übrig, einige Bemerkungen über die untere
Fläche des Balkens beizufügen. Ich übergehe hier die den
Ventrikeln zugewandten Theile dieser Fläche; sie sind natürlich
mit Epithel bedeckt, und zwar, wie die Untersuchung von Prof,
14 Blumenat:
Mierzeiewski) gezeigt hat, mit einem ebenso hohen Epithel
wie die Bodentheile des Ventrikels. Ich lasse auch die Strecke
der unteren Balkenfläche unerwähnt, welche mit dem Gewölbe-
körper verwachsen ist, und beschränke mich auf die freie
Partie derselben.
Wir haben von vornherein zu erwarten, dass auch die
untere Fläche des Balkens, wo sie frei bleibt, die ursprüngliche
graue Substanz des oberen Randbogens immer behalten muss.
Und in der That findet sich eine dünne graue Schicht auf
der betreffenden Fläche, erstens an der Stelle, wo der Balken
den sogen. Ventrieulus septi begrenzt. Diese Schicht ist der-
jenigen gleich, welche die lateralen Wände desselben Ventrikels,
also die Laminae septi, bedeckt. Auch enthält sie markhaltige
sagittale Nervenfasern.
Dann kommt noch an einer andern Stelle der unteren Bal-
kenfläche eine dünne graue Lage vor. Diese Stelle beginnt da,
wo die Gewölbeschenkel auseinanderweichen, und erstreckt sich
von hier bis zum Ende des Splenium (s. oben). Die Rindensub-
stanz ist hier ebenso rudimentär, wie die, welche auf der oberen
Fläche des Balkens zwischen den Striae mediales (bez. den Fas-
ciolae cinereae) liegt. Sie enthält eine oberflächliche, mit den
Crura fornieis direct zusammenhängende Schicht markhaltiger,
longitudinaler Fasern.
Es folgt hieraus, dass die ganze freie untere Fläche des
Balkens einen, wenn auch rudimentären, Ueberzug aus grauer
Substanz besitzt. Und wenn wir diese Thatsache mit den oben
angeführten zusammenstellen, so dürfen wir den allgemeinen Satz
formuliren, dass der ganze Balken auf seiner freien äusse-
ren Fläche von einer hier dicekeren, dort dünneren
Schicht von Rinde überzogen ist.
Eine physiologische Bedeutung ist aber wohl nur in Be-
treff der oberen Balkenrirde zu vermuthen. Diese letztere ent-
hält die Fasern, welche das Tuber olfactorium mit der Fascia
dentata in Verbindung setzen; ihre graue Substanz geht in die
der Fasciolae einereae continuirlieh über, und überall finden wir
da die grossen, gut entwickelten Zellen, deren funtionelle ne:
auf einen künftigen Aufschluss wartet.
1) Medicin. Centralblatt, 1872.
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Fig. 1.
Zur Entwicklungsgesch. u. feineren Anatomie d. Hirnbalkens. 15
.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel I.
Mediale Hemisphärenfläche eines menschlichen Foetus aus der
ersten Hälfte des fünften Monates. (Etwas kleiner, als natür-
lich; nach einem paraffinisirten Präparate.) Das Zwischenhirn
ist bei T abgetragen. Sc Sulcus calloso-marginalis. Fe Fis-
sura calcarina. Bf Bogenfurche. FM Foramen Monroi. S
Septum pellueidum. G Gewölbe (der bezeichnete Theil ent-
spricht dem vorderen Schenkel desselben). F hinterer, frei
bleibender Abschnitt des oberen Randbogens (Fascia dentata).
D hinterer Theil des unteren Randbogens (Fimbria). S. im
Text 8.5.
Fig. 2—4 sind frontalen Schnitten entnommen, die mit Boraxkarmin
gefärbt waren, und stellen drei hinter einander liegende fron-
tale Schnitte durch das Vorderhirn eines 10 cm langen Schweine-
embryos dar. Die Vergrösserung (Leitz O.], Syst. III), ebenso
wie die Bezeichnungen sind bei allen drei Figuren dieselben.
SS Hirnsichel. B Balkenbündel, die in Fig. 3 die Hirnsichel
erreichen und in Fig. 4 mit einander verwachsen (C bezeichnet
in der letzteren Figur die obere Commissur der Ammonshör-
ner — ein Homologon der Lyra beim Menschen). Die Zahlen
1—4 entsprechen den im Text (S. 7) aufgezählten Schichten
der Hemisphären ; 4 — einem durch die Balkenbündel abge-
schnittenen Theile der vierten Schicht. In Fig. 4 sieht man
diesen Theil auf der oberen Seite des Balkens (unmittelbar
an den Querfasern des letzteren) liegen. Man unterscheidet
hier deutlich auch die anderen Hemisphärenschichten auf der
oberen Balkenfläche. Ve seitlicher Ventrikel.
Frontalschnitt durch den seitlichen Theil des Balkens und den
anliegenden Gyrus ceinguli eines erwachsenen Menschen, nach
einem mit Hämatoxylin (nach Pal) gefärbten Präparate. (Ver-
grösserung wie bei den vorhergehenden Figuren.) BB Balken.
Se Suleus corporis callosi, in welchem ein Gefäss liegt. oF
oberflächliche Faserschicht des Gyrus einguli; Zs Zellenschicht,
wS weisse Substanz desselben Gyrus. Es lässt sich sehen,
wie die beiden Faserschichten (oF und wS) und die dazwischen
liegende graue Zs sich auf der oberen Fläche des Balkens
(unter dem Sulcus Se) fortsetzen. (S. darüber im Text S. 10.)
16 Cox:
Imprägnation des centralen Nervensystems
mit Quecksilbersalzen.
Von
WW. H. Cox,
Arzt an der Irren-Anstalt zu Deventer..
Hierzu Tafel TI.
Zur Imprägnirung vom Gehirn oder von Gehirntheilen, nach
der Sublimat-Methode Golgi-Mondino’s, werden diese bekanntlich
erst in Bichromas-Kalieus gehärtet und danach in eine Lösung
von 0,5°/, Sublimat gebracht.
Es entsteht hierbei, bald in mehr, bald in weniger Nerven
und Bindegewebselementen und bisweilen ausserhalb derselben
ein Präeipitat einer Quecksilberverbindung. Nach Mondino!) —
und eigene Untersuchung hat dies bestätigt — macht diese Ver-
bindung die Elemente nicht schwarz, sondern opak. Dies zeigt
sich beim Betrachten mit dem Mikroskop; die Zellen und Fasern
sind bei durchfallendem Lichte dunkel (nieht schwarz), bei auf-
fallendem Lichte gelb.
Obige Methode giebt jedoch sehr wechselnde und meistens
wenig befriedigende Resultate. Man erhält aber eine constante
und gleichmässige Imprägnation, wenigstens beim centralen Ner-
vensystem von Menschen, Kaninchen und Ratten, wenn man die
Härtungs- und die Imprägnations-Flüssigkeit, d. h. die Bichromas-
Kalieus und Sublimat-Lösungen in bestimmtem Verhältniss zugleich
einwirken lässt.
So werden eine Anzahl Ganglienzellen, Nervenfasern und
Gliazellen im Cortex des grossen Gehirns vollkommen imprägnirt,
wenn man Stückchen der Rinde zwei oder mehr Monate lang
in einer Flüssigkeit von folgender Zusammensetzung härtet:
Kalium bichromat 5°/, 20
Sublimat 5°], 20
destillirtes Wasser 40
1) Zeitschrift f. wissensch. Mikroskopie. Bd. II, S. 157,
Imprägnation d. centr. Nervensystems mit Quecksilbersalzen. 17
Die Nerven-Ausläufer der Ganglienzellen indessen werden
durch diese Härtungsflüssigkeit sehr selten, die verwickelten von
Golgi beschriebenen Nervennetze niemals sichtbar. Die Entstehung
des gewünschten Präcipitates in den Nervenausläufern und Netzen
ist aber nur dann möglich, wenn die Reaction der Här-
tungs-Flüssigkeit möglichst wenig sauer ist. Es ent-
spricht aber obengenannte Mischung, da sie aus zwei in Auf-
lösung ziemlich stark sauer reagirenden Flüssigkeiten besteht, die-
ser Bedingung nicht. Man kann indessen ohne Furcht vor Prä-
eipitat von Mereurichromat die sauere Reaction bedeutend Beualn
setzen, obwohl nicht*gänzlich aufheben.
Wird das im Handel vorkommende Kalium ehromat, welches
ziemlich stark alkalisch reagirt, (in 5°/, Solution) oder Lithium
carbonat (in gesättigt wässeriger Lösung) angewendet, so erhält
man Lösungen, welche sowohl Nervenfasernetze und Ausläufer,
wie Ganglien- und Gliazellen imprägniren, indem auch hier wie-
der die Imprägnation gleichmässig und constant und dabei voll-
kommener erscheint, je nachdem die Härtungsflüssigkeit länger
eingewirkt hat. Es fällt dabei auf, dass Ganglienzellen schon
bei ziemlich starker, Nervenfasern jedoch erst bei höchst geringer
saurer Reaction imprägnirt werden.
Da ich mit der Kaliumchromat enthaltenden Lösung die
besten Resultate erhielt, will ich nur ihr Verhältniss hier angeben:
Kalium bichromat 5°/, 20
Sublimat 596,20
Kalium chromat. 5°/, 16
destillirtes Wasser 30—40.
Bei der Zubereitung dieser »Mischung achte man darauf,
dass die Kaliumchromat-Solution hinzugefügt wird, nachdem sie
mit dem angegebenen Quantum Wasser verdünnt worden. Dies
darf man nieht unberücksichtigt lassen, um dem Niederschlagen
des Mercurichromats vorzubeugen.
Wird ein, mit dem Eismierotom gemachter Durchschnitt
des in obengenannter Weise erhärteten Centralnervensystems in
Wasser ausgewaschen, und nachher mikroskopisch betrachtet,
dann zeigt sich, dass in den imprägnirten Zellen und Fasern sich
eine gelbe körnige Verbindung niedergeschlagen hat. Diese Ver-
bindung entsteht allmählich, und man bemerkt den Anfang des
Entstehens erst nach drei- bis viertägiger Einwirkung der Här-
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 2
18 Cox:
tungsflüssigkeit. Die Beschaffenheit dieser Verbindung erhellt
aus dem Folgenden.
Bringt man den Schnitt in eine verdünnte Ammoniaklösung,
so wird das Präeipitat schwarz und desshalb auch sichtbar bei
auffallendem Liehte. „Dasselbe Resultat erhält man, wenn statt
Ammoniak eine Lösung von Lithium carbonat (gesättigt) oder
Natrium earbonat (5°%,) zur Verwendung kommt. Man darf also
rubig annehmen, dass die Imprägnation in einer Quecksilber-
oxydule-Verbindung besteht, welche mit Ammoniak in schwarzes
Mercuroamid, mit den Carbonaten auch in SPIweeE Quecksilber-
oxidule (carbonat) übergeht. ‘
Die letzterwähnte Verbindung kann man mittels (1 procentiger)
Salzsäure in Calomel überführen, sodass die Imprägnirung alsdann
wieder bei auffallendem Lichte weiss und unsichtbar ist.
Es zeigt sich also, dass eine grosse Zahl Gliazellen,
Ganglienzellen und Nervenfasern, auf eine Sublimatlösung bei
Anwesenheit von Kaliumcehromat und -bichromat reduzirend ein-
wirken. Bei näherer Betrachtung wird unsere Aufmerksamkeit
noch durch folgende merkwürdige Erscheinung gefesselt.
Es fällt nämlich auf, dass in der Rinde eines Kaninchen-
oder Ratten-Gehirns ein grosses Quantum Ganglienzellen und Fa-
sern eine schöne Imprägnirung zeigen, hingegen viele Andere
vom Präeipitat vollkommen frei bleiben. Man kann diese Er-
scheinung nicht dem ungleichmässigen Eindringen der Härtungs-
flüssigkeit zuschreiben, da die Imprägnirung im Ganzen gar keine
Ungleichmässigkeit zeigt, m. a. W. die nicht imprägnirten Zellen
und Fasern gleichmässig unter die wohl imprägnirten vertheilt
sind. Dies sieht man bei allen Ganglienzellen und Fasern im
ganzen Gehirn. Es kann nicht anders, es muss in der chemischen
Zusammensetzung oder den physischen Eigenschaften in Verbin-
dung wahrscheinlich mit Differenzen im physiologischen Zustand
oder dem Absterben der Zellen ein Unterschied sein, da sie sich
dermassen. verschieden verhalten, dass eine Sublimat zu reduziren
im Stande ist, während die andere, dieht daneben sich befindend,
gar keine Wirkung auf diese Verbindung ausübt. —
Das schnelle Eindringen der Härtungsflüssigkeit ist von so
grosser Wichtigkeit, dass in der Mitte von grossen Stücken die
Imprägnirung bisweilen ganz fehlt; und dann auch später, weder
durch Erneuerung der Härtungsflüssigkeit noch durch Vertheilung
Imprägnation d. centr. Nervensystems mit Quecksilbersalzen. 19
in kleinere Stückehen hervorzurufen ist. Das reduzirende Agens
ist alsdann wahrscheinlich verloren gegangen.
Es ist desshalb vorsichtig, die Stücke nicht zu gross zu
nehmen, von einem Rattengehirn z. B. die Hälfte.
Gehirnpräparate nach der Sublimatmethode Golgi-Mondino’s
angefertigt, können nicht unter einem Deckglas aufbewahrt wer-
den, wenn sie in Canadabalsam oder Damar eingebettet sind.
Dies kann ebensowenig mit Durchschnitten des Gehirns, welche,
in Auflösung 1 oder 2 gehärtet, danach in Natrium earbonat ver-
weilt haben. Man sieht in diesem Fall, dass nach kurzer Frist
(2 oder 4 Wochen) das Präeipitat sieh verspreitet, und als eine
grosse Zahl Körnehen sich sichtbar macht, welche schliesslich
grossentheils verschwinden.
Anfänglich war ich geneigt, das Zugrundegehen der Impräg-
nirung nur der sauren Reaction des angewandten Canadabalsams,
welcher mit Lacmuspapier leicht zu beweisen ist, zuzuschreiben.
(Dies ist auch mit Damar, wiewohl in geringerem Masse, der Fall.)
Zur Richtigstellung dieser Voraussetzung wurden eine grosse
Zahl von Durchschnitten einige Monate in verschiedenen Flüssig-
keiten aufbewahrt. Da stellte sich heraus, dass ausser der sauren
Reaction auch noch eine andere chemisch-physische Wirkung,
welehe ich nicht näher erklären kann, das Zugrundegehen der
Imprägnirung veranlasst. ä
Die Flüssigkeiten, welche geprüft wurden, kann man in
drei Gruppen eintheilen:
1) Diejenigen, welche die Imprägnirung nicht ändern, wie
destillirtes Wasser, Ammoniak-, Lithium carbonat- (gesättigt), Kalium
chromat- (5°/,), Kalium biehromat- (5°/,) und Silbernitrat- (20/,)
Lösung, Lavendelöl, Rieinusöl, Glycerin, Chloroform, Steinölbenzin,
Creosot aus Buchenholz.
/ 2) Andere, welche durch ihre sauere Reaction auf die Im-
prägnirung wirken: Essigsäure (1°/, und 5°/,), Salpetersäure (1°/,),
Chromsäure (1°/,), Pierinsäure (gesättigt). |
3) Wieder Andere, welche die Imprägnirung schwinden
lassen durch physich-chemische Wirkung unbekannter Art: Ab-
soluter Alkohol, Phenol, Origanumöl, Bergamotöl, Caryophylöl,
Terpentin, Anilin, Ether in geringem Masse, Damar, Canadabalsam
und eine grosse Zahl anderer Harze.
Wird Canadabalsarm angewandt, nachdem derselbe während
I) Cox:
einiger Zeit mit Ammonium carbonat in Berührung gewesen oder
für kurze Zeit damit erwärmt worden ist, wodurch die saure
Reaction verschwunden und die Farbe dunkler geworden, dann
sieht man — wenn der Durchschnitt von einem Deckglase be-
deckt ist, dass nach langer Zeit (3 oder 4 Monaten) die Impräg-
nirung an Intensität abnimmt, indem man sowohl im dem Durch-
schnitt als um denselben herum eine grosse Zahl kleiner, schwarzer
Körnchen zu sehen bekommt.
Der Prozess, der diese Wirkung veranlasst, fährt stetig fort,
bis schliesslich die Zeichnung der Zellen und Fasern verschwun-
den ist, und nur eine grosse Zahl Körnchen übrig bleibt.
Im Canadabalsam kann man dem Gang des Zugrundegehens
der Imprägnirung also leicht folgen, bei Alkohol u. s. w. ist dies
sehr schwer. Da ich mich überzeugen konnte, dass der an-
gewandte Alkohol absolntus neutral reagirte, ist es gewiss, dass
hierin das Quecksilberoxydule (carbonat) nicht aufgelöst wurde.
Weder die sub II noch die sub III genannte Wirkung kann
entstehen, wenn Präparate in Canadabalsam oder Damar ohne
Deckglas conservirt werden, und diese Harze schnell trocknen;
dies hat die Erfahrung gelehrt. Für das Anfertigen der Durch-
schnitte muss das Eismierotom zur Hand genommen werden, da
der Alkohol, welcher sowohl beim Einschmelzen in Parafin als m
Colloidin?!) in Anwendung kommt, die Imprägnirung gefährdet.
Man bringt die Durchschnitte während ein oder zwei Stun-
den in Sprocentige Natrium carbonat-Lösung, um sie nachher in
Wasser auszuwaschen. Danach bringt man dieselben für kurze
Zeit in Alkohol absolutus und in irgend ein Oel, welches letztere
durch Filtrirpapier entfernt wird, und schliesslich bedeckt man
sie mit einer dünnen Schicht schnell trocknenden Harzes. Hier-
für kann ich empfehlen:
Sandarack 75 Lavendelöl 22,5
Campher 15 Absoluter Alkohol 75
Terpentin 30 Rieinusöl gtt. 5—10.
Will man die auf diese Weise conservirten Präparate doch
aus irgend einem Grunde mit einem Deckglas versehen, dann
warte man, bis die Harzschicht gut trocken ist, bedecke dieselbe
1) Nur bei kleinen Stückchen und schnellem Verfahren kann
Celloidineinbettung ohne grossen Nachtheil für die Imprägnirung zur
Anwendung kommen.
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Imprägnation d. centr. Nervensystems mit Quecksilbersalzen. 21
mit Rieinusöl und drücke hierauf das Deckglas so stark als
möglich an, damit das überflüssige Oel entfernt werden könne.
Auch in Wasserglas oder arabischem Gummi und Wasser
zu gleichen Theilen gemischt, bleiben die Präparate unter Deck-
glas unverändert, jedoch achte man darauf, dass diese zwei
Flüssigkeiten geringeren Brechungsexponenten haben als Harze.
Wird Styrax liquidus in Chloroform gelöst, aus der Harzlösung
der auf der Oberfläche schwimmende Schmutz entfernt, und diese
durch; Erwärmen von überflüssigem Chloroform befreit, so erhält
man eine Harzmischung, die mit !/,; Monobrom naphtalin auch für
lange Zeit (5 Monate) die Imprägnation vollkommen conservirt.
Der Brechungsexponent dieser Mischung ist höher als der des
Canadabalsams, Damars und Sandaracks.
Zur Conservirung eines Durchschnitts in Styrax bringt man
denselben aus Alcohol abs. in Ether, daraus in Monobromnaphtalin,
nachher auf das Objectglas, wo er nach Trocknung mit Filtrir-
papier mit Styrax und Deckglas versehen wird.
| Obige Methode hat den Vorzug, dass sie stets!) gute Re-
sultate giebt und man mit einigen Monaten Geduld stets eine
schöne Imprägnirung erhält. —
Zur Illustration sind zwei Photographien hinzugefügt worden,
beide verfertigt bei Kalklicht und mit Hülfe des Zeiss’schen
mierophotographischen Apparats. Die eine mit Objectiv 35 mm,
die andere mit Apochromat 16 mm und Projeetionsoeular 2.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel II.
Fig. 1. Cornu Ammonis des Kaninchens. Verticaler parieto-parietaler
Durchschnitt. Vergr. %/,.
Fig. 2. Fascia dentata des Ammonshorns eines Kaninchens. Verticaler
parieto-parietaler Durchschnitt. Vergr. 15%/,.
1) Nur die Rinde (Stratum moleculare) des menschlichen Klein-
hirns macht hiervon eine Ausnahme.
2 Griesbach:
Beiträge zur Histologie des Blutes.
Von
Dr. med. et phil. H. Griesbach,
Kaiserl. Oberlehrer und Privatdocent.
Hierzu Tafel III und IV.
I. Das Blut der acephalen Mollusken.
I. Einleitung.
Durch des Kgl. preuss. Herrn Cnltusministers hohe Vermitt-
lung und durch das geneigte Wohlwollen des Kaiserl. Oberschul-
rathes für Elsass-Lothringen, welchen beiden ich mich zu erge-
benstem Danke verpflichtet fühle, war es mir vergönnt, während der
Monate Mai und Juni 1889 auf der zoologischen Station in Neapel zu
arbeiten. Hauptsächlich waren es das Blut und das Gefäss-System
der dort zugänglichen marinen Acephalen, welchen ich meine Auf-
merksamkeit zuwandte. Im August und September wurden die
Untersuchungen an Süsswasserarten und an marinen Formen der:
Ost- und Nordsee fortgesetzt und zu einem gewissen Abschluss
gebracht. Die bei dem Studium des Blutes der lebenden Thiere
gewonnenen Resultate habe ich nunmehr ausgearbeitet und möchte
darüber in Nachstehendem Bericht erstatten.
II. Histerischer Ueberblick.
Im Jahre 1850 untersuchte Leydig!) das Blut von Palu-
dina vivipara. Der Fibringehalt, meint er, sei ein geringer, erst
nach längerem Stehen könne durch das Mikroskop ein fadenför-
1) Leydig, Ueber Paludina vivipara. Zeitschrift f. wiss. Zool,
Bd. 2, S. 169, 170, Taf. 12, Fig. 46, 47, 48.
Beiträge zur Histologie des Blutes. 23
miges Gerinnsel bemerkt werden. Die Blutkörperchen messen
0,0044 und in frischem Blute giebt es von ihnen zweierlei For-
men: Die einen sind rundliche Körper, die sich auf Zusatz von.
Essigsäure als Zellen mit granulirtem Kern (Fig. 48) darstellen,
dem an einer Seite ein oder mehrere Kernkörperchen anliegen,
die anderen tragen Fortsätze, welche stets nur nach einer Seite
hin gerichtet sind. Essigsäure macht solche Fortsätze verschwin-
den und verursacht ein Aufquellen der Blutkörperchen, so dass
sie dieselbe Beschaffenheit annehmen wie diejenigen, welche von
Anfang an rundliche Form zeigten und ebenfalls mit Essigsäure
zum Quellen gebracht wurden.
Im Jahre 1854 beschrieb Lieberkühn!) die Blutzellen
von Anodonta, sah auch Bewegung an ihnen, hielt sie aber nicht
für zellige Elemente des Blutes, sondern betrachtete sie als ein-
zellige, selbständige Organismen. — Nach Semper?) (1857) ist
das Blut gewisser Schnecken bald eine bläulich-weisse (Limax,
Arion, Helix, Lymnaeus), bald eine ziemlich rothe (Planorbis)
Flüssigkeit mit geringem Fibringehalt. Die wenig zahlreichen
Blutkörperchen sind stets runde Zellen mit einem nach Essigsäure-
zusatz deutlich hervortretenden Kern. Formen, welche Ausläufer
zeigen, hält Semper für Kunstprodukte, bedingt durch irgend-
welche Einflüsse der Luft. In rasch hergestellten _ Präparaten
präsentiren sie sich ohne Ausläufer, ebenso im kreisenden Blute
der Lungengefässe. — Keferstein?) lässt die Blutkörperchen
auch im kreisenden Blute mit mehr oder weniger Fortsätzen aus-
gerüstet sein. — Bei Unio pietorum findet Witting *) (1858) das
Blut schwach blau gefärbt, von Hessling 5) (1859) bildet die Blut-
körperchen der Perlmuschel ohne Ausläufer ab, letztere hält er für
Veränderungen. Ray-Lankester‘) hat das Blut von Planorbis, Solen
1) Lieberkühn, Ueber die Psorospermien. Müller’s Arch. 1854,
S.19, Taf. 2, Fig. 33.
2) Semper, Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Pulmo-
naten. Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. 8, S. 378.
3) Keferstein, Bronn’s Klassen und Ordnungen der Weichthiere,
S. 1208, Taf. 104.
4) E. Witting, Ueber das Blut einiger Crustaceen und Mollus-
ken. Journal f. prakt. Chemie. 1858, S. 121—132.
5) von Hessling, Die Perlmuscheln und ihre Perlen. Leipzig,
1859, S. 219, Taf. 7, Fig. 4 und 5.
6) E. Ray-Lankester, Spectroscopical examination of certain
24 Griesbach:
legumen und S. ensis einer eingehenden Untersuehung unterzogen, bei
den beiden ersteren Thieren konnte er mit Hülfe der Speetralanalyse
Hämoglobin nachweisen. Das Blut, welches durch eine Ver-
letzung des Mantels von Solen legumen zum Ausfliessen veranlasst
wurde, zeigte in seinem Plasma unter dem Mikroskope scharf
eontourirte Zellen von rother Farbe und ausserdem noch amö-
boide Zellen. Das Blut von Solen ensis erwies sich als völlig
farblos, die gefärbten Elemente fehlten darin, die farblosen aber
zeigten lebhafte amöboide Bewegung. Hämoglobin führende
Plutkörperchen wies Ray-Lankester!) später auch noch bei
Arca nach. Hinsichtlich des Vorkommens von Hämoglobin zieht
Ray-Lankester weitere Folgerungen. Er bringt den Gehalt
an Hämoglobin in direeten Zusammenhang mit der Respiration.
Für Planorbis, welche wegen ihrer Lebensweise in morastigem
Terrain zur Athmung auf eine Luft angewiesen ist, der es an
respirabelen Gasen mangelt, und für Solen legumen, ein Thier,
welches lebhafte Bewegungen macht, .ist der Vortheil, welchen
der Hämoglobingehalt des Blutes gewährt, ersichtlich, doch bleibt
es auch für Ray-Lankester unerklärlich, warum ein soleher denn
‚nieht auch bei den übrigen Solenarten und bei den, mit Planorbis
die gleiche Lebensweise theilenden Lymnaeusarten vorkommt.
Ferner ist der genannte Autor der Ansicht, dass, wenn
Hämoglobin im Blute von Wirbellosen vorkommt, dasselbe stets
an besondere Formenelemente gebunden ist, welche hinsichtlich
ihrer Funktion mit den rothen Blutzellen der Wirbelthiere ver-
slichen werden können.
Sabatier?) (1877) gab mehrere Abbildungen der Blut-
körperchen von Mytilus edulis.
In dem frischen Kiemenfaden (pl. 26 Fig. 3), in einem sol-
chen nach der Behandlung mit Goldehlorid (pl. 27 Fig. 8) und
Animal Substances. Journal of Anatomy and Physiology. 1869, p. 119.
— A Contribution to the Knowledge of Haemoglobin. Proceed. of the
Royal Society. Vol. 21. 1873, p. 70 ff.
1) In der englischen Ausgabe von Gegenbaur’s vergl. Anato-
mie. Zu vergleichen: Zool. Anz. 1883, No. 145, 8. 417.
2) Sabatier, Etudes sur la Moule commune (Mytilus edulis).
Memoires de l’Acad&mie des Sciences et Lettres de Montpellier. Section
des Sciences. 1877. Separat bei Coulet in Montpellier und Delahaye
in Paris 1877.
nn nl nn A u
Beiträge zur Histologie des Blutes. 25
in den Lacunen (pl. 26 Fig. 9) werden dieselben ohne Ausläufer dar-
gestellt, in Fig. 8 pl. 26 werden sie als in amöboider Bewegung
begriffen gezeichnet.
Besondere Aufmerksamkeit wandte Flemming ?) (1878) den
Blutzellen der Acephalen zu. In dem Blute, welches dem ange-
sehnittenen Herzen entfliesst, begegnet man Zellen mit farblosem,
ziemlich stark lichtbrechendem Plasma, ihr Durchmesser schwankt
für die Najaden zwischen 10 und 20 u, etwas kleiner ist er hei
Mytilus und Serobieularia. Die Mehrzahl der Zellen besitzt nur
einen Kern, doch kann derselbe auch in der Zweizahl vorhanden
sein. Der Kern ist verhältnissmässig klein zur Grösse der Zelle
und besitzt ein dichtes Kernnetz. Oftmals finden sich fettartig
glänzende, mit gelbem Pigment versehene und mit Osmiumsäure
sich schwärzende Tröpfehen in den Zellen. Von Pseudopodien,
welche von den amöboiden Elementen ausgestreekt werden, unter-
scheidet Flemming zweierlei Arten. Die einen erscheinen lang,
spitz und strahlartig, die anderen zeigen lappige Formen. „Durch
gegenseitiges Verfangen mit den Stacheln ballen sich die Zellen
sehr vielfach zu verschieden grossen Häufchen zusammen.“ Im
strömenden Blute besitzen die Blutkörperchen andere Formen
wie im ausgeflossenen oder ruhenden Blute.
Blutzellen, welche mit der Pipette dem Herzen entnommen
und gleich darauf untersucht werden, sind sehr arm an Pseudo-
podien, und unter diesen finden sich eben so viele lappige als
spitze Formen, die letzteren erscheinen meist kurz; auch findet
man Zellen, denen Fortsätze gänzlich fehlen. Während der Unter-
suchung bemerkt man dann nach einiger Zeit, dass die Pseudo-
podien sich mehr und mehr ausbilden. Flemming kommt zu
dem Schluss, dass die meisten Zellen im strömenden Blute zwar
Pseudopodien ausstrecken, dass dieselben aber wenig zahlreich
und kurz bleiben. Mittels Osmiumsäure lassen sich die Zellen in
allen Stadien fixiren und conserviren, gute Formerhaltung erzielt
man auch mit Alkohol, während Chromsalze ungeeignet erscheinen.
Die genannten Zellen sind nicht die einzigen Formenelemente des
Muschelblutes; es finden sich ausser ihnen noch kleine, blasse,
kernführende Körperchen ohne Ausläufer und ohne Bewegung in
—-— [0.00
1) W. Flemming, Ueber die Blutzellen der Acephalen etc. Ar-
chiv f. mikr. Anatomie. 1878. Bd. 15, S. 243—248.
26 Griesbach:
sehr geringer Anzahl; ob ihnen eine physiologische Bedeutung
beizumessen ist, bleibt fraglich. |
Geddes!) (1880) hat das Blut verschiedener Wirbellosen,
unter den Acephalen das von Pholas, in Bezug auf die Formen
der Leukoeyten und die Gerinnung untersucht. In dem frisch
aufgefangenen Blut bemerkt er früher oder später zwei verschie-
dene Portionen, die eine oberflächliche Aehnliehkeit mit dem
Kuchen und dem Serum des Wirbelthierblutes besitzen. Bei vielen
Wirbellosen findet er zwei verschiedene Formen von Leukoecyten,
die er als grobkömige und feinkörnige unterscheidet; der Ver-
einigung der letzteren schreibt er die Bildung des Blutkuchens
zu, welchen er als Plasmodium bezeichnet. Blut, welches von
seinen Leukoeyten durch Filtration befreit wird, eoagulirt nicht.
„All the evidence points to the conelusion that the elot, which
appeares in any invertebrate corpusculate fluid is formed, always
partly, and sometimes wholly, by the fusion of the finely granular
amoeboid corpuscles, there in suspended... and the power of
coalescing is at any rate a very widely-spread, if not a general
property of the amoeboid cell.
In den Lacunen der bindegewebigen Wandung des Bojanus-
schen Organes der Auster zeichnet Hoek ?) (1883) die Blutkörper-
chen ohne Ausläufer. Aus der Figur und ihrer Erklärung auf
der Tafel und in dem Text ist leider nicht ersichtlich, welcher
Art das Präparat war, nach dem die Zeichnung angefertigt
wurde.
J. A. Ryder:) (1883) beschrieb für Ostrea in mehreren
Fällen grünfarbige Blutkörperchen ohne Neigung Pseudopodien
auszustrecken, während die farblosen diese Eigenschaft in hohem
Grade besassen. Die grüne Farbe möchte er mit Leberpigmenten
in Zusammenhang bringen. Spectroskopische Untersuchungen
wurden zwar nicht angestellt, doch scheint die Annahme nicht
1) P. Geddes, On the coalescence of Amoeboid Cells into Plas-
modia, and on the so-called Coagulation of Invertebrate Fluids. Pro-
ceed. of the Roy. Soc. of London. 1880. Vol. XXX, p. 252.
2) P.P.C. Hoek, De Voortplantingsorganen van de Oester. (hol-
ländisch und französisch). Tijdschrift Ned. Dierk. Vereen. 1883. Suppl.
Deel L' Pl. V, Fig.80x&:
3) J.A.Ryder, On the green colour of the Oyster. in: The
American Naturalist. 1883, Vol, XVII, No. 1, p. 86—88.
Beiträge zur Histologie des Blutes. 27
ausgeschlossen zu sein, dass die grüne Farbe von Chlorophyll
oder gar von pflanzlichen Parasiten herrühre. Mac Munn !) hat nun
aber für verschiedene Lamellibranchiaten (Ostrea, Mytilus, Cardium,
Anodonta, Unio) Chlorophyll auf speetroskopischem Wege in der
Leber nachgewiesen, von dem er annimmt, dass es thierischen
Ursprungs ist, und da Ryder die grüne Farbe der Blutkörper
auf Leberpigmente zurückführt, so verdient seine Beobachtung
grüner Blutkörperchen besondere Beachtung. — Nach Behandlung
mit Osmium-Pikrinsäure fand Hanitsch ?) bei Cyelas in den La-
eunen des Fusses amöboide Zellen von dunkler Färbung zerstreut,
oder zu Haufen vereinigt; diese Zellen wurden als Blutkörperchen
erkannt, ihr mehr oder weniger protoplasmareicher Zellenleib
zeigte oft sternförmige Ausläufer, ein gleiches Aussehen zeigten
die Blutkörperchen von Anodonta. „Ausser in den Lacunen in
Mitte des Fusses kamen sie in den Drüsengängen in grosser
Menge vor“, wo sie bald einzeln, bald zu kleineren oder grösse-
ren Klumpen zusammengeballt, die Kanäle mitunter um das Zehn-
fache der sonstigen Weite aufgetrieben haben mochten. (!)
In einem Aufsatze, welcher hinsichtlich der Wasseraufnahme
bei den Mollusken gegen mich gerichtet ist, betont Ray-Lankester°)
(1884) aufs Neue das Vorkommen von Hämoglobin in dem Blute
von Solen legumen und Planorbis corneus. — In einer kurzen
Mittheilung, welche die Leukocyten der Wirbellosen im Allgemeinen
betrifft, hebt N. Wagner *) (1885) hervor, dass eine Betheiligung
derselben bei der Regeneration der Gewebe nach Verwundungen
nicht unwahrscheinlich sei. Hinsichtlich. der Lebensphänomene
der Leukoceyten wird bemerkt, dass sie in zwei sich gegenseitig
abwechselnden Zuständen existiren können: in einem thätigen —
1) Mac Munn, ÖObservations on the Colouring-matters of the so-
called Bile of Invertebrates etc. Proceed. Roy. Soc. 1883. Vol. 35, p. 378.
id. Further Observations on Enterochlorophyll and allied Pigments.
Philos. Transactions. 1886. P. I, p. 187.
2) R. Hanitsch, Die Wasseraufnahme bei Eyes und Anodonta.
Inaug.-Diss. Jena 1884. S. 21 und 25.
3) E. Ray-Lankester, The supposed taking-in and shedding-
out of Water in relation to the vascular system of Molluses. Zoolog.
Anzeiger. 1884, No. 170, S. 343—346.
4) N. Wagner, Ueber die Rolle der Leukocyten in plastischen
Processen bei den Wirbellosen. Zool. Anzeiger. 1885, No. 198, S. 387.
28 | Griesbach:
wo sie in fortwährender Bewegung begriffen sind und ihre Pseudo-
podien auslassen — und in einem ruhigen Zustande, in wel-
chem sie Sphäroidalform annehmen und ihre Funetion aufgeben.
Die Vermuthung, dass die Leukocyten an manchen Orten des
Organismus von höheren Thieren eme wichtige physiologische
Bedeutung als „Bildungszellen“ haben könnten, wird auch von
Lavdowsky!) geäussert. — L. Roule?) (1886) vergleicht die
Blutkörperchen der Lamellibranchiaten den Leukoeyten der Wirbel-
thiere, sie nehmen in den Kiemen den für die Gewebe erforder-
lichen Sauerstoff auf. Gut conservirte Blutkörperchen zeichnet
Grobben?) (1886) bei Mylitus edulis (Taf. II Fig. 22 Cs.),
wo der kugelige granulirte Zellenleib einen deutlichen Kern auf-
weist. Auch in Fig. 51 und 56 Taf. V präsentiren sich die Blut-
zellen von Cardium edule und Pholas dactylus in ähnlicher Weise.
Auf Taf. III Fig. 29 und Taf. IV Fig. 35 zeigen die Blutzellen
von Dreissena polymorpha und ÖOstrea eristata deutliche Ausläufer.
Mit Ausnahme des letzten Präparates, welches nach Sublimat-
erhärtung gewonnen wurde, entstammen die übrigen Schnitte sol-
chem Material, welches mit Chromsäure oder deren Salzen ge-
härtet wurde. Die Thatsache der ausgezeichneten Conservirung
in diesen Fällen eontrastirt mit meinen eigenen Erfahrungen. Ich
habe weder bei Süsswasseracephalen noch bei marinen Formen
nach Erhärtung mit den zuletzt genannten Reagentien in Schnitten
so tadellos conservirte :Blutkörperchen, wie Grobben sie zeich-
net, auffinden können. Dass bei der direeten Behandlung des
Blutes mit Chromsalzen die Zellen mehr oder weniger verunstaltet
werden, gab schon Flemming *) an.
Egger?) (1887) findet für die Pholadiden die Blutkörper-
chen nach Form und Grösse von denjenigen anderer Muscheln
nicht merklich unterschieden. In seinen Präparaten von conser-
1) Lavdowsky, Mikroskopische Untersuchungen einiger Lebens-
vorgänge des Blutes. Virchow’s Arch. Bd. 97, Heft 2, S. 208.
2) L. Roule, Sur quelques particularitös histologiques des mol-
lusques ac&phales. Compt. rend. 1886, T. 103, p. 937.
3) C. Grobben, Die Pericardialdrüse der Lamellibranchiaten.
Arbeiten aus dem zool. Inst. Wien. 1886. Tom. VII.
4) Flemming, a.a.0. S. 247, Fig. 6.
5) E. Egger, Iouannetia Cumingii. Inaug.-Diss. Würzburg. Wies-
baden. Kreidel. 1887.
Beiträge zur Histologie des Blutes. 3)
'virtem Material zeigen dieselben keine Ausläufer mehr (Tafel II
Fig. 39 und 50 BK.). |
Die Blutflüssigkeit und ihre Formelemente bei den Wirbel-
losen, sagt Cuenot !) (1887), dienen der Ernährung und der Ath-
mung. Die erstere wird durch die Umwandlung der bei der Ver-
dauung resultirenden Peptone in unzerlegbare Albuminoide ge-
sichert, welche von sämmtlichen thierischen Zellen direct assi-
milirt werden können, die letztere wird durch die Gegenwart
eines besonderen Albuminoids gesichert, welches mit der Eigen-
schaft ausgerüstet ist, sich in verschiedenen Verhältnissen mit
Sauerstoff zu verbinden. Beide Albuminoide sind chemisch ver-
schiedene Körper. Bei den Vertebraten, Anneliden, Sipuneuliden
und vielleicht auch bei den Aseidien wird das Sauerstoff bindende
Albuminoid durch das Hämoglobin oder einen analogen Körper,
das andere Albummoid durch das Serumalbumin repräsentirt. Bei
den Arthropoden und Mollusken spielt ein und dasselbe Albumi-
noid beide oben genannten Rollen, wie dies zuerst für die Cepha-
lopoden von Frederieq?) gefunden wurde, welcher ihm den
Namen Hämoeyanin gab. Dasselbe konnte isolirt werden; es
gab mit dem Millon’schen Reagenz die Eiweissreaction und wurde
reich an Kupfer gefunden, welches in ihm physiologisch dieselbe
Aufgabe zu haben scheint wie das Eisen im Hämoglobin.
Cuenot fand von den Echinodermen aufwärts bis zum
Menschen ein albuminogenes Ferment, welches die Umwandlung
der Peptone in Albumine bewerkstelligt. Dasselbe hat für diese
ganze Gruppe von Organismen ungefähr dieselben Eigenschaften,
und ist sicher weniger verschieden als das die entgegengesetzte
Rolle spielende Verdauungsferment bei denselben Thieren. Dieses
Ferment istin Form von schwach gelb, braun, violett oder grünlich
gefärbten, stark lichtbrechenden Körnchen mit wenigen Ausnahmen
in den amöboiden Blutkörperchen enthalten, welchen Cuenot
den Namen Amoeboeyten giebt. Dieselben werden sammt ihrem
Ferment, je nach Bedarf, in besonderen Organen: den Lymph-
— 00000220
1) L. Cu¬, Etudes sur le sang, son role et sa formation
dans la Serie animale 2e partie: Invert&brös. Archives de Zoologie ex-
perimentale 2e Ser. T. V, 1887, p. XLII.
2) Fredericgq, Sur l’'h&mocyanine, substance nouvelle du sang
de Poulpe. Compt. rend. 1878, T. 87, p. 996.
30 Griesbach:
drüsen, gebildet. Während die chemische Zusammensetzung des
Fermentes im Grunde stets die gleiche ist, können seine physio-
logischen Eigenschaften doch sehr variiren. Die Lymphdrüsen
liegen bei den Mollusken im Allgemeinen in der Nachbarschaft
der Athmungsorgane, bei den Acephalen, speciell pei Dreyssena
polymorpha und Mytilus edulis, in der Kieme selbst, in der Nähe
des Vas afferens, so dass das durch dasselbe einströmende Blut
die von den Drüsen produeirten Elemente an sich reisst.
Nach Roule!) (1887) haben die Blutkörperchen, Endothel-
und Bindesubstanzzellen, bei den Lamellibranchiaten alle denselben
embryologischen Ursprung und können sich während des ganzen
Lebens gegenseitig ersetzen; sie zeigen dieselbe Struetur und be-
sitzen dieselben Eigenschaften. Sie besitzen eine zarte aber deut-
lich wahrnehmbare Wand (paroi) [!J, ihr Zellenleib zeigt die ver-
schiedenartigsten Granula, welche sich scharf färben lassen und den
Kern oft verdecken; der letztere erscheint häufig wie ein heller
Raum und schliesst ein mehr oder weniger dichtes, stark gefärbtes
und gut wahrnehmbares Kernnetz ein. Die Formen wechseln. Die
Blutkörperchen liegen oftmals in den sogenannten Langer’schen Bla-
sen, von denen einige Forscher (bekanntlich Flemming) annehmen,
dass sie Zellen seien, während sie in Wahrheit Bindesubstanzlacunen
sind. Auf Tafel VII Fig. 21 giebt Roule eine Abbildung der
Blutzellen von Lima inflata [?] in den verschiedensten Formen, an
denen man in der That einen ziemlich scharfen Contour erkennt.
Im „Resume general“ vergleicht er nochmals den ganzen Gefäss-
apparat dem Lymphgefässsystem der Wirbelthiere mit den Worten:
„Enfin, de m&me que chez les Tuniciers et par tous ses caracteres,
l’ensemble de l’appareil eireulatoire des Lamellibranches rapelle
le systeme Iymphatique des Vertebres; les globules correspon-
dent en tout aux globules de Iymphe, de telle sorte que le sang
de ces animaux n'est autre que de la Iymphe allant elle-m&me
puiser dans la branchie l’oxygene necessaire aux tissus.“
Apathy?) (1884—87) findet, dass das Coagulum, welches
u 1) L; Roule, Recherches histologiques sur les mollusques La-
mellibranches. Journal de 1l’Anatomie et de Physiologie (Robin et
Pouchet). 1887, T. XXIII, pl. IVsa VIII. Im „Extrait“ (Paris, Felix
Alcan) p. 44, 52, 80. 1
2) J. Apathy, Studien über die Histologie der Najaden, Ab-
handl. der ungar. Akademie. Bd. 14. 4 Taf., 121 Seiten. Im Auszuge:;
Biolog. Centralblatt Bd. VII, No. 20, 1887, S. 621.
Beiträge zur Histologie des Blutes. 31
beim Stehen des Blutes auftritt, aus einem fibrinartigen Netze
besteht und sich nur dann bildet, wenn das Blut Blutkörperchen
enthält. Die Vermuthung Flemming’s, dass die Blutzellen im
lebenden Organismus nur wenige und kurze Fortsätze besitzen,
konnte er nicht bestätigen. Ausser den gewöhnlichen Blutkörper-
chen lässt sich noch eine zweite Form unterscheiden, deren Zahl
sich zu der der gewöhnlichen wie 1:5 verhält; sie besitzen einen
relativ grösseren Kern, treiben fast keine Pseudopodien und bil-
den mit anderen keine Knäuel.
Während die Blutzellen sich auf dem Objectträger aus-
breiten, treten ausser den stark lichtbreehenden Körnchen va-
kuolenartige Bläschen in ihnen auf (in der ungar. Abhälg. Taf. I
Fig. 5 bei e.), „welche an den Strömungen des Protoplasmas nicht
Theil nehmen, von Zeit zu Zeit verschwinden und wieder auf-
treten.“ Wenn die Blutkörperehen absterben, bemerkt man sei-
denglänzende, scharf contourirte, myelintropfenartige Kügelchen,
welehe man manchmal auch im frischen Blute schwimmen sieht.
Die Kügelehen besitzen einen Durchmesser von 2—8 u und zeigen
die Brown’sche Molekularbewegung. Apathy hat an den Blut-
körperchen indireete Theilung wahrgenommen.
J. Brock !) (1888) beschreibt in den Blutbahnen des Mantels
von Tridacena eigenthümliche grüne Zellen. Die Frage, ob der
Farbstoff Chlorophyll ist, und ob man es in diesen Zellen mit
pflanzlichen Symbionten zu thun hat, bleibt unentschieden, da ein
Beweis an dem conservirten Untersuchungsmaterial nicht mehr
erbracht werden konnte. Dass sich aber die fraglichen Zellen
wirklich im Blute befinden, dafür spricht nach ihm die Anwesenheit
von Blutkörperchen au denselben Orten. Für die pflanzliche Natur
dieser Gebilde lässt Brock den Umstand sprechen, dass er in
ihnen Stärke nachweisen konnte. Unter Berücksichtigung der
oben angeführten schönen Untersuchungen von Mac Munn über
Enterochlorophyll und den Bemerkungen Ryder’s über das Vor-
kommen grüner Zellen im Blute der Austern, Nachrichten, welche
Brock bei seinen Beobachtungen nicht gekannt zu haben scheint,
dürfte die Vermuthung, dass die grünen Zellen von Tidacena
pflanzlichen Ursprungs sein könnten, eine bedeutende Einschränkung
erfahren.
1) J. Brock, Ueber die sogenannten Augen von Tridaena ete.
Zeitschr. f. wiss. Zool. 1888, Bd. 46, S. 280 ff., Taf. XXI, Fig. 7 u. 8.
33 Griesbach:
Brock !) giebt ferner einige Mittheilungen über die Blut-
körperchen. Sie zeigen trotz der verschiedenen Behandlung des
Untersuchungsmaterials (Chromsäure, Alkohol, Osmium) in den
Präparaten mehr oder weniger dieselbe Beschaffenheit. Das
Plasma findet er stets m zwei Abschnitte gesondert, der eine ist
hyalin und enthält den Kern, der andere zeigt sehr ausgesprochene
faserige Gerinnung. Ausser diesen Blutzellen findet er noch an-
dere, welche er Körnchenzellen nennt. Dieselben sind in der
Minderzahl vorhanden, haben rundliche oder ovale, gelappte oder
sonst unregelmässige Form und ihr ganz hyalines Plasma ist mit
fettähnlich glänzenden, stark liehtbrechenden Körnchen derartig
vollgestopft, dass ein Kern nicht gesehen werden «kann. Die In-
haltskörner färben sich mit Osmium braun, Glykogen ist in ihnen
nicht nachzuweisen.
Zwei verschiedene Formenelemente im Molluskenblute be-
schreibt auch Plate?) für die Dentalien; beide sind farblos und
amöboid, sie differiren aber in der Grösse und im Bau der Kerne.
Obgleich sich die Untersuchungen von Dewitz ?) (1889) spe-
ciell über das Blut der Gliederthiere erstrecken, so finden sich
darin doch einige allgemeine Bemerkungen über die Lebenser-
scheinungen der Leukocyten. Die zur Ruhe gekommenen Blut-
körperchen sollen sich durch Ersehütterung oder Erwärmung wie-
der in Bewegung versetzen lassen. Dewitz beobachtete mehr-
fach ruck- oder sprungartige Bewegung, deren Ursache er nicht
in einer Strömung, sondern darin erblickt, dass die Körperchen
Blutflüssigkeit in sich aufnehmen und wieder auslassen.
Wohl am eingehendsten hat sich Cattaneo*) neuerdings (1889)
mit dem Studium der Blutzellen einiger Mollusken beschäftigt, und,
da meine eigenen Untersuchungen über die Beschaffenheit der
Leukoeyten in manchen Punkten mit den seinigen übereinstimmen,
in anderen davon abweichen, so kann ich nicht umhin, diese Ar-
1) Brock, 3. 2.0.8 281%.
2) L. Plate, Bemerkungen über die Organisation der Dentalien
Zool. Anzeiger 1888, No. 288, S. 514.
3) H. Dewitz, Eigenthätige Schwimmbewegung der Blutkör-
perchen der Gliederthiere. Zool. Anzeiger 1889, No. 315, S. 457 ff.
4) Cattaneo, Sulla morfologia delle cellule ameboidi dei mol-
luschi e Artropodi. Bollettino scientifico redatto da Maggi, Zoja e@
De-Giovanni. Anno XI, Marzo 1889, No. 1, 1889, p. 9—29,
Beiträge zur Histologie des Blutes. 33
beit hier ausführlicher zu berücksichtigen. Cattaneo studirte
das Acephalenblut an Anodonta, Unio und Tellina radiata; von
‘anderen Mollusken wurden Helix pomatia, Sepia offieinalis und
Sepiola vulgaris zur Untersuchnng herangezogen. — Die amöboiden
Zellen von Anodonta und Unio sind im lebenden Zustande ovale
oder runde Körper, welche ein oder zwei oder mehrere lange und
zarte Pseudopodien besitzen. Der Zellkern liegt entweder central
oder excentrisch und schliesst, stets Körnchen oder Stäbchen ein.
Im Zellenleibe sind stets mehr oder weniger zahlreiche Granula
enthalten, welche als Fermentkörner betrachtet werden. In einigen
Zellen, namentlich den grösseren, sind solche so zahlreich, dass sie
den Kern verdecken. Die kleineren Zellen enthalten weniger
Fermentkörner, manchmal erscheinen sie auch ganz hyalin. Von
Pseudopodien kann nur ein einziger vorhanden sein, giebt es zwei,
so finden sich diese an entgegengesetzten Polen, treten sie in
grösserer Zahl auf, so werden sie an verschiedenen Stellen her-
vorgetrieben, und die Zelle hat alsdann ein strahliges oder mul-
tipolares Aussehen, die Länge der Pseudopodien übertrifft den
Durchmesser des Zellenleibes um das Drei- bis Fünffache, ge-
wöhnlich erscheinen sie gewellt und an ihrem distalen Ende sind
sie manchmal keulenartig verdickt. In den multipolaren Zellen
sind sie häufig gespalten und verzweigt. Diese Pseudopodien
enthalten keine Fermentkörner; in ihrer Substanz sind sie so be-
schaffen wie das Ektoplasma, mit welchem sie zusammenhängen.
Weder die Pseudopodien ein und derselben Zelle, die sich manch-
mal kreuzen können, noch die verschiedener Zellen verschmelzen
unter einander. Diese Pseupodien der lebenden Zellen sind bis
jetzt noch nicht beschrieben worden. An den Kiemen jugend-
licher Thiere kann man ihre Bewegung studiren, bald werden
sie zurückgezogen, bald aufs Neue ausgestossen, so dass die uni-,
bi- oder multipolare Zellform keinen constanten Zustand reprä-
sentirt, sondern derselbe vielmehr als ein fortwährend wechselnder,
von dem Vorstossen oder Zurückziehen der Pseudopodien abhängi-
ger, erscheint.
Unter spontanen Veränderungen der Blutzellen muss man
solche verstehen, welche sieh im Innern des Organismus beim
Absterben des Thieres, oder in dem entleerten Blute ereignen.
Von den spontanen Veränderungen, welche man im Präparate
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 3
34 Griesbach:
an den Blutkörperchen verfolgen kann, unterscheidet Cattaneo
vier Stadien.
Das erste Stadium erstreckt sich auf die allmähliche Ver-
kürzung der beschriebenen Pseudopodien bis zu dem Punkte, wo
dieselben vom Ektoplasma des Zellkörpers völlig eingezogen
worden sind und der letztere eine kugelige Form repräsentirt.
Das zweite Stadium umfasst das Ausstreeken von Sarkode-
fortsätzen. Kaum sind die Pseudopodien zurückgezogen oder doch
sehr verkürzt, so wachsen aus irgend einer Gegend des Zellrandes
oder überall an demselben kleine hyaline Protuberanzen hervor,
welche allmählich in nadelförmig scharfe Fortsätze oder in ab-
gerundete Lappen übergehen. Diese Fortsätze erreichen an Länge
den Durchmesser der Zelle nicht; manchmal bilden sie auf einer
Seite der Zelle ein Büschel, gewöhnlich bedecken sie strahlen-
förmig ihre ganze Oberfläche. y.
Während die Pseudopodien Ausstülpungen des Ektoplas-
mas sind, kommen die Sarkodefortsätze aus dem Innern der Zelle,
wobei die letztere ihren Contour vollständig bewahrt. Ausserdem
ist die Substanz der Sarkodefortsätze anders beschaffen als die
der Pseudopodien, und wenn diese Fortsätze einmal ausgestreckt
sind, gleichgültig ob nadelförmig oder lappig, so werden sie aktiv
nie mehr in den Zellkörper zurückgezogen.
Im dritten Stadium verschmelzen die Sarkodefortsätze an
ihrer Basis und bilden um die ganze Zelle herum eine hyaline
Zone, die immer grösser wird; über den Rand derselben können
die Spitzen noch frei hinweg ragen.
Das vierte Stadium endlich offenbart sich dadurch, dass die 2
Spitzen der Sarkodefortsätze benachbarter Zellen mit einander
verschmelzen und eine ausgebreitete, oft zwanzig Zellen enthal-
tende Masse bilden, deren Rand ebenfalls lappig oder stachelig
beschaffen ist. Solche, aus verschmolzenen Zellen entstandene
Massen nennt Cattaneo Syneytien oder Plasmodien.
Nach diesem letzten Stadium findet die Gerinnung des Plas-
mas statt, das Deckgläschen haftet fest am Objectträger, und die
zelligen Elemente können als abgestorben betrachtet werden. Alle
diese Veränderungen ereignen sich in einer viertel Stunde oder
in noch kürzerer Zeit. Das Studium dieser Erscheinungen führt
nun zu dem Schluss, dass die in frisch entleertem Blute an den
Zellen beobachteten Pseudopodien und die späteren Sarkodefort-
Beiträge zur Histologie des Blutes. 3
sätze ganz verschiedener Natur sind. Abgesehen von der ver-
schiedenen physikalischen Beschaffenheit ihrer Substanz und ab-
gesehen davon, dass die Sarkodefortsätze mit dem Zellrande nicht
in Zusammenhang stehen, sind namentlich die beiden Thatsachen
von Wichtigkeit, dass die Sarkodefortsätze, ob spitz oder blasig
und lappig, in hohem Grade die Eigenschaft besitzen, mit ein-
ander zu verschmelzen und sich zu Plasmodien zu vereinigen,
was bei den Pseudopodien niemals geschieht, und dass diese
spitzen und die blasigen oder lappigen Fortsätze in ihrer Be-
schaffenheit identisch sind. Frühere Beobachter haben die ver-
schiedenen Fortsätze nicht von einander unterschieden. Durch
die Anwendung brauchbarer Reagentien (Ösmiumsäure, Palladium-
ehlorür, destillirtes Wasser, Essigsäure und verschiedene Farb-
stoffe) kommt man zu der Erkenntniss, dass die Blutzelle aus
drei verschiedenen Abschnitten besteht. Zu äusserst liegt eine
sehr dünne Schicht, darauf folgt der granulirte Theil, und das
Innere wird von hyaliner Sarkode ausgefüllt. Zum besseren Ver-
ständniss der geschilderten Verhältnisse giebt der Autor eine all-
gemeine morphologische Betrachtung. Wie alle andern freien
oder zu Geweben vereinigten Zellen, bestehen auch die amöboiden
Zellen im Blute der Mollusken aus zwei Hauptbestandtheilen: aus
einem consistenteren, contractilen und maschig angeordneten,
welcher als Gerüst und Stütze dient, und aus einem homogenen,
halbflüssigen, welcher das Maschenwerk der Stützsubstanz durch-
dringt und hauptsächlich an den Ernährungsprozessen der Zelle
Theil nimmt. Beide sind von Heitzmann auch an den amö-
boiden Zellen des Flusskrebses und neuerdings von Fabre-Do-
mergue!) an den Infusorien erkannt worden. Ohne auf den
Werth oder Unwerth der verwirrenden Nomenklatur der verschie-
densten Autoren (Heitzmann, Carnoy, Kupffer, Hanstein,
Flemming, Wiedersheim u.a.) auf dem Gebiete der Zellen-
lehre einzugehen, schliesst sich Cattaneo für die Blutzellen dei
Mollusken der von Fabre-Domergue für die Infusorien ge-
wählten Bezeichnung an und nennt die contractile, maschige Ge-
rüstsubstanz: Hyaloplasma und die diese durchdringende, den
Zellkern bergende Masse Paraplasma (Enchylem oder Sarkode);
—
1) Fabre-Domergue, Recherches ee. et physiolo-
giques sur les infusoires cilies. Paris 1888,
36 Griesbach:
zwischen beiden ist eine Schicht stark liehtbreehender Körner -
eingeschoben. Durch diese Anordnung der Substanzen kann man
auch, wie bei den Amöben und Infusorien, eine Unterscheidung
von Ekto- und Entoplasma machen. Das Hyaloplasma (Ekto-
plasma) ist es, welches vermöge seiner Contraetilität Pseudopodien
zu treiben vermag, welche wie diejenigen der Amöben als Fang-
organe in der Erscheinung des Phagoeytismus dienen können. Fint-
sprechend der Feinheit des Hyaloplasmas ist die Masse des Para-
plasmas sehr umfangreich. Man darf dasselbe nicht als ein un-
thätiges Element der Zelle betrachten, es steht vermittels der es
umgebenden Granula in engstem Zusammenhange mit dem Er-
nährungsprozess der Zelle und mit Regenerationsvorgängen. Diese
Granula bilden denjenigen Theil, welcher physiologisch am schwie-
rigsten zu erklären ist. Anfangs sah man sie als Fetttröpfehen an,
jetzt aber gelten sie als Fermentkörner. — Die häufigen Fälle
von doppelten oder sich theilenden Kernen beweisen, dass die
Reproduction durch direkte Theilung erfolgt. — Auf Grund die-
ses fundamentalen Entwurfes der Schichtung der amöboiden Zel-
len der Weichthiere sind alle regressiven Erscheinungen, die bis
jetzt unrichtig aufgefasst wurden, leicht erklärbar; da sie wäh-
rend des Lebens des Thieres im Blutplasma kreisen, sind die
Zellen einer besonderen Lebensart angepasst; ihre Umgebuug ver-
ändert sich, sobald das Blut aus dem Körper tritt, oder wenn
der Organismus abstirbt. Im ersteren Falle treten natürlich phy-
sikalische Veränderungen ein (Temperaturwechsel, Zutritt von
Luft und Licht), welche das Blutplasma berühren. Ein Beweis
dafür ist der rasche Niederschlag des Hämoeyanin, die opalblaue
Farbe, welche das Blut sofort annimmt. Unter solchen nicht
physiologischen Umständen ist das erste was geschieht, die rasche
Contraction des Ektoplasmas, welche das Zurückziehen der Pseu-
dopodien bedingt. Die Contraction der äusseren Schicht muss
einen Druck auf die halbflüssige enchylematische Masse ausüben,
so dass dieselbe unter der Form von feinen hyalinen Zapfen durch
die Maschen des Hyaloplasmas dringt. Wo dagegen ein Riss im
Ectoplasma entsteht, tritt das Enchylem in grossen Blasen hervor.
Diese Umstände müssen die Ursache der spitzen und lap-
pigen Sarkodeausflüsse im zweiten Stadium der Rückbildung sein.
Da jedoch das Enchylem das Vermögen besitzt, Wasser und in-
differente Flüssigkeiten aufzusaugen, ohne sich damit zu vermischen
Beiträge zur Histologie des Blutes. 37
und es in allen seinen Theilen im höchsten Grade plastisch ist,
so findet die basale Verschmelzung der Sarkodeausstülpungen,
die Ausbreitung des hyalinen Gürtels um den ganzen Zellenleib
und die Bildung von Syneytien und Plasmodien statt. Alle diese
Erscheinungen, welche man als Diffluenz bezeichnen Kann, sind
degenerativer Natur und finden sich nie während des Lebens.
Löwit!) meint, dass gerade die langen strahlenförmigen
oder mehr stacheligen Fortsätze an den Leukocyten (es handelt
sich um die Blutkörperchen des Flusskrebses) nicht dem gewöhn-
lichen Bilde der amöboiden Bewegungen entsprechen. Es werden
zwar derartige Fortsätze von einzelnen Beobachtern erwähnt, indes-
sen entsprechen doch die breiten kurzen, oder die sich mantelförmig
ausbreitenden Fortsätze weit mehr dem eigentlichen Bilde der
amöboiden Bewegungen der Leukoeyten.
III. Untersuchungsmaterial.
Dank der ausgezeichneten Einrichtung in der zoologischen
Station zu Neapel ist es mir gelungen, ein umfangreiches Material
aus dem Mittelmeer zur Untersuchung heranzuziehen.
Wer selbst mit Schlepp- und Stechnetz ausgerüstet, im Segel-
oder Ruderboot, in Begleitung. unerfahrener und kein Verständniss
für die Sache besitzender Fischer stundenlang oft vergebens das
Material zu beschaffen suchte, wie ich dies an den Küsten der
Ostsee gethan, der weiss die Annehmlichkeit einer zoologischen
Station wie die in Neapel zu schätzen, wenn er die ihm zur
Verfügung gestellten Aquarien täglich mit reichlichem und frischem
Material gefüllt findet.
Nachstehende Tabelle enthält die Formen, deren Blut unter-
sucht wurde, nach Familien geordnet, zusammengestellt:
I. Siphoniata.
1. Pholadidae. 3. Myidae.
Pholas dactylus L. Mya arenaria L.
Teredo navalis L. Corbula gibba 'Oliv.
2. Anatinidae. Poromya granulata Nyst.
Thracia papyracea Poli. 4. Solenidae.
Lyonsia corruscans Scacchi. Solen vagina L.
1) M. Löwit, Ueber die Beziehung der weissen Blutkörperchen
zur Blutgerinnung. Beiträge zur patholog. Anatomie und zur allge-
meinen Pathologie, herausg. von Ziegler. Bd. V, S. 507.
38 Griesbach:
Solen siliqua L. Tapes geographica Ch.
Solen legumen (Ceratisolen le- Cytherea chione Gmelin.
gumen) L. Cytherea rudis Poli.
Solecurtus strigillatus L. Artemis exoleta L.
5. Tellinidae. 8. Cyprinidae.
Tellina planata L. Cirece minima Mtg.
Tellina exigua Poli. 9. Cyeladidae.
Tellina donaeina L. Cyelas cornea Pfeiff.
Tellina baltica L. 10. Astartidae.
Psammobia vespertina Lm. Astarte fusca Poli.
Capsa fragilis L. Cardita aculeata Poli.
Donax politus Poli. 11. Lueinidae.
Donax truneulus L. Lueina spinifera Mtg.
6. Mactridae. Galeomma Turtoni Sow.
Mactra stultorum L. Solemya togata Poli.
Mactra helvacea Lm. 12. Cardidae.
7. Veneridae. 2 Cardium tubereulatum L.
Venus gallina L. Cardium edule L.
Venus verrucosa L.
I. Asiphoniata.
1. Unionidae. 4. Aviculidae.
Unio. pietorum L. Avicula hirundo L.
Anodonta cellensis Schroet. Pinna nobilis L.
2. Arcidae. 5. Pectinidae.
Arca tetragona Pol. Pecten varius L.
Arca Noae L. Pecten opercularis L.
Pectunculus glycimeris Lam. Pecten Jacobaeus L.
Nucula nucleus L. Pecten textae Biv.
3. Mytilidae. Lima hians Gm.
Mytilus edulis L. Lima inflata Lm.
Modiola adriatica Lm. Lima squamosa Lm.
Modiola barbata Lm. 6. Ostreidae.
Lithodomus dactylus Sow. Ostrea edulis L.
Dreyssena polymorpha Pallas. Anomia ephibbium L.
IV. Untersuchungsmethode.
Die mikroskopische Untersuchung des Blutes wurde nur an
lebendem und frischem Material vorgenommen. Um Veränderungen
der Zellenelemente bei der Entfernung aus den Kreislaufsorganen
durch Luft, Licht und Temperaturdifferenzen, allgemein gesagt
durch die abnormen Umgebungsverhältnisse, möglichst zu ver-
meiden, wurden verschiedene Methoden versucht. Das schnelle
Oeffnen der Schalen mit nachfolgender Untersuchung des ab-
Beiträge zur Histologie des Blutes. 39
fliessenden Blutes, ein Verfahren, welches von Flemming!) an-
gewandt wurde, erwies sich zur Erreichung eines Bildes der nor-
malen Blutkörperchen bald als unbrauchbar. Das Blosslegen des
Herzens nach Entfernung einer oder beider Schalen und das An-
stechen desselben mittels einer fein ausgezogenen Glaspipette ist
für einen geschickten und schnellen Arbeiter nicht zu verwerfen,
und kann nach meinen Erfahrungen, namentlich bei grösseren
Thieren, mit Erfolg ausgeführt werden, wenn man nach Eröffnung
des Pericardiums über dem lebhaft pulsirenden Herzen den Liquor
pericardii mit Hülfe einer zweiten Pipette oder eines Stückchens
Filtrirpapier vorsichtig entfernt. |
Cattaneo?) meint zwar, dass eine derartige Operation zu
lange Zeit beanspruche, doch kann ich ihm darin nicht beistim-
men; auch möchte ich noch besonders bemerken, dass durch die
betreffende Operation der Kreislaufsapparat, speciell das Herz,
keinen Schaden nimmt, wenigstens keinen solchen, der sich in
einer Veränderung der Blutzellen bemerken liesse. Bei den
grossen Süsswassermuscheln habe ich sogar ohne Nachtheil für
die Blutkörperchen eine für Cattaneo vielleicht noch gewagter er-
scheinende Operation angewandt. Ich habe nämlich das blossgelegte
Herz vorne und hinten am Darm und seitlich an den Atrien mit
einem Faden unterbunden, dann aus dem Körper herausgehoben
und die Punetur mit der Pipette in einem Osmiumsäure enthal-
tenden Gefässe vorgenommen.
Eine andere Methode, Blut direct aus dem Herzen zu er-
halten, welche auch von Cattaneo?) geübt wurde, besteht
darin, den Herzstich von Aussen durch das Schalenschloss auszu-
führen, nachdem man sich an etlichen Versuchsthieren nach ge-
nauer Örientirung über die Herzlage einige Uebung verschafft
hat. Cattaneo?) benutzte hierzu eine gewöhnliche starke Nadel
und fing den hervorquellenden Blutstropfen mit dem Objeetträger
auf. Ich benutzte, um zum Ziele zu gelangen, in vielen Fällen
eine Art Hohlsonde, am einen Ende scharf aber weniger schräg
geschliffen wie die Canülen der Pravaz’schen Spritzen, am anderen
Ende mit einem als Handgriff dienenden aufschraubbaren Ring
1) Flemming, a..a. 0. S. 246.
2) Cattaneo, a.a. 0. S. 10.
3) Cattaneo, a.a.0. 8.10, 11.
40 Griesbach:
versehen. Die Anwendung eines solehen hohlen Bohrers hat, wie
ich glaube, einige Vortheile. Bei dem Gebrauch der Nadel kann
man nicht verhindern, dass der hervorquellende Blutstropfen mit
der Aussenfläche der Schale in Berührung kommt. Wenn dieselbe
auch vorher sorgfältig geremigt worden ist, so gelangen häufig
doch noch allerhand Fremdkörper, namentlich Diatomeen, in das
Objeet, welche unter Umständen das Bild beeinträchtigen. Ausser-
dem vermeidet man mit Hülfe des Bohrers den plötzlichen Zu-
tritt des Lichtes und die allseitige Einwirkung der Luft. Etwaige
Kalkstückehen, welche in die Röhre eindringen, sind wenig hinder-
lich und lassen sich nach dem Gebrauch durch einen eingeführ-
ten Draht leicht entfernen. Die Entleerung eines Bluttröpfchens
aus dem Bohrer oder aus der Glaspipette, wenn letztere zur Ver-
wendung kam, bewirkte ich durch Klopfen mit dem Finger auf
die weite Oeffnung, oder durch Druck auf ein über dieselbe ge-
stülptes Kautschukrohr; beim Blasen mit dem Munde könnte die
zutretende Kohlensäure der Exspirationsluft für die Blutkörperchen
von Nachtheil sein. Je nach der Grösse der Thiere und je nach
der Beschaffenheit ihrer Schale und des Schlosses derselben wird
sich eine der genannten Methoden als die zweckmässigste erwei-
sen. Bei kleinen und dünnschaligen Thieren ist die Punetur mit
der Nadel durch das Schalenschloss am Platze; bei manchen
Thieren aber lässt sich diese nach meinen Erfahrungen mit der
Nadel gar nicht, mit dem genannten Bohrer nur sehr mangelhaft
ausführen. Ich meine diejenigen Bivalven, deren Schale sehr
hart oder deren Schloss mit allerhand Zähnen und Leisten aus-
gerüstet ist, beispielsweise: Unio, Peetuneulus, Artemis, Venus,
Cytherea, Cardium und andere.
Der durch eine dieser Methoden erhaltene Blutstropfen wurde
mit einem Deckgläschen aufgefangen und dieses entweder regel-
recht mit einer feuchten Kammer in Verbindung gebracht, oder auf
einen, mit einer Delle versehenen, Objeetträger derartig aufgelegt,
dass die mikroskopische Beobachtung am hängenden Tropfen vor-
senommen werden konnte. Zum Studium der Blutkörperchen in
ihrer normalen Form habe ich behufs Fixirung verschiedene
Reagentien angewandt. Der am Deckglase hängende Tropfen
wurde entweder den Dämpfen von starker Osmiumsäure aus-
gesetzt, oder es wurde ihm mit dem Glasstabe ein Tropfen ein-
procentiger Osmiumsäure zugesetzt. Die beste Fixirung aber er-
ü
Ä
-
4
- ° Beiträge zur Histologie des Blutes. 41
reicht man, wenn man das Blut direet in ein das Fixativ ent-
!altendes Uhrschälchen tropfen lässt und von hieraus mit” der
Pipette auf ein Deckgläschen überträgt. — Bei der oben be-
sehriebenen Herausnahme des Herzens und Einlegen desselben
in einprocenfige Osmiumsäure wird die Fixirung der Blutzellen
schon vor dem Anstich erreicht. Soll die Punetur des Herzens
nach Entfernung der Schale vorgenommen werden, so ist es
zweekmässig, in die Spitze der dabei zu verwendenden Pipette
vorher ein Tröpfehen Osmiumsäure hineinzubringen. Soviel von
der Osmiumsäure, sie lässt nichts zu wünschen übrig.
Die Erhaltung der normalen Form der amöboiden Blutzellen
kann aber noch auf andere Weise erreicht werden. Ich habe
dazu mit Vortheil Kleinenberg’sche Pikrinschwefelsäure, Flem-
ming'’s Chromosmiumessigsäure und Goldehlorid (ein- bis dreipro-
eentig) verwandt. — Um Bewegungserscheinungen der nicht
fixirten Leukocyten zu verfolgen, um namentlich die ersten Ver-
änderungen zu sehen, welche die fremdartige Umgebung alsbald
nach der Entfernung der Zellen aus dem Kreislaufsapparat an
diesen hervorruft, benutzte ich bei den Süsswassermuscheln zum
Auffangen des Blutes häufig auf Eis gekühlte Pipetten, Deck-
gläschen und Objectträger. Die normale Form der Leukocyten
habe ich in den Gefässen der Kiemen, der Mundlappen, des
Mantels und seiner Anhänge, wie sie beispielsweise Lima besitzt,
zu beobachten versucht, doch will ich hinzufügen, dass es dabei
nicht zu umgehende Hindernisse (Wimperspiel ete.) giebt, welche
die Untersuchung im höchsten Grade stören und das Beobach-
tungsfeld undeutlich machen. Dennoch erhält man nach einiger
Mühe und hinreichender Uebung befriedigende Resultate. Inter-
essante Aufschlüsse über gewisse Bewegungserscheinungen und
spontane Veränderungen erhält man, wenn man den zu unter-
suchenden Blutstropfen an ein mit einer dünnen Oelschicht ver-
sehenes Deckgläschen hängt. Ich benutzte zu diesem Zwecke
Oliven-, Mandel- oder Rieinusöl. Behufs Feststellung der feineren
Strueturverhältnisse der zelligen Elemente des Blutes habe ich
verschiedene Reagentien und Farbstoffe verwendet. Von ersteren
kamen destillirtes Wasser, 0,5- bis 2procentige Kochsalzlösung,
Essigsäure in den verschiedensten Concentrationsgraden, 1- bis
2 procentige Osmiumsäure, Pikrinschwefelsäure, Chromosmiumessig-
säure, 1- bis 3procentige Gold- und Palladiumchloridlösung, essig-
42 Griesbach: -
saures Kali, Alkohol und Glycerin mit Erfolg in Gebraueh; von letz-
teren benutzte ich namentlich Methylenblau, Methylviolett, Eosin, Me-
thylgrün, Congoroth, die farblose Rosanilinbase in Verbindung mit
Pikrinschwefelsäure, das farblose Hexamethyleukanilin in Verbin-
dung mit Chromosmiumessigsäure, das Rhodamin !) und eine con- _
centrirte Lösung von Jod in Jodkalium. Die Farbstoffe wurden
theils in Substanz. oder in Lösung dem hängenden Tropfen bei-
gemischt, theils, wo dies zulässig, mit dem Fixativ vermengt.
Letztere Methode, durch welche Fixirung und Färbung gleich-
zeitig erreicht wird, habe ich namentlich dann angewandt, wenn
es sich um Herstellung von Dauerpräparaten handelte. Dieselben
habe ich in der Weise angefertigt, dass ich ein Tröpfehen des
die fixirten und gefärbten Zellen enthaltenden Blutes mit Glycerin
auf ein Deckgläschen brachte, dieses zum Schutze gegen Druck
und Hervorquellen des Glycerins mit einem schmalen Rahmen
von weisser Oelfarbe versah und nach dem Auflegen auf den
Öbjeetträger mit Wachs oder mit Apathy’s?) Deckglaskitt um-
rahmte. Harzige Einschlussmittel sind für Dauerpräparate nach
meiner Erfahrung ungeeignet. — Die Anwesenheit von rothem
Pigment im Blute der Acephalen wurde mittels des Vogel’schen
Speetralapparates a vision direete (Schmidt und Haensch, Berlin)
in einzelnen Fällen mit dem Mikrospeectroskop constatirt. Von der
Messung der Wellenlängen musste aus Mangel eines geeigneten
Apparates Abstand genommen werden. In mehreren Fällen ge-
lang es in der bekannten Weise mit Eisessig und Kochsalz vom
Blute auf dem Objectträger charakteristische Krystallbildungen
zu erhalten.
1) Unter diesem Namen kommen ungefähr seit anderthalb Jahren .
die Phtaleine des Metaamidophenols und seiner Derivate in den Handel,
welche thierische Gewebe prachtvoll roth färben. Das von mir benutzte
Rhodamin, ein schwach basischer Farbstoff, ist das chlorwasserstoffsaure R
Salz des Anhydrids des Metatetramethylamidodioxyphenolphtalein mit
der Formel: ;
_c0
GH gene
2% ee CE
rs HC.
i |
N GHLN(CHj)s
2) Apathy, Zeitschr. f. wissensch. Mikroskopie 1889.
Beiträge zur Histologie des Blutes. 43
V. Histochemische und histologische Beschaffenheit
des Blutes.
A. Chemisch-physikalisches Verhalten des Blutes.
Das Blut der Acephalen ist in den meisten Fällen farblos,
in einzelnen Fällen reth. Bei allen von mir untersuchten Thieren
mit farblosem Blut besitzt dasselbe eine mehr oder weniger aus-
geprägte alkalische Reaction. Die frisch dem Herzen entnom-
mene Flüssigkeit färbt rothes Lackmuspapier deutlich blau, durch
Essigsäure gebläutes Congopapier wird wieder roth.
Ueber den Grad der Alkalescenz habe ich keine genauen
Untersuchungen angestellt, doch scheint derselbe innerhalb ge-
- wisser Grenzen für verschiedene Arten zu schwanken. Auch
glaube ich für eine und dieselbe Art Unterschiede in der Alka-
lescenz wahrgenommen zu haben. Bei Anodonten, die längere
Zeit (3 Wochen) in der Gefangenschaft gehalten worden waren,
fiel die Reaction gegen Reagenzpapier unter sonst gleichen Umstän-
den schwächer aus, als bei solchen, die kurz vor der Untersuchung
gefangen waren. Ob die Lebensweise oder andere Verhältnisse
dabei in Betracht kommen, vermag ich nicht zu entscheiden.
Mit Blut, welches längere Zeit nach der Entleerung aus
dem Körper untersucht wurde, fiel die alkalische Reaction eben-
falls schwächer aus. Bei den marinen Formen mit rothem Blut
liess ich das frisch entleerte Fluidum gegen Meerwasser diffun-
diren. Das Diffusat erschien zwar nicht völlig farblos, doch
beeinträchtigte der schwach gelblich-rothe Farbenton die Probe
gegen das Reagenzpapier nicht und das letztere ergab auch hier
die alkalische Reaction. Bei einigen Arten fanden sich im Blute
Krystallbildungen, welche ich in Fig. 28 u. 29 gezeichnet habe.
Auf Zusatz verdünnter Mineralsäuren entweicht aus dem Blute
Kohlendioxyd, welches mit geeigneten Hülfsmitteln in der be-
kannten Weise durch Kalkwasser nachgewiesen werden kann. Auf
die Gerinnung des Blutes werde ich in einer anderen Arbeit zu
sprechen kommen.
Farbloses Acephalenblut zeigt wenige Secunden nach der
Entnahme aus dem Kreislaufsapparat einen schwach grauvioletten
Farbenton, der in kurzer Zeit noch deutlicher und mehr blau
44 Griesbach:
wird, eine Nuance, welche das Blut alsdann beibehält. Diese Farbe
ändert im Spectrum nichts. Der Farbstoff ist nicht an zellige Ele-
mente gebunden, sondern im Blutplasma gelöst enthalten, scheidet
sich aber, wenn dasselbe mit Luft in Berührung kommt, aus.
Nach den Untersuchungen von Frederieq!) scheint der
Farbstoff Hämocyanin zu sein. Frederiegqg fand, dass bei Ce-
phalopoden das arterielle Blut durch diese Substanz blau erscheint,
während das venöse farblos ist. Das Hämoecyanin soll dieselbe Rolle
spielen, wie bei den Wirbelthieren das Hämoglobin 2). Rothes oder
gelbrothes Blut führen von den von mir untersuchten Siphoniaten :
Poromya granulata, Solen legumen, Tellina planata, die grösste im
Golfe von Neapel vorkommende Art, Capsa fragilis, Astarte fusca (?),
Cardita aculeata; von den Asiphoniaten: Arca tetragona, Noae
und Peetuneulus glyeimeris.
Oeffnet man eine dieser Muscheln, so fliesst, wenn irgend
welche Gewebe verletzt wurden, das Blut als rothes oder gelb-
rothes Fluidum aus. Wählt man ein grösseres Thier mit reich-
lichem Blutgehalt, wie beispielsweise Peetunculus oder Tellina,
so lässt sich die Flüssigkeit mit einem Uhrgläschen auffangen.
Dieselbe färbt sich, auf einige Zeit der Luft ausgesetzt, allmählich
dunkler. Einen ähnlichen Farbenwechsel sah Schwalbe?) bei
der rothen Blutflüssigkeit des Sternwurmes Phascolosoma elonga-
tum. Ob derselbe durch das Licht, oder durch bestimmte Be-
standtheile der atmosphärischen Luft bedingt wird, weiss ich mit
Sicherheit nicht anzugeben. Für experimentelle Untersuchungen
in dieser Richtung, beispielsweise für das Durchleiten der che-
misch rein bereiteten Gase Sauerstoff, Stickstoff und Kohlensäure
unter geeigneten Cautelen, mangelte es mir in Neapel an Zeit
und an den erforderlichen Apparaten.
Nach Krukenberg*) wird das Dunkelwerden des Blutes
1) Frederieg, Extr. des Bulletins de 1l’Acad. r. de Belgique.
2. ser. 1878, No. 11, p. 4—21. Zu vergl. auch: Mae Munn, On the
chromatology of the Blood of some Invertebrates. Quart. Journ. of
mieroscop. Sc. 1885, October, im Separatabdruck (London, Adlard).
1885, S. 6.
2) Frederieq, Sur l’hemocyanine, substance nouvelle, du sang
de Poulpe. Compt rend. T. 87, 1878, p. 996.
3) Schwalbe im Archiv f. mikr. Anat. Bd. V, 1869, S. 248 ff.
4) Krukenberg, Vergleichende physiolog. Studien. I. Reihe,
Abth. 3, 1880, S. 85. -
Beiträge zur Histologie des Blutes. 45
von Sipuneulus nudus durch Einfluss des Luftsauerstoffes bewirkt,
während Kohlensäure die Farbe verschwinden lässt.
Die dem Blute die Farbe verleihende Substanz ist bei den
Acephalen an besondere Formenelemente gebunden; bevor ich
aber an die Beschreibung derselben herantrete, will ich die von
mir gefundenen spectroskopischen Resultate mittheilen. Bei allen
rothblütigen Acephalen erhielt ich dasselbe Spectrum. Das frisch
entleerte Blut wurde. in ein enges Reagenzröhrchen, oder in eine
an einem Ende zugeschmolzene Glasröhre, oder endlich in eine
der bekannten bei speetralanalytischen Arbeiten zur Verwendung
kommenden Glasfläschehen gebracht. Je nach der Verdünnung
mit mehr oder weniger Wasser findet man zwei mehr oder weni-
ger dunkle Absorptionsstreifen zwischen D und E. Der blauvio-
lette Theil des Spectrums ist ausgelöscht. Ein Intensitätsunter-
schied beider Streifen ist vorhanden, der schmälere ist um einige
Nuancen dunkler. Blut, welches aus dem Herzen mehrerer Tellinen
genommen wurde, zeigt ohne Verdünnung die beiden Streifen fast
zu einem verschmolzen. In 5 emm Blut von Peetuneulus, welche
mit der zehnfachen Menge Wasser verdünnt wurden, fand ich die
beiden Streifen nur sehr schwach und verwischt. Mischt man
das mit Wasser verdünnte Blut mit Schwefeläther, so nimmt
derselbe beim Schütteln den Farbstoff mit violettrother Farbe
auf. Auf Zusatz von Mineralsäuren und Essigsäure verschwinden
die beschriebenen Streifen im Spectrum. Bei Behandlung mit
Essigsäure entstehen noch eigenthümliche Veränderungen. Ich
bemerkte hierbei einige Male einen neuen Streifen bei C, bei
anderen Versuchen, in welchen das Blut mit Wasser stark ver-
dünnt war, glaubte ich einen schwachen und verwischten Streifen
ungefähr in der Mitte von Grün und Blau wahrzunehmen. Wenn
man dem frisch entleerten Blute ungefähr die anderthalbfache
Menge concentrirter Kalilauge zusetzt, so wird die Lösung blau-
grün; beobachtet man dann mit dem Speetroskope, so erkennt
man einen scharfen Absorptionsstreifen auf B. Mit Ammonium-
hydrosulfid versetztes Blut zeigte mir im Speetrum ungefähr in
der Mitte zwischen D und E einen Absorptionsstreifen; andere
Banden waren mit dem von mir benutzten Apparate nicht wahr-
zunehmen.
Vergleicht man diese Resultate mit denen, welehe vom Blute
der Wirbelthiere bekannt sind, so kann man sich der Ansicht
46 Griesbach:
kaum enthalten, dass man es in dem Blute der genannten Mol:
lusken mit Hämoglobin zu thun hat, welches bei Solen legumen
von Ray-Lankester?!) mit dem Mikrospeetroskop nachgewie-
sen wurde. Untersuchungen mit geeigneten Apparaten, welche
eine Messung der Längen zulassen, dürften entscheidende Be-
weise geben. |
In meiner Ansicht, dass man es in dem rothen Pigmente
des Acephalenblutes wirklich mit Hämoglobin zu thun hat, wurde
ich noch bestärkt, als es mir gelang, von Peetunculus glyeimeris
und anderen Acephalen mit Kochsalz und Eisessig in der be-
kannten Weise charakteristische Krystallbildungen zu erhalten,
die mit den vom Blute der Maus erhaltenen Häminkrystallen in
allen Eigenschaften übereinstimmen.‘ Die Beschreibung dieser
Krystalle von Peetunculus gebe ich nach einem in Neapel ange-
fertigten Präparate (Fig. 1). Sie sind durchschnittlich 10 u lang
und 2,5 u breit. Sie sind prismatisch ausgebildet und besitzen
ziemlich starken Pleochroismus und zwar nach Fresnel für -
Strahlen, welche mehr parallel der Längsriehtung schwingen, dun-
kelbraun (Fig. 2a), und für solehe, welehe mehr senkrecht hierzu
sind, hellgelb (Fig. 2b). Eine Hauptschwingungsrichtung (Aus-
löschungsrichtung) bildet mit der Längsrichtung der Krystalle
den Winkel ß von 271/,°. Der Winkel a (Fig. 2a) konnte wegen
der Kleinheit der Krystalle nicht genau gemessen werden. Noch
in den neueren Lehrbüchern ?2) wird angegeben, dass die Teich-
mann’schen Häminkrystalle dem rhombischen Systeme angehören.
Die Krystalle von Peetuneulus und der Maus scheinen mit Rück-
sicht auf ihre gleichartige schiefe, weder parallele, noch anschei-
nend diagonale Auslöschung (Fig. 2a u. b) diesem Systeme nicht
zugeschrieben werden zu können. Ob das mono- oder asymme-
trische System vorliegt, liess sich wegen der Kleinheit und ‚der |
stets gleichen Lage der Krystalle nicht ermitteln.
1) Ray-Lankester, A Contribution to the Knowledge of Hae-
moglobin. Proceed. Roy. Soc. Vol. XXI, 1873, p. 75.
2) Hermann, Lehrbuch der Physiologie. 9. Aufl. Hirschwald.
Berlin, 1889, S. 48. — Landois, Lehrbuch der Physiologie. 1885,
S.45. — Orth, Cursus der normalen Histologie. 1886, S. 162 und
viele andere.
Beiträge zur Histologie des Blutes. 47
B. Die farbigen Zellen des Blutes.
Ich sagte, dass bei den rothblütigen Acephalen das Pigment
an besondere zellige Elemente gebunden sei. Bei längerem Stehen-
lassen des Blutes senken sich dieselben und bilden auf dem Boden
des Gefässes eine zusammenhängende Schicht, während die über-
stehende Flüssigkeit fast farblos erscheint.
Die farbigen Blutkörperchen sind in den meisten Fällen
mehr oder weniger kugelige Zellen (Fig. 3, 4,5abe, 8, 9, 10),
in einzelnen Fällen (Solen legumen Fig. 6, Arca tetragona Fig. 7)
zeigen sie die Form einer ovalen Scheibe, welehe sieh von der
Kante gesehen abgestumpft spindelförmig oder schiffehen- oder
sichelförmig ausnimmt (Fig. 6b, Te). Die Zellen sind einfach
liehtbreehend. Man erkennt ihre normale Gestalt am besten,
wenn man frisch aus dem Herzen genommenes Blut unter Zusatz
einer 1- bis 2procentigen Kochsalzlösung im hängenden Tropfen
untersucht. Destillirtes Wasser, Glycerin, wässerige Farbstoff-
lösungen und verdünnte Essigsäure verursachen ein Aufquellen ;
Alkohol, alkoholische Farbstofflösungen, starke Essigsäure eine
Schrumpfung der Zellen.
Namentlich bei den kugeligen Formen erleidet unter dem
Druck _des Deckgläschens, oder durch Zusammenprallen, oder
gegenseitige Reibung der Zellen im Präparate ihre Öberfläche
allerhand Faltungen und Kniekungen (Fig. 8a bis e, Fig. 9a, b),
welche bei verschiedener Einstellung bald hell, bald dunkel er-
scheinen. Dabei nehmen die Zellen die wunderbarsten Formen
an: Sie sehen mützenförmig aus, sie lassen sich vergleichen mit
einem eingedrückten Gummiball, sie ähneln dem Hut eines Pilzes,
und durch die eingedrückte Stelle sieht man deutlich den Kern
durchscheinen (Fig. 9e,d). Es kann bei der Betrachtung dieser
Dinge kaum einem Zweifel unterliegen, dass die Oberfläche der
Zellen mit einer zarten und dehnbaren Membran versehen ist.
Setzt man zu den im Präparat befindlichen Blutkörperchen etwas
mit Eosin oder Fuchsin gefärbten Alkohol, so wird der Farbstoff
aus dem Zellenleibe extrahirt und die Membran erscheint doppelt
eontourirt und rosa gefärbt. Auch Glycerin, Chromosmiumessig-
säure (Flemming), Pikrinschwefelsäure (Kleinenberg), Gold-
ehlorid und Essigsäure machen sie deutlich. Jodjodkaliumlösung
färbt sie gelbbraun.
48 Griesbach:
Aehnliche Beobachtungen kann man bekanntlich an den
rothen Blutkörperchen der Wirbelthiere machen). Nach Ley-
dig?) lässt sich allgemem für die Membran einer Zelle ein drei-
facher Ursprung annehmen. Man kann sie sich dadurch entstan-
den denken, „dass die Bälkchen und Knoten der Gerüstsubstanz
oder des Spongioplasma zusammenrücken und sich plättchenartig
verbreitern“, oder dadurch, dass die Zwischensubstanz, das „Hyalo-
plasma“ nach Aussen tritt und schichtenweise erhärtet, oder end-
lich, dass sich an ihrer Bildung Spongioplasma und Hyoloplasma
betheiligen, indem das erstere fädige Fortsätze bildet, welche
von letzterem gewissermaassen mit einander verklebt werden. Ob
eine dieser Möglichkeiten und welche für die Membranbildung
der in Rede stehenden Zellen zutrifft, muss ich dahingestellt sein
lassen. Die Membran scheint structurlos zu sein. Auch Poren
im Sinne Leydig’s?) habe ich nicht wahrzunehmen vermocht,
doch will ich nicht bezweifeln, dass solche vorhanden sein können.
Durch Druck mit dem Deckgläschen kann “man die Mem-
bran zum Platzen bringen, ebenso durch Quellung bewirkende
Agentien, wobei durch intracellulären Druck ihre Continuitäts-
trennung erfolgt. Auch Kalilauge ruft eine solche hervor, dabei
scheinen jedoch nicht Quellungen oder Schrumpfungen des Zellen-
leibes die eigentliche Ursache zu sein, sondern die Membran wird
chemisch umgewandelt und aufgelöst. Nach Zerstörung der Mem-
bran wird ein Theil des Zelleninhaltes m Form eines Detritus
entleert und in der Umgebung vertheilt. Dabei zeigt der Farb-
stoff äusserst feinkörnige Beschaffenheit und man bemerkt oftmals
daran die bekannte Erscheinung der Molekularbewegung. Eine
Structur des Zellenleibes, deren Existenz man heute ja voraus-
setzen muss, wird durch den ihn durchtränkenden Farbstoff bis
zur Unkemntlichkeit verdeckt. Ein allen Anforderungen Genüge
leistendes Mittel, den Farbstoff auszuziehen und dabei die Struetur
unbeeinträchtigt zu lassen und deutlich zu machen, habe ich
leider nicht auffinden können.
Wenn sich beim Platzen der Wand der Zelle deren Inhalt
a
1) Zu vergl. L. Ranvier’s Technisches Lehrbuch der Histologie.
Uebersetzt von Nicati und Wyss. Leipzig, Vogel, 1888, S. 184.
2) Leydig, Zelle und Gewebe. Bonn, Strauss, 1885, S. 14.
3) Leydig, Zelle und Gewebe, S. 15 ff.
Beiträge zur Histologie des Blutes. 49
zum grössten Theile entleert hat, so bemerkt man mit starken
- Systmen in der zurückgebliebenen Masse wohl noch eine feine
- Struetur, beispielsweise nach Zusatz von Altmann’schem Säure-
- fuchsin '), Dimethyleyanin oder Jodgrün. Es hat den Anschein,
als ob zarte, feine Streifehen, die aus dicht nebeneinander liegen-
den, äusserst zarten, sich je nach dem Färbemittel roth, violett-
blau oder smaragdgrün färbenden Körnchen aufgebaut erscheinen,
vorhanden wären; ob aber diese Structur, die sich durch eine
Zeichnung kaum wiedergeben lässt, der Ausdruck irgend welcher
im Plasma enthaltenen Formenelemente ist, wage ich nicht zu
behaupten. — Das Pigment ist dem ganzen Zellenleibe anschei-
nend in feinsten Körnchen eingelagert. Oftmals finden sich auch
gröbere Farbstoffkörner in grösserer oder geringerer Menge, sie
besitzen meist polygonale Gestalt. Bei Einwirkung von Essig-
säure gruppiren sich die Farbstoffpartikel manchmal zu einem
Haufen; indem sich ein solcher um den Kern herumlegt, kann er
denselben völlig verdecken, das Plasma erscheint dann fast farblos
und äusserst fein granulirt (Fig. 10).
Der Kern der rothen Blutkörperchen zeigt verschiedene
Gestalt. Bald ist er kugelig (Fig. 3, 4, 5e, 6d, Tb, 9e de), bald
eiförmig (Fig. 8f), auch nieren- oder stäbchenförmige Gestalt kann
er besitzen (Fig. $h, 9fgh). Diese Verhältnisse deuten vielleicht
auf eine selbständige Formveränderung, wie sie von mehreren
Autoren für verschiedene Zellkerne angenommen wird 2). Man
findet in einer Zelle manchmal zwei Kerne dicht nebeneinander
(Fig. 8g). Bei Einwirkung von Essigsäure (Fig. 6d, 9efgh),
Chromosmiumessigsäure, Pikrinschwefelsäure tritt der Kern deut-
lich hervor. Der Kern färbt sich in toto mit basischen Anilin-
farbstoffen, Pikrokarmin und Jodjodkaliumlösung distinet und
dunkel, während das umgebende Protoplasma heller dagegen ab-
sticht. Nach solchen Behandlungen bemerkt man an ihm einen
scharfen Contour und im Inneren eine streifige Structur. Die in
allen Richtungen vorhandenen Streifen lassen bei gesonderter Be-
handlung mit Methylgrün-Osmiumsäure eine feine Granulirung wahr-
1) Altmann, Studien üb. d. Zelle. Leipzig, Veit & Co. 1886, S. 46.
2) Die Literatur findet sich besprochen bei Korschelt, Beiträge
zur Morphologie und Physiologie des Zellkernes. Zool. Jahrb. Abth.
f. A u. ©. Bd. IV, im Separatabdruck S. 102, 103.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 4
50 Griesbach:
nehmen. Kernfiguren habe ich nieht gesehen. In einzelnen Fällen
(Arca tetragona) sah ich den Kern von einer hellen Zone umge-
ben (Fig. 7d), welche den Eindruck macht, als hätte er seine
Lage in einer Höhlung, die er nicht vollständig ausfüllt. Wenn
ich nicht irre, war Ransom!) der Erste, der eine solehe Höhlung
beobachtete, die Leydig?) später als „freier Raum um den
Kern“ beschrieb. Letzterer findet sie auch in den Blutzellen der
Wirbelthiere 3).
Es ist mir, selbst bei Anwendung der stärksten Systeme,
nicht gelungen, von der Peripherie des Kernes aus radienartig
durch den liehten Abschnitt in das umgebende Protoplasma irgend-
welche Fädchen verlaufen zu sehen, für deren Existenz Leydig *)
für die Zelle im Allgemeinen mit Bestimmtheit eintritt. — Ueber-
haupt gehen die Meinungen über einen Zusammenhang zwischen
Kern und Zellsubstanz sehr auseinander. Klein) spricht sich
für denselben aus, Flemming‘) konnte ihn nicht constatiren.
Frommann’s”) Kernanlagen in den Leukocyten des Krebsblutes
sollen durch fädige Stränge mit dem Fadengerüst des Zellenleibes
zusammenhängen, doch erscheinen sie abgeschnürt, wenn der Kern
als „selbständiges abgeschlossenes Gebilde“ hervortritt. An einer
anderen Stelle sagt Frommann®), dass ein Zusammenhang der
Formenelemente des Kernes mit denen jedes Zellkörpers direkt
oder indirekt zu Stande kommt. Einzelne Fäden oder kleine
Netzschichten, welche die Lücken der Kernhülle durchsetzen,
vermitteln einen direkten Zusammenhang des Kerninneren mit der
Zellsubstanz, indirekt wird ein solcher Zusammenhang dadurch
bewerkstelligt, dass „feinere oder derbere Fäden, gleichviel ob
1) Ransom, Observations on the ovum of osseous fishes. Phil.
Trans. R. Soc. London. V. 157. 1867.
2) Leydig, Untersuchungen zur Anatomie und Histologie der
Thiere. Bonn, Strauss, 1883, S. 60.
3) Leydig, Zelle und Gewebe, S. 22, Taf.I Fig,6.
4) Leydig, Zelle und Gewebe, S. 22.
5) Klein, Quaterly Journal of microscop. Sc. 1878 u. 1879.
6) Flemming, Zellsubstanz, Kern und Zelltheilung. Leipzig,
Vogel, 1882, S. 171.
7) Frommann, Untersuchungen über Struktur, Lebenserschei-
nungen und Reaktionen thierischer und pflanzlicher Zellen. Jen. Zeit-
schrift f. Naturw. Bd. 17, N. F. Bd. 10, 1884, S. 9.
8) Frommann, a.a.0. 8.195 und 1%.
rl
y- .
e
Beiträge zur Histologie des Blutes. 51
sie Theile von Netzen, oder von einem Gerüst sind, oder nicht“,
sich in der Kernhülle, sowohl von Seiten des Kerninneren, als
auch von Seiten der Zellsubstanz inserir@&n. — In Ganglienzellen,
Leberzellen und Wimperepithelien sah Arnold!) Fäden der Ge-
_ rüstsubstanz des Kernes sich mehr oder weniger weit in den
Zellenleib erstrecken. Rabl?) bemerkt, dass „sich in vielen
Zellen in unmittelbarer Umgebung des Kernes ein mehr oder
weniger ansehnlicher Hof findet, der von schwächer lichtbrechen-
der, nicht genetzter Substanz erfüllt ist, oder m welchem sich
bis an den Kern heran nur einzelne Netzzüge fortsetzen.“
Es kann nicht meine Absicht sein, hier alle die zahlreichen
Ansichten, die über, den Zusammenhang des Zellenleibes mit dem
Kern, sowie über dessen Natur und Herkunft laut geworden sind,
zu berühren. Die Möglichkeit des Vorhandenseins von Verbin-
dungsfäden zwischen Kern und Zellenleib im Sinne der Autoren
ist im Allgemeinen und auch in den von mir untersuchten Blut-
zellen gewiss nicht ausgeschlossen; aber was von solchen Bil-
dungen präformirt, was spontanen Veränderungen zuzuschreiben
ist, lässt sich nicht immer entscheiden. Selbst der in Rede
stehende lichte Raum um den Kern ist solchen Veränderungen
zugeschrieben worden (Henking). Korschelt?) bemerkt hierzu:
„Diese Deutung mag in vielen Fällen berechtigt sein,in anderen
ist sie es nicht. Man bemerkt die in verschiedener Breite den
Kern umziehende Zone auch an lebenden Kernen und kann sie
dann an Präparaten in überzeugender Weise darstellen.“ ...
Beim Platzen der Zellmembran wird der Kern mit oder ohne
einen Theil der ihn umgebenden Zellsubstanz häufig entleert.
Sein Contour tritt auch in solchem Falle deutlich hervor, ob derselbe
aber eine mehr oder weniger homogene, cutieulaartige Bildung,
oder, wie Pfitzner*) und Retzius?) meinen, ein als Wand
1) Arnold, Ueber feinere Struktur der Zellen unter normalen
und pathologischen Bedingungen. Virchow’s Archiv Bd. 77.
2) Rabl, Ueber Zelltheilung. Morpholog. Jahrb. 1885. Bd. X,
8. 298, 299.
3) Korschelt, a. a. 0. S. 107.
4) Pfitzner, Ueber den feineren Bau der bei der Zelltheilung
auftretenden fadenförmigen Differenzirung des Zellkerns. Morpholog.
Jahrbuch, Bd. 7.
5) Retzius, Biologische Untersuchungen. Stockholm, 1881.
59 Griesbach:
erscheinendes Gerüstwerk oder ein feines Maschennetz ist, oder,
wie Leydig!) sagt, durch „die nahe zusammenstehenden End-
stücke des Balkenwerkes im Inneren des Kernes“ gebildet wird,
vermag ich nicht zu entscheiden.
„Wie es nicht zu bezweifeln ist“, meint Korschelt?),
„dass vielen Kernen eine wohl unterscheidbare Membran zukommt,
so sicher ist es auch, dass andere einer solchen Abgrenzung ent-
behren. Es ist möglich, dass demselben Kern, welcher zu ge-
wisser Zeit eine Membran besitzt, dieselbe zu einer anderen Zeit
fehlt. Die Abgrenzung des Kernes gegen das Zellprotoplasma
richtet sich bei gewissen Zellen, z. B. bei den Eizellen der In-
sekten, ganz nach dem Zustande der Thätigkeit, in welchem es sich
befindet.“
Gewöhnlich führt der Kern ein oder zwei mehr oder we-
niger excentrisch gelegene, stark lichtbrechende kugelige Gebilde
(Fig. Sh, Fig. eh), die als sogenannte Kernkörperchen in An-
spruch genommen werden dürften, doch will ich hier auf die
Frage, ob diese Gebilde selbständige Substanzportionen sind, oder
nur als solche vorgetäuscht werden, nicht eingehen.
©. Die amöboiden Zellen des Blutes.
Ich gehe jetzt zur Besprechung der farblosen, amöboiden
Zellen des Blutes der Acephalen über. Ihre wahre Beschaffen-
heit bei diesen und vielen anderen Tkieren ist bis in die neuste
Zeit unbekannt geblieben, und diese Unkenntniss hat nicht nur
manche Irrthümer in der normalen Histologie verschuldet, sondern
sie ist auch die Ursache gewesen, dass in der pathologischen
Gewebelehre manche wnrichtige Anschauungen herrschen, worauf
ich später zurückkomme.
Es gebührt unzweifelhaft Cattaneo als Erstem das Ver-
dienst, die normale Gestalt der Leukocyten eingehend studirt zu
haben. Seine Untersuchungen wurden im März und Juni des
vorigen Jahres veröffentlicht. Das Märzheft des „Bolletino scien-
tifico“ enthält die an Mollusken, das Juniheft die an Arthropoden
gewonnenen Resultate. Als ich im Frühlinge des vorigen Jahres
1) Leydig, Zelle und Gewebe, S. 27.
2) Korschelt, a. a. O. S. 105.
en
Beiträge zur Histologie des Blutes. 53
mit der Absicht, Blut und Gefässsystem der Lamellibranchiaten
zu studiren, nach Neapel kam, wusste ich von Cattaneo’s Ar-
beiten nichts, obwohl das Märzheft schon erschienen war. Erst
nach meiner Rückkehr, als ich, mit der Ausarbeitung meiner Re-
sultate beschäftigt, die einschlägige Literatur genauer durchsuchte,
als es mir die Zeit in Neapel. gestattete, fand ich im anatomischen
Anzeiger No. 11 Cattaneos Arbeiten aufgeführt.
Am 7. Mai dieses Jahres erst gelang es mir, durch die Güte
des Herrn Professor Bergonzini in Modena, die Arbeiten zur
Einsicht zu erhalten, und ich war nicht wenig überrascht, darin,
was die normale Gestalt der Leukocyten anbetrifft, meine eigenen
Resultate in der Hauptsache wiederzufinden. Ich glaubte dies
Alles nicht unerwähnt lassen zu dürfen, um die völlige Unab-
hängigkeit meiner Untersuchungen mit denen Cattaneos zu
constatiren.
Von Süsswasseracephalen hat Gattaneo Anodonta cygnea
und Unio pietorum, von marinen Formen nur Tellina radiata un-
tersucht, während sich meine Beobachtungen über den grössten
Theil der in Neapel erhaltbaren marinen Formen, ferner über
Anodonta, Unio und Dreyssena, sowie über einige nördliche ma-
rine Arten erstrecken.
Durch den Umstand, dass Cattaneo und ich von einander
unabhängig, hinsichtlich der Gestalt der Leukoeyten, zu denselben
Resultaten gelangten, dürfte die Deutung der Beobachtungen an
Sicherheit gewinnen. |
Auf die Herkunft der Leukocyten, sei es embryonal oder
postembryonal, eine Frage, welche durch die Ansichten Rabl’s'),
der sie für den Hühnerembryo für freigewordene Epithelien hält,
durch Cue@not's?) Untersuchungen, die alle Thierklassen berück-
sichtigen, sowie durch die Angaben Kükenthal’s®) über die
Entwicklung der Iymphoiden Zellen der Anneliden, eine brennende
geworden ist, kann ich in diesen Mittheilungen für die Mollusken
nicht näher eingehen, da eigene Beobachtungen sich bis jetzt
nicht in positive Resultate zusammenfassen lassen. Es sei nur
1) Rabl, Ueber die Prinzipien der Histologie. Verhandl. d. anat.
Ges. Jena, Fischer 1889, S. 55, mit Diskussion; Kölliker, Ibid. S. 59.
2) Cuenot, a.2.0.
3) Kükenthal, Ueber die lIymphoiden Zellen der Anneliden.
Jen. Zeitschr. f. Naturw. Bd. 18, N. F. Bd. 11. 1885, S. 319 ff.
54 Griesbach:
bemerkt, dass nach Cu¬ bei den Acephalen Iymphdrüsen-
artige Organe in den Kiemen liegen und das durch das Vas
afferens einströmende Blut die von diesen. Drüsen gebildeten
zelligen Elemente mit sich führen soll. Die Iymphoiden Zellen
der Anneliden werden nach Kükenthal!) im vorderen Abschnitte
des Körpers auf zwei Arten gebildet. „Entweder schnüren sie
sich von den grossen bindegewebigen, das Bauchgefäss umgeben-
den Zellen ab, oder sie entstehen durch Loslösen von Zellen der
Leibeswand.“ Von besonderen drüsigen Organen erwähnt Kü-
kenthal nichts. Für eine Art der Zellen liefert die Oberfläche
der Rückengefässwand gelbbraune Inhaltskörner, so dass man
gekörnte und ungekörnte Zellen unterscheiden kann. Das Vor-
handensein verschiedenartiger Leukoeyten in der Blutflüssigkeit
von Vertretern der verschiedensten Thierklassen wird von den
meisten Autoren, die sich eingehend mit dem Thema beschäftig-
ten, besonders betont.
Heitzmann?) und Frommann?) unterscheiden im Krebs-
blute hinsichtlich der im Zellenleibe enthaltenen Granulationen
Körner- und Körncehenzellen. Bei niederen Wirbellosen sind nach
Metschnikoff*) ähnliche Verhältnisse vorhanden. Geddes?)
beschrieb gewöhnliche und feinkörnige Blutzellen bei Krebsen,
und hyaline und granulirte Zellen bei Echinodermen®). Lav-
dowsky’”) findet im Amphibienblute homogene und körnige Leu-
koeyten und hat auch bei Säugethieren und beim Menschen beide
Arten von Zellen aufgefunden. Bergonzini°) unterscheidet bei
1) Kükenthal, a. a. 0. 8. 337.
2) Heitzmann, Untersuchungen über das Protoplasma etc.
Sitzungsber. der K. Akad. der Wiss., math.-naturw. Classe. Bd. 67, 1873.
3. Abth. S. 100 ff.
3) Frommann, a.a.0.
4) E. Metschnikoff, Untersuchungen über die intracelluläre
Verdauung bei wirbellosen Thieren. Arbeiten aus dem zoolog. Inst.
Wien. Vol.5. 1883.
5) Geddes, a.a. 0. S. 252.
6) Geddes, Observations sur le fluide perivisceral des Oursins.
Arch. de Zool. exper. Vol. VIII. 1879/80, No. 4.
7) Lavdowsky, Mikroskopische Untersuchungen einiger Lebens-
vorgänge des Blutes. Virchow’s Arch. Bd. 96. 1888. Heft 1, S. 62. 179.
8) Bergonzini, ‚Sopra alcuni metodi nuovi di colorazione mul-
tipla. Atti della Societä dei Naturalisti di Modena. Ser. 3. Vol. IX. 1890.
2 m
|
w
Beiträge zur Histologie des Blutes.
Besprechung seiner Färbeversuche dreierlei Formen: „di globuli
piecoli col nucleo verde e lo scarso protoplasma incoloro, di
globuli grossi pure col nucleo verde e il protoplasma abbondante
ma incoloro, e di globuli granulosi col nucleo verde, ed i grossi
granuli del protoplasma colorati in rosso mattone.“ Ehrlich!)
unterscheidet mehrere Formen, während nach Renaut?) die
Leukoeyten des Menschen und der Säugethiere im Allgemeinen
gleichartige Beschaffenheit besitzen.
Wie Cattaneo finde ich im Blute der Acephalen zwei
charakteristische Arten von Leukocyten. Bei der einen Art sehe
-ieh den Zellenleib mit verhältnissmässig groben, farblosen, in
einzelnen Fällen grünlich schimmernden, stark, aber einfach licht-
brechenden Körnern oft vollgestopft (Fig. 1labe, 12, 16, 17ab,
22), bei den anderen finden sich solehe Körner nicht (Fig. 13,
14, 15, 19b, 24a, 26), oder nur in geringer Zahl (Fig. 17e, 18, 20,
21, 26a! bt). Bei der Betrachtung der mit groben Körnern er-
füllten Zellen habe ich wohl den Eindruck erhalten, als seien
diese Körner keine eigenen histologischen Bestandtheile und Struk-
tureigenthümlichkeiten der Zellsubstanz, sondern vielmehr Gebilde,
welche von der Zelle irgendwo aufgenommen und transportirt
werden, um unter bestimmten Verhältnissen an irgend welchen
Orten wieder ausgeladen zu werden. Ich bin natürlich weit da-
von entfernt, auf einen solchen Eindruck hin eine Hypothese auf-
zustellen. Ob diese Körner der Zelle als wesentliche Bestand-
theile angehören, ob sie irgendwo aufgenommen werden, zeitweilig
oder immer darin bleiben, welche Bedeutung sie intra vitam haben,
ob sie überhaupt in einer physiologischen Beziehung zur Zelle
selbst stehen, darüber haben mir bis jetzt eigene Untersuchungen
keinen Aufschluss gegeben). Mit Rücksicht auf die Beobach-
1) Ehrlich, Methodologische Beiträge zur Physiologie und Pa-
thologie der Leukocyten. Zeitschr. f. klin. Medizin. Bd. 1. 1888.
2) Renaut, Arch. de Physiologie et Pathologie. 1881. S. 649.
3) Ueber die Körner in den Blutkörperchen der Amphibien sagt
Lavdowsky a.a.0. S. 72: „Mehrere haben die Eigenschaften des
Fettes, sind also Fettpartikelchen, die anderen scheinen Eiweisskör-
perchen zu sein, die lebhaft an die Zymogenkörnchen der netzkörni-
gen Zone der Pankreaszellen erinnern. Die dritten endlich — seltener
vorkommende und weniger lichtbrechende Körnchen — sind entweder
glycogenähnliche Klümpchen, wie sie so oft bei Säugethieren vorkom-
men, oder Pigmentkörnchen,“
56 Griesbach:
tungen von Cuenot und Kükenthal verdienen diese Fragen
besondere Beachtung, und weitere Untersuchungen müssen eine
Aufklärung zu geben bestrebt sein.
Auffallend muss es erscheinen, dass die Zahl der gekörnten
Zellen häufig eine sehr schwankende ist; manchmal sind sie
ausserordentlich zahlreich, manchmal in nur geringer Menge vor-
handen, manchmal scheinen sie fast zu fehlen, so dass man suchen
muss, um einige zu finden. Auf ihr Vorkommen scheinen auch
die Lebensbedingungen ihrer Besitzer, je nachdem dieselben frisch
zur Untersuchung herangezogen, oder längere Zeit in der Gefan-
senschaft gehalten wurden, nicht ohne Einfluss zu sein. Doch
weiss ich auch darüber nichts Bestimmtes auszusagen. Abgesehen
von der Körnelung, habe ich hinsichtlich der Gestalt und Be-
schaffenheit, also im histologischen Sinne, zwischen beiden Zell-
formen keine nennenswerthen Unterschiede auffinden können. In
den Dimensionen weichen sie wohl von einander ab, indem die
Körnerzellen oft grösser und massiger erscheinen ; auch die Pseu-
dopodien der letzteren fand ich häufig kürzer und weniger gracil.
In sehr eingehender Weise besprichtt Frommannt) die
Körnerbildungen der Krebsblutkörper, doch beziehen sich diese
Besprechungen auf die unter nicht mehr natürlichen Bedingungen
eintretenden „spontanen“ Veränderungen, welche sich an den
Zellen auf dem Objeetträger ereignen. Diese Veränderungen be-
stehen in einer Vacuolisirung der Körner, in Formveränderung,
Theilung und Verschwinden derselben, in ihrer Theilnahme an
der Bildung von Kernen, in der Entstehung von allerhand Faden-
bildungen im Zellenleibe ete.. Der Autor zweifelt nicht daran,
dass alle derartigen Vorgänge als Lebenserscheinungen des Pro-
toplasmas aufzufassen seien, hält es aber für fraglich — Flem-
ming?) fügt hinzu: „gewiss mit Recht* — ob dieselben im
lebenden Organismus im derselben Weise verlaufen. Ich habe
diese Dinge nicht eingehender berücksichtigt.
An den Leukoeyten der Acephalen, die unmittelbar nach
der Entfernung aus dem Kreislauf in der angegebenen Weise fixirt
wurden, also Verhältnisse repräsentiren, wie sie noch gerade vorher
1) Frommann, a.a. 0. S.1 bis 49 und in vorherigen Abhand-
lungen in der Jen. Zeitschr. f. Naturw. 1875, Bd. 9 u. 1880, Bd. 14.
2) Flemming, Zellsubstanz etc. S. 15.
Beiträge zur Histologie des Blutes. 57
_ am lebenden Organismus existirten, konnte ich derartige Verän-
derungen nicht ceonstatiren. Die Grösse der Körner in den fixirten
Zellen schwankt im Allgemeinen zwischen 1 und 2,5 u, doch
- können diese Dimensionen nach dem Mehr oder Weniger zu über-
_ sehritten werden. Ich sah die Körner in den meisten Fällen ku-
geligz, bei Osmiumfixirung erscheinen sie oft geschwärzt; bei
_ verschiedener Einstellung empfängt man an den fixirten Präpa-
raten allerdings manchmal den Eindruck, als hätte man es mit
hohlen Gebilden zu thun.
{ Ich schreite jetzt zur Schilderung der übrigen Strueturver-
hältnisse der Leukocyten. „Es hat sich herausgestellt“, sagt
- Leydig, indem er von der Zelle im Allgemeinen spricht), dass
_ eine festere Substanz in Form eines Gerüstwerkes den Zellkörper
- durchzieht ; dieselbe lässt sich wiederum zerlegen in ein derberes,
welches desshalb leichter in die Augen fällt und dessen Gefüge in ty-
pischer Weise verschieden ist nach der Art der Zelle, und in ein
feineres Netzwerk, welches man meist nur stellenweise mit emi-
ger Sicherheit zu erkennen vermag, am ehesten in seinem Ab-
_ gange vom derberen Balkenwesen.“ „Die vom Gerüstwerk um-
- schlossenen Räume sind eingenommen von der zweiten Substanz
des Zellenleibes, welche nach ihren physikalischen Eigenschaften
als weicher, heller, halbflüssiger Zwischenstoff erscheint. und nach
_ Maassgabe unserer Hülfsmittel der Untersuchung von gleichartiger
Natur ist; nur so viel lässt sich noch da und dort erkennen, dass
er abermals von einem feinsten Netzwesen durchzogen wird.“
An einer anderen Stelle ?) heisst es: „In Bau und Anordnung der
Elemente des Gerüstes macht sich insofern ein Wechsel bemerk-
lich, dass die Bälkehen im der einen Zelle feiner, in der anderen
gröber sind, auch das Netzwesen im Ganzen bald eng-, bald weit-
maschiger auftritt.“
Flemming schildert den Bau der Zellsubstanz im Allge-
meinen in gleicher Weise, nur findet er kein Recht die Faden-
werke ohne Weiteres netzförmig zu nennen ?). Rabl*) findet es
„oft ungemein schwer, wenn nicht geradezu unmöglich, zu ent-“
1) Leydig, Zelle und Gewebe S. 34, 36.
2) Leydig, Zelle und Gewebe 8.3.
3) Flemming, Zellsubstanz etc. S. 58.
4) Rabl, a.a. 0. S. 298.
>85 Griesbach:
scheiden, ob die Fäden nur über- und aneinander vorbeiziehen,
oder mitemander in netzförmige Verbindung treten.“
Das Fadenwerk macht auf ihn „in den meisten Zellenarten
den Eindruck, als ob es in der Nähe des Kernes ein schwammi-
ges oder netzförmiges Gefüge besässe, im Sinne Leydig’s, und
sich gegen die Peripherie, entweder allseitig, oder nur an bestimmten
Stellen, Fäden, Stäbchen, Balken, Plättchen u. dgl. aus dem cen-
tralen Netzwerke entwickelten, die untereinander nicht mehr netz-
förmig in Verbindung treten.“
Was speciell die Structur der Leukoceyten anbelangt, so sei
hier hinsichtlich der Ansichten der Autoren Folgendes bemerkt.
Flemming!) sieht in der Zellsubstanz derselben bei Salamandra
eine sehr zarte verwaschene Zeichnung; dass dieselbe einem Fa-
denbau entspricht, hält er unter Vergleich mit anderen Zellenarten
für wahrscheinlich, um so mehr, da ein soleher in den Leuko-
cyten des Flusskrebses von Heitzmann und Frommann fest-
gestellt wurde. Ob diese Fadenstructur aber ein „überall in sich
zurücklaufendes Netzwerk“ repräsentirt, lässt er zweifelhaft.
In den Blutkörperchen der Larve von Cetonia aurata sah
Leydig?) ein Balkennetz im Plasma, und in "den Leukocyten
insbesondere der Insekten, Krebse, Gastropoden und Anneliden
sowie in den Blutzellen von Wirbelthieren (Triton), Larve von
Salamandra maculosa ist überall, gehörige Vergrösserung voraus-
gesetzt, das Plasmanetz nachweisbar ?). Bei Anneliden unter-
scheidet Kükenthal®) an den Iymphoiden Zellen eine äussere
sehr dünnflüssige und eine innere zähere Schicht; dasselbe Ver-
halten findet sich in den gleichartigen Zellen der Polychaeten?°);
über Fadenstrueturen habe ich in diesen Arbeiten keine Angaben
gefunden. |
Die grobkörnigen Elemente des Amphibienblutes bestehen
nach Lavdowsky®) aus einer homogenen, aber doch ein
schwach lichtbrechendes Fadengerüst enthaltenden, manchmal
1) Flemming, Zellsubstanz 8. 47.
2) Leydig, Untersuchungen etc. S. 97.
3) Leydig, Zelle und Gewebe 9.3.
4) Kükenthal, a.a.O. S. 322.
5) Kükenthal, Die Iymphoiden Zellen der Polychaeten. Jen.
Zeitschr. f. Naturw. 1885. Bd.18, S. 357.
„&) Lavdowsky, a.a.0. 8.72.
-
Beiträge zur Histologie des Blutes. 59
Vacuolen einschliessenden, isotropen, contractilen Grundsubstanz,
und einer darin enthaltenen, undurchsichtigen, aus Körnchen be-
stehenden, manchmal anisotropen, nicht contractilen Masse.
Für diese verschiedenen Substanzen, aus denen jede Zelle
zu bestehen scheint, existiren fast ebenso viele Benennungen als
Autoren, welche sie beschrieben haben. Wenn man bei der Be-
nennung historisch zu Werke gehen wollte, so müsste man wohl
auf dievon Frommann gebrauchte zurückgreifen, welchen Flem-
ming bei der Besprechung der Literatur in seinem Werke: Zell-
‚substanz ete. als Entdecker der Plasmastructuren hinstellt. Flem-
ming selbst und viele andere Forscher haben andere Namen ge-
raucht. „Es muss nicht Alles griechisch klingen“, meint Rabl,
und greift daher zu — lateinischen Namen. Welche von alle
den vorgeschlagenen Bezeichnungen nach unserer heutigen Kennt-
niss vom Bau des Zellenleibes die zutreffendsten sind, lässt sich
schwer entscheiden. — In den Leukocyten der Acephalen sehe
ich mit aller Deutlichkeit ebenfalls zwei verschiedene Substanzen.
Da ich mit Sicherheit aber nicht anzugeben vermag, ob nur eine
von ihnen oder beide einen wirklich fädigen Bau besitzen oder
nicht so werde ich bestimmte, darauf bezügliche Bezeichnungen
‚vermeiden.
Cattaneo!) findet in den Blutkörperchen eine contractile,
netzartige Substanz, auf deren Fadenbau er nicht näher eingeht,
und eine nicht contractile, halbflüssige, homogene Masse, welche
die Maschen des Netzes ausfüllt. An den mit Osmiumsäure, Pi-
. krinschwefelsäure, Chromosmiumessigsäure oder Goldehlorid fixirten
_Blutzellen erblicke ich zunächst eine eigenthümliche Zeichnung,
ähnlich wie die, welche Leydig?) von den Blutkörperchen von
“ Salamandra maculosa giebt, und welche ich in Fig. 12,13 ab,
19b darzustellen versucht habe. Man empfängt den a
als besitze der Zellenleib eine schwammige Beschaffenheit in der
_ Art, dass eine, bis zu einem gewissen Grade consistente Mässe
ehlreiche grössere und kleinere, mit einander in Verbindung
stehende Räume zwischen sich lässt, welche von einer weicheren
Substanz ausgefüllt werden. Die spongiöse Masse besitzt nach
der Peripherie der Zelle hin keine besondere Begrenzungsmem-
| 1) Cattaneo, a.a. 0. 8. 24.
= 2) Leydig, Zelle und Gewebe. Taf. II, Fig. 6.
60 Griesbach:
bran, und die in den Hohlräumen eingelagerte weichere Substanz
steht ebenso wie der peripherische Theil der Spongiosa mit dem
umgebenden Medium in direeter Berührung. Die auf die Zell-
oberfläche eingestellte Linse entwickelt das Bild einer unregel-
mässig mosaikartigen Zeichnung, in welcher helle und dunkle
Stellen ohne bestimmte Anordnung abwechseln. Dieses Bild wird
dadurch hervorgerufen, dass man sowohl auf die nach der Peri-
pherie zu frei liegenden Grenzgebiete der Spongiosa, als auch auf
die in ihren Hohlräumen eingebettete Substanz blickt, welche sich
oftmals ausnimmt, als wäre sie im Begriff aus diesen hervorzu-
quellen (Fig. 12). Die dunklen Stellen, glaube ich, werden von
der Spongiosa, die hellen von der Zwischensubstanz gebildet.
Verbindet man mit der Fixirung zugleich Färbung, so wird das
Bild deutlicher.
Bekanntlich werden viele unserer brauchbarsten Farbstoffe
durch Säuren derartig umgewandelt, dass Niederschläge entstehen,
welche die Färbung beeinträchtigen, oder ganz verhindern. Die
Osmiumsäure ist aber derartig beschaffen, dass sie sich mit Farb-
stofflösungen, und wie es scheint, in beliebigen Verhältnissen
mischen lässt, ohne dass Zersetzungen entstehen, welche von
Niederschlägen begleitet sind. Sie verträgt sich beispielsweise
mit Methylgrün, Eosin, Safranin, Rhodamin und manchen ande-
ren schon genannten Farbstoffen. Lässt man nun das durch
Herzpunetur entleerte Blut in eine solche Mischung fallen — ich
bewerkstelligte dies am besten in einem Uhrschälehen — hebt
dann nach einiger Zeit etwas von derselben mit der Pipette her-
aus und untersucht im hängenden Tropfen, oder zwischen Ob-
jeetträger und Deckglas, welches letztere, um Zertrümmerung der
zelligen Elemente durch Druck zu verhindern, mit einem Oel-
oder Oelfarbenrahmen versehen wurde, so findet man die Zellen
gleichzeitig fixirt und gefärbt. Auch Pikrinschwefelsäure fixirt,
wie ich schon angegeben habe, die Zellen. Mit dieser jedoch
vertragen sich Farbstoffe im Allgemeinen sehr schlecht. Mischt“
man sie aber mit der farblosen Rosanilinbase und erwärmt, so.
erhält man eine prachtvolle rothe Farbstofflösung, welche (nach
dem Filtriren) gleichzeitig fixirt und färbt. Chromosmiumessig- i
säure, welche sich mit Farbstofflösungen gemischt in Bezug auf
Umsetzungen ähnlich verhält wie Pikrinschwefelsäure, giebt mir”
nach dem Erwärmen mit Hexamethylleukanilin eine fixirende und
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Beiträge zur Histologie des Blutes. 61
Pr‘
färbende Lösung, doch ist der violette Farbenton nur schwach
und diffus und giebt weniger brauchbare Bilder. Bei Anwendung
von Goldehlorid zur Fixirung habe ich auf Färbung verzichtet,
_ da ich keinen geeigneten Farbstoff finden konnte. Brauchbare
Bilder aber liefert noch die erwähnte Lösung von Jod in Jod-
kalium (Fig. 19 ab), die sich auch mit Osmium-, Pikrinschwefel-
und Chromosmiumessigsäure, nicht aber mit Goldehlorid mischen
lässt.
Wendet man nun eine dieser genannten Fixirungs- und
"Tinetionsmischungen an, so findet man die spongiöse Substanz
der Ilweukocyten mit dem betreffenden Farbenton dunkel, die
Zwischensubstanz dagegen hell gefärbt. Noch instructiver wird
das Bild, wenn man Mehrfachfärbung verwendet. Bei dem
Mischen der Fixirungsmittel mit zwei verschiedenen Farbstoff-
lösungen kommt aber noch der Umstand in Betracht, ob sich
auch diese untereinander und mit dem Fixativ vertragen. Von
mehreren Dutzend daraufhm geprüften Substanzen habe ich nur
zwei gefunden, welche sich untereinander und mit Osmiumsäure
mischen lassen, nämlich Methylgrün und Rhodamin. Wenn ich
dieses letztere Gemisch anwende, so erblicke ich bei schwächeren
Vergrösserungen in den Leukoeyten die Zellsubstanz blaustichig
roth, den Kern grün gefärbt; wähle ich aber bei denkbar bester
Beleuchtung starke Immersionslinsen, so offenbart sich sowohl in
der Zellsubstanz, als auch im Kern eine Doppelfärbung. Die
Spongiosa erscheint dunkel blauroth, die Zwischensubstanz violett-
roth, im Kern tritt das Gerüst blaugrün, die Zwischensubstanz
roth hervor. Ich habe versucht ein solches Bild in der Fig.
14 wiederzugeben. Ich will noch erwähnen, dass die Farben-
töne, je nach dem Concentrationsgrad der Lösungen sich etwas
nüanciren.
Ich habe auch versucht, die Leukocyten im Innern des le-
benden Organismus zu färben. Zu diesem Zwecke legte ich die
frisch gefangenen Thiere in verschieden concentrirte Lösungen
von Eosin, Methylgrün, Methylenblau u. s. w. Bei marinen Formen
wurden die Lösungen mit Meerwasser angesetzt. Der Herzstich
wurde in den verschiedensten Zeitintervallen vorgenommen. Kowa-
lewsky !) giebt an, dass er Lymphkörperchen des Frosches auf
w
>
1) Kowalewsky, Ueber das. Verhalten der morphologischen Be-
62 3riesbach:
dem Deckglas „intra vitam“ (!) mit Methylenblau gefärbt habe.
Dem gegenüber möchte ich bemerken, dass dieser, sowie auch
die übrigen genannten Farbstoffe durch Diffusion allerdings in
die Gewebe der Muscheln, insbesondere auch in das Blut hinein-
dringen; dass aber eine Färbung der in ihrer Funktion nicht
geschwächten Leukoeyten ausbleibt. Nach Herzstich und Fixi-
rung der Zellen sieht man im Präparat Methylenblau im Blut-
plasma, die Zeilen aber erscheinen so lange farblos, als sie noch
die normale Gestalt aufweisen. Erst nach längerer Einwirkung
der Farbstofflösungen (22 bis 36 St.) erhielt ich durch Herzstich
gefärbte, dann aber auch in ihrer Form veränderte Leukocyten.
Auch andere lebende Zellen setzen dem Eindringen von Anilin-
farben Widerstand entgegen. Ich habe hierauf früher schon mehr-
fach aufmerksam gemacht!) Buchner?) findet ein ähnliches
Verhalten bei Baecterien, namentlich Typhusbacillen. Fixirt man
die noch unveränderten Leukocyten nicht und beobachtet als-
bald, so sieht man, unter der für diesen Zustand charakteristi-
schen Form, den Farbstoff allmählich aus dem Blutplasma in
dieselben eindringen, die anfangs schwächere Färbung wird aber
nach kurzer Zeit ausserordentlich intensiv. Namentlich ist es
(ie Spongiosa, welche deutlich gefärbt ist und nun bei Anwen-
dung starker Systeme einen mehrfädigen Bau repräsentirt, wie
ich diesen in der Figur 15a b) wiederzugeben versucht habe.
Damit soll nieht mehr ausgedrückt werden, als in dem Begriff
„fädig“ liegt, dass sich nämlich die Struetur zarter und feiner
als gewöhnlich darstellt. Die Frage, ob dabei die einzelnen
Theilstücke noch aus feinsten Fibrillen bestehen und nach allen
Dimensionen des Raumes netzartig verknüpft sind, wird in die”
Bezeichnung nieht eingeschlossen. An einzelnen Stellen kann
sich. der Farbstoff massig anhäufen (Fig. 15a bbeif). Die unter”
den verschiedensten Formen ausgetretene Zwischensubstanz bleibt
farblos. | N
standtheile der Lymphe und des Blutes zu Methylenblau. Anat. Anz. s
1888, No.2 u.3, 8.53 ff. |
1) In der Zeitschrift f. wiss. Mikroskopie Bd. III, IV, V. |
2) Buchner, Färbungswiderstand lebender Pilzzellen. Gesellsch.
f. Morphol. u. Physiol. München. Sitz. v. 6. Mai 1890. Ref. Münch. med. |
Wochenschrift. 1890. No. 29, S. 510.-
.
ä
“
Beiträge zur Histologie des Blutes. 63
O.Hertwig!) hat mit Methylenblau am thierischen Ei ex-
perimentirt und kommt zu dem Schluss, dass je nach dem Grade
_ der Farbstoffspeicherung, worunter er eine gleichmässig diffuse
Verbreitung des Farbstoffes im ganzen Dotter versteht, die Eier
in ihrer Lebensthätigkeit geschwächt sind. Zu demselben Schluss
gelange ich durch obige Versuche für die Leukoeyten der Ace-
phalen. Ich muss hier bemerken, dass ich zwischen der Färbung
des Zellenleibes in toto und der Speicherung des Farbstoffes in
einzelnen Abschnitten des Zellenleibes oder Kernes in Form
äusserst fein vertheilter Partikelehen unterscheide. Ohne hier
näher auf diese Dinge einzugehen, möchte ich nur erwähnen,
dass unter Beibehaltung der oben geschilderten Methode die Leu-
koeyten einiger Accephalen aus einer wässerigen Lösung von
Kaliumhypermanganat braune Substanzen (MnO, Mn,0,?) in Form
- feiner Partikelehen zu reduciren vermögen.
Auf ein anderweitiges Verhalten der nicht mehr unter nor-
malen Verhältnissen befindlichen Zellen gegen Reagentien und
Farbstofflösungen will ich hier nicht näher eingehen, doch soll
kurz bemerkt werden, dass ich hinsichtlich eines solchen im All-
gemeinen die Angaben Frommann’s ?), welche er für Krebsblut-
körperchen macht, auch für die Leukoeyten der Acephalen be-
stätigen könnte. -
Ob die spongiöse Substanz nach Art eines Gerüstwerkes
den ganzen Zellenleib durchsetzt, wie es allerdings den Anschein
hat, ob ihr Bau dabei überall gleichartig beschaffen ist, ob sie
sich mit noch geeigneteren Hülfsmitteln, als ich sie verwendete,
als ein Faden- oder Netzwerk im Sinne mancher Autoren dar-
stellen würde, und ob dann die Netzfäden noch eine fibrilläre
oder granulirte Beschaffenheit zeigen würden, darüber kann ich
nichts Bestimmtes angeben. Auch an der Zwischensubstanz ist
es mir mit Hülfe der besten Linsen nicht gelungen, eine Faden-
oder Netzstruetur zu constatiren. Nur an nicht fixirten Zellen,
in welchen durch Einwirkung von Essigsäure eine Zerreissung
im Zusammenhange des Zellenleibes erfolgt war, schien es mir
1) O0. Hertwig, Experimentelle Studien am thierischen Ei vor,
während und nach der Befruchtung. Theil I. Jena. Fischer. 1880.
S. 33—37.
2) Frommann, Untersuchungen über Structur ete. S. 71—115,
64 Griesbach:
einige Male, als wäre die weit ausgetretene Zwischensubstanz,
welche den Kern zugleich beherbergte, von blassen fein granu-
lirten Streifen durchzogen (Fig. 16). In wie weit aber derartige
Bilder der structurellen Beschaffenheit entsprechen, in wie weit
sie durch Einwirkung der Reagentien künstlich erzeugt werden,
wage ich nicht zu entscheiden.
Vacuolen konnte ich in den gut fixirten Zellen nieht ent-
decken, doch will ich die Möglichkeit ihres Vorkommens nicht
bestreiten. Manchmal werden grössere vaecuolenähnliche Bil-
dungen meiner Ansicht nach vorgetäuscht, indem die Spongiosa
während der Einwirkung des Fixativs an einer oder mehreren
Stellen auseinanderweicht, so dass die mehr oder weniger deut-
lieh durchscheinende Zwischensubstanz sich wie ein Kkugeliges
Gebilde ausnimmt (Fig. 17abe bei v.. In den nicht fixirten,
während ihrer Bewegungen beobachteten Zellen dagegen bemerkte
ich bläschenförmige Einschlüsse, welche wohl mit Recht als Va-
cuolen angesehen werden können. Die Grenze des oft die Ge-
stalt wechselnden Bläschens hebt sich so deutlich von der um-
gebenden Zellsubstanz ab, dass es den Anschein gewinnt, als
wäre sie em zartes Häutehen. Der Umstand aber, dass ich
(diese Gebilde nur in nicht fixirteu Zellen fand, spricht dafür, dass
sie durch irgendwelche physikalische oder chemische Einwir-
kungen entstandene Neubildungen sind.
Die Leukoeyten strecken bekanntlich Pseudopodien aus,
und ich komme jetzt bei der Besprechung dieser zu einem wich-
tigen Punkte: Gestalt und Zahl der Pseudopodien erscheinen an
den normalen Zellen in den unverletzten Gefässbahnen anders !)
als an solehen, die ohne Fixirung aus dem Blute entleert wur-”
den. Darüber giebt gerade die letztere Aufschluss. Woher kom-
nen nun diese Fortsätze und in welcher Beziehung stehen sie
zu den beiden Substanzen des Zellenleibes? Ich weiche in der”
nachfolgenden Darstellung von den Angaben Cattaneo’s ab,
mit dem Bemerken, dass ich der Möglichkeit der Richtigkeit sei-
ner Angaben nicht entgegentrete. Die vorliegenden Verhältnisse
,
1) Neuerdings bildet A. Kölliker in der neuen Auflage seines”
Handbuches der Gewebelehre (Leipzig, Engelmann 1889) die normalen
Pseudopodien der 2 bephıtlörperchen ab, S. 69 Fig. 46a,b,c,d, hai |
aber näher darauf einzugehen.
Beiträge zur Histologie des Blutes. 65
‚sind so ausserordentlich subtil, dass man bei der Entscheidung,
welches der wahre Sachverhalt sei, nicht vorsichtig genug zu
Werke gehen kann. Ich darf aber, was ieh mit meinen Metho-
den gesehen habe, angeben. Nach Cattaneo werden die Pseu-
dopodien vom Ektoplasma, dem contraetilen und retieulirten
Hyaloplasma, wie er es nennt, ausgestreckt. Betrachtet man eine
gut fixirte Zelle mit mittleren Vergrösserungen, so hat es in der
- That den Anschein, als ständen die Pseudopodien in directem
Zusammenhange mit dieser Substanz (Fig. 11a, 17, 18,20, 26 a!
bis g1). An Stellen, von welehen die Pseudopodien ausgehen,
scheint dieselbe allmählich in die verbreiterte Basis des Fortsatzes
überzugehen. Aber dies dürfte nur Schein sein! Wenn ich
fixirte und gefärbte Leukocyten mit starken Systemen betrachte,
so fällt mir zunächst der Umstand auf dass sich irgendwo an
der Basis des Fortsatzes ein quer über demselben verlaufender
Contour bemerklich macht (Fig. 12, 13, 14, 19a, 21b). Dieser
kann als die periphere Begrenzung der Spongiosa betrachtet wer-
den, über welche hinaus der Fortsatz verfolgbar ist. Demselben
ist ein gewisser Zusammenhang mit der Spongiosa nicht abzu-
- sprechen, man braucht aber nicht anzunehmen, dass er ein Theil
- derselben ist. Ich glaube vielmehr, dass es die Zwischensubstanz
ist, Cattaneo’s Sarkode oder Enchylem (Entoplasma), welche
die Eigenschaft der Contractilität besitzt und aus den Zwischen-
räumen der” Spongiosa in verschiedener Weise austritt. Oftmals
mag die Zwischensubstanz an der gesammten Peripherie der Zelle
_ aus den Räumen der letzteren hervortreten und eine mehr oder
weniger voluminöse Zone um dieselbe bilden (Fig. 13b). In den
meisten Fällen fliesst sie an einer Stelle (Fig. 11a, 12, 13, 18a,
26a!e!) oder an zwei Polen (Fig. 14, 17ab, 18be, 20b e,
26e! d!f!g!), oder an mehreren, doch nur in geringer Zahl vor-
handenen-Stellen (Fig. 17, 20a, 21) zu Pseudopodien zusammen.
Da es in- den letzteren zu einer gewaltigen Anhäufung der Zwi-
schensubstanz kommt, so ist es leicht verständlich, dass die nicht
absolut starre Spongiosa an solehen Orten in der Richtung des
Zuflusses der Zwischensubstanz, also in der Längsrichtung der
Pseudopodien, sich ebenfalls bis zu einem gewissen Grade aus-
dehnt und den Fortsatz eine Strecke weit wie mit einer schützen-
den Scheide umhüllt (Fig. 14, 19a, 21b). Der Zellenleib erscheint
auf diese Weise an solchen Stellen verschmälert, so dass die ganze
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 5
66 Griesbach:
Zelle bei uni- oder bipolar entwickelten Pseudopodien eine ovale,
bei multipolar entwickelten Fortsätzen eine mehr oder weniger
polygonale Gestalt aufweist. Ebenso leuchtet es ein, dass bei
retrahirter Zwischensubstanz die Zelle eine mehr kugelige Form
repräsentirt (Fig. 11b). Ich lasse es dahingestellt, ob die Zwi-
schensubstanz, wenn sie überhaupt das contractile Element ist,
im normalen Zustande so weit zurückgezogen werden kann, dass
sie sich, ohne über die peripheren Ränder der Spongiosa hinwegzu-
ragen, ganz in den Hohlräumen der letzteren zu verbergen vermag.
‘ Für den Umstand, dass es die Zwischensubstanz ist, welche
Pseudopodien bildet, spricht das Bild, welches Färbung, nament-
lich Doppelfärbung-+mit Methylgrün und Rhodamin erzeugt, wobei.
sich, wenn diese Färbung gut gelungen ist, die Zwischensubstanz
violettroth färbt und aueh die Fortsätze ın demselben Farbenton
nur, blasser erscheinen, während die Spongiosa dunkel blauroth
aussieht). ”
Bei dieser Deutung glaube ich mich im Einverständniss
mit Leydig?) zu befinden, welcher der Ansicht ist, „dass die
weichere Zwischensubstanz der Zelle das erst Bewegliche sein
möge“. Er verlegt in sie den Sitz der Contraetilität und fasst
sie, da sie aus dem Gerüstwerk der Zelle gleichsam hervorkriecht
und Fortsätze auszustrecken vermag, als Träger der Bewegung
auf. — Es würde mich zu weit führen hier auf die Membran- °
\
bildufg der Zeile nochmals näher einzugehen. Im histologischen °
Sinne fehlt den Leukoeyten selbstverständlich eine solche. Wenn
ich vom Fehlen einer Membran im histologischen Sinne rede, so
vergesse ich dabei den Umstand nicht, dass jede plasmatische
Substanz eine Grenze aufweist, welche Bütschli?) der Haut-
1) Hinsichtlich dieser Doppelfärbung möchte ich hier bemerken,
dass sie sich füm die Untersuchung frischer Präparate recht wohl
eignet. Mit Dauerpräparaten aber ist es recht unglücklich bestellt.
Die Farben bleichen ganz: oder theilweise aus, oder erscheihen diffus.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieser unerfreuliche Umstand durch
das Glycerin, welches ich in Ermangelung und in Unkenntniss eines
besseren Einschlussmittels, bis jetzt stets verwendet habe, bewerk-
stelligt wird.
2) Leydig, Zelle und Gewebe S.41 u. 43.
3) Bütschli, Ueber die Structur des Protoplasmas. Verh. des’
naturh.-med. Vereins. Heidelberg. N. F. Bd. IV, Heft 3. 1889. Ref. Biol.
Centralblatt 1889, No. 18, S. 560—63.
Beiträge zur Histologie des Blutes. 67
sehicht künstlich erzeugter Oelschäume vergleicht. Ob die
„Schaumstructur-Hypothese“ uns vielleicht auch noch über die
_ physikalisch-chemische Beschaffenheit dieser Grenze und über
_ einen etwaigen Unterschied zwischen ihr und der übrigen Plasma-
masse befriedigenden Aufschluss geben wird? Vor der Hand
dürfte sich eine Entscheidung über die Bildung der Plasmahaut
_ und über die hierzu erforderlichen Bedingungen nicht fällen lassen.
Wenn dieselbe nicht nur eine Erscheinung von Oberflächenspan-
_ nung ist, sondern chemische Prozesse im Protoplasma für ihren
‚Aufbau erforderlich sind, so werden wir über den letzteren nicht
früher Aufschluss erwarten dürfen, als bis die physiologisch-che-
mische Beschaffenheit der Eiweisskörper unserem Verständnisse
näher gerückt ist.
Zweifelsohne aber steht die Plasmahaut zu den Functionen
der Zellen im strömenden Blute in inniger Beziehung. Dafür
scheinen mir namentlich die Färbungsversuche intra vitam zu
- sprechen. Sie kommt bei dem Austausch von Flüssigkeiten und
Gasen in Betracht, sie spielt eine Rolle bei der Aufnahme und
a
Abgabe geformter Gebilde. Ihre Existenz scheint an chemische
- Vorgänge des lebenden Protoplasma geknüpft zu sein. Ausser-
halb der Blutbahn bewirken die Einflüsse der Umgebung eine
- mehr oder weniger schnelle Veränderung der Plasmahaut, womit
eine Schädigung der vitalen Eigenschaften der Levkocyten Hand
in Hand geht.
Was die Form der normalen Pseudopodien anbelangt, so
erblicke ich dieselbe so, wie sie schon von Cattaneo beschrie-
ben wurde. Bald sind sie kürzer, bald länger, in den meisten
- Fällen übertreffen sie den Durchmesser der Zelle oft um das
drei- bis fünffache. Sie sind nicht platt, sondern ihr Querschnitt
würde mehr oder weniger oval zu nennen sein. Sie sind nicht
gleichmässig dick, sondern an ihrem proximalen Ende dicker, als
am Mittelstück. Auch macht an ersterem oftmals eine Anschwellung
den Eindruck, als wäre der sich eontrahirende Fortsatz in diesem
Geschäft plötzlich durch das Fixativ gestört worden. An ihrem
distalen Ende sind die Fortsätze meist keulenförmig und dabei
oft sanft gebogen (Fig. 12, 13a, 14, 17e, 18, 20, 21), manchmal
erscheint dieses Ende auch gespalten (Fig. 14, 22h bei w!). An
dem meist Sförmigen, manchmal wellenlinigen Mittelstück sieht
man seltener eine Abzweigung, und wenn dieselbe vorhanden ist,
r De ar I R ri
68 Griesbach:
bleibt sie nur klein (Fig. 21a bei w). Bei Anwendung starker
Immersionslinsen kommt es mir mitunter so vor, als biete sich in
den Pseudopodien eine äusserst blasse Längsstreifung dar. Dies
würde dafür sprechen, dass die ganze Zwischensubstanz, falls die
Pseudopodien davon abstammen, nieht völlig homogen ist. Bal-
lowitz!) meint sogar, „dass die meisten, wenn nicht alle Bewe-
gungsvorgänge, welche viele Lebensäusserungen der Zelle und
ihrer Organe begleiten, soweit sie auf einer vitalen Contraction
der Zelle und ihrer Theile beruhen und nicht nur molekulärer
-oder rein physikalischer Natur sind, an das Vorhandensein einer
_ feinfädigen oder auch „„fibrilloiden“* Structur im oder am Zell-
körper geknüpft sind“» Flemming?) bemühte sich dagegen
vergebens in den „hyalin erscheinenden Säumen und Protoplasma-
lappen des Umfanges kriechender Leukocyten“ etwas von einer
Struetur wahrzunehmen. Ich möchte ausdrücklich bemerken,
dass ich die oben genannte Längsstreifung als Ausdruck eines
natürlichen Verhaltens mit aller Reserve auffasse. Die Verhältnisse
sind so zart, dass ich nicht wage sie durch eine Abbildung wie-
derzugeben. Bei gelungener Fixirung finde ich die beschriebenen
normalen Pseudopodien benaehbart liegender Zellen nie mit ein-
ander verschmolzen, in den Kreislaufsorganen dürfte es daher
während des Lebens wohl ebenso sein ?).
1) Ballowitz, Ueber Verbreitung und Bedeutung feinfaseriger
Strueturen in den Geweben und Gewebselementen des thierischen Kör-
pers. Biol. Centralblatt 1889, No. 20 u. 21, S. 668.
2) Flemming, Zellsubstanz ete. S. 48.
3) Es dürfte kaum anzunehmen sein, dass die eigenthümlichen,
bisher nicht genügend gewürdigten Formen der normalen Pseudopodien
durch das Fixativ hervorgerufene Kunstprodukte sind, wie mir einmal
bei der Demonstration meiner Präparate auf dem intern. med. Congress
in Berlin eingewendet wurde. Wir schätzen gerade die Osminmsäure
deswegen so hoch, weil sie selbst die zartesten Formen unverändert
erhält. Ueberdies müsste es doch seltsam erscheinen, dass auch die
übrigen Fixative dieselbe Veränderung hervorrufen. Endlich gelingt
es für einen schnellen Arbeiter manchmal, auch ohne Fixirung im
Präparate dieselben Formen zu erblicken. Die Beobachtung der Zellen
im strömenden Blute ist dagegen bei Acephalen mit Schwierigkeiten
verknüpft, worauf schon Cattaneo aufmerksaur machte. Es ist selbst-
verständlich, dass die Leukocyten im strömenden Blute auch ohne Pseu-
dopodien, also als kugelige oder ovale Zellen sich finden, Formen,
denen man auch in gut fixirten Präparaten begegnet. |
Beiträge zur Histologie des Blutes. 69
An den aus dem Blute entleerten, nicht fixirten Zellen er-
‚blieke ich alle dieselben Verhältnisse, welche die Autoren beschrie-
ben haben. Die Pseudopodien ragen alsdann in Form von Spitzen
und Dornen von einzelnen oder vielen Stellen der Zellperipherie
aus den Hohlräumen der Spongiosa hervor (Fig.19b, 22e, 25).
‚Oft bildet die eontractile Zwischensubstanz blasige und lappige
Fortsätze (Fig. 15, 16, 19b, 22ab, 23a, 24b), wie sie schon From-
mann!) abbildete. Alle diese Gebilde zeigen mehr oder weniger
lebhafte Bewegungen, die sich stundenlang, in der feuchten Kam-
mer tagelang, verfolgen lassen. Dabei treten, wenn die beob-
achtete Zelle eine Körnerzelle ist, die Körner häufig aus, wie ich
dies bei Mytilus edulis in der Figur 25 wiederzugeben versucht
habe. Sehr interessant sind die Erscheinungen, welche sich dar-
bieten, wenn man einen Tropfen frisch entleerten Herzblutes ohne
Fixirung der Elemente auf ein mit Oel (Rieinus-, Oliven-, Mandel-
Oel, weniger gut eignet sich Vaselin oder Lanolin) bestrichenes
Deckglas bringt und im hängenden Tropfen oder bei gut gestütz-
tem Deckglase untersucht. Da giebt es gewaltige Bewegungen.
Die Zellen haften an der Oelschicht. Mächtige vorgestülpte
_ Blasen zeigen, ohne zunächst ihren inneren Zusammenhang und
den mit dem Zellkörper aufzugeben, eine Art wogende Bewe-
gung (Fig. 23a). Auch Formen, wie Figur 23be sie_zeigt, sind
zu sehen. Plötzlich schnürt sich ein Theil des Zellenleibes ab
(Fig. 23b), oder es platzt eine blasenartige Ausstülpung und zahl-
reiche kleine Substanzportionen werden ausgestreut (Fig. 24a b).
Ich möchte derartige Erscheinungen, die auch auf ungeölten
Deckgläschen zu beobachten sind, mit Löwit?) als Plasmoschise
bezeichnen. Auf einen etwaigen Zusammenhang zwischen ihnen
und der Blutgerinnung komme ich an einem anderen Orte zurück.
Die Bewegungen der stacheligen und dornenförmigen Fortsätze
und der kleineren lappigen Ausstülpungen lassen sich im hängen-
den Tropfen an solchen Zellen am besten verfolgen, die in dem-
- selben schwimmen, also nicht an dem Deckglase haften. Bei
allen diesen Bewegungen spielen die Reibung in der Flüssigkeit,
- Öberflächenspannung, Diffusion, Absorption von Flüssigeit und
- Gasen und im Falle des Anhaftens eigenthümliche Adhäsions-
1) Frommann, Untersuchung über Structur etc. Taf. III, Fig. 32.
2) Löwit, a.a. 0. S. 492.
70 Griesbach:
erscheinungen meiner Ansicht nach keine geringe Rolle. Ich gedenke
bei dieser Gelegenheit einer Untersuchung von G. Quincke!), bei
welcher durch allerhand Salzlösungen und andere Flüssigkeiten auf
künstlichem Wege ähnliche Erscheinungen hervorgerufen wurden.
Die genannten Bewegungen enden häufig mit einem plötz-
lichen Zerfall der ganzen Zelle (Fig. 26a), oft während des man-
nigfaltigsten Wechsels der verschiedenartig gestalteten Fortsätze.
In anderen Fällen geht die Formveränderung der letzteren ganz
allmählich vor sich (Fig. 25), ihre Dimensionen werden kleiner
und schliesslich kann der Leukoeyt kugelig erscheinen, um auch
dann über kurz oder lang einem Zerfall entgegenzugehen. Ich
möchte hier kurz einige Bemerkungen über die. myelintropfen-
ähnlichen Gebilde, welche Apathy und andere Autoren im Blute
der Acephalen beschrieben haben, einflechten.
Auch ich habe derartige Gebilde häufig gesehen, aber nie-
mals in schnell und gut fixirten Präparaten, sondern stets nur in
solchen, in denen die Leukocyten nicht abgetödtet worden waren
(Fig. 25b, 24a b, 28). Ich glaube nicht irre zu gehen, wenn ich
sie aus dem normalen Blute verbanne und sie für abgelöste Theile
der Zwischensubstanz oder für ausgetretene, durch physikalisch-
chemische Einflüsse entstandene Vacuolen halte. Wenn das, was
ich an dem von Reagentieneinwirkung freien Blute von solchen
Dingen sehe, dasselbe ist, was die Autoren erwähnen, und das
Aussehen spricht durchaus dafür, so kann ich hinzufügen, dass
ich oft Gelegenheit hatte, von den blasigen und lappigen Aus-
stülpungen contractile Substanzpartikel sich ablösen zu sehen,
welche alsbald als opake Kügelehen der verschiedensten Grösse
umherschwammen. Auch freie Kerne habe ich im Blute wahr-
genommen, ihre Natur lässt sich nicht leicht verkennen, ihr Vor-
handensein erklärt sich wohl ebenfalls aus dem Zerfall des Zellen-
leibes; manchmal sind sie noch von Resten der Zellsubstanz
umgeben. Alle die verschiedenen Formen der Ausläufer, welche
ohne Anwendung von Fixirungsmitteln an den Zellen wahrge-
nommen werden, sind meiner Ansicht nach ebenso Bestandtheile
der Zwischensubstanz, wie die wahren Pseudopodien. Dafür
spricht erstens der Umstand, dass man sie mit Hülfe starker
1) G. Quincke, Ueber Protoplasmabewegung. Biol. Centralblatt.
1888. No. 16, 8. 499 ff.
Beiträge zur Histologie des Blutes. TA
Vergrösserungen aus den Hohlräumen der Spongiosa hervortreten
sieht, und zweitens die Thatsache, dass sie bei Färbungen mit
denselben Farbstoffen den gleichen Farbenton aufweisen, wie die
Fortsätze der fixirten Zellen. Durch welche Veranlassung das
Vorstossen der in Rede stehenden Gebilde geschieht, ob dabei
_ ein Druck seitens der Spongiosa mitwirkt, ob die contractile
Zwischensubstanz selbst ein solches bewerkstelligt, ob und in
weleher Weise die ungewöhnliche Umgebung, Temperatur und
Lieht dabei eine Rolle spielen, weiss ich vorläufig nicht zu ent-
scheiden, aber normal kann man alle diese Fortsatzbildungen
wid ihre Bewegungserscheinungen nicht mehr nennen. Was hier
über die Leukoeyten der Acephalen gesagt wurde, gilt im All-
gemeinen auch für viele von mir bereits untersuchte Wirbel-
thiere, über welche ich eingehender ein anderes Mal zu berichten
gedenke!). Formen, wie sie Lavdowsky?) beschreibt und ab-
_ bildet, kommen im Blute, falls man dasselbe unter den nöthigen
Cautelen untersucht, nicht vor, sie repräsentiren keinen normalen
Zustand, sondern werden durch allerhand physikalisch-chemische
. Einflüsse bedingt.
R Cattaneo giebt an, dass die Fortsätze, welche er als
Sarkodeausläufer bezeichnet, einmal ausgestreckt, nie mehr zurück-
gezogen würden. Das Bild, welches eine nicht fixirte, nach mehr
oder weniger langer Zeit zur Ruhe gekommene, das heisst in die
Kugelform übergegangene Zelle repräsentirt, scheint bei dem ersten
_ Bliek gegen diese Annahme zu sprechen. Allein betrachtet man
_ eine’solehe Zelle genau, so empfängt man den Eindruck, als ob
dieselbe in der gesammten Peripherie von einer schmalen, ganz
hyalinen Zone umgeben sei. Um ein derartiges Bild zu deuten,
_ braucht man allerdings ein wirkliches Zurückziehen der Fortsätze
_ nieht anzunehmen, sondern es lässt sich auch in der Weise erklä-
_ ren, dass die ausgetretene Zwischensubstanz bei allmählichem
Absterben, wobei sie die Eigenschaft der Contraetilität mehr und
mehr einbüsst, unter den Einflüssen der umgebenden Medien und
unter bestimmten physikalischen Verhältnissen zu einer gleich-
förmigen Masse zusammenfliesst.
1) Hierauf bezügliche Präparate habe ich auf dem X. interna-
tionalen med. Congress in der Section für Anatomie demonstrirt.
= 2) Lavdowsky, a.a. 0. S. 67 u. Taf. V, Fig. II, III, IV etc.
5 am Dir
Bi v*
72 Griesbach:
Die weiteren spontanen Formveränderungen der Leukocyten,
das Zusammenfliessen der Fortsätze (Fig. 22b) und die Bildung
von Syneytien und Plasmodien sind allgemein bekannt; auch ich
erblicke sie so, wie sie von den Autoren, für die Acephalen spe-
ciell von Cattaneo, beschrieben worden sind.
Es entsteht die Frage nach der Ursache der Gestaltverän-
derungen der Leukoeyten. Die Beantwortung wird durch den
thatsächlichen Befund ermöglicht, dass die Zellen innerhalb der
unverletzten Gefässbahn Formenwechsel zeigen. Wenn das Proto-
plasma unter normalen Lebensbedingungen fähig ist, Pseudopodien
zu entwickeln, so muss die Contractilität eine vitale Eigenschaft
desselben sein, es muss also die bewegende Energie in ihm ihren
Sitz haben. Anders allerdings gestalten sich die Verhältnisse,
wenn wir die Bewegungen der Zellen auf dem Objectträger be-
obachten. Aus dem Umstande, dass der Formenwechsel alsdann
ein ganz anderer ist, dass ferner gleich nach der Entfernung der
Zellen aus der Blutbahn an ihnen ein theilweiser Zerfall beob-
achtet wird, muss geschlossen werden, dass in diesem Falle phy-
sikalische Ursachen der Umgebung bei den Formveränderungen
eine wesentliche Rolle spielen. Dass die Contraetilität eine vitale
Eigenschaft des Leukoeytenleibes ist, dafür sprechen auch die Ver-
suche von Massart und Bordet!!), welche zeigten, dass im Zu-
stande der Anästhesie die Entwieklung von Pseudopodien unter-
bleibt, während sie nach Aufhören derselben aufs Neue beginnt.
Ich wende mich jetzt zur Besprechung des Kernes der
Leukocyten. Nach Robin?) soll in den weissen Blutkörperchen
in ihrem physiologischen Zustande ein Kern nicht vorhanden
sein. Durch Einwirkung der verschiedenartigsten Reagentien
kann aber Veranlassung zur Entstehung kernartiger Körper ge-
geben und andererseits ein Verschwinden derselben bewerkstelligt
werden. Dass in den lebenden Leukocyten wohl aller Thiere
ein wirklicher Kern vorhanden ist, dürfte heute kaum noch zu |
bezweifeln sein 3), doch ist derselbe häufig unsichtbar und tritt
1) Massart et Bordet, Recherches sur lirritabilit€ des Leuco-
cytes. Journ. publ. par la Soc. royale des sciences medicales et natu-
relles de Bruxelles. 1890. Extr. p. 15, 16. |
2) Robin, Sur les corpuscules nucleiformes des leucocytes. Jour-
nal de l’anatomie et de la physiologie. 18831. |
3) Zu vergleichen hierzu Flemming's Zellsubstanz ete. 8. 88 ff.
Beiträge zur Histologie des Blutes. 73
erst bei Anwendung gewisser Reagentien deutlich hervor. Die
_Leukoeyten der Acephalen sind stets kernhaltig. In den meisten
Fällen ist der Kern in der Einzahl, seltener in der Zweizahl vor-
handen; mehr als zwei Kerne, wie dies in den Blutzellen anderer
Thiere nach Flemming!) vorkommen soll, habe ich nicht auf-
finden können. In den fixirten Zellen der Acephalen ist auch
ohne Beihülfe von Färbungen ein meiner Ansicht nach völlig aus-
gebildeter Kern zu erkennen, so dass ich von Kernanlagen im
Sinne Frommann’s, die sich erst unter bestimmten Bedingungen
in Kerne umwandeln, nicht reden kann. Gut fixirte Zellen lassen
"sich dureh leichten Druck in schwankende und wälzende Bewe-
gung versetzen, so dass man den Kern von verschiedenen Seiten
betrachten kann. Man erkennt alsdann beim Vergleiche vieler
Zellen, dass er keinen bestimmten Ort im Zellenleibe einnimmt,
sondern dass seine Lage in der einen Zelle mehr central (Fig.
12, 13b, 18b, 20b, 26d! ft), in einer anderen mehr peripherisch
ist (Fig. 11a b, 13a, 14, 17, 21,22). Bei „wandernden“ Leukoeyten
‘sah Lavdowsky?) den Kern selten in der Mitte, sondern fast
immer im „hinteren“ Theile der Zelle gelegen. Die Bestimmung
‚des Lageverhältnisses des Kernes zu den beiden beschriebenen
Zellsubstanzen ist mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden.
Seine Lageveränderung steht, wie ich zu glauben geneigt bin,
mit dem Formenwechsel des gesammten Zellenleibes in Zusam-
menhang, und zwar scheint sie bedingt zu werden durch Span-
nungsunterschiede feiner, radiär angeordneter Stränge und Stütz-
fäden (Fig. 13 St.), über deren Ursprung und Beschaffenheit ich
nichts Näheres anzugeben wage. Ich befinde mich mit der An-
sicht, dass die Bewegungen des Kernes mit denen des Zellen-
leibes im Zusammenhange stehen, nicht im Einverständnisse mit
denjenigen Forschern, welche ihm Eigenbewegungen zuschreiben,
gleichgültig, ob diese mit Theilungserscheinungen in Verbindung
gebracht werden oder nicht. Zugleich muss der Kern als Ganzes
einen bestimmten Grad von Festigkeit besitzen, so dass er seine
Form nur sehr wenig verändert, denn ich habe ihn in fixirten
Zellen stets in kugeliger oder schwach ovaler Gestalt wahrgenom-
1) Flemming, Zellsubstanz etc. S. 89.
= 2) Lavdowsky, a.a. 0. Bd. 9%, S. 831.
74 Griesbach:
men. Gestaltsveränderungen, wie sie Arnold!) an den Kernen
von Wanderzellen beschreibt, kommen an den Leukoeytenkernen
von Acephalen nicht vor. Ob die genannten Stützgebilde nur
mit der Kernperipherie, oder auch mit seinem Innern zusammen-
hängen, und in welcher Beziehung sie zu den Zellsubstanzen
stehen, vermag ich nicht zu entscheiden. Es beruht aber nicht
auf Täuschung, wenn ich den Kern der Leukoeyten in einem be-
sonderen Raum eingebettet liegen sehe (Fig. 19b) und wenn ich
in demselben die Stützfäden erblicke (Fig. 13a b). Ob dieser Ab-
schnitt immer oder zeitweilig ein abgeschlossener, den Kern be-
herbergender Hohlraum ist, und m diesem Falle ausser den ihn
radiär durchsetzenden Fäden weiter nichts enthält, weiss ich
nicht anzugeben.
Es ist annehmbar, dass durch ungewöhnliche Einflüsse,
welchen die Leukocyten ausgesetzt sind, die Kernstützen reissen, -
und der Kern alsdann mit der Zwischensubstanz aus den Spon-
giosahohlräumen heraustritt, eine Erscheinung, welche bei nicht fixir-
ten Zellen, wie bereits angegeben, häufig wahrnehmbar ist (Fig. 16).
— Pfitzner ?) will bei Amphibien in den rothen Blutkörperchen
mit nicht -mitotischen Kernen eine besondere Abgrenzung des
Zellenleibes gegen die „Kernhöhle* wahrgenommen haben, für
welche er den Ausdruck continuirliche Membran (geschlos-
sene Haut) gebraucht, den zwischen dieser und der Randschicht
des Kernes gelegenen freien Raum fand er aber von Strängen
nieht durchsetzt.
Eine weitere Frage ist die nach der Beschaffenheit des
Leukoeytenkernes. Ich unterscheide in ihm mit aller Deutlich-
keit zwei Substanzen. Beide Substanzen lassen sich leicht durch
ihr Aussehen unterscheiden: die eine Masse besteht aus balken-
förmigen Gebilden, welche in der anderen, mehr gleichförmigen
Grundsubstanz eingebettet liegen. Verbindet man mit der Fixirung
zugleich die Doppelfärbung mit Methylgrün und Rhodamin, so färbt
sich das Balkenwerk dunkelblaugrün bis grün, die Zwischensub-'
stanz roth (Fig. 14). Dieser Thatsache müssen gerade wie im Zel-
ZZ en
Pe E
1) Arnold, Ueber Theilungsvorgänge an den Wanderzellen etc.
Arch. f. mikr. Anat. Bd. 30. 1887.
2) Pfitzner, Zur morphologischen Bedeutung des Zellkernes.
Morphol, Jahrb. 1886. Bd. 11, S. 60, 61. |
| Beiträge zur Histologie des Blutes. 75
lenleibe ehemische Differenzen zu Grunde liegen. Die Balken be-
sitzen die verschiedenste Form, sie sind bald kürzer, bald länger und
mit Biegungen und Kniekungen versehen (Fig. 13 u. 30). Es hat
den Anschein, als fehle zwischen den einzelnen Balkenabschnitten
ein Zusammenhang (Fig. 30b). Bei optischer Einstellung auf den
Rand des Kernes erscheint dieser ebenfalls unterbrochen und
zwar in der Art, dass die Theilstücke bald einen kleineren, bald
einen grösseren Zwischenraum zwischen ihren abgerundeten oder
knotigen Enden freilassen, oder sich mit diesen gerade berühren
(Fig. 13 u. 30). Ob zwischen den Enden der Theilstücke noch
eine zarte fadenartige Verbindung besteht, vermag ich nicht zu
entscheiden, auch habe ich keine völlige Sicherheit gewinnen
können, ob die radienartig den freien Raum um den Kern dureh-
setzenden Fäden mit der Zwischensubstanz zusammenhängen und
ob letztere homogen ist, oder noch eine streifige oder granulirte
Struetur, wie es manchmal den Anschein hat, besitzt. Jedenfalls
kann ich von einer eigentlichen Netzstructur, wie sie für andere
Kerne so oft beschrieben worden ist, nicht reden. Das beschrie-
bene Aussehen des Kermes führt zu der Vermuthung, als besitze
er keine zusammenhängende, ihn umhüllende Membran. Leydig!)
meint, dass die Begrenzung eines Kernes entweder nur durch die
Balken bewerkstelligt werde, oder dass eine hautartige Lage sich
auf den Enden derselben absetze. In beiden Fällen aber hält
er die Peripherie des Kernes für porös. Im Allgemeimen gehen
die Ansichten der Autoren über die Begrenzung des Zellkernes
sehr auseinander. Die Einen, und unter ihnen namentlich Flem-
ming, schreiben dem Kerne eine geschlossene Membran zu, die
Anderen lassen die Begrenzung nur durch die freien Enden des
Balkenwerkes zu Stande kommen. Für Leukoeyten soll eine
Kernmembran nach Lavdowsky?) gar nicht existiren. Im
letzteren Falle würde zwischen dem Kerninneren und der Zellsub-
stanz ein directer Zusammenhang bestehen können, wie dies that-
sächlich von vielen Autoren für die verschiedenartigsten Zellen
beschrieben worden ist.
Vielleicht besteht ein gewisser Zusammenhang zwischen
dem Vorhandensein einer Kernmembran und dem einer Zell-
1) Leydig, Zelle und Gewebe S. 37.
2) Lavdowsky, a.a. 0. Bd. 96, S. 9.
76 Griesbach:
wand in der Weise, dass da, wo die letztere fehlt, auch der Kern
hüllenlos bleibt, und dass bei Zellen, welche eine Membran ent-
wickeln, auch die erstere zur Ausbildung gelangt. Wenn wir E
nach Gründen für einen derartigen Zusammenhang suchen, so |
würden sich dieselben vielleicht darin finden lassen, dass bei
hüllenlosen Zellen, an welchen auf das Lebhafteste Bewegungs-
erscheinungen vor sich gehen können, denen der Kern mehr oder |
weniger zu folgen gezwungen ist, eine Kernhülle der Gefahr des |
Zerreissens ausgesetzt sein würde. — Ich bin weit davon ent-
fernt in diesem Sinne eine Hypothese aufzustellen, allein der Ge- |
danke ist nicht. ohne Weiteres von der Hand zu weisen. Ob der
Kern der Acephalenleukocyten unter bestimmten Verhältnissen °
und zu bestimmten Zeiten noch weitere Gebilde, wie Körner, Pig- |
mente, Vacuolen ete. einschliesst, darüber kann ich positive An-
gaben zur Zeit nicht machen. Das Einzige, was ich stets m
dem Balkenwerke wahrnehme, sind stark lichtbrechende, kugelige
Einlagerungen (Fig. 13b bei n, Fig. 30n), in der Ein- oder Mehr-
zahl vorhanden, welche ich als Nucleolen deute, an denen ich
eine besondere Structur aber nicht zu erkennen ‚vermag, und über
deren Herkunft und Bedeutung, sowie über die Frage, ob sie
selbständige Gebilde, oder vielleicht die kugelig und knotig ver-
diekten Enden der einzelnen Theilstücke des Balkenwerkes sind,
ich mich jeder Aeusserung enthalte !).
Bis in die neuere Zeit wurden hinsichtlich der Kernthei-
lung mitotische Prozesse, nachdem solehe schon längst für die
meisten anderen Zellen bekannt geworden waren, in amöboiden’
Zellen nieht wahrgenommen, bald aber häuften sich dann die
hierauf bezüglichen Angaben. Von Peremeschko?, Flem-
ming3), Kultschitzky*, Lavdowsky?°), J. Arnold) und
:
1) Die Literatur und die verschiedenen Ansichten der Autoren
finden sich übersichtlich besprochen bei Korschelt a.a. 0. 8.108 ff.
2) Peremeschko, Arch. f. mikr. Anat. Bd. 17, S. 170—171.
3) Flemming, Studien über die Regeneration der Gewebe.
Arch. f. mikr. Anat. Bd. 24. 1885. Ganz neuerdings hat derselbe Autor
über Theilung der Leukocyten auf dem X. internat. med. Congress
in Berlin berichtet.
4) Kultschitzky, Centralblatt für die med. Wiss. 1885. 5. Jan.,
und Archives slaves de Biol. T. IV, fasc. 2, S. 230.
5) Lavdowsky, a. a. 0. Bd. 9, S. 89, 90.
6) J. Arnold, Ueber Theilungsvorgänge an den Wanderzelle
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Beiträge zur Histologie des Blutes. IT
Anderen ist mitotische Theilnng in Leukocyten beobachtet wor-
den. „J. Arnold kommt zu dem Schlusse, dass Wanderzellen,
farblose Blutzellen, Lymphzellen und die entsprechenden Zellfor-
men des Knochenmarkes, der Milz und der Lymphdrüsen sich
nach dem Typus der Mitose vermehren können, dass aber
der stringente Beweis dafür noch nicht erbracht sei, jeden-
falls sei es zurückzuweisen, dass diese Zellen nur mitotisch sich
theilten“ 2).
Ich habe in den Leukocyten der Acephalen, welche dem
Herzen lebenskräftiger Thiere entstammten, weder eine directe
Theilung oder eine Fragmentirung im Sinne Arnold’s?), noch
eine mitotische Kerntheilung, wie sie Apathy °) gesehen haben
will, wahrzunehmen vermocht.
Zwar habe ich manchmal in diesen Zellen, wie schon im
Vorhergehenden angegeben, zwei Kerne, deren Vorkommen auch
Cattaneo*) beschreibt, beispielsweise bei Mytilus edulis, Sole-
eurtus strig. und Pectenarten gesehen, ohne aber einen Anhalts-
punkt dafür zu besitzen, wie dieselben entstanden und ob diese
Erscheinung mit einer Zelltheilung in Zusammenhang zu bringen
ist. Oftmals erscheinen solche Kerne, welche verschiedene Grösse
besitzen können, so nahe aneinander gelagert (Fig. 18a), dass
man an einen Zusammenhang beider denken könnte, ähnlich wie
dies Flemming?) für Leukocytenkerne beschrieben hat. Ob in
solchen Fällen wirklich zwei Kerne vorliegen, oder ob man es
etc. Archiv für mikr. Anatomie. 1887. Bd. 30, S. 205 ff., und: Weitere
Mittheilungen über Kern- und Zelltheilungen in der Milz, zugleich ein
Beitrag zur Kenntniss der von der typischen Mitose abweichenden
Kerntheilungsvorgänge. Archiv. f. mikr. Anat. 1888. Bd. 31, S. 547.
1) Zu vergl. Waldeyer, Ueber Karyokinese und ihre Beziehun-
gen zu den Befruchtungsvorgängen. Arch. f. mikr. Anat. 1888. Bd. 32,
im Separatabdruck S. 44. In dieser Arbeit befindet sich eine über-
sichtliche Zusammenstellung des jetzigen Standes der Karyokinese mit
umfassender Literaturangabe.
2) Arnold, Beobachtungen über Kerne und Kerntheilungen in
den Zellen des Knochenmarkes. Virchow’s Arch. Bd. 93, S. 32.
3) Apathy, a.a.0.
4) Cattano, Boll. scientif. 1889. No.1, 8.11. Hier wird ange-
geben, dass der Kern in Theilung begriffen sei, welcher Art aber die-
selbe ist, geht aus den Angaben nicht hervor.
— ) Flemming, Studien über Regeneration. S. 80, 81.
78 Griesbach:
mit einem „polymorphen“ Kern!) zu thun hat, lasse ich dahin- |
gestellt. E
Da ich bei einer grossen Anzahl von Lamellibranchiaten
mit besonderer Aufmerksamkeit nach Theilungsvorgängen der
Leukocyten suchte, jedoch stets mit negativem Resultat, so möchte |
ich die Vermuthung aussprechen, dass für gewöhnlich eine Zell-
theilung im Blute der Thiere nicht nachzuweisen ist, ohne aber |
die Möglichkeit einer solchen zu bestreiten und ohne die Angaben
Apathy’s und Cattaneo’s in Zweifel zu ziehen 2). |
In dem nachfolgenden Abschnitte gebe ich einige specielle
Mittheilungen über das Blut der von mir untersuchten Aoepbaiei
1) Zu vergl. Paulsen, Zellvermehrung und ihre Begleiterschei-
nungen in hyperplastischen Lymphdrüsen. Arch. f. mikrosk. Anatomie.
1885. S. 349. f
2) Als das Manuskript dieser Arbeit bereits druckfertig vorlag,
es wurde der verehrl. Red. am 25. Aug. 1890 eingereicht, machte ich’
behufs Demonstration der normalen Gestalt der Leukocyten an einem
Exemplar einer Anodonta die Herzpunktur. Durch Zufall wählte ich
ein Thier, an welchem eine solche, wie ich an dem Loch in dem Scha-
lenschloss bemerkte, bereits einige Tage vorher schon einmal ausge-
führt war. Als ich die mit OsO, fixirten Leukocyten betrachtete, fiel mir
auf, dass in vielen von ihnen der Kern eigenthümlich verändert aussah,
dass in den Zellen relativ häufig zwei Kerne zu finden, und dass Zellen
vorhanden waren, die von dem gewöhnlichen Verhalten durchaus ab-
wichen. Sie waren kleiner, oval bis kugelig, besassen keine Pseudo-
podien ; ihr Kern war ganz diaphan und entbehrte der sonst so cha-
rakteristischen Balken, enthielt aber grössere und kleinere kugelige
oder unregelmässig klumpige Gebilde. Ob wir es hier mit Theilungs-
erscheinungen, und wenn, ob mit Amitose oder Mitose zu thun haben,
bleibt aufzuklären. Ich beschränke mich hier auf diese kurze Bemer-
kung. Die Sache erfordert eine genaue Prüfung, die sich ja leicht
bewerkstelligen lässt, indem man absichtlich in verschiedenen Zeitinter-
vallen, soweit die Thiere es vertragen, die Herzpunktur wiederholt.
Sollten Theilungserscheinungen vorliegen, so würden wir wohl vor der
interessanten Thatsache stehen, dass, falls die Thiere die Operation
überstehen, die Leukocyten sich an der Gewebsregeneration betheiligen
und sich bei diesem Geschäft auf dem Wege der Amitose oder Mitose
vermehren, ein Umstand, auf dessen Möglichkeit von Flemming
(Arch. f. mikr. Anat. 1885. Bd. 24, S.51) für andere Zellen bereits hin
gewiesen wurde. Dann würde auch die Vermuthung Wagner'’s, das
sich die Leukocyten an plastischen Prozessen betheiligen, bestätigt.
Beiträge zur Histologie des Blutes. 79
VI. Besondere Bemerkungen über das Blut der
untersuchten Acephalen.
I. Siphoniata.
1. Pholas daetylus (Neapel). Das Blut zeigt kein Spec-
trum !) und besitzt als zellige Elemente nur Leukoeyten. Diesel-
ben messen durchschnittlich 12 u, der Kern 4 u.
2. Teredo navalis (Ostsee: Pfahlwerk in der Travemünder
Bucht). Das Blut zeigt kein Speetrum. Unter 12 untersuchten
Thieren waren drei, bei denen die Leukocyten fast ausschliesslich
als Körnerzellen erschienen, ihre Grösse schwankte beträchtlich.
3. Thracia papyracea (Neapel. Das Blut zeigt kein
Spectrum, der Durchmesser der farblosen Blutzellen beträgt
durchschnittlich 8 u.
4. Lyonsia eorruscans (Neapel). Blut gewöhnlich. Der
Durchmesser der farblosen Zellen beträgt 5 u, der des Kernes 2 u.
5. Mya arenaria (Sandgrund im Aussenhafen der Trave-
münder Bucht). Das Blut hat die gewöhnlichen Eigenschaften.
Die farblosen Blutzellen messen bis 15 u. Nach Behandlung mit
Osmiumsäure oder Goldehlorid war ein Raum um den Kern sehr
deutlich wahrzunehmen (Fig. 13b).
6. Corbula gibba (Neapel). Die amöboiden Zellen des die
gewöhnlichen Eigenschaften zeigenden Blutes messen durchschnitt-
lich 9 bis 11 u.
7. Poromya granulata (Neapel. Durch die dünne und
durchsichtige Schale scheint das gefärbte Thier durch. Das von
acht Exemplaren aus dem Herzen durch Schalenstich entnommene
Blut zeigt deutlich das beschriebene Spectrum. Ausser den ge-
‚ wöhnlichen Leukocyten, welche durchschnittlich 10 u messen,
‚finden sich noch gefärbte kugelige Zellen mit schwach gelbem
Plasma und braunrothen Pigmentkörnern (Fig. 3), deren Durch-
messer 10 u beträgt.
1) Wenn ich in diesem Abschnitte von einem Spectrum rede,
ist stets dasjenige gemeint, welches im IV. Abschnitte beschrieben
wurde,
80 Griesbach: :
8. Solen vagina und siliqua (Neapel. Das mit den ge-
wöhnlichen Eigenschaften ausgerüstete Blut enthält nur farblose
Elemente, welehe durehschnittlich 8 bis 11 u messen.
9. Solen legumen (Neapel). Es ist eine der Muscheln, in
deren Blut Ray-Lankester mit dem Mikrospeetroskop Hämo-
globin na:hwies. Die Organe des Thieres erscheinen roth. Das
durch Herzstich gewonnene Blut giebt die beschriebenen Absorp-
tionsstreifen im Spectrum und enthält ausser den Leukoeyten,
welche das gewöhnliche Verhalten zeigen, gefärbte, ovale, scheiben-
förmige Zellen (Fig. VIabed), welche schon Ray-Lankester
in Fig. IVabe im normalen Zustande und in Fig. Vabe nach
Einwirkung von Essigsäure zeichnete. Was es für eine Bewandtniss
mit den excentrisch gelegenen Flecken hat, welehe nach Behand-
lung mit Magenta in den gefärbten Zellen auftreten, weiss ich‘
nicht auszusagen. Mit den von mir angewandten Färbungsme-
thoden habe ich etwas Aehnliches nicht gesehen. Ray-Lan-
kester ist der Ansicht, dass ihr Erscheinen entweder einem’
Zersetzungsprodukt des Hämoglobin, oder einem nothwendigen
Begleiter desselben zuzuschreiben ist. — Die lange Axe der ge-
färbten Elemente des frisch dem Herzen entnommenen Blutes’
finde ich zu 17 u, die kurze zu 12 u. Nach Einwirkung starker
Essigsäure tritt eine Schrumpfung auf 11 und Qu ein und ein
3,7 u messender kugeliger Kern wird deutlich. Die Zahl der’
gefärbten Blutzellen überwiegt die der Leukoeyten ‚bedeutend.
Mit Hülfe des bekannten Schüttelmischers habe ich ihre Anzahl
annähernd zu 103 Tausend in 1 emm bestimmt. Aus dem Blute’
lassen sich mit Eisessig und Kochsalz die Teiehmann’sehen Kıy-
stalle erhalten. i
10. Solecurtus strigillatus (Neapel). Das Blut giebt kein’
Speetrum, die amöboiden Zellen zeigen das gewöhnliche Verhalten,
ihre Grösse beträgt 17 bis 22 u (Fig. 21).
11. Tellina planata (Neapel. Das mit dem Spectroskop
untersuchte Blut giebt auf das Deutlichste die beschriebenen Ab-
sorptionsstreifen. Die farbigen Blutzellen (Fig. 10) sind mehr
oder weniger kugelige Gebilde und messen 10 u. Der Kern, den”
ich auf Wasserzusatz häufig austreten sah, ist 5 u gross. Bei®
Behandlung des Blutes mit Eisessig und Kochsalz erhielt ieh die”
Teichmann’schen Krystalle. Die Anzahl der farbigen Elemente
schätze ich annähernd auf 160 Tausend in 1 cmm. Ob Tellina
Beiträge zur Histologie des Blutes. - 81
radiata, welche Cattaneo untersuchte, farbige Blutzellen führt,
wird von diesem Autor nicht angegeben. Seine Figur 20 zeigt
eine gewisse Aehnlichkeit mit den rothen Blutzellen von T. pla-
nata. Die Leukocyten messen 9 bis Il u. Als eigenthümliche
Erscheinung muss ich hervorheben, dass unter 16 untersuchten
Exemplaren eines mit farblosem Blut war, doch sind wnir später
Zweifel aufgestiegen, ob dieses derselben Species angehörte.
12. 13. 14. Bei Tellna exigua, donacina (Neapel) und
baltica (Ostsee: Travemünder Bucht) habe ich vom Blute weder
ein Spectrum erhalten, noch darin farbige Zellen auffinden können.
Die Leukocyten messen 8 bis 11 u, ihr Kern 3 bis 4u. Im
Herzblute von Tellina baltica fand ich kleine farblose Krystalie
von verschiedener Form (Fig. 29).
15. Psammobia vespertina (Neapel). Vom Blute erhielt
ich kein Spectrum, es finden sich darin die gewöhnlichen Zellen
mit 9 bis 11 u im Durchmesser.
16. Capsa fragilis (Neapel. Das Blut giebt das charak-
teristische Spectrum. Die farbigen Blutkörperchen (Fig. 8) ent-
halten den rothgelben Farbstoff nur in wenigen Körnern, ihr
Durchmesser beträgt 10 u, der des Kernes 4 u. Kalilauge lässt
die farbigen Elemente zunächst aufquellen, dann zerfällt die ganze
Zelle in eine feinkörnige gelbrothe Masse. Pikrokarmin macht
den Kern deutlich, er erscheint meist kugelig, manchmal oval
‚oder stäbchenförmig. In einzelnen Fällen hatte es den Anschein,
als ob die Zelle zwei dicht aneinander gelagerte Kerne beher-
berge. Die Leukoeyten zeigen das gewöhnliche Verhalten.
17. 18. Im Blute von Donax politus und trunculus (Neapel)
nehme ich kein Spectrum wahr. Die Grösse der farblosen Zellen
beträgt 6 bis 9 u.
19. 20. Mactra stultorum und helvacea (Neapel). Im Blute
habe ich kein Spectrum wahrgenommen ; die Grösse der farblosen
Zellen beträgt 9 bis 11 u. Ich sah an ein und derselben Zelle
zweimal Substanzportionen sich ablösen, welche sich als myelin-
tropfenähnliche Gebilde von 3 bis 4 u darstellten.
21. 22. Venus gallina und verrucosa (Neapel). Vom Blute
war ein Spectrum nicht zu sehen. Farblose Zellen gewöhnlich,
16 bis 18 u. |
23. Tapes geographica (Neapel. Wie Venus.
24. 25. Cytherea chione und rudis (Neapel. Die Opa-
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 6
i : ER
82 Griesbach:
lescenz des Blutes erschien mir auffallend stark. Kein Spectrum.
Die farblosen Zellen messen durchschnittlich 11 u (Fig. 20a).
26. Artemis exoleta (Neapel). Kein Speetrum. Unter den
Leukocyten waren namentlich Körnerzellen in reichlicher Menge
vertreten. Durchmesser der Zellen 10 bis 13 u.
27. \:Circe minima (Neapel), Aus Mangel an Untersuchungs-
material konnte ich zu einem sicheren Resultate über die Eigen-
schaften des Blutes nicht gelangen.
28. Cyelas ecornea (Rhein-Rhone-Kanal). Das Blut zeigt
die gewöhnlichen Eigenschaften. Die Zellen messen durchschnitt-
lich 10 u. |
29. Astarte fusca (Neapel). Aus Mangel an Untersuchungs-
material konnte ich ein sicheres Resultat nicht erhalten. Das
Blut erscheint schwach gelblich. Spectrum unsicher, in einigen °
Blutzellen glaube ich gelbrothes Pigment wahrgenommen zu haben. |
30. Cardita aculeata (Neapel). Das Blut ist hell weingelb °
und giebt ein schwaches Spectrum. Die farbigen kugeligen Zellen
erscheinen diffus gelbroth, enthalten ebenso gefärbte Körner (Fig.4) °
und messen 10 u. Die Grösse ihres Kernes, der mit Pikrokarmin
distinet hervortritt, beträgt 4 u. Farblose Zellen 11 bis 13 u.
31. Lucimia spinifera (Neapel). Kein Spectrum. Unter °
den Leukocyten zahlreiche Körnerzellen. Grösse 12 bis 13u.
32. Galeomma Turtoni (Neapel). Kein Spectrum. Leuko-
eyten 8 bis 11 u.
33. Solemya togata (Neapel). Wie Galeomma.
34. Cardium tubereulatum (Neapel) und edule (Ostsee: Tra-
vemünder Bucht). Kein Speetrum, Leukoeyten 10 bis 12 u. Nicht
- fixirte Zellen s. Fig. 16. |
II. Asiphoniata.
35. Unio pietorum (Rhein-Rhone-Kanal). Das Blut ändert
im Speetrum nichts und. führt nur amöboide Zellen, deren Grösse
10 bis 15 u beträgt, Kern 4 bis 5 u (Fig. 12, 18). |
36. Anodonta cellensis (Rhein-Rhone-Kanal). Wie Unio.
(Fig. 13a, 14, 17e, 19, 23, 24). |
37. Arca tetragona (Neapel. Das rothgelbe Blut giebt
die charakteristischen Absorptionsstreifen. Die farbigen Blutzellen’
(Fig. 7) sind grosse ovale Scheiben, der lange Durchmesser be-
trägt 20 u, der kurze 11 u; die Dicke der Zelle, wenn dieselbe‘
Beiträge zur Histologie des Blutes. I:
;
Pr
_ auf der Kante liegt (Fig. Te), erreicht 5u. Der Farbstoff scheint
- den Zellenleib gleichmässig zu durchtränken, so dass derselbe
grünlichgelb bis olivenfarbig aussieht. Der kugelige Kern misst
- 5u und ist ohne Anwendung von Reagentien deutlich sichtbar.
- Mit Jodjodkaliumlösung tritt die Zellmembran deutlich hervor,
- der Zellenleib färbt sich gelbbraun und der Kern dunkelbraun.
Essigsäure ruft in der Zellsubstanz eine Körnelung hervor, auch
- wird der Kern dadurch scharf contourirt und erscheint von einem
_ farblosen Hofe umgeben (Fig. 7d). Die Leukocyten (Fig. 26),
‚welche in der Minderzahl vorhanden sind, zeigen das gewöhn-
- liehe Verhalten, ihre Grösse beträgt 14 bis 20 u.
38. Arca Noae (Neapel). Das Blut ist schwächer gefärbt,
_ als bei der vorhergehenden Art und die Absorptionsstreifen im
- Speetrum erscheinen weniger scharf. Die pigmentführenden Ku-
- gelzellen (Fig. 5) sind in geringerer Zahl vorhanden und verhält-
nissmässig klein (6 bis 7 u). Der Farbstoff ist röthlichbraun
und in Körnern abgelagert. Der Kern misst 2 bis 3u. Die
- farblosen Zellen zeigen das gewöhnliche Verhalten und messen
ET bis 9.
- 39. Peetunculus glyeimeris (Neapel). Das rothe Blut lässt
die charakteristischen Absorptionsstreifen auf das Deutlichste er-
_ kennen und liefert bei der bekannten Behandlung braunrothe
- Teichmann’sche Krystalle (Fig. 1). Die farbigen Blutzellen (Fig. 9)
- präsentiren sich in den seltsamsten Formen, wie ich dies im all-
_ gemeinen Theil beschrieben habe; ihre Anzahl berechnete ich zu
_ ungefähr 90 Tausend für den Kubikmillimeter. Der gelbrothe
- Farbstoff färbt den ganzen Zellenleib diffus und ist ausserdem
noch in mehr oder weniger zahlreichen Körnern vorhanden.
Der Zelldurchmesser beträgt 13 bis 20 u, der Kern 5u. Der
Kern ist in der Form sehr variabel, häufig sieht man einen
grösseren und einen kleineren Kern, oder zwei gleich grosse
Kerne, ähnlich wie bei Capsa fragilis (Fig. 8g), dicht aneinander
gelagert, und nur der grössere führt alsdann 1 bis 2 besonders
deutliche Nucleoli. Die Leukocyten, unter denen reichliche Kör-
nerzellen, messen durchschnittlich 10 u, ihr Kern misst 4 u. Im
frisch entleerten Herzblute von Pectunculus traf ich mehrfach
einen eigenthümlichen Flagellaten, dessen Aussehen ich in Figur 27
wiederzugeben versuchte.
= 40. Nueula nucleus (Neapel). Kein Spectrum. Von geformten
Be
84 Griesbach:
Elementen sind nur amöboide Zellen vorhanden, welche das ge-
wöhnliche Verhalten zeigen. Ihre Grösse beträgt 10 bis 12 u.
41. Mytilus edulis (Ostsee: Travemünder Bucht). Das Blut
giebt keine Absorptionsstreifen. Die meisten der 10 bis 13 u
srossen amöboiden Zellen sind mit zahlreichen gelblichgrünen bis
grasgrünen Körnern angefüllt, namentlich im Blute solcher Thiere,
welche sich an Pfählen angesponnen ‚hatten. Bei den Bewegungen
der nicht fixirten Zellen werden. diese Körner häufig aus dem
Zellenleibe ausgestossen; in mehreren Fällen habe ich auch den
4 u grossen Kern austreten sehen. Derartige lebhaft grün ge-
färbte Inhaltskörper der Leukocyten habe ich ausser bei Mytilus
nur noch einige Male bei Ostrea angetroffen. Aehnliches ist von
Ryder für Ostrea beschrieben worden. Die während 1!/, Stun-
den verfolgten Bewegungserscheinungen der nicht fixirten Leuko-
cyten habe ich in Figur 25 wiedergegeben.
42. Modiola adriatica und barbata (Neapel). Kein Spectrum,
Leukocyten gewöhnlich, 10 bis 12 u im Durchmesser (Fig. 17a).
43. Lithodomus dactylus (Neapel. Wie Modiola. |
44. Dreyssena polymorpha (Rhein-Rhone-Kanal). Wie Mo-
diola. Leukocyten 8 bis 11 u. |
45. Avicula hirundo (Neapel). Das Blut giebt keine Ab-
sorptionsstreifen, die Grösse der amöboiden Zellen beträgt 12 bis
14 u (Fig. 15a b).
46. Pinna nobilis, die in Neapel schwer zu beschaffen ist, ge-
langte einen Tag vor meiner Abreise in meine Hände. Ich konnte
nur noch feststellen, dass das Blut keine Absorptionsstreifen aufweist.
47. Pecten varius (Neapel). Absorptionsstreifen sind im
Blute nieht wahrzunehmen. Die Blutkörperchen zeigen das ge-
wöhnliche Verhalten und ihre Grösse beträgt 11 bis 14u. Im
Herzblute finden sich allerhand Krystalle (Fig. 28), dieselben
zeigen langgestreckte oder vieleckige Form und brechen das
Licht doppelt. Die ersteren erscheinen bei bestimmter Einstellung
oft röhrenartig und legen sieh häufig mit ihrer Längsseite anein-
ander. Alle Krystalle sind farblos und zerfallen bei Säurezusatz
unter Aufbrausen !).
48.49.50. Pecten Jacobaeus, pr und textae(Neapel).
Wie Pecten varius, doch habe ich im Blute keine Krystalle angetroffen.
1) Ich lasse es dahin gestellt, ob solche Krystallbildungen im strö-
menden Blute vorkommen, oder sich erst nach der Entleerung bilden.
Beiträge zur Histologie des Blutes. 85
51. 52. 53. Lima hians, inflata und squamosa (Neapel).
Im Blute dieser Thiere habe ich Absorptionsstreifen nicht auf-
finden können, auch nicht bei L. inflata, welche namentlich an
den Mantelfäden lebhaft roth gefärbt erscheint. Die Grösse der
Leukoeyten, von denen bei L. squamosa die Körnerzellen an Zahl
überwiegen, beträgt 8 bis 12 u.
54. ÖOstrea edulis (Nordsee: Wattenmeer bei Wyk auf Föhr).
Kein Speetrum. Die Leukoeyten enthalten häufig grasgrüne Körner-
einlagerungen, über deren Natur ich keine sichere Angaben machen
kann. Ihre Grösse beträgt 9 bis 13 u, der Kern 3 bis 4u.
55. Anomia ephibbium. Kein Spectrum, Leukocyten ge-
wöhnlich, Grösse 9 bis 11 u.
VII. Allgemeine Bemerkungen über den Formenwechsel
von Leukocyten.
Ich bin weit davon entfernt, den nicht fixirten, mannigfal-
tigen Formenwechsel zeigenden Leukocyten alles Leben abzu-
sprechen, aber ich glaube, dass man bei der Entscheidung der
Frage, was bei diesem Formenwechsel etwa vorhandenen Lebens-
äusserungen der contractilen Materie zuzuschreiben ist, was da-
gegen physikalisch-ehemischen Erscheinungen, welche an und in
einer Substanz von der Beschaffenheit des Protoplasmas in Bezug
auf ihre Umgebung sich abspielen, nicht vorsichtig genug zu
Werke gehen kann.
Ein grosser Theil dessen, was als Wanderung von Leuko-
ceyten auf Deckgläsern und Objeetträgern beschrieben, was als
Bewegung an Holundermarkscheibehen gedeutet worden ist, wel-
che eine Zeit lang im Lymphsacke des Frosches verweilten und
dann in der feuchten Kammer unter Beihülfe einer „physiolo-
gischen Chlornatriumlösung“, oder irgend einer anderen Substanz
untersucht wurden, muss ohne Zweifel den wechselvollen und
mannigfaltigen, aber rein physikalisch-chemischen Erscheinungen
der Adhäsion, Diffusion und Absorption von Gasen und Flüssig-
keiten zugeschrieben werden. Einwurfsfreie Beobachtungsmetho-
den, die an den Zellen innerhalb der Blutbahn ausgeübt werden,
und exacte Fixirung beweisen, dass es hinsichtlich der Form-
und Bewegungsverhältnisse der amöboiden Zellen im Organismus
“ während der vollen Entfaltung aller Lebensprocesse ganz anders
86 Griesbach:
hergeht als unter künstlichen Bedingungen und unter dem Mi-
kroskope. Wie ärmlich sind doch unsere technischen Hülfsmittel:
heizbare Objecttische, feuchte Kammern, Reagentien von der Zu-
sammensetzung des Blutserums, dass sie nicht einmal im Stande
sind uns ohne Abtödtung der Zellen die normale Gestalt, ge-
schweige denn die dadurch bedingten ursprünglichen Bewegungen
vorzuführen.
Man spricht von einer physiologischen und pathologischen
Wanderung und Auswanderung der weissen Blutkörperchen und
die Literatur über derartige Beobachtungen ist zu einer enormen
Höhe angeschwollen. Beide Vorgänge werden als Lebensprozesse
gedeutet, Lebensprozesse, bei denen es zu einer staunenswerthen
Kraftentwicklung kommen soll !). Berücksichtigt man aber den
Umstand, dass die Formveränderungen der amöboiden Zellen in-
nerhalb der Gefässbahn, wie die angeführten Methoden uns leh-
ren, in bestimmten und verhältnissmässig engen Grenzen blei-
ben und ganz anderer Art sind als diejenigen, welche man unter
dem Mikroskope beobachtet, so dürfte es geboten erscheinen, die
sogenannten Wanderungen der Leukocyten aufs Neue zu prüfen.
Ein Satz, wie Lavdowsky?) ihn aufstellt: „Die Leukocyten
können im Innern der Gefässe ganz so wandern oder kriechen,
wie ausserhalb derselben“ ermangelt vorläufig eines einwurfsfreien
Beweises. Dass das Umgekehrte nicht der Fall ist, geht zunächst
für die von mir untersuchten Wirbellosen aus den gegebenen Mit-
theilungen mit Sicherheit hervor. Unter solchen Gesichtspunkten
dürfte die bisherige Lehre vom Phagocytismus einer genauen
Revision und insofern einer Einschränkung bedürfen, als von
einer Beobachtung desselben auf dem Objeetträger mit Hülfe
der bisher üblichen Methoden nicht die Rede sein kann). Das
Nämliche gilt auch für Versuche über intracelluläre Verdauung,
falls dieselben an Zellen angestellt werden, welche den Einflüssen
einer ungewohnten Umgebung ausgesetzt sind. j
Ja, meine Bedenken gehen noch weiter. Ich bezweifle
natürlich nicht, dass innerhalb des Organismus amöboide Zellen
1) Lavdowsky, a.a.O. die betreffenden Beschreibungen und
Abbildungen.
2) Lavdowsky, a. a. 0. Bd. 97, S. 188.
3) Dieselben Ansichten spricht Cattaneo a.a.O. aus.
ne
Beiträge zur Histologie des Blutes. 87
fremdartige Elemente irgendwelcher Art aufzunehmen vermögen,
aber ich vermisse in den hierüber existirenden Untersuchungen
einen unanfeehtbaren Beweis einerseits dafür, dass die aufneh-
menden Zellen völlig ungeschädigt sind, andererseits dafür, dass,
wenn die Eindringlinge beispielsweise lebende Mikroorganismen
sind, diese nicht schon vor ihrer Einverleibung. in die Phagocyten
bereits durch die Gewebsflüssigkeiten auf physikalische oder che-
mische Weise abgetödtet oder doch erheblich geschädigt wurden.
Bei eigenen Beobachtungen über die Aufnahme feinvertheil-
ter Substanzen durch die amöboiden Blutzellen der Acephalen
habe ich aus hinreichend betonten Gründen natürlich von Objeet-
trägerversuchen Abstand genommen. Ich liess die frisch gefan-
genen Thiere unter möglichst normalen Verhältnissen im Wasser,
setzte diesem aber fein vertheilte Substanzen, wie Carmin-, Kohlen-,
Kreide- ete. Pulver zu, in der Hoffnung,‘ dass dasselbe auf irgend
einem Wege in das Blut dringen würde. Da dies nicht geschah,
so injieirte ich die in Wasser suspendirten Substanzen durch Ein-
stich in den Fuss und schritt in verschiedenen Zeitabschnitten
zur Untersuchung des Blutes mittels Herzpunetur und schneller
Fixirung der zelligen Elemente. Ich hoffte bei der mikrosko-
pischen Untersuchung die langen Pseudopodien und das Innere
der Zellen mit Carmin ete. beladen zu finden und auf diese Weise
ein instructives Bild über die Aufnahme der genannten Substanzen
zu erhalten. In der That fand ich dieselben in dem Zellenleibe
abgelagert; die Zelle selbst aber in ihrer Form total verändert.
Von den langen normalen Pseudopodien war nichts mehr zu
sehen, sondern entweder erschienen die Fortsätze in der Art, wie
man sie an nicht fixirten Objeeten erblickt, oder die Zellen waren
völlig kugelig und die Zellsubstanz zeigte allerhand Zerklüftungen.
Ich legte mir die Frage vor, ob diese Umwandlungen die Folge
der Substanzaufnahme seien, oder ob vielleicht, ganz abgesehen
von einer aktiven Aufnahme und von einem durch physikalisch-
chemische Bedingungen bewerkstelligten Eindringen der Fremd-
körper in den Zellenleib, das bei der Injection in die Gefässbahn
eingedrungene Wasser die Veränderung der Zellen bewerkstelligt
habe, oder ob beide, die Fremdkörper und das Wasser, dieselbe
hervorgebracht haben könnten. Hinsichtlich der Wirkung der
Fremkörper vermag ich eine sichere Entscheidung nicht zu geben,
dass aber das eingedrungene Wasser in besagter Weise wirksam
838 Griesbach:
ist, dafür spricht folgender Befund: Man braucht das Thier nur
durch Einstich mit Wasser zu injieiren, oder ihm irgend eine mit
Substanzverlust verbundene Wunde?) beizubringen, in welche Wasser
über kurz oder lang eindringen kann, um alsdann bei der unter
den nöthigen Cautelen vorgenommenen Herzpunctur die Leukocy-
ten in derselben Weise verändert zu finden; sie präsentiren sich
auch in diesem Falle entweder als kugelig aufgequollene, oder als
verschieden gestaltete, mit den bekannten stacheligen und lappi-
sen Ausstülpungen versehene Gebilde.
‘ VIII. Kurze Bemerkungen über das Gefässsystem
der Acephalen.
Es ist hier wohl der Ort auf die Frage nach der Wasser-
aufnahme der Mollusken, ‚über welche ich schon seit längerer Zeit
Stillschweigen bewahrt habe, mit einigen. Worten einzugehen.
Nachdem ich vor Jahren, angeregt durch die Untersuchungen
Kollmann’s ?), das Gefässsystem der Najaden und Mytiliden unter-
suchte, kam ich zu der Ansicht, dass bei diesen Thieren eine directe
Wasseraufnahme in das Blut durch Oeffnungen auf der Fusskante,
welche ich Pori aquiferi nannte, vermittelt würde, wodurch ich dann
auch das enorme Schwellungsvermögen der Thiere erklärte. Meine
Mittheilungen riefen alsbald eine Fluth von anderen Arbeiten her-
vor, welche, abgesehen von einigen wenigen, alle zu demselben
Resultate kamen, dass eine directe Wasseraufnahme in das Blut
bei den Acephalen nicht vorkomme, nnd dass die von mir be-
schriebenen Pori aquiferi theils zufällige Zerreissungen, theils
Ausführungsöffnungen von Drüsen seien. Es erscheint überflüssig,
die gesammte Literatur, die seit meinen ersten Mittheilungen über
den Gegenstand erschien, hier besonders aufzuführen, da sie in
betheiligten Kreisen zur Genüge bekannt ist. — Während meiner
Studien über das Blut der Acephalen wurde es mir von Tag zu
1) Es würde festzustellen gewiss ganz interessant sein, inwieweit
die Thiere kleinere oder grössere Wunden überstehen, und ob und in
welcher Weise die Leukocyten sich bei der Regeneration betheiligen.
Eine einmalige Herzpunktur scheint das Leben der Thiere nicht zu
gefährden. |
2) Kollmann, Der Kreislauf des Blutes bei den Lamellibranchia-
ten etc. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 26, S. 96 ff.
|
|
|
Beiträge zur Histologie des Blutes. 89
Tag unwahrscheinlicher, dass bei denselben eine direete Wasser-
zufuhr zum Blute stattfinde. Ich lernte die äusserst empfindlichen
Eigenschaften der Leukoeyten, ihr Verhalten gegen Wasser und
Kochsalzlösung kennen, ich fand bei vielen Arten hämoglobin-
artiges Pigment an besondere zellige Elemente gebunden, das
Alles, im Verein mit den gegentheiligen Angaben der Autoren
liess mich in meinen Ansichten immer schwankender werden.
Als ich endlich erkannte, dass das, durch eime dem Thiere bei-
gebrachte Wunde, in das Blut eindringende Wasser im höchsten
Grade die normale Beschaffenheit der amöboiden Zellen und der
farbigen Elemente, wo solche vorhanden, beeinträchtigt, stand es
bei mir fest, dass eine permanente oder zeitweilige direkte
Wasseraufnahme in das Blut eine physiologische Unmöglichkeit
sei. — Es musste daher mein Bestreben sein, mich durch er-
neuerte anatomische Untersuchung selbst davon zu überzeugen,
dass die von mir als Pori aquiferi beschriebenen Oeffnungen,
wenn überhaupt als natürliche Oeffnungen existirend, eine Com-
munication des umgebenden Mediums mit dem Blute nicht ver-
mitteln. Während meines Aufenthaltes in Neapel hatte ich Ge-
legenheit, mit Schiemenz öfters über den in Rede stehenden
Gegenstand zu sprechen und auch dessen Präparate von Natica
zu studiren, für welche er bekanntlich ein vom Kreislaufsappa-
rat gesondertes Wassergefässsystem beschrieb. Ich ‘sammelte in
Neapel manches Material, welches zum Theil nach den Angaben
von Schiemenz und mit den von ihm verwendeten Massen in-
Jieirt wurde. Ich habe seitdem einen Theil dieses Materiales,
namentlich Cardium, welches auf seinem Fusse eine sehr eigenthüm-
liche Spalte trägt, nachuntersucht, bin damit aber noch nicht
zum Abschluss gelangt. Dagegen habe ich mich nach Anferti-
gung zahlreicher Schnittserien durch den Fuss der Najaden
selbst endlich davon überzeugt, dass die speciell für Anodonta
von mir beschriebenen Spalten durch irgend welche Umstände
hervorgebrachte zufällige Zerreissungen sein müssen, wobei es
mir allerdings noch bis auf den heutigen Tag räthselhaft geblieben
ist, warum dieselben gewöhnlich an derselben Stelle auftraten. Ich
habe viele Mittel versucht, das Thier behufs der vortheilhaftesten
Untersuchung so schnell abzutödten, oder doch zu lähmen, dass
es seinen Fuss nicht mehr in so heftige Contraetionen zu ver-
setzen vermag, wie dies für gewöhnlich bei der geringsten
90 Griesbach:
Manipulation, welche man mit ihm vornimmt, geschieht. Seit-
dem ich bei meinen Untersuchungen über das Blut in der
Punetur des Herzens durch das Schalenschloss einige Fertigkeit
erlangt hatte, verfiel ich auf den Gedanken, den Thieren auf
diese Weise lähmende Nerven- und Muskelgifte beizubringen, um
Contractionen, wenn auch nicht ganz zu beseitigen, doch mög-
lichst einzuschränken. Ich habe mich zu diesem Zwecke des
Curare, allerdings mit wechselndem Erfolge, bedient, auch habe
ich versucht, die Contractionen durch Einlegen der Thiere in
Lösungen von Chloralhydrat abzuschwächen.
Nach meinen Controluntersuchungen bin ich jetzt zur Ueber-
zeugung gelangt, dass eine direete Wasseraufnahme in das Blut
durch Oeffnungen auf der Fusskante bei den Najaden nicht vor
sich geht. Durch die Erkennung der Thatsache, in welch hohem
Grade Wasser verändernd auf die normale Beschaffenheit der im
Blute enthaltenen zelligen Elemente einwirkt, muss überhaupt eine
permanente oder temporäre direete Vermischung des Blutes mit
Wasser für den Organismus als unpraktisch und schädlich zu-
rückgewiesen werden. Dies gilt meiner Ansicht nach nicht nur
für Mollusken, sondern auch für andere im Wasser lebende Wir-
bellose, deren Blut ähnlich wie das der Mollusken beschaffen ist.
— Damit ist allerdings die Frage nach der Wasseraufnahme im
Allgemeinen und nach der bei den Mollusken im Speciellen kei-
neswegs aus der Welt geschafft. Es ist möglich, dass Wasser,
wie bei Echinodermen, auch bei Weichthieren behufs mechani-
scher Verwendung in ein besonderes Wassergefässsystem aufgenom-
men wird, wie dies nach den Untersuchungen von Schiemenz
kaum noch zu bezweifeln ist. Dass dies nur bei Natiea josephina
und „vielleicht wenigen anderen Meeresschnecken“, wie Fleisch-
mann!) meint, der Fall sein soll, scheint mir, bevor darüber
nicht weitere Untersuchungen vorliegen, eine voreilige und etwas
kühne Behauptung.
1) Fleischmann, Die Wasseraufnahme bei Mollusken. Biolog,
Centralblatt. 1888. No. 23, S. 716.
Beiträge zur Histologie des Blutes. 91
IX. Zusammenfassung.
1. Der rothe Blutfarbstoff mancher Acephalen (Poromya
- granulata, Solen legumen, Tellina planata, Capsa fragilis, Astarte
fusea (?), Cardita aculeata, Arca tetragona, Arca Noae, Peetunculus
ge eimeris) ist Hämoglobin, oder steht diesem sehr nahe.
2. Das Pigment ist in besonderen scheiben- oder kugel-
j förmigen Zellen enthalten, welche eine deutliche Membran be-
‚sitzen. Das Pigment ist theils überall gleichmässig vertheilt,
theils findet es sich noch in gröberen Kömern abgelagert.
3. Die Structur des Zellenleibes der farbigen Blutzellen
erscheint nach besonderen Behandlungsmethoden als eine fein-
streifige, die Streifen zeigen zarte Granulirung.
| 4. Die farbigen Zellen führen einen deutlichen, mit so-
genannten Kernkörperchen versehenen Kern von verschiedener
Form, welcher von einer Membran und manchmal von einem
„freien Raume“ im Sinne der Autoren umgeben wird. In einzel-
nen Zellen finden sich zwei Kerne. Eine fädige Beschaffenheit
_ der Kernsubstanz im Sinne der Autoren kam nicht zur Beob-
| achtung. Theilungsprozesse wurden nicht wahrgenommen.
e 5. Von Leukoeyten der Acephalen kann man_zwei ver-
" schiedene Arten unterscheiden, solche, die mit gröberen Körnern
_ angefüllt sind, und solche, in denen sich diese Körner nicht fin-
den. Die Zahl der Körnerzellen ist eine schwankende. Die
‚Körner besitzen bei einzelnen Arten eine grünliche Farbe.
6. Beide Arten von Leukocyten bestehen in ihrem Zellenleibe
aus zwei verschiedenen Substanzen, eine von ihnen ist mehr eonsistent
und besitzt eine spongiöse Beschaffenheit, die andere ist mehr weich
und füllt die Zwischenräume der ersteren aus. Beide Substanzen
lassen sich durch geeignete Fixirungs- und Färbemittel deutlich
von einander unterscheiden, woraus auf ihre chemische Verschie-
denheit zu schliessen ist; doch gelang es mit Sicherheit nicht, in
"ihnen weitere Structuren aufzufinden.
1. Bei Versuchen die Zellen im lebenden Organismus mit
Hülfe der durch Diffusion in das Blut eindringenden Farbstoff-
lösungen zu tingiren, stellt sich heraus, dass eine Aufnahme des
Farbstoffes erst dann stattfindet, wenn die Zellen ihre normale
Beschaffenheit eingebüsst haben.
92 Griesbach:
8. Vacuolen wurden in den intacten Zellen nieht aufge- |
funden, wohl aber bilden sich solche in nicht fixirten Zellen.
9. Die von der Spongiosa umschlossene Zwischensubstanz °
besitzt in hohem Grade die Eigenschaft der Contraetilität und
vermag Pseudopodien auszustrecken. An den Stellen, wo dies -
geschieht, begleitet die Spongiosa den Fortsatz eine Strecke weit
in Form einer Scheide. Manchmal ist nur ein Fortsatz vorhan-
den, in anderen Fällen finden sich zwei oder mehrere Pseudo-
podien, doch bleibt ihre Anzahl nur gering.
10. Diese normalen innerhalb der unverletzten Gefässbahn |
von den Zellen entwickelten Fortsätze haben bisher nicht genü-
gende Berücksichtigung erfahren. Ihre Bildung hängt lediglich
von der Contractilität, als vitale Eigenschaft des Protoplasma,
ab. Mit diesen Fortsätzen verankern sich die Zellen unter ein-
ander nie. An Länge übertreffen sie den Zelldurchmesser oft.
um das Drei- bis Fünffache. Ihr Aussehen ist ein ganz charak-
teristisches, so dass eine Verwechslung mit anderen Fortsätzen,
welche an nicht fixirten Zellen ausserhalb der Gefässbahn auf-
treten, unmöglich ist. Diese letzteren, die sehr verschiedene
Form besitzen, sind zwar auch Bestandtheile der Zwischensub-
stanz, können aber nicht mehr als normal betrachtet werden, und
die Ursache ihrer Bildung muss ausserhalb der Zelle in Einflüssen
der Umgebung gesucht werden, welche tiefgreifende Verände-
rungen an den Leukocyten hervorzubringen vermögen. Zu die-
sen gehört beispielsweise die Plasmochise und die Bildung von
Plasmodien. |
11. Die Bewegungen der normalen Pseudopodien lassen |
sich mit Hülfe der bisher bekannten Methoden auf dem Deckglas’
nicht verfolgen.
12. Die periphere Begrenzung der contractilen Materie’
wird durch eine sogenannte Plasmahaut bewerkstelligt. Dieselbe
ist für die Funetion der Zelle im strömenden Blute von wichtiger
Bedeutung. Ausserhalb der Blutbahn bewirken die Einflüsse der
Umgebung eine mehr oder weniger schnelle Veränderung der
Plasmahaut, womit eine Schädigung der vitalen Eigenschaften
der Zelle Hand in Hand geht. |
13. Alle Leukocyten der von mir untersuchten Acephalen
besitzen einen deutlich ausgebildeten, kugeligen oder etwas ovalen
Kern, derselbe wird von einem „freien Raume“ umgeben, durch
Beiträge zur Histologie des Blutes. 93
welchen radienartig feine Stützfäden verlaufen, deren Ursprung
und Endigung nicht festgestellt werden konnte.
14. Die Lage des Kernes ist eine verschiedene, die Lage-
veränderung steht mit dem Formenwechsel der Zelle in Zusam-
menhang. |
15. Der Kern besteht aus zwei chemisch verschiedenen
Substanzen, welche durch Doppelfärbung deutlich zu machen
sind; in der Grundsubstanz ist mit Sicherheit eine feinere Struec-
tur nicht wahrzunehmen. In derselben befinden sich allerlei
Bälkchen und klumpige Massen, welehe die verschiedensten For-
men zeigen. Von einer Netzstructur im Sinne der Autoren kann
im dem Kerne der Acephalenleukocyten nieht die Rede sein.
Eine Kernmembran konnte nicht nachgewiesen werden.
16. An den Leukocyten kamen Theilungsvorgänge nicht
zur Beobachtung. R;
17. Bei einigen Acephalen finden sich im Blute Krystall-
bildungen, die auf Säurezusatz unter Aufbrausen zerfallen, doch
muss es dahin gestellt bleiben, ob diese Krystalle im strömenden
Blute vorkommen, oder sich erst nach der Entleerung bilden.
18. Die manmnigfaltigen Bewegungserscheinungen der mit
dem Blute entleerten Leukocyten sind zum grossen Theil Tempe-
raturdifferenzen und physikalisch-chemischen Einflüssen_der Um-
gebung zuzuschreiben. Aus diesem Grunde bedarf die Lehre vom
Phagoeytismus einer gründlichen Revision.
19. Das Eindringen von Wasser in die Blutbahn des le-
benden Thieres schädigt das normale Verhalten der farbigen und
farblosen Blutzellen. »
20. Eine directe Wasserzufuhr zum Blute ist daher aus
physiologischen Gründen unmöglich.
Nachtrag.
Erst vor Kurzem habe ich von der mir gütigst übersandten,
am 20. Juni im Abdruck vollendeten Arbeit Pfeffer’s: „Ueber
Aufnahme und Ausgabe ungelöster Körper und zur Kenntniss
der Plasmahaut und der Vacuolen ete.“, (Abhdlg. der math.-phy-
sik. Kl. der Kgl, Sächs. Gesellschaft d. Wiss. Bd. XVI) Einsicht
nehmen und dieselbe aus diesem Grunde nicht mehr berücksich-
ligen können. Pfeffer’s Mittheilungen über Bildung von nor-
malen und künstlichen Vacuolen im Zellplasma, über die Ent-
stehung einer Plasmahaut und deren Verhalten zu der Umgebung
94 Griesbach:
der Zellen, sowie über die Cohäsion und die Ausgestaltungen
des Protoplasma sind von weitreichender biologischer Bedeutung,
die sich auch bei ferneren Studien über thierische Zellen, beson-
ders über Leukocyten, bemerklich machen wird.
Schon in meiner vorstehenden Arbeit finden sich manche
Punkte, welche sich an die Ausführungen Pfeffer’s anlehnen.
In einer neuen Arbeit von Auerbach: „Zur Kenntniss der
thierischen Zellen“ (Sitzungsb. der Königl. Preuss. Akad. d. Wiss.
Sitzung der physik.-mathem. Kl. vom 26. Juni, ausgegeben am
3. Juli), welehe mir durch die Güte des Herm Verf. zuging,
wird ebenfalls, wie in meinen vorstehenden Mittheilungen, eine
Doppelfärbung im Zellkerne beschrieben, wobei sich zahlreiche
Nucleoli darstellen, die nicht Knotenpunkte eines Netzwerkes
sind, welches Auerbach überhaupt nicht als normales Verhalten
betrachtet (S. 740 [6]), sondern welches, wie er meint, theils un-
absichtlich hervorgerufen, theils planmässig in schönster Form
erzeugt werden könne. |
Ich habe schon an anderen Orten, zuletzt in der Münchener
Medizin. Wochenschrift, 1889 Nr. 43, darauf hingewiesen, dass”
wir durch Färbungsmethoden, welche den Werth von chemischen
Reactionen besitzen, auch der chemischen Beschaffenheit des Zell-
kernes allmählich näher kommen dürften. Wie sehr überhaupt‘
geeignete Färbungen immer mehr den Werth von chemischen
Reactionen beanspruchen, zeigt auch wieder die Arbeit von
Hoyer: „Ueber den Nachweis des Mucins in Geweben mittels”
der Färbemethode“ (dieses Archiv Bd. 36), welche mir der Herr Verf.
gütigst übersandte. Es war mir unbegreiflich, dass Hoyer, der,
wie ich, die chemische Theorie der Färbung, wenigstens für das von’
ihm behandelte Object, vertritt, wie aus seinen Mittheilungen auf
S. 320, 333, 350 und 360 unzweideutig hervorgeht, meine Arbeiten‘
über Färbungen mit keinem Worte erwähnt. Dies zwar mir um
so auffälliger, da ich bei der Beschreibung meiner auf der Würz-
burger Anatomenversammlung demonstrirten Präparate (A. A. 1888
Nr. 23—25) ein zu Tinetionen sehr geeignetes Phenosafranin”
für die Muein führenden Lippendrüsen erwähnte, und schon
früher das Jodgrün als vortrefflieh zur Erkennung von Schleim”
produeirenden Drüsen bezeichnete. Aus brieflichen Mittheilungen,
welche Herr Prof. Hoyer mir zu machen die Güte hatte, erkenne”
ich nun, dass er diese, so wie einige andere, das Knorpelgewebe”
betreffende, Punkte in meinen Arbeiten übersehen hatte. |
Beiträge zur Histologie des Blutes. 95
Ganz neuerdings erhielt ich eine Arbeit von Löwt: Ueber
Amitose (Centralbl. f. allgem. Pathol. u. pathol. Anat. Bd. I 1890),
in weleher er das Aussehen des Kernes der Krebsblutleukocyten
in ähnlicher Weise beschreibt, wie ich dies für die Acephalen
gethan habe. Endlich möchte ich noch bemerken, dass ich auf
das Buch Altmann’s: Die Elementarorganismen, Leipzig, Veit.
1890, in vorstehender Arbeit nicht mehr eingehen konnte.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel III u. IV.
Es bedeutet für alle Figuren: k Kern; pg Pigment; m Membran; mf
Membranfalten ; ps normale Pseudopodien ; g Körnereinlagerungen der
Leukocyten; p nicht normale Pseudopodien; n Nucleolen; st Stütz-
fäden des Kernes; h freier Raum um den Kern.
Fig. 1. Blutkrystalle, welche durch Einwirkung von Eisessig und
Chlornatrium auf das Blut von Peetunculus glycimeris gewon-
nen wurden.
Fig. 2. Dieselben in Bezug auf den Pleochroismus und die Auslöschung
XB=271/,0; Ka konnte wegen der Kleinheit der Krystalle
nicht genau gemessen werden. -
Fig. 3. Farbiges Blutkörperchen von Poromya granulata. Der Zellen-
leib ist schwach gelb gefärbt und enthält mehrere gröbere
braunrothe Pigmentkörner. Der excentrisch gelegene Kern
tritt deutlich hervor. Engelbert und Hensoldt Syst. IV.
Oe. I. Cam.
Fig. 4. Farbiges Blutkörperchen von Cardita aculeata nach Behand-
lung mit Pikrokarmin. E. & H. Syst. IV. Oc. I. Cam.
Fig. 5. Farbige Blutkörperchen von Arca Noae mit spärlichen roth-
braunen Pigmentkörnern. a, b im natürlichen Zustande, c
nach Behandlung mit Essigsäure vom spec. G. 1,060. E.&H.
Syst. IV. Oc. I. Cam.
Fig. 6. Farbige Blutkörperchen von Solen legumen. a Form von der
Fläche gesehen, b Form von der Kante gesehen. Bei c und
d sind dieselben mit dem Pigment dargestellt; bei d nach
Einwirkung von concentrirter Essigsäure. E. & H. Syst. IV.
Oc. II. Cam.
Fig. 7. Farbige Blutkörperchen von Arca tetragona. Bei a und b,
Flächenansicht, bei e Kantenansicht. Bei d mit dem Pigment
dargestellt, um den Kern ist eine pigmentfreie Zone sichtbar.
= E. & H. Syst. IV. Oc. I. Cam.
Fig. 10.
inne au Ei
Tue, 19.
Fig. 14.
Fig. 15.
Griesbach:
Farbige Blutkörperchen von Capsa fragilis. Bei a bis e zeigen
die Zellen durch Druck allerhand Faltungen ihrer Membran.
f bis h die Zellen nach Einwirkung von Pikrokarmin, bei g
erscheint der Kern doppelt, bei h nierenförmig. i nach Ein-
wirkung von Glycerin. E. & H. Syst. IV. Oc. I. Cam.
Farbige Blutkörperchen von Pectunculus glyeimeris. a bis d
Druckformen. E. & H. Syst. IV. Oe. I. Cam. e bis h nach
Einwirkung von Essigsäure vom spec. Gew. 1,060; bei e er-
scheint der Kern kugelig, bei f und h nierenförmig, bei g
mehr in die Länge gezogen. E. & H. Syst. IV. Oec. I. Cam.
Farbige Blutkörperchen von Tellina planata. a bis e nach
Einwirkung von Glycerin. E. &H. Syst. IV. Oc. I. Cam. Bei
f nach Einwirkung von Essigsäure vom spec. Gew. 1,060. Die
Pigmentkörner haben sich zusammengehäuft und verdecken
den, wie es scheint, an dieser Stelle gelegenen Kern, im Zel-
lenleibe tritt eine feine Granulirung auf. E. & H. Syst. IV.
Oe. I. Cam.
a bis e Körnerzellen aus dem Herzblute von Mya arenaria
mit Osmiumsäure fixirt. In e ist der Kern nicht sichtbar. In
b der Fortsatz stark retrahirt, oder im Begriff sich auszu-
strecken. E. & H. Syst. IV. Oc. III. Cam.
. Körnerzelle aus dem Herzblute von Unio pietorum mit AuCl;
fixirt. Es hat den Anschein, als bestände der normale Fort-
satz aus zwei der ganzen Länge nach dicht aneinander gela-
gerten dünneren Pseudopodien. An einzelnen Stellen hat die
Zelle das Aussehen, als wolle die Zwischensubstanz aus der
Spongiosa hervorquellen, oder als hätte sie sich soeben re-
trahirt. E. & H. Syst. IV. Oe. II. Cam.
a Leukocyt aus dem Herzblut von Anodonta cellensis nach
Fixirung mit Osmiumsäure, b von Mya arenaria nach Fixirung
mit Goldehlorid. Die Spongiosa erscheint dunkel, die Zwischen-
substanz hell. Um den Kern erscheint ein freier Raum, durch
welchen feine Fasern verlaufen. In b umgiebt die contractile |
Zwischensubstanz die ganze Zelle, und fliesst an einem Pole
pseudopodienartig zusammen. Zeiss. Homog. Imm. Num. Apert. |
1,30 aeq. Brennw. 2,0. Tubuslänge 160. Oc. VIII. Abb. Cond.
Irisbl. 1 mm. j
Leukocyt aus dem Herzblute von Anodonta cellensis. Gleich-”
zeitige Fixirung mit Osmiumsäure und Doppelfärbung mit
Methylgrün und Rhodamin. Die Spongiosa erscheint dunkel-
blauroth, die Zwischensubstanz violettroth, letzteren Farbenton
zeigen auch die bipolar angeordneten normalen Pseudopodien,
der eine Fortsatz ist dichotomisch gespalten. Der Kern tritt
deutlich hervor, die Balken erscheinen blaugrün, die Zwischen-
substanz ist roth. Zeiss. Homog. Imm. Num. Apert. 1,30. aeg.
Brw. 2,0. Tubuslänge 160. Oc. XTI. Abb. Cond. Irisbl. 1Imm.
a, b nicht fixirte Leukocyten aus dem Herzen von Avicula
Fig. 16.
Fig. 17.
Fig. 18.
Fig. 19.
Fig. 21.
Fig. 22.
Beiträge zur Histologie des Blutes. 97
hirundo bei Behandlung mit Methylenblau nach 4stündiger
Einwirkung der Farbstofflösung auf das darinliegende Thier.
An den Zellen, welche anfangs kaum gefärbt erschienen, färbt
sich die Spongiosa während der Beobachtung durch Aufnahme
des Farbstoffes aus der Blutflüssigkeit immer dunkler und
zeigt einen mehr fädigen Bau. Die Zwischensubstanz, welche
in Form grosser gelappter Fortsätze aus der Spongiosa her-
vortritt, bleibt so gut wie ungefärbt. In b ist der Kern sicht-
bar, doch war derselbe, als die Zeichnung angefertigt wurde,
kaum gefärbt; bei f ist der Farbstoff massig abgelagert. E.&H.
Syst. IV. Oe. II. Contouren mit Cam.
Nicht fixirte Zelle aus dem Herzen von Cardium tuberculatum
bei Einwirkung von Essigsäure vom spec. Gew. 1,060. Die
hervorquellende Zwischensubstanz lässt eine Art fädig-granu-
lirte Beschaffenheit erkennen und beherbergt den mit ausge-_
tretenen Kerh. E. & H. Syst. V (Imm.). Oe. I.
a Körnerzelle aus dem Herzblute von Modiola adriatica, b
von Anodontä cellensis, Fixirung mit Osmiumsäure c von
Anodonta cellensis, Fixirung mit Goldchlorid, Körner wenig
zahlreich. Bei v eigenthümliche Bildungen, die wie Vacuo-
len aussehen, s. Text. E. & H. Syst. IV. Oec. DH. Contouren
mit Cam.
a, b, € Leukocyten aus dem Herzblute von Unio pietorum.
Der Zellenleib enthält nur wenige Körner. Fixirung mit Os-
miumsäure E. & H. Syst. IV. Oc. II. Cam.
Leukoecyten aus dem Herzblute von Anodonta cellensis. a mit
Pikrinschwefelsäure und Jodjodkaliumlösung fixirt und gefärbt.
b ebenfalls mit Jodjodkaliumlösung gefärbte nicht fixirte Zelle.
Die Zelle a trägt einen starken normalen Fortsatz, welcher
denselben Farbenton aufweist wie die stacheligen und lappi-
gen nicht normalen Fortsätze der Zelle b; den helleren Far-
benton zeigt auch die nicht ausgeflossene Zwischensubstanz.
In b ist um den Kern eine helle Zone sichtbar. E. & H.
Syst. IV. Oc. I. Contouren mit Cam.
Leukocyten mit wenigen Körnern aus dem Herzblute a von
Cytherea chione, b und c von Mactra stultorum. Fixirung
mit Goldehlorid. Bei b und c sind die normalen Pseudopo-
dien bipolar, bei a multipolar angeordnet. E. & H. Syst. IV.
Oe. II. Cam.
Leukocyten aus dem Herzblute von Solecurtus strigillatus.
Fixirung mit Osmiumsäure. Bei a zeigt das Mittelstück eines
der normalen Ausläufer eine kurze Abzweigung w. Bei b ist
das Ende eines derselben diehotomisch gespalten w!., Dieser
Ausläufer scheint eine Strecke weit mit einer Spongiosascheide
umgeben zu sein. E. & H. Syst. IV. Oe. II. Formen mit Cam.
Körnerzellen aus dem Herzblute von Anodonta cellensis, 10
Minuten nach der Entleerung auf dem Deckglas fixirt. a und
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 37 {|
98
Fig.
23.
ID
SL
„26.
. 1 bis 11 Formänderung einer und derselben Zelle aus dem
. Im Herzblute von Peetunculus glyeimeris gefundener Flagel-
. Nichtfixirte Zelle, myelintropfenähnliche Gebilde und Kr ystalle
. Krystalle aus dem Herzblute von Tellina baltica. E. & H.
. Leukocytenkerne von Anodonta cellensis. a bei Behandiung
'
b mit Chromosmiumessigsäure, ce und d mit Pikrinschwefel-
säure. Die Zellen a, b, d haften am Deckglase und ihre lap-
pigen Ausläufer zeigten vor der Fixirung eigenthümliche Be-
wegungen. Die beiden Zellen bei b, ursprünglich von einan-
der getrennt, flossen während der Beobachtung vor der Fixi-
rung mit ihren lappigen Ausläufern zusammen. Die Zelle e
haftete nicht am Deckglase, sondern war im Tropfen suspen-
dirt. Nach Zusatz der Fixative hörten die Bewegungen auf
und es schien eine geringe Verkleinerung der Dimensionen
einzutreten. Kerne und Körner treten scharf hervor. E.&H.
Syst. IV. Oe. III. Contouren mit Cam.
a, b, e Contouren von »Leukocyten aus dem Herzblute von
Anodonta cellensis, unmittelbar nach der Entleerung auf ein
mit Oel bestrichenes Deckglas gebracht. Die beiden Figuren
bei a repräsentiren dieselbe Zelle, deren blasige Ausstülpung
fortwährend wechselnde, wogende und gleitende Bewegung
ausführte. Von der Zelle b haben sich myelintropfenähnliche
Gebilde abgelöst. Die Zelle bei e erscheint langgestreckt mit
mehreren Einschnürungen versehen. E. & H. Syst. IV. Oc.l.
Griesbach:
. a, b Plasmoschise zweier Leukocyten aus dem Herzblute von
Anodonta cellensis. Zelle a 3 Minuten nach der Entleerung,
Zelle b 91/, Minute nach der Entleerung. Anwendung von Eis
s. Text: E.”& H. Syst. IV. Oc. HI.
Herzblute von Mytilus edulis während 11/, St. Der Zellenleib
enthält grobe, mehr oder weniger kugelige grünliche Körner,
deren Austritt aus demselben während der Veränderungen
wahrgenommen wurde. E. & H. Syst. IV. Oe. I. Cam. :
al bis g! Leukocytenformen aus dem Herzen von Arca tetra-
gona. Fixirung mit Pikrinschwefelsäure E. & H. Syst. IV.
06.1. Cam. N
lat. Zeiss homog. Imm. !/ıa Oc. VII.
aus dem Herzblute von Pecten varius. E. & H. Syst. IV.
06.8. Cam.
Syst. II. Oc. I. €ain.
mit Chromosmiumessigsäure, b mit Goldehlorid. Die Bieg gungen
und Knickungen zeigenden Kernbalken erscheinen bald me
oder weniger zusammenhängend, bald isolirt. Zeiss homog
Imm. Num. Apert. 1,30. Aeq. Brennw. 2,0. Tubusl. 160 mm. Oe.1
Abl. Cond. Irisbl. 1 mm.
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‚Archiv [[mikroskon. Anatomie. Bd. KK.
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Beiträge zur Histologie des Blutes. y9
Verbesserungen.
"S eite 42 Zeile 5 der Anm: 1 lese man: Metatetramethyldiamidodioxy-
j phenolophtalein.
Seite 55 Zeile 15 muss es vor der Zahl 26 statt 24a 24 heissen.
Seite 65 Zeile 31 muss hinter der Zahl 17 noch der Buchstabe ce stehen.
Seite 69 Zeile 7 muss es statt Fig. 22a b Fig. 22a Db.d heissen.
Seite 70 Zeile 6 muss es statt 96 2 a 24a heissen.
‚Seite 82 Zeile 28 muss es statt fixirte Zellen fixirte Zelle heissen.
(Aus dem anatomischen Institut der Universität Bonn.)
Die Conjugation und Sporenbildung
bei Gregarinen.
Von
Max Wolters.
Hierzu Tafel V— VII.
Einleitung.
Die letzten Jahrzehnte haben die Systematik und die Kenntniss
jder biologischen Vorgänge bei den Gregarinen wesentlich gefördert.
ine übersichtliche und erschöpfende Darstellung ist erst vor we-
nigen Jahren von Bütschli gegeben worden. 3
Obwohl man aber auf den verschiedensten Wegen versucht
hat, Klarheit über die Lebensvorgänge zu erhalten, so ist es doch
bisher nur zum kleinsten Theile gelungen, absolut feststehende
Resultate zu gewinnen. Das Beobachtungsmaterial ist äusserst
reich, aber auch äusserst verschieden, sodass eine durchgreifende
Gesetzmässigkeit vorläufig sich nicht wird erkennen lassen.
5 Einer der am meisten bearbeiteten und untersuchten Lebens-
processe, dessen Erforschung gleichwohl noch nicht zu einem
befriedigenden Abschluss gekommen, ist der der Fortpflanzung.
Am zahlreichsten sind die Untersuchungen über diesen Vorgang
bei den leicht zugänglichen Gregarinen des Regenwurmhodens,
der Monocystis magna und agilis. |
_ Ein Punkt, der von allen Forschern, mögen sie zu Resultaten ge-
Ommen sein, zu welchen sie wollen, noch nicht berücksichtigt wurde,
ist der: Welche Rolle spielt der Kern bei der Fortpflanzung, welche
Veränderungen lassen sich an ihm während dieses Vorganges wahr-
iehmen ? „Ueber Theilungsvorgänge des Kernes der Gregarinen ist
100 Wolters:
bis jetzt durchaus Nichts bekannt; sein Verhalten bei der Eneysti-
rung, Copulation und der Fortpflanzung überhaupt wird späterhin
zu betrachten sein.“ So lautet der Schlusssatz des dem Nucleus
in Bütschli’s Werk gewidmeten Kapitels. In den späteren Ab-
theilungen über Copulation und Eneystirung ist aber auch nur
wenig über den Kern und seine Betheiligung enthalten, da die
bis zum Erscheinen des Werkes bekannten Arbeiten ebenso wenig
darüber enthalten, wie die neuesten Publieationen.
Auf Vorschlag meines verehrten Lehrers, Herrn Professor
Nussbaum, unternahm ich es, den Kerm der Gregarinen, sein
Verhalten bei der Fortpflanzung ebenso wie diese selbst einer
erneuten Untersuchung zu unterziehen.
Meine Studien beschränkte ich auf die Monoeystideen des
Regenwurmhodens, die Clepsidrina Blattarum und die Klossia der
Schneckenniere. Ich werde daher im Wesentlichen nur auf diese
Species eingehen und alles andere thunlichst bei Seite lassen.
Gegenwärtiger Stand der Kenntnisse.
1. Die Kernverhältnisse der Gregarinen.
Die Monocystideen des Regenwurmhodens, vor allem‘ des
Lumbrieus agricola, den ich vornehmlich verwendet habe, sind
die Monocystis magna und agilis, die in jedem Hoden zu finden
sind. Die andern Species, Zygocystis cometa, Monoeystis cristata,
Monoeystis euneiformis, Monocystis minuta, habe ich kaum darin '
gefunden. Die erstgenannte Species, Monoeystis magna, besitzt
einen längsovalen Kern mit grossem Kernkörper, der gewöhnlich
schräge bis senkrecht zur Längsaxe des Thieres liegt. Der Kern
soll bei allen erwachsenen Individuen vorkommen, während jugend-
liche Entwickelungsformen diesen vermissen lassen. Bütschli?)
glaubt aber auch für diese den Kern als vorhanden behaupten
zu müssen. D’Udekem beschreibt, zwei Kerne bei der Mo-
nocystis magna gesehen zu haben; ähnliche Erscheinungen bei
anderen Gattungen haben Kölliker, Leydig, A. Schneider
1) Ich verweise in Bezug auf die Litteratur auf die Zusammen-
stellung in Bütschli’s Werk und werde nur die später erschienenen
Arbeiten eitiren.
_ Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 101
‚behauptet. R. Pfeiffer (Berlin) trat gelegentlich der Demon-
‚strationen im Hygienischen Institut für einen doppelten Kern bei
Polyeystideen ein, von denen der eine sogar im Protomerit lie-
‚gen sollte.
Von der Monoeystis agilis wird auch allgemein das Vorhan-
densein eines Kernes berichtet. Nur Ray-Lankester vermisste
ihn gelegentlich. Der Kern ist nach v. Beneden und A. Schnei-
_ der bläschenförmig voll Flüssigkeit, nach v. Frantzius und
Stein ein solider, gallertartiger Körper, der nach A. Schneider
allein den Kern ausmacht, oder sogenannte Nucleoli verschiedener
Zahl und Beschaffenheit enthält. Die Nucleoli sind homogen stark
liehtbrechend. |
h Die Gattung Clepsidrina soll nach A. Schneider nur einen
und zwar ansehnlichen Kernkörper enthalten. Bütschli beschreibt
‚dagegen einen Haufen kleiner Nucleoli, die in ihrer Gesammtheit
als einer imponiren können; doch soll das jugendliche Individuum
nur einen solchen besitzen und erst das zunehmende Älter diesel-
ben vermehren. Kölliker glaubt die grössere Anzahl Nucleoli
durch Zerfall entstanden, da man auch gelappte findet, die nach
Bütschli’s Ansicht ebenso gut für eine spätere Verschmelzung
‚sprechen können.
2. Die Conjugation der Gregarinen.
Stein fasste zuerst die Syzigienbildung als Conjugation auf,
die von anderen Forschern, wie Kölliker, als ein 'Theilungs-
vorgang angesehen wurde. A. Schneider giebt die Syzygien-
bildung als Copulation zu, lässt die Individuen sich dann wieder
trennen und solitär eneystiren, oder wenigstens nieht verschmolzen,
Doppeleysten bilden. Bütschli, der bei zwei Polyeystideen die
Eneystirung der Syzygie beobachtet, stimmt der Ansicht Stein’s
bei. Henle sah zuerst Regenwurmmonocystis gepaart mit
den gleichnamigen Körperenden aneinander. Bruch und Lie-
berkühn behaupten eine solitäre Eneystirung der Monoeystis
agilis im Regenwurmhoden, ohne den Beweis dafür beizubringen.
A. Schmidt bestreitet die Conjugation; er sah einen sich ab-
_ schnürenden Theil des Gregarinenleibes, der sich dann eneystiren
soll. Ruschhaupt!) hat eine ähnliche Auffassung des Vorganges
4
1) Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaften Bd. 18, S. 713,
102 Wolters:
geäussert. Die Gregarine des Regenwurmhodens eneystire sich soli-
tär, oder sie schnüre ihre Leibessubstanz ein; es resultiren zwei
kugelförmige Gebilde, in denen die Sporulation vor sich gehe.
Ob nieht zwischen den beiden Individuen der eneystirten
Syzygie doch ein vorübergehender conjugativer Austausch statt-
findet, der für die Sporulation von Bedeutung, ist noch nicht
ausgemacht (Bütschli). |
Welche Rolle dem Kerne bei all diesen Vorgängen zukommt,
ist nirgend erwähnt; er hat für die meisten Forscher bei dem
ganzen Process nicht viel zu bedeuten, wie es scheint.
Kurz nach erfolgter Eneystirung soll der Kern, respective
die Kerne der beiden Copulanten schr undeutlich werden. Sie
entziehen sich zuletzt dem beobachtenden Auge ganz und sind
im Inhalte der ausgequetschten Cyste nicht mehr zu finden. Der
Schluss, der daraus gezogen wird, lautet: Der Kern geht nach
der Eneystirung durch Auflösung zu Grunde. Bütschli bezwei-
felt die Richtigkeit dieser Ansicht, da es bei einer Gregarinen-
form geglückt sei, auf späteren Entwickelungsstadien der Cysten
zahlreiche Kerne zu constatiren. Wesentliche Umbildungen lassen
sich nach der Eneystirung schon an den noch vorhandenen Kernen
zum Theil constatiren, da sie bei Clepsidrina Blattarum die Nu-
cleoli ganz verloren haben und in ihrer Grösse redueirt erscheinen.
5]
3. Sporenbildung bei den Gregarinen.
Auf die Eneystirung folgt nach einiger Zeit die Bildung der
Sporen. Bütschli behauptet, vor der Verschmelzung der Leiber
träten bei Clepsidrina Sporen an der Peripherie auf, während
Stein die Thierleiber vor der Sporenbildung verschmelzen lässt.
Bei den Monoeystideen des Regenwurmes soll der Process
vor sich gehen, wie ihn Bütschli zusammenfassend in seinem
Werke beschreibt: Die Sporulation geschieht dadurch, dass auf
der Oberfläche des solitär eneystirten, oder der beiden noch nicht
verschmolzenen copulativ eneystirten. Thiere helle, plasmatische
Zellen hervorknospen, welche sich schliesslich ablösen, frei wer-
den und gewöhnlich in einer Schieht peripherisch unterhalb der
Cystenhaut angeordnet sind. Der bei der Sporulation unver-
brauchte körnige Rest des oder der Gregarinenkörper zerfällt”
nun in eine wechselnde Zahl kugeliger oder unregelmässig ge-
stalteter Gebilde, vielleicht nachdem vorher eine Verschmelzung”
FE
£
ne
. be
Br |
Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 103
_ der beiden Körper stattgefunden. Diese Reste der ursprünglichen
_ Gregarinenkörper haben, wie es scheint, keine weitere Bedeutung.
In ihrem Inneren treten gewöhnlich mehr oder minder ansehn-
liehe Vaceuolen auf und häufig sieht man von ihrer Oberfläche
protoplasmatische Fadennetze entspringen, welche das Innere der
Cyste bis zu deren Wänden durchsetzen.
Dem gegenüber sind von anderen Forschern, besonders
- Lieberkühn, drei Arten der Sporenbildung angenommen werden:
#) ich beobachtete einen Furchungsprocess an der Mo-
nocystideeneyste, dessen Endergebniss dreissig und mehr
kugelige Körnerhaufen waren, aus denen sich auf Kosten
der Körnermasse die Sporen entwickeln.
i Nach A. Schneider soll eine fortgesetzte Theilung
I des Kernes und eine Vertheilung der entstandenen Pro-
ducte im Protoplasma zur Sporenentwickelung führen.
2. Der Gregarinenleib zerfällt in eme Anzahl Kugeln, an
deren Oberfläche plasmatische Zellen auftreten, aus denen
vr.
ee 3 wet Se
EZ
$ sich die Sporen entwickeln.
4 3. Auf der Oberfläche beider kömigen Kugeln, die nach
x Bruch und Lieberkühn durch eine erste Theilung
Pi entstehen, sprossen sogenannte Sporoblasten (A. Schnei-
4 der) hervor, die sich als kugelförmige Plasmakörner ab-
R lösen und sich weiter in Pseudonavicellen entwickeln.
Nach Lieberkühn sollen sie sich auf Kosten des körnigen
- Inhaltes der Cyste noch weiterhin vermehren können, sodass dieser
zuletzt ganz verschwinde. Ruschhaupt (l. e.) behauptet die
- Sporenbildung um den imtacten Kern herum beobachtet zu haben.
Von da aus sollen die Sporoblasten nach der Peripherie gehen;
die körnigen Restballen wurden zur Sporenbildung mehr und
mehr verbraucht. Wo der intacte Kern geblieben, neben dem
b: die Sporenbildung auftrat, ob Veränderungen an ihm auftraten
u. 8. f., darüber fehlt jede Mittheilung.
| Bei Clepsidrina sollen, wie oben bereits erwähnt, nach
Bütschlis Untersuchungen die Sporoblasten durch Knospung an
der Oberfläche entstehen, schon vor dem die T'hiere verschmelzen.
Die völlige Verschmelzung der unverbrauchten Reste tritt erst nach
der Sporulation ein. Die zuerst nach der Peripherie abgegebenen
Sporen wandern dann in das Innere des körnigen Cysteninhaltes
zurück und werden durch die Sporoduete entleert,
104 i Wolters:
4. Die Spore und ihre Entwickelung zur Gregarine.
Die Structur der Clepsidrinaspore zeigt längere Zeit nach
dem Austritt aus der Cyste nach Bütschli eine feste Hülle,
einen granulirten Protoplasmainhalt mit körnigem Kerne.
