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ARIST0TELE8 UND ATHEN
VON
ULRICH VON WILAMOWITZ-MOELLEIDOREF
ERSTES BAND
m]
BERLIN
WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG
1893
JC
1 1
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201 TAAE 2H2 1EPH2 nOAI()2 MNHMHIA KEI202
2 EMON EKMHNA2 0YMON EP2TI nAAT2N
Göttingen 7 thargelion 1893
VORWORT.
Den plan, über die Folitie des Aristoteles zn schreiben, habe ich
im februar 1891 gefafst, als ich sie zuerst las und für vieles sofort die
entscheidenden gedanken concipirte. nach der anstrengenden aber ge-
nufsreichen arbeit, die Kaibel und ich gemeinsam auf den text verwandten,
schien es uns noch mögüch, dafs zwar jeder für sich seinen teil des
buches, das wir in unserer ausgäbe versprachen, schriebe, aber doch
alles zusammen in einem bände vereint erschiene, ich erklärte die Po-
litie im winter 1891/92 meinen Studenten, und damals sind der gröfste
teil der analyse und einzelne der späteren capitel entstanden ; nur ge-
statteten mir vermehrte amtsgeschäfte nicht, die ausarbeitung zu vollenden,
immerhin lagen I 1—6. 8. 9 II 3. 6. 12. 13 III 2. 3. 9 ausgearbeitet vor, als
mich andere pflichten zwangen, die Sommermonate 1892 zu pausiren.
dann habe ich mich daran gehalten, I 1 — 9 ende Januar, I 10, II 1 — 6
im april in den druck gegeben, und heute an II 7, das ich doch schon
1889 hatte, schreiben wollen, als letztem capitel den letzten strich getan,
gleichzeitig ist freund Kaibel zum druck geschritten, dafs wir jeder
unser buch für sich fertig machen müfsten, ohne communication, und
für sich erscheinen lassen , wenn wir überhaupt fertig werden wollten,
war uns längst klar geworden, wir werden, wie wir es von je getan,
gern von einander lernen, werden uns auch geduldig darein finden, einer
gegen den andern als autorität ausgespielt zu werden; besser und mir
jedenfalls sehr viel lieber wäre es gewesen, wenn ich Kaibels buch hätte
lesen können, ehe ich meines schrieb, denn von der feststellung dessen
was Aristoteles geschrieben bat hängt schliefslich das meiste ab. aber
nun berücksichtige ich die einzelnen druckbogen während meines druckes
nicht mehr und halte es eben so mit manchem recht wichtigen, das
mittlerweile erschienen ist oder erscheinen wird, also auch mit gering-
haltigem und verkehrtem.
Ich weifs es selbst am besten, dafs manches in diesem buche eingeholt
oder überholt ist, ehe es an das licht tritt, wenn ich die capitel II 6 oder
VI Vorwort.
1 1 im herbste 1891, als sie fertig waren, auf den markt geworfen hätte,
so würde ich meiner person viel besser gedient haben, aber ich wolHe
ein Vollbild geben, wollte zeigen, wie sich die probleme der athenischen
geschichte und Verfassung darstellen, wenn man sie ganz von frischem
aufgrund dos aristotelischen buchcs durchdenkt, und ich wollte versuchen,
ob ich nicht einmal ein tV gehen konnte, das forderte die geduld, erst
das ganze innerlich fertig zu machen, und den entschlufs, eines tages
sich zu erklären, nun ist es fertig, so hoffe ich allerdings ein in sich
harmonisches bild zu geben; hätte ich immer wieder hier und da retou-
chirt, so würde das bild widerspruchsvoll geworden sein, widerspruchs-
voll ist die wissenschaftliche forschung; sie ruhet nimmer, ich bin des
ganz sicher, dafs des falschen und übereiUen nur zu viel in diesem buche
steht, und hoffe selbst und durch andere über vieles hinauszukommen,
aber das buch konnte nicht fertig werden, wenn ich nach der weise des
Protogenes hätte malen wollen, die schriftstellerische aufgäbe fordert in un-
lösbarem Widerspruche zu der wissenschaftlichen forschung einen abschlufs.
wir wissen seit dem Phaidros, dafs das buch überhaupt ein elendes ding
gegenüber der lebendigen forschung ist, und wir sind hoffenlHch im
coUeg klüger als in unsern büchern. aber Piaton hat doch auch bücher
geschrieben, hat jedesmal was er wufste, so gut ers wufste, frei heraus
zu sagen gewagt, sicher sich selbst das nächste mal zu widersprechen
und hoffentlich zu berichtigen, so meine ich es verantworten zu können,
wenn ich etwas vorlege was, gerade weil es etwas fertiges sein will,
überall unfertig ist.
Die beilagen scheinen zu dem ev nicht zu stimmen; es könnten
ihrer sehr viel mehr sein und auch etliche weniger, dennoch gehe ich sie
allein mit wirklicher freude. denn die schönste aufgäbe der philologie
ist das interpretiren. ein document voll verstanden ist mehr wert als
alle aperfus und alle Stoffsammlungen, der schätz von belehrung der
so ans licht tritt, den zu heben man freihch ein voUhild vom ganzen in
sich tragen mufs, ist ein xT^f.ia eig ael; unsere historie im weitesten
sinne kann meistens nur eig %d 7caQaxQi}f.ia von nutzen sein, so hätte
ich mit der erläuterung von documenten, die ich zu verstehen glaube,
am liebsten noch lange nicht aufgehört, die fülle der concreten objecte
zog mich, und die hebe des philologen zu seinem eigentlichen band werk
liefs mich dem zuge des herzens nicht widerstehen: 6/' toüt" eor' aöi/.ri^i ,
adr/.w.
r. ötiingen, 22. Mai 1893.
Inhalt des ersten bandes.
ERSTES BUCH.
Analyse dei* aristotelischen schrift von der politie der Athener.
Seite
1. Chronologie 3
2. Herodotos 29
3. Solon 39
4. Drakons Verfassung 76
5. Thukydides 99
6. Die demagogen des fünften Jahrhunderts 121
7. Die Verfassung 186
8. Die Ätthis 260
9. Nachwirkung des buches in der späteren zeit 291
10. Zweck und bedeutung des buches 308
I
ERSTES BUCH.
Analyse der aristotelischen Schrift.
V. \Yilaniowitz, Aristoteles.
1.
CHRONOLOGIE.
Meine absieht in diesem buche ist es, zu einem urteile über den
wert der aristotehschen Pohtie zu gelangen, den absoluten, als werk des
Aristoteles für seine zeit und für sein volk, und den relativen, für unsere
forschung nach der Staatsverfassung und geschichte Athens, dies ziel
zu erreichen habe ich keinen andern weg gewufst, als das buch zu
analysiren, zu fragen: wo weifs Aristoteles das her was er sagt, weifs
er es überhaupt, oder redet er es andern nach ohne geprüft zu haben,
und da gliederte sich die Untersuchung nach den Schriftstellern, be-
nannten oder unbenannten, welche Aristoteles benutzt hat, oder es
mufsten zusammenhängende gleichartige teile seines Werkes einzeln ab-
gehandelt, auch die nachwirkung des buches im altertum kurz klargestellt
werden, ehe ich mich getrauen durfte das facit zu ziehen, mochte
ein mehr oder minder bestimmtes meinen auch schon vorher dasselbe
ziemlich, nicht ganz, ähnhch erfafst haben, allem aber voran mufs ein
capitel gehen, das das feste gerüst der Zeitrechnung aufzeigt, durch
welches der ganze geschichtliche teil zusammengehalten wird, die titel
der capitel lassen vielleicht keine überlegte disposition des Stoffes er-
kennen; sie ist aber vorhanden, und wenn ich bitten darf, so lese man
in der reihenfolge, wie ich die einzelnen Untersuchungen angeordnet habe.
Aristoteles rechnet ausschhefslich nach attischen amtsjahren; er hatiV?stot'e1es!'
selbst eine archontenliste vor sich und setzt sie in den bänden oder
dem gedächtnisse seiner leser voraus, die tatsache springt in die äugen,
und sie ist selbst nicht minder wichtig als ihre consequenzen. nirgend
ist irgend ein datum auf irgend ein astronomisch richtiges jähr, nirgend
auf irgend eine andere Zeitrechnung oder jahrzählung gestellt, weder
Jahreszeiten noch sternphasen noch jähre nach Troias fall noch jähre
olympischer feste kommen vor, was doch alles bei Thukydides der fall
1*
4 l. Chronologie.
ist. an der Zeitbestimmung durch die archontennamen ist für Aristo-
teles offenbar gar iiein zweifei möglich, über das in Athen geltende
jähr bemerkt er gelegenthch der prytanen, dafs es ein mondjahr war
(43, 2): es war das für ihn bequem, weil er die Verteilung nur
für das gemeinjahr von 354 tagen angab und sich das eingehen auf
die unsichere praxis im Schaltjahre sparen wollte.') da, soviel wir wissen,
in Hellas nirgend ein anderes System als das des mondjahres in officieller
geltung war, so will der zusatz nicht eine merkwürdige tatsache con-
statiren, sondern gewissermafsen entschuldigen, dass der schriftsteiler
von einem so falschen jähre wie dem von 354 tagen redet; die wahre
Jahreslänge war ja längst bekannt und schon durch Eudoxos der versuch
gemacht, das ägyptische sonnenjahr im publicum einzuführen, übrigens
stand der kalender in den solonischen gesetzen so gut wie in den zwölf
Tafeln, galt für eine Schöpfung des Solon^), und so ist die erwähnung
des mondjahres in der auf die gesetze zurückführenden vorläge, die wir
später für Aristoteles mafsgebend finden werden, ganz berechtigt.
Selbst das hat Aristoteles nicht der erwähnung wert befunden, dafs
der archon dem jähre den namen gibt; das hielt er für selbstverständüch.^)
er hat in der Tiergeschichte, für die er ohne zweifei aufzeichnungen vieler
leute aus vielen Staaten benutzt hat, nicht wenige angaben auf die attischen
monatsnamen gestellt, daneben wol noch häufiger nach den jahrpunkten
und nach sternphasen gerechnet, auch ein par mal beides vereinigt.'')
die erklärung ist ja einfach: das sind angaben, für die ein ideelles jähr
zu gründe hegt, ein sonnenjahr, das in zwölf monate, d. h. mondumläufe,
1) Wollte man das trotzdem entfernen, so würde Aristoteles nur jähre von
354 tagen rechnen, die ausführlicheren Fassungen der lehre von den prytanien bei
Phot, und in den Platoscholien gehören einer nicht unverständigen bearbeitung der
aristotelischen kurzen angäbe an: sie haben den satz.
2) Das sagt schon Aristophanes Wölk. 1189 und es handelt davon die Solon-
biographie, Flut. 25. Diog. 1, 57. die aufsergewöhnlichen Schaltungen sind durch
volksbeschlufs erfolgt, Ar. Wölk. 608 CIA IV p. 60 ; wenn später die Zeitrechnung des
kalenders im gegensatze zu den natürlichen mondphasen xar' äg^ovra heifst, in
Athen und anderwärts, so folgt eben aus dieser über Athen hinausreichenden rede-
weise, dafs darin nur der 'kalender', der nach dem archon zählt, bezeichnet ist,
nicht ein aufsichtsrecht des archons über den kalender.
3) Die graniraatiker, die von ihm abhängen, haben es nachgetragen PoUux 8,
89. lex Cantabr. indvvfios.
4) Exmoftßaitövos Tis^i XQonas ■d'SQivde h^^t^ , BoT^S^Ofiicoros fisr' aoxrov^ov
578*', IJoaiSecüvos tzqo rQOTtwv 543^. dafs die monate als mondumläufe gelten,
zeigt 'Exazofißauövos uQxof^ivov 571*, ^Elatprjßohtövos fd'ivovros 571 ^ und im all-
gemeinen nsoi (p&ivcvras rois firjvas 582* 34.
Das jähr des Aristoteles. 5
zerfällt und zugleich mit der Sommersonnenwende und dem neumonde
des hekatombaion beginnt, für seine zwecke reichte diese rechnung aus,
und die Athener wären gänzlich unverständig gewesen, wenn sie nicht
unter einem jähre eben dieses ideelle verstanden hätten, aber für die
Zeitbestimmung vergangener ereignisse ist nur ein reelles jähr brauch-
bar, und in dem einen falle, wo Aristoteles ein solches datum zugleich
nach dem ideellen monat und dem jahrpunkte bezeichnet, ist es ihm
begegnet, dafs es absolut falsch ist, weil das von ihm durch den archon
bezeichnete jähr zufällig ein Schaltjahr war.^)
Dem Verfasser der Pohtien, der die gesonderte Überlieferung so
vieler Städte verarbeitete, die alle ihre eigenen jähre halten, müfste frei-
lich die aufgäbe einer einheithchen Chronologie von selbst nahe getreten
sein, auf die alle jene daten bezogen werden mufsten, um wirklich
brauchbar zu werden ; und da er die attischen jähre nicht weiter be-
stimmt, so liegt es nahe, ihm zuzutrauen, dafs er, wenn er einmal ein
argivisches oder epidaurisches datum hat verständUch machen wollen,
es auf den attischen archon umgerechnet hat, also in der weise, wie es
in der parischen chronik mit dem ausgangsjahre geschehen ist. ein aristo-
tehsches beispiel, gleichsetzung attischer und delphischer archonten, wird
uns noch begegnen.®) es mag an mir Hegen, dafs mir kein zweites
bekannt ist; aber eine Verarbeitung der Politien zu einer geschichte ist
ein gedanke, den Aristoteles niemals gefafst hat, und dafs nicht er der
vater der Chronologie geworden ist, sondern erst sein gegner Timaios, is
ja bekannt, immerhin ist es fraglich, ob die bevorzugung der Olym-
piaden gegen die attischen archonten ein vorteil war, und so viel ist fest
zu halten, dafs alle daten nach attischen archonten auf das Vorurteil
sowol des höheren alters wie der ganz besonderen Zuverlässigkeit an-
spruch haben.
5) inl EvaXtovs rov MöXoivo? firjvos Pa/irjXic5vos tieqI roonas ovros tov
■t]Xiov xsifiEQiväs Meteorol. I 343''. der Gamelion des Eukles begann im februar
vgl. Boeckh Mondcycl. 30. A. Mommsen Chronol. 387. die monatsbezeichnung ist
nicht anders zu beurteilen als in den eben citirten stellen, nur hatte hier Aristoteles
den monatsnamen überkommen und setzte die Wintersonnenwende zu, weil er die
ansieht bekämpft, dafs die kometen um die zeit der Sommersonnenwende erschienen,
davon dafs das ihm überlieferte datum metonisch gewesen wäre oder er nach dem
metonischen kalender gerechnet hätte, kann für einen unbefangen die stellen nach-
lesenden menschen keine rede sein, und es ist auch unbillig, ihn wegen dieses
misgeschickes der nachlässigkeit zu zeihen.
6) Dafs er selbst diese ausgleichung bereits in seiner vorläge vorfand, wird
freilich unten wahrscheinlich werden.
6 1. Chronologie.
Denn Aristoteles glaubt das jähr durch den namen jedem zweifei
enthoben, und so viel irgend bekannt ist, hat auch die liste der jahr-
beamlen an keiner stelle geschwankt: so etwas wie die römischen dicta-
torenjahre, wie die gefälschten consulate und die differenzen zwischen
'ie^ archon- amtsjahr und kalenderjahr in Rom gibt es nicht, das war nur möghch,
wenn eine authentische liste seit alters bestand, und wenn in fällen, die
zweifei hervorrufen konnten, das gesetz eingriff, wir kannten einen
solchen fall, die bezeichnung des jahres 404/3 als avag^icc, obwol der
Jahresbeamte Pythodoros ziemlich 10 monate amtirt hat; wufslen auch,
dafs in später zeit dieselbe praxis beliebt worden ist. durch Aristoteles
lernen wir zu, dafs avaQyJa schon der name von zwei jähren, 589 und 584
war; sein ausdruck avag^Lav e7toir]0av läfst sich schon grammatisch nicht
anders verstehen^), und ob das jähr der 10 archonten 581/0 einen namen
von einem derselben trug, bleibt ungewifs. suffecti und Usurpatoren
werden in der rechnung, damit sie stimmen kann, nicht berücksichtigt,
aber die Überlieferung, die dem Aristoteles vorlag, erstreckte sich auch
auf sie. so berichtet er, dafs Damasias die ersten zwei monate von 581/0
factisch regierte; aber das jähr heifst nicht nach ihm, und das jähr 411/10
heifst nach Theopompos, obwol die 400 in ihrer viermonatlichen herr-
schaft einen Jahreswechsel erlebt und einen der ihren, Mnesilochos, zum
archon gemacht hatten, der abgesetzt ward (33, 1); diesen namen
gibt für uns Aristoteles und lehrt so eine Urkunde aus jenen zwei monaten
des Mnesilochos ergänzen (CIA IV p. 162). die reformen des Kleisthenes
fallen auf das jähr 508/7, das nach Isagoras heifst, also nach dem der
vertrieben werden mufste, damit diese reformen möghch wurden, hier
ist der ersatzmann nicht in die liste gekommen, und jetzt nennt ihn
auch Aristoteles nicht, man kann nicht bezweifeln, dafs es kein anderer
als Kleisthenes selbst war, da der archon damals der eigentHche exe-
cutivbeamte war, und Kleisthenes doch ein amt bekleiden mufste, um
seine gewaltsamen neuerungen durchzusetzen, da die stelle der Politie
lückenhaft ist, mag es auch bei Aristoteles gestanden haben.
Wenn jedes einzelne jähr seinen individualnamen hat, so ist nichts so
störend wie homonymien, und die Athener haben sie, obwol die iteration
des amtes gesetzlich verboten war, weder als sie wählten noch als sie losten,
zu vermeiden gewufst. in den mittein, die üblen folgen zu vermeiden,
sind sie nicht consequent gewesen und haben während des amtsjahres
einer person, von der ein namensvetler kurz vorher ein jähr benannt
7) Vgl. Dien von Prusa 21, 2 «(>' ovv, otcsq l4d-i^valot, noXXÜKis xai fjfiäs XQV
avagj^iav avctyQuipeiv rov naqövra xat^öv.
Die archontenliste. 7
halte, höchstens in späterer zeit ein distinctiv beigefügt, anders war
das in den Hsten, wie Diodor eine benutzt hat, und den Chroniken, die
nach Jahren geordnet waren, da stellte sich die aufgäbe: wie findet
man leicht und sicher einen gegebenen namen? nun hatten die Chroniken
wol wie die officiellen register, von denen CIA II 859 eine probe gibt,
die personen mit den vollen namen, TtarqoS^ev xat rov örjfiov, be-
nannt.*) aber die listen wurden abgekürzt, so gut wie die consular-
fasten, und so war das bequemste den Vorgänger mitzunennen. so
heifsen in den didaskalien der Lysistrate und der Frösche die beiden
Kallias von 412/11 und 406/5 6 (.lera KleoAQLxov und b /.ist^ ^vriyhij.
die inschriften der hellenistischen Jahrhunderte geben /tiovvGiog 6 (.leva
IlaQcc/iwvov und ähnhches, und dem entspricht es, dafs Plutarch das
jähr des Solon, um es genau zu bezeichnen, als das (.isza Oilöfißgorov
nennt^), nicht aus eigner einsieht in eine hste, die er nie benutzt hat,
noch aus dem gebrauche seiner zeit, deren Chronographie längst auf die
Olympiaden gebaut war, sondern seiner vorläge folgend, dem Hermippos,
der seinerseits die annalistischen quellen des Aristoteles ausschrieb, die
bezeichnung mit dem Zahlzeichen kommt nur in ältester zeit vor; bei
Damasias 583 und 582 notwendigerweise, weil es dieselbe person war,
die gesetzwidrig das amt behauptete; an einen älteren Damasias von 639
dachte man dabei nicht, ebenso heifst der archon von 490 in der pa-
rischen Chronik OalvLTtftog ß'^°) es war ihm also ein namensvetter nicht
lange vorhergegangen, wenn dies distinctiv weder bei den Kallias von
412 und 406, noch bei den Demostratos von 393 und 390 angewandt
8) Ps. Plut. Isokr. p. 247 Avaifiäxov MvQQirovaiov aoxovros Ad'rjvriai.v 436/5.
so stand auch in der chronik des Philoclioros OsScp^aazos 'Alauvs Dionys. ad Amm. I.
741 R. u. dgl. m.
9) J^coTiiSTjs, oe fierä ^öXcova yi&rjvaCois rjQ^ev bei Philostratos vit. soph, I
ig' wird dagegen mit zu scharfer interpretation auf das nächste jähr nach Solon
bezogen, es reicht vollkommen hin, dafs der name irgendwo bald nach Solon in
der liste stand, sonst müfste man wol gar <i>oqfii(ov fisra 2:6Xcova uQ^as schol.
Ar. Fried. 347 ebenso fassen, die stelle wird im sechsten kapitel bei den Demen
des Eupolis besprochen werden.
10) Der Kallias von 412 war aus Skambonidai, wie sein grabsfein lehrt (Jelr.
92, 36) KaXXias ^-AUfißcoviSris. r^Q^aS Ad'TjvaCot.ai, Jixaioavvrjv Si nä^eS^ov,
KaXXia, ixxf^aio, Saifiova a£fivoxazi]v. [ex S ayaj&iöv ayad'os 7iQoy[ovcov . . . v
£(pdvd'?]S e]a[&]ko — hübsch, wie der archon sich seinen beisilzer wählt, gerade
wie der liebreiz Antigones die anordnungen des Kreon brechen soll, als TtdosS^os fisyd-
Icüv d'Eaftcöv (Soph. Ant. 800). das abstractum Jixaioavvrj ist personificirt, weil
die alte JixT] nti^eS^os Jios die handelnde, strafende und schützende gerechtigkeit
ist; der archon soll nur selbst Sixaios sein, keine übergriffe machen.
8 1. Chronologie.
ist, so hat man den sicheren beweis, tlafs sich in der terminologie
die Zeiten unterscheiden, weil sie schon sehr früh, fast gleichzeitig, fest
geworden war. Aristoteles wendet nur einmal ein distinctiv an, den
demosuanien für den Kalkiag läyyflrjd-sv von 406 (34, 1). gerade hier
steht nun fest, dafs der gebrauch schon im amtsjahre des Kallias vor-
kam : CIA II 22 trägt die datirung K]alliag ^yysl^-Osv rjQxsv. ") Köhler
mulste es dem archon KaXlmg von 377 geben, weil damals noch die
ionische schrift voreuklidische entstehung zu beweisen schien; ein
jetzt beseitigter irrtum. es ist eine nötige und lohnende aufgäbe, die
mit der herstellung der attischen beamtenliste zusammenhängt, deren
wir bedürfen, dafs man auch diese diakritischen zusätze sammelt und
ordnet, für Aristoteles bedürfen wir nichts mehr, als dafs begriffen
wird, dafs er eine archontenliste der uns bekannten art vor sich liegen
hat. seine chronologischen angaben dürfen also nicht als vereinzelte
so oder so eingeordnet werden, sondern müssen in ein festes system
sich fügen: das ist kein anderes, als die schlechthin feste attische hste,
die wir von 480 — 295 durch Diodor und Dionysios {de Dinarcho) be-
sitzen, und in der die Inschriften zwar eine recht grofse anzahl von
verschriebenen namen verbessert haben, deren sich noch einer oder der
andere zwischen 474 und 435 verbergen mag, aber keine für die Zeit-
rechnung bedeutenden fehler, hätten nicht die spätbyzantinischen Zeiten
die bücher 6 — 10 Diodors verloren gehen lassen, so würde Aristoteles
auch höchstens einen oder den andern namen verbessern können: der
chronologischen Untersuchung wären wir dann überhoben, die wir jetzt
führen müssen, beginnend, wie sich gebührt, mit dem jähre des Solon.
Dies epochenjahr ist selbstverständlich niemals unsicher gewesen,
niemals auch die gesetzgebung von ihm getrennt, die ja nur der archon
Solon durchführen konnte, wenn Unbedachtsamkeit an dem datum 594/3
zu rütteln versucht hat, so kann freilich Aristoteles das wahre schlagend
zeigen, er begnügt sich zur datirung Solons mit der angäbe, dass er zum
archon gewählt ward (5, 2): das reichte für seine leser aus, für die das
ein epochenjahr war, ein eckstein für das chronologische gebäude, das sie
11) Die distaDZ zwischen dem anfange des peloponnesischen krieges und der
revolution der 400 wird nicht angegeben, da Aristoteles für significanter hält, nach
Thukydides die genau 100 jähre seit dem stürze des Hippias anzumerken (32, 2).
das würde, wenn nötig, auch jenen letzten posten, 432—411 durch rechnung finden
lassen, dann folgte der archon Kallias von Angele 406/5; doch ist die zahl ver-
schrieben (eßSö/jc^ für «xT<y, g' für y, 34, 1). dann sind die archonten Alexias
Pylhodoros Eukleides und noch Xenainetos 401/0 genau bezeichnet.
Die archontenliste. 9
im gedächtnis hatten, wie für uns das jähr der reformation oder der
französischen revolution. in der tat knüpft Aristoteles an diese Zeit-
bestimmung mit der Ordinalzahl seine nächste angäbe (13, 1), und so
geht es mit angaben des zeitlichen abstandes in derselben form bis zum
jähre des Eukleides durch (39, 1), mit welchem seine historische skizze
schhefst. nur ein ereignis, die BsQ^ov argarela, ist eben so fest im
gedächtnis. er erwähnt sie, ohne sie durch den archon zu datiren
(22, 8), und rechnet dann doch von ihr ab, gleich als ob er sie datirt
hätte (23, 5 25, 1). das war also schon damals ein fester punkt, iden-
tisch mit dem jähre des Kallias 480/79. so ist es geblieben, als später
das weitere datum olymp. 75, 1 dazu trat.
Aus dem vierten Jahrhundert ist nur ein jähr genannt, Kephisophon
330/29, das der allerjüngsten Vergangenheit angehorte, leider aber fehlen
vor Solon die distanzangaben, so erfahren wir wol, dafs Drakon seine
Satzungen unter Aristaichmos gegeben hat (4, 1), aber nicht, wie
lange das vor Solon war; es heifst nur tcoXvv xQovov (5, 1). und eben
SO wenig ist Drakon an den archon Megakles angeschlossen, den Aristo-
teles vorher gelegentlich des Kylonischen attentates genannt hatte ^^),
nicht sovvol zur dalirung, als weil er die schuld des mordes trug,
die einsetzung der thesmotheten vollends ist gar nicht auf den archon
datirt, obwol ausdrücklich gesagt wird, dafs sie in später zeit stattfand,
als schon gesetze aufgeschrieben wurden und die ämter jährig waren
(3,4); von konigen erwähnt er Akastos und Medon, ohne sie auch nur
in ihrem gegenseitigen altersverhältnis zu bestimmen, darin liegt eine
wichtige kritik, Solon macht auch darin epoche, dafs mit ihm die ge-
schichtliche Zeitrechnung beginnt, auch in einem platonischen dialoge
wird als probe für die kraft eines gedächtniskünsllers angegeben, dafs
er die archontennamen von Solon ab behalten könnte (Hipp. I 285).
Aristoteles traute jener ältesten Überlieferung nicht aufs jähr. Avenn er
trotzdem jahrnamen gab, so war das eine inconsequenz in so fern, als
eine solche datirung durch einen blofsen namen , wie wir vor den
steinen nur zu oft erfahren, so lange wertlos ist, bis der narae fixirt
ist, und die bearbeitungen der stadtgeschichlen, die ihm vorlagen, fixirten
ihn, da sie chronikform trugen, wir mögen immerhin die uns über-
lieferten daten aus der älteren zeit mit einer reserve betrachten, die sich
bewufst ist, dafs sie einige latitude lassen mufs; aber mit dieser
reserve können und müssen wir ihnen so weit trauen, als wir an die
12) Es ergibt sich das durch vergleichung der epitome des Herakleides mit
Plutarchs erzähiung Sol. 12, die auf dieselbe quelle wie Aristoteles zurückgeht.
10 !• Chronologie.
anwenduüg der schrift und die erhaltung der denkmäler glauben dürfen,
übrigens ist nicbt zu vergessen, dafs ein forscher wie Philochoros erst nach
Aristoteles dieses feld bearbeitet hat. wenn also die gelehrte Chrono-
graphie noch zuversichtlicher vorsolonische ereignisse datirt, so ist es
keine unmethodische leichtgläubigkeit, wenn man diesen ansätzen traut ;
bequemer freilich ist es sie zu ignoriren und sich darauf zu berufen,
dafs Herodot keine zuverlässigen angaben über das siebente Jahr-
hundert gibt.
Die jähre Die erste gruppe von Zeitangaben hinter Solon ist heil und ohne
weiteres verständlich (13, 1. 2). Solon 594/3; vier jähre normaler zu-
stand; das fünfte avaqxia 589/8; nach weiteren vier jähren wieder avaQ-
xLa 584/3; Damasias 583/2, durch Usurpation wieder Damasias 582/1;
das jähr der 10 archonten, von dem factisch noch die ersten zwei monatc
dem Damasias gehören, 581/0. der sprachliche ausdruck garantirt, dafs
kein Schreibfehler untergelaufen ist, und er ist vollkommen unzweideutig.
Das letzte jähr des Damasias ist nun durch andere angaben seil
langem gesichert, aber durch moderne zweifei vielfach angegriffen worden,
die nun glückhch beseitigt werden.
"heiler Damasias II = 582/1 = olymp. 49, 3 ist ein Pythienjahr. in die
krieg, zweite Pythiade, vier jähre nach der ersten, die er ausdrücklich mit ol.
48, 3 gleichsetzt, also auf 49, 3, setzt Pausanias (X 7) die einfuhrung der
später geltenden festordnung, welche als preis nur einen lorberzweig
aussetzt {ayiJüv orsqjaviTrjg). dasselbe jähr, ol. 49, 3, hat die quelle des
Eusebius für die Wiedereinführung (d. h. die geschichthche einführung)
der Pythien angegeben; denn die Schwankungen seiner Übersetzer und
ihrer handschriften erledigen sich, sobald man festhält, dafs das jähr das
dritte einer Olympiade sein mufs. die parische chronik setzt die ein-
führung eines ayiov yiQrii.iaT irriQ in Delphi unter den archon Simon
327'^) jähre vor ihr epochenjahr, den ersten aycov OTe(faviTrjg 318'0
jähre vor ihr epochenjahr, ccqxovtoq JafiaGlov zov voteqov. rechnet
13) Eine stelle der hunderte war schon zu Seldens Zeiten auf dem stein ver-
loschen; aber das tut nichts.
14) Die zahl ist jetzt zerstört, aber nicht nur Seiden, sondern auch Chandler
haben sie vollständig gelesen, dafs letzterer in der Umschrift einige der einer ein-
klammert, besagt gegenüber seiner maiuskelpublication nichts, und wenn Chandler
eine lücke hätte, so würde selbstverständlich Seldens zeugnis allein gelten, der den
stein noch unverstümmelt benutzt hat. dafs Dopp sich versehen hat, m eil er vermutlich
die originalpublicationen nicht benutzt hat (obwol niemand irre zu gehn brauchte,
da Boeckh alles correct gibt), hat andere hinters licht geführt, es ist nicht nötig,
dabei zu verweilen.
Der erste heilige krieg. 11
man wieder mit der latsache, dafs beides Pythienjahre sein müssen"),
also eigentlich die differenz nur 8 jähre betragen dürfte, so ist freihch
der Verfasser der chronik von einem zählfehler nicht freizusprechen, wie
er deren genug begangen hat, aber es gehört eine starke Verblendung
dazu, ein anderes jähr als ol. 49, 3 für Damasias auszurechnen, und
nun, wo Aristoteles diese längst gefundene, auch von Boeckli vertretene
gleichung bezeugt, wo sich zeigt, dafs Jaf.iaGLov zov votsqov mit be-
ziehung auf das vorjahr gesagt ist, nicht auf den weit zurückliegenden
Damasias von 639/8 (ol, 35, 2, Dionys. Halik. 3, 36), sind alle zweifei an der
deutung der chroniknotiz aus der weit geschafft, dieselben zwei archonten
Simon und Damasias nennt ebenfalls für aywv XQri(.iar irrig und aT£q)avirr]g
die einleitung zu den schoben der pythischen lieder Pindars. auf die
einsetzung des ersteren folgt ein krieg von 6 jähren und später, wie es
heifst, die einsetzung des zweiten, beherzigt man nun, dafs die jähre
beide (oder wenigstens das zweite) dritte Olympiadenjahre sein müssen,
so ist von selbst die distanz von acht jähren zwischen Simon und Da-
masias gegeben, d. h. die Übereinstimmung mit der parischen chronik.*®)
und es ist doch begreiflich, dafs die Ampbiktionen, wenn der krieg die
feier im jähre 48, 3 nicht zuliefs, sondern bis 49, 1 währte, bis zum
nächsten regelmäfsigen termin, Bukatios-Metageitnion 49, 3, august 582,
gewartet haben, auch wenn sie vielleicht im august 583 schon halten
15) Das gilt freilich streng genommen nur von der einsetzung des äycov
aT£favirr]S, der für alle zeit mafsgebend ward, ob der xQriiiaritrjs als dauernde
penteterische feier geplant war oder als einmaliges siegesfest, ist nicht leicht zu
sagen, da die angeblichen altern agone doch apokryph sind, das jähr des Simon
ist sonst bisher nicht bestimmbar, aber die rechnung führt hier leichter auf
ol. 47, 3 als bei dem jähre des Damasias II auf 49, 3. die feier selbst ist natürlich
Jahrhunderte früher begangen worden und hatte ihren festen platz im zweiten
monate, der den namen Bovxänos von den stieropfern hat. aber sie hatte weder
eine feste periode noch eine bedeutung weit über Hellas hin. denn dafs sie jedes
'grofse jähr', d. h. jedes achte gefeiert wäre, läfst sich nicht beweisen.
16) p. 296 M'ird in der ersten fassung berichtet, dafs Eurylochos der Thessaler
die Kirrhaeer unter archon Simonides, in Delphi unter Gylidas, besiegt und den
aycov ;^()7y^<aTtT7;s feiert, der rest der Kirrhaeer flieht auf die Kirphis und wird
dort von einer abteilung des siegreichen heeres unter Hippias belagert, fiera Si
XqÖvov s^asTTJ xaraycovKJa/jiEviov töjv /.isrä rov 'Inniov rovs vTtoksXstfifit'vovs tcöv
KiQQuiwv, STii f^Bv Idd'rjvrjaiv aoyovroi Jaf^iaalov, ev Ss JeX(poXs /IioSuqov, vatsQOV
xai ars<pavixr,v e&evTO xato^d'cüaavTES. in der dritten fassung der einleitung
steht freilich srei etcrco juera ttjv r?js Kc^oas alwaiv dvsxi^ov^av tq> d'eoj rov
axE(pavitr]v sni — Jafxaaiov: aber da das doch nur zwei brechungen desselben
scholions sind, so hat die recensio das amt, die glaubwürdigere, d. h. die genauere,
als die zunächst berechtigte vorab zu ermitteln.
12 !• Chronologie.
feiern können, mit recht hat Bergk so geschlossen, dafs die Pindar-
scholien die Pythiade, von der aus sie rechnen, auf 49, 3 setzen, so
dafs die vollkommenste harmonie herrscht, hat Boeckh wenigstens zu-
gegeben, trotzdem er die rechnung für falsch hielt, und seine nacli-
folger geben es erst recht zu, da sie schliefslich dabei gestrandet sind,
gerade das zeugnis der schollen, welches allein ausdrücklich eine glei-
chung zwischen Olympiaden und Pythiaden ausspricht, zu ändern.")
läfst man stehn was steht, so ist der ausgangspunkt das jähr des Dania-
sias, eben das jähr, welches es, wie Aristoteles und die parische chronik
bezeugen, wirklich war. man darf aber auch umgekehrt schliefsen.
wenn für dasselbe factum delphischer geschichte in zwei einander nirgend
widersprechenden berichten dieselben attischen beamten genannt sind,
so ist davon auszugehn, dafs das zwei fassungen desselben berichtes
sind, dafs die archonten dieselben jähre bezeichnen, beide fassungen
sind somit zunächst zu vereinigen, und was herauskommt, darf als ihre
gemeinsame vorläge gelten: in diesem falle ist also anzuerkennen, dal's
wir einen genau datirten ziemlich ausführhchen bericht über den heiligen
krieg spätestens aus dem ersten drittel des dritten Jahrhunderts haben,
selbstverständlich kann deswegen der bericht falsch, der chronologische
ansatz irrig sein , und kann demnach die wahre Zählung der Pythiaden
einen andern ausgangspunkt haben, wie das Boeckh angenommen hat:
der meister hat keinen posten der rechnung verschleiert oder zu seinen
gunsten misdeutet. Boeckh würde nichts neues durch den ansatz Damasias |
II = ol. 49, 3 = 582/1 lernen ; aber seine nachfolger in der Pindar- '
exegese müssen nun aufhören, die grundlagen der rechnung zu gunsten
von Boeckhs hypothesen zu verschieben.
Auf das jähr des Damasias (welches, bleibt unbekannt) hat Deme-
trios von Phaleron die sieben weisen und demnach auch den Thaies an-
gesetzt.'*) weshalb er, der erste bekannte sammler der sprüche der sieben
17) Pyth. 3, 1 xa&iararai 'Isqcov ßaaiXsvS xarä rrjv sߧOfiT]yo<JTTiV i'xrrjv
oXv/unidSa, t^s «xoar^s oySÖTjs üvd'iäSos tri TTQOxsifievr] oXv/untäSi avyXQOVov
ovar,e, loaie naviws re -xal nrtvrr] fisra rr]v voteqov Uvd'iäSa (es waren Pytti. 26
und 27 erwätint) rjris ysyove ne^i riiV eߧofiT]xoarr^v exzrjv 'OXv^niüSa (Pyth. 28 =
ol, 76, 3) avvTExäx&ai tbv inivtxov. der scholiast nahm an, genau wie Boeckh,
dafs ein pythisches gedieht an einer pythischen feier, wenn auch nicht derselben,
an der der sieg erfochten war, verfai'st und aufgeführt wäre, Zerstörung des
scholions (nach einer Sitzlerschen conjectur) L. Schmidt, index lectionum von Marburg,
Sommer 1887.
18) Diogen. I, 22 Thaies n^cüros aotfos corouuad'ri ttQx,ovTos ^^^r^vt/ai Jnfiaaiov
Der erste heilige krieg. 13
tveisen, so verfahren ist, bleibt eine oflene frage: dafs er die sieben nach
rhales datirt habe, darf man daraus nicht ableiten, dafs Diogenes seine
clatirung im leben des Thaies anführt, denn Diogenes beginnt die ge-
schichte der sieben weisen mit Thaies, unter dem also das allgemeine
ilatnm stehen mufste. für Thaies personlich war allerdings die von ihm
vorhergesagte Sonnenfinsternis von 586 die bequemste epoche, und dafs
man sich ihrer bedient hat, folgt aus Eusebius, dessen wie gewohnlich
verwirrte Überlieferung sich auf dies jähr (ol. 48, 3), zum mindesten
für seine quelle, zurückführen läfst. aber um so sicherer zeigt Eusebius,
dafs diese epoche nicht mit der Stiftung der Pythien, d. h. mit dem
jalire des Damasias zusammenfallen kann, da diese notiz, wie sich ge-
bührt, 3 — 4 (das richtige ist 4) jähre später eingetragen ist. es gibt
hier in Wahrheit keine Avidersprüche oder Schwierigkeiten.
Die berichte der Pindarscholien über die Stiftung der Pythien und
über pylhische siege hat Boeckh auf die IIvd-tovtyML des Aristoteles
zurückgeführt, das mufs für sehr wahrscheinlich gelten , denn an sich
lag nach aller analogie dieses buch den antiken erklärern Pindars am
iijicbsten; sodann wird es in den Pindarscholien citirt (zu Isthm. 2 und Ol.
2, S7. fgm. 617 Rose), endlich mufs eine geschichtliche darstellung, welche
nicht mit Olympiaden, sondern mit attischen und delphischen archonten
rechnet, sehr alt sein, die parische chronik zeigt, dafs dieselbe tradition
wirklich in der zeit des Timaios bestanden hat. ich bezweifle den aristo-
telischen Ursprung durchaus nicht; nur ist es nicht der erschlossene
gewährsmann, sondern das alter und die qualität des berichtes, der diesen
mir glaublich macht, aus sich konnte doch Aristoteles höchstens die aus-
gleichung der delphischen und attischen rechnung vollziehen ; sonst mufste
er eine geschichtliche tradition benutzen, und auf die kommt es an,
lieifse ihr vermittler wie er wolle, sie trägt in den jahresnamen die
gewähr der herkunft aus der chronik an sich, es ist vorwitz an ihr
zu rütteln, die hauptsache ist delphische Überlieferung, aber die atti-
schen archonten zeigen die vermittelung eines andern, und eine ge-
schichte attischer herkunft ist uns aus den Pythioniken des Aristoteles
bezeugt : Solon soll nach ihm den antrag auf die execution der Kirrhaeer
gestellt haben (Plut. Sol. 11), eine geschichte, welche 330 Aischines
vor einem attischen gerichte als bekannte tatsache erwähnt (3, 108),
von der jedoch, wie der delphische priester Plutarch aus seinem archiv
xad"^ ov xai ol enza ao(poi ey-XridT/anv, cos q^r/ffi jdr]fiT]rQios o <Pa}.r,Q£vs ev zfj räiv
24 1- Chronologie.
beifügt"), in Delphi nichts iiberhefert war, und, fügen wir hinzu, nichtl
wol überliefert sein konnte, da prolokolle über die Sitzungen der
Amphiktionen in der erforderlichen ausführlichkeit zu Solons Zeiten nicht
wol geführt sein können.^") aber diese attische tradition pafst vortreff-
lich in ein buch, das die delphische jahresliste mit der attischen aus-
gheh. da Aischines die geschichte schon kennt, ist sie in Athen nicht
erst durch Aristoteles bekannt geworden, ist also auch er schwerlich
derjenige, der zuerst die delphische geschichte auf attische jähre stellte,
sondern ein attischer chronist, auf dem er auch in den Pythioniken
fiifste. wer dies mein buch durchgelesen hat, wird den schlufs, der ihm
jetzt vielleicht noch zu kühn erscheint, selbstverständlich finden, übrigens
tut es nichts zur sache, was jenseits Aristoteles hegt, bleiben wir also;
dabei, die geschichte des heiligen krieges, wie wir sie auf der parischen
Chronik und in den Pindarscholien lesen, für arislotehsch zu halten,
ganz wie Boeckh.
Aber der antrag Solons scheint mit den angaben der Politie un-
vereinbar. 590 ist Krisa erobert, aber Solon ist gleich nach 594/3 auf
zehn jähre verreist, wenn das ein Widerspruch ist, so hat ihn Aristo-
teles begangen, unbeschadet der herkunft jenes kriegsberichts, denn der
antrag des Solon ist ja ausdrücklich auf seinen namen hin überhefei t,
und der heilige krieg fällt nach allen nachrichten in das erste Jahr-
zehnt nach Solons amtsjahr. aber erstens wissen wir gar nicht, wie
lange der krieg vor der eroberung Krisas gedauert hat, noch auch
ob die execution unmittelbar nachdem sie beschlossen war, ausgeführt
ist.^') nach dem falle von Krisa haben sich die reste der Krisaeer noch ,
19) Plutarch widerlegt eine ansieht des Hermippos, seiner hauptquelle, mit der
berufung darauf, dafs Aischines davon schweige und die Jelipav vnofivr^fiaTa damit
stritten, das ganze erscheint als einlage. der classische redner, der den Stilisten
der trajanischen zeit näher lag als den compilirenden gelehrten der barockzeit, und
das dem Plutarchos persönlich unterstellte archiv sind zeugen, deren verhör dem
Plutarchos billigerweise zugetraut werden darf, und dafs er gegen seine hauptquelle
(deren gewährsmann er mit angibt) sich wendet, spricht auch für einen zusatz aus
eigenen mittein.
20) Die ältesten attischen Volksbeschlüsse, die uns auf stein erhalten sind,
nennen den antragsteller nicht, aber Aristoteles hat den mann genannt, der 561
den antrag stellte, dem Peisistratos eine leibwache zu bewilligen, Aristion (14, 1,
bei Plutarch Ariston vgl. cap. 8). schwerlich sind die acten quelle, sondern der
name ist mit der geschichte von der Selbstverwundung überliefert gewesen, der
mann, der den verhängnisvollen antrag stellte, der k^anartjoae tov Sijfiov, blieb im
gedächtnis.
21) Zum mindesten mufsten die deputirten mit dem Amphiktionenbeschlusse nach
Der erste heilige krieg. 15
6 jähre gehalten, andererseits ist es schlechthin undenkbar, dafs Solon
unmittelbar nachdem er über sein amt rechnung gelegt hatte, 593 auf
reisen gegangen ist. im gegenteil, es mufs ihm doch erst zum be-
wufstsein gekommen sein, dafs der parteihader durch die gesetze mit
nichten beendet war, die Zumutung der gesetzesinterpretation mufs ihm
oft gemacht sein, ehe er die Stadt verHefs. die gedichte, in denen er sein
werk verteidigt, die iamben , die trochaeen an Phokos, die elegie, aus
der drii-iM f.i£v yaq eöcoxa stammt, sind offenbar nach dem amtsjahr,
aber vor der reise gedichtet, also einen teil der ruhigen jähre 593 — 90
dürfen wir uns Solon in Athen denken, und dafs man ihn nach Delphi
als deputirten schickte, erscheint durchaus passend für den gewesenen
öiaXXaATtjg , wie es auch passend für den ist, dem kurz darauf diese
rolle übertragen wird, wieder scheint Aristoteles zu widersprechen, der
^oXoivog aTtoörn.irjoavTog enl etr] rerraga dirjyov ev rjovxicc von
den Jahren 593 — 90 sagt, aber das ist nur bequeme ausdrucksweise,
berechtigt, weil die frist zwischen dem ende des amtes und dem an-
tritte der reise sich nicht berechnen liefs, am wenigsten für eine chrono-
logische Übersicht, die natürlich immer an das letzte feste datum ansetzt,
woher wufste denn auch Aristoteles von der reise, ihren motiven und
ihrer befristung? dafür gab es schlechthin keine Überlieferung als
Solons gedichte. gerade so wie Aristoteles die Stimmung der parteien
gegenüber Solon den gedichten nacherzählt, die er zum teil selbst an-
führt (11, 2), so hat ihm ein gedieht vorgelegen, in dem Solon sagte
"ich will als kaufmann und aus Wissensdrang nach Aegypten auf zehn
jähre verreisen, denn es ist nicht recht, dafs ich hier die gesetze selbst
auslege, denen vielmehr jedermann gehorchen soll." dieses gedieht para-
phrasirt Aristoteles 11, 1^^), ihm schliefst er mit af,ia öe (11, 2) die
hause gehn, und dann die aufgebote der einzelnen Staaten sich sammeln; darüber ver-
giengen auch 432monate; und wenn es, wie die gewöhnliche Überlieferung ist, zu
einer belagerung Krisas kam, so ist wieder nach den analogien des fünften Jahr-
hunderts keine schleunige entscheidung zu erwarten, die zehnjährige dauer des
Krieges, die Kallisthenes (Ath. 560'=) berichtete, kann also ganz wol zutreffen, wenn
man sich auch auf diese zahl bei diesem schriftsteiler nicht verlassen kann.
22) Dasselbe gedieht paraphrasirt ähnlich Herodot I 29 I^o^cov — 'Ad-j;raioi(Tt
vöjuove xeXsvaaai. Tioi-riaas ansSrjfivoev ersa Se'xa y.ara ^scooir^s 7to6(paaiv ixnXcoaas
iya Sf] fiij iiva xöiv vöuwv avayxaad'fi Xvaai twv sÜ'sto. avroi yo-Q ovx oloi
t' Tjoav airo noir.aai lA&Tjvaloi' OQxioiai yä^ fisyälotai, y.aTEixovto Ssxa srsa
XQtqaEad'ai vönoiai tovs äv acpi ZöXoiv ^r^iai,. darin hat Herodot die zehnjährige
abwesenheit Solons, die im gedieht als seine absieht ausgesprochen war, und die
ebendort stehende Zuversicht, dafs die Athener zunächst gehalten wären, sieh in die
16 1- Chronologie.
paraplirase anderer gediclUe an, und die motive der reise sind sogar
in indirccter rede gegeben {ov yuQ ö'iea^ai dixaiov elvai). in ähn-
licher weise hat man später ans den gedichten dargetan, dafs die reise
wirklich nach Aegypten und Kypros gegangen ist.^^) aber den termin
des antritts der reise, ihrer einzelnen etappen, und selbst den der rilck-
kehr wufste Aristoteles nicht und wissen wir nicht, wer könnte sich
darauf verlassen, dafs die absieht einer zehnjährigen ab Wesenheit, wenn
sie überhaupt so genau gemeint war, auch ausgeführt ist? ob Solon
zur zeit von Damasias' Usurpation in Athen war, mufs unentschieden
bleiben; nichts als die bare mögUchkeit ist da, dafs die vor einer tyrannis
warnenden verse auf ihn zielen.
Die beteihgung Solons am heiligen kriege so wie sie Aristoteles
berichtet hat, ist also sehr wol denkbar, und die delphische nachricht,
welche als führer des attischen contingentes Alkmeon nennt, wider-
spricht nicht ihr, sondern nur den fabeln von Solons beteiligung an
der eroberung Krisas. etwas anderes ist es, ob die aristotelische nach-
gesetze zu schielten {Sxaarov t« Secvra noielv Aristoteles) falsch combinirt. das
vermeidet Aristoteles und führt noch mehr aus dem gedichte an: dafs man nicht
etwa denke, er hänge von Herodot ab. dagegen steht bei Plutarch (Sol. 25, 4. 5) nur
mit andern und mehr Worten was Aristoteles auch sagt, nur der eine vers
i'^yfiaaiv iv xaXandii näaiv aSeiv ;^aAc7rov ist hinzugefügt: wir wissen nun, aus
M'elchem gedichte. übrigens kann Srjfico ftsv yuQ s'Swxa auch aus demselben sein.
23) Plut. Soi. 26. natürlich war jeder chronologische ansatz der reisen auf
die Interpretation der gedichte gebaut, also auf einen schlufs. wer den besuch bei
Kroisos, der ja bei Herodot an die aus den gedichten folgende ägyptische reise an-
geschlossen war (den namen des Amasis setzt Herodot ein), nicht aufgeben wollte,
rückte natürlich die reise an das lebensende Solons, und die Solier wollten natür-
lich das grab ihrer xxCair^e besitzen, dann erfand man leicht eine flucht vor Peisi-
stratos; so Diogenes I 50 ff. dafs Solon der kaufmann auch in jüngeren jähren
reisen gemacht hat, ist an sich glaublich, aber die Vermutung Nieses, dafs er
nach der geselzgebung in Athen geblieben wäre und alle reisen vor seine gesetz-
gebung fielen, ist durch das gedieht, dem Aristoteles und Herodot folgen, wider-
legt, die gewährsmänner Plutarchs haben ohne zweifei die richtigen Schlüsse ge-
zogen, die verse an Philokypros von Soloi (Plut. 26) lassen keine feste zeit für
den aufenthall Solons daselbst erkennen, und wenn er um heimkehr in sein Vater-
land bittet, so braucht das keine directe zu sein, natürlich war er aber der gefeierte
weise mann, als ihn ein kyprischer stadtherr zum oikisten machte, was doch so viel
heilst, als dafs er ihm die gesetzliche Ordnung seines Staates anvertraute; also die
reise fällt frühestens in die achtziger jähre, somit liegt nichts darin, was mit der
angäbe Herodots stritte, der den söhn von Solons gastfreund Philokypros (dessen
name in dem an ihn gerichteten gedichte notwendig vorkam) im aufstände wider
Dareioß fallen läfst (V tl3). der name Kyprasos (vita Arati p. 53 Westerm.) kann
gegenüber der Übereinstimmung zwischen Herodot und Plutarch nicht glauben finden.
Der erste heilige krieg. 17
rieht wahr ist. dafs er sie berichtet, kann allein nicht zur beglaubigung
genügen, und der glaube der Athener, den Aischines wiedergibt, auch
nicht, allein dafs es listen der pylagoren in Athen von so alter zeit
her hätte geben können, dafs in ihnen auch so wichtige dinge wie
ein executionsbeschlufs notirt gewesen sein könnten, mochte man noch
vor 15 Jahren mit schein bezweifeln: jetzt halte ich diese skepsis für
widerlegt durch die fundlatsachen, und halte uns für verbunden, eine so
alte und so gut bezeugte Überlieferung anzuerkennen, ganz dasselbe gilt
von der führung der Athener durch Alkmeon, die Plutarch dem delphischen
archive entnahm, der söhn des mörders der Kyloneer, der vater des
lYihrers der Paralier wider Peisistratos , pafst der zeit nach vortrefflich.
die Verbindung, in die Alkmeous enkel Kleisthenes mit Delphi tritt,
erscheint durch das verdienst des grofsvaters gut motivirt, und die art
unserer Überlieferung läfst den gedanken nicht aufkommen, dafs Alkmeons
name durch kleisthenischen trug in die delphische chronik gekommen
wäre, wann die Alkraeoniden aus der Verbannung heimgekehrt sind,
in welche sie kein regelmäfsiges gericht''^) getrieben hatte, ist unbekannt,
aber man wird nicht glauben , dafs Selon sie bei seinem versöhnungs-
werke aufser acht gelassen hätte, um so weniger, als Megakles, Alkmeons
söhn, die constitutionelle solonische partei später geführt hat (13, 4).
ganz besonders gut pafst aber die verschwägerung des Alkmeon mit
Kleisthenes von Sikyon, wenn sie im heiligen kriege kameraden waren:
die freiwerbung um Agariste ist eine reizende novelle, aber nichts anderes
als das (am wenigsten ein auszug aus einem pindarischen gedichte) : die
famihenverbindungen, zumal die über die einzelnen Staaten hinausgreifenden,
hat nicht nur zu jener zeit ausschliefslich die politik dictirt. dafs Klei-
sthenes, der herr von Sikyon, nicht unbeteiligt zusehn konnte, wenn
der krisäische golf den herrn wechselte, wird jedem selbstverständhch
sein, der von der einen zur andern küste geschaut hat.") seine be-
24) Die bei den modernen verbreitete ansieht, dafs das solonische gesetz,
axon 13, gesetz 8, die Alkmeoniden von der rehabilitirung ausschlösse, ist falsch,
denn ausgeschlossen sind da nur die von den ordentlichen gerichten, Areopag,
Epheten, Phylenkönigen wegen mord, mordversuch ohne tödlichen ausgang [acpayai,
später TQavfia), tyrannis verbannten, darunter fällt eine Verbannung durch einen
ausnahmegerichtshof nicht; auch war das verbrechen der Alkmeoniden aaeßsia. die
deutung der a^ayai auf TQavfia ix TtQovoias wird angesichts der aristotelischen
Zeugnisse, namentlich des amnestievertrages 39, 5, für mich, der ich sie schon früher
so aufgefafst hatte, unzweifelhaft.
25) Es heifst die Vereinzelung der hellenischen Staaten und die kleinheit der
Verhältnisse verkennen, wenn man sich wundert, dafs Sparta und Argos am heiligen
V. Wilamowiiz, Aristoteles. 2
18 1. Chronologie,
teiligung an dem nachspiele des krieges mufs bedeutend gewesen sein,
da er von der beute eine halle in Sikyon erbaute^") und selbst dem
pythischen gotte ein fest zu hause stiftete.^^) in dem wagenrennen, das
erst jetzt, 582, ein teil des pythischen spieles ward, nachdem auf dem
neuerworbeneo Kirrhaeischen felde eine bequeme bahn zur Verfügung
stand, war ein gespann des Kleisthenes sieger.'^*) dies ist in der delphi-
schen festchronik überliefert; dafs sie von der Kirrhaeischen beute er-
richtet war, wird an der sikyonischen halle selbst gestanden haben; die
Stiftung der Pythien ist wahrscheinhch durch die bekanntlich alte und
im vierten Jahrhundert schon pubücirte sikyonische chronik überliefert,
so bewährt sich jeder zug der Überlieferung von mehreren selten, und
man braucht die novellistische oder gar gefabelte geschichte nicht erst
zu verhören, die übrigens nicht ohne Interesse isl.^^)
In dieser darlegung ist bisher Pausanias nur mit dem herangezogen
kriege unbeteiligt waren, oder den gegensatz von 449 auf 590 überträgt, aber dafs
Korinth so gar nicht mitspielt, dafs Kleisthenes eine flotte hat, ist merkwürdig und
beweist, dafs Periandros in den letzten zeiten seiner herrschaft nach westen wenigstens
einflufslos war. die pflanzstädte im ionischen meere waren zwar in bänden seiner
familie, aber ihm selbst entfremdet, auf seinen in die achtziger jähre fallenden tod
folgt ein ohnmächtiger nachfolger und bald die revolution. die Stiftung der Isthmien
wird nach unserer Überlieferung hinter die Pythien gerückt, das ist falsch, da Solon
zwar für Isthmioniken, aber nicht für Pylhioniken prämien ausgeworfen hat. man
wird beliebt haben, sie erst von der zeit der freiheit Korinths zu zählen.
26) Pausanias II 9, 6.
27) Dionysios von Halikarnass (denn es liegt kein grund vor, seiner xQovixrj
ßißXoe diese notiz abzusprechen, und ihn versteht man am leichtesten bei schoiiasten
unter 'i^Xixa^vaaasve) im schol. Pindar Nem. 9, 1. dafs zu Pindars zeiten nicht
der tyrann, sondern der heros das fest gestiftet hat, ist eben so selbstverständlich,
wie dafs Herakles und nicht Iphitos bei ihm Stifter der Olympien ist, Sisyphos der
Isthmien und Apollon der Pythien.
28) Pausan. X 7, 6.
29) Die eine tradition, an ein orakel anknüpfend, das bei Aischines 3, 112 freilich
nur interpolirt ist, darf doch nicht für jünger gelten, denn Diodor IX 16 wird wie die
andern orakelgeschichten bei ihm mit Wahrscheinlichkeit auf Ephoros zurückgeführt,
dieselbe geschichte Paus. X 37, 6, Polyaen. III 5. sehr viel romantischer ist die ge-
schichte in Thessalos' athenischer rede (Hippokr. 111 834 fr. Kühn), schlechter bei Pausan.
X 37, 7, Polyaen. VI 13 mit anderen personen. das ganze klingt nach hellenisti-
scher novelle, etwa Euphorion. aber das strategem einer brunnenvergiftung ist
auf dem boden von Krisa erdacht. Ulrichs hat in Itea eine stark abführende Salz-
quelle gefunden (Topogr. v. Delphi 79). Euphorions gedieht FeQavos ward auch
einem Archytas aus Amphissa beigelegt, und von diesem sind verse erhalten, die
topographika seiner heimat behandeln; daran darf man wenigstens erinnern (Meineke
An. AI. 44. 353).
' Der erste heilige krieg. 19
was er über die feier von 582 beibringt, da er diese auf dasselbe jähr
setzt wie Aristoteles; bekanntlich nennt er sie aber die zweite Pythiade,
indem er als erste den ayihv XQrii.iarirr^g nimmt, den er abweichend von
Aristoteles auf 586 ol. 48, 3 ansetzt, und von da aus zählt er die
Pythiaden. Boeckh (zu Pindar ol. 12) hat nicht nur dieser rechnung
den Vorzug gegeben, sondern die hypothese aufgestellt, dafs die in den
Pindarscholien angeführten Pythiaden im gegensatz zur absieht der ge-
lehrten, die sie anführen, nach der rechnung des Pausanias verstanden
werden müfsten. Boeckhs ansieht hat bis auf Bergk unangefochten ge-
herrscht und waltet noch heule vor. ihn hat ausschliefslich die exegese
der pindarischen gedichte bestimmt, die er richtiger zu verstehen meinte,
wenn er sie um vier jähre gegen die ansieht der alten hinaufrückte, davon
ganz abgesehen mufs der bericht des Pausanias zuvorderst mit dem ver-
glichen werden, der sich bisher so gut bewährt hat. er weicht keineswegs blofs
in den Ziffern der Pythiaden oder ihrer geltung ab. nach dem aristotelischen
berichte ist 586 (ol. 48, 3) gar keine feier gewesen, weil keine sein konnte,
weil krieg war. wenn die leute bald von der ersten feier überhaupt, bald
von der ersten der später geltenden Ordnung gezählt hätten, so hefse sich
das begreifen, aber die feier von 586 ist entweder geschichthch : dann
mufs der bericht des Aristoteles verworfen werden ; oder sie ist fiction :
dann ist es zu viel verlangt, ihr zu hebe die Pythiadenrechnung der scho-
liasten umzurechnen, es lag doch wahrlich näher, dafs bei dem notorisch
penteterischen Charakter der Pythien das auf besonderen kriegerischen
Verwickelungen beruhende achtjährige Intervall zwischen dem aytov XQV~
^lar irrig und OTe(favLTr]g in Vergessenheit geriet, als dafs umgekehrt
dies datum um vier jähre nach oben verrückt ward; und wenn wir
vollends für die eine angäbe das zeugnis des Aristoteles, für die andere
das des Pausanias haben, so dürfte die zeit und die Sinnesart der beiden
gewährsmänner doch nicht ganz belanglos sein. Boeckh sagt mit recht,
dafs Pausanias auf delphische quellen zurückgeht.^") gewifs; es findet
sich in dieser partie keine ausgleichung mit attischen jähren, die er
sonst nicht selten hat, sondern mit Olympiaden : das zeigt aber nur, dafs
seine Urquelle beträchthch jünger als Aristoteles war. was aber be-
sonders wichtig ist: er beginnt die geschichte der pythischen spiele mit
Chrysothemis, Philammon und consorten, und er übergeht den anlafs
der wirklichen Stiftung, deren daten er doch gibt, durchaus, nicht hier
30) D. h. am letzten ende, als den nächsten vor Pausanias hat Maass {de
Sibyllis) Alexander Polyhistor mit guten gründen bezeichnet, wenn auch die grenzen
seiner benutzung nicht festgestellt sind.
2*
20 1- Chronologie.
(cap. 7), sondern in der periegese unten (37) erzählt er von dem
heiligen kriege, und keinesfalls hat er jene erzählung von hier dort-
hin versetzt, noch in der gleich folgenden geschichte der amphiktionen
fehlt der erste heihge krieg, es ist fürwahr eine schwere Zumutung, auf
grund der lücken dieser erzählung den Aristoteles und die alexandrinischen
grammatiker zu verwerfen, freilich, wenn es die exegese Pindars ver-
langt, müssen wir uns fügen, die soll hier unberührt bleiben^*): nur
die alternative soll klar gestellt sein. Boeckh hat sie nicht verschleiert,
aber wol seine modernen anhänger. ich will hier nur die erklärung
abgeben oder vielmehr wiederholen, dafs mir auch die gedichte, so weit
sie überhaupt so genaue Zeitbestimmungen erschliefsen lassen, nur unter
beibehaltung der überlieferten daten verständlich sind; allerdings rate
ich dringend jedem, der sich ein urteil bilden will, zunächst nicht blofs
alle modernen commentare bei seite zu lassen, sondern auch die drei
ersten pythischen gedichte, die als grundlage der pindarischen odep
hellenischen Chronologie unverwendbar sind.
Es ist wol nicht unerwünscht, wenn es auch für Aristoteles nichts
mehr ergibt, kurz herzusetzen, was als geschichtlich zuverlässige tatsaclie
über den ersten heiligen krieg gelten darf, es ist ziemhch das um-
fangreichste stück beglaubigter kriegsgeschichte aus so alter zeit.
Die lokrische bevölkerung von Kirrha, die Delphi vom meere ab-
schlofs, war den Delphern unbequem, weil sie die pilger belästigte, in
folge dessen stellte der athenische pylagore Solon den antrag auf amphik-
tionische execution; die führung des ganzen fiel dem Thessaler Eury-
lochos zu, dem es, unbestimmt wie lange nach ausbruch des krieges,
gelang Kirrha zu erobern, zu ehren des sieges hielt er eine stolze
Pythienfeier im august 590. aber die Kirrhaeer waren längst nicht
überwunden ; sie hatten sich auf die Kirphis geflüchtet, hielten sich dort
und in ihrem hafenplatze, und ihre Überwindung gelang erst 584, wesent-
lich durch die beteihgung des Kleisthenes von Sikyon; sein eidam, der
Alkmeonide Megakles von Athen führte das attische contingent (oder hatte
es in dem vorigen kriege geführt), erst jetzt wurden die Kirrhaeer
gänzlich ausgerottet, ihr land dem gotte zugewiesen, zum teile verflucht,
und 582 ward eine penteterische feier zum ersten male begangen, mit
vielen kampfspielen, zwar ohne geldpreise, aber doch natürhch nicht ohne
dafs der gott aufwand treiben mufste, zu dem ihm die neuen einkünlie
überwiesen waren, die sieger kehrten mit reicher beute heim, die
31) Einen positiven beweis für die richtigkeit der aristotelischen Zählung
bringt die beilage 'Pindars siebentes pythisches lied'.
Der erste heilige krieg, die jähre der tyrannis. 21
Kleisthenes zu bauten und zu einer eigenen Pythienfeier zu hause be-
nutzte.^-)
INicht um ihrer selbst willen hat die erste reihe der chronologischen
daten, 594 — 80, so viele seilen bekommen, das nächste, die Chronologie
der athenischen tyrannen kann kürzer ausfallen, obwol sie eigentUch sehr
viel schwieriger ist. es mufs vom sichern ausgegangen werden, von unten. Die jähre
sicher ist das jähr des Isagoras 508/7 (Arist. 21, 1), gleichgesetzt mit
ol. 68, 1 von Dionysios von Halikarnass I 74; auf dem parischen marmor
ist die zahl nicht sicher, und wäre sie es, so würde die rechnung mindestens
ein jähr spielraum lassen, das ergibt auch nach Aristoteles für die
Vertreibung der Peisistratiden 511/10; der archon Harpaktides war nicht
bekannt, da er auf dem parischen marmor, wo die zahl erhalten ist,
weggebrochen ist und nun ergänzt werden kann (Ar. 19, 6. 21, 1).
wieder vier jähre früher setzt Aristoteles ohne den auch sonst unbekannten
archon zu nennen den tod des Hipparchos (19, 2), also 514/13 = ol.
66, 3. das ist dadurch besonders fest gesichert, dafs die ermordung an
den Panathenaeen, also in einem dritten olympiadenjahre stattfand, all
dies ist längst mit vielen guten Zeugnissen festgestellt; es genügt auf
Boeckhs commentar zur parischen chronik zu verweisen, der ausgangs-
punkt ist also sicher, für das frühere gibt Aristoteles zwei summen an :
herrschaft des Peisistratos und seiner söhne 49 (woraus sich das citat
dieser stelle in den schoben der Wespen 502 leicht verbessert), herrschaft
der söhne allein 17 jähre (19, 6); und herrschaft des Peisistratos von
der ersten besitzergreifung bis zum tode 33, davon effective herrschaft
19 jähre (17, 1). die 33 jähre, aber daneben 17 jähre effectiver herr-
schaft, gibt Aristoteles in der politik an (£ 1315^). statt 49 als gesammt-
summe hat Eratosthenes 50 gezählt, ebensoviel als die summe der aristo-
tehschen einzelposten 17 + 33 ergibt, der Chronograph zählte also correcter
das anfangsjahr mit. das sind eben nur scheinbare difl'erenzen, bei der
antiken weise die namen zu zählen und in Ordinalzahlen das ausgangs-
jahr zumeist mit einzuschliefsen unvermeidHch. die einzige differenz,
die auf den ersten bhck befremdet, 17 oder 19 jähre effectiver herrschaft,
tut das nur deshalb, weil wir die einzelposten nicht mehr sicher kennen,
die Aristoteles in der Politik addirt hatte, denn entstanden sind die zwei
jähre überschufs dadurch, dafs er die archonten, unter denen Peisistratos aus
32) Es ist ein zeichen für die ächtheit dieser tradition, dafs der gegensatz der
dorischen angeblich kreüschen priester und der Phoker noch gar nicht hereinspielt,
obgleich er schon 450/49 das wichtigste war. auch der delphische teil des homeri-
schen ApoUonhymnus kennt ihn nicht, wenn er auch über belästigung der pilger klagt.