Durch Infeetionsversuche hat genannter Forscher zu erwei-
sen unternommen, wie die Spore sich weiter entwickele. Er
fand im Mitteldarme der mit dem Infeetionsmaterial gefütterten
Schaben jugendliche, kernhaltige, hüllenlose Individuen in die
Epithelzellen eingesenkt, die er als die Jugendform der Clep-
sidrina anspricht. Weiter entwickelte Formen zeigten Differen-
zirung in Epi-, Proto- und Deutomerit. Der direete Nachweis,
dass diese Formen aus der Spore entstanden und wie dies ge-
schehen, steht noch aus.
Ueber die Sporen oder Pseudonavicellen der Regenwurm-
monoeystideen ist von vielen Seiten berichtet worden.
Der kernhaltige Sporoblast umgiebt sich nach Bütschli
mit einer Hülle und es entstehen acht wie die Theile einer Orange
nebeneinander liegende sichelförmige Körper mit deutlichen Kernen.
Von dem Protoplasma bleibt ein Theil unbenutzt übrig als Rest-
körper. Die gleichen Beobachtungen hat A. Schneider gemacht.
Auch ihm gelang der Nachweis von Kernen in den sichelförmigen
Körpern. Ruschhaupt (l. ec.) hat sich nie von Kernen in diesen
Körpern überzeugen können. Nach seiner Auffassung enthält die
mit fester Sporenhaut umgebene Pseudonavicelle neben einer An-
zahl von Gregarinenkörnern (sichelförmige Körper) den sogenannten
Restkörper (nucleus de reliquat Schneiders), in dem sich ein Kern
nachweisen lässt. Dieser Restkörper ist der sogenannte Keimling,
während die sichelförmigen Körper das Nährmaterial für diesen
darstellen, da ja oft längere Zeit vergeht bis zur Einwanderung
in ein passendes Nährsubstrat. Nach demselben Forscher soll
die Pseudonavicelle direct in den ganz jungen Spermatoblasten
(Kleinkugler A. Schmidt’s) einwandern, respective durch dessen
Protoplasmabewegung passiv in denselben hinein befördert werden.
Hier löst sich die Hülle und der Keimling liegt frei in dem Organe,
entwickelt sich weiter bis zur Gregarine mit dem Haarkleide
A. Schmidt’s. Andere Forscher wie A. Schmidt und Bütschli
nehmen eine Entleerung der Pseudonavicellen nach Aussen, even-
Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 105
‚tuell einen Wirthswechsel und neue Infecetion des Organismus an,
‚nieht aber, wie Ruschhaupt, eine fortwährende Selbstinfeetion.
Eigene Beobachtungen).
1. Die Gregarinen des Regenwurmhodens.
Die Gregarinen des Regenwurmes (Lumbriceus agricola) Mo-
nocystis magna und agilis, die ich fast allein?) bei meinen Un-
tersuchungen des Hodens fand, leben in verschiedenen Absehnitten
der männlichen Generationsorgane ihres Wirthes. Monoeystis
magna hält sich vorwiegend in dem Nebenhoden, mit dem vor-
deren Ende in das Epithel eingesenkt, auf, wird aber zu einer
bestimmten Zeit, der der Conjugation, mobil, und wandert in den
Hoden ein, wo auch ihre Cysten leicht zu finden sind. Mir sind
die Cysten nie im Nebenhoden aufgestossen, wie A. Schmidt
es beschrieben hat.
Monoeystis agilis hält sich als kleiner kermnhaltiger Proto-
plasmaleib in dem centralen Protoplasmareste der Samenkugeln
(Spermatogemmen) auf, verbraucht mit fortschreitendem Wachs-
thum nach und nach die ganze ihr zu Gebote stehende Substanz
desselben und findet sich dann als lebhaft beweglicher Parasit in
dem Haarkleide aus degenerirten Samenfäden, wie A. Schmidt
es beschreibt. | n.
Aus diesem tritt sie hervor zum Zwecke der Conjugation,
die auch im Hoden selbst vor sich geht.
Mehrere Male wurde diese Species im frischen Präparate
in Conjugation gesehen, ohne dass sich mit Bestimmtheit hätte
feststellen lassen, ob die Thiere mit gleichen oder ungleichen
K örperenden aneinander hafteten. In beiden Thieren war der
Kern und die Copulationsebene deutlich sichtbar. Auf Schnitt-
präparaten waren nie recht charakteristische Bilder zu erhalten.
Die Gregarinen waren da meist Uförmig gebogen und ich vermochte
u 1) v. Roboz (Mathem. u. Naturw. Berichte aus Ungarn IV,
pag. 166) uud Henneguy (©. R. Soc. Biol. 1887) scheinen bei Grega-
1 ina flava und Monocystis ähnliche Beobachtungen gemacht zu haben
wie ich. Auf die kurzen Referate über diese Abhandlungen bin ich
erst während des Druckes vorliegender Arbeit durch eine Notiz
Solger’s aufmerksam gemacht worden. Die Originale waren mir
_ leider nicht zugänglich.
2) Monoeystis ceristata, cuneiformis, minuta ebenso wie Zygocystis
eometa habe ich nur in wenigen Exemplaren beobachtet.
106 Wolters:
nicht mit absoluter Gewissheit den Zusammenhang zu behaupten,
obwohl nach den am frischen Präparat gewonnenen Bildern nicht
daran zu zweifeln war. Auch ist aus den Beobachtungen Henle’s
ersichtlich, dass er eine Copulation der Regenwurmmonoeystis
(spec.?) bereits gesehen hat. Bei der Monoeystis magna habe ich
einmal eine Conjugation im frisch angefertigten Präparate gesehen,
konnte aber auch hier nicht mit Sicherheit die Behauptung Henle’s
bestätigen, dass die Vereinigung mit gleichnamigen Körperenden
stattfinde. Ein in Serienschnitte zerlegter Lumbrieushoden lie-
ferte das Bild emer Conjugation der Monoeystis magna, die durch
mehr als 30 Schnitte zu verfolgen war und unzweifelhaft die
Anwesenheit je eines Kermes in jedem Syzygiten nachwies. Die
Thiere hafteten aneinander, ohne verschmolzen zu sein.
Beide Arten von Gregarinen, sowohl die Monoeystis magna,
als auch die Monoeystis agilis haben zu allen Zeiten, auch in den
jüngsten Stadien, einen deutlichen Kern. Bei der ersteren ist
derselbe relativ gross und oval, in der Regel zur Richtung
des Thieres senkrecht liegend oder nur wenig geneigt. Doch ist
seine Lage keineswegs eine fest fixirte, sondern bei jeder Con-
traction des Thieres wird er hin und her geworfen und von einem
Ende zum andern transportirt. Gleichwohl pflegt der Kern ım
Ruhezustande der Gregarine ungefähr in der Mitte zu liegen;
dann nimmt er auch die obenerwähnte Lage senkrecht zur Axe
des Körpers an. Er scheint aus einer zähen, festeren Substanz
zu bestehen. Aus dem frischen Thiere herausgelassen und
stark gequetscht reisst seine Membran ein. Gleichwohl tritt
der Inhalt nicht aus, sondern hat das Bestreben, sich auf seine
frühere Form zurückzuziehen. Eine gleiche Beobachtung machte
ich bei Monoeystis agilis. Der Kern hat eine feste, scharf con-
tourirte Membran, und enthält in der jüngsten von mir beobach-
teten Form einen rundlichen Kernkörper, der sich gut färbt und
in seinem Inneren sich stärker tingirende chromatische Kugeln
führt. ‘Bei Monoeystis magna wächst der Kern mit dem Thiere.
Aus dem anfänglich runden wird ein etwas gelappter, der in den
einzelnen Lappen und Ausbuchtungen sich stärker färbende Cen-
tren zeigt. Die Veränderungen gehen noch weiter und man findet
dann Kerne, die einen aus mehreren (ieh sah bis zu acht) Kugeln
bestehenden Nucleolus haben. Diese Kugeln führen in ihrem
Inneren wieder Stäbehen und Körner von diehterem Gefüge,
/ va er
Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 107
welehe die Farben intensiver annehmen und länger zurückhalten.
Diese grössern und kleinern Kugeln des Kernkörpers ziehen sich
‚auseinander und sind dann, gewöhnlich an der Peripherie des
Kernes liegend, durch breitere und schmalere, weniger färbbare
"Substanzbrücken verbunden. Diese werden dann eingezogen und
wir haben Kerne mit eimer Anzahl gleich grosser oder meist
grösserer und kleinerer Kernkörper. Diese letztbeschriebene Kern-
"form findet sich bei den in Conjugation tretenden Thieren.
Bei Monoeystis agilis sind die Veränderungen schon wegen
der Kleinheit des Objeetes weniger deutlich. Das jugendliche
Thier hat auch einen ovalen Kern der im Zustande der Ruhe
‚senkrecht zur Leibesaxe zu stehen pflegt, doch finden sich ge-
legentlich auch abgerundetere Formen. Sie enthalten in der
Regel nur einen runden Nucleolus, der späterhin gelappt wird,
aber keine stärker färbbaren Körner erkennen lässt. Auch hier
findet ein Zerfall des Kernkörpers statt, so dass im weiteren
Verlaufe ein oder mehrere grosse und eine Anzahl kleinerer
Nucleoli im Kerne gelegen sind.
Eines merkwürdigen Befundes möchte ich hier noch Erwäh-
nung thun, auf den später bei der Clepsidrina Blattorum noch
näher eingegangen werden soll.
Bei einer nicht conjugirten, ziemlich ausgewachsenen Mono-
€ eystis agilis fand sich ein geflammter Kern, wie ich es nennen |
möchte. Der scharfe Contour, der dem Kern sonst eigen ist, war
| aufgelöst, d. h. die senken war geschwunden, und die Sub-
stanz des fein granulirten Kernes setzte sich strahlig in das Proto-
plasma des Thieres hinein fort. In der ungefärbten Grundmasse
des Kernes lagen mehrere färbbare Körner. Ein ähnliches Bild
fand sich auch einmal bei der anderen Gattung, doch war es
nicht so vollkommen ausgebildet; es war nämlich der Kerneontour
_ auf einer Seite noch erhalten.
4 Der Leib der Gregarinen beider Gattungen besteht aus
ovalen Körnern, die stark liehtbreehend, noch stärker liehtbre-
ehende Stäbehen enthalten. Diese letzteren treten auf Schnitten
7 'gehärteter Präparate deutlich hervor. Nach ihrem optischen Ver-
Pi halten am gehärteten Präparat sind dieselben als Hohlräume in
den Körnern anzusprechen. Die Körner werden durch schwache
Mineralsäuren ebensowenig gelöst wie durch Essigsäure. Concen-
frirte Säuren lösen sie rasch, ebenso Kalilauge, Die Farben-
108 Wolters:
reaction mit Jod ergiebt nach Leidy braune Färbung, welche
nach Kloss durch Schwefelsäure in blau umschlägt. Bütsehli
hat aus diesen Reactionen geschlossen, dass die Körner aus einer
amyloidartigen Substanz bestehen. Jedenfalls sind Fett oder
Kalksalze nicht an ihrer Constitution betheiligt, wie Stein und
Henle annahmen.
Verfolgt man die Entwickelungsstadien der Gregarinen, ihre
CUopulation und Sporenbildung, so findet man, dass die Gregarinen-
körner bei der Sporenbildung völlig von den Sporoblasten auf-
genommen und verbraucht werden. Sie stellen also ein Reserve-
Nährmaterial dar, das zur Entwiekelung und Fortpflanzung unum-
gänglich nothwendig ist. Es stimmt damit überein, dass gleiche
Körner sich bei den Eiern und Samenkörpern von Ascaris me-
galocephala finden, bei denen der Cirrhipedien und vieler niederen
Thiere, sodass auch eine Bezeichnung als Gregarinenkörner wohl
kaum mehr zulässig bleibt.
Dieses körnige Nährmaterial liegt eingebettet in ein mehr
oder weniger flüssiges Substrat. Nach der ungeheueren Beweg-
lichkeit der Körner, nach dem Hin- und Hertransportiren des
Kernes und des gesammten Inhaltes von einem Ende zum andern
scheint die Annahme eines Netzwerkes schwer denkbar. Bütschli
hat ein solches nach Behandlung mit Kali erhalten, aber auch am
lebenden Thiere nichts davon nachzuweisen vermocht. Bei dem
von mir gehärteten und in Serienschnitten verarbeiteten Material
habe ich stets ein gröberes oder feineres Maschenwerk nach-
weisen können, in dem die Körner eingebettet waren. In dem
feineren Maschenwerk traten wieder derbere Züge auf, welche,
besonders bei Monocystis magna ein groberes Gefüge darbieten.
Dies Maschenwerk steht in der Regel mit einem Protoplasmahofe
in Zusammenhang, der sich fast in allen Fällen um den Kern
gelagert vorfand. Nach all dem könnte es scheinen, als ob es
sich um ein präexistirendes Maschenwerk handelte. Ich möchte
mich aus oben angeführtem Grunde nicht dafür erklären, viel-
mehr das nach Anwendung von Reagentien und Härtungsflüssig-
keiten auftretende Structurbild als durch Gerinnung der proto-
plasmatischen Substanz ansehen, in weleher die Körner suspen-
dirt sind. |
Haben die Monocystideen des Regenwurmhodens die oben
beschriebenen Veränderungen ihres Kernes, besonders in Bezug
Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 109
auf den Nucleolus durchgemacht, so ist der Zeitpunkt der Con-
jugation gekommen. Es ist daher vielleicht nieht unberechtigt,
diese ganze Reihe der Umgestaltungen und Veränderungen aın
Kerne als Vorbereitungen zur Conjugation und Copulation an-
zusehen.
Zum Zwecke dieses Vorganges scheiden je zwei vereinigte
und kugelig eontrahirte Thiere eine Cystenhülle ab, von der man
- die den Individuen selbst zugehörigen Contoure deutlich scheiden
"kann. Von Seiten des Wirthes wird, da die Cysten meist in
den Interstitien und Gängen des Hodens liegen, in der Regel
keine Haut abgeschieden. Gleichwohl kommen Bilder vor, welche
- deutlich die Abscheidung einer kernhaltigen Haut vom Wirthe
2 — dureh reactive Entzündung des Bindegewebes — demon-
striren. Es scheint demnach auf die Lage der Cyste anzukommen,
ob dem Wirthe noch neben dem Eindringling die Bildung einer
Eonhatnng zufällt. Eine solitäre Eneystirung der Monocystideen
"habe ich nie beobachtet. Ist die Cystenhaut ausgeschieden, in
der die beiden eonjugirten Thiere, die Syzygiten, eingeschlossen
sind, so findet man den Kern wie oben beschrieben, bei der
_ Monoeystis magna oval, bei der Monoeystis agilis öfters mehr
rundlich mit einer Zahl von grösseren und kleineren Nucleoli.
Wo die Leiber der beiden Syzygiten mit abgeplatteten Ebenen
aneinander lagern, ist eine scharfe Trennungslinie bei jeder Ein-
stellung deutlich. Die Peripherie ist frei von Ausscheidungen
und Sporen; Sporoblasten sind noch nicht vorhanden. Im wei-
teren Verlaufe wandert nun der Kern jedes der Syzygiten nach
‚der Peripherie, die Kernkörperchen verschmelzen und klumpen
sich zusammen, während der Kern sich streekt. Es entsteht
eine charakteristische Kernspindel mit Anhäufung der ehromati-
schen Substanz in der Mitte. Die Chromosomen sind, wie Fig. 1
auf Taf. VI zeigt, sehr klein. An Präparaten aus Flemmingscher
Mischung konnten sie im Spindelstadium nicht erkannt werden,
bis Erhärtung in Pikrinessigsäure sie schliesslich deutlich zeigte.
Die Kerntheilung geht weiter, und die eine Hälfte mit einer Zahl
von Chromatin-Körnern, ich Er bis zu neun, wird als Richtungs-
körper ausgestossen. Das Gefüge der Thierleiber ist bei diesem
"Vorgange dasselbe geblieben; doch ist, wie ich auf Serienschnitten
auf das Deutlichste sehen konnte, eine Verschmelzung der Leibes-
substanz, wenn auch nur an einer begrenzten Stelle, bereits ein-
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110 Wolters:
getreten. Der scharfe Contour, der wie beschrieben auf früheren
Stadien beide Thierleiber trennte, war auf den mittleren Schnitten
vieler Serien nur eine Strecke weit zu verfolgen, dann wurde er
ganz verschwommen und fehlte zuletzt ganz.-
Der Process der Richtungskörperbildung geht nicht immer
genau zu gleicher Zeit in beiden Thieren vor sich. Es kann in
einem bereits die Spindel völlig ausgebildet sein, während im
anderen der Kern länglich gestreckt, die Zusammenballung der
Nucleoli deutlich erkennen lässt.
Die Veränderungen zur Ausstossung der Richtungskörper
gehen erst dann vor sich, wenn der Kern aus der Mitte jedes
Syzygiten an der Peripherie angelangt ist. Die Richtungsspindeln
liegen demgemäss immer an der Peripherie und zwar an den
Polen einer die Verschmelzungsbrücke nahezu senkrecht schnei-
denden Axe in den beiden eopulirten Thieren.
Ist die Ausstossung der Ricehtungskörper vorüber, so recon-
struirt der Kern sich. Man sieht noch die Strahlung um den
Kern, der dicht an der Peripherie liegend eine grössere Anzahl
färbbarer Körnchen aufweist. Es lässt sich leicht nachweisen,
dass der reconstruirte Kern bei weitem nicht mehr die Grösse
des ursprünglichen erreicht. In seine frühere Gestalt zurück-
gekehrt, begiebt er sich wieder nach dem Innern seines zuge-
hörigen T'hieres, in: dem man ihn dann wiederfindet. Gleich nach
der Ausscheidung der Richtungskörper lässt sich um beide Thier-
leiber eine zweite Hülle nachweisen. Die auf der Rückwanderung
begriffenen Kerne machen, auf ihrem früheren Platze angelangt,
nicht Halt, sondern streben weiter der Verschmelzungsstelle zu.
Wir finden sie bis dieht an diese heran gewandert wieder. Auf
den Serienschnitten ist überall die Trennungslinie noch vorhanden
bis auf einen oder zwei Schnitte durch das Centrum der Cyste,
wo sie auf eine kurze, mediane Strecke verschwunden ist. Dies ist
die bereits oben beschriebene Verschmelzungsstelle, welcher der
Kern zustrebt. Es ist nicht immer die Mitte, wo diese Communi-
cationsstelle sich etablirt, bisweilen rückt sie auch näher an die
Peripherie heran, doch ist das seltener. Die Kerne beider Thiere
scheinen ungefähr gleichzeitig diese Stelle zu erreichen. Ihre
Substanz verschmilzt und in der Mitte der vereinigten Kerne
finden wir kurz darauf Kernkörperchen. In Fig. 13 u. 14, Taf. V
sind zwei aufeinander folgende Schnitte wiedergegeben; auf einem
Be
Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 111
(Fig. 13) sieht man den dureh die Verbindungs- oder Conjugations-
‚brücke zwischen den Leibern der Syzygiten durchgewanderten
Kerm, der mit dem des anderen Thieres (auf dem folgenden
'Sehnitte, Fig. 14) in Zusammenhang steht.
Das auf dieses Stadium folgende zeigt in beiden Syzygiten
‘eine Kernspindel, welche dicht am Aequator, und etwas gegen
diesen geneigt in unmittelbarer Nähe der Conjugationsbrücke liegt.
- Sie unterscheidet sich von der oben beschriebenen Spindel bei
der Ausstossung ‘des Riehtungskörpers durch ihre charakteristische
Lage an der Verschmelzungsbrücke. Es scheint, dass die ver-
schmolzenen Kerne sich wieder getrennt haben nach Austausch
ihrer chromatischen Elemente. Ob dieser Process durch einfache
Abschnürung erfolgt, oder auch unter Bildung einer Kernspindel,
ist nieht sicher zu sagen, da ich Genaues darüber nicht beobachtet
habe; doch möchte ich mich mehr der letzten Ansicht zuneigen.
Jedenfalls finden wir Stadien, welche in der Nähe der Copu-
ationsbrücke zwei getrennte Kerne; dann in ihr selbst einen ein-
zigen grossen Kern, den Copulationskern, und späterhin wieder
in jedem Syzygit eine Kernspindel zeigen. In jeden Syzygit ist
also ein Kern zurückgewandert, der sich nunmehr zu theilen be-
ginnt. Um diese Spindeln sah ich bei Präparaten, welche durch
eneeche Lösung abgetödtet waren, viele sich stark färbende
Körnchen in der Substanz vertheilt, ebenso hier und da, auch
weit ab von den Spindeln, in den Syzygiten. Ich war geneigt
dieselben als chromatische Substanz anzusprechen. Spätere Unter-
suchungen an Hoden, die ich mit Umgehung dieser Lösung ab-
‚tödtete und härtete, zeigten nichts davon, sodass ich von meiner
Ansicht zurückgekommen bin, ohne eine befriedigende Erklärung
‚dieser Körnchen geben zu können.
Die Structur des Gregarinenkörpers ändert sich zur Zeit der
‚Spindelbildung in so fern, als die Körner sich um die Spindel
‚anordnen, und zwar liegen diese strahlig an den Polen und halb-
kreisförmig von einem Pol zum andern. Das Stadium, welches
auf das eben beschriebene nun zu folgen scheint, zeigt in jedem
eyzygit zwei Kernspindeln, die bedeutend kleiner sind als die
eben beschriebenen; sie liegen ausserdem ganz an der Peripherie.
sanze Serien, die solehe Bilder zeigten, habe ich untersucht, und
mich überzeugt, dass sonst keine Spindel mehr vorhanden war.
"Von den Riehtungskörperspindeln sind sie leicht durch die Grösse
#
113 Wolters:
zu unterscheiden, und dadurch, dass man bei Durchmusterung
der weiteren Schnitte auf eine zweite trifft. Die beiden durch
den ersten Theilungsprocess entstandenen Kerne haben sich, wie
ich aus meinen Beobachtungen schliesse, sofort wieder in Kern-
spindeln umgewandelt.
Im weiteren, finden wir Cysten in denen in beiden Syzygiten
zahlreiche Syindehn dieht an der Peripherie nachzuweisen sind.
Auf 19 Serienschnitten, in die eine Cyste zerlegt war, konnte ich
12 kleinere, peripherer liegende Spindeln in jedem Thiere nach-
weisen. Es geht eine simultane Kerntheilung vor sich, deren
Produete, kleine, mit einem Hofe dieht gefügteren Protoplasmas
umgebene Kerne, immer von neuem in Theilung gerathen. Das
um den Kern liegende Protoplasma steht noch mit dem Netzwerk
im Leibe des Thieres in Zusammenhang. Nach und nach erst
lösen diese kleinen Zellen sich von dem ceentralen Protoplasma
des alten Thieres ab. Die Zahl dieser peripher gelegenen Zellen
nimmt durch Theilung fortwährend zu; während dem Oentralkörper
mehr und mehr zu ihrem Ausbau das Bildungsmaterial entzogen
wird. In Folge dessen bietet derselbe auch ein ganz eigen-
thümliches zernagtes, zerfallenes Aussehen. Vacuolen treten auf,
bald rundlich, bald mehr gestreckt, umgeben von Resten der
ursprünglichen Substanz. Die Ansammlung der Sporoblasteu,
die zwischen der nach der Richtungskörperbildung ausgeschie-
denen Hülle und dem Centralkörper liegen, führt durch Raum-
mangel nach und nach zu Einbuchtungen desselben, die durch
die ganze Substanz durchgeben können. So entstehen Bilder, die
mehrere Forscher zu der Annahme von verschiedenem Modus
der Sporenbildung führten. Die ursprünglichen Syzygiten scheinen
in zwei und drei und mehr Kugeln zerfallen zu sein, die von
Sporoblasten an ihrer Oberfläche besetzt sind. Die secundär aus-"
seschiedene Hülle geht jedoch nicht in diese Buchten mit hinein.
Wie lange die Vermehrung der Zellen an der Peripherie andauert,
vermag ich nicht zu sagen, doch scheint der Process nach einem
gewissen Verbrauche des Nährmaterials sein Ende zu erreichen,
und wir wollen von nun an jede an der Peripherie gelegene”
Zelle eine Sporogonie nennen, da die weiteren Veränderungen
zur Sporenbildung führen. 4
Die Sporogonie, die im Anfang einen deutlichen, kömnigen’
Kern zeigte mit geringer Menge protoplasmatischer Substanz,
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Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 118
vermehrt diese bedeutend und umgibt sich jetzt mit einer feinen
Hülle, die im weiteren Verlaufe an Dicke beträchtlich zunimmt
und die schon oft beschriebenen knopfartigen Verdiekungen an
den Polen zeigt. Es entsteht die Pseudonavicelle, welche man
besser als Sporoeyste wird bezeichnen können.
Hand in Hand mit der Ausscheidung und der Wandver-
diekung dieser euticularen, von der Sporogonie gelieferten Oysten-
hülle verlaufen am Leibe der Sporogonie und ihrem Kerne Thei-
Jungsvorgänge, die zur Bildung von acht Sporen und einem cen-
tralen Protoplasmareste, dem Sporophor, in jeder Cyste führen.
| Es gelang zwar nicht, eine zusammenhängende Reihe von
Bildern für die Constatirung der mitotischen Theilung an den
Sporogonien zusammen zu stellen, doch liess sich mit Sicherheit
eonstatiren, dass die Kernmembran an manchen Kernen der un-
getheilten Sporogonie geschwunden war und die färbbare Substanz
in zwei, durch einen grösseren Zwischenraum getrennte Reihen
angeordnet war. Die Kernsubstanz lag excentrisch (vgl. Fig. 13, 14,
Taf. VI). Eine Cystenhülle war, wie oben bereits angedeutet, von
der Sporogonie um diese Zeit noch nicht gebildet worden. Erst das
jüngste der weiter folgenden Theilungsstadien zeigt ‘eine solche
von ausserordentlicher Zartheit, In ihr liegt ein centraler Körper
von Protoplasma und an den beiden Polen der schon spindel-
förmigeu Cyste je ein feinkörniger Kern. Man darf somit ver-
yuthen, dass bei der Kerntheilung je eine Kernhälfte an jeden
Pol gewandert sei. Weiterhin wurden Sporocysten beobachtet,
an deren einem Pole ein Kern in der Grösse des bei dem eben
seschilderten Stadium beschriebenen lag, während am anderen
Pole zwei kleinere neben einander zu finden waren. Andere
essen dann wieder zwei Kerne von gleicher Grösse an einem
| Pole erkennen, während am anderen ein eben so grosser und zwei
k einere Kerne lagen. Die Entstehung der Kerne durch fort-
laufende Theilung scheint eben nicht immer zu gleicher Zeit
stattzufinden, wodurch diese Bilder bedingt und erklärt werden.
Die Vermehrung der Kerne geht bis zur Zahl acht. Man
sieht Sporocysten, in denen man deutlich acht, in der protoplasma-
tis ischen Substanz ziemlich regellos vertheilte, intensiv färbbare
Erne nachweisen kann. Diese Kerne umgeben sich mehr und
mehr deutlich mit einem Protoplasmahofe und ordnen sich, indem
sie den so gewonnenen Leib strecken, derart, dass die Kerne auf
4
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Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 8
5
id Wolters!
dem Querschnitte durch die aequatoriale Region, kreisförmig den
Sporophor, das heisst den Rest der protoplasmatischen Substanz
der Sporogonie, der nicht in die Bildung von Sporen aufging,
umstehen (Fig. 20, Taf. VD). Während zu Anfang die acht
Sporen zerstreut in der Cyste an den Polen und den Seiten des
spindelförmigen Sporophor sich fanden und auch noch nicht so
deutlich gegen einander abgesetzt waren, dass man die Zell-
grenzen erkennen konnte, sind somit späterhin in der reifen diek-
wandigen Cyste alle acht Sporen genau zu ihrer Axe orientirt;
(lie Spitzen der spindelförmigen Leiber sind nach den Polen zu
gerichtet, die Kernzone liegt in der Kreisfläche, welche die Cyste
quer halbirt, und welche wir oben als Aequator bezeichneten.
Die Sporoeysten sind in jeder Syzygie auf annähernd dem-
selben, Stadium der Entwickelung. Von der Grössendifferenz, die
Ruschhaupt hervorhebt, habe ich mich nie überzeugen können.
Ruschhaupt (I. e.), der den Sporophor (Noyau de reliquat
Schneider) auf Kosten der sichelförmigen Körper, denen er den
Kern abspricht, entstehen lässt, hat augenscheimlich die Ent-
wieklungsstadien in umgekehrte Reihenfolge gestellt. Was er
als Anfangsglied annimmt, ist sicherlich das Endstadium, da die
Dieke der Cystenwand einen absolut sicheren Maassstab für das’
relative Alter der Sporoeyste abgiebt. f
Die Centralkörper der ursprünglichen Gregarinencyste werden,
soweit meine. Beobachtungen reichen, völlig verbraucht. Die Leibes-
substanz der Syzygiten wird von den Sporogonien aufgenommen,
so dass wir in reifen Cysten keinen Rest mehr vorfinden, oder‘
nur noch Spuren derselben.
Ueber die Weiterentwiekelung der in den Sporocysten ent-
wiekelten acht Sporen kann ich aus eigener Beobachtung nur
Weniges mittheilen. Jugendformen der Monoeystis agilis habe ich
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weisen acc) Er ER eibt aber einen pr ee u |
in ' dem Spermatophor!), den er aus dem Restkörper 2) entstehen
1) Die centrale Protoplasmamasse der Spermatogemme.
2) Unser Sporophor.
Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 115
lässt. Ich leugne nicht, dass sich späterhin nur noch ein Körper
"könnte nachweisen lassen, zumal bei anderen Gregarinen, z. B.
"Klossia, Clepsidrina Blattarum, eine multiple Infeetion einer Zelle
vorkommt, und doch für gewöhnlich nur ein Keim zur Entwicke-
‚lung gelangt. Es ist aber wahrscheinlicher, dass die Sporen,
"bevor sie in die Hodenzellen eindringen, die Cyste sprengen und
als frei bewegliche wurmförmige Parasiten in die Zellen ge-
langen, um dann hier alsbald birnförmig zu werden. Wie es
‚scheint, liess sich Ruschhaupt durch die entfernte Aehnlichkeit
eines jungen Sporophor mit einer jungen Gregarine dazu ver-
‚leiten, die Gregarine aus dem Sporophor entstehen zu lassen. Der
-Sporophor geht aber sicher zu Grunde, da die Sporen allein
leben und sich bewegen, wie das leicht festzustellen ist. Auch
"kann ich mich mit der Ansicht von der permanenten Selbst-
"infeetion, wie sie von Lieberkühn und Ruschhaupt vertreten
wird, nicht befreunden, glaube vielmehr mit Bütschli, dass eine
‘so unendliche Masse von Sporen, die in einem Hoden entstehen,
nicht im Verhältniss stehe zu der verhältnissmässig geringen Zahl
junger Thiere. Dagegen scheint es mir wohl denkbar, dass die
Sporoeysten nach Aussen entleert werden und von da aus durch
die Nahrungsaufnahme in einen neuen Wirth gerathen. Die Cyste
würde hier gelöst werden resp. aufspringen und die Sporen frei
sich bewegend den Magen oder Darm perforiren können, um an
ie ihnen zusagende Entwickelungsstätte zu gelangen. Dieser
Ansicht würde die Angabe A. Schmidt’s entsprechen, der würm-
‚chenartige Gebilde in der Leibeshöhle des Lumbrieus vorfand.
Im Vorstehenden ist der Vorgang der Copulation und
"Sporenbildung bei Monoeystis magna geschildert; bei Monoeystis
agilis ist er der gleiche. Man findet daher auch nieht von beiden
rten separate Reihen von Abbildungen, sondern bald von der
einen, bald von der anderen, je nachdem an den mir zur Ver-
ei; stehenden Präparaten die eine oder andere Species ein
zur figürlichen Wiedergabe geeignetes Bild darbot.
%
N 2. Die Conjugation und Sporulation bei
r Clepsidrina Blattarum.
T Die zu den Polyeystideen gehörige Clepsidrina Blattarum
ist von Bütsehli (Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. 35) in be-
sonderer eingehender Studie behandelt worden; genaue Mitthei-
h
Di
A
116 Wolters:
lungen über das Verhältniss der Kerne vor und während der
Copulation fehlen. Ehe ich auf meine in dieser Richtung ge-
machten Beobachtungen eingehe, mag es gestattet sein, einige
Worte über die Cuticula vorauszuschieken. Die Polyeystideen
haben in den meisten Fällen eine deutliche Outieula, wie sie auch
bei vielen Monocystideen beschrieben worden ist. Bei letzteren
ist dieselbe dünner, während fast alle Beobachter der ersten Art
eine Cutieula von ziemlicher Dieke zuerkennen. Der ganze Zell-
leib wird ohne Unterbrechung von der Hülle überzogen, die hell
durchschemend, eventuell etwas ins Grünliche oder Gelbliche
überspielt. Bei vielen, besonders kleineren Gregarinenarten soll
(dieselbe homogen, ohne jegliche Structur, ohne Auflagerung sein.
Bei Clepsidrina Blattarum und ihren Verwandten hat Bütschli
eine deutliche Längsstreifung bei aufmerksamem Zuschauen be-
merkt. Er sah hier „die Streifen auf dem optischen Querschnitte
schwach über die äussere Fläche hervortreten“, und es schienen ihm
sich dieselben durch die Dicke der Cutieula fortzusetzen, da
dieselbe auf dem Querschnitte zart gestrichelt erschien. Zahl-
reiche an Olepsidrina Blattarum gemachte Studien haben mich die’
Beobachtungen Bütschli’s zum Theile bestätigen lassen. |
An frischen, in Eiweisslösung oder physiologischer Kochsalz-
lösung untersuchten Thieren war keine Streifung wegen der Un
durehsichtigkeit ihrer Leibessubstanz zu bemerken. Erst nach
Entfernung derselben trat die Structur deutlich vor. Um dies
zu erlangen, ohne fehlerhafte, dureh Faltung entstandene Bil
dungen zu Gesicht zu bekommen, wurde Flemming’sche Lösung,
zehnfach mit Aqua dest. verdünnt, an den Rand des Deckglases
&ebracht und rasch durehgesogen. Nachdem zwei- bis dreimal
(diese Procedur wiederholt, waren die Gregarinen abgetödtet und
zugleich soweit erhärtet, dass sie ihre Form beibehielten. 7
kurzer Stoss auf das Deckglas brachte die Hülle des Thieres|
Thierkörper. An ein Ausdrücken der Leibessubstanz ist alsdann
nicht mehr zu denken. An so vorbereiteten, in Kochsalzlösung
oder Glycerin untersuchten Objeeten liess sich thatsächlich eine
feine Streifung wahrnehmen, welche in der Längsaxe des ri
körpers verlief. Dieselbe war auf dem Deutomerit, nicht auf dem
2
Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 117
\
Protomerit nachweislich. Sie unterscheidet sich von den durch
altung entstandenen Streifungen durch die regelmässigen Ab-
stände der einzelnen Streifen von einander und durch die con-
stante, mit der Längsaxe des Thieres zusammenfallende Richtung.
Durch Reagentien und ihre Einwirkung entstandene Faltungen halten
diese Richtung nicht ein, sie liegen schräg zur Axe des Thieres
nach der einen oder anderen Seite, oft fast senkrecht zu ihr.
Ausserdem ist, wie oben bemerkt. der Abstand zwischen den ein-
zelnen Cutieularstreifen ein eonstanter, der bei den Faltungs-
streifen fehlt. Obwohl nun die Structur als „feine Streifung“
‚bezeiehnet werden kann, so muss der Dentliehkeit wegen hervor-
gehoben werden, dass jeder Streif, jeder Strich zwei deutliche
Contouren hat. Je zwei derselben fassen zwischen sich einen
Intervall von gleicher Breite; dies stimmt nicht ganz zu der
Schilderung Bütschli’s, der seinen Beobachtungen entsprechend
weiterhin erwähnt. dass die der Cutieula angehörigen Streifen
leicht über die äussere Fläche hervortreten. Da es schwer und
vor allem ungewiss ist, an frisch abgetödteten Präparaten in's
Klare zu kommen, ob es sich thatsächlieh nur um ein leichtes
Hervortreten handelt, wurden in Flemming’scher Lösung gehärtete
D ärme der Periplaneta orientalis in Serienschnitten verarbeitet.
Die bei frisch abgetödteten und wie oben geschildert untersuchten
Objeeten gewonnenen Resultate fanden ihre volle Bestätigung.
Das Deutomerit der Clepsidrina ist von ziemlich breiten,
doppelt eontourirten Streifen bedeckt, die in der Längsaxe des
Thieres liegen. Im Weiteren fand sich auf Ovalär- und Quer-
‘schnitten, dass diese Streifen über das Niveau der Cutis hervor-
ragen, nicht leicht hervortreten, sondern mehr als ihre eigene
Breite beträgt. Auf den Querschnitten hatte man völlig das
Bild eines Kammrades. Die Zacken waren nicht alle scharf
eckig, sondern etwas abgerundet, und zeigten ein etwas ge-
Stipptes Aussehen, was eine aus feinen Fäserchen bestehende
Structur nieht unwahrscheinlich macht. Die direet unter den
Zacken liegenden Schichten der Cutis zeigen auch ein fein zer-
stipptes Aussehen mit feiner Strichelung, die eoncentrisch verlief,
Ohne dass eine Continuität in ihr nachweislich war. Der innere,
dem Ectoplasma anliegende Contour war glatt ohne Einkerbungen,
was wiederum gegen die Annahme spricht, es könne sieh um
‚Faltungs- oder Schrumpfungsproduete handeln.
R
z
118 Wolters:
Unter der Cuticula folgen die auch von den früheren
obachtern beschriebenen Muskeln, die am lebenden Thier ich
Breite Längsfasern gesehen werden. e
Das Beobachtungsmaterial, die Clepsidrina Blattarum, findet
sich im Darminhalte des Mittel- und Enddarmes der Periplanetal
orientalis. Einzeln und in Conjugation nur in ersterem, während
Cysten in beiden Darmabschnitten vorkommen. Die Thiere ha-
ben deutliche Kerne, die nach Bütschli's Beobachtungen bei
jüngeren Individuen einen Kernkörper führen, bei älteren einen
Haufen kleinerer, die durch Vermehrung hinzukommen sollen. ”
Kölliker glaubt, da auch gelappte Nucleoli vorkommen, durch
Zerfall des ursprünglichen Kernkörpers das spätere Auftreten der
Menge kleinerer erklären zu sollen. 1
Die nachfolgenden Beobachtungen sind geeignet, die letztere
Ansicht als die richtigere zu erweisen. ’
Der Kern der jüngeren Individuen ist ein runder mit schar-”
fem Contour. Er enthält einen Nucleolus, der, wie man sich auf 4
Schnittpräparaten leicht überzeugt, stärker gefärbte Kügelehen in
wechselnder Grösse und Gestalt enthält. Seine Substanz scheint
ebenso wie bei den Monoeystideen von sehr zähflüssiger Consistenz
zu sein. Stark gedrückt reisst seine Membran ein, ohne dass
der Inhalt austräte. In anderen Kernen erscheinen neben einem
grösseren Kernkörper eine Zahl von kleineren, lebhaft die Farbe
aufnehmenden Körnern, während auch der grössere Nueleolus ähn- 4
liche sich stark tingirende Körperchen führt. Wieder andere Kerne |
liessen nur eine grosse Anzahl ehromatischer Körner erkennen,
ohne dass noch ein grösserer „Nucleolus“ nachweislich gewese ne
wäre. Diese Körner lagen nicht wirr durcheinander, sondern
waren in Fäden und Schlingen, drei, vier und mehr an Zahl,
angeordnet. Häufig fanden sich dieselben wie die aufgeschnürten |
Perlen eines Rosenkranzes hinter einander liegend, so dass das
Ganze ein äusserst zierliches Bild darbot. Weiterhin wurden da
gegen Kerne beobachtet, in denen unzählige kleine chromatische
Körner lagen, wie es schien regellos, ohne besondere Anordnung
vertheilt. Allen bisheran geschilderten Kernformen war dagegen
eine scharf contourirte Kernmembran gemeinsam. Im Gegensat |
dazu stehen Formen, die ebenfalls häufig beobachtet wurden,
welche einer solchen Membran entbehrten. Der Kern breitet sieh
sternförmig mit seinen Fortsätzen in die Leibessubstanz des Thieres
E
= “ Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 119
aus und steht mit dem protoplasmatischen Gefüge derselben in
direetem ununterbrochenen Zusammenhange. Es sind dies For-
men, die bei den Monoeystideen des Regenwurmes bereits oben
erwähnt und als „geflammte Kerne“ bezeichnet wurden. Es
unterliegt für mich keinem Zweifel, dass alle im Vorstehenden
beschriebenen Veränderungen des Kernes und der in ihm enthal-
tenen ehromatischen Substanz, sowohl rücksichtlich der Zahl wie
Anordnung der Körner, und zwar in der Reihenfolge wie sie ge-
schildert wurden, successive Vorbereitungen zur Kerntheilung dar-
stellen. Später zu berichtende Beobachtungen bei Klossia machen
es nicht unwahrscheinlich’ dass wir die geflammten Kerne viel-
leicht schon als Kernspindeln anzusehen haben, die von dem ge-
- wohnten Typus abweichen. Gleichwohl bemerke ich, dass der
ze
Nachweis von typischen Spindeln bis heran noch nicht gelang, vor
allem durch Unzugänglichkeit des Materiales in Folge von hier-
orts, für meine Studien allzu eifrig betriebener Vertilgung der
Schaben. Fortgesetzte Untersuchungen an reichlichem Unter-
suchungsmaterial sind vielleicht geeignet auch typische Spindel-
bildung nachzuweisen. Vorläufig muss das Vorkommen derselben
als noch nicht erwiesen betrachtet werden.
Kerne mit einem grossen Nucleolus oder mit einem grossen
und mehreren kleinen fand ich meist bei noch nicht conjugirten
Thieren. Die anderen Formen wurden dagegen alle bei Syzy-
gien beobachtet oder bei bereits eneystirten Clepsidrinen.
Oft fand sich dieselbe Kernform, z. B. der Kern mit rosen-
kranzförmiger Anordnung der chromatischen Elemente, bei beiden
Syzygiten oder aber der zweite Kern war ein geflammter (Fig. 7
Taf. VID), oder beide waren geflammt. Ebenso war es bei den
Cysten. Entweder beide Kerne geflammt, beide mit rosenkranz-
-artiger Anordnung der chromatischen Körner, oder der eine von
dieser, der andere von jener Form. Die Leibessubstanz war
stets die gleiche bei Syzygien und nicht conjugirten Thieren.
Ebenso zeigten die eneystirten Syzygien keine Differenz , so
Jange noch ein Kern vorhanden war. Die das Entoplasma fül-
F
lenden Körner der Clepsidrina sind kleiner als bei den Monoeysti-
deen, und zeigen ein rundes, sich stärker färbendes Centrum.
4
Solange der Kern noch nicht geflammt ist, zeigt auch das deut-
lieh durch doppelten Contour abgesetzte Protomerit keine Struetur-
veränderung, Beginnt aber die scharf begrenzte Kernmembran
120 Wolters:
undeutlich zu werden, oder ist der Kern bereits geflammt, so
treten im Protomerit eigenthümliche Zeichnungen auf von un-
regelmässig fadigem Aussehen, bald gröber, bald feiner endigend
(Fig. 8, Taf. VID.
Diese Bildungen sind es auch wohl gewesen, welche
R. Pfeiffer, wie oben erwähnt, einen zweiten Kern im Proto-
merit annehmen liessen. Jedes Schnittpräparat hätte ihn vor
diesem Irrthum sicher bewahren können. Dass der geflammte
Kern im Deutomerit kein Kunstproduct sei, wie ich zuerst glaubte,
beweist der, völlig verschwundene Contour, des Kernes. Ausser-
‚dem gelang es an frisch untersuchten Objeeten den gleichen Kern
nachzuweisen, wenn ich denselben aus dem lebenden Thier vor- °
siehtig in physiologische Kochsalzlösung ausschlüpfen liess. Här-
tungen mit Pikrinsäure und Alecohol-Essigsäure ergaben überein-
stimmende 'Kernbilder.
Die zahlreichen Cysten der Clepsidrina, die auf verschie-
ddene Weise gehärtet und in Serienschnitten untersucht, oder frisch
beobachtet wurden, ergaben ebenfalls emige werthvolle Resultate.
Sowohl im Mitteldarme wie im Enddarm- fanden sich Cysten,
welche eine deutliche 'Trennungslinie zeigten, dann wieder im
Mitteldarm solche, die keine Spur mehr davon aufwiesen. Es
seht daraus hervor, dass der Enddarm nieht unbedingt die älte-
sten Stadien enthalten müsse, und dass auch junge bereits hier
mit dem Kothe entleert werden. Sobald die Cysten ausgebildet
sind, scheinen sie vielmehr aus dem Darme entleert zu werden,
und ausserhalb desselben, vielleicht in einem anderen Wirthe,
ihre Weiterentwickelung bis zur Ausbildung der reifen Sporen
durchzumachen. Falls durch glückliche Verhältnisse die Cyste
länger zurückgehalten wird, könnte sich ein Theil dieser Vor-
gänge natürlich auch noch innerhalb der Blatta abspielen.
An frischen Präparaten, und besonders an Serienschnitten
von rasch abgetödteten und gehärteten Cysten konnte in Ueber-
einstimmung mit den Beobachtungen Bütschli’s festgestellt wer-
den, dass die beiden Syzygiten sich auseinander legen, eine derbe
doppelt contourierte Cystenhaut ausscheiden, welche wiederum
von einer Gallerthülle umgeben ist. Deutlich ist Protomerit und
Deutomerit noch zu unterscheiden. In jedem Thiere liegt ein
Kern, der geflammt oder durch rosenkranzartige Anordnung der.
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erbte is ar
Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 121
ehromatischen Körner characterisirt ist, wie oben beschrieben.
Im weiteren legen die beiden Syzygiten sich mit ihrer Breitseite
fest und innig aneinander. Die Trennungslinie bleibt noch scharf,
das Protomerit ist deutlich abgesetzt. Man vermag ohne Mühe
die Cystenhülle und die jedem Thiere zugehörige Gutienla zu
unterscheiden. Die Kerne sind geflammt oder mit rosenkranz-
artiger Anordnung ihrer chromatischen Elemente, oder der eine
‘von dieser, der andere von jener Form. Der Leib der Syzygiten
zeigte keine von den nicht eneystirten differente Struetur. Die von
Bütschli angegebene Ausstossung der Sporen an der Peripherie
bei noch nieht völlig verschmolzenen Thieren habe ich nicht be-
obachtet. Da kein Grund vorliegt, diese Angaben in Zweifel zu
ziehen, so muss ich annehmen, dass ich des entsprechenden Sta-
diums noch nicht habhaft geworden bin. Analog den oben über
die Monoeystideen mitgetheilten Beobachtungen dürfte es aber
auch hier vor der Sporenbildung zu einer Verschmelzung an be-
srenzter Stelle kommen. An dieser Stelle würde dann auch ein
Austausch der Leibes- und Kernsubstanz stattfinden, der aller-
dings an frischen Präparaten nicht nachweisbar ist.
Einige sporenhaltige Cysten, die in Serienschnitte zerlegt
untersucht wurden, zeigten die Sporen an der Peripherie der
Cyste und strahlig nach dem Centrum hin angeordnet. - Ein Kern
der ein Rest eines solchen war nicht mehr nachzuweisen. Die
Cystenhaut ist doppelt contourirt, ziemlich diek und von derberer
Beschaffenheit als bei den eneystirten Syzygien. Es scheint in
den eben beschriebenen Präparaten ein Stadium vorzuliegen, in
dem die an der Peripherie angehäuften Sporen sich nach der
Mitte hin bewegen, wodurch, nach Bütschli’s Untersuchungen,
sine Aufhellung des Centrums stattfindet. Eine andere, nach
‚gleicher Methode behandelte Cyste zeigte die sehr zahlreichen:
Sporen in Kreisen und sich verästelnden breiten Streifen ange-
rdnet, die von einer feinen Membran umschlossen waren. Durch
Reconstruetion der Öyste aus den in der Serie aufeinander fol-
genden Bildern bin ich zu der Ansicht gelangt, dass es sich um
Gänge handelt, in denen die Sporen liegen. Wie es scheint,
hängen diese untereinander zusammen, bilden vielleicht in ihrem
Zusammenhang nur einen Gang. Jedenfalls liess sich feststellen,
dass Endpunkte direet an der Cystenhaut liegen. Vermuthlich
‘ F
15
&
122 Wolters:
sind dies die Punkte, an denen nach Bütschli durch Sporoduete
die Entleerung nach Aussen bewerkstelligt wird. Kernreste wa-
ren in dieser Cyste nicht mehr nachzuweisen. |
Ueber die Weiterentwickelung der Sporen in der Cyste oder
in einem anderen Wirthe nach Entleerung derselben kann ich
abschliessende Beobachtungen noch nicht vorlegen. Möglich,
dass Periplaneta orientalis sofort durch die Sporen sieh selbst |
wieder infieirt. Bütschli hat Fütterungsversuche gemacht, die
ihn zu dem Resultat führten, dass durch sporenhaltiges Material |
sofort eine Infeetion der Periplaneta erzeugt werden könne.
Es ist bei diesen Versuchen doch wohl zu bedenken, dass
der Beweis nicht erbracht worden ist, dass Bütschli’s Versuchs-
thiere wirklich vor den Versuchen noch nieht infieirt waren, und
dass die von dem Untersucher in die Epithelzellen eingesenkt ge- |
fundenen jugendlichen Stadien nicht schon vor den Fütterungs-
versuchen vorhanden waren und also von früherer Infeetion her-
rührten. Was diese Bedenken hervorruft und stärkt, sind fol-
sende Beobachtungen: Häufig findet man Exemplare der Peri-°
planeta orientalis, deren Darm keine Syzygie, keine Gregarine,
selbst kein jüngeres Stadium derselben enthält; und doch möchte
ich dieselben als bereits durch Gregarinen infieirt ansehen. Der
Darm enthält eine grosse Anzahl gelbliehbrauner homogener Ge-
bilde, bald länglich gestreckt, wie, die Würmehen der Klossia,
bald vom Aussehen der ÖOlepsidrina mit Proto- und Deutomerit”
(vgl. Taf. VIII, Fig.2u.4), bald oval, bald kugelig zusammengezogen.
Alle diese Formen enthalten einen sichtbaren Kern. Därme die-
ser Art, ebenso wie solche, die auch Syzygien enthielten, habe €
ich nach verschiedenen Methoden gehärtet und in Serienschnitten
untersucht. Die Epithelzellen des Mitteldarmes zeigen einen
‚schönen Fransenbesatz (Bürstensaum), der nur wenigen etwas”
kugelig aufgetriebenen bis auf Rudimente fehlt. Diesen Zellen’
sitzen auf die auch im Darminhalte vorgefundenen und eben er
wähnten jungen Gregarinen, welche an einem Ende länglich aus-
gezogen in die Zelle hineinreichen. Die anderen Formen finden sich
gleichfalls kleiner oder grösser, kugelig, langgestreckt, halbmond-
förmig in zwei, drei oder mehr Exemplaren in die Epithelzellen”
eingelagert, oft bilden sie ganze Klumpen. Die befallenen Zellen
haben oft noch ihren Fransenbesatz, meist ist er nicht mehr ganz
intact, völlig geschwunden aber wohl nie, Alle diese eben be
Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 123
sehriebenen Körper, die in den Epithelzellen liegen, zeigen deut-
lichen, dureh Safranin tingirten Kern. Weiterhin fanden sich
E die mehr körnigen, helleren und grösseren "Gebilde aus den Epi-
thelzellen austretend, und ihnen noch aufsitzend, wie Bütschli sie
abbildet. Auch weiter entwickelte Formen, in denen man sofort die
_ Clepsidrina mit Epi-, Proto- und Deutomerit erkennt, fanden sich
noch mit der Epithelzelle in Verbindung vor (vgl. Taf. VIII, Fig. 3).
Der Kern dieser Formen ist grösser, zeigt. gelappten Kernkörper,
eventuell schon mehrere derselben. Die eben geschilderten Befunde
machen mich glauben, dass wir in den homogenen gelblichen kern-
- haltigen Körpern die ersten Stadien der Clepsidrina vor uns haben,
welche noch hüllenlos amöboider Bewegung fähig sind, ähnlich den
_ Würmcehen der Klossia und anderen. Da dieselben aber bedeutend
& grösser als die in den Cysten gefundenen Sporen, so scheint eine
7 Weiterentwieklung der Sporen ähnlich wie bei den Monoeystideen
wahrscheinlich, die zum Schluss zur Bildung einer Anzahl von
- sichelförmigen Körpern, von Würmehen führt, in der erheblich
- vergrösserten Sporocyste. Erst nach völliger Reife der Würm-
hen und nach Sprengung der Sporenceyste würde es dann durch
die Keime zur neuen Infection kommen können. Ob diese Vorgänge
im Kothe der Blatta statthaben, oder ob ein Zwischenwirth dazu
nöthig ist, ist vor der Hand noch nicht zu sagen,- und kann
erst dureh genaue Thierversuche erwiesen werden. Nach allem,
was ich beobachtet, möchte ich letzterer Ansicht mich anschliessen,
dass nämlich die Sporocyste, in einem anderen Wirthe weiter sich
entwickelnd, ihre Keime frei macht, die dann als Infeetionsmaterial
aus den Entleerungen von der Periplaneta orientalis wieder auf-
_ genommen wird. Die Keime dringen einzeln oder zu mehreren
in die Epithelzelle ein, wo sie bis zu einer gewissen Entwicke-
Jungsstufe verbleiben; alsdann entwickeln sie Proto- und Deuto-
_ merit und treten nach und nach aus der Wirthzelle heraus (vgl.
Taf. VIII, Fig.3). Darauf lösen sie ihre Verbindung mit der Zelle
_ und conjugiren. Die Conjugation tritt sehr frühzeitig ein, denn
man findet ungemein kleine Syzygien. Die eonjugirten Thiere
_ wachsen heran, eneystiren sich, und der ganze Bee beginnt
von neuem.
Die Untersuchung des Hinterdarmes der Periplaneta ergab
in allen Fällen, dass die mit je einem Stachel versehenen Epithel-
zellen frei waren von jeder fremden, zelligen Einlagerung. Der
124 Wolters:
Darminhalt wies noch emige der beschriebenen Gebilde auf, doch
äusserst gering an Zahl und nicht mehr in dem alten Zu-
stande. Der scharfe Contour fehlte, der Rand war uneben höcke-
rig, hie und da mit klumpigen Gebilden besetzt, die aus dem
Innern ausgetreten zu sein schienen.
3. Die Gregarine der Schneckenniere.
Obwohl meine Untersuchungen über die Klossia noch keines-
wegs abgeschlossen sind, möchte ich doch die bis heran gewon-
nenen Resultate hier mittheilen, da dieselben geeignet sind, einige
von L. Pfeiffer im seiner neusten Arbeit (Die Protozoen als
Krankheitserreger, Jena 1890) noch als durchaus dunkel bezeich-
nete Punkte zu klären.
Die ersten Stadien sind die sichelförmigen Körperchen oder
Würmehen, die man, eingeschlossen in ihre Hülle, in lebhafter
Bewegung sich leicht zur Ansicht bringen kann. Aus dieser
Hülle hervorgetreten, stellen sie kernhaltige würmchenförmige
Gebilde dar, mit einem spitzen und eimem abgerundeten Ende.
Sie bewegen sich schlängelnd weiter. Selten während der Lo-
eomotion, meist in den Ruhepausen ändern sie ihre Gestalt und sind
dann bald eylindrisch, bald flaschenförmig, gestreckt, zusammen-
gerollt, länger oder kürzer. Immer ist ein Kern in ihnen nach-
weislich. Diese von Kloss zuerst als Anfangsstadien gedeuteten
Gebilde sind noch von vielen Forschern beobachtet und jüngst
von L. Pfeiffer wieder beschrieben worden. Man wird sich
unschwer davon überzeugen können, dass man es thatsächlich
mit den ersten Stadien des Parasiten zu thun hat. Eine oder
mehrere dieser würmchenartigen Sporen kriechen in rascher Folge
oder erst nach einer gewissen Zeit in die Zelle hinein. Man
findet nämlich Zellen, welche 3, 4 und noch mehr ganz kleiner
Parasiten enthalten, die. auf gleicher Entwickelungsstufe stehen;
in andern Zellen haben sie sich bereits einzeln mit einer Cysten-
haut umgeben. Es sind dies Zellen, bei denen die Keime unge-
fähr gleichzeitig eingewandert sind. Andere Zellen zeigen Keime
von verschiedenen Entwickelungsstufen, neben eneystirten noch freie
Parasiten, und diese Bilder sprechen dafür, dass in die bereits
durch einen Keim infieirte Zelle nach Verlauf von einiger Zeit
ein neuer Keim, ein zweiter und dritter hmeingelangte. ‘Die Form
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Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 125
des in die Zelle eingedrungenen Fremdlings ändert sich in so-
weit, dass er sich zusammenzieht, und ovale, hin und wieder ein-
‚seitig in der Mitte etwas eingeschnürte, nierenförmige Gestaltung
zeigt. Kern und Kernkern ist deutlich sichtbar. Nach einiger
Zeit umgiebt sich der Parasit mit einer Hülle. Sind mehrere
Keime in die Zelle eingewandert, so sieht man wohl, dass alle
Keime sich mit einer Cystenhaut umgeben. Doch damit ist, wie
es scheint, das Ende in der Entwickelung der meisten Keime
erreicht. Nur einer derselben wächst weiter heran, während die
anderen an die Zellwand gequetscht liegen bleiben. Wie Kloss
zuerst beobachtet, und Pfeiffer neuerdings bestätigt, hypertro-
phiren die infieirten Nierenepithelien sehr stark.
L. Pfeiffer sagt (l. e. pg. 15): „Der Kern der Epithel-
zelle nimmt nur langsam Theil an der Hypertrophie, wird un-
förmig, höckerig, später verschwindet er allmählich, sobald der
Eindringling ungefähr seine halbe Grösse erreicht hat; nur wenn
er sehr peripher gelegen ist, bleibt er bis zuletzt als höckeriger,
dunkler und färbbarer Körper sichtbar.“ Meine Untersuchungen
haben mich zu etwas anderen Resultaten geführt. Die Kerne
der befallenen Nierenzellen waren stets als stark granulirte Ge-
bilde vorhanden, in denen die chromatische Substanz in inten-
siv färbbaren Körnchen vertheilt war. War der Parasit noch
klein, führte er z. B. noch keine Hüllen, so war der Zellkern
nicht grösser als bei den umliegenden normalen Zellen. (Vergl.
Taf. VIII, Fig. 5.) Bei weiter herangewachsenen 'Thieren war
auch der Kern entsprechend grösser, oftmals dabei etwas ver-
lagert und verdrängt. (Vergl. Taf. VIII, Fig. 6.) Trotzdem
war er auf Serienschnitten immer nachweislich. In einzelnen Fäl-
len war die Grössenzunahme des Kernes derartig, dass er in seinen
Maassen hinter dem Parasiten nicht zurückstand. (Vergl. Taf. VII,
Fig. 6.) Mit der weiteren Entwickelung des Parasiten nimmt
der Kern an Grösse wieder ab; er verschwindet aber nie ganz.
(Vergl. Taf. VII, Fig. 15.) Im Weiteren bezeichnet L. Pfeiffer
(ll. e. pg. 14) die Entstehung des Borstenbesatzes auf dem frei-
stehenden Theile der hypertrophirten Nierenzelle als ein völlig
unerklärtes Verhalten. Er schliesst sich darm völlig an Kloss
an. „Keine gesunde Nierenzelle hat einen Borstenbesatz, wohl
aber bereits die ganz wenig hypertrophirten Epithelien mit einem
Fremdling. Bei Wasserzusatz zum Präparate löst sieh derselbe
196 Wolters!
theilweise ab, und es treten aus den Epithelien Plasmakugeln
aus.“ Späterhin sagt er dann: „Bei lang gezogenen Epithelien
fehlt am Schweif der Borstenbesatz.“ L. Pfeiffer erwähnt dann, °
dass er bis zu 15 Parasiten, jeder für sich mit einer Cystenhülle
umgeben, in einer gemeinschaftlichen Borstenhaut gesehen, und
schloss daraus, dass dem Parasit, als solehem die Ausscheidung
dieser Borsten nicht zukomme. Die Beobachtungen Pfeiffer’s, 4
welche die von Kloss bestätigen, wird jeder Untersucher bald °
als zu Rechte bestehend anerkennen müssen, mit Ausnahme der
ersten, dass nämlich keine normale Nierenzelle einen Borstenbesatz
habe. Auf dieser nicht zutreffenden Beobachtung fussend, fehlte °
ihm, wie früher Kloss, der Schlüssel zu dem unerklärlichen Ver- 7
halten der Epithelzellen.
Wie Nussbaum seiner Zeit nachgewiesen, haben die nor-
malen Nierenzellen verschiedener Thiere einen Borstenbesatz, was
später von vielen andern Forschern bestätigt und an immer neuen
Thiergattungen aueh von anderen secernirenden Drüsen berichtet °
wurde. Es gelang nun auf Schnitten der Niere von Helix nemo- °
ralis und Helix hortensis, die in verschiedenen Reagentien abge-
tödtet und gehärtet waren, überall einen schönen Fransen- oder
Borstenbesatz nachzuweisen, und zwar an normalen wie infieirten ”
Epithelien. Der Borstenbesatz ist also ein der normalen Nieren-
zelle zukommender Bestandtheil, und so erklärt es sich leicht,
dass der Schweif langgezogener Zellen keinen Borstenbesatz ”
führt, weil eben dieser Theil dem Zellkörper entspricht, der auch
normaler Weise keine Borsten trägt. Der von Pfeiffer aus’
semen Beobachtungen gezogene Schluss, dass die Parasiten die
Borsten zu bilden nicht vermögen, ist damit als richtig erwiesen, N
und zugleich der Grund dafür gefunden.
Somit wird durch den Nachweis des Borstenbesatzes an
normalen Epithelien der Schlüssel gegeben sein zur Erklärung
aller in dieser Hinsicht räthselhaften Bildungen. Die normale,
borstentragende Epithelzelle der Niere wird durch Einwanderung
einer oder mehrerer Keime infieirt. Der Parasit wächst, und die
Zelle giebt dem Wachsthum an der Stelle nach wo sie es ver-
mag, das heisst an ihrer freien, nicht mit der Umgebung ver-”
bundenen Seite, also an ihrer borstentragenden Oberfläche. Diese
dehnt sieh mehr und mehr, und die Borsten rücken dabei etwas
auseinander; der Zellkern hypertrophirt. So kommt es, dass der
Die Conjugation ind Sporenbildung bei Gregarinen. 12%
Parasit zum Schlusse in einer mit Borsten besetzten Hülle liegt;
dem Schweif, das heisst der Stelle: der Nierenzelle, wo der Kern
liegt, fehlt der Besatz, da er hier in gesunden Tagen ebenfalls
nicht vorhanden ist. Dass der Borstensaum bei Wasserzusatz
_ denselben verlieren, wie wir bei schlecht eonservirten Präparaten
zu unserem Leidwesen so oft erfahren haben.
Das Austreten von Plasmakugeln bei Wasserzusatz, wie
Kloss und nach ihm Pfeiffer beschrieben, wurde im Verlaufe
der Untersuchungen des öfteren beobachtet. Bilder, die Pfeiffer
als lang gestreckte, ausgezogene Zellen bezeichnet, wurden auch
auf Schnittpräparaten häufig gesehen. Es konnte festgestellt
werden, dass die mehr und mehr an Grösse zunehmenden Zellen,
weit über das Niveau sich erhebend, schliesslich wie Beeren einer
Traube an einem dünnen Stiele in das Lumen hinein hängen.
Es fanden sich auf Schnitten Bilder, die es zweifellos erscheinen
lassen, dass der dünne Stiel auch abreissen kann, wobei der
Zellkern zurückbleibt. Es sind das Gebilde, welche Veranlassung
geben können, an ein Verschwinden des Epithelkernes zu denken.
Was den Kern der Klossia angeht, so konnte, wie oben be-
reits erwähnt, auch in den jüngsten Stadien ein deutlicher Kern
nachgewiesen werden, der gewöhnlich einen runden Kernkörper
- führte. Bei weiter vorgeschrittenen Formen wurden auch gelappte
"Nuclei gesehen, die wie bei den Monoeystideen stärker färbbare
Körner enthielten. Der zuerst hüllenlose Keim ändert seine Ge-
stalt in der Zelle, indem er rundlicher wird. Sehr bald scheidet
er eiue Hülle aus, durch die er sich von dem Zellinhalte und
von den etwa mit ihm in der Nierenzelle zusammenliegenden
anderen Klossiakeimen abschliesst. An dieser von dem Thiere
ausgeschiedenen Hülle zeigen sich merkwürdige Bildungen, welche
‚als kleine lang gestreckte Körperchen der Membran eingelagert
sind. Kloss, der dieselben beobachtet und abgebildet, hat sie
als Kerne gedeutet. Chromatische Einlagerungen lassen sich nicht
erkennen, auch macht es bei den verschiedenen Einstellungen nie
den Eindruck, als handle es sich um körperliche Gebilde. Es
scheint vielmehr nach dem optischen Verhalten, als wenn es kleine
Oeffnungen in der Membran seien, die später zur Sprengung der
- Hülle oder zum direkten Auskriechen der Sporen zu dienen haben
Beer |
198 Wolters:
würden. Der Parasit hat also um diese Zeit bis zum Auskriechen
der Sporen zwei Hüllen, von denen die äussere mit Fransenbesatz
aus der Nierenzelle der Schnecke gebildet ist, die innere ein
Abscheidungsproduet des Parasiten ist. Beide sind übrigens zur ”
Zeit der Sporenbildung sehr elastisch; man kann sie durch Druck
nur schwer sprengen. |
Der heranwachsende Parasit hat meist einen grossen runden
oder ovalen Kern, in dem die chromatische Substanz in Form
eines grösseren Nucleolus vertreten ist, neben welchem kleinere
Körner liegen; es findet sich auch in manchen eine Anzahl von
stärker färbbaren Körnern vor. Immer aber ist der Kern von
einer scharf eontourirten Kernmembran umgeben. Der Inhalt des
Gregarinenkörpers besteht wie bei den vorher beschriebenen Gat- ö
tungen aus einer flüssigen protoplasmatischen Substanz, der läng-
liche ovale Körner eingelagert sind. Der Kern verliert im wei- 1
teren Verlaufe seine scharfe Begrenzung; er erscheint unregel-
mässig, zackig und gleicht den früher beschriebenen geflammten
Kernen ungemein. Seine Ausläufer und Zacken stehen, wie man”
auf Schnitten gehärteter Objeete sieht, mit dem Protoplasma des”
Thierleibes direct in Zusammenhang und geht in dieses unmittel-
bar über. Im Inneren dieser geflammten Kerne lassen sich wie-
derum multiple, stark färbbare Körner nachweisen. Wie bei der
Besprechung der Clepsidrina Blattarum bereits erwähnt wurde,
scheint es sich hier auch um ein direktes Vorstadium der Kern-
theilung zu handeln, wenn nicht um diese selbst. Typische”
Spindelbildung, wie sie die Monoeystideen darboten, liess sich auch °
hier niemals constatiren. Es fanden sich dagegen Bilder, an
denen man auf der ganzen Serie keinen Kern mehr nachweisen |
konnte. An der Peripherie lagen jedoch rundliche oder ovale | |
Körper mit körnigem Inhalt, die als Kerne angesprochen werden
mussten. Es ist also wohl nicht zu bezweifeln, dass durch die’
eben beschriebene Veränderung des grossen Kernes, oder direet
nach ihr eine Theilung desselben stattgefunden haben muss, deren
Produete durch fortgesetzte Theilung die’Kerne an der Peripherie”
erzeugten. Dass sich an diesen Kernen thatsächlich Theilungen
abspielen, wurde durch den Befund von Bildern bewiesen, wie
Fig. 22, Taf. VIII sie darstellt. Nach und nach treten an der
Peripherie eine grosse Menge immer kleiner werdender Kerne auf.
Bis zu welcher Zahl diese Vermehrung statthat, ist wohl kau m
Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 129
zu sagen. Ist aber diese Grenze erreicht, so sistirt die weitere
Vermehrung, und es tritt nun erst eine Theilung des Thierleibes
‘ein, entsprechend der Anzahl der gebildeten Kerne. Auf passen-
‘den Präparaten einer Serie sieht man die doppelt eontourirte
Zellmembran, in der die Cyste ruht. Auf den ersten Schnitten
‚bietet sich ein Bild, das eine deutliche Mosaik von Zellen zeigt.
Kommt man weiter in die Tiefe, so ist das Centrum der Oyste
noch homogen, ungetheilt, während an der Peripherie die kleinen
Kerne liegen, welche von seichten Einbuchtungen an beiden
"Seiten umschlossen werden. Geht der Process weiter, so schnei-
den diese Einbuchtungen bis zum Centrum durch, und wir er-
‚halten auf jedem Schnitt einer solchen Oyste Bilder, welche birn-
förmige kernhaltige Zellen, rosettenförmig um einen Punkt, das
Centrum der Cyste, angeordnet zeigen.
Im weiteren Verlaufe lösen alle diese Zellen ihre Verbin-
dung in der Mitte und ziehen sich kugelig zusammen. Die Bil-
dung der Sporogonien ist beendet. Unterzieht man diese Gebilde
einer genaueren Untersuchung, so zeigt sich, dass dieselben einen
kleinen Kern führen. Mr. zeigen dagegen schon zwei, andere
drei und noch mehr Kerne, welche alle sich intensiv fär-
bende Körner führen. Diese Sporogonien mit getheiltem Kern
sind von einer Cystenhaut umgeben, die von der zuerst nackten
Sporogonie ausgeschieden wurde. Wir nennen die eneystirte
Sporogonie mit ihrer Hülle die Sporocyste. Die Sporoeysten
liegen ohne Zwischenraum dicht aneinander und unterscheiden
sich demgemäss von den gleichen Bildungen bei Lumbricusgre-
garinen, die alle peripher von einem Restkörper gelegen sind, in
den sie sich erst später einsenken. Hier fehlt ein Restkörper.
In einigen Sporoeysten konnte in den Kernen eine Sonderung der
ehromatischen Substanz in 2 Theile wahrgenommen werden, die in
anderen scheinbar regellos durcheinander lag. — Absolut sicher
liess sich die Zahl der Keme in der reifen Sporoeyste nicht
nachweisen, doch wurden fast constant sechs wahrgenommen. Es
stimmt dies mit den Beobachtungen von Kloss und Anderen,
die gewöhnlich 6 Würmehen in einer Hülle sahen. Um die durch
die Theilung entstehenden Kerne grenzt sich später ein zuge-
höriges Protoplasma deutlich ab; doch wird wie bei den Sporen
der Lumbrieusgregarinen nicht alles Protoplasma aufgebraucht:
ein Theil bleibt als Sporophor zurück. Dann liegen die Sporen
Archiv f, mikrosk. Anat. Bd. 37 5,
130 Wolters!
als deutlich eontourirte kernhaltige wurmartige Gebilde mit einem
spitzen und einem abgestumpften Ende in der Weise dem ziem-
lich umfangreichen Sporophor auf, dass sie strahlenförmig von
einem Punkte auszugehen scheinen, also rosettenförmig angeordnet
sind. Der Sporophor wird durch weiteres Wachsthum der Sporen
immer mehr verkleinert, sodass man zuletzt nur noch ganz ge-
ringe Reste von ihm vorfindet. Die wurmartigen Sporen sind
meist in ihrer Sporocyste in lebhafter Bewegung. An frischen °
Präparaten lassen sich diese äusserst lebhaft sich bewegenden
Sporen leicht darstellen. Auf Schnittserien fällt dies natürlich
schwerer, gleichwohl kann man auch hier durch Reconstruirung
der Form die Anordnung und Structur sich vor Augen führen.
Kloss hat am frisch untersuchten Objeet die Würmechen aus
ihrer Hülle austreten und sich bewegen gesehen. Nach ihm ist °
dieser Vorgang noch von Anderen beschrieben worden. Verweilt
man länger bei der Untersuchung, so wird man sicherlich bei
geeignetem Material die Auswanderung der Sporen beobachten
können. Die jungen Keime bewegen sich wurmartig sich schlän-
gelnd und zeigen deutliche Kerne. Auf Schnittpräparaten wur-
(den dieselben äusserst selten angetroffen, häufiger die etwas grös- |
seren schon zu ovaler Gestalt zusammen gezogenen Formen. Diese”
fanden sich bereits in Zellen vor. Wie in der Helixniere die
Sporen frei werden und eine neue Infection stattfindet, ist noch |
eine offene Frage. Eine Selbstinfeetion in infinitum .anzuneh-
men, dürfte wohl aus manchen Gründen nieht riehtig sein, wie
schon bei den Monoeystideen berichtet wurde. Es scheinen auch
in diesem Falle die Sporen durch die Niere ausgeschieden zu
werden, und durch sie eine neue Infeetion stattzufinden. Für
diese Annahme sprieht neben der Analogie der Umstand, dass
rinen erhielt, deren Haus lädirt war. Dass eine Infeetion auch
sonst denkbar, ist nieht zu bestreiten, da auch Schnecken mit,
Jedenfalls enthält die Niere der mit lädirtem Hause lebenden
Schnecke ungleieh mehr Fremdlinge als andere, und es scheint
daher nieht wnrichtig anzunehmen, dass von Aussen her, durch
die lädirte Stelle die Parasiten ihren Einzug halten. In die
Niere eingedrungen infieiren sie die Epithelzellen, wo wir sie
Led
we;
Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 131
machen sie dann, beständig von der Zelle umschlossen, ihre
Weiterentwiekelung bis zur multiplen Sporenbildung durch. Eine
Konjugation findet nicht statt.
4. Untersuchungsmethoden.
Um bei den im Vorstehenden behandelten Gregarinen zu
definitiven Resultaten zu gelangen, mussten die Methoden der
Untersuchung des öfteren gewechselt und geändert werden. Die
frischen Präparate wurden ebenso zum Studium herangezogen als
die gehärteten und gefärbten.
Zur frischen Untersuchung kam in erster Linie die 0,75°/,
physiologische Kochsalzlösung zur Anwendung. Die Parasiten
bleiben darin am Leben, doch nimmt ihre Beweglichkeit enorm
ab. Es gilt dies besonders von der Clepsidrina Blattarum. Die
Anfangs lebhaft sich drehenden Syzygien liegen still. Die Mono-
-eystideen und Klossia-Keime reagiren weniger. Ich fand die
letzteren im hängenden Tropfen noch am dritten Tage in Bewe-
gung. Jodserum wurde nur sehr wenig angewendet, da es in
kurzer Zeit, wohl durch die Anwesenheit des Jod, die Parasiten
abtödtet. Es kam späterhin nur noch als Dahliajodserum zur
Verwendung, wo es sich darum handelte, rasch ein gefärbtes .
Präparat zu haben. Aber auch diese Lösung wirkte bei der
wechselnden Dieke der einhüllenden Membranen ungleich. Die
besten Resultate lieferte die Untersuchung in Eiweisslösung, wie
sie von Bütschli bei Clepsidrina Blattarum empfohlen wurde.
Bei Klossia untersuchte ich fast nur in dem aus der Niere
mit ausfliessenden Safte oder im Blute aus dem angeschnittenen
Herzen der Schnecke. ‘Frisch entnommenes Kammerwasser des
Frosches leistete mir gute Dienste bei den Monoeystideen, obwohl,
wie sich später fand, CINa-Lösung die gleichen Resultate giebt.
Die Präparate wurden, nachdem ein kleines Deckglassplitterchen
zur Verhütung der Quetschung untergeschoben war, mit dem
Deckglas bedeckt und mit Vaselinerand umgeben. Wachs zum
Verschluss zu gebrauchen habe ich später unterlassen, da doch
leicht bei dem Erkalten Quetschung eintritt. Präparate im hängen-
den Tropfen wurden nach den bei bacteriologischen Unter-
suchungen üblichen Methoden angefertigt. Sie geben entschieden
die besten und zuverlässigsten Bilder, erlauben allerdings nicht
inter dem Deckglase eine Abtödtung oder Färbung vorzunehmen.
132 Wolters:
Bei der Undurchsichtigkeit der Gregarinenleiber lag es nahe,
durch die Anwendung der Schnittmethode weitere Resultate zu
gewinnen. Zur Abtödtung und Fixirung wurde vor. allem die
Flemming’sche Lösung benutzt, und zwar wurden z. B. die Syzy- i
gien der Clepsidrina sowohl als ihre Cysten isolirt abgetödtet,
als auch ganze Därme der Blatta so gehärtet.
Die gehärteten Objeete wurden Anfangs in Celloidin ein-
gebettet und in Serienschnitte zerlegt, auf dem Öbjeetträger in
Aetherdampf fixirt. Zur Färbung diente Saffranin. Diese Me-
thode wurde wegen ihrer Mühsamkeit später verlassen und die
Objecte in Paraffin eingeschmolzen und geschnitten. Zur Fär-
bung diente auch hier Saffranin. Auch bei den Hoden des Re-
senwurmes und der Niere der Helix nemoralis und hortensis wurde
zum Abtödten und Fixiren Flemming’sche Lösung benutzt, dann
aber in Paraffın eingebettet und die Sehnitte durch Collodium-
Nelkenöl fixirt. Zur Färbung diente Saffranin und das Delafield’-
sche Hämatoxylin. So behandelte Präparate sind wohl geeignet‘
Uebersichtsbilder, und wohl auch hie und da Details erkennen
zu lassen. Da ich aber durch die Flemming’sche Lösung Ge-
rinnungen entstehen sah, welche stellenweise nur mit Abbe’scher °
Beleuchtung Kerne erkennen liessen, währeud oft der ganze Oy-
steninhalt braunschwarz gefärbt war, falls dieselben nahe der Peri-
pherie lagen, so wurde diese Methode der Fixirung verlassen. 3
Zuerst wurde kurze Einwirkung von Alcohol. absol. versucht, doch‘
bald wieder verlassen, da die Schrumpfung zu stark war und der
Borstenbesatz der Zelle bei dieser Behandlung leicht abfällt. Al
cohol. absol. und Eisessig, zu gleichen Theilen, besonders erwärmt,
leistete gute Dienste, brachte jedoch auch noch zu starke Schrum-
pfung hervor. #
Bessere Resultate ergab wässerige eoneentrirte Pikrinsäure-
lösung, der auf 100 Theile 1 Theil Eisessig zugesetzt wurde,
doch war die Conservirung, besonders der Epithelien, nicht sehr
schön. Folgende Lösung genügte auch diesen Anforderungen:
Coneentrirte wässerige Pikrinsäure 100,0
Aqua dest. 200,0
Eisessig 3,0.
Fixirung kleiner Stücke 24 Stunden, dann in 70°/, Aleohol
bis zur völligen Entfärbung. Härtung in Alcohol successive
ansteigender Concentration. Das so gehärtete Material wurde m
Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. A:
. u s
Paraffin eingebettet und in Serienschnitte zerlegt. Die Färbung
geschah mit Saffranin; sowohl die gewöhnliche Lösung in Alcohol
und Wasser aa als auch die von Vittorio Mibelli (Monitore
zoologico Italiano 1890 Nr. 1) kamen zur Anwendung, beide über-
färben leicht und bedingen dann zum Erkennen feinerer Struc-
turen eine Entfärbung durch Salzsäurealeohol. Diese hat ihre
Unzuträglichkeiten. Der richtige Farbenton ist schwer zu treffen,
und die Präparate werden oft blauviolett und lassen kaum feinere
‚Structur erkennen. Es wurde daher im weiteren Verlaufe, wo
es sich um die feinere Kernstructur der Sporogonien und Sporo-
eyten ‘handelte, die Färbung mit Hämatoxylin in Anwendung ge-
zogen. Von emer alcoholischen Lösung dieses Farbstoffes, gleich-
"viel welcher Concentration, wurden soviel Tropfen einer !/,/,
Alaunlösung zugefügt, bis dieselbe eine leicht veilchenblaue Fär-
bung annahm. In dieser Lösung verblieben die Schnitte 24 Stun-
den, event. auch länger, bis sie eben bläulich wurden. Der rich-
tige Färbegrad wurde durch das Mikroskop festgestellt. Es trat
so keine Ueberfärbung ein und die lästige und unsichere Entfär-
"bung durch Salzsäurealeohol fiel weg. Es färbten sich auf diese
Weise nur die chromasischen Elemente. Die Kerntheilungsfiguren
in der Hodensubstanz des Regenwurmes dienten als Kriterium der
gelungenen Färbung. Auf diese Weise gelang,es vor. allem in
den Sporogonien und später in den Sporocyten die Vorgänge zu
-eonstatiren, die im Vorhergehenden beschrieben wurden. Auch
die anderen Parasiten wurden nach dieser Methode gefärbt und
ergaben immer klare und distinete Färbungen. Bei Schnecken-
nieren ist es oft von Vortheil, besonders im Winter, die Unmassen
von Harnsäurekörnchen durch Lithion earbonicum zu entfernen.
Das Bild gewinnt dadurch bedeutend an Uebersichtlichkeit.
Zu erwähnen ist noch, dass die meisten Copulationen und
Kerntheilungsvorgänge Ende Mai und Anfangs Juni beobachtet
wurden. Es stimmt dies mit den Angaben von Ruschhaupt
überein. Bei der Clepsidrina scheint dagegen keine Zeit beson-
ders bevorzugt zu sein. Helix nemoralis und hortensis habe ich
von verschiedenen Plätzen und Gärten untersucht, und dabei nie
die Parasiten vermisst. Die Beobachtung von Kloss, dass die
Exemplare die zahlreichsten Parasiten haben, deren Schaale ver-
‚letzt gewesen, wurde durchweg bestätigt. Helix pomatia wurde
nie infieirt gefunden,
134 ‘ Wolters:
’ “
Die Zeichnungen zu den beigefügten Tafeln verdanke ich
der Güte meines verehrten Lehrers, Herın Prof. Nussbaum.
Ich bin ihm dafür ebenso verpflichtet wie für das Interesse, das
er dem Fortschreiten meiner Untersuchungen bewahrte. j
Erklärung der Abbildungen auf Tafel V—VIL.
Tatel 5,
Fig. 1. Schnitt durch eine Syzygie von Monocystis magna vor Aus-
scheidung der Cystenhaut. Flemming’sche Lösung. Vergr.
Zeiss E, Oc. 2. E
Fig. 2. Schnitt durch eine Cyste von Monocystis magna. Präparation
und Vergrösserung wie vorher. In jedem Copulanten ein Kern.
Fig. 3. Kern und umgebende Leibessubstanz aus einer frei beweg-
lichen Monoecystis magna. Flemming’sche Lösung. Vergr.
Winkel Syst. 8, Oc. 3.
Fig. 4 Schnitt durch eine freie Monocystis magna. Der Bau der’
Leibessubstanz ist nur zum Theil auf der rechten Seite”
wiedergegeben. Der Kern ist bläschenförmig, im lei@ht tin-
girten Nucleolus mehrere stärker gefärbte Körnchen. Flem-
ming’sche Lösung. Vergr. Zeiss F, Oc. 2. h
Fig. 5. Schnitt Aurch eine Monocystis agilis. Unten in der Figur”
ein „geflammter* Kern. Flemming’sche Lösung. Vergr
Winkel 6, Oc. 3. |
Fig. 6. Schnitt durch eine Monocystis agilis. Kern mit einem com-
pakten Nucleolus. Präparation und Vergrösserung wie in’
Fie. ».
Fig. 7. Schnitt durch eine Cyste der Monoeystis magna im Stadium
der Richtungskörperbildung. Kerntheilung links im oberen
Syzygiten. Flemming’sche Lösung. Vergr. Zeiss E, Oc.2.
Fig. 8-10. Schnitte durch eine Cyste der Monoeystis agilis. Schnitt-
stärke 15u. Fig. 9 ist um zwei Schnitte von Fig. 8, und
Fig. 10 um 3 Schnitte von Fig. 9 entfernt. In der ganzen
Cyste kommen nur die in Fig. 8 und 10 abgebildeten und in
Theilung begriffenen Kerne vor. Fig. 8 stellt den Kern des
einen, Fig. 10 den des anderen Syzygiten dar. In Fig.9 die
Communicationsbrücke. Flemming’sche Lösung. Vergr
Zeiss E, Oc. 2. E
Fig. 11 u. 12. Zwei aufeinander folgende Schnitte durch eine Cyste
von Monocystis agilis. Der Kern liegt in jedem der Syzy-
giten nahe der Copulationsfläche. Cystenhaut ist nicht dar
gestellt. Präparation und Vergrösserung wie vorher,
Die Conjugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 135
Fig. 13 u. 14. Zwei aufeinander folgende Schnitte durch eine Cyste
Fig. 3.
= Fig. 7.
von Monocystis agilis. Der Kern in Fig. 13 geht durch die
Communicationsbrücke von einem Syzygiten in den andern
über. Der Kern der Fig. 14 stellt die Fortsetzung des Kernes
der Fig. 13 in den oberen Syzygiten hinein, dar. (Der ein-
zige Kern der Cyste fiel, da er gebogen ist, in zwei Schnitte.)
Präparation und Vergrösserung‘ wie vorher.
. Syzygiten der Monocystis agilis innerhalb der Cyste mit den
in der Nähe der Conjugationsebene gelegenen Theilungs-
spindeln. Flemming’sche Lösung. Vergr. Zeiss. Im. 3,
Oe. 2.
Die Kernfigur aus Fig. 5 stärker vergrössert.
Tafel VI
2. Kernformen aus den beiden Syzygiten einer Cyste von
Monocystis agilis, beide an der Peripherie gelegen. Fig. 1
zeigt den einen Kern im Stadium der Mitose mit ausgebil-
deter Polstrahlung, achromatischer Spindel und den Chromo-
somen. Die achromatische Spindel zerfällt in zwei Theile,
der centrale Theil derselben ist fein längsgestrichelt, ihr
äusserer Mantel besteht aus derberen Fasern, die sicher nicht
von einem Pol zum anderen ziehen. Der Kern der Figur 2
hat eine deutliche Membran, sein fester Inhalt ist in zwei
grössere Klumpen angeordnet, von denen feine Fortsätze aus-
strahlen und in denen stärker gefärbte Körnchen. liegen. In
der Figur ist auch die ringförmige Anordnung des Proto-
plasmas um den Kern mit den feinen Ausstrahlungen nach
der Peripherie hin angedeutet. Pikrin-Essig-säure. Vergr. Leitz
homog. Im. !/y, Oe. 4.
Sehnitt durch eine Cyste der Monoeystis agilis mit einem
Kern und der Protoplasmaanhäufung an der Communica-
tionsbrücke. Flemming’sche Flüssigkeit. Vergr. Leitz hom.
Im. 1/8, Oe. 0.
Peripherer Schnitt durch eine Cyste der Monocystis agilis mit
Kernen verschiedener Grösse und verschiedenen Stadien der
Theilung. Präparation und Vergr. wie vorher.
Schnitt durch eine Cyste der Monocystis agilis mit Sporo-
blasten an der Peripherie des Centralkörpers.
Schrägschnitt durch eine Cyste der Monocystis agilis; der
obere Syzygit mit verschiedenen Kernformen und ihrem
Protoplasmahof peripher, der untere central getroffen. Die
Sehnittriehtung ergiebt sich aus der Controlle der übrigen
Schnitte dieser Cyste. Pikrin-Essig-säure. Vergr. Leitz hom,
Im. !/, Oe. 0.
Cyste der Monoeystis agilis mit bindegewebiger Kapsel,
136 Wolters:
Fig. 8. Peripherer Schritt durch eine Cyste der Monoeystis agilis mit
Kerntheilungsfiguren in jedem Syzygiten. Pikrin-Essig-säure.
Vergr. Zeiss E, Oec. 2.
Fig. 9-11. Sporogonien und eingebuchteter Centralkörper in Oysten
der Monocystis agilis und magna.
Fig. 12—20. Entwickelung der Sporen und ihrer Cyste aus der Sporo-
sonie bei Monocystis magna. Pikrin-Essig-säure. Leitz hom.
Im. 1/, Oe. 4.
Tafel VII N
Fig. 1. 2. 3. 4. Kernformen aus Syzygiten der Clepsidrina Blattarum.
Flemming’sche Lösung. Vergr. Zeiss F, Oc. 2.
Fig. 5. Feiner Schnitt.
Fig. 6. Dickerer Schnitt durch den „geflammten“ Kern und seine Um-
gebung von Ülepsidrina Blattarum. Präparation und Ver-
grösserung wie vorher.
Syzvgie der Cleps. Blatt. mit „geflammtem“ Kerne im oberen
und membranhaltigem Kerne, dessen chromatische Substanz
rosenkranzartig angeordnet ist, im unteren Syzygiten.
Fig. 8. Schnitt durch eine junge Cyste der Cleps. Blatt. Ausser den
Deutomeriten ist auch das Protomerit des einen Syzygiten im
Schnitt getroffen.
Schnitt durch eine gleiche Cyste mit Theilen der Deutomerite
oben und unten von der Contactlläche, einem „geflammten“
Kern im oberen Syzygiten und Abschnitten der Protomerite
rechts und links von der Contactfläche.
Fig. 10. Schnitt durch die Contactfläche zweier Syzygiten mit einem
Kerne in rosenkranzförmiger Anordnung des Chromatins im
oberen Syzygiten.
Fig. 11. Schnitt durch eine Cyste desselben Thieres mit Sporen im
Centrum. Die Hüllen der Cyste sind nicht dargestellt.
Fig. 12. Peripherer Schnitt durch eine ältere Cyste mit grösseren
Sporen in Strängen und Lücken im Restkörper. Präparation
bei Fig. 8-12 Flemming’sche Lösung. Vergr. Zeiss CC,
08.2
es
bed e
2
En |
Fig.
>
Tatel-yIIl
Fig. 1. Schnitt durch die äussere Leibesschicht einer Clepsidrina Blatt.
senkrecht zu den Längsrippen der Cutieula. In der Figur
folgen sich von oben nach unten Cuticula, Eetosark, Ento-
sark. Flemming’sche Lösung. Leitz hom. Im. 1/e- =
Fig. 2. Epithelzellen mit Fransensaum aus dem Mitteldarme der Blatta
orientalis, inficirt mit verschiedenen Entwickelungsstadien der
Clepsidrina Blattarum. Flemming’sche Lösung. Vergr.
Leitz hom. Im. 1, Oc. 2. |
Fie. 3. Eine Clepsidrina Blatt. mit dem Epimerit in einer Zelle des
Mitteldarmes der Blatt. orientalis festgeheftet.
Fine
Fig. 6.
Fig. 7.
Die Congugation und Sporenbildung bei Gregarinen. 137
Junge Form der Clepsidrina Blatt, frei im Mitteldarme der
Blatt. orientalis. Flemming’sche Lösung Safranin, Balsam.
Wegen der Präparationsmethode ist die äussere Leibesgrenze
und die Cutieula nicht sichtbar. Vergr. Leitz hom. Im. Y/ıe,
Oe. 2.
Nierenepithelien der Helix nemoralis mit Fransenbesatz, Harn-
säureeoncerement in der nach links gelegenen äussersten Zelle
und einer jungen Klossia in der daneben gelegenen. Flem-
ming’sche Lösung. Vergr. Zeiss F, Oc. 2.
Schnitt, durch eine Nierenzelle mit vergrössertem Kerne und
in der Zelle liegenden Klossia.
Sehnitt durch eine lang ausgezogene Nierenzelle von Helix
nemoralis mit hypertrophischem Kern an der Basis, vier kleinen
und einer grossen Klossia. Präparation bei 6 und 7 Pikrin-
Essig-säure. Vergrösserung Zeiss F, Oec. 2.
Fig. 8 u. 9. Kernformen und netzförmige Anordnung des Protoplasmas
Fig. 10.
Fig. 13.
Fig. 14.
Fig. 15.
Fig. 16.
gehärteter Klossia.
11. 12. Sporogonienbildung bei Klossia. Fig. 10 und 11 aus
derselben Cyste, Fig. 10 von der Peripherie, Fig. 11 durch
den Aequator der Cyste, Fig. 12 durch den Aequator einer
älteren Cyste. Pikrin-Essig-säure Vergr. Leitz 5, Oc. 2.
Schwund der Kernmembran und Auftreten von färbbaren
Körnchen neben dem Nucleolus im Inneren des Kernes. Schnitt
durch eine Klossia in Pikrin-Essig-säure gehärtet. Vergr. Leitz
hom. Im. 1/., Oe. 2.
Schnitt durch den Aequator eines membranlosen „geflamm-
ten“ Kernes und den gefärbten Körnchen im Inneren sowie
durch die umgebende Leibessubstanz einer Klossia. Pikrin-
Essig-säure. Vergr. Leitz hom. Im. Ye, Oc. 4.
Isolirte Nierenzelle von Helix nemoralis mit stark entwickeltem
Borstensaum ringartig verdünnter Zellsubstanz, in der unten
der Kern der Zelle, links eine junge Klossia, und in der Mitte
eine kugelig gewordene ausgewachsene Klossia ohne sicht-
baren Kern in ihrer Cystenhaut gelegen ist. Frisch in Schnecken-
blut bei Leitz Syst. 7, Oc. 2 untersucht.
Schnitt durch eine Nierenzelle, die mit einer Klossia auf dem-
selben Stadium der Entwickelung wie auf der vorhergehenden
Figur infieirt ist. Der Kern der Nierenzelle ist in diesem
Schnitt nicht getroffen. Der Kern der Klossia ist geflammt.
(Alle anderen Kernformen sind auch während des Lebens
sichtbar.) Präparation Flemming’sche Lösung. Vergr. Leitz
hom. Im. !/., Oe. 2.
Flimmerzelle und Heidenhain’sche Stäbchenzellen aus dem
zweiten Abschnitt der Niere von Helix nemoralis. Flem-
ming’sche Lösung.
Schnitt durch eine Nierenzelle und ihren Kern von Helix ne-
moralis mit einer eingelagerten Klossia, deren Kern geflammt
138
Tie. 19:
Fig. 20.
Fig. 21
Fig. 22
Fig. 23.
Fig. 24.
. Sporoeysten und Kernbilder in denselben. Klossia.. Flem-
. Schnitt durch eine Nierenzelle der Helix nemoralis mit einer
Wolters: Die Conjugation und Sporenbildung ete.
ist und viele einzelne färbbare Körnchen enthält. Pikrin-Essig-
säure. | |
Eine Sporogonie der Klossia in Flemming’scher Lösung ge-
härtet. Vergr. Leitz hom. Im. Y., Oe. 4 bei ausgezogenem-
Tubus.
Kernvermehrung in den Sporoeysten. Pikrin-Essig-säure. Vergr.
wie Fig. 19. |
ming’sche Lösung. Vergr. Leitz !/;, hom. Im. Oe. 4.
Klossia, die an der Peripherie kleinere Kerne zeigt, während
im Centrum kein Kern mehr vorhanden ist. Der Kern der
Nierenzelle ist in diesem Schnitt nicht getroffen. Pikrin-Essig-
säure. Vergr. Leitz hbom. Im. 1/;, Oc. O0 bei ausgezogenem
Tubus. :
Sporocyste mit Sporen und dem Sporophor von Klossia, frisch“
in Schneckenblut untersucht. (Die Kerne der Sporen sind.
nach einem Präparat aus’ Pikrin-Essig-säure eingezeichnet.)
Vergrösserung Leitz hom. Im. Y/, Oe. 2 bei ausgezogenem
Tubus. |
Nierenzelle einer Helix nemoralis mit Kern und Borstensaum
mit einer in ihrem Inneren gelegenen encystirten und in die
einzelnen Sporocysten getheilten Klossia. Frisch in Schnecken-
blut untersucht. Vergr. Leitz Syst. 7, Oe. 2.
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1
N
Ribbert: Ueber die Regeneration der Mammilla etc. 139
Ueber die Regeneration der Mammilla nebst
Bemerkungen über ihre Entwicklung.
Von
- Prof. Dr. Ribbert,
erstem Assistenten am pathogischen Institut zu Bonn.
Hierzu Tafel IX.
Ueber die Regeneration der Mammilla haben unter meiner
Leitung Stuckmann!) und Krapoll?) Untersuchungen ange-
stellt und in ihren Dissertationen beschrieben. Die gewonnenen
Resultate habe ich durch weitere Experimente ergänzt. Sie
scheinen mir wichtig genug, um einem grösseren Leserkreis, als
er Dissertationen beschieden zu sein pflegt, vorgelegt zu werden.
Sie gaben mir auch Veranlassung, einzelne Stadien der normalen
" Entwicklung der Mammilla, die zuletzt von Rein?) eingehend
untersucht wurde, mit Bezug auf ihre feinere Histologie einer
Prüfung zu unterziehen, deren Ergebnisse ich im Anschluss an
die Darlegungen über die Regeneration mittheilen werde.
I. Die Regeneration der Mammilla.
Die Mammilla wurde bei jüngeren und älteren weiblichen
und männlichen Kaninchen und bei Hündinnen mit der Scheere
oder dem Messer zu einem Drittel oder zur Hälfte abgetragen.
Auf der Wunde bildete sich sehr bald ein Schorf, unter welchem
1) Stuckmann, Experimentelle und histologische Untersuchun-
gen über die Regeneration der weiblichen Mammilla, Bonn 1889.
2) Krapoll, Exper. u. histol. Unters, über die Regeneration der
männlichen Mammilla, Bonn 1890.
3) Dieses Archiv, Bd, 20 u. 21.
140 Ribbert: |
die Heilungsvorgänge abliefen. Die in verschiedenen Intervallen
ausgeschnittenen, in Flemming’scher Lösung oder in 0,2 procen-
tiger Chromsäure und Alkohol gehärteten Objeete wurden in
senkrechte, mit den Ausführungsgängen parallele Sehnitte zerlegt.
a) Uebersicht über den Verlauf der Regeneration.
1. Untersuchung nach 24 Stunden.
(Fig. 1.)
Der Schorf hängt fest mit der Wundfläche der Mammilla
in einer leicht unregelmässigen welligen Linie zusammen. Er be-
steht aus zwei rasch ineinander übergehenden Lagen, einer dunkel
gefärbten unteren und einer helleren oberen. Die dunkle Be-
schaffenheit ist bedingt durch die Gegenwart dicht gedrängter
kleiner, unregelmässiger Kerne, die sich in der helleren oberen
Schicht nur spärlich finden. Das angrenzende Bindegewebe der
Mammilla ist mit mehrkernigen Leukoeyten infiltrirt, durch deren
gegen die Wundlinie zunehmende Zahl der Uebergang in den
Sehorf rasch und ‘ohne scharfe Grenze vermittelt wird. Nach
abwärts verliert sich die zellige Infiltration allmählich. Die fixen
Gewebszellen sind in ihrem Bereich deutlich vergrössert.
Die Ausführungsgänge der Milchdrüse sind weit, verengen
sich aber in der Nähe des Schorfes. Ihr Lumen findet vielfach
in letzterem eine enge, unregelmässige, frei ausmündende Fort-
setzung, die von einem dunkel tingirten, nach innen zackig, gegen
den Schorf sehr scharf begrenzten Saum umgeben ist (Fig. 6).
Dieser Saum besteht aus schräg gestellten, nach der Mittellinie
bogenförmig convergirenden, sehr schmalen Zellen, deren lang
ausgezogene Kerne intensiv gefärbt sind. Er geht nach unten
continuirlich über in das Epithel der Milchgänge und zwar so,
dass die Zellen ziemlich rasch breiter und niedriger, die Kerne
ovaler und heller werden. Es kann also nicht zweifelhaft sein,
dass die Drüsenepithelien in die aufgelagerte Gerinnungsmasse
hineingedrungen sind, hier aber Veränderungen erleiden, welche
als degenerative aufzufassen sind. Man kann annehmen, dass sie
später mit dem Schorf, dem sie fest anhaften, abgestossen werden.
In der That finden wir diese Voraussetzung, wie vorweg bemerkt
sein mag, an den Präparaten der folgenden Tage bestätigt.
re
Uebe die Regeneration der Mammilla nebst Bemerkungen ete. 141
En |
Die Epithelien der Drüsengänge zeigen ihrer Vermehrung
entsprechende Proliferationsvorgänge. Ich konnte in jedem Gange
gewöhnlich zwei, nieht selten aber auch drei und vier Mitosen
nachweisen.
Das Vordringen der Drüsenepithelien in den Schorf ist aber
nicht in allen Präparaten und nicht über allen Ausführungsgängen
nachzuweisen. Sehr oft ragt es nur auf eine kurze Strecke, in
vielen anderen Fällen gar nicht in die untere dunkle Schicht
‚desselben hinein.
Die Epidermis an der Seite der Mammilla nimmt gegen die
Wundgrenze hin an Dicke allmählich zu, um am Rande derselben
etwa die doppelte oder dreifache Dicke der normalen Lage zu
besitzen. Es ragt beiderseits etwas unter den Schorf vor, ent-
weder als kurzer mit ihm paralleler oder auch als leicht nach
abwärts geneigter Fortsatz, der nach innen gewöhnlich abgerundet
endet. Es findet also die Regeneration schon in einem Vordringen
des Epithels auf die Wundfläche ihren Ausdruck und dement-
sprechend bemerkt man in dem: neugebildeten Fortsatz sowohl
wie in dem angrenzenden an der Seite der Mammilla gelegenen
Epithel einzelne Mitosen. Jedoch fällt auf jeden Sehnitt dureh-
schnittlich nicht mehr als eine.
Diese Angaben gelten für den ersten an einem jungen weib-
hi chen Kaninchen angestellten Versuch. Bei einem aufgewachsenen
Thier war das Verhalten in der Hauptsache das gleiche, indessen
war das Deckepithel schon weiter zwischen Sehorf und Wund-
fläche vorgedrungen, etwa bis zur Hälfte der Entfernung des
Wundrandes vom nächsten Ausführungsgang. Es verjüngte sich
vielfach in der Richtung seines Wachsthums bis zu einer ein-
zelligen Lage. In dem neugebildeten Epithel fanden sich nur
spärliche, in dem angrenzenden restirenden ziemlich zahlreiche
Mitosen, etwa zwei auf jeder Seite in jedem Schnitt. Das Epithel
ler Ausführungsgänge enthielt nur sehr wenige Kerntheilungs-
f Rai en.
In einem dritten und vierten Falle boten die Präparate in
den wichtigsten Punkten das gleiche Aussehen.
Die Verhältnisse während der ersten 24 Stunden genauer
zu schildern erscheint überflüssig. Erwähnt sei nur, dass die
Diekenzunahme des Deckepithels am Wundrande schon nach acht
143 Ribbert:
Stunden deutlich ist und auf einer Grössenzunahme der einzelnen
Epithelien beruht, dass ferner auch an einem siebzehnstündigen
Präparat schon einzelne Mitosen in der Epidermis und dem Epithel
der Milchgänge sichtbar waren.
2. Untersuchung nach 48 Stunden. -
(Fig. 2.)
Der Schorf haftet der Kuppe der Mammilla noch fest an,
indessen sitzt er an keiner Stelle dem Bindegewebe mehr auf,
sondern überall dem Deckepithel, welches über die ganze Wund-
fläche herübergewachsen ist. Es übertrifft zwischen den Oeffnungen
der Milchgänge und seitlich von ihnen das normale Epithel um
das Vielfache an Dicke, verjüngt sich gegen den Rand der frü-
heren Wunde sehr rasch um !/,—!/, und geht darauf an der
Seitenfläche der Warze allmählich in die normale Lage über.
Es bildet also in den mittleren "Theile der Amputationsfläche einen
sehr breiten Zapfen, der, oberflächlich ziemlich glatt, an seiner
unteren Seite kürzere und längere Fortsätze besitzt. Durch ihn
treten nun die Milchgänge hindurch und zwar so, dass sie unten
zunächst von jenen Fortsätzen umgeben sind. Sie verengen sich
in der Nähe seines unteren Randes und ihr Lumen geht als ver-
hältnissmässig schmaler Kanal mit theils glatter, theils zackiger
Begrenzung durch ihn hindurch. Die Cylinderzellen der Aus-
führungsgänge reichen nun nicht nur bis au die Epidermis, son-
dern setzen sich auf der Innenfläche des in dieser gelegenen
Kanales bis fast an seinen äusseren Rand fort. Dabei liegen
sie dem Deckepithel direkt auf, sind aber zum Lumen nicht
so regelmässig geordnet wie in den erhaltenen T'heilen der Milch-
sänge, sondern entweder schräg oder parallel zu ihm gestellt
(Fig. 7). Dadurch ist es auch bedingt, dass die zellige Aus-
kleidung des engen Kanalabschnittes meist beträchtlich niedriger
ist, als die des restirenden Theiles der Ausführungsgänge.
Um eine möglichst übersichtliche Darstellung der Regene-
rationsprocesse zu ermöglichen, soll hier und in den zunächst
folgenden Beschreibungen von den Beziehungen des Drüsenepithels
zu dem neuen äusseren Epithel nur in den Hauptzügen, nicht in
Veber die Regeneration der Mammilla nebet Bemerkungen ete. 143
allen Einzelheiten die Rede sein. In einem besonderen Absehnitt
werde ich unten darauf zurückkommen.
F- Im Deckepithel, im Epithel der Milehgänge und im Binde-
_ gewebe finden sich zahlreiche Mitosen.
| Von dem Verlauf des Regenerationsvorganges während der
_ ersten beiden Tage können wir uns nunmehr folgende Vorstel-
lung machen. Die Epidernfis ist vom Rande her allmählich über
‚die ganze Wundfläche herübergewachsen und an den Ausführungs-
_ gängen der Milehdrüse mit dem Epithel derselben zusammen-
gestossen, dann aber hat sie über ihren Oeffnungen keine Decke
gebildet, sondern als Fortsetzung ihres Lumens einen engen Kanal
freigelassen, auf dessen Innenfläche sich das Cylinderepithel in
unregelmässiger Weise bis zur freien Oberfläche vorgeschoben
hat. In der Umgebung der Ausführungsgänge ist sie dann mit
breiteren und schmaleren Fortsätzen in die Tiefe, in das restirende
Bindegewebe der Mammilla hineingewachsen.
3. Untersuehung nach 72 Stunden.
(Fig. 3 u. 4.)
| Von dem Schorf findet sich nur noch ein kleiner unregel-
mässig geformter Rest. Er sitzt nicht mehr auf einer glatten
Epithelfläche, da die Mitte derselben eine in einzelnen Schnitten
flache, in anderen etwas zugespitzte Vertiefung zeigt, in welcher
der Schorf noch lose anhaftet. Das Epithel ist über der Wund-
fläche wieder stark verdickt, aber nun gegen das Bindegewebe
nicht nur in flachen Bogen abgesetzt, sondern mit tiefgreifenden
_ Fortsätzen versehen. In der Mitte des Zapfens, der Einsenkung
entsprechend, ist das neugebildete Epithel am dieksten, und
springt am weitesten, mit mehreren fingerförmigen Ausläufern,
nach unten vor (Fig.3). In diesem mittleren Abschnitte münden
nun die Drüsengänge. Ihr Lumen setzt sich durch die Epidermis
als enger, etwas unregelmässiger Kanal fort und ist auch hier
mit einem, vielfach zerfallenden Öylinderepithel ausgekleidet,
_ welches den Epidermiszellen wieder unvermittelt aufsitzt. Die
Gänge treten aber durch das Epithel nieht parallel hindurch,
‚sondern mit einer mehr oder weniger deutlichen Neigung gegen
die Mittellinie, also gegen die erwähnte Einziehung der Ober-
144 Ribbert:
fläche, an deren tiefster Stelle und Seitenfläche ihre äusseren
Oeffnungen liegen. Wie ist nun die Einsenkung zu Stande ge-
kommen? Da man seitlich von ihr unter dem neuen Epithel deut-
lich jugendliches proliferirendes Bindegewebe von dem alten Ge-
webe «der Mammilla abgrenzen. kann, so handelt es sich offenbar
(darum, dass die peripheren Parthien der Amputationsfläche durch
las Granulationsgewebe höher gewoftden sind, während central
(lie Epidermis im Zusammenhang mit dem Rande der durch-
schnittenen Ausführungsgänge nicht in gleichem Maasse aufge-
stiegen ist und dadurch zu einer nabelartigen Vertiefung desjenigen
mittleren Abschnittes der neuen Epithellage geführt hat, in
welchen die Drüsengänge ausmünden. Diese mussten daher eine
convergirende Richtung annehmen und in die Einsenkung aus-
münden.
Nicht selten sieht man auch, dass die Ausführungsgänge
nicht einzeln die Epidermis durchbrechen, sondern sich dicht
unter ihr zu zweien oder dreien zu einem gemeinsamen Lumen
vereinigen, welches für sich dann aber die gleichen Beziehungen
zum Deckepithel aufweist. '
In einem zweiten Falle (Fig. 4), bei eimem jungen weib-
lichen Kaninchen, ist der Zapfen gleichfalls central etwas einge-
bogen, aber nach unten noch vielgestaltiger. Er greift wie mit
Wurzeln in eine Tiefe von fast !/, Millimeter, ist aber noch weit
beträchtlicher als in dem vorigen Falle in das alte Bindegewebe
unter das Wundniveau vorgedrungen, dessen Grenze an dem
Unterschiede zwischen dem restirenden Gewebe und dem aus ihm
hervorsprossenden jugendlichen Granulationsgewebe leicht zu er-
kennen ist.
Das Abwärtswachsen des Epithels ist nun dieht am Rande
oder besser an der Aussenseite der Ausführungsgänge erfolgt.
Dabei spitzt es sich nach unten gewöhnlich etwas zu. Dement-
sprechend treten die Drüsengänge am unteren Umfange der einzelnen
Epidermiszapfen ein, um, nicht immer geradlienig und meist zu ein-
andergeneigt, mit unregelmässigem COylinderepithel ausgekleidet,
eine Strecke weit in ihm nach aufwärts zu verlaufen. In keinem
Sehnitte dieses Objectes konnte aber eine Ausmündung von Drü-
sengängen auf der Oberfläche gesehen werden. Es musste sich
daher, da die Sehnittreihe vollständig war, um eine blinde Endi-
sung der Gänge im Deckepithel handeln, welches somit in die-
Ueber die Regeneration der Mammilla nebst Bemerkungen etc. 145
sem, allerdings auch dem einzigen zur Beobachtung gekommenen
Falle, von der Seite her nicht nur bis an den Rand der Drüsen-
-_ öffnungen gelangt, sondern über diese continuirlich hinweggewach-
sen ist.
Die besprochene Einsenkung des centralen Theiles der neu-
gebildeten Epidermis findet sich nun nicht in allen Fällen. Bei
einem nahezu ausgewachsenen Thiere war die Oberfläche eben
_ und die Ausführungsgänge verliefen parallel mit einander durch
die neue Epithellage, die aber auch hier an der Seite der Gänge
Fortsätze nach abwärts schickte und um das Mehrfache dicker
war als die normale Epidermis. Eine Vereinigung von zwei oder
drei Gängen zu einem gemeinsamen Lumen war auch in diesem
Falle in vielen Schnitten vorhanden.
Die von den einzelnen Thieren gewonnenen Präparate des
dritten Tages unterscheiden sich also durch die Dicke und die
Gestalt des neugebildeten Epidermiszapfens.. So weit ich sehe,
hat dies seinen Grund in dem verschiedenen Alter der Thiere.
Bei jungen Kaninchen wuchert das Epithel lebhafter und bildet,
nachdem es die kleinere Wundfläche schneller überwachsen hat,
_ eine diekere Lage, die tiefer in das alte Bindegewebe vordringt
als bei älteren Thieren.
4. Untersuchung nach 4 und mehr Tagen.
(Fig. 5.)
Die Präparate vom vierten Tage ab einzeln zu beschreiben,
würde viele Wiederholungen bedingen, da die von Tag zu Tag
_ sich vollziehenden Veränderungen nicht sehr gross sind und da
andererseits auch nicht nach Ablauf der gleichen Zeit in allen
- Versuchsreihen dieselben Entwicklungszustände vorhanden sind.
So fand sich z.B. bei einem erwachsenen weiblichen Kaninchen
- an einem Präparat vom fünften Tage dasselbe Verhalten, wie wir
es an den bisher beschriebenen Objeeten schon am zweiten Tage
_ wahrnahmen. Diese Verschiedenheit erklärt sich theils daraus,
dass bei jüngeren Thieren die Regenerationsprozesse lebhafter
ablaufen als bei älteren, bei denen dementsprechend auch die
_ Dieke des neuen Epithels nicht so beträchtlich wird, theils da-
raus, dass bei erwachsenen Kaninchen in Folge des grösseren
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 10
146 Ribbert:
Durchmessers der Mammilla die mit Epithel zu überkleidende
Fläche erheblich grösser ist und desshalb längere Zeit zur Ueber-
häutung beansprucht.
Die Schilderung soll also nunmehr im Zusammenhang weiter-
seführt werden.
Die Regenerationsvorgänge sind vom vierten Tage ab haupt-
sächlieh dadurch gekennzeichnet, dass die Mammilla im Ganzen
in die Höhe wächst. Dies kommt dadurch zu Stande, dass aus
dem Bindegewebe der Amputationsfläche junges Granulations-
gewebe hervorsprosst und, wenn wir so sagen dürfen, das neu-
gebildete Epithel nach oben vor sich herdrängt. In einem Prä-
parate vom siebenten Tage war die Dicke dieses neuen Binde-
gewebes etwa das Doppelte von derjenigen der neuen Epithel-
lage, während diese selbst etwa 3—4 Mal so diek war wie das
normale Epithel an der Seite der Mammilla.
Das Höhenwachsthum gestaltet sich nun etwas verschieden
(dadurch, dass in einigen Versuchsreihen, vorwiegend bei jungen
Thieren, wie eben beschrieben, die neue: Epitheldecke central
eine Einziehung und eine grössere Dicke zeigt und dass hier die
Drüsengänge convergirend nahe neben einander ausmünden, wäh-
rend bei den übrigen Versuchen, die hauptsächlich ältere Thiere
betreffen, die Ausführungsgänge parallel, wenn auch nur selten
jeder für sich, sondern meist zu zweien oder dreien vereinigt,
durch das gleichmässig dieke, nicht mit centralem Nabel ver-
sehene Epithel hindurchtreten. Die letzteren Fälle als die ein-
facheren, seien zunächst dargestellt.
Wenn wir nun die Mammilla durch die seitlich von den
Ausführungsgängen und zwischen ihnen vor sich gehende Neu-
bildung von Granulationsgewebe höher werden, dabei aber den
Zusammenhang der Epidermis mit dem Epithel der Drüsenkanäle
erhalten sehen, so kann dies nur dadurch geschehen, dass entweder
die um die Gänge gebildeten eylindrischen Einsenkungen der
Epidermis mit dem Wachsthum der ganzen Brustwarze höher
werden oder die Ausführungsgänge sich durch Wucherung ihres
Epithels nach oben verlängern. Der letztere Vorgang kommt
nun für die definitive Gestaltung hauptsächlich in Betracht.
In der ersten Zeit nach dem dritten Tage ist freilich von
einem Wachsthum der Drüsengänge nach oben noch wenig wahr-
zunehmen, so dass dann der weitaus grösste Theil der durch
das neugebildete Bindegewebe hindurchtretenden Lumina noch
rings vom Deckepithel umgeben ist. Weiterhin aber zieht dieses
sich mehr und mehr nach oben zurück, gefolgt von dem nunmehr
in gleicher Richtung wachsenden Drüsenepithel. Jedoch bleibt
auch in den ältesten Präparaten nach Analogie der normalen
Verhältnisse ein mehr oder weniger grosser Abschnitt der Aus-
führungsgänge von dem cylindrisch sich einsenkenden äusseren
Epithel umgeben (Fig. 5 u. 9).
Am einfachsten sind diese Verhältnisse dann zu übersehen,
wenn nur ein einzelner Gang für sich ausmündet. Aber auch
wenn zwei oder drei sich vereinigen, ist in der Hauptsache das
gleiche zu beobachten. Die zwischen ihnen gelegenen, sie tren-
nenden, auch auf ihrer Kante von Cylinderepithel überzogenen
Leisten (Fig.5) erheben sich nur wenig und langsam und so ent-
stehen sehr weite Ausmündungsabschnitte, die nun noch dadurch
der Form rundlicher Hohlräume sich nähern können, dass das
äussere Epithel meist vorpsringt und so nicht eine der gemein-
samen Strecke entsprechende, sondern eine engere Oeffnung
freilässt.
Die einzelnen Gänge sowohl wie die mehreren Gängen ge-
meinsamen Abschnitte können durch Reste des Schorfes oder
oder durch verhorntes Epithel verengt oder verlegt sein.
Der Verlauf des Regenerationsprocesses bei jungen Thieren
mit der erwähnten nabelartigen Einziehung auf der Höhe der
Mammilla, der diekeren Epithellage und mit der wurzelähnlichen
Verzweigung derselben gestaltet sich nun in den späteren Stadien
ganz analog. Die centrale Einsenkung verschwindet allmählich
und zwar dadurch, dass das Epithel sich auch in ihrem Bereich
immer mehr erhebt. Es geschieht dies wie in den seitlichen
Theilen durch Bildung eines jungen Granulationsgewebes an sei-
ner Unterfläche. Dasselbe drängt die Epithellage nach aufwärts
vor sich her, wobei sich auch das um die Milchgänge ringsum
nach abwärts gewachsene äussere Epithel mehr und mehr nach
oben zurückzieht. So werden die Ausführungsgänge zunächst
wieder bis zur Höhe der Amputationsfläche von Bindegewebe
umgeben, dann geht das weitere Wachsthum ganz wie eben be-
reits beschrieben vor sich. Auch hier vereinigen sich häufig
mehrere Gänge und bilden in ihrem gemeinsamen Abschnitt la-
eunäre Erweiterungen. Die anfänglich so beträchtlich dicke Epi-
148 Ribbert:
thellage wird rasch dünner, bis sie am Ende der dritten Woche
nur noch etwa drei Mal höher ist, als die benachbarte (Fig. 9).
Das junge Bindegewebe hat zu dieser Zeit etwa die neunfache
Dicke der neuen Epithellage.
b) Genaue Erörterung einiger Einzelheiten des Regenerations-
vorganges.
1. Das Verhalten der Kerntheilungsfiguren in
der Epidermis.
Wie oben bemerkt, konnten schon in den siebzehnstündigen
Präparaten in der Epidermis am Rande der Wundfläche einzelne
Mitosen aufgefunden werden. In grösserer Zahl sieht man sie
nach 24 Stunden, in Präparaten also, in denen das Epithel erst
mit einem kurzen Fortsatz unter dem Schorf vorspringt, der
grösste Theil der Wunde aber noch unbedeckt ist. Die einzel-
nen Schnitte verhalten sich freilich sehr verschieden. Bald nimmt
man nur 1—2 Kerntheilungsfiguren und zwar zuweilen nur auf
einer Seite des Präparates, bald bis zu 4 auf jeder Seite wahr.
Nach 48 Stunden, wenn die ganze Wundfläche mit Epithel über-
zogen ist, sind die Mitosen noch zahlreicher.
Auch in den von älteren Thieren herrührenden Objecten,
in denen selbst am dritten, vierten und fünften Tage die Ampu-
tationsfläche noch nicht ganz mit Epidermis überzogen ist, finden
sich viele karyokinetische Figuren in dem vordringenden Epithel,
oft nicht weniger als in den anderen Versuchsreihen am zweiten
Tage.
Dass in den späteren Stadien die Mitosen allmählich an
Zahl abnehmen, bedarf kaum einer besonderen Erwähnung.
Was die Lage der Figuren angeht, so sieht man sie haupt-
sächlich in den tieferen Schichten der Epidermis. Ferner liegen
sie am zahlreichsten nicht sowohl in dem unter dem Schorf vor-
gedrungenen Abschnitt, als vielmehr in dem an ihn angrenzenden
alten aber gleichfalls etwa auf die Hälfte bis auf das Doppelte
verdiekten Epithel. Jedoch gilt das nicht für alle Schnitte. Ge-
legentlich beobachtet man die Figuren auch am reichlichsten in
jenem Abschnitt und zwar selbst in seinen am weitesten vorge-
drungenen Zellen.
Ueber die Regeneration der Mammilla nebst Bemerkungen ete. 149
Pr Die Wachsthumserscheinungen des Epithels der
Ausführungsgänge.
Das Epithel der durchschnittenen Ausführungsgänge wächst
in vielen Fällen, wie wir sahen, schon während der ersten 24
Stunden in den Schorf hinein und durch ihn hindurch. Es ist
aber leicht verständlich, dass die so in die Höhe gewachsenen
Zellen bald absterben und mit dem Schorf entfernt werden. In-
dessen ist diese Entfernung gewöhnlich nicht so vollständig, dass
_ nicht noch eine 3—4 Lagen umfassende Zellschicht über dem
Niveau der Wundfläche zurückbliebe. Sie bildet aber keine gleich
weite röhrenförmige Fortsetzung des Ganges. Vielmehr conver-
giren die Zellen nach der Mittellinie und stossen hier nicht selten
an einander, so dass eine bald mit enger Oeffnung versehene,
bald nicht durchbrochene Kuppe den Milchgang nach oben ab-
schliesst. Begünstigt wird dieser Vorgang dadurch, dass die an-
geschnittenen Mündungen durch die Hyperämie des Bindege-
webes und die in dasselbe erfolgte Exsudation von vornherein
comprimirt und verengt werden.
Bemerkenswerth ist es nun, dass das Drüsenepithel zwar
senkrecht in die Höhe wächst, niemals aber Neigung zeigt, nach
Analogie der Epidermis zwischen dem Schorf und der Wund-
_ fläche vorzudringen und auf letzterer eine epitheliale Decke zu
- bilden. Sein Verhalten ist demnach ein anderes, als wir es z.B.
bei dem Epithel der Magendrüsen finden. Griffini und Vas-
sale!) zeigten, dass bei Wunden der Magenschleimhaut der Er-
satz des Oberflächenepithels nicht von dem Wundrande, sondern
von den Zellen der mehr oder weniger hoch durchschnittenen
Drüsen ausgeht. Wenn man nun auch beide Untersuchungsreihen
nicht voll in Parallele setzen kann, so hätte man doch vielleicht
erwarten können, dass das Epithel der Milchgänge wenigstens
über die nächste Umgebung ihrer Oeffnungen hinüberwachsen
würde. Das ist aber nicht der Fall und nur, wo 2 oder 3 Milch-
gänge in der beschriebenen Weise ihr Lumen vereinigen, um
- dann gemeinsam durch die Epidermis hindurchzutreten, bemerkt
man, dass ihr Epithel die Kanten der Septa, durch welche die
nn nn m
I) Zieglers Beiträge zur pathologischen Anatomie, Bd. III, p. 239.
150 Ribbert:
Gänge getrennt werden, mit einem mehr oder weniger regel-
mässigen Ueberzug versieht (Fig. 5).
Ich habe nun versucht, die Ueberhäutung der Wunde mit
Epidermis noch weiter hinauszuschieben, um zu sehen, ob nicht
doch nach längerer Zeit ein Oberflächenwachsthum des Drüsen-
epithels eintritt. Zu dem Ende schnitt ich die Mammilla dicht
an ihrer Basis ab und entfernte ausserdem mit flachen Scheeren-
schnitten die anstossende Epidermis ringsum auf mehrere Milli-
meter. Trotzdem nun hier die Ueberhäutung stets viele Tage in
Anspruch nahm, fand doch kein nennenswerthes Vordringen des
Drüsenepithels auf die Wundfläche statt. Zwar wuchs es etwas
aus den Mündungen heraus, aber es wurde dann sehr rasch so
kümmerlich und unregelmässig, dass es nicht deutlich mehr von
den freiliegenden Zellen des Granulationsgewebes abzugrenzen
war. Das Epithel der Ausführungsgänge scheint also nicht mehr
die Fähigkeit zu haben auf der äusseren Oberfläche des Körpers
eine Deeke zu bilden. |
iD}
3. Die Beziehungen der Epidermis zu dem Epithel
der Ausführungsgänge.
| Die neugebildete Epidermis, die vom Rande her über die
Wundfläche wächst, muss natürlich, sobald sie die Ausführungs-
sänge erreicht hat, mit ihrer unteren Fläche an die Umrandung
derselben und mit ihrer Seitenfläche an das aus den Mündungen
hervorragende Epithel anstossen. Ueber dieses aber wächst sie
nicht hinweg, sondern lässt, da sie eine diekere Lage bildet, als
das vorspringende Drüsenepithel, über diesem eine kanalförmige
Stelle als Verlängerung des Lumens der Ausführungsgänge frei.
Gleichsam als Ersatz für dieses unterbrochene Wachsthum sehen
wir dann aber das Epithel rings um die Drüsenkanäle nach ab-
wärts vordringen, wobei es sich unten bald verjüngt, bald die
gleiche Breite beibehält, bald kolbenförmig anschwillt. Sein Ver-
halten zu dem Epithel der Milchkanäle ist nun verschieden. In
einem Theil der Fälle schen wir es dieht an der Aussenseite
desselben, so dass die Drüsenzellen direct auf dem epidermoidalen
Epithel gelagert und so von ihrer bindegewebigen Unterlage ab-
getrennt sind (Fig. 7 links). Nicht immer aber stossen die bei-
den Epithelarten in ganzer Ausdehnung an einander, vielmehr
Ueber die Regeneration der Mammillä nebst Bemerkungen ete. 151
bleibt zwischen ihnen oft noch ein schmaler Streifen von Binde-
gewebe erhalten (Fig. 7 rechts). In diesen Präparaten kommt
daher die für die gesammten Regenerationsprocesse besonders
charakteristische Erscheinung, das Wachsthum nämlich der einen
Epithelart, der Drüsenzellen auf der anderen, den Epidermiszellen
nicht von vornherein in gleichem Umfange zur Beobachtung, wie
in anderen Präparaten. In ihnen berühren sich ja die beiden
Zellarten zunächst nur am Rande des Durchschnittes der Aus-
führungsgänge. Aber im weiteren Verlaufe tritt jene Erscheinung
bei dem Höhenwachsthum der Mammilla auch hier deutlich zu
Tage.
Wenn die Epidermis den Rand der Milchgänge erreicht
hat, dauert das Aufwärtswachsen des proliferirenden Drüsen-
epithels an. Es schiebt sich auf der Innenfläche der in der
, Epidermis freigebliebenen Oeffnung weiter in die Höhe und sitzt
dabei stets dem Deckepithel unvermittelt auf. Die Zellen stehen
aber hier nicht senkrecht zur Wand, sondern, wie theilweise auch
- sehon vor ihrer Vereinigung mit der Epidermis zu erkennen war,
mehr oder weniger schräg, so dass sie nahe der äusseren Mün-
dung fast parallel zum Lumen angeordnet sind (Fig. 7). Sie
werden dabei immer ungleichmässiger in ihrer Form, oft spinde-
lig ausgezogen, mit langem schmalem Kem. Sie bilden auch
vielfach, besonders in der Nähe der Oberfläche, “kein dichtes
Stratum, sondern lösen sich von einander und da andererseits
auch die obere Lage der Epidermiszellen nach innen nicht immer
glatt begrenzt ist, so schieben sich beide Zellarten zuweilen regel-
- los dureh einander.
In besonders grossem Umfange sieht man das Wachsthum
der Drüsenzellen auf der Innenfläche des epidermoidalen Kanales
in jenen Präparaten vom dritten Tage, in denen das neue Epithel
- die umfangreichen, wurzelförmig nach abwärts vorgedrungenen
Zapfen gebildet hat. Aber hier ist auch die Unregelmässigkeit
der Cylinderzellen am grössten. Während sie in der Nähe des
- Bindegewebes noch gut entwickelt sind, werden sie weiter davon
‚entfernt mehr und mehr verändert, so dass man sie, für sich be-
trachtet, kaum noch als Drüsenzellen ansprechen und nur aus
ihrem Zusammenhang mit dem Epithel der Ausführungsgänge
ihre Bedeutung erschliessen kann. Denn nieht nur dass ihre
Form ungleiehmässig ist, erscheint auch ihr Kern durch vacuoläre
153 Ribbert:
Quellung, der wir sogleich noch wieder begegnen werden, in ein-
sreifender Weise verändert. Wir müssen annehmen, dass es sich
um Degenerationserscheinungen handelt. In Figur 8 sehen wir
sie auf der linken Seite in verhältnissmässig geringem Umfange
und aus einem älteren Stadium dargestellt.
Aus der Vergleichung der Fig 7 mit den Figuren 8 und 9
ergibt sich nun noch ein für unsere weiteren Betrachtungen be-
deutungsvoller Umstand. Während wir nämlich in Fig. 7 das
Drüsenepithel in zwei Schichten auf den epidermoidalen Flächen
wachsen sehen, finden wir in den späteren Stadien stets nur eine
Zelllage. Die Bedeutung dieser Erscheinung wird sich aus den
folgenden Auseinandersetzungen ergeben.
Wenn nun die Mammilla in dieHöhe wächst, das neugebildete
Epithel also durch das junge Bindegewebe gehoben wird, so
kommt die Verlängerung der Ausführungsgänge nicht dadurch zu .
Stande, dass sich der epidermoidale Antheil derselben nach oben
verlängerte, im Uebrigen aber die eben geschilderten Verhält-
nisse bestehen blieben, sondern auch das um die Kanäle nach
unten gewachsene Deckepithel zieht sich allmählich in die Höhe.
Die Drüsenzellen aber folgen dem gesammten Wachsthum dadurch
nach, dass sie andauernd auf der Innenfläche des von der Epi-
dermis gebildeten Kanales in einschiehtiger Lage aufwärts rücken
und auch noch an einem Präparate vom einundzwanzigsten Tage
fast bis an die äussere Oeffnung heranreichen (Fig. 9). Dabei
pflegen sie nun besser geordnet zu sein, als es in den ersten
Tagen der Fall war. An den Stellen, an denen die gesammte
Entwickelung am regelmässigsten erfolgt ist, die man daher auch
wohl als die typischen ansehen kann, setzen sich die Epithelien
der Milchgänge auf die Epidermis stets in einschiehtiger Lage
fort. Es hat aber den Anschein, als ob sie, je weiter sie auf
der Epidermis aus der Tiefe aufrücken, desto ungünstigere Er-
nährungsverhältnisse vorfinden. Denn wenn sie unten noch deut-
lieh eylindrisch und parallel angeordnet sind (Fig. 9), auch einen
regelmässigen Kern besitzen, so werden sie weiter oben immer
undeutlicher. Dabei geht der Kern eine Veränderung ein, die
in dem Auftreten einer Vacuole und in der Zusammendrückung
des Chromatins zu einem halbmondförmigen oder ungleichmässig
‚eckigen Körper ihren Ausdruck findet. Dergleichen wohl als
Degenerationsprocesse zu deutende Erscheinungen, auf deren
Ueber die Regeneration der Mammilla nebst Bemerkungen etc. 153
Aehnliehkeit mit manchen aus Careinomen beschriebenen Bildern
hier nur hingewiesen sei, finden sich auch schon in den ersten
Tagen und nicht selten auch in den an das Lumen anstossenden
Epidermiszellen. Man darf daraus entnehmen, dass die dem Deck-
epithel aufsitzenden Drüsenzellen in den oberen Parthien des
Kanales nieht genügende Ernährung finden und zu Grunde gehen,
während von unten immer neue nachrücken.
Von besonderem Interesse sind nun ferner die Verhältnisse,
wie sie sich an dem unteren Ende des in die Tiefe gewachsenen
Epithels zwischen ihm und den Zellen der Ausführungsgänge
gestalten. In den normalen Milchgängen ist das Epithel zwei-
schichtig, während es bekanntlich in den Alveolen einschichtig
ist. Die dem Bindegewebe aufsitzende äussere Schicht, deren
Kerne sich gewöhnlich etwas blasser färben als die der inneren
Schicht, ist aber nur im Bereich der Hauptausführungsgänge gut
entwickelt. Auch in ihnen wird sie nach unten allmählich nie-
driger, bleibt aber zunächst noch gut erkennbar, bis sie in den
ersten und noch mehr in den ferneren Verzweigungen immer un-
deutlicher wird und sich schliesslich ganz verliert. Ihre Kerne
werden dabei kleiner, unregelmässiger und nehmen die Farbstoffe
intensiver auf.
Während wir nun anfänglich das epidermoidale Epithel
aussen vielfach direkt, wenn auch stets mit gut wahrnehmbarer
Grenze, an das Drüsenepithel anstossen sehen, ist es in den spä-
teren Stadien zu innigerer Verschmelzung gekommen. Wenn wir
zuächst die ältesten Präparate betrachten, so sehen wir deutlich,
dass die äussere Zelllage der Kanäle sich eontinuirlich in die dem
Bindegewebe aufsitzende Zelllage der Epidermis fortsetzt, ‚dass
andererseits die innere Schicht in der besprochenen Weise Bf die
Innenseite des epidermoidalen Kanales gelangt. ‚Beide Zellreihen
trennen sich somit spitzwinkelig von einander und fassen zwi-
schen sich die nach oben an Breite zunehmenden Epidermiszapfen.
Wenn diese sich nun zurückziehen, so rücken successive auch die
beiden Zellreihen der Ausführungsgänge zusammen und bilden
von unten herauf immer weiter die doppelte Zellauskleidung
(Fig. 8u.9). Der Uebergang zwischen den Verhältnissen der
ersten Tage und den nach Verlauf von 3 Wochen vorhandenen
ist ein allmählicher und wird dadurch vermittelt, dass die Grenze
zwischen den epidermoidalen Zapfen und den Drüsenzellen sich
ed
Q
154 Ribbert:
verwisecht (Fig. 8 links), dass beide zusammenfliessen und so schliess-
lich die dureh Fig. 9 wiedergegebenen Verhältnisse zu Stande
kommen.
Dieser gesammte Wachsthumsvorgang ist nun auch noch
desshalb von Interesse, weil wir ihn bei dem gleich zu bespre-
chenden normalen Entwicklungsvorgang in vielfacher Hinsicht
ähnlich antreffen werden.
Il. Einige Beobachtungen über die Entwicklung
der Mammilla.
(Ti. 10a 1%
Die vorstehenden Ausführungen über die Beziehungen des
Epithels der Epidermis zu dem der Ausführungsgänge bei der
Regeneration der Brustwarze legten die Frage nach den Beziehun-
gen der gleichen Epithelien bei der normalen Entwicklung nahe.
Ich habe mich desshalb veranlasst gesehen, die Mammillae älterer
Embryonen vom Rind, Kaninchen und Menschen, sowie von Neu-
geborenen und von Kaninchen und Kindern aus den ersten Lebens-
wochen und -Monaten zu untersuchen. I
Die frühesten Entwieklungszustände liess ich unberücksich-
tist und begann mit dem Stadium, in welchem aus der primären
Verdiekung der Epidermis solide Sprossen als Anlagen der Aus-
‚führungsgänge hervorgegangen sind.
Es ist durch Rein!) bestätigt worden, dass der primäre
epidermoidale Zapfen durch Verhornung der centralen Zellen und
spätere Ausstossung dieser verhornten Massen hohl wird. Man
darf aber den so entstehenden Kanal nicht als die Anlage eines
Drüsenganges auffassen. Hertwig?) hat ausgeführt, dass die
kanalförmige Vertiefung des Epithelzapfens sich im Verlauf der
Entwieklung allmählich abflacht, oder besser sich zu einem ebe-
nen Felde, dem „Drüsenfelde* ausbreitet, welches dann weiterhin
dureh Erhebung über das Niveau der Haut zur Warze wird. Die
aus dem Epidermiszapfen hervorgegangenen, zunächst soliden
Pe, Adi ch
2) Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte. 3. Aufl. p. 441.
_ Ueber die Regeneration der Mammilla nebst Bemerkungen etc. 155
| Sprossen machen die Erhebung und Ausbreitung desselben mit
_ und münden zu einer gewissen Zeit parallel zu einander in dem
flachen Drüsenfelde, um dann mit diesem weiter anzusteigen.
Vergleichen wir diesen Entwicklungsvorgang mit den Re-
_ generationsprocessen in denjenigen Fällen, in denen bei jungen
Kaninehen sich um die Drüsengänge und zwischen ihnen eine
sehr beträchtliche wurzelförmig in die Tiefe greifende Verdiekung
des neuen Epithels und eine centrale nabelförmige Vertiefung
desselben gebildet hatte, so ist eine gewisse Aehnlichkeit nicht
zu verkennen. Auch bei der Regeneration hebt sich der Epithel-
zapfen allmählich, die nabelförmige Grube breitet sich aus, die
_ anfänglich eonvergirend durch das vertiefte Epithel hindurchtre-
tenden Milcehgänge liegen nachher parallel nebeneinander. Mit
der Herstellung einer ebenen Oberfläche der Mammilla hört dann
freilich die Möglichkeit eines ferneren Vergleiches auf.
Von grösserem Interesse ist es, die Beziehungen des Epithels
der sprossenförmigen Anlagen der Milchdrüse zu dem der Epi-
_ dermis bei der Entwicklung der Mammilla zu verfolgen.
Man nimmt gewöhnlich an, dass der Vorgang der Kanali-
sirung der gesammten Milchdrüsenanlage beginnt mit der cen-
tralen Verhornung der primären Epidermisverdiekung und dass
dann die aus ihr hervorgegangenen Sprossen durch Verfettung
oder einen sonstigen Zerfall gleichfalls hohl werden. Dazu stim-
men aber die Bilder nicht, die bei drei 20—25 em langen Rinds-
embryonen gewonnen und durch Figur 10 wiedergegeben sind.
Man sieht von der Unterfläche der epidermoidalen Verdiekung
eine Sprosse in die Tiefe gehen, die schon im grosser Ausdeh-
nung kanalisirt ist. Das noch enge Lumen setzt sich nach oben
in die Epidermis fort. Es ragt fast bis zur Hälfte der Höhe
‚des Epithelkolbens, ist aber nicht von unveränderten Zellen des-
selben umgeben, sondern von einer direkten Fortsetzung der das
Lumen des Ganges begrenzenden Epithelien. Wir sehen die
- Wand des späteren Ausführungsganges in seinen oberen Absehnitten
‚von mehreren Zellagen gebildet, von denen die äussere continuir-
lieh in die untere Zellreihe des Epidermiskolbens übergeht, regel-
mässig gestellte ovale Kerne enthält und sich von den nach
innen gelegenen Zellen durch eine helle kernfreie Protoplasma-
pme abgrenzt. Auf ihr sitzen dem Lumen zugewendet 2—3
chiehten kleinerer rundlicher Zellen, von denen die innerste
156 Ribbert:
Reihe die mehrfach erwähnte vacuoläre Umwandlung der Kerne
aufweist. Man darf annehmen, dass diese Veränderung den Zer-
fall der Zellen andeutet und dass auf diesem Wege auch die
Bildung des Lumens zu Stande gekommen ist. Letzteres setzt
sich nun, wie angegeben, nach oben fort, wird dann aber inner-
halb der Epidermis enger und ist schliesslich nur noch angedeu-
tet. Es ist ebenfalls von einer mehrfachen Schicht derselben
kleinen runden Zellen umgeben und nach oben abgeschlossen.
Dieselben sind da, wo sie an den weiteren Theil des Lumens
anstossen, gleichfalls degenerirt, in dem engeren Abschnitt da-
gegen nur vereinzelt vacuolär verändert. An diese mehrfache
Zellreihe grenzen nun ringsum und oben Epidermiszellen an, die
erstens durch degenerirte vacuoläre Kerne und zweitens dadurch
ausgezeichnet sind, dass sie die geschilderte Verlängerung des
Ganges concentrisch umgeben. Weiter nach der Oberfläche zu
ist dann der Epidermiszapfen in seinen mittleren Theilen von
gequollenen, vielfach mit veränderten Kernen versehenen, wahr-
scheinlich in Verhornung begriffenen Zellen gebildet, die aber
noch als regelmässiges Stratum zusammenhängen und peripher
allmählich in die unveränderte Epidermis übergehen. Von einer
Ausstossung der verhornenden Zelle und dadurch bedingter Her-
stellung eines Kanales ist noch keme Rede. Das Bild lässt sich
so erklären, dass aus der nach unten gewachsenen Ganganlage
die mittleren Zellen in den Epidermiskolben unter Verdrängung
eines Theiles der verhornenden Zellen himeingewachsen sind,
während die äussere Zellreihe in ununterbrochenem Zusammen-
hang mit der untersten Zelllage der Epidermis blieb. Zwischen
ihr und jenen mittleren aufwärtswachsenden Zellen entsteht auf
diese Weise ein durch die Epidermiszellen ausgefüllter spitzer
Winkel, ein Verhalten, wie wir es bei der Regeneration kennen
lernten und sogleich auch bei den älteren Stadien normaler Ent-
wieklung wiederfinden werden.
Bei Kaninchen und dem Menschen habe ich ähnliche Bil-
der, wie die eben beschriebenen, nieht gesehen, vielmehr schien
mir hier die Aushöhlung der Epidermisverdickung und der aus
ihr hervorgegangenen Ganganlagen ziemlich gleichzeitig zu er-
folgen. Aber auch hier ergaben sich in den späteren Stadien,
bei Neugeborenen, Kindern aus dem ersten Lebensjahre und jun-
gen Kaninchen dieselben Beziehungen zwischen dem Epithel der
I dd I A ne
Ueber die Regeneration der Mammilla nebst Bemerkungen etc. 157
Drüsenkanäle und dem der Epidermis, wie wir sie eben bei dem
Rindsembryo und in ganz ähnlicher Weise bei den Regenerations-
processen kennen lernten. Man sieht immer wieder (Fig. 11),
dass die Epidermis sich um das Lumen der Drüsenkanäle cylin-
drisch einsenkt und dabei noch in wechselnder Ausdehnung die
oberflächliche Verhornung eine Strecke weit beibehält. Der un-
tere,Rand des so entstehenden Rohres’ spitzt sich oft lang zu,
wobei die äussere Zelllage desselben continuirlich in die dem
Bindegewebe aufsitzende Zellreihe des zweischichtigen Gangepi-
thels übergeht. Die das Lumen begrenzende innere Zellreihe
des letzteren wächst unter einer durch das nach unten vorragende
Deckepithel bedingten spitzwinkeligen Abzweigung auf der Innen-
fläche des epidermoidalen Kanales in einfacher Schicht nach
oben, fliacht sich dabei aber mehr und mehr ab und stösst so
mit oft undeutlicher Grenze an die verhornte Lage der Epider-
miseinsenkung an.
Wir können uns demnach den Vorgang des Höhenwachs-
thums der Mammilla ganz ähnlich vorstellen, wie wir ihn bei der
Regeneration kennen lernten. Auch hier wird die Epidermis all-
mählich in die Höhe gehoben. Die dabei gleichzeitig aufsteigen-
den, um das Lumen der Ausführungsgänge in die Tiefe reichen-
den Abschnitte ziehen sich, wenn wir so sagen dürfen, aus dem
Winkel zurück, der von den auseinanderweichenden beiden Zell-
lagen der Ausführungsgänge gebildet wird. Dabei bleibt die
äussere Zeillage im Zusammenhang mit der untersten Zellreihe
der Epidermis und die innere schiebt sich immer wieder auf der
Innenfläche des Kanales des Deckepithels nach oben. Die beiden
Zelllagen der Gänge legen sich nach dem Verschwinden der zwi-
schen ihnen befindlichen Epidermiszellen dicht an einander und
kleiden nach oben immer längere Strecken der Milchgänge aus.
158 Ribbert: Ueber die Regeneration der Mammilla etc.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel IX.
Fig. 1. Regeneration der Mammilla nach 24 Stunden.
Fig. 2. Dasselbe nach 48 Stunden.
Fig. 3 u. 4 Dasselbe nach 72 Stunden.
Fig. 5. Dasselbe nach 7 Tagen.
In den halbschematischen Figg. 1—5 bedeuten die punktirten
Parthien die Epidermis.
Das angeschnittene Ende eines Milchganges == seiner Fort-
setzung durch den Schorf.
Fig. 7. Die Vereinigung von Epidermis und Milchgangepithel nach
48 Stunden.
Dasselbe nach 7 Tagen.
Dasselbe nach 21 Tagen.
Fig. 10. Senkrechter Durchschnitt durch die Mammilla eines 23 cm
langen Rindsembryo.
Fig. 11. Die eine Seite der Ausmündungsstelle eines Milchganges von
einem 6Gwöchentlichen Kinde.
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Archiv £ mikroskon. Anatomie... Bd. XXXVI.
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(Aus dem Laboratorium des Herın Dr. Blaschk 0.)
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der
Bi. Oberhaut.
4 | Von
James Loewy in Berlin.
" ‘ Hierzu Tafel X und 1 Holzschnitt.
Mi ö
ik en MEER
N Dureh die Arbeit Blaschko’s „Beiträge zur Anatomie der
- Öberhaut“'!) wurde eine neue Methode für die Betrachtung des
- Baues der Oberhaut eingeführt. Im Gegensatz zu früheren For-
‚schern, welche ihr Hauptaugenmerk auf die Papillen richteten
‚und deren Anordnung auf Querschnitten zu studiren suchten, eine
Methode, welche bei dem komplieirten Bau der Oberhaut zu un-
genügenden und falschen Resultaten führen musste, nahmBlaschk o
als Ausgangspunkt aller Untersuchung die Unterfläche der Epi-
dermis. Indem er die Oberhaut faultodter Früchte nach Fär-
bung in Hämatoxylin theils feucht in Glycerin, theils trocken
untersuchte, fand er, dass die bisherigen Anschauungen von dem
-architektonischen ihau der Oberhaut auf ganz falschen Vor-
wussetzungen beruhten. Es wurden nämlich jene Epithelwuche-
rungen, die sich zwischen die Cutispapillen einsenken und die
verschiedene Figuration derselben bedingen, für zapfenförmige
Gebilde gehalten und als Epithelzapfen bezeichnet. Blaschko
wies nun nach, dass diese Epithelzapfen nur Querschnitte von
Leisten darstellten, welche, von der Epidermis gegen die Cutis
in wuchernd, ein System von einander kreuzenden Längsleisten
und Querleisten bildeten, vergleichbar einem Bienenwabennetz von
1) Archiv für mikroskop. Anatomie Bd. 30, pag. 495.
Archiv für mikrosk. Auat, Bd. 37 11
160 James Loewy:
verschieden grossen Maschenräumen. Jenes Netzwerk bildet das
Negativ, den Ausguss der Papillen. Fehlt das Leistennetz, so
fehlen die Papillen, fehlen einige Querleisten oder Längsleisten,
so fliessen mehrere einzelne Papillen oder Papillenreihen zu-
sammen. |
Diese Eigenthümlichkeiten hat Blaschko als Eintheilungs-
prinzip für die Aufstellung einer Reihe von Typen benutzt, welche
das charakteristische Bild der Oberhaut der einzelnen Körper-
abschnitte wiedergeben sollen.
Wurden durch diese Flächenbilder unsere Kenntnisse sehr
bereichert, so musste es doch als ein Mangel betrachtet werden,
dass die Herstellung der Präparate durch Kochen oder Fäulniss
unsichere Resultate lieferte, indem theils die natürlichen Verhält-
nisse durch jene Proceduren vernichtet wurden, theils für ein-
zelne Organe brauchbare Präparate nicht zu gewinnen waren,
und so beträchtliche Lücken in dem Gesammtbilde der Körper-
decke zurückblieben.
Diesem Mangel’wurde abgeholfen, als Philippson durch
seine Arbeit „Ueber Herstellung von Flächenbildern der Oberhaut
und der Lederhaut“!) uns eine Methode kennen lehrte, durch
chemische Mittel die Trennung der Oberhaut von der Lederhaut
herbeizuführen. — Philippson legte Hautstückehen, je nach
ihrer Grösse, ein bis drei Tage in !/;—!/, °|, Essigsäure, fügte,
um Fäulniss zu vermeiden, einige Tropfen Chloroform hinzu und
war, da die verschiedene Quellungsfähigkeit der Epidermis und
Cutis eine Trennung beider bewerkstelligte, im Stande, die Ober-
haut als feinen Schleier von der darunter liegenden Lederhaut
abzuziehen. Die weitere Untersuchung war dieselbe, wie Blaschko N
sie angegeben hatte.
Die Resultate, welche Philippson gewann, bestätigten die f
Angaben Blaschk o’s und erweiterten dieselben in einigen Punkten.
Den grössten Theil seiner Arbeit widmet Philippson der Ober-
hautfelderung. Er unterscheidet drei genetisch verschiedene Arten °
von Furchen: die eine Art soll durch Proliferation der Epidermis
und nachfolgendes Einsinken der Hormschicht, also aktiv ent-
standen sein, die zweite und dritte durch die Bewegungen der
Haut durch Kniekung und Spannung derselben, also passiv. Die
1) Monatshefte für prakt. Dermatolog. Bd. VIII, pag. 389.
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Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 161
Haut des ganzen Körpers zeige alle drei Arten von Furchen,
welche der Autor mit den Namen der Senkungs-, Kniekungs-
und Spannungsfurchen belegt.
Anknüpfend an diese Arbeiten unternahm ich es auf An-
resung und mit freundlicher Unterstützung des HerınDr. Blaschko,
die gewonnenen Resultate einer Nachprüfung zu unterziehen.
Lieferte auch die Methode Philippson’s, was die Gewin-
nung der Präparate anbetrifft, günstige Resultate, so stellte ich
doch eine Reihe von Versuchen an, welche durch andere Mittel
zu gleich günstigen Ergebnissen führen sollten. Angeregt wurde
ieh hierzu durch Herrn Dr. Blaschko. Dieser hatte, ausgehend
von den günstigen Resultaten, welche ihm die Maceration in
25 °/, Holzessig bei der Darstellung der Darmnervenplexus!) ge-
liefert hatte, lange vor Philippson versucht, durch Holzessig
eine Trennung der Cutis von der Epidermis herbeizuführen, je-
doch keine zufriedensteilenden Erfolge erzielt. Ich nahm nun
die Versuche wieder auf und fand, dass Holzessig in 6 °/, Lösung
ebenso schnell als die Philippson’sche Lösung und vollkommen
sicher zum Ziele führt. Bei den zartesten Geweben, wie bei der
Epidermis der weiblichen Geschlechtsorgane ging ich bis auf eine
1°/, Lösung herunter. Dabei setzte ich die Haut einer konstanten
Wärme von 40° aus und war, wenn an haarreichen Stellen die
langen und dichtstehenden Haare vorher durch Rasiren entfernt
waren, stets im Stande, nach 24—48 Stunden die Epidermis von
der Cutis abzuziehen. In gleicher Weise lieferte die Citronen-
säure, wie auch Philippson angiebt, in schwacher Lösung, die
Salzsäure und, wie mir scheint, alle organischen und Mineral-
säuren in geeigneter Concentration mehr oder weniger günstige
Resultate. Am besten verwendbar erwies sich jedoch das ur-
sprüngliche Philippson’sche Verfahren, sowie die Holzessig-
methode, welch letztere ich für die Herstellung meiner Präparate
ausschliesslich angewendet habe. Die Bilder, welche ich auf
diese Weise gewann, zeigten manche Abweichungen von dem
bisher Bekannten und manche bisher noch nicht beschriebenen
Verhältnisse.
Im Anschluss an die Blaschko’sche Arbeit will ich nun
1) Ueber eine Erkrankung der sympathischen Geflechte der Darm-
wand. Virchow’s Archiv Bd. 9.
162 James Loewy:
die verschiedenen Hautstellen einzeln durchgehen und auf diese
Weise eine Art von topographischer Schilderung der gesammten
Hautdecke zu entwerfen suchen. |
Unbehaarte Haut.
Was die Fusssohle und den Handteller anbetrifft, so kann
ich ebenso wie Philippson die Angaben, welche Blaschko
hierüber gemacht hat, voll und ganz bestätigen.
Es findet sich ein kleinmaschiges Netzwerk, aus Längs-
und Querleisten zusammengesetzt. Die Längsleisten entsprechen
den oberflächlichen Riffen und Furchen dieser Hautpartien, wäh-
rend die Querleisten als sekundäre Gebilde zwischen zwei Längs-
leisten verlaufen.
Die Längsleisten zerfallen in zwei Arten, die Drüsen-
leisten und Falten, Namen, die Blaschko gewählt hat, weil
die Drüsenleisten die Ausführungsgänge der Drüsen aufnehmen,
während die Falten das Produkt einer Einstülpung der Oberhaut
darstellen. Die Falten verlaufen stets zwischen zwei Drüsenleisten
und ihnen parallel. — Die Cutispapillen sind also begrenzt
durch zwei Querleisten, eine Drüsenleiste und die Falte. Sie sind
klein, meist zusammengesetzt (sekundäre Querleisten Blaschk o’s)
und schräg gegen die Oberfläche gerichtet.
Ohne einen Zusammenhang mit diesen Leisten und Falten
zu zeigen, durchzieht ein System heller, bald schmaler, bald brei-
terer durchscheinender Linien das Gesichtsfeld. Sich gabelnd
und kreuzend erzeugen diese regellos verlaufenden Gebilde ein gross-
fächeriges Netzwerk. Diese Linien entsprechen den Kniekungs-
und Spannungsfurchen Philippsons. — Ich werde später noch
genauer auf dieselben zurückkommen, vorläufig den Namen
Funktionsfalten für diese Gebilde gebrauchen.
Auch in Bezug auf den Bau der Oberhaut der Lippen
stimmen im Grossen und Ganzen meine Befunde mit denen
Blaschko’'s überein. — Wenn auch seine Abbildungen von der
Lippenepidermis (Fig. 15 seiner Arbeit) noch unvollkommen die
wahren Verhältnisse wiedergeben, so ist doch der Grundtypus
der Architektonik richtig getroffen. |
Da es mir gelang, die ganze Lippenoberhaut im Zusammen-
hange mit der äusseren Haut und der Mucosa abzulösen, möchte
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Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberbaut. 163
ich mit der Darstellung der Lippenoberhaut die seiner angren-
zenden Theile verbinden (Fig. 1, 2, 3).
Es lassen sich fünf verschiedene Zonen deutlich erkennen,
von welchen zwei der äusseren Haut angehören, zwei den Lippen
und eine der Mundschleimhaut. |
| Die erste Zone ist charakterisirt durch die zahlreich vor-
handenen Haare, welche in der Richtung radiär zum Lippen-
rande angeordnet sind. Zwischen ihnen, ganz regellos vertheilt,
verlaufen schwach angedeutete Leistenstümpfe. Die gleiche
Richtung mit den Haaren verfolgen zahlreiche Funktionsfalten.
Zwischen diesen Gebilden zerstreut liegen die Drüsenausführungs-
gänge. — Mit ziemlich scharfer Grenze reiht sich die zweite
Zone, welehe den Uebergang zum freien Lippenrand bildet, der
ersten an: Die Haare sind bis auf eine geringe Anzahl geschwun-
den (Fig. 1), dafür treten aber die Drüsen mit grossen Mün-
dungsöffnungen als fast alleinige Beherrscher des Gesichtsfeldes
auf und verleihen dem Bilde einen typischen Charakter. In zehn
bis fünfzehn Reihen angeordnet verlaufen sie quer von einem
Mundwinkel zum anderen, dieht aneinander gedrängt. Zwischen
ihnen und sie gleichsam mit einem Kranze umgebend ziehen
schmale Epidermisleisten, häufig unterbrochen und wie aus kleinen
Segmenten zusammengesetzt erscheinend. Wie abgeschnitten ver-
schwinden plötzlich die Drüsenöffnungen, gegen den vorderen
Lippenrand eine scharfe Grenze bildend. Dagegen verdichten
sich die Leisten der Drüsenzone immer mehr, werden breiter
und gehen in das Leistensystem des vorderen Lippenab-
schnittes über. Bekanntlich haben Luschka und Blaschko
die Lippenhaut in zwei Abschnitte oder Zonen getheilt, von
denen die vordere wegen ihrer glatten Oberfläche von Luschka
als Pars glabra bezeichnet worden ist, während die hintere
rauhere und mit kleinen Höckerchen versehene Hälfte den Na-
men Pars villosa führt.
Die Pars glabra wird nun gebildet dureh Längsleisten
(Fig. 1 u. 2), welche, von der äusseren Haut zur Mucosa ver-
laufend, mit minimalen seitlichen Querleisten versehen sind. Von
beiden Seiten gehen sie meist gleichständig ab, ohne die be-
nachbarten Querleisten zu erreichen und geben dem Bilde ein
äusserst charakteristisches Aussehen. Weiter nach hinten rücken
die Längsleisten näher aneinander, die Querleisten werden stärker,
164 James Loewy:
verschmelzen mit den benachharten, und es entwickelt sich so
das Bild eines Netzwerks.
In dieser Zone treten wieder die in der Richtung der Lei-
sten verlaufenden Funktionsfalten, welche in der Drüsenzone
nicht erkennbar waren, sichtbar hervor.
Die nächste Zone, die Pars villosa der Lippen (Fig. 3),
bildet die Partie der dieken und gewulsteten Epidermisleisten. Die
Längsleisten des Netzwerks verbreitern sich, werden höher und
tragen auf der Oberfläche eine grosse Zahl dicht neben einander
stehender Wärzchen, zottenähnlicher Gebilde, welche die Quer-
leisten beschatten, sie unsichtbar machen und dem Bilde ein
tannenzapfenähnliches Aussehen verleihen. An einigen Stellen,
besonders in den centralen Partien der Lippe, sind diese zot-
tigen Auswüchse nicht so ausgeprägt, wenn auch angedeutet,
die Querleisten daher sichtbar.
Der Uebergang in das weitmaschige Netzwerk der Mucosa
giebt sich durch das Verschwinden der Zotten zu erkennen,
während die Leisten sonst nichts an Stärke einbüssen.
Construirtt man sich aus dem Bilde des Rete dasjenige,
welches der Papillarkörper darstellt, so erhalten wir in der Pars
glabra der Lippen niedrige Cutisleisten, welche mit kleinen seit-
lichen Fortsätzen versehen sind. Diese Uutisleisten wachsen in
der Pars villosa zu grossen Gebilden heran, welche theils grosse
Leisten darstellen, theils wahre Papillen, beide an der Oberfläche
mit flachen, zottigen oder warzenförmigen Erhabenheiten bedeckt.
Am wenigsten bekannt ist der Bau. der Oberhaut der
äusseren Geschlechtsorgane (Fig. 4—7).
Die wenigen Angaben, welche Henle, Kölliker, Krause
und Suppey veröffentlichten, sind durch Blaschko’s Unter-
suchungen nur unvollkommen erweitert worden und lassen nicht
das wechselvolle Bild, welches gerade diese Theile liefern, er-
kennen.
Da ich an dieser Stelle nicht die Absicht habe, eine ge-
naue Beschreibung des Baues der Oberhaut der Geschlechtsorgane
zu liefern, sondern mir diese für eine besondere Arbeit vorbe-
halte, will ich nur kurz die allgemeinen Verhältnisse wiedergeben.
Was die männlichen Geschlechtsorgane betrifft, so
muss man bei ihnen verschiedene Entwieklungsstadien unterschei-
den. Beim Foetus bestehen zwischen Serotum, Penis, Präpu-
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Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 165
tium und Glans nur geringe Unterschiede, und die Oberhaut
stellt meist ein System von Längsleisten dar, zwischen denen
schwache Querleisten verlaufen, die das Bild eines kleinmaschigen
Netzwerks vervollständigen. Doch schon bei Kindern von einigen
Monaten haben wir an den verschiedenen Abschnitten der Ge-
nitalien, sowohl was die Grösse, Form und Anordnung der Lei-
sten betrifft, wenig übereinstimmende Bilder, welche sich mit zu-
nehmendem Alter immer mehr complieiren.
So wachsen am Serotum die Längsleisteu, welche von der
Peniswurzel zum Perineum angeordnet sind, also in Bogenlinien
(Fig. 4 u. 5) von vorn nach hinten das Serotum umziehen, zu
breiten Gebilden aus und treiben zottige Erhebungen an der
Oberfläche hervor. An anderen Stellen finden wir überhaupt
keine zusammenhängenden Leisten, sondern einzelne Segmente
setzen sich zu dem Bilde eines Leistensystems zusammen. Die
Querleisten bleiben in der Entwicklung sehr zurück. Ganz schwach
sind jene Leistehen angedeutet, welche die einzelnen. Maschen-
räume in Unterabtheilungen sondern und die Cutispapillen des
Hodensacks als zusammengesetzte charakterisiren. Einen typischen
Charakter erhält erst die Hodensackoberhaut im etwas vorge-
schrittenen Alter, wo zahlreiche breite, äusserst flache
Funktionsfalten das Gesichtsfeld durchziehen, welche auf ihrer
Oberfläche theils parallel, theils quer zu ihrer Verlaufsrichtung
gestellte Epidermisleisten zeigen. Häufig und besonders bei älteren
Individuen fehlen letztere ganz. Die Haare, welche in reichlicher
Anzahl vorhanden sind, verfolgen die gleiche Richtung wie die
Leisten.
Einen vom Scerotum völlig verschiedener Bau weist die Ober-
haut des Penis auf. Wir finden hier ein grossmaschiges Netz-
werk (Fig.4) stark entwickelter Leisten, welche meist einfache
Papillen von runder, ovaler oder polygonaler Basis bedingen. An
der Peniswurzel am stärksten, werden die Leisten nach dem Prae-
putium hin schwächer, die Querleisten sind nur noch angedeutet.
Die ganze Epidermis ist von zahlreichen, regellos verlaufenden
Funktionsfalten durchzogen, welche auf ihrer Oberfläche meist
keine Epidermisleisten erkennen lassen.
Am Praeputium nimmt der Verlauf der Leisten eine
eirculäre Richtung an. Quere Verbindungsstücke zwischen den
_ einzelnen Leisten sind fast gar nicht zu bemerken. Dafür bilden
166 James Loewy:
die Längsleisten, welche meist mit flachen warzenförmigen Er-
habenheiten besetzt sind, Schlangenlinien, welehe bald sieh kreuzen,
bald weit auseinanderweichen, um wieder eine konvergirende
Richtung einzuschlagen. So entstehen auch hier Maschenräume,
freilich sehr verschieden von denen, welche wir auf der übrigen
Oberhaut zu finden gewohnt sind. Nachdem die Leisten ein
immer gedrängteres Aussehen angenommen haben und fast zu
einer Platte verschmolzen sind, in welche die Maschenräume wie
mit einem Locheisen hineingeschlagen erscheinen, wechselt plötzlich
die Richtung derselben und wird parallel der Längsachse des
Penis. Dabei theilen sich die zusammengeflossenen Leisten wieder
in einzelne Strahlen, welche im weiteren Verlaufe spiralige und
schleifenförmige Gebilde, die einen grösseren Abstand zwischen
sich lassen, darstellen. Auch hier sind keine Querleisten zu er-
kennen. Dies ist das charakteristische Bild des Suleus, und die
Schleifen, welche die grössten Papillen darstellen, bezeichnen die
Stelle der Corona glandis.
Auf der Glans selbt ist wieder ein deutliches Netzwerk
(Fig. 6) zu erkennen. Grosse gewulstete Leisten ziehen radiär
zum Orifiecium, untereinander verbunden durch Querleisten und so
Maschenräume darstellend, welche wieder in Unterabtheilungen
getheilt sind.
Ich will hier nicht genauer auf den äusserst wechselnden
und komplieirten Bau dieser Hautpartien eingehen und nur noch
(darauf aufmerksam machen, dass am Orifieium die Leisten plötzlich
wieder eine eireuläre Richtung annehmen, um in die Leisten der
Mueosa urethrae überzugehen, welche an dieser Stelle eireulär
verlaufen und, da sie mit zahlreichen kleinen Querleisten besetzt
sind, einen gefiederten Typus darstellen.
Von den weiblichen Geschlechtsorganen will ich nur
ganz kurz den Unterschied der kleinen und grossen Labien an-
geben. Hat das gleichmässige, stark entwickelte Leistennetz der
letzteren eine Achnlichkeit mit dem Maschenwerk der Penis-
epidermis, so gleicht die Oberhaut der ersteren (Fig. 7) mehr der
des Praeputiums. Jene gewulsteten Epithelleisten, welche auch
der pars villosa (u. a.) eigen sind, treten hier in äusserst ent-
wickelter Form auf. Daneben finden sich schollenähnliche Ge-
bilde, aus verbreiterten Leisten bestehend, welche nach allen
Richtungen hin eine sich dendritisch verzweigende Schaar von
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 167
Leisten entsenden, in grosser Anzahl. Diese gewulsteten Leisten,
_ ihr Zusammenfluss, die Schollenbildung verleihen der Epidermis
der kleinen Labien ein so typisches Gepräge, dass eine Ver-
_ wechslung dieser Hautpartien mit einer anderen unmöglich ist.
- — Gleieh mannichfaltig und wechselvoll wie das Leistensystem
_ der Geschlechtsorgane ist ihr Ausguss, d. h. die Cutispapillen,
deren genauere Beschreibung ich mir für eine spätere Arbeit vor-
behalten möchte.
Behaarte Haut.
Was die behaarte Haut betrifft, so möchte ich an dieser
- Stelle darauf hinweisen, dass die Behauptung Blaschkos, die
Leisten dieser Haut seien durchweg schwächer als die der unbe-
haarten, weil durch die Bildung der Haare die produktive Energie
des Epithels bis zu einem gewissen Grade erschöpft werde, in
ihrem ganzen Umfange nicht aufrecht erhalten werden kann. Ich
- fand nämlich, dass an der behaarten Haut fast überall ein gut
entwickeltes System von Leisten vorhanden ist, deren Höhe an
einzelnen Stellen die der unbehaarten Haut erreicht, vielleicht
sogar übertrifft. Diese Thatsachen konnten Blaschko freilich um
so leichter entgehen, als sein Material sich auf die Haut von
Foeten beschränkte, welche eine vollständige Entwicklung der
- Leisten noch nicht erkennen liessen.
Ging nun auch jener Forscher bei der Eintheilung seiner
Arbeit in zwei Haupttheile und’zwar der behaarten und unbehaarten
Hautpartien von jener Voraussetzung aus, so habe ich diese Ein-
_ theilung aus Zweckmässigkeitsgründen beibehalten, und bin nur
bei den Geschlechtsorganen, um sie im Zusammenhange abzu-
- handeln, von diesem Prinzipe abgewichen.
| Der specielleren Eintheilung der Leistensysteme der be-
— haarten Haut in vier Typen, wie sie Blaschko aufgestellt und
_ Philippson bestätigt hat, kann ich mich nieht anschliessen, da
jene Typen nicht als regelmässig wiederkehrende Grundformen
- anzusehen sind. Allerdings habe auch ich Bilder gefunden, welche
diesen Typen entsprachen und die Beobachtungen jener Autoren
bestätigten, aber ich fand nirgends einen Beweis dafür, dass es
_ sich um wirkliche Typen handele, da dieselben Hautstellen
168 James Loewy:
verschiedener Individuen sämmtliche vier verschiedenen Typen
aufweisen können.
Sehen wir vom Serotum ab, so zeigt die Epidermis der be-
haarten Haut eine überraschende Uebereinstimmung in den einzelnen
Körperregionen. Ueberall ein gleichmässiges Netzwerk einfacher
Längs- und Querleisten, welches sich an den verschiedenen Stellen
nur durch die Breite der Leisten, die Grösse der Maschen oder
die vorwiegende Richtung, welche die Leisten verfolgen, unter-
scheidet.
Am Halse findet sich ein kleinmaschiges, vielgestaltiges
Netzwerk von schmalen Leisten. Wo eine ausgesprochene Längs-
richtung der Leisten vorwiegt, fehlen die Querleisten hin und
wieder ganz, oder erreichen nicht die nächste Längsleiste. Häufig
bilden sich Centren oder Wirbel (Fig. 8), indem das Leisten-
netzwerk sich in einfache Längsleisten auflöst, welche dann
strahlenförmig in einem Knotenpunkt zusammenfliessen. Die ein-
zelnen Radien bilden keine geraden Linien, sondern spiralige
und parabolische Curven. Soleher Centren habe ich am Halse
eine grosse Anzahl gefunden. Was die Funktionsfalten betrifft,
so finden sie sich in diesen Hautbezirken äusserst zahlreich vor.
Sie stellen sich als breite Linien dar, in deren Verlauf weder das
Maschennetz der Leisten noch einzelne Segmente desselben er-
halten sind.
Der Papillarkörper stellt, dem Bilde des Rete entsprechend,
einfache Papillen dar, welche oft konfluiren, oft langgestreckte
Cutisleisten bilden. Die Abstände der einzelnen Papillen und
Leisten von einander sind äusserst gering. Häufig vereinigen
sich bogenförmig auslaufende Papillenreihen sternförmig in einem
Knotenpunkt. An zahlreichen Stellen ist, dem Verlaufe der Funk-
tionsfalten entsprechend, ein vollständiges Fehlen der Papillen zu
konstatiren.
Die Brust zeigt ein dem Halse sehr ähnliches Aussehen.
Nur die Maschenräume des Leistennetzwerks zeigen einen grösseren
Durchmesser und das Faltensystem ist viel schwächer entwickelt.
Wirbel habe ich hier seltener beobachtet.
Bauch und Rücken stimmen in ihrer Oberhautarchitek-
tonik fast vollkommen überein. Ein gleichmässiges, gutentwickeltes
kleinmaschiges Netzwerk mit meist völlig geschlossenen Räumen
ist das Charakteristische bei beiden (vergleiche im Gegensatz
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 169
hierzu die Darstellung bei Blaschko). Die Richtung welche
die Leisten verfolgen, entspricht meist den Haarströmen, ist jedoch
an manchen Stellen nieht mit Sicherheit zu bestimmen. Häufig
bilden die einzelnen Haare Centren (Fig. 8), von welchen die
Leisten radiär nach allen Seiten sich ausbreiten, oder die Maschen-
räume sich terrassenförmig um eine kreisförmige Leiste formiren,
welche das einzelne Haar umgibt.
Auch die Epidermis der Extremitäten zeigt ein meist
gleichmässiges Gepräge. Das Leistensystem (Fig. 9—11) stellt
- ein Netzwerk dar, bald ganz geschlossen, bald durch Fortfall
von Querleisten konfiuirende, grosse Räume bildend, bald mit
vorwiegender Ausbildung der Längsleisten, bald mit gleich stark
entwiekelten Querleisten. Die Leisten sind meist schmäler als
die des Rumpfes und der Längsaxe der Extremitäten parallel.
Die Falten dagegen übertreffen an Zahl und Breite diejenigen
des Stammes, treten besonders stark über den Gelenken auf und
lassen an den Partien, die sie durchziehen, nur selten vereinzelt
stehende Stümpfe von Längs- und Querleisten erkennen.
Die Cutispapillen des Rumpfes und der Extremitäten,
von Hand- und Fussrücken abgesehen, bilden somit dicht gedrängte
Reihe niedriger Gebilde, von runder, ovaler oder polygonaler
Basis, welche meist eine ausgesprochene Verlaufsrichtung zeigen.
Die Unterschiede zwischen den einzelnen Hautregionen bestehen
nur in den grösseren oder kleineren Abständen der Papillen
untereinander und in wechselnden Grösse (d. h. Höhe und Basis-
umfang). Jene Partien, welche von Funktionsfalten durchzogen
werden, zeigen eine ebene Fläche und besonders die Haut über
den Gelenken weist eine äusserst geringe Anzahl von Papillen auf.
Abweichend von diesem allgemeinen Typus ist das Bild,
welches die Oberhaut des Handrückens und Fussrückens
liefert. Die Leisten des Handrückens stellen eine gleichmässige
Masse dar, fast einem Brette vergleichbar, in welches die Papillen R
theils einzeln, theils in Gruppen von verschiedener Anzahl, schräg
gegen die Oberfläche geneigt, als Zapfen eingelassen sind. Das
Leistensystem des Fussrückens ist dem eben beschriebenen äusserst
ähnlich. Nur die Zahl und Ausdehnung der Papillenöffnungen,
welche hier dicht gedrängt, nur von schmalen Leisten getrennt
neben einander liegen, ist eine bedeutend grössere. Die Cutis
_ weist demnach grosse Papillen auf, welche theils einzeln, theils
170 James Loewy:
dicht gedrängt in Haufen auf einer im Uebrigen gleichmässig
ebenen Fläche aufsitzen und schräg gegen die Oberfläche ge-
richtet sind.
Im Gegensatz zu dem Hand- und Fussrücken zeigt die Ex-
tensorenseite der Finger wieder ein völlig geschlossenes, äus-
serst kräftig entwickeltes, grossmaschiges Netzwerk, welches
grosse Papillen darstellt, die dieht gedrängt neben einander liegen
und in der Längriehtung der Finger verlaufen. Auch hier fand
ich einen spiraligen Zusammenfluss der Papillen zu einem Cen-
trum oder Wirbel.
Auch die Kopfhaut weist ein stark entwickeltes Leisten-
system auf. Zwischen den Haaren, ohne die gleiche Richtung
mit denselben zu verfolgen, sondern mit den Bindegewebsfasern
der Cutis in ihrem Verlaufe übereinstimmend, ziehen breite Lei-
sten hin, welche schräg gegen die Oberfläche geneigt, weite
Maschenräume umschliessen. Dementsprechend besitzt die Cutis
der Kopfhaut meist einfache grosse Papillen, die, im gleichen
Winkel wie die Haare gegen die Oberfläche geneigt, dem Ver-
laufe der Bindegewebsfasern der Cutis folgen.
Stellen die Bilder, welche ich bisher beschrieben habe, Ver-
hältnisse dar, wie sie bei erwachsenen Individuen ange-
troffen werden, so zeigen Präparate dieser Hautpartien von
Neugeborenen und ganz alten Personen ein von jenen sehr
verschiedenes Aussehen. So fand ich, dass das Leistennetz der
Oberhaut (Fig. 4. 6. 9) wenige Monate alter Kinder sowohl am
Rumpf, wie an den Extremitäten eine auffallende Gleichmässig-
keit zeigte. Gut entwickelte Leisten, ein meist völlig geschlosse-
nes Netzwerk sind auf allen Präparaten anzutreffen. Die Falten
sind minimal, durch feinste Linien angedeutet, unter denen in F'
den meisten Fällen das Leistennetz noch sichtbar ist. Im Greisen- 7
alter dagegen ist von dem architektonischen Aufbau der Ober-
haut nur noch äusserst, wenig zu erkennen (Fig. 11). Ein zu-
sammenhängendes Netzwerk ist nieht mehr vorhanden, nur ein-
zelne Stümpfe ganz schmaler Längs- und Querleisten, welche
manchmal mit einander zusammenhängen und einige Maschenräume
bilden, beleben das Gesichtsfeld im Verein mit den Falten, welche
bedeutend verbreitert und vertieft sind. Dieser Schwund jeglicher
Leisten und Papillen ist individuell verschieden, tritt bei dem
einen früher, bei dem andern später auf und ist unabhängig von
*
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 171
den einzelnen Körperregionen. So finden wir z. B. die Epider-
mis der über die Gelenke ausgespannten Haut viel früher ver-
ödet als diejenige des Rückens nnd Bauches.
Was die Oberhautformation des Gesichts anbetrifft, so
zeigt dieselbe ein sehr mannigfaches Aussehen.
Unter den wenigen Angaben, welche darüber vorliegen, er-
wähne ich die von Kölliker, dass sich im Gesicht, nament-
lich an den Augenlidern, Stirn, Nase, Wange und Kinn die
kleinsten Papillen finden, diese ganz fehlen und durch ein Netz-
- werk niedrigster Leistehen ersetzt werden können. Auch Blaschko
hat zwischen den Haaren und Talgdrüsen nur kleine, gebuckelte,
wellige Erhabenheiten gefunden, welche an der Ohrmuschel und
der Stimm einer glatten Fläche ohne jede Leiste Platz machen.
Bedürfen diese Angaben auch in vielen Punkten der Er-
sänzung und Richtigstellung, so bezeugen sie doch übereinstim-
mend, dass die Oberhaut des Gesichts in dem Alter, wo sie auf
dem Höhepunkt der Entwicklung stehen sollte, einen rudimen-
tären Charakter trägt, die Cutispapillen nur schwach angedeutet
sind, ja ganz fehlen können.
Was nun den Bau der Oberhaut desselben anbetrifft, so ist
das Leistennetz allerdings das am wenigsten ausgebildete des
ganzen Körpers und schon im jugendlichen Alter -finden sich
Stellen, welche kaum Spuren eines vorhandenen Leistensystems
erkennen lassen. Dennoch ist die Behauptung, dass an einigen
Partien die Leisten und so auch auf der Cutis die Papillen
fehlen, nicht aufrecht zu erhalten. Präparate von Neugeborenen
zeigen nämlich überall ein System von Leisten, meist den Haar-
strömen entsprechend angeordnet und der Querleisten ermangelnd.
Oft strahlen sie büschelförmig von den einzelnen Haaren aus, in-
dem sie die gleiche Richtung wie jene beibehalten, wie am Ohr,
oder setzen sich, wie an der Nase, aus kleinen Segmenten zu-
sammen, so dass die Lederhaut Leisten bildet. Schon nach
einigen Jahren macht sich eine einschneidende Veränderung be-
merkbar. In der Umgebung des Mundes, an den Wangen, dem
Kinn und der Stirn ist fast nichts mehr von einem Netzwerk
zu erkennen, und nur schwach angedeutete Reste von Leisten
sind Zeugen des ehemaligen Bestehens derselben.
Nähern wir uns aber der Gegend des Halses, des Ohres
oder den Schläfen, so begegnen wir wieder einem gut ausge-
172 James Loewy:
bildeten Netzwerk, welches an Stärke der einzelnen Leisten dem
des übrigen Körpers nicht nachsteht und z.B. an den Schläfen
in seinem regelmässigen Aufbau und seiner kräftigen Entwick-
lung dem Leistensysteme der Rückenoberhaut äusserst ähnelt.
Im Gegensatz zu Kölliker möchte ich noch besonders her-
vorheben, dass ich bei Erwachsenen an den Augenbrauen und
Augenlidern ein sehr entwickeltes Leistensystem gefunden
habe, welches in seinem Aussehen ganz dem der Kopfhaut gleicht
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und so grosse, schräg gegen die Oberfläche gestellte Papillen °
darstellt.
Am inneren und äusseren Rande des Augenlides fand ich
auch jene Formen, welche den Leisten der Pars glabra der Lippen
eigen ist.
An der Nase verläuft das Leistennetz (Fig. 12) in zwei typi-
schen Formen. Entweder finden wir ein geschlossenes Netzwerk oder
nahe an einander liegende Leistensegmente. Die Cutispapillen
sind gross, durch breite Abstände getrennt und an. manchen
Stellen auf Cutisleisten ruhend.
Schon bei der Beschreibung der Oberhaut der verschiedenen
Körperregionen habe ich auf die jedesmalige Richtung, welche
die Leisten und so auch die Papillen verfolgen, kurz hingewiesen;
an dieser Stelle möchte ich jedoch ausführlicher auf diese Frage
eingehen, deren Erörterung mir um so wichtiger erscheint, als
eine Reihe anderer Formelemente der Haut ebenfalls eine regel- °
mässige Anordnung aufweisen, und es von Interesse wäre, die
Frage zu erörtern, ob zwischen diesen Gebilden und den Epi-
dermisleisten regelmässig wiederkehrende Beziehungen obwalten.
Zunächst haben Voigt!) und Eschricht?) uns eine solche für
die Haare kennen gelehrt, indem sie nachwiesen, dass dieselben
eine bestimmte Richtung verfolgen, konstante Curven, welche an
bestimmten Stellen eine grosse Zahl convergirender und diver-
sirender Wirbel bedingen; diese treten besonders bei Embryonen
1) Ch. A. Voigt, Ueber die Richtung der Haare am mensch-
lichen Körper. Denkschrift d. Wien. Akad. d. Wissenschaften Bd. 13,
Wien 1857.
2) Eschricht, Ueber die Richtung der Haare am ı mensch
Körper, Müller’s Arch. 1857, pag. 37.
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Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 173
plastisch hervor, während sie beim Erwachsenen durch die Rück-
bildung des embryonalen Haarkleides nur noch wenig deutlich
und vereinzelt zu erkennen sind.
Ein zweites, konstantes Liniensystem weist die Haut in der
Spaltbarkeitsrichtung auf, welche, wie Langer!) in seinen
klassischen Arbeiten festgestellt hat, in der bestimmten Verlaufs-
richtung der Bindegewebsfasern der Cutis ihre Ursache hat. Die
Einstiche mit dem Pfriem, welche Langer systematisch auf der
E ganzen Körperoberfläche machte, lieferten längliche Oeffnungen,
- welche sich zu Linien zusammensetzten, die wiederum ein System
darstellten, charakteristisch für jeden Körpertheil und konstant
bei allen Individuen auftretend. Eine Vergleichung des Verlaufes
der Haarrichtung mit der Spaltbarkeitsrichtung lässt eine auffällige
Aehnlichkeit beider erkennen.
Eine dritte Gruppe von Linien, welche wir noch an der
Hautoberfläche erkennen können, ist die sogenannte Oberhaut-
felderung, jenes System feinster Furchen, welche, unter Bildung
drei- oder mehreckiger Felder, die gesammte Hautoberfläche
durchziehen. Die Frage liegt nahe, in wie weit Leisten und
Papillenverlauf mit der Oberhautfelderung übereinstimmt, indem
beide Liniensysteme häufig parallel verlaufen, sich kreuzen oder
einander decken. — Schliesslich wäre noch in Erwägung zu ziehen,
ob nicht zwischen der Endausbreitung der Nerven und Gefäss-
bäume einerseits und der Anordnung der Reteleisten anderer-
seits gewisse Beziehungen obwalten, eine Frage, welche bei dem
eigenthümlichen Verhältnisse der Gefässe und Nerven zu den Pa-
pillen besondere Beachtung verdient.
Bevor ich jedoch auf die Gleichheit und Abweichungen der
Verlaufsriehtung jener Systeme mit derjenigen der Leisten und
Papillen näher eingehe, möchte ich einem naheliegenden Einwurfe
begegnen, der gegen die Constanz der von mir beobachteten
Leistenvorrichtung gemacht werden könnte. Bekanntlich zieht
sich die Haut, wenn sie aus der Continuität gelöst wird, durch
die Wirkung der elastischen Fasern in der Riehtung der Spalt-
barkeit zusammen, während sie im Breitendurchmesser im gleichen
1) K. Langer, a) Ueber die Spaltbarkeit der Cutis. Sitzungs-
; berichte der Wiener Akad. Math.-naturwissenschaftl. Cl. Bd. 44. —
b) Die Spannung der Cutis, ebenda Bd. 45,
174 JamesLoewy:
Verhältniss zunimmt. Die Folge davon ist, dass wir an ausge-
. schnittenen Hautstücken Bilder der Epidermis erhalten, welche
uns die wahren Verhältnisse, die wirkliche Verlaufsriehtung der
Leisten nicht mehr erkennen lassen. Die Thatsache ist unbe-
streitbar, jedoch nur so lange als die Epidermis noch nicht von
der Cutis gelöst ist. Um zu eruiren, wie sich die Grössenver-
hältnisse der Epidermis nach ihrer Trennung von der Cutis ge-
stalten, habe ich an zahlreichen exeidirten Stücken folgende ge-
nauere Messungen vorgenommen. Zuerst zeichnete ich mit einem
Oelstift die Umrisse des auszuschneidenden Hautstückes auf der
Leiche vor, wobei ich mieh stets der Figur zweier aneinander-
geschobener Rechtecke bediente. Ich wählte diese Figur, weil
ich einerseits durch ein verhältnissmässig kleines Präparat das
Bild eines ziemlich grossen Hautbezirkes erhielt, zweitens an den
beiden Schenkeln, deren Längsdurchmesser senkrecht auf einan-
der stehen, dig Contraction sehr leicht zu erkennen ist, indem
der eine Schenkel im Durchmesser wächst, wenn der andere sich
verkleinert.
Nachdem ich also diese Figur auf der Leiche vorgezeichnet
hatte, pauste ich die Zeichnung durch, schnitt dann das Haut-
stückehen heraus und trug die Kontraktionsdifferenz genau auf
dem durchgepausten Bilde ein. Hatte ich dann die Epidermis
von der Cutis gelöst und breitete ersteyge auf jenem Bilde aus,
so zeigte es sich, dass die Epidermis wieder ihre ur-
sprüngliche Grösse zurückgewonnen hatte, dass somit
‘an den zur Untersuchung benutzten Epidermisstücken das Leisten-
system sein ursprüngliches Gefüge beibehalten haben musste. Auch
gewaltsames Dehnen und Verziehen der Epidermis bewirkte nur ”
eine minimale Verschiebung der Diagonalen der einzelnen Maschen-
räume, war aber nicht im Stande die Hauptrichtung des Leisten-
verlaufes zu verändern.
Was zunächst das Verhältniss der Verlaufsrichtung der
Leistenreihen und Papillen zu den Haarströmen betrifft, so finden °
sich verschiedene Verhältnisse vor. Meist ist eine Uebereinstim-
mung beider vorhanden. Besonders am Rumpf, am Serotum, dem
behaarten Theil des Penis und an einigen Partien der Extremi-
täten tritt diese gleiche Verlaufsriehtung deutlich hervor. Frei-
lich erwächst bei der Bestimmung derselben eine Schwierigkeit
daraus, dass man selbst mit schwachen Vergrösserungen (20 mal
= Fol - - = . a
- u. EU Din Zn re het r
ee u 2 ARE re Er
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 175
oder selbst 10 mal) nur ein kleines Gesichtsfeld übersehen kann,
woraus für die Beurtheilung des Allgemeinverlaufes der Haare
sowohl wie der Leistenreihen leicht Irrthümer entstehen können.
An den wenigen Stellen, wo sich an der behaarten Haut
ein soleher Parallelismus der Verlaufsrichtung nieht nachweisen
lässt, finden wir Verhältnisse, wo entweder die einzelnen Leisten
eine Art von Centren bilden, d.h. Punkte, von denen radiär nach
allen Seiten die Maschenräume der Leisten und so auch die Pa-
pillen ausstrahlen, wie ich dieses an einigen Stellen des Rückens,
des Bauches und anderer Körperregionen mehrfach beobachtet
habe (Fig. 8). Oder es besteht überhaupt keine Beziehung
zwischen den Haarströmen und der Verlaufsriehtung der Leisten
und Papillen; das Leistennetzwerk zieht anscheinend regellos
zwischen den Haaren hin, gleichsam die Zwischenräume derselben
ausfüllend. Eine solehe Anordnung findet sich, wenn auch nur
vereinzelt, an der Kopfhaut. In anderen Fällen folgt auch auf
dem Kopfe die Richtung der Leisten derjenigen der Haarstämme
und, was sehr wichtig ist, auch ihrer Neigung. Es liess sich
dies übrigens schon aus den beiden von Blaschko abgebildeten
Schnitten der Kopfhaut erwarten.
Ist nun im Ganzen die Uebereinstimmung der Haarströme
mit der Richtung der Papillen eine geradezu auffallende, so lässt
uns an der unbehaarten Haut dieser Vergleichsfaetor im Stich,
gerade an den Hautpartien, welche die ausgesprochenste und best
charakterisirte Verlaufsriehtung aufweisen.
So verlaufen am Penis die Leisten und Papillen von der
Wurzel zum Präputium, dort eireulär um die Urethra, um
an der Glans, nachdem sie am Suleus und der Corona glan-
dis wieder längsgerichtete Schleifen gebildet, radiär zum Ori-
fieium ihren Weg zu nehmen und schliesslich in eireulären Tou-
ren in das Leistensystem der Mucosa überzugehen.
An den Lippen ziehen die Leisten von der äusseren Haut
zur Mucosa, am Handteller, der Beugeseite der Finger
und der Fusssohle verlaufen sie genau den Riffen und Furchen
entsprechend.
Sehen wir uns nach einem Momente um, welches uns zum
Vergleiche der Verlaufsrichtung der Leisten und Papillen auch
- an der unbehaarten Haut dienen kann, so giebt uns die Spalt-
barkeitsriehtung diesen Vergleichsfaktor an die Hand, da ja die
Archiv f, mikrosk, Anatomie, Bd, 37. 12
e
176 James Loewy:
sie bedingenden Bindegewebsfasern, sowohl die behaarte wie un-
behaarte Haut durchziehen. Durch genauere Untersuchungen
habe ich über das Verhältniss der Spaltbarkeitsrichtung zu der
Verlaufsriehtung der Leisten und Papillen Folgendes feststellen
können.
Wie schon Langer angiebt, stimmt im Grossen und Ganzen
der Verlauf der Bindegewebsfasern mit den Haarströmen überein,
und nur an wenigen Stellen, wie an den Extremitäten und am
Kopf weicht er von denselben ab. An den Stellen nun, an wel-
chen die Spaltbarkeitsriehtung mit den Haarströmen übereinstimmt,
wie am Rumpf, dem Serotum, Penis u. a. ist auch der Verlauf
der Leisten ein gleicher. Besteht kein Parallelism us
der Haarströme und der Spaltbarkeitsriehtung, wie
7. B. auf dem Kopf und besonders auf der Patella, so
folgen die Leistenreihen und Papillen den Bindege-
websfasern. Lässt sich keine Richtung der Papillen und Lei-
sten feststellen, oder bilden die einzelnen Leisten Uentren, so habe
ich bisher eine Analogie mit der Spaltbarkeitsriehtung Hirt fest-
stellen können.
An der unbehaarten Haut liegen die Verhältnisse noch viel
charakteristischer.
An der Hohlhand, der Beugeseite der Finger und der Fuss-
sohle entsprechen die Bindegewebsfasern den Riffen und Furchen,
also auch den Leisten. An den männlichen Geschlechtsorganen
habe ich die Langer’schen Versuche wiederholt und eine völ-
lige Uebereinstimmung der Spaltbarkeitsriehtung mit
dem Verlaufe der Leisten und Papillen gefunden. Auch
jene feineren Verhältnisse, welche Langer entgangen sind, finden
sich vor, insofern nämlich am Präputium auch die Bindegewebs-
fasern einen eireulären Verlauf aufweisen, während dieselben an
der Glans radiär zum Orifieium gerichtet sind.
Sprechen diese Thatsachen mit fast zwingender Gewalt für
die Annahme, dass die Richtung der Leisten und Papillen mit
derjenigen der Bindegewebsfasern übereinstimmt, so zeigt sonder-
barer Weise der Bau der Lippen gerade das entgegengesetzte
Verhältniss. Während, wie ich feststellte, die Spaltbarkeits-
richtung eireulär von rechts nach links verläuft, sind die Leisten
und Papillen radiär von der äusseren Haut zur Mueosa gerichtet.
Ob für diese auffallende Differenz besondere Gründe vor-
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 177
_ liegen, kann ich noch nicht entscheiden, für den ganzen übrigen
- Körper jedoch möchte ich den vollkommen gleichen
‚Verlauf der Leisten und Papillen einerseits und der
h Bindegewebsfasern andererseits als allgemein giltiges
| Gesetz hinstellen, eine Abhängigkeit, welche aus den anato-
mischen Verhältnissen leicht erklärt wird.
Auch O. Simon!) hat dieses Gesetz schon in gleicher Form
aufgestellt. Allerdings sind die Beweisgründe, welche er für
seine Behauptung ins Feld führt, wenig bindend. Aus der Ueber-
einstimmung der Oberhautfelderung mit der Verlaufsrichtung der
_ Papillen einerseits und der Spaltbarkeitsrichtung andererseits,
schliesst Simon auf den gleichen Verlauf der Papillen und der
Bindegewebsfasern, welche die Spaltbarkeitsrichtung repräsentiren.
Nun sind aber die Gründe, welche dieser Autor für seine Prä-
_ missen angiebt, wenig stichhaltig, ja, wie ich weiter unten
darthun werde, den thatsächlichen Verhältnissen geradezu ent-
gegengesetzt, so dass Simon, von zwei falschen Voraussetzungen
_ ausgehend, zu seiner richtigen Behauptung gelangt ist.
An dieser Stelle möchte ich noch auf folgenden Punkt auf-
merksam machen.
Im Verlaufe der Leisten treten, wie ich es besonders an
_ der Brust, am Bauch, an den Genitalien und an anderen Stellen
beobachtet habe, Centren oder Wirbel auf (Fig. 8), d. h. Figuren,
welche sich aus radiär zu einem Punkte hin zusammenströmenden
Leisten zusammensetzen. Solcher Wirbel lassen sich verschiedene
nachweisen. Manchmal sind die Querleisten, welche die das
“Centrum bildenden Leisten untereinander verbinden, äusserst
wenig, manchmal im vollkommenen Maasse ausgebildet, oft ist das
Centrum klein, ja punktartig, oft stellt es em schollenartiges
Gebilde dar, von dem baumartig die Leisten ausstrahlen (Fig. 7).
Es läge ja sehr nahe, die Gebilde in eine Linie zu setzen
mit den Haarwirbeln und den an den Tastballen der Fingerkuppen
befindlichen wirbelförmigen Figuren und sie gleich diesen als eine
Art von Tasteentren, Centralpunkten der tastempfindenden Organe
und vielleicht auch Punkten erhöhter Tastempfindung zu be-
frachten. ‘Doch möchte ich eine solche Auffassung nur als hypo-
‚thetische hinstellen, um so mehr, als es sich nicht um so ausser-
Bo
z 1) OÖ. Simon, Lokalisation der Hautkrankheiten. Berlin 1873,
178 James Loewy:
ordentlich regelmässig gebaute und auch nicht einmal in regel-
mässiger Anordnung wiederkehrende Gebilde handelt, wie bei
Haarwirbeln und Tastballen.
Um schliesslich die Frage näher zu untersuchen, ob und m
wieweit die Oberhautfelderung mit der Verlaufsrichtung der
Leisten und Papillen übereinstimmt, sollen einige Worte über die
Entwicklung und den heutigen Stand der Frage vorausgeschickt
werden.
Die Oberhaut ist nicht glatt über den ganzen Körper aus-
gespannt, vielmehr finden wir die gesammte Hautoberfläche von
einem System feiner und feinster Linien, einander kreuzender
Furchen durchzogen, welche zwischen sich die sogenannten Ober-
hautfeldehen einschliessen. Ausserdem finden wir noch am Hand-
teller, der Fusssohle und der Beugeseite der Finger und Zehen
ein zweites ganz typisch angelegtes System von Riffen und
Furchen, welche theils gerade, theils in Bogenlinien verlaufen
oder jene bekannten Spiralen bilden, welehe besonders die Finger-
kuppen charakterisiren.
Diese letzteren Bildungen sind von Alters her bekannt und
schon von Malpighi beschrieben worden. Purkinje unterwarf
sie einer genaueren Untersuchung und stellte eine Reihe von
Typen auf, welche in neuester Zeit von Engel und besonders
von Kollmann eingehend erörtert und erklärt worden sind.
Auf die Felderung und Faltung der übrigen Haut hat zuerst
Bichat!) sein Augenmerk gerichtet und eine Eintheilung der
gesammten Linien, welche die Oberhaut durchziehen, gegeben.
Er unterschied im Ganzen fünf Arten:
1. Falten, welche durch den Muskelzug bedingt werden,
wie die Runzeln der Stirn und des Hodensacks.
2. Die Runzeln, welehe sich im Alter einstellen.
3. Falten, welche durch Gelenksbewegungen veranlasst
werden, wie die Falten über den Fingergelenken.
4. Die regelmässigen Furchen der Flachhand, Fusssohle und
an den Beugeseiten der Finger und Zehen.
5. Die unregelmässig sich kreuzenden Furchen, welche sieh
auf der ganzen Hautoberfläche vorfinden.
1) Bichat, Allgemeine Anatomie, übersetzt von Pfaff. Leipzig
1803, -IL. H,, DL. Abih, 8. 166
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 179
Diese Eintheilung Bichat’s ist lange Zeit die Grundlage
für alle späteren Beschreibungen geblieben und auch OÖ. Simon,
der nach ihm als erster sich genauer mit der gesammten Ober-
hautfelderung beschäftigte, hat sie übernommen und an die Spitze
des Kapitels über „die Richtungslinien der Hautarchitektur“ ge-
setzt. Allerdings reduzirt er die Zahl der Falten auf vier, indem
er die Falten der Hohlhand ete. und die sich unregelmässig kreu-
zenden der gesammten Hautoberfläche als gleiehwerthig be-
zeichnete.
Erst in neuester Zeit ist diese Eintheilung der Furchen und
Falten der Oberhaut durch Lewinski erschüttert worden, welcher
jene fünf Arten auf zwei zurückführte. Er unterschied nur noch
die regelmässigen Furchen an der Hohlhand, Fusssohle ete. einer-
seits und alle übrigen von Bichat beschriebenen andererseits,
welche er auf eine gemeinsame Entstehungsursache, auf die Be-
wegung der Haut durch Einwirkung der Muskeln zurückführte.
Sehliesslich hat Philippson in einer neueren Arbeit!) über
eine bisher noch nicht bekannte Art von Linien berichtet, die er
als Analogon der regelmässigen Furchen in der Hohlhand auf
der gesammten Körperoberfläche gefunden haben will und welche
er gleich den letztgenannten als Senkungsfurchen bezeichnet.
Dass die spiraligen Kurven, welche in der Hohlhand, auf der
Fusssohle und den Beugeseiten der Finger und Zehen verlaufen,
ein besonderes und eigenartiges Gebilde sind, haben mit Recht
alle Forscher hervorgehoben und es bedarf kaum weiterer Aus-
einandersetzung, um darzuthun, dass zwischen ihrer Anordnung
und derjenigen der Reteleisten der Cutispapilten eine völlige
Uebereinstimmung herrscht. Sind doch eben die Riffe und Fur-
chen weiter nichts als der auf der Oberfläche zu Tage tretende
Ausdruck der tiefer liegenden Formelemente, wie dies Blaschko
des ausführlicheren dargethau hat. Es entsprechen den Riffen
und Furchen auf der unteren Seite der Epidermis jene Hervor-
wölbungen, welche auf dem Querschnitte zapfenförmige Gebilde,
in Wirklichkeit jedoch dem Verlaufe der Riffe und Furehen ent-
sprechende Leisten darstellen. Diese Leisten sind keine gleich-
werthigen Gebilde, sondern sind scharf in zwei Arten zu trennen.
Entsprechen sie nämlich den Riffen, so sind es aktive Produkte,
I) Monatshefte für prakt. Dermatolog. Bd. VIII, pag. 589.
180 James Loewy:
bedingt dureh Proliferation der Epidermis, entsprechen sie den
Furchen, so sind sie passiv, erzeugt durch die Einstülpung der
sesammten Oberhaut. .Die ersteren, welche an Höhe die letzteren
weit überragen, nehmen die Ausführungsöffnungen der Drüsen-
kanälehen auf. Blascehko, welcher zuerst diese Verhältnisse
klarstellte, hat daher die Namen Drüsenleiste und Falte für
jene Gebilde in die Anatomie eingeführt. i
Gegen diese Anschauung hat sich Unna!) gewandt, indem
er geltend machte, dass Blaschko’s Falte keine Einstülpung,
sondern eine wahre Leiste, hervorgebracht durch Proliferation
der Epidermis, darstelle. Wäre es nämlich eine Falte, so müsste
nach Unna sich am untersten Winkel derselben ein Maximum
des Druckes auf die Cutisunterlage, erzeugt durch das Einstülpen
(ler Epidermis, geltend machen und abgeplattete Epithelzellen er-
zeugen. Dies sei nicht der Fall, in Wahrheit werde die
Stachelschicht nach unten leistenartig durch Proliferation vorge-
trieben und bei mangelndem Nachwuchs sinke die Hornschicht
und Körnerschicht, im Maasse als die Stachelschieht verhorne,
allmählich ein.
Diesen Ausführungen Unna’s kann ich mich nicht anschlies-
sen. Vor allem ist jener Forscher den Beweis dafür schuldig
geblieben, dass ein nachträgliches Einsinken der Körnerschicht
und Hornschicht stattfindet. Kem Präparat Blaschko’s, welches
der Haut verschiedenaltriger Foeten entnommen war, liess eine
solche Deutung zu, im Gegentheil fand sich stets A Oberhaut |
von Anfang .an mit allen Schichten gleichmässig eingestülpt.
Ferner zeigen Querschnitte foetaler Haut, welche dureh die Fuss-
sohle und den Handteller gelegt werden, einen an allen Stellen
gleichmässig starken Durchmesser der Epidermis. Dieselbe nimmt
nur dort etwas an Dieke zu, wo an der Oberfläche die Riffe hervor-
treten und in der Tiefe sich die Drüsenleisten bilden. Denkt
man sich also die Epidermis ausgezogen und zwar so stark ge-
spannt, dass die Falten verschwinden, so erhält man an den
vorher gefalteten Partien eine gleich starke Epidermis wie an
den angrenzenden, und nur die Drüsenleisten erweisen sich als
wahre Proliferationen.
Auch das Fehlen plattgedrückter Epithelien am tiefsten ‘
1) Monatshefte für prakt. Dermatolog. Bd. VH, Nr. 16.
>
4
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 181
Winkel der Falte sprieht nicht gegen Blaschko’s Deutung, da
während der Bildung der Falten eine Zellenwucherung innerhalb
der Epidermis und zwar grade an ihren untersten Schichten statt
hat. Denn nehmen wir an, auf einer Flächeneinheit Grenzfläche
sässen vor Bildung der Falte x Zellen eylindrischer Form,
so wären, wenn nach Bildung der Falte dasselbe Stück der
Grenzfläche einen doppelten Raum einnähme, die Zellen nur in
dem Falle abgeplattet, wenn die Zellvermehrung nur in den
oberen Epidermisschichten vor sich gegangen wäre; hat sich
jedoch während der Bildung der Falte die Anzahl der Basal-
zellen grade verdoppelt (auf 2x Zellen), so muss die Cylinder-
form bestehen bleiben. Und eine solche Vermehrung der Basal-
zellen während des Wachsthums der Epidermis ist nicht nur
wahrscheinlich, sondern durch die Ergebnisse aller Untersuchun-
sen, welehe in dieser Schicht die zahlreichsten Karyokinesen
gezeigt haben, gradezu für erwiesen zu erachten, wie ja denn
auch Blaschko selbst die Proliferation innerhalb der Oberhaut
als Ursache der Einfaltung angenommen hat. Darum ist es jedoch
nicht angängig, die Falte selbst als Wucherungsprodukt aufzu-
fassen, was nur dann erlaubt wäre, wenn wie bei der Bildung
der Drüsenleiste an einer Stelle eine eireumscripte Zell-
proliferation stattfände. Hiervon ist, wie man sich an jedem
Präparate überzeugen kann, nicht die Rede. fi
Ein anderer von Unna und Philippson nicht gemachter
Einwand liesse sich gegen Blaschko’'s Falte vorbringen. Sehen
wir von den Papillen der Handteller und der Fusssohle ab, so
finden wir alle Papillen begrenzt von zwei Längs- und zwei
(uerleisten. Fehlen die letzteren, so fliessen zwei Papillen zu-
sammen; nirgends finden wir jedoch bei jugendlichen Individuen
eine Falte als einen die Gestalt der Papillen bestimmenden Fak-
tor. Dies ist aber am Handteller und der Fusssohle der Fall,
wie es deutlich aus der Figur 2 der Blaschko’schen Arbeit her-
vorgeht. Hier verlaufen die Falten stets zwischen zwei Drüsen-
leisten, und die Maschenräume, welche das Negativ der Papillen
darstellen, sind durch zwei Querleisten, eine Drüsenleiste und eine
Falte gebildet. Da läge es allerdings nahe, nach Analogie der
übrigen Haut zu dem Schlusse zu kommen, dass wir es hier mit
keiner Einstülpung, sondern einem Proliferationsprodukte der Epi-
dermis, mit wahren Leisten zu thun haben. Schon eine einfache
182 James Loewy:
Erwägung lehrt, dass wir eine solehe Analogie nicht zu fordern
berechtigt sind. Ist ja doch auf der Palma und Planta auch
schon von aussen eine ständige Einfaltung in Form der „Furehen“
sichtbar, während die übrige Haut, abgesehen von den Funktions-
falten (s. unten), vollkommen glatt verläuft. Es ist nieht einzu-
sehen, warum nicht ebenso wie bei anderen Organen (z. B. beim
Gehirne) auch bei der Haut neben der Zellvermehrung aueh
andere, mechanische Momente gestalt- und formgebend wir-
ken können. Diese Auffassung gewinnt noch eine Stütze dureh
eine Arbeit von Klaatsch und Krause), welche beim Affen
auf ein sehr eigenthümliches Verhältniss aufmerksam gemacht
haben. Diese Autoren fanden eine gesetzmässige Verbindung
zwischen Epithel und dem Bindegewebe der Haut. „Von der
Tiefe der Cutis aus erheben sich nämlich Bindegewebszüge und
steigen in dem mittleren Theile der Cutisleisten empor, um sich
in der Falte an die untersten Epidermiselemente zu heften. Die
feinere Struktur ist dabei die, dass in der Mitte der Cutisleisten
die Bindegewebszüge immer parallel mit den Cutisleisten ver-
laufen, auf Schnitten senkrecht zu den Leisten also im Quer-
schnitt ihrer Fasern erscheinen, während zu beiden Seiten dieser
mittleren Züge andere senkrecht nach oben zur Falte hin ver-
laufen, so dass sich in der oben genannten Sehnittriehtung die
Fasern in ihrer ganzen Länge zeigen. Man kann somit einen
fixen und einen mobilen Theil der Haut unterscheiden. Denn
diese senkrecht aufsteigenden Faserzüge verbinden gleichsam als
mikroskopische Ligamente in der Falte die Cutis mit der Epi-
ddermis. Die Blaschko'sche Falte ist also der Insertionspunkt auf-
steigender Bindegewebsfasern, während die Drüsenleiste, von
Bindegewebsfasern, umkreist einen freibeweglichen Theil der Haut
darstellt.“ Dieses Ergebniss lässt sich für die Entstehung der
Falten in vortrefflicher Weise verwerthen, indem man folgende
Entwicklung derselben annehmen kann. i
Haben wir fixe Punkte in den Falten vor uns, die dureh
ein Bindegewebsligament an die Cutis gehaftet sind, und wirkt
das Wachsen der Lederhaut als auftreibende Kraft gegen die
Epidermis, so werden die freibeweglichen Theile nachgeben, die
1) Krause, Beiträge zur Kenntniss der Haut der Affen. In-
augural-Dissertation. Berlin 1888.
I Eng
ee ee
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 185
fixirten dagegen nicht, sondern jene regelmässigen Einkniekungen
bedingen. Im gewissen Sinne würde hierdurch die ursprüng-
lich von Blaschko über die Entstehung der Falten gehegte Vor-
stellung modifizirt werden. Nach Blaschko sollten nämlich —
ebenso wie die Drüsenleisten durch Wucherung — die Falten
durch eine spontane Einsenkung der Epidermis, also durch ein
aktives Hervordrängen der wachsenden Epidermis gegen die
Cutis entstehen; nach der neuen Auffassung würde, ohne dass
ein gleichzeitiges Wachsthum der Epidermis ausgeschlossen wäre,
für die Entstehung der Falte wenigstens die aktive Rolle mehr
[3
f
v
=
der Cutis zufallen, wie ja denn auch Blaschko in seiner zweiten
Mittheilung eine gegenseitige Aktion der beiden Gewebe zugiebt.
Führen nun diese Befunde Klaatsch und Krause’s die Streit-
frage über die Entstehung der Falte einer einfachen und über-
zeugenden Lösung entgegen, so kann dennoch der strittige Punkt
nieht als entschieden bezeichnet werden. Hat doch Krause
selbst angegeben, nur beim Gibbon und Kynocephalus diese
Strukturverhältnisse klar gefunden zu haben. Für die Cutis der
menschlichen Haut steht bisher der Beweis für die gleiche
Anordnung der Bindegewebsfasern noch aus, und bei der Durch-
musterung der zahlreichen mir von Dr. Blaschko überlassenen
Präparate fötaler Haut habe ich eine derartige Anordnung nicht
nachweisen können. Soviel geht jedoch aus dem bisher Gesag-
ten hervor, dass ein Grund, die Blaschko’sche Bezeichnung
„Falte“ fallen zu lassen und dafür den von Philippson vorge-
schlagenen der „Senkungsfurche“ einzuführen, überhaupt nicht
vorliegt, um so weniger, als die letzte Bezeichnung gar nicht
einmal besonders deutlich die Philippson’sche Vorstellung von
der Entstehung derselben — d.h. Wucherung mit nachfolgender
Einsenkung — wiedergiebt.
Ganz verschieden von den bisher besprochenen Leisten und
Falten der Oberhaut, welche in der Anlage gegebene und
erblich übertragbare Formgebilde darstellen, die für
die menschliche Species, die einzelnen Racen und Individuen be-
sondere eigenthümliche Merkmale tragen, ist eine zweite Art von
Falten, welche erst später durch die Lebensäusserungen des
Organismus entstehen, in Form, Zahl und Anordnung
von der Art der physiologischen Bewegungen abhän-
gige Gebilde. Sie halten, wie ich aus einer sehr grossen
184 James Loewy:
Reihe von Präparaten konstatiren konnte, keine bestimmte
Riehtung inne, stehen in keinem Verhältnisse zu den
Epidermisleisten, sondern stellen sich als regellose,
bald parallel neben einander herziehende, bald sieh
kreuzende und gabelnde, durchscheinende Leisten auf
der Unterfläche der Epidermis dar. Diese Gebilde ent-
sprechen den Faltungen und Kniekungen der Haut, welche be-
sonders scharf an den Gelenken und im Handteller hervortreten
und, wie Lewinski!) namentlich dargethan hat, durch die physio-
logischen Bewegungen bedingt werden. Bei jeder Bewegung
findet im Gebiete der Muskelaktion eine Verschiebung der in
Form eines rhomboidalen Maschenwerkes angeordneten Bindege-
websfasern der Cutis statt, wodurch diese befähigt ist, einer je-
den auf sie wirkenden Kraft nachzugeben durch blosses Verlän-
gern oder Verkürzen bald der einen, bald der anderen Rhombus- »
diagonale. Die Epidermis besitzt diese Einrichtung nicht. Sie
ist nicht sehr elastisch und kann die äusseren Einwirkungen nicht
durch innere Umlagerung ausgleichen, sondern beantwortet jede
Verschiebung der einzelnen Punkte zu emander mit einer Faltung
und Kniekung nach der einen und Ausziehen von Falten in der
anderen Richtung. Daher ist die Epidermis von vornherein im
Ueberschuss angelegt und liegt beständig in Falten, welche je-
doch entsprechend den einzelnen Bewegungen ihre Form und Lage
ändern.
Bei der Besprechung der Lewinski schen Arbeiten hat Unna
einen wesentlich anderen Standpunkt vertreten. Er sagt?): „Die
Linien der wahren Oberhautfelderung im natürlich erhaltenen
Hautstücke reichen nur bis in die Stachelschieht und stellen niehts
weiter dar als linienförmige, tiefere Einsenkungen der Hornschicht,
deren Lage dureh einen entsprechenden striehförmigen Mangel
der Papillen vorgezeichnet ist. Der Mangel der Papillen ist eben ”
an diesen Stellen der zureichende Grund für das tiefere
Herabsteigen der Hornschicht, weil er einen geringeren Nahrungs
zuschuss dieser Stellen und daher einen geringeren Nach-
wuchs junger Stachelzellen zur Folge hat.“ Die „Model-
1) Lewinski, Ueber die Furchen und Falten der Haut. Vir-
chow’s Arch. Bd. 92. v
2) Monatshefte d. prakt. Dermatolog. 1883, Bd. II, pag. 228 unten.
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 185
lierung der Hornschicht“ ist nach ihm durch „die vorauf-
gehende und sehr verschiedenartige Vertheilung der Papillen“
bedingt. Die Oberhautfelderung sei daher — und Unna fügt
ausdrücklich hinzu, dass er hierbei auf dem O0. Simon ’schen
Standtpunkte stehe — ein Ausdruck der verschiedenartigen Pa-
pillenvertheilung. |
Schwer verständlich ist der Standpunkt Philippson’s!).
Philippson nennt Kniekungsfurchen nur die über den Gelenken
gelegenen Falten, alle übrigen Spannungsfurchen. Er geht zur
Erklärung der Oberhautfalten aus von den Striae gravidarum
und den Bildern, welche die Unterfläche der Epidermis daselbst
darbietet. Die Stachelscehicht zeigt daselbst „eine glatte, durch-
scheinende Fläche, welche nur wenige, niedrige, querverlaufende
Leisten, einige Maschen von annähernd normaler Grösse und
zahlreiche von viel kleinerem Umfange aufweist. Die der Mitte
anliegenden Leisten sind nach ihr zu ausgezogen.“ Jene Bilder
sind leicht zu erklären: „Die überaus starke Spannung, welcher
die Haut Schwangerer ausgesetzt ist, und welche eine parallele
Anordnung der Bindegewebsbündel der Cutis bewirkt, überträgt
sich auch auf die aus dem Niveau derselben heraustretenden
Bindegewebsfasern der Papillen und strebt danach sie in die
Zugriehtung hineinzuziehen. Daher die Abflachung und das Ver-
schwinden der Papillen, durch welche Formveränderung anderer-
seits wieder die Abflachung und das Verstreichen der zwischen
ihnen befindlichen Epidermisleisten verursacht wird. Zuerst wer-
den diejenigen Leisten, welche genau oder annähernd senkrecht
zur Zugrichtung verlaufen, ausgeglichen, bis schliesslich, wenn
überhaupt, nur noch die in die letztere fallenden Leisten übrig
bleiben.“
Auf gleiche Weise entstehen nach Philippson die Falten
der Oberhautfelderung, darum von ihm Spannungsfurchen genannt.
Ist nämlich die auf die Haut ausgeübte Kraft noch grösser wie
bei den Striae, so kann es wie bei den bekannten Lewinski'schen
Versuchen zum vollständigen Papillenschwund kommen, ist sie
aber kleiner, setzt sie nicht plötzlich ein und ist sie über eine
grössere Fläche vertheilt, „dann erzeugt sie in der Haut keine
Striae mehr, sondern nur lineäre Einsenkungen der Haut, Furchen
1) a. a. O. und Virchow’s Arch. Bd. 120, pag. 186,
186 James Loewy:
senannt. Der Beweis für die letzte Behauptung liegt in dem
Flächenbild der Epidermis eines Erwachsenen: mitten durch das
Leistennetz zieht eine durchscheinende Zone ohne Leisten; die
an dieselbe stossenden Maschen sind nach ihr zu offen, die Leisten
derselben verstreichen in die glatte Fläche der Zone und sind
mehr oder weniger senkrecht auf dieselbe gerichtet. Alles dies
sind Eigenschaften, welche dem durch Spannung veränderten
Leistennetz der Epidermis zukommen. Sieht man neben jenem
auch noch das entsprechende Flächenbilde beim Kinde, wo quer
über die dünnere, die Zone bildende Partie der Epidermis noch
niedrige Leisten ziehen oder wo auf der Zone. noch Maschen vor-
handen sind — trifft man dann auch beim Erwachsenen in jener
Zone gelegentlich kleine Oeffnungen für entsprechende Papillen,
so ist es nahe liegend, diese Partien im Leistennetz nicht als
etwas ursprünglich Angelegtes anzusehen, sondern vielmehr als
das Produkt einer auf emem überall gleichmässig entwickelten
Papillarkörper und auf ein dem entsprechendes epitheliales Leisten-
netz wirkenden Zugkraft aufzufassen.
Eine solche Kraft liegt in der von der Muskelaktion abhän-
sigen Spannung vor und ist bereits von Lewinski als Ursache
jener auf dem epithelialen Flächenbild als durchscheinende
Zonen auftretenden Furchen im Anspruch genommen worden.“
Wie man sieht hat Philippson den Standpunkt seines
Lehrers Unna wieder aufgegeben. Nach ihm sind die Falten
der Oberhautfelderung nieht in der Anlage gegeben, sondern —
in Uebereinstimmung mit Lewinski — durch die Körperbewe-
sung entstanden; von letzterem Autor aber unterscheidet er sich
wesentlich dadurch, dass er sich den * Entstehungsmodus der
Oberhautfelderung auf ganz andere Weise vorstellt. Lewinski
lässt, wie wir oben gesehen, durch Kniekung der im Ueberschuss
angelegten Haut Falten entstehen, wenn diese zusammengedrückt
wird; durch Spannung der Haut werden Falten parallel der Zug-
richtung erzeugt.
Nach Philippson ist offenbar — er spricht sich hierüber
nicht des genaueren aus, aber seine Anschauungen sind anders
gar nicht zu deuten — die Haut anfangs nicht im Ueberschuss
angelegt und erst durch die Spannung der also eigentlich zu
kurzen Haut wird die Epidermis an einzelnen Stellen “ ausge-
zogen, verdünnt und wenn dann die Spannung nachlässt, bilden
hard
Beiträge znr Anatomie und Physiologie der Oberhanut. 187
diese ausgezogenen verdünnten Partien die „Falten“. Räthselhaft
ist nur warum, wenn von vornherein das Leistennetz völlig
sleichmässig angelegt ist, ein auf dieses Netz wirkender
Zug dasselbe nicht gleichmässig auszieht, räthselhaft ferner,
dass dieser Papillenschwund beim Neugeborenen noch nicht
- sichtbar ist, während die Falten schon beim Embryo deutlich
ausgeprägt sind.
Dass die Philippson’sche Anschauung völlig unhaltbar,
lässt sich auch sonst leicht darthun. Zunächst ist schon sein
Vergleich mit den Striae ein völlig verfehlter, bei denen es sich
_ bekanntlich um ein thatsächliches Zerreissen von Bindegewebs-
fasern handelt; eben sowenig können die Lewinski’schen Ver-
suche, welche zum Schwunde der Leisten und Papillen führen,
zum Beweise herangezogen werden, da auch hier eine Rückkehr
in die alte Form nicht stattfindet. Das Wesentlichste aber ist,
dass in der That, wie Lewinski schon mit vollem Recht be-
hauptet, die Epidermis von vornherein im Ueberschuss angelegt
ist, was eben durch das frühe Vorhandensein der Falten ange-
. zeigt wird. In Folge dieses Ueberschusses kommt es zu einer
wesentlichen Spannung der Epidermis weder in noch zwischen
den Falten überhaupt jemals, selbst bei den ausgiebigsten Bewe-
gungen werden die der Zugriehtung senkrechten Falten nie ganz
entfaltet, wovon man sich jederzeit leicht überzeugen kann. Ja
wenn wirklich bei ganz excessiven Bewegungen eine Spannung
eintritt, so wirkt sie nieht besonders stark in den Falten, denn
diese sind ja jetzt verstrichen, sondern muss gleichmässig auf
die ganze, eine glatte Fläche bildende Epidermis wirken, so dass
ein Auseinandergehen der Gewebselemente gerade in den Falten
und im besonderen in der Mitte der Falten nicht möglich erscheint.
In sofern sind also diese Falten der Oberhautfelderung nicht
„Spannungsfalten“, sondern ebenso gut Kniekungsfalten wie die
über den Gelenken. Wirkliche Spannungsfalten sind nur die von
Lewinski so genannten, bei starkem Zuge auftretenden der Zug-
richtung parallelen Falten. Da es aber meist nicht möglich
ist, im Ruhezustand die durch Kniekung und die durch Spannung
erzeugten Falten zu unterscheiden, ja die meisten Falten wohl
Kniekungs- und Spannungsfalten zugleich sind, indem sie bei
Kniekung senkrecht, bei Spannung parallel der wirkenden Kraft
entstehen und die bestehenden Falten bei umgekehrt einsetzender
188 James Loewy:
Kraft entfaltet werden, so möchte ich alle Falten der Ober-
hautfelderung mit dem gemeinsamen Namen Funktionsfalten
bezeichnen.
Aber wie kommt denn nun der thatsächlich mit zunehmen-
dem Alter sich einfindende Papillenschwund zu Stande? Um
diesen zu erklären, muss man sich vergegenwärtigen, dass nicht
die Entfaltung, sondern die Knieckung der Falten den Normal-
zustand der Epidermis darstellt, und dass bei vollkommener
Ruhe fast alle Falten ziemlich stark
eingeknickt sind. Es besteht somit an
den Knickstellen, wie nebenstehende
Figur zeigt, ein beständiger, nur bei
der theilweisen Entfaltung etwas nach-
Jassender Druck der Epidermis gegen die Cutis, während die
Elemente der untersten Rete und obersten Cutisschiehten in der
auf der Falte senkrechten Richtung ausgezogen werden. Es
herrscht also in diesen Schichten thatsächlich eine kleine Span-
nung senkrecht zur Falte, eine Spannung, welche aber über die
allernächste Nachbarschaft der Falten nicht hinausgeht und gerade
umgekehrt wie Philippson sich das vorstellt, bei der Kniekung
und nicht bei der Ausziehung der Falten in Wirksamkeit tritt.
An der Knickstelle muss also durch den beständigen, nur m
seiner Stärke wechselnden Druck eine Ernährungsstörung und
somit eine Atrophie zu Stande kommen. Eine gleiche Ernäh-
rungsstörung bewirkt mit der Zeit den Schwund der angrenzen-
den, parallel den Falten verlaufenden Leisten, welche bei jeder
Kniekung etwas ausgezogen werden. Zu gleicher Zeit ordnen
sich die Bindegewebsfasern und Gefässe senkrecht zur Falte und
bewirken so ein stärkeres Hervortreten der senkrecht zur Falte
verlaufenden Leistenstümpfe, wie aus Figur 1 der oben erwähnten
Philippson’schen Arbeit ersichtlich ist!). Dieser Vorgang ist
nicht identisch, wie Philippson glaubt, mit der Verödung des
Rete und des Strat. papillare im Gebiete der Stria.. Bei der
Stria bleiben auch in der Mitte derselben einzelne quer verlau-
fende Leistenstümpfe, ja ganze Maschenräume stehen, ein Beweis,
dass es sich wirklich hier um ein Auseinanderreissen han-
delt, während bei den Falten zuerst und am vollständigsten der
—
I) Virehows Arch. BEL. CRR, Tacn,
en‘
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 189
Leistenschwund gerade in der Mitte, an den Kniekstellen sich
zeigt.
An dieser Stelle möchte ich noch mit wenigen Worten auf
_ die sogenannten „Senkungsfurehen“ Philippsons eingehen.
Er will nämlich neben den Funktionsfalten (seinen Kniekungs-
und Spannungsfurchen) auf der Oberfläche der gesammten Haut
ganz feine Furchen entdeckt haben, welche sich an der Unter-
fläche der Epidermis durch feinste Linien kund thun sollen und
in keinem Präparate fehlen; nach ihm sind, wie ich oben schon
kurz angedeutet, diese Gebilde nicht zu verwechseln mit den
durch Körperbewegungen entstandenen Falten, sondern analog
den regelmässigen an der Hohlhand, der Fusssohle und der Beuge-
seite der Finger und Zehen verlaufenden, schon in der Anlage
gegebenen Furchen.
Trotz eifrigsten Suchens ist es weder Herm Dr. Blaschko
noch mir gelungen, diese Gebilde zu entdecken. Alles was zu
sehen war, liess sich leicht als sekundäre Funetionsfalten
deuten, so dass ich vorläufig die Sonderexistenz solcher „Senkungs-
furchen“ als zweifelhaft bezeichnen muss. Man muss abwarten,
ob Philippson seine Entdeckung durch genauere Beschrei-
bung und Demonstration an Präparaten erhärten können wird.
Zu einem gleichen Ergebniss, zur Vernichtung des Leisten-
systems und des Papillarkörpers führt noch ein anderer Prozess,
der zu gleicher Zeit mit dem oben beschriebenen verläuft, aber
streng von diesem zu scheiden ist. Es ist dies die Alters-
atrophie.
Schon oben!) habe ich Bilder beschrieben von Präparaten
der Oberhaut, die ganz alten Individuen entnommen sind. Die
Leisten sind, wenn überhaupt noch vorhanden, sehr schmale
Stümpfe, welche vereinzelt noch zusammenhängen und Maschen-
räume bilden können. Man könnte freilich einwenden, dass mit
zunehmendem Alter die Falten breiter und tiefer werden, der
Druck auf die Grenzsehichten also stärker und die Ermährung
in diesen Hautpartien behinderter, «dass daher der Schwund des
Strat. papillar. und der Leisten auf die vorher beschriebenen
Ursachen zurückgeführt werden müsse. Dass dies nicht der Fall
ist, re daraus hervor, dass auch in den Ruhecentren (nach Ph.)
1) pag. 170.
190 James Loewy:
d. h. in den von den Falten umschlossenen Feldern diese Pro-
zesse sich abspielen, dass sich die Leisten ebensogut an denjeni-
sen Punkten verschmächtigen und schwinden, welche der gering- .
sten Krafteinwirkung ausgesetzt sind. Hält man Präparate ver-
schiedenartiger Individuen nebeneinander, so erkennt man deutlich,
wie, vom Neugeborenen an gerechnet, mit zunehmendem Alter
die Leisten und die Papillen wachsen. Haben sie dann den
Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht, so beginnt eme allmähliche
Rückbildung, welche im Greisenalter mit völliger Atrophie endet.
Von diesem Prozess wird die Epidermis en masse ergriffen, d.h.
die Epidermis wird dünner und die Leisten schmäler und
niedriger, bis letztere schliesslich ganz verschwinden.
Allerdings giebt es hierbei individuelle Unterschiede. So
fand ich bei einem 74jährigen Manne das Leistensystem der
Rückenoberhaut noch völlig erhalten, während ich die völlige
Atrophie bei anderen schon in früheren Jahren eintreten sah.
Auch die verschiedenen Körperregionen zeigen ein verschiedenes
Verhalten. Im Allgemeinen: tritt an den Stellen, welche, den
inechanischen Einflüssen am meisten ausgesetzt sind, wo die
Ruhecentren nur kleine Felder darstellen, die Altersatrophie am
frühesten ein. Hier findet ein inniges Zusammenwirken der
Druck- und Altersatrophie statt, deren Grenzen nicht mehr aus-
einanderzuhalten sind. |
Sehliesslieh möchte ich noch auf die verschiedene Disposi-
tion der Entwieklungsfähigkeit der Leisten und Papillen der
einzelnen Hautpartien aufmerksam machen. Was die Papillen
- des Gesichts betrifft, so liegt vielleicht ein Grund ihrer minimalen
Entwieklung in der Anlage derselben, aber man darf auelı den
Einfluss mechanischer Momente nicht unterschätzen.
Keine Stelle ist so sehr den Faltungen und Kniekungen
der Haut ausgesetzt als das Gesicht, und dass die Papillen an
Grösse zunehmen, je mehr man sich von den um den Mund ge-
legenen Hauptpartien entfernt, spricht m der That dafür, dass
die Mimik als ein die Entwicklung der Papillen hemmendes Ele-
ınent zu betrachten ist. ;
Ob ein Zusammenhang zwischen den Endausbreitungen der
Nerven und Gefässe und der Verlaufsrichtung der Leisten be-
steht, habe ich mit Sicherheit nicht feststellen können. Aus ”
Fig. 2 Taf. 27 der Blaschko’schen Arbeit ist für die Palma 7
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Oberhaut. 191
allerdings, wenigstens für die Gefässe, ein solcher Parallelismus
ersichtlich. Um diese Frage näher zu untersuchen, versuchte ich
Flächenbilder der ganzen Haut herzustellen. Ich bediente mich
hierbei der von Sappey') empfohlenen, mit dem sonderbaren
und wenig bezeichnenden Namen belegten thermo-chemischen
Methode. Diese besteht darin, dass man Hautstücke 24 Stun-
den in eine Lösung aus einem Theile Salzsäure und sechs Theilen
Wasser bestehend bringt und dann dieselben 4—5 Minuten in
einer 2,5°/, Salzsäurelösung kocht. Durch diese Behandlungs-
methode sollen nach Sappey die vorher undurchsichtige Haut
oder andere Organtheile durchscheinend werden und alle ihre
Strukturverhältnisse bis zur feinsten Vertheilung der Nerven und
(Gefässe hervortreten lassen.
Obgleich ich nun eine ganze Reihe von Versuchen nach
den Angaben Sappey’s anstellte, obgleich ich die Salzsäure-
lösung in allen möglichen Concentrationen anwandte, die Haut-
stückehen während der 24 Stunden auf die verschiedensten Tem-
peraturen erwärmte und auch die Zeit während welcher die
Präparate in der Flüssigkeit lagen, mannigfach modifizirte, ferner
der Sappeyschen Methode die Holzessigmethode und
Abziehung der Epidermis vorausschiekte, schliesslich mich der
verschiedensten Säuren an Stelle der Salzsäure bediente, so ge-
lang es mir dennoch nicht, brauchbare Präparate zu gewinnen.
Allerdings traten die Drüsen mit ihren Ausführungsgängen und
einzelnen Gefässschlingen aus der völlig erweichten, zähflüssigen,
glasig durchscheinenden Masse vollkommen plastisch hervor, doch
die feineren Strukturverhältnisse wurden durch die eingreifende
Behandlung vernichtet. Vielleicht gelingt es durch verfeinerte
Methoden, die Endausbreitungen der Nerven und Gefässe auf
Flächenbildern darzustellen und so über ihr Verhältniss zu den
übrigen Gebilden der Haut Klarheit zu verschaffen.
Zum Schlusse ist es mir eine angenehme Pflicht, Herrn
Dr. Blaschko für seine freundliche Anregung und liebenswür-
dige Anleitung, sowie Herrn Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Wal-
deyer für die gütige Ueberlassung des nothwendigen Materials
meinen aufrichtigsten Dank zu sagen.
1) Comptes rends. T. CIX, Nr. 1 (1 Juillet 1889).
Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37. 13
>
8
=
J. Schottlaender:
Erklärung der Photegramme auf Tafel X.
Lippe vom Kind. Pars glabra und Uebergangspartie zur
äusseren Haut. Vergr. 21.
Lippe eines Erwachsenen. Pars glabra. Vergr. 21.
Lippe eines Erwachsenen. Pars villosa. Vergr. 21.
Scrotum eines Kindes (neugeborenen). Vergr. 21.
Scrotum eines Erwachsenen. Vergr. 21.
Glans vom Kind (neugeborenen). Vergr. 12.
Kleine Schamlippe einer Erwachsenen. Vergr. 17.
Bauch eines Erwachsenen. Leistencentrum. Vergr. 12.
Ellbeuge eines Neugeborenen. Vergr. 21.
Ellbeuge eines Erwachsenen (26 J.). Vergr. 21.
Ellbeuge eines 70jährigen Mannes. Vergr. 21.
Nasenrücken eines Erwachsenen. Vergr. 21.
Beitrag zur Kenntniss der F'ollikelatresie nebst
einigen Bemerkungen über die unveränderten
Follikel in den Bierstöcken der Säugethiere.
Von
Dr. J. Schottlaender.
Hierzu Tafel X].
Die nachstehenden Untersuchungen, welche sich mit dem
Rückbildungsprocess ungeplatzter Follikel im Säugethier-Eier-
stock beschäftigen, wurden im Anschluss an eine 1885 veröffent-
lichte Arbeit W. Flemming’s!) und auf Anregung des genannten
beim Untergang Graaf’scher Follikel. Arch. f. Anat. u. Entw. gesch.
Jahrg. 85, 3. u. 4. Heft.
|
1), Ueber die Bildung von Richtungsfiguren in Säugethiereiern
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4
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. 195
Autors unternommen. Flemming stiess gelegentlich seiner For-
schungen über die Riehtungsfiguren in Säugethiereiern auf eine
bis dahin noch nicht beschriebene Art des Untergangs Graaf-
scher Follikel. Es galt nun zu prüfen, ob die im Eierstock des
Kaninchens wahrgenommenen Erscheinungen sich auch in den
Eierstöcken anderer Säugethiere wiederholen, mit anderen Worten
festzustellen, ob dieselben verallgemeinert resp. ergänzt werden
dürfen oder nicht.
Wie schon früher mehrfach hervorgehoben worden ist, lässt
eine einfache Ueberlegung und Berechnung erkennen, dass eine
relativ grosse Reihe von Eiern abortiv im Eierstock zu Grunde
gehen muss; denn der in späteren Zeiten gegenüber der geschlechts-
reifen Periode zu constatirende Ausfall an Eiern wird bei Weitem
nicht durch die bei der Ovulation ausgestossene Anzahl gedeckt,
hinsichtlich deren man in den wahren und falschen gelben Kör-
pern sichere Anhaltspunkte besitzt. — Das Mikroskop bestätigte
vollauf die Richtigkeit des Exempels; es wies ferner, wie a priori
zu erwarten war, nach, dass diese ohne Continuitätstrennung der
Hülle verlaufende Zerstörung der Eier von einer Zerstörung des
ganzen Follikels begleitet ist. Während nun aber der Vorgang
an sich schon geraume Zeit als feststehend anerkannt wird, gehen
bis auf den heutigen Tag die Ansichten über seine Einzelheiten
noch weit auseinander. Ein kurzer Einblick in die diesbezüg-
liche Literatur wird das Gesagte verdeutlichen.
Grohe!), den wir als den Ersten?) nennen, führt wie alle
Späteren bis van Beneden die Rückbildung, welche sogar
schon in Primordialfollikeln nach seiner Ansicht eintreten kann,
ganz vornehmlich auf fettige Entartung der zelligen Elemente
zurück. Von dem Ei, das sich oft schon früh verflüssigt, er-
halten sich relativ am längsten Zona und Keimbläschen. Schliess-
lich entsteht durch Verdichtung des umgebenden Stromas eine
pigmentlose bindegewebige Narbe, die bisweilen die Reste einer
während des Unterganges an der Innenfläche (der Theca?) ent-
standenen Glasmembran enthält. |
1) S. Flemming (l. ec.) Literaturverz. 11.
2) Reinhardt’s (Flemming [l. e.] Literaturverzeichniss 18) und
Luschka’s (ibid. Literaturverz. 15) Beobachtungen sind schon ein-
gehender von Flemming (l. ec.) gewürdigt worden.
194 J. Schottlaender:
Pflüger!) beschränkt sich in seinem bekannten Werke, und
zwar in dem vom Katzeneierstock handelnden Kapitel, fast aus-
schliesslich auf die Mittheilung seiner hochbedeutsamen Ent-
deckung, dass die Granulosazellen als sog. Nagelzellen bald brei-
tere, bald schmälere Fortsätze in die Eihöhle entsenden, während
der Inhalt von der Zona abrückt und sich zum Theil in Körner-
kugeln, zum Theil in Flüssigkeit umwandelt-
His?) fand die Ueberbleibsel der durch Fettdegeneration
zerstörten Granulosazellen meist von einem pigmentlosen fein-
gestreiften Bindegewebe umgeben. Einmal jedoch (bei einer
2 Tage p. p. gestorbenen Frau) fand sich in kleinen Zellen ein-
geschlossenes Pigment, welches, innerhalb der aus der Membr.
follieuli int. entstandenen Bindegewebsschicht , bogenförmigen
Strängen, d. h. obliterirten Gefässen, folgte.
Slavjansky?°), der in zwei sehr ausführlichen Arbeiten
aus dem Anfang der siebziger Jahre unseren Gegenstand behan-
delt, verlegt den Produktionsherd des Fettes in die sog. Granu-
lationsschicht*) der Theka, deren präexistentes Fett sich vermehrt
und zunächst die Follikelwand bis auf die Membrana propria,
dann allmählich den ganzen Follikelinhalt zerstört. Der Vor-
gang bleibt unter normalen wie pathologischen Verhältnissen der
gleiche; er schliesst, im letzteren Falle nur energischer verlau-
fend, ab mit der Ausbildung einer Narbe aus schleimigem Binde-
gewebe, das der Metamorphose von Wanderzellen seinen Ursprung
verdankt.
Aus der zweiten Publikation ist bemerkenswerth, dass Sl.
pigmenthaltender Zellen in der Theca erwähnt, ferner, dass er
zwischen Theca und dem zu Bindegewebe umgewandelten Fol-
likelinhalt, gleich Grohe, glänzende discontinuirliehe und ana- '
stomosirende dicke Streifen beschreibt, die er als Abkömmlinge
der Membrana propria deutet und deren Identität mit etwa übrig
gebliebenen Zona-Resten er ausdrücklich negirt. Dass er end-
1) Flemming, Literaturverz. No. 17.
2) ibidem Nr. 13.
3) ibidem Nr. 21 und 22.
4) Nach Ansicht des Verfassers treten bei grösseren Follikeln in
der Theca, welche durch eine homogene Membrana propria gegen die
Granulosa abgesetzt ist, durch den Wachsthumsreiz Wanderzellen als
sog. Granulationsschicht auf. }
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. 195
lieh der Membrana propria einen durch Arg. nitr. nachweisbaren
endothelialen Charakter zuspricht, bedarf ganz besonderer Be-
tonung, weil Beulin!) in seiner drei Jahre später erschienenen
Dissertation darauf die Vermuthung basirt, das an Stelle des
Follikelinhalts befindliche Bindegewebe nehme statt von Wander-
zellen, eben von jenen Endothelien seinen Ursprung. Ausser
menschlichen Eierstöcken untersuchte B. noch diejenigen eines
Schweines und eines Hundes. Die Glasmembranstreifen (s. oben)
waren stets vorhanden, sollen jedoch durch Sklerosirung des
perifollikulären Bindegewebes entstehen. Erst nach ihrem Schwund
zeigen sich in dem schleimigen Narbengewebe Gefässe. Fett
vermochte B. im Gegensatz zu Slavjansky innerhalb der Um-
hüllung zu Grunde gehender Follikel nicht zu entdecken; doch,
meint er, könnten ihm die ersten Anzeichen dieses Zerstörungs-
moments entgangen sein. Die nur spärlichen Eier besassen dicke
glänzende Zonae, dunkelkörnigen Dotter und undeutliche Keim-
bläschen.
Nach Wagner?) vermehren sich (in den Eierstöcken von
Menschen, Hunden, Katzen und verschiedenen Nagern) zunächst
die Granulosazellen, zerfallen dann in körniges Fett und ver-
flüssigen sich zuletzt. Am längsten erhält sich der Diseus. Das
Ei, in dem sich nicht selten späterhin kohlensaure Salze ablagern,
wird gemeinhin durch Einwanderung von Nagelzefen im Sinne
Pflüger's zerstört. Schliesslich weist der Follikel, dessen Wand
sich inzwischen durch Wucherung der ihr eingelagerten Spindel-
zellen verdickt hat, nur noch durch Härtung erstarrte Flüssig-
keit, Epithelreste und amöboide Elemente auf.
Beigel?), der wiederum nur menschliches Material ver-
arbeitet hat, sieht drei verschiedene Vorgänge als maassgebend
an. Bei dem ersten, in reifen Follikeln sich abspielenden, zer-
fallen die durch den Liquor von der Wand abgelösten Epithelien
nach vorheriger Aufblähung in eine körnige Masse (Fett). An
ihrer Stelle liegt später ein feinfilziges Gewebe, welches aus
Fortsätzen der inneren Follikelwand entsteht. Aussen verdichtet
1) Das Corpus luteum und der obliterirte Follikel. Inaug.-Diss.
Königsberg 1877.
2) Flemming, (l. c.) Literaturverz. No. 23.
3) Flemming, (l. e.) Literaturverz. No. 7.
195 J. Schottlaender:
sich das gefässreiche Stroma kapselartig. — Der zweite, vor-
nehmlich bei nicht ganz reifen Follikeln wahrgenommene Vor-
sang ist durch die geringe Ausdehnung der bindegewebigen Fol-
likelumhüllung und dadurch ausgezeichnet, dass in den Follikel-
raum eingewanderte weisse und auch rothe Blutkörperchen
vorhanden sind. Bei dem dritten und letzten Vorgang endlich
soll es sich um beginnende Cystenbildung handeln.
van Beneden!), dessen Schilderung der Follikelatresie
bei Fledermäusen viel Bemerkenswerthes bietet, fand fast aus-
schliesslich die Follikel mittlerer Entwicklung betroffen. Was
zunächst die Eier anbetrifft, so verwandelt sich der Dotter all-
mählich in eine homogene Masse, welche Anfangs (meist nur in
der Peripherie, bisweilen aber auch in der ganzen Ausdehnung)
unregelmässige schwach tingirbare Gebilde ohne Zellencharakter
enthält. Die Zona widersteht der Zerstörung am längsten. Ge-
wöhnlich schon vor dem Untergang des Eies gehen die Epithelien
zu Grunde und zwar nicht durch fettige Entartung, sondern, wie
es scheint, durch direkte Atrophie. Die die Innenfläche der
Theeca auskleidende Membrana basilaris (propria) wird von einer
bindegewebigen, der Theca ohne Betheiligung der Granulosa
entstammenden Wucherung durchbrochen, welche schliesslich den
sanzen Follikelraum erfüllt. Das Bindegewebe war stets fibrillär,
nie retikulirt. — Ob eine abnorme Vermehrung der Epithelien
ihrem Untergang vorangeht, lässt v. B. unentschieden. Doch
weist er darauf hin, dass auch der normal heranreifende Follikel
ein gewisses Stadium der Epithelvermehrung durchmacht.
Sehr eingehend hat sich weiterhin Sehulin?) mit unserem
Thema beschäftigt. Auch nach seiner Ansicht?) fallen schon
Primordialfollikel der Zerstörung anheim. Die Epithelien sollen
nicht durch fettige Degeneration zerfallen, sondern sich zu Wan-
derzellen umbilden, wie durch das Vorhandensein deutlicher Pseudo-
podien nach Ansicht des Verfassers erwiesen wird. Gleichzeitig
erfolgt eine Einwucherung hyalin umsäumter Gefässe in den Ei-
diskus. Die Verkleinerung resp. Schrumpfung der Follikelhöhle
wird durch das Eindringen fibrillären Bindegewebes mit stern-
1) Flemming, Literaturverz. Nr. 6.
2) ibidem Nr. 19.
3) cf. pag. 19.
Be
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 197
=
förmigen Zellen bewirkt!)., Das Bindegewebe soll zum Theil
von dem Endothel der Membrana propria, zum Theil von der
umgewandelten Granulosa stammen. Schliesslich ist der Follikel
fast ganz von einer gefässlosen mit spärlichen Kernen versehenen
Masse erfüllt. Seine Umhüllung ist beträchtlich verdiekt. — Bei
den Eiern bildet sich zunächst zwischen Zona und Dotter ein von
feinen Fäden durchzogener Zwischenraum. Das Keimbläschen
schwindet früh; der Dotter ist nicht selten imäqual gefurcht und
besitzt. lichtbrechende Körner. Später wird er durch die Pflü-
serschen Nagelzellen zerstört, während die Zona noch lange
_ erhalten bleibt. — Beim Sehafe wurden mehrere Male verkalkte
Kugeln als Abkömmlinge von Eiern gefunden.
Ausser Flemming (l. ce.) hat in der neueren und neuesten
Zeit nur noch der Italiener Palladino die Follikelatresie ein-
gehender studirt?). Ich habe weiter unten ausführlich auf die
Mittheilungen der beiden genannten Autören einzugehen. Hier
sei nur erwähnt, dass Palladino’s, aus dem Jahre 1887 stam-
mende Arbeit?) fünf Typen des Untergangs aufstellt: einfache
Atrophie, hyaline, fettige, körnige resp. chromatolytische Dege-
neration, endlich die Bildung des sog. falschen gelben Körpers®).
Die genauere Prüfung und Vergleichung der im Obigen
enthaltenen Urtheile der Autoren über die Follikelatresie ergiebt,
dass mit Ausnahme der ziemlich allgemein ceonstatirten Fettdege-
neration, eine Uebereinstimmung eigentlich nur insofern existirt, als
_ dasselbe Endergebniss, nämlich Deckung des in der Zerstörung des
Eies und der Granulosa begründeten Substanzverlustes durch eine
Bindegewebswucherung, sich fast durchweg wiederholt. Für eine
Erklärung der vielfach bestehenden Differenzen kommen wohl
1) Bleibt die Schrumpfung aus, so können Cysten entstehen.
2) Von Waldeyer’s in seinem Werke (Flemming, Litteratur-
verzeichniss Nr. 24) eingeflochtenen Bemerkungen glaubte ich absehen zu
dürfen, da Flemming (l. c.) derselben ausführlicher gedenkt.
v.Brunns’ Arbeit (ibid. Nr. 8) durfte nicht direkt herangezogen wer-
den, da sie von dem Vogel-Eierstock handelt.
3) Ulteriori ricerche sulla distruzione e rinnovamento continuo
del parenchima ovarico nei mammiferi etc. Napoli 1887.
4) Autor adoptirt den schon von deutscher Seite gemachten Vor-
schlag, die Bezeichnung falscher gelber Körper auf ein anderes, als
das gemeinhin so benannte Gebilde anzuwenden.
198 J. Schottlaender:
.
nur folgende drei Möglichkeiten in Betracht. Entweder der be-
sagte Vorgang ist in der That bei dem verschiedenen, zur Unter-
suchung verwendeten Thiermaterial, event. sogar bei demselben
Thier in verschiedenen Lebensphasen, ein verschiedener, oder der
Vorgang ist überhaupt kein einheitlicher, setzt sich vielmehr aus
verschiedenen, gleichzeitig verlaufenden Varianten, von denen
bald die eine, bald die andere wahrgenommen und beschrieben
worden ist, zusammen; oder endlich, es liegen zu öfteren Malen
verschiedene, vornehmlich auch durch die Wahl der Reagentien
beeinflusste Deutungen ein und desselben Vorgangs vor. Es
dünkt mich kaum zweifelhaft, dass wir fast, wenn nicht ganz
ausschliesslich mit den beiden letzteren Eventualitäten zu rechnen
haben. Einerseits spricht für den Umstand, dass das nämliche
Endresultat auf verschiedenen Wegen gleichzeitig erreicht wird, die
Erfahrung einiger früherer, sowie die der neuesten Beobachter, u.a.
meime eigene. Andererseits muss die oft ausserordentliche Schwie-
rigkeit, welche sich der Deutung mancher Bilder bei Anwen-
dung der gleichen, und noch mehr bei Anwendung verschiedener
Methoden entgegenstellt, betont werden. Ein definitiver Abschluss
wird erst von der Zukunft und mit Bezug auf das Letztgesagte
erst dann zu erwarten sein, wenn eine noch genauere Abgrenzung
der einzelnen Methoden bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit resp.
Unzulänglichkeit möglich ‚ist )). |
Mir war, wie Eingangs berichtet, eine bestimmte Aufgabe
gestellt. Es kam mir vor Allem auf das Studium des chroma-
tischen Epithelkernnetzes und seiner Veränderungen im Sinne
Flemming’'s an, somis war mir zunächst die Anwendung einer
bestimmten Methode, derjenigen Flemming’s (Härtung mittelst
Chrom-Osmium - Essigsäure-Gemischs, nachfolgende Färbung mit
Saffranin resp. Gentianaviolett) zur Pflicht gemacht. Da ich nun
aber mit wenigen Ausnahmen ?) diese Methode ausschliesslich be-
1) Den ausgedehntesten Gebrauch von den verschiedenen Här-
tungs- und Färbungsmitteln scheint mir Palladino (l. ec.) gemacht zu
haben. Es ist mir indessen nicht gelungen, abgesehen von der rüh-
menden Erwähnung des einen oder anderen Mittels, Genaueres in
dieser Richtung zu eruiren.
2) Ein Hunde-Eierstock wurde mit Alkohol gehärtet (der andere
kam in Gemisch); ein menschlicher Eierstock wurde mit Kal. bichrom.
behandelt.