22 1« Chronologie.
seinen beiden Verbannungen heimkehrt, in der PoUtik der herrschaft':
zurechnete, in der genauem erzählung der Poütie den Verbannungen,
an den zu gründe hegenden attischen archonten jähren ändert das nichts,
die neuen Zeugnisse bestätigen also nur, was wir schon wufsten, erstens, tod
des Peisistratos 528/7 unter dem archon, der erst jetzt namhaft gemaclit
wird, Philoneos, zweitens, beginn seiner herrschaft unter archon Korneas, der
mit der belanglosen orthographischen Variante als Komias auch gut bekannt
war, 561/60 (nicht 560/59).^^) und auf den ersten blick mufs jeder
leser der Politie, der die Jahreszahlen Solon 594 Peisistratos 561 im
köpfe hatte, den Schreibfehler 14, 1 berichtigt haben, wo das jähr des
Komeasdaszweiunddreifsigste nach Solon statt des vierunddreifsigsten hei)^t.
So weit ist alles einfach, aber es lehrt wenig neues, die einzel-
posten, die neues versprechen, sind durch böse Verderbnisse entstellt,
denn während die summe 33 für die herrschaft des Peisistratos fest-
steht, lesen wir jetzt als einzelposten : erste herrschaft 5 jähre (erei
ey.T(i} nach Komeas, unter Hegesias), erste Verbannung 11 jähre {Jerei
öwöeyiärco heimkehr)^''), zweite ganz kurze herrschaft 6 {ßzei /^idhora
kßdöfxd)' ov yccQ TtoXvv %qÖvov KaTEGxsv), zweite Verbannung 10 {erei
Ivösy.aTO) Schlacht bei Pallene), worauf die ruhige letzte herrschaft bis
Philoneos 528/7 folgt, die jeder leser für die längste unbedingt halten
mufs. das ist also vollkommener unsinn, Avolbemerkt, in sich ist es wider-
spruchsvoll, und ich werde mich auf keinen disput mit einer kritik ein-
lassen, die dem Aristoteles zutraut, eine sechsjährige herrschaft ausdrück-
hch als kurz zu bezeichnen, nachdem er eben eine fünijährige ohne
bemerkung hat passiren lassen.^^) und wenn jemand sagt, Aristoteles hätte
gedankenlos die zahlen aus verschiedenen rechnungen vermischt, wobei
ihm selbst nicht wol gewesen wäre, so dafs er die summe der jähre für
die Verbannungen nicht summirt hätte, so mag der kritiker sich bei seiner
kritik ja wol befinden, aber die gedankenlosigkeit ist nicht bei Aristoteles,
jeder der sich ein bischen überlegt, was er best, mufs zwei fehler be-
merken, den einen schon gerügten, in der zahl für die zweite herrschaft,
den andern in den elf jähren der ersten Verbannung, sintemal die summe
33) Diese hauptdaten gut festgestellt von Töpffer quaest. Pisisl, 139. die
Sache ist freilich jetzt viel einfacher geworden, weil schol. Wesp. 502 erledigt ist.
34) Köhler (Sitzber. Berl. 92, 340) hat durch ein mir rätselhaftes versehn be-
hauptet, Aristoteles rechne für dieses exil 6 jähre.
35) Mögen sich die kritiker doch einmal überlegen, was yÜQ bedeutet: exei
eßSofioj' ov yoLQ noXvv xqÖvov xardaxer. es bedeutet "wirklich so kurze zeit nur,
wie meine zahl angibt, über die sich jeder leser wundern mufs, denn . . .
Die jähre der tyrannis. 23
der beiden Verbannungen 14 sich aus 33 — 19 notwendig ergibt, also
nicht 11 -|- 10 sein kann, die zweite zahl aber ist durch Herodotos
gesichert, und eben dieser, dem Aristoteles hierin folgt, bezeugt auch die
kürze der zweiten herrschaft und begründet sie durch seine erzählung.^®)
es folgt ferner aus dieser rechnung, dafs diese zahl (stsl eßööfup) in
eine möglichst niedrige geändert werden mufs, am besten stsl rqi'vip,
da Aristoteles das nächste jähr wol eher mit no vgtsqov itel als exet
/tdAf (TT« ^€t;T€(><^ bezeichnet haben würde, und da 14 — 10= vier ist,
so mufs «Vet diodeyMrco für die zweite Verbannung in tis/htitw geändert
werden, so zwingt die rechnung; aber die palaeographische probabilität
ist auch nicht von fern vorhanden. 12 in 5, 7 in 3 sind nicht so zu-
fäUig verschrieben wie ö' in ovo. deshalb war uns unbehaglich zu sinn,
und wir Hefsen in der zweiten aufläge die falschen zahlen im texte, jetzt
bin ich sicher, weil ich bemerkt habe, dafs sie ein böser wille um einer
falschen rechnung willen so in die höhe geschraubt hat. denn 5 -j- H +
6 + 10= 32 ; alle posten aber sind in Ordinalzahlen, also je um eine stelle
höher gegeben, 33 ist als summe der herrschaftsjahre genannt, und ein
einzelposten für die letzte herrschaft nicht namhaft gemacht, es hat also
jemand die irrige ansieht gehabt, die summe 33 müfste aus den einzel-
posten resultiren und danach zwei zahlen erhöht; 32 gab er, um mit
den 17 jähren der söhne die gegebene summe 49 zu erreichen, das war
sehr kurzsichtig, denn er zerstörte die 14 jähre Verbannung: aber diese
stehn ja nicht im texte, und wenn ein mann wie Köhler, geblendet durch
eine eigene conjectur, unwissentlich aus einer elf eine sechs machen kann,
so dürfen wir es auch einem antiken coUegen zutrauen, aber beseitigt
mufs diese schlimme conjectur werden, und dann folgt durch notwendige
Schlüsse 561/60, Komeas, beginn der ersten tyrannis, 556/5, Hegesias,
erste Vertreibung, 553/2 zweite tyrannis, 551/50 zweite Vertreibung,
541/40 Schlacht bei Pallene. natürlich bleibt einige latitude für die
36) Herod. I 61. es stellt jedem frei, die geschichte für klatsch zu halten,
dann ist doch dieser klatsch dadurch entstanden, dafs man ein motiv suchte, wes-
halb Megakles den Peisistratos erst zurückführt und dann plötzlich wieder vertreibt,
also eine chronologische bedeutung hat auch der klatsch, aber die geschichte ist
durchaus glaublich; wenn Peisistratos erwachsene eheliche söhne hat und eine frau
aus Argos jüngst geheiratet, so pafst es ihm schlecht, jenen erbberechtigten einen
nebenbuhler zu zeugen, der den schütz seiner mütterlichen verwandten zum stürze
der brüder verwenden kann, also avyyivsrai rfj Meyaxh'os S'vyar^l o' xara vöfiov,
cf. Genesis 38, 8. man kann die details den liebhabern überlassen: die beleidigung
der frau und ihres geschlechtes ist durchaus glaublich, das benehmen des Peisistratos
und des Megakles auch, parallelen aus moderner geschichte fehlen durchaus nicht.
24 !• Chronologie.
drei letzten zahlen, denn in wie weit ein jähr sowol als endjahr in dem
einen wie als anfangsjahr in dem andern posten enthalten ist, kann man
nicht ausrechnen, da tritt aber schliefslich zum glücke noch ein helfer
in der not hervor: in der chronik des Eusebius steht (oder hat gestanden)
der anfang des Peisistratos richtig zu ol. 54, 4, der tod des Hipparchos
zu 65, 3: dazwischen steht Pisistratus apud Atheniemes tyrannidem
exercuit zu 59, 3 oder 4, also 542 oder 41 : das kann nur die schlacht
von Pallene meinen, und es stimmt so gut, wie man irgend verlangen kann,
die antike Chronographie und Aristoteles und Herodot sind durchaus in
einklang, und wir sind berechtigt diesen wichtigen daten vollen glauben
zu schenken, ich betrachte 541 als ein festes datum für die schlacht
von Pallene; dafs sie auch 542 gewesen sein kann, ist für jene zeit
eine unwesentliche difTerenz. die würden wir nur heben können, wenn
wir mehr archoutennamen besäfsen und fixiren könnten, in dieser
richtung gewinnen wir nichts neues, aber wol in einem punkte eine ent-
scheidung, was auch nicht zu verachten ist. 556/5 war Hegesias archon,
nicht Euthydemos, dem Boeckh dies jähr zugewiesen hatte, nach Euthy-
demos ist vielmehr das nächstfolgende benannt, 555/4, wie Dopp gewollt
hat. unter Euthydemos, 555/4 = ol. 56, 2, hat also die parische chronik
die thronbesteigung des Kroisos, Sosikrates (Diogen. I 68) das ephoren-
jahr des Chilon gesetzt.^^)
Nach Isagoras 508/7 ist der nächste feste punkt Phainippos 490/89,
der archon der Marathonschlacht (22, 3), wie wir aus der parischen chronik
wissen, der zweite träger des namens in der liste, an dem jähre 490
oder dem eponymos Phainippos für dieses jähr zu zweifeln kann keinem
leidlich gesunden verstände beikommen: die liste der archonten 496 — 88
ist durch Zeugnisse, die sich gegenseitig stützen, längst gesichert, dann
ist aber eine der zahlen bei Aristoteles falsch, welcher nur 15 jähre
zwischen 508 und 490 zu zählen scheint, da er den archon Hermokreon
ezei TcifiTtTCt) nach Isagoras, den Phainippos erst öoDde^iärcp nach Hermo-
kreon ansetzt, und wirklich ist das jähr 504/3, das so dem Hermokreon
gehören müfste, von Akestorides besetzt, mit dem olympiadenjahre 69, 1
von Dionysios (V 37) geglichen: Kenyon hat demnach die zahl 5 in 8
geändert, damit wenigstens die 12 bleiben kann; oydoo) für 7ckf.i7tT(i)
empfiehlt sich freilich nicht durch leichtigkeit. denkbar ist auch, dafs
Aristoteles das erste mal das ausgangsjahr nicht rechnete, Hermokreon
also 503/2 zu stehn käme, und nachher öo)de^6.rio leichter in id' ge-
37) Bei Eusebius von ol. 50, 2 auf 3 oder 4 verschoben.
Die jähre 508-478. 25
ändert würde, einen sichern platz hat Hermokreon also noch nicht; für
die ganze rechnung tut es aber nichts.
Nach der schlacht von Marathon verneinten die Athener zweimal
die Vorfrage, ob ostrakismos stattfinden sollte: das war unter Phainippos
und unter Aristeides (name in der parischen chronik und bei Plut, Ar. 5),
in der sechsten prytanie, anfang 489 und 488; im dritten jähre verfiel
Hipparchos dem ostrakismos: anfang 487 unter Anchises (name Dionys.
Hai. VIII, 1); im folgenden jähre, 486 gieng es dem Megakles so, unter
Telesinos: diesen namen lernen wir zu; drei jähre wurden tyrannenfreunde
verbannt: also aufser den beiden genannten noch ein dritter unbekannter
485, in dem jähre 486/5, dessen archon noch fehlt; im vierten jähre traf
der ostrakismos den Xanthippos: also 484, unter Philokrates (name in
der parischen chronik); im dritten jähre danach unter Nikomedes (oder
Mkodemos) flottengesetz des Themistokles: das ist 483/2, und hier haben
wir Sicherheit durch die Übereinstimmung des Dionysios (VIII 83), der
zur controUe das jähr der Stadt Rom beifügt, bis hierher ist also die
Überlieferung bei Aristoteles in Ordnung, aber gleich folgt ein fehler,
denn nach dem flottengesetze des Themistokles heifst es, dafs Aristeides
€v TovTOiQ Tolg '/.aiQolg durch ostrakismos verbannt, aber im vierten jähre
darauf wegen des Xerxesznges unter Hypsichides mit allen verbannten
zurückgerufen wäre, da der Xerxeszug nach Athen sommer 480, in
den ersten monaten des Kallias, kam, kann die rückberufung der ver-
bannten nur unter den archon von 481/80 fallen und zwar in seine
letzten monate. der bisher unbekannte archon dieses Jahres hiefs also
Hypsichides.^*) aber dann ist Aristeides nur genau 2 jähre verbannt ge-
wesen, da nur eine unzulässige kautschukinterpretation das was Aristoteles
nach dem flottengesetze von 483/2 berichtet und was verfassungsmäfsig
der zweiten Jahreshälfte angehört, in das jähr vor Nikomedes rücken
kann. Iv Tovrotg Toig xaiQotg bedeutet natürhch mehr als eine un-
gefähre zeitliche gleichheit: es ist auch ein innerer Zusammenhang zwischen
den zeitlich so ziemhch coincidenten ereignissen, der grofstat des The-
mistokles und der ausweisung des Aristeides. die falsche zahl ist also
38) 'TxpixiSijs, wie in der handschiift aus 'T^'r,-/ciSr,s verbessert ist, ist ein cor-
rectes patronymikon (genülicium) von 'Ty^ixos, und dies eins der in Boeotien und
Altathen so gewöhnlichen hypokoristika. der voilname war 'Ty^ixlr^s 'T-ipix^ärijs,
so etwas. 'Tyj7jxiSr,s ist falsch: was ist vrpriXa rixsiv'^ der Lakedämonier 'TxjnjxC-
Sas bei Plutarch Sol. 10 müfste' übrigens schon deswegen in 'Ti^ixiSas geändert
werden, weil es lakonisch 'Txpax^das oder 'TxpifaxiSas heifsen würde, gesetzt der
name käme von uxeiv.
26 !• Chronologie.
erst rexäQTio (22, 8), und hier darf man wieder mit Zuversicht ändern, da
Plutarch Arist. 8 für dieselbe sache %TEt tqLto) angibt, dafs nach Aristo-
teles die riickberufung der landes verwiesenen nicht unter Kalhas erst
fallt, ist lediglich ein zeichen der besten überheferung, die bei Herodotos
sagenhaft entstellt ist: bei ihm kommt Aristeides erst unmittelbar vor der
schlecht bei Salamis heim, ein solcher beschlufs, der ja auch das com-
plement der atimie für alle, die Osthch von dem hellenischen festland
blieben, d. h. zu den Persern giengen, einschlofs, ist undenkbar, wenn
die Athener selbst bereits ihr land verlassen wollten oder gar verlassen
hatten : aber er kann auch nicht eher gefafst sein, als Hellas direct be-
droht war; 480 fällt er also, aber notwendig unter einen anderen
archon als die schlacht bei Salamis. .
Die weiteren daten lehren uns nichts neues, weil die archontenhste
bekannt ist, und sie brauchen nicht besprochen zu werden, weil die
Überlieferung nicht gestört ist. nur auf eines sei hingewiesen. 25, 1
wird die Vorherrschaft des Areopags auf 17 jähre f^iera ta 31r]diKC( an-
gegeben, der Sturz des Areopags fällt unter Konon 462/1 ; der anfang
seiner Vorherrschaft also unter Timosthenes 478/7: das ist in der tat
das letzterwähnte jähr (23, 5). Aristoteles konnte also den ausdruck tcc
Mr]6iy.ä bis 478/7 erstrecken, und wenn unter Timosthenes die erste
Schätzung und das "^ewige bündnis' der lonier, also die gründung des
Reiches fällt, wie wir von ihm lernen, so ist das sehr wol verständlich,
aber diese neue erkenntnis bringt, wie mich dünkt, eine alte Streitfrage
zum austrag, dafs der jetzige abschlufs des herodoteischen Werkes nicht
vom Verfasser beabsichtigt ist, liegt auf der band oder sollte es doch
tun. mit der eroberung von Seslos möchte Herodot allenfalls schliefsen :
mit der geschichte von dem gepökelten heros Protesilaos und einer anek-
dote aus Kyros zeit konnte er es nicht, vor allem aber ist kein buch
fertig das kein ende hat, sondern abreifst: das des Herodotos aber hat
seine einleitung und Ordnung und will ein kunstwerk sein, andererseits
ist Eduard Meyer vollkommen im rechte, wenn er bestreitet, dafs Herodot
beabsichtigt hätte, bis zur Eurymedonschlacht oder irgend einem weit
unter den winter 479/8 herabführenden ereignis fortzufahren: das lehren
seine eigenen angaben, da scheint mir die gründung des Reiches, der
eidschwiir der lonier, der winter 478/7 ein passender schluls. da sind
die Mr]drA.a zu ende und ist die grofsmachtstellung Athens gegenüber
den Rarbaren begründet, in der Herodotos das ziel und den höhepunkt
der geschichtlichen entwickelung sah. aber auch Thukydides hat so ge-
urteilt, wie ich es von Herodot annehme, denn er erzählt I 89—97
Die jähre 508—478. ergebnis. 27
genau das was zur ergänzung des unfertigen herodoleischen Werkes nötig
war. er setzt nach der schlacht von Mykale ein und berichtet kurz das
letzte was Herodot ausfühdich erzählt, die belagerung von Sestos. darauf
erzählt er selbst ausführlich den Wiederaufbau der mauern Athens, winter
479/8 unter Xanthippos. es folgen die expeditionen des kriegsjahres 478
und der abfall der lonier von Sparta, der im frühjahr 477 perfect wird,
als sie dem nachfolger des Tansanias die heeresfolge weigern, und die
rä^ig cpÖQov, die also in der zweiten hälfte des Jahres des Timosthenes,
ersten hälfte des Jahres 477 vor sich gieng. damit ist das attische Reich
gegründet, genauer ol \^^rjvaloi rjl&ov knl xa Tcqäy^axa Iv olg
r]v^i]'9-rjGav. das ist ein abschlufs, und da hat auch Thukydides zu-
erst inne gehalten, die erzählung der ereignisse von 476 — 434 hat er
als excurs erst später eingefügt, mit rücksicht auf die erste attische
Chronik, die mittlerweile Hellanikos publicirt hatte, als er sein werk
entwarf, stand der jüngst publicirle torso des herodoteischen Werkes in
imponirender gröfse vor seiner phantasie: ihn hat er ergänzen wollen,
seine ganze archaeologie ist ja eine parallele zu dem herodoteischen werke,
auch sie geht, nur mit kurzer scharfgeschlossener argumentation, darauf
aus, die macht Athens in ihrem werden und ihrer bedeutung klar zu
machen : das ist die Voraussetzung der ereignisse, die er erzählen will, die
Voraussetzung seines erzählens ist das werk des Herodotos: so hat er
am besten dessen absieht begriffen.
Was haben wir nun für Aristoteles ermittelt? nicht viel, scheint Ergebnis,
es. er hat eine archontenliste gehabt, der er vor Solon nur bedingtes,
von Solon ab unbedingtes vertrauen schenkt, auf die archonten datirt
er so viele der hauptereignisse, dafs sich eine feste Chronologie der
zeit von 594 — 403 aufbaut, wie viele genau auf den archon gestellte
angaben diese vorläge enthielt, sieht man am deutlichsten, wo er eine
fabel durch den hinweis auf ihre chronologische Unmöglichkeit beseitigt:
"man sollte sich doch überlegen, wie alt Solon und Peisistratos geworden
und unter welchem archon sie gestorben wären" (17, 2). das sagt er
von Solon gar nicht erst, das soll der leser wissen, und diese angäbe
gilt ihm als eine unwidersprechhche tatsache. es sind nun aber mit
diesen datirungen recht häufig die an sie geknüpften ereignisse eng und
unlöslich verbunden, die erste chronologische reihe, von Solon bis
Damasias, besteht im gründe nur aus den erläuterungen der archonten-
liste, und ebenso wird niemand die knappen angaben über einzelne
ereignisse der jähre 507 — 480 von den daten loszureifsen gewillt sein,
mit andern Worten, Aristoteles hat nicht eine nackte archontenliste, son-
28 !• Chronologie.
(lern eine chronik benutzt, und er hat dieser chronik nicht nur als einer
Zeittafel volles vertrauen geschenkt, das ist also ein buch, das er für
die ganze geschieh te beständig vor äugen gehabt hat, das ihm das ge-
rüst seiner arbeit gehefert hat. erkannt zu haben, dafs er eine solche
chronik benutzt, und wie hoch er sie schätzt, ist allerdings nichts ge-
ringes, aber um zu lernen, wie viel er ihr verdankt, müssen wir zunächst
das absondern, was sich auf andere nachweisbare und zum teil erhaltene,
ja direct von Aristoteles citirte Schriften zurückführen läfst. erst nach
langen und mühsamen umwegen werden wir zu der chronik zurück-
kehren, so oft wir ihrer auch unterwegs ansichtig werden.
HEEODOTOS.
Wenn wir nach den quellen der Politie fragen, so geziemt es sich
von den gewährsmännern auszugehn die namenUich angeführt werden,
das war vermutlich Homer (B 547), um mit der formel örjf.wg ^Eqsyßijos
das alter der athenischen demokratie zu beweisen (fgm. 2). die verse
stammen bekanntlich erst aus der zeit des Peisistratos, aber Aristoteles,
der auch die berufung der Athener auf dieselben verse im streite um
Salamis anerkennt (Rhet. I 15), hat solche beweise nicht in zweifei ge-
zogen, ein anderes ist, ein solches zeugnis suchen; das wird man ihm
nicht leicht zutrauen, das haben vielmehr die Athener zu tun veranlassung
und neigung gehabt; er kann dieses citat füghch selbst schon ent-
lehnt haben.
Eine hauptquelle für ihn sind die gedichte Solons gewesen; was
er ihnen verdankt, wird das nächste capitel darlegen, es ist praktisch,
vorher den einzigen historiker zu betrachten, den er einer nament-
lichen erwähnung (14, 4) gewürdigt hat, den Herodotos. es liegt darin
schon eine bedeutsame anerkennung des grofsten historikers, der dem
Aristoteles der typus dieser litteraturgattung ist (poet. 9).
Sein name steht bei einer unwesentlichen einzelheit, der herkunft Geschichte
, des Peisi-
jener frau, die als Athena den Peisistratos heimführte, die ivioi, deren stratos.
angäbe Aristoteles dem Herodotos entgegenstellt, würden wir noch be-
stimmt benennen können, wenn nicht die stelle bei Athenaeus, wo der
name stand, unheilbar zerstört wäre (XHI 609).*) es war der name
1) Kleidemos nennt die Phye tochter eines Sokrates und macht sie zur frau
des Hipparchos: dann hat er sie nicht für eine arsfavoTteoXls ex KoXXvrov aus-
gegeben; hetaeren haben selten einen vater und heiraten keine prinzen. die an-
gaben über sie im schol. Ar. Ritt. 449, wo sie gar des Peisistratos frau wird, sind
wol verwirrt, aber auf grund der kleidemischen angäbe, dafs sie dem Hipparchos
zur frau gegeben ward.
30 2. Herodotos.
eines Atthidographen, denn Kleidemos ^) steht daneben, das Herodotcitat
beweist an sich, dafs er in dieser parlie weiter benutzt ist; die nennung
der 'dvLOi, dafs er nicht allein zu gründe liegt, dem entspricht der tat-
bestand: Aristoteles erzählt die äufsere geschichte des Peisistratos (13,
4 — 15, 3) in engem anschlusse an Herodotos, aber mit zahlreichen Zu-
sätzen, nur zum teil waren uns die geschichten anderswoher bekannt, aber
diese parallelen genügen, ihre herleitung aus der chronik wahrscheinlich zu
machen, so gleich die hübsche geschichte, wie Peisistratos sich zum ersten
male der herrschaft bemächtigt, und der alte Solon seine klugheit und
seinen mut vergeblich dagegen aufbietet: sie hängt in Wahrheit mit der
Schilderung von dem regimente des Peisistratos zusammen, das bei Aristo-
teles folgt, und müfste hier eigenthch besprochen werden, allein das
Würde uns gleich von Herodotos weit abführen: so habe ich es dem
capitel vorbehalten, das nach der Atthis heifst.
Ein wichtiges stück, die Unternehmungen des Peisistratos während
seiner zweiten Verbannung, ergänzt den bericht Herodots, dessen angäbe,
dafs Peisistratos aus der Strymongegend geld bezog (I 64), erst jetzt ver-
ständhch wird, wo wir von seinen dortigen erwerbungen erfahren, da
Eretria der ausgangspunkt des Peisistratos war, konnte jeder folgern,
dafs ihn die dortigen machthaber unterstützten: aber dafs es, wie in
Chalkis, ritter waren, ist zwar nach der analogie und einer angäbe des
Aristoteles (Politik J 3) sehr glaubhch, nur aus Herodot war es nicht zu
entnehmen, diese trefflichen angaben machen durchaus den eindruck
schliefslich aus derselben tradition geschöpft zu sein, die auch dem Herodotos
vorlag, und es wäre dem Aristoteles ja auch nicht möglich gewesen, beide
in einander zu arbeiten, wenn sie nicht im wesentlichen gestimmt, im
einzelnen einander ergänzt hätten, einen Widerspruch in einer lappahe,
wie es die herkunft der Phye ist, notirt er; sonst gibt er einfach nur das,
was ihm das wahre zu sein scheint, dabei ist es ihm einmal begegnet, dafs
er ein und dasselbe ereignis, weil es von seinen gewährsmännern in
verschiedener beleuchtung vorgeführt war, verdoppelt hat.
2) Den namen des Kleidemos hier und IX 4JL0* mit Antikleides zu ver-
tauschen möchte ich nicht raten, dafs die Atthis unter dem titel n^coroyersia
(XIV 660 ^ dieselbe steile bezeichnet die nächste seite 660 "^ mit ^Axd^iSos a) und
Nöaxoi, angeführt wird, ist, wie ich schon früher ausgeführt habe, gar nicht an-
stöfsig. denn Kleidemos wird selbst seinem buche gar keinen bestimmten titel
gegeben haben, das 'attische buch' und ^Urgeschichte' und 'geschichte seit Troias
fair sind bezeichnungen so gut wie die für seines Zeitgenossen werke 'EXXrivixä,
KxQov TtaiSsla, Kvqov l4väßaaie, die letzten beiden ebenso Übertragungen vom
ersten teile auf das ganze.
Die drei parteien. 31
Der bericht über die drei parteien, die in Athen vor Peisistratos Die drei
bestanden, stimmt bei Aristoteles und Herodotos ziemlich genau (13, 4, ''^'^'*'^"'
Herod. I 59). aber Aristoteles hat nicht nur, wie natüriich, das ungenaue
^7r£(>ax^fotHerodots in das richtige ölÜ/.qlol verbessert, sondern er charak-
terisirt auch diese partei als die demokratische, der sich die ehemaligen
schuldsclaven anschlössen, und neben diesen leute von zweifelhafter ächt-
biirtigkeit. zum beweise führt er an, dafs nach der Vertreibung der tyrannen
eineprüfung der bürgerhsten stattgefunden habe, um diese eindringlinge zu
beseitigen, da Kleisthenesbei der neuen phylenordnung gerade die entgegen-
gesetzte tendenz verfolgt hat, und niemand anders als Aristoteles selbst be-
richtet, dafs er sogar viele metoken und freigelassene zu bürgern gemacht
habe^), so kann dieser nicht der urheber jener reactionären mafsregel «ein,
sondern sie mufs in die jähre 509 oder 508 fallen und von der partei des
Isagoras ausgehn. wirklich berichtet Herodol (und ihm nachschreibend
Aristoteles), dafs Isagoras 700 familien vertrieb, aber er nennt es ayrjXa-
telv, gleich als ob sie alle an der blutschuld der Alkmeoniden teilgenommen
hätten, während an der früheren stelle Aristoteles den technischen ausdruck
diaiprj(piaf.i6g anwendet, den wir von den entsprechenden Vorgängen
kennen, welche die gesetze des Perikles von 451/50, des Aristophon bald
nach 403, und des Demophilos 346/5 im gefolge hatten ; es wird ohne zweifei
öfter zu solchen mafsregeln gekommen sein.") nun ist es ganz der weise
3) Politik 7^2. in der Politie hat die erwähnung nicht gefehlt: denn dafs die
andeutung eines ausfalles, den die Überlieferung selbst in der zerrissenen periode
21, 1 gibt, nicht durch das hier wie an ähnlichen stellen von andern beliebte kümmer-
liche mittel beseitigt werden darf, die unliebsame partikel zu tilgen, folgt vor allem
aus dem stii. Kleisthenes wird S^ftov 7iooaräTi]s, heifst es 20, 3, und was ihn
dazu legitimirt, wird angeführt; dann wird derselbe gedanke aufgenommen, zov TtXrj-
&OVS nQosarTjxcos 22, 1 und an der stelle, wo die epoche machenden neuerungen ge-
nannt werden, das genaue datum eingefügt: da fordern wir einen allgemeinen seine
Wirksamkeit zusammenfassenden ausdruck, dessen ausführung mit notörov fisv oiv,
k'neira u. s. w. folgt, und dem 23, 1 Stj/iorixcore^a ayivexo rj nohrsia entspricht,
ferner, wenn folgt 'awtvsifie Ttdvzas eis Säxa cpvlas avrl rcöv reTra^cov. wer
sind die TtävTssf doch wol mehr als vorher in den <pvXai waren, das also war
erwähnt, eben das was die Politik auch bezeugt, aufserdem wird der suffectus fehlen,
da Isagoras ja vertrieben war, vgl. oben s, 6.
4) Man ist gewöhnt, zwischen dem anfange des vierten Jahrhunderts und 345
keine Siarpr^tpiais anzunehmen, und allerdings ist keine überliefert, aber die als
demosthenisch überlieferte amüsante rede wider Eubulides setzt eine solche voraus,
und es ist nur mit den gewaltsamsten Verrenkungen jeder Chronologie möglich, die
rede, in der 'alle historischen beziehungen sich auf den peloponnesischen und korin-
thischen krieg beschränken' (Schaefer IIP' 265) 345 anzusetzen, wer sie ohne rück-
32 2. Herodotos.
des Herodotos und der der Atthis entsprechend, dafs der erste als einen
persünlichen gewaltact mit religiöser färbung hinstellt, was in dieser als
eine correcte verwaltungsmafsregel erscheint, uns macht es darum keine
beschwerde beides zu identificiren, und wir verstehn die revolulion von
510 — 7 damit ein gut teil besser: aber Aristoteles hat sich offenbar die
Sache gar nicht klar gemacht.
Die ge- Damit sind wir schon in das zweite stück hineingekommen, das
schichte des • -i r» • • • i
Kieisthenes. Aristotclcs BUS Herodot genommen hat, die Vertreibung der Peisistratiden
und die revolulion des Kieisthenes (19, 2 — 20). obwol der anschlufs
an Herodot V 62 — 65. 69—70 ein enger und oft worthcher ist, so dafs
sich die texte gegenseitig verbessern*), ist das Verhältnis doch dasselbe
wie vorher: es finden sich einige wichtige und auch durch die form der
einlage bedeutsame zusätze.
F'ür Herodot ist die übernähme des delphischen tempelbaues lediglich
ein act der munificenz und der frömmigkeit, die wir an den Alkmeoniden,
sieht auf den verfassernamen liest, wird an die zeit um 360 spätestens denken, aber
der Ursprung der rede kann auch nicht für sehr gut bezeugt gelten, als sie den
demoslhenischen werken einverleibt wurde, waren die verschiedenen röfioi, in
welche der nachlafs des Demosthenes wie der des Isokrates noch jetzt gegliedert ist,
schon fest; sie ist ein nachtrag, so gut wie die rede ApoUodors wider Neaira und
die auch unter Deinarchos werke eingereihte wider Theokrines. wer sich um die
Überlieferung und die Stellung dieser reden in den handschriften kümmert, kann das
nicht verkennen, nun war es ja möglich, dafs eine ächte rede des Demosthenes
bisher übersehen war, und es kann sein, dafs die damals irgendwo entdeckte hand-
schrift wie den namen des Sprechers Euxitheos (der wie andere für uns durch
Libanius erhalten ist), so den des Verfassers trug, aber die verfassernamen der
gerichtsreden haben ein geringes gewicht, und dafs die rede hübsch ist, reicht nicht
aus, sie dem Demosthenes zuzuschreiben, ich verzichte auf ein stilistisches urteil,
da das meine hier nur auf subjectivem eindruck beruht, die mangelhafte bezeugung
würde ich auch nicht für ausreichend halten: aber die Chronologie scheint mir jetzt
wie früher durchschlagend, ich habe die rede stets als pseudodemosthenisch citirt,
obwol ich mir die gründe von Schaefers Verwerfung durchaus nicht aneignen kann.
5) Bei Aristoteles zeigt es unsere ausgäbe: namentlich die lücke 20,2, die wir
erst in der zweiten aufläge erkannt nnd gefüllt haben, hat für andere ähnliche
stellen bedeutung. es ist nicht erfreulich, dafs diese durch subjectwechsel und ein
jetzt sinnloses Satzglied {fiex^ oXiytov) offenkundige und sicher ergänzte lücke noch,
gleich als ob alles gut und heil wäre, conservirt wird, ja sogar mit überlegner
miene für die arbeilsmethode des Aristoteles verwertet wird, bei Herodot wird der
name 'Ayxifioloi hergestellt, den ich auf grund von schol. Lysistr. 1153 gefordert
hatte (bei Stein schol. Ar, Lysistr. p. 43), und aufserdem die richtige form IlsXa^-
yixo) mit demselben scholion und einem verachteten codex Urbinus 68: R fehlt für
das fünfte buch, ein neuer beleg dafür, dafs es noch keine genügende recensio des
Herodotos gibt.
Die geschichte des Kleisthenes. 33
von denen seine tradition stammt, bewundern sollen. Aristoteles erzählt
kurz, dafs sie den bau übernahmen, o^€v evrroQi^aav ;f(»;|tmTwv.®) das
ist so kurz, dafs man sich's erst überlegen mufs, wieso die übernähme
einer leistung geld bringen kann, dann erschliefst man freilich, dafs
sie nach abschlufs des cnntractes einen teil des bedungenen preises als
baufonds erhielten und dies geld zu der anwerbung des freicorps wider
die Peisistratiden verwandten, vollkommene aulklärung gibt ein auszug
aus der attischen chronik, schol. Pind. Pyth. 7, 9 Isysrai yag ort rbv
üvO-iKov v£(ov l(.iTtQriod-evTa , log rivEC (dies fügt D zu) (paolv, vrto
röjv UeioiOTQaTidcöv oi ^XY.i.iuLovidc(i cpvyadevS-ivrsg vn^ avTwv
VTteGxovTO avorAGÖo/urjOeiv (so D für -jurjoai B), xal de^äf.ievoL XQt]-
(.lara ymI ovvayayövTeg dvvai^iiv kitid-svTO rolg TleiGiOigaridaig y.at
vfKTqoavreg fusra xaQiorr^QUov (so D für eiy^ag. B) /rksiövcov aviO'Aodö-
f.iiqoav T(o ^ecjj ro zf/^ievog, ojg 0iX6xoQog lOroQSl. das ist, so weit es
hierher gehört, die unmittelbar einleuchtende Wahrheit, die allerdings
dreiste fabel, dafs die hosen Peisistratiden den tempel angesteckt hätten, der
548/7 verbrannte"), während Peisislratos nicht einmal herr Athens war*), hat
Boeckh durch eine conjectur beseitigen wollen, die schon deshalb falsch
ist, weil damit das wg rti'fig q)aai unverständlich wird, mit dem Philochoros
seinen zweifei andeutet, wir sind nicht berechtigt, weder der verläumdung
6) Wir haben dahinter eine iücke angesetzt, weil tiqus t»}*- rcöv Aay.ojvojv
ßor,d'eiav sich überhaupt nicht construiren läist. vielleicht ist es aber richtiger,
diese worte zu beseitigen, als zusatz eines lesers, der sich überlegte, wozu das geld
dienen sollte, ylaxoivES neben ^aysSaifiövioi, das in derselben zeiie folgt, misfällt.
die bestechung der Pythia konnte Aristoteles weglassen, in der tat bedarf es dieser
annähme nicht: Delphi und Kleisthenes machten ein ganz solides geschäft durch
ihre combinirte action, und es ist beiden gut bekommen.
7) Paus. X 5, 13 Euseb. ehren, ungefähr in der gegend von ol. 58, 1, Herod.
II 180; wenn dieser hervorhebt, dafs der brand airofidrcos geschah, so ist das nur
die officielle delphische version; latente polemik gegen die beschuldigung der Pei-
sistratiden liegt seiner art zu erzählen ganz fern.
8) Darum, ob der Synchronismus stimmte, hat sich eine solche geschichte so
wenig gekümmert wie Herodot I 56, als er den Kroisos sich überlegen liefs, ob er
nicht bei den Athenern, dem hervorragendsten ionischen Staate, hilfe suchen sollte,
was er dann wegen des druckes der tyrannis, die auf Athen lastete, unterlassen
habe, das ist ein schriftstellerisches motiv, nur zu dem brauchbar was es bewirkt,
der motivirung eines excurses; es hat genau so viel wert wie die Übergänge in
Ovids Metamorphosen, dafs Athen damals nicht unter den tyrannen stand, dafs die
tyrannen es nicht herunter, sondern heraufgebracht haben, dafs es um 550 eine Stadt
dritten ranges unter den ionischen war, kümmerte alles mit recht den Herodotos
nicht, aber die modernen, die auf diesen Synchronismus die Peisistraüdenchrono-
logie bauen, brauchen uns nicht zu kümmern.
V. WilamowUz, Aristoteles. 3
34 I. 2. Herodotos.
der gegner im sechsten, noch der tyrannenfurcht im fünften Jahrhundert
schranken zu setzen, wann immer die geschichte in die chronik gekommen
ist, für deren demokratischen ton sie Zeugnis ablegt, auch über die quelle
des Aristoteles schwindet so jeder zweifei. das minder kundige publicum
in Athen hatte die Verpflichtung zum tempelbau vergessen, aber dafs die
Alkmeoniden mit delphischem gelde ihren befreiungszug gemacht hatten,
wufste Isokrates in der Antidosis 232.')
Verlaufen waren die dinge also folgendermafsen. 548/47 brannte
der delphische tempel ab; die Amphiktionen sammelten für den neubau
geld bis in die fernste hellenische diaspora. auf dieses capital hatten es
die Alkmeoniden abgesehn , nachdem ihnen der putsch von Leipsydrion
misglUckt war, trotz dem scheinbaren zeugnis des Herodot wahrscheinlich
vor der ermordung des Hipparchos.'") natürlich bekamen sie den Zu-
schlag als bauunternehmer nur, weil sie bessere bedingungen stellten:
wir dürfen das in dem ersatze des gewöhnlichen bruchsteines durch
parischen marmor erblicken, wenn Herodot das auch lediglich als eine
9) Ihn schreibt Demosthenes Mid. 143 ff. ab; Im übrigen hängt er von den
reden ab, die für und wider den jungen Alkibiades gehalten oder doch geschrieben
waren, hier am stärksten offenbart er seine Unkenntnis in der vaterländischen ge-
schichte und seine gleichgiltigkeit gegen die geschichtliche Wahrheit.
10) Herodot, dem Aristoteles einfach nacherzählt, setzt die belagerung von
Leipsydrion freilich zwischen 514 und 510, aber nach seiner erzählung würde da
eigentlich auch der tempelbau zu stehn kommen, es ist zu befürchten, dafs er
hier wie so oft die einzeln überlieferten ereignisse in einen falschen zeitlichen
Zusammenhang gerückt hat. denn die drei jähre 513 — 11 sind sehr knapp für die
fülle der ereignisse. die winterlichen kämpfe um Leipsydrion könnten allerfrühestens
513/12 fallen, der stürz der tyrannis ist 510, in der zweiten hälfte des Jahres des
Harpaktides, 20 Ihukydideische jähre vor 490, anzusetzen; der verfehlte zug des
Anchimolos also 511 : denn ein doppeltes (pQovQav faivEiv in demselben jähre darf man
den Spartiaten wahrlich nicht zutraun. dann mufs Kleisthenes 512 sich nach Delphi
zurückgezogen, die priester gewonnen, den Zuschlag erhalten haben, und die Pythia
niufs die spartanischen orakelbesucher in demselben jähre noch so oft an die Ver-
treibung der tyrannen gemahnt haben, dafs die widerwillige regierung in Sparta
mürbe ward, das ist die eine Schwierigkeit, die andere liegt darin, dafs die Alk-
meoniden bei Leipsydrion unterlegen sind, weil sie gar keinen volksaufstand er-
regen konnten, das pafst nicht mehr, wenn die schwere zeit der tyrannis nach
Hipparchos tode begonnen hatte, das skolion feiert die Alkmeoniden als ävS^es
ayad'oi y.ai einaT^iöai: von der Schwenkung des hochadlichen zum 7CQoaxärr,s xov
8^/uov ist noch keine rede; eben deshalb war jener zug misglückt. gedichtet kann
das lied nicht sein, als die hier beklagte partei siegreich und vollends als demo-
kratische siegreich geworden war. es liegt hoffnungslosigkeit darin: die hero-
doltische Zeitrechnung läfst für eine solche pause der Verzweiflung gar keinen räum.
Die geschichte des Kleisthenes. 35
liberalität der Alkmeoniden bezeichnet, natürlich war die lange zeit
von 548 bis 512 nicht ganz untätig gewesen, da ein bauplan bestand,
mufs auch ein architekt da gewesen sein, der ihn gemacht hatte; wir
kennen ihn aus Pausanias (X 5) als Spintharos aus Korinth. und von
dem bau des Trophonios und Aganiedes war erstens der ganze ungeheure
unterbau da mit der polygonalmauer, die im homerischen ApoUonhymnus
erwähnt wird (295), und an die um 504 die Athenerhalle angelehnt
ward.") auch ist natürlich ein provisorisches gotteshaus immer da ge-
wesen, wie die Alkmeoniden den tempel eigentlich gebaut haben, welche
künstler sie zuzogen, entzieht sich unserer kenntnis. den schmuck der
beiden giebelfelder erwähnt am ende des Jahrhunderts Euripides im Ion '^);
Pausanias beschreibt ihn unklar und nennt zwei Athener als verfertiger,
von denen der eine nach dem tode des ersten eingetreten wäre.'^) die
11) Über deren datirung vgl. die beilage der erste krieg mit Aigina.'
12) 184 beschreibt der einziehende chor zunächst, was er auf dem wege ge-
sehen hat, peristyle tempel (sixioves avXai ^scöv), Säulenhallen wie z. b. die attische;
wir wissen ja von der attischen bürg und Olympia her, wie viele es deren an
solchem orte gab; (sie heifsen hier 'schmuck des weges' ayvidnSee d'eoaTislai, in
der Andromache 1099 neQioTvXoi S^öfioi), und die giebel mit ihrem schmuck der
sculpturen und der goldenen schilde und der bunten bemalung {SiSificav n^oaiö-
noiv xaXXißXäcpaQov <pcös): beide giebel hat der chor gesehn, weil der weg bekanntlich
wie in Athen an der langseite des tempels vorbeiführt, von dem, was dann die
halbchöre einander zeigen, mufs etwas auf der attischen bühne dargestellt gewesen
sein; dafs in Delphi eben diese gegenstände wirklich vorhanden waren, möchte ich
nicht versichern, die scenische anordnung des dramas ist bisher nicht verstanden,
konnte es auch erst, seit Dörpfeld gelehrt hat, wie die bühne aussah, nun löst
sich's überraschend leicht ohne halsbrechende archaeologenexegese, athetesen oder
gar Verrallsche processionen. zwischen den halbsäulen des proskenions befinden
sich nur schranken, d-Qiyxoi (156. 1321) xiyxXiSes: so stellt sich die äufsere Säulen-
reihe des tempels in der front dar. man sieht in den peristyl des tempels. die
in das hintere bühnengebäude führende tür entspricht also dem eingange in den
proneos. in den tempel gehn Ion Xuthos Pythia. der peristyl, den man also
sieht, heifst d-v/iisXai (46. 228), ihn will der chor betreten, um die dort stehenden
anatheme zu betrachten (von denen einzelne dargestellt waren), der ganze räum,
den man übersieht (die orchestra) gehört zu den yvaXa (76. 220), die mit dem peri-
bolos identificirt werden dürfen, also viel weiter als man sieht reichen, in ihnen,
aber aufserhalb dessen was man sieht, liegt der altar für die blutigen opfer, der
in Delphi wirklich nicht gerade vor der front lag. sichtbar ist hier aber auch ein
altar, im centrum der orchestra oder noch ferner vom tempel; von dem aber nimmt
niemand notiz, als bis der dichter ihn braucht, 1257. mit jtQO vaov 420 und nod
So/iav 226 ist lediglich ein ort irgendwo aufseihalb dessen, was die Zuschauer sehn,
bezeichnet.
13) X 19 4. die beschreibung beider giebelfelder durch .Artemis Leto Äpollon
3*
36 I. 2. Herodotos.
hcurteiluiif: wird dadurch schwierig, dals die hei Paiisanias vorliegende
überhelening ganz vergessen hat, dafs der tempel vor 370 so stark durch
hrand beschädigt worden war, dafs man wieder für einen neubau sani-
meUe und die renovirung erst nach dem heihgen kriege zum ahsclihifs
kani.'^) wie dem auch sei: die Alkmeoniden haben ihren vertrag rasch und
zur bewunderung der weh erfüllt, natürlich mit den mittein, die ihnen
der politische erfolg in die band spielte, und nicht ohne beteihgung der
Athener, der mit Delphi eng verbundene Pindaros preist Stadt und ge-
Musen, Svais Tf HXiov und Dionysos und Thyiaden ist, wie man auch abteile,
unklar und unverständig, die künsUer U^a^ias fia&rixris Kalä/.u8os, ^AvBQoad'svr,?
(lad'TjxrjS EvxdBfiov (3) geben auch manchen bedenken räum, dann heilsen die von
Athen geweihten schilde ano lov eqyov lov Maqa&aivos : wäre das wahr, so hätten
wir einen erwünschten terminus ante quem für die Vollendung des tempels. leider
ist es falsch, wie die weihinschrift bei Aischines 3, 116 lehrt.
14) Dies ist eine entdeckung Köhlers, Herrn 26, 45 und schon Mitleil. I, 17,
gewonnen durch die combination von CIA II 51 mit Aischines. dessen antike er-
klärer wufsten von dem neubau so wenig wie Pausanias und fabeln von der
Vollendung des tempels durch Nero, ein anhält für ihre zeit, für die Aischines-
recensio, die doch endlich einmal jemand, der über das stemmataflechten hinaus
blicken kann, auf grund der ältesten Überlieferung anfassen sollte, ist Köhlers nach-
weis äulserst wichtig, dafs e^uQiaaad'ai, 3, 116 das ächte ist. denn dies steht jetzt
nur in dem jungen aber guten k, und von zweiter band in dem wegen seiner
scholien in den Vordergrund zu rückenden Vat. 64 (vom jähre 1270). aber Vat.
und Laur. 57, 45 geben ein scholion, das trotz dem falschen lemma i^aqaaaa&ai
die richtige lesart voraussetzt, wie namentlich die schlufsworte Ti^iv rä sx^vfiara
d'vaai beweisen, dieselben handschriften geben im text und scholion s^eiQyäad'ai
auch: also ist diese doppellesart älter als die redaction der scholien und der zu-
gehörige text. in el, die sonst meist mit k gehn und auch erst aus dem 15. Jahr-
hundert sind, steht die antike conjectur i^uQaaaad'ai, die Harpokration bezeugt und
schlecht erklärt (aus ihm in B, codex Bernardi , übergegangen): ihre existenz in
renaissancehandschriften wird aus Harpokration oder seinen lexicalischen ausschreibern
(Suidas z. b.) stammen; im lemma der scholien ist es wo! nur Schreibfehler, es ist
also gar kein vorzug von k, das richtige zu haben; er gibt die Überlieferung halb, so gut
wie die, welche nur d^scQyäa&m haben, überliefert sind zwei lesarten neben einander,
und die Schätzung der Codices ist völlig aufser stände, zu sagen, welche mehr gewähr
hat: aber dafs nicht das seltene i^aqsaaad'ai, sondern das durch xaivos vecös nahe-
gelegte iieiQyaa&ai antike conjectur wäre, hätte man sich sagen müssen, und ^|a-
qäaaad'ai ist so ungriechisch im wortgebrauch, seine erkiärung so sehr wider die
griechische religion, dafs es nicht hübsch ist, wenn erst Inschriften kommen
müssen, die Sache zu entscheiden, die kritik, die hier auf handschriftenfamilien
schwört, ist durch die Wiener blätter aus Arsinoe bereits ad absurdum geführt: sie
beharrt auf dem überwundenen Standpunkte, unter ignorirung der textgeschichte mit
den erhaltenen handschriften als Individuen zu kramen , wobei denn glücklich die
jüngsten von beiden streitenden parteien bevorzugt sind.
Die geschichte des Kleisthenes. die altischen skolien, 37
schlecht deshalb im siebenten pythischen gedichte 486, das das damahge
haupt der Alkmeoniden feiert, den neffen des Kleisthenes, Megakles,
Hippokrates söhn aus Alopeke, der wenige monate vor seinem pythischen
wagensiege dem ostrakismos verfallen war.'^)
Ein zweiter zusatz zu dem herodoteischen berichte über die Ver-
treibung der tyrannen ist von Aristoteles mit derselben stilistischen ab-
sieht und Wirkung gemacht; er läfst sich aber zur zeit nicht mehr mit
gleicher Sicherheit auf eine bestimmte quelle zurückführen, wie es dank
dem Philochoroscitat für den vorigen möglich war. nach Herodot wird
Sparta zur Intervention in Athen lediglich durch religiöse motive be-
stimmt. Aristoteles fügt ein: "die Verbindung der Peisistratiden mit
Argos war ein gleich starkes motiv"' (19, 4). er hat über diese Verbindung,
die Peisistratos durch eine heirat schon in seiner ersten Verbannung ge-
schlossen hatte, und die ihm vor der schlacht von Pallene ein starkes
hilfscorps zugeführt hatte, schon vorher des breiteren gehandelt (17, 4),
kann also diese Verweisung hier eingefügt haben, aber doch nur, wenn
er dies motiv selbst erst erschlofs; und das ist nicht wahrscheinhch, da
die Argiver in den jähren 510 — 7 nicht auftreten, wir können die
nachricht nur nach allgemein politischen erwägungen abschätzen, welche
durchaus für ihre richtigkeit sprechen, stammen wird sie aber natürhch
eben daher, wo Aristoteles die angaben über die frau des Peisistratos
aus Argos gefunden hat.
Aufserdem fügt er zwei attische skolien ein, über Leipsydrion und 5^^^i^cheu
über Kedon, beide durch die form als zusätze kenntlich (19, 3. 20, 5). äkoiieu.
auch wir lesen noch beide gedichte in der attischen skohensammlung,
die Athenaeus XV aufgenommen hat; aber da sie dort die wol kennt-
liche anordnung sprengen, so liegt die annähme am nächsten, dafs
sie in die vorläge des Athenaeus aus Aristoteles erst eingefügt sind.*")
der text des einen stimmt, abgerechnet einen fehler, den erst die ab-
schreiber des Athenaeus begangen haben.") in dem gedichte auf Lei-
psydrion ist am Schlüsse eine Variante, die zugeslandenermafsen eine Ver-
schlechterung ist und wol als interpolation gelten darf.**) dafs Aristo-
15) Vgl. die beilage 'Pindars siebentes pythisches gediclit.'
16) Da das nicht ganz kurz abzulun war, steht der nachweis in der beilage
'die attische skoliensammlung.'
17) ei Sr^ xQh für ei XQV- ™3" \\äi^^ Porson die richtige Verbesserung niclit
glauben wollen.
18) xiQr^aav für eaav. ich kann nicht behaupten, dafs die Umgestaltung des
letzten metrischen gliedes undenkbar wäre, aber eine interpolation ist auch möglich:
38 I- 2. Herodotos.
leles aul die erzeugnisse des volkswitzes wie auf alle /.siipava nakaiäg
aowiag mit richligem Verständnisse geachtet hat, ist bekannt, die holVait
der Nicolais von dazumal, der Isokrateer, hat ihn wegen seiner neigung
für die spriichvvOrler verspottet; seine Politien zeigen noch in dem kümmer-
lichen auszuge des Herakieides viele proben von ähnlichen verschen und
Sprüchen, seine schüIer sind ihm auch hierin gefolgt; Theophrast
führt versificirle Wetterregeln an, Duris und Klearchos sammeln sprüch-
worter, und das meiste was uns von volkshedern erhalten ist, scheint
den peripatetikern verdankt zu werden.*^) so werden wir es ihm hoch
anrechnen, dafs er das schöne liedchen von Leipsydrion aufgezeichnet hat,
das durch Herodot unmittelbar verständlich wird, woher er aber gewufst
oder geschlossen hat, dafs Kedon ein attentat wider die Peisistratiden
gemacht hatte und dafs er ein Alkmeonide war, ist nicht ersichtlich.^")
Im ausdrucke hat sich Aristoteles ganz eng an Herodotos angeschlossen,
selbstverständhch ohne seine schriftstellerische eigentümlichkeit zu opfern,
kürzend, einen deutlichem ausdruck wählend^'), aber nicht den eigen-
tümlich treuherzigen ton des alten loniers verwischend, gerade darauf
beruht die Wirkung seiner eigenen zusätze: er hat offenbar auf leute
gerechnet, die den Herodotos gut kannten und in ö^sv evTtoQrjOav
yqrif.iätiov den schalk merkten.
Et, M. gibt, obwol seine notiz sicher auf Aristoteles zurückgeht, e'aaiv für e'aav,
was dasselbe mafs ergibt wie nv^rjoav. es war bereits früher fesigestellt, dafs unsere
Überlieferung bei den lexicographen auf Aristoteles beruhte, die affiliation derselben
ist folgende. Suidas und Et. M. sind auf das Photiusglossar zurückzuführen (im Galeanus
fehlt die entsprechende partie), da Eustathius zutritt, ist die zurückführung auf den
atticisten Pausanias ziemlich sicher, nun treten noch Hesychglossen dazu; also werden
Pausanias und Diogenian von schollen zu Aristophanes Lysistrate abhängen, und
erst der scholiast (den Symmachos ausschrieb) die Politie selbst gelesen haben.
19) Allerdings findet sich analoges auch bei Ephoros, und der atlhidograph
Demon erklärt Sprichwörter in einer weise, die ihn als geistesverwandten der Ghamai-
leon und Klearchos erscheinen läfst, was wir peripatelisch zu nennen gewohnt
sind, erscheint eben viel mehr als der geist einer zeit denn als der geist einer schule.
20) Da Kedon einen trunk eingeschenkt bekommt, ist er bei dem Symposion
leibhaft gegenwärtig, als das gedieht gemacht wird, nachher mag es mancher zum
gedächtnis des braven gesungen haben, ein 'stilles glas' zu ehren der etwa bei dem
attentat umgekommenen ist wider den antiken glauben, es macht nicht den ein-
druck, als wäre Kedon ein vornehmer mann, gleichberechtigt den zechgenossen ; ein
dient, der sich durch eigene tüchtigkeit zutritt erfochten hat, mochte so behandelt
werden.
21) JiäxQiot für vne^dxQiOi ist schon erwähnt; 19, 3 ytei^vSQiov to insQ
nä.Qvri9oi für A. vnsQ naioviTjs Her. 5, 62. starke ionismen wie iniarm Her.
5, 72 werden natürlich durch die gemeinverständlichen synonyme ersetzt.
3.
SOLON.
Wie alle seine Zeitgenossen war der Stifter der athenischen demo-
kratie der sage anheimgefallen, oder der novelle, wie man das nennen
will, der weiseste der Sieben lebte eben so wie Thaies Bias Pittakos in
schönen geschichtcn fort, die zum teil auch seine politische Wirksamkeit
zur Voraussetzung hatten, zum teil auch exemplificatorische geschichten
waren, herausgesponnen aus seinen gedichten*) und Sprüchen, in der
heimat selbst war er aufserdem der begründer der demokratie geworden,
unter der man die jeweilig bestehende verstand, und von dieser übertrug
sich auf ihn liebe und hafs. zu Aristoteles zeit wetteiferten die redner
aller parteien, den vofioS-6rr]g zu preisen, der immer weise und immer
volksfreundlich ein jedes geselz gegeben hatte, dessen moderner Ursprung
nicht allzu offenkundig war. trotzdem die elegieen Solons in der schule
gelesen wurden, hatte das publicum keine Vorstellung von dem was er wirk-
lich gewesen war.
Dem gegenüber lag es vielleicht nicht sehr fern, war aber doch
nicht nur verständig, sondern ein zeichen des sichersten historischen
taktes, wenn Aristoteles die gedichte hernahm und in ihnen ein kriterium
für die Überlieferung und namentlich für die beurteilung des menschen
und des Staatsmannes Solon fand, er hat dies bild in den hauptzügen so
festgestellt, wie wir es kennen; dies aus dem gründe, dafs unsere be-
1) So ist yriQÜanw 8' aiei nolla SiSaaxofievos erst zu einem apophtliegma
gemacht; Solon auf dem totenbette erhebt das iiaupt, zu hören was die um-
stehenden sagen 'ut, cum istud guidquid est de quo disputalis percepei'o, moriar ,
Valer. Max. Vlll 7 ext. 14: der vers wird im eingange selbst übersetzt, hübscher
und so, dafs die entlehnung nicht zu deutlich ist, macht sich das, wenn er ein lied
der Sappho hört und lernen will: tV« /uad'cov avro dno&ävco Aelian. fgm. 187. das
dritte Stadium, nicht blofs das zu glauben, sondern riechen zu können, welches ge-
dieht Sapphos das Mar, gehört der modernen philologie an.
40 I- 3. Solon.
richterstatler, Plutarch Diodor Diogenes, auf peripatetische quellen zurück-
gelin , keinesweges ausschreiber der Politie, aber schüler der arisloteli-
sclien melbode, die reichlicher, als in seiner kurzen skizze geschehen war,
das ächte niaterial aus dem schachte gruben, den er gewiesen hatte;
nur wenig kennen wir dagegen die novellistisch oder tendenziös entstellte
tradilion, die z, b. Ephoros gegeben haben mag.
^^1°"* Aus den gedichten hat Aristoteles eigner angäbe nach das Urogramm
gediente. " an r o
' entnommen, auf grund dessen Solon zum \ersohner^ und zum archon
gewählt ward (cap. 5).'^) ein anderes gedieht lieferte ihm, wie schon
dem Herodotos, die motive für Solons abreise (11); und die verzweifelte
Stimmung, die ihn beherrschte, als er sehen mulste, dafs sein versöhnungs-
werk gescheitert war, belegen die reichlichen ausziige aus einer anzahl
von gedichten, die um dieselbe zeit verfafst sein müssen (12). ich mufs
eingestehn , dafs diese lange reihe von cilaten mich abgehalten hatte,
das Berliner bruchstück für unmiltelbar aristotelisch zu halten, der
fehlschlufs kam daher, dafs die absieht des Aristoteles damals noch nicht
kenntUch war. er zieht die gedichte nicht aus um eine erzähliing zu
ersetzen, sondern sie sind ihm beweisstücke, zunächst für den adel von
Solons gesinnung, dann aber auch, obwol das der leser sich selbst sagen
soll, dafür, dafs Solons werk in der herstellung einer dauerhaften ver-
lassung nicht bestanden hat; im gegenleil, kaum eine pause in den
parteikämpfen hat er herbeigeführt und ist selbst eben durch die un-
eigennützigkeit seiner amtsführuug zu einem politisch toten manne ge-
worden, die heilung der wirtschaftlichen misstände und die herstellung
von frieden und Ordnung ist erst das werk des Peisistratos. das wird
durch die unmittelbar auf jene gedichtstellen folgenden chroniknotizen
über die anarchie und Damasias ganz deuthch; den bericht über weitere
revolutionen und kriege ersetzt eine allgemeine Schilderung der Verwirrung
und parteiung, von der sich dann die tyrannis des Peisistratos glänzend
abhebt; diesem gegenüber gesteht Solon seine persönhche ohnmacht aus-
drücklich ein (13). schriftstellerisch ist das ganz vortrefflich aufgebaut.
Das aus den gedichten gewonnene bild von Solons macht und noch
mehr von seinem Charakter wird ferner benutzt, um zwischen den ver-
schiedenen berichten über die ausnutzung der seisachthie durch eigen-
nützige freunde Solons zu entscheiden (6, 2 — 4), eine geschichte, deren
Difpositiüii wert nur in dem lichte besteht, das sie auf seinen Charakter fallen läfst.
bcriclfies. Anfang und schlufs des abschnittes über Solon geht somit auf die
2) Vgl. die beilage 'Solons gedichte.'
Disposition des beliebtes, die münzreform. 41
gedichte zurück ; was dazwischen steht, ist so disponirt, dafs gleich ein-
gesetzt wird mit seiner ersten und wichtigsten tat, der seisachthie (6, 1),
der wirtschaftHcheii reform, auf die die ganze Vorgeschichte Athens voraus
wies, dann folgt der act seiner für die zukunft feierhch bekräftigten
gesetzgebung, die also im prinzipe trotz allen revolutionen weiter giltig
ist (7, 1. 2). dann sollen wir diese solonische Verfassung kennen lernen,
erfahren aber nur die auf grund der vier steuerclassen abgestuften
bürgerlichen rechte (7, 3. 4), den wahlmodus der beamten, über die
einiges weitere, auch rückgreifend, beigebracht wird (8), endlich als die
wichtigsten demokratischen neuerungen die seisachthie, die wir docli
schon kannten, und zwei volks- und grundrechte, das Ti^uoQelv e^elvai
TM ßovkoi.i£v(i) vTceg rov adi'Kovf.iivov und die tcpsoig eig ör/.aOTriQLOv
(9), von denen wir erst hier etwas hören, und aus denen wir die einsetzung
der Volksgerichte selbst erst erschlieJsen. es ist also das referat mit
dem beurteilenden raison nement vermischt, endlich kommt die änderung
von münze mafs und gewicht nach, auch lediglich als volksfreundliche
mafsregel gewürdigt (10). das ist nicht sehr viel, und loben kann man die
anordnung schwerlich, da sich der stofl" unter die disposition nicht fügt, so
dafs die ältere darstellung in der Politik, so kurz sie ist, manches schärfer
erkennen läfst. so schreibt ein gewiegter stihst nicht, wenn er frei seinen
eignen weg geht, es erklärt sich vielmehr daraus, dafs er mehrere vermut-
lich ziemlich ausführliche, in den grundzügen auf derselben primärfassung
beruhende erzählungen vor sich hat, die mehr in dem urteil als in den
Sachen abweichen, und daneben andere nicht sowol erzählende als räson-
nirende behandlungen der solonischen gesetzgebung, auf die er schon
in der Politik hingewiesen hat. es läfst sich zur evidenz bringen, dafs
Aristoteles hier auch nicht das mindeste von tatsächlichem materiale aus
eigner forschung gegeben hat; eigen ist ihm nur auswahl und urteil,
und in beiden verdient er keineswegs nur lob. gewifs ist er kein aus-
schreiber, aber er schreibt hier andere aus.
Beginnen wir mit cap. 10, der reform von mafs münze und gewicht. ^'^^ j^iäm-
dafs es nachklappt und für die disposition nicht nur sehr gut fehlen
könnte, sondern besser fehlen würde, mufs ein aufmerksamer leser sofort
sehen, der versuch der athetese wird gewifs noch gemacht werden,
ebenso wie man in zukunft, wie schon jetzt mehrfach, versuchen wird
mit list oder gewalt die Wahrheit hinein zu bringen, denn was hier
steht, ist allerdings sehr verkehrt, die Wahrheit ist bekanntüch, dafs
Solon die aiginetische Währung Athens mit der chalkidischen vertauscht
hat, und dafs sich die chalkidische drachme zur aiginetischen wie 73 : 100
42 I- 3. Solon.
verhall, also 100 neue drachmen soviel wie 73 alte wiegen. Solons
zweck war ein handelspolitischer; aber dafs Athen von dem dorischen
zu dem ionischen System übcrgieng, hatte allerdings auch seine grofse
politische bedeutung.
Aristoteles redet von einer av^rjoig von mals, gewicht und münze,
und erläutert das dahin, dafs das mafs gröfser ward als das vorher ge-
hrauchte des Pheidon, dafs die bisher nur 70 drachmen wiegende mine
jetzt volle 100 betrug, dafs die gewichte der münze entsprechend in
allen einzelnen stücken ausgebracht wurden, und zwar so, dafs 63 minen
auf das talent giengen. das besagen die worte für den der sie mit
Sprachkunde und Unbefangenheit best, es fügt sich auch alles ganz gut
zu einander, aber leider, leider ist alles nicht blofs falsch, sondern zeigt
eine kaum glaubliche unbekanntschaft mit der sache. was die Währung
anlangt, hat der Verfasser kindlich genug die drachme als einen absoluten
wert betrachtet, so dafs die mine gröfser ward, wenn mehr drachmen
auf sie giengen, und, wenn er überhaupt nachgedacht hat, so mufs er
wirklich der vorsolonischen zeit eine teilung der mine in siebzigstel oder
so ungefähr zugetraut haben, gewifs mochte man ihn von dem irrtum frei
machen, aber schon das fatale wort av^rjaig, das ihn getäuscht hat,
verbietet das. er hat es offenbar für volksfreundlich gehalten, dafs man
nun für "^drei eilen' mehr zeug, für *^drei scheffel' mehr körn bekam und
mit "^drei minen' beinahe vier alte hatte, wir lesen bei Plutarch^), der
doch auch kein finanzmann war und den sachen beträchtlich ferner
stand, einen auch nicht klaren, aber immerhin verständlichen und seit
Boeckh verstandenen auszug aus Androtions chronik. auch nach Androtion
ist die mafsregel volksfreundlich, und auch er redet von der (.leTqojv
S7tav^r]0ig Kai tov vofiiof.iaTog ti/.i^. die letztere erklärt er richtig
dahin, dafs Solon die mine von 100 drachmen jetzt 73 alten drachmen
gleichwiegend machte, und wer eine auf minen, selbstverständlich alte
minen, lautende schuld in neuen bezahlte, hatte dadurch freilich einen
grofsen gewinn, denselben, den jetzt die bimetallisten für sich fordern,
die eine auf gold (das sie bekommen haben) lautende schuld in minder-
wertigem silber bezahlen (oder vielmehr verzinsen) mochten, der gewiegte
finanzmann Androtion (dessen anklage durch Demosthenes nur den
3) Sol. 15, 4 zrjv afia rovrco yevofievrjv rdJv re fiirQcov enav^rjacv y.al xov vo-
ftia/zazos rifiijv' exarov yoQ inoCriae S^axficöv n)v fivnv nQoreQOv eßSo/ui'xovra xal
xQiöJv ovaai'. folgt die erläuterung, welche das richtige verdeutlicht, dafs 73 alte
drachmen = lOö neue waren, also die werte aller nominale gleichmäfsig ver-
ringert.