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. 199
nutzt und ihre Grenzen, wie aus dem Folgenden zu ersehen sein
wird, kennen gelernt habe, so darf ich eine Publikation meiner
Befunde nur unter dem Vorbehalt der Unvollständigkeit wagen,
in der Hoffnung, trotzdem auf der einmal betretenen Bahn einen
kleinen Schritt vorwärts zu inauguriren.
Als Material, bei dessen in bekannter Weise vorgenomme-
ner Verarbeitung Herr Professor Flemming so liebenswürdig
war mich zu unterstützen, dienten mir die Eierstöcke eines Meer-
schweinchens, mehrerer weisser und grauer Mäuse und Ratten,
eines Hundes, endlich ein menschlicher Eierstock, den ich der
- Güte des Herrn Professor Flemming verdanke. Mit Ausnahme
des zuletzt aufgeführten wurden sämmtliche Eierstöcke frisch ge-
tödteten, zum Theil trächtigen Thieren entnommen. Im Allgemeinen
habe ich nach Flemming ’s Vorgang Längsschnitte bevorzugt.
Die Anzahl der Follikel, welche sich im Eierstocksgewebe
vertheilt finden, ist entsprechend dem am raschesten und ener-
gischsten verlaufenden Geschlechtsleben bei der Maus relativ und
absolut am grössten. Dieses Thier ist wegen der Zierlichkeit
und Prägnanz aller Verhältnisse für unsere Untersuchungen in
vieler Hinsicht sehr geeignet. — Es folgen hierauf Ratte und Meer-
schweinchen, welche gleichfalls noch grosse Mengen von Follikeln
aufweisen. Bei Ersterer ist die Zahl etwas geringer, weil auch bei
den nicht trächtigen Thieren zahlreiche gelbe Körper das Gewebe
des Eierstocks durchsetzen, während bei dem trächtigen Meer-
. schweinchen, dessen Uterus einen schon hoch entwickelten Foetus
barg, der eine Eierstock gar keinen, der andere nur drei frische
gelbe Körper enthielt. — Bei der Hündin, einem allerdings älte-
ren Thiere, sinkt die Zahl der Follikel gleich relativ um ein Be-
deutendes; beim Menschen endlich, einer älteren Jungfrau, wies
der Eierstock nur spärliche Primordial- und ganz junge, sowie
zwei oder drei etwas grössere Follikel auf‘). Mit Ausnahme von
Mensch und Hund — auch hier sind die Primordialfollikel zahl-
reicher — überwiegt bei sämmtlichen Thieren die Zahl der Fol-
likel mittlerer Entwicklung weit diejenige der Primordial- und
wirklich reifen Follikel. — Was nun noch das Verhältniss
1) Leider ist es mir nicht gelungen, bei diesen Präparaten den
technischen Anforderungen völlig zu genügen. Sie konnten deshalb
nur sehr bedingt verwerthet werden (s. unten).
»
200 J. Schottlaender:
zwischen nicht atretischen und atretischen Follikeln anbetrifft,
so stellt sich dasselbe so ausgesprochen zu Ungunsten ersterer,
(dass eigentlich nur die jüngsten Follikel in grösserer Zahl nicht
atretisch, die mittelreifen Follikel schon eben so oft atretisch
wie nicht atretisch, die nicht atretischen reifen Follikel endlich
so selten angetroffen werden, dass ich bei der Hündin keinen
einzigen, bei Meerschweinchen, Ratte und Maus nur einige wenige
mit Sicherheit zu constatiren in der Lage war. Allerdings ist
hierbei zu berücksichtigen, dass einmal die reifen Follikel über-
haupt selten, weiter aber, dass absolut sichere Normen für die
Reife eines Follikels bisher nicht gefunden worden sind, wohl
auch nicht gefunden werden können; letzteres aus dem Grunde,
weil bei den verschiedenen Thieren individuelle Schwankungen
vorkommen und weil kein plötzlicher, sondern ein allmählicher
Uebergang von der Nicht-Reife zur Reife stattfmdet. Palla-
dino!) hat neuerdings gewisse besondere Merkmale?) als charak-
teristisch für die eintretende Reife des Follikels hingestellt.
Umsonst habe ich in meinen sämmtlichen Objekten nach den be-
züglich der Theca angegebenen Veränderungen geforscht; da-
gegen stimme ich, wie das Folgende lehren wird, Palladino in
einigen anderen der in der Anmerkung aufgeführten Punkten bei.
Viel scheint mir indessen damit nicht gewonnen, wir bleiben
nach wie vor hauptsächlich auf die relative Grösse des Follikels,
die Entwicklung des Liquorraumes, die Lage des Eies und die
übrigen bekannten Hauptkriterien angewiesen.
Es wurde weiter oben des numerischen Uebergewichts ge-
dacht, welches die atretischen Eierstocksfollikel über die nicht
atretischen besitzen. An dieser Stelle ist hinzuzufügen, warum
sich darüber mit ziemlicher Bestimmtheit ein Urtheil abgeben
lässt. Die Erscheinungen, die der reife Follikel dem Auge des
1% 1..%
2) In die Theca soll eine grosse Anzahl protoplasmareicher po-
lvedrischer Zellen mit markirten Kernen einwandern, an der Oberfläche
der Tunica propria (Theca int.) eine molekulare Schicht sich bilden,
während sich bei den Epithelien ein gewisser Turgor bemerkbar macht,
und zwischen ihnen eine fadenziehende klebrige Substanz, ferner gelb-
liches Pigment entsteht, das den Liquor färbt und sich körnig darin
und in den Epithelien selbst ansammelt. Ueber die Veränderungen
des Eies und seines Inhalts später.
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 201
Beobachters bietet, mussten wir, da sich in ihnen nur die höchste
Steigerung und Vervollkommnung eines früher schon bestehen-
den Zustandes ausprägt, als schwer zu normirende hinstellen.
Anders ist es mit den Erscheinungen der Follikelatresie. Die
letztere gesellt sich den bis dahin auf den Bestand des Follikels
einwirkenden Faktoren als ein neuer, davon grundsätzlich
verschiedener hinzu und ist daher als solche relativ frühzeitig
‚kenntlich und in ihrem Wesen abgrenzbar.
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass bei der gegen-
wärtigen Beschaffenheit unserer optischen Hülfsmittel sich die
_ allerersten Anfänge der Atresie unserer Erkenntniss entziehen und
dass erst die Häufung der durch sie bedingten Veränderungen
uns bemerklich wird. Es ist daran festzuhalten, dass auch hier
kein unvermittelter, sondern ein allmählicher Uebergang des einen
in den anderen Zustand stattfmdet. Neben der soeben urgirten
thatsächliehen Verschiedenheit, welehe zwischen dem atretischen
und dem nicht atretischen Follikel existirt, besitzen beide einen
gewissen zeitlichen Zusammenhang und insofern eine Gemein-
schaft, als sich in beiden durchaus nur eine physiologische
Phase dokumentirt. Die Atresie ist keine Erkrankungsform,
kein pathologischer Befund und darum auch nicht als solcher zu
bezeichnen (ebenso wie der Ausdruck normal im Sinne von
„nicht atretisch* nur der Kürze halber zulässig ist), wir haben
vielmehr darin gerade wie in der Bildung der gelben Körper
ein Glied jener Kette von typischen Processen zu sehen, welche,
sich stetig wiederholend, den heranreifenden oder gereiften Fol-
likel wieder vergehen lassen.
Die Kenntniss, welche wir von dem Bau des nicht atre-
tischen Follikels besitzen, ist dank den treffliehen Arbeiten
Waldeyer’s und anderer Forscher so weit gefördert, dass hier
nur wenige Punkte noch einer kurzen Besprechung bedürfen.
Die Theca, deren zwei Schichten sich bekanntlich erst allmählich
sondern, besitzt nach meinen Beobachtungen nicht, wie vielfach
angenommen wird, ihre grösste Breiten-Ausdehnung zur Zeit der
Reife des Follikels,. sondern erreicht dieselbe schon früher. Bei
den mittelgrossen, nicht bei den grössten Follikeln, finden wir
in der Theca interna die reichlichste Anhäufung von Zellen und
Gefässen. Mit zunehmendem Alter des Follikels, vielleicht be-
schleunigt durch den Gegendruck des inzwischen reichlicher an-
202 J. Schottlaender:
gesammelten Liquors, nimmt der Zellenreichthum auf Kosten von
Intereellularsubstanz entschieden ab; das Gewebe der Theca ver-
liert an Masse, gewinnt aber dafür an Festigkeit und Wider-
standsfähigkeit, Momente, welche für die späteren Schicksale des
Follikels gewiss nicht ohne Bedeutung sind. Die erwähnten
Zellen der Theca, deren eckige oder runde Kerne meist schwächer
gefärbt und grösser erscheinen als die Epithelkerne, besitzen nur
wenig Protoplasma. Schon aus diesem Grunde), dann weil sie bei
mittelgrossen Follikeln zahlreicher sind als bei den grössten, endlich
weil sie wohl in der Hauptsache Abkömnlinge der präexistenten
Bindegewebskörper sind ?), dürfen sie nicht mit den von Palla-
dino beschriebenen, die Reife des Follikels anzeigenden identi-
fieirt werden. Ausser den genannten Bestandtheilen soll nach
Slavjansky°), Benckiser®) u. A. auch die Theca nicht atretischer
Follikel Fett enthalten. Ich muss im Uebereinstimmung mit den
Ausführungen van Beneden’s?’) betonen, dass Fett (oder fett-
artige Körper s. u.) nur in der Theca solcher Follikel vorhanden
waren, welche die Merkmale beginnender oder schon fortgeschrit-
tener Atresie an sich trugen. — Gegen die Granulosa hin er-
schien die Theea stets durch die homogene Kölliker-Slav-
jJansky’sche Membrana propria abgeschlossen. Das liess sich
am deutlichsten da verfolgen, wo die Continuität der Theca
unterbrochen war und dieselbe auf eine kurze Strecke isolirt
über die ihr anhaftende Granulosa hervorragte. Das nach Slav-
jansky und Beulin®) existirende eontinuirliche Endothel konnte
bei der angewandten Methode nicht zur Anschauung gebracht
werden, wie denn überhaupt zum Studium der Membrana propria
nur frische Präparate sich eignen. Indessen nahm ich wiederholt
bei starker Vergrösserung und scharfer Einstellung die schatten-
1) ef. pag. 200, Anm. 2.
2) Die gar nicht seltenen Mitosen erbringen hierfür wohl den
Beweis; natürlich erscheint aber eine Betheiligung von Wanderzellen
an ihrer Entstehung nicht ganz ausgeschlossen.
A
4) Zur Entwicklungsgeschichte des Corpus luteum. Arch. für
Gyn. 23. Bd.
Diidite:
6) cf. pag. 19.
Be
er
haft und undeutlich begrenzten Contouren von Spindelzellen wahr.
Ob es sich hier um ein Analogon der Slavjansky schen Beob-
achtungen oder etwa um Capillarendothelien !) gehandelt hat, muss
‘ unentschieden bleiben.
Bei der Granulosa interessirte es mich speciell im Hinblick
auf eine kurze Mittheilung Lachi's?), welcher bei der Kuh unter
Anwendung 30°/,igen Alkohols drei scharf unterschiedene, zum
Theil mit Fortsätzen versehene Gattungen fand, die Zellen auf
ihre äussere Gestaltung zu prüfen. Obwohl Flemming’s Methode
bekanntlich viel weniger für Protoplasma- als für Kernunter-
suchungen geeignet ist, gelang es doch unter Controle der von
dem Hundeeierstock angefertigten Alkoholpräparate zweifellos
festzustellen, dass für die oben genannten Thiere Lachi’s Befunde
keine Geltung besitzen. Bei den Nagern sind die Epithelien,
etwa dem Typus 2 und 3 der Lachi’schen Zellen entsprechend,
rund oder mehr eckig, in den äusseren, der Theca genäherten
Lagen nur um Weniges höher, als in den inneren; bei der Hün-
din sind sie, genau wie sie auch Palladino abbildet, länglich,
schmäler und bedeutend höher, auch bei Ansicht von der Fläche
(Fig. 1). Sie erinnern an Zelltypus 1 bei Lachi. Die verschie-
denen Typen habe ich bei einem Thiere nie vereinigt gefunden;
ebensowenig waren Ausläufer von der Länge und Beschaffenheit
der von Lachi beobachteten vorhanden. Dagegen bin ich ge-
neigt, Palladino ?) beizustimmen, welcher den Epithelien kleine
Ausläufer in Form eines zur Ernährung dienenden Interepithelial-
netzes zuspricht. Eine genaue Besichtigung lehrt, dass die
Spitzen, Zacken und Vorsprünge, in welche das Protoplasma aus-
läuft, keineswegs nur zur Verbindung mit den Nachbarzellen die-
nen; sie besitzen vielmehr eine gewisse Selbstständigkeit, welche
darin zum Ausdruck gelangt, dass sie in deutlich sich abheben-
den Knotenpunkten zwischen den Zellen zusammenstossen. Be-
sonders klar ist das in Folge der Contrastwirkung an der Grenze
des glänzenden Liquorgerinnsels ausgesprochen (vergl. Fig. 36—39
T.IV bei Palladino, Fig. 10 bei mir), dem in der That bei reifen
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 203
1) Vgl. Benckiser, |. c.
2) De la membrane granuleuse ovarienne et de ses &l&ments.
Arch. ital. de Biol. 1884, T. VI.
3) l. <.
204 J. Schottlaendei‘:
Follikeln ein, zwischen den turgescenten Epithelien sich ansam-
melndes, körnig gelbliches Pigment beigemischt zu sein scheint.
Sobald sich in Folge der Auflösung von Epithelzellen
Liquor anzusammeln begonnen hat, treten hier und da, besonders
in grossen Follikeln, zwischen den Epithelien Hohlräume auf,
welche durch ihre Configuration zu Täuschungen Veranlassung
gegeben haben. Ihre körnige Beschaffenheit, ihre Form und
Grösse erinnert, auch wenn der meist vorhandene Epithelkranz,
welcher sie umgiebt, fehlt, in der That an junge Eier '), ganz
besonders, wenn noch in der Mitte ein zelliges Gebilde gleich
einer vesicula germ. liegt. Es ergiebt sich indessen sehr bald,
dass der körnige Inhalt der Höhle seinem Aussehen nach viel
mehr dem Liquorgerinnsel, als dem Dotter gleicht, ferner, dass
das vermeintliche Keimbläschen nichts weiter als der zu-
fällig noch erhaltene Kern einer Epithelzelle ist; endlich lösen
benachbarte kernlose Hohlräume alle Zweifel. Flemming's
mehrfach und zuerst geäusserte Ansicht ?), dass es sich hier um
Umwandlungsprodukte einer oder mehrerer Epithelzellen im Sinne
der Verflüssigung handelt, dürfte wohl kaum noch Widerspruch
erfahren ?).
Die Granulosa resp. ihr Diseus besitzt gegen das Ei keine
scharfe lineare Grenze. Die Zona nämlich, welche sich vom Dot-
ter glattrandig abhebt, ist aussen rauh und sieht nicht selten
wie angenagt aus. Das gilt besonders von den Follikeln des
Meerschweineierstocks, bei denen schon Reichert?) auf diese
Erscheinung aufmerksam gemacht hat. Allerdings sehe ich die
Epithelzellen meist nicht direkt, wie es Reichert beschreibt,
den flachen Gruben der Zona aufsitzen, sondern letztere sind ge-
meinhin ausgefüllt von eimer die Eiperipherie stellenweise oder
ganz umgebenden, gekörnten und netzförmig angeordneten Masse,
die wohl als Interepithelialnetz aufzufassen ist (Fig. 42 Taf. V b.
Palladino). Das Bild ist so klar und wiederholt sich so regel-
mässig, auch bei den dünnsten Schnitten, dass Ueberlagerung der
1) Vgl. Call undExner. Flemming, Literaturverzeichniss Nr. 9.
2) Archiv f. mikr. Anat. Bd.24, 1885, S. 378—383; ferner 1. c.
3) Palladino (l. e.) tritt lediglich in Folge eines Missverständ-
nisses Flemming entgegen.
4) cf. Waldeyer (l. ce.) S. 40, Anm.
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. 205
äusseren Zonagrenze, Täuschung durch Reagentienveränderung,
dass endlich (die unveränderte Beschaffenheit der inneren Grenze
vorausgesetzt) beginnende Degeneration mit ziemlicher Sicherheit
ausgeschlossen werden kann.
Die Radiärstreifung der Zona ist, wie bei Anwendung un-
serer Methode schon a priori zu erwarten war, nur sehr selten an-
deutungsweise zu erkennen. Ist sie vorhanden, so ist ihr im
Vergleich zu der typischen Radiärstreifung eine gewisse Ver-
waschenheit eigen, welch’ letztere mit Flemming auf die durch
das Gemisch hervorgerufenen Veränderungen bezogen werden
muss.
Der Dotter zeigt bei meinen Objekten durchweg ein gleich-
mässiges Aussehen!). Die Lagerung des Keimbläschens darin ist
eine durchaus inconstante, bei jüngeren Eiern ebenso oft der Pe-
ripherie genäherte wie bei älteren und umgekehrt. Das Chro-
matinnetz des Bläschens ist bei Gemischhärtung meist vortrefflich
und bis in alle Einzelheiten sichtbar; um so mehr musste es auf-
fallen, dass ausser in atretischen Follikeln mitotische Vor-
gänge darin mit Sieherheit nicht nachzuweisen waren. Der Keim-
fleck, der in seinem Inneren gar nicht selten mehrere schwärz-
liche Hohlringe (Luftblasen? Nucleoli ??) ?) birgt, tritt, wenn über-
haupt, stets scharf und klar hervor; ein Unterschied zwischen
unreifen und reifen Eiern war in dieser Hinsicht-nicht zu no-
tiren. |
Die letztbesprochenen Thatsachen bedurften insofern beson-
derer Berücksichtigung, als Bischoff ausser aus der sog. Co-
rona radiata auch aus der peripherischen Lage des Keimbläs-
chens, Palladino’aus der Bildung von Richtungsfiguren, Keh-
rer?) u.A. aus dem deutlicheren Hervortreten des Keimflecks
einen Rückschluss auf die nunmehr nahende oder vollendete Reife
des Eies machen zu dürfen glaubten. Mir scheint nach meinen
Befunden, ausser der sog. Corona radiata, das einzig stichhaltige
Kriterium für die Reife des Eies, ebenso wie mutatis mutandis
beim Follikel, in den relativen und individuellen Grössenverhält-
1) Ein äusserer Dotter war von einem inneren nicht zu diffe-
renziren.
2) Vgl. Waldeyer (l. ce.) S. 41, besonders die Anmerkung.
3) Vgl. Benckiser (l. c.).
206 J. Sehottlaender:
nissen zu liegen. — Eine weitere Frage, die sich naturgemäss
hier anknüpft, ist, ob Reifung des Eies und Follikels stets gleich-
zeitig erfolgen oder nicht!)? Allem Anscheine nach ist gleich-
zeitige Reifung die Regel, ungleichzeitige die, allerdings nicht
sehr seltene, Ausnahme. Wenn nun aber auch das Ei vielleicht
um ein Weniges früher?) (vgl. Fig. 5) als der Follikel reifen
kann, so habe ich doch nirgends in meinen Präparaten Anhalts-
punkte dafür gewinnen können, dass, wie Schulin?) will, sogar
dem Neugeborenen reife Eier zukommen. Einmal finden sich
thatsächlich niemals in so jungen Follikeln, wie sie einzig beim
Neugeborenen vorhanden sind, gleich grosse Eier wie in den
reifen Follikeln desselben Thieres®), weiter aber sind auch, wie
mich dünkt, die zur Reifung nöthigen Bedingungen, d. h. die
erforderliche Menge von Nährmaterial in dieser Zeit für das Ei
noch gar nicht gegeben. Die umgebende ernährende Epithel-
schicht ist klein, dünn und wenig entwickelt.
Nicht ohne Absicht beginnen wir die Schilderung der
Atresie mit den Veränderungen, welche das Ei in seiner soeben
skizzirten Configuration erleidet. Diese Veränderungen sind so
mannigfaltige und treten in einer solchen Fülle von Bildern in *
die Erscheinung, dass erst ein genaueres Studium und eine fort-
gesetzte Vergleichung den zuerst fehlenden Zusammenhang auf-
deckt und, behufs übersichtlicher Beschreibung, ihre Einordnung
in eine (vielleicht hier und da noch lückenhafte, aber doch im
Ganzen continuirliche) Reihe ermöglicht. An das obere Ende der
letzteren stellen wir die Eier, bei denen die Form wohlerhalten,
die Zona nicht unterbrochen, bei denen in der Hauptsache die
ehemalige Struktur des Dotters kenntlich ist. Dennoch haben
diese Eier Modifikationen erlitten. An der Zona fällt auf, dass
hier nicht nur, wie auch sonst wohl (ef. pag. 204) die äussere, son-
dern auch die innere, nach dem Dotter hin gelegene Grenzlinie
bisweilen unregelmässig contourirt und mit Unebenheiten aller °
1) An sich haben jedenfalls beide Zustände nichts mit einander
gemein, und Schulin weist m. A. n. mit Recht auf die in der Lite-
ratur mitunter vorgekommene Verwechslung hin.
2) Bisweilen wohl auch später.
=y 8 2
4) Schulin führt selbst die individuelle Grösse des Eies als
Merkmal für die Reife an.
E i
.
be d
“
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 207
Art versehen ist, welchen die äusserste Dotterschicht, ohne selbst
speciell verändert zu sein, überall folgt. Des Weiteren ist die
ungleichmässige Breitenausdehnung und im Allgemeinen grössere
Dicke der Zona bemerkenswerth. Die hierbei wahrnehmbaren
Schwankungen stehen öfters durchaus nicht im Verhältniss zu
der Irregularität der Contouren; es muss also, ausser der meist
totalen, häufig eine «davon unabhängige partielle Verdiekung ein-
treten, welche aller Wahrschemlichkeit nach durch Aufnahme
von Flüssigkeit oder homogener Substanz erfolgt, also in einer
Quellung besteht. Von irgend welcher Gewebsdifferenzirung ist
ausser selten angedeuteter Radiärstreifung in dem blass bis dunkel-
rothen resp. blauen Zonaring nichts zu erkennen. Das beschrie-
bene Bild fand sich zu wiederholten Malen bei allen Thieren,
einerlei, welches Härtungsverfahren eingeschlagen worden war.
Gleichwohl würde ich angesichts der bekannten Empfindlichkeit
der Zona gegen Reagentien, besonders gegen das Flemming’sche Ge-
misch '), nicht gewagt haben, (demselben. besondere Bedeutung
beizulegen, wenn es nicht mitunter noch mit charakteristischen
Dotterveränderungen combinirt gewesen wäre. Fig. 2 gibt letztere
sowie diejenigen der Zona wieder. Für gewöhnlich bildet der
Dotter ein Netzwerk von dunkelen schmalen Fäden, die in feinsten
schwärzlichen Punkten auf hellem Grunde zusammenstossen; er
erscheint weniger hell und dichter als das Liquorgerinnsel, und
zumeist wird jede gröbere Anhäufung darin vermisst. Hier nun
enthält er, einzeln oder gehäuft, braun- bis tiefschwarze Körner
von wechselnder Grösse, welche auf Strecken hinaus seine gelbe
Farbe verdecken und ihm ein gesprenkeltes Aussehen verleihen.
Die Vertheilung der Körner ist eine völlig reguläre; Centrum
und Peripherie sind ohne Unterschied betroffen (vergl. d. Fig.).
Die Intensität der Schwärzung hängt selbstverständlich einmal
von der Intensität des Processes selbst, dann aber auch von der
Dicke des betreffenden Objektschnittes ab; bei einigen diekeren
von der Hündin stammenden Präparaten zeigte sich der Dotter-
raum von tief schwarzer körniger Masse fast vollkommen ausge-
füllt (s. Fig. 3). Das Keimbläschen, wofern es überhaupt sichtbar
‚ist, besitzt die ursprüngliche Gestalt. Bisweilen liegt es auf-
1) Nach Flemming (l. e.) schrumpfen die Zonae aller Eier bei
Anwendung des Gemisches.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 14
308 J. Schottlaender:
fallend weit peripherisch, ein Vorkommniss, dem indessen wohl
nur in den extremsten Fällen ein Werth beizumessen ist (ef.
pag. 205). Das für gewöhnlich den ganzen Bläschenraum erfüllende
Chromatinnetz ist unter körniger Umwandlung häufig auf einen
Theil des Raumes redueirt; mehrere Male fanden sich ausserdem,
wenn auch nicht zahlreich, schwarze Körnchen im Bläschenraume
verstreut. In dem lebhaft tingirten Keimfleck waren bei starker
Vergrösserung die luftblasenähnlichen Hohlringe?) besonders deut-
lich. Die ausser den so veränderten Eiern vorhandenen übrigen
Bestandtheile des Follikels liessen auch nicht die geringste Ab-
weichung von dem sonstigen, theilweise auch oben pag. 201 ff. erör-
terten Bau erkennen. Vor Allem fehlte in dem Epithel jede
Spur einer chromatolytischen oder fettigen Entartung.
Ganz anders in den leider nur sehr spärlichen Follikeln, deren
Eier das zweite Glied der. oben aufgestellten Reihe bildend, aus-
geprägte Richtungsfiguren enthielten. Ich habe von solchen im
Ganzen nur zwei gefunden; dass sie beide dem Mäuseeierstock
(und zwar den Schnitten verschiedener Thiere) entstammen, liegt
zum Theil vielleicht daran, dass gerade hier die relativ grösste
Anzahl von Eiern und die dünnsten Schnitte zur Verfügung
standen. Ich bilde die beiden betreffenden Follikel m Fig. 4
und Fig. 5 ab.
Das Ei des ersteren erweist sich von einer, in ihrem Be-
stande, wie es scheint, schon hochgradig alterirten Zona umgeben.
Muss man sich auch hier sowohl, wie bei dem Ei des zweiten
Follikels (Fig. 5) die Möglichkeit artifieieller Veränderung gegen-
wärtig halten, so ist doch im Zusammenhalt mit den Modifika-
tionen des Dotters (s. u.) höchst auffällig, dass die nur theilweise
sichtbare Zona bei starker Vergrösserung die erwähnten Unregel-
mässigkeiten der Contouren erkennen lässt und dass sie nicht nur
in der Quer-, sondern auch in der Längsrichtung unterbrochen ist.
Anders als durch eine Längsspaltung wüsste ich es mir wenig-
‘stens nicht zu erklären, dass der die Eihöhle nieht mehr aus-
füllende Dotter eine Strecke weit von einem deutlichen äusseren
Saum begrenzt ist. — Bei dem Ei des zweiten Follikels (Fig. 5)
ist die Zona fast nirgends scharf erkennbar. Nur hier und da
gewahrt man einen hellen, öfters mit dunkelrothen Elementen
1) ef. pag. 205.
|
[7%
5
bekleideten resp. davon unterbrochenen Saum. Mag die im Uebri-
gen schwache Färbung des Präparats, in dem die Zonae sämmt-
lieh nicht sehr prägnant hervortreten, und seine geringe Dicke
diese Undeutlichkeit begünstigen, so liegt der Hauptgrund dafür
doch jedenfalls in einer anderen, später zu besprechenden Er-
scheinung‘). Die Menge des unregelmässig vertheilten Dotters
ist bei beiden Eiern gering. In Fig. 4 enthält er reichlich, in
Fig. 5 spärlich die uns schon bekannten schwarzen Körnchen.
An Stelle des Keimbläschens liegt, bei Fig. 5 auffallend weit
peripherisch, die Richtungsfigur. Dieselbe hat in beiden Fällen
annähernd den gleichen Bau (Fig. 4a u. 5a); nur ist sie einmal
sestreckter. Die nach den Polen eonvergirenden achromatischen
Fäden werden im Centrum von einer doppelten oder noch mehr-
fachen Reihe chromatischer Körperchen durchsetzt, über deren
genauere Beschaffenheit wegen ihrer Kleinheit auch die stärksten
Linsen nieht hinreichenden Aufschluss zu geben vermögen. —
Die die Eier umgebende Granulosa, in Fig. 4 ausserdem die Theca,
zeigen in beiden Follikeln theilweise sehr hochgradige Verän-
derungen, über die später der Bericht folgt. — Diese Verände-
rungen fehlen auch nie in den weiteren Stadien, in denen wir
das Ei jetzt zu verfolgen haben. Wie Fig. 6 lehrt, hat das Ei
_ eine Gestalt angenommen, die sich jedenfalls nicht allein durch
die Sehnittrichtung erklären lässt. Die Zona ist diek und ziemlich
gleichmässig gequollen; es liegen ihr fast gar keine unveränder-
ten, sondern nur chromatolytisch oder fettig entartete?) Epithel-
kerne an. Innerhalb des Gewebes der Zona lässt sich mit Sicher-
heit eine Epithelzelle nicht nachweisen. Der Dotter besteht aus
einzelnen, unzusammenhängenden Schollen von verschiedener
Grösse, zwischen denen die Lücken stellenweise beträchtlich sind
und deren Substanz nur noch zum geringsten Theil der durch
schwarze Körner getrübten Dottersubstanz entspricht. Meist erin-
nert sie vielmehr in Farbe und Aussehen an die Zona, wie sie
uns hier entgegentritt, jedoch mit dem Unterschiede, dass das
Gewebe nicht homogen ist, sondern neben wenigen wohlerhaltenen
- Epithelkernen zahlreiche rothe und schwärzliche Körner, offenbar
die Ueberreste solcher enthält. Das chromatische Netz des noch
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 209
x 1) cf. pag. 212.
% 2) Siehe unten.
210 J. Schottlaender:
unzerstörten Keimbläschens ist kömig zerstreut und zersprengt.
Von mitotischen Vorgängen ist nichts wahrzunehmen. — In
Fig. 7 besitzt das Ei eine ausgesprochen spindelförmige Gestalt
und füllt die Eihöhle des völlig verwandelten Follikels bei Weitem
nicht mehr aus. Zona und Dotter bilden eine kaum mehr trenn-
bare glasige Masse, in der man nur noch wenige Epithelkerne
resp. deren Ueberreste findet. Die Zona erscheint, soweit sie
isolirbar ist, noch stärker gequollen wie in Fig. 6. In etwas
exeentrischer Stellung liegt das nur undeutlich begrenzte Keim-
bläschen, dessen Inhalt ausschliesslich aus schwarzen Körnchen
besteht. Bei dünnen Schnitten wird in dieser Phase des Unter
gangs das Ei oft nur durch eine helle homogene Masse reprä-
sentirt, in welcher die Epithelkerne oder die von ihnen herrüh-
renden Lücken die einzige Unterbrechung verursachen. Fig. 8a
und 8b und Fig. 9 veranschaulichen die letzten Glieder unserer
Reihe. Fig. 8 gibt die vielfach gewundene Zona ohne jeglichen
Inhalt wieder; ähnliche Bilder sind überaus häufig. In Fig. 9
endlich ist die ursprüngliche Eihöhle ganz leer; auch die Zona
ist geschwunden.
Die Wandlungen, welche wir die einzelnen Eitheile erfahren
sahen, haben mit den in der Litteratur niedergelegten, theils
angeführten, theils noch anzuführenden Befunden mancherlei Be-
rührungspunkte. Bei der Zona, die verschiedentlich als diek und
glänzend beschrieben wird), schildert Palladino?) — es handelt
sich um beginnende hyaline Degeneration der Eier?) — die näm-
liche Quellung und Diekenzunahme, welche wir oben constatirten,
eine Veränderung, „welche mit Verlust der regelmässigen Con-
touren, die zerstückelt erscheinen“ endet. Fig. 3 Tafel I seines
Werkes erinnert (abgesehen von der Atrophie des Epithels) aus-
gesprochen an meine Fig. 2. Anfangs hatte ich mit wohl den
meisten früheren Beobachtern *) diese Volumensmehrung der Zona
sammt den damit verbundenen Unregelmässigkeiten ihrer Be-
srenzung, auf eine durch Flüssigkeitsaufnahme erfolgte Quellung
1) Vol, Beuun, 1. c.
a Ba! ch
3) ci. page. 97T.
4) v. Beneden (l. e.) spricht zwar von hyaliner Verquellung;,
führt aber nicht näher aus, was er darunter verstanden wissen will.
. |
bezogen. Die Mittheilungen Palladino's, welcher dieselbe als
Resultat von Durchsetzung mit echter hyaliner, die Reekling-
hausen’schen Reaktionen liefernden Substanz darstellt, hatten
für mich ein um so grösseres Interesse, als auch seine Angaben
über die späteren Schieksale des Dotters und des Kies in toto!)
Manches mit den meinigen gemein haben. Darüber, dass die
Zona, welche nach Verlust ihres Inhalts zusammenklappt?), von
allen Theilen des Eies am widerstandsfähigsten ist, dass sie sich
im Allgemeinen am längsten erhält?), kann ein Zweifel nicht mehr
bestehen. Wie Schulin*) und die meisten Früheren hervor-
gehoben, findet man die modifieirte Zona sogar noch zu einer
Zeit, wo alle charakteristischen Bestandtheile des Follikels fehlen
und statt ihrer einzig Narbengewebe vorhanden ist.
Die ersten Anzeichen einer Alteration des Dotters bestehen
in Erfüllung desselben mit den oben erwähnten schwarzen Kör-
nern. Ihr Vorhandensein in den Eiern atretischer Follikel wird
fast durchweg bestätigt und von den Meisten naturgemäss als
durch eingetretene Fettanhäufung bedingt angesehen. Die Be-
funde Flemming's, der in seiner Arbeit?) noch die Frage auf-
wirft, ob man es nicht vielleicht statt mit wirklichem Fett, mit
leeithinähnlichen oder anderen Substanzen zu thun hat, die gleich-
falls durch die Gemisch-Osmiumsäure gebräunt werden, stimmen
bis auf einen Punkt mit den meinigen völlig überein Auf 8.233
heisst es bei Flemming: „vielleicht hat sie (die Fleckigkeit des
Eies) mit dieser (der Richtungskörperbildung) gar nichts Näheres
zu thun und mag vielmehr auf einen schon abnormen Zustand
des Eies zu beziehen sein, welcher mit der beginnenden Entar-
tung des Follikelepithels eintritt. Dies möchte ich auch deshalb
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 211
1) S. unten.
2) v. Brunn (Zur Kenntniss der physiol. Rückbildung der Eier-
stockseier bei Säugethieren. Ort.d. Publ.?) führt das Zusammenklappen
der Zona vornehmlich auf eine nachträgliche Verkürzung der gal-
lertigen Ausläufer, welche die eingewanderten Epithelien besitzen,
zurück.
3) Ein einziges Mal fand ich ein Ei mit fleckigem Dotter, dem
die Zona gänzlich fehlte. Ob es sich hier um ein nacktes Ei, um früh-
zeitige Zerstörung der Zona oder um einen zufälligen artificiellen Be-
fund gehandelt hat, wage ich nicht zu entscheiden.
4) 1. c.
5) l ce.
212 J. Schottlaender:
glauben, weil ich diesen Zustand noch niemals ausgesprochen an
Eiern völlig normaler Follikel gesehen habe u. s. f.“ Meine
bereits mitgetheilte Erfahrung (ef. pag. 208) steht damit insofern in
Widerspruch, als die beginnende Epithelentartung vielfach bei
meinen Objeeten fehlt. Da aber im Verein mit dem veränderten
Habitus der Zona die betreffenden Eier sich als degenerirende
erweisen, so treffen Flemming’s und meine Ansicht wiederum
zusammen.
An der weiteren Zerstörung des Eies betheiligen sich die
Pflüger 'schen Nagelzellen?). Ihre Einwanderung durch die Zona
muss im Allgemeinen schnell verlaufen: anders wüsste ich es
wenigstens kaum zu. erklären, dass mir bei der Beobachtung
einer relativ grossen Zahl von Eiern fast ausschliesslich die
spätesten Stadien, d. h. solehe zu Gesicht gekommen sind, bei
denen die Einwanderung schon vollzogen war. Nur selten war
die Zona noch mit einer zusammenhängenden Schicht von Epithe-
lien besetzt (cf. pag. 209). Gemeinhin fanden sich in der schon
stark metamorphosirten und redueirten Dottermasse nur noch
einzelne Elemente oder die Trümmer soleher (s. Fig. 6). Gerade
aus diesen Bildern erhellt aber auf das Unzweideutigste, dass
wirklich nur Epithel- und nieht auch Wanderzellen in den Dotter
gelangen, wie verschiedentlich vermuthet worden ist; es lässt
sich die Herkunft der Zellen aus den verschiedenen, successive
zu verfolgenden Phasen des Untergangs, in dem sie sich befinden,
sicher ableiten. Da um diese Zeit die ausserhalb des Eies liegen-
den Granulosaepithelien bisweilen noch völlig unverändert erhalten
sind, so lässt sich vielleicht mit einigem Recht annehmen, dass
die vorher intakte Epithelzelle erst in Folge ihrer Berührung mit
dem fettig entarteten Dotter zu Grunde geht; des Weiteren darf
man daraus schliessen, dass die Einwanderung der Nagelzellen,
wenn sie sich auch gewöhnlich gleichzeitig oder gar später voll-
zieht, sich doch schon vor der Richtungsfigurenbildung im Keim-
1) ef. pag. 194, ferner H. Vircho w’s Arbeit: Durchtreten der Gra-
nulosazellen durch die Zona pellucida der Säugethiereier. Arch. f.
mikr. Anat. 85, Bd. 24. — Nagel’s „Beitrag zur Anat. gesunder und
kranker Ovarien (Gyn. Arch. Bd. 31, H. 3), sowie Petitpierre’s Publi-
kation „Ueber das Eindringen von Granulosazellen durch die Zona
pellueida von menschlichen Eiern u. s. f.“ (ibid. Bd. 35, H. 3) sind, wie
ich hier bemerken will, leider erst zu spät zu meiner Kenntniss gelangt.
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 213
” ”
bläschen vollziehen kan n; Riehtungsfiguren wurden nämlich,
wie wir schon sahen'), nur in Follikeln mit nicht mehr intaktem
Epithel angetroffen.
Ein anderer Modus der Zerstörung des Dotters resp. des
ganzen Eies ist nach Palladino?) die hyaline Degeneration.
Dieselbe soll in jedem Alter, jeder Entwicklungsphase, die foetale
eingesehlossen, und bei allen Thieren vorkommen. Zunächst soll
sich das Hyalin gleich dem Amyloid vornehmlich im Binde-
gewebe und in den Gefässen ablagern; erst sekundär werden die
drüsigen Elemente ergriffen. Das Ei, dessen einzelne Theile
nach einander und in verschiedener Ausdehnung entarten, wird
in eine hyaline Lamelle, deren Enden die mannigfaltigsten Um-
biegungen zeigen, oder in eine hyaline Kugel umgewandelt;
schliesslich liegt oft im Ovarialstroma an Stelle des Follikels nur
ein hyaliner Klumpen, dessen Durchmesser bis 280 u betragen
kann. — Ich muss bekennen, dass hinsichtlich der Zona?) wie
des Dotters viele meiner Bilder durchaus den zahlreich von
Palladino wiedergegebenen ähneln. Nicht nur das zu gewissen
Zeiten auftretende, gleichmässig glasige Aussehen des Dotters®),
sondern auch die lamellöse Anordnung, ja bisweilen die Umbie-
gungen an den Enden waren deutlic. Da nun in Folge
der gut übereinstimmenden, immer wiederkehrenden Befunde an
Gemisch- und Alkoholpräparaten Reagentienveränderungen mit
ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden können, so liegt,
in Ermangelung positiver Beweise, wenigstens die Vermuthung
nahe, dass es sich in meinen Objekten um in ähnlicher
Weise degenerirte Eier handelt. Allen auch manche Be-
denken lassen sich nicht unterdrücken. Vor Allem ist es auf-
fallend, dass es mir nirgends gelungen ist, weder die Anfangs-
noch die Endstadien der fraglichen hyalinen Degeneration zu ent-
decken. Nirgends habe ich Anzeichen dafür wahrgenommen,
dass Granulosa und Theca sich an dem Process betheiligen. Wenn
wir nun mit dieser Thatsache zusammenhalten, dass nach der
Ansicht mancher Pathologen 5) unter dem Recklinghausen’schen
1) ef. pag. 209, ferner pag. 215 f.
2a le.
3) S. oben.
4) cf. pag. 196.
5) Cf. Ziegler, Lehrb. d. allgem. path. Anat. $. 76.
214 J. Schottlaender:
Hyalin eine Summe „von nicht ganz eleichwerthigen Substanzen“
zusammengefasst ist; wenn wir ferner berücksichtigen, dass die
betreffende Modifikation der Eier nur als eine Vorstufe ihrer
Auflösung dient und wohl nur ihre leichtere Resorptionsfähigkeit
bezweckt, so erscheint die Ansammlung echten Hyalins, das ähn-
lich dem Amyloid bekamntlich sehr widerstandsfähig ist, für
unsere Objecete mindestens zweifelhaft. Wahrschemlicher ist wohl,
dass eine auf das Ei beschränkte Coagulationsnekrose mit Aus-
scheidung fibrinös-hyaliner Massen eintritt; dass das Bindegewebe
der Theca überhaupt und gar zu Beginn davon befallen wird,
erscheint um so weniger plausibel, als, wie wir sehen werden,
vor Allem von der Theca aus ein Ersatz für das abgestorbene
und entfernte Gewebe stattfindet. — Inäquale Furchung des
Dotters!), Ablagerung von Kalksalzen?), sowie die van Beneden-
schen Gebilde ohne Zellencharakter?) habe ich darin nie wahr-
genommen.
Der hyalinen Degeneration des Eies soll nach Palladino®)
stets eine körnig-chromatolytische, im Keimbläschen sich abspie-
lende, vorangehen. Palladino verlegt überhaupt den ganzen
Schwerpunkt dieser weiteren Zerstörungsart in das Keimbläschen
und erwähnt des Granulosaepithels nur ganz nebenher, ohne,
wie ich sehe, Flemming an dieser Stelle überhaupt zu nennen.
Das chromatische Keimbläschennetz soll bei beginnender Atresie
in den verschiedensten Phasen der Mitose körnig zerfallen und
dadurch atypische Kernfiguren bilden, während bei nicht atreti-
schen Follikeln alle Phasen der typischen Mitose zu verfolgen
seien?). Wie man sich erinnern wird, handelte es sich in meinen
beiden Fällen um Richtungsfiguren in Follikeln mit chromatoly-
tischem ®) Epithel, also genau um dieselben Verhältnisse, wie sie
Flemming”) beim Kaninchen beobachtet hat, nur dass die Rich-
tungsfiguren «dort häufiger waren und dass etliche Male das Fol-
RE Paz. WIT.
2) ibidem. — Vielleicht kommt die entkalkende Wirkung des
Chrom-Osm.-Essigs.-Gemischs in Betracht.
3) ef. pag. 1%.
4) 1. c.
5) S. die zahlreichen Abbildungen.
6) In einem Fall ausserdem fettig entarteten.
2.1.36.
likelgewebe schon durch Narbengewebe ersetzt erschien. Es
kann demnach ebensowenig bei meinen, wie bei Flemming 's
Fällen zweifelhaft sein, dass die Richtungsfiguren sich in zu
Grunde gehenden oder auch (bei Flemming) in zu Grunde
gegangenen Follikeln finden. Während wir aber auf den
Untergang des Epithels ete. später einzugehen haben, müssen
wir hier unsere Meinung darüber abgeben, ob uns die gewöhn-
liche „vielleieht durch die Epithelentartung bedingte“ Richtungs-
körperbildung oder Richtungsfiguren vorliegen, die als ein Zeichen
beginnenden Untergangs früher als sonst auftreten und das Ei
als absterbendes charakterisiren. Flemming entscheidet sich
in letzterem Sinne!); er begründet seine Entscheidung damit,
dass die für das reife mtakte Ei charakteristische Corona radiata
_ stets fehlte und dass nie, oder wenigstens nur bei ganz ge-
schrumpften Folliken, ein schon abgetrennter Richtungskörper
unter der Zona lag. Prüfen wir unsere Figuren auf diese Kriterien
hin, so ergibt sich gleichfalls ein negativer Befund und zwar noch
dazu aus leicht erklärlichen Gründen: Handelt es sich doch das
eine Mal um einen unreifen (Fig. 5), das zweite Mal um einen
halbreifen (Fig. 4) Follikel; und ist doch höchstens das Ei
des ersteren seiner Grösse nach vielleicht als reif anzusehen.
Daraus folgt aber, dass die Richtungsfiguren verfrüht aufge-
treten sind und wenn wir nun noch die Dotter= und Zona-
veränderungen beider Eier in Betracht ziehen, so darf mit
grosser Wahrscheinlichkeit geschlossen werden, dass auch bei
unseren Objekten ihre Bildung auf degenerative Vorgänge im
Ei zurückzuführen ist. Es ist gewiss nicht zu erwarten, dass
die betreffenden Figuren nothwendig immer atypische sein müssen,
schon deshalb nicht, weil die bei der typischen Richtungskörper-
bildung im Ei auftretenden Mitosen von den gemeinhin bekannten
Mitosen in mancher Hinsicht abweichen?) und weil zwischen dem
Gebiet typischer und atypischer Kerntheilung manche Uebergänge
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 215
1) Bellonei (mem. dell’ acad. d. scienz. Bologna T. 6. 1885)
fasst die Richtungsfiguren, welche er fast gleichzeitig mit Flemming
"im Ei des Säugethier-Eierstocks beobachtet und beschrieben hat, als
im Beginn ihrer Bildung stehende Richtungskörper auf; nach seiner
Darstellung dürfte es sich aber doch vielleicht um Richtungsfiguren
in atretischen Follikeln handeln.
2) Flemming, Zellsubstanuz, Kern und Zelltheilung.
—_
216 J. Schottlaender:
\
bestehen). Gleichwohl würde es nicht ohne Werth sein, wenn
in diesen Fällen häufiger hochgradig missgebildete Figuren sich
nachweisen liessen; es würde unsere Anschauung, ohne durch
den gegentheiligen Befund umgestossen zu werden, durch diesen
Nachweis noch mehr gestützt sein. Leider muss der letztere bei
unseren Figuren ihrer geringen Dimensionen wegen unterbleiben ;
dureh Palladino ist er, wie es scheint, für die Spirem- und
Asterphase (nicht jedoch für die Metakinese) erbracht. Ich muss
mich auf Erwähnung seiner diesbezüglichen Ausführungen be-
schränken, da ich mit Sicherheit Aehnliches im Ei nicht gesehen
habe. Anders verhält es sich mit dem körnigen Zerfall des
chromatischen Keimbläschennetzes olme Mitosen. Einige meiner
Bilder (Figg. 2, 6, 12.) weisen entschieden darauf hin, dass ein
solcher Zerfall, wie wir ihn im Chromatinnetz der Epithelkerne
näher kennen lernen werden und von dem das dort?) Gesagte
gilt, vorkommt. Ob es sich dabei um Zertrümmerung atypischer
Mitosen handelt, ob eine Mitosenbildung vorher gar nicht statt-
sefunden, war nicht zu entscheiden. — Das Keimbläschen als
Ganzes schwindet meist erst spät?); es war in seinen Contouren
noch in Eiern erhalten, deren Dotter kaum mehr als soleher
kenntlich war. Gemeinhin scheint es erst zugleich mit der Haupt-
menge des Dotters sammt seinem Keimfleck der Auflösung an-
heimzufallen. |
Noch. im Verlaufe seiner und des ganzen Eies Auflösung,
meist kurz nachdem letztere begonnen, immer aber erst nach
ihrem Beginn, setzen die Processe ein, welche das Granulosa-
epithel unaufhaltsam zu Grunde richten. Unter diesen Processen
ist an erster Stelle die Flemming’sche sog. Chromatolyse*) auf-
zuführen, welche sich bei sämmtlichen von mir unter-
suchten thierischen und auch bei dem menschlicheu
Eierstocek in ausgedehntester Weise wiederfindet. Wir haben
1) ef. Flemming und meine Arbeit „Ueber Kern und Zellthei-
lungsvorgänge in dem Endothel der entzündeten Hornhaut“. Arch. °
für mikr. An. Bd. 36.
2) cf. pag. 217 ff.
3) ef. dagegen pag. 197.
4) cf. pag. 195. Dass dieselbe schon vor Flemming gesehen
worden ist, dafür sind sichere Beweise nicht zu erbringen. (Vgl. Flem-
ming’s Arbeit S. 228 u. ff.)
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. 217
darin nach Flemming einen Vorgang zu sehen, bei dem, wie
der Name es kurz ausdrücken soll, „das veränderte eonsolidirte
Chromatin der Kerne, naclidem der umgebende Zellkörper ver-
quollen und zerfallen ist, selbst zunächst körnig zerfällt, sich im
Liquor follieuli vertheilt und allmählich in ihm gelöst wird.“ Die
allmähliche Deeomposition des chromatischen Kernnetzes verläuft
in meinen ÖObjeeten, wie successive zu verfolgen ist, durchaus
der Flemming’schen Beschreibung gemäss. Im Follikeln, deren
Theca verändert sein kann, deren Eier stets verändert sind,
wird (vergl. die Figg. 10, 11, 12, 15; ferner Figg. 4, 5, 6, 15b,
16 und 17.) zunächst in dem einen oder anderen Epithelzellenkern
das bekannte verzweigte Fadennetz unsichtbar und ersetzt durch
ein oder mehrere Klümpchen stark gefärbter Substanz, die fast
durchweg die Gestalt solider, selten hohler, kreisrunder Körner
von wechselnder Grösse besitzt. Eigentliche Stäbehen und Halb-
ringe, wie deren Palladino erwähnt, fanden sich in meinen
Präparaten nirgends. Allmählieh mehrt sich die Zahl der Kör-
ner, die verschiedenen kleineren beginnen mit einander zu einem
srossen Korn zu verschmelzen, während die vorher scharfen Kern-
eontouren verschwimmen; schliesslich wird die Stelle der ur-
sprünglichen Epithelzelle nur noch durch ein solches Korn mar-
kirt; denn nicht nur die übrige Kern- sondern auch die Zellsub-
stanz sind inzwischen zu Grunde gegangen, letztere häufig schon
zu Beginn der Chromatolyse, ohne dass immer der Modus ihrer
Zerstörung eruirbar wäre!). Bei der Maus bilden sich, indem
sich die Chromatinkörner einer ganzen Reihe von degenerirten
Epithelkernen zusammenballen, auffallend grosse Chromatinklum-
pen, die an einigen Stellen länglich gestaltet sind. Fig. 5 stellt
solche in dem uns bereits bekannten Follikel des Mäuseeierstocks
dar. Noch etwas Anderes erhellt aus der nämlichen Figur.
Wenn Flemming beim Kaninchen die Chromatolyse nur in
Follikeln mit vorhandenem, meist reichlichem Liquor, zu Gesicht
bekam und als integrirendes Faktum des ganzen, danach be-
nannten Processes, die Auflösung der Chromatinkörner im Liquor
ansieht, mit dem sie vielleicht chemische Verbindungen eingehen,
1) Gemeinhin wird sie nur, wie es Flemming gleichfalls be-
schrieben, kleiner und blasser. Ueber weitere Veränderungen s. unten
S. 222.
218 J. Schottlaender:
so trifft das für die von mir untersuchten Thiere nieht durchaus
zu; aus der vorliegenden, aus Fig. 6 und zahlreichen anderen
jildern geht unzweifelhaft hervor, ‘dass derselbe Process auch
in unreifen Follikeln, ohne Liquor, vorkommen kam. Es ist,
vorausgesetzt, dass das Ei im Schnitt fehlt, gewiss nicht immer
leicht, bei mittelgross erscheinenden, völlig mit Epithel gefüllten
und mit entwickelter Theca versehenen Follikelschnitten festzu-
stellen, ob es sich wirklich um einen Follikel ohne Höhle oder
um einen solehen handelt, dessen Höhle vom Sehnitte nicht mit-
getroffen ist. Sobald aber das Ei vorhanden, sind die Zweifel
gelöst und da mittelgrosse Follikel existiren, die Eier enthalten
und deren Epithel chromatolytische Entartung zeigt, so ist die
obige Behauptung erwiesen !). — Es möchte nun scheinen, dass
auf Grund der gemachten Beobachtung auch der Name des Pro-
cesses anders gewählt werden müsste. Da indessen, behufs leich-
terer Abfuhr durch die Gefässe offenbar auch in Follikeln ohne
Liquor eine Lösung des Kernchromatins stattfmdet, so darf der
einmal gewählte Name mit gutem Recht beibehalten werden. —
Bedeutend häufiger als in solehen ohne, ist, namentlich beim
Meerschweinchen, die Chromatolyse in Follikeln mit Liquor zu beob-
achten. In beiden Fällen beginnt sie entschieden dem Centrum
senähert und schreitet, ohne sich indessen regelmässig auszu-
breiten, nach den peripherischen Zellreihen fort. Bei grossen,
liquorhaltigen Follikeln ist gerade das Stadium oft sichtbar, in
welchem der erhaltenen Membrana propria nur noch eine oder
einige Reihen unveränderter Epithelien anliegen, während die
übrigen resp. deren Ueberbleibsel als feine dunkelrothe oder blaue
Körner im Liquorgerinnsel vertheilt sind. Mit Flemming ist
hier auf die entschieden auch noch anderweitig veränderte Be-
schaffenheit des letzteren aufmerksam zu machen. Es ist dunkler
als sonst, die Fäden seines Netzes erscheinen gröber und mar-
kirter; es erhält höheren Glanz.
Dass es sich bei der Chromatolyse um eine ganz typische
Form des Untergangs von Epithelzellen in Graaf’schen Follikeln
handelt, kann nach dem Gesagten wohl nicht mehr bezweifelt
1) Beim Menschen waren überhaupt keine reifen Follikel mit
Höhlung vorhanden; trotzdem liess sich Chromatolyse des Epithels
constatiren. S. Fig. 11.
&
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 219
werden. Gegen die Annahme, dass hier Wanderzellen von aussen
eingedrungen sind oder dass sich die Epithelien gar in solche
verwandelt haben '), spricht deutlich und bestimmt, dass man die
Decomposition des Kernehromatins fast Schritt für Schritt verfol-
sen kann, dass die geschilderten Körner ganz vorwiegend kreis-
rund erscheinen und anfangs noch von deutlichen Kerncontouren
umgeben sind; dass sie später sich bisweilen zu ganz grossen
Klumpen zusammenballen (s. ob. Fig. 5) oder frei einem etwa
vorhandenen Liquorgerinnsel als feinste Bröckchen beigemischt
sind. Des Weiteren ergibt sich, dass m der Theca eine stär-
kere Anhäufung von Zellen, die etwa als Wanderzellen gedeutet
werden könnten, nur dann existirt, wenn die Theca gleichzeitig
mit dem chromatolytischen Vorgang im Epithel, jedenfalls aber
ganz unabhängig davon, zu wuchern anfängt. Sehr häufig ist
sie völlig unverändert; ja gerade die schönsten Bilder ausge-
sprochener Chromatolyse wurden im Follikeln mit völlig intakter
Theea angetroffen. — Den Einwand, dass wir es lediglich mit
Reagentienveränderungen zu thun haben, hat schon Flemming?)
beseitigt. Es sei hier nur noch hinzugefügt, dass auch in Al-
koholpräparaten und bei Hämatoxylinfärbung die Chromatolyse
deutlich erkannt werden kann.
Eine der Zerstörung vorangehende und damit zusammen-
hängende Vermehrung der Epithelien®) fehlte ebensowohl in
Flemming’s, wie in meinen Objekten und zwar, wie gleich hier
vorausgeschickt werden kann, nicht nur bei der Chromatolyse,
sondern auch bei den übrigen Formen des Unterganges. Eine
diehtere Lagerung der Epithelien war überhaupt nur selten
und dann immer nur in mittelreifen Follikeln, deren Gra-
nulosa häufiger intakt als im Beginn chromatolytischer oder an-
derweitiger Degeneration erschien, deutlich zu constatiren. In
reifen chromatolytischen Follikeln fehlte die Vermehrung nicht
nur, sondern es war sogar meist eine Abnahme der sonst reich-
licheren Mitosen vorhanden®). Somit darf entweder in der be-
treffenden Ephithelvermehrung nur die dem heranreifenden Follikel
stets eigenthümliche gesehen werden und es ist, wenn sich Ver-
1) cf. pag. 196.
2) 1. c. S. 25—26.
3) cf. pag. 19.
4) ef. Flemming |. c
220 J. Schottlaender:
mehrung und beginnende Zerstörung gleichzeitig finden, diese
Thatsache nur so aufzufassen, dass die Zerstörung zufällig m dem
heranreifenden Follikel Platz gegriffen hat; oder aber — und
das scheint mir auch in Anbetracht der Seltenheit dieser Fälle
das Wahrscheimlichere — es sind dem untergehenden Epithel
Zellen anderer Herkunft und zwar Wanderzellen beigemischt, zu
deren Eindringen die bei dieser Gelegenheit fast ausnahmslos
zahlreich vorhandenen, wohl neugebildeten Gefässe vollauf Anlass
geben.
Als zweiter Modus der Zerstörung der Granulosa kommt
in Betracht die Ablagerung von Fett oder fettähnlicher Substanz !)
innerhalb ihres Gebietes. Im Hinblick auf die hierin durchaus
übereinstimmenden Berichte fast aller früheren Beobachter?) ist
elie Bildung wirklichen Fettes mit grosser Wahrscheinlichkeit
anzunehmen; es erfahren also unter dieser Voraussetzung die
Epithelzellen eine fettige Degeneration. Flemming sagt ın
seiner Arbeit?) darüber Folgendes: .... „es tritt gleichzeitig
(sc. mit der Chromatolyse) und schon vorher eine Durchsetzung
der Zellsubstanz mit feinen Fetttröpfehen ein, oder doch mit Tröpf-
chen, welehe bei stärkerer Emwirkung von Osmiumsäure ähnlich
wie Fett gedunkelt werden. Diese Körmehen oder Tröpfehen
erkennt man jedoch nicht an den Präparaten, welche nach mei-
nem Verfahren mit Osmiumgemischen, Saffranin- oder Gentiana-
färbung und Aufhellung hergestellt sind; denn in dem Gemisch,
in Verbindung mit Chrom- und Essigsäure, wirkt die Osmiumsäure
auf die kleinen Körnehen nicht hinreiehend dunkelnd ein und
(durch die Aufhellung werden diese dann so gut wie unsichtbar.
Um sie deutlich zu sehen thut man gut, reine Osmiumpräparate
zu benutzen, die durch Stehen am Licht in Alkohol gut nachge-
(dunkelt sind“ u. s. f. Ich kann mit dem Gesagten in zweierlei
Hinsicht nicht ganz übereinstimmen. Obschon unbedingt zugegeben
werden muss, dass das Fett in reinen Osmiumpräparaten viel
schärfer hervortritt und dass die letzteren den Gemischpräparaten
in dieser Hinsicht vorzuziehen sind, so erweisen doch, wie mich
1) ch. pa2.. 21%
2) Vgl. die oben angeführte Literatur.
3) l. c. 8. 228.
u ”)
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. Ep
dünkt, die braunen oder schwarzen, pigmentähnlichen !) Körner,
welehe bei Gemisehpräparaten innerhalb und zwischen den Epithel-
zellen liegen (Fig. 13 u. a.), zunächst zweifellos, dass auch die
im Gemisch vorhandene Osmiumsäure genügt, um das Fett, we-
nigstens in den allermeisten Fällen, wo es vorhanden, zu schwärzen
und dem Auge sichtbar zu machen. Wenn dem aber so ist, so
lassen des Weiteren diejenigen chromatolytischen Follikel, bei
denen jede Ansammlung von gebräunten Körnchen vermisst wird
— solcher sind wiederum in meinen Objekten eine grosse Anzahl
vorhanden — nur eine bestimmte Deutung zu. Es kann sich
trotz des sicher vielfach ungleichmässigen Eindringens der Gemisch-
Osmiumsäure kaum darum handeln, dass das Fett hier überall als
solches nicht erkennbar ist; es muss vielmehr wenigstens in den
meisten Fällen wirklich fehlen?). Das heisst mit anderen Worten:
Die Chromatolyse des Follikelepithels kommt zwar sehr häufig com-
binirt mit fettiger Degeneration, durchaus nicht selten aber auch
allein, ohne dieselbe, vor, ebenso wie umgekehrt die fettige De-
generation als gesonderter Vorgang, unabhängig von der Chroma-
tolyse, zu beobachten ist. Bei gemeinschaftlichem Auftreten haben
wir uns die Sache vielleicht so zu denken, dass die primär chro-
matolytisch entarteten Epithelzellen sekundär fettig zerfallen. Im
1) Wegen ihres Aussehens an wirkliches Pigment zu denken,
dazu dürfte keine Veranlassung vorliegen.
2) Zwei kleine Veröffentlichungen Flemming's: „Ueber die Lös-
lichkeit osmirten Fettes und Myelins in Terpentinöl“ und „Weiteres
über die Entfärbung osmirten Fettes in Terpentin und anderen Sub-
stanzen (Zeitschr. f. wissensch. Mikr. und für mikr. Technik Bd. 6, 1889,
pag. 39—40 und pag. 178—181) sind mir noch nachträglich durch die
Güte des Verfassers zugegangen. In Anbetracht des in den beiden
Arbeiten geführten Nachweises, dass Terpentinöl oder terpentinhaltiger
Canadabalsaım osmirtes Fett löst, darf ich nieht unterlassen zu er-
wähnen, dass meine Präparate ausnahmslos mittelst Nelkenöles aufge-
hellt, und wenn ich mich recht erinnere, in Xylol-Canadabalsam ein-
gebettet worden sind. Nelkenöl aber und Xylol, letzteres allerdings
nur mit Einschränkung, d. h. nur unter dem Deckgläschen, sollen
nach Flemming osmirtes Fett nicht lösen. Sollte ich mich bezüglich
des Balsams täuschen und derselbe mit Terpentin bereitet gewesen
sein, so ist damit gleichwohl kaum eine genügende Erklärung für
die enorme Verschiedenheit der Bilder gegeben. Das Entscheidende
dürfte nach wie vor der thatgächlich verschiedene Fettgehalt der Ob-
jekte bleiben.
292 J. Sehottlaender:
Uebrigen scheint bedingungsweise eme Gesetzmässigkeit nur
darin zu bestehen, dass in grösseren Follikeln die Chromatolyse, in
kleineren die Fettdegeneration (combinirt oder jede für sich) vor-
waltet. Ganz ausnahmsweise habe ich auch in Primordialfollikeln,
hier allerdings nur reine Fettdegeneration des Epithels wahrge-
nommen). — Die feineren oder gröberen Fettkörner — selten
waren es Tröpfehen — liegen, wie gesagt, ausser- oder innerhalb
dder Zellen. (S. Figg. 15, 16, 4.) Im letzteren Fall ist, einerlei
ob das Kerncehromatin in Auflösung begriffen oder nicht, die ur-
sprüngliche Form der Zelle zerstört; sie ist bläschenförmig aufge-
trieben und nach einiger Zeit nicht mehr abgrenzbar. Oft ist
sie ganz compakt mit Fett erfüllt; die einzelnen Körner bilden
auch hier dann durch Zusammenballen grössere Klumpen. Kıy-
stallinische Fettsäure-Anhäufungen und eine den ganzen Eierstock
ergreifende Fettdegeneration, wovon Palladino?) berichtet, habe
ich nie wahrgenommen.
Das Epithel, besonders dasjenige junger Follikel, scheint
bisweilen ausser in der geschilderten, noch in anderer Weise zu
Grunde zu gehen. In Fig. 14 — einem jedenfalls nicht melhır
intakten Follikel — sehen wir, umgeben von einer fibrillären
Bindegewebshülle, eine grosse Zahl, stellenweise undicht liegen-
der Zellkerne mit blass und diffus gefärbtem, undeutlichem Chro-
matinnetz vor uns. Diese Zellkerne sind von einem unvollkommen
schliessenden Netze dunkler Sprossen, welche mit einem benach-
barten Gefäss in Verbindung stehen, umgeben. Wenn aus dieser
Thatsache, wie wir noch sehen werden, unzweifelhaft hervorgeht,
dass die Theca in einem Zustande der Wucherung begriffen ist,
wie denn überhanpt dem Kerneomplex Bindegewebskerne beige-
mischt zu sein scheinen (in der Figur weggelassen), so stellen
die übrigen Kerne ebenso unzweifelhaft verkleinerte und verän-
derte Epithelkerne dar. In den Figg. 18 und 19 zeigt sich, wie
ich glaube, ein früheres Stadium derselben Veränderung bei einem
anderen Follikel. Die Epithelkerne sind zwar nicht oder kaum
verkleinert, aber sie sind blasser wie sonst. Die dunkelen Sprossen
sind ebenfalls vorhanden, nur ist der Zusammenhang mit einem
Gefäss der Peripherie hier nieht nachweisbar. In allen diesen
1) cf. pag. 196.
I
DO
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 25
Fällen fehlt jede Spur von Chromatolyse oder Fettdegeneration.
Man wird mir bezüglich letzterer einwenden wollen, dass viel-
leicht gerade hier de facto vorhandenes Fett durch unzulängliche
Einwirkung der Gemischosmiumsäure nicht sichtbar geworden,
und anfangs glaubte ich mich auch in diesem Sinne entscheiden
zu müssen. Nachdem ich jedoch anderorten in denselben Objek-
ten sehr reichliche Fettansammlung und zahlreichere ähnliche
Bilder entdeckt, bin ich zu einer anderen Ueberzeugung gelangt,
zumal da auch die ganze Configuration der Zellen positiv zu
‚einer anderen Deutung drängt. Man könnte an zweierlei den-
ken: Erstens an eine hyaline Degeneration!), zweitens an eine
dureh die gewucherte Theca bedingte einfache Druckatrophie
des Epithels, das nach Palladino (der das Resultat dieses Vor-
sangs als falschen gelben Körper?) bezeichnet), dann in situ und
ohne seinen Zusammenhang zu verlieren, schwindet. Während
gegen eine hyaline Degeneration die oben angeführten theoreti-
schen Gründe und der Umstand sprechen, dass niemals fortge-
schrittenere Stadien, also etwa Schollenbildung oder dergl.?) zu
verfolgen war, so braucht eine Analogie unserer Befunde mit
Palladinos sog. falschen gelben Körper wohl nicht ganz von
der Hand gewiesen zu werden, obwohl letzterer nach Palladino’s
Angaben nur aus reifen oder nahezu reifen Folliken entstehen
soll. Es ist sehr wohl möglich, dass uns in unseren Bildern
(Figg. 14, 18, 19.) eine Art des durch Druck verursachten Ge-
webstodes vorliegt. Ka
Wie dem nun auch sein mag, durch die soeben vermuthungs-
weise bezeichnete, durch die beiden anderen sicher beobachteten
Formen der Epithelzerstörung, welche ebenso wie die beim Ei
geschilderten Processe damit endigen, ein durch die Gefässe
leicht zu resorbirendes Material zu schaffen, wird der Anstoss zu.
den inzwischen eingetretenen Veränderungen der Theca gegeben:
es hat für das verlorene Gewebe der Ersatz begonnen, der nun
seinerseits mit der Narbenbildung abschliesst.
Die Wandlungen, welche die Theca im Verlaufe der Fol-
likelatresie erfährt, sind sehr verschiedene, z. Th. ausserordent-
1) ef. pag. 213 £.
2) cf. pag. 197.
3) ef. pag. 213.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 15
294 J. Schottlaender:
lieh schwierig zu erklärende. Gerade in dieser Beziehung herr-
schen noch die grössten Differenzen unter den Autoren, obschon
darin wenigstens jetzt Einigkeit erzielt zu sein scheint, dass die
durch den Untergang von Ei und Epithel entstandene Lücke
durch Inanspruchnahme der Theca gedeckt wird. Während aber
die Einen!) diese Deckung mittelbar auf Endothelvermehrung der
Membrana propria, Andere?) mittelbar auf Anhäufung und Ver-
mehrung von Wanderzellen, resp. Umbildung in solche?) zurück-
führen, rekuriren wieder Andere?) vornehmlich auf die präexi-
stenten Bindegewebskörper der Theca und nehmen an, dass durch
deren Vermehrung die geschaffene Höhle ausgefüllt wird. Wir
wollen an der Hand unserer Präparate das Mitgetheilte einer
Prüfung unterziehen.
Sehr häufig ist zunächst bei Follikeln der verschiedensten
Grösse vom reifen oder nahezu reifen bis zum kleinsten hinab
(mit Ausnahme des Primordialtollikels) folgendes Bild: Granulosa
und Ei sind fast immer, gewöhnlieh schon hochgradig verändert
oder gar theilweise oder ganz geschwunden. Die Theca externa
ist, als die bekannte dünne, fibrilläre Bindegewebsschicht in ihrer
ursprünglichen Beschaffenheit erhalten; nicht so die Theca interna.”
Anfangs fällt darin neben anderen Erscheinungen?) nur ein grös-
serer Zellreichthum auf; die innere, durch die Membrana propria
gegebene Begrenzung ist noch regulär und scharf. Bald jedoch
hört die scharfe Begrenzung auf: Die Membrana propria wird
an einzelnen Stellen oder an der gesammten Cireumferenz un-
sichtbar; eine Gewebsneubildung greift entweder insulär oder
concentrisch in die Follikelhöhle resp. den Epithelialraum ein;
letzterer wird eingeengt. In der Intensität. dieser Einengung
sind alle Abstufungen vertreten: bald rückt das neue Gewebe nur
in der Dieke einer Zellenschieht an einzelnen Punkten oder auf
der ganzen Linie gegen das Centrum vor; bald zieht ein breiter
brückenartiger Strang, dessen verschiedene Ausdehnung an auf
=
1) Beulimell. €.; Schulrn, L’e,
2) Slavjansky, l. c.; Beigel, 1. «.; Pallaginess re
3,’ Schaan, 1 & |
4) Wagner, l.c.; v. Beneden, | e. u. A.: andeutungsweis®
Flemminel®
5) S. unten S. 225 ff.
%
Pe a £ s
- ”
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. 225
einanderfolgenden Schnitten trefflich zu verfolgen ist, quer durch
die ganze Höhle und scheidet dieselbe, am gegenüberliegenden
Ende angelangt, in 2 Hälften (s. Fig. 16). — Aus welchen Be-
standtheilen setzt sich das neugebildete Gewebe zusammen ? So
lange es durch die Membrana propria noch in feste Grenzen ge-
bannt ist, bietet die Beantwortung der Frage keine Schwierigkeit:
ie neu hinzugekommenen Thecazellen verhalten sich, mit Aus-
nahme ihrer dichteren Lage und noch grösseren Armuth an Inter-
eellularsubstanz, genau wie die ursprüsglichen!); sie scheinen
aus diesen, wie die grössere Zahl von Mitosen und das Auftreten
Junger Zellen erweist, entstanden. — Wir können aber noch weiter
gehen. Auch da, wo unter Aufhören der festen Begrenzung die
Wucherung beginnt sich in den Epithelraum (resp. die Höhle) ein-
zusenken (Figg. 15, 15a.), ist der gleiche Ursprung ihrer Zellen
aus denselben Gründen mit grosser Sicherheit anzunehmen. Viel
schwieriger wird es den letzteren zu analysiren, sobald das neue
Gewebe, weit gegen oder über die Mitte des Follikels hinaus vor-
rückend, mit den zerfallenden, aber noch nicht geschwundenen
Elementen der Granulosa in Berührung kommt und von diesen
durchsetzt ist. Bei der oben erwähnten Fig. 16 z. B. ergibt sich
erst nach genauerer Betrachtung und nach Ausschaltung der chro-
matolytisch und fettig zerfallenen Epithelkerne, dass der brücken-
artige Strang, welcher die Membrana propria an einer Stelle durch-
brochen, gleichfalls einer Wucherung der bindegewebigen Theca
interna entstammt. Allerdings fällt hier Eines gewaltig auf: der
grosse Fibrillenreichthum und das entsprechende Zurücktreten
der Zellen. In dieser Hinsicht besteht unzweifelhaft ein ganz
bedeutender Unterschied zwischen kleineren und grossen Follikeln.
Was für die Theca nicht atretischer Follikel galt?), darf auch
auf die Thecawucherung atretischer Follikel angewendet werden:
bei jüngeren ist sie zellenreich, bei älteren zellenarm. Es ergeben
sich daraus verschiedene, später verwerthbare Schlüsse.
Bisher haben wir zwei Erscheinungen, welche in dem neu-
gebildeten Gewebe, so lange es zellenreich ist, eine ganz bedeu-
tende Rolle spielen, unberücksichtigt gelassen, nämlich die Neu-
bildung resp. Einwucherung von Gefässen ?) und die Ansamm-
1) ef. pag. 202.
2) cf. pag. 201.
3) ef. pag. 196.
226 J. Schottlaender:
lung von fettiger Substanz. Lässt sich schon innerhalb der noch
starr begrenzten Theca, sobald ihr Zellengehalt grösser geworden,
eine deutliche Zunahme der Gefässmenge constatiren, so ist
weiter auch innerhalb des irregulär in die Höhle vordringenden
Gewebes das Vorhandensein von Gefässen verschieden klar, nicht
selten aber so klar ersichtlich, dass ein Zweifel an der That-
sache ihrer Einwucherung nieht mehr bestehen kann. Zwischen
den Zellen liegen sehr zahlreich zerstreut (Figg. 14, 15a, 17.) dop-
pelt eontourirte, ab und’ zu gabelig getheilte Gebilde von verschie-
dener Länge, die wie Perlen- oder Korallenschnüre glänzen und
deren capillarer Charakter durch ihren oft, aber nicht immer er-
kennbaren Inhalt — erhaltene und veränderte rothe Blutkörperchen
— hinreichend erwiesen wird !). Bei günstiger Schnittführung lässt
sich durch den Zusammenhang der Capillaren mit einem peri-
pherischen Gefäss (Fig. 14) direkt erweisen, was schon a priori
wahrscheinlich war, dass in den Gefässen der Peripherie die Ma-
trix der neuen Capillaren zu suchen ist. — Für gewöhnlich tritt
naturgemäss die Anhäufung von Bindegewebszellen gegenüber
derjenigen von Capillaren in den Vordergrund, mitunter jedoch,
wie in eben der Fig. 14, ist das Verhältniss auch umgekehrt; ja
manche Anzeichen deuten darauf hin, dass die Gefässe im All-
gemeinen früher in den Epithelialraum eindringen, als die Haupt-
masse des Bindegewebes. Bei einigen. Thieren mit überhaupt
sehr gefässreichen Follikeln (Ratte, Maus) liegen die feinen, läng-
lichen, gleichmässig oder spitz endigenden Capillarsprossen ohne
‚jede wahrnehmbare Betheiligung von Bindegewebszellen zwischen
dem nur abgeblassten (atrophirenden?) (Fig. 18, 19.) oder gar un-
veränderten Epithel. Da sie kurz, lebhaft tingirt, meist homo-
genen Inhalts sind und dadurch quergetroffenen Epithelien ausser-
ordentlich ähneln, so war es anfangs nicht leicht, über ihre Ge-
fässnatur ins Klare zu kommen. Ihre Vergleichung mit den in
benachbarten gelben Körpern befindlichen Gefässen, sowie häufige
Vorbuehtungen der in diesen Fällen äusserst gefässreichen Theca
in den Epithelialraum, liessen mich zwar das Richtige vermuthen;
(Gewissheit wurde mir indessen erst, als ich nach langem Suchen
bei hellster Beleuchtung Blutkörperchen, resp. deren Derivate in }
1) Ein umgebender hyaliner Saum (ef. Schulin |. e.) war nicht
sicher nachweisbar.
le u re re rn in ah en — De,
DELETE u
a
den Sprossen entdeckte. Einige Male glaube ich ferner auch
hier eine Verbindung der letzteren mit peripherischen Gefässen
gesehen zu haben. — Ein besonderes, in dieser Art nur einmal
vorhandenes Bild ‘giebt Fig. 20 wieder. Im Centrum des von
auffallend blasser und sehr gefässreicher Theca umgebenen Fol-
likels findet sich ein compaktes Convolut von Capillaren mit
zahlreichen Blutkörpern. Letztere sind, wie man scharf und be-
stimmt sieht, hintereinander aufgereiht, also in feste Bahnen ge-
bannt. Zwischen Centrum und Theca liegen dicht gedrängt stark
gefärbte Zellkerne von der Art der Granulosakerne, nur oft klei-
ner, ohne sichtbares Zellprotoplasma. Es macht durchaus den
Eindruck, als ob hier nur die Epithelien sich stark vermehrt;
doch ist, glaube ich, eine Betheiligung von Zellen anderer Her-
kunft (Wanderzellen?) nicht sicher auszuschliessen ). Wie kom-
men die Gefässe in die Mitte des Follikels, da am Rande eine
Einwucherung nicht zu constatiren ist? Giebt uns eine das Epi-
thel irregulär durchziehende Lücke (s. die Fig.) einen Fingerzeig
dafür, dass hier ein grösseres, Peripherie und Centrum verbinden-
des Gefäss, welches zufällig nicht in den Schnitt gefallen, gelegen
hat? Wenn auch diese Fragen unbeantwortet bleiben müssen, so
ist durch das Bild die Thatsache der frühzeitigen Gefässein-
wucherung wohl sicher dargethan. 3
In dem gewucherten Bindegewebe der Theca sammeln sich
sehr häufig grössere (Ratte, Maus) oder geringere Mengen von
Fett oder fettähnlicher Substanz an, welche bei Gemischhärtung in.
Gestalt verschieden grosser, braunschwarzer Körner, gleich denen des
Epithels, von denen sie jedoch ganz unabhängig sind, zwischen und
in den Zellen auftreten. Die Bedeutung der in dieser Art aufgespei-
cherten Fettpartikel, die mitunter in Folge ihrer Zahl alle übrigen
Bestandtheile des Follikelraumes unkenntlich machen, scheint mir
keine unwesentliche zu sein. Bei der auf Deckung der entstan-
denen Lücke hinzielenden Gewebsneubildung wird ohne Zweifel
überschüssiges, später durch die Gefässe wieder abzuführendes
Material angebildet. Es dürfte nun durch fettigen Zerfall des
letzteren dieser Zweck am leichtesten und schnellsten erreicht
werden.
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 227
1) Vgl. unten
228 J. Schottlaender:
Wir haben oben die Entstehung der geschilderten Bindege-
webswucherung aus einer Vermehrung der ursprünglichen, fixen
Bindegewebskörper der Theca als erwiesen betrachtet, ohne die
weiteren Möglichkeiten der Entstehung (aus Wanderzellen resp.
dem Slavjansky’schen Endothel) !) eingehender zu diskutiren.
Ich glaube, wir dürfen mit gutem Recht den angegebenen Stand-
punkt einnehmen. Denn sprachen positiv für denselben gewisse
Thatsachen ?), so machen noch ausserdem per exclusionem ganz
besondere Gründe die Betheiligung von Wander- resp. Endothel-
zellen an der Constituirung der betreffenden Gewebsneubildung
unwahrschemlich.
Betrachten wir zunächst die mittelgrossen und kleineren
Follikel, so ergiebt sich, dass mitunter innerhalb der ersten peri-
pherischen noch eine zweite, deutlich davon zu scheidende, cen-
trale Wucherung gefunden wird, deren Beschaffenheit deutlich
darauf hinweist, dass hier ein anderes Moment als die Vermeh-
rung der fixen Thecazellen ins Spiel kommt. In Figur 15, an
welche wir wieder anknüpfen, zeichnet sich die centrale Gewebs-
schicht gegenüber der peripheren, mit der sie streckenweise zu-
sammenhängt, dadurch aus, dass die Zellkerne bedeutend kleiner
und zahlreicher sind, dass sie dichter gedrängt liegen und ein
stärker gefärbtes dichteres Chromatinnetz besitzen. Ganz beson-
ders fällt weiter auf, dass dieselben nur selten die rundovale,
nie die längliche Gestalt der anderen besitzen, dass sie häufig
halbmondförmig , mit kleinen Ausläufern versehen sind und
dergl. m. — Von der Zellsubstanz ist nur an den äussersten Gren-
zen der ganzen Gewebsschicht etwas nachweisbar; ausser hier
und da verstreuten rubinrothen Körnern fehlen weitere Besonder-
heiten. — Auf den ersten Blick liegt die Täuschung nahe, dass
es sich hier um nichts weiter, als um vermehrte Granulosaepi-
thelien handelt. Berücksichtigt man jedoch die genannten Form-
veränderungen, so kann man bei der Annahme einer einfachen
Vermehrung kaum stehen bleiben; man muss auf die Unter-
mischung des Epithels mit anderen Zellen rekuriren. Dass diese
anderen Zellen Pseudo-Wanderzellen im Sinne Scehulin’s sind,
wird man desshalb kaum vermuthen können, weil die chromatolyti-
1) Vgl. oben.
2) cf, pag. 225,
.j
a
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 229
schen Körnchen unzweifelhaft auf eine beginnende, wahrscheinlicher
schon weit vorgeschrittene, jedenfalls vorhandene Zerstörung des
Epithels zurückzuführen sind. Es bleiben demgemäss nur die
zwei weiteren Möglichkeiten, nämlich, dass wir echte Wander-
zellen oder die Abkömmlinge des Endothels !) oder endlich Bei-
des vor uns haben. Eine sichere Entscheidung hierüber zu tref-
fen, ist bei den angewandten Methoden, vielleicht auch überhaupt
nicht möglich. Immerhin lässt sich wenigstens Einiges pro et
eontra anführen. Ist einerseits durch die zahlreich eingewucher-
ten Gefässe reichlich Gelegenheit zum Austritt von Wanderzellen
geboten, so ist, vorausgesetzt, dass ein solches existirt, auch eine
Betheiligung des Endothels insofern nicht von der Hand zu wei-
sen, als analoge endotheliale Neubildungen im Sinne der Rege-
neration oder Narbenbildung häufig genug zur Beobachtung ge-
langen ?). Indessen erregt in dieser Beziehung hier doch ein
Umstand Bedenken. A priori sollte man meinen, dass wenigstens
stellenweise, da, wo die Theca noch unverändert geblieben und
die centrale Gewebsschicht der Peripherie anliegt, die Membrana
propria als solche erhalten oder wenigstens eine scharfe Abgren-
zung sichtbar sein müsse. Das ist aber nicht der Fall. Ebenso-
wenig konnte ich in meinen Präparaten jemals Glasmembran-
streifen ?) oder etwas Analoges auffinden. War ein heller Strei-
fen da, so bildete er, central gelagert, die innere Grenze des
Narbengewebes und war seiner ganzen Configuration nach sicher
als Eirest oder Zona zu erkennen. Es bleibt somit, wollen wir
an der Betheiligung des Endothels festhalten, gegen die des Wei-
teren vielleicht die Unregelmässigkeit der centralen Gewebsschicht
ins Feld geführt werden kann, nichts übrig, als mit v. Beneden‘)
eine frühzeitige Resorption der Membrana propria nach erfolgter
Funktion des Endothels vorauszusetzen.
Nieht immer sind die beiden different zusammengesetzten
1) cf. pag. 224.
2) Unwillkürlich bin ich an Bilder erinnert worden, wie ich sie
s. Z. nach Chlorzinkätzung der Hornhaut des Froschauges wahrge-
nommen. Fast genau dieselben Formveränderungen wie hier fanden
sich dort an den Endothelien einige Tage nach vollzogener Aetzung
3) cf. pag. 193 u. 19.
4) cf, pag. 19%,
230 J. Sehottlaender:
Gewebscomplexe auch noch als different zu analysiren. Weit
häufiger findet man innerhalb des Ovarialstromas eine ein-
heitliche, meist ovale, aus stark gefärbten dieht gedrängten
Zellkernen (Zellsubstanz ist nicht sichtbar) von wechselnder
Grösse und Gestalt bestehende Gewebsmasse. Dieselbe lässt
hier und da zarte Bindegewebsfibrillen, ausserdem oft Fett und Ge-
fässe deutlich erkennen. Ich war anfangs versucht hier statt an
ddegenerirte Follikel an gelbe Körper späterer Stadien zu denken.
Die wahre Sachlage erhellte jedoch sehr bald aus den nicht
selten im Centrum vorhandenen Eiresten, namentlich der zusammen-
geklappten Zona (vergl. Figg. 7 u. 9.). Es waren dadurch alle
übrigen Fälle ohne Weiteres klar. — Die Herkunft des zellen-
reichen Bindegewebes, in dem wir ein gegenüber Fig. 15 weiter
fortgeschrittenes Wucherungsstadium zu sehen haben, muss bis
auf Weiteres auf gleichzeitige Vermehrung der fixen Thecazellen,
Wanderzellen, ev. auch Endothelien zurückgeführt werden; viel-
fach sind ihm jedenfalls erhaltene Granulosakerne beigemischt.
Bei den jüngsten Follikeln scheint, wie aus manchen Bildern
hervorgeht, die Vermehrung der Thecazellen im Vergleich zu der-
jenigen der anderen Elemente zurückzutreten. |
Ueber die späteren Schicksale der zellenreichen binde-
sewebigen Neubildung gibt uns Fig. 21 Aufschluss. Während
von der äusseren Form und den peripherischen Schichten genau
das eben Gesagte gilt, zeigt das Centrum eine durchaus andere
Beschaffenheit. Dasselbe ist ausgefüllt von einer aus hellglän-
zenden straffen Bindegewebsfibrillen bestehenden Grundsubstanz,
die zerstreut nur spärliche, kleine, langgestreckte Bindegewebs-
körper birgt. Es ist ohne Weiteres ersichtlich, dass wir hier
spätere Stadien der Figg. 7 u. 9 vor uns haben. Die letzten
Zweifel werden durch die oft noch erhaltene, oft aber auch schon
ausgefüllte geschrumpfte Eihöhle beseitigt. Was demnach a priori
zu erwarten war, wird durch die Thatsachen bestätigt: Aus dem
zellenreichen, fibrillenarmen wird zunächst ein schleimiges, dann
aber ein festes fibrillenreiches narbiges Gewebe. Es schreitet
dabei die Narbenbildung vom Centrum nach der Peripherie fort.
Durch v. Brunn!) ist bei den Vögeln nach Zerstörung des
Epithels eine Einwucherung typisch sternförmiger Zellen mit cen-
1) ef. pag. 197, Anm. 2.
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 231
tralwärts gerichteten Ausläufern beschrieben worden, ein Befund,
der vielfach!) auch für die Säugethiere bestätigt worden ist.
Ich kann, wenigstens für einen Theil meiner Objekte, versichern,
dass die Bildung eines derartigen Gewebes nur eine Zwischen-
stufe ist, der die Entwicklung stark fibrillären Bindegewebes
folgt. — Die geschilderten Corpora fibrosa besitzen bisweilen eine
nieht unbeträchtliche Grösse, offenbar weil dem Wachsthum des
mittelreifen Follikels, auch nach Beginn der Zerstörung, nicht
plötzlich, sondern erst allmählich ein Ziel gesetzt wird. Dass
wir uns trotz ihrer Grösse die Narbenkörper nieht oder nur aus-
nahmsweise aus ganz oder nahezu reifen Follikeln entstanden
‘denken dürfen, erhellt aus Fig. 16 und ähnlichen Bildern. Ist
bei mittelreifen Follikeln der Zustand des vollkräftigen Theea-
gewebes zur Ausfüllung der durch Ausfall des Eies und Epithels
hervorgerufenen, überdies kleineren Lücke, ferner zu zweckdien-
licher sekundärer Umwandlung geeignet, so gilt nicht das Gleiche
für die grössten Follikel. Hier kommt es zwar zur Vernichtung
dies Inhalts, aber der Ersatz von der Peripherie bleibt entweder
ganz aus — möglicher Weise ist dadurch Veranlassung zu Cysten-
bildung ?) gegeben — oder er ist unvollständig. Im letzteren
Fall, wenn also eine Thecawucherung vorhanden, nimmt die
Intercellularsubstanz relativ frühzeitig auf Kosten der Zellen an
Masse zu; es kommt nur zu spärlicher Anbildung von Gefässen;
ein centrales von dem peripherischen zu unterscheidendes Gewebe,
wie wir es bei kleineren Follikeln beobachtet, wird vermisst. Da
somit für eine reichlichere Ansammlung von Wanderzellen die
Gelegenheit abgeschnitten ist und gegen eine Betheiligung des
Endothels der thatsächliche Befund spricht, so kann des Wei-
teren geschlossen werden, dass in grossen Follikeln die Deckung
des Substanzverlustes fast ausschliesslich, wenn nicht ganz durch
Vermehrung der fixen Thecazellen erfolgt.
Betrachten wir die zur Atresie führenden Veränderungen
der Follikel mit Berücksichtigung des Beginnes und der Ver-
theilung auf die verschiedenen Thiere sowohl wie auf die
verschiedenen Entwicklungsphasen der Follikel, nochmals im
Zusammenhang, so gelangen wir zu folgendem Resultat:
1) Vgl. die oben angeführte Literatur.
2) Grohe, Beigel und Schulin.
232 J. Schottlaender:
Die Follikelatresie verläuft in gemeinhin durchaus überein-
stimmender Form in den Eierstöcken des Meerschweinchens, der
Ratte, der Maus und des Hundes. Beim Menschen konnte in
Folge der ungünstigen Beschaffenheit der betreffenden Präparate
nur eine Theilerscheinung, die Chromatolyse des Follikelepithels
nachgewiesen werden; es ist indessen auf Grund der Befunde
bei genannten Thieren die Vermuthung zu hegen, dass auch hier
die übrigen Erscheinungen nicht fehlen. — Mit Ausnahme der
Primordialfollikel, bei denen gleichfalls nur eme Theilerscheinung,
die Fettdegeneration des Epithels gefunden wurde, können der
Atresie sämmtliche Follikel, vom jüngsten bis zum ältesten, er-
liegen; am häufigsten erliegen ihr die mittelreifen noch wachsenden
Follikel. — Die Atresie beginnt in der Mehrzahl der Fälle mit
der Zerstörung des Eies; im Verlaufe der letzteren setzen die
zum Untergang des Epithels führenden Processe ein; meist vor
völliger Vernichtung des Epithels, selten erst später, wird der
entstandene Substanzverlust von der Theca aus gedeckt.
Im Ei erfährt zunächst die Zona eine wahrscheinlich hyaline
Verquellung; dazu gesellt sich bald darauf eine fettige Degene-
ration des Dotters, welche mit einer Umlagerung der chroma-
tischen Keimbläschensubstanz im Sinne chromatolytischer Ent-
artung verbunden ist. Ob der letzteren immer mitotische Pro-
cesse vorangehen, muss dahingestellt bleiben, jedenfalls kommen
aber solche vor, wenn auch im Ganzen selten, vielleicht auch
nicht bei allen Thieren. Die Mitosenbildung, höchst wahrschein-
lich durch die beginnende Umwandlung des Dotters veranlasst,
weicht insofern von dem gemeinhin bekannten Verlaufe ab, als
sie verfrüht, d. h. schon in unreifen Eiern ihren Anfang nimmt.
Um die Zeit, in welcher sie beobachtet wird, ist immer die
Granulosa mehr oder weniger hochgradig verändert, bisweilen
ausserdem die Theca; nie mehr ist der ursprüngliche Bestand
des Follikels gewahrt. Von den verschiedenen Phasen der Mitose,
die in zu Grunde gehenden Eiern anderweitig gesehen und als
nicht typisch beschrieben worden sind, fanden sich in meinen
Präparaten nur (zweimal) wohlerhaltene? Richtungsfiguren. —
Während die Fettdegeneration um sich greift und der mitotische
resp. chromatolytische Vorgang sich abspielt, erfolgt, selten schon
vor der Entstehung der Richtungsfiguren, die im Ganzen jeden-
falls schnell verlaufende Einwanderung von Granulosazellen in
eu
5
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. 233
den Dotter. — Fernerhin wird letzterer, falls er nicht schon
vorher zerstört ist, schollig umgewandelt durch eine, wie es
scheint, fibrinös-hyaline Degeneration. Diese besteht nie für sich
allein, sondern schliesst sich stets den geschilderten Formen des
Untergangs später an. Allmählich in einen für die Abfuhr geeig-
neten Zustand versetzt, wird der Dotter durch die zum Theil
neugebildeten Gefässe aufgenommen und schwindet schliesslich
ganz. Die nach- Entleerung ihres Inhalts meist zusammengeklappte
Zona erhält sich wegen der relativ grossen Festigkeit ihres Ge-
webes am längsten, wird jedoch endlich wohl auch resorbirt,
wobei möglicher Weise die präliminare Verquellung nicht ohne
Einfluss ist.
Das Epithel wird gleichfalls in verschiedener Weise ver-
niechtet. Entweder es zersetzt und löst sich das Chromatin
seiner Kerne, der Zellkörper wird gleichzeitig kleiner und blasser,
ohne dabei besondere. Veränderungen erkennen zu lassen (reine
Chromatolyse); oder der Zellkörper zerfällt fettig, ohne dass dabei
das Kernchromatin sich modifieirt (reine Fettdegeneration); oder
endlich beide Processe verlaufen combinirt (Chromatolyse und
Fettdegeneration).. Reine Chromatolyse war absolut und relativ
(zur Anzahl der Follikel) am häufigsten beim Meerschweinchen;
es folgt, jedoch nur relativ, die Hündin!). Reine Fettdegene-
ration war am häufigsten bei der Ratte, die Combination von
Chromatolyse und Fettdegeneration am häufigsten bei der Maus.
— Ausser dem Genannten scheint noch, nur bei kleineren Fol-
likeln und vielleicht nicht bei allen Thieren, eine einfache, durch
den Druck der in diesen Fällen eingedrungenen Thecagefässe be-
dingte Atrophie des Epithels vorzukommen.
Noch bevor Ei und Epithel endgültig der Auflösung anheim-
gefallen sind, geräth die Theca in einen Wucherungszustand. Es
senkt sich eine Gefäss-, später auch fettführende Bindegewebs-
schicht in den Follikelraum ein. Das Fett dient vielleicht zur
Zerstörung überschüssig angebildeten Materials. Der Gehalt an
Fett und Gefässen, der bei meinen Objekten ziemlich parallel
geht, ist bei den verschiedenen Thieren ünd individuell sehr
wechselnd. Am geringsten ist er bei der Hündin, am grössten
bei Ratte und Maus. Bei den letztgenannten Nagern scheint
1) In Betreff des Menschen s, oben.
234 J. Schottlaender:
nicht selten die Gefäss-, gegenüber der Bindegewebseinwucherung
das Primäre zu sein, ja sogar bisweilen das erste Anzeichen der
Atresie überhaupt darzustellen. — Die Bindegewebsneubildung
verhält sich je nach dem Alter der Follikel verschieden. Bei
nahezu oder ganz reifen Follikeln, die im ganzen seltener
von der Atresie befallen werden als die wachsenden mittelreifen,
ist sie, wenn überhaupt vorhanden, nur unvollkommen d. h. sie
füllt, frühzeitig fibrillär umgewandelt, die Follikelhöhle nicht ganz
aus. Während sie in diesen Fällen ihre Entstehung fast oder
ganz ausschliesslich der Vermehrung fixer Thecazellen verdankt,
entspringt die Bindegewebsneubildung bei mittelgrossen und
kleineren Follikeln höchst wahrscheinlich der Concurrenz meh-
rerer Faktoren: sicher betheiligen sich daran die fixen Theca-
zellen, vermuthlich Wanderzellen, vielleicht endlich die bis auf
Weiteres supponirten Endothelien der Membrana propria. Hier
bleibt die Neubildung lange zellenreich; sie erstreckt sich über
das ganze Gebiet des absterbenden Follikels. Erst allmählich
macht sich eine vom Centrum nach der Peripherie fortschreitende
Narbenbildung geltend, welche an Stelle des ursprünglichen zuerst
ein schleimiges, dann ein festes fibrilläres Gewebe entstehen lässt.
Wir kommen zum Schlusse. Wir haben die Geschicke des
atretischen Follikels vom Anbeginn bis zum Ende verfolgt. Aus
lem verschiedenartig zusammengesetzten, die Eizelle enthaltenden
Gebilde ist durch eomplieirte Vorgänge ein nur an der äusseren
Form kenntlicher Bindegewebskörper geworden. Ob derselbe
wirklich räumlich dem Aufbau neuer Follikel dient, die wie
Palladino glaubt, stetig in demselben Maasse entstehen, wie
andere vergehen, darüber muss erst die Zukunft Klarheit schaffen,
wie denn auch die Lösung mancher unbeantwortet gebliebener
Fragen von zukünftiger Forschung erwartet werden darf.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XI.
Alle Figuren sind in natürlicher Grösse hergestellt. Sie ent-
stammen sämmtlich Schnittpräparaten, bei denen, wofern nicht eine
besondere Bemerkung beigefügt ist, zur Härtung Chrom-Osmium-Essig- _
säure-Gemisch (Flemming) und Alkohol, zur Färbung Saffranin mit
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie etc. 235
"nachfolgender Alkoholextraktion angewandt worden. Ungleichmässig-
keiten ihres Colorits erklären sich durch die verschiedene Schnitt-
dicke, sowie durch die Verschiedenheit der benutzten Vergrösserung.
Alles Weitere siehe unten.
Fig. 1.
Fig. 3.
Fig. 4.
. Fig. 4a.
Fig. 5.
1)
Segment der Parietal-Granulosa aus dem Durchschnitt durch
einen halbreifen Follikel des Hundeeierstocks. Alkoholhärtung.
(2. apochr. Imm. 2,0 mm Comp. Oc.4. Tubusl. 18.) — Zellen
und Kerne langgestreckt, erstere spitz auslaufend.
Ei nebst Discus aus einem nahezu reifen Follikel des Meer-
schweineierstocks. (Z. DD. Comp. Oe. 4. Tubusl. wie oben.)
— Das Ei im Beginn der Degeneration. Zona gequollen,
von wechselndem Volumen, aussen und innen irregulär con-
tourirt, theilweise durch Epithelkerne überlagert. Dotter mit
schwärzlichen Fettkörnchen!) erfüllt, enthält einen unverän-
derten Epithelkern. Keimbläschen, stark excentrisch gelegen,
zum grössten Theil ohne Inhalt, zum kleineren Theil gleich-
falls fetterfüllt. Das chromatische Gerüst in Gestalt kleiner
Körnehen auf die Peripherie zusammengedrängt.
Im Untergang begriffenes Ei aus einem Follikelschnitt des
Hundeeierstockes. Vergr. wie oben. — Volumen der ge-
quollenen, an mehreren Stellen Fettkörnchen enthaltenden
Zona nicht ganz gleichmässig. Aeusserer Dotter bis zur
völligen Unkenntlichkeit seiner Struktur mit Fettkörnchen er-
füllt. Geringere Fettansammlung im inneren Dotter und im
Keimbläschen, das wiederum, stark excentrisch gelegen, kein
chromatisches Gerüst wahrnehmen lässt.
Durchschnitt durch einen halbreifen atretischen Follikel des
Meerschweineierstocks. Vergr. wie oben. Theca nicht mehr
in ursprünglichem Zustande, besonders einseitig fetterfüllt.
Einzelheiten nicht erkennbar. Epithel gleichfalls besonders
einseitig, in hochgradiger fettiger Degeneration befindlich,
zeigt ausserdem hochgradige Chromatolyse. Zona des Eies
nirgends in ihrer ganzen Dicke, zum Theil gar nicht sichtbar.
Der Dotter, welcher die Eihöhle nicht ganz ausfüllt und nir-
gends ihre Begrenzung erreicht, ist an einer Seite von einem
scharfen Saume umgeben (Längsspaltung der Zona?). Er ent-
hält Fettkörnchen und eine excentrisch gelegene Richtungs-
figur. |
Die Richtungsfigur mit Z. apochr. Imm. 2,0 (Oe. und Tubusl.
wie oben). Beschreibung s. Text S. 209.
Durchschnitt durch einen unreifen atretischen Follikel des
Mäuse-Eierstockes. Z. DD. Oc. 4. Tubusl. wie oben. Weit
fortgeschrittene chromatolytische Entartung des Follikelepithels.
Der Kürze halber ist hier und im Folgenden stets der Aus-
druck „Fett“ gebraucht.
Fig. 5a. Dieselbe Richtungsfigur mit Z. apochr. Imm. 2,0 Comp. Oc.4
Fig. 9. Theil eines Schnittes durch ein Follikelderivat des Meerschwein-
Fig. 11. Segment eines Durchschnittes durch einen unreifen, rein
£. 6. Sehnitt durch einen hochgradig atretischen unreifen Follikel
, 7. Theil eines Schnittes durch ein Follikelderivat aus dem Meer-
'. 8a u. b. Zusammengefaltete Zonae ohne Inhalt aus degenerirten
&. 10. Segment eines Durchschnittes durch einen reifen, rein chro-
J. Schottlaender:
Grosse Chromatinbrocken. Zona des auffallend grossen (reifen?)
Eies nicht sichtbar. Im der Peripherie der im Uebrigen
grösstentheils leeren Eihöhle finden sich ein chromatolytisch
veränderter Epithelkern, mehrere längliche Chromatinstreifen
und spärliche Mengen fettig degenerirten Dotters mit Rich-
tungsfigur.
(Tubusl. wie oben). . Beschreibung s. Text S. 209.
des Mäuse-Eierstocks. Z. DD., Oc. und Tubusl. wie oben.
Theca nicht mehr in ursprünglichem Zustande, theilweise an-
scheinend gewuchert. Einzelheiten nicht erkennbar. Epithel
fettig und chromatolytisch entartet. Zona gequollen. Dotter,
der Fett, einzelne unveränderte, ferner chromatolytisch ent-
artete Epithelkerne, sowie deren Ueberreste enthält, schollig
zersprengt und von eigenthümlich glasiger Beschaffenheit.
(fibrinös-hyaline Metamorphose?) Keimbläschen, peripherisch
gelegen, in seiner Form erhalten, zeigt nur einzelne Bröck-
chen chromatischer Substanz.
schwein-Eierstock. Vergr. wie oben. Ein zellenreiches, stellen-
weise Fett (f) enthaltendes Bindegewebe umgiebt, in dieselbe
eindringend, die spindelförmige, eingeengte Eihöhle. Das
gleichfalls spindelförmige Ei, welches letztere nicht mehr aus-
füllt, enthält nur noch einen glasigen Dotterrest mit mehreren
Epithelkernen und das kleine fettgeschwärzte Keimbläschen.
Die gequollene Zona ist halb zusammengefaltet und hebt sich
stellenweise von dem veränderten Inhalt nicht mehr ab. |
Follikeln des Mäuse-Eierstockes. Vergr. wie oben.
Eierstockes. Ein in den äusseren Lagen zellenreiches (s. Fig. 7),
in den inneren fibrilläres Bindegewebe umgiebt, in sie ein-
dringend, die hier leere Eihöhle.
matolytisch degenerirten Follikel des Meerschwein-Eierstockes.
Z. apochr. Imm. 2,0 Oc., Tubusl. wie oben. Th. — Theca,
e. = externa, i. — interna, E. = Epithel, E, poor ET
Interepithelialnetz . (Palladino). — In dem Kern einer nach
aussen gelegenen und denjenigen der inneren Epithelzellen
ist Zerfall des Chromatinnetzes eingetreten. Zelleontour nur
bei einer der betroffenen Zellen noch undeutlich sichtbar.
Kerneontouren theils noch, theils nicht mehr erkennbar. Chro-
matinbrocken hier durchweg kreisrund.
chromatolytisch degenerirten Follikel des menschlichen Eier-
stockes. Härtung mit Kal. bichr. und Alkohol. Hämatoxylin-
Beitrag zur Kenntniss der Follikelatresie ete. 237
färbung. Vergr. wie oben. Th. —= Theca, mit ce. = capillare,
Ep. = zhromatolytisch zerfallenes Epithel. An Stelle des
völlig zerstörten Epithels finden sich in dem Zellprotoplasma
theils zerstreut, theils noch in die ursprüngliche Kernform ge-
bannt, kleine Chromatinkörner. Zellgrenzen unsichtbar.
. Durchschnitt durch einen der Reife nahen chromatolytisch de-
generirten Follikel des Hunde-Eierstockes. Saffranin-Gentiana-
färbung. Z. DD. Comp. Oe. 2. Tubusl. wie oben. Epithel
chromatolytisch zerfallen. Der von einer gequollenen, an
einer Stelle unterbrochenen Zona umgebene Dotter ist stark
mit Fettkörnern imprägnirt. Das weit excentrisch gelegene
Keimbläschen enthält gleichfalls Fett. Sein Chromatinnetz be-
steht aus zahlreichen dicht gedrängten Chromatinkörnern.
. Segment eines Durchschnitts durch einen oberflächlich ge-
legenen reifen chromatolytisch und fettig degenerirten Follikel
des Ratten-Eierstockes. Z. apochr. Imm. 2,0 Comp. Oe. 4.
Tubusl. wie oben. 0. = Oberfläche des Eierstockes, Th.
ec. — Theca, an dieser Stelle nur durch ein Capillargefäss re-
präsentirt. Ep. = Epithel, Liq. = Liquor. Die bläschenförmig
aufgeblähten Zellen enthalten theils nur Fettkörnchen (der
Kern ist schon zu Grunde gegangen), theils enthalten sie
ausserdem unveränderte oder chromatolytisch entartete Kerne
oder endlich Chromatinbrocken (einmal in Form eines Ringes).
Dass in einigen Zellen der Figur scheinbar mehrere Kerne
resp. auch deren Ueberreste liegen, erklärt sich durch ver-
schiedene Einstellung.
Schnitt durch einen unreifen atretischen Follikel des Meer-
schwein-Eierstockes. Z. DD. Oc. Tubusl. wie oben. Beschrei-
bung s. Text S. 222 f. (Atrophie des Epithels?).
. Durchschnitt durch einen unreifen atretischen Follikel des
Meerschwein-Eierstockes. — Halbschematisch. Z. A. 0Oe.
Tubusl. wie oben. Th. int. = Theca interna, a = der in
Fig. 15a vergrössert wiedergegebene Theil derselben. Ep. —
Epithel, b = der in Fig. 15b vergrössert wiedergegebene
Theil desselben. Bindegewebseinwucherung in das Gebiet der
Epithelien.
Fig. 15a. Z.apochr. Imm. 2,0. Oc. Tubusl. wieoben. Die mit grossen
Kernen versehenen Bindegewebszellen der Theca int., welche
zwischen sich Capillaren (c.) erkennen lassen, dringen zwi-
schen die Epithelien ein.
Fig. 15b. Vergr. wie oben. Beschreibung s. Text S. 228.
Fig. 16.
Durchschnitt durch einen reifen oder jedenfalls nahezu reifen
atretischen Follikel des Meerschwein-Eierstockes. Z. DD. Comp.
Oe. 2. Tubusl. wie oben. Bindegewebseinwucherung in die
Follikelhöhle. Die Follikelhöhle, deren Inhalt im Uebrigen
aus unveränderten, chromatolytisch zerfallenen Epithelien resp.
deren Ueberresten und Fett- und Chromatinerfülltem Liquor
238
Fie.
Fig.
J. Sehottlaender: Zur Kenntniss der Follikelatresie etc.
18.
besteht, ist durch einen brückenartigen, von der Theca aus-
sehenden, deutlich fibrillären Bindegewebsstrang in zwei un-
gleiche Abschnitte getheilt. Der Strang ist mit Chromatin-
brocken und Fett durchsetzt. An der Stelle seiner Einsenkung
in die Follikelhöhle ist das Epithel und die Membrana propriäa
geschwunden. In dem oberen Abschnitt befindet sich anschei-
nend ein fettig degenerirter Eirest.
. Theil eines Schnittes durch einen halbreifen atretischen Follikel
des Ratten-Eierstockes. Z. apochr. Imm. 2,0. Comp. 0Oe. 4.
Tubusl. wie oben. Bindegewebs- und Gefässeinwucherung in
die Follikelhöhle. Die Theca int. (Th.), welche reichlich Ca-
pillaren (ce) enthält, beginnt sammt letzteren in die Follikel-
höhle einzudringen.. Die Grenze gegen das Epithel, wel-
ches sich im Zustande chromatolytischer Entartung befindet,
ist geschwunden.
19. Theile eines Schnittes durch einen unreifen atretischen
Follikel des Ratten-Eierstockes. Vergr. wie oben. Gefässein-
wucherung zwischen die im Beginn der Atrophie (?) befind-
lichen Epithelien.
Th. = Theca interna und Ep. — Epithel gehen ohne scharfe
Grenze in einander über. Das chrom. Gerüst der nicht ver-
kleinerten Epithelkerne abgeblasst. Zwischen ihnen wie zwi-
schen den Bindegewebszellen stark gefärbte Capillarsegmente.
Blutkörperchen hier nicht sichtbar.
Zwischen den Epithelkernen (Ep.), für die das in Fig. 18 Ge-
sagte gilt, die gleichen Capillarsegmente wie oben. Hier
stellenweise Blutkörperchen sichtbar.
. Durchschnitt durch einen unreifen oberflächlich gelegenen
Follikel des Ratten-Eierstockes. Z.DD. Comp. Oe. 2. Tubusl.
wie oben. Centrale Gefässeinwucherung. Beschreibung siehe
Text 8. 227.
Schnitt durch ein Follikelderivat aus dem Eierstock des Meer-
schweinchens. Z. DD. Comp. Oec. 4 Tubusl. wie oben. Pe-
ripherisch dasselbe im ÖOvarialstroma gelegene zellenreiche,
spärliche Gefässe enthaltende Gewebe wie in den Figg.7 u. 9.
Central eine ovale stark fibrilläre Bindegewebsschicht, welche
an Stelle der ursprünglichen Eihöhle und ihrer Umgebung ge-
treten ist.
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239
Weitere Beobachtungen an Gordius tolosanus
und Mermis.
Von
Br. v. Linstow in Göttingen.
Hierzu Tafel XII.
Gordius tolosanus Duj.
Fig. 1—9.
Im Frühling und Sommer des Jahres 1890 setzte ich meine
Untersuchungen an Gordius tolosanus fort und hatte im Auffinden
dieses Helminthen Glück, denn ich fand in der nächsten Nähe
Göttingens nicht weniger als 105 Exemplare. Zunächst versuchte
ich wieder Larven in aus dem Wasser gefischten Käfern zu erhalten,
und gelang es mir, in 17 Käfern 8 Gordius-Larven zu finden;
im Monat April schwammen wieder die schwarzen Laufkäfer an
der Oberfläche der Wiesengräben, theils lebend, theils sterbend,
theils todt, wie ich es im Frühling 1889 in ähnlicher Weise be-
obachtete und in diesem Archiv!) geschildert habe; man wird
also diese Art und Weise der Gordius-Larven in das Wasser zu
gelangen als die regelmässige ansehen können. Pterostichus niger
war auch dieses mal der Wirth der Larve. Die Fundzeit er-
streekte sich vom 9. bis 19. April, doch hatten meine Exeursionen
wohl etwas zu spät begonnen, denn am erstgenannten Tage fand
ich bereits 3 Gordien frei in einem Graben. : Nie fand sich mehr
als eine Larve in einem Käfer, welche dessen Hinterleib bewohnte;
neben derselben fand man nur noch den Darm; der Fettkörper,
von dem der Gordius offenbar lebt, war gänzlich geschwunden,
ebenso die Geschlechtsorgane (Fig. 5).
Die Käfer schwammen alle auf der Wasseroberfläche, nur
einmal fand ich einen Pterostichus, der zu Boden gesunken war
und bei der Untersuchung einen Gordius ergab. Als ich eines
1) Bd. XXXIV, pag. 249.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 16
TE
ER Bu
240 v. Linstow:
Abends eine Anzahl dieser Käfer aus dem Wasser gefischt und
mit nach Hause genommen hatte, ohne dass ich sie gleich unter-
suchen konnte, zeigte sich am andern Morgen ein freier Gor- -
dius neben ihnen im Glase, der sich während der Nacht selbst-
ständig aus einem der Käfer herausgebohrt hatte.
Nur in einem Falle traf ich noch im Sommer eine Larve °
in einem Käfer; am Rande eines kleinen Tümpels im Felde lief
am 22. Juni ein Pseudophonus pubescens, der eine Gordius-Larve
enthielt.
Was die Fundstätten der freilebenden Exemplare betrifft, so
waren es ausnahmslos kleine, seichte, stagnirende Gewässer oder
solche mit kaum merklichem Strom. Im Frühling ist das Auf-
finden leicht, wenn der Grund der Gräben und Tümpel noch
ohne Vegetation ist und die sich unaufhörlich bewegenden Thiere 7
leicht in die Augen fallen; später wird das Entdecken bei dem 7
Ueberhandnehmen des Pflanzenwuchses bald unmöglich. Uebri- °
gens müssen die Gordien massenhaft durch Austrocknen der Ge-
wässer sterben; die Gräben und Tümpel, welche mir in diesem ”
Jahre die Gordien lieferten, waren am Ende des Sommers fast
alle ausgetrocknet; diese Gewässer können also nur durch Käfer
im kommenden Frühling von neuem mit Gordien bevölkert wer-
den. Im Folgenden gebe ich eine Uebersicht der in diesem
Jahre gefundenen Gordien mit Angabe der Tage.
j en Larven in Käfern | Frei im Wasser
Datum | Käfer E
RR» EN
9. April 12 1 2 En - 2
10,05 — — = 2 —
14.5 1 1 u 3 1
19,3%, 2 1 1 _ —
I HE 1 — T — E=
13. Mai — = — ii —
6. Juni — — E= 3 2
HRS, — — _ <. |
Sl — — — 14 8
ae — — — 2 3
10:2 _ — — 5 —
13.7), _ — _! 1 1
Dr 1 — 1 5 2
DR. — — — 10 1
BEN = — — 2 1
a - — 1 —_
SEE — — RE 1
21. Juli — — — 94 —
Du — — = 1
2: 1 MER — — _ 10 2
Weitere Beobachtungen an Gordius tolosanus und Mermis. 241
Am 19. April fand ich in einem Pterostichus eine noch
ganz schneeweisse Larve, welche am Kopfende noch den em-
bryonalen Bohrstachel zeigte. Sie war 65 mm lang und 0,62 mm
breit und ungemein zart und zerreisslich; sie wurde 5 Minuten
in eine concentrirte Sublimatlösung gelegt, dann ausgewässert
und nun in 70-, 80-, 90- und 991/,-procentigem Alkohol vor-
sichtig gehärte, um dann in der gewöhnlichen Weise gefärbt
und eingebettet zu werden.
Weisse Gordius-Larven mit embryonalem Bohrstachel hat
Villot bereits in seiner Monographie des Dragonneaux erwähnt.
Diese weissen Larven müssen in den Käfern aufgewachsen sein,
denn sie vertragen kein Wasser; in den Käfern machen sie eine
Häutung »-durch.
Unter dem Mikroskop gewähren diese weissen Larven einen
sehr merkwürdigsn Anblick; die ganze Körperoberfläche erscheint
zellig (Fig. 1); überall sieht man rundliche, gekernte Zellen,
welche der Hypodermis angehören, die durch das noch kaum
entwickelte Derma durchscheinen; auf Durchschnitten erkennt
man letzteres (Fig. 4, d) als sehr dünne, hyaline Membran, dar-
unter die aus grossen, schönen, gekernten Zellen bestehende Hy-
podermis (Fig. 4, h), unter ihr die Muskellage und darunter eine
Schicht, weiche aus gewellten Fibrillen besteht (Fig. 4, f); in
ihr liegt in der Bauchlinie dicht unter dem Darm ein Strang,
welcher aus 3 parallelen Zellsträngen besteht (Fig. 4, n), die An-
lage des Bauchnervenstranges.. Die Hypodermis ist also die
Matrix der Hautschicht, was Villot!) in Abrede stellt.
Mächtig ist der Darm entwickelt, der aus granulirten Zellen
mit Kern und Kernkörperchen besteht und von einer Membrana
propria eingehüllt wird; er ist viel stärker als in den älteren,
braunen Larven, in denen er !/;, des Körperdurchmessers gross
ist, in den weissen, jüngeren Larven aber !/,; in geschlechts-
reifen Larven misst er oft nur '/,, des Körperdurchmessers; um-
geben wird er hier von einer gekernten Bindegewebshülle. Der
Zellkörper besteht aus Zellen mit verhältnissmässig sehr grossen
Kernen. Der embryonale Bohrstachel findet sich in zurückge-
zogenem Zustande; er ist 0,034 mm lang und 0,011 mm breit,
während der Körper vorn eine Breite von 0,28 mm hat (Fig. 3).
1) Sur l’anatomie des Gordiens. Ann. des sc. natur. 7. ser.
Nr. 3—4, Paris 1887, pag. 193.
342 v. Linstow:
Die Hypodermis-Zellen erscheinen von der Körperoberfläche
gesehen kreisförmig, die Kerne sind 0,021 mm gross (Fig. 2);
das Derma ist unfärbbar und hat eine Dicke von 0,0012 mm.
Der Darm ist 0,12 mm breit und 0,075 mm hoch; seine Wandung
misst 0,021 mm; die Kerne sind 0,01lmm gross. Die Anlage
des Bauchnervenstranges ist 0,094 mm breit und 0,021 mm hoch.
Nach diesen Beobachtungen halte ich das Ertrinken der
Käfer in den Frühlingsmonaten für ein regelmässiges Vorkomm-
niss im Gegensatz zu Villot!), welcher das Vorkommen der
Gordiuslarven in Käfern und deren ins Wasser fallen „un cas“
nennt, „qui a un caractere trop exceptionnel pour servir de base
a une explication rationelle du phenomene“.
In einfachster Weise wird so auch das Vorkommen grosser
Gordien in Fischen erklärt; man hat sie gefunden in Thymallus
vulgaris, Salmo spec. (?), Trutta fario, Coregonus Wartmanni,
Aspius rapax und Abramis brama?), was wohl nicht wunderbar
ist, da alle diese Fische gelegentlich Käfer und andere Insekten
fressen, also nur zu leicht einen Käfer, welcher eine Gordius-
larve enthält, verschlingen können. In Holstein habe ich Aspius
rapax mit grossem Erfolg durch Maikäfer gefangen, welche auf
einen Angelhaken gespiesst waren. |
Da die Bäche und Tümpel, in welchen die Gordien leben,
im Sommer häufig austrocknen, wird durch die Käfer ihr Aus-
sterben verhindert, welche zugleich für eine Weiterverbreitung
sorgen.
Das Geschlecht der erwachsenen, im Wasser lebenden
Thiere kann man an der Farbe erkennen, denn die Männchen
sind schwärzliehbraun, die Weibchen hell lehımbraun; durchschnitt-
lich sind erstere 120mm lang und 0,55 mm breit, letztere aber
170 mm lang und 1,04mm breit; häufig findet man unter ihnen
Zwergexemplare; die männlichen erreichen nur eine Länge von
39mm und eine Breite von 0,32 mm, während diese Weibchen
51 und 0,35 mm messen; ob diese Zwerge zu mehreren in einem
Pterostichus oder ob sie in einem kleineren Käfer, etwa einer
Amara gelebt haben, vermag ich nicht zu sagen.
1) Nouv. rech. sur le d&volopp. des Gordiens. Ann. des sc. natur.
zoolog. f. XI, Paris 1881, pag. 17. ke
2) E. Dallmer, Fische und Fischerei im süssen Wasser. Schles-
wig 1877, pag.59.
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Weitere Beobachtungen an Gordius tolosanus und Mermis. 243
Die Männchen sind erheblich häufiger als die Weibchen,
und ihre Menge verhält sich zu der der letzteren etwa wie 7:3.
Beim Studium des Baues der geschlechtsreifen Thiere habe
ich dieses Mal nur auf einen in meiner vorigen Arbeit zweifel-
haft gebliebenen Punkt geachtet, auf die Verbindung des Rücken-
kanals beim Weibehen mit den Geschlechtsorganen und hat sich
meine dort!) ausgesprochene Vermuthung, derselbe möchte ein
gegen Ende des Geschlechtslebens funktionirender Verbindungs-
gang sein zwischen Ovarien und Eiersäcken, wenn die directen
Communicationen zwischen beiden sich wieder geschlossen haben,
bestätigt.
0,9 mm vom Kopfende entfernt findet man die Verbindung
zwischen dem Rückenkanal und den Eiersäcken (Fig. 7, r); der-
selbe endet hier und läuft nach der Bauchseite hin in 2 Aeste
aus, von denen jeder in einen der Eiersäcke tritt; das hintere
Ende aber verbreitert sich 0,66 mm vom Schwanzende entfernt
plötzlich sehr (Fig. 8, r), um links und rechts in die Ovarien
einzumünden. So werden also, wenn die Eiablage fast vollendet
ist und die Verbindungen zwischen Ovarien und Eiersäcken nicht
mehr bestehen, die letzten- Eier in der Weise entleert, dass sie
im Ovarium von vorn nach hinten geleitet, hier in den Rücken-
kanal gelangen, in diesem bis zum Kopfende geführt werden
und von da in die Eiersäcke gelangen, in denen “sie von vorn
nach hinten in den Uterus kommen.
Mit Rücksicht auf diese Veränderungen im Körper kann
man mit Sicherheit annehmen, dass das Leben der Thiere nur
em einjähriges ist; der fast ausgeleerte Körper des Weibchens
wird sich nicht wieder füllen können, da im Wasser keine Nah-
rung aufgenommen wird.
Die Copula, welche bereits im April vollzogen werden kann,.
ist schon von Meissner?) beobachtet und abgebildet; nach der-
selben bemerkt man am Schwanzende beider Geschlechter weisse, -
flockige Massen, die sich als Samen erweisen.
Bald darauf umschlingen die befruchteten Weibehen dünne
Pflanzenstengel im Wasser, um an dieselben die anfangs schnee-
1) 1. ce. pag. 266.
2) Zeitschr. für wissensch. Zoolog. VIII, Leipzig 1855, Tab. VI,
Fig. 27.
244 | Yv Linsios
weissen Eierschnüre zu kleben (Fig. 6), während die Männchen
sich lebhaft im Wasser bewegen; die. erste Eiablage bemerkte
ich am 14. April, die letzte am 2. August und scheint dieselbe
für jedes Weibehen 4 Wochen. zu dauern. Die schneeweissen
Eimassen werden nach 24 Stunden bräunlich; die Eier sind
kugelförmig und 0,039 mm gross. Bald tritt der granulirte Dotter
weit von der hyalinen Hülle zurück, es werden zwei Richtungs-
körperchen ausgeschieden, und die Embryonalentwicklung ist in
etwa vier Wochen vollendet.
Am Embryo, den schon Meissner!) beobachtet und abge-
bildet hat, unterscheidet man einen 0,031 mm langen und 0,018 mm
breiten Vordertheil mit Querriegeln (Fig. 9) und einen 0,034 mm
langen und 0,016 mm breiten Hintertheil mit zwei Spitzen am
Ende; der ein- und ausstülpbare Rüssel ist 0,017 mm lang und
besteht aus drei Chitinstäben; an der Basis stehen zwei Kränze
von je sechs mit einer Spitze versehenen Wülsten; die der bei-
den Kränze stehen alternirend. Der ganze Apparat wird in
zurückgezogenem Zustande gebildet und kann erst nach der Voll-
endung vorgedrängt werden.
Das Eindringen dieser Embryonen in Ephemera-Larven
wurde von Meissner beobachtet, der auch in der Göttinger
Gegend, vermuthlich an denselben Orten, an welchen ich die
zweite Larvenform in Käfern fand, seine Funde machte; ver-
muthlich werden die Gordiuslarven mit den entwickelten Ephe-
meren aus dem Wasser gebracht und so am Lande von den
Laufkäfern gefressen.
Mermis erassa.
Fig. 10.
In dem Graben, in welehem ich die in diesem Archiv?)
beschriebene Mermis erassa fand, suchte ich in diesem Sommer
nach den Larven derselben und war so glücklich, sie in den
Wasserlarven von Chironomus plumosus zu finden. Am 14. Juli
und am 15. August untersuchte ich eine grössere Menge der-
selben und fand am ersteren Tage vier, am letzteren ein Exem-
plar, das die Larven Mermis erassa enthielt, die zu 1 bis 6 Exem-
1) a.a.O.pag. 126—129, Tab. VI, Fig. 28—29, Tab. VII, Fig. 30—38.
2) Bd, XXXIV, 1889. pag. 392—396, Tab. XXII, Fig. 2—8.
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Ei
-
—
a Re.
Weitere Beobachtungen an Gordius tolosanus und Mermis. 245
plaren in diesen Dipteren-Larven leben. Die Helminthen sind
ungemein zart und verletzbar, sie sind ganz unbeweglich und
liegen frei in der Leibeshöhle neben dem Darm ihres Wirthes.
Der Körper ist durchscheinend, die Cutieuda ist sehr dünn und
zart, sie zeigt schwer erkennbare, 0,005 mm entfernte Querringel;
dazwischen stehen undeutlichere, unmessbar nahe Längsstreifen
der Muskulatur. Ein scharf contourirtes, an der Bauchseite ver-
laufendes Chitinrohr des Oesophagus lässt sich weit nach hinten
verfolgen, das. Ende ist nicht genau zu bestimmen. Der Darm
endet blind 0,3 mm vom Schwanzende entfernt; ein Anus fehlt.
- Die Grösse beträgt 5,53 bis 9,5 mm, die Breite 0,15 bis 0,25 mm.
Die Breite verhält sich zur Länge wie 1:37—38. Vermuthlich
verlässt die Mermis-Larve diejenige von Chironomus plumosus vor
deren Verwandlung im Wasser; im andern Falle würde das
vollkommene Insekt zur Verbreitung des Helminthen beitragen
und den Parasiten vielleicht nach der Eiablage in's Wasser frei
geben, da diese Dipteren nach Vollendung derselben oft erschöpft
ins Wasser fallen und sterben, worauf die Mermis-Larven frei
würden. Diese letzteren sind so fein und zart, dass Durchschnitte
nicht zu erlangen sind.
Grosse Mermis-Larven 'sind früher schon zweimal in Chiro-
nomus plumosus, nicht in der Wasserlarve desselben gefunden,
zuerst von v. Siebold!) der einen Fadenwurm ohne Schwanz-
horn, vielleicht zu Mermis albicans gehörig, erwähnt, und Krae-
mer?), der einen 31 mm langen und 0,5 mm dicken, Merinthoidum
mueronatum genannten Helminthen anführt, den v. Siebold eben-
falls für eine Mermis hält.
Mermis Hyalinae.
Fig. 11—14.
Herr V.v.Koch in Braunschweig hatte die Güte, mir eine
von ihm in Hyalina cellaria Müller in einem Buchenwalde auf
Plänerkalk im Braunschweigischen gefundene Mermis zu schicken,
wofür ich an dieser Stelle nochmals bestens danke. Der Fund-
1) Stettin. entomolog. Zeitung, Bd. IX, 1848, pag. 299.
2) Münchener illustr. medic. Zeitung, Bd. III, 1855, Heft 6,
pag. 291, Tab. XI, Fig. 9—10.
946 v. Linstow:
ort liegt am Nordabhange der Höhenzüge von Weddingen bis
Dören bei Liebenburg, und unter 10 Exemplaren von Hyalina
enthielt eins die Mermis.
Das Exemplar ist 96 mm lang und 0,36 mm breit. Das
Schwanzende ist abgerundet, ohne griffelförmigen Fortsatz, wie
man ihn bei anderen Mermis-Larven, so bei der von M. albicans
und M. crassa findet; die Cutieula ist glatt, die Cutis ist in der
Gegend der Dorsolateral- und der Ventrolateral-Wülste verdickt
nach der Innenseite zu; der Oesophagus hat ein starkwandiges,
enges Chitinrohr, das im Scheitelpunkt des Kopfes seinen An-
fang nimmt und dann von der Mittel- zur Bauchlinie hinabsteigt;
am Kopfende (Fig. 12) stehen 6 Papillen in der Dorsal-, Ven-
tral-, in den Dorsolateral- und den Ventrolateral-Linien; dicht
hinter der an der Bauchseite gelegenen mündet das Exeretions-
gefäss (Fig. 12 e); 1,76 mm vom Kopfende entfernt bemerkt man
in der Bauchseite zwei länglich-runde, dunkle Organe, welche
die Anlage der Geschlechtsorgane zu sein scheinen (Fig. 118g).
Eine Subeuticularschicht sendet an den sechs genannten Linien
Wülste nach innen, von denen die vier lateralen sehr mächtig
sind und in Längsreihen geordnete, granulirte Kerne zeigen
(Fig. 14); zwischen ihnen stehen sechs Muskelfelder (Fig. 14 m),
und der übrige Raum wird grösstentheils vom Zellkörper aus-
gefüllt, dessen grosse, meistens 0,11 mm breite Zellen man durch
die sehr derbe Cutis hindurch schimmern sieht, welche die bei
Mermis gewöhnlichen zwei sich unter bestimmtem Winkel kreu-
zenden Liniensysteme zeigt.
Mermis-Larven scheinen in Mollusken nur höchst selten vor-
zukommen; soweit mir bekannt ist, wird ausser dem hier mit-
getheilten Fall nur über zwei andere berichtet.
v. Siebold erwähnt im Jahre 1837!) das Vorkommen
eines Rundwurms in Suceinea putris Lin. (=. amphibia); er
spricht von einem dünnen Fadenwurm von 41/, Zoll = etwa
122mm Länge, der eher einem Gordius als einer Filaria glich
und mehrere Wochen im Brunnenwasser lebte. Im Jahre 1855?)
1) Archiv für Naturgeschichte IM. Jahrg., Berlin 1837, Bd.JJ,
pag. 255.
2) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoolog. Bd. VII, Leipzig 1855,
pag. 144.
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Weitere Beobachtungen an Gordius tolosanus und Mermis. 247
zog er die Form mit zu Mermis albicans, aber wohl mit Un-
recht, denn es ist kaum anzunehmen, dass eine Art, deren
Larve in Insekten, vorwiegend in Schmetterlingsraupen lebt,
_— aueh in Mollusken vorkommen sollte. Die Larve von Mermis
nigreseens lebt nach van Beneden!) in Melolontha vulgaris und
zwar enthielten die Weibchen beim Verlassen der Käfer be-
reits Eier.
Der zweite Fall wurde von W. Mitten?) beobachtet, der
eine Mermis-Larve in Limax agrestis Lin. fand. Das Exemplar
war 3Zoll = 81mm lang; es war rahmfarben mit einer feinen,
schwarzen Linie und zeigte sich fest und starr (firm and rigid)
wie gewöhnlich. Der Artikel ist überschrieben „Mermis ni-
srescens“, da eine Beschreibung aber hier wie bei v. Siebold
fehlt, ist es gestattet, die richtige Bestimmung anzuzweifeln.
Eine andere Form ist in Spinnen beobachtet, so in Pha-
langium opilio, Mieryphantes bieuspidatus, Lycosa seutulata (?),
Lyeosa spec. (?), Drassus spee. (?), I.atrodeetus spee. (?), Taran-
tula inquilina, Saltieus formicarius, Tegeneria atriea, und viel-
leicht gehört auch der von Rösel?) beobachtete Fall aus Epeira
diademata hierher. Die Beobachtungen der Mermis-Larven in Ta-
rantula, Saltieus und Tegenaria stammen von Bertkau®). Die
geschlechtsreife Form dieser aus Spinnen und der aus Mollusken
kommenden Larven kennen wir nicht, und so lange sie unbe-
kannt ist, halte ich es der gänzlich verschiedenen Larvenwirthe
wegen für nicht thunlich, sie mit Mermis albicans und nigrescens
zu vereinigen. Unsere Kenntniss der geschlechtsreifen Mermis-
Formen ist ja noch eine sehr lückenhafte, was wohl seinen Grund
in ihrem Aufenthaltsorte hat; leben sie doch entweder in der
Erde, aus der sie nur bei seltenen Gelegenheiten, im Sommer
nach heftigen Regengüssen, an die Oberfläche kommen, oder am
Boden schlammiger Gewässer. ing
1) Memoire sur les vers intestinaux. Paris 1861, pag. 277—278,
tab. XXIV, Fig. 10—23.
2) Annals and magaz. of nat. hist. 3. ser., vol. XX, London 1867,
pag. 445—446.
3) Insektenbelustigung Bd. IV, Nürnberg 1761, pag. 264, Tab.
XXXIV, Fig. 5.
4) Verhandl. d. naturhist. Vereins d. preussischen Rheinlande etc.
Bd. 45, Bonn 1888, pag. 91—9.
248 f v. Linstow:
Was den anatomischen Bau des Genus Mermis betrifft, so
ist allen Arten gemeinsam eine dünne, anscheinend strukturlose
Outieula, eine sehr derbe Cutis, welche von zwei sich in einem
bestimmten Winkel kreuzenden Systemen von Parallellinien - be-
deckt ist, eine Hypodermis, die an sechs Linien nach innen zu
Längswülsten vorgebuchtet ist, sechs zwischen ihnen liegende
Muskelbänder und sechs am Kopfende stehenden Papillen. Der
Oesophagus ist lang und zeigt im Innern ein diekwandiges Chi-
tinrohr. Als Darm scheint der Zellkörper zu funktioniren; ein
Anus fehlt. Der Hauptnervenstrang verläuft wie bei Gordius in
der Bauchlinie. Später schwindet der Oesophagus bis auf das
Chintinrohr. Die sechs Längswülste liegen in der Dorsal-, der
Ventral-, den Dorsolateral- und den Ventrolateral-Linien. Meiss-
ner!) findet bei Mermis albicans zwei Zellenschläuche in den
Seiten- und eine in der Bauchlinie; drei andere Längsstränge,
welche in der Rücken- und in der Mitte zwischen Bauch- und
Seitenlinie liegen, hält er für Nervenstränge. Aehnlich schildert
Schneider?) diese Verhältnisse bei Mermis nigrescens. Hier
werden eine Bauch-, eine Rückenlinie, zwei secundäre Bauch-
Iinien und zwei Seitenfelder unterschieden. Ich kann aber auf
Grund eigener Untersuchungen versichern, dass auch hier sechs
Längswülste der Hypodermis an den mehrfach bezeichneten Orten
vorkommen.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XII.
Fig. 1—9. Gordius tolosanus.
1. Kopfende einer weissen Larve aus Pterostichus niger mit em-
bryonalem Bohrstachel und durchscheinenden Zellen der Hy-
podermis.
Diese Zellen sehr stark vergrössert.
Der Bohrstachel, ebenso.
4. Theil eines Querschnitts einer weissen Larve; Bauchgegend.
d Derma, h Hypodermis, m Muskulatur, n Zellen, aus denen
der Bauchnervenstrang entsteht, z Zellkörper, i Darm, f Fibril-
lenschicht.
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1) Zeitschr. f. wiss. Zoolog. Bd. V, Leipzig 1856, Tab. XI, Fig.1.
2) Monographie der Nematoden, Berlin 1866, Tab. XVI, Fig. 12.
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=
Weitere Beobachtungen an Gordius tolosanus und Mermis. 249
2 5. Hinterleib von Pterostichus niger, von dem die Rückenwand
BE entfernt ist, um die in ihm liegende Gordius-Larve zu zeigen.
6. Wasserpflanze, die von einem weiblichen, eierlegenden Gordius
umschlungen wird, am Schwanzende Eiermassen, e weisse Ei-
schnüre.
7u.8. Querschnitte geschlechtsreifer, weiblicher Gordien, 7 vom
Kopf-, 8 vom Schwanzende, e Epidermis, d Derma, h Hypo-
| dermis, m Muskulatur, z Zellkörper, n Bauchnervenstrang,
I i Darm, s Samenblase, o Ovarium, ei Eiersack, r Rückenkanal.
B 9. Embryo im Ei; b Bohrstachel, II u. III die Kränze von je
6 Spitzen.
Fig. 10. Kopfende der Larve von Mermis crassa aus der Larve von
h Chironomus plumosus.
Fig. 11—14. Mermis Hyalinae.
| 11. Vorderende, z Zellkörper, & Geschlechtsanlage.
12. Kopfende, p Papille, e Exceretionsgefässöffnung.
13. Querschnitt durch die Gegend der Papillen ;o Vesophaguslumen.
14. Querschnitt durch die Mitte; e Epidermis, d Derma, h Hypo-
dermis, d Dorsal-, v Ventral-, di Dorsolateral-, vl Ventrolateral-
wulst, z Zellkörper, m Muskulatur, o Oesophaguslumen.
. .-
Ueber Theilung und Kernformen bei Leuko-
cyten, und über deren Attractionssphären.
Von
Ww. Flemming in Kiel.
Hierzu Tafel XIII und XIV.
I. Mitotische Theilung bei Leukoeyten.
Es besteht bis jetzt noch Meinungsverschiedenheit über die
Frage, ob Zellen, wie Leukocyten des Blutes, der Lymphe und
ähnlich beschaffene Wanderzellen in Geweben, sich ausser auf
‚amitotischem Wege auch auf dem der Mitose theilen können.
Die Frage hat nicht nur Bedeutung vom cellular-physiologischen
' 250. W. Flemming:
Standpunkt, sondern gewiss auch einiges praktisches Interesse
für die pathologische Gewebelehre; denn der Forscher in dieser
hat ja vielfach damit zu rechnen, ob eine Zelle, die er irgendwo
in Mitose findet, eine wirkliche freie Wanderzelle sein kann
oder nicht.
Die ersten Angaben über mitotische Theilung von Wander-
zellen und farblosen Blutzellen hat Peremeschko nach Be-
obachtungen bei der Tritonlarve gemacht!). Sie gaben zwar
keine bestimmte Gewähr dafür, dass jene Zellen in der That
freie Wanderzellen, und dass die in Gefässen gesehenen nicht
vielleicht junge rothe Blutzellen waren; doch habe ich mich der
Deutung Peremeschko's angeschlossen?2), nachdem ich bei
eigenen Arbeiten an der Salamanderlarve, an verschiedenen Stellen
des Bindegewebes, Zellen gefunden hatte, bald verstreut, bald in
Häufehen angeordnet, die sich durch Form und Färbungseigen-
schaften sicher als freie Elemente kundgaben und von denen
einzelne in Mitose waren. Eine solche Zellengruppe ist a.a. O.,.
S. 296, Fig. R, gezeichnet. Bereits früher?) hatte ich Mitosen
aus dem leukämischen menschlichen Blut beschrieben, aber dar-
aus allein noch keinen sicheren Schluss dahin wagen können,
„dass farblose Blutzellen sich mit Mitose vermehren“, da sich
nicht feststellen liess, ob die betreffenden Zellen nicht etwa aus
dem Knochenmark oder der Milz stammten; ich schloss jenes
erst nach den vorher erwähnten Beobachtungen.
Etwa gleichzeitig ®), und weiter 1884°), theilte Arnold den
Befund von Kernfiguren vom Typus der indirekten Kerntheilung
in erkrankten (chronisch- und acut-hyperplastischen) Lymph-
drüsen mit und beschrieb) das häufige Vorkommen von Mitosen
1) Kurze erste Notiz im Centralblatt f. d. med. Wiss. 1878,
7. Juli, S. 547, und Arch. f. mikr. Anat. 1880, S. 170.
2) Zellsubstanz, Kern und Zelltheilung, 1882, S. 256.
3) Beiträge zur Kenntniss der Zelle ete. 1881, 8, 57—58.
4) Arnold, Beiträge zur Anat. des miliaren Tuberkels. Ueber
Tuberkulose der Lymphdrüsen und Milch, Virch. Arch. 1882, S. 132.
5) Ueber Kern- und Zelltheilung bei acuter Hyperplasie der
Lymphdrüsen und Milz, daselbst 1884, S. 46.
6) Beobachtungen über Kerne und Kerntheilungen in den Zellen
des Knochenmarks. Daselbst 1883, S. 23 ff. Sep.-Abdr. — Eine frühere
Angabe von Mayzels. bei Arnold S.3 a. a. O.
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 251
in Zellen des Knochenmarks; letztere Angabe ist für unseren
_ Gegenstand dadurch bemerkenswerth, dass Arnold hierbei nach
seiner ganzen Beschreibung (S. 21 ft.) offenbar farblose Knochen-
markzellen im Auge hatte, nicht Hämatoblasten, bei welchen letz-
_ teren die Mitose ja damals schon bekannt war.
1 Nach den eben erwähnten Angaben Arnold’s über die
_ hyperplastisch erkrankten Lymphdrüsen trat in diesen die mito-
tische Zelltheilung gegenüber den anderen von ihm beschriebenen
Kerntheilungsvorgängen — Fragmentirung, direete Segmentirung
— so sehr in den Hintergrund, dass man sich fragen musste, ob
sie in diesen Organen ein physiologischer Vermehrungsmodus
‚und nicht vielleicht bloss Folge des vorliegenden pathologischen
- Zustandes sei, ob also nicht die Amitose für die wesentliche Er-
neuerungsform der Leukocyten zu gelten habe. Bei Untersuchung
_ der normalen Lymphdrüsen mit geeignetem Verfahren fand ich!)
_ jedoch alsbald in denselben fast nichts von amitotischen Thei-
_ lungen, dagegen so massenhafte Mitosen, dass ich den Schluss
ziehen konnte: die normale Neulieferung von Lymphzellen in
diesen Organen beruht auf mitotischer Theilung, die amitotische
— an deren wirklichem Vorkommen ja schon damals kein Zweifel
sein konnte — kann in den Lymphdrüsen und -Knötchen selbst
dabei wohl keine wesentliche Rolle spielen. Und mit Hinblick
_ auf meinen vorher eitirten Befund — Mitosen im augenschein-
liehen Wanderzellen bei den Larven —, sowie nach den Ver-
hältnissen in den Lymphdrüsen selbst?) konnte ich zugleich
schliessen, dass es wesentlich freie Zellen sind, die sich hier
mitotisch theilen, wenn ich auch das einzelne Vorkommen dieses
Vorgangs in fixen Zellen des Reticulums selbst beobachtete und
notirte?). Es lag somit für mich in diesem Ergebniss ein neuer
Beleg dafür, dass Leukocyten sich auch mit Mitose theilen können.
Diese Verhältnisse in den Lymphdrüsen sind allgemein be-
stätigt, und von Vielen ist die Deutung, die ich ihnen gab, an-
genommen worden; es sind aber auch zwei andere, von ihr wie
unter sich abweichende, aufgetreten.
1) Die Zellvermehrung in den Lymphdrüsen und verwandten
Organen und ihr Einfluss auf deren Bau. Dieses Archiv 1884, Bd. 24,
und Studien über Regeneration der Gewebe, 1885.
2) Daselbst S. 64—65 (Sep.-Abdr. S. 15—16).
3) Ebenda.
2 W. Flemming:
Löwit!) betrachtete wie ich die Mitosen in den Iymphati-
schen Organen als solche von freien Zellen, nahm aber an,
dass diese hier nicht Leukoeyten, sondern künftige rothe Blut-
zellen zu produciren hätten. Denn, wie bekannt, besagt seine
Ansicht über die Blutzellenbildung, dass nur die Vorstufen der
letzteren (Erythroblasten) zur Mitose befähigt und dabei anfangs
farblos sind, während die eigentlichen Leukocyten (Leukoblasten)
sich mit einer besonderen Art vereinfachter Kerntheilung ohne
Mitose (nach Löwit: divisio per granula) vervielfältigen sollen.
Baumgarten?) und Ribbert?) andererseits fassten gleich
mir die Zellen, die sich in den Lymphdrüsen theilen, als Mütter
von Leukocyten auf; aber sie hielten diese Mütter nicht für
freie Zellen, sondern für fixe, zum retieulären Bindegewebe
der Drüsen gehörige — nach Baumgarten Reticulumzellen,
nach Ribbert Endothelzellen, die noch ausser jenen vorhanden
sind ®).
Arnold hat vor zwei Jahren in seiner bekannten Arbeit
„Ueber Theilungsvorgänge an den Wanderzellen“5) unter den
freien Zellen, die er in seinen Hollundermarkplättchen aus der
Lymphe und vom Mesenterium des Frosches auffing, solche ge-
funden, die in Mitose standen (S. 263). Für ihre Deutung ver-
hehlt er sich aber nicht das Bedenken (S. 266), „dass dieselben
vielleicht verschleppte, in Theilung befindliche rothe Blutkörper,
oder Endothelien oder fixe Bindegewebszellen, welche mobil ge-
worden sind“, sein könnten. Arnold kam danach zu dem Schluss:
„Dass die Wanderzellen nach dem Typus der Mitose sich theilen
können, ist zwar sehr wahrscheinlich, aber nicht sicher erwiesen.“
1) Ueber Bildung rother und weisser Blutkörperchen, Wiener
Sitzungsber. Bd. 88, Abth. II1l, 1885. Ueber Neubildung und Zerfall
weisser Blutkörperchen, ebenda Bd. 92, Abth. III, 1885, und: Die Um-
wandlung der Erythroblasten in rothe Blutkörperchen, ebenda Bd. %,
Abth. III, 1887.
2) Ueber Tuberkel und Tuberkulose, Berlin 1885. Besonders
S. 60 ff. |
3) Ueber Regeneration und Entzündung der Lymphdrüsen.
Ziegler’s Beiträge zur pathol. Anat. und allg. Pathol., Bd. VI, 1889.
4) Ribbert spricht sich auch für die Möglichkeit aus (S. 223),
dass „die einkernigen Wanderzellen in den späteren Stadien der Ent-
zündung zum grossen Theil aus den fixen Zellen an Ort und Stelle
entstanden sind“.
5) Dieses Archiv 1888, 3. 270.
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten ete. 253
Löwit, wie man aus einer Aeusserung in seiner letzt er-
schienenen Arbeit schliessen kannt), scheint gegen diese Mög-
liehkeit sehr starke Zweifel zu hegen.
Um in dieser Frage der Sicherheit weiter zu kommen,
_ schien es mir zweckmässig, weitere Arbeit an meinen eigenen
_ vorher eitirten Befund anzuknüpfen. Denn es handelt sich dort,
bei Amphibienlarven, um Fundorte, wo man den natürlichen Situs
_ der Gewebstheile, physiologische Verhältnisse, ein lebhaftes Wachs-
thum, und vor allem grosse und- grosskernige Zellen vor sich
hat. Es schien mir aber zunächst auch weiteres Suchen nöthig,
denn es hatte sich bei jenen Befunden nur um wenige (5) Prä-
parate gehandelt, und diese besass ich nicht mehr, um sie von
Löwit's Gesichtspunkt aus auf’s neue prüfen zu können; auch
hatte ich keinen bestimmten Beweis geben können, dass die be-
treffenden Zellen nicht etwas anderes seien als Leukocyten, und
hatte deshalb dieser Bezeichnung a. a. O. selbst noch ein Frage-
zeichen angehängt.
Ich habe also seitdem weiteres Material gesammelt, zunächst
ebenfalls bei mittelgrossen und älteren Salamanderlarven, wegen
der Grösse ihrer Zellen. Es ist das keine ganz leichte Arbeit,
und sie hat darum etwas lange gedauert. An dünnen Schnitten
und Serien kommt man damit nicht gut vorwärts, weil es dar-
auf ankommt, grössere solcher Zellengruppen in situ, mit den
vorhandenen Bindegewebszellen und Blutgefässen daneben, über-
sichtlich vor Augen zu haben; dafür hat man sich an Membranen
oder dünne Bindegewebsfetzen zu halten, die man in toto als
Präparate benutzen kann. Um diese ablösen zu können, ist ein
gewisser Macerationsgrad zu treffen, und das Suchen wird ferner
dadurch langwierig, dass Vorkommen und Reichliehkeit der
Wanderzellen sehr wechselnd ist. Ich habe besonders das parie-
1) M. Löwit, Ueber Amitose. Centralbl. f. allg. Pathol. und
pathol. Anatomie 1890, S. 282: „Hier möchte ich die Resultate andeuten,
welche ich bei der Verfolgung der Frage erhielt, warum sich die
Leukocyten nicht durch Mitose, sondern durch Amitose
ee möhren,..:... wobei ich den nach der Anschauung zahl-
reicher Autoren noch strittigen Punkt, ob eine Neubildung der weissen
Blutkörperchen nicht auch durch Mitose erfolgt, hier nicht weiter er-
254 W. Flemming:
tale Bauchfell!), Bindegewebsblättehen aus dem Kopf (besonders
aus der Gegend der ersten Kiemenbögen), die Lunge der Larve
und das Lungenmesenterium benutzt. In der Bindegewebs- '
platte, welche unter dem Zungenwulst dem Mylohyoideus an-
srenzt und das schöne grosszellige Epithel trägt, das ich mn
meinen früheren Arbeiten kurz als „Mundbodenepithel“ bezeich-
nete, finden sich die betreffenden freien Zellen oft recht häufig,
bald einzeln, bald gruppirt?). Um sie hier recht deutlich zu
studiren, wird am besten das Epithel abgeschabt.
Als Verfahren, um die Wanderzellen an allen diesen Orten
recht scharf hervorzuheben, habe ich theils das gleiche Verfahren
wie früher?) benutzt, wobei ich eine vorherige lange Autbewah-
rung am Licht (über 2 Monate) in starker Chromosmiumessig-
säure oder Hermann’scher Lösung*) zweckmässig fand, um die
Leukoeytenleiber bei nachfolgender Hämatoxylinfärbung recht
dunkel gegenüber den fixen Zellen hervorzuheben. Noch besser
gelingt dies bei gleicher Vorbehandlung dureh Safranin-Gentiana-
färbung mit Gram’schem Verfahren?) und dann noch folgender
Hämatoxylintinetion. Ferner habe ich sehr guten Erfolg mit dem
am Schluss dieser Arbeit angegebenen Verfahren gehabt, bei dem
die Leukoceytenkörper etwas weniger dunkel als mit Hämatoxylin,
blassgrau bis braungrau, aber immer recht deutlich abgrenzbar
hervortreten ®).
örtern will.“ Wenn ich auf die interessanten Fragen, die Löwit in
diesem Aufsatz weiter anregt, hier nicht eingehe, so geschieht dies
nur, weil ich glaube, dafür seine bevorstehende ausführliche Mitthei-
lung abwarten zu sollen.
1) Präparation: siehe dieses Archiv Bd. 355, S. 276.
2) Dass es sich hier und anderswo bei diesen Zellen nicht um
irgendwelche lIymphatische oder anderweitige Organanlagen handeln
kann, wird eben dadurch gezeigt, dass diese Zellen bei gleich grossen
Larven am selben Orte bald fehlen, bald einzeln verstreut sind, bald
endlich in verschieden grossen Häufchen auftreten, und öfter bei
jüngeren Larven dort vorkommen, wo sie bei älteren fehlen.
3) Zellsubstanz ete. S. 256.
4) F. Hermann, Beiträge zur Histol. des Hodens, dieses Archiv
B0.34,8:99%
5) Dieses benutzten wir hier schon seit seiner Einführung mei-
stens bei der Safranin- und Gentianafärbung.
6) Arnold spricht in seiner oben eitirten Arbeit (S. 214) aus,
dass unter anderen Mitteln mein Chromessigosmium-Gemisch, beson-
ders das starke „den Nachtheil habe, bei Leukocyten (ich weiss nicht,
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 255
Von den mehr als 40 Fällen, in denen ich an solchen Prä-
paraten die fraglichen Zellengruppen fand!) und die sich ohne
ob auch andere Zellenarten gemeint sind) den Leib der Zelle mangel-
haft zu conserviren; die peripheren Protoplasmaschichten würden da-
_ durch in Form einer Membran abgehoben, in fadenförmige Ausläufer
ausgezogen oder aber sie zerfielen, so dass der Contour der Zellen
wie angenagt aussähe“. Ich gestehe, dass mir diese Erfahrungen Ar-
nold’s unerklärlich sind; ich bekomme mit meinem starken Gemisch,
wie auch mit der Hermann’schen Mischung, Formerhaltungen der
Leukocytenleiber, welche, wie der Vergleich mit lebenden kriechenden
Zellen zeigt, ganz naturgetreu sind, und so ist es auch bei anderen
Zellenarten. Die Gemische müssen allerdings für diesen Zweck nicht
zu lange gestanden haben, so dass sie noch reichlich Osmiumsäure
enthalten; wenn die Essigsäurewirkung zu sehr überwiegt, bekommt
man wohl auch die bekannten Abhebungen künstlicher Membranen
vom Zellumfang. So starke Verstümmelungen aber, wie sie Arnold
beschreibt, sind mir auch dabei nicht begegnet. — Ich will übrigens
gern zugeben, dass, wie Arnold hervorhebt, Sublimat und Alkohol
für die Erhaltung feinster Ausläufer kriechender Wanderzellen noch
besser wirken mag als die Osmiumgemische, durch deren Action solche
Fortsätze (wie z.B. die an den meisten Figuren von Arnold’s Taf. 14)
meist ganz zur Einziehung gebracht werden und mehr lappige Aus-
läuferformen herauskommen, wie z.B. in meiner Figur 7, 8 u. a. ähn-
lichen. Auf Erhaltung dieser Fortsätze kam es mir für diese Arbeiten
nicht an. — Auch darin kann ich Arnold nicht beistimmen, dass,
wie er sagt (a. a. O.), „das starke Chromessigosmiumgemisch, so gute
Dienste es bei der Auffindung der Mitosen leiste, in allen Fällen zu
vermeiden sei, in denen es auf den Nachweis der Structur der
Kerne, sei es in ruhendem Zustand, sei es in dem der mitotischen
oder amitotischen Theilung ankomme“. Da Arnold die Nachtheile,
die das Reagens für diesen Zweck haben soll, nicht namhaft macht,
so weiss ich auch nicht, wogegen ich es in diesem Fall zu vertheidigen
habe; ich kann also nur anführen, dass ich die Mitose und den Bau
der ruhenden Kerne, unter Vergleich der lebenden Objecte, mit die-
sem Reagens wie mit den meisten übrigen sehr lange untersucht habe
und dass ich dabei in den Fällen, wo man Natur und Fixirungspro-
duet recht sicher vergleichen kann (z. B. Mitose), kein Mittel kennen
gelernt habe, welches den Osmiumgemischen (auch den starken) in der
Bewahrung der Naturtreue gleickkäme. Im Uebrigen möchte ich auf
das verweisen, was bei der Mittheilung des Verfahrens (Zeitschr. für
wiss. Mikroskopie Bd. I, S. 353), sowie hier am Schluss bei „Methode“
gesagt ist. — Mit Arnold bin ich aber ganz einig in der Meinung,
dass man in manchen Fällen einen zu einseitigen Gebrauch von dem
ÖOsmiumgemisch gemacht und ihm mehr Vorzüge zugetraut hat, als
ich ihm je habe anrechnen wollen.
1) Es sind hierbei nur die Fälle gerechnet, wo grössere Mengen
Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37 17
256 W. Flemming:
Zweifel durch weiteres Suchen beliebig vermehren lassen würden,
sind hier zur Uebersicht im Fig. 1—35 emige in toto abgebildet;
aus denselben Objeeten sind viele der einzelnen, im Fig. 7 u. folg.
gezeichneten Zellen In 8 von diesen Fällen waren darunter
Zellen mit Mitosen, bald viele, bald wenige.
Nach meinem Urtheil, das sich aus dem Folgenden moti-
viren wird, sind diese Zellen Leukoeyten, oder um ganz objeetiv
zu reden: farblose, freie, amöboide Zellen, die aus Gefässen aus-
sewandert und in den Gewebslücken weitergedrungen theils
noch gruppirt liegen, theils sich lockerer verstreut haben; zum
Theil dureh Theilung vermehrt worden sind. Dass sie aus Ge-
fässen gewandert sind, ist deshalb anzunehmen, weil in zahlrei-
chen der Fälle die Zellenhäufehen dieht um Blutgefässe her
lagern (wie in Fig. 1, 3), während die benachbarte gefässlose
Umgebung von ihnen frei ist; es sind das ganz dieselben Bilder,
wie man sie bei geringeren Graden von Auswanderung am leben-
den Object beobachten kann, und wie ich sie mir bei "früheren
Arbeiten?) durch künstliche Reizung der Harnblasenwand sehr
vielfach fixirt verschafft habe.
Ausserdem sprechen schon an sich die Eigenschaften der
betreffenden Zellen für die obige Ansicht, nichts aber dafür, dass
diese Zellen irgendwie localisirte Gewebszellen der betreffenden
Orte sein könnten. Von den grossen, zarten, platten oder ver-
ästelten Bindegewebszellen, zwischen denen sie verstreut sind,
stechen sie scharf ab durch die erwähnten Färbungen und auch
— bei dieser Fixirung — schon durch: das stärkere Licht- .
brechungsvermögen ihrer Leiber. Ihre Kerne haben, wie die
Abbildungen zeigen, sehr vielfach polymorphe Formen°), Ab-
Wanderzellen an einer Oertlichkeit vorkamen. Einzeln, oder in meh-
reren, wie etwa in Fig. 3, Taf. XIII, findet man sie fast überall in der
Bindesubstanz der Amphibienlarven, wie auch bei erwachsenen Thieren.
1) Letzteres ist an. anderen der Präparate der Fall, die hier,
wegen der Grösse des dazu nöthigen Flächenraumes, nicht gezeich-
net sind. ü
2) Dieses Archiv 1878, S. 361—62.
3) Unter polymorphen Kernen verstehe ich, wie es jetzt wohl
meistens Gebrauch ist, nicht bloss stark mehrlappige Kerne, sondern
alle, die von der regelmässigen runden oder ellipsoiden Form stärker
abweichen, also sowohl Formen wie Fig. 7, 14, 20, als die von Fig. 6b
oder 17.
Ueber Theilung und Kernformen bei Leuköcyten etc. 257
_ sehnürungsformen (wie Fig. 7, 14 u. a.), nicht so oft regelmäs-
_siger runde Gestalt. Ein Theil der Zellen enthält Körnerbildun-
gen von wechselnder Grösse und Menge (Fig. 2 links oben). Die
Gestalt der Zeilenleiber wechselt zwischen rundlichen!) und allen
möglichen Kriechformen, wie die Abbildungen zeigen, und wie
sie von Wanderzellen bekannt sind. Mit einem Wort, diese Zel-
len verhalten sich völlig so, wie Blutleukocyten von Salaman-
dra oder Rana sich verhalten, wenn man ihnen in einem frisch-
eingedeckten Blutpräparat Zeit gegeben hat, theilweise in amö-
boide Bewegung überzugehen; oder wie wandernde Zellen, die
man in der Flosse oder in Kiemenblättchen der Larve lebendig
eontroliren, und unter dem Deckglas in ihren verschiedenen For-
men fixiren kann.
Dieselbe Aehnlichkeit besteht in Bezug auf die innere Be-
schaffenheit der Kerne dieser Zellen; ich kann darüber im We-
sentlichen auf das verweisen, was ich früher über die Kernstruc-
turen von Leukocyten bei Urodelen und ihren Larven gesagt
habe?) und auf die ausführliche Beschreibung, die H. F. Müller?)
im vorigen Jahre davon gegeben hat. Die Kerne sind hier, wie
auch bei den Blutleukoeyten, relativ zu ihrer Grösse recht ehro-
matinreich, die Anordnung ihrer Innenstructur ist wechselnd.
Es kommen reichlich Formen vor, wie sie bei Leukocyten so
häufig sind (Fig. 6, b—h), bei denen das Chromatin in einzelnen
grösseren Massen, innen oder zugleich an der Kernwand, vertheilt
ist und diese Massen durch dünne, chromatinlose oder -arme
-_ Stränge verbunden sind, Kerne also von grob-scheckigem Aus-
sehen, die Löwit’s Leukoblastenkernen ähneln. Solches Aus-
sehen ist bei den polymorphen Kernen stark kriechender Zellen,
welche durch Ausbreitung des Zellleibes stark in die Fläche ge-
dehnt sind, besonders auffallend (Fig. 7, 8, 9, 16, 19). Es kom-
men aber auch Kerne vor (besonders bei Zellen die keine stär-
ker amöboiden Formen zeigen, doch auch bei letzteren), in denen
die Innenstruetur mehr gleichmässig durch den ganzen Kern
vertheilt, die Knoten darin kleiner und die Bälkehen dieker sind
1) Rein kugelrund oder regelmässig ellipsoid finde ich sie nur,
_ wo sie in Mitose und zwar in Metaphasen sind (Fig. 2a, Fig. 3).
| 2) Dieses Archiv Bd. 16, S. 312.
3) Wiener Sitzungsberichte 1889, Abth. III, Juni 1889.
258 W. Flemming:
x
(wie z. B. Fig. 6a, 10, 15); und zwischen diesen und jenen
Formen findet man reichliche Zwischenglieder).
Nach Allem, was ich über Kerne von Blut-, Lymph- und
Wanderzellen bis jetzt gesehen habe, kann ich mien von der
specifischen Verschiedenheit zweier Typen darunter, wie die Leu-
koblasten- und Erythroblastenkerne Löwit’s, ebensowenig wie
Andere (Müller, Neumann) überzeugen; ich gebe völlig zu,
dass Löwit die extremen Formen durchaus richtig geschildert
hat, finde sie aber durch sehr viel Mittelformen verbunden. Ich
habe den Eindruck, dass die Kernstructur der Leukocyten je»
nach dem Lebens- und Bewegungszustand dieser Zellen die ver-
schiedenen Formen annehmen kann, die wir finden.
Von denen dieser freien Zellen, die in Mitose stehen, sind
die in Prophase befindlichen rundlich, wenigstens habe ich noch
keine stärker amöboide Form darunter gefunden, als z. B. Fig. 5;
die Metaphasen sind regelmässig rund oder ellipsoid (Fig. 2a, 3).
In den Anaphasen zeigt sich dagegen eine Eigenthümlichkeit
gegenüber anderen Zellenarten: die Abschnürung und Trennung
des Zellkörpers tritt etwas verfrüht, bereits in dem Ende der
Dyasterphase ein, statt wie sonst im Dispirem. Ob dies durch-
gehend ist, kann ich freilich nicht sagen, denn ich habe bis jetzt
erst vier dieser Phasen zu sehen bekommen (drei davon gez.
in Fig. 2be und Fig. 4); in diesen allen ist es, wie eben ge-
sagt. Ferner ist es bemerkenswerth, dass die Tochterzellen nach
der Abschnürung alsbald in amöboide Formen zu verfallen schei-
nen, wie es die Figuren, besonders Fig. 4, zeigen. Spronck
(s. unten, a. a. OÖ. p. 573) hat vor 2 Jahren an Mitosen farb-
loser Zellen im freien Blutstrom das gleiche Verhalten gefunden;
er sah ‚sehr deutlich kleine Ausläufer an den Zellen im Dy-
asterstadium, wenn die Körper der beiden Tochterzellen nur noch
eben durch einen kleinen Protoplasma-Strang verbunden waren.“
Da eine solche letzte dünne Abschnürungsbrücke bei anderen
Zellenarten nicht im Dyaster, sondern erst im Dispirem vorliegt,
1) Kerne zum Beispiel, wie die der Fig. 6a, 10 und 22, haben
Structuren ähnlich den Erythroblastenkernen Löwit’s, sind aber viel-
fach polymorph (vgl. Fig. 22) und gehören offenbar amöboiden Zellen
an, und es finden sich in Bildern wie Fig. 6b, 9, 20, 12, 21 Ueber-
gangsformen genug zwischen ihnen und den leukoblastenartigen Kern-
formen.
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 259
so kann ich schliessen, dass die von Spronck beobachteten Zel-
len sich im Bezug auf die verfrühte Abschnürung ganz so ver-
hielten wie die meinigen. Diese Uebereinstimmung kann als wei-
terer Beleg dafür dienen, dass es sich in meinen Präparaten um
Zellen vom Charakter farbloser Blutzellen handelt.
Mehrfach habe ich Prophasen in Knäuelform getroffen,
wie Fig.5. Nach der Totalform ist es ein polymorpher, strang-
förmiger, zum Ringe gebogener!) Leukocytenkern; mit einer
engen Blendung würde man nicht denken, dass er eine Mitose
vorstellt, im Farbenbild aber zeigt er das schönste gleichmässige
Spirem. Wiederum ein Hinweis darauf, dass es sich hier um
amöboide Zellen handelt, und dass solche im Stande sind, ihre
Kerne geradezu noch aus dem polymorphen Zustand heraus in
Mitose treten zu lassen, ohne Dazwischenkunft einer ausgerunde-
ten Form der Kernruhe. Dies ist der einzige so stark poly-
morphe Knäuel, den ich bis jetzt sah; halbeingeschnürte, wie
einer in Fig. R, a. a. OÖ. meines Buches gezeichnet ist, kommen
öfter, und auch bei verschiedenen Gewebszellen vor.
Im Uebrigen finde ich an den Mitosen der freien Zellen
keine Abweichung vom gewöhnlichen Typus. Polkörperchen und
Spindelenden sind recht gut sichtbar, die übrige achromatische
Figur wegen der starken Lichtbrechung des Zellkörpers nicht
gut erkennbar. >
Ausser den Mitosen finden sich Fragmentirungen der Kerne
bei diesen Wanderzellen häufig, stellenweise viel reichlicher als
jene und auch, wo Mitosen fehlen; ich verweise dafür auf den
zweiten Abschnitt.
Nach alledem liegen hier also Zellen vor, die zunächst auf
den Namen „Wanderzellen“ vollstes Anrecht haben. Es kann
für das Folgende nur noch die Frage in Betracht kommen: sind
sie deshalb auch gleichwerthig mit den Leukocyten, die im Blute
strömen? Können diese freien Zellen nicht vielleicht in loco im
Gewebe entstanden sein, entweder so, dass fixe Gewebszellen ohne
Weiteres „frei wurden“, wie man zu sagen pflegt; oder so, dass
sie in Theilung traten, eine der Toochterzellen oder auch beide
1) Die Enden sind jedoch hier nicht verbunden, sondern decken
einander nur, wie die Einstellung zeigt.
260 W. Flemming:
sich ausrundeten und loslösten, und dann als freie Zellen weitere
Vermehrung eingingen ? /
Ich habe bis jetzt vergeblich gesucht etwas zu sehen, das
sich als Stütze für diese Annahme brauchen liesse. Die fixen
Bindegewebszellen sind im Bauchfell und in der Lunge äusserst
platt, dünn und zart, gar nicht oder nur undeutlich abgrenzbar
und haben grosse, platte, chromatinarme Kerne (Fig. 1, 2, 5);
im Kopfbindegewebe sind sie und ihre Kerne kleiner und sie be-
sitzen besser sichtbare Ausläufer, die Form und Verzweigung
der letzteren ist aber stets ganz anders, wie die Körperform
kriechender Wanderzellen. Ich habe noch keine Form gefun-
den, die als Uebergangsform — als eine fixe Zelle, die im Be-
griff wäre frei zu werden — brauchbar genannt werden könnte. —
Was ferner die Mitosen fixer Bindegewebszellen angeht, so sind
sie an all diesen Orten reichlich zu finden!), ebenso bei den
Endothelzellen des Bauchfells, und sowohl in Objeeten, welche
zugleich jene Haufen freier Zellen enthalten, als in solchen wo
diese fehlen. Ich habe grade hier die Mitosen für andere Zwecke
eben näher studirt und werde in einem folgenden Aufsatz auf
sie zurückkommen. Ich kann ihnen aber nichts anmerken, was
zu der Annahme berechtigte, dass die Tochterzellen, welche eine
solche Mitose liefern, plötzlich frei werden sollten?). Die Binde-
gewebszellen behalten, wie sehon lange bekannt3), während der
Mitose ihre Ausläufer; in den Metaphasen und im Anfang der
Anaphase tritt an ihrem Zellkörper, wie ganz allgemein bei der
Mitose, die bekannte Dunkelung?*) des Zellkörpers ein, durch
1) Das heisst, natürlich nicht an jedem Präparat; es ist hier wie
überhaupt imewachsenden Gewebe, die Zelltheilungen treten schub-
weise auf und sind also individuell und local bald reichlich, bald
fehlend.
2) Für die serösen Häute weisen die neuen Arbeiten Dekhuy-
zen’s (Nederl. Tijdschrift voor Geneeskunde 1890, S. 341, und: Berliner
int. med. Congress) darauf hin, dass fixe Bindegewebszellen proto-
plasmareich werden, und an die Stelle von absterbenden Endothel-
zellen sich einschieben können. Dies ist aber natürlich etwas anderes,
als eine dauernde Production freier Wanderzellen von jenen aus.
3) Dieses Archiv Bd. 16, Taf. 18, Fig. 10; Bd. 35, S. 279.
4) Zuerst gesehen von van Beneden an Kaninchen-Keim-
scheiben (La maturation de l’oeuf etc., 1875), näher beschrieben von
mir in: Zellsubstanz etc., S. 206 ff.,; z.B. Fig. 23, Taf. Ib daselbst,
von Epithelzellen.
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Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten ete. 261
_ welche sie in diesem Zustand den dunklen diehten Körpern der
Wanderzellen etwas ähnlich werden, und die ein Neuling in
diesen Dingen also vielleicht als eine Erscheinung des Ueber-
ganges „zum Freiwerden* ansehen könnte; aber wie ja ebenso
bekannt ist, geht diese Dunkelung in der späteren Anaphase
wieder zurück und die Tochterzellenpaare sehen dann wieder
ebenso blass aus, wie die ausser Theilung stehenden fixen Zellen.
Ebenso bei den Bauchfellendothelien.
Bei der Häufigkeit, in der die freien Zellen grade an Blut-
gefässen!) zu finden sind, und zwar hier in so wechselnder
Menge, wird es jedenfalls viel mehr Wahrscheinlichkeit haben
sie auf eine locale Auswanderung, als auf eine Entstehung an
Ort und Stelle zu beziehen.
Ausgeschlossen ist letztere hiermit natürlich nicht; die eben
erwähnten Befunde sind negativ, es könnte jederzeit ein posi-
tiver gemacht werden. Ueberhaupt bin ich weit entfernt,
die Möglichkeit einer Bildung von Wanderzellen aus
fixen Gewebszellen, auch während des physiologischen
Wachsthums, anzuzweifeln; ich verweise dafür auch auf den
Schluss dieses Aufsatzes. Aber gesetzt, sie käme vor, so lohnt
es wohl hier einmal die Frage zu stellen, was die Conse-
quenzen davon wären.
Würden wir damit einen plausiblen Grund Ks streng
zu unterscheiden zwischen Leukocyten, die im Blut treiben, und
zwischen Wanderzellen, die aus fixen Gewebselementen entstan-
den sind? Wenn solehe Wanderzellen eben so aussehen, sich
1) Es könnte etwa noch die Hypothese gemacht werden: „die
freien Zellen hier seien zwar nicht Abkömmlinge von fixen Binde-
substanzzellen, oder von Flächenendothel, sie seien aber entstanden
durch Theilung von Blutgefässendothelien, indem bei diesen die
eine Tochterzelle nach aussen sich von der Wand ablöse. So seien
die Zellenhaufen an Gefässen aufzufassen, wie in meiner Fig. 1 und 3“.
— Diese Hypothese würde meines Erachtens nach jetziger Kenntniss
noch weniger Halt haben, als die, dass die freien Zellen hier frei-
gewordene Bindegewebszellen sein sollten. Denn ein solcher externer
Absprossungsprocess von Capillargefässen müsste bei längerem Suchen
ziemlich leicht zu sehen sein; ich habe bis jetzt nichts davon ge-
funden, obwohl ich (dieses Archiv Bd. 35, S. 283) viel an den wachsen-
den Capillaren herumgesucht habe. Wo ich an ihnen Anaphasen fand,
lagen die Tochterzellen immer flach in der Wand.
262 W. Flemming:
ebenso bewegen, ebenso wechselnde und polymorphe Kernformen
und wechselnden Körnerinhalt zeigen, wie ausgewanderte Blut-
leukocyten oder Lymphzellen thun — und das ist ja mit meinen
freien Zellen hier der Fall — wie will man dann beide noch
irgendwo auseinanderhalten? Diese Wanderzellen, die ja in Ge-
websspalten liegen, werden natürlich bald hier bald dort durch
die Lymphwege ihren Weg ins Blut finden können. Dann strö-
men sie also in diesem; und da wir ihnen ja keine reelle Ver-
schiedenheit gegenüber den sonstigen Leukoeyten des Bluts an-
merken können, kämen wir — wenn wir sie mit diesen nicht
gleichwerthig setzen wollten zu dem eigenthümlichen Schluss,
dass im Blut nebeneinander insgeheim zwei Arten von farblosen
Zellen eireuliren: die einen wirkliche, d. h. schon vom frühen
Embryoleben her durch Theilung im freien Zustand fortgepflanzte;
die anderen extraordinäre, d.h. mobil gewordene und in das
Blut verschleppte Producte fixer Gewebszellen — aber beide von
einander nicht zu unterscheiden. Sonach würde man niemals
beurtheilen können, ob eine in der Lymphe, im Blut oder im
ausgewanderten Zustand befindliche farblose Zelle zur einen oder
zur anderen Kategorie gehört.
Dann bleibt uns aber auch nichts übrig, als von einer theo-
retischen und hypothetischen Eintheilung der farblosen Zellen
abzusehen, die sich auf ihre fragliche Herkunft.-bezieht, und diese
Zellen einfach nach den Eigenschaften zu beurtheilen, die sie
uns zeigen. Und in diesem Sinne kann ich wohl sagen, dass
man die hier beschriebenen amöboiden Wanderzellen im Binde-
gewebe mit amöboiden Leukocyten des Blutes gleichwerthig
setzen darf, wie sie nun auch entstanden sein mögen; denn sie
zeigen alle Charaktere der letzteren; sie können ohne Zweifel
auf dem Wege der Lymphbahnen in das Blut gelangen; und
wenn wir sie uns dann aus, diesem wieder ausgewandert und
in derselben Gestalt, wie hier in den Präparaten, im Gewebe
verweilend denken, so würde uns eben jeder Anhalt dafür fehlen
zu entscheiden, wo sie entstanden sind. —
_ Löwit hat meinen früheren Befund dieser Art nicht über-
sehen und wohl erkannt, dass seiner Erythroblastentheorie Schwie-
rigkeiten daraus erwuchsen: nach dieser würden ja Leukoblasten
nicht zur Mitose im Stande sein. Löwit stellte deshalb die Ver-
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 263
| muthung auf!), die bezüglichen freien Zellen mit Mitosen könnten
Erythroblasten sein. Für ihr gemischtes Vorkommen mit Zellen
von offenbaren Leukoblasteneigenschaften an diesen Orten stellte
er zwei Erklärungen als möglich hin: entweder, beide zugleich
könnten local aus Blutgefässen ausgewandert sein, oder es könnte
sich hier um eine verspätete Blutbildung im Bindegewebe, ausser-
halb von Gefässen, handeln. Ich habe hier noch zu sagen, wes-
halb mir Beides nieht durchführbar erscheint.
Dass die vorliegenden freien Zellen aus Blutgefässen aus-
gewandert sind, habe ich von vornherein selbst als das Wahr-
scheimlichste angenommen und den Grund dafür oben genannt.
Wenn nun aber, unter dieser Voraussetzung, die einen dieser
Zellen Erythroblasten, die anderen und meisten Leukoblasten
sein sollten, so würde es nicht erklärlich sein, wie die ersteren
dorthin gerathen sind, wo sie liegen, ganz untermischt mit den
letzteren. Denn nach Löwit ist der Mangel amöboider Beweg-
lichkeit ein wesentlicher Charakter der Erythroblasten?). Diese
könnten also nieht in der gewöhnlichen Weise, wie Leukocyten
es thun, durch die Gefässwände gekommen und dann im Ge-
webe weiter gewandert sein; sondern sie müssten, wie es bei
Stauungen mit rothen Blutzellen geschieht, durch passive Diapedese
herausgepresst sein. Gesetzt, es wäre so geschehen, dann liegen
sie also neben dem Gefäss; sie wären nicht im Stande mit den
mobilen Leukocyten weiter zu kriechen, und doch findet man
sie vielfach unter diesen verstreut, auch wo kein Gefäss in der
Nähe ist. Vor Allem aber: wenn diese Zellen mit Mitosen
durch passive Diapedese aus den Gefässen gekommen sind, dann
muss das zu gleicher Zeit doch auch mit rothen Blutzellen
geschehen sein, welche im Blut der Larve so sehr viel zahlreicher
sind, als jene; wir müssten also dann erwarten, unter den in
Rede stehenden Haufen freier Zellen auch reichlich rothe Blut-
zellen zu finden: das ist niemals der Fall?).
Gegenüber dem zweiten Erklärungsversuch Löwit’s: dass
1) Wiener Sitzungsberichte Bd. 88, Abth. III, 1883.
2) Was freilich seitdem (Denys a. a. O.) in Abrede gestellt wor-
den ist.
3) Abgesehen von einzelnen Fällen, wo bei der Präparation ein
Gefäss zerbrochen und sein Inhalt herausgestreut ist; dies ist dann
natürlich leicht festzustellen.
264 W. Flemming:
eine locale Blutzellenbildung im Gewebe vorliegen könnte, ist zu-
nächst darauf hinzuweisen, dass die bezüglichen Zellen, wie
schon beschrieben, vielmehr nach ihrer häufigen Lage an Blut-
gefässen (Fig. 1 u. 3) augenscheinlich aus solehen ausgewandert
sind. Aber selbst wenn man dies bezweifeln und annehmen
wollte, sie wären in loco ausserhalb der Gefässe entstanden,
woraus könnten sie dann entstanden sein? Doch nur aus den
in loco vorhandenen fixen Zellen des Bindegewebes. Denn andere
Elemente sind an den Orten, wo sie sich finden, nicht vorhanden!).
Dies sind nun flache Zellen mit grossen platten Kernen (vgl.
Fig. 2, Taf. XII) und Zellkörpern von solcher Zartheit und
Blässe, dass. sie im ruhenden Zustand nicht einmal klar begrenzt
sichtbar sind; zwischen diesen Zellen und den in Rede stehenden
findet man keinerlei Uebergänge in Form, Grösse, Liehtbrechung
und Färbungsvermögen. Aber wenn man dies auch annimmt, so
wird damit die Hypothese nicht haltbarer gemacht, dass an den
hier beschriebenen Stellen eine locale Blutbildung im Gewebe
und aus fixen Gewebszellen statthaben sollte. Denn nach solcher
Annahme würden sich aus diesen Gewebszellen nebeneinander
und durcheinander bilden: erstens, in viel grösserer Zahl Zellen,
mit polymorphen Kernen und amöboider Bewegung, also nach
Löwit Leukoblasten, und zweitens Zellen, die in Mitose treten
können, also Erythroblasten. Es wäre nun doch für die Annahme
einer specifischen Verschiedenheit dieser beiden Zellenarten sehr
bedenklich, dass sie beide aus einer und derselben Zell-
form, der plattverästelten Bindegewebszelle, oder der Endothel-
zelle sich reerutiren sollten. Und zwar müsste dies geschehen an
den verschiedensten Orten des Körpers, wie die Lungenwand,
das Bauchfell, das intermusceuläre Bindegewebe, und es müsste
geschehen zu einer Zeit des Wachsthums, wo das Blut selbst
schon längst von Mitosen rother Blutzellen wimmelt, so dass sich
für einen Zuschuss durch extravasculäre Blutbildung gar kein
Erforderniss sehen lässt. |
Die Annahme einer solehen in diesem Falle ist also mit so
vielen Unwahrscheinlichkeiten verknüpft, dass sie selbst erst
1) Es handelt sich bei allen diesen Befunden um Larven von
bereits 3,5—5 em Länge, bei denen die betreffenden Stellen der Binde-
substanz längst nicht mehr dichtzellig-embryonalen Charakter haben
und vielfach reichliche Fibrillenmassen führen.
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten ete. 265
_ irgend eines Beweises bedürfte, ehe sie zur Erklärung von etwas
Anderem benutzt werden soll.
Zum Schluss dieser Erörterung will ich auf den Punkt in
meinen Befunden zurückverweisen, der mir für die Beurtheilung
der Sache besonders wesentlich erscheint. Zellen, wie Fig. 2b,
2e und Fig. 4, Taf. XIII, sind offenbar amöboid, würden also
nach Löwit’s Ansicht nicht „Erythroblasten“ sein können. Dann
‘wären sie also „Leukoblasten“. Da sie sich nun in Mitose be-
finden, so habe ich hinreichenden Grund, gegen Löwit an mei-
nem früheren Ausspruch festzuhalten, dass Leukocyten sich so-
wohl mitotisch als amitotisch zu theilen vermögen.
Hierfür kann ich mich jetzt auch auf eine Reihe anderer
Forscher beziehen: Bizzozero, Denys, H. F. Müller,
Spronck und Neumann, welche bei Verfolgung des Problems
der Blutbildung an anderen Objeceten ebenfalls zu dem Schluss
- gekommen sind, dass Vermehrung von Leukoeyten (Leukoblasten)
durch Mitose reichlich vorkommt. Bizzozero hatte schon vor
langer Zeit!) gefunden, dass im Knochenmark der Vögel die Re-
generation der rothen Blutzellen durch Mitose innerhalb vasculärer
(venöser) Bahnen vor sich geht, während in dem Gewebe ausser-
halb dieser Bahnen keine hämoglobimhaltigen Zellen lagern, son-
dern farblose; dass zahlreiche der letzteren hier bei den Vögeln
eigenthümliche stäbehenförmige Körper enthalten, und dass farb-
lose Zellen mit diesen selben Stäbchen reichlich auch im Blute
der Vögel vorkommen, wodurch die Leukocytennatur jener extra-
vasculären Zellen des Knochenmarks dargethan wird.
Diese Befunde hat Denys?), ohne Kenntniss der erwähnten
Angaben Bizzozero’s, bestätigt, und Beide haben gefunden,
dass in jenen extravasculären Leukoeyten häufig Mitosen vor-
kommen?). Wenn nach meinen Beobachtungen an der Salamander-
1) Siehe Bizzozero, Neue Untersuchungen über den Bau des
Knochenmarks bei den Vögeln, Arch. f. mikr. Anat. 22. Juli 1890. Die
früheren Angaben des Autors sind dort eitirt.
2) Denys, Ja structure de la moelle des os etc., in La Cellule,
T. 4, 1887, pag. 3.
3) Für den Hauptgegenstand der beiden genannten Arbeiten,
die Regeneration der rothen Blutzellen, der mein hiesiges Thema nicht
näher berührt, darf ich auf die Originalien und besonders auf Bizzo-
zero’s Abhandlung verweisen.
266 W. Flemming:
larve vielleicht noch daran gedacht werden könnte, dass die Be-
fähigung dieser Zellenart zur Mitose nur bei embryonalen und
Larvengeweben vorliege, so kann das also jetzt nicht mehr in
Betracht kommen. — H. F. Müller hat in einer sehr um-
fassenden und sorgfältigen Arbeit!) zwar — wie auch ich dies
thun kann, s. oben — das Vorhandensein der beiden extremen
Kernformen bestätigt, durch welche sich nach Löwit die Leuko-
blasten einerseits und die Erythroblasten andererseits kennzeichnen
sollen; er hat aber auch farblose Zellen gefunden, welche im
Kernbau und in sonstigen Eigenschaften weder mit dem einen
noch mit dem andern Typus übereinstimmen, — die von ihm so-
genannten theilungsreifen ruhenden Zellen — welche er von ein-
kernigen Leukocyten ableitet, und welche nach ihm sowohl zu
Erythroblasten werden, als anderseits vermittelst mitotischer Thei-
lung Leukoeyten liefern können. Er lässt somit die weissen und
die farbigen Blutzellen von einem gemeinsamen Ausgangspunkt
aus entstehen. Es ist hier nicht die Stelle, das Für und Wider
dieser Auffassung und den Gegensatz zu erörtern, in dem sie be-
sonders zu Bizzozero’s Befunden über die Blutbildung steht;
ich wollte nur darauf hinweisen, dass Müller die Befähigung
von Leukocyten (Leukoblasten) zur Mitose nieht nur durchaus
festgehalten hat ($ 70 semer Arbeit Satz 3, und ff.), sondern
selbst eine Menge von Belegen dafür beigebracht hat.
Die Arbeit Spronck’s?) ist für den hier behandelten Punkt
von besonderem Interesse. Er hat das strömende Blut des Säuge-
thiers (Kaninchen und Mensch) auf das Vorkommen von Mitosen
untersucht, bei zwei Kaninchen an gefärbten Durchschnitten des
mit Chromosmiumessigsäure gehärteten Inhalts der Vena cava
inf., beim Menschen an Blut aus der Fingerspitze, das in glei-
cher Weise fixirt war und in Celloidin vertheilt geschnitten
wurde. Das höchst überraschende Ergebniss war, dass unter
sämmtlichen kernhaltigen Zellen des Blutes beinahe 2 pro Mille
1) Hermann Franz Müller, Zur Frage der Blutbildung.
Wiener Sitzungsberichte 6. Juni 1889.
2) Over Regeneratie en Hyperplasie van Leukocyten in het eir-
culeerend bloed. Nederlandsch Tijdschrift voor Geneeskunde, 29. März
1889. Ich gehe auf den Inhalt etwas näher ein, da die Arbeit noch
wenig bekannt zu sein scheint; in den neuesten Publikationen über
den Gegenstand ist sie nicht berücksichtigt.
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Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 267
in Mitose sind!); das heisst, wie Spronck berechnet, es würden
sich im Blut des erwachsenen Kaninchens in jedem Augenblick
ungefähr 1,000,000 Zellen in Mitose befinden, eine genügende
Zahl, um in 24 Stunden ein Zwanzigstel der im Blut strömenden
Gesammtzahl farbloser Zellen zu erneuern, ganz abgesehen von
denen, die noch durch die Lymphe zugeführt werden.
Es könnte gesagt werden, dass diese Zählungen noch nicht
ohne Weiteres allgemein maassgebend sind, weil sie — so müh-
sam sie schon an sich waren — erst drei individuelle Fälle um-
fassen, in denen zusammengenommen auf 10000 bis 11000 farb-
lose Zellen erst 20 Mitosen im normalem Blut gefunden worden
sind. Immerhin bleibt es gewiss höchst bemerkenswerth, dass
gleich in diesen drei ersten Fällen die Verhältnisszahl so auf-
fallend constant blieb, wie es die eitirten Ziffern zeigen, und wir
können den Nachweis als durch Spronck geführt ansehen, dass
Mitosen im Blutstrom in einer bisher ungeahnten Menge vor-
kommen.
Den Gedanken, dass man es bei denselben mit Hämato-
blasten aus den Knochenmarksvenen zu thun haben könnte, die
noch in Mitose stehend in den Blutstrom gelangt wären, wies
Spronck mit der Erwägung zurück?), dass man in solchem‘
Falle noch in viel grösserer Zahl kernhaltige rothe Blutzellen
(Hämatoblasten), wie sie ja im Knochenmark vorkommen, auch
im Blute finden müsste, was bekanntlich nicht der Fall’ ist.
Spronck hält demnach seine im Blut gefundenen Mitosen für
solche von Leukocyten, indem er sich dafür auch auf meine
früheren und auf Denys’ Angaben beruft, nach welchen ja freie
Leukocyten zur Mitose befähigt sind.
Von Löwit's Standpunkt könnte nun aber gesagt werden:
die Spronck’schen Mitosen im Blut sind vielmehr solche von
noch farblosen Erythroblasten aus den Lymphdrüsen, die aus
den letzteren, noch in Theilung stehend, in die Lymphe und
1) Kaninchen A (Vena cava) unter 3053 gezählten kernhaltig. Zellen
6 Mitosen (0,19 p. c.).
Kaninchen B (ebenso) unter 6600 gezählten kernhaltig. Zellen
12 Mitosen (0,18 p. c.).
Mensch, Fingerblut unter 1091 gezählten kernhaltig. Zellen
2 Mitosen (0,18 p.c.).
2) a. a. OÖ. pag. 14—15.
268 W. Flemming:
weiter in’s Blut geschwemmt. worden sind, oder die vielleicht
erst in der Lymphe oder im Blut mit der Mitose begonnen
haben.
Hierauf lässt sich zunächst antworten, was ich meinem
Freunde Löwit schon vor Jahren in einem Briefwechsel über
seine erste Arbeit eingewandt hatte: wenn überhaupt Erythro-
blasten in noch farblosem Zustand aus den Lymphdrüsen in’s
Blut gelangen, und wenn — was jetzt nach Spronck hinzu-
käme — ein Theil dieser Zellen noch im Blut in Theilung ist,
dann müssen diese noch weissen kernhaltigen Zellen, beziehungs-
weise ihre Töchter, ihre Metamorphose zu kernlosen rothen (beim
Säugethier) im Blutstrom durchmachen, und wir müssten also in
diesem recht reichlich die Uebergangsformen — kernhaltige rothe
Blutzellen — vorfinden, während sie, wie bekannt, äusserst spär-
lich sind.
Dieser Einwand ist, wie ich nicht verkenne, nach Löwit's
zweiter Hauptarbeit!) nicht mehr ausreichend. Der Verfasser be-
schreibt in dieser, als reichlich im Blut vorkommend, die Gebilde,
die er „gekernte rothe Blutzellen“ nennt?), unterscheidet sie
durchaus von den aus dem Knochenmark bekannten „kernhaltigen
rothen Zellen“ (Hämatoblasten), und sieht in ihnen die Formen
der Umbildung seiner Erythroblasten zu kernlosen rothen Scheib-
chen. Er lässt diese Umbildung sehr rasch vor sich gehen: auf
dem Wege von den Venen durch den kleinen Kreislauf bis zum
linken Herzen. soll sie schon vollendet sein, oder sollen minde-
stens die „gekernten“ rothen Zellen schon ihre Kerne verloren
haben?). Wenn es so zuginge, würde man also im Blut auch
keine aus den Lymphdrüsen stammende Zellen vom Habitus der
Hämatoblasten (rothe kernhaltige) erwarten können.
Dem gegenüber hat kürzlich Neumann) gewiss mit gutem
Grund den Nachweis vermisst, dass die „gekernten rothen Blut-
körper“ Löwit's auch sicher physiologisch-normale Elemente,
und nicht vielleicht ebenso Reagentienprodukte seien, wie die
1) Die Umwandlung der Erythroblasten in rothe Blutkörperchen.
Wiener Sitzungsberichte Bd. 92, Abth. III, 1885.
2) Für das Nähere ihrer Eigenschaften siehe a. a. O.
3) ara) 0 BA
4) Ueber die Entwicklung rother Blutkörperchen in neugebilde-
tem Knochenmark. Virchow’s Archiv 1890, S. 397—98.
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ET Feire
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Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 269
schon verschiedentlich beschriebenen gekernten rothen Blutzellen
bei Säugethieren, und hat das Bedenken erhoben, dass nach
Löwit’s neuer Auffassung „die Entwicklung der Erythroblasten
der Milz und Lymphdrüsen zu rothen Blutzellen in ganz anderer
Weise vor sich gehen müsste, als im Knochenmark“. Ich theile
dies Bedenken ganz; Löwit selbst wird dies wohl nicht thun,
denn ein zweifacher Habitus der Blutzellenbildung liegt schon
a priori in seiner ganzen Auffassung bedingt: im Knochen-
mark und beim Embryo theilen sich Vorstufen rother Blutzellen
in hämoglobinhaltigem Zustand, in den Lymphdrüsen aber müss-
ten sie es nach Löwit als farblose Zellen thun.
Ich habe aber einen weiteren Einwurf gegen Löwit's
neueste Darstellung, der sich auf die Spronck’schen Mitosen
im Blut stützt.
Diese können doch nur entweder Theilungen von Leuko-
_ eyten (Leukoblasten) sen, was die Theorie Löwit's nicht zu-
geben könnte, oder Theilungen von Erythroblasten aus den
Iymphatischen Organen. Gesetzt, das Letztere wäre der Fall mit
den Mitosen, die 2 per Mille der farblosen Zellen in der Vena
caya des Kaninchens ausmachen (Spronck). Nach Löwit
müssten die Töchter dieser Mitosen im Venenblut und im kleinen
Kreislauf bis zum linken Herzen bereits die Umwandlung durch
die Formen der „gekernten rothen Blutzellen“ zu” rothen kern-
losen Körpern durchmachen. Nun wissen wir zwar die Dauer
einer solchen Mitose beim Säugethier noch nicht genau, es ist
möglich, dass sie mit einer halben Stunde, wie Spronck sie
ansetzt, viel zu hoch gegriffen ist, aber angesichts der mehr-
stündigen Dauer bei Amphibien, derjenigen bei Eiern, und über-
haupt des ganzen compliceirten Vorganges der Mitose wird wohl
_ Niemand glauben, dass sie beim Säugethier weniger als einige
Minuten beansprüchen sollte. Eine Zelle also, die sich in der
Vena cava in einer Prophase oder Metaphase der Kermtheilung
befindet, müsste die Theilung vollenden, ihre Tochterzellen müss-
ten die Kerne zur Ruheform zurückkehren lassen, diese Kerne
27
2.
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=
ä
müssten sich deconstituiren und der Zellleib müsste Hämoglobin
erhalten — und Alles das binnen der Zeit, welche der Blut-
strom von der Vena cava bis zum linken Herzen braucht. Das
ist nicht möglich; die Hälfte der Mitose allein wird länger dauern,
als dieser Stromweg. Sollen diese Zellen Erythroblasten sein,
370 W. Flemming:
dann müssten nicht nur zahlreiche Mitosen bis über das linke
Herz hinaus in's Arterienblut gelangen — wo ja Spronck auch
solche gefunden hat — sondern es müssten sich die weiteren
Umwandlungsformen, die „gekernten rothen Blutzellen“ ‘ebenso
gut im Arterienblut finden, wie im venösen und dem des kleinen
Kreislaufs, was doch nach Löwit nicht der Fall ist. Wie mir
scheint, würde man also auch vom Boden seiner neuen. Ansicht
zu dem Schluss zurückgelangen, dass die Spronck’schen Blut-
mitosen nicht Erythroblasten, sondern Leukoblasten angehören.
Doch ich will diese Betrachtungen nicht weiter fortsetzen
und mich lediglich an die Thatsachen halten, die für den vor-
liegenden Gegenstand die wichtigsten sind. Nach meinen früheren
und hier mitgetheilten Beobachtungen, sowie nach denen von
Bizzozero und Denys, können freie, farblose, amöboide
Zellen mit polymorphen Kernen, Zellen von der Be-
schaffenheit, wie Leukocyten des Blutes, als Wander-
zellen im Bindegewebe und als Inhaltszellen der Knochenmark-
räume vorkommend, sich dureh Mitose theilen, und es ge-
schieht dies recht reichlich. Angesichts dieser Thatsachen hat
man vollkommenen Grund, die von Spronek im Blut gefundenen
Mitosen, mit diesem Autor, gleichfalls für solehe von Leukoeyten
zu halten, so lange nicht mit irgend einer sicheren Gewähr ge-
zeigt werden kann, dass sie etwas anderes sind.
Im Anschluss hieran möchte ich noch meine Stellung zu
der Deutung bezeichnen, welche Baumgarten und Ribbert!)
den Mitosen in den Lymphdrüsen gegeben haben. Nach beiden
Autoren sind es Theilungen von fixen Gewebszellen; nach
Baumgarten von Zellen des Reticulärgewebes, nach Ribbert,
der hier zwei Arten von fixen Zellen, Retieulumzellen und Endo-
thelien, auseinanderhält, den letzteren angehörig. Beide Autoren
haben diese Ansicht dadurch gestützt, dass sie an Schnitten von
Chromsäurepräparaten, welche die Freilegung des fixen Gewebes
in den Lymphdrüsen besser gestatten als Osmiumgemische, Mi-
tosen der fixen Zellen feststellten. Gegen deren Vorkommen
habe ich gewiss nichts einzuwenden, um so weniger, als ich ”
selbst schon früher Theilungsfiguren in fixen Bälkchenzellen aus
den Lymphbahnen der Drüsen erwähnt hatte?); auch gebe ich
1) An den im Eingang citirten Orten.
2) Dieses Archiv 1885, 8. 65.
en Ynahle
naar. mE
> I,
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten ete. 271
nach Baumgarten’s und Ribbert's Befunden völlig zu, dass
diese Theilungen fixer Zellen auch in den Keimcentren häufiger
sind, als ich es damals annahm. Dagegen kann ich keinen Be-
weis dafür erbracht sehen, dass nicht auch freie Zellen hier in
den Keimeentren in Mitose sind. Denn ich habe, wie $ 16
a. a. O. schon erwähnt ist, oft genug in den Keimeentren Zellen
in soleher Theilung gefunden, die rund oder länglich-rund und
ohne Ausläufer waren, und habe bei neueren Arbeiten Dr. Heil-
brunn’s seitdem noch manche weitere solche Bilder gesehen. Es
scheint mir auch nicht, dass die beiden genannten Forscher dies in
Abrede stellen wollen; Ribbert zeichnet die Mitose einer freien
Zelle in seiner Fig. 4 und spricht von solchen auf Seite 192;
er wie Baumgarten leugnet nur das Vorkommen von Mitosen
in „typischen Lymphzellen“. Wenn hierunter das verstanden
sein soll, was Baumgarten auf seiner Seite 62 definirt als
„typische Lymphkörperchen, d.h. frei in den Maschen liegende
kleine, dunkel tingirte, fast nackte Kerne“, dann sind wir auch
über diesen Punkt einig; in einer solchen Lymphzelle klein-
sten Calibers, wie sie besonders in der Peripherie der Keim-
centren zusammengedrängt liegen, habe auch ich in den Lymph-
drüsen noch keine Mitosen beschrieben oder gefunden, wenn ich
auch nicht annehmen möchte, dass solche Zellen in ihrem wei-
teren Leben steril bleiben müssen. Es weist ja Vieles darauf
hin, dass eine gewisse Grösse des Leibeswachsthums nöthig ist,
um eine Zelle theilungsreif zu machen.
Danach dürfte hier weniger eine Differenz über die that-
sächlichen Befunde, als über die Deutung bestehen, und auch in
dieser bin ich nicht gemeint unbedingte Opposition zu machen;
mir scheint, wir stehen hier vor einer noch unentschiedenen
Frage. Nach Baumgarten’s und Ribbert’s Auffassung wür-
den alle Zellen, die aus den Lymphdrüsen und sonstigen Iym-
phatischen Organen in die Lymphe treten, in diesen Organen in
letzter Instanz von fixen Zellen produeirt sein. Dies ist mög-
lich, aber wie mir scheint, nicht sicher gestellt. Es wird nicht
dadurch erwiesen, dass eine ziemliche Anzahl fixer Zellen am
Reticulum normaler Lymphdrüsen mit Mitosen demonstrirt ist").
1) Wenn sich hier und speciell im Bereich der Keimcentren die
fixen Zellen reichlicher theilen, als an anderen Orten, so könnte dies
Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 37 18
972 W. Flemming:
Denn die freien Zellen, die. hier aus den Maschen herausfallen
mussten, damit jene erkennbar wurden, sind jedenfalls viel zahl-
reicher gewesen als die restirenden, und man weiss nicht, wie
viele von ihnen im vorliegenden Falle in Theilung standen. Dass
die grösseren dieser freien Zellen, in denen ja sicher auch Mi-
tosen vorkommen, alle von den fixen Zellen abstammen, ist
wiederum möglich, aber nicht bewiesen. Es wird nicht dadurch
belegt, dass die Kerne der grossen freien Zellen hell und von
lockerer Structur sind und dadurch Aehnlichkeit mit-den Kernen
der Endothelzellen (Ribbert) haben; ich wenigstens muss daran
festhalten, dass Leukocytenkerne je nach dem Zustand der Zellen
sehr variable Gebilde sind, und dass sie, wenn jene sich durch
Wachsthum vergrössern, dies ebenfalls thun und damit einen
lockeren Bau erhalten können. Mir scheint also, dass die Auf-
fassung der Vorgänge in den Lymphdrüsen, die ich in meinen
früheren Arbeiten gegeben habe!), durch Baumgarten und
auch von anderem Gesichtspunkt versändlich sein: erstens, weil das
Reticulärgewebe vermöge der wechselnden Anfüllung seiner Maschen
eine sehr plastische Formation sein muss, dann aber und besonders
mit Hinsicht darauf, dass.die Zelltheilungen in den Lymphdrüsen ja
augenfällig local gruppirt, nesterweise auftreten, wovon eben der
Ausdruck in den Keimcentren vorliegt; es muss nothwendig eine eng-
locale Disposition angenommen werden, die das bedingt, wenn ihr
Wesen uns auch unbekannt ist, und diese Disposition kann ebenso-
wohl die am Orte befindlichen fixen Zellen, als die freien mitbetreffen.
— Aehnliches findet man, wie ich früher beschrieben habe, vielfach
deutlich ausgesprochen bei wachsenden Geweben: bei Amphibienlarven
zeigen sich ganz auffallend locale Häufungen von Zelltheilungen,
welche sowohl die in loco befindlichen Epitnhelien, als die
Bindegewebs-Gefässzellen etc. betreffen.
1) Studien über Regeneration der Gewebe, a.a.0. Nach dieser
beruht die Erneuerung der Leukocyten wesentlich oder grossentheils
auf mitotischer Theilung freier Zellen und geschieht wesentlich in den
Lymphdrüsen und Iymphoiden Knötchen; die Zellen, welche diesen
Organen durch die Lymphe zugeführt werden, stauen in den Maschen
des Reticulums der Knoten und Stränge, unter ihnen bilden sich lo-
cale Wucherungsnester (Keimcentren), die hier gebildeten Tochter-
zellen werden nach und nach in die Lymphbahnen hinausgedrängt °
und aus den Drüsen geführt. — Dass ausserdem auch Mitose von
frei im Blut und in der Lymphe circulirenden Leukocyten mitspielt,
konnte ich damals noch nicht in Rechnung stellen; dass. ferner Ver-
mehrung von wandernden Leukocyten durch amitotische Theilung
EEE
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten ete. 273
Ribbert ebensowenig widerlegt ist, als ich die ihrige wider-
_ legen kann, deren Möglichkeit ich vollkommen anerkenne.
Das aber lässt sich jetzt wohl behaupten, dass mitotische
Theilungen freier Zellen vom Charakter der Leukocyten des
Blutes und der Lymphe wirklich, reichlich und als physiologischer
Process vorkommen. Baumgarten konnte in seiner erwähnten
Abhandlung noch mit Grund bezweifeln‘), dass dergleichen in
der Blutbahn geschähe, und annehmen, dass in dieser „nur em
allmählicher Untergang der Blutkörperchen, rother wie weisser,
sich vollziehe“; heute aber ist zu solchem Zweifel wohl kein
Anlass mehr, angesichts der fremden und eigenen Beobachtungen,
die hier besprochen sind. Wenn Wanderzellen im Bindegewebe
des Salamanders und Leukoceyten im Knochenmark der Vögel,
die sicher gleichartig mit denen des Blutes sind ?), sich mitotisch
theilen, so lässt sich füglich kein Grund dagegen finden, dass
Zellen dieser Art das Gleiche auch im Blut und in der Lymphe
thun können, und dazu stimmt es sehr gut, dass Spronck
gleich bei der ersten Untersuchung des strömenden Blutes in
situ mit geeigneter Methode darin nach seiner Berechnung etwa
eine Million Mitosen gefunden hat.
Das Gesagte wird hoffentlich nicht dahin missverstanden
werden, als ob ich eine Entstehung von freien wanderfähigen
Zellen aus fixen Gewebszellen leugnen, oder auch mür ihre Mög-
lichkeit anzweifeln wollte. Die pathologischen Arbeiten geben
ja zahlreiche Hinweise dafür, dass aus sessilen Gewebselementen
durch Theilung zunächst freie und bewegungsfähige Granulations-
zellen werden können; in der Embryologie herrscht zwar über
die ersten Quellen der Blutbildung noch grosse Meinungsverschie-
denheit, ich wüsste aber nicht, womit von den heutigen Kennt-
nissen aus die Ansicht K. E. Ziegler’s?) widerlegt werden
könnte, nach welcher die farblosen Blutzellen aus dem mesen-
En
7
reichlich vorkommen kann, habe ich auch damals angenommen; nur
in den normalen Lymphdrüsen selbst konnte ich sie nicht häufig
finden und weiss auch jetzt nicht, ob man sie für die physiologische
Regeneration in Anschlag bringen darf.
1) a. a. 0. S.39 und Anmerkung daselbst.
2) Bizzozero und Denys, a. a. O.
3) Die Entstehung des Blutes der Wirbelthiere. Berichte der
. naturf. Gesellschaft zu Freiburg i. B. Bd. 4, 1889.
274 W. Flemming!
chymatischen Bildungsgewebe, einem Gewebe also, das man ein
fixes nennen kann, hervorgehen. Die Frage, die ich hier behan-
delt habe, stellt sich also nicht so: ob freie Zellen wie die Leu-
kocyten auch immer von freien Zellen abstammen müssen; son-
dern so: ob farblose amöboide Zellen, die sich, auf
welche Weise sie nun entstanden sein mögen, frei im
Säftekreislauf oder frei in den Gewebsspalten befin-
den, und die dabei nicht Vorstufen’rother Blutzellen
sind — durch mitotische Theilung ihresgleichen pro-
duciren können. Diese Frage müssen wir jetzt, wie mir
scheint, mit ja beantworten, so bedauerlich es auch gefunden
werden kann, dass damit der pathologischen Gewebelehre ein
früher erhofftes Unterscheidungsmerkmal zwischen fixen und wan-
dernden Zellen entgeht. |
Gesetzt also auch, es würde durch weitere Forschung der
Beweis beigebracht, dass in den Iymphatischen Drüsen die fixen
Zellen einen ständigen Mutterboden für die Lymphzellen abgeben,
indem sie durch Mitose solche erzeugen: so würde doch zuzu-
geben sein, dass ihre frei gewordenen Töchter auf ihrem ferneren
Lebenswege die Fähigkeit zur Vermehrung auf gleiche Art be-
halten und ausgedehnten Gebrauch davon machen können.
II. Ueber Attraetionssphären und Gentralkörper in
Leukocyten und ihr Verhalten bei der Kernfragmentirung.
Bei den Untersuchungen, über die im vorigen Abschnitt be-
richtet ist, suchte ich zugleich mich über andere, ausser der Mi-
tose noch vorkommende Theilungsvorgänge bei Wanderzellen zu
unterrichten; denn diese Zellen sind an den Präparaten, die ich
verwendete, ja sicher in ganz physiologischen Verhältnissen von
der Fixirung überrascht, dabei sehr gross, und bei der Behand-
lung klar zu studiren.
Was ich dabei sehr reichlich zu sehen bekam, sind Vor-
gänge der Kernfragmentirung oder -Zerschnürung, von der Art,
wie sienach Arnold als direkte Fragmentirung zu be-
zeichnen wäre. Denn es macht sich bei ihnen keine Zunahme,
oder besondere Anordnung der chromatischen Substanz im Kern
bemerklich, wie solche von Arnold als Kennzeichen seiner „in-
ers
gs e . Pi -
re Dr a en 7 ze
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten ete. 275
_ direkten Fragmentirung“ hingestellt worden sind?). Formen,
welehe bestimmt der Definition dieser letzteren, oder auch der
„direkten Segmentirung“ entsprechen würden, habe ich unter
diesen Wanderzellen der Salamanderlarve nicht angetroffen.
Direkte Fragmentirungen von Leukocytenkernen, wie ich sie
hier in den Figuren 7—9, 14, 16, 19, 20 darstelle, sind bekannt-
lich schon vor längerer Zeit im lebenden Verlauf beobachtet wor-
den, zuerst in einzelnen Fällen von Bizzozero, Stricker,
Klein und Ranvier?), weitervon Lavdowsky?°) und beson-
ders genau neuerdings von Arnold?) experimentell an lebenden
Wanderzellen studirt worden. Ueber die Bilder, die man davon
an fixirten und gefärbten Objeeten erhält, hatte ich früher in
meinem Buch (S. 348 ff.) Einiges mitgetheilt; Arnold hat dar-
über a. a. O. jetzt mit Rücksicht auf das lebende Object so aus-
führliche Schilderungen gegeben, dass ich eine nähere Beschrei-
bung dieser Kernzerschnürungsformen hier füglich unterlassen kann.
1) Dabei muss ich auch die ringförmigen Kerne einbegreifen,
die unten näher besprochen werden, denn auch ihnen fehlt eine Chro-
matinvermehrung, sowie irgendwelche besondere Aenderung des inne-
ren Kernbaues; und da sie sich dabei doch sicher zerschnüren können,
müssen sie nach Arnold's Definition doch wohl unter den Begriff der
directen Fragmentirung fallen. — Ein bestimmter Unterschied zwi-
schen directer und indirecter Fragmentirung will mir überhaupt nicht
recht durchführbar erscheinen. Auch kann ich eine vorgängige Ver-
mehrung der chromatischen Substanz nicht als ein ständiges und noth-
wendiges Kennzeichen irgend einer Art von Kerntheilung ansehen;
bei der Mitose, bei welcher Arnold sie als ein solches ebenfalls be-
trachtet, kann sie nach meinen Erfahrungen oft genug auch fehlen,
oder doch in keiner Art nachweisbar sein (vgl. dieses Arch. 1889,
S. 449, Anm.). — Da in dem Fall von Fragmentirung im Blasenepithel
(am eben eitirten Ort) in der That ein Theil der Kerne, und darunter
die in Abschnürung befindlichen, stärkere Färbbarkeit zeigte als die
übrigen, habe ich besonders darauf geachtet, ob das Gleiche nicht
auch bei den hier vorliegenden Leukocytenkernen Geltung haben
könnte und habe deshalb nicht bloss Safranin- und ähnliche regressive
Tinetionen benutzt — bei denen ja ungleiche Ausziehungsgrade vor-
kommen können — sondern auch progressive Färbung (Hämatoxylin).
Aber auch bei letzteren zeigen sich die in Fragmentirung stehenden
Kerne nicht chromatinreicher, als es die der Leukocyten überhaupt
im Durchschnitt sind.
2) Citate dieser Angaben s. dieses Arch. Bd. 24, 1885, 8. 75.
3) Virchow’s Arch. 1884, Bd. 96, H. 1, S. 60.
4) Ueber Theilungsvorgänge an den Wanderzellen am oben a.O.
276 W. Flemming:
Nur das Eine will ich darüber anmerken, dass ich bei den
Wanderzellen der Larve das Vorkommen von wirklich voll
ständigen Zerschnürungen der Kerne in zwei bis mehr Frag-
mente, und damit also das Vorkommen von wirklich mehrker-
nigen Leukocyten, recht selten gefunden habe; zu
meiner eigenen Verwunderung, denn bei früheren Arbeiten waren
mir diese Fälle weit häufiger erschienen, ebenso reichlich, wie
sie auch Andere angenommen haben. Aber es gab damals noch
kein System Zeiss 2mm 1.40, und ich hatte auch keine ganz
so geeigneten Färbungen wie jetzt.
Mit diesen Hülfsmitteln sehe ich vielfach Zusammenhänge
der Kernfragmente durch sehr zarte lange Brücken, wo ich solche
früher nicht sah (wie in Fig. 8); und in vielen Fällen, wo die
Kerne getrennt scheinen, findet man sehr feine Zipfel von
einem Fragment ausgehen (Fig. 7 unten, 9), die man zwar nicht
bis zu einem andern verfolgen kann, die aber in feinster Form
doch wohl noch hinanreichen könnten. Solche Zipfel sah ich in
der grossen Mehrzahl der Fälle, wo die Zellen mehrkernig er-
schienen. — Hiermit soll nicht etwa Zweifel dagegen gerichtet
sein, dass wirklich vollständige Fragmentirungen der Kerne und
auch der Zellen vorkommen; denn Arnold (a. a. O.) hat nicht
nur die Fragmentirung der Kerne, sondern auch die Zerschnürung
der Zellenleiber selbst in manchen Fällen im Leben beobachtet,
ich selbst habe ferner im einem, wohl pathologischen Falle, aller-
dings bei Epithelzellen, eine vollständige Kernfragmentirung als
sicher und eine nachfolgende der Zelle als sehr wahrscheinlich
annehmen können), und endlich kommen doch auch die Verhält-
nisse in Betracht, die sich bei starker lokaler Leukoeytenanhäufung
unter pathologischen Verhältnissen darbieten. Wo man in solchen
Fällen — wie bei Eiterungen, Katarrhen — Massen von Wander-
zellen mit polymorphen Kernen örtlich auftreten und sich excessiv
vermehren sieht, bliebe zwar immer die Möglichkeit, dass diese
Vermehrung ganz, oder so gut wie ganz auf Nachrücken von”
Zellen durch Auswanderung beruht; aber nachdem überhaupt ein- ”
mal am lebenden Objeet der Nachweis geführt ist, dass solche
Wanderzellen ihre Kerne und dann sich selbst wirklich auf amı-
totischem Wege theilen können, liegt es gewiss sehr nahe, solche
1) Dieses Arch. 1887, S. 437.
RE ne:
F
£
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 277
Theilungen auch als eine fortdauernde Vermehrungsquelle der
ausgewanderten Zellen zu betrachten.
Damit sind meine eben erwähnten Befunde nicht in Wider-
spruch; sie zeigen uns, dass man die Reichlichkeit der amitoti-
schen Theilung für normale Verhältnisse nicht zu sehr überschätzen
darf und nicht — wie es wohl manchmal geschieht — glauben
darf, dass jede Wanderzelle, die einen stark polymorphen, in
mehrere Lappen zerschnürten Kern führt (wie etwa Fig. 18, 21),
nun auch immer der Kernfragmentirung entgegengehen, und sich
gar nachher selbst theilen würde. Dass solche Formen vielmehr
wieder in einen mehr ausgerundeten Zustand des Kerns zurück-
fallen können, habe ich verschiedentlich an lebendigen Wander-
zellen in den Kiemenblättern der Larve verfolgt.
Ausser den bisher besprochenen Kernzerschnürungen von ge-
wöhnlicher und bekannter Art finden sich in meinen Präparaten nicht
selten Zellen mit den eigenthümlichen ringförmigen Ker-
nen, wie solche hier in Fig. 11, 13, 22 gezeichnet sind; Formen,
wie sie Arnold in seinen früheren Arbeiten über das Knochen-
mark und die Milz, sowie in den Abhandlungen über Theilungs-
vorgänge an Wanderzellen und über die Milz der Maus!) vielfach
beschrieben hat?), und wie ich sie in dem oben eitirten Falle von
Fragmentirung im Epithel der Blase auch dort vorfand?) und mit
Bestimmtheit als Ausgangsformen amitotischer Kerntheilung er-
kennen konnte.
Die ringförmigen Kerne, die sich bei der Salamanderlarve
finden, gehören jedenfalls zum grössesten Theil wandernden
Leukocyten an. Nur in ganz vereinzelten Exemplaren habe
ich sie auch in Lungenepithel- und Bauchfellendothelzellen ge-
gefunden. Sehr auffallend ist das loeal gehäufte Vor-
kommen der Leukocyten mit Ringkernen: man findet Stellen, wo
unter grossen Gruppen von Wanderzellen kein einziger solcher
Kern zu sehen ist, und an anderen Orten besitzt fast die Mehr-
1) a. a. O.; die früheren Arbeiten sind dort eitirt.
2) Wenn auch Arnold’s Auffassung dieser Kernformen darin
von meinem Befund etwas abweicht, dass er nicht eigentliche Löcher
in den Kernen, sondern helle Differenzirungen in ihrem Inneren an-
zunehmen scheint, so muss ich doch glauben, dass wir hier die glei-
chen Dinge vor uns gehabt haben.
3) Dieses Archiv 1889, 8. 438.
278 W. Flemming:
zahl der vorhanidenen Leukocyten diese Kernform. Für diese
locale Prädisposition zum Auftreten der Ringkerne weiss ich für
jetzt keine Erklärung, nur eine Analogie: das ist die, dass auch
die Mitosen local gehäuft aufzutreten pflegen, wovon im vorigen
Abschnitt die Rede war. Es könnte mit diesen Fragmentirungen
ähnlich sein; der Grund bleibt in beiden Fällen noch dunkel.
Die Ringkerne, welche mir in den hier besprochenen Prä-
paraten vorliegen, besitzen ein ganz sicher durchgehendes
Loch von verschiedener Grösse; die Deutung, welche Denys
manchen solehen von Arnold besehriebenen Kernbildern gegeben
hat: dass sie Vacuolisirungen im Kernkörperchen entsprächen, ist
für diese meine Bilder durchweg ausgeschlossen. Mehrfache
Durchlöcherungen der Kerne, wie sie Arnold verschiedentlich
aus der Milz der Maus und an Riesenzellenkernen des Knochen-
marks gefunden hat (a. a. O.), sind mir an diesen Wanderzellen
vom Salamander noch nicht begegnet!). — Ihrem inneren Baue
nach zeigen die Ringkerne an diesen meinen Objeeten keine be-
merkliche Verschiedenheit gegenüber anderen, polymorphen oder
rundlichen Leukocytenkernen, wie solche im vorigen Abschnitt
beschrieben wurden; sie sind auch nicht reicher an chromatischer
Substanz. Zackige Aussenformen der Ringkerne, wie sie Arnold
aus der Milz der Maus gezeichnet hat, finde ich bei Salamandra
in Präparaten aus Osmiumgemisch nicht vor, habe sie aber-einige
Male in Chromsäureobjeeten gesehen, an denen auch die Binde-
sewebskerne geschrumpft waren, und möchte sie demnach nicht
für vital halten.
Jedenfalls muss ich aber diese Ringformen, in’Uebereinstim-
mung mit Arnold, als Anfangsformen einer Kernzersehnürung
ansehen; oder doch, um ganz vorsichtig zu reden, annehmen, dass
sie in eine solche Zerschnürung ausschlagen können und es oft
thun. Denn es bleibt gewiss auch möglich, dass sie es nicht
immer thun, sondern sich wieder zu geschlossenen Kernen zurück-
bilden können.
1) Dies bitte ich nicht so zu deuten, als ob damit ein Zweifel
gegen das Vorkommen jener von Arnold beschriebenen Formen er-
hoben sein sollte. Sie mögen wohl entweder beim Säugethier reich-
licher sein als bei Amphibien, oder in Geweben wie Knochenmark und
Milz häufiger vorkommen, als bei wandernden Zellen im Bindegewebe.
Im Blasenepithel fand ich einige Male Kerne mit Doppellöchern.
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten ete. 279
Dafür aber, dass sie in volle Fragmentirung übergehen
können, habe ich nieht nur einen Beleg in meinen erwähnten Er-
fahrungen am Blasenepithel, auf die ich hierfür verweisen darf,
sondern auch zahlreiche bei den hier besprochenen Wanderzellen.
Fig. 11 (vergl. Erklärung), als Beispiel für viele andere, giebt
dafür Zeugniss. Auseinanderschnürungen der Kernringe mittelst
dünner Brücken sind nicht eben selten und in allen Abstufungen
der Durchmesser dieser Brücken -zu finden; manchmal wird man
erst durch sehr genaues Nachsehen mit der starken Linse und
bestes Licht gewahr, dass eine Form, die man für einen in zwei
Portionen gezerrten, zwerchsackartigen Kern gehalten hat, in der
That einer sehr lang ausgezogenen Ringform entspricht, bei der
die eine Verbindungsbrücke äusserst dünn ist oder verdeckt liegt.
In dem eben Gesagten ist auch zugleich ein Beleg dafür
enthalten, dass die Ringkerne nicht etwa durchweg ganz un-
natürliche Dinge, reine Kunstprodukte der Reagentien oder der
postmortalen Veränderung sein können. Mit einem solchen Ver-
dacht muss man deshalb reehnen, weil F. Reinke kürzlich hier
die merkwürdige Thatsache gefunden hat, dass ringförmige Kerne
in absterbenden Geweben »und bei Anwendung gewisser Re-
agentien — und zwar nicht bloss bei Leukoceyten — massenhaft
auftreten können, wo sie im intacten Gewebe nicht vorhanden
waren!). Ganz gewiss können also solche Formen -unter unnatür-
lichen Bedingungen entstehen; dies schliesst aber nicht aus, dass
das Gleiche auch im physiologisch lebenden Gewebe geschehen
kann, und dass solches der Fall ist, dafür geben die eben be-
schriebenen Dinge wohl hinreichende Gewähr. Denn Formen,
- welehe den Ausgang einer wirklichen Zerlegung von Kernen bil-
den, müssen wohl vital genannt werden. Uebrigens wird der
Verdacht, man könnte es mit Artefaeten zu thun haben, auch
8chon dadurch ausgeschlossen, dass sich die Leukocyten mit Ring-
kernen überall in den gleichen Präparaten vorfinden, in denen
- daneben die Mitosen ganz vorzüglich erhalten sind, und in denen
die Kerne kriechend ausgebreiteter Wanderzellen (wie z. B. Fig. 9
oder 18) den gleichen Zustand ihrer Innenstruktur fixirt darbieten,
den man auch lebend erkennen kann?).
1) Eine nähere Beschreibung darüber wird von Reinke an an-
derem Orte gegeben werden.
2) In Kernen von kriechenden Zellen wie Fig. 9, 15, 18, wenn
280 W. Flemming:
Besonders interessirte es mich nun, zu prüfen, ob bei diesen
relativ grossen und klaren Objeeten von Kernfragmentirung, so-
wohl an den Ringformen als an den sonstigen, etwas über das Ver-
halten der Attractionssphären und Centralkörper
sich ausmachen liess, die ja bei der Mitose nach van Bene-
den’s!) Entdeckung eine so wesentliche Rolle spielen.
Die Sphären und ihre Centralkörper sind bei Leukocyten,
so viel ich weiss, bis jetzt noch nicht beschrieben worden. Mit
der hier benutzten Methode sind sie unter einem guten starken
System sehr leicht in solchen Formen von Wanderzellen zu sehen,
die flachkriechend ausgebreitet liegen (wie Fig. 7 und andere
auf der zweiten Tafel. Aber auch in etwas mehr gerundeten
Zellenformen kann man sie meistens noch erkennen, natürlich mit
Ausnahme solcher Fälle, wo sie durch den Kern, oder durch
Körner im Zellenleib verdeckt liegen. Ist man einmal darauf auf-
merksam, so kann man sie selbst mit weniger als 300facher Ver-
grösserung wahrnehmen. Gegenüber dieser Deutlichkeit der Cen-
tralkörper und Sphären in den Leukoeyten ist es bemerkens-
werth, dass sie in anderen flachgeformten Zellen (Epithelien,
Endothelien, flache Bindegewebszellen) viel weniger leicht er-
kennbar sind. Die Üentralkörper sind in diesen Zellenarten,
ausserhalb der Mitose, sehr viel kleiner als in den Wanderzellen
und ich erkenne sie dort nur bei gut gelungener scharfer Fär-
bung nach der am Schluss besprochenen Methode, und auch dies
nur an einer Minderzahl der Zellen. Die Sphäre um die Cen-
man sie in Kiemenblättern oder im Blutpräparat lebend beobachtet,
lässt sich oft die Anordnung der chromatischen Structur deutlich in
vivo sehen und in ihren langsamen Verschiebungen verfolgen, und
wenn man solche Zellen dann durch Osmiumgemisch abtödtet, kann
man finden, dass sich diese Anordnung ebenso fixirt, wie man sie
lebendig gesehen hat. — Dies giebt wohl auch einen der besten Be-
lege dafür ab, dass ich Recht habe, für die Fixirung von Kernstructu-
ren, Fragmentirungen und Mitosen in dem Gebrauch der Osmium-
gemische, und zwar auch der starken, fortzufahren, obwohl Arnold
(s. 0.) ihnen in dieser Hinsicht Vorwürfe gemacht hat. _Kerne, wie
z.B. der in Fig. 18, sind mit starkem Osmiumgemisch fixirt und zeigen,
dass dasselbe sogar so zarte fluctuirende Formen, wie deren Innen-
structur, getreu in dem Zustande abtödtet und festhält, der sich auch
im Leben controliren lässt.
1) E. van Beneden und Neyt, Nouvelles recherches s. ]. fe-
condation de l’Asc. meg., 1887, Arch. de Biologie.
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 281
tralkörper sehe ich an den genannten fixen Zellenarten nur manchmal
angedeutet als eine verwaschene, etwas dunkler tingirte und un-
bedeutend stärker liehtbreehende Stelle nahe dem Kernrande;
diese ist besonders oft an Toochterzellen, die zur Ruhe zurück-
kehren uud eine Polbucht haben, in letzterer zu finden, an wel-
chem Orte schon Rabl!) bei Triton diese hervorstechende Stelle
bemerkt und als Attractionssphäre gedeutet hat. Ueber die
Centralkörper und Sphären bei diesen fixen Zellen theile ich an
anderem Orte Näheres mit.
Jedenfalls also sind für deren Beobachtung ausserhalb der
- Mitose die Leukocyten weit günstigere Objecte, als die genannten
fixen Zellenarten.
An Leukoeyten mit ringförmigen Kernen, welche dem
Auge gerade die Oeffnung des Ringes zukehren, »sieht man den
Centralkörper mit seiner Sphäre scheinbar — aber nicht wirklich,
wie unten erläutert wird — in dem Raum des Kernringes gelegen
(Fig. 13, 22). Ich habe in meiner erwähnten früheren Mittheilung ?)
bei Lochkernen des Blasenepithels eine Differenzirung erwähnt,
die in einigen Fällen anscheinend im Inneren der Löcher in Ge-
stalt von Fäden und Körnern sich zeigte, und habe dort die
Frage aufgeworfen, ob diese Dinge nicht Attraetionssphären ent-
sprechen könnten; wegen der Unzulänglichkeit des damals be-
nutzten Mittels (Chromsäure) musste ich dies unentschieden lassen.
Jetzt kann ich bei Vergleich meiner neuen Präparate nicht mehr
daran zweifeln, dass dort in der That die Sphäre in verstüm-
meltem Zustand vorliegt.
Auch glaube ich, dass wohl der gleichen Deutung die Dinge
zu unterliegen haben, die schon Arnold an den ringförmigen
Kernen mehrfach besprochen und gezeichnet hat?): er bemerkt
(a. a. 0. S. 559), dass in der Mitte der hellen Felder der Kern-
ringe „sehr häufig ein glänzendes Korn gelegen sei und einzelne
lichte Fädchen in der Substanz der vermeintlichen Vaeuole ein-
gebettet seien“. Arnold deutete dort allerdings die Entstehung
1) Ueber Zelltheilung. Anatomischer Anzeiger 1889, Nr. 1,
S. 23—24.
2) Dieses Archiv Bd. 34, S.439 und 446, Fig. 4 u. 5, Taf. 27.
3) Kern- und Zelltheilungen in der Milz a. a. O., S. 558; Thei-
lungsvorgänge an den Wanderzellen a. a. OÖ. in manchen Figuren,
auch schon in Arnold’s früheren Arbeiten in Virchow’s Archiv
1883 und 1884.
282 W. Flemming:
dieser Dinge als eine Metamorphose im Kern selbst und be-
trachtete offenbar das betreffende Korn und die Fädehen als spe-
cielle Erscheinungen der Fragmentirung und als aus dem Kern
hervorgegangen. Da er aber kleinere Objeete vor sich hatte
als die hier beschriebenen, lässt sich gewiss daran denken, dass
es sich auch bei diesen seinen Bildern um Centralkörper und
Sphären gehandelt hat.
An Ringkernformen aus der Milz der Maus hat F. Reinke
hier bereits am Anfang letzten Sommers, bei Behandlung mit
Methylenblau und pikrinsaurem Kali gefunden, dass eine Substanz,
die m dem Kernringe zu liegen schien, sich stärker gelb färbte
und stärker lichtbrechend erschien als der übrige Zellenleib, und
hat schon damals in diesem Theil die Attractionssphären ver-
muthet. Manehmal liess sich in dieser Substanz ein undeutlich
radiärer Bau erkennen; Üentralkörper traten bei dieser Behand-
lung nicht erkennbar hervor. Reinke wird an anderem Orte
über diesen und weitere Befunde berichten.
Bei der hier benutzten Methode und an den grossen Leu-
kocyten des Salamanders sieht man die Sphäre bald ziemlich
regelmässig, bald verwaschener radiär gestreift, und den Central-
körper in ihr als ein einfaches, stark lichtbrechendes Korn, das in
Safranin-Gentiana-Orange-Präparaten, bei günstigem Ausziehungs-
grade, hellröthlich gefärbt ist (viele der Figg.), aber auch wo
diese Farbe extrahirt wurde, durch seinen Glanz noch recht deut-
lich vortritt. In einzelnen Fällen erscheint der Centralkörper
etwas länglich geformt; die Frage, ob dies nicht auf schräger
Ansicht und Mitsehen von verkürzten Sphärenstrahlen beruht,
kann ich bei der Kleinheit des Dinges noch nicht entscheiden.
Zweifachheit des Centralkörpers habe ich bei diesen Leukoeyten
noch nicht gesehen.
Die Fragen, die mir nach Erkundung dieser Dinge vor-
lagen, stellten sich zunächst so: geschieht bei der Fragmentirung
des Kerns in Leukoeyten eine Theilung der Sphäre und ihrer
Centralkörper, so wie sie bei der Mitose erfolgt, oder bleibt sie
aus? Und zweitens: lässt sich ein mechanischer Einfluss der
Sphären auf die Kerntheilung erkennen, oder nicht?
Ich fand alsbald, dass die erstere Frage verneint werden
muss. Weder die Sphäre noch ihr Centralkörper zer-
legt sich während der Kernzerschnürung. Ich kann da-
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 283
für auf die Figuren der zweiten Tafel verweisen. Es ist mir
wenigstens nie gelungen, in einer Wanderzelle, welche zwei Kerne
hatte oder (wie etwa 19, 16, 20) einen in zwei Portionen beinahe
abgeschnürten Kern zeigte, mehr als eine Sphäre zu sehen, oder
eine Andeutung von Verdoppelung des Centralkörpers zu finden.
Die Bilder der Fig. 7, 16 und 9 zeigen vielmehr, dass in Fällen,
wo die Kernzerlegung schon vollständig geworden ist, nur eine
einfache Sphäre mit einfachem Centralkörper in der Zelle besteht.
— Es wird durch weitere Untersuchung zu entscheiden sein, wie
es sich hiermit in solchen Fällen verhält, wo der Kernzerschnü-
rung in eimer Wanderzelle eine Zerschnürung des ganzen Zell-
leibes nachfolgt, wie dies ja durch Arnold und Andere in vivo
_ beobachtet ist. Von vornherein ist zu vermuthen, dass dabei dann
eine Theilung der Sphäre erfolgen wird, da wir dieselbe nach den
vorliegenden Beobachtungen (van Beneden, Boveri, Solger,
v. Kölliker und Andere) doch wohl als einen wesentlichen und
ständigen Bestandtheil jeder Zelle zu betrachten haben.
Für die amitotische Theilung eines Kernes aber in einer
Wanderzelle ist eine Zerlegung der Sphäre nach dem Gesagten
offenbar nicht erforderlich.
Damit ist jedoch die zweite, oben aufgestellte Frage nicht
beseitigt: ob bei dieser Art der Kernzerlegung . Sphäre nicht
irgend einen Einfluss äussern kann.
Allerdings, wenn nach den Befunden van Beneden’s sowie
denen Boveri’s und Rabl’s — auf die ich mich in einem fol-
genden Aufsatz noch näher zu beziehen habe — die Theilung
der Kernsubstanz bei der Mitose sich auf eine direete Auseinander-
ziehung, ausgehend von den getheilten Centralkörperhälften und
vermittelt durch die achromatischen Fäden, zurückführen lässt, so
kann man hier zwar an Aehnliches nicht denken, da ja Central-
körper und Sphäre ungetheilt bleiben. Dagegen scheint mir die
Lage, welche diese Dinge während der Kernfragmentirung in
dem Leukocytenkörper einhalten, doch nicht ohne Bedeutung
zu sein.
Bei den Leukocyten mit Ringkernen fällt es auf, dass die
Sphäre stets einseitig dem Innenraume des Ringes gegenüber,
und dabei nahe am Kern liegt, so dass ein Loth, das man sich
von ihrem Centralkörper gegen die Ebene des Kernringes gefällt
denkt, ungefähr in dessen Mitte treffen würde. Sphäre und Kern
284 W. Flemming:
liegen einander dabei so nahe, dass, wie ich schon sagte, beim
Einblick in den Kernring (z. B. Fig. 15) das Centralkörperchen
in diesem zu liegen scheint; jedoch man erkennt an diesen grossen
Zellen schon durch die Einstellung, dass dies nicht so ist, und
bleibt vollends bei Ansichten, wie in Fig. 11 ab (vergl. Erklä-
rung) nicht in Zweifel, dass die Sphäre vielmehr an einer Seite
des Ringes gelegen ist; sie mag sich vielleicht in diesen mit der
zugewendeten Kuppe etwas eindrängen, der Centralkörper liegt
aber jedenfalls ausserhalb der Mittelebene des Ringes.
Noch bemerkenswerther erscheint die Lage der Sphäre an
solchen stark zerschnürten Kernen, wie in Fig. 8, 14, 18, 19, 20,
sowie nach völliger Trennung der Kernportionen (Fig. 7, 9, 16).
An halbmondförmigen Kernen, wie in Fig. 12, liegt sie, so
viel ich finde, immer in der Bucht des Halbmonds. Bei Formen,
wie Fig. 18, wo zwischen zwei Kernlappen eine erst mässig ver-
dünnte Brücke ausgezogen ist, steht die Sphäre dieser Brücke
gegenüber. Wo letztere länger ist (Fig. 8, 19, 20) befindet sich
die Sphäre nahe der verdünntesten Kernstelle: meistens so, dass
ein von ihr auf den gezerrten Kern gefälltes Loth dessen Masse
in zwei ziemlich gleiche Portionen theilen würde. Oder, wo wie
in Fig. 14 und 8 mehr als zwei Kernlappen auseinandergezerrt
sind, steht die Sphäre doch auch hier einer der dünnen Abschnü-
rungsbrücken gegenüber. Bei Formen letzterer Art, und über-
haupt bei Leukocyten, die offenbar in sehr erheblicher Kriech-
bewegung lang und flach ausgedehnt sind (Fig. 14, 16), findet
sich die Sphäre zuweilen in einer Gestalt, wie in den beiden Fi-
guren gezeichnet: ihre Radien sind nach einer Seite gegen einan-
der umgeklappt, etwa wie die Spangen eines halbgeschlossenen
Regenschirms, die Spitze des Kegels nimmt der Centralkörper ein.
Es ist wohl angenscheinlich, dass der Zug der Kriechbewegung
das Gebilde in diese Lage gebracht hat.
Wo endlich eine Fragmentirung der Kernportionen ganz oder
anscheinend vollständig geworden ist, und diese sich nur noch
eben dünne Zipfel zusenden, an denen der Ort der Abschnürung
sich erkennen lässt (Fig. 7, 9), liegt die Sphäre zwischen den
getrennten Portionen, und so, dass die Verlängerung jener Zipfel
dicht an ihr vorbeilaufen würde!).
1) In einigen Fällen schien die Verlängerungslinie eines Zipfels
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten ete. 285
Nach alledem scheint es mir unverkennbar, dass irgend
eine Beziehung zwischen der Lage der Sphäre und dem Orte
der Kernfragmentirung vorliegt. Man kann zwar sagen: die
Sphäre liegt ja überhaupt ganz nahe am Kern!), also wird sie
ihm auch nahe sein, wenn er sich zerschnürt, ihre Lage und
seine Fragmentirung brauchen deshalb nichts mit einander zu thun
zu haben. Dem gegenüber ist aber im Auge zu behalten, dass
bei den Abschnürungen die Sphäre eben nicht einer beliebigen
- Stelle der Kernmasse benachbart liegt, sondern grade an den Ab-
schnürungsbrücken; was doch wohl auf eine topographische Ab-
hängigkeit der letzteren von ihrer Lage hinweist.
Auch zwischen dem Auftreten der Kernringformen
und der Sphäre muss nach dem, was ich hier beschrieb, wohl
eine Abhängigkeit existiren. Denn die Mitte der Sphäre mit dem
Centralkörper liegt ja, soviel ich gefunden habe, stets der Mitte
des entstehenden Ringes gerade oder doch ungefähr gegenüber.
Wäre das Auftreten des letzteren ganz ohne Beziehung zu der
Lage der Sphäre, dann sollte man doch erwarten, auch Ring-
kerne zu finden, bei denen die letztere statt dessen irgendwo an
der äusseren Peripherie des Ringes gelegen wäre. Es wäre ja
möglich, dass dies vorkommt, ich habe es aber noch nie gesehen;
und denke mir demnach, dass durch die Lage der Sphäre die
Stelle der Perforation am Kern in irgend einer Weise prädisponirt
sein muss. Ob es sich dabei aber um einen direeten, mechani-
schen Einfluss der Sphäre handelt, lässt sich für jetzt nicht ent-
scheiden.
Es knüpft sich hier die Frage an, ob die Entstehung der
Ringkerne bei den Leukocyten nicht vielleicht immer die Vor-
läuferin von Fragmentirungen der Kerne sein mag. In vielen
Fällen ist sie es gewiss, wie dies ja auch schon von Arnold
a.a. 0. angenommen, und hier oben und in meiner eitirten früheren
Arbeit motivirt wurde. Wenn man nun Formen, wie hier meine
auf den Centralkörper zuzulaufen; da dies aber selten war, glaube
ich, dass sie hier nur mit dem letzteren in Deckung lag, und nahe
über oder unter ihm verlief.
1) Dies ist übrigens bei diesen mobilen Zellen nicht stets der
Fall: mehrfach sah ich Exemplare wie Fig. 17, wo, offenbar durch die
Ausdehnung des kriechenden Zellenleibes, die Sphäre ziemlich weit
vom Kern entfernt war.
286 Ww. Flemming:
Figuren sie wiedergeben, in der entsprechenden Folge in eine
Reihe ordnet, so liesse sich wohl daran denken, dass alle Formen,
wie sie auf der zweiten Tafel vorliegen, in gleicher Weise, ver-
mittelst des Durchreissens von Ringkernen, entstanden sein könnten.
Ich will diese Annahme hier nicht vertreten, aber doch ihre Mög-
lichkeit als disceutirbar hervorheben. Arnold hat zwar in seiner
letzten Arbeit, dort wo er die durchlöcherten Kerne aus der Milz
uäher bespricht, offenbar eine solche Annahme nicht gemacht,
sondern geschlossen, dass die Fragmentirung der Kerne an seinen
dortigen Objeeten bald mit Vorhergang von Ringformen, bald ohne
solchen stattfinden kann. Dies geht wohl bestimmt aus Arnold’s
Worten auf 8. 547—8 a. ar 0. hervor: „Kerner mr zeigen
Abschnürungen der Kernfiguren !) bei gleichzeitiger Abfurchung
des Zeilleibes in zwei, drei und mehr Theile. Anderemale geht
ein Auftreten von hellen Feldern?) an einer oder mehreren Stellen
in der eben geschilderten Weise voraus und dann erst kommt es
zur Zerschnürung der Kernfigur.“ Aber Arnold hatte hierbei,
ganz ebenso wie ich jetzt, fixirte Formen vor Augen, deren
Reihenfolge man sich nur durch Schlüsse zu construiren vermag:
es scheint nicht ausgeschlossen, dass die Ringform doch immer
die Anfangsform sein könnte. Die Untersucher lebender Leu-
koeytentheilungen, wie Arnold selbst, Lawdowsky und Andere,
haben zwar dabei von Ringformen als Anfängen der lebenden
Kerntheilung nichts gemeldet, soviel ich wenigstens finde; aber
es ist zu bedenken, dass an den blassen lebenden Kernen die
Feststellung solcher Ringformen sehr schwer, in den meisten Fällen
wohl nieht sicher möglich sein "müsste, auch wo sie existirten.
Es kann nun noch die weitere Frage gestellt werden, ob
die Centralkörper und Sphären bei den Leukoeyten vielleicht nur
in Zuständen der Kernfragmentirung so deutlich werden, wie ich
sie gefunden habe; dann würde dieses ihr scharfes Hervortreten
überhaupt als eine Erscheinung angesehen werden können, die 4
1) Dieser Ausdruck ist im Sinne von Fragmentirungsformen ge-
meint, es sind nicht Mitosen darunter verstanden.
2) Dass diese „Kerne mit hellen Feldern“, wenigstens grossen-
theils, denselben Dingen entsprechen, die ich hier als Ring- oder Loch-
kerne geschildert habe, glaube ich sowohl nach Arnold’s Beschrei-
bung und Bildern, als nach eigener Kenntnissnahm& der Mäusemilz
bestimmt annehmen zu können, wovon oben schon die Rede war.
‘Ueber Theilung und Kernformen bei Leukoecyten etc. 27
mit der amitotischen Kerntheilung zusammenhängt. Man könnte
an dergleichen deshalb denken, weil ja (wie oben erwähnt ist)
in Epithelien, Endothelien u. a. fixen Zellen die Sphären und
Centralkörper während der Kernruhe wenig deutlich sind, während
der Mitose aber deutlicher sichtbar werden; ähnlich könnte es
- sich ja auch bei der amitotischen Kerntheilung verhalten. — Diese
Frage ist nach dem vorliegenden Material wohl noch nicht spruch-
reif. Ich habe schon gesagt, dass man Sphären und Centralkörper
- auch an Leukoceyten von rundlicher Form sehen kann, in denen
_ die Kerne keine Fragmentirungserscheinungeu oder auch nur Ein-
-sehnürungen zeigen, wie z. B. Fig. 10; auch in ganz runden
kleineren Formen von Wanderzellen und Leukocyten des Blutes
meine ich sie manchmal zu erkennen, meistens werden sie hier
natürlich durch die Kerne verdeckt und bei der Kugelform der
- Zelle überhaupt schwer sichtbar sein. Es lässt sich aber freilich
nicht sagen, ob nicht alle solche Zellen, in denen man die Sphären
überhaupt sieht, sich vielleicht schon im Begriff befinden in eine
Kernfragmentirung einzutreten, und ich muss also in dieser Hin-
sicht vorläufig mit einem Fragezeichen schliessen, bis sich Mate-
rialien oder Methoden finden, um diese immerhin sehr zarten Dinge
- der Beobachtung zugänglicher zu machen.
Wie sehon gesagt glaube ich mit van Beneden, dass die
-_Sphären und Centralkörper allgemeine Attribute der Zelle zu
nennen sind; ihre Feststellung auch bei Leukocyten, einer Zellen-
art, die man als eine besonders einfache und indifferente zu be-
-trachten pflegt, kann gewiss nur in diesem Sinne sprechen. Doch
scheint mir überhaupt ein Zweifel gegen das allgemeine Vorkommen
dieser Dinge schon deshalb nicht berechtigt, weil nachgewiesener-
maassen bei der Mitose die Polkörperchen aus einer Theilung
des Centralkörpers hervorgehen, Polkörperchen aber nach Allem,
was wir wissen, doch wohl bei einer jeden mitotischen Theilung
vorkommen.
III. Schlussbetrachtungen über Theilung der Leukocyten
| und über Amitose.
Aus allem Vorstehenden ergiebt sich, dass der Satz heute
Ohne Bedenken hingestellt werden kann: Leukocyten vermögen
sich sowohl mit Mitose, als ohne Mitose zu theilen.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 37 19
288 W. Flemming:
Eine andere Frage ist es, ob beide diese Theilungsarten
hier die gleiche physiologische Bedeutung haben: das heisst, ob
durch die eine wie die andere fortdauernd neue, weiterlebende
und fortpflanzungsfähige Zellen gebildet- werden. Diese Frage
lässt sich nicht bloss für die Leukocyten, sondern auch ganz all-
gemein für andere Gewebe stellen.
Für die Mitose kann es ohne Zweifel gelten, dass sie wie
überhaupt, so auch bei den Leukoeyten solches keimfähige Ma-
terial liefert; da wir ja sehen, dass durch sie bei den Säuge-
thieren in den Iymphatischen Organen eine fortwährende Neu-
lieferung von Lymphzellen stattfindet. Danach ist der Schluss
gestattet, dass bei Thieren, welche keine solehen Organe besitzen,
bei denen aber in den Geweben und Körpersäften Mitosen von
Leukocyten vorkommen, diese die gleiche regenerative Bedeutung
haben.
Es handelt sich nun darum, ob wir eine gleiche Bedeutung
auch der Amitose zuschreiben können.
A priori bestände hiergegen kein Einwand. Vor längerer
Zeit, als die Mitose und ihre grosse Verbreitung eben erst be-
kannt geworden war, und Kenntnisse über amitotische Vorgänge
noch fast ganz fehlten, liess sich wohl daran denken, dass
alle normale Zellenvermehrung und Kernvermehrung nur auf mi-
totischem Wege erfolge. Heute würde es nicht mehr berechtigt
sein dies zu behaupten; ich für mein Theil habe es schon seit
lange nicht mehr geglaubt. Aus der grossen Zahl von einschlä-
gigen Angaben über Amitose, die schon vorliegen, mögen hier
nur einige der wichtigsten kurz erwähnt sein: bei den Infusorien
theilen sich zwar bekanntlich die Geschlechtskerne mitotisch, die
Stoffwechselkerne aber durch Fragmentirung®). Bei den Radio-
larien erfolgt nach den. Untersuchungen Brandt’s?) die Schwär-
merbildung unter Erscheinungen, welche offenbar zu den amito-
tischen zu rechnen sind. Bei Arthropoden sind von Frenzel,
Carnoy, Platner u. A. Beobachtungen gemacht, nach denen
sich bei der Regeneration verschiedener Gewebe des erwachsenen
h
1) Es darf dafür auf die neueste Arbeit R. Hertwig’s und die J
dort erwähnte Literatur verwiesen sein.
2) Mitth. des Vereins Schleswig-Holst. Aerzte, 13. Januar 1890,
12. Heft, Stück 3.
a
u
VEITZRENMEE Si be va
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Pr
r
Körpers keine Betheiligung der Mitose ersehen lässt, Kernfrag-
mentirungen dagegen reichlich zu finden sind).
Wenn nach diesen und anderen Erfahrungen die Amitose
überhaupt an normaler Kern- und Zellenvermehrung betheiligt sein
kann, so wäre es an sich vollkommen möglich, dass auch die
Leukocyten des Wirbelthieres sich je nach den Umständen bald
mit ihr, bald mit Mitose fortpflanzen; und es wäre danach zu
verstehen, dass sich unter den Wanderzellen, die hier beschrieben
wurden, beide Vorgänge vertreten finden. Und da es sich hier
ja um junge, lebhaft wachsende Thierkörper handelt, würde sich
der erstere Weg der Vermehrung als ein ebenso physiologisch-
normaler ansehen lassen, als der letztere.
Es giebt aber doch einige Punkte, die dem gegenüber
Zweifel bedingen können, und zwar folgende:
Erstens kann es auffallen, dass sich die amitotische Ver-
mehrung hier bei meinen Objeeten ganz, oder so gut wie ganz,
auf die Leukocyten beschränkt zeigt. In den sämmtlichen
Arten fixer Gewebszellen bei den wachsenden Larven finden
sich amitotische Theilungen nicht vor, oder doch so vereinzelt,
dass man sie für das normale Wachsthum gegenüber den massen-
haften Mitosen gar nicht in Anschlag bringen kann. Der einzige
Fall, wo ich beim gleichen (erwachsenen) Thier die erstere Thei-
lungsart an fixen Zellen fand, war offenbar ein “pathologisches
oder doch abnormes (Harnblasenepithel, s. oben).
Zweitens kommt in Betracht, dass in den normalen Lymph-
drüsen und Lymphknötchen der Säugethiere die Regeneration der
Lymphzellen ohne Zweifel von der Mitose beherrscht wird, und
die Amitose, wenn sie hier überhaupt mitspielt, dagegen ganz in
den Hintergrund tritt.