Die münzrefomi. 43
advocaten belastet) verstand die saclie: aber er hat die seisachthie aller-
dings misverstanden, die nach Aristoteles und allen andern zeugen, vor-
nehmlich aber nach ihren folgen, nur eine revolutionäre Schuldentilgung
gewesen sein kann, aber auch Androlion redet von einer €7tav^r]aig
(lexQwv, ganz ebenso wie es Aristoteles tut; von den ata&fid sagt es
nur dieser, aber die hat Plutarch überhaupt übergangen, nach Aristoteles
besteht die Vermehrung des gewichtes darin, dafs das talent 63 minen
wiegen soll, es ist schlechthin unfafsbar, wie man dafür 60 minen durch
conjectur setzen will: dann ist ja gar nichts geändert, geschweige ver-
mehrt, sagt vielmehr Aristoteles nur in dem falle etwas, wenn er an-
nahm, dafs vor Solon das talent weniger als 60 minen hatte, diese torheit
brauchen wir ihm nicht aufzubürden, obwol es schwerlich besser ist,
was man nicht wegdeuten kann , dafs die solonische reform des mafses
in einer vergrofserung gegenüber dem des Pheidon gelegen hätte, von
dem Aristoteles in den Verfassungen von Argos und Sikyon gehandelt
hatte.") nach allem was bisher bekannt war und nach der analogie von
längenmafs hohlmafs und gewicht sind vielmehr diese alle im Pelo-
ponnes gröfser als die solonischen gewesen , und Aristoteles verdient
hier wahrlich nicht den glauben, den Hultsch sogar ihm beimifst, dafs
wir nun ein nirgend vorhandenes oder bezeugtes mafs dem Pheidon zu-
schreiben müfsten. hat doch die genau entsprechende, nur der vergleichung
mit Pheidon entbehrende angäbe des Androtion keinen glauben gefunden,
wol aber haben wir den volksbeschlufs (das gesetz) über mafs und ge-
wicht CIA II 476, und in dem wird sowol für gewisse fruchte ein
grofseres hohlmafs wie auch für den handel ein Zuschlag zum gewicht, eine
QO/irj, vorgeschrieben, dieser Zuschlag konnte also sehr wol als etwas
volksfreundliches gellen : der Athener bekam wirklich mehr als eine metze
feigen oder ein pfund salz, es ist Ireilich peinhch, dafs das handels-
gewicht sehr viel mehr das münzgewichl übertrifft als das Verhältnis
63 : 60 ergibt, und man wird nicht leicht daran glauben, dafs etwa eine
weitere erhöhung nach Aristoteles eingetreten wäre, da Boeckh vielmehr
erkannt hat, dafs das handelsgewicht das alte aiginetische blieb, anderer-
seits ist die autorilät des Aristoteles hier so schwach und die der über-
heferlen Zahlzeichen in der handschrift so gering*), dafs man sich besser
hütet, auf solcher grundlage hypothesen aufzubauen, an der identification
4) Pollux IX 77. das eine mal liatte er oßoXös von den bratspiefsen, das andere
mal von ofiXXetv und ocpeiXeiv abgeleitet.
5) Die lesung selber ist zwar schwierig, aber sie ergibt nichts anderes, als
schon im wesentlichen Kenyon gelesen halte.
44 I- 3. Solon.
der solonischen av^i]aig mit dem Zuschlag zu mals und gewicht in
jenem gesetze wird man deshalb nicht irre zu werden brauchen.^) das
bedingt dann freilich die annähme, dal's Aristoteles nicht verstanden hat,
was Androtion meinte, dem er folgte, ja dafs er die Pheidonischen mafse,
von denen er in andern Politien berichtete, in ihrem wahren Verhältnis
zu den attischen nicht gekannt hat, sich auch von diesen Sachen schlechter-
dings keine Vorstellung zu machen versucht hat. das ist schhmm; aber
die unzweideutige stelle über die münze zwingt zu diesem Zugeständnis,
und wir werden uns damit abfinden, dafs derselbe Aristoteles, den wir
uns fast als epigraphiker dachten, dem Epicharm die erfindung von GX,
dem Simonides die von HBWSl zugeschrieben hat (fgm. 301 Rose
vgl. 638). er hat weder die gesetze Solons auf den -/.vQßeig noch den
vertrag zwischen Lykurgos und Iphitos auf dem diskos selbst gelesen.
Selbstverständlich ist es für die beurteilung des Aristoteles bezeich-
nend, dafs er hier dem Androtion folgt, ohne ihn zu verstehn. das
kann jeder ausschreiber gerade so. aber von politik und geschichte ver-
stand er etwas; darum erzählt er dem Androtion nicht nach, dafs die
niederschlagung aller schulden nur eine conversion gewesen wäre,
würdigt vielmehr diese hypothese des finanzmanns keiner Widerlegung,
das kann ein ausschreiber nicht, und es ist nicht minder bezeichnend.
üer aci der Das capitel über die münzreform ist ein nachtrag; für die herkunft
gesetz- ^ ~ '
gebung. des hauptberichtes beweist es nichts, sehen wir also diesen an. die
erste und wichtigste tat Solons, die aufhebung der Schuldknechtschaft
und die Schuldentilgung wird nur als factum berichtet, dafs wufste
Aristoteles ohne ein buch aufzuschlagen, aber stilistisch ist die ganze
frühere darstellung darauf angelegt, öavei'Ceo^ai knl jolg a(v/^iaoiv,
6) Seitdem dies geschiieben war, tiat Nissen in der zweiten aufläge seiner
metrologie die sactie betiandelt; er hat seine liypothesen auf einen text gebaut, den
er doch wirklich nicht für versländliches griechisch ausgeben kann, dann ist die
sehr fördernde besprechung von C. F. Lehmann im Hermes 1892 erschienen, der über
die münzreform ebenso urteilt wie ich, mit vollem rechte betont dals zwischen den
pheidonischen mafsen und der aiginetischen münzprägung ein unterschied ist, und
als neue tatsache würdigt, dafs das pheidonische mafs in Athen galt, wenn sie
nur richtig ist; dafs Aristoteles 'altes mafs' und 'pheidonisches mafs' ungeprüft
gleichsetzen konnte, ist ein verdacht, dem ich mich nicht verschlielsen kann, in
betreff der gewichte greift Lehmann zu dem gewaltmittel, so oder so zu con-
jiciren, ohne dafs für irgend eine conjectur philologisch eine Wahrscheinlichkeit erreicht
würde, das heifst, wir verstehen diesen salz eigentlich noch nicht; das mufs ich
ja selbst sagen, die erklärung, die Sandys nach Ridgeway gibt, geht von dem
misverständnisse aus, dafs der letzte salz von münzen statt von gewichten handele.
Der act der gesetzgebung. 45
öovXsveiv ist das Stichwort: dieser hericht hängt mit der übrigen dar-
stellung zusammen, es folgt die schon erwähnte epikrisis widerstreitender
berichte über einen nebenumstand, die bereicherung der falschen freunde
Solons. dann geht die erzählung weiter zu dem acte der gesetzgebung,
7, 1. hier weist schon die fülle der specifisch athenischen sachen und
werte auf attische officielle darstellung, die ytvQßeig. ihre aufstellung in
der GToa ßaaUsiog''), die schwurformel der archonten, ihre Vereidigung
7) Dafs die gesetze da standen, war sowol durch die sclion früher bekannte
Aristotelesstelie wie durch das psephisma des Teisamenos bekannt, sie standen
auf xv^ßsis, auf 'steingefügen', wie Kirchhof!' die xvQßeis der bürg nennt, auf denen
die sechzichstel der tribute geschrieben sind, nach oben abgestumpfte pyramiden,
nicht dreieckig, sondern viereckig, übrigens hat schon Eratosthenes die solonischen
xv^ßsis nicht mehr gesehn, andere ebenso fundamentale gesetze des Staates standen
auf den wänden der königshalle selbst; was davon solonisch war oder nicht, wer
hätte das unterschieden oder auch nur beachtet? für die publication auf stein ist auch
später noch ein besonderer beschlufs jedesmal nötig, und auch der ort der auf-
stellung wird besonders befohlen, vor der königshalle hat man natürlich diejenigen
gesetze aufgestellt, auf die man dort die beamten vereidigte, also de facto die grund-
gesetze des Staates; so ist man auch später verfahren, natürlich lernte sie da auch
der bürger am besten kennen, dem so lange zeit diese einzige halle zum spazieren
gehn und warten zu geböte stand, von einer aufstellung bei Athena auf der bürg
kann keine rede sein, sowol nach der späteren praxis, wie deshalb, weil die ganze
tradition nichts als eine falsche folgerung des Didymos aus einer rhetorischen phrase
des Anaxinienes ist (Harp. 6 xärcod'ev vöfios). gesetzt, Solon hätte sie auf der bürg
aufgestellt, so würden die Perser sie zerschlagen haben, Anaximenes nichts von ihnen
gewufst haben, aber wir hätten die bruchstücke gefunden, einer besonderen polemik
gegen Wachsmuth Athen I 535. II 348 fg. fühle ich mich überhoben, wichtig aber
ist, dafs auf die solonischen xvgßeis sehr wenig ankommt, denn diese auswahl von
gesetzen ist nicht das original, das sind die hölzernen ä^oves im prytaneion, die Polemon
noch gesehen hat, und von denen Plutarch noch bruchstücke sah. ä^oves sind
aaviSes Xsleixcofiivai , beiderseitig beschrieben, je vier in einen drehbaren balken
eingefalzt, so dafs man nun in dieser sehr unbehülflichen SsXros blätternd lesen
kann, wenn man im fünften Jahrhundert einen solchen a^cov in stein nachgebildet
hat (CIA IV p. 125), so war das ein sehr unpraktischer archaismus; auf den Inhalt des
so publicirten gesetzes, oder was es war, gestattet das keine folgerung. die holz-
publication, axonelv reo ßovXo^iivio, entspricht auch der späteren praxis für solche
aufzeichnungen. nach den numerirten axones und gesetzen citirt das fünfte Jahr-
hundert (CIAI 61) und unsere besten zeugen, Plutarch und Harpokration. sie also
lieferten den authentischen text. endlich das wort xvQßis zu erklären, so hängt es
selbstverständlich mit xvqßaaia, dem hahnenkamme, und den xvoßavTEi xogrßavrss
zusammen, weiter zu demselben stamme xoQvfr; xoQvnroi y.oQvxxco y.ögar; (die
schlafe, Kooasia ortsname) xsgas cormi u. s. w. das gibt verschiedene Weiterbil-
dungen, aber über die grundbedeutung des Stammes kann man nicht zweifeln.
xvQßiS ist also dem wortsinne nach axgcarrjoiov, aber nicht im Verhältnis zur arriXr,
46 I. 3. Solon.
"an dem steine", der hier gar nicht näher bezeichnet wird, ein od-fr
tTi xai vvv ovriog 6f.ivvovGi gesteht in Wahrheit zu, dal's der noch
gegenwärtig gehende gehrauch den solonischen erst hat erschHelsen
lassen.*) aber den schlul's hat nicht erst der hier so kurz redende schrift-
steiler gezogen, und es wird deutlich, dafs er wirkUch eine ausführ-
lichere vorläge kürzt, wenn man sieht, dal's in dem darstellenden teile
die ceremonien und locale viel genauer geschildert werden.^) finden
so genannt, sondern es ist schliefslich gleich arrj^r;, im Verhältnisse zu dem fels-
boden, über den sich ein hoher beschriebener stein erhebt, man nennt ja auch eine
einzelne felskuppe dx^coTi^oiov, und manche trägt eine archaische Inschrift. Apol-
lodoros hat schon ganz richtig etymologisirt und erklärt, die Korybanten tragen den
namen, wie ihre vettern die Kureten, von der hartracht; sind diese die geschornen,
so tragen jene den hohen wulst, eine tcvqßis xvQßaaia, den man auch y.sQas nannte;
Aristoteles selbst hat xsQa äy^ctös A 385 so verstanden.
8) Also sind wir nicht verbunden die feierliche Vereidigung der archonten und
die formet ihres eides für solonisch zu halten, sie galt nur noch, war also von Solon
auch vorgeschrieben, stand sogar vielleicht in seinen gesetzen. aber hier war einmal
ein fall, wo der Stifter der attischen demokratie für etwas verantwortlich gemacht
war, was nicht jünger sondern älter war. denn der schwur, des amtes so zu walten
wie unter Akaslos, ist vorgeschrieben, als man von Akastos noch etwas wufste. die
bufse besteht nicht in geld, sondern in der weihung einer 'männerstatue' {av^giäi:
das femininum dazu ist yiöqr] CIA IV p. 179. so müssen wir die 'Apollonstatuen'
und die 'tauten' von der bürg nennen: das bedeuten sie, nichts anderes) au den
delphischen gott. auch das ist deutlich vorsolonisch. er würde gesagt haben, evd^v-
via&ca fivQiaai S^ax/uf^ai. aber es gab noch kein geld, als dieser schwur eingeführt
ward, mit dem der adel seine executivbeamlen band, die unumschränkt wie die
magistrate Roms neben dem rate des Areshügels standen. Solon stellte neben sie
die gel ich te, über sie av&vva in verschiedner weise, vor allem durch den rat: er
hatte keine veranlassung sie durch blofs moralische mittel zu bändigen, vielmehr
schuf er materielle bände für ihre begehrlichkeit, weil die moralischen nicht genügt
hatten.
9) 55, 5. erst hier erfahren wir die doppelte Vereidigung, auf dem markt und
auf der bürg (hier haben auch die Strategen geschworen, Deinarch. 3, 2, vielleicht
auch andere), dann wird der stein beschrieben als der "unter dem sich die schwur-
opfer befinden." damit ist ein bestimmter ort bezeichnet; Aristoteles hat die bei
PoUux erhaltene genauere angäbe "neben der königshalle" fortgelassen, dann sind
das also nicht die schwuropfer für den jedesmal zu leistenden eid, sonst könnte
man sie ja unter jeden stein legen, auch könnte das nicht zä ro^t' iaziv heifsen.
was vielmehr ihie dauernde anwesenheit fordert, dauernd können keine fleischstücke
auf einem stein liegen, folglich ist die lesart icp' a> die richtige (Aristoteles würde
auch nimmermehr i<p^ qi ra r6ju,i' iariv e<p^ ov xai neben einander gestellt haben),
die TÖfita sind also ganz bestimmte, die einmal zur ewigen bekräftigung auf dem
markte unter einem steine vergraben sind, der ihr mal ist. das ist geschehen, als der
eid zum ersten male geschworen ward, als die beamten sich dei gemeinde gegenüber
Der act der gesetzgebung. 47
wir also parallelerzählungen , die an einzelnen ziigen reicher sind, so
haben wir ein recht, auch wenn spuren der benutzung des Aristoteles
bei diesen Schriftstellern vorhanden sind, nicht sowol erweiterungen seiner
darstellung als genauere auszüge derselben vorläge anzuerkennen, das
gilt von Plutarch'") und Pollux.") endlich ist das wort xatacpaTi^io
so verpflichteten, wie es seitdem immer geschehn ist. die ceremonie entspricht der
alten religion. auf dem Kolonos war ein felsloch {xolXoe xquitiq), in dem Theseus
und Perithus ihre niaia ^wO'rifiaxa, d. h. eben die ro/nia ihres Verbrüderungseides,
verborgen hatten (Soph. 0. K. 1596); später war es ein tiqöjov (Paus. I 30, 4).
auch das o^xco/uöaiov in der Stadt wird zuerst nichts anderes gewesen sein (Plut.
Thes. 26. Paus. I 18, 4), noch das a^rjri^^iov in Gargettos (Kydathen 136, Kirchner
Attica et Pelopon. 5). man denke auch der ayiXaaros nejqa in Eleusis , wo
Demeter safs, des Steines der bürg, wo Silenos safs (Paus. I 23, 5). anderer, profaner
art ist der stein, von dem die öffentlichen ausrufer zu dem volke auf dem markte
reden, der xr^Qvnos Xi&os; er kommt nur in der Solonlegende vor (Plut. S. 8), um
des avTos xTjQv^ fiX&ov willen, jener heilige stein der eidopfer ward, wie wir von
Aristoteles noch hören, von den diaeteten für die Verkündigung ihres urleiles, und
von den zeugen für ihre erklärung, nichts zu wissen, die e^wfioaia, benutzt, dies
letztere auch nur in den Verhandlungen vor dem Schiedsmann, wie die nunmehr
verständliche einzige stelle erkennen läfst, die des Steins bei der Vereidigung eines
zeugen, zugleich die einzige, die ihn bei einem Schiedsspruch erwähnt, Demosth.
54, 26. an ihr hat die ächte lesart Xid'os nur Harpokration erhalten; die hand-
schriften haben die schlimme Interpolation ßwfiös. nur auf diese kann sich die ver-
kehrte ansieht stützen, dafs der lid-os ein altar gewesen wäre, gar der des Zsvs
ayoqaZos. eben so verwerflich ist die heranziehung des Iiippiter lapis. dafs für
die Schiedsgerichte eine besonders altertümliche religiöse weihe vorgesehn ist, obwol
sie als staalsinslitut jung sind, darf nicht befremden, als private Institution sind
sie uralt, und eben da suchte man nach besonderer heiligung. bekanntlich kommt
es auch vor, dafs die parteien einen vergleich vor der Athena auf der bürg be-
schwören. — seitdem dies geschrieben war, ist von Blass mit Wahrscheinlichkeit
3, 3 als schwur des archons gelesen cos ini l4xdarov[Ta og]icia [noirj\aeiv: nun ist
die Sache klar, die xo^ta sind dort beim stürze des königtums vergraben; so alt ist
die ceremonie und der schwur und der stein, als man die absetzung des königtums
vor Medon rückte, mufste natürlich mit ihm das archontenamt beginnen: dies ist
von dem gelehrten richtig widerlegt, der die schwurformel hervorzog.
10) Sol. 25. aufser einer erörterung über a^oves und xvQßsis, die er aus der
Schrift des Didymos über die ä^oves hier einfügt, gibt er mehr die Vereidigung der
ßovXr,, rois HoXaivoe vö/iovs ifiTisSwaeiv. das fehlt bei Aristoteles mit fug und
recht, da er wufste, dafs der eid des rates, dessen formet bei Plutarch durchklingt,
erst 501 formulirt war. aber vereidigt auf die Verfassung ist der rat doch wol, seit
er bestand, dann soll jeder thesmothet (wie er falsch für archon sagt) geschworen
haben iv dyoQÜ tcqIs tw Xi&io xarafaTit,a}v, tX ri TtaQaßaiij ic5v d'eafKLv avSqi-
ävta xQ^f^oiv iaofisTQTjTOv ä.va&i'^asiv iv JeXcpoTs. bei Aiistoleles nqds rcp Xi&co
xarefäxi^ov üvSqiävra ;^()i;ffot'»', iäv Ttva ■naQaßäai, xüiv vofiwv. gerade was
Plutarch anders als Aristoteles hat, wird durch Plalon Phaidr. 235'' gewährleistet,
48 !• 3. Solon.
ein kräftiger beweis, dafs er nicht mit eignem sprachgut wirtschaftet,
sondern ein archaisches wort ionischer herkunft herüber nimmt'*), das
wol einer aUattischen aufzeichnung, auch dem Hellanikos etwa, schon
nicht dem Kleidemos oder Androlion wol anstehn mochte: Aristoteles
trug es, gewifs mit dem vollen bewufstsein, auch stilistisch die archaische
ceremonie richtig zu malen, aus fremder rede in die seine hinein, ganz
wie er mit Herodotos verfährt.
verfasMinc ^'^ Schilderung der Verfassung beginnt mit den vier classen"), nach
der nur scherzhaft nvS^täs durch sixcüv ersetzt, dafs Plutarch selbst aus Piaton
die änderung genommen hätte, ist schon wegen dvS^iäs unglaublich. iaofierQT]ros
heifst bei Piaton 'von denselben mafsen wie das original', die bestimmte person,
deren eUa/v geweiht wird, in dem eide war eine solche für den avSgids nicht
vorhanden, da war es im allgemeinen der dv^^, bedeutet also 'in lebensgröfse'. dafs
der perverse einfall Bergks hat beifall finden können, ist kaum glaublich: er nimmt
iaofi£XQr]toe\m sinne von 'gleich schwer' in gold wie die zur bestechung verwandte
summe in silberl nur wer weder Piaton noch Plutarch, sondern ein selbstverfertigtes
X zu gründe legt kann so interpretiren. die weiter von Bergk misbrauchten stellen
des Deinarchos 1, 60, 2, 17 gehn auf den regelmäfsigen, freilich nicht solonischen,
rechenschaftsprocefs und sind durch Aristoteles 54, 2 jetzt völlig erklärt.
11) 8, 86. er hat die Ortsangabe TtQos ry ßaaiXeCto aroä mehr als Aristoteles 55.
sie würde sich nicht einmal durch combinalion mit 7 sicher ergeben.
12) Der Thesaurus lehrt, dafs (pa'iit,(o im jüngeren epos, einmal bei Herodotos
(5, 58, im sinne von oroftd^siv), bei Sophokles und dem jüngeren Euripides (Iph.
Aul. 135 in den anapaesten des prologs, und 936 in einer erweiterung der Achil-
leusrede, 935—47, die ich für mich schon längst ausgesondert hatte) allein belegt
ist; denn ein s. g. Pythagoreer des Stobaeus beweist nichts, es ist also ganz sicher-
lieh ionisch, die beobachtung ist für die Atthis und ihre benutzer eben so wertvoll
wie für die tragiker.
13) Die stelle ist in der handschrift verderbt, denn riui']/inTn (Blass liest
jetzt rtfu^ftari, aber das ist mir sehr zweifelhaft und würde gar nichts helfen: reo
Tiurjtari wäre mindestens nötig) SieiXsv eis rdrraQa reXrj ist so unsinnig, wie "er
teilte die einschätzungen in vier classen". dafs die bürgerschaft das object ist,
fordert die logik und ist durch die cilate der grammatiker gesichert, die wir bei-
geschrieben haben; daher auch die persönlich gefafsten classennamen. das ist ein
fehler, ein anderer steckt am anfange des nächsten satzes, wo wir mit unrecht
Kenyons spuren folgend rns /uev ovv uqx^s dnivetfte gesetzt haben; ovv ist falsrii
und hat nicht da gestanden, sondern wie Blass erkannt hat, und ich jetzt auch sicher
lese , ras fie . . . . ae aQxds mit einem von oben anschliefsenden buchstaben vor
dem a. fisv ist gefordert, aber das asyndeton unmöglich, und doch keine passende
Partikel zu ersinnen; auch kein adjectiv ist bisher gefunden, da das passende x^/;-
Qtorös (die allein aufgeführt werden) keinen platz hat. ich habe wol gedacht an
SiBTa^s rrjv jioXneiav rövSe {rof) rQvnov' (xar« Ta) ri(ir,ftara SieXcov eis <^'
re'Xr] rne fiiv .... nQxds ansveifie; aber die ergänzung von noXireia ist nicht be-
quem, und unten fehlt doch noch ein wort. — dafs aber nicht eine grofse lücke da
Die Verfassung. 49
denen sich die politischen rechte abstufen, das passive Wahlrecht für
die zu erlosenden beamten kommt den drei oberen zu, den theten nur
die teilnähme an der Volksversammlung und an den gerichten. darin
liegt ihr actives Wahlrecht für die wahlbeamten, das in der Volksversamm-
lung geübt wird, und die controlle der beamten, die von einem gerichte
geprüft, in jeder prytanie vom volke neubestätigt und nach ablauf des
arates, falls eine beschwerde erhoben ist, vor gerichl gestellt werden.'")
diese wichtigen sätze führt Aristoteles nicht aus, weil sie nach dem
geltenden allbekannten rechte implicite in der teilnähme der theten an
jenen beiden körperschaften einbegriffen sind, in bestem zusammen-
hange mit der behaudlung der vier classen wird dann die art behandelt,
wie die beamten erlost werden, nämlich auf grund einer von den phylen
durch wähl festgesteUten candidatenlisle.
Das ist so weit ganz schon und gut, aber was soll die breite aus-
führung hier, da wir doch oben gehört haben, und Aristoteles auch hier
zugesteht, dafs die classen schon zu Drakons Zeiten bestanden? auch die an-
wendung des loses ist drakontisch, und man wundert sich etwas, dafs Aristo-
teles hier erst nachträgt, wie die beamten in der ältesten zeit bestellt worden
sind'^), während er dies oben nicht angemerkt hat, hier dagegen der
drakontischen Ordnung vergifst. unsere Verwunderung wächst, wenn wir
weiter vernehmen, dafs es vier phylen und trittyen und naukrarien gab,
denn das hatte es alles von anbeginn gegeben, und abgesehen von den
naukrarien können wir noch jetzt nachweisen, dafs alles auch bei Aristo-
teles schon vorgekommen war.*®) vom rate gibt er nichts an als die zahl:
ist, in die man setzen könnte was einem beliebt, zeigt die oben gegebene analyse
des zusammenlianges.
14) Es ist irrelevant, in wie weit diese praxis wirklich solonisch war, wenn
nur Aristoteles wie seine leser sie dafür hielt, eine arge verkehrheit ist es, hier
die svd'wa zu vermissen und in Tjvd'vpev rovs d/iaQxävovrae xv^icae, was 8, 4 als
recht des Areopages steht, sie zu finden und so einen Widerspruch mit der Politik
zu erzeugen, äfia^ravetv zeigt, dafs kein aSixelv verstanden ist, sondern ein ver-
stofs contra bonos mores; die beamten kann man nur hineinphantasiren, und rji&wev
heifst, was es seiner bedeutung nach ursprünglich heifst 'rectificiren'. der Areopag
hat discretionäre Strafgewalt wie die ephoren in Sparta.
15) Wir haben eine interpolation beseitigt: wer sie stehn läfst, erträgt einen
unsinn, denn vorher hat Aristoteles nicht von den archonten, sondern von den
Schatzmeistern, exemplifica torisch für alle losbeamten, gehandelt, und noch ärger
ist es, dafs hiernach vor Solon der Areopag nach gutdünken die archonten bestellt
hat, d. h. seine eigenen künftigen mitglieder cooplirt.
16) Über phylen und phylenkönige lehrt es 41, 2 und die epitome, über die
trittyen fgm. 3.
V. Wilamowitz, Aristoteles. 4
50 '• 3. Solon.
der rat aber war ja schon drakontisch. beim Areopage kann er sogar
nichts weiter tun, als dafs er seine eignen worte wiederholt, mit denen
er dessen ursprüngliche amtsgewalt bezeichnet hatte (8,4 = 3,6), so
dafs er ein einzelnes gesetz, das denselben angeht, besonders als solonisch
hervorheben mufs.
Ich mag nicht viele worte machen : so hat Aristoteles nur schreiben
können, weil er eine darstellung zu gründe legte, die von Drakon nichts
wufste (so wenig wie die plutarchische biographie Solons) und die alt-
attische Verfassung überhaupt erst unter Solon darstellte, damit fallen
die anstöfse weg. Aristoteles hat dieses material zum teil für seine
Schilderung der früheren zeit verwandt; die spuren sind in Wieder-
holungen stehn geblieben, und er hat sich durch eine einzige rück-
verweisung damit abzufinden geglaubt, dafs Drakon sehr vieles hier als
solonisch gegebene schon eingeführt hatte, die sache dünkt mich evident;
aber es fehlen auch nicht die beweise dafür, dafs er hier einer altern
vorläge genau in so engem anschlusse folgt wie in den ersten paragraphen
des siebenten capitels. was er über die bedeutung der classennamen
angibt, ist keine authentische überheferung, sondern beruht auf Schlüssen,
eine abweichende meinung und ihre begründung, einschUefslich eines
alten epigramms, führt er selbst auf andere zurück, wir aber verfügen
über einen parallelbericht bei Pollux'"'), einen zweiten in Plutarchs
17) 8, 130 TifirifiaTa S' rjv xixTaqa TtEvxaxoaiOfjbeSlfivcov Inndcov ^evyircL)v
d'TjTcöv , Ol fiev ex rov jzevraxoaia /jsr^a ^rj^a xai vyQo. noieXv xXrj&ivces, ava-
haxov 5' eis ro Srjficaiov räkavrov. ol Si rrjv InnäSa tbXovvtes ix fiev rov
Sivaa&ai xQEfsiv 'innov (i'itTtovs vulgo) xexXrjad'ai, Soxovoiv , inoiovv Si fie'r^a
TQiaxöaia, avaXiaxov Ss rj fiirälavrov (die confusion beider erkläiungen gehört
Pollux an). Ol Sf] ro t,evyiaiov relovvrss ano Siaxoaicav fiixQcov xaxsXe'yovxo,
aväXiaxov Ss fiväs Sexa. oi Ss xb ■d'rjxixov oiSsfiiav ^QXr^v fjgxov ovSe dväXiaxov
ovSev. ^Avd'sfiCwv Ss 6 AifpiXov xaXkatni'Cfixai Si' smy^äfifiaxoe oxi [aTto xov
■d'rjxixov xekovs eis xtjv innäSa fisxiaxrj, xai aixiöv saxiv sv axQOTiöXsi, iTtnos
avSgi Tia^saxrjxoJS, xai xo S7tiy^a/u/ua ' ^ttpiXov Av&Sfiiwv [innov] xovS^ aved'rjxs
d'eols d'rjxixov avxi xiXovs iitTtäS^ afieiipäfisvos" . es ist kein wort darüber zu ver-
lieren, dafs das weder auf Aristoteles noch ausschliefslich auf die evioi zurückgeht,
die er für die bedeutung der innäs citirt. bei Pollux sondert man die interpolation
iTTTTov leicht aus; aber wenn das pronomen auf das dargestellte pferd gehn soll, so
kann es kein femininum sein, denn das reitpferd ist ein hengst (oder wol oft ein
Wallach), und die kunst kennt nur hengste. wenn xövSe da stand, war avSQiävxa
zu ergänzen , und stand Anthemion da. die corruptel des Aristotelestextes spottet
noch jeder heilung. aber die metrischen und epigraphischen kenntnisse fehlen mir,
die so vielen leuten die berechtigung geben müssen, eine weihinschrift des sechsten
Jahrhunderts in zwei pentametern zu beanstanden, so viel ich weifs, sind vier dakty-
Die Verfassung. 51
Solon 18, so dafs sich ganz dasselbe Verhältnis herausstellt wie oben in
betreff des archonteneides. ein sprachliches indicium, wie es dort das wort
KaracpaTl^o) war, erscheint hier in dem berichte über den Areopag, Ttolig
in der bedeutung "^burg* (8, 4); dies galt zu Thukydides zeit, war aber be-
kanntlich lange vor Aristoteles selbst aus dem kanzleistile verschwunden.'**)
hier aber steht es keinesweges in der wiedergäbe eines alten gesetzes,
sondern in der eignen darstellung, die somit unweigerlich auf eine nieder-
schrift zurückgeht, die mindestens fünfzig jähre älter war. was in dieser
schrift stand, war eben das was Aristoteles auch gibt, eine darstellung
der Verfassung.
Die competenz der naukraren wird sehr vage bestimmt, "für ein-
künfte und ausgaben", sio(poQai xat öaTiavai. dafür werden ein par
abgerissene citate aus Solons antiquirten gesetzen angeführt "zovg vav-
7iQ(xQ0vg doTtgäTTEiv'^ für die einkünfte, " avaXio'/.£Lv (wenn dies wort
schon zu dem citate gehört) «x %ov vavy.QaQiY.ov aQyvQiov' , für die aus-
gaben, das scheint zuerst ein ergebnis aristotelischer Urkundenforschung,
aber man vergleiche Photius vavY.QaY.ia' onolov xi ^ avfi(.iOQia xal
6 drjf.wg' vav'AQaQog de otioIÖv xl o drj/tiaQxog, ^öXtovog ovrcog ovo-
(.laoavTog, log Yal '^QiororiXrjg q)r]oi. Yal Iv xolg vofiotg de av
Tig vavYQaQtag af.iq)Loßrirjj Yal "rovg vavYQccQOvg rovg Yaxa rrjv
vavYQaQiav" dann folgt die mit Ar. 21, 5 stimmende ersetzung der
naukrarien durch die demen in der Kleisthenischen Verfassung und zwei
auszüge, "Ix Trjg ^QiOTOtilovg Tiolirsiag ov tqojtov öiera^e ttjv
tiöXlv 6 ^oliüv" , das ist diese stelle (8, 3), und 6 KX€iöi]f.iog iv rfj
toiTj], der sie mit den symmorien vergleicht, sodann wird in den schoben
zu den Vögeln 1541 zur berichtigung einer ansieht des Byzantiers Aristo-
phanes, der in den kolakreten nur die Verwalter des richtersolds gesehn
lische katalektische tiimeter zwar merkwürdig, aber auf ionischem metrischen gebiete
so wenig anstöfsig wie 'Iolqoov üv^aySaios u. s. w. auf dorischem.
18^) Sandys hat für diesen gebrauch ohne artikel überhaupt keinen beleg, der
für Aristoteles auch nur beweiskräftig scheinen könnte, er begnügt sich jj nöXis
zu belegen, hier und zu 24, 3, wo wir den notwendig irre führenden artikel ent-
fernt haben, aber er hat auch nichts als zwei stellen Xenophons, dem aus seiner
Jugendzeit die xQVnara ev ti, nölei im gedächtnis haften geblieben waren: der
verbannte hatte den Wechsel der terminologie nicht mit erlebt, aufserdem ist die
Ortsbezeichnung innerhalb der Stadt für ein haus öniadsv Tr,s nöXecos bei Aischines
1, 97 allerdings merkwürdig, nicht blofs wegen nöhs, sondern auch wegen omad'ev.
das ist so zu sagen ein strafsenname; für Aristoteles beweist er so wenig wie die
stellen aus Antiphon und aus alten Urkunden, die Sandys seltsamerweise anführt,
gleich als ob sie nicht wider den aristotelischen gebrauch zeugten.
4*
52 !• 3. Solon.
hatte, unter anderem ausgeführt, dafs sie ausgaben für heilige zwecke
leisteten, und zum belege aus Androtion cilirt rolg de iovai Ilv^iude
■i^swQOlg Tovg Y.oil.a.v.qixag öidövaL €x rtöv vavy.(jaQVAuJv {vavKlrjQiTicöv
codd.) £<p6öiov agyvQia x«t sig alXo o tl av öej] avaXiöoai. das ist
offenbar keine rede des Androtion, sondern ein gesetzesfragment, das
Androtion als beleg angeführt hatte, die worte selbst sind verdorben ;
wie man sie aber auch herstellt, stehen sie den von Aristoteles angeführten
sehr nahe, wenn sie nicht gar identisch sind.") wie dem auch sei: dafs
Kleidemos und Androtion und Aristoteles alle drei die solonischen ge-
setze durchsuchen und sätzchen excerpiren, die das wort vavy.QaQog oder
vavY.Q(xQiy.6g enthielten, ist äufsersl wenig wahrscheinlich, ungleich
näher liegt es, dafs sich die atthidographen der gesetze bedient haben,
umdiecompetenzen verschollener behörden festzustellen, wie der naukraren
und der kolakreten ^'), und dafs Aristoteles hier ebenso wie sonst auch
die beweise mit den behauptungen von ihnen geborgt hat.
18) Die theoren erhalten offenbar geld einmal als diäten für sich, zweitens zu
sachlichen ausgaben, für opfertiere, tempelschofs u. s. w. also steht parallel iipdSia
und eis aXXo o ri av Serj avaXwaai. das zwischenstehende aQyvQia ist an sich
unsinnig, man erwartet eine bestimmte summe, die im citate leicht ausfallen konnte,
H z. b. sie konnte in dem allgemeinen gesetze (SiSövai steht da) auch durch das
unbestimmte d^yv^iov ersetzt sein, und demgemäfs könnte man auch bei Aristoteles
ix rov vavxQaQwov aQyiQi[ov ergänzen, nur spricht dagegen in dem scholion die
Wortstellung: «(»yi;(>tov sollte am Schlüsse des satzes stehn; bei Aristoteles der Singular:
man erwartet auch da ix rätv vavxqaQixaiv. also dürfte eher im scholion auch her-
zustellen sein ix rov vavxQaQtxov aQyvQiov, und am Schlüsse ein Zahlzeichen, iden-
tität der gesetze ist in beiden fällen das wahrscheinlichste.
19) Aristoteles erklärt ihren auch uns unverständlichen namen überhaupt nicht:
das ist mit seinen zwecken vereinbar, aber die leser seiner geschichtlichen Übersicht
müssen doch den mangel empfinden, dafs Androtion die kolakreten auch sonst be-
handelt hat, folgt aus Harp. anoSs'xrai. es ist selbstverständlich schuld dieses oder
eines anderen epitomators, dafs es so aussieht, als wären nach Androtion die apo-
dekten durch Kleisthenes an stelle der kolakreten getreten, denn dafs letztere eine
ziemlich zahlungsfähige casse bis gegen ende des 5. Jahrhunderts hatten, steht fest,
ebenso folgt aus CIA IV 53" (p. 66), dafs 418 die apodekten dieselben com-
petenzen wie in der aristotelischen Politie 48 hatten, während Aristoteles nur die
kolakreten für die solonische zeit nennt, also ist zu schliefsen, dafs Androtion das
richtige berichtet hat, nämlich dafs Kleisthenes die eincassirung der aus pachten,
Zöllen u. dgl. fliefsenden gelder und die aufstellung des fisQiafiöe 10 apodekten
unter controlle des rates übertragen hat, während das vorher die kolakreten be-
sorgten, dafs aber eine gewisse anzahl einnahmen den kolakreten blieben, die aus
dieser casse auch selbständig ausgaben leisteten, was die apodekten nie tun. die
abschaffung der kolakreten ist 403 geschehn, aber schon 411 hatten die oligarchen
sie in aussieht genommen.
I
Die Verfassung. 53
Geradezu kümmerlich ist, was Aristoteles vom rate der 400 sagt, das
ist doch wirklich ein grundpfeiler der demokratie, und wenn der rat
auch zunächst vielleicht sehr viel weniger zu sagen gehabt hat, insofern
die controlle der beamten bei den Areopagiten bheb, und auch die ge-
setze nur den vermerk eöo^sv tw di]/.i(ü^°) führten, so hat er doch schon
508 gegen Isagoras die demokratie behauptet, bei Plutarch 19 steht
denn auch, während die competenz des Areopages ganz ähnhch wie bei
Aristoteles bezeichnet wird, wenigstens das gesetz ^y^öhv anQoßov-
levTOv dg rrjv SKKhjolav uocpkQead^at als solonisch^*). das ist nicht
viel, und doch mag man daran nicht leicht zweifeln, aber Aristoteles hat
selbst das verschmäht, seine intention ist auch verständlich, was der
rat jetzt ist und zumal was er früher war, steht später ausführlich bei
ihm, und im allgemeinen ist seinen lesern die bedeutung des rates ge-
läuflg. da wiegt die nennung des namens schwerer als eine notwendig un-
vollkommene und nicht anders als aus rückschlüssen gewonnene definition
der amtsgewalt. aber es contrastirt doch stark mit dieser kürze , dafs
unmittelbar darauf eine einzelbestimmung, das gericht des Areopages
über perduellion, herausgehoben wird-^). ihm entspricht die einlage
20) Dafs die kürze des praescripts in den ältesten psepiiismen nur eine stili-
stische bedeutung hätte, ist schwer glaublich, die bitte um eine leibwache hat
Peisistratos schwerlich im rate eingebracht, sondern auf dem wege der IxerTj^ia:
aber ein beschlufs auf grund derselben wäre später nicht anders möglich gewesen,
als dafs das volk den rat beauftragte, in der nächsten sitzung einen entsprechenden
antrag zu stellen.
21) Es folgt bei Plutarch die debatte darüber, ob Solen den rat auf dem Ares-
hügel eingesetzt oder vorgefunden habe, und dabei wird als beleg das berühmte ge-
setz, axon 13, 8, angeführt, das ist dieselbe art zu schliefsen, wie sie uns eben
begegnet ist; dieselbe quelle wie bei Plutarch tritt bei Pollux 8, 125 hervor, diese
debatte wird also nicht nur älter als Aristoteles sein, sondern ihm auch vorgelegen
haben, aber mit recht hielt er sich ohne weiteres an die, welche den rat auf dem
Areshügel auch als Verwaltungsbehörde für uralt hielten, der Irrtum des mannes,
der selbst den blutgerichtshof bei Drakon vermifste, ist durch CIA I 61 aufgeklärt:
da stand in der tat in Drakons v6/uos tisqI rov fövov nichts vom Areopag, weil
das gesetz mit tpovos dxovaios beginnt, die entsprechende Stele, die auf dem
Areopage stand, hat jener mann nicht eingesehn; vielleicht trug sie auch nicht die
bezeichnung drakontischen Ursprungs.
22) Die stelle selbst, 8, 3, halte ich für immer noch ungelesen. denn was
Wessely gesehn zu haben glaubt, und Kenyon und Blass billigen, ^oXcovoe
d'ivtos vöfiov siaayyslias tvsqI airwv ist viel zu unsicher, als dafs man es für
griechisch halten müfste. schon die Wortstellung, subject praedicat object u. s. w.
klingt nach untersecunda. aber man sagt auch nicht siaayyeUa tieqI rtvoe, sondern
siGayyeXksrai ris, und nicht vöfiov etaayyeXias d'ivros, sondern eiaayyt'XXead'at
voftod'srr;aavToe oder xeleiovros.
54; !• 3. Solon.
einer gesetzlichen bestimmung über dieselbe materie, die ganz unorganisch
in der erzählung von Peisislratos steht (16, 10). der über die mürder
Kylons richtende ausnahmegerichtshof bildet das erste glied der ent-
wickelung dieses rechtes, das also den Aristoteles interessirt hat, so dafs
er die ihm irgend woher bekannten gesetze hier und da eingefügt hat,
nicht ohne dafs wir die fugen sähen, seltsam ist nur, dafs die letzte
etappe fehlt, das mafslos strenge geltende recht, nach dem der versuch
des Umsturzes der Verfassung oder auch die mithülfe dazu nicht blofs
mit dem lode geahndet wird, sondern den schuldigen ohne weiteres
vogelfrei macht, sie fehlt wol in Wahrheit nicht, denn nach der ana-
logie der fluchformeln der Volksversammlung (Aristoph. Thesm. 338 ff.),
dem ratseide von Erythrai (CIA I 9) und dem psephisma des Demophanlos
ist nicht wol zu bezweifeln, dafs der eid der attischen ratsherrn die Ver-
fluchung des perducUis enthielt, und dessen einführung im jähre 501
berichtet Aristoteles (22, 2), ohne den Inhalt, weil der eid noch alljährhch
geschworen wird, anzugeben.^^) vollends nur als eine Singularität, die den
peripatetischen philosophen interessirt hat, für den historiker wenig be-
deutet, kann man das gesetz betrachten, das dem in einer revolution
neutralen die bürgerlichen ehrenrechte entzieht (8, 5). das hat auch
Cicero (ad Att. X 1) gekannt, natürlich aus philosophischer lectüre, und
es eröffnet bei Plutarch (Sol. 20) die reihe der seltsamen solonischen
gesetze, über deren wert oder unwert lange disputirt wird, das hat
denn auch Aristoteles aus solchen debatten hier eingelegt, sonst gebort
23) Der foitschritt der entwickelung ist kenntlich, zunächst gibt es gegen
den gewaltslreich die gewall, Kylon wird erschlagen, dagegen reagirt die in die
form des gesetzes gekleidete gewalt, das ausnahmegericht. Solon schafft gesetzliche
ahndung, aber er bestimmt nur den richter, dem die freiheit bleibt festzusetzen ö n
X^f] Tta&sTv rj aTcorslaai. es folgt eine zeit der revolutionen, in der notwendiger-
weise die parteiungen und gegensätze den areopagilischen rat selbst zerklüften, so
dafs die ihm verliehene discretionäre gewalt zur willkür wird, da hilft die tiquÖtt^s
der Athener so, dafs sie als ndrqiov hinstellt, die überwundene partei soll nichts
als die bürgerliche rechtsgleichheit verlieren: das wird meistens so viel wie Ver-
bannung tatsächlich bedeutet haben, aber das blut ward doch gespart, erst als die
demokratie siegreich ist und gegen den ehrgeiz ihrer eigenen führer das palliativ-
mittel des ostrakismos gesetzlich einführt, schreitet sie andererseits zu dem äufsersleii,
den inaviaxäfievos rvgavvsTv und den avyxa&iazäe TVQavviSa zu ächten, die
Übereinstimmung der formein bei Aristoteles und im psephisma des Demophanlos
(die nicht nur die Aristotelesstelle verbessert, sondern auch Andok. 1, 97 iäv in
TVQavvElv inuvaaxfi gegen Zusätze schützt) hat ganz klar gemacht, was man schon
früher schloCs, dafs die restauration 411 auf die allen eide von 501 zurückgegriffen
hat. um so werivoUer ist was wir dem Andokides danken.
Die Verfassung, die vorsolonische zeit. 55
ihm persönlich nichts weiter als der allerdings meisterhafte sarkasmus,
mit dem er anmerkt, dafs noch jetzt niemand sich als thete bei der
meidung zu einem amte bekennt, weil die classen gesetzlich nie abge-
schafft sind, und dafs noch jetzt, wenn auch praktisch ganz unwirksam,
der solonische höchste census von den Schatzmeistern gefordert wird,
nur der sarkasmus gehört ihm, die stihstische form, schwerheb die
beobachlung der tatsachen, wenigstens der zweiten, denn hier steht sie
in einem der beweise, die für die solonischen Institutionen beigebracht
werden, ist also nach der analogie der übrigen zu beurteilen, und
wenn er in dem darstellenden teile darauf zurückkommt (47,1), so ist
das verdächtig, da es die einzige stelle dort ist, die zwischen gesetz und
praxis einen Widerspruch notirt, so liegt am nächsten, dafs er dort ver-
wertet, was er gelegentlich aus einer darstellung der solonischen Ver-
fassung gelernt hat, die hier wie sonst häufig durch rückschlüsse ein bild
der alten Institutionen gewann, dafs dies der weg war, den man schon zwei
menschenalter vor Aristoteles gehn mufste, ist wichtig zu wissen : es gab
also weder eine geschichtliche aufzeichnung verlässlicher art noch gerade
diese solonischen gesetze mehr, so viel a^ovsg und y.vQßeig auch erhalten
waren, während doch blutrecht und privatrecht und viele einzelne
Satzungen aufgezeichnet waren, wenn man bedenkt, dafs die gemeinde-
ordnung gerade alle die Verfassungsgesetze durchgehends umgestaltet hatte,
wird man sich darüber nicht verwundern, so sehr man es auch be-
dauern mufs.
Ich meine, es ist klar geworden, dafs Aristoteles es sich mit der
bebandlung Solons recht leicht gemacht hat. die person des gesetz-
gebers, wie sie in den gedichten leibhaft ihm entgegentrat, interessirte
ihn, und sie stellte er mittelst dieser unverfälschten Zeugnisse in ein
helles und reines licht, aber das antiquarische detail einer verschollenen
gesetzgebung war dem philosopben sehr wenig interessant, er hat weder
sich selbst noch seinen lesern ein bild jener Verfassung zu entwerfen ver-
sucht, sondern sich begnügt eine sehr kurze und ungleichförmig gear-
beitete Skizze fast ausschliesshch auf grund der darstellungen zu liefern,
die er bei den atthidographen fand, dagegen hat er sein äuge schari
auf das ziel gerichtet, die ausgebildete demokratie, die er nachher dar-
stellen will: die hat Solon begründet, schon allein durch aufhebung der
Schuldknechtschaft; die weiteren demokratischen grundrechte erörtert
cap. 9. von denen sogleich.
Jetzt sei vorab noch der eingang der schrift erörtert, über den, i'/«^;;»"^«!»-
abgesehen von der gesetzgebung Drakons (4, 2—5), aber einschliefslich
56 I- 3. Solon,
(las nur in auszügen und citalen erhaltene, ganz ebenso zu urteilen ist
wie über die gescbichte Solons: das tatsächliche stammt aus älteren
bearbeitungen, und wenn eine zusammenfassende Schilderung der vor-
drakontischen Verfassung auch wohl erst von Aristoteles gegeben ist
(worauf die oben gerügten Wiederholungen deuten), so hat doch alles
einzelne ihm bereits dank fremder forschung und fremden Schlüssen vor-
gelegen, auf eine mehrheit von gewährsmännern verweist er selbst 2, 3
gelegentlich der Streitfrage über die zeit der einsetzung des archons.
und die andern Gr]/^i€la, die aus alten religiösen gebrauchen, aus den
competenzen der einzelnen behorden und dgl. gewonnen werden , sind
nicht anders zu beurteilen als die aus dem eide der archonten oder dem
anathem des Anthemion gewonnenen, die er selbst auf fremde zeugen
zurückführt, oder die gesetzesfragmente, die wir den Schriften des Androtion
oder Kleidemos zu gute geschrieben haben, wie Aristoteles zu diesen
antiquarischen fragen stand , zeigt sein geringschätziges tovto (.lev ovv
OTtOTiQwg Ttor e%eL /niyiQov av TtaQaXXaxTOi rolg XQOvoig^^) (2, 3),
mit dem er sich eine entscheidung erspart, ohne doch die zeit, in die
beide könige fallen, und auf die etwas ankommt, zu bezeichnen, es würde
demnach auch sehr verkehrt sein, wenn man die parallelberichte, die sonst
wo erhalten sind, als verdorbene auszüge aus diesem capitel beiseite werfen
wollte, ein solcher liegt in dem sechsten Bekkerschen lexikon 449") über
die amtslocale der archonten vor, übereinstimmend in dem meisten, aber
der polemarch sitzt iv ^vxeiw statt am Epilykeion und der archon bei
den eponymen statt im prytaneion. dafs Aristoteles richtigeres berichtet,
ist mir nicht zweifelhaft; aber wenn er die etymologie \on ^EtviIv-asiov
ausführlich gibt'^®), so verstehen wir das erst dann recht, wenn wir es
als berichtigung der falschen ansieht betrachten, die wir selbst alle bis
vor kurzem geteilt haben, die jetzt noch zu verbreiten nur durch flüchtig-
keit möglich ist. die angäbe über den archon ist zwar falsch^'), da es
ja Statuen der eponymen erst seit 508 geben konnte und an dieser stelle
24) So erkennen wir jetzt, wo es Blass auf dem papyrus gelesen hat, aucti
mit voller Sicherheit auf dem facsimile.
25) Suidas kommt nur als handschrift jenes lexicons in betracht.
26) Der polemarch Epilykos führt einen namen aus altem adel, der sowol im
geschlechte der Philaiden wie in dem der Kerykes und auch sonst vorkommt, diesen
träger kann ich nicht einmal gentilicisch bestimmen.
27) Man könnte sie halten, wenn Geleon und seine brüder am Basileion
Statuen gehabt hätten, aber es ist unerlaubt, so oft es auch geschieht, einen
doppelgänger zu erfinden, wo der bekannte träger eines namens nicht pafst.
Die vorsolonische zeit, die Verfassung Drakons. 57
in alter zeit schwerlich ein amtslocal war. aber gerade diese angebe kann
durch eine corruptel der Aristotelesstelle am wenigsten erklärt werden.
Dafs die erzählungen von der mythischen zeit Athens, Ion und seine
söhne, Pandion und seine sühne, der demokratenkünig Theseus, der auf
Skyros stirbt, was etwa von der alten gUederung des adels und aus der
königszeit erzählt war und dgl. alles aus der Atthis stammt, wird man
ohne weiteres annehmen: verwachsen ist ja auch alles mit der chronik,
in der wir die verschollenen könige Akastos und Medon, und die ar-
chonten des siebenten Jahrhunderts Megakles und Aristaichmos feste platze
einnehmen sehen, und wenn es manchen befremden wird, dafs Aristo-
teles in Solon zwar den ersten Athener mit freuden erkannt hat, von dem
sich ein menschliches bild gevrinnen liefs, aber die sicher für ihn lösbare
iiufgabe verschmäht, sich von seiner gesetzgebung ein bild zu verschaffen,
>o werden wir es alle seiner art ganz entsprechend finden, dafs er die
alten widerspruchsvollen traditionen weder ganz wegwarf noch im ein-
zelnen prüfte, sondern xa {xäkiora eiy.öra über sie wiedergab, worauf
es ihm ankam, das war nur eines, und das hebt er scharf und deutlich
hervor: der wirtschaftliche notstand, der in den frohnden und der schuld-
knechtschaft des niederen Volkes lag.
Ganz besonders einleuchtend wird das quellenverhältnis, weil ein ver/assun^
Iremdes stück dazwischen steht, die gesetzgebung Drakons. das ist ein '^■^»''ons-
stück von urkundlichem Charakter und wird als solches eingefügt, zum
teil in indirecter rede; wir haben gesehen, nicht ohne misslände inhalt-
licher art zu erzeugen (s. 49). es fällt auch chronologisch aus dem
zusammenhange heraus, trotz dem archon der chronik, unter dem natür-
lich das factum der gesetzgebung stand, auf das gericht über die mörder
Rylons, das so spät erst gehalten ward, dafs die eigentlichen täter schon
im grabe lagen , folgt eine lange zeit des zwistes zwischen adel und
Volk (2,1). der schriftsteiler setzt sehr passend an diese stelle eine
Schilderung der ältesten Verfassung, denn sie bedingte die gesellschafts-
ordnung die das volk nicht mehr ertragen konnte, die aber erst Solon
gestürzt hat. man erwartet, dafs nun der retter auftritt, aber nein,
"danach gab nach verlauf von kurzer zeit Drakon seine gesetze" heifsl
es 4, 1. f.i€TazavTa xQovov Tivog ov jtoXXov dieX&övrog: wonach denn?
nach dem gericht über die mörder oder nach dem ""langen zwiste' ?.
gemeint kann nur das erste sein, weil wir wenigstens wissen, dafs Alkmeon,
der söhn des zur zeit jenes gerichtes schon verstorbenen Megakles um
590 selbst noch rüstig war, aber einen heiratsfähigen söhn hatte, aber
aus den worten wie sie hier stehn, kann man eben so gut das gegen-
58 I. 3. Solon.
teil folgern, und als nun Drakon seine Verfassung gegeben hat, was
fobt? "die schuldknechtscliaft und die latifundieu blieben wie sie waren,
das Volk erhob sich wider den adel und beide parteien standen sich
lange in bitterer fehde gegenüber, bis Solon kam (4. ende, 5 anf.)."
also wir sind wo wir waren; Drakons wirken geht spurlos vorüber,
wieder folgt eine lange zeit der fehde. wer der wissenschaftlichen be-
wegung eine weile zugesehen hat, der kann sich selbst schon sagen,
dafs der versuch nicht ausbleibt, an solcher stelle den bösen mann zu
rufen, dessen interpolatorentücke die Wiederholung verschuldet hat. ein
solcher appell an eine mythische person ist der ausdruck einer em-
pfmdung, die an sich sehr richtig ist. auch hier ist allerdings die zweite
"lange fehde" eine dublette der ersten, und es könnte nicht nur mit
leiser stilistischer änderung 5, 2 auf 3 folgen, es geht wirklich der Zu-
sammenhang von 3 zu 5 weiter, und Aristoteles hat ihn nur durch eine
auch für uns kennthche einlage unterbrochen, aber 6r hat das alles
getan, hat ja auch mit tÖG7t€Q eiqr^'vaL den hauptpunkt, die schuldknecht-
schaft, von neuem hervorgehoben, es ist sehr wertvoll, aber an sich
gar nicht auffällig, dafs Aristoteles irgendwoher einen bericht über Dra-
kons Verfassung aufgriff, der freilich nicht nur uns bis zur auffindung
der Politie ganz unbekannt war, der auch in der chrouik, seiner sonstigen
quelle, fehlte, sondern den er selbst noch nicht gekannt halte, als er
seine vortrage über die Politik hielt und das schlufscapitel ihres zweiten
buches schrieb, diesen bericht legte er in die chronik ein; hat das
allerdings in einer weise getan, die uns ermöglicht, die zusammenfügung
zu erkennen, in der chronik stand zum archon Aristaichmos etwa
Jqä:/.oiv tovg &€0/.iovg ed^r]Kev, und Aristaichmos folgte bald auf Megakles,
unter dem das gericht über die Alkmeoniden gehalten war, und den
Aristoteles selbst auch genannt hat. im übrigen waren viele jähre leer,
aber unter Solon oder vor ihm war eine Schilderung der oräoig und
ihrer Ursachen gegeben, die zu der seisachthie führten, und gelegentlich
der nomothesie Solons wird auch die abschaffung der gesetze Drakons
mit ausnähme des blutrechts angegeben gewesen sein , wie bei Aristo-
teles 7, 1 und Plutarch 17. eine solche erzählung als grundlage der
aristotelischen läfst alles ganz natürlich erscheinen, und wir besitzen
noch eine solche, bei Plutarch folgt auf die erzählung von dem adels-
gericht und von Epimenides, die ganz zu Aristoteles stimmt, eine Schil-
derung der socialen not mit dem schlagworte der sxrrj!.wQioi: unmittelbar
darauf erscheint Solon und die seisachthie^*). von Drakon kein wort.
28) Dafs Plutarch 13 aus eigenem iirtum seine Schilderung, um sie lebhafter zu
Die Verfassung Drakons. die kritik der Verfassung. 59
das ist der context, den Aristoleles durcli die einfügung der drakonischen
Verfassung gestört hat. natürhch hat er mit grofser freude dieses
seltene stück, das er eben erst selbst kennen gelernt hatte, mitgeteilt,
und wir werden ihm dafür danken, ganz unbeschadet, ob es bei uns
an sich mehr glück macht als im altertum, wo es niemand beachtet
hat. hier handelt es sich zunächst nur um die auflosung seines schrift-
stellerischen gewebes.
Kehren wir nun zu der beurteilung Solons zurück, von der noch i>'e kiitik
"^ der ver-
das eigentUch abschliefsende neunte capitel unbesprochen ist. es wägt lassuug.
die hauptverdiensle Solons um die demokratie ab, deren Aristoteles drei
zählt, das erste und für sein urteil wichtigste ist die aufhebung der
Schuldknechtschaft, das zweite ist der grundsatz, dafs jeder bürger be-
rechtigt sein soll, jedes verbrechen zu verfolgen, auch wenn es ihn per-
sönlich gar nichts angeht, das dritte ist die appellation von jedem magistra-
tischen Urteilsspruch an das volksgericht. so wie Aristoteles seinen stofi'
disponirt hat, ist dem leser nur das erste bekannt, über die beiden andern
punkte hört er jetzt das erste' wort, nicht als etwas nunmehr neu mit-
geteiltes, sondern gleich mit einer kritik, als ob die facta längst be-
kannt wären, in der tat waren sie das für das publicum, an das der
Schriftsteller denkt: die athenische demokratie ohne die Volksgerichte und
ohne die herrhchkeit der in jedem einzelnen bürger mitverlelzten majestät
des Volkes, für die jeder einstehn darf und soll, ist gar nicht zu denken,
so erlaubt sich Aristoteles die existenz dieser Institutionen vorauszusetzen,
mit einer schriftstellerischen kürze, von der namentlich sein darstellender
teil in jedem capitel belege liefern wird, und sofort zur beurteilung
zu schreiten.
Aber er ist nicht der erste, der diese urteile formulirt. denn in
betreff der Volksgerichte stellt er zwei ansichten einander gegenüber,
zwischen denen er entscheidet, die darin zwar übereinstimmen, dafs die
gerichte die säule der demokratie sind, aber in ihrem wertureile gänz-
lich auseinander gehn. und überhaupt hat doch erst ein tiefgehendes
politisches raisonnement diese fundamentalsätze der demokratie aus den
Institutionen Athens, wie sie in der ausgebildeten demokratie bestanden,
entwickeln können: in den gesetzeu standen sie wahrhaftig nicht, die
gestalten, dadurch verdorben hat, dafs er neben den gegensatz der adlichen besitzer
und der frohndenden hintersassen den nachsolonischen der drei landschaften gestellt
hat, den er selbst doch 29 nach Solen wieder bringen mufs, verschlägt für die haupt-
sache nichts, für seine schriftstellerei ist der zug charakteristisch; so etwas hat er sehr
oft getan, z. b. die Verdoppelung des perikleischen processes 32 und 35 ist der art.
60 I- 3. Solon.
hatten weder ein 7tQOOL[.iiov vo/nwv, wie die des Piaton und die danach ver-
fertigten des falschen Zaleukos, noch 'grundrechte' oder 'menschenrechte\
es sind gescheidte leute gewesen, die aus der lebendigen praxis das ins inter-
cedendi und das tus provocandi entwickelt haben; römisches Staatsrecht
wird, gott sei dank, etwas besser begriffen als attisches, so mag die
laxärr] drif.ioyiQaTia Athens, von dem philosophischen volke bis in ihre
äusserste logische consequenz ausgedacht, die wurzel ihres wesens darin
gefunden haben, dafs jeder Athener sich als tribunus plebi fühlen soll, wo
er ein unrecht sieht, soll er intercediren, wo ihm ein magistratischer
befehl zu nahe tritt, provociren: aber der populus an den sich die pro-
vocation richtet, der auch im falle der intercession die entscheidung trifft,
ist das Volksgericht, der drjf.iog, der durch Solon richter geworden ist,
ist durch Solon herr geworden : dies epigramm hat Aristoteles selbst also
zugespitzt.
Die €q)60ig etg dniaor^Qiov, die gesetzHche bindung des magistrates,
strafen von einer bestimmten hohe ab nur auf grund des Spruches von
geschwornen, die er berief, auszusprechen, war allerdings leicht und sicher
aus den gesetzen zu abstrahiren, die sie in jedem einzelfalle bei der
abgrenzung der competenzen jedes beamten angeben mufsten.^^) aber
mit dem rLfxcoqelv tov ßovko/iuvov vttsq töjv aör/iov/LÜviov ist es
ein eigen ding, das blutrecht kennt nur den zur klage berechtigten
und verpflichteten (tcqog^xcov). für die privatprocesse liegt es in ihrem
namen {öixai iLÖiai), dafs nur der geschädigte klagen kann, bei einer
reihe bestimmter vergehen, schlechter behandlung von eitern und mün-
dein {-/.d-Atoaig yoveiüv OQcpavwv SftrAXr^Qiov), schreibt das gesetz aus-
drückhch vor, dafs jeder klagen darf, und die ausnähme schhefst immer ein,
dafs das gegenteil regel ist. aber es kann allerdings jeder Athener unmit-
telbar intercediren, wenn ein bürger in die sclaverei geschleppt wird {acpai-
Q€Oig eig eXev^eQlav), andererseits einen, der sich fälschlich das bürger-
29) 'Sein fufs soll fünf tage in den block gespannt werden, falls die heliaia
diese Strafschärfung beschliefst', so das gesetz Solons bei Lys. 10, 16. da steht
nicht das princip, dafs der beamte auf leibesstrafe nicht mehr erkennen darf, aber
aus der clausel, die oft wiederkehren mufste, liefs es sich entwickeln, die gesetze sind
formell Instructionen der magistrate, entstanden so, dafs man diese nicht nach gut-
dünken mehr regieren lassen wollte, sondern 'das gewohnheitsrecht', das herkommen,
den v6/ios aufschrieb, an den sie sich halten sollten, oder 'gesetze' &sa/ioi gab, die
doch auch meist xaza tä näiQia gesetzt sein wollen oder gesetzt, d. h. schriftlich
fixirt sind, dieser für das Verständnis der gesetzgebung und der form der gesetze
fundamentale tatbestand wird in dem capitel über die darstellung der Verfassung
erst ganz deutlich werden.
I
Die Kritik der Verfassung. 61
recht anmafst, verklagen, er kann sich durch ein bittgesuch bei dem volke,
das dafür eine bestimmte Versammlung angesetzt hat, die freiheit erwirken,
vor dem volke alles was er gerade will vorzubringen, er kann durch die ver-
schiedenen formen der denuntiation {eioayyeXLa Tcqoßohq cpdaig evdei^ig,
doayyelia) vergehen, die ein öffentUches Interesse verletzen, insbesondere
amtsvergehen, vor das volk oder den rat bringen, er kann auch den ein-
zelnen bürger, der sich persönliche übergriffe zu schulden kommen läfst,
wie sie die Athener schwerlich ohne grund den machthabern in monarchisch
und oligarchisch regirten Staaten vorrücken, insbesondere ehrenkränkungen
anderer bürger, vor gericht ziehen^"), das ius intercedendi ist keine
phrase, aber es ist nicht nur nicht gesetzlich formuhrt, es ist auch als
ein allgemeines grundrecht nur durch eine starke Übertreibung aus dem
geltenden rechte zu abstrahiren. und mit Solon läfst es sich vollends
nur so zusammenbringen, dafs er als der Urheber der attischen Institutionen
anerkannt wird, die es implicite enthalten, der nachweis würde nicht leicht
sein, jedenfalls aber würde Aristoteles die sache nicht ohne jedes wort
der erläuterung oder begründung hingestellt haben, wenn er diese abstrac-
tion erst selbst vorgenommen hätte, das hat er nicht, denn bei Plutarch 18
schhefst sich an die darstellung über die vier classen, die mit der aristo-
tehschen parallel geht und den theten, genau wie Aristoteles, lediglich
das recht der teilnähme au Volksversammlung und gericht zuweist, sofort
eine ganz ähnliche beurteilung des gerichtes^') und des rechtes, dafs
jeder für jeden eintreten dürfe, dieses mit breiterer begründung aus der
volksfreundlichen tendenz Solons, die sich zu einem apophthegma ver-
dichtet hat. dagegen fehlt die aufhebung der Schuldknechtschaft bei ihm :
deren rechte Würdigung ist eben ein besonderes verdienst des Aristoteles;
ebenso die schöne und gerechte abwehr der böswilligen insinuationen,
30) Vgl. was im capitel 7 über die y^afai vßQscos fwixeias u. dgl. aus-
geführt ist.
31) Plutarch (18, 4) schiebt von sich aus recht ungeschickt die verse Sr/iq? /xev yaQ
ä'Swxa hier ein, gleich als ob in ihnen Solon die demokratie als sein werk bezeichnete,
er hat zweierlei zusammengeworfen, dafs Solon durch die gerichte Stifter der demo-
kratie geworden ist, das ist das urteil der nachweit, und dafs er der demokratie
nur das unerlässliche hat geben wollen, das sagt sein vers. das liefs sich
höchstens zu einem gegensatze verwerten, wie es Aristoteles in der Politik getan
hat: so wie es bei Plutarch steht, ist es ein hübsches citat am falschen flecke.
so etwas hat er oft genug in allen Schriften gemacht, wer sich bemüht, fehlende
mittelglieder zu suppliren, oder in einer praesumirten quelle den Zusammenhang,
der hier fehlt, zu suchen, vergifst, dafs auch Plutarch zunächst als Plutarch inter-
pretiit werden mufs.
62 I- 3. Solon.
die man aus der spräche der gesetze herausgesponnen hatte: mit anderen
Worten, was Aristoteles aus sich gibt fehlt bei Phitarch; was er mit
Aristoteles gemeinsam hat, überkam also dieser bereits selbst formulirt.
er redigirt mit eignem überlegenen urteil, aber er redigirt fremde urteile.
^'chisctK'"'^ Das Verhältnis ist also in dem neunten capitel kein anderes als in
''"*"'■ den vorigen, und auch die herkunft dieser urteile wird keine andere
sein, aber hier werden die leute bezeichnet, deren meinungen Aristoteles
wiedergibt, es sind dr]/^tOTiKoi, die die Verdienste Solons als demokrat
preisen, und ßXaocprii.i£lv ßovk6f.isvoi, deren Insinuation schön zurück-
gewiesen wird : sie wittern absieht in der unvollkommenen spräche der ge-
setze, die allerdings viele processe hervorruft, wer diese letzteren waren,
wird deuthch durch die anecdote in cap. 6 von Solons falschen freunden,
die von der kommenden seisachtheia vorher unterrichtet noch rasch grund-
besitz erwarben, sicher, dafs sie die hypothekenschulden nicht würden be-
zahlen müssen, auch diese geschichte steht bei Plutarch (15); aber da werden
statt des allgemeinen, ausdrucks ol utalaLÖnXovtoi, mit dem sich Aristo-
teles begnügt, OL tvsqI Koviova xal KXsLviav xal '^iTtTtövLY.ov genannt,
in den nanien kommt der pferdefufs persönlicher verläumdung zum
Vorschein, zur zeit des dekeleischen krieges waren die nachkommen dieser
falschen demokraten Konon, der seit 407 als entschiedener demokrat in
ehren steht, Alkibiades und sein Schwiegervater Kallias. in der gene-
ration vorher ist das geschlecht Konons, in der generation nachher sind
die der Eupatriden und der Keryken ohne poHtische bedeutung. über
das geschlecht jener anaphlystischen famihe ist wol nichts bekannt^^),
aber die Eupatriden und Keryken sind vom ächtesten adel, und es kann
nur böswiUigkeit sein, die sie als naXaiÖTtXovTOi bezeichnet, ihren
reichtum aber auf einen betrug solonischer zeit zurückführt, aber wol
waren für die attischen oligarchen 404 und vielleicht schon früher
keine gefährlicheren gegner vorhanden als Alkibiades und Konon; auch
32) Für alten adel spricht der undurchsichtige kurzname Kövcov, den zuerst
der archon 462/1 trug, der grofsvater des Siegers von Knidos, wie man vermuten
darf, man denkt an den musiker Kövvos, dessen name sicher grammatisch her-
gehört, an KoveiSrjs oder KovviSas, den paedagogen des Theseus, also einen Tro-
zenier, und Anaphlystos, wo Konon zu hause ist, ist selbst söhn des Trozen, endlich
an das ytvos id'aysvätv KovtlSat, das wol nicht erst Töpffer (Att. Geneal. 310),
sondern schon die quelle des Hesych auf jenen KoveiSi}? zurückgeführt hat: denn
was bei jenem so überliefert ist KoveiSrj ysvos id'ayeveöv: Kovei8-r}S jiatSaycoyös
0Tjatwe xal fiatarwQ kann eine verderbte und in zwei zerrissene glosse sein,
übrigens ist das sprüchwort Kövvov x}j^q>os^iv Kuqos aiarj Arist. Wesp. 675 gänz-
lich unerklärt und schon von den Alexandrinern vergeblich zu deuten versucht.