Drittens ist es meines Wissens noch für kein anderes Ge-
webe der Wirbelthiere — und so auch der höheren Pflanzen —
dargethan oder wahrscheinlich gemacht, dass amitotische Theilung
bei normalem Gewebswachsthum, oder bei physiologi-
scher Regeneration überhaupt mitwirkt. Wenn dies der Fall
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten: ete. 289
1) Ich füge hier bei, dass im Anschluss an die Arbeiten Plat-
ner’s über amitotische Kerntheilung in den Malpighi’schen Gefässen
des Wasserkäfers Herr stud. Meves hier Untersuchungen am glei-
chen Object angestellt hat, bei denen es uns nicht gelang, dort eine
einzige Mitose zu finden, während Fragmentirungen sehr häufig waren.
290 | W. Flemming:
wäre, so müsste man solche Kemtheilungsformen doch bei Em-
bryonen und bei lebhaftem postembryonalen Wachsthum irgendwo
in den Geweben finden; nach jetziger Kenntniss findet sich dabei
aber nur Mitose, und diese in solcher Menge, dass sie für die
statthabende Zellenvermehrung nach aller Schätzung sehr wohl
ausreicht).
Hiernach scheint es mir nicht ausgeschlossen, dass man sich
über die Fragmentirungen der Leukocytenkerne — und über
die amitotische Theilung überhaupt — auch folgende
Anschauung bilden könnte:
1) Es scheint verschiedentlich angenommen zu werden, dass beim
physiologischen Wachsthum der Muskeln die amitotische Theilung
mitspielt; ich wüsste aber nicht, womit das bis jetzt zu begründen
wäre. Mitose der Muskelfaserkerne, die ich vor 12 Jahren zuerst be-
schrieben habe (dieses Archiv Bd. 16, S. 394), kommt in wachsenden
Muskeln so massenhaft vor, dass man angesichts solcher Präparate
nicht versucht wird, noch eine andere Kerntheilungsart für betheiligt
zu halten; auch finde ich in derartigen Objecten, die ich zahlreich be-
sitze, keinerlei Formen, die sich mit Grund als Fragmentirungen oder
sonstige amitotische Theilungen ansehen liessen. Aus der genauen
Besprechung, die v. Kölliker in seinem Handbuch der Gewebelehre
(1889, S. 400 ff.) der Muskelentwicklung zuwendet, scheint mir hervor-
zugehen, dass auch dieser Forscher die normale Vermehrung der
Muskelkerne durchweg auf Mitose bezieht, nicht allein für die anfäng-
lichen, sondern auch für die späteren, von Felix genau untersuchten
Wachsthumsvorgänge, bei denen die eigenthümlichen massenhaften
Kernwucherungen vorliegen; es findet sich wenigstens weder bei
Felix selbst} noch a. a. O. bei v. Kölliker ein Hinweis darauf, dass
bei letzteren eine amitotische Kernvermehrung anzunehmen wäre, be-
stimmt ausgedrückt. — Dass bei pathologischer Regeneration von
Muskelfasern nicht bloss Mitosen, sondern auch Fragmentirungserschei-
nungen an Muskelkernen auftreten, ist bekannt; ich darf dafür auf
die Arbeit Robert’s (Ueber Wiederbildung quergestreifter Muskel-
fasern. Diss. Kiel, 18%) und die darin zusammengestellte Literatur
verweisen. Nach der sorgfältigen Untersuchung des Genannten, welche
ich verfolgen konnte, bin ich jedoch gleich dem Verfasser undLeven
zu dem Eindruck gelangt, dass die Mitose hier der generatorische
Vorgang ist, und die nebenher gehenden amitotischen Kernvermeh-
rungen die Bedeutung degenerativer Erscheinungen haben; wenn
auch Nauwerck in seiner soeben veröffentlichten Arbeit (Ueber
Muskelregeneration noch Verletzungen, 1890) zu einer etwas abwei-
chenden Anschauung gekommen ist.
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 291
Die Leukocyten finden ihre normale physiologische Neu-
bildung, gleich den Zellen anderer Gewebe, durch Mitose;
nur die auf diesem Wege neuentstandenen erhalten das Ver-
mögen, länger fortzuleben und auf demselben Wege ihres
Gleichen zu erzeugen.
Fragmentirung des Kerns, mit oder ohne nachfolgende
Theilung der Zelle, ist überhaupt in den Geweben der Wirbel-
thiere ein Vorgang, der nicht zur physiologischen Vermehrung
und Neulieferung von Zellen führt, sondern wo er vorkommt,
entweder eine Entartung oder Aberration darstellt, oder viel-
leicht in manchen Fällen (Bildung mehrkerniger Zellen durch
Fragmentirung) durch Vergrösserung der Kermperipherie dem
cellulären Stoffwechsel zu dienen hat?!).
Wenn sich also Leukocyten mit Fragmentirung ihrer Kerne
theilen, so würden hiernach die Abkömmlinge dieses Vorganges
nicht mehr zeugungsfähiges Zellenmaterial sein, sondern zum Unter-
gang bestimmt, obwohl sie zunächst noch lange in den Geweben
und Säften weiterleben mögen.
Eine solche Anschauung stände mit den jetzt vorliegenden
Kenntnissenüber das Vorkommen von Amitose, so viel ich sehen kann,
keineswegs in Widerspruch. Wo immer man in Geweben der Wirbel-
thiere noch sichere amitotische Kerntheilung gefunden hat, ist die
Möglichkeit nicht abzuweisen, dass es sich dabei”um abartende,
oder verkümmernde, oder erkrankte?) Zellen, kurz um Vorgänge
handelt, die irgendwie von der Norm abweichen; in diesen sämmt-
lichen Fällen — und es sind gar nicht sehr viele — ist wenig-
stens kein Beweis geliefert, dass solche Vorgänge in Bezug auf
Gewebsersatz irgendwie der Mitose gleichwerthig dastehen. Die
Kernfragmentirungen in den grossen Spermatogonien des Ho-
1) Dies letztere entspricht einem Gedanken, den Chun in einem
kürzlich veröffentlichten Aufsatz (Ueber die Bedeutung der directen
Kerntheilung. Phys.-ökon. Gesellsch. zu Königsberg, 3. April 1890)
geäussert hat. Doch möchte ich nicht mit Chun die vielkernigen
Muskelzellen, so auch nicht die Nervenfasern der Wirbelthiere dabei
heranziehen, da es sich bei deren physiologischem Wachsthum nicht
um directe, sondern um mitotische Kerntheilung handelt (vgl. die
letzte Anmerkung).
2) Dieser Ausdruck ist in dem Sinne gemeint, dass auch in
einem Gewebe, das als Ganzes nicht krank zu nennen ist, einzelne
Zellen sehr wohl abnorm oder krankhaft verändert sein können,
292 W. Flemming:
dens der Amphibien, die von v. la Valette St. George und
Nussbaum), mir?), und Bellonei?) untersucht sind, können
sehr wohl, wie ich es gleich dem letztgenannten Forscher an-
nehme, entartenden Zellen angehören; denn im Hoden finden sich
ja in solchen Zellen dabei Mitosen übergenug, um für alle nor-
male Spermatogenese aufzukommen, und die erwähnten Fragmen-
tirungen finden sich in Reichlichkeit nieht zu den Zeiten, wo
die Samenbildung anbricht, sondern zu denen, wo sie ruht. —
Die zahlreichen Formen von Amitose, welche Arnold*) aus dem
Knochenmark und aus der Milz bekannt gemacht hat (Fragmen-
tirung, directe Segmentirung), können, soweit sie als unzweifelhafte
Kerntheilungen anzusprechen sind), zwar beweisen, dass in diesen
eigenthümlichen Organen bei Iymphoiden Zellen Amitosen von
Kernen häufig sind, aber nicht, dass sie einer normalen Regene-
ration zu Grunde liegen. Denn gerade in denselben Organen findet
sich als ein Factor derselben ja wiederum die Mitose in grosser
Reichliehkeit; und in den normalen Lymphdrüsen, wo solche Re-
generation durch Mitose doch besonders stark geschieht, fehlen
jene amitotischen Formen fast ganz. Unzweifelhaft verfällt ja
eine Menge von Leukocyten an anderen Orten fortwährend dem
Untergang: dafür braucht nur an diejenigen erinnert zu werden,
die aus den Tonsillen, den Lymphknötchen des Mundes und des
Darms und auch anderswo durch das Epithel wandern, um draussen
zu sterben. Wenn also hier eine Ueberproduetion dieser Zellen-
art und ein entsprechender Untergang stattfindet, so lässt sich
fragen, ob das Gleiche nicht auch in der Milz — in der ja auch
rothe Blutzellen’ zu Grunde gehen — und im Knochenmark der
Fall sein kann. — Die Riesenzellen in dem letzteren, in der
Milz, der Embryoleber und der Deeidua, bei welchen die von
1) Nussbaum, Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen,
dieses Archiv 1882, S. 28.
2) Zellsubstanz, Kern und Zelltheilung, 1882, S. 335 u. £.
3) Bellonci, Sui nuclei polimorfi delle cellule sessuali degli
Anfıbi. Memorie della Reale Acad.d.Sc. dell’ Istituto de Bologna, 1886.
5) Ich vermag nicht alle die Formen so zu deuten, die Arnold
als indirecte Fragmentirungen beschrieben hat; für einen Theil. der-
selben scheint mir der Beweis auszustehen, dass sie überhaupt Kern-
theilungen sind. Vgl. dieses Archiv Bd. 24, S. 449.
ei
3 N Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 293
Arnold und Hess!) beschriebenen Kernfragmentirungen gewiss
keinem Zweifel unterliegen, sind schwerlich für die Ansicht zu
verwerthen, dass die Amitose bei normaler Gewebsregeneration
mitspielen soll. Denn nach Allem, was wir über diese sonder-
baren Gebilde wissen und nicht wissen, steht der Annahme noch
nichts entgegen, dass sie abnorm angewachsene und funetionslose
Lymphoidzellen sind), die ihre Entstehung nur den eigenartigen
Stoffwechselbedingungen in den wenigen Geweben verdanken, in
welchen sie vorkommen. Niemand hat nöch irgend eine Funktion
der Riesenzellen nachgewiesen), und das müsste doch vor allem
geschehen, wenn man ihre Kerntheilungsformen den bei normalem
Gewebswachsthum vorkommenden gleichwerthig setzen will. Ich
habe früher*), gezeigt, dass vielkernige Zellen, die denen der De-
eidua ganz ähnlich sein können, aus gewöhnlichen Fettzellen ent-
stehen, aber nur unter krankhaften oder atrophischen Bedingungen:
das giebt schon einen Hinweis darauf, dass solche Zellen, wo sie
anderswo vorkommen, auch nur aberrirte Nebenproducte sein
können. — Ein weiterer solcher Hinweis wird durch die Mitosen
der Riesenzellen gegeben. Diese sind verschiedentlich be-
schrieben, im Knochenmark sowie in der Milz der Maus sehr
häufig, und mir aus früheren eigenen Arbeiten am Knochenmark
und aus Untersuchungen Reinke’s an der Milz, die demnächst
publieirt werden, wohlbekannt’). Ich habe aber ebensowenig wie
1) Ziegler’s Beiträge Bd. 8, 1889, S. 221 ff.
2) Diese Annahme würde der Ansicht Löwit’s, nach der die
Bildung der Riesenzellen geradezu ein degenerativer Process zu nennen
wäre, nahe stehen; doch es lässt sich ja ein Unterschied zwischen Bil-
dungsanomalie und Degeneration machen, und ich möchte die Riesen-
zellen eher unter den ersteren, als unter den letzteren Begriff stellen.
3) Ich rede hier nicht von den Osteoklasten v. Kölliker’s, die
"an den Knochenwänden liegen, sondern von den viel zahlreicheren
Riesenzellen, die sich mitten im Knochenmark, in der Milz und De-
eidua mancher Thiere finden, und deren Vorkommen an letzteren
Orten schon beweist, dass sie mit Knochenresorption nichts zu thun
haben.
4) Dieses Archiv 1871, S. 329 u. f., Taf. 28, und Virchow's
Archiv, 1872.
5) Es handelt sich bei diesen meinen und bei Reinke’s Ob-
jeeten nicht um Formen wie Fig. 21—23 bei Hess a. a. O., welche,
| wenn Mitosen, dann entweder keine typischen oder irgendwie ver-
ändert sind; sondern um unzweifelhafte mitotische Figuren, mit gleich-
294 » W. Flemming:
Hess (a. a. O. S. 234) je eine normale bipolare Mitose in einer
Riesenzelle gesehen, sondern nur pluripolare, also atypischet);
meines Wissens ist auch noch nicht gezeigt, dass aus einer -mehr-
poligen Mitose einer Riesenzelle im Mark oder in der Milz auch
eine Theilung des Zellkörpers in mehrere Tochterzellen hervor-
singe. Wenn dies aber auch geschehen so.lte, so geschieht es
hier also jedenfalls auf ungewöhnlichem Wege. — Dass sich an
die Kernfragmentirungen der Riesenzellen Theilungen des ganzen
Zellkörpers anschliessen können, wird für das normale Milz- und
Knochenmarkgewebe zwar nur durch wenige, von Arnold be-
schriebene Fälle von Einschnürung der Zellenleiber wahrscheinlich
gemacht; unter pathologischen Verhältnissen aber (unter Milztumor
nach Impfung mit Milzbrand) hat Hess (a. a. O.) ein sehr reich-
liches Auftreten von Fragmentirungstheilungen der Riesenzellen
in der Mäusemilz ermittelt. Grade dies spricht doch aber wohl
nicht dafür, sondern dagegen, dass derartige Theilungen bei nor-
maler Gewebsbildung mitspielen sollten. — Es ist ferner für die
Deutung der Riesenzellen daran zu erinnern, dass sie ausser in
den relativ wenigen, vorher genannten Geweben im Wirbelthier-
körper normal nicht vorzukommen scheinen; dass sie in der Milz
bei einzelnen Thieren (Maus) sehr reichlich sind, während sie bei
anderen dort fast ganz fehlen, und auch in anderen Iymphatischen
Organen wie Lymphdrüsen, Tonsillen, Darmknötchen sich in der
Norm nicht finden. Endlich ist es nicht erwiesen, dass sie dort,
wo sie vorkommen, eine bestimmte Art von Gewebselementen sind,
die sich aus sich selbst regenerirt, denn es finden sich alle mög-
- mässig dicken Fäden, bald in Knäuel-, bald in Radiäranordnung, und
dabei mehrpolig: gleich als hätte in einem viellappigen Kern ein jeder
Lappen für sich eine Mitose begonnen.
1) Arnold (dieses Arch. Bd. 31, S. 541) wendet sich gewiss mit
Recht dagegen, dass man die pluripolare Mitose ohne Weiteres als
„pathologisch“ bezeichne, da sie doch auch in der normalen Milz vor-
komme. Aber „atypisch“ oder „anomal“ muss ich doch fortfahren
diese Formen zu nennen. Denn sie fehlen, oder finden sich nur
äusserst selten einmal bei normalem Wachsthum fast aller Gewebe,
ausgenommen die wenigen, in denen Riesenzellen vorkommen; sie
sind, ausser unter pathologischen Bedingungen, eigentlich nur bei
eben dieser einen Zellenart häufig, von welcher es — wie ich ja hier
ausführe — recht fraglich bleibt, ob sie nicht selbst als eine Art Ano-
malie zu betrachten ist. |
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 295
lichen Uebergangsstufen in der Grösse zwischen ihnen und den
kleinen Milz- und Knochenmarkzellen.
Die Riesenzellen können demnach mit Grund dem Verdacht
unterliegen, dass sie nur Bildungsanomalien einiger weniger Ge-
webe sind; dann kann man aber auch nicht sagen, dass eine
Kerntheilungsform, die bei ihnen besonders reichlich vorkommt,
deshalb ein Factor normaler Gewebsbildung sein müsste.
Nach alledem ist, soviel mir scheint, der Gedanke nicht ab-
zuweisen, dass die amitotische Theilung, bei Protozoen und bei
einigen Metazoenformen noch vielfach in generativer Wirksamkeit,
diese bei den übrigen, und speciell bei Wirbelthieren und höheren
Pflanzen verloren hat; dass sie sich hier in der Norm nur noch
in der von Chun vertretenen Bedeutung (Erzeugung vielkerniger
Zellen, s. oben) geltend macht, sonst aber nur entweder unter
pathologischen Bedingungen, oder doch als ein Vorgang auftritt,
der kein keimfähiges Zellenmaterial mehr liefert. Es würde dies
auch mit der Auffassung Waldeyer’s!), nach welcher wir in
der amitotischen Theilung die Grundform zu erblicken haben,
in phylogenetischem Sinne sehr wohl vereinbar sein.
Indem ich die Hypothese hinstelle, die auf den letzten Seiten
ausgeführt ist, möchte ich mich keineswegs als ihr Vertreter auf-
thun, sondern bis auf Weiteres ganz neutral bleiben; denn ich
glaube, wir wissen von diesen Dingen noch immer“ nicht genug,
um endgültig urtheilen zu können. Es schien mir aber richtig,
darauf hinzuweisen, dass eine solche Anschauung bei dem jetzigen
Stand der Kenntnisse ganz wohl zulässig ist, und also bei der
Beurtheilung des Befundes von amitotischen Theilungen in irgend
welchen Geweben Berücksichtigung verdient.
Behandlung der Präparate.
Im Eingang dieses Aufsatzes ist erwähnt, dass ich ausser
der Hämatoxylintinetion auch die Doppelfärbung von Osmium-
gemisch-Objeeten mit Safranin-Gentiana, meist mit Gram’scher
Behandlung, benutzt habe, ein Verfahren, das ich schon seit 1884
1) Waldeyer, Ueber Karyokinese. Bonn 1888, S. 45, Sep.-Abdr.
296 W. Flemming:
viel verwende (s. dies Archiv Bd. 24, 1885, S. 53 Anm.). Zur
Vorbehandlung für solche Färbung hat im vorigen Jahre F. Her-
mann, in seinen Arbeiten über die Spermatogenese (dies Archiv
Bd. 34, 1889, S. 59) eine Aenderung empfohlen, die für das
Studium der achromatischen Figur, der Centralkörper und Sphären
von grossem Nutzen ist: Ersetzung der Chromsäure in dem ÖOs-
miumgemisch durch Platinchlorid in 1°/,iger wässeriger Lösung.
(Näheres s. a. a. O.) Man kann zwar. die genannten Dinge auch
mit meinem (chromsäurehaltigen) Osmiumgemisch scharf sichtbar
erhalten, wenn das letztere nicht zu wenig Essigsäure enthält und
die Aufbewahrung darin länger gewährt hat; doch gelingt dies
seltener, als mit der Hermann’'schen Lösung, die ich deshalb
bei Untersuchung der Sphären und Centralkörper der Leukocyten
bevorzugt habe.
Für die Färbung habe ich mir ein Verfahren herausprobirt,
welches, wenn gelungen, die Centralkörper, Sphären und Spindel-
fäden vorzüglich scharf sichtbar macht: lange Vorbehandlung mit
schwächerem Osmiumgemisch oder mit Hermann’scher Lösung,
Auswaschen mit Wasser, Doppelfärbung successive mit Safranin
und Gentiana; dann kommen die Objeete, nach kurzer Abspülung
der Gentianafarbe mit Wasser, in eine concentrirte wässerige Lö-
sung von Orange. In dieser (sauren) Flüssigkeit wird nach und
nach der grösste Theil der Gentianafarbe ausgezogen; wenn nur
noch schwache violette Wölkehen beim Schütteln des Schälchens
abtreiben, überträgt man die Objeete in absoluten neutralen Al-
kohol, bis sich keine oder sehr wenig Farbe mehr löst, darauf in
Nelken- oder Bergamottöl, und schliesst in Damar oder Canada
ein. — Die Chromatinfärbung ist dann gleichmässig, purpurroth
in etwas schwankenden Nuancen, die Nucleolen nicht besonders
gefärbt; die achromatischen Spindelfäden aber, bei richtig ge-
troffenem Färbungsgrad, graubraun, grau oder in manchen Fällen
violettgrau und sehr deutlich, die Centralkörper entweder ebenso
oder leicht röthlich gefärbt; die Attractionssphäre zwar ohne be-
sondere Färbung, aber etwas dunkler als der umgebende Zell-
körper!). — Leider habe ich diese Methode bis jetzt nicht so
1) Präparate dieser Art habe ich im August d. J. auf der Ber-
liner Versammlung der Anatom. Gesellschaft vorgelegt, wo auch über
den Gegenstand des I. Abschnittes berichtet wurde (Verhandlungen
der Anat. Gesellschaft, noch nicht publiecirt).
Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten etc. 297
sicher in der Hand, dass sie jedesmal gleich gut anschlüge; es
kommt sehr darauf an, bei der Orangebehandlung den richtigen
Ausziehungsgrad genau zu trefien.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIII und XIV.
In den roth oder schwarz dargestellten Kernstructuren sind
überall die gröberen und mittelfeinen Chromatinmassen und -Stränge
möglichst treu nach Dicke und Vertheilung unter dem Oelsystem ein-
getragen, so dass die sehr wechselnden Mengen und Anordnungen des
- Chromatins (ich bitte die Figuren der zweiten Tafel vergleichend zu
überblicken) keineswegs schematischer Darstellung, sondern wirklich
_ verschiedenem Reichthum an färbbarer Kernsubstanz und sehr un-
gleicher Disposition derselben entspreche\.
Schematisch ist bei den Kernen der zweiten Tafel nur, dass ich
zur Erleichterung der Wiedergäbe die feinsten Lininstränge, die kein
oder sehr wenig Chromatin enthielten, nicht m?t gezeichnet habe. In
Fig. 6 der ersten Tafel sind dieselben mit angegeben.
Ferner sind, ebenfalls zur Erleichterung des Farbendrucks, auf
der zweiten Tafel alle Chromatinstränge und -Körper in eine Ebene
projieirt und in gleich starker Farbe dargestellt; einzelne derselben
müssten, da sie weniger chromatinreich sind als andere, blasser roth
_ schattirt sein, wie dies in Fig. 6 der ersten Tafel in Schwarz ge-
schehen ist.
In Fig.8, 9, 11, 16, 21 ist absichtlich nur der Contour des Zellen-
leibes angegeben, um die feinen Kernbrücken und die Sphären recht
_ deutlich zu geben. |
Alle Figuren sind von Objecten aus dem Bauchfell, der Lunge
oder dem fibrillären Bindegewebe der Salamanderlarve; ein Theil der
Zellen in Fig. 6 aus dem Blut des erwachsenen Salamanders. Nähere
Erklärungen der Bilder im Text.
Fig. 1. Bauchfell. Haufen von Leukocyten an einem Capillargefäss,
| schwach vergr. zur Uebersicht. Die blassen Kerne gehören
fixen Bindegewebs- und Endothelzellen an.
Fig. 2. Ebendaher, bei mittelstarker Vergr. Nicht unmittelbar an
- einem Gefäss. Unter den Wanderzellen 3 Mitosen, eine (a)
lag etwas entfernter und ist herangezeichnet.
Fig. 3. Kleine Gruppe von nur 5 Wanderzellen an einer Lungen-
capillare.
Fig. 4. Zwei ebengetrennte Tochterzellen aus der Mitose einer Wander-
zelle, Bindegewebe, in amöboiden Formen; vgl. auch die beiden
Dyasteren in Fig. 2. Näheres s. im Abschnitt I oben. $. 258 ff.
7 5
Fig.
ea
Fig.
%
F. Marchand:
Ein Leukoeyt mit bogenförmigem polymorphem Kern, der in
Knäuelform der Mitose steht. (Der Kern ist kein geschlossener
Ring, die Enden, rechts, decken sich eben, vgl. z. B. Fig. 22).
Die Attractionssphäre war hier nicht deutlich im Innern der
Kernbucht zu sehen, lag wahrscheinlich halb unter dem con-
caven Kernrand.
Verschiedene Kernstructuren in Leukocyten, Osmiumgemisch,
Hämatoxylin. d—h aus dem Blut, die übrigen Wanderzellen
im Bindegewebe. Vergl. im Abschnitt I oben, S. 257—58.
g. T. u. folgende: Leukocyten, grösstentheils mit Kernfragmenti-
rungsformen. Alles Nähere über diese, sowie über die Sphären
und Centralkörper in ihnen, im Abschnitt II oben.
Zu bemerken ist noch zu
b zeigt genau nach verschiedener Einstellung, dass der Kern
ein Ring mit zwei sehr dünn ausgezogenen Stellen ist; die
dunkel schattirte Stelle deckt sich mit der darüberliegenden.
Die Sphäre liegt nicht in, sondern neben der Ebene des Kern-
ringes, welche vert‘ ol steht.
13 u. 22 (viele ähni. "ie wur&:n beobachtet): Die Sphären mit
io. 20.
Centralkörpern sind auch hier nicht genau in der Ebene des
Kernringes zu den .en, ın welchen man hineinsieht, sondern,
wie wechselnde Einstellung zeigt, etwas ausserhalb dieser
Ebene.
In eine der zarten Kern-Abschnürungsbrücken ist ein kleines
Chromatinklümpchen hineingezogen, was öfter vorkommt.
Kiel, December 1890.
Ueber die Entwickelung des Balkens im
menschlichen Gehirn.
Von
Prof. Dr. F. Marchand in Marburg.
Hierzu Tafel XV und XVl.
Abth. I. Morphologie.
Die bisherigen Darstellungen der Entwickelung des Balkens
im menschlichen Gehirn enthalten noch immer manche Dunkel-
heiten und Widersprüche.
Meine eigenen, hauptsächlich mit Rücksicht auf das Ver-
ständniss gewisser Gehirn - Missbildungen unternommenen Ver-
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Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 299
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suche, mir über diesen Gegenstand Klarheit zu verschaffen, be-
schränkten sich zunächst auf das Studium der morphologischen
Verhältnisse, soweit dieselben makroskopisch und mit der Lupe
Be: sind, doch ergab sich sehr bald, dass ohne gleich-
zeitige Berücksichtigung der Faserentwickelung an Serienschnitten
eine genauere Einsicht nicht möglich war. Die Schwierigkeit,
hinreichend gut conservirtes Material von menschlichen Embryonen
zu erhalten, hat sich mir dabei leider sehr fühlbar gemacht, so
- dass ich auch jetzt nicht in der Lage bin, über eine vollständige
- Reihe gut erhaltener Gehirne zu verfügen. Dennoch erlaube ich
mir, das Resultat der über einen mehrjährigen Zeitraum, wenn
auch mit vielen Unterbrechungen sich erstreckenden Unter-
suchungen, für welche ich die Nachsicht der Fach-Embryologen
erbitten muss, hier vorzulegen, in der Hoffnung, dadurch etwas
zur Lösung der Frage beizutragen.
Es sei mir gestattet, die wichtigsten Angaben der neueren
Autoren über die Entwickelung des Balkens hier in Kürze vor-
auszuschicken, da sich hierbei wohl am besten die noch strei-
tigen Punkte ergeben werden. Von den Aelteren seien hier nur
die Namen Döllingert), J. F. Meckel?), Tiedemann?), Va-
lentin®), v. Baer’), Bischoff‘) und Arnold’) angeführt, auf
deren zum Theil noch heute sehr werthvolle Beobachtungen im
weiteren Verlauf noch Rücksicht zu nehmen sein wird.
Eine von den Anschauungen der Vorgänger wesentlich ab-
1) Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des menschlichen Ge-
hirns. Frankf. a.M. 1814.
2) Versuch einer Entwickelungsgeschichte der Centraltheile des
Nervensystems in den Säugethieren. Deutsches Archiv für die Phy-
siologie Bd. I, 1815, S. 1 und S. 334.
3) Anatomie und Bildungsgeschichte des Gehirns im Foetus des
Menschen. Nürnberg 1816.
4) Handbuch der Entwickelungsgeschichte des Menschen. Berlin
1835, S. 167.
5) Entwickelungsgeschichte der Thiere. 2. Abth. Königsberg
1837, S. 217.
6) Entwickelungsgeschichte der Säugethiere und des Menschen
Bd. IV und Soemmerring, Vom Bau des menschlichen Körpers.
Neue Ausg. Leipzig 1842, S. 178.
| 7) Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Zürich 1842, Th. II,
8. 1237.
300 F. Marchand:
weichende Meinung vertritt zuerst Reichert!), welcher die im
Beginn der Commissurenbildung auftretende Verdickung im oberen
Theile der Endplatte nicht für die Anlage des Balkens ansah,
wie Tiedemann, sondern für die Anlage der „Commissura an-
terior, der Commissur der Stiele des Septum pellueidum und der
Säulchen des Fornix“. Von hier aus sollte die Verwachsung
der Hemisphären, also die Anlage des Balkens, gleichzeitig auf
die ganze Umgebung einer durch mangelhaftes Diekenwachsthum
ausgezeichneten Stelle der Hemisphärenwand, des Septum pellu-
cidum, fortschreiten. Der Balken sollte daher gleich im Ganzen
angelegt, ein Weiterwachsen desselben von vorm nach hinten
nur scheinbar sein.
Auch F. Schmidt?), dessen sorgfältige Untersuchungen
die wichtigste Grundlage der späteren Beobachtungen bilden,
unterscheidet die Anlage des Balkens von der ursprünglichen
Verbindungsstelle am vorderen Umfange der ersten Hirnblase,
lässt den Balken aber dieht am oberen Ende dieser Verbindung
(durch Verwachsung der gegen diesen Punkt convergirenden
Fasern der inneren Schicht der Hemisphärenwandung) entstehen,
und zwar in der Grenzlinie zwischen den beiden concentrischen
Halbringen, in welche sich der Randbogen der Hemisphäre im
Anfang des vierten Monats sondert. Der äussere dieser beiden
Halbringe, welcher den Balken somit von oben her umgiebt,
bildet das Corpus fimbriatum, die Stria obteeta und die Stria
alba Laneisi, der innere, wie schon allgemein bekannt, das Ge-
wölbe und die Scheidewand. Nach Schmidt’s Ansicht ist von
vorn herein gleich der ganze Balken angelegt, wie aus dem Ver-
halten der Faserung hervorgehe; das Wachsthum geschieht aber
vorzüglich in der Längsrichtung; das anfangs nicht vorhandene
Knie ist am Schluss des fünften Monats erst deutlich. In der
ersten Zeit ist noch keine eigentliche Scheidewand da, indem
der ganze unter dem Balken gelegene Raum von dem vorderen
(Gewölbeschenkel eingenommen wird; während der Balken wächst,
dehnt sich dieser (oder vielmehr der vordere Theil des inneren
1) Der Bau des menschlichen Gehirns, Th. I, Taf. XI; Th. IH,
S. 70, 1859—1861.
2) Beitr. zur Entwickelungsgeschichte des Gehirns. Zeitschrift
für wissensch.. Zoologie von Siebold und Kölliker Bd. XI, 1862,
S. 43, Taf, VI.
m
eber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 301
Ringes des Randbogens) immer mehr in eine dünne dreieckige
Platte aus, die sich gegen die untere Fläche des Balkens er-
hebt; eine Communication der Höhle der Scheidewand mit dem
dritten Ventrikel ist nicht vorhanden, da das obere Ende der
Verwachsung der beiden Hemisphären dicht unter dem hinteren
Ende des Balkens gelegen ist.
Kollmann!) lässt den Balken von einer kleinen Brücke
Nervensubstanz in der Höhe des oberen Randes der Sehhügel
entstehen, welche den Rest der ehemaligen Verbindung der He-
misphären darstellen soll. Dieser Theil wird nach ihm zum Knie,
von welchem aus sich der Balken durch Auswachsen nach hinten
verlängert. Die Höhle des Septum pellueidum steht nach K. an-
fangs in weiter Verbindung mit dem dritten Ventrikel.
Kölliker?) schliesst sich im Wesentlichen an die Dar-
stellung von Schmidt an. Bei dem viermonatlichen Foetus ist
der noch sehr unentwickelte Balken in dem vorderen etwas ver-
breiterten Theil des Randbogens bereits erkennbar; von dieser
Stelle aus zieht vor der Schlussplatte des dritten Ventrikels ein
schmales dreieckiges Feld nach der Basis des Gehirns nach ab-
wärts. Dieser Raum, welcher als die Anlage des Septum pellu-
cidum bezeichnet wird, ist jedoch noch nicht allseitig geschlossen,
sondern vorn offen. An dem Gehirn eines fünfmonatlichen Em-
bryo zeigt sich der Balken bereits ganz gut ausgeprägt, und
_ Knie, Wulst und Rostrum deutlich, wasK. für einen Beweis an-
- sieht, dass der Balken gleich in toto angelegt ist, und später
nur in die Länge wächst, nicht aber an dem einen Ende neue
Theile ansetzt. Das Septum pellucidum ist nunmehr eingefasst,
und die Höhle desselben gebildet. Während der Balken nach
hinten wächst, zieht sich mit demselben auch das Septum pellu-
eidum und der Fornix immer mehr in die Länge.
Ganz abweichend ist die Darstellung des Vorganges von
v. Mihalkovicz?). Auch er beschreibt allerdings einen drei-
eckigen Raum, in dessen Bereich die Hemisphäreninnenwände
1) Die Entwickelung der Adergeflechte, ein Beitrag zur Ent-
wickelungsgeschichte des Gehirns. Leipzig 1861.
2) Entwickelungsgeschichte 2. Aufl. 1879, S. 554 ff., Fig. 352
bis 355.
3) Entwickelungsgeschichte des Gehirns, nach Untersuchungen
an höheren Wirbelthieren und dem Menschen. Leipzig 1877.
302 F. Marchand:
vor der Schlussplatte sich einander nähern und verwachsen.
Während aber bei Säugethieren diese Verwachsung eine totale
ist, beschränkt sie sich beim Menschen nur auf die Peripherie
des Dreiecks, und zwar soll sie in der Mitte des dritten Mo-
nats zu Stande kommen. Die verwachsene Stelle unmittelbar
vor der Schlussplatte differenzirt sich zu den Säulchen des Fornix, +
welche von dort aus im unteren Saume des Randbogens weiter
ziehen, während der vordere und obere Theil der Verwachsungs-
‚stelle zur Bildung des Balkenknies verwendet wird. Körper und
Wulst werden dann an den Knietheil von vorne nach rückwärts
angesetzt, nach vorheriger Verwachsung der beiderseitigen Rand-
bögen (pag. 129). Bei Embryonen vom fünften Monat findet
man nur den Knietheil des Balkens ausgebildet; die definitive
Entwickelung dauert bis zum Ende des fünften Monats. Durch
die Vereinigung der beiden Randbögen wird zugleich der untere
Theil der embryonalen Hirmsichel von der definitiven Sichel ab-
getrennt (pag. 132); der Zusammenhang des verticalen Theils
der Hirnsichel mit den horizontalen Seitenschenkeln (den nach-
herigen Plexus laterales) wird dadurch gelöst (S. 166).
Löwe!) schildert die Entwickelung des Balkens und des
Septum pellueidum in sehr eigenthümlicher Weise, indem er zu-
nächst durch die Vorwölbung der medialen Hemisphärenwand
(nach den schematisirten Abbildungen Fig.: 14 und Fig. 15 auf
S. 45 und 53, oberhalb des Sule. Ammonis und nahe dem oberen
Rande der Hemisphäre!) eine Verdünnung der primitiven Hirm-
sichel, schliesslich eine vollkommene „Dehiscenz“ derselben zu
Stande kommen lässt, wodurch die Hirnsichel in einen oberen
und einen unteren Abschnitt zerfällt, welch’ letzterer an beiden
Endpunkten die Plexus laterales trägt. „In dem Raum zwischen
den beiden von einander dehiseirten Abschnitten berühren sich
die früher durch die primitive Hirmsichel getrennt gewesenen
Innenwände der Hemisphären und kommen nun theils vollständig
(Kaninchen), theils unvoilständig (beim Menschen) zur Verwachsung.
An dem gesammten vorderen und oberen Rande der Verwachsungs-
stelle brechen die Stabkranzfasern quer durch die verwachsene
1) Ludw. Löwe, Beiträge zur Anatomie und zur Entwicke-
lungsgeschichte des Nervensystems der Säugethiere und des Menschen.
Berlin 1880.
WOWREEWEN EL ur een
Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 303
Hirnrinde hindurch und formiren den Balken.“ An dem hinteren
Rande der Verwachsungsstelle bildet sich der Fomix aus dem
Verwachsungsrande parallel verlaufenden Längsfasern. Das Ver-
schwinden des Bindegewebes aus der Höhle des Septum pellueidum
erklärt sich nach L. dadurch, dass „sofort nach Dehiscenz der
Hirnsichel die durehbrochenen bindegewebigen Theile sich in ent-
gegengesetzten Richtungen retrahiren“ (S. 53). Wenn L. selbst
sagt, dass „der Prozess des Durchbruches der primären Hirnsichel
so wenig in den Rahmen der übrigen bei der Gehimbildung zu
beobachtenden Vorgänge passt, dass man sich a priori denselben
- gar nicht vorstellen kann“ (S.56), so kann ich dieser Aeusserung
nur beipflichten. Wenn L. ferner meint, dass seine Darstellung
mit der von Mihalkoviecz gegebenen Schilderung übereinstimmt,
so ist das in sofern nicht richtig, als letzterer die Ablösung des
Plexus von der Hirnsichel durch die Vereinigung der Rand-
bögen zu Stande kommen lässt, in welchen dann durch Diffe-
renzirung der Fasern der hintere Theil des Balkens im Anschluss
an das vorher gebildete Knie entstehen soll.
Die neueren Angaben Hamilton’s!) über die Entwicke-
lung der Balkenfasern werden später noch berücksichtigt werden.
Vom vergleichend-anatomischen Standpunkte ist die Kenntniss
der Bildung des Balkens und der übrigen Hirn-Commissuren bei
den Wirbelthieren durch eine Reihe wichtiger Untersuchungen
wesentlich gefördert, und dadurch auch für die Entwiekelung
dieser Theile beim Menschen mancher werthvolle Anhaltspunkt
geliefert worden. Unter anderen sind hier die Arbeiten von
Flower?) Rabl-Rückhard?), ganz besonders aber die um-
fassende Darstellung von Osborn®) zu erwähnen.
Nachdem meine eigenen Untersuchungen im Wesentlichen
1) On the corpus callosum in the embryo. Brain, July 1885.
2) On the commissures of the cerebral hemispheres of the Mar-.
supialia and Monotremata as compared with those of the Placental
mammals. Philosophical Transactions. London 1865, vol. 155, p. 633.
3) Einiges über das Gehirn der Edentata, Archiv f. mikrosk.
Anat. Bd. XXXV, 1890, S. 165.
4) The origin of the corpus callosum, a contribution upon the
central commissures of the Vertebrata. Morpholog. Jahrbuch Bd. XII,
1877, S. 223 u. S. 530.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 20
304 F. Marcehand:
bereits beendet waren, erschien die wichtige Arbeit von W. His!)
über die Formenentwickelung des menschlichen Vorderhirns vom
Ende des ersten bis zum Beginn des dritten Monats. Wenn dem-
nach diese Untersuchung bereits vor dem Beginn der ersten An-
lage des Balkens abschliesst, ist sie doch von grosser Bedeutung
für das Verständniss der Formen, und es war mir daher von
grossem Werth, die His’sche Arbeit noch bei der Darstellung
meiner Ergebnisse benutzen zu können. Auf einige Differenzen,
welche sich dabei ergaben, werde ich weiter unten zurückkommen.
Leider war es mir nicht möglich, einige zweifelhafte Punkte der
Morphologie durch Nachprüfung an meinem Material zu contro-
liren, da das letztere bereits verarbeitet war.
Meine eigenen Beobachtungen beginnen erst mit dem dritten
Foetal-Monat. Die Gehirne wurden nach möglichst sorgfältiger
Härtung (meist in Müller'scher Flüssigkeit und Alkohol) in der
Medianebene durchschnitten, die jüngeren Stadien in situ, nach
Abtragung der Schädeldecke, die grösseren nach der Herausnahme.
Sodann wurde die mediale Fläche möglichst genau untersucht
und gezeichnet, bevor zur weiteren Verarbeitung geschritten wurde.
Häufig war es bei dieser Methode nur möglich, die eine Hälfte
des Gehirns in brauchbarem Zustande zu erhalten, ausserdem
musste (mit einer Ausnahme) darauf verziehtet werden, Durch-
schnitte des ganzen Gehirns im Zusammenhang herzustellen, da
es an hinreichend gut erhaltenem Material fehlte. Dennoch schien
es mir aber vortheilhaft, vor der Anfertigung der Schnitte die
makroskopisch und mit der Lupe sichtbaren morphologischen Ver-
hältnisse möglichst genau festzustellen, da dies Verfahren doch
noch grössere Sicherheit ergeben dürfte, als die nachherige Re-
construction, besonders da es sich hier bereits um grössere Gegen-
stände handelt. Ich halte es für zweckmässig, zunächst die rein
morphologische Beschreibung vorauszuschicken, und dann in einem
zweiten Theil der Arbeit die Ergebnisse der Untersuchung der
Serienschnitte zusammenzufassen. Ich brauche nicht hervorzu-
heben, dass die nachfolgende Beschreibung keineswegs alle Ge-
hirme zum Gegenstand hat, welche mir im Laufe der Jahre durch
die Hände gegangen sind, sondern nur diejenigen, welche hin-
1) Abhandlungen der mathematisch-physischen Classe der Königl.
Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften Bd. XV, Nr. 8, 1889.
7
Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 305
reichend gut, wenn auch leider nicht immer ganz fehlerlos, er-
halten waren. Man erlebt bei der Untersuchung des foetalen
_ menschlichen Gehirns so viele unangenehme Enttäuschungen, dass
man häufig zufrieden sein muss, wenn man wenigstens Einzelnes
genau feststellen kann. Andere, welche in der glücklichen Lage
sind, über ein grösseres Material gut conservirter Embryonen zu
verfügen, mögen die zahlreichen noch vorhandenen Lücken ausfüllen.
- Wenn die nachfolgenden Beschreibungen vieles bereits Bekannte
enthalten, so bitte ich den Leser, dies zu entschuldigen; eine
möglichst genaue Beschreibung der fortlaufenden Entwickelungs-
" stadien schien mir nothwendig sowohl mit Rücksicht auf die viel-
fach ungenauen älteren Angaben, als auf das Verständniss der
Durehschnitte.
Dritter Foetalmonat.
Ich beginne mit der Beschreibung eines sehr gut erhaltenen
-Gehirnes vom 3. Monat (C SSL = 45 em; Fig. 1, 2). Die
- Länge der Grosshirnhemisphäre im gehärteten Zustand beträgt
14,5 mm. Der Schläfenlappen ragt wenig nach abwärts, der
Hinterhauptlappen bildet einen kaum merklichen Vorsprung nach
hinten. Die Fossa Sylvii ist eben angedeutet; die convexe Fläche
der Hemisphäre ist übrigens vollkommen glatt.
An der Medianfläche der Hemisphäre erkennt man die hin-
tere Bogenfurche (Sule. Ammonis s. Hippocampi), welche den
Sehhügel umgiebt; von ihrem vorderen Ende, ungefähr dem Vor-
derrande.des letzteren entsprechend, gehen nach aufwärts und
vom einige flache Radiärfalten ab; die mediale Fläche des Stirn-
hirns ist etwas concav eingesunken und leicht faltig (Effekt der
Härtung). Auch in der Nähe des hinteren Randes des Sehhügels
steigt eine etwas geschlängelte tiefere Furche von der Bogen-
furche nach aufwärts bis in die Nähe des oberen Hemisphären-
'randes (Artefact?).
Am unteren Rande der Hemisphäre wird der Stirnlappen
durch eine tiefeinschneidende senkrechte Furche von dem dahinter
liegenden Stammtheil abgegrenzt (vordere Bogenfurche, später
Ineisura prima von His). Das obere Ende dieser Furche geht
durch eine ganz seichte Vertiefung in das vordere Ende der hin-
teren Bogenfurche über, wodurch das Gebiet des vorderen Theiles
des Randbogens abgegrenzt wird. Die vordere Bogenfurche senkt
306 F. Marchand:
sich ziemlich tief in der Richtung von hinten nach vorn in den
Stirnlappen ein; ihr unteres Ende setzt sich nach vorn im den
Suleus olfactorius fort, während ein hinterer Schenkel sich in
mehr schräger Richtung lateralwärts wendet, wo er die Grenze
zwischen dem Stirnlappen und der Gegend der späteren Sub-
stantia perforata bildet; der zwischen beiden Schenkeln gelegene
Raum wird durch den mehr lateral entspringenden, noch ziemlich
kurzen Riechlappen ausgefüllt.
Der zwischen der vorderen Bogenfurche und der vorderen
Begrenzung des 3. Ventrikels gelegene Theil besitzt eine voll-
kommen glatte (mit zarter Pia mater überzogene) Oberfläche, an
welcher man indess einen etwas ebeneren hinteren, und einen
etwas mehr gewölbten vorderen Abschnitt unterscheiden kann.
Die ebene (senkrechte) Fläche liegt der entsprechenden der an-
deren Hemisphäre unmittelbar gegenüber, und ist nur durch den
hinteren unteren Rand der Sichel von dieser getrennt. Lateral-
wärts geht die Fläche am unteren Rand der Hemisphäre in die _
untere (schräg geneigte) Fläche des Stammlappens, der spätern
Substantia perforata anterior über. Nach aufwärts verläuft der
leicht gewölbte vordere Abschnitt in die Oberfläche des Rand-
bogens, während der kleinere hintere Abschnitt sich in einer ganz _
seichten Vertiefung in der Richtung nach dem freien Rande des
letzteren verliert.
Die vordere Begrenzung des 3. Ventrikels wird durch die
srösstentheils . sehr dünne vordere Schlussplatte gebildet, welche
von dem Recessus opticus His (R. chiasmatis Michel) in einem
nach vorn convexen Bogen aufsteigt; die stärkste Krümmung liegt
gegenüber dem Ursprung des Riechlappens. Unmittelbar darüber
geht die dünne Platte in eine längliche senkrecht gestellte Ver-
diekung über, welche nach hinten und vorn durch eonvexe Linien
begrenzt ist, und dadurch auf dem Durchschnitt spindelförmig,
mit leichter S-förmiger Krümmung erscheint. Die Höhe dieser
Verdiekung der vorderen Schlussplatte beträgt an dem vorliegen
den Gehirn kaum 1,5, die Dicke 0,5 mm. Der untere Theil
ihrer nach hinten vorspringenden Oonvexität wird, wie sich aus
den Durchschnitten ergiebt, durch die vordere Commissur ein-
genommen, von welcher ich jedoch auf dem Medianschnitt mit der
Lupe nichts zu entdecken vermochte.
Das obere Ende der verdiekten Schlussplatte setzt sich in
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Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 307
Gestalt eines etwas geschlängelten, feinen Saumes in den Rand-
bogen fort; hier beginnt gleichzeitig die Anheftungsstelle der Tela
chorioidea (auf der Figur nur zum Theil erhalten). Der erwähnte
Saum hat demnach eine ähnliche Bedeutung, wie die Taenia me-
dullaris des Sehhügels für den oberen Theil der Decke des 3.
Ventrikels.
Dieht hinter dem vorderen Ende des Randbogens und dem
oberen Theil der verdiekten Schlussplatte kommt an der Wand
des 3. Ventrikels eine senkrecht verlaufende abgerundete Leiste
zum Vorschein, welche dem medialen Stiel des Streifen-
hügels angehört. Ihr unteres Ende entspricht ungefähr der hin-
teren Convexität der verdickten Schlussplatte. Nach vorn ist der
Stiel des Streifenhügels von der medialen Hemisphärenwand (dem
Randbogen) durch einen tiefen Einschnitt getrennt, welcher nichts
anderes ist, als der hier an der Verbindung zwischen 3. Ventrikel
und Seitenventrikel mündende Recessus olfactorius, oder richtiger
die von diesem noch übrig gebliebene tiefe Furche zwischen
Streifenhügel und medialer Hemisphärenwand. Nach hinten wird
der Stiel des Streifenhügels durch einen zweiten Einschnitt, oder
Spalt vom Sehhügel getrennt, welcher sich an der Seitenwand
des Ventrikels in Gestalt einer ziemlich tiefen Rinne bis an das
untere Ende des Recessus opticus fortsetzt. Dieser Einschnitt
bildet den Eingang in die noch sehr tiefe Furche-zwischen Seh-
und Streifenhügel (Suleus striae corneae nach His).
Eine zweite etwas flachere Furche, welche in schräger Rich-
tung nach dem vorderen oberen Theil des Sehhügels verläuft,
und sich nach abwärts etwas fächerförmig ausbreitet, bildet ge-
_ meinschaftlich mit der vom hinteren Umfange herkommenden
Furche die Abgrenzung der oberen und unteren Abtheilung der
Ventrikelwand (S. Monroi). Die Höhlenfläche der beiden Abthei-
lungen ist im Uebrigen ziemlich flach und eben, nur nach oben
und vorn leicht gewölbt. Eine Andeutung der grauen Commissur
ist noch nicht zu entdecken, vielmehr ist (wie auch die Durch-
schnitte zeigen) die glatte Epithelfläche nirgends unterbrochen.
— Am unteren Umfang des Ventrikels tritt das Chiasma, das Infun-
dibulum und das Corpus mammillare mit den entsprechenden Aus-
buchtungen der Höhle hervor, am oberen Rande die nach hinten
an Höhe zunehmende Markleiste mit ihren leichten Faltungen,
welche an ihrem hinteren Ende eine etwas stärkere, dem Ganglion
308 F. Marchand:
habenulae entsprechende Anschwellung bildet; darunter verläuft
der Suleus habenulae His. Die Anlage der Gland. pinealis ist
nicht hinreichend deutlich erhalten. An der Stelle des von His
so genannten Recessus geniculi ist noch ein ziemlich tiefer Ein-
schnitt am hinteren Umfang des Thalamus-Wulstes vorhanden.
An einem ungefähr demselben Entwickelungsstadium ange-
hörigen Gehirn!) (A), an welchem die rechte Hemisphäre an der
Grenze zwischen Seh- und Streifenhügel abgetragen worden war,
zeigt die mediale Fläche der Hemisphäre ein etwas abweichendes
Verhalten (Fig. 3). Bei der Betrachtung von der rechten Seite
sieht man die Trennungsfläche, welche die Gestalt einer 8 hat;
der untere vordere Rand derselben erreicht nicht ganz die Mittel-
linie; die obere etwas schräg nach abwärts ‚geneigte Abtheilung
entspricht der Ausbreitung der Stammstrahlung, die untere dem
Stammtheil der Hemisphärenwand, die Trennung verläuft zwischen
der Seitenwand des 3. Ventrikels (Triehter-Region) und der Sub-
stantia perforata anterior. Dicht vor dem sich vorwölbenden
rechten Sehhügel, unmittelbar oberhalb der Trennungsfläche sieht
man den scharfen Saum des Randbogens der linken Hemisphäre,
welcher sich etwas von der Medianebene entfernt; dieht dahinter,
nur durch die oben erwähnte Spalte getrennt, den Stiel des
(linken) Streifenhügels; hinter diesem kommt noch eben die
Furche zwischen Seh- und Streifenhügel zum Vorschein. Von
der vorderen Schlussplatte des 3. Ventrikels ist selbstverständlich
nur der vordere Rand sichtbar, welcher nach abwärts in den
Vorsprung des Chiasma übergeht. An der Medianfläche der Hemi-
sphäre zeigt sich oberhalb des Sehhügels die sehr tiefe hintere
Bogenfurche, welehe sich nach hinten in eine tiefe zweischenke-
lige Falte fortsetzt; von ihrem vorderen Ende geht eine tiefe
Furche nach aufwärts bis nahe an den Hemisphärenrand, eine
zweite Furche nach vorn und abwärts nach der Spitze des Stirn-
lappens. Die vordere Bogenfurche ist ebenfalls stark ausgeprägt
und grenzt den prung des Riechlappens nach hinten ab.
Ich bin der Ansicht, ‘dass die drei tiefen Radiärfurchen
Folgen der Härtung sind, wenn auch Andeutungen derselben be-
1) Leider ist dies Gehirn, welches sehr gut erhalten war, durch
Eintrocknen für die weitere Untersuchung unbrauchbar geworden.
Auch die Zeichnung entbehrte leider noch der letzten Correctur.
Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 309
reits normaler Weise vorhanden sein mögen, wie an dem vorher
beschriebenen Gehirn; auch die Bogenfurchen sind abnorm vertieft.
An dem nun folgenden etwas älteren Gehirn E (Fig. 4, 5,
SSL 5,5 em, Länge der Grosshirnhemisphäre 18 mm) sind die
Hemisphären augenscheinlich durch die Härtung stark deformirt;
ihr oberer Rand ist herabgedrängt, die mediale Fläche ein-
gerollt und stark gefaltet. Die Ammonsfurche ist sehr tief; weiter
nach vorn findet sich noch eine zweite tiefe Furche unter dem
Hemisphärenrande, durch welche von oben her eine stark her-
vortretende Falte an der medialen Fläche abgegrenzt wird. (Diese
vorspringende Falte wird nicht selten beobachtet, und kann leicht
zu erheblichen Täuschungen, namentlich auch in Bezug auf die
Anlage des Balkens Anlass geben.) Auch hier findet sich die in
der Richtung nach ‚der Spitze des Stirnlappens verlaufende schräge
Furche, sowie eine Anzahl radiärer Einkerbungen an dem oberen
Rande des Stirnlappens und in der Nähe der hinteren Spitze.
Die vordere Bogenfurche ist deutlich, und verläuft nach
aufwärts allmählich in einen flachen Eindruck.
Der Ursprung des Riechlappens tritt an der medialen Fläche
des Stirnlappens, an dessen hinterem unterem Winkel hervor,
ebenso wie an dem vorigen Gehirn; es fehlt also die Verbindung
zwischen vorderer Bogenfurche und Sule. olfactorius. Der ver-
dickte Theil der vorderen Schlussplatte hat sich im Vergleich zu
- dem jüngeren Gehirn erheblich in der Richtung von oben nach
unten gestreckt, und besitzt auf dem Durchschnitt eine schwach
S-förmig gekrümmte Gestalt, 3,5 mm Länge und etwa 0,5 mm
Dicke. Die nach vorn gerichtete Convexität liegt gegenüber dem
Ursprung des Riechlappens, die nach hinten‘ gerichtete, welche
der Lage nach der makroskopisch noch nicht erkennbaren vor-
deren Commissur entspricht, liegt dieht unterhalb des Emganges
in den Seitenventrikel; der untere, die vordere Begrenzung des
Recessus chiasmatis bildende Theil der vorderen Schlussplatte ist
dünn; nach aufwärts endet die Schnittfläche der verdickten
Schlussplatte abgerundet; lateralwärts schliesst sich dann das
etwas geschlängelte Fältchen an, welches in den Saum des Rand-
bogens übergeht).
1). Die Gestalt der Schnittfläche der verdickten Schlussplatte habe
ich möglichst genau festzustellen gesucht, indess ist es natürlich, dass
310 F. Marchank:
An der Höhlenfläche des 3. Ventrikels zeigt sich zunächst
hinter der Schlussplatte der spaltförmige Eingang in den Seiten-
ventrikel, dahinter der Stiel des Streifenhügels, welcher nur m
Gestalt einer schmalen Leiste zum Vorschein kommt, und nach
abwärts in die Höhlenfläche des 3. Ventrikels übergeht. Dahimter
liegt der Eingang in den Suleus striae corneae (His), welcher
sich nach abwärts in Gestalt einer ziemlich tiefen Rinne fortsetzt.
Auch die übrigen Furchen stimmen mit denen ‚des Gehirns C über-
ein, sie sind nur flacher.
Bezüglich einiger Abweichungen der vorstehenden Beschrei-
bung von den ungefähr dasselbe Stadium betreffenden Darstel-
lungen von His gestatte ich mir Folgendes hervorzuheben.
1) Nach His entsteht die Commissura mollis noch vor Ende
dies zweiten Monats, indem sich die beiden- Thalamuswülste in
der Mittelebene begegnen. Dieser Angabe kann ich nicht bei-
stimmen, da ich auch an viel älteren Gehirnen noch keine solche
Verbindung gesehen habe. Möglicherweise kommen individuelle
Verschiedenheiten vor, welche auch an Gehirnen Erwachsener in
Bezug auf die graue Commissur nicht selten sind. Schon Meckel
hebt indess ausdrücklich hervor, dass er weder beim Embryo von
14, noch bei dem von 16—18 Wochen eine Verwachsung der
Sehhügel gefunden habe, wohl aber im 6. Monat eine sehr aus-
gedehnte. 2) Die vordere Schlussplatte verläuft nach His
vom Recessus optieus aufwärts concav nach vorn (Fig. 37), bei
einem etwas älteren Embryo von 2!/, Monat (SSL 4,5 em, also
dem ‘oben beschriebenen entsprechend) etwas weniger als früher.
3) Die auffälligste Differenz ist in diesem Stadium das Fehlen
der Verdiekung im oberen Theil der Schlussplatte in den Ab-
bildungen von His; diese Verdiekung ist aber von den älteren
Autoren bereits ziemlich übereinstimmend beschrieben worden.
4) Der Stirntheil der Hemisphäre ist weit weniger entwickelt dar-
gestellt, der Riechlappen noch sehr viel weniger ausgebildet und
unvollkommen abgegrenzt. Diese Unterschiede beruhen theilweise
bei so kleinen Gebilden bereits sehr geringe Abweichungen von der
Mittellinie die Gestalt der Schnittfläche wesentlich beeinflussen. Auch
waren einige kleine Stückchen ‚aus der Schnittfläche ausgebrochen,
wodurch ebenfalls Irrthümer möglich waren, doch ergab der Vergleich
mit den Durchschnitten die Richtigkeit der obigen Beschreibung und
der Abbildung.
-
Ueber die Entwiekelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 311
vielleicht darauf, dass der mir vorliegende Embryo © (welcher
4 'am besten als Vergleichsobjeet mit dem von His beschriebenen
Ra
j
E
|
er
dienen kann) bei ziemlich gleicher Länge weiter entwickelt war;
auch ist- das Gehirn im Ganzen etwas grösser. Besonders auf-
fallend ist mir indess 5) auf den Abbildungen von His der Mangel
des Einscehnittes zwischen dem Stiel des Streifenhügels und
der medialen Hemisphärenwand, welchen ich kaum auf eine Un-
-genauigkeit der Zeichnung beziehen kann. Auf Fig. 37 und
38 ist zwischen vorderem Rand des Sehhügels. und Schlussplatte
nur eine Oeffnung vorhanden, welche demnach das bleibende
Foramen Monroi darstellen würde. Denkt man sich den oberen
Theil des Sehhügels (auf meinen Abbildungen) nach vorn ver-
schoben, so würde derselbe wohl die beiden Spalten, zunächst die
hintere, ziemlich verdecken können, doch entspricht dies nicht
den natürlichen Verhältnissen. Auch später sind diese beiden
Spalten noch vorhanden, welche aus dem ursprünglichen Foramen
Monroi durch Hervortreten des Stieles des Streifenhügels gebildet
werden (vergl. die Darstellung des Modells Fig. 8, Taf. 1 der
His’schen Arbeit). Da His (auf S. 56 des Sep.-Abdr.) angiebt,
dass von der 7. Woche ab im hintern Bereiche der Area trape-
zoides die Sichelfalte (d. h. die vordere mediale Wand der Hemi-
sphäre) mit dem sie berührenden Theil des Streifenhügels zu ver-
schmelzen beginnt, so dass von dieser Zeit ab der letztere nicht
mehr bis unten hin isolirbar ist, so kann ich die Fig. 37 und 38
nur so verstehen, als sei diese Verschmelzung bereits bis zur Höhe
des vorderen Endes des Sehhügels vorgeschritten, was jedoch
nicht der Fall ist, da die mediale Wand des Stirnlappens in
dieser Gegend eine selbständige Verdiekung bildet, welche von
dem Streifenhügel dauernd durch eine Spalte getrennt bleibt.
Die Verschmelzung erstreckt sich nicht viel über die vordere
Commissur nach aufwärts. Gerade die vordere Spalte wird zum
bleibenden Formen Monroi, während die hintere Spalte, der An-
fang des ‚Sulcus striae cormmeae allmählich durch die Ver-
wachsung zwischen Seh- und Streifenhügel verstreicht, und ebenso
auch die senkrechte in den Recessus opticus hinabsteigende Furche
schwindet.
Eine erhebliche Differenz findet sich ferner 6) zwischen meiner
Fig. 3 und der Abbildung der Seitenansicht des Gehirns eines
menschlichen Foetus von 42 mm SSL, nach Wegnahme der rechten
312 F. Marchand: |
Hemisphäre bei His (Fig. 26, welche ziemlich genau der Abbil-
dung des Medianschnittes Fig. 37 entspricht). Nach His be-
schränkt sich die Verbindung der Hemisphäre mit dem Zwischen-
hirn auf den Stiel des Streifenhügels, wozu dann später die secun-
däre Verwachsung zwischen Seh- und Streifenhügel hinzu kommt;
die Grenze der Verwachsung nach vorn und unten fällt zusam-
men mit einer concaven Linie, „welche vom vorderen Ende der
Deckplatte des dritten Ventrikels in einem etwas zurirckweichen--
den Bogen nach dem Stiel des Streifenhügels hinabsteigt. Längs
dieser Linie findet der Umschlag der Sehhügelwand!) in die me-
diale Wand der Hemisphäre statt“ (S. 37). Diese Linie ist dem-
nach identisch mit der vorderen Grenze der Schlussplatte, wie
auch der Vergleich mit der Fig. 57 ergiebt. Wo bleibt dann
die Verbindung an der Basis der Hemisphäre, der eigentliche Stamm-
lappen, welcher doch nothwendig durchtrennt sein muss? Denkt
man sich die Abtrennung der Hemisphäre medianwärts fortgesetzt
bis zur Schlussplatte, so muss nothwendig die Seitenwand der
Regio infundibuli mit entfernt sein, der dritte Ventrikel müsste
also offen vorliegen. -
Was nun die Furchenbildung der Hemisphären in diesem
Stadium anlangt, so halte ich das zuerst beschriebene Gehirn für
dasjenige, welches die natürlichen Verhältnisse am besten wieder-
giebt (abgesehen von der geringen Einsenkung der medialen
Fläche des Stirnlappens). Abweichend von den beiden übrigen
Gehirnen desselben Stadiums ist das Verhalten der vorderen
Bogenfurche zum Ursprung des Riechlappens. Bekanntlich ent-
springt dieser (der „vordere Riechlappen“ von His) lateralwärts
am hinteren Rande des Stirnlappens; in der Fortsetzung desselben
verläuft an der Oberfläche der Hemisphäre, an der oberen Grenze
des noch weit nach aussen reichendem Stammtheils, der späteren
Substantia perforata, ein bogenförmiger weisslicher Streif nach
dem vorderen Ende des Schläfenlappens, der spätere äussere
Riechstreifen. Oberhalb dieses Streifens beginnt also erst das
Gebiet der späteren Insel. In der Seitenansicht der Hemisphäre
sieht man den hier befindlichen Ursprung des Riechlappens vor
sich. Bei der Ansicht von unten wird der letztere am hinteren
Rande durch einen querverlaufenden Einschnitt von der Substantia
1) Ventrikelwand ?
pP u He. a
1
x
ne
Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 313
perforata abgegrenzt, welcher sich als „vordere Bogenfurche“
(Ineisura prima) auf die mediale Fläche fortsetzt!). Bei der An-
sicht von der medialen Fläche scheint der Riechlappen aus dem
hinteren Winkel dieser Fläche des Stirnlappens hervorzugehen;
dies würde also einer medialen Wurzel entsprechen, so bei dem
Gehirn A und E, sowie bei allen späteren.
Es mag sein, dass die Tiefe der vorderen Bogenfurche an
ihrem unteren Theile am Gehirn © in Folge der Härtung zuge-
nommen hat, und dass im Folge dessen ein direeter Uebergang
dieser Furche in den Suleus olfactorius, und in Folge dessen eine
scheinbare Abtrennung des Riechlappens von der medialen Wand
des Stirnlappens zu’ Stande gekommen ist; jedenfalls zeigt aber
auf den Durchschnitten die Hemisphärenwand an dieser Stelle ein
durchaus normales Verhalten.
An den hier in Betracht kommenden Abbildungen 26, 37
und 38 von His sind, wie mir scheint, die Abgrenzungen der
Theile, namentlich die vordere Bogenfurche, zu wenig scharf
ausgeprägt, auch erscheint der Stirntheil der Hemisphäre zu kurz
und wulstig, indess mögen hierbei Verschiedenheiten des Conser-
virungs- und Härtungsgrades eine Rolle spielen.
Die ‘flachen Radiärfurchen an der Convexität der Hemi-
sphäre, die- am stärksten im Gehirn E ausgebildet sind, welche
ich aber auch an anderen Gehirnen dieses Entwickelungsstadiums,
ebenso wie Andere, in wechselnder Ausbildung beobachtet habe,
möchte ich wegen ihrer Unregelmässigkeit für Produkte der Här-
tung halten, wenn mir auch Thatsachen, besonders aus dem Ge-
biete der Hirnmissbildungen bekannt sind, welche auf eine Son-
derung des Gehirnmantels in keilförmige Segmente durch tiefe
Radiärfalten hindeuten.
Die 'Verdiekung der vorderen’ Schlussplatte wurde zuerst
von Tiedemann für die Anlage des anfangs noch senkrecht
stehenden Balkens gehalten (l.e. S. 21. Taf. IT 12, q.). Viele
der späteren Autoren sind ihm hierin gefolgt, u. a. auch Hen-
sen, während Reichert, Schmidt und Andere sich dagegen
aussprechen, und zwar mit Recht. Von der Anlage des Balkens
1) Vgl. auch die Fig. 22—24 bei Kölliker, Zur Entwickelung
des Auges und Geruchsorganes menschlicher Embryonen. Würzburger
Verhandlungen Bd. XVIII, Nr. 8, 1883.
314 F. Marchand:
ist in dem beschriebenen Stadium an der Medianfläche noch nichts
zu sehen. Dem zwischen 3. Ventrikel und vorderer Bogenfurche
gelegenen Raum, der-Pars trapezoides von His, entspricht nach
der Darstellung von Mihaleoviez die umrandete Verwach-
sungsstelle der Hemisphären als erste Anlage des Balkenknies
und des Septum. Die Verwachsung beschränkt sich indess, wie
wir sahen, auf die verdiekte vordere Schlussplatte; der davor-
gelegene Theil ist durch die Sichel von der anderen Seite
getrennt, und ist auch am ausgebildeten Gehirn noch als kleiner
dreieckiger Raum nachweisbar.
Was den Fornix- anlangt, welcher bekanntlich in naher Be-
ziehung zum Randbogen steht, so ist für die vorderen Säulchen
desselben in diesem Stadium der Entwiekelung noch so gut wie
kein Raum vorhanden. Weiteres wird sich bei der Betrachtung
der Durchschnitte ergeben. F
Vierter Foetalmonat.
Das Grosshirn unterscheidet sich in diesem Stadium durch
einige sehr wichtige Eigenthümlichkeiten von den vorhergehenden
Entwickelungsstufen. Die Länge der Grosshirnhemisphäre beträgt
nach der Härtung 24—25 mm, der Schläfenlappen ragt bereits
erheblich nach abwärts hervor, dementspreehend bildet auch die
Fossa Sylvii eine deutlichere Vertiefung; das hintere Ende der
Hemisphäre ist zugespitzt und reicht nach hinten bereits über die
Mitte der Vierhügel hinaus; gleichzeitig mit der Verlängerung
der Hemisphäre hat eine gewisse Drehung derselben um eine
ideale Queraxe in der Gegend des Foramen Monroi nach aufwärts
und hinten stattgefunden. Die, convexe Fläche der Hemisphäre
‘war an einem besonders gut erhaltenen Exemplar (F.Fig. 10)
vollkommen glatt und frei von Furchen; an einem zweiten dagegen
mit einigen flachen Radiärfurchen in der Gegend der Fossa Sylvi,
und einigen tieferen Einkerbungen am vorderen und hinteren
Ende, ebenfalls in ziemlich radiärer Richtung versehen.
Die Höhlenfläche des 3. Ventrikels ist fast ganz eben, die
Abgrenzung der oberen und unteren Region durch Abflachung
des Suleus Monroi sehr viel undeutlicher; auch ‘die übrigen Fur-
chen an der Innenfläche sind fast verstrichen. Der Stiel des
Streifeihügels ist in Gestalt eines schmalen leistenförmigen Vor-
sprunges von dem vorderen Ende des Sehhügels an der Höhlen- }
er
Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 315
fläche sichtbar, dahinter der Anfang der Furche zwischen Seh-
und Streifenhügel (Suleus striae corneae), davor der Eingang in
den Seitenventrikel. Das Conarium ragt bereits etwas über den
Vorderrand der Vierhügel hervor, die hintere Commissur, der
Recessus infrapinealis, die Stiele des Conarium sind deutlich sicht-
bar. Besonders charakteristisch ist die Streckung der vorderen
Schlussplatte nach aufwärts; der untere Theil derselben ist noch
immer nach vorn convex, der obere senkrecht oder selbst leicht
concay nach vorn (Gehirn G. — vielleicht Folge der Härtung).
Von der früheren Verdiekung der Schlussplatte ist nichts mehr zu
sehen, dagegen geht diese an ihrem oberen Ende in eine rund-
liche Anscehwellung über, welche den Durchschnitt
einer neu entstandenen Verbindung beider Hemisphä-
ren darstellt. Diese Verwachsungsstelle liegt genau vor dem
Foramen Monroi; ihr Durchmesser von vorn nach hinten beträgt
1—1,5 mm; der vordere Rand ist halbkreisförmig, der hintere
etwas concav; der hintere obere Winkel setzt sich in den zu-
geschärften Saum des Randbogens fort, während der untere etwas
allmählich in die vordere Schlussplatte übergeht; etwas unterhalb
liegt (noch in der letzteren) die vordere Commissur, welche je-
doch auf dem Medianschnitt nicht deutlich erkennbar ist. Das
vordere Ende des Sehhügels überragt die Verwachsungsstelle der
Hemisphären ziemlich erheblich nach aufwärts. Eine Andeutung
der mittleren Commissur ist weder an diesem noch an dem
zweiten Gehirn dieses Stadiums vorhanden.
Die mediale Fläche der isolirten (rechten) Hemisphäre zeigt
eine sehr charakteristische Ausbildung der Furchen oder Faltungen,
welche jedoch an den beiden dargestellten Gehirnen etwas ver-
schieden ist. Eine tiefe Bogenfurche umgiebt die Hemisphären-
öffnung in einiger Entfernung vom freien Rande derselben; das
untere Ende des hinteren Schenkels erstreckt sich bis in die
Nähe des unteren Randes des Schläfenlappens; durch einen etwas
flachen Eindruck, welcher mehr nach vorne gegen das untere
Ende des Randbogens ansteigt, wird bereits eine stumpfrund-
liche Hakenwindung abgegrenzt. Der vordere Schenkel der
Bogenfurche verläuft in schräg absteigender Richtung nach der
Spitze des Stirnlappens und schneidet hier ein dreieckiges Ge-
biet ab, welches nach hinten von der Schlussplatte des dritten
Ventrikels begrenzt wird. Die ganze Bogenfurche zerfällt am
316 F. Märchand:
deutlichsten in einen vorderen oberen und einen hinteren unteren
Schenkel, welcher die eigentliche Ammonsfurche darstellt. Von
der Vereinigungsstelle beider Schenkel erstreckt sich eine Fort-
setzung des oberen in ziemlich gerader Richtung nach hinten
gegen die Spitze des Hinterhauptlappens (an der linken Hemi-
sphäre mehr nach aufwärts). Das dreieckige Gebiet der me-
dialen Fläche zwischen dieser Furche und der Ammonsfurche
wird durch einen etwas flacheren Eindruck in zwei Hälften ge-
theilt. Der vordere obere Schenkel der Bogenfurche giebt zwei
radiäre Furchen ‚nach aufwärts und nach vorn ab. Die soge-
nannte vordere Bogenfurche (His) stellt sich nicht mehr deut-
lich als vorderer Theil der eben beschriebenen Furche dar; sie
bildet nur noch einen wenig ausgedehnten Einschnitt am hin-
teren Rande des Riechlappens, welcher aus dem medialen unteren
- Theile des Stirnlappens hervorgeht. Der oberhalb der Bogen-
furche gelegene Theil der Hemisphärenwand ist, abgesehen von
den erwähnten radiären Furchen, glatt und eben; er hängt deckel-
artig über den Randbogen herab, und zwar zeigt diescr über-
hängende Theil entsprechend der Wölbung des Sehhügels eine
leichte Concavität. . In ähnlicher Weise entspricht der Eindruck
im hinteren unteren Theil der Hemisphäre der Hervorragung der
Vierhügel und der Kleinhirnhemisphären. Man erhält bei der
Betrachtung der medialen Fläche vollständig den Eindruck, als
sei dieselbe einerseits vom oberen und vorderen, andererseits vom
hinteren unteren Rande her um den mittleren Theil, in Folge
des stärkeren Flächenwachsthums, eingerollt und dabei gefaltet.
Was den freien Rand der Hemisphärenöffnung, den Rand-
bogen Schmidt’s anlangt, so schliesst sich dieser oberhalb der
Verwachsungsstelle unmittelbar an das erwähnte untere Dreieck
des Stirnlappens an, welches eine ziemlich ebene, in seinem obe-
ren Theil allmählich mehr lateralwärts geneigte Oberfläche
besitzt. Im vorderen oberen Theil ist der Randbogen selbst
etwas convex gewölbt (nicht bloss in der Längs-, sondern auch
in der Querriehtung). Dieser Theil geht im weiteren Verlauf,
indem der freie Rand sich etwas gegen die Höhle umschlägt,
in eine leichte Concavität über, welche genau der oberen Wöl-
bung des Sehhügels entspricht; nach abwärts wird die Ober-
fläche des Randbogens wieder convex, während sich der freie
zugeschärfte Rand mehr nach vorne und etwas medianwärts
Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 317
_ wendet. Die flache rinnenförmige Vertiefung des Randbogens in
_ seinem mittleren Theile ist durch eine schwache Kante oder
kielförmige Erhabenheit begrenzt, welche concentrisch um den
- freien Rand verläuft und sieh im unteren Theile allmählieh verliert.
An dem zweiten Gehirn (G Fig. 8, 9), welches ziemlich
genau demselben Entwickelungsstadium angehört, zeigt die me-
diale Fläche der Hemisphäre dieselbe Ausbildung der Bogen-
furche, jedoch zahlreichere radiäre Furchen, von welchen vier
gegen den convexen Rand der Hemisphäre gerichtet sind. Die
an dem Uebergang des oberen in den hinteren unteren Schenkel
‚der Bogenfurche abgehende tiefe Furche theilt sich gabelförmig
und umfasst hierbei ein keilförmiges Gebiet, welches selbst vom
convexen Rande her tief eingekerbt ist. Die vordere Bogen-
furche ist etwas stärker ausgebildet; das dreieckige Feld zwi-
schen dieser und der vorderen Schlussplatte ist etwas breiter
(vielleicht nur in Folge der etwas concaven Einsenkung der
Schlussplatte).
Wie sich aus dem Verhalten der Durchschnitte der Hemi-
sphäre ergiebt, ist die Verwachsungsstelle am oberen Ende der
Schlussplatte die erste Anlage des Balkens. Ebenso sicher
ist, dass die Stelle mit der ursprünglichen Verdiekung der Schluss-
platte nicht identisch ist, wie sich bereits aus ihrer Lage ent-
nehmen lässt. Die Verwachsung schliesst sich aber unmittelbar
an das obere Ende der Schlussplatte an, und beginnt, wie ich
vermuthe, an derselben, um dann weiter nach vorn vorzuschreiten.
Von der Anlage eines Septum pellueidum ist noch nichts nach-
weisbar.
Schmidt hat dieses Stadium mit der ersten Anlage
des Balkens zuerst richtig dargestellt und gedeutet, doch ist
seine Abbildung nicht hinreichend genau, namentlich ist das
Verhältniss der Balkenanlage zum Saum des Randbogens und
der vorderen Schlussplatte nicht ganz richtig dargestellt; die vor-
dere Commissur liegt zu tief; auch die Deutung der als Crus an-
- terius, Corpus des Fornix und Septum pellucidum bezeichnete
Theil ist nicht ganz zutreffend. Kölliker giebt in Fig. 352
und 353 eine gute Abbildung desselben, oder eines etwas spä-
teren Stadiums, doch stimmt die Bezeichnung Septum pellueidum
für den unterhalb der Balkenanlage befindlichen dreieckigen
Raum, welcher sich bis zur vorderen Bogenfurche erstreckt, nicht
318 F. Marchand:
genau. Uebrigens bemerkt K. selbst ausdrücklich, dass dieses
kleine Feld nach vorn noch offen ist (l.e. S. 555). Die Figuren
21 und 22 bei Mihalcoviez, welche gleiche Entwickelungs-
stadien zum Gegenstand haben, sind nicht richtig und geben auch
die Verhältnisse des Randbogens nicht genau genug wieder.
Das folgende Gehirn (P) gehört einem nur wenig späteren
Entwickelungsstadium an!) (Länge der Grosshirnhemisphäre nach
der Härtung 26 mm, Fig. 11, 12).
Die Gestalt der Grosshirnhemisphäre entspricht im Ganzen
der im Vorhergehenden beschriebenen, doch sind die Hemisphären
etwas gedrungener und compacter in Folge einer merklichen
Diekenzunahme der Wandung. Die convexe Fläche ist glatt,
die Fossa Sylvii kaum stärker ausgeprägt als an den beiden
letzten Gehirnen. An der medialen Fläche der Hemisphäre
(welehe nicht vom Hirmstamm abgelöst wurde) zeigt die Bogen-
furche die gleiche Entwickelung wie dort; sie ist mit vier schräg
nach dem oberen Rande aufsteigenden radiären Furchen ver-
sehen; ihr vorderes Ende ist nach dem vorderen unteren Winkel
des Stirmnlappens gerichtet. Das unterhalb dieses Theiles der
Furche gelegene dreieckige Feld der medialen Fläche ist sehr
eben und senkrecht, nach aufwärts geht dasselbe in die obere
Fläche des Randbogens über. Die vordere (senkrechte) Bogen-
furche ist schwach ausgeprägt.
Die Gestalt des dritten Ventrikels ist in sofern verändert,
als der Durchmesser der Triehter-Region von vorn nach hinten
verringert ist, während die Höhe etwas zugenommen hat.
Besonders bemerkenswerth ist, dass der Stiel des Streifen-
hügels an der Höhlenfläche des dritten Ventrikels nicht mehr
sichtbar ist, mdem der vordere Rand des Sehhügels sich der
Vorderwand des dritten Ventrikels mehr genähert hat. (Dies
könnte zum Theil wohl auch durch Compression des Gehirns in
der Richtung von vorne nach hinten bedingt werden, bleibt aber
1) Leider fehlt jede Angabe über das Alter des Embryo und
über die Körperlänge, da der abgetrennte Kopf, welchen ich der
Freundlichkeit des Herrn Collegen Strahl verdanke, von ausserhalb
in einem Gefäss mit Müller’scher Flüssigkeit eingesandt war. Leider
zeigte das Gehirn nach der Durchschneidung einige Beschädigungen,
es konnte jedoch zur Anfertigung einer Schnittserie noch verwendet
werden.
u
Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 319
auch in den späteren Stadien so.) Es findet sich also nur eine
senkrechte Spalte, welche den Eingang in den Seitenventrikel
bildet und sich nach abwärts in den Suleus Monroi fortsetzt.
- Ausserdem sind zwei bis drei flache Fältchen vorhanden, welche
vom unteren Ende des Foramen Monroi auf die Seitenwand der
Triehterregion übergehen.
Die sehr dünne vordere Schlussplatte des dritten Ventrikels
bildet einen schwach convexen Bogen nach vorn; an ihrem oberen
Ende ist die vordere Commissur sichtbar, welche einen leichten
Vorsprung nach hinten bedingt. Die wichtigste Veränderung
betrifft die Verwachsungsstelle der Hemisphären, welche an Aus-
dehnung, besonders in der Richtung nach vorn zugenommen hat.
Ihre Länge beträgt 2,5 mm, die Entfernung von ihrem oberen
Rande bis zum unteren Rande der vorderen Commissur 4°/, mm.
Die Gestalt der Schnittfläche ist keulenförmig, mit leicht con-
caver hinterer und kreisförmiger vorderer Begrenzung; am Ueber-
gang vom hinteren zum oberen Rande findet sich ein kleiner
Vorsprung, welcher mit dem Saum des Randbogens zusammen-
fällt; von hier aus steigt der obere Rand der Verwachsungsstelle
noch etwas nach vorn an; dieser Rand schneidet etwa mit
dem Oberrande des Sehhügels ab.
Bei sorgfältiger Untersuchung mit Hülfe der Lupe zeigte
sich im unteren Theil der Verwachsungsstelle auf, dem Durch-
schnitt eine flachgrubige Vertiefung, welche ich anfangs geneigt
war für ein Artefact zu halten, da die Oberfläche der kleinen
Vertiefung etwas rauh und höckerig erschien. Doch zeigte die
weitere Beobachtung, besonders mit Hülfe der Mikrotomschnitte,
dass im Bereiche der kleinen Grube in der That keine Verbin-
bindungsfasern zwischen beiden Hemisphären vorhanden waren.
- Die Vertiefung hat die Gestalt einer kleinen Bucht, welche sich
- von unten nach oben etwa bis in die Mitte der Verwachsungs-
stelle erstreckt, und zwar näher an dem Vorderrande; die hin-
tere Grenze ist undeutlicher, indem die vertiefte Stelle hier all-
mählicher in die Schnittfläche übergeht. Die untere Begrenzung
der kleinen Ausbuchtung bildet eine scharfe Linie, doch ver-
- mochte ich nicht zu entscheiden, ob im Bereiche dieser Linie
die gegenüberliegenden Flächen der Hemisphäre verwachsen
waren, oder ob die kleine Bucht sich nach abwärts öffnete. Aus
dem ganzen Verhalten derselben dürfte aber zweifellos hervor-
Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37. 21
390 | F. Marchand:
gehen, dass es sich hier um die erste Anlage der Höhle des
Septum pellueidum handelt, deren Entstehung bisher noch sehr
zweifelhaft war. Der vordere Theil der Verwachsungsstelle ist
. demnach die Anlage des Balkenknies und des Rostrum, der
stärkere obere Theil der Körper des Balkens.. Ein an .der
Höhlenfläche des dritten Ventrikels gesondert hervortretendes
Fornix-Säulchen ist auch in diesem Stadium noch nicht erkennbar.
Es dürfte sich empfehlen, hier einige Worte über die Deu-
tung des beschriebenen Befundes einzuschalten, soweit dies vor-
läufig ohne Berücksichtigung der Durchschnitte möglich ist.
Die erste Anlage des Balkens nimmt demnach den vorder-
sten Theil des Randbogens unmittelbar oberhalb der verdickten
vorderen Schlussplatte ein und kommt in der Weise zu Stande,
dass die Verwachsung der Hemisphären durch Commissurfasern
sich an die bereits oberhalb der vorderen Commissur bestehende
Verbindung derselben anschliesst. Die halbkreisförmige vordere
Begrenzung der neuen Verwachsungsstelle entspricht bereits
frühzeitig dem PBalkenknie mit dem Rostrum, während an-
dererseits der Winkel, in welchem der Balken mit dem freien -
Rande des Bogens zusammentrifft, die hintere Begrenzung des
Balkens bildet, also die Anlage des Splenium darstellt. In so-
fern kann ich also nur Kölliker beistimmen, dass in diesem
Stadium (Gehirn P) bereits der ganze Balken angelegt ist.
Indem nun im weiteren Verlauf jener hintere Winkel immer
weiter unterhalb der Bogenfurche nach hinten rückt, muss auch
der Verwachsungsrand zwischen jenem Punkt und der vorderen
Commissur sich mehr und 'mehr in die Länge streeken. Beides
ist untrennbar von einander, und es ist keineswegs richtig, dass
zuerst die gegenüberliegenden Randbogen mit einander ver-
wachsen und dass dann längs dieser Linie ein allmähliches Hin-
durchtreten der Balkenfasern stattfindet (Mihalkoviez). Dar-
aus ergiebt sich aber auch weiter, dass die angebliche Durch-
breehung der primären Hirnsichel durch jene Verwachsung, welche
an sich wenig plausibel erscheint, gar nicht erforderlich ist, da
der von vorn herein vorhandene Ausschnitt der Hirnsichel, wel-
cher der vorderen Schlussplatte entspricht, bei der ganz allmäh-
lich und continuirlich fortschreitenden Vergrösserung der Ver-
wachsungsstelle einfach zurückgedrängt wird.
An dem Gehim P habe ich mich aufs deutlichste über-
Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 321
zeugen können, dass der freie Rand der Hirnsichel von der
Sehädelbasis aufsteigend sich genau dem oberen Rand der Ver-
wachsungsstelle anpasst und in Gestalt eines spitzen schnabel-
förmigen Fortsatzes hinter derselben mit der Tela choroidea resp.
dem Plexus zusammenhängt. Bei der allmählich weiter nach
hinten fortschreitenden Streckung des Balkens wird dieser con-
vexe Ausschnitt der Sichel immer weiter nach hinten zurück-
gedrängt, bleibt aber hinter dem Splenium in dauernder Ver-
bindung mit der Tela chorioidea. Dass die Ansicht Löwe's
über die Bildung des Balkens vollständig verfehlt ist, braucht
_ hiernach wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden.
Die Ausbildung des Fornix, namentlich der vorderen Säul-
chen, ist in diesem Stadium noch sehr im Rückstande; der schmale
Saum, längs dessen die Verwachsung der Randbogen oberhalb
- der vorderen Commissur allmählich nach hinten fortschreitet, ge-
- wissermaassen als wenn dieser Theil durch das immer weiter
nach hinten rückende Splenium ausgezogen würde, bildet eine
unmittelbare Fortsetzung der vorderen Schlussplatte, welche daher
als „verlängerte Schlussplatte* bezeichnet werden kann.
Schwieriger zu deuten ist die Bildung des Septum pellucidum,
besonders der Höhle desselben. Dass die alte Ansicht von
ihrem ursprünglichen Zusammenhang mit dem dritten Ven-
trikel (ef. Tiedemann Taf. II, Fig. 3) nicht richtig ist, ist
lange erwiesen (Schmidt, Reichert). Allerdings bildet der
dritte Ventrikel oberhalb der vorderen Commissur eine schmale
- spaltförmige Ausbuchtung nach vorn, indess ist diese so gering,
dass sie auf dem Sagittalschnitt nur die Gestalt eines ganz
flachen Bogens besitzt (Fig. 12). Die Begrenzung des dritten
Ventrikels wird aber hier durch den oberhalb der vorderen Com-
- missur gelegenen Theil der vorderen Schlussplatte gebildet.
In welcher Weise die erste Anlage der Höhle des Septum
pellueidum zu Stande kommt, ob durch allmähliches Herum-
wachsen des Balkenschnabels, oder durch -Spaltbildung innerhalb
der ursprünglich totalen Verwachsung, ist nicht leicht zu ent-
scheiden. Ich halte jedoch das letztere für wahrscheinlicher und
zwar erstens aus dem Grunde, weil die Form der Balkenanlage
im Ganzen bei dem Gehirn P ganz der Verwachsungsstelle des
früheren Stadiums entspricht, und nur vergrössert ist, zweitens,
weil die kleine Vertiefung in der Verwachsungsstelle am unteren
329 F. Marchand:
Rande durch eine Linie begrenzt ist, welche dem ursprünglichen
Rande der Verwachsungsstelle entspricht. Weitere Gründe ergaben
sich aus dem Verhalten der Durchschnitte. Dafür würde ferner
noch der Mangel der Höhle bei Thieren sprechen, bei welchen
die Lückenbildung in der Verwachsungsstelle nicht eintritt, wäh-
rend die Form der Verwachsung im übrigen dieselbe und der
Balkenschnabel, welcher den Vorderrand bildet, ebenfalls aus-
gebildet ist.
Dass die Faltenbildung an der Medianfläche der Hemi-
sphäre, welche im vierten Monat ihre vollständige Ausbildung
erfährt, kein Kunstprodukt ist, ist eine hinlänglich erwiesene
Thatsache (vgl. Ecker, Kölliker, Mihalkoviez, Anton u.A.
Beiläufig hebt ersterer ausdrücklich hervor, dass er die Faltungen
an frischen Gehirnen beobachtet habe, nicht erst nach Chlor-
zinkbehandlung, wie Mihalkoviez und nach ihm Anton angiebt).
Nichtsdestoweniger ist einleuchtend, dass die vorhandenen Fal-
tungen durch Schrumpfung in Folge von Härtung, Abnahme und
Gerinnung der Flüssigkeit der Seitenventrikel stärker hervortreten
können, ebenso wie im früheren Stadium, denn die Wand der
Hemisphäre ist auch jetzt noch sehr dünn, der Ventrikel weit.
Auch das Gehirn G (Fig. 8, 9) macht den Eindruck, dass die
Faltung durch die genannten Einwirkungen abnorm verstärkt ist.
Die Zahl der Radiärfalten (oder Furchen) ist nicht ganz con-
stant, ebenso wie ihre Lage. (Ueber das Verhältniss derselben
zu den bleibenden Furchen weiter unten.)
Fünfter Monat.
Das folgende Gehirn (J) gehört meiner Schätzung nach
einem Embryo vom Anfang des fünften Monats an (SSL? Länge
der gehärteten Grosshirnhemisphäre 28 mm, Fig. 13, 14). Leider
erwies sich das Gehirn nach der Durchschneidung als beschädigt
durch Druck, wodurch besonders der mittlere und vordere Theil
der Bogenfurche erheblich verändert war, während im übrigen
das Gehirn sehr gut conservirt war!).
1) Es war daher anfangs schwer zu entscheiden, was normal und
was künstlich alterirt war; erst die Mikrotomschnitte ergaben volle
Sicherheit, dass erstens ein Einbruch der Wand in der Gegend des
vorderen Theils der Bogenfurche und eine Einrollung (dieses Theils)
Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 323
Die wichtigste Veränderung, welche beim Vergleich mit
dem vorhergehenden Stadium zunächst hervortritt, ist die Er-
hebung des hinteren Endes des Balkens nach aufwärts, welche
gleichzeitig mit einer Streckung desselben verbunden ist.
Eine erhebliche Verschiebung des Balkenknies nach vorn
hat augenscheinlich nicht stattgefunden, da dasselbe (bei gleieher
Lage der Hemisphäre) noch immer ziemlich genau senkrecht
über dem Hinterrande des Riechlappens steht. Durch die Er-
hebung des hinteren Endes des Balkens über den vorderen Theil
des Sehhügels ist gleichzeitig eine Verlängerung des zwischen
jenem und der vorderen Commissur gelegenen Bogentheiles be-
dingt, längs dessen die beiden Hemisphären mit einander ver-
wachsen sind. Die Fortsetzung der vorderen Schlussplatte nach
aufwärts bildet jedoch nur mit dem untersten Abschnitt noch die
Begrenzung des dritten Ventrikels, nämlich nur bis zur Anhef-
tungsstelle der Tela chorioidea etwas oberhalb der vorderen Com-
missur; nur bis hierher ist der Bogen an seiner hinteren (unteren)
Fläche mit Epithel bekleidet, welches sich dann sowohl seitlich
auf den Plexus lateralis durch das Foramen Monroi, als auf die
Unterfläche der Tela chorioidea des dritten Ventrikels fortsetzt
und sich an der Stria medullaris des Sehhügels inserirt. Der
oberhalb jener Stelle gelegene Theil der hinteren (später unteren)
Fläche des Bogens ist frei von Epithel. 3
Gleichzeitig mit der Formveränderung des Balkens hat auch
das darunter gelegene ursprünglich ganz kleine Feld an Aus-
dehnung in der Höhe und Breite gewonnen. Die vordere untere
Begrenzung dieses Feldes, des Septum pellueidum, war leider an
dem vorliegenden Gehirn nicht vollkommen zweifellos erkennbar,
nur der obere Theil war in Gestalt einer feinen vorspringenden
Linie sichtbar, welche sich vom Balkenknie in der Richtung nach
der vorderen Commissur fortsetzte, ohne dieselbe ganz zu er-
reichen. Die grösste Länge des Balkens beträgt 3,5 mm; die
Länge des Verwachsungsrandes von der vorderen Commissur bis
nach innen stattgefunden hatte, und dass ferner der vordere obere
Theil des Randbogens offenbar in noch weichem Zustande über die
Mitte der Bogenfurche nach aufwärts geschoben und hier mit der me-
dialen Fläche oberhalb in so innige Verbindung getreten war, dass
dieselbe vollkommen natürlich erschien. Durch die Compression er-
klärt sich die verhältnissmässig geringe Höhe des Stirnhirns.
324 F. Marchand:
_.
zum hinteren Balkenrande 5mm. Die Entfernung zwischen der
ersteren und dem Chiasma ist nicht erheblich verändert.
Von besonderer Wichtigkeit ist ferner das Verhalten des
Randbogens zu dem überhängenden (gewissermaassen eingerollten)
Theil der Hemisphärenwand. Die anfangs tiefe und weite Bogen-
furche hat sich derartig verengert, dass ihre Ränder sich be-
rühren, nur in der Nähe des unteren Endes findet ein stärkeres
Klaffen zwischen Randbogen und dem angrenzenden Theil des
Schläfenlappens statt. Auch die radiären Furchen sind eng, die
mediale Fläche der Hemisphärenwand oberhalb des Ausschnittes
ist glatt und setzt sich hier durch eine deutliche Kante von der
dem Sehhügel zugekehrten Fläche ab. Der Randbogen, ‚welcher
sich genau dieser zur Aufnahme des Sehhügels bestimmten Con-
eavität anschliesst, zerfällt durch eine nach abwärts sich ab-
flachende Rinne deutlicher in einen äusseren und einen inneren
Ring (Schmidt). Am Uebergang des oberen mehr horizontalen
Theiles in den unteren senkrechten bildet der äussere Ring eine
kleine Anschwellung, welche auch später noch an der Faseia
dentata sichtbar ist.
Was die Furchen der Medianfläche der Grosshirnhemisphäre
anlangt, so sind am Hinterhauptlappen zwei derselben offenbar
übereinstimmend mit der späteren Fissura parieto-oceipitalis und
calearina; unterhalb der letzteren findet sich noch ein Einschnitt,
welcher unter der Spitze des Hinterhauptlappens auf den Hemi-
sphärenrand übergeht. Die vordere (senkrechte) Bogenfurche ist
deutlich.
An der Höhlenfläche des dritten Ventrikels zeigt sich das
Foramen Monroi bereits stark eingeengt durch das Hinüber-
wachsen des Balkens mit dem „Verwachsungsrand“* oder der
verlängerten Schlussplatte nach hinten. Eine Commissura mollis
ist nicht sichtbar.
Das folgende Stadium (Ende des fünften Monats) wird durch
die grössere Streckung des Balkens nach hinten charakterisirt.
Die Länge des Balkens beträgt bei einem Gehirn (L) von 33 mm
Hemisphärenlänge, in gerader Richtung gemessen bereits 1Omm. 7
Bei der von zufälliger Gestaltveränderung durch Druck, Härtung
u. 8. w. abhängigen Verschiedenheit der Krümmung kann dieses
Maass sich ebenfalls ändern. Der Abstand des Balkenknies vom |
vorderen Ende der Hemisphäre ist 9, der Abstand des Splenium 7
RR he
DEREN TEN
WED
Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 325
_ vom hinteren Ende 19mm, die Dicke des Balkens an seinem
hinteren Ende etwa 1,2mm, die Höhe des Septum pellucidum
oberhalb der vorderen Commissur 5 mm, seine grösste Länge
9 mm.
Das hintere Ende des Balkens reicht auf dem Medianschnitt
bis zur Mitte des Sehhügels; dem entsprechend bildet der Ver-
wachsungsrand zwischen vorderer Commissur und Splenium einen
flachen gegen die Horizontale geneigten Bogen, welcher sich
genau der Wölbung des Sehhügels anschliesst und das Foramen
Monroi fast vollständig verdeckt. Die mediale Fläche des Septum
- pellueidum ist nach oben und lateralwärts geneigt, so dass die
Höhle dieht unter dem Balken am weitesten ist; hier ist auch
die Wand der Hemisphäre am stärksten verdünnt, weswegen an
dieser Stelle leicht Einrisse bei der Härtung entstehen. An dem
Gehirn L bildet das Knie am Uebergang zum Schnabel einen
ziemlich scharfen Winkel, und zwar ist die Trennungsfläche des
Rostrum etwas nach aufwärts gerichtet, wohl in Folge einer
geringen Einziehung der Hemisphärenwand bei der Härtung. Zwi-
schen dem Ende des Rostrum und der vorderen Commissur ver-
läuft eine glatt abgerundete Kante, als untere Begrenzung des
Septum, doch vermochte ich keine Spur einer Trennungslinie zu
erkennen. Das unterhalb dieses Randes gelegene dreieckige
Feld vor der Schlusslamelle wird nach vorn von dem Rest der
vorderen Bogenfurche (Ineisura prima) begrenzt. Der ganze
Balken wird an seinem convexen Umfang von der Spitze des
Rostrum an durch einen schmalen nach hinten etwas verdickten
Saum umgeben, welcher so aussieht, als stecke der Balken in
einer Art Hülse, die durch den lippenförmig hervorgedrängten
Saum der Hemisphärenoberfläche gebildet wird. Nach hinten
geht der Saum mit einer leichten Anschwellung unmittelbar in
den äusseren Ring des Randbogens über. Das Splenium tritt in
Form eines abgerundeten Keils in schräger Richtung aus der
Rinne zwischen beiden Abtheilungen des Randbogens hervor und
geht nach vorn mit seiner unteren Fläche allmählich. in den
inneren Ring über; die Verbindung zwischen beiden wird durch
den flügelartig verbreiterten Theil des Bogens gebildet, welcher
nach vorn in das Septum sich fortsetzt. Die Verbindung der
- Hemisphären längs des Bogens bildet dauernd eine ganz schmale
Linie. Wie aus der Abbildung (Fig. 16) ersichtlich ist, kreuzen
326 F. Marchand:
sich die beiden Bögen, der Fornix mit seiner Fortsetzung nach
vorn, welche das eigentliche Septum bildet, und der median-
wärts verbreiterte Bogen, welcher sich an das Splenium anlegt, in
eigenthümlicher Weise, nach Art der Flügel einer Schiffsschraube.
Bei aufmerksamer Betrachtung sieht man um den freien Rand
des Splenium eine zarte Streifung verlaufen, welche sich auf
die „verlängerte Schlussplatte“ fortsetzt. Dieselbe ist nichts an-
deres als die Stria longitudinalis Laneisi, während der den Bal-
ken umgebende Saum die Taenia tecta darstellt. Der innere
Randbogen mit seiner vorderen Fortsetzung hat bereits ganz die
Bedeutung des Fornix, doch sind die vorderen Säulchen desselben
auch in diesem Stadium noch wenig ausgebildet. Der äussere
Randbogen bildet, wie dies bereits ebenfalls längst bekannt ist,
die Fasceia dentata, welche aber noch keine Einkerbungen be-
sitzt. Die Furche zwischen beiden Theilen des Bogens ist stark
verschmälert, nach unten jedoch wieder erweitert.
Was die Beschaffenheit der Medianfläche der Hemisphäre
im übrigen anlangt, so zeigt dieselbe nur im hinteren Theile zwei
Einkerbungen, als letzte Reste der entsprechenden Radiärfurchen,
die Anfänge der F. parieto-oceipitalis und der F. calcarina; an
der Medianfläche des Stirnlappens den Anfang des 8. calloso-mar-
ginalis, welcher anscheinend aus den Resten des vorderen Theils
der Bogenfurche hervorgegangen ist; der den Balken umgebende
Theil der letzteren ist ganz abgeflacht.
In diesem Stadium hat das Grosshirn seine wesentliche
Ausbildung erhalten.
An der convexen Fläche zeigt sich die Fossa Sylvii als
allseitig umgrenzte Vertiefung, nur die vordere Begrenzung ist
noch flacher; anderweitige Furchen sind noch nicht vorhanden.
Ein zweites, ungefähr demselben Stadium angehöriges Ge- °
hirn (Hemisphärenlänge 38 mm) zeigte leider den Balken im vor-
deren Theil auseinandergerissen, den vorderen oberen Theil des
Septum pellueidum beiderseits durch eine länglieh-runde Lücke °
durehbrochen, indess war das Gehirn im übrigen sehr gut er- ”
halten und gut gehärtet (K Fig. 15).
Ventrikels in sehr charakteristischer Weise gegen"/früher)/durch
das Hinüberwachsen des Balkens mit der verlängerten Schluss- N
platte, welche sich mehr und mehr der Horizontalen nähert, ver- ”
Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 327
ändert. Hierdurch wird die Regio thalamiea erheblich eingeengt,
das Foramen Monroi verdeckt. - Unterhalb der verlängerten
Sehlussplatte liegt die Tela chorioidea des dritten Ventrikels mit
dem Plexus, welcher dieht oberhalb des Foramen Monroi durch
Gefässe mit der Sehlussplatte verbunden ist, während zugleich
das Epithel an dieser Stelle von der Unterfläche der Ventrikel-
decke auf die vordere Schlussplatte übergeht. In dem vom
Balken noch nicht überdeckten Theile des dritten Ventrikels
wölbt sich die Decke desselben (d. h. Epithel mit Tela chorioi-
dea) blasenförmig hervor, an der Insertion seitlich die Fälte-
‚lung des sich entwickelnden Plexus zeigend. Die Bildung des
Conarium, der Stiele desselben und der hinteren Commissur ent-
spricht bereits der bleibenden Form. Die mittlere Commissur
war auch an diesem Gehirn noch nicht nachweisbar.
Sechster bis achter Monat.
An dem Gehirn des sechsten Monats (OÖ, Länge der
Grosshirnhemisphäre 42 mm) reicht der Balken, dessen Länge
14 mm beträgt, mit seinem hinteren Ende noch nicht ganz über
den Sehhügel.e. Knie und Rostrum sind vollständig ausgebildet,
das erstere an dem abgebildeten Gehirn etwas schärfer gebogen
als gewöhnlich (Folge der Härtung, wodurch der Stirntheil etwas
stärker eingedrückt ist). Das Rostrum setzt sich in die Tmm
lange dünne Lamina genu fort, welche das Septum pellueidum
von unten begrenzt!). Der obere Rand des Septum war auch
an diesem Gehirn von dem Balken durch eine Spalte getrennt.
Die Höhle des Septum erstreckt sich nach hinten bis zum
Splenium und wird zwischen diesem und dem Foramen Monroi
durch die sogenannte „verlängerte Schlussplatte* abgegrenzt,
welehe nunmehr als „Bodenlamelle des Cavum septi* zu bezeichnen
ist. Der vorderste, das Foramen Monroi umgebende Theil dieser
Platte bildet einen kleinen Vorsprung an der unteren Fläche,
welcher die Verbindungsstelle mit der Tela chorioidea an der
Decke des dritten Ventrikels bezeichnet. Von hier an liegt die
1) Die Bezeichnung „Commissura baseos alba“ (Henle) ist für
diesen Theil nicht zutreffend, da diese Lamelle gar keine Commissur-
fasern enthält. Jener Ausdruck passt füglich nur auf das hintere
Ende des Rostrum, wie aus der Betrachtung der Durchschnitte her-
vorgehen wird.
328 F. Marchand:
dünne Lamelle frei über der letzteren, jedoch noch durch ein
zartes Blatt der Pia mater von derselben getrennt. Der hintere,
der Oberfläche des Sehhügels sich anlegende Theil der Lamelle
ist ausserordentlich zart und durchscheinend. Seitlich geht das
Blatt in den bereits deutlich zum Fornix umgebildeten Theil des
Randbogens über, bildet jedoch keineswegs eine zwischen den
freien Rändern des letzteren ausgespannte Verbindung; eine
solche findet eigentlich nur in dem vordersten Theil statt, wel-
cher der Gegend des späteren Corpus fornieis entspricht. Doch
liegen hier die beiden Hälften des Fornix- so eng aneinander,
dass der dieselben verbindende Theil der Lamelle nur äusserst
schmal ist (s. Fig. 22e).. Aus der ganzen Darstellung geht
ohne Weiteres hervor, dass keineswegs die ganze Wandung
der Höhle des Septum pellueidum der eigentlichen Wand
des Seitenventrikels angehört. Man hat vielmehr den Sei-
tenwandtheil, welcher dem bleibenden Septum entspricht, von
der Boden-Lamelle zu unterscheiden, welche später mit dem
Balken verschmilzt. Der Seitenwandtheil besitzt eine ziemlich
beträchtliche Dieke und hat auf dem Querschnitt in den vorderen
Abschnitten eine zugespitzt konische, weiter hinten mehr drei-
eckig prismatische Form, dem Querschnitt des Fornix entsprechend,
weleher sich nach vorn flügelförmig verbreitert.
Der zwischen Splenium und Glandula pinealis freibleibende
kaum wird durch die kappenförmig sich vorwölbende Decke
des dritten Ventrikels eingenommen, an deren Innenfläche,
der Taenia medullaris des Ventrikels folgend, der regelmässig
gefältelte Plexus chorioideus erscheint, welcher sich bis auf die
Stiele der Zirbeldrüse fortsetzt. Hier liegt auch die Insertions-
stelle der Tela chorioidea. |
An der Höhlenfläche des dritten Ventrikels ist das sehr deut-
liche Ganglion habenulae sichtbar, welches sich in die allmählich
sich verschmälernde, etwas eingekerbte Taenia medullaris fort-
setzt, davor der noch erkennbare Suleus habenulae, welcher unter
der Regio thalamica mit dem Suleus Monroi zusammenfliesst. Am
vorderen Theile des letzteren ist eine Anzahl feiner Fältchen
an der Ventrikelwand sichtbar, welche über die bereits einen
deutlichen Vorsprung bildende Columna Fornieis hinziehen. Die
mittlere Commissur ist vollständig entwickelt. |
An der isolirten (rechten) Hemisphäre dieses Gehirns (Fig. 18)
Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 329
treten die Verhältnisse des ursprünglichen Randbogens zu dem
- Fornix, Splenium und der noch ganz glatten Fascia dentata am
deutlichsten bei geneigter Stellung in der Ansicht von hinten und
_ unten hervor. Man sieht hier gleichzeitig die noch sehr zarten
Striae albae um das Splenium auf die untere Fläche der Boden-
lamelle, und zwar seitlich von der am meisten verdünnten Stelle
derselben übergehen. Alles übrige ergiebt die Erklärung der
Abbildungen.
An der Medianfläche der Hemisphäre sind einige Furchen
bemerkbar, und zwar erstens der sehr tiefe Einschnitt der Fissura
‚parieto-oceipitalis, der weniger tiefe der F. calcarina. Am Stirn- ,
hirn sind die Anfänge des Sule. calloso-marginalis (Pars anterior
und P. intermedia oder posterior (?) nach Eberstaller)t), sowie
des Suleus rostralis vorhanden. Der Rest der vorderen Bogen-
furche verläuft in senkrechter Richtung nach aufwärts.
Die späteren Stadien bieten keine wesentlich neuen Ver-
hältnisse; ich kann mich daher begnügen, den Abbildungen einige
kurze erläuternde Bemerkungen hinzuzufügen.
Die Darstellung des Kopf-Durchschnittes eines Foetus von
14,5 cm SSL ist hauptsächlich gewählt, um die Gestaltverhält-
_ nisse des Balkens in möglichst natürlichem Zustande an einem
Gefrierschnitt zu zeigen, da alle stark gehärteten Gehirne durch
die unausbleibliche Schrumpfung mehr oder weniger erhebliche
Formveränderungen des Balkens darbieten. An der gezeichneten
linken Hälfte ist die Hirnsichel nebst den weichen Häuten in
Verbindung mit dem Schädel und Gehirn gelassen.
Die Länge der Hemisphäre beträgt eirca 50mm. Der
Balken erscheint in seiner natürlichen Krümmung, welche viel
stärker ist, .als an den vorher beschriebenen Gehirnen. Er reicht
nach hinten bis zum Hinterrande der Zirbeldrüse, ist aber von
1
dieser noch durch einen Abstand von 3 mm getrennt. Seine
Länge beträgt 20 mm, seine Dicke 1,5mm. Die Höhle des
Septum, welche sich noch bis an das Splenium erstreckt, misst
17—18 mm in der Länge und 6 mm in der Höhe.
In dem Raum zwischen dem Splenium und der Glandula
pinealis ragt die Tela chorioidea des dritten Ventrikels in Ge-
stalt einer nach hinten etwas zugespitzten Kappe hervor, indem
1) Das Stirnhirn, Wien und Leipzig 1890.
330 | F. Marchand:
sie sich mit ihrer oberen Grenze genau an den bogenförmigen
unteren Rand der Sichel anlegt. Die untere Wand der Kappe
bedeckt die obere Fläche der Glandula pinealis, an deren Vorder-
rand die Tela chorioidea fixirt ist. Die Fixirungslinie geht seit-
lich auf die Stiele der Zirbel über, dann weiter auf die Taenia
medullaris des Sehhügels.
An einem Gehirn aus dem siebenten bis achten Monat be-
trägt die Länge des Balkens im gehärteten Zustande 34 mm,
doch ist der Balken durch "stärkere Krümmung des vorderen
Theiles etwas verkürzt. Das Splenium bildet bereits eine deut-
liehe Anschwellung am hinteren Ende. Die Höhle des Septum
pellueidum reicht nach hinten bis an das Splenium heran (Länge
25 mm, grösste Höhe 8mm). Die Bodenlamelle des Cavum septi
ist in ihrem ganzen hinteren Theile sehr dünn und durchschei-
nend; sie legt sich hier dieht an die. Oberfläche des Thalamus.
an. Die Tela chorioidea des dritten Ventrikels ist in ihrem
hinteren freien Theile, wo dieselbe .zwischen Splenium und Glan-
dula pinealis hervorragt, noch etwas spitzer kappenartig hervor-
gezogen, als früher; sie reicht noch etwa 4mm über die Glan-
dula pinealis nach hinten und ist mit der oberen Fläche der
letzteren bereits fest vereinigt.
Das Foramen Monroi ist spaltförmig verengt; die Säulchen
des Fornix, welche dasselbe im Bogen von vorn her umgeben,
sind nur an ihrem unteren Rande durch einen schmalen Saum
vereinigt, welcher sich nach hinten in die dünne Bodenlamelle
des Cavum septi fortsetzt; dieht hinter dem Foramen Monroi
liegt die Fixirungsstelle der Tela chorioidea.
Der Ueberrest der vorderen Bogenfurche ist als scharf aus-
geprägte, senkrecht nach der Spitze des Rostrum gerichtete ge-
rade Furche erkennbar; zwischen ihr und der vorderen Schluss-
platte bleibt ein unregelmässig dreieckiges ebenes Feld. Der
Suleus ealloso-marginalis ist bereits vollständig ausgebildet, ebenso
der Suleus rostralis. i
Von der linken Hemisphäre dieses Gehirns wurde eine
Reihe frontaler Durchschnitte angefertigt, welche die Gestalt-
und Lageverhältnisse des Seitenventrikels, des eigentlichen Septum °
pellueidum, des Fornix und der Bodenlamelle des Cavum septi
zeigen (s. Fig. 22). Die Gestalt des letzteren ist auf dem Durch- ”
schnitt dreiseitig prismatisch, mit nach unten gerichteter Kante; i
m. 8
Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 331
der Fornix nimmt nach hinten gar nicht mehr Theil an der Be-
grenzung der Höhle).
Im weiteren Verlauf der Entwiekelung kommt bekanntlich
_ eine Verkleinerung des Cavum septi dadurch zu stande, dass 1)
die beiden Seitentheile des Formix sich oberhalb und hinter dem
Foramen Monroi an einander legen und verwachsen, und dass 2)
die Bodenlamelle des Cavum septi sich an die untere Fläche
des Balkens anlegt und sich meist untrennbar mit ihr verbindet.
Eine Querfaserung ist in dieser sehr feinen Lamelle nicht be-
merkbar. Die Verschmelzung scheint vom Splenium nach vorn
fortzuschreiten. Zuweilen bleibt ein spaltförmiger Raum zwischen
der Lamelle und der unteren Fläche des Balkens übrig (sog.
Verga’scher Ventrikel); ich habe nur einmal beiderseits neben
dem vollständig verschmolzenen mittleren Theile Reste eines sol-
chen Spaltraumes beim Erwachsenen gefunden.
Der kappenförmige hintere Theil der Tela chorioidea des
dritten Ventrikels redueirt sich allmählich zu einem sehr engen
spitzen Fortsatz, welcher sich in den schmalen Zwischenraum
zwischen Splenium und Corpora quadrigemina einschiebt (Recessus
suprapinealis Reichert). Auf dem Querschnitt ist dieser Fort-
satz kreisförmig’?).
In einer späteren Arbeit soll die innere Entwickelung des
foetalen Gehirns mit besonderer Berücksichtigung des Balkens
und der vorderen Commissur nach den Durchschnitten dargestellt
werden.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XV und XVI.
Gemeinschaftliche Bezeichnungen.
e Grosshirn. vb Vordere Bogenfurche.
bf Bogenfurche, oberer Theil. rr’ Radiärfurchen.
em Sule. calloso-marginalis. po Fiss. parieto-ocecipitalis.
sh S. Hippocampi. ca Fiss. calcarina.
1) Diese Gestaltverhältnisse des Cavum septi sind bereits gut
dargestellt von Reubold, Festschrift zur 3. Säcularfeier der Univer-
sität Würzburg, 1882, Bd. I, S. 176 und Taf. VII.
2) Eine gute Darstellung dieser Theile vom Gehirn des Er-
wachsenen auf den Längsschnitt findet sich in dem grossen Pracht-
werk von Key und Retzius.
339 F. Marchand:
ıb Randbogen. | i Infundibulum.
rb’ Aeusserer Randbogen. h Hypophysis.
fx Fornix. fm Foramen Monroi.
fi Fimbria. . sm Sule. Monroi. .
fd Fascia dentata. ı 1% Tela chorioidea ventr. II.
sh Gyrus Hippocampi. pl? Plexus ventric. II.
u Uneus. lit Lamina terminalis, vordere
is Insel. Schlussplatie.
ce Corp. callosum. it‘ Verdickung derselben.
spl Splenium. cp Commissura posterior.
ro Rostrum. em Comm. mollis.
sc Genu corporis callosi. sp Glandula pinealis.
sl Stria longitudinalis (Nerv. Lan- | rp Recessus pinealis.
eisi). tm Taenia medullaris ventr. II.
tt Taenia tecta. (s. habenula).
sp Septum pellucidum. gh Ganglion habenulae.
ssc Sule. striae corneae. sh Suleus habenulae.
cs Corp. striatum. ro Recessus opticus (s. chiasmatis).
ss Stiel des Corp. striatum. ch Chiasma.
pl Plexus lateralis. o Nerv. opticus.
ol Nerv. olfactorius, Riechlappen. | ma Corp. mammillare.
so Sulcus olfactorius. a Aquaeductus.
th Thalamus opticus. | eq Corp. quadrigemina.
p Pulvinar. cb Cerebellum. ,
v3 Ventriculus II. v* ventrieul. IV.
rt Regio thalamica. pl* Plexus ventric. IV.
ri Regio infundibuli.
Fig. 1. Gehirn aus dem dritten Foetalmonat, Ansicht von der rechten
Seite, natürl. Grösse, geometr. Zeichnung. (Embryo von
45mm SSL; Länge der Grosshirnhemisphäre 14,5 mm). (C).
Fig. 2. Dasselbe Gehirn, nach Abtragung der rechten Hemisphäre 7
und des rechten Sehhügels durch Medianschnitt. Vergr. 4 mal.
(©). x Schnittfläche. 11” der feine Saum des Randbogens ober-
halb der Verdickung der vorderen Schlussplatte.
Fig. 3. Gehirn aus dem dritten Foetalmonat, nach Abtrennung der
rechten Hemisphäre an der Verbindung mit Sehhügel und
Stammlappen; Ansicht von der rechten Seite 2 mal vergr.
Länge der Grosshirnhemisphäre 17 mm. (A). x Schnittfläche der
Stammstrahlung (Caps. interna). xx Schnittfläche des Stamm-
lappens. i Aeussere Fläche der Trichter-Region.
Fig. 4. Gehirn eines Embryo von 5,5 cm SSL; Länge der Grosshirn-
hemisphäre circa 20 mm; Ansicht von der rechten Seite, natür-
liche Grösse. (E). An der Oberfläche eine Anzahl flacher
radiär angeordneter Furchen, von der Fossa Sylvii ausgehend,
eine tiefere Furche in der Verlängerung der letzteren nach
der Spitze des Hinterhauptlappens.
BZ
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
5.
6.
10:
ER,
. 12
38
15.
Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. 333
Dasselbe Gehirn, nach Abtragung der rechten Hälfte des
Grosshirns durch einen Medianschnitt. 4mal vergr.
Medianschnitt des Kopfes eines Embryo von 4 Monaten, nach
Abtragung des Schädeldaches. Natürl. Grösse.
Medianschnitt des Gehirns (in situ) desselben Embryo (G),
2mal vergr. cc erste Anlage des Balkens.
Die isolirte linke Hemisphäre, von aussen gesehen, mit einer
Anzahl mehr oder weniger tiefer radiärer Furchen und Ein-
schnitte, welche als Folge der Härtung zu betrachten sind.
Dieselbe Hemisphäre, nach der Ablösung vom Sehhügel, me-
diale Fläche, 2mal vergr. r/’—r* Radiärfurchen. cc erste An-
lage des Balkens. rb Randbogen mit der sich nach hinten
vertiefenden Rinne zwischen dem inneren und dem äusseren
Ring. Unter dem Saum des ersteren schiebt sich der sichel-
förmige Rand des Plexus lateralis hervor, welcher bei der
Ablösung des Sehhügels von der Stria cornea (richtiger vom
Suleus striae corneae) abgetrennt ist.
Rechte Hemisphäre eines zweiten Gehirns desselben Ent-
wickelungsstadiums nach Ablösung vom Sehhügel (F). x Tren-
nungsfläche.
Medianschnitt des Kopfes eines Embryo von 4 Monaten.
Länge der Hemisphäre 26mm. Natürl. Gr. (P).
Linke Hälfte dess@lben Gehirns, Medianschnitt, 2mal vergr.
Erster Anfang der Höhle des Septum pellueidum.
Linke Hälfte eines Gehirns vom fünften Foetalmonat, natürl.
Gr. (J). Länge der Hemisphäre 23mm. Das Gehirn war
durch Compression des Kopfes in der Gegend des Stirn- und
Scheitellappens beschädigt und erscheint dadurch etwas ab-
geflacht; der vordere Theil der Bogenfurche ist tiefer als
normal; die Hemisphärenwand erwies sich im Grunde der
Furche als eingebrochen und einwärts gerollt; oberhalb des
noch kurzen Balkens ist die Bogenfurche verstrichen, indem
hier ein Wulst aus Hirnsubstanz vorgedrängt ist.
. Linke Hemisphäre desselben Gehirns, 2mal vergr. Die Bogen-
furche ist in der Zeichnung wiederhergestell. Der kurze
Balken lässt Splenium und Knie mit Rostrum deutlich er-
kennen; die vordere untere Begrenzung des Septum pelluc.
ist dagegen nicht deutlich. auch ist der Raum zwischen vor-
derer Schlussplatte des dritten Ventrikels und der vorderen
Bogenfurche (Ineisura prima) ungewöhnlich breit, wie es
scheint, in Folge einer geringen Abweichung des Schnittes
von der Medianebene nach links.
Medianschnitt eines Gehirns vom fünften Monat (K), linke
Hälfte. Länge der Hemisphäre 38mm. Der vordere Theil
des Balkens ist in der Mitte auseinandergewichen; in Folge
dessen ist eine Lücke im Septum pellucidum beiderseits ent-
standen. An der medialen Fläche des Hinterhauptlappens sind
334 F. Marchand: Ueber die Entwickelung des Balkens etc.
ig. 17.
ig. 18.
Fig.
ig. 20.
.. 16;
19,
Bl,
als Residuen der Radiärfurchen zwei tiefe Furchen erkennbar,
welche den Cuneus zwischen sich fassen, also die F. parieto- |
oceipitalis und Fissura calcarina darstellen. Die schräge
Furche, welche über die mediale Fläche des Stirnlappens ver-
läuft und der Lage nach dem vorderen Ende der Bogenfurche
entsprechen würde, scheint durch die Härtung stärker aus-
geprägt zu sein. i
Rechte Hemisphäre eines zweiten Gehirns vom fünften Monat,
vom Sehhügel abgelöst, 2mal vergr. (L). (Im Septum pellu- °
cidum ein kleiner Einriss.)
Gehirn eines 6monatl. Embryo, rechte Hälfte, zweimal vergr. ;
(0). Der Stirnlappen in Folge der Härtung etwas abgeflacht.
Rechte Hemisphäre desselben Gehirns, isolirt, Ansicht schräg
von hinten und medianwärts, um die Verhältnisse des Fornix
und der jetzt noch glatten Fascia dentata zum Splenium und
der Verwachsungslinie der Randbogen (sog. verlängerte
Schlussplatte) zu zeigen. Ueber das Splenium verlaufen die
zarten Striae longitudinales.
Durchschnitt des Kopfes eines Embryo von 14,5 cm SSL, nach
einem Gefrierschnitt, der in Alkohol aufgethaut wurde. fFalx. 7
t Tentorium cerebri. sl Sin. longitudinalis, im hinteren Theil
angeschnitten. st Sin. tentorii. Leider weicht der Schnitt im \
unteren Theil von der Mitte nack rechts ab, so dass die Me-
dulla oblongata unten schräg abgeschnitten ist.
Die mittleren Theile des Gehirns von demselben Durchschnitt,
2mal vergr. Man sieht das Maschenwerk der Pia mater, wel- 7
ches den Raum zwischen Dura und Hirn ausfüllt.e x Spalt-
raum zwischen dem oberflächlichen Blatt der Pia und der
Dura mater. k Knochenkern im Keilbein. v Vena magna.
a Aeste der Arteria cerebri ant. .
Vorderer Theil der Medianfläche der rechten Hemisphäre eines
7monatl. Foetus. Die vordere Krümmung des Balkens ist in
Folge der Härtung etwas stärker als gewöhnlich.
. Frontalschnitte durch Balken und Septum pellueidum mitden
angrenzenden Theilen, von demselben Gehirn. Natürl. Gr.
a Schnitt dicht hinter dem vorderen Ende des Septum pellu-
cidum. b Schnitt durch die Lamina genu. c Schnitt durch x
das Foramen Monroi und die Commissura ant. d,e Etwas
weiter nach hinten. f etwa in der Mitte des Sehhügels.
& Schnitt durch den hinteren Theil des Balkens. h Kurz vor
dem Splenium corp. callosi. 1 bedeutet die Bodenlamelle des
Cavum septi, th die freie Fläche des Thalamus, tch die Tela
chorioidea des dritten Ventrikels.
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F
335
Zur vergleichenden Anatomie der Placenta.
ß Von
Prof. E. Klebs in Zürich.
Hierzu Tafel XV1M.
Die allmählichen Umgestaltungen, welche nach der An-
nahme Darwin’s unter dem Einfluss der Anpassung und Zucht-
wahl die Umformung einfacherer zu vielgestaltigen Wesen be-
wirkt haben, bringen an den Einrichtungen für die Ernährung
des Foetus so bedeutsame Veränderungen hervor, dass auch von
phylogenetischem Gesichtspunkt aus ein vergleichendes Studium
derselben grosses Interesse darbietet. ‚Welche Bedeutung in
dieser Beziehung der Placentabildung zukommt, ist allerseits an-
erkannt und hat seinen Ausdruck gefunden in der Bezeichnung
der grossen Gruppe der Placentathiere, der Placentalia. Legt
man sich die Frage vor, welche Bedeutung diese Art der.Foetal-
ernährung besitzt, so kann dieselbe wohl nur in einer Verbesse-
rung oder Verfeinerung des Nährmaterials gesucht werden, durch
welche eine Weiterentwickelung der Foetalanlage,. vielleicht nur
in gewissen Richtungen bewirkt wird; als solche müsste nament-
lich an das Nervensystem gedacht werden, welches die bedeut-
samsten Weiterentwickelungen bei den Placentathieren erfährt.
Aber auch innerhalb der ganzen Reihe der letzteren bestehen
gewaltige Verschiedenheiten sowohl in der Entwickelung des
Central-Nervensystems, wie auch in derjenigen der Foetalanhef-
tung und -Ernährung. Auch die Dauer der Foetalentwickelung
nimmt zu mit der höheren Stellung in der Thierreihe, wenn hier
auch vielfache Ausnahmen bekannt sind. So mag eine nach Quan-
tität und Qualität reichlichere Ernährung in der Foetalperiode
einen mitbestimmenden Einfluss auf die Phylogenese gewinnen und
kann es daher nicht Wunder nehmen, dass die dieser wichtigen
Funetion gewidmeten Einrichtungen ausserordentlich mannigfaltige
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 99
336 E. Klebs:
Verhältnisse darbieten können. In allen diesen variablen Zu-
ständen aber wird sich ohne Zweifel eine stetige Reihenfolge der
Entwickelungsvorgänge nachweisen lassen. Das erste Erforder-
niss hierzu wäre eine genaue Kenntniss von der Bedeutung,
welche die einzelnen, an dieser Bildung theilnehmenden Gewebe
sowohl in morphologischer, wie in physiologischer Beziehung be-
sitzen.
Betrachtet man die mächtigen Bluträume, welche die Zotten
der menschlichen Placenta erfüllen, so könnte man geneigt sein,
den Placentaten einen sehr hohen Grad des Gasaustausches zwi-
schen Mutter und Foetus zuzuschreiben. Dennoch bleibt nicht
zu übersehen, dass auch bei diesen Thieren eine einfache, oft
doppelte Schicht von Epithelien, vielleicht auch Endothelien
(Waldeyer), sowie die nicht unbeträchtliche Dicke des meso-
dermalen Antheils der Chorionzotten die beiden Blutarten von
einander trennt. Es ist dies ein Verhältniss, welches sehr wohl
geeignet ist, dem mächtigen Bau dieser Placentarbildungen in
erster Linie andere, mehr den electiven Leistungen der Drüsen
sich anreihende Funktionen zuzuschreiben, Anschauungen, welche
durch die Glycogenbildungen in der maternen Placenta nicht
wenig unterstützt werden.
In höherem Maasse wird diese Auffassung gefördert bei
denjenigen Formen der Placenta, bei denen nur ein lockerer Zu-
sammenhang mütterlicher und embryonaler Theile stattfindet, wie
bei den Wiederkäuern, bei denen sich die Chorionzotten leicht
aus dem mütterlichen Gewebe herausziehen lassen. Bei der Pla-
centa zonaria dagegen der Raubthiere, wie bei der discoiden
Form der Nagethiere, Affen und Menschen ist bekanntlich der
Zusammenhang beider Theile ein so inniger, dass die Loslösung
der Eihäute stets innerhalb des mütterlichen Gewebes erfolgt.
Auch in dieser letzten Gruppe kommen noch Differenzen in der
Fixirung vor, indem z.B. die Nagethiere, namentlich das Kanin-
chen, eine totale Trennung des reifen Eies zulassen, wie die von
Dohrn und mir beschriebenen freien Eisäcke in’ der Bauchhöhle,
von Kaninchen beweisen, sowie andererseits das beim Menschen
nicht allzuseltene Zurückbleiben foetaler Theile im Uterus, in wel-
chem sie selbständige Weiterentwieckelungen durchmachen und
zu Geschwulstbildungen (Deeiduome und Placentome) Veran-
lassung geben können. Es ist dies unzweifelhaft der Fall bei
-
Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 337
dem Placentarpapillom (vgl. Klebs, Allg. Pathologie II, S. 610),
während die von R. Maier vor längerer Zeit beschriebene, in
jüngster Zeit von V. Pfeiffer (Prager med. Wochenschr. 1890,
Nr. 26) als Deciduoma malignum bezeichnete Neubildung im
Uteruskörper vielleicht als eine dauernde Weiterentwickelung
mütterlicher Placentarbestandtheile aufgefasst werden kann.
Namentlich diese letzteren Befunde drängen den pathologi-
schen Anatomen dazu, sich in jeder möglichen Weise Aufschluss
zu verschaffen über die Histogenese der menschlichen Placenta
und insbesondere die genauere Bestimmung der verschiedenen
Gewebsbestandtheile zu ermitteln, welche dieselbe zusammen-
setzen und unter Umständen zu schweren pathologischen Stö-
rungen Veranlassung geben können. Indem die vergleichende
Anatomie eine so grosse Verschiedenheit in dem Bau der Pla-
centa erkennen lässt, war zu hoffen, dass sich unter den ver-
schiedenen Formen auch solche finden würden, welche die eine
oder die andere der hier in Betracht kommenden Fragen leichter
aufzuklären im Stande sein würden. Prineipiell dürfte ja wohl
anzunehmen sein, dass im Grunde in allen Formen der Placenta
derselbe Entwickelungsvorgang stattfindet; allein indem die
Durchwachsung mütterlicher und foetaler Theile sich gegen das
obere Ende der Reihe mehr und mehr steigert, wird die ur-
sprüngliche Anlage mehr und mehr verwischt und unkenntlich,
wie u. A. die Discussion über die Auskleidung der mütterlichen
Bluträume in der menschlichen Placenta erweist. Nachdem der
Satz von E. H. Weber von der intravaseulären Lagerung der
Chorionzotten durch die neueren Arbeiten, namentlich aus der
Schule von Langhans (Nitabuch, Rohr), sowie durch die
unter meiner Leitung von L. Bloch ausgeführte Arbeit durch
den genauen Nachweis der Einmündungen der Uterusgefässe in
die intervillösen Bluträume sicher erwiesen erscheint, und Wal-
deyer an der Affenplacenta sicherer als dies bei dem Menschen
möglich, die endotheliale Auskleidung dieser letzteren erwiesen
hatte, bleiben doch noch manche Fragen zu lösen übrig, unter
denen namentlich diejenige nach der Natur der grossen, von
Minot als Monstercells bezeichneten Deeiduazellen im Vorder-
grund steht. Indem dieser Forscher in auffallender Weise die-
selben erst etwas zurückhaltend (Uterus und Embryo, Boston
1889, S. 375) und hypothetisch als Abkömmlinge des mütter-
338 E. Klebs:
lichen Epithels bezeichnet, dann in einer späteren Arbeit (Biolo-
gisches Centralblatt Bd. 10, Nr. 4, S. 119, 1890) diese Deutung
mit grösserer Bestimmtheit aufrecht erhält, geräth er in auf-
fallenden Widerspruch zu allgemein angenommenen Anschauungen,
welche ihnen eine mesodermale Abkunft zuschreiben. Noch mehr
werden die neu gewonnenen Anschauungen Minot’s an der Ka-
ninchenplacenta in Frage gestellt werden müssen, indem derselbe
die zuerst als glandulöse Theile gedeuteten, in den oberen Schich-
ten der Placenta vorhandenen grobkörnigen, verzweigten und ana-
stomosirenden Züge (Uterus und Embryo S. 376) jetzt für inter-
villöse Scheidewände erklärt, ohne eine histogenetische Erklärung
zu geben (Biol. Centralbl. 1. e. S. 121).
Diese Zweifel, welche auch auf die Beurtheilung patholo-
gischer Vorgänge im Uterus zurückwirken müssen, veranlassen
mich, auf ein Object einzugehen, welches ich bereits seit längerer
Zeit kenne und das wohl geeignet erscheint, einzelne der un-
sicheren und schwieriger zu deutenden Verhältnisse bei Kanin-
chen- und Menschen-Placenten zu erklären. Es ist dies der gra-
vide Uterus der weissen Ratte, über welches Objeet sich Minot
(Uterus und Embryo S. 379) folgendermaassen äussert: Sections
of the rat’s placenta near full term show that the structure in
that species is strietly comparable to what exists in the rabbit.
The surface is covered by a thin epithelium overlaying a vascular
connective tissue layer; the vacuolated tubular glands, very much
degenerated, oceupy the greater part of the placenta, leaving
only a thin vascular zone from which the outer zone ist lost (?),
and which is therefore oceupied solely by the much altered
subglandular zone of multinucleated cells. There are many diffe-
rences in details of structure from the rabbit, but the funda-
mental likeness is self-evident.
Die beifolgenden Zeichnungen, welche nach Paraffinschnit-
ten von 10—12 Mikren Dieke angefertigt und in Delafield’s
Hämatoxylin gefärbt sind, mit Nachfärbung von Eosin oder, in
neuerer Zeit, mit Ponceau 4R und Orange 2L (von Meister-
Lucius), wurden theilweise zuerst photographisch aufgenommen
und stellt Fig. 1 eine genaue Copie eines solehen Photogramms
dar (Vergr. 27 lin... Nur einzelne Details wurden auf Grund
vergleichender Betrachtung vieler Objecte auch bei stärkeren
Vergrösserungen abgeändert. Allein die Schwierigkeit der Her-
Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 339
stellung eines guten photographischen Drucks hat mich genöthigt,
zur Zeiehnung zu greifen, welche ja immer noch Raum bietet
für willkürliche Darstellung. Kollege Waldeyer, welchem ich
die Photographie mittheilte und mit dem ich als einem der com-
petentesten Kenner der vergleichenden Anatomie der Placenta
über viele Punkte correspondirt habe, wird mir die Ueber-
einstimmung der Zeichnung mit dem Original bezeugen können.
Indem bei der weiteren Verfolgung der Schnittserie, die im All-
gemeinen senkrecht zur Achse des Uterus geführt war, sich ein-
zelne, zuerst zweifelhafte Punkte, namentlich die Unterscheidung
des mütterlicehen und foetalen Epıthels in unerwarteter Weise
aufklärten, war ich genöthigt, noch zwei weitere Zeichnungen
zu geben, welche die eentralen und seitlichen Parthien der Pla-
centa darstellen (Fig. 2, 3). Hier konnten auch einige De-
tails gegeben werden, welche in dem Uebersichtsbilde der ge-
ringen Vergrösserung wegen nicht so wiedergegeben werden
konnten, wie sie in der Photographie bei Anwendung von Loupen-
vergrösserung noch ganz deutlich wahrgenommen werden können.
Das Uebersichtsbild Fig. 1 zeigt bei 27facher Linear-Ver-
grösserung einen Querschnitt durch die das Ei enthaltende An-
schwellung. Der Ansatz des Mesenterium findet sich an der
unteren, placentaren Seite und sieht man hier die mit schwarzen
Massen, den gelb gefärbten rothen Blutkörperchen vollkommen
ausgefüllten Arterien (a); die oraıgegelbe Farbe ergab die tiefe
Schwärzung in der Photographie, welche auch in der Zeichnung
beibehalten wurde. Nach rechts und links von diesen Arterien
sieht man nur kleinere Gefässdurchschnitte, welche, nach ihrem
Blutgehalt zu urtheilen, gleichfalls arterielle Bahnen darstellen.
Central über den grösseren Arterien sieht man dieselben theils
im Querschnitt (2), theils ‘aber auch im Längsschnitt (3); die
grossen Venen dagegen finden sich weiterhin in den Seitentheilen
des Uterus (V) und erscheinen vorzugsweise im Längsschnitt.
Nach der Ausdrucksweise von Minot befinden sich demnach
die arteriellen Zuflüsse vorzugsweise in dem der Subplacenta an-
liegenden Uterusabschnitt, die Venen dagegen unter der Peri-
placenta. Es wird daher der Blutstrom in der Decidua vera
(D. v.) von der arteriellen Eintrittsstelle nach Art einer Fon-
taine gegen das Uteruscentrum gerichtet sein; indem er aber
hier zahlreichen Widerständen begegnet, welche durch das Ueber-
340 E. Klebs:
wiegen querverlaufender Bahnen, namentlich im den äusseren
Schichten der Deeidua gegeben sind, wird ein bedeutender Theil
des Stromes von vorne herein nach den Seiten der Placenta hin
abgelenkt. Indem ferner die einen capillaren Charakter besitzen-
den Gefässbahnen der Decidua vera sieh enorm erweitern gegen
die Innenfläche derselben, wird die Strömungsgeschwindigkeit
in hohem Maasse verringert werden, während der Seitendruck
vielleicht nur eine geringe Abschwächung erfährt. Es bleiben
also auch am Ende des Gefässsystems, in den Seitentheilen der
Placenta bedeutende Triebkräfte disponibel, durch welche die
relativ grosse Blutmasse in die Abflussvenen geschafft wird. Es
findet sich hier somit ein Zustand arteriell capillarer Stauung,
ähnlich wie-sie nach den Exstirpationen des Hals-Sympathieus
im Kaninchenohr auftritt, ein Zustand, der, wie neuerdings durch
Morpurgo (Arch. ital. d. Biologie XII, 2) gezeigt ist, beson-
ders günstig für die Vegetationsvorgänge sich darstellt. Nur
ist in dem vorliegenden Falle nicht die Erweiterung der Ar-
terien, sondern des Capillarraums die Ursaehe der höheren Druck-
übertragung. Ob eine Verlangsamung der Bluteireulation bei
der vasomotorischen Lähmung besteht, hängt natürlich von der
Weite des capillaren Blutraumes und den Abflussverhältnissen ab;
die unter allen Bedingungen angenommene Beschleunigung er-
scheint nicht genügend gesichert und kann schon die bei län-
gerem Bestande der vasomotorischen Lähmung eintretende mehr
venöse Färbung des Theils dagegen angeführt werden. Im Glei-
chen zeigt sich ja auch bei der venösen Stauung eine merkbare
Hypertrophie der Theile in Gestalt der braunen Induration. Die
Mehrleistung des höheren Kapillardruckes für die Ernährung des
Gewebes ist wichtiger, als der Sauerstoffreichthum des Blutes.
Diesem höheren Kapillardruck leistet nun in der Deeidua
vera ein Gewebe Widerstand, welches als zellreiches Granula-
tionsgewebe bezeiclınet werden kann. Dasselbe besteht in dem
mittleren Theil der Placenta, soweit dieselbe von weiten Gefäss-
bahnen durchzogen ist, aus einem feinen Grundnetz von Fäden,
die in Eosin und anderen hyalinfärbenden Anilinfarbstoffen, z. B.
Ponceau, eine intensivere Färbung annehmen, als dies bei der
gewöhnlichen Bindegewebsgrundsubstanz der Fall ist. Auch das
sonst ähnlich gebaute Gewebe der Periplacenta (P. pl.) erscheint
vie] liehter und setzt sich hierdurch in der Photographie sehr
ee 1:
Der
’ “
»
Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 341
deutlich von den gefässreichen Theilen der Placenta materna ab.
Ich möchte annehmen, dass wir es hier auch mit einem höheren
Gewebsdruck zu thun haben, wie sich Aehnliches auch bei der
braunen Induration zeigt.
In dieses Maschennetz sind nun sehr dicht grosskernige
Zellen mit mässig entwickeltem Protoplasmakörper eingelagert,
welehe entweder rund sind oder etwas länglich je nach der über-
wiegenden Richtung der sie umgebenden Fasermassen, welche
ihrerseits durch die Gefässanordnung bestimmt wird. In der
Kaninchenplacenta finden sich diese perivasculären Zellen, wie
Minot ganz richtig angiebt, nur in schmälerer Schicht; bei der
Ratte füllen sie den ganzen Raum zwischen den Gefässen aus.
Bemerkenswerth ist dann das Verhalten der Endothelien in
diesen Gefässen, welche ungewöhnlich gross, dicht gelagert sind
und stark vorspringende Kerne besitzen.
Wir müssen nunmehr die innere Oberfläche der deeidualen
Gefässschicht in's Auge fassen. In der Photographie sehen wir
dieselbe durch eine schmale dunkler gefärbte Schicht angedeutet
(M), welche von den zahlreichen und weiten Oeffnungen der
Blutgefässe durchbrochen wird. Die Untersuchung mit stärkeren
Vergrösserungen zeigt, wie auch mein Kollege Stöhr sofort be-
stätigte, dem ich das Präparat ohne Erläuterung vorlegte, dass
es sich hier kaum um etwas anderes, als glatte Muskelfasern
handeln kann. Es sind lang gestreckte, namentlich in Ponceau
sehr intensiv gefärbte Spindelzellen, die sämmtlich einen tief mit
Hämatoxylin gefärbten, länglichen schmalen, stäbchenförmigen
Kern enthalten. — Da die deciduale Wucherung, ‘wie bekannt,
sich nicht auf die Submukosa beschränkt, die im Uterus höch-
stens als eine sehr dünne Bindegewebsschicht nachgewiesen wer-
den kann, vielmehr die grossen Deeiduazellen, wie auch Minot
angiebt, vielfach zwischen glatten Muskelfaserschichten liegen,
nehmen auch die muskelhaltigen Theile der Uterinwand an der
Deecidualbildung Theil und wird die oberste Schicht der Muskel-
fasern durch die Zell- und Gefässwucherung weit von der nächst-
folgenden abgehoben und entfernt; diese letztere findet sich als
ein dunkel gefärbter Streifen an der äusseren Fläche der De-
eidua vera in der Subplacenta. Nur längs der grösseren Gefäss-
stämme greift das deciduale Granulationsgewebe durch diese
Schicht hindurch und dringt ein wenig in die tieferen Schichten
342 E. Klebe:
der Muskularis ein. Es erweist sich somit auch klar, wie bei
dem Kaninchen als eine echte perivasculäre Bildung!), fast
könnte man sagen als eine vasculäre selbst, indem es unzweifel-
haft die Gefässzellen sind, welche das Material liefern; damit
tritt diese Schicht in eine Reihe mit sarcomatösen Bildungen,
denen sie auch durch das starke Klaffen ihrer Gefässlumina
gleicht. Für beide Fälle dürfte die gleiche Ursache, ein in
höherem Maasse auf das: Grundgewebe übertragener Gefässdruck
in Anspruch zu nehmen sein, ein physikalisches Verhältniss, wel-
ches von nicht geringerer Bedeutung sein würde, wenn auch
noch andere Ursachen sich an der hyperplastischen Gewebsent-
wickelung betheiligen sollten.
Man sollte nun nach den früheren Darstellungen auch nach
Minot erwarten, an diesen weitesten Theilen des decidualen
Gefässbaumes die epithelialen mütterlichen und foetalen Bestand-
theile zu finden. Allein davon ist in dem seitlichen Placentar-
felde, das in Fig. 1 vorliegt, keine Spur vorhanden, sondern es
breitet sich über den Gefässöffnungen eine zusammenhängende
Schicht auffallend grosser, platter Zellen’ aus, welche selbst bei
der geringen Vergrösserung des Bildes Kerne von ca. 1—2 mm
Länge erkennen lassen, die in Wirklichkeit einen längeren Durch-
messer von 42 u und einen kürzeren von 33 « besitzen.
In der eigentlichen oder Gefäss-Placenta bildet diese Lage
eine aus etwa 6—7 übereinandergeschichteten Zellen bestehende
Lage, verdünnt sich beim Uebergange auf die Periplacenta zu
einer zwei- und einzelligen Lage und lässt sich an der Innen-
fläche der Ob-Placenta, der Deeidua reflexa, noch als eine nicht
mehr continuirliche einzellige Lage verfolgen. Die grössten dieser
Zellen liegen, wo sie in mehrfachen Lagen vorhanden sind, stets
zunächst der vasculären Placenta und erscheint hier auch der
Zusammenhang zwischen den einzelnen Zellen lockerer, als in den
oberflächlichen, dem Ei zugewendeten Lagen.
Die Zellen sind piatt und spindelförmig, die flachen Seiten
parallel der Ei- und Uterus-Oberfläche, der kürzere Durchmesser
befindet sich in der Längsrichtung des Uterus, der längere in
der Querrichtung; doch kommen manche Abweichungen nament-
lich an den mehr vereinzelten Zellen der Ob-Placenta vor. Auch
1) Vgl. hierüber Waldeyer, Arch. f. mikrosk. Anatomie 35. Bd.,
1890, S. 47 ff. .
pP
ö Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 343
an den dichtesten Lagen dieser Zellen bemerkt man, dass sie
nur mit ihren Ausläufern, deren oft eine grosse Anzahl an den
spitzen Enden vorhanden ist, zusammenhängen, so dass sie eine
Art Maschenwerk bilden, dessen Dichtigkeit von der Gefäss-
schicht der mütterlichen Placenta gegen die Eioberfläche zu-
nimmt.
Nun bleibt die innere und äussere Oberfläche dieser Monster-
zellenschicht zu betrachten, von denen die letztere an guten Prä-
paraten sofort sicheren Aufschluss über die Bedeutung derselben
ergiebt. Schon bei der Betrachtung des Uterus-Querschnittes in
Fig. 1 ergiebt sich, dass dieselben regelmässige Einsenkungen in
die weiten Gefässöffnungen der vasculären Schicht aussenden,
welche wie Zapfen in dieselben eintreten, ohne sie gänzlich aus-
zufüllen. An zahlreichen Stellen sieht man diese Zapfen an die
eine Wand des Gefässes sich anschliessen, während an anderen
sie scheinbar frei im Lumen liegen. Gerade in der Mitte der
Zeichnung, an der tiefsten Stelle der Aushöhlung der becher-
förmigen Placenta sieht man diese beiden verschiedenen Verhält-
nisse dicht neben einander in deutlichster Weise. Bei stärkerer
Vergrösserung erkennt man aber in den aufeinanderfolgenden
Schnitten den Uebergang eines jeden dieser Zapfen in das Ge-
fässendothel, dessen Zellen gegen die offene Mündung des Ge-
® fässes hin ziemlich plötzlich an Höhe und Breite zunehmen. Wäh-
rend jene stark vorspringende, aber blasse, nur wenig chroma-
tinreiche Kerne besitzen, erscheint bei diesen der Kern um das
10fache vergrössert und enthält ein sehr reiches Fadennetz, das
mit zahlreichen Chromatinkugeln besetzt ist und ausserdem ein
oder mehrere Nucleolen besitzt. Die letzteren färben sich na-
mentlich intensiv in Saffranin und erreichen mit 5 « Grössen,
welche derjenigen der ursprünglichen Kerne gleichkommen. Mi-
tosen habe ich auffälliger Weise in diesen Monsterzellen nicht
gesehen, obwohl sie sich in dem von der Oberfläche viel weiter
entfernten embryonalen Gewebe ausserordentlich häufig vorfinden.
Jene erscheinen daher mehr als eine stationäre Bildung, deren
Volum, durch gesteigerte Nahrungsaufnahme bewirkt, eine reine
Form der Hypertrophie darstellt. Es wird dadurch natürlich
nicht ausgeschlossen, dass in jüngeren Entwickelungsstadien, bei
der ersten Bildung dieser Zellen auch hier mitotische Processe
stattfinden.
344 E. Klebs:
Die innere Oberfläche dieser Zone von Monsterzellen ver-
hält sich verschieden in der eigentlichen, vasceulären Placenta
und in der gefässarmen Ob-Placenta. Dort tritt mütterliches und
foetales Epithel in nächste Beziehung zu demselben, indem sich
in den seitlichen Theilen der Placenta nur eine schmale und
auch nach den Seiten hin wenig ausgedehnte Auflagerung des
ersteren zeigt (Fig. 1), während dagegen in den Figuren 2 und 3
diese Lage immer mehr zunimmt in beiden Dimensionen (m. E.).
In den mittleren Zonen (Fig. 2) stellt dasselbe einen senkrechten,
parallel zur Achse geführten Kegelschnitt dar, während im Cen-
trum der Placenta sich die Spitze des Kegels vorfindet in Ge-
stalt einer drüsenartigen Bildung, deren Ende nach oben umge-
bogen ist (Fig. 3), so dass der ganze Durchschnitt der mütter-
lichen Epithelmasse die Form einer umgekehrten phrygischen
Mütze besitzt. Der tiefste Theil derselben trägt unverkennbar
den Charakter einer Drüse an sich, welche nur gegenüber den
sewöhnlichen Uterindrüsen enorm vergrössert ist; auch entspricht
dieser Theil nur einer einzigen Drüse. In dem ganzen übrigen
Umfang der durch die Eientwiekelung aufgetriebenen Uterus-
höhle. ist keine einzige Uterindrüse erhalten ausser dieser. Es
lässt sich also annehmen, dass die befruchtete Eizelle sich in
oder an einer einzigen Drüsenmündung implantirt hat und beide
mit einander dann zu der gegenwärtigen Grösse herangewachsen
sind. Der Deeidua-Sack aber, welcher das Ei umhüllt, ist aus
der nächsten Umgebung dieser Drüse hervorgegangen, die übrigen
Drüsen des durch den Eisack aufgetriebenen Uterinabschnitts
scheinen gänzlich verloren gegangen zu sein. Die ersten, etwas
atrophischen und verdrückten, der Oberfläche parallel gestellten
Uterindrüsen finden sich erst am unteren und oberen Ende der
Uterinauftreibung, wo dieselbe in engere Abschnitte des Uterus-
schlauches eindringt. Ich komme später auf die Verhältnisse
dieser Theile nochmals zurück.
Die die Grundlage der Eientwiekelung. und Placentarbil-
dung liefernde Uterindrüse besteht, wie Fig. 3 zeigt, aus einem
tieferen, horizontal oder parallel zur Uterusoberfläche gestellten
Fundustheil, der eine regelmässige Epithelauskleidung zeigt mit
cubischen oder etwas eylindrischen Zellen und ein freies Lumen,
in welchem sich stellenweise einige Leukocyten vorfinden, und
aus einem aufsteigenden, sich kegelförmig erweiternden Theil.
Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 345
Dieser letztere besitzt nur in dem unteren Abschnitt, bis etwa
zur Oberfläche der ursprünglichen Schleimhaut, ein Lumen, das
aber nach oben hin von immer dieker werdenden Lagen von
Epithelzellen ausgekleidet ist. Es endet dieses Lumen L genau
in der Höhe der Monsterzellenschicht. Der oberste Theil der
mütterlichen Epithelschieht bildet eime solide Ausfüllungsmasse
der triehterförmigen Einsenkung der Monsterzellen-Schicht und
verbreitet sich nur in der Mitte noch ein wenig als mehrfache
Zelllage über die innere Oberfläche der letzteren (Fig. 3 rechts).
An dem vorderen Ende, gegen den Uterus hin hört diese Schicht
viel früher auf, indem sie sich hier bald zu einer dünnen, ober-
flächlich gelegenen Zunge verschmälert, deren Querschnitt in
Fig. 1 zu sehen ist; dieselbe ist auch hier der Monsterzellen-
schicht aufgelagert.
Dieser obere, eines Drüsenlumens entbehrende Theil der
mütterliehen Epithelschicht erscheint nun von zahlreichen, bald
rundlich-eckigen, bald länglichen Lücken durchzogen, welche in
querer oder schräger Richtung zur Längsachse des Drüsentheils
verlaufen und sich vielfach an der äusseren Oberfläche des Epi-
thelzapfens eröffnen (Fig. 3); hier lagert sich das Monsterzellen-
gewebe ihnen unmittelbar an und sendet Fortsätze in diese
Epithelspalten hinein, wie namentlich in Fig. 2 zu sehen ist. Ob
der in dieser Figur abgebildete grössere Hohlraum in der Mitte
noch ein Theil des Drüsenlumens sei, konnte ich nicht sicher
ermitteln, doch entbehrte derselbe der Monsterzellen. Zahlreiche
dieser Kanäle münden auch an der inneren Oberfläche der
Epithelschieht aus und zwar in einen breiten Spalt (Sp.), der die
Oberfläche des mütterlichen von dem foetalen Epithel scheidet;
nur an relativ weit entfernten Stellen wird derselbe von Epithel-
balken durchzogen, welche die beiden Epithellager mit ein-
ander verbinden.
Das foetale Epithellager (Foet. Ep.) ist überall von ziem-
lich gleicher Breite, welche nur in der Mitte derjenigen der
mütterlichen Epithellage (m. Ep.) gleichkommt, so dass hier die
Enden beider in gleicher Höhe sich finden (Fig. 3, namentlich
rechts). Weiter gegen das obere und untere Ende der Placenta
behält die foetale Epithellage ihre Breite bei, während das
mütterliche Epithel sich, wie schon bemerkt, mehr und mehr
verschmälert. Hier sind nur noch einzelne Epithelbalken vor-
346 E. Klebs:
handen, welche den Spalt überbrücken und sich unmittelbar der
Monsterzellenschicht anlegen, wie dies hier auch der Fall ist mit
den äusseren Enden dieser Schicht (bei Fig. 1B).
Betrachten wir nun die foetale Epithelschicht, so begegnen
wir bekannten Gebilden und Anordnungen. Dieselbe ist viel-
fach gefältelt und dringen in die der Eihöhle zugekehrten Hohl-
räume dieser Falten die foetalen Blutgefässe der Chorionzotten
ein, namentlich in Fig. 3 bei v. F. S. (vasculäre Foetalschicht)
gut zu sehen.
Die Chorionzotten sind also hier nur von foetalem Epithel
überzogen, dem sich vielleicht stellenweise endotheliale Elemente
(in den Zeichnungen nicht abgebildet) in. geringer Menge bei-
mischen. Die Epithelbalken, welche den interepithelialen Spalt
durchsetzen, scheinen theils dem mütterlichen, theils dem foetalen
Epithel anzugehören; es ist dies schwierig zu unterscheiden, da
beide Elemente nahezu die gleiche Grösse besitzen. Im Allge-
meinen mögen allerdings die foetalen Elemente etwas kleiner
sein, als die mütterlichen, aber indem manche der ersteren an
Grösse zunehmen und manche der letzteren auffällig klein sind,
wird eine scharfe Grenzbestimmung zwischen diesen beiden Ele-
menten ganz unmöglich. Es liegt natürlich auch die Möglich-
keit einer Vermischung derselben vor, so dass mütterliche Zellen,
indem sie balkenförmig auswachsen, in die eigentliche foetale
Epithelschicht hineingelangen, wie dieses an solchen Stellen wahr-
scheinlich, an denen die Balken mit breiter Basis von der zu-
sammenhängenden mütterlicehen Epithelschicht entspringen, wie
dies auf der rechten Seite der Fig.3 und in der Mitte von Fig. 1
dargestellt ist. Für diejenigen Epithelbalken, welche seitlich
von der mütterlichen Epithelschicht von dem zusammenhängen-
den Lager des foetalen Epithels mit breiterer Basis entspringen
(Fig. 1 links), erscheint eine foetale Abstammung derselben wahr-
scheinlich. Ich gebe zu, dass zur sicheren Entscheidung der
hier von mir vertretenen Anschauung über die Bedeutung des in
Rede stehenden Zellenlagers noch weitere Untersuchungen, na-
mentlich jüngerer Entwiekelungsstadien, erforderlich sind.
Zur Erläuterung des Ursprungs des Epithelüberzugs der
Chorionzotten sei hier nur einiges über den Bau der Eihäute hin-
zugefügt, wie er sich in dem vorliegenden Objecte darstellt.
Vielleicht komme ich bei einer anderen Gelegenheit darauf zurück
Zur vergleichenden Anatomie der Placentä. 347
und behalte mir vor, dann eingehender diese Fragen zu behan-
deln. Die Eihäute bestehen in der ganzen Ausdehnung des Ei-
sacks der Ratte aus 3 Lamellen, die sich leicht von einander
trennen. Zu innerst befindet sich, theilweise noch dem Foetus-
körper dieht angelagert, das Amnios, hier eine einfache Schicht
platter spindelförmiger Zellen. Dann folgt nach aussen eine
breite, dunkler gefärbte Schicht, welche Blutgefässe enthält, die
nach innen zu stark vorspringen und mit kermhaltigen foetalen
Blutkörperchen gefüllt sind, so in Fig. 1 bei All. Es ist dies
die allantoide Schicht, welche aber nicht bloss mesodermale Ele-
mente und Blutgefässe enthält, sondern noch eine continuirliche
Lage Allantois-Epithel besitzt. An anderen Schnittserien habe
ich den Uebergang der Epithelauskleidung des Allantoisganges
in diese Epithelschicht nachweisen können.
Eine besondere Beachtung verdient nun die dritte, am wei-
testen nach aussen gelegene Schicht der Eihäute, welche aus
einer feinen doppelteontourirten Membran besteht, die an ihrer
inneren Oberfläche damit fest verbundene Zellen trägt. Die
Kerne derselben sind kugelig und springen stark hervor, wäh-
rend der Zellkörper nur sehr schwach entwickelt ist. Die Mem-
bran erscheint daher auf dem Querschnitt wie eine Perlschnur
(S. M. Figur 1), deren Perlen aber einseitig aufgereiht sind.
Von der Fläche gesehen, stellen sie polygonale Elemente dar,
deren Ränder vielfach in feine Fäden übergehen, die Lücken
zwischen sich lassen. Sie erinnern am meisten an die bekannt-
lich eontractilen Endothelzellen der inneren Fläche der desceme-
tischen Membran. Ich wäre geneigt, sie für den ursprünglichen
inneren Zellüberzug der Zona pellueida zu halten, eine Bildung,
die aus eingewanderten Elementen hervorgeht. Ob sie mit Minot
als Eetoderm bezeichnet werden dürfen, ist mir zweifelhaft;
besser ist die in der Zeichnung gewählte Bezeichnung „seröse
Membran“ (S.M.). Jedenfalls stehen die Zellen dieser Schicht in
keiner Verbindung mit den epithelialen Elementen, welche von
Seiten der Allantois den Eihäuten zugeführt werden. Von den
letzteren unterscheiden sie sich in ihrer Gestalt sehr wesentlich.
Sicherer zu deuten ist die zweite Schicht, die ich als allan-
toide Lage der Eihäute bezeichnen kann. Dieselbe enthält die
beiden Elemente, aus denen sich die Allantois zusammensetzt,
eine nach innen gelegene Gefässmembran, deren grosse Gefäss-
348 E. Klebs:
querschnitte stark über die Innenfläche hervorragen und in den
Präparaten mit kernhaltigen rothen Blutkörperchen gefüllt sind
(z. B. bei All. in Fig. 1). Die foetalen rothen Blutkörperchen haben
in diesem Fall, indem noch nicht die völlige Schliessung der Bauch-
wand stattgefunden hat, noch keine. rothe Substanz entwickelt,
welehe bei der angewendeten Färbung eine intensive Orange-
färbung annimmt. Die äussere Lage der Allantoisschieht bilden
dagegen protoplasmareiche Epithelzellen, die m ein-, auch zwei-
facher Schicht angeordnet sind und, wie an Durchschnitten des
Nabelstrangs gezeigt werden kann, in direetem Zusammenhang
mit den Epithelien des Allantoiskanals stehen. Derselbe öffnet
sich im dieser Lage. Selbstverständlich werden die beiden
Schiehten der Allantoisepithelien, die innerhalb der Eihautaus-
breitung verschmolzen sind, durch diese Schicht repräsentirt;
andererseits hat sich das als geschlossene Blase hervorwuchernde
Allantoisepithel in der Rückengegend des Foetus durch Ver-
wachsung zu einer den Foetuskörper umhüllenden Schicht um-
gestaltet.
Die innerste Lage der Eihäute bildet das Amnios, welches
theilweise noch der Oberfläche des Foetuskörpers anliegt. In
Fig. 1 ist an dem kleineren Foetaldurchschnitt, der einem Theile
der Bauchhöhle entspricht, der Ursprung des Amnios aus der
seitlichen Leibeswand gut zu erkennen. Es besteht dasselbe hier
aus einer einfachen Zellmembran, deren platte, spindelförmige
Elemente dicht aneinander gelagert sind. Die Kerne sind schmal,
länglich, stäbehenförmig, intensiv vom Hämatoxylin gefärbt; über
die Deutung dieser Zellen vermag ich nichts Bestimmtes zu
äussern, ausser dass sie mesodermalen Ursprungs sind; vielleicht
lässt sich eine Beziehung zu glatten Muskelfasern annehmen, für
welche Deutung auch ihre Contractilität sprechen würde. Manche
andere Beziehungen des Amnios, namentlich seine Verhältnisse
am Nabelstrang und seine Insertion an das Herz und die grossen
Gefässstämme gedenke ich später zu berühren.
Es bleibt nun der Antheil zu erörtern, welchen diese Eihaut-
schichten an der Bildung der Placenta foetalis nehmen. Zunächst ist
unzweifelhaft, dass die allantoide Gefässschicht der ersteren in die
Gefässschicht der letzteren unmittelbar übergeht: sie wandelt sich
durch reichere Gefässentwickelung und durch die Bildung eines
myxomatösen Grundgewebes in die placentare Gefässschicht um (v.
Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 349
F. S.!) Fig. 2 u. 3). An ihrer äusseren Fläche hervorspriessende,
nahezu nackte Gefässe dringen in die foetale Epithelschicht (Foet.
Ep.)und bilden, indem sie dieselbe einstülpen, mit ihr die Chorion-
zotten. — Die Epithelschieht der Chorionzotten, welche in die-
sem Entwickelungsstadium noch eine bedeutende Breite besitzt,
kann wohl nur von der allantoiden Epithelschicht abgeleitet
werden, mit deren Zellen sie die grösste Uebereimstimmung dar-
bietet; doch ist ein unmittelbarer Uebergang der einen in die
andere nicht sicher festzustellen, da sich die Allantoisschicht
bei ihrem Uebergang in die Placenta sehr bedeutend verdünnt
und hier in meinen Präparaten kein unmittelbarer Uebergang
stattfindet. Auch der weitere Verbleib der Zellschicht der
serösen Membran, wie der letzteren selbst innerhalb des placen-
taren Gebiets ist nicht aus den Objeeten zu ersehen und müssen
hier weitere Zwischenstadien zur Entscheidung herangezogen
werden, ob wirklich ein Verschwinden derselben stattfindet oder
ob sie sich am Aufbau der Placenta betheiligen.
Der leicht übersichtliche Autbau der Rattenplacenta ge-
stattet, in diesem Falle die Ernährungsverhältnisse des Foetus,
welche durch dieses Organ vermittelt werden, genauer festzu-
stellen und zu übersehen, als dies bei complieirteren Placentar-
formen möglich ist. Andererseits aber wird angenommen wer-
den können, dass auch bei den letzteren, namentlich bei der
menschlichen Placenta, die gleichen Einrichtungen, wenn auch
in modifieirter Form, vorhanden sein werden.
Wie schon hervorgehoben bei der Erläuterung der Cireu-
lation in der vasculären Schicht der mütterlichen Placenta, wird
durch die weiten Bluträume derselben ein stark verlangsamter,
aber unter relativ hohem Druck stehender Blutstrom eireuliren,
welcher, am Mesenterialansatz beginnend, in den Seitentheilen,
der sog. Peri-Placenta, seine Hauptabflüsse findet. Unter dem
Einfluss der von diesem Strome in reichlicher Menge dem um-
gebenden Gewebe gelieferten Ernährungsmaterialien wird dieses
in allen seinen Theilen eine mächtige hypertrophische Entwicke-
lung erlangen. Dieselbe betrifft sowohl die mütterlichen Epithelien,
hier repräsentirt durch eine einzige Uterindrüse, die bindegewe-
bige Grundsubstanz, wie in erster Linie die Endothelien der sich
1) In den Zeichnungen 2 und 3 ist irrthümlich v. F.r. geschrieben.
350 E. Klebs:
erweiternden Gefässe selbst. Diese endotheliale Wucherung bildet
in der Schiehte der Monsterzellen den Abschluss der offenen Ge-
fässmündungen; aber diese Schlussmembran ist keine undurch-
dringliche, sie lässt vielmehr in den zahlreichen Spalten, welche
zwischen den Monsterzellen übrig bleiben, rothe Blutkörperchen
hindurchtreten und findet man die letzteren sowohl in dem breiten
Spalte zwischen mütterlichem und foetalem Epithel (Sp.), wie
auch zwischen der dünner werdenden Ausbreitung der Monster-
zellen in den Seitentheilen der Placenta und der serösen Mem-
bran des Eisackes. Freilich sind in meinen Präparaten nicht
alle diese Hohlräume prall mit Blutmassen gefüllt, sondern bilden
dieselben nur schmale streifige Einlagerungen zwischen den Mon-
sterzellschichten und ebenso zwischen diesen und der serösen
Membran, an letzterem Orte namentlich regelmässig in der am
Querschnitt des Eies als spitzer Winkel sich darstellenden Ein-
senkung zwischen der Eihaut und dem stark vorwuchernden
foetalen Epithel, an der mit einem X bezeichneten Stelle der
Fig. 1. Gerade diese Art der Vertheilung widerlegt aber die
Annahme einer traumatischen Verbreitung, auch abgesehen da-
von, dass die Thiere durch Entbluten mittelst Abtrennung des
Kopfes getödtet wurden. Handelte es sich um Blutextravasate,
vielleicht durch Quetschungen herbeigeführt, so müsste das in
diese Räume ergossene Blut in grossen zusammenhängenden
Massen sich daselbst vorfinden, da auch postmortale Contrac-
tionen des Uterus wohl kaum eine so vollständige Entleerung be-
wirkt haben würden, wenn nicht besondere Einrichtungen, prä-
formirte Bildungen, die leichte Entleerung dieser Bluträume unter-
stützt hätten. Wir müssen daraus schliessen, dass auch während
des Lebens das hier eindringende Blut einen leichten und ge-
nügenden Abfluss findet.
Indessen eben so sicher erscheint es, dass dieser Abfluss
nicht mehr auf die Triebkraft des Blutstroms zurückgeführt wer-
den kann, indem Zufluss- und Abflusswege auf der gleichen Seite
liegen und die durch das Sieb der Monsterzellen gepresste Blut-
masse der unübersteiglichen Schranke der Chorionzotten und der
serösen Eihaut begegnet. So würde in dem für die Ernährung
des Foetus wichtigsten Theil der placentaren Bluträume, dem
interepithelialen Spalt (Sp.) eine ruhende Blutmasse ent-
stehen, welche nicht auf die Dauer die Ernährung und den Gas-
Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 4 851
austausch des Foetus vermitteln könnte, zumal sie auch die,
allerdings vielleicht nicht bedeutenden Secrete des Foetus in sich
aufnehmen müsste. .
Es macht diese Anordnung die Annahme von Triebkräften
zur Entleerung der interepithelialen (und intervillösen) Bluträume
zu einer physiologischen Nothwendigkeit. In dem vorliegenden
Falle werden dieselben von der glatten Muskelfaserschicht ge-
liefert, welche die Innenfläche der vasculären Schicht der mütter-
lichen Placenta überzieht. Durch ihre Contraction wird der
durch die Punkte ABO bezeichnete biconcave Raum verengert,
indem die äussere, von einem kleineren Radius gebildete Kugel-
fläche sich der inneren mit grösserem Radius mehr und mehr
nähert; dabei verhindert die durchaus tangentiale Richtung der
Fasern eine Verengerung der offenen Gefässmündungen der
mütterlichen Gefässschicht und erleichtert hierdurch das Zurück-
treten des in den Spalträumen der Monsterzell- und Epithel-
schichten vorhandenen Blutes. Es lässt sich wohl annehmen,
dass diese Auspressung in regelmässigen Zeiträumen sich wieder-
holt, deren Rhythmus von der Absorption des Sauerstoffs Seitens
des Foetus und dem zunehmenden Kohlensäurereichthum des
intervillösen Blutes abhängt. Zweifelhaft mag es gelassen wer-
den, ob dieser Rhythmus von Einrichtungen unterstützt wird, die
innerhalb der rhythmisch wirkenden Musculatur sich befinden,
oder ob er nur vom wechselnden Reiz abhängt, der durch die
Blutveränderung ausgelöst wird. Immerhin aber erscheint es
nicht ganz unzulässig, auch hier an Einrichtungen zu denken,
welche eine gewisse Aehnlichkeit mit den rhythmisch wirkenden
Theilen vieler Abschnitte des Gefässsystems niederer Thiere oder
wenigstens mit den von dem Secretstrom ausgelösten rhythmi-
schen Contractionen der Ureteren (Engelmann) verglichen wer-
den können. Mit einer allerdings etwas kühnen Metapher
könnte somit von einem Placentar-Herzen gesprochen werden.
Leider werden wir der experimentellen Lösung dieses
Problems, das durch die anatomischen Verhältnisse gegeben ist,
kaum irgendwie näher treten können, es sei denn, dass ähn-
liche Einrichtungen auch bei grösseren Thieren nachgewiesen
werden. Für den Menschen und das Kaninchen können sie
nicht in Betracht kommen, da deren Placenten nach einem gänz-
lich abweichenden Typus gebaut sind. Während die Ratten-
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 37 93
BD * E. Klebs:
placenta einem Typus entspricht, welcher als Aneinander-Lage-
rung der foetalen und mütterlichen »Bestandtheile bezeichnet
werden kann,'sind die beiden letzteren Formen gebildet durch
ein Hineinwachsen der foetalen Elemente in die mütterlichen Ge-
webe. Bei dem Menschen geht dieses Hineinwachsen der Cho-
rionzotten in die mütterlichen Blutgefässe so weit, dass die
Wandelemente der letzteren nur in sehr spärlicher Menge in
Jüngeren Stadien nachzuweisen sind; leichter scheint dies nach
Waldeyer in der Affenplacenta nachweisbar. In der Placenia
des Kaninchens findet dagegen ein einfaches Durchwachsen der
mütterlichen und foetalen Blutbahnen statt, ohne dass es zu
einem Eindringen dieser in jene kommt. In Bezug auf die letz-
tere kann ich nach den mir vorliegenden Präparaten bestimm-
tere Angaben über die Zusammensetzung der oberflächlichen
Schicht der Placenta machen, welche Minot zuerst als glandu-
läre Zone bezeichnete, während er in der zweiten oben eitirten
Arbeit mittheilt, dass er nunmehr die von ihm als Uterindrüsen
bezeichneten Gebilde als „intervillöse Scheidewände“ auffasst.
Bis zu einem gewissen Grade ist diese zweite Auffassung rich-
tiger, als die erste, doch erläutert sie nicht vollständig die Ver-
hältnisse des Theils. Einige Andeutungen werden genügen, um
auch ohne Abbildungen die Sachlage an dem so viel besprochenen
Objecte klarzulegen.
Der mittlere Theil einer älteren Kaninchenplacenta ragt
pilzförmig in das nahezu kreisförmige Lumen des Uterus und des
Eisacks hinein, so dass nur der oberste Theil der Eihöhle für
den Embryo vorbehalten bleibt. Ueber demselben ist die Uterus-
wand auf das Aeusserste verdünnt, so dass hier eine Ruptur der-
selben, wie sie zum Austreten der ganzen Eisäcke in die Bauch-
höhle angenommen werden muss, sehr leicht verständlich wird.
Der pilzförmige Körper der Placenta kann, wie auch Minot
angiebt, als aus drei Schichten zusammengesetzt betrachtet wer-
den. Die unterste besteht aus dem stark wuchernden Schleim-
hautgewebe, dessen Zusammensetzung Minot ganz riehtig schil-
dert. Die grossen Deeiduazellen, welche hier aus den Binde-
gewebselementen hervorgehen, umlagern in breiter Schicht die
weiten Blutgefässe, deren Endothelien sich enorm vergrössern,
ganz ähnlich wie in der Rattenplacenta. Diese als Subplacenta
bezeichnete Schicht erstreckt sich weit über die Area placentalis
Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 353
hinaus und wird wahrscheinlich nicht abgestossen. In ihrem
grössten Theil ist sie von den von Minot sehr treffend beschrie-
benen wuchernden Epithelmassen überzogen. Dieselben bilden
hier zusammengeflossene protoplasmatische Massen, in deren
innerer Lage die enorm vermehrten Kerne in grossen Haufen
liegen. Das Protoplasma ist hyalin, lässt keine Zellgrenzen mehr
erkennen und färbt sich intensiv mit Ponceau, während die Kerne
ehromatinreich sind und Hämatoxylin in reichlicher Masse an-
nehmen. Der Zustand dieser Zellen hat somit eine grosse Aehn-
lichkeit mit demjenigen der pathologischen Riesenzellen, wie sie
im Tuberkel und den leprösen Neubildungen vorkommen. Die
Kerne wuchern, während das Protoplasma hyalin degenerirt,
man kann hier in der That von Nekrose mit Kernwucherung
sprechen, bei der aber die hyaline Infiltration als das primäre
zu deuten ist. Da die tieferen Zellen namentlich in den Drüsen
von dieser Veränderung freibleiben, so wird dieselbe wohl als
eine unter dem Einfluss reichlicher hyaliner Transsudation auf-
tretende Alters-Nekrose aufzufassen sein.
Die zweite Schicht, von Minot als subglanduläre Zone be-
zeichnet, bildet sich, indem an einer ziemlich beschränkten Stelle
das Grundgewebe mit seinen hier besonders gewaltig entwickelten
Blutgefässen noch stärker hervortritt und sich pilzartig an der
Oberfläche der ersten Schicht ausbreitet. In der Mitte dieser
Schieht, wo Minot eine spaltförmige Einsenkung abbildet, sehe
ich in meinen Präparaten die mächtigsten Blutgefässe aufsteigen.
Wahrscheinlich beziehen sich seine Angaben auf ein früheres
Entwickelungsstadium. Zwischen den enorm weiten, aber im
Ganzen gestreckt verlaufenden Gefässen der zweiten Schicht
finden sich die von Minot beschriebenen vielkernigen Riesen-
zellen mit netzartig entartetem Protoplasma, vielleicht glykogen-
haltige Elemente; in den Seitentheilen dagegen finden sich aus-
gebreitete Zellnekrosen in Form von Kernschwund und möchte
ich die vorhandenen Bildungen mit den Bildern identifieiren,
welehe Minot in Fig. 12 abbildet und als degenerirte Drüsen
bezeichnet. Die Deutung ist schwierig, weil hier an Stelle der
Zellen überall, oft in langen verzweigten Zügen, sich grosse
Massen von Tropfen vorfinden, die in Orange stark gefärbt
werden und somit eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Globulin
der rothen Blutkörperchen besitzen. Auch Pigmentmassen finden
354 E. Klebs:
sich hier vor, so dass ein reichlicher Austritt rother Blutkörper-
chen wohl anzunehmen ist. Ob hier Nahrungssubstanzen für den
Foetus aus einem theilweisen Zerfall des mütterlichen Gewebes
hervorgehen, kann zur Zeit nur vermuthet werden. Die das
Centrum dieser Schicht durchsetzenden ausserordentlich weiten
Blutgefässe breiten sich an ihrer Oberfläche zu der dritten Schicht
aus, die wegen ihres ungeheuren Gefässgehalts am besten als
vasculäre Schicht bezeichnet werden kann, entsprechend der
glandulären Minot's. Drüsen habe ich in dieser Schicht nicht
wahrnehmen können, vielmehr besteht dieselbe durchweg aus
netzartig verzweigten Blutgefässen, welche einen gewundenen Ver-
lauf darbieten und sich vielfach durchflechten. Die Gefässe
tragen alle einen capillaren Character an sich und fliessen nir-
gend zu cavernösen Räumen zusammen. Ihre Wandungen sind
äusserst zart und mit ‚regelmässigen Ausbuchtungen versehen.
Die regelmässig, etwa in der Breite des betr. Gefässlumens auf-
einander folgenden Einschnürungen werden gebildet von feinen
Fäden, welche sich über das prall gefüllte Gefäss in der Quer-
richtung himüberspannen. Im leeren Zustande wird diese bei
höchster Blutfüllung so auffallende Erscheinung wahrscheinlich
fehlen und wird es dann schwerer sein, die Natur dieser Stränge
zu erkennen. Darauf beruht wahrscheinlich der Zweifel Minot’s.
Von foetalen Zotten erkennt man in dieser Schicht, wenn
man an die von der menschlichen Placenta bekannten Bildungen
denkt, keine Spur. Zunächst ist überhaupt in den schmalen
Zwischenräumen zwischen den mit mütterlichem Blut gefüllten
Gefässen nichts zu erkennen, was als foetales Gewebe gedeutet
werden könnte. Es scheint sich hier um geringe Mengen eines
lockeren Bindegewebes zu handeln, in denen man nur hier und
da schmale Gefässbahnen erkennt. Die meisten derselben sind
leer, unterscheiden sich indess von den weiten mütterlichen Ge-
fässen durch ihren Kernreichthum und einen mehr gestreckten
Verlauf; wahrscheinlich gehören hierher die von Minot in seiner
Figur unter v abgebildeten verzweigten Gefässbahnen. An
meinen, mit Ponceau und Orange nachgefärbten Präparaten er-
kennt man indessen mit Leichtigkeit in zahlreichen dieser Blut-
gefässe runde kernhaltige Elemente, deren helles Protoplasma
eine intensive Orangefärbung angenommen hat; es sind dies
foetale rothe Blutkörperchen, welche vollkommen mit denjenigen
od
Zur vergleichenden Anatomie der Placenta. 355
übereinstimmen, welche die in den gleichen Schnitten vorhan-
denen Blutgetässe und das Herz des Foetus erfüllen. Es sind
demnach foetale Gefässbahnen, welche das materne Blutgefäss-
netz ihrerseits netzartig durchflechten und so den intimsten Aus-
tausch der in den beiden Blutarten vorhandenen Substanzen ver-
mitteln. Mit Bezug auf die Blutgefässe ist daher die Anordnung
der vasculären Schicht der Kaninchenplacenta als eine geflecht-
artige zu bezeichnen, und kann man die letztere als eine plexi-
forme Placenta bezeichnen, während die menschliche Placenta
die Bezeichnung einer Pl. cavernosa, die Rattenplacenta die-
jenige einer appositionellen, eimer Pl. per appositionem
verdienen würde. Alle drei Formen könnten aber auf den Cha-
racter einer vasculären Placenta Anspruch erheben, indem es.
Bestandtheile des Blutgefässsystems sind, an welche sich die
Chorionzotten anlagern. Somit dürften die Weiterentwickelungen
des Organs in der Thierreihe wohl auf einer mit der fortschrei-
tenden phylogenetischen Entwickelung zunehmenden Betheiligung
des mütterlichen Gefässsystems beruhen. Die Ratte würde in
dieser Beziehung die. niedrigste Stufe einnehmen, das Kaninchen
die stärkste Fixation der Foetuslage darbieten, während bei dem
Menschen die günstigsten Ernährungsbedingungen für den Foetus
gewonnen sind. Die sich träge hewegende, meist in engen
Räumen lebende Ratte und das heftige Sprungbewegungen aus-
führende Kaninchen scheinen demnach auf dem Wege der An-
passung ihren Lebensverhältnissen entsprechende Eimrichtungen
der Foetalanheftung gewonnen zu haben. Die grossen Verschie-
denheiten der letzteren werden hierdurch eimigermaassen ver-
ständlich,
356 E. Klebs: Zur vergleichenden Anatomie der Placenia.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVII.
Fig. 1. Querschnitt durch den trächtigen Uterus einer weissen Ratte.
27fache Vergr., nach einer Photographie gezeichnet. M. U.
Uteruswandung, ar. arterielle, v. venöse Gefässe, S. pl. Sub-
placenta, P. pl. Paraplacenta, O. pl. Obplacenta, D. v. Deeidua
vera, M. glatte Muskelschicht an ihrer inneren Fläche, M. z.
Monsterzellschicht (Gefässendothelien), A.B.C. der Wirkung
der glatten Muskelschicht M. z. ausgesetzte Räume, S.M. se-
röse Membran, All. Allantoisschicht der Eihäute, Am. Amnios.
I
Fig. 2, Theil eines Querschnittes ungefähr in der Mitte zwischen Cen-
trum und Rand der Placenta. Föt. Ep. Foetales Epithel,
m. Ep. mütterliches Epithel, Sp. Spalt zwischen beiden, v. F.S.
vasculäre Foetalschicht, M. Monsterzellen, gl. M.f. glatte Muskel-
faserschicht der Decidua v., D. v. Decidua vera.
Fig. 3. Centraler Querschnitt. D. Fundus der Uterindrüse, L. Lumen
derselben, sonst wie in Fig. 2.
Zürich, 13. August 1890.
LIBRARY
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UNIVERSITY OF ILLINOIS
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357
Ueber die Entwickelung und Structur der
Placenta bei der Katze.
Von
Prof. &. Heinrieius in Helsingfors:
Hierzu Tafel XVIII und XIX.
In diesem Archiv, Bd. 33, S. 419, habe ich meine Unter-
suchungen über die Entwickelung und Structur der Placenta beim
Hunde veröffentlicht. Seitdem habe ich mich mit Untersuchungen
über die Katzenplacenta beschäftigt, deren Ergebnisse ich nach-
stehend zu schildern gedenke.
Die Methode blieb dieselbe, wie ich sie in meinen Unter-
suchungen über die Hundeplacenta befolgt und beschrieben habe.
Ich werde hier keine historische Uebersicht über die ein-
schlägigen Arbeiten geben, sondern nur die Resultate meiner eige-
nen Untersuchungen mittheilen und durch eine grössere Anzahl
Abbildungen erläutern.
Betrachten wir den Querschnitt des normalen, nicht schwag-
geren Uterus der Katze, so finden wir die Uteruswand aus drei
Häuten, einer Serosa, Muscularis und Mucosa bestehend. Die
Schleimhaut ist ohne eine Zwischenlage direct und fest an die unter-
liegende Ring-Muskellage angeheftet; eine Submucosa fehlt also.
Die normale Schleimhaut besteht aus Drüsen, Bindegewebe
und Epithel. Die Drüsen sind zweierlei Art, theils lange, welche
durch die ganze Dieke der Mucosa bis zu der Muscularis hinab-
reichen, theils kurze, sogen. „Krypten“. Die langen Drüsen ha-
ben im allgemeinen einen geraden, gestreckten Verlauf, einige
besitzen jedoch am Ende eine etwas geschlängelte Form. Das
Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37. 24
358 G. Heinricius:
Epithel der Drüsen ist ein niedriges Cylinderepithel; von der-
selben Beschaffenheit ist auch das Epithel der Uterusinnenfläche
und das der Kıypten. Die Zellen des Uterus-Epithels sind et-
was niedriger, als die der Drüsen, die Kerne sind queroval.
Zwischen den einzelnen Drüsen und Krypten findet sich Binde-
gewebe aus spindelförmigen Zellen mit ovalen und runden Ker-
nen bestehend; -gegen die Muscularis ist das Bindegewebe der
Schleimhaut reichlicher vorhanden.
Mit dem Eintritt der Gravidität treten bedeutende Verän-
derungen der Uteruswand, besonders der Schleimhaut auf, welche
bald zu einer vollkommenen Zerstörung des Baues der normalen
Mucosa führen.
Meine frühesten Präparate stammen von einer Katze, bei
welcher der Uterus an mehreren Stellen erweitert sich zeigte,
wo die Fruchtsäcke deutlich als runde Anschwellungen des Ge-
bärmutterhorns vorhanden waren. Der Entwickelungsgrad des
Embryo ist aus. Fig. le ersichtlich. Die Chorionzotten fangen
an in die Schleimhaut hineinzudringen.
Die Uterinschleimhaut ist bereits wesentlich a Die
Drüsen sind im sehr lebhafter Hyperplasie begriffen; mit Aus-
nahme einiger Drüsenabschnitte dicht auf der Museularis, sind
die übrigen ziemlich stark erweitert, sie‘ haben ihre langge-
streckte Form im allgemeinen beibehalten, obgleich sie seitliche
Sprossen und Aussackungen treiben. Das zwischenliegende Binde-
gewebe wird durch die Ausdehnung der Drüsenschläuche stark
zusammengepresst, und man sieht jetzt statt der früheren ver-
hältnissmässig stärkeren Balken nur noch dünne bindegewebige
Septen; in diesen verlaufen die mütterlichen Capillaren. Unmit-
telbar über der Museularis befindet sich eine etwas stärkere, aus
spindelförmigen anastomosirenden Zellen bestehende Bindegewebs-
lage, in welcher man die Querschnitte einiger nicht erweiterten
Drüsenabsehnitte sieht. Die Uterindrüsen münden nicht mehr in
das Lumen der Gebärmutter; die Ausführungsgänge sind nach
der Oberfläche hin von einer Bindegewebslage (Figur lc) be-
deekt, die Drüsen sind nunmehr ringsum verschlossen. Ich
finde wenigstens diese bindegewebige Schicht nicht von Ausfüh-
rungsgängen der Drüsen durchsetzt. Diese Schicht besteht aus
ziemlich weit von einander stehenden, mit einander anastomosi-
renden Zellen mit ovalen oder runden Kernen (siehe Fig. 2d
Ueber die Entwickelung und Structur der Placenta bei der Katze. 359
und 3fl. In diese bindegewebige Schicht wach-
sen die Chorionzotten hinein. — Strahl beschreibt beim
Maulwurf einen erheblichen Wucherungsprocess des Bindegewebes
an der zukünftigen Placentarstelle bereits zu einer Zeit, in wel-
cher die Ansatzstellen der Eier im Uterus eben als kleine
Knoten äusserlich sichtbar sind. In meinen Präparaten dieses
Entwickelungsstadiums der Katze sind die Chorionzotten nur an
einer eirecumsceripten Stelle entwickelt; in den grössten Theil der
Schleimhaut sind sie noch nicht hineingedrungen, sondern dic
oberflächliche bindegewebige Schicht, welche die Drüsen ver-
‚deckt, liegt grösstentheils nackt, wahrscheinlich, weil durch die Ein-
wirkung der Härtungsflüssigkeit und des Xylols das fötale Eetoderm
an den Präparaten sich zurückgezogen hat; auf andere Stellen
liegt wohl das Eetoderm der Schleimhaut mehr oder weniger
dieht an, aber nirgendwo habe ich, wenigstens an diesen Präparaten
ein deutlich erhaltenes mütterliches Epithel der Uterus-Schleimhaut
_ gesehen. Die Frage: wie verhält sich bei der Katze das foetale
Epithel zum mütterlichen und wie verhält sich das mütterliche
Epithel, verschwinden dessen Zellen oder bleiben sie erhalten?
kann ich leider nicht entscheiden. Ich finde nur, dass da, wo
das fötale Ectoderm resp. das Chorionepithel an die Uterin-
schleimhaut herantritt, das oberflächliche Epithel dieser letzteren
verschwunden ist. Wahrscheinlich werden die mütterlichen Zel-
len von den fötalen zerstört resp. resorbirt, denn dieses Vermögen
ist, wie wir weiterhin finden werden, in hohem Grade diesen
letzteren eigen.
Beobachtungen über den Vorgang der ersten Anlagerung
des Eies an die Uteruswand sind nicht viel vorhanden. Aus
den Untersuchungen von Strahl über die Anlagerung des Eies
an den Uterus beim Hund, Kaninchen und Maulwurf ergiebt sich,
dass der Eetoblast des Embryo sich an das erhalten gebliebene
Epithel der Gebärmutter grösstentheils Fläche an Fläche anlegt.
Fleischmann fand ein Zugrundegehen des Epithels nur beim
_ Fuehse, nicht bei der Katze; in ihren Abhandlungen über die
|
Placenta der Fledermaus nehmen E. van Beneden und From-
mel ein Zugrundegehen des Uterusepithels während der Anlage-
rung des Eisackes an. Beim Hunde habe ich gefunden, dass
da, wo das Ectoderm auf die Uterinschleimhaut übertritt, das
oberflächliche Epithel dieser letzteren verschwindet.
360 : G. Heinricius:
Schon in diesem Stadium, in welchem das Ei sich an die
Uterusschleimhaut zu befestigen anfängt, unterliegt das Drüsen-
epithel eigenthümlichen Veränderungen, den grossen Einfluss,
welchen der Foetus resp. die Eihüllen der Frucht auf die müt-
terlichen Elemente ausüben, andeutend.. Während das Drüsen-
epithel in den unteren Theilen der erweiterten Drüsen sich ziem-
lich unverändert verhält und in einer regelmässig angeordneten
Lage sich befindet, werden die Zellen in den oberen, näher dem
Chorion gelegenen Abschnitten der Drüsen etwas vergrössert und
es findet sich an manchen Stellen eine Proliferation der Zellen.
An anderen Stellen wieder sind die Zellen von der Drüsenwand
abgelöst, liegen im Drüsenlumen angehäuft. Die Kerne der Zel-
len sind bald vergrössert, bald geschrumpft, aber immer stär-
ker gefärbt. Darum zeichnen sich schon bei geringer Ver-
grösserung die Anhäufungen der Zellen als dunkler gefärbte
Klumpen von den umgebenden Gewebselementen ab. Fleischmann
nimmt auf Grund von Untersuchungen des Fuchses an, dass es
bei diesem Thiere zu einer Zerstörung des Uterusepithels kommt,
bevor noch die seröse Hülle mit der Uteruswand verwächst.
Meine Beobachtungen an der Katze stimmen mit dieser Angabe
theilweise überein.
Bereits in diesem frühen Stadium sieht man Veränderungen
in den Drüsenzellen, sowohl in den höher zum Gebärmutterlumen
hin belegenen Theilen der Drüsen, wie auch in den tieferen;
man bemerkt nämlich, wie vom Rande des dem Drüsenlumen zu-
gewandten Theiles der Zellen theils runde grössere Klumpen,
theils feine Körner ausgehen (vergl. Fig. 4). Der Drüsenraum
ist in höherem oder geringerem Grade von ähnlichen Zellproduk-
ten erfüllt. Eine homogene geronnen erscheinende Masse um-
giebt reichlich die Keimblase da, wo sich noch keine Chorion-
zotten gebildet haben, und das fötale Eetoderm im Präparat sich
von der Schleimhaut zurückgezogen hat; ich halte diese Massen
für Produkte der Drüsenzellen, welche durch die oberflächliche
Bindegewebsschicht in die Uterincavität gelangt sind, wo sie ver-
muthlich von den Zellen des Eetoderms resorbirt werden.
Bei der mikroskopischen Untersuchung der Uterinschleim-
haut desjenigen Theiles des Uterus, welcher das Verbindungsstück
zwischen den einzelnen Fruchtsäcken bildet, sieht man auch die Be-
standtheile der Schleimhaut, besonders das Bindegewebe und die
el
Ueber die Entwickelung und Structur der Placenta bei der Katze. 361
oberflächlichen Drüsen, verstärkt. Bei stärkerer Vergrösserung
bemerkt man, wie die Zellen dieser Drüsen fein granulirte Kör-
perchen entwickeln (Schleim ?).
In einem Fruchtsack, wo die Entwiekelung des Embryo so
weit vorgeschritten ist, wie es Fig. 5 zeigt, sehen wir, wie die
Chorionzotten in den grössten Theil der Schleimhaut hinein-
gedrungen sind; allein die Schleimhaut an den beiden Polen des
Fruchtsackes, wo dieselbe an die Schleimhaut des Verbindungs-
stückes zwischen den Fruchtsäcken übergeht, nimmt nicht an dem
Autbau der Placenta Theil. Die Verschmelzung der Eihäute mit
der Uteruswand zur Bildung der Placenta findet im Bereich einer
breiten mittleren gürtelförmigen Zone des citronenförmigen Eies
statt, die beiden Kuppen des Eies bleiben frei in der Gebärmut-
terhöhle liegen. Doch hat der Theil der Schleimhaut, welcher
in die Bildung der eigentlichen Placenta nicht einbegriffen ist,
seine normale Beschaffenheit nicht beibehalten, sondern die Drü-
sen sind gleichfalls in lebhafter Hyperplasie begriffen und haben
auch Seitensprossen entwickelt. In Folge der Schrumpfung der
Uterinwand bei der Erhärtung sind Querfalten der Schleimhaut
_ entstanden und geben im Durchschnittsbilde allerdings das Bild
eines dendritischen Aufbaues zottenartiger Auswtchse (Fig. 5
bei 8, 8).
An einem Querschnitt der Uteruswand resp. der Placenta
dieses Stadiums sieht man (Fig. 6) dieht über der Museularis ei-
nige nicht erweiterte Uterindrüsen mit erhaltenem Epithel (e),
dann die unregelmässig erweiterten Drüsen (e,e). Das zwischen-
liegende Bindegewebe ist durch die Ausdehnung der Drüsen-
schläuche ziemlich stark redueirt; in diesen dünnen bindegewe-
bigen Septen verlaufen die mütterlichen Gefässe. Ueber den er-
weiterten Drüsen befindet sich ein Zellenlager (h, h), einem Syn-
eytium gleichend, entsprechend der oberflächlichen bindegewebi-
gen Schicht des vorhin beschriebenen früheren Entwickelungssta-
diums (vergl. e Fig. 1), in welcher die Chorionzotten eingedrun-
gen sind, ohne jedoch die Schicht der erweiterten Drüsen schon
erreicht zu haben.
Das bindegewebige Gerüst der Zotten ist nur spärlich ent-
wickelt; es besteht aus einem zarten Gallertgewebe und hat sich
362 G. Heinrieius:
in den Präparaten wahrschemlich durch den Einfluss der Här-
tungsflüssigkeit und des Xylols vom foetalen Epithel zurückge-
zogen; es erscheint wie feine, vom Chorion selbst herabhängende
Zapfen (k, k). Das foetale Epithel (i, i) ist (s. Fig. 6) in Ver-
bindung mit dem mütterlichen Gewebe geblieben und ist innig
mit demselben vereint. Im Chorion selbst sieht man foetale
Blutkörperchen, theils zerstreut, theils zusammengehäuft, beson-
ders an den Stellen, von denen eine Zotte ausgeht.
Ich habe in meinem vorhin genannten Aufsatze „Ueber die
Entwickelung und Structur der Placenta beim Hunde“ die Frage
wie die Chorionzotten in die Schleimhaut hineinwachsen, berührt
und gezeigt, wie die Meinungen der Autoren in dieser Hinsicht
auseinandergehen. Die Untersuchungen über die Placentarbildung
beim Kaninchen und Maulwurf von Strahl, beim Hunde von Strahl
und mir, bei der Katze von mir ergeben, dass bei diesen Thie-
ren vor oder während der festeren Anlagerung des Embryo an
den Uterus es zu einem entweder ganz oder nahezu vollständi-
sen Verschluss der Uterindrüsen kommt. Es kommt demnach
niemals zu Anfang, bei diesen Thieren wenigstens, zu einem Ein-
wachsen des Chorion-Eetoderms in offene Uterindrüsen, sondern
diese werden in nach oben abgeschlossene Räume verwandelt.
Ein direetes Einwachsen von Zotten in offene Uterindrüsen
schliessen auch Turner, Ercolani, Romiti, Tafani, E. van
Beneden, Kupffer und Frommel aus.
Die Chorionzotten bei der Katze dringen zuerst $:
nicht in die Uterindrüsen, sondern in das oberfläch- 7
liche Bindegewebe (e Fig. 1) hinein. In diesem Punkte ” |
muss ich von Fleischmann abweichen; nach Fleisehmann ©
wachsen die Zotten bei der Katze unmittelbar und durchgängig °
in Uterindrüsen hinein. Im Anfang, wann die Chorionzotten nur 7
ganz wenig in die oberflächliche bindegewebige Lage hinein-
gewachsen sind, besteht diese (wie aus Fig. 2d und 3f ersicht-
lich ist) aus ziemlich weit von einander stehenden, durch Aus
läufer anastomosirenden Zellen; aber sobald die Zotten tiefer ein-
gedrungen sind, besteht das zwischenliegende Gewebe aus einem
Syneytium (h Fig.6, S Fig. 7), welches theils aus durch Aus-”
läufer mit einander verbundenen Zellen, theils aus grossen, De-
ciduazellen ähnlichen Zellen mit grossen Kernen, theils aus einer
feingranulirten Masse, in welcher grosse, stärker gefärbte Kerne”
% ”
A Eiger hehe. uns ne nd ie wen An
Ueber die Entwickelung und Structur der Placenta bei der Katze. 363
eingelagert sind, zusammengesetzt ist (Fig. 8). In diesem Syn-
eytium bemerkt man Längs- und Querschnitte von Gefässen, be-
sonders an der Oberfläche dicht unter dem Chorionepithel (Fig. 9).
Die Bildung des Syneytium ist eine Erscheinung, die bei der
Placentarentwicklung weit verbreitet ist. Fein granulirte Proto-
plasmamassen mit eingestreuten Kernen sind bereits von Lau-
lanie, Duval, Masquelin und Swa&n, vanBeneden, Strahl,
Klaatsch, Frommel, Masius, Fleischmann und mir be-
schrieben. Die meisten Autoren halten das Syneytium für müt-
terliehen Ursprungs; Duval, van Beneden und Masius sind
der Ansicht, dass es sich bei dem Syneytium theilweise um foe-
tale Zellen, welche erhalten bleiben, theilweise um mütterliche,
die zu Grunde gehen, handle. Ich fasse das Syneytium als eine
Art Deeiduabildung auf; man sieht oft in dem Syneytium Zellen,
welehe den vom Menschen bekannten Deeiduazellen sehr ähnlich
sind. Es ist gewiss sehr schwer, eine sichere Entscheidung über
den Ursprung des Syncytiums zu geben. Meine Präparate be-
rechtigen mich jedoch die Meinung auszusprechen, dass es bei
der Syneytiumbildung bei der Katze sich um eine Umwandlung
mütterlicher Zellen handle. Die oberflächliche bindegewebige
Schieht, in welche die Zotten Anfangs hineindringen, verwandelt
sich bei vorgeschrittener Entwickelung und tieferem Eindringen
der Zotten in ein Syneytium. Statt der weit auseinander ste-
henden, oft durch Ausläufer anastomosirenden Zellen des ober-
flächlichen Bindegewebes (vergl. Fig. 2,3) sieht man jetzt (vergl.
Fig. 6, 7) das von den Zotten durchzogene mütterliche Lager
als aus grossen, Decidua ähnlichen Zellen bestehend, die vielfach
nach Art eines Synceytium unter einander verschmelzen. Ich bin
nun der Meinung, dass weder das Drüsenepithel, noch das foetale
Epithel eine Rolle bei der Syneytiumbildung spiele. Der grösste
Theil des Syneytium geht später zu Grunde, wird mit aller
Wahrschemlichkeit von dem Foetus aufgenommen, wie wir spä-
ter sehen werden.
In den zunächst den Zotten befindlichen Drüsenräumen er-
leiden die Drüsenzellen Veränderungen derart, dass sie einem
Zerfalle unterliegen; man sieht die Zellen vom Rande losgelöst,
an manchen Stellen angehäuft, in Zerfall begriffen; man bemerkt
stark gefärbte, rundliche oder geschrumpfte Kerne, Protoplasma-
klumpen, feinkörnigen Detritus. In den tieferen Abschnitten der
364 *G. Heinricius:
Drüsenräume sind die Zellen ziemlich gut erhalten, doch sieht
man auch hier dieselben Erscheinungen der Zellenthätigkeit wie
in Fig.4. Die Vermuthung liegt nicht weit, dass diese Drüsen-
zellen in irgend einer Beziehung zur Ernährung der foetalen Ge-
webe stehen, denn wir werden weiter unten sehen, dass die
Drüsenzellen eine grosse Rolle für die frühzeitige Ernährung des
Foetus spielen.
Rund herum an den Polen des Fruchtsackes, wo das Cho-
rion sich von der Schleimhaut abhebt und diese nicht mehr un-
mittelbar von demselben bedeckt wird, sieht man eine Menge
rother Blutkörperchen zwischen den aus Drüsen und Bindegewebe
zusammengesetzten Leisten und in den Drüsenräumen, sowie
grössere zusammenhängende Massen derartiger Blutkörper im
Raume zwischen Schleimhaut und Chorion (vergl. Fig.5f). Diese
Blutkörperchen treten aller Wahrscheinlichkeit nach dureh die
Gefässwände aus, gehen durch das Drüsenepithel und gelangen
so nach aussen. Gegen das Chorionepithel häufen sich diese
Blutkörperchen in relativ grossen Massen an, sie liegen dicht
dem Epithel an, welches an diesen Stellen schon eine an-
dere Form angenommen hat; die Zellen sind bedeutend grösser,
länglich, mit grossem Kern versehen. Dass diese Zellen ganze
rothe Blutkörperchen in sich aufnehmen, ist in diesem Stadium
noch nicht, wie es in einem höheren Entwickelungsstadium allerdings
der Fall ist, zu bemerken; aber das Zellenprotoplasma scheint an
einigen Stellen eine bräunliche Schattirung zu besitzen und ist
dicht besetzt mit kleinen dunklen Punkten.
In einem etwas weiteren Entwickelungsstadium, wo der
Fruchtsack nach Härtung in Alkohol einen Durchmesser von 2,5 cm
und der Embryo die Länge von 11 mm hat, sind die Zotten an
Zahl vermehrt, sowohl dadurch, dass neue Zotten sich in die
Schleimhaut hineingesenkt haben, wie auch durch Ausbildung
von Seitensprossen auf Kosten des intervillösen Gewebes, welches
jetzt besonders gegen die Mitte der Placenta aus ganz schmalen
Balken besteht. Das Chorionepithel liegt unmittelbar an den in
den Balken verlaufenden mütterlichen Capillargefässen. Gegen
den Rand der Placenta hin findet sich noch reichlich das Syn-
cytium zwischen den Zotten. Die Zotten sind jetzt auch tiefer
122 Aus
#
Ueber die Entwieckelune und Structur der Placenta bei der Katze. 365
in die Schleimhaut eingedrungen, die Schicht der erweiterten
Drüsen ist komprimirt und nimmt im Hinblick auf die Höhe der
Sehleimhaut keinen so grossen Theil derselben mehr ein, wie im
vorher beschriebenen Entwieckelungsstadium. Doch haben die
Enden der Zotten noch nicht die Drüsenräume erreicht, weshalb
auch das Chorionepithel fast überall noch von derselben Be-
schaffenheit ist. Das Epithel in den Drüsen unterliegt denselben
Veränderungen wie vorher und weiterhin beschrieben. Am
Rande der Placenta geht das Chorion auf die zur Placenta im
eigentlichen Sinne nicht umgewandelte Uterinschleimhaut über,
doch scheint diese schon jetzt in Bezug auf die Ernährung der
Frucht eine wichtige Rolle zu spielen, welche im nächsten Ent-
wiekelungsstadium ganz deutlich wird und dort näher beschrie-
ben werden soll. Man sieht nämlich hier Anhäufungen von Blut-
körperchen theils in den nach dem Gebärmutterlumen münden-
denden Drüsenräumen, theils ausserhalb derselben unter dem die
Sehleimhaut bedeckenden Chorion. Die Epithelzellen des Chorion,
welche in der Placenta klein und rund sind, sind hier länglich
und mit Blutkörperchen gefüllt (wie weiter unten beschrieben
wird). Weiter von der Placenta entfernt, wo man keine Anhäu-
fungen von Blut unter dem Chorion mehr findet, sind die Epithelzellen
des Chorion wieder niedrig und klein, wie auch das Drüsenepi-
thel hier aus regelmässig angeordneten CylinderzeHen besteht.
Betrachten wir die Placenta in einem Fruchtsack, wo der
Embryo eine Länge von 5 em besitzt, so finden wir, dass die-
selbe schon die endgültige Ausbildung erreicht hat; ihre Struc-
tur ist in der Hauptsache dieselbe wie in einem weiter fortge-
schrittenen Stadium der Schwangerschaft. Das, was die Placenta
jetzt auszeichnet, ist, dass das Gewebe zwischen den Zotten in
bedeutendem Grade redueirt ist; die Zotten sind fast in ihrer
ganzen Länge nur durch schmale Balken getrennt, welche je ein
mütterliches Capillargefäss enthalten, dem das Chorionepithel un-
mittelbar anliegt. Das Syneytium, jene grossen Zellen, welche
sich im früheren Stadium in reichlicher Menge zwischen den
Zotten befanden, ist jetzt zum grossen T'heil verschwunden; nur
um die oberflächlichen mütterlichen Blutgefässe herum, welche
sich in senkrechten Durchschnitten in Querdurchschnitt präsen-
366 6 Heiarieins:
tiren (siehe Fig. 1l1e) sowie weiter nach unten näher den übrig-
gebliebenen Uterindrüsen, von deren Scheidewänden sie sich
zwischen die in diese Drüsenräume ausmündenden Zottenenden
fortsetzen, findet man noch Anhäufungen von Syneytiumzellen
(vergl. Fig. 12d). Ferner haben die Chorionzotten nunmehr die
tiefen erweiterten Drüsenräume erreicht, sich in sie versenkt und
es hat das Chorionepithel daselbst eine andere Form angenom-
men, welche geeignet erscheint, die in den Drüsenräumen befind-
lichen Zellprodukte, die s. g. Uterinmilch, aufzunehmen.
Betrachten wir einen senkrechten Durchschnitt der Placenta
in diesem Entwickelungsstadium, sei es vom Rande derselben,
sei es aus der Mittelpartie (Fig. 10, 1 und Fig. 11), so finden
wir, wie die schmalen, dicht an einander gelegenen Chorionzotten
sich leicht geschlängelt tief hinunter erstrecken und mit ihren
breiteren Enden im die Drüsenräume eindringen. Das Chorion-
epithel besteht überall, ausser an dem in den Drüsenraum mün-
denden Ende der Zotten, aus niedrigen Zellen mit verhältniss-
mässig kleinem Kern. Das Stroma der Zotten besteht aus Gal-
lertgewebe. Das Zottenepithel ist innig mit dem mütterlichen
Gewebe der intervillösen Balken vereint. Während das Gallert-
gewebe in den Härtungsflüssigkeiten schrumpft, bleibt das Epithel
fest mit dem mütterlichen Gewebe in Verbindung. Fig. 13 und 14
zeigen das Verhältniss zwischen der Zotte und dem mütterlichen
intervillösen Gewebe. Im senkrechten sowohl wie im parallel der
Oberfläche gemachten Durchschnitt der schmalen intervillösen
Balken findet man in der Mitte derselben ein geschlängeltes Blut-
gefäss; unmittelbar an das Gefässendothel grenzt das Chorionepi-
.thel; die Zellen des letzteren sind grösser, mit schwach gefärbtem,
srossen Kern, die ersteren kleiner mit stärker tingirtem Kern.
Durch diese Anordnung wird natürlich die Ernährung des Foetus
durch das mütterliche Blut erleichtert. Es finden sich jedoch
Stellen in den intervillösen Balken, wo das Chorionepithel nicht
unmittelbar den mütterliehen Blutgefässen anliegt, sondern sich
noch Anhäufungen von grossen Syneytiumzellen in grösserer oder
geringerer Menge finden, wie um die oberflächlichen mütterlichen
Gefässe (s. vorhin), am Knotenpunkte der Balken und weiter
nach unten zwischen den Enden der Zotten, wo die intervillösen
Balken dieker sind und in das zwischen den Uterindrüsen be-
findliche Gewebe übergehen (siehe Fig. 12d).
BT:
i \
k
Ueber die Entwickelung und Struetur der Placenta bei der Katze. 367
Die Zotten erstrecken sich nunmehr in die erweiterten Drü-
senräume (Fig. 10e, Fig. 11b, Fig. 12D). Wie bereits bemerkt,
sind die Seiten der Zotten von einem kleinzelligen Epithel be-
kleidet; ihr Ende dagegen ist mit einem ganz anderen Epithel
versehen (Fig. 12a, Fig. 15). Die Zellen sind grösser, länglich,
mit schwach tingirten Kernen und wenig gefärbtem Protoplasma,
oft in Wucherung, so dass sie eine mehrfache Schicht bilden.
Bei starker Vergrösserung sieht man, wie diese Chorionzellen die
‚Eigenschaft besitzen, die Zellprodukte der Drüsenräume, die s.g.
Uterinmilch, in sich aufzunehmen. Eine lebhafte Thätigkeit in
den mütterlichen Drüsen findet nämlich statt, wenn das foetale
Gewebe eingedrungen ist. Man sieht den Drüsenraum erfüllt
von ganz kleinen Körnern, ähnlich einem feinkörnigen Detritus;
grösseren und kleineren homogenen, runden, hellen Körpern:
Fettkügelehen; ganzen, losgerissenen Zellen mit oder ohne Kern
und feinkörnigem oder netzförmigem Protoplasma; Kernen von
Drüsenzellen, oft geschrumpft, stark gefärbt, theils in Häufchen,
theils isolirt, bisweilen mit noch anhaftendem Protoplasma; gros-
sen Protoplasmaklumpen. Diese s. g. Uterinmilch besteht theils
aus den Bestandtheilen der zerfallenden Drüsenepithelien, theils
aus den Secretionsprodukten der Drüsenzellen (siehe Fig. 15).
Hier wirft sich nun die Frage auf, warum verändert sich das
Zottenepithel, so wie es die erweiterten Drüsenzellen erreicht?
So lange die Zotten noch nicht in die erweiterten Drüsenräume
eingedrungen sind, besteht das Epithel m der früheren Form
und verwendet wahrscheinlich die mütterlichen Gewebselemente,
die in ein Syneytium umgewandelt sind, zur Aufnahme. Der Um-
stand, dass das im Anfang so mächtig entwickelte Syneytium in
diesem Entwickelungsstadium der Frucht, wo die Enden der
Zotten die erweiterten Drüsenräume erreichen, grösstentheils ver-
schwunden ist, scheint mir ein Beweis dafür, dass das Syneytium
theilweise zur Nahrung des Embryo dient. Nachdem dieses ab-
sorbirt worden ist, müssen die Zotten sich ihre Nahrung anderswo
suchen; die Zellenprodukte der erweiterten Drüsen dienen nun-
mehr dem Foetus als Nahrung durch Vermittelung der Zotten, und
um dieselben aufnehmen zu können, verändert das Epithel wohl
seine Form. Es herrscht eine grosse Uebereinstimmung in der
Form und in den Funktionen der Zellen der Darmzotten und den-
jJenigen der Chorionzottenenden.
368 G. Heinricius:
Eine solche Bildung von Uterinmilch geht nicht allein in
den Drüsen der eigentlichen Placenta vor sich, sondern auch in
dem der Placenta zunächst belegenen Theile der Schleimhaut,
in die keine Chorionvilli eingedrungen sind, sondern die nur
vom Chorion bekleidet ist (Abschnitt 2 Fig. 10). Auch hier fin-
det sich eine Hyperplasie der Uterindrüsen; das Epithel verän-
dert sich derart, dass die dem Chorion zunächst belegenen Zellen
grösser werden und das Protoplasma dicht angehäufte, kleine runde
Körmer (Fettkörner) enthält; der Kern ist dunkler gefärbt. In
den Drüsenräumen, wie auch unter dem Chorion sieht man Pro-
dukte der Uterindrüsen, ähnlich den eben beschriebenen, in den
erweiterten Drüsenräumen der Placenta (Fig. 16). So besteht
auch das Chorionepithel nicht aus kleinen, niedrigen Zellen wie
in der Placenta, sondern dieselben sind lang, schmal, ähnlich
denen, welche die Zottenenden bekleiden und besitzen gleich die-
sen die Eigenschaft, die aus den Drüsenzellen bereiteten Produkte
in sich aufzunehmen. Es findet sich eine wesentliche Ueberein-
stimmung der Ergebnisse meimer Untersuchungen über die Ent-
stehung und Verwendung der Uterinmilch bei der Katze mit
dlenjenigen über denselben Gegenstand, die Tafani in seiner
schönen Arbeit: „Sulla eondizioni uteroplacentari della vita fetale“*
niedergelegt hat. |
Etwas weiter von der Placenta entfernt sieht man An-
häufungen von Blut zwischen Uterinschleimhaut und Cho-
yion. Schon in früheren Stadien finden sich, wie bereits er-
wähnt, solche Blutanhäufungen, aber nicht in der Ausdehnung,
wie in einem Fruchtsack der jetzt besprochenen Grösse (vergl.
Abschnitt 3 in Fig. 10). In den Drüsenräumen, besonders aber
ausserhalb derselben unter dem bekleidenden Chorion sieht man
mehrere Blutanhäufungen; bei mikroskopischer Untersuchung des
Inhalts findet man darin vorzugsweise rothe Blutkörperchen, aber
auch Fibrinfasern, Blutkrystalle, Epithelzellen der Drüsen, ge-
wöhnlich mit geschrumpftem, stark tingirten Kern, und feinkörni-
sem, braunen Detritus (Fig. 17). Wie dieses Blut in die Drüsen-
räume und ausserhalb derselben gelangt ist, kann ich nicht ent-
scheiden, wahrscheinlich geschieht eine Filtration von Blut zwi-
schen oder durch die Cylinderzellen hindurch, obgleich ich in
und zwischen diesen Zellen keine deutlichen Blutkörpercher un-
terscheiden konnte; doch scheint es, als ob in einigen zunächst
Ueber die Entwickelung und Structur der Placenta bei der Katze. 369
an dieses Blut grenzenden Zellen das Protoplasma mit kleinen
runden, den Blutkörperchen ähnlichen Körpern besetzt wäre; es
könnten dies aber auch Protoplasmakörner sein.
Diese Blutanhäufungen sind nach oben vom Chorion bekleidet,
dessen Epithel also vom mütterlichen Blute bespült wird. Die
Zellen nun sind von dem Epithel, welches die Mehrzahl der Zot-
ten bekleidet, ganz verschieden; sie sind bedeutend grösser und
länglich und enthalten rothe Blutkörper. Man sieht nämlich
in diesen Zellen, sowohl in den quer- wie längsgetroffenen das
Protoplasma eine Menge runder, bräunlicher Bildungen enthalten,
die ihrer Grösse, Form und Farbe nach vollständig mit den die
Zellen umgebenden Blutkörperchen übereinstimmen. Ausser die-
sen Blutkörpern bemerkt man auch in den Zellen kleine, feine
Körnehen, dem feinkörnigen Detritus gleich, den man ebenfalls
in den Blutanhäufungen beobachtet und welcher wahrschemlich
zerfallene rothe Blutkörperchen darstellt. Die rothen Blutkörper-
chen sind in dem peripheren, gegen das Blut gerichteten Theil
der Zellen vorhanden. Die Zellkerne werden stets deutlich mit
Hämatoxylin gefärbt, ebenso die im Gallertgewebe des Chorion
befindlichen Kerne. Dieses Verhalten der Chorionzellen gegen-
über den Blutanhäufungen ähnelt vollständig der von Lieber-
kühn und mir, unabhängig von einander, beobachteten und be-
schriebenen Erscheinung an der Hundeplacenta; dort sind es
die Zellen des Chorion, welche die gefässartigen Blutanhäufungen
ringsum, aber innerhalb der eigentlichen Placenta, bekleiden, die
dieselbe Rolle spielen. Vor mir hat Tafani dieses Verhalten
der Chorionzellen der Katze, Blutkörperchen aufzunehmen, be-
schrieben. Auf Grund dieser angeführten Beobachtung muss ich
annehmen, dass das Chorionepithel dort, wo es die Blutanhäu-
fungen ausserhalb der Placenta bei der Katze bekleidet, die
Eigenschaft, in sich rothe Blutkörperchen aufnehmen zu können,
besitzt und diese wahrscheinlich so zu verändern vermag, dass
sie weiterhin als Nahrung dienen können.
In einem noch weiter fortgeschrittenen Stadium, Embryo
von 9,5 em, sind die Zotten dicht aneinander gelagert und noch
mehr geschlängelt. Zwischen den Zotten sieht man die mütter-
lichen Gefässe, deren Wände aus grossen Endothelzellen mit
grossem hellen Kern bestehen; diesem liegt das Chorionepithel un-
370 G. Heinriecius:
mittelbar an; die Zellen sind aber nicht mehr so regelmässig an-
geordnet wie im früheren Stadium (vergl. Fig. 18), sondern mehr
in Gruppen; die Zellenkerne sind theils grösser, unverändert,
theils kleiner, stark gefärbt, was auf einer reicheren Entwicke-
lung von stark gefärbten Kernkörperchen beruht.
Fig. 20 zeigt die nächste Umgebung einer mütterlichen Ge-
fässwand tiefer in, der Placenta (entspricht Fig. 12e). In der Nähe
der Gefässmündung unter seinem Endothel sieht man grosse Zel-
len mit grossem hellen Kern: Syneytiumzellen; ausserhalb dieser
wieder Zellen, theils isolirt, theils in Reihen angeordnet, theils
in Haufen mit stark gefärbtem Kern; das Zellprotoplasma ist
auch dunkler, es liegt gleichsam coagulirt um den Kern.
In diesem Stadium sieht man keine Blutanhäufungen mehr
zwischen Uterusschleimhaut und Chorion; das Chorionepithel
ausserhalb der Placenta besteht aus niedrigen Zellen; das Epithel
der Uterindrüsen jedoch aus hohen Cylinderzellen (Fig. 19).
‚Bei hochsehwangeren Thieren ist die Struetur der Placenta
ziemlich dieselbe wie in Fruchtsäcken von 4 bis 9,5 em langen
Embryonen.
Nachtrag.
Als ich mein Manuseript druckfertig an die Redaktion des
Archivs für mikroskop. Anatomie eingesandt hatte, erschien die
Arbeit von Strahl: Untersuchungen über den Bau der Placenta.
IV: Die histologischen Veränderungen der Uterusepithelien in der
Raubthierplacenta. Archiv f. Anat. und Phys. Anatom. Abthei-
lung, Suppl.-Band 1890 p. 118. Ich freue mich, dass wir in
vielen Punkten zu übereinstimmenden Resultaten gelangt sind;
so in Bezug auf die Veränderungen der Uterindrüsen im Anfang
der Schwangerschaft, welche nach oben abgeschlossen werden ;
ferner darin, dass die Zotten nicht direet und von vorn. herein
in die Uterindrüsen einwachsen. Auch damit sind wir einver-
standen, dass die extravasirten Blutkörperchen am Randgebiete
der Placenta vom Chorionepithel aufgenommen werden.
In einem wesentlichen Punkte muss ich indessen von Syrahl
abweichen: in Bezug auf die Herkunft und Bestimmung des Syn-
ee
Ueber die Entwickelung und Structur der Placenta bei der Katze. 371
eytium, welches Strahl im Wesentlichen als eine Umwandlung
des Drüsenepithels auffasst, während ich ein Syneytium binde-
gewebiger Abkunft annehme., Die Präparate Strahl’s stammen
vom Uterus eingr Katze, deren Embryonen schon eine Länge von
etwa 2 em besassen; ich habe die Syneytiumbildung in früheren
Entwieklungsstadien verfolgt, zu Zeiten, wann die Zotten noch
ziemlich weit entfernt von den in nach oben geschlossene Räume
verwandelten Üterindrüsen sich befinden und die Zellen der Drü-
sen noch keine weitgreifenden Veränderungen durchgemacht
haben. In diesem Entwickelungsstadium sind die Zotten schon
von dieken Massen Syneytium umgeben; das Syneytium geht
hier jedoch unzweifelhaft aus dem oberflächlichen Bindegewebe,
welches die Drüsen verschliesst, hervor. Die Drüsen selbst sind
alle geschlossen, die Räume noch nicht von geformten Zellen-
produkten in grösserer Menge gefüllt; einen Durchbruch der
Drüsenzellen nach oben habe ich nicht beobachtet (vergl. meine
Fig. 6 und 7). Eine Betheiligung des Bindegewebes wird übri-
gens auch von Strahl angenommen, denn S. 122 sagt er: „Auch
das zwischen den Drüsen gelegene spärliche gefässführende Binde-
gewebe geht nach oben in die Umlagerungszone weiter, indem
es sich in eine grosszellige Bindesubstanz umwandelt, welche die
Gefässe einschliesst.* Und weiter S.123: „In der Umlagerungs-
zone gehen vielfach Bindegewebszellen und das epitheliale Syn-
eytium so durcheinander, dass man sie gewissermassen als ver-
flochten bezeichnen kann. Trotzdem bleiben dieselben auch in
dieser Situation wohl unterscheidbar.“
In einem weiteren Entwickelungsstadium (Embryo von 11 mm
Länge) ist das Syneytium schon theilweise verschwunden; doch
finden sich noch ziemlich grosse Massen davon um die oberfläch-
lichen Gefässe, in den Knotenpunkten der intervillösen Balken
und nach unten im der Nähe der erweiterten Drüsenräume, zwi-
schen den Enden der Zotten. An vielen Stellen wieder, beson-
ders in der Mitte der Placenta, ist das Syneytium derart ver-
schwunden, dass das Chorionepithel unmittelbar an das mütter-
liche Gefäss anstösst, so wie ich in Fig. 13 und 14 (Embryo
5 em) gezeichnet habe. Was das doppelte Epithel Strahl’s an-
geht, so bin ich zwar in meiner Arbeit nicht auf dieses Verhalten
eingegangen, bemerke übrigens nachträglich, dass ich besonders
da, wo vom Syneytium mehr zurückgeblieben ist, ein Verhältniss
3723 G. Heinriecius:
vollkommen ähnlich dem von Strahl in seiner Fig. 4 dargestell-
ten, wo die mütterlichen Gefässe von den foetalen durch zwei
epitheliale Zellenlagen getrennt werden, beobachtet habe. (Vergl.
meine Fig. 12, zwischen d und b in der Nähe des Gefässes c.)
Die Zellenklumpen und das Netzwerk, welche im späteren
Entwickelungsstadium das Lumen der Drüsen ausfüllen und von
Strahl für eine Vorstufe des Syneytium gehalten werden, fasse
ich auf als Sekretionsprodukte des Uterusepithels, als s. g. Uterin-
milch; zur Syneytiumbildung vermag ich sie nicht in Beziehung
zu bringen.
Die in den Drüsenräumen der Zone 2 Fig. 10 (Periplacenta
Minot’s) befindlichen Zellen betrachte ich gleicherweise als Um-
wandlungsprodukte und veränderte Epithelzellen in dem Sinne
einer Uterinmilch. In den Abschnitten 3 und 4 Fig. 10 der
Placenta, bezw. des Uterus habe ich keine Syneytiumbildung an-
getroffen.
Die Blutextravasate habe ich bei der Katze in derselben
Weise gefunden, wie Strahl sie genau beschrieben hat. Was
den grünen Saum der Hundeplacenta anlangt, so habe ich den-
selben nicht als einen Raum verstanden, in welchem Blut eireu-
lirt. Ich fasse das Blut der Hundeplacenta als extravasirtes ganz
so wie bei der Katze und anderen Thieren auf. Ich habe in
meiner früheren Arbeit den Namen „Sinus“ nur gewählt, um den
Saum als eine gefässähnliche Blutanhäufung zu bezeichnen. Ich
gestehe zu, dass diese Bezeichnung nicht passend gewählt war und
es besser gewesen wäre, die betreffende Bildung kurz und gut
„Blutanhäufung“ oder „extravasirtes Blut“ genannt zu haben.
Pag. 432 in meiner Arbeit über die Hundeplacenta 1. c. schreibe
ich: „Eine Endothelauskleidung des Sinus lateralis habe ich
nicht gesehen und scheint es, als ob das Blut sich frei in das
Gewebe des Placentarrandes ergossen hätte.“
Schliesslich muss ich noch der von Selenka inzwischen
gemachten Veröffentlichungen in den „Sitzungsberichten der Kgl.
Preussischen Akademie der Wissenschaften 1890° gedenken, in
welchen für den Menschen und für Affen wieder das Eiiwachsen
der Zotten in die Uterindrüsen vertreten wird.
Ueber die Entwickelung und Structur der Placenta bei der Katze. 373
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVII und XIX.
Fig. 1.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Querschnitt des Embryo und der Uterinwand im Anfang der
Schwangerschaft. a Muscularis, b die erweiterten Uterin-
drüsen, ce die bindegewebige Schicht, später die Decidua-
schicht, Syneytium, d Chorion und beginnende Zotten, e Em-
Bro, Werick Obj. 2, Oc. II.
Das Eindringen der Chorionzotten in die Uterinschleimhaut.
a Zwischenwände der erweiterten Drüsenräume, b Drüsen-
abschnitt mit gewöhnlichem, erhaltenden Epithel, e Drüsen-
abschnitt mit zerfallendem, veränderten Epithel, d die binde-
gewebige Schicht (späteres Syncytium), e Zottenepithel, f zarte
bindegewebige Axe der Zotte, & Querschnitt eines Gefässes.
Merick; Obj. 7, Oc. Ill.
Die Uterinschleimhaut, in welcher die Zotten nicht hinein-
gedrungen sind, stärker vergrössert. a Muscularis, b nicht
erweiterte Drüse, e Zwischenwände der erweiterten Drüsen,
d Drüsenraum mit unverändertem Epithel, e Drüsenraum mit
zerfallendem, veränderten Epithel, f die bindegewebige Schicht
(späteres Synceytium). Verick, Obj. 7, Oe. II.
Drüsenzellen und deren Produkte. Zeiss hom. I.1/;, Oec.IV.
Querschnitt des Embryo und der Uteruswand von einem
vorgerückteren Stadium. aSerosa, b Muscularis, e die Schicht
der erweiterten Drüsen, d die oberflächliche Bindegewebs-
schicht resp. Syneytium, in welches die Chorionzotten einge-
drungen sind, e der bindegewebige Theil der Zotten vom
Epithel zurückgewichen, f Anhäufungen von Blutkörperchen,
g der in Placenta nicht umwandelte Theil der Uterinschleim-
haut, sich in das Verbindungsstück der Fruchtsäcke fort-
setzend. Verick, Obj. 2, Oe. 1.
Das weitere Eindringen der Chorionzotten in die Uterinschleim-
haut. Durchschnitt der Uteruswand. a Serosa, b Muscularis,
e tiefe, nicht dilatirte Drüsen, d Zwischenwände der erwei-
terten Drüsen, e Drüsenräume mit ziemlich erhaltenem Epithel,
f Drüsenräume mit zerfallenem, verändertem Epithel, & Quer-
schnitt der Gefässe, h Syneytium, i Zottenepithel, k zarte,
bindegewebige Axe der Zotten vom Chorion ausgehend, vom
Epithel zurückgewichen. V&rick, Obj. 7, Oc. I.
Ende einer Zotte (Z), welche die erweiterten Drüsenräume (D)
mit den losgelösten, theilweise veränderten Epithelzellen bei-
nahe erreicht hat. G Gefäss, S Syneytium. Zeiss hom. I !/ıo,
Oec. II.
Syneytium mit Gefässen. Z eine Zotte. Querschnitt. Zeiss
hom. I. 1/jo, Oe. IV.
Oberflächliches Gefäss mit Blutkörperchen, nach oben von
Chorionepithel, nach unten von Syncytium umgeben. Zeiss
hom. I. 1/9, Oec. IV.
Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37 25
374
G. Heinricius:
Fig. 10. Randplacenta und Uterusschleimhaut, theilweise von Chorion
Fig.
ig. 13.
47.
. 14.
‚19.
t. 16.
101%
bedeckt. Embryo5cm lang. 1 Placenta, 2 Theil der Schleim-
haut, in welcher Chorionzotten nicht hineinragen; die Drüsen
sind hyperplasirt, die Drüsenräume mit Zellprodukten (Uterin-
milch) gefüllt, Chorion ohne Zotten, mit vergrössertem Epithel.
3 Theil der Schleimhaut, wo Anhäufungen von Blut zwischen
der Schleimhaut und Chorion sich befinden, 4 Theil der von
Chorion nicht bedeckten Schleimhaut. a Serosa, b Muscularis,
c die erweiterten Drüsenräume, in welchen die Zotten hinein-
ragen und wo Uterinmilch gebildet wird, d Zotten und inter-
villöse Balken, e Chorion. V&erick. Obj. 2, Oe II.
Eine mittlere Partie der Placenta. Embryo5cem lang. a Muscu-
laris, b die erweiterten Drüsen, in welche die Zotten hinein-
ragen, c Ende einer Zotte mit grösseren, ovalen Epithelzellen,
d Zotten und mütterliches Zwischengewebe, e Querschnitt
eines oberflächlichen mütterlichen Gefässes, f Chorion. V&rick,
Obj. 2, Oe. IL.
. Ende einer Zotte (Z); die niedrigen Epithelzellen (b) gehen in
grössere, ovale Zellen (a) über. D Drüsenräume, bei x An-
häufungen-von Zellenprodukten (Uterinmilch), e mütterliches
Gefäss, d Syneytium, e Drüsenepitheil. Embryo 5 cm lang.
Zeiss hom. I. 1/, Oe. IV.
Querschnitt eines intervillösen Balkens. Embryo 5 em lang.
Z Zottengewebe, a Chorionepithel, b mütterliches Gefäss mit
Endothelzellen. Zeiss hom. I. 1, .Oe. V.
Mit der Oberfläche paralleler Schnitt eines intervillösen Bal-
kens. Embryo 5 cm lang. Die Buchstaben wie in Fig. 13.
Zeiss hom. I. Yo, Oc. V.
Zellen der Zottenenden und Uterinmilch. Die Zellen in Thätig-
keit Uterinmilch aufzunehmen. Embryo 5 em. Zeiss hom.
I 1, Oe. V.
Zellen der Uterindrüsen am Placentarrande in Thätigkeit,
Uterinmilch zu bilden begriffen. Embryo 5em. Zeiss hom.
1. I ne... V.
Chorionepithel an die Blutanhäufungen der Uterinschleimhaut
ausserhalb der Placenta grenzend. In den Zellen sieht. man
Blutkörperchen. C Choriongewebe, D Drüsengewebe. Em-
bryo 5em. Zeiss hom. I. !/j, Oe. V.
. Querschnitt intervillöser Balken. Embryo 9,5 cm lang. Z Zotten-
gewebe. Zeiss hom. I. !/, Oec. V.
. Drüsenepithel (D) und Chorionepithel (C) ausserhalb der Pla-
centa. Embryo 9,5 cm. Zeiss hom. I. Yı, Oec. IV.
. Gefässwand aus der Placenta. G Gefässlumen. Embryo
95cm... Zeiss hom. I. 1/ja, Oe. IV.
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375
(Aus dem II. anatomischen Institut der Universität zu Berlin.)
Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung
in der Iymphatischen Randschicht der
Salamandrinenleber.
Von
Dr. E. Göppert.
Hierzu Tafel XX.
In der Iymphatischen Randschicht der Leber von Sala-
_ mandra maculata und Triton alpestris fand ich einen Kernthei-
lungsvorgang, der, wie sich bald herausstellte, als „indirekte
Fragmentirung“ aufgefasst werden musste. — Vor der Beschrei-
bung desselben will ich kurz das, was bisher über die indirekte
Fragmentirung veröffentlicht worden ist, besprechen.
Bekanntlich hat J. Arnold!) zuerst diesen Kerntheilungs-
modus beschrieben. Nach ihm tritt bei diesem Vorgang in den
Zellkernen zunächst eine Vermehrung der chromatischen Sub-
stanz und eine Veränderung in der Anordnung derselben ein.
1) J. Arnold, a) Beobachtungen über Kerne und Kerntheilungen
in den Zellen des Knochenmarks. Virchow'’s Archiv Bd. 93. — b) Ueber
Kern- und Zelltheilung bei acuter Hyperplasie der Lymphdrüsen und
Milz. Virchow’s Archiv Bd. 95. — c) Weitere Beobachtungen über
die Theilungsvorgänge an den Knochenmarkzellen und weissen Blut-
körpern. Virchow’s Archiv Bd. 97”. — d) Ueber Kerntheilung und
vielkernige Zellen. Virchow’s Archiv Bd. 98. — e) Ueber Theilungs-
vorgänge an den Wanderzellen, ihre progressiven und regressiven
Metamorphosen. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 30. — f) Weitere Mitthei-
lungen über Kern- und Zelltheilungen in der Milz; zugleich ein Bei-
trag zur Kenntniss der von der typischen Mitose abweichenden Kern-
theilungsvorgänge. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 31.
376 E. Göppert:
Dies betrifft anfangs nur das geformte Chromatin, das ın Kör-
nern, Fäden und Balken, oft in gerüst-, netz- oder knäuelförmiger
Anordnung angetroffen wird. Dazu kommt später eine diffuse
Vertheilung von Chromatin im Kernsaft, welche oft den Kernen
ein homogenes Ansehen verleiht. Gelegentlich findet sich das
Chromatingerüst innerhalb des Kerns radiär angeordnet. Bereits
in diesem Stadium kann eine Zerschnürung des Kerns eintreten.
Gewöhnlich nimmt derselbe aber vorher eine mehr oder weniger
complieirte Gestalt an: er wird ring- oder netzförmig, gelappt
oder verästigt u.s.w. Auch in den Kernringen kommt eine
radiäre Anordnung der chromatischen Substanz vor. — Die in
solcher Weise umgestalteten Kerne zerschnüren sich nun in eine
meist grössere Reihe von Tochterkernen, welche Anfangs noch
durch helle Bänder und Fäden zusammenhängen, später nach
dem Schwund der letzteren selbständig werden und auch zu dem
gewöhnlichen Chromatingehalt zurückkehren. Darauf kann eine
Neubildung junger Zellen erfolgen, indem entweder die Zelle,
deren Kern sich in der besprochenen Weise getheilt hat, in eine
der Zahl der Tochterkerne gleiche Anzahl von Theilen zerlegt
wird, oder, indem Theile des Protoplasma der Stammzelle endogen
oder peripherisch sich in der Umgebung der kleinen Kerne los-
schnüren. — Dieser eben beschriebene Kerntheilungsvorgang ist
hauptsächlich charakterisirtt durch Erhaltenbleiben der Kern-
membran und durch die Vermehrung und Umordnung der chro-
matischen Substanz. Das letztere kennzeichnet ihn als eine in-
direkte Theilung, das erstere unterscheidet ihn von der Mitose.
Dieser Unterschied wird ferner markirt durch das Fehlen einer
äquatorialen Umordnung der chromatischen Substanz und das
Fehlen der achromatischen Figur bei der indirekten Fragmen-
tirung. — Arnold hält die letztere aber nicht für einen ganz
isolirt dastehenden Vorgang, sondern nimmt eine Verknüpfung
derselben durch Uebergangsformen mit der Mitose an. Mög-
licherweise bestehen auch Beziehungen zur direkten Kerntheilung.
Er konstatirte den Vorgang sowohl unter pathologischen wie
unter normalen Verhältnissen, und zwar im Knochenmark, ın
Lymphdrüsen, in der Milz, an Wanderzellen und an Zellen von
Geschwülsten (Sarcome und Careinome).
Eine ganze Reihe von Arbeiten bestätigte die Arnold-
schen Beobachtungen und erweiterte die Kenntniss von der Ver-
breitung der indirekten Fragmentirung. Dazu gehören zunächst
drei Arbeiten aus dem Arnold’schen Laboratorium: Werner?)
eonstatirte diese Art der Kerntheilung an den Riesenzellen des
Knochenmarks auch bei Hund, Katze und Mensch, während die
Resultate Arnold’s hauptsächlich beim Kaninchen gewonnen
waren. — Schottländer?) fand in dem hinteren Hornhaut-
epithel der mit Chlorzink geätzten Froscheornea Kerntheilungs-
figuren, die der indirekten Fragmentirung angehören. — Hess®)
endlich kam bei seiner Untersuchung über die grossen Zellen
der Milz von mit Milzbrand infieirten Mäusen auch wieder zu
dem Resultat, dass bei der Vermehrung dieser Zellen die indirekte
Fragmentirung eine wichtige Rolle spiele, dass ausserdem zwi-
schen pluripolarer Mitose und indirekter Fragmentirung keine
scharfe Grenze bestehe; er fand Kermfiguren, die als Uebergangs-
formen aufzufassen waren.
Auch von anderer Seite stammen bestätigende Beobach-
tungen: die Befunde Geelmuyden’s?) an Myeloplaxen weichen
von denen Arnold’s nieht ab. — Beltzow®) fand auf indirekte
Fragmentirung zu beziehende Kerntheilungsfiguren bei seinen Be-
obachtungen über die Regeneration des Harnblasenepithels beim
Kaninchen. — Besonders erwähnenswerth ist eine Arbeit von
Ströbe?): Derselbe sagt (S. 355) über die Riesenzellen im
Knochenmark junger Kaninchen: „Wer ganz wunbefangen die
Präparate durchmustert, wird sozusagen mit Gewalt dazu ge-
drängt, sich den Arnold’schen Anschauungen, insbesondere mit
Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung etc. 377
2) Werner, Ueber Theilungsvorgänge in den Riesenzellen des
Knochenmarks. Virchow’s Archiv Bd. 106.
3) Sehottländer, Ueber Kern- und Zelltheilungsvorgänge in
dem Endothel der entzündeten Hornhaut. Archiv f. mikr. Anat. Bd. 31.
4) Hess, Ueber Vermehrungs- und Zerfallsvorgänge an den
grossen Zellen in der acut hyperplastischen Milz der weissen Maus.
Beiträge zur pathol. Anat. u. zur allg. Pathol., herausg. von Ziegler,
Bd. VII.
5) Geelmuyden, Das Verhalten des Knochenmarks in Krank-
heiten und die physiologische Funktion desselben. Virchow’s Arch.
Bd. 106.
6) Beltzow, Zur Regeneration des Epithels der Harnblase.
Virchow’s Arch. Bd. 97.
7) Ströbe, Ueber Kerntheilung und Riesenzellenbildung in Ge-
schwülsten und im Knochenmark. Beitrg. z. pathol. Anat. u. zur allg.
Pathol., herausg. von Ziegler, Bd. VI.
378 E. Göppert:
Bezug auf die indirekte Fragmentirung mehr oder weniger rück-
haltslos anzuschliessen.“ Ebenso fand Ströbe in Sarecomen und
Carcinomen, namentlich aber in den ersteren, Kernfiguren, „die
in die Formenreihe der Arnold’schen mehrfachen indirekten
Fragmentirung“ gehören (S. 357). — Ferner ist eine Arbeit von
Flemming?) zu erwähnen über „amitotische Kerntheilung im
Blasenepithel des Salamanders“. Der Kerntheilungsvorgang, der
übrigens in diesem Fall wahrscheinlieh abnormen Verhältnissen
seinen Ursprung verdankte, begann mit einer Zunahme der Tin-
girbarkeit des Kerns. In ihm traten stark ehromatische Stränge
und Körner auf. Der Kern konnte sich jetzt schon zerschnüren.
Gewöhnlich wurde er vorher von einem Loch durchsetzt, das
sich allmählich vergrösserte. Auch mehrfache Durchbohrungen
kamen vor. Die Seitenränder dieser Lücken wurden zu ver-
schmälerten Strängen ausgespannt, nach deren Durchbrechung
die Theilung vollendet war. Nach Allem ist der geschilderte
Vorgang doch als indirekte Fragmentirung zu bezeichnen. —
Hervorzuheben ist schliesslich noch, dass Löwit?) bei amitotischen
Theilungen von Leueocyten, speciell auch beim Salamander,
eine Vermehrung des Chromatins, sowie eigenthümliche Umlage-
rungen desselben beobachtet hat.
Gegen die Arnold’schen Angaben sind eine Anzahl von
Einwendungen erhoben worden (so von Cornil!?), Denys!),
Ayoama!?), Löwit(?), Demarbaix!3). Auf diese ist zum Theil
8) Flemming, Amitotische Kerntheilung im Blasenepithel des
Salamanders. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 34.
9) Löwit, Ueber Neubildung und Zerfall weisser Blutkörper-
chen. Ein Beitrag zur Lehre von der Leukämie. Sitzungsber. der
mathem.-naturw. Klasse der kaiserl. Akad. der Wissenschaft Bd. 92,
Heft LI.
10) Cornil, Sur la multiplication des cellules de la moelle des
os par division indirecte dans l’inflammation. Arch. de physiol. norm.
et pathol. T. X, 3me serie.
11) Denys, a) La cytodierese des cellules g&antes et des petites
cellules incolores de la moelle des os. La Cellule T.IH. — b) Quel-
ques remarques & propos du dernier travail d’Arnold sur la fragmen-
tation indirecte. La Cellule T.V.
12) Ayoama, Indirekte Kerntheilung in verschiedenen Neubil-
dungen. Virchow’s Arch. Bd. 106.
13)Demarbaix, Division et dögönerescence des cellules g6antes
de la moelle des os. La Cellule T. V.
TEE
Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung ete. 379
Arnold selbst (*f), zum Theil Hess(t) und Ströbe(?) ein-
_ gegangen. Ich will deshalb bloss einiges über die letzte Arbeit
Zu
u 12 2, 22
von Denys(!!”) und die Arbeit Demarbaix(!?) sagen und zwar
nur deshalb, weil nach Kölliker!*) durch sie die ganze Lehre
der indirekten Fragmentirung in Zweifel gestellt werden soll.
Demarbaix behauptet nämlich auf Grund seiner Beobachtungen,
dass der Chromatinreichthum der Kerne, welchen Arnold als
ein Zeichen der indirekten Fragmentirung auffasst, nur der Aus-
‘druck einer cadaverösen Veränderung der Kerme sei, welche
immer erst einige Zeit nach dem Tode eintrete. Nun hat aber
‘ Arnold zweifellos seine Beobachtungen an ganz frischem Ma-
terial anstellen können. Dasselbe heben Hess(*) und Ströbe(”)
mit Rücksicht auf die Demarbaix’schen Angaben für ihre
Untersuchungen hervor. Der erstere hat überdies die Versuche
Demarbaix’s an der Milz der Maus wiederholt, ohne zu dessen
am Knochenmark gewonnenen Resultaten zu kommen. Demar-
baix giebt nun ferner seiner Arbeit Zeichnungen mit, welche die
eadaverösen Veränderungen an den Kernen der Riesenzellen dar-
stellen und zugleich beweisen sollen, dass diese, thatsächlich
durch postmortale Degeneration zu Stande gekommenen, Kern-
strueturen identisch seien mit denjenigen, welche Arnold fälsch-
lich für seine indirekte Fragmentirung in Anspruch nehme. Bei
der Vergleichung der hierher gehörigen Arnold’schen und De-
marbaix’schen Figuren fallen aber fast überall” so bedeutende
_ Unterschiede in die Augen, dass an eine Identität der von beiden
beobachteten Erscheinungen nicht zu denken ist. Nirgends sieht
man nämlich in den von Demarbaix abgebildeten Kernen, so-
weit sie überhaupt nicht völlig homogen erscheinen, den Unter-
schied von diffus vertheiltem und geformtem Chromatin; aber
auch abgesehen davon, habe ich derartige Structuren, wie sie
z.B. in den Figuren 3,4, 5, 6, 16, 17, 18, 19, 20, 30, 37, auch
43 wiedergegeben sind, weder in den Arnold’schen Zeichnungen
dargestellt, noch in seinen Arbeiten beschrieben gefunden. Nach
alledem entbehrt also die oben eitirte Behauptung Demarbaix’s
thatsächlich der Begründung. — Derselbe behauptet weiter, dass
die Kernfiguren, in denen die Theilstücke noch durch Bänder
14) Kölliker, Handbuch der Gewebelehre des Menschen (6. Aufl.)
Seite 62).
380 E. Göppert:
und Fäden zusammenhängen, zurückzuführen seien auf eine Zer-
zerrung der cadaverös veränderten Kerne durch die Präparir-
nadel. Abgesehen davon, dass Arnold seine Beobachtungen
auch an Schüttelpräparaten machte, ist die Annahme, die hier-
hergehörigen complieirten Kernfiguren könnten auf diese Art
entstanden sein, noch dazu, ohne dass am Kern wie an den Zell-
körpern deutliche Spuren einer derartigen gewaltsamen Einwir-
kung erkennbar gewesen wären, einfach undenkbar. — Schliess-
lich sagt Demarbaix auf S. 53 seiner Arbeit: La division eine-
tique multiple est le seul mode de division bien etabli des cel-
lulles geantes de la moelle. Dass die Riesenzellen auch amitotisch
sich theilen können, ist sicher bewiesen durch den Befund von
kleinen Zellen im Innern der Riesenzellen, deren Kerne noch mit
dem Kern der letzteren durch dünne Fäden in Zusammenhang
stehen. — Auf die eben zurückgewiesenen Behauptungen De-
marbaix’s stützt sich nun auf Denys in seiner letzten Arbeit (!!”),
in der er das Vorkommen einer indirekten Fragmentirung gänz-
lich leugnet. Durch die Widerlesung Demarbaix’s fällt also
zugleich ein Theil der Grundlagen für die Denys’sche Ansicht.
— Hess(*) ist bereits auf einige Punkte dieser Arbeit einge-
gangen. Ich will deshalb nur noch die Behauptung Deny’s an-
führen, die Beobachtung Arnold’s von ringförmigen Kernen be-
ruhe auf einem Irrthum; thatsächlich handle es sich in den
Fällen, in welchen Arnold zu dieser Auffassung geführt wurde,
um Kerne, deren Nucleolus sich in eine Vacuole umgewandelt
habe. Von vornherein erscheint es schon undenkbar, dass Ar-
nold sich in dieser Weise hätte täuschen lassen können; Denys
hat ausserdem in keiner Weise, weder in seiner Beschreibung
noch in seinen Abbildungen dieser vacuolisirten Kerne den Be-
weis geliefert, dass seine Befunde wirklich identisch seien mit
den Beobachtungen Arnold’s und nur eine falsche Deutung von
Seiten des letzteren vorliege. Schliesslich beweisen die in den
Binnenräumen von Kernringen von Arnold angetroffenen Struc-
turen: Fäden, welche mit den chromatischen Elementen der Kern-
figur in Zusammenhang stehen können, dass es sich hier unmög-
lich um Vacuolisirung des Nucleolus handeln kann ®).
15) Flemming(®) bestätigt das Vorkommen von ringför-
migen Kernen in Lymphzellen, speciell auch in der Milz der Maus.
B
ı
Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung etc. 381
Trotz dieser Entgegnungen ist also an dem Vorkommen
der Arnold’schen indirekten Fragmentirung nicht zu zweifeln.
Ich gehe jetzt zur Besprechung meiner Befunde über.
Bei der Durchmusterung der Randschicht der Urodelenleber
fallen besonders Zellen auf, deren Kerne Ringform besitzen. Ein
soleher Kern stellt einen wirklichen Ring vor, ist thatsächlich
— durehbohrt. Durch Heben und Senken des Tubus kann man die
Perforation durch die ganze Dicke des Kerns verfolgen und
kann sich davon übezeugen, dass man es nicht etwa blos
mit einem vacuolisirten Kern zu thun hat (Fig. 5). Ohne
Weiteres ergiebt sich dies auch, wenn man in dickeren
Schnitten einen derartigen Kern etwas von der Seite zu sehen
bekommt. Der Zusammenhang zwischen der nach Aussen und
der nach Innen, gegen den Binnenraum gerichteten Begrenzung
desselben ist dann deutlich zu erkennen. An solchen Bildern
sieht man ausserdem noch, dass die Kernringe in der Richtung
der Durchbohrung etwas abgeplattet sind (Fig. 4). Die Kern-
substanz wird ebenso, wie an allen übrigen Stellen, auch gegen
den Binnenraum des Ringes durch die unveränderte Kernmembran
begrenzt. Die Substanz, welche die Perforation ausfüllt, unter-
scheidet sich in nichts von dem den ganzen Kern peripher um-
schliessenden Protoplasma. Besondere Structuren, wie sie Arnold
in den „hellen Feldern“ der durch indireete Fragmentirung sich
theilenden Zellen der Mausmilz auffand (!f), konnte ich in den
Binnenräumen der Kernringe nirgends wahrnehmen. Die Grösse
des Loches schwankt; meist stellt es sich nicht grösser dar, als
es in Figur 5 erscheint. Anderseits findet man Kerne, deren
Perforationen ihrer Kleinheit wegen sich leicht der Beobachtung
entziehen können. Verschieden ist auch die Form der Kernlöcher.