Eine oligarchische quelle. 63
Kallias war nicht so harmlos, wie man nach den aristophanischen stellen
wähnen mag: der procefs des Andokides und die unfreundliche rück-
sicht, die ihm Xenophon zollt, beweist es. die hauptgefahr lag freilich
wol in seiner familienverbindung mit Alkibiades. so führt diese ver-
läiimdung dazu, ihre entstehung in den kreisen der attischen Oligarchie
zu suchen, unter den dreifsig.^^) die demokratischen Verteidiger, die den
betrug zugeben, aber den Solon persönlich entschuldigen, sind notwendig
später als die verläumder aufgetreten und waren leute der bekannten
gutartigen aber kritiklosen sorte, die statt das factum zu bestreiten oder
beweis dafür zu fordern, ihm durch eine schwächliche ausrede die spitze
abzubiegen versuchen.^'') auf die dreifsig weist mit Sicherheit die In-
sinuation absichtlicher Unklarheit in den gesetzen, um dem processiren
Vorschub zu leisten, denn Aristoteles selbst berichtet, dafs die dreifsig
um die macht der Volksgerichte zu brechen, die clausein der solonischen
gesetze beseitigt hätten , und benutzt dafür dasselbe beispiel aus dem
erbrecht (35, 2^^): wenn eben dieses bei Plutarch (21) unter den be-
33) Ob der Spitzname xQ^^^oniSai, den Plutarch auch gibt, alt ist, mag ich
nicht entscheiden, denn der name steht in einem nachtrage am ende des capitels;
er ist für die manipulation des Konon und genossen nicht bezeichnend, und xQ^oi-
xonslv für 'wucherzins nehmen' scheint kein altattisches wort zu sein. — die ent-
deckung, dafs xQ^ojxoniSai, nach 'EQfioaoniSai gebildet sein müfste, erweckt die
hofTnung auf die überraschendsten aufschlösse über attische geschichte. denn Srjfio-
xoTislv und ßovXoxoniSai ist dann offenbar auch erst mit beziehung auf die hermo-
kopiden gesagt, vielleicht auch u^toxötzos. umgekehrt wird ein schuh daraus, uns
ist der name Hermokopiden geläufig, aber nicht aus Thukydides oder Andokides,
sondern aus Plutarch Alkib, 20. 21, und der gelehrte gewährsmann desselben hat
den namen aus der Komoedie genommen, in der wir ihn einmal lesen, Ar. Lysistr. 1094,
und Philochoros (schol. Vög. 766) hat ihn dieser volkstümlichen aber spöttischen
rede entlehnt, der rhetorischen geschichtsschreibung ist er fremd, die Komoedie
aber, gewöhnt an bildungen wie anovSa^x^^""') '^TioS^aainniSTjs , Nummosexpal-
ponides und an die composita mit metaphorisch gebrauchtem xönreiv wie
ßovloxoniSai, u. dgl., liefs sich den Scherznamen, in dem xömsiv ganz eigentlich
stehn konnte, nicht entgehn.
34) Androtion ist hieran unschuldig, da er die seisachthie in der münzreform
sah, mufste er die ganze geschichte in jeder form verwerfen, dafs er bei Aristo-
teles nicht vorliegt, folgt zudem daraus, dafs seine berücksichtigung im zehnten
capitel wenig geschickt nachgetragen wird.
35) Piaton Ges. XI 923 verwirft zwar die solonische Ordnung auch, aber nicht
indem er die freie Vererbung gestattet, wie sein onkel Kritias, sondern indem er
die Verfügung in ähnlicher weise wie in unsern fideicommissen beschränkt, und
wenn er auf das gesetz (mit den worten iäv rts ^^äs d-coneiais vnoSqaficüv iv
vöaoii Tj yrjoa aaXevovras na^a xo ße^naiov SiarCd'ead'ai rcsi&ri) hindeutet, um
64 '• 3. Solon.
sonders vorzüglichen beslimmungen Solons figurirt und bei den rednern
des vierten Jahrhunderts bald so bald so besprochen wird, so konnte
man bisher nicht ahnen , dafs die demokratie aus hafs gegen die
30 eine radicale aber der Sachlage entsprechende mafsregel redressirt
hatte: jetzt wird man nicht verkennen, dafs die polemik der tyranuen
gegen den Stifter der demokratie in allen diesen äufserungen nachzuckt,
und es steht aufser zweifei, dafs die ansieht, welche die dreifsig in der
gesetzgebung tatsächlich befolgten, von ihnen vorher oder gleichzeitig
auch in politischen Schriften verfochten worden ist. diese oligarchischen
tendenzschriften kommen bei Aristoteles zu worte; wir erkennen sie an
der tendenz, und diese kann auch dann noch genugsam gewürdigt werden,
wenn die litterarische Persönlichkeit ihres Verfassers unkenntlich geworden
sein sollte. Aristoteles hat natürlich sehr wol gewufst, welchen leuten und
Schriften er mit meisterhafter kürze den Stempel aufdrückte, der auf die
prefserzeugnisse extremer parteien zu allen zeiten zutrifft, wir werden
sehen, dafs er diese richtige Schätzung nicht immer festgehalten hat.
i>oiiiik I! 12. flier wird es unvermeidhch, die kritik Solons heranzuziehen, die
Aristoteles in seinen lehrvorträgen früher gegeben hatte, und da das
schlufscapitel des zweiten buches der Politik auf der folter tendenziöser
interpretation das widersprechendste hat aussagen müssen, auch schon
zu wiederholten malen zum tode verurteilt ist, so wird zwar nicht eine
auseinandersetzung mit diesen kritikern (die mögen jetzt die PoHtie athe-
tiren), aber wol eine erklärung nötig.
Aristoteles hat in dem cyclus von vortragen, der in dem entwürfe
eines idealstaates gipfeln sollte, die kritik der bestehenden Verfassungen
geben wollen, die im rufe der €vvo/.ila standen, und ebenso die kritik
der berühmtesten theoretischen Verfassungsentwürfe, das stellt er in
dem eingange des zweiten buches in aussieht, und dem entspricht es,
dafs Piatons beide hauptwerke nebst einigen geringeren idealverfassungen
und danach Sparta Kreta und Karthago besprochen werden, es folgt
ein sehr geistreicher Übergang, die Verfassungen der drei Staaten werden
bezeichnet als "mit recht als wolgeordnet berühmt", damit sind wir
angewiesen zwar nicht eine behandlung solcher Verfassungen zu er-
warten, die denselben rühm mit unrecht geniefsen, aber doch eine ab-
lehnung ihrer behandlung. man denke sich dies im Lykeion zu Lykurgos
zeit gesprochen, wo der rühm des vono^exTqg, der die unverbesserliche
nicht die clausel, sondern das ganze zu beseitigen, so tritt er zu der Oligarchie wie
zu der demokratie bewufst in gegensatz.
Politik B 12. 65
demokratisclie freiheit und gleichheit begründet haben sollte, allstündlich
in allen gerichtshöfen ertönte, und man wird darin den sarkastischen zug
des nieisters nicht verkennen, der auch in der Pohtie die stärksten
Wirkungen erzielt, wenn er die frappanten tatsachen ledighch so hinstellt,
dafs sie durch ihren gegensatz den leser zwingen, die notwendigen folge-
rungen selbst zu ziehen, der lehrer des Alexandres mufste freihch behutsam
vorgehn, aber er besafs die kunst, alles sagen zu können, und sein zuhörer-
kreis verstand ihn. er holt scheinbar weit aus "über politik haben sich teils
männer verbreitet, die dem öffentlichen leben ganz fern standen: über diese
ist das nötige bemerkt; teils waren sie politisch tätig, und auch von diesen
sind manche nur als gesetzgeber, in ihrem eignen oder in einem fremden
lande, aufgetreten, und nur einzelne haben neben den gesetzen auch
eine Verfassung gegeben, wie Lykurg und Solon," da ist der name ge-
fallen, und die beurteilung folgt, wozu der umweg, der eine neue Über-
leitung und die erneute erklärung nötig macht, dafs Sparta erledigt wäre?
zweierlei wird damit erreicht, erstens wird Solons bedeutung gebührend
erhoben; denn er hat geleistet, was dazu berechtigt ihn wirkhch mit
Lykurg in einem atem zu nennen: er hat eine Verfassung begründet.
Aristoteles ist hier klar geworden, was sonst der hellenischen spräche
und entsprechend dem hellenischen denken fern hegt, der unterschied
zwischen einem gesetzbuche und einer Verfassung, vo^wl und vo/iio-
■d-hrjg schliefst gemeiniglich und besonders von Solon gesagt die Ver-
fassung d. h. das Staatsgrundgesetz ein; auch Aristoteles, schon in der
nächsten zeile, redet so. ja Aristoteles hat so fein geschieden, dafs wir
versucht sind, ihn selbst mit dieser Unterscheidung zu meistern : Lykurg
hat wol eine Ttolixeta, aber keine v6(.ioi gegeben, dies also dient der
hervorhebung Solons. das zweite ist, dafs andere hochberühmte gesetz-
geber hiermit von der berücksichtigung ausgeschlossen sind, wenn uns
Charondas^") und Zaleukos sofort einfallen, wie sollte es den zuhörern des
36) Dafs die gesetze des Ciiarondas in Kos galten, dürfen wir trotz der neben-
form XaiQcövSas dem Herodas 2, 48 entnehmen, die einführung dieser gesetze,
der von Kos, verfügt Lysimachos für Lebedos (Dilt. Syll. 126). aus Strabon XII 539
wissen wir, dafs die des Charondas in Mazaka galten, wir werden A'ermulen dürfen,
dafs Kos der ausgangspunkt für ein nicht unbeträchtliches herrschaftsgeblet dieses
gesetzbuches war, und Kos ist 366 durch einen bedeutsamen awoimcfiös neu-
gegründet, damals hat man mit Überlegung ein gesetzbuch gewählt, es ist recht
merkwürdig, dafs die Chalkidier des Westens so früh bedeutende codificationen
vornehmen, und ein Rheginer wieder bei den Chalkidiern in Thrakien ein rechtsbuch
entwirft, in Syrakus hat diese codification durch Diokles 413 stattgefunden (Diodor.
XIII 33). etwa ein menschenalter vorher in Rom: um griechisches recht zu
T. Wilamowitz, Aristoteles. 5
66 I. 3. Solon,
Aristoteles anders gegangen sein? und sollten die Lesbier Phainias und
Theophrast nicht an ihren Pittakos gedacht haben, der in gleicher Stellung
wie Solon gewirkt und sich auch einen platz unter den Sieben weisen
errungen hatte? diese mitbewerber werden also mit sicherer band in
einen tieferen rang verwiesen.
Es folgt die behandlung des Solon, von der wir nach dieser ein-
leilung erwarten, dals sie eine motivirte ablehnung sein mufs. aber Aristo-
teles müfste ein stümperhafter schriftsteiler sein, wenn er damit abbräche,
denn jene umständliche Überleitung auf Solon ist nur als 7CQ07iaqaOY.evri
berechtigt, wenn er nicht blofs die classe von gesetzgebern unterscheidet,
welche keine Verfassung begründet haben, sondern unter diesen wieder
solche die zu hause und die in der fremde gesetze gegeben haben , so
hat das nur sinn , wenn die entsprechenden personen nachher namhaft
gemacht werden, und wirkhch, es folgen auf Solon die Westhellenen
Charondas und Zaleukos und der in Theben tätige Korinther Philolaos.
es ist unbegreiflich, wie diese namen jemand vertreiben kann, freilich
hat der vortragende poHtisch bedeutsames nicht von ihnen zu berichten,
er schätzt sie ja nicht sehr hoch; aber eben deshalb teilt er geschicht-
liches über sie mit, gelegentlich auch ein wenig polemisirend. ganz so :
hat er es vorher mit Hippodamos gehalten^^), und selbst in der Politie i
erhalten, brauchten die Römer allerdings nicht nach Athen zu schicken, das konnten
sie da holen, wo sie den götterverein am forum boarium, Apollon and die Sprüche I
der Sihylla, schrift und mafs hernahmen, aber nach griechischem vorbild sind diel
XII tafeln gemacht; daran wird das misbehagen der Juristen, die allenfalls indo-!
germanisch, aber kein griechisch anerkennen mögen, nichts ändern, beiläufig: die
namen avyuXrjtos und SrjfiaQxoi sind neapolitanisch, das wissen wir nun, aber das:
sind nur Übersetzungen der römischen senatus und tribunus. aedilis heifst später •
ayoQavöfios, aber das lateinische wort ist seltsam für das amt, für die unterbeamten i
der SrjfiaQxflt- da dürften vielleicht die ionischen vaonoioi das vorbild geliefert:
haben, und der Cerestempel eine grofse bedeutung gehabt haben, nur wissen wir
zu wenig von den italischen Chalkidiern, um bei ihnen vaonoioi aufzeigen zu können.!
37) B 1267'': natürlich fehlt es nicht an solchen, die dem Aristoteles mit ge-j
walt den pedantismus eines wolparagraphirten coUegienheftes aufzwingen, bei demj
der Zuhörer einschläft, das laster der recapitulationen und der erklärungen, dafsl
nachdem nun der eine gedanke zu ende gedacht wäre, der andere an die reihe käme,f
hat Aristoteles als vortragender lehrer allerdings besessen, aber auch das ist das!
lastereines redners: als rede aufgefafst, verlieren die akroamatischen Schriften sehrl
viel von dem was den leser allerdings ärgert, aber beredt war Aristoteles offenbar'
nur mit der feder: sonst hätte er nicht all das gleichgiltige zeug mit aufgeschrieben.,
Antipatros, der an ihm die nei&cö bewunderte, hat damit der empfindung ausdruckj
gegeben, die seine logische unüberwindlichkeit macht, es ist nicht die dulcis suadela,\
sondern die nsid'avttyxj].
i
Politik B 12. 67
widersieht er der freude an einer guten geschichte nicht leicht, ganz
eben so stümperhaft wäre es, wenn Aristoteles in diesem zusammenhange
Phaleas und Piaton genannt hätte, nicht weil er von ihnen schon ge-
handelt hat, sondern weil sie als theoretiker aus diesem kreise heraus-
fallen, und was von diesen beiden gesagt wird, ist aus sich heraus gar
nicht verständlich: bei einer "ausgleichung des besitzes", die von Phaleas
angeführt wird, kann sich niemand ohne weiteres etwas denken, folg-
lich hat nicht Aristoteles, sondern ein leser diese recapitulation (1274''
9 — 15) eingefügt, dadurch werden die letzten bemerkungen über Drakon,
Pittakos und Androdamas einigermafsen mit verdächtigt, da für sie die
Vorbereitung oben nicht mehr zieht, indessen können die bemerkungen,
welche diese drei als minderwertig abtun mit dem fremden zusatze
nicht in einem zuge geschrieben sein, wol aber mit den ächten worten
über Philolaos und Charondas. also behaupten die letzten sätze ihren platz,
bis sie jemand aus sich der unächtheit überführt, man wird aber nicht
leugnen, dafs Drakon und Pittakos ein wort mindestens ebenso ver-
dienten wie Philolaos, was von Pittakos erwähnt wird, die ablehnung
der trunkenheit als mildernder umstand, ist von Aristoteles in der Rhe-
torik (II 25) erwähnt; es war eine allgemein bekannte Singularität.
Drakon wird ebenfalls genau so beurteilt, wie es von der öffenthchen
meinung und der attischen chronik geschah (Plut. Sol, 17), der Wider-
spruch mit der Politie ist allerdings vorhanden, aber dort ist seine Ver-
fassung eine einlage, und nichts verbietet anzunehmen, dafs Aristoteles
ein Jahrzehnt oder auch fünf jähre später etwas neues zugelernt habe,
vielleicht wird mancher mit mir die ächtheit dieser sätze besonders
um des sonst ganz unbekannten Androdamas willen glauben, dieser
Rheginer hat den Städten auf der Chalkidike ihre gesetze verfafst, der
Stagirite Aristoteles war also unter ihnen aufgewachsen: wem lag der
name näher als ihm, und wenn gerade gesetze über blutrecht und über
erbtöchter von ihm flüchtig erwähnt werden, so glaubt man die ge-
dankenverbindung zu erkennen, die den Aristoteles von Solon und Drakon
auf Androdamas führte, wenn auch nur um diese kindheitserinnerung
mit einem worte abzutun,
Schhefshch kommt auf diese letzten sätze nicht eben viel an, um
so mehr auf die beurteilung Solons, die eben so weise wie klug ge-
schrieben ist, weise, weil sie gerecht ist, klug, weil sie es dem hörer
überläfst, das urteil zu formuliren, das ihm durch die bilhge abwägung
anderer urteile vorbereitet ist,
"Einige halten Solon für einen guten gesetzgeber; er habe eine
5*
68 1-3. Solon.
übertriebene Oligarchie beseitigt und durch eine richtige mischung der
Verfassung die ächte ^*) demokratie begründet, denn der rat auf dem
Aresbügel sei oligarchisch , die wähl der beamten (d. h. ihre besetzung
durch die begüterten) aristokratisch, das volksgericht demokratisch", dieses
günstige urteil schränkt Aristoteles durch die tatsächliche berichtigung ein.
"man mufs aber als vvahrscheinhch betrachten, dafs der Areopag und die
wähl der beamten schon vor Solon bestanden haben, und er sie nur nichts
abgeschafft hat. die volksherrschaft aber hat er begründet, indem er die
geschwornen aus allen Athenern nahm", nun kommen die tadler zu worte.
"denn er habe alles übrige zerstört, indem er dem volksgericht, das ja durch
das los bestimmt ward, die entscheidung in allem verheb, denn als das
einmal die macht hatte, hätten sie ihm wie einem tyrannen zu gefallen,
die Verfassung zu der jetzigen demokratie gemacht. ^^) den areopagitischen
rat hätten Ephialtes und Perikles"") beschränkt, die diaeten für die richter
38) SrjfioicQaTiav xaraazTiaai ttjv tvcctoiov. die Wortstellung hebt das Schlag-
wort als solches hervor, was die leute wie Theramenes mit diesen biedern demo-
kraten gegenüber den dreifsig vereinte, und was sie von ihnen schied, liegt darin,
dafs sie tt^p när^iov noXireiav Sieoxovat, vgl. 29, 3, 34, 3 und mein capitel '^näxQios
noXirsia '.
39) eis iTjv vvv SrjuoxqaTiav xarsarriffav, nicht, wie conjicirt ist, fiers-
arrjaav: sonst wäre ja eine Umgestaltung der solonischen Verfassung zugestanden,
während diese kritiker ihn für die vvv xardaraais verantworlich machen.
40) Die beteiligung des Perikles darf nicht mehr beanstandet werden, da Aristo-
teles selbst bezeugt (27, 1), dafs er dem Areopag rechte genommen hat, geschweige
denn dafs man den Themistokles hinter Ephialtes einsetze; die anekdote hat Aristo-
teles sogar schwerlich damals schon gekannt, vielmehr zeigt sich, dafs Plutarch
(Per. 9) einem wolunterrichteten gewährsmanne (Theopomp) folgt, wenn er unmittel-
bar hinter der einführung des soldes die beschränkung des Areopages durch Perikles
erwähnt. Plutarch hat nur selbst Verwirrung gestiftet, indem er von sich aus den
ihm bekannten Ephialtes einmischt und dahinter den ostrakismos Kimons. als an-
tragsteiler wider den Areopag wird sich Perikles des Archestratos bedient haben,
dessen gesetze die dreifsig cassirten (35, 2). das ist l^oxearQaros ylvxourjSovi
<PXvsie, der beim volke die abschaffung der gerichtshoheit der Chalkidier durchsetzt
(CIA IV p. 11), gegen Poteidaia Stratege ist, und 429/28 obmann der Schatzmeister
Athenas (CIA I 122). den Vatersnamen, der auf die Lykomiden deutet, gibt Thuky-
dides (I 57), den demos, den man wünscht, die schalzmeisteruikunde, wo ein name von
fünf, wie in der nächsten, oder von sechs buchstaben, wie in der übernäclii-toii
zeile gefordert wird, sein bruder wird der feidherr KleofirSts yivyo/u^Sovs (Plvevi
sein iCIA IV p. 32). ob der demokrat XaiQtas ^AQxeaxQärov , 411 raftias ttjs
IJaQaXov (Tliuk. VllI 74), sein söhn ist, bleibt ungewifs. denn einen XaiQäas hat
Eupoiis in den Bapten als IsVos bezeichnet, womit der scholiast vergeblich den
XaiQEOv viöe erklären will, der als awr^yo^os in den Wespen 687 vorkommt, und
den ich nicht kenne, ein Archestratos lebte damals, der sehr häfslich war und
Politik ß 12. 69
Perikles eingeführt, und jeder demokratische Staatsmann wäre in dieser
richtung fortgeschritten bis zu der jetzigen demokratie". auch das
wird tatsächlich berichtigt "es hegt am tage, dafs diese entwickelung nicht
in der absieht Solons gelegen hat, sondern die folge von ereignissen ist,
die er nicht voraussehen konnte, das volk ist durch den erwerb der see-
herrschaft übermütig geworden und hat sich schlechte führer genommen
trotz dem widerstände der verständigen. Solon selbst hat ja dem volke
nur die allernotwendigste macht verheben, das active Wahlrecht und die
controlle der beamten ; ein volk, das nicht einmal so viel besäfse, würde
unfrei und in folge davon den herrschenden feindhch gesonnen sein,
das passive Wahlrecht für alle ämter gehört nach Solon den höheren
und begüterten schichten der bürgerschaft, den pentakosiomedimnen, zeu-
giten und drittens der steuerclasse, die ritter heifst.^'} die vierte sind die
theten; die hatten an gar keinem amte anteil".
So sind beide kritiken berichtigt, eine eigne wird nicht formuhrt,
geschweige denn die folgerung, welche die Politik praktisch zieht, die
fortlassung der solonischen Verfassung aus der reihe der "mit recht be-
lobten", worin freilich die schärfste kritik liegt, summiren wir also
aus den einzelposten die aristotehsche ansieht, die jetzige demokratie,
über die kein wort zu verlieren nötig ist, hat Solon weder gewollt noch
geahnt; sie mufs also bei seiner beurteilung unberücksichtigt bleiben,
die demente, die nicht demokratisch sind, den rat der Areopagiten und
deshalb 'söhn der haubenlerche' hiefs {KoqvSevs von xo^vSaUös gebildet, Eupolis
im Goldenen Zeitalter 4, Komikerglosse inteipolirt als Zenob. IV 59, daraus im
Hesych); vielleicht war er der seher, von dem Polemon erzählt, dafs er als kriegs-
gefangener gewogen nur einen obolos wog (Athen. Xll 552<=), ein anderer wird als
cumpan der söhne des Perikles von Anlisthenes schmutziger dinge bezichtigt (Ath.
V 220*'). man wird an die 'innoxQärovs vrjvia erinnert, in der der junge Perikles
bekanntlich lebte, diesen wird man mit dem Archestratos von Phrear identificiren,
der mit Perikles 406/5 Stratege war und vor Mytilene fiel (Xen. Hell. I 5, 16.
Lysias 21, 8). ein anderer safs 405/4 im rate (Xen. Hell. II 2, 15). einer von diesen
gibt ein urteil über Alkibiades ab (Plut. Alkib. 16, 5). es leuchtet ein, dafs man
die personen nicht sondern kann , und schwerlich werde ich alle stellen gesammelt
haben.
41) Ist es schon an sich eine lediglich von modernem Stilgefühl dictirte
forderung, dafs Aristoteles die classen in ihrer richtigen folge nennen soll, so ist
jetzt klar, weshalb er sagt xai tqItov tHovs t^s xalovfxsvrjs InnäSos. er will
nicht iTtTiEcov sagen, weil man sonst ritter verstehn könnte, und er billigt die ab-
leitung des namens von der imioTQOfia nicht (vgl, 7, 4), die doch andere an-
nahmen, deshalb wählt er eine periphrase, und nun tritt dieses längere glied aus
rücksichten des wolklanges an den schlufs.
70 I- 3- Solon.
das passive Wahlrecht der hegiiterten, hat er bereits vorgefunden; die
kommen also für seine beurteiliing auch nicht in betracht. auch das active
Wahlrecht des volkes ist keine neuerung von ihm: es blieb also nur x6 rag
aQxag (.v^vvelv, die controUe der beamten (die durch ein gericht erfolgt),
wie es an der einen stelle, die aus allen bürgern erlosten richter, wie es
umfassender an der andern heifst. damit erfüllte Solon eine unabweisbare
forderung des volkes, aber die Volksgerichte, durch die er sie erfüllte, haben
tatsHchlich alle übrigen institutionen sich dienstbar gemacht und zu der
jetzigen demokratie geführt, einer positiv schlechten Verfassung, wenn
das wider Solons absieht geschehn ist, so entlastet das den weisen und
wolwoUenden mann moralisch: aber er kann dann unmöglich ein ge-
setzgeber sein, bei dem ein pohtischer theoretiker viel lernen kann, seine
Verfassung, die "rtdrQLog 7toXtTela\ mag das lob einer guten mischung
verschiedner demente immerhin verdienen, auch wenn er selbst ihr diese
demente nicht erst zugeführt hat. aber diese Verfassung ist es nicht,
die die menschen meinen, welche Solons lob singen ; sie kann überhaupt
nur durch historische forschung nach Wahrscheinlichkeit festgestellt werden,
und fällt schon deshalb fort, weil sie controvers ist. rund heraus würde
Aristoteles zu seinen zuhörern etwa so haben sprechen können. "Ihr
erwartet hier nun eine kritik der Verfassung, unter der wir leben, der
solonischen. es tut mir leid, aber sie gehört nicht her. die jetzt in
Athen bestehende demokratie meine ich ja immer, wenn ich von der
typischen "^demokratie" rede, und wir wissen alle, dafs sie schlecht ist.
nun tut man Solon freilich schweres unrecht, wenn man ihn als ihren
Stifter ansieht: er hat so etwas wahrlich nicht beabsichtigt, aber eine
folge, wenn auch eine unbeabsichtigte, seiner Schöpfung, der volks-
gerichte, ist sie allerdings, und schon deshalb kann seine wirkliche Ver-
fassung auch nicht schlechthin gut gewesen sein, übrigens war er gar
kein schöpferischer Organisator auf dem politischen gebiete, und sein
werk als ganzes hat auch nur eine ganz kurze zeit bestand gehabt,
also gehört weder er noch sein werk, wie es wirkhch war, noch wie es
umgestaltet jetzt besteht, hierher, festhalten wollen wir nur das hebeus-
würdige bild des weisen Solon , das in seinen gedichten vor uns steht,
und das wollen wir uns durch keine mafslosigkeit in bewunderung oder
Verunglimpfung trüben lassen, er war ein einziger mann: noch keiner
hat es ihm nachgetan, die macht, die er in den bänden hatte, ledigHch
zum vorteil des ganzen , zu einer Verfassung zu verwenden , die die
rechte mitte zwischen demokratie und aristokratie hielt.'"^) und wenn
42) Dieses in dem munde des verehreis der miltelstraCse besonders hohe lob
Politik B 12. 71
sein werk keine dauer gehabt hat, so war doch was er gewollt hat
edel und gut, und zwischen seinen beurteilern findet ihr euch am besten
durch, wenn ihr, wie ich es hier getan habe, sein eigenes wort zu
gründe legt
drj(.i(o (.lev yccQ %dcoy.a xöaov y.QaTog Öggov Ci7iaqy.sl
Ti/iirjg ovT^ a(p€?^cov ovz krtOQeS,ä(.ievog.
ot d^ elxov ßioTov ymi XQri(.iaOLV ^aav ayi]Toi,
xa« TOLO scpqaoaf.ii]v (.irjosv aeixeg sxsiv^).
Die beurteilung der person und des Werkes ist an beiden orten
wesenthch dieselbe; ihr hauptunterschied hegt darin, dafs die verfassungs-
geschichte Athens die wirtschafthche reform Solons in den Vordergrund
rückt, die für die theoretische speculation nicht in betracht kam. aber
da beide darstellungen unabhängig von einander sind, und keine ein
volles bild der solonischen Institutionen gibt, so müssen wir sie ver-
gleichen und für deren Vollbild aus beiden züge nehmen, beide geben
an, dafs der rat auf dem Areshügel schon vor Solon eine wichtige
Verwaltungsbehörde war, woran er nichts änderte, beide legen auf die
einsetzung der Volksgerichte den höchsten wert, aber die Politik, weil
sie die evd-vva der beamten besorgen, die PoUtie, weil die sg)soig an sie
allgemein gestattet ist, nebenher weil jeder für jeden rechtshelfer werden
kann, jene versteht also unter evd-vva nicht blofs die rechenschafts-
abnahme, sondern die controlle, das gerade machen von OKolial ^if.uo%eg
der beamten, was das wort ja zunächst heifst. in beiden tritt der rat
für uns auffallend zurück, ja die Politik nennt ihn gar nicht: sie hat
also seine mitwirkung wesenthch in die controlle der beamten verlegt,
und seit wir wissen, dafs die euthynen ratsherrn sind, poleten, Schatz-
meister, apodekten (kolakreten) unter dem rate stehn, ratsherren die
rechnung für alle beamten führen, darf uns das weniger verwundern."^)
ein Widerspruch scheint dagegen in betreff der beamtenwahl vorzuHegen.
steht an späterer stelle (// 11, 1296 «), und wird dadurch noch eindrucksvoller, dafs
Aristoteles den namen nicht nennt, also von seinen zuhörern erwartet, dafs sie den
einzigen' erkennen würden.
43) Ganz deutlich liegt dieser spruch zu gründe, wenn Aristoteles sagt toixe
Tt]V dvctyxaiordrrjv dnoSiSövai reo Srjfico Svvafiiv, ro ras o(>;^nS aiQeXad'ai (was
es schon hatte, 1274* 2) aal svd'vveiv ras 8' doxne ex rcöv yvioQificov xai rwv
svTfÖQOJi/ xars'atTjae näaai.
44) Gesetzt Aristoteles hätte schon damals die Verfassung Drakons gekannt,
so wufste er, dafs Solon den rat auch übernommen hatte, aber gerade das würde
er wol hervorgehoben haben, denn Solons Verantwortung für die demokratie sinkt
dadurch.
72 I- 3. Solon.
nach der Politie hat Solon für die archonten und eine anzahl anderer
behürden, die vorher vom Areopag besetzt worden waren, die losung
aus einer durch die phylen praesentirten hste eingeführt, in der PoUtik
gibt er an, dafs Solon dem volke die wähl der beamten gab oder
vielmehr liefs. es ist nicht wol zu glauben , dafs er seine ansieht
geändert halte, also sind wir zu dem Schlüsse gezwungen, dafs aiQelo&ai,
tag aQx<^S ^^n einem v.XriQovv «z ytQoytQiTiov auch verstanden werden
kann, und in der tat ist das möglich, vor allen dingen steht bei Aristn-
teles selbst 26, 2 rrjv twv kvvecc aQxöwtov ai'geotv ovy. emvoir,
aXX' — 1/ riJöv ^svyiTCüv eyviooav TiQozQiveoO^at rovg •/.IriQwd^rjOOf.ii-
vovg. die stelle genügt eigenthch allein, aber um der Wichtigkeit der
Sache willen möge hier mehr stehn. Isokrates rühmt im Areopagitikos
den wahlmodus der ^aTQiog TtoXirsia (22), wo sie lebten ovy. k^ anav-
Tiüv rag a(>x«S y.liqQOvvT£g, aXXa rovg ßelziOTOvg yial rovg Ixavio-
TccTovg Icp' exaoTov rüiv egycov 7CQoxQtvovT€g, und das sogar für demo-
kratischer hielten als das los, kv /nev yag rij yilrjQioosL rijv rv^r^v
ßgaßeioeiv /.al jtolXäv.ig XrjijJcoS-ai rag aQxag rovg oXiyaQxiccg hci-
^vf.wvvtag, ev de tw ngoy.Qlveiv rovg ETtur/ieOTccvovg rbv d'^/.iov
eoeöd^aL y.vQwv sXiod^ai. in dem Staate der platonischen Gesetze ist
die losung aus erwählten candidaten für den rat vorgeschrieben, und es
wird ausdrücklich hinzugefügt rj aigeotg ovno yiyvoi-ievr] (.leoov uv
exoL f.iovaQXL'/.r}g yial drjfioKQazurjg noXiteiag (756).") im jähre 4 1 1
sollte der provisorische rat der 400 Ix Tr^o-ngircov bestehn, ovg av
sXwvraL ol (pvXitai (31, 1); die losung aus den nq6%qiT0L ist schlau
übergangen, ward aber von den 5000, die den antrag annahmen, ohne
zweifei verstanden: directe nominirung ist eben keine Ttqö'/.oLOig:")
45) Die platonische stelle hat mit der isokrateischen eine starke ähnlichkeit,
namentlich weil sich beide male eine auseinandersetzung über wahre und falsche
gleichheit daran schliefst (zu dieser vgl. auch Plut, Sol. 14, 2). ich bitte den
leser, die stellen aufzuschlagen; sie sind in dieser zeit, wo die platonische frage
mit anspielungen gelöst wird, sehr belehrend, denn Isokrates kann die Gesetze im
Areopagitikos nicht benutzt haben, und Piaton das sechste buch der Gesetze nicht
wol nach dem Areopagitikos verfafst haben, gesetzt, er hätte als greis bei dem
feindseligen rhetor lernen wollen oder können, die gedenken, die beide vortragen,
waren weder neu noch ihnen eigentümlich; gedacht sind sie von den führenden
Politikern der ■näxQio'i noXneia am ende des fünften Jahrhunderts, als Piaton und
Isokrates jung und empfänglich waren, einander ganz gut kannten und dieselben
politischen anregungen empfiengen, die sie jeder in seiner weise als männer fort-
gebildet haben, selbst dafs Piaton die drakontische Verfassung gekannt hat, lasse
ich für meinen beweis ganz fort, obwol ich es glaube.
46) Diese bestellung des rates ix n^ox^itcov gilt den leuten von 411 für xar«
Politik B 12. 73
Hypereides (Euxen. 26) sagt aiged^eig vtco oov und bezeichnet damit die
designation eines von der phyle zu wählenden ovvrjyoQog, wo also etwa
TtQoßalXsLV statt aiQelGd^ai erwartet wird, es ist in dem wahlmodus des
/.IriQOvv £"/ 7iQoy.Qiriov, der erlosung aus einer durch wähl bestimmten
liste, Zufall und absieht combinirt, und je nach dem, auf welchen der
beiden acte der redende gewicht legt, kann er das ganze danach bezeichnen,
so stellt Aristoteles selbst 22, 4 die agxovTeg aigetoL dem Y.va(.iBveiv
Ix TiQOXQLd-hrtüv entgegen, und kann doch rag agxag aiQelad^ai von
diesem letzteren wahlmodus sagen, aiQSla^at ist eben eine vox media, wo
auf die directe volkswahl etwas ankommt, wie bei allen militärischen
Chargen, ist der unzweideutige ausdruck x^iqotovsIv feststehend, wir
verfügen nicht leicht über analoga, aber wir betrachten doch den ab-
geordneten als einen gewählten, über den in der Stichwahl das los ent-
schieden hat, und wenn z. b. die kreistage fünf candidaten wählten, von
denen einer als Vertreter des kreises im provinziallandtage ausgelost
würde, so könnte dieser sowol als ein gewählter Vertreter angesehn
werden, wie im gegensatze zu dem direct gewählten reichstagsabgeord-
neten als erlost, erst darin kann man wirkHch eine Schwierigkeit finden,
dafs die wähl der beamten in der Pohtik vorsolonisch heifst, während
nach der Pohtie der Areopag die meisten stellen bis auf Solon besetzte,
allein das löst sich so, dafs ja nur die archonten beamten sind, auf die
es für die Verfassung ankommt, und die werden in der tat vorher ge-
wählt, und zwar TtlovTirdrjv (3, 6). da also die erlosung aus einer liste
gewählter candidaten, die einzige neuerung Solons, mit recht oder un-
recht dem Aristoteles wie dem Isokrates unwesenthch schien, weil sie
den aristokratischen Charakter des wahlmodus nicht beeinflufste, so hatte
er vollkommen recht, zu reden wie er getan bat.")
T« näiQia, und auf eine von den demen festgestellte liste von TiQoxQid'ävte? geht
der rat immer zurück, aber sie forderten 411 den Vorschlag der phyle. ich zweifele
nicht, dafs uns dadurch der wahlmodus des solonischen und drakonischen rates
erhalten ist. erstens spricht die analogie dafür, und dann hat niemand später die
alten Institutionen so gut gekannt wie die Antiphon, Theramenes und genossen.
47) Dabei habe ich die Voraussetzung festgehalten, dafs Aristoteles in der
Politik von ürakons Verfassung nichts wufste. in ihr ist die wähl der hohen be-
amten nach vermögensclassen , daneben für andere niedere beamte das los vor-
gesehn. wenn sie mitgerechnet wird, ist die stelle über die wähl ohne weiteres
klar, aber die Politie, die den Drakon kennt, führt zwar, wie wir gesehen haben,
die steuerclassen als solonisch auf, ganz wie die Politie, doch mit dem dort fehlenden
Zusätze, dafs sie älter waren, das kann er nicht wol gewufst haben, als er die Politik
schrieb.
74 I- ^- Solon,
Ergebnis. Erst jetzt, nachdem das capitel der Politik inhaltlich erklärt ist, kann
es dazu verwandt werden, weshalb seine hesprechung eigentlich allein an
dieser stelle nötig war, die lobredner und tadler Solons kennen zu lehren,
die letzteren sind ganz offenbar dieselben ßXaoq)ri(.ielv ßovX6f.uvoi, mit
denen sich die Politie auseinandersetzt, denn an beiden orten wird der-
selbe Vorwurf ähnlich zurückgewiesen, das ist also die kritik der oU-
garchen, welche wirkHch die solonische Verfassung umgestürzt haben,
schritten von ihnen kannte Aristoteles also vielleicht schon eh er an di(
ausarbeitung der Politie gieng, aber wenn sie, was ich allerdings für sehr
wahrscheinlich halte, in den Atthiden, die Aristoteles vorwiegend benutzt,
abgewiesen, also auch ihre urteile angeführt waren, so ist für uns wedei
möglich noch wichtig zu wissen, was Aristoteles hier oder dort ihnen
direct oder indirect verdankt, erst wenn wir mehr auf diese tradition
zurückführen können, mag sich das aufhellen, in jedem falle vernehmen
wir einen nachhall der leidenschaftlichen angriffe, welche den Stifter der
demokratie trafen, weil die oligarchische reaction sein werk beseitigen
wollte.
Dagegen zeigt die Verteidigung durch die dr]f.wTr/.oi, von der die
Politie berichtet, keine Verwandtschaft mit seinen lobrednern in der
PoHtik. diese sind gar keine demokraten, denn sie loben die gute
mischung seiner Verfassung, sie haben geurteilt, dafs jede der drei seit
der Sophistenzeit und schon früher^*) anerkannten Verfassungsformen ein
gutes teil berechtigung hätte, und darum für die wirklich gute Verfas-
sung eine mischung der drei demente verlangt, sie haben sie in der
solonischen und ganz besonders in der lykurgischen gefunden (1265'' 33),
denn da reden offenbar dieselben leute, und für diese beurteilung Spartas,
also das alter dieser theorie zeugen nachdrückUch Isokrates Panath. 153,
und schon Piaton Ges. IV 712''. bekanntlich hat dieser, in der plato-
nischen ^^) und aristotelischen theorie nicht anerkannte gedanke der mischung,
später, vielleicht bei Dikaiarchos^"}, sicher in der jüngeren Stoa^*) und
48) Pindar Pyth. 2, 87.
49) Piatons ganzer weise mufsle dieses complicirte System zuwider sein: er
hat nur einen axonSs im gegensatze zu den andern, wie er es Ges. 12, 963 aus-
drückt, die a^cTjJ; der Staat suclit die SixatocvvTj. die reinheit kann keine mischung
vertragen, dafs er in den Gesetzen einzelne bestimmungen trifft, die auf eine /uel^is
des monarchischen und demokratischen hinauslaufen, und Aristoteles in der Politik
{J 1294 •* 35 u. ö.) das ev fiefielxd'ni rrjv nohreiav auch als ziel hinstellt, macht
für beider tendenz nichts aus, gehl auch zumeist nur kleinigkeiten an.
50) Sicher ist das nicht, denn der Byzantiner (Phot. cod. 37) der den patri-
cius Menas mit dem referendarius Thomas ein neues elSos noXizsCas erfinden läfst,
Ergebnis. 75
danach bei Polybios und nachfolgern eine grofse bedeutung erlangt, wer
ihn zuerst erdachte, war ein mann, der nicht nur geistreich zu denken
verstand, sondern auch, seine kritiii Solons zeigt es, mehr gesciiichthche
kenntnisse und mehr pohtisches urteil besafs, als die meisten praktiker
und theoretiker. aber ich kenne ihn nicht uud weifs nicht, wie ich ihn
finden sollte. Aristoteles hat ihn gekannt aber zu gering geschätzt, in
der Pohtie ist er nicht berücksichtigt, mit fug und recht, da sie nicht
theoretisirt.
o xal xaXsi Sixaia^)cix6v, und das eben die mischung aus den drei guten Verfas-
sungen ist, hat von Dikaiarchos nichts gewufst, sondern den 'rechtsstaat' erfunden,
seltsam dafs Osanns einfall bei so vielen beifall gefunden hat; sie müssen bei Photius
gar nicht nachgelesen haben. Dikaiarchos verdient eine neue bearbeitung. der Byzan-
tiner geht am letzten ende auf Panaitios zurück.
51) Vermutlich auch schon der älteren; wenigstens wird in dem abrifs der
ethik bei Diogenes 7, 131 die /isUis gefordert, und da gehn die Kynismen der
Politie Zenons unmittelbar vorher.
4.
DRAKONS VERFASSUNG. 0
Herkunft Anstotelcs hat sein viertes capitel in einen für ihn bereits gegebenen
berichtes. Zusammenhang eingeschoben, aus dem es herausfälh. die Umgebung stammt
aus der Atthis; diese hat also nichts von der drakontischen^) Verfassung
gewufst. das stimmt dazu, dafs die gesammte tradition sie nicht kennt,
ja Aristoteles selbst hat, als er die Politik schrieb, nur so viel wie die
Atthis von Drakon gewufst. das hat sich in dem vorigen capitel ergeben.
er hat die Verfassung also erst irgendwoher kennen gelernt, als er daran
gieng die Pohtie zu schreiben; dann aber hat er dieser Überlieferung
vollen glauben beigemessen.
Neben der Atthis haben wir als quellen des Aristoteles bereits oli-
garchische parteischriften kennen gelernt, und wir werden später sehen,
dafs sie ihm die geschichte des fünften Jahrhunderts fast ganz gehefert
haben, gerade die actenstücke, die er aus dieser quelle für das jähr 411
entnimmt, stehen mit der Verfassung Drakons in so naher beziehung,
dafs wir vor dem dilemma stehn: entweder haben die ohgarchen von 411
sich an diese Verfassung Drakons angeschlossen, oder aber sie haben sie
zu gunsten ihres planes als angebhches Vorbild erfunden, in beiden
fällen ist der schlufs unvermeidlich, dafs Aristoteles seine kenntnis der
1) Ich habe dieses capitel noch im winter 91 geschrieben und nur für die
drucklegung Januar 93 stilistisch redigirt. nur in betreff der lesart habe ich die neue
lesung der handschrift befolgt, die nun schon wieder durch Sandys in frage ge-
stellt ist. es hat das aber für die frage, was Aristoteles geschrieben hat, keine
bedeutung, so wenig wie die mir bekannten erklärungsversuche für das was er ge-
meint hat
2) Man mufs es den philologen immer noch einschärfen, dafs der mann
'drache' hiefs, und also nicht wie die kurznamen <PiXiov JJifiwv declinirt wird, das
Scheusal 'drakonisch' sollten wir den Zeitungsschreibern und volksrednern für den
metaphorischen gebrauch überlassen.
Herkunft des berichtes. die bürgerschaft. 77
drakontisclien Verfassung diesen oligarchischen gewährsmännern ver-
dankt, da man ihnen ebensowol die kenntnis einer in der demokrati-
schen Überlieferung zu gunsten Solons vergessenen Verfassung zutrauen
kann wie den mut einer tendentiösen erfindung, so hilft uns diese einsieht
in die herkunft des berichtes nicht einmal zu einem praejudiz über
seine innere glaubwürdigkeit.
Dafs Aristoteles die Verfassung entlehnt, zeigt die form seiner rede,
da er zum teil im accusativ mit infmitiv spricht, was man unmöglich auf
die oft entsprechend stilisirten gesetze selbst zurückführen kann, ein
wirkhches actenstück liegt auch nirgend zu gründe, geschweige denn
eins aus dem siebenten Jahrhundert, denn wenn auch die spräche natür-
hch bestes attisch ist, so fehlt doch nicht nur alles archaische, sondern
selbst eine jede spur, die so deuthch wie oben TtöXig und KaracpaTi^eiv
für das fünfte Jahrhundert Zeugnis ablegte.^) es ist ja auch gar nicht
denkbar, dafs auf den geselzestafeln Drakons, die bis ans ende des fünften
Jahrhunderts existirt haben, eine solche Sammlung von bestimmten ver-
fassungsgesetzen vereint gestanden hätte, wenn der bericht auf Wahr-
heit beruht, so hat sein urheber die für das allgemeine giltigen Sätze aus
den einzelbestimmungen der gesetze für die magistrate herausgesucht
und zusammengefafst.") Aristoteles mag ja gekürzt haben; aber es ist
unter diesen umständen sehr wahrscheinlich, dafs er manches nicht fand,
was er gern gewufst hätte, wir wollen uns also hüten, ihn zu schelten,
wenn er uns viele fragen nicht beantwortet, die wir auf den hppen
haben; er hat wol eher manches mitgeteilt, was er schwerUch selbst
ganz verstand, eben weil die Sachen so sehr merkwürdig waren.*)
Am ende sind wir doch allein auf die inhaltliche prüfung der Ver-
fassung selbst angewiesen, dafs die oligarchen von parteiinteresse ge-
blendet waren , mag gegen , dafs Aristoteles ihr glauben geschenkt hat,
für dieselbe sprechen: schhefslich mufs sie über sich selbst ent-
scheiden.
Die beteihgung an den slaatsgeschäften ist auf diejenigen beschränkt. Die bürger-
° ° ° 111 Schaft.
die sich selbst equipiren können.^) da hören wir in dem ausdrucke
3) Selbst das seltene k'roe brauclit Aristoteles nicht nur hier, sondern auch in
der Politik Z 1322» 12 und Theophrast bei Athenaeus 77 f. dagegen hat ovaia
zu Drakons zeiten keinesfalls schon existirt.
4) Vgl. was im 7. capilel über die form der Verfassungsgesetze gezeigt wird.
5) Ganz ebenso hat es Aristoteles mit dem Verzeichnis der 20000 sold em-
pfangenden Athener gehalten, vgl. das capitel '3000 hopliten von Acharnai'.
6) Das plusquamperfectum aneSiSoro kann an sich bedeuten, dafs dieser zu-
78 '• 4. Drakons Verfassung.
öftXa Ttagexäi-ievoi die terminologie der 400 ; sie brauchen wir Drakon
nicht zuzutrauen, aber die sache, die vielleicht gar nicht als seine
neuerung gelten soll, ist beinahe selbstverständlich, denn das passive
Wahlrecht und damit die Staatsverwaltung ziemlich ganz und gar hat auch
Solon den bürgern der drei oberen classen bewahrt, auf welche auch
der kriegsdienst mit der waffe beschränkt ist. dafs er den theten die
beteiligung an der Volksversammlung und den geschwornenstellen er-
öffnet, ist eben seine neuerung. und dafs Drakon sie von der activen
wähl ausgeschlossen hat, so weit diese etwa nach ihm in anwendung
kam, ist keineswegs ganz sicher, wie notwendig jedem Athener diese
begriffsbestimmung für die /neTsxovreg Tijg TTolireiag in einem guten
Staate erschien, lehrt am besten, dafs Piaton in den Gesetzen 753 von
ihr ausgeht, man wird vielleicht bei Drakon nicht blofs den census,
sondern auch den adel als bedingung für die teilnähme an der Staats-
verwaltung erwähnt wünschen, allein die Zugehörigkeit zu einer der
vier adelsphylen, also auch zu einer phratrie, liegt zwar in dem be-
griffe des damaligen bürgers, aber sie schliefst längst nicht mehr
den wirklichen adel ein. in den curien sind die plebejer mit: das
soll man nie vergessen, vielleicht erwartet man noch mehr die gliederung
in die drei stände erwähnt zu finden, die doch noch 581 in dem archonten-
collegium Vertretung gefunden haben, allein schon unter könig Theseus,
der doch adel bauern und handwerker schied und dem adel die ämter
und die gesetzeskenntnis vorbehielt, ist in allem übrigen die bürgerliche
gleichheit durchgeführt (fgm. 2). und in des Aristoteles *^ältester Ver-
fassung' geschieht die besetzung der ämter nach adel und reichtum (3, 6).
darauf folgt passend die berücksichtigung des census allein und die ab-
stufung der berechtigung nach dem gelde. so ist es bei Solon, wie wir
wufsten. dafs etliche jähre vorher Drakon dasselbe verordnet hatte, ist
für uns neu: aber wie sollte es undenkbar oder auch nur unwahrschein-
lich sein?
Die classen. Solou hat die quaüfication zur bekleiduug der ämter nach dem
census abgestuft, wir wissen genauer nur, dafs für die Schatzmeister
stand vor Drakon schon bestand; das hat zwar Aristoteles nicht gesagt, aber er
fügt hier ja etwas fremdes ein und könnte die einarbeitung nicht vollendet haben,
indessen ist das praeteritum des perfectstammes sehr wol geeignet, wenn für die
Vergangenheit geschildert wird, was für die gegenwart anoSiSotai lauten würde,
'plusquamperfectunr)' trifft eben für diesen gebrauch nicht zu. wenn es ein gesetz
war, so hiefs es ja cmoSeSöod'ai, nicht änoSiSoa&at, also ist diese auffassung,
die dem Aristoteles nichts zumutet, vorzuziehn.
Die classen. 79
die erste classe, für die archonten wenn nicht diese, so doch die erste
oder zweite gefordert war (so war es bis 457), für alle mindestens die
dritte, die vier classen bestanden auch zu Drakons zeit : das sagt Aristo-
teles ausdrücklich ; dals Drakon sie geschaffen hätte, sagt er nicht, mufs
es aber geglaubt haben, da die Atthis sie Solon zuschrieb, was er von
Drakons Verfassung mitteilt, führt sie jedoch nicht als etwas neues ein.
mit ihren solonischen namen erscheinen sie darin einmal, bei der ab-
slufung von Ordnungsstrafen, dagegen werden bei der qualification der
beamten zwar drei classen unterschieden, aber sie führen nicht die solo-
nischen namen, und es werden andere auf das vermögen, nicht auf das
einkommen, begründete sätze angegeben, zwar die unterste stufe ist
im gründe dieselbe, hier ist die eigne equipirung ausdrücklich verlangt;
die solonischen hopliten sind die zeugiten tatsächhch, und seinem be-
griffe nach bedeutet das wort den besitzer eines gespanns. einem solchen
traut man zu einmal 200 scheffel zu ernten, andererseits sich hämisch
Schild und heim halten zu können, da ist also die ausgleichung von
^svylrrjg mit drcXa TtaQSxo/^ievog in demselben drakontischen Staats-
wesen ganz unbedenkhch. schwierig wird es erst bei den beiden oberen
classen, für die bestimmte Ziffern angegeben werden, und zwar zunächst,
weil eine dieser Ziffern verdorben ist. der Überlieferung nach ist für
archonten und Schatzmeister eine ovola sXsv^sQa von 10, für Strategen
und hipparchen eine solche von 100 minen gefordert, da ist schon das
Verhältnis 1:10 schlechtweg unglaublich; ferner aber gehört es sich,
dafs die archonten und Schatzmeister den höheren census nachweisen,
denn die letzteren haben es dem buchstaben des gesetzes nach immer
tun müssen, und für die archonten müssen wir es auch erwarten,
während der feldherr nie an das vermögen gebunden sein kann, so
lange er wirklich für den krieg bestimmt ist, und tatsächlich auch ein
census für die militärischen Chargen, so viel wir wissen, nie bestanden
hat.') nur ein reitpferd mufs der officier haben, und in der adelszeit,
die die cavallerie für vornehmer hält, gehört der sport der iTtnorgocpLa
dazu, um solche Stellung ausfüllen zu können: es versteht sich im gründe
von selbst, dafs die %TtnaQyfii aus den iTtTirjg genommen werden, und
was auch die Atthis und Aristoteles sagen mögen, die etymologie ist
zuverlässiger, und sie lehrt, dafs die zweite steuerclasse ursprünglich
7) Er ist auch nie geplant, am wenigsten von den 400, die ja vielmehr gerade
10 argaTT/yoi mit ziemlich unumschränkter gewalt einsetzten, zu denen ein gänzlich
verschuldeter mensch wie Phrynichos gehörte.
80 I. 4. Drakons Verfassung.
die leiite umfasste, die sich ein pferd halten konnten und beritten zu
felde zogen, ist also eine zahl falsch, so fragt sich immer noch, welche.
das hängt von dem begriffe ovoLa ab. wenn es das einkommen be-
zeichnen könnte, so wären 10000 dr. zu viel, aber ovaLa heifst eben
nicht einkommen, und kXsvd-eQog pafst auch dazu nicht, es ist ein
fehler, dafs wir uns in unserer ausgäbe durch die analogie der soloni-
schen classen und die leichtigkeit iy.ar6v zu emendiren haben ver-
leiten lassen, diesen weg zu gehn. bedeutet also ovoia das vermögen,
wie immer, so ist die erste zahl verdorben, denn selbst bei 20 ^/o zinsen
ergibt sie nur ein einkommen von 200 dr. , und dabei soll der mann
der ersten classe für eine versäumte sitzung 3 dr. strafe zahlen, drei-
mal so viel als nach dem Verfassungsentwürfe von 411, so dafs dir
ausrede, der wert des geldes wäre unverhältnismäfsig höher gewesen.
nicht zieht, es ist also 8iy.a verdorben, und die zahl, die da gestanden
hat, war viel höher als 100. man erwartet diaY.ooio}v^)', aber Zahlwörter
lassen sich aufs gerade wol schlecht verbessern.
Wenn wir so wenigstens im allgemeinen wissen, was die stelle
besagen will, so erheben sich sofort zwei neue bedenken, konnte
denn Drakon von minen reden , da es doch noch keine attische münze
gab? und wie kam er dazu, die classen, deren namen auf das ein-
kommen bezogen sind, auf das vermögen zu stellen? beiden fragen soll
ihre antwort werden.
Die münze. Es ist wahr, CS gab noch kein attisches geld. aber das gab es auch
nicht, als Solon ein par jähre später den münzfufs änderte, und selbst
er hat die attische prägung nicht angefangen, sondern erst Peisistratos.^)
der wirtschaftliche fortschritt liegt ja nicht in der staatHchen Stempelung
der cursirenden melalJstücke, sondern in der einführung des edelmetalls
als des mafsgebenden tauschmittels und dem entsprechend eines festen
gewichtsystemes. beides hat notorisch lange vor Solon bestanden, denn
er hat es geändert und fand die hypothekenschulden auf drachmen
normirt vor. er war selbst ein handelsmann und hatte viele ferne
kUsten befahren: der handel war längst nicht nur rechnungsmäfsig auf
geld gestellt, sondern es cursirten auch münzen, nur noch keine atti-
schen, nicht von ferne also kann die mine oder drachme in den drakon-
tischen gesetzen befremden; 100 minen, wo man später 10000 drachmen
8) So halte mittlerweile Weil ebenfalls vermutet, dem ich die priorität der
Veröffentlichung gern bezeuge.
9) Ich verstehe nichts von münzen, bin also auf die aulorität anderer an-
gewiesen, Head doctr. numin. 309 und die dort citirten.
Die mänze. alter der classen. 81
ZU sagen pflegt, klingt sogar altertümlich, und da Solon nicht nach
dem stater, sondern nach der drachme gerechnet hat, wird man auch
das hei Drakon nicht anders erwarten, aber wir wissen doch zu-
verlässig, dafs Drakons gesetze noch bufsen in homerischer art nach dem
werte von rindern bemafsen.*") aber dieselbe Überlieferung berichtet,
dal's der attische herold an den Delieu die preise nach rindern berechnet
ausrief, während sie in geld gezahlt wurden, das rind zu zwei drachmen
gerechnete") das sind alte formelhafte ausdrücke, die um 600 häufiger
gewesen sein werden als um 300, aber wenn sie es hier nicht tun,
auch da nicht die münzrechnung ausschliefsen. lediglich aus diesen
formein ist die Irrlehre entstanden, dafs das älteste attische münzbild das
rind gewesen wäre, und nicht anders ist die angäbe des Phalereers zu
beurteilen , dafs zu Solons zeit das rind fünf, das schaf eine drachme
gegolten hätte, das waren gleichungen wie die delische; im ernst kann
den wert des ßovg £QyaTr]g, den zu töten ein frevel war, von dem ein
joch den bauer zum hopliten machte, niemand so niedrig schätzen.'^)
in der erwähnung der münze liegt also kein anstofs. gemeint ist natür-
Jich aeginäische Währung; aber das ist für die hauptsache gänzUch be-
langlos.
Schwerer wiegt die gleichsetzung des penlakosiomedimnen mit dem ^'ter der
^ ^ o r classen.
besitzer eines grundstückes im werte von 20000 dr, dann mufs der
wert der 500 schelTel gleich den ziiisen jenes Vermögens sein, also bei
dem niedrigen Zinssätze von 12*^/0 2400 dr. das ist doch wol zu viel,
auch wenn man die gleichung von scheflel und drachme, wie man mufs,
aufgegeben hat. zu viel nämlich, wenn man gerste rechnet; beim weizen
ist es schon anders, und wenn es gar öl oder wein ist, oder sesam oder
10) PoUux 9, 61 ccTtoriveiv ety.oaißoiov.
11) Pollux ebenda ev t^ naoa Jr,XCois d'sco^ia -zbv y.i']QV7ca (den atüschen
nämlich) y.r]ovrreiv. diese worte sind also geschrieben, als es Delier gab, und Athen
die alte theorie dahin sandte, also im dritten Jahrhundert, also von Philochoros.
das bestätigt sich durch schol. Ar. Vög. 1106, wo er das rind für den ältesten
Stempel erklärt, ganz wie hier, er wird, wie die Atthis überhaupt, diese prägung
auf Theseus zurückgeführt haben (Flut. Thes. 25). nach dem dargelegten ist es
müfsig nach münzen mit einem rinde zu suchen, die in Athen cursirt hätten, oder
das Spruch wort ßovs ini ylwaari heranzuziehn, das erst durch eben dies mis-
verständnis auf bestechung gedeutet ist, während es den knebel meint.
12) Flut. Sol. 23. natürlich darf man nicht an den marktpreis denken, wenn
Opfergesetze ein schaf, einen scheffel und eine drachme gleichsetzen, die wirk-
lichen summen in Solons gesetzen, 1 dr. jagdpreis für einen jungen, 5 für einen
alten wolf, 100 dr. ehrensold für den sieger an den Isthmien, 500 für den an den
Olympien lassen keinesweges einen sehr hohen wert des geldes erkennen.
V. Wilamowiiz, Aristoteles. 6
82 !• 4, Drakons Verfassung.
feigen? so steht es vielmelir: 500 scheffel, wie die leiite, die noch keine
pedanten sind, sagen, (während der moderne steuermensch von 500-
medimnen- respective -raetreten-einkommen reden würde) repraesentiren
überhaupt gar nichts, was sich in eine feste summe umrechnen hefse,
denn die bodenerzeugnisse, die man mifst, sind allzuverschiedenen wertes,
ganz abgesehen davon, dafs es sich hier um bruttoertnig handelt, während
in dem drakontischen gesetze sehr vorsorglich schuldenfreies vermögen
gefordert ist. freihch, wer dem Solon die Schöpfung der vier auf den
bruttoertrag gestellten classen zutraut, der kann an die vermögensclassen
Drakons nicht glauben, aber wenn die Atthis und Aristoteles die durch-
sichtigen namen iJtnEvg und uevyiTrjg mit allen mittein so umdeuten,
dafs auch für sie ein auf 300 oder 200 medimnen gestelltes einkommen
gefordert sein soll, so verraten sie damit, dafs die classennamen schon
in den gesetzen Solons als etwas überkommenes angewandt worden sind,
ohne eine deünition zu finden, wie notwendig der fall gewesen wäre, wenn
er sie geschaffen hätte, wie wäre es denn sonst möglich gewesen, dafs
man über die bedeutung stritt? formell sind sie niemals abgeschafft
worden , sonst hätte ja das gesetz nicht immer noch die 500 scheffel
von den Schatzmeistern gefordert, aber das stand eben nur auf dem
papiere. die candidaten des archontenamtes wurden einfach gefragt *^olt
sie ihre steuern zahlten', und diese waren seit 378/7 auf die einschätzung,
das Ti/.irjf.ia, begründet, damit waren die classen tatsächlich beseitigt,
so viel ich weifs, werden sie zuletzt im frühjahr 386 erwähnt'^), als
die kleruchie Lemnos neugeordnet ward; im fünften Jahrhundert be-
gegnen sie auch bei einer coloniegründung (CIA 1 31), aber wie die
directe Steuer, die eioqjoQä, damals eingerichtet war, ist unbekannt, zu
den regelmäfsigen leistungen gehört sie damals nicht, und diese sehen
von den classen ab: nicht die pentakosiomedimnen, sondern *^die reichsten'
werden zu der choregie u. dgl. herangezogen (56, 2). die doch sonst auf
das alte möglichst hinarbeitende Verfassung der 400 hat wol die unlere
grenze der oVr/a 7taQE%6fxEV0L, und zwar ohne absolut fixirtes minimal-
einkommen oder minimalvermögen, wieder eingeführt, aber von den
classen im übrigen ganz abgesehen, so lebensunfähig waren sie schon
damals.") was sollte man auch in der zeit des höchstens reichtums und
13) CIA II 14. dafs der beschlufs aus den letzten prytanien des Theodolos
ist, folgt daraus, dafs er offenbar durch den Antalkidasfrieden hervorgerufen worden
ist, der selbst erst 3S6 fällt.
14) Dies ist ein unwidersprechlicher beweis dafür, dals dieselben leute nicht
Alter der classen. 83
zugleich der macht des beweghchen capitales mit einer alten auf den brutto-
ertrag der landwirtschaft gegründeten classeneinteilung ? immerhin mufs
ja wol irgendwann einmal die feste scala 500 300 200 scheffel statt der
älteren einfachen, die die Wörter selbst bezeugen, behebt sein ; aber selbst
die bedeutung der classen war streitig, als die Atthis schriftstellerisch
bearbeitet ward, geht man nun ins sechste Jahrhundert hinauf, so
hat Peisistratos bekannthch eine reine einkommensteuer erhoben, also
viele jähre lang sind die classen höchstens als wahlqualification in be-
tracht gekommen, so weit die tyrannis die Wahlgesetze functioniren
liefs.'^) und dafs sie selbst zu Solons Zeiten durchaus nicht die bedeu-
tung gehabt haben können, die uns durch den täuschenden schein nahe
gelegt wird, weil unsere berichte sie erst unter ihm erwähnen, folgt
am besten daraus, dafs der nächstliegende gedanke niemandem kommt,
die Veränderung des mafses hätte doch eine Verschiebung der staatlichen
rechte zur folge haben müssen, wenn Solon die scheffel grölser machte,
wie Aristoteles sagt, so verlangte er einen höheren census, schlofs also
eine nicht geringe anzahl bürger vom passiven Wahlrechte aus; machte
er aber den scheffel kleiner, wie er es wirkhch getan hat, so wurde
selbst der Areopag einem weiteren kreise zugänglich, das ist eine not-
wendige folgerung. wenn sie niemand zieht, so war eben die classen-
teilung 594 schon eine nicht mehr den entwickelten Verhältnissen an-
gemessene ältere institution.
Man mufs doch die dinge nehmen, wie sie ihrer natur nach sind,
es ist eine einfache und verständige Ordnung, in der bürgerschaft erst
einmal die arbeiter abzusondern, die proletarü, die für den Staat nichts
weiter schaffen als die proles, dann die wehrfähigen des fulsvolks und
der reiter, und darüber eine oberste schiebt, die einzige in Wahrheit,
die mehr einnimmt und besitzt, als für die führung eines standesgemäfsen
die drakontischen classen, noch dazu in der doppelten art ihrer bezeichnung, er-
finden konnten.
15) Da die demokratie directe steuern, auch als gemeindesteuern, nur im not-
falle erhebt, so fordert auch sie selbst für die wahlqualification nur eine ideelle
Steuereinschätzung, ein fictives rslos. wer sich zum archontenamte meldet, mufs
vor der meidung und nachher, wenn er erlost ist, sich zu einem Steuersätze,
d. h. zu einem einkommen bekennen, verificirt wird es nur, wenn bei der wahl-
prüfung ein einwand aus diesem gründe erhoben wird: davon ist mir kein special-
fall bekannt, offenbar sind die höheren stände viel mehr durch die öffentliche
meinung abgegrenzt worden, sehr viel exclusiver, als es durch die niedrigen sätze
der steuern möglich war. die liturgie aber ist ein anderes und viel wirksameres
steuerprincip. seit sie besteht, kommt auf die classen nicht mehr viel an.
G*
'g4 I. 4. Drakons Verfassung.
Ii;iushaltcs notwendig ist. und es ist eine einfache und verständige
gliederung dieser stände, dafs der bauer, der sein land mit der hilfe
seiner frau und des Joches ochsen bestellt •''), wehrhaft ist, weil er seine
volle rilstung neben seinem herde hängen hat, dafs sich über dieser
breiten schiebt der hopUten der berittene adel erhebt, dem seine mittel
und neigungen ein pferd zu halten verstatten, und hervorragend aus
diesem adel eine kleinere schar von grofsgrundbesilzern, die sehr äufser-
lich, aber für die alten Verhältnisse zureichend ein ziemlich tief gegriffener
bruttoertrag ihres ackerlandes heraushebt, diese Ordnung setzt eine
starke bäuerliche bevölkerung voraus, einen von den bauern nicht eben
stark unterschiedenen ländlichen adel, wirklich grofse guter überhaupt
noch nicht, sie setzt ferner eine landwirtschaft voraus, die wesentlich
auf den körnerbau gerichtet ist; wein mag daneben stehn, aber die
ölproduction und die gartenwirtschaft, die schon um 600 in Athen vor-
waltet, pafst für diese classen so wenig wie die industrie der Peisistra-
tidenzeit. der adel, d. h. die reiterei, ist gegenüber der späteren zeit.
so sportlustig diese war, unverhältnismäfsig stark: nur vorübergehend
Inder reichsten periode, um 445, hat Athen drei hipparchen gehabt^');
411 nahm man die zweizahl zwar für die zukunft in aussieht, begnügte
sich aber für die gegenwart mit einem (30, 2. 31, 2). hier steht der
plural: das gehört sich für die ritterzeit. die reiterei ist ja nicht überall
so heruntergekommen wie in Sparta, wo die iTtTCElg gar keine pferde
haben, aber seit statt der einfachen Verpflichtung, dafs der be-
sitzer eines *^rittergutes' auf eigenem pferde dienen müfste, der Staat
die equi publici ständig unterhielt, d. h. einer bestimmten zahl pferde-
besitzern die Unterhaltungskosten zahlte, ist die cavallerie überall an zahl
und gute gesunken; auch darin trifft die römische analogie zu. es
wundere sich also niemand über die hipparchen Drakons. der fand
freihch nicht mehr die einfachen Verhältnisse vor, die allein zu den
classen pafsten. die meisten bauern waren von ihren gütern vertrieben
oder durch ihre Verschuldung den gröfseren besitzern frohnpflichtig ge-
worden ; die herrschenden kreise aber hatten einen besitz, der mit dem
ertrage der 500 scheffel zum teil gar nicht getroffen ward, weil er in
hypothekenzinsen bestand, zum teil in folge ihrer gröfseren guter und
intensiveren landwirtschaft eine viel höhere steuerslufe verlangte, um
die wirkhch ständisch abgesonderte obere schiebt zu fassen, was konnten
16) olxov fisv n^iOTiara yvvaixn rs ßovv t' a^oxr,Qa Hesiod Erg. 403.
Aristoteles Pol. A 1252. — jj ^' aanis iv tcö (peyjüXo) x^s/u7aETai sagt Dikaiopolis.
17) Das hat die insclirift von Nikepyrgos ergeben, CIA IV p. 184.
Alter der classen. 85
500 scheffel den familien sein, die sich mit den tyrannen von Sikyoo
und Älegara gleichberechtigt fühlten? daher zog der plutokratische ge-
setzgeber einen scharfen strich und liefs für das amt, das den zutritt zu
der eigenthch regierenden behörde, dem Areopage, eröffnete, nur die
grofsgrundbesitzer zu, indem er ein schuldenfreies starkes vermögen
verlangte; den gemeinen ritterbürtigen adel, dem die militärischen Chargen
nicht versagt werden konnten, grenzte eine ähnliche forderung ab:
darunter aber ward nichts aufser der rüstung gefordert, das kann liberal
scheinen , war auch vielleicht so gemeint, wer einen bauernhof hatte,
der 600 medimnen eintrug, aber verschuldet war, hatte für sich nur 100;
mochte er ehedem zur höchsten classe gesteuert haben, jetzt sank er in
die dritte, behielt aber hier seinen platz, so lange er zur muslerung als
hopht antrat, freilich mochte das, zumal wenn er, statt das feld zu
bebauen, kriegsdienst tun mufste, seine Schuldenlast nur steigern: das
ist ja eine zum glück häufige erscheinung, dafs der verarmte adüche die
Standespflicht zu erfüllen fortfährt, auch wenn sie seinem vermögen nicht
mehr entspricht, aber leider bestätigt die erfahrung auch, dafs er da-
durch nur schneller dem wirtschaftlichen ruin verfällt, die drakontische
Verfassung hat ja auch den conflict tatsächhch nur verschärft, auf das
trefflichste also pafst ihre classeneinteilung in die entwickelung hinein.
Solon aber, der volksfreund, schaffte einfach diese neuerung ab, und die
alten classen traten wieder hervor, die hypotheken hafte er durch einen
gewaltstreich beseitigt, jener bauer, mit dem ich exemplificirte, halte
nun wieder 600 scheffel und gehörte zu dem höchsten stände, wie
gewaltig diese revolutionäre mafsregel ist, mifst man am besten an solchen
consequenzen, die sie mit sich bringen mufste. wie notwendig sie war,
lehrt am besten die plutokratische classenteilung Drakons.
Der stand, zu dessen gunsten Drakon die Verfassung gab, war
keine geldaristokratie in unserem sinne, denn ihr reichtum beruhte im
grundbesitze oder in hypotheken auf grundstücken : aber '/^qrn.iara
XQrif.iaT civriQ sagt der adel in Athen, wie meist in Hellas um 600.
sie halten die formen des geschlechterstaates fest, aber es kommt
ihnen auf Geleonten und Hopleten, ja selbst auf eupatriden und geomoren
wenig an. der grundbesitz ist der einzige* mafsstab , und die reichsten
grundbesitzer regieren in Wahrheit allein, denn sie kommen allein
auf den Areopag, und dieser rat hat die controlle aller beamten, übt
die allgemeine censur und ist die beschwerdeinstanz wider die beamten-
willkür. gefährhch können natürlich die militärischen ämter werden,
die unmöglich nach dem reichtume vergeben werden konnten, da
36 I. 4. Diakons Verfassung.
verlangt Diakon den nachweis eines ehelichen mindestens zehnjährigen
Sohnes, singulär ist die forderung nicht, da formell auch später
noch eheliche nachkommenschaft von dem heamten gefordert worden
ist.'^} und erwachsen ist sie im geschlechlerstaate, der für die erhaltung
der famiüen, der oIy.ol, sorge trug, der colonist von Naupaktos darf
nur unbeschränkt vorziehen, wenn er einen sehn (oder bruder) auf seinem
landlose zurückläfst.*^) vollends ein zehnjähriger söhn setzt einen vater
voraus, der über die jähre hinaus ist, in denen Kylon, der wegen seiner
Schönheit berufene mann, knl zvQavviöi ky.6(.iriOe-°), und später Alki-
biades mit der tyrannis drohte, ein söhn war auch für das wolverhalten
des valers eine gute geisel, und die forderung ehelicher abkunft hefs
sich gegen nachkommen wie die der argoiischen frau des Peisistratos
auch wol verwenden, diese bestimmung pafst also, wenn eine, in die
kylonische zeit,
^ie Die folseuden worle des Aristoteles sind dank den neuen lesungen,
prytauen. & °
die eine schöne Vermutung von F. Schultefs bestätigt haben, so weit es
die Überlieferung angeht gesichert, aber sie sind schwer, und die gram-
matische erklärung hat, wie immer, den vortritt. zovTOvg dh duyyvav-^)
Tovg ngvTccveig y.al rovg aTQarrjyovg y.al roig IfCTiäQxovg rovg evovg
l-iiXQi evd-vviöv, eyyvt]xag ö' Iy. rov avxov riXovg öexo/iievovg ovtvsq
oi oxQaxrjyol -Kai ol XnnaQXOi. darin ist rovrovg das subject; das
ist für jeden, der griechisch kann, das nächsthegende.^-) es geht auf
die Strategen und hipparchen, die zuletzt vorher genannt sind; das ist
selbstverständlich, es bestätigt sich dadurch, dafs Aristoteles vorher
die classen in der reihenfolge 1, 3, 2 genannt hat, weil er an 2
etwas weiteres anknüpfen wollte, also "die Strategen und hipparchen
sind haftbar-^) für die prytanen und Strategen und hipparchen des Vor-
jahrs bis zur rechenschaftsablegung, erhalten aber (von denen natürlich.
18) yvriaims naiSonoisXad'ai Deinarch 1, 71.
19) I G A. 321, 7.
20) Herodot. V 71. Pausan. 1. 28, 1.
21) Oder 5' äSei Sisyyväv, wenn man mit Blafs die übergescliriebenen bucli-
slaben Sei als ergänzung fafst, aber Sei ist wol durch conjectur ergänzt, weil die frei
schwebende indirecte rede anstofs erregte, die neue nicht zum vorigen comple-
mentäre bestimmung würde nicht gut mit einem verbum des müssens angeschlossen,
ich lese auf dem facsimile auch jetzt nur sicher Se Si v, also das activ sicher.
22) Zu welchem Widersinne die umgekehrte deutung führt, verschmähe ich
auszuführen.
23) Sieyyvav ist gesetzt, weil sie ja nicht bürgschaft leisten, sondern die
vermittelnde fürsorge üben, dafs die bürgschaft wirksam geleistet wird.
Die prytanen. 87
für die sie haften) vier bürgen aus der classe der Strategen und hip-
parchen." das steht da. aber mit recht hat Schultefs sich dabei nicht
beruhigt, vier bürgen werden gestellt, nicht je vier bürgen, diese zahl
kann verständigermafsen nur zu den rechenschaftspflichtigen in relation
stehn, denn über die wird einzeln verhandelt, die duyyvaivTeg sind als
collegium haftbar für jeden einzelnen, die mafsregel bezweckt, dafs
sich die rechenschaftspflichtigen nicht aus dem staube machen: dafür
haben die militärischen behürden zu sorgen, an die sich der Staat hält,
wenn einer entwischt, für den rechenschaftspflichtigen selbst bürgt
jemand den er stellt, natürlich nicht blofs für sein erscheinen, sondern
für die erfüllung von allem, was ein vTtevd-vvog zu beobachten hat.-"*)
das ergibt so viel einzelverhältnisse wie rechenschaftspflichtige sind,
bürgen sind vier: rechenschaftspflichtige sind unbestimmt wie viele, aber
sicherlich sehr viel mehr als vier, wenn die Überlieferung richtig ist.
es ist gar nicht auszudenken, wie der Staat mit dieser bürgschaft zu-
frieden sein soll, auch wie mehrere leute denselben bürgen finden
sollen, zweitens ist es ganz unbegreiflich, dafs der amtsnachfolger für
seinen Vorgänger haftbar sein soll, drittens ist die rechenschaft der
Strategen später immer sache der thesmotheten, und es ist kaum glaub-
lich, dafs dem je anders war. viertens hegt die iteration im wesen des
mihtärischen amtes, eine solche mafsregel aber schliefst ihre müglich-
keit aus. fünftens erwartet man nicht das langatmige ex rov avTov
Tslovg ovTteq oi argaTr^yol y.al oi %7i7taQxoi, wenn diese unmittelbar
vorhergehn, sondern ovtveq ovtol. das genügt, sollte ich meftien, die
Streichung von y.al rovg argaTrjyovg /.al rovg iTiTtccQxovg zu begründen,
die aus der nachbarschaft durch hlofses schreiberversehn hierherverschlagen
sind, denn nun ist alles klar: die ganze mafsregel gilt lediglich den
prytanen. wer in Athen dies wort brauchte, einerlei ob 411 oder 326,
•konnte darunter schlechterdings nichts anderes verstelm als ein ana-
logou zu den prytanen des rates, die es in Atlien zu seiner zeit gab.
und wirklich, Aristoteles schliefst den drakontischen rat unmittelbar an.
natürhch mufs man dann annehmen, dafs zu Drakons zeit dieser pry-
tanen 4 waren, und das ergibt dann eine reihe bedeutender folgerungen.
aber ehe wir diese ziehen, ist es gut, den rest des berichtes zu erläutern :
hier nur noch das, dafs es sich gar nicht ausdenken läfst, wie ein oligar-
chischer falscher zu einer solchen erfindung kommen konnte.
24) Die bekannten vermögensrechtlichen beschränkungen , die Aischines 3, 21
aufzählt.
88 !• 4. Drakons Verfassung.
Der rat. Drakons rat ist eine behorde (ausdrücklich wird er aQ^r] genannt;
aber das ist der attische auch immer gewesen) von 401 küpfen.-^) die
ungerade zahl ist notwendig, weil hohe Ordnungsstrafen die teilnähme
aller mitglieder erzwingen, der eintritt in den rat oder die übrigen
behörden ist ebenfalls obligatorisch, denn die iteration ist erst gestattet,
wenn alle berechtigten einmal daran gekommen sind, die behörden
werden alljährlich erlost; es leuchtet aber ein, dafs die zahl, aus der
gelost wird, sich jährhch um die summe der vorjährigen beamten ver-
ringert, während nur die nun amtsmündig (d. h. 30 jähre) gewordenen
bürger zutreten.
Es ist evident, dafs die 400 diese bestimmung vor äugen gehabt
haben, denn sie wollten an die stelle des Zweikammersystems der demo-
kratie, rat und volk, einen rat setzen, bestehend aus einem viertel des
Volkes, inclusive der beamten des Jahres; sie haben auch die Strafgelder
beibehalten, doch alles so wesentlich ihrer zeit gemäfs modiflcirt-^), dafs
nur ein voreingenommener zweifeln kann, wo original, wo copie ist.
für uns waren beide Verfassungen so vollkommen überraschend, dafs
man sich verständigermafsen die sache in ihren consequenzen erst reif-
Hch überlegen mufste; dabei dürfen sie nicht mit einander vermischt
werden.
Was Drakon angeht, so mag die einsetzung eines rates von so viel
köpfen eine concession an die masse der bürger bedeuten, er gab ja
die gesetze, um dem hader ein ende zu machen, aber man vergesse
die kehrseite nicht, es durfte freilich jeder, der als hoplit im ghede
stand, bürgerliche rechte ausüben; aber er mufste es dann auch, in
den rat oder in eine der niederen amtsstellen kam er unweigerlich, mit
andern Worten, er mufste in der läge sein, ein jähr so ziemlich von
seinen geschäften fern bleiben zu können: jede versäumte sitzung kostete
ihn eine drachme. und dabei hatte er keinesweges das bewufstsein,
dafs er oder sein rat wirkhch die athenische politik machte, denn der
obere rat, der ihm sammt den höheren beamtenstellen unzugänglich
war, hielt seine starke band über ihm, auch wenn er im amte war. die
stelle als prytan, die vielleicht einflufs bot, war vollends durch eine wirk-
lich drakonische bestimmung jedem nicht ganz gefügigen plebejer verleidet,
denn wie sollte er einen bürgen höhern Standes für sein wolverhalten
finden? wie mochte er die zeit nach ablauf seines amtsjahres, die er
25) Die kleinigkeit, 401 statt der solonisclien 400, sollte eigentlich allein ge-
nügen, den gedenken an eine fälschung fern zu halten.
26j Vgl. das capitel TtäxQws noXiieia.
Der rat. das los. 89
! nicht befristen konnte, unter mehr als polizeilicher aufsieht stehn? da
mochten viele , die nicht in der clientel eines der stolzen adelshäupter
j standen, auf die bürgerlichen rechte heber verzichten und sich geradezu
I regieren lassen, verlange man doch einmal von jedem Deutschen
nur eine jährliche dienstleistung, selbst als reichstagsmitglied, aber mit
scharfen strafen für jede versäumte sitzung statt aller emolumente: wie
I viele von uns werden auf die ehre am politischen leben mitzuwirken
' verzichten oder werden sie verwirken, wenn Drakon einen schritt zur
demokratie mit seinem rate tat, so war es wahrhch kein unbedachter
noch kühner.
Aber er hat das los für alle beamten eingeführt, so steht hier, f)as los.
und dals das am anfange des capitels gebrauchte wort aigelo^ac mit
! dem lose nicht unvereinbar ist, braucht nach dem obigen (s. 73) nicht
mehr bewiesen zu werden, beschränkt wird das los durch den census,
1 der für die wichtigsten ämter gefordert ist. mehr erfahren wir nicht;
! aber es wäre voreilig, daraus positiv zu folgern, dafs die losung ohne
weiteres aus der ganzen summe der berechtigten und für alle ämter
I erfolgte, dafs die mihtärischen gewählt wurden, war den Griechen aller-
I zeit so selbstverständlich und darum so wenig charakteristisch, dafs
\ Aristoteles diese ausnähme ruhig übergehn konnte, dafs aber mindestens
j für den rat eine Vertretung der Unterabteilungen des Volkes, welcher
; auch immer, statt fand, denen mithin die praesentation der candidaten
I für die losung zufiel, ist nach der analogie des späteren rates durchaus
'■ notwendig, und wer bedenkt, dafs wir diesen modus der besetzung,
selbst für den rat und die archonten , direct erst durch Aristoteles er-
fahren haben , bei dem jedoch über den rat Solons auch nichts steht,
i wird sich nicht wundern, dafs diese modalität hier nicht angegeben ist.
1 wenn vollends Aristoteles seinen bericht einem schriftsteiler verdankt,
I der diese Verfassung nicht zu geschichtlicher bclehrung, sondern als
'. exempel für die praktischen vorschlage der 400 anführte, so kann man
gar nicht verlangen , dafs verschollene und für die gegenwart wertlose
. Verhältnisse ausgeführt wären.
Aber es bleibt immer das los. das hat Selon auch; wer es dem
zutraut, wird es dem Drakon ein par jähre früher nicht abzusprechen
wagen, es verrät aber auch sehr wenig geschichthche einsieht, wenn
man sich vor dieser extrem demokratischen Institution graut, wenn
die aristokraten jener zeit sich der freien volkswahl gestellt hätten, dann
j hätten sie durch eine wirklich demokratische einrichtung ihre existenz
! in frage gestellt, dann entfesselten sie den ehrgeiz und den ambitus
90 ]. 4. Drakons verfassungf.
des tyrannen ; die Strategie ist eben deshalb die Staffel zur tyrannis ge-
worden, weil sie wahlamt war, keinesweges, weil der feldherr an der
spitze des biirgerheeres die bürger hätte knechten können, gerade
eine aristokratie perhorrescirt die persönlichen Vorzüge und die bevor-
zugung des einzelnen standesgenossen: ihr pafst das bhnde los, wenn
nur vorgesorgt ist, dafs es an den stand gebunden ist. das war hier
erreicht, und da, wo alle bürger zugelassen waren, herrschte in Wahrheit
nicht das los, sondern der turnus. der zufall schafft keine geschlossenen
majoritäten; der rat, den er bildete, stand dem Areopag, der dem be-
vorrechteten Stande gehörte, ganz ungefährlich gegenüber, das ist wol
wahr, dafs der drakontische rat, wenn er ihn denn wirklich erst ge-
schaffen hat, was wir im gefühle unserer Unsicherheit gelten lassen
müssen , schliefslich der rat des Ephialtes geworden ist, der eigentliche
herr Athens: aber so wie ihn Drakon erlosen liefs, war er noch längst
keine gefahr, eben weil er erlost ward.
voiksver- ^^ kommt hiuzu , dafs die Volksversammlung eine Institution ist,
Sammlung. f\\^ Homer allerorten kennt, die selbst in dem verknöcherten Sparta
immer zu recht bestanden hat. in dem berichte über Drakon ist sie fort-
gelassen; die oligarchen von 411 haben sie selbst zu gunsten des rates
beseitigt, ich glaube gar nicht, dafs Drakon das auch getan hat; sie
wird die Strategen auch damals gewählt haben und die entscheidung in
den wichtigsten sachen, wie über krieg und frieden, wird man dem
nominellen souverän nicht entzogen haben, aber es ist doch bezeichnend,
dafs sie fortgelassen werden konnte, sie verhert eben an bedeutung, wenn
ein an köpfen so starker rat da ist, und wenn dieser gar neu eingesetzt
wird , ist die beschränkung der Versammlungen der gesammtgemeinde
ein ganz notwendiges compleraent. das konnte den Areopagilen schon
recht sein, wenn sie auch nur murren oder klatschen darf: dafs sie
ihrer zahl sich bewufst wird, macht schon allein die volksmasse wider
eine herrschende minderzahl aufsässig, es gibt also eine seile der be-
trachtung, von der aus der rat sogar lediglich durch das wolverstandene
oligarchische Interesse gefordert erscheint.
*'"unT^' Es mufs hier eine allgemein gillige erwägung als ein wichtiger
consiiium. factor eingesetzt werden, nicht nur in Athen oder den hellenischen
demokratieen, sondern in ziemhch allen Staaten heifst später die eigent-
lich regierende behörde rat, ßovXrj. darum mufs man sich erst darauf
besinnen, dafs in dieser bezeichnung bei dieser macht ein völliger Um-
schwung der Verhältnisse ausgesprochen ist, der den namen selbst in das
volle gegenteil seiner bedeutung verkehrt hat. eine behörde, die rat j
Magistrat und consilium. 91
heifst, ist vom "^raten' benannt, mwls also ihrer natur nach eine consul-
tative, keine executive sein, wer rät, des ist das handeln nicht; das
ist vielmehr dessen dem er rät. ßovlt] ist consilium: in Rom ist das
wort nicht denaturirt, und obwol der senat schliefslich auch die herr-
schaft erlangt hat, ist das ursprüngliche Verhältnis wenigstens in der
repubUk nie unkenntlich geworden, der weg kann gar kein anderer
gewesen sein , als dafs die berufung des rates zunächst ein freiwilliger
act des executivbeamten war: so beruft der heerkünig Agamemnon seinen
rat; dann ward es herkommen, dann ward es gesetz, schliefslich ward
der executivbeamte verpflichtet dem rate zu folgen und sank zu einem
Organe des rates hinab, in Athen führt der ccqxcov später seinen namen
wirklich arto rov /.irj aq^eiv, und wenn der dichter sagt rov dgcovrog
kort /.al t6 ßovlsvsiv, so gilt in seinem Staate rrjg ßovlrjg eoti Kai
To ÖQav. diese macht hat der rat der 500 erst durch Ephialtes erlangt,
wenn wir nun von der zeit reden, die diesen rat erst schuf, so sind
wir verpflichtet ihn nicht als den handelnden, sondern als einen ratenden
rat zu denken.
Die entwickelung der gerichte läuft völlig parallel, in Kom und in
Athen, der könig oder sein rechtsnachfolger hat kraft seines amtes die
findung des Urteils, dixä^ei. er beruft, zunächst je nach beheben, ein
consilium, ihm das urteil finden zu helfen, dann wird diese berufung.
herkommen, vöf-ioq, und dieses herkommen wandelt sich zum gesetze,
vöfxog. schhefsüch wird der beirat zum diy.aGTr]g, der gerichtsherr
{jiYSfxwv) hat nichts zu tun als das urteil zu verkünden, in Athen ist
der konig schon in grauer frühzeit gezwungen worden, sich desselben
consiliums, des rates auf dem Areshügel (der diesen zusatz natürlich
erst erhalten hat, als neben ihm ein anderer rat bestand), für einen
teil der regierungsgeschäfLe und für die urleilsfindung in einer reihe
der schwersten rechtsfälle zu bedienen, weil sie sich die autorität nicht
zutraut, allein über Orestes zu richten, beruft Athena die Areopagiten
und setzt den rat ein. so war es seit unvordenklicher zeit geschehn,
als Drakon seine gesetze aufzeichnete, er band, schwerhch aus eigenem
einfall, den künig auch in einer grofsen zahl anderer fälle an den wahr-
spruch von 51 adlichen schoffen. wenige jähre vorher hatte bereits
ein gericht von 300 adlichen über die mörder Kylons das urteil gefällt.
das war ein ausnahmefall.-') aber in dem volke, das dieses gericht con-
27) Diese tatsache hat immer in Plutarchs Solon gestanden, wie stark mufs
die Verblendung der modernen theorie gewesen sein, die trotzdem die geschwornen-
gerichte erst für die zeit des Perikles zugeben wollte.
92 I- 4. Drakons Verfassung.
stituirte, war der gedanke des geschwornengerichtes offenbar schon voll-
kommen lebendig, wir können gar nicht sagen, ob er die judicalur
der thesmotheten noch selbständig liefs: jedenfalls war es eine ganz
unvermeidliche consequenz, dafs Solon auch sie verpflichtete, den spruch
eines gerichtes einzuholen; nur in der besetzung dieser richterstellen,
nicht aoiOTivörjv sondern e§ aTtdvTiov , lag der demokratische fort-
schritt. es ist eine gerade linie der entwickelung von jener freiwilligen
Selbstbeschränkung Athenas bis zu der demokratie, die Aristoteles die
äufserste nennt, und in der das volk -AVQiog zrjg iprjcpov auch y.vQiog
TTJg nolLteiag ist. als neben den künig der rat auf dem Areshügel
trat, fieng die herrschaft des ö^/^iog 'EQ^xd-rjog an. in Athen ist der poli-
tische gedanke wirklich bis in seine äufserste consequenz verfolgt worden.
Aber die entwickelung hat nicht den verlauf genommen, dafs der
rat der adlichen, der aus den beamten hervorgeht, sich in folge der
änderungen der magistratur mit geändert hätte, sondern es ist neben den
adlichen rat ein demokratischer getreten, der hat später einmal den
adlichen malt gesetzt: das ist unter Ephialtes geschehn. als er zuerst
in die erscheinung trat, war das machtverhältnis natürhch umgekehrt:
so treffen wir es unter Drakon.
Der Areopag rät dem könige: wem rät der untere rat? das ist
die frage, auf die uns diese allgemeine erwägung hinführt, in ihr liegt
der Schlüssel des Verständnisses. Demosthenes würde um die antwort
nicht verlegen sein : dem volke rät er, dem souverän, das trifft auf die
demosthenische zeit zu; aber man braucht nicht allgemeine erwägungen
anzustellen, um diese antwort als ungeschichtlich abzuweisen. ' man braucht
nur die Politie des Aristoteles zu lesen, in ihr hat das volk überhaupt
kein eigenes capitel, sondern die Volksversammlung erscheint lediglich*^
in dem amtsbereiche der behürde, die sie beruft und leitet, des rates
oder vielmehr seines Vorstandes, die analogie zu dem konige, der den
rat des Areopages, zu den gerichtsherren, die die geschwornengericlite
berufen und leiten, ist noch durchaus bewahrt: an der spitze des rates
und mittelbar des Volkes stehen die prytanen (denn von der späten und
unbedeutenden neubildung der proedren sieht man ohne weiteres ab).
der Vorsitzende der prytanen, der das siegel des Staates und die Schlüssel
zu den staatscassen und archiven führt, ist der träger der volkssouverän i-
tät, auf vier und zwanzig stunden, er gibt dem tage den namen, wie
der archon dem jähre.
lauen des Die prytanen des Kleisthenischen rates sind ein ausschufs desselben;
naukrari- • i •. "m h , -n • , , . • ,. ...
sehen rates. Sie getioren ihm selbst an. das will sich der analogie, die wir hier ver-
i
Die prytanen des naukrarischen rates. 93
folgen, nicht fügen, das pafst auch zu dem hochvornehmen, dem könige
wenig nachstehenden namen sehr wenig, da tritt nun die drakontische
Verfassung ein und schafft mit einem schlage licht, in ihr hahen wir
vier prytanen gefunden, offenbar beamte, die Vorsitzenden, aber jährigen
Vorsitzenden des rates. ihnen also riet dieser rat. sie zu binden , so
wie der Areopag die beamten band, ist der rat geschaffen, die prytanen
sind durch eine ganz besondere härte der rechenschaftsabnahme ge-
bunden: sie müssen eine grofse, dem adel gefährhche macht besessen
haben, der census gilt für sie so wenig wie für ihren rat. was haben
I diese plebejischen magistrate, diese tribuni, bedeutet?
Herodotos sagt in der erzählung vom tode Kylons, dafs die pry-
tanen der naukraren damals Athen beherrschten (5, 71). das ist die tra-
dition der Alkmeoniden, der wir den glauben in betreff der schuldfrage
versagen, da die Atthis und Thukydides (der natürlich diese wiedergibt)
den archon Megakles verantwortlich gemacht hat: das gericht über die
Alkmeoniden, das sie schuldig sprach, mufs auch für uns entscheidend
sein.^^) aber die allgemeine angäbe Herodots mufs so viel gelten, dafs
es prytanen der naukraren gab, und dafs man diesen eine so bedeutende
machtstellung zuschreiben konnte, der drakontische rat stand damals
noch nicht neben den prytanen, wenn man es scharf nehmen darf,
aber die naukraren standen doch neben ihnen: welches Verhältnis be-
steht zwischen dem rate und den naukraren?
Der kleisthenische rat ist eine Vertretung der demen. die demarchen
sind damals an stelle der naukraren, die demen an die stelle der nau-
krarien getreten, die analogie führt also in der tat darauf, in dem
älteren rate eine Vertretung der naukrarien zu suchen, so erscheint der
name prytanen der naukraren für die zeit vor der Schaffung des rates
nicht unpassend, wenn der zusatz der naukraren auch ohne zweifei nur
von den gewährsmännern Herodots herrührt, die jene alten mächtigen
prytanen von denen ihrer zeit unterscheiden wollten, von der Zusammen-
setzung des solonischen rates wissen wir nichts als die Vertretung der
4 phylen: die prytanen Drakons sind 4, entsprechen also den phylen,
so gut wie die prytanencoUegien des späteren rates den 10 phylen.
Man soUte meinen, die prytanen gehörten in das prytaneion; man
28) Herodot behauptet übrigens nur, dafs die prytanen dem Kylon und seinen
leuten das leben versprochen und sie dadurch vermocht hätten, von den altären
aufzustehn. das ist möglich und glaublich, aber es entlastet den archon Megakles
nicht, führt höchstens darauf, dafs Kylon bei den plebejern sympathieen halte.
94 i. i. Diakons Verfassung.
sollte auch meinen, sie hätten mit der rechtspflege zu tun gehabt, weil
die gerichtskosten TVQvravela heifsen. aber im prytaneion sitzt der
archon, der, so viel wir wissen, nicht TtQvravig geheifsen hat (was
immerhin sehr nahe liegt); wird gericht im prytaneion gehalten, so er-
scheint dort der könig, und neben ihm die phylenkonige, 4 an der zalil,
so viel wie die prytanen. das ist eine verwirrende mannigfaltigkeit, und
sie gewaltsam zu beseitigen , indem man etwa mit 0. Müller phylen-
konige und prytanen gleich setzte, geht wahrhaftig nicht an. es lieyl
vielleicht an der spärlichkeit der überheferung, aber wenn man nur aut
sie bhckt und den schwalm der anderen hypothesen fahren läfst, so
kann man doch wol jedem Zeugnisse gerecht werden.
Am prytaneion ist später nur ein scheingericht, das der könig mit
den 4 phylenkünigen vornimmt, diese hatten damals noch eine cas^e
und besorgten opfer; das geben auch die grammatiker an, die ihre walil
oder losung nach den vier phylen kennen und den ächten adel als < r-
fordernis aufstellen, das mochte damals wesenlose form sein: patricisch
war das amt doch geblieben wie der rex sacrificulus.^^) aber einstmals
hatten diese könige eine sehr viel bedeutendere judicatur ausgeübt.
Solons dreizehnter axon spricht die amnestie für alle aus, die wegen
blutschuld landflüchtig sind, verurteilt vom Areopag oder den ephettn
oder €)t TtQvraveLov xaraöiyiaa&svTEg vtio tiov ßaoiXeiov. dassell)e
steht, oder stand doch, genau so in dem psephisma des Patrokleides
(Andok. 1, 78). und dafs diese könige eben die vier phylenkonige sind,
folgt, von allem andern abgesehn, daraus, dafs ihr eigentliches amtshans
das ßaoilelov ist (Poll. 8, 111), das unweit des prytaneions lag. Drakun
selbst bezeugt, dafs die phylenkonige auch über unvorsätzlichen mord
das urteil fällten, aber da waren sie an den wahrspruch von 51 adhchcn
Schöffen gebunden.^") also sind erst einmal die vier phylenkonige neben
29) CIA II 844. Hesych (pvXoß. in räv ^vXwv aiQeioi, oi t«s d'vaias i-ni-
rsXovvTES. besser aus gleicher quelle, am letzten ende natürlich der Atthis, Pollux
8, 111 yvL £§ svTtarQtScüv ovtes fiäXiGTO. icöv Ieqwv enefielovvTO. über den waiil-
modus lehren diese Zeugnisse nichts sicheres; die jährliche befristung des amIes
sogar ist nicht überliefert, aber man wird nach der analogie, z. b. des naXs dtp'
eaxias fivr]&eie (Bekk. An. 204) an erlosung ex TtQoxQircov denken, der adel ist
sicherlich ständisch gedacht, so dafs die dygoMoi und SrjftiovQyoi , die genles
minores, ausgeschlossen sind, diese müssen auf den namen svnarQiSai verzichten,
nennen sich aber nicht nach ihrem stände, sondern etwa id'aysvsls, so in dem lexicon
Tie^l yevwv, das im Hesych excerpirt ist.
30) CIA I 61 ia/ii fis \ TiQovoiai xrat^et rt's zipa, ^evyev Stxä^ev Se tos
Die prytanen des naukrarischen rates. 95
den konig von Athen getreten , uugewifs in welcher ausdehnung der
jiidicatur; dann sind neben sie am Palladion, wol auch am Delphinion,
die ephetcn gestellt, die schliefslich von heliasten ersetzt werden; da
liefs man an den wirklichen gerichten die phyleukönige fort und behielt
sie nur am prytaneion, wo nur noch ein scheingericht war. aber dafs
die suche nach einem unbekannten morder und die ermittelung eines
zufälhgen Unglücksfalls, der ein menschenleben gekostet hat, notwendiger
weise ein leeres scheingericht wäre, kann man nicht behaupten, in diesen
fällen schreitet nur vielmehr die polizei ein als der bluträcher und
der richter. dies vor Soion sehr stark praktisch eingreifende gericht der
phylenkünige ist im prytaneion: da sitzt der archon; die pohzeibehörde
sind später die prytanen. so wenig klar man auch sieht: dieses gericht,
dieses amtslocal, die Stellung der prytanen des Herodotos und derer des
Drakon sind wahrlich nicht unvereinbar und weisen in eine richtung.
Es läfst sich das viel anschauhcher dogmatisch darlegen als in der
form der Untersuchung, durch die es gefunden ist.
Dem geschlechterstaate als ganzem entspricht das haupt des herrschenden
geschlechtes, der konig. der geschlechterstaat ist einmal in die vier adels-
stämme gegliedert worden : ihnen entsprechen die vier phylenkünige, die
neben dem könige von Athen stehen, der adel beseitigt die praerogative des
herrschenden geschlechtes, setzt neben den nicht mehr regierenden konig
den "^regierenden beamten', hat wol schon vorher den konig an das
consilium des adelsrates gebunden.' die sacralen, und so weit sie sacral
sind, die richterlichen functionen bleiben dem könige, und mit ihm den
vier königen , allein es wird ihnen das consilium des rates und der
Schöffen zur seite gestellt, das ist die eine reihe der entwickelung; in
ihr ist noch alles patricisch. nun drängt sich aber neben der gentili-
cischen die locale Ordnung unabweislich auf. denn ein sefshaftes volk
kann auf die dauer einer localen Verwaltung nicht entbehren, für das
aufbringen der Steuer, für die aushebung, für die Unterhaltung der
schiffe, für die frohnden. dabei dringen die plebejer ein, die an dem
allen teil haben, das trihutum fordert erst die tribus, dann die tri-
huni. gewifs sind im heerbanne der Athener auch einmal die männer
und cHenten eines geschlechtes vereinigt zusammengetreten mit den
männern und chenten der übrigen geschlechter dieser bruderschaft, und
ßaaiXias — — tos Ss s^sras Siayvövui. Plut. Sol. 19 inirifiovs elvat nXfiv oaoi
i^ uä^eiov Ttdyov rj oaoi s§ dcpsrcijv r; ex TiQvravsiov xaraoiy.aad'ivrES vtio tcvv
ßaaiXioiv it. T. X. darin gehört also xaraScxaad'ivTss auch zu el efExa.v. deshalb
steht zweimal oaot.
96 1. 4. Drakons Verfassung.
dann die bruderschaften zum stamme, cog q^QrjTQ)] (pgrjTQi](piv ccqiJqj],
(pvla de rpvXoiq. aber mit der zeit ward diese Ordnung unbrauchbar,
nicht die Kynniden hatten interesse an einem fahrwege vom cap Zoster
nach der Stadt, sondern die bewohner von Lamptra und Aixone. nicht
die nachkommen des Thymoites waren geeignet einen dreifsigruderer zu
bemannen, sondern die bewohner des dorfes der Tiiymailaden, wes ge-
schlechtes sie auch sein mochten, deshalb schuf man die Organisation
der naukrarien, wie der name sagt^'), zunächst für die flotte, wie sie
denn auch noch über Kleisthenes hinaus für die flotte geltung behalten
haben.^^) aber die chronik sagt, dafs die naukrarien überhaupt für das
Steuerwesen da waren und eine casse hatten, an der spitze der nau-
krarie, die also der römischen ortstribus entspricht, stehen die naukraren :
das ist die ortsbehörde. die 48 naukrarien sind, wie es eben gieng, in
die vier phylen eingeordnet, es fehlt die staatliche behörde, die ihro
gesammtheit zusammenhält: diese lücke füllen die vier prytanen, die
trihuni. sie verhalten sich zu den vier phylenkönigen wie der archon
zum könige, aber sie sind nicht mehr patricische beamte. das organ, welches
die frohnden und steuern verteilt und einzieht, ist wol geeignet, eine
starke effective macht zu erlangen, die prytanen, die mit dem vavv.QaQLy.bv
agyvQLOv zu tun haben , forderten allerdings eine scharfe überwachuni;
bei der rechenschaftsabnahme heraus, und wenn der könig und der
archon an den rat auf dem Areshügel gebunden war, so war es ein con-
sequenter schritt, den prytanen eine Vertretung der naukrarien in einem
rate zur seile zu stellen, das war ganz eben so gut eine die Iribune
bindende wie die aspirationen der plebs befriedigende mafsregel. die
fortentwickelung ist gewesen, dafs die prytanen in den rat selbst aufgiengen.
dieser erhielt selbst die macht; die plebejische magistratur war unnötig,
da der ständische gegensatz doch schon durch Drakon ein gegensatz
des census geworden war, zumal die beamten immer mehr an das volks-
gericht gefesselt wurden, die prytanen können noch nach Solon als
magistrate bestanden haben; er kann sie auch beseitigt haben: das wissen
wir nicht, was sie zu Drakons zeit sein mochten, und wie er dazu ge-
31) vavTCQaQOi setzen die alten mit vavxXrjQos gleich, dann miils der rholn-
cismus, der ja in dem allen attisch anaioga genug hat {nXaSos y.QaSoe, x^ißavoi
y.Xißavoe, Ktxowxp KoconiSat K'/.aniSat) älter sein als die brechung des o. das isl
der fall, denn wir können vavxJ.aQos noch belegen, CIA IV p. 202. also nicht in
diesem lautwandel Hegt die Schwierigkeit, sondern darin, dafs man vavxlrjQos in
seiner gewöhnlichen bedeutung nicht ableiten kann.
32) Vgl. das capitel 'Trittyen und Demen.'
I
Die prytanen des naukrarischen rates. 97
kommen ist, einen rat zu bilden, ist zwar nicht mit Sicherheit zu sagen,
aber eine Vorstellung läfst sich sehr wohl davon gewinnen , nicht zum
wenigsten ist die neue künde deshalb wertvoll, weil sie nicht völlig ver-
ständlich ist.
Frage über frage drängt sich auf, wenn man den blick auf die alte
zeit heftet, gab es Versammlungen des adels neben denen des Volkes?
Versammlungen etwa auch, an der die freie, aber von steuern aus-
geschlossene bevölkerung, die theten, teil nahmen? wer leitete diese
oder jene Versammlungen ? wer selbst die solonischen ? aber wir dürfen
das noch gar nicht fragen, wir werden nur dazu verleitet, weil wir dank
den noch so kärglichen mitteihmgen über Drakons Verfassung hier und
da ein licht in dem dunkel aufleuchten sehen , in dem die phantasmen
aegyptischer kästen, ober-eten und was nicht alles für nachtgevögel
schwirrte, die Verfolgung der rechtlichen gedanken wird von der ein-
sieht in das spätere Staatsrecht aus gewifs noch manches erhellen, aber
die erinnerung an die ereignisse und die persönUchkeiten ist nun einmal
verloren, wir vermögen nicht abzugrenzen, was Drakon neu schuf, was
er nur als geltendes recht aufzeichnete, noch in wie weit er persönlich
der herrschenden plutokratie oder dem andringenden demos zu dienen
bestrebt war. die zeit vor Solon erkennen wir in Drakons gesetzen, und
wenn es auch äufserst wertvoll ist, zu sehen, wie vieles von dem, was uns
solonisch war, schon im siebenten Jahrhundert angestrebt worden ist, so
trifft doch die aristotelische kritik den nagel auf den köpf, 'die schuld-
knechtschaft blieb und das land blieb in den bänden weniger.' mit
stilistisch wie sachlich gleich grofser berechtigung wiederholt Aristoteles
nach dieser Verfassung dieselbe vernichtende kritik, die er vorher von den
socialen zuständen gegeben hatte, erst wer diese reformirte war der
neugründer des attischen Staates, das war Solon, zugleich die erste in-
dividuell kenntliche person. von Drakon glaubte Aristoteles wenigstens
die zeit zu wissen, doch auch das nicht ganz sicher, wir wissen sie
nicht.^^)
33) Dafs Aiistotes mit reserve zwar den arclion nennt, aber den abstand von
Solon nicht angibt, ist oben hervorgehoben (s. 9). er sagt aber, dafs es 'lange
zeit' vor Solon war. das stimmt zu dem ansatze in der neununddreifsigsten Olym-
piade (621) bei Tatian (adv. Gr. 41, daraus Clem. St. I 366 P.) und Eusebius in
den Canones, der das jähr gibt, aber xaxa rivds zufügt, die angäbe, die auf Diodor
zurückgeht (IX 17), 47 jähre vor Solon, ist ihrer Überlieferung nach ganz unsicher;
es ist auch nicht einmal sicher, dafs der annalist die distance selbst gezählt hatte,
einen ganz anderen ansatz, 7 jähre vor Solon, hat schol. Aisch. 1, 6. dafs wir
y. Wilamowitz, Aristoteles. '
98 I. 4. Diakons Verfassung.
Ergebnis. Die attisclie Chronik hatte den Drakon fast ganz vergessen, so weit
nicht seine gesetze in die Solons aufgenommen waren, wo einzelne als solche
hezeichnet waren, sie gab nur eine skizze der urverfassung des Theseus
und später der solonischen , die sie entsprechend ihrer demokratischen
tondenz im gründe mit der bestehenden gleich setzte. Drakon traf der
hafs, weil sein uame sich mit dem vorsolonischen zustande verbunden
hatte, diese Unzulänglichkeit und ungenauigkeit hat Aristoteles durch-
schaut, ihr hat er nach kräften abgeholfen, indem er einen bericht über
Drakons Verfassung einsetzte, den er bei den oligarchen von 411 ge-
funden hatte, die kreise des Antiphon und Theramenes hatten ein ge-
schichtliches und praktisches interesse an der zeit, da Athen noch nicht
demokratisch war, und damals, wo man bei der codification des rechts
auf die alten gesetzestafeln zurückgriff, verfügte man auch noch über
einige, für unsere wünsche freihch längst nicht genügende kenntnis
der alten Satzungen, wir sind beiden, dem Aristoteles wie seinen ge-
währsmännern , zu lebhaftestem danke verpflichtet, und wenn sie uns
hier dazu verhelfen, die demokratischen fabeln von den blutgeschriebenen
drakontischen gesetzen durch ächte Überlieferung zu ersetzen, so wollen
wir das in die wagschale werfen, wenn wir sie ihrerseits bei der Ver-
breitung und eründung übler geschichten betreffen werden , die wider
die dcmokratie gerichtet sind, denn über die am anfange des capitels
aufgeworfene frage, ob diese drakontische Verfassung nicht selbst eine
ohgarchische erfindung wäre, brauche ich für den leser, der bis hierher
gefolgt ist, kein worl mehr zu verlieren.
nicht einhelligkeit erzwingen dürfen , lehrt die note des Eusebius. auch das Ver-
hältnis der gesetzgebung zu dem gerichte über die Alkmeoniden ist keinesweges
gleichniäfsig und sicher überliefert, wäre Drakon archon gewesen, so würde das
datum nicht oder kaum geschwankt haben, aber er war es nicht. Pausanias
(IX 36) sagt in seinem stile ganz deutlich, dafs er thesmothet war, ^qükovtos ''Ad'r}-
vaiois d'eOfio-d'STrjaavios ix iwv ixeivov xaTsari] voficov ovS i'yQafpev eni rrjs
a^X^js. wenn das auf das archontenamt gedeutet worden ist, so ist es nicht die schuld
des Pausanias. in der beamtenliste des Arislaiclimos also figurirte er als thesmothet:
dahin setzen einige seine gesetzgebung, und so Aristoteles, andere müssen auf andere
indicien hin anders geschlossen haben, und zwingend ist ja jener schlufs keinesweges.
i
I
5.
THUKYmDES.
Den Thukydides nennt die Politie nirgend, ich hatte schon früher
darauf hingewiesen, dafs die übrigen Schriften des Aristoteles ebenso-
wenig wie die des Piaton oder Isokrates oder Demoslhenes eine spur
seiner benutzung zeigen, von der viel gefabelt worden ist und trotz dem
augenschein gefabelt wird.') hier ist er allerdings benutzt, aber in einer
art, welche über die Stimmung des Aristoteles ihm gegenüber keinen
zweifei läfst.
Nacherzählt ist ihm der stürz der 400 (cap. 33), zuweilen mit wört- geg^ifchte
Hchem anklang, natürhch unter Währung der schriftstellerischen selbst- ^^^ ^'^'^•
stäudigkeit^), und wenn in einigen punkten das politische urteil des
1) Auszunetimen ist vielleicht ein zeugnis, die bewunderung Antiphons, wenn
das citat aus Thuliydides bei Cicero Brut. 47 auf die awaymyr, xexvcöv zurückgeht,
was freilich ungewifs bleibt, dann würde es eine benutzung eben derselben capitel
beweisen, die auch in der Politie benutzt sind.
2) Man lese selbst neben 33 Thuk. 8, 95—97 nach, für den wörtlichen an-
schlufs z. b. Ar. t^s Evßoias änoaräarji oIt/S nlriv ^üqsov. Th. 95 am ende,
EtJßoiav anaaav anoarrfiavTss (die Lakedaimonier) iiXiiV ^iioeov' ravrrjv S avrot
'Ad'Tjvaloi elxov. die erw ähnung der kleinen Stadt war für Aristoteles ohne belang,
zumal er den erklärenden zusatz fortliefs. Thuk. 97 tovs rerQu^oaiovs xaranav-
cavTE? rolS TCEvraiciaxi^iois eifirjtpiaavTO ra nqäy^aTa naqadovvai, elvai Se avzcöv
oTiöaoi [xal, was selbst Hude hält, obwol es in BGE, d. h. der glaubwürdigen Über-
lieferung überhaupt, fehlt] onXa Tiaqaxovrat, xai fiiad-ov firjSira (fSQEiv fir]Sefiiä
aqxji- — — ''«' oix 7]xiara Si] xov itqänov xqovov ini y' i^iov A&rivaXoi (pai-
vovrat eil noXnevaaviss. Aristoteles xarslvaav rovs rerqatcoaiovs xal t« nqay-
fiara naqeScoxav rols nevraxtaxi^iois rols ix rcöv onXtov, xprj^iaä/iisvoi, /irjosfiiav
aQxr^v elvai fiia&OipoQOv. Soxovai Se xaJicüe jtoXiTEvd'TJvai. xaza rovrovs rovs
xaiQovs, noksfiov re xaS'saTCÜToe xai ix rcöv onXiov ttjs noXireias ovCrjs. man be-
achte den ersatz des veralteten activs noln:Ev£ivAüvc\i das passiv; auch ist die erläuterung
der xaiQoi von wert, dals man nicht glaube, xaiooi wäre für Aristoteles schon
'zeit' gewesen, was er zwischen den beiden eben abgeschriebenen sätzen hat, ist
7*
100 I- 5- Thukydides,
Thukydides wiederkehrt, wie namentlich über die ephemere Verfassung,
die unmittelbar nach dem stürze der 400 eingeführt ward, aber nicht
einmal bis zum ende des Jahres (unter Theopompos, September 411 bis
juni 410) in kraft bheb, und deshalb von Aristoteles in der zahl der
Verfassungen nicht mitgerechnet wird, so ist das nicht eine entlehnung,
sondern eine bekräftigung dieses Urteils, denn in den wichtigsten
stücken ist Aristoteles ganz anderer meinung. Theramenes und Aristo -
krates^) sind beide für Aristoteles überzeugte anhänger der neuen Ver-
fassung und ächte patrioten , während Thukydides (8, 89) ihre verfas-
sungstreue nur für einen deckmantel persönhcher absiebten hielt, die
aufzählung der geistigen urheber und leiter der bewegung, Peisandros
Antiphon Theramenes (32, 2), ist allerdings im anschlusse an Thuky-
dides (8, 68) gegeben, so dafs selbst die reihenfolge dieselbe ist. aber
Phrynichos ist unter ihnen ausgelassen, obw'ol er nicht nur an dieser
stelle bei Thukydides steht, sondern jeder seiner leser eine hauptursache
für den stürz der 400 in der ermordung des rücksichtslosesten führers
finden mufs.'*)
zum teil aus Thuk. 89 genommen, in cap. 32 ist nicht nur die reilie der führer,
sondern auch die Zeitbestimmung, 100 jähre nach Hippias' stürz, aus Thuk. 68, das
folgende ol nevxaxiaxi^ioi Xöyco fiovov fjQid'rjaav aus Thuk. 89 rovs Tievraxiaxi-
Xiovs k'Qyco xai firj ovöfiari, ;^^^vat anodeiKvvvai,.
3) Aristokrates wird von modernen öfter für einen aristokraten erklärt, weil
Aristophanes den Wortwitz schon gemacht hat, doch so dafs er diese folgerung
geradezu ausschliefst, Vög. 125: aQiaroicQareXad'ai SrjXos sl ^rjrcöv. — sycö; TJxiarw
xal rbv ^xeXXiov ßSeXirrofiai. dafs der mann sich üxeUo schrieb (CIA I 422), beweist
gegen die richtigkeit des verses gar nichts, da die gemination des 1 eine unsichere
Sache ist, und die Athener z. b. in ^OcpiXXas ^OcpeXaz immer geschwankt haben,
natürlich, da ja die Verdoppelung des consonanten in den kurznamen nicht durch-
gedrungen ist. also der vers ist heil, sagt aber nur dafs dem redenden Aristokrates
so unausstehlich ist wie die aristokratie. der mann aber, der den Nikiasfrieden
unterzeichnet hat und nach einer langen militärischen tätigkeit im Arginusenprocefs
hingerichtet worden ist, hat selbst bei den radikalen das gedächtnis als ächter
Patriot bewahrt: was heifst es anders, wenn Lysias (12, 66) sagt, dafs Theramenes
nur aus unlaulern motiven fterdaxe rc5v ^AQiOTOxQarovs sQycDvl und noch der
redner wider Theokrines 67 kann, obwol er und sein publicum nichts wirkliches
mehr weifs, mit dem namen Sympathien erwecken.
4) Wie Aristoteles ihn beurteilte, kann man glücklicherweise aus der Politik
lernen, die ihn als urheber des Sturzes der 400 bezeichnet, weil er in dieser Oligar-
chie aus persönlichem ehrgeiz demagogische künste trieb (V 1305''). das sind die
fpQvvlxov TtaXaCofiara, mit denen Aristophanes die oligarchen von 41 ^ entschuldigt
(Frösche 659). da Phrynichos tot war, und die hochverräterischen Verhandlungen
mit Sparta den Antiphon und die andern gesandten rettungslos compromittirten, so
Die geschichte der 400. 101
Wie überall ist von Aristoteles die genaue Zeitbestimmung gegeben,
aber nirgend ist sie so genau wie hier, am 14 Thargelion des Kallias
trat der alte rat ab, am 22 der neue an, der sich vier monate hielt,
von denen zwei in das neue jähr fielen, das später nach Theopompos
liiefs. also anfang Boedromion hat die Versammlung statt gefunden, von
der Thukydides 8, 97 erzählt, ende Metageitnion fiel Euboia nach der
Schlacht bei Eretria ab. das ist eine sehr wesentliche Verschiebung
gegenüber der herrschenden ansieht, die den 400 reichliche vier monate,
vom Elaphebolion des Kallias bis in den Hekatombaion des Theopompos
gab und geben mufste. denn sie war genötigt, dem Thukydides wesent-
lich zu folgen, darin liegt schon, dafs Aristoteles veranlassung hatte,
ihn zu berichtigen.
F'erner fügt Aristoteles die friedensbedingungen hinzu, die von den
400 den Lakedaimoniern gemacht wurden, das sind nicht die der letzten
gesandtschaft, die mit fug und recht als landesverrat angesehen und von
Antiphon und Archeptolemos mit dem tode gebiifst sind (Thuk. 8, 90. 91),
sondern die welche dem Agis gemacht wurden (Th. 71) und von Laispodias
und genossen nach Sparta überbracht werden sollten (Th. 86). man
vermifst ihre mitteilung bei Thukydides; er hat sie eben selbst nicht zu-
verlässig erfahren. Aristoteles war also in der läge, ihn zu ergänzen.
Die revolulion der 400 selbst erzählt Aristoteles eigentlich nicht,
sondern er gibt eine anzahl actenstücke, nur ein wenig verkürzt und
stilistisch umgeformt und durch kurze Übergänge verbunden, nach einer
kurzen einleilung über die motive, die das volk zur annähme der Oli-
garchie bewogen, unter denen ebenso wie in der Politik^) die rücksicht
auf Persien als das wichtigste bezeichnet wird, während über den von
Thukydides so nachdrücklich hervorgehobenen terrorismus der clubbisten
kein wort fällt, folgt der erste beschlufs (A), der auf antrag des Pytho-
doros gefafst ward, obwol die empfehlende rede vor dem volke Melobios
inufsten diejenigen der 400, die ihren frieden mit dem demos machten, also Thera-
menes an der spitze, auf sie alle schuld wälzen: das ward also die officiell an-
genommene ansieht, der Aristoteles sich angeschlossen hat. aber was Phrynichos
angeht, so wissen wir ja durch den redner für Polystratos, dafs er gesellschaftlich
vom schlage der Hyperbolos und Kleophon war, auch schon durch geldstrafen in
vermögensverfali geraten, also in Aristoteles sinne gewifs einer der schlechten
Tiooaidrai rov Sriftov sein mufste.
5) V 1304'^ ncov StJ/uov e^r]ndTr,aav fdaxovres rov ßaaiXia xQrjfiara naQs^siv
•jtQos Tov TioXsftov — xpEiaäfxevoi Se xatixeiv insiQmvTO irjv TioXneCav. man kann
das aus Thuk. 8, 51 herleiten, braucht es aber nicht, jedenfalls stimmen unsere
gewährsmänner überein.
102 I- 5. Thukydides.
gehalten hatte, er besieht aus dem eigenthchen antrage (a), dahin gehend,
dafs (las bereits bestehende collegium der 10 probulen (über das Aristo-
teles hier nichts bemerkt hat)") zu einem von 30 avyyQacpi]g ergänzt
werden solle, mit der instruction, antrage ttsqI rrjg awTrjQiag zu for-
muliren'), und einem amendement (b), das Aristoteles einer nicht unan-
fechtbaren kritik unterzieht.®) es folgen die antrage dieser 30 avyyqa-
q)^g (B), der erste zur geschäftsordnung, dahin gehend, die annähme
des zweiten materiellen zu erzwingen (a), der zweite, den ersatz des
Volkes durch die 5000 an leib und gut leistungsfähigsten und die wähl
von 100 Vertrauensmännern'') durch die phylen, die dann die 5ü00 zu
6) Wir kennen die einsetzung durch Thuk. 8, 1 , die Stellung der probulen
durch die Lysistrate. Aristoteles verfügte über anekdotisches niaterial, rhet. III 18,
das durchaus glaubwürdig klingt, es folgt daraus, was natürlich ist, dafs sie die ein-
setzung der Oligarchie geschehen liefsen. sowol Sophokles wie Hagnon (Lys. 12, 65)
der vater des Theramenes, waren durch alter, vermögen und politische carriere zu
dem amte berufen. Sophokles vertrat die Aigeis, Hagnon von Steiria die Pandionis.
7) Es ist das die form, mit der der rat eine allgemeine politische debatte auf
die tagesordnung setzt, sich der eigenen initiative begebend, das probuleuma in der
form wahrend, eine solche debatte negi acorrjQias ist die Voraussetzung für den
Staatsstreich der Praxagora, und die tagesordnung wird auch ausdrücklich angegeben
(Ekkles. 394 i'So^e toIs itQviävEai neql acortj^ias yvcofias nQod'eXvai rrje nöXecoS
u. ö.). von derselben zeit sagt Isaios 5, 37 elacpoQÜv Toaoircov yeysvrj/uevcop ete
töv noXe/iov y.ai rrv a(oxr,qiav t^s nölecos. noch im Areopagitikos fingirt Iso-
krates, tieqI awrrjQias lijv nQoaoSov enoirjadfiriv. es liegt in der Sache selbst, dafs
das volk in diesen fällen sehr oft die äSsia für die vorschlage vorab geben mufste,
schon weil der antrag auf eine directe Steuer oder eine anleihe nicht anders gestellt
werden konnte.
8) Kleitophon erscheint bei den Verhandlungen über die Lysandrische Verfas-
sung neben Theramenes, aber auch neben Phorniisios und Archinos als ein Vertreter
der ndxgios noXiTsia (34, 3). zu Theramenes stellt ihn auch Aristophanes Frösche 967.
wenn er 411 auch eine prüfung der Kleisthenischen Verfassung verlangt, die er für
TiärQioi hält, so braucht das nicht, wie Aristoteles annimmt, in der irrigen
Voraussetzung geschehn zu sein, dafs sie keine demokratische gewesen wäre,
sondern es kann ein überzeugter demokrat den machenschaften der oligarchen
durch sein amendement haben abbruch tun wollen, gegenüber der Verfassung der
400 ist die Kleisthenische sowol Stj/uotixi^ wie ndzQios. damit will ich gar nicht
bestreiten, dafs Aristoteles recht haben kann; im gegenteil, die einführung des
Kleitophon im platonischen Staate (danach in dem schlechten dialoge, der nach ihm
heifst) spricht dafür, dafs die Platoniker über den mann mehr wufslen; aber was
Aristoteles sagt, und was wir noch wissen, läfst für eine andere auffassung räum.
9) Den namen xaraXoyEvs, den die rede für Polysfrafns liefert, hat die Urkunde
nicht, vielleicht nur auf das uns bekannte material gründet sich die jedenfalls nichts
weiter brauchbares lehrende glosse xaraXoyevs, die in den brechungen Phot. Bekk.
An. 270 und 190 vorliegt, übrigens die y.araXoyris und avyyQafr]? zusammenwirft.
Die geschichte der 400. 103
nominiren hätten, beantragend (b). dann mufs man sich ergänzen, dafs
die wähl der 100 und durch diese die conslituirimg der 5000 statt fand,
diese wiederum eine commission von 100 erwählten , welche eine Ver-
fassung auszuarbeiten hatten: man ersieht nicht, dafs Aristoteles hier-
über mehr gewufst hätte, als was am köpfe des dritten actenstückes ge-
standen haben mufs, rade ol exavdv ol vrco tojv TtevTaxioxiklcov
aiQsS^evTeg aveyQaipav. denn dies wichtigste aktenstück (C) gibt einen
Verfassungsentwurf für die zukunft (a), und eine provisorische Verfassung,
eben die des rates der 400 und der 10 bevollmächtigten Strategen (b).
formell ist auch dieses ein beschlufs des ganzen volkes, denn nur so
kann man ftkrjS^og verstehn (32, 1), und der prytan, der es zur abstim-
mung brachte, wird genannt, obwol er geschichthch eine ganz indiffe-
rente person ist.
Wenn man das zuerst liest, kann man glauben, Aristoteles hätte
im archiv diese kostbaren documente gefunden und freute sich, sie zu
veröffenthchen , damit sie rein durch sich wirkten, eine vergleichung
der thukydidcischen erzählung wird lehren, dafs er vielmehr sich daran
freut, mit den unanfechtbaren actenstücken jene erzählung zu berichtigen.
Thukydides redet von einer ersten Volksversammlung, die gehalten
wird, als Peisandros in Athen angekommen ist, und in der 10 ovyyQa-
(prjg avToxQccTOQsg gewählt werden, mit der Instruction, auf einen be-
stimmten tag einen antrag vorzulegen xad-^ o xi agiGza ^ Ttohg oi/.^-
GExai. dem müfste der beschlufs A entsprechen, aber er gibt eine
andere zahl von avyyQacpfjg, sie sind auch nicht avTOZQäTogeg^"}, es
ist ihnen auch keine frist gesetzt, und ihre Instruction geht auf die
GioTi^Qia: wie sie denn als erste sehr verständige mafsregel beantragen,
alle gelder aussclüiefslich für kriegszwecke zu verwenden, an dem fest-
gesetzten termine, so erzählt Thukydides weiter, ist Versammlung auf
dem Kolonos. die ovyygacprjg bringen nur den antrag ein, dafs jeder-
mann ungestraft jeden antrag stellen dürfte: das ist eine sehr ungenaue
wiedergäbe von Ba. darauf erhebt sich Peisandros, kommt mit seinen
antragen vor, alle ämter müfsten geändert werden, alle besoldungen ab-
geschafft und 5 TtQoeÖQOL erwählt, die 100 männer wählen, und von
denen wieder jeder 3 cooptiren sollte: diese 400 sollten als rat avzo-
'/.garogeg regieren und nach belieben die 5000 berufen, darin erkennt
man kaum noch Bb, die fünf TtgoeögoL gibt es gar nicht, die wähl der 100
ist eine ganz andere, von den 400 jetzt noch gar keine rede, vielmehr
sind die 5000 erst jetzt im princip eingesetzt und über ihre auswahl
10) Sie sind verwechselt mit den 10 aroarr^oi avroxoärooe? von Cb.
104 '• 5. Thukydides.
beschlossen worden, es sind also zum teil anklänge an Cb darin, aber
nicht an das aclenstück, nur an die durch dasselbe geschaffenen ämter
und competenzen.") endlich bat Peisandros keineswegs den antrag ge-
stellt, mag er auch unter den ovyyQacprjg gewesen sein : gestellt ist er
als yv(x)f.ir^ ^vyyQacpetov , und diese form ist uns ja jetzt durch die in-
schriften '^), und zwar keineswegs als eine antidemokratische geläufig, und
damit man nicht etwa den einflufs des Peisandros in der ersten Ver-
sammlung suche, hat Aristoteles nicht nur den eigentlichen antragsteller
Pythodoros, sondern auch den redner in jener Versammlung Melobios
namhaft gemacht, ohne zweifei ist der Verfassungsentwurf Ca für Ari-
stoteles geschichtlich und theoretisch vom höchsten werte gewesen, wie
er es für uns ist, und vornehmlich darum hat er ihn mitgeteilt: aber
er dient auch der absieht, der wir die mitteilung der übrigen stücke wol
allein verdanken, der berichtigung des Thukydides. das tut auch die kurze
feststellung der tatsache, dafs der alte ral acht tage früher ruhig zurück-
getreten war, als die 400 antraten. Thukydides (8, 69. 70) schildert höchst
anschaulich, wie die 400 mit dolchen unter dem mantel und einer be-
waffneten schar von hilfstruppen und einer bände, die sie zu gewalt-
streichen organisirt hatten, das rathaus umzingeln, während die wehr-
hafte bürgerschaft auf den mauern oder sonst auf Vorposten abwesend
ist, wie sie den also eingeschüchterten rat zur abdankung zwingen und
selbst die geschäfte übernehmen. freiUch ein anderes bild: wer es im
gedächtnis bat, spürt in der kühlen tatsächlichkeit der aristotehschen
darstellung den bewufsten gegensatz, und die schweigende berichtigung
ist auch hier eine schneidendere kritik als laute polemik es sein könnte.
Was sollen wir nun aber mit Thukydides anfangen? wo kommen
wir hin, wenn seine Zuverlässigkeit so schlecht sich bewährt? da heifst
es kaltes blut behalten, zunächst die schlimmsten chronologischen fehler
hat nicht er gemacht, sondern wir modernen, die wir einerseits
dem Thukydides folgend den stürz des demos möglichst nahe an den
frühhng rücken mufsten^^), andererseits die viermonatliche dauer der
11) Genaueres in der beilage 'die rede für Polystratos'.
12) Schon in den fünfziger jalnen liat man solchen ausschufs gewählt, denn
nach der analogie des s. g. eleusinischen psephismas (CIA IV p. 59), wird man auch
in den praescripten des milesischen (IV p. 6) lesen räSs lioi x]avvyYQa[fis
XOvviyQacpaav.
13) Gleich nach frühlingsanfang marschirt Derkylidas von Milet nach Abydos.
auf die nachricht von seiner ankunft geht Strombichides mit allischen schiffen von
Chios nach dem Heliespont. das gibt der peloponnesischen flotte mut, den Athenern
Die geschichte der 400. 105
Oligarchie nicht dem Thukydides, sondern einem citate der aristotelischen
Pohtie entnahmen (Harpokration tstqu-moiol), und doch ihre dauer bis
über den Jahreswechsel erstrecken mufsten (Diodor XIII 36. 38). nun
stellt sich heraus, dafs Aristoteles und Thukydides den anfang der oH-
garchie verschieden angesetzt haben, Aristoteles auf den stürz des rates,
Thukydides auf die Sitzung, in der der beschlufs B gefafst ward, zwischen
beiden liegt kein ganz kurzer Zeitraum, da mittlerweile die 5000 ge-
wählt und zusammengetreten sind, und die von ihnen ernannte commis-
sion die Verfassung ausgearbeitet hat, diese angenommen ist und dann
erst die 400 gewählt sind.") ganz wird man damit freihch kaum den
Widerspruch beseitigen, aber die Zuverlässigkeit der informationen, über
die Thukydides hier verfügt, ist auch wahrlich nicht so grofs, dafs wir
uns auf den Synchronismus verlassen müfslen, den er 8, 63 gibt, und
den Sturz des demos, selbst die Versammlung auf dem Kolonos darunter
verstanden, vor die auffahrt der Peloponnesier vor Samos ansetzen, dafs
die Athener die schlacht nicht annahmen, wird mit ihrem gegenseitigen
argwohne motivirt. das müssen wir glauben ; ob aber die demokratie zu
hause wirklich schon gestürzt war, oder ob sie das nur glaubten oder
fürchteten, das darf billig dahingestellt bleiben, zumal dem vvirkHchen
Sturze eine zeit der schwülen Spannung und der sehr berechtigten er-
wartung dieses ereignisses vorhergieng. zur zeit läfst sich, so viel ich
sehe, bei den schwankenden auf die Jahreszeiten (nicht die jahrpunkte,
wie Chronologen träumen) und vieldeutige /^isra ravra gebauten rela-
tiven bestimmungen des Thukydides hier eine Sicherheit nicht erzielen,
nur eins halte ich für sicher: an den Dionysien des Kalhas aus Skambonidai,
mitte Elaphebolion 411, befand sich die attische bürgerschaft noch in
dem zustande der bangen erwartung vor einem attentate gegen die Ver-
fassung und allerhand verräterei: die Stimmung der Thesmophoriazusen
ist dieselbe wie sie Thukydides 8, 65. 66 schildert.'^) anfang Munichion
wird der rat auf andrängen der probulen die sitzung tieq! Giorr]Qiag
vor Samos eine schlacht anzubieten, aber diese nehmen sie nicht an, weil sie
einander mistrauen , vno ya^ rov %qÖvov ioviov aal f^Sr] nQÖxsQov rj iv Ad"r}vais
SfilioxQaxia naiEläXvxo. SO Thukydides 8, 61—63. rückgreifend erzählt er dann
von den machinalionen des Peisandros und seiner leute auf Samos Thasos und ander-
wärts, und dessen ankunft in Athen führt erst zu der wähl der 10 avyyQUfTJs, dann
zu der sitzung auf dem Kolonos, wo Peisandros die annähme der Oligarchie erzwingt,
dies also war einige zeit geschehn, ehe die Peloponnesier vor Samos die Seeschlacht
anboten.
14) Über die modalität dieser wähl vgl. die beilage 'rede für Polystratos'.
15) Vgl. die beilage 'die zeit der Thesmophoriazusen'.
106 I. 5- Thukydides.
angesetzt haben , doch wol erst als die bedrohung der hellespontischen
provinz durch Derkylidas bekannt geworden war, und damit brach der
slurm los. vier wochen darauf sind die 400 gewählt worden.