Häufig nähert sie sich der Kreisform, oft erscheinen die Durch-
Ferner sind unzweifelhaft ringförmige Kerne noch beschrieben in einer
Arbeit von Poljakoff: „Ueber eine neue Art von fettbildenden Or-
ganen im lockern Bindegewebe.“ Arch. f. mikr. Anat. Bd. 32, S. 138
u. 139. P. beobachtete an gewissen Zellen im subeutanen Bindegewebe
der Ratte einen Theilungsvorgang, bei welchem der Kern erst Ring-
form annahm, um sich dann in gewöhnlich zwei Theile zu zerlegen,
„welche, ähnlich, wie es Arnold beschreibt, noch längere Zeit durch
helle Streifen mit einander in Verbindung bleiben. An die Kernthei-
lung schliesst sich die Zelltheilung an. Die Kernstructur hat hier
keine Berücksichtigung gefunden.
382 -- E. Göppert:
brechungen fast polygonal mit etwas abgerundeten Ecken, ge-
legentlich auch als längliche Spalten. Das letztere fällt oft, aber
nicht regelmässig mit einer gestreckten Form des ganzen Kernes
zusammen. — In einigen Fällen ergab sich, dass die Mündung
des den Kern durchbohrenden Kanals auf der einen Seite der
Kernoberfläche einen ziemlich grossen Spalt, auf der entgegen-
gesetzten nur ein kleines rundliches Loch darstellt. An dieses
Verhalten schloss sich der Befund von Kernen an, in denen nur
eine Einsenkung von einer Stelle der Peripherie aus in’s Innere
des Kernes zu constatiren war, aber keine vollständige Durch-
bohrung vorlag. Derartige Kerne sind dann etwa mit einem sehr
diekwandigen Becher zu vergleichen (Fig. 2). Diese beiden zu-
letzt beschriebenen Kernformen zeigen nie weitergehende Thei-
lungserscheinungen, wie dies bei den Kernringen der Fall ist.
Man ist deshalb berechtigt, in ihnen Vorstufen zur Ringform zu
sehen. Danach würde der Vorgang der Kerndurchbohrung aufzu-
fassen sein, als eine Durchschnürung der Kernsubstanz, welche
wenigstens in vielen Fällen an einem Pol des ursprünglich mehr
oder weniger kugeligen Kerns beginnt, denselben zunächst in
einen sich allmählich vertiefenden Becher und schliesslich in einen
Ring umwandelt. Das Stadium, in welchem die Durchbohrung
eben eingetreten ist, stellen die Kerne vor, an welchen die eine
Oeffnung kleimer ist, als die andere. Die letztere weitere wird
dann als die Ausgangsstelle des ganzen Processes zu gelten haben.
Die Differenz in der Weite des den Kern durchbohrenden Kanals
gleicht sich später aus. Es scheint, als wenn der eben beschrie-
bene Vorgang seinem Wesen nach nicht verschieden ist von dem
gewöhnlich zu beobachtenden Zerschnürungsprozess, welcher z.B.
bei der direkten Kerntheilung die Zweitheilung eines Kerns be-
wirkt 19).
Die Ringform bildet den Ausgangspunkt für die weitere
16) Hatschek hat bei Amphioxuslarven einer gewissen Ent-
wickelungsstufe ringförmige Kerne in dem äusseren stark abge-
platteten Fpithel beobachten können. Da derartige Kernformen in
dem vorhergehenden und folgenden Stadium, welche eylindrische
Epithelzellen an der entsprechenden Stelle aufweisen, fehlen, bringt
Hatschek die Entstehung derselben mit der starken Abplattung der
Epithelschicht in Zusammenhang (Anatom. Anzeiger 1889, Verhandl.
d. Anatom. Ges. auf d. III. Vers. in Berlin 10—12. Okt. 1889).
- Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung etc. 383
Zerlegung der Kerne, welche zur Bildung von 2—-8 Tochter-
kernen führt. Man unterscheidet dabei zwei Modificationen. Das
Resultat des häufigeren Modus ist, dass man den Kernring durch
Scheidewände in eine Anzahl von Theilstücken zerlegt findet,
ohne dass die ursprüngliche Form des Ringes wesentlich beein-
trächtigt ist. Die Orientirung dieser Scheidewände ist eine der-
artige, dass dieselben im optischen Querschnitt des Kerns sich
als dunkle Linien darstellen, welche mehr oder minder genau in
den Radien des von der Kernperipherie begrenzten Kreises oder
Ovals verlaufen (Fig. 6). Aus diesem Verhalten ergiebt sich‘
- schon, dass die Trennungsebenen etwa senkrecht zur Aequatorial-
*
ebene des Ringes stehen. Nicht immer greifen die Scheidewände
dureh die ganze Dicke der Kernsubstanz hindurch. Gelegentlich
findet man sogar die Trennungsstelle zwischen 2 Kerntheilen ge
rade nur angedeutet durch eine kleine Einfurchung der Kern-
- membran, welche scharf etwas in’s Innere der Kernsubstanz vor-
,
springt. In anderen Fällen besteht allerdings eine deutliche
Scheidewand, dieselbe ist aber auf die Nähe der Kernperipherie
beschränkt und würde dann etwa die Form einer rundlichen, mit
einem grösseren oder kleineren Loch versehenen Scheibe haben.
Man findet schliesslich alle Uebergangsformen zwischen diesem
Zustand und dem Zustand völliger Trennung der Theilstücke von
einander; aber auch hier wird man immer zwischen je zweien
derselben eine kleine Einfurchung wahrnehmen, da die Scheide-
wand sich stets in der Nähe der Kernperipherie in zwei Lamel-
len spaltet, welche auseinander weichend in die Kernmembranen
der betreffenden Tochterkerne übergehen (Fig. 19, 22). Aus
alledem ergiebt sich, dass die Zerlegung des Kernrings durch
einen Einfurchungsprocess von der Kernperipherie her erfolgt.
Wenn man im Innern der Kernsubstanz die Zusammensetzung
der Scheidewand aus zwei Lamellen nicht feststellen kann, so
liegt dies an der grossen Feinheit und dem engen Aneinander-
liegen der letzteren. — Zu erwähnen ist noch, dass die eindrin-
gende Furche sich nicht in allen ihren Punkten gleichmässig ein-
zusenken braucht, oft greift sie an der einen Stelle tiefer ein als
an der andern. Auch braucht die Einschnürung nicht gleich
von vornherein die ganze Peripherie der Ringwandung in der
oben bezeichneten Richtung zu umgreifen. Der Process kann
auch an einem einzelnen Punkt beginnen. So erkennt man z.B.
384 E. Göppert:
in Fig. 17, dass an zwei Stellen die Einfurchung an der inneren,
an einer an der äusseren Peripherie des Kerns aufgetreten ist,
ohne dass an den gegenüberliegenden Punkten der Peripherie
das Gleiche zu bemerken wäre.
Ist die Durchtrennung des Kernrings erfolgt, so fangen die
Theilstücke, welche bisher mit abgeplatteten Flächen zusammen-
stiessen, an, sich gegeneinander abzurunden, so dass sie schliess-
lich als selbstständige, mehr oder weniger kugelige Gebilde neben
einander liegen (Fig. 7, 8, 12, 13, 15). Eine häufige Folge die-
ses Vorgangs ist, dass die Ringe weiter werden, der Binnenraum
sich vergrössert, wenn es nicht durch eine Verschiebung der
Theilstücke gegen einander verhindert wird.
Nieht immer sieht man nun aber die Kerntheile so dicht
neben einander gelagert und in so regelmässiger Weise gegen ein-
ander abgegrenzt, wie dies eben beschrieben wurde. Oft findet
man zwei benachbarte Kerntheile mehr oder weniger von einan-
der abgerückt und zwischen ihnen eine band- oder fadenartige
Verbindung (Fig. 9, 10, 24, 26, 27). Diese Brücke scheint im-
mer farblos zu sein. Von irgend welcher Struetur konnte ich an
ihr in der Regel nichts wahrnehmen, nur selten war eine äusserst
zarte Längsstreifung zu bemerken. Die Substanz der mit einan-
der verbundenen Kerntheile war stets ‚scharf gegen die Brücken-
substanz abgegrenzt, aber nie durch eine Membran von ihr ge-
schieden. Die Kernmembran ging in die Brücke über. Der
Querdurchmesser eines derartigen Verbindungsstranges blieb stets
kleiner als derjenige der von ihm zusammengehaltenen Theil-
stücke. Zwischen die beiden letzteren senkt sich somit immer
eine ringförmige Furche ein, deren Boden eben von dem Ver-
bindungsstrang. gebildet wird. Gelegentlich war der Verbindungs-
faden so dünn, dass er gerade nur noch wahrnehmbar blieb; da-
bei war in der Regel zu beobachten, dass die Fadendicke um-
gekehrt proportional war der Entfernung beider Kerntheile von
einander, je grösser die letztere, desto dünner der Faden. Zu-
weilen fand sich aber auch zwischen .dieht neben einander ge-
legenen Kerntheilen eine nur äusserst zarte Verbindung (Fig. 9).
In den Fällen mit langem, dünnem Verbindungsfaden waren öfters
die der Anheftung desselben dienenden Stellen der Kernperipherie
etwas in der Längsrichtung des Fadens verzogen, so dass der-
selbe von kleinen kegelförmigen Erhebungen entsprang (Fig. 10).
-
Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung ete. 385
Dann war der Faden häufig in seiner Mitte dünner als an beiden
Enden. — Die letzteren Befunde weisen darauf hin, dass der
Verbindungsfaden relativ stark gespannt ist, dass er gedehnt wird,
indem sich die dureh ihn verbundenen Theilstücke von einander
entfernen. Daraus ergiebt sich der Zusammenhang zwischen den
beiden Theilungsmodi. Von vornherein ist es schon klar, dass
eine tiefere Verschiedenheit zwischen beiden nicht bestehen wird.
Man findet sie nämlich neben einander an derselben Kernfigur.
Ein Kerntheil kann gegen den einen Nachbartheil in der oben
besehriebenen Weise abgeplattet und scharf begrenzt sein, mit
- dem andern dagegen durch einen hellen Faden zusammenhängen
(Fig. 24, 26). Die Faden- oder Bandverbindung kommt also wohl
dann zu Stande, wenn zwei in Abschnürung von einander begriffene
Kernstücke sich während dieses Vorgangs von einander entfernen.
— Ob das letztere nun aber geschieht durch Bewegungen innerhalb
des Kernrings oder von Seiten des Protoplasma, ist natürlich schwer
zu sagen. — Die Verbindung wird wahrscheinlich gelöst durch
ein Zerreissen des dünn ausgezogenen Fadens. Schon vorher hat
sich die dem einen Theilstück zugehörige Kernsubstanz von der
des andern Kerntheils getrennt, so dass die Verbindungsbrücke
dann nur aus Kernmembran und achromatischen Kernbestand-
theilen zusammengesetzt ist. In den Fällen, bei welchen sich
zwischen zwei nur wenig von einander entfernten Tochterkernen
ein ganz dünner Faden befindet, wird das Auseinanderrücken
beider erst eingetreten sein, als sie sich bereits durch den an
erster Stelle beschriebenen Vorgang fast völlig von einander los-
geschnürt hatten.
In der Regel bleiben die Theilstücke des Kerns auch spä-
terhin wenigstens annähernd kreisförmig angeordnet. Sie sind
oft von ziemlich gleicher (Fig. 7, 8), oft aber auch recht ver-
schiedener Grösse (Fig. 12). Sie weichen ferner in ihrer Form
zuweilen selbst innerhalb derselben Zelle ganz bedeutend von ein-
ander ab: man findet längliche Tochterkerne neben kugeligen,
spindelförmige neben wurst- und bohnenförmigen (Fig. 11, 13, 15,
20, 25). Gelegentlich ist die Grössendifferenz eine so bedeutende,
dass man annehmen muss, die grösseren Theilstücke werden spä-
ter nochmals zerschnürt werden (Fig. 16). Man findet ferner oft
in derselben Kernfigur die Trennung der einzelnen Stücke ver-
schieden weit vorgeschritten. Einen sehr häufigen Befund bilden
386 E. Göppert:
sichel- oder hufeisenförmige Kerne, die beiden Enden des Kern-
bandes können verschieden weit von einander entfernt sein, sich
aber auch gegenseitig berühren oder sogar gegen einander ver-
schoben sein, sodass der ganze Kern eine leichte Spiraldrehung
aufweist (Fig. 23, 24, 25, 18, 14, 19, 17, 21, 22). Im VUebrigen
braucht eine Zerlegung desselben in kleinere Stücke noch gar nicht
eingetreten zu sein; sie kann aber auch bereits mehr oder weniger
grosse Fortschritte gemacht haben. Derartige Kernformen können
natürlich entstanden gedacht werden durch entsprechende Verbiegung
von wurst- oder bandartigen Kernen. Wenn man dies nun auch im
einzelnen Fall nicht ausschliessen kann, so wird es doch sehr
unwahrscheinlich dadurch, dass man nirgends solche langgestreckte
Kerne findet, welche als Vorstufen für die erwähnten Kernfiguren
angesehen werden können. Dass letztere aber aus Ringen ent-
stehen können, indem dieselben an einer Stelle eine frühzeitige
Durehsehnürung erfahren, wird klar bewiesen durch den Befund
von Sicheln und Hufeisen, deren Enden noch durch einen mehr
oder weniger dünnen Verbindungsfaden zusammenhängen (Fig. 26).
— Nach Allem kann also die Zertrennung eines Kerns an seinen
verschiedenen Stellen sehr ungleichzeitig erfolgen.
Gewöhnlich liegen die Kernringe, namentlich die Tochter-
kernringe nicht in einer Ebene, sondern sind in der verschieden-
sten und mannigfaltigsten Weise verborgen und verkrümmt. Ge-
legentlich kommen sogar Achterfiguren vor.
Es bleibt noch zu bemerken, dass man manchmal an die
Möglichkeit einer Umgehung des Ringstadiums bei der Kernzer-
schnürung denken könnte. Man findet nämlich zuweilen in einer
Zelle zwei kleine Kerne ziemlich gleicher Grösse neben einander
gelagert, welche einander eine etwas abgeplattete Fläche zuwen-
den; an einer kleinen peripheren Stelle dieser Fläche hängen
manchmal derartige Kerne noch unmittelbar mit einander zusam-
men. Dieser Befund kann den Anschein erwecken, als wenn ein
Kern durch eine an seiner einen Seite einsetzenden, nach der
anderen fortschreitenden Einfurchung in zwei Theile zerlegt wer-
den könnte. Man findet nun aber auch Kerne, welche sich nur
dadurch von der zuletzt beschriebenen Form unterscheiden, dass
noch eine zweite, aber fadenförmige Verbindung zwischen ihnen
existirt, welche annähernd symmetrisch zu der ersten gelegen,
die ganze Kernfigur zu einem Ring abschliesst. In anderen Fällen
N
4
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Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung ete. 387
sieht man nur noch die beiden Kerntheile durch zwei oft schon
sehr dünne, helle Fäden an den entsprechenden Stellen verbunden
(Fig. 27). Danach sind also die beiden Befunde, welche auf
eine einfache Zerschnürung hinzuweisen scheinen, auch abzuleiten
von ringförmigen Kernfiguren, in denen eine Zweitheilung ein-
geleitet ist, und bei welcher die zwischen beiden Theilstücken
_ ursprünglich vorhandene Verbindung bereits an einer oder an bei-
- den Stellen verloren gegangen ist.
Betrachtet man die noch ungetheilten Kernringe mit Rück-
“sieht auf ihre feinere Struktur bei starker Vergrösserung, so be-
obachtet man in ihnen ein feines maschiges Gerüstwerk von chro-
matischer Substanz. Die Balken desselben sind von verschiedener
Dicke, aber auch die dicksten stellen immer noch sehr zarte Ge-
bilde vor. In vielen, manchmal in fast allen Knotenpunkten des
Netzes finden sich kleine rundliche, scharf begrenzte Chromatin-
körnehen eingelagert. Die Grösse derselben schwankt. Im höch-
sten Fall erreichen sie meist doch nicht den Umfang der Nucleoli
ruhender Kerne, während die kleinsten Gebilde dieser Art nur
als Punkte erscheinen. Im Grossen und Ganzen zeigen die Ge-
rüstbalken eine deutlich radiäre Anordnung um das Kernloch
herum (Fig. 3), sodass man schon bei relativ schwacher Ver-
grösserung in den Kernringen eine strahlige Struktur erkennt
(Fig. 5). —: Wenn man sich nun unter den nicht perforirten Ker-
nen der Leberrandschicht umsieht, so findet man bald solche,
deren Struktur im Allgemeinen genau übereinstimmt mit der der
Kernringe, nur eine radiäre Anordnung der chromatischen Sub-
stanz fehlt bei ihnen (Fig. 1). Denselben Bau zeigen auch die
nur unvollständig durchbohrten, becherförmigen Kerne (Fig. 2).
Die eben beschriebenen Strukturverhältnisse weichen nun erheblich
ab von dem inneren Bau der übrigen noch nicht umgestalteten
Kerne der Randzone. In diesen sieht man nämlich ausser den
Kernkörperchen auch Chromatinfäden oder -balken, die wohl
selbst in netzförmiger Verbindung unter einander angetroffen wer-
den; von einer so deutlichen und regelmässigen Structur aber,
wie in den vorher beschriebenen Kernen, ist nicht die Rede.
Die letzteren zeichnen sich auch dadurch aus, dass die Chromatin-
körnchen in ihnen meist in grösserer Anzahl vorhanden und
gleichmässiger über den Kern vertheilt, aber auch im Durchschnitt,
wie schon oben erwähnt, von geringerer Grösse sind, als es in
388 E. Göppert:
den unveränderten Kernen der Fall ist. Ob es sich nun aber in
ihnen wirklich um eine Vermehrung oder ob es sich nur um eine
veränderte Anordnung des Chromatins handelt, ist natürlich schwer
zu sagen; oft scheint allerdings thatsächlich eine Zunahme der
chromatischen Substanz vorzuliegen. — Wenn man nun also die-
selbe Struktur, welche man in ring- und becherförmigen Kernen
beobachtet, auch in einzelnen noch kugeligen Kernen wahrnimmt,
so wird man dadurch zu der Ueberzeugung gebracht, dass letztere
auch bereits in Theilung begriffen sind und dicht davor stehen,
die Ringform anzunehmen. Somit leitet sich der vorliegende
Kerntheilungsprozess ein durch eine Veränderung der Anordnung
des Chromatins, wahrscheinlich verbunden mit einer Vermehrung
desselben. Sobald dann der Kern Ringform angenommen hat,
gruppirt sich das chromatische Netzwerk radiär zu dem Mittel-
punkt des Kernrings. — Von weiteren Veränderungen im Bau
des Kernes kann ich nicht viel berichten. Auch nach dem Be-
ginn der Zerschnürung des Ringes besteht die radiäre Anordnung
des Chromatinnetzes noch fort. Bei hufeisenförmigen Kernen habe
ich sie sogar oft besonders gut wahrnehmen können. Während
des weiteren Fortschrittes der Zertheilung tritt das Chromatin-
netz dann wieder mehr zurück. Die Chromatinkörnchen scheinen
an Zahl abzunehmen, dafür zeichnen sich wieder ein oder mehrere
Nucleoli in jedem Theilstück durch besondere Grösse aus. — Ir-
gend welche Veränderungen an der Kernmembran konnte ich
nicht wahrnehmen. Von einer diffusen Vertheilung des Chroma-
tins im Kernsaft habe ich mich nicht ganz sicher überzeugen
können.
Die auf die beschriebene Weise entstandenen multinucleären
Zellen finden sich nun nicht nur in dem Iymphatischeu Gewebe
der Leber, sondern auch ziemlich zahlreich frei im Blut schwim-
mend vor (Fig. 20). Die Art und Weise, wie sie dorthin ge-
langen, ist ohne Weiteres klar: durch Eberth!”) ist schon die
Fähigkeit zu amöboiden Bewegungen bei den Zellen der Leber-
randschicht nachgewiesen worden. Dazu sieht man, wie die
Blutgefässe der Leber unmittelbar an die Randzone herangehen
(Fig. 28), so dass eine Einwanderung auf dem direktesten Wege
17) Eberth, Untersuchungen über die Leber der Wirbelthiere.
Arch. für mikr. Anat. Bd. 3.
hr a al a 10 ar A ni m
Kerntheilung durch indirekte Fragmentirung etc. 389
möglich ist. — Dieselben vielkernigen Zellen trifft man auch in
der Milz. Ich habe aber nicht feststellen können, ob sie bloss
eingeschwemmt sind oder einem an Ort und Stelle vor sich gehen-
den Theilungsprocess ihren Ursprung verdanken.
Es sei noch erwähnt, dass ich in einem Präparat des Blutes
von Protopterus annecteus Kernfiguren gesehen habe, die genau
den oben beschriebenen Formen entsprechen. Es fanden sich
ring- wie hufeisenförmige Kerne. — Schliesslich muss ich noch
hervorheben, dass in meinen Präparaten sich in der Leberrand-
‚schieht gar nicht selten Mitosen vorfanden.
Kurz zusammengefasst stellt sich der im Vorhergehenden
beschriebene Kerntheilungsvorgang etwa folgendermassen dar:
Zuerst wird in den Kernen ein deutliches, maschiges Chromatin-
gerüst- sichtbar mit Chromatinkörnchen in den Knotenpunkten.
— Darauf giebt ein Durchschnürungsprocess den Kernen Ringform.
Das Chromatinnetz ordnet sich nun radiär zu der Perforation an.
— Dann wird der Kernring in 2 bis 8, häufig nach Form und
Grösse ungleiche Theilstücke zerschnürt, welche nunmehr annähernd
in einem Kreis angeordnet bleiben. — Während des ganzen Vor-
gangs bleibt der Kern in seinen Theilen stets an allen Stellen
durch eine Kernmembran gegen das Protoplasma abgegrenzt. —
Eine an die Kerntheilung sich anschliessende Zelltheilung Konnte
ich nicht sicher nachweisen. Ich muss aber auch hervorheben,
dass ich nirgends degenerative Erscheinungen an denmultinucleären
Zellen finden konnte. |
Vergleicht man nun diesen Kerntheilungsvorgang mit dem
von Arnold als indirekte Fragmentirung beschriebenen Processe,
so ergiebt sich in allem Wesentlichen eine völlige Uebereinstim-
mung zwischen beiden: Entsprechend den Arnold’schen Befunden
wird auch die eben beschriebene Kerntheilung durch Umordnung
und auch wohl Vermehrung des Chromatins eingeleitet1®). Nur die
diffuse Vertheilung desselben konnte ich nicht nachweisen. Auch
Arnold beobachtete ein ringförmiges Stadium, und konnte auch
hier gelegentlich eine radiäre Anordnung der chromatischen Sub-
=
.
.
5,
_
stanz um die Perforation herum nachweisen. Ferner fand er
18) Es muss hervorgehoben werden, dass manche von Arnold
wiedergegebenen Kernstrukturen grosse Aehnlichkeit besitzen mit
denjenigen, welche ich oben beschrieben habe.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 26
390 E. Göppert:
gleichfalls die Tochterkerne durch helle Fäden und Bänder ver-
bunden. Im vorliegenden Fall findet sich nun aber noch eine
zweite Modification der Kernzersehnürung: die einzelnen Stücke
können sich durch regelmässige Theilungsflächen gegen einander
abgrenzen. Dies berührt die Fassung der ersten Definition, wel-
che Arnold von der Fragmentirung gab, als eines Theilungsvor-
gangs, bei welchem die Kernabschnitte sich nicht durch regel-
mässige Theilungsflächen abgrenzten (1%). Da aber diese zweite
Modification der Theilung, wie oben gezeigt wurde, nicht wesent-
lich verschieden ist von derjenigen, bei welcher die Stücke noch
eine Zeitlang durch Bänder und Fäden mit einander in Verbin-
dung stehen, so giebt sie keinen irgend erheblichen Differenz-
punkt zwischen den oben wiedergegebenen Arnold’schen und den °
hier beschriebenen Befunden ab. Uebereinstimmend mit Arnold
fand schliesslich auch ich die Kernmembran während des ganzen
Vorgangs erhalten.
Aus Allem geht also hervor, dass die Kerne Iymphatischer
Zellen bei Salamandrinen eine indirekte Fragmentirung im Arnold-
schen Sinn durehmachen können.
Zum Schluss spreche ich Herrn Professor O0. Hertwig
meinen besten Dank für die freundliche Unterstützung aus, die ”
derselbe mir bei meiner Arbeit hat zu Theil werden lassen.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XX.
Die Figuren geben mit zwei Ausnahmen Zellen aus der Iympha-
tischen Randschicht der Leber von Triton alpestris wieder.
1. Kugliger Kern mit einem deutlichen netzartigen Chromatin-
gcerüst. Die Balken desselben sind von verschiedener Stärke.
In den Knotenpunkten des Netzes sind Chromatinkörnchen
verschiedener Grösse eingelagert.
Fig. 2. Optischer Querschnitt eines becherförmigen, also eben in
Durchschnürung begriffenen Kernes, mit demselben inneren
Bau, den Fig. 1 zeigt.
Fig. 3. Kernring mit deutlich radiärer Anordnung des Chromatin- &
gerüstes, welches sich im übrigen wie in Fig. 1 u. 2 verhält.
Fig. 1—3 gezeichnet mit Zeiss homog. Imm. 1/jo, Oc. 8.
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e Kermntheilung dureh indirekte Fragmentirung etc. 391
Seitliche Ansicht eines Kernringes. Die Umrisse desselben
sind bei starker. Vergrösserung genau wiedergegeben. Die
Schattirung ist hergestellt entsprechend der leicht zu consta-
tirenden Lagebeziehungen der einzelnen Kernabschnitte zu
einander.. Der Kern erscheint in der Richtung der Perfo-
ration abgeplattet.
Kernring. Man erkennt auch hier die radiäre Anordnung der
chromatischen Substanz.
In 6 Theilstücke zerlegter Kernring. Die Theilstücke grenzen
sich durch regelmässige Theilungsflächen gegen einander ab.
Die äussere Form des Kernringes ist durch die Zertheilung
nicht verändert. !
7u.8 Die Theilstücke haben sich gegen einander abgerundet
2:
= 10.
und sind damit selbständig geworden.
An zwei Stellen stehen benachbarte Kerntheile noch durch
helle dünne Fäden mit einander in Verbindung.
Der Verbindungsfaden zweier Theilstücke entspringt nament-
lich an einer Seite von einer kleinen kegelförmigen Erhebung
der Kernperipherie; er ist in der Mitte dünner als an beiden
Enden. ..
11—16. Die einzelnen Tochterkerne weisen auch innerhalb der-
selben Zelle verschiedene Form und Grösse auf.
. 17-25. Hufeisen- und sichelförmige Kerne. Die beiden Kern-
26.
27.
. 28.
enden stehen verschieden zu einander; sie berühren sieh in
Fig. 18; sie sind entfernt von einander in Fig. 19, 20, 23, 24,
25; sie sind gegen einander verschoben in Fig. 17, 21, 22;
hier zeigt also der Kern eine leichte Spiraldrehung. (Fig. 20
stammt aus dem Blut.) 1
Hufeisenkern, dessen Enden noch dutch einen dünnen Faden
zusammenhängen.
Zweitheilung eines Kernringes. Die Theilstücke hängen noch
durch zwei helle Fäden zusammen. (Lymphatische Zelle aus
der Leber von Salamandra maculata). In Fig. 5—27 haben
die feineren Strukturverhältnisse der Kerne keine besondere
Berücksichtigung gefunden. Fig. 5—27 gez. mit Zeiss,
0B2,D,:0e. 8, ;
Darstellung eines Stückes der Iymphatischen Randschicht der
Leber von Triton alpestris (R) mit dem anstossenden Leber-
parenchym (L). Ein Capillargefäss tritt unmittelbar an die
Randzone heran; in ihm liegen mehrere polynucleäre Zellen.
399 D. Barfurth:
(Aus dem vergleichend-anatomischen Institut in Dorpat.)
Versuche zur functionellen Anpassung.
Von
D. Barfurth.
Hierzu Tafel XXI.
Vorbemerkung.
Die Untersuchungen, über die ich in diesem und dem nach-
folgenden Aufsatze berichte, wurden zum grössten Theile im ana-
tomischen Institut zu Göttingen, an welchem ich drei Semester
als Proseetor arbeitete, ausgeführt. Ich nehme hier Veranlassung,
dem Director des genannten Instituts, Herrn Professor Dr. Fr.
Merkel, herzlich zu danken, da er mir nfcht nur in bereitwillig-
ster Weise die Beschaffung des Materials und der Apparate er-
möglichte, sondern auch meinen Arbeiten volles Interesse zuwandte
und» mich in jeder Hinsicht wissenschaftlich förderte.
Um über die schwierigsten Objeete der Regenerationsstudien,
Stützapparat (Chorda und Skelet) und quergestreifte Muskulatur,
zu einem besseren Verständniss zu gelangen, habe ich dann in
Dorpat weitere Experimente und Untersuchungen besonders an
jüngeren Amphibienlarven (Axolotl) angestellt. Sie sind im Zu-
sammenhang mit den früheren Beobachtungen in der nachfolgen-
den Arbeit „Zur Regeneration der Gewebe“ mitgetheilt.
Einleitung.
Das alte Lamarck’sche Prineip der Wirkung des Gebrauchs
und Niehtgebrauchs der Organe hat in der neueren Zeit steigende
Anerkennung gefunden. , Ueber die einschlägige Literatur, beson-
ders die Stellung Darwin’s und Haeckel’s zu diesem Prineip
verdanken wir Roux eine ausführliche Darstellung !), so dass ich
1) W. Roux, Ueber die Leistungsfähigkeit der Prineipien der
Descendenzlehre zur Erklärung der Zweckmässigkeiten des thierischen
Organismus. Breslau, 1880. — Roux, Der Kampf der Theile im Or-
ganismus. Ein Beitrag zur Vervollständigung der mechanischen
Zweckmässigkeitslehre. Leipzig, 1881.
Versuche zur functionellen Anpassung. 393
mich mit einer kurzen, die neueste Zeit betreffenden Literaturan-
gabe begnügen kann. Dieselbe macht aber keineswegs Anspruch
auf Vollständigkeit; die hier in Betracht kommenden Arbeiten,
besonders der Kliniker und pathologischen Anatomen sind so zahl-
reich, dass ich auf das Literaturverzeichniss hinweisen muss,
welches Roux seit 1887 unter der Bezeichnung „Entwickelungs-
mechanik* im Jahresbericht von Hermann und Schwalbe ver-
öffentlich. Ich möchte nur denjenigen Fachgenossen, deren Ar-
beitsfeld auf einem anderen Gebiete liegt, einen Einblick in diese
Bestrebungen ermöglichen. |
Als Pflüger!) in seinem „allgemeinen Prineip der Selbst-
steuerung der lebendigen Natur“ eine neue Erklärung des Zweck-
mässigen in der organischen Welt gab, wies er auch auf die Be-
deutung der Function für die zweckmässige Gestaltung der Or-
gane hin. Er erkannte in der Ursache des Bedürfnisses nach
einer gesteigerten Function zugleich die Ursache der Befriedigung
dieses Bedürfnisses durch Hypertrophie des Organs, beziehungs-
weise durch eompensatorische Hypertrophie.
Roux ?) war der erste, der das Lamarck’sche Prineip kurz
und treffend als „funetionelle Anpassung“ bezeichnete. In einer
ausführlichen Untersuchung °) stellte er die Wirkung derselben
auf die äussere Form und Qualität (Leistungsfähigkeit), sowie die
innere Gestalt (Structur) der Organe fest und fand die Erklärung
für diese Wirkung wesentlich in einer Activitätshypertrophie und
Inactivitätsatrophie, die durch den Kampf der Theile im Organis-
mus, beziehungsweise durch functionelle Reize bedingt werden.
Auf diese Weise ist es möglich, dass das Zweckmässige direct
dem Willen des Individumus oder dem Bedürfniss entsprechend
ausgebildet wird, ohne dass der Umweg einer „Auslese“ dabei
nöthig wäre.
Roux hat in einer Anzahl von Speeialarbeiten *) die Wir-
1) Pflüger’s Archiv 29. Bd., pag.28. In der eigentlichen Ar-
beit (Pflüger’s Archiv 15. Bd.: „Die teleologische Mechanik der leben-
digen Natur“) war das Prineip „teleologische Mechanik“ genannt.
2) Roux,a.a. O. pag. 14 und 15, und „Der Kampf der Theile
im Organismus“ pag. 6.
3) Roux, Der Kampf der Theile im Organismus. Leipzig, 1881.
4) W. Roux, a) Ueber die Verzweigung der Blutgefässe. Je-
naische Zeitschrift für M. u. Naturw. 12.Bd. — b) Ueber die Bedeu-
394 ’ D.-Barfurth,
kung des Prineips an einzelnen Organen (Gefässe, Schwanzflosse
des Delphins, Skeletmuskeln, Kniegelenksanchylose) dargethan.
Dasselbe geschah von Strasser!) an der quergestreiften
Muskulatur, von Hans Stahel?) an Arterien.
Fraisse 3) wies darauf hin, dass bei der Regeneration gan-
zer Körpertheile eine funetionelle Anpassung als beständig corri-
sirendes Prineip wirksam sei.
Fr. Eilh. Schulze) führte die theilweise Umwandlung
der ursprünglichen Epithelzellen embryonaler Lungen in grosse,
helle, strueturlose Platten auf den Druck der sich erhebenden
Capillaren und die Spannung der sich ausdehnenden Alveolen
zurück. | |
John Berry Haycraft und E. W. Carlier’) beobachte-
ten die Verwandlung von Flimmerepithel im mehrschichtiges Plat-
tenepithel in der Trachea der Katze und erklären dieselbe aus
der Reibung der Ringknorpel während der Contraetion des hintern
M. trachealis.
Reinhold Altmann) behandelte die Inactiyiesiägtronhie
dder weiblichen Brustdrüse.
tung der Ablenkung des Arterienstammes bei der Astabgabe. Ebenda,
Bd. 13. — ec) Beiträge zur Morphologie der funetionellen Anpassung;
No. I. Arch. f. Anat. u. Physiol., anat. Abth. 1883; No.IHl. Jenaische
Zeitschrift f. Med. u. Naturw., 16. Bd., 1883; Nr. IIL Archiv f. Anat. u.
Physiol., anat. Abth. 1885.
1) Strasser, Zur Kenntniss der functionellen Anpassung der
quergestreiften Muskeln. Stuttgart, 1883.
2) Hans Stahel, Ueber Arterienspindeln und über die Be-
ziehung der Wanddicke der Arterien zum Blutdruck, I. u. H. Abhand-
lung in: Archiv für Anatomie und Physiol, anat. Abtheilg. pag. 45 ff.
und pag. 307 ff. |
3) Fraisse, Die Regeneration von Geweben und Organen bei
den Wirbelthieren, besonders Amphibien und Reptilien. Cassel und
Berlin, 1885.
4) Fr. Eilh. Schulze, Die Lungen. Stricker’s Handbuch
der Lehre von den Geweben. Leipzig 18711. Vgl. auch: N. J. de la
Croix, Die Entwickelung des Lungenepithels beim menschlichen Foetus
und der Einfluss der Athmung auf dasselbe. Dieses Archiv Bd. 22,
pag. 3 ff.
5) John Berry Haycraft u. E. W. Carlier, Ueber die Ver-
wandlung von Wimper- oder Flimmerepithel in mehrschichtiges a
epithel. Centralblatt für Physiol. 1889, pag. 221 ft.
6) Reinhold Altmann, Ueber die Inactivitätsatrophie der
weiblichen Brustdrüse. Virchow’s Archiv Bd. 111.
\
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Fr?
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Versuche zur functionellen Anpassung. 395
R. Thoma!) machte die Bindegewebsneubildung in der
Arterienintima von den mechanischen Bedingungen des Blut-
umlaufs abhängig.
| R. Fiek?) stellte im Anschluss an die grundlegenden Unter-
‚suchungen von L. Fiek und Henke über den Einftuss der Mus-
kelfunetion auf die Form der Gelenke neuerdings Versuche an
‘über den Einfluss der Muskelansätze auf die Gelenkform und
kam zu dem Ergebniss, „dass dasjenige Gelenkende, bei wel-
“chem die Muskeln nahe am Gelenk ansetzen, zur Pfanne, das-
jenige, an dem sie entfernt angreifen, zum Kopf wird“ (p. 401).
Ferner sprechen sich mehr gelegentlich zu Gunsten unseres
Prineips aus: Kölliker°), Eimer*), Claus), Kleinenberg®),
BWasnerd), Gegenbaur®), O. Hertwig?’, Kölliker °’®),
ER. Merkel!!), Wiedersheim '?), Götte '?).
1) R. Thoma, Ueber die Abhängigkeit der Bindegewebsneu-
bildung in der Arterienintima von den mechanischen Bedingungen
des Blutumlaufs. - I.—VI. Mittheilung. Virchow’s Archiv Bd. 93, 95,
104, 105, 106.
2) Rudolf Fick, Ueber die Form der Gelenkflächen. Archiv
für Anatomie und Entwickelungsgeschichte, anatomische Abth. 1890,
'pag. 391 ff. |
3) Kölliker, Die Aufgaben der anatomischen Institute. Ver-
‚handlungen der physik.-med. Gesellschaft zu Würzburg. 1884, pag. 93.
4) Eimer, Die Entstehung der Arten auf Grund vom. Vererben
erworbener Eigenschaften nach den Gesetzen organischen Wachsens.
Jena 1888, pag. 165 ff.
£ 5) Claus, Ueber die Werthschätzung der natürlichen Zucht-
wahl als Erklärungsprincip. Wien 1888.
6) Kleinenberg, Die Entstehung des Annelids aus der Larve
von Lopadorhynchus. Zeitschrift für wiss. Zool. Bd. 44, pag. 6 ff.
| 7) Moriz Wagner, Die Entstehung der Arten durch räumliche
-Sonderung. Gesammelte Aufsätze von M. Wagner. Herausgegeben
von Dr. med. Moriz Wagner. Basel 1889, pag. 472, 483.
8) Gegenbaur, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 3. Aufl.
1888, pag. 294 ff., pag. 308, pag. 992.
| 9) OÖ. Hertwig, Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte des Men-
schen und der Wirbelthiere. 3. Aufl. 1890, pag. 132, pag. 496 u. 497.
10) Fr. Merkel, Handbuch der topographischen Anatomie I. Bd.
Braunschweig, 1885—90, pag. 39, pag. 217.
11) Kölliker, Entwickelungsgeschichte, 2. Aufl. 1879, pag. 493.
12) Wiedersheim, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der
"Wirbelthiere. Jena 1886, pag. 232 (2. Aufl.).
13) Götte, Die Entwickelungsgeschichte der Unke. Leipzig,
1875, pag. 407.
396 D. BAaTTurshe E
Wesentlich im Anschluss an die vortrefflichen Untersuchungen
von Fraisse möchte ich im Nachfolgenden einen kleinen experi-
mentellen Beitrag zum Nachweis der functionellen Anpassung
bei der Bildung und Gestaltung der Organe liefern.
Versuche.
Als Objeete für meine Versuche dienten mir mehrere ein-
heimische Amphibien und ihre Larven; von Anuren Rana fusca,
R. esculenta und Bufo vulgaris; von Urodelen besonders Triton
eristatus, T. taeniatus und Salamandra maculosa. Die Larven
sämmtlicher angeführten Species eignen sich durchweg besser für
solche Versuche als die erwachsenen Thiere. Da die Thiere sich
in Wasser von höherer Temperatur zu bald verwandeln und da-
durch die Dauer des Versuchs in unliebsamer Weise abkürzen,
so habe ich sie meist in kühleren Räumen gehalten, so dass die
Temperatur des Wassers in der Regel 17°C. nicht überstieg.
Als Behälter dienten mir von la Valette’sche Fischbruttröge aus
Porcellan, die ich früher!) beschrieben habe. Für Wasserwechsel
und gleichmässige Temperatur wurde in der früher angegebenen
Weise gesorgt.
Die Schnelligkeit der Regeneration ist durchaus abhängig
von der Temperatur 2). Bei 10°C. hört sie fast ganz auf, bei
28° verläuft sie sehr schnell. Die Vernarbung lässt man nach
meiner Erfahrung am besten bei niedriger Temperatur (10—15° C)
geschehen. Als ich einmal eine grosse Zahl von amputirten
Krötenlarven direet in Wasser von ec. 28°C brachte, ging nach
und nach die ganze Schaar zu Grunde, wahrscheinlich, weil das
warme Wasser die Blutung zu lange unterhielt. Ich habe des-
halb später die Thiere immer erst m kühlerem Wasser gehalten,
bis die Vernarbung (in 1—2 Tagen) fertig war; darauf brachte
ich sie in wärmeres Wasser, um die Regeneration etwas zu be-
schleunigen. Die Ernährung hat keinen wesentlichen Einfluss
1) Dieses Archiv 29.-Bd., pag. 2.
2) Das haben schon Spallanzani und Leydig beobachtet.
Fraisse (pag. 153) beobachtete bei 15—18° C. eine schnellere Regene-
ration, bei 20°C. sank die Reproduktionsfäkigkeit. und die Thiere
gingen meist bald zu Grunde. Ich habe Tritonenlarven in mit Wasser-
pflanzen versehenen Aquarien bei 26° C. wochenlang gehalten. Die
Regeneration erfolgt entsprechend schneller.
BE EN
Versuche zur functionellen Anpassung. 397
auf die Regeneration; hungernde Thiere regeneriren gerade so gut
wie gefütterte. f
Ich theile nun zunächst das Ergebniss einer Anzahl von
Vorversuchen mit, die mir die Grundlage für die eigentlichen
Versuche lieferten. |
Einer grösseren Anzahl Larven der Rana fusca hatte ich
im April die Schwanzspitze etwa im letzten Drittel mit scharfer
Scheere amputirt, um Regenerationsstudien vorzunehmen. Auf
die Riehtung des Schnittes hatte ich dabei nicht geachtet. Nach
etwa 14 Tagen fand ich, dass alle diese Thiere die Schwanz-
spitze zum grössten Theil regenerirt hatten. Das Regenerations-
stück war aber vielfach nicht gerade, sondern schief angewachsen,
und es fand sich bei näherer Besichtigung, dass die Ursache da-
von in der Richtung des Schnittes zu suchen sei.
Um darüber Klarheit zu erlangen, stellte ich die weiteren
Versuche in folgender Weise an. Eine grössere Zahl — ge-
wöhnlich 455—60 — Froschlarven theilte ich in drei Gruppen.
Der ersten Gruppe wurde die Schwanzspitze ganz gerade ab-
geschnitten, also so, dass die Schnittebene senkrecht auf der
Längsachse des Schwanzes stand; der zweiten Gruppe wurde das
Schwanzende schief nach oben, der dritten schief nach
unten zu abgeschnitten, so dass also in den beiden letzten Fällen
die Schnittebene mit der Längsachse des Schwanzes einen nach
oben oder unten spitzen Winkel bildete (Taf. XXI, Fig. 14—16).
Diese Versuche wurden mehrfach an Kröten- und auch Tritonen-
larven wiederholt und hatten immer folgendes Ergebniss:
Liegt die Schnittebene senkrecht zur Längsachse ‘des
Schwanzes, so erfolgt die Regeneration genau in der Rich-
tung derselben Achse, fällt die Schnittebene schief nach oben
oder unten, so steht auch die Achse des Regenerationsstückes
schief nach oben oder unten. Immer also steht die Achse
des Regenerationsstückes senkrecht auf der Schnitt-
ebene.
Wie sicher diese Regel ist, konnte ich am erwachsenen
Triton taeniatus darthun. Fiel der Schnitt nach einer der oben
bezeichneten Richtungen , so erfolgte auch die Regeneration
in der beschriebenen Weise (Taf. XXI, Fig. 13). Und legte ich
den Schnitt sehief seitwärts an, so wuchs auch das
Regenerationsstück schief nach der Seite heraus.
398 D. Barfurth:
Hieraus ergab sich also, dass die Regeneration an sich
ganz mechanisch so vor sich &eht, als ob auf der. Schnittfläche
ein Baustein auf den andern gelegt würde. Ich hebe dies beson-
ders hervor, weil es die Grundlage für die folgenden Erörterungen
und Versuche ist.
Beobachtet man so operirte Thiere 3—4 Wochen lang, so
bemerkt man, dass sich das schief gewachsene Regene-
rationsstück allmählich zu strecken beginnt, so dass
also der Winkel, den seine Längsachse mit der des Schwanzes
bildet, sich immer mehr dem normalen Winkel von 180° nähert.
Dabei muss betont werden, dass es sich hier vorzugsweise um
das starke Mittelstück des Schwanzes handelt, welches alle
wesentlichen Organe: Chorda dorsalis, Rückenmark, Muskulatur
und die grossen Gefässe enthält. Diese Streckung ist keine
Folge der Regeneration an sich, die lediglich in der oben her-
vorgehobenen Weise erfolgt, sondern sie ist vorzugsweise eine
Wirkung der Schwerkraft und der Schwimmfunetion
des Schwanzes, also der funetionellen Anpassung. Die
Wirkung der letzteren lehren die nachfolgend mitgetheilten Ver-
suche. Bei diesen habe ich entsprechend grosse, schief oben
oder unten amputirte Thiere in zwei Gruppen getheilt, die eine
Gruppe (Schwimmer) in tiefes Wasser gesetzt, die andere (Nicht-
schwimmer) in sehr seichtes.. Die Brutapparate wurden mit
Wasserpflanzen versehen, die im seichten Wasser das Schwimmen
fast ganz verhinderten, im tiefen nicht. Auf diese Weise wurde
bei den Niehtschwimmern die Function auf ein Minimum be-
schränkt, wenn auch nicht ganz aufgehoben. Die ersten Ver-
suche, deren Ergebniss im Uebrigen ganz mit den späteren über-
einstimmte, theile ich desshalb nicht mit, weil sie nicht ganz
einwandfrei waren. Ich hatte nämlich zwar den Nichtschwim-
mern dasselbe Futter (Froschfleisch) verabreicht, wie den Schwim-
mern, glaubte aber zu bemerken, dass dieselben in dem seichten
Wasser schlechter an das Futter heran könnten und weniger
frässen als die Schwimmer. Um deshalb die Versuchsbedingungen
ganz gleich zu machen, legte ich bei den späteren Versuchen
in gewissen Zeiträumen für beide Partien einen Futtertag ein,
an welchem auch die Nichtschwimmer in tiefes Wasser
kamen. Nachher wurde dann aus beiden Behältern das Futter
wieder entfernt.
Versuche zur functionellen Anpassung. 399
Da die Versuche ganz gleichmässig verliefen und während
ihrer Dauer wenig Bemerkenswerthes geschah, so begnüge ich
mich damit, ein Versuchsprotokoll ausführlich mitzutheilen und
bringe von den übrigen nur das Ergebniss.
Zu Versuch I wurden 48 im Institut gezüchtete Larven
der Rana fusca verwandt, in zwei Partien getheilt und von die-
sen je 12 schief oben, 12 schief unten amputirt. Von den
Schwimmern starben bald nach der Operation 6 Thiere, von den
‚Niehtehwimmern 2.
| Versuch I.
Da- Schwimmer Niehtschwimmer
tum:
Temp.) ° Bemerkung Temp.| Bemerkung
— 27./5. | 18,90 | Liegen meist still, so dassj 19,02, Wie bei denSchwimmern.
der Schwanz flach auf | 5
auf dem Boden liegt. — |
Die schiefstehendeSpitze
krümmt sich nach der
Mitte zu.
28./5. | 18,50 S. nebenan. 18,55 | Beginnende Vernarbung:
Schwärzlicher Rand an
der Schnittfläche.
29./5. | 19,00 | Schwarzer Vernarbungs-| 19,02 | S. nebenan. Liegen mehr
rand. auf der Seite, als die’
| Schwimmer.
30./5. | 19,78 | Futtertag. 19,78 | Futtertag.
31./5. | 19,25 en 19,10 ||) Der schwarze Saum
e1./6.1 19,72 ? Aa 19,12 fängt an den ganzen
Stummel zu über-
ziehen.
2./6.| 20,72 Die Seitenplatten ragen] 20,60 | S. nebenan. Liegen mehr
1—2mm über das Mit- auf der Seite, als die
h’ telstück hervor. Schwimmer.
3./6. | 20,80 | Futtertag. 21,00 Futtertag.
— 4./6.| 19,72 | Schwanzende fängt an| 19,50 |S. nebenan.
E- sich abzurunden.
5./6.1 20,10 | Länge desRegenerations-| 20,10 | Das Mittelstück wächst
stückes 2,5—3mm. Mit- schief nach oben oder
telstück wie nebenan. unten.
6./6.} 21,90 | Ein Thier verwandelt. 22,00 Schwanzende bei den
meisten stumpf.
1./6. | 22,62 | Futtertag. 22,78 | Futtertag.
- 8./6.| 22,70 Nur bei 2 Thieren ist| 22,64
das Schwanzende noch
ungleich, sonst überall
zugespitzt.
19 21.82
23,12 23,14
22,98 Futtertag. 22,90 | Futtertag.
21,40 21,20
23,84 | Ende des Versuchs. 23,92 | Ende des Versuchs.
Temperatur-Mittel = 20,600 C. | 20,61°C.
400 D.Barfurth«
Am Ende des Versuches wurden sämmtliche Thiere in
Flemming’scher Mischung abgetödtet und dann bei Schwim-
mern und Nichtschwimmern der Winkel, den die Längsachse des
Schwanzstumpfes mit der des Regenerationsstückes (Streckungs-
winkel) bildet, gemessen. Dazu muss bemerkt werden, dass diese
Messungen natürlich nicht mathematisch genau werden können.
Fehler bis zu mehreren Graden sind selbstverständlich. Da man
aber nur vergleicht und bei einer grossen Zahl von Messungen
die Fehler sich ausgleichen, so ist das Ergebniss trotzdem wissen-
schaftlich brauchbar. Auch sind die Unterschiede so gross, dass
es auf kleine Messungsfehler wahrlich nicht ankommt.
Das Ergebniss des ersten Versuches war folgendes:
A. Schwimmer:
13 Thiere mit Streckungswinkel 1800 (7 schief oben, 6 schief unten),
B) ” ” „ 1 76 8 (2 „ ” 1 Ze} b)) );
1 „ b)) ” 162 . (0 ” ” 1 „ ” }
1 „. verwandelt.
B. Nichtschyinne
10 Thiere mit Streckungswinkel 1800 (6 schief oben, 4 schief unten),
8 „ )) „ 155° (4 )) „ 4 ” $)) In
A „ „ b3) 1320 (2 b) b) 2 b) „ ).
Versuch LI.
64 Rana fusca, im Institut gezüchtet. Im die Versuchs-
behälter je 16 schief oben und 16 schief unten amputirte Thiere
eingesetzt. Dauer des Versuches vom 23./6. bis 28./7. Tem-
peratur im Mittel 18,65°C. Es starben 10 Thiere. Ergebniss:
A. Sehwimmer:
Bei 9 Thieren Streekungswinkel 180° (7 schief oben, 2 schief unten),
2) 10 » „ 165° 6) 2) ” ) 0) » );
» 2) » „ 150° (0 ) » B) ” ” ).
B. Nichtschwimmer:
Bei 12 Thieren Streckungswinkel 162° (5 oben, 7 unten),
„ 12 ” ”„ 136° (7 b)] 5 ” ),
” 6 „ ”„ 114° (4 „ 2 ” ).
Versuch Il.
40 Rana exceulenta. Grosse kräftige Thiere aus einem
Tümpel im Freien. Je 10 schief oben und unten amputirt. 23./6.
bis 16./8. Temperatur 18° C. Sehwanzenden ganz regenerirt
mit Seitenplatten und Mittelstüick; nur bei wenigen noch eine
Einkerbung zwischen dem alten Stumpf und dem Regenerations-
ne ze oz
Versuche zur functionellen Anpassung. 461
# stick, was mit der ausserordentlichen Breite der Schwänze dieser
Species zusammenhängt. Regenerationsstück 10—18 mm lang.
Ergebniss:
A. Schwimmer:
Bei 13 Thieren Streckungswinkel 180° (8 oben, 5 unten),
b) 2 2) ” 176° (0 » 2 »„
„4 z a 15 Kal ER:
B. Nichtschwimmer:
Bei 6 Thieren Streekungswinkel 180°.(2 oben, 4 unten),
» 6 ” ” 163° (8 ” B) r) >
6,» 5 1. ee we Be
en » a a a
TE ME" » A Dr ee!
Versuch IV.
48 R. esculenta, gross und kräftig, natürliche Zucht. Je
12 oben und unten amputirt für beide Behälter. 3 Thiere starben.
23./6. bis 17./8. Temperatur 18°. Ergebniss:
A. Schwimmer:
12 Thiere mit Streckungswinkel von 180° (6 oben, 6 unten),
7 » ” ” „ 1 74 a (2 ” 5) „ )
2 » ” ”„ ”„ 1 70 : (1 ” 1 ” If
1 er and u
”„ „ ”„ „
B. Niehtschwimmer:
8 Thiere mit Streckungswinkel 180° (4 oben, 4 unten),
2. > = ae Br; 2:
2 RE 5 F 5 u A Se >
4 NEE | u)‘
” » ”
Versuch V.
Ein im Beginn meiner Untersuchung angestellter Versuch
mag noch mitgetheilt werden, weil er gewissermaassen als Con-
trolversuch gilt.
80 Rana fusca künstlicher Zucht wurden in zwei Partien
getheilt, je 20 schief oben und unten amputirt und dann in zwei
Brutgefässe, die beide viel Wasser enthielten, gesetzt. Be-
ginn 27./5. Am 14./6., also nach 18 Tagen, ist ein Unterschied
in der Grösse des Streckungswinkels bei beiden Partien nicht zu
bemerken. Derselbe war bei einer grösseren Anzahl von Thieren
noch stumpf. Von diesen wurden je 10 Thiere aus jedem Be-
hälter ausgewählt und nun die ersten 10 in tiefes, die anderen
10 in seichtes Wasser gebracht. Nach 7 Tagen wurde der Ver-
such abgebrochen und die Thiere, wie oben beschrieben, unter-
*
402 D. Barfurth:
sucht. Es fand sich kein irgendwie bemerkbarer Unterschied
zwischen beiden Gruppen. . Das negative Resultat dieses Ver-
suches lehrt, dass eine so kurze Zeit (7 Tage) nicht aus-
reicht, um die Wirkung der Function deutlich zu
machen und — beim Vergleich mit den übrigen Versuchen —, i
dass die Streekung. mit der Regeneration gleichen”
Schritt hält, in der Weise, dass die Funetion ganz langsam 4
auf alle neugebildeten Zelleomplexe einwirkt.
Ich stelle nun zunächst das Gesammtresultat fest.
Gesammt-Ergebniss der Versuche.
A.Schwimmer B. Niehtschwimmer
schief schief schief schief
oben unten oben unten
Kersnchle on & „ 5 Streckungs- |_ Sp 5 iR en. 3 | Streckungs- &
T = 3_® = => winkel— 2Rl= Bu ® = Sl ® winkel = 2R2
äesrlä|lea” desrde2gr
I Fr a E > E
1 91 179 0 | 8| 1779 13 12| 164 0 110) 160 0 10
71. 1217720212 7161°%: 9 14| 132 0 16) 142 0 0
- BI 103779491769 13 12] 146 9 | 8} 168 9 6
IV 110! 176 0 |12|.177 0 12 10] 173 0 || 9| 163 © 8
Summa J41|176 ® 41] 1720| 47 48! 152 0143| 155 © 24
Bei 82 Schwimmern betrug also der [Bei 91 Nichtschwimmern betrug
mittlere Streckungswinkel 174°, also der mittlere Streckungs-
winkel 153°. |
Dieses Ergebniss ist deutlich genug. Unter den Schwim-
mern fanden sich doppelt so viel Thiere (47) mit ganz gerader
Sehwanzspitze (L=2R), als unter den Nichtschwimmern (24).
Bei ersteren betrug der Streckungswinkel im Mittel 174°, bei
letzteren nur 153°; die Funetion hat also eine grössere
Streekung von 21° zu Stande gebracht. |
Sieht man sich das Gesammt-Ergebniss genauer an, so wird
man sich sogleich die Frage vorlegen: Welche Kraft oder welche
Kräfte wirken denn aber noch ausser der Function, da ja doch &
auch bei den Niehtschwimmern eine Streckung er-
folgt? In der That ist die Funetion nieht die einzige wirk-
same Kraft. Es bedarf keines Beweises, dass die Schwer-
kraft ebenfalls beständig und erheblich mitwirkt, und es bleibt
a
Versuche zur functionellen Anpassung. 403
ein grosses Verdienst Pflüger's!), dass er neuerdings die Auf-
merksamkeit der Morphologen auf die Einwirkung der Schwer-
- kraft bei Entwickelungsvorgängen gelenkt hat.
Ob man aber berechtigt ist, den ganzen Rest der Streckung
auf Rechnung der Schwerkraft zu setzen, muss ich in Zweifel
ziehen. Ich habe bei der Beschreibung des ersten Versuches
hervorgehoben, dass die Nichtschwimmer sehr viel mehr seit-
lich flach auf dem Boden liegen, als die Schwimmer, wie das
seichte Wasser es bedingt. Es ist klar, dass in dieser Lage die
Schwerkraft nicht streckend wirken kann. Trotzdem aber wird
bei einer grossen Zahl von Thieren (24) der Schwanz wieder
vollkommen gerade. Ich schliesse daraus, dass ausser der Func-
tion und der Schwerkraft noch andere Kräfte an der stillen Ar-
beit der Streckung sich betheiligen. Diese Kräfte müssen wir
ohne Zweifel im Organismus selber suchen.
Man mag hier die Herzaction zur Erklärung heranziehen.
Die unter der Chorda gerade verlaufende Schwanzarterie führt
den Blutstrom in direetem Stoss auf den regenerirten Theil der
“Arterie und könnte an demselben von vornherein eine Streckung
erzwingen. Thatsächlich aber sehen wir, dass die regenerirte
"A. eaudalis mit dem Mittelstück zuerst schief wächst und sich
nachher erst‘ wieder im Verband mit dem Mittelstück gerade
richtet. Eine irgendwie erhebliche Einwirkung des Blutstromes
darf daher wohl nicht angenommen werden. Wäs aber machen
wir mit dem ungelösten Rest unseres Problems ?
Wie wohl alle Forscher ?) der neueren Zeit, die solchen
1) Pflüger, Ueber den Einfluss der Schwerkraft auf die Thei-
lung der Zellen und auf die Entwickelung des Embryo. Pflüger’s
Archiv 32. Bd. I. Mittheilung. Bd. 32, Il.; Bd. 34, III. Mittheilung.
2) Pflüger, Die teleologische Mechanik der lebendigen Natur.
Archiv für die gesammte Physiologie Bd. 15, pag. 57 ff. — W. Roux,
Der Kampf der Theile im Organismus. (Besonders pag. 226 ff.) — Der-
selbe, Die Entwickelungsmechanik der Organismen, eine anatomische
Wissenschaft der Zukunft. Festrede, gehalten in Innsbruck 1889.
Wien, 1890. In letzterer Schrift gibt Roux eine Zusammenstellung
von neuerdings gefundenen „regulatorischen Thatsachen bei atypi-
schen Vorgängen, welche bei gehöriger Würdigung auf ein viel inni-
geres Zusammenwirken der Theile zum Ganzen und auf eine grössere
Abhängigkeit der Theile vom Ganzen hindeuten“ (pag. 17 ff.). Dahin
gehören die Regenerationserscheinungen, die von Koux entdeckte
„Postgeneration“, die eigenartige Regeneration durch Umlagerung von
404 D. Barfurth:
Fragen nachgespürt haben, komme ich zu der Ueberzeugung,
dass der Organismus gewisse regulatorische Fähigkeiten
besitzt, vermöge welcher Störungen des normalen Zustandes bald
wieder ausgeglichen werden. In dem von mir untersuchten Falle
kommt ganz gewiss auch diese Fähigkeit des Organismus zur
Geltung. Die sich regenerirenden Zellen der einzelnen Gewebe
repräsentiren gewissermassen untergeordnete Organe: sie
häufen mechanisch eine Zelle auf die andere und bringen durch
diese Arbeit das schiefgewachsene Regenerationsstück des Schwan-
zes zu Stande. Der Organismus als solcher vertritt nun hierbei
die Oberleitung, indem er die Gewebstheile allmählich in die-
jenige Lage !) bringt, die der Funktion des Organs und damit
Zellen bei Hydra (Trembley und Nussbäum), die Eneystirung und
Panzerbildung der Englypha alveolata bei Gefahr des Eintrocknens
(Gruber, Blochmann, Schewiakoff) und die höchst interessanten
Beobachtungen von Ribbert und seinen Schülern, dass nach Entfer-
nung noch nieht fungirender Organe bei Säugethieren, z.B.
eines jugendlichen Hodens, Eierstocks ete. die anderen gleichen Or-
gane compensatorisch grösser werden.
1) Man vergleiche die wichtigen Versuche von Nussbaum an
Hydra, die sich auf die „Orientirung der Zellen und ihrer kleinsten
Theile“ beziehen. „Was sich in den Plan des Ganzen gelegentlich des
störenden äusseren Eingriffs nicht fügen will, wird resorbirt und durch
Neubildung ersetzt. Es kann nicht dem Zufall überlassen sein, dass
am vorderen Ende des kopflosen Polypen die Tentakel mit dem Mund-
ring wieder wachsen, dass an der Stelle des abgeschnittenen Fusses
sich wiederum neue Drüsenzellen bilden; dieses muss in der Orienti-
rung der Zellen im Raume begründet sein.“ M. Nussbaum, Ueber
die Theilbarkeit der lebendigen Materie. II. Mittheilung. Beiträge
zur Naturgeschichte des Genus Hydra. Archiv für mikr. Anatomie
Bd. 29, pag. 265 f. (pag. 346). Die Regenerationen und Umlagerungen
von Zellcomplexen bei Hydra mit vollständiger Wiederherstellung
eines normalen Thieres erscheinen um so wunderbarer, als sogar Theil-
stücke eines Leibesringes neue vollständige Organismen bilden
(Nussbaum, page. 325 ff.), der Begriff des „Individuums“ hier also
verloren geht. Dass aber bei manchen Thieren auch äussere Um-
stände die Organbildung beherrschen können und zwar in der
Weise, „dass wir an der Stelle eines weggeschnittenen Organs ein der
Form und den Lebenserscheinungen nach von dem abgeschnittenen
verschiedenes Organ wachsen lassen können“, berichtet in einer so-
eben erschienenen Schrift J. Loeb: er nennt diese bei Hydroidpolypen
beobachteten Vorgänge Heteromorphose. J. Loeb, Untersuchungen
zur physiologischen Morphologie der Thiere. I. Ueber Heteromor-
phose. Würzburg, 1891.
„Eee
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N EA De En RE ae
E..
x
a
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drin
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Versuche zur functionellen Anpassung. 405
der Wohlfahrt des ganzen Individnums am förderlichsten ist. Dass
dabei das Centralnervensystem eine Rolle spielt, erscheint mir
sicher, wäre aber durch weitere Versuche zu beweisen. Denkbar
wäre eine streckende Wirkung durch die blosse stets gleichartig
arbeitende Innervation der quergestreiften Stammesmuskulatur,
auch wenn es dabei nicht zur Ausübung der Function kommt;
das wäre also eine versteckte functionelle Anpassung.
Auch Roux!) schreibt der Innervation an sich einen gros-
sen Einfluss zu. Nach ihm hängt von der Reizcentralisation
des ganzen Individuums im Gehirn die für das Ganze zweck-
mässige Ausbildung der Theile ab. „Die vom Gehirn ausgehen-
den Willensimpulse gehen durch die Ganglienzellenlager und die
Nerven zu den Muskeln und beeinflussen damit, neben der Aus-
bildung dieser Theile, zugleich auch die ihrer Stützorgane, der
Neuroglia (des Nervenkitts), der Sehnen, Knochen, Knorpel,
Bänder und Faseien in quantitativer Weise.“
Zusammenfassung.
1. Die abgeschnittene Schwanzspitze unserer einheimischen Am-
phibien und ihrer Larven wird vollständig regenerirt.
2. Für die Wundheilung und Vernarbung ist eine niedrigere
Temperatur günstiger, als eine höhere. Die Regeneration
selber erfolgt um so schneller, je höher die Temperatur ist.
3. Die Regeneration geschieht mechanisch in der Weise, dass
sich die Achse des Regenerationsstückes senkrecht auf die
Schnittebene stellt, also gerade, schief oben oder schief
unten.
4. Die schief regenerirte Schwanzspitze wird im Verlauf des
Wachsthums gestreckt.
5. Streckend wirkt zunächst die Schwimmfunetion des Schwan-
zes; sie erzielt durch funetionelle Anpassung eine bedeu-
tend stärkere und schnellere Streckung.
6. Streckend wirkt ferner die Schwerkraft.
1. Ausser den mechanischen Kräften der Function und der Gra-
vitation muss eine ordnende Einwirkung des Organismus selber
angenommen werden.
i) Roux, Der Kampf der Theile ete. pag. 208.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 37 2
406 D. Barfurth:
(Aus dem vergleichend-anatomischen Institut zu Dorpat.)
Zur Regeneration der Gewebe.
Von
D. Barfurth.
Hierzu Tafel XXII-XIV.
Im vorhergehenden Aufsatz habe ich darauf hingewiesen,
dass sich die amputirte Schwanzspitze unserer einheimischen Am
phibien und ihrer Larven vollständig regenerirtt. Da diese Rege-
neration sich auf sämmtliche Gewebe erstreckt, so hat man in
einem verhältnissmässig kleinen Objeet alle Gewebsarten vertreten,
und deshalb eignet sich diese regenerirte Schwanzspitze ausge-
zeichnet zu Regenerationsstudien. a,
Es ist nun nicht meine Absicht, diese Regeneration aus-
führlich zu schildern, da das in vortrefflicher Weise ganz vor
Kurzem von Fraisse!) geschehen ist. Ich habe mich über-
zeugt, dass Fraisse’s Angaben in den wesentlichen Punkten
richtig sind?) und stimme vor allen Dingen auch in dem Haupt-
ergebniss mit ihm überein, dass die Regenerationen durch-
weg vom alten Gewebe aus erfolgen.
Wenn ich nun trotzdem in aller Kürze meine Beobaehtungen
mittheile, so geschieht das hauptsächlich, um den Gesichtspunkt
zur Geltung zu bringen, dass bei der zeitlichen Aufeinander-
folge der Gewebsregenerationen im Grossen und Gan-
zen ebenso die erste Entwickelung wiederholt wird,
wie es beim Modus der Regeneration geschieht.
Da die einschlägige Literatur von Fraisse nahezu er-
1) Fraisse, Die Regeneration von Geweben und Organen bei
den Wirbelthieren. Cassel und Berlin 1885. :
2) Meine abweichende Auffassung einiger Fragen werde ich
weiter unten am geeigneten Ort zur Sprache bringen.
schöpfend mitgetheilt worden ist, so kann ich mich darauf be-
schränken, einzelne Schriften da zu eitiren, wo es meine Dar-
stellung nöthig macht; besonders werden dabei die seit dem
Erscheinen des Fraisse’schen Werkes (1885) veröffentlichten
Untersuchungen zu berücksichtigen sein.
Aus meinen früheren Angaben erhellt, dass die Zeit allein
für die Regenerationsstadien nieht maassgebend ist, sondern viel-
mehr die Temperatur. Bei 28° C. wird in vier Tagen so viel
regenerirt, wie bei 14° C. in 8—10 Tagen. Am sichersten ent-
scheidet über das Stadium der Regeneration die Länge des
Regenerationsstücks. Ich habe gewöhnlich die drei An-
gaben über Zeit, Temperatur und Länge des regenerirten Stückes
vereinigt.
Die Regenerationsfähigkeit der Schwanzspitze ist unbe-
grenzt (Spallanzani): nach wiederholter Amputation wächst sie
immer wieder; ich habe vom regenerirten Schwanzende noch
_ wieder dreimal nacheinander die Spitze weggeschnitten und sie
immer wieder sich regeneriren sehen.
Die Sehnittgrenze bleibt sehr lange sichibar: selbst wenn
nach 3—4 Wochen keine Spur von Verjüngung an den regenerirten
Stück mehr zu sehen ist, hebt sich dasselbe durch seine hellere !)
Farbe vom alten Schwanzstummel deutlich ab. Für die mikrosko-
pischen Studien habe ich fast stets gerade amputirte: Thiere
* genommen, weil bei diesen das Regenerafionsstück wieder ge-
rade wächst und dadurch die Anfertigung geeigneter ‚Schnitte
leichter macht.
Die Untersuchung machte fast stets die Anfertigung von
Sehnitten, besonders von Schnittreihen, nöthig. Die abge-
schnittenen Schwanzenden wurden sofort in Flemming’sche
Chromsäuregemische, selten in Pikrinsäure, Sublimat und abso-
* luten Alkohol gebracht, entsäuerf, mit Hämatoxylin oder Borax-
Carmin durchgefärbt, in Paraffıin eingebettet und geschnitten. Es
wurden Querschnitte, frontale und sagittale Längsschnitte ange-
fertig. Zum Aufkleben der. Schnitte bediente ich mich nach
dem Vorgang von Schällibaum eines Gemisches von 2 Theilen
Nelkenöl und 1 Theil Collodium. Ausgezeichnet schöne Kern-
Zur Regeneration der Gewebe. 407
1) Bei den Reptilien ist im Gegensatz dazu der neugebildete
Schwanzstummel stärker pigmentirt, als der alte Schwanzstumpf.
408 D. Barfurth:
färbungen erzielt man beim Färben der Schnitte auf dem Objeet-
träger mit Hämatoxylin. Zum Sichtbarmachen der Fibrillen
junger Muskelfasern bediente ich mich öfter mit sehr schönem
Erfolge des mir von Herrn Professor Dr. Merkel empfohlenen
Naphthylaminbraun und des Vesuvin.
In manchen Fällen habe ich auch das dünne Schwanz-
ende von Rana fusca in toto frisch in Wasser untersucht. Für
das Studium von Capillaren und jungen Muskelfasern erwies sich
folgende Methode sehr brauchbar. Die regenerirten Schwanz-
enden. wurden in*eine Mischung von Wasser (350,0), Alkohol
(125,0) und Glycerin (25,0) gebracht und blieben längere Zeit
darin, bis sich die Epidermis leicht entfernen liess. Die Schwanz-
enden wurden dann leicht mit Hämatoxylin gefärbt und in toto
in Glycerin oder Canadabalsam untersucht.
Bei «der Anfertigung von Schnittreihen habe ich nach der
Fixirung die für die Untersuchung unwesentlichen Seitenplatten
weggesehnitten und nur das Mittelstück, in dem alle wesentlichen
Gewebe vertreten sind, benutzt. Vom alten Gewebe des Schwanz-
stumpfes nahm ich nur 0,5—1,5 mm mit.
Die Schwanzspitze habe ich öfter unter Wasser abgeschnit-
ten, ohne das Thier selber weiter zu berühren; gewöhnlich aber
nahm ich die Larven aus dem Wasser und schnitt dann die
Schwanzspitze ab. Erstere Methode wählte ich für die aller-
ersten Stadien der Regeneration, letztere — die bequemere —
für die vorgeschritteneren. Nimmt man nämlich die Thiere am
ersten oder zweiten Tage nach der Amputation aus dem Wasser,
so genügt ein etwas starker Schlag des Schwanzes, um eine Blu-
tung aus den angeschnittenen und noch nicht genügend ver-
schlossenen Gefässen hervorzurufen. Bei den grossen wilden
Larven von Rana esculenta {rat solche Blutung oft noch am
vierten Tage ein. x
Um bei meiner Darstellung Wiederholungen vermeiden zu
können, schildere ich der Reihe nach die Regenerationserschei-
nungen, wie sie sich an den einzelnen Geweben abspielen. Die
Reihenfolge, der ich dabei nachgehe, ist keineswegs willkürlich
gewählt, sondern entspricht der zeitlichen Aufeinanderfolge
der Regeneration bei den Geweben. Es ergiebt sich dabei die
eingangs erwähnte Thatsache, dass bei dieser Aufeinander-
folge die erste Entwiekelung im Allgemeinen wieder-
BRERREN: Fe
Zur Regeneration der Gewebe. 409
holt wird. In Bezug auf den Modus der Regeneration sind
bekanntlich zahlreiche Beobachter, z. B. Götte!), Bülow?), Car-
riere®), Nussbaum®), Ribbert?), Podwyssozki°) u.a. zu
dem Ergebniss gelangt, dass die primäre Entwicekelung wieder-
holt wird. Auf die etwas abweichende Auffassung Fraisse’s
komme ich später zurück. Ich selber muss diesen Satz eben-
falls etwas modifieiren, da bei dieser Wiederholung nicht immer
nur einfach die primäre, sondern je nach dem Alter des Ver-
suchsthieres auch die postembryonale Entwickelung in Be-
tracht kommt. |
1. Epidermis.
Ich stimme mit Fraisse (l. e. p. 155) und anderen Autoren
darin überein, dass die ersten Regenerationserscheinungen sich
an der Epidermis bemerkbar machen. Von keinem Gewebe sind
nun diese Erscheinungen so oft beschrieben worden, wie von der
Epidermis und es mag überflüssig erscheinen, die zahllosen Dar-
stellungen ?) des Vorganges noch um eine weitere zu vermehren.
1) Götte, Ueber Entwickelung und Regeneration des Glied-
massenskelets der Molche. Leipzig, 1879.
2) Bülow, Ueber Theilungs- und Regenerationsvorgänge bei
Würmern. Archiv für Naturgeschichte. 49. Jahrg. 1883.
3) Carrie&re, Studien über die Regenerations-Erscheinungen
bei den Wirbellosen. I. Die Regeneration bei den Pulmonaten. Würz-
burg, 1880.
4) Nussbaum, Ueber die Theilbarkeit der lebendigen Ma-
terie. II. Mittheilung. Beiträge zur Naturgeschichte des Genus Hydra.
Dieses Archiv Bd. 29, pag. 265 ff. (pag. 327).
5) Ribbert, Ueber die Regeneration des Schilddrüsengewebes.
Virchow’s Archiv, 117. Bd. (pag. 157, 158).
6) Podwyssozki, Experimentelle Untersuchungen über die
Regeneration der Drüsengewebe. I. In: Ziegler und Nauwerck,
Beiträge zur pathol. Anatomie und Physiologie, 1. Bd. Jena, 1886,
pag. 259 ff. (pag. 325).
7) Eine der besten und bekanntesten ist die von Klebs: Die
Regeneration des Plattenepithels. Archiv für experiment. Pathologie
und Pharmakologie, 3. Bd., pag. 125 ff. (pag. 134 ff). Eine kurze Be-
sprechung der einschlägigen Arbeiten findet man bei Klebs, a.a.0.
pag.225 ff.; bei Fraisse, a. a. O. pag. 44 ff., bei Flemming [Ueber
Epithelregeneration und sogenannte freie Kernbildung. Dieses Arch.,
18. Bd., pag. 347 ff. (pag. 361 ff.)], A. Peters [Ueber die Regenera-
410 D. Barfurch;
Trotzdem müssen wir zugeben, dass über sehr wichtige Fragen
der Epithelregeneration eine Einigung noch nicht erzielt ist.
Desshalb werde ich meine Beobachtungen in aller Kürze mit-
theilen und dabei besonders auf strittige Punkte Rücksicht
nehmen. |
Einer Anzahl Larven von Rana fusca, 3—4 em lang, am-
putirte ich mit einer kleinen scharfen Scheere !) die Schwanz-
spitze, Temperatur 18°. Nach 4 Stunden brachte ich ein Thier,
in feuchtes Fliesspapier gewickelt, unter: das Mikroskop und unter-
suchte den Wundrand frisch in Wasser. Nach dem Wundrande
zu waren die Epithelzellen von aufgelöstem Blutfarbstoff blass
röthlich gefärbt und ihr Zusammenhang gelockert, so dass die
Zellgrenzen deutlicher waren als an centralen Stellen. Vielfach
ragten die Zellen buckelförmig über den Wundrand hervor, die
Zellkerne waren bei scharfer Einstellung siehtbar. Die Wund-
fläche selber war bei dieser Methode nicht zu sehen. Drei an-
dern Exemplaren wurde dann nach 5!/, Stunden ein Stückchen
des Schwanzes (0,5 em lang) abgeschnitten und sofort in eine
Fixirungsflüssigkeit 2) gebracht. Sie wurden später mit Borax-
Carmin oder Hämatoxylin durchgefärbt, in Paraffin eingebettet
und mikrotomirt. Die Schnittserien zeigten, dass bei allen diesen
Thieren die Wundfläche schon von einem 2—3schichtigen
Epithel bedeckt war?). Die Wundfläche war an der breite-
sten Stelle, dem Mittelstück des Schwanzes, 1 mm breit. Die
centraleren Partien der Epidermis sind normal und weisen die
bekannten 2 Schichten auf. Von Interesse ist aber das Verhalten
der persistirenden Epidermis in der Nähe des Wundrandes. Hier
ist sie dünner, die keulenförmigen Zellen der unteren Schicht
sind platter und manchmal findet man nicht mehr zwei Schichten,
tion des Epithels der Cornea. Dissertation, Bonn, 1885, pag. 6 ff.. Von
neueren Arbeiten werden im Laufe der Darstellung noch mehrere er-
wähnt werden.
1) Nur selten habe ich nach Fraisse’s Angabe (pag. 52) ein
Rasirmesser benutzt.
2) Ich verwandte die Flemming’schen Gemische: Osmium-
chromessigsäure und Chromessigsäure, wässerige Pikrinsäurelösung
und Sublimat nach Heidenhain.
3) Fraisse fand, dass bei Siredon nach Verlauf von 5—6 Stun-
den eine Wunde von 2mm Breite und beliebiger Länge völlig ge-
schlossen ist (pag. 53).
* Zur Regeneration der Gewebe. 411
sondern nur eine einzige. Dieser eigenthümliche Befund wird
verständlich, wenn man annimmt, dass eine Anzahl von Zellen
in der Nähe des Wundrandes zur Deckung des Defects !) heran-
gezogen wurden. Die verschmächtigten Stellen der Epidermis
in der Nähe des Wundrandes fallen um so mehr auf, als die
- Epitheldecke der Wundfläche viel dieker (2—3 mal dieker) er-
scheint. Während an der persistirenden Epidermis der Aussenrand
fast gerade verläuft, ist der Rand der jungen Epitheldeeke un-
regelmässig, weil die Köpfe der Epithelzellen noch buckelförmig
vorragen. Die Zellgrenzen sind meist gut sichtbar, Kerne vor-
_ handen, meist mit Kernkörperchen versehen. Unter der neuen
"Epitheldecke liegt über den durchschnittenen Geweben eine theils
_ homogene, theils mit Körnchen und Schollen durchsetzte Masse
— das Wundeoagulum. Mitosen sind in der Epitheldecke nicht
vorhanden 2). Von Rana fusca und R. esculenta habe ich dann
1) Vgl. dazu: Eberth, Untersuchungen zur normalen und
pathologischen Anatomie der Froschhaut. Leipzig, 1869. — Fraisse,
a.a. O. pag.55. — A. Peters, Ueber die Regeneratlon des Epithels
der Cornea. Dissertation Bonn, 1885. — Derselbe, Ueber die Regene-
ration des Endothels der Cornea. Dieses Archiv, 33. Bd.
2) Mayzel (Ueber eigenthümliche Vorgänge bei der Theilung
der Kerne in Epithelialzellen. Centralblatt für die med. Wissensch.
1875, pag. 849 ff.) gebührt der Ruhm, die Mitosen bei pathologischen
Epithelneubildungen zuerst gesehen zu haben (Pag. 81 ff). May-
zel’s Verdienste um die Karyokinese hat Flemming [Beiträge zur
Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. I. Dieses Arch.,
16. Bd., pag. 302 ff. (pag. 401 ff.)], seine Verdienste um die Epithelrege-
neration (W. Mayzel, Ueber die Regeneration der Epithelien und die
Zelltheilung. I. Theil. 127 Seiten. Arbeiten aus den Laboratorien der
med. Facultät der Universität in Warschau, unter Redaction von FE.
Nawrocki. Heft IV, 1878. Autoreferat im Jahresbericht von Hof-
mann und Schwalbe, 1878, pag.45. Das Original war mir leider
nicht zugänglich.) hat Fraisse anerkannt (a.a. O. pag. 45 ff., pag. 54).
Mayzel fand die Mitosen im Epithel des Wundrandes am häufigsten
am 6.—9. Tage. — Man vergleiche ferner dazu: Fraisse, a. a. O0.
pag. 55. Peters, a. a.0.I. pag. 26 und II., pag. 161. Im Endothel
traten sogar erst am sechsten Tage Mitosen auf. Beltzow (Unter-
suchungen über Entwickelung und Regeneration der Sehnen. Dieses
Archiv, 22. Bd., pag. 714) fand die ersten Mitosen am 3.—4. Tage. Si-
manowsky (Ueber die Regeneration des Epithels der wahren Stimm-
bänder. Dieses Archiv Bd. 22, pag. 710 ff.) fand Mitosen nach 24 Stun-
den, mehr nach 48 Stunden. O. Fischer (Experimentelle Unter-
412 D. Barfurtn:
—
noch zahlreiche spätere Regenerationsstadien an Schnittreihen
studirt (6.—24. Stunde) und im wesentlichen dieselben Erschei-
nungen gefunden. An älteren Stadien (2.—3. Tag) sah ich in
der Vertiefung, die durch das Zurückschnurren der abgeschnit-
tenen Chorda entsteht, grosse Epithelmassen (Taf. XXI, Fig. 22e)
angehäuft. Mitosen finde ich erst am 2. Tage.
Von Triton taeniatus untersuchte ich die Epithelregeneration
am amputirten Schwanze nach 6 Stunden. Ich beschreibe nur
den Befund an einem etwas grösseren Exemplar (3,2 em), bei
welchem die knorpeligen Wirbelkörper schon vorhanden waren.
Das Präparat war zuerst eine Stunde lang mit Flemming’s
Osmiumehromessigsäure, dann 23 Stunden mit Chromessigsäure
behandelt worden, es wurde mit Borax-Carmin durchgefärbt und
in eine Serie von Sagittalschnitten zerlegt. Ein Schnitt, der durch
Rückenmark und Chorda geht und einem Medianschnitt nahe
kommt, zeigt folgendes. Ueber den durchschnittenen Organen
liegt eine sehr zarte helle Linie, das Coagulum. Blutkörperchen
sehe ich im Coagulum nicht, wohl aber unter demselben. Die
dorsale Partie der Epidermis ist sehr reich an Pigmentzellen
suchung über die Heilung von Schnittwunden der Haut unter dem
Jodoformverband. Dissertation. [Unter Ziegler’s Leitung.] Tübingen,
1888. Citirt nach: Fortschritte der Medicin, 1889, No. 3, pag. 102—103)
fand nach 30 Stunden Mitosen im Epithel in der Umgebung des Wund-
randes. — Stilling und Pfitzner (Ueber die Regeneration der
glatten Muskeln. Dieses Archiv, 28. Bd., pag. 306 ff.) fanden in dem
sich regenerirenden Peritonealepithel einer Magenwunde von Triton
taeniatus Mitosen nach mehreren Tagen (pag. 401), im Bindegewebe
in den ersten zwei Monaten (pag. 403), in der glatten Muskulatur nach
etwa 8 Tagen (pag. 409 ff.), während der Defect der Muskulatur selber
viel später (nach 2—3 Monaten, pag. 405 ff.) ausgeglichen wird. Ritschl
(Ueber Heilung von Wunden des Magens, Darms und Uterus mit be-
sonderer Berücksichtigung des Verhaltens der glatten Muskeln. Vir-
chow’s Archiv, Bd. 109, 1887, pag. 507 ff.) sah schon am ersten Tage
der Wundheilung (beim Kaninchen) Mitosen in allen Geweben. — Pod-
wyssozki (Experimentelle Untersuchungen über die Regeneration
der Drüsengewebe. II. Theil. Beiträge zur pathol. Anat. u. Physiol.
von Ziegler, II. Bd., 1887, pag.1 ff.) fand in der Infraorbital- und
Submaxillardrüse des Kaninchens schon nach 24—30 Stunden fast alle
Stadien der mitotischen Kerntheilung (pag. 17). Somya (Ueber die Re-
generation des Epithels der Cornea. Diss. Bonn, 1889) sah Mitosen
schon während der Bekleidung des Epitheldefects (1. Tag). Her-
mann u. Schwalbe, Jahresbericht 1889.
\ *
\
Zur Regeneration der Gewebe. 413
(Chromatophoren), aber auch die Epithelzellen dieser Gegend
selber sind mit Pigmentkörnern reichlich versehen; der
ventrale Abschnitt der Epidermis hat wenig Pigment. Es hat
nun auf diesem Stadium der Regeneration die Bedeekung der
Wunde mit Epithelzellen begonnen und man kann von oben
und unten her das Vordringen derselben deutlich beobachten. An
den Rändern, in der Nähe des_persistirenden Epithels, ist die
Wunde schon mit einer mehrfachen (3—4fachen) Epithelschicht
bedeckt, weiter nach dem Centrum der Wunde zu findet man
nur noch eine einzige Zelllage, und die ganze mittlere Partie
(Chorda, Rückenmark und Wirbelbögen) ist noch ganz unbe-
deekt. Dieses Vorrücken des Epithels beruht nur auf einer
Wanderung der jüngeren persistirenden Epithelzellen
vom Wundrande her, wie das schon von Klebs!) und neuer-
dings sehr zutreffend von A. Peters?) in seiner unter Nuss-
baum’s?°) Leitung ausgeführten Dissertation ausführlich beschrie-
ben wurde. Dies liess sich in meinem Falle durch eine eigen-
thümliche Erscheinung sicher stellen. ”
Ich habe oben hervorgehoben, dass die dorsalen Epithelien
sehr reich an Pigment waren, die ventralen aber sehr wenig
davon enthielten. Nun zeigten auch sämmtliche junge
Epithelzellen auf dem dorsal gelegenen Theil der Wunde
dasselbe braune Pigment, wie die persistirenden Epi-
1) Klebs,.a.a. O. schildert das Auftreten contractiler Epithel-
zellen am Wundrande, die amöboide Bewegung ihres Protoplasmas
(pag. 134, 135), ihre Loslösung vom Mutterboden (pag. 138) und ihren
Marsch, der Klebs Veranlassung gab, sie „epitheliale Wanderzellen
(pag. 138) zu nennen. Treffen sie auf der Wundfläche zusammen, so
bilden sie netzartige Figuren oder grössere Platten polygonaler Zellen
(pag. 139).
Bea Peters, a. a. O. (I) pag. 20 ft.
3) Nussbaum (Fortgesetzte Untersuchungen über spontane
und künstliche Theilung der lebendigen Substanz. Sitzungsberichte
der Niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Bonn,
1885) hatte schon früher eine sehr weitgehende Verschiebung und Ver-
lagerung des Eetoderms und Entoderms umgestülpter, auf einer Borste
oder einem feinen Silberdraht befestigter Polypen (Hydra) beschrieben.
Die ausführliche Arbeit ist schon oben (pag. 409) eitirt.
Von einer sehr merkwürdigen Wanderung neugebildeten
Epithels berichtet Marchand (Wanderungsfähigkeit neugebildeten
Epithels. Tageblatt d. Vers. d. Naturf. zu Wiesbaden, 1887, 8. 275, eitirt
nach dem Jahresbericht vonHermann u. Schwalbe, 1887, pag. 676).
414 ü D. Barfurth: -
thelzellen, die ventral gelegenen waren dagegen fast
ganz pigmentfrei. Diese Thatsache lässt nur die eine Deu-
tung zu, dass die Epithelien auf der Wundfläche vom persistiren-
den Epithel herstammen.
Aber könnten nicht die neu aufgetretenen Zellen durch
Theilung von den stehengebliebenen herstammen ? Nein, denn
dann müsste bei der fortgesetzten Theilung und der gleichbleiben-
den Grösse der Zellen das Pigment so schnell abnehmen, dass
die vorgerückten Zellen gar nichts mehr davon enthalten dürften;
dieselben haben aber so viel Pigment, wie die in der Nähe des
alten Epithels befindlichen.
Von Triton eristatus untersuchte ich einige ältere Regene-
rationsstadien. Ich berichte nur weniges über ‚ein regenerirtes
Schwanzende, welches 24 Stunden nach der Amputation (Tempe-
ratur 18°) zur Untersuchung kam. Ein Sagittalschnitt, der durch
Chorda und Rückenmark ging und einem Medianschnitt nahe
kam, zeigte auf der Wundfläche ein doppelschichtiges Epithel
und in der unteren Lage desselben ventralwärts eine Mitose.
Ich habe dann bei jungen 3—4 em langen Larven von
Siredon pisciformis die ersten Stadien der Wundbedeckung
und Regeneration untersucht. 45 Minuten nach erfolgter Ampu-
tation zeigte die Wundfläche mit Sublimat fixirter und mit Borax-
carmin gefärbter Präparate folgendes Aussehen. An den schmalen
Seitenplatten war die Wundfläche vom alten Epithel be-
deckt, welches bei Application des Scheerenschnittes ?) ledig-
lich durch Quetschung so zusammengedrückt war, dass die Epi-
thelränder durchaus zusammen stiessen ?2). Die ganze Wundfläche
1) Fraisse hat also ganz Recht (pag. 52), wenn er der Scheere
quetschende Wirkungen auf zarte Theile zuschreibt. Ich bin trotz-
dem der einfacheren Anwendung wegen in der Regel bei der Scheere
geblieben, habe aber der Sicherheit wegen nicht die zarten Seiten-
platten, sondern das resisiente Mittelstück des Schwanzendes sStudirt.
3) Man hat freilich den Eindruck, als ob doch nicht bloss me-
chanisch das Aneinanderlegen der Epithelränder zu Stande käme,
sondern als ob die Natur, bez. die selbststeuernde Kraft des Organismus
mitwirkte. Durch das Austreten des Blutes und der Lymphe aus
den angeschnittenen Gefässen muss nothwendiger Weise eine Art
Schrumpfung im Wundbezirk eintreten, wodurch die Bedeckung des
Defeets und der Abschluss der Wunde von der Aussenwelt erleich-
tert wird.
Zur Regeneration der Gewebe. 415
des Mittelstüicks mit Chorda, Rückenmark, Schwanzarterie war
dagegen vollständig epithelfrei; es waren hier nur Rudimente
durehschnittener Zellen und rothe Blutkörperchen — wenig weisse
— zu sehen; ein eigentliches Coagulum war -nicht vorhanden.
- Die Zeit war also zu kurz gewesen, als dass eine Reaction der
Gewebselemente hätte erfolgen können. Es stimmt diese Erfah-
_ rung mit der von Fraisse gemachten (p. 53) überein.
% Die Wundfläche eines anderen Exemplars von Siredon, die
1!/, Stunde nach Amputation der Schwanzspitze untersucht wurde,
zeigte die ersten Reactionen der Epidermis. Am Wund-
rande waren ihre Zellen platt geworden und schoben sich über
die Wundfläche vor. An den schmaleren Stellen war die Ver-
_ einigung mit entsprechenden Zellen der andern Seite erfolgt, an
3 den breiteren war noch eine Lücke vorhanden. Da gerade dieses
Stadium der Regeneration von -prineipieller Wichtigkeit ist, so
habe ich das Ende eines Schnittes der Serie mit dem Nachet-
schen Zeichenapparat möglichst naturgetreu wiedergegeben (Taf.
XXIV, Fig. 26).
Die Zeichnung wurde mit dem Leitz’schen Objectiv 7,
Oeular 1 bei 250 mm Abstand des Zeichentisches von dem Zeichen-
_ apparat entworfen. Der Scheerenschnitt traf die Epidermis bei
e und e’; die Wundränder sind etwas zusammengedrückt, wess-
halb besonders bei e’ (vonL.Z. an) die Epidermis um die Wund-
ecke herum gebogen erscheint. Die elastische Cutis wich dem’
Schnitt etwas aus und legte sich desshalb bis e und e’ über die
Wundfläche. Bei f liegen die Bindegewebsfasern wahrscheinlich
in Folge der Quetschung dichter gedrängt als weiter seitlich ;
sie färbten sich mit Borax-Carmin kräftig roth. Die Pigment-
schicht ist der Cutislamelle gefolgt. Bei m und m‘ liegen durch-
schnittene Stücke quergestreifter Substanz, an der andern Seite
des Schnittes lagen dieselben etwas höher. Der Schnitt (frontal)
fiel durch die Muskulatur des Mittelstückes, hat aber die wich-
tigen Organe des Mittelstücks (Chorda, Rückenmark ete.) nicht er-
reicht. Ueber der Wundfläche liegt kein Coagulum ; etwas. tiefer
findet man wenige rothe Blutkörperchen (b), die aus angeschnit-
tenen Capillaren ausgetreten sind. Wie hat nun der Organismus
_ auf den Wundreiz reagirt ?
Was zunächst die Wundfläche selber anbetrifft, so sehen
wir sie von einem 1—2schichtigen Epithel bedeckt (e—e‘). Die
416 D. Barfurth:
Grenzen der Zellen sind nicht überall deutlich, hier und da sieht
man Vaeuolen zwisehen denselben. Kernlose Zellen finde ich
nicht; die beiden Zellen (kz), die ich zuerst bei Besichtigung
mit Leitz Objectiv 7 als kernlos gezeichnet hatte, erwiesen
sich später bei Untersuchung mit !/,, Immersion als kernhaltig.
Einige Spalten (sp) zwischen Epithelbelag und Wundfläche sind
der Einwirkung der Fixirungsflüssigkeit (Sublimat) zuzuschreiben.
Mitosen sind weder hier noch in dem persistirenden Epithel der
Wundränder vorhanden. Ebenso fehlen Erscheinungen, die man
auf „direete* Kerntheilung beziehen könnte, durchaus. Sehr
auffallend ist, dass in dem neuen Epithelbelag
keine Leydig’sche Zellen vorhanden sind; das gilt
nicht nur von diesem Schnitt, sondern von der ganzen Serie,
und ich stimme Fraisse (a.a. ©. p. 64) darin vollständig bei,
dass die specifischen Organe der Epidermis, die
durch Umwandlung aus Epithelzellen entstehen, also Drüsen
und nervöse Apparate, erst viel späterin der re-
generirten Epithelschicht sich differenziren.
Am epithelialen Wundbelag fällt ferner der Mangel einer
gestreiften Cutieula !) und der Zellbrücken ?) auf; von grösse-
1) Man vergleiche darüber: Leydig, Ueber die Schleichenlurche
(Coeeiliae). Zeitschrift für wiss. Zool. 18. Bd., pag. 280 ff. (pag. 284).
F. E. Schulze, Ueber cuticulare Bildungen und Verhornung von
Epithelzellen bei den Wirbelthieren. Dieses Archiv, Bd.5, pag.295 ff.
(pag. 299). — Leydig, Ueber die allgemeinen Bedeckungen der Am-
phibien. Dieses Archiv, 12. Bd., pag. 119 ff. (pag. 132). — Auf Frosch-
larven (Bombinator igneus) speciell bezüglich: Eberth, Zur Unter-
suchung der Gewebe im Schwanze der Froschlarven. Dieses Archiv,
Bd. 2, pag. 490 ff. (pag.497). — Auf Salamanderlarven bezieht sich:
Langerhans, Ueber die Haut der Larve von Salamandra maculosa.
Dieses Archiv, 9. Bd., pag. 745 ff. — Pfitzner, Die Epidermis der
Amphibien. Morphol. Jahrbuch, 6. Bd., pag. 469 ff. (pag. 484). — Ba-
trachierlarven (Rana, Hyla) untersuchte: Kölliker, Histologische
Studien an Batrachierlarven. Zeitschr. für wiss. Zool., 43. Bd., pag.1 ff.
(pag. 17). — Ueber Ichthyophislarven handeln: P. u. F. Sarasin, Er-
gebnisse naturwissenschaftlicher Forschungen auf Ceylon. Wiesbaden,
1887. — Vgl. ferner: Eisig, Monographie der Capitelliden des Golfes
von Neapel etc. in: Fauna und Flora des Golfes von Neapel etc.
XVI. Monographie. Berlin, 1887, pag. 414 (Cuticularbildungen bei
den Vertebraten). — Leydig, Altes und Neues über Zellen und Ge-
webe. Zool. Anzeiger 1888.
2) Leydig, Untersuchungen zur Anatomie und Histologie der
Zur Regeneration der Gewebe. 417
rerBedeutung aber ist, dass diese Einrichtungen
aufeine grosse Strecke hin auch der persistiren-
denEpitheldecke fehlen; erst in einer Entfernung von ca.
0,3 mm vom Wundrande sehe ich den Cutieularsaum wieder deutlich;
die Zellbrücken haben sich, wenigstens an einigen Stellen, besser er-
halten (Zb). Mitosen finden sich weder im Epithelbelag der Wund-
fläche, noch in den anstossenden Partien des stehen gebliebenen
_ Epithels. In Bezug auf letzteres ist noch die wichtige Thatsache
_ hervorzuheben, dass seine Zellen nicht den regelmässigen Verband
zeigen, den man an der normalen Epidermis findet: der Zusam-
_ menhang der Zellen ist gelockert, ihre Formen sind vielfach un-
regelmässig, sie liegen an manchen Stellen in einfacher Schicht,
statt in der doppelten des normalen Epithels.
Die Cardinalfrage nun: Woher stammen die Epithelzellen
der Wunddecke? lässt nach meiner Ansicht auch in diesem Falle
nur eine Antwort zu: Sie stammen her vom persistirenden Epi-
thel des Wundrandes, sind nicht etwa durch Theilung aus diesen
- Epidermiszellen hervorgegangen, sondern haben sich aus dem Epi-
thelverbande losgelöst, sind embryonal beweglich (amöboid) ge-
worden und schieben sich langsam über die Wundfläche vor, bis
sie mit den Zellen der andern Seite Fühlung gewonnen haben.
Aber auch dann hört der Nachschub von Zellen noch nicht auf,
es kommen immer neue, bis eine mehrfache Schicht die Wunde
bedeckt. Bei diesem Vorschieben der Zellen gehen feine Struc-
turen (Cuticularsaum, Zellbrücken) !) verloren; es treten gelegent-
Thiere. Bonn, 1883. E. Strauss. — Derselbe, Die Hautdecke und
Hautsinnesorgane der Urodelen. Morphol. Jahrb., 2.Bd., pag.3. —
Flemming, Zellsubstanz, Kern und Kerntheilung, pag. 52 ff. —
Eeiizuer, a a ©. pag. 44 fe. — P.uF.Sarasin, a a.0.
pag. 66 f. — Mitrophanow, Ueber die Intercellularlücken und
Intercellularbrücken im Epithel. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 41. Bd.,
pag. 302 ff. — Das Verschwinden der Zellbrücken wird (pag.55) von
Fraisse beschrieben: „Die Riffzellen, welche den Wundrändern an-
- liegen, runden sich ab.“ — Neuerdings hat Ko dis in einer interessanten
Untersuchung (Epithel und Wanderzelle in der Haut des Froschlarven-
schwanzes. Archiv für Anatomie und Physiologie, Physiol. Abtheil.,
1889, Supplement pag. 1 ff.), diese Zellbrücken gezeichnet (Taf. I,
a
Mi kr u
Fig. 1, 2 etc.) und als „Querfäden“ beschrieben (pag. 8).
1) Fraisse fand das „intercelluläre Lacunensystem“ im rege-
nerirten Epithel von Pleurodeles erst nach 48 Stunden wieder, nach-
dem schon 5—6 übereinanderliegende Zellschichten da waren (pag. 63).
418 D. Barfurth:
lich Vaeuolen auf und die Zellgrenzen werden hier und da un-
deutlich. An der Zellwanderung nehmen die Zellen des Stratum
corneum und des Stratum mucosum Theil, nieht aber die zu
speceifischen Organen differenzirtenLeydig’schen
Zellen.
Zum Schluss bemerke ich ganz kurz, dass ich wie viele
früheren Beobachter !) im Wundgebiete fast aller Regenerations-
stadien Epithelzellenkerne mit den Erscheinungen der Zerklüftung,
der Maulbeerform u. s. w., sowie Wanderzellen gesehen habe.
Einen Einfluss auf die Regeneration vermag ich aber diesen Din-
sen nicht zuzuschreiben.
Aus den mitgetheilten Thatsachen ziehe ich folgende
Schlüsse:
1. Die Angabe Fraisse’s?), dass die erste Reaction des
Organismus nach Anlage der Wunde bei Amphibien ungefähr
nach 1 Stunde sich bemerkbar macht, wird durch meine Beob-
achtungen bestätigt. Die in der Nähe der Wunde liegenden Ge-
webstheile collabiren wegen des Verlustes an Blut und Lymphe
und desshalb nähern sich die Wundränder einander. Die Wund-
fläche wird in vielen Fällen mit einem Coagulum überzogen,
welches aber auch fehlen kann; dann erfolgt die Bedeckung der -
Wunde mit Epithelzellen.
2. Mit A. Peters?) bin ich der Ansicht, dass der erste
Epithelbelag der Wundfläche von restirenden Epithelzellen der
Wundränder durch einfache „Verschiebung“ (Nussbaum) *), also
nicht durch Neubildung, geliefert wird. Die durch den Schnitt
1) Von neueren Forschern eitire ich nur: Pfitzner, Zur patho-
logischen Anatomie des Zellkerns. Virchow’s Archiv Bd.103, pag.
275 HE. RER TE EEE PEN: |
2) Fraisse, a.a.0. pag. 53, bezeichnet diese erste Reaction als °
„Neubildung von Epidermiszellen“ Wir sind offenbar darin einig,
dass es sich hier um die erste Bedeekung der Wunde mit Epithel-
zellen handelt. Dass ich dabei keine „Neubildung von Epidermis-
zellen“, sondern nur ein Vorschieben vorhandener Epidermiszellen ”
finde, ergiebt sich aus meiner Darstellung. 5
3) A. Peters, aa. O.Tjipae: TE | B
4) Nussbaum, a.a. O0. (Fortgesetzte Untersuchungen ete.): f
„Es hat keine Neubildung und keine Umwandlung, bloss eine Ver-
schiebung der Zellen stattgefunden.“ (pag. 7.) #
Zur Regeneration der Gewebe. 419
- hergestellte „Unterbrechungsfläche* (Roux) !) bewirkt durch Auf-
hebung des Seitendrucks zunächst eine wohl nur passive Ver-
_ schiebung der Epidermiszellen. Es scheint aber, dass der „stetige
einseitige Druck“ die Zellen bald „zu einer Art aetiver Umord-
nung“) veranlasst. Das ergiebt sich aus der merkwürdigen
Thatsache, dass zur. Bedeckung der Wundfläche nur die ge-
5 wöhnliehen und indifferenten Zellen des Stratum mueo-
E sum und corneum, nicht aber die zu specifischen Or-
ganen (Leydig'sche Zellen ete.) differenzirten Epithelzellen ver-
wandt werden. Die Ursache liegt wohl darin, dass diese Zellen die
ursprüngliche leichte amöboide Beweglichkeit verloren haben ?°).
3. Mit fast allen neueren Forschern bin ich zu dem Re-
sultat gelangt, dass die ersten Kerntheilungserscheinungen erst
geraume Zeit *) nach Anlage des Defects im praeexistirenden Epi-
thel, also meist erst nach Bedeckung der Wundfläche mit Epithel,
auftreten. Die Theilungserscheinungen an den Kernen sehe ich in
den Mitosen, bin also der Ansicht, dass die dann auftretenden
_ Kern- und Zelltheilungen auf dem Wege der sog. „indireeten
Kerntheilung“ ablaufen. Die eigentliche „Regeneration* geht
von den an der Schnittgrenze gelegenen Epithelzellen aus,
was ich aus den gerade an dieser Stelle immer am hänfigsten
auftretenden Mitosen schliesse. Eine „direete“ Kermtheilung an-
zunehmen habe ich keinen Grund, denn die Erscheinungen, die
1) W. Roux, Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Em-
_ bryo. Nr. 5. Ueber die künstliche Hervorbringung halber Embryonen
durch Zerstörung einer der beiden ersten Furchungskugeln, sowie
über die Nachentwickelung (Postgeneration) der fehlenden Körper-
hälfte. Virchow’s Archiv Bd. 114, Separatabdruck pag. 68.
2) Roux, a. a. O. pag. 62 u. 63.
3) Damit ist nicht gesagt, dass diese Zellen unverändert an ihrem
Ort sitzen bleiben. Die mikroskopischen Bilder (siehe Figur 26)
weisen vielmehr darauf hin, dass dieselben von der allgemeinen Fluth,
wenn auch vielleicht nur passiv, ergriffen werden, Gestaltsverände-
rungen erleiden und verschoben werden. Ueber der Wundfläche seiber
aber fand ich keine einzige dieser Zellen.
4) Nur Neese (Ueber das Verhalten des Epithels bei der Hei-
lung von Linear- und Lanzenmesserwunden in der Hornhaut. Archiv
- für Ophthalmol. Bd.33, pag. 1 ff.) sah die karyokinetischen Figuren am
- reichlichsten schon in der vierten Stande nach der Verletzung in
einem gewissen Abstande vom Wundrande; in der zwölften Stunde
fanden sie sich zum ersten Mal im Epithel der Wunde selbst (pag. 13).
420 D. Barfurth:
man wohl für eine solche verwerthet hat (Zerklüftung, Einschnü-
rung etc.), sehe ich mit Pfitzner') als Rückbildungen an. Da-
gegen tritt Fraisse?) lebhaft für eine direete Kerntheilung ein
und hält es für höchst wahrscheinlich, dass alle diese typischen
Figuren (Mitosen) nur dort auftreten, wo es zur Bildung eines
speciellen Organs kommt 3).
l) Pfitzner, Zur pathologischen Anatomie des Zellkerns,
a. a. O. pag. 294 ff.
2) Fraisse, a. a. O. pag. 143.
3) Die Frage der amitotischen und mitotischen Kerntheilung ist
in letzter Zeit von Waldeyer eingehend und übersichtlich behandelt
worden (Waldeyer, Ueber Karyokinese und ihre Beziehungen zu
den Befruchtungsvorgängen. Dieses Archiv, 32. Bd., pag.1 ff. [pag. 38 ff.]).
Die Beobachtungen über das Vorkommen amitotischer (direeter) Kern-
theilung sind dort zusammengestellt. Ich glaube aber, dass wir in der
Diagnose dieser Art von Theilung immer vorsichtiger werden müssen.
So beschreibt in jüngster Zeit Oscar Schultze (Ueber den Einfluss
des Hungers auf die Zellkerne. Sitzungsberichte der Würzburger
phys.-med. Gesellschaft, 1888) Epithelzellenkerne von Tritonenlarven,
die durch langes Hungern eine eigenthümlich lappige Form bekommen
haben. Derselbe giebt einen Ueberblick über das Vorkommen der
eingeschnürten und gelappten Kerne überhaupt (pag. 4 des Separat-
abdrucks). Solche Erscheinungen am Zellkern sind früher wohl un-
bedenklich als auf beginnende Theilung bezüglich gedeutet worden.
Ferner erinnere ich daran, dass Flemming vor Kurzem erst eine
amitotische Kerntheilung im Blasenepithel des Salamanders (dieses
Archiv, 34. Bd., pag. 437 ff.) als abnormen Ausnahmezustand nachwies,
der „wahrscheinlich auf irgend eine pathologische, vielleicht katarrha-
lische Veränderung zurückzuführen sein wird“ (pag. 448). Derselbe
(Ueber die Theilung von Pigmentzellen und Capillarwandzellen. Dieses
Archiv, 35. Bd., pag. 276 ff.) wies mitotische Kerntheilung von Pigment-
zellen nach, während Kodis (Epithel und Wanderzelle in der Haut
des Froschlarvenschwanzes, Archiv für Anat. und Physiol., Physiol.
Abtheil., 1889, Suppl. pag. 23) karyokinetische Figuren bei den Pigment-
zellen nie beobachtet hatte und eine Vermehrung der Pigmentzellen
nicht annahm, und Solger (Nachtrag zu dem Artikel: Zur Structur
der Pigmentzelle. Zool. Anzeiger 1890, pag. 93 ff.) angegeben hatte,
dass „(in späteren Entwickelungsstadien wenigstens) die Vermehrung
der Kerne nicht auf dem Wege der Mitose, sonderf der einfachen
Zerschnürung vor sich geht“ (pag. 94). Wie schnell die Mitosen post
mortem undeutlich werden oder ganz verschwinden und wie sehr
ihre Conservirung von der Fixirungsflüssigkeit abhängig ist, hat jüngst
H. Schenck in seiner unter Ribbert’s Leitung ausgearbeiteten °
Dissertation (Ueber Conservirung von Kerntheilungsfiguren, Bonn,
Zur Regeneration der Gewebe. 421
4. Abweichend von Fraisse gelange ich zu dem Resul-
tat, dass nicht nur bei erwachsenen Thieren, sondern auch
bei Larven (Siredon, Triton, Rana) eine freie Kernbildung
nicht vorkommt. Fraisse fand, „dass bei Larven, besonders
den Larven der Tritonen, neben der einfachen Kerntheilung
auch eine freie Kernbildung in einem gleichmässig über die
Wundfläche vertheilten Blastem bei der Epithelregeneration vor-
kommt, während bei erwachsenen Thieren die freie Kernbildung
wenigstens sehr beschränkt, wenn nicht ganz aufgehoben wird.“
(Fraisse a.a. O. p. 59). Fraisse’s Ahnung, dass seine Ansicht
über diesen Punkt „ganz besonders angefochten werden würde“,
wird sich wohl erfüllen. Ich will ihm wohl zugeben, dass die
Zellgrenzen oft undeutlich sind, oder ganz verschwinden, dass
die Kerne blass, chromatinarm nach Analogie der embryonalen
Kerne !) sein können, dass einmal Kerne sich der Beobachtung
entziehen können, aber das alles veranlasst mich nicht, Fraisse
beizustimmen, wenn er meint, die in das proliferirende Gewebe
eintretenden Wanderzellen bildeten durch ihren Zerfall „das Blastem,
in welchem dann wiederum später die Kerne der neuen Epider-
miszellen secundär dadurch entstehen, dass nach und nach die
feineren Körnchen zusammentreten, um dann allmählich zu rich-
tigen Kernen zu werden“ (p. 57). Wie schon oben bemerkt
wurde, habe ich im Wundbelag bei Siredon mit einer guten Im-
mersion in einigen Zellen Kerne gesehen, die mit einem schwäche-
ren System der Beobachtung unzugänglich waren.
Was die Wanderzellen anbetrifft, so stimme ich mit Fraisse
darin überein, dass sie zerfallen. Dass aber dieser Zerfall plötzlich
da Halt macht, wo das „Blastem“ sich bildet, glaube ich nicht.
Es wird hier wie in so vielen andern Fällen die Decomposition
1890) nachgewiesen. Nach dem jetzigen Stande der Frage müssen
wir sagen, dass eine positive Beobachtung von mitotischer Kernthei-
lung mehr Werth hat als drei negative. — Soeben erscheint eine Ar-
beit von Giovanni über Regeneration von Haaren nach der Epila-
tion, in welcher derselbe zu dem Ergebniss kommt, dass „cette r&g6-
neration s’opere par karyokinese des cellules &pitheliales restees A
Vinterieur du follieule atrophi6e“. Giovanni, De la regencration des
poils apr&s l’Epilation. Dieses Archiv, 36. Bd., 4. Heft.
1) Pfitzner, Zur pathologischen Anatomie des Zellkerns, a.a. 0.
pag. 281: „Die Chromatinarmuth des Kerns ist ein Kennzeichen für
den embryonalen Charakter der Zelle.“
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 98
429 D. Barfurth:
weiter schreiten, bis das verflüssigte Material durch die Lymph-
bahnen aufgenommen wird, oder es mag dieses Material als Nah-
rung direet von andern Zellen (Epithelzellen), wie Fraisse und
vanRees?) angeben, aufgenommen werden. Wenn ich Fraisse’s
Darstellung und Zeichnungen (p. 56 ff. Taf. I Fig. 5, Fig. 11) rich-
tig verstehe, so entspricht sein „Blastem“ dem mehr oder weni-
ger zusammen geflossenen Protoplasma der vorrückenden Epithel-
zellen. In den dunkel gefärbten Körnchen sehe ich mit ihm Zer-
fallsprodukte der Leukocyten und die vorhandenen Kerne deute
ich als Kerne der vorgeschobenern präexistirenden Epithelzellen.
So erklärt sich auch das Fehlen „der Kermfiguren und der ein-
fachen Kerntheilungen in den jüngsten Stadien“ (Fraissea.a. O.
1) Fraisse, A: 2. -O.'pag.57.
2) J. van Rees, Beiträge zur Kenntniss der inneren Metamor-
phose von Musca vomitoria. Spengel’s Zoologische Jahrbücher,
3. Bd., 1888 (pag. 116). Die Angaben von van Rees über die Thä-
tigkeit der Leukocyten stimmen mit meinen Beobachtungen (Biolo-
gische Untersuchungen über die Bachforelle. Dieses Archiv, 27. Bd.,
1886, pag. 152 ff. und: Die Rückbildung des Froschlarvenschwanzes
und die sog. Sarkoplasten. Dieses Archiv, 29. Bd., pag. 42 ff.) überein.
Man vergleiche dazu die vor van Rees’ Arbeit erschienene interessante
Untersuchung von Kowalevsky, Beiträge zur Kenntniss der nach-
embryonalen Entwickelung der Museiden. Zeitschrift für wiss. Zool.,
45. Bd., 1887, pag. 542 ff. Neuerdings wurde dieser Gegenstand be-
arbeitet von A. Looss, Ueber die Betheiligung der Leukocyten an
dem Zerfall der Gewebe im Froschlarvenschwanze während der Re-
duction desselben. Ein Beitrag zur Phagocytenlehre. Leipzig, 1889.
Ich eitire diesen Titel nach der Literaturangabe im „Anatomischer
Anzeiger“, 1889, pag. 677, da mir die Arbeit, wie die später erschienene
Preisschrift nicht zugänglich waren. Den Angaben von Looss über
die Rolle der Leukocyten bei der Muskeldegeneration tritt neuerdings
entgegen: Bataillon, La degenerescence musculaire dans la queue
des larves d’anoures et la phagocytose. Comptes rendus des s&ances
de la societe de biologie. Paris, 1890. — Die älteren Arbeiten von
A. von Brunn, Metschnikoff etc. habe ich früher berücksichtigt.
Einer ganz eigenartigen Auffassung über das Auftreten der Leuko-
cyten hat Sigmund Mayer Ausdruck gegeben: „Meiner Ueberzeu-
gung nach sind die bei vielen Rückbildungsprocessen auftretenden
Leukocyten das direete Product der sich rückbildenden Gewebe.“
Sigmund Mayer, Einige Bemerkungen zur Lehre von der Rück-
bildung quergestreifter Muskelfasern. Zeitschrift für Heilkunde, 8. Bd.,
Prag, 1887, pag. 177 ff. (pag. 187).
de
Zur Regeneration der Gewebe. ” 423
p- 56). Die Annahme einer freien Kernbildung 1) scheint mir
desshalb hier nicht begründet zu sein.
5. Ich stimme Fraisse (p. 64) darin bei, dass anöditnche
1) Dieser Modus der Kern- und Zellbildung ist neuerdings von
- Flemming (Ueber Epithelregeneration und sogenannte freie Kern-
bildung. Dieses Archiv Bd.18, pag. 347. Literaturangaben pag. 359 ff.)
F "erfolgreich bekämpft worden. Wenn Fraisse sich auf die „Dotter-
— kerne‘“, als frei entstehend, beruft (pag. 59), so ist dagegen auf die
= Untersuchungen von Rückert und Kastschenko zu verweisen,
denen zufolge die Merocyten von Furchungskernen mach Rückert
sicher vom ersten Furchungskern) abstammen. [Kastschenko,
Zur Entwiekelungsgeschichte des Selachierembryos. Anat. Anzeiger,
1888, pag. 445 ff. (pag. 459); Rückert, Weitere Beiträge zur Keim-
blattbildung bei Selachiern. Anat. ge er, 1889, pag. 353 ff. (pag.. 362).
Ich eitire nur diese neuen Arbeiten.] Zu ee Ergebniss gelangt
C. K. Hoffmann (Ueber den Ursprung und die Bedeutung der so-
genannten „freien“ Kerne in dem Nahrungsdotter bei den- Knochen-
fischen. Zeitschr. f. wiss. Zool., 46. Bd., pag. 517 ff) in Bezug auf die
_ Kunochenfische. Die Mittheilungen von Henking (Die ersten Ent-
wickelungsvorgänge im Fliegenei und freie Kernbildung. Zeitschr.
für wiss. Zool., 46.Bd., pag. 289 ff.) über freie Kernbildung wurden
u.a. von Blochmann (Ueber die Zahl der Richtungskörper bei be-
fruchteten und unbefruchteten Bieneneiern. Morphol. Jahrbuch, 15. Bd.,
pag. 85 ff.) bekämpft. (Ich eitire nur diese beiden Aufsätze.) — Die
Mittheilungen Stadelmann’s (Die Histologie des Pseudoknorpels in
_ der Achillessehne des Frosches und dessen Veränderung bei entzünd-
licher Reizung. Königsberg, 1878, Dissertation, und Virchow’s Arch.,
- 80.Bd., pag. 105 ff.) können nicht ohne weiteres für eine „freie Kern-
- bildung“ verwerthet werden, weil zu der Zeit die „Karyokinese“ noch
in den ersten Anfängen lag und die Deutung solcher Befunde in den
Zellen durchaus unsicher war. Mayzel, der von Fraisse und Sta-
delmann als Gewährsmann eitirt wird, konnte für seine Angabe,
_ dass die am freien Rande des sich regenerirenden Epithels der Cornea
„reichlich auftretenden Kerne ohne Zweifel durch Differenzirung aus
dem Protoplasma sich frei bilden“, nach eigener Erklärung unzweifel-
hafte Beweise nicht beibringen (Mayzel, Ueber eigenthümliche Vor-
— gänge etc. Centralblatt für die med. Wissenschaften 1875, pag. 849 ff.).
Dass Mayzel noch an der „freien Kernbildung“ festhält, muss nach
den Mittheilungen Flemming’s (dieses Archiv, 18. Bd., p. 361, An-
merkung 4) zweifelhaft erscheinen. — Nach dem jetzigen Stande der
Frage müssen wir wohl Hertwig (Entwickelungsgeschichte, 3. Aufl.,
1890) beistimmen, wenn er sagt, „dass nach unserer jetzigen Kenntniss
_ überhaupt freie Kernbildung im Thier- und Pfianzenreich nicht vor-
zukommen scheint“ (pag. 56).
424 “ | _ D. Barfurth:
Organe der Epidermis sich viel später regeneriren, d. h. in diesem
Falle aus gewöhnlichen Epithelzellen differenziren. Zu dem-
selben Resultat gelangten Griffini und Vassale!) bei ihren
Versuchen über. die Regeneration der Magenschleimhaut. Aus
dem restirenden Drüsenepithel der Wundränder bildete sich ein
indifferentes Ueberzugsepithel und aus diesem entstanden wieder
neue Drüsen. Diese Vorgänge entsprechen den von Kölliker?)
ausgesprochenen Prinzipien über Regeneration.
2. Rückenmark (und peripheres Nervensystem).
Die Regeneration des Rückenmarks beginnt bei Frosch-
und Tritonenlarven am 2. Tage (15°C.). Diese schnelle Neu-
bildung ist um so auffallender, als Schiefferdecker?) bei Säu-
gern eine Regeneration des Rückenmarks überhaupt nicht nach-
weisen konnte; in der die Stümpfe verbindenden bindegewebigen
Narbe war bei einem Hunde 238 Tage nach der Operation Keine
einzige Nervenfaser aufzufinden.
Bei Amphibien und Reptilien scheint durchweg eine Regenera-
tion des abgeschnittenen Rückenmarks vorzukommen, wie namentlich
durch die Untersuchungen von Heinrich Müller, Fraisse und
Caporaso bewiesen wurde *). Die Regeneration desselben im
Reptilienschwanz hat deshalb ein besonderes Interesse, weil hier
1) Griffini und Vassale, Ueber die Reproduction der
Magenschleimhaut. Beiträge zur pathol. Anat. und allg. Path. von
Ziegler und Nauwerck, 3. Bd. pag. 425 ft.
2) A. Kölliker, Die Bedeutung der Zellenkerne für die Vor- ‘
gänge der Vererbung. Zeitschr. f. wiss. Zool., 42. Bd.: „In allen Fällen,
in denen ein Organ oder ein Gewebe fähig ist sich wieder zu er-
zeugen, muss dasselbe Elemente von embryonalem Charakter ent-
halten oder wenigstens solche, die diesen Charakter anzunehmen im
Stande sind.“ „Diese Zellen bedingen dann nach denselben Gesetzen,
wie beim Embryo, die Organgestaltung.‘“ (pag. 44.)
3) Schiefferdecker, Ueber Regeneration, Degeneration und
Architeetur des Rückenmarkes. Virchow’s Archiv, 67. Bd.
4) Schiefferdecker (a. a. OÖ. pag.545) meint, die Beobach-
tungen Müller’s sprächen direct gegen eine Regeneration (bei Rep-
tilien), weil die functionelle Wiederherstellung gleich Null war; eine
Regeneration müsse sowohl anatomisch, wie physiologisch sein. Es
scheint mir aber, dass eine thatsächliche Regeneration angenommen
werden darf, wenn dieselbe aus morphologisch gleich-
werthigen Elementen besteht.
De
Zur Regeneration der Gewebe. 425
ein in einem Knorpelrohr eingeschlossenes, nicht mehr funetioniren-
des und schon der Degeneration unterliegendes Organ wiederher-
gestellt wird. Fraisse bemerkt dazu: „Trotz alledem aber
müssen wir dieses Organ doch als ein nervöses Centralorgan an-
> sehen, wenigstens morphologisch; denn physiologisch ist allerdings
dieser Vergleich nicht mehr durchzuführen.“ Ich habe diese
- "Thatsache besonders hervorgehobeu, weil ich hierin ein Analogon
zu dem sich regenerirenden Schwanze älterer Froschlarven finde:
auch bei diesen wird noch kurz vor und während der Metamor-
phose der zur Degeneration bestimmte Schwanz regenerirt!
Fraisse beobachtete 24 Stunden nach der Verletzung Kern-
_ wucherung in den Elementen des Rückenmarkstumpfes und zwar
in den sogenannten Körnern (Siredon) (p. 111). Nach 46 Stun-
den und noch am 3. Tage sehe ich folgende Regenerationserschei-
4 nungen am Rückenmark von Froschlarven (Taf. XXI, Fig. 20,
Taf. XXIIH, Fig. 22). An der Schnittstelle ist das Gefüge der Zel-
len um den Centralkanal etwas gelockert, die eylindrische Ge-
stalt der Zellen ist verschwunden, die Kerne sind undeutlicher,
blasser. Leukocyten („Körnehenzellen“, nicht zu verwechseln
mit den „Körnern“, von denen Fraisse spricht) findet man in
der Umgebung des Rückenmarks, manchmal im Centralkanal.
- Das Bemerkenswertheste ist aber die eigenthümliche kolben-
artige Erweiterung (Taf. XXII, Fig. 20) am untersten Ende
- des Medullarrohres und das Verhalten der dort liegen-
den Zellen (az). |
Diese Erweiterung des Medullarrohres ist keine zufällige,
denn ich finde sie an sämmtlichen Präparaten mehr oder weniger
$ stark ausgeprägt. Sie findet sich auch nicht bloss in den ersten
Tagen der Regeneration, sondern erhält sich in ‘geringerem Grade
bis zum 10. Tage. Auch Fraisse hat Taf. III, Fig. 4, AS, am
regenerirten Rückenmark von Lacerta agilis diese Erscheinung
3 dargestellt. Ihr Zustandekommen erkläre ich mir auf folgende
_ Weise. Das Rückenmark, welches hier als einfaches Epithelial-
_ rohr (Leydig) auftritt, enthält innerhalb des Canalis centralis
eine dem Liquor cerebrospinalis der Säuger analoge Flüssigkeit,
die nach Durchsehneidung des Centralkanals frei. austritt !). Wie
1) Die Epitheldecke, die nach ca. 24 Stunden die ganze Wund-
fläche überzogen hat, hindert schliesslich den weiteren Austritt von
Flüssigkeit. Der Druck lässt aber noch nicht nach: Grössere Vacuolen
426 D. Barfurth:
ich-nun gleich ausführlicher mittheilen werde, bemühen sieh die
untersten Zellen des durchschnittenen Rohres möglichst schnell,
den Abschluss nach aussen wiederherzustellen, indem sie durch
protoplasmatische Ausläufer mit einander in Verbindung treten
und dadurch den provisorischen Verschluss des Rohres bewerk-
stelligen. Der sich wieder ansammelnde Liquor cerebrospinalis
drückt aber nun auf die neugebildeten, noch wenig resistenten
untern und seitlichen Theile des Rohres und treibt sie kolben-
artig auseinander. Die Zellen passen sich einstweilen durch ihre
Lagerung diesem Druck an und behalten später diese Lage noch
eine Zeit lang bei.
Was dann das Verhalten der Zellen oh so möehie
ich hier eine Eigenthümlichkeit besprechen, die ich an einem
Präparat von Rana fusca wahrnahm und auf Tafel XXII, Fig. 20,
dargestellt habe. Man sieht hier, dass die Zellen amöboid!) ge-
worden sind, also ähnliche Veränderungen durchmachen, wie die
Epithelzellen bei der ersten Bedeckung eines Defeets. Die Zellen
treten dabei manchmal etwas aus dem Verbande mit den benach-
barten Zellen heraus und senden nun durch das Lumen des Cen-
tralkanals hindurch, also auch durch den Liquor cerebrospinalis,
protoplasmatische Fortsätze, wie Fühler, aus, um die gegenüber-
liegende Wand herauszutasten und dann mit ihr in Verbindung °
zu treten. Diese Art, den Verschluss des Rohres allmählich zu °
bewerkstelligen, hat einige Mängel im Gefolge, wie die Betrach-
tung von Fig. 20 lehrt. Da die Zellen von verschiedenen Stellen
der Wand aus zur gegenüberliegenden Wand hinstreben, entsteht
zuerst wohl eine Anzahl von Fächern, Abtheilungen, ehe unten °
ein genügender Abschluss hergestellt ist. Spätere Stadien (Fig.
22r;. das Präparat ist mehrere Stunden älter.) zeigen dann die
fertige, nach unten zu ausgebauchte, aber glatte Wand des
Rohres.
Wr
zwischen Rückenmark und Chorda einerseits und Epidermis anderer-
seits führe ich ihrer Entstehung nach auf ihn zurück. Auch die
Blasenbildungen, die Fraisse gerade in der Verlängerung des
Rückenmarks in der Epidermis bei Amphibien und Reptilien fand
(pag. 117), haben wohl gleichen Ursprung. |
1) Man denkt dabei an die „Neuroblastenwanderung“: W. His,
Histogenese und Zusammenhang der Nervenelemente. Arch. f. Anat. u.
Entwickelungsgeschichte. 1890. Supplement. pag.% ff. (pag. 101).. |
Zur Regeneration der Gewebe. 427
Diese merkwürdige amöboide Bewegung an den Zellen des
Centralkanals habe ich in diesem Maasse an keinem andern Prä-
parat wahrgenommen. Es ist aber interessant, ‘dass die Zellen
des Rückenmarks sich gewissermaassen wieder auf ihre Herkunft
vom Ecetoderm zu besinnen vermögen und wie ihre nächsten Ver-
wandten, die Epidermiszellen, amöboid werden können.
Das regenerirte Medullarrohr ist in seinem untern Theile
durchweg aus einer einschichtigen Lage von Cylinderzellen zu-
sammengesetzt. Die dieser Schicht peripher aufsitzende Lage
von ‚hohen hyalinen Zellen, die man in Querschnitten von Frosch-
larvenschwänzen sehr schön sieht, ist nicht vorhanden; erst in
viel älteren Stadien — bei R. eseulenta nach 9 Tagen — findet
man auch diese Schicht regenerirt.
Eine Kerntheilung mittels Mitosen finde ich in den ersten
Stadien der Regeneration so wenig, wie Fraisse (p. 111). Spä-
ter freilich (nach 3—5 Tagen) treten sie gerade im Rückenmark
massenhaft auf (Tafel XXII, Fig. 21). Dabei zeigt sich wieder
die Eigenthümlichkeit, dass man an der Schnittgrenze in der
Regel die meisten Mitosen findet, als wären durch den Reiz
der Verwundung gerade diese Zellen zur Proliferation angeregt
worden (Fig. 21).
Der unterste Theil des regenerirten Medullarrohres beher-
bergt in seinem Innern und zwischen seinen Epithelzellen zahl-
reiche fettig degenerirende Leukoeyten; viele kleine und grosse
Fetttropfen, die man hier überall findet, führe ich ihrem Ursprunge
nach auf solche zerfallene Wanderzellen zurück. Ausserdem fin-
den sich hier auch viele Pigmentkörncehen, die wohl bei der re-
gressiven Metamorphose der zerfallenden Leukocyten entstehen
(Pigmententartung) }).
Man könnte nun im Anschluss an die Auffassung Schieffer-
1) Versuche, die ich über die Resorption nicht abgelaichter Ge-
schlechtsstoffe bei Fröschen und Kröten angestellt habe, ergaben
auch in den Ovarien eine Pigmentbildung beim Zerfall alter Eier. Ein
jJungfräuliches Ovarium in den ersten Lebensjahren ist ganz farblos,
weiss; fast in jeder Laichperiode bleiben aber Eier zurück, die dem
Zerfall und der Resorption unterliegen. An der Stelle im Ovarium,
wo ein altes Ei zerfällt, liegt später ein schwarzer Pigmentklumpen.
Solche findet man im Sommer bei Krötenweibchen, die wegen ihres
Aufenthalts in Gärten sehr oft nicht zum Ablaichen kommen, ausser-
ordentlich häufig.
428 D: Barfurth:
deckers (a. a.0.p.545) in Zweifel ziehen, ob das regenerirte
Epithelialrohr, welches hier als Rückenmark auftritt, wirklich
als solches aufgefasst werden darf, ob also hier eine thatsächliche
Regeneration vorliegt oder nicht.
Dass die Regeneration in morphologischer Beziehung
als vorhanden anerkannt werden muss, geht daraus hervor, dass
ich, wie Fraisse, die Entstehung des regenerirten Theils aus
den Elementen des alten Medullarrohres direet verfolgt habe (Fig.
20 und 21). Fraisse sieht das Epithel als Matrix für sämmt-
liche Nervenelemente an und hat bei Pleurodeles Waltlii die Ent-
stehung der Spinalganglien am regenerirten Rückenmark beob-
achtet (p. 123, 124). Ich finde ein regenerirtes Spinalganglion
im Schwanzende einer Rana esculenta (Larve), welches 12 Tage
bei 170°C. regenerirt war; das regenerirte Schwanzstück misst
6mm und ist durch eine verjüngte Stelle deutlich vom alten
geschieden. Dieses Ganglion liegt fast 1 mm unterhalb der Schnitt-
grenze zu beiden Seiten des Rückenmarks (an Frontalschnitten).
Weiter oberhalb nach dem Kopfe zu findet sich das nächstliegende
erste Ganglienpaar !) des alten Schwanzendes in der Höhe des
Schnittes. Da gerade hier auch die alten Muskelfasern aufhören
und weiter unten zu beiden Seiten des regenerirten Ganglions
lauter junge Muskelfasern liegen, so kann kein Zweifel ob-
walten, dass wir hier in der That ein regenerirtes Ganglion vor
uns haben. Nach oben und unten gehen von demselben Nerven-
stränge aus und an dem drittnächsten Schnitt sieht man auch
die Wurzeln des Ganglions vom regenerirten Rückenmark aus-
gehen. Aus dem Gesagten folgt, dass die anatomische Regene-
ration auch der peripheren Nervenelemente im Anschluss an
das Rückenmark vollendet ist. Ob auch eine physiologische
Regeneration, also Herstellung der Function erfolgt war, habe
ich damals an dieser Larve nicht festgestellt. Ich habe aber
durch einfache Versuche an anderen Thieren, Larven von Siredon
pisceiformis, die Wiederherstellung der Function in diesem Stadium
der Regeneration constatirt. Berührte ich mit einer spitzen Nadel
1) Fraisse beobachtete an demselben bei Eidechsen eine be-
sondere Hyperplasie (pag. 122), die er mit der verstärkten Function
desselben in Zusammenhang bringt; denn diese Ganglien haben die
physiologische Function für das ganze Schwanzende, an dem sich
keine regenerirten Ganglien finden, zu übernehmen. _
Zur Regeneration der Gewebe. 429
das regenerirte Schwanzende des ruhig schwimmenden Thieres,
so erfolgte eine sofortige energische Bewegung des Schwanzendes
und das Thier schoss davon.
Aus meinen Mittheilungen ergibt sich ferner, dass die Re-
generation der peripheren Nervenelemente lange Zeit erfordert:
am 12. Tage ist erst ein einziges Spinalganglion regenerirt. Es
ist ganz gut möglich, dass die Herstellung der Function noch
mehr Zeit in Anspruch nimmt.
An dieser Stelle will ich noch darauf aufmerksam machen,
dass auch angeschnittene Spinalganglien und Nervenstränge !)
sich regeneriren. Eine Serie von Frontalschnitten durch das 8
Tage bei 16°C. regenerirte, 3,5 mm lange Schwanzstück einer
Larve von R. esceulenta zeigt diese Regeneration (Fig. 25). Bei
g liegt eine auffallend grosse Mitose dicht über einer Ganglien-
zelle; Lage und Grösse derselben lassen nur die Deutung zu,
dass wir es hier mit dem Kern einer Ganglienzelle zu thun haben,
deren Protoplasma nicht mit getroffen wurde. An demselben
Schnitt sieht man bei n ein angeschnittenes Nervenbündel (m),
“welches mit dem Ganglion & in Verbindung steht. Bei mn liegt
*
1) Neumann beobachtete die Regeneration gequetschter
Nerven am 12. Tage nach der Operation (dieses Archiv, 18. Bd.,
pag. 328); die Regeneration durchschnittener Nerven findet nach
Eichhorst bei Fröschen frühestens am 30. Tage statt (Vir-
chow’s Archiv, 59. Bd.); die Literatur findet man bei Neumann.
— Neuere Arbeiten sind: Vanlair (Archives de Biologie, T. VI). Aus
seinen Untersuchungen „ressort la demonstration objective de la possi-
bilit&e d’une r&egeneration complete, par drageonnement central, des
nerfs peripheriques sectionnes“ (pag. 232). Eine zweite Regeneration
erfolgte nicht. — von Hochwart, Ueber De- und Regeneration von
Nervenfasern. Wiener med. Jahrb. N. F. II, pag. 1 fl. — Hanken,
Ueber die Folgen von Quetschung peripherer Nerven. Internat. Mo-
natsschrift für Anat. und Histol., Bd. III, pag. 265 ff. Derselbe fand
Mitosen im peripher von der Quetschungsstelle gelegenen Theil
vom fünften Tage an (pag. 270). — Albrecht, Klinische Beiträge
zur Nervenchirurgie. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, Bd. 26,
pag. 4350. Albrecht ist mit Ranvier der Ansicht, dass sich das
centrale Ende des durchschnittenen Nerven nur durch Sprossung der
Axeneylinder in der Bahn der alten Nerven, nicht aber immer inner-
halb der einzelnen Fasern vollzieht. — Grosses Interesse hat die Mit-
theilung von Landerer: Einheilung eines Kaninchennerven in einen
Defeet des Nervus radialis. Deutsche Zeitschrift für Chir., 28. Bd.,
pag. 604 ff.
430 D. Barfurth:
eine Mitose, deren Theilungsprodukte nach meiner Auffassung zur
Regeneration der Nerven beitragen sollen; dafür spricht wieder
die Lage, die Grösse und die Richtung der Kernachse.
Die Stümpfe der angeschnittenen Axenceylinder wachsen später
aus der Markscheide hervor, wiederholen also das eentrifugale
primäre Wachsthum (His). Regeneration nervöser Elemente durch
Zelltheilung mit Karyokinese wiesen Mondino, Torre und Fıl.
Cattani nach). |
Die Regeneration einer marklosen Nervenfaser habe ich in
Fig. 26 dargestellt. Die Mitose liegt nach dem Schwanzende zu.
Näheres über das Präparat bringt die Figurenerklärung. Hier-
nach geht die Regeneration dieser Fasern gerade so vor sich,
wie das normale Wachsthum, worüber jüngst Kölliker 2) Mit-
theilungen gemacht hat.
3. Chorda dorsalis und Knorpelstab. .
Obgleich die Regeneration der Bindesubstanzen fast gleich-
zeitig mit der der Chorda erfolgt, bespreche ich doch die letztere
zunächst und gesondert, weil sie im Schwanzende eine so her-
vorragende Wichtigkeit hat und weil ich die ersten Regene-
rationserscheinungen an ihr doch früher sehe, als am Binde-
gewebe. |
Die Untersuchung zeigt, dass nach Anlage des Schnittes
die äussere und innere Chordascheide 3) bei Rana wegen ihrer
Rlastieität zurückschnurrt und sich dabei am äussersten Ende
etwas verdickt. Die grossen glashellen Chordazellen liegen dann
frei zu Tage; die angeschnittenen werden resorbirt, die nächst
folgenden bleiben intact. Am 2. Tage findet man von dem Blut-
1) Bizzozero, Ueber die Regeneration der Elemente der Ge-
webe unter pathologischen Bedingungen. Centralblatt für die med.
Wissenschaften, 1886, pag. 81. Bizzozero hat hier die Ergebnisse
der Forschung zahlreicher italienischer Autoren, die ihre Untersuchungen
in wenig verbreiteten italienischen Journalen veröffentlicht haben,
zusammengestellt.
2) Kölliker, Histologische Studien an Batrachierlarven. Zeit-
schrift für wiss. Zoologie, 43. Bd., pag. 3, Tafel I, Fig. 4.
3) Näheres darüber bei Götte, Die Entwickelungsgeschichte der
Unke, pag. 353 ff.
Be
een
A Er ee rt &:
Zur Regeneration der Gewebe. 431
coagulum, welches die Chorda wie die ganze Wundfläche über-
zogen hatte, zwischen den Chordazellen nur wenige Reste: rothe
und weisse Blutkörperchen; auch wandern wohl aus der Um-
gebung Leukoeyten hierher, wie zu allen andern gereizten Partien.
Da die Epithelschieht, mit der sich die Wunde in der beschrie-
benen Weise überzogen hat, schon am 2. Tage auch das Centrum
der Wunde, d.h. die Chorda, ganz bedeckt, so findet man hier
die Epithelzellen direet auf den obersten Chordazellen
liegen, eine eigenthümliche ‚Lagerung, die an ein Pflaster auf
einer Wundfläche erinnert. In der That ist ja auch dieses Lage-
verhältniss nur vorübergehend.
Am 3. Tage finde ich die äussere Chordascheide an allen
Präparaten von Froschlarven ausserordentlich diek und zwar so
verdickt, dass ich an eine wirkliche Zunahme -ihres Volums glau-
ben möchte (Fig. 23s). Dass die blosse Retraction diese starke
Verdiekung hervorrufen sollte, erscheint mir nicht recht glaub-
lich; eine Vermehrung ihrer Elemente ist nicht anzunehmen, da
die Entstehung derselben — Bindegewebsfasern — eine vorherige
Zellvermehrung doch wohl voraussetzen würde. Die nächstliegende
Erklärung scheint mir aber die zu sein, dass wir eine Volums-
zunahme durch Quellung der Fasern in Folge starker
Durehtränkung mit Lymphe (oder Liquor cerebrospinalis aus
_ dem angeschnittenen Centralkanal) vor uns haben. Diese Verdiekung
der Scheide erhält sich recht lange. Bei Rana esculenta finde
ich sie noch am 7. Tage. Hier ist die regenerirte Chorda aus
der Scheide hervorgesprosst und lässt dieselbe wie einen Wall
seitlich stehen. Solche Präparate zeigen deutlich, dass die junge
Chorda sich ihre Scheide selbst bildet und zwar nicht direet im
Anschluss an die alte Scheide. Die erste Anlage der regenerirten
Chorda ist ein Kegel, dessen Basis mit der Wand der alten
Scheide zusammenstösst, aber so, dass die alte Scheide sich noch
eine kleine Strecke weiter über diese Basis fortsetzt und auf
diese Weise den oben erwähnten Wall bildet. Letzterer wird
später resorbirt und dadurch die vollständige Verschmelzung des
regenerirten Chordaendes mit dem alten Stumpf hergestellt.
Wovon geht nun die Regeneration der Chorda aus? Ich
finde mit Fraisse, dass dasChordaepithel, eine Lage kleiner
protoplasmatischer Zellen auf der inneren Chordascheide, die Ma-
trix des neuen Chordaendes ist. Schon am 2., noch mehr am
432 D. Barfurth;
3. Tage (Fig. 22) findet man die Zahl dieser Zellen an der in-
neren Wand der Chordascheide vermehrt; etwas später rücken
sie nach der Mitte zu zusammen und bilden hier einen Kegel,
den ersten Ansatz der zu regenerirenden Chorda. Diese Zellen
sind klein, protoplasmatisch, die Kerne treten ziemlich scharf
hervor. Mitosen finde ich in früheren Stadien (1.—2. Tag) nicht;
auch Fraisse erwähnt sie nicht, fand also wohl keine (p. 93).
Diese Zellen treten schon am zweiten Tage in grosser Zahl am
Ende der Chordascheide auf und schieben sich dann zwischen
der neuen Epitheldecke und den grossen Chordazellen nach der
Mitte zu vor (Fig. 22). In der ersten Zeit mag wohl bloss eine
Verlagerung schon vorhandener Zellen nach der Wunde zu statt-
finden; schon am dritten Tage aber ist ihre Zahl so gross, dass
diese Erklärung ‘nicht als ausreichend angesehen werden kann,
dass man vielmehr eine Vermehrung derselben annehmen muss.
Dass diese Vermehrung durch Karyokinese erfolgt, ist hier keines-
wegs leicht zu erweisen. Es liegen an und in dem Regenerations-
kegel so viele Blutelemente, zerfallende Wanderzellen, Fetttröpf-
chen, Pigmentkörner ete., dass die Untersuchung sehr erschwert
wird. Selbst an feinen Schnitten ist es manchmal unmöglich, die
Chordaepithelzellen von Leukocyten zu unterscheiden; nur der
Umstand, dass in letzteren die Kerne gewöhnlich in den verschie-
densten Modificationen zerfallen, gestattet in der Regel die Unter-
scheidung. Mit Anwendung der Leitz’schen Immersion !/,, fand
ich indessen nach 72 Stunden die erste Mitose in einer Chorda-
epithelzelle bei Rana fusca, bei einem andern Präparat vom 9.
Tage sind sie häufiger, nach 7 Tagen ist der junge Chordakegel
schon ziemlich lang und zeigt viele Mitosen.
In späteren Stadien erscheint die Chorda als ein Cylinder,
dessen Durchmesser sehr viel kleiner ist, als der der alten Chorda
und dessen Wand sich allmählich zum Umfang der alten Chorda
verbreitert. Der ganze Cylinder besteht nur aus mehr oder we-
niger plattgedrückten Zellen, die zuerst protoplasmatisch sind und
später den grossen hyalinen Chordazellen ähnlich werden. Nur
diese protoplasmatischen Zellen bewerkstelligen durch ihre Ver-
mehrung das Wachsthum der Chorda; in allen diesen Stadien
findet man sehr zahlreiche Mitosen. Die Zellen der jungen Chorda
stossen direct an die Bindegewebskörper; die Verbindung ist oft
so innig, dass es schwer wird, beide Arten von Elementen aus-
en en
n 2.
Zur Regeneration der Gewebe. 433
einander zu halten. Die Chordascheide bildet sich erst in spä-
teren Stadien.
Die Regeneration der Chorda bei den Urodelen kann ich
erst besprechen, wenn ich einige Bemerkungen über das normale
Chordaende desselben vorausgeschickt habe.
Bei seinen Untersuchungen über die Wirbelsäule der Tri-
tonen gelangte H. Müller!).zu dem Ergebniss, dass die-
selbe nicht‘ mit einem knöchernen Wirbel endigt, sondern in
einem knorpeligen Strang verläuft“ (p.T). Dieser Befund wurde
von Flesch ?) und Fraisse?) bestätigt. H. Müller warf nun
die naheliegende Frage nach der Beziehung dieses Knorpelstabes
zur Chorda dorsalis auf. Im Knorpelstab sieht er nichts von der
_ Chorda, wiewohl ihre Reste in den Intervertebralstellen der vor-
deren Schwanzwirbel leicht zu sehen sind. „Ist die Chorda“, so
fragt nun H. Müller weiter, „im Schwanzende innerhalb des
Knorpels spurlos verschwunden, oder hat sie sich selbst in den
Knorpelstrang umgewandelt? Im letzten Fall würde die Auffas-
sung von A. Müller), welcher letzteren bei den regenerirten
Schwänzen mit einer Chorda verglich, etwas für sich haben. Es
ist aber nicht wohl anzunehmen, da sich der Knorpelstrang des
normalen Schwanzendes an den Intervertebralknorpel anschliesst,
hinten diffus in eine weiche Masse ausgeht und der so sehr ähn-
liche regenerirte Knorpelstrang sicher nieht aus der eigentlichen
Chorda entstand“ (p. 8).
Lasse ich die Beweiskraft der von H. Müller angegebe-
1) H. Müller, Ueber Regeneration der Wirbelsäule und des
Rückenmarks bei Tritonen und Eidechsen. Frankfurt a. M., 1864.
2) Flesch, Ueber das Schwanzende der Wirbelsäule. Verhandl.
der physik.-medicinischen Gesellschaft in Würzburg, N. F., 13. Bd., 1879.
(Sitzungsberichte pag. XXX ff.)
3) Fraisse, Eigenthümliche Structurverhältnisse im Schwanze
erwachsener Urodelen. Zool. Anzeiger 1880, pag. 12. Fraisse hatin
seinem Werke über Regeneration die älteren Angaben über den |
Knorpelstab eitirt (pag. 14, 35 etc.).
4) A. Müller, Beobachtungen zur vergleichenden Anatomie der
Wirbelsäule. Müller’s Archiv, 1853, pag. 260 ff. (pag. 262). Weiter-
hin werde ich auseinandersetzen, dass ich mich der Auffassung von
A. Müller anschliesse, nach welcher der „Knorpelfaden“ des regene-
rirten Urodelenschwanzes jüngerer Stadien eine echte Fortsetzung der
Chorda ist.
434 D. Barfurth:
nen Gründe, die er gegen die Chordanatur des „Knorpelstranges“ an-
führt, einstweilen dahin gestellt, so ergiebt sich, dass derselbe mit.
einiger Zurückhaltung die Ansicht aussprieht, der Knorpelstrang
stehe in keinem genetischen Zusammenhange mit der Chorda.
Flesch war der erste, der über die Entwickelung des
„Knorpelstabes“ Untersuchungen anstellte. Er fand die erste
Anlage des Stabes bei Siredonlarven von 25 mm Länge als klei-
nen, dem Chordaende aufliegenden, aber durch die Chorda-
scheide von ihm abgesetzten Zellhaufen. Bei älteren
Larven war dieser Zellhaufen zu einem Strange ausgewachsen,
der später in Hyalinknorpel übergeht und eine eigenthümliche
Gruppen-Anordnung zeigt; letztere führt weiterhin zum „Auftreten
von Wirbelsegmenten hinter dem Ende der Chorda“ (p. XXX).
Flesch erkannte dann später bei jüngeren Tritonlarven den-
selben Entwickelungsmodus des Chordaendes und weist in seiner
kurzen, aber inhaltreichen Mittheilung darauf hin, dass bei Fischen
ähnliche Verhältnisse vorkommen. „Auch bei diesen läuft viel-
fach die Wirbelsäule in ein ungegliedertes, meist nach aufwärts
gerichtetes Endstück aus. Auch hier reicht das Chordagewebe
nicht immer bis an das Ende der Wirbelsäule, sondern wird, wie
v. Kölliker u.a. für Polypterus gezeigt hat (Ueber das Ende der
Wirbelsäule der Ganoiden und einiger Teleostier, Leipzig 1860)
durch Hyalinknorpel ersetzt“ (p. XXXD.
Flesch zieht aus seinen Beobachtungen folgende Conse-
quenzen: |
„Die beschriebene Endverlängerung der Wirbelsäule der ge-
schwänzten Amphibien geht aus Elementen hervor, die selbstän-
dig sind, weder zu dem Chordagewebe, noch zu deren Scheiden,
noch auch zu den beim Axolotl in der Nähe der Schwanzspitze
zwischen deren Blättern nachweisbaren kleinen Zellen in Beziehung
stehen. Der Endstab erscheint daher als eine selbständige Bil-
dung, aus welcher sich wirkliche Wirbel abzugliedern vermögen.
Die mikroskopische Untersuchung zeigt, . dass der Endstab nicht
aus Chordagewebe besteht. Wenn man ihn aber auch zur Chorda
zählen wollte, dann müsste man eine direete Abgliederung des
Chordagewebes in Wirbel annehmen, eine Aufstellung, für welche
bis jetzt analoge Beobachtungen in der hier besprochenen Wirbel-
form nicht existiren“ (p. NXXII). Wie Flesch ist auch Fraisse!)
1). Fraisse, Zool. Anzeiger a. a. O. pag. 12.
Zur Regeneration der Gewebe. 435
der Ansicht, dass der Knorpelstab der Chorda oder Chordascheide
durehaus nicht angehört.
Um in dieser Sache ein eigenes Urtheil zu gewinnen, habe
ich den Knorpelstab in jungen Stadien bei Triton untersucht und
kann mich, wenigstens in Bezug auf diesen Molch, den Ausfüh-
rungen der genannten Autoren nicht anschliessen. Mir schien es
nämlich, als wenn der „Knorpelstab“ ursprünglich doch mit der
Chordazusammenhinge undzwarinder Weise, dassdieChorda-
epithelzellen denselben bilden, dass also hier eine ähnliche
Umwandlung in Knorpelzellen stattfindet, wie wir sie durch Gegen-
baur !) bei der Bildung „des Chordaknorpels“ in der Chorda kennen
gelernt haben und wie sie auch Götte?) an gewissen Stellen der
Chorda fand. Die Art, wie sich der „Knorpelstab“ aus dem Chorda-
epithel bildet, habe ich auf Taf. XXIII, Fig. 23 dargestellt. Auf eine
genauere Schilderung der Entwickelung des Knorpelstabes gehe
ich aber nicht ein, weil ich dadurch zu weit von meinem Gegen-
stand abgedrängt würde und weil ausserdem Herr Dr. V. Schmidt
auf meine Veranlassung mit einer Untersuchung über diese Ent-
wickelung im hiesigen Institut beschäftigt ist.
Es gibt also jedenfalls in der Entwickelung der Chorda bei
den Urodelen drei Hauptphasen:
1. Ausbildung der Chorda dorsalis mit den bekannten grossen
hyalinen Chordazellen.
2. An das caudale Ende der Chorda setzt sich ein knorpeliger
Stab an, den ich Chordastab °) nennen will.
3. Die Chorda wird von der sich mächtig entwickelnden äus-
seren Chordascheide, der skeletogenen Schicht, von
Strecke zu Strecke eingeschnürt, und der Chordastab glie-
dert sich in sich selbst. Diese Vorgänge leiten die Wirbel-
bildung ein.
1) Gegenbaur, Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie
der Wirbelsäule bei Amphibien und Reptilien. Leipzig, 1862, pag. 19 ff.
2) Götte, Die Entwickelungsgeschichte der Unke, pag. 365,
pag. 401 ff.
3) Ich wähle die Bezeichnung „Chordastab“ statt des von H.
Müller gebrauchten Ausdrucks „Knorpelstrang“ („knorpeliger End-
stab“ bei Flesch, „Knorpelstab“ bei Fraisse), weil ich dem Gebilde
eine andere Genese zuschreibe und durch dieses Wort die von allen
Autoren anerkannte innige Verbindung mit der Chorda besser her-
vorgehoben wird.
436 D. Barfurth:
Ob in der letzten Phase das skeletogene Gewebe auch auf
den Chordastab übergreift, muss durch weitere Untersuchungen
entschieden werden.
Aus meiner Darstellung ergiebt sich, dass ich den Chorda-
stab nicht dem Leydig’schen „Knorpelfaden“ im regenerirten
Schwanz der Eidechsen!) („Knorpelrohr“, Heinrich Müller),
noch auch dem „Knorpelstrang* des regenerirten und normalen
Tritonenschwanzes nach H. Müller?) homologisiren kann. Vom
„Knorpelfaden“ giebt Leydig an, „dass er jene Schichten und
Theile in sich begreift, welche sonst aus der Scheide der Chorda
ihren Ursprung nehmen“ (pag. 69), und Fraisse?) macht mit
Vorbehalt die Annahme, „dass das Knorpelrohr homolog sei einer
Bildung, die durch Verschmelzung der obern und untern Bögen
mit Ausfall der Wirbelkörper zu Stande gekommen“ (pag. 107).
Beide schliessen sich im Grossen und Ganzen der morphologi-
schen Deutung an, die schon Gegenbaur®*) dem Knorpelrohr
gegeben hatte: „Das Knorpelrohr erscheint als nichts anderes,
als ein neugebildetes, ungegliedertes Rückgrat, eine Hülle für
das in der Fortsetzung des Rückenmarkes neugebildete Gewebe,
entspricht somit einer Summe von Wirbelkörpern und oberen
Bogenstücken“ (pag. 49).
Ueber den regenerirten „Knorpelstrang“ sagt H. Müller,
dass er als „Aequivalent des Stranges von äusserer skeletbil-
dender Substanz“ betrachtet werden müsse, welcher aussen an
der Chorda liegt. Hiernach wäre der „Knorpelstrang“ ein De-
rivat der skeletogenen Schicht und hätte mit der Chorda gar
nichts zu thun. Später macht H. Müller aber folgende Con-
cession: „Allenfalls kann man die Sache so ansehen, dass der
neue Knorpelfaden das Aequivalent der Chorda sammt
äusserem Beleg ist, welche in dem reprodueirten Theil der
Wirbelsäule unter wesentlich anderen Verhältnissen nicht zur
Differenzirung gekommen ist“ (pag. 21). Ich habe in diesem Citat
die Worte, auf die es ankommt, gesperrt. Die Ansicht Fraisse’s
1) Leydig, Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier.
Tübingen, 1872.
2) H. Müller, a. a. O. pag. 8.
3) Fraisse, Die Regeneration etc. a. a. O. pag. 107.
4) Gegenbaur, Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie
der Wirbelsäule bei Amphibien und Reptilien ete., pag. 49.
Zur Regeneration der Gewebe. 437
_ über den regenerirten „Knorpelstab“ werde ich später bei Be-
sprechung meiner Versuche im Zusammenhang mit meiner eigenen
Anschauung erörtern.
Hier will ich aber noch des „Chordastäbchens“ (Braun)
gedenken, welches zuerst E. Rosenberg!) bei menschlichen
Embryonen fand, nachher von Braun?) an der Schwanzspitze
von Säugern und Vögeln nachgewiesen wurde. Es entspricht
nach meiner Auffassung morphologisch dem „Chordastab“ der
Urodelen.
Nach diesen Vorbemerkungen schildere ich nunmehr meine
Versuche über die Regeneration der Chorda bei den Urodelen.
Es wird sich dabei herausstellen, dass ich nach genauerer Unter-
suchung des normalen Chordaendes und nach Anstellung umfang-
reicherer Versuche meine früher mitgetheilten Anschauungen
(Anat. Anzeiger, 1888, pag. 403 ff.) bedeutend modifieirt habe.
Ich halte es für richtig, auch hier, wie bei Besprechung der
Epithelregeneration, über meine Versuche zuerst historisch zu be-
richten und nachher meine Folgerungen aus den Beobachtungen
übersichtlich zusammenzustellen.
Die ersten Versuche machte ich an Larven von Triton
eristatus, die frei in der Natur aufgewachsen, gross und kräftig
waren; ihre Länge betrug 4—6cm. Am sechsten Tage nach
Amputation der Schwanzspitze wurde eine Larve in Flemming-
scher Mischung abgetödtet und das regenerirte Stück, welches
bei 17° C. 3,2 mm lang geworden war, in Verbindung mit einem
etwa ebenso langen Stück des persistirenden Schwanzstückes in
sagittaler Richtung mikrotomirt. Ich beschreibe den Regenera-
tionsbefund an einem Schnitte, der nahezu ein Medianschnitt
war. Das regenerirte Rückenmark (Tafel XXII, Fig. 17) liegt
in der Mitte, unter demselben hat der Schnitt einen Wirbel-
körper, über demselben einen oberen Bogen getroffen. Im ver-
schmächtigten Theile des Körpers liegt der Gegenbaur’sche
Chordaknorpel, an den sich nach der Schnittgrenze zu die Chorda
1) E. Rosenberg, Ueber die Entwickelung der Wirbelsäule
und das Centrale carpi des Menschen. Morphol. Jahrb., 1. Bd., 1876,
pag. 83 ff. (pag. 124 ff., Tafel III, Fig. 2, 4, 10).
2) Braun, Aus der Entwicklungsgeschichte der Papageien. IV,
pag. 174. Verhandl. der physic.-med. Gesellschaft in Würzburg. Neue F.
15. Bd., 1881.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 29
438 D. Barfurth:
anschliesst. Die Chorda verbreitert sich etwas nach unten zu, und
an dieser Stelle liegt nun die erste Regenerationszone des Knorpel-
stabes. Man bemerkt hier an den seitlich von der Chorda ge-
legenen Geweben eine lebhafte Bildung spindelartiger Zellen, die
so gekrümmt sind, dass ihre convexe Seite nach unten, die con-
cave nach oben zu gerichtet ist; auf diese Weise entsteht eine
zwiebelschalenartige Kappe, die dem angeschnittenen Wirbel-
körper aufsitzt. Der mittlere Theil dieser Kappe hängt in ziem-
licher Ausdehnung sehr enge mit dem Chordarest zusam-
men, und hier sehe ich nun sehr deutlich, dass vom untersten
Ende der Chorda her eine grosse Zahl junger proto-
plasmatischer Zellen sich mit den von der Seite her
nach unten zu proliferirenden Elementen verbindet.
Dass diese Zellen echte junge Ohordazellen sind, ist mir un-
zweifelhaft. Sie liegen nicht nur den alten grossen hellen Chorda-
zellen ganz dieht an, sondern manchmal gar zwischen ihnen.
Es scheint also, dass auch hier in der Chorda einzelne den
Zellen des Chordaepithels gleichwerthige Zellen zurückbleiben
und nach dem durch die Verwundung gesetzten Reiz zur Proli-
feration gelangen. Die junge Brut betheiligt sich demgemäss
an der Bildung der ersten Regenerationskappe und weiterhin des
Knorpelstabes; in letzterem würden also auch die Elemente der
Chorda vertreten sein, und dadurch gewinnt die Anschauung von
der „Chordaähnlichkeit“ des Knorpelstabes!) noch eine genealo-
gische Grundlage. Zu verwundern ist es ja durchaus nicht, dass
an der Bildung des Knorpelstabes, der den Ersatz der ganzen
Wirbelsäule darstellt, auch die noch vorhandene jugendliche
Chorda theilnimmt. |
Ich habe ferner Larven und erwachsene Individuen von
Triton taeniatus auf den regenerirten Knorpelstab untersucht und
denselben so gefunden, wie er von H. Müller und Fraisse be-
schrieben wurde. Bei einer Larve, deren Schwanzspitze 12 Tage
lang bei 20° C. regenerirt war, fand ich den Knorpelstab in
Gliederung begriffen; es liessen sich sechs Segmente erkennen.
1) Leydig, Lehrbuch der Histologie, pag. 62 u. Die in Deutsch-
land lebenden Arten der Saurier, pag. 64. Leydig meint von dem
regenerirten Knorpelfaden der Eidechsen mit Recht, er „behalte etwas
Chordaähnliches und sei in gewissem Sinne auch Chorda“,
Zur Regeneration der Gewebe. 439
- Der Knorpelstab eines erwachsenen T. taeniatus weist nach
20 Tagen (15° C.) noch keine deutliche Gliederung auf. Es
ist dies ein Beweis dafür, dass erwachsene Thiere langsamer
regeneriren als jugendliche und dass die höhere Temperatur die
Regeneration beschleunigt.
Um nun eine Regeneration des eigentlichen Chordagewebes
zu erzielen, amputirte ich ganz junge, eben erst ausgeschlüpfte
Larven von Triton taeniatus, die im anatomischen Institut zu
Göttingen gezüchtet waren. Die Thiere waren, wie die von
- Fraisset) benutzten, 6—10 mm lang. Der Erfolg entsprach in-
sofern nieht meinen Erwartungen, als nicht der „Gallertkörper“
der Chorda mit seinen grossen hyalinen Zellen, sondern wieder
ein stabähnliches Gebilde („Knorpelstab“, Fraisse) regenerirt
wurde. Ich stimme also Fraisse in der Beobachtung ganz bei,
nicht aber in der Deutung. Fraisse leitet die Regeneration
seines Knorpelstabes auch bei diesen jungen Larven vom skeleto-
senen Gewebe ab und kommt desshalb folgerichtig zu dem Schluss,
dass die Chorda sich „überhaupt nur bei den Anuren regene-
rirt, und zwar bei den Larven derselben; auch bei den jüngsten
Urodelenlarven, die ich zu diesem Zwecke amputirte, konnte ich
niemals eine Regeneration der Chorda constatiren* (pag. 93).
Dass Fraisse das Verhalten der Chordazellen bei der Regene-
ration sehr gewissenhaft geprüft hat, ergiebt sich aus dem fol-
senden Satze: „Allerdings sitzt bei diesen kleinen Larven ...
der neugebildete axiale Stab nicht so kappenartig den letzten
Chordazellen, die unverletzt geblieben sind, auf, wie das bei den
älteren Larven und den erwachsenen Thieren der Fall ist, son-
dern es scheint sogar mitunter, als ob die Elemente
der Chordazellen direet in den regenerirten Knorpel-
stab übergingen“ (pag. 95). Den gesperrten Druck der letzten
Zeilen habe ich veranlasst, um die Wichtigkeit derselben hervor-
zuheben. Ich bin nun nicht der Meinung, dass die ausgebildeten
hyalinen Chordazellen sich etwa in embryonale protoplasmatische
Zellen umwandeln und auf diese Weise direct in den Knorpel-
stab übergehen, sondern ich leite die Regeneration hier,
wie bei den Urodelen und überall in der Chorda, vom
Chordaepithel ab. Wie das geschieht, habe ich in Fig. 23b,
1) Fraisse, a. a. O. pag. 93.
440 D. Barfurth:
Tafel XXIII zu veranschaulichen gesucht. So wie im normalen
Schwanzende die Zellen des Chordaepithels den Chordastab da-
durch erzeugen, dass sie sich nicht mehr in hyaline Chorda-
zellen, sondern allmählich in Knorpelzellen umwandeln, genau so
geschieht die Bildung des regenerirten Chordastabes. Die proto-
plasmatischen Chordaepithelien (che) proliferiren unter Bildung
von Mitosen und legen sich kappenförmig um das abgeschnittene
Chordaende. Sie bilden dabei nach aussen eine nicht immer
deutliche Begrenzung, das Homologon der inneren Chordascheide
(ich). Die Zellen selber bekommen später eine sehr deutliche
Zellmembran (zm) und die Zwischensubstanz wird copiöser; eine
Umwandlung in eigentliches Knorpelgewebe war aber bei diesem
Thier (Triton taeniatus, Larve, 0,8em lang, Vorderglieder vor-
handen, sechs Tage bei 20° C. regenerirt) noch nicht nachzu-
weisen. Nach der Schwanzspitze zu werden die Zellen wieder
protoplasmatisch und verlieren sich zuletzt in das anstossende
Bindegewebe. Es sei noch hervorgehoben, dass ich eine Bethei-
ligung des skeletogenen Gewebes bei der Regeneration des Chorda-
stabes deshalb ablehnen muss, weil die Chorda noch ganz frei
liegt, ohne Umhüllung der äusseren Chordascheide.
Aus diesen Versuchen hatte sich ergeben, dass das eigent-
liche Chordagewebe (Gallertkörper) nicht regenerirt wurde, dass
vielmehr sogleich der Chordastab hergestellt wurde. Da nun
unter den Urodelen die Salamandrinen sich verhältnissmässig
schnell zu Landthieren umwandeln, beschloss ich, weitere Ver-
suche über die Regeneration der Chorda an einem sich lang-
samer entwickelnden Perennibranchiaten anzustellen. Dazu eig-
nete sich Siredon vortrefflich. Versuche an jungen, im hiesigen
vergleichend-anatomischen Institut gezüchteten Larven wurden
von mir im Laufe des letzten Sommers im grosser Zahl ange-
stellt und hatten durchweg das interessante Ergebniss, dass
bei ganz jungen, noch im Ei oder gleich nach dem
Ausschlüpfen operirten Thieren sich zunächst eine
Partie echter hyaliner Chordazellen und dann erst im
Anschluss an diese der Chordastab regenerirt. |
Die im Ei operirten Thiere waren etwa Tmm lang und be-
kundeten durch zeitweilige energische Schwanzschläge, dass sie
beinahe zum Ausschlüpfen reif waren. Die Schwanzspitze wurde
im Ei mit einer feinen Scheere abgeschnitten; zuweilen blieb ein
Zur Regeneration der Gewebe. 441
Rest des angeschnittenen Eies und seiner Hüllen!) noch kurze
Zeit am Thiere sitzen, in der Regel wurde es ganz frei, lebte
aber auch dann ganz munter weiter. Die ausgeschlüpften Thiere,
die ich operirte, waren bis zu 11 mm lang. Alle operirten
Larven wurden isolirt und in reinem Quellwasser gehalten. Ob-
gleich die Larven auch nach dem Ausschlüpfen ja noch längere
Zeit keine Nahrung zu sich nehmen können und auf die Resorption
der in den Zellen massenhaft aufgespeicherten Dotterschollen
angewiesen sind, regeneriren sie in 1—2 Wochen die abge-
schnittene Schwanzspitze bis zu ca. 1,5 mm Länge. Den Thieren
wurde dann nach 3, 5, 6 etc. Tagen die Schwanzspitze (also
das Regenerationsstück mit einem kurzen Stück des persistirenden
Schwanzes) abgeschnitten, fixirt, gefärbt und sagittal oder frontal
mikrotomirt. Da es mir hierbei auf feinere histogenetische Stu-
dien ankam, fertigte ich Schnittserien von 7,5u an.
Um nicht weitläufig zu werden, bespreche ich nur zwei
Präparate ausführlicher.
Das erste Präparat stammte von einer im Ei amputirten
Larve, deren Schwanzspitze dann 7 Tage lang bei 18° C. rege-
nerirt war. Das abgeschnittene Schwanzende wurde in Chrom-
essigsäure fixirt und mit Borax-Carmin gefärbt. Die regenerirte
Chorda eines Schnittes der angefertigten Serie wurde mit der Ca-
mera lueida, Leitz Obj. 7, Oc. 1 in Fig. 29, Tafel XXIV ge-
zeichnet. Die Schnittgrenze liegt bei g, wie sich aus dem Ver-
halten der Chordazellen und der nebenan liegenden quergestreiften
Muskulatur (die in der Zeichnung nicht berücksichtigt wurde)
mit Sicherheit schliessen liess. Man sieht die grossen hyalinen
Zellen der persistirenden Chorda bei pch; Chordaepithelzellen
liegen an der Innenseite der inneren Chordascheide is bei che.
Neugebildete Chordazellen liegen in der ersten Regenerations-
zone bei rch. Im Anfangstheil dieser Zone finden sich merk-
würdiger Weise noch einige Dotterkörper K; sie waren in diesem
Schnitt zufällig nicht vorhanden, sind aber aus dem drittfolgenden
1) Oscar Schultze, Untersuchungen über die Reifung und Be-
fruchtung des Amphibieneies, Zeitschrift für wiss. Zool., 45. Bd., pag.
177 ff, gab neuerdings eine sorgfältige Beschreibung (pag. 212) und
Zeichnung derselben am Amphibienei (Rana) nach der Befruchtung
Tafel XIII, Fig. 42. Ueber die Dotterkörper, die eine kugel-, schlecht
würfelförmige oder eiförmige Gestalt haben, handelt pag, 190 ff,
442 D. Barfurth:
Schnitt der Serie hier eingetragen. In anderen, auch noch’ länger
regenerirten Präparaten fanden sich die Dotterkörper noch in
grossen Mengen an derselben Stelle. Ich war zuerst der Mei-
nung, es handle sich hier vielleicht um Tröpfehen von Muein,
fand aber bald genau dieselben Körper noch sporadisch in anderen
Zellen desselben Präparats und stellte durch Vergleich mit un-
zweifelhaften Dotterkörpern in embryonalen Zellen die Identität
fest. Sie färben sich mit Hämatoxylin und Borax-Carmin (schwächer).
Dass wir nun in der Zone rc h echte regenerirte Chorda-
zellen vor uns haben, zeigt ein Blick auf die Zeichnung. Das
Charakteristische dieser Zellen, die allmähliche Verdrän-
sung oder Umwandlung des Protoplasma durch Bil-
dung einer hyalinen Substanz, finden wir in ausgesproche-
nem Maasse. Dabei sieht man deutlich, dass das Protoplasma
hier und da noch in grösserer Menge vorhanden ist, als in den
persistirenden Zellen. Die hyalinen Tropfen aber haben
sich, wie in den persistirenden Chordazellen, mit einer sehr
deutlichen Membran umgeben, und da sie noch nieht überall
die ganze Zelle erfüllen, so werden die Zellgrenzen selber
an vielen Stellen zweifelhaft. Die Eigenthümlichkeit der
hyalinen Substanz, eine feste Membran zu bilden, erklärt nun
eine Erscheinung an dem regenerirten Chordastab älterer Larven,
wie sie in Fig. 23b, Tafel XXIII dargestellt ist. Da diese Mem-
branen natürlich da aufhören, wo die hyaline Substanz aufhört,
so sieht es so aus, als überzöge an der Schnittgrenze
& die innere Chordascheide den Amputationsstumpft.
Wäre das der Fall, so hätten Flesch und Fraisse Recht, wenn
sie angeben, dass der „Knorpelstab“ in keinem genetischen Zu-
sammenhang mit der Chorda stünde. Gerade aber das Studium.
dieser Regenerationsstadien von Siredon beweist, dass dies
eine Täuschung ist. Die Membran, die den Amputationskegel
überzieht, ist nur die Gesammtheit der Membranen, die
die hyaline Substanz einschliessen, ist aber nicht
gleichwerthig der innern Chordascheide; diese zieht
vielmehr aussen um den Regenerationskegel weiter. Sie
folgt den neugebildeten Chordazellen, weil sie ein Produkt
derselben ist und hört in Folge dessen am peripheren Theil
des Regenerationskegels auf, weil hier die Zellen noch durchweg
protoplasmatisch sind.
Zur Regeneration der Gewebe. 443
Auf die Zone der regenerirten hellen Chordazellen folgt
eine Zone von Zellen, die mit deutlichen Membranen versehen
sind (zm), in denen aber die Bildung hyaliner Substanz abnimmt.
Zuletzt werden die Zellen, wie schon erwähnt, ganz protoplasma-
tisch, haben keine Membran und nicht einmal deutliche Proto-
plasmagrenzen mehr. Sie stossen dann an das caudale Binde-
gewebe und sind zuletzt von den Zellen desselben mit Trocken-
linsen gar nicht, mit Immersionslinsen aber meist gut zu unter-
scheiden.
Zum Schluss beschreibe ich noch ein weiter vorgeschritte-
nes Stadium, an dem’ in mehrfacher Hinsicht etwas neues zu
sehen war. Das Thier war nach dem Ausschlüpfen amputirt,
die Schwanzspitze war 14 Tage bei 18°C. regenerirt. Das Prä-
parat war fixirt mit Chromessigsäure, gefärbt mit Hämatoxylin;
Sehnittdicke 7,5u. Man sieht in der ersten Regenerationszone
Junge Chordazellen, die ganz hyalin geworden sind, wie die per-
sistirenden, aber nur etwa halb so gross sind. Darauf folgt eine
Zone von Zellen mit sehr scharf begrenzter Membran, in denen
nur hier und da noch hyaline Substanz sich findet. Einige die-
ser Zellen zeigen nun sehr deutlich in ihrem Umkreise diejenigen
Veränderungen, die wir durch Born!) und Strasser?) bei der
Bildung des jungen Knorpels kennen gelernt haben und die
auch von Fraisse?) bei der Entwiekelung des Knorpelstabes
von Pleurodeles Waltlii beobachtet wurden. Der Kern ist gross,
wie gewöhnlich im Chordastabe in der Richtung der Längsachse
etwas abgeplattet. Um ihn findet sich ein leicht granulirtes Pro-
toplasma, welches sich durch seine hellere Farbe scharf von einer
äusserst fein concentrisch geschichteten Zwischensubstanz (Inter-
cellularsubstanz) abhebt: letztere ist durch Hämatoxylin- zart blau
gefärbt und geht an einer Seite in ei dunkleres fast spindel-
förmiges Gebilde über. Diese zart geschichtete Zwischensubstanz
entspricht nach meiner Auffassung dem primären Alveolen-
1) G. Born, Zum Carpus und Tarsus der Saurier. . Morphol.
Jahrb., 2. Bd., pag. 1 ff. (pag. 20).
2) Strasser, Zur Entwickelung der Extremitätenknorpel bei
Salamandern und Tritonen. Morphol. Jahrb., 5. Bd., pag. 240 ff.
3) Fraisse, Beitr. zur Anatomie von Pleurodeles Waltlii, Disser-
tation. Würzburg, 1880, pag. 23, 24.
444 D. Barfurth:
werk Strasser’s (p. 248) und geht gelegentlich in die dunkeln
prochondralen Elemente über (p. 254).
Während hier schon die ersten Anfänge der Knorpelbildung
zu sehen sind, findet man peripher nur die schon vorhin beschrie-
benen Zellen mit deutlichen Membranen, denen noch weiter peri-
pher die ebenso schon erwähnten protoplasmatischen Zellen folgen.
Nach einer 14tägigen Regeneration wird also bei genauer histo-
genetischer Untersuchung des jungen Chordakegels folgendes klar:
“ Die durch Proliferation der Chordaepithelien zunächst
entstehenden protoplasmatischeu Zellen haben in der
ersten Zeit noch die Fähigkeit Sieh dureh Bildung
hyalinen Inhalts in gewöhnliche Chordazellen zu ver-
wandeln; bald aber geht ihnen diese Fähigkeit ver-
loren, sie bilden Knorpelsubstanz und werden selber
zu Knorpelzellen.
Nach dem Vorgange von Roux versuchen wir neuerdings
Umbildungen dieser Art vom Standpunkte der Entwicklungs-
mechanik aus zu durchleuchten. Das ist nun gerade für den
Knorpel in vortrefflicher Weise schon von Strasser geschehen
und ich wüsste für mein Objeet seinen Ausführungen kaum etwas
zuzusetzen. Es scheint, dass bei den Schwimmbewegungen des
Schwanzes Druck und Zug eigenthümliche Reaectionen der Gewebe
erzwingen. Bei den Anuren, deren Chorda durchweg bis zur
äussersten Spitze aus hyalinen Zellen besteht, wird die grössere
Widerstandsfähigkeit durch eine sehr starke Verdiekung der
Chordascheiden herbeigeführt. Das Analogon dieser Ver-
diekung liefert bei den Urodelen die skeletogene Schicht
durch die eigentliche Skeletbildung. Da diese aber in den
jüngsten Entwicklungsstadien und besonders am
periphersten Theile der Chorda noch nicht vor-
handen ist, so tritt eine Art Selbsthülfe des Chorda-
gewebes in der Weise ein, dass statt der weniger resistenten
hyalinen Zellen Knorpelgewebe gebildet wird. Ich sehe
also mit Fraisse in dem Chorda- und Knorpelstabe eine
funetionelle Anpassung, erkläre mir aber das Zustandekommen
derselben in anderer Weise ?).
1) Fraisse, Die Regeneration etc. a.a. O. pag. 104: „Dagegen
beruht die Bildung des Knorpelstabes aber selbst allerdings auf einer
Zur Regeneration der Gewebe. 445
Aus meinen Mittheilungen ergeben sich folgende Schlüsse :
1) Die Chorda regenerirt sich nicht nur bei anuren, sondern
auch bei urodelen Amphibien.
2) Die Umwandlung der neugebildeten Chordazellen- in grosse
hyaline Zellen geschieht nur bei sehr jungen Individuen
(Siredon) und auch hier nur in den ersten Stadien der Re-
generation. Später wandeln sie sich zum „Chordastab“ um.
3) Etwas ältere Larven von Siredon und wie es scheint von
Triton* schon die jüngsten Larven regeneriren den
Chordastab, der dem echten Chordagewebe isogene-
tisch ist. ?
4) Noch ältere Larven, bei denen das skeletogene Ge-
webe um die Chorda schon überall entwickelt ist, regene-
riren aus skeletogenem und Chordagewebe (Chordaepithel)
den .„Knorpelstab“ (H. Müller, Fraisse).
5) Es ergiebt sich also für die Regeneration der Chorda und
des Skelets (Knorpelstab) das einfache Gesetz, dass die
Art der Regeneration durchaus abhängig ist
vom jeweiligen Entwicklungsstadium des
Stützapparats (Chorda und skeletogenes Gewebe).
Anhangsweise will ich hier noch auf die verschiedene
Schnelligkeit in der Regeneration des Rückenmarks und des
Stützapparats hinweisen. Wie früher schon bemerkt wurde, ist
in den ersten Tagen das Rückenmark der Chorda resp.
demKnorpelstab etwasvoraus. Bei den Anuren wächst
dann aber etwa vom 4. Tage an die Chorda schneller und
holt das Rückenmark ein. Etwa vom 5.—9. Tage finde ich
beide Organe gleich lang, beide gehen bis dicht an die Haut
heran. Dann aber beginnt die Chorda das Rückenmark zu über-
holen oder, was auf dasselbe hinauskommt, das Rückenmark
wächst langsamer: an zahlreichen Präparaten vom 12. Tage
funetionellen Anpassung, denn es kann constatirt werden, wie ich das
auch an anderen Orten erwähnt habe, dass eine Turgescenz des ganzen
Schwanzendes zu bestimmten Zeiten, und zwar zur Brunstperiode der
Urodelen eintritt und dass höchst wahrscheinlich dann beim Landauf-
enthalt der Thiere wiederum eine, wenn auch geringe, Reduction der
so gebildeten Wirbel stattfindet.“
446 D.»Barfurfh:
(R. esceulenta, regenerirt bei 17°C., Regenerationsstück 5,5 mm)
ragt die Chorda beträchtlich weiter nach dem Schwanzende vor,
als das Rückenmark. Noch viel auffallender ist das Verhältniss
bei den Urodelen, deren Knorpelstab sich auch in dieser Be-
ziehung ähnlich verhält wie die Chorda der Anuren. Hier hat
das Rückenmark einen Vorsprung, der sich viel länger geltend
macht, als bei den Froschlarven. An einer Querschnittsserie von
Triton eristatus (6. Tag der Regeneration, 17°C.) ragt das
Rückenmark bis zum 36. Schnitt = 0,54mm vom 'Schwanzende
vor, der Knorpelstab (50. Schnitt) bei 0,75 mm, der obere Wir-
belbogen und die Muskulätur (81. Schnitt) bis 1,22mm vom
Schwanzende. Zum Vergleich damit habe ich eine Querschnitts-
serie durch das normale Schwanzende einer gleichaltrigen Larve
von Triton eristatus angefertigt. Hier fand sich das Ende des
Knorpelstabes und der obere Wirbelbogen schon im 6., das Rücken-
mark im 10. Schnitt. Bei der Regeneration hat das Rückenmark
noch am 8. Tage einen kleinen Vorsprung, dann wird es vom
Knorpelstab eingeholt und endlich überholt. Es wachsen also hier
wie bei den Anuren Chorda und Rückenmark in Folge ungleich
schneller Regeneration an einander vorbei.
4. Bindegewebe, Cutis und Gefässe.
Fast gleichzeitig mit der Chorda beginnt die Gruppe der
Bindesubstanzen ihre Regeneration. Zwei so enge zusammenhän-
gende Gewebe, wie Epidermis und Cutis, werden nicht gleich-
zeitig, sondern nach einander regenerirt: die Epidermis
viel früher als die Cutis ?). |
Wenn in der Chorda dorsalis (2. und 3. Tag) die Vermeh-
rung der Chordaepithelzellen und ihre Anhäufung zwischen dem
Ende der Chordascheide und dem nach innen zu liegenden alten
Chordagewebe (Fig. 22 ce) begonnen hat, zeigen sich auch im
Bindegewebe schon Regenerationserscheinungen. An einer
Serie von Sagittalschnitten einer Larve von R. esculenta finde ich
am 3. Tage (17°C.) die ersten Mitosen in fixen Binde-
sewebzellen, sehr bald werden diese überaus zahlreich. Die
neugebildeten Zellen sind zuerst protoplasmatisch (Fig. 25 mb);
1) Fraisse, 2.2. 0, pag.7i.
Zur Regeneration der Gewebe. 447
‚später wächst das Protoplasma nach einer oder mehreren Seiten
‚aus und bildet die Fibrillen. Näheres darüber hat Fraisse mit-
‚getheilt (p. 78). Das regenerirte Bindegewebe ist ausserordentlich
reich an Kernen; ausserdem findet man sehr viele Wanderzellen
- (Körnehenzellen) und Pigmentzellen. Nach 5 Tagen ist bei Frosch-
larven die bindegewebige Grundlage des Schwanzes am äussersten
Ende ganz so regenerirt, wie wir sie nach den Untersuchungen
vonLeydig, Hensen, Eberth u.a. im normalen Schwanze
finden.
| Die erste Anlage der Cutis ist regenerativ wie embryonal
„zuerst ein homogenes dünnes Häutehen (Remak), welches dann
mit dem Diekerwerden ganz und gar in feine Fibrillen zerfällt“ !).
Dieses Häutchen ist stark lichtbrechend und liegt in den ersten
Stadien der Regeneration der untersten Zellenschicht der Epider-
mis so dicht an, dass ich wohl verstehen kann, wie Hatschek ?)
zu der Ansicht kam, es sei „eine von der Epidermis ausgeschiedene
Basalmembran“. Ich bin indessen der Meinung, die auch Hat-
schek als disceutabel gelten lässt, dass wir hier die äusserste
Schieht der Cutis ?) vor uns haben. Diese Cutislamelle sehe ich
1) Kölliker, Histologische Studien an Batrachierlarven. Zeit-
schrift für wiss. Zool., 43. Bd., pag.1 ff. (pag. 15).
2) Hatschek, Ueber den Schichtenbau von Amphioxus. Ana-
tomischer Anzeiger, 1888, pag. 662 ff. (pag. 666). Häatschek’s Ansicht
erinnert an eine ähnliche Anschauung Hensen’s, nach welcher die
gallertige Substanz zwischen den Epidermisplatten des embryonalen
Froschlarvenschwanzes „von der Epidermis ausgeschieden
werde“. — Hensen, Ueber die Entwickelung des Gewebes und der
Nerven im Schwanze der Froschlarve. Virchow’s Archiv, 31. Bd.,
1864, pag. 51 ff. (pag. 54).
3) Diese Ansicht wurde zuerst von Remak ausgesprochen: Die
erwähnte gallertige Substanz „verdichtet sich unterhalb der zelligen
leicht ablösbaren Oberhaut zu einer festen glashellen Membran“. Unter-
suchungen über die Entwickelung der Wirbelthiere. Berlin, 1855,
pag. 152. Hensen gab zu, dass eine dichtere Schicht sich auf der
Oberfläche des Schwanzes findet, glaubte aber nicht, dass dieselbe als
eine besondere Membran aufzufassen sei. Hensen, Virchow’s
Archiv, a. a. O. pag.55. Später stimmte er dann Eberth zu, der
den Nachweis geführt hatte, dass in späteren Entwickelungs-
stadien die Cutislamella allerdings zu einer besonderen Membran
werde. Hensen, dieses Archiv, 4. Bd. pag. 111ff. (pag. 114). —
Eberth, dieses Archiv, 2. Bd., pag. 490 ff. — Siehe ferner Fraisse,
a. a. OÖ. pag. 76.
448 D-Barfurtfh:
am deutlichsten an den Larven von Rana und etwas ältern Uro-
delenlarven; bei den im Ei oder gleich nach dem Ausschlüpfen
amputirten Siredonlarven ist sie äusserst schwach entwickelt und
. vielfach schwer zu sehen, weil sich fast gleichzeitig mit ihr eine
Pigmentschicht entwickelt (Fig. 27, Taf. XXIV p).
Die neue Cutislamelle setzt sich, wie ich an einem Präparat
von R. esculenta (3 Tage bei 16 ° regenerirt) deutlich sehe, ganz
genau an die persistirende an; letztere ist an dem Präparat etwa
dreimal mächtiger, als die regenerirte. Trotzdem ist wohl ein
genetischer Zusammenhang zwischen beiden nicht anzunehmen,
da das feine Häutchen der jungen Cutis mit der Entwiekelung
des Bindegewebes zwischen den Epidermisplatten gleichen Schritt
hält und — nach meiner Ansicht — als Verdichtungsschicht der
Bindegewebsfasern resp. „der gallertigen Substanz“ an der Epider-
mis aufzufassen ist.
Was die Regeneration der Gefässe anbetrifft, so
habe ich den Angaben Fraisse’s kaum etwas zuzufügen. Ich
habe mich damit begnügt die Regeneration der Capillaren
zu studiren und finde diese so verlaufen, wie wir durch die Un-
tersuchungen von Arnold, Ziegler, Rouget, Mayer,
Bobritzki, Fraisse, Kölliker!) ete. wissen. Nur in
einem, allerdings nicht unwesentlichen Punkte, weiche ich von
Fraisse ab. Fraisse findet bei dem Vorgange keine Mitosen,
ich finde sie. Ich will ganz kurz einige Beobachtungen schildern.
Das Präparat stammt von einer Siredonlarve, die bald nach dem
Ausschlüpfen amputirt war und dann 12 Tage bei 18°C. regene-
rirt hatte. Zwischen zwei Capillarschlingen hat sich eine Ana-
stomose gebildet, die von der einen Capillare aus schon bis zu
zwei Drittel eanalisirt ist und in diesem Theil zwei rothe Blut-
körperchen enthält; das letzte mit der andern Capillare verbundene
Drittel ist noch durchaus solide und ist nichts anderes als das
langausgezogene Protoplasma einer Zelle, deren Kern in mito-
tischer Theilung begriffen ist. Während dieser Kern schon
in der jüngsten Capillare liegt, seine Herkunft vom Endothel der
Muttercapillare also nicht direct sichtbar ist, sehe ich an einer
andern Siredonlarve, die 10 Tage bei 18°C. regenerirt hatte,
1) Die Literatur ist bei Fraisse, pag. 134 ff. und bei Kölliker
(Histologische Studien an Batrachierlarven a. a. O. pag. 34 ff.) eitirt. -
WER RE MER
Zur Regeneration der Gewebe. 449
eine ın Karyokinese begriffene Zelle in der Wand
einer Capillare liegen und von ihr den jungen
_ protoplasmatischen Spross direet ausgehen.
Ich ziehe aus diesen Beobachtungen den Schluss, dass Binde-
gewebe, Cutis und Gefässe sich vom entsprechenden restirenden
EBewebe auf dem Wege der mitotischen Kerntheilung regeneriren.
_ Der Zeit nach kommt erst das Bindegewebe an sich, dann Cutis,
zuletzt Gefässe.
5. Quergestreifte Muskulatur.
LE PURE
Am spätesten von allen Geweben?!) des Amphibienschwanzes
(mit Ausnahme des peripheren Nervensystems) regeneriren sich
die quergestreiften Muskelfasern. Damit soll keineswegs gesagt
sein, dass auch die Elemente, aus denen sie entstehen, am späte-
sten auftreten: diese, die jungen Muskelzellen, sind schon längst
vorhanden, bevor die Differenzirung derselben zu quergestreiften
Muskelfasern nachweisbar ist.
Die Art der Regeneration dieses Gewebes setzt nach allen
Erfahrungen der Untersuchung die grössten Schwierigkeiten ent-
gegen. Dem entsprechend giebt es nächst dem Epithel wohl
kein Gewebe, dessen Regeneration so oft untersucht und beschrie-
ben 2) wurde, wie die der quergestreiften Muskulatur. Diese zahl-
reichen Untersuchungen haben immerhin schon manche der vielen
strittigen Punkte erledigt. So kann es nach den neuesten Unter-
u
1) Ich bestätige damit die Angaben Fraisse’s, pag. 128. „Immer
ist doch ein gutes Stück des Schwanzes regenerirt, welches Epithel,
Bindegewebe, Blutgefässe und Knorpel enthält, ehe einmal Be: Mus-
kulatur zur Proliferation sich anschickt.“
2) Literaturangaben findet man bei Fraisse, pag. 129 ff. —
Zaborowski, Experimentelle Untersuchungen über die Regeneration
der quergestreiften Muskeln. Dissertation (unter Leitung von Zahn
in Genf ausgeführt). Leipzig, 1889. — Nauwerck, Ueber Muskel-
regeneration nach Verletzungen. Jena, 1890. — Felix, Ueber Wachs-
thum der quergestreiften Muskulatur nach Beobachtungen am Men-
schen. Zeitschrift für wiss. Zoologie, 48. Bd., pag. 224 ff. (pag. 226 ff.).
450 D. Barfurth:
suchungen von Fraisse, Leven?!), Steudel?), Zaborowski
und Nauwerck als sicher gelten, dass die Bildung der jungen
Muskelfasern nicht von weissen Blutkörperchen (Maslowsky,
Erbkam), nicht von Bindegewebszellen (von Wittich, Zenker,
Waldeyer), auch nicht von präexistirendem Muskelgewebe und
Bindegewebszellen (©. OÖ. Weber, C. E. E. Hoffmann, Doze) ),
sondern ganz allein vom präexistirenden Muskelgewebe
ausgeht. Hier stehen aber zwei Theorien einander gegenüber.
Nach der einen, die besonders von C.O. Weber ®), C.E.E. Hoff-
mann?) und P. Kraske‘) vertreten wird, lösen sich die alten
Muskelfasern gewissermaassen erst in ihre Elemente, die Muskel-
körperehen, Sarcoblasten, auf; diese vermehren sich und ent-
wickeln sich zu jungen Muskelfasern (Sarcoblastentheorie); nach
\
der andern, hauptsächlich durch Neumann’) und Nauwerck ®)
1) Leven, Experimentelle Untersuchungen über die Regenera-
tion der quergestreiften Muskelfasern unter besonderer Berücksichti-
gung der Karyokinese. Dissertation. Halle, 1887, und: Deutsches
Archiv für klin. Mediein, 43. Bd., 1888.
2) Steudel, Zur Kenntniss der Regeneration der quergestreiften
Muskulatur. Dissertation. Tübingen, 1887.
3) Zaborowsky (a. a. OÖ. pag.”7) zählt zu den Autoren dieser
Anschauung auch Neumann (Ueber den Heilungsprocess nach Mus-
kelverletzungen. Dieses Archiv, 4. Bd., pag. 323 ff). „In gleicher
Weise nimmt auch Neumann (8.330) neben der Neubildung aus
Muskelknospen die Möglichkeit einer solchen aus den zelligen Ele-
menten des Perimysiums an.“ Ich möchte dazu bemerken, dass Neu-
mann jedenfalls für seine Person die Neubildung aus Bindegewebs-
zellen abweist. Er giebt nur zu, dass viele muskulöse Elemente in
der Narbe „zur Beobachtung kommen, von denen es zweifelhaft sein
muss, ob sie durch die Präparation aus ihrer Verbindung mit den
alten Fasern abgelöst sind, oder ob sie ursprünglich keinen Zusammen-
hang mit diesen hatten“.
4) C.O. Weber, Ueber die Neubildung quergestreifter Muskel-
fasern, insbesondere die regenerative Neubildung derselben nach Ver-
letzungen. Virchow’s Archiv, 39. Bd., pag. 216 ff.
5) C. E. E. Hoffmann, Ueber die Neubildung quergestreifter
Muskelfasern, insbesondere beim Typhus abdominalis. Virchow'’s
Archiv, 40. Bd., pag. 505 ff.
6) P. Kraske, Experimentelle Untersuchungen über die Rege-
neration der quergestreiften Muskeln. Habilitationsschrift. Halle, 1878.
7) Neumann, Ueber den Heilungsprocess nach Muskelver-
letzungen. Dieses Archiv, 4. Bd., 1868.
8) Nauwerck, a. a. OÖ. Ich hebe oben bloss das wesent-
- Zur Regeneration der Gewebe. 451
verfochtenen Lehre wachsen von den angeschnittenen Muskelfasern
Knospen oder Sprossen heraus, die proliferirende Kerne enthalten
und junge Muskelfasern bilden (Knospentheorie). Diese verschie-
denen Anschauungen werden uns im Laufe der Darstellung noch
öfter beschäftigen.
° Ich schildere nun meine Beobachtungen, indem ich mit den
jüngsten operirten Thieren (Siredonlarven) beginne und nachher
die Untersuchungen an älteren Larven (Rana), die zu einem viel-
fach modifieirten Resultat führten, mittheile.
Bei einer Siredonlarve, deren Schwanzspitze 7 Tage lang
bei 18°C. regenerirt war, dann in Chromessigsäure fixirt, mit
_ Borax-Carmin durchgefärbt und in eine Serie von 7,5 « dieken
Frontalschnitten zerlegt war, liessen sich folgende Regenerations-
erscheinungen an der quergestreiften Muskulatur feststellen. De-
generative Veränderungen!) der präexistirenden Muskelfasern waren
nicht vorhanden; dagegen sind auch in den weiter von der Sehnitt-
grenze entfernten Fasern nicht gerade selten Mitosen zu sehen;
ein Sarcolemm ist noch nicht gebildet. Die der Schnittgrenze
zunächst liegenden Muskelfasern sind auffallend reich an Mitosen
und gerade in der peripheren Spitze derselben findet man öfter
Kernfiguren. Die spindelförmigen Muskelfasern liegen der Seg-
mentirung des Körpers entsprechend in gewissen Abständen von
einander und sind meist zu Gruppen von 2 und 3 so verbunden,
dass die Gesammtfigur wieder spindelartig wird. Die Querstreifung
ist kräftig und überall sehr deutlich; nur die äussersten Fasern
vor der Schnittgrenze sind manchmal matt gestreift (Fig. 27).
Da gerade diese Fasern für die Regeneration die grösste Bedeu-
tung haben, so habe ich eine solche mit ihren Eigenthümlichkeiten
in Fig. 27 bei starker Vergrösserung (Leitz, Obj. 7, Oe. 1) mit
der Camera lueida gezeichnet.
liche der Neumann-Nauwerck’schen Lehre hervor. Einige
Besonderheiten der Nauwerck’schen Anschauung werden später
berücksichtigt werden.
1) An anderen Objecten sah ich scholligen Zerfall der quer-
gestreiften Substanz in den angeschnittenen Fasern. Die Resorption
dieser Bruchstücke scheint hier leicht zu verlaufen. Complieirtere De-
generationserscheinungen, wie sie bei älteren Larven und erwachsenen
Thieren bekannt geworden sind, scheinen bei ganz jungen Larven
kaum vorzukommen.
459 D. Barfürth: .
Man sieht in dem untern Theil der Faser einen grossen
Kern, in dem das Chromatin zu mehreren Klumpen angehäuft ist.
Links oben liegt bei p seitlich in der Faser eine Anhäufung leicht
granulirten Protoplasmas, wahrscheinlich der Rest eines Muskel-
körperchens, dessen Kern weggeschnitten ist. Am wichtigsten
sind ohne Zweifel die an der rechten Seite (k) und am peripher-
sten Ende (k’) gelegenen Kerne. Ein Blick auf die Figur zeigt,
dass sie aus der präexistirenden Muskelfaser entspringen, wie
etwa eine laterale und terminale Neumann-Nauwerck-
sche Muskelknospe. Dass diese Kerne eine lebhafte Neigung zur
Theilung haben, ist nicht zu bezweifeln; k ist in Karyokinese be-
griffen und von k’ hat sich vor nicht langer Zeit der weiter oben
liegende Kern !) s abgetrennt, der nun seinerseits schon wieder
die mitotischen Veränderungen begonnen hat. Ich habe ihn mit
s „Sarcoblast“ bezeichnet, weil er nach meiner Auffassung den
Kern einer jungen Muskelzelle repräsentirt. Dass diese Auffassung
richtig ist, wird sich bei Besprechung der späteren Regenerations-
stadien ergeben.
Die gezeichnete (Fig. 27) und beschriebene Muskelfaser war
durchaus nicht die einzige, an der sich knospenartige Bildungen
fanden; sie zeigen sich mehr oder weniger deutlich fast an allen
Schnitten, die die äussersten präexistirenden Muskelfasern getroffen
haben. Der viertnächste Schnitt der Serie enthält eine solche
Faser, die am periphersten Ende eine Bifureation mit aller-
dings sehr kurzen Zacken aufweist; Kerne waren in denselben
auf diesem Schnitt nicht getroffen. Es ist dies eine ähnliche,
nur einfachere Bildung, wie sie Nauwerck p.48 ff. beschreibt
und Tafel V, Fig. 12 zeichnet.
Eine Längsspaltung der präexistirenden Muskelfasern, wie
sie von vielen Autoren beschrieben wird, habe ich an diesem Ob-
jeet nicht beobachtet ?), ich werde aber später zu berichten haben,
dass sie bei älteren Larven (Rana) vorkommt.
1) Man darf keinen Anstoss daran nehmen, dass ich nur vom
„Kern“ spreche und nicht ausdrücklich noch des allerdings nur spär-
lich vorhandenen Protoplasmas Erwähnung thue. Da der Kern durch-
aus der allein maassgebende Theil bei den oben beschriebenen . Vor-
gängen ist, so gewinnt die Darstellung an Einfachheit, wenn nicht
immer noch wieder das Protoplasma erwähnt zu werden braucht.
2) Damit soll nicht gesagt sein, dass in einer angeschnittenen
EEE NE
Zur Regeneration der Gewebe. 453
Was die Art der Kerntheilung anbetrifft, so fand ich in der
lateralen „Knospe“* eine Mitose (Fig. 27 k); Mitosen trifft man
fast auf jedem Schnitt in den äussersten präexistirenden Muskel-
fasern ; es muss jedoch hinzugefügt werden, dass man dieselben
in diesen sehr jungen Muskelfasern überhaupt oft findet. Ich
habe aber in dieser Serie nicht solche Kernveränderungen wahr-
genommen, wie wir sie durch Arnold’s Untersuchungen zuerst
kennen gelernt haben und wie sie nachher von mehreren Forschern
(Steudel ?), Zaborowski?°), Nauwerck %)) auch bei der Kern-
wucherung in verletzten Muskelfasern beobachtet wurden.
Von dem weiteren Fortschritt der Regeneration giebt Fig. 28
eine Anschauung. Sie stellt einen Theil eines Sagittalschnittes
durch das regenerirte Schwanzende einer Siredonlarve dar. Das
Thier war nach dem Ausschlüpfen amputirt worden; die Dauer
der Regeneration betrug 10 Tage bei 15°C., die regenerirte
Schwanzspitze maass 1,5 mm. Sie wurde in Chromessigsäure
fixirt, mit Hämatoxylin durchgefärbt und in eine Serie von 7,5 u
dieken Sagittalschnitten zerlegt. Nach oben rechts (im Bilde) ist
die Epidermis zum Theil flach geschnitten, weil hier das Seiten-
stück des Schwanzes etwas gekrümmt war. Auch die Chorda
ist nicht median getroffen, weshalb vom eigentlichen Regene-
rationskegel derselben nicht viel zu sehen ist;, aus demselben
Grunde hat der Schnitt den Chordastab oben links (im Bilde)
nur eben gestreift. Die präexistirende Muskulatur, die der Chorda
ganz dicht anliegt, ist gut getroffen (pm). Man sieht die Quer-
streifung der Fasern deutlich, die Zahl der Kerne ist in den
meisten Muskelfasern, besonders aber in den äusseren, stark
Muskelfaser nicht einmal Spalten aufträten; es handelt sich aber dabei
wohl bloss um eine rein mechanische Wirkung des operativen Ein-
griffs, nicht um eine echte Reaction der Muskelfaser selber.
1) Arnold, Beobachtungen über Kerne und Kerntheilungen in
den Zellen des Knochenmarks. Virchow’s Archiv, 9.Bd., pag. 1 ff.
— Derselbe, Weitere Beobachtungen über die Theilungsvorgänge an
den Knochenmarkzellen und weissen Blutkörperchen. Virchow’s
Archiv, .97. Bd., pag. 107 ff. — Derselbe, Ueber Theilungsvorgänge in
den Wanderzellen, ihre progressiven und regressiven Metamorphosen.
Dieses Archiv, 30. Bd., pag. 205 ff.
2) Steudel, a. a. O. pag. 17 ff.
3) Zaborowski, a. a. O. pag. 13 ff.
4) Nauwerck, a. a. O. pag. 23 ff.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 30
454 D. Barfurth:
vermehrt. Diese Kernwucherung geschieht nach dem Typus der
Karyokinese, wie zahlreiche Mitosen zeigen. Das Characteri-
stische des Bildes liegt nun in der mehrzeiligen Zell-
reihe, die sich von den äussersten präexistirenden Mus-
kelfasern aus dicht unter der Epidermis eine ganze
Strecke weit nach dem Schwanzende zu erstreekt. Diese
Zellstrasse wird zusammengesetzt aus jungen Muskel-
zellen, die ich mit Klebs u. a. Sarcoblasten!) nennen
will. Die Beweise dafür, dass diese jungen Zellen in der That
die neuen Muskelfasern bilden, sehe ich in folgenden That-
sachen.
1) Die erwähnten Zellen entstehen aus den Mus-
kelkörperehen der präexistirenden Muskelfasern, sind
also Abkömmlinge echter Muskelzellen. Die mitotischen Kern-
theilungen in den präexistirenden Muskelkernen, die häufig mit
einer Knospenbildung einhergehen, lassen sich an den Schnitten
dieses Präparates, wie des vorher beschriebenen Stadiums mit
Sicherheit feststellen. Die jungen Muskelzellen werden durch den
Act der Theilung selbst gezwungen aus dem Verbande der Mus-
kelfaser herauszutreten und sich vorzuschieben. Das wird natur-
gemäss am meisten terminalwärts geschehen, weil nach dieser
Richtung in dem neugebildeten Gewebe Platz ist; aber auch la-
teral treten solche Zellen aus und liegen dann eine Zeit lang
zwischen den alten Muskelfasern oder auch zwischen Muskel-
fasern und Epidermis (Fig. 27). Ueber das weitere Geschick
derselben wird nachher noch ein Wort zu sagen sein. Das Vor-
schieben der Zellen und ihre starke Vermehrung scheint um diese
Zeit den höchsten Grad zu erreichen. Die Zellen heben sich
durch die dunkleren chromatinreichen Kerne deutlich von Binde-
gewebs- und Epithelzellen ab, ihre Form ist mehr oder weniger
1) „Sarcoblast“ ist etymologisch gleichbedeutend mit „Sarco-
plast“. Da der letztere Ausdruck schon von Margo und Paneth für
andere Bildungen, die ich nach $S. Mayer’s Vorgang Sarcolyten ge-
nannt habe, verwandt wurde, so wähle ich im Anschluss an die durch
Klebs eingebürgerte Bezeichnung die Schreibweise „Sarcoblast“. Vgl.
Barfurth, Die Rückbildung des Froschlarvenschwanzes und die so-
genannten Sarcoplasten. Dieses Archiv, 29. Bd., pag. 35 ff. — Klebs,
Die allgemeine Pathologie oder die Lehre von den Ursachen und dem
Wesen der Krankheitsprocesse, Jena, 1889, pag. 467.
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gestreckt, die Lagerung in der Regel so, dass ihre Längsachse
‘der Längsachse des Schwanzes parallel gerichtet ist; das Proto-
plasma ist spärlich, mit Immersionssystem aber fast stets leicht
zu sehen. Längs- oder Querstreifen sind dagegen in diesem Sta-
dium mit den stärksten Vergrösserungen nicht wahrzunehmen.
Die Frage, woher das Protoplasma der Zellen stammt, ist in
meimem Falle leicht zu beantworten: es hat denselben Ursprung,
wie das Protoplasma jeder Tochterzelle, die sich beim karyo-
kimetischen Process bildet, d.h. es stammt vom Protoplasma der
- Muskelzelle, des Muskelkörperchens. Dass bei meinem Object
nicht etwa das Material der quergestreiften Substanz direct zur
Umhüllung des neugebildeten Kerns mit Protoplasma verwandt
wird, folgt daraus, dass die präexistirende Muskelfaser auch post-
existirt). Kraske?) sah an seinem Object (Kaninchenmuskel),
dass bald nach der Kernwucherung in der alten Muskelfaser sich
jeder Kern mit einem stark granulirten Protoplasmahof (p. 6) „aus
der contraetilen Substanz der Faser“ (p. 13) umgab. Ziegler?)
sieht dagegen, wie Nauwerck (p. 17) hervorhebt, das Protoplasma
als eine neu entstandene Bildung an, zu der die Faser nur
Rohmaterial liefert %). Meine Beobachtung beweist, dass jeden-
falls die Anwesenheit zerfallender quergestreifter Substanz zur
Bildung des Protoplasmas junger Muskelzellen nieht nöthig ist.
2) Die mehrbesprochenen Zellen entwickeln sich
nach bekanntem embryonalen Modus zu jungen Muskel-
fasern. Dies zeigen die weiteren Regenerationsstadien, von denen
ich eins in Fig. 29 topographisch zur Anschauung gebracht habe.
Zur Regeneration der Gewebe. 455
1) Dies könnte nur zweifelhaft sein von dem abgeschnittenen
und etwas vorgeschobenen Muskelfaserrest mr (Fig. 28, Tafel XXIV).
Da aber bei Amphibienlarven die Resorption unbrauchbaren Materials
in der Regel schon nach einer Woche beendigt ist, das vorliegende
Stadium aber 10 Tage alt ist, so glaube ich, dass dieser Muskelrest
ebenfalls postexistiren wird.
2) Kraske, a. a. O. pag.6 und pag. 13.
3) Ziegler, Lehrbuch der allgemeinen und speciellen patholo-
gischen Anatomie, Bd. II, 2. Aufl., Jena, 1885, pag. 1096—1097 und
pag. 1098.
4) Bremer (dieses Archiv, 22.Bd., pag. 329) glaubt, dass die
Vermehrung des Protoplasma von der eingeschmolzenen contractilen
Substanz unter „Rückumwandlung derselben in Protoplasma“ ausgeht.
456 D. Barfurth:
Es mag die Besichtigung dieser Figur zur Grundlage für die Be-
sprechung des folgenden Regenerationsstadiums dienen.
Dasselbe stammt von einer Siredonlarve, die nach dem Aus-
schlüpfen operirt wurde; die Schwanzspitze regenerirte 14 Tage
lang bei 18°C. bis zu einer Länge vonıca. 2mm. Die ab-
geschnittene Schwanzspitze wurde in Chromessigsäure fixirt, mit
Hämatoxylin durchgefärbt und in eine Serie von 7,5 u dicken
Frontalschnitten zerlegt. Die Zeichnung geschah mit der Camera
lucida bei Leitz, Obj.4, Oe.5. Die Feinheiten wurden mit !/,,
Immersion und starken Oeularen controlirt, die Längsstreifung in
m und m’ mit !/,, Immersion, Oe. 4 eingezeichnet. Bei pm lie-
gen die äussersten präexistirenden Muskelfasern; p.ch bezeichnet
die präexistirenden, rch die regenerirten Chordazellen; oberhalb
rch sind die Membranen einiger Chordazellen ausgefallen ; ich in-
nere Chordascheide, ch Chordastab. Die Kernwucherung in den
präexistirenden Muskelfasern hat fast ganz aufgehört, eine lange
Reihe von Sarcoblasten (s) erstreckt sich jederseits unter der
Epidermis bis ans Ende des regenerirten Chordastabes. Das
Characteristische dieses Regenerationsstadiums liegt
nun darin, dass sich meist in gewissen Abständen die
Sarcoblasten dureh Bildung von Fibrillen in junge
Muskelfasern umgewandelt haben. Diese Fibrillen sind
nur mit den stärksten Vergrösserungen bei günstiger natürlicher
oder künstlicher Beleuchtung zu sehen. Dasselbe Verhalten zei-
gen die Sarcoblasten auf einer ganzen Zahl von Schnitten; Mi-
tosen sind häufig. Ob ein einkerniger Sarcoblast schon Fi-
brillen bildet, kann ich nicht mit Sicherheit entscheiden, glaube
es aber nicht. Fig. 29 giebt einen der Wirklichkeit genau ent-
sprechenden Befund und dieser lehrt, dass die junge Muskelfaser
schon mehrere Kerne besitzt, wenn die erste Streifung auftritt. Im
Uebrigen muss ich auf diesen Punkt später noch zurückkommen.
Es ergiebt sich aus diesen Mittheilungen, dass ich mit Nau-
werck!) die Längsstreifung früher sehe, als die Querstreifung,
während Kraske?) nur von Querstreifung spricht.
1) Nauwerck, a. a. O. pag. 30. — Auch Zaborowski sieht
eine solche „schwache Längsstreifung“, kann aber nicht sagen, ob
diese Spindelzellen sich zu jungen Muskelfasern umbilden (pag. 22).
2) Kraske, a. a. O. pag. 2.
Zur Regeneration der Gewebe. 457
Von grossem Interesse ist nun hier die Beobachtung (Fig.
29), dass in diesem Stadium einzelne Sarcoblasten (m und m‘)
sich dureh Fibrillenbildung schon zu jungen Muskelfasern ent-
wickeln, während andere (s) auf dem Zellenstadium verharren.
Eine genaue Musterung der ganzen Serie zeigt nun zwar, dass
die zu Muskelfasern sich umwandelnden Sarcoblasten nicht in
regelmässigen Abständen liegen, wie man aus Fig. 29
schliessen könnte; indessen ist es doch Thatsache, dass einzelne
Sarcoblasten bevorzugt werden. Mit dieser Auslese bevorzugter
Sarcoblasten scheint ein Untergang der andern Hand in Hand
zu gehen. Während auf dem vorigen Stadium die Sarcoblasten
dieht gedrängt meist zu zweien neben einander liegen (Fig. 28),
hat sich in diesem Stadium die Schaar schon sehr gelichtet.
Man sieht in der Regel nur eine einschichtige Reihe von Sarco-
blasten (Fig. 29,s) und nicht selten Abstände zwischen den ein-
zelnen. Wie die Besichtigung der ganzen Reihe (Fig. 29sss)
lehrt, sind mehrere Kerne auffallend klein geworden; es scheint
also, dass der Untergang der Sarcoblasten durch einfache Atrophie
erfolgt. Ich gelange also hier zu demselben Resultat wie Zabo-
rowskit), der die Spindelzellen (Sarcoblasten) später spärlicher
werden sah, „da eine gewisse Zahl derselben atrophirt“, wäh-
rend Nauwerek ?) an seinem Objeet beobachtete, dass sämmt-
liche Muskelzellen durch Verfettung zu Grunde gingen.
Bei den von mir untersuchten Amphibienlarven bleibt ein
so grosser Theil der Sarcoblasten erhalten, dass dieselben nach
ihrer Umwandlung zu jungen Muskelfasern ganze, fast durchaus
lückenlose Muskelbänder bilden. So sehe ich an einer Larve
von Rana esculenta (12 Tage?) bei 17°C. regenerirt) jederseits
1) Zaborowski, a. a. O. pag. 18.
2) Nauwerck, a. a. O. pag.18; es wird sich übrigens aus der
weiteren Darstellung ergeben, dass diese Verschiedenheit mit dem
Auftreten der „Muskelzellschläuche“ im Zusammenhang steht und dass
die in denselben sich bildenden Muskelzellen nicht ohne weiteres meinen
Sarcoblasten gleichgesetzt werden dürfen.
3) Dieses Regenerationsstadium (12 Tage) ist also der Zeit nach
Jünger, als das besprochene von Siredon (14 Tage); es betrug
aber die Länge des Regenerationsstückes beim ersten Object 4,5,
beim letzteren nur 2mm und dem entsprechend war die Regeneration
458 D. Barfurtı:
dieht unter der Epidermis ein langes Muskelband sich hinziehen,
in dem nur hier und da Lücken sind. Diese Lücken sind um
so zahlreicher und regelmässiger, je näher sie der
präexistirenden Muskulatur kommen; es geht also die Aus-
merzung von Sarcoblasten und jungen Muskelfasern vom persisti-
renden Schwanzende aus. Das Endziel dieser Vorgänge
ist die Herstellung einer Anordnung der Musku-
latur, die der normalen entspricht. Diese Anordnung
ist durch die Bildung von Segmenten (Myomeren) charakte-
risirtt. Wie ein Blick auf Taf. XXI, Fig. 1—6, Fig. 14—16 und
auf Taf. XXIII, Fig. 22 zeigt, ist die quergestreifte Muskulatur des
Stammes bei den Amphibienlarven kammartig in schmalen nach hin-
ten convergirenden Bändern um das kräftige Mittelstück gelagert.
Sie umfasst in diesem Mittelstück die Chorda, resp. die Wirbel-
säule, das Rückenmark und die Arteria caudalis und zerlegt den
sanzen Schwanz in so viele Segmente, als Muskelbänder vorhan-
den sind. Zwischen je zwei Segmenten bleibt also ein schmaler
Raum (Ligamentum intermusculare), der selber keine quergestreifte
Muskulatur enthält, sondern von den Insertionen zweier benach-
barter Muskelbänder begrenzt wird. Für die Muskelsegmente und
Chordaabschnitte bezw. Wirbelkörper gilt das allgemeine Gesetz,
dass sie sich nicht decken, sondern in ihrer Stellung mit einander
alterniren!), wie es die Function der Muskulatur erfordert. Durch
die beschriebene Eigenthümlichkeit in der An-
ordnung der Muskulatur ist nun die Auslese unter
den Sarcoblasten und späterhin unter den noch
sebildeten jungen Muskelfasern bedingt: diejeni-
gen, die durch ihre Lage bevorzugt sind, werden schneller zur
Function herangezogen und wandeln sich schneller in junge Mus-
kelfasern um, als die andern. Die gebildeten jungen Muskelfasern
‘erhalten sich in den Muskelkämmen, während in den Zwischen-
räumen (Ligg. intermuscularia) die Ausmerzung der Sarcoblasten
im ersteren auch weiter vorgeschritten. Es beweist dieser Befund,
dass nicht die Zeit in erster Linie, sondern andere Factoren (Species-
unterschied, individuelle Anlage, Temperatur) für die Schnelligkeit
maassgebend sind. Die ausserordentlich kräftigen wilden Larven von
Rana esculenta regeneriren an und für sich viel schneller, als die trägen
Siredonlarven.
1) Hertwig, Entwicklungsgeschichte, 3. Aufl., pag. 496.
Zur Regeneration der Gewebe. 459
und jungen Muskelfasern so lange dauert, bis der definitive Zu-
stand hergestellt ist.
| Die hier beschriebene Proliferation der Muskelkörperchen
und die massenhafte Bildung von Sarcoblasten hat ihre Ursache
ohne Zweifel in dem durch die Wunde gesetzten Reiz. Dieser
Reiz hat ähnlich, wie beim Stoffwechsel '), eine Art Ueber-
compensation ?) zur Folge: es werden viel mehr Zellen producirt,
als später nothwendig sind. Diese Wirkung des Wundreizes hört
nun nach Ausbildung des Sarcoblastenmantels ?) und Herstellung
einer neuen Schwanzspitze allmählich auf, und nun tritt ein an-
derer Reiz, die Function, an seine Stelle. Hier findet dann
eins der von Roux formulirten Gesetze des Kampfes der Theile
im Organismus-eine sehr schöne Anwendung. „Aendert sich die
Qualität des Reizes, so. wird wiederum, wie beim Kampf der
Molekel, aus den vorkommenden Variationen auch eine neue
Zellqualität gezüchtet werden, welche siegend
die alte direet inihrer Ernährung beeinträch-
tigt, ganz abgesehen davon, dass die alte durch den ihr nun
mangelnden Lebensreiz auch von selber schon der Atrophie ver-
fallen muss.“ Aus den ursprünglich gleichwerthigen Sarcoblasten
wird eine Anzahl durch den funetionellen Reiz zu jungen Muskel-
zellen gezüchtet, die anderen atrophiren. |
Ich habe die Regenerationserscheinungen an der Muskulatur
ganz junger Siredonlarven so ausführlich besprochen, weil ich der
Ansicht bin, dass sie uns den einfachsten Modus dieser Re-
generation vorführen, den ich zugleich für den typischen
halte. Wollte man mir einwenden, dass diese Thiere zu jung
gewesen seien, so würde ich den Einwand gern und dankend zu
meinen Gunsten entgegennehmen. Ich will aber aus guten Grün-
den allgemeine Erörterungen nicht hier, sondern zuletzt bringen.
Aus meinen bisherigen Angaben darf man nicht schliessen,
dass ich den Modus der Muskelregeneration bei ganz jungen Si-
1) Pflüger, Die teleologische Mechanik der lebendigen Natur.
Pflüger’s Archiv, 15. Bd., pag. 84.
2) Roux, Der Kampf der Theile im Organismus, pag. 217 ff.
3) Die Combination der Frontal- und Sagittalschnittserien er-
gibt, dass die Gesammtheit der Sarcoblasten die Form eines platt-
gedrückten Hohlkegels bildet, der oben (dorsal) einen schmalen, unten
(ventral) einen weiten offenen Schlitz aufweist.
460 D. Barfurth:
redonlarven ohne weiteres auch für ältere und erwachsene Thiere
als gültig ansehe. Wie die Angaben der Autoren lehren und
wie mir meine eigenen Beobachtungen zeigen, bietet die Muskel-
regeneration wieder einmal einen Beweis dafür, dass die Natur
nicht nach der Schablone arbeitet, die wir ihr so gerne auflegen
sondern dass sie bei der Verfolgung ihres Zieles mancherlei durch
die Umstände gebotenen Variationen wählt.
Solche Abweichung habe ich gleich bei älteren Larven von
Rana gefunden. Es waren die Species Rana fusca und R. eseu-
lenta. Die Thiere wurden in dem Stadium der Entwickelung
verwandt, welches durch Hervorsprossen der hinteren Extremi-
täten charakterisirt ist. Die Regeneration der Schwanzspitze er-
folgt aber merkwürdiger Weise auch dann noch, wenn die vor-
deren Extremitäten schon angelegt und.unter der Haut sichtbar
sind!). Die Methode der Operation und Untersuchung entsprach
der früher angegebenen. Wie schon bemerkt, zeichnen sich die
ausserordentlich muskelkräftigen Larven von Rana esculenta, die
ja auch durch ihre Grösse die meisten übrigen Amphibienlarven
übertreffen, durch eine ungewöhnliche Regenerationsfähigkeit aus;
dem entsprechend ist auch die Muskelregeneration in derselben
Zeit viel weiter vorgeschritten, als bei Siredon und Triton.
Ich halte es nun im Interesse der Uebersichtlichkeit meiner
Darstellung für zweckmässig, die an diesen Objeeten von mir
beobachteten Erscheinungen zunächst ganz kurz zusammenzu-
stellen und dann erst im einzelnen zu besprechen. Es wird sich
dabei gleich zeigen, dass meine Befunde von denen anderer
Autoren wenig abweichen; es sind ja auch weniger die Beob-
achtungen, die die Muskelregeneration zu, einem so heiss
umstrittenen .Objeet machen, als die Deutung derselben. An
diesen älteren Larven zeigte sich folgendes:
1. Scholliger Zerfall angeschnittener Muskelfasern und ab-
gerissener Bruchstücke quergestreifter Substanz; Auftreten von
Leukoeyten. |
2. Wucherung der Kerne in den Muskelkörperchen, Zer-
1) Vgl. Barfurth, Versuche über die Verwandlung der Frosch-
larven. Dieses Archiv, 29. Bd., pag. 1ff. „Selbst solche, die sich schon
am ersten oder zweiten Tage verwandelten, hatten wenigstens die Re-
generation eingeleitet.“ (pag. 24.)
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a
>.
”
_ fall der quergestreiften Substanz zu ‚‚Sarcolyten“, Bildung von
„Muskelzellschläuchen‘“ und ‚Sarcoblasten“.
3. Zerspaltung von Muskelfasern der Länge nach, ver-
bunden mit Kernwucherung der Muskelkörperchen: Bildung
schmaler Bänder, ‚„bandförmiger Platten‘; Auftreten von Spindel-
zellen und Sarcoblasten.
4. Bildung kernhaltiger Sprossen (Neumann, Sokolow,
Nauwerck ete.) an gewissen alten Muskelfasern. Sie laufen
vielfach wirr durcheinander und sind oft ziemlich lang. Aus
diesen lösen sich terminal Sarcoblasten ab, schieben sich vor und
bilden, wie auch die Sprossen, junge Muskelfasern.
Von genauen Zeitbestimmungen für die einzelnen Stadien
nehme ich Abstand, weil die Erscheinungen zeitlich vielfach
neben einander herlaufen. Es mag genügen, wenn ich erwähne,
dass die beiden ersten Stadien bei Rana in der ersten Woche
ablaufen, die beiden letzten Anfang und Mitte der zweiten Woche
auftreten. Ich bespreche jetzt die einzelnen Stadien etwas
genauer. |
Ad 1. In den ersten Tagen nach der Verletzung spielen
sich vorzugsweise die Erscheinungen der Rückbildung und
Resorption in den der Wunde nahe gelegenen Muskelfasern
ab. Auffallender Weise sind es nicht allein die direet vom
Schnitt getroffenen Fasern, die der Rückbildung unterliegen,
sondern auch ganz unverletzte. Das hier angedeutete verschie-
dene Verhalten der Muskelfasern wird leicht verständlich, wenn
man einen Blick auf Tafel XXIII, Fig. 22 wirft. Aus der Anord-
nung der Muskulatur ergiebt sich, dass der Schnitt etwa die
Muskelfasern bei m in der Mitte treffen könnte, während die
Muskelfasern bei m’ ganz unverletzt bleiben würden. Nun zeigt
die Untersuchung der Regenerationsstadien, dass keineswegs immer
die Muskelfasern bei m zerfallen, sondern dass manchmal bei m’
die Rückbildung viel umfangreicher ist, als bei m. Es wird
sich nachher zeigen, dass dieses eigenthümliche Verhalten für die
Art der Regeneration von grosser Bedeutung ist.
Auf die ersten Stadien der Rückbildung will ich hier nicht
näher eingehen, weil über diese kaum ein Zwiespalt der Ansichten
herrscht und ich mich ausserdem darüber. an anderer Stelle!)
Zur Regeneration der Gewebe. 461
1) Die Rückbildung des Froschlarvenschwanzes und die soge-
nannten Sarcoplasten. Dieses Archiv, 29. Bd., pag. 35 ff.
462 D. Barfurth;
schon ausgesprochen habe. Der schollige Zerfall der querge-
streiften Substanz, die Verfettung und Atrophie der untergehenden
Muskelfasern werden wohl von allen Autoren übereinstimmend
geschildert. Ich will nur noch speciell die Angabe Nauwerck’s
über blasige Entartung an den Muskelfasern bestätigen. Am
siebenten und achten Tage sah ich öfter helle Bläschen in den
Fasern, die wie hyaline Tröpfehen aussahen; in andern Fällen
hatten sich grössere und kleinere Bläschen vereinigt und die
Muskelfasern, bez. den Rest derselben ganz aufgetrieben. Ob in
allen Fällen eine vollständige Zerstörung und Resorption solcher
Fasern eintritt, kann ich nicht mit Sicherheit entscheiden; da
aber manchmal nur einzelne kleine Tröpfehen (Fig. 29 r) vor-
handen sind und dabei die Muskelfaser sonst durchaus normal
aussieht, so glaube ich, dass die geringeren Grade dieser Ent-
artung wieder verschwinden.
Auch das Auftreten der Wanderzellen und der Riesenzellen
bespreche ich hier nicht weiter, weil ich in der erwähnten Arbeit
meine Beobachtungen darüber schon mitgetheilt habet). Nur
neige ich jetzt mehr zu der Ansicht, dass die hierbei auftretenden
Riesenzellen nicht aus Leukocyten oder aus zunächst „epitheloid
gewordenen Leukocyten“ (Stschastny), sondern aus fixen
Bindegewebszellen entstehen (Baumgarten, Mar-
chand, Ribbert, Nauwerck).
Ad 2. Einer Besprechung bedürfen aber diejenigen Bil-
dungen, die wir mit Waldeyer als „Muskelzellen-
schläuehe“2) bezeichnen und die Kölliker?) schon früher
am Froschmuskel gesehen und beschrieben hatte. Ueber die
Bedeutung dieser Schläuche, bez. der in ihnen liegenden Zellen
sehen nun die Ansichten der Forscher auseinander: die einen
sehen sie als dem Zerfall geweihte Producte der Rückbildung
an, die andern glauben dagegen, dass sie die neuen Muskelfasern
1) Dieses Archiv, 29. Bd., pag. 54.
2) Waldeyer, Ueber die Veränderungen der quergestreiften
Muskeln bei der Entzündung und dem Typhusprocess, sowie über die
Regeneration derselben nach Substanzdefecten. Virchow’s Archiv,
34. Bd., pag. 473 ff., pag. 478.
3) Kölliker, Einige Bemerkungen über die Endigungen der
Hautnerven und den Bau der Muskeln. Zeitschrift für wiss. Zool.,
8. Bd., pag. 312 ff. (pag. 315, Anmerkung, Tafel XIV, Fig. 9).
Zur Regeneration der Gewebe. 463
bilden, und eine dritte Richtung nimmt eine vermittelnde Stellung
ein. Zu den ersteren gehören!) die Entdecker der Muskelzellen-
‚schläuche, Kölliker und Waldeyer, selber, ferner Neu-
mann und seine Anhänger Dagott, Lüdeking, Perron-
eito, Sokolow?) und besonders Nauwerck, sodann De-
marquay, Hayem, Bergkammer, endlich Sigmund
_ Mayer und Fraisse; als Anhänger der andern Anschauung
sind besonders Otto Weber), Kraske?) und Leven?) zu
nennen; die vermittelnde Anschauung wird vertreten durch Ü.
E. E. Hoffmann‘) und Zaborowski?)).
1) Die Literatur ist bei Fraisse, a. a. O. pag.129 ff, Zabo-
_ rowski, a.a.0.pag. 15ff, Nauwerck, a.a.0. pag. 19 ff. angegeben.
2) Sokolow, der unter Peremeschko arbeitete, hat eben-
falls die Ueberzeugung gewonnen, dass die Regeneration durch di-
rectes Auswachsen der durchschnittenen Fasern in die Länge bewirkt
wird. — Sokolow, Ueber die Regeneration der quergestreiften Mus-
keln nach traumatischen Eingriffen. Universitätsnachrichten von Kiew,
1881, October, pag. 147—184 (pag. 177, Fig. 3.) (Russisch.)
3) O0. Weber, Ueber die Neubildung quergestreifter Muskel-
fasern, insbesondere die regenerative Neubildung derselben nach Ver-
letzungen. Virchow’s Archiv, 39. Bd., pag. 216 ff. Weber Mndet,
„dass diese Zellen unter regelrechtem Verlaufe der Verletzung fast
nie fettig degeneriren“ und hat „nur bei Muskeleiterung fettig
entartete und zu Grunde gehende Elemente der Art beobachtet“
(pag. 238).
4) Kraske, a. a. O. pag. 23.
5) Leven, a. a. O. pag. 173 ff.
6) C. E. E. Hoffmann, Ueber die Neubildung quergestreifter
Muskelfasern, insbesondere beim Typhus abdominaliss. Virchow’s
Archiv, 40. Bd., p.505 ff. Derselbe glaubt, dass von den gewucherten
Muskelkernen eine grössere Zahl durch fettige Entartung zu Grunde
geht, als Weber annimmt, meint aber, dass ein Theil derselben er-
halten bleibt und sich in junge Muskelfasern umwandelt.
7) Zaborowski, a.a. O. pag.18. „Späterhin werden sie (die
Spindelzellen) sogar spärlicher, da eine gewisse Zahl derselben atrophirt.“
Anmerkung. Eine von den Ansichten der erwähnten Autoren
ganz abweichende Anschauung über die Entstehung und Bedeutung
der Muskelzellenschläuche haben Erbkam, der dieselben als mit ein-
gewanderten Leukocyten erfüllte Sarcolemmschläuche (,„Wanderzellen-
schläuche“) und Gussenbauer, der die Muskelzellenschläuche als
Faserabschnitte ansieht, ‚in welchen die schollig zerklüftete oder körnig
veränderte contractile Substanz von farblosen Zellen umlagert und in
der Weise durchsetzt ist, dass diese Zellen in die zwischen den klei-
464 D. Barfurtb:
Nur wenige der genannten Autoren haben bei Besprechung
der Muskelzellenschläuche der Angaben von Margo und später
Paneth über die „Sarcoplasten‘ gedacht, in denen dieselben
die Bildungselemente neuer Muskelfasern erkennen wollen, wäh-
rend Sigmund Mayer und ich, wie später auch Looss!),
die Ansicht aussprachen, dass diese Gebilde vielmehr Zerfalls-
produete degenerirender Muskelfasern vorstellen ; demgemäss habe
ich sie in einer früheren Arbeit?) nach Sigmund Mayer’s?)
neren rundlichen oder eckigen Stücken befindlichen Spalträume ein-
gedrungen sind“ (pag. 1034). Die „farblosen Zellen“ sind der Abstam-
mung nach Leukocyten oder Bindegewebszellen des Perimysium inter-
num. — Erbkam, Beiträge zur Kenntniss der Degeneration und Re-
generation von quergestreifter Muskulatur nach Quetschung. Vir-
chow’s Archiv, 79. Bd. — Gussenbauer, Ueber die Veränderungen
des quergestreiften Muskelgewebes bei der traumatischen Entzündung.
Archiv für klinische Chirurgie, 12. Bd., pag. 1010 ff. (pag. 1034). Hier
ist ferner die eigenartige Auffassung Aufrecht’s zu erwähnen, der
sich über das Verhalten der zu Muskelzellenschläuchen umgewandelten
Muskelfasern folgendermaassen ausspricht: „Ueberall wo dasselbe (das
Sarcolemm) erhalten ist, regenerirt sich die Muskelfaser innerhalb der-
selben zu einer in Aussehen und Grösse den vor der Verwundung
vorhäfndenen vollkommen gleichen, wo dasselbe zerstört ist, gehen
unter der Vermittelung der Muskelkerne neue Muskelfasern aus ihnen
hervor.“ Wie das letztere geschehen soll, wird nicht ausdrücklich ge-
sagt und über die jungen Muskelfasern selber äussert sich Aufrecht,
wie Nauwerck hervorhebt, sehr zurückhaltend. — Aufrecht, Ueber
die Genese des Bindegewebes, nebst einigen Bemerkungen über die
Neubildung quergestreifter Muskelfasern und die Heilung per primam
intentionem. Virchow’s Archiv, 44. Bd. pag. 180 ff. (pag. 196). —
Rachmaninow hält mit Erbkam die zelligen Elemente in den Mus-
kelzellenschläuchen für ausgewanderte farblose Blutkörperchen. —
Rachmaninow, Zur Frage der Regeneration quergestreifter Muskel-
fasern. Dissertation. Moskau, 1881, pag. 82. (Russisch.)
1) Looss, Ueber die Betheiligung der Leukocyten etc. a. a. O.
Referat von J. H. List im Biolog. Centralblatt, 9. Bd., pag.5%f. —
Looss, Ueber Degenerationserscheinungen im Thierreich, besonders
über die Reduction des Froschlarvenschwanzes und die im Verlaufe
derselben auftretenden histologischen Processe. Leipzig, 1889 (Preis-
schriften, gekrönt und herausgeg. von der Fürstlich Jablonowski-
schen Gesellschaft zu Leipzig, No. 10 der mathematisch - naturwiss.
Section, XXVII).
2) Dieses Archiv, 29. Bd., pag.52 ff.
3) Sigmund Mayer, Zur Histologie des quergestreiften Mus-
kels. Biol. Centralblatt, 4. Bd., pag.129 ff. (D. — Derselbe, Die soge-
GE EIEE ei w
Zur Regeneration der Gewebe. 465
1 Vorgang als „Sarcolyten“ bezeichnet. Es sind dies spindel-
oder wurstförmige Stücke quergestreifter Substanz, die von den
_ amöboiden!) (S. Mayer) Muskelzellen aufgenommen werden oder
auch frei im Sarcolemmschlauch — nach Paneth auch ausser-
halb desselben — liegen. Diese Sarcolyten findet man nun
manchmal in grosser Menge in den „Muskelzellschläuchen‘“ nor-
_ maler Thiere (Frosch, Land- und Wassersalamander [S. Mayer],
Sperling, Wanderratte, Barsch, menschlicher Embryo von 6 cm
Länge [Margo], Froschlarven, junge Frösche, Schweinsembryo
‚von 16em Länge [Paneth]). Es scheinen sich hier Vorgänge
abzuspielen, durch welche einzelne ‚„Muskelfasern in ihrer nor-
malen Form und Zusammensetzung zeitweilig eingeschmolzen
werden, um dann in der Folge wieder einem Neubildungsprocesse
anheim zu fallen“ (Sigmund Mayer, I, pag. 155). Solche
Sarcolyten kommen nun ohne Zweifel auch, manchmal in grosser
Menge, in degenerirenden Muskelfasern an einer
Wundstelle vor. Waldeyer zeichnet sie z.B. Tafel X,
Fig. 5—7 (Virehow’s Archiv, 34. Bd.); 0. Weber stellt auf
Tafel IV, Fig. 2 solche Gebilde aus einer eiternden granulirenden
Muskelwunde vom Kaninchen am siebenten Tage dar, die er für
junge Muskelzellen mit schon deutlich quergestreifter Substanz
hält; ich halte dieselben für Sarcolyten, da man in so frühen
Stadien noch keine echten jungen Muskelzellen mit Querstreifung
findet; ich werde in dieser Auffassung bestärkt durch Weber's
Angabe, dass er schon am dritten und vierten Tage solche Zellen
mit quergestreifter Substanz sah?). Ich selber finde solche Sarco-
Iyten bei Froschlarven in den ersten Tagen nach Amputation der
Schwanzspitze; Querstreifung ist selten zu sehen, fettige Ent-
artung tritt frühzeitig auf.
Diese Befunde sind nun deshalb von grosser Wichtigkeit,
weil die Sarcolyten nach den Beobachtungen von Sigmund
nannten Sarcoplasten. Anat. Anzeiger, 1.Bd., 1886, pag. 231 ff. (ID).
— Derselbe, Einige Bemerkungen zur Lehre von der Rückbildung
quergestreifter Muskelfasern. Zeitschrift für Heilkunde, Bd.8, pag.
20 3 (I).
1) S. Mayer, III., pag.187. Derselbe hat sehr angemessen den
Vorschlag gemacht, die Sarcolytenin freie undin eingeschlossene,
quergestreifte und glatte Sarcolyten zu trennen.
2) O0. Weber, Virchow’s Archiv, 39. Bd., pag. 245.
466 D. Bäarfurth:
Mayer und mir in ungeheurer Menge in den der
Rückbildung unterworfenen Muskelfasern des
Schwanzes metamorphosirter Batrachierlarven
vorkommen, also sicherlich Produete der Rückbildung,
nicht der Neubildung sind. S. Mayer hat deshalb ganz
Recht, wenn er die atrophirendeu Froschlarvenschwänze die
„klassischen Stätten‘ für den Nachweis der Sarcolyten nennt.
Nach diesen Erörterungen trage ich kein Bedenken mich
mit der grossen Mehrzahl der Forscher dahin auszusprechen,
dass die Muskelschläuche der regressiven Meta
morphose unterliegen und bei der eigentlichen
Regeneration keine Rolle spielen.
Hier kann man mir nun gleich einige Emwände machen.
Zunächst den, dass ich ineonsequenter Weise das eine Mal die
gewucherten Muskelkörperchen als ‚Sarcoblasten‘ weiterleben und
Junge Muskelfasern bilden lasse, das andere Mal sie als ‚Sarco-
lyten“ dem Untergang weihe. Dieser Einwand fällt aber vor
der Erwägung, dass recht wohl bei schwerer Ernährungs-
störung eine Muskelfaser nach vorhergegangener „atrophischer
Kernwucherung“ (Bergkammer)!) ganz zu Grunde gehen
kann, während bei leichterer Störung des Stoffwechsels wenig-
stens ein Theil der Faser erhalten bleibt und die gewucherten
Kerne lebenskräftig sind.
Ein anderer Einwand aber fällt hier schwerer in’s Gewicht.
Wie ist das von neuern Forschern?) constatirte Auftreten von
1) Bergkammer, Beiträge zur Lehre von der Entzündung und
Entartung der quergestreiften Muskelfasern. Dissertation, Strassburg,
1884. (Unter von Recklinghausen’s Leitung gearbeitet.) „Die Kern-
wucherung in denselben (kernreichen Bändern und Platten) hat nur
die Bedeutung einer atrophischen Wucherung.“ (pag. 32.) Nauwerck,
8,8: Oi pa. 12.
2) Dazu gehören Tizzoni (vom fünften Tage an), Leven und
Zaborowski (nach 24 Stunden), Steudel (die ersten nach 24 Stun-
den, „sehr ausgebreitete Wucherung unter dem Bilde der mitotischen
Karyokinese“ nach 48 Stunden); Nauwerck fand an den alten
Muskelfasern in den beiden ersten Tagen eine eigenartige Kernthei-
lung, die der Arnold’schen indirecten Fragmentirung ähnlich
ist (pag.24), nach 48 Stunden traten an den jungen Muskelzellen
(Sarcoblasten) Kerntheilungsbilder auf, die sich in den folgenden Tagen
mehrten und ausschliesslich typische Karyomitosen waren (pag. 16).
S. Nauwerck, pag.25 ft.
r | Zur Regenerätion der Gewebe. 467
Mitosen in den Kernen der Muskelschlauchzellen zu erklären,
wenn man die Elemente für Todescandidaten erklärt? Da die
mitotische Kerntheilung eine Bethätigung der Lebensenergie ist,
.so muss hier doch ein Widerspruch vorliegen! Dieser schein-
‚bare Widerspruch wird aufgeklärt durch die neueste Untersuchung
von Nauwerck. Er fand, dass die Muskelzellenwucherung
ihren Höhepunkt am dritten bis fünften Tage erreicht, dass nach
48 Stunden Kerntheilungsbilder auftreten, die sich in den fol
senden Tagen mehren, dann aber abnehmen, dass aber vom
fünften Tage an nach der Verletzung die neugebildeten Muskel-
zellen einer zunehmenden Verfettung unterliegen und rasch zer-
fallen; schon Ende der zweiten, Anfang der dritten Woche waren
die Muskelzellen völlig verschwunden (pag. 16, 18). Hiernach
muss der Vorgang so aufgefasst werden, dass die Muskelkörper-
chen allerdings noch Lebensenergie besitzen und sich lebhaft
theilen, dass aber die junge Brut untergeht, weil die Ermährungs-
bedingungen zu ungünstig sind. Man wird wohl nicht irren,
wenn man annimmt, dass die schnell zerfallende quer-
gestreifte Substanz die Schuld trägt. Das zerfallende
Material kann nicht schnell genug weggeschafft werden und be-
einträchtigt die Emährung und weitere Entwicke-
lung der jungen Zellen. Eine Analogie hierzu bietet die
früher von mir festgestellte Thatsache, dass nicht abgelaichte
und nachher in loco zerfallende Geschlechtsprodnete
(Eier, Samenkörper) die Entwickelung der jungen
Eier und Samenelemente vollständig verhindern
können!). Es scheint, dass die beim Zerfall der Gewebsele-
mente sich bildenden Producte der regressiven Metamorphose
eine toxische Wirkung auf junge Zellen ausüben, die stärker
ist, als die vitale Energie derselben. Dem entsprechend melden
fast alle Autoren übereinstimmend, dass die eigentliche Re-
generation erst beginnt, wenn die Resorption des zerfallenen
alten Materials der Hauptsache nach beendigt ist.
Nachdem ich diese Einwände durch — wie ich glaube —
gute Gründe beseitigt habe, wiederhole ich den oben schon aus-
1) Barfurth, Biologische Untersuchungen über die Bachforelle.
III. Die Rückbildung nicht abgelaichter Geschlechtsstoffe bei der Bach-
forelle. Dieses Archiv, 27. Bd., pag.129 ff. (pag. 145).
468 D. Barfurth:
gesprochenen Satz: dass ich mit Nauwerck in den Mus-
kelzellsehläuchen Bildungen sehe, die dem Unter-
gang geweiht sind, obgleich die in den Zellen
auftretenden Mitosen auf eine noch vorhandene.
Lebensenergie hinweisen. |
Ad 3. Ich wende mich jetzt zur Besprechung der dritten
Gruppe von Regenerationserscheinungen, die durch eine Längs-
zerspaltung einzelner Muskelfasern und Bildung kernreicher Bänder,
Spindelzellen und Sarcoblasten gekennzeichnet ist.
Wie ich oben (pag. 460) angab, kommt für die Beobach-
tung und das Verständniss dieser Bildungen die Art der Muskel-
. faseranordnung bei Rana sehr in Betracht; ich verweise deshalb
auf meine früheren Bemerkungen darüber. An Präparaten vom
siebenten und achten Tage sieht man nun, dass einzelne, ge-
wöhnlich in. der Mitte des Muskelbandes (Fig. 22 m/, seltener
terminal m) gelegene Fasern sich der Länge nach in immer
kleiner werdende Faserbündel zerspalten haben. Manchmal ist
die ganze Faser vollständig aufgelöst in eine ziemlich weit zer-
streute Anzahl von Bündeln, die kernreich und meist spindel-
förmig oder bandartig sind; auch sind spindelzellenartige Bil-
dungen mit zwei und mehr Kernen oder Sarcoblasten mit einem
Kern nicht selten. Die Kerne theilen sich nach der typischen
Karyomitose. Ob an einkernigen Sarcoblasten Fibrillenbildung ®
oder gar Querstreifung vorkommt, kann ich nicht mit Sicherheit
angeben; ich sah Formen von Sarcoblasten, wie ich sie in Fig. 24,
Tafel XXIII dargestellt habe; ich sehe auch hier die Fibrillen-
bildung zuerst!), später erst die Querstreifung (Fig. 24b,e). Ich
muss hierzu bemerken, dass die Präparate mit Flemming's
Osmiumehromessigsäure fixirt sind, die, wie die Chromsäure-
gemische überhaupt, die Längsstreifung besser erhält, als die
Querstreifung, während die ehromsauren Salze die Querstreifung
besser zur Anschauung bringen; letztere waren aber für meine
Zwecke unbrauchbar, da sie, wie Flemming nachgewiesen
hat, die Mitosen nicht conserviren. d
Eine solche Längsspaltung von Muskelfasern hat zuerst”
1) Vgl. Nauwerck, „An dem Protoplasma macht sich schon 3
sehr frühzeitig eine leichte Andeutung von Längsstreifung erkenn-
bar.‘ (pag. 28.)
Zur Regeneration der Gewebe. 469
Weismann!) bei Fröschen beobachtet. Sein Befund wurde
dann von andern Forschern (Aeby, Waldeyer, Born) als
Kunstproduct aufgefasst, von Kölliker aber, Rouget und
neuerdings Felix?) als normal bestätigt. Aehnlich wie bei
diesen im unverletzten Muskel ablaufenden Spaltungen sind nun
die Ansichten der Forscher über die nach künstlichen Verletzungen,
also bei der Muskelregeneration, auftretenden Spaltungsproducte
verschieden. Die einen halten sie für degenerirende Bruchstücke
alter Muskelfasern (Waldeyer, pag. 510, Bergkammer,
pag. 20, 21), die andern für Zwischenstufen zwischen den Sarco-
blasten und den fertigen jungen Muskelfasern (0. Weber,
pag. 247, C.E.E. Hoffmann, pag.513). Peremeschko?),
der die Spalten bei der Regeneration zuerst beobachtete, lässt
durch dieselben die alte Muskelfaser in ein ganzes Bündel neuer
Fasern zerfallen. Kraske*) und Leven?) sehen in den Spal-
tungsprodueten nur Stufen weiterer Auflösung der alten Muskel-
faser in Muskelzellen. Nauwerck‘) hält sie für Spaltungs-
producte alter Muskelfasern, von denen ein geringer Theil er-
halten bleibt und sich höchst wahrscheinlich zu kürzeren oder
längeren quergestreiften Muskelfasern umwandelt; er glaubt aber,
dass dieser Modus der Regeneration durchaus in den Hintergrund
tritt vor der durch Knospenbildung (Neumann) erfolgenden
Regeneration. Nach meinen Beobachtungen kann ich mich Nau-
werck im allgemeinen anschliessen: ich halte ebenfalls die Ge-
bilde für Abspaltungsproducte präexistirender Muskelfasern, die
zum Theil wieder neue Muskelfasern bilden, glaube aber mit
Kraske, dass hierbei auch Muskelzellen?) frei werden können,
1) Ueber das Wachsen der quergestreiften Muskeln nach Be-
obachtungen am Frosch. Zeitschrift für rationelle Mediein, 3. Reihe,
X. Bd., 1861, pag. 263 ff. (271 ff.).
2) Felix, a. a. O. pag. 242. Literaturangaben bei demselben
pag. 226 ff.
3) Peremeschko, Die Entwickelung der quergestreiften Mus-
kelfasern aus Muskelkernen. Virchow’s Archiv, 27. Bd., page. 116 ff.
(pag. 119).
4) Kraske, a. a. O. pag. 23.
5) Leven, a. a. O. pag.175.
6) Nauwerck, a. a. O. pag. 31.
7) Nauwerck lässt für diese Bildung nur eine Möglichkeit
offen; er sagt: An diesen Muskelfasern lassen sich gleichzeitig zwi-
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 3l
470 D. Barfurth:
und dass diese Muskelzellen die Fähigkeit besitzen, neue Muskel-
fasern zu bilden.
Wie ich oben bemerkte, kommt an meinen Objeeten die
Längsspaltung vorzugsweise an Fasern vor, die m der Mitte
eines Muskelbandes liegen; sie findet sich aber auch an den am
weitesten vorgeschobenen, terminal liegenden Fasern (Fig. 22 m)).