Thukydides hat die protokolle der Sitzungen nicht gekannt, obwol
er von ihrem verlaufe und ihren beschlossen eine gewisse kenntnis
hatte, er hat seinen berichterstattern sehr viel mehr glauben ge-
schenkt als sie verdienten, daran müssen wir uns ein exempel nehmen,
denn dasselbe dürfte noch öfter passirt sein, aber weder an der
Wahrheitsliebe noch an der Urteilskraft des Thukydides dürfen wir
zweifeln, wir wissen ja, dafs er danach gestrebt hat, sich die acten zu
verschaffen, und ich kann den nachweis hefern, dafs er eine skizze des
ionischen krieges schon geschrieben hatte, ehe er die vertrage mit Persien
und durch sie und mit ihnen neues material erhielt (allerdings nicht von
Alkibiades) und wenigstens zum teil verwertete, für die 400 hat er
einen bericht benutzt;, den er selbst nennt, und den wir leider ent-
behren, obwol er bis in das spätere altertum vorhanden war, die Ver-
teidigungsrede des Antiphon, wenn die hauplschuld an der anzettelung der
ganzen revolution auf Peisandros geschoben und dem Theramenes und
genossen unlautere motive zugeschrieben werden, so mag dafür Antiphon
bestimmend gewesen sein ; das urteil des radicalen oligarchen gerade über
Theramenes stimmte notwendig zu dem der radicalen demokratie. aber
Thukydides verschleiert nicht, dafs Antiphon doch wol des hochverrates
schuldig gewesen ist. einen andern gewährsmann hat Thukydides gehabt,
der über Phrynichos sehr genau bescheid wufste und zwar schon über
sein verhalten im feldzuge 412. der gewissenlose mensch, von dessen
fähigkeiten nicht seine leistungen, sondern nur die Versicherungen des
Thukydides einen vorteilhaften eindruck macheu, der bauernsohn aus
dem obersten winkel des Potamostales, der ein par monate lang versucht
hat Alkibiades zu spielen, steht bei Thukydides seltsamerweise im Vorder-
gründe, endhch hat der historiker gewifs nicht einen sondern viele be-
richte über die revolution in der Stadt erhalten und verarbeitet: wir
empfinden die Stimmungen der bürgerschaft mit, wie sie patriotisch genug
denkt, um für die rettung des Staates auch das opfer der Verfassung zu
bringen, wie sie aber auch ahnt, dafs ihr von denen am meisten ge-
fahren drohen, die sich zu rettern aufwerfen, wie sie schliefslich jedes-
mal, wenn der landesfeind sich zeigt, gegen diesen sich zusanunenschhefst,
und der äufsere erfolg oder mifserfolg über die innere politik ent-
scheidet, wir vernehmen auch einiges von dem treiben der revolutio-
näre, wie sie im geheimen planen, wie sie Stimmung machen durch lügen
Die geschichte der 400. 107
und Schwindel, noch mehr durch das anwerben von banden und einzeln
durch kühne verbrechen, es kommt wirklich nicht viel darauf an, ob
jede einzelheit für sich richtig erzählt ist: das gesammtbild ist darum
nicht falsch, und wird es auch nicht durch die berichtigungen des Ari-
stoteles, die offlcielle actenmäfsige darstellung wird freilich correcter sein
als jede noch so gewissenhaft auf erzähluugen von augenzeugen und ferner
oder näher stehenden teilnehmern einer revolution beruhende, aber was
in solcher zeit wirklich geschieht, ist wahrlich nicht mit dem erschöpft
was in die acten kommt. Thukydides nun, verbannt seit jähren,
selbst nur von den letzten wellen kreisen berührt, welche die athenische
revolution hervorrief, angewiesen vornehmlich auf berichte aus feindlichem
lager oder von ausgestofsenen wie er selbst einer war*®), hat seine ge-
schichtliche aufgäbe nicht leicht gehabt, aber er hat sie auch nicht leicht
genommen. Aristoteles hat ihn berichtigt; er mag auch objectiv im
rechte gewesen sein, wenn er über die Charaktere der handelnden per-
sonen anders urteilt: aber die geflissentliche constatirung der acten-
mäfsigen Wahrheit und die für den aufmerksamen leser, der auch den
ton der berichtigung hört, offenkundige polemik verrät, dafs es ihm wol
tat, den Thukydides als unzureichend informirt zu überführen, und dafs es
ihm deshalb wol tat, weil er vor sich und andern damit die berechtigung
erwiesen zu haben glaubte, nicht nur einzelne personen, sondern die
ganze attische geschichte und ihre ideale anders zu beurteilen als es
Thukydides getan hat.
Wo aber hat Aristoteles die actenstücke her? zunächst wird wol
jeder geglaubt haben, dafs er sie im archiv gefunden hätte, denn dafs
der Verfasser der diöao/.aliai, vI/ml, v6f.wi die archive benutzt hat
(ob selbst oder durch amanuenses, verschlägt nichts), glaube ich auch
jetzt noch, auch hat er den Verfassungsentwurf Ca ohne zweifei wesent-
hch wegen seiner eminenten Wichtigkeit für die poHlische theorie mit-
16) Für das verfahren des Peisandros in den Reichsstädten ist ihm Thasos
der einzige concrete beleg (64); Andros Tenos Karystos erscliliefsen wir erst aus dem
auftreten ihrer contingente in Athen (69, vgl. 65). offenbar war der gutsherr von
Skapte Hyle über die nächste civilisirte Stadt selbst unterrichtet, unter den zur
Ordnung ratenden männern, die im Peiraieus nicht den köpf verlieren, als bürger-
krieg droht, tritt der Pharsalier Menon, sehn des Thukydides auf (93), der nicht blofs
zufällig ein namensvetter des historikers war, welcher ja den vater Menon ebenfalls
nennt (2, 22). der kann z. b. auch ein berichterstalter sein, dafs buch 8 vor der
röckkehr des Thukydides geschrieben ist, betrachte ich als über jeden zweifei er-
haben, es trägt auch keine spur der begonnenen letzten Überarbeitung, auch keine
spur eines herausgebers. ich kann das beweisen.
108 I. 5. Thukydides.
geteilt; obwol er ihn weder hier erläutert, noch in der Politik berück-
sichtigt, die actenstücke selbst entstammen den Protokollen der Volks-
versammlungen, wie die nennung des eniiprjcpi^tov ^QiaT6f.iaxos für G
beweist, und auch wo der tenor etwas verändert ist, findet jeder den
ächten stil der Urkunde, es fehlt auch manches was man gern wüfste,
aber in den Protokollen freilich niemand finden konnte, namentlich die
ganze Verbindung zwischen B und C. nichtsdestoweniger würde man
irren, wenn man meinen wollte, dafs ausschliefshch die Urkunden dem
Aristoteles vorgelegen hätten, schon den bericht über die beseitigung
des alten rates mit den genauen tagesdaten, und die oben erwähnten
friedensbedingungen, aber auch die person dessen, der in der ersten Volks-
versammlung die entscheidende rede hielt, ohne doch als antragsteller in
das Protokoll zu kommen , konnten die acten schwerlich liefern, das
führt auf einen vermittler, dafs die chroqik, der der archon Mnesilochos
ohne frage entstammt, neben Thukydides eingesehen ist, versteht sich von
selbst, ob sie solche actenstücke auch gehefert hat, mag unsicher bleiben :
wahrscheinUch kann man es nicht nennen, man bedenke aber, dafs
Aristoteles auch für das, was er verwirft, nicht ohne geschichtliche Über-
lieferung sein konnte.") wenn er den Phrynichos beseitigt, den Thera-
menes so ganz anders als Thukydides beurteilt, so tut er das im gegen-
satze zu Thukydides, und das konnte ihm die chronik, so weit sie chronik
war, sicherlich nicht liefern, und die politische tendenz läuft ihrer demo-
kratischen loyalität schnurstraks zuwider, politisches und personliches
urteil setzt eine Überlieferung durch pohtisch urteilsfähige und urteilende
gevvährsmänner voraus: die cjualität dieses berichtes zeugt für einen
Zeitgenossen, die tendenz gebietet, ihn in der partei des Aristokiates
und Theramenes zu suchen, die mitteilung der documente verleiht ihm
die höchste Wichtigkeit.
siraMden.' Eingesehen hat Aristoteles den Thukydides auch in der erzähking
vom tode des Hipparchos, obwol er ihn nicht nur nicht nennt und
einen ganz anderen bericht gibt, sondern seine berichtigung scheinbar
nur gegen einen nebenumstand und an eine allgemeine adresse richtet,
es macht das aber die kritik nur schneidender, wenn ein schriftsteiler
gerade in dem, was er mit starkem selbstbewufstsein als seine bessere
Weisheit im gegensatze zu der öffentlichen meinung vorträgt, durch ein 6
?.€y6f.ievog koyog ovy. aXrj^rjg koxiv abgefertigt wird.
i
17) Antiphons rede hat er nicht benutzt; sie mufste ja die abfallenden oli-
garchen hart verurteilen.
Die Peisistratiden. 109
} Thukydides erzählt, dafs Hippias gleich nach dem morde seines
I briiders die gewappnet zur procession erschienenen hiirger die waffen
ablegen liefs und dann die bei denen sich ein dolch fand verhaltete, das
widerlegt Aristoteles schlagend damit, dafs die procession von bürgern
mit Schild und speer eine demokratische neuerung war, was aus den acten
des festes sicher gestellt werden konnte, die der Verfasser der lyrischen
I didaskalien gekannt liat.'^) scheinbar trifft das nur einen nebenpunkt;
i die körperliche durchsuchung und die Verhaftung der verdächtigen
; könnte trotzdem richtig sein, nun ist es aber gewifs eine gesunde
jkritik, von zwei Versionen diejenige zu verwerfen, in der ein offen-
kundiger anachronismus steckt, und es ist sehr wol glaublich, dafs
Aristoteles mit diesem prüfstein die unzuverlässigkeit des thukydideischen
berichtes gegenüber einem andern, der ihm vorlag, erkannt hat, oder
doch anerkannt, wenn der Irrtum früher gerügt war. aber allerdings
legt Thukydides so grofsen wert gerade auf die behauptung, dafs die
procession bewaffnet war*'), dafs es seine kritik in schHmmem lichte
erscheinen läfst, wenn er sich hierin irrt, und dann sind die con-
sequenzen grüfsere, als Aristoteles direct hervorhebt, nach Thukydides
ist die tat auf dieses fest mit der berechnung verlegt, dafs dann bewaffnete
18) Übrigens können wir dem Aristoteles noch einen beweis zuführen, der
ihm sehr erwünscht sein wird, das skolion ev (ivqtov xXaSi ro ^itpos fo^rjaco.
mir ist der vers bisher immer ein wenig phrasenhaft erschienen: jetzt zeigt sich,
daCs er ganz wahr und sinnlich ist. die Athener hielten eben nichts als einen
myrtenzweig in der band, keinen speer. so giengen später die greise mit ölreisern,
die d'aXXotpÖQOi, und gieng die epidaunsche procession mit lorbeerreisern.
19) Thuk. 6, 56 am ende und 58, Hippias ixeXBvaev ctirovs Ssi^as ti xaqiov
i.TieXd'sli/ SS avTo avev rcöv onXcov. — s^sXsysro sv&vs ove eTtTjriäro xal ei t<s
TjvQsd'Tj eyxei.Qi8iov excov' fiexa yciQ aaniSos xai Sö^aros etcöd'eaav ras nofinas
noielv. das hat Aristoteles vor äugen, wenn er sagt, 6 leyöfievos Xöyos, ws 6
'iTiTtias dnoarr,aas i(öv onXeov rovS nofinsvovras EtpWQaae rovs [[ra]] eyxei,QiSt,a
e'xovtas, oix aXTj&rjs sariv ov ya.Q enefinov rozs (.isd" otiXcop: ich bemerke erst,
indem ich dieses niederschreibe, dafs der artikel zu tilgen ist; es hat ihn jemand
eingefügt, der die dolche für die onXa hielt, dafs dagegen der ausdruck ßovXo-
fisvol Tt S^äaai TtQO rrjs avXXrjxpecos das thukydideische ßovXö/nevot, tcqIv ^vXXricp-
&T]vai S^äaavris ri xai xivSvvEvaai wiedergibt, ist minder sicher, da es 1, 20 steht,
in dem auszug, den Thukydides aus seinem berichte gemacht hat: es müfste denn
die stelle der einleitung in Aristoteles' gedachtnis so fest gehaftet haben, nur ein
schütz der thukydideischen Überlieferung vor modernen athetesen ist der anklang
hier so gut wie das citat 6, 58. aufserdem entscheidet Aristoteles für na^a ro
AewxoQiov 6, 57 gegen ne^l t. A. 1, 20, was also zu berichtigen ist. — diese
directen anklänge beweisen, was sonst zweifelhaft sein könnte, dafs Aristoteles selbst
den Thukydides benutzt hat.
110 I- 5- Tliukydides.
den mürdern zu hilfe kommen konnten, das fällt also weg. nach seinem
berichte erscheint es so, als wäre die Zurückweisung der Schwester des
Harmodios von der procession der korbträgerinnen längere zeit vor den
Panathenaeen erfolgt, und wäre dann der anschlag von langer band vor-
bereitet, nach Aristoteles geht es schlag auf schlag, und die korbtragen-
den mädchen gehn ja auch in derselben procession wie die biirger.
die beleidigung und die räche folgen so fast unmittelbar auf einander,
die geschichte wird in sich geschlossener, wahrscheinlicher, aber noch
mehr als bei Tliukydides erhält sie den character des plötzlichen und
persönlichen, dafür wächst ihre politische bedeutung, da es in der tat
auf eine revolution abgesehen war, nicht auf den austrag eines ehren-
handels. war doch der beleidiger keiner der tyrannen, sondern nur ein
bastardbruder von ihnen , und der getötete zwar ein harmloser mann,
der wenig gebrauch von dem anrecht auf die herrschaft machte, aber
immerhin als ächter bruder des Hippias dem rechte nach sein mitregent:
Aristoteles rechnet durchaus mit der herrschaft der Peisistratiden, nicht
mit der des Hippias. und da die tollkühne tat der tyrannenmörder die
Stimmung des Hippias wider die Athener und andererseits die der Athener
wider sein haus änderte, haben Harmodios und Aristogeiton den un-
geheuren und einzigen ruhm^ Athen befreit zu haben, zwar ohne eignes
verdienst erhalten, aber den anstofs zum stürze der tyrannis haben sie
allerdings gegeben, wie das die allgemeine ansieht des altertums gewesen
und geblieben ist trotz Tbukydides, und wie es Aristoteles bekanntbch in
der Politik (E 10, 1312*) ausspricht, ganz im einklang mit der Pohtie
und mit Piaton (Symp. 182*').
Für uns war die stärkste Überraschung, dafs der liebhaber des Har-
modios nicht Hipparchos sondern Thessalos gewesen ist, denn dem auszuge
des Herakleides, in dem es schon stand, hatten wir das wirklich nicht
glauben können, da sich im gedächtnis der menschen gar zu leicht die
Wirklichkeit so verschieben konnte, dafs der getötete auch der schuldige ward,
so werden wir dem Aristoteles unbedingt glauben, zumal sich Tbukydides
nur auf mündliche, wenn auch von ihm besonders geschätzte, Überlieferung
beruft (6, 55). aber es mufs die ganze familiengeschichte des Peisistratos
nunmehr nachgeprüft werden, offenbar ist sich Aristoteles bewufst, viel-
fachen Irrtümern gegenüber die Wahrheit zu sagen, wenn er angibt, dafs
nur Hippias und Hipparchos eheliche söhne waren, aufserdem aber noch
zwei bastarde vorhanden waren, aus einer ehe mit Timonassa aus Argos,
über deren abkunft und Vorgeschichte er sich sehr präcis äufsert. dafs
die mutter der späteren tyrannen ya/.i€Trj heifst, und doch ey}]f.LEv l^
Die Peisistratiden. 111
"Aqyovg Tii-iojvaaoav folgt, ist kein Widerspruch.'^^) denn rechtlich waren
die sühne vo&ot, wie auch Herodotos einen von ihnen nennt. Peisi-
stratos hat sogar neben der Timonassa die tochter des Megakles^") ge-
heiratet, es ergibt sich das daraus, dafs in der schlacht bei Pallene (541)
ein söhn der Timonassa ein hilfscorps aus Argos holt, das beweist erstens,
dafs dieser söhn geboren war, ehe der vater zur dritten ehe schritt, wie
jadiegewährsmänner des Aristoteles nur schwanken, ob Timonassa während
der ersten tyrannis oder der ersten Verbannung des Peisistratos geheiratet
ward, jedenfalls 560 — 57. andererseits war es zu keinem bruche mit den ver-
wandten in Argos gekommen, also ist auch keine Scheidung von Timo-
nassa erfolgt, im gegenteil. die abneigung des Peisistratos gegen die
aufgenötigte ehe mit einer Alhenerin, vollends gegen die erzeugung
weiterer ehehcher söhne, erscheint durch die ehe zur linken band mit
Timonassa trefflich motivirt. sehr wol verstanden hat das wer auch
immer den Peisistratos seine ehe mit Timonassa gegenüber den bereits
herangewachsenen söhnen Hippias und Hipparchos motiviren läfst "er
wünsche solche söhne für sich und solche bürger für sein Vaterland
mehr zu haben" (Plut. Cat. mai. 24), denn er wollte zu der herodoteischen
geschichte, der abneigung gegen mehr söhne, ein pendant hefern, da er
wufste, dafs es mehr gegeben hatte, und er kannte genau die zahl und
19^) Mittlerweile hat Kaibel evident sntyrifiEv verbessert; doch das geht nur
den stil an.
20) Den namen Koisyra für diese frau hat Töpffer (Att. geneal. 243) mit recht
bezweifelt: er hätte ihn beseitigen sollen. xoiavQelad'ai to fte'ya cpQovEiv^E^ergisls
schol. Ar. Wölk. 46. 48, xexoiavQcofievTj ejuTtenÄey/itvT] Hesych. xoiavQovzat noofieltai
Theognost bei Gramer An. Ox. II 21 , Suid. KoiavQa (das andere dort aus dem
Aristophanesscholion). weil die vocabel eretrisch ist, heifst das weih, das Aristo-
phanes kyxeytoiavQCJiiEvrj, d. h. unanständig geputzt, nennt, eine Eretrierin, und weil
der dichter den bauern eine hochadliche dame nehmen läfst, und diese deshalb Me-
yaxldovs xov MsyaKldovi nennt, kommt sie in das Alkmeonidengeschlecht, als frau
oder multer eines Megakles; ist sie die mutter des ersten, so ist ihr mann dessen vater
Alkmeon. das ist alles nichtig, wenn Aristoteles in den Acharnern (614) einen lüderlichen
Athener o Koiavqas nennt, so ist die deutung desselben auf Megakles, den man nach
Welk. 46 allenfalls als söhn der Koisyra sich erträumen kann, für den scholiasten
gegeben,- der vorher die Wolken erklärt hat, aber wahrhaftig nicht für Aiistophanes,
der an die Wolken noch gar nicht denkt, allerdings scheint er in den Acharnern einen
bestimmten menschen mit dem 'söhne der Aufgedonnerten' zu meinen: den kennen
wir nicht, als er die Wolken schrieb, lebte wirklich ein Meyaxkrjs Meyay.Xdovs rov
'innoy.QÜTOvs rov MeyaxUovs l4lco7tsxijd-er, er War auch ein reicher mann (schreiber
der Schatzmeister Athenas CIA I 122 u. ö.), aber dafs Aristophanes auch nur mit
dem 'onkel Megakles' (Wölk. 124. 814) ihn gemeint hätte, ist nicht im mindesten
wahrscheinlich.
112 l. b. Thukydides.
I
die namen der sühne und ihr altersverliäUnis, wie es bei Aristoteles steht.
er kann also aus Aristoteles geschupft haben, z. b. wenn es ein philo-
soph war, und bei Plutarch ist ja, wenn er aus dem gedächlnis anführt,
an einen solclien in erster linie zu denken, natürlich kann die angäbe
eben so gut auf die quellen des Aristoteles zurückgehn.
Erwachsen waren die beiden ehelichen söhne um 555, der alters-
unterschied wird von Aristoteles für den damals eben gezeugten Thes-
salos ausdrücklich als sehr beträchtlich angegeben, aber Hippias soll
490 im beere des Datis gewesen sein: wenn er es war, war er ein
achtziger, ich gestehe, dafs ich nicht erst jetzt die ganze geschichte bei
Ilerodot für sage gehalten habe. Hippias träumt den tyrannentraum^')
fit]TQl fxsiyvvo^ai, der sich in wunderbarer weise erfüllt (Her. VI 107):
das ist fabel; und er rät den Persern, bei Marathon zu landen, weil die
ebene für ihre reiterei vorteilhaft sei (Her. 102). das ist noch viel mehr
fabel. denn die unerträgliche debatte über diese schlacht kommt nicht zur
ruhe, so lange die völlig fabelhafte Persische reiterei nicht in ihr reich
zurückverwiesen ist. diese reiterei erscheint lediglich bei den ins un-
geheure aufgebauschten Vorbereitungen (VI 95) und im rate des Hippias,
nirgend im kriegsberichte. die torbeit, gegen inseln {ai^viaig xal
(.laXXov €7tidQ0f.i0L rjSTCEq ^nuoLg) mit cavallerie vorzugehn, oder mit
cavallerie von Marathon auf Athen zu marschiren, ist den Persern nicht
leicht zuzutrauen: am wenigsten konnte ein Athener dazu raten, aber
nicht durch die erfindung einer neuen tatsache, von der keiner was
weifs, sondern durch analyse des einzigen schlachlberichtes sind die reiter
zu beseitigen, die daneben allein noch bestehende Überlieferung, Mikons
gemälde, hatte sie auch nicht, so halte ich denn auch Hippias' anwesen-
heit für fabel: die Peisistratiden in Athen sind auch 490 nicht com-
promittirt gewesen, sondern haben ruhig weiter gelebt.
Die söhne der Timonassa sind Hegesistratos mit dem beinamen Thes-
salos, den er den Verbindungen seines vaters mit dem thessalischen adel
verdankt haben wird, und lophon. das ergibt eine doppelte Schwierigkeit,
einmal hat es in Athen keinen lophon unter den Peisistratiden gegeben; das
ist sicher, da Thukydides nur die drei andern auf der eheren stele gelesen
hat, die das geschlecht verbannte und dabei natürlich die personen vollzählig
nennen mufste (VI 55). ferner sagt Herodotos, dafs Hegesistratos tyrann
21) Soph. 0. T. 982, Plat. Staat 57 1'^, erläutert von Plutarch de pi'of. in virt.
12. nocli Caesar soll den träum gehabt haben (Sueton 9), und die plumpere erfindung
läfst das scheufsliche tatsächlich vollziehen, so von Periandros (Aristippos n. %al,
TQv^TJs hei Diogen. 1, 96) und Nero.
i:
Die Peisistratiden. 113
von Sigeion gewesen sei (V 94). es gibt nur die eine lösung für beides,
dafs freilich in Athen nur drei söhne des Peisistratos gewesen sind, wie
Aristoteles ja auch als nachfolger des vaters nur drei nennt, aber der
vierte Sigeion erhalten hatte und nie Athener geworden war. so stimmt
die attische Urkunde und Thukydides zu Aristoteles, aber Herodot mufs
allerdings statt lophon Hegesistratos genannt haben, getäuscht durch den
doppelnamen des Thessalos, oder aber lophon den klangvollen namen
des bruders übernommen haben, als jener sich in Athen Thessalos zu
nennen begann.^'')
Es hat noch eine tochter des Peisistratos gegeben, wenn das
patmische scholion zu Demosthenes Aristokratea 71 genau ist. in
einer wertvollen erörterung des attischen blutrechtes heifst es zum be-
lege dafür, dafs auch der dUatog cpovevg nicht in Athen wohnen durfte
(also einer irrigen ansieht), rolg yoiiv MvQQivTqv Trjv üsiaiaTQccTov d-v-
yarsQa av)]Qr]K6oi y.al allovg rivag lipr^(piGavTO TtoXiTeiav -/.al öto-
Qedv' ey.e'Aeiod-r^aav (?' ofiiog Iv ^aXa/^ilVL or/,elv dta to f^irj e^elvai
Tilg ^^TTi/.rjg STtißaheiv tov o?uog cporevoavTa. darin stammt die be-
gründung nicht aus dem psephisma, und die worte scheinen nicht heil.
Myrrhine aber war, wie schon der erste herausgeber Sakkelion gesehen
hat, vielmehr die Schwiegertochter des Peisistratos, die gattin des Hippias.
so erzählt Thukydides (VI 55) auf grund eben der inschrift, die das ge-
schlecht ächtete, das verhilft uns wol zu der richtigen deutung des
schohons. nicht nach der ermordung ist das beschlossen, sondern es
ist der preis auf die für vogelfrei erklärte famihe ausgesetzt, daher das
unklare MvqqLvv^v xal allovg TLväg-^) und die einschwärzung des
namens Peisistratos. die Athener haben den mordern das bürgerrecht
und nicht eine unbestimmte diOQsä, sondern ein landlos auf Salamis
ausgesetzt, dies aber nicht aus dem angegebenen rehgiosen motive,
sondern weil sie da verfügbare ländereien hatten und tatsächlich zur
selben zeit zu ehrengeschenken verwendeten (Herod. VIII 11). denn
erst um 480 kann diese stele gesetzt sein, durch die jedes mitglied der
22) Mit luslin, der aus der ermordung des Hipparclios macht Diocles alter ex
filiis per vim stuprala virgine a fratre puellae inlerficitur (II 9, 1) ist nichts an-
znfansfen. was in der paiischen chronik zum archon Pythokritos 494/3 steht, «95'
ov VE mnia | .... ev '^d'/']rT](Tiv , ist noch ein rätsei. Boeckhs
versuch, einen söhn des Hippias hineinzubringen, ist schon wegen des genetivs
Innia falscii.
23) Töpffers änderung y.ai alias k\(.%<fiaavro Scogeäs aai noliTEiav {qu.
Pisistr. 113) ist an sich ansprechend, aber dann müfste man an die vollzogene tat-
sache des mordes glauben, weil die beziehung auf das landlos nicht mehr vorhanden ist.
V. Wllamowiiz, Aristoteles. 8
114 1-5. Thukydides.
tyrannenfamilie für vogelfrei erklärt ward, so lange die partei der ty-
rannen nicht nur ruhig in Athen bleiben durfte, sondern ihre führer
es bis zum archon bringen konnten (Hipparchos der söhn des Charmos
495/4), Nvar ein solcher beschlufs nicht möglich, wenn 507 diejenigen
als hochverriiter geächtet wurden, die im gefolge des Kleomenes gekommen
waren und sich in Eleusis auch nach dem falle der bürg gehalten hatten ^^),
so waren darunter nicht die tyrannen gewesen, denen mit dem oligarchen-
regimente des Isagoras wenig gedient war. gerade diese drohende fremd-
herrschaft zugleich und adelsherrschaft liefs die bequeme tyrannenzeit
wieder im gedächtnis aufleben und den groll über die letzten jähre des
Hippias vergessen, erst die steigende demokratische richtung, nicht durch
einen seesieg, aber durch den sieg von Marathon entfesselt, führte zur
beseitigung der dynastengeschlechter, erst der Philaiden, dann der Pei-
sistratiden, dann der Alkmeoniden. 487 verfiel Hipparchos dem Scherben-
gerichte, im frühjahr 480 ward gleichzeitig mit der aul'hebung dieser ur-
teile den vom ostrakismos betroffenen bei strafe völliger atimie geboten j
westlich von dem äufsersten westcap von Euboia und dem der Argolis
zu bleiben.") man fürchtete also ihren anschlufs an Persien, und 480
erschienen Peisistratiden im gefolge des Xerxes und nahmen von den !
trümmern der bürg besitz (Her. VHI 52. 54). jetzt hatten sie wirkhch \
die acht verdient, jetzt erst hat sie sie getroffen, als das volk heimkehrte, i
hat es notorisch die statuen der tyrannenmörder sofort erneuern lassen.^^)
eben damals wird auch die erztafel aufgestellt sein, die das ganze ge- '
schlecht des Peisistratos ächtete, sollte es eine ältere gegeben haben,
so war sie sicherlich zerstört, und wenn sie erneuert ward, so traten
mehr personen jetzt in den bann, das läfst sich auch aus Lykurgos
rede wider Leokrates 117 zeigen, er läfst den volksbeschlufs verlesen,
in dem bestimmt war, dafs die statue des Hipparchos Charmos' sohn-'j,
24) Krateros im schol. Ar. Lysislr. 273, vgl. Kydalhen 71.
25) Ar, 22, 8. wir finden das gesetz befolgt von Themistokles, der in Argos,
und Thukydides des Melesias söhn, der auf Aigina lebte, aber nicht von Hyperbolos,
der nach Samos gieng. indessen kann das unter den damaligen Verhältnissen nicht
befremden, seltsamer ist, dafs nach Andokides 3, 3 Kimon in der Chersones lebte,
immerhin lag auch damals kein anlafs vor, das veraltete gesetz wider den söhn
des tyrannen der Chersones anzuwenden, zumal der krieg ihm den Peloponnes
verschlofs.
26) Dies bezeugt die parische chronik für das jähr des Adeimantos 477/6.
27) Es ist mir unverständlich, wie man bei Lykurg "/7r7ra()/os Tiuä^xov dulden
kann, der redner konnte natürlich irren, aber ihm lag doch hier das psephisma vor,
Die Peisistratiden. 115
weil er sich dem gerichte jtQoöoaiag nicht gestellt hatte, eingeschmolzen
und aus ihrem metalle eine tafel hergestellt werde, auf der die hoch-
verräter verzeichnet werden sollten, errichtet kann die tafel erst sein,
nachdem Hipparchos 480 statt heim zu kehren verräterische handlungen
begieng; errichtet kann sie auch erst sein nach 479, denn sie stand noch.
es ist dieselbe eherne tafel, auf der Thukydides die namen der Peisistratiden
las, auf der die 506 geächteten oligarchen standen, auf der dann das urteil
über Arthmios von Zeleia und noch viel später das urteil über Diagoras den
Melier und über Phrynichos und genossen eingetragen ist. ich habe früher
angenommen, dafs die publicalion auf erz für die beschlüsse über hoch-
verräter herkömmlich gewesen wäre, und ebenso die aufstellung itaga rov
agxcdov vecov. dann mufste ein neuer lempel vorhanden sein, und so
benutzte ich das zu einem zeugnis für einen vorpersischen Parthenon,
das ist seit der entdeckung des "^aUen tempels\ der bis zur erbauung des
'^Kimonischen'" Parthenons der einzige war, nicht mehr mit den baulichen
tatsachen vereinbar.-^) die sache löst sich jetzt, die eherne stele stand
neben dem ag^ctlog vecug, aber es war eine, die einen katalog der
hochverräter enthielt, wie es anderwärts stelen für die kataloge der
evegyerai. oder TtQo^evoi gab, und diese stele war erst nach 479 er-
richtet, als der bau des neuen tempels südlich von dem alten beschlossene
sache war, oder wol als man an ihm baute.
Für die beurteilung des Thukydides ist die probe, der wir seine er-
zählung an der band des aristotelischen berichtes unterziehen können,
zu wichtig, als dafs ich hier davon schweigen könnte, das mufs zugegeben
werden, er gibt eine erzählung des Vorfalls selbst, die eine ganze anzahl
irrtümer enthält, aber er gibt sie ausdrückhch als mündliche Überlieferung,
über deren wert hat er sich getäuscht: die tradition der Philaiden, zu
also ist sein irrtum nicht wahrscheinlich, dafs vielmehr unsere elende handschrift
irrt, beweist Harpokration aX?.os Ss eanv'lTtna^x^^ ^ Xd^/uov cos (p?]aiv yivy.ov^yos
Ev tqJ ttara Astoy.QÜTOvs, worauf ein citat aus Androlion folgt, das mit einem aus
Aristoteles verquickt ist. lediglich durch den richtigen Vatersnamen, der ausdrück-
lich für Lykurg bezeugt wird, hat der grammatiker die richtige person finden können.
Hipparchos war aus Kollytos, so steht hei Aristoteles; Plutarch sagt, aus Cholargos
(Nik. 11), in einer Übersicht über den ostrakismos. er oder einer seiner Vorgänger
hat sich in der liste der ältesten ostrakisirten versehn: aus Cholargos war Xan-
thippos.
28) Lolling 'ExaTÜfmeSov 19, der die sache sonst klar stellt, kann sich dem
Zeugnis nur durch den Verzweiflungsausweg enlziehn, dafs er die bestimmung uQxctlos
für einen zusatz hält. — Kydathen 68. der ausdruck aoxcüos vecös hat also in
einem späteren psephisma, das die früheren urteile zusammenfafste, gestanden.
8*
116 I. 5. Thukydides.
deren familie er sich rechnen durfte"), war nicht hesser, als die tradition
der Alkmeoniden, die wir so oft hei Herodotos antreffen und, wo wir sie
controlUren können , auch herichtigen. die ansprüche des Thukydides
sind höher, aher er ist in dem was er auf hlofse aY-oi] giht, natürhcher-
weise niclit minder wahrheitsHehend und nicht minder dem irrtum unter-
worfen als Herodotos; üher die schuld des Hipparchos und mehreies andere
hat er sich getäuscht, dagegen behält er recht gegenüber dem poetischen
glauben des skolions ore tov zvqavvov yiTavizrjv iaovo/iiovg t ^d-rjvag
e7ion]aö:Trjv. Hippias war und blieb der eigentliche herr Athens trotz den
tyrannenmördern. und das streben nach urkundhchen beweisen bleibt auch
ein Vorzug des Thukydides, er hat die stele der bürg nachgesehn, sie
heferte ihm das Verzeichnis der Peisistratiden : wer der liebhaber des Har-
modios gewesen war, stand da nicht zu lesen, dieses document und die
epigramme auf den allären des marktes und im Pythion haben ihm seine
richtigen folgerungen über die tyrannenherrschaft bestätigt, ein grab-
epigramm, das er in Lampsakos las, die Verbindungen der Peisistratiden mit
den dortigen tyrannen. das sollten wir modernen aber nie vergessen, und
es wäre hübscher gewesen, wenn Thukydides es in seiner vorrede auch
nicht vergessen hätte, dafs Herodotos über die tyrannen und den tod des
Hipparchos nicht wesentlich schlechter als Thukydides unterrichtet war.
die grofse Überlegenheit, mit der Thukydides auf seinen gröfseren vor-
29) Die sachkundige behandlung der frage nach dem geschlechtsverbande des
Thukydides durch Töpffer hat meine äUere arbeit in mehrerem berichtigt, aber in
der hauptsache mufs ich bei meiner ansieht bleiben, dafs ein directer vorfahr des
geschichtsclireibers als bruder der Hegesipyle schwager des Miltiades war. entschei-
dend ist der besitz der thrakischen bergwerke und die einflufsreiche Stellung des
Thukydides in jener gegend. sein besitz kann ja gar nicht im altischen gebiete
gelegen haben, denn ein wegen Verrates zum tode verurteilter kann nicht in Athen
oder cüv 'A&tjvalot aq%ovai, wohnen, wie sollte er zu diesen gütern kommen, wenn
sein vater ein dunkler ehrenmann aus Halimus war? ein hellenisirter Thraker hat
sich für Athen erklärt, als die gegend des Pangaion annectirt ward, weil er Kimons
onkel war, hat so das bürgerrecht erhalten und seinen söhn nach dem Thukydides
aus Alopeke benannt, so gut wie der Thessaler Menon, der das bürgerrecht oder
vielmehr die atelie für die hilfe wider Eion erhielt (Dem. 23, 199 vgl. n. awrä^ecos
23, dies richtiger) und seinen söhn Thukydides nannte (Thuk. 8, 92, Polemon bei
Marcellin 5, 32 Bekk.). dafs Oloros Halimusier ward, nicht Lakiade wie Kimon oder
Alopekeer wie Thukydides, scheint mir nicht von belang: das volk konnte doch
nicht alle solche clientel in eine gemeinde stecken, etwa wie alle von einem kaiser
zu Römern gemachten leute in des kaisers tribus kamen, dazu war die sache in
Athen zu wichtig, dafs aber Oloros, der keine TJ^ia hatte, in die Kificoveia auf-
nähme fand, ist nicht wunderbar: seine kinder halten dann da die rjQia.
Die Peisistratiden. herkunft des aristotelischen berichtes. 117
gäüger herabsieht, ist zwar durchaus begreiflich und ist ein charakteristischer
zug in dem bilde des grofsen Sophisten, aber es charakterisirt ihn doch als
Sophisten ; er steht zu Herodotos ganz wie Euripides zu Aischylos. die
ganze kluft, die die neue bildung gerissen hat, trennt diese wenig jüngeren
von den Vorgängern, an die sie doch anknüpfen, weil er modern ist
wie Aristoteles, erscheint uns in vielem Thukydides etwas aristotelisches
zu haben, und ich glaube auch, dafs etwas racenverwandtschaft zwischen
dem gutsherrn von Skaptehyle und dem Stagiriten ist. zu dem mythischen
verhalten sie sich ganz gleich, vollkommen indifferent, und sie sehen
beide in der Weltgeschichte zwar kein spiel des zufalis, aber auch keine
tragoedie von gott gedichtet, vielmehr das kämpfen menschlicher leiden-
schaft und menschlicher einsieht, in dem der an einsieht und Willens-
kraft stärkere den sieg behält, nicht die bessere sache. trotzdem ist
Thukydides für Aristoteles nicht, was er auch nur für unsere modernen
historiker sein kann, der musterhafte historiker: dazu war dieser ein zu
feiner beurteile!" der stilistischen Vollkommenheit und konnte schon als
künstler der attischen prosa in den thukydideischen reden nur archaische
versuche sehen, aber er hat auch einen nicht berechtigten Widerwillen
gegen den inhalt seiner berichte, das hat lediglich in dem politischen
urleile seinen grund. Aristoteles sieht in dem attischen Reiche nur ein
gebilde der glücklichen habsuchl eines zügellosen demos, in Perikles
einen volksverderber; die kriegerischen ereignisse sind ihm vollends lang-
weilig, wie sollte er da an dem werke gefallen finden , das in dem
Reiche die bedeutendste Schöpfung, im peloponnesischen kriege die ge-
waltigste erschütterung der hellenischen weit, in Perikles den grüfsten
Staatsmann schilderte? so lehnt er das beste was Thukydides geben
konnte von vorn herein ab. es blieb seine stolz zur schau getragene
Zuversicht, das wahre zu geben : wer will es dem Aristoteles verdenken, dafs
er mit genugtuung die gelegenheit wahrnimmt, wenn ihm zuverlässigere
Informationen eine berichtigung des Thukydides gestatten?
Wo aber hat Aristoteles diese besseren nachrichten her? da er Herkuni't
des ansto-
sowol in betreff des Zeitpunktes, wann Timonassa geheiratet ward, wie j|^j.fg^j|j^^^
über eine einzelheit in der folterung des Aristogeilon auf einen wider-
streit in den sonst also übereinstimmenden berichten hinweist, hat er
nur das verdienst, die zuverlässigen forscher benutzt zu haben, nicht
das der forschuug. diese schriftsteiler sind nach Thukydides hervor-
getreten, da dieser sie mit absieht nicht wol verschmäht haben kann;
es war also noch im vierten Jahrhundert möglich über ein ereignis des
ausgehenden sechsten einen glaubhaften detailbericht zu gewinnen, der
118 1. 5. Thukydides.
einem Thukydides unbekaunt geblieben war. wenn Aristoteles über
Timonassa von Argos so viel zu sagen weifs, wobei er personen nennt,
die für ihn und seine leser unbekannt und unwesentlich sind, aber not-
wendig wolbekannt waren, als man durch ihre nennung die frau näher
bestimmte, so ist das eine der auf Argos bezüglichen angaben, die alle
mit einander zusammenhängen, und mit denen er den Herodotos sowol
in betreff der schlacht von Pallene wie auch bei dem stürze des Hippias
ergänzt, dies gehört also alles zusammen; es kann von den anderen
ergänzungen des herodoteischen berichtes über die tyrannis des Peisi-
stratos nicht getrennt werden, mit andern Worten, es gehört in die Althis:
deren zahlreichen bearbeitern steht auch die mehrfach angerufene Viel-
heit von berichterstaltern wol an, und diese haben, auch Hellanikos,
später geschrieben, als Thukydides über die tyrannen sein material sam-
melte und wenigstens die stellen des sechsten buches schrieb, dafs Aristo-
geiton auf der folter die freunde des Hippias angibt, steht älinhch bei
Polyaen (I 22). bei demselben kehrt auch die entwaffnung des Volkes
durch eine list des Peisistratos und die flottengründung des Themistokles
wieder, ziemlich wie Aristoteles sie erzählt, auch da ist also eine viel aus-
gedehntere quellengemeinschafl vorhanden, und auf die Atthis werden wir
wieder mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geführt, darüber in capitel 8.
Ephoros, den wir wol bei Diodor X 17 voraussetzen dürfen, hat über
die folterung des Aristogeiton ähnlich berichtet wie Aristoteles und Polyaen,
im übrigen gibt er alberne fabeln, denn Hippias und Hipparchos treten
als die gemeinen tyrannen der rhetorischen Schablone auf, Thessalos da-
gegen ist ein w^eiser mann und durch seine neigungen für freiheit und
gleichheit beliebt, mit andern Worten , die rollen sind nun ganz ver-
tauscht zwischen Hipparchos und Thessalos. und wer als selbstverständ-
lich ansah, dafs der tyrann schlecht sein mufste, konnte der Überlieferung
niemals glauben, die von Hipparchos überhaupt keine schuld kannte;
Ephoros hielt sich also darin an Thukydides. das nächste war dann
ein scheinbarer schlufs, dafs auch die liberalilät eigentlich dem Thessalos
gehörte.
Ganz die Charakteristik Hipparchs wie hier ist uns längst geläufig
aus dem sokratischen dialoge, den für platonisch niemand mehr hält.
dort kehrt seine freundschaft mit den dichtem wieder, auf die Aristo-
teles als eine notorische verweist: wir haben in den versen des Simonides
und Anakreon keine spuren mehr, aber natürlich waren dies die Zeug-
nisse, auf denen der ruf seiner cpiXoi-iovoLa beruhte, die damit auch wirk-
lich erhärtet ist. der dialog führt aber noch mehr an, die fürsorge für
I
Herkunft des aristotelischen berichles. 119
Homer und die epigramme der Hermen, also attische monumente und
die attische feslordnung. er berührt sich mit Aristoteles noch in dem
Schlagwort, dafs die tyrannis später als das goldne Zeitalter zurück-
gewünscht wäre.^") es ist das ein Schlagwort, das natürlich der guten
alten zeit oft gegeben worden ist^'): so der zeit des Arisleides von den
bündnern nach der Steigerung ihrer lasten (Plut. Arist. 24). die libera-
lität Kimous fülu't t^v STti KqÖvov uv&oloyovi.ievrjv y.0Lvcüvlav ins leben
zurück (Plut. Kim. 10). es können das, obwol l'ür die letzte stelle Theopompos
als vorläge Plutarchs sicher ist, ganz wol Plularchs eigene Wendungen
sein, denn dasselbe bild hat z. b. auch Philon zum preise der regierung
des Tiberius gebraucht (leg, ad. Gaiiim 547 M). es ist also nicht dieser
eine ausdruck, der eine nahe Verwandtschaft zwischen Aristoteles und
jenem unbedeutenden producte der platonischen schule bewiese, die
liegt vielmehr in der ganzen auffassung der tyrannenzeit und speciell
des Hipparchos, und das einzelne wort zeigt nichts, als dafs beiden eine
bereits stilistisch geformte Überlieferung vorlag, nun ist doch auch Aristo-
teles in der platonischen schule Jahrzehnte lang gewesen, hat enge be-
ziehungen immer mit ihr unterhalten, kein wunder, dafs er sich auch
mit ihren geschichtlichen forschungen und anschauungen vertraut zeigt:
er hat sie nicht angeregt oder geführt, aber er hat wie jeder schul-
genosse auleil daran und auspruch darauf, ob darum gleich ein buch
30) Die lesart bei Aristoteles ist ganz unsicher Sib xai noXXäxis — — —
loi 1] Ueiaiaroätov zvoavvis b eni Koovov ßios sotj. im Hipparchos gilt es auch
der gemeinsamen herrschaft der söhne und lautet eyyvs rs s^mv 'Ad'rjvaloi ojans^
änl KqÖvov ßaaiXevovxos (229''). also weder bezieben sich beide stellen auf die-
selbe zeit, noch könnte Aristoteles auf den Hipparchos hin irgend wie sagen, dafs
der vergleich oft gefallen wäre, und doch lesen manche so flüchtig, dafs sie diese
abhängigkeit behaupten.
31) Kronos als Vertreter einer seligen urzeit ist eine junge conception, die erst
möglich ward, nachdem man den befreiten Titanen das reich der seligen im jenseits
legieren liels, d. h. nach dieser orphisch pythagoreischen dichtung. ursprünglicher
ist die verächtliche beurteilung des 'grauen altertums', der zeit vor der civilisation.
denn ihr dient das fest der K^övia, vier tage vor den avvoixia, die ihrerseits eine
Vorbereitung äer navad^r/vaia sind, diese reihe, sicherlich dem sechsten Jahrhundert
angehörig, ruft den Athenern den fortschritt ihres Staates, zugleich den der ganzen
cultur, vor die seele. dafs die sclaven an den Kronien frei haben, ist auch nur ein
zug der 'kyklopischen zeit ohne gesellschaftsordnung. es hat das an den angeblichen
tagen der anarchie in Persien eine parallele. Kronos ist natürlich immer nur eine
folie für Zeus, wenn man mit dessen regimente hadert, steigt die Wertschätzung
der zeit des Kronos. aber in der sophistenzeit, als die komoedie solche bilder oft
bot, kann man auch in der attischen Vergangenheit ein verlornes paradies ge-
sehen haben.
120 '• ^' Thukydides.
anzunehmen sei, das beiden vorgelegen haue, möchte ich nicht einmal
fragen: dazu ^vissen wir zu wenig von dem schulbetriebe und ich wenigstens
von der genaueren zeit, in der der Hipparchos verfafst ist. ist doch
auch das ganz wol möglich, dafs die veränderte Schätzung der tyrannen,
die mit der richtigeren beurteilung auch ihrer familienverhältnisse zu-
sammenhängt, bereits in die Atthis eingang gefunden hatte, die sonst in
der aristotelischen Schilderung des Peisistratos zu gründe liegt.
Die zeit des Arislophanes und Thukydides sah in dem getöteten
Hipparchos den tyrannen, in dem tyrannen den grausamen wollüstigen
gesetzlosen zwingherrn; vor der tyrannis hatte man furcht: ihr gestirn
stand 420 — 15 wirklich so dräuend am horizonte wie 490. dem ent-
sprechend pries man die mörder des Hipparchos als befreier. im übrigen
freute man sich der gegenwart und blickte mitleidig auf das sechste Jahr-
hundert, auf Solon so gut wie auf Peisistratos. die zeit der not und
der revolutionen beschw or die schatten von Drakon und Solon ; wie
auch aufgefafst verkörperten sie die gute, leider verscherzte, zeit der
bürgertugend. erst als die neue solonische demokratie nichts herrliches
ward, und auch dann nur in den kreisen, wo man die Wahrheit laut zu sagen
vpagte, kann Peisistratos rehabilitiert sein. Thukydides, der sich aus Solon
nichts machte, hatte dafür vorgearbeitet. Piaton freilich hat sich über
die alte tyrannis niemals ausgelassen: er hat auch nur für den menschen
und dichter Solon Interesse gezeigt, und Isokrates gibt nur einmal, wo
es ihm pafst, das vulgäre bild von dem druck der tyrannis (Panath.
12, 148), aber beiEphoros (Diodor X 37) und Theopompos (Athen. XU 532)
stehen schon züge von der milde und leutseligkeit des Peisistratos. Hera-
kleides (Plut. Sol. 1) hat mindestens die freundliche beziehung von ihm
zu Solon, wenn nicht schon die erotische novelle erzählt, auch er einer
des platonischen kreises. damals hat irgend jemand auch die forschungen
angestellt, die wir bei Aristoteles finden und die nicht nur die volks-
lümhche fabel, sondern selbst den Thukydides berichtigen.
6.
DIE DEMAGOGEN DES FÜNFTEN JAHRHUNDERTS.
Bisher konnte die analyse des aristotelischen buches von den be-
kannten und zum teil benannten Schriftstellern ausgehn, von denen
Aristoteles abhieng, Solon Herodotos Thukydides der attischen chronik,
deren berichte sich wesenthch durch ihre qualität kenntlich machten,
das wird in der geschichte des fünften Jahrhunderts anders, die eine
kurze episode, die aus Thukydides slanimt, ist erledigt; für die chronik
werden wir aufser den daten nur noch ein par sätzchen in anspruch
nehmen, im übrigen weht hier ein ganz anderer geist. von 450 — 411
hören wir urteile statt der tatsachen, über die geschichte der 400 liegen
unverarbeitete actenstücke vor, die von 404/3 wird sorgfältig erzählt, es
ist also keine einheitlichkeit angestrebt; aber diese art zu schreiben,
die ich keinesweges loben will, bietet der analyse von selbst die hand-
habe, auf verschiedene vorlagen zu schhefsen. wir bringen auch für das
was wir erwarten können, die einsieht mit, dafs Aristoteles oligarchische
parteischriften benutzt hat und dafs er in der schule Piatons ansichten
und Stimmungen aufgenommen hat, die auch unbewufst sein urteil be-
einflussen konnten, die analyse selbst hätte ich sehr viel kürzer fassen
können, wenn nicht die prüfung der nachrichten auf ihren objectiven
wert bereits an dieser stelle nötig gewesen wäre, denn erst daran dafs
so überaus viel unwahres oder doch böswillig gefärbtes darin ist, kann
man erkennen, wes geistes kind der Urheber dieser fälschungen Avar,
und weitere Schlüsse auf eine bestimmte person wagen.
Von der revolution der dreifsig bis zu ihrem stürze läuft eine zu- „g5ß^^'?;,,(g
sammenhängende erzählung der ereignisse (34, 3 — 40). nirgend beruft der dreifsig.
Aristoteles sich auf berichlerstatter, nirgend nolirt er eine abweichende
überheferung. es werden eine menge von personen eingeführt und
nach ihrer parteistellung tendenz und bedeutung gezeichnet, das ist
122 I. 6- Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
wirklich gescliichlserzähluug. die parallelbericlite des Xenophon und
Lysias, bei Diodor und Plutarch berühren sich natiirhch oft mit ihr, aber
sie weichen nicht minder häufig ab, so dafs Aristoteles durchaus den
wert eines selbständigen zeugen hat. daraus erwächst uns zwar die
aufgäbe einer sachlichen prüfung seines berichles, aber die frage nach
seinen quellen läfst sich zunächst gar nicht aufwerfen. es erscheint zwar
auch hier wie in der geschichte der 400 eine Urkunde, der vertrag
zwischen Stadt und hafen (39), allein dies war ein verüfl'entlichtes, viel-
gefeiertes Schriftstück, das dem Aristoteles auf so vielen wegen zukommen
konnte, dafs man darüber gar keine Vermutung wagen wird, und kaum
etwas darauf ankommt, der antragsteiler eines entscheidenden volks-
beschlusses wird auch hier einmal erwähnt (34, 3), aber wir erfahren
weder worin dieser beschlufs bestand, auf dem doch formell die herr-
schaft der 30 beruhte, noch wodurch sie eigentlich die ihnen gewährte
machtbefugnis überschritten und zu lyraunen wurden (35, 1). also
die Urkunden sind nicht die grundlage dieser erzählung, sie trägt viel-
mehr ein total verschiedenes gepräge von dem aus kaum verbundenen
actensLückeu besiehenden berichte über die revolulion von 411. dafs
keine chronik zu gründe hegt, sieht man deutlich an der Vernach-
lässigung der genauen Zeitrechnung, genannt werden zwar die ar-
chonten Alexias für die schlacht am Ziegenllusse (34, 2), Pythodoros für
die einsetzung der 30 (35, 1), Eukleides für die Versöhnung (39, 1).
aber um ganz verständlich zu sein, hätten die angaben hier auf die
monate gestellt werden müssen wie 411; Aristoteles sieht sich auch
genötigt, nachträglich anzugeben, dafs der stürz der 30 noch unter
Pythodoros statt fand, dessen andenken später geächtet ward (41, 1).
da lenkt er eben in die chronik ein, der er auch die letzlvorhergehende
notiz über die eroberung von Eleusis unter Xenainetos danken wird,
auf einem wege, in den man einlenkt, ist man vorher nicht gegangen.
Einen geschichtsschreiber von autoritativer gellung hat es bekanntlich
für die zeit nach Thukydides nicht gegeben, bis der classicismus der Römer-
zeit sich das armulszeugnis ausstellte, den Xenophon, das Stilmuster des
acfs/.rjg KÖyoq, als solchen aufzustellen.') wie viel weniger war Aristo-
1) Erst bei Arislides, dessen abhandlung über den acpslrjs Xoyos den Xenophon
als Stilmuster aufstellt, ist die trias der historiker ganz offenkundig in geltung. an
Xenophon setzen dann die demoslhenischen reden an; für Alexander und seine
nachfoiger fehlte ein bequemes buch, von denen weifs man also blutwenig, diesem
mangel sucht der neue Xenophon Arrian abzuhelfen, der es für Alexander erreicht;
seine noch viel zu breite und zeitlich zu wenig weit erstreckte diadochcngeschichte
Die geschichte der dreifsig. stücke der chronik. 123
leles in der läge, eiuem bestimmten erzähler unbedingt zu folgen, oder
auch nur latent gegen ihn zu polemisiren wie gegen die beiden grofsen
hisloriker. so ist es gekommen , dafs er das eine jähr 404/3 aus sich
erzählt hat, und zwar ohne jede erwähnung abweichender berichte, für
diese kurze spanne zeit mag er denn wirklich ein historiker sein^); die
geschichthche Verarbeitung seines berichtes ist für die analyse seines
Werkes nicht notwendig.
Den Stempel der chronik trägt offener als irgend ein anderer teil Stücke der
^ _ " "^ clnoaik.
die erzähluug von Rleisthenes bis zu den Perserkriegen (22), die aus der
anreihung einzelner unverbundener genau datirter facta besteht, und
zwar sieht man, dafs er eine reichere darslellung auszieht, denn er gibt
an, dafs während dreier jähre die tyrannenfreunde ausgewiesen wurden,
gibt aber nur zwei namen an: der dritte, nach dem der leser fragen
mufs, ist offenbar fortgelassen, weil seine person nach dem urteile des
Aristoteles ohne Interesse war.^) es liegt hier die Atthis unvermischt
vor: vorsichtshalber sei jedoch zunächst noch das schlaue manöver, durch
sucht Dexippos zu ersetzen, auch mit wenig erfolg: so ist die lückc in unserer
tradition zwischen Arrian und Polybios entstanden, kurz vor Arlslides schreiben
Plularchos und Dion; beide kennen den Xenophon sehr gut, den Dien als Sokratiker
stark nachahmt, aber beiden liegt es noch ganz fern, die Hellenika Xenophons als
mafsgebende historische quelle anzusehn. übrigens können wir uns gratuliren, dafs
man Xenophon gewählt hat, nicht Theopompos, wenn es denn nur ein buch sein
sollte, denn so haben wir doch wenigstens eine primärquelle, zu lesen würde
freilich Theopompos ungleich erfreulicher sein.
2) Immerhin ist gut zu notiren, dafs Androtion diese zeit im detail erzählt
hatte, bei ihm kamen die zehn in der sladt, die nach den dreifsig gewählt wurden,
und die zehn im Peiraieus, vor, diese, wie es scheint, namentlich aufgeführt, Harp.
Sa'y.n und MoÄniS.
3) Was bei Aristoteles über den ostrakismos des Hipparchos steht, citirt Har-
pokration s.v. unter dem ülel^^vS^ortcov sv ß'. aber es ist darin mit nickten die
von Aristoteles einfach abgeschriebene vorläge gegeben, denn wenn es heifst
B^waxQaxiad'Tj tov neoi rov oarQaxiafjLOv vofiov röze ■jiqwiov Ted'ivroG, so würde
danach das gesetz 488 gegeben sein. Aristoteles bezeugt, dafs dies gesetz schon
von Kleisthenes gegeben war, aber rore TtoäJiov sy^qrjaavro io) vÖ/mm reo tcsqI rov
oar^axta/iöv , bi sxäd'rj Sia rr,v vno%piuv rtüv er ruls SwäusGip. also steht bei
Harpokration ein ungenauer auszug, wie denn auch tatsächlich bisher die Verbannung
des Hipparchos 507 angesetzt worden war. also darf man die Worte des Aristoteles
nicht aus Harpokration ändern und darf sie nicht mehr dem Androtion beilegen,
aber allerdings wird Androtion neben Aristoteles ursprünglich als zeuge genannt
sein, und auf diesem umwege erreichen wir wieder das Verhältnis, dafs Aristoteles
von ihm abhängt, ich bezweifele es durchaus nicht; aber es beruht lediglich auf
unseren rückschlüssen.
124 '• 6' D'ß demagogen des fünften Jahrhunderts.
das Themistokles den Athenern zu einer flotte verhilft, als anecdote ab-
gesondert.
Weiterhin findet sich nur noch ein kurzes stück, das als ein be-
standteil der chronik sich durch denselben Charakter ausweist und von
seiner Umgebung grell absticht, drei gesetze aus den fünfziger jähren
(26, 2 — 4). das erste macht das archontenamt den zeugiten zugänglich,
es besteht theoretisch noch, als er schreibt: denn noch immer gab niemand
auf die frage nach seiner steuerclasse die antwort, dafs er ein thete wäre
(7, 4). formell war also niemals die Zulassung aller bürger zu allen
ämtern ausgesprochen.") die bestimmungen über die qualiiication zum
archontenamte hat Aristoteles vollständig mitteilen wollen (55, 1), deshalb
steht dieses gesetz hier, das zweite ist die Wiedereinsetzung der demen-
richter, einer schopfung des Peisistratos (16, 5), deren zahl nun auf 30
normirt ward. Aristoteles kommt auf diese 403 geänderte zahl zurück,
wo er ihre competenzen bespricht (53, 1). dafs Peisistratos mit der
Schaffung dieser richter den leuten auf dem lande einen gefallen tun
wollte, die sich so einen gang in die Stadt sparen konnten, sagt Aristo-
teles, dafs seit 403 diese bedeutung des rein städtischen amtes ge-
schwunden war, wenn auch der name demenrichter noch bestand (48, 3),
folgt aus der Schilderung ihrer competenz. wie Perikles es gehalten
hatte, erfahren wir nicht: so wenig ist Aristoteles darauf aus, einblick
in die Verwaltung des fünften Jahrhunderts zu geben, wir müssen
schliefsen, dafs Perikles den längst verschollenen namen der demen-
richter nicht von Peisistratos geborgt haben würde (wenn er denn über-
haupt vor der demenordnung bestand), falls er städtische richter aus
ihnen machen wollte, wir werden dann aber auch die decentralisirende
4) Dafs wir das bisher geglaubt haben, ist keine schände, so unbegreiflich es
der nächsten generalion schon sein wird, die unbewufst von dem beherrscht werden
wird, was wir dem aristotelischen buche danken, bis jetzt aber konnte man dem
Plutarch Arist. 22 den glauben nicht versagen, der gleich nach Plataiai seinen
beiden 'ein psepbisma schreiben' läfst, xoivrjv slvat ttjv TtoXireiav xal rove aQxovrai
41 li4&T]vaio}p anävTtov algsla&ai. darin ist alQsla&ai ein ungenauer ausdruck und
der erste satz eine phrase, die in keinem volksbeschlusse gestanden hat. aber das
konnte man dem berichterstatter aufladen, vorher geht der ausgezeichnete bericht
über die Siegesfeier und die Institution der Eleutheria in Plataiai, und yqäcpsi ifi-
fiofia steht auch da. es folgt die ganz wertlose anekdote von dem plane des
Themistokles die flotte zu verbrennen, die unten besprochen ist: also auch die
analyse der plutarchischen Schrift gestattete kein urteil über die herkunft oder qua-
lität jener nachricht, die wir jetzt einfach als eine bodenlose erfindung wegwerfen,
nur soviel ist an ihr richtig, dafs sie den Aristeides als nQoardrrjS rot Stj/hov auffafst,
nicht als führer der conservativen, wie es trotzdem die modernen meist getan haben.
Stücke der chronik. disposition der erzählung. 125
mafsregel dem Perikles hoch anrechnen, das dritte gesetz ist die l)e-
kannte perikleische beschränkung des bürgerrechtes auf die von beiden
Seiten ächtbürtigen. auch sie ist einer erwähnung gewürdigt, weil sie
zur zeit des Aristoteles geltendes recht war (42, 1); aber weder ihre
(rechtliche oder tatsächliche) beseitigung nach etwa zwei Jahrzehnten
noch ihre erneuerung durch Aristophon kommt vor, so dafs man sieht,
wie nötig bei der benutzung dieses buches es ist, fest zu halten, dafs
geschichtliche Vollständigkeit nicht beabsichtigt ist.
Diese drei gesetze sind also aus der chronik aufgenommen, weil sie
Institutionen begründen, die zur zeit noch gelten, wir durchschauen
die absieht, aber Aristoteles hat sie ohne ein wort der erläuterung hin-
gestellt, und sie heben sich seltsam von ihrer Umgebung ab. denn
aufser ihnen ist hier von der urkundhchen erzählung der chronik nichts
als die vereinzelten archontennamen zu finden, alles andere ist nicht
erzählung, geschweige urkundliche, sondern raisonnement. in dies sind
die drei gesetze so äufserlich eingeordnet, dafs auf das letzte von ihnen,
das vom jähre des Antidotes 451/0 ist, folgen kann "darauf, als Perikles
die Volksführung übernahm, der sich zuerst in seiner Jugend bei der an-
klage Kimons ausgezeichnet hatte — ", womit also viele jähre zurück-
gegriffen wird.
Sehen wir also von dieser einlage ab, so läfst sich die ganze be- oispositiou
" ° der
handlung der zeit von 480 — 411, der zeit des Reiches, bezeichnen als e^ähiung
eine abhandlung ytSQi twv '^^rjvtjGL ör^fiaycoyiöv. scheinbar dreht es
sich freilich zuerst um den Areopag, in dessen herrschaft Aristoteles den
grund für die grofsen erfolge Athens sieht, und dessen stürz er be-
dauert, aber den stürz selbst schiebt er dem Themistokles in die schuhe,
und die centralisirung der demokratie, die tyrannische herrschaft über
die bündner und die fütterung der bürger aus fremden taschen hat Ari-
steides zu verantworten : also trägt er auch mittelbar daran schuld, dafs
dies Volk sich die bevormundung durch den Areopag nicht mehr gefallen
lassen wollte, dann wird das zweite par von demagogen charakterisirt,
Kimon und Perikles, wird eine liste der Parteiführer von Solou ab ent-
worfen, die ihren abschlufs in dem überaus scharfen worte findet "seit
Kleophon haben sich in der führung des Volkes unausgesetzt die men-
schen abgelöst, die am meisten geneigt waren ohne jede rücksicht
drauf los zu wirtschaften^) und der masse ihren willen zu tun ohne
5) Unübersetzbar für mich ist dies ol /uähara ßovXöfisrot d'Qacvvea&ai, aber
man versteht es wol: d'Qaaos ist der gegensatz von Säos und von aiScös, es sind
die leute "mit dem leichten herzen", zugleich auch die, für welche jede aiScös ein
126 I- ö. Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
weiter als auf den moment ihr augenmerk zu richten", an der stelle,
Avo dieses wort steht, mag es mancher übersehen, aber es ist ohne zeit-
liche befristung ausgesprochen, und auf die überhaupt unerfindlichen per-
sonen kann es nicht gemünzt sein, die etwa während der wochen zwi-
schen Kleophons tod und der einsetzung der 30 auf der pnyx herrschten,
nun, das ist zwar ein wort der leidenschaft und des ekels, und Aristo-
teles müfste uns wenigstens eine oder die andere ausnähme, wie Archinos,
zugestehn: aber hier läfst er einmal seiner Stimmung freien lauf, hier
sagt er es selbst, was er von Thrasybulos und Kephalos, Kallistratos und
Eubulos, Demosthenes und Demades gehalten hat.^) im anschlusse an
dieses wort wird ein Werturteil abgegeben, das Nikias und Thnkydides'),
von denen der Schriftsteller nicht in der läge gewesen ist taten zu be-
richten, den aQxaloL, d. h. Solon, Peisistratos und Kleisthenes, an die
Seite stellt, und dann den Theramenes, dessen rechtfertigung, ganz im
sinne der aristotelischen politischen moral, beigefügt wird, gewissermafsen
als anw eisung, wie die folgende erzählung der beiden revolutionen be-
urteilt werden solle, so lange sie auf die herstellung der närgiog rco-
liXEia zielen, sind sie gut, und so lange macht sie Theramenes auch
mit. aber er schwenkt ab, sobald sie in oligarchische gewaltherrschaft
ausarten (32, 2. 33, 2. 34, 3. 36, 2) : das urteil des Theramenes ist für
Aristoteles mafsgebend.
In demselben sinne ist auch noch der bericht über die jähre 410
bis 406 gehalten, denn er beschränkt sich darauf, die Verurteilung der
feldherrn nach der Arginusenschlacht als einen frevel des demos und
überwundener Standpunkt ist. nur hat das wort keinen beleidigenden klang; es ist
kühn und rücksichtslos, aber es bleibt höflich, so was geht auf deutsch nicht.
6) Es ist vielleicht doch wahrscheinlicher, das Aristoteles das wort nicht ge-
prägt hat, sondern übernommen: dann hat er es sich doch zu eigen gemacht und
mufs es verantworten, denn nur in dieser kritik liegt die begründung dafür, dafs-
er über das vierte Jahrhundert und seine demagogen schweigt.
7) Ob Aristoteles wirklich etwas von diesem staatsmanne hätte berichten
können, ist fraglich, wir wissen jedenfalls so gut wie nichts von ihm. die haupt-
stelle, die ihn auch günstig auffafst (Plut. Per. 11), scheint auf Theopompos zurück-
zugehn, und der wieder ist von derselben schrift beeinflufst, die dem Aristoteles vorlag.
Arislides jiro IV viris II 160 hängt von Plutarch ab. das scholion (III 446), das
den Thukydides axvlaxcöS?] xai oliyuoxLviöv nennt, ist zu wenig verläfslich. wie
viel in den viten des historikers auf den namensvetter geht, ist unsicher, aber dafs
dieser seinen paten nicht erwähnt, hat auch einige bedeutung. Piatons Laches zeigt
nur, dafs er wirklich ein angesehner mann war; dafs Piaton ihn der ehre würdigte,
erwähnt zu werden, dankt er dem demos Alopeke. wie wenig wir aber die partei-
kämpfe der vierziger jähre kennen, sehen wir an dieser hauptperson am deutlichsten.
Disposition der erzählung. der Arginusenprocefs. 127
die ablehnuDg der lakonischen friedensbedingungen als eine probe der
terroristischen demagogie Kleophons anzuführen: rasch folgt dann in der
niederlage am Ziegenflusse und der tyrannei der 30 die strafe, weder
mit der tragik des Zusammenbruches des Reiches noch mit der unsag-
baren not des volkes noch auch mit seiner opferwilligen energie hat
der Schriftsteller das geringste mitgefühl. er denkt wie Theramenes.
Es ist durchaus berechtigt, dafs Aristoteles nicht die Perserkriege
und nicht den peloponnesischen krieg hat erzählen wollen, wenn er
einmal die attische Verfassung ganz isoliren wollte und alles fern hielt,
was über den kreis der Stadt und der bürger hiuauswies, also sclaven,
metoeken und fremde, die capitulatiouen mit andern Staaten, selbst die
epigamie bei seite liefs, so mag es entschuldigt sein, dafs er auch den
gerichtszwang der bündner und die Organisation der kleruchien über-
gangen hat. obwol man nur die schrift des falschen Xenophon zu lesen
braucht, um zu sehen, wie sehr das Reich und seine Interessen damals
die der einzelstaaten überwog, und selbst wer diese pohtik verurteilte,
ein complement zu dem capitel über die 20000 von Reichs wegen besol-
deten Athener hätte schreiben sollen, das die übertriebenen anforderungen
an die leistungen des volkes als einen grund für die kurze dauer dieses
Staates schilderte, aber das fünfte Jahrhundert mit der Charakteristik
von einer anzahl demagogen abzutun, ist nur durch eine starke Vorein-
genommenheit erklärlich, in der seele des Stagirileu ist diese leiden-
schaft nicht von selbst erwachsen : wo sind die Athener, die ihm so im-
ponirt haben, dafs er zu einer solchen Ungerechtigkeit sich hat fortreifsen
lassen, einer Ungerechtigkeit, die sich schon stark genug an den einzelnen
personen, aber noch viel mehr an dem Staate und der Verfassung Athens
versündigt, die frage soll ihre antwort linden ; aber es ist angezeigt, dafs erst
die qualität der aristotelischen angaben geprüft wird; dabei wird manches
einzelne von selbst seine herkunft verraten, an dem andern aber werden
die bezeichnenden merkmale deutlich hervortreten.
Fangen wir von hinten an. "nach der Argiuusenschlacht wurden j^,.„[J,^Jse„.
alle zehn feldherrn durch eine abstimmung zum tode verurteilt, obwol P'ocefs.
einige gar nicht mitgekämpft hatten, andere auf einem fremden schiffe
selbst gerettet waren (34, 1).'' das ist eine arge Übertreibung, sinte-
malen nur acht verurteilt und nur sechs hingerichtet sind.^) aber eben
so notorisch ist, dafs der mitvorsitzende prytan jenes tages, Sokrates von
Alopeke, vor gericht also redet ore vf-ielg zovg div.a orgaTrjyoig —
8) Xenoph. Hell. I 7, 2. 34, dem gegenüber Diodor XUI 97. 101 nicht auf-
kommen kann.
128 !• 6. Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
ißovXeod-e ad-qoovg y.Qiv€iv (Plat. apol. 32^). und da die rechtsver-
letziing, gegen welche Sokrates protestirte, in der summarischen ab-
urleikmg lag, die dieselbe bleibt, mögen es zehn oder acht sein, ein col-
legiuni aber gar leicht als eine feste zahl gefafst wird , deren abgang
im speciellen falle man nicht rechnet^), so ist Sokrates entschuldigt,
sein Vorgang aber mag auch dem Aristoteles pardon erwirken, obwol es
nicht schön ist, dafs er auf der zehnzahl bauend den Athenern einen
besondern Vorwurf macht, weil die unbeteihgten , d. h. Konon, getötet
wären, auf jeden fall konnte er so reden lediglich auf grund einer un-
sichern Iradition, die unter den Sokratikern von der grofstat ihres
meisters lebendig sein mufste, und es ist irrelevant, ob vielleicht auch
andere so geirrt hatten.
Auyioä. Aus sokratischer tradition stammt eine ohne rücksicht auf die Zeit-
rechnung gelegentlich der einführung des richtersoldes beigebrachte notiz,
Anytos habe zuerst durch bestechung des gerichtshofes seine freisprechung
durchgesetzt, nachdem durch sein verschulden Pylos verloren war (27, 3).
die geschichte steht genauer bei Diodor XIII 64, wo jedoch Anytos an
dem Verluste unschuldig ist, und nur der Verurteilung durch bestechung
entgeht.'") Plutarch hat sie in die Coriolanbiographie eingelegt (14) aus
seiner miscellanlecture, zu der für historische anekdoten peripatiker wie
Theophrast das meiste beisteuern, die tradition der grammaliker hängt
von Aristoteles selbst ab, und es ist nur eine späte Verwechslung zweier
ankläger des Sokrates, wenn einmal der schlechte dichter Meletos statt
des Staatsmannes Anytos genannt wird (Bekk. An, 236 == Et. M.). seltsam
ist, dafs auch der dritte im bunde, Lykon, einen platz der Messenier,
rs'aupaktos, für geld verraten haben soll, und auch straflos geblieben ist.
dafür liegt ein zeitgenössischer komikervers vor (schol. Plat. apol, 23^).
Piaton und Xenophon haben zwar diese persönlichen recriminatiouen
verschmäht, aber dafs die sokratische schule und die durch dessen tod
aufgeregte sophistische litteratur minder wählerisch war, ist man berecli-
9) In erzählungen M'ie der thukydideischen von den 400 mag es auch uns selbst-
verständlich sein, dafs 'die 400' durchweg von der majorität dieses rates gesagt wird,
für den Griechen wenigstens ist es eben so selbstverständlich, dafs 'die 30' so heifsen,
auch nachdem Theramenes getötet ist und Kritias Gharikles u. a. gefallen sind, Ar.
37. 38. 39.
10) Xenoph. Hell. I 2, 18 hat die tatsache vielleicht auch erzählt, wenn man
die lückenhaften worle ^axeSat/iovioi tovs eis rl KoQVfdaiov rwv EIXcÖtcov a<pt-
arcÜTag ix Maltas vnoanSvSovs ufTjxav nach Diodor ergänzen darf, der von dem
cntsalzheere des Anytos sagt, dafs es oi Svvrjd'eis tvv Ma'/.iav xäfixpai avdTtXevaev
eis'Ad'r^vas. ein anderer beachtenswerter ergänzungsversuch stelitGenethl.Golting. 168.
Anytos. Kleon und Kleophon. 129
tigt zu glauben , und so konnte Aristoteles das überallher wissen : es
würde aber gerechter gewesen sein, wenn er hervorgehoben hätte, dafs
zwischen der einfiibrung des richtersoldes und der ersten bestechung
ziemlich ein halbes Jahrhundert lag, und Perikles viele jähre tot war,
ehe der erste fall vorkam.
Von den demagogen werden die beiden plebejer Kleon") und K'eon und
Kleophon wesentlich als solche charakterisirt. dafs er ein mensch ohne
nianiei'en ist, ohne erziehung, wie sie die gute gesellschaft jedem der
ihren mitgibt, dadurch macht Kleon epoche (28, 3). nicht die erhöhung
der tribute oder die des richtersoldes wird ihm vorgerückt, sondern das
benehmen auf der tribüne. es sind dieselben manieren, die Aischines
an Timarchos tadelt (1, 26), und man vergleiche nur seine statue
mit der des Demosthenes, um zu sehen, dafs ihn die bildende kunst
mit berechneter absieht in der keuschen tracht der allen guten zeit
darstellt, seinen mächtigeren aber ungraziosen gegner nicht hlofs mit
nakten armen, sondern sogar ohne hemde. aber der verdacht darf nicht
aufkommen, dafs die gegcnsätze der demosthenischen zeit sich in der
Schilderung der alten demagogen spiegelten, denn die Ritter werden ja
11) Kleons vater liat schon in den sechziger jähren eine choregie übernommen
(CIA II 991=) , damals war die faniilie also schon bemittelt, wie sie es über den
peloponncsischen krieg hinaus geblieben ist (CIA II 553). also schon Kleainetos hat
keine lohe gekocht und keine ahle geführt, und war vermutlich in der läge mehr
für die erziehung seines sohnes aufzuwenden als sein demot Philippos (der ein landlos
auf Aigina erhielt) für die des Aristophanes. aber die gerberei am Eridanos wird
allerdings wol in der familie geblieben sein, und es ist sehr glaublich, dafs der ahn
des hauses erst durch Kleisthenes Athener und Kydalhenaeer geworden war. ge-
sellschaftlich gehört er in eine andere Sphäre als der söhn eines 'schmiedes'
Sophokles von Kolonos und der eines 'flötenfabricanten' Isokrates von Herchia.
der Städter hatte es bequem auf die Pnyx, und so hat er da schon den Perikles
angegriffen (Hermippos in den Moiren): seine politische rolle dagegen datirt vom
jähre des Euthynos (427/6), in dem er ratsherr war und als solcher bei der Soxc-
fiuaia iTtndcav, bei der t«|«s cpö^ov und andern finanzpolitischen Ordnungen her-
vortrat (es lief die vierjährige etatsperiode gerade ab), und das polizeiliche ein-
schreiten gegen den dichter der Babylonier betrieb. In Piatons komoedie, die mit
dem cstrakismos des Hyperbolos schlofs, kam auch vor, dafs dieser ratsherr ward:
er ist es wahrscheinlicii unter Aristion 421/20 gewesen, CIA I 46. noch Demo-
sthenes hat seinen politischen einflufs als ratsherr begründet 347/46. dagegen
Perikles, der die Strategie continuirt, verschmähte eine stelle in beiden raten: natür-
licherweise nuifsle er sich dann anderer antragsteiler bedienen, wie des Charinos,
oder in der Volksversammlung den antrag des rates umwerfen, die dritte möglich-
keit, eine yvw^r] axqaxriywv in den rat zu bringen, mag freilich auch vorgekommen
kein, so bei seinem megarischen psephisma (Plut. Per. 30).
V. Wilamowitz, Aristoteles. 9
130 I- 6- Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
nicht müde die würdelose haltung und die polternde und kreischende
beredsamkeit des Kleon zu geifseln, wenn auch die Vernachlässigung der
tracht nicht gerügt wird, auch andere verstofse gegen die gute sitte hat
man dem Kleon aufgemutzt'^), und ein artiges Stückchen, wie er die
Sitzung des Volkes aufheben läfst, weil er bei sich gesellschaft geladen
hatte, erzählt Theopompos'^): darin weht dieselbe luft wie in der
aristotelischen Schilderung.
Die geschichte von Kleophon ") , der gewappnet in die Volksver-
sammlung kommt und erklärt, er werde die annähme des friedens unter
den angebotenen bedingungen nicht gestatten, erzählt auch Aischines
(2, 76) mit der kräftigeren wendung, dafs Kleophon jedem den hals mit
dem Säbel abschneiden will, während er bei Aristoteles nur den hämisch
an hat.") aber Aischines verlegt die scene auf die ersten Verhandlungen
nach der schlacht am Ziegenflusse, wo Kleophon in der tat die bürger-
scliaft zum ausharren vermocht hat.'") dasselbe hat er nach der schlacht
bei Kyzikos getan, und damals standen dieselben friedensbedingungeu
12) Er wandte in seinem berichte über den erfolg von Sphakteria als Stratege
die form des privatbriefes an, die später allgemein üblich ward (Moeris Suidas %ai-
QBiv aus Eupolis). wie war wol die ältere? den brief des Nikias stilisirt Thuky-
dides als rede an das volk mit der anrede ti ^A&rivaXoi. aber der schreibende
mufste sich doch nennen, so mufs man ein Nixia? KvSaviiSris täSs liyei ev^d^nztvir
d. h. ganz wie d>8e Xiyei ßaaiXsrs Sto^r;s Ilavaavia Thuk. I 129. ßaaikevs ßaai-
Xscov JaQslos 6 'Taräaneco raScna boilco räSe Xeyet (Bull. Corr. Hell. XUI 531).
^Oq^otti 'yiyafidfirovos emareXlei tÜSb ^Iipiyeveia (Eur. I. T. 769). ganz so wäre»
die Überschriften aichaischer bücher gehalten, sind es die des Herodotos und Thu-
kydides eigentlich auch.
13) Plut. Nik. 7, schol. Lucian. Tim. 29. die torheit, hierin komoedie ge-
wittert zu haben, bereue ich schon viele jähre.
14) Statt des Vatersnamens, den Aristoteles selbst dem Kleon nicht versagt^
führt Kleophon ständig das handwerk, 6 IvQonoiös; ein solcher mensch ist ebei>
von gar keiner herkunft. ähnlich steht es mit Hyperbolos, dessen vater Anliphanes-
wir nur durch Androtion (schol, Lucian Tim. 30) kennen; JrjfiäSrjs Jrjfieov ist uns
von den steinen geläufig: diese drei nennt im kataloge der aysvvels Aelian (V. H»
12, 43) als solche, deren väter niemand kennt, insofern also, als er den 'menschen
ohne familie' charakterisirt, ist der zusatz 6 Xvqonoiös bedeutsam.
15) Aristoteles gibt das als zeichen seiner frechheit, und Cobet hat es sogar
als misverständnis von &wQrixd'Eis gefafst, das, aber nur bei loniern, sowol 'ge-
wappnet' wie 'betrunken' bedeutet; in Wahrheit ist dies der beste beweis dafür, dafs
ein Zeitgenosse erzählt. Kleophon gehörte zur besatzung der mauer, und es konnte
den Athenern wol imponiren, dafs er von der wache auf die pnyx kam und in
uniform die räumung von Dekeleia, also seine eigene befreiung vom Wachdienst, ais-
entehrend zurückwies (Lysias 13, 12).
16) Lysias 13, 7. 30, 10.
i
Kleon und Kleophon. Kritias. 131
zur debatte, die Aristoteles für 406 angibt.") nur pafst der Status quo
als angebot, die seeherrschaft als Forderung für das letztere jähr durchaus
nicht mehr, und mit vollem rechte hat Grote'*) dem schon früher be-
kannten Zeugnisse des Aristoteles den glauben versagt, hier ist aber
der Philosoph höchst persönlich schuldig zu sprechen, denn die chronik
konnte ihn nicht verführen: er hat eine drastische beschreibung von
Kleophons terrorismus, die ohne festes datum gegeben war, 406 an-
gesetzt, Aischines 405, und hat dabei die friedensbedingungen von 410
verwandt, die allerdings Kleophon bekämpft hat, Aischines die von 405,
die er auch bekämpft hat. wir können nur urteilen, dafs die geschichte
entweder 410 oder 405, aber nicht 406 passirt ist. aber auf gleich-
zeitige erinnerung geht sie zurück, einen schluls darauf, woher Aristo-
teles sie nahm, gestattet sie selber nicht; es kommt auch wenig darauf an.
Der moderne leser wundert sich vielleicht noch mehr über das was
Aristoteles in dieser zeit nicht erwähnt als über die ungenauigkeiten in
dem erwähnten, die dreifsig bleiben eine ungegliederte masse, die
schwarze folie für das leuchtende bild des Theramenes, und nirgend, Kritias.
nicht einmal bei der schlacht in Munichia, wo er fiel, kommt Kritias
vor. das ist der verschweigung des Phrynichos unter den 400 analog,
und die Pohtik nennt doch die Ultras in beiden oHgarchieen neben einander
(E 1305'') als die demagogen, d. h. die durch unsaubere künste das
collegium beherrschenden, dann waren sie einer erwähnung nicht wert,
allein die Politik nennt dabei den Charikles, nicht das eigenthche haupt,
Kritias. dahinter mufs etwas besonderes stecken, die rhetorik (III 1416'')
exemplificirt mit ihm in sehr bemerkenswerter weise: in einer lobrede
auf Achilleus brauche man seine taten, weil sie jeder kenne, nicht zu
erzählen, wol aber in einer auf Kritias, ov yag nokXol ^ioaGi. in den
äugen des Aristoteles hat er also das Kainszeichen des tyrannen, das
ihm der demos aufgedrückt hatte, nicht getragen, während niemand
seine zahlreichen werke las, aufser dem Peirithoos, den die falsche flagge
des Euripides schützte, führt Aristoteles in der psychologie (1405^) eine
17) Diodor 13,53. Philochoros im schol. Eur. Orest. 371.903. danach fällt
die Verhandlung noch unter Theopompos 411/10 d.h. in dessen letzte monate. eine
gesandtschaft ist auch unter Euklemon 408/7 in Athen gewesen, wir wissen aber
nur, dafs sie über die auswechselung der kriegsgefangenen verhandelt hat, Androtion
in den schol. zur Ethik, vgl. Usener Fleckeis, Jahrb. 1871, 311.
18) Cap. 65 anf. Grotes fragestellung erzwingt die antwort. der vers am
Schlüsse der Frösche, KXsotpwv Sa fiaxiad'to, zu dem der scholiast die Aristoteles-
stelle angeschrieben hat, beweist nichts als das selbstverständliche, dafs Kleophon
auf der seile der kriegspartei stand, also dem Aristophanes zuwider war.
9*
132 '• 6- D'^ demagogen des fünften Jahrhunderts.
ansieht von ilim an, tlie doch in Wahrheit schon empedokleisch war,
wie wir denn wirkUch nichts weder von productivem denken noch von
zielhewufstem handeln in Kritias finden können, wir werden nicht fehl
yelien, wenn wir hierin die nachwirkung der autorität Piatons sehen,
der mit dem mute des reinen herzens, der ihn nie verlassen hat, und
der pietät des jüngeren verwandten, die wir achten dürfen, auch wo die
magis amica veritas uns zum Widerspruche zwingt, das hild des geächteten
nicht nur hoch gehalten, sondern verklärt und mit dem schönsten seiner
poesie auf ewig verhunden hat. dafs Aristoteles eine lobschrift auf Kritias
nicht als eine tolle Spielerei, wie auf Buseiris und Thersites, sondern
als ein werk angesehen hat, das auf grund einer genauen kenntnis seiner
taten , also der geschichte der 30 und der Schriften des Kritias wol
durchführbar wäre, gibt zu denken, er mufs sich mit beiden beschäftigt
haben; für die geschichte lehrt das unser buch auch, aber der mann,
der eine lobrede auf Kritias für möglich hielt, hat die demokratie, nicht
blofs die des Kleophon, sondern auch die des Demosthenes notwendiger-
weise auf das schärfste verurteilt, das hätten wir uns längst sagen können.
Aikibiades. Noch viel merkwürdiger ist das fehlen des Alkibiades. Aristoteles
hat also den genialen menschen für die Verfassungsgeschichte Athens
als bedeutungslos betrachtet, doch das konnte er kaum; denn wer den
siciHschen und den dekeleischen krieg entzündet hat, den abfall von Chios
bewirkt und Persien in die hellenischen Verwickelungen hineingezogen, wer
die Institution des ostrakismos unbrauchbar gemacht und durch die be-
seitigung des ventiles die explosionen des parteihasses herbeigeführt hat,
der ist, so weit es ein sterbhcher sein kann, der demagoge der die
demokratie zerstört hat. alle diese dinge setzt Aristoteles viel mehr
voraus, als dafs er sie erzählte, indessen das reicht zur erklärung nicht,
nur mit bestimmter absieht kann Alkibiades in dem berichte über die
revolution von 411 fehlen, ganz wie Phrynichos. folglich hat Aristoteles
den bedeutenden mann gleichsam wie einen komelen aus den kreisen,
in denen sich das System des athenischen Staates bewegte, ausschliefsen
zu dürfen geglaubt, und er hat es wol deshalb getan, weil er ihm
psychologisch so viel rätsei aufgab wie uns. mitgewirkt hat indessen
wol auch zweierlei, die oligarchische schrift, die wir sogleich näher
kennen lernen, hat Alkibiades, wenn sie überhaupt viel von ihm sagte,
mit dem rücksichtslosesten hasse angegriffen; eine probe haben Avir in
der geschichte Solons kennen gelernt (s. 62). das verwarf Aristoteles,
weil er es durchschaute, dann aber kam auch hier die platonische
tradilion in betracht. Piaton hat diesen daemonischen menschen, viel-
Alkibiades. Perikles. 133
leicht als einziger, ganz verstanden und demgemäfs neben seinen Sokrates
gestellt; aber er liat es verschmäht (und die armseligkeit seiner nach-
ahmer richtet sich schon dadurch), ihn wie jeden behebigen hübschen
jungen von Sokrates belehren zu lassen, wie er seine politische lauf-
bahn beurteilte, hat er nicht verraten, aufser dafs er ihn eben auch als
ein gestirn ansah, das, geschaffen zu leuchten und leben zu wecken,
aus seiner bahn geworfen sich und sein Vaterland in wildem feuer ver-
zehrte, da hat auch Aristoteles lieber schweigen mögen.
Nun kommen wir endlich zu den vier männern , die wirklich Periuies.
charakterisirt werden, Themistokles und Aristeides, Kimon und Perikles.
über den letzten hören wir zunächst das allbekannte, dafs er die Ver-
fassung immer demokratischer machte, weil er die ausbildung der see-
herrschaft verfolgte, dagegen wird die sonst geläufige Verantwortung
für den peloponnesischen krieg '^) ihm nicht aufgebürdet, bei dem leser
wird bekanntschaft mit dem rechenschaftsprocesse des Kimon voraus-
gesetzt, der uns durch einen kurzen und guten bericht bei Plutarch be-
kannt ist; man ist gewohnt ihn für theopompisch zu halten, die be-
teiligung des Perikles setzt eine klatschgeschichte des Stesimbrotos
voraus (Plut. Kim. 14, 4 = Per. 10, 5), und gerade weil der klatsch
nichts weiter wert ist, mufs die geschichte wahr sein, an die er sich
angesetzt hat. dann wird die einführung des richlersoldes berichtet, natür-
hch tadelnd, diese Verurteilung ist 411, als man jeglichen sold be-
seitigte, allgemein gewesen und ist ein Schlagwort in allen kreisen mit
ausnähme der radicalen geblieben, wir haben die in der handschrift
verdorbenen worle aus Piatons Gorgias verbessert, den natürhch der
Schüler Piatons wol kannte; allein Piaton selbst nennt als urheber
dieser kritik die lakonisten, naqu raiv %a. wra -AarcayoTiov^^) ravza
ay.oveig lo ^co^gareg, sagt sein Kallikles. es war also eine bald nach
399 bereits in fester form cursirende kritik. sie ist nicht gehässig; wol
aber ist das die Insinuation unlauterer motive, die Aristoteles ohne be-
19) Es ist bemerkenswert, dafs Aristoteles diesen krieg als eine einheit auf-
fafst wie Thukydides und den Nikiasfrieden nicht berücksichtigt.
20) Protag. 342'^ cora y.az(xyvvvrai hi/iov/aevoi, rovs AaysSaifioviovs. man
könnte sie mit den avor,r(os Xay.covit^ovres Isokr. 12, 155 identificiren wollen, und
darauf weiter bauen, allein Isokrates hat in jener späten rede eine ausführliche
Schrift über Sparta vor sich (177. 1S2 u. ö.), die notwendig viel jünger ist, nach
Leuktra verfafst. sie aber wird allerdings diejenige sein, welche die richtige //ej|ts
Ttol.iTEiwv in Sparta fand (oben s. 74), denn das steht hier 153. natürlicii denkt
man leicht an Dioskorides; aber ich sehe keine möglichkeit, den gedanken über die
bare möglichkeit zu erheben.
13i 1-6. Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
nifung auf fremdes urteil gibt. Perikles soll so die liberalität des Kimon
haben überbieten wollen, und nicht einmal selbst hat er den einfall
gehabt, sondern Damonides von Oie hat es ihm geraten "wie er ihm
das meiste eingegeben haben soll " also selbst die Originalität geht dem
Perikles ab. Damonides gibt den rat in pointirler form "da er mit seinem
eigenen gelde zu kurz käme, möchte Perikles doch den Athenern aus
ihrer tasche geschenke geben." das ist ein recht witziges Schlagwort,
nicht von Aristoteles geprägt, sondern übernommen, denn nur der frische
hafs ist es, der solche Insinuationen aufbringt und also zuspitzt, wer
wollte in der einbläserei des Damonides die parallele des berufenen ein-
flusses verkennen, den auf den Themistokles sein demot Mnesiphilos
ausgeübt haben soll, von anderen zu geschweigen. und wie diese ver-
läumdung Thukydides mit einem kräftigen hiebe zurückgewiesen hal^'j,
so sagt sein Perikles mit emphase von sich ovdevog oi/uai rjoatov dvai
yvcovai re xa ösovra yial SQf.it,v£voai ravta, (pL?M7tolig re y.a.1 XQ^]-
fidriov -/.Qeiaawv (II 60). das letzte bezieht sich auf seine Verurteilung
wegen Unterschlagung: mit der allgemeinen Charakteristik zielt Thuky-
dides zwar nicht in kenntlicher weise auf die einbläserei des Damonides,
aber wol auf die ganze beurteilung des Perikles, die im schwänge gieng,
als er schrieb, und eben damals auch jene fabel erzeugt hatte, denn
obwol es nicht wol angeht den text des Aristoteles zu ändern, den die
quelle Plutarchs eben so gelesen hat, so mufs doch dieser Jaf.uovl8ris,
der den Perikles beeinflufst und dem Scherbengerichte erliegt, identisch
sein mit dem Jdi^uov Jafitovldov, der des Perikles lehrer ist und dem
Scherbengericht erliegt, wie Plutarch (4) als allgemeine annähme gibt
und mit versen des komikers Piaton belegt, die zugleich darauf hin-
deuten--), dafs der poIitiker Dämon identisch mit dem Verfasser eines
21) I 138 oixsiq ^vväasi xai ovxe TtQOfiad'cöv sis avzi]v ovre ijtifiad'div ovSäv.
Vgl. Herodot 8, 57. Plut. Th. 2. bei Clemens str. I 354 heifst Mnesiphilos Solons freund
und ist auf grund dieser tradiüon person in Plutarchs Symposion.
22) 2!v yd^, ojs (paai, Xiqcov i^sd'Qexpas IleQiiclda: dabei denkt man um so
mehr an musische bildung, als Chiron in der alten komoedie öfter als Vertreter der
musik auftritt, wenn Aristoteles irgendwo den Pythokleides als lehrer des Perikles
in der musik genannt hat, so wird nicht viel auf diese Variante zu geben sein: denn
auch Pythokleides aus Keos war sophist, Plat. Prot. 316«^. zu der Zeitrechnung
stimmt allerdings nicht gut, dafs Sokrates im gespräche mit dem älteren Laches den
Dämon rj/utre^os sraiQos nennt, der, wie er scherzt, den Nikias unterweise und
selbst bei Prodikos gelernt habe (197^): dann konnte er nicht wol zu einer zeit, wo
Sokrates ein schulknabe war, Nikias ephebe, den Perikles unterweisen, während
eine sophistische rede über die musik (die ich mir ähnlich den hippokratischen ne^i
Perikles. Kimon. 135
Areopagitikos über rhythmus und musik ist. weder Plutarch noch Aristo-
teles haben diesen schlufs gezogen: folghch hat der gewährsmann des
letzteren eine andere namensform gebraucht, wie denn z. b. die archonten
von 480 und 479 neben den namen KalXiag und ^ävS^iTtTtog die s. g.
patronymische form führen, und der erste gebort wol sicher in die
famihe, welche diese beiden formen anwendet.^^) da im vierten Jahr-
hundert der name des musikers Dämon in dieser form durch seine
Schrift sehr bekannt war, die erst später verschollen ist, so wird es
nicht zu kühn sein, den gewährsmann des Aristoteles für älter zu
halten, von bedeutung ist endhch, dafs Isokrates davon weifs, dafs
Perikles wie des Anaxagoras auch Dämons schüler gewesen wäre tov xar
ixslvov Tov xQovov (pQovificozaTov dö^avTog elvat tcöv noXiTWv. auf
dem bürger liegt im gegensatze zu dem Klazomenier der ton, und der
hürger gibt doch wol politische ratschlage.^")
Gerede von Zeitgenossen ist auch in dem berichte über Kimon lümon.
unverkennbar, denn seine hberalität wird mit ganz speciellen zügen ge-
schildert, denen man doch glauben schenken darf; Theopomp hatte sie
auch, aber in übler Verallgemeinerung, offenbar aus derselben quelle
erzählt (Alben. 533). die beurteilung Kimons ist äufserst ungünstig,
und wie bei Perikles wird sie in tief verletzenden Schlagwörtern ab-
gegeben, wenn sein vermögen "ein tyrannisches" heifst, so klingt das
gehässig, ist aber wenigstens wahr, denn sein vater war tyrann und seine
mutter eine barbarische fürstentochter; nach seinem ostrakismos lebte er
auf seinem besitze in der Chersones wie später der verbannte Alkibiades
und wie Thukydides am Pangaion. es geschieht dem Kimon schwerlich
ein unrecht, wenn man bei seinen zügen auf der Chersones und in
Thrakien dynastische Interessen mit in rechnung setzt, wie später bei
Iphikrates, nur dafs er seiner Vaterstadt dabei genützt hat: ist er doch
auch in dem rechenschaftsprocesse frei gesprochen, dagegen sagt Arislo-
fiQxairi'S iTjroixije, neoi xe/,vr,s denke) für den schüler des Prodikos besser pafst als
für den lelirer des Perikles, aber die sonderung des polilikers Damonides und des
musikers Dämon, seines sohnes, läfst sich, wie es scheint, mit unsern Zeugnissen
auch nicht vereinen. Agariste, die frau des Alkmeonides, yevofisvrj Ss xal Ja/ucovoe,
macht im Hermokopidenprocess eine denuntiation (Audok. 1, 16); sie ist offenbar
selbst mit den Alkmeoniden blutsverwandt, und man wird ihren ersten gatten in dem
geschlechte des Danion oder Damonides suchen, aber man kommt damit nicht weiter.
23) KaXXias KaUidSov Stratege Thuk. I 61, Kalliades Stratege bei den Arginusen.
24) Isokr. 15, 236. es handelt sich um die redekunst der alten Staatsmänner;
die bedeutung der anaxagorischen lehre für die beredsamkeit des Perikles entnimmt
Isokrates dem Phaidros des Piaton.
236 !• 6- Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
teles kein vvort von seinen militärischen erfolgen am Hellespont, in
Thrakien, I'amphylien, Kypros, es heifst vielmehr, tlafs zu jener zeit "die
hürgerschalt ungeheure Verluste erhtt, weil leute ohne jede kriegs-
erfahrung lediglich um des ruhmes ihrer väter willen zu feldherrn ge-
wühlt wurden." das ist auch gegen Myronides und Tolmides sehr un-
hillig, aber seine spitze kehrt es gegen den söhn des siegers von Mara-
thon, endlich die boshafte formulirung des gesammturteils "die anständigen
leute hatten überhaupt keinen führer, sondern an ihrer spitze stand Kimon,
der ziemlich schwerfällig {vwd-QOTeoog) und erst spät in die politische
laulbahn eingetreten war." das letztere stimmt gut zu der ganzen er-
zählung; wenn Kimon erst gegen Ephialtes aufgetreten ist (28, 2), so
war die partei der yviÖQif.ioi seit dem tode seines vaters allerdings
führerlos, da Aristeides nicht minder als demokrat aufgefafst wird denn
Themistokles. indessen objectiv ist es falsch. Kimon war feldherr schon
unter Timosthenes 478/77 (Plut. Ar. 23) und bleibt es dann jähre lang;
aber schon vor der schlacht von Plataiai geht er als gesandter nach
Sparta neben Aristeides und Myronides (Krateros bei Plut. Ar. 20).^^)
dafs die Charakteristik vcod-QOTSQog zutrifft, ist allerdings meine meinung;
nur ist es, so stark der comparativ mildert, ein grobes wort und von
dem euphemismus der attischen eleganz weit entfernt. Aristoteles hat
über Philosophen der vorzeit sich nicht gescheut rund heraus seine meinung
zu sagen ; deshalb hat er auch dieses wort nicht verschmäht: aber wahr-
lich nicht selbst geprägt, denn ihm fehlt hier, was ihn in der philosophie
zu eignem urteile berechtigt, das eigene Studium, aber vw^QOTSQog ist
nicht überliefert, sondern der unsinn veiozegog. die Verbesserung ist
von vielen sofort gefunden und würde evident sein, auch wenn nicht in
der rhetorik stünde, dafs die sühne von genial angelegten männern excen-
trische tollköpfe, die von gesetzten Charakteren beschränkt und träge
würden, l^ioraTat ra evcpvä elg /navixcoreQa rj^rj, xa de ota&equ
eig aßelregiav Aal vcod^QÖTiqxa (II 1390''). für den ersten satz sind
die söhne Alkibiades und Dionysios belege, für den zweiten ol anb
25) Auf die anekdote vom auszuge nach Salamis (Plut. Kim. 5) will ich nicht
bauen, obwol sie mir ganz glaublich scheint, denn dafs der ritter vor der aus-
wanderung nach Salamis der göllin den zäum seines pferdes darbringt und dafür
einen heiligen Schild nimmt, ist ganz im Stile der altischen religiositäl, und es war
in der tat eine demonstration , die dem volke mut machen konnte und dem söhne
des Miltiades zustand, es läfst sich nur die heikunft der geschichte nicht weiter
ermitteln als dafs sie zu dem grundstocke der vita gehört, die Plutarch durch die
einlagen aus Ion, Stesimbrolos u. a. erweitert.
Kimon. 137
Kl/iiiovog 'Aal IleQixleovg xal ^toKQarovg. man werfe nicht ein, dafs
hier ja erst von Kimons descendenz geredet wird, es wird ja auch ihm
selbst nicht die volle vLod-QOTr^g nachgesagt, sondern der ansatz dazu.
Aristoteles urteilt nun einmal über den adel evyevelg svrelelg, und das
uralte Philaidengeschlecht artete allmählich aus. von Kimons söhnen
sind Lakedaimonios und Thessalos wenigstens nicht ganz tatenlos geblieben,
aber während Aristoteles die Politie schrieb, suchte man einen Lakiaden
Miltiades aus seinem ruhmlosen dunkel hervor, des namens wegen, als
griinder einer colonie im westlichen meere.^'') dafs dieselben ziige in
minderer stärke schon der söhn des alten Miltiades getragen habe, pafst
ganz zu der anschauung des Aristoteles, in Wahrheit hatte Kimon sogar
schon von seinem grofsvater dieses renommee geerbt, der den auch sonst
im attischen adel vorkommenden Spitznamen KoaX€f.iog geführt haben
soll (Plut. Kim. 4. einleitung der scholien zum Kimon des Aristides).
der besitzer eines tyrannischen reichtums hat auch das mit den tyrannen
gemein gehabt, dafs er sich einen hofstaat von künstlern und dichtem
hielt, die seine grofstaten und seine liebschaften verherriichten. er
machte sich seine verse so wenig selbst wie Polykrates und Hieron ; aber
er brauchte verse. wes brot sie afsen, des lob sangen sie. aber mit
einem vioS-qÖteqov rjS^og ist das lob des Melanthios und Archelaos und
Polygnotos wol vereinbar. Ion ist mehr als ein litterat, und wir dürfen
ihm glauben, dafs Kimon es wol verstand, den wirt zu machen und beim
rundgesang mit anstand seinen vers vorzutragen, das gehörte sich in
dieser gesellschaft. dafs die kleinen leute den splendiden herrn vergötterten,
wie der Schreiber, den Kratinos seinen tod beklagen hefs, ist begreiflich,
aber deshalb konnte Kimon ein mann sein wie die pindarischen beiden,
wenn Stesimbrotos ihm nachsagt "dafs er einen peloponnesischen ein-
di'uck gemacht hätte", so ist das in milder form dasselbe, was ich mög-
lichst objectiv, Aristoteles mit unhöfhcher deuüichkeit ausspricht, und
EupoHs, der diesen beiden nicht aus dem Hades heraufbeschworen hat,
nennt ihn cpiXo7t6rr]g y.a(.ieXrig. der tyrann Kritias rühmt seine {.leya-
locfQoovvt], d. h. seine vornehme weise mit dem gelde zu wirtschaften,
aber er wirft ihm vor, das interesse des Vaterlandes seinen lakonischen
sympathieen geopfert zu haben, seine taten zeigen auf das deutlichste,
dafs er die eindrücke von 480 sein leben lang festgehalten hat, ohne
zuzulernen oder zu vergessen, in der tat hat er damit seinem vater-
lande im ganzen nur geschadet, am meisten durch seinen letzten zug,
26) CIA II S09^
13S I- 6. Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
luul ruf die innere politik ist es wirklich ein bon mot, dafs die vornehmen
unter ilim führerlos waren; wenn wir auch vergehlich fragen, was sich
denn geändert hahe, als die führung auf seinen verwandten Thukydides
übergieng, den Aristoteles so hoch erhebt. Aristoteles würde selbst schwer-
lich eine antwort haben, denn er hat weder das eine noch das andere
urteil geprägt: das hat eine zeit getan, welche den dingen und den per-
sonen sehr viel näher stand, deshalb aber auch mehr entschuldigung für
ihren irrtuni hat als Aristoteles: wie durfte er den ächten feldherrnruhm
des Kimon ganz unterschlagen?
Tiiemi- Diesen rühm kann Themistokles zu erben scheinen, von dem wir
stokles.
keine mihtärische action kennen '")^ nachdem seine erpressungen auf der
27) Zwei fabeln, eine antike und eine moderne, sind dabei nicht gerechnet,
die antike ist sein plan, die Griechenflotle im hafen von Pagasai zu verbrennen
(Plut. Theni. 20, Ar. 22), oder auch die lakonische in Gythion (Poseidonios bei Cic.
de off. III 49). die geschichle ist lediglich erfunden um dem tugendhaften Aristeides
relief zu geben. Verbrennung von Gythion ist von Tolmides übertragen, Pagasai
mit mehr geschick erfunden, weil gegen Thessalien Leotychides mit einer Hellenen-
flotte wirklich gezogen ist. ernsthaft sollte niemand mehr solches exempel nehmen,
begangen war es vielleicht ein themistokleisches verbrechen, vorher beschwatzt war
es mehr als ein verbrechen, eine dummheit. dumm aber war Themistokles niclit.
minder unverständig ist die in dieser fabel auch benutzte geschichte, dafs Themistokles
die befestigung des hafens in geheimer Sitzung dem rate vorgetragen hätte, denn
so etwas kam vor (Andok. 2, 19 Arist. Ritt. 6-18). aber bei Diodor XI 42 ist auch dies
fratzenhaft aufgeputzt, den modernen glauben an eine rhodische fahrt des Themi-
stokles in den späteren siebziger jähren hat Kirchhoff (Herm. XI) widerlegt, doch
kann ich seine exegese der gedichte Timokreons nicht billigen, die dazu führt, die
erzählung Plutarchs (Th. 21) zu verwerfen, zwar das erste gedieht besagt nichts
andres als Kirchhoff darin findet: Timokreon hat im herbste 4S0, als Themistokles
die Inseln zur kriegssteuer scharf heranzog und wenigstens bis Paros kam (Herod.
VIII 112), gehofft von ihm zurückgeführt zu werden, was Themistokles nicht tun
wollte (ov HaxTjyev, das imperfect steht da), weil er angeblich 3 talente aus lalysos
erhalten hatte (zuzutraun ist ihm das , aber dem Timokreon nicht zu glauben), so
zog er ab nXecov es oXsd'Qov und blamirte sich dafür am Isthmos in den Winter-
quartieren, wo es zur Preisverteilung kam. gemacht ist dies gedieht aber erst etwa
Winter 478/7, als Pausanias noch nicht völlig compromittirt war, Aristeides aber
schon die gröfste popularilät genofs. vermutlich hoffte Timokreon auf den, denn
er war nicht heimgekehrt, trotzdem eine flotte unter Pausanias in Kypros gewesen
war. die beiden andern bruchstücke gehören in dasselbe gedieht, von dem Plutarch
in guter alter weise den anfang citirt, damit man es finden könne, und auf das er
mit ovv zurückweist, wo er die bezeichnendsten worte anführt, in diesen steht
nur, dafs Timokreon nun nicht mehr der einzige ist, der mit den Medern sich ver-
tragen hat. aber Plutarch gibt an, er wäre, wie es scheine auf betreiben des The-
mistokles, wegen landesverrat verbannt gewesen, das ist durchaus nicht unglaub-
lich, wenn die Hellenen dem litteraten nicht halfen, so probirte er es mit der andern
Themistokles. 139
inselfahrt des herbstes 480 viel böses blut gemacht hatten, es steht
die rhetorische antilhese da, dafs die Athener sich seiner als feld-
herrn, des Aristeides als berater bedient hätten.^*) das würde nur wahr
sein, wenn die kriegerischen erfolge von Byzanlion bis Thasos dem
Themistokles statt dem Kimon gehörten, und wenn sie das täten, hätte
er auch etwas zu tun gehabt in der zeit bis 462, die ihn Aristoteles
in Athen sein läfst. aber die antithese bliebe dennoch schielend, da ja
bei Plataiai und in Byzantion nicht Themistokles sondern Aristeides dem
Pausanias zur seile steht, und ist es nicht seltsam, dafs eben derjenige,
der den feldherrn in Tliemistokles so hoch stellt, nur politische strategeme
von ihm erzählt? eines, aus früherer zeit, geht wenigstens die flotten-
grüudung an. aber die anläge des hafens wird nicht erzählt, die stadt-
erweiterung dem Aristeides beigelegt, der mauerbau beiden, und selbst
das verdienst von Salamis wird mit versteckter bosheit geschmälert, es
soll der Areopag gewesen sein, der die Athener bei der räumung der
Stadt vermochte sich auf der flotte zu sammeln, indem er ihnen einen
soldvorschufs von 8 drachmen auf den köpf zahlte "während die Stra-
tegen den köpf verloren hatten und den heroldsruf "rette sich wer
kann" ausgegeben hatten." die Strategen, das ist Themistokles — der
freilich zugleich auch Areopagit war, so dafs die fabel auf beiden beinen
hinkt, bekanntlich war die flotte längst mobil, ehe es zur räumung der
Stadt kam, und wenn man die erzählung dadurch verständlich macht,
dafs man vielmehr an eine Unterstützung der flüchtenden familien denkt,
für die freilich die feldherrn nicht zu sorgen hatten, die nur verkünden
konnten, dafs die Stadt geräumt würde, so kommt etwas heraus, das man
partei. dann verfiel er aber der acht, so gut wie Arthmios von Zeleia oder
die emigranten von Eiylhrai, deren dauernde Verbannung die Athener den Erythraeern
auferlegen (CIA I 9). dabei konnte er noch in mancher Griechenstadt von Asien,
konnte auch z. b. in Thessalien leben, es war ja noch vor der Eurymedonschlacht.
und sein lied trug der niund der sänger weiter, so gut wie ehedem die rhapsoden
die verse des Ärchilochos verbreitet hatten: es bringt die neue zeitung vom verrat
des berühmtesten mannes in aller mund. das ist die form, wie jetzt die merk-
würdigen ereignisse behandelt wurden; Solon machte eine elegie, Stesimbrotos später
ein pasquiil. natürlich ist das gedieht 471/70 entstanden, am Perserhofe können
sich dann die feinde begegnet sein, Themistokles als freund des königs, Timokreon
als clown: ganz den Verhältnissen entsprechend, verse verstand der sultan nicht,
aber als frefskünstler bewies ihm auch dieser Hellene die Überlegenheit seiner race
(Thrasymachos bei Athen. X 416^).
28) Der sinn ist unzweifelhaft, die verdorbene stelle scheint mir nicht sicher
geheilt zu sein.
140 I. 6- Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
gern glaiibl, nur hat das Aristoteles nicht gemeint, der den Areopag"urheber
der Seeschlacht bei Salamis nennt." liest man dann vollends bei Plutarch
(Th. 10) neben dieser aristotelischen fassung, dafs Kleidemos gerade die
Verteilung dieser wegzehrung dem Themistokles zuschrieb, der mit einem
seiner strategeme das nötige geld zu finden wufste, so ist am tage, dals
die parteileidenschaft das verdienst einer notorisch wirklich segens-
reichen mafsregel bald dem Themistokles, bald der Verwaltungsbehörde
zu vindiciren geschäftig gewesen ist^®): glauben verdient allein das factum.
Packend und anschaulich erzählt Aristoteles ein strategem, durch
das Themistokles mit hilfe des Ephialtes den Areopag stürzt, da haben
die antiken biographen einmal viel mehr takt bewiesen, indem sie die
hübsche geschichte stillschweigend verwarfen, als die modernen, die sie
als die grofse rosine in dem neuen kuchen mit besonderem wolbehagen
verspeisten.^") zeitlos überliefert, wie er sie überkam, hat die fabel den
Aristoteles getäuscht; aber indem er in der chronik nachsah, wann denn
die gesetze des Ephialtes beschlossen wären, und den archon Konen
462/1 eintrug, hat er sie eigentlich selbst widerlegt, er bedurfte eines
festen terniines, da die Vorherrschaft des Areopages für ihn eine be-
sondere phase der Verfassungsgeschichte ist, und er wollte natürlich auch
etwas concretes über die Verfassungsänderung haben, was ihm die anek-
dote nicht lieferte, daher hat er aus der chronik^') den einen paragraphen
25, 2 eingefügt, der aus der fabel ganz herausfällt und, eben durch das
datum, für sie verhängnisvoll wird, denn sie ist völlig zeitlos erfunden,
ihre Voraussetzungen sind eine anzahl teils notorischer, teils glaubhafter
tatsachen. notorisch hat der Areopag das urteil über landesverrat gegen
Themistokles gefällt: das ist nach den solonischen gesetzen und in an-
betracht der Stellung dieses rates in jener zeit natürlich, notorisch hat
Ephialtes den Areopag gestürzt und auch dieses recht ihm genommen,
höchst glaublich ist, dafs der revolutionäre Staatsmann der majoritäl des
collegiums, dem er angehörte, so antipathisch war, wie Appius Caecus
29) Panaitios (Cic. de off. I 75) behandelt die Streitfrage, ob kriegerischer oder
friedlicher rühm mehr wert hätte, dafür ist ihm Themistokles ein beleg, der sieger
von Salamis, denn er hat dem Areopag in nichts geholfen, wol aber der Areopag
ihm, est eyiim belhim gesliim consilio sciiaitis eins qid a Soloiie erat constitutus.
folglich steht der friedliche rühm höher, darin ist jede beziehung auf ein concretes
factum verblafst, die antilhese setzt nur eine Vorherrschaft des Areopags in jener
zeit voraus, die nicht nur von philosophen sondern auch von Isokrates anerkannt war.
30) Nur R. Scholl hat sofort das exempel für die furberia des Themistokles
richtig gewürdigt.
31) Vgl. das capitel 'der Areopag vor Ephialtes.'
Themistokles. 141
dem Senat, da setzt die fabel ein, die in ihrer weise pragmatisch den
Themistokles bemüht, um etwas revolutionäres durchzusetzen, weil er
ein inleresse daran haben mufsle und weil er ein ausbund von erfinde-
rischer Schlauheit war. der jung verstorbene, wenig berühmte Ephialtes
trat in der Vorstellung zurück und erschien notwendig als Werkzeug: die
initiative fiel dem hochberühmten hochverräter zu, wie man später Perikles
als den leiter des Ephialtes angesehen hat. so hatte die geschichte auch
einen befriedigenden schlufs. denn auf die schuld folgte, ganz ohne
genauere zeitliche fixirung, die strafe: Themistokles mufste zu den Persern
fliehen, Ephialtes ward ermordet, wir würden das noch deuthcher er-
kennen, wenn nicht in unserer handschrift eine lücke, die sich zum
glück durch die grammatische Verknüpfung verrät, den bericht über das
ende des Themistokles verschlungen hätte, wir können ihn nicht er-
gänzen, das ende des Ephialtes wird hier unbestimmt "nicht lange
zeit" nach dem stürze des Areopages angesetzt, später rechnet es Aristo-
teles notgedrungen noch unter das jähr des Konon (26, 2). wir können
es nicht controUiren , haben aber allen grund ihm nicht zu trauen.^^)
ganz ebenso steht es mit dem namen des mörders, den Antiphon (5, 68)
als unbekannt hinstellt, die spätere biographie nur aus dieser stelle kennt
(Plut. Per. 10). die quelle des Aristoteles war allerdings vielleicht in
der läge, um den mord und den mörder zu wissen, aber vielleicht nicht
minder geneigt, die Wahrheit auf falsche spur zu locken: jedenfalls ist
auf sie kein verlafs.
Die anekdote aus Innern gründen zu verurteilen , ist bei unserer
geringen kenntnis der personen unmöglich, aber so etwas richtet sich am
besten durch seine chronologischen consequenzen. dafs Themistokles durch
Scherbengericht verbannt war, als die anklage wegen hochverrates ihn er-
eilte, ist auf das sicherste bezeugt, durch Thukydides und Piaton (Gorg. 516),
von andern abgesehen: das ist entweder alles falsch um dieser anekdote
willen, oder Themistokles ist frühestens 461 dem Scherbengericht erlegen,
in Wahrheit später, da er ja zunächst über den Areopag siegte, die erste
32) Dafs der tod des Ephialtes von den geschichtsschreibern gleich nach seinem
gesetze erzählt ward, ist natürlich, datirt ihn aber nicht, bei Diodor (XI 77) steht
beides unter Phrasikleides 460/59. der archon beweist leider nicht viel, sonst möchte
man gerne glauben, dafs hier gesetzgebung und tod nach dem letzteren datirt wären,
denn es ist historisch durchaus wahrscheinlich, dafs bei dem ostrakismos im frühjahr
460 Ephialtes noch dem Kimon gegenüberstand, und seine ermordung ein werk der-
selben oligarchischen erbitterung war, die mit Sparta vor dem feldzug von 457
conspirirt hat. vgl. die beilage 'der procefs der Eumeniden', und für die weiteren
Zeitansätze 'die Chronologie der pentekontaetie.'
142 !• 6. Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
anklage also niederschlug.^^) die Überlieferung, dafs seine anklage auf
griind der verurleilung des Pausanias durch Sparta erfolgte, ist entweder
ganz erfunden, oder aber Pausanias hat etwa bis 460 gelebt, da eine
denuntiation wegen landesverrales von Sparta nach Athen nur gehn
konnte, so lange der Hellenenbund bestand und beide Staaten intim
standen, so kann die Zurückweisung Kimons vor Messene, die Sprengung
des Hellenenbundes und das bündnis zwischen Athen und Argos erst längere
zeit nach 461 fallen, nicht blofs alle leute, die Themistokles zu Xerxes
kommen lassen, sind in argem irrlum, sondern auch Stesimbrotos, der ihn
zu Hieron (f 467) fliehen läfst, und Thukydides, der ihn bei der flotte
vorbeifahren läfst, die IN'axos belagert, und Artaxerxes veiootL könig ge-
worden sein läfst, als Themistokles hinkommt, denn wenn er selbst 461
im Scherbengericht unterlag, so kann er wirklich nur für die unwahr-
scheinlichkeitskrämer unter den Chronologen alles das erlebt haben, was
bei Thukydides steht, und innerhalb des ersten Jahrzehntes des Artaxerxes
in Susa aufgetreten sein, das lebensalter von 65 jähren (Plut. 31)
und die erzeugung einer tochter in Asien, die danach "Aala hiefs,
ist natürhch falsch: denn da Themistokles 493/2 archon war, war
er damals eher über als unter vierzig, also ein angehender siebziger,
wenn er Athen um 460 verhefs.^') aber es wird langweilig, die ab-
surditäten zu häufen, es ist verzeihlich, wenn die hübsche geschichte
in der ersten freude über die entdeckung einen moment geblendet hat.
wer aber ernsthaft behauptet, dafs man sie irgendwie glauben könnte,
verwirkt den anspruch, ernsthaft genommen zu werden.
Das ist eigentlich genug; aber die Themistoklesgeschichte ist an sich
zu wichtig, und sie richtig zu beurteilen für die geschichthche methode
33) Allein verläfsiich würde dann die erzählung sein, welche von zwei denun-
tialionen und zwei processen redet, Diodor XI 54. die einfache interpretation des
Diodor führt freilich vielmehr dazu, diese Verdoppelung daraus zu erklären, dafs er
den ausgang des Pausanias sehr viel früher erzählt hat, auf den doch die anklage
folgen mufs, und den ostrakismos des Themistokles wieder zurückgestellt bis
auf das jähr, in dem er in die Verbannung gieng. wer also bei Plutarch (23) nur
eine anklage findet, die gegen den durch Scherbengericht des landes verwiesenen
Themistokles erhoben wird, der wird mit Diodor leicht fertig: wird aber auch
schliefsen, dafs der ostrakismos des Themistokles früher fällt als der tod des
Pausanias.
34) In Wahrheit ist Themistokles allerdings in die siebziger gekommen, die zahl
65 gehört in die fabel vom Selbstmord, in dessen Verbindung sie auftritt, und der durch
den plan eines Perserzuges gegen Hellas motivirt wjrd, also durch die Vorbereitungen,
die zur Schlacht am Eurymedon führten, damals war Themistokles wirklich etwa
so alt: das konnte man nach seiner oQyi] berechnen.
Themistokles. die geschichte des Themistokles. ' 143
zu folgenreich, als dafs ich an ihr vorbeigehn mochte, zumal ich schon
öller angedeutet habe, dafs ich über sie etwas zu sagen hätte, jetzt ist
das reif, denn ich bin so weit, dafs ich jeder antiken Überlieferung ihr
recht lassen kann ; von den modernen darf man in solchem falle
schweigen.
Themistokles spielt nach dem winter 479/8, wo er den mauerbau ^/chf/jes
durchsetzt, keine für uns kenntliche politische rolle mehr, er ist noch Py""',"
einmal Vertreter Athens bei der ami)hiktionie gewesen und hat da den
antrag Spartas zu fall gebracht, die Staaten, die 479 mit dem Meder ge-
gangen waren, zu vernichten, aber wir können diese tatsache zeitlich
so wenig bestimmen wie wir ihre politische bedeutung verstehn.^^)
unter Adeimantos, friihjahr 476, hat er für Phrynichos die choregie ge-
leistet: das ist für uns das letzte zeichen seiner anwesenheit in der
heimat. unter Menon 472 hat Aischylos in den Persern die verhängnis-
volle list des hellenischen mannes gefeiert, der den Xerxes zur schlacht
bei Salamis verführte, damals kann dieser mann nicht als Perserfreund
wegen hochverrats verurteilt oder beschrieen gewesen sein.^'') das ist
35) Wir kennen sie nur durch Plutarcli Tliem. 20, und die berufung auf das
verzeiciinis der 31 bundesstaalen, d. h. die sctiiangensäule, garantirt ihre glaub-
würdigkeit. erzälilt wird sie zwischen dem angeblich geplanten attentat auf die
floüe in Pagasai (476) und dem stürze des Themistokles. aber das ist lediglich
stilistische anordnung, da erst die modernen einen Zusammenhang mit dem zuge des
Leotychides hineintragen, die sogar wissen, wo die nachricht herstammt, und was
die tendenz des spartiatischen antrags war. dieser antrag kann lediglich bedeutet
haben, dafs die Spartaner den eid von 479 wahr machen wollten, den, wie Dilten-
berger schön sagt, vicit mansuetudo et misericordia (Hallenser index lect. 90/91,
wo er SexarsvEiv erläutert hat), er kann beabsichtigt haben, die aufgäbe des krieges
in der ferne herbeizuführen, oder auch die factische aufgäbe zu motiviren, zu der
Sparta sich entschlofs, oder etwas anderes: wo sowol die zeit wie die veranlassung
unbekannt sind, ist das eine rechnung mit zwei unbekannten, für die nur eine glei-
chung zur Verfügung steht.
36) Es ist Sünde in dieses grofsartige denkmal des reinsten Patriotismus
profane Schmeicheleien und rankünen hineinzutragen, es ist einfach albern, in
der Schilderung des nahkampfes auf Psyttaleia ein compliment für den officier
zu sehen, der dort commandirte, denn dafs in jenem nahkampfe die vornehmsten
Perser gefallen sind, ist eine tatsache, und von dem officier steht kein wort
bei Aischylos. auf der Hellenenseite agirt kein einzelner aufser dem, der jenen
listigen rat gab: und gegen den soll Aischylos parteiisch gewesen sein? ebensowenig
kann irgend wer behaupten, dafs er über den Inhalt der Phoinissen des Phiyiiichos
(deren aufführung 476 nicht fest steht) irgend etwas wisse, das des dichters Sym-
pathie für Themistokles oder Aristeides erkennen liefse. wenn Themistokles die
choregie für dieses drama des Phrynichos geleistet hat, was ganz glaublich ist (ge-
144 !• 6. Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
für uns der sicherste lerminus post quem für seine flucht, aber sehr
wol kann der also gefeierte in Argos gelebt haben, ungekränkt an gut
und ehre, zu nutzen seines Vaterlandes auf 10 jähre des landes verwiesen,
unter Praxiergos 471/0, ol. 77, 2, setzt Diodor seine flucht; auf dasselbe
jähr führt die Überlieferung des Eusebius, die seinen tod 5 jähre später
ansetzt, was zu der zeit der schlacht am Eurymedon gut stimmt, die (wie
wir sehen werden) mit dieser fabel in connex steht, auf dasselbe jähr führt
der ansatz des Cicero, der Themistokles 20 jähre nach Coriolan setzt
(Lael. 42). alle diese ausätze lassen eine gewisse freiheit, aber daran
kann kein zweifei sein, dafs sie alle auf dieselbe feste tradition zurück-
gehu, und nichts andres in der chronik ApoUodors stand, nichts andres
in allen schulen gelehrt ward, es ist also schwer diese angäbe zu ver-
werfen, da man doch in der läge war, das datum der Verurteilung aus
den acten zu constatiren. die anklageschrift, eine eisangelie von Leobotes
Alkmeons söhn aus Agryle^^), war durch Kraleros verölTentlicht. zunächst
also sind wir verpflichtet, davon auszugehn, dafs Themistokles 471/0 ver-
urteilt und aus Argos geflohen ist.
Die anregung zu der klage auf hochverrat kam durch eine sparta-
nische gesandtschaft, welche der verbündeten Stadt die compromittirenden
geben mufs es ja doch zwischen 478 und 473 sein), so ist das für seinen inhalt
irrelevant, wie soll denn der dichter ahnen, wen ihm der archon als choregen zu-
weisen wird, wenn er seine dramen einreicht? Aischylos hat bekanntlich auch ein-
mal den Perikles zum choregen gehabt: da wiederholen sich die unberechtigten
Schlüsse der modernen.
37) Westermann hat aus dem überlieferten AecüttjsIAqx'-^^^ ^"i anfange des achten
Themistoklesbriefes AEcoßmxrii 'AyQvXevs hergestellt, und diese nebenform des de-
niotikons existirt allerdings, berechtigt ist die gute conjectur nur, wenn die daneben
stehenden namen AvaavS^os ^xafißcoviSrjs und ITooväTttjs ügaaievs auch acht sind,
sie haben guten attischen klang, und die möglichkeit, dafs der rhetor die eisangelie
las und in ihr drei ankläger fand, wie in der des Sokrates, ist nicht zu bestreiten,
dafs er drei namen erfinden konnte, freilich auch nicht, und 'Eoxieve liegt näher als
'AyQvXsvs. ein leichtes versehen Plularchs verschuldet allein, dafs Kimon unter die an-
kläger gekommen ist, denn das steht nicht im Themistokles und nicht im Kimon, sondern
im Aristeides 25, und Plutarch, der ebenda Leobotes mit seinem valer verwechselt,
hat seine frühere angäbe im köpf, dafs Kimon den Epikiates von Acharnai verfolgt
hat, weil er dem Themistokles seine schätze nachsandte, es kam ihm nur darauf an
hervorzuheben, dafs Aristeides sich an der Verfolgung des Tliemistokles nicht be-
teiligte, und das führen auch mehrere Themistoklesbriefe aus, ohne dafs Kimon er-
scheint, so schön dies gegenstück gepafst hätte. Kimon war proxenos der Spartaner,
gewifs, und vielleicht hat einer der gesandten bei ihm logirt; aber was tut das?
überhaupt wird mit der proxenie von historikern viel unfug getrieben: in Athen
halten zweifellos eine ganze reihe notabilitäten den spartanischen orden.
Die geschichte des Themistokles. 145
papiere niilleilte, die in dem nachlasse des Paiisanias gefunden waren ^*);
diese gesandtschaft begleitete die attischen Y.h]TfiQeg in den Peloponnes,
die den Themistokles vor den Areopag laden sollten, nicht sehr lange
nach dem tode des Tansanias mufs das geschehen sein. Avann war das?
die Politie erst hat sicher gestellt, dafs die Vereidigung der bündner durch
Aristeides schon unter Timosthenes 478/7 statt gefunden hat, nachdem
Pausanias erst 478 Byzantion den Persern entrissen hatte, dieses datum
in die sehr genaue Überlieferung über den abfall der bündner von Pau-
sanias zu Aristeides eingesetzte^), stellt aufser zweifei, dafs Pausanias im
Winter 478/7 zum ersten male nach Sparta zurückberufen ist, im fol-
genden friihjahre sein nachfolger Dorkis von den Hellenen unter Ari-
steides abgewiesen ist, die damals also noch in Byzantion waren,
unmittelbar darauf aber, als Pausanias auf eigne faust ebendahin fuhr,
fand er keinen widerstand, sondern bemächtigte sich der ganzen helle-
sponlischen gegend. das war also frühstens, aber so dafs das frühste
auch das natürlichste ist, sommer 477. die Athener konnten diesen
tyrannen unmöglich die beiden meerengen sperren lassen und mit den
Persern in Thrakien und Asien conspiriren. sie mufsten schleunigst ein-
schreiten, auch hierüber haben wir gute berichte, die eine lange herr-
schaft des Pausanias ausschliefsen."") dazu stimmt und entscheidet die
38) Der bundesrat des Hellenenbundes, der übrigens nur in kriegszeiten zu-
sammentrat, hat selbstverständlich keine gerichlshoheit gehabt, wie die rhetorischen
historiker fabeln, wol aber galt das erkenntnis eines bundesstaates auf firjSiafios
für den ganzen bund. der verurteilte ward aycöyinos ex ttJs 'ElXäSos. das hat
Themislokles erfahren wie Arthmios. im attischen Reiche hat es z. b, Diagoras er-
fahren, als dann Athen mitglied des peloponnesischen bundes ist, gelten die urteile
der Drei fsig oder des rates, den sie beherrschen, rechtlich für den ganzen bund; es
erkennen sie nur einige Staaten nicht an.
39) Thuk. I 95. Plut. Ar. 23. 25.
40) Thuk. I t31. Plut. Kim. 6. 9. was Sestos anlangt, so hatte es Xanthippos
im Winter 479 genommen; persisch ist es dann nicht wieder geworden, aber Kimon
mufste es dem Pausanias abnehmen , der mit den Persern verbunden war und per-
sische truppen hatte, diesen feldzug, 476, hat Ion mitgemacht, auf der chiischen
flotte, die auf grund der neuen vertrage unter Kimon stand. — Trogus hat in seiner
bekannten weise die ältere geschichte von Byzanz erzählt, als er gelegentlich der
philippischen belagerung auf die stadt zu sprechen kam. lustin hat in seiner be-
kannten weise daraus einen unsinnigen auszug gemacht, haec urbs condita primo
a Pausania rege Sj)artanoruvi et per Septem amios jwssessa fuit. dein Variante
Victoria Jiwic Lacedaemonioi'um nunc Atheniensium, iuris habita est (IX 1).
dafs ein solcher excurs mit der gründung beginnt, sollte man doch wissen, die
niethode, die condita in capia ändert und dann zu gunsten der sieben jähre die
V. Wilamowitz, Aristoteles I. 10
146 J- ^- Die Demagogen des fünften Jahrhunderts.
Sache, dafs Kimon dem Pausanias Sestos und Byzantion genommen hat
und danach Eion und Skyros. jede dieser beiden Unternehmungen ist
aber durch ein ganz unzweideutiges zeugnis auf das jähr des Phaidon
476/5 bestimmt/*) es rückt also die Vertreibung des Pausanias aus By-
zantion in den sommer 476 etwa; kaum ein jähr hat er sicli dort ge-
chronologie des Thukydides verwirft, steht philologisch und historisch auf der-
selben höhe.
41) Dafs die eroberungen von Eion und Skyros die ersten rasch auf die grün-
dung des Reiches folgenden ereignisse sind, sagt Thukydides I 98. dann folgt die
eroberung von Karystos und nach einiger zeit die von Naxos. eine allgemeine Schilde-
rung macht den eindruck einige jähre zu füllen, dann die Eurymedonschlacht und
danach einige zeit der abfall von Thasos und die Schlacht bei Drabeskos, die Thuky-
dides (IV 112) selbst auf 465/4 fixirt. den archon Phaidon nennt für Eion mit vor-
züglichstem detail schol. Aisch. 2, 31, für Skyros Plut. Thes. 36, beide aus der
Atthis. es gibt keine gegeninstanz. denn es ist lediglich ein seit Bentley immer
wieder begangenes grammatisches misverständnis, wenn man meint, dafs bei Plutarch
Kim. 8 die heimführung der gebeine des Theseus auf die Dionysien des jahres 468
(Apsephion) gesetzt würden, so lange ich im banne der vulgala war, verwarf ich
die geschichte, denn es ist gar zu widersinnig, dafs die heimführung einer leiche auf
die Dionysien, die heimkehr eines heeres in den märz fallen, die ehre eines feld-
herrn durch den archon bestimmt und darin gesucht werden soll, dafs er über das
erstlingswerk eines jungen menschen ein kunsturteil abgibt, aber es steht etwas
ganz anderes da. "wegen der heimführung des Theseus war das volk dem Kimon
sehr gewogen, sie behielten aber von ihm auch im gedächtnis den Urteilsspruch
über die tragiker, der sehr berühmt wurde." ed'svro §s eis ftvtjf^n^v aviov xai T»;f
rcöv xQaycoScöv xQiaiv. das ist unsinn, wenn die Athener den Urteilsspruch zu
Kimons gedächtnis eingerichtet haben sollen: man ändert ja auch schon daran, eis
fivrifiriv ■tid'ead'ai heifst was es allein heifsen kann, "sie legten in ihr gedächtnis".
der genetiv avrov gehört zu xQiaiv. wie sie dem Kimon nicht vergafsen, dafs er
den Theseus heimgeführt hatte, so behielten sie von ihm in einem feinen herzen, dafs
er einmal hatte preisrichter spielen müssen; das ward darum merkwürdig, weil der
junge mensch, dem er zum siege verhalf, der beliebteste tragiker geworden ist. so
ist die Sache glaublich und hübsch, das publicum ist in aufregung, weil neben dem
grofsen bewährten meister ein neuling auftreten soll, ein jüngling aus begütertem
bürgerhause von berufener Schönheit und liebenswürdigkeit. da vereidigt der spiel-
leitende beamte die 10 feldherrn, die Vertreter der 10 phylen, die zu einem Athena-
opfer auftreten (t^ d-ecö scheint überliefert, der gott, dem das opfer galt,
ist mir nicht bekannt; das opfer der Strategen kommt in den rechnungen über die
hautgelder vor, CIA II 741). die Strategen haben eben mehr autorität als fünf be-
liebige biedermänner. sie haben für den anfänger entschieden, der nachher nicht
nur ein grofser dichter, sondern sogar ein Stratege geworden ist. zur bestätigung
der geschichte dient, dafs das datum durch die parische chronik bezeugt wird, für
Kimon folgt daraus nicht mehr, als dafs er auch unter Apsephion die Oineis im stra-
tegencollegium vertrat.
Die geschichte des Themistokles. 147
halten, er gieog aber von Byzantion auf persisches gebiet nach Kolonai
in der Troas, wo er eine unbestimmte zeit bheb. da Sparta im herbst
476 in Leotychides gerade den einzigen künig wegen bestechung ver-
urteilen mufste^^), wird man sich zunächst nicht einen zweiten arche-
o-etenprocess aufgeladen haben, als er dem rufe nach der heimat gefolgt
war, beeilte man sich keinesw^egs mit seinem processe, und Athen halte
keine veranlassung mehr, auf die Verurteilung des unschädlichen zu
dringen, erst als er eine verschwürung der Heloten auzettelte, ist es
zur katastrophe gekommen, wir wissen nicht wann; aber nichts hindert
uns, sie gemäfs dem processe des Themistokles auf 472/1 anzusetzen ; sie
spricht höchstens dafür diesen so früh wie möglich zu datiren.
Nicht in der überheferung von der flucht des Themistokles, son-
dern in der von seinen weiteren Schicksalen liegt für viele die Ver-
lockung tiefer hinab zu gehn. diese Überlieferung richtig zu würdigen,
wollen wir uns in das Hellas der sechziger jähre versetzen.
Themistokles wagte nicht, sich dem gerichte zu stellen; wir haben
kein recht zu bezweifeln, dafs er wirklich compromittirt war. natürhch
wurde er nun verurteilt; verfehmt war er im ganzen Hellenenlande; sein
vermögen verfiel dem Staate; doch gelang es seinen freunden, einen
grofsen teil des unredlich erworbenen gutes später in das ausländ zu
retten.''^) seine kinder erbten die ehrlosigkeit; doch sind sie irgend wann
restituirt^"*); er ist es rechthch nie: daher die fabeln über sein grab.'^J
42) Über die jähre der spartanischen Könige hat Busolt Gr. Gesch. II 354
richtig geurteilt. Diodor befristet die 42 jähre des Archidamos zwischen Phaidon
und Krates 476 und 434. das ist falsch, da Archidamos 427 gestorben ist, und
andere seinen regierungsantritt 469 setzen, was die nötige zahl von regierungsjahren
ergibt, aber Diodor kennt auch keine Verbannung des Leotychides, sondern läfst
ihn gleich unter Phaidon sterben, folglieh hat er die zeit der Verbannung nicht ge-
rechnet, die in der tat in den regierungsjahren des Archidamos nicht gezählt ist, hat aber
die geschichte des Leotychides auf das jähr seiner flucht gesetzt, das damit bestimmt
wird, wer sie mit der Ihronbesteigung des Archidamos 469 verbindet, läfst ende
der siebziger jähre eine peloponnesische flotte in Pagasai sein: eine bare Unmög-
lichkeit, in jene jähre fallen offenbar die kriege Spartas mit den Arkadern und
sonstige wirren im Peloponnes. dalirbar ist von ihnen nur der synoikismos von Elis.
43) Dafs Kimon den Epikrates von Acharnai wegen dieser hinterziehung belangte,
ist dem Slesimbrotos (Plut. Them. 24) ohne weiteres zu glauben.
44) Zu Sokrates zelten lebte der älteste söhn als leerer sportsman unbehelligt
in Athen (Plat. Men. 93), und ein seitenverwandter holte sich aus Magnesia eine
tochter zur ehefrau (Plut. 32). beides war ohne einen formellen gnadenact des
Volkes nicht möglich.
45) Der bericht des periegeten Diodoros (Plut. 32) läfst über die entstehung der
fabel gar keinen zw eifel. die schiff'er sahen, wenn sie um die ecke der Peiraieushalbinsel
10*
148 J- 6- D'^ demagogen des fünften Jahrhunderts.
Aus Argos war er schleunigst an die Westküste geflohen ; das mufste
man bald erfahren ; von da nach Kerkyra, wo er auf asyhecht anspruch
halte, da er den Charakter als €V£QyeT}]g von der insel besafs. aber
auch dort war seines bleibens nicht, da die insel nicht wünschte, dem
Ilellenenbunde eine auslieferungsforderung abschlagen zu müssen, und nun
war jede spur von dem verloren, der zehn jähre früher Hellas gerettet
hatte, wie sollte die phantasie des Volkes sich nicht mit ihm beschäf-
tigen, dem listenreichen und gewissenlosen, wie sollte sie nicht die lücken
des Wissens ergänzen, die man peinlich empfand? es war ja noch die
zeit, wo die sage ihre ranken um jede hervorragende person schlang,
und jede ungeheure tat auf die einfach grofsen motive des epos und des
dramas zurückgeführt ward, damals mufste sich die Themistokleslegende
bilden, wer 464 erzählte, Themistokles sei in Susa, der fand eben so
leicht oder schwer glauben wie wenn er ihn in den fernen westen ver-
setzte, dafs er zu Hieron geflohen wäre, ist noch von Stesimbrotos er-
zählt worden , und da er den weg nach westen eingeschlagen hatte,
mufste das lange sehr wahrscheinlich klingen, endlich ward man sicher,
dafs er als herr von Magnesia am Maiandros vom grofskönig belehnt war,
mit ansprüchen auf Myus und Lampsakos, slädte des Reiches, also eine
gefährHche person, von der man sich arger dinge versehen mufste. er
war wirklich ein tyrann und schlug auf eignen namen münze, auch
falsche, aber er war alt und satt, seinem vaterlande tat er nichts zu
liebe noch zu leide und liefs die Weltgeschichte gehn wie sie wollte,
auch ihm störte niemand seine kreise, schliefslich starb er irgendwann ;
für Hellas war er lange tot.
Aber seine grofsen taten lebten, und sein über verdienst dankbares
Volk ruhte nicht, bis es für seine taten einen andern abschlufs gefunden
hatte als den schrillen misklang der flucht des geächteten oder den
schlimmeren der faulen pascliaexistenz. da er ihnen das gefürchtele leid
nicht antat, erzählten sie, er wäre freiwillig gestorben, als er sich nicht
anders der forderung des barbaren entziehen konnte, wider Hellas zu
(der axTTj) umbogen, unter wasser einen 'aitarähnlichen felsen', den sie schon zu des
komikers Piaton zelten als das grab des Stifters des hafens begrüfsten , in den sie
einfuhren — natürlich, weil dieser grofse mann kein grab noch ehrendenkmal hatte,
dafs man dann den ort OefiiOTOxlelov nannte, ist begreiflich, später gab es übrigens,
wie es scheint in der nähe des 'alten' thealers und der anlagen {rpvxT^aif, irgend
ein lieiiiglum o ISoiaaro OeuiaroxXrjS jtQo 17]S neQi 2at.aiäva vavfiayias (Inschrift
vorsullanischer zeit 'Etp. uq^. 1884, 170, 24). aber das alte theater ist natürlich,
wie auch die Ordnung der Inschrift lehrt, das von Munichia.
Die geschichte des Themistokles. 149
fechten, das glaubten die Athener schon, als Perikles starb, jeder der
die Zeiten genug kannte, um zu wissen, dafs die flucht fünf jähre vor
dem tode des Xerxes staltgefunden hatte, und dafs Xerxes der letzte ge-
wesen war, der einen zug gegen Hellas unternommen hatte, konnte gar
nicht anders als Themistokles zu Xerxes kommen lassen, das ist sogar
die verbreitete ansieht geblieben^"); es war ja auch ungleich wirkungs-
voller, wer dagegen auch das wufste, das zwischen der flucht und der
belehnung mit Magnesia jähre lagen, der hatte eine leere zeit, in welcher
die alten fabeln bequem platz fanden und für jede neue räum blieb,
neben der verschönenden liebe schwieg auch der hafs nicht, sowol dem
philosophischen staatsmanne, der Samos gegen Athen mit erfolg vertei-
digte, wie dem philosophischen freunde des Perikles hängten die feinde
hochverräterische Schlechtigkeit an, indem sie erzählten, dafs Themistokles
mit ihnen beziehungen unterhalten hätte, die oligarchen , die den er-
bauer des hafens und der flotte als Stifter der verfluchten demokratie
betrachteten, mochten dem Ephialtes womöglich schon bei lebzeiten vor-
rücken, dafs er gegen den Areopag nur als Werkzeug des Themistokles sich
erhübe, endhch als der Perser wieder in Lampsakos und Myus gebot, der
hafen geschleift war und die demokratie sich mühselig vom tiefsten falle
erhob, trat ein ganz neuer bericht über die flucht des Themistokles mit
dem entschiedensten anspruch auf Wahrheit hervor, was Thukydides er-
zählt, hat sich im altertum neben der legende behauptet; heut zu tage
glaubt man ihm blindlings, darf man das, und wenn man's darf, wo
hat Thukydides die Wahrheit her?
Jahresangaben macht er nicht; aber er läfst den Themistokles zu
Artaxerxes kommen, der 464 den thron bestiegen hat: am kanon der
könige ist nichts zu deuteln, dafs er die flucht anders als die andern
datirt hätte, ist nicht glaublich, da er sie durch den tod des Pausanias
bedingt werden läfst, den wir wesentlich auf grund seiner erzählung an-
setzen, das gibt also sieben leere jähre, und trotzdem mufs jeder leser
annehmen, dafs Themistokles auf umwegen, aber ohne längeren aufent-
halt von Argos nach Persien geflohen wäre, wer will es den Ephoros
und Dinon verdenken, wenn sie durch diesen leeren Zeitraum mislrauisch
wurden? wie sollen wir es nicht werden, da Thukydides ihn entweder
nicht bemerkt oder verheimlicht hat? ja, es ist ein zug in der ge-
schichte, der sich mit seiner Umgebung schlechthin nicht verträgt. The-
46) Für uns ist der Sokratiker Aischines der erste zeuge (Aristides pro IF
viris II 293); aber Ephoros und Dinon haben natürlich nicht ohne scheinbare gewähr
aus allerer schriftstellerei dem Thukydides widersprochen.
150 1- 6- I*'^ demagogen des fünften Jahrhunderts.
mistokles soll beinahe dem heere, das Naxos belagerte, in die bände ge-
fallen sein (I 137). diese belagerung ist von der eroberung von Skyros,
also friibjahr 475, nur durch die von Karystos getrennt, und niufs bald
auf sie gefolgt sein; erst längere zeit danach folgt die schlacht am
Eurymedon, die doch noch unter Xerxes fällt, man wird gern zugeben,
dafs Naxos 471 oder 470 erobert ist, als man auf Themistokles fahndete,
wird gern glauben, dafs die belagernden wähnten, ein schiff, das sie auf
der see laviren sahen und das ihnen mit mühe auswich, hätte den hoch-
verräter an bord gehabt, allein mit der thukydideischen Chronologie
streitet dieser zug unbedingt, es ist sehr merkwürdig, dafs man ihn
schon im altertum zu beseitigen versucht hat. bei Plutarcb fährt
Themistokles von Pydna über Thasos^^) nach Kyme. es handelt sich also
nicht um eine buchstabenänderung im Thukydidestext, wo ihn offenbar
der nordwind verschlägt, denn er geht von Pydna über Naxos nach Ephesos;
aber es ist doch eine correctur an der erzählung des Tbukydides, be-
stimmt, sie mit der Chronologie in einklang zu bringen, denn die be-
lagerung von Thasos 465 — 63 palst allerdings zu der ankunft am hofe
des Artaxerxes. leider wird dadurch die leere reihe von jähren seit der
flucht nur verlängert: so läfst sich der schaden nicht heilen.
Ich habe mich schon seit mehr als zehn jähren"^) verwundert, wie
sehr den modernen das etikett über den Inhalt der flasche gebt, was
im Herodotos steht, auch die ganze geschichte von 479, betrachten sie
als eine mehr oder minder sagenhafte tradition, obwol der erzähler der
zeit sehr nahe steht und an auffassungsvermögen und Wahrheitsliebe un-
übertroffen ist. aber die geschichte vom edlen könig Admetos, dem
biedern schiffsherrn u. s. w. einschliefslich des briefes, den Themistokles
an Artaxerxes schreibt"^), halten sie für so wahr wie die leitartikel ihrer
Heblingszeitung, weil Tbukydides diese geschichten erzählt, und doch
47) Them. 25. die ächte lesart hat nur die handschrift von Seitenstetten er-
halten, in den andern haben die Byzantiner Naxos aus Thukydides eingesehwärzt,
das den ganzen Zusammenhang verdirbt.
48) Wenn ein vorlauter allerweltsrecensent sich wieder über diese meine
datlrung meiner eigenen gedanken aufzuhalten neigung haben sollte, so habe er seinen
spafs. es gibt immer auf erden leute die mehr wissen als sie drucken lassen und
leute die mehr drucken lassen als sie wissen, und räum für alle hat die erde.
49) Den brief hat wenigstene Nöldeke (Gesch. Irans 50) als fiction bezeichnet,
während er mit recht die correspondcnz des Pausanias als acht ansieht, diese
war eben bei Pausanias aufgefunden, stilisirt hat aber Thukydides auch den brief
des Xerxes an Pausanias. er hat so viel realilät wie der des Nikias: der Themi-
stoklesbrief ist freie fiction wie die meisten reden.
IUe geschichle des Themistokles. 151
hat sich von 479 bis 470 nicht viel geändert, Thukydides aber steht der
zeit beträchtlich ferner als Herodotos. ich bin an dem glauben irre ge-
worden , weil die scene am hofe des Admetos ein altes sagenmotiv auf
neue ])ersonen überträgt: das ist Telephos in Argos. ich bezweifle
durchaus nicht, dafs Thukydides ziemlich so getreu wie Herodotos erzählt
was er gehört hat, aber er konnte die sage gar nicht von der geschichte
sondern , und dafs der schüler der Sophisten zu zeiten sich auch ohne
berechtigung das air gibt, über die volle Wahrheit zu verfügen, ist un-
bestreitbar; die crmordung des Hipparchos hat dafür ein lehrreiches bei-
spiel geliefert.
Es ist und bleibt also eine offene frage, ob die geschichten bei
Thukydides mehr wert sind als die von Nikogenes von Aigai, von Lysi-
theides u. dgl. bei anderen Schriftstellern, das geht aber doch nur eine
anzahl einzelner züge an^°}: wie Thukydides mit der Verwerfung des
Selbstmordes recht hat, so wird man ihm die hauptsache, dafs Themi-
stokles erst an den hof des Artaxerxes gekommen ist, glauben, um
so mehr, da Charon von Lampsakos dies auch erzählt hat, und das ver-
hilft uns wol dazu, seine quelle zu erschliefsen. ich würde es für über-
eilt halten , wollte man sie in der lampsakenischen chronik Charons
suchen; weder würde Thukydides einem buche so viel nacherzählt haben,
noch würden die, welche die Übereinstimmung beider in einem detail
berichten, verschwiegen haben, dafs sie durchweg stimmten, aber ge-
meinsame lampsakenische Überlieferung scheint mir vorzuhegen. denn
das epigramm eines lampsakenischen grabsteines führt Thukydides in seiner
Peisistratidengeschichte an^'), und Lampsakos war ja dem Themistokles
vom grofskönig geschenkt ^^); es ist ihm dort später ein heroisches fest
50) Ich bezweifle gar nicht, dafs er von Korkyra aus zu lande an die oslküsle
irgendwie gelangt ist; Pydna als Station ist sehr wahrscheinlich; und dafs er dann
irgend wie das nieer gekreuzt hat. und in den Städten Asiens, mochten sie auch
zum Reiche gehören , konnte er sich wol verborgen halten, es kann auch mehr
wahr sein: nur vermögen wir es nicht als wahr zu erkennen.
51) 6, 59. offenbar kannte er mehr über die tyrannen von Lampsakos als blofs
das epigramm, und dies ist nicht aus den famosen 'kleinen Schriften', die Simonides
edirt haben soll, in den Thukydides gekommen, sondern aus dem Thukydides in die
späteren Sammlungen von epigrammen unter Simonides namen. man schrieb es ihm
zu, weil er für die Peisistratiden gedichtet hatte, das schien damals probabel und
kann es heute scheinen, aber es war und ist eine Vermutung.
52) Dafs ihm noch mehr orte in der daskylitischen satrapie zugewiesen waren
als Thukydides nennt, ist sehr wol möglich, und ich glaube es gern ; aber die zeugen
dafür können uns Sicherheit auch nicht geben. Athen. I 29 f., bei Kaibel erst lesbar.
152 !• 6- Di^ demagogen des fünften Jahrhunderts.
geleiert und seine familie hat dort ehrenrechte genossen ^^}; er mufs sich
also Verdienste um die Stadt, wenn auch vielleicht nur ideelle, erworben
haben, mir scheint trotz der schlechten bezeugung glaubhafte Über-
lieferung^*), dafs Themistokles der Stadt, die er doch nicht zinspflichtig
machen konnte, grofsmütig den tribut erliefs. als die Perser wieder-
kamen, kann ihr dies geschenk eines königlichen freundes sogar wirk-
lich zu statten gekommen sein, in Lampsakos also, denke ich, hat Charon
und hat später Thukydides über Themistokles nachrichten eingezogen,
aus dessen kreisen, wodurch sie ihren wert, freiUch auch ihre beleuch-
tung erhielten, damit wird er auch andere nachrichten verbunden haben,
die ihm glaublich schienen, und wie so oft hat er sich im hochgefühle
der Überlegenheit hingesetzt und die Irrtümer seines kritiklosen Volkes
berichtigt, dabei ist er dem allgemeinen geschick des kritikers ver-
fallen, dafs er selbst der kritik eine blofse bot. er würde verstimmt
sein, aber er mUfste selbst zugeben, dafs seine Themistoklesgcschichte
rolg XQovoig ovx anQißrjg ist.^^) wir brauchen nur unser gewissen
zu befragen, um auf den vater der historischen kritik deshalb keinen stein
zu werfen.
Wir haben die überheferung geprüft; das ergebnis ist meines er-
achtens erfreulich, wir wissen das genügende für die Chronologie und
die tatsachen, und wir erkennen die novellistischen und tendenziösen be-
standteile als solche, es ist zeitgenössische dichtung: in diese classe
gehört auch die fabel, die den Aristoteles getäuscht hat, vom stürze des
Areopages durch Themistokles. so wie er sie erzählt, kann sie freilich
erst gegen ende des Jahrhunderts ausgestaltet sein : aber welcher zeit
käme auch der hafs gegen die demokratischen beiden besser zu?
Diesem hafs hat Aristoteles auch über den das wort gegeben, den
53) Inschrift von Lampsakos (ende 3. jahrh.) Mitteil. Athen VI 103.
54) Themistoklesbrief 20 p. 761 Herch. ytdfixpaxov fiiv ijlev&sQtoaa xai TiolXcp
(pogco ßnQvvofitvTiV anavxos aqpr/xa, Mvovvxa (^Se pflegt man einzusetzen) ttjv iv
Mayvrioia nal avifjt' Mayvrjaidv y.aQnoi fxai, wie Myus in Magnesia liegen soll,
verstehe ich nicht, aber die befreiung von Lampsakos konnte der Verfasser nicht
wol sich ausdenken, und sie stimmt zu dem Themistoklesfest, das die inschrift kennen
gelehrt hat, gar zu gut. '
55) So wendet sich gegen ihn selbst sein scharfes wort über die Atthis des
Hellanikos. ich meinte früher, dieses bezöge sich eben auf die Themistoklesgcschichte;
aber das ist ein unbewiesener einfall. so lange wir nichts von den berichten des
Hellanikos haben und ihre Chronologie nicht kennen, können wir den tadel nicht
prüfen, nur zu dem Schlüsse kann ich mich nicht verstehen "dies fragment ist rols
XQÖvoie uxQißis, folglich ist es nicht von Hellanikos".
Die geschichte des Themistokles. Aristeides. 153
nicht nur Timokreou verherrlicht, sondern den selbst der unerbittliche
kritiker des Gorgias als den gerechten anerkannt hatte ^"j, der auch bei
Aristoteles selbst als unantastbarer charakter vorkommt (Rhet. 2, 1398^).
das öo'Astv dUaiog gibt er ihm auch hier freilich zu und erzählt die Stiftung Aristeides.
des Reiches in Übereinstimmung mit den bekannten tatsachen ; dies letztere,
da eine Jahreszahl dabei steht, vermuthch nach der chronik.") dann
aber tritt der ovf.ißovXog vor das volk und gibt ihm die Weisung für
seine gesammte politik: seeherrschat't und dadurch lohnende beschäftigung
für die bürger, städtische centralisalion um von diesen vorteilen nutzen
zu ziehen, das volk handelt danach, es ist gewissermafsen ein neuer
synoikismos, und durch die ausnulzung der bündner wird erzielt, dafs
20000 Athener auf Reichskosten leben, über diese summe wird eine
genaue rechnung aufgestellt.
Die rechnung im einzelnen nachzuweisen , so weit der zerrüttete
text es gestattet, verschiebe ich auf später'^*), weil sie hier allzusehr den
Zusammenhang zerreifsen würde, hier genügt es zu betonen, dafs sie im
fünften Jahrhundert aufgestellt ist, da wieder jtöXig für die bürg vor-
kommt, und dafs sie selbst eingesteht die Verhältnisse einer späteren zeit
zu berücksichtigen, das mildert den anachronismus, aber die beurteilung
des Aristeides ist darum nicht minder unrichtig und nicht minder un-
gerecht, es ist wahr, aber in ganz anderem sinne, als es Aristoteles
begriffen hat, dafs die jähre 479 — 77 die Athener vor die folgenschwersten
entscheidungen stellten, und dafs sie sich so entschieden, dafs ihr Reich
die folge war. dieses Reich ist auch darum die bedeutendste politische
Schöpfung der Hellenen, weil nur in diesem gebilde ein grofser politischer
gedauke consequent durchgeführt ist. nicht Aristoteles hat ihn begriffen,
aber wol z. b. der Verfasser der xenophontischen Politie. aber es ist
5G) Es ist von belang festzuhalten, dafs für dieses urteil nicht in betracht
kommt, was dem söhne des Aristeides und dem des Thukydides die ehre eingetragen
hat, von Piaton verewigt zu werden, ihre Zugehörigkeit zu dem demos des Sokrates.
wir kennen jene beiden dadurch als söhne groTser männer, d. h. als nullen, mit
behagen zeichnet sie der Laches so, der Gorgias sagt ^AQiareiSr^s yivaifiaxov, nicht
ji, AXconey.tjd'Ei'.
57) Die Versenkung von metallklumpen auf hohem meere, deren bedeutung
es ist "so lange soll der eid halten, bis diese klumpen wieder emportauchen ', kehrt
bei Plutarch Ar. 25 wieder, es scheint da mit den apophthegmen zusammen-
zugehören, von denen das folgende theophrastisch ist. Herodotos berichtet dieselbe
Symbolik auf ewig bindenden eides von der Phocaeorum execrala civitas (I 165)
und nach ihm Kallimachos fgm. 209.
58) Vgl. das capitel '3000 hopliten von Acharnai'.
154 J- 6- ß'ß demagogen des fünften Jahrhunderts.
mit einer solchen schüpfung wie mit einem gedichte: da kommen die
regeln der poetik auch erst nach dem poem, in dem sie erfüllt sind,
erwachsen ist das Reich, mit den politischen concreten aufgaben haben
sich ihre lösungeu eingestellt, und damit wieder ist der politische ge-
danke immer klarer dem volke zum bewufstsein gekommen , das durch
ihn lebte und herrschte, niemand hat diesen gedanken ausgeheckt, es
sei denn das volk, und auch das nicht auf einmal und nicht als ein Pro-
gramm, politische programme haben das allesammt an sich, dafs sie sich
nicht verwirklichen, sie seien denn nach dem erfolge in die Vergangen-
heit zurückprojicirt. auch dieser plan des Aristeides hat nur die realität
der reden des Agrippa und Maecenas über den principat bei Dion.
Es ist ganz besonders schwer, aber auch ganz besonders nötig, dafs
der historiker sich in die Situation der Vergangenheit so zurückversetze,
dafs er von dem absieht, was damals Zukunft war. wie lag es 479 im
herbst? frei war nur Hellas bis zu den Thermopylen und die Perser-
flotte war fürs erste aus dem aegeischen meere vertrieben, angriffe waren
nicht zu erwarten, aber der anschliifs der grofsen inseln Lesbos, Chios,
Samos an den Hellenenbund forderte auch von Sparta, so wenig man
dort noch ein eignes interesse zu verteidigen hatte, einige weitere actionen.
Xanthippos wagte mehr, er segelte nach dem Hellespont und nahm Sestos.
dem Perser die Verbindung mit seinen europäischen besitzungen bedrohen,
das hiefs, diese ihm abnehmen wollen, gewifs war das nötig, wenn man
Asiens küstenstädte frei erhalten wollte, was Sparta vergeblich dem drängen
Athens abzustreiten versuchte, wenn die attische bürgeischaft auf den
wegen des Xanthippos wandeln wollte, so hiefs das zweierlei, fortsetzung
des krieges, bis Europa frei wäre, und Überwindung des peloponnesischen
widerstrebens, das man vom frühjahr her kannte, auch gegen Sparta
mufste man sich rüsten, die heimkehrenden bürger mochten sich der
gefahr nicht aussetzen, die Stadt wieder räumen zu müssen; die an-
geknüpften asiatischen beziehungen forderten den ausbau der flotte: so
zwang der moment zu der ummauerung der stadt und des hafens. an
die langen mauern, die vavTiy.rj axoof-iia, die Vernachlässigung des atti-
schen landes hat damals niemand gedacht, und doch führt eine vöUig
geradlinige entwickelung zu all dem, was später die yvcöqLf.ioL schelten
und beklagen, an die wirtschaftlichen folgen hat man natürlich schon
gedacht, und das konnte man mit viel gröfserer Sicherheit, denn eine
industriestadt war Athen seit Peisistratos, und dafs es sich auf den Ky-
kladen, an den meerengen und müudungen der thrakischen flüsse fest-
setzen müfste, um die nordischen rohproducte einzuführen, seine in-
Aristeides. 155
dustrieproducte abzusetzen, wo möglich landlose für die armen bürger
zu erwerben, war sogar schon im siebenten Jahrhundert begriffen und
versucht: das hatte die angriffspolitik des Dareios und die Vertreibung
der tyrannen zerstört, um so weit zu kommen, wie man vor zwei
nienschenaltern gewesen war, mufste der krieg mehr erreichen als die
befreiung Attikas, während die Peloponnesier sich befriedigt fühlen konnten.
478 setzte der ehrgeiz des Pausanias in Sparta (wo es keine poli-
tischen gedanken in die ferne gibt) noch durch, dafs man eine Unter-
nehmung zur see mitmachte, nach einer schwerlich berechtigten fahrt
gegen Kypros setzte er da ein, wo Xanthippos aufgehört hatte, und es ge-
lang ihm auch den Bosporos zu nehmen, damit waren die europäischen be-
sitzungen der Perser abgeschnitten, aber ihre macht stützte sich gerade
hier auf starke festungen und zuverlässige garnisonen. denn nicht der
zug des Xerxes, sondern der widerstand der Peloponnesier gegen ihn war
eine improvisation gewesen. Persien hatte gar keine veranlassung mutlos
zu sein, auch Pausanias selbst glaubte besser für sich zu sorgen, wenn
er seine eroberungen als persischer satrap besäfse, als wenn er unter
das joch der ephoren zurückkehrte oder mit dutzenden von Vertretern
selbständiger gemeinden parlamentirte. sein verrat zwang den Aristeides
dazu , den bund mit den loniern zu schbefsen : da war noch an kein
reich zu denken, sie mufsten zu schütz und trutz zusammenstehn, wenn
sie ihre existenz sichern wollten, die selbsterhaltung forderte den engen
zusammenschlufs, forderte den krieg ohne, vielleicht gegen Sparta, sicher
gegen Persien, es ist eine ungeheure summe, 460 talente, die sie sich
selbst auferlegten ; sie bedeutet damals viel mehr als man 454 — 426 auf-
gebracht hat. die summe beweist, dafs man sich nicht scheute zu tun
was not tat, aber sie beweist auch die not. die not wuchs, als Pausanias
zurückkehrend sich wieder der Propontis bemächtigte, damit war alles
in frage gestellt, aber mit raschem schlage und zäher ausdauer gieng
Rimon vor: erst ward Pausanias beseitigt, dann gieng er den Persern
in Europa zu leibe, als nach einem winterfeldzuge und einer schweren
belagerung Eion fiel, da hatten die Barbaren die Verzweiflung gelernt^^);
man durfte das nächste ziel als erreicht ansehn.
59) Die gedichte, mit welchen die Athener drei hermen des marktes schmückten,
sind nicht nur ein unverächtliches denkmal der attischen poesie jener zeit, wenn
sie auch kein grofser dichter gemacht hat (Ion, der freund des abstrusen, gewifs
nicht), sie sind auch wichtig für die geschichte der marktanlage. 475 also gab
Kimon aus seiner rv^ai'viy.Tj oiaia das geld für die bepflanzung, doch wol auch
die planirung des marktes, den die hermen, das ist doch ihr sinn, begränzen. vor
15(5 I. 6. Die demagogen des fünften Jahrhunderts. (
>
Aischylos, der einen dieser feldziige in Thrakien mitgemacht hat,
konnte mm den sieg Ein-opas über Asien als entschieden betrachten.
Sparta, das noch während der belagerimg von Eion eine unrühmhch
verlaufende expedition gegen Thcssahen gemacht hatte, verzichtete nun
auf die see; um der Perser willen konnte es das, und um seiner selbst willen
mufste es das, weil die beiden archegeten, könig Leotychides und regent
Pausanias ihren Staat so schwer compromittirt hatten, dafs er die führung
im Hellenenbunde nicht mehr beanspruchen konnte; und im Peloponne-
sischen bunde erhob sich unbotmäfsigkeit. man sieht die not am besten
daran, dafs Sparta weder den Leotychides abzusetzen noch den Pausanias
vor gericht zu ziehen wagt: der sieger von Plataiai war immer noch
eine macht, deren man gelegentlich sich zu bedienen hoffen mochte, was
die Verhältnisse so in Sparta erzwangen, stellt die rhetorische geschichts-
schreibung als das ergebnis einer Überlegung dar und legt es als
actionsprogramm den Hetoimaridas in den mund/°)
allem aber sind die verse ein bedeutendes geschichtliches document — wenn man
sie versteht, die geehrten feldherrn "brachten den Medern in Eion brennenden
hunger und eisigen kämpf und waren so die ersten, die den feind bis zur Verzweif-
lung zu treiben verstanden '. Mrßav niuaiv in' 'Htcn hfiov r' ai'd'cova xqvsqov
t' inäyovTss "^Qr^a ttqcüxoi dvOfAEvioiv tjvqov afirixatiriv. wer den Sprachgebrauch
der Griechen kennt, ändert ein TtQÖJxoi tjv^ov nicht, wer sich überlegt, dafs hier
das hervorgehoben werden mufs, was die besondere auszeichnung der feldherrn be-
gründet, wird sich nicht wundem, dafs sie etwas zuerst getan haben sollen, wie
man den Perser schlägt, brauchte Kimon nicht erst zu erfinden, das hatte sein vater
getan, was er zuerst fertig gebracht hat, ist Sva/isvicav afir,xavir]. wenn wir weiter
nichts wüfsten, so würde dies gedieht lehren, dafs hunger und kämpf die Perser in
Eion zu einer besonders sinnfälligen äufserung der Verzweiflung getrieben hätten,
das concrete könnte man nicht erraten, dürfte deshalb aber immer noch nicht ändern,
geschweige einen zweiten dativ einführen und ein rätselwort wie n^cöreo Svaftsvecov,
was niemand versteht, nun wissen wir aber, dafs der persische platzcommandant
SiexuQtiQei, eis 16 taxaiov, und als sein proviant zu ende war, baute er einen
scheilei häufen, tötete seine kinder und haremsfrauen, versenkte seine schätze und
stürzte sich in die flammen (Herod. VII 109). eine vollkommnere a^iri%avir] Bva/xe-
vEcov kann man wirklich nicht verlangen, und wer dafür das recept erfunden hatte,
verdiente die gedichte. das hatten die sieger von Mykale und Plataiai noch nicht
erreicht. — interessant ist, dafs man sich in der hellenistischen zeit, als die schrift-
stellerei nsQl exQrjfiärwv blühte, schon bemüht hat, eine concrete antwort zu finden,
was denn Kimon n^ä/ros rjiQev, und man erfand im Widerspruch mit Herodot, dafs
er die lehmziegel der mauer durch ableitung des flusses weggeschwemmt hätte, wie
es 382 Agesipolis mit Mantineia gemacht hat. das erzählt Pausanias Vlll 8, 9, wo
die beziehiing auf die gedichte in aSoftirov iTtd 'EXkrjrtav deutlich ist. datirt ist
die notiz durch Fabricius (Theben 16).
60) Diodor XI 50, vgl. Kydathen 115. Diodor verteilt in dieser partie die
Aristeides. 157
Eine andere aufgäbe stellte sich den Athenern, die dringende ge-
fahr war beseitigt: jetzt mufsten andere mächte den bund zusammen-
halten, es war nebensächlich, dafs man ein par gemeinden, die in seinen
bereich geographisch gehörten, mit gewalt zum eintritte zwang.''') die
griechische und sicilische geschichte so, dafs er nach Timosthenes viele jähre blofs
mit ereignissen je eines Schauplatzes ausstattet, das reicht hin, die verläfslichkeit
seiner jähre zu kennzeichnen, die Jahreseinschnitte sind zum teil ganz roh gemacht
(vgl. 40, 4, dessen erzählung 41, 1 einfach weiter geht), so schliefst sich die rede
des Hetoimaridas in Wahrheit ganz eng an den stürz des Pausanias und die grün-
dung des Reiches durch Aristeides an (42. 50), zu welcher der verzieht Spartas das
notwendige complement ist. und daran wieder fügt sich, wie das mafsgebende Vor-
bild des Thukydides lehrt, der stürz des Themistokles, und wieder ist der anschluls
von 54 an 5ö deutlich, aber Diodor, dem ja eine Zeittafel zur Verfügung stand, hat
sich ein jähr aussuchen müssen, zu dem Themistokles notirt war: das war, wie zu
erwarten, das jähr der flucht, dafs er den tod gleich miterzählte, kümmerte ihn
nicht, sciilimmer hat er es mit Kinion getrieben, in seiner vorläge, die keine chro-
nologische Ordnung suchte, waren Pausanias und Themistokles, das beiden- und ver-
räterpar, abgehandelt, und dann erst konnte die erzählung der feldzüge fortgehn,
denn es trat ein neuer held auf die bühne, Kimon. der faden wird also 60 genau da
aufgenommen, wo er 47 fallen gelassen war, und Kimon übernimmt das beer sogar
in Byzanz, wo Aristeides den bund gestiftet hat (wobei freilich die feldzüge 478
und 477/6 verwechselt sind), dann wird die laufbahn des Kimon bis zu ihrem höhe-
punkte, der schlacht am Eurymedon verfolgt. Diodor aber fühlt sich genötigt diese
ganze reihe von ereignissen hinter das jähr zu rücken, das er sich für Themistokles
gesucht hat. er hat gleich das nächste jähr gewählt (Demotion), zumal seine vor-
läge danach von Athen nach dem Peloponnes übergriff und von da mancherlei berich-
tete, wovon er alles lakonische in das nächste jähr (Apsephion) packte, das argi-
vische in das wieder nächste (Theagenides). dann verwandle er drei jähre für sici-
lisches und erreichte nun wieder einen festen punkt, den thronwechsel in Asien.
61) Die eroberung von Skyros kann lediglich im Interesse der Sicherheit des
nieeres geschehen sein, damit die barbarischen Seeräuber die thrakische provinz nicht
belästigten, indessen erwarb der Philaide wol gern seinem volke eine barbarische
insel, um es seinem ahnherrn gleich zu tun, und da die freude über den erwerb von
Eion durch die schwere niederlage am Strymon vergällt war, mochte er vor dem volke
sich dadurch entschuldigen wollen, dafs er ihm eine insel mitbrachte, und aufserdem die
gebeine des Theseus. es wäre interessant zu wissen, ob erst damals die Verbindung
des Theseus mit Skyros aufgekommen ist, dessen könig einen namen aus dem ge-
schlechte des Themistokles trägt, so weit möchte ich nicht gehn: aber das orakel
über die gebeine des Theseus ist wol erst damals aufgebracht. Athen vollzog einen
neuen synoikismos und baute eine neue Stadt: da war die huldigung gegen den
könig, der zuerst die landschaft centralisirt hatte, angezeigt; auch im Peiraieus hat
man bekanntlich ein 0T]aelov bei der aufteilung des landes für die besiedelung
ausgespart, beiläufig, in dem ehrendecret CIA II 91 mufs man doch moI lesen rote
T£ iy.y6]vovS rovs IIü^Iqov tov AxiX}.i]cos v.al ylvxOfit][Sovi rov ^A'/^il'llioJS y.ai '/c7c-
158 '• 6. Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
liauptsache war seine innere consolidirung. sie hat sich in dem Jahr-
zehnt vollzogen, das zwischen der eroberung von Eion und der schlacht
am Eurymedon hegt, mit vollstem rechte legt Thukydides zwischen
beide eine allgemein gehaltene Schilderung, wir vermögen aber fast nur
das resultat zu erkennen, nicht sein werden, und es ist zu fürchten,
dafs sich darin auch künftig nicht viel ändern wird, aber schon des-
wegen weil offenbar militärische Unternehmungen in grofsem stile nicht
gemacht sind, ist die politische tätigkeit auf das höchste anzuschlagen,
viele dutzende von vertragen, wie die mitErythrai und Kolophon, deren
reste wir lesen, müssen in dieser zeit geschlossen worden sein, die ab-
wälzung der militärischen lasten von den vielen kleinen gemeinden auf den
Vorort, zum entgelt dafür die militärische besetzung vieler städte durch
attische garnisonen, die Verwaltung und einziehung der tribute, die nun
nicht mehr unmittelbar für den krieg Verwendung fanden und sicher-
lich stark herabgesetzt wurden, die neuen formen des rechtes, die
nötig wurden um sowol zwischen den einzelnen gemeinden wie zwischen
einzelnen bürgern verschiedener gemeinden einen rechtsweg zu schaffen,
und die erst sehr allmählich zu der einführung der athenischen ge-
richtshoheit führten , all dies und unendlich viel anderes , was man
nicht einmal alles ahnen kann, zwangen die Verhältnisse zu bedenken i
und zu beschliefsen. niemand konnte sich im voraus ein bild machen, •
wie sich die dinge gestalten würden, wenn sich auch schliefslich der
gemeinsame zug der entvvickelung in allem zeigte, immer mehr pflichten !
für die athenischen bürger und ihren Staat, also auch immer gröfsere
macht für sie. dieses eine mal in der hellenischen geschichte war die
bewegung wirklich eine centripetale.®^)
Sr/lfiov tbv a8e}.f\6v tbv yJvxo/i^8o[vs (Köhler hat nur den Achilieus nicht ergänzt),
und die leute werden Skyrier sein.
62) Der lirieg mit Persien ruht bis zur Eurymedonschlacht. um da ein urteil
abzugeben, müfste man wissen, ob Xerxes einen grofsen rachezug geplant hat, und
die Athener durch die fahrt nach Kypros einen vorstofs in aggressiver defensive
machten: dann war ihre politik und Strategie gleich gut; oder ob sie nach der con-
solidirung des Reiches selbst angriffen, um Kypros zu erwerben, also an 478 und
500 anknüpfend, dann zeigten sich die Athener schon jetzt als Svae'gcoTss rwv
änövxtov, und man kann sich an dem doppelsiege nicht freuen, jedenfalls haben
sie unter dem eindruck dieses triumphes sich zu dem verhängnisvollen aegyptischen
abenleuer verführen lassen, das zuerst wieder dem erwerbe von Kypros galt, die Volks-
versammlung, in der das bündnis mit hiaros beschlossen ward, ist der kritische moment
der hellenischen geschichte: zö /xsv ei noäaaetv axo^earov i'fv näai ßqoidiatv Sax-
rvXooeixrwv S' ovrie aTtemcöv ei^yei, /uekäd'owv '^u^xer' iatXd'rjS räSe cpcovöiv, das
Aristeides. 159
Wie iiühistorisch ist dem gegenüber die Vorstellung, dal's Aristeides
vor das volk tritt und ihm erzählt was nachher geworden ist, zum guten
teile nach seinem tode. aber die aristotelische Schilderung ist noch etwas
schlimmeres als unhistorisch, sie ist perfid, was ist der erfolg der eide,
für die die lonier die metallklumpen auf der see versenkten? was ist
die lockende Zukunft, die Aristeides der gerechte den Athenern vormalt
und verwirklicht? 20000 bürger leben auf kosten der bündner. der
gemeine profit des philisters und die gemeine Volksschmeichelei des
demagogen. gewifs, es hat auch in Athen der philister das ideal mit
dem bauche empfunden, er hat sich den spruch an den Erechtheussohn
cderdg iv rsqeh]OL yerrjaeai ij/nara ycdvra gemütlich so gedeutet, er
sollte in Arkadien für 5 obolen den tag geschwornendienste tun,"^) aber
der philister repraesenlirt nicht die nation und am wenigsten ihren poli-
tischen führer, der mit den instincten der gemeinheit rechnen mufs, weil
sie für ihn gegeben sind, der aber das grofse nur schafft, indem er den
edeln regungen der Volksseele zur macht über die philisterinstincte ver-
hilft, und dem Aristeides soll kein giftiger witz diesen rühm ver-
kümmern, es ist gewifs witzig, aber es ist auch giftig, dafs die ge-
rechtigkeit des gerechtesten schliefslich auf dasselbe hinausläuft wie die
Staatskunst der Kallikles und Thrasymachos, auf to rov '/.oeizTovog
ov(.i(f£QOV. die scheinbare objectivität, mit der Aristoteles redet, macht
das gift nur ätzender, und es mufs zugestanden werden, dafs es in seinem
bewufstsein und in seinem munde auch mehr besagt als in dem des
oligarchen, der die 20000 aus öffentlichen mittein gespeisten männer
zusammengerechnet hat: jener verhöhnte nur das urteil der öffentlichen
meinung über Aristeides den gerechten , dem schon Timokreon diesen
preis gegeben hatte , und der als öiy.aiog auf der bühne des Eupolis
erschienen war. Aristoteles dagegen hatte den Gorgias im gedächtnis,
in dem sein grofser lehrer zwar Miltiades und Themistokles und
Kimon und Perikles geprüft und verworfen hat, aber in dem grofs-
artigen schlufsbilde des jenseits den Aristeides allein namhaft macht als
einen, dem die schwere tat gelungen, in einer Stellung gerecht zu bleiben,
die ihm die reichlichste gelegenheit bot, ungestraft unrecht zu tun, und
der sich dadurch bei den Hellenen einen hohen rühm erworben (526).
und die gerechtigkeit (um diese ungenügende wiedergäbe für die unübersetz-
ist damals gediclitet. die ganze schwere der Verantwortung, die ganze tragik des
momentes liegt in diesen Worten: das ist die eclite prophetie.
63) Ar. Ritt. 797. ist es niclit niediicli, dafs dann jemand kommt und aus
diesem zeugnis auf arkadische besoldete geschwornengerichte schliefst?
1(50 I. 6. Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
bare ör/.caoovv)] Piatons zu braueben) war ja iür den platonischen Staat
die fundamentale tugend, und er hatte dort einen schönen vers des
Aischylos leise umformend den gerechten in dem gefunden , der ov
doy,€lv dUaiog a)X elvai ■d'iluy*) für die leser, auf die Aristoteles
lechnen konnte, lag also eine sehr spitze pointe darin, wenn er von
Arisleides sagte öoymv ÖLuatoavvrj tcov xa^' kavrov öiacpegeLV.^^)
■ 64) Staat 361.362 nach Sieb. 592. es fag nahe genug, danach den vers auf
den typischen gerechten, Aristeides, anzuwenden, und so ist die anekdote entstanden,
dafs die Athener bei der aufführung der Sieben gleich die verse auf Aristeides be-
zogen hätten (Plut. Ar. 3). das glauben die modernen und bauen chronologische
Schlüsse darauf, und doch kommt bei Aischylos das wort, um das sich alles
dreht, Sixaios, gar nicht vor, sondern er hat ov Sonelv a^iaros geschrieben, wie
auch Piaton 361 klärlich voraussetzt, wo Plutarch nicht die anekdote erzählt,
sondern die verse um ihrer selbst anführt, citirt er selbst richtig {de aud, poet. 11).
die Variante existirt nur in der anekdote und diese nur durch die Variante, also
mit deren historischer realität ist es nichts, es sind aber noch zwei Schlüsse zu
ziehen, erstens steht in dem auszug aus der stelle des plularchischen Aristeides
in den Reg: et. Imp. apophih. aQiaros, d. h. ein beweis dafür, dafs dies buch interpolirt
ist, aus dem alle zeit gelesenen drama. zweitens hat der aischyleische Amphiaraos
auch dafür zu leiden gehabt, dafs Piaton seine Charakteristik für die des tugend-
haften verwandt hatte, wir lesen jetzt 609 ovtcjs 6 juäi'ne, vlbv Oixle'ove Xiyto,
[acofpQcov Sixaios aya&os Evaeßrji avTjQ\ /utyas 7iQ0q>r,xr,S afoaioiai avfif.uyEie —
avyxaü's?.xva&f](rsrai. die rede des Eteokles schreitet in Wahrheit so vor "wie ein
frommer mann ertrinken mufs, wenn er mit frevlern auf demselben schiffe fährt, und
wie ein gerechter bürger in einer Stadt von Übeltälern mit umkommt, so geht der
grofse Seher, obwol er die Zukunft kennt, mit dem beere, das trotzdem auf heimkehr
rechnet, zu gründe", da hat das lob der moralischen tüchtigkeit überhaupt keine
Stätte, und die vier cardinaltugenden hat erst ein sokratiker hineingebracht.
65) Dem urteil des Aristoteles folgend hat Theophrast ausgeführt, dafs Aristeides
nur im privatleben gerecht gewesen wäre, aber aus staalsraison eine andere moral zu-
gelassen hätte (Plut. Ar. 25). zum belege erzählt er die Verlegung des Schatzes, worin wir
nach den erfahrungen, die wir an Aristoteles machen, nicht mehr als einen groben ana-
chronismus sehen dürfen ; vielleicht hat ihn unser oligarch zuerst begangen, der eine an
sich glaubliche zug, dafs Samos den antrag auf die Verlegung gestellt habe, wird nun
natürlich auch wenig verläfslich. der andere schüler des Aristoteles, Demetrios von
Phaleron, hat, obwol er sich der verarmten familie des Aristeides annahm, den nachweis
geführt, dafs dieser nicht unbemittelt gewesen sein könnte, was bei dem archon sicher
ist, obwol die beweise des Demetrios zum teil durch Panaitios widerlegt sind, diese
armut war eine fahel, die durch die exislenz der verarmten familie früh entstehen
mufste,verbrei(ung aber erst durch den willkürlichsten novellisten der SokratikjAischines,
fand, er hat als pikantes gegenstück den reichen Kallias mit Aristeides verbunden,
erst nach Demetrios, wie man schliefsen darf, hat man zur motivirung der Verarmung
eine Verurteilung erfunden, die Krateros, man sieht nicht weshalb, unbelegt weiter
gegeben hat. das ist also sicher zu beseitigen, aber die andern traditionen über den
fod des Aristeides sind deshalb nicht wahr, weil man sie nicht widerlegen kann, wir
Aristeides. die oligarchische grundschrlft. 161
sein recht war es, der allgemeinen Schätzung des mannes entgegen zu
treten, wenn sie falsch war. aber dann niufste er diesen nachweis
führen, amicus Plato, magis amica veritas, gewifs. auch in solchem
kämpfe zu irren ist menschlich, aber hier hat er nicht nach der Wahr-
heit gefragt, sondern die verläumdurig ungeprüft aufgenommen und
weiter gegeben.
Aber der protest gegen das verfahren des Aristoteles ist hier noch uie oiigar-
. , , ,. . , . .... 1 1 • cliische
nicht am platze; die eigne Sympathie nötigte ihn mir nur ab. hier grumi-
.,,.,., , , . . ... sclirilt.
fragen wir lediglich, nachdem wir erkannt haben, wes geistes sie sind,
wo Aristoteles diese kritiken der grofsen demagogen her hat. wir
haben schon mehrere stücke auf die ohgarchische tendenzschriftstellerei
des ausgehenden fünften Jahrhunderts zurückgeführt; einmal die Öfter
auftauchende absprechende beurteilung Solons, die Aristoteles, dort
unbefangen prüfend, den ßXaG(piq(.ielv ßovX6[.uvoi beilegt; sie hatte in
der erzählung von den dreifsig ein zugehöriges stück, dann aber er-
schien gleicher herkunft der bericht über Drakon, wahrscheinhch auch
das actenmaterial, mit dem die thukydideische darstellung der revolulion
von 41 1 berichtigt wird, es hat geschichtlich keine grofse bedeutung,
ob diese stücke alle auf dieselbe vorläge zurückgehen oder nicht; wichtig
ist es für die htterarische Würdigung der schrift und die morahsch-
wissenschaftliche des Aristoteles, entscheidend wird dafür nicht die
gleiche entstehungszeit sein, zumal spuren der alten spräche ja auch in
den stücken vorliegen, die aus der chronik stammen, aber die tendenz
ist durchaus die gleiche, so dafs ich immer mehr auf die annähme einer
einzigen bestimmten schrift hingedrängt worden bin. eine art recon-
struction wird das am kürzesten erkennen lassen.
"Man feiert den Solon als begründer der attischen demokratie. das ist
er freilich, aber damit ist gesagt, dafs er der vater alles übels ist. die seisach-
thie hat er unternommen um sich und seine freunde zu bereichern, die
schleunigst ländereien kauften, wol wissend, dafs die hypothekenschulden
niedergeschlagen würden, aus dieser quelle stammt der reichtum der Kallias
und Alkibiades und Koaon, die sich jetzt gebärden, als repraesentirten
sie den alten und befestigten grundbesitz."") die wurzel der demokratie
wissen nur, dafs er über die flucht des Themistokles hinaus gelebt hat, aber nach
der einschätzung der bündner keine rolle mehr spielt, die angäbe des Nepos am
ende der biographie, dafs er im vierten jähre postquam Themistocles Athenis erat
expulsus gestorben wäre, ist schon darum unverwendbar, weil man nicht weifs, ob
der ausgangstermin der ostrakismos oder die flucht des Themistokles sein soll.
66) 404, als Alkibiades und Konon die Intervention Persiens zu gunsten der
V. Wilamowitz, Aristoteles I. 11
IQ2 I. 6.- Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
ist, dafs die schliefsliche entscheidung in allen Sachen bei dem ge-
schwornengerichte liegt, zu dem alle biirger qualißcirt sind, und diese
Wurzel ist solonisch, er hat diesen heillosen zustand selbst beabsichtigt,
hat er doch sogar die gesetze absichtlich zweideutig gemacht, damit die
leute mehr prozessirten, z. b. die testirfreiheit durch eine menge captiöser
ausnalimen beschränkt, wie sollte es anders sein, als dafs dem herren,
dem in den gerichten ohne Verantwortlichkeit schaltenden demos, zu liebe
immer gewissenlosere demagogen seine gelüste befriedigten? da ist
Themistokles, den sie wegen Salamis verherrlichen; nun um Salamis hat
das eigenthche verdienst der Areopag, und eben den hat Ephialtes auf
den antrieb des Themistokles gestürzt, der aufschwung Athens in jener
zeit hatte in Wahrheit den grund , dafs der demos dem Areopage still-
schweigend das regiment liefs: hätte man es ihm nur nicht genommen;
nun, den Urhebern der änderung ist's schlecht genug bekommen,
Themistokles ist landflüchtig bei den Persern gestorben , Ephialtes
durch einen Tanagraeer meuchhngs ermordet, da loien sie den Ari-
steides als den gerechtesten der Hellenen: aber diese gerechtigkeit läuft
darauf hinaus, dafs jetzt 20000 bummler auf kosten der bündner futter
bekommen, natürlich pafst das den bündnern nicht, und wir haben
den krieg. schliefsHch hat Perikles (übrigens ein mensch ohne eigne
gedanken, so dafs sie ihm Damonides einblasen mufste) das mafs voll-
gemacht und den richtern für ihre staatsverderbende tätigkeit sold be-
zahlt, es war das Unglück, dafs die anständigen leute in der kritischen
zeit keinen führer hatten"); dem Kimon fehlte es am besten, um diese
Stellung mehr als dem namen nach auszufüllen, nach Perikles, der immerhin
noch ein mann aus anständiger familie war, müssen wir die lohgerber
und lichtzieher in hemdsärmeln auf der tribüne schreien und schimpfen
boren, so geht das nicht weiter, die arge wurzel mufs ausgerodet werden,
das ist mit nichten ein abfall von den traditionen der väter, das ist im
gegenteil eine rückkchr zur TidzQLog 7toliT€ia. wie war es zu Drakons
zeit? da beschränkte sich die teilnähme am Staate auf die zum hophten-
dienste befähigten : so mufs das wieder werden, damals waren die wich-
tigsten ämter an einen hohen census geknüpft; das wollen wir in
diesen schlechten zeiten nicht wieder einführen, damals fehlte eine
beschwerdeinstanz für jeden übergriff eines beamten keinesweges: nur
demokratie Athens in bewegung zu setzen drohten, war es besonders angezeigt, diese
männer zu discreditiren.
67) Jetzt ist das anders, mufste der hörer sich sagen, und an den redner
denken, der diese scharfe kritik vortrug.
Die oligaichische grundschrift. 163
die verderbliche appellation an das gericht galt nicht, sondern der
Areopag entschied, ein rat, 7a\ dem alle berechtigt waren, ward auch
ausgelost, aber nicht jetzt, wo die faulpelze sich zu den diäten drängen,
die anständigen leute sich zurückhalten , kommt das ganze volk in ihm
zu seinem gleichen rechte, sondern damals, wo jeder in festem turnus
hineinkam, und die tätige teilnähme durch strafen für die Versäumnis
erzwungen ward: das müssen wir wieder herstellen, eine revision der
bestehenden Verfassung, die mit der rückkehr zu den Ordnungen der
Väter ernst macht, sieht so und so aus."
An dieser stelle könnte der Verfassungsentwurf der 100 nomotheten
von 411 stehn, und die ganze sclirift würde geeignet sein, ihn zu be-
gründen, aber es ist ein wesentliches moment der drakontischen Ver-
fassung, der rat der 400, erst in der provisorischen Verfassung von 411
benutzt, die abschaffung der solonischen beschrähkungen der freien Ver-
erbung ist erst von den 30 beliebt, endlich hat Aristoteles die ganze
reihe der Urkunden von 411 ofl'enbar aus deiselben quelle, also ist der
fortgang der schrift vielmehr so zu denken.
"^In dem sinne haben die geselzgeber von 411 die revision geplant,
denn den Vorwurf staatsfeindlicher gesinnung verdienen sie nicht: die
antrage, auf grund deren die nomotheten erwählt wurden, und die ledig-
lich provisorische eiusetzung der 400 gibt zu keinen solchen ausstellungen
anlafs, man sehe nur die acten. schlechte leute, wie die hochverräter
Phrynichos und Antiphon, haben die gute Unternehmung scheitern lassen,
und die sie gestürzt haben, sind eben dieselben, die für die näzQiog
Ttohrela nachdrücklich eingetreten waren, aber zu einer gesetzwidrig-
keit ihre band nicht boten, Aristokrates und Theramenes. in diese
bahnen müssen wir zurückkehren."
Ich habe nur ein par bindeglieder zwischen die Sätze geschoben,
deren herkunft aus ohgarchischer quelle sich herausgestellt hat, und
dann die tendenz zum ausdruck gebracht, die ein bindeglied zwischen
der historischen kritik der demokratie und den Verfassungsplänen bildet,
das ist der satz, die jtaxQiog Ttolitsia ist das richtige, die solonische
Verfassung mit ihren consequenzen ist das falsche, es ist nun offenbar,
dafs dieser satz sowol 411 wie 404 das programm der gemäfsigten ge-
wesen ist, der oligarchen wie der demokraten. als Verteidiger der
TiaTQiog TtoliTsia fanden sich gegen die günstlinge des Lysandros leute
wie Archinos und Phormisios mit Theramenes zusammen (34, 3). sie
verstanden nur etwas verschiedenes darunter. KJeitophon nannte die
gesetze des Kleisthenes Ttargioi (29, 3), dagegen bezeichneten die
11*
X(54: 1. 6. r^ie demagogen des fünften Jahrhunderts.
nomolhelen die zahl von 400 für den rat als vMTa %a rcäxqia. der
Verfasser der parleischrift hat in der Verfassung ürakons dem schlag-
worte einen concreten inhalt gegeben, und es unterliegt keinem zweifei,
dafs sie es gewesen ist, die auch jenen nomotheten von 411 zum muster
gedient hat. damals haben erst die ausschreitungen der Ultras die un-
leugbar in der sladt vorhandenen Sympathien für die neue Ordnung ver-
scherzt/^) 404 verhinderte Lysandros die entsprechende bewegung aller
ihren fanatismus beherrschenden vaterlandsfreunde, aber sowol unter
den 30 wie in ihrem rate safsen doch eine grüfsere anzahl von an-
hängern der Ttargiog TioliTsia, und sie wiederholten unter ungünstigeren
Verhältnissen das spiel von 411, um es zu verlieren, zuerst an die herren
der Situation, die tyrannen, dann an den demos: so kamen sie zwischen
zwei feuer und haben definitiv alle bedeulung verloren, die partei hat
403 nicht überlebt: schon deshalb mufs die darstellung des Aristoteles,
der ihre ideen durchaus billigt, aus ihrem eignen kreise stammen.
Wo er von der beurteihmg der grofsen demagogen zu der dar-
stellung der letzten jähre des Reiches übergeht, tut er das mit dem
lobe des Theramenes und gibt das urteil ab, dafs eine nicht oberfläch-
liche betrachtung in diesem den letzten guten Staatsmann anerkennen
müsse, er knüpft also an diesen namen die Würdigung der oligarchi-
schen politik, der er sich auch in der beurteilung der vorzeit an-
geschlossen hat, mit ausnähme Solons: da stand ihm in den gedichten
ein sicheres correctiv zu geböte; da scheut er sich auch nicht die be-
schuldigung der geflissentlichen boswilligkeit gegen seine quelle aus-
zusprechen, der er doch alle böswilligkeiten gegen Perikles und Kimon
nachspricht — doch das ist vielleicht zu viel gesagt: wir können ja
nicht wissen, wie viel schhmmeres er unterdrückt hat. immerhin hat
er sich genug blasphemieen angeeignet, wenn er selbst die lätigkeit
und die person des Theramenes so sehr hervorhebt, wenn es offen zu
68) Damit soll keineswegs gesagt sein, dafs die revolution hätte gelingen können,
sie rechnete ja nicht mit der demokratie, die allein den Reichsgedanken geschaffen
und erhalten hatte und jetzt heer und flotte allein belebte, in der kleinstadt Athen
war die Oligarchie möglich und verständig, aber wer nicht auf Solon Kleisthenes
Aristeides Perikles verzichten wollte, der mufsle gegen Theramenes sein, aufserdem
hatten die oligarchen nur zum teil mit Alkibiades fühlung, und dessen person war
für sich allein im stände, jede regierung in Athen, die sich ihm nicht fügte, zu
stürzen, auch so weit sie wolmeinende valerlandsfreunde waren, kann diesen
reactionären der Vorwurf nicht erspart bleiben, so unmögliches gewollt zu haben
wie Lykurgos und seine leute nach 338 oder die ehrlichen royalisten unter
Ludwig XVIII.
Die oligarchische grundschrift. Theramenes. 165
tage liegt, dafs es durchaus in Theramenes sinne ist, wie er die ge-
schichte von 411 und 404 darstellt, so drängt sich dieser name auf
unsere lippen , sobald wir versuchen den Verfasser jener oligarchischen
schrift zu benennen, schwerlich könnte man einen so geeigneten erfinden,
und Kritias z. b., der den vorzug hat eine TtoXizeLa ^Ad^rjvaUov ge-
schrieben zu haben und der zeit nach auch passen könnte, ist weniger
durch seine abweichende beurteilung Kimons ausgeschlossen als dadurch,
dafs er die revolution von 411 überhaupt nicht mitgemacht hat und 404
der führer der gegenpartei war. die Verfassung der väter ist diesem ge-
sinnungslosen, der mit den penesten wider den adel conspirirt, als demo-
krat den Alkibiades heimgerufen und aus den bänden des Lysandros die
tyrannis angenommen hat, dem dichter des Sisyphos gänzlich gleichgiltig
gewesen, ich bin kein freund von der benamsung hypothetischer Schrift-
steller und weifs das übergewicht dessen was wir nicht wissen können
über das was wir wissen einigermafsen zu schätzen: trotzdem wage ich
den schlufs, dafs Aristoteles eine politische schrift des Theramenes be-
nutzt hat, die dieser als programm seiner partei unter den Dreifsig im
herbst 404 verfafst hatte.
Diesen schlufs wage ich deshalb, weil Aristoteles ein wort des Thera-
menes.
Theramenes als solches anführt 36, 2. nachdem er erzählt hat, dafs
Theramenes die Dreifsig gemahnt hätte, den ßskriOTOL an der Ver-
waltung anteil zu geben, und sie eine liste von 3000 aufstellen wollten,
geht es weiter Qr^qa^iivr^g öe näliv hcirif-uc v.a.1 tovtoiq, tcqcötov
(lev OTi (iovlofievoi {.leraöovvai rolg STCUiKeOL rgioxikioig fwvoig
(.UTaöidöaoiv , log ev rovrco tm jtXrjd^EL rrjg aQsrrjg WQLGf-iivrig,
eneid-^ otl ovo ta IvavTio'jtara tvolovölv, ßiaiov xe z^v ccqx^v
vial tiüv aQXOi-isvtov rjrziü -/MTaoxevccCovTsg. es kann natürlich die
begründung einer mafsregel als rede dessen eingeführt werden, der sie
anregt; das ist griechische weise und geschieht z. b. 40, 2. hier zeigt
aber die zugespitzte form des ausdruckes, dafs wirkhch worte des Thera-
menes angeführt werden, wozu das praesens gut pafst, obwol es an
sich gar nichts beweist, es kann sich immer noch um ein apo-
phlhegma handeln, das im gedächtnis geblieben war. da tritt nun
aber Xenophon ein, der die ganze geschichte der tyrannenherrschaft
als einen persönlichen kämpf zwischen Kritias und Theramenes darstellt.»
er jäfst den Theramenes zuerst schon in directer rede den Kritias vor
gewalttaten gegen die •/M?,oi -/.aya^oi warnen, und Kritias antwortet in
directer rede, die gewalttaten nehmen ihren fortgang, und Theramenes
spricht zum zweiten male und fordert die Zuziehung von genügenden
166 •■ ^' Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
teilnehmern am Staate. Kritias und genossen stellen den katalog der
3000 auf; da wendet Theraraenes auch dagegen ein ort aT07iov öoy.oirj
kavto) ye eivai rb tcqwxov (.lev ßov/^o/.ievovg rovg ßelriörorg rtov
TcoXiTCÖv '/.oivwvovg TtOLifjGaa&ai %QLGyii)dovg, iootieq rbv aQi^/iwv
TOVTOV exovTcc Tiva aväy/.rjv ■na?^ovg v.ayaS^ovg elvat y.al ovt e^io
TovTiov OTtovöaiovg ovr' evrbg 7tori]Qovg olov r eir^ ysvsa-3-ai.
ETVELia d\ scprj, oqlo eyioye ovo f^xag tu evartiiÜTara TtQatrovtag
ßiawv re ti]v ciQxi]v y.al rixxova xiov aqyoiiivtov '/.axaazetatoi.tevovg
(Hell. II 3, 19). darauf entwaffnen sie die bürgerschaft aufser den 3000,
verlangen dafs jeder der 30 einen metöken sich nehme, den er töten
lasse und sein vermögen confiscire, wogegen Theramenes wieder eine rede
hält; da geht Kritias gegen diesen direct vor; es folgen von beiden lange
reden, und so geht es fort in dramatischem stile bis zu Theramenes bekanntem
KQixia xcä yiaXo). bisher konnte man natürlich diese ganze darstellung nur
für xenophontische stihsirung halten, nun erscheint ein wort daraus bei
Aristoteles, dafs er den Xenophon, den er mit recht durchweg ignorirt
hat, hier ausschrieb, ist nicht denkbar: seine ganze erzählung steht ja
in Widerspruch mit der xeuophontischen. auch ist eben das worin sie
stimmen bei Aristoteles viel schärfer und kürzer ausgedrückt, es bleibt
also nur die erklärung für die auffällige Übereinstimmung, dafs beide
schriftsteiler dieselbe überHeferung vor äugen haben, und diese kann
nur in Worten des Theramenes bestehn, da die Übereinstimmung sich
auf solche beschränkt, auch ist die benutzung eines geschichtlichen be-
richtes durch Xenophon wirklich nicht wol zu glauben, nun mufs freilich
zugestanden werden, dafs sich aus diesen wenigen Worten oder Sätzen
ein klares bild von der schrift nicht gewinnen läfst, die beiden Schrift-
stellern vorlag; man wird aber an eine gehaltene oder schriftlich ver-
breitete rede am ehesten denken, und tut man das, so ergeben sich
die weiteren Schlüsse fast mit notwendigkeit. Aristoteles hat eine schrift
des Theramenes benutzt: Aristoteles hat eine ohgarchische schrift aus
Theramenes zeit benutzt: folglich sind diese beiden schriften identisch.
Aristoteles schliefst sich dem politischen urteil des Theramenes über
dessen zeit an : das erklärt sich aus der benutzung einer schrift von ihm
am besten. Aristoteles gibt über die ältere zeit mit ausnähme des Solon
eine politische ansieht wieder, die nur von dem Standpunkte der ohgarchen
von 411 verständlich ist, und gerade bei Solon weist er eine ansieht ab,
welche eben von jenem Standpunkte allein abgegeben sein kann und
nachweislich um 404 abgegeben ist: folglich gebort sowol der Stand-
punkt wie die schrift dem Theramenes. Theramenes fordert unter den
f
Theramenes. • 167
Dreifsig die beteiligung der iTtieuslg : die oligarchische schrift unterscheidet
durchgehends zwischen dieser partei und dem demos. er verwirft heftig
die abgrenzung durch die zahl: sowol die Verfassung Drakons wie die
von 411 hat dafür die abgrenzung durch das OTtXa nagex^od-ai. es
steht diese Verfassung, die Theramenes und Aristoteles gut heifsen,
gleichermafsen im gegensalze zu der tyrannis der Dreifsig wie zu der
vollen demokratie. in der vorläge des Aristoteles stand eine person-
liche verläumdung gegen Alkibiades und gegen Konon : das pafst auf 404.
Solon ward rückhaltlos angegriffen: das liefs sich unter der demokratie
nicht wol aussprechen, ist fast nur 404 moghch. die beseitigung des
Areopages hiefs ein frevel: die dreifsig haben die gesetze des Ephialtes
und Perikles beseitigt, dafs Athen der äufsersten demokratie verfiel,
lag daran dafs die £7ti€i'/.elg führerlos waren: Theramenes wollte ihnen
die herrschaft verschaffen und natürlich selbst ihr führer sein.
Theramenes 6 y.oi.iip6g (Ar. Frosch. 967) hat den rühm der be-
redsamkeit bewahrt; hat man ihn doch sogar dem Isokrates zum lehrer
gegeben, aber dafs er reden herausgegeben hätte, ist nicht überliefert,
und in die bibliotheken des 3. Jahrhunderts nichts unter seinem namen
gekommen.*^) wenn also Aristoteles eine schrift von ihm benutzt haben
69) Cicero bezeugt ausdrücklich sowol den rühm des redners wie das fehlen
der Schriften de orat. II 93. Brut. 29. der Suidasartikel OrjQafiivrje ^A&Tjvalos hat
auch ursprünglich keine schritten genannt: so steht er noch in den Lukianscholien,
wie Bernhardy angibt, jetzt ist ein litel aus dem arlikel 0t]^. Keios hinübergesetzt,
dieser letztere gibt natürlich halbverschämte fälschungen spätester zeit, die dem athe-
nischen staatsmanne, -wenn nötig, einen doppelgänger zur seife stellen konnten.
aber auf sie kann die tradition nicht gehen, dafs die rsxvr, eines Bötcov, ein für
uns verschollenes buch, eigentlich von Theramenes wäre (vita Isoer. 247 West,),
das hängt mit der Verbindung des Isokrates mit Theramenes zusammen, die schon
Dionysios (Isokr. 1) aus der vulgärtradition aufnimmt, nicht das buch, das eine dar-
stellung der rsyvT] auf isokratischer grundlage gewesen sein mag, deren es viele gegeben
haben wird (auch die unter Isokrates namen ist so zu beurteilen), nur jene tradition ist
der rede wert, und dafs Theramenes allein das ysvos av/ußovXevnxdv gepflegt hätte,
was Doxopater irgendwo aufgelesen hat und zweimal vorbringt (II 122. VI 21 W.),
stimmt dazu, dafs Isokrates zur partei des Theramenes gehört hat, ist nach seiner
geistesrichtung sehr glaublich, und dafs er über seine erlebnisse in jenen jähren
nicht redselig ist, pafst ebenfalls; aber so vag, wie sie vor uns liegt, gestattet die
tradition nicht weitere Schlüsse, wenn ich mit dem avfißovXsvrty.os des Theramenes
recht habe, ist allerdings sehr glaublich, dafs ein peripatetiker, sagen wir Theophrast,
dem Theramenes in der geschichte der beredsamkeit auf dies eine buch hin seinen
platz anwies und den Zusammenhang mit dem Areopagilikos und der Friedensrede,
der mindestens scheinbar ist, constatirte. aber für das was bewiesen werden soll,
macht eine erwünschte folgerung daraus nichts aus.
168 !• 6. Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
soll, so heifst das, er besafs was ein menschenalter später verschollen
war. dafür gibt es analogien genug. Theophrastos hat in seiner ge-
schichte der naturphilosophie mehr als ein buch als letzter benutzt,
dithyramben des Lasos hat Herakleides vom Pontos citirt; später kennt man
nichts achtes mehr von ihm. die musikalische schrift des Dämon hat
den Chamaileon nicht überlebt, die üolLTsia '^&rjvaitüv hat sich nur
erhalten, weil sie mit der lakedaemonischen des Xenophon verwachsen
war; sie hat allerdings nur in den katalogen gestanden und ist ein oder
das andere mal von einem lexikographen eingesehen, denn man be-
trachtete diese Athen feindhche scbriftstellerei mit einer solchen