Im ersteren Fall scheinen die Spaltungsproduete nur insofern ver-
wandt zu werden, als die Deckung des Defeets erfordert; man
sieht da, wo die alte Muskelfaser sich durch Spaltung auflöste,
eine helle Stelle zwischen den seitlich erhaltenen Fasern und in
diesem hellen Raum kernreiche Bänder, Spindelzellenverbände,
Spindelzellen und einzelne Sarcoblasten; wir haben auch hier
wieder eine Ueberproduction, die den Untergang der meisten
dieser Gebilde im Gefolge hat. Im andern Fall, bei der
Längszerspaltung der äussersten Fasern, spielen die Spaltungs- °
_ produete und Sarecoblasten eine viel wichtigere Rolle, da sie
für das neugebildete Schwanzstück eine fort-
laufende Reihe von jungen Muskelfasern zu bil-
den haben. Am achten Tage sehe ich einen vollständigen
Längszerfall solcher angeschnittenen äussersten Muskelfasern und
caudalwärts von diesen Spaltungsproducten Sarcoblasten. Dass
die letzteren durch Wucherung von Muskelkörperehen in den
abgespaltenen Faserpartien entstanden sind, schliesse ich aus
den zahlreichen Mitosen in den Muskelkörperehen und aus dem
Umstande, dass die Sarcoblasten die direete periphere Fort-
setzung der Muskelbruchstücke sind. |
Freilich sieht man nun recht oft statt der Spaltungspro-
ducte alter Muskelfasern ein ganzes Gewirre von Muskel-
schen den beschriebenen Gebilden (Bänder, Spindelzelleneomplexe,
Spindelzellen) keine der runden oder vielgestalteten Muskelzellen
nachweisen, womit indessen nicht gesagt sein soll, dass
eine Muskelfaser, dieanihrem Stumpfe Muskelzellen
produeirt, nicht in ihrem weitern Verlauf die ge23
schilderte Zerspaltung eingehen kann (pag. 29).
1) Ich verweise auf diese Figur nur, um den Leser über die’
topographischen Verhältnisse zu orientiren; die Muskelregeneration
selber ist in diesem Stadium (dritter Tag) noch nicht zu sehen. Von
weiteren topographischen Zeichnungen, die viel Zeit kosten, musste
ich Abstand nehmen, weil mich äussere Umstände zwangen, diese Ar-
beit abzuschliessen. ;
Te a re ee
Zur Regeneration der Gewebe. 471
sprossen, die bis an die Sarcoblasten heranreichen. Dieser
Umstand führt mich zur Besprechung der letzten Regenerations-
erscheinung, die nach Neumann die einzige, nach Nau-
werck die wichtigste ist: die Bildung von Knospen
oder Sprossen aus den präexistirenden Muskel-
fasern.
Ad 4. An Präparaten vom 7.—10. Tage (Rana esculenta,
Larven) finde ich zahlreiche Muskelfasern, die an dem einen,
oralwärts gelegenen Ende die normale Structur fast vollständig
- erhalten haben, die aber am peripheren Ende sich vollständig
auflösen in eine grosse Menge blasser, meist schmaler kernreicher
Fortsätze. Man hat den Eindruck, als ob solche Fasern peripher
in ein ganzes Büschel ausserordentlich blasser Sprossen ausein-
anderflössen.
In den Sprossen liegen zahlreiche Kerne, oft reihenweise,
mit vielen Mitosen. Sie zeigen eine äusserst feine Längsstreifung,
von Querstreifung ist nichts zu sehen. Der Zusammenhang mit
den alten Fasern ist durch Heben und Senken des Tubus leicht
festzustellen. Eine Verwechselung mit zerspaltenen Muskelfasern
wird durch diesen Zusammenhang, durch die oft bedeutende
Länge der Sprossen, sowie durch die Thatsache unmöglich, dass
diese Sprossen selbst an mit Flemming'scher Mischung be-
handelten Präparaten auffallend blass sind, während Spaltstücke
stets einen dunkleren Ton und kräftige Fibrillenbildung aufweisen.
Es kann desshalb keinem Zweifel unterliegen, dass dies die ech-
ten Neumann’schen Muskelknospen!) sind. Im Uebrigen
habe ich der vortrefflichen Beschreibung dieser Gebilde bei Neu-
mann und Nauwerck nichts hinzuzufügen.
Die erwähnten Gebilde entsprechen den terminalen Mus-
kelzellen Neumann’s, laterale, wie ich sie wenigstens der An-
lage nach bei den früher beschriebenen Siredonlarven fand, habe
ich hier nicht gesehen. Es scheint, dass etwa sich ausbildende
seitliche Defecte der Muskelbänder durch den Modus der Zer-
spaltung alter Muskelfasern ausgeglichen werden. Ich sehe
darin nur einen Beleg zu der früher geäusserten Anschauung, dass
die Natur um Varianten bei ihrer Arbeit nie verlegen ist und
1) Neumann,a. a. O. pag. 327, Nauwerck, a.a.0.p.37 ff.
472 D. Barfurth:
dass sie sich bei solehen Vorgängen dem jedesmaligen Bedürf-
niss in einer uns oft räthselhaften Weise anzupassen versteht.
Die terminalen Sprossen erreichen, wie schon erwähnt, zu-
weilen eine bedeutende Länge, die besonders an nicht zu feinen
Schnitten leicht verfolgt werden kann. Sie erstreeken sich manch-
mal über einen Raum, der zwei Myomeren umfasst; dazu
ist zu bemerken, dass die normaler Weise vorhandenen muskel-
freien Scheidewände zwischen den Myomeren (Ligamenta
intermuscularfa) in dem neugebildeten Schwanzstück dieser Sta-
dien noch nicht ausgebildet ist. Dieselben, sowie die deut-
lich abgegrenzten Muskelbänder findet man erst in der 3. Woche.
Dass nun aus diesen Muskelknospen im Laufe der Regeneration
echte junge Muskelfasern werden, kann keinem Zweifel unter-
liegen. Man sieht in etwas älteren Stadien die Längsstreifung
kräftiger, die Fasern dicker werden und bald (Ende der 2. Woche)
stellt sich Querstreifung ein. Das Sarcolemm ist aber dann noch
nicht vorhanden. Wie Nauwerck sehe ich gabelige Theilungen
(p. 47) und seitliche Abspaltungen (p. 48) der Muskelfortsätze.
Caudalwärts von den erwähnten Sprossen finde ich nun
ebenfalls wieder frei liegende, meist längliche Zellen, die ich mit
Nauwerck für aus den Sprossen ausgetretene Sarcoblasten halte,
weil sie in derselben Flucht liegen, weil ihre Längsachse fast
stets der Längsachse des Schwanzes parallel liegt und weil sie
ungewöhnlich viele Mitosen aufweisen. Diese Sarcoblasten bilden
die langgestreckte Reihe von jungen Muskelfasern, die man an
ältern Regenerationsstadien (12.—15. Tag) jederseits dicht am
Epithel verlaufen sieht ?).
Hier könnte man nun gleich folgenden nicht unberechtigten
Einwand erheben: Wenn die Muskelsprossen sich über einen Raum
von 2 Myomeren erstrecken und sich nachher im Bereiche derselben
neue Muskelbänder mit Ligg. intermuseularia bilden, so steht prin-
eipiell der Auffassung nichts entgegen, dass die Sprossen immer
weiter wachsen und ohne ausgetretene Sarcoblasten die neuen
Myomeren bilden; die freiliegenden als Sareoblasten gedeuteten
Zellen können abgeschnittenene Theile von Muskelsprossen sein.
1) Nauwerck sah diese freien Muskelzellen in seinen Objecten
nur ausnahmsweise und konnte keine Weiterentwickelung an ihnen
entdecken (pag. 48).
3 Zur Regeneration der Gewebe. 473
Dagegen ist zu sagen, dass sich dann bei einer Länge des rege-
nerirten Stückes von etwa 0,5cem auch die Sprossen un-
sefähr bis zu dieser enormen Länge, d.h. über ca.
6—8 Myomeren erstrecken müssten, oder mit anderen Worten:
die Sprossen müssten 6—8 mal so lang werden, wie die normale
Faser. Diese Annahme wäre abenteuerlich und ist durch keine
Beobachtung gestützt. Andererseits sieht man aber auch an et-
was diekeren Schnitten deutlich, dass die Sarcoblasten nicht ab-
geschnittene Knospentheile, sondern abgegrenzte Zellen sind.
Aus den mitgetheilten Thatsachen ziehe ich den Schluss,
dass bei älteren Amphibienlarven (Rana) der ursprüngliche ein-
fachste Modus der Regeneration eomplieirter geworden ist: Die
Regeneration geschieht 1) durch Längszerspaltung prä-
existirender Fasern und Entwicklung dieser Theilstücke,
sowie der aus ihnen freigewordenen Sarcoblasten zu jungen Mus-
kelfasern; sie geschieht ferner 2) durch Bildung terminaler
Sprossen (Neumann) aus den alten Muskelfasern und durch
Freiwerden und Vorschieben vonSarcoblasten aus
den Sprossen.
Meine Beobachtungen sind, wie erwähnt, durchaus an jun-
gen Thieren (Larven) gewonnen worden; es lag nicht im Plane
dieser Arbeit auch erwachsene Thiere zu untersuchen. Ich kann
also über den Modus der Muskelregeneration bei diesen Thieren
nichts aussagen. Die grundlegenden Beobachtungen Neumann's,
die mit Unrecht so viel angefochten sind, und die sorgfältige ex-
perimentelle Untersuchung vonNauwerck liefern hier eine will-
kommene Ergänzung. Man wird mit mir den Eindruck bekom-
men, dass im Prineip die Vorgänge der Regeneration bei ganz
jungen und bei erwachsenen Thieren nicht mehr von einander
verschieden sind als es die embryonale und die postembryonale
physiologische Entwickelung der Muskelfasern sind. Nauwerck
hat mit Recht auf die werthvolle Arbeit von Felix hingewiesen
und „in dem Regenerationsvorgang an der Muskulatur des er-
wachsenen Thieres nach Verletzungen die wesentlichen Grundzüge
der embryonalen* — (ich hätte hier lieber gesagt postembryo-
nalen) — „Entwickelung wieder zu erkennen“ geglaubt (p. 53).
Hält man nun Fraisse’s und meine Befunde bei ganz jun-
gen und jungen Thieren mit denen zusammen, die von zahlreichen
Forschern (0. Weber, Kraske, Neumann, Nauwerck,
474 | D. Bar£urth:
Leven, Zaborowski u.a.) an erwachsenen Thieren gefunden
wurden, so ergiebt sich folgendes.
I. Bei ganz jungen Amphibienlarven (Siredon) sind die
Degenerationserscheinungen an den angeschnittenen Muskelfasern
gering: schollige Zerklüftung, Resorption. Die Regeneration er-
folgt durch Wucherung und Vorschieben von Muskelkörperchen,
wobei knospenähnliche terminale und laterale Bildungen auftreten.
Die vorgeschobenen Muskelzellen (Sarcoblasten) entwickeln sich
grösstentheilss nach embryonalem Typus (F. E. Schulze)
zu neuen Muskelfasern (Weber, Kraske, Leven, Zabo-
rowski).
. IL Bei älteren Larven (Rana) und erwachsenen Thieren
(Kaninchen) sind alle Erscheinungen complieirtter. Man kann
unterscheiden :
A. Degenerative Vor ae
I. Scholliger Zerfall angeschnittener Muskelfasern und ab-
gerissener Bruchstücke quergestreifter Substanz; als Begleiterschei-
nungen die Anhäufung von Wanderzellen und Bildung von Riesen-
zellen.
2.. Atrophische Wucherung der Kerne in den Muskel-
körperchen degenerirender Muskelfasern, Zerfall der quergestreif-
ten Substanz zu Sarcolyten, blasige Entartung, Verfettung und
einfache Atrophie der Muskelsubstanz (Nauwerck), Bildung von
„Muskelzellenschläuchen“ (Waldeyer) und von bald absterbenden
Sarcoblasten.
B. Regenerative Vorsänsz
1. Längsspaltung von Muskelfasern mit Kernwucherung der
Muskelkörperchen nach postembryonalem Entwicklungstypus
(Weismann, Kölliker, Felix). Bildung schmaler Bänder,
bandförmiger Platten, “Auftreten von Spindelzellen und Sarco-
blasten.
2. Bildung kernhaltiger Sprossen (Neumann, Nau-
werck, Sokolow etc.) an präexistirenden Muskelfasern. Die-
selben entwickeln sich zu jungen Muskelfasern und erzeugen durch
Kernvermehrung Sarcoblasten, die sich peripher ebenfalls zu neuen
Primitivbündeln ausbilden. |
Ich habe in dieser gedrängten Zusammenstellung natürlich
nicht die Differenzen in der Anschauung der Beobachter einfügen
Zur Regeneration der Gewebe. 475
können. Es stehen sich hier im wesentlichen zwei Richtungen:
Neumann-Nauwerck und Weber-Kraske gegenüber.
Nachdem die Angaben Neumann's durch Nauwerck in man-
chen Punkten ergänzt und modifieirt sind undNeumann!) sich
der Nauwerek’schen Darstellung wohl. anschliessen wird, so
erscheinen einige Gegensätze nicht mehr so ganz unversöhnlich
wie früher. Die Bildung von Muskelzellen, Sareoblasten,
aus den Muskelkörperchen der präexistirenden Fasern ist im
Prineip von beiden Parteien anerkannt; Neumann-Nauwerck
lassen dieselben untergehen oder sich nur in geringem Maasse
an der Neubildung von Muskelfasern betheiligen, Weber-Kraske
sehen in ihnen die Elemente, aus denen allein ?) die Neubildung
erfolgt. Die Längszerspaltung sehen ebenfalls beide Parteien;
Weber-Kraske lassen diese erst Halt machen bei der voll-
ständigen Auflösung .der alten Faser in Sarcoblasten und lassen
wieder nur aus diesen die neuen Muskelfasern entstehen; nach
Neumann-Nauwerck geht die Zerspaltung bis zu Bändern,
Spindelzelleneomplexen und Spindelzellen, nur in wenigen Fällen
können Sarcoblasten frei werden; die genannten Spaltungsprodukte
regeneriren sich zu neuen Muskelfasern. ,
Unlösbar ist aber der Widerspruch in Bezug auf die Neu-
mannschen Muskelknospen, von denen Kraske nicht zugiebt,
dass sie wirkliche Auswüchse seien und als solche weiter wach-
sen, während Neumann-Nauwerck gerade das Hervorsprossen
aus den alten Muskelfasern betonen und ihnen die Hauptrolle bei
der Neubildung von Muskelfasern erwachsener Thiere zuschreiben.
Mir scheinen meine Untersuchungen an Amphibienlarven
insofern eine Lücke auszufüllen, als sich der Zusammenhang der
Regenerationserscheinungen mit den embryonalen und postembryo-
nalen Entwickelungsvorgängen jetzt besser übersehen lässt. Die-
sen Zusammenhang will ich durch folgende Sätze ins Licht zu
stellen suchen.
I. Primäre Entwickelung der Muskelfasern aus einzel-
nen Zellen der Ursegmente, die den Sarcoblasten morphologisch
gleichwerthig sind; ihr entspricht der erste und einfachste
1) Vgl. die Aeusserung Nauwerck’s pag.15 u. 32.
2) Auf kleinere Abweichungen der Weber’schen Lehre gehe
ich hierbei nicht ein.
476 D. Barturik:
Modus der Regeneration bei ganz jungen Larven: nach mi-
totischer Vermehrung der Muskelkörperchen treten einzelne (Sar-
coblasten) unter knospenähnlichen Bildungen aus dem Verbande
der Mutterfaser heraus, rücken vor und bilden junge Muskel-
fasern.
II. Postembryonale Entwickelung der Muskelfasern
aus Sarcoblasten, durch Längstheilung alter Muskel-
fasern, sowie durch Längen- und Diekenwachsthum der einzelnen
Fasern !). Diesem Uebergangsstadium entspricht die Regeneration
bei ältern Larven (Rana) und bei erwachsenen Thieren (Nau-
werck)?): Die Neubildung geschieht durch Spaltungsprodukte und
Knospen präexistirender Muskelfasern, ausserdem aber durch
Sarcoblasten, die sich bei diesen Vorgängen frei machen.
III. Postembryonale Neubildung von Muskelfasern nur durch
Längstheilung (Felix)!) vorhandenergFasern. Ihr ent-
sprechen die bei der Regeneration älterer Larven und erwachsener
Thiere vorkommenden „Spaltungen und Abfurchungen“, die wie
in dem vorher besprochenen Stadium zur Neubildung von Mus-
kelfasern Veranlassung geben. Dieses Stadium unterscheidet sich
also von dem vorigen wesentlich dadurch, dass weder bei der
physiologischen Neubildung (Felix), noch bei der Re-
generation (Nauwerck) eine Bildung von Muskelfasern
aus Muskelzellen (Sarcoblasten) vorkommt.
1) Felix, a. a. O. pag.255 ff. „Bei Tritonenlarven oder Frosch-
larven überwiegt in der ersten Zeit die Neubildung nach einbryonalem
Typus bei weitem diejenige durch Längstheilung, man sieht in der
Peripherie der Muskeln ungemein zahlreiche spindelförmige Muskel-
fasern mit ein oder zwei Kernen, während man Mühe hat, Kernreihen-
fasern zu finden.“ Im dritten Monat (Homo) tritt ein Stillstand in der
Vermehrung der Fasern ein, der „zum Längen- und Dickenwachsthum
der einzelnen Fasern benutzt wird“ (pag. 256). „Von einer bestimmten
Grenze an, die zwischen der Mitte des dritten Monats und dem vierten
Monat liegen muss, beginnt wieder eine Vermehrung der Faserzahl,
diesmal nur durch Theilung der vorhandenen Fasern. Von dieser
Grenze an scheint die Vermehrung der Faserzahl immer durch Längs-
theilung der vorhandenen Fasern stattzufinden (pag. 256).
2) Nauwerck, a.a. 0. pag.53—54 Es ist hierzu ausdrück-
lich zu bemerken, dass Nauwerck überhaupt eine Entwickelung
neuer Muskelfasern aus muskulären Bildungszellen (Sarcoblasten) nicht
anerkennt.
Zur Regeneration der Gewebe. 477
Zum Schluss noch einige allgemeine Bemerkungen. Ich
habe das Kapitel der Kerntheilungen, welches besonders
von den andern neueren Beobachtern so sorgfältig erörtert wird,
wenig berührt. Das letzte Wort über das Arnold’sche Kerm-
theilungsschema ist noch nicht gesprochen. Bis wir in den Ar-
nold’schen Befunden die Degeneration von der physiologisch-
regenerativen sicher unterscheiden können, bedarf es noch vieler
Untersuchungen an normalen Objeeten. Bis dahin bin ich mit
Pfitzner, Krafft u. a. der Ansicht, dass sicherlich viele der
Arnold’schen Kermtheilungserscheinungen auf Rückbildung
beruhen. Bilder, wie sie z.B. Zaborowski in Fig. 1,a, b
darstellt, habe ich bei meinen Studien öfter gesehen, aber als
Degenerationserscheinungen aufgefasst: es möchte auch Zabo-
rowski schwer werden, die „indireete Fragmentirung“ von Mus-
kelkernen in Figgla von dem „Zerfall“ in Fig. 1b zu unter-
scheiden. Andererseits habe ich bei meinen Objecten an den
entscheidenden Stellen so viele typische Mitosen gefunden, dass
ich auch für die Regeneration der quergestreiften
Muskeln, wie für die der übrigen Gewebe die mi-
totischeKern- und Zelltheilung als den normalen
Modus ansehe.
Ich bin mir wohl bewusst, dass meine Untersuchungen
lückenhaft sind; andererseits bin ich aber “überzeugt, dass
Fraisse und ich den richtigen Weg, den vergleichend-
anatomischen und entwicklungsgeschichtlichen,
zur Untersuchung der Muskelregeneration eingeschlagen haben.
Kölliker!) undHertwig ?) empfehlen übereinstimmend Amphi-
bienlarven zum Studium der Entwickelungsgeschichte des Muskel-
gewebes; die bisherigen Arbeiten über Muskelregeneration sind
aber fast alle an Säugethieren (Ratte, Kaninchen ete.) ausgeführt
worden, und ich erkläre mir aus diesem Umstande die Thatsache,
dass eine ungeheure Menge von Fleiss und Arbeit diesem Gegen-
stande geopfert wurde, ohne dass dabei eine Einigung über viele
prineipiell wichtige Dinge erzielt werden konnte.
Eine dieser prineipiell wichtigen Fragen ist nach meiner
Ansieht schon durch die neuere vergleichend-embryologische und
1) Kölliker, Gewebelehre, 6. Aufl., 1889, I. Bd., pag. 402.
2) Hertwig, Entwickelungsgeschichte, 3. Aufl., 1890, pag. 291.
478 D. Barfwefh:
und biologische Forschung erledigt worden, nämlich die Frage,
ob bei der Muskelregeneration die Kerne oder das Proto-
plasma bez. die quergestreifte Substanz alsmodi-
fieirtes Protoplasma die Hauptrolle spielen. Dass
diese Frage zu Gunsten der Kerne entschieden werden muss,
geht aus folgenden Thatsachen hervor:
1. Die ganze neuere durch O. Hertwig, Auerbach,
Bütschli, van Beneden, Strasburger u.a. begründete
Befruchtungslehre fusst auf der Thatsache, dass der Kern das
eigentliche Befruchtungs- und Vererbungsorgan der Zelle ist.
2. Durch die Untersuchungen von Nussbaum, Gruber,
Schmitz, Klebs u. a. an einzelligen Thieren und Pflanzen
ist festgestelit worden, dass kernlose Protoplasmastücke
nicht lebensfähig sind.
9. Die Versuche von Nussbaum, Gruber und Ver-
worn an einzelligen Thieren haben ergeben, dass die Regene-
ration gewisser abgeschnittener Theile (Wimper,
Schalenstücke) ohne Anwesenheit eines Kernes un-
möglich ist.
Diese Anschauung scheinen übrigens die meisten neueren
Bearbeiter der Muskelregeneration zu hegen, auch die Haupt-
vertreter der Knospentheorie. Zaborowski sagt zwar: „Die
Einen, wie 0.O.Weber, C.E.E.Hoffmann und P.Kraske
finden den Ursprung der jungen Muskelfasern mn den Muskel-
kernen.... Andere, wie Neumann, C. A. Dagott, Lüde-
king und neuerdings Perroncito dagegen verlegen den Ur-
sprung der neuen Fasern in die contractile Substanz“
(p. 5). Dem gegenüber muss ich doch darauf hinweisen, dass
sowohl Neumann wie Nauwerck das Vorhandensein und
die Wirksamkeit der Kerne in den Muskelknospen sehr bestimmt
hervorheben. So fällt Neumann „ein grosser Kernreichthum
auf, die Kerne erscheinen häufig in so grosser Zahl von den alten
Fasertheilen aus in die Fortsätze derselben vorgeschoben, dass
diese von ihnen bisweilen fast bis zur Spitze hin erfüllt sind“
(Neumann, a.a.O.p. 328). Und N.auwerck betont, „dass
an den beiden Enden der Muskelfortsätze ein sehr lebhaftes
Wachsthum in die Länge, gegen die Narbe hin, stattfindet, wel-
ches mit einer erheblichen Protoplasmaanhäufung und einer ent-
sprechenden Kernproliferation einhergeht“ (Nauwerck,
Zur Regeneration der Gewebe. 479
a.a.0.p. 41). Den wesentlichen Unterschied zwischen der
Weber-Kraske’schen Sarecoblastentheorie und der Knospentheorie
von Neumann-Nauwerck habe ich früher schon hervor-
gehoben.
Besprechung und Zusammenfassung der Ergebnisse.
Bei meinen Untersuchungen ergab sich, dass der Zeit
nach die Regeneration der Gewebe bei den Amphibien in fol-
Rasııc
gender Reihenfolge verläuft: 1. Epidermis; 2. Rückenmark; 3.
Chorda und Knorpelstab; 4. Bindegewebe, Cutis, Gefässe; 5.
Quergestreifte Muskulatur und fast gleichzeitig peripheres Nerven-
system. Man sieht, dass diese Reihenfolge im Prineip derjenigen
entspricht, die wir auch bei der embryonalen Entwickelung
finden. Dieses Zusammentreffen kann wohl nicht zufällig sein,
sondern muss einen innern Grund haben und dieser kann nur in
der specifischen Qualität der Gewebe liegen: die einfachen
Gewebe werden schneller regenerirt, die höher
differenzirten langsamer). Dieser Grundsatz tritt be-
sonders schlagend hervor bei der Regeneration der Epidermis:
die gewöhnlichen Epithelzellen werden sehr schnell regenerirt,
- die aus ihnen hervorgehenden complieirteren Leydig’schen Zellen
und Sinneszellen differenziren sich viel später (Fraisse).
Es ergab sich ferner, dass dem Modus nach bei der Re-
generation ebenfalls im Prineip die Entwickelung wieder-
holt wird.
Dieser Satz bedarf jedoch nach meinen Untersuchungen in-
sofern einer Erläuterung, als nicht gerade immer die primäre
1) Podwyssozki, A. jun. (Experimentelle Untersuchungen über
die Regeneration der Drüsenepithelien unter physiologischen und
pathologischen Redingungen. Fortschritte der Medicin. Bd. 5, 1887)
kam zu einem gleichen Ergebniss in Bezug auf die Drüsenzellen;
nach ihm „steht die Schnelligkeit in Bezug auf den Beginn der rege-
nerativen Erscheinungen an den Drüsenzellen, sowie im allgemeinen
die Intensität und Fähigkeit zur Fortpflanzung, resp. zur Regeneration
von verschiedenen Drüsenzellenarten in einem umgekehrten Verhält-
niss zur physiologischen Differenzirung oder zur Compliecirtheit ihrer
seeretorischen Function“. Jahresbericht von Hermann u. Schwalbe,
1887, pag. 577.
480 Dı Barfurth:
Entwickelung ganz rein wieder in die Erscheinung tritt, sondern
auch die etwas modifieirte postembryonale Entwickelung
(Wachsthum und physiologische Regeneration) eine Rolle spielen
kann. Richtiger würde der Satz desshalb nach meiner Ansicht
in folgender Fassung sein: die Art der Regenerationist
abhängig vom jeweiligen Entwickelungsstadium
des Versuchsthieres und wiederholt im allgemei-
nen die diesem Stadiumentsprechendennormalen
Entwickelungsvorgänge.
Eine freie Zell- und Kernbildung habe ich bei der Regene-
ration nicht gefunden.
Die Kerntheilungen verlaufen nach der typischen Karyo-
kinese. |
Alle Gewebsarten im Amphibienschwanz besitzen die Fähig-
keit sich zu regeneriren (Fraisse). '
Jedes Gewebe kann nur gleichartiges Gewebe wieder er-
zeugen (Fraisse).
Alle Regenerationen gehen in letzter Instanz aus von den
Kernen der präexistirenden Gewebselemente; das Protoplasma
spielt nur eine untergeordnete Rolle (Deckung eines Epitheldefects
durch Verlagerung [Klebs, Peters], Bildung von Knospen bei
der Muskelregeneration [Neumann, Nauwerck]).
Das Auftreten der Leukocyten bei der Regeneration ist eine
Begleiterscheinung; sie spielen bei der Regeneration keine Rolle?).
Bei der Rückbildung betheiligen sie sich in untergeordnetem
Maasse als „Phagocyten“, zerfallen aber bald selber. Ihre Zer-
fallsprodukte gelangen in die Lymphbahnen oder werden direct
zur Ernährung anderer Zellen verwandt.
Aus Fraisse’s und meinen Untersuchungen ergiebt sich ein
starker Beweis für die Speeifieität der Gewebe. Kölliker?)
hat ganz Recht, wenn er meint, dass die Elemente der fertigen
Gewebe das Vermögen, andere Gewebe zu bilden, eingebüsst haben.
Es ist hier der Ort, der schon erwähnten grundlegenden
1) Ribbert (Ueber Regeneration und Entzündung der Lymph-
drüsen. Ziegler’s Beiträge etc. 6.Bd.) wies nach, dass die Lymph-
zellen nicht einmal bei der Regeneration der Lymphdrüsen mitwirken;
sie geht von den Endothelien und fixen Reticulumzellen aus (pag. 206).
2) Kölliker, Die embryonalen Keimblätter und die Gewebe.
Zeitschrift für wiss. Zool., 40. Bd., pag. 179 ff. (pag. 211).
Zur Regeneration der Gewebe. 481
Versuche Roux’s!) über künstliche Erzeugung halber Embryonen
und der von ihm entdeckten Postgeneration zu gedenken, um
die Beziehung der letzteren zur Entwickelung und Regene-
ration feststellen zu können. Roux gelangte zu folgenden Er-
gebnissen:
Jede der beiden ersten Furchungskugeln vermag sich unab-
hängig von der andern zu entwickeln und bildet ihre entsprechende
(rechte oder linke) Körperhälfte (p. 25ff).
Nach Zerstörung einer der beiden ersten Furchungszellen
vermag die andere sich auf dem normalen Wege zu einem im
Wesentlichen normalen halben Embryo zu entwickeln (Semi-
morula, Semiblastula, Semigastrula, Hemiembryo, p. 85, p. 13 ff.).
Die durch die Operation ihrer Entwickelungsfähigkeit be-
raubte Furehungszelle kann allmählich wieder belebt werden.
Dies geschieht zum Theil dadurch, dass das noch vorhandene
Dottermaterial mit Kernen, die von dem Furchungskern der
operirten Zelle stammen, wieder belebt und direct ver-
wendet wird; zum andern Theil aber dadurch, dass eine
grössere Anzahl von Zellkernen (nebst Protoplasma?
[Roux]) aus der normal entwickelten Eihälfte in die
operirte Furchungskugel übertritt (p. 85, p. 43 ft.).
Dieser Reorganisation der operirten Eihälfte schliesst sich
eine nachträglicheEntwiekelung, Postgeneration,
an, die den fehlenden Hemiembryo vollkommen herstellen kann
(p. 86). Die Postgeneration unterscheidet sich von der primären
Entwickelung wesentlich dadurch, dass sie nicht durch selbst-
ständige erste Anlage der Keimblätter vor sich geht, sondern
dass sievondenbereitsinderentwickeltenHälfte
gebildeten Keimblättern aus stattfindet (p. 86).
Sie unterscheidet sich ferner von der gewöhnlichen Rege-
neration dadurch, dass bei dieser die verletzten Gewebe sich
nur aus den Nachkommen ihrer eigenen Elemente
regeneriren, während bei der Postgeneration das Zellmaterial
nicht von den Elementen des sich postgenerirenden Blattes ab-
stammt, sondern, wie schon erwähnt, zum Theil vom Material der
operirten Eihälfte, zum Theil durch nur an zufälligen Stellen
1) Roux, a. a. OÖ. Virchow’s Archiv, 114. Bd. Ich eitire die
Seitenzahl nach dem Separatabdruck und hebe nur die wichtigsten,
für meine Zwecke speciell verwerthbaren Resultate hervor.
482 D. Barfurth:
aus der primär entwickelten Hälfte übergetretenen Kernmaterial
(PT
„Bine wichtige Uebereinstimmung zwischen
Postgeneration undRegeneration spricht sichje-
doch darin aus, dass beide nur von den schon prä-
existirenden Gewebsschichten und nur nach Her-
stellung von Unterbrechungsflächen vor sich
Sehen” Ip. A79% |
Hiernach wird man verstehen, wesshalb ich mit Roux
(p. 80) überzeugt bin, dass „die erwähnten Verschiedenheiten der
Postgeneration von der Regeneration und beider von der normalen
Entwickelung nicht in dem Sinne aufzufassen sind, dass bei der
Post- und Regeneration wesentlich neue, bei der normalen Ent-
wickelung nicht vorkommende Bildungsvorgänge stattfinden“; son-
dern wir dürfen „vermuthen, dass die Nachbildung und die
Wiederbildung in der Art ihrer Vorgänge bloss
unter minimalen, durch den Chafacter des Ersatzes fehlen-
der Theile von der Abgrenzungsfläche des Defectes aus beding-
ten, AbweichungenvondernormalenEntwickelung
sich vollziehen, während im Uebrigen die Grundvorgänge
dieselben seien.“ |
Was nun speciell’ die Regeneration der Gewebe nach
traumatischen Eingriffen anbetrifft, so möchte ich noch auf Vor-
gänge hinweisen, die den Regenerationserscheinungen nieht nur
durchaus verwandt, sondern nach meiner Meinung in gewissem
Sinne sogar gleichartig sind; ich meine die Vorgänge beim
postembryonalen Wachsthum und der „physiologischen“
Regeneration. |
Ich bin mit vielen, vielleicht gar allen Histologen, der Mei-
nung, dass die Gewebselemente nicht so lange leben, wie das
Individuum, welches sie zusammensetzen, sondern dass sich Wer-
den und Vergehen bei ihnen in einem zeitlich begrenzteren Cyclus
abspielen. Obgleich unsere Kenntnisse in diesem Punkte noch sehr
lückenhaft sind, wissen wir doch von manchen Geweben (Epi-
dermis, quergestreifte Muskulatur, Capillaren, periphere Nerven,
Drüsenzellen) schon mit Sicherheit, dass in ihnen fortwährend
Untergang und Neubildung stattfindet. Man pflegt diese Neubil-
dung als physiologische von der nach Verletzungen erfol-
genden pathologischen zu unterscheiden. Vergleicht man aber
Zur Regeneration der Gewebe. 483
die Vorgänge genauer, so wird man mit mir zu der Ueberzeugung
kommen, dass prineipielle Unterschiede nicht vorliegen, son-
dern dass die „pathologische“ Regeneration nur
eine gesteigerte „physiologische“ ist. Die Unter-
schiede sind bedingt durch die Herstellung einer „Unterbrechungs-
fläche“ (Roux) und den hierdurch erzeugten „Wundreiz“. Diese
_ beiden Umstände zwingen die Gewebe zur höchsten Entfaltung
ihrer regenerativen Potenz, und desshalb verlaufen Rückbildung
und Neubildung schneller und in grösserem Umfange als bei der
physiologischen Regeneration. Von diesem Gesichtspunkte aus
wird die öfter hervorgehobene Thatsache verständlich, dass M o-
dus undProduetderRegenerationvon den jeweili-
gen Entwickelungsstadien abhängig sind. So re-
generirt z. Be die Chorda das specifische hyaline
Chordagewebe nur solange, als sieauchnormaler
(physiologischer) Weise diese Elemente zu bilden
im Standeist; späterbedingtdasfortgeschrittene
Entwickelungsstadium die Regeneration des
Chordastabes. Ganz entsprechende Verhältnisse finden wir
in Bezug auf Knorpelstab und Skelet, sowie bei der Regeneration
der quergestreiften Muskulatur. Nauwerck!) hatte desshalb
ganz Recht, wenn er auf Grund seiner Befunde an- erwachsenen
Säugethieren die Muskelregeneration nicht ohne’Weiteres mit der
primären, sondern mit der postembryonalen Ent-
wiekelung (Wachsthum, Felix) parallelisirtte.e. Nimmt man
dazu meine Resultate über die Muskelregeneration bei ganz jun-
gen Amphibienlarven, die nach Analogie der primären Ent-
wickelung verläuft, so finden wir den oben festgestellten Satz
bestätigt, dass Modus und Product der Regeneration von dem
gerade vorliegenden Entwickelungsstadium abhängig sind.
Ich stelle jetzt die wesentlichsten Ergebnisse meiner Unter-
suchung zusammen.
1) Alle Gewebsarten der Amphibienlarven be-
sitzen‘ die BrAsaa ieh: zur vegemerimen
(Fraisse).
2) JedesGewebe kann nur gleichartigesGewebe
wieder erzeugen (Fraisse).
1) Nauwerck, a. a. O. pag. 53.
484
3)
6)
N
8)
9)
10)
D. Barfurth:
Alle Regenerationen gehen aus von den prä-
existirenden Elementen (Fraisse); die Kerne
spielen dabei die Hauptrolle.
Die regenerativen Kerntheilungen verlaufen
nach der typischen Karyokinese.
Die Leukocyten spielen bei den Regenera-
tionen selber keine Rolle.
Die „pathologische“ Gewebsregeneration ist
eine gesteigerte und durch Herstellung einer
Unterbreehungsfläche(koux)modificirte „phy-
siologische* Regeneration.
Die Art der Regeneration ist abhängig vom
jeweiligen Entwickelungsstadium und wie-
derholt im allgemeinen die diesem Stadium
entsprechenden normalen Entwiekelungsvor.
gänge. A
DieGrundvorgängebeider „Postgeneration“,
derRegeneration unddernormalenEntwicke-
lung (Wachsthum) sind dieselben (Roux).
Die einfachen Gewebe werden schneller re-
senerirt' als die.höher, differ enzirten. dieE
isteineAnalogie zu der Thatsache, dassauch
bei der ersten Entwickelung die primitiven
Gewebe (Epithelien) früher ausgebildet sind,
als die complicirten (quergestreifte Musku-
latur).
Dem entsprechend wird bei der zeitlichen
Aufeinanderfolge der Regeneration der Ge-
webe die primäre Entwickelung im allgemei-
nen wiederholt. DieGewebe regenerirensich
in dieser Reihenfolge: |
a) Epidermis.DerersteEpithelbelagderWund-
fläche wird von den restirenden Epithel-
zellen der Wundränder durch einfache Ver-
schiebung (Klebs, A. Peters) geliefert. Spä&
ter erst beginnt die eigentliche Regene-
ration durch mitotische Theilung der prä-
existirenden Epithelzellen an der Schnitt-
grenze.
BET 7
X
ri
v; ram
y
4
Zur Regeneration der Gewebe. 485
'b) Rückenmark. Der angeschnittene Central-
kanal wird provisorisch durch amöboide
Fortsätze der präexistirenden Medullar-
rohr-Epithelien verschlossen. Nach etwa
rasen verfolgt. dieseigentliche Regene-
ration auf mitotischem Wege von den Epi-
thelien der Schnittgrenze aus. Der Druck
des Liquor cerebrospinalis baucht die zu-
erst wenig widerstandsfähige Wand kolben-
artig nach Analogie eines Sinus caudalis
(W. Krause) vor.
ec) Chorda und Knorpelstab.
#:
2.
Die Chorda regenerirt sich nicht nur bei
anuren, sondern auch bei urodelen Amphibien.
Die Regeneration geht aus von den zu-
rückgebliebenen Chorda-Epithelzellen
(Fraisse).
DieUmwandlungderneugebildetenChorda-
zellen in grosse hyaline Zellen („Fächer
desGallertkörpers“, Götte) geschieht nur
beisehrjungenThieren(Siredon)undauch
hier nur in den ersten Stadien der Rege-
neration. Später wandeln sie sich zum
„Chordastab“ um.
EtwasältereLarven vonSiredon und von
Tritonscehondiejüngsten Stadien (Fraisse)
regenerirendenChordastab(Knorpelstab,
Fraisse, knorpeliger Endstab, Flesch),
der nach meiner Auffassung dem echten
Chordagewebe isogenetisch ist.
NochältereLarven, bei denen das skeleto-
gene Gewebe um die Chorda schon überall
entwickeltist, regeneriren aus skeleto-
genem undChordagewebe(Chordaepithel)
den Knorpelstab (H. Müller, Fraisse).
Es ergiebt sich also für dieRegeneration
der Chorda und desSkelets (Knorpelstab)
das einfache Gesetz, dass die Art der Re
generation durchaus abbängigistvomje
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 37 32
486
D. Barfurth:
weiligenEntwicekelungsstadium des Stütz-
apparates (Chorda und skeletogenes Ge-
webe).
d) Bindegewebe, Cutis, und Capillaren. Die
e)
Elemente des Bindegewebes und der Cutis
regeneriren sich vom entsprechendenresti-
renden Gewebe auf dem Wege der mito-
tischen Kerntheilung. Die Capillaren ent-
stehen durch Sprossenbildung von den prä-
existirendenEndothelienundnachfolgende
Canalisirung (Arnold, Ziegler, Rouget,
Mayer, Bobritzki, Fraisse, Kölliker ete.).
QuergestreifteMuskulatur. DerModusihrer
Regeneration ist abhängig vom Entwicke-
lungsstadium des Versuchsthieres. Die Be-
ziehung zwischen Regeneration und Ent-
wieklung ergibt sich ausfolgenden Sätzen:
1. Primäre Entwickelung der Muskelfasern
aus einzelnen Zellen der Ursegmente die
den Sarcoblasten (Klebs) gleichwerthig
sind. Ihr entspricht der/erstezund ein-
fachsteModus der Regeneration bei ganz
jungenLarven: nach mitotischer Vermeh-
rung der Muskelkörperchen treten ein-
zelne (Sarcoblasten) unter knospenähn-
lichen Bildungen aus dem Verbande der
Muskelfaser heraus, rücken vor und bil-
den junge Muskelfasern.
2. Postembryonale Entwickelung der Mus-
kelfasernausSarcoblasten, durchLängs-
theilung aller Muskelfasern, sowiedurch
Längen- und Diekenwachsthum der ein-
zelnen Fasern (Felix). Diesem VUeber-
gangsstadium entspricht die Regenera-
tion bei älteren Larven (Amphibien) und
bei erwachsenen Thieren (Säuger, Nau-
werek): Die Neubildung geschieht durch
Spaltungsprodukte und Knospen präexi-
stirender Muskelfasern (Neumann, Nau-
BETTER ED dh
ee,
u var
Se
Zur Regeneration der Gewebe. 487
werck), ausserdem aber dureh Sarco-
blasten, die sich bei diesen Vorgängen
frei machen.
3. Postembryonale Neubildung von Muskel-
fasern nur durch Längstheilung vorhan-
dener Fasern (Felix). Ihr entsprechen die
beider Regeneration älterer Larven und
erwachsenerThierevorkommenden,„Spal-
tungen und Abfurcehungen“ (Nauwerck),
die wiein dem vorher besprochenen Sta-
dium, zur Neubildung von Muskelfasern
Veranlassung geben. Dieses Stadium
unterscheidet sich also von dem vorigen
wesentlich dadurch, dass weder bei der
physiologischen Neubildung (Felix), noch
bei der Regeneration (Nauwerck) eine
Bildung von Muskelfasern aus Muskel-
zellen (Sarcoblasten) vorkommt.
ti) Peripheres Nervensystem. Angeschnittene
Ganglien und Nerven regeneriren sich auf
mitotischem Wege aus den restirenden Ele-
menten; die Axencylinder regeneriren sich
durch centrifugales Auswachsen der cen-
tralen Stümpfe nach Analogie der primä-
ren Bildung (His).
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXI-XXIV.
Die in Fig. 1—12 dargestellten Froschlarven sind in natürlicher
Grösse photographirt und dann nach der Photographie lithographirt
worden. Sie veranschaulichen die Wirkung der Schwimmfunction auf
die Streckung des schief regenerirten Schwanzendes.
Fig. 1—3. Rana esculenta, Nichtschwimmer.
Fig. 4—6. Rana esculenta, Schwimmer.
Fig. 7, 9, 11. Rana fusca, Nichtschwimmer.
Fig. 8, 10, 12. Rana fusca, Schwimmer.
Fig. 13. Triton taeniatus. Der Schwanz ist in der Zeichnung zur
Seite gedreht, um das schief regenerirte Schwanzende zu zeigen.
ab Schnittrichtung.
Fig.
ig. 14.
„.lD,
IB,
IT
Ro)
: 19;
ig. 20.
D. Barfurth:
. 14—16 veranschaulichen an Froschlarvenschwänzen bei Loupen-
vergrösserung, wie die Regeneration bei verschiedener Schnitt-
richtung erfolgt. Es bedeutet immer ab die Schnittrichtung,
od die Axe des alten, oc die Axe des regenerirten Schwanz-
stückes; / aoc mag kurz als Regenerationswinkel, / cod
als Streckungswinkel bezeichnet werden.
»
Gerade regenerirtes Schwanzende einer Larve von Rana fusca.
Der Regenerationswinkel aoc beträgt 90% der Streckungs-
winkel cod 180°. H
Schief unten regenerirtes Schwanzende einer Larve von Rana
fusca. Regenerationswinkel = R, der Streckungswinkel ist
ein stumpfer Winkel.
Schief oben regenerirtes Schwanzende einer Larve von Rana
fusca. BRegenerationswinkel = R, Streckungswinkel stumpf.
. 17—19. Querschnitte durch den regenerirten Schwanz von Triton
eristatus (Larve). Sechster Tag der Regeneration; Temperatur
17°C.; Länge des Regenerationsstückes 4,5 mm. Vom Schwanz-
ende an findet man am weitesten vorgeschritten das Rücken-
mark (36. Schnitt), dann den Knorpelstab (50. Schnitt),
dann erst Wirbelbogen und Musculatur (81. Schnitt).
Da man im normalen Schwanzende das Rückenmark im
zehnten Schnitt, „Knorpelstab“ und Wirbelbogen schon im
sechsten Schnitt findet, so ergiebt sich, dass bei der Regene-
ration das Rückenmark einen bedeutenden Vorsprung hat;
später erst wachsen die andern Organe schneller und schliess-
lich über das Rückenmark>hinaus. Flemming’sche Mischung.
Winkel, Oc. 2, Obj. 4.
81. Schnitt des oben beschriebenen Präparats, 1,22mm vom
Schwanzende. dc Drüsen der Cutis, de Drüsen der Epidermis,
m Muskeln, r Rückenmark, K Knorpelstab, g Gefässe, wb
Wirbelbogen (oberer Bogen, Neuralbogen), n Nervenbündel.
50. Schnitt desselben Präparats, 0,75 mm vom Schwanzende.
de Drüsen der Epidermis, r Rückenmark, K Knorpelstab.
36. Schnitt desselben Präparats, 054mm vom Schwanzende.
de Drüsen der Epidermis, r Rückenmark.
Regenerirtes Rückenmark von Rana esculenta. Dritter Tag
der Regeneration; 15,50 C.; Länge des Regenerationsstücks
0,2mm. Das Medullarrohr ist noch nicht ganz geschlossen,
die amöboiden Zellen az suchen Fühlung mit den benach-
barten Zellen, um die Verbindung herzustellen und den Ab-
schluss des Rohres zu vollenden. Der Druck des Liquor cere-
brospinalis verursacht die Ausbauchung des untern Theils des
Rohres. kz Körnchenzelle (mit glänzenden Körnern gefüllte
Wanderzelle).. — Flemming, Hämatoxylin. Winkel, Oec. 2,
Obj. 8.
£
Zur Regeneration der Gewebe. 489
Fig. 21. Regenerirtes Rückenmark einer Larve von Triton cristatus.
Fig. 22.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Sechster Tag der Regeneration. Temperatur 17%. Länge des
Regenerationsstückes 3,2mm. s Schnittlänge, an welcher sich
die meisten Mitosen finden. lc Leukocyten im caudalen er-
weiterten Theil des Centralcanals und aussen an den Zellen
desselben. f Fetttröpfchen, durch fettig degenerirte Leuko-
eyten entstanden. — Flemming, Winkel, Oc. 2, Obj. 8.
Medianschnitt durch den regenerirten Schwanz einer Larve
von R. esculenta; drei Tage regenerirt; 17° C.; Regenera-
tionsstück 0,2mm lang. ch Chorda dorsalis. Sie ist nach
dem Schnitt durch ihre Elastieität etwas zurückgeschnurrt und
ihre Scheide (s) bildet deshalb ringsherum einen gekräuselten
Wulst. Die Epidermis (e) hat den ganzen Stumpf schon über-
zogen und bildet in der Nähe der Chorda zur Ausgleichung
des Defects einen ringförmigen Wulst. ce Chordaepithel,
n Nervenfasern, & Gefäss, m, m’ alte Muskeln, r Rücken-
mark. Das Medullarrohr ist schon ganz geschlossen, die cau-
dale Erweiterung sehr auffallend. — Flemming, Hämato-
xylin. Winkel, Oc. 2, Obj. 4.
. 23a. Normales Chordaende einer 0,8cm langen Larve von Triton
taeniatus. Flemming’s Mischung, Borax-Carmin. Median-
schnitt. Leitz 4, Oc. 1. chz letzte hyaline Chordazelle vor
dem Chordastab, chz’ helle (hyaline?) Zelle im Chordastab,
che Chordaepithel, ich innere Chordascheide, zm Zelle mit
deutlicher Membran, „dichte Grenzschicht* (Strasser), zp
protoplasmatische Zellen ohne deutliche Zellgrenzen.
23b. Regenerirtes Chordaende von Triton, taeniatus, Larve,
24.
25.
26.
0,8cm lang, Vorderglieder vorhanden, 6 Tage bei 20° C. re-
generirt. Flemming’s Mischung, Eosin-Hämatoxylin. g Schnitt-
grenze, sonst alles wie in 23a.
Junge Muskelzellen (Sarcoblasten): a ohne Fibrillen, b mit
einer Fibrille, e mit zwei Fibrillen und beginnender Quer-
streiffung. Bei b ist der Kern bei der Karyokinese fast
ganz aus dem Protoplasma herausgetreten. Aus einem Fron-
talschnitt durch den regenerirten Schwanz einer Larve von
Rana esculenta, 8 Tage regenerirt bei 16° C.; Länge des Re-
generationsstückes 3,5 mm. Flemming, Hämatoxylin. Winkel,
Oc. 4, Obj. 10.
Aus demselben Präparat. Gruppe von Ganglienzellen (g) mit
einem Nervenbündel. mn Mitose einer Nervenzelle (in der
Nervenfaser), mg Mitose einer Ganglienzelle (das Protoplasma
ist weggeschnitten), m b Mitose einer Bindegewebszelle, n Ner-
venbündel markhaltiger Nerven, p Pigmentzellen. Winkel,
Oc. 2, Obj. 10.
Caudales Ende eines Frontalschnitts der Schwanzspitze von
Siredon pisciformis, Larve, 4,0cm lang, 1!/, Stunde bei 189 C.
regenerirt. Sublimat, Borax-Carmin. Mit der Camera lucida
490
D. Barfurth:
nach Leitz, Obj. 7, Oeular 1 gezeichnet. p Pigmentzellen,
f Fasern des Bindegewebes, m Muskelrest, b rothe Blutkörper-
chen, Zb Zellbrücken, L.Z. Leydig’sche Schleimzellen, v Va-
cuolen, e—e’ Epithelbelag der Wunde, aus vorgeschobenen
persistirenden Epidermiszellen bestehend, ee’ Grenze der durch-
schnittenen Cutislamelle, ke scheinbar kernlose Zellen, deren
Kerne aber durch Anwendung von !/ Immersion sichtbar
wurden, sp Spalt zwischen dem Wundbelag und der etwas
retrahirten bindegewebigen Grundsubstanz.
Fig. 27—29. Drei Stadien der Muskelregeneration bei Larven vom
Fig. 27.
Fig. 28.
Fig. 30.
Axolotl; die Pfeile geben die Richtung der Regeneration an.
Siredon piseif.; Schwanzspitze im Ei amputirt, 7 Tage bei 18°
regenerirt. Chromessigsäure, Borax-Carmin. Schnittdiecke der
Serie (frontal) 7,5 u. g Schnittgrenze, die regenerirte Partie
liegt in der Figur nach oben. pm äusserste präexistirende
Muskelfaser, k seitlich heraustretender Muskelkern entsprechend
einer Neumann’schen Lateralknospe, k’ peripher heraus-
tretender Kern (Terminalknospe), von dem sich der in Mitose
begriffene Kern s als Sarcoblast abgetrennt hat; p schwach
granulirtes Protoplasma an der Muskelfaser. Gezeichnet mit
der Camera lucida bei Leitz Obj. 7, Oe. 1.
Siredon piscif.; Schwanzspitze nach dem Ausschlüpfen am-
putirt, 10 Tage bei 18% regenerirt. Chromessigsäure, Häma-
toxylin. Serie von Sagittalschnitten, 7,5« dick. p Pigment,
e Epidermis, oben etwas flach getroffen; pm präexistirende
Muskelfasern mit Kernreihen. Letztere setzen sich fort in eine
langgezogene Reihe junger Muskelzellen: s Sarcoblasten,
'g Gefäss, pch präexistirende Chorda; ch Chordastab. Ge-
zeichnet mit der Camera lucida, Leitz Obj. 4, Oe.5.
. Siredon piscif.; Schwanzspitze nach dem Ausschlüpfen am-
putirt, 14 Tage bei 180 regenerirt. Chromessigsäure, Häma-
toxylin. Serie von Frontalschnitten, 7,5 u dick. e Epidermis,
ich innere Chordascheide mit Chordaepithelzelle; pm prä-
existirende Muskelfaser, pch präexistirende Chorda; rch re-
ssenerirte Chordazellen; oberhalb derselben sind die Scheide-
wände der Zellen herausgefallen. ch Chordastab, s Reihe von
Sarcoblasten, in der sich segmentweise aus den Sarcoblasten
die jungen Muskelfasern m, m’ ausbilden. Bei m ist die Fi-
brillenbildung deutlich, bei m’ äusserst zart. Gezeichnet mit
der Camera lucida bei Leitz Obj.4, Oc.5. Die Fibrillen in
m und m’ wurden mit 1/) Immersion, Oc. 4 eingezeichnet.
Regenerirtes Chordaende von Siredon pisciformis, im Ei am-
putirt, 7 Tage bei 180 C. regenerirt. Chromessigsäure, Borax-
Carmin, Serie 7,5u dick. Mit Camera lucida, Leitz Obj. 7,
Oc. 1 gezeichnet. che Chordaepithelzelle, p ch persistirende
Chordazelle, & Schnittgrenze, rch regenerirte Chordazellen,
k Dotterkörner und -schollen, h hyaline Massen in den rege-
Pr
Irchiv Fmikroskon. Anatomie. Bd. XXXVI.
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- Taf. AXIV.
Archiv mikroskop. Anatomue. Ba.XAXVI.
: Br
Zur Regeneration der Gewebe. 491
nerirten Chordazellen, is innere Chordascheide, bz Binde-
gewebszelle, chz äusserste Chordazelle.
j Fig. 31. Aus einem Sagittalschnitt durch den regenerirten Schwanz
\ einer Larve von Rana esculenta, 7 Tage regenerirt bei 17%
Regenerationsstück 4,0 mm lang. Marklose Nervenfaser in
Regeneration; m Mitose. Flemming’s Mischung, Hämato-
xylin. Winkel, Oc. 2, Obj. 10.
Nachtrag.
Als der Druck dieser Arbeit fast vollendet war, erschien die
Untersuchung von Flemming: Ueber Theilung und Kernformen
bei Leukocyten. Dieses Archiv, 37. Bd., 2. Heft. Die von ihm
erwähnte Dissertation von Robert — Ueber Wiederbildung quer-
gestreifter Muskelfasern. Kiel, 1890 —, die mir nicht bekannt
war, habe ich mir noch verschafft und aus derselben ersehen,
dass wir beide in dem Satze übereinstimmen: „Die mitotische
Theilungsform der Kerne ist es allein, welche zur Wiederbildung
von Muskelfasern zu führen vermag“ (p. 39). Ebenso wird man
den von Flemming ausgesprochenen Gedanken, dass die Mitose
wenigstens bei den Wirbelthieren die normale generative Kern-
theilungsform sein dürfte, in meinen Ausführungen öfter wieder-
finden. — Die Arbeit von Ribbert über die Regeneration der
Mamilla (dieses Archiv, 37. Bd., 1. Heft) konnte ich bei meiner
Darstellung der Epithelregeneration nicht mehr berücksichtigen,
weil die Correetur der betreffenden Bogen schon abgesandt war.
Bei Ribbert’s Objeet erfolgt die Regeneration unter einem der
Wundfläche fest anhaftendem Schorf, der hier die erste Bedeckung
des Defects bildet. Nach 24 Stunden springt das Epithel erst
mit einem kurzen Fortsatz unter dem Schorf vor; einzelne Mitosen
treten schon nach 17 Stunden, mehr nach 24 Stunden am Wund-
rande auf. Von Interesse ist das Verhalten der Epidermis zu
dem Epithel der Ausführungsgänge (p. 150 ff.) und die Analogie
des Höhenwachsthums der Mamilla bei der Regeneration und der
Entwickelung (p. 154 ff.).
|
492 M. Wolters:
(Aus dem anatomischen Institut zu Bonn.)
Zur Kenntniss der Grundsubstanz und der
Saftbahnen des Knorpels.
Von
Dr. M. Wolters in Bonn.
Hierzu Tafel XXV.
In der Zeitschrift für wissenschaftliche Mikroskopie (Bd. VI,
pag. 508) hat Herr Prof. Schiefferdecker ein Referat ge-
geben über die Mörner’sche Arbeit „Chemische Studien über
den Trachealknorpel‘“ (Skandinavisches Archiv für Physiologie
Bd.I, 1889, pag. 216). Die in dieser Veröffentlichung beschrie-
benen Versuche, soweit sie mikroskopisch sichtbare Reaktionen
und Färbemethoden anlangten, habe ich im letzten Sommer nach-
zuuntersuchen Veranlassung genommen.
Die Anregung dazu gab Herr Prof. Schiefferdecker,
der neben der Prüfung der. Mörner’schen Methoden auch einen
Vergleich mit den durch Hämatoxylin und Pikrinsäure hervor-
gerufenen Bildern dabei im Auge hatte.
Es wird daher im Folgenden zuerst über die bei Anwen-
dung der ersten Methode gewonnenen Resultate zu berichten
sein, um dieselben alsdann mit den durch Hämatoxylin erhal-
tenen Bildern zu vergleichen. |
Die Untersuchungen wurden, soweit dies möglich war, an
frischem, nicht gehärtetem Knorpel angestellt. Bei den vom
Menschen stammenden Objekten muss dabei zwei- bis dreimal
24 Stunden post mortem noch als frisch gerechnet werden. Denn
früher als nach der angegebenen Zeit gelangten die Untersuchungs-
objekte meist nicht zur Verarbeitung. Zuweilen konnte aber
nicht alles Material durchuntersucht werden und wurde daher
theilweise in 96 °/, Alkohol konservirt. Die an diesen konser-
virten, gehärteten Objekten gewonnenen Resultate waren ebenso
günstig wie die an nicht gehärteten. Mörner erwähnt darüber
nichts in seiner Abhandlung, darum sei hier darauf hingewiesen.
Zur Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knorpels. 493
Was die angegebene Concentration der Farblösungen an-
langt, so stellte sich bald heraus, dass die 2—3°/, Tropäolin-
lösung zu stark ist. Der Farbstoff wird in einer so geringen
_ Menge Wassers nicht mehr gelöst. Es entsteht keine Lösung,
sondern ein Brei, der mit gleichen Theilen Wasser verdünnt wer-
den musste. Ebenso ist die Lösung des indigoschwefelsauren
Natrons zu 4—-5°/, zu stark. Nur ein Theil löst sich, der Rest
bleibt als Bodensatz zurück. Indigoschwefelsaures Kali war von
Gehe u. Comp. nicht zu beziehen, da die Firma solches nicht
liefert. Gleichwohl führt Mörner, unter Beziehung auf obige
Firma, das Kali als von ihm benutzt an.
Die mit indigoschwefelsaurem Natron angestellten Versuche
schlugen alle fehl. Die Färbung war sehr blass und dabei diffus.
Eine Differenzirung, wie Mörner sie angiebt, wurde niemals er-
reicht. Die Methode mit Eisenchlorid und gelbem Blutlaugen-
salz ergab ebenfalls Resultate, die in keiner Weise befriedigten.
Es fehlt bei Angabe dieser Methode jede Mittheilung über Con-
centration der anzuwendenden Flüssigkeiten, sowie über die
Dauer der Einwirkung.
Für die Färbung des Balkennetzes wurde Tropäolin, für
die der Chondrinballen ausschliesslich Methylviolett angewendet,
beides immer mit gleich vorzüglichem Erfolge. Beide Methoden
wurden dann im weiteren nach Mörner’s Angäbe combinirt und
gaben so allerdings die eklatantesten Resultate. Das Verfahren,
welches ich anwandte, war folgendes.
Die möglichst dünnen Knorpelschnitte werden auf !/, Stunde
in 1°/, wässerige Lösung von Tropäolin 000 Nr. 2 von Schu-
chard gebracht, in Wasser ausgewaschen, ungefähr 3 Minuten
darnach dann auf 1—2 Minuten in eine 0,15°/, wässerige Me-
thylviolettlösung gebracht, in Wasser abgespült und einige Minuten
in 10°, Essigsäure entfärbt; in Alcohol abs. entwässert tritt
erst die deutlichste Differenzirung ein. Dann folgt Aufhellen in
Oel und Lack.
Die ersten Versuche mit der Mörner’schen Färbung wurden
an dem Thyreoid-, Cricoid- und Arytaenoid-Knorpel, sowie der
Epiglottis des erwachsenen Rindes gemacht, alsdann auch die
Rippenknorpel herangezogen. In allen Fällen wurden dieselben
farbenprächtigen Bilder erhalten, wie Mörner sie in seiner Publi-
kation abbildet. Die Gelenkknorpel gaben die Reaktion nicht.
494 M. Wolters:
In zweiter Linie wurden dann die gleichen Knorpel des
Kalbes zum Versuche verwendet, zuerst die des Kehlkopfes,
späterhin auch die anderen. Alle diese Knorpel sollen, da nach
Mörner erst bei erwachsenen Thieren die Trennung der Chondrin-
und Albumoidsubstanz stattfindet, keine Farbenreaktion aufweisen.
Diese Behauptung wurde durchgehends bestätigt. Allein
es fand sich eine Ausnahme.
Der Arytaenoidknorpel gab in der frappantesten Weise die
Farbenreaktion. Die Epiglottis wiederum zeigte nichts davon.
Da in dem Aryknorpel, ebenso wie in der Epiglottis, früher als
in allen andern Knorpeln elastische Elemente auftreten, so wäre
vielleicht daran als Grund für die Differenzirung der Substanzen
zu denken gewesen. Doch die Befunde an Epiglottis und Ohr-
knorpel, die negativ waren, liessen diese Auffassung als nicht
richtig erkennen. Alle anderen Knorpel ergaben, um dies noch-
mals hervorzuheben, keine Resultate.
Thyreoid-, Crieoid-, Arytaenoid-Knorpel, Epiglottis, ebenso
wie Gelenk- und Rippenknorpel eines fast ausgetragenen Rinder-
foetus lieferten auch nur negative Befunde.
Im Anschlusse an diese Untersuchungen wurden auch die
Knorpel des Menschen nach denselben Methoden behandelt. Hier
wäre es von dem grössten Interesse gewesen, das erste Auftreten
der Differenzirung zu konstatiren, um eine ungefähre Alters-
grenze festzustellen. Doch fehlte mir leider ausreichendes Ma-
terial von jüngeren Individuen.
Zur Verfügung standen mir Stücke der Gelenk-, Rippen-
und Kehlkopf-Knorpel eines Mannes von 50 Jahren und zweier
Männer von etwa 25 Jahren; Stücke der Kehlkopf- und Tra-
cheal-Knorpel zweier Männer von 25 Jahren; kleine Stücke des
Tracheal-, Thyreoid- und Crieoidknorpels eines 13-jährigen Mäd-
chens; sämmtliche Knorpel eines 6-tägigen Knaben.
Die Versuche an den genannten Kehlkopfknorpeln sowie
an den Gelenk- und Rippenknorpeln der Erwachsenen führten
alle zu den gleichen Resultaten, wie die mit den Knorpeln des
erwachsenen Rindes angestellten. Ueberall, mit Ausnahme der
Gelenkknorpel, erschienen die Chondrinballen prachtvoll blau ge-
färbt auf gelbem Grunde. Die Asbest-Zerfaserung fand sich
auch bei den jugendlichen Individuen in den zwanziger Jahren
bereits vor. Es stimmt dies überein mit der Ansicht von Chie-
Zur Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knorpels. 495
_ vitz, dessen Untersuchungen nachwiesen, dass diese Zerfaserung
normaler Weise bereits im zwanzigsten Jahre eintritt. Auch bei
den drei mir zur Verfügung stehenden Knorpeln von dem
13-jährigen Mädehen — dem Thyreoid-, Cricoid- und Tracheal-
‚knorpel — trat eine Farbendifferenz deutlich zu Tage. Aller-
dings war dies nicht überall der Fall, sondern meist in klei-
neren, central im Knorpel gelegenen Partien. Der Arytaenoid-
" knorpel dieses Individuums stand mir nicht zur Verfügung.
Bei den Knorpeln des 6-tägigen Knaben führten alle Ver-
suche zu negativen Resultaten. Auch die Aryknorpel zeigten
keine Differenzirung. Ebenso liess die zwischen Epiphysen-
-Diaphyse liegende Knorpelplatte desselben Individuums keine
Farbenreaktion erkennen. Dagegen wiesen Schnitte aus dem
- Epiphysenknorpel eines 10—12 Tage alten Kaninchens, das in den
_ übrigen Knorpeln keine Differenzirung zeigte, deutliche Färbung
_ der Chondrinballen auf. Die Epiphyse zeigte noch keinen
Knochenkern, und in der Gegend, wo dieser sich später ent-
— wiekelte, war eine deutliche Differenzirung zu erkennen. Es
ist dies der einzige Fall, wo bei einem so jungen Individuum an
dieser Stelle schon eine Differenz der Knorpelsubstanz konstatirt
_ wurde, ein Fall, der zu bedenken giebt, ob als Uebergang zu
_ der Bildung der Knochenkerne nicht schon eine Trennung der
“Knorpelsubstanz statthabe. An der Ossificationsstelle selbst zeigte
sich die ganze Substanz gelblich gefärbt, ohne eine Spur von
- Abgrenzung der Chondrinballen. Die Mörner’sche Färbung er-
giebt also auch beim erwachsenen Menschen bis zu 13 Jahren
-_ und vielleicht noch weiter abwärts. ausser einer Gelbfärbung des
- Periehondriums eine Differenzirung der Grundsubstanz in Chon-
_ drinballen und Balkenwerk. Foetale und junge Knorpel zeigen
von dieser Differenzirung keine Spur mit Ausnahme der erwähnten
- Epiphyse bei dem jungen Kaninchen.
Zum Vergleiche wurden Knorpel vom Rinde und vom Men-
schen, und zwar die erwähnten Kehlkopfknorpel, Rippen- und
Gelenkknorpel, mit Hämatoxylin gefärbt. Zu diesem Zwecke
wurde die Delafield’sche Hämatoxylinlösung mit Aqua dest.
soweit verdünnt, dass sie noch leicht veilchenblau war. In diese
Lösung kamen die möglichst dünnen Schnitte auf 24 Stunden,
nach Bedürfniss auch länger. Alsdann wurden die blau gewor-
denen Schnitte auf 10 Minuten in eine eoncentrirte Lösung von
wi EZ 2
496 M. Wolters:
Pikrinsäure in Alkohol gebracht, in Oel aufgehellt und in Lack
eingeschlossen. Längere Einwirkung der Pikrinsäure bis zu‘
24 Stunden hatte absolut keinen andern Erfolg, als die kurze
Einwirkung. Bei den auf diese Weise hergestellten Präparaten
von frischem Knorpel vom Rinde zeigte sich, dass Streifen und
unregelmässig geformte Partien zwischen den Knorpelzellen durch
das Hämatoxylin gefärbt worden waren, während die Zellen in
gelbgefärbter Grundsubstanz lagen. Gleiche Resultate ergaben
die verschiedenen menschlichen Knorpel, die auf diese Art ge-
färbt waren. An den Knorpeln der älteren Individuen, in denen
sich um die Zellen schon Kalkablagerungen zeigten, wurden be-
sonders an den im Knorpel central gelegenen Stellen Färbungen
der direkten Umgebung der Knorpelzellen beobachtet, welche
entfernt an die durch die Mörner’sche Methode erhaltenen
Bilder erinnerten. Stellenweise umgab die Zelle ein intensiver
gefärbter Ring, stellenweise war nur ein stark gefärbtes Oval
zu erblicken, woraus zu schliessen ist, dass diese Färbung allein
die Kapsel oder einen Theil derselben betraf. An den peri-
pheren Partien fehlten derartige Bilder ganz. Doch waren diese
Färbungen weder konstant noch so scharf abgegrenzt, dass
man sie als chondrinballenförmig hätte bezeichnen können. Die
Knorpel des sechs Tage alten Knaben ergaben ebenfalls eine
Hämatoxylinfärbung, die in Flecken und Strichen die Substanz
durchsetzte, ohne dass man daraus einen Schluss auf bestimmte
Strukturverhältnisse hätte machen können. In den Epiphysen
dieses Individuums sowohl wie des jungen zu den Versuchen be-
nutzten Kaninchens zeigte sich die bekannte distinkte Färbung
der Knorpelsubstanzreste in den schon verknöcherten Partien,
eine Färbung, welche in ähnlicher Weise zwischen die grossen
Zellsäulen hinaufstieg.
Eine Uebereinstimmung mit der Mör ner’schen Färbung
ergab somit die Tinetion mit Hämatoxylin nicht, ebensowenig
aber eine irgend sonst zu verwendende Differenz. Aehnliche
Bilder wurden von Spina, Fürbringer, Flesch, Strasser,
Renaut, Schiefferdeeker und anderen durch Hämatoxylin-
und Anilinfärbungen erhalten.
Die geringen Reste der von menschlichen Objekten stam-
menden Präparate wurden in 96°/, Alkohol conservirt und erst
nach längerer Zeit zu nochmaliger Kontrolle der oben geschil-
Zur Kenntniss der Gründsubstanz ü. der Saftbahnen d. Knorpels. 497
derten Resultate wieder herangezogen. Es fanden sich dabei
an einer Stelle wesentlich neue Strukturverhältnisse, auf die im
Folgenden ihrer Wichtigkeit wegen eingegangen werden soll.
Die von den früheren Versuchen übrig gebliebenen Stücke waren
leider nur gering und die mir noch vor Uebertritt in eine an-
dere Stellung zu Gebote stehende Zeit zu kurz, um die Re-
sultate in ihrer ganzen Bedeutung zu verfolgen. Ich muss mich
daher darauf beschränken, die am Thyreoidknorpel eines ca.
- 25jährigen Mannes gemachten neuen Beobachtungen mitzutheilen.
Es handelt sich dabei um das System der Saft-
bahnen im Hyalinknorpel.
Die zahlreichen Arbeiten über diesen Gegenstand haben,
obwohl meist die gleichen oder verwandte Methoden angewendet
wurden, nicht zu einer Uebereinstimmung geführt, oft sogar bei
fast identischen Befunden zu conträren Deutungen Veranlassung
gegeben.
Wie von Solger, Spina, Vogel und Zuckerkandl er-
_ wähnt wird, sind nach den bisher geltend gemachten Ansichten
_ vornehmlich drei Arten zu nennen, auf welche der Saftstrom
den Knorpelzellen zugeführt werde.
1) Längs der protoplasmatischen Fortsätze der Knorpel-
zellen, die unter einander verbunden sind.
2) Durch die zwischen den Fibrillen des Knorpels bestehen-
den Spalten.
3) Durch eigene Kanälchen.
4) Ausser diesen ist als vierte noch Gerlach’s Ansicht zu
erwähnen, der durch Injektion von Zinnober zwar negative Re-
sultate erhielt, aber bei Anwendung vom Indigokarmin Farbstoff
in Kapsel und Zelle fand. Aus seinen Befunden schloss er, dass
der Saftstrom keine eigenen Wege habe, sondern den Knorpel
diffus durchdringe.
Der ersten Ansicht, dass durch protoplasmatische Zellfort-
sätze der Saftstrom geleitet werde, neigen Stricker und Noris
zu. Sie schlossen, dass die Knorpelzellen, unter einander in Ver-
bindung stehend, Nahrungsmaterial zugeführt erhielten, analog
den Zellen der entzündeten Hornhaut, die bei einem mit Farb-
stoffen gefütterten Thiere zahlreiche Farbkörnchen in ihren Fort-
sätzen führten. Gestützt wurde diese Ansicht durch die verglei-
chend anatomischen Untersuchungen, welche das Vorkommen von
498 M. Wolters:
verästelten, unter einander eommunieirenden Knorpelzellen nach-
wiesen. Beobachtungen derart wurden von Queckett bei Ce-
phalopoden und Plagiostomen, Gegenbaur bei Selachiern, Boll
bei Cephalopoden, Leydig bei Haien und Rochen, Kölliker
bei Cephalopoden, Flesch, Fürbringer u.a.m. gemacht. Bei
Säugern und dem Menschen fand Waldeyer in den oberfläch-
lichen Schichten des Gelenkknorpels Zellen mit Fortsätzen, die
communieirten.
Heitzmann wies 1872 am Gelenkknorpel des Hundes
durch Anwendung von Gold- und Silberehlorid ein Protoplasma-
netz nach, das in den Hohlräumen der Grundsubstanz ver-.
läuft. Petrone beschreibt wie Heitzmann ein mit protoplas-
matischen Fortsätzen gefülltes Canalsystem im hyalinen Knorpel,
das mit der Synovial-Membran zusammenhänge. Auch Rubnoff
wies durch Osmiumsäure, neben anderen Structurverhältnissen,
bei Säugern derartige Zellen nach. Van der Stricht, der Ce-
phalopoden-, Selachier- und Amphibienknorpel neben dem von
Gelenken und Trachea des Kalbes und Menschen (Kniescheibe der
Neugeborenen) verwendet, fand bei letzteren beiden Zellen mit
Fortsätzen, die spärlich anastomosirend in Kanälchen liegen, de-
ren eigne Wandung eine Fortsetzung der Kapsel ist. Hertwig
und Colomiatti bestätigten diese Befunde an nicht hyalinem
Knorpel bei Amphibien und Säugern. Die Streifung, die beide
ausserdem im Knorpel beobachteten, ist Hertwig geneigt, als
Saftkanälchen zu deuten, während Colomiatti sie als elastische
Fasern ansieht. Aehnlich spricht sich auch Deutschmann über
diese Gebilde aus. Spina fand nach Alkoholeinwirkung bei
Froschgelenken solide Fogtsätze an den Knorpelzellen, die zumeist
von den geschrumpften Zellen ausgehen und, indem sie sich mit
den Fortsätzen anderer Zellen verbinden, die Grundsubstanz durch-
ziehen. Dieselben sind in den obersten Schichten am feinsten
und zahlreichsten und gehen von der Zelle aus wie die Speichen
eines Rades. In der Regel verzweigen sich diese Fortsätze nicht
und treten gewöhnlich von zwei conträren Punkten der Zelle ab,
doch kommt auch eine Netzbildung vor. Die Knorpelkapsel soll
auf diese Fortsätze übergehen. Zum weiteren Beweise injieirte
Spina Fröschen Carminlösung und fand, dass nach Verlauf eini-
ger Zeit sich Farbstoffkörnchen in dem durch die Zellausläufer
gebildeten Netzwerke und den Kapseln vorfanden. Er schloss
Zur Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knorpels. 499
-_ aus alle dem, dass der Saftstrom im Knorpel durch dies protoplas-
matische Netz gehe. In seiner neuesten Knorpelarbeit (1886), zu
der er Arytaenoid-Knorpel des Pferdes nach Alkoholhärtung ver-
f wendet, beschreibt er ein Netzwerk, das von dem weissen Knor-
pel gebildet wird. Dazwischen liegen die Bogen gelben Knorpels.
- Der gelbe färbt sich mit Hämatoxylin und Methyl violett. Die
Granulirung, die bei Alkoholpräparaten erscheint, ist der optische
Ausdruck eines feinen Netzwerkes, das an den Zellen wurzelt.
‘Dieses wird gebildet durch protoplasmatische Fortsätze der Knor-
pelzellen, deren sich verästelnde Enden durch Anastomosen sich
zu einem dichten Netze verbinden.
Die Versuche Spina’s, sowie die der meisten anderen Au-
toren sind von Vogel nachgemacht worden. Er fand nirgendwo
Stellen, die ihm ein Uebergehen der Kapsel auf die Zellfortsätze
gezeigt hätten. Seine weiteren Befunde führten ihn zur Annahme
der zweiten Ansicht, dass der Saftstrom durch die Fibrillenstruk-
tur geleitet werde. Dagegen sah auch er nach Alkoholbehand-
lung eine Streifung im Knorpel auftreten, konnte sich aber, im
Gegensatz zu Spina, nicht von einem Zusammenhange derselben
mit den Zellen überzeugen. Kleine Fortsätze der Zellen, die
durch präformirte Lücken in der Kapsel durchtreten können,
- werden von ihm anerkannt. Sie endigen in der fibrillären Grund-
substanz, ohne mit denen anderer Zellen zu communieiren. Diese
Fortsätze kommen oft nicht zur Beobachtung, da sie sehr fein
sind und durch Schrumpfungsprozesse leicht abreissen. Zellfort-
sätze beschrieb auch Flesch und ebenso Frommann, der an
Knorpel von Amphibien, Schwein und Rind ganz feine Fäserchen
in die Grundsubstanz übergehen sah.
Vogel kommt zum Schlusse seiner Arbeit zu dem Resul-
tate, dass der Knorpel niederer Thiere als nicht gleichwerthig
mit dem hyalinen Knorpel der Säuger zu betrachten sei.
Die Zellen bei Wirbelthieren haben kleine Fortsätze, die
Kapseln Lücken zum Durchtritt des Saftstromes, welcher ge-
leitet wird in der Kittsubstanz der Fibrillen, aus denen der Knor-
pel sich aufbaut.
Schon vor Vogel hat Zuckerkandl bei dem Nasen-
knorpel des Tapir eine fibrilläre Struktur im Knorpel beschrieben,
welche, aus zarten, büschelweise angeordneten Fasern bestehend,
die Knorpelsubstanz durchzieht, immer zwischen benachbarten
500 M. Wolters:
Kapseln ausgespannt. So entsteht ein Netzwerk, zwischen dem
eine homogene Kittsubstanz liegt. Gegen die Oberfläche wird
das Netzwerk enger. Das Faserwerk zieht sich hier auch ausser-
halb der Zellterritorien und füllt die Lücken des Maschen-
werkes aus.
Eine Verbindung zwischen Zelle und Faserbündeln konnte
Zuckerkandl niemals nachweisen, ebensowenig Verbindungen
zwischen den einzelnen Fasern. Das Faserwerk nahm das alko-
holische Anilin-Roth intensiver auf, als die übrige Substanz.
Auch Spronck, der besonders mit Alkohol arbeitete, sah beim
Knorpel des Caput Femor der Rana esculenta zahlreiche eiweiss-
artige Fasern in der Grundsubstanz, welche die Kapsel durch-
bohren und benachbarte Zellen verbinden. Er deutet sie als so-
lide Fasern, die auf dem Ausschnitt stärker lichtbrechend sind,
als die übrige Substanz. Spronck spricht sich auf Grund seiner
Befunde dahin aus, dass es sich um Bahnen handle, auf denen
den Knorpelzellen die Ernährungsflüssigkeit zugeführt werde.
Ebenso beschreibt van der Stricht fibrilläre Streifung
der Grundsubstanz, die er neben den obenerwähnten Ausläufern
der Knorpelzellen sah. Beides zu gleicher Zeit darzustellen sei
unmöglich. Die Fibrillen seien zu Lamellen angeordnet, welche
durch Fasern verbunden seien. Ausserdem sah er intercapsulare
Faserbündel zwischen den Kapseln der Knorpelzellen, verbunden
durch eine interfibrilläre Kittsubstanz, die mit der interlamellären
identisch sei.
Auf Grund seiner Befunde, die durch Injektion von indig-
schwefelsaurem Natron beim Frosch und Kaninchen erhalten
wurden, spricht sich Arnold dahin aus, das durch die Gefässe
des Perichondriums zugeführte Material dringe in engen Spalten
der Zwischensubstanz vor, um dann durch feine, in der Kapsel
befindliche Poren in den pericellulären Raum zu gelangen und
die Zelle zu versorgen. -Er fand die Kapseln von radiären Strei-
fungen durchsetzt, zum Theil Netzbildungen. Die Streifung ging
theilweise in der Intercellularsubstanz als körnige, feine Linien
weiter.
Wie Arnold nimmt auch Socolow an, dass die ernährende
Flüssigkeit durch die interfibrillinen Räume gehe. Seine Befunde
an Knorpeln von Pferd, Kuh, Schwein, Hund, Schaf, Kaninchen
und Katze, die er mit Osmiumsäure nach Bubnoff erhielt, lassen
ır Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knörpels. 501
deren Befunde als Kunstprodukte ansehen und er glaubt so-
gar die Spalträume vielleicht dureh Einwirkung der Osmiumsäure
erklären zu sollen, wodurch das Gewebe brüchig werde. Achn-
E durch Chromsäure und Müller’sche Flüssigkeit erhaltene
Bilder scheinen das zu bestätigen.
Eine grössere Anzahl Autoren wie Colomiatti, Betainn,
Brückner, Gerlach und viele andere halten die von Arnold durch
_ Injektionen hervorgerufenen Bilder für Kunstprodukte im Folge
der Imbibitionsfähigkeit des Knorpels und des Druckes bei der
Injektion. M
Für die Existenz präformirter Kanälchen trat vor allen
Budge ein. Auch er machte, um die Saftkanälchen darzustellen,
Injektionen mit Berliner Blau und Asphalt, den er in verschie-
denen Reagentien löste. Er erhielt Farbniederschläge in den Knor-
pelkapseln und hier und da in der Zwischensubstanz Linien, die
_ sich aus Körncehen zusammensetzten. Reitz injieirte Zinnober,
den er in den Zellen als Körnchen wiederfand. Hutob bestä-
tigte diesen Befund, ebenso Heitzmann, Maass und Stricker,
_ dagegen fand Barth den Farbstoff nur in den jüngeren Zellen. °
Ponfick, Hoffmann, Langerhans, vor allen aber Cohnheim
sprachen sich mit der grössten Entschiedenheit dahin aus, dass
es unmöglich sei, durch Injektion Farbstoff in dem Thierkörper in die
| - Knorpelzellen zu bringen und leugneten dadurch die Existenz eines
- Saftkanalsystems. Bubnoff, der unter Stricker arbeitete, stellte
auch Injektionsversuche an. Er fand, dass der Farbstoff in die Knor-
pelkapseln eindringt und sich in Form eines feinen Netzwerkes
ablagert, ebenso wie in einer dicken pericellulären Schicht in der
— Knorpelkapsel. Nycamp erhielt durch Behandlung mit 5%,
Ammonium biehromat. eine fibrilläre Streifung im Knorpel, in
welcher er Hohlräume mit verzweigten Ausläufern konstatiren
konnte. Injektionsversuche mit indig-schwefelsaurem Natron liessen
an diesen von ihm als Kanälchen betrachteten Gebilden Farbstoff-
- körner nachweisen, woraus er schloss, dass es Saftkanälchen
seien.
en
Budge versuchte im weiteren, das Kanalsystem, welches
die Injektionen ihn annehmen liessen, auch auf andere Weise
darzustellen. Macerationsversuche mit Trypsin, Pepsin, sowie mit
- den verschiedensten Säuren hatten nur beschränkte Resultate.
Es zeigte sich hie und da eine Streifung der Substanz.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 37. 33
ieh
502 M. Wolters:
Chromsäure nach der Angabe von Henoeque liess ein Netz-
werk stark glänzender Balken vortreten. Die besten Bilder von
allen erhielt Budge aber durch Aether in Verbindung mit Col-
lodium. |
Von den Kapseln aus sah er nach allen Richtungen hin
doppeltkonturirte Fasern ziehen, die bündelweise angeordnet waren.
Sie communieiren hier und da mit einander und gehen von einer
Kapsel zur benachbarten. Es entsteht so ein Netzwerk. Die
Wandung der Kanälchen soll aus einer eigenthümlich modifizirten
Grundsubstanz bestehen, die gegen Chromsäure und Kalilauge
sehr widerstandsfähig it. Budge nimmt darauf gestützt an,
dass die geschilderten Fasern ein eigenes, festbegrenztes Röhren-
system seien, in dem die Ernährungsflüssigkeit eireulire und das
mit den grösseren Lymphstämmen communieire.
Orth bildet in seinem Lehrbuche der Histologie auch die
sogenannten Saftkanälchen des hyalinen Knorpels ab, die er durch
Behandlung mit Aether darstellte und giebt an, dass aller Wahr-
scheinlichkeit nach diese so erhaltenen Gebilde als Saftkanälchen
- würden zu deuten sein. Seine Bilder stimmen mit denen von
Budge überein, zum Theil auch mit denen von Solger. Letz-
terer Autor, der die Einwirkung des Alkohols auf den Knorpel
genau studirte, kommt in Bezug auf die Deutung der gewonne-
nen Bilder zu ganz anderen Resultaten. Den mit Aether dar-
gestellten Strichelungen der Grundsubstanz, ebenso wie den nach
Alkohol auftretenden identischen Zeichnungen erkennt er nur den
Werth von Schrumpfungsphänomenen zu. Auch nach seiner
neuesten Arbeit betrachtet er die Frage nach Vorkommen von
Saftkanälchen im Hyalinknorpel noch für ungelöst und erkennt
den in frischem Zustand in Aether und Alkohol fixirten Objekten
keine Beweiskraft zu. |
Wie bereits oben erwähnt, hatte ich die Reste des zu den
Färbeversuchen verwendeten Materiales in Alkohol konservirt und
erst nach geraumer Zeit wieder zu neuen Versuchen hervor- ©
gesucht. j
Zu diesen wurde auch ein etwa 2 Quadratcentimeter grosses '
Stück der mittleren Partie der einen Platte des Thyreoidknorpels
aus dem Kehlkopf eines ungefähr 25jährigen Mannes verwendet.
Vor dem Schneiden brachte ich dasselbe noch 24 Stunden in
Aleoh. abs. und fertigte dann 5—7 u dieke Schnitte an, welche
Zur Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knorpels. 503
nach der oben genau angegebenen Art und Weise mit Hämatoxy-
lin und Pikrinsäure-Alkohol gefärbt wurden. Die zuerst ange-
wendete Schnittrichtung war senkrecht zur Knorpeloberfläche,
horizontal zur Körperachse.
Die auf diese Weise hergestellten Präparate zeigten schon
bei schwacher Vergrösserung ein eigenthümlich streifiges Aussehen,
hervorgerufen dadurch, dass ein Theil der Substanz die Häma-
toxylinfärbung zurückgehalten hatte und sich scharf von den
durch Pikrinsäure gelb gefärbten Partien absetzte.
Bei näherem Zusehen erwiesen sich die gelb gewordenen
Streifen als ein netzartiges Flechtwerk, welches immer auf die
Knorpelzellen als Knotenpunkte zulief. Die Zellen selbst waren
augenscheinlich nur an ihrer Oberlläche gefärbt und zeigten da-
her bald tief dunkle Färbung, bald ganz helle, je nachdem der
Schnitt oberflächliche oder centrale Partien getroffen. Im letzte-
ren Falle waren die hellen Zellen von einer intensiv gefärbten
Peripherie umgeben. Das Perichondrium war gelb gefärbt, die
Kerne traten dunkel hervor.
Das ganze System von Streifen, das gelb gefärbt auf dem
violetten Grunde sich abhob, war in seiner Hauptrichtung senk-
recht zur Peripherie und liess 5 Zonen erkennen, wie die Abbil-
dung Tafel XXV, 2 es darstellt.
1. Zone. Kleine, längliche Knorpelzellen, die der Peri-
pherie parallel gerichtet liegen und keinen sich besonders aus-
zeichnenden Hof zeigen, sind durch zarte gelbe Streifen verbun-
den, die meist nur an zwei entgegengesetzten Seiten der Zelle
entspringen. Richtung: senkrecht zur Peripherie. Anastomosen
sind unter diesen Streifen selten. Mitunter überspringen dieselben
wohl eine Zelle, um zwischen zwei benachbarten durchgehend zu
einer entfernteren zu ziehen.
2. Zone. Die Knorpelzellen sind mehr rundlich geworden.
Ihre Richtung zur Peripherie ist keine konstante mehr. Die we-
nig zahlreichen Streifen sind bedeutend verbreitert und lassen
grosse violettgefärbte Territorien zwischen sich. Die Richtung
bleibt im allgemeinen senkrecht zur Peripherie, doch sind zahl-
reiche Anastomosen vorhanden und die Streifen treten von allen
Seiten der Zellen ab zu den benachbarten. Die der dritten Zone
nahe liegenden Zellen zeigen Anfänge der Bildung von besonders
differenzirten Höfen.
504 i M. Wolters:
3. Zone. Die Zellen sind grösser, haben deutliche Höfe,
welche durch die Pikrinsäure, wie die Streifen, gelb gefärbt sind
und liegen zu mehreren zusammen. Eine Richtung der Zellen
zur Peripherie ist nicht mehr zu erkennen. Die Streifen sind
zarter, das durch sie und ihre Anastomosen gebildete Netzwerk
ist engmaschiger. Trotz der nach allen Richtungen, von den
Zellen abgehenden Streifen bleibt die Richtung im allgemeinen
senkrecht zur Peripherie.
4. Zone. Die Zellen liegen, meist zu mehreren, in breiten,
gelb gefärbten Höfen und haben an Grösse sehr bedeutend zu-
genommen. Sie sind nicht mehr zur Peripherie rangirt. Hier
und da sind sie geschrumpft und füllen die Knorpelhöhlen nicht
mehr ganz aus. Die Höfe besitzen theilweise, besonders an dem
Uebergang zur folgenden Zone, körnige Kalk-Einlagerungen. Das
Maschenwerk der Streifen ist enger geworden, doch lassen die
zahlreichen Anastomosen die zur Peripherie senkrechte Richtung
immer noch als hauptsächliche erkennen. Die Streifen treten
an allen Seiten von den Höfen ab.
5. Zone. Die Zellen, in ihrer Grösse ungemein verschieden,
liegen einzeln oder meist zu mehreren umgeben von breiten
Höfen, welche die erwähnten körnigen Einlagerungen in grosser
Verbreitung aufweisen. Das Netzwerk der Fasern zeigt nur
noch undeutlich die prinzipielle Richtung radiär zur Peripherie.
Die Anastomosenbildung ist eine ungemein reiche, die Maschen
sind dementsprechend sehr enge. Während in den früheren Zonen
die anastomosirenden Züge im spitzen Wimkel abtraten, stehen
dieselben jetzt fast senkrecht und ergeben so ein Netzwerk von
eckigen Maschen, welches an die Struktur der Knochenspongiosa
lebhaft erinnert. Die Fasern gehen von der ganzen Peripherie
der Zelle resp. des Hofes aus.
Die gelben Streifen verbinden meist alle Zellen mit ein-
ander, nur wo die Streifenbildung überhaupt nachzulassen _be-
ginnt, bleibt hin und wieder eine Zelle in der violett gefärbten
Grundsubstanz isolirt liegen. |
Auf die fünfte, eben geschilderte Zone folgt unter allmäh-
lichem Verschwinden der gelben Streifen eine solche, in welcher %
in der violetten Grundsubstanz eine verschieden grosse Anzahl
von grösseren und kleineren Kalkkrümeln eingelagert sind, die
sich durch ihre gelbe Farbe auszeichnen. Die gelben Höfe um
Zur Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knorpels. 505
die Zellen sind noch vorhanden. Verschiebt man das Objekt
- weiter, so tauchen wieder Fasern auf und zwar die fünfte Zone,
an welche sich dann successive rückwärts gehend die andern
anschliessen bis zum Perichondrium.
Die geschilderten fünf Zonen sind nicht an allen Stellen
der Schnitte und nicht überall gleich schön vorhanden. Es
kommt vor, dass eine oder mehrere Zonen ausfallen, ja es kann
die fünfte sofort an die erste anschliessen. Es folgt alsdann aber
keine der anderen mehr. Niemals findet sich ein Durcheinander-
werfen der einzelnen Zonen, so dass es den Anschein hat, als
wenn die fünf geschilderten das Schema bildeten, in welchem
wohl eine oder die andere ausfallen, nie aber ihre Stellung zu den
übrigen wechseln könne.
Auf Schnitten, die senkrecht zu den oben beschriebenen
entweder senkrecht zur Knorpeloberfläche und gleichzeitig pa-
rallel der Körperaxe oder parallel der Knorpeloberfläche gemacht
wurden, zeigten sich mutatis mutandis dieselben Bilder. Nie-
mals — und das verdient besonders hervorgehoben zu werden
— waren Bilder zu sehen, die als Querschnitte von eylindri-
schen oder prismatischen Gebilden zu deuten gewesen wären.
Es ist dieser Umstand schwer zu verstehen, aber nur dahin zu
deuten möglich, dass die gelben Streifen eben nicht eylindrische
oder prismatische Gebilde sind, sondern der Ausdruck des Quer-
resp. Schrägschnittes von mässig breiten Platten oder ähnlichen
Bildungen. Vielleicht ist so auch das mitunter zu beobachtende
plötzliche Auftreten von breiteren gelben Streifen zu erklären
(Fig. 2, 2 unten); es würden die Platten dann mehr flächenhaft
gesehen werden. Für eine plattenartige Ausdehnung spricht auch
der Umstand, dass man die gelben resp. am Alkoholpräparat
stark lichtbrechenden Streifen mit der Mikrometerschraube mehr
oder weniger weit in die Tiefe des Schnittes zu verfolgen vermag,
wobei man konstatiren kann, dass die Krümmung der Platten
sich ändert. Auffallend ist es dabei immerhin, dass man nur
selten ausgedehntere Platten wirklich der Fläche nach sieht,
indessen kommt das doch vor, es erscheinen dann ev. die gelb
gefärbten Partien breiter als die violetten. Wir würden es hier
also mit einem Netz von plattenförmigen Zügen sich gelb fär-
bender Substanz zu thun haben, die mit Höfen um die Zellen
zusammenhängen. Wichtig zu bemerken ist noch, dass in der
506 M. Wolters:
Umgebung einiger in den Knorpel eintretender Blutgefässe ganz die-
selben Bildungen hervortraten, wie in Bezug auf das Periehondrium.
Die geschilderten Strukturverhältnisse, die, wie leicht er-
sichtlich, eine ungemeine Aehnlichkeit mit den als Saftbahnen
angesprochenen Bildungen haben, legten es nahe, die von Budge,
Orth und anderen so warm empfohlene Darstellungsmethode durch
Aether und Collodium in Anwendung zu ziehen. Schnitte von
dem gleichen Knorpelstücke, 10 Minuten in Aether behandelt
und in Collodium eingeschlossen, ergaben prinzipiell die gleichen
Bilder, wie aus Figur 1, Tafel XXV zu ersehen ist.
Allerdings sind auch hier kleinere Differenzen. Ich sehe
ab von den Breite-Unterschieden der einzelnen Zonen, die ja auf
jedem Schnitte wechseln. In der Zone, welche dem Perichon-
drium zunächst liegt, erblickt man im Vergleich mit dem „Hä-
matoxylinbilde“ eine grössere Anzahl von Streifen, welche von
allen Seiten der Zellen abgehen, obwohl auch hier die Haupt-
richtung senkrecht auf die Peripherie geht. Ebenso zeigt die
zweite Zone zahlreichere Anastomosen. Die Zellen haben in den
unteren Partien deutliche Höfe, sind aber durch die Behandlung
vielfach geschrumpft.
Intensiv tritt schon in der vierten Zone die körnige Kalk-
einlagerung in den Höfen und ihrer Umgebung auf, während
auch hier die Zellen stark geschrumpft erscheinen. Die Mittel-
zone ist ohne Streifung, zart granulirt.
Trotz dieser leichten Differenzen wird man nicht anstehen,
die Identität beider durch verschiedene Methoden gelieferten
Bilder anzuerkennen.
Vergleicht man die von anderen Autoren früher gegebenen
Bilder mit den vorliegenden, so kommt man zu dem Schlusse,
dass dieselben mit einzelnen Zonen unverkennbare Aehnlichkeit
haben. So ist z.B. die Abbildung von Zuekerkandl und
Spina mit der Zone 1 fast übereinstimmend u. s. f. Gleich-
wohl ist bisher ein solches den ganzen Knorpel durchsetzendes
Streifensystem noch nicht dargestellt worden.
Behandelte man die Schnitte nach der von Spronck an-
gegebenen Chromsäure-Methode, so traten die Streifen genau in
derselben Weise sehr klar hervor, dagegen fehlten die Höfe; die
Streifen gingen entweder bis an den Rand der Knorpelhöhle
‘ heran oder — da, wo schon Kalkablagerungen vorhanden waren
Taf. XXV.
Archiv £ mikroskon. Anatomie. Ba. XXXVH.
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UNIVERSITY
=
Zur Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knorpels. 507
_ — endigten an der Peripherie der Ablagerungen. Es muss dar-
_ aus geschlossen werden, dass die Spronck’sche Flüssigkeit noch
_ anders wirkt, als die beiden anderen’ Methoden, und dass die
Höfe und Streifen von einander verschieden sind, trotz der Ueber-
einstimmung bei Färbung und Behandlung mit Collodium.
Was die Deutung der Bilder angeht, so ist dieselbe eine
ungemein schwierige, die wohl auch nur bis zu einem gewissen
Punkte positiv sicher sein kann. Ich greife zu diesem Zwecke
zurück auf die im Vorhergehenden gemachten kurzen Angaben
über die bisher ausgesprochenen Ansichten.
Fortsätze der Knorpelzellen habe ich an meinen Präparaten
niemals gesehen und kann daher nicht annehmen, dass es sich
im Vorliegenden um protoplasmatische Netze handele, die von
den Zellen ausgehen, abgesehen davon, dass auch die Form der
Streifensysteme durchaus nicht für solche spricht. Die Zone 1
könnte vielleicht noch am ersten einen solchen Eindruck machen.
Bei den anderen Zonen ist das nicht mehr der Fall. Irgend-
welche darauf hindeutende Strukturen (Poren etc.) in den Höfen,
wie Arnold und Vogel sie beschrieben, sind ebenfalls nicht
vorhanden. Auch. würde es nicht verständlich sein, weshalb die
Zelle das Hämatoxylin annehmen und zurückhalten sollte, das
protoplasmatische Netzwerk aber nicht.
Als elastische Fasern können die gelben Streifensysteme
sicher auch nicht gedacht werden. Es spricht alles dagegen und
nichts dafür.
Dass die erste Zone grosse Aehnlichkeit mit einer Abbil-
dung von Zuckerkandl hat, ist bereits erwähnt. Doch stim-
men seine übrigen Bilder, welche Faserzüge von einer Zelle
zur andern verlaufend darstellen, nicht zu meinen Befunden, die
überhaupt keine Faserung in den gelben Streifen ergaben. Eine
solche trat auch nicht im Alkoholbilde hervor, wie Fig. 1 es zeigt.
Es erscheinen die Streifen und Höfe hier einfach, homogen und
stärker lichtbrechend (daher in der Zeichnung dunkler wieder-
gegeben). Die grösste Aehnlichkeit mit meinen Bildern hat eine
Abbildung in Spina’s letzter Arbeit. Seiner Annahme indessen,
dass es sich um zwei verschiedene Knorpelsubstanzen, weissen
und gelben, handle, von denen der erste eine spätere Differen-
ziırung des letzteren sei, vermag ich mich nach meinen Präpa-
raten nicht anzuschliessen. Das massenhafte Auftreten der gelben
508 M. Wolters:
spricht schon . gegen seine Annahme, die ausserdem im ganzen
mehr als eine Umschreibung der Thatsachen, denn als eine Er-
klärung anzusehen sein dürfte. Mitunter habe auch ich Zellen
gesehen, die nur in der violetten Substanz lagen, doch waren
dieses entschieden Ausnahmen und befanden sich dieselben immer
in solchen Partien, an denen im ganzen eine Abnahme der Menge
der gelben Streifen zu beobachten war. Desshalb aber Zellen
des gelben und des weissen Knorpels anzunehmen, wie Spina
es thut, scheint mir nicht hinreichend begründet zu sein. Proto-
plasmatische Fortsätze und Netze, welche von solchen in den
beiden Knorpelarten, wie Spina will, gebildet werden, habe ich,
wie schon mehrfach erwähnt, niemals auch nur in irgendwelchen
Andeutungen gesehen. Am meisten scheint mir die Beschreibung von
Spronck, der leider in seiner Arbeit keine Abbildung gegeben
hat, mit meinen Befunden zu stimmen. Er betont, dass das von
ihm gefundene Netzwerk senkrecht zu dem Perichondrium ver-
laufe und sich in dieses verliere. Er nimmt an, dass die Fasern,
die er als solide Körper auffasst, von einer eiweisshaltigen Sub-
stanz gebildet seien, dass sie die Kapseln durchbohren und die’
Zellen untereinander verknüpfen und glaubt, dass sie die Bahnen
des Ernährungsstromes seien. Spronck hat Querschnitte der
soliden Fasern gesehen, die stärker lichtbrechend waren, als die
Umgebung.
Wie oben erwähnt, habe ich auf meinen Schnitten niemals
Querschnitte geschen, die annehmen liessen, dass es sich um pris-
matische oder eylindrische Fasern handele; in dieser Hinsicht
vermag ich also Spronck nicht beizustimmen.
Die von Solger für die Alkoholbilder versuchte Erklärung,
dass es sich dabei um Schrumpfungen und dadurch bedingte
Wellen im Verlaufe der Knorpelfibrillenbündel handele,‘ ist für
meine Bilder absolut nicht verwendbar; einmal würde sie zur Er-
klärung der Alkoholbilder nicht ausreichen und zweitens würde
es nach ihr nicht zu erklären sein, wie die verschiedene Färbung
zu Stande kommt.
Fassen wir alles zusammen, so haben wir also in einem be-
stimmten Bezirke eines menschlichen Kehlkopfknorpels ein die
Knorpelgrundsubstanz durchsetzendes System von eigenthümlichen,
platten, mit einander anastomosirenden Bildungen gefunden, das
:
Streifen (Spina’s „weissem“ Knorpel) dieht am Periehondrium
RE RER
Zur Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knorpels. 509
sich durch Alkohol resp. Collodium, durch die Methode von
Spronek und durch eine besondere Färbemethode leicht dar-
stellen lässt. Dasselbe zeigt ganz bestimmte Beziehungen zu den
Zellen und zu dem Perichondrium, zu dem die Verlaufsrichtung
senkrecht ist. Die Bildungen, die diesem System zu Grunde
liegen, können weder als einfache Schrumpfungsprodukte auf-
gefasst werden, noch als elastische Elemente, noch als Ausdruck
der Knorpelfibrillenbündel oder als Zellfortsätze. Die Annahme
zweier Knorpelarten (Spina) ist an sich keine Erklärung und
stimmt auch nicht mit den Thatsachen. Der ganze Verlauf dieser
Bildungen, ihre Beziehungen zu den Zellen, ihre Veränderlich-
keit, ihr eventuelles Aufhören spricht dagegen noch am meisten
für die Annahme, dass es Saftbahnen sind. Dieselben würden
— und darin würde ich mich in Uebereinstimmung mit der An-
schauung von Herrn Prof. Schiefferdecker befinden — so auf-
zufassen sein, dass der Saftstrom, der den Knorpel durchsetzt,
die Grundsubstanz auf beliebigen Wegen durchzieht; welche nur
durch das Prinzip der Wahl des geringsten Widerstandes bedingt
werden. So erklärt sich leicht der Wechsel der Bahnen in’ ver-
schiedenen Schichten bei Veränderung der Beschaffenheit der
Grundsubstanz, so wären die sehr feinen Bahnen im jüngsten
Knorpel zu verstehen, so würde die eigenthümliche plattenartige
Form, wenn auch auffallend, doch verständlich sein. Welche
Bedeutung die durch zwei Methoden darstellbaren Höfe haben,
müsste erst durch weitere Untersuchung klargelegt werden. Her-
vorzuheben wäre, dass sich in diesen Höfen später zuerst Kalk-
ablagerungen finden, wobei noch besonders darauf hinzuweisen
ist, dass — wie die vorliegenden Bilder lehren — die Ablagerung
zuerst nicht im Hofe, sondern an dessen Peripherie ausser-
halb vor sich geht und erst bei stärkerer Zunahme in den
Hof hineinrückt. Wie weit diese Höfe mit dem zusammen-
fallen, was man als „Knorpelkapseln“ zu bezeichnen pflegt, ist
durchaus nicht zu sagen.
Es würde aus dieser Annahme natürlich folgen, dass diese
Saftbahnen weder eigene Wandungen haben, noch überhaupt
Kanälchen oder Hohlräume darstellen; es sind nur stärker mit
Flüssigkeit durchtränkte Partien der Grundsubstanz. Man müsste
hierzu die weitere, zunächst hypothetische Annahme machen, dass
diese so durchtränkten Partien das Hämatoxylin nicht so stark
510 M. Wolters:
aufnehmen resp. es nicht so festhalten, wie die übrige Grund-.
substanz, so dass sie in Folge dessen die Pikrinsäure aufnehmen,
welche ja eine diffuse Färbung aller der Theile ergiebt, aus denen
das Hämatoxylin herausgeht. Diese Annahme würde indessen
wohl einigermassen wahrscheinlich sein. Wir wissen, dass die
Grundsubstanz des Knorpels an sich eine ausgeprägte Neigung
hat, sich mit Hämatoxylin zu färben und dass es besonderer Ver-
änderungen derselben bedarf, wenn diese Färbung nicht eintreten
soll. An solchen Stellen nun, an denen die Grundsubstanz in re-
lativ geringer Menge vorhanden ist wegen der sie durehtränkenden
Flüssigkeit, wird sie die Farbe auch nicht so stark zurückhalten
können, daher dann die Streifenfärbung, daher auch die über-
haupt schwache Färbung in der Nähe des Perichondriums, wo-
selbst die Grundsubstanz noch nicht so stark entwickelt ist, wie
weiter im Innern des Knorpels.
Nun wäre noch die Frage zu beantworten, warum die eigen-
thümlichen Bildungen sich auf einen bestimmten Bezirk dieses einen
Knorpels beschränkten. Meiner Meinung nach kann man da nur
annehmen, dass es sich an dieser Stelle um eine besonders leb-
hafte Saftströmung handelte, und dass diese wieder bedingt war
durch den ersten Anfang der Umwandlung des Knorpels in Knochen.
Es war ja Verkalkung schon vorhanden, wenn auch noch nicht
sehr hochgradig, und ebenso fanden sich bereits einzelne (nur
wenige) Blutgefässe im Knorpel. In der Umgebung dieser ver-
hielt sich, wie oben schon gesagt, das hypothetische Saftbahnen-
system ganz so wie am Perichondrium. Es würde demnach nur
in einem ganz bestimmten Zeitpunkte der Knorpel solche deut-
liche Saftbahnen aufweisen. Dieser Zeitpunkt stimmt mit dem
von Chievitz für den Beginn der Verknöcherung angenommenen.
Auch Spina hat seine beiden Knorpelformationen besonders gut
in der Umgebung von Knorpelgefässen gesehen und Spronck
giebt an, dass nur an einer ganz bestimmten Zone des Gelenk-
knorpels am Femurköpfehen des Frosches sich seine ev. Saftbahnen
gut ausgebildet vorfanden, wo aussen schon Periehondrium, innen
ein breiter Knochenring war. Es würde jetzt also darauf an-
kommen, bei günstig erscheinenden Objekten weiter nach ähnlichen
Befunden zu suchen, um,so aus einer grösseren Anzahl das Wesent-
liche ableiten und daraus noch nähere Schlüsse auf die ev. Bedeu-
tung ziehen zu können. Dazu fehlt mir augenblicklich leider, wie
Zur Kenntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knorpels. 511
oben angegeben, die Zeit und daher habe ich schon jetzt diese
kurze Mittheilung veröffentlicht.
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bücher 1886.
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Waldeyer, Jahresber. V. H. 1875.
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3
513
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungs-
versuches.
Von
M. Nussbaum.
Hierzu Tafel XXVI—XXX und 1 Holzschnitt.
In der von Weismann angefochtenen Kritik!) belegte
ich mit Citaten, dass Ischikawa meine Abhandlung?) nicht genau
genug und Trembley’s Schriften?) gar nicht gekannt habe.
Wenn der „nicht orientirte“ Leser‘) den Eindruck erhielt,
— wie Weismann meint und fürchtet — die Arbeit Ischi-
kawa’s gebe nur eine Bestätigung meiner eigenen Resultate, so
habe ich in ganz rechtmässiger Weise erreicht, was ich zu be-
weisen unternommen hatte.
Die von Weismann?) zur Vertheidigung seines Schülers
Ischikawa veröffentlichten Bemerkungen gehen auf die Trem-
bley betreffenden Stellen nicht ein; sie reprodueiren aus meiner
Kritik die mich angehenden Citate zum Theil und versuchen
dann den Leser zu folgender Annahme zu bestimmen:
Wenn Nussbaum auch schliesslich von einer Rückstülpung
der Leibesschichten spricht, so musste Ischikawa doch zu der
Meinung kommen, der Vorgang werde als eine Wanderung des
Eetoderm über das Entoderm dargestellt. Hat Nussbaum auch
die richtige Ansicht ausgesprochen, so kann ein umgestülpter und
quer durchbohrter Polyp doch niemals in der beschriebenen Weise
zur natürlichen Lagerung seiner Leibesschichten zurückkehren.
Demzufolge wird es meine Aufgabe sein, aus meiner früheren
Abhandlung nachzuweisen,
1) Dieses Archiv Bd. 35.
2) Dieses Archiv Bd. 29.
3) M&moires, Leide 1744.
4) Siehe die Bemerkungen Weismann’s, dieses Archiv Bd. 36,
pag. 627.
5) Dieses Archiv Bd. 36, pag. 627—638.
514 M. Nussbaum:
dass man beim aufmerksamen Lesen derselben zu keinen
anderen Schlüssen kommen kann, als zu den meinigen, und
dass umgestülpte und quer durchbohrte Polypen in der von
mir beschriebenen Weise am Leben bleihen.
Da ich aber nach dem Erscheinen der Weismann’schen
Bemerkungen mich durch Befragen mehrerer Biologen davon
überzeugt habe, dass das Verständniss des von mir beschriebenen
Umstülpungsvorganges auf Schwierigkeiten stosse, so musste ich
mich dazu entschliessen, neben der Erwiderung auf die An-
griffe Weismann’s noch eine detaillirtere Auseinandersetzung zu
geben und die einzelnen Variationen, dureh die ein umgestülpter
und gefesselter Polyp zur ursprünglichen Lage zurückkehren
kann, im Einzelnen zu besprechen. Alle diese Variationen er-
folgen nach demselben, in meiner Abhandlung (dieses Archiv,
Bd. 29) dargethanen Prineip der einfachen oder complieirten
Rückstülpung. Das Prineip festzustellen war damals meine Auf-
gabe, um durch die Widerlegung der alten Trembley’schen Er-
klärung einen gewichtigen Einwand gegen meine Theorie von
der continuirlichen Abstammung durch die Geschlechtszellen zu
beseitigen.
I.
Es steht fest, dass Ischikawa die Trembley’schen Ver-
suche über die Verschmelzung zweier Polypen nicht gekannt hat.
Sollte die gleichfalls für neu gehaltene Erklärung des
Trembley’schen Umkehrungsversuches bei Ischikawa nicht
auf ähnliche Weise zu Stande gekommen sein ?
Das ist, was ich dem Leser meiner Kritik zur Beurtheilung
überliess. Durch Weismann’s Bemerkungen veranlasst, komme
ich auf die Untersuchung dieser Frage nochmals zurück und gehe
die Bemerkungen der Reihe nach durch.
Entgegen Weismann!) muss ich statt meiner für Trembley
noch immer die Anerkennung fordern, dass er zuerst Polypen
umgekehrt und am Leben erhalten habe. Trembley irrte nieht
in der Beobachtung, dass nach einiger Zeit bei umgestülpten
und mit einer Borste durchbohrten Polypen das Ectoderm wieder
aussen liege, sondern in der Deutung dieses Vorganges. |
Wie Trembley uns auf Seite 254 seiner vierten Abhand-
H) 1. €. P38:628.
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 515
_ Jung zur Geschichte der Polypen berichtet, ging er bei seinem
Experiment von dem Gedanken aus, die Bläschen „auf der
äusseren Oberfläche der Haut‘ füllten sich mit Nährsaft, der von
den Bläschen der Magenwand zuerst aufgenommen sei. Er
dachte daran, der äusseren Oberfläche diesen gelösten Nährsaft
mit Umgehung der Bläschen der Magenwand (oder wie man
jetzt sagen würde: der Entodermzellen) direet zuzuführen und
suchte zuerst nach einer Nährflüssigkeit, worin er die unver-
sehrten Polypen einsetzen könnte. Da ihm dies nicht gelang,
so glaubte er den Beweis für die Möglichkeit einer unmittelbaren
Ernährung der äusseren Oberfläche ebenso leicht erbringen zu
können, wenn er die Polypen umkehrte, und so die äussere Ober-
fläche ihrer Haut in-den Magen umwandelte.
Nach anfänglich vergeblichen Versuchen gelang ihm in
Jahresfrist die erste Umstülpung an einer Hydra grisea (seconde
espece, Trembley). Das Fussende eines mit einem Wurm
oder einer Insectenlarve vollgepfropften Polypen wurde ver-
mittelst einer Schweinsborste eingestülpt und durch die Mund-
öffnung wieder nach aussen geführt. Trembley überzeugt
sich durch directe Beobachtung mit einer Lupe von dem Erfolg:
die innere Oberfläche liegt in der That aussen. Bald nach der
Umstülpung schliesst sich die Mundöffnung des Polypen, und
seine Lippen kehren sich sogar ein wenig einwärts; dann aber
stülpen sich die Lippen nach auswärts, und der Polyp ist vor
Ablauf einer Stunde wieder zur früheren Lage zurückgekehrt.
Bei manchen Exemplaren dauert die Rückstülpung ungefähr
24 Stunden. Die zurückgestülpten Polypen fressen, wachsen,
vermehren sich: man kann sie von anderen nicht unterscheiden.
Dieser Versuch entsprach jedoch nicht den gehegten Er-
wartungen. Trembley musste einen Polypen in umgekehrtem
Zustande am Leben erhalten. Es schloss sich der Versuch an,
den umgekehrten Polypen mit einer Borste zu durchbohren und
an der Rückstülpung in die natürliche Lage zu hindern.
Nach Trembley’s Versicherung macht es den Polypen
nichts aus, gespiesst zu sein: sie fressen und vermehren sich weiter.
Trembley beschreibt weiter einen Versuch, den ich schon
in meiner Abhandlung über die Polypen wieder anzustellen ver-
sprochen habe, zu dessen Ausführung es mir bis jetzt jedoch an
der nöthigen Zeit gebrach. Man findet in der zweiten Abthei-
516 M. Nussbatim:
lung der vorliegenden Abhandlung die Beschreibung des von
mir nunmehr wiederholten Versuches. Was Trembley selbst
mittheilt, gewährt keine klare Vorstellung über den Vorgang.
Es handelt sich um die Umstülpung von Polypen mit an-
haftender Knospe, wenn die Magenräume des erwachsenen Thieres
und der Knospe noch miteinander zusammenhängen.
Der Einfachheit halber möge die betreffende Stelle aus
Trembley’s vierter Abhandlung hier wörtlich folgen.
Pag. 262: „L’ouverture de communication, qui est encore
entre l’estomae de ces petits et celui de leur mere, est encore
dans toute sa grandeur. Lorsque la mere est retournee, le jeune
peut se retourner de lui-me&me; et c’est ce quiil fait. Il arrive
alors preeisöement ce qui arriveroit, si, apres avoir retourne un
gant, les doigts de ce gant se retournoient d’eux memes. Sion
observe avee attention le corps de la mere, d’abord apres quelle
a 6t6 retournee, on voit, & lrendroit ou tient un de ces jeunes
dont je parle, un ereux qui peu-A-peu se remplit; apres quoi, on
distingue sensiblement le corps du jeune Polype, qui en sort en
se retournant. C’est ce que j’ai vu 'plusieurs fois et avec un
tres grand plaisir. Il ne faut que quelques minutes, pour que
le petit Polype soit tout-A-fait retourne. Ensuite, il continue &
croitre, il se detache de sa mere, et ne differe en rien de tout
autre Polype. J’ai nourri de pareils jeunes, et eux et leurs pe-
tits ont multipli& dans mes verres. |
Wer die Beschreibung aufmerksam liest, wird finden, dass
in der Beobachtung eine empfindliche Lücke ist. Der Ausdruck
„retourne“ in dem Satze: „Il ne faut que quelques minutes pour
que le petit Polype soit tout-A-fait retourne“ spricht zwar dafür,
dass die Knospe bei der Umstülpung der Mutter nicht sofort mit
umgestülpt gewesen sei, sondern erst später diese Umstülpung
‚spontan vollzogen habe. Wäre dem nicht so, so würde die
Knospe auch nicht im Leibe der Mutter, sondern wieder wie
vor der Umstülpung aussen gesessen haben.
Ferner gebraucht Trembley stets für die Umstülpung,
d. h. — im Sinne unserer heutigen Kenntnisse über die Polypen
ausgedrückt — sobald das Entoderm aussen liegt, das Wort re-
tourner; deretourner dagegen, wenn das Ectoderm sich wieder
aussen befindet, nachdem ein umgestülpter aber nicht mit einer
Borste durchbohrter Polyp sich zurückgestülpt hat.
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er ee ah >
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Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 517
7
Ts
ä Es kommt aber nicht darauf an, mit Worten zu streiten,
3 sondern durch die Beobachtung die vedenkall: richtigen aber nieht
vollständigen Angaben Trembley’s zu ergänzen.
Bis jetzt sind wir nicht darüber renrichter, wie eine Junge
— Knospe nach Umstülpung ihrer Mutter in die natürliche Lage
zurückkehre.
Wir sind durch Trembley auch nicht damit bekannt ge-
macht worden, auf welche Weise an einem umgekehrten Polypen
sich die ursprüngliche Lagerung der Theile wiederherstelle.
Wohl findet sich pag.263 der vierten Abhandlung folgende
Stelle: La superficie extörieure d’un Polype, nouvellement re-
tourne, n’est pas d’abord aussi unie que celle d’un Polype non
retoumme. Elle est telle, que j’ai deerit, dans le premier M&moire
(pag. 55), la superficie interieure de la peau des Polypes. 1
arrive meme, la plupart du tems, que plusieurs des grains, qui
tapisseut cette superficie exterieure d’un Polype retourne, se de-
tachent: elle paroit pendant quelques jours environnde de ces
grains qui s’en separent: mais, ensuite, elle devient absolument
- aussi unie que l’est la superficie exterieure des Polypes qui n’ont
pas e&t& retournes.
Daraus geht sachlich so viel hervor, dass nach einiger
Zeit bei einem umgekehrten und aufgespiessten Polypen die ur-
sprüngliche Lage der Theile wiederhergestellt ist, dass das Ee-
toderm sich wieder aussen befinde. Dies ist unwiderleglich, da
Trembley mit seinen optischen Hülfsmitteln schon sehr wohl Ecto-
derm von Entoderm zu unterscheiden"vermochte. Trembiey hat
einen umgekehrten Polypen mehr als zwei Jahre am Leben erhalten.
Damit endet die Beschreibung des Umkehrungsversuches.
Der folgende Theil der Abhandlung ist der Beschreibung nicht
hierher gehöriger Experimente gewidmet.
Man vermisst ein Raisonnement über die Bedeutung, die
Trembley dem Umkehrungsversuch beimisst und namentlich
eine Auseinandersetzung über die das Experiment veranlassende
Absicht zu erfahren, ob Bläschen der äusseren Hautoberfläche
denn in der That direct Nahrung aufnehmen können, wenn sie
in die geeigneten Bedingungen versetzt werden.
Wie Trembley sich. den Vorgang vom Beginn der Um-
stülpung bis zur Wiederherstellung der natürlichen Lagerung der
Leibesschichten vorstelle, kann aus einer auf pag.253 zu den
Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37 34
\
518 M. Nussbaum:
*
Umstülpungsversuchen gegebenen „einleitenden Bemerkung ge-
schlossen werden. |
Pag. 253: „Si jJavois scu qu’un morceau de peau de Po- |
Iype pouvait devenir un Polype complet, seulement en s’enflant
de maniere qu'il se forme dans le milieu de cette peau simple
un vuide qui devient l'estomae du Polype; si dis-je, javois seu
cela, jaurois eu plus d’esperance de voir vivre un Polype re-
tourne: jJ’aurois deja eu une preuve que la superfieie interieure
de la peau d’un Polype peut devenir, au moins en partie, super-
ficie exterieure, ainsi qu’on l’a vu dans les Experiences preee-
dentes. Mais, lorsque j’entrepris de retourner les Polypes, je
n’avois pas encore fait ces Experiences.“
Somit war Trembley, soweit unsere Kenntniss reicht, der
Erste, der mit Erfolg Polypen umkehrte und am Leben erhielt.
An dieser Sachlage wird Nichts geändert, ob man Trem-
bley’s Beschreibungen Glauben schenkte oder nicht.
Da nun in der That, was ich bisher nicht geglaubt habe,
der Versuch eine besondere Geschicklichkeit vorauszusetzen
scheint, so konnte es mir nur erwünscht sein, wenn Weismann
in seinem Schüler Ischikawa den rechten Mann entdeckt hatte,
der die nöthige feine Untersuchungsgabe besass, die seit beinahe
150 Jahren beschriebenen, aber mehr oder weniger angezwei-
felten Versuche der Umstülpung von Polypen nochmals zu wieder-
holen. Mir würde eine Bestätigung der von mir aus meinen
Versuchen abgeleiteten Ansichten durchaus nicht überflüssig er-
schienen sein; da jedes Experiment unter den geeigneten Be-
dingungen, hier unter der Voraussetzung einer besonderen Ge-
schicklichkeit, muss wiederholt werden können.
Damit erledigt sich auch die Frage, ob ich die „Form“
der Ischikawa’schen Publikation hätte für die richtige halten
müssen. FEbensowenig als ich in der Ischikawa’schen Arbeit
einen persönlichen Angriff gefunden habe, ebensowenig erwiderte
ich in gereiztem Tone; ich überliess dem Leser, sich ein Urtheil
zu bilden, ob Ischikawa oder ich den Trembley’schen Um-
kehrungsversuch an Hydra erklärt habe.
Kam der Leser zu der Ansicht, oder hatte er sie sich schon
früher gebildet, dass vor Ischikawa schon ich die richtige Er-
klärung gegeben hätte, so war die „Form“ der Ischikawa-
schen Veröffentlichung verfehlt; da sie nur eine — mir immer-
Tr N PER
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 519
- hin werthvolle — Bestätigung bekannter, aber nur unter gün-
‚stigen Bedingungen zu beobachtender Thatsachen enthielt.
Wir kommen jetzt zu dem sachlichen Theil der We is-
_ mann’schen Bemerkungen (l. e. pag. 629).
Nach Weismann suchte Ischikawa zu zeigen, „dass die
-Borste nur scheinbar ein Hinderniss für die Umstülpung ist, dass
sich in Wahrheit der Polyp an der einen Seite der quer durch
seinen Körper gesteckten Borste hervorstülpt, was natürlich nur
- dann vollständig gelingen kann, wenn die Substanz des Thieres
_ an der anderen Seite schliesslich einreisst, um sich nach dem
- Durchpassiren der Borste:. wieder zusammenzuschliessen.“
Der Autor der Bemerkungen ist ganz im Recht, wenn er
annimmt, ich verstände diese Erklärung des Vorganges; ich be-
streite aber, dass sie neu sei und bestreite, dass umgekehrte
- Polypen ausschliesslich auf diese Weise sich wieder zurückstülpen.
Es ist gar nicht nöthig, dass die Subianz des Thieres an der an-
deren Seite einreisse.
| Man betrachte nur den auf Tafel XIV, Fig. 47 meiner Ab-
_ handlung vom Jahre 1887 (dieses Archiv Bd. XXIX) abgebildeten
Polypen. Die Zeichnung ist nach einem lebenden Polypen ge-
fertigt, der umgestülpt und mit einem Silberdraht quer durch-
- bohrt auf eine Kautschukplatte gespiesst wurde und der nach
drei Tagen, wie die eitirte Figur zeigt, noch immer völlig durch-
- bohrt auf der Platte haftete. Wir kommen noch auf diesen
Versuch später zurück.
Weismann und Ischikawa haben beide die Vorstellung,
Nussbaum lasse die Restitution des umgestülpten Polypen durch
active Wanderung der Ectodermzellen erfolgen. Dafür eitirt
_ Weismann mit einigen Abkürzungen nochmals zwei schon von
Ischikawa abgedruckte Stellen meiner Abhandlung und eine
dritte in meiner Kritik enthaltene Stelle aus derselben Quelle.
Vergleicht man die Weismann’schen Citate und die sie
verbindenden Worte: „Dann aber folgt die von Nussbaum ete.“
(pag. 629) mit dem Text meiner Abhandlung auf den beiden
Seiten 342 und 343 (dieses Archiv Bd. XXIX), so findet man,
dass diese beiden Gruppen von Citaten in meiner Abhandlung
durch eine für das Verständniss nicht unwichtige Auseinander-
setzung von einander getrennt sind, also nicht so unvermittelt
einander folgen, wie Weismann es darstellt.
590 M. Nussbätm!
Die beiden ersten Citate Weismann’s auf Seite 629 des 36.
Bandes sind der mit Seite 342 des 29. Bandes zu Ende gehenden
Beschreibung meiner Versuche entnommen und enthalten die Schilde-
rung dessen, was man ohne weitere Präparation am lebenden
Thiere „bei öfterem Untersuchen mit nicht zu schwachen!)
Linsen“ (pag. 339) erkennen kann. Der Abschnitt schliesst bei
mir mit den Worten (pag. 345):
„Hiermit sei der Beschreibung der ohne weitere Präparation
am lebenden umgestülpten Polypenleibe wahrnehmbaren Ver-
änderungen genug.“
Ehe nun die von Weismann in seinen Bemerkungen mit
einigen Auslassungen am Fusse der Seite 629 abgedruckte
Stelle folgt, spreche ich mich in meiner Abhandlung zusammen-
fassend über das aus, was an umgestülpten und mit einem durch-
bohrenden Draht an der Rückstülpung gehinderten lebenden Po-
lypen unter dem Mikroskop zu sehen ist. Es ist in der That
nur Eetoderm zu sehen, und jeder unbefangene Beobachter würde
glauben, es sei das Eetoderm allem, „das stets in dünner Schicht,
wie ein zarter Schleier mit seinen Muskelzellen und den Nessel-
apparaten von den drei bestimmten Lokalitäten, der Mundöffnuns
und den beiden durch den fixirenden Silberdraht gemachten
Stichöffnungen“ her vordringt. Die zu den beiden ersten Ci-
taten Weismann’s gehörigen Stellen meiner Abhandlung schil-
dern somit, was man am lebenden Versucherkin unter dem Mi-
kroskop sehen kann. |
War nun durch die Beobachtung am lebenden Thiere schon
nachgewiesen, dass das Entoderm sich nicht in Eetoderm um-
wandelte, wie Trembley geglaubt hatte, so suchte ich durch
die weitere Untersuchung der im Leben beobachteten Versuchs-
thiere Aufschluss darüber zu erhalten, ob denn in der That, wie
es nach den bis dahin von mir gewonnenen Erfahrungen schien,
allein das Ecetoderm von den drei genannten Punkten es das
Entoderm hinkrieche. |
Zu dem Zwecke tödtete ich die Versuchsthiere in verschie-
denen Stadien der Rückbildung ab, zerlegte sie in feine Schnitte
und gab in dem mit dem Weismann’schen dritten Citat: „Da
man nun“ ete. eingeleiteten Abschnitt meiner Abhandlung?) die
1) Zeiss A (siehe |. c. pag. 325).
2) Dieses Arch. Bd.29, pag. 343.
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 521
Beschreibung dessen, was an den in feine Schnitte zerlegten, vor-
her umgestülpten Polypen zu sehen ist. Dabei zeigte sich, dass
das Eetoderm mit der Stützlamelle, und, wie man annehmen muss,
auch mit dem zugehörigen Entoderm über das vorher nach aussen
verlagerte Entoderm hinzieht.
Wenn nun Weismann glaubt, dass „Nussbaum jetzt also
bei der Ansicht angelangt sei, dass an diesen Stellen eine par-
tielle Umkrempelung stattfinde“, so hätte Ischikawa uns Allen
gewiss einen Dienst erwiesen, wenn er von dieser meiner An-
sicht Notiz genommen hätte.
Weismann sucht die Beweiskraft der Thatsachen, die ich
für diese meine Anschauung vorgebracht habe, zu entkräften und
wiederholt nochmals den theilweise schon von Ischikawa ge-
machten Einwand, „dass aus dem Stichkanal keine Zurück-
stülpung erfolgt und dass der weisse Schleier, den Nussbaum
beschreibt und abbildet, wie er sich vom Stichkanal aus über
die Aussenfläche des umgestülpten Polypen hinzieht (s. a. a. O.
Tafel XIX, Fig. 104), entweder auf einer Quellung der Ento-
dermzellen durch Wirkung des Wassers, oder auf einer wirklichen
Auswanderung später zu Grunde gehender Ectodermzellen beruht,
die aber mit der eigentlichen Restitution der Schichten nichts zu
thun hat“.
Ischikawa habe ich auf diese Einwendung nicht geant-
wortet, weil ich mich in meiner Abhandlung hinlänglich darüber
ausgewiesen hatte, dass ich Eetoderm von Entoderm zu unter-
scheiden verstehe !).
Auf die von Weismann hinzugefügte Alternative, es möge
der Schleier aus später zu Grunde gehenden Eetodermzellen be-
stehen, kann ich vorläufig nur erwidern, dass diese Erklärung
meiner Beobachtungen ebenfalls nicht zutrifft. Man findet im
1) Vgl. dazu noch folgende Stellen. Pag. 329 des 29. Bandes
dieses Archivs: „oft genug ging ein grosser Theil des umgestülpten
und nach aussen gekehrten Entoderm in Fetzen ab und löste sich
völlig im Wasser auf.“ Pag. 341. „Von den Wundöffnungen und von
den Tentakeln zieht sich das Ectoderm wie ein feiner weisser Schleier
über das gefärbte und an den übrigen Stellen des Leibes nach
aussen gelagerte Entoderm hin. Die verletzte Stelle mit dem abgän-
gigen Entoderm liegt unverändert nahe dem Fuss, von der Stichwunde
durch normales Entoderm getrennt.“
522 M. Nussbaum:
experimentellen Theil dieser Abhandlung die Beweise für meine F
Behauptung, freilich nur in einer Wiederholung meiner alten
Beobachtungen.
In seinen Bemerkungen sucht Weismann nunmehr die
Deutung zu widerlegen, die ich den in Fig. 14—30 der Ischi-
kawa’schen Abbildungen zu Grunde liegenden Versuchen ge-
geben hatte.
Für die Fig. 14—18 (Versuch Nr. 15, Ischikawa), muss
man gestehen, ist der Erfolg auf Weismann’s Seite, nachdem
er die Fig. 18 anders orientirt, d.h. um 180° gegen die Ischi-
kawa’sche gedreht hat. Mein Einwand bezog sich auf die
Ischikawa’sche Originalfigur 18, die als solche niemals für eine
erfolgte Rückstülpung beweisend sein konnte. Ich weiss, dass
ausser mir noch vielen Anderen die Ischikawa’schen Figuren
und die zugegebenen Erläuterungen unverständlich blieben.
Da nach Weismann’s Holzschnitten die Tentakel aber in
der That lagen, wo sie nach meiner Argumentation hätten liegen
müssen, wenn der Polyp, wie wir jetzt wissen, sich wirklich in
toto umgestülpt hatte, so ist damit dieser Punkt erledigt.
Auf die Ischikawa’schen Figuren 19—30 geht Weis-
mann nicht ein. Da an diesen Versuchsthieren sicher keine
Rückstülpung im Sinne Ischikawa’s vorgekommen ist, und ich
vor wie nach in denselben eine werthvolle Bestätigung des von
mir zuerst beschriebenen Vorganges der‘ gleichzeitigen Rück-
stülpung von verschiedenen Stellen her erblicke, so will ich dies-
mal eingehender auf dieselben zurückkommen.
Zuvor müssen wir jedoch an einem Handsehuhfinger als
Modell untersuchen, welche Lageveränderungen für verschiedene
Formen der Umstülpung charakteristisch sind, um aus diesen Be-
trachtungen sichere Daten zu gewinnen für die Beurtheilung der
stattgehabten Verlagerungen nach Ablauf eines Versuches am
lebenden Polypen.
Tafel XXVI, Figur 15.
1) Ein Handschuhfinger, dessen eine Seite gegen das offene
Ende zu mit einer Nadel von aussen nach innen durehbohrt und
auf einer Unterlage befestigt ist, wird nach der Umstülpung vorn
mit hinten vertauscht haben, d. h. das offene Ende wird jetzt da
liegen, wo die geschlossene Fingerspitze zuvor gelegen hatte.
ee DEF rg
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 523
Die Nadel geht jetzt nicht mehr von aussen nach innen durch
die durehbohrte Seite hindurch, sondern von innen nach aussen.
Man kann dem Handschuhfinger seine frühere Orientirung mit
Bezug auf die Längsaxe wieder geben, wenn man ihn 180°
um die fixirende Nadel rotirt: dann liegt das offene Ende wieder
genau so, wie vor der Umstülpung, aber die vorher sichtbare
Nadel wird dem Beschauer jetzt durch die nicht durchbohrte
Seite des Handschuhfingers verdeckt. Man kann weiter durch
Rotation von 180° um die Längsachse des Fingers die Nadel
‚zum grössten Theil wieder sichtbar machen. Dann ist der Hand-
schuhfinger aber nicht mehr an der aufwärts gerichteten Wand,
sondern an der unteren durchbohrt. Die Nadel bleibt bei dieser
Rotation um die Längsachse des umgestülpten Fingers von innen
nach aussen durchgestochen.
Tafel XXVI, Figur 6—8.
2) Führt man an einem Handschuhfinger durch die untere
Wand von innen nach aussen eine Nadel durch und stülpt das
blinde Ende durch das offene hindurch, so vertauschen wieder
die beiden Enden der Längsachse des Fingers ihren Platz. Man
kann aber jetzt, wenn die durchgesteckte Fingerspitze vor der
völligen Durchstülpung gefasst und über den oberen Rand des
offenen Endes vom Handschuhfinger in ihre alte Richtung zurück-
geführt wird, durch einfaches Umklappen die beiden Enden trotz
der Umstülpung wieder so lagern, wie sie vor der Umstülpung
gelegen hatten. Die Nadel steckt aber jetzt in der oberen Wand
des offenen Endes von aussen nach innen und der Finger hat
seine obere Fläche mit der unteren vertauscht.
Tafel XXVI, Figur 9—12. |
3) Man kann aber auch an einem Handschuhfinger eime
Nadel durch die obere und untere Wand hindurchstecken, den
Finger also doppelt durchbohren, ohne dass die Möglichkeit ihn
umzustülpen geschwunden wäre, sobald die Durchstechung nur
seitlich genug liegt, um den durchzustülpenden Finger vorbeiführen
zu lassen. Die Enden der Längsaxe vertauschen nach der Um-
stülpung ihren Platz. Konnte man bei der Seitenansicht die
durchgesteckte Nadel im Innern des vorderen Fingerendes sehen,
so wird sie jetzt durch die nicht durchbohrte Partie des vorderen
524 M. Nussbaum:
Endes verdeckt. Man kann aber wiederum den Handschuhfinger
durch Drehung von 180° um die Nadel mit Bezug auf sein blin-
des und .offenes Ende so legen, wie vor der Umstülpung. Nur
liegt jetzt die Nadel auf der dem Beschauer zugewandten Seite
mit ihrem Mittelstück an der Aussenseite des Fingers, die Enden
ragen aus der Lichtung hervor.
Bei der voraufgehenden Schilderung ist die Nadel jedesmal
senkrecht auf einer Unterlage befestigt gedacht; es ändert aber
offenbar an dem Ganzen nichts, wenn die Nadel horizontal durch-
gesteckt und in dieser Lage fixirt wäre.
Es wäre also möglich, dass ein umgestülpter Polyp, der
nach einer der vorbeschriebenen Arten mit einer Borste oder mit
einem Draht durchbohrt wurde, sich zurückstülpe. Es muss dann
aber abgesehen von der Umkehrung seiner Leibesschiehten auch
vorn mit hinten vertauscht sein. Um diese Fälle handelt es sich
aber gar nicht bei dem Umkehrungsversuch Trembley’s und
der zugehörigen Erklärung.
Auch der folgende Verlauf eines Umstülpungsversuches ge-
hört nicht hierher.
Tafel XXIX, Figur 1la und b.
4) Rückt die durchbohrende Nadel weiter gegen das blinde
Ende des Handschuhfingers zu, so tritt der von Weismann als
die einzige Möglichkeit für die Rückstülpung eines doppelt durch-
bohrten Polypen hingestellte Fall ein. Wie Fig. 11b der Taf. XXIX
zeigt, wird die völlige Umstülpung des vorderen Endes durch die
von der Nadel gefasste und zwischen den beiden Löchern gele-
gene Partie gehindert. Die Nadel muss aus einem Loch zurück-
gezogen werden, dann kann die völlige Rückstülpung wie in
Fig. 3, Tafel XXVI stattfmden. In Fig. 11a ist das Ausgangs-
stadium dieser Abart des Umkehrungsversuches dargestellt. Man
gelangt zu dem Endstadium in Figur 11b derselben Tafel XXIX,
wenn man den Handschuhfinger vom blinden Ende aus ein- und
durchstülpt, 180 0 um die Nadel dreht und das blinde Ende nach
abwärts klappt. Die Nadel ist horizontal durchgebohrt und in
dieser Lage befestigt.
Hier handelt es sich vielmehr um umgestülpte und durchbohrte
Polypen, die während der von mehreren Stellen aus erfolgenden
Rückstülpung durchbohrt bleiben und in Folge dessen die Characte-
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 525
zistiea der einfachen Um- oder Rückstülpung mit Bezug auf
die Längsaxe nicht zeigen: d.h. um umgestülpte Polypen, die,
wenn sie aussen statt des Entoderm ganz wie normale Polypen
wieder Eetoderm zeigen, trotzdem die absolute Lage von Mund
und Fuss im Raume nicht gewechselt haben. Es muss somit die
Frage entschieden werden, ob ein an der einheitlichen Rück-
stülpung von vorn nach hinten oder von hinten nach vorn gehin-
_ derter umgekehrter Polyp lebensfähig sei, und auf welche Weise
das Eetoderm wieder aussen zu liegen komme.
Wir argumentirten nach der von Trembley gelieferten Be-
schreibung, dass der von ihm umgestülpte und durchbohrte Polyp
in Fig. 16, Taf. XI seines Buches zu dieser Kategorie gehörte.
Er versichert uns, dass das Thier am Leben blieb, dass die innere
Haut zur äussern sich umwandle. Somit ist nicht daran zu zweifeln,
dass das Eetoderm an diesem auf der Borste verbliebenen Polypen
wieder aussen lag. Von einer Rückstülpung berichtet Trembley
Nichts. Wir machten dabei die Annahme, dass wenn eine Rück-
stülpung vorgekommen wäre, sie von Trembley, der diesen Vor-
gang in anderen Versuchen oft genug beobachtet hatte, nicht
würde übersehen worden sein. Leider kann man keinen zwin-
genden Beweis für diese Annahme beibringen, da es ein Ding
der Unmöglichkeit ist, viele Stunden eontinuirlich zu beobachten,
und Trembley dies auch sicher nicht gethan hat. Man könnte
wegen der von Trembley gewählten Manier der Aufhängung des
umgestülpten Polypen an einer Borste immerhin den Einwand
machen, der Polyp habe sich doch in toto zurückgestülpt und sei
späterhin durch Drehung um seine Queraxe zur anfänglichen Lage
zurückgekehrt, d. h. Mund oben und Fuss unten bei der Trem-
bley’schen Versuchsanordnung.
Bei meinen Versuchen habe ich nun umgestülpte Polypen
am Leben erhalten, die nicht durch einfache und einheitliche
Rückstülpung ihre Leibesschichten umkehren konnten, so dass
Eetoderm wieder aussen lag. Die Polypen meiner Versuche
waren wirklich durch den durchgestossenen und senkrecht auf
einer Platte befestigten Draht daran gehindert.
Die Möglichkeit eines derartigen Experiments bestreiten
Ischikawa und Weismann. Damit wäre der Trembley’sche
Versuch aus der Welt geschafft und man müsste mit Ischikawa
annehmen, dass ein an der einheitlichen, von Weismann in
526 M. Nussbaum:
seinen Holzschnitten erläuterten Rückstülpung gehinderter Polyp
zu Grunde gehen müsse.
Die Versuche Ischikawa’s, zu denen die Figuren 19—20
und 26—30 gehören, wurden in meiner Kritik, wie oben erwähnt,
gedeutet, wie ich meine eignen Versuche und den Versuch Trem-
bley’s erklärt habe, und ich will jetzt ausführlicher an Isehikawa’s
Figuren zeigen, dass ein Polyp doch am Leben bleiben kann,
wenn er an der einheitlichen Rückstülpung gehindert und ge-
zwungen ist, von zwei oder mehreren Stellen aus Rückstülpungen
auszuführen.
Wie oben auseinandergesetzt wurde, kann ein durchbohrter,
umgestülpter Handschuhfinger nach der Rückstülpung nur durch
Rotation um eine Queraxe, die mit der fixirenden Nadel zusam-
menfällt, in seine ursprüngliche Lage mit Bezug auf sein offenes
und blindes Ende zurückgebracht werden.
In Ischikawa’s Versuchen, wo der umgestülpte Polyp auf
dem Glasstäbchen verblieb, fiel aber das Fixirungsmittel in die
Längsaxe der Versuchsthiere (l. ec. Figg. 19—30); es konnte somit
keine Drehung der Thiere um eine Queraxe erfolgen. Lag des-
halb das Mundende vor der Rückstülpung und nach derselben
oben am Glasstab, so konnte dies keine einfache Rückstülpung
nach Art eines Handschuhfingers sein, da ihr die Merkzeichen
derselben fehlen.
Die Ischikawa’schen Versuche eignen sich deshalb ganz
besonders zum Nachweis, dass eine mehrfache, von verschiedenen
Stellen aus getrennt erfolgende Rückstülpung an dem an einer
einheitlichen Rückstülpung gehinderten Polypen möglich ist. Denn
man kann auch ohne continuirliche Beobachtung eine einfache
Rückstülpung in diesen Versuchen ausschliessen.
Wählen wir für unseren Beweis die zum Versuch 17 gehöri-
sen Fig. 21—25 der Ischikawa’schen Abhandlung aus.
Ein Polyp war über ein Glasstäbchen umgestülpt und etwas
unter seiner Leibesmitte von demselben Glasstäbehen durehbohrt }
worden, so dass das tentakelführende vordere Ende das Glasstäb-
chen einhüllte, das hintere Ende dagegen frei war. Nach Ischi-
kawa’s Beschreibung und den beigefügten Abbildungen stülpte
sich das hintere Ende zurück wie ein Handschuhfinger. Da nun
gemäss Fig. 23 das blinde Fussende des zurückgestülpten hinte-
ren Abschnittes wieder so lag wie in Fig. 21 und 22, d.h. wie
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 527
_ vor der Rückstülpung, so muss dieser Theil eine Drehung um
seine Queraxe vollzogen haben und der Eingang zu seinem Inne-
ren von der dem Beschauer zugewandten auf die entgegengesetzte
Seite gerückt sein. (Vgl. auf Seite 522 die Auseinandersetzung über
_ die Umstülpung eines einseitig am offenen Ende durchbohrten
— Handschuhfingers Absatz 1); ebenso Taf. XXVI, Fig. 1—5). Am
- tentakelführenden Ende erschien gleichzeitig mit der Rückstülpung
des vorhin betrachteten Theiles das Eetoderm wieder auf der
Aussenfläche; die Rückstülpung erfolgte aber nicht wie beim
hinteren Ende, da die Tentakel in ihrer Lage verharrten und eine
Drehung um die Queraxe durch die Versuchsanordnung ausge-
sehlossen ist.
An diesem vorderen Abschnitt erfolgte eine Rückstülpung
der Leibesschiehten vom Mundrande und von der in der Mitte
des Körpers gelegenen Wundfläche her, die zur Verwachsung
führte, wie Ischikawa in seiner Tafelerklärung auf Seite 458
(Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. 49) selbst angiebt. „Der freie
Rand des Körpers mit a bezeichnet schob sich weiter nach oben
zu und wuchs endlich mit dem freien Rande des Mundes zusammen.“
Hätte Ischikawa den in Fig. 30 (l.e.) dargestellten Poly-
pen in feine Schnitte zerlegt und ebenso das tentakelführende
Ende statt des Fussstückes aus Fig. 25, so würde er gewiss
Bilder erhalten haben, die ihn mit meiner Erklärung des Trem-
bley’schen Versuches mehr befreundet hätten. In solchen Prä-
paraten würde innen und aussen Ectoderm gelegen haben, da-
zwischen Entoderm. Eetoderm und Entoderm wären durch die Stütz-
lamelle mit einander verbunden gewesen. Um kein Missverständ-
niss aufkommen zu lassen, soll die Schichtfolge von einer Seite eines
Querschnittes solcher Polypen bis zur andern hier aufgezählt wer-
den: Eetoderm, Stützlamelle, Entoderm, Stützlamelle, Eetoderm;
Loch, wo die Borste gelegen hatte; Eetoderm, Stützlamelle, En-
toderm, Stützlamelle, Eetoderm.
Das könnte man an einem aus der Umstülpung zur normalen
Lagerung des Eetoderm durch einfache uncomplieirte Rückstül-
pung zurückgekehrten Polypen nicht finden. Das Fussende der
Fig. 25 (Tafel 18 der Ischikawa’schen Abhandlung) ist durch
_ einfache Rückstülpung zur normalen Lage zurückgekehrt: dess-
halb bietet der Schnitt in Figur 68, Tafel XX 1. e. Nichts zur
Erklärung des Trembley’schen Versuches.
528 M. Nussbaum:
Das vordere Ende dagegen hat sich vom Mundrande und
der Wundfläche aus gleichzeitig und in entgegengesetzter Rich- :
tung, vom Mundrande von vorn nach hinten, vom Wundrande
von hinten nach vorn zurückgestülpt, bis beide Ränder mit ein-
ander verwachsen konnten.
Das ist aber genau dasselbe, was ich von der Verheilung
der vom Mundrande und den Wundöffnungen meiner Versuchs-
thiere her vorkriechenden freien Ränder gesagt habe.
Es ist somit möglich, einen umgestülpten Polypen am Leben
zu erhalten, der an der einheitlich vom Mund zum Fuss oder vom
Fuss gegen den Mund zu erfolgenden Rückstülpung gehindert ist, wie
dies Fig. 47 meiner früheren Abhandlung zeigt. An diesem Po-
Iypen liegt das Eetoderm wieder aussen; der Polyp lebt und ist
vor wie nach von einer Borste quer durchbohrt. Er kann sich
somit nicht in der Art, wie Weismann sie in seinen Holz-
sehnitten illustrirt hat, zurückgestülpt haben. Ueberdies war an
meinem Polypen die absolute Lage von Mund und Fuss vor und
nach der Rückstülpung dieselbe, was gleichfalls unmöglich wäre,
wenn der Polyp sich einfach vom Fuss durch das Innere hindurch
zurückgestülpt hätte. Ich begnüge mich vorläufig mit dem bis-
hierher geführten Beweise, um im zweiten Abschnitt ausführlich zu
zeigen, dass neben der von Weismann als der einzig möglich hinge-
stellten Art der Rückstülpung noch eine Reihe anderer vorkommt.
Ob dabei, wie Weismann als unbedingt nothwendig vor-
aussetzt (l. ec. pag. 630) eine mehrfache Zerreissung des ganzen
Polypen sich ereignen müsse, wollen wir im zweiten Abschnitt
an einem Handschuhfinger als Modell prüfen. Am Handschuh-
finger sind die von Weismann bezweifelten Formen der Rück-
stülpung, wie ich im Voraus bemerken will, ohne irgend welche
Zerreissung angängig. Es dürfte also wahrscheinlich sein, dass
der ceontractile und zugleich stark dehnbare Polypenleib ohne
Schaden einen Vorgang vollziehen könne, der ohne Zerreissung
am Handschuhfinger vorzunehmen ist. _ |
Weismann bildet zwar einen mit zwei Borsten kreuzweise
durchbohrten Polypen ab, der einen Tag nach der Umstülpung
zu Grunde ging. Man wird sich doch wohl hüten müssen, einen
Versuch mit negativem Erfolge für einen Beweis gegen die Mög-
lichkeit eines andern Versuches mit positivem Ergebniss zu hal-
ten. Bei Trembley’s, meinen eigenen Versuchen, den Versuchen
|
Mechanik des Trembley’schen Umstülpüngsversuches. 529
a Ischikawa’s sind viele umgestülpte, undurchbohrte oder durch-
bohrte Polypen zu Grunde gegangen, andere haben sich zu viel-
wi,
_köpfigen Hydren umgestaltet. Sehr viele Experimentatoren haben
vergeblich den Versuch angestellt. Giebt das ein Recht zu sagen,
die Möglichkeit, ein umgestülpter und an der einfachen totalen
_ Rückstülpung gehinderter Polyp könne am Leben bleiben, sei
ausgeschlossen ?
Nun noch ein Wort zur „heimlichen“ Rückstülpung. Da ich ge-
sehen hatte, dass die Verlagerung des Ecetoderm auf die Aussenseite
- eines umgestülpten gefesselten Polypen in dem Umschlag der Leibes-
schiehten vom Mund und den Wundrändern her beruhe, dass die
gewöhnliche Umstülpung nach dem Schema des umgestülpten
Handschuhfingers aber ausbleibe, so nannte ich die modifieirte
Umstülpung, die in diesen Fällen nicht am lebenden Thier, sondern
erst an den feinen Schnitten durch die gehärteten Versuchsthiere
erkannt werden kann, eine heimliche. Durch dieses Wort wurde
in einfachster Form ausgedrückt, dass auch bei dem ächten
Trembley’schen Versuch das Wiedererscheinen des Ectoderm auf
einer Umstülpung beruhe, die aber dem geschickten Experimen-
tator Trembley verborgen bleiben musste, weil sie am lebenden
Thier nicht augenfällig verläuft. Es war somit nicht allein die
Möglichkeit des Versuchs, sondern auch der Grund dafür ange-
geben worden, wie Trembley zu seiner Theorie von der Ver-
wandlung von Entoderm in Eetoderm kommen konnte, ja kommen
musste. Zu seiner Zeit war es absolut unmöglich, in den Vor-
gang dieser Form der Rückstülpung tiefer einzudringen, und am
lebenden Thier ist von einem ohne Weiteres mit dem Vorgang
der Umstülpung oder Rückstülpung vergleichbaren Vorgange nichts
zu sehen.
Auch für Ischikawa ist die Rückstülpung bei dem ächten
Trembley’schen Versuch eine „heimliche“ geblieben, da er die-
sen Versuch gar nicht angestellt hat. Der ächte Trembley’sche
"Versuch setzt voraus, dass ein umgestülpter Polyp sich zurück-
stülpe und dabei von der Borste quer durchbohrt bleibe.
In meiner früheren Abhandlung schloss ich, das Wiederer-
scheinen des Eetoderm auf der Oberfläche eines umgestülpten
und quer durchbohrten Polypen erfolge durch den Umschlag der
Leibesschichten, weil ich an Schnitten durch die gehärteten
Versuchsthiere gesehen hatte, dass unter dem Eetoderm in, allen
530 M. Nussbaum:
Fällen auch die Stützlamelle liege. Selbstverständlich folgte unter
der Stützlamelle Entoderm. Ob dies aber zu dem darüber liegenden :
Eetoderm gehöre, konnte nicht in allen Fällen nachgewiesen wer-
den. Dazu hätte gehört, dass wie beim normalen Polypen die
Kerne des Entoderm an den umgeschlagenen Stellen überall
der Stützlamelle anlagen, dass überall ein deutliches Lumen
zwischen den einander zugewandten Entodermzellen der zurück-
gestülpten und der noch nicht zurückgestülpten Leibeswand
sichtbar gewesen wäre, und dass man in diesem Lumen
die Cilien auf den Köpfen der Entodermzellen hätte erken-
nen müssen. Da aber die Contraction der Theile eine so
grosse ist, dass die Entodermzellen, an den meisten Umschlag-
stellen dicht aneinandergepresst, ihre normale Gestalt total ver-
ändert haben und kein Zwischenraum die zu der einen Schicht
gehörige Reihe von der andern trennt, so konnte ich nicht mehr
als die Annahme machen, es schlage sich mit dem Eetoderm und
der Stützlamelle auch das Entoderm an den bezeichneten Stellen
um. Zu beweisen war dies nur an einigen günstigen Partien
weniger Schnitte. Um keinem Zweifel Raum zu geben über die
Art, wie ich zu dem Schluss gekommen war, das Wiederscheinen
' des Eetoderm auf der Oberfläche umgestülpter Polypen sei durch
Rückstülpungsvorgang bedingt, hob ich hervor, dass man zu der
Annahme gezwungen sei, mit dem Eetoderm und der Stützlamelle
schlage sich gleichzeitig das Entoderm um. Von dem Eetoderm
war dies schon am lebenden Thiere zu beweisen, von der Stütz-
lamelle an den mikroskopischen Schnitten, aber selbst an den
Schnitten vom Entoderm nicht immer.
Macht man eine Annahme, so leitet man nur aus der Ana-
logie den Schluss ab. Die Analogie war durch die günstigen
Schnitte, an denen der Umschlag der Leibesschichten wirklich
gesehen worden war, gegeben. Der allgemeine Schluss war be-
rechtigt, weil kein zwingender Grund vorlag, nach den weniger
günstigen Schnitten die Erscheinung anders zu deuten, als ich”
es gethan habe.
Die auf Seite 634 und 635 folgenden Auseinandersetzungen
Weismann’s, der Kampf mit dem „proteusartigen Gegner“, sind
durch das von mir vorhin vorgebrachte Beweismaterial erledigt.
Es ist sicher, dass Ischikawa meine Erklärung nicht ge-
kannt hat; denn sonst würde er die von mir als unrichtig be-
ET N ae
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsverstiches. 531
zeichnete Meinung nicht noch einmal mit dem Aufwand von drei
Holzsehnitten (siehe pag. 452 der Abhandlung Ischikawa's,
£
u
4
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2
-
Zeitschr. für wissensch. Zool. Bd. 49) bekämpft haben. Wäre
"7
ihm meine Erklärung bekannt gewesen, so hätte er sich sicher
ebenso gut damit befasst, als mit einer, die ich selbst verwerfe.
Dem Leser seiner Bemerkungen gesteht Weismann, dass
wenn ihm auch die ganze Nussbaum’sche Abhandlung nicht
_ mehr im Gedächtniss war, er sich doch sehr gut erinnerte, dass
_ dort fortwährend von einem „Herauskriechen“ der im Inneren
- des umgestülpten Polypen liegenden Eetodermzellen „aus den
Stichöffnungen“ der fixirenden Borste und vom Mundrand her die
Rede sei.
Wenn Weismann sich nur dieser Worte erinnerte, so
konnte dies auch auf eine Erinnerung an ein Referat im Biolo-
gischen Centralblatt Bd. VI, pag. 571!) zurückgehen und eher
noch als auf meine Abhandlung; da in der Abhandlung auch von
Umstülpung der Leibesschichten die Rede ist.
Die betreffende Nummer des Biologischen Centralblattes
(Bd. VI, No. 18) datirt vom 15. November 1886 und enthält ein
sinn- und wortgetreues Referat meines in der zoologischen Section
der Naturforscher-Versammlung in Berlin im Herbst 1886 gehal-
tenen Vortrages über die Umstülpung der Polypen.
In Berlin beschrieb ich die Veränderungen, “die an lebenden
umgestülpten Polypen zu sehen sind: das Eetoderm kriecht vom
Mundrande und den Durchbohrungsstellen her bis zur völligen
Umwachsung des vom Draht gefesselten umgestülpten Polypen
vor. Ob die zu den betreffenden Partien des Eetoderm zugehörige
Stützlamelle mit dem Entoderm sich mitumklappe, konnte ich nicht
sagen, da die Antwort auf diese Frage erst nach einer genauen
mikroskopischen Untersuchung feiner Schnitte durch meine ge-
härteten Versuchsthiere gegeben werden konnte. Dies ist m
meiner ausführlichen Abhandlung geschehen. Das Bioiogische
Centralblatt hat aber über meine im Jahre 1887 erschienene Ab-
handlung kein Referat gebracht.
Als nun Weismann meine Abhandlung nach dem Er-
scheinen meiner Kritik gelesen hatte („Sehe ich jetzt die Abhand-
lung nach“ pag. 629 d. Arch. Bd. 36), übersah er, dass die beiden
1) Von Weismann auch auf pag. 636 seiner Bemerkungen eitirt,
539 M. Nussbaum!
in der Abhandlung vorgetragenen Meinungen nicht gleiehwerthig
seien. Die erste lautete }):
„Da man nun das allmähliche Vorwärtsschieben des fertigen
Eetoderm von den Punkten aus, wo ein einfaches Ueberwandern
möglich ist, direct unter dem Mikroskop verfolgen kann, so könnte
man glauben, das Ectoderm vollziehe diese Wanderung ganz allein.“
Spricht schon die Fassung des Satzes dafür, dass ich es nur
für möglich halte, man könnte zu dieser Ansicht kommen, so
sagt doch der folgende Satz: „Das ist aber nicht richtig“ deut-
lich genug, dass ich persönlich diese Ansicht nicht theile.
Ebenso bestimmt, wie ich die vorhin besprochene Möglich-
keit einer Erklärung zurückgewiesen habe, gebe ich am Schlusse
der Schilderung des mikroskopischen Befundes an feinen Schnit-
ten durch gehärtete Versuchsthiere die Erklärung, an der ich
auch festhalte ?):
„Die bei der Restitution eines umgestülpten und gefesselten
Polypen auftretenden Vorgänge haben nichts Besonderes und von
anderweitig Bekanntem Abweichendes; sie bestehen im Umschlagen
der verwundeten Theile, so dass Eetoderm wieder aussen liegt;
in der Resorption der nicht weiter lebensfähigen Elemente und
in dem Ersatz des Abgängigen durch Zelltheilnng und Neu-
bildung.“
Die irrige Vorstellung Trembley’s, der auch die Regene-
ration kleiner Stücke der Leibessubstanz zu ganzen Polypen in
unzutreffender Weise erklärte, hatte ich durch den Nachweis be-
seitigt, dass sowohl bei der Restitution umgestülpter Polypen,
als auch bei der Regeneration aus kleinen Stücken die Leibes-
schichten bis zur Verwachsung sich einander zuwenden und dass
bei diesen Vorgängen, möge man die Thiere oder die Stücke
lagern wie man wolle, das Eetoderm stets nach aussen zu liegen
komme.
Ich muss somit dabei beharren, dass Trembley umgestülpte
und mit einer Borste durchbohrte Polypen am Leben erhalten,
dass Nussbaum das Wiedererscheinen des Eetoderm auf der”
Aussenfläche der quer mit der Borste durchbohrt bleibenden Ver-
_ suchsthiere durch die vom Mundrand und den Stichöffnungen her
1) Dieses Archiv Bd. 29, pag. 343.
2) Dieses Archiv Bd. 29, pag. 347.
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. H38
olgende gleichzeitige Rückstülpung erklärt hat. An der Rück-
stülpung nicht durchbohrter oder schlecht durehbohrter Polypen
‚hatte Niemand gezweifelt.
Der von Weismann reprodueirte Versuch Ischikawa’s
t kein Trembley’scher Versuch, da der Polyp bei der Rück-
stülpung sich zum Theil von der Borste befreite, und Mund und
Fuss ihre absolute Lage im Raum veränderten.
A Die von Isehikawa gegebene Erklärung seines Versuches
geht auf directer Beobachtung, ist aber nicht neu. Sie ist eine
Bestätigung der Nussbaum’ a Ansicht, dass das Wiederer-
€ scheinen des Eetoderm auf der Oberfläche umgestülpter Polypen
nieht in einer Umwandlung, sondern in einer Umlagerung bestehe,
_ eim Rückstülpungsvorgang sei.
| Die von Weismann aufgestellte Behauptung, ein umge-
stülpter Polyp könne sich nicht vom Mundrande und der Stich-
öffnung her zugleich zurückstülpen, kann nicht allein aus der Ar-
_ beit Nussbaum’s, sondern auch aus der Arbeit Ischikawa’s
_ widerlegt werden.
| Wir wenden uns nun mit Weismann zu dem zweiten
Punkte, die „intermediären Zellen“ anlangend. Da, wie Weismann
zugiebt, Ischikawa mir hier etwas zugeschrieben hat, was meine
Meinung gar nicht ist, so soll Ischikawa zwar etwas unvorsich-
tig gewesen sein, aber wiederum nothgedrungen zu seiner Ansicht
- über meme Meinung gekommen sein, wie gelegentlich der Erklä-
rung des Umstülpungsversuches. Dieser zweite Punkt der Weis-
_ mann’schen Bemerkungen betrifft die Regeneration von Polypen
_ aus abgeschnittenen Tentakeln. In den Tentakeln der Hydren
kommen im Ectoderm die von mir intermediäre Zellen genannten
Bildungszellen nicht vor. Im Entoderm der Tentakeln fehlt die
zweite Art von Drüsenzellen. Die Basis der Tentakel, der eigent-
- Jiehe Mundring, hat beides.
Eine Reihe von Beobachtern hat aus abgeschnittenen Ten-
takeln der Hydren keine neuen Thiere züchten können.
Nun sagte ich bei der Beurtheilung der positiven Ergebnisse
Engelmann’s, pag. 332:
„Man müsste die Annahme machen, dass aus der einen Art
von Entodermzellen der Arme sich auch die andere bilden könne.
um den fehlenden Magentheil zu ersetzen.“
2 Es hätte also Ischikawa weder zu vermuthen noch zu
Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37 35
R
994 M. Niussbaum!
schliessen brauchen, ieh mache die Annahme, dass sich Entoderm
aus intermediären Zellen bilde. - |
Weismann fährt dann in seinen Bemerkungen fort:
„Wenn doch, wie Nussbaum glaubt, die Entodermzellen
des Tentakels die andern Entodermzellen des Magentheils nicht
hervorbringen können, intermediäre Zellen aber an der Tentakel-
basis vorkommen, müssen dann nicht diese letzteren nach N uss-
baum die sonst nicht hervorzubringenden Magen-Entodermzellen
bei der Regeneration gebildet haben? Mir schemt dieser Schluss
logisch unabweisbar.“
Darauf ist zu antworten, dass dieser Schluss gar nicht lo-
sisch ist; da an den zur Regeneration fähigen Tentakelbasen
nicht allem intermediäre Zellen im Eetoderm, sondern auch beide
Zellenarten im Entoderm vorkommen.
Nun soll ich heute, nachdem Isehikawa’s Versuche ver-
öffentlieht worden sind, meine Meinung klar und bestimmt dahim
ausgesprochen haben, dass zur Regeneration eines ganzen fort-
pflanzungsfähigen Polypen mindestens eine Eetoderm-, eine Ento-
derm- und eine Zelle des intermediären Keimlagers nöthig seien.
„Aber — fährt Weismann fort pag. 637 — warum sprach er
sich nicht schon in seiner Arbeit 1887 so verständlich aus, wie
in diesem Satz?“ Ich glaube dies gethan zu haben und eitire
von pag. 322 des XXIX. Bds. d. Arech.:
„Wir werden zeigen können, wie durch die definitive Ar-
beitstheilung in Form einer strengen Sonderung von Entoderm
und Eetoderm zur Reproduction eines Ganzen nieht einmal mehr
eine Entoderm- und Eetodermzelle zusammengenommen oder Theile
von ihnen genügen, sondern wie zur Ergänzung des Ganzen nun-
mehr schon indifferente Zellen erforderlich sind, die unter Umständen
auch zu Geschlechtsprodukten sich heranbilden“ und von pag. 332:
„Die Regeneration eines Armes zu einem ganzen Polypen
schliesst stillschweigend die Annahme in sich ein, dass derselbe
auch fructifieiren, Knospen und Gesehleehtsprodukte bilden könne. ;
Dazu sind aber die indifferenten intermediären Zellen unerläss-
lich. Es müsste sich somit aus völlig charakteristisch gebildeten
Muskel- oder Nesselzellen dies Keimlager [die intermediären Zel-
len, die den Tentakeln fehlen, sind gemeint Ref.] rückläufig resti-
tuiren können; an dieser Annahme wird man aber vorläufig
einigen Anstoss zu nehmen nicht umhin können.“
|
;
|
|
|
|
f andersetzung über die mögliche Ursache des Erfolges und Nicht-
erfolges bei der Züchtung von Polypen aus abgeschnittenen Ten-
%
Pr
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 535
| Die in den Bemerkungen Weismann’s folgende Ausein-
takeln sprieht deutlich dafür, dass zwischen meiner Theorie von
der eontinuirliehen Abstammung durch die Geschlechtszellen und
\
_Weismann's Lehre von der Continuität des Keimplasmas eine
grössere Verschiedenheit besteht als man nach unseren ersten Pub-
lieationen !) über diesen Gegenstand hätte erwarten sollen. Wenn
die Grösse der Tentakel, wie Weismann annimmt, die Ursache
sein sollte, dass trotz des Mangels an intermediären Zellen in den
-_
Pr
Tentakeln — wir dürfen das Entoderm bei dieser Frage ausser
Acht lassen, da sich bei den Hydren des süssen Wassers .die
Geschlechtsprodukte aus den intermediären Zellen des Ectoderm
entwickeln —, wenn also ohne die intermediären Zellen ein ab-
geschnittener Tentakel zum ganzen fortpflanzungsfähigen Polypen
auswachsen könnte, so wäre damit der Beweis geliefert, dass aus
einer Nessel- oder Muskelzelle sich Samen und Eier bilden könn-
ten, was ich noch immer zu bezweifeln mir erlaube ?).
Wenn freilich alle Körperzellen auch Keimplasma entbalten,
so ist der Zweifel an der von mir bestrittenen Möglichkeit be-
seitigt. Dann wäre es aber nicht nöthig, die Geschlechtszellen so
früh auszusondern, als wir für viele Thiere bis jetzt nachgewiesen
haben; die ganze Mechanik der Keimblätterbiklung durch die
Gastrulation wäre überflüssig, die Bildungsgeschichte des Auges
unverständlich, wenn eben aus Allem Alles werden könnte.
Die Frage nach der Möglichkeit der Regeneration eines
Polypen aus abgeschnittenen Armen, in denen sich nur eine Zel-
lenart im Entoderm, und im Eetoderm keine intermediären Zellen
finden, ist noch ebenso unentschieden, als ich sie 1887 lassen
musste; sie bleibt es, bis durch das Experiment die Abwesenheit von
intermediären Zellen im Eetoderm abgeschnittener regenerations-
fähiger Polypenarme nachgewiesen ist und die Bildung einer
zweiten Form von Entodermzellen aus der in den Tentakeln aus-
schliesslich vorhandenen Form beobachtet wurde.
1) Vgl. dieses Archiv Bd. XVIII vom Jahre 1880, pag. 112 u. 113.
— Weismann, Ueber die Vererbung. Ein Vortrag. Jena, 1883,
pag.57 und 58.
2) Auf die Einwände, die in neuerer Zeit auch O. Hertwig
gegen meine Theorie erhoben hat, werde ich an einer anderen Stelle
näher eingehen.
536 M. Nussbaum!
‚Il.
Eine nochmalige Beschäftigung mit dem Umkehrungsversuch
an Hydra grisea während der beiden ersten Monate dieses Jahres
hat mir die Veranlassung geboten, genau darauf zu achten, worin
die Schwierigkeiten des Versuches begründet seien, und an
welchen Etappen seiner Ausführung am leichtesten ein Misslingen
desselben stattfinden kann. Der Beschreibung der einzelnen Ver-
suche soll deshalb eine Schilderung der Methodik und eine An-
weisung voraufgehen, am Handschuhfingermodell den Vorgang der
Um- und Rückstülpung nachzuahmen.
Methodik.
Gehalten werden die Polypen in grossen, mit Wasserpflanzen
gut besetzten Aquarien. Die von mir in diesem Jahre benutzten
Thiere sind alle einem solehen Aquarium entnommen, das im
Jahre 1885 mit Polypen besetzt worden war. Schwankungen
erheblicher Art im Salzgehalt des Wassers haben dem Bestand nicht
geschadet. Ausgetrocknet ist das Aquarium freilich nieht gewesen.
Man kann die Umstülpungsversuche, wie ich neuerdings
gefunden habe, an grossen und kleinen Polypen anstellen; nur
muss man die zum Umstülpen und zur Durehbohrung benutzten
Borsten entsprechend auswählen. Namentlich bei der von Ischi-
kawa eingeführten Modification des Trembley’schen Versuches
hängt das ganze Gelingen von der Dicke der Borste ab. Vor
allen Dingen darf man nur solche Borsten auswählen, an denen
der vertrocknete Rest der Haarbalgtasche erhalten und diese basale
Partie ganz gerade ist. Man weicht das stumpfe Ende mit der
Haarbalgtasche in Wasser auf und reibt mit einem feinen Tuche
gut ab, bis alle Fetzen glatt entfernt sind. Unterlässt man das
vorherige Aufweichen, so quillt die Haarbalgtasche während des
Versuches selbst und führt Zerreisungen herbei.
Der Polyp wird mit dem Fuss nach rechts gewandt in einem
Wassertropfen auf eine Kautschuk- oder schwarze weiche Wachs-
platte gelegt und so lange mit dem stumpfen Ende der ge-
reinigten Schweineborste betupft, bis er Napfform angenommen
hat. Jetzt wird der Wassertropfen mit Fliesspapier abgesaugt, bis
er so weit abgeflacht ist, dass er den zusammengezogenen Polypen
E
2
EN PB een ER EREFNELER
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 537
nur eben bedeckt. Die Procedur ist insoweit wichtig, als der
Polyp dadurch relativ fest gelegt wird; nur muss man sich hüten,
zuviel Wasser abzusaugen, weil sich sonst der Polyp abflacht und
an seiner oberen Wand in störender Weise das Licht refleetirt.
Hierauf folgt die Umstülpung, wobei man rasch und sicher
vorgehen muss, da bei längerem Verweilen der Fuss sich an der
Borste festsaugt und dadurch das Gelingen des Versuches ge-
fährdet wird. Man kann alsdann auch in vortheilhafter Weise
den Versuch so abändern, dass man den umgestülpten Polypen
beim Zurückschieben von der Borste nicht mehr am Fussende,
_ wie ich dies früher angegeben habe, mit der Pineette leicht zu
fassen braucht; da der Fuss bei schneller Ausführung der Um-
stülpung gar nicht Zeit gehabt hat, sich an der Borste festzu-
saugen, also anch nicht durch Zug davon entfernt zu werden braucht.
Man schiebt mit der rechten Hand die Borste, genau das
Centrum des Fusses fassend, gegen die Mundöffnung vor und
hält mit der Linken eine glattarmige feine Pincette wider die
Tentakel, dieht in der Umgebung des Mundes. Dann schlüpft
alsbald die Borste mit dem umgestülpten Polypenleib durch die
Pincette hindurch. Zieht man jetzt die Borste aus dem Innern
des Polypen hervor, während man mit der Pincette einen leichten
Gegendruck von der Mundöffnung des Polypen her ausübt, so
hat man die Umstülpung ohne jede Verletzung ausgeführt.
Zur weiteren Durehführung des eigentlichen Trem bley’schen
Versuches muss nunmehr der Polyp mit einer Borste quer durch-
bohrt werden. ‘Dabei zeigte sich für die Anwendung einer
Schweinsborste die Benutzung einer weichen schwarzen Wachs-
tafel vortheilhafter als die Kautschukplatte, die nur bei der
Durehbohrung mit Silberdraht zulässig ist. Die Borste darf nur
kurz sein und muss in einem Winkel von 45—60° durchgestossen
werden, weil die senkrechte Anbringung derselben der mikro-
skopischen Beobachtung in auffallendem Licht hinderlieh ist.
Um die äusserlich sichtbaren Veränderungen an dem umge-
stülpten und quer durchbohrten Polypen unter dem Mikroskop
bequem verfolgen zu können und gleichzeitig über die Lagerung
von Mund und Fuss vor und nach der Rückstülpung gut orientirt
zu sein, bringt man den, soweit wie angegeben, hergerichteten
Polypen in eine Glasdose, die folgendermaassen beschaffen und
in nachstehender Figur abgebildet ist.
38. M. Nussbaum:
Eine Glasdose von 4 cm Durchmesser, 1,5 em Höhe. mit
einem auf dem Boden und nach einer Seite hin befestigten Klötz-
chen von weichem schwarzen Wachs wird bis zur Höhe des
Klötzehen mit Wasser gefüllt und mit Wasserpflanzen besetzt, die
in der Verlängernng der Längsaxe des Wachsklötzehen eine freie
Gasse lassen. Der Polyp wird von der Platte, auf der er vor-
läufig durchbohrt festhaftete, durch Zug an der Borste in die
Höhe gehoben und die Borste auf dem Klötzchen. des Glaseylinders
nicht wieder so tief eingestossen, als vorher, damit der untere
Wundrand nicht fest auf der Unterlage aufliege, und eine Rück-
stülpung von dieser Stelle aus nicht gehindert werde.
Zum Schluss giesst man noch soviel Wasser aus dem Aqua-
rıum, aus dem der Polyp genommen wurde, in die Dose, bis der
Polyp mit einer Imm dicken Wasserschicht bedeckt ist.
Ueber das Ganze wird, wenn man nicht gerade unter dem
Mikroskop beobachtet, ein passender Glastrichter gestülpt, der
vor Staub und rascher Verdunstung schützt. Die Vorrichtung
darf nieht von der Sonne beschienen werden, da die Versuchs-
thiere sonst in dem erwärmten Wasser absterben.
Die von Isehikawa eingeführte Modifikation des Trem-
bley’schen Versuches habe ich zum Zweck der direeten Be-
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 539
obachtung und der Orientirung über die Lageveränderung von
Mund und Fuss in folgender Weise ausgeführt.
Der Polyp wird in der vorhin angegebenen Weise umgestülpt;
diesmal aber mit einer Borste, die diek genug ist, um das Innere
‚des Polypen ganz auszufüllen. [Ist die Borste zu dünn, so stülpt
sich der Polyp nieht von beiden Seiten, sondern nur von einer
zurück, der Versuch gehört alsdann nicht in die Categorie des
Trembley’schen, da der Polyp nicht an der gewöhnlichen
Rückstülpung gehindert wird.| Man schneidet mit einem feinen
_ Lanzenmesser die Gegend des Fusses über dem stumpfen Ende
der Borste ein und schiebt vorsichtig den Polypen eine kurze
_Streeke über die Borste hin vor. Um ein Abgleiten des Fusses
zu hindern, wird an das stumpfe Ende der Borste eine kleine
Wachskugel angeschmolzen, die Borste mit dem aufsitzenden um-
gestülpten und am Fussende von der Borste durchbohrten Polypen
horizontal in die freistehende Schmalseite des Wachsklötzehen der
Glasdose eingelassen. Man erreicht dies am einfachsten dadurch,
dass man mit einem heissen Draht eine Rinne in das Wachs-
klötzehen einschmilzt und die Borste mit ihrem Treien Ende in
das verflüssigte Wachs bringt. Dann wird Wasser nachgefüllt, bis
der Polyp bedeckt ist.
Soll der Versuch abgebrochen werden, so hebt man die
horizontal befestigten Polypen mit ihrer Bortse aus der Glasdose
heraus und tödtet sie mittelst aufgespritztem absoluten Alkohol,
den man alsbald durch 50 °/, Alkohol ersetzt, um erst von dieser
Concentration aus die Vorbereitung für die Zerlegung in feine
Schnitte ausgehen zu lassen.
Bei der Vorbereitung der quer durchbohrten Polypen für das
Mikrotom saugt man, sobald die Beobachtung am lebenden Thier
zu Ende geführt ist, soviel Wasser ab, bis der Polyp nur noch
in einem kleinen Tropfen auf dem Wachsklötzchen in der Glas-
dose daliegt, spritzt "Alkohol auf, der das T'hier sofort abtödtet
und durch Mischung mit dem in der Dose verbliebenen Wasser
soweit verdünnt wird, dass keine Schrumpfung des Präparates ein-
tritt. Alsdann wird die Borste mit dem Polypen von der Unter-
lage herausgehoben und das Präparat völlig entwässert.
Zur Entfernung der Borsten, die bis vor dem Eimlegen in
die Einbettungsmasse im Polypen stecken bleiben, muss man das
längere Ende dicht am Polypen mit einer starken, gut schliessenden
540 M. Nussbaum:
Pincette fest fassen, das andere Ende der Borste mit einer Scheere
dieht am Polypen durchschneiden und diesen selbst von der Borte
abstreifen. Hält man beim Schneiden die Borste nicht ganz fest,
so wird durch die Elastieität der Borste der gehärtete Polyp fort-
geschnellt.. An diesem Punkte scheint mir die Gelegenheit, den
ganzen Versuch zu verderben, am ehesten gegeben zu sein; doch
wird man bei genauer Befolgung der gegebenen Vorschrift gute
Resultate erzielen und die Polypen von der Borste befreien, ohne
dass auch nur eine Zelle dabei verloren gegangen wäre.
Besondere Vorsicht erfordert auch das Einschmelzen in
Paraffin, wenn man eine gewünschte Schnittrichtung mit Sicher-
heit einhalten will. Einfacher ist dies beim Einbetten in Celloidin; -
nur ist die Methode langwieriger.
Der Umkehrungsversuch am Modell.
In dem ersten Theil dieser Abhandlung wurde schon gezeigt,
dass man einen quer durchbohrten Handschuhfinger völlig um-,
oder, wenn man will, zurückstülpen kann, ohne dass er die Nadel
verlässt, wenn diese nur nahe genug der Oeffnung quer durch-
gestossen ist (siehe Tafel XXVI, Fig. 9—12). Selbstverständlich
müssen dabei die Lagen des blinden und offenen Endes vertauscht
werden; wo früher die Oeffnung lag, liegt nach der Umstülpung
das blinde Ende. |
1) In Fig. 13—16 der Tafel XXVI ist nun ein Fall dar-
gestellt, wo die Rückstülpung erfolgt, ohne dass ein Lagenwechsel
eintrete; freilieh combiniren sich dabei in zwei Abarten des Ver-
suches die einaktigeRückstülpung, die Weismann als die einzig
mögliche anerkennt und die mehraktige, wie sie früher von mir
beschrieben wurde.
Man findet in Fig. 13, Tafel XXVI einen Handschuhfinger
quer durchbohrt und die aufwärts gerichtete Durchbohrungs-
stelle ein wenig erweitert. Stülpt man jetzt das blinde Ende
ein, so kann man es durch die erweiterte Stichöffnung hervor-
holen, wie Fig. 14 zeigt und durch Umlegen in seine frühere
Lage zurückbringen, wie in Fig. 15 dargestellt "ist. Dadurch
wird die untere und früher nur von innen sichtbare Stichöffnung
nach aussen und oben verlagert und die erweiterte, frühere obere
Stichöffnung umgiebt mit ihren Rändern wie ein Reif den umge-
stülpten blinden Abschnitt. Siehe in Fig. 15 die obere Ansicht
a
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. D41
nach der Umstülpung und in Fig. 16 die untere Ansicht. Es
würde jetzt nur noch nöthig sein, das vordere offene Ende durch
dieselbe Stichöffnung von innen her zurückzustülpen, dann läge
: der Handschuhfinger in seiner ursprünglichen Lage wieder da,
ein dass er die Nadel verlassen hätte. Es wäre aber auch mög-
_ lich, den Rand der Handschuhfingeröffnung nach aussen und dem
E blinden Ende zu umzuklappen und die entsprechenden Stich-
$ ränder nach aussen und der Handschuhfingeröffnung zu, damit
der ganze Handschuhfinger ohne Lagewechsel und ohne Verlassen
der Nadel völlig umgestülpt sei. |
2) Zur Erläuterung dieses Vorganges sind die Figuren 9 und
10 der Tafel XXIX beigegeben worden.
z Beide Durchbohrungstellen sind breit gehalten; der dem
Beschauer zugewandte Rand der einen ist mit a bezeichnet, der
andere Rand mit b und der Rand der Oeffnung mit ec. In das
Innere ist die Borste dd’ eingeführt. |
Die Fig. 10 stellt ein Mittelstadium der beabsichtigten
völligen Umstülpung dar und ist so entstanden, dass das blinde
— Ende der Fig. 9 nach innen und im Sinne der Axenrichtungen
auf unserer Tafel nach oben eingestülpt wurde. Holt man das
— eingestülpte Ende aus dem Loch a hervor, so wird das untere
Ende d’ der Borste dd’ frei (s. Fig. 10), der obere Theil
des Randes a bleibt dem Beschauer zugewändt, der untere
Theil wendet sich vom Beschauer ab, der dafür jetzt die ganze
Umrandung b direet übersehen kann; der untere Sack ist also
umgestülpt, sein blindes Ende liegt an derselben Stelle wie vor
der Umstülpung, und der Eingang zu ihm ist auf die entgegen-
gesetzte Seite gerückt. Zur Demonstration dieser Verlagerung
ist die Borste ee’ in den untern Blindsack nach der Umstülpung
eingeführt worden. An dem obern Abschnitt unseres Modelles
ist der vordere Rand umgeklappt worden. Um zu einer völligen
Umstülpung zu gelangen, muss nunmehr noch folgendes gemacht
werden. Man klappt den oberen und jetzt dem Beschauer zu-
gewandten Abschnitt des Randes a nach aufwärts um und heftet
ihn an den entsprechenden Theil des nach abwärts umgeschlagenen
Randes ec. Auf dieselbe Weise wird der obere Theil des Randes
b mit dem zugehörigen Theil des Randes e vereinigt, die unteren
Abschnitte der Ränder a und b aneinandergelegt, ebenso die
linken Seitentheile der Ränder a und b und die rechten Seiten-
Er)
ZuyEer
Fe
542 M. Nussbaum:
theile derselben Ränder, indem man sie unter der Tafelebene ein-
ander zuführt. Dadurch entsteht ein Körper, der oben einen :
Doppelring darstellt, dessen innere Lichtung durch die Lage der
Borste d.d’ gekennzeichnet ist. Der Raum zwischen der Doppel-
wand des Ringes führt durch zwei eylindrische Gänge in einen
unteren kugeligen Hohlraum. Man findet aussen an diesem Körper
nur die früher im Innern der Figur 9 gelegene Oberfläche und
in dem soeben beschriebenen Hohlraum des durch die complete
Umstülpung gebildeten Körpers nur die Aussenfläche des in Fig. 9
abgebildeten Handschuhfingers. Die Lage von oben und unten
hat sich in unseren Figuren nicht verändert.
5) Ebenso nun wie das blinde Ende nach innen und oben
eingestülpt und zu einer der Durchbohrungsstellen herausgeführt
werden kann, kann man das blinde Ende nach unten und aussen
von den unteren Abschnitten der Ränder a und b der Fig. 9
umstülpen und diese Ränder dann unten aneinanderheften. Die
Umstülpung des offenen Endes bleibt - dabei dieselbe wie die in
Fig. 10 angedeutete und vorhin ausführlich beschriebene.
Man findet keine Abbildungen dieses Vorganges am Modell
in den beigegebenen Tafeln, weil ich in meiner früheren Ab-
handlung diesen Vorgang am lebenden Thier schon ausführlich
beschrieben habe. Ist das blinde Ende gross genug, so kann es
bequem durch eine Stichöffnung hervorgezogen und in seine alte
Lage zurückgebracht werden; dann werden die Theile secundär
die Lage einnehmen, wie sie bei der vorhin beschriebenen Ab-
art des Versuches sich ergiebt. Ist das blinde Ende kleiner,
so bleibt es nach der Herausstülpung der unteren Ränder der
Stichöffnungen und deren Verlöthung am blinden Pole im Innern
dies Modelles und zwar am unteren Rande der Stichöffnung liegen.
Fig. 6 und 7 der Tafel XXX stellen schematische Durch-
schnitte durch umgestülpte Polypen dar, wo bei dem einen das
hintere Ende nach innen und bei dem anderen nach aussen um-
gestülpt worden ist. Obschon dieselben Unterschiede am Modell
gezeigt werden können, so werde ich auf eine Beschreibung doch
erst bei der Schilderung der Versuche am lebenden Thiere ein-
gehen, die nunmehr folgen.
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches,. 543
Der Umkehrungsversuch am lebenden Thiere.
Bi. Umkehrung eines Polypen mit einer noch nicht
abgeschnürten Knospe.
Tafel XXVIL, Fig. 1-4, Tafel XXVII, Fig. 1.
Versuch vom 10. Januar 1891. Hydra grisea mit zwei
- Knospen nahe dem Fussende. Die eine ältere, deren Magenraum
sich schon von dem des Mutterthieres abgeschnürt hat, wird dicht
an ihrer Insertion abgeschnitten (Tafel XXVII, Fig. 1) und dar-
auf das Thier mit der jungen, noch als einfache Ausstülpung
erscheinenden Knospe vom Fusse aus mittels einer Borste umge-
‚stülpt, das Fussende eingeschnitten und der Polyp, wie Figur 2,
Tafel XXVII erläutert, auf der Borste belassen. Die Knospe ist
noeh nicht umgestülpt; man sieht vielmehr von aussen in ihren
Gastralraum hinein. Die Tentakel strecken sich und ziehen sich
zusammen. Nach 45 Minuten hat sich auch die Knospe ganz
hervorgestülpt, so dass sie, wie vor der Umstülpung des Polypen
als ein Sack mit ectodermaler Oberfläche, jetzt als ein gleich be-
‚schaffener Sack mit entodermaler Oberfläche dem umgestülpten
- Polypen anhaftet (siehe Taf. XXVII, Fig. 3). Nach 7 Stunden liegt
der Polyp stark contrahirt da; überall aussen mit Entoderm be-
kleidet; die Tentakel unverändert wie vor der Umstülpung.
24 Stunden nach der Operation ist der Polyp wie direet
nach der Umstülpung orientirt, die Tentakel bilden einen Kranz
in der Mitte eines vom Eetoderm aussen bekleideten Ringes.
Bei stärkerer Vergrösserung erkennt man auf der einen Seite im
Eetoderm einen feinen Spalt, aus dem das Entoderm hervorsieht
(Tafel XXVII, Fig. 4). Die Knospe ist nach der Wachskugel
zu gerichtet und hat inzwischen einen Tentakel getrieben; auch
bei ihr liegt das Eetoderm wieder aussen (Taf. XXVII, Fig. 4, a).
Der Polyp wird in Alkohol abgetödtet und von der Borste ab-
genommen. Es zeigt sich, dass die Innenfläche des Ringes con-
tinuirlich mit Eetoderm bekleidet ist. Das Präparat wird in
Celloidin eingebettet und in eine Serie von Längsschnitten zerlegt.
Tafel XXVIIL, Fig. 1 zeigt einen solehen, der auch die Knospe
getroffen hat. Der Raum zwischen beiden Partien bezeichnet die
Stelle, wo die Borste gelegen hatte. Beide Hälften sind ringsum
mit Ausnahme einer kleinen lateralen Stelle eontinuirlich von Ee-
544 M. Nussbaum:
toderm bekleidet, das hier wie auf allen Figuren weiss gehalten
ist; das Entoderm ist in einem grauen Tone wiedergegeben. Die :
frühere Leibeshöhle ist wegen der starken Contraetion der Theile
nicht überall sichtbar; nur in der Knospe ist sie deutlich.
An diesem Polypen konnte wegen der Ungunst der Verhält- |
nisse während des Lebens die Restitution nicht verfolgt werden;
doch dürfte sich der Vorgang aus dem mikroskopischen Befund
unzweideutig genug ergeben.
Ich würde aus meinem Beobachtungsmaterial diesen Versuch
nicht besonders ausgewählt haben, wenn nicht gerade die noch
Junge Knospe dem Polypen angehaftet hätte und schon früher von
mir es als eine Lücke empfunden war, gerade einen Umstülpungs-
versuch mit einem solchen Thier nicht angestellt zu haben. Wieder-
holen konnte ich den Versuch bis jetzt auch nicht, da die Ge-
legenheit einen Polypen mit einer geeigneten Knospe aufzufinden,
sich mir nicht wieder darbot. Doch ist mir der Vorgang wohl
an anderen in gleicher Weise umgestülpten Hydren in seinem
ganzen Ablauf zu Gesichte gekommen, so dass ich mich für be-
rechtigt halte, ihn in folgender Weise auch für den vorliegenden
Versuch zu schildern.
Der umgekehrte und am Fuss durehbohrt auf der Borste
belassene Polyp stülpt zuerst die Knospe hervor, so dass überall,
mit Ausnahme an den Tentakeln, aussen Entoderm liegt. Dann
klappt sich das Thier von der Mundöffnung und vom Fuss gleich-
zeitig wieder um, nähert die beiden aussen jetzt wieder mit Ee-
toderm bekleideten Ränder der Mittellinie des Körpers, bis sie
miteinander verwachsen. Es kommt auf die Schnelligkeit an,
mit der die entgegengesetzten, zurückgestülpten Ränder aufeinander
losrücken, um am Ende des Versuches die Tentakel ganz vorn
(siehe Taf. XXIX, Fig. 3) in der Mitte des Leibes (Fig.4, Taf. XXVI])
oder ganz in der früheren Gegend des Fusses zu finden. Im
letzteren Falle hat sich. der Polyp aber ganz einfach zurückge-
stülpt, und es kommt nicht zur Verwachsung, nicht zur Bildung eines
Doppelringes. Da bei der letzten Art der Rückstülpung wie
am normalen Polypen innen Entoderm und aussen Eetoderm wieder
liegt, so ist keine Abbildung eines Schnittes durch einen sol-
chen Polypen beigegeben worden, obschon ich die betreffenden
Präparate besitze. In allen den Fällen, wo eine einfache Rück-
stülpung stattfinden konnte, war die Borste, die der Länge nach
hi a
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 545
ewesen.
Es kommt auch gelegentlich vor, dass einige Teentakel nach
vorn und andere nach hinten gerichtet sind (vgl. Tafel XXIX,
‚Fig. 1), wenn ein am Fuss durchbohrter umgestülpter, auf einer
‘Borste der Länge nach haftender Polyp sich zurückstülpt und
einen innen und aussen von Ectoderm bekleideten Ring gebil-
_ det hat. i
Dass die Fig. 4 aus der Fig. 3 der Tafel XXVII in der
beschriebenen Weise hervorgegangen ist, beweist die Anwesenheit
des kleinen Entodermstreifen auf der Aussenfläche zwischen dem
sonst eontinuirlichen Eetoderm, und dass es wirklich zur Ver-
-_ wachsung kommen wird, geht aus der Verschmächtigung und
dem schliesslichen Verschwinden dieses Streifen nach rechts hin
- hervor. Wo die Borste gelegen hatte (siehe Taf. XXVIIL, Fig. 1)
ist das Eetoderm dicker als an der Oberfläche des Ringes (die
lateralen Eetodermpartien in beiden Hälften unserer Figur) eine
Erscheinung, die immer während der Restitution nach der Um-
- stülpung wiederkehrt. Die vorgeschobenen Ränder zu Beginn
und im Verlauf der Rückstülpung sind stets verdünnt. War nun
durch den gleichzeitigen Umschlag der Leibesschichten von der
Mund- und Fussgegend das Eetoderm wieder an die Oberfläche
gekommen, so konnte sich auch die Knospe ebenso wieder zu-
rückstülpen, wie sie sich unserer Beobachtung gemäss kurz nach
der Umstülpung des Polypen ebenfalls umgestülpt hatte. Es ist
somit richtig, wie Trembley angiebt, dass man Polypen mit
anhaftenden jungen Knospen umstülpen kann, dass der Polyp und
_ die Knospe am Leben bleiben, und dass nach einiger Zeit an
beiden Eetoderm wieder aussen liegt. Doch hat, wie ich dies
schon früher für die erwachsenen Polypen nachgewiesen habe,
und wie Ischikawa es bestätigt hat, keine Umwandlung, son-
dern eine Umlagerung stattgefunden. Will man die Assonanz in
den Worten Um-wandlung und Um-lagerung vermeiden, die ich
absichtlich wählte, um meine Erklärung nicht allein in Gegensatz
zu Trembley’s Erklärung zu bringen, so kann man den Vor-
gang auch „Rückstülpung“* nennen. Man findet beide Bezeich-
nungen in meiner früheren Abhandlung. Das Wort Umlagerung
ist die allgemeinere Bezeichnung. Für mich war es nöthig, auch
_ die Regeneration der Polypen aus kleinen plattenförmigen Stücken
ir.
546 M. Nussbaum:
ihres Leibes anders zu erklären, als es Trembley gethan hatte.
Da ich fand, dass sowohl bei der Rückstülpung umgekehrter
Polypen, als bei der Umbildung platter Stücke der Leibessubstanz
zu ganzen Polypen derselbe Vorgang sich abspielt: nämlich das
Umklappen der Leibesschichten von den freien Rändern aus, so
dass das Eetoderm wieder aussen liegt, so nannte ich den Vor-
sang eine Umlagerung. Eine Umlagerung bedingt keine innere
Verschiebung, und die Regenerationsvorgänge bei der Entstehung
neuer Polypen aus klemen platten Stücken sind keine Rückstül-
pung.
2. Versuche über die Orientirung der ursprünglichen
Leibesaxen nach der Umstülpung. r
Sollte ein in dem vorigen Versuch beschriebener Polyp nach
der Verwachsung des Leibes zu einem Ringe, der an der ganzen
Oberfläche von Eetoderm bekleidet war und zu dessen Entoderm
keine Mundöffnung mehr hinführte, am Leben bleiben, so musste
sich ein neuer Mund bilden. Es schien mir von grosser Wichtig-
keit den Ort dieser Neubildung durch den Versuch festzustellen.
Da weithin in vielen Fällen die Gegend des Fusses bis dicht
unter die Tentakel verlagert worden war, jedesmal dann, wenn
die Tentakel an Ort und Stelle verblieben waren, so war es zur
völligen Wiederherstellung nöthig, dass der alte Fuss verschwinde
und ein anderer neugebildet werde. Es war zu erwarten, dass
dieser gegen den neu entstandenen Mund orientirt sei, wie am
normalen Thier.
Aus dieser Reihe von Versuchen sollen zwei näher beschrie-
ben werden. Es war nöthig, die mikroskopische Untersuchung
von Serienschnitten an verschiedenen Stellen des Versuches durch-
zuführen. Ein Thier genügte also nicht zur Aufklärung des gan-
zen Verlaufs der Veränderungen.
Versuch vom 25. Januar 1891. Eine Hydra grisea wird
umgestülpt, ihr Fuss von der Borste nach der Umstülpung durch-
bohrt, und das Thier auf der Borste (siehe die Methodik) in das
kleine Beobachtungsaquarium gebracht (vgl. Taf. XXVII, Fig. 2).
Aussen liegt jetzt Entoderm mit Ausnahme an den sieben Ten-
takeln. Nach drei Stunden erscheint vorn und hinten Eetoderm
an der Aussenfläche, doch geht die Rückstülpung von der Ten-
takelgegend schneller vor sich als vom Fusse her. Am folgenden
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we;
2 Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 547
Tage (26. Januar) ist der Polyp ein schmaler, ganz von Eetoderm
bekleideter Reif geworden. Fünf Tentakel sehen nach der Rich-
tt ıg, wo früher der Fuss gelegen hatte, zwei nach der entgegen-
gesetzten Richtung. (In Fig. 1, Tafel XXIX sind von den fünf
nach der Wachskugel gerichteten Tentakeln nur vier sichtbar.)
Einen Tag später ist der Polyp von der Borste abgefallen und
liegt als ein eylindrisches Rohr auf dem Boden des Gefässes. In
"Alkohol abgetödtet, nimmt das Thier die etwas contrahirte Form
der Fig. 2 auf Tafel XXIX an. Die Tentakel liegen nach der
einen Seite; an der entgegengesetzten Seite liegt ein Fuss, von
dem ich in diesem Falle nur der Analogie nach, in dem sogleich
zu beschreibenden jedoch gemäss der direeten Beobachtung be-
haupten kann, dass er neugebildet sei. Die Lage des Fusses ist in
der Figur 2, Tafel XXIX durch Strichelung in dem weiss gehaltenen
Eetoderm kenntlich gemacht. Das Eetoderm ist allseitig ge-
schlossen und an dem abgetödteten Thier auf den Tentakeln in
Folge der Contraction geringelt. Aus der Serie von Schnitten
_ dureh diesen Polypew, im Ganzen waren es 38, sind drei Stück
in den Figuren 2, 3 und 4 auf Tafel XXVII abgebildet. Der
Polyp wurde annähernd genau senkrecht zur Längsaxe von rechts
nach links (siehe Fig. 2, Taf. XXIX) geschnitten. Alle Selnitte
sind aussen rings von Eetoderm, innen von Entoderm bekleidet.
- Zwischen beiden Häuten liegt die Stützlamelle. Das Entoderm um-
giebt einen geschlossenen Hohlraum, die ursprüngliche Magen-
höhle. Entsprechend der Form von Fig. 2, Taf. XXIX findet
man am 9. Schnitt (Fig. 3, Taf. XXVIII einen Tentakel im
Längsschnitt, am 25. Schnitt ‘Fig. 2, Taf. XX VIII) dem längsge-
troffenen Tentakel gegenüber im Eetoderm die durch Strichelung
bezeichneten Drüsenzellen des Fusses und neben dem längsgetrof-
fenen Tentakel auch den Querschnitt eines andern. Im Sehnitt 3
ist ein Tentakel der Länge nach, der andere schräg getroffen ;
- der Innenraum beider ist in offenem Zusammenhang mit der
- früheren Leibeshöhle (Taf. XXVIH, Fig. 4).
Wie war die Umwandlung eines Ringes in den geschlossenen
- Cylinder mit den einseitig anhaftenden Tentakeln vor sieh ge-
gangen? Wo würde sich der neue Mund bilden? Diese Fragen
‚sollen durch die Mittheilung des folgenden Versuches ihre Er
_ledigung finden.
Versuch vom 27. Januar 1891. Eine Hydra grisea wird
548 M. Nussbaum:
umgestülpt und nach der Durchbohrung ihres Fusses auf der
Borste in das Beobachtungsaquarium gebracht. Die vor der Um-
stülpung im Magenraum enthaltenen Daphnien werden gelegentlich
der Umstülpung durch den Mund entleert. Vier Stunden nach
Beginn des Versuches beginnt an den freien Rändern durch Um-
schlag das Ecetoderm wieder zu erscheinen. Diesmal geht das
Vorschieben des aussen sichtbaren Eetoderm von der Fussgegend
her rascher vor sich, als von der Gegend der Mundöffnung.
Am folgenden Tage hat der Polyp Ringform angenommen
und liegt der Längsaxe nach orientirt wie direet nach der Um-
stülpung, d.h. die Tentakel sind von der Wachskugel abgewandt
(vgl. Fig. 2 auf Tafel XXVII und Fig. 3 auf Tafel XXIX).
Dies war bei dem schnelleren Vorwärtsschieben des umgeschlage-
nen Randes vom Fusse aus auch zu erwarten. Fig. 3 auf Taf. XXIX
zeigt den Polypen vom 28. Januar 1891. |
Am folgenden Tage fand sich eine eingeschnürte Stelle im
Ringe, an der kein Entoderm durch das Eetoderm mehr durch-
schimmerte. Man findet das Stadium in Fig. 4 der Taf. XXIX.
Da am folgenden Tage, dem 30. Januar 1891, der Polyp von
der Borste abgefallen war und nunmehr einen geschlossenen langen
Hohleylinder darstellte, so muss man annehmen, dass die Figur 4,
Taf. XXIX ein vorbereitendes Stadium zu dieser Umänderung
der Form des Polypen darstellt. Es muss somit durch Resorption
des Entoderm an der eingeschnürten Stelle mit gleichzeitiger Ver-
löthung der zurückweichenden Ränder auf den beiden Seiten der
weiss erscheinenden Partie die Aufspaltung des Doppelringes ein-
geleitet werden. Darauf wird die Resorption der betreffenden
Eetodermzellen folgen, und aus dem Doppelring der geschlossene
Hohleylinder der Fig. 5, Taf. XXIX hervorgehen, an dem natur-
semäss die Tentakel auf einer Seite liegen. Die entgegengesetzte
Seite entspricht der Mitte des Polypen vor der Umstülpung. Diese
tentakellose Seite liegt also der früheren Lage des Fusses näher
als die tentakelbesetzte.
Was wird aus diesem Monstrum werden, das mit einem
normalen Polypen gar keine Aehnlichkeit mehr besitzt? Zog ich
meine früheren Erfahrungen zu Rathe, so war es ganz sicher,
dass der Polyp einen neuen Mund und einen neuen Fuss bilden
würde. Würden dabei aber auch die alten Tentakel erhalten
bleiben ? Unbedingt nöthig würde dies letztere nicht vorauszu-
de Eng
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 549
setzen sein, da ich es oft beobachtet hatte, dass alte Tentakel
an Stellen, wo sie nicht in die Organisation und die gegebene
Orientirung hineinpassten, resorbirt wurden. Wo würde der Mund
und wo der Fuss erscheinen müssen? An den Längsseiten oder
an den stumpf geschlossenen Enden? Wollte man an der als
sicher durch meine Versuche erwiesenen und von Ischikawa
- bestätigten zähen Beständigkeit der Orientirung festhalten, so
mussten Mund und Fuss an der Längsseite durch Neubildung
wieder auftreten, da die Längsseiten dem vorn und hinten des
- alten Polypen der Richtung, wenn auch nicht der Form nach
-_ entsprechen. Der Mund musste auf der Seite der Tentakel sich
- entwiekeln und der Fuss auf der entgegengesetzten Längsseite.
- Berücksiehtigte man ferner, dass die Muskelfasern des normalen
Polypen im Ecetoderm Längszüge, im Entoderm eine Ringlage
bilden, so würde, falls man Neuentstehung von Mund und Fuss
- an den stumpfen Enden des Cylinders erwartete, der umgeformte
- Polyp eine äussere Ringmuskulatur und eine innere Längsmusku-
- Jatur erhalten haben. Wenn dies sich durch die Beobachtung
- als irrig erwies, wenn der Polyp in der That an den stumpfen
- Enden des Cylinders der Fig. 5, Taf. XXIX Mund und Fuss
neu gebildet und trotzdem aussen Längs- und im Entoderm
Ä Ringmuskelfasern besessen hätte, so müssten beide Muskellagen
neugebildet worden sein. Da dies nicht wahrscheinlich war, so
- durfte darauf gerechnet werden, dass auf den Längsseiten selbst
und nicht an den Enden Mund und Fuss wieder erscheinen
würden. Die Entscheidung liess den folgenden Tag noch auf
sich warten.
Am 1. Februar jedoch zeigte der Poly folgende Gestalt.
Der lange Cylinder ist in drei Abtheilungen eingeschnürt. Jede
-_ Abtheilung hat zwei der alten Tentakel, die auf einer Seite
eines kleinen Mundkegels sitzen. Der siebente der alten Ten-
takel haftet der Brücke zwischen der zweiten und dritten Ab-
theilung an. An den beiden Mundkegeln der beiden ersten Ab-
theilungen ist je ein neuer Tentakel auf der den beiden alten
Tentakeln entgegengesetzten Seite aus der Mundkegelbasis hervor-
gesprosst (siehe Fig. 6, Tafel XXIX). Die Einbuchtung zwi-
schen erster und zweiter Abtheilung (von links aus gerechnet)
ist nicht so tief, als zwischen der zweiten und dritten. Auf der
den Tentakeln entgegengesetzten Seite ist ein Fuss vorhanden,
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 36
re
en 0 Zu =
550 M. Nussbaum:
in der Figur durch Strichelung im Eetoderm kemtlich ge-
macht.
Am 3. Februar ist wiederum eine auffallende Veränderung
an dem Polypen nachzuweisen. Die beiden Abtheilungen, die
direet über dem Fuss gelegen waren (siehe Fig. 6, Tafel XXIX
vom 2. Februar 1891), sind mehr zusammengerückt und haben
jetzt das Aussehen von einem Polypen mit zwei Köpfen. Neue
Tentakel sind nicht hinzugekommen, aber der früher an der
Brücke zur dritten Abtheilung sitzende alte Tentakel steht jetzt
in einer Flucht mit den beiden anderen an der Basis des Mund-
kegels des zweiten Kopfes (siehe Fig. 7, Tafel XXIX), so dass
dieser zweite Kopf rechts drei alte Tentakel und einen neuen,
der erste Kopf links nur zwei alte und einen neuen Tentakel
aufweist. Die ursprünglich dritte am meisten nach rechts ge-
legene Abtheilung hat auch gestreckt eylindrische Form ange-
nommen. Um den Mundkegel derselben stehen zwei alte und
ein kleiner junger Tentakel (in Fig. 7, Tafel XXIX nicht sicht-
bar, weil auf der dem Beschauer abgewandten Seite gelegen).
Die Brücke zwischen dem zweiköpfigen nach links gelegenen
Polypen und dem einköpfigen rechts gelegenen Polypen liegt
nahe dem Fussende, ist breit und setzt die Magenräume beider
Abtheilungen in offene Verbindung (Fig.7, Tafel XXIX). Auch
der rechts gelegene Polyp hat einen Fuss.
Bis dahin war das eigenartig gestaltete Thier am Boden
des Glasgefässes zuerst mit dem einen, dann mit beiden Füssen
festgeheftet, ohne Ortswechsel liegen geblieben. Am 4. Februar
erfolgten spontane Ortsveränderungen. _ Die Tentakelzahl ist
nicht vermehrt, die jungen Tentakel sind gewachsen.
Am 5. Februar ist die Brücke zwischen beiden Abtheilungen
versehmälert, aber noch im Imnern durchgängig, so dass die
Communication der beiden Magenräume erhalten ist. An diesem ”
Tage, folgte ich den Bewegungen des Thieres genauer. Oft hing
es mit den Füssen an der Oberfläche des Wassers, die Köpfe F
nach abwärts gerichtet: eine Beobachtung, die schon Trembley
mitgetheilt hatte (siehe Trembley, Mem.I, Pl.III, Fig. 11).
Kroch das Thier zwischen den Wasserpflanzen umher, so
heftete es oft den einen Fuss an ein Blatt und den zweiten
Fuss an ein anderes Blatt. |
Die Zahl der Tentakel war auf 12 gestiegen, 7 alte und 5 neue.
n ” 1 \ 4 r su .
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 551
Von diesem Zeitpunkte an trat keine eigentliche Neubil-
dung, sondern nur noch Wachsthum und Rückbildung weiter auf.
Die jungen Tentakel wurden länger, die alten Tentakel und die
ganzen Leiber schmächtiger, die Brücke dünner und dünner, bis
‘sie am 8. Februar resorbirt war, und die beiden Abtheilungen
als ein zweiköpfiger Polyp mit 8 Tentakeln und ein einköpfiger
-Polyp mit 4 Tentakeln weiter lebten. Beide wurden am 10. Fe-
- bruar getödtet und in Figur 8 und 3a der Tafel XXIX ab-
gebildet. Alsdann wurde von dem kleineren Polypen ein Stück
der Leibeswand zum Zweck der histologischen Untersuchung mit
_ eimer feinen Nadel abgespalten. Die Längsmuskeln lagen im
Eetoderm. Somit war die ursprüngliche Richtung der Muskel-
elemente durch die Rückstülpung nicht verändert worden. Sie
war es aber auch nicht auf dem früheren Stadium, dargestellt
in den Figuren 2 und 5 der Tafel XXIX. An den Schnitten
durch den in Fig.2, Tafel XXIX abgebildeten Polypen, die man
Er
schwach vergrössert in den Figuren 2, 3 u. 4 auf Tafel XXVII
findet, erkannte man bei starker Vergrösserung deutlich die Quer-
_ schnitte der Muskelfasern des Entoderm. Dies ist aber nur
_ möglich, wenn die ursprüngliche Richtung der Muskelfasern in
- den beiden Schichten beibehalten worden ist. Die Muskeln des
- Eetoderm werden auf Querschnitten, die Muskelfasern des Ento-
derm auf Längsschnitten durch einen unveränderton Polypen als
” Punkte erscheinen. Da nun in Fig.5 auf Tafel XXIX die
- Längsriehtung des ursprünglichen Polypen in die kurze Axe des
aufgespaltenen Ringes fällt, so müssen von rechts nach links vor-
- schreitende Schnitte, obschon sie Querschnitte der Figur 5 dar-
a stellen, doch in der Anordnung ihrer Muskeln sich wie Längs-
sehnitte des normalen ursprünglichen Polypen verhalten. Sie
müssen die Entodermmuskelfasern der Quere nach, die Muskeln
_ des Eetoderm längs getroffen haben, wenn keine Umordnung
der histologischen Theile während der Veränderung der äusseren
Gestalt stattgefunden hat. Gemäss den Präparaten ist jedoch
die ursprüngliche Anordnung der Muskeln im Entoderm und Ee-
- toderm trotz der veränderten äusseren Form (siehe Fig. 1 und 2,
Tafel XXIX) dieselbe geblieben.
Zu den übrigen Abbildungen bemerke ich noch, dass Fig. 5
aus ökonomischen Rücksichten um 90° nach rechts gedreht ist.
Hätte die Zeichnung mit den Tentakeln nach aufwärts auf der
A Ta hu
Kinn
>
559 M. Nussbaum:
Tafel angebracht werden können, so wäre die Uebersicht er-
leichtert gewesen. Man wird aber trotzdem aus den Figuren den
eben beschriebenen Ablauf der Veränderungen herauslesen können;
auch die Ersparung einer Abbildung des eben umgestülpten Po-
Iypen, die der Fig. 3 auf Tafel XXIX hätte voraufgehen müssen,
wird das Verständniss nicht stören, da bei allen. diesen Umkeh-
rungen, wo der Polyp auf der umkehrenden Borste verblieb, der
Fuss nach der Umkehrung auf der Seite der Wachskugel lag
(siehe die Methodik) und man mit Zuhülfenahme der Figuren 1
bis 4 auf Tafel XXVII sich ein Bild machen kann von den Ver-
änderungen vor und nach der Umstülpung bis zur Umwandlung
des Polypen in die Figur 3 der Tafel XXIX.
Fassen wir die Umwandlungen, die der ursprüngliche Polyp
erlitten hatte, kurz zusammen, so war er nach der Rückstülpung
in einen Doppelring umgewandelt, an dem die Tentakel an der
‚Stelle liegen geblieben waren, wo sie nach der Umstülpung ge-
legen hatten (vgl. Fig.2 auf Tafel XXVII und Fig. 3 auf“
Tafel XXIX). Dann spaltete sich der Ring auf und ging da-
durch in emen langen Cylinder über. Auf der einen Seite lagen
die Tentakel, auf der entgegengesetzten, der ursprünglichen
Leibesmitte, war kein Fuss zu erkennen. Es folgte eine zwei-
fache Einschnürung, die schliesslieh zur Bildung von zwei Po-
Iypen führte. Die Axen blieben dabei genau so orientirt, wie
am ursprünglichen Polypen: die alten Tentakel umstanden an der-
selben Stelle mit mehreren neuen den neugebildeten Mundkegel,
und die Füsse waren an der entgegengesetzten, m Fig. 5, Tafel
XXIX nackten Längsseite des Cylinders neugebildet worden.
Ob bei der Aufspaltung des Doppelringes, d.h. bei der
Umwandlung der Fig. 4 in Fig. 5 auf Tafel XXIX nachweisbare
mechanische Ursachen mitwirken, soll durch spätere Versuche
entschieden werden. Bei den eomplieirten Vorgängen von Neu-
bildung und Resorption,. welche die Umwandlung begleiten, bei
dem Schwund der verbindenden Brücke, dem Kleinerwerden der
ganzen Thiere im Laufe der Beobachtung, der Vergrösserung der
neuen .Tentakel und der Verkleinerung der alten, der Neubildung
von zwei Füssen an Stellen, wo sie zwar der Axenrichtung nach
auftreten mussten, wo sie aber am normalen Thier niemals auf-
getreten wären, bei allen diesen Umwälzungen im Leibe des ur-
sprünglichen Polypen ist es wohl erlaubt, daran zu denken, dass
nz
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 553
- der ursprüngliche Fusstheil, der durch den Umschlag nach der
- Umstülpung seine Axenrichtung änderte, im Laufe der Restitution
resorbirt und von der Nachbarschaft her dureh riehtig orientirte
_ neugebildete Zellen allmählich ersetzt worden sei. Naturgemäss
_ stösst der Beweis dieser Hypothese auf erhebliche, wenn nicht
; unüberwindliche Schwierigkeiten. |
| Trotzdem wird durch die beschriebenen Versuche der von
-_ mir schon früher erbrachte Nachweis bestätigt und erweitert, dass
- ein umgestülpter Polyp sich gleichzeitig von mehreren Stellen,
und zwar in dem vorliegenden Falle von zweien aus, zurückstülpen
kann, und dass die. ursprüngliche Orientirung dabei erhalten
bleibt. Die Erhaltung der ursprünglichen Orientirung beruht auf
complieirten Neubildungs- und Resorptionsvorgängen (vergl. d.
Arch. Bd. 29, pag. 346— 348).
a rn ER
Er
er,
3. Umstülpung und quere Durehbohrung eines Polypen.
(Der Trembley’sche Versuch.) -
Versuch vom 21. Januar 1891. Umstülpung einer Hydra
grisea. Beim Zurückziehen der Borste aus der Mundöffnung des
umgestülpten Polypen stülpt sich ein kleiner Theil des Fussendes
in die künstlich geschaffene und jetzt mit Eetoderm bekleidete
Leibeshöhle zurück. Dies konnte sich ereignen, weil ich nach
der modifieirten Methode nicht mehr das Fussende beim Zurück-
ziehen der Borste fasse, sondern eine Pincette als Widerlager
gegen die Mundöffnung halte!) und weil ich bei diesem Versuche die
Borste nicht sofort nach der Umstülpung zurückgezogen hatte.
Der Fuss gewann Zeit, sich än der. Borste festzukleben.
Nachdem die zur Umstülpung verwandte Borste wieder ent-
fernt worden war, wurde der Polyp dicht unter den Tentakeln
mit einer Borste quer durchbohrt und auf dem Wachsklotz des
Beobachtungsaquarium mittelst der senkrecht eingestossenen Borste
befestigt.
Am folgenden Tage liegt das Fussende wieder an der Stelle,
wo es gestern auf dem Wachsklotz gelegen hatte. Der Polyp
ist mit Ausnahme eines schmalen Ringes nicht weit unterhalb der
Tentakel von Ecetoderm bekleidet; die Saugscheibe des Fusses
ist deutlich zu erkennen, und der Polyp haftet fest auf der Borste
(siehe Tafel XXVII, Fig. 5).
1) Vgl. Ischikawa’s Methodik,
M. Nussbaum:
St
S\
EB
Die Ursachen der Veränderungen werden sich aus dem Stu-
dium der Schnitte und einem Vergleich mit dem entsprechenden
‚Versuch am Modell ergeben.
Der Polyp wurde in eine Serie von Längsschnitten zerlegt,
die parallel der Lage der Borste geführt wurden. Auf Taf. XXVIII
sind in Fig.5 und 6 zwei von den erhaltenen 27 Schnitten abge-
bildet. Fig. 5 stellt den zwölften Schnitt, von rechts nach links
in der Fig. 5, Taf. XXVII gerechnet, vor. Der Schnitt hat die
Durehbohrungsstelle der Borste getroffen. Unten im Bild liegt
ein von Eetoderm aussen und innen von Entoderm bekleideter,
nach oben auf der Tafel geöffneter Sack; seine Lichtung ist die
alte Leibeshöhle. Durch einen Zwischenraum — die von der
Borste durch den Polypen quer hindurchgetriebene Oeffnung —
getrennt, folgen weiter aufwärts rechts und links Theile des Mund-
‘randes, an denen medial Eetoderm und lateral Entoderm sich
findet. Weiter nach oben zu liegt links ein Tentakel schräg
‘vom Messer getroffen. Der Zusammenhang mit dem Mundrande
ist nur an dem äusseren rechts ersichtlich, wo. der Uebergang
der Magenhöhle in das Innere des Tentakel getroffen wurde.
Selbstverständlich muss dieser Eingang zur Höhle des Tentakels
auf der Seite des Entoderm des Mundrandes liegen, hier also la-
teral, da die Mundgegend sich, wie Fig.5 auf Taf. XXVII zeigt, °
noch nicht zurückgestülpt hatte.
Betrachtet man den in Fig. 6 der Tafel XXVLDI abgebil-
deten 21. Schnitt, der nach links von der Borste durch Figur 5
auf Tafel XXVII gelegt ist, so findet man rechts im Bilde eine
grössere zusammenhängende Partie und durch einen Kanal davon
getrennt oben links eine kleinere. Beide Theile wenden dem tren-
nenden Kanal Eetoderm zu. Die links gelegene Partie ist lateral
von Entoderm bekleidet. Auf jeder Hälfte ist ein Tentakel, rechts ”
im Längsschnitt, Imks im Schrägschnitt getroffen. Die Tentakel
sind der Raumersparniss halber nicht in ihrer ganzen Länge dar-
gestellt. Der grössere rechts gelegene Theil, der dieht unter dem
Tentakel medial von Eetoderm und lateral von Entoderm bedeckt
ist, setzt sich nach abwärts in eine Tasche fort, deren Eingang
nach rechts in der Figur in einiger Entfernung vom Ansatz des
Tentakels liegt und die aussen mit Eetoderm, innen aber mit En-
toderm bekleidete Wandungen zeigt. Unten in der Figur sind
die Drüsenzellen des Fusses durch Strichelung hervorgehoben.
_
_
NE
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. DD5
Die mikroskopischen Schnitte entsprechen somit, was die
Anordnung von Entoderm und Eetoderm anlangt, dem Befund
am lebenden Thier, da auch an den Schnitten aussen dicht
unter den Tentakeln eine Zone von Entoderm, im Uebrigen aber
nur Eetoderm sich findet. Die Schnitte erlauben aber einen wei-
teren Schluss, der auch am lebenden Thiere bei eontinuirlicher
Beobachtung sich ergeben haben würde: Das Fussende hat sich
- durch die obere von der Borste geschaffene Wundöffnung zurück-
gestülpt. Eingeleitet wurde diese Rückstülpung durch die vorhin
- beschriebene Festheftung des Fusses an die bei der Umstülpung
benutzte Borste. Der Polyp weist die am Modell studirten Cha-
racteristica auf, die sich bei einer solchen partiellen Rückstülpung
- ereignen müssen, da er gemäss den Schnitten, in die er nach der
Erhärtung zerlegt wurde, genau der Figur 10 auf Tafel XXIX
entspricht. Die Orientirung der Figur 5 auf Tafel XXVII und
der Figur 10 auf Tafel XXIX ist dieselbe, so dass man ihre
Uebereinstimmung nach dem Gesagten leicht erkennen wird.
Nur ist bei der Erhärtung offenbar die beginnende Rück-
stülpung vom Mundrande her in Folge der Oontraction rückgängig
gemacht worden, da an den Schnitten (Fig.5 u.6, Taf. XXVII)
in der Tentakelregion das Ectoderm lateral nicht so weit herab-
zieht, als man es nach dem Aussehen des lebenden Thieres hätte
erwarten sollen. }
Um die Beschreibung der einzelnen Versuche nicht zu einer
leeren Wiederholung des schon Gesagten herabzudrücken, will
ich nur hinzufügen, dass bei anderen gleichen Versuchen die Ver-
wachsung des Tentakelendes zu einem Ringe, der seitlich mit
zwei Röhren in das zurückgestülpte Fussende einmündete, zu
Stande kam, wenn die Thiere nicht so früh als in dem vorlie-
genden Falle abgetödtet wurden.
Somit kann sich ein umgestülpter Polyp, ohne die quer
durchgestossene Borste zu verlassen, zurückstülpen und am Leben
bleiben.
Diese Form der Rückstülpung ist aber nicht die einzige.
Es wäre denkbar und am Modell auch zu zeigen, dass ein um-
gestülpter und quer durchbohrter Polyp mit seinem vorderen Ende
sich durch dieselbe -Wundöffnung zurückstülpte, wodurch vorher
das Fussende geschlüpft war. Diesen Fall habe ich freilich am
lebenden Thier noch nicht beobachtet. Dabei würde der Polyp
556 M. Nussbaum:
die Borste gleichfalls nicht verlassen müssen; er bliebe nach der
Rückstülpung genau so orientirt, wie vor derselben.
Begünstigt wird die im Versuch vom 21. Januar 1891 be-
schriebene Art der Rückstülpung durch langsame Umstülpung
und dadurch verursachte Festheftung des Fusses an der umstül-
penden Borste. Man leitet durch das Zurückziehen der Borste
die Rückstülpung schon ein. Sie wird weiter erleichtert, wenn
man den umgestülpten Polypen dicht unter den Tentakeln quer
durehbohrt und die Ränder der unteren Wundöffnung durch die
quer durchgestossene Borste fest gegen die Unterlage anpresst.
Ein umgestülpter Polyp kann sich aber auch nach der von
mir schon früher beschriebenen Art. zurückstülpen. Im Folgenden
soll einer der im Laufe dieses Jahres angestellten Versuche mit-
getheilt werden. 3
Versuch vom 19. Januar 1891. Eine Hydra grisea wird
umgestülpt und mit einer quer durch den Leib gesteckten Borste
auf dem Wachsklotz des Beobachtungsaquarium befestigt (Fig. 6,
Tafel XXV).
Am folgenden Tage, dem 20. Januar, liegt der Polyp un-
verändert da; nur an den Wundrändern zeigt sich ein feiner
Saum von Eetoderm. Am 21. Januar hat sieh das Eetoderm
von der Wunde aus ganz über den hinteren Abschnitt ausge-
breitet). Der Polyp ist am 22. Januar aussen ganz von Eeto-
derm bekleidet (siehe Tafel XXVII, Fig. '). An den Schnitten
durch das getödtete Thhier lässt sich feststellen:
Dass der Polyp sieh vom Mundrande und von den Wund-
rändern her zurückgestülpt hat. Während bei dem vorigen Ver-
such das Fussende sich nach innen und gegen die Tentakel zu
einstülpte, stülpt es sich jetzt von den Wundrändern nach ab-
wärts zu heraus. Während bei dem vorigen Versuch der Fuss
schon am lebenden Thier an seiner alten Stelle zu erkennen war,
wird er bei dem vorliegenden Versuch erst auf den Schnitten
deutlich und liegt an der unteren Peripherie der Borste, also im
Innern des Thieres.
1) Man kann am lebenden Thier nicht mehr sehen, als hier be-
schrieben ist. Erst die, mikroskopische Untersuchung der Schnitte
durch den abgetödteten Polypen lehrt, dass mit dem Eetoderm auch
das zugehörige Entoderm und die Stützlamelle sich vom Wundrande
aus umgeschlagen haben.
_
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 557
Das Tentakelende hat sieh in beiden Versuchen zu einem
- Doppelring umgestaltet. Will man den Bau dieses Ringes an
_ einem einfachen Modell nachahmen, so denke man sich ein Rohr
_ ringförmig.gebogen und an den freien Rändern ohne Aufhebung
- der Liehtung verlöthet. Von diesem jetzt geschlossenen Hohlraum,
nicht von der Ringöffnung, mittelst derer man den Ring über
einen passenden Cylinder streifen könnte, führen an unseren Ver-
suchsthieren, sobald sie aussen wieder ganz von Eetoderm be-
kleidet sind, seitliche Röhren in die Lichtung des Fussendes.
Die Liehtung des Fussendes ist bis auf die Communications-
stellen mit der Lichtung des Ringes in beiden Abarten der
Rückstülpung durch Verwachsung der Wundränder geschlossen
worden. Im Versuch, begonnen am 21. Januar 1891, kam die
Verwachsung. in der Mitte des Thieres zu Stande, der Fuss lag
somit wieder an seiner alten Stelle. Im Versuch, begonnen am
19. Januar 1891, dem zweiten der unter dieser kubrik mitge-
theilten Versuche, fand die Verwachsung der nach aussen um-
geklappten Wundränder in der Gegend des alten Fusses statt;
dieser selbst lag in der Mitte des Thieres.
Zur Illustration des Gesagten sind auf Tafel XXX die
schematisirten Längsschnitte durch zwei umgekehrte, in der Mitte
des Leibes quer durehbohrte Polypen nach der Rückstülpung in
den Figuren 6 und 7 abgebildet worden. Beiden ist die äussere
Form gemeinsam. Ein zwei Tentakel im Längsschnitt tragender
Hohlraum in normaler Weise innen von Entoderm und aussen von
Eetoderm begrenzt, hat zwischen den Tentakeln eine tief ein-
gesenkte Höhlung, die aber nirgendwo in die Lichtung zwischen
den Wänden des Leibes hineinführt, sondern auf unseren Schnitten
in den von der Borste erzeugten und, wie man sieht, wieder mit
Eetoderm überkleideten Wundkanal übergeht. In Fig. 7 —
Schema des nach aussen zurückgestülpten Fussendes — liegt der
unteren Peripherie des Borstenkanals der Fuss an, kenntlich an
der Schraffirung im weissen Eetoderm. In Fig. 6 — Schema
des nach innen und gegen die Tentakel zurückgestülpten Fuss-
endes — liegt der Fuss wie an einem normalen Polypen an der
Basis und nicht, wie in Fig. 7, in der Mitte des Leibes. Das
- Verständniss dieser Schemata wird durch Vergleich von Fig. 10
auf Tafel XXIX erleichtert. Fig. 6 und 7 der Tafel XXX sind
als Längsschnitte durch die Figur 10 in der Ebene der Tafel
558 M. Nussbaum:
XXIX zu denken, nachdem man an der Figur auf Tafel XXIX
die Verlöthung der Ränder in der bei der Schilderung der Modell-
versuche angegebenen Weise gemacht hatte.
Es erübrigt nunmehr noch einige Längs- und Querschnitte
durch die nach der zweiten Art zurückgestülpten Polypen zu be-
schreiben.
Die in den Figuren 1, 2 und 3 auf Tafel XXX abgebildeten
Schnitte stammen von deh: in Fig. 6 und 7, Tafel XXVII dar-
gestellten und am 19. Januar 1891 umgestülpten Polypen. Die
Schnitte sind schräg zur Tafelebene der Fig. 7 der Länge nach °
geführt und gegen die Figur 7 auf Tafel XXVII um 90° nach
rechts gedreht, so dass die Tentakel in den Schnitten auf der -
Tafel XXX nach oben und beim ganzen Thier auf Tafel XXVU
nach links gerichtet sind.
Figur 1 auf Tafel XXX stellt einen Schnitt dar, der die
Tentakelgegend und den Wundkanal schräg getroffen hat und
nahe der Oberfläche gelegen ist. Fig. 2, Tafel XXX liegt sechs °
Schnitte mehr nach dem Innern zu; der Wundkanal ist ganz ge-
troffen und wird von einem ringförmigen Hohlraum umgeben, der
in seinem Innern mit Entoderm, aussen von Eetoderm bekleidet
ist. Zwei Schnitte weiter folgt ein Bild, wie es in Fig. 7 der-
selben Tafel schematisirt dargestellt ist. Der Schnitt würde ab-
gebildet worden sein, wenn Tentakel und Fuss an ihm sichtbar
gewesen wären; so stellt er aber blos einen C-förmig gebogenen
Hohleylinder: dar. Die Oeffnung in dem © entspricht, wie an
Figur 7 schon erläutert wurde, dem Durchschnitt des Wund-
kanales, wie er gerade in die Oeffnung des von der Tentakel-
region gebildeten Ringes übergeht.
Taf. XXX, Fig. 3 zeigt die Lage des Fusses, an der Schraf- ”
firung des weissen Eetoderm kenntlich. Diesem Schnitt folgen
noch fünf, an denen der Durchschnitt des Fusses gleich orientirt
ist und nicht an der Peripherie unten, sondern im Borstencanal
sich findet. E
Fig. 4 und 5 der Taf. XXX sind Querschnitte durch einen
umgestülpten, quer durchbohrten und zurückgestülpten Polypen
(Versuch vom 26. Juni 1886). |
Fig. 4 stellt einen Querschnitt durch die Tentakelregion
dar: Querschnitt des Hohlringes. Fig. 5 giebt einen Querschnitt
durch das Fussende wieder. Im ersten Schnitt Fig. 4 (vgl. den °
-
EETEITUGTLENNE
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 559
schematischen Längsschnitt in Fig. 6 auf Tafel XXX), der nach
oben links einen Tentakel getroffen hat, ist gleichsam in den
äusseren von normal gelagerter Wandung der Polypen gebildeten
Ring — aussen Ectoderm, dann Stützlamelle und Entoderm — ein
anderer hineingesetzt mit umgekehrter Reihenfolge der Schichten.
- Fig. 5 hat aussen Eetoderm, innen Entoderm und zwischen bei-
den die Stützlamelle. Der Magenraum ist unregelmässig vom Ento-
derm begrenzt. Die Querschnitte durch die verschiedenen Re-
sionen entsprechen somit den Längsschnitten und dem was man
nach dem Modellversuch erwarten konnte.
Gelegentlich meiner früheren Versuche waren die Polypen,
nachdem das Eetoderm wieder aussen lag, vom Draht befreit
worden und hatten nach zwei Tagen ihre normale Leibesbeschaffen-
heit wieder erlangt.
Diesmal versuchte ich festzustellen, wie lange ein umgestülp-
ter Polyp nach der Rückstülpung auf der Borste würde sitzen
bleiben, und welche Wege er etwa zu seiner Befreiung einschlagen
möchte.
Da die umgestülpten Polypen, wenn sie nicht die vordere
Leibeshälfte gleich der hinteren zurückstülpen, nach den bisheri-
gen Erfahrungen in der Tentakelregion einen Doppelring bilden,
siehe Taf. XXX, Fig.4, 6 und 7, so wäre es denkbar gewesen,
dass ähnlich wie bei den Versuchen, wie sie in den Figuren 1
bis 8 auf Tafel XXIX bildlich dargestellt wurden, auch hier der
Doppelring sich in der Längsaxe des Thieres aufspalte. Das
traf jedoch nieht ein. Es ereignete sich vielmehr eine Resorption
der inneren Wand des Doppelringes, wie ich dies auch schon
früher nach Befreiung der Polypen von der Borste gesehen hatte.
Hier folgt die Beschreibung eines derartigen Versuches.
Eine kräftige Hydra grisea wird am 10. Februar 1891 um-
gestülpt und mit einer Borste quer durchbohrt. Nach 24 Stunden
hat sich das hintere Leibesende durch die eine der Wundöffnungen
zurückgestülpt und hat sich mit den Drüsenzellen des Fusses am
Wachsklotz des Beobachtungsaquarium festgeheftet.. Die Ten-
takelregion ist zu einem Doppelring umgestaltet. Fuss und Ten-
takel liegen wie vor der Rückstülpung orientirt, und die ganze
äussere Oberfläche mit Einschluss des ursprünglichen Wundeanals
ist mit Eetoderm bekleidet. Am 15. Februar sind zwei neue
Tentakel an der vorderen Grenze des Doppelringes erschienen.
560 M. Nussbaum:
Am 18. Februar kann man die Ringöffnung nieht mehr erkennen,
der Polyp haftet aber noch gut auf der Borste. Eine Aufspaltung
des Ringes ist nicht erfolgt, da die Tentakel noch immer eine
Kreisfläche umstehen. Hätte man es wagen dürfen, den Polypen
auf eine durchsichtige Unterlage zn bringen, so würde man er-
kannt haben, dass nunmehr die Resorption der inneren Ringwand
erfolgt war. Den Beweis hierfür kann ich jedoch erst aus den
folgenden Beobachtungen erbringen. |
Am 21. Februar war ein dritter junger Tentakel am vor-
deren Leibesende hervorgesprosst, der Polyp haftete gut auf der
Borste. Am folgenden Tage zeigte sich, wie ich dies auch bei
dem Versuch vom 27. Januar d. J. beobachtet hatte (s. S. 548),
ein weisslicher Streif auf einer Seite des Borsteneanals — dies-
mal quer zur Längsaxe des Polypen. — Am 23. Februar, also
nach 13 Tagen, war der Polyp von der Borste abgefallen. Er
sass mit seinem Fuss festgeheftet an einer Wasserpflanze, das ent-
gegengesetzte Ende, die frühere Mundregion war von sechs alten
und drei jungen Tentakeln umgeben. Die äussere Form glich
einem U, öfters auch durch Drehung des Leibes einem Z. Oben
an dem Längsbalken lag der Tentakelkranz, unten der Fuss.
Die kurzen Querbalken waren durch die quere, einseitige Aufspal-
tung des Borstencanales entstanden. Der Polyp war ganz von
Eetoderm bedeckt. Wie man jetzt bei durchfallendem Lichte
ohne Weiteres erkennen konnte, war der Innenraum von Ento-
derm bekleidet und zog sieh continuirlich durch den ganzen ge-
bogenen und an den Enden geschlossenen Cylinder hin. Somit
war der Doppelring, den die Tentakelregion gebildet hatte, eben-
falls in einen einfachen, innen von Entoderm und aussen von Eec-
toderm gebildeten Cylinder umgewandelt worden. Bis zum 16. Fe-
bruar hatten sich aus der vorderen und hinteren Oeffnung des
direet nach der Rückstülpung entstandenen Doppelringes abge-
storbene Gewebsfetzen entleert, die nach der mikroskopischen
Untersuchung aus Entoderm- und Eetodermzellen bestanden. Es
waren somit Theile zu Grunde gegangen. Auch später noch, be-
vor sich wieder eine Mundöffnung gebildet hatte, lagen in dem
Magenraum des Polypen geballte Massen, die nur von abgestosse-
nen Theilen des Leibes herrühren konnten, da jede Möglichkeit
einer Aufnahme ‘von aussen ausgeschlossen war. Schon bei den
Beobachtungen über die Regeneration aus länglichen Stücken der
ae a
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 561
ru
4
Leibeswand hatte ich feststellen können, .dass bei den Restitutions-
sangen Resorptionserscheinungen auftreten (d. Arch, Bd. XXIX,
Taf. XIX, Figg. 90—94). Im vorliegenden Versuche müssen
4 aber nach der Ausschaltung der unbrauchbaren Theile durch Aus-
: stossung und durch Resorption auch noch Verwachsungen der
- Wundränder eingetreten sein; denn sonst hätte aus einem Doppel-
ring kein einfacher Hohleylinder entstehen können. Einen ähn-
_ lichen Vorgang wird man in den folgenden Versuchen beschrie-
ben finden, wo ebenfalls aus der Continuität ein Stück der Lei-
bessubstanz verloren ging und darauf Verwachsung der dureh
- Demarkation gebildeten freien Ränder erfolgte.
) Der Polyp hatte am 26. Februar seine Gestalt noch nicht
geändert; an der alten Stelle sass ein Kranz von 12 Tentakeln;
es waren somit 6 neu gebildet. An diesem Polypen sah ich zum
ersten Male die schon von älteren Autoren beschriebene Gabelung
eines Tentakels. Nach meinen Beobachtungen ist der zweiarmige
Tentakel durch Verschmelzung zweier alten Tentakel entstanden;
da mit der Zeit die basale Partie immer länger, die freien Zin-
ken dementsprechend kleiner und der verwachsene Tentakel allmäh-
lieh resorbirt wurde. Diese Verwachsung von Tentakeln wurde
- im Laufe der weiteren Beobachtung noch zweimal festgestellt.
_ Am 6. März hatte der Polyp 7 Tentakel, darunter zwei ver-
wachsene, von denen der eine aus zwei alten umd der andere aus
drei alten Tentakeln bestand, die in beträchtlicher Ausdehnung
an ihrer Basis verwachsen waren.
Nach drei Tagen, am 9. März, waren alle Tentakel einfach,
_ die beiden aus dem Zusammenfluss von je zwei oder drei ent-
standenen dicker, als die übrigen fünf. Die seitlichen Zinken
waren fast ganz geschwundeu. Die beiden verwachsenen Tentakel
wurden resorbirt; man konnte ihr Schwinden von Tag zu Tag
beobachten. Am 12. März war ein neuer Tentakel hervorgesprosst.
Am 15. März war der Polyp in Nichts mehr von einem normalen
Polypen mit sechs Armen zu unterscheiden.
Greifen wir jetzt wieder zurück auf die bei den Versuchen
vom 25. und 27. Januar 1891 (pag. 552) aufgeworfene Frage,
ob bei der Aufspaltung des Doppelringes zu einem eylindrischen
Rohr nachweislich mechanische Ursachen mitgewirkt haben, so
wird man nach den bei dem vorigen Versuch gemachten Erfah-
rungen diese Frage bejahen müssen. In den Versuchen vom 25.
Erw
562 M. Nussbaüm:
und 27. Januar 1891 hat offenbar die longitudinale Aufhängung
der Polypen zu einer Längsspaltung des Doppelringes die Ver-
anlassung gegeben; da mit dem Wegfall der Aufhängung im Ver-
such vom 10. Februar, dem so eben beschriebenen Versuche,
auch die Längsspaltung des Doppelringes nicht eintrat. Hier
wurde der Doppelring durch den eomplieirten Process der localen
Nekrose, Resorption und seeundären .Verwachsung der neu
geschaffenen freien Ränder in ein einfaches eylindrisches Rohr
umgewandelt. Dagegen wirkte die quer durchgestossene Borste
auch beim letzten Versuche in ähnlicher Weise wie bei den Ver-
suchen vom 25. und 27. Januar 1891. Nur erfolgte hier der
Lage der Theile entsprechend eine quere Aufspaltung ah der Pe-
ripherie des Borstencanals, wie wir sie vorhin des Näheren be-
schrieben haben. Wäre der Polyp wie in allen im 29. Bd. d. Arch.
beschriebenen Versueheu früher von der Borste, also etwa am
zweiten oder dritten Tage nach der Rückstülpung, befreit wor-
den, so würde nach dem Wegfall der mechanischen Ursache auch
hier keine Aufspaltung erfolgt sein, da in meinen früheren Ver-
suchen der Borstencanal einfach verschwand.
Diese Fähigkeit der Verwachsung von ächten Canälen er-
innert an die Verwachsung epithelialer Flächen oder Ränder bei
höheren Thieren. Nur scheint sie bei Polypen in etwas anderer
Weise vor sich zu gehen; da der Verwachsung stets ein Substanz- 3
verlust, also gewissermassen eine Anfrischung voraufgeht. Man
würde zur genaueren Erkenntniss dieses Vorganges erst durch
eigens darauf gerichtete Versuche kommen können. Hier genügt
es vorläufig, gezeigt zu haben, dass ein abnorm gestalteter Polyp
je nach den äusseren Bedingungen in verschiedener Weise zur
naturgemässen Gestalt zurückkehren kann. Um in der Sprache
der Chirurgen zu reden würde man sagen müssen, dass bei den
Polypen ächt benarbte Canäle entweder durch mechanische Aut-
spaltung oder durch Verwachsung verschwinden können.
4. Zur Frage, ob ein an der Rückstülpung gehinderter
Polyp zu Grunde gehen müsse. 1
Die sogleich mitzutheilenden Beobachtungen verdanke ich
dem Zufall; da in beiden Fällen kein ersichtlieher und durch
das Experiment beabsichtigter Grund für die Erscheinungen vorlag.
Mechanik des Trembley’schen Umstülpunesversuches. 563
h pung
Versuche vom 14. Janunr 1891. Eine umgestülpte Hydra
R grisea wurde in ein Beobachtungsaquarium gebracht, ohne dass
sie irgendwie verletzt worden wäre. Der Polyp war am 19. Ja-
mar noch nicht zurückgestülpt. Am 20. Januar zerfiel das Fuss-
3 ende zum Theil, es erfolgte von ‘dort eine totale Rückstülpung.
Bald darauf hatte die Fusswunde sich geschlossen und dort ein
neuer Fuss sich gebildet. Am 21. Januar zeigte das Thier seine
- ursprüngliche, aber verkleinerte Form.
a Eine umgestülpte Hydra grisea wird mit einem Draht quer
durchbohrt, nachdem sie vorher 5 Stunden dagelegen hatte, ohne
sich zurückzustülpen. Am 19. Januar ist der Polyp vom Draht
; abgefallen und mit Ausnahme eines kleinen Reifes in der Mund-
— gegend aussen ganz von Entoderm bekleidet. Am 21. Januar
liegt der Polyp als eine verkleinerte von Eetoderm aussen ganz
bekleidete Kugel da, wird am 22. Januar eylindrisch und hat
am 23. Januar drei neue Tentakel gebildet.
Somit kann ein umgestülpter Polyp doch länger als man
früher glaubte, in den geschilderten Versuchen sechs Tage lang,
am Leben bleiben, ohne sich zurückgestülpt zu haben. Erfolgt
- dann die Rückstülpung, so ist immer eine bedeutende Verkleine-
rung des Thieres damit verbunden. Da die Thiere, so lange sie
umgestülpt sind, hungern müssen, so ist die Verkleinerung erklär-
_ lieh. Der Polyp zehrt vom eigenen Leibe. Darin ist aber zugleich
der Grund gegeben, dass ein an der Rückstülpung absolut gehin-
derter Polyp zu Grunde gehen müsse. Er wird nie wieder zur
- Nahrungsaufnahme geschickt, wenn das Entoderm nicht innen liegt.
re
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Vol
564 M. Nussbaum:
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVI—XXX.
TaIeLIiSaXxyE
Fig. 1—5. Umstülpung eines Handschuhfingers, dessen eine Wand
nahe der Oeffnung von aussen nach innen durchbohrt wurde.
Fig. 1. Ausgangstadium, Fig. 2incomplete, Fig. 3 complete Umstül-
pung vom blinden Ende aus, Fig. 4 Drehung des umgestülpten
Handschuhfingers von 180° um die Nadel, Fig.5 Drehung von
150° um die Längsaxe des umgestülpten Handschuhfingers.
Fig. 6—8. Umstülpung eines Handschuhfingers, dessen eine Wand
nahe der Oeffnung von innen nach aussen durchbohrt wurde.
Die Nähte sind der besseren Orientirung halber eingezeichnet.
2]
—.
=
Q
8.6. Ausgangstadium: die Nähte liegen aufwärts, Fig.7 incom-
plete Umstülpung. Fig. 8. Der blinde Zipfel ist 180° um die
horizontale kurze Axe des Fingers gedreht. Die in Fig. 6
und 7 sichtbaren Nähte sind nach abwärts gerichtet und des-
halb nicht mehr zu sehen.
Fig. 9—12. Umstülpung eines Handschuhfingers, der nahe der Oeff-
nung doppelt durchbohrt ist.
Fig. 9. Ausgangstadium, Fig. 10 incomplete Umstülpung vom
blinden Ende aus, Fig. 11 complete Umstülpung, Fig. 12
Drehung von 1800 um die Nadel.
Fig. 13—16. Theilweise Umstülpung eines in der Mitte doppelt durch-
bohrten Handschuhfingers.
Fig. 13. Ausgangstadium, wo die obere Durchbohrungsstelle erwei-
tert ist, Fig. 14 Ein- und Durchstülpung des hinteren Endes durch
die Oeffnung in der oberen Wand, Fig. 15 Drehung von 90°
um die horizontale Queraxe des Handschuhfingers, Fig. 16
stellt Fig.15 von der Unterseite her dar.
Tafel XXVI.
N.B. In allen folgenden Figuren ist das Entoderm grau, das
durchschimmernde Entoderm mattgrau und das Eetoderm weiss ge-
halten, die Fussgegend mit ihren Drüsenzellen gestrichelt.
Fig. 1—4.. Umstülpung und Rückstülpung eines Polypen, der mit
seiner Knospe noch einen gemeinschaftlichen Magenraum hat.
+
2
y
ET
”
het yabie De
w
Fig.
Fig. 6
Fi
8
| Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 565
Fig.1. Der lebende Polyp, Fig. 2 der lebende Polyp 10 Minuten nach
der Umstülpung, Fig. 3 der lebende Polyp 55 Minuten nach
der Umstülpung, Fig. 4 der 24 Stunden nach der Umstülpung
in Alcohol abgetödtete Polyp. — Vergr. Zeiss a, Oc. II; a die
Knospe; b unteres Ende einer abgeschnittenen Knospe, deren
Magenraum nicht mehr mit dem des Mutterthieres in offener
Verbindung stand; ce die zur Orientirung über die Lage und
zur Verhinderung des Abgleitens an dem einen Ende der
Borste angeschmolzene Wachskugel.
Ein umgestülpter und mit einer Borste quer durchbohrter
Polyp 24 Stunden nach der Umstülpung in Alcohol abgetödtet.
Vergr.!) Zeiss a, Oc.II. f der Fuss.
Ein umgestülpter und quer durchbohrter, lebender Polyp.
Derselbe Polyp nach drei Tagen in Alcohol abgetödtet. Vergr.
Zeiss a, Oc. I.
Tafel XXVIl.
Längsschnitt durch den in Fig. 4 der Tafel XXVII darge-
stellten Polypen; rechts unten die Knospe mit ihrem Tentakel
“ getroffen. Vergr. Zeiss A, Oc. II.
. 2, 3, 4 Querschnitte durch den in Fig.2 der Tafel XXIX abge-
bildeten Polypen. Der Polyp wurde in eine von rechts nach
links vorschreitende Serie feiner Schnitte_zerlegt.
Fig. 3 ist die Abbildung des 9. Fig. 2 des 25. und Fig. 4 des
34. Schnittes. Der Schnitt der Fig. 2 fällt durch den oberen
Höcker der Fig. 2 auf Tafel XXIX. Dieser Höcker ist der
Fuss, in den Zeichnungen längsschraffirt. Vergr. Zeiss A,
Gel,
Fig. 5 und 6. Längsschnitte senkrecht zur Tafelebene durch den in
Fig. 5 der Tafel XXVII abgebildeten Polypen.
Fig.5. Schnitt durch die Borstenwunde; Fig. 6 seitlich davon. Vergr.
Zeiss A, Oc. II. — N.B. Die Schnitte durch den Polypen der
Fig. 2, Tafel XXIX sind conform den übrigen Schnitten der
Tafel XXVIII orientirt worden, was hoffentlich zu keinem
Missverständniss führen wird, da der Polyp in Fig. 2 der
1) Würde man die Theile auseinander ziehen, so erhielte man
die Figur 10 auf Tafel XXIX, wie sich auch aus den Längsschnitten
durch die vorliegende Figur auf Taf. XXVII, Fig. 5 und 6 ergibt.
Die aussen weisse Wand, die man von der Borste durchbohrt sieht,
geht somit unter der aussen grauen, tentakelwärts gelegenen durch.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 37
566 M. Nussbaum:
Tafel XXIX mit seinem Fuss nach aufwärts und mit den Ten-
takeln nach abwärts gerichtet ist, die Schnitte auf der vor-
liegenden Tafel XXVIII aber umgekehrt gerichtet sind. — Die
Magenhöhle und die Umgebung des Polypen sind auf den
Abbildungen schwarz.
Tafel XXX.
Fig. 1. Polyp über eine Borste umgestülpt, das Fussende durchbohrt
wie auf Tafel XXVII, Fig.2; 24 Stunden nach der Umstülpung,
lebend. Vergr. Zeiss a, Oc. DI.
Fig. 2. Derselbe Polyp, 24 Stunden später in Alcohol abgetödtet.
Vergr. Zeiss a, Oc.I.
Fig. 3—-8a. Umwandlungen eines über eine Borste umgestülpten, am
Fussende wie in Fig. 2, Tafel XXVII durchbohrten Polypen.
Fig. 3. Der Polyp 24 Stunden nach der Umstülpung. Fig. 4. Der
Polyp 2 Tage nach der Umstülpung. Fig. 5. Dasselbe Thier
am dritten Tage nach der Umstülpung. Fig.6. Derselbe Polyp
am fünften Tage nach der Umstülpung. Fig. 7. Aussehen
des lebenden Polypen am sechsten Tage nach der Umstülpung.
Fig. 8 und 8a. Zwei in Alcohol abgetödtete Polypen,. die am
zwölften Tage nach der Umstülpung des ursprünglichen Po-
lypen sich durch Schwund der in den Figg. 6 und 7 sicht-
baren Brücke von einander trennten und bis zur Abtödtung
in Alcohol noch zwei Tage unverändert weiter lebten. — Der
. Polyp in Fig.8 hat 2 Köpfe mit 3 Tentakeln, der Polyp in
Fig. 8a hat 4 Tentakel, jeder Polyp hat einen Fuss. Vergr.
Zeiss a, Oc. I.
Fig. 9 u. 10. Zweiactige Umstülpung eines in der Mitte doppelt durch-
bohrten Säckchen.
Fig. 9. Ausgangstadium. a Der von aussen sichtbare Rand des
Loches in der vorderen Wand; b der von innen sichtbare
Rand des Loches in der hinteren Wand; c der freie Rand der
Lichtung; dd‘ eine in das Innere eingeführte Sonde. Fig. 10.
Endstadium, hervorgegangen aus Fig. 9, indem der untere
linde Theil des Säckchen eingestülpt und aus dem Loch in
der vorderen Wand hervorgezogen wurde, so dass der Rand a,
wie Fig. 10 zeigt, sowohl auf der vorderen wie auf der hin-
teren Seite und das untere mit d’ bezeichnete Ende der Borste
dd’ frei liegt. In den unteren Sack, dessen Oeffnung jetzt
nach hinten gerichtet ist, wurde die Borste ee’ eingeführt.
Der freie Rand e ist nach unten umgeklappt. In der Oeffnung
des hierdurch entstandenen Doppelringes steckt noch, wie ur-
sprünglich, der mit d bezeichnete Anfangstheil der Borste dd’.
Fig. 11.
Fig. 4.
Fig. 5.
Fig.
Fig.
Mechanik des Trembley’schen Umstülpungsversuches. 567
Umstülpung eines nicht ganz nahe der Oeffnung doppelt durch-
bohrten Handschuhfingers. a Ausgangstadium, b Endstadium
nach der vom blinden Ende her erfolgenden Umstülpung 180°
um die Nadel gedreht. (Das blinde Ende der Raumersparniss
wegen nach abwärts umgeklappt.)
Tafel XXX.
Fig. 1-3. Schnitte durch den in Fig.7 der Tafel XXVII abgebildeten
Polypen schräg zur Tafelebene.
1 stellt den 4. Schnitt, Fig. 2 den 10. Schnitt und Fig. 3 den
15. Schnitt der Serie dar. (Die Schnitte sind gegen die Fig. 7
auf Tafel XXVII um 90° gedreht.) Vergr. Zeiss A, Oc. II.
Querschnitt durch die obere Partie (Tentakelgegend, oberhalb
der durchgesteckten Borste) eines umgestülpten, quer mit
einer Borste durchbohrten und nach 24 Stunden restituirten
Polypen. Ein Tentakel ist oben schräg getroffen. Das Ganze
stellt einen Doppelring vor, dessen Oeffnung keine Magenhöhle
ist, da sie von Ectoderm begrenzt wird. Die alte Magenhöhle
liegt zwischen den beiden Wandungen des Doppelringes
selbst; sie ist an manchen Stellen spaltförmig, an andern er-
weitert und an noch andern durch Querbrücken im Schnitt
verdeckt. Vergleiche hierzu den Längsschnitt eines solchen
Doppelringes in Fig. 1, Tafel XXVII.
Querschnitt durch die untere Region desselben Polypen.
Fig. 6 u. 7. Ideale Längsschnitte median durch umgestülpte, mit einer
Borste quer durchbohrte und wieder restituirte Polypen, senk-
recht zur Borstenebene.
6. Umstülpung des unteren Abschnittes vom Fuss aus — also
nach innen und oben — und Herauskriechen durch den einen
Wundrand (vgl. Figg. 14—16, Tafel XXVI und die Fig.5 auf
Tafel XXVII. Der schraffirte Fuss liegt unten, auf der ent-
gegengesetzten Seite der Tentakel. Fig.7. Umstülpung des
unteren Abschnittes von den Wundrändern aus, also nach
aussen und unten. Der schraffirte Fuss liegt nach unten der
Borste an. Die oberen Abschnitte haben sich in beiden Fällen
durch Umschlag von den Wundrändern und den Tentakeln her
zu einem Doppelring umgebildet, und in beiden Fällen kann
man von der Lücke zwischen den Tentakeln, wo früher die Mund-
öffnung lag, nicht mehr in die Magenhöhle eindringen. Diese
Lücke ist die innere Lichtung des Doppelcylinders (ef. Fig. 4,
Tafel XXVII), die auf den durch die quer durchgesteckte
Borste geschaffenen Wundcanal hin und von da beiderseits
568 M. Nussbaum: Mech. des Trembley’schen Umstülpungsversuches. |
wieder ins Freie führt. Der obere Rand des Borstencanals ist
in den Schemata nicht getroffen. Da es bei der Wiedergabe .
dieser Schemata wesentlich darauf ankam, die verschiedene
Lage der Fussdrüsenzellen bei den beiden Arten, nach denen
die Rückstülpung des Fussendes möglich ist und vorkommt,
zu zeigen, so sind keine weiteren schematisirten Durchschnitte
beigegeben worden. Man kann sie leicht aus den Figuren 5
und 6 der Tafel XXVIII und namentlich mit Zugrundelegung
der Figur 10 auf Tafel XXIX construiren.
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569
(Aus dem anatomischen Institut der Universität Erlangen.)
Beitrag zur Lehre von der Entstehung der
karyokinetischen Spindel.
Von
Dr. F. Hermann.
Hierzu Tafel XXXI und 2 Holzsehnitte.
In dem Studium des Kerntheilungsvorganges ist in neuerer
Zeit in sofern eine gewisse Wandlung eingetreten, als die Beob-
achtung jener wunderbar gleichmässigen Bewegungserscheinungen
der gefärbten Kernbestandtheile während der Karyomitose mehr
und mehr in den Hintergrund trat gegenüber der Frage nach
einer mechanischen Erklärung der Kerntheilung, gegenüber der
Frage nach dem Sitze der Kräfte, welche die bei der Karyo-
kinese sich abspielenden Bewegungen auszulösen vermögen. Es
war wohl van Beneden!) der erste, welcher auf Grund seimer
Untersuchungen am Ascarisei den Satz aussprach, dass die dicen-
trische Anordnung der Chromatinelemente durch eine direkte
Contraction jenes farblosen Fibrillenapparates erfolge, der ja
schon lange als die „achromatische Spindelfigur“ bei der Thei-
lung der Zellen bekannt war. Wenn wir also den Versuch einer
mechanischen Erklärung des Kerntheilungsvorganges wagen wollen,
so muss sich wohl unser Augenmerk vor allem der Entstehungs-
geschichte jener achromatischen Spindel zuwenden, und ich kann
es wohl als bekannt voraussetzen, dass die Arbeiten über diesen
Gegenstand gerade in neuerer Zeit ziemlich zahlreich geworden
sind. Von einer sog. „historischen Uebersicht“ glaubte ich an
1) Bulletins de l’acad&emie royale des sciences de Belgique. 97.
1887, pag. 279.
Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37 38
570 F. Hermann:
dieser Stelle um so mehr Abstand nehmen zu dürfen, als Stras-
burger!) erst jüngst eine sehr umfassende Zusammenstellung
der Angaben der verschiedenen Autoren gegeben hat. Freilich
sind diese Angaben noch weit davon entfernt, eine einheitliche
Auffassung über die Entstehungsweise der Kernspindel berechtigt
erscheinen zu lassen und auch die Beobachtungen, die in den
folgenden Seiten zur Kenntniss der Fachgenossen gebracht werden
sollen, sind viel zu wenig ausgedehnt, eine solche zu erlauben.
Wenn trotzdem die Resultate . meiner Untersuchungen hier Ver-
öffentlichung finden sollen, so glaubte ich dazu die Berechtigung
aus der Ansicht herleiten zu dürfen, dass wir nur durch mög-
lichst zahlreiche, an den verschiedensten Objekten durchgeführte
Einzelbeobachtungen mit der Zeit das Ziel erreichen werden,
uns eine allgemeine Ansicht über die Genese der achromatischen -
Kerntheilungsfigur zu bilden.
In einer in diesem Archiv erschienenen Arbeit?) über „die
Histologie des Hodens“ habe ich neben dem Kerne der grossen
Spermatocyten des Salamanders einen farblosen Körper von ovaler
oder rundlicher Gestalt beschrieben und habe nachweisen können,
dass derselbe während der. Theilung dieser Zellen erhalten bleibt,
ja dass er gerade zu diesem Vorgange in gewisse Beziehungen
tritt, die lebhaft an die von van Beneden?) und von Boveri‘)
am Ascarisei zuerst beschriebenen Verhältnisse erinnert. Leider
erlaubten meine damaligen Untersuchungsmethoden, die mehr dem
Studium der Chromatinelemente dienen sollten, nicht, einen ge-
naueren Einblick in die erwähnten Beziehungen zu erhalten. Ich
sing deswegen an eine wiederholte Untersuchung der Spermato-
cyten des Salamanders, indem ich dabei eine Methode in An-
wendung brachte, die neben der Beobachtung der ehromatischen
Bestandtheile auch eine solche der Protoplasmaverhältnisse ge-
stattete. Die Hoden von Ende Juli oder Anfangs August ein-
gefangenen Salamandern wurden in dem schon früher angegebenen
Gemisch von Platinchlorid-Osmium-Essigsäure ein bis zwei Tage
fixirt, nach sorgfältigem Auswässern in fliessendem Wasser in
1) Histologische Beiträge.
2) Archiv für mikrosk. Anatomie Bd. 34.
3) 8a./ar ®:
4) Zellenstudien. Heft 2.
Be;
$ zur Lehre von d. Entstehung d. karyokinetischen Spindel. 571
ohol von steigender Concentration nachgehärtet und hierauf
wf 12 bis 18 Stunden in rohen Holzessig gelegt. Es erfolgt
durch denselben. eine so ausgiebige Reduktion des Osmiums, dass
eben den dunkel schwarzbraun gefärbten Chromatin-Elementen
auch die feinsten Protoplasmafäden distinkt graugrün tingirt er-
scheinen. Dabei ist die ganze Färbung eine so starke, dass die nach-
trägliche Anwendung eines Kernfarbstofies vollständig unnöthig er-
scheint. Einen Nachtheil freilich muss man mit in Kauf nch-
‚men, darin bestehend, dass wenigstens in gewissen Fällen, ver-
schiedene Granula im Zellleibe so sehr geschwärzt werden, dass
dadurch ein Einblick m die feineren Protoplasmastrukturen er-
schwert werden kann. Auch mag darauf aufmerksam gemacht
werden, dass die erwähnte Methode, soweit meine Erfahrungen
reichen, nicht an allen Zellen das Gleiche leistet; wenigstens er-
schienen die Eikerne aus dem Salamanderovarium. etwas ge-
-_ sehrumpft, ein Nachtheil, dem übrigens sicher durch eine passende
Wahl der Concentration der Flüssigkeiten abgeholfen werden
könnte. Die in Paraffın eingebetteten Organe wurden in feine
Schnitte zerlegt und sind hier bei der Feinheit der Verhältnisse
Sehnitte von Du unerlässlich.
Bei der Schilderung der Befunde, der wir uns nun zu-
wenden wollen, halten wir uns zunächst an jene grossen Zellen
(28—30 u), die Flemming!) als die erste Generation der Sper-
matocyten bezeichnet. Der grosse (Fig. 1) kügelige oder auch
ovale Kern dieser Zellen wird im Ruhestadium von einem derben
Chromatingerüste durchsetzt, dessen leicht geschwungene Stränge
aus rosenkranzartig aneinander gereihten Chromatinelementen be-
stehen und durch schwächer chromatische feine Brückenfäserchen
untereinander in Verbindung stehen. Ausserhalb der deutlich
- sichtbaren Kernmembran liegt nun diesen Kernen ungefähr in der
Form eines flachen Brodlaibes eine Scheibe körmigen Proto-
plasmas an, die durch ihre dunklere Färbung deutlich sichtbar
wird; eine eigentliehe Fibrillirung ist in derselben sicher noch
nicht nachzuweisen, wenn man auch von ihr aus in radiärer An-
ordnung zarte Stränge in das Protoplasma ausstrahlen sieht, wo-
durch es den Anschein bekommt, als sei der ganze Zellleib gegen
die erwähnte Scheibe dunkleren Protoplasmas centrirt. Leider
1) Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. 29.
572 F. Hermann:
war es mir aber nicht möglich, etwas aufzufinden, was einem
Polkörperchen, Centrosoma entsprechen würde, da der Umstand,
dass gerade in der Protoplasma-Ansammlung mehr oder minder
reichlich durch Osmiumsäure geschwärzte Körnerbildungen ge-
legen sind, eine sichere Diagnose eines Polkörperchens un-
gemein erschwert. Gleichwohl zögere ich nicht, die dem Kern
angelagerte Protoplasmamasse mit dem Namen: Archoplasma zu
belegen und nehme die Berechtigung hierzu aus den Vorgängen,
die sich, wie wir sogleich sehen werden, in ihr bei der Kern-
theilung abspielen.
Wenn nämlich der Kern in das Spiremstadium tritt und
die Längstheilung der einzelnen Kernfäden beginnt, werden auch
die Verhältnisse in dem Archoplasma klarer; man sieht deutlich
(Fig. 2) zwei Centrosomen, die eben auseinander weichen und
noch durch eine lichte Brücke mit einander in Verbindung
stehen. In der Mitte wird die letztere von einer etwas dunk-
leren Binde überquert, über deren Bedeutung ich mir jedoch
keine Ansicht bilden konnte; von einer eigentlichen Polstrahlung
ist auch in diesem Stadium noch nichts zu sehen, nur einige
wenige ziemlich grobe Fibrillen gehen von den beiden Centro-
somen in den Zellleib hinein. Es muss übrigens dieser Thei-
lungsprocess der Centrosomen enorm rasch erfolgen, da ich den-
selben nur zweimal deutlich beobachten konnte an Präparaten,
die mit Platinosmiumessigsäure ohne nachherige Reduktion mit
Holzessig behandelt waren. Die Fig. 2, welehe diesen für die
Genese der Spindel so überaus wichtigen Vorgang der Centro-
somentheilung illustriren soll, stellt die Copie einer bei Zeiss
Apochr. 2,0 mit Projektionsokular IV aufgenommenen Photo-
sraphie dar und sind nur wenige Details, die auf dem Negativ
nicht mit erwünschter Schärfe hervortraten, in das etwas unter-
exponirte Platinpapierpositiv eingetragen. |
Während sich nun die einzelnen Chromatinfäden verdicken
und verkürzen, beginnt allmählich der Schwund der bis dahim
deutlich sichtbaren Kernmembran; sie verliert durch leichte
buchtige Einkerbungen ihren glatten Contour und verschwindet
endlich vollkommen. Bevor dies aber eintritt, sieht man deut-
lich, wie sich die ehromatischen Fäden konstant an der dem
Archoplasma gegenüberliegenden Seite des Kernes
zusammenballen und hier einen Knäuel bilden, dessen Elemente
"Beitr. zur Lehre von d. Entstehung d. karyokinetischen Spindel. 573
‘so dieht ineinander geschlungen sind, dass sich nur in Ausnahme-
fällen ein Einblick in die Verlaufsrichtung der einzelnen gewinnen
lässt (Fig.3). Auch Flemming!) sind diese dichten, der Aster-
form der gewöhnlichen Mitose entsprechenden Knäuel aufgefallen;
er bemerkt, die Knäuel hätten „die sonderbare Disposition, dass
nach der einen Seite sich die Windungen dieht geschlängelt zu-
sammenhäufen“ und dass „sich das Fadengewinde immer mehr
_ eentrisch zusammenlagert“. Ich verweise hier auf die Fig. 10
bis 12 a. a. OÖ. Durch die erwähnte Retraction der Chromatin-
‘fäden wird nun im Inneren des Kernes das achromatische
Kerngerüst auf das prägnanteste sichtbar, und man sieht klar,
_ wie sämmtliche Fasern desselben nach dem Archoplasma hin
centrirt sind.
Wodurch übrigens diese geschilderte Retraetion der Chroma-
tinfäden an die dem Archoplasma gegenüberliegenden Kernseite
erfolgt, ist natürlich schwer direkt zu entscheiden. Man könnte
sich ja denken, dass dieselbe durch eine active Bewegung der
5 Chromatinelemente, durch eine gewisse Contraction derselben er-
| folge; allein abgesehen davon, dass wir vielleicht gut thun werden,
nach gewissen Erfahrungen, die man beim Studium sich theilender
Kerne gemacht hat, eine eigentliche active Beweglichkeit der
. ehromatischen Elemente mehr und mehr zu leugnen, ist auch
nicht recht einzusehen, warum die Contraction der Chromatinfäden
stets an jener Stelle des Kernes erfolgen soll, die dem Archo-
- plasma direkt gegenüberliegt. Es ist demnach wahrscheinlicher,
an etwas anderes zu denken; es ist kaum zu leugnen, dass dort,
wo das Archoplasma dem Kerne anliegt, in den Prophasen der
Karyokinese zuerst die Selbständigkeit des Kernes gegenüber
dem Zellleib gelockert wird und dass dann von dieser Stelle ge-
wisse Flüssigkeitsströmungen in das Innere des Kernes eindringen.
Lässt man dieselben an den achromatischen Gerüststrängen, die
ja, wie oben erwähnt, sämmtlich zum Archoplasma centrirt sind,
erfolgen, so ist es unschwer einzusehen, dass die Chromatinfäden
sämmtlich an die entgegengesetzte Kernseite, wo die Kernmem-
bran ihre Selbständigkeit am längsten beibehält, gewissermaassen
- angeschwemmt werden und hier, zu einem dichten Knäuel zu-
sammengeballt, einstweilen liegen bleiben.
Für die Folge müssen wir nun dem Archoplasma unsere
{ 1) a.a. 0.
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574 F. Hermann:
volle Aufmerksamkeit widmen, da sich innerhalb desselben Vor-
gänge von der einschneidendsten Bedeutung abspielen. Ich habe
oben angegeben, dass die während des Spiremstadiums ausein-
anderrückenden Centrosomen durch eine lichte Brücke mit ein-
ander in Verbindung stehen; diese bildet sich nun zu einer
äusserst zierlichen kleinen Spindel (Fig. 4) um, die als
liehter Körper sich von dem körnigen dunklen Archoplasma, in
dessen Mitte sie gelegen ist, scharf abgrenzen lässt. An den
beiden Polen finden wir die Centrosomen (Polkörperehen) und
sehen, wie dieselben durch wenige äusserst feine Fädcehen mit
einander in Verbindung stehen. Von einer eigentlichen Strahlen-
sonne ist aber auch jetzt noch nichts wahrzunehmen; allerdings
fällt eine gewisse zu der kleinen Spindelfigur zentrische Verlaufs-
richtung sämmtlicher Protoplasmastrukturen deutlich in die Augen,
allein es handelt sieh hier noch nicht um jene charakteristischen
feinsten Fibrillen, wie wir sie bei den Polstrahlungen zu sehen
gewohnt sind, und ausserdem sind die im diesem Stadium zu be-
obachtenden Protoplasmastrukturen nach der jungen Spindel in
toto, nicht nach deren beiden Centrosomen hin centrirt. Die
kleinste junge Spindelfigur, die ich beobachtet habe, habe ich in
Fig. 4 bei 1000facher Vergrösserung unter Benutzung der Ca-
mera lucida abgebidet; vergleicht man dieselbe in Hinsicht ihrer
Grösse mit der bei der nämlichen Vergrösserung gegebenen Dar-
stellung der fertigen Kernspindel in Fig. 11, so zeigt sich, dass
diese um ca. das Siebenfache grösser ist, als jene. Die junge
Spindel kann ziemlich weit von dem Knäuel der chromatischen
Fäden entfernt sein, wodurch sich die Thatsache erklärt, dass
man an feinen Schnitten von 5 u nicht selten in den Zellen le-
diglich die Spindel, von den ehromatischen Fäden aber gar nichts
zu sehen bekommt und auch in dem Schnitte, der im Fig. 4 dar-
gestellt ist, finden sich nur zwei chromatische Elemente.
Solche kleine neben den sich theilenden Kernen gelegene
Spindelfiguren sind schon von van Beneden beschrieben und
abgebildet worden. Er schildert am Ascaridenei die sich bei der
Bildung der Furchungsspindel abspielenden Vorgänge in einer
Art, die mit unseren oben mitgetheilten Befunden vollständig
übereinstimmt und ich kann es mir nicht versagen, die betreffenden
Sätze van Beneden’s!) hier wörtlich wiederzugeben: „Les deux
1) a. a. ©. pag. 277.
vn
Sn ee ee a ud a ai nt
R
e
2
}
Beitr. zur Lehre von d. Entstehung d. karyokinetischen Spindel. 575
spheres attractives, quoique separces l’une de Tautre, se trouvent
eneore du m&me cöte du noyau, au stade de pelotonnement (spirem).
Leurs eorpuseules centraux sont relies entre eux par des filaments,
qui eonstistuent avec les fibrilles dirigdes vers le noyau un fuseau
zachromatique de tr&s petites dimensions.“ (ef. Pl. I.
BA Z IE PEWNT. Fig. 1. 5. 14.)
Ein gewisser Unterschied besteht jedoch zwischen diesen
Befunden van Beneden’s und den hier mitgetheilten darin, dass
‘dort schon eine Zweitheilung des körnigen Archoplasmas, der
sphere attraetive van Beneden's, stattgefunden hat, während
hier die kleine Spindel mitten in der einheitlichen Archoplasma-
ansammlung gelegen ist und eine Zweitheilung dieser letzteren,
wie hier gleich bemerkt werden soll, überhaupt auszubleiben
scheint. Boveri, dessen schöne Untersuchungen bekanntlich an
demselben Objecte wie die van Beneden’s angestellt wurden,
leugnet das Auftreten einer kleinen, die beiden Centrosomen ver-
knüpfenden Spindelfigur (pag. 96) vollständig und ist auch auf
den schönen Zeichnungen dieses Forschers nichts davon zu sehen;
doch mag darauf hingewiesen werden, dass auf seiner Fig. 40
Fädehen von Polkörperchen zu Polkörperchen zu ziehen scheinen,
ein Umstand, der später noch nähere Berücksichtigung finden
wird.
Ist nun die junge Spindel ungefähr zum, doppelten (Fig. 5)
oder dreifachen ihrer Länge herangewachsen, so treten plötzlich
von den Centrosomen ausgehende Fibrillenstrahlungen zu Tage
(Fig. 6, 7). Man beobachtet dann, dass, und zwar konstant, stets
zuerst von einem der beiden Öentrosomen ein mächtiges
Bündel ausgeht, dessen feinste, ziemlich glattrandige Fäserchen
divergent auseinander strahlend, sich an den Chromatinschleifen
ansetzen und zwar derart, dass mit dem einzelnen ehromatischen
Element stets eine grössere Anzahl von Fäserchen in Verbin-
dung tritt. Ich kann damit die Angabe Rabl’s!), der zufolge
„die Zahl der von einem Pol zu einer ganzen Schleife ziehenden
Fasern etwa 16—20 beträgt“, vollkommen bestätigen.
Wir haben oben gesehen, dass durch die Retraktion der
Chromatinschleifen das achromatische Kerngerüst frei sichtbar
wird und dass sämmtliche Bälkchen desselben nach dem Archo-
1) Anatomischer Anzeiger 1889.
576 F. Hermann: :
plasma centrirt sind; dies ist auch dann noch der Fall, wenn
die Kernmembran schon längst unsichtbar geworden und die
Junge im Archoplasma gelegene Spindelfigur schon ziemlich heran-
gewachsen ist. Ich möchte jedoch von vorneherein dem Ein-
wurf begegnen, dass es etwa diese achromatischen Kernfasern
seien, die sich als Fibrillenbündel an die Centrosomen der Spindel
ansetzen; davon kann absolut nicht die Rede sein, man sieht zu
deutlich die Fibrillen von den Polkörperehen aus gegen die Chro-
matinelemente hinziehen, namentlich m den Fällen, wo die Fi-
brillen in der Nachbarschaft der Spindelpole schon ausgebildet
sind, die Kernschleifen aber noch nicht erreicht haben. Damit
soll keineswegs geleugnet werden, dass sich die Polstrahlungen
nachträglich mit den achromatischen Gerüstfasern in Verbindung
setzen und letztere so bei der Bildung der Spindel verwendet
werden können; doch ist das eine Frage, die sich direkt wohl
schwer wird entscheiden lassen.
Haben nun beide Centrosomen ihre Strahlenbündel nach
den Kernelementen hin entsendet, so stehen dieselben durch einen
ganzen Wald feiner Fäserchen mit den beiden Spindelpolen in
Verbindung (Fig. 8, 9) und zwar: will es mir scheinen, als wenn
jedes Ohromatinelement von beiden Centrosomen her Fasern
bezöge. Allerdings, dies gestehe ich gerne ein, habe ich diesen
doppelten Ansatz von Fibrillen an die einzelne Kernschleife bei
der eminenten Feinheit der ganzen Verhältnisse nicht direkt be-
obachten können, möchte ihn aber aus dem Umstande, dass die
beiden Strahlensysteme sich unter den verschiedensten Winkeln
durchkreuzen und durchflechten, für höchst wahrscheinlich an-
sehen.
Ist einmal durch die Fibrillenbündel von der Spindel nach
dem Knäuel der Kernschleifen eine Brücke geschlagen, so findet
der weitere Verlauf des Prozesses in ganz einfacher Weise statt.
Während nun die Spindel sich rasch vergrössert, kommen die
von den Polen derselben abgehenden Fibrillen in Contraction
und werden so die Chromatinelemente mehr und mehr in die
Nähe der Spindel ziehen (Fig. 10). Wir kommen so auf ganz
natürlichem Wege zu jenen eigenthümlichen Kerntheilungsfiguren,
‚die auch Flemming aufgefallen sind und von ihm auf das ge-
"naueste beschrieben und abgebildet wurden. „Die Spindel liegt
schräg neben dem Kerngewinde, sie ist demselben einseitig eng
- Beitr. zur Lehre von d. Entstehung d. karyokinetischen Spindel. 577
_ angelagert“, so sagt Flemming; den Grund dieser „einseitigen
- Lage“ haben wir wohl in der Genese der ganzen Spindelfigur
_ und ihrer Fibrillenzüge deutlich genug vor Augen gehabt. Mit
dem Eintritt der Contraction der Fibrillen ist übrigens noch etwas
_ anderes sichtbar geworden; von der Spitze der Spindel geht nun
auch die typische Polstrahlung in den Zellleib hinein, die übrigens,
wie dies ja auch schon von Flemming erwähnt wird, nur 'von
- geringer Ausdehnung ist und deshalb wenig in die Augen fällt.
Die ferneren Prozesse sind einfach und vermögen uns nicht
mehr zu interessiren. Durch richtende Einflüsse, die wir doch
wohl den Spindelfibrillen zuzuschreiben berechtigt sind, werden die
Chromatinschleifen an der Oberfläche der Spindel herumgeschoben
und es entsteht dadurch in der Metakinese jener Gleichgewichts-
zustand, der zu jener tonnenförmigen, bauchigen Kernfigur führt,
die ja schon vor längerer Zeit in dem klassischen Werke Flem-
ming’s über Zellsubstanz, Kern- und Zelltheilung als besonders
charakteristisch für die Spermatocyten des Salamanders angeführt
wird. Zur Demonstration der Grösse, bis zu welcher die Spindel
aus kleinen Anfängen sich ausgebildet hat, habe ich in Fig. 11
ebenfalls bei 1000facher Vergrösserung ein halbschematisches Bild
dieser metakinetischen Tonnenfigur gegeben. t
Damit bin ich mit der Schilderung der thatsächlichen Ver-
hältnisse, wie sie sich aus dem Studium meiner Präparate ergaben,
zu Ende gelangt und ich hoffe auf Grund derselben zu dem
Satze berechtigt zu sein, dass in den grossen Spermatocyten des
Salamanders die achromatische Spindel dem Zellleib, dem
Protoplasma ihre Entstehung verdankt. Uebrigens möchte ich
auf eine rein protoplasmatische Herkunft der Spindel selbst nicht
zu starken Nachdruck legen, da ich ja oben die Möglichkeit zu-
geben musste, dass vielleicht auch. das achromatische Kerngerüst
beim Aufbau der Spindel sekundär Verwendung findet. Prüft
man allerdings in unserm Falle diese Möglichkeit etwas näher,
so wird man sich doch wohl der Ansicht nicht verschliessen
können, dass diese Theilnahme der achromatischen Kerngerüstsub-
stanz, wenn sie wirklich stattfinden sollte, jedenfalls nur eine ge-
ringe und unwesentliche sein wird, denn für den Haupttheil der
Spindel ist doch die protoplasmatische Herkunft unverkennbar.
Ja, für einen gewissen Theil der Spindelfaserung konnte diese Ge-
nese aus den Präparaten direkt bewiesen werden, nämlich für jenen,
578 F. Hermann:
der sich aus der die beiden auseinanderweichenden BEEnRomen
verbindenden Brücke ableiten liess.
Wenn nun auch die Genese der Spindel aus dem Zellleib
in unserem Falle direkt beobachtet und bewiesen, während die
Mitbetheiligung der achromatischen Kernsubstanz nur als eine
Möglichkeit nieht abgewiesen werden konnte, so möchte ich mich
doch jenen anschliessen, welche die Spindelfigur im Allgemeinen
aus dem Protoplasma und dem achromatischen Kerngerüste ent-
stehen lassen. Dabei kann die mögliche Betheiligung dieses letz-
teren eine verschiedengradige sein; sie kann, wie wir eben bei
den Spermatocyten des Salamanders gesehen haben, eine ver-
schwindend geringe sein, während in anderen Fällen — dazu
müssen wir z. B. die von Platner!) bei der Bildung der ersten
Furcehungsspindel in den Eiern von Aulostomum gulo gemachten
Erfahrungen rechnen — recht wohl mehr oder minder ausge-
dehnte äquatoriale Bezirke der Spindel dem achromatischen Kern-
gerüste ihre Entstehung verdanken dürften. Ja, wie ich glaube,
dürfte die Frage, ob neben dem Zellleib auch die geformte achro-
matische Kermsubstanz bei der Genese der Spindelfigur in ver-
schiedenem Grade sich betheiligt, überhaupt nicht so sehr unser
Interesse beanspruchen, vielmehr scheint mir in theoretischer Be-
ziehung darin die Hauptsache zu liegen, dass die Bildung der
karyomitotischen Spindel von dem Protoplasma aus einge-
leitet wird, indem von den sich theilenden Gentrosomen
nach dem Kerne hin kontraktile Fibrillenzüge sich
entwickeln, die eventuell mit den achromatischen Ge-
rüstfasern des Kernes eine sekundäre Verbindung ein-
sehen können. Wir sind gewohnt, den ganzen Prozess der
Kerntheilung als einen innerhalb der Zelle sich abspielenden Be-
wegungsvorgang anzusehen, indem die gefärbten Kernbestandtheile
nach zwei in dem Protoplasma auftretenden Centren hin sich
ordnen, und wir haben namentlich durch die Untersuchungen
van Beneden’s und Boveri’s kennen gelernt, dass diese die
zentrische Anordnung durch die Kontraktion der Spindelfibrillen
nach den Polkörperchen zu erfolgt. Nun ist es das entschiedene
Verdienst von Ballowitz?), in jüngster Zeit auf den intimen
1) Archiv für mikroskop. Anatomie Bd. 33.
2) Archiv für die gesammte Physiologie Bd. XLVI.
kas TE
- Beitr. zur Lehre von d. Entstehung d. karyokinetischen Spindel. 579
Zusammenhang von Contraetilität und fibrillärer Struktur aufmerk-
sam gemacht zu haben; hinweisend auf das schon lange bekannte
Vorhandensein von fibrillären Strukturen in den Flimmerzellen,
in den Fortsätzen amöboid sich bewegender Zellen, in der Muskel-
substanz, konnte er auch für das Bewegungsorgan des Spermato-
zoons, den Schwanzfaden, eine Zusammensetzung aus feinsten Fi-
brillenzügen sicher stellen. Gelegentlich meiner Untersuchungen
über die Spermatogenese bei Salamandra maeulosa habe ich die
Ansicht vertreten, dass der Schwanz des Spermatozoons wahr-
scheinlicherweise der extranuclear im Protoplasma entstehenden
Mittelstückanlage entsprosst; seitdem haben mich Beobachtungen
über die Entstehung der Selachierspermatosomen belehrt, dass das,
was ich für Salamandra als möglich festgestellt, 'Thatsache ist,
dass nämlich der Schwanz des Spermatosoms in einer körnigen
Protoplasmaansammlung neben dem Spermatidenkerne seine Ent-
stehung nimmt und erst sekundär mit dem letzteren in Verbindung
tritt. Wir sehen also, dass auch die Fibrillensysteme, aus denen
nach den Ballowitz’schen Untersuchungen das Bewegungsorgan
des Samenfadens zusammengesetzt ist, dem Zellleib entstammen;
halten wir damit unsere oben beschriebenen Erfahrungen über
die Entstehung der karyokinetischen Spindel zusammen, die ja
wenigstens sicher für den Haupttheil der Spindelfibrillensysteme
einem protoplasmatischen Ursprunge das Wort reden, so dürften
wir vielleicht zu dem Schlusse bereehtigt erscheinen, die Hypo-
these von Ballowitz dahin zu erweitern, dass wir sagen:
sämmtliche die Contraetilität vermittelnden Fibrillen-
strukturen entstammen dem Zellleib, oder allgemeiner,
sämmtliche aktiven Bewegungen der Zelle werden vom
Protoplasma ausgelöst. Man könnte mir nun gegen diese
Ansicht einwenden, dass ja bei dem Zustandekommen der sich
so häufig findenden gelappten Kernformen, die wir doch auch
auf Bewegungsphänomene zurückführen müssen, bislang noch nichts
von fibrillären Strukturen in Form von Polstrahlungen ete. habe
nachwgisen lassen. Nun sind freilich gerade über die Struktur
der sog. gelappten Kerne unsere Kenntnisse noch recht dürftige,
allein ich möchte nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass es
mir gelungen ist, neben den exquisit gelappten Kernen” der Sper-
matogonien des Frosches Strahlungen mit einem im Centrum des-
selben gelegenen Polkörperchen zur Anschauung zu bringen (Fig. 12),
580 F. Hermann:
-
und zwar erfolgt die Lappung des Kernes stets nach der Seite,
wo sich im Zellleib das radiäre Fihrillensystem gelagert findet.
(Anmerk.)
Wenn wir uns nun, nachdem wir im Hoden des Salaman-
ders die Genese der karyokinetischen Spindel verfolgt haben,
ein Bild zu machen suchen, welche Fasersysteme wir in der
fertigen Spindel anzunehmen haben, so dürften wir zu folgenden
Schlüssen gelangen. Wir haben gesehen, dass die beiden aus-
einanderweichenden Centrosomen durch eine Brücke mit einander
in Verbindung stehen, die, sich ausbauchend, zu einer sich rasch
vergrössernden Spindel heranwächst; an der fertig ausgebildeten Spin-
del wird dieser Theil die axiale Mitte derselben einnehmen, weshalb
ich ihn mit dem Namen Centralspindel belegen möchte und wird
aus Fibrillen bestehen müssen, die direet und eontinuirlich
von Polkörperchen zu Polkörpercehen ziehen, ohne
auf ihrem Wege überhaupt mit chromatischen Kern-
elementen in Beziehung zu treten (Holzschnitt Fig. 1). Ge-
\ Fig. 2.
Schematische Darstellung der Zusammensetzung der Spindelfigur.
6
Anmerkung. Die Beobachtung eines Archoplasmasystemes
neben gelappten Kernen findet eine rasche Bestätigung in einer, erst
nach Abschluss vorliegenden Manuscriptes erschienenen Mittheilung
von Flemming (Anatom. Anzeiger, Jahrg. VI, Nr.3). InFig.5 findet
sich die Abbildung eines Leucocyten der Salamanderlarve, die mit
unserer Fig. 12 bis auf’s Kleinste übereinstimmt.
Beitr. zur Lehre von d. Entstehung d. karyokinetischen Spindel. 581
wissermassen als Mantel werden sich über diese Centralspindel
jene Fasersysteme herüberlegen, die von den beiden Centrosomen
aus zur Herbeiholung der Chromatinelemente entsendet wurden,
und diese Fibrillenzüge können nicht von Pol zu Pol ziehen, son-
dern werden in der Nähe des Spindeläquators durch ihren Ansatz
an die sich färbenden Kernbestandtheile eine Unterbrechung er-
leiden müssen. Geht nun aus der Metakinese das Stadium
des Dyasters hervor (Holzschnitt Fig. 2), so werden die letz-
teren Fibrillenzüge durch Contraetion die dieentrische Verschie-
bung der Chromatinschleifen längs der Centralspindel besorgen,
und ich kann mich dabei des Gedankens nicht erwehren, dass
die Centralspindel jene Fibrillen darstellt, welche als Verbindungs-
fasern bezeichnet werden und von denen bekannt ist, dass sie
sich auch in optischer Hinsicht etwas anders verhalten, wie die
übrigen Spindelfibrillen. Unleugbar dem Protoplasma entstam-
mend, kehren die Fibrillen der Centralspindel bei Rekonstruktion
der Tochterkerne, radienartig ausstrahlend, wieder in das Proto-
plasma zurück, während die übrigen Spindelfasern nach ihrer
Contraetion in Verbindung mit der Polstrahlung, indem sie ihre
fibrilläre Struktur aufgeben, das Archoplasmasystem der neugebil-
deten Tochterzelle darstellen.
Die Angaben, die ich mir über die Zusammensetzung der
ausgebildeten Spindel des Salamanderspermatocyten zu machen
* erlaubte, finden eine Stütze in den Beobachtungen, die van Be-
neden an einem anderen Objeete, den Eiern von Ascaris me-
galocephala, machte. Er giebt an, dass die Spindel aus zwei
Fibrillenkegeln bestände, die mit ihren Basen aneinander stossen,
und dass zwischen diese Halbspindeln die chromatischen Elemente
im Aequator eingeschaltet seien; er bemerkt aber auch, dass
nicht alle Fibrillen mit den Chromatinschleifen in Contact treten, son-
dern „dass eine gewisse Zahl derselben die beiden Cen-
tren der dicentrischen Figur miteinander verknüpfen“
und leitet diese Fäden von der Verbindungsbrücke der ausein-
anderweichenden Centrosomen ab. Dagegen huldigt van Beneden
in Bezug auf die Verbindungsfäden der Ansicht, dass dieselben
dem Achromatin des Kernes entstammen, indem bei der Trennung
der Schwesterfäden die achromatische Grundlage derselben ge-
dehnt und zu Fadenbildungen ausgezogen wird, und. wird diese
Ansicht auch von Boveri getheilt. Ich bin natürlich weit da-
582 | F. Hermann:
von entfernt, dieses Verhalten bei Ascaris megalocephala bestreiten
zu wollen, möchte aber darauf hinweisen, dass in den Spermato-
cyten von Salamandra maculosa die Sache sich jedenfalls anders
verhalten dürfte, schon deshalb, weil hier in der Metakinese be-
kanntlich überhaupt keime Längsspaltung der chromatischen
Fäden eintritt, sondern eine Quertheilung der ringförmigen
Chromatinfäden in zwei Tochterschleifen erfolgt. Nun könnte
man sich freilich denken, dass zwischen den freien Schenkeln
der auseinanderweichenden Schleifen die achromatische Substanz
sich zu einem Fadenwerke, dass den Verbindungsfasern entsprechen
würde, ausziehen könnte; allein auch dies scheint mir nicht recht
wahrscheimlich zu sein. Denn dann müsste man ja die Verbin-
dungsfasern ausschliesslich zwischen den freien Schleifenschenkeln
ausgespannt finden, was aber nicht der Fall ist, vielmehr ragen
die letzteren ziemlich weit über die seitliche Begrenzung des
Bündels der Verbindungsfäden frei hervor.
In Bezug auf die Konstitution der Spindel stimmt Boveri
mit den Ansichten van Beneden’s, die ja den von mir an den
Spermatoceyten gemachten Befunden im grossen und ganzen ent-
sprechen , nicht überein. Er lässt die Spindel lediglich aus
zwei im Aequator durch die chromatischen Elemente in Contact
stehenden Spindelhälften bestehen und leugnet Fasern, die direkt
ohne Berührung chromatischer Elemente von Pol zu Pol ziehen,
vollständig. Wie diese Differenz zwischen van Beneden und '
Boveri zu erklären ist, vermag ich, da ich die Verhältnisse bei
Ascaris aus eigener Anschauung viel zu wenig kenne, nicht anzu-
zugeben, möchte jedoch betonen, dass auf den Fig. 40 und 41
Boveris doch Verhältnisse wiedergegeben werden, die dafür
sprechen dürften, dass auch hier Fäserchen direkt von Pol zu
Pol gehen. Bei der geringen Schleifenzahl bei Ascaris mögen ja
diese Fäserchen selbst stark reduzirt sein und durch den Um-
stand, dass hier die Chromatinschleifen an die Spindelaxe voll:
ständig heranrücken, der Beobachtung weniger leicht zugänglich
werden, als es an den bauchigen Spindeln der Salamandersperma-
toeyten der Fall ist.
4
Beitr. zur Lehre von d. Entstehung d. karyokinetischen Spindel. 583
Nachtrag.
Vorstehende Mittheilungen waren bereits niedergeschrieben,
als ich so glücklich war, in den Besitz eines nahezu geschlechts-
reifen, lebenden Proteus anguineus zu gelangen. Die Hoden, in
Grösse und äusserem Habitus ziemlich denen des Salamanders
gleichend, wurden gleichfalls der oben angeführten Methode mit
Platinehlorid-Osmiumessigsäure und nachheriger Reduetion mit
Holzessig unterworfen, im Weiteren aber etwas abweichend be-
handelt. Ich wandte nämlich zur Darstellung der Protoplasma-
verhältnisse die von Pal eingeführte Methode der Nervenfärbung
mit passenden Modificationen auf das Object an. Zu diesem Be-
hufe kommen die Hoden in toto im Dunkeln in die P al’sche
Hämatoxylinlösung (Hämatoxylin 1,0, Aleoh. abs. 70,0, Wasser 30,0)
auf 12—18 Stunden, werden hierauf auf dieselbe Zeit ebenfalls
im Dunkeln mit Aleohol von 70 °/, bis abs. behandelt und hierauf
eingebettet. Die undurchsichtig schwarze Farbe, die die mit Ei-
weiss aufgeklebten dünnen Schnitte zeigen, wird mit einer ganz
verdünnten Lösung von Kalihypermanganat (Färbung hellrosa)
extrahirt, so lange, bis die Schnitte (unter steter Controlle des
Mikroskopes) ein ockerfarbiges Aussehen zeigen. Nach flüchtigem
Abspülen in Wasser wird die braune Farbe des in den Schnitten’
gebliebenen Mangansuperoxyds durch das auf das 5—10fache ver-
dünnte Pal’sche Säuregemisch (Acid. oxal. 1,0) Kal. sulfuros. 1,0,
Aq. dest. 200,0) gelöst und die Schnitte hierauf auf 3—5 Minuten
(nicht länger!) mit Saffranin in gewöhnlicher Weise nachgefärbt.
Die gelungenen Präparate zeigen ein sehr elegantes und instruc-
tives Bild: nur die Körnchen des Archoplasmas sind durch. das
Hämatoxylin verschieden intensiv geschwärzt, das übrige Proto-
plasma ist völlig farblos, während die Kernelemente das leuch-
tende Roth des Saffranin zeigen.
Auch bei Proteus hielt ich mich zunächst an jene grosse
Form der Spermatocyten, die, etwas, wenn auch nicht viel grösser
als bei Salamandra, ziemlich grosse Partien des Hodengewebes
ausschliesslich zusammensetzten.
Die meist leicht ovalen Kerne (Fig. 13) zeigen im Wesentlichen
die gleichen Verhältnisse wie bei Salamandra, nur sind die chroma-
tischen Fäden graciler gebaut und lassen in ihrer Anordnung mit
einer geradezu frappirenden Deutlichkeit und Schärfe das Rabl-
584 F. Hermann:
sche Pol- und Gegenpolfeld erkennen. An dem Polfelde findet
sich constant eine leichte Delle und hier liegt dem Kern, in Form
einer mächtigen, granulirten Kugel, das Archoplasma an.
Die intimere Structur desselben, die ich an meinen Präpa-
paraten von Salamandra vergeblich aufzudecken suchte, liegt hier
klar und deutlich zu Tage. Es besteht bei Proteus das Archo-
plasma aus einer kugeligen Ansammlung differeneirten Protoplas-
mas, dessen Zusammensetzung aus feinen Körnehen deutlich in
die Augen fällt und zwar liegen dieselben so dicht gelagert, dass
irgend eine radiäre Anordnung derselben sich nieht nachweisen
lässt; auch vermag ich nicht anzugeben, ob die einzelnen Archo-
plasmakörncehen untereinander durch irgend ein Netzwerk zusam-
menhängen. Dagegen liessen sich, eingebettet in die körnige
Archoplasmakugel, zweierlei Gebilde mit aller Schärfe beobach-
teten. Erstens gelang es, das in den Salamandraspermatoeyten
vergeblich gesuchte Centrosoma nachzuweisen und zwar fand sich
dasselbe in den meisten Zellen als ein sehr kleines, sich scharf
färbendes Kügelchen, welches stets im Centrum des Archoplas-
mas gelegen war. Der lichte Hof, der von van Beneden und
von Boveri als ceharacteristisch für das Centrosoma bei Asearis
angegeben wird, scheint hier nieht immer vorzukommen, wenig-
stens konnte ich desselben nur in relativ wenigen Zellen ansich-
tig werden. |
Mitunter, wenn auch selten vorkommende hantelförmige Cen-
trosomen dürften wohl unschwer als Formen der Theilung der
Polkörperchen zu deuten sein, die danach noch während des
Ruhezustandes des Zellkernes sich einzuleiten scheint. In einer
zunächst um das Centralkörperchen gelegenen Zone birgt das
Archoplasma aber noch andere, recht eigenthümliche, Gebilde, die
meines Wissens bis jetzt noch nicht in Wirbelthierzellen beob-
achtet sein dürften.
Durch eine dunklere Tinetion auffallend, liessen sich näm-
lich in jeder Zelle ohne Ausnahme Fadenstructuren nachweisen,
die bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck machen, als sei
das Centralkörperchen von einem sperrigen Netzwerk oder einem
lockeren Fadenknäuel umgeben. Genauere Untersuchungen, na-
mentlich an Spermatoeyten, deren Archoplasma weniger dunkel
gefärbt ist, lehren aber, dass diese Anschauung nicht der Wirk-
lichkeit entspricht und zeigen auf das Deutlichste, dass es sich
hir han nie ug a
Par EUER ar
STAHL
- Beitr. zur Lehre von d. Entstehung: d. karyokinetischen Spindel. 585
_ um Gruppen einzelner kurzer, S-förmig oder schleifen-
förmig gebogener Fädchen handelt, die um das Centrosoma
gelagert sind. Bei der Feinheit der ganzen Verhältnisse und der
- Unmöglichkeit, eine scharf differeneirende Tinetion dieser Fäd-
chen zu erhalten, waren meine Bemühungen, genaue Zählungen
derselben vorzunehmen, leider erfolglos; trotzdem möchte ich
nicht versäumen, darauf aufmerksam zu machen, dass jede Gruppe
aus annähernd gleichviel Elementen zu bestehen scheint, und dass
die Zahl derselben schätzungsweise höchstens 16—20 betragen
dürfte.
| Ueber die Bedeutung dieser Archoplasmaschleifen, wie ich
die beschriebenen Fadenstructuren benennen möchte, will ich mir
vor der Hand kein Urtheil erlauben, ich möchte nur auf Erfah-
rungen hinweisen, die ich gelegentlich emer Nachprüfung der
Beobachtungen von Platner !) und Prenant?) an den Spermato-
ceyten von Helix pomatia gemacht habe. Platner beschreibt an
den ruhenden Spermatocyten von Helix den „Nebenkern“ als ein
gewundenes Element und lässt denselben mit dem Beginn der
Theilung in eine bestimmte Anzahl von Stäbchen (Helix 6, Li-
max 8) zerfallen, die, sich durch Längsspaltung verdoppelnd, in
zwei Gruppen auseinanderrücken und an den Spindelpolen die
sog. „Hauptstrahlen“ der Polstrahlung darstellen. Ich will an
dieser Stelle auf die Angaben Platner's nicht näher eingehen,
möchte vielmehr hier nur erwähnen, dass sich”unter Anwendung.
der oben beschriebenen Tinetionsmethode an jeder ruhenden Sper-
matocyte von Helix (Fig. 14) nachweisen lässt, dass der „Neben-
kern“ von vornherein aus einer bestimmten Anzahl regellos ge-
lagerter, schleifenförmig gebogener Stäbchen besteht und zwar
konnte ich in einer grossen Zahl: von Fällen stets 12 soleher
Schleifen zählen. Auch Prenant fand neben ruhenden Sper-
matocytenkernen solche Gruppen von schleifenförmigen Fädchen
und hält dieselben für rudimentäre Formen der Nebenkernes,
eine Deutung, die jedenfalls nicht richtig erscheinen dürfte.
Halten wir diese an den Geschlechtszellen der Pulmonaten
gemachten Beobachtungen mit den oben bei Proteus beschriebenen
Verhältnissen zusammen, so dürfen wir wohl die Nebenkernstäb-
1) Archiv für mikrosk. Anatomie Bd. 26 u. 33.
2) La Cellule. IV, 1.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 39
#
586 F. Hermann: Beiträge zur Lehre von der Entstehung etc.
3
3
chen von Helix und die Archoplasmaschleifen bei Proteus als h
identische Bildungen auffassen und wird uns die typische Anzahl
von 12, in der die Stäbehen bei Helix auftreten, darauf hinweisen
müssen, dass diese Gebilde bei der Theilung der Spermatocyten
eine gewisse Rolle spielen, die freilich noch eimer eingehenden
Untersuchung bedarf.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel NXXT.
Sämmtliche Zeichnungen sind bei Zeiss Apochromat homog.
Immers. 2,0. 1,3 und Ocular 8 unter Benützung des Ab be’schen Zeichen-
prismas entworfen. Vergr. 1000:1. |
Fig. 1. Ruhende Zelle mit der Archoplasmazone. G
Fig. 2. Theilung des Centrosoma’s während des Spiremstadiums. Vergr.
ca. 800:1. Näheres im Text. |
Fig. 3. Retraction der Chromatinschleifen. Sichtbarwerden des achro-
matischen Kerngerüstes.
Fig. 4. Frei im Archoplasma gelegene kleinste Spindel. %
Fig. 5. Archoplasmazone mit darin befindlicher Spindel. Centrirung
des Protoplasmas nach dem Archoplasma. h
Fig. 6 u. 7. Ausstrahlung der Fibrillenzüge von :. den Centrosomen
nach den Kernelementen.
Fig. 8 u. 9. Durchkreuzung der Fibrillenzüge.
Fig. 10. Annäherung der Chromatinelemente an die Centralspindel.
Fig. 11. Halbschematische Ansicht der ausgebildeten Spindel (lediglich
zur Vergleichung der Grössenverhältnisse).
Fig. 12. Gelappter Kern einer Spermatogonie des Frosches mit an-
liegender Archoplasmastrahlung.
Fig. 13. Proteus anguineus. Spermatocyt im Ruhestadium mit
Archoplasmakugel.
Fig. 14. Helix pomatia. Spermatocyt im Ruhestadium mit Archo-
plasmastrahlung und darin enthaltenen Archoplasmaschleifen.
Erlangen, 3. Februar 1891.
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587
Ueber die Entwickelung der Ganglien beim
S Hühnchen.
Von
Max Goldberg (St. Petersburg).
Hierzu Tafel XXXII.
Die Forscher auf dem Gebiete der Ganglienentwiekelung !)
zerfallen in zwei Gruppen: Der ersten, welche auf eine oder die
_ andere Weise die Ganglien von dem Mesoderm ableitet, gehören
_ an: Bidder und Kupffer, Goette, Hahn, Kölliker (1866),
Salensky, Foster und Balfour und Remak an ihrer Spitze.
Zur zweiten Gruppe, welche die Ganglien von dem Eetoderm
‚herleitet, zählen: Balfour (später), Beard, Hensen, His,
O0. Hertwig, Kölliker (1879), Loewe, Marshal, Owsjan-
nikow, Onodi, Ostroumow, Sagemehl, Schenk und:
Birdsal. r
Der Zeit nach fallen die Untersuchungen der genannten
Forscher mit wenigen Ausnahmen in zwei Perioden:
1) von 1843— 1876
2) von 1876—1889.
Was die erste Periode anbetrifft, so hat sie für uns gegen-
wärtig nur ein rein historisches Interesse; die zweite Periode
hingegen ist noch insofern interessant, als die verschiedenen Au-
toritäten, ungeachtet der vervollkommneten Forschungsmethoden
der letzten Jahre, dennoch von einander abweichende Ansichten
aufstellen. Die einen leiten die Ganglien unmittelbar von dem
1) Ein Verzeichniss der benutzten Werke s. am Schlusse der
Abhandlung. Ausserdem verweise ich auf meine in russ. Sprache
— Beilage zum LXII. Bd. der Berichte der kaiserl. Akad. d. Wissensch.
Nr. 3, St. Petersburg 1890 — erschienene Arbeit „Zur Geschichte der
Ganglienentwickelung beim Hühnchen.“
588 Max Goldberg:
Central-Nervensystem her, andere von dem Eetoderm als solchem
und eine dritte Gruppe von einem zwischen diesen beiden liegen-
den Bildungsmaterial. Zu diesem letzteren Schlusse bin auch ich
gekommen [bezüglich aller Spinalganglien, aber nicht sämmtlicher
Ganglien des Kopfes, wie aus den weiteren Auseimandersetzungen
ersichtlich] auf Grund einer grossen Anzahl meiner eigenen Prä-
parate, welche mir folgendes zeigten:
Die erste Anlage (Keim) der Nervenganglien beim Hühnchen
beobachtet man bei Durchschnitten von Embryonen aus der ersten
Hälfte des zweiten Bruttages.. Am besten lässt er sich an Quer-
schnitten beobachten, die man aus der Halsgegend genommen,
wo der Nervenkanal sich zuerst zu einer Röhre schliesst. Wir
sehen hier an der Rückenseite des Medullarrohres zwischen dem
Halse und dem Ecetoderm eine Masse von Zellen, die dem Um-
fange nach grösser sind als die übrigen in der Nähe befindlichen
Zellen. Diese Zellenmasse steht dureh ihren oberen Theil mit
dem Eetoderm, durch den unteren mit dem Medullarrohr in Verbin-
dung, so dass sie den Eingang in dasselbe verschliesst, da, wo
es- sich noch nicht ganz geschlossen hat (Fig. D; da, wo das
Medullarrohr schon vollkommen geschlossen ist, steht der Zellen-
strang mit ihm längs der dorsalen Mittellinie (Schlussnaht) in Ver-
bindung.
Dieser Zellenstrang, welcher sich durch die ganze Länge
des Embryo als ein ununterbrochener Streifen zeigt, geht hervor
aus Zellen der unteren Schichten des Eetoderms, in Folge ihrer
Trennung von der oberen Schicht, und später — bei der Ab-
schnürung des Medullarrohres — wird er, d. h. der hier in Rede
stehende Strang, dünner.
Nach meinen Präparaten halte ich die folgenden Sätze für
sicher:
1. Der in Rede stehende Zellenstrang ist ein Product des
Ectoderms. }
2. Sein Zusammenhang mit dem Medullarrohr ist ein secun-
därer. !
3. Dieser Zellenstrang ist der Keim der Ganglien des
Rumpfes wie der meisten Ganglien des Kopfes, sowie
der peripherischen Nervenganglien. |
1) Nach Beard (s. Nr. 2, Seite 182) wird der Anfang der Gang-
lienbildung zwischen der 22.—26. St. beobachtet. — Den von Beard
Ueber die Entwickelung der Ganglien beim Hühnchen. 589
- Ich komme zu Fig. 2. Wir sehen hier, dass von dem Zellen-
strange jederseits ein Zellenwulst abgeht; die ihn bildenden
ellen entsprechen den Epithelzellen, auf die Prof. Owsjannikow
hindeutet, indem er sagt: „Ich habe Epithelzellen zapfenartig von
der Haut nach innen zu, zwischen die Urwirbel, sich erstrecken
gesehen.“
Den hier in Rede stehenden Wulst nennen einige Autoren
gangliös, andere (Balfour, Kölliker, Marshal, Loewe) be-
zeichnen ihn als Anlage der hinteren Wurzel. Mir scheint die
_ erstere Benennung richtiger, und zwar weil dieser Wulst später,
indem er wuchert, die dorsalen Ganglien abgiebt, während
die hintere faserige Wurzel unabhängig von ihm erscheint.
Gegen das Ende des zweiten Bruttages besteht der Gang-
lienwulst schon aus 2—3 Zellenreihen und hat die obere Seiten-
wand des Urwirbels erreicht; das Wachsthum seiner Zellen geht
energischer vor sich in dem freien dreieckigen Raume als zwischen
Medullarrohr und Eetoderm, wo die Zellen mehr zusammenge-
drückt sind.
In demselben Zustande wie beim Hühnchen fand ich den
Ganglienwulst an einem zweitägigen Embryo (dem einzigen Exem-
plare) der Schnepfe.
Indem wir weitergehen, sehen wir in der zweiten Hälfte
des dritten Tages, dass der Ganglienwulst, übereinstimmend mit
der Ansicht Onodis, bedeutend in seiner Entwiekelung vorge-
schritten ist, indem er sich schon als eine bedeutende Ganglien-
masse darstellt; er erfüllt den ganzen dreieckigen Raum. An den
Urwirbel schliesst sich diese Masse von Ganglienzellen so eng an,
dass nur bei starker Vergrösserung die Grenze zwischen diesen
beiden Gebilden sichtbar wird. Stellenweise kann man die Fort-
setzung dieser Ganglienzellen sehen, welche zwischen den Ur-
eingeschlagenen Weg verfolgte Golowin in seiner Untersuchung
(„Zur Frage der Entwickelung des Gangliensystems bei den Wirbel-
thieren“ (diese Arbeit wurde ausgeführt im Laboratorium des zootom.
Kab. d. St. Petersburger kaiserl. Univ. Nr. 2, 1890, unter Anleitung
von Prof. Schimkewitsch)] und giebt als Anfang der Ganglien die-
selben Punkte an, auf die auch Beard hinweist. Völlig unverständ-
lich ist jedoch seine Schlussfolgerung (auf S. 11), „dass die obere
Schicht des Eetoderms bei der Bildung von Ganglienzellen eine grössere
Rolle spielt als die untere“.
590 Max Goldberg:
wirbeln und das Medullarrohr unter die ventrale Seite des letz-
teren hinuntersteigt. Von der Selbständigkeit des Ganglions am
dritten Tage (Onodi) kann man, wie mir scheint, indessen nicht
sprechen, da die Ganglienmasse mit dem Medullarrohr an dem
dorsalen Theile desselben vermittelst des dünneren, jetzt auch
kürzeren Ganglienwulstes in Verbindung bleibt.
‘ Die Ganglienzellenmasse, welche wir auf Fig. 3 sehen, fin-
den wir auch auf frontalen Durchschnitten längs des ganzen Rohres
(Fig. 4). Der Länge nach bildet diese Ganglienmasse eiförmige
Gruppen, die unter einander verbunden sind, jede derselben ent-
spricht einem Segmente des Medullarrohres. Zwischen diesen
Gruppen von Ganglienzellen treten die Gefässe hindurch (v); an
der äusseren Seite sehen wir auf der Abbildung die Muskelplatten,
deren innere ‚Seite sich schon im Muskelfasern verwandelt hat.
Zwischen den Ganglienzellen und dem Medullarrohr befindet sich
ein Fasergebilde, das auf der Abbildung nicht dargestellt ist.
Ganz ebenso finden wir die Gangliengruppen auf Längs-
durchschnitten von Kaulquappen, bei denen die Elemente bedeu-
tend grösser sind.
An Querschnitten von Hühnerembryonen aus der Mitte des
vierten Tages kann man (zwischen dem Medullarrohr und dem
Ectoderm an der lateralen Seite) drei Schichten unterscheiden,
nämlich:
l. Die Muskelplatte, deren einer Theil sich in Fasern ver-
wandelt hat.
2. Die Ganglienmasse, die eine Fortsetzung des Zellenwul-
stes bildet und ihrerseits in weiterer Fortsetzung in ven-
traler Richtung bis zur Chorda dorsalis sich erstreckt.
3. Ueber den ganzen übrigen Raum zerstreute Mesodermal-
zellen.
Diese Mesodermalzellen sind nach oben gelangt in den Zwi-
schenraum zwischen Eetoderm und Medullarrohr, wo sie Ratlıke’s
Vereinigungshaut bilden, übereinstimmend mit der Angabe dieses
Autors, wie auch Remak’s, Foster’s und Balfour's; das ver-
hindert die Anlagen der Spinalganglien jedoch nicht die Fort-
setzung derjenigen Eetodermalzellen zu bilden, welche (Fig. 1) im
Moment der Abschnürung des Medullarrohres mit diesem in Ver-
bindung blieben. Diese Zellen gerade bilden die Spinalganglien,
ebenso auch ihre Kapsel, welehe an der Innenseite des Ganglions als
_ Ueber die Entwickelung der Ganglien beim Hühnchen. 591
‚Hülle für das Mark dient, auch geben sie die Fortsetzung, welche
unter die ventrale Seite des Nervenrohrs hineingeht und sich über
‚die Chorda spinalis legt, wo sie eine ebensolche von der anderen
Seite kommende Fortsetzung trifft. Auf diese Weise ist das
‚ganze Nervenrohr von einer dünnen Schnur umschlungen, die aus
Eetodermalzellen besteht. Diese Schnur legt sich an den dorsalen
Theil des Medullarrohres eng an, an den Seiten bleibt sie davon
"aber abgesondert. Und alles dieses — das Medullarrohr, die
dasselbe umgebende Eetodermalschnur mit Ganglien an den Sei-
ten — ist von Zellen des mittleren Keimblattes umgeben.
Das hier Gesagte wird noch deutlicher an Präparaten vom
Ende des vierten Bruttages. Bei ihnen sind die Ganglien schon
mit der im Medullarrohr erschienenen weissen Substanz verbun-
den vermittels der Nervenwurzeln, von denen die vorderen schär-
fer ausgeprägt sind.
| Das erste Auftreten der Wurzeln bemerkt man schon am
Ende des dritten Tages. An der Stelle, wo die weisse Substanz
_ erscheinen muss, die dann die Wurzelfasern aussendet, drängt
‚sich das Medullarrohr nach aussen heraus.
Die Wurzeln bilden, indem sie unterhalb und ausserhalb
des Ganglions ihre Fasern vereinigen, einen gemeinschaftlichen
Nsrvenstamm.
Die hier aufgeführten Beziehungen bleiben dieselben während
des fünften und sechsten Tages bis zum sechsten Tage 8 Stun-
den, dem Zeitpunkte, über den hinaus ich die Bebrütung nicht
geführt habe. Und aus welchem Theile des Embryo-Rumpfes wir
- auch Querschnitte nehmen, auf allen sehen wir während dieser
Tage das Spinalganglion so, wie es auf Fig. 6 dargestellt ist.
Auf dieser Abbildung sehen wir, dass das Ganglion an einem
dünnen Zellenstrange hängt, der sich an der dorsalen Seite des
Medullarrohres hinauf erstreckt; dass die hintere Wurzel, indem
sie aus dem oberen oder hinteren lateralen Theile des Medullar-
rohres hervorkommt, als dünne Fäserchen durch die Masse des
Ganglions selbst hindurchgeht, und ebenso längs seiner oberen
äusseren seitlichen Grenze. |
An Längsdurehschnitten von Embryonen vom Ende des
vierten Tages bemerken wir, dass das auf Fig. 4 gesehene Bild
complieirter wird zufolge des Auseinandergehens und sich Kreuzens
der Wurzelfasern. Während, wie oben angeführt, die Beziehungen
292 Max Goldberg;
zwischen den Ganglien und dem Medullarrohr unverändert bleiben
bis zum 6. Tage und 8 Stunden der Bebrütung, so gehen in dem
Medullarrohr selbst folgende Veränderungen vor sich: Es treten
immer mehr Schichten der weissen Substanz hervor, der Charakter
der Zellen selbst verändert sich — vom Länglichen ins Ovale
übergehend; der centrale Kanal bedeckt sich mit einem scharf
ausgeprägten Epithel.
Das in Bezug auf die Spmalganglien Gesagte lässt sich fol-
sendermaassen resumiren:
1. Von dem Ganglienkeim geht ein Zellenwulst, der soge-
nannte Ganglienwulst ab (erste Hälfte des zweiten Tages).
2. Dieser Wulst wuchert in die Ganglienmasse aus, welche
sich an den Urwirbel anlehnt (zweite Hälfte des dritten
Tages).
8. Die Ganglienmasse senkt sich herab bis zu der Stelle
des Austritts der vorderen Wurzel (ÖOnodi) aus dem
Medullarrohr; sie verschiebt sich zur Seite des Medullar-
rohres zufolge des Auftretens des Fasergebildes (Loewe)
zwischen ihnen: in dem dorsalen Theile des Medullar-
rohres, zwischen ihm und den anliegenden Ganglien-
zellen, erscheint eine scharfe Abgrenzung (erste Hälfte des
vierten Tages).
4. Die Ganglienmasse erscheint in der Gestalt gesonderter
Ganglien, die mit dem Medullarrohr durch die Wurzeln
verbunden sind (Ende des vierten Tages und weiter).
Zu dem Gesagten füge ich noch hinzu, dass jedes Ganglion
topographisch einer Segment-Krümmung des Medullarrohres ent-
spricht und dass alle Spinalganglien sich nach einem und dem-
selben Typus bilden.
Die Ganglien des Kopfes entstehen auf zweierlei Weise: die
einen aus demselben Zellenstrange wie die Spinalganglien, die
anderen aus den Wänden der Gehirnblasen.
Den Beginn der Ganglien des Kopfes finde ich an Quer-
schnitten von Embryonen aus der 36. Brütstunde. An derjenigen
Stelle, wo die Abschnürung des Eetoderms von dem Medullar-
rohre vor sich gegangen ist, finden wir zu beiden Seiten der
Nähte des letzteren, in der Gegend der Gehörblasen, die uns
bekannte zwischenliegende Zellenmasse, und hier sehen wir eine
vollkommene Analogie dessen, was wir bei den Spinalganglien
EWG
Ueber die Entwickelung der Ganglien beim Hühnchen. 593
gesehen haben: Die zwischenliegende Zellenmasse wird dünner;
von ihr geht ein Zellenwulst von 2—3 Zellenreihen aus. Dieser
"Wulst giebt, indem er etwas später auswächst, die Ganglienmasse
(Fig. 7) ab.
| Nehmen wir einen Längsschnitt aus dem Kopfe eines 48 stün-
digen Embryo, so sehen wir auch auf ihm vollständig abgeson-
derte Ganglien und dem entsprechend, wo der Schnitt durchge-
führt ist, finden wir die Ganglien bald näher zum Gehirne liegend,
bald weiter von ihm entfernt. Es ist wichtig zu bemerken, dass
schon am Ende des zweiten Tages die in der Gegend der Ge-
hörblasen liegenden Ganglien des Kopfes mit dem Gehirn nicht
in Verbindung stehen; zwischen ihnen besteht eine scharfe Ab-
grenzung, natürlich ist ein Zusammenhang vorhanden, aber nur
von der dorsalen Seite vermittels des Ganglienwulstes (wie bei
den Spinalganglien.. Da wir in den Zwischenstadien (von 36 bis
48 Stunden) nirgend finden, dass die Wände der Gehirnblasen
mittels Ausbiegung irgend welche Ganglien bilden, so können
wir auf diesem Stadium nicht von eimer Abschnürung solcher
Ganglien vom Gehirn reden, um die es sich hier handelt, d. h.
solcher Ganglien, die im Gebiete der Ohrbläschen liegen. Wir
sehen zwar, dass das Gehirn mittels Ausbiegung Segmente bildet;
‚aber dieselben haben an der Ganglienbildung wenigstens auf
dem beschriebenen Stadium keinen Antheil. ,
Nach der Angabe Ostroumow’s nimmt Orr an, dass die
D Segmente, die man im Nachhirn gezählt hat, den 5 Nerven-
paaren entsprechen: V, VI, VII, VIII, IX. Wenn man auch
dieses Entsprechen nur im topographischen Sinne zu verstehen
hat, wie oben für die Spinalganglien angegeben wurde, so ist auch
dann die Bemerkung Ostroumow’s richtig, „dass man sehr
_ vorsichtig sein muss beim Zählen der Furchen, da dieselben eine
grosse Symınetrie beim Zerschneiden erfordern, um so mehr, da
- diese Furchen auch künstlich erzeugt sein können“ (durch die
Wirkung des Alcohols bei der Entwässerung des Präparates).
Rabl zählt im Nachhirn 7—8 Segmente auf; an meinen Präpa-
raten habe ich ihrer nur 5 gefunden.
Nehmen wir einen Längsschnitt aus dem Kopfe eines Em-
bryo von 77 Stunden, so sehen wir auf ihm (Fig. 9), dass die
| Ganglien mit dem Gehirn durch aus demselben ausgetretene Fäser-
chen verbunden sind. Das Heraustreten dieser Fäserchen er-
|
594 Max Goldberg?
innert an das, was: wir an den ventralen Wurzeln der Spinal-
nerven gesehen haben: Dort wie hier biegt sich das Medullar-
rohr an der Stelle, wo die Fasern heraustreten sollen, stark nach
auswärts, nach der Seite des Ganglions, aus.
Auf der genannten Abbildung sehen wir auf ihrer rechten
Hälfte zwei Ganglien vor dem Ohrbläschen; auf der linken Hälfte
derselben sind diese Ganglien durch Punktirung bezeichnet; aber
ausser diesen sehen wir auf der linken Hälfte der Abbildung noch
zwei Ganglien hinter dem Öhrbläschen.
| 3evor ich diese Ganglien jedoch mit ihren Namen benenne,
will ich die Aufmerksamkeit darauf riehten, dass in Fig. 9 auf
der linken Hälfte noch ein Ganglion liegt. Es liegt vor dem
Ohrbläsehen, näher zum Eetoderm als das ihm angrenzende, durch
Punktirung bezeichnete und mit dem Medullarrohr verbundene.
Es erhebt sich die Frage, woher dieses Ganglion gekommen ist.
Um die Antwort zu finden, wenden wir uns zu Fig. ®.
Auf dieser Abbildung eines 5dstündigen Embryo sehen wir an
der Wand des Gehirns in der Ohrgegend (der Durchschnitt ist
nicht symmetrisch: die Ohranlage nur auf einer Seite getroffen)
einen bedeutenden Auswuchs, und dieser ist eben das Ganglion,
das im Begriff ist sich abzuschnüren und das auf Fig. 9 schon
als abgeschnürt dargestellt ist. Dieses Ganglion können wir an
dem Präparate eines 5dstündigen Embryo bei Verschiebung des
Präparates unter dem Mikroskop ebenfalls von dem Medullarrohr
getrennt liegen sehen, doch hängt dies von der Stelle ab, wo
der Schnitt durchgegangen ist. Auf Präparaten von 77stündigen
Embryonen finden wir an keinem einzigen Durehschnitte das in
Rede stehende Ganglion mit dem Medullarrohr mehr in Ver-
bindung, was daher kommt, dass dieses Ganglion sich inzwischen
ganz vom Medullarrohr losgelöst hat. Dieses unmittelbar vom
Medullarrohr abgeschnürte Ganglion ist eben ein typischer Re-
präsentant der zweiten Kategorie von Ganglien, die sich später
differenziren als die der ersten Kategorie.
Nachdem ich so den Ursprung der Ganglien beider Kate-
gorien untersucht habe, gehe ich zu ihrer Benennung über.
Auf Fig. 10 sehen wir hinter dem Ohr drei Ganglien, dar-
unter das nächste zum Ohr, das G. petrosum für den N. glosso-
pharyngeus, die beiden anderen: das G. jugulare und nodo-
sum für den N. vagus.
_ Ueber die Entwickelung der Ganglien beim Hühnchen. 595
Bezüglich der vor dem Ohrbläschen liegenden Ganglien
haben wir folgende Angaben:
1) Das G. genieuli kommt aus den tiefer liegenden Theilen
(His))). | |
2) Das G. genieuli geht wahrscheinlich aus dem Zwischen-
strang hervor (Hertwig).
| 3) Vor dem Öhrbläschen befindet sich der Anfang des Fa-
eialis (?) — (Kölliker).
4) Der Anfang des Facialis ist im G. acusticum gelegen
(Foster und Balfour). |
5) Dasselbe sagt Ostroumow.
Auf Grund meiner Präparate kann ich folgendes sagen:
Am Ende des zweiten Tages sehen wir vor dem Ohrbläschen,
demselben ganz nahe, ein Ganglion. Anfangs des dritten Tages
beginnt vor dem Ohrbläschen aus dem Medullarrohr ein anderes
Ganglion hervorzukommen (Fig. 8), das wir abgeschnürt finden
in der 77. Stunde (Fig. 9), wo wir also zwei gesonderte Gang-
lien sehen; das eine, welches früher erschienen, das G. acusticum,
ist mit dem Gehirn und dem Epithel des Ohres in Verbindung,
das audere liegt näher zum Eetoderm. (Das letztere Ganglion
finden wir mit dem ersteren in Zusammenhang auf Fig. 10.)
Alles von diesem Ganglion Gesagte, seme unmittelbare Ab-
schnürung vom Medullarrohr, seine topographische Lage (die
geringe Entfernung vom Eet.) und sein Zusammenhang mit dem
G. acusticum, spricht dafür, dass dieses Ganglion das G. genieuli
für den VII. N. (Facialis) ist.
Die Verbindung zwischen den Ganglia genieuli und acu-
stieum, welche wir gesehen haben, ist kein Ausnahmefall; nach
Angabe Marshal’s (für die Vögel) sind anfangs auch die Gang-
lien der Nervi vagi und glossopharyngei verbunden, was ich bei
meinen Präparaten nicht finde, ‚ebenso wenig wie die von Fro-
riep?) angegebene Verbindung zwischen dem Eetoderm und den
Ganglia genieuli, petrosum, jugulare und nodosum; ich finde
nur, dass das G. geniculi sehr nahe an das Eetoderm herankommt.
Das zweite Ganglion vor dem Ohrbläschen ist das G. Gasseri,
in welchem His zwei Theile unterscheidet:
Brssts,.Nr.9.
2) Froriep, Nr. 40, 8S.1—2.
596 Max Goldberg:
1) Den vorderen, das G. ciliare, Wegweiser für die N. ocu-
lomotorius und trochlearis.
2) Den hintern, das G. Gasseri, für die Portio major tri-
gemini.
Ostroumow stellt das G. eiliare als abgesondert hin; im
G. Gasseri sieht er gleichfalls zwei Theile: „Der N. oculomo-
torius kommt als eine Masse äusserst dünner Fäserchen aus der
Basis des mittleren Hirns nahe seiner Medianlinie hervor. Ein
sehr dünner Zweig dieses Nerven, Ramus anastomotieus, geht
zu dem bedeutend entfernten G. eiliare.* . . . : (Dasselbe sagt
Schwalbe!) Fig. 15. — Embryo der Gans.)
Weiter sagt Ostroumow: „Der N. trigeminus beginnt
mit einer breiten Wurzel vor der Seitenwand des verlängerten
Markes und bildet ein umfangreiches Ganglion. Der vordere
Theil dieses Ganglions sendet in der Richtung zum Auge einen
kegelförmigen Ausläufer ab, Ramus ophthalmieus. Die beiden
anderen Zweige des Nerven gehen von einem anderen Theile des
Ganglions nach hinten und niedriger als gemeinschaftlicher Stamm
hervor.“
Bezüglich des G. ceiliare sagt Krause?): |
1) Der N. oculomotorius entsendet mehrere Zweige für
die bekannten Augenmuskeln und ausserdem die Radix brevis
g. eiliaris.
2) Der N. nasociliaris giebt die Radix longa g. eiliaris so-
wie zwei Nn. ciliares longi ab.
3) Das G. eiliare liegt an der lateralen Seite des N. opticus,
enthält eine Radix longa vom N. nasociliaris, eine Radix brevis
vom N. oculomotorius, entsendet die Nn. ciliares (Taf. V, Fig. 4
vom Kaninchen).
Von der Complieirtheit des G. eiliare kann ich mir nach
meinen Präparaten kein Urtheil bilden, dieselben bestätigen mir
aber, dass das G. Gasseri wirklich aus drei Theilen besteht;
diese sind auf Figur 10 dargestellt; der dem Auge am nächsten
liegende ist wahrscheinlich das G. ciliare.
Nach Kölliker geht das G. Gasseri unmittelbar aus dem
Gehirn hervor (Embryo des Kaninchens).
1) Schwalbe, Nr.37.
2) Krause, ind
a Yu 252 0 ng We
Ueber die Entwickelung der Ganglien beim Hühnchen. 597
Also, wie wir weiter oben gesehen haben, ist der typische
Repräsentant der Ganglien zweiter Kategorie das G. genieuli.
Auf gleiche Weise, d h. unmittelbar aus dem Gehirn ent-
stehen die Gg. n. optiei (Fig. 11). Diese Ganglien werden
indessen nieht völlig gleich dem G. genieuli vom Gehirn abge-
schnürt, sondern bilden einen unmittelbaren Theil der Augen-
stiele, welehe später (am fünften Bruttage) sich in die Sehnerven
(Nervi optiei) umbilden.
Am fünften Tage finden wir auch die Nervi acustici.
Es lässt sich also für die Ganglien des Kopfes folgendes
aufstellen:
1. Aus der zwischenliegenden Zellenmasse entwickeln sich
nach Art der Spinalganglien die folgenden: Gg. Gasseri
(V n.) und eiliare (III u. IV n. nach Balfour, His, Krause,
Ostroumow, Schwalbe und Erlitzky)!), ferner das G. acu-
stieum (VIII n.), petrosum (IX .n.), jugulare und nodosum
(X n.). Die letzten beiden Ganglien muss man auch zu den
Nn. XI und XII rechnen, deren Zweige durch dieselben hin-
durch gehen.
2. Sämmtliche aufgezählten Ganglien werden mit dem Ge-
hirn verbunden vermittels der aus diesem hervortretenden Fasern
(vergl. Spinalganglien).
3. Unmittelbar aus dem Gehirn entstehen die Gg. geni-
euli (VII n.), wohin man (nach Balfour und Erlitzk y) auch den
n. VI zählen muss, dann die Ganglien der Sehnerven (IIn.),
welche sich vom G. genieuli dadurch unterscheiden, dass sie nicht
vom Gehirn abgeschnürt werden.
Zu den zuletzt aufgezählten Ganglien müssten wir noch die
Gg. olfactorii (In.) hinzufügen, die nach Angabe vieler Autoren
unmittelbar aus den Wänden des Gehirns entstehen ?).
Was die sympathischen Ganglien anbetrifft, so lässt
sich von ihnen folgendes sagen: In der Periode der Herrschaft
der Theorie Remak’s wurden auch die sympathischen Ganglien
1) Erlitzky, Nr. 41, S. 833.
2) Die Schlussfolgerung Golowin’s l. e., dass die Ganglien des
Kopfes und des Rumpfes sich ganz unabhängig vom Centralnerven-
system bilden, halte ich demnach für zweifelhaft in Bezug auf die
Ganglien genieuli, Nn. optici und olfactorii. (?)
598 Max Goldberg::
vom mittleren Keimblatt abgeleitet; selbst His, der sich (nächst R
Hensen) zuerst für den ectodermalen Ursprung der Spinal-
ganglien und der Ganglien des Kopfes aussprach, stimmt in Be-
zug auf die sympathischen Ganglien und deren Ursprung Re-
mak bei.
Während der zweiten Periode, da fast alle Forscher in der
Frage über den Ursprung der Ganglien anfingen, sich zu Gunsten
des eetodermalen Ursprungs der Spinalganglien und der Ganglien
des Kopfes auszusprechen, wurden auch die sympathischen Gang-
lien bald als Produkte des centralen Nervensystems, aus dem sie
unmittelbar hervorgehen sollten, bald als Produkt der Spinalgang-
lien angesehen.
In diesem Zustande befand sich die Frage bis zum Jahre 1885,
bis zum Erscheinen der eingehenden Abhandlung von Onodi);
seitdem spricht die grösste Wahrscheimlichkeit zu Gunsten des
Ursprunges der symp. Ganglien aus den Spindelganglien. Onodi
sagt (vom Hühnchen) folgendes: „Hühnerembryonen vom dritten
Bruttage zeigen noch nichts von der Entwickelung des sympa-
thischen Nervensystems; an den Querschnitten eines in seiner Ent-
wickelung vorgeschrittenen 3tägigen Hühnerembryo hatten wir
Gelegenheit, an mehreren Stellen einen Zellenstrang zu beobachten,
welcher unmittelbar unter dem vorderen Wurzelbündel lag und
dessen Elemente mit ihrer entschieden runden Form von den um
die Chorda dorsalis gelagerten Mesodermalzellen verschieden
waren (Fig. 1, Embryo 80 St.) .... Hühnerembryonen vom
vierten Tage zeigen ähnliche Bilder. An den Querschnitten von
Hühnern des fünften Bruttages lassen sich schon vorgeschrittenere
Verhältnisse beobachten. An einzelnen Schnitten sind die ersten
Communicansfasern gut ausgegrägt zu sehen (Fig. 2, Embr. 5 Tg.).
Einige Nervenfasern sind die Vorläufer der Rami ecommunieantes.“
An meinen Präparaten sehe ich erst an viertägigen Embryonen
die sympathischen Ganglien in dem von Onodi angebenen Zu-
stande. Am fünften Tage befinden sich diese deutlicher ausge-
prägten Ganglien nicht nur nahe der Chorda und Aorta, sondern
sie begleiten den spinalen Nervenstamm eine bedeutende Strecke.
Noch besser ausgeprägt sind diese Ganglien bei Embryonen
von 6 Tg. 8 St. In diesem Stadium sind die Rami eommuni-
1) Onodi (Nr. 25), T.I, 8.68, T.II, 8.558.
Ueber die Entwickelung der Ganglien beim Hühnchen. 599
eantes schon in entwiekelter Form vorhanden (vgl. Fig.3 — Em-
- bryo der Ente — bei Onodi mit meiner Abbildung 12).
Zum Schlusse füge ich noch hinzu:
1. Wenn, wie Prof. Sernow sagt, „die Ganglien in phy-
siologischem Sinne der centrale Theil des Nervensystems“ genannt
werden müssen, so muss man sie im embryologischen „als einen
Theil des eentralen Nervensystems“ bezeichnen.
2. Wenn Ostroumow die Segmeute als bequemen Punkt
zur Vergleichung des Rückenmarkes mit dem Gehirn bezeichnet,
so erscheinen die Ganglien als ein nicht minder wichtiger Punkt.
3. Auf Grund der Forschungsergebnisse der letzten Jahre
(1876— 89) und gestützt auf meine eigenen Präparate, kann ich
mit den Worten Hertwig's schliessen: „Bezüglich des Ent-
stehens der Ganglien aus Elementen des oberen Keimblattes be-
steht kein Zweifel mehr.“
Verzeichniss der benutzten Werke.
1. Bidder und Kupffer, Untersuchungen über die Textur des
Rückenmarks und die Entwickelung seiner Formelemente. Leipzig
1857.
Beard, Quarterly journal of Microscopial Seience 1889.
3. Balfour, On the developement of the spinal nerves in Elasmo-
branch fishes. Philosoph. Transactions. Bd. 166, 1876.
4. Desselben Handbuch der vergleichenden Embryologie. II. Bd.
. Jena 1881.
5. Goette, Die Entwickelungsgeschichte der Unke. Leipzig 1875.
6. Hahn, Cursus der Entwickelungsgeschichte des menschlichen Em-
bryo. Charkow 1876 (in russ. Sprache).
7. Hensen, Zur Entwickelung des Nervensystems. Virchow’s Arch.
Bd. XXX, 1864.
8. Derselbe, Beobachtung über die Befruchtung und Entwickelung
des Kaninchens und Meerschweinchens. Zeitschrift für Anat. und
Entwickelungsgesch. Bd. I, 1876.
9. His, Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbelthierleibes.
Die erste Entwickelung des Hühnchens im Ei. Leipzig 1868.
10. Derselbe, Ueber die Anfänge des peripherischen Nervensystems.
Arch. für Anat. u. Entwickelungsgeschichte. Anat. Abtheil., 1879.
11. Derselbe, Anat. menschlicher Embryonen. Abtheil. IT, 1880.
12. Derselbe, Die Lehre vom Bindesubstanzkeim (Parablast). Arch.
für Anat. und Entwickelungsgeschichte. 1882.
D
600
13.
18.
19.
34.
ID.
Max Goldberg:
Hertwig, O., Entwickelungsgesch. des Menschen und der Wirbel-
thiere. Jena 1880 (in russ. Uebersetzung von Schulgin. I. und
II.. Th. Odessa 1889).
Dursy, Der Primitivstreif des Hühnchens. 1867.
Salensky, Entwickelungsgeschichte des Sterlets (in russ. Spr.).
Sernow, Anatomie des Nervensystems. Moskau 1885 (in russ.
Sprache).
Kölliker, Entwiekelungsgesch. des Menschen und der höheren
Thiere. 1866.
Derselbe, Entwickelungsgesch. des Menschen und der höheren
Thiere. Auflage’ H, Th. I, 1879.
Krause, W., Ueber die Doppelnatur des G. eiliare. Morphol.
Jahrb. Bd. VH.
Loewe, L., Beiträge zur Anat. u. Entw. des Nervensystems der
Säugethiere und des Menschen. Berlin 1880. |
Marshal, On the early stages of developement of the nerves in
birds. Journal of Anat. and Physiology, vol. XI, 1877.
Owsjannikow, Zur Entwickelungsgesch. des Flussneunauges.
1888. (Bulletin de ’Academie Imperiale des Sciences de St. Peters-
bouürg; 2. XI)
Derselbe, Von der Zusammensetzung der hinteren Stränge des
Rückenmarkes auf Grund der Geschichte ihrer Entwickelung (in
russ. Spr.).
Onodi, Ueber die Entwickelung der Spinalganglien und Nerven-
wurzeln. Internat. Monatsschrift, Bd. I, Heft 3—4, 1884.
Derselbe, Ueber die Entwickelung des sympathischen Nerven-
systems. Archiv für mikroskop. Anat. 1886, I. u. II. Th.
OÖstroumow, Zur Entwickelungsgesch. der Eidechse. Kasan 1888.
Remak, Ueber die Entwickelung des Hühnchens im Ei. Müller’s
Archiv 1843.
Derselbe, Ueber ein selbständiges Darmnervensystem. Berlin 1847.
Derselbe, Untersuchungen über die Entwickelung der Wirbel-
thiere. Berlin 1855.
Rathke, Entwickelung der Natter. 1839.
Derselbe, Entwickelungsgeschichte der Wirbelthiere. 1861.
Rattone, Ueber das Vorhandensein von Ganglienzellen in den
hinteren Wurzeln der Spinalnerven beim Menschen. Mediein.
tundschau (in russ. Sprache).
Rabl, Bemerkung über die Segmentirung des Hirns. Zool. An-
zeiger, VIII. Jahrg., 1885.
Sagemehl, Die Entwickelung der Spinalnerven. Dorpat 1882
oder „Aus welchem Keimblatt entwickeln sich die Spinalnerven
der Wirbelthiere“. Sitzungsber. der Nat. Gesellsch. zu Dorpat.
Bd. VI, Heft’ EX1831:
Schenk, Entwiekelungsgeschichte der Ganglien und des Lobus
electrieus. Sitzungsber. der k. k. Akad. der Wissensch. in Wien,
Math.-Nat. Klasse, Bd. 73, III. Abtheilung, 1876.
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0 THE
UNIVERSITY OF ILLINOIS
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UNIVERSITY OF ILLINOIS
j - Ueber die Entwickelung der Ganglien beim Hühnchen. 601
Schenk und Birdsal, Die Entwickelung des Sympathicus. Mit-
theilungen aus dem embryol. Institut in Wien, Bd.TI, 1879.
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Freud, Spinalganglien und Rückenmark des Petromyzon. Sitzungs-
berichte der math.-naturw. Klasse der Akad. Wien, Bd. 78, 1878.
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Abth. 1885.
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beln. (Siehe Grundzüge zur Untersuchung der mikroskopischen
Anatomie des Menschen und der Thiere. Unter der Red. von M.
D. Lawdowsky und Ph. W. Owsjannikow [in russ. Spr.|.)
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXTI.
Die Abbildungen sind angefertigt mit Hülfe des Zeichenprismas
und eines Hartnack’schen Mikroskops. 0Oe. 3, Ob. 4 u. 3; die Längs-
zeichnung (Nr. 4) ist etwas verkleinert. (Bei Abzeichnung der Um-
risse lag das Papier auf dem Tische.)
Bedeutung der Buchstaben.
A — Augenblase. Mr. — Medullarrohr.
FI — erste Kiemenöffnung. mp. — Muskelplatte.
glk — Ganglienkeim. ‚, mw. — Wurzel des Bewegungs-
glv — Ganglienwulst. nerven.’
glm Ganglienmasse. n. st. — Nervenstamm.
gls Ganglienfortsatz. OÖ. — Ohrbläschen.
g.II — G..n. optici. R.c. — Rami communicantes.
g.V — G. Gasseri. x S. gl. — Spinalganglion.
g. VII — G. genieuli. Sw. — Sensible Nervenwurzel.
g. VHI — G. acusticum. Sp. gl. — Sympathisches Ganglion.
g.IX — G. petrosum. v. — Gefäss im Durchschnitt.
8.X — G. jugulare oder nodosum. | Ze. — Grenzzellen zwischen den
8.c. — G. ciliare. Spinal- und den symp. G.
Abbild. 1. Querschnitt aus der Halsgegend eines Embryo von 55 St.
Wässerige Berlinerblaulösung.
Abbild. 2. Querschnitt durch den Rumpf eines BEIN von 47 St.
Wässerige Berlinerblaulösung.
Abbild. 3. Querschnitt durch den Rumpf eines Embryo von 62 St.
u Eosin.
Abbild. 4. Frontalschnitt eines Embryo von 69 St.
Abbild. 5. Querschnitt eines Embryorumpfes von 81 St.
Abbild. 6. Querschnitt eines Embryorumpfes’von 4 Tagen.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 40
602 A. S. Dogiel:
Abbild. 7. Querschnitt durch die Gegend der späteren Ohrbläschen
eines Embryo von 47 St. (von welchem Abbild. 2 ge-
nommen ist).
Abbild. 8. Querschnitt (unsymmetrisch) durch das Nachhirn eines
5ostündigen Embryo.
Abbild. 9. Längsschnitt dureh das Nachhirn und das mittlere Hirn
eines 77stündigen Embryo.
Abbild. 10. Der Schnitt hat einen Theil des Nachhirns und einen Theil
des vorderen Hirns getroffen, Embryo vom vierten Tage.
Abbild. 11. Durchschnitt durch das vordere Hirn eines Embryo von
77 Stunden.
Abbild. 12. Querschnitt durch den Rumpf eines Embryo von 6 Tagen
8 Stunden.
Die Nervenendkörperchen (Endkolben,
W. Krause) in der Cornea und Conjunctiva
bulbi des Menschen.
Von
A. 8. Dogiel,
Professor der Histologie an der Universität Tomsk.
Hierzu Tafel XXXII und XXXIV.
Als ich die Hornhautnerven des Menschenauges mit Me-
thylenblau färbte, stellte es sich heraus, dass sowohl in dem ge-
sammten gefässhaltigen Hornhautrande, als auch 1—2 mm nach
innen von demselben, in der Substantia propria corneae, eigen-
thümliche Nervenendapparate — Terminalkörperehen — enthalten
sind. Ganz ähnliche Nervenendbildungen finden sich, wie dies
durch weiter fortgesetzte Untersuchungen von mir in Gemeinschaft
mit dem in meinem Laboratorium arbeitenden stud. J. Michai-
lowsky festgestellt wurde, auch in der Conjunetiva bulbi, wo-
selbst sie zuerst von W. Krause entdeckt und von ihm unter
dem Namen „Endkolben“ beschrieben worden sind.
In Betracht dessen, dass die Endkörperchen in der Cornea
bis jetzt noch von Niemand beschrieben worden und dass auch
die analogen Endapparate in der Conjunetiva noch nicht genügend
e..
Die Nervenendkörperchen in der Cornea u. Conjunctiva bulbi ete. 6083
erforscht sind, will ich in der vorliegenden Arbeit die Resultate
meiner Untersuchungen über den Bau der fraglichen Endkörper-
chen ausführlich darlegen. Wie bereits oben erwähnt, benutzten
wir behufs der Nervenfärbung hauptsächlich das Methylenblan.
| Mein Verfahren bestand in folgendem: die in toto ausge-
‚sehnittene Cornea wurde in ein Uhrgläschen oder auf einen
-srösseren Objectträger in einige Tropfen Humor aqueus gebracht,
sodann wurden 2—5 Tropfen einer t/,‚procentigen Methylen-
- blaulösung auf die concave Hornhautoberfläche aufgetröpfelt. Um
den Gang der Nervenfärbung verfolgen zu können, brachten wir
die Cornea von Zeit zu Zeit auf einen reinen Objeetträger und
untersuchten dieselbe bei nach oben gewandter Vorderfläche mit-
telst schwacher Objective; eine mehr oder minder vollständige
Nervenfärbung erfolgte, soweit ich bemerken konnte, in den
_ meisten Fällen nach 1—1'/,stündiger Einwirkung der Farblösung.
Während dieser Zeit musste, um ein Eintrocknen des Präparates
zu verhüten, demselben mehrmals entweder ein Tropfen Humor
aqueus oder ein Tropfen der Farblösung beigefügt werden.
Sobald die Nerven der Cornea hinreichend gefärbt erschienen,
wurde sie sogleich in ein mit gesättigter Lösung von pikrin-
saurem Ammoniak oder pikrinsaurem Kali gefülltes Schälchen
übertragen. In dieser Lösung blieb das Präparat 18—20 Stunden
und wurde dann, mit der Epithelfläche nach oben, auf einem
Objeetträger in verdünntem Glycerin eingeschlossen. Gewöhnlich
erscheint nach Ablauf eines Tages das Hornhautgewebe bereits
so durchsichtig, dass die darin enthaltenen Nervenendkörperchen
selbst mittelst starker Systeme untersucht werden können. In
denjenigen Fällen, in welchen die unversehrte Hornhaut sich
nicht in toto unter dem Deckglase ausbreiten liess, wurde sie zu-
vor in mehrere Theile zerschnitten.
Bei der Färbung der Endkolben der Conjunetiva ist es am
zweckmässigsten, die letztere in ihrem Zusammenhange mit der
Sclera und der Cornea zu belassen; zu diesem Behufe wird der
Augapfel sammt seiner Bindehaut längs einer Linie durchschnitten,
welehe 5—8 mm weit hinter dem Cornealrande und dem Aequator
parallel verläuft. Der so erhaltene vordere Abschnitt des Bulbus
wird von dem Ciliarkörper, der Linse ete. befreit und darauf in
mehrere Theile zerschnitten, deren jeder für sich nach der oben
angegebenen Methode gefärbt wird.
604 A. S. Dogiel:
An den besagter Weise gefärbten und fixirten Präparaten
ist es leicht ersichtlich, dass die zur Cornea sich begebenden
Nervenstämmcehen (und zwar hauptsächlich die vorderen, mit-
unter aber auch die hinteren, d. h. tiefer gelegenen dieser Stämm-
chen) unter mehr oder weniger geradem oder aber unter spitzem
Winkel abgehende Aestehen von verschiedener Dicke entsenden;
ein Theil dieser Aestchen verläuft dem Rande der Hornhaut
fast parallel, ohne ihre Randzone zu überschreiten, während die
übrigen ein wenig weiter in die Substantia propria cormea vor-
dringen. Sowohl die einen als auch die anderen dieser Aestehen
zeigen einen mannigfach gewundenen Verlauf, wobei sie ihrerseits
mehr weniger feine Aestehen abgeben und schliesslich durch
mannigfaltige Verflechtung unter einander einen diehten Plexus
(Randplexus) bilden, welcher vorwiegend in dem gefässhaltigen
Randtheile der Hornhaut gelegen ist. Die diekeren, aber mit-
unter auch die dünneren Stämmcehen dieses Randplexus bestehen
gewöhnlich aus marklosen Nervenfasern, denen sich markhaltige in
geringer Zahl beigesellen ; letztere treten sodann aus den Stämmehen
aus und lassen sich in ihrem isolirten, mannigfach geschlängelten
Verlaufe nicht selten auf weitere Strecken hin verfolgen (Fig. 1),
wobei einige dieser Nervenfasern sogar in die Substantia propria
corneae eindringen, um von da auf's Neue in die gefässhaltige
Randzone dieser Membran zurückzukehren. Während des be-
schriebenen Verlaufes theilen sich viele dieser markhaltigen Fasern
an Stelle der Ranvier’schen Schnürringe in 2 oder 3 Fasern,
welehe ihrerseits, nachdem sie eine gewisse Strecke zurückgelegt,
auf's Neue in 2—3 mehr weniger kurze Theilungsfasern zer-
fallen (vgl. Figg. 1, 5, 6, T u. 8); schliesslich treten die be-
schriebenen markhaltigen Nerven sowie deren Theilungsfasern in
die Endkörperehen ein und enden hier in Gestalt eigenthümlicher
Bildungen, die ich Nervenendknäuel nenne. Vor ihrem
Eintritte in die Endkörperehen verlieren die Nervenfasern ihre
Markscheide, was gewöhnlich an einem der Pole des Endkörper-
chens oder an dessen Seitenfläche stattfindet; indessen ist es
kein seltenes Vorkommniss, dass die eine oder die andere dieser
Nervenfasern bereits in einer beträchtlichen Entfernung von dem
Terminalkörperehen ihre Markscheide verliert (Figg. 1, 3, 4,
5, 6, T und 8). Mitunter sehen wir direet aus einer markhal-
tigen Nervenfaser, an Stelle einer Ranvier’schen Einschnürung,
Die Nervenendkörperchen in der Cornea u. Conjunctiva bulbi ete. 605
entweder eine oder zwei, oft recht lange marklose Fasern aus-
treten, welche letzteren schliesslich in Endkörperchen übergehen
(Fiss. 5, 6, Tu. 8). Endlich hatten wir Gelegenheit zu be-
obachten, dass der Axenceylinder einer oder der anderen, be-
reits marklos gewordenen Nervenfaser, ohne in ein Endkörper-
chen einzutreten, sich in 2—3 mehr weniger feine marklose Aest-
chen spaltet; diese letzteren erscheinen mannigfach gewunden
_ und durchsetzen nicht selten eine beträchtliche Strecke, ehe sie
in den Endknäueln ihr Ende finden, oder sie theilen sich auf’s
- Neue in mehrere feine Zweige, welche letzteren schliesslich in
die Terminalkörperchen übergehen (Figg. 1, 5, 7 A); nicht selten
sehen wir den beschriebenen marklosen Fasern ovale oder runde
Bemeranhesen (Fig. 51‘ u. f!V).
_ Die Gestalt der Endkörperehen kann sehr wechseln; am
häufigsten aber zeigen dieselben eine rundliche, ovale oder ei-
förmige Gestalt (wie es zum Theil auch aus den beigegebenen
Abbildungen ersichtlich ist), wobei sie manchmal stark längs ge-
streekt und an irgend einer Stelle mehr weniger eingeschnürt er-
scheinen. Ungeachtet dieser verschiedenartigen Gestalt der End-
körperehen ist dennoch, soviel ich bemerken konnte, die runde
oder die ovale Form derselben verhältnissmässig die häufigste.
Die Grösse der Endkörperchen ist gleichfalls eine ver-
schiedene: die einen derselben erscheinen als kleine Gebilde von
0,02—0,03 mm Länge und 0,015—0,025 mm Querdurchmesser,
_ während andere von ihnen grössere Dimensionen bieten, indem
sie eine Länge von 0,045—0,10 mm und eine Breite von 0,02
bis 0,08 mm erreichen.
Sämmtliche Endkörperchen, d. h. sowohl die der gefäss-
haltigen Randzone der Cornea als auch die der Conjunetiva bulbi,
liegen unmittelbar unter dem Epithel, so dass dessen Innenfläche
mitunter durch ein darunter liegendes Endkörperchen ein wenig
eingedrückt erscheint (Fig. 2); nur diejenigen Endkörperchen,
welche aus der Randzone in die Substantia propria corneae
vorragen, liegen gewöhnlich unterhalb der vorderen Basilarmem-
bran und nur in seltenen Fällen direet unter der Epitheldecke.
Grösstentheils sind die Körperchen gruppenweise angeordnet, in-
dem 3—5 und mehr Körperchen zusammentreten; innerhalb des,
jeder einzelnen Gruppe zugehörigen Bezirkes verzweigen sich ge-
wöhnlich eine, zwei oder drei markhaltige Nervenfasern, an
8
606 A. 8. Dogiel:
deren Endverästelungen die 'Terminalkörperehen gleich Beeren
an den Stengeln sitzen (Fig. 1).
In der gefässhaltigen Randzone der Hornhaut finden sich
diese Endkörperchen in beträchtlicher Menge, so dass ich inner-
halb einer etwa einen halben Millimeter langen Strecke über 20
solcher Endkörperchen zählte; viel spärlicher sind sie hingegen
in der Substantia propria corneae vertreten, während sie in der
Conjunetiva bulbi, namentlich aber in dem, 2—3 mm breiten
Randtheile derselben auf's Neue in grosser Menge zugegen sind.
Die Strucetur der Endkörperchen und die Nerven-
endigungen in denselben. Die Methylenblaufärbung ermög-
licht wohl die Klarstellung der Nervenendigungen in den End-
körperchen, aber die Structur dieser letzteren selbst, wie nament-
lich das etwaige Vorhandensein einer Umhüllung, sowie die Be-
standtheile des sogenannten Innenkolbens sind an solchen Präpa-
raten der Untersuchung nieht zugänglich. Zu letztgenanntem Be-
hufe ist es erforderlich, das Gewebe zunächst durch halbverdünnte' -
Müller’sche Flüssigkeit, Alkohol, Sulbimatlösung oder in der
Flemming’schen Lösung (1 Vol. dieser letzteren mit 2—3 Vol.
destillirten Wassers verdünnt) zu fixiren und dann Schnitte an-
zufertigen; letztere können in Hoyer ’schem Pierocarmin, Häma-
toxylin oder auch in anderen Farbstoffen gefärbt werden. Von
allen oben genannten Fixirungsmitteln gibt die mit Wasser ver-
_ dünnte Flemming’sche Lösung die besten Resultate. Das Prä-
parat wird mehrere Stunden lang in der genannten Lösung ge-
lassen, darauf in Wasser ausgewaschen und behufs definitiver Er-
härtung in schwächeren und sodann successive in stärkeren Al-
kohol übertragen. |
An so erhaltenen Sehnittpräparaten ist es leicht ersichtlich,
dass ein jedes Endkörperchen von einer mehr oder weniger
(dünnen, nicht selten mehrschichtigen Bindegewebskapsel umhüllt
wird. Diese letztere besitzt recht zahlreiche Kerne mit einem
oder mehreren Kernkörperchen. Die in der Kapsel mancher
dieser Endkörperchen enthaltenen Kerne liegen theils der Längs-
axe des Körperehens parallel, theils aber sind sie zu derselben
quer oder schräg gerichtet; die letztgenannten Kerne gehören
aller Wahrschemliehkeit nach den, das Körperchen umwindenden
markhaltigen Nervenfasern an (Figg. 2 u. 3). Die Bindege-
webskapsel ist zwar auch an den, mit pierinsaurem Ammoniak
&
_
ie Nervenendkörperchen in der Cornea u. Conjunetiva bulbi ete. 607
fixirten Präparaten wahrnehmbar (Fig. 3), indessen tritt sie
ier nicht sehr deutlich hervor und wenn das Präparat hinreichend
aufgehellt ist, lässt sich die Kapsel fast gar nicht mehr von dem
umgebenden Gewebe unterscheiden. Bei Emwirkung des Methylen-
blau's auf eine nicht genug frische Cornea oder Conjunetiva
bleibt die Nervenfärbung in den Endkörperchen meist ganz aus,
während die Kerne der Bindegewebskapsel an solehen Präparaten
eine intensive blaue Färbung annehmen und nunmehr scharf her-
vortreten.
In dem von der Bindegewebskapsel umschlossenen Hohlraume
— dem Innenkolben — gelang es mir an Schnittpräparaten nie,
‚die geringste Spur von Kernen oder von Zellen irgend welcher
Art zu entdecken, der ganze Innenkolben erscheint von einer
_ Masse stark glänzender und scharf coutourirter Körnchen angefüllt;
inmitten dieser Körnehen liegen kurze, nicht selten varieöse und
ebenfalls glänzende Fäden, die gewöhnlich in verschiedenen Rich-
tungen verlaufen (Fig. 2); oft erscheinen emige von diesen Fäden
in Gestalt kurzer Schlingen. Die Körnchen des Innenkolbens
sind von sehr geringer Grösse und erscheinen meist rundlich,
oval oder spindelförmig; bei wechselnder Einstellung fällt es aber
nicht schwer sich zu überzeugen, dass viele von diesen Körnchen
allmählich in bogenförmig gekrümmte, mehr weniger kurze Fäden
_ übergehen; es ist mithin die Mehrzahl dieser Körnchen als op-
tische Querschnitte von Fäden anzusehen, welche letzteren sich
in dem Bereiche der Endkörperehen mannigfach winden. Die
spärlichen Zwischenräume zwischen den fast den ganzen Binnen-
raum des Endkörperchens einnehmenden Fäden und Körnern wer-
den durch eine geringe Menge leicht granulirter oder homogener
Substanz ausgefüllt.
So präsentiren sich die Endkörperehen, wenn man sie an
Schnittpräparaten studirt, welche in den oben angegebenen Fixi-
rungsmitteln erhärtet waren. Die im Inneren der Körperchen
sichtbaren glänzenden Fäden sind auf die Nervenfäden zu be-
ziehen, welche, wie dies weiter unten erörtert werden wird, an
der Bildung der Endknäuel theilnehmen.
Was das Verhalten der Nervenfasern zu den beschriebenen
Endkörperehen anlangt, so sehen wir, wie dies zum Theil bereits
früher erwähnt wurde, zu jedem Körperchen entweder ein einzel-
nes, oder noch häufiger zwei oder gar drei Nervenästchen heran-
608 A. S. Dogiel: ;
treten, welche letzteren aus der Theilung einer oder aber zweier
verschiedener markhaltiger Nervenfasern hervorgegangen sind
(Figg. 1, 2, 3, 4, 5, 6,7 u. 8). In dem ersteren Falle nähert
sich das Nervenästehen dem einen der. Pole des Terminal-
körperehens und verliert hier (aber nicht selten auch schon viel
früher) seine Markscheide, der nackte Axeneylinder tritt ın
dlas Körperchen ein und zerfällt meist sogleich in 2—3 dünne
varicöse Fäden (Figg. 3, 5B, 6); letztere schlagen entweder
sämmtlich die gleiche Richtung ein oder sie gehen in verschie-
denen Richtungen hin, indem sie hierbei eine oder mehrere bogen-
oder ringförmige Krümmungen bilden, darauf spalten sie sich auf's
Neue in eine Anzahl feiner varieöser Fäden, die sich auf die
verschiedenste Weise hin- und herwinden und mit einander ver-
flechten. Die letztbeschriebenen Fäden senden während ihres
sesammten Verlaufes mehr oder weniger kurze laterale Fädchen,
die unter häufiger Verästelung und mannigfachen Windungen die
Verbindungen zwischen den nächstliegenden Nervenfäden vermit-
teln (Fig. 3, 5, 6); solcher Weise entsteht ein, von einem
diehten Netze varieöser Nervenfäden gebildeter Knäuel. Die ein-
zelnen, in den Bestand dieses Knäuels tretenden Fäden sind der-
massen mit einander verwickelt und verflochten, dass es in vielen
Fällen fast unmöglich ist, den Verlauf irgend eines einzelnen
Fadens eine gewisse Strecke weit zu verfolgen. Die soeben be-
trachtete Form der Nervenendknäuel können wir den diehten
Knäuel nennen, da er aus einem dichten Netze von Nervenfäden
besteht, zwischen welchen nur sehr spärliche und kleine Lücken
übrig bleiben.
In den Endkörperchen, welche sich durch eine ovale oder
mehr oblonge Form characterisiren, tritt der Axencylinder eines
Nervenästehens an einen der Pole des Körperchens heran und
dringt hier im dessen Inneres ein; darauf zerfällt der Axencylinder
sogleich in mehrere feine varicöse Fasern, welche unter mannig-
fachen Windungen der Längsaxe des Körperchens entlang ziehen
und derart den entgegengesetzten Pol desselben erreichen; wäh-
rend dieses Verlaufes entsenden sie zahlreiche, eleichfalls varieöse
Fäden, welche auf's Neue häufige Theilungen eingehen und sich
auf verschiedene Weise sowohl mit einander als auch mit den
soeben erwähnten primären Theilungsfasern des Axencylinders ver-
binden. Auf diese Weise entsteht ein Endknäuel von mehr oder
Die Nervenendkörperchen in der Cornea u. Conjunctiva bulbi ete. 609
weniger langgestreckter Form (Fig. 4B u. Fig. 7C”). Nicht
selten treten ein, zwei oder auch drei varieöse Fädehen aus einem
Endknäuel heraus, um in einer gewissen Entfernung von demsel-
ben in das Innere eines oder zweier anderer solcher Körperchen
einzudringen und hier ähnliche Endknäuel zu bilden (Fig.7, D, D/).
Was den Fall betrifft, wo ein einziges Termmalkörperchen
- 2—3 Nervenästehen aufnimmt, so sehen wir hierbei, dass eines
oder auch zwei von ihnen an dem einen, die übrigen aber an
dem entgegengesetzten Pole des Endkörperchens in dasselbe ein-
treten (Figg. 4, 60, 7C u. ©, 8 B); aber mitunter sieht
man auch eines oder das andere dieser Nervenästchen an einer
Seitenfläche in das Körperchen treten. Die zu den Endkörper-
chen sich begebenden Nervenfasern verlieren ihre Markscheide
entweder unweit ihres Eintrittes in das Körperchen oder hart
_ an dessen Oberfläche, oder endlich in selteneren Fällen in einem
mehr oder weniger beträchtlichen Abstande oberhalb des Endkör-
perchens. Nicht selten aber erscheint eines oder gar zwei der
bezüglichen Nervenästchen in ihrem gesammten Verlaufe als mark-
lose Faser (Figg. 7C, C’ u. 8). Ein jedes der beschriebenen
Nervenästchen tritt demnach als marklose Faser in das Endkör-
perchen ein und zerfällt hier in mehrere feine varieöse Fäden;
letztere schlängeln sich Anfangs und entsenden dann in ihrem
weiteren Verlaufe eine Anzahl varicöser Fäden, welche sich man-
nigfach umwinden und sich hierbei mit einander verflechten und
verbinden; derart gestaltet sich der ganze Endapparat zu einem
diehten Knäuel (Figg. 4, 5B/, 60, TC, C’ u. 8B).
Aber abgesehen von der beschriebenen Endknäuelform finden
wir constant, zumal im Inneren der kleinen Endkörperchen, noch
eine andere Form der Nervendigung, die man den lockeren
Knäuel nennen kann; an der Bildung eines solchen Knäuels
betheiligt sich ein einzelnes oder aber zwei Nervenästchen.
Im ersteren-Falle tritt das Nervenästehen in das Innere
des Endkörperchens ein und nimmt hier an Volumen zu, so dass
es jetzt als ein ziemlich dieker varicöser Faden erscheint; letzterer
beschreibt eine, zwei und mehr schlingenförmige Windungen
(Fig. 8A u. C); an den so entstandenen Fadenschlingen ent-
springen grösstentheils kurze varicöse Fädchen, die theils zu ge-
genseitiger Verbindung der Schlingen dienen, theils aber in dem
Binnenraume des Endkörperchens in Gestalt unregelmässiger oder
4
610 A.:8DögtTelk
knopfförmiger Verdiekungen frei zu enden scheinen (Fig. 5C u.
C’, Fig. 8A). Mitunter endet das Nervenästehen im Inneren
des Körperchens in Gestalt eines einzelnen, bogen- oder ziekzack-
förmig gekrümmten dieken varieösen Fadens, der schliesslich in
eine Verdiekung ausläuft, während seine Ränder fein gezähnelt
sich ausnehmen (Fig. 5D).
Anlangend den andern Fall, d.h. wenn zwei Nervenästchen
an der Bildung eines lockeren Knäuels Theil haben, mögen
dieselben nun aus einer einzigen oder aus zwei verschiedenen
markhaltigen Fasern hervorgegangen sein, so dringen beide Aest-
chen an einem der Pole ‘des Körpershens in dasselbe ein, um hier
alsbald in mehrere dieke varicöse Fäden zu zerfallen. Diese Fä-
den zeigen einen mehr oder weniger gewundenen Verlauf und
werden durch kurze laterale Fädehen unter einander verbunden.
Soleher Weise entsteht ein loekerer Knäuel, wie es in den Figg.
50’ und TD dargestellt ist.
Indess sieht man nicht selten das eine Aestehen an dem einen,
das andere an dem entgegengesetzten Pole in das Endkörperchen
eindringen. Hier verlaufen sie schleifenförmig gewunden und
bilden so einen lockeren Knäuel von spiraliger Form; die einzelnen
Schlingen eines derartigen Knäuels sind gewöhnlich mittelst kurzer
und feiner Nervenfädchen unter einander verbunden (Fig. 6).
Die diehten Endknäuel erscheinen, soweit meine Beobach-
tungen reichen, an dem einen oder an den beiden Polen, d.h. an
den Eintrittsstellen der Axeneylinder der Nervenfasern in das End-
körperehen dichter als in dessen übrigen Theilen, da die Nerven-
ästehen und Fäden gleich nach ihrem Emtritte sich viel stärker
winden als weiterhin (vgl. Fig. 5). |
Sowohl die dichten als auch die lockeren Knäuel senden
beständig eine gewisse Anzahl (1—2—3) feiner varicöser Nerven-
fäden ab, welehe nach ihrem Austritte aus dem Endkörperchen
eine oft mehr oder minder weite Strecke zurücklegen, ehe sie
endlich in das Nervennetz eines der benachbarten Endknäuel über-
gehen (Figg. 5h, 6e und 7a, a). Mittelst dieser Fäden wird
die Verbindung zwischen den eimander nächstliegenden End-
knäueln hergestellt und es ist zu bemerken, dass diese Ver-
bindungsfäden niehts gemein haben mit denjenigen Nervenfäden,
welche, wie bereits früher erwähnt, nach ihrem Austritte aus
einem gegebenen Endkörperchen in ein anderes übergehen, um hier-
ie Nervenendkörperchen in der Cornea u. Conjunctiva bulbi ete. 611
selbst in dem Nervennetze des Endknäuels völlig aufzugehen.
Manchmal gelingt es ein solches terminales Nervenfädchen eine
Strecke weit in seinem Verlaufe innerhalb des Endkörperchens
zu verfolgen; dann sieht man dasselbe nach seinem Eintritte in
das Endkörperehen sich mannigfach windend mit den anderen
Fäden des Endknäuels sich verflechten; schliesslich jedoch ent-
zieht es sich unserer Beobachtnng inmitten des dichten Flecht-
werkes der übrigen, in den Bestand des Endknäuels tretenden
- Fäden (Fig. 6e).
Wie bereits bemerkt, finden sich die Endkörperchen nicht
nur in der gefässhaltigen Randzone der‘ Hornhaut, sondern auch
innerhalb ihrer Substantia propria, in emem Abstande von
1—2 mm von der Randzone. Die innerhalb der Substantia
propria befindlichen Endkörperchen liegen unmittelbar unter der
vorderen Basalmembran. Die zu diesen letzterwähnten Endkörper-
chen hinzutretenden Nervenästchen haben einen zweifachen Ur-
sprung: entweder sie gehen aus den Theilungsfasern der den vor-
deren Cornealstämmcehen zugehörigen markhaltigen Nerven hervor,
oder sie entstammen den durchbohrenden Fasern (Rami perforantes).
In letzterem Falle löst sich in der Nähe der vorderen Basal-
membran von einer perforirenden Faser gewöhnlich ein mehr oder
weniger feines Aestehen ab, welches nicht selten bogenförmig ge-
- wunden an das Endkörperchen herantritt, um hierselbst einen
diehten oder einen lockeren Knäuel zu bilden (Fig. 9e). Mit-
unter durchsetzt ein perforirendes Aestchen zunächst die vordere
Basalmembran und geht darauf, ohne in die Fäden des subepi-
thelialen Plexus zu zerfallen, in toto in ein unmittelbar unter
dem Hornhautepithel gelegenes Endkörperchen über; solchenfalls
treten bei der gleichen Tubuseinstellung sowohl die Fäden des
subepithelialen Geflechtes als auch der Nervenknäuel deutlich her-
vor (Fig. 10b). Was die Endkörperchen der Hornhaut betrifft,
so bieten, soweit ich bemerken konnte, die Nervenknäuel dersel-
ben meist das Ansehen von lockeren Knäueln dar; sie werden
von einer oder von mehreren bogenförmigen Schlingen gebildet,
die unter einander mittelst kurzer lateraler Fäden zusammenhängen.
Dies sind die hauptsächlichsten Formen der Endknäuel, wie
wir sie in den uns beschäftigenden Endkörperchen antreffen.
Letztere finden sich, wie gesagt, in dem eigentlichen Hornhaut-
gewebe, in der Gefässzone dieser Haut und endlich in der Con-
|
|
612 A. S. Dogiel:
junetiva bulbi, von wo aus sie aller Wahrschemlichkeit nach auch
in. die Hornhaut vordringen.
Aber ausser den oben beschriebenen Endknäuelformen treffen
wir noch eine grosse Anzahl von Formvarietäten an, die sich in-
dess nur durch geringfügige Differenzen in der Anordnung der
Knäuelfäden von einander unterscheiden.
Bevor ich die Beschreibung der Endkörperehen schliesse,
erachte ich es für nothwendig, betreffs zweier der oben beschrie-
benen Nervenendformen noch einige Worte hinzuzufügen, und
zwar handelt es sich hier um diejenigen Endknäuel, deren Fäden
scheinbar frei, in Gestalt knopfförmiger Verdieckungen enden, so-
wie um diejenigen, in welchen der ganze Nervenendapparat als
ein einzelner, im Binnenraume des Endkörperehens sich winden-
der Faden erscheint. Diese beiden Endformen sind meiner Ueber-
zeugung nach als Kunstproduete zu betrachten, die entweder in-
folge einer unvollständigen Färbung der Endfäden des Knäuels
entstanden sind, oder aber dadurch, dass die Fixirung des Prä-
parates zu spät erfolgte, als bereits die Färbung der Nervenele-
mente abzublassen begann und eine Anzahl der den Endknäuel
bildenden Nervenfäden ihre Färbung vollständig oder wenigstens
zum Theil verloren hatte. Zu Gunsten dieser Annahme kann ich
die Thatsache anführen, dass an Präparaten, welche bei sehr
vollständiger Nervenfärbung rechtzeitig fixirt waren, die in Rede
stehenden Nervenendformen entweder gar nicht oder nur höchst
selten anzutreffen sind. Einem jeden mit der Methylenblaumethode
Vertrauten ist es wohl bekannt, dass es überhaupt kein Leichtes
ist, in irgend einem gegebenen Gewebe eine vollständige Nerven-
färbung zu erhalten, zumal wenn man sich behufs dessen der
Ehrlich’schen Methode bedient, d.h. die Farblösung direct in
das Blut der Versuchsthiere einführt. Gewöhnlich tritt unter sol-
chen Bedingungen die Nervenfärbung sehr rasch ein, um aber
leider eben so schnell zu entschwinden wie sie erfolgt war; nicht
selten blasst die Färbung eines Theiles.der Nervenelemente be-
reits ab, währenddem sie an anderen Nerven eben erst auftritt,
und es ist daher manchmal recht schwierig, den Zeitpunkt zur
Fixirung des Präparates richtig zu treffen. Angesichts des soeben
Gesagten müssen wir sehr vorsichtig sein bei unseren Schluss-
folgerungen betreffs der frei mit knopfförmigen Anschwellungen
endigenden Nervenfäden. Denn diese Form der Nervenendi-
Die Nervenendkörperchen in der Cornea u. Conjunctiva bulbi ete. 613
- sungen kann wohl das Resultat einer unvollständigen Nervenfär-
bung sein. |
Abgesehen von den beschriebenen Endkörperehen finden
sich in dem eigentlichen Hornhautgewebe, in einer Entfernung
von !/,—2 mm von dem gefässhaltigen Cornealrande noch andere
_ eigenthümliche Nervenendapparate in Gestalt von Endplättehen.
- Die vorderen Nervenstämmcehen der Cornea entsenden gewöhnlich
- nach ihrem Eintritte in dieselbe mehrere markhaltige Fasern,
- welehe bald darauf ihre Markscheide verlieren und in je 2—4
varieöse Aestchen zerfallen; dieselben verlaufen eine geringe
Streeke weit entweder dem Hornhautrande mehr oder weniger
parallel, oder aber in radialer Richtung zum Centrum der Cornea
hin und schliesslich geht ein jedes dieser Aestchen in ein End-
plättehen über (Fig. 11 b). Diese Endplättchen präsentiren sich
als Gebilde von viereckiger oder unregelmässig abgerundeter
Form; einige von ihnen erscheinen schaufelförmig ausgehöhlt und
öfter hie und da wie eingeschnürt (Fig. 11). Die Ränder der
Endplättchen sind häufig uneben, gezackt; mitunter löst sich von
dem Rande eines Endplättchens ein kurzer varicöser Faden ab,
welcher sich bald darauf wiederum dessen Rande nähert und mit
demselben verschmilzt (Fig. 11). Die Grösse der Endplättchen
ist verschieden und neben grösseren finden wir solche von sehr
geringem Umfange. Die beschriebenen Endplättehen enthalten
keine Kerne und ungeachtet dessen, dass sie” einigermaassen den
Hormhautzellen ähneln, haben sie dennoch mit den letzteren nichts
gemein. Bei Fixirung der Methylenblaupräparate mittelst pierin-
sauren Ammoniaks entsteht bekanntlich ein feinkörniger Nieder-
schlag; dieser letztere ist in den Endplättchen ungleichmässig
vertheilt und in Folge davon bilden sich daselbst stellenweise in
Reihen liegende, intensiv gefärbte Fleekchen und Körnchen
(Fig. 11). Es ist sehr möglich, dass die Aehnlichkeit dieser End-
plättehen mit den Hornhautzellen die Ursache gewesen ist, wess-
halb mehrere Forscher, wie Kühne, Waldeyer und Izquierdo
u.A. sich für einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den
Nerven und dem Protoplasma der zelligen Elemente der Hirnhaut
aussprechen.
Die von mir in der Cornea und Conjunetiva bulbi beschrie-
benen Endkörperchen sind durchaus identisch mit den zuerst von
614 Ar. SrDogrei$
W. Krause in der Conjunetiva bulbi des Menschen, des Affen
und anderer Thiere entdeckten Endkolben. Die Gegenwart die-
ser letzteren in der Bindehaut des Menschenauges wurde bald
darauf durch die Untersuchungen von Frey, Kölliker, Lüdden,
Ciaccio, Longworth und Waldeyer, A. Key und G. Retzius,
Merkel, Schwalbe u. A. bestätigt und gegenwärtig zweifelt
wohl Niemand mehr an ihrer Existenz. Was den Bau der End-
kolben anlangt, so stimmen fast sämmtliche Beobachter darin
überein, dass diese Gebilde von einer, zahlreiche oblonge Kerne
tragenden, bindegewebigen Kapsel umhüllt werden (W. Krause,
Frey, Kölliker, Merkel u. A.). Die Kapsel einiger zusammen-
gesetzterer Endkolben lässt nach G. Retzius einen geschichteten
Bau erkennen, wobei ein Theil der in der Kapsel liegenden
Kerne auf die Nervenfasern zu beziehen sind, welche die End-
kolben an ihrer Oberfläche umwinden. Gemäss Longworth’s
Ansicht besteht die Bindegewebshülle der kugeligen Endkolben
beim Menschen aus zwei Lamellen, einer äusseren und einer in-
neren; sie sind durch einen engen, von homogener Substanz ge-
füllten Zwischenraum von einander getrennt und enthalten beide
recht zahlreiche Kerne.
Ganz anders verhält es sich mit der Frage über die Bestand-
theile des sogenannten Innenkolbens und über die Nervenendi-
gungen in demselben.
Nach W. Krause tritt als Bestandtheil des Innenkolbens
eine eigenthümliche, feingranulirte und längsgestreift erscheinende
Substanz auf. Die Nervenfaser tritt, nachdem sie vorher ihre
Markscheide verloren, in den Innenkolben ein und zeigt hier di-
und trichotomische Theilungen und die daraus hervorgegangenen
Theilungsästehen (Terminalfasern) zeigen einen gewundenen Ver-
lauf und enden schliesslich in Gestalt knopfförmiger Anschwel-
lungen. In einer späteren Arbeit hat W. Krause seine ursprüng-
liche Ansicht über den Bau des Innenkolbens einigermaassen mo-
difieirt; er betrachtet denselben nunmehr als aus besonderen Zellen
bestehend, die er „Längskolbenzellen“ nennt; zwischen diesen
Zellen liegen die gewundenen Endästchen (Termimalfasern) mit
ihren knopfförmigen Endanschwellungen. In den Endkolben der
Conjunetiva bulbi des Menschen zählt W. Krause je 1—4, mit
den eben erwähnten Endknöpfehen endigende Terminalfasern.
Mit den Beobachtungen von W. Krause stimmen Frey, Lüdden
Die Nervenendkörperchen in der Cornea u. Conjunctiva bulbi etc. 615
und Kölliker überein; letzterer schreibt, gleichwie Krause,
den „Längskolbenzellen“ keine besondere physiologische Bedeu-
‚tung zu, indem er meint, dass dieselben genetisch als zur Schwann-
schen Scheide gehörig oder einfach als Theile des Neurilems
aufzufassen seien. G. Retzius, welcher sehr detaillirte und
sründliehe Untersuchungen über den Bau der Conjunetivalend-
kolben des Menschen angestellt hat, kann die Existenz der Längs-
kolbenzellen nicht bestätigen; nach seinen Beobachtungen besteht
- der Innenkolben bloss aus einer granulirten Masse, in welcher
- keinerlei zellige Elemente zu Tage treten. Der nackte Axen-
- eylinder der Nervenfaser tritt nach Retzius in den Innenkolben
ein, windet sich hier schlingenförmig und zerfällt bald in Fibrillen,
welche die granulirte Masse in verschiedenen Richtungen durch-
setzen, um als kurze, stabförmige Fäserchen hier und da hervor-
zutreten. In den zusammengesetzten Endkolben zerfällt der Axen-
eylinder in einzelne Fibrillen, die in der granulirten Substanz des
Innenkolbens eingelagert sind; die besagte granulirte Masse wird
von Retzius „Terminalsubstanz“ genannt und mit der analogen
körnigen Substanz der Endknospen der Pacini’schen Körper-
chen verglichen, wobei er vermuthet, dass die Nervenfibrillen in
dieser granulirten Masse endigen.
Longworth, Waldeyer und F. Merkel gelangen auf
Grund ihrer Untersuchungen zu dem Schlusse, dass der ganze
Innenkolben aus einer gewissen Menge über emander geschichteter,
kernhaltiger Zellen bestehe; in den letzteren enden, nach Long-
worth und Waldeyer, die aus Theilung des Axeneylinders der
Nervenfasern hervorgegangenen Fibrillen. Merkel reiht die Con-
junetivalendkolben auf Grund ihrer Struetur und der Endigungs-
weise ihrer Nerven den Tastkörperchen an.
Meine eigenen Beobachtungen betreffs der Structur und der
Nervenendigungen in den Endkörperchen der Cornea und Con-
junetiva bulbi des Menschen lassen sich, wie es aus der vorher-
gehenden Beschreibung ersichtlich, folgendermaassen zusammen-
fassen:
Die Endkörperchen werden von einer mehr oder weniger
dünnen Bindegewebshülle — der Kapsel — bekleidet; letztere
enthält runde oder ovale Kerne, von denen einige, wie bereits
Retzius mit Recht bemerkt, den marklialtigen Nervenfasern an-
gehören.
616 A. S. Dogiel:
In dem von der Kapsel umgrenzten Binnenraume der End-
körperchen ist nicht die geringste Spur von Zellen oder Kernen
enthalten; derselbe wird vielmehr von Nervenästehen und Nerven-
fäden ausgefüllt, welche einen Nervenendknäuel bilden; die zwi-
schen den Fadenschlingen des Endknäuels übrigbleibenden spär-
lichen Lücken sind von einer geringen Menge einer homogenen
oder leicht granulirten Substanz besetzt.
Zu einem jeden Endkörperchen treten ein, zwei oder drei
Nervenästchen heran, welche aus der Theilung einer einzigen oder
aber zweier verschiedener markhaltiger Nervenfasern hervorge-
gangen sind. Die Nervenästchen treten, nachdem sie ihre Mark-
scheide verloren haben, in den Hohlraum des Endkörperchens ein,
um hier in mehrere feinere Zweige zu zerfallen, welche letzteren
sich in ihrem mannigfach gewundenen Verlaufe wiederholt in
feine varicöse Fäden spalten. Diese Nervenfäden bilden, indem
sie sich auf die verschiedenste Weise verflechten, schlängeln und
mit einander vereinigen, entweder einen diehten oder einen locke-
ren Knäuel.
Die in den Bestand des Endknäuels tretenden Nervenfäden
laufen nicht etwa frei, in Gestalt knopfförmiger Anschwellungen
aus, und wenn man mitunter auch solche, dem Anscheine nach
freie Nervenendigungen m den Endkörperchen zu Gesichte be-
kommt, so lassen sich derartige Bilder am wahrscheinlichsten
aus einer unvollständigen Färbung der im Endknäuel enthaltenen
Nervenfäden erklären.
Aus den Endknäueln treten nieht selten mehrere Nerven-
fäden aus, welche mehr oder minder beträchtliche Strecken durch-
setzen, um in andere Endkörperchen einzudringen und hier auf’s
Neue an der Bildung von lockeren oder dichten Knäueln theilzu-
nehmen.
Die Endknäuel benachbarter Endkörperchen stehen mittels
besonderer, feiner, varieöser Fäden unter einander in Verbindung.
In dem Gewebe der Hornhaut begegnen wir eigenthümlichen
Endapparaten der Nervenfasern, welche ich Endplättehen ge-
nannt habe.
Die Endkörperehen der Cornea und Conjunctiva bulbi des
Menschen stehen in Hinsicht ihres Baues, sowie in dem Verhalten
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2 .
BENETEEN
Die Nervenendkörperchen in der Cornea u. Conjunctiva bulbi ete. 617
ihrer Nervenendigungen den von A. Smirnoff!) in der Frosch-
lunge beschriebenen Nervenendapparaten, gleichwie den sogen.
„Genitalnervenkörperchen“, sehr nahe. In den letztgenannten Ge-
bilden zerfallen, zufolge der neuesten Beobachtungen von Aron-
son?) und G. Retzius?), die Axencylinder der Nervenfasern im
Innern des Körperchens in einzelne Zweige und Fäden, die in
Anschwellungen von verschiedener Gestalt auslaufen.
Im Himbliek auf meine eigenen Beobachtungen betreffs der
Endkörperchen der Cornea und Conjunetiva bulbi des Menschen
und bei Durchmusterung einer ganzen Reihe von Abbildungen,
welche der gründlichen Arbeit von G. Retzius beigelegt sind,
gelange ich zu der Ansicht, dass die Anschwellungen, in welche
nach seiner Meinung die Nervenfäden auslaufen, nichts anderes
sind, als varicöse Verdickungen der durch Methylenblau unvoll-
ständig gefärbten Nervenfäden. Aller Wahrscheinlichkeit nach
bilden die Nervenfäden innerhalb der Genitalnervenkörperchen,
ebenso wie wir es in den von uns beschriebenen Endkörperchen
sahen, ein Nervennetz, dessen Schlingen sich auf verschiedene
Weise umwinden und verflechten.
Literatur. 3
dh
W. Krause, Zeitschrift für rationelle Medicin Bd. V, 1858.
2. Derselbe, Die terminalen Körperchen der einfach sensiblen
Nerven. Hannover, 1860.
3. Derselbe, Die Nervenendigung innerhalb der terminalen Körper-
chen. Arch. f. mikrosk. Anatomie Bd. XIX, 1881.
4. Frey, Histologie und Histochemie des Menschen. Leipzig, 1859.
5. Lüdden, Zeitschr. f. wissensch. Zoologie Bd. 12, 1863.
6. A. Kölliker, Handb. der Gewebelehre des Menschen. 4. Aufl. 1863.
7. Derselbe, 5 a es > h In. Ta
1) A. Smirnoff, Ueber Nervenendknäuel in der Froschlunge.
Anatom. Anzeiger, III. Jahrg., 1888.
2) Aronson, Beitr. zur Kenntniss der centralen und peripheren
Nervenendigungen. Inaug.-Diss. Berlin 1886.
3) G. Retzius, Ueber die Endigungsweise der Nerven in den
Genitalnervenkörperchen des Kaninchens. Internat. Monatsschr. für
Anatomie und Physiologie Bd. VII, Heft 8, 1890.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 41
618 A. S. Dogiel:
8.
9;
10.
11.
12
13.
14.
15.
G. Ciaccio, Memorie dell’ Academia delle Seienze dell’ Istituto
di Bologna. Ser. III. Tomo IV. Fascicolo 4, 1874.
Derselbe, Ueber den Bau der Bindehaut des menschlichen Auges.
Moleschott’s Untersuchungen zur Naturlehre. XT.
Longworth, Arch. f. mikrosk. Anatomie Bd.XI, 1875.
Waldeyer, Tageblatt d. Breslauer Naturforscher-Versamml. 1874.
Derselbe, Ueber die Endigungsweise der sensiblen Nerven. Arch.
für nike Anatomie Bd. XVII, 1880.
Axel Key u. G. Retzius, Studien in der Anatomie des Nerven-
systems und des Bindegewebes. Stockholm, 1876.
F. Merkel, Ueber die Endigungen der sensiblen Nerven in der
Haut der Wirbelthiere. Rostock, 1880.
G. Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. Er-
langen, 1887.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXIIHI u. XXXIV.
Sämmtliche Abbildungen sind mit Hülfe der Camera lueida nach
Präparaten gezeichnet, welche, ausgenommen das der Fig. 2, durch
Methylenblau gefärbt und sodann mittels pierinsauren Ammoniaks oder
Kalis fixirt waren.
Fig. 1. Nervenästchen (a) des Randplexus der Hornhaut, in dem
markhaltige Fasern (b) enthalten sind. Diese letzteren
endigen in dichten und lockeren Endknäueln von ver-
schiedener Form. Gefässzone der Cornea. Obj.4. Reichert.
Fig. 2. Endkörperchen aus der Conjunctiva bulbi. Längsschnitt
durch die in Flemming’scher Lösung fixirte Bindehaut
des Auges. Obj. 8a. Reichert.
Fig. 3. Endkörperchen aus dem Randtheile der Con bulbi.
a) Markhaltige Nervenfaser, deren Axeneylinder in einen
dichten .Endknäuel übergeht. Obj. 8a. Reichert.
Fig. 4. A und B) Nervenendknäuelchen aus der Conjunctiva bulbi.
a) Markhaltige, dem Knäuelchen A sich nähernde Nerven-
faser, theilt sich in drei Aestchen, die das Knäuelchen bil-
den. Obj. 83a. Reichert.
Fig. 5. A) Markhaltige Nervenfaser, die in zwei Aestchen (d und e)
zerfällt; das eine von diesen Aestchen (e) endigt mit einem
dichten Knäuel (B), das andere (d) theilt sich auf’s Neue
in drei Zweige (f, f’/ f”). Das marklose Zweigchen f zer-
fällt in die beiden feinen Fasern A und :; die Faser h endet
in einem lockeren Knäuel (C) und in einem bogenförmig
verlaufenden dicken varicösen Faden (D), die Faser 2 da-
gegen betheiligt sich an der Bildung des lockeren Knäuels
C’; das marklose Zweigchen f’ geht in einen dichten Knäuel
(B’) über. Das markhaltige Zweigchen f“” endlich theilt
sich in die beiden marklosen Fasern f’”“ und fIV, welchen
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letzteren Kerne anliegen; die genannten Fasern gehen in
die lockeren Endknäuel C’ und C” über. g) Aestchen
einer (in der Figur nicht abgebildeten) markhaltigen Faser,
welches in mehrere varicöse Fäden zerfällt; letztere gehen
in den Endknäuel B’ über. h) Anastomotischer Nerven-
faden. Gefässzone der Cornea. Obj. Sa. Reichert.
A und B) Zwei markhalti®e Fasern, von denen eine jede
sich gabelförmig in zwei Aestchen (a, b und c, d) theilt.
Das Aestchen a geht in einen lockeren Knäuel über, wäh-
rend die übrigen dichte Endknäuel (C, C’/, C“) bilden.
e) Varicöser Nervenfaden, der zwei Endknäuel mit einander
verbindet. f) Aestchen, die aus der Theilung von (nicht
in die Zeiehnung aufgenommenen) markhaltigen Fasern
hervorgegangen sind. Gefässzone der Cornea. Obj. 8a.
Reichert.
A und B) Markhaltige Nervenfasern. Die aus der Theilung
der Faser A hervorgegangenen marklosen Aestchen bilden
zwei dichte Knäuel (C und C/. Das eine der Aestchen der
Faser B geht in einen dichten Knäuel von länglicher Form
(C*) über; letzterer entsendet fünf Nervenfäden; drei von
ihnen gehen in den lockeren Knäueln D und D/ auf, wäh-
rend die beiden anderen Fäden (a und a’) als anastomo-
tische Fäden erscheinen. b) Aestehen markhaltiger Nerven-
fasern. Gefässzone der Cornea. Obj. Sa. Reichert.
A und C) Lockere Endknäuel. B) Dichter Endknäuel.
a, b, ce und d) Aestchen, hervorgegangen aus der Theilung
markhaltiger Nervenfasern. e) Anastomotischer Nerven-
faden. Randtheil der Conjunctiva.- Obj. Sa. Reichert.
a) Aestchen eines der vorderen Nervenstämmchen der Cor-
nea. b) Perforirende Aestchen, die in die Fäden (d) des
subepithelialen Nervenplexus zerfallen; von einem der per-
forirenden Aestchen geht der Faden ce ab, der in einem
lockeren Knäuel endet. e) Dickeres Nervenästchen, das in
den Bestand des im Hornhautstroma gelegenen Nerven-
geflechtes tritt. Randtheil der Cornea. Obj. 7. Hartnack.
a) Aestchen eines der vorderen Nervenstämmchen der Cor-
nea. b) Perforirendes Aestchen in einem lockeren Knäuel
endigend; letzterer liegt unter dem Epithel der Cornea.
e) Fäden des subepithelialen Geflechtes. Randzone der
Cornea. Obj. 4. Reichert. Tubus halb ausgezogen.
A) Aestchen eines der vorderen Nervenstämmchen der
Cornea. a) Axencylinder einer markhaltigen Nervenfaser;
derselbe zerfällt in dünne Aestchen, welche in Endplättchen
(b) auslaufen. Cornealrand. Obj. 8a. Reichert.
620 W..Nialg el:
(Aus dem I. anatomischen Institut in Berlin.)
Ueber die Entwickelung des Uterus und der
Vagina beim Menschen‘).
Von
Dr. med. W. Nagel, | ”
Privatdocent, Assistenzarzt der geburtshülflich-gynäkologischen Univ.-
Klinik des Herrn Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Gusserow zu Berlin.
Hierzu Tafel XXXV u. XXXVL
Bekanntlich waren es zunächst theoretische Erwägungen,
welche verschiedene Forscher (siehe bei Kussmaul)?) zu der
Behauptung führten, dass zwei symmetrische Uranlagen für Uterus
und Vagina bestehen müssten. Für die Richtigkeit dieser Be-
hauptung sprach das Verhalten der inneren Genitalien bei ver-
schiedenen niederen Wirbelthieren und die Häufigkeit des Vor-
kommens von Duplieität des Uterus und der Vagina (Leuckart,
Thiersch, Dohrn). Die Untersuchungen von Thiersch,
Dohrn, Kölliker, Kussmaul, Waldeyer u.A. haben längst
die oben erwähnte theoretische Erörterung zu einer anatomischen
Thatsache erhoben und die Annahme Johannes Müller ’s?),
dass die nach ihm benannten Gänge als Bildungsstätte der Tuben
und der Gebärmutterhörner dienten, dahin erweitert, dass der ge-
sammte innere Genitaltractus des Weibes, einschliesslich des
Hymens, aus den beiden genannten Gängen hervorgehen.
1) Siehe Sitzungsberichte der kgl. preuss. Akademie der Wissen-
schaften zu Berlin. Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse
vom 22. Mai 1890, Dr. W.Nagel, Ueber die Entwiekelung des Uterus
und der Vagina beim Menschen.
2) A. Kussmaul, Von dem Mangel, der Verkümmerung und
Verdoppelung der Gebärmutter. Würzburg, 1859.
3) Johannes Müller, Bildungsgeschichte der Genitalien aus
anatomischen Untersuchungen an Embryonen des Menschen und der
Thiere. Düsseldorf, 1830.
Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 621
- Sobald aber von der Trennung des Genitalkänals (der ver-
einigten Müller'schen Gänge also) in Uterus und Vagina die
_ Rede ist, dann liegt die Sache anders. Dohrn!) meint, dass sich
der Nachweis, dass ausser dem Uterus auch die Vagina aus den
Müller’schen Gängen hervorgehe, durch direkte Beobachtung
schwer führen lasse und eine Durehmusterung der einschlägigen
Literatur lehrt, dass Dohrn mit obigem Ausspruche bisher Recht
behalten hat.
In einer späteren Abhandlung sagt Dohrn?): — „gegen
Ende der neunten Woche bildet der Genitalschlauch des Men-
schen einen kurzen glattwandigen Kanal von nahezu gleich-
mässig weitem Lumen, welcher nur leicht gekrümmt in das
Becken hinabsteigt, um in den Sinus urogenitalis einzumünden;
von einer Gliederung des Kanals in Uterus und Vagina findet
sich dann, so wenig als von Anfängen einer Hymenalbildung,
noch keine Spur.“ Gleichzeitig spricht der genannte Forscher
_ die Ansicht aus, dass der Genitalkanal während der 9.—15. Woche
des Embryonallebens keine für die makroskopische Betrachtung
hervorstechenden Veränderungen erfährt; nur das wird ersicht-
lich, dass sich der Kanal stärker dehnt und nach vorne zu-
sammenbiegt. In der 15.—16. Woche findet nach den Unter-
suchungen Dohrn’s die Trennung in Uterus und Vagina statt,
indem um diese Zeit die vordere Lippe der Vaginalportion als
flache halbkugelige Promimenz erkennbar wird, „welche hervor-
wachsend die hintere Wand des Genitalschlauchs zurückdrängt.
Nach Tourneux und Legay’) zeigt der Genitalstrang
des menschlichen Embryo zu Anfang des dritten Monats noch
keine Trennung in Uterus und Vagina, und seine Wände sind
in ihrer ganzen Länge mit dem einheitlichen “ursprünglichen
Epithel der Müller’schen Gänge ausgekleidet. Im Laufe des
1) F. A. R. Dohrn, Zur Kenntniss der Müller’schen Gänge
und ihrer Verschmelzung. Schriften der Gesellschaft zur Beförderung
der gesammten Naturwissenschaften zu Marburg Bd. IX. Marburg und
Leipzig, 1872. |
« 2) Derselbe, Ueber die Entwickelung des Hymens. — Schriften
‚der Gesellschaft zur Beförderung der gesammten Naturwissenschaften
zu Marburg. Bd.X, Supplement-Heft I. Cassel, 1875. 4°.
3) Tourneux und Legay, Memoire sur le developpement de
l’Uterus et du Vagin. Journal de l’Anatomie et de la Physiologie. 1884.
622 Ww. Nagel:
dritten Monats erleidet dieses Epithel eine Veränderung, indem
es sich nach und nach umwandelt: in dem unteren Theile des
Genitalstranges in ein mehrschichtiges Pflasterepithel (Epithelium
pavimenteux stratifi6), im dem oberen Theile in Cylinderepithel
(Epithelium prismatique). Die erste Anlage der Portio vaginalis
uteri haben die Verfasser bei einem menschlichen Embryo von
16,5 em Länge gesehen und zwar in der Weise, dass das Epithel
sichelförmig in die bindegewebig-museulöse Wand des Genital-
stranges einwucherte.
v. Mihalkoviez!), auf dessen Arbeit zurückzukommen ich
mehrfach Gelegenheit haben werde, fand bei einem 14 em langen
Embryo Vagina und Uterus deutlich gesondert und sagt (a. a. 0.
S. 348): „an der Grenze zwischen Uterus und Vagina hat die
Scheide als Einleitung zur Bildung des Fornix eine geringe Di-
latation erhalten, oberhalb welcher die Stelle des Muttermundes
liegt“.
3
. Kölliker?) verlegt die Trennung zwischen Uterus und
Vagina in den fünften und sechsten Monat, und zwar beginnt,
nach diesem Forscher, der Uterus sich dadureh abzugrenzen,
dass an der Stelle des späteren Orifieium externum ein leichter
ringförmiger Wulst entsteht, der dann nach und nach in den
letzten Monaten der Schwangerschaft zur Vaginalportion sich
gestaltet. |
Zu einem ähnlichen Ergebnisse kam van Ackeren?), in-
dem er das erste Zeiehen einer Differenzirung bei menschlichen
Embryonen aus der zweiten Hälfte des vierten Monats fand und
zwar als eine plötzliche Erweiterung des Genitalkanals unterhalb
einer engen spaltförmigen Stelle, dem Orificium uteri externum;
damit verbunden war eine Wandverdiekung in derselben Höhe
und im nächst höheren Abschnitte des Uterus®). Das ausklei-
1) G. v. Mihalkovicz, Untersuchungen über die Entwickelung
des Harn- und Geschlechtsapparates der Amnioten. Internationale
Monatsschrift für Anatomie und Histologie. Bd. II. Paris, Leipzig,
Londen, 1885.
2) A. v. Kölliker, Entwickelungsgeschichte des Menschen und
der höheren Thiere. 2. Aufl. Leipzig, 1879, S. 992.
3) F. van Ackeren, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der
weiblichen Sexualorgane des Menschen. Inaug.-Diss. Zeitschrift für
wissenschaftliche Zoologie Bd. XLVII, S. 20.
4) Bei Thieren hat E. von Baer (Ueber Entwickelungsgeschichte
h IX it
Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 623
dende Epithel zeigt nach dem genannten Forscher ausserdem im
unteren Theile des Uterus und in der Vagina nicht mehr den
Charakter des Cylinderepithels bei jüngeren Embryonen, sondern
erscheint als Pflasterepithel beziehungsweise aus kubischen und
rundlichen Zellen zusammengesetzt. In Bezug auf die Entstehung
der Portio vaginalis schliesst van Ackeren sich der oben an-
geführten Ansicht Tourneux’ an, jedoch sagt er (a.a. 0. S. 17),
dass er bei einem Embryo aus der Mitte des fünften Monats
(Körperlänge 24,5, Rumpflänge 13,5 em) einen deutlich ausge-
bildeten Fornix vaginae anterior gesehen hat, während von einem
Fornix posterior nichts zu bemerken war.
Cadiat?!) sagt, dass im dritten Monat noch keine Grenze
zwischen Uterus und Vagina bestehe. Im vierten Monate soll
eine Portio von 4mm Länge vorhanden sein. Bei einem mensch-
lichen Embryo weiblichen Geschlechts von 13 cm Länge fand er
einen wohlausgebildeten Uterus, aber ohne Unterschied zwischen
Collum und Corpus. Die Arbeit Cadiat’s enthält indessen, wie
auch van Ackeren mit Recht hervorhebt, so grosse Wider-
sprüche, dass es schwer ist, sich eine klare Vorstellung über die
Ansichten des Verfassers zu bilden.
Die neueste Arbeit, welche die uns hier beschäftigende
Frage streift, nämlich diejenige von Schaeffer?), beschäftigt
sich nur mit älteren Embryonen. 3
In den allgemein bekannten Lehrbüchern der Anatomie und
Entwickelungsgeschichte werden im wesentlichen die oben ange-
führten Ansichten vertreten, und der gegenwärtige Stand der
Frage lässt sich demnach folgendermaassen kennzeichnen: An-
fänglich ist der Genitalstrang (im Sinne von Thiersch) in
seiner ganzen Länge mit dem ursprünglichen Cylinderepithel der
der Thiere. Königsberg, 1828—1837) etwas ähnliches gefunden, indem
er sagt (S. 224): „— es erweitert sich nämlich der, kurze gemeinschaft-
liche Kanal von der Ausmündung aus gegen die beiden Eileiter, wird
in seiner Wand dicker und theilt sich durch einen nach innen ring-
förmig vorspringenden Wulst in Scheide und Hals des Fruchthalters.“
1) M. OÖ. Cadiat, M&emoire sur l’Uterus et les Trompes. Journal
de l’Anatomie et de la Physiologie. Paris, 1884, S. 409.
2) OÖ. Schaeffer, Bildungs-Anomalien weiblicher Geschlechts-
organe aus dem fötalen Lebensalter mit besonderer Berücksichtigung
der Entwickelung des Hymen. Archiv für Gynäkologie Band 37.
Berlin, 1890.
264 W. Nagel:
Müller’schen Gänge ausgekleidet und zeigt ein gleichmässiges
Aussehen; eine Trennung desselben in Uterus und Vagina findet
erst um die Hälfte der Schwangerschaft statt dureh Bildung der
Portio vaginalis. Etwas früher, nämlich im Laufe des dritten
Monats, wandelt das Epithel des unteren Abschnittes des Geni-
talstranges sich in ein mehrschichtiges Pflasterepithel um (Tour-
neux und Legay).
Meine Untersuchungen haben ein etwas anderes Ergebniss
schabt; zum Theile mag dieses davon herrühren, dass ich in der
Lage war, eine ziemlich vollständige, fortlaufende Reihe mensch-
lieher Embryonen von 1,1 em Länge und aufwärts unter-
suchen zu können und somit die Ausbildung des Genitalstranges
von einer sehr frühen Entwickelungsstufe an Schritt für Sehritt
zu verfolgen.
Einige Hunderte mensehlicher Embryonen, welche ich in
meiner mehrjährigen Thätigkeit als Assistenzarzt der Gusse-
row’schen Klinik nach und nach, zum Theil mit freundlicher
Unterstützung meiner Collegen, der Herren Doctoren Meyer,
Hensoldt, Schwarze, Vowinkel, Hünermann, gesammelt
habe, sind von mir untersucht worden. Durch die Reichhaltig-
keit des Materials, für dessen freundliche Ueberlassung ich Herrn
Professor Gusserow, meinem hochverehrten Lehrer, auch an
dieser Stelle meinen aufriehtigen Dank sage, war ich in der
glücklichen Lage, eine Auswahl treffen zu können, und ich habe
nur diejenigen Objekte für meine Schlussfolgerungen verwendet,
welche sich .bei der mikroskopischen Untersuchung von tadel-
loser Beschaffenheit zeigten. Die Embryonen habe ich theils in
Müller’scher Flüssigkeit, theils in Alkohol, Kleinenberg'’scher,
Flemming’scher oder Fol’scher Lösung gehärtet. Die klei-
neren Objekte wurden ganz in die Härtungsflüssigkeit eingelegt,
von den grösseren habe ich das Becken abgetrennt und nur
dieses gehärtet und zwar unter Belassung der Genitalorgane in
ihrer natürlichen Lage. |
Vor der Durehfärbung und Einbettung in Paraffin habe
ich bei den grösseren Embryonen die Skelettheile entfernt, dabei
jedoch jede Berührung der Genitalorgane möglichst vermieden;
von den kleineren wurde der ganze Unterkörper in Paraffin ein-
geschmolzen. Mittels eines Schlitten-Mikrotoms (von Becker in
Göttingen) wurden die in obiger Weise hergerichteten Präparate
zT
Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 625
in Reihenschnitte zerlegt theils in frontaler, theils in sagittaler
oder querer Richtung und in üblicher Weise weiter behandelt.
Dem Direktor des I. anatomischen Instituts zu Berlin, Herrn
Geh. Medieinal-Rath Prof. Dr. Waldeyer sage ich für seine
freundliche Theilnahme und werthvollen Rathschläge, die er mir
auch während dieser Arbeit hat zu Theil werden lassen, meinen
liefgefühlten Dank.
Dureh frühere Untersuchungen habe ich!) nachgewiesen,
dass der Müller ’sche Gang bei ganz jungen menschlichen Em-
‚bryonen (von 11—15mm Länge) beiderlei Geschlechts als eine
_ triehterförmige Einstülpung des Coelomepithels der Urniere an-
gelegt wird, welche mit ihrem soliden, spitz zulaufenden Ende
dem Wolff’schen Gange dieht anliegt, wobei eine innige Ver-
„bindung des Epithels der beiden Gebilde eintritt, jedoch ohne
dass es, wie es scheint, zu einer Verschmelzung kommt.
Während der weiteren Entwickelung wächst der Müller'sche
Gang der ventralen Wand des Wolff’schen Ganges entlang ab-
wärts, bis er den Sinus urogenitalis erreicht. Dadurch, dass die
ventrale Kante der Urniere durch eine spiralige Drehung des
ganzen Organs nach innen, das heisst nach der Längenachse des
embryonalen Körpers zu, allmählich umbiegt, wird es erklärlich,
weshalb der Müller'sche Gang, der in dem proximalen Theile
der Urniere nach aussen von dem Wolff’schen liegt, in dem
distalen Theile des Organs, in der Plica urogenitalis (Wal-
deyer) und in dem Genitalstrange (Thierseh) nach innen von
dem genannten Gange belegen ist. Auf der letztgenannten Strecke
liegen die beiden Müller’schen Gänge dieht aneinander; ihre
nach innen liegenden Wandungen berühren sich und werden
gleichzeitig an mehreren Stellen durchbrochen: durch diesen
Vorgang entsteht schliesslich aus den ursprünglich getrennten
Gängen ein einziger Hohlraum. Ferner habe ich?) nachgewiesen,
dass die solide Spitze des Müller'schen Ganges aus eigen-
artigen eubischen protoplasmareichen Zellen besteht, ganz gleich,
ob es sich um weibliche oder männliche Individuen handelt.
I) W. Nagel, Ueber die Entwickelung des Urogenitalsystems
des Menschen. Archiv für mikrosk. Anatomie Bd. 34, 1889.
2) 8. a’.0.
626 W. Nagel:
Während des Abwärtswachsens des Müller’sehen Ganges ändern
die genannten Zellen ihr Aussehen nicht; in dieser ganzen
Periode, von der ersten Anlage des Ganges als röhrenförmiges
Gebilde bis zur Erreichung des Sinus urogenitalis, kann man
vielmehr zwei Abtheilungen an demselben deutlich
von einander unterscheiden: nämlich einen proximalen
(grösseren) Abschnitt, welcher ein deutliches Lumen besitzt und
dessen Wände mit hohen und schmalen Cylinderzellen ausgekleidet
‘sind, und einen distalen (kleineren) Abschnitt, weleher keine
Höhlung besitzt und aus den oben gedachten grossen Zellen von
vorwiegend eubischer Gestalt gebildet wird.
Dieser Unterschied in der epithelialen Auskleidung besteht
auch noch fort, nachdem die Müller’schen Gänge den Sinus
urogenitalis erreicht haben. Zahlreiche Schnittreihen in den
oben erwähnten Körperrichtungen durch das Becken von mensch-
lichen Embryonen, weiblichen Geschlechts, mit einer Rumpf-
länge von 3 bis 4!/,cm haben übereinstimmend folgenden Be-
fund gegeben (siehe Fig. 1, Tafel XXXV): Der Geschlechtsstrang
und die angrenzenden Theile der Plicae urogenitales (der spä-
teren uterinen Abschnitte der Tuben mit angrenzendem Stück‘
der Ligamenta lata) zeigen eine seichte dorso-ventrale Krümmung
mit vorderer Concavität. An seinem proximalen Ende ist der
Geschlechtsstrang gabelförmig getheilt, während sein distales
Ende etwas spitz zulaufend die hintere Wand des Sinus urogeni-
talis in schräger Richtung durehbohrt und in diesen hügelartig
hineinragt; die hierdurch entstandene Erhabenheit hat v. Mihal-
koviez!) mit dem Namen „Müller’scher Hügel“ belegt. In
seinem mittleren Theil zeigt der Geschlechtsstrang eine gleich-
mässige spindelförmige Verdiekung und besteht in seiner ganzen
Länge aus dicht angehäuften mesodermalen Bildungszellen ?),
zwischen welchen einzelne Gefässverzweigungen deutlich zu er-
kennen sind. Der Geschlechtsstrang umschliesst folgende epi-
theliale Gebilde:
1) a. a. 0. 8.330. j
2) Ich bemerke hierbei, dass ich unter „Bildungszellen“ die-
Jenigen zelligen Elemente verstehe, aus welchen die nicht epithe-
lialen Bestandtheile eines Organs ihren Ursprung nehmen und welche.
noch keine histologische Differenzirung (in Bindegewebs- oder Muskel-
zellen) zeigen.
- Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 627
1. DieMüller’schen Gänge, welche in dem proximalen
Abschnitte, der oben erwähnten gabeligen Theilung entsprechend,
divergirend nach den Plicae urogenitales verlaufen, in dem mitt-
leren Absehnitte dagegen dieht aneinander liegen und an meh-
_ reren Stellen — bei Embryonen von 3,5 bis 4em in ihrer ganzen
Länge — zu einer einzigen epithelialen Röhre mit (auf dem
Querschnitte) quer-ovalem Lumen verschmolzen sind. Das bisher
geschilderte (proximale) Stück des Ganges ist mit einem Epithel
ausgekleidet, welches aus 16—25 u hohen schmalen Cylinder-
zellen mit länglichem Kern besteht. Bei Embryonen der oben
erwähnten Grösse ist jedoch der Epithelsaum in dem mittleren
Abschnitte, der oben erwähnten spindelförmigen Verdiekung des
Geschlechtsstranges entsprechend, etwas höher, er misst an dieser
Stelle 32—40, bis 50 u (je nach der Grösse des Embryo) und
hat — bei Embryonen von 4--4,5 em Rumpflänge — auf Längs-
schnitten einen wellenförmigen Contur; auch liegen hier, wie es
scheint, die Cylinderzellen in mehreren Schichten über einander.
Das letzte (distale) Stück des Ganges, der oben erwähnten
distalen Verjüngung des Geschlechtsstranges entsprechend, und
zwar bis zu einer Entfernung von 80 u von der Mündung in den
Sinus urogenitalis, hat, wie bemerkt, kein Cylinderepithel und
zeigt keine Höhle; es ist ausgefüllt mit grossen protoplasma-
reichen Zellen, welche rundliche blasse_ Kerne tragen und im
Uebrigen dasselbe Verhalten zeigen, wie auf früheren Entwicke-
lungsstufen des Müller’schen Ganges (siehe vorne).
An Sagittalschnitten durch den Geschlechtsstrang erkennt
man, dass die Mündung bei den verschiedenen Embryonen ein
etwas verschiedenes Aussehen hat, indem die Ränder der Mün-
dung (Lippen) bald gegen einander umgekrümmt sind, bald pa-
rallel zu einander stehen !).
Da, wie eben gesagt, das distale Ende keine Höhle besitzt,
so ist es einleuchtend, dass von einer Verschmelzung in dem-
selben Sinne wie höher oben, wo zwei Röhren zu einer sich ver-
einigen, nicht die Rede sein kann. Eine Grenze zwischen den
epithelialen Massen der beiden Gänge lässt sich an meinen Prä-
paraten aus dieser Entwickelungsstufe nicht nachweisen; es ist
1) Fig. 1a, Tafel XXXV zeigt einige Beispiele von diesem un-
gleichmässigen Verhalten der erwähnten Mündung.
628 NW N age!
demnach unmöglich zu entscheiden, welehe Zellen dem einen
und welche dem anderen Müller'schen Gange angehören. Von
diesem Gesichtspunkte aus kann ich mieh mit‘ Dohrn und
Thiersch emig erklären, dass die Müller’schen Gänge in der
Regel nieht getrennt in den Sinus urogenitalis einmünden. Ich
bemerke aber, dass ich bei jüngeren Embryonen (von 3 em) noch
dieht oberhalb des soliden Endes zwei Röhren gesehen habe,
während höher oben die Verschmelzung vollzogen war.
Das solide epitheliale Ende der vereinigten Müller’schen
Gänge vermittelt also die Verbindung des Geschlechtsganges mit
dem Sinus urogenitalis; es ragt hügelartig in denselben hinein,
wobei das Epithel des Sinus etwas vorgestülpt wird. Das gilt
besonders für die seitliche Begrenzung, wo die beiden Epithelien
ganz gut von einander zu trennen sind (siehe Fig. 2, Tafel XXXV);
auf der Höhe des Epithelhügels findet dagegen, wie es scheint,
entweder eine innige Verschmelzung der beiden Epithelarten oder
eine Atrophie des Sinusepithels statt; wenigstens lässt sich hier,
an der Stelle des späteren Orificium vaginae vestibulare, keine
Grenze nachweisen (siehe Fig. 2, Tafel XXXV).
Aus dem eben geschilderten Verhalten des distalen Endes
geht hervor, dass eine offene Einmündung der Müller’schen
Gänge nicht bestehen kann und ich habe bei Embryonen dieser
und der nächstfolgenden Grösse auch niemals eine solche gesehen.
Dieser Befund stimmt also bis zu einem gewissen Grade mit
demjenigen von Kölliker!) und Mihalkoviez überein, indem
diese beiden Forscher die Müller’schen Gänge bei Embryonen
von 3,5 bis 4 em Länge, beziehungsweise (Kölliker) aus dem
4. Monate, als blind endigenden beschreiben. Ich betone aber,
dass man den Verschluss nicht etwa als durch eine bindegewe-
bige Membran bewerkstelligt auffassen darf; derselbe ist aus-
schliesslich epithelialer Natur und kommt in der oben be-
schriebenen Weise zu Stande.
2. Die Wolffsehen Gänge. Dieselben verlaufen zu
beiden Seiten der Müller’schen Gänge. In dem proximalen
1) A.v.Kölliker, Einige Beobachtungen über die Organe junger
menschlicher Embryonen. Sitzungsberichte der physik.-med. Gesell-
schaft zu Würzburg. 1883.
2) v. Mihalkoviez, a. a. O. S$. 349.
ae Sa u EETEN
Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 629
Abschnitte des Geschlechtsstranges beträgt die Entfernung 1—2 u,
während sie distalwärts den vereinigten Müller’schen Gängen
dicht anliegen; jedoch vermag man die beiden Gänge auf dieser
Entwiekelungsstufe bis zu ihrer Einmündung in den Sinus uroge-
nitalis deutlich von einander abzugrenzen (siehe Figg. 2 u. 5).
Das Epithel der Wolffschen Gänge besteht aus Cylinder-
zellen, deren Protoplasma in geringerem Grade Farbstoff aufnimmt,
als die Epithelzellen des Müller'schen Ganges und deren läng-
liche Kerne excentrisch (nach dem Lumen des Ganges hin) liegen.
Die Mündungen der Wolff'schen Gänge in den Sinus urogeni-
talis finden sich — als notliwendige Folge der Entwickelung der
Müller’schen Gänge — dieht neben der Einmündung dieser und
in gleicher Höhe. Das gilt aber nur von derjenigen Ent-
wickelungsstufe, wo die Müllerschen Gänge den Sinus
urogenitalis soeben erreicht haben; um diese Zeit sind
die Wolffschen Gänge noch mit einem deutlichen Lumen ver-
sehen. Sobald aber der Geschlechtsstrang zu wachsen begimnt,
so tritt in dem Verhalten der Mündungen der beiden Gänge zu
einander eine bedeutende Aenderung ein, welche weiter unten
besprochen werden soll.
Der Geschlechtsstrang bei männlichen Embryonen der-
selben Grösse unterscheidet sich von den eben geschilderten Ver-
hältnissen in folgenden Punkten: ä
Unter Beibehaltung der gabelförmigen Gestalt ist der proxi-
male Theil viel dünner und schwächer entwickelt, als bei weib-
lichen Individuen; auch macht sich an dieser Stelle eine begin-
nende Atrophie der Müller’schen Gänge bemerkbar, indem ihr
Lumen enger wird und das Epithel sein eigenthümliches Aussehen
einbüsst. Dagegen zeigen die Wolff’schen Gänge eine stärkere
Entwickelung, indem ihr Lumen etwas weiter wird; gleichzeitig
treten die einzelnen Zellen ihres Epithels, dadurch, dass ihr Proto-
plasma Farbstoff aufnimmt, schärfer hervor. Die untere Hälfte
des Geschlechtsstranges zeigt in dieser Entwiekelungsperiode ein
fast gleiches Aussehen bei beiden Geschlechtern; auch bei männ-
liehen Individuen ist nämlich das letzte Stück der vereinigten
Müller'schen Gänge solid und besteht aus grossen eubischen Zel-
len, während der übrige Theil des &anges mit einem hohen Cy-
linderepithel ausgekleidet ist. Die Einmündungen der vereinigten
Müller’schen und der Wolff’schen Gänge in den Sinus urogeni-
630 W. Nagel:
talıs verhalten sich so, wie oben für-die weiblichen Embryonen
beschrieben wurde (siehe Fig. 3, Taf. XXXV).
Infolge des innigen Zusammenhanges in der Entwickelung
der Wolff'schen und der Müller’schen Gänge sowie der Ure-
teren ist die topographische Werthstellung der Mündung der ver-
einigten Müller’schen Gänge bei beiden Geschleehtern leicht zu
bestimmen. Wie ich früher !) beschrieben habe, münden die
Wolff'schen Gänge bei menschlichen Embryonen von 12 bis 15 mm
Länge in die hintere Wand des Urachusschlauches so ziemlich in
derselben Höhe wie die Ureteren, aber etwas mehr nach innen.
Durch die Entwickelung eines Theiles des Urachusschlauches zur
Blase entfernen sich allmählich die Ureteren von den Wolff-
schen Gängen, so dass man schon bei Embryonen beiderlei Ge-
schlechts von 20—22 mm Länge von einem Trigonum vesicae
Lieutaudii reden kann; die untere Spitze des Dreiecks wird von
den dicht aneinander liegenden Mündungen der beiden Wolff-
schen Gänge bezeichnet und die topographische Lage der Ein-
mündungen der vier Kanäle (die beiden Wolff’schen Gänge und
die beiden Ureteren) ist bei beiden Geschlechtern dieselbe.
Da nun die Müller’schen Gänge in gleicher Weise bei bei-
den Geschlechtern den Wolff’'schen Gängen entlang abwärts
wachsen und in gleicher Weise den unteren Abschnitt des Urachus-
schlauches (= Sinus urogenitalis) erreichen, nämlich zwischen
den Einmünduugen der beiden Wolff'schen Gänge, so ist es
von einem entwickelungsgeschichtlichen Standpunkte aus klar,
dass, wie Mihalkoviez ?) auch betont, das Orifieium vaginae vesti-
bulare mit dem Caput Gallinagimis gleichwerthig sein muss. Nur
bei männlichen Individuen bleibt das Trigonum vesicae Lieutaudii
im eigentlichen Sinne des Wortes bestehen, während es bei weib-
lichen Individuen von dem Augenblicke an verschwindet, wo das
distale Ende der vereinigten Müller’schen Gänge in die Länge
zu wachsen beginnt. Zur Klarstellung der Bedeutung der so-
genannten Gartner’schen Kanäle beim Weibchen und für das
Aufsuchen der Endigungen derselben, worüber noch grosse
Uneinigkeit herrscht, ist es wichtig die oben geschilderte topo-
graphische Lage der Mündungen der Ausführungsgänge des Uro-
“
1)'d.'&.10..87368,
2) Mihalkovicz, a.a.0. 8. 330.
Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 631
genitalsystems auf den frühesten Entwiekelungsstufen in Erinne-
rung zu behalten.
Ich muss Dohrn Recht geben, wenn er es als falsch be-
zeichnet, den Sinus urogenitalis als einen Blindschlauch darzu-
stellen, in dessen obere Wand die Müller’schen Gänge einmünden.
Derartige Verhältnisse bestehen überhaupt nicht während der
- ganzen Entwickelung des menschlichen Urogenitalsystems, wenig-
stens nicht, soweit meine Untersuchungen zurückreichen.
Bevor ich zur Schilderung der weiteren Entwickelung über-
gehe, möchte ich die Bemerkung vorausschicken, dass die Länge
keinen sicheren Maassstab abgiebt für die Bestimmung des Alters
und der Entwiekelung des Embryo. Embryonen gleicher Grösse
zeigen nämlich unter sich manchmal eine grosse Verschiedenheit
in der Entwickelung sowohl der Körperhüllen wie der inneren
Organe.
Andererseits muss ich aber bestreiten, dass ein so grosser
Unterschied in dem Verhältnisse zwischen Alter und Länge be-
stehen solle, wie aus der Arbeit Mihalkoviez’ hervorzugehen
scheint; dieser Autor sagt z.B. (a.a. O.S.334) von einem 5,D.em
langen Embryo, dass derselbe ca. 5 Monate alt sei und das Alter
- eines 14 em langen Embryo berechnet er ebenfalls auf 5 Monate
(a.a. 0.5. 348).
Da augenscheinlich auch die Individualität eine Rolle spielt
bei dem früheren oder späteren Erscheinen dieses oder jenes Ge-
bildes, so ist es nach meinem Dafürhalten bis jetzt nieht möglich,
den Zeitpunkt für die erste Anlage z. B. der Portio vaginalis be-
stimmt anzugeben. Wir sehen auch, dass grosse Widersprüche
in der Zeitangabe der Autoren über diesen Punkt bestehen; so
verlegen Kussmaul, Tourneux und Legay das Erscheinen
der Portio vaginalis uteri in den dritten Monat, v. Ackeren,
Dohrn, Kölliker in den fünften Monat.
Aus diesem Grunde nehme ich davon Abstand, die einzelnen
Embryonen je nach ihrer verschiedenen Länge genau zu beschrei-
ben. Letzteres würde leicht zu einer ermüdenden Wiederholung
führen und ich ziehe es desshalb vor, eine gemeinsame Schilde-
rung der Vorgänge in der nächstfolgenden Entwickelungs-
periode zu geben, nämlich bis zum Erscheinen der Portio vagi-
nalis. Diese Periode umfasst Embryonen mit einer Rumpflänge
von 5—12—15 cm und ich werde zunächst nur die weib-
TEE EEE TERTEN ENE
EEE
632 W. Nagel:
liehen Individuen berücksichtigen. Die wichtigsten Entwicke-
lungsvorgänge bei diesen sind folgende:
Zu der bei Embryonen der vorhergehenden Entwickelungs-
stufe beschriebenen dorso-ventralen Krümmung des Geschlechts-
stranges mit vorderer Concavität kommt noch -eine besondere
Neigung des obern Abschnittes des Geschlechtsstranges nach vorn
hinzu, welche bei einigen Embryonen einen auffallend hohen Grad
erreicht. So war bei zwei Embryonen mit einer Rumpflänge von
6 (siehe Fig, 15, Taf. XXXVI) und 12!/, em die Beugung nach
vorne eine so starke, dass der obere Theil des Geschlechtsstranges
horizontal zur Körperachse lag. Bei beiden Embryonen begann
die Kniekung dort, wo der die Höhle des Geschlechtsstranges
auskleidende Epithelsaum anfängt höher zu werden und Einsen-
kungen in die Tiefe zu treiben. Von dem erstgenannten 6 em
langen Embryo besitze ich auch Schnittreihen durch die seitlichen
Theile des Beckens, welche erkennen lassen, dass die erwähnte
starke Beugung nach vorme sich bis in die seitlichen Partien
der Plieae urogenitales erstreckt.
An den gabelförmig getheilten proximalen Enden des Ge-
schlechtsstranges ist die Verschmelzung der beiden Müller’schen
Gänge weiter fortgeschritten und hat jetzt ihren Höhepunkt er-
reicht. Die Gestalt des erwähnten Abschnittes lässt jedoch deut-
lich die ursprünglich doppelte Anlage erkennen, indem derselbe
viel breiter ist, als der übrige Theil des Geschlechtsstranges und
auf seiner Kuppe mit einer seichten herzförmigen Einkerbung ver-
sehen ist (siehe Fig. 4, Taf. XXXV).
Die Eierstöcke sind in das kleine Becken herabgesunken
und liegen bei den älteren Embryonen mit ihren untersten Spitzen
hinter der Kuppe des Geschlechtsstranges.
Der Wollf’sche Körper ist in starker Rückbildung begriffen
und nur als schwache Spur zwischen Tuba und Ovarium zu er-
kennen.
Die Tube zeigt ungefähr in ihrer Mitte eine stumpfwinklige
Kniekung und ausserdem mehrere seichte Faltungen. Wie die
Beobachtung der unmittelbar auf einander folgenden Entwicke-
lungsstufen lehrt, entspricht die Kniekung derjenigen Stelle inner-
halb des Wolff’schen Körpers, wo derselbe — und infolgedessen
auch der Wolff’sche und Müller’sche Gang — bei Jüngeren
Embryonen nach innen abbiegt.
Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 633
Die Entstehung der Faltungen lässt sich wohl ungezwungen
folgendermaassen erklären: Die Tuben wachsen fortwährend und
schritthaltend mit der übrigen Entwickelung des Embryo; durch
das Herabsinken der mit ihnen eng verbundenen Eierstöcke wer-
den sie jedoch verhindert, der Länge nach sich auszudehnen und
müssen infolgedessen sich in Falten legen.
Sagittalsehnitte durch das Becken lassen an dem Geschlechts-
strange deutlich zwei Hauptabschnitte erkennen. Der leich-
teren 'Uebersicht halber werde ich jeden der beiden Abschnitte
- für sich besprechen.
1. Der proximale Abschnitt zeigt die schon erwähnte
Neigung und Beugung nach vorne und ist durchweg mit einer
Höhle versehen, welche, der äusseren Form entsprechend, oben
am breitesten ist; eine epitheliale Scheidewand habe ich an die-
ser Stelle nicht gesehen, die Verschmelzung zu einer Höhle ist
vielmehr, so weit meine Untersuchungen reichen, eine vollkommene.
Um diese Zeit ist es also besonders die äussere Form, welche
die doppelte Anlage des Geschlechtsstranges verräth.
In dem sehr zellenreichen (embryonalen) Gewebe der Wan-
dungen dieses Abschnittes verzweigen sich zahlreiche Gefässe;
in der Nähe der Höhle, senkrecht auf diese verlaufend, sieht
man in regelmässigen Zwischenräumen zahlreiche Züge von zarten
Fasern, welche sich allmählich in die Wand verlieren, ohne den
peritonealen Ueberzug zu erreichen; sie sind am deutlichsten in
den oberen Partien. Im übrigen ist es auffallend, dass glatte
Muskelfasern während dieser Entwickelungsstufe im Geschlechts-
strange nicht sichtbar sind, während doch Blase und Mastdarm
bei ganz jungen Embryonen (von 3,5—4 em Länge) mit zahl-
reichen Bündeln deutlicher glatter Muskelfasern versehen sind.
Die Erklärung dieser Thatsache liegt wohl darin, dass Mastdarm
und Blase viel früher in Thätigkeit treten müssen, als der Geni-
taltractus und infolgedessen auf einer sehr frühen Entwickelungs-
stufe ihre endgültige Gestalt und ihre völlig organisirten Bestand-
theile bekommen.
Erwähnen will ich noch, dass ich bei einem in Kleinen-
berg’scher Lösung gehärteten und mit Hämatoxylin gefärbten
Embryo von Sem Rumpflänge an sagittalen Längsschnitten durch
den Geschlechtsstrang einen grossen Nervenstamm mit seinen Ver-
zweigungen habe verfolgen können. Der Hauptstamm lag in der
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 37 42
634 W.-Nagel:
Seitenwand des proximalen Abschnittes und schiekte seine Zweige
in die vordere und hintere Wand desselben.
Das Epithel des proximalen Abschnittes besteht durchweg
aus hohen schmalen Cylinderzellen mit länglichen Kernen. Es
hat aber nicht überall ein gleichartiges Aussehen, indem es in
dem oberen Dritttheile einschichtig ist bei einer Höhe von 12 bis
16—-28 u (je nach der Entwickelungsstufe des Embryo), während
es in den unteren zwei Dritttheilen anscheinend aus mehre-
ren Schichten besteht (bei einer Höhe von 2532-42 u).
Diese allmählich anschwellende Epithelverdiekung hat bei jünge-
ren Embryonen (von 4—8 cm Rumpflänge) mitunter ein welliges
Aussehen, während sie bei etwas älteren Embryouen von 10 bis
12 em Rumpflänge kleine Einsenkungen in die Tiefe zeigt. Da,
wo das Epithel niedriger ist, also in den oberen Partien, sind
keinerlei Einsenkungen zu bemerken. |
2. Der distale Abschnitt beschreibt bei jüngeren Em-
bryonen einen seichten Bogen nach unten, bevor er in den Sinus
urogenitalis mündet, bei etwas älteren Embryonen (von 6—7 em
Rumpflänge aufwärts) hat er einen mehr gestreckten Verlauf;
seine Längsachse bildet nicht eine gerade Fortsetzung derjenigen
des proximalen Abschnittes, sondern bildet mit dieser einen stumpfen
Kniekungswinkel (siehe Figg. 12—14, Tafel XXXVD, welcher
gleichwerthig ist mit dem ursprünglichen (ersten) Kniekungswinkel
des Geschleehtsstranges (siehe vorm). Die Wände des distalen
Abschnittes werden von zellenreichem embryonalem Gewebe ge-
bildet, in welchem zahlreiche Capillaren sich verzweigen; die bei
der Beschreibung des proximalen Abschnittes erwähnten senkrecht
zur Höhle verlaufenden Faserzüge finden sich hier nirgends.
Der Geschlechtsgang bietet im ganzen Bereiche dieses Ab-
schnittes dasselbe Aussehen, wie bei den Embryonen der vorhin
beschriebenen Gruppe, indem er hier wie dort mit grossen proto-
plasmareichen Zellen ausgekleidet ist, welche das ganze Lumen
des Kanals ausfüllen. Je älter der Embryo, um so mehr nimmt
dieser distale Abschnitt an Länge zu; gleichzeitig tritt eine ge-
wisse Aenderung in dem Verhalten der Epithelzellen ein, indem
sie im ganzen etwas kleiner werden, den Wänden entlang sich
regelmässig ordnen und nach der Mitte zu platt werden; zur
Bildung einer Höhle kommt es jedoch auf dieser Ent-
wiekelungsstufe nicht. Ich kann desshalb Tour-
Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 635
neux!) in keiner Weise beipflichten, wenn er die Sachlage so dar-
stellt, als bestände in dem distalen Abschnitte von vorneherein eine
Höhle, die sich nach und nach schliesse, indem die Wände mit
einander verkleben. Auf diese nachträgliche Verklebung legt
Tourneux so grosses Gewicht, dass er am Schlusse seiner hier
angeführten Arheit gelegentlich der Beschreibung eines Embryo
von 13 cm Rumpflänge als eine Merkwürdigkeit erzählt, dass eine
- Verklebung noch nicht stattgefunden hatte, obwohl die Portio va-
ginalis schon angelegt war. Nach meinen Untersuchungen muss
ich vielmehr daran festhalten, dass während der ganzen hier in
Frage kommenden Entwickelungsperiode keine präformirte Höhle
in dem unteren Abschnitte besteht, welche nachträglich verklebt.
- Dureh die vorhin erwähnte Umänderung der median belegenen
- Zellen in platte Epithelzellen tritt wohl in der Mittellinie des Kanals
eine gewisse Lockerung ein; es ist aber erst auf einer viel spä-
teren Entwickelungsstufe, nach Bildung der Portio vaginalis, dass
eine wirkliche Höhle durch Zerfall der medianen Schichten der
Plattenepithelien entsteht. Zeigen die Präparate aus der hier in
_ Rede stehenden Entwickelungsstufe eine Höhle im distalen Ab-
schnitte des Geschlechtsganges, so ist dieselbe nach meinen Unter-
- suchungen stets als eine künstliche zu betrachten, indem eine
kleine Zerrung genügt, um bei Embryonen von 8—12 em Rumpf-
länge die locker mit einander verbundenen Epithelwände ausein-
ander zu reissen. j
Dicht oberhalb des Orificium vestibulare tritt nach und nach
eine ampullenartige Erweiterung ein, indem an dieser Stelle eine
stärkere Anhäufung von Epithelzellen stattfindet (siehe Fig. 7,
- Tafel XXXV); zur Bildung einer Höhle kommt es jedoch hier
ebenfalls nicht. Das Orifieium vestibulare behält sein vorhin ge-
schildertes Aussehen und ragt als hügelartiger Vorsprung in den
Sinus urogenitalis hinem. Da, wo die hintere Wand des Sinus uro-
genitalis in die vordere Lippe des Orifieium vestibulare übergeht,
- habe ich an einigen Embryonen von 4—5!/, em Rumpflänge
- eigenthümliche, theils birnförmige, theils ceylindrische Zellen
gesehen (siehe Figur 1, Tafel XXXV). Bei etwas grösseren
Embryonen sind dieselben verschwunden, sie bilden also nur
eine vorübergehende Erscheinung und haben weiter keine Be-
1
u a a BER
1) Tourneux,a.2a. 0.
636 W. Nagel:
deutung. Da die erwähnten Zellen sich in der Gegend befinden,
wo bei männlichen Individuen die Prostata sich bildet, so sind
dieselben möglicherweise als Andeutung eines Organs aufzufassen,
welches ausschliesslich bei männlichen Individuen zur Entwicke-
lung kommt. DBestärkt wird diese meine Annahme dadurch, dass
bei männlichen Embryonen zur Zeit der Entwiekelung der Pro-
stata Zellen von ähnlicher Gestalt an derselben Stelle sich vor-
finden.
Die Abgrenzung des distalen Abschnittes nach oben wird
gegeben durch den Uebergang des cubischen Epithels in das
schon beschriebene hohe Cylinderepithel des proximalen Abschnittes.
Der Uebergang, welcher zuweilen an der hinteren Wand höher
liegt als an der vorderen, ist — darin pflichte ich Tourneux
bei — kein plötzlicher, sondern vollzieht sich allmählich inner-
halb einer Strecke von einigen Mikromillimetern (siehe Figg. 10
u.11, Tafel XXXV). Durch das Längenwachsthum des distalen
Abschnittes wird der Epithelübergang allmählich mehr und mehr
von dem Orifiecium vestibulare entfernt; jedoch bleibt die topo-
graphische Lage im kleinen Becken dieselbe. Abgesehen von
individuellen Abweichungen, die bei Embryonen ebenso häufig
sind wie bei Erwachsenen, wo bekanntlich eine grosse Verschieden-
heit herrscht in Bezug auf Länge, Gestalt und Ausbildung von
Uterus und Vagina (vergleiche auch Tourneux)!), so findet man
die Epithelgrenze meist oberhalb des Bodens des Cavum Dou-
slasii. Fällt man eine Senkrechte auf die höchste Stelle der durch
die mehrfach erwähnte Neigung des Geschlechtsstranges nach vorne
hervorgerufenen Krümmung der hinteren Wand, so liegt ferner
die Uebergangsstelle der beiden Epithelarten einige Mikromilli-
meter oberhalb dieser Linie. Je älter der Embryo, um so schärfer
wird der Epithelunterschied und um so constanter seime Entfer-
nung von den angeführten. Grenzlinien.
Die Wolff’schen Gänge sind, soweit sie innerhalb des Ge-
nitalstranges verlaufen, in Rückbildung begriffen. Ihre Mündung
ist nicht mehr deutlich zu erkennen, und sie scheinen in der Höhe
des erwähnten Epithelüberganges blind zu endigen; sie liegen
nicht mehr, wie auf früheren Entwickelungsstufen, den vereinigten
Müller’schen Gängen dicht an, sondern in einer gewissen Ent-
1). Doufneu x ar a0 73
;
}
\
24
i
Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 637
fernung, welche mit dem Wachsthum des Embryos noch zunimmt.
‘ Die Verödung schreitet schnell vorwärts, und die Regel ist, dass
man bei Embryonen mit 12—14 em Rumpflänge den W olff’schen
Gang als einen zusammenhängenden Kanal nur im Bereiche der
Plieae urogenitalis verfolgen kann, während man in dem Geschlechts-
strange denselben nur hier und dort als einzelne Epithelinseln zu
beiden Seiten des Geschlechtsganges trifft. Am deutlichsten habe
ich die Epithelinseln gesehen in der Höhe der Einmündung der
Ureteren in die Blase und zwar bei Embryonen von 6!/,—7T cm
Rumpflänge; die Epithelreste lagen zu beiden Seiten des Ge-
schleehtsganges, etwa 0,1 mm von diesem entfernt; bei einzelnen
Embryonen waren sie mit einer Höhle versehen und hatten eine
Ausdehnung von 58 X 64u. Bekanntlich hat Beigel!) für den
menschlichen Embryo zuerst die Ansicht ausgesprochen, dass diese
Epithelinseln als Ueberbleibsel der Wolff’schen Gänge aufzu-
fassen sind.
Die Verödung des distalen Endes der Wolff’schen Gänge
fängt zur selben Zeit an, wann das distale Ende der vereinigten
Müller’schen Gänge in die Länge zu wachsen beginnt. Die
Funktion der Wolff’schen Gänge ist um diese Zeit (bei Em-
bryonen von 4—5 em Rumpflänge) beendigt und sie betheiligen
sich nicht mehr an der weiteren Entwickelung des Geschlechts-
stranges — wenigstens nicht, wie Kölliker?) auch betont, mit
ihren epithelialen Elementen — und somit ist es erklärlich,
dass man in der Regel unterhalb des vorhin beschriebenen
Epithelüberganges in dem Geschlechtsgange, also unterhalb ihrer
ursprünglichen Mündungsstelle, keine Spur der W olff’ schen Gänge
mehr findet.
Selbstredend ist es nicht ausgeschlossen, dass Ausnahmen
vorkommen. So fand ich bei einem Embryo von 12 em Rumpf-
länge den Wolff’schen Gang noch zum grossen Theile erhalten.
Im Bereiche der spindelförmigen Verdiekung des Geschlechts-
stranges, da wo das Cylinderepithel des Geschlechtsganges die
oben besprochene Verdiekung zeigt, erweiterte derselbe sich zu
1) H. Beigel, Zur Entwickelungsgeschichte des Wolff’schen
Körpers beim Menschen. Centralblatt für die medicinischen Wissen-
schaften. 1878.
Zumolliker, a.a. 0. S. 9%.
638 W. Nagel:
einer 0,16 mm breiten Höhle. Diese war mit einem aus niedrigen
zierlichen Cylinderzellen bestehenden, 16 u hohen Epithel ausge-
kleidet; das Protoplasma der Zellen hatte nur in geringem Grade
Farbstoff aufgenommen und sie zeigten in ihrem ganzen Verhalten
eine grosse Aehnlichkeit mit den früher beschriebenen Epithel-
zellen der Wolff’schen Gänge. Im distalen Abschnitte des Ge-
schlechtsstranges desselben Embryo, nach vorne und hinten von
dem geschlossenen epithelialen Gange, fanden sich drei Kanäle,
welche eine verschieden lange Ausdehnung zeigten und weder
mit dem soeben beschriebenen Wolff’schen Gange, oder mit
dem Sinus urogenitalis noch unter sich in Verbindung standen.
Der längste dieser Kanäle war mit einem 10 u hohen, aus kurzen.
Cylinderzellen bestehenden Epithel ausgekleidet und zeigte stellen-
weise Andeutung eines Lumens. Derselbe liess sich fast in der
ganzen Länge des distalen Abschnittes verfolgen, ohne, wie ge-
sagt, den Wolff’schen Gang zu erreichen; distalwärts verschwand
er allmählich, ebenfalls ohne das Orificium vestibulare zu er-
reichen. Dieser Befund steht unter meinen Präparaten vereinzelt
da und es scheint mir fraglich, ob die erwähnten drei Bruch-
stücke epithelialer Kanäle überhaupt etwas mit den Wolff’schen
Gängen zu thun haben. Erwähnen will ich noch, dass ich bei
demselben Embryo, und zwar an derjenigen Stelle, wo bei männ-
lichen Individuen die Prostata sich bildet, mehrere traubenförmige
Einwucherungen des Sinusepithels fand. Wahrscheinlich haben
wir es hier mit eimer seltenen Missbildung zu thun, mit Erhal-
tung von Gebilden, die sonst nur dem männlichen Geschlechte
zukommen.
Auf Grund meiner Untersuchungen muss ich Tourneux
widersprechen, wenn er sagt, dass die Wolff’schen Gänge sich
mit ihren unteren Endstücken an der Bildung des Genitalkanals
in der Weise. betheiligen, dass sie mit den Müller’schen Gängen
verschmelzen. An einem menschlichen Embryo, weiblichen Ge-
schlechts, von 12,5em Länge meint Tourneux!) die innige
Verschmelzung des Genitalkanals mit den beiden Wolff’schen
Gängen gesehen zu haben und bildet auch ein solches Präparat
ab, nämlich einen Schnitt durch das vestibulare Ende der Va-
gina. Die epitheliale Masse, welche das distale Ende der Vagina
1) Tourneux, a. a. O. 358.
Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 639
füllt, soll nach Tourneux zwei längliche Spuren von gelblichen
Körnern zeigen („deux trainees longitudinales de granules jau-
nätres“), analog denjenigen, welche man im Inneren der Wolff-
schen Kanäle findet zur Zeit ihres Verschwindens.
Bei zwei menschlichen Embryonen von 9 und 13 em Länge
will van Ackeren!) gesehen haben, dass die Wolff’schen
Gänge, wenigstens der rechte, in die Vagina und nicht in den
Sinus urogenitalis mündeten.
Es seheint mir, als werden die von Tourneux und van
Ackeren aufgestellten Behauptungen nicht hinreichend durch
ihre Beschreibung, beziehungsweise durch ihre bildlich darge-
stellten Präparate gestützt, und ich habe etwas ähnliches unter
meinen Präparaten nicht gesehen. Nach meinen Untersuchungen
muss ich vielmehr folgende Darstellung für richtig halten: so
lange die Mündungen der Wolff’schen Gänge bestehen, liegen
dieselben allerdings dem Orificium vestibulare der vereinigten
Müller’schen Gänge dicht an, sind aber deutlich von denselben
zu trennen (siehe Figg. 2 und 3, Tafel XXXV). Da die Ver-
ödung im Gange ist, wenn das distale Ende der vereinigten
Müller’schen Gänge zu wachsen beginnt, so ist wohl ein fer-
neres Wachsen der Wolff’schen Gänge ausgeschlossen; in
Uebereinstimmung hiermit findet man ihre letzten Spuren dort,
wo sie ursprünglich in den Sinus urogenitalis einmündeten, näm-
lich etwas unterhalb oder in gleicher Höhe mit dem Epithel-
übergange des Geschlechtsganges. Fände eine Verschmelzung
der Wolff’schen und Müller’schen Gänge im Bereiche ihrer
Mündungen statt, so müsste dieser Vorgang auf einer früheren
Entwickelungsstufe sich vollziehen, als von Tourneux ange-
nommen ist; nach Eintritt der Verödung entfernen sich nämlich
die Wolff’schen Gänge mehr und mehr von den vereinigten
Müller’schen.
Anmerkung. Mit Dohrn?), bei dem man einen historischen
Ueberblick dieser Frage findet, Rieder), Kölliker® u. A. bin ich
1) van Ackeren, a. a. O.
2) Dohrn, Die Gartner’schen Kanäle beim Weibe. Archiv
für Gynäkologie Bd. XXI, 1883.
3) ©. Rieder, Ueber die Gartner’schen Kanäle beim mensch-
lichen Weibe,. Virchow’s Archiv für pathologische Anatomie Bd. 96.
4) Kölliker, Ueber Zwitterbildung bei Säugethieren. Sitzungs-
berichte der physik.-med. Gesellschaft zu Würzburg. N. F. 1883.
640 Wı Nagel;
darin einverstanden, dass man die Reste der Wolff’schen Kanäle,
welche den Namen desjenigen Forschers!) tragen, der sie zuerst bei
der Kuh und beim Schweine genauer beschrieb und welche als Gart-
ner’sche Gänge bekannt sind, nur im Bereiche des Uterus, vorzüglich
des Collum, zu suchen hat. In sehr seltenen Fällen lassen die Spuren
sich vielleicht über das Collum hinaus verfolgen, es ist aber nach mei-
nem Dafürhalten ein Irrthum, die von Skene, Schüller und Ober-
dieck näher beschriebenen Gänge, welche man auch nach meinen Be-
obachtungen fast constant an der Mündung der Urethra, wenigstens
bei jüngeren Frauen findet, mit den Mündungen der Wolff’schen
Gänge gleichzustellen, wie Kocks®), Böhm), Wassilieffd und
v. Mihalkoviez°) thun. Ich kann Dohrn’s Ansicht bestätigen,
dass die Gartner’schen Gänge im Bereiche des Uterus in der Regel
in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft verschwinden, während
sie bekanntlich im Bereiche der Ligamenta lata lebenslänglich — wie
das Par- und Epoophoron — erhalten bleiben können. Da es aber
keineswegs ausgeschlossen ist, dass die Gartner’schen Gänge nicht
auch in dem erstgenannten Organe zuweilen bestehen bleiben können,
so ist es wohl möglich, dass die von Freund, G. und J. Veit,
v. Preuschen u. A. beobachteten eigenthümlichen Cysten im Be-
reiche des Collum und des oberen Theils der Vagina derartigen Ueber-
bleibseln der Wolff’schen Gänge ihren Ursprung verdanken.
Da es für das Verständniss der Entwickelung und für die
anatomische Werthstellung der weiblichen Geschlechtsorgane von
besonderem Interesse ist, auch die Entwiekelungsgeschichte der
männlichen Genitalien zu kennen, so gestatte ich mir an dieser
Stelle auch über meine Untersuchungen an männlichen Em-
bryonen desselben Entwickelungsabschnittes zu berichten.
Seite 625 u. fig. habe ich dargelegt, dass der Geschlechtsstrang
bei jüngeren Embryonen (von 1,5 bis 2,5em Länge) männli-
chen Geschlechts in der Hauptsache ein ähnliches Aussehen
darbietet wie bei weiblichen Individuen derselben Grösse. Diese
1) H. Gartner, Anatomisk Beskrivelse dver et ved nogle Dyr-
arters Uterus undersögt glandulöst Organ. Det kongelige Danske
Videnskabernes Selskabs naturvidenskabelige og mathematiske Af-
handlinger. I. Deel. Kjöbenhavn. 1824.
2) Kocks, Ueber die Gartner’schen Gänge beim Weibe.
Archiv für Gynäkologie Bd. 20.
3) Böhm, Ueber Erkrankung der Gartner’schen Gänge. Arch.
für Gynäkologie Bd. 21.
4) Wassilieff, Betreffend die Rudimente der Wolff’schen
Gänge beim Weibe. Archiv für Gynäkologie Bd. 22.
5) v. Mihalkovicz, a. a. O. S. 338.
Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 641
Aehnlichkeit besteht jedoch nicht lange; während bei weiblichen
Individuen die Verschmelzung des gabelig getheilten proximalen
Endes des Geschlechtsstranges weiter fortschreitet, so bleibt bei
männliehen Individuen der Geschlechtsstrang zunächst auf der
eben genannten Entwickelungsstufe stehen (siehe Fig. 5, Tafel
XXXV). Dureh die distalwärts fortschreitende Rückbildung der
_ Müller’schen und die stärkere Entwickelung der Wolff’schen
Gänge erhält derselbe ferner ein von dem weiblichen Typus ver-
schiedenes Aussehen und auf Sagittalschnitten durch das Becken
männlieher Embryonen von 5—8 cm Rumpflänge erkennt man
folgendes:
Im Bereiche der Plica urogenitalis (des späteren Vas deferens)
findet man entweder gar keinen Müller’schen Gang, oder doch
nur unbedeutende Spuren in Gestalt von Epithelresten. Der Ge-
schleehtsstrang ist noch insofern erhalten, als der distale Abschnitt
der Wolff’schen Gänge mit dem noch erhaltenen Rest der ver-
einigten Müller’schen Gänge von einem schmalen, nach abwärts
breiter werdenden Mantel von zellenreichem embryonalen Gewebe
umgeben ist; derselbe zeigt noch eine deutliche seichte Krümmung
mit vorderer Concavität. Die Wolff’schen Gänge münden in
den Canalis urogenitalis dicht neben der hügelartigen Mündungs-
stelle der vereinigten Müller’schen Gänge und sind mit einem
regelmässigen 12—17 bis 25 u (je nach der Grösse des Embryo)
hohen Saum von schmalen Cylinderzellen ‘mit länglichen Kernen
ausgekleidet. Etwas oberhalb ihrer Einmündung zeigen die
Wolff’schen Gänge eine spindelförmige Erweiterung (die spä-
tere Ampulle des Samenleiters); bei den grösseren Embryonen
zweigt sich von dieser zu beiden Seiten je ein horizontal ver-
laufender blind endigender Kanal ab; sein Epitheil gleicht dem-
jenigen des Wolff’schen Ganges und, wie dieser, ist er in sei-
nem Verlaufe von einer Schichte dieht angehäufter Bildungs-
zellen, welche in der Nähe des Kanals eine eirceuläre Anordnung
zeigen, umgeben. Obwohl ich seine Entwiekelung bis zu be-
endeter Ausbildung nicht verfolgt habe, so ist es doch zweifellos,
dass dieser seitliche Kanal die erste Anlage des Samenbläschens
darstellt.
Die Wolff’schen Gänge fassen die zu einem gemeinschaft-
lichen Kanale vereinigten Müller’schen Gänge zwischen sich.
Dieser Kanal ist in dem proximalen Abschnitte des Geschlechts-
442 W. Nagel:
stranges in Rückbildung begriffen; er hat an dieser Stelle sein
Lumen eingebüsst, und anstatt des Cylinderepithels sieht man
nur einen formlosen Zelldetritus. Dagegen hat der gedachte
Kanal weiter abwärts, im Bereiche der vorhin erwähnten spindel-
förmigen Erweiterung der Wolff’sehen Gänge ein deutliches
quer-ovales Lumen und ist mit einem 16—25 u hohen Saum von
den dem Müller’schen Gange eigenartigen Cylinderzellen aus-
gekleidet. Der Kanal misst bei den grösseren Embryonen von
8em Rumpflänge in dem grössten Querdurehmesser immer noch
145 u, in dem kleinsten 96 u. Etwas oberhalb seiner Einmün-
dung in den Sinus uroge dislis verschwindet das Lumen und
das Cylinderepithel hört © Mählich auf; statt dessen findet man
ein aus grossen eubische' “Zellen bestehendes Epithel, welches
das Endstück des Kanal a zur Mündung füllt.
Man sieht also, ds ;. der distale Abschnitt der vereinigten
Müller'schen Gänge eine gewisse Aehnlichkeit hat mit dem-
jenigen bei weiblichen Individuen gleicher Grösse. Da ferner
im Bereiche des soliden Endstückes eine bauchige Erweiterung
sich findet, während die Mündung in den Sinus urogenitalis ihre
ursprüngliche Enge behält, so bekommt diese eine noch grössere
Aehnliehkeit mit dem Orificium vestibulare bei weiblichen Indivi-
duen, welchem sie ja auch, wie gesagt, in topographischer Hin-
sicht gleichwerthig ist.
Da, wo die Wolff’schen und vereinigten Müller’schen
Gänge in den Canalis urogenitalis einmünden, erfährt derselbe
zuweilen eine auffallende Erweiterung, welche man in diesem
Grade an der Pars prostatica urethrae der Erwachsenen vermisst.
Die Anlage der Prostata kennzeichnet sich als Ein-
wucherungen des Epithels des Canalis urogenitalis in die hintere
Wand desselben sowohl oberhalb wie unterhalb der Einmündung
des -Geschlechtsstranges. Zuerst stellen die Einwucherungen ein-
fache Schläuche dar, später verzweigen sie sich. In der Um-
gebung der Schläuche stehen die Bildungszellen dichter, weshalb
die ganze Prostataanlage bei etwas älteren Embryonen (von 8 em
Rumpflänge) ziemlich scharf gegen die Umgebung sich abgrenzt.
An den Mündungen der Schläuche sieht man dieselben birn-
förmigen Zellen, welche bei jüngeren Embryonen an der Mündung
des Geschlechtsstranges sich befinden und welcher ich schon bei
Beschreibung der weiblichen Embryonen Erwähnung gethan habe
Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 643
(siehe Seite 635). Die von Cadiat!) in seiner Figur 32 abge-
bildete Prostata mit flügelartigen Lappen von einem mensch-
liehen Embryo von 2!/, Monaten, männlichen Geschlechts, ist
entschieden zu gross ausgefallen; nach der Zeichnung zu schliessen
möchte ich indessen die von Cadiat als Prostata bezeichneten
Gebilde eher als Querschnitte von Muskelbündeln ansehen.
In der Figur 6, Tafel XXXV ist ein sagittaler Längsschnitt
durch das Becken eines männlichen Embryo von 5!/, em Rumpf-
länge abgebildet, welcher einen auffallend gut erhaltenen Ge-
schlechtsstrang zeigt. Dem entsprechend zeigen die zu einem
Kanal vereinigten Müller’schennetinge ein wohlerhaltenes, 15 u
hohes Cylinderepithel, welches a* alwärts höher wird; soweit
das Cylinderepithel reicht, besitztehier Gang eime Höhle. Der
distale Abschnitt ist mit cubisch“n protoplasmareichen Zellen
ausgefüllt; die Mündung in den Sinu:! rogenitalis zeigt das früher
beschriebene Verhalten. |
Anmerkung. Seitdem C.H. Weber (siehe bei Leuckart)?)
das von Morgagni und Albin als Sinus prostatae beschriebene
Organ als „Repräsentant eines Gebildes, welches man früher dem aus-
gebildeten männlichen Säugethier absprach“, feststellte und als Rudi-
ment eines Apparates bezeichnete, welches bei den weiblichen Säuge-
thieren zu einer sehr mächtigen Entwickelung gelangt, ist es längst
eine allgemein anerkannte Thatsache geworden, dass man auch beim
Menschen in dem erwähnten Organ die Reste der Müller’schen Gänge
zu suchen hat. Der Name „Uterus masculimus“ deutet an, dass man
das Weber’sche Organ eine Zeit lang als den verkümmerten Uterus
ansah; ich möchte mich jedoch den Ansichten späterer Forscher, wie
Dohrn?), Ahlfeld®), v. Mihalkovicz5) anschliessen, dass in der
Regel nur die Mündung und der distale Abschnitt der vereinigten
Müller’schen Gänge (also die rudimentäre Vagina) sich an der Bil-
dung des Weber’schen Organs betheiligen. Es ist jedoch nicht aus-
geschlossen, dass auch ein grösserer Theil des Geschlechtsganges er-
halten bleiben kann, und es ergiebt sich aus meinen Untersuchungen,
1) Cadiat, Du Developpement du Canal de l’Urethre et des
organes genitaux de l’embryon. Journal de l’Anatomie et de la Phy-
siologie. Paris 1884.
2) Leuckart, Das Weber ’sche Organ und seine Metamor-
phose. Illustrirte medicinische Zeitung, I. Bd., 1852.
Srohrn, a. a. 0.
4) Ahlfeld, Die Missbildungen des Menschen. -Leipzig 1880
bis 1882, S. 250.
5) v. Mihalkovicz, a.a. 0.
644 wi: NweSe,
dass bei Embryonen von 8cm Rumpflänge ausser Introitus mit Hymen
und der rudimentären Vagina noch derjenige Theil des Geschlechts-
ganges, welcher mit hohem Cylinderepithel ausgekleidet ist und wel-
cher, wie weiter unten dargelegt werden soll, dem Collum uteri ent-
spricht, deutlich besteht. Auch sind mehrere Fälle in der Literatur
bekannt, wo das Weber’sche Organ eine ausserordentliche Entwicke-
lung erlangt hatte; die seltensten unter diesen sind wohl die von
v.Franqu6 und Boogaardmitgetheilten. Indem vonv.Franque£!)
beschriebenen Falle waren Vagina, Uterus und die zum Theil durch-
gängigen Tuben mächtig entwickelt; die Samenleiter endeten jedoch
blind im Bereiche des Collum uteri; ein Descensus testiculorum war nicht
erfolgt, Eierstöcke fehlten. Boogaard's?) Mittheilung betrifft einen
66Jjährigen Mann, bei welchem die Müller’schen Gänge als getrennte
Kanäle persistirten; der rechte hatte eine Länge von 3,5 cm, der linke
7—8 cm; ihre Dicke war ähnlich derjenigen der Ureteren, in deren
unmittelbarer Nähe sie verliefen, anscheinend- in der Richtung nach
der Niere.
Hinzufügen möchte ich noch, dass ich öfters bei männlichen
Embryonen der erwähnten Grösse im frischen Zustande eine mit
klarer Flüssigkeit gefüllte Harnblase gefunden habe; ebenso oft
fand ich bei Zerlegung der in Paraffin eingebetteten Objecte die
mit glatter Muskulatur reichlich versehene Blase gleichmässig aus-
gedehnt als Zeichen, dass dieselbe mit einer Flüssigkeit gefüllt
gewesen sei. Das spricht zunächst für eine Absonderung von
Seiten der Nieren in die Blase hinein während des embryonalen
Lebens.
Ferner deutet der Umstand, dass die gefüllte Harnblase
keinen regelmässigen Befund bei allen Embryonen bildet, nebst
anderen, früher von Anderen und mir?) besprochenen Merkmalen auf
eine zeitweilige Entleerung des angesammelten Urins in die Frucht-
blase hin. Für die Richtigkeit der letzteren Ansicht scheint mir end-
lich die Thatsache zu sprechen, dass ich bei weiblichen Indivi-
duen derselben Grösse verhältnissmässig selten eine Ansammlung
1) v. Franque&, Beschreibung eines Falles von sehr hoher Ent-
wickelung des Weber’schen Organs. Scanzoni’s Beiträge zur Ge-
burtshülfe und Gynäkologie Bd. IV. Würzburg 1860.
2) J. A. Boogaard, Persistancee du canal de Müller chez
l’homme adulte (aus dem Holländischen: Verslagen en mededeelingen
der Kongl. Akademie van Wetenschapen. Afdeeling Naturkunde, 2Reeks,
9. Deel). Journal de l’Anatomie et de Physiologie 1877, S. 200.
3) W. Nagel, Beitrag zur Lehre von der Herkunft des Frucht-
wassers. Archiv für Gynäkologie Bd. 35.
Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 645
von Flüssigkeit in der Harnblase gefunden habe. Bei der kurzen
fast geraden Urethra der weiblichen Embryonen genügt nämlich
ein weit geringerer Druck von oben, um den angesammelten Urin
herauszupressen, als bei der verhältnissmässig langen, engen und
gekrümmt verlaufenden Urethra der männlichen Embryonen.
Bei den weiblichen Embryonen der nächstfolgenden
Gruppe mit einer Rumpflänge von 15—22 em vollziehen sich so
wichtige Entwickelungsvorgänge, dass damit die endgiltige
Trennung in Uterus und Vagina gegeben wird.
An sagittalen Längsschnitten, welche am besten zum Studium
dieser Entwickelungsperiode geeignet sind, erkennt man folgendes:
Der proximale Abschnitt des Geschlechtsstranges zeigt
die bei jüngeren Embryonen beschriebene zweifache Neigung
nach vorne. In seinen Wandungen sind glatte Muskelfasern
deutlich erkennbar, welche, in Bündeln geordnet, dicht unterhalb
des Peritonealüberzuges zuerst auftreten. Bei Embryonen von
20—22 em Rumpflänge ist die Wand in ihrer äusseren Hälfte
mit wirr durcheinander liegenden Bündeln von glatten Muskel-
fasern durchsetzt, während die innere Hälfte von solchen frei ist
und nur aus embryonalem Bildungsgewebe zu bestehen scheint,
in welchem die früher beschriebenen senkrecht zur Uterushöhle
verlaufenden Faserzüge liegen.
Nach der Höhle zu ist der proximale Abschnitt mit Cy-
linderepithel ausgekleidet, welches im oberen Theile einschichtig
ist und mit einer Höhe von 16 u einen regelmässigen Saum bildet;
hier und dort ist jedoch eine seichte Falte siehtbar. Nach ab-
wärts wird der Saum allmählich höher, indem das Epithel, wie
es scheint, hier mehrschichtig ist, und bildet eine Verdiekung,
welche sich über etwa zwei Dritttheil des proximalen Abschnittes
erstreckt. Diese Epithelverdickung hat eine Höhe von 28—30 u
und zeigt in ihrer ganzen Länge zahlreiche Einwucherungen in
die Tiefe, wodurch dieser ganze Abschnitt nach der Höhle zu
ein sägeförmiges Aussehen erhält und sich deutlich von dem ober-
halb der Verdiekung belegenen Theile des Geschlechtsstranges
unterscheidet. Die Epitheleinsenkungen haben bei den jüngeren
Embryonen das Aussehen von einfachen Furchen, bei etwas älteren
Embryonen dieser Gruppe (mit einer Rumpflänge von 16—17 em
und darüber) zeigen sie jedoch mehrfache Verzweigungen. Sehritt-
haltend mit der Ausbildung der genannten Einsenkungen nimmt
646 W. Nagel:
die Epithelverdickung an Höhe ab, so dass bei den älteren Em-
bryonen der erwähnten Grösse das Cylinderepithel im ganzen
Bereiche des proximalen Abschnittes eine fast gleiche Höhe hat.
Wie auf früheren Entwickelungsstufen, so zeichet sich auch
jetzt der distale Abschnitt durch seinen gestreekten Ver-
lauf aus und bildet, dadurch, dass er schräg nach unten und
vorne absteigt, mit dem proximalen Abschnitt einen stumpfen
Winkel. Seine Wand besteht aus sehr zellenreichem embryonalem
Bildungsgewebe, in welchem, wie auch im Bereiche des proxi-
malen Abschnittes, zahlreiche Gefässe sich verzweigen und in
dessen peripheren Lagen man stellenweise starke Bündel von
Bindegewebsfasern bemerkt. Bei den jüngern Embryonen dieser
Entwickelungsperiode besteht noch keine Höhle in dem distalen
Abschnitte; die Wände desselben sind noch immer mit einander
verklebt und ihr Epithel wird aus zweierlei Zellen gebildet, nämlich
aus eubischen, welche der Wand zunächst liegen, und aus platten,
die nach der Mitte zu belegen sind. Hier und dort schickt das
Epithel kleine Einsenkungen in die Wand hinein, welche ge-
wissermaassen ringförmige Verdickungen des Epithelstranges dar-
stellen und demselben ein perlschnurähnliches Aussehen verleihen.
Bei etwas älteren Embryonen nehmen diese Einwucherungen
schnell an Tiefe zu und erreichen bei Embryonen von 20—22 cm
Rumpflänge eine so mächtige Ausdehnung, dass der ganze distale
Abschnitt nach innen zu ein stark faltiges Aussehen zeigt. Die
nach der Mitte zu belegenen Plattenepithelien sind in regstem
Zerfall begriffen; durch diese Detritusmassen sind die bis dahin
verklebten Wände auseinander getrieben worden, so dass der
distale Abschnitt des Geschlechtsstranges jetzt eine Höhle besitzt,
welehe (auf dem Querschnitte) eine querovale Gestalt hat und
deren Weite 5 mm beträgt.
Die bauchige Erweiterung dicht oberhalb des Orificium
vestibulare nimmt andauernd an Breite zu und streckt sich höher
hinauf (siehe Fig. 8, Tafel XXXV). Ihr Epithel zeigt dasselbe
Verhalten wie in dem übrigen Theile des distalen Absehnittes
und es ist ohne weiteres einleuchtend, dass die bauchige Erwei-
terung, sobald die oben beschriebene Falten- und Höhlenbildung
eine gewisse Ausdehnung erlangt hat, eine besondere Abtheilung
des Geschlechtsstranges nicht mehr bildet.
Dieses Verhalten habe ich bei allen meinen Embryonen ge-
- Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 647
- funden und ich kann desshalb Dohrn !) nieht beipflichten, wenn
er sagt, dass die Papillarwucherung in der Mitte der Scheide am
meisten hervortritt und ferner, dass die Scheide — bei Embryonen
der 17.—19. Woche — sich in ihrer oberen Hälfte ausweitet und
sich dagegen unten mit fester werdenden Wänden enger zusam-
menlegt. Nach meinen Untersuchungen fängt die Ausweiterung
des distalen Abschnittes (der späteren Vagina, siehe unten) stets
unten, dicht oberhalb des Orifieium vestibulare, an und schreitet
allmählich aufwärts.
Der in den Sinus urogenitalis hineinragende ringförmige
Rand des Orifieium vestibulare des distalen Abschnittes ist
nach innen umgebogen (siehe Fig. 9, Taf. XXXV). Die hintere
Hälfte dieses Randes ist stärker entwickelt als die andere, wo-
dureh die Mündung des Geschleehtsganges, welcher immer noch
mit Epithelien verstopft ist, etwas mehr nach vorne verlegt wor-
den ist. Die Gestalt der Oeffnung ist nicht rund, wie bei jünge-
ren Embryonen, sondern bildet einen Schlitz, dessen Längenachse
von vorne nach hinten verläuft.
Die Grenze zwischen dem Cylinderepithel des proximalen
und dem ceubischen Epithel des distalen Abschnittes des Ge-
schlechtsstranges tritt insofern viel schärfer hervor, als der Ueber-
gang auf einer kürzeren Strecke sich vollzieht als bei jüngeren
Embryonen. ;
Im Bereiche des distalen Abschnittes, 0,16—0,25—0,3 mm
unterhalb der Uebergangsstelle zeigt das eubische Epithel eine
sichelförmige Einwucherung im die hintere Wand des
Geschlechtsstranges. Der Zeitpunkt für das erste Auftreten dieser
Erscheinung lässt sich nicht genau bestimmen, weil Embryonen
gleicher Grösse, wie oben gesagt, unter sich eine grosse Ver-
schiedenheit in der Entwickelung zeigen. Der kleinste Embryo,
bei welchem ich die erste deutliche Anlage der erwähnten Ein-
wucherung gesehen habe, hatte eine Rumpflänge von 12 em;
ich habe jedoch Embryonen von 14—15 em Rumpflänge unter-
sucht, bei denen nicht das geringste von einer Einkerbung zu
bemerken war, obwohl die vorhin beschriebene Epithelverdiekung
im Bereiche des proximalen Abschnittes zahlreiche tiefe, zum
Theil verzweigte Einsenkungen zeigte und die Embryonen also
Deohrn, A. a, 0:
648 W. Nagel:
auf einer ziemlich weit fortgeschrittenen Entwiekelungsstufe
standen.
Ist die sichelförmige Einkerbung einmal angelegt, so wächst
sie schnell weiter und alsbald erkennt man die Form der hin-
teren Muttermundslippe (siehe Fig. 15, Taf. XXXVD. Erst nach-
dem diese angelegt ist, entsteht eine ganz ähnliche Emwucherung
in die vordere Wand des Geschlechtsstranges, wodurch die vor-
dere Muttermundslippe gebildet wird (siehe Fig. 16, Taf. XXXV]).
Alle meine Präparate zeigen, dass die erwähnte Epithelein-
wucherung an derjenigen Stelle des Lumens stattfindet,
wo der Kniekungswinkel der ursprünglichen ersten
Krümmung sich befindet und damit ist eine entwickelungs-
geschichtliche Erklärung gegeben, wesshalb die Portio vaginalis
uteri unter normalen Verhältnissen nach hinten abwärts gerichtet
ist (siehe Figg. 15 u. 16, Tafel XXXV]).
Falls man die sichelförmige Epitheleinwucherung, die Bil-
dung des Scheidengewölbes also, als erste Anlage der Portio
vaginalis uteri betrachten will, wie Tourneux und v. Ackeren
dies zu thun scheinen, so ist es, soweit meine Untersuchungen
reichen, die hintere Lippe, welche sich zuerst bildet. Es
scheint jedoch, als bilde sich zuweilen auch das vordere Scheiden-
gewölbe früher als das hintere, denn v. Ackeren fand bei seinen
Embryonen nur einen deutlich ausgeprägten Fornix anterior, wo-
gegen der Fornix posterior entweder gar nicht oder doch nur
eben angedeutet war. |
Geigel!) hat bei einem 6monatlichen Embryo die Portio
vaginalis zum ersten Male gesehen, aber nur das hintere Scheiden-
sewölbe war vorhanden, kein vorderes.
Tourneux äussert sich nieht darüber, ob vordere oder hintere
Lippe sich zuerst bildet; in seiner Fig. 21 sind beide Lippen zu
erkennen; gelegentlich der Beschreibung eines Embryos von 20 cm
Rumpflänge sagt Tourneux (a.a. 0. $.365), dass nur die vor-
dere Lippe deutlich angelegt ist. |
An einigen meiner Embryonen habe ich gesehen, dass die
vordere Wand eine buckelige Hervorragung nach innen zeigt genau
an derjenigen Stelle, wo später die vordere Lippe liegt, ohne
1) Geigel, Ueber Variabilität in der Entwickelung der Ge-
schlechtsorgane beim Menschen. Verhandlungen der physik.-med. Ge-
sellschaft zu Würzburg. N. Folge. Bd. XVIH, 1883.
5
“
o
%
Ueber die Entwiekelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 649
dass an der hinteren Wand von einer solchen Hervorragung oder
von einer Epitheleinwucherung etwas zu sehen war. Dieselbe
Beobachtung hat beim Menschen vor mir Dohrn gemacht, wess-
halb dieser Forscher behauptet, dass die vordere Lippe sich zu-
erst bildet. Auf Grund meiner Präparate muss ich für gewisse
- Fälle Dohrn Recht geben und es wäre vielleicht richtiger, zumal
auch v. Baer, Kölliker und van Ackeren von einem ring-
förmigen Wulst sprechen, welcher in der Gegend des späteren
Orifieium externum uteri auftritt, den Bildungsvorgang der Portio
vaginalis folgendermaassen zusammenzufassen: die vordere
Muttermundslippe wird zuweilen zuerst angelegt, je-
doch entwickelt sich in der Regel das hintere Scheiden-
gewölbe früher als das vordere, und die hintere Mutter-
mundslippe erlangt dadurch früher als die vordere eine
vollkommenere Ausbildung.
Dureh das Auftreten der Portio vaginalis uteri lässt sich
die anatomische Bedeutung der bisher beschriebenen Entwickelungs-
vorgänge leicht feststellen:
Die Uebergangsstelle zwischen den beiden Epithel-
arten, mit welchen die Müller’schen Gänge von Anfang an
ausgekleidet sind (soweit meine Untersuchungen reichen, nämlich
bei Embryonen von 11—13 mm Länge) entspricht derjenigen
Stelle innerhalb des äusseren Muttermundes, wo bei ausgebildeten
Individuen die. Grenze zwischen dem Cylinderepithel des
Uterus und dem Plattenepithel der Vagina sich findet (siehe
Fig. 17, Tafel XXXV).
Die Epithelverdiekung innerhalb des proximalen Ab-
schnittes, welche sich ebenfalls bis auf eine frühe Entwickelungs-
stufe zurückverfolgen lässt (bei Embryonen von 2,5—3,5 em
Länge), wird zum Epithel des Cervicalkanals.
Die Epitheleinsenkungen, welche im Bereiche der er-
wähnten Epithelverdiekung entstehen, bilden die Anlage der Cer-
viecaldrüsen und nicht, wie Tourneux meint, die Plicae pal-
matae des Cervicalkanals („les sillons des arbres de vie“). Ich
habe diese Einsenkungen von Stufe zu Stufe verfolgt von dem-
jenigen Zeitpunkte an, wo sie das Aussehen seichter Falten haben,
bis zu derjenigen Entwickelungsperiode, wo sie tiefe Furchen mit
deutlichen fingerförmigen Ausbuchtungen bilden und somit ihre
spätere Bestimmung als Drüsen kund geben.
Archiv für mikrosk. Anat. Bd, 37 .. 43
650 W. Nagel:
Derjenige Abschnitt des Geschlechtsstranges, welcher der
Epithelverdiekung entspricht und welcher schon bei ganz jungen
Embryonen (von 5—6 em Länge) eine spindelförmige Ver-
dickung zeigt und etwa zwei Dritttheil des proximalen Abschnittes
einnimmt, wird zu Collum uteri.
Da, wo die Epithelverdiekung mit den Einsenkungen nach
oben aufhört, bildet sich der innere Muttermund; für die
Richtigkeit dieser Auffassung spricht auch die Thatsache, dass
der vorhin beschriebene zweite Kniekungswinkel stets an
dieser Stelle sich vorfindet. Was oberhalb liegt, gehört dem Cor-
pus uterian. Dasselbe hat also auf einer frühen Entwickelungs-
stufe (bei Embryonen von 6—8 bis 12 em Rumpflänge und auf-
wärts) eine mehr oder weniger ausgeprägte deutliche Beugung
nach vorne und ist in seinem Inneren mit einem einreihigen Cy-
linderepithel mit hohen schmalen Zellen ausgekleidet, welches
um die Hälfte niedriger ist als das Epithel des Cerviecalkanals.
Tourneux gegenüber betone ich dieses ganz besonders, weil er
gelegentlich der Beschreibung eines menschliehen Embryo von
19 em Rumpflänge sagt!), dass das Epithel des Corpus uteri
viel höher sei als dasjenige des Collum uteri.
Im Gegensatze zu van Ackeren, der einen solchen ver-
neint, muss ich daran festhalten, dass ein Unterschied zwischen
dem späteren Corpus und Collum uteri auf emer ganz frühen
Entwickelungsstufe auftritt, nämlich von dem Augenblicke an, wo
die Epithelverdiekung in dem unteren Theile des proximalen Ab-
schnittes bemerkbar wird.
Das Epithel des Corpus uteri besitzt keine oder doch nur
ganz spärliche und seichte Epitheleinsenkungen, welche in der
von mir untersuchten Entwickelungsperiode keine Verzweigungen
zeigen.
Die Drüsen des Corpus uteri entwickeln sich also viel später
als diejenigen des Cervix; nach einigen (Tourneux, de Sinety
u. a.) fehlen dieselben beim ausgetragenen Kinde, nach anderen
Autoren (Cadiat) sind die Drüsen um diese Zeit, das heisst kurz
nach der Geburt, wohl entwickelt. Beide Ansichten mögen zu
Recht bestehen, auch Wyder?) sagt, dass „die kindliche Uterus-
1), TouUrneuxX, a2 019,808,
2) Wyder, Beiträge zur normalen und pathologischen Histo-
a
Ueber die Entwickelung d. Uterus u. der Vagina beim Menschen. 651
schleimhaut in Bezug auf das Vorkommen und die Entwiekelung
der Drüsen sehr wechselvolle Bilder zeigt“.
Dureh das Erscheinen der Portio vaginalis uteri- wird ferner
die Bedeutung des distalen Abschnittes des Geschlechts-
stranges klar, welcher zunächst keine Höhle besitzt, mit eubischem
Epithel ausgekleidet ist und dessen erste Anlage, wie von mir
nachgewiesen wurde, auf eine sehr frühe Entwickelungsstufe des
Müller’sehen Ganges sich zurückführen lässt: dieser Abschnitt
ist nämlich gleichwerthig mit der Vagina.
Die Vagina entsteht also nicht, wie bisher allge-
mein angenommen wurde, durch eine Umwandlung des
ursprünglichen Cylinderepithels des Müller’schen
Ganges, sondernist von vorneherein als eine besondere
Abtheilung des Müller’schen Ganges angelegt, welche
sich durch die Seite 627 beschriebenen Eigenschaften auszeichnet
und deren weitere Entwickelung ich von Stufe zu Stufe verfolgt
und in dem Vorhergehenden beschrieben habe.
Es ist ferner einleuchtend, dass die Mündungsstelle der
vereinigten Müller’schen Gänge in den Sinus urogenitalis mit
dem Orifiecium vaginae vestibulare gleichbedeutend ist.
Durch das stärkere Wachsthum der Vagina in die Länge gegen-
über der langsamer fortschreitenden Entwickelung des Sinus uro-
genitalis wird dieser allmählich abgeflacht und das Orificium va-
ginae vestibulare nimmt schliesslich denjenigen Platz ein, welcher
ihm in dem späteren Embryonalleben und bei ausgetragenen In-
dividuen zukommt. Es ist demnach vollkommen berechtigt, wie
Kölliker und Mihalkoviez thun, von emer Anlage des
Hymens von dem Augenblicke an zu sprechen, wo das distale
Ende der (vereinigten) Müller’schen Gänge den Sinus urogenitalis
erreicht hat, jedenfalls bei denjenigen Embryonen, wo die Ränder
der hügelartig in den Sinus hervorragenden Mündung des Ge-
schlechtsstranges nach innen umgebogen sind. Noch deutlicher
wird die Hymen-Anlage bei etwas grösseren Embryonen (mit einer
Rumpflänge von 5,6—8 cm und darüber), wenn nämlich die
Seite 635 beschriebene bauchige Erweiterung dicht oberhalb der
Mündung erscheint. Dieselbe tritt nach meinen Untersuchungen
logie der menschlichen Uterusschleimhaut. Archiv für Gynäkologie
Bd. 13, S. 6.
652 W. Nagel:
viel früher auf als von Dohrn und Tourneux angegeben wird;
und reicht vollkommen aus, um dem Orifieium vaginae vestibulare
seine eigenthümliche spätere Gestalt zu geben, imdem die Mündung
der vereinigten Müller’schen Gänge, wie berichtet, ihre ursprüng-
liche Enge behält. Je grösser die bauchige Erweiterung wird,
um so mehr müssen die Ränder der Mündung (Lippen) die Ge-
stalt einer ringförmigen Membran annehmen, welche die spätere
Vagina von dem Sinus urogenitalis abschliesst. Ich leugne jedoch
keineswegs, dass nicht auch eine selbständige Hervorwucherung
der Ränder der Mündung stattfinden kann; dieselbe hat aber nicht
überall diejenige Bedeutung für die erste Bildung des Hymens,
wie Dohrn und v. Ackeren ihr zuschreiben. Nach meinem
Dafürhalten tritt ein actives Wachsthum erst dann ein, wann eine
in obiger (passiver) Weise gebildete Scheidenklappe schon besteht.
Da ich indessen bei einigen meiner Embryonen an Sagittalschnit-
ten durch die Medianebene gesehen habe, dass die Hymenalöff-
nung an dieser Stelle (in der Medianebene also) verhältnissmässig
grösser ist, als es der Regel nach der Sachlage bei Neugeborenen
und Erwachsenen entsprechen würde, so muss ich annehmen,
dass in gewissen Fällen auf einer späteren Entwiekelungsstufe
auch ein actives Wachsthum (im Sinne von Dohrn, v. Ackeren,
Schaeffer), insbesondere des hinteren Theiles der Scheidenklappe,
‚stattfindet, wodurch die Hymenalöffnung theils enger, theils mehr
nach vorne verlegt wird. Hierbei muss man jedoch bedenken,
dass auch bei Kindern und Erwachsenen die Hymenalöffnung in-
dividuell ein verschiedenes Verhalten darbietet, sowohl in Bezug
auf ihre Grösse wie auf ihre Lage. |
Auf allen Entwiekelungsstufen, wenigstens bis zu einer Grösse
des Embryo von 20—22 em Scheitel-Steisslänge, ist die Oeffinung
des Hymenalringes mit Epithelien ausgefüllt.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXV u. XXXVI.
Fig. 1. Menschlicher Embryo von 4cm Rumpflänge; weiblich. Sa-
gittaler Längsschnitt durch die Mündungsstelle der vereinigten
Müller’schen Gänge Flemming sche Lösung. — Leitz 8,
Ocul. I. MG —Müller’scher Gang. Bl = Harnblase. $. U. —
Sinus urogenitalis.
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Müller’schen Gänge (schematisirt) in den Sinus urogenitalis
bei weiblichen Embryonen von 4—5—6 cm Rumpflänge.
Einmündungsstelle der Müller’schen Gänge in den Sinus
urogenitalis bei einem weiblichen Embryo von 3 cm
Länge. — Flemming'sche Lösung; Querschnitt (etwas
schräg). Leitz 6, Ocul. I. S. U. = Sinus urogenitalis; Mg =
Müller’sche Gänge; Wg = Wolff’sche Gänge.
Dieselbe Stelle bei einem männlichen Embryo von 4cm
Länge. Flemming '’sche Lösung; Querschnitt. — Bedeu-
tung der Buchstaben w. o.
Menschlicher Embryo, weiblichen Geschlechts, von 4cm
Rumpflänge. Topographische Lage der Beckenorgane; nach
einem gehärteten Präparat gezeichnet.
Menschlicher Embryo, männlichen Geschlechts, von 4cm
Rumpflänge. Topographische Lage der Beckenorgane; nach
einem gehärteten Präparat gezeichnet.
Sagittaler Längsschnitt durch den Geschlechtsstrang eines
menschlichen Embryo, männlichen Geschlechts, von 5l/,cm
Rumpflänge. Aussergewöhnlich starke Ausbildung der ver-
einigten Müller’schen Gänge und des Geschlechtsstranges.
Bedeutung der Buchstaben wie oben.
Sagittaler Längsschnitt durch das distale Ende des Geschlechts-
ganges eines weiblichen menschlichen Embryo von 7 em
Scheitel-Steisslänge. Auftreten der bauchigen Erweiterung.
(v) = vorne.
Sagittaler Längsschnitt durch das distale Ende des Geschlechts-
ganges von einem weiblichen Embryo (Mensch) von 14 cm
Rumpflänge. U — Urethra; R —= Rectum.
Orificium vaginae vestibulare im sagittalen Längsdurchschnitte;
weiblicher Embryo (Mensch). Rumpflänge 15 cm. Flem-
ming'sche Lösung. — V — Vagina; 0 = Orificium vaginae
vestibulare; (h) = hintere Hymenallippe.
Sagittaler Längsschnitt durch den Geschlechtsgang eines weib-
lichen Embryo (Mensch) von 7cm Rumpflänge. Uebergang
vom Cylinderepithel des proximalen Abschnittes in das cubische
Epithel des distalen Abschnittes.
Sagittaler Längsschnitt durch den Geschlechtsstrang eines
weiblichen Embryo (Mensch) von 10 em Rumpflänge. Uebergang
vom Cylinderepithel des proximalen Abschnittes in das eubische
Epithel des distalen Abschnittes. (Flemming sche Lösung.)
Sagittaler Längsschnitt durch das Becken eines weiblichen
Embryo (Mensch) von 4l/;, cm Rumpflänge.
Sagittaler Längsschnitt durch das Becken eines weiblichen
Embryo (Mensch) von 6cm Rumpflänge.
Sagittaler Längsschnitt durch das Becken eines weiblichen
Embryo (Mensch) von 10cm Rumpflänge.
654. W. Nagel: Ueber die Entwickelung des Uterus ete.
Fig. 15. Sagittaler Längsschnitt durch den Geschlechtsstrang eines
weiblichen Embryo (Mensch) von 13cm ei Anlage
des hinteren Scheidengewölbes.
Fig. 16. Sagittaler Längsschnitt durch den Geschlechtsstrang eines
weiblichen Embryo (Mensch) von 17cm Rumpflänge. Anlage
der Portio vaginalis uteri.
Fig. 17. Die Anlage der Portio vaginalis uteri von Fig. 16 bei starker °
Vergrösserung (Leitz 6, Oec. D. — F.a = vorderes, F.p =
hinteres Scheidengewölbe.
Die Zeichnungen sind auf Kosten der Gräfin Luise Bose-
Stiftung angefertigt.
Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das
Sarkoplasma und die Oontraction der quer-
gestreiften Muskelfasern.
Von
Prof. Dr. A. Rollett in Graz.
Hierzu Tafel XXXVI.
Es ist in jüngster Zeit von Prof. Dr. Gustav Retzius?)
in Stockholm, der unter den lebenden Histologen einen so her-
vorragenden Platz einnimmt, eine Arbeit über „Muskelfibrille
und Sarkoplasma“ veröffentlicht worden. Diese Arbeit kommt
durch die rückhaltlose Anerkennung der Fibrille und des Muskel-
säulchen als präformirte Bauelemente der Muskelfaser den von
Kölliker?) und von mir?) vertretenen Anschauungen über den
Bau der quergestreiften Muskelfaser in sehr erfreulieher Weise
1) Biologische Untersuchungen von G. Retzius. Neue Folge,
I., pag. 51. Stockholm 18%.
2) Zeitschrift für wiss. Zoolog. XLVI, 1888, pag. 689. — Handb.
d. Gewebl., 6. Aufl., Bd.I, Leipzig 1889, pag. 356 u. d. f.
3) N d. m. n. Klasse der kais. Akad. d. Wiss. in ‚Wien
Bd. XLIX, 1885, pag.81 (I. Theil) und Bd. LI, 1886, pag.23 (II. Theil)
und dieses Archiv Bd. XXXI, 1888, pag. 233.
A.Rollett: Ueb.d. Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma ete. 655
‚gegen Melland!), Carnoy?), van Gehuchten?) und Mar-
shall®), welche die Fibrillen und Muskelsäulchen leugnen, zu
Hülfe. Es wird das gewiss sehr wesentlich zur Klärung der An-
schauungen über den Muskelbau beitragen.
Allein der Freude, die man darüber empfinden muss, ist
auch ein Wermuthstropfen beigemischt.
Retzius leugnet die von Brücke an reich gestreiften
Insektenmuskeln zuerst gesehenen, dann von Engelmann?)
präeiser unter dem Namen der Nebenscheiben definirten und be-
schriebenen Querstreifen, welche auch ich in meinen Unter-
suchungen in vielfacher Weise studirt und mit dem Buchstaben
N bezeichnet habe. Zwar stellt Retzius nieht in Abrede, dass
dort, wo Engelmann, ich und auch Kölliker den Streifen N
sehen, wirklich ein Querstreifen gesehen wird. Allein diese
Streifen N sollen nieht, wie die Streifen Q (Querscheiben) und
die Streifen J (isotrope Bänder) und die Streifen Z (Zwischen-
scheiben) durch eine besondere Gliederung der Fibrillen bedingt
sein, sondern die Streifen N sollen durch eine regelmässig an-
geordnete Reihe von Körnern, Sarkosomen, die dem zwischen
den Muskelsäulchen liegenden Sarkoplasma angehören, veranlasst
werden.
Das Sarkoplasma lässt aber Retzius zusammengesetzt sein
aus Sarkosomen und feinen, die Sarkosomen verbindenden „proto-
plasmaähnlichen Fäserchen“. Dasselbe soll aufgehängt sein in
Räumen zwischen den Muskelsäulchen, den „intereolumnaren
Spalträumen“, welche ausserdem einen Gewebssaft enthalten
sollen, der die Muskelsäulchen rings umspülen und eine „seröse,
chemisch sehr gemischte Flüssigkeit, ein interstitielles, intercolum-
nares — Serum — der Muskelfaser* darstellen soll. Diese
Flüssigkeit soll der contractilen Substanz sowohl die ernährenden
Bestandtheile von aussen von den Blutgefässen her zuführen, als
auch die Exeretionsstoffe in sich aufnehmen, um sie weiter nach
aussen hin zu befördern.
1) Quaterly Journ. of mic. Science. N. S. Vol. XXV, pag. 371, 1885.
2) Biologie cellulaire 1884, pag. 193.
3) La cellule T.II, 2. fasc., 1886.
4) Quaterly Journ. of mic. Seienc. N.S. Vol. XXVIH, pag. 75,
1887 u. Vol. XXXI, pag. 65, 1890.
5) Pflüger’s Archiv Bd.T, pag. 18.
656 A.:Rollett:
Diese Anschauungen von Retzius befinden sich also in
Bezug auf die Streifen N (Nebenscheiben) in einem völligen, in
Bezug auf das Sarkoplasma aber in einem theilweisen Wider-
spruche mit den von mir in meinen Untersuchungen niederge-
legten Anschauungen. Es scheint, dass Retzius eine genauere
Darlegung dieser Gegensätze vermeiden wollte.
Trotz der Entschiedenheit, mit welcher Retzius die Neben-
scheiben aus dem Schema der quergestreiften Muskelfaser ge-
strichen wissen will und trotz der verlockenden Angabe von
Retzius, dass dann ein Unterschied ausgetilgt sei, welehen man
bisher zwischen den Muskelfasern von Arthropoden und Wirbel-
thieren annehmen zu müssen glaubte, lautete die kurze Kritik,
welche ich nach aufmerksamer Durchlesung der mir durch
Retzius’ Güte zugekommenen Arbeit über die Darstellung, die
Retzius von den Nebenscheiben giebt, doch: Unmöglich!
Ich hatte ja so vielfache und schlagende Beweise für die
Existenz der Streifen N im Smne Engelmann’s kennen gelernt,
dass mir die Veranlassung derselben durch besondere Glieder
der Muskelfibrillen als ganz unbezweifelbare Thatsache gelten
musste.
Die von Retzius nach der Behandlung der Muskelfasern
mit Flemming’s Gemisch (Chrom-Osmium-Essigsäure) mit Ros-
anilin und mit Kaliacetat erhaltenen Bilder mit den Sarkosomen-
reihen an der Stelle der Nebenscheiben müssen eine andere Er-
klärung zulassen, als die, welche Retzius von denselben ge-
geben hat. Ich hätte es nun vielleicht der Zeit und andern
Forschern überlassen, Klärung in diese widerstreitenden An-
schauungen zu bringen, allen ich habe der Wiener Akademie
schon am 20. Novbr. 1890 eime. Abhandlung unter dem Titel:
„Untersuchungen über Contraetion und Doppelbreehung der quer-
gestreiften Muskelfasern“ überreicht, welche demnächst erscheinen
wird®), und ich kann die Leser dieser Abhandlung nicht unter
dem Eindrucke stehen lassen, dass ich die Leugnung der Neben-
scheiben durch Retzius acceptire. Ausserdem ist mir aber seit-
her das überaus interessante Buch: „Theorie der Muskelcon-
traetion“ von Prof. Dr. G. Elias Müller, 1. Th., Leipzig 1891,
1) Denkschrift. der m. n. Kl. der kais. Akad. d. Wiss. in Wien
Bd. LVII, pag. 4.
tu wat.
Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma etc. 657
zugekommen, in welchem meine Untersuchungen vielfach heran-
gezogen sind. In diesem Buche findet sich aber dufS. 295 auch
die Bemerkung, dass die neuen Untersuchungen von Retzius
kaum darauf schliessen lassen, „dass dieser Forscher die in den
Abhandlungen Rollett’s niedergelegten Thatsachen und Gesichts-
punkte voll und ganz berücksichtigt habe“, wenn er behauptet,
„dass die sog. Nebenscheiben nicht den Fibrillen und Fibrillen-
bündeln (Muskelsäulehen) angehören, d.h. nieht in ihnen liegen,
sondern neben und zwischen den Fibrillenbündeln liegen und
mehr oder weniger regelmässig angeordnete Körner des Sarko-
plasma darstellen“.
Auch daraus ergiebt sich, dass die Frage der Nebenscheiben
eine nicht zu umgehende Actualität für mich gewonnen hat.
Ich will darum hier die Existenz der Streifen N in dem
Sinne, dass sie bedingt sind durch bestimmte anisotrope Glieder
der Fibrillen, nochmals vertheidigen und zwar durch die Beob-
achtung derselben im polarisirten Lichte, durch ihr Verhalten
beim Scheibenzerfall der Muskelfasern in Alkohol, durch ihr Ver-
halten bei schwacher Säurewirkung auf zerfallene Muskelfasern,
durch ihr Verhalten bei Tinetionen und Imprägnation der Muskel-
fasern und durch ihr Verhalten bei der Oontraction der Muskel-
fasern.
Erst darnach sollen die Bilder, welehe man bei starker
Säurewirkung von dem Sarkoplasma und den Muskelsäulchen
bekommt, und die nach der Methode von Retzius erhaltenen
Muskelbilder besprochen werden, weil sich auf diesem Wege eine
Erklärung für die letzteren finden lässt.
Wie schon angeführt wurde, hat Brücke!) und zwar im
Jahre 1858 die Streifen N an reich gestreiften Muskelfasern von
Hydrophilus schon gesehen. Ebenso sah Brücke an denselben
Muskeln die Streifen Z, welche in demselben Jahre auch von
Amicei?) bei Inseetenmuskeln beobachtet und später unter dem
Namen der Krause’schen Querlinien allgemeiner bekannt wurden.
Und man weiss seit Brücke’s Untersuchungen, dass die Streifen
N und Z ebenso wie die Streifen @ doppeltbrechend, und zwar
1) Denkschriften der m. n. Klasse der kais. Akad. d. Wiss. in
Wien Bd. XV, pag.69, Taf. II, Fig. 3.
2) II Tempo, Vol. II, 1858, pag. 328.
698 A. Rollett:
alle einaxig positiv doppeltbrechend sind. Aber Brücke hat
den Streifen N und Z dadurch, dass er sie als verschiedene An-
ordnungen von Gruppen seiner hypothetischen Disdiaklasten in
eine Linie mit den Streifen Q stellte, eine Deutung gegeben,
welche von den späteren Untersuchern nicht festgehalten werden
konnte. Genauer wurden die Streifen N und Z erst von Engel-
mann?!) untersucht. Er führte für die ersteren die Bezeichnung
Nebenscheiben, für die letzteren die Bezeichnung Zwisehenscheiben
ein. Auch Engelmann erkannte, dass die Streifen N und Z
eine Doppelbreehung von demselben Charakter wie die Streifen
(Q besitzen, er machte aber auch die Bemerkung, dass die Streifen
N und Z schwächer doppeltbrechend sind als die Streifen Q.
Brücke und Engelmann haben ihre Beobachtungen an
Muskelfasern im dunklen Sehfelde des Polarisationsmikroskopes
zwischen gekreuzten Nikol’schen Prismen, oder an Muskelfasern,
die noch überdies über Glimmer- oder Gypsplättchen lagen, in
derselben Weise gemacht. Und das genügt auch vollständig,
um die Doppelbrechung der Streifen N der Muskelfasern zu con-
statiren.
In späterer Zeit habe ich mich selbst mit der Untersuchung
der Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern und zwar nach
einer neuen Methode, nämlich unter Anwendung von spectral
zerlegtem polarisirten Lichte beschäftigt. Die Resultate sind in
der eitirten Abhandlung enthalten. Man erhält auf diese Weise
noch viel schönere Bilder von den Muskelfasern und kommt auch
in der Erkenntniss der anisotropen Streifen der Muskelfasern
etwas weiter. Ich werde auch hier eine Reihe von nach dieser
Methode zu erhaltenden Bildern besprechen, weil dieselben für
die Frage der Nebenscheiben sehr belehrend sind, und darum
muss ich hier auch. die Methode kurz besprechen.
Eine für histologische Zwecke brauchbare Combination
eines zusammengesetzten Mikroskopes mit einem Speectral- und
einem Polarisationsapparate habe ieh?) zuerst ausführen lassen
und beschrieben. Meine Anordnung wurde aber bald darauf von
Abbe und Dippel?) modifieirt, und der letztere hat der Vor-
IuyN RS 5
2) Zeitschrift für Instrumentenkunde 1881, S. 366.
3) Dippel, Das Mikroskop. I. Th., 2. Abth., S. 619, 2. Aufl.
Braunschweig 1882.
Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma ete. 659
riehtung, welche das spectral zerlegte polarisirte Licht liefert,
den Namen „Speetropolarisator“ gegeben, welchen ich der Kürze
wegen gerne acceptire.
Die wesentlichen Theile eines Spectropolarisators sind ein
polarisirendes Nikol’sches Prisma und ein kleiner Spectralapparat,
der in die Ebene des Objeetes ein kleines Speetrum projieirt;
das Nikol’sche Prisma befindet sich vor dem Spalte des unter
dem Objecttische angebrachten Speetralapparates; der Analysator
befindet sich über dem Oeculare.
Stehen Polarisator und Analysator mit ihren Schwingungs-
richtungen gekreuzt und sind beide unter einem Winkel von 45° zum
Spalte des Spectralapparates orientirt und bringt man vor dem
Spalte, also zwischen diesen und den Polarisator eine Gypsplatte
Roth I. Ordnung so an, dass die Schwingungsrichtung des stärker
gebrochenen Strahles in der Gypsplatte (erste Mittellinie, grösste
Elastieitätsaxe des Gypses) mit der Richtung des Spaltes zusam-
menfällt, so sieht man im Sehfelde das Speetrum von Roth I. Ord.,
welches bekanntlich einen breiten dunklen Interferenzstreifen
(Müller’schen Streifen) besitzt, dessen Mitte je nach der Nuance
des Gypsblättehens auf die Wellenlängen von 0,000499 mm bis
0,000545 mm fällt !). |
Wie ein solches Sehfeld zur Bestimmung der Lage und re-
lativen Grösse der Elastieitätsaxen doppeltbrechender Substanzen
benutzt werden kann, findet sich in meinen früher eitirten Ab-
handlungen und bei Dippel auseinandergesetzt.
Hier nur das folgende:
Wenn eine Muskelfaser so in das Sehfeld gebracht wird,
dass ihre Längenaxe mit der Richtung des Spaltes zusammen-
fällt, wobei sie als Verdiekung der wie früher orientirten Gyps-
platte wirkt, so leuchten, wenn die Faser über dem dunklen In-
terferenzstreifen des spectral zerlegten Roth I. Ord. sich befindet,
alle ihre doppeltbrechenden Theile in dem vom Interferenzstreifen
1) Vgl. darüber A. Rollett, Ueber die Bedeutung von New-
ton’s Construction der Farbenordnungen dünner Blättchen für die
Spectralanalyse der Interferenzfarben. Sitzungsberichte der m. n.
Klasse der kais. Akad. d. Wiss. in Wien Bd. LXXV, Abth. III, 1877,
pag.173, und: Ueber die Farben, welche in den Newton’schen Ring-
systemen aufeinander folgen. Ebenda, Bd. LXXVII, Abth. III, 1878,
pag. 177.
660 A. Rollett:
ausgelöschtem Lichte. Dagegen erscheinen alle einfach brechen-
den Theile völlig dunkel.
Wenn man aber nun das Spectrum unter der festliegenden.
Muskelfaser senkrecht auf die Axe der letzteren verschiebt, so
findet man bei der angegebenen Orientirung für die Streifen N
und Z früher, für die Streifen @ später eine Speetralregion gegen
das rothe Ende hin, in welcher die Streifen N und Z und dann
die Streifen @ völlig dunkel erscheinen, während alle anderen
Theile und der Grund hell im bestimmtem monochromatischem
Lichte erscheinen. |
Das ist dadurch bedingt, dass bei der Addition der Wir-
kung der Gypsplatte und der doppeltbrechenden Theile des Mus-
kels der beiden zusammen entsprechende dunkle Interferenzstreifen
gegen das rothe Ende gerückt erscheint, denn jede Verdiekung
der Gypsplatte verschiebt den Interferenzstreifen gegen das rothe
Ende hin.
Ich fand nach der neuen Methode bestätigt !), dass sowohl
die Streifen N als auch die Streifen Z eine Doppelbrechung von
demselben Character besitzen, wie die Streifen Q. Es ergab sich
aber ausserdem, dass die Doppelbrechung der Streifen N und Z
messbar schwächer ist, als die Doppelbrechung der Streifen Q.
Für das Verständniss des Nachfolgenden wird das, was ich
über die Untersuchung mittelst des Speetropolarisators gesagt
habe, genügen.
Und wir wollen hier mit Bezug auf die Frage der Streifen
N hauptsächlich nur das Bild der Muskelfaser im dunklen Inter-
ferenzstreifen des Roth I. Ord. näher betrachten.
Die Figuren 1 und 2 stellen Muskelfasern im dunklen In-
terferenzstreifen des Roth I. Ord. in der genannten Orientirung
dar. Fig. 1 ist die Abbildung einer Muskelfaser von Lucanus
cervus, Figur 2 die einer Muskelfaser von Onthophagus taurus.
Beide Muskelfasern sind in 93°/,igem Alkohol ertränkten Thieren
entnommen und in verdünntem Glycerin aufpräparirt.
Im Allgememen sind diese Bilder ausgezeichnet durch die
grosse Deutlichkeit, mit welcher alle einzelnen Querstreifen her-
vortreten, ausserdem ist aber an den Speetropolarisatorbildern der
Muskelfasern auch die den Sarkoplasmadurchgängen zwischen den
1) Denkschrift. ete. 1.c. Bd. LVIIH, 1890, pag. 82.
Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma etc. 661’
Muskelsäulehen entsprechende Längsstreifung mit seltener Präcision
und Deutlichkeit zu sehen.
Besehen wir zuerst die Querstreifen. Wir finden @ doppelt-
brechend, nur der in der Mitte von @ befindliche Streifen h erscheint
einfachbreehend. Doppeltbrechend erscheinen ferner die Streifen
N und Z; einfachbrechend dagegen die Streifen J und E.
Was die Längsstreifung betrifft, so erscheinen die Sarko-
plasmadurchgänge. vollkommen dunkel. Die durch die dunklen
Quer- und Längsstreifen auseinander gehaltenen doppeltbrechenden
- Glieder der Muskelsäulchen, nämlich die Stäbe von Q und die
Körner oder kurzen Stäbe vonN und vonZ erscheinen wie voll-
ständig isolirt auf schwarzem Grunde in regelmässiger Anord-
nung nebeneinander liegende glitzernde Edelsteine. Man kann
die Reihe der doppeltbrechenden Glieder jedes zwischen zwei
Sarkoplasmadurchgängen liegenden Muskelsäulchen genau verfolgen
und in dieser Reihe liegen die Glieder Q, die Glieder N und
die Glieder Z so genau hintereinander, dass N ebenso gut, wie
Q und Z den Muskelsäulchen angehören muss, dagegen erscheinen
die die Muskelsäulchen trennenden Sarkoplasmadurchgänge als
schwarze ununterbrochen. zwischen den von den Gliedern Q, N.
und Z der Muskelsäulchen gebildeten Längsreihen hinlaufende
Trennungslinien.
Die Nebenscheiben oder Streifen N der quergestreiften
Muskelfasern können also nicht durch im Sarkoplasma liegende
Sarkosomen, wie Retzius angibt, bedingt sein, sondern sie sind
ebenso durch doppeltbrechende Glieder der Muskelsäulchen be-
dingt, wie die Streifen @ und die Streifen Z.
Ich füge hinzu, dass die Einstellung der Muskelfaser in jene
Spectralregion gegen das rothe Ende hin, im welcher, wie wir
früher auseinandergesetzt haben, die N dunkel erscheinen, unsere
Wahrnehmungen über dem Interferenzstreifen vollkommen bestätigt.
Es erscheinen dann auch die Z dunkel, dagegen die Q und die
J und die E und die Sarkoplasmadurchgänge hell in monochro-
matischem Liehte und man sieht auch in diesem Bilde die dunk-
len Glieder Z und N mit den dann nur durch ihren Contour un-
terscheidbaren Gliedern @ in ganz genauen Längsreihen zwischen
je zwei hellen Sarkoplasmadurchgängen stehen.
Nachdem wir uns so die Muskelsäulehen mit ihren doppelt-
brechenden Gliedern in situ angesehen haben, erscheint es mir
662 A. Rollett:
passend daran zu erinnern, dass mit diesen Wahrnehmungen völ-
lig übereinstimmend auch die Wahrnehmungen sind, welche man
im gemeinen Lichte an Muskelfasern machen kann, an welchen
sowohl die Querstreifung, als auch die Längsstreifung deutlich
sichtbar ist. Ein wahrhaft classisches Beispiel habe ich unter
Berücksichtigung aller einzelnen Querstreifen und der Sarkoplasma-
durchgänge bei tiefer und hoher Einstellung beschrieben und ab-
gebildet von den Muskelfasern von Osmoderma eremita ?).
Ebenso übereinstimmend sind auch die mit Hämatoxylin
tingirten Muskelfasern, bei welchen die Glieder Q, N und Z der
Säulchen stark, die Glieder J und E sehwach und die Sarko-
plasmadurchgänge noch schwächer oder nicht gefärbt erscheinen ?).
Aehnliche Tinetionen von Alkoholmuskeln erhielt ich auch
mit Fuchsin, Safranin, Eosin, lösl. Anilinblau, Methylenblau, Me-
thylgrün, Gentianaviolett, Methylanilinviolett5B, Dahlia, Vesuvin
und Bismarekbraun, welche sich im Kaliacetat lange Zeit vortreff-
lich halten. An Alkoholmuskeln von Lucanus cervus und Apho-
dius-Arten, die mit Pierocarmin gefärbt waren, sah ich die Glie-
der @ schön roth, die Glieder N und Z dagegen wurden beide
‚in demselben Tone stark gelbroth gefärbt, die Glieder J und
E und das Sarkoplasma sehr blass röthlich.
Man findet bei allen diesen Präparaten die differenzirten
N immer im Verlaufe der Muskelsäulchen und hat niemals den
Eindruck, als ob die Streifen N bedingt wären durch Körner,
die neben den Muskelsäulchen im Sarkoplasma lägen.
Wir wollen aber nun zur Untersuchung mittels des Spec-
tropolarisators zurückkehren und aus Gründen, welche sich später
ergeben werden, mittels desselben auch solche Käfermuskeln unter-
suchen, welehe in Alkohol in Scheiben zerfallen sind. Es wieder-
holt sich dabei Vieles, was wir schon an den unzerfallenen Fasern
beobachtet haben, allein für die Auffassung der Streifen N ist es
doch wesentlich, auf ‚diesen Scheibenzerfall näher einzugehen.
Ich habe im Jahre 1885 den Scheibenzerfall in Alkohol
an Käfermuskeln in sehr ausgedehntem Maasse beobachtet und
eingehend beschrieben und habe mit Bezug auf denselben hier
1) Untersuchungen, II. Theil, l.c. Bd. LI, pag. 51 u. d. f. Fig. 13,
Tafel III.
2) l.c. Tafel II, Fig. 8, 9, 10.
Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma ete. 663
zunächst eine Angabe von Retzius zu besprechen, von welcher
ich nieht weiss, ob sie auf einem Druck- oder Schreibfehler be-
ruht, jedenfalls möchte ich sie nicht unberichtigt lassen.
Es heisst in der geschichtlichen Darstellung meiner Arbeit
bei Retzius (l. e. pag. 64): „Zuerst bespricht er (Rollett) den
- Scheibenzerfall von Käfermuskeln in Alkohol, welcher mit den
von Bowman nach Säurebehandlung beschriebenen gar
nicht identisch ist.“ Nun hat aber bekamntlich Bowman!) nur
den kurz vor ihm, wie er angiebt, von Skey?) einmal gesehenen
Scheibenzerfall der Muskelfasern in Alkohol an zahlreichen, ver-
schiedenen Vertebraten entnommenen Muskelfasern beobachtet.
Den Scheibenzerfall der Muskelfasern in Säuren 'habe da-
gegen ich°) selbst im Jahre 1857 an Vertebraten-Muskeln be-
schrieben und damals glaubte ich, dass der von Bowman be-
obachtete Scheibenzerfall und der Scheibenzerfall in Säuren die-
selben Scheiben aus den Muskelfasern isolire. Das war eine un-
richtige Annahme, welche ich, als ich im Jahre 1885 den 'Scheiben-
zerfall von Käfermuskeln in Alkohol auffand*), berichtigt habe.
Ich behandelte damals den Scheibenzerfall in Alkohol und jenen
in Säuren ausführlich und zeigte, dass der Bowman’sche Scheiben-
zerfall etwas ganz anderes ist als der Scheibenzerfall in Säuren.
Betrachten wir uns nach dieser Berichtigung nun den
Scheibenzerfall in Alkohol.
Ich habe in meinen Untersuchungen?) gezeigt, dass bei
diesem Scheibenzerfalle in einzelnen Fällen die den Streifen Q
entsprechenden Schichten isolirt werden. In anderen Fällen be-
finden sich aber an den isolirten Scheiben @ auch noch die den
Streifen N entsprechenden Schichten (die Nebenscheiben Engel-
mann’s), und zwar hängt dann mit jedem Ende von Q eine
solche Schiehte N zusammen, mit @ durch einen hellen Streifen
J verbunden.
Endlich kommt eine dritte Art von Scheibenzerfall vor, bei
1) Philosophie. Transact. 1840. Part. II, pag. 469 und 470.
2) Ibid. 1837, Plat. XIX, Fig.5.
3) Sitzungsberichte der m. n. Kl. der kais. Akad. d. Wiss. in
Wien, Bd. XXIV, pag. 291.
4) Untersuchungen I. Theil, l.c. Bd. XLIX, pag. 84.
5) l.c. Bd. XLIX, pag. 86.
664 A. Rollett:
welchem die Schichten Q einerseits, die Schichten NH E+Z'
+ E-+ N andererseits in Form von Scheiben isolirt werden.
Von diesen drei verschiedenen Arten von Scheibenzerfall
sollen mit Bezug auf die Frage der Streifen N nur die zwei
letzteren Arten beliandelt werden. Ich habe, als ich den Scheiben-
zerfall in Alkohol an Käfermuskeln beobachtete, auch sofort be-
merkt, dass die Sehiehten Q, N und Z auch an den isolirten
Scheiben ihr Doppeltbrechungsvermögen bewahrt haben).
An den isolirten Scheiben ist ferner meistens die Längs-
streifung in sehr ausgezeichneter Weise hervortretend.
Wenn man nun in die Schichten N+J + Q + J-+N zeı-
fallene Muskelfasern über den dunklen Interferenzstreifen des
speetral zerlegten Roth I. Ordnung im Sehfelde des Mikroskopes
orientirt, so erhält man, wenn die Mantelfläche der Scheiben mit
der Richtung der Fraunhofer’schen Linien zusammenfällt, das
Bild, welches in Fig. 3 von Muskelfasern von Opatrum sabulosum
dargestellt ist. Sowohl die Streifen Q, als die Streifen N leuchten
in dem blaugrünen durch den Interferenzstreifen ausgelöschten
Liehte des Spectrums.
Was zunächst die Schichte @ betrifft, so sieht man in der
Mitte derselben den Streifen h dunkel, also einfach brechend,
ferner erweist sich @ zusammengesetzt aus blaugrünen Stäben,
zwischen welchen schwarze Durchgänge, dem Sarkoplasma ent-
sprechend, sich befinden.
Entsprechend der Anzahl von Stäben, welche die Schichte
() auf einem bestimmten optischen Längsschnitte zusammensetzen,
erscheinen in den Schichten N, zu welehen wir jetzt übergehen
wollen, wieder durch schwarze Durchgänge von einander getrennte
kürzere blaugrün leuchtende Stäbe, deren Axe genau mit der
Axe je eines auf dem optischen Längsschnitte sichtbaren Stabes
von Q zusammenfallen, so dass auf demselben optischen Längs-
schnitte der Scheibe die gleiche Anzahl von Stäben in@ und in
N vorhanden ist.
Bringt man Muskelfasern, die jene Art von Scheibenzerfall
erlitten haben, bei welchen abwechselnd den Schichten @ und
den Schiehten N+ E+Z+E-+ N entsprechende Scheiben er-
halten werden, in der entsprechenden Orientierung über den
1), Le. Pa2.108.
Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma ete. 665
dunklen Interferenzstreifen des spectral zerlegten Roth I. Ord-
nung, in das Sehfeld des Mikroskopes, Fig. 4, so sieht man wieder
die Stäbe, welche die Scheiben @ zusammensetzen, blaugrün
leuchten und scharf getrennt durch dunkle Sarkoplasmadurchgänge,
Fig. 4 Q, und ebenso erscheinen in den anderen Scheiben Fig. 4
N+E+Z+E+HN die blau-grün leuchtenden Stäbe, welche N
entsprechen, scharf getrennt durch dunkle Sarkoplasmadurchgänge
und die Reihe der Stäbe, welche einen Streifen N bilden, er-
scheint durch einen dunklen Streifen E verbunden mit der Reihe
von kurzen Stäbehen oder Körnern, welche die Schichte Z zu-
sammensetzen, in der letzteren sind die einzelnen Stäbehen wieder
durch dunkle Durchgänge getrennt, welche ebenso in der Längen-
richtung mit den dunklen Durehgängen zwischen den Stäben von
N zusammentreffen, wie die leuchtenden Stäbe von N genau in
der Längenrichtung mit den leuchtenden Stäbehen von Z zusammen-
fallen. Fig. 4 ist einem Präparate der Muskeln von Scarabaeus
laticollis entnommen.
Wir sehen also an den in Scheiben zerfallenen Muskeln
wieder, und zwar mit der grössten Uebersichtlichkeit, in jeder
einzelnen Scheibe, dass die Streifen N der Muskelfasern ebenso
gut wie die Streifen @ und die Streifen Z bedingt sind durch
anisotrope Glieder der Muskelsäulchen, und nicht bedingt sein
können durch Sarkosomenreihen im Sinne von Retzius.
Ich habe aber hier an den in Scheiben zerfallenen Mus-
keln gleichsam das, was uns auch schon die Bilder Fig. 1 u. 2
von unzerfallenen Muskeln zeigten, wiederholt, weil ich jetzt,
daran anknüpfend, an das erinnern will, was man beobachtet,
wenn man auf Muskeln, welche in der Art, wie das Fig. 3 und
4 darstellt, in Scheiben zerfallen sind, vorsichtig ganz schwache
Säuren, z. B. sehr schwache Ameisensäure, wirken lässt.
Ich reprodueire zur Bequemlichkeit des Lesers die be-
treffenden Bilder aus meinen Untersuchungen in Fig. BA und B
und in Fig. 6. |
Es entspricht Fig. 5 einer Muskelfaser, welche nach Art
der Fig. 3 in Scheiben zerfallen ist; Fig. 6 eimem Präparate,
welches nach Art der Fig. 4 in Scheiben zerfallen ist.
Ich muss auch hier wieder hervorheben, was ich gleich bei
der ersten Beschreibung dieser Bilder bemerkte, dass man beim
Anblicke der Zeichnung sich des Gedankens nicht erwehren
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 44
666 A. Rollett:
kann, dass die Darstellung eine stark schematische sei. In der
That ist das aber durchaus nicht der Fall. Ich habe die Prä-
parate oft demonstrirt und es ist mir immer bezeugt worden,
dass sie in den Zeichnungen sehr naturgetreu dargestellt sind.
‚ Aehnliches gilt überhaupt von einer grossen Zahl von Mus-
kelbildern; je getreuer sie dargestellt sind, desto schematischer
sehen sie aus, was auf Rechnung der überaus regelmässigen An-
ordnung der verschiedenen Theile der quergestreiften Muskel-
fasern zu setzen ist. |
Man bemerkt in Fig. DA, dass in Folge der schwachen
Säurewirkung die Schichten Q beträchtlich breiter geworden sind
als die Schiehten N; diese kleben auf den beiden Grundflächen
der stark verbreiterten @, ohne dass sie ihren Charakter wesent-
lich verändert hätten, während @ um Vieles heller geworden ist
und die Längsstreifung verloren hat oder dieselbe nur noch als
sehr feine zarte Linie erkennen lässt.
Sieht man eine Scheibe in diesem Stadium der Säure-
wirkung von der Fläche, so zeigt sich das Bild Fig.5 B. Die innere
Figur in dieser Zeichnung entspricht einem Querschnitte von N,
sie ist gleichmässig von einem Hofe umgeben, dessen äussere
Grenze der Peripherie der verbreiterten Schichte Q@ entspricht.
Man sieht also auf der Fläche von N die Cohnheim-
schen Felder, welche den Stäben von N entsprechen und zwi-
schen den Cohnheim’schen Feldern das dieselben trennende
Sarkoplasmageäder. Ich habe auch ausführlich auseinander ge-
setzt, dass, dieses Bild von N beim Heben und Senken des Tubus
an jeder Scheibe zweimal deutlich zu sehen ist, entsprechend
dem oberen und unteren auf der verbreiterten Scheibe @ kle-
benden N. |
Würde man nun, wogegen aber alles bisher über die Stäbe
von N Angeführte spricht, diese Stäbe für Sarkosomen im Sinne
von Retzius halten, so würde auf unseren Querschnitten von N
kein Raum mehr für die Querschnitte der Muskelsäulehen bleiben.
Und man müsste fragen: Wo sind die Muskelsäulchen hinge-
kommen ?
Es geht also auch daraus hervor, dass die Deutung, die
Retzius der Nebenscheibe giebt, nieht richtig sein kann. _
Das Bild Fig.6 zeigt uns wieder die Schichten @ beträcht-
lich verbreitert, die Längsstreifung derselben verstrichen. Da-
al
ı
Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma ete. 667
gegen sind die Schichten NH-E+Z-+E-+N schmal. Die
Längsstreifung der N tritt sehr deutlich hervor. |
Aus diesen Bildern nach schwacher Säurewirkung und den
Bildern nach starker Säurewirkung, auf welche ich später zurück-
kommen werde, habe ich den Schluss gezogen, dass die den
Scehiehten Q entsprechenden Glieder der Muskelsäulchen viel
rascher und in viel höherem Grade in Säuren quellen, als die
den Schichten N und Z entsprechenden Glieder der Muskel-
säulechen, und dass das verschiedene Quellungsvermögen der
Glieder @ und der Glieder N und Z vor allem bestimmend auf
die Bilder wirkt, welehe durch Säurewirkung von noch nicht in
Scheiben zerfallenen Muskelfasern und Muskelsäulehen erhalten
werden, während ein solcher bestimmender Einfluss der den
Schiehten J und E entsprechenden Glieder der Muskelsäulchen
nicht hervortritt, sondern das Verhalten dieser ein mehr passives
ist. Durch eine ganze Reihe von Bildern habe ich die Richtig-
keit dieser Voraussetzungen bestätigt gefunden. Würde man
sich dagegen N aus der Reihe der. Glieder der Muskelsäulchen
wegdenken, dann wären viele dieser Bilder nicht zu erklären.
Wir kommen später bei der Besprechung der starken Säure-
wirkung auf einzelne solcher Bilder zurück.
Ich muss nun, ehe ich in der Vertheidigung der Streifen N
(Nebenscheiben) fortfahre, auch darauf hinweisen, dass ich das
Vorkommen der Streifen N einem genauen Studium unterworfen
habe und dass dieses ergeben hat, dass die Streifen N kein con-
stanter Befund an den Arthropoden-Muskeln sind.
Im Gegentheile, das Vorhandensein oder Fehlen der Streifen
N ist einem sehr grossen und anscheinend ganz regellosem Wechsel
unterworfen. Wenn man aber eine grosse Anzahl von Thieren
untersucht, findet man bald, dass gewisse Muskeln bestimmter
Thiere in der Regel ausgezeichnet sind durch das Vorhanden-
sein, dagegen andere Muskeln bestimmter Thiere ausgezeichnet
sind durch das Fehlen der Streifen N in den jene Muskeln zu-
sammensetzenden Fasern, dass ferner bei einzelnen Species das
Fehlen von N, bei anderen Species das Vorkommen derselben
die Regel ist. Als Beispiele habe ich angeführt die Dyticiden,
bei welchen die N in der Regel fehlen, obwohl man immer auch
an einzelnen Fasern die N vorfindet; bei den. Aphodius-Arten,
bei Scarabaeus laticollis, bei den Geotrupes-Arten, bei den Hister-
668 A. Rollett:
Arten, bei Lucanus cervus, bei Stenomax lanipes ist das Vor-
handensein der N die Regel, während das Fehlen derselben nur
an einzelnen Fasern beobachtet wird. Solche Beispiele liessen
sich von den Käfern noch sehr viele anführen.
Wenn man Muskelfasern oder Fibrillen mit schön ent-
wickelten Streifen N von Astacus fluviatilis beobachten will,
nehme man die Muskeln, welche von den Coxopoditen der
Scheeren- und Gehfüsse in die Thoracalsomite hineinlaufen, weil
an diesen N ausnahmslos gut entwiekelt vorkommt, während das
an den Scheeren- und Schwanzmuskeln nicht so der Fall ist.
Ich habe ferner betont, dass die angeführten Unterschiede
ebensowohl bei der Untersuchung der Muskeln von in Weingeist
ertränkten Thieren, wie bei der Untersuchung lebender, ohne
irgend welchen Zusatz unter das Mikroskop gebrachter Fasern
wahrzunehmen sind.
Bei der Untersuchung der letzteren kann man sich über-
zeugen, dass ebenso wie an Muskelfasern, welchen die Streifen
N fehlen, so auch an Muskelfasern, an welchen die Streifen N
vorhanden sind, durch lange Zeit ganz energisch Contraetion und
Erschlaffung mit einander abwechseln können.
Mit Bezug auf alle diese Beobachtungen formulirte ich den
Ausspruch, dass durch dieselben den Streifen N der Stempel
schwerer Verständlichkeit aufgedrückt werde, dass aber aus den-
selben zugleich hervorgeht, dass die Streifen N eine cardinale
Bedeutung für den Contractionsvorgang nicht haben können.
Es war mir darum von grossem Interesse, dass ich, ausser
dem schon früher erwähnten ganz ähnlichen und von dem Ver-
halten der @ beim Quellen in Säuren wesentlich abweichenden
Verhalten der Z und N beim Quellen in Säuren, noch andere
Hinweise auf eine Zusammengehörigkeit der Z und N auffand.
Man erinnere sich hier an das früher angeführte Verhalten der @
einerseits, der Z und N andererseits bei der Färbung von Al-
kohol-Muskeln mit Pikrocarmin.
Ferner muss ich noch genauer eingehen auf die hier be-
sonders in Betracht kommende Vergoldung der Muskeln nach
Vorbehandlung derselben mit Alkohol. Die Resultate derselben
sind ausführlich auseinandergelegt in dem zweiten Theile meiner
Untersuchungen über den Bau der quergestreiften Muskelfasern
EEE NE Are
*
Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma etc. 669
und in meinen Untersuchungen über Contraetion und Doppel-
brechung der quergestreiften Muskelfasern.
An also vergoldeten Muskelfasern erscheinen die Streifen Q
immer schön und rein roth, während die Streifen Z und die
Streifen N blau-roth oder grau-roth, oder geradezu neutral grau
erscheinen.
Durch das letztere Verhalten ausgezeichnet fand ich die
Muskeln von Astacus fluviatilis und Maja squinado.
Ich will hier ausführlicher die Muskeln des Flusskrebses
besprechen und von denselben zugleich den Ausgang nehmen,
um das Verhalten der Streifen N bei der Contraetion zu erläutern.
Zuerst aber noch die folgende Bemerkung.
Sehr eigenthümlich ist, was Retzius über «die Muskel-
säulchen des Flusskrebses mittheilt. Er nimmt an extendirten,
mit Rosanilin gefärbten Muskelsäulchen dunkel gefärbte punk-
tirte Zwischenscheiben (unsere Z), helle isotrope Bänder (unsere
J) und schön rosagefärbte Quer- und Mittelscheiben (unsere @
mit h) und manchmal in den Querscheiben noch eine Reihe fei-
nerer Querstreifen wahr. Früher schon führt er an, dass die
Sarkosomen bei den Krebsmuskeln klein seien und dass sich
eine regelmässige Anordnung derselben, wie bei den Käfern,
kaum nachweisen lasse.
„Aus dieser Darstellung“, so schliesst Retzius!) seine
Mittheilungen über die Krebsmuskeln, „geht u. A. hervor, dass
in den Astacus-Muskelfasern keine sog. „Nebenscheiben“ wor-
kommen; es sind ja hier auch keine Sarkosomen vorhanden,
welche solche Nebenscheiben vortäuschen können.“
Dieser Ausspruch von Retzius ist gewiss höchst merk-
würdig, wenn man bedenkt, dass Engelmann?) Nasse?) und
ich selbst*) die Nebenscheiben bei den Muskelfasern des Fluss-
krebses mit, ich möchte fast sagen, greifbarer Deutlichkeit ge-
sehen und abgebildet haben. |
Ich sehe auch heute noch die Streifen N an Muskelfasern
des Flusskrebses und weiss auch sicher und fern von jeder opti-
1) l.c. pag.81.
2) Pflüger’s Archiv Bd. 7, pag. 33, Tafel II, Fig.8 u. Fig. 24.
3) Pflüger’s Archiv Bd. 17, pag. 282 und Holzschnitt auf p. 288.
4) Untersuchungen, Ill. Theil, l.c. pag. 23, Tafel IV, Fig. 26.
670 A. Rollett:
schen Täuschung, dass die Streifen N hier, wie an allen Mus-
keln, durch bestimmte Glieder der Muskelfibrillen bedingt sind.
Die Streifen N sind an Muskelfasern des Flusskrebses zu
sehen, wenn die Fasern frisch sind, wenn sie in Alkohol ge-
härtet und im Glycerin aufpräparirt sind; sie sind an mit Häma-
toxylin tingirten Fasern zu sehen, sie sind als doppeltbrechende
Streifen auf Gypsgrund Roth I. Ord. und im Interferenzstreifen
des speetral zerlegten Roth I. Ord. zu sehen und sie sind end-
lich zu sehen an Muskeln, welche nach Vorbehandlung mit Al-
kohol vergoldet wurden. An den letzteren wollen wir sie hier,
wie schon gesagt, näher kennen lernen. Also vergoldete Krebs-
muskeln lassen sich durch Zerfasern in die feinsten Fibrillen zer-
legen und an diesen ist dieselbe Querstreifung zu sehen, wie an
der Muskelfaser, aus welcher sie erhalten wurden.
Fig. 7,I stellt eine solehe Fibrille aus einer erschlafften
Muskelfaser dar.
Die Glieder Q erscheinen roth, sie lassen drei satter ge-
färbte Abschnitte und dazwischen zwei heller roth gefärbte Ab-
schnitte erkennen. Die letzteren entsprechen dem an den meisten
Muskeln einfach, bei den Krebsmuskeln aber häufig doppelt er-
scheinenden Streifen h (Hensen’schen Streifen). Ein doppelter
Hensen’scher Streifen wird übrigens nicht bloss an den Krebs-
muskeln gefunden, ich habe ihn auch an Muskelfasern von Ce-
tonia aurata, Tropinota hirta, Oxythyrea stietiea und Ragonycha
melanura beobachtet und diese Deutung der zwei hellen Streifen
in dem Streifen Q@ ausführlich begründet).
Die Glieder J und E der vergoldeten Fibrille Fig. 7, I er-
scheinen ganz blassroth, dagegen erscheinen die Glieder Z und
N derselben grau und zwar Z sehr dunkel, N heller grau.
Dieses Verhalten der einzelnen Querstreifen bei der Im-
prägnation mit Gold habe ich als eine Rechtfertigung der ein-
heitlichen Auffassung der: Glieder Q angesehen?); ferner habe
ich hervorgehoben, dass es auf eine Verwandtschaft der Streifen
N und Z und eine analoge Verschiedenheit derselben von den
Streifen Q hinweist, und das steht im Einklange mit den oben
angeführten Thatsachen.
1) Untersuchungen, I. Theil, l.c. pag. 94; Il. Theil, pag. 64.
2) Untersuchungen, II. Theil, l.c. pag. 66.
Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma etc. 671
Eine sehr bemerkenswerthe Erscheinung ist, dass bei den
Muskeln des Flusskrebses die Streifen N immer viel heller als .
Z, aber ganz deutlich dunkler als die Streifen E und J befunden
werden, nicht bloss an den vergoldeten Muskeln, sondern auch
_ an den in Weingeist gehärteten Muskeln und an den frischen
Muskeln. |
Es ist das wichtig für die Beurtheilung des Verhaltens der:
Streifen N bei der Contraction.
Bei dieser rücken nämlich die Streifen N durch Schwinden
der Streifen E ganz an Z heran und man sieht dann den durch
seine Helligkeit von Z wohl zu unterscheidenden Streifen N ganz
unmittelbar an Z ansitzen. Ein Bild, welches man nicht in so
schöner Weise beobachten kann, wenn N und Z, wie es bei Käfer-
muskeln meistens der Fall ist, gleich hell, beziehungsweise gleich
dunkel sind. Auch an vergoldeten Fasern ist dieses Bild aus
den angeführten Gründen sehr deutlich. Es ist, und zwar wieder
an einer isolirten Fibrille in Fig. 7, II dargestellt. Die Bilder,
welche in Fig. 7, I und II dargestellt sind, zeigen uns also die
Streifen N direet als Glieder der Muskelfibrillen des Krebses, an
welehen nach Retzius keine Nebenscheiben vorkommen sollten.
Um später noch andere Contraetionsbilder, welche für das
Verhalten der Streifen N bei der Contraetion von Wichtigkeit.
sind, besprechen zu können, will ich hier eine umfassendere Be-
trachtung über die Veränderung der Querstreifung der Muskel-
faser bei der Contraction einschalten.
Es wird sich dieselbe auf meine an einem anderen Orte!)
niedergelegten ausführlichen Untersuchungen des Contractionsvor-
ganges an lebenden Muskelfasern und der Bilder, welche soge-
nannte fixirte Contractionswellen darbieten, stützen.
Ueber die sogenannten fixirten Contractionswellen, welche
man in den Muskeln von Käfern und von Krebsen, die in Alkohol
ertränkt wurden, sehr zahlreich auffmdet, bin ich dort zur An-
schauung gelangt, dass ihnen nicht, wie bisher immer angenommen
wurde, einheitlich rasch fixirte lebende Wellen zu Grunde liegen.
Nein! Ihre Bildung erfordert eine grössere oder geringere
Zeit, sie werden angelegt dadurch, dass eine ganze Reihe auf-
1) Denkschrift, ete. Bd. LVIII, 1890, pag. 23.
672 A. Rollett:
einanderfolgender kurzer lebender Wellen successive partiell fixirt
werden.
Da sie nun zwar keine einheitliche Bildung, wohl aber eine
Summe von festgelegten Theilen zeitlich aufemandergefolgter Con-
tractionswellen sind, habe ich ihnen ihren hergebrachten Namen
belassen.
Die Vergleichung der lebenden und der fixirten Contraetions-
wellen führte zu dem Schlusse, dass wir den Bildern, welche
fixirte Oontraetionswellen darbieten, einen grossen Werth für die
Beurtheilung der Contraetion der lebenden Fasern zugestehen
müssen. Besonders ist die Veränderung der Querstreifung an
fixirten Wellen der Hauptsache nach eine ganz ähnliche, wie an
lebenden Wellen. Ich will hier unserer Betrachtung speeiell die Mus-
keln des Flusskrebses, und zwar vergoldete Muskelfasern, an
welchen sich fixirte Contraetionswellen befinden, zu Grunde legen,
während ich in den genannten Untersuchungen zwar darauf ver-
wiesen, aber nicht ausführlich davon gehandelt habe.
Die Betrachtung der Krebsmuskeln ist aber sehr belehrend
und ganz besonders ist hervorzuheben, dass vergoldete Muskeln
des Flusskrebses nicht nur in ihren erschlafften Theilen, sondern
auch in ihren contrahirten Theilen und in den Uebergängen
zwischen beiden sieh sehr leieht in feinste Fibrillen ‚zerfasern
lassen.
Zunächst kehren wir zu Fig. 7 zurück; die dort. mit I—V
bezeichneten Fibrillen entsprechen anfänglich erschlafften, dann
in Contraction übergehenden und endlich eontrahirten Fibrillen;
sie sind einzeln ganz naturgetreu nach Zupfpräparaten dargestellt
und nebeneinandergesetzt. |
Wir sehen in Fig. ‚7, I die Streifenfflge JIJHN+E+Z
+E+N+J+0Q u s f. einer reich gestreiften erschlafften
Faser, in Fig. 7, II die Streifenfolge JHN+Z+ N +J + Qu. =. £.
und in Fig. 7, III die Streifenfolge JIJ+Z2+J+0Q von der Er:
schlaffung nahen Fasern, in Fig 7,IV die Streifenfolge J’ + Z
+J)+0 u. s. f. eines Uebergangsstadiums und in Fig. 7, V die
Streifenfolge C + Q@ u. s. f. der contrahirteu Fager.
Alle diejenigen Streifen, welche an Goldpräparaten sehr
satt gefärbt erscheinen, sind am ungefärbten Muskel bei tiefer
Einstellung dunkel, die weniger satt gefärbten heller und am
hellsten diejenigen, welche am wenigsten gefärbt erscheinen.
3 3 a
Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma ete. 673
Die Goldbilder geben also zugleich eine gute Vorstellung
von den ungefärbten Muskelfasern in verschiedenen physiologischen
Zuständen und ganz etwas ähnliches lässt sich auch behaupten
für Muskelfasern, die gut mit Hämatoxylin gefärbt wurden, denn
‚an diesen sind alle Streifen, die mit Gold satt gefärbt erscheinen,
auch am stärksten gefärbt, die weniger gesättigt gefärbten an
den Goldbildern sind auch an den Hämatoxylinbildern weniger
gefärbt und die in Goldbildern am wenigsten gefärbten sind auch
an den Hämatoxylinbildern am wenigsten gefärbt.
Um den Zusammenhang der in den Bildern Fig. 7, I—-V
vorliegenden Querstreifungen und die Deutung, welche wir ihnen
gegeben haben zu erläutern, verweise ich auf das Schema Fig. 8.
Es entspricht einer vergoldeten fixirten Contractionswelle einer
Muskelfaser von Astacus fluviatilis. Sie ist stark vergrössert,
die Längsstreifung ist weggelassen und nur die Querstreifen sind
als ununterbrochene Bänder in den Dimensionen, Entfernungen
und Farben eingezeichnet, wie man sie wirklich sieht.
I—XV in Fig. 8 bezeichnen 15 Muskelabschnitte oder Seg-
mente. Ueber deren Abgrenzung orientirt man sich am besten durch
die am Rande der Faser sichtbaren Durchschnitte der Tonnen-
gewölbe. Die Bogen der letzteren werden vom Sarkolemma und
einer demselben innen aufliegenden Schichte Sarkoplasma gebil-
det!). Der höchste Punkt der Bogen liegt immer der Mitte der
gleich später zu definirenden metabolen Schichten der Muskel-
faser Fig. 8 u gegenüber; die Fusspunkte der Bogen fallen immer
mit der Mitte der gleichfalls später zu definirenden arimetabolen
Schiehten der Muskelfaser Fig. 8a zusammen.
Unsere Abschnitte oder Segmente entsprechen dem, was
Engelmann?) als Muskelfächer bezeichnet hat. Er geht dabei
von dem Streifen aus, den ich mit Z und den er als Zwischen-
scheibe bezeichnet hat. Diese Scheibe, sagt Engelmann, ist
die festeste und theile die quergestreifte Substanz gleichsam in
natürliche Fächer oder Etagen ab.
Ich habe diese Bezeichnung vermieden und die obigen rein
den Thatsachen entsprechenden Bezeichnungen gewählt, weil
Muskelfächer ebensowenig existiren wie Scheiben oder eine
Grundmembran (Krause).
1) Siehe Untersuchungen, I. Theil, l. c. pag. 97 u. 9%.
2) Pflüger’s Archiv Bd.7, pag. 37.
674 | A. Rollett:
Es entsprechen ferner in der erschlafften Muskelfaser unsere
Streifen @ Fig. 8 der anisotropen Schiehte Engelmann’s, da-
gegen unsere Streifen IHN+E+Z+E+NHI der iso-
tropen Schichte Engelmann ’’s.
Es ist ein hoch zu schätzendes Verdienst Engelmann’s,
dass er, so wie er der erste war, der die reiche Streifung der In-
seetenmuskeln genau beschrieben hat, auch zuerst das verschie-
dene Verhalten der Streifen @ einerseits und der Streifen J+N
+E+Z+E+ )J anderseits bei der Contraetion genauer be-
schrieben hat.
Mit der Bezeichnung der die Streifen JHN+E+ZHE
+ N + J enthaltenden Schichte als isotrope Schiehte hat sich aber
Engelmann eine seinen eigenen Beobachtungen widersprechende
unzweckmässige Vereinfachung gestattet; um aber eine einheit-
liche, auf das verschiedene Verhalten der Streifen @ und der
Streifen JHN+E+Z+E+N+J bei der Contraetion hin-
weisende Bezeichnung zu haben, werde ich dieQ@ (Engelmann’s
anisotrope Schichten) als metabole Schichten, de JHN+E+Z
+E+N+)J (Engelmann’s isotrope Schichten) als arimetabole
Schiehten bezeichnen. Im Falle der weniger reichen Streifung
werden die Q wieder als metabole, die J+Z-+ J aber als ari-
metabole Schichten bezeichnet.
Wir wollen nun die Veränderungen, welche die arimetabolen
und die metabolen Schichten bei der Contraetion erleiden, an
dem Goldpräparate verfolgen.
In den arimetabolen Schichten rücken bei zunehmender Ver-
kürzung der ganzen Schichte die Streifen N näher an die Streifen
Z, heran, Fig. 8a zwischen Iu.II, Hu. III, HIu. IV und IV u.V,
bis bei einer bestimmten Verkürzung der arimetabolen Sehichte
der Streifen E, weleher früher zwischen N und Z vorhanden
war, nieht mehr zu sehen, Fig. 8a zwischen Vu. VI. Schliess-
lich vereinigt\ sich der Streifen N vollständig mit Z und es be-
steht die arımetabole Schiehte nur mehr aus den Streifen IJ+Z
+ J, wie das bei weniger reich gestreiften Muskeln gleich an-
fänglich der Fall ist.
Ganz entschieden in Abrede muss ich es tolle dass es
vorkommen kann !), dass die Streifen N bei der Verkürzung der -
1) Engelmann, Pflüger’s Archiv Bd.18, pag. 27.
Eu ee
Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma etc. 675
Fasern auch mit Q@ verschmelzen, indem zuerst der Streifen J
verschwindet. Ich habe immer nur das erstere, aber an sehr
sehr zahlreichen, nach vielen Hunderten zählenden Präparaten
niemals das letztere gesehen, und durch eine Reihe von That-
sachen, welehe ich schon mitgetheilt habe, wird ein solches Ver-
halten des Streifens N auch im höchsten Grade unwahrscheinlich.
Eine sehr auffallende Veränderung tritt nun im nächstfol-
senden Stadium in der arimetabolen Schichte auf. Man sieht
an Stelle der hellen und wenig gefärbten Streifen J des früheren
Stadiums zwei stark gefärbte dunkle Streifen und dazwischen
einen hellen Streifen, der wenig mit graulichem Tone gefärbt er-
scheint. Ich bezeiehne die dunklen Streifen mit J/, den hellen
Streifen dazwischen mit Z/, Fig.8a zwischen VII u. VIII und
VII u. IX und IX u. X.
Es stellt sich nämlich heraus, dass die Streifen J’ als dun-
kel gewordene J, die Streifen Z’/ als heller gewordene Z zu be-
trachten sind. Entscheidend für diese Auffassung ist erstens
das Verhalten im polarisirten Lichte, in welchem die J’ einfach
breehend erscheinen, wie die J, die Z/ dagegen doppeltbrechend
wie die Z, zweitens eine Thatsache, welche gleich erwähnt wer-
den soll. Es kommt nämlich manchmal vor, dass zwischen
dem Stadium der Veränderung, welches die arimetabole Schichte
zwischen VI und VII Fig. 8 und zwischen VII und VIH
Fig. 8 zeigt, noch ein Stadium eingeschaltet ist, in welchem J/
_ und Z’ sich so verhalten, dass J’ noch nicht ganz dunkel, dagegen
Z’ noch nieht ganz hell erscheint. Da nun dieses Stadium, in
welchem J’ und Z’ einander ähnlich sind, auch mit emer später
zu besprechenden Veränderung der metabolen Schichten zusam-
menfällt, durch welche auch diese Schichte den Schichsen J’ und
Z’ ähnlich wird, so hat die Muskelfaser in diesem Stadium die
undeutlichste Querstreifung. Es ist dann das sogenannte homo-
gene Stadium der Autoren vorhanden, welches ein vor dem be-
schriebenen Stadium J’ + Z’ + J’ gelegenes Uebergangsstadium ist.
Ich habe aber dasselbe nicht als regelmässiges Stadium an
fixirten Contraetionswellen von Arthropoden-Muskeln beobachtet.
Dagegen habe ich die in Fig. 8 gezeichnete Streifenfolge J’ + Z
+ J’ als Uebergang von den erschlafften Segmenten der Muskel-
faser zu den contrahirten Segmenten in den meisten Fällen ge-
sehen.
676 A. Rollett:
In den Zeichnungen, welehe Engelmann seinen Abhand-
lungen !) beigiebt, finde ich die Streifenfolge + 2’ + J’ nirgends
scharf dargestellt. Dagegen findet sich die beschriebene Streifen-
folge J + Z°+ J’ in dem schematischen Bilde von Nasse?) an
zwei Stellen und er giebt dazu an, dass die Endstreifen (i. e. un-
sere J‘) der Querscheiben (i.e. unserer Q) dabei nur mehr durch
einen schmalen Spalt, erfüllt von isotroper Substanz (i. e. unserem
7’), von einander getrennt seien.:
Ich habe schon angeführt, dass die dunklen Streifen J/ ein-
fachbrechend, dagegen die hellen Streifen Z/ doppeltbreehend
sind, woraus sich am besten die unrichtige Auslegung des von
Nasse richtig gesehenen Stadiums ergiebt. Im weiteren Verlaufe
der Contraetion lässt Nasse, wie ich gleich anführen will, den
schmalen Spalt zwischen den Endstreifen der Querscheiben immer
enger werden und endlich verschwinden, worauf die Endstreifen
der Querscheiben zu dem von Nasse als Contraetionsstreifen be-
zeichneten Streifen verschmelzen. Nach unserer Darstellung würde
das heissen, es verschwindet das helle Z/ zwischen den dunklen
J‘ und die letzteren verschmelzen zum Contraetionsstreifen; wenn
wir letzteren mit © bezeichnen, so liesse sich sagen, an Stelle
der Streifenfolge J’ + 2’ -+ J/ tritt m den arimetabolen Schichten
der dunkle Streifen C Fig.8o zwischen Xu. XI, XIu.XII, XI
und XIII ete. und das ist in der That auch die Anschauung, zu
der ich durch genaue Verfolgung der Uebergänge an fixirten
Contraetionswellen gelangt bin.
Wir gehen nun über zu den metabolen Schichten. Diese
zeigen Anfangs nur wenig Veränderung, sie verkürzen sich ver-
hältnissmässig weniger als die arimetabolen Schichten, wie in Fig. 8
zu ersehen ist.
Endlich ändert sich aber auch das Aussehen der metabolen
Schiehte, sie wird heller, die früher bestandene Differenzirung
zwischen den satter gefärbten Partien und den hellen h schwin-
det und in der Mitte der veränderten metabolen Schichte tritt
ein schlecht begrenzter dunklerer Streifen auf, welchen ich mit
m bezeichnet habe, Fig. 8 VIlu, VIHlu, IXyu, Xu u. s. f.; für die
veränderte metabole Schiehte gebrauche ich die Bezeichnung Q/.
1) Pflüger’s Archiv Bd.7, pag.155, Tafel III, Fig.1 und Bd. 18,
pag.1, Fig. 1, 2, 4 und 5.
2) Pflüger’s Arch. Bd, 17, Pag!288,
Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma ete. 677
Ich habe auf Grund dieser Beobachtungen unterschieden:
1. Das Anfangs- oder Ruhestadium des erschlafften oder der
Erschlaffung nahen Muskels mit der Streifenfolge JHN + E+Z
+ E+N+)J oder der Streifenfolge J + Z-+ J in den arimeta-
bolen Schiehten und dem Streifen @ (mit h) in den metabolen
Schichten.
2. Das Uebergangsstadium in seinen verschiedenen Erschei-
nungsweisen mit der Streifenfolge J’ + Z’+J’ im den arimeta-
bolen Sehiehten und dem Streifen @ (mitm) in den metabolen
Schichten.
| 3. Das Contractionsstadium mit den Streifen C in den
- arimetabolen und den Streifen @ (mit m) in den metabolen
Schichten.
Zur weiteren Beleuchtung der Unterscheidungsgründe dieser
drei Stadien muss ich noch einiges bemerken. Ich habe schon
in dem ersten Theile meiner Untersuchungen !) angeführt, dass
sie eine Darstellung der Querstreifung der Muskelfasern der In-
secten im erschlafften oder der Erschlaffung nahen Zustande
enthalten. Es ist aber selbstverständlich, dass das, was nicht
ganz erschlafft ist, in einem mässigen Zustande der Contraction
sich befindet und man könnte daher solche Muskelfasern auch
als dem contrahirten Zustande nahe bezeichnen. Und es wäre
ganz zweckmässig, für denselben Verkürzungszustand des Muskels
einmal die eine und das andere Mal die andere Bezeichnung zu
wählen, wenn man einmal den Uebergang in die Contraction,
das andere Mal den Uebergang in die Erschlaffung oder bei le-
benden Contraetionswellen das eine Mal die im Anfange, das an-
dere Mal die im Ende der Welle befindlichen Theile der Faser
im Auge hätte. Um diese Unterscheidungen soll es sich aber
bei der Aufstellung unserer früheren Stadien nicht handeln.
Die erschlaffte Muskelfaser zeigt eine ganz bestimmte Folge
von Querstreifen. In allen Fällen, in welchen, abgesehen von der
verschiedenen Breite und dem Fehlen einzelner dieser Streifen,
die an der Faser vorhandenen Streifen wesentlich dieselbe mi-
kroskopische Beschaffenheit aufweisen wie die Streifen der er-
schlafften Muskelfasern, sprechen wir allein aus diesem mikros-
kopischen Grunde von der Querstreifung der erschlafften oder
I 1) l.c. pag. 83.
678 Ateillert
der Erschlaffung nahen Muskelfaser ; wenn dagegen die mikros-
kopische Beschaffenheit der Querstreifen bei eontrahirten Muskel-
fasern einmal wesentlich geändert erscheint, ist von der Quer-
streifung des Uebergangsstadiums oder der contrahirten Faser
die Rede.
Mit den Thatsachen, welche wir über die Veränderung der
Querstreifung bei der Contraetion an den Fibrillen der Krebs-
muskeln und an der in Fig. 8 dargestellten Contractionswelle kennen
gelernt haben, stimmen auch die Beobachtungen überein, welche
man an einer Abart dieser Wellen, den seitlichen Contractions-
wellen, machen kann.
Eine Beobachtung Föttinger's!) weiter verfolgend, habe
ich gefunden ?), dass man solche seitliche Contractionswellen
immer 'in grosser Menge und Mamnigfaltigkeit an den Muskeln
von in Alkohol ertränkten Chrysomeliden findet. Man weiss durch
Föttinger, dass sich bei diesen Käfern die seitlichen Wellen
an jenen Wellen der Muskelfasern bilden, wo Doyere’sche Hügel
aufsitzen. Sucht man an solchen Muskeln eifrig, dann gelingt es
allerdings mit nicht geringer Mühe und Schwierigkeit, solche seitliche
Wellen zu finden, an welchen sich die Uebergänge von contra-
hirten zu erschlafften Theilen in derselben Einstellebene verfolgen
lassen. Alle seitlichen Wellen, die man findet, eignen sich aber
nicht dazu und darin liegt eben die Schwierigkeit.
Eine mit Hämatoxylin tingirte seitliche Welle von Cassida
equestris habe ich in Figur 9 abgebildet. Es sind in derselben
von den erschlafften gegen die contrahirten Theile hin die Ver-
änderungen, welche die arimetabolen und die metabolen Schichten
bei der Contraetion erleiden, in ein und derselben Schichte zu
verfolgen.
Mit Bezug auf das Verhalten der Streifen N bei der Con-
traction ist die Vereinigung derselben mit Z hervorzuheben. Fer-
ner ist bemerkenswerth die Gabelung, welche man beim Ueber-
gange der Contractionsstreifen in die Streifenfolge /+Z+J
wahrnimmt. |
1) Onderzoek. Ged in het physiol. Labor. d. Utrecht. Hoogeschol.
A. d. F. C. Donders en Th. W. Engelmann. Derd. Reeks V,
1880, pag. 293.
2) Untersuchungen, I. Theil, l.c. pag. 26 u. d. £.
Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma etc. 679
Diese Gabelung ist auch von Föttinger an einer seit-
lichen Contraetionswelle von Passalus glaberimus sehr gut dar-
gestellt worden.
Ziehen wir nun aus unseren Untersuchungen über die mi-
kroskopischen ‚Vorgänge bei der Contraction eine Folgerung für
die Streifen N, so lautet dieselbe wieder: die Streifen N sind
eben so gut wie die Streifen @, J, E und Z durch besondere
Glieder der Muskelsäulchen bedingt. ’
Ich muss nun noch, wie ich schon angekündigt habe, auch
auf die Veränderungen eingehen, welche starke Wirkung einer
Säure an den Muskelfasern hervorbringt.
Ich habe in meinen Untersuchungen !) die Versuche darüber
ganz absichtlich mit solchen Muskeln begonnen, welche die reiche
Streifung, also die Streifenfolge ZH E+N+J+Q+J-+N
+ E+Zu.s.f. darboten. Es wird gut sein, wenn ich mich
hier besonders genau an die Darstellung halte, die ich im Jahre
1880 gegeben habe.
Sobald der Säurestrom (1°/,ige Ameisensäure) sich über
die Muskelfasern ergiesst, quellen dieselben beträchtlich und wer-
den dabei blasser, das gilt namentlich von der Schichte @. Die
Schichten N und Z bleiben anfänglich in Bezug auf Verbreiterung
hinter Q zurück, so dass die Faser entsprechend den Schichten
N und Z eingeschnürt erscheint. Die Schichten @ erscheinen in
der gequollenen Faser höher, die Schichten N und Z dagegen
aufeinandergedrängt. Nun folgen aber auch die so veränderten
Schiehten N und Z der wachsenden Ausdehnung der Schichten
Q in die Breite und es stellt sieh ein Bild her, welches leicht
für das Bild einer Muskelfaser mit sehr dunklen Streifen N ge-
halten werden könnte, siehe Fig. 10, welches aber in Wirklich-
keit ganz anders zu deuten ist.
Man sieht statt der früheren dunklen Elemente der Schichten
N dunkle runde oder etwas längliche Gebilde, Fig. 10, 1, Iu. s. f.,
die wie neben einanderliegende Körner aussehen. Durch die
Schichten @ laufen feine dunkle Linien, welche je zwei dieser
Knoten der Länge nach verbinden, Fig. 10. Zwischen den im
Zwischenraum je zweier aufeinander folgender Q liegenden Quer-
BurzEnei L.e. pag: 115.
680 A. Rollett:
=
reihen von Knoten I erscheint in einer verdunkelten Schichte
noch deutlich der Streifen Z.
Ein weiteres Stadium der Veränderung durch Säurewirkung
ist m Fig. 11 von derselben Muskelfaser dargestellt. Die @ sind
noch weiter gequollen und in der Mitte derselben tritt eine Tren-
nung des Zusammenhanges auf. Es stellt sich der von mir aus-
führlich beschriebene Scheibenzerfall in Säuren her, die Scheibe
a ist schon völlig isolirt, b, e und d nur theilweise, da sie rechts
noch ein wenig zusammenhängen.
Nachdem wir diese Veränderung der Muskelfasern besprochen,
kehren wir noch einmal zu dem Bilde Fig. SB zurück, welches
aus in Alkohol in Scheiben zerfallenen Aphodiusmuskeln durch
schwache Säurewirkung entstanden war. |
Wir lassen auf solche Bilder die Säure nun stark, das ist
länger und unter öfterer Erneuerung durch Drainage, einwirken.
. Dabei beobachtet man, dass auch die N in dem inneren Felde
(der Figur sich verbreitern. Dabei ändert sich aber auch bald das
Ansehen des den N entsprechenden Mosaiks. Die Aenderung
besteht darin, dass die dunklen Felder des Mosaiks immer grös-
ser und heller werden, dagegen wird das früher helle Geäder
zwischen den Feldern immer dunkler, so dass bald helle Felder
von einem dunklen Geäder umgeben vorhanden sind. Es ist das
das bekannte Bild, welches mit Säure behandelte Muskeln auf
dem Querschnitte zeigen und welches eben so auch an vergolde-
ten Muskeln zu sehen ist, bei welchen die Felder weiss, das Ge-
äder roth erscheint. Die Seitenansicht der in Säuren also ver-
änderten Scheiben gleicht dann völlig der Seitenansicht der Schei-
ben in Fig. 11.
Man könnte nun, so schrieb ich im Jahre 1885, die Seiten-
ansicht, welche hier m Fig. 11 zu sehen ist, leicht mit der
Seitenansicht, welche in Fig. 6 von den Scheiben N+E+Z
+ E+N zu sehen ist, verwechseln und „die Querreihen I von
dunklen Knoten für die Elemente (Stäbe) der Schichten N halten,
während sie in der That etwas ganz anderes sind“.
Die Querreihen von dunklen Knoten gehören dem Sarko-
plasma an, welches neben den in Säure gequollenen Muskelsäul-
chen das besprochene Ansehen annimmt.
Da ich im Jahre 1885 absolut nicht ahnen konnte, dass
ich die hier angezogenen Säurebilder im Jahre 1891 zur Ver-
.
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j
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ur. Dr er
In N - e i
Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma etc. 681
theidigung der Streifen N (Nebenscheiben) werde heranziehen
müssen, wird es meinen folgenden Darlegungen zu Gute kommen,
‚dass ich schon im Jahre 1885 auf diese Bilder und ihre gefähr-
liche Beziehung zu der reichen Streifung der Muskelfasern ‚auf-
merksam gemacht habe.
Bald nachdem ich die im Eingange erwähnte Arbeit von
Retzius erhalten hatte, beschäftigte ich mich auch mit der An-
fertigung von Präparaten der quergestreiften Muskelfasern von
Käfern nach dem Vorgange von Retzius. Ich habe zwar nicht die-
selben Käfer untersuchen können, die Retzius untersuchte, und na-
mentlich nicht Orycetes nasicornis, da dieser jetzt nicht lebend zu
haben war, ich habe aber eine Reihe von Carabiden: Megadon-
tus violaceus, Pterostichus transversalis, Platynus angusticollis und
albipes, Amara communis und ferner Dytieus margimalis unter-
sucht.
Ich fand, dass die Bilder, welche man von den Muskeln
erhält, wenn man sie behandelt mit Chrom-Osmium-Essigsäure-
Gemisch, welches weniger Osmiumsäure enthielt, als das Gemisch
Flemming’s, sehr verschieden sind je nach der Zeit, während
welcher sie in diesem Gemische verweilen.
Es hätte aber langwierige Studien erfordert, zu welchen
mir jetzt die Zeit mangelt, wenn ich mich ganz entschieden über
diese verschiedenen Bilder sollte äussern können.
Nach bestimmtem Verweilen der Muskeln in jenem Gemische
und Färbung derselben mittelst Rosanilin und Einschliessen in
Kaliacetat erhielt ich aber Bilder mit den von Retzius beschrie-
benen Körnerreihen zu beiden Seiten des Streifens Z. Diese
Körnerreihen gehören, wie Retzius angiebt, dem Sarkoplasma
an und man wird sofort an die Bildungen erinnert, welche in
den Figg. 10 und 11 dargestellt sind.
Man sieht, wie das auch Retzius angiebt, an solchen Mus-
kelfasern auch in dem Sarkoplasma unter dem Sarkolemma stark
gefärbte Klümpcehen und solche stark gefärbte Klümpehen treten
auch in den Knotenreihen I, vergleiche Figg. 10 und 11, auf.
Zerzupft man die Muskeln, dann kann man solehe Klümpehen
frei zwischen den sichtlich gequollenen Muskelsäulchen beob-
achten.
Ich besitze noch zu wenig Erfahrung, um mich über die
Provenienz dieser Klümpchen genauer aussprechen zu können.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 45
683 A. Rollett:
Dass dieselben mit den Körnehen identisch sind, die man überall
im Sarkoplasma von frischen Muskeln und von- Weingeistmuskeln
beobachtet und welche ich selbst vielfach abgebildet habe, kann
ich für keine ausgemachte Sache ansehen. Die gefärbten Klümp-
chen in den mit Chromosmium-Essigsäure, Rosanilin und Kaliacetat
behandelten Muskeln erscheinen um Vieles grösser. Man kennt
aber eben die Wirkung aller dieser Reagentien auf die Körnchen
des Sarkoplasmas noch zu wenig.
Zum Schlusse möchte ich noch ein paar Worte über die
interecolumnaren Spaltenräume von Retzius vorbringen.
Retzius!) führt darüber das folgende an: „sie sind zwar
in der lebenden und nicht erhärteten Muskelfaser nicht sichtbar
und an Säure- und Goldpräparaten verschwinden sie durch An-
schwellung der Säulchen (resp. Fibrillen), lassen sich aber bei
der Anwendung der gewöhnlichen Erhärtungsmethoden mehr oder
weniger deutlich demonstriren.“
Dieser Ausspruch von Retzius scheint mir denn doch sehr
dazu aufzufordern, an die Existenz der intercolumnaren Spalten-
räume im lebenden Muskel noch eifrig die Sonde der Kritik an-
zulegen.
Am wichtigsten hierfür scheint mir das Querschnittsbild
frischer, ganz ohne Zusatz unter das Mikroskop gebrachter Muskel-
fasern zu sein. Wie man sich solehe Querschnittsbilder von
Käfermuskeln verschaffen kann und dass man an denselben die
Muskelsäulchen ebenso von dem enge anliegenden Sarkoplasma-
geäder umschlossen sieht, wie an Säure- und Goldbildern, habe
ich in meinen Untersuchungen ?) auseinandergesetzt.
Ferner habe ich?) die Querschnittsbilder frischer Flossen-
muskeln des Seepferdehens beschrieben und abgebildet; auch auf
diesen werden die Muskelsäulchen dicht vom Sarkoplasma umgeben.
Hier habe ich aber gesehen, dass nach länger dauernder
Applikation von 1°/, Osmiumsäure sich die Muskelsäulchengruppen
mit hellen Säumen umgeben, und durch die die Muskelsäulchen-
sruppen und das Sarkoplasma trennenden hellen Säume liefen
noch zarte Bälkchen von Sarkoplasma, welche sich in die die
1).1. & page. TI undr73,
2) II. Theil, 1. ec. pag. 44.
3) Dieses Archiv Bd. XXXII, pag. 247 und 248,
Ueber die Streifen N (Nebenscheiben), das Sarkoplasma ete. 6883
=
‚äulchen einer Gruppe trennenden Sarkoplasmabälkchen fort-
etzten. Man hatte hier den Eindruck, dass sich die Muskel-
äulchen durch Schrumpfen von Sarkoplasma zurückgezogen
ıaben.
Endlieh muss ich hervorheben, dass an allen in Weingeist
rehärteten Muskeln von Käfern, Hymenopteren, Museiden und
<rebsen und besonders auch an in Weingeist gehärteten Flossenmus-
xeln von Seepferdehen, von welchen allen ich überaus zahlreiche
Juerschnitte mit Hämatoxylin gefärbt und ungefärbt untersuchte‘),
mmer nur gesehen wurde, dass die Muskelsäulchen ebenso dicht
vom Sarkoplasmageäder umschlossen sind, wie an frischen Mus-
keln und an mit Säure behandelten oder vergoldeten Muskeln.
Von den Flossenmuskeln des Seepferdehens habe ich ganz
besonders in genau der Wirklichkeit entsprechenden relativen
Grössen in Fig. 1, Tafel VII, in Fig.7, Tafel VIII und in Fig. 9,
Tafel VIII (Bd. XXXII dieses Arch.) der Reihe nach dargestellt:
(Querschnitte von in Säure stark gequollenen, vergoldeten Muskel-
fasern; von in Alkohol stark geschrumpften, mit Hämatoxylin
gefärbten Muskelfasern und von in der Mitte zwischen beiden
liegenden frischen Fasern. Man sieht auf allen die Muskel-
säulchen von dieht anliegendem Sarkoplasma umschlossen.
Zum Schlusse. wiederhole ich nur, was ich schon oft, um
Missverständnisse nicht aufkommen zu lassen, betont habe, dass
dem Sarkoplasma selbst noch eine feinere Structur zukommt.
Auf die Wahrscheinlichkeit, dass diese Structur eine körnig
fibrilläre ist, weisen auch die Untersuchungen von Retzius
wieder hin.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXVI.
Fig. 1-4 Muskelfasern, untersucht mittels des Speetropolarisa-
tors. Dieselben sind gelagert über den dunklen Interferenzstreifen des
spectral zerlegten Roth 1. Ordnung.
1) Untersuchungen, LE, Theil, 1.€ pa2:23 u... Raid I und
Tafel II, Fig. 11 A.
Se
IL
SE)
©. 10.
e. 11.
A. Rollett: Ueber die Streifen N (Nebenscheiben) ete.
Eine Muskelfaser von Lucanus cervus.
Eine Muskelfaser von Onthophagus taurus.
Scheibenzerfall in Alkohol einer Muskelfaser von Opatrum
sabulosum.
Scheibenzerfall in Alkohol einer Muskelfaser von Scarabaeus
laticollis.
A eine in Alkohol in Scheiben zerfallene Muskelfaser von
Aphodius rufipes nach schwacher Säurewirkung; B eine Scheibe
von der Fläche gesehen. |
Eine in Alkohol in Scheiben zerfallene Muskelfaser von Apho-
dius rufipes nach schwacher Säurewirkung.
Vergoldete Muskelfibrillen von Astacus fluviatilis in verschie-
denen physiologischen Zuständen.
Schema einer vergoldeten Contractionswelle von Astacus
fluviatilis.
Seitliche Contractionswelle von Cassida equestris mit Häma-
toxylin gefärbt.
Muskelfaser von Staphylinus caesareus nach starker Säure-
wirkung.
Scheibenzerfall in Säure von einer Muskelfaser von Staphy-
linus caesareus.
Graz, April 1891.
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ELTERN GEN
685
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle.
H. Theil).
Von
W. Flemming in Kiel.
Hierzu Tatel XXXVIII, XXXIX und XL.
Inhalt:
Untersuchungsverfahren.
. Ein muthmaassliches Aequivalent der Zellplatte bei Vertebraten.
Veränderung im Zellkörper während der Mitose.
Ueber die Attraetionssphären und Centralkörper in thierischen
- Gewebszellen und Leucocyten.
E. Zur Mechanik der Zelltheilung, und über die Entstehung der
Kernspindel in Gewebszellen des Salamanders.
ars
A. Untersuchungsverfahren.
| Mit dem Verfahren für Verdeutliehung der chromatinlosen
Strueturen und der Centralkörper, das ich neulich in diesem
Archiv beschrieb?), habe ich auch die Mitose, und insbesondere
die Verhältnisse der Spindelfigur bei Amphibien näher studirt
und einiges Neue darüber ermittelt. Um so klare Objecte als
möglich zu haben, suchte ich dazu die grössesten und zugleich
plattesten Zellen aus, die der Körper der Salamanderlarven dar-
bietet: solehe sind die Epithelzellen wie auch viele Bindegewebs-
1) Fortsetzung zu der Arbeit in diesem Arch. Bd. 29, 1887, S. 389.
2) Bd. 37, Heft 2, März 1891, S.249, am Schluss. — Da die Me-
thode, wie dort erwähnt, genau abgepasst sein will und auch so ziem-
lich wechselnde Ergebnisse liefert, theile ich hier noch Genaueres dar-
über mit. Bei folgender Behandlung habe ich die besten Erfolge und
die wenigsten Fehlschläge gehabt:
Vorbehandlung der Objecte wie a. a.O. angegeben. Sie kommen
in die Safraninlösung (wenige cem) auf 2—-3 Tage (Färbung in der
Wärme hat mir bis jetzt keinen Unterschied ergeben). Nach Ab-
686 W. Flemminse:
[e)
zellen in der wachsenden Lunge bei jüngeren Larven — Thiere
bis höchstens 4cm Länge — und Endothel- und Bindegewebs-
zellen des parietalen Bauchfells und der Mesenterien. Aeltere
waschen in dest. Wasser werden sie mit absolutem Aleohol, dem ganz
wenig (höchstens 1/iooo) Salzsäure zugesetzt ist, ausgezogen, bis sich
wenig Farbe mehr löst; sehr dünne Objecte (Bauchfell) habe ich auch
oft mit gleichem Erfolg in neutralem Alcohol ausgezogen. Nach kur-
zem Waschen mit Aq. dest. kommen dann die Objecte auf 1—3 Stunden
in die Gentianalösung (geringes Quantum genügend); dann wieder
nach kurzem Waschen in Wasser in concentrirte oder doch ziemlich
starke wässerige Orangelösung, in der sich Farbe aus ihnen löst. Aus
dieser werden sie (nach wenigen Minuten oder, bei sehr dünnen Ob-
jeeten, auch früher), während noch blaue Farbwolken herausgehen, in
absoluten neutralen Alcohol übertragen, worin sie anfangs eine Misch-
farbe von Braungelb und Violett, dann mehr reines Violett abgeben.
Noch während Reste dieser Farbe austreten, werden sie in ein anderes
Schälchen mit absolutem Alcohol, und nach kurzem Verweilen darin,
auf Nelkenöl oder Bergamottöl übertragen. Auch hierin (in Berga-
mottöl weniger) gehen noch leichte Farbwolken heraus; am besten,
bevor dies ganz aufgehört hat, wird in Lack eingeschlossen. Wie im
Text erwähnt, bekommt man zwar so zuweilen ungleiche Färbungen,
stärkere Reste von Orange in den einen Kernen und Zellen, während
andere davon fast frei sind; aber andererseits, wenn man so lange
wartet, bis sich keine Farbe mehr löst, findet man auch meistens die
Centralkörper und Spindeln schon entfärbt und ganz blass. Auf das
Abpassen der kurzen Zeit, wo diese Dinge gerade noch Farbe halten,
kommt es an.
Das Orange ist Orange G, von Herrn Dr. Grübler bezogen
(nach dessen gütiger Mittheilung eingeführt von Meister, Lucius
und Brüning in Höchst, später auch von der Actiengesellschaft für
Anilinfabrication, Berlin). Es ist das Natronsalz der Anilin-azo-ß-Naph-
toldisulfosäure, seine Lösung in Wasser reagirt sauer. Ob sich auch
andere Orange-Marken für das Verfahren eignen, habe ich noch nicht
probirt.
Das Safranin wende ich bei dieser wie bei anderen Färbungen
in starker dunkler Lösung an, die mit etwas Anilinwasser versetzt
wird, falls sie nicht nach längerem Stehen schon stark nach Anilinöl
riecht. Die Lösungen mache ich meist alcoholisch und setze etwa die
Hälfte Wasser zu, wie ich bei der ersten Empfehlung dieses Farbstoffs
(dieses Archiv 1881, S. 317 ff.) angab; man lässt dann die Lösung beim
allmählichen Gebrauch durch Verdunsten Alcohol verlieren oder kann
auch noch Wasser zusetzen, kann auch mit rein wässerigen Lösungen
färben. Auf ein bestimmtes Verhältniss zwischen Wasser- und Alcohol-
gehalt, auf das Einige Werth gelegt haben, scheint es mir nicht anzu-
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle, 687
Larven sind weniger geeignet, weil hier, namentlich in der Lunge,
das Gewebe bald klein- und dichtzelliger und die rasch wach-
senden Capillarennetze störend werden. Ueber die Präparation
‘ dieser Theile habe ieh schon an anderem Orte (dieses Archiv
1889: Ueber Theilung von Pigmentzellen etc.) berichtet. Für
die Lunge setze ich hinzu, dass für ihre rasche und gute Fixirung
das vorherige Aufschneiden der Leibeshöhle und leichtes Her-
vorzerren der Eingeweide unbedingt nöthig ist, damit die Lösung
gleich an die Lunge kommt. Damit nicht durch Muskeleontrac-
tion im Absterben Lunge und parietales Bauchfell in Falten ge-
härtet werden, tödte ich die Larven erst durch ganz kurzes Ein-
legen in Osmiumgemisch ab, öffne dann erst die Bauchhöhle und
lege die Larve wieder in die Lösung. Von den Lungen gelingt
übrigens nicht jedes Präparat, manchmal finden sie sich in ge-
falteter Form gehärtet und dann sind sie meistens nicht zu brau-
chen; sie müssen so fixirt sein, dass sie flach zusammengedrückt
und ihre Wände fast eben liegen. Man kerbt dann auf einer
Glasplatte mit einem scharfen Scalpell beiderseits ein schmales
Streifehen des Lungenrandes ab, so dass die gegenüberliegenden
planen Wände sich von einander ablösen und als dünne Flächen-
präparate benutzen lassen.
Von Sehnittpräparaten habe ich bei dieser Arbeit absicht-
kommen, nur überwiegender Aleoholgehalt scheint mir weniger gute
Färbungen zu liefern.
Das Gentianaviolett wende ich in sehr dunkler wässeriger Lö-
sung an.
Die Färbung der Centralkörper und Spindelfäden ist mir auch
an Präparaten, die nach der Osmiumgemisch-Behandlung ?/, Jahre in
Wasser-Alcohol-Glycerin aufbewahrt waren, noch recht gut gelungen;
über längere Zeiten besitze ich noch keine Erfahrung. Besonders
guten Erfolg hatte ich an Material, das gar. nicht in Alcohol ge-
wesen war.
Das eben erwähnte Gemisch von Wasser-Alcohol-Glycerin brauche
ich vielfach, um Präparate nach verschiedener Fixirung, die in blossem
Alcohol zu hart werden oder schrumpfen würden, längere Zeit aufzu-
bewahren, damit man dann noch die Wahl hat, sie nach kurzer Ma-
ceration in reinem Wasser durch Zerzupfen zu zerlegen oder mit
Nachhärtung in Alcohol für Schnitte zu benutzen. In einer Mischung
der drei Bestandtheile zu ungefähr gleichen Theilen halten sich Prä-
parate, die mit Ösmiummischungen fixirt sind, nach meinen Erfahrungen
besser färbbar, als in reinem Alcohol.
688 3 W. Flemming:
lich zunächst abgesehen, da es für ihren Zweck jedenfalls besser
ist, die ganze, als die eventuell angeschnittene Zelle vor sich zu
haben und da die hier untersuchten Objeete völlig dünn genug
sind, um Schnitte entbehrlich zu lassen.
Während die Präparate, die mit Hermann’scher Lösung
fixirt sind, sich durch scharfe Darstellung der Spindel, Central-
und Polkörper besonders hervorthun, leisten sie mir in der natur-
getreuen Erhaltung der cehromatischen Figur und der ruhenden
Kerne nicht so Gutes, wie mein Gemisch — so wenigstens an
den hier behandelten Geweben und überhaupt an Plattenepithelien,
Endothelien und Bindegewebszellen!). Man findet an ihnen
bei den Kernfiguren wie bei den ruhenden Kernen häufig erheb-
liche Verzerrungen und Verbackungen, die an meinen hier be-
sprochenen Präparaten — welche ja ohne jede Durchschmelzung
gemacht sind — nicht der Nachbehandlung, sondern nur dem
Fixirmittel zur Last fallen können. Ich wollte dies bemerken,
damit man nicht von dem für seinen Speeialzweek vortrefflichen
Hermann'schen Reagens auch alles Uebrige. erwartet. Wo es
auf diesen Zweck ankam, habe ich dasselbe vor der Chromessig-
osmiumsäure bevorzugt, doch auch mit dieser, in Form der
schwächeren Lösung und bei nicht zu schwachem Essigsäure-
sehalt, recht gute Hervorhebung der Spindeln und der Central-
und Polkörper erreicht. — Darüber, dass man die Centralkörper
der Leucoeyten. auch mit Chromsäure deutlich machen kann,
vergl. unten. |
Wie ın ‚der Anmerkung oben gesagt ist, erhält man bei
der Orangebehandlung und beim Ausziehen in Alcohol nicht
selten Präparate, in denen die einen Kerne noch Orangefärbung
zeigen, die anderen nicht, ja zuweilen finden sich in denselben
Kernen einzelne dunkelgelbe diffuse Orangeflecke, während der
grösste Theil der Kernstructur von dieser Farbe schon frei ist.
Solche Präparate sehen natürlich sehr wenig elegant aus, man
1) Am Hoden, wo Hermann seine Lösung vorzüglich gebraucht x
hat, sind die Resultate derselben viel besser, wie ich nach eigenen
Untersuchungen bestätigen kann. Dies ist keine besondere Merkwür-
digkeit, da ja die Gewebe der Genitalorgane auch gegen sonstige
Reagentien sich von anderen Geweben abweichend verhalten (vgl.
Zellsubstanz, Kern- und Zelltheilung, $. 34 u. a.).
De,
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 689
thut aber gut, sie für das Studium der Centralkörper in ruhenden
Zellen, sowie der Zwischenkörper mit zu benutzen, denn manch-
mal sind diese gerade in solehen Objeeten besonders scharf
_ tingirt.
Für die Verdeutlichung der achromatischen Spindel und
der Polstrahlungen hat Rabl ein Verfahren!) empfohlen, das die
Fasern derselben in vorzüglicher Schärfe sehen lässt. Nach dem
Eindruck, den ich bei Nachprüfungen erhalten habe, muss ich
aber doch finden, dass ich von diesen Dingen mit dem Orange-
verfahren mehr sehe. Denn bei der Rabl’schen Methode
können die Objeete nur in sehr schwach lichtbrechenden Flüssig-
keiten untersucht werden, und darin haben die Fäden solchen
Glanz, werfen so viele Reflexe, dass — soweit wenigstens meine
Erfahrung reicht — eine genaue Feststellung ihres Verlaufs nur
an besonders günstigen Stellen gelingt. Eben darum habe ich
nach einem Mittel gesucht, durch das man Spindelfäden, Linin-
fäden des Kerns und Zellstrueturen stärker färben kann, als es
bei Hämatoxylinbehandlung gelingt, um sie dann im aufgehellten
Object zu untersuchen. Dies leistet das Orangeverfahren und
erlaubt zugleich dauernde Aufbewahrung in Balsam. Nur für
die frühesten Anfangsstadien der Spindel im eben sich lockernden
Spirem (wie Fig. 22—23, 31) gilt dieser Vorzug nicht, wenig-
stens ist es mir noch nicht gelungen, damit in diesen Phasen
die hblassen Stränge zwischen den Knäuelfäden und die ersten Pol-
strahlungen stärker gefärbt zu erhalten, als man dies auch mit
dem früher von mir dafür empfohlenen Mittel (Chromessigsäure-
Hämatoxylin) erreichen kann.
Die Nuance der Färbung bei dem Orangeverfahren ist, wie
schon a.a. 0. kurz erwähnt war, für die Spindelfäden und (in
schwächerem Grade) Zellstructuren wechselnd, blass rothbraun,
graubraun, grau, in besonders günstigen Fällen violett; für die
Centralkörper, Polkörper und Zwischenkörper bei starken Graden
braunviolett bis schwarzbraun, bei schwachen roth. Es handelt
sich also hier keineswegs um eine Separatfärbung irgend welcher
Dinge durch Orange, überhaupt um keine „Dreifachfärbung“ im
1) C. Rabl, Ueber Zelltheilung. Anat. Anzeiger 1889, Nr. 1.
(Behandlung mit Platinchlorid, Kernfärbung, Untersuchung in Methyl-
alkohol.) Ich sehe allerdings in Wasser so ziemlich das Gleiche.
60 W. Flemming:
eigentlichen Sinne, sondern um eine Mischwirkung der drei ver-
wendeten Farbstoffe auf dieselben Strueturen. Es ist mir für
jetzt keineswegs verständlich, wie diese zu Stande kommt und
weshalb sie schwankend ist. Ich theile das Verfahren nur des-
halb hier so genau mit, weil es eben genau gehandhabt sein
will, und möchte es keineswegs präconisiren, sondern hoffen, dass
sich noch einfachere und sicherere Mittel für den gleichen Zweck
finden werden; für jetzt aber leistet mir dafür kein anderes so-
viel wie dieses.
B. Ein muthmaassliches Aequivalent der Zellplatte bei
Vertebraten!).
In den späteren Dispiremphasen, zur Zeit, wo die Tochter-
zellen sich eben von einander abgeschnürt haben, fällt bei der
besprochenen Dreifachbehandlung ein kleiner scharf gefärbter
Körper auf, der gerade an der Abschnürungsstelle beider Zellen
gelegen ist (Fig. 11—15a, Tafel XXXVII); ich bezeichne ihn hier
einstweilen als „Zwischenkörper“?). Seine Färbung ist meistens
roth, wie die des Kernchromatins, oder etwas heller, bei stärkeren
Färbungsgraden geht sie in's Braune. Der Durchmesser des
Körpers ist in diesem Stadium — für die hier besprochenen
Zellarten — im Durchschnitt etwa 1—1,5 u in äquatorialer und
ebensoviel in polarer Richtung‘; zuweilen überwiegt der eine oder
der andere dieser Durchmesser. Der Form nach finde ich den
Körper im Bilde entweder viereckig mit abgerundeten Ecken,
was körperlich genommen einer Walzenform mit stumpfen End-
kanten entspräche, oder auch rund. Einigemale war jene Walzen-
form sehr scharf ausgesprochen und die Kanten fast ganz scharf
1) Ueber das hier Folgende wurde eine kurze Mittheilung in der
anatomischen Section des Berliner Intern. med. Congresses, August
1890, gegeben und eine Abbildung vorgezeigt.:
2) Denn eine Verwechselung mit den Zwisehenkörperchen des Ho-
dens, wie OÖ. Hertwig die als „Corpuscules residuels“ von van Be-
neden und Julin bei Ascaris, von mir und F. Hermann bei Sala-
mandra beschriebenen, degenerirenden Zellen in den männlichen Keim-
drüsen genannt hat, ist wohl ausgeschlossen. — Wenn übrigens meine
unten geäusserte Deutung richtig ist, wird man das hier Beschriebene
als Zellplatte oder als Zellplattenrudiment bezeichnen können.
— En
a ZZ;
ORTE nn
I
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 691
(Fig. 13). Einmal sah ich statt des einfachen Körpers zwei, die
schräg dicht aneinander lagen (Fig. 15), es könnte dies aber auf
zufälligem Bruch beruhen.
Sobald ich auf dies Gebilde einmal aufmerksam war, fand
ich es auch vielfach noch nach der völligen Zelltrennung er-
kennbar. Ueberall, wo sich junge Tochterzellenpaare finden,
deren Kerne noch Reste der Dispiremstructur und die bekannte
Polbucht haben, lässt sich auch am Grenzrande der beiden Zellen
der Zwischenkörper erkennen, ist aber zu dieser Zeit schon merk-
lieh kleiner und weniger tingibel geworden. Hier und da sieht
man ihn noch zwischen Zellen, deren Kerne völlige Ruheform
zeigen. Schliesslich scheint er in der Zellgrenze zu verschwinden.
Der Vergleich von älteren Präparaten aus Osmiumgemisch
oder Chromsäure, die mit reinen Kernfärbungen hergestellt
waren, ergab alsbald, dass die Zwischenkörper auch an solchen
vielfach zu erkennen sind und gewiss allgemein bei Amphibien-
zellen und also wohl überhaupt bei Wirbelthierzellen vorkommen
werden; sie sind aber an solchen Objekten bloss durch ihre
Lichtbreehung ausgezeichnet und ohne Markirung durch Tinetion
so wenig auffallend, dass ich früher nicht auf sie aufmerksam
geworden war. ' |
Auffallend ist nun die Beziehung dieser Körper zur Structur
der Tochterzellenleiber. Das Bündel-von Verbindungsfäden näm-
lich, welches vor der Zelltrennung von je einer Tochterkernfigur
zu der Abschnürungsstelle lief, wird um den Zeitpunkt der Ab-
schnürung selbst an der Stelle der letzteren ganz eng zusammen-
genommen, und an der Stelle dieser seiner Einengung erscheint
das Körperchen (Fig. 12—15). Die Verbindungsfäden sind also
nun, wie diese Figuren zeigen, in jeder Tochterzelle als ein
conisches Bündel angeordnet, das seine Spitze in dem Zwischen-
körper hat und sich mit seiner Basis gegen die antipole Seite
des Kernes auffasert. Es sind nicht alle früheren Verbindungs-
fäden in diesen Kegel einbegriffen; die peripher gelegenen strahlen
neben ihnen in die übrige retieulirte Zellstruetur aus.
Je längere Zeit nach vollendeter Zelltrennung verfliesst,
desto mehr verkleinern sich diese Faserkegel und werden endlich
undeutlich, und zwar so, dass ihre Spitzen, die an dem Zwischen-
körper haften, am längsten bestehen bleiben (Fig. 11).
Ueber die Entstehung dieser Zwischenkörper liess sich Fol-
692 W. Flemming:
gendes ermitteln: Wie ich vor längerer Zeit beschrieb!), tritt in
der Dispiremphase das Bündel der Verbindungsfäden, auch in
der lebenden Zelle, besonders deutlich abgegrenzt hervor, und es
zeigt sich darin an der Abschnürungsstelle im Aequator eine
eigenthümliche Differenzirung?), die ich schon damals und später >)
mit der pflanzlichen Zellplatte in Vergleich brachte. Mit den da-
mals angewandten Methoden, reinen Kerntinetionen, war an dieser
Stelle niehts Gefärbtes zu sehen, und es musste mir fraglich
bleiben, ob man es mit Anschwellungen der Verbindungsfäden
oder mit zwischen diesen liegenden Dingen zu thun hatte. Bei dem
jetzigen Verfahren sehe ich nun in Stadien, wie Fig. 9 und 10,
sehr kleine, röthlich gefärbte Körperchen zwischen den blassen
Verbindungsfäden; sie erscheinen oft nicht in gleicher Ebene ge-
lagert, doch könnte dies auch auf geringe Schräglagerung der
Axe gegen die Bildebene zu schieben sein. In einigen Fällen
waren genau vier solehe Körper zu sehen, in anderen schienen
es mehr zu sein; vielleicht kann ihre Zahl auch immer grösser
und nur aus einem Theil von ihnen die Farbe schon ausgezogen
sein. Ihre Form ist leicht länglich. Da sie bei dem Orange-
verfahren die gleiche Färbung zeigen, wie nachher der einzelne
Zwischenkörper, so kann man wohl nieht daran zweifeln, dass
dieser entsteht, indem bei der Abschnürung der Zelle jene kleinen
Partikeln zu diesem zusammengedrängt werden. Da die endgültige
Abschnürung ziemlich rasch erfolgt, so ist es erklärlich, dass man
den Uebergang zu dieser Zusammendrängung selten zu sehen be-
kommen wird; bis jetzt habe ich noch keime Bilder gefunden,
die ihn zeigen, die also zwischen Fig. 10 und 13 liegen würden.
Woher aber stammen jene mehrfachen Körperehen zwischen
den Fäden? Ich möchte gleich ausschliessen, dass sie etwa aus
den Kernen zufällig versprengte Chromatinbröckchen sein sollten ®).
1) Dieses Archiv 1878, Tafel 16, Fig. 9 und Text. Damals und
weiter wurde, wie ich dies auch gethan habe, dies Faserbündel noch
mit dem ganzen Mitteltheil der Spindel identificirt, was jetzt nach
den Arbeiten van Beneden’s u. A. natürlich nicht mehr zutrifft.
2) Ebenda, 1880, S. 223—24, Fig. 15b; damals, noch mit Wasser-
immersion, freilich noch unvollkommen erkannt und dargestellt. _
3) Zellsubstanz etc. S. 246.
4) Man könnte hieran denken, weil hier und da einmal Zellen
vorkommen, wie Fig. 15, in denen an einem Tochterkern ein Divertikel
=-
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 693
Denn wäre dies der Fall, so müsste man natürlich das Vorkom-
men solcher Körperchen auch in den vorherigen Dyasterphasen
erwarten. Hier aber (Fig. 8) lässt sich in den gleichen Präpa-
raten, also unter gleichen Färbungsbedingungen, nichts von sol-
chen tingirten Dingen in dem Fädenbündel bemerken; in diesen
Stadien sieht man in dem letzteren nur blasse, achromatische
Körnehen, die ich in früheren Arbeiten schon gezeichnet habe.
Ob aus ihnen vielleicht die nachherigen tingirten Körner im
Aequator entstehen könnten, vermag ich nicht zu sagen. Jeden-
falls ist nicht anzunehmen, dass die Körner im Aequator und
die aus ihnen entstehenden Zwischenkörper eme dem Kernchro-
matin gleiche Substanz wären; denn bei Behandlung mit ganz
reinen Kernfärbemitteln bleiben sie blass, und ich habe ihre
Tinetion bis jetzt nur mit dem Orangeverfahren erzielt.
Die einzige Deutung, welche ich einstweilen für die Zwischen-
körper zu geben weiss, ist die, welche ich schon früher ver-
muthungsweise für die aequatorialen Differenzirungen im Fäden-
bündel gab: dass sie in irgend welcher Weise Homologa der
pflanzlichen Zellplatten sind. Man kann sie vielleicht rudimentäre
Formen derselben nennen. Dass sie eine allgemeine oder doch
sehr verbreitete Erscheinung bei der Zelltheilung durch Abschniü-
rung sind, wird durch Folgendes sehr wahrscheinlich gemacht:
als ich van,‚Beneden kürzlich von meinen Beobachtungen über
die Zwischenkörper schrieb, theilte er mir brieflich mit, dass er
einige Male bei Untersuchung lebender, furchender Ascariseier
den folgenden, noch nicht veröffentlichten. Befund gemacht habe
und stellte mir freundlich dessen Bekanntgebung zur Verfügung:
„Au moment ou s’acheve la separation des deux blastom£eres, l’on
voit tres distinetement, entre les deux, un corps lentieulaire assez
refringent, r&pondant au milieu du faisceau de filaments r&unissants.
Dans les preparations fixdces et colordes je n’ai rien trouve de
semblable. Mais jai vu que le faisceau r&unissant s’etrangle A
mi distance entre les deux noyaux en voie de r&constitution, et
que les fibrilles deviennent convergents sur le plan &quatorial“
mit einem Tochterchromosom bis nahe an die Abschnürungsstelle her-
vorgestülpt ist. Dies kommt auch in der vorhergehenden reinen
Dyasterform öfter vor. Aber die hier oben angegebenen Gründe spre-
chen überhaupt gegen eine Ableitung jener Körner aus dem Kern.
694 W. Flemming:
(letzteres ist auch in v. B.’s Arbeit von 1887 bemerkt). Einige
Zeichnungen, die van Beneden mir beilegte, zeigen deutlich
diesen linsenförmigen Körper im Bild des lebenden Eies, der hier
nur relativ bedeutend grösser ist, als die Zwischenkörper bei
Salamandra. van Beneden äussert sich in seinem Brief zu-
stimmend für meine Ansicht, dass hier ein Aequivalent der Zell-
platte vorliegt. Dass er am fixirten und gefärbten Ascaris-Ei
nichts davon gesehen hat, erklärt sich einfach daraus, dass die
Färbungen, denen dieses Ei bis jetzt zugänglich war, auch an
meinen Objeeten die Zwischenkörper nicht tingiren würden. Wenn
diese Dinge also sowohl bei Würmern wie bei Amphibien vor-
kommen, so haben sie wohl Anspruch auf allgemeinere Geltung.
Bei meiner kurzen Mittheilung über die Zwischenkörper auf
der Berliner Versammlung führte L. Gerlach an, dass er bei
der ersten Furchung des Mäuse-Eies einen entsprechenden und
zwar färbbaren Körper zwischen den beiden Toehterzellen ge-
funden hat, den er gleichfalls als Zellplattenrudiment zu deuten
geneigt war. |
Bei Dieyemiden sind schon seit lange durch van Beneden!?)
bei Spirochona (Infusor.) durch R. Hertwig?) zellplattenartige
Bildungen beschrieben. Carnoy?) hat sie bei Arthropoden, in-
sonderheit bei ihren Spermatocyten, vielfach beschrieben und aus-
führlich besprochen. Er unterscheidet (p. 393): 1. einfache Ab-
schnürungen der Zelle, ohne oder mit Bildung einer Platte,
welche dann funktionslos bleibt, 2. Fälle mit vollständiger Zell-
plattenbildung und ohne Abschnürung (wie bei den Pflanzen),
und 3. Fälle, bei denen Abschnürung und Bildung einer sich
spaltenden Zellplatte zugleich vorkommt. Es werden dabei Plat-
tenbildungen bloss im Faserbündel (Plaques fusoriales) und solche
im gesammten Zellenleibe (Pl. eompletives) unterschieden. Car-
noy nimmt an (p. 376), dass die Verbreitung der Zellplatten
nicht nur bei den Arthropoden, sondern auch bei den übri-
gen Thieren eine allgemeine sei, führt aber dabei, so viel ich
finde, nur eine eigene Beobachtung an einem Wurm (Disto-
1) Recherches sur les Diey&mides, Bruxelles, Hayez, 1876.
2) Jenaische Zeitschr. f. N. 1877, Bd. 11.
3) La Cytodierese chez les Arthropodes, in La Cellule, 1885,
S. 375—39.
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 695
mum elavigerum, Hodenzellen, Fig. 245) an. In einer Arbeit,
die mir während der Abfassung dieser Zeilen zuging, beschreibt
auch Henking!) von der Theilung der Spermatocyten von Pyr-
rhoeoris apterus, dass hier eine Zellplatte, ähnlich wie bei Pflanzen
aus äquatorial gelagerten Körnern bestehend, angelegt wird: „die
völlige Durehschnürung der Mutterzelle geht in der Weise vor
sich, dass die Zellplatte sich theilt. Dann lösen sich die Tochter-
zellen ganz von einander“ (S. 703, 709) ?).
Aus dem Wirbelthierkörper ist meines Wissens noch kein
Fall von wahrer oder rudimentärer Zellplattenbildung mitgetheilt,
ausser dem einen, über den ich selbst früher berichtete (Knor-
pelzellen), der aber in seiner Deutung noch fraglich bleiben musste
und bei dem auch, wenn er sicher eine Zellplattenbildung dar-
stellt, dieselbe in anderer und viel ausgebildeter Form vorliegen
würde, als bei den Objecten, die ich hier beschrieben habe.
Ausser diesen prüfte ich noch die Spermatocyten des Sala-
manders auf das Vorkommen von Zwischenkörpern und konnte
sie auch hier zuweilen deutlich erkennen (Fig. 14), doch sind sie
an diesen Zellen kleiner und, wenn nicht scharf tingirt, schwer
zu sehen.
6. Veränderung im Zellkörper während der Mitose.
(Fig. 20 und_39.)
Ich schliesse hier noch einige Angaben über eine besondere
Erscheinung der Zelltheilung an: Die eigenthümliche Verdieh-
tung der Substanz in Theilung stehender Zellen in ihrer Peri-
pherie und das Auftreten einer hellen, lockerer beschaffenen Innen-
schieht um den Kern her. van Beneden?) hat zuerst darauf
1) H. Henking, Untersuchungen über die Entwickelungsvor-
gänge in den Eiern der Inseeten. II: Ueber Spermatogenese etc. bei
Pyrrhocoris apterus L. Zeitschrift für wiss. Zool. Bd. 51, 1891.
2) An eine Beziehung der hier beschriebenen Zwischenkörper
zu dem „Mitosoma“ Platner’s, dessen Entwickelung aus dem Verbin-
dungsfädenbündel bei Pyrrhocoris Henking beschreibt, ist wohl nicht
zu denken, da das Mitosoma hier aus dem (zum Tochterkern) proxi-
malen Theil des Bündels entsteht, und ja auch, so viel wir wissen,
nur den männlichen Generationszellen eigen ist.
3) La maturation de l’oeuf ete. Bull. Acad. Roy. de Belg. 1876,
2. Ser., T.40, pag. 50-51.
696 W. Flemming:
hingewiesen, dass die in Theilung stehenden Zellen im Blasto-
derm von Säugethieren sich stärker mit Carmin und Häm. färben
als die ruhenden. Ich habe an lebenden Objeeten gefunden, dass
die Zelle im Theilungszustand stärker liehtbreehend ist, dies
Verhalten durch Reagentien näher geprüft und in der Osmium-
säure und den Osmiumgemischen, besonders mit nachfolgender
Färbung, Mittel angegeben, um die Erscheinung vorzüglich deut-
lieh zu machen). Unter Verweis auf die dortige nähere Be-
schreibung komme ich hier auf den Punkt zurück, weil er ebenso
wenig, wie irgend eine andere eonstante Erscheinung der Zell-
theilung, für deren Physiologie gleichgültig sein kann, und doch
meines Wissens seitdem, bei so vielen Arbeiten über Zelltheilung,
kaum davon die Rede gewesen ist, und weil die einzige Aeusse-
rung darüber, die mir bekannt ist und von einem 'vorzüglichen
Beobachter herrührt?), dahin verstanden werden kann, als wäre
diese Veränderung im Zellkörper inconstant und hätte keine be-
sondere Bedeutung. Das würde aber durchaus nicht zutreffen.
Wenn man die Dunkelung der in Theilung stehenden Zellen
recht schlagend vor Augen haben will, hält man sich am besten
an solehe Epithel- oder sonstige Zellen, welehe nicht sehr platt
sind; Epithel der Mundbodenplatte, Kiemenblätter oder äusseren
Körperfläche (diese letzteren an Flachschnitten) von der Larve.
Bei sehr dünnen Zellen, wie im Lungenepithel und Bauchfell, ist
die Erscheinung zwar ganz ebenso vorhanden (Fig. 39), tritt aber
natürlich nicht so augenfällig wie bei jenen hervor. Man fixire
mit Osmiumsäure, meinem Gemisch oder Hermann’scher Lösung,
und lasse die Präparate bei Osmiumsäurebehandlung gut nach-
dunkeln, bei den Gemischbehandlungen recht lange am Licht in
dem Fixativ stehen; man färbe dann nach dem Auswaschen mit
1) Zellsubstanz. S. 206—209.
2) Rabl, Morphol. Jahrb. Bd.X, S.285; es ist dort gesagt, dass
für tadellose Hämatoxylinpräparate meine Angabe über die Dunke-
lung der in Mitose stehenden Zellen nicht zutreffe. Rabl wird sich
gewiss seitdem überzeugt haben, dass sie sowohl für solche Präparate,
als für die Erzeugnisse vieler anderer Methoden völlig zutrifft und
dass die Erscheinung. durchaus typisch ist. Natürlich muss man sie
nicht an solchen Präparaten studiren wollen, an denen nichts als reine
Chromatinfärbung erzielt ist; s. hier oben im Text.
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 697
Delafield ’schem oder Böhmer’schem Hämatoxylin (dünne
Lösung, längere Tinetion) oder mit dem hier im Eingang ange-
gebenen Verfahren!). Dann sieht man schon bei einer 80 bis
100 fachen Vergrösserung sämmtliche sich theilende Zellen, die
sich in späteren Spiremformen, Metaphasen und Anaphasen be-
finden, graubraun, grau oder dunkelgelb sehr scharf gegen die
viel blasseren ruhenden Zellen hervorstechen. Bei Tinetionen
mit Azofarbstoffen haben sie oft eine Mitnuance in der betreffenden
Farbe. Hat man Doppeltinetionen mit Safranin-Hämatoxylin,
Safranin-Mauvöin, Safranin-Gentiana gemacht oder das Orange-
verfahren angewandt, so sind zugleich in allen diesen Phasen
die ehromatischen Figuren in rothem Safraninton gefärbt, wäh-
rend die ruhenden Kerne durch den anderen Farbstoff blau oder
violett sind und nur die Nucleolen roth zeigen; ich habe solche
Doppeltinetionen bereits 1884 auf dem Kopenhagener Aerzte-
congress und seitdem vielfach demonstrirt und benutzt. Wie Her-
mann?) kürzlich nach Beobachtungen an Spermatoeyten mitge-
theilt hat und wie ich es völlig bestätigen kann, zeigen bei
Doppelfärbungen mit Safranin-Gentiana, übrigens auch bei ande-
ren oben genannten, die Anfangsformen des Spirems und die End-
formen des Dispirems keinen oder doch nur schwachen Safranin-
ton, halten dagegen ebenso wie die Structuren der ruhenden -
Kerne den andern angewandten blauen Farbstoff fest, während
‘vom lockeren Spirem bis zur Mitte des Dispirems die Figuren
reinen Safraninton haben?). Es scheint mir bemerkenswerth,
dass also in denjenigen Stadien, wo noch Nucleolen vorhanden,
oder eben erst verschwunden sind, oder eben wieder auftreten,
die Neigung zur Blaufärbung vorliegt, während die Formen, in
welchen sie völlig deconstituirt sind, sich rein safraninophil ver-
halten, wie es ja die Nucleolen selbst sind.
1) Wie ich früher angab, kann man Aehnliches auch an Präpa-
raten aus Chromsäure bei Hämatoxylinfärbung erreichen, es sind aber
dazu Präparate zu nehmen, die durch längeres Verweilen in Chrom-
säure etwas gedunkelt worden sind.
2) Beitr. z. Hist. des Hodens. Dieses Arch. Bd. 34, S. 60.
3) Nach Hermann’s Angabe sind nur die Phasen vom Monaster
bis zum Dyaster roth, Spireme und Dispireme blau; ich finde, wie ge-
sagt, das letztere nur in den anfänglichen und endständigen Phasen
der Knäuel ganz ausgesprochen und ständig. Uebrigens kommen je
nach dem Ausziehungsgrad leichte Schwankungen in der Färbung vor.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 46
698 W. Flemming:
Gleichfalls bemerkenswerth ist nun, dass die Periode, wäh-
rend welcher die chromatische Figur Safraninton hat, zeitlich
ganz mit der zusammenfällt, in welcher der Zellenleib verdichtet
und in Innen- und Aussentheil gesondert ist, und in welcher er
bei Osmium- und ÖOsmiumgemisch-Behandlung gedunkelt wird.
Denn im ersten Anfangsspirem und endständigen Dispirem fehlen
ihm diese letzteren Eigenschaften. Ich wollte darauf hinweisen,
wenn auch die Ursache noch aufzuklären bleibt.
Wenn ich für diese Veränderungen im Zellleib kurz die
Ausdrücke „Verdichtung“ und „Dunkelung“* benutze, so ist dies
nicht so zu verstehen, als ob die sich theilende Zelle im Ver-
gleich mit der ruhenden sich in toto auf ein kleineres Volumen
zusammengezogen hätte, und allein hierdurch diehter und bei
Osmirung dunkler erschiene. Zwar ist es sicher und stimmt auch
gut überem mit van Beneden’s Lehre vom Wesen der Mitose,
dass Zusammenziehungen des Zellleibes während der Mitose ein-
treten können; dies ist z. B., wie früher beschrieben), sehr gut
bei Pigmentzellen zu sehen, deren Ausläufer bei kleineren Zell-
formen in der Mitose fast ganz eingezogen werden können und
bei den grossen Chromatophoren wenigstens gedrungenere Ge-
stalt annehmen. Fermer sind, wie gleichfalls bekannt), die
Zellen in den Stadien vom Spirem bis Dispirem häufig von runden
oder länglich runden Formen, in Geweben, wo sie in der Ruhe
eckig sind, und zeigen sich in der Theilung von breiteren Inter-
eellularräumen umgeben, was sich offenbar auf eine Contraetion
ihres Leibes beziehen lässt. Bei den sehr platten Lungenepi-
thelien findet man zwar solche runde Formen nicht, aber doch
augenscheinliche Versuche zur Zusammenziehung des Zellkörpers,
wofür Fig. 39 ein Beispiel giebt: Die Zellen im den "mittleren
Theilungsstadien sind etwas kleiner als die umliegenden ruhen-
den, und ihre Eeken in spitze, oft lange Zipfel ausgezogen; es
sieht ganz aus, als ob sie sich zu contrahiren strebten, die ent-
ferntesten Ecken des Zellleibes aber dieser Bewegung am wenig-
sten mitfolgten und so zu schmalen Ausläufern würden, neben
1) Dieses Archiv Bd. 35, 1890, 8.275, sowie (Zimmermann)
ebenda Bd. 36, 1890, S. 404.
2) Zellsubstanz ete., Tafel IT a, Fig. 19—21 und. zwei der dunklen
Zellen in Fig. 23, s. Text S. 206 ft.
4
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Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 699
denen die ruhenden Nachbarzellen nachrückend sich herandrängen !).
— Andererseits muss ich aber hervorheben, dass an denselben
Objeeten viele Zellen, die in ganz den gleichen Mittelstadien der
Mitose stehen, gar keine Verkleinerung und Ausrundung zeigen ?),
und dabei doch ebensolehe Dunkelung haben, wie die von ge-
rundeter Form. Und ferner kommt in Betracht, dass auch bei
denjenigen Zellen, die sich wirklich verkleinert haben, dies keines-
wegs in dem Grade der Fall ist, wie es ihrer starken Dunkelung
entsprechen würde, wenn diese lediglich eime Folge der Zu-
sammendrängung des Zellkörpers wäre.
Somit kommt man zu dem Schluss, dass die Zellen in
diesen Stadien unmöglich bloss deshalb dunkler aussehen und
stärker gefärbt werden, weil sie kleiner geworden wären, son-
dern dass während der Mitose eine innere Veränderung in
ihrem Leibe eintreten muss, welche dem zu Grunde liegt.
Eine solche Veränderung ist nun auch bei geeigneter Be-
handlung, ja schon am lebenden Objeet, bemerkbar, und ich habe
an den erwähnten Stellen schon davon gesprochen. Vom Ende
der Knäuelphase an sieht man in der lebenden Zelle eine die
Kernfigur umgebende blasse Partie und eine Aussenmasse darum
her, die stärker lichtbrechend ist als die Substanz der ruhenden
Zellen. An den Reagentienpräparaten kann man näher beur-
theilen, woher dies rührt: in der hellen Innenmasse sind die
Fadenstrueturen und die Polradien zwar verdiekt im Vergleich
mit ihrem Zustand in der ruhenden Zelle, dafür aber auch locke-
rer und von viel grösseren blassen Maschenräumen durchsetzt,
und aus letzterem Grunde sieht eben dieser Innentheil hell aus.
In der Peripherie sind die Fadenwerke zwar nicht verdickt, aber
1) Und nach den wechselnden Formen der Zellen in ganz
gleichen Theilungsphasen, bald mehr rund, bald mehr eckig, wie sie
sich besonders bei Haut- und Kiemenepithel darbieten, kann ich nicht
umhin anzunehmen, dass der Zellleib während der Mitose sich absatz-
weise zusammenzuziehen sucht und wieder in die ausgedehnte Form
zurückfällt; und dass dies in einer Beziehung stehen mag zu den ab-
wechselnden Vergrösserungen und Verkleinerungen der chromatischen
Figur während der Metaphasen, die ich in meiner ersten Arbeit am
lebenden Object beobachtet und bildlich als „Systolen und Diastolen“
der Kernfigur bezeichnet hatte (dieses Archiv Bd. 16, S. 380 ff.).
2) S. zwei der dunklen Zellen in Fig.23, Tafel 1a des eitirten
Buches.
700 W. Flemming:
verdichtet, zusammengedrängt; es macht den Eindruck, als wäre
die helle Interfilarmasse in diesem Zustand vom Umfang der
Zelle in ihr Inneres um den Kern her angesammelt. Unter der
Annahme, dass es nur die Fadenstrueturen allein sind, welche
bei Osmiumwirkung und Tinetion gedunkelt werden, würde sich
hiernach verstehen lassen, dass der Aussentheil der Zelle in die-
sem Zustand durch die Behandlung eine so viel stärkere Schatti-
rung erhält.
Aber es scheint mir sehr fraglich, ob auch diese Erklärung
allein ausreicht. Man findet nämlich an recht gut nachgedun-
kelten und stark tingirten Präparaten die in Theilung stehenden
Zellen in solchem Grade stärker gefärbt als die ruhenden, dass
man ernstlich zweifeln muss, ob das lediglich an einer Verdich-
tung der Filarmasse liegen kann. Die in Mitose begriffenen
Zellen sehen an solehen Objeeten aus, wie von einem dunklen
Lack durchsetzt!); im Abschnürungsstadium ist ihre Aussenschicht
in der Nähe der Schnürmarke tief dunkel (s. die eitirte Figur),
indem diese Farbe sich in den weniger dunklen übrigen Zellleib
allmählich abtönt; mit stärksten Systemen sieht man, dass diese
Färbung nieht bloss dem Zellfadenwerk selbst anhaftet, sondern
dessen Bälkehen und auch den Aussenumfang der Zelle wie ein
feinkömiger Reif beschlägt, ja bei sehr guten Dunkelungen auch
die Interfilarmasse durchsetzt. Bei Haut- und Kiemenepithelien,
welche grössere Dieke haben, wird bei der tiefen Färbung der
Peripherie die nähere Beschaffenheit des Innentheils überhaupt
dem Blick verdeckt. An dünneren Zellen aber, wie denen des
Bindegewebes, Endothels oder Lungenepithels, kann man bei
guter Dunkelung und Färbung nach dem Orangeverfahren er-
kennen, dass auch die Interfilarmasse im Innern noch Farbe ge-
halten hat. Wenn man das immer wieder sieht, bekommt man
unwillkürlich den Eindruck, als sei die Zelle während ihrer Thei-
lung dureh und durch mit einer besonderen Substanz durchtränkt
oder — um mich vorsichtiger auszudrücken — als besitze sie
1) Fig. 20 zeigt möglichst genau nachgeahmt das Verhältniss der
Schattirung zwischen ruhenden und in Theilung stehenden Zellen, wie
es an solchen Objecten vorliegt. An der gezeichneten Zelle ist die
Dunkelung der Aussenschicht so bedeutend, dass man von den Ver-
bindungsfasern im Innern nur einen undeutlichen Schimmer erkennt
(nicht mitgezeichnet).
3
EEE EEE REEL ELBE DELETED LEBE DEE EEE EEE ELTERN
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 701
durch und durch eine besondere physikalische oder chemische
Beschaffenheit, welche sie eben auch durch und durch stärker
geneigt macht, sich mit Osmium oder Chrom zu dunkeln nnd mit
den nachfolgenden Tinetionen stärker zu färben. Etwas der-
artiges aber kann für die Forschung über die Biologie der Zell-
theilung und der Zelle überhaupt ganz gewiss nicht gleichgültig
sein, und deshalb wollte ich hier diese vielfach vernachlässigte
Erscheinung nochmals zur Sprache bringen und betonen, dass sie
sicher kein zufälliges Reagentienproduet, sondern ganz typisch ist.
D. Ueber die Attraetionssphären und Gentralkörper!) in
thierischen Gewebszellen und Leucoecyten.
(Fig. 1-7 Taf. I, Fig. 24—26 Taf. I.)
Was ich über diesen Gegenstand letzthin fand, ist grossen-
theils bereits in Kürze an einem anderen Ort beschrieben ?); hier,
wo ich genauere Abbildungen geben kann, füge ich besonders in
Bezug auf die Zellen fixer Gewebe noch Näheres hinzu.
Bisher habe ich diese Dinge nur mit dem Orangeverfahren
gut zu sehen bekommen°), an flachen Bindegewebs-, Endothel-
und Lungenepithelzellen, sowie an Leueoeyten. In den fixen
Zellenarten haben die Centralkörper an solchen Präparaten beim
1) In diesen und früheren Aufsätzen habe ich die Ausdrücke
van Beneden'’s „Attractionssphären“, oder kurz Sphären, und „Cen-
tralkörper“ angewandt, da sie geschichtlich die Priorität vor den von
Boveri gebildeten Worten „Archoplasma“ und „Centrosomen“ haben.
Die Bezeichnung „Nebenkerne“ werden wir wohl für diese Dinge am -
besten nicht brauchen, da es sich bei den unter diesem Namen be-
schriebenen Gebilden zwar vielfach, aber nicht durchweg um die
gleichen Dinge handelt.
2) Anatomischer Anzeiger, 14. Februar 1891, und: dieses Archiv
Bd. 37, S. 249 ff.
3) Abgesehen von den Chromsäurepräparaten, von denen hier
weiter unten die Rede ist, an denen sie aber in stark veränderter
Form vorliegen. — Hermann empfiehlt am unten eitirten Orte für
. die Darstellung der Sphären und der Spindeln an Spermatocyten die
Behandlung von Präparaten aus seinem Gemisch mit Holzessig, welche
nach Photographien, die ich seiner Güte verdanke, vorzüglichen Er-
folg giebt. Mein jetziges Material, das wohl nicht mehr frisch genug
war, wollte bei dieser Behandlung nichts ergeben.
702 W. Flemming:
Salamander etwa höchstens 0,5 u Durchmesser und sind ohne
hervorhebende Färbung schlechterdings nieht zu erkennen, oder
doch nieht von irgend welchen Körnungen im Zellkörper zu
unterscheiden. Wo die Zelle überhaupt nur etwas grösseren Tiefen-
durchmesser hat, wie bei Epithelien, Muskelfasern u. a., sind sie
schon dadurch im Zellkörper in toto undeutlich und können nur
an Schnittserien aufgesucht werden. Bei Leucoeyten messen sie
bis 1,5 u.
Von der Attractionssphäre, die bei letzterer Zellenart ver-
hältnissmässig deutlich ist (s. an den ang. Orten), habe ich seit-
dem auch an den fixen Zellen etwas bessere Bilder bekommen.
Bei solehen stärker diffusen Färbungen, bei denen die Central-
körper braun oder violett, bis selbst schwarz, die Zellfäden und
Bindegewebsfibrillen in verschiedenem blasserem Ton mit tingirt
sind), erscheinen die Sphären um die Centralkörper her als
bräunlich hervorgehobene , an ihrer Aussengrenze verwaschene
Stellen, die zuweilen eine auf die Centralkörper eingestellte
Strahlung zeigen (Fig. 1; die Centralkörper sind in den Ab-
bildungen überall roth, der braunröthliche Ton der Zellsubstanz
srau gegeben). Die Strahlung ist aber von sehr ungleicher Deut-
lichkeit, nur in wenigen Fällen recht scharf ausgesprochen, und
zeigt keine scharfe Grenze im Umfang.
Für die Gründe, aus denen man diese Dinge lange nicht
in allen Zellen im Präparat sieht und über ihre wechselnde Lage
bald an den Langseiten, bald an den Enden der Kerne, kann
ich auf das a. a. O. Gesagte verweisen. Hinzusetzen möchte ich
noch, dass die Entfernung der Centraikörper vom Kerne ver-
schieden gross sein kann: manchmal liegen sie in den sehr
flachen Zellen des Bauchfells, um mehr als den halben Durch-
messer eines Kernes von dessen Rande bei Seite gerückt, mei-
stens aber nahe an ihm.
Wie ich in der vorläufigen Mittheilung (S.3—4 des Sep.-
Abdr.) schon erwähnt habe, sind in den bei weitem meisten
Fällen an diesen Gewebszellen in einer Zelle zwei Central-
körper zu sehen, auch dort, wo die Kerne ihrer Struetur nach
keine Spur von Ansatz zu einer Mitose zeigen (s. Fig 1 und’
3—5 hier). Indem ich diesen Befund dort als einen noch nicht
1) Vgl. darüber im Anfang dieser Arbeit.
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 7103
bekannten hervorhob, wollte ich mir gewiss nicht etwas an-
maassen, das mir nicht gebührt: bei der ersten Theilung von
Eizellen und ihren Blastomeren ist ja schon von Anderen ge-
sehen worden, dass um die Zeit, wo die Tochterkerne sich aus
dem Spirem eben in die Ruheform (Gerüst) zurückgebildet haben,
die Sphären und Oentralkörper an jedem Tochterkern schon ge-
theilt sind, und meines Wissens ist van Beneden der Erste,
der dies beschrieben hat!); er bildet dort in Fig. 14, Pl. VI
einen Tochterkern „au stade de repos“ mit verdoppelten Central-
körpern und Sphären ab und sagt pag. 67: „Si la division de
la sphere attractive est deja en partie effeetuge dans la cellule
au repos, si tout au moins le corpuscule central se trouve deja
dedoubl&, il est elair“ ete. Aber hier bei der Eifurchung han-
delt es sich um Zellen, deren Theilungen sehr rasch aufeinander
folgen, und wie u.A. der hier eitirte Aufsatz O0. Schultze's
(S. 4) zeigt, wird diese Sache so angesehen, dass bei sehr rasch
repetirenden Theilungen die Verdoppelung der Sphären und
Centralkörper schon im Dyaster bis Dispirem erfolgt, bei lang-
sam repetirenden aber noch nicht, so dass die Zelle dann in der
folgenden Ruhepause nur eine Sphäre und einen Oentralkörper
darin hätte. Bei meinen Objeeten handelt es sich nun aber um
Zellen, die im Vergleich mit denen der furchenden Eier sehr
lange Ruhepausen haben müssen, da-in meinen betreffenden Prä-
paraten die Mitosen, auch dort, wo sie am reichlichsten sind,
noch lange nicht 1°/, der vorhandenen Zellen betragen, und da
die Kerne ganz die Ruheformen zeigen, wie sie auch in völlig
mitosenfreien Geweben vorkommen; und doch sind an diesen
Kernen die Centralkörper doppelt. Dies war es, was ich wohl
als etwas Neues betonen durfte.
Ich habe nun dort schon die Frage gestellt, ob sie nicht
vielleicht ausserhalb der Mitose immer doppelt bleiben könnten,
da in den Fällen, in denen man ein einfaches Körperchen zu
sehen glaubt, vielleicht doch zwei in Deckung befindliche vor-
liegen möchten. Die Centralkörper liegen nämlich an den platten
Zellen des Bauchfells und der Lunge, wenn man diese von ihrer
Fläche betrachtet, fast immer schräg gegeneinander orientirt,
so dass das eine höher als das andere steht, und in manchen
1) van Beneden et Neyt, a.a. 0. 1887.
704 W. Flemming:
Fällen, wo auf den ersten Blick ein einzelnes Körperchen er-
scheint, lässt sich durch die Schraube deutlich feststellen, dass
noch ein anderes fast oder ganz vertieal darunter legt. Ich habe
diese interessante Frage weiter zu entscheiden gesucht, indem-
ich Material prüfte, welches keine oder sehr wenig Mitosen ent-
hielt. Unter der Annahme, dass die Centralkörper in der Ruhe
einfach sind und sich nur bei der Mitose verdoppeln, sollte man
erwarten in einem Gewebe, das arm an Mitosen ist, sie weit
öfter einfach zu finden, als an einem in lebhaftem Wachsthum
begriffenen. Ich kann aber in dieser Hinsicht bis jetzt keinen
erheblichen Unterschied wahrnehmen. Dies würde eher zu Gun-
sten einer dauernden Duplieität der Centralkörper sprechen. Was
mich trotzdem veranlasst hat, a.a.O. an einer solehen zu zwei-
feln, war erstens, dass bei den Leucoceyten, die viel grössere
Centralkörper haben, diese meistens einfach erscheinen); so-
1) Dieses Archiv Bd. 37, Heft 2, 1891, S.282. Damals hatte ich
bei Leucocyten noch keinen sicheren Fall von Doppelheit der Central-
körper gesehen; seitdem habe ich einen gefunden (Fig. 24 hier), wo
mir zwei, allerlings sehr nahe zusammenliegende Körper vorhanden
scheinen. |
Beim Durchsehen älterer Präparate von Salamandergeweben,
die grossentheils noch von 1879 datiren, finde ich zu meiner Ueber-
raschung, dass an Objecten, die lediglich mit dünner Chromsäure
fixirt und einfach mit Safranin oder Gentiana (neutrale Extraction)
gefärbt sind, in den Leucocyten sehr deutlich hellroth gefärbte runde
Körper zu sehen sind, welche entweder aufgequollenen Centralkörpern
oder geschrumpften Attractionssphären entsprechen müssen. Sie sind
nämlich viel grösser als die Oentralkörper von Leucocyten nach ÖOs-
miumgemischbehandlung (Fig.25, vgl. mit Fig.1 u. 2), selten um mehr
als die Hälfte kleiner, als der in:ersterer Figur gezeichnete. Um sie
her liegt ein schmaler blasserer Raum; ihr Umfang ist rauh, oft stark
höckerig. Ihre Umgebung zeigt manchmal eine ganz verwaschene
radiäre Structur, aber lange nicht so deutlich und nicht so weitrei-
chend, als die Sphärenstrahlung in Leucocyten aus Osmiumgemisch
es ist. Entweder hat die Chromsäurewirkung hier die Sphäre zu einem
abgegrenzten Körper zusammenschrumpfen lassen, so dass nur etwas
von ihrer peripheren Strahlung am Zellkörper haften geblieben ist,
oder sie hat den Centralkörper quellen lassen und die ganze Sphäre
bis auf schwache Reste verwischt. Zunächst möchte ich an die erstere
Wirkung denken; denn die Chromsäure äussert auf die chromatischen
Fäden einen entschieden schrüumpfenden Einfluss, welchen man (8.
unten) gut benutzen kann, um die früheste Längsspaltung festzustellen.
ELLE WETTE ELEEESZLELEEELLWUTEEREEEN
=
— |
357 _—ı
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 705
dann, dass nach vorliegenden Angaben (dort eitirt) an Sexual-
zellen eine Theilung vorher einfacher SAHOlRURHER vor und bei
der Mitose beobachtet ist.
Seitdem hat Guignard!) die Sphären und Centralkörper
auch bei Pflanzenzellen vieler Arten aufgefunden; er gelangt zu
dem Schluss, dass letztere auch in der ruhenden Zelle stets dop-
pelt seien?), indem allgemein jedes Polkörperchen sich schon
während der Mitose (in den Anaphasen) wieder in zwei theile.
Sollten sich dafür bei den Pflanzenzellen, die ja vielleicht gün-
stigere Objeete in dieser Hinsicht sein mögen, sichere Belege
ergeben, so würde ich damit nicht in Widerspruch sein, da ich
ja diese Frage offen gelassen habe?); nur würde dann zu er-
— Ich glaube nicht, dass man umgekehrt annehmen kann, die Chrom-
säurepräparate ständen der Natur näher als die Osmiumgemischobjecte,
die ersteren zeigten die Centralkörper in wahrer Grösse, und an den
- letzteren seien sie geschrumpft. Hiergegen spricht, dass die fraglichen
runden Körper in. den Chromsäureobjecten so erheblich in der Grösse
schwanken (von 2 bis gegen 44), während die Centralkörper der Leu-
coceyten in den Osmiumgemischpräparaten viel kleiner, aber immer
von gleichen Dimensionen sind.
Jene runden Körper in meinen alten Chromsäureobjecten sind
schon mit Mittelsystemen leicht zu sehen; es wäre leicht gewesen, sie
schon damals zu finden, wenn man hätte ahnen können, dass etwas
derartiges zu finden wäre. Ich habe sie damals für irrelevante Körner
gehalten und nicht weiter beachtet.
1) L. Guignard, Sur l’existence des „Spheres attractives“ dans
les cellules vegetales. Comptes rendus Ac. d. sc. Paris, 9. mars 1891;
der Aufsatz ging mir durch des Verfassers Güte während des Ab-
schlusses dieser Zeilen zu.
2) „Par suite, l’existence de deux spheres attractives, m&me dans
l’etat de repos complet, me parait ötre un fait general“. P.3 a.a.O.
3) Guignard hat mich zwar dahin verstanden, als ob ich zu
dem Glauben neige: „que dans la periode du repos complet, il peut
n’exister dans la cellule qu’une seule sph£re attractive, dont le dedouble-
ment n’aurait lieu qu’au moment de la division du noyau“. Ich habe
Ja aber gerade im Gegentheil, weil noch Niemand vor mir doppelte
Centralkörper in Zellen mit anscheinend ganz ruhenden Kernen ge-
sehen hatte, besonders darauf hingewiesen, dass eine Verdoppelung
dieser Körper hier „schon lange zuvor erfolgen muss, ehe
von einer Mitose im Kern etwas zu sehen ist“ (a. a. O. 8.4,
Sep.-Abdr.), und habe mich über die fragliche Duplieität oder Ein-
fachheit der Centralkörper während der Ruhe doch vorsichtiger aus-
gedrückt, als man aus Guignard’s Worten entnehmen könnte, wie
706 WU FTemmin®:
klären bleiben, weshalb die Sphären und Centralkörper bei den
Leucoeyten ausserhalb der Mitose sich fast immer einfach prä-
sentiren, und es würden die Fälle, in denen man die Sphären,
das Citat meiner Stelle zeigen kann (ebenda $.4, Sep.-Abdr.): „Ich
finde die Centralkörper viel öfter doppelt als einfach. Und es wäre
Ja denkbar, dass auch dort, wo sich ein einfacher zeigt, in der That
zwei in Deckung befindliche vorliegen könnten; denn ihre Distanz ist
oft sehr gering. Ich möchte dies aber nicht ohne Weiteres anneh-
men, denn erstens findet sich bei den Leucocyten, wo diese Dinge so
viel grösser und deutlicher sind, meistens nur ein einfacher Central-
körper, und zweitens ist ja von van Beneden und Anderen, so neue-
stens von O. Schultze beobachtet, dass in Ei- und Samenzellen im
Anfang der Mitose ein einzelner Centralkörper besteht und sich im
Verlauf derselben theilt. Danach wird auch für die hier besprochenen
Gewebszellen die Annahme wohl am nächsten liegen, dass das Körper-
chen bei voller Ruhe der Zelle einfach ist und sich erst verdoppelt,
wenn diese der Theilung entgegengeht“.
Letzteres heisst aber nicht, wie Guignard es übersetzt: „au
moment de la division“; hätte ich gesagt, dass die Körperchen sich
erst im Moment der Theilung verdoppeln, so würde ich dayıit etwas
ganz Unmögliches ausgesagt haben. Denn wie ich ausdrücklich a. a. O.
angab, sind in de: ‚Mehrzahl der betreffenden Gewebszellen — wenn
nicht vielleicht in llen — doppelte Centralkörper vorhanden, und
wenn alle diese Zellen sofort in Mitose treten wollten, so müsste man
folgeweise auch häufig Fälle finden, wo in einem solchen Gewebe die
Zahl der Mitosen grösser ist als die der ruhenden Kerne. Das kommt
aber bekanntlich weder bei Amphibienlarven, noch überhaupt in Thier-
geweben wohl jemals vor, abgesehen von den frühesten Keimstadien.
Kurzgefasst, möchte ich also die Auffindung der Thatsache in
Anspruch nehmen, dass in Zellen von Thiergeweben ausserhalb der
Mitose, bei anscheinend vollständiger Kernruhe, doppelte Centralkörper
vorkommen können, und zwar sicher bei der grössten Anzahl der vor-
liegenden Zellen im Präparat, wenn nicht bei allen.
In Bezug auf die Anschauung van Beneden’s über die Attrac-
tionssphären muss Guignard offenbar ein Versehen begegnet sein,
da er äussert (pag.3 a.a.O.): „Quant & leur origine (des spheres) dans
l’oeuf, les Zoologistes n’ont pas encore pu la preeiser. M.E. van
Beneden les voit apparaitre simultan&ment, sans savoir d’ou elles
proviennent.“ Dem gegenüber möchte ich doch darauf hinweisen, dass
E. vanBeneden in seiner bekannten Arbeit von 1887 (Bull. de l’acad.
roy. de Belg. T.14), welche seiner schon von früher datirenden Ent-
deckung der Sphären und Centralkörper den Abschluss giebt und
ihre hohe allgemeine Bedeutung klarstellt — wörtlich gesagt hat:
„Nous sommes done autorises A penser que la sphere attractive avec
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 7107
oder was ja auf's Gleiche herauskommt, die Radiensysteme bei
Eizellen in der Ruhe oder im Anfang der Mitose einfach und
einseitig am Kern gefunden hat!), auf das Verhalten der Cen-
tralkörper näher zu prüfen und zu untersuchen sein, ob es auch
hier möglieh wäre, eine Duplieität der Sphären und doppelte
Einstellung der Radien auf zwei Centralkörper anzunehmen. Bei
den Leucoceyten, und so auch wohl in den anderen hier ange-
zogenen Fällen, würde dies nur durchführbar sein unter der Vor-
aussetzung, dass die zwei Sphären, nnd in ihnen die Central-
körper, hier sehr eng aneinandergedrängt liegen müssten. Dies
ist gewiss nicht unmöglich; ich will hier nicht unerwähnt lassen,
dass ich vielfach die Centralkörper der Leucocyten nicht rund,
sondern länglich geformt finde, und dass sie auch dort, wo sie
die erstere Form zeigen, doch länglich sein könnten, indem sie
hier in der Richtung ihrer Längsaxe gesehen vorliegen mögen
und dann, bei den kleinen Dimensionen, über ihre Form durch
die Einstellung kaum zu entscheiden sein würde. Die länglichen
Formen sehe ich allerdings bis jetzt nur nach Fixirung mit Her-
manns:hem oder mit meinem Osmiumgemisch, nicht an Chrom-
säurepräparaten, von denen oben (Anm. S. 104) die Rede war;
aber wie dort gesagt ist, müssen die runden Körper, die man an
pn
son corpuscule constitue un. organe permanent, non seulement
pour les premiers blastom'res, mais pour toute cellule; q .elle
constitue un organe de la cellule au m&me titre que le noyau lui-
meme; que tout corpuscule central derive d’un corpuscule anterieur;
que toute sphere procede d’une sphere anterieure, et que la division
de la sphere precede celle du noyau cellulaire.“ (a. a.0. pag. 67;
ferner sei besonders auf pag.61 oben bei van Beneden verwiesen,
wo es heisst: „Elles persistent ...... A tous les moments de la vie
cellulaire.“)
1) Flemming, Beitr. zur Kenntniss der Zelle. III, dieses Arch.
Bd. 20, 1881, S.19 ff., 30 ff. u. 34, Tafel 2, Fig. 9, und: Zellsubstanz etc.
1882, S. 296 Ba yvan Beneden, Nouvelles Recherches etc. 1887
(l. e. vor. Anmerkung) Pl.I, Fig.2, 3. — Boveri, Zellenstudien H. 2,
verschiedene Abbildungen auf Tafel II. — v. Kölliker, Handbuch
der Gewebelehre 1889, S. 51. — O0. Schultze, Sitzungsber. d. Würzb.
Phys. med. Gesellsch. 26. Juli 1890. — Ich sehe allerdings, dass der
letztere Autor nicht, wie ich a. a. ©. eitirte, selbst einfache Sphären
an ruhenden Kernen beschrieben, aber deren Existenz nach den Be-
obachtungen v. Kölliker’s und Anderer angenommen hat (S.2 a.a. O.),
708 W. Flemming:
Präparaten letzterer Art sieht, einer Veränderung entsprechen,
und wenn sie aus den Centralkörpern entstanden sind, müssten
diese einer sehr starken Aufquellung unterlegen sein.
Als weiteres Bedenken gegen eine dauernde und allgemeine
Doppelheit der Centralkörper könnte auch der Befund F.Hermann’s
an den Spermatoeyten von Salamandra'!) in Betracht kommen:
Hermann findet hier im Verlauf des Spirems (Fig. 14—16
a. a. O0.) einen einfachen Körper neben dem Kern, der sich
erst in der Metakinese (Fig. 17) theilt und dessen Hälften sich .
dann an die Pole lagern (Fig. 18). Doch muss man wohl wei-
teren Aufschluss darüber abwarten, wie sich dies mit den neue-
sten Ergebnissen Hermann’s?) vereinbaren wird, nach welchen
die Centralkörper bei den gleichen Zellen viel kleiner sind als
jene Körper und sich früher, schon im Spiremstadium, ausein-
anderbewegen, sowie es auch meinen Befunden (s. unten) entspricht.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich ein Missverständniss
aufklären, das mit dem Gegenstand Berührung .hat. v. Kölliker
(a. a. ©. S.55) bezieht sich bei der Besprechung seines Befundes
an den Blastomeren von Siredon (einseitig am Kern anliegende
Sphäre) auf eine frühere Aeusserung von mir?): „es sei mir kein
Fall bekannt, in welchem zur Zeit des Kerntheilungsanfanges
ein einziges Radiärsystem mit dem ganzen Kern als Centrum ge-
funden wäre“, und führt dazu an, dass ich doch selbst eine der-
artige Beobachtung aufzuweisen habe, indem er dafür meine Fi-
suren 34 u. 35 von Sphaerechinus®) anzieht. Nun habe ich
aber mit jener Aeusserung, wie es ja ihr Wortlaut sagt, nur
eine Strahlung mit dem ganzen Kern als Centrum ge-
meint in dem Sinne, dass die Radien auf den Mittelpunkt des
Kerns eentrirt ständen; ich habe an den betreffenden, hier eitir-
ten Stellen ausschliessen wollen, dass eine derartige Strah-
lung, die ringsum von der ganzen Peripherie des Ker-
1) Dieses Archiv Bd. 34, .1889, S. 68—69, Tafel 4 Hermann
stellt hier, doch mit grosser Vorsicht, die Vermuthung auf, dass es sich
bei diesen Körpern um van Beneden’s und Boveri’s Central-
körperchen handeln möge.
r Münchener med. Wochenschrift 1890, Nr. 47.
3) Zellsubstanz ete. S. 296; ferner dieses Archiv Bd. 20, 5.19, 32,
33 und 34, Satz 4.
4) Am soeben eitirten Ort.
W
y
5
h
3
B
S
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 709
nes eoncentrisch ausginge, bei der Theilung von Eiern oder
anderen Zellen jemals sicher beobachtet sei. Nicht aber habe
ich daran gedacht — wie es v. Kölliker aufgefasst zu haben
scheint — das Vorhandensein einfacher Radiensysteme an Kernen
überhaupt zu bezweifeln, habe ja vielmehr selbst mehrfache, auch
bei v. Kölliker eitirte Belege dafür beigebracht. Wie man beim.
Lesen meiner hier angezogenen Stellen finden kann, kam es mir
vielmehr darauf an, hervorzuheben, dass beim Anfange der
Theilung die Strahlungen einseitig an den Kernen auftreten,
nicht, wie damals gemeint wurde, radiär zum ganzen. Kern. So
viel ich weiss, sind H. Fol), E. L. Mark?) und ich die Ersten
gewesen, die dies zu einer Zeit, wo man noch nichts von Pol-
feld, Sphären und Centralkörpern wusste, bemerkt und als wichtig
erwähnt haben. Die weitere Forschung hat uns darin ja Recht
gegeben, und es steht also jene meine von Kölliker angezogene
Aeusserung mit seinen und allen neueren Befunden nicht in
Widerspruch, sondern im besten Einklang.
Von den Centralkörpern der Salamanderzellen will ich noch
eins berichten, was mir bemerkenswerth scheint. Es macht mir
den Eindruck, dass von den doppelten Centralkörpern, die man
an ruhenden Kernen, sowie an allerfrühesten Spiremformen sieht,
der eine kleiner wäre als der andere. Bei der Kleinheit
dieser Dinge überhaupt und der Schwierigkeit ihrer Darstellung
kann man nicht gut wagen, dies bestimmt zu behaupten; denn
es ist ja zu bedenken, dass es sich um regressive Färbungen
(durch Extraction) handelt und dass also zufällig aus dem einen
Körperehen mehr Farbe ausgezogen sen kann als aus dem an-
deren. Aber der Grössenunterschied macht sich so sehr oft be-
1) Commencement de l’Henogenie chez divers animaux. Archives
des Sciences phys. et nat., T. 18, Avril 1877, Sep. p.29; s. auch Fig. 6,
Tafel X in Fol’s Recherches sur la F&condation, 1879. Seine kurze
Beschreibung (betreffend Sagitta) an der ersteren Stelle lautet: „Pen-
dant ce mouvement de translation (du pronucl&us mäle) l’on voit tres-
nettement que le centre de l’6toile se trouve en avant de la täche
claire* (letzterer Fleck entspricht dem Spermakern). Für meine näheren
Angaben verweise ich auf die erwähnten Stellen. Meine Beobachtungen
waren freilich darin unvollkommen, dass ich damals noch glauben
konnte, die Strahlung des weiblichen Pronucleus entstände frei an der
Seite des Eikerns, welche dem Spermakern gegenüberliegt.
2) Mark, Maturation etc. of Limax camp., Bull. Harv. Coll. 1880.
710 W. Flemming:
merklich, dass ich daran denken muss, es könnte sich hier um
‘ein typisches Verhalten handeln. Und dies um so mehr, als
noch ein anderer Umstand darauf hinweist, dass die beiden
Centralkörper resp. die künftigen Polkörper nicht einander gleich
beschaffen sind. Hermann hat in seiner letzten, eben eitirten
Arbeit (S. 2) mitgetheilt, dass in den Spermatocyten bei begin-
nender Bildung der Spindelenden constant zuerst von einem
der beiden Centralkörper ausgehend ein Faserbündel auftritt.
Hierfür kann ich mich auch schon auf viel frühere eigene Be-
funde beziehen. Als ich vor 1882 die Entstehung und Herkunft
der achromatischen Figur zu ermitteln suchte!), zu einer Zeit
also, wo die Entdeckung des „Polfeldes“ durch Rabl (1884—85)
noch nicht vorlag und man noch nicht an Attraetionssphären
dachte, fand ich bei flachen, lockeren Knäuelformen, eben zu
der Zeit, wo die Kernmembran schwindet, die ersten Spuren
dieser Figur in der Form, dass die zwischen den ehromatischen
Knäuelfäden angeordneten blassen und feinen Stränge an zwei
Stellen eine unverkennbare radiäre Anordnung zeigten (s. die
hier eitirten Figuren des Buches). Ich habe diese Stellen da-
mals sofort als die Pole und ihre Centra als die künftigen Pol-
körperchen in Anspruch genommen (a. a. OÖ. S. 24 und 26) und
dabei auch angenommen, dass diese Polstellen von vornherein
noch ausserhalb des Bereiches der Kernmembran gelegen sein
müssten, weil nur dies mit den Befunden an Eiern stimmen
konnte. Ich wusste nun damals noch nicht, was wir jetzt wissen,
dass beide Pole anfänglich ganz nahe bei einander an derselben
Seite des Kerns im Polfeld angelegt sind; deshalb habe ich da-
mals noch geglaubt (S. 224), dass stets zu gleicher Zeit zwei
solche Strahlungen angelegt werden und zwar an entgegenge-
setzten Flachseiten des Kerns, wenn auch bei der grossen Platt-
heit des letzteren sehr nahe bei einander, und habe darum ge-
meint, dass, wo ich nur einen solchen blassen Stern. wahr-
nehmen konnte und demnach auch nur diesen gezeichnet habe
(Fig. 34, 36 a. a. O.), der andere dureh chromatische Fäden
verdeckt gewesen sei. Diese Annahme erscheint jetzt unnöthig;
denn wie es aus der angeführten Beobachtung Hermann’s und
aus dem, was ich selbst unten zu sagen habe, hervorgeht, ist
1) Zellsubstanz ete., S. 224 ff., Taf. Ill a, Fig. 34, 36, 37,
A nn a Din
} Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 711
wirklich der eine Pol dem anderen in der Entwicklung voraus,
bekommt seine Strahlung früher als dieser, und wenn auch der
letztere eine solche erhalten hat, bleibt diese auf eine Zeit lang
noch merklich geringfügiger als die des ersteren Poles.
Wenn wir hiernach wirklich auf eine substantielle Ungleich-
heit und also auf eine gewisse Ungleichwerthigkeit der
Pole schliessen können, die sogar schon in einer ungleichen
Grösse der beiden Centralkörper bei noch ruhendem Kern ihren
Ausdruck fände, so würde dies, wie mir scheint, ein allgemei-
neres Interesse beanspruchen. Seit die einseitige Lage der
Attractionssphäre am Kern festgestellt ist, kann man gewiss mit
Grund mit van Beneden sagen, dass die Zelle ein bilateral
symmetrischer Organismus ist, der durch eine, die Sphäre und
den Kern mitten durchschneidende Ebene in zwei Antimeren zer-
legbar wäre. Wenn aber das zutrifft, was ich hier vermuthungs-
weise hinstellte, so haben wir eine noch weiter gehende Orien-
tirung in der Zelle. Wir haben dann nicht nur eine Medianebene
derselben, in welcher die Lage der Axe ausserhalb der Mitose
nicht bestimmt anzugeben wäre, sondern eine Axe, welche z. B.
in meinen Figuren 1—7 durch die verlängerte Verbindungslinie
der beiden Centralkörper gegeben wäre. Und zwar eine Axe,
deren zwei Enden ungleichwerthig sein können, sowie die beiden
Centralkörper ungleichwerthig sind: so dass Verschiedenheiten
der Zellsubstanz in verschiedenen Tlieilen der Zelle auch hierauf,
nicht bloss auf den antimeren Bau bezogen werden können. Man
wird sich hier an die interessanten Ausführungen Hatschek’s
und Rabl’s!) erinnern, welche auf der Grundlegung einer „Po-
larität der Zelle“ fussen. Die Annahme eines „basalen Pols und
freien Pols“ der Zelle, die den Betrachtungen Rabl’s zu Grunde
liegt, ist von den beiden Forschern zunächst nach den erkennbar
ungleichen Functionen und Beschaffenheiten der Fussenden und
freien Enden epithelialer Zellen abgeleitet worden; vielleicht hätten
wir für diese Ideen eine noch weit speziellere Grundlage zu hoffen,
wenn meine obige Vermuthung sich durchführen lassen würde,
dass in jeder Zelle die Theilungspole oder, was ja das Gleiche
1) ©. Rabl, Ueber die Prineipien der Histologie. Verhandlungen
der Anatom. Gesellsch., III. Versammlung, Berlin 1889, S. 39,
112 Ww. Flemming:
ist, die beiden Centralkörperportionen unter einander nicht gleich-
werthig sind).
Scheinbar müsste dies zwar die Voraussetzung bedingen,
dass die Uentralkörper auch in der ruhenden Zelle dauernd zwei-
fach wären, was, wie ich oben ausgeführt habe, noch die Frage
bleibt. Sollte sich aber auch ganz sicher herausstellen, dass sie
bei voller Ruhe der Zelle einfach sind?) oder sein können, so
kann man sich doch vorstellen, dass sie auch in solehem Zustand
aus zwei nur eng vereinigten Theilen bestehen. Zur Erläuterung
mag Folgendes dienen: an einem Ascaris-Ei im der Dyaster- oder
Dispiremphase, wie in Fig. 7 und 8 Pl. I m van Beneden’s
Werk von 1887, sind bereits an jedem Tochterpol schon vor
der Zelltheilung die Centralkörper wieder getheilt, in Fig. 9 auch
die Sphären, denn hier folgt eine Zelltheilung sehr rasch der
anderen. Dies braucht auch bei Eiern nieht immer so zu sein.
OÖ. Schultze (a.a. O. S.4) hat schon darauf hingewiesen, dass
bei niederer Temperatur am Siredonei die Furchung sich verlang-
samt, die Theilung der Sphäre sich verschieben kann, und hat
es damit erklärt, dass von Kölliker bei dem gleichen Ei am
ruhenden Kern nur eine Sphäre fand. Es wäre nun wohl mög-
lich, dass auch bei Gewebszellen und überhaupt vielfach dort, wo
zwischen den Theilungen lange Ruhepausen auftreten, die Sphäre
am Tochterpol sich noch nicht theilt, die Centralkörper zwar
sich zerlegen oder doch in zwei Portionen sondern, dass aber
1) Es ist zwar bei anderen Zellenarten, und namentlich bei Eiern
wie die Wurmeier, bei denen die Centralkörper so viel grösser sind,
von ungleichen Dimensionen der beiden Polkörper meines Wissens
noch nichts bemerkt worden, und dies bestimmt mich um so mehr,
das Obige nur als Muthmaassung hinzustellen; es ist aber wohl mög-
lich, dass solche geringe Grössenunterschiede der Körper auch bei den
Eiern vorkommen und nur bisher nicht beachtet worden sind.
2) In diesem Fall müsste natürlich angenommen werden, dass
in alle den weitaus häufigsten Fällen, wo ich in diesen Geweben zwei-
fache Körperchen gefunden habe, das einfache sich bereits für eine
bevorstehende Zelltheilung wieder verdoppelt hat. Diese Annahme
wäre nicht unmöglich, da es sich ja hier um wachsende Larvengewebe
handelt. Diese Theilung der Centralkörper könnte entweder schon in
den Anaphasen der vorhergehenden Mitose erfolgt sein, wie dies bei
Schlag auf Schlag sich theilenden Zellen geschieht (furchende Eier,
Spermatoecyten, Pollenmutterzellen), oder auch später eingetreten sein,
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 7113
diese beiden Portionen zunächst nicht aus einander zu rücken
brauchen und dies erst thun, wenn eine neue Theilung heran-
rückt. Dann also würde es eine polare Orientirung an der Sphäre
und eine Duplieität der Centralkörper geben können, auch dort,
wo diese wie ein einfacher aussehen. Ich erinnere hier auch an
das, was einige Seiten zuvor über die scheinbar einfachen
Sphären und Centralkörper der Leukocyten gesagt ist.
Und selbst wenn auch diese Vermuthung schon zu weit
ginge und sich bei weiterer Untersuchung zeigen sollte, dass es
in ruhenden Zellen wirklich vollkommen einfache Centralkörper
giebt, so würde es immer noch denkbar bleiben, dass es an
einem solchen zwei verschieden beschaftene Pole giebt und dem-
nach, wenn er sich theilt, seine beiden Theilproduete unter ein-
ander ungleich ausfallen werden. Damit hätten wir aber dann,
auch dort, wo solche Theilung noch nicht erfolgt ist, schon eine
dureh die Polarität des Centralkörpers vorgezeichnete Axe der Zelle.
Ich würde den letzteren, noch durchaus hypothetischen Be-
trachtungen hier keine Stelle gewährt haben, wenn es nicht klar
wäre, dass unter der Voraussetzung eines Doppelbaues oder einer
ungleichen Polarität der Centralkörper die vorher erwähnte Er-
scheinung -- das zeitlich-ungleiche Verhalten im Beginn der
Mitose — viel leichter verständlich wird, als wenn wir annehmen,
dass jene Körper, wo sie einfach erscheinen, völlig homogen sind.
Ich übersehe nicht, dass die Annahme einer solchen axialen
Örientirung in der Zelle auf den ersten Blick in Widerspruch
mit Erfahrungen steht, die am Ascaris-Ei gemacht und besonders
von Boveri hervorgehoben sind: danach ist dort die Theilungs-
axe der Centralkörper an den Tochterpolen keineswegs eine be-
stimmte, sie kann sehr verschiedene Richtung zur Axe der vor-
hergegangenen ersten Theilung haben (Boveri a,a. O., S. 165).
Hierin scheint mir aber kein ausschlaggebender Einwand zu liegen.
Zunächst, wenn auch die Centralkörperaxe ihre Stellung wechseln
kann, so kann sie doch während der Lage, die sie jeweilig hat,
auf den ganzen Zellleib und seine geformte Structur einen orien-
tirenden Einfluss äussern; dies erkennt Boveri selbst besonders
an in den Worten (S. 132): „dass jedes in einer Zelle vorhandene
Centrosoma eine nicht näher zu bestimmende Herrschaft über das
Protoplasma ausübt“. Wenn nun im Ei und in den anfänglichen
Furchungszellen ein Stellungswechsel der Axe häufiger eintritt,
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 47
714 W. Flemming:
wenn dementsprechend der Bau dieser ersten Körperzellen noch
ein in sich flexibler ist, so lässt sich doch wohl daran denken,
dass in ihren späteren Abkömmlingen, die sich an bestimmte
feste Lage und bestimmte Function bequemt haben, auch eine
mehr bestimmte Lage und Axenstellung der Centralkörper Platz
gewinnt, und dass auf Grund dessen das, was Boveri Herrschaft
über das Protoplasma nennt, sich in Form einer wirklichen topo-
graphischen Differenzirung der Zellsubstanz geltend macht.
In meinem letzten Aufsatz hatte ich die Frage, was bei
amitotischer Fragmentirung eines Kerns mit nachfol-
sender Absehnürung der Zelle mit der Attraetionssphäre
geschieht, noch nieht beantworten und nur vermuthen können,
dass Oentralkörper und Sphäre sich dann wohl vor der Abschnü-
rung der Zelle wird theilen müssen). Seitdem habe ich einen
Fall gefunden, der dies stützen kann (Fig. 26). Eine kleine Zelle
in einem Kiemenblatt, die nach der dunklen Kerntinetion und
der Ausläuferlosigkeit des Leibes ein Leukoeyt ist, befindet sich
in offenbarer Abschnürung, jede Portion enthält einen Kern; diese
beiden Kerne sind gleich gross, und da in ihnen jede Spur von
mitotischer Anordnung fehlt, die in diesem Zustande des Zellen-
leibes sonst einem Dyaster oder allenfalls Dispirem entsprechen
müsste, so ist zu schliessen, dass eine Fragmentirung des Kerns
in Form einer Absehnürung vorhergegangen ist. In jeder Zell-
portion nun liegt ein blassröthlich gefärbter Körper neben dem
Kern. Es handelt sich um ein Chromsäurepräparat; an solchen
‚sind die Sphären so verändert, wie ich dies oben auf S. 704,
Anm. 1 besprach, ich kann also nicht sicher sagen, ob diese
Körper in Fig. 26 geschrumpften Sphären oder gequollenen Central-
körpern entsprächen; jedenfalls zeigen sie ganz dieselbe Tinction
und Liehtbreehung, wie die betreffenden Körper in Chromsäure-
objecten überhaupt, sind also nicht als beliebige Körner zu be-.
trachten. Der eine dieser Körper liegt, wie man sieht, dicht an
der Abschnürungsstelle und zeigt ungefähr runden Umfang; der
in der andern Hälfte, etwas entfernter von der Schnürstelle, ist
platt und scheint kleiner zu sein als der erstere, doch kann dies
1) Dieses Archiv Bd. 37, S. 283,
PER TEN TO ER EN
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 715
auch darauf beruhen, dass beide gleich gross und flach sind und
der eine von der Fläche, der andere von der Kante gesehen
wird. Hiernach würde sich also die Sphäre bei Fragmentirung
von Leukoeyten theilen, bevor es zur Abschnürung der Zellleiber
kommt, wie ja a priori zu vermuthen war (s. a. a.0.). Dass das
Gleiche bei der blossen Fragmentation emes Zellkerns nicht
erfolgt, habe ich dort gezeigt.
E. Zur Mechanik der Zelltheilung und über die Entstehung
der Kernspindel in Gewebszellen des Salamanders.
Seit ich vor vier Jahren zuletzt Anlass hatte, diesen Gegenstand
und was damit wesentlich zusammenhängt, die Spindelbildung zu
besprechen !), ist die Forschung darin bekanntlich um grosse Schritte
vorwärts gekommen; wir verdanken dies vor Allem Edouard
van Beneden, dessen schon frühere Entdeckung der Attractions-
sphären und ihrer Centralkörper im Ascaris-Ei?) die Hauptgrund-
lage für diese Fortschritte war und in seinem folgenden Werke?)
den glänzenden Ausbau erhalten hat, in dem sie uns jetzt ganz
neue Gesichtspunkte für das Verständniss des Zelltheilungsvor-
ganges eröffnet; ferner Boveri, dessen die Zelltheilung betreffende
Arbeit‘), mit der letztgenannten van-Beneden’s gleichzeitig und
von ihr unabhängig entstanden, in den wesentlichsten Punkten
zu gleichen Ergebnissen gelangte. Eine höchst wichtige Vor-
läuferin dieser Funde, wenn sie ihnen auch nichts an Origimalität
entzieht, muss die Arbeit Rabl’s von 1885°) genannt werden,
der noch ohne Kenntniss der Bedeutung, Wirkung und Theilung .
der Attractionssphären van Beneden s die Thatsache entdeckt
hatte, dass die Pole an einer eng beschränkten Stelle einseitig
neben dem Kern auftreten und sich während der Mitose von
1) Dieses Archiv 1887, S. 425.
2) Recherches sur la maturation de l’oeuf, la fecondation et la
division cellulaire. 1883.
3) van Beneden et Neyt, Nouvelles Recherches sur la f@con-
dation et la division mitosique chez l’Ascaris megaloc£phale, Brux. 1887.
4) Zellen-Studien H.2. Die Befruchtung und Theilung des Eies
von Ascaris megalocephala. Mit dem früheren Heft und sonstigen
Publikationen Boveri’s berührt sich das Folgende nicht näher.
5) Ueber Zelltheilung. Morph. Jahrb. Bd.X.
716 W. Flemming:
einander entfernen. Ich erlaube mir, von einer Anführung vieler
anderer wichtiger Untersuchungen über Zelltheilungsprobleme ab-
zusehen und ausser den genannten nur diejenigen zu besprechen,
mit denen ich hier selbst näher in Berührung komme.
In jener Besprechung von 1887 war ich zu dem Schluss .
gelangt, dass 1. die Theilungspole, wie das ja schon früher an-
zunehmen war, ausserhalb des Kernbereichs gelegen sind und
zwar, wie Rabl gezeigt hatte, anfangs nahe beisammen in Er-
scheinung treten und dann sich von einander entfernen; dem-
gemäss ist die Spindel, wie es Rabl dargestellt hat und wie ich
es damals bei den Spermatocyten bestätigt fand, anfangs klein
und wächst an Länge und an Mächtigkeit; 2. hatte ich anzuer-
kennen, dass auch die polaren Enden der Spindel bei Wirbel-
thieren ebenso, wie nach van Beneden bei Ascaris, ausserhalb
des Kerns entstehen können; da aber bei Amphibienzellen die
Pole so sehr nahe am Kernumfang erscheinen, konnte ich das
bei diesen Objeeten auch nur für die äussersten Enden der Spindel
selten lassen und nalhım für deren dort im Verhältniss viel grös-
seren Mitteltheil an, dass er aus achromatischen geformten Be-
standttheilen des Kernes — wie wir jetzt nach F. Schwarz’s
Ausdruck sagen, aus Lininfäden -—— entstehen müsse; dies stützte
sich auf meine früheren eigenen Beobachtungen an Epithel- und
Bindegewebszellen !), welche zuerst das Vorhandensein von blassen
feinen Fäden innerhalb der späteren Knäuelstadien, noch vor
dem Schwinden der Kernmembran, kennen gelehrt hatten. Ich
konnte es danach schon am unten eitirten Ort (1882) als an-
nehmbar hinstellen (S. 226): | |
„Dass die Fäden der Spindel (mit Ausnahme ihrer polaren
Enden und der Polkörper selbst) aus den blassen Strängen ent-
stehen, die man in den Knäueln sieht und welche aus den
seformten Structuren des Kerns, als chromatinlose Bestandtheile
derselben, sich entwickeln. Es ist eine Attraction oder doch
eine richtende Kraft von Seiten der Pole im Spiel, welche sich
innerhalb der Knäuelphase verstärkt und diese Stränge als Ra-
dien gegen die Pole configurirt, so dass dieselben im Anfange
dieses Processes noch ungenau radiäre Ordnung zeigen, später
immer regelmässigere und geradlinigere annehmen. — Eine gleiche
1) Zellsubstanz ete., S. 223 u. folgende, Tafel IIIa.
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 717
richtende Kraft üben die Pole aber auch auf die umgebende
Zellsubstanz; sie wird gleichfalls radiär zu ihnen orientirt, und
dies giebt die polare Zellstrahlung. — Die Kernmembran wird
deconstituirt zu losen Strangwerken, welche mit denen, die sich
jetzt im hellen Innentheil des Zellkörpers darstellen, in Zusam-
menhang stehen und bleiben, und von ihnen nachher nicht weiter
zu unterscheiden sind.“
Man sieht, dass diese Auffassung denjenigen schon recht
nahe steht, welche van Beneden und weiter Rabl (s. unten)
seitdem aufgestellt haben, wenn man in meinen Worten die Aus-
drücke „Attraction oder richtende Kraft“ durch „Contraetion“
ersetzt.
In Bezug auf die schon damals vorliegende Angabe van
Beneden’s!), dass die Spindelfasern gegen den Aequator zu freie
Enden\haben, mit denen sie sich an die Chromosomen heften
und sie gegen die Pole auseinander ziehen, konnte ich mich
nach dem Befund an meinem damaligen Objeet — Spermatocyten
des Salamanders — nicht zustimmend verhalten?), da bei diesen
ganz sicher Fasern zu finden waren, die im Aequator keine
Unterbrechung zeigten, und da man nach van Beneden’s erster
Darstellung meinen könnte, dass er eine solche Discontinuität
für das ganze Fadenbündel annähme. Jetzt ist diese Diffe-
renz, wie das Weitere ergiebt, ohne-Schwierigkeit zu beseitigen.
In dem gleichen Jahr, wie meine eben eitirte, erschien die
schöne Arbeit van Beneden’s und Neyt's (s.oben) und brachte
als Hauptergebnisse: den vollen Nachweis der Sphären und Cen-
tralkörper in der Bedeutung als bleibende Organe der Zelle; den
Nachweis ihrer Theilung und ihrer wichtigen Rolle bei der Zell-
theilung, in der Art, dass Spindelfasern (aber nicht sämmtliche)
von den getheilten Centralkörpern (Polkörpern) von beiderseits
an die Chromosomen treten und deren Spalthälften gegen je einen
Pol ziehen, also die Entdeekung der nächsten Ursache für die
Heteropolie*) der Chromosomenhälften und die Zurückführung .
1) a. a. O. 1874. |
2) S. 433 meiner Arbeit a. a. 0.
=223.:0.8:335 u. and.
4) Ich benutze den Ausdruck Heteropolie der Spalthälften
als kurze Bezeichnung für die Thatsache, dass die beiden Schwester-
hälften je eines Chromosoms nach verschiedenen Polen hin verlagert
718 W. Flemming:
dieses Vorganges wie des ganzen Theilungsprocesses auf eine
Contraetion geformter Strueturen der Zellsubstanz,
welche die Centralkörper, bezw. Polkörper zu Centren hat. In
‚letzterer Hinsicht kommt noch als besonders wichtig die Ent-
deekung van Beneden’s in Betracht, dass zwischen den Polen
und der Eiperipherie bei der Theilung die Gegenpolkegel (cönes
antipodes) als stärker markirte Theile der Polstrahlung erscheinen,
deren Fibrillen dureh ihre Contraetion die Polkörper von ein-
ander abspannen. van Beneden — wie auch Boveri, siehe
unten — vergleicht die Contractilitätsäusserungen der Spindel-
fasern und Polstrahlen geradezu mit denen von Muskelfibrillen.
Der Punkt, mit dem ich mich hier besonders beschäftigen will:
die Frage nach der Art, in welcher der Zusammenhang der
Spindelfasern mit den Chromosomen zu Stande kommt oder prä-
existirt, und ferner nach der ersten Ursache der Chromosomen-
spaltung, ist in dieser Arbeit van Beneden’s nicht näher in’s
Auge gefasst; er sagt (pag.41), dass die Fibrillen der Spindel
nichts anderes seien, als differenzirte Theile der Zellstruetur („du
werden und also für verschiedene Tochterkerne bestimmt sind; eine
Thatsache, welche bekanntlich dwrch E. Heuser und van Beneden
gleichzeitig (März und April 1884) festgestellt und im folgenden Jahre
durch Rabl bestätigt worden ist. In einer kürzlich geführten, durch
einen Aufsatz Guignard'’s veranlassten Controverse über die Priorität
dieses Fundes zeigt sich sehr deutlich der Mangel eines einfachen
Ausdrucks für das gesammte Verhalten; es wurde im Französischen
mit den Worten: dedoublement, &cartement, cheminement des anses
vers les pöles umschrieben, auch das Wort cheminement zur Bezeich-
nung des Ganzen benutzt, und so konnte das Missverständniss mög-
lich werden, als handele es sich um die lange bekannte Längsspaltung
der Chromosomen oder um die ebenso bekannte Thatsache, dass durch
diese Spaltung deren Zahl verdoppelt wird und jeder Tochterkern die
Hälfte der Gesammtzahl erhält, oder gar um das Auseinanderrücken
der beiden Tochtergruppen — denn cheminement heisst ja nichts
weiter als Bewegung. Von diesen drei Dingen hatte ich die beiden
ersten längst festgestellt, und das dritte verstand sich von selbst. Aber
es stand nicht fest und war doch sehr wichtig zu wissen, ob von zwei
Spalthälften eines Chromosoms die Hälfte a zum einen Pol und b zum
andern geht. Dies habe ich nur als möglich hinstellen können;
Guignard hat es mit richtigem Bliek angenommen, aber nicht be-
wiesen; Heuser und van Beneden haben, unter völliger Einsicht
in die Tragweite des Verhaltens, diesen Beweis geführt und sind da-
mit ohne Frage die Entdecker der Heteropolie gewesen.
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 719
treillis protoplasmique“), und dass der grösste Theil der Spindel
(die eönes prineipaux) sich bei Ascaris aus den Sphären, also
von ausserhalb des Kerns her bildet, und lässt sich, so viel ich
sehe, nieht auf die Frage ein, ob auch achromatische Substanzen
des Kerns für die Spindelbildung mit benutzt werden. In Bezug auf
den ersten Anlass zur Längsspaltung der Chromosomen findet sich
bei ihm nur die vorsichtige Aeusserung: „I est probable que
les filaments des cönes prineipaux determinent en se contractant,
sinon le dedoublement des anses primaires, tout au moins l’Ecarte-
ment etc. des anses secondaires.* (pag. 67.)
Boveri’s Ergebnisse schliessen sich, wie gesagt, denen
der belgischen Forscher in den Punkten, welche für meine hiesige
Aufgabe in Betracht kommen, sehr nahe an, indem er die Spindel
offenbar durchaus von den Sphären herleitet und noch direeter,
als van Beneden, von einem Ausgesandtwerden der Spindel-
fasern von Seiten der Centrosomen, von einem Sich-Festheften
_ derselben an den Chromosomen spricht, und für das Ascaris-Ei
eine Betheiligung von Kernsubstanz an der Spindelbildung, so
viel ich sehe, gar nicht in Rede stellt. In Bezug auf die Chro-
mosomenspaltung betont Boveri jedoch bestimmt, „dass sie eine
selbständige Lebensäusserung derselben sei“, und nicht, woran
sich nach van Beneden’s und Neyts Beschreibung allenfalls
denken liesse, bloss passiv durch Zug der Spindelfibrillen an den
Chromosomen bewirkt werden könne; er begründet dies unter
Anderem damit, dass in anderen Fällen die Längsspaltung schon
vor der Fertigstellung der Spindel auftreten kann; ja, dass bei
der Riehtungskörperbildung im Asearis-Ei die Spaltung, die bei
der zweitfolgenden Theilung zum Vollzug gelangt, schon von der
ersten her vorbereitet ist (a.a.O. S. 115). Es mag entschuldigt
sein, dass ich auf einige andere Differenzen und überhaupt auf
vieles Wichtige in Boveri’s Arbeit hier nicht eingehe und nur
das berücksichtige, womit ich näher in Berührung komme.
Vor zwei Jahren hat Rabl eine Hypothese über die Me-
chanik der Zelltheilung aufgestellt!), welche sich in den meisten
Beziehungen an die Auffassung van Beneden’s und Neyt's
anlehnt, doch in zweien sich von ihr unterscheidet. Rabl’s
Grundgedanke ist, dass in der gesammten Zelle eine Centrirung
1) Ueber Zelltheilung. Anat. Anzeiger 1889, Nr. 1.
720 w. Flemming:
gegen den Centralkörper, bezw. gegen die Polkörper besteht,
und zwar, wie Rabl selbst sagt: „auch für die Zeit der Ruhe,
während van Beneden eine solche Centrirung nur für die Zeit
der Theilung annimmt“. Ich entnehme zwar aus van Beneden's
und Neyt’s Arbeit nicht, dass diese eine Centrirung ausserhalb der
Theilung ausgeschlossen sein lassen wollten, und sie bemerken an
mehreren Stellen), dass sie die Spindelfasern und die Polstrah-
lungen für nichts anderes halten, als für differenzirte Theile der
Zellstruetur („du treillis protoplasmique“), und betonen an letz-
terer Stelle deren Contractilität; doch heben sie freilich eine
Centrirung der ruhenden Zelle im Sinne Rabl’s nicht besonders
hervor. — Das zweite und am meisten Besondere in Rabl’s
Construction ist, dass er die Einstellung der Structur gegen das
Centralkörperchen nicht nur für die ruhende Zellsubstanz, son-
dern auch für den ruhenden Kern in’s Auge fasst, und zwar
dies nicht nur für dessen chromatische Structuren, worauf ja
schon seine frühere Arbeit abzielte, sondern auch für achroma-
tische geformte Bestandtheile des Kerns (a. a. OÖ. bei Rabl
S.24 unten, 25 oben, 26 und Fig. 1). Wo diese achromati-
schen Bestandtheile während der Ruhe im Kern zu suchen sind,
darüber spricht sich Rabl in diesem Aufsatz zwar nicht aus;
doch aus dem, was in seiner früheren Arbeit im morphol. Jahr-
buch (a.a. O. S. 323—24) über die Struetur des ruhenden Kerns
und über die Rückbildung desselben aus dem Tochterknäuel gesagt
ist, kann ich vielleicht annehmen, dass er sich gleich mir denkt,
diese achromatische Substanz sei während der Kernruhe mit der
_ ehromatischen zum Gerüst vereinigt, und dass er sich also meiner
vorher eitirten Meinung über die Anlage der Spindelfasern —
durch Sonderung von Lininsubstanz aus der ehromatinhaltigen,
deren übriger Bestand sich zu den Knäuelfäden ordnet — an-
schliesst, obwohl er dieselbe in seinem letzten Aufsatz nicht er-
wähnt hat.
Eine Anschauung dieser Art über die Verhältnisse des
ruhenden Kerns, über eine bleibende Verknüpfung von dessen Bau
mit dem der Zellstruetur, ist n van Beneden’s Theorie nicht
enthalten; ich finde nicht, dass er ihre Möglichkeit irgendwo in
Abrede stellt, aber auch nicht, dass er sie überhaupt in’s Auge
1) Bd. 41 und pag. 67.
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 721
fasst. Boveri hingegen ist in diesem Punkt offenbar anderer
Meinung als ich und Rabl; er nimmt an, dass die Polradien
(Arehoplasmastrahlen) von den Sphären ausstrahlen, auf die
Chromosomen treffen und sich an sie anheften; dass es sich also
bei der, Spindelbildung keineswegs um Ausprägung, Verstärkung
und Contraetion einer schon vorhandenen Structur handelt, son-
dern um Protoplasmastrahlen, die gegen den Kern und in seinen
Raum vordringen!). In Bezug auf die Längsspaltung der Chro-
mosomen steht Rabl’s Anschauung ebenfalls mit der Boveri’s
in Widerspruch; Letzterer hebt hervor, dass sie von den Spindel-
fasern unabhängig und eine selbständige Lebenserscheinung der
chromatischen Elemente sei?). Auf diesen Punkt habe ich noch
näher zurückzukommen.
In neuester Zeit ist eine kurze Mittheillung F. Her-
mann's?) über die Spindelbildung bei den Spermatocyten von
Salamandra erschienen, welche an diesen die Sphären und ihre
Theilung im Beginn der Mitose nachweist und die Entstehung
der Spindel verfolgt; der centrale Theil der Spindel hat nach
Hermann seine Herkunft ausserhalb des Kerns und stellt nach
seiner Vermuthung später die „Verbindungsfasern“ dar; inwie-
weit der übrige Theil der Spindel von ausser- oder innerhalb
des Kerns stammt, lässt der Verfasser noch unentschieden. Uebri-
gens schliesst seine Auffassung des. ganzen Theilungsvorganges
sich wesentlich an die van Beneden’s und Boveri's an.
Letzteres gilt der Hauptsache nach wohl auch von der
neuen Mittheilung 0. Schultze’s*) über die Theilung des Eies
und der Furchungszellen von Siredon pisciformis, so weit der kurz-
gefasste Inhalt lehrt. In der am Schluss angedeuteten Hypothese
führt der Verfasser die Zelltheilung auf eine Theilung der Mi-
krosomen in der Zelle zurück und nimmt eine Längsspaltung
der Spindelfasern an, die in der Theilung der in ihnen gelegenen
Mikrosomen begründet ist und an welche sich die Halbirung der
Mikrosomen in den Chromatinschleifen anschliesst. Ich vermag
1) Dies geht wohl bestimmt aus den Worten Boveri’s S. 97,
übrigens auch aus vielen anderen Stellen hervor.
2) 8. 113.
3) Die Entstehung der karyokin. Spindelfigur, Münchn. med.
Woch. Nr. 47, 1890.
4) Sitzungsber. d. phys. med. Ges. Würzburg, 26. Juli 1890.
722 | W..Flemming:
aus dem Wortlaut noch nicht zu ersehen, ob sich diese Hypothese
an Rabl’s Idee näher anschliesst oder in wie fern sie davon
abweicht.
In ©. Hertwig'’s letztjähriger grosser Arbeit über Ei- und
-Samenbildung bei Nematoden!), welche wesentlich andere Pro-
bleme verfolgt, ist die Frage der Spindelbildung und Kermnthei-
lungsmechanik nicht näher berührt; nach seiner Beschreibung der
Spermatocytentheilung (8.38 ff. u. 40 ff.) und seinen Figuren
auf Tafel I u. II scheint es klar, dass er die Bildung der Spindel-
enden aus der Attractionssphäre annimmt; die nach der Kern-
trennung bestehenden Verbindungsfäden sind nach seiner Be-
schreibung und Fig. 25, 26 u. 27 auf den beiden Tafeln aus
einer Lininmasse abzuleiten, von welcher anfangs die vier stäb-
chenförmigen Chromosomen eingehüllt zu einem Bündel verbunden
waren.
Henking, in der neuesten Arbeit, die mit unserem Gegen-
stand in Berührung tritt?), bezeichnet es an seinem Objeet (Sper-
matocyten von Pyrrhocoris) als nicht zweifelhaft, dass die Spindel-
fäden sich aus dem Kernnetz formiren. „Denn noch während
des Vorhandenseins der Membran sieht man die Kernfäden auf
die Polkörperehen zustreben, und ist die Membran verschwunden,
so bieten die vom ÜOentrosoma zu den Chromosomen ziehenden
Fäden denselben Anblick durch ihre körnige Beschaffenheit, ihre
Färbung und den geknickten Verlauf, wie früher innerhalb der
Membran.“ (S. 699, Fig. 23 e bis 29, Tafel 35.) In der fertigen
Spindel hat Henking deren achromatische Fäden doppelt
gefunden.
Ich habe nun an meinen jetzigen Objeeten, besonders
grossen, flachen und durchsichtigen Zellen, in denen die chroma-
tinlosen Structuren durch die Methode recht gut verdeutlicht
sind, zu ermitteln gesucht, was sich bei Gewebszellen des Sala-
manders in Bezug auf die erste Anlage und das Wachsthum der
Spindel, und über die Chromosomenspaltung ausmachen lässt.
1) Dieses Archiv Bd. 36. |
2) Untersuchungen über die ersten Entwickelungsvorgänge in
den Eiern der Insekten. Zeitschrift für wiss. Zool. Bd.51, 4, 1891,
Seite 686.
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 123
Die ersten bestimmten Anfänge der Spindelbildung, die ich
fand, zeigen Bilder, wie Fig.6 und 7, Tafel I. Die Central-
körper rücken auseinander (Fig. 6); um jeden von ihnen her
tritt deutlicher, als in der Zellruhe, eine leichte Verdichtung und
eine sehr schwache Strahlung auf, und zwischen beiden Körpern
erscheint ein blasser Streif, an dem ich, bei der Kleinheit der
‚Verhältnisse, noch nicht erkennen kann, ob er eine Unterbrechung
in der Mitte hat oder nieht. Wo man solche Anfänge der
Spindel findet, zeigt die Kernstructur eine deutliche Centri-
rung gegen das Polfeld (s. die Figuren), obwohl ihre Balken
noch ganz ungleich diek und von grossen Knoten durchsetzt
sind. Diese erste kleine, wie es scheint, ununterbrochene Spindel-
anlage, welche ja in ähnlicher Form schon von van Beneden
bei Ascaris, und von Hermann (a.a.0. S.2) an den Hoden-
zellen beschrieben wurde und nur bei meinen jetzigen Objeeten
noch kleiner ist, liegt an solchen Kernen, die Nierenform haben,
immer an der Brustseite. In den nun zunächst folgenden Sta-
dien ist es mir bisher nicht geglückt, völlig reine Profilbilder zu
finden, wie Fig. 7, in denen man das weitere topographische
Verhalten dieser Spindelanlage zum Kern deutlich vor Augen
hätte; nach meinen früheren Befunden an den Spermatoeyten
aber!), und nach den vielen Bildern, wie Fig. 31, 32, 33, 34,
Tafel III, die ich von Lungen- und- Bauchfellzellen vor mir ge-
habt hatte, kann ich glauben, dass die Spindelhälften sich mit
ihren Basen schräg gegen den Kern wenden, so dass beide, als
Ganzes vereinigt gedacht, die Form einer gekrümmten oder in
der Mitte geknickten Spindel geben würden (Schema Fig. 29),
wie ich ja solehe a.a. 0. (s. Anm.) von den Spermatoeyten be-
schrieben habe. Dies giebt, wo man das Gebilde im halben
Aufblick sieht, Bilder, wie Fig. 33, 34 und 35; die Hälften sind
jetzt bedeutend gewachsen, eine deutliche Faserung darin zu
unterscheiden; die Fasern laufen nicht geradlinig, sondern etwas
geknickt, wellig, dies jedoch lange nicht in dem Grade, wie es
Rabl’s schematischer Fig. 2b a.a. O. entsprechen würde. Ein
Zusammenhang sämmtlicher Fasern beider Kegel besteht jetzt
keinesfalls; wenn es auch hier — wie ich nach Hermann’s
Beschreibung a.a. 0. S.3 gewiss gern annehmen möchte — eine
1) S. 427 ff., Fig. 15—19 a.a.0.
724 W. Flemming:
zusammenhängende „Oentralspindel“ giebt, die aus dem ursprüng-
lichen kleinen Verbindungsstreif (Fig. 7 hier) entstanden und
herangewachsen ist, so muss sie an diesen Stadien sehr unsehembar
sein. In Bildern wie Fig. 32 und 33 sieht man einzelne Spindel-
fasern jetzt deutlich mit Chromosomen in Zusammenhang !).
Die Kernmembran, die m den Stadien der Fig. 6—7, und
noch etwas weiter, scharf markirt war, beginnt dann undeutlich
zu werden, und in Formen wie Fig. 31, 32 zeigen sich an ihrer
Stelle blasse Strangwerke, anfangs oft etwas dichter, als die im
Kern vorhandenen. Im Kern selbst sind nämlich zwischen den
chromatinhaltigen Structuren schon bei noch bestehender -Kern-
membran zarte chromatinlose Strangwerke zwischen den ehroma-
tischen sichtbar (Fig. 21—23, weiter 31—32), wie ich diese ja
schon in meinen früheren Arbeiten gefunden und näher beschrie-
ben hatte2); denn sie sind auch mit anderen Mitteln als meinen
jetzigen (besonders Chromessigsäure-Hämatoxylin) sichtbar zu
machen, sehr deutlich in den Stadien, wo eben die Kernmem-
bran im Schwinden begriffen ist.
Weiter (Fig. 34—36) erscheinen die Spindelfasern immer
mehr gestreckt — obwohl vielfach noch immer nicht ganz gerad-
linig — und zum Theil dieker geworden, sowie verlängert; eine
immer grössere Zahl von ihnen ist im Verbindung mit Chromo-
somen zu erkennen, und zwar treten die dieksten an die Schleifen-
winkel. Die Polkörper sind sehr viel grösser geworden und
färben sich bei der Orangemethode fast so lebhaft wie das Chro-
matin. Die Polstrahlung, die schon vorher ausgesprochen ist,
lässt jetzt sehr deutlich, übrigens auch schon in den übrigen
Formen, einen Zusammenhang mit den aufgelockerten Faden-
werken in dem hellen Innentheil des Zellenleibes (s. oben im
2. Abschnitt) und dadurch wieder mit der Peripherie erkennen.
In der Strahlung markiren sich eine Anzahl dickerer Fasern,
welche ich für gleiehwerthig mit van Beneden’s „Cönes anti-
podes“ halte. | ;
Für die sämmtlichen gegebenen Bilder ist festzuhalten, dass
1) Gekrümmte Spindelenden in den Anfangsstadien habe. ich
an diesen Objeeten nicht selten gesehen; ob sie hier zu gewisser Zeit
ständig sind, weiss ich nicht. Fig. 35 zeigt einen derartigen Fall,
2) Zellsubstanz etc., S. 220 ff.
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EEE EEE DEREEEEEEEEE, EEE EE G U
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 129
es sich hier um sehr flache Kerne und Zellen handelt, und dass die
Spindelanlage, ob sie nun anfangs am Schmalrande oder an einer
Fläche des Kerns gelegen war, sich bei ihrer Vergrösserung
immer über eine seiner Flachseiten neigt und von dieser aus
sich gleichsam in ihn hineindrückt. Deshalb liegen im den ge-
lockerten Knäueln anfangs die beiden Polstellen und ihre Spindel-
kegel, so wie wir sie von der Fläche betrachten, umschlossen
oder halbumschlossen von den chromatischen Knäuelfäden und
erscheinen anfangs als eine gemeinsame (Fig. 32) und später als
zwei getrennte helle Stellen in der Figur (Fig. 33 u. folg.). Solche
Aufblicke auf noch einfache und auf schon doppelte Polfelder
habe ich schon in früheren Arbeiten vielfach gezeichnet!) und
dem hier Gesagten gemäss gedeutet?), ausgenommen dass ich,
wie damals vor Rabl’s Arbeit Jedermann, noch ohne Kenntniss
davon war, dass die Polstellen an der chromatischen Figur an-
fangs einseitig und nahe beisammen liegen, und dass die Pol-
körper von Anfang an präformirt sind. Deshalb war die im
Buch gegebene schematische Fig. 1r, Tafel VIII (s. dort S. 224
unten) natürlich in letzterer Hinsicht unrichtig; das Verhalten ist
so, wie in der Fig. 23 resp. 29 hier.
Wie eben berührt ist, liegen die Pole und die noch kleinen
Spindelhälften in Figuren, wie hier Fig. 32, 33 und Fig. 37 in
meinem Buch, in der That in die Masse der Chromosomen hin-
eingesenkt; dies zeigt sich ganz deutlich daraus, dass man
vielfach bei Einstellungen sowohl über, als unter. die Pole und
Faserkegel chromatische Fäden in der Bildebene hat. Dieser
Punkt ist nun offenbar für die Beurtheilung der jetzt
obwaltenden Mechanik von Wichtigkeit. Er muss, wie
mir scheint, durchaus dafür sprechen, dass schon jetzt eine sub-
stanzielle Verbindung der Pole und Spindelendfasern mit dem
Inneren der Knäuelfigur besteht, obwohl in Objeeten wie Fig.
32 bis 34 von emer durchgehenden Anheftung von Spindel-
fasern an die ehromatischen Segmente noch gar nichts deutlich
ist, höchstens einmal an die nächstbenachbarten ein Fädehen der
Spindel zu verfolgen ist.
1) Zellsubstanz ete., Tafel Illa, Fig. 34, 36, 37, 38, auch schon
in diesem Archiv 1880, Tafel VII, Fig. 6, 7; 1881 (Bd.20), Tafel III,
Fig. 4 u. 6.
2) Zellsubstanz etc., 5. 224—225 u. f.
726 W. Flemming:
Nach Allem nämlich, was van Beneden und Boveri ge-
zeigt haben, können wir annehmen, dass das Auseinanderweichen
der Pole bedingt wird durch eine centrifugale Verkürzung der
Polstrahlen, speciell derer der Antipodenkegel. Wenn nun, wäh-
rend das geschieht, die Pole noch keinerlei festere Verbindung
mit der Kernfigur besässen, so müssten sie neben der Fläche
der hier ganz platten Kernfigur entlang auseinandergezogen werden.
Aber sie werden statt dessen in diesen Anfangsstadien in sie
hinein versenkt, so zu sagen durch sie von einer Seite her um-
hüllt (vgl. die Figg. 33—34 mit den schematischen Zeichnungen
Fig. 27, 28, 29). Wenn man nun nicht annehmen will, dass die
ganze chromatische Kernfigur sich activ wie eine Kappe um
die Spindel her ausdehnen sollte — wofür doch bis jetzt weder
hier, noch vollends an anderen Objeeten, wie Eier, eine Wahr-
scheinliehkeit vorliegt —, so bleibt wohl nur die Annahme übrig,
dass die Spindelenden schon in ihrem ersten Entstehen irgendwie
mit dem Inneren der Kernfigur im Connex stehen und dadurch
gegen sie angespannt werden, und dies wird wieder am einfach-
sten verständlich durch meine frühere Annahme, auf deren ge-
naueres Citat hier S. 716— 717 oben ich verweisen möchte: dass der
Mitteltheil der Spindel, soweit er an die Chromosomen angreift, aus
den Linin-Strangwerken entsteht, die zwischen den Knäuelfäden
vorher erkennbar sind, indem diese in der Richtung gegen die
Pole hin zu strafferen Fasern gerichtet werden, und zugleich aus
den Zerlegungsproducten der Kernmembran. Mit dieser Auf-
fassung tritt diejenige Rabl’s in sofern in besten Einklang, als
auch sie eine derartige intranueleare Bildung eines grossen Theils
der Spindel annimmt und erweitert sie darin, dass Rabl bestimmt
eine Contraetion der Lininfäden in Anschlag bringt, wo ich
nur von einer Attraction gegen die Pole gesprochen hatte.
Dem Wesen nach kommt wohl dies Beides ziemlich auf’s Gleiche
hinaus. Jedenfalls müssen ja diese Fäden, wenn sie aus dem
lockeren Zustand in meimer Fig. 31 in den gestreckten meiner
Fig. 32, 33 ff. übergehen, den Polen einen Halt gegen die Kern-
figur geben, und das giebt eine Erklärung dafür, dass die Spindel-
enden in diesen Anfangsstadien nicht an der Kernfigur vorbei-
gezogen werden, sondern förmlich in ihr liegen (vgl. hierüber
die Schemata Fig. 27—29, s. Erkl.).
Die Bilder, welche Henking von der ersten Spindelbildung
ee A ee. Me Be
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 127
bei Inseeten-Samenzellen giebt (oben eitirt), sprechen, wie ein
Blick auf seine Abbildungen zeigt, gleichfalls schr für eine
srösstentheils intranucleare Entstehung dieses Gebildes.
Hermann (a.a. 0.) spricht zwar auf S.3 aus, dass für’ die
Spermatoeyten „die Herkunft der Spindel eine protoplasmatische
(das heisst also doch: extranucleare) sei, obwohl er allerdings
noch nieht in der Lage sei, auszuschliessen, dass ein geringer
Theil jener Fasersysteme, die die Centrosomen mit den Chromo-
somen verknüpfen, sich vielleicht auch von dem achromatischen
Gerüstwerk des Kerns ableiten liesse*“. Für die „Uentralspindel“
Hermann’s halte ich die erstere Anschauung gewiss für ge-
sichert; ich habe die junge Spindel. seit seiner Mittheilung ver-
schiedentlich in der von ihm beschriebenen Form in Spermato-
eyten gesehen, an den hier beschriebenen Zellen, wie gesagt,
noch nicht verfolgen können. Hermann’s Befund giebt zugleich
eine erfreuliche Aufklärung dafür, dass bei den Salamander-
Samenzellen in der That Spindelfasern vorkommen, die sicher im
Aequator durchlaufen, was ich a.a. O.!) bestimmt hatte be-
haupten können und was mit van Beneden’s Ansicht damals
unvereinbar erschien; ich gebe dafür hier in Fig. 18, Tafel II
noch den Längsschnitt einer solehen Spindel (s. Erkl.. Es wer-
den eben die durchgehenden Fasern der Centralspindel ange-
hören, die übrigen können sehr wold im Aequator unterbrochen
sein, d.h. sich an Chromosomen ansetzen. — Dafür, dass Her-
mann ausser der Centralspindel auch einen so grossen sonstigen
Theil der achromatischen Figur von ausserhalb des Kerns ab-
leitet, werden ja seine Gründe abzuwarten sein.
Ich selbst sehe, wie gesagt, einstweilen kemen Weg, als
den grössten Theil dieser Figur bei diesen meinen Objeeten aus
dem Kern abzuleiten, und dazu bestimmt mich ausser dem Obigen
noch mehreres Andere. Zunächst müsste wohl, wenn es anders
sein sollte, gezeigt werden, wo dann die von mir gefun-
denen Lininfadenwerke in den Knäueln (Fig. 21—23
hier, Fig. 33—36, Tafel III in meinem Buch) bleiben, wenn
sie nicht zum Aufbau der Spindel dienen? Sollen sie spurlos
verschwinden? Blosse Artefacte können sie wohl nicht sein, da
mit ihnen zugleich auch die Anfänge der Spindel selbst durch
1) Dieses Archiv 1387, S. 432—433.
128 W. Flemmine:
die Reagentien dargestellt werden, und da, wenn diese vergrössert
und fertig dasteht, in den Zwischenräumen der cehromatischen
Fäden von solehen Strängen nichts mehr zu finden ist.
Besonders aber verweise ich auf einen Punkt, an den, so
viel ich sehe, von Anderen bis jetzt nicht näher gedacht worden
ist. Alle neueren Beobachtungen zeigen ja ganz klar, dass die
Spindel anfangs sehr klein ist im Vergleich zu -ihrer späteren
Masse. Woher ist dieser Zuwachs an Substanz gekommen ?
Sollte er aus der umgebenden Attraetionssphäre — die bei unseren .
Zellen hier ebenfalls sehr klein ist — bezw. durch sie hindurch
aus der Zellsubstanz in die kleine Spindel hineinbezogen werden,
so müssten wir erwarten, die Fasern der wachsenden Spindel
durch Seitenausläufer mit ihrer Umgebung in der Sphäre, und
weiter im Zellleib, in Verbindung zu finden, welche in sie hin-
ein contrahirt und so zu ihrer Vergrösserung verwendet würden.
Solehe Seitenausläufer mögen ja nun existiren, müssen aber dann
sehr klein und zart sein, da man nichts deutliches davon sieht;
nach Hermann’s photographischer Darstellung, die er mir
geütig zusandte, sieht der Umfang der kleinen Spindelanlage
anfangs sogar auffallend glatt und abgesetzt aus. Ein gewisser
Theil ihres Wachsthums muss trotzdem wohl auf dem Wege
soleher Einbeziehung von Ausläufern aus der Zellsubstanz ge-
sucht werden, da ja die Öentralspindel ohne Zweifel wächst;
aber es würde doch sehr schwer verständlich sein, wenn die
sanze Substanz der späteren fertigen Spindel, auch der Fasern,
welehe an die Chromosomen angreifen, auf solehem Wege aus
dem Zellkörper bezogen werden sollte. Man betrachte eine Form,
wie Fig. 32 oder 33, oder das betreffende Schema Fig. 27, und
vergleiche damit die grosse Spindel in Fig. 19 oder 38, die aus
jener geworden ist. Nach Boveri's Vorstellung — anders kann
ich diese nicht verstehen — müsste es dabei so zugehen, dass die
Sphäre oder der Centralkörper Protoplasmastrahlen von sich aus-
sendet, die zu den Spindelfasern würden. Dazu muss die Sphäre
die Substanz besitzen oder von irgendwoher beziehen. Sphäre
und Centralkörper sind aber bei meinen Objeeten anfangs um
sehr viel kleiner, als die Masse der fertigen Spindel später ist;
also, wenn eine Betheiligung von Substanz aus dem Kern aus-
geschlossen sein soll, müsste man annehmen, dass auf dem Wege
der Polstrahlung Substanz aus dem Zellkörper gegen den Central-
ee. a ee ee ee. Me 1 Me ee ee en
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 129
körper (bezw. Polkörper) attrahirt und dann von diesem aus
in Gestalt von Spindelstrahlen gegen ‚und in die Kernfigur vor-
‚geschickt würde!). Und während in dieser Art eine centripetale
Strömung gegen je einen Polkörper im den Radien und eine cen-
trifugale von ihm aus in den Spindelfasern erfolgte, müssten zu-
gleich die Radien sich contrahiren und die Polkörper ausein-
anderziehen, und in denjenigen Spindelfasern, welche bereits
straff an Chromosomen sitzen, müsste eine Anspannung vor sich
gehen. Eine solche Vorstellung scheint mir von so bedenklicher
Sehwierigkeit zu sein, dass ich zu ihr nicht greifen möchte, so
lange ein anderer Erklärungsweg sich bietet. Und dafür liegen
doch die Lininstränge in der Knäuelfigur näher zur Hand?).
Man möge bedenken, dass aus einer kleinen zarten Faser,
die in Formen wie Fig. 32 eben vom Polkörper zu eimer Chro-
matinschleife verfolgbar ist, nachher in der fertigen Spindel eine
viel diekere und viel längere Faser geworden ist (Fig. 38), und
dass diese Veränderung mit ihr vor sich geht, während sie zwi-
schen die Chromosomen eingesenkt liegt und mit den Structuren
im Zellleib keine andere sichtbare Verbindung besitzt, als durch
den Polkörper. Man bedenke ferner, dass zwischen dem letz-
teren und anderen Schleifen im Zustand der Fig. 32—35 noch
nichts anderes zu sehen ist, als zarte lockere Fadenwerke, später
aber statt dessen deutliche glänzende Fasern vorhanden sind.
Dies ist erklärt, wenn man annimmt, dass letztere aus ersteren
entstehen, und bleibt unerklärt, wenn man es bezweifelt, falls
man nieht in die Schwierigkeit gerathen will, die soeben er-
1) Es erinnert dies an ein früheres Stadium der Spindelfrage,
in dem von Strasburger vertreten wurde, die Spindelfasern
„wüchsen von den Polen in den Kern hinein“. Ich habe damals ent-
gegengehalten, dass ja dann sämmtliche Fasern durch das Polkörper-
chen hindurchwachsen ud sich in diesem kreuzen müssten. (Zell-
substanz etc., S. 229.)
2) Ich weiss nicht, ob jemand die Annahme machen will, dass
die Spindel lediglich durch Intussusception wächst, durch Aufnahme von
flüssigen Substanzen und Umsetzung derselben zu festen. Ich habe
dieser Annahme in meiner oben eitirten Arbeit (S. 431—32) das Recht
der Möglichkeit gelassen; sie ist aber, so viel ich weiss, noch von Nie-
mandem gemacht worden, und wir werden wohl nicht zu ihr greifen,
wenn wir irgendwie die Möglichkeit sehen, die Spindel aus geformten
Substanzen abzuleiten.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 37 48
730 W. Flemming:
wähnt ist. Wenn man sich aber auch um diese Schwierigkeit
nicht kümmern und annehmen will, die Spindelfasern ständen
durch unsichtbare verästelte Ausläufer in reiehlichem Zusammen-
hang mit der Zellstruetur, bezögen durch diese oder auch ge-
radewegs durch die Polkörper hindurch ihr Wachsthumsmaterial,
und wüchsen von den Polkörpern aus, gleichwie vordringende
Rhizopodenstrahlen: so bleibt dann die andere Schwierigkeit,
eine Erklärung dafür zu finden, weshalb die supponirten freien
Enden dieser Strahlen auf die Chromosomen treffen und sich an
sie heften. Nach meiner Anschauung würde dies leichter zu ver-
stehen sein: denn wenn die verästelten Strangwerke in meiner
Fig.31 oder 22 sich aus der chromatischen Kernstruetur heraus
entwickelt haben, und wenn aus jenen Strangwerken durch
Streckung oder Contraetion die Spindelfasern werden, dann ist
es a priori aufgeklärt, dass diese Fasern mit den Chromosomen
später in Zusammenhang sind. So lange ich also die Möglich-
keit habe, emen solehen Zusammenhang als präformirt anzu-
sehen, möchte ich sie nicht aus der Hand geben. Wenn ich
also hierin nieht mit Boveri übereinstimme, so scheinen mir
doch die schönen und sorgfältigen Untersuchungen dieses For-
schers, wie auch diejenigen van Beneden’s mit meiner hier
vorgetragenen Ansicht in keinem unlösbaren Widerspruch zu sein.
Denn es lässt sich wohl nicht behaupten, dass in den Pronuclei
des Ascaris-Eies und weiter in den Kernen der Blastomeren nicht
auch Structuren, wie die blassen Lininfäden in meinen Knäueln,
existiren könnten. Dafür, dass es so sein kann, darf man z.B.
in Figuren Boveri’s, wie 19 Tafel I, 33—37 Tafel II, einen
Hinweis erblicken, da in ihnen derartige blasse Structuren dar-
gestellt sind. Wenn ich den Ausdruck: die Spindelfasern treten
an die Chromosomen heran“ durch den anderen ersetzen dürfte:
„die lockeren Fadenwerke zwischen Centralkörper und Chromo-
somen prägen sich zu soliden Einzelfasern aus“, so würden Bo-
veri’s und meine Ansicht mit einander vermittelt sein.
Auf die Frage, woher die blassen Lininstränge im den
Knäueln stammen, kann ich, wie eben schon berührt ist, nur
dieselbe Antwort wie früher!) geben: wohl aus der chromati-
schen Structur des ruhenden Kernes selbst, die ja ohne Zweifel
1) Zellsubstanz ete., S. 227—28.
Al
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 731
f
eine nicht ehromatische Masse zur Grundlage hat. In ruhenden
Kernen (wie Fig. 1—5, Tafel I hier) ist ja an meinen Objecten
hier von solehen achromatischen Structuren nichts erkennbar. Ich
denke mir also, dass mit der allmählichen Anordnung der Struetur
zum Spirem (Fig.6, 7 bis 31) ehromatinlose Bälkchen sich aus
der Kernstructur herausziehen, während das Chromatin sich
immer mehr in gleich dieke Knäuelfadenzüge sammelt, und dass
jene blassen Bälkcehen, untereinander in vielfache Verbindungen
tretend, nach und nach zu geknickten Strängen zwischen den
Knäuelfäden zusammenfliessen, die aber mit diesen durch Brücken
in Verbindung bleiben (siehe Schemata Fig. 27—29 hier).
Zur Verdeutlichung dessen führe ich am Besten ein Object
an, bei welchem die Structurveränderung, die ich mir im Vor-
_ stehenden im Geschehen dachte, auf eine Zeit lang dauernd ver-
harrt: es sind dies die grossen Kerne der Spermatocyten erster
Generation von Salamadra, in dem Zustand der vor der eigent-
liehen Knäuelbildung liegt. Ich habe bei ihrer Beschreibung !) diese
Kernform (daselbst Fig. 1 und hier Fig. 21, 22) ruhende Kerne
genannt, im Gegensatz zu den eigentlichen Mitosen und insofern
mit gutem Grund, als diese Form sich auf ziemlich lange Zeit-
dauer bei Bestand erhält ?); es ist aber vielleicht richtiger, sie
als erste Anfangsform der Mitose zu bezeichnen, und wie es An-
dere schon thaten, zu sagen, dass hier ein Fall vorliegt, wo die
Kerne zwischen zwei Mitosen nicht vollständig zur Ruheform zu-
rückkehren; so wird das Verhalten ja meistens jetzt aufgefasst. —
Bei diesen Kernen nun gehen deutlich von einem der chromati-.
schen Stränge, die augenfällig zum Polfeld orientirt sind (s. a. a. O.),
zum andern zarte, chromatinlose Bälkchen hinüber, wie ich sie
schon in der früheren Figur gezeichnet habe. Aber mit bestem
Lieht und System und besonders gut mit dem ÖOrangeverfahren
gewahrt man, dass diese Zwischenstränge nicht bloss quer zwi-
schen den Chromatinsträngen laufen, sondern auch unter sich wie-
der durch viele Zwischenbrücken verbunden sind, so wie es hier
1) Dieses Archiv 1887, S. 403 ff.
2) Dies ergiebt sich daraus, dass man zur Zeit der Zellenwuche-
rung in solchen Hoden oder an solchen Stellen darin, welche wenig
Mitose haben, gleichwohl diese Form meistens sehr reichlich findet ;
und dass sie auch dort, wo Cysten mit Mitosen sind, die letzteren an
Masse meist überwiegt.
733 W. Flemming:
in Fig. 21—22 wiedergegeben ist!). In den Epithel- und Binde-
gewebskernen in den allerfrühesten Anfängen der Knäuelbildung,
wie Fig. 7, 17 und 30 hier, kann ich mit Zeiss Ap. 2 mm. 1.40
hier und da auch zarte Andeutungen von solehen achromatischen
Zwischenstructuren wahrnehmen, sie sind hier sehr viel feiner als
in den Spermatocyten und ich habe sie nicht mit angegeben.
Diese blassen Stränge nun sind also ihrer Entstehung nach
einerseits in Connex mit den Chromosomen, andererseits unter-
einander, und im Umfange mit der Kernmembran. Indem die
letztere sich dann deeonstituirt und sich selbst in feine Strang-
werke auflockert, welche wieder mit den Fasern der Polkegel-
basen in naher Berührung oder Verbindung sind, kommen auch
die Lininstränge in der Kernfigur in eine solche Verbindung; es
giebt dann sonach ein zusammenhängendes Faserwerk zwischen
Spindelenden und Chromosomen, und durch Streekung, bezw.
Contraetion dieses Faserwerks zu kürzeren und diekeren Strän-
gen entsteht, wie ich meine, der Theil der Spindelfasern, wel-
cher an die Chromosomen angreift.
Die Fig. 27 giebt eine schematische Veranschaulichung des
Gesagten. Sie entspricht ungefähr dem Zustand der Fig. 22 a
und 23: die Spindelfasern sind zwischen den Polen und einigen
Schleifenwinkeln fertig, in Gestalt straffer dieker Fasern; zu an-
dern Schleifenwinkeln und zu den meisten Schenkeln gehen noch
keine solche, sondern nur die feinen lockeren Faserwerke, die
später erst zu graden Fasern umgeprägt werden sollen. —
Die Annahme, dass diese Fadenwerke aus der ruhenden
chromatischen Kernstructur mit dem Beginn der Theilung sich
entwickeln, ist allerdings nieht die einzig mögliche; ich habe
1) Fig. 22a und 23 zeigen die nächstfolgenden Stadien, Längs-
spaltung der Chromosomen, bei denen die Lininstränge noch viel
deutlicher sichtbar, und bei der Orangebehandlung hier blau ge-
färbt sind.
Eine sehr ähnliche Structur, wie die der hier besprochenen
Samenzellenkerne, ist die, welche ich in: Zellsubstanz ete. S. 133—135,
Fig. G, von den jungen Eizellenkernen der Amphibien beschrieben
habe und welche seitdem verschiedentlich von Anderen abgebildet ist.
Hier stellt diese Structur jedenfalls nicht bloss ein kürzer dauerndes
Zwischenstadium zwischen zwei Mitosen dar, sondern besteht lange
Zeit; denn in Eierstockseiern von dem Reifestadium, in dem sie vor-
handen ist, finde ich überhaupt niemals Mitosen.
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 733
davon schon in der Arbeit von 1887 gesprochen. Carnoy hat
die Meinung hingestellt, dass die Substanz, die man Kernsaft
nennt, allgemein noch aus einer Structur (Retieulum) und einer
homogenen Masse (Enchylem) bestehe. Vorausgesetzt, dass dies
richtig wäre, würde man also die achromatischen Stränge in den
Knäueln (wie Fig. 22 ff.) aus dem „Reticulum® Carnoy’s ab-
leiten können !. Nach Allem, was ich über Zellkerne weiss,
möchte ich meinen, dass diese Structuren im Kernsafte am na-
türlichsten aufzufassen sind als chromatinfreie Theile der
Kernstructur, welche bei der einen Kernart reichlich sind, bei
der andern geringfügig, bei der dritten ganz fehlen können, indem
hier Alles von Chromatin durchsetzt ist. Z. B. in Leucocyten-
kernen der Amphibien findet sich sehr vielfach ein grosser, und
zwar sehr wechselnder Theil der Kernstructur ehromatinlos, wo-
für ich auf meine Abbildungen in diesem Arch. 1891, Taf. 13
Fig. 6 verweisen kann; hier ist das Chromatin bald mehr, bald
weniger zu Knoten und Strängen angehäuft, lässt also bald viel,
bald wenig von der Lininstructur frei. In den Zellen der fixen
Gewebe dagegen, die hier zum Objeet genommen sind, ist das
Chromatin in der Ruhe durch die ganze Kernstructur vertheilt
(vergl. z. B. Fig. 1 Taf. I); wenigstens lässt sich in der blassen
Substanz zwischen den gefärbten Bälkchen nichts von einer an-
derweiten achromatischen Struetur erkennen. Für die Bildung
der Spindelanlage wird eben, wie ich denke, achromatische Sub-
stanz der Kernstructur verwendet, mag sie vorher von Chromatin
(durchsetzt gewesen sein oder nicht.
Mit Rabl glaube ich also in dem Punkte in erfreulicher
Uebereinstimmung zu sein, dass er wie ich einen erheblichen
Theil der Spindel aus achromatischer Substanz des Kerns ab-
leitet; unter anderer Voraussetzung würde mir wenigstens seine
ganze Auffassung des Kermtheilungsvorgangs nicht verständlich
sein. Ob seine Ansicht über die Art, in der sich die Lininbe-
standtheile im Kern zu Spindelfäden formen, dieselbe ist wie die
meinige, kann ich nicht bestimmt aus dem Wortlaut der bezüg-
1) Carnoy selbst lässt die Spindel als eine Production des Kerns
entstehen, aber nicht direet aus seinem Reticulum, sondern in einer
complieirten Weise, über die man S. 342—343 seines Buches: La Cyto-
dierese etec., nachsehen kann.
134 W. Flemming:
lichen Stellen in Rabl’s letzter Arbeit entnehmen, die hier eitirt
sind !). Es ist in dieser zwar auf die achromatischen Stränge,
die ich in den Knäueln gefunden hatte, und auf meine Ableitung
derselben aus der Kernstructur kein Bezug genommen, aber das,
was Rabl auf semer S. 1 u. 2 als Spindelfasern beschreibt,
dürfte jedenfalls mit jenen das Gleiche sein oder doch nur ein
etwas späteres Entwicklungsstadium dieser Faserwerke darstellen.
Da Rabl in seiner früheren grossen Arbeit über die Struetur
des ruhenden Kerns sich darin der meinigen ganz anschloss 2),
1) S. 24: „Man wird daher annehmen müssen, dass nicht bloss,
wie ich dies schon früher wahrscheinlich gemacht habe, die chromati-
schen, sondern auch die achromatischen Bestandtheile des Kerns, so-
weit sie geformt sind, in ihrer typischen Anordnung erhalten bleiben,
m. a. W., dass die Gesammt-Organisation des jungen Kerns,
wie sie sich im Tochterstern und zum Theil noch im Tochterknäuel zu
erkennen giebt, auch in der Ruhe persistirt. Die ganze Figur
ist gegen das Polkörperchen. centrirt.“ Etwas vorher auf der gleichen
Seite sagt Rabl: „Als geformte Gebilde können die Spindelfasern beim
Uebergange des Tochterknäuels zur Ruhe nicht einfach zu Grunde
gehen; sie können undeutlich werden — und dies wird alsbald ge-
schehen, wenn sie ihren geradlinigen Verlauf aufgeben —, aber sich
auflösen und auseinanderfliessen, um dann beim Eintritt einer neuen
Theilung abermals neu zu entstehen, werden sie wohl gewiss nicht.“
Auf S.26 ist dann bei der Beschreibung des Theilungsanfanges ge-
sagt: „An das Polkörperchen treten aber auch die Spindelfasern heran.“
— Ich bin hiernach nicht ganz sicher darüber, ob Rabl sich die
Spindelfasern während der Kernruhe als neben dem chromatischen
Gerüst bestehende, unsichtbare Structuren vorstellt, oder ob er es
gleich mir für annehmbar hält, dass sie in der Ruhe in die chromatin-
haltige Kernstructur mit einbezogen und bei beginnender Theilung
wieder aus ihr heraus entwickelt werden können. Jedenfalls aber
scheint mir der Wortlaut darüber keinen Zweifel zu lassen, dass wir
Beide die Substanz, aus der diese Spindelfäden während der Mitose ge-
prägt werden, während der Ruhe als dem Kern angehörige Bestand-
theile betrachten.
2) Ein Differenzpunkt, der übrigens für diesen Gegenstand nicht
in Betracht kommt, möge hier kurz erwähnt sein. Gleich einigen An-
deren hatte Rabl sich damals von der Eigenschaft der Nucleolen
als abgegrenzter und besonders beschaffener Körper in den chromati-
schen Strueturen nicht überzeugen können. Diese Eigenschaft steht
völlig fest, wofür ich schon auf mein Buch S. 158 ff. verweisen kann;
fast sämmtliche von Rabl damals untersuchte Kerne haben solche
Nucleolen, die in den Knoten des Gerüstes stecken; sie sind nur bei
dem damals von Rabl angewendeten Verfahren nicht zu unterschei-
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. a;
dass er in diesem (bei den hier in Rede stehenden Geweben)
ein durchweg ehromatinhaltiges Bälkchenwerk annahm, so darf
ich vielleicht denken, dass er sich die Sonderung der Lininbe-
standtheilen aus diesem und ihre Formung zu Spindelfasern ähn-
lieh vorstellt, wie ich sie in meinem Buch angenommen hatte und
hier näher dargestellt habe.
Die Vermuthung Rabl’s, dass an der Polfeldstelle die Kern-
membran dauernd fehlen mag, discutire ich hier nicht; die Mög-
lichkeit eines solchen Verhaltens habe ich, wenigstens für die
Zeit der Mitose, schon an anderem Orte zugegeben, und das
Bestehen einer permanenten Lücke hierselbst würde offenbar für
die gesammte Physiologie des Kerns von grossem Interesse sein;
ein Beweis dafür aber scheint mir bis jetzt nicht zu liefern. —
Rabl nimmt übrigens (S. 23), wie ich (im Buch a. a. O.), eine
Betheiligung der Kernmembran am Aufbau der Spindel an und
bringt dafür den Beleg, dass um die Zeit der Auflösung der
Membran besonders reichliche achromatische Fasern in der Peri-
pherie des Knäuels verlaufen; er fragt sich, „ob nicht das, was
man Kernmembran nennt, vielleicht aus eng zusammengedrängten
achromatischen Fasern bestehen könnte“, eine Annahme, für die
neuestens auch Camillo Schneider eingetreten ist und die ich
für sehr plausibel halten möchte.
Ich komme nun zu der Frage: ob die Längsspaltung
der Chromosomen!) durch die Spindelfäden, oder ihre Vor-
läufer, mechanisch veranlasst sein kann.
den. — Auch in Bezug auf die Nucleolen der jungen Siredoneier, die
Rablan gleicher Stelle bespricht, habe ich meine Beschreibung (Zell-
‚substanz etc. 5.134) ganz aufrecht zu halten; die Nucleolen, die ich
darin beschrieb, sind wirklich solche und liegen zwar vielfach reich-
licher an der Peripherie — es verhält sich damit bei verschiedenen
Amphibien und je nach dem Entwickelungszustande ungleich — aber
auch im Inneren und sind nicht etwa hierhin, wie Rabl annahm, durch
das Messer verschleppt, worüber eine Einstellung auf mittlere Schnitt-
dicke ja leicht Aufschluss giebt.
1) Ich möchte vorschlagen, künftig diesen Vorgang einfach
„Spaltung“ zu nennen, da wir ja lange wissen, dass die Chromo-
somen zwar wohl in der Mehrzahl der Zellenarten, aber nicht in allen
76. W. Flemming:
Um sich hier genau auszudrücken, muss man scharf unter-
scheiden zwischen Spaltung der Chromosomen und Trennung
ihrer Schwesterhälften. Wie ich vor 11 Jahren in diesem Archiv
zeigte !) und in meinem Buch ausführte, tritt die Trennung, d. h.
die vollständige Sonderung und Entfernung der Schwesterhälften
von einander und damit die Verdopplung der Fädenzahl, erst in
den Metaphasen — Aster bis Metakinese — ein, während die
erste Spaltung, d. h. die zweireihige Anordnung des Chromatins,
sich schon in der Knäuelphase zeigt). Dass der letztere Vor-
gang, die Trennung, durch Vermittlung der Spindelfasern zu
Stande kommt, für diese Annahme haben wir ja seit van Bene-
den’s Arbeiten den besten Grund. Die hier vorliegende Frage
aber ist, ob auch ‚schon die erste Spaltung, die zweireihige
Anordnung der Chromatinelemente, durch Zug oder sonstige me-
chanische Einwirkung von Spindelfasern bedingt sein kein.
Dieser Ansicht schemt Rabil zu sein, und sie ist in der
That eine Consequenz seines Grundgedankens, dass eine Oentri-
rung der gesammten Zell- und Kernstructur gegen den Üentral-
körper auch in der Ruhe fortbesteht. In der Mitose wird, wie
er annimmt (8. 26), „die Theilung des Centralkörpers eine Thei-
lung der Spindelfasern nach sich ziehen, die wahrscheinlich unter
dem Bilde einer Längsspaltung verlaufen wird; und diese selbst
wird wieder eine Längsspaltung der chromatischen Fäden im
Gefolge haben“
Diese Vermuthung, wie die ganze Idee Rabl’s, ist mir
deshalb sehr sympathisch gewesen, weil ich zu denen gehöre, die
auf Grund siehtbarer Dinge eine wirkliche formelle Structur in
der Zelle annehmen, wenn auch keine starre und feststehende,
und die sich nicht der Meinung anschliessen können, dass die
Zelle eine Emulsion und die darin erkennbaren Fasern nur der
die Form von Fäden haben, und bei solchen, wo sie rundlich sind,
der Ausdruck Längsspaltung nicht für alle Fälle zutrifft. Wenn ich
ihn hier noch anwende, so geschieht es, weil er für meine hiesigen
Objeete nicht misszuverstehen ist.
1) Bd.18, 1880, Abschn. II. D, und in weiteren Arbeiten.
2) Ich präcisire dies hier, weil in manchen Darstellungen — nicht
etwa bei den hier eitirten Anlioich — der Vorgang so dargestellt wird,
als wären die Chromosomen bis zur Sternform überhaupt einfach Men
spalteten sich erst dann.
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Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 737
Ausdruck von Strömungen seien. Ich hoffte deshalb anfangs be-
stätigen zu können, dass eine mechanische Wirkung von achro-
matischen Fasern auch bei der ersten Spaltung der Chromosomen
im Spiel ist, und muss mit einem gewissen Bedauern sagen, dass
ich nichts finden kann, wodurch dies zu stützen wäre.
Vor Allem kommt dafür in Betracht, dass die erste
Spaltung in den Knäueln schon in einem viel früheren
Stadium erfolgt, als viele Untersucher anzunehmen scheinen.
Ich habe schon vor langer Zeit hierauf aufmerksam gemacht )),
und weiter auf der Kopenhagener Versammlung einen frühen
Knäuel von Fritillaria mit durchgehender Längsspaltung vorgezeigt,
wie hier Fig. 17, in dem noch grosse Nucleolen vorhanden sind.
Ich zeiehne dazu hier noch einige ähnliche Formen von Salama-
dra (Fig. 16, 30), und bitte zu berücksichtigen, dass in Fig. 16
nur die obere Hälfte der Figur gezeichnet, auch in den anderen
einige Windungen, die gar zu sehr in Deekung lagen, nicht mit
angegeben sind, so dass das Gewinde noch erheblich dichter zu
denken ist, als es sich hier ausnimmt.
Manchmal kann ich die Längsspaltung auch schon in noch
frühzeitigern Formen des Knäuels, als die eben beschriebenen
sind, erkennen; ich wollte solche hier wegen der Schwierigkeit
der Wiedergabe nicht zeichnen, da die dargestellten für das, was
ich hier zeigen will, schon völlig genügen. Es ist aber darnach
gar nicht unmöglich, dass schon in Formen, welche sehr nahe
auf Fig. 6 hier folgen, die Längsspaltung beginnt ?).
1) Dieses Archiv Bd.20, 1881—82, S. 67, Fig.5, Taf. 4.
2) Dies sind Kerne vom Bauchfell; bei ektodermatischen Epi-
thelien von Salamandra, die sehr viel dichtere Kernstructur haben,
entsprechen ihnen und den folgenden, die zu Fig.30 hier überleiten,
der Zeit nach die äusserst zierlichen Formen, die ich schon in meinen
ersten Beschreibungen der Mitose und weiter mehrfach gezeichnet habe
(Fig. 2e u. a. Tafel 16, dieses Archiv Bd.16, Fig.12, 14, 15 Tafel 18
ebenda, Fig. J auf S. 201 u. 31b, Tafel IIIa in meinem Buch). ‚Solche
Formen sind es, die ich enge Knäuel genannt habe, und nur auf
einem Missverständniss dieses Ausdrucks beruht es wohl, dass Rabl
meine Beschreibung des engen Knäuels als nicht naturgetreu bezeichnet
hat (a.a.0. S. 228). Denn Rabl hat diese Formen überhaupt nicht
berücksichtigt und nennt das noch einen dichten Knäuel, was ich
schon einen sehr lockeren nannte (Rabl’s Fig.1 a.a. 0. oder meine
Fig. 32 hier). Dass ich diese letzteren Formen richtig dargestellt und
138 :W. Flemming:
Man kann in diesen ihren ersten Stadien, und überhaupt
weiter bis zur Muttersternform, ja eigentlich nieht wörtlich von
einer Spaltung reden, da es in den Chromosomen ausser den
zwei Chromatinkörnerreihen jetzt, wie vor der Spaltung, ein
achromatisches Lininsubstrat giebt, das im Zustande der Figuren
30 bis 35, wie auch noch später, die beiden Chromatinreihen
zusammen hält in Form einer flachen Platte !), der „lame inter-
mediaire* van Beneden’s, welcher zuerst bei Ascaris in späte-
ren Stadien deren Vorhandensein feststellte 2). Ich glaube aber
wohl, ohne Missverständnisse anzuregen, den Ausdruck Spaltung
hier anwenden zu können, da es keinen gleich kurzen und be-
zeichnenden giebt, und bemerke nur ausdrücklich, dass er sich
lediglich auf die Zweireihenanordnung des Chromatinsubstanz be-
zichen soll. |
Nun kann ich es nieht durchführbar finden, dass die Spal-
tung der Chromosomen in diesen ihren ersten Stadien irgendwie „im
xefolge einer Längsspaltung der Spindelfasern“ sollte auftreten
können, wie Rabl annimmt. Denn in diesen Stadien sind die
Endkegel der Spindel noch ganz klein, Fortsetzungen ihrer Fa-
sern in den Raum der Knäuelfigur noch keineswegs zu erkennen,
noch viel weniger also Fortsetzungen solcher Fasern an die ganze
Länge der cehromatischen Fäden, wie Rabl sie bei seiner Be-
schreibung auf S. 21—22 im Sinne hat und in seiner Fig. 1b
veranschaulicht. In diesen Stadien sind gesonderte achromatische
Fasern zwischen den Knäuelwindungen, die sich vom Pol her
bis an ein Chromosom verfolgen liessen, meines Wissens über-
haupt nieht zu sehen, es treten eben die ersten ganz blassen Faden-
werke zwischen ihnen in Erscheinung (wie die im späteren Zustand .
in meiner Fig. 28 oder 31 hier). Wenn man nun aber auch an-
die queren Fadenverläufe darin, sowie deren Wiederkehr bei den
Tochterkernen wohl erkannt habe, hat ja Rabl selbst erwähnt; auch
die ersteren, dichten Formen können ganz die Bilder gewähren, welche
ich gab, wenn man sie nicht gerade mit dem Polfeld am Profil vor
sich hat.
1) Das Vorhandensein solcher Substanz in den chromatischen
Theilen des Kerns wurde schon in Zellsubstanz ete., S. 129 ff., 227 u.a.
von mir anerkannt, insbesondere auf Grund der Entdeckung der kör-
nigen Beschaffenheit des Chromatins durch Balbiani und Pfitzner.
2) La maturation de l’oeuf etc. a.a. O., pag. 327.
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Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 739
nehmen will,. dass diese Fadenwerke schon einzelnen, nur
äusserst geknickten oder wellig verlaufenden, von den Polen kommen-
den Fasern entsprechen — und ein solcher stark welliger Ver-
lauf ist ja auch von Rabl (S. 22 und Fig. 2a b) vorausgesetzt —
so bliebe es doch unverständlich, wie die Längsspaltung einer so
beschaffenen Faser die Längsspaltung eines chromatischen Fadens
mechanisch bedingen könnte, an den sie sieh ansetzt. Jene Fa-
ser wird sich erst selbst grade zu streeken haben, ehe sie an
dem Chromosom irgend einen Zug ausübt, und doch ist die Zwei-
reihenanordnung in dem letzteren schon längst gleichmässig vollen-
det, ehe von ihm grade Spindelfasern oder auch nur gewundene zu
den Polen zu verfolgen sind.
Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass m den späteren
Zuständen wie Fig. 32—33 hier, auf die sich, wir mir scheint,
Rabl’s Beschreibung S. 21—22 beziehen dürfte, zwischen den
Polen und den ihnen nächst benachbarten Schleifenwinkeln schon
straffer verlaufende Spindelfasern zu sehen sind, keineswegs aber
zu gleicher Zeit solehe vom Pol zu den ‘entfernteren Strecken
derselben Schleifen oder zu anderen sich verfolgen lassen. Man
sollte nach Rabl’s Construction also erwarten, dass die Längs-
spaltung der Chromosomen in der Nähe der Pole beginnen und
sich im übrigen Theil der Figur erst nach und nach einstellen
müsste; so verhält es sich aber nicht, die Spaltung erfolgt viel-
mehr ohne Zweifel gleichzeitig durch die ganze Figur hindurch,
denn wo man sie in ihren feinsten Anfängen sieht, da besteht
sie auch überall im Knäuel.
Es lässt sich hier auch noch die Längsspaltung der Knäuel
in den Spermatoeyten des Salamanders anführen, welche zu einer
Zeit schon völlig durchgeführt ist !), wo die Kernmembran noch
völlig scharf erhalten ist und wo, nach den neuen Befunden
Hermann’s und seinen mir gütig gesandten Photographieen, die
Spindelanlage noch ganz klein ist und noch gar keine Strahlun-
gen bis in die chromatische Figur hinein erkennen lässt.
Ganz entscheidend aber dafür, dass eine eventuelle Längs-
spaltung der Spindelfasern kein Anlass für die Längsspaltung der
Chromosomen sein kann, ist Folgendes:
In meinen Figuren 35—38, sowie in Fig. 19 hier sind Mi-
1) Dieses Archiv Bd. 29, 1887, Tafel 23, Fig. 3—8.
740° W.Menıatng:
tosen dargestellt, welche auf dem Uebergang vom Knäuel zur
Sternform stehen oder schon in letzterer angelangt sind und bei
welchen einzelne Schleifen zeitweilig abgerückt liegen !). Dies
ist etwas sehr Häufiges, in meinen früheren Arbeiten schon
vielfach Beschriebenes, und ganz sicher keine Abnormität, ob-
wohl derartige Figuren von einigen Seiten als solehe angesehen
worden zu sein scheinen. Dass sie ganz normal sind, ‚ergiebt
sich erstens daraus, dass sie bei allen möglichen Zellenarten in
diesen Stadien zur Beobachtung kommen, oft so reichlich, dass
sie die Mehrzahl gegenüber typischen Sternformen ausmachen,
während doch in denselben Präparaten alle folgenden Phasen
nur in vollkommen normaler Form zu finden sind; zweitens aber
mit voller Sicherheit daraus, dass ich solehe Formen mit abge-
rückten Schleifen schon in meiner zweiten Arbeit ?), und seitdem
sehr vielfach im Leben verfolgt und festgestellt habe, dass die
abgewichenen Schleifen verfolgbar wieder an die übrigen heran
rangirt werden, und weiter eine völlig normale Metakinese folgt. —
Nun lassen sich bei solehen Figuren mit meinem jetzigen Orange-
verfahren Spindelfasern aufs Deutlichste von den Polen bis zu
den einzelnen Schleifen verfolgen, so auch zu den separirt gelege-
nen (vergl. Fig. 19 und 38). Sämmtliche Schleifen in diesen
Figuren aber besitzen, wie es nach der Phase selbstverständlich
ist, längst ganz deutliche und gleichmässige Längsspaltung.
Wenn nun diese Spaltung irgendwie eine Folge davon wäre,
dass vorher an die Chromosomen ansetzende Spindelfasern sich
längsgespalten hätten, so müsste man bei den abgewichenen
Schleifen, z. B. bei a in Fig. 19 und 45, natürlich zwei Spin-
delfasern oder genauer, zwei Bündel von solchen finden, deren
eines von dem Pol x, das andere von dem Pol y zur Schleife
zieht. Es gehen aber zu ihr Spindelfasern lediglich von dem
1) In vielen Fällen würde besser der Ausdruck passen, dass
diese Schleifen noch nicht heranrangirt sind, als dass sie abgerückt
sind. Aber in reichlichen anderen Fällen müssen sie sich wohl wirk-
lich etwas vom Aequator entfernt haben, wie man dies ohne weiteres
sieht, wenn man die vorhergehenden Knäuelformen mit solchen Bil-
dern vergleicht (s. Fig. 19 hier, wo die Distanz zwischen den entfernte-
sten Schleifen viel grösser ist, als der Durchmesser auch der lockersten
Knäuel). Ich verweise hierfür auch auf manche Bilder Boveri’s.
2) Dieses Archiv 1880, S. 201—202, Fig. 8, 9, 35 b, 43, 44.
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 741
Pol x. Die Fasern, welehe unter obiger Voraussetzung zwischen
Pol y und Schleife o vorhanden sein müssten, würden zwar län-
ger und durch Auszerrung verdünnter sein, als die Fasern xa;
aber sie müssten um so mehr geradlinig gespannt sein, und bei
der Deutlichkeit der achromatischen Fasern in diesen Präparaten
müsste man sie selbst dann noch sehen, wenn sie selbst 3—4 mal
dünner wären als die Fasern xa und die übrigen gezeichneten.
Sie sind aber nicht da; an der Stelle, wo sie sein sollten, finden
sich nur ganz lockere, feine, netzförmig vertheilte Fadenwerke
der inneren blassen Zellleibportion. — Das Gleiche lässt sich
übrigens auch an Figuren wie 36, 37 u. 38 demonstriren, bei
denen keine besonders weit isolirten Schleifen vorhanden sind;
auch diese Figuren sind, aus den obigen Gründen, durchaus unter
die normalen zu rechnen und bei diesen flachen Zellen, übrigens
auch in diekeren Epithelien, sehr häufig, ja man kann sagen,
solehe sehiefe Figuren sind hier in diesen Stadien typisch:
weil die Spindelhälften sich anfangs, wie oben schon beschrieben
wurde, in solcher Art schräg gegeneinander in den Kern hinem-
lagern, dass ihre Axen einen Winkel mit einander bilden, oder
leicht gebogen sind. In solehen Figuren also wie 36, 37 und 38
sind zwischen einer ganzen Menge von Schleifen und dem ent-
gegengesetzten Pol im Mitteltheile der Figur gar keine Spindel-
fasern zu finden !), es giebt hier mur die erwähnten feinen netzi-
gen Fadenwerke (z. B. bei a in Fig. 37 u. 38, 44 u. 45.
Das Fehlen solcher Fasern hier wäre unter Rabl’s Voraus-
setzung unverständlich; es wird dagegen vollkommen erklärlich
durch die Annahme, dass die verbindenden Fasern zwischen Pol
y und a in Fig. 19, 38, 44, 45 sich noch erst zu bilden
haben, indem die feinen gekräuselten Fadenwerke des inneren
Zellentheils noch zu solchen Fasern gestreekt und consolidirt wer-
den sollen, wie ich es ausdrücken möchte; oder wie Boveri es
ausgedrückt hat: indem der Pol y erst später Fasern zu den
betreffenden Schleifen aussenden wird. Wenn man übrigens B o-
veri s Figuren 40—42 Taf. I, 56, 57, 63 Taf. III mit meinen
eben erläuterten Bildern vergleicht, so wird man hier, unter den
viel einfacheren Verhältnissen des Ascaris-Eies, sehr ähnliche Ver-
1) Auch nicht etwa bei anderer Einstellung; die Zellen sind
ganz flach und klar durchsichtig.
742 W. Flemming:
hältnisse wie dort erblicken: vielfach weit versprengt liegende
Schleifen, die einstweilen nur von Strahlen einer Attractions-
sphäre angegriffen werden und doch (Fig. 57) sehon gespal-
ten sind. |
Aus dem Gesagten ergiebt sich also zunächst, dass eine
Längsspaltung von Spindelfäden nicht als ursächliches Moment
für die der Chromosomen dienen kann. — Sodann, dass eine
solche Längsspaltung, wenn sie überhaupt existirt, nieht in der
von Rabl vermutheten Art es veranlassen kann, dass die Chro-
mosomen in den Aequator eingestellt werden. Diese Art (s. Rabl’s
S. 26-1-27) wäre’ die, dass „die Spalthälften der Spindelfasern
entsprechend dem Auseimanderrücken der Pole selbst auseinander-
weiche® (Rabl’s Fig. 2b), dabei in Folge ihrer Contraetion
kürzer und dicker werden, und da sie — die Spalthälften
der Spindelfasern — gleiche Länge haben, .... . nothwendig
die chromatischen Schleifen, an die sie sich anheften, in gleiche
Entfernung von den Polen bringen“, m. a. W. es wird die Knäuel-
figur in das Stadium des Muttersterns übergeführt werden (Fig. 2e
daselbst). — Dies scheint mir in keiner Weise durchführbar.
Erstens können, jene Längsspaltung der Spindelfasern immer
vorausgesetzt, ihre Spalthälften schon in Knäuelformen wie Figur
31—33 hier, s. Schema Fig. 27 und 43 hier, wo sich die Pole
schon etwas von einander entfernt haben, ja nicht gleich lang
sein, wie die Figur ohne Weiteres zeigt; noch viel weniger in
einer Figur wie etwa 38 hier, wo die Linie yb um fast das
Sfache kürzer ist als die Lmie ya). Dann aber, wenn zwischen
1) Gleiche Länge der hypothetischen Spalthälften von Spindel-
fasern wäre angesichts solcher Figuren entweder nur unter der Vor-
aussetzung denkbar, dass die Spalthälfte, die von einem Schleifen-
punkt zum nächstliegenden Pol geht, in sehr starken Schlängelungen
verharrte, während die zum entgegengesetzten Pol gehende Spalt-
hälfte stark gedehnt würde, wie ich dies in dem Schema Fig. 41,
Tafel XL angedeutet habe; vgl. Erklärung der Tafel. Diese Vor-
aussetzung ist aber unmöglich, denn es verhält sich vielmehr schon
in den Spiremen und weiter in den Uebergangsformen zum Aster
ganz deutlich so, dass gerade die Spindelfasern, die von einem Pol
zu den diesem nächstliegenden Schleifen gehen, relativ dick, straff
und keineswegs geschlängelt sind (Fig. 32— 38). Dies könnte, von
der Spaltungshypothese aus, nur so erklärt werden, dass die Spindel-
faserhälfte b (in Schema Fig. 41) sich in all den eitirten Figuren in
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 743
y und a eine Faser vorhanden wäre, so müsste sie erstens nicht
kürzer: und dicker geworden sein, sondern viel länger und
dünner, was man doch keine Contraetion nennen kann; und
‚endlich, sie ist überhaupt nicht zu sehen, und dort, wo man
ihren Mitteltheil suchen müsste, befindet sich ein feines netziges
Faserwerk, in welches sie sich aufgelöst haben müsste, statt
sich, wie die Anschauung Rabl’s dies fordert, zu con-
trahiren.
Ich kann also hiernach, und überhaupt, bisher keinen Beweis
dafür sehen, dass eine Längsspaltung der Spindelfäden in der Art
und zu der Zeit, wie es Rabl und auch ©. Sehultze (S. 4 a.ıa. OÖ.)
vermuthen, eintritt 2). Sollte sie nachgewiesen werden, so würde
sie doch wohl, aus den angeführten Gründen, keine Veran’'assung
für die Längsspaltung in den Chromosomen abgeben können.
Dagegen bezweifle ich nicht im Mindesten, dass im Stadium
der Sternfigur des Mutterkerns Spindelfasern vorhanden sind,
die von beiden Polen an je eine Hälfte eines gespaltenen Chro-
mosoms treten und diese Hälften in der Metakinese gegen die
Pole auseinanderziehen, wie dies namentlich aus van Beneden’s
und Boveri’s Befunden hervorgeht, und gebe damit die An-
nahme eines Entlanggleitens der Chromosomen an den Spindel-
fäden, die Strasburger und ich früher vertraten, durchaus auf.
Ich sehe aber auch keine andere Möglichkeit, als dass ein Theil
dieser Fasern in Figuren wie 19 und 35—38 hier, wo ja viele
Chromosomen nur mit einem Pol durch Spindelfasern verbunden
sind, sich noch erst zu bilden hat, und sagte schon, dass ich mir
einem äusserst starken Grade contrahirt hätte, so dass sie gerade ge-
worden ist. Dann wären ja aber offenbar die Spalthälften der Spin-
delfasern nicht gleich lang. — Doch der Haupteinwurf bleibt der oben
im Text erwähnte, dass ja auch in den späteren Stadien, wie Fig. 19,
37, 38, 44, 45, zwischen dem einen Pol (y im Schema und in den Fi-
guren) und den Chromosomen a am Pole x noch gar keine straffen
Verbindungsfasern existiren, sondern in der Aequatorialgegend nur
lockere Fadenwerke.
1) Die interessante Beobachtung von Henking (a.a.0. S. 701)
über Doppelheit der Spindelfäden in der Metaphase bei Spermatocyten
kommt für diesen Punkt offenbar nicht mit in Betracht, da sie ein
viel späteres Stadium betrifft und der Verfasser, soviel ich wenigstens
entnehmen kann, sie nicht mit der ersten Spaltung der Chromosomen
in Beziehung bringt. |
’
144 W. Flemming:
ihre Entstehung auf Grund von Streekung und Contraetion der
lockeren Zellfadenwerke zu gradlinigen Fasern zurückführen
möchte.
Ich bemerke hier noch, dass ich öfter im Figuren wie die
besprochenen die stärkeren Fasern, die von einem Pol zu
einem der nächstbenachbarten Schleifenwinkel ziehen , doppelt
finde (Fig. 38) und diese zwei Fasern annähernd parallel; ob
dies eine bestimmte Bedeutung hat, weiss ich für jetzt nieht zu
sagen, jedenfalls kann es wohl nichts mit der künftigen Aus-
einanderziehung der Fasern zu thun baben, da es sich ja dabei
um einpolige Fasern handelt.
Auf die Angaben van Beneden’s, Boveri’s und
OÖ. Schultze’s, nach denen die Fäden der Spindel und der Pol-
strahlen varieös sind, und auf die Annahme, dass sie aus Körn-
chen (Mikrosomen) bestehen, bin ich hier nur deswegen nicht
eingegangen, weil sich bei meinen Objeeten, wo die Fasern über-
haupt viel zarter sind als bei den Eiern, davon nichts recht
Deutliches sehen lässt; die Fäden erscheinen jedoch auch hier rauh
und können wohl Körnchen enthalten, und ich möchte also, in-
dem ieh den Gegenstand hier nieht weiter berücksichtige, durchaus
nicht in eine Gegnerschaft zu der Meinung treten, dass sie aus
Reihen von Mikrosomen oder Altmann schen Granulis bestehen.
Es mag hier noch weiter eme Bemerkung über das zeit-
liche Auftreten der Chromosomenlängsspaltung ange-
schlossen werden, die mir angesichts der Literatur nicht über-
flüssig scheint. | :
So viel ich sehe, nimmt man jetzt ziemlich allgemein an,
dass dieselbe bei der einen Zellenart früher, bei der anderen spä-
ter erfolgen kann, bald im Spirem, bald im Aster, und auch
selbst bei der gleichen Zellenart ihre Eintrittszeit schwanken
kann. Dies habe ich zum Theil selbst mit veranlasst, indem ich
als wahrscheinlich hinstellte, dass es so seit). Und in gewissen
Fällen scheint es wirklich so zu sein. Ich erinnere dafür an den
1) Zellsubstanz ete., S. 215—216.
a un.
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 745
Ausspruch Boveri s!): „Wir haben bei der Richtungskörperbil-
dung von Ascaris meg. gesehen, dass sich in den (ehromatischen)
Elementen eine Spaltung vorbereiten kann, die erst bei der zweit-
folgenden Zelltheilung wirklich zum Vollzug gelangt.“ Um
Aehnliches scheint es sich ja bei manchen Verhältnissen in der
Entwieklung der männlichen Genitalzellen zu handeln. Es kann
aber die Frage sein, ob diese eigenthümlichen Verhältnisse bei
Sexualzellen ohne Weiteres einen Maassstab für alle sonstigen
Gewebszellen des Körpers geben.
Ich habe nun nach längerer Erfahrung den Eindruck, als
ob das, was damals wahrschemlich aussehen konnte, doch sehr
fraglich ist, und dass zum Mindesten für die Zellen der meisten
Gewebe die Anfänge der Längsspaltung doch immer im
Stadium desSpirems, wie Fig. 30 hier, eintreten könnten;
dass es ganz auf die Reagentienwirkung ankommt, ob man
sie hier schon sieht oder nicht. Dies habe ‚ich auch schon an
der erwähnten Stelle erörtert, kann es aber jetzt nach einem
weit grösseren Material beurtheilen.
Man mache sich z. B. vom gleichen Objeet — etwa Sala-
manderepithel, das reich an Mitosen ist — eine Reihe von Prä-
paraten mit halbprocentiger Chromsäure, eine andere mit concen-
trirter Pikrinsäure, eine dritte mit meinem Gemisch, eine vierte
mit Hermann’scher Lösung, eine fünfte mit Chromessigsäure oder
Methylgrünessigsäure.. An den Chromsäurepräparaten wird man
bei günstiger Wirkung (diese wird freilich nicht immer erzielt,
es kommt, wie mir scheint, dabei auch auf die Einwirkungsdauer
an) sämmtlieche Knäuel von dem Stadium meiner Fig. 16 und 30
hier in Längsspaltung finden; an misslungenen Präparaten dage-
gen keinen einzigen. An letzteren ist auch an den Sternfor-
men meistens keine Spaltung zu finden, während sie an gelunge-
nen hier überall schon mit 300 facher Vergrösserung zu sehen
ist. Die Chromsäure stellt an den gelungenen Präparaten die
Spalthälften sehr schlank und dünn dar, als wären sie etwas ge-
schrumpft. — Aehnlich ist es an den Pikrinpräparaten und denen
an Chromosmiumessigsäure: namentlich an letzteren werden die
Spaltfäden in den frühen Knäuelformen fast durchweg .getrennt
erhalten, nur sind sie hier dicker, als bei Chromsäurewirkung. —
1) Be 5113.
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 37. 49
146 W. Flemming:
Bei Behandlung mit Hermann’scher Lösung (die stark essig-
säurehaltig ist) sowie Chromessigsäure und Methylgrünessigsäure,
findet man dagegen die chromatischen Fäden überhaupt sehr dick,
und die Spaltung in den Knäuelformen, auch den späteren, selten
erkennbar.
Hiernach muss ich nieht nur, wie an jener früheren Stelle,
den Verdacht äussern, sondern muss ihn geradezu zur Wahr-
scheinlichkeit stempeln, dass wenigstens bei Wirbelthiergeweben
die Fälle, in denen man die Längsspaltung in den Knäueln und
gar in den Sternformen nicht findet, sämmtlich Artefaete sind,
bei denen es sich um eine Aufquellung und Verklumpung der
schon getrennt gewesenen Schwesterstränge handelt. Denn wäre
es anders, träte die Spaltung wirklich bald früher bald später
ein, so wäre es nicht erklärlich, dass man sie beim Gebrauch
des einen Reagens an allen Knäueln im Präparat findet, bei dem
des anderen an gar keinen !).
Darum möchte ich es auch noch nicht für ausgeschlossen
halten, dass beim Ei von Ascaris megalocephala die Spaltung
der Chromosomen doch vielleicht schon früher als seine Unter-
sucher annehmen, nämlich auch in der Knäuelform, auftreten
könnte. Dieses Ei hat sich ja bisher solchen Reagentien, welche
die Spaltung am besten fixiren, nicht gut zugänglich gezeigt;
und der Umstand, dass seine Chromosomen in den Stadien, wo
man jene noch nicht gesehen hat, doch schon deutlich band-
förmig abgeplattet sind, kaum daran denken lassen, dass es sich
dabei bereits um Conglutinirung schon getrennter Fädenhälften
durch die essigsäurehaltigen Fixirmittel handeln könnte.
Nach dem Vorstehenden kann es entschuldigt sein, dass
ich hier die Ausdrücke van Beneden’s: „primäre und se-
cundäre Fäden, Schleifen oder Chromosomen“ nicht viel in An-
wendung gebracht habe, weil sie leicht missverstanden werden
1) Dies war mir zur Zeit, als die vorher eitirte Stelle geschrieben
wurde, noch nicht ganz klar, besonders weil ich damals noch nicht
lange mit Osmiumgemisch gearbeitet hatte; deshalb konnte ich dort
noch sagen, „dass man theils gespaltene, theils ungespaltene Knäuel
und Sterne am gleichen Präparat bunt durcheinander finde“. So
kann es sein, aber solche Präparate sind, wie ich jetzt glauben muss,
nicht gelungen zu nennen und beruhen auf ungleichmässiger Reagen-
tienwirkung.
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 747
können. Sie sind zwar völlig klar und richtig, wenn man unter
seeundären Chromosomen solehe versteht, die sich in der Meta-
kinese bereits von eimander völlig getrennt haben, unter
einem primären Chromosom ein solches, bei dem dies noch nicht
der Fall ist; und so sind diese Worte ja auch von van Bene-
den gemeint gewesen. Aber sie wurden eingeführt in der Mei-
nung, für welche das Verhalten beim Ascaris-Ei zu sprechen
schien, dass die Spaltung in den primären Fäden erst kurz vor
der Metakinese begönne, und können also leicht zu der Meinung
führen, dass ein primäres Chromosom in der Knäuelform oder
dem Anfang oder Sternform der Mitose überhaupt noch gar keine
Spaltung besässe. Dies würde, wie ein Blick auf meine Spirem-
figuren hier zeigt, für sehr viele Objeete, und vielleicht für alle,
nicht zutreffend sein, und deshalb wollte ich mich hier vor der
Hand, um leicht verständlich zu sein, dieser. Namen nicht be-
dienen, keineswegs aber damit auf ihren weiteren Gebrauch ver-
zichten.
Ich fasse kurz zusammen, was sich aus Allem, hier im Ab-
schnitt E Gesagten schliessen lässt.
1) Ueber die Herkunft der Spürdel:
Die Anlage der Centralspindel und der Spindelenden liegt,
wie die Pole, ohne Zweifel ausserhalb des Kerns. Wie
viel von der Substanz der fertigen Spindel auf diese ex-
tranucleare Anlage zu beziehen ist, darüber haben wir noch
Aufschluss zu erwarten; es scheint sich damit bei verschie-
denen Zellenarten nicht gleich zu verhalten. Für einen,
bei meinen Objeeten grossen Theil der Spindelfasern kann
ich eine extranucleare Herkunft nieht als erwiesen ansehen,
und finde es viel näher gelegt, diesen Theil aus den Linin-
substanzen des Kerns und der Kernmembran abzuleiten.
Die Annahme einer in dieser Art doppelten Herkunft der
Spindel hat keineswegs etwas Sonderbares oder Gezwunge-
nes an sich. Denn die Lininsubstanzen des Kerns und der
Kernmembran können sehr wohl mit den Structuren des
Zellleibes und der Sphäre ihrer Beschaffenheit nach gleich,
oder sehr nahe verwandt sein. Ich darf hierbei wohl an
748 W. Flemming:
meine früheren Worte!) erinnern: „Ob die Substanz, aus
welcher die Spindelfasern geprägt werden, vorher dem
Raume des Zellkerns oder des Zellkörpers angehört hat,
das mag vielleicht gar keine so fundamentale Bedeutung
haben, wie es manche Untersucher zu glauben scheinen.“
2) Ueber die Ursache der Chromosomen-Spaltung ?).
Es erscheint nicht durehführbar, dass sie durch einen
Zug oder eine sonstige mechanische Einwirkung der Spin-
delfasern veranlasst sein sollte, in der Art, dass diese letzte-
ren sich vorher längsgespalten hätten und mit ihren Halb-
fäden trennend auf die Chromosomen einwirkten. Ueber
die Ursache der Längsspaltung sind bei jetzigem Stande
der Kenntnisse zwei Annahmen möglich.
a. Entweder, wir sagen mit Boveri: „Die Längsspaltung
ist eine selbständige Lebensäusserung, ein Fortpflanzungs-
act der chromatischen Elemente“ (a. a. O. 8. 113). Diese
Auffassung schliesst ja keine mechanische Erklärung in
sich, aber sie stimmt mit den Thatsachen, die bis jetzt
bekannt sind.
b. Oder: Die Chromosomen-Längsspaltung steht in einer
Beziehung zu der Bildung des intranuclear entstehenden
Theiles der Spindelfasern. Während der ersten Ausbil-
dung des Knäuels wird Lininsubstanz aus dem chroma-
tischen Kerngerüst herausgezogen und zwischen den
Knäuelfäden zunächst zu zusammenhängenden Netzen,
dann zu Strängen formirt, welche zu Spindelfasern ge-
streckt werden. Die Herausentwieklung der Lininfaden-
werke aus der chromatischen Kernstructur kann ein Anlass
dazu sein, dass mit-ihr zugleich eine Zweireihenanordnung
(des zurückbleibenden Chromatins in den Knäuelsträngen
bewirkt wird. Eine mechanische Aufklärung des letzte-
ren Vorganges liegt natürlich auch in dieser Anschauung
nieht. Sie lässt es noch unerklärt, weshalb die Spirem-
fäden gleichmässigen Durchmesser bekommen, und wes-
1) Dieses Archiv Bd.29, S. 435.
2) Ich bitte zu berücksichtigen, dass hiermit die initialeLängs-
spaltung, nicht aber die Längstrennung der Spalthälften (secun-
dären Fäden, van Beneden) in der Metakinese gemeint ist.
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 749
halb die Action der aus ihnen herausgezogenen Bälkchen
an ihnen nicht allseitig, sondern nur nach zwei entgegen-
gesetzten Seiten wirkt. Sie bietet aber wenigstens da-
für ein Verständniss, dass später Spindelfasern mit den’
Chromosomen in Verbindung stehen.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXVIII—XL.
Alle stärker vergrösserten Bilder sind mit Zeiss Apochr. 2 mm
1,40 gezeichnet, meist mit Oc. 8, zum Theil mit 6 aufgenommen und
mit diesem oder 4 näher ausgeführt.
Das Roth, mit welchem ausser den chromatischen Bestandtheilen
auch die Zwischenkörper (Zellplatten) auf Tafel II, und die Central-
körper und Polkörper auf Tafel I und II gegeben sind, ist in der
Nuance ebenso genommen wie bei jenen; an den Präparaten weicht
es öfter etwas davon ab. — Uebrigens vgl. Abschnitt A. Alle Figuren
von Salamanderlarven, mit Ausnahme von Fig. 17 und 18.
Tafel XXxXVil
Fig. 1-5. Kerne, mit einem Theil der Zellsubstanz (grau), von Endo-
thelzellen des Peritoneum (1, 2, 4) und Bindegewebszellen
(3, 5). Centralkörper; in Fig. 2 einfach erscheinend, sonst
doppelt; in den letzteren Fällen scheint der eine etwas kleiner
als der andere zu sein. — In Fig. 2 die Strahlung der Sphäre
(wie oft) zart sichtbar.
Fig. 6 u. 7. Beginnende Spireme, ebendaher. Auseinanderrücken der
Centralkörpor, Spindelanlage.
Fig. 8$-15a. Zwischenkörper (wahrscheinliches Zellplattenrudiment).
Fig. 8 (Bauchfell, Bindegewebszelle). Zwischen den Verbindungs-
fasern nur blasse Körnchen).
Fig. 9 u. 10. Im Abschnürungsgürtel tingirte Körperchen.
Fig. 11—15a. Zwischenkörper. 11 und 15a letzte Stadien, sehr ver-
kleinert.
12: Bindegewebszelle aus der Lunge, 14: Spermatocvt,
10 und 13: Bauchfell, 9, 11 und 15: Lungenepithel. Näheres
s. Abschn. B.
Tafel XXXIX.
Fig. 16. Spirem, Epithelzelle, Mundbodenplatte, Chromessigosmium-
säure, Safranin. Es ist nur der obere Umfang der Figur ge-
zeichnet. Durchgehende Chromosomenspaltung. Rechts ein
Chromosom stärker vergrössert dargestellt.
750 W. Flemming:
Fig. 17. Spirem aus dem Wandbeleg des Embryosackes von Fritillaria
imperialis, behandelt wie das vorige Object. Noch grosse
Nucleolen im Knäuel. Spaltung durchgehend.
Für beide Figuren vgl. Abschnitt E.
Fig. 18. Aus einem Serienschnitt, Hoden, Salamandra; eine Metaphase
eines grossen Spermatocyts längs durchsehnitten, so dass nur
wenige Chromosomentheile im Schnitt sind und der Mittel-
theil der Spindel frei vorliegt. Man sieht die im Aequator
durchlaufenden Spindelfasern. — Hermann’sche Lösung,
Orangeverfahren.
Fig. 19. Sternphase einer Lungenepithelzelle, mit zwei separirt ge-
legenen Chromosomen. Näheres vgl. im Abschnitt E.
Fig. 20. Aus dem Kiemenepithel; zur Veranschaulichung der beson-
deren Dunkelung der in Mitose stehenden Zellen bei Osmium-
behandlung. Chromessigosmiumsäure, Safranin, Gentiana (die
Kerne der beiden ruhenden Zellen, hier mit roth gezeichnet,
sind mit Ausnahme der Nucleolen blau zu denken). Die Zelle
links ist so gedunkelt, dass man von der hellen Innenportion
des Zellkörpers und von den Verbindungsfäden, sowie auch
von den Zellplattenelementen (vgl. Fig.9 u. 10, Tafel I) so gut
wie nichts sieht. — Uebrigens vgl. Abschnitt C.
Fig. 21. Kern aus dem Hoden, Salamandra, Juli; erste Spermatocyten-
generation. Form vor dem eigentlichen Spirem (halbe Ruhe-
form). Verästelte achromatische (Linin-) Brücken und Bälk-
chen zwischen den chromatischen Strängen. Platinchlorid
0,5 pCt., Safranin.
Fig. 22. Ein ebensolcher Kern; an Serie durchschnitten, war in drei
Schnitte zerlegt, der mittlere gezeichnet. Zwischen den Durch-
schnitten der chromatischen Stränge die Lininbälkchen genau
gezeichnet: zeigt, dass dieselben verästelt sind. Orangever-
fahren wie im Abschnitt A beschrieben; die Lininstructuren
sind blau zu denken.
Fig. 22a. Schnitt aus einem Kern ebendaher, im Uebergang zum
vollen Spirem und mit Längsspaltung der Chromosomen. Im
Uebrigen siehe die Erklärung der vorigen Figur.
Fig. 23. Ebenso, etwas späteres Stadium.
Für Fig. 22—23 vgl. Text im Abschnitt E, S. 731.
Fig. 24. Wanderzelle aus dem Peritoneum, Orangeverfahren: Links
am Kern die Attractionssphäre; die Centralkörper sind hier
doppelt, aber sehr nahe beisammen. Der Kern zeigt keine
Spur von Mitose. S. Abschnitt D.
Fig. 25. Wanderzelle aus dem Kiemenblatt, Chromsäure-Safranin. Die
Sphäre, links neben dem polymorphen Kern, ist durch das
Reagens verändert, grau gezeichnet, blass rosenroth zu denken.
Fig. 26. Wanderzelle ebendaher. Chromsäure - Safranin. Färbung
schwarz bezw. grau, statt roth-rosenroth angegeben. Die
Fig.
Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. 751
Zelle ist durch Fragmentirung getheilt, die Sphäre zerlegt.
Vgl. im Abschnitt D.
27—29. Schematische Zeichnungen für Abschnitt E, vgl. daselbst
. 90.
ig. 39.
ig. 40.
io. 41,
besonders Seite 726, 728, 732.
In Fig. 28 ist die Centralspindel nicht mitgezeichnet; 29
verdeutlicht, in welcher Lage dieselbe hineinzudenken ist.
Tatel' XL.
Enges Spirem mit Längsspaltung, vgl. Fig. 16 u. 17, Tafel I.
Die Chromosomen des oberen Umfangs dunkel, die des un-
teren blass gezeichnet. Vergl. Abschnitt E, S. 7357 ff. und am
Schluss S. 744.
. 31—38. Stadien der Prophasen der Mitose bis zur Sternform, im
wesentlichen nach der typischen Reihenfolge numerirt, von
Lungenepithelien und Bauchfellendothelien der Larve. Die
Erläuterung der Figuren ist im Abschnitt E enthalten.
Lungenepithel mit mehreren Mitosen, zeigt die Dunkelung
der in Theilung stehenden Zellen. Vgl. Fig. 20, Tafel II und
Text im Abschnitt C.
Sehr platter ruhender Bindegewebskern in der Wand eines
Hodenkanälchens, von der Fläche, wahrscheinlich Tochterkern,
der unlängst aus dem Dispirem zurückgebildet ist; zeigt An-
deutung der Rabl’schen Polfeldanordnung.
42, 43. Schemata zur Erläuterung des Textes im Abschnitt E,
S. 735—744 (Fig.42 nach Rabl. Fig. 41 zeigt, dass bei An-
nahme einer Längsspaltung der Spindelfasern die Spalthälf-
ten derselben nicht gleich lang sein könnten. Fig.41 und 43
vertritt nicht etwa meine Ansicht über die erste Anlage der
Spindel (für diese siehe vielmehr Fig. 27—29, Tafel XXXIX),
sondern dient zur Erläuterung, dass eine hypothetische Spal-
tung von Spindelfasern im Knäuel keinen Einfluss auf die
Spaltung der Chromosomen haben könnte.
Fig. 44 u. 45. Diagramme von Fig. 57 (44) und 19 (45), s. Text im
Abschnitt E, S. 739 u. folgende.
Kiel, 24. April 1891.
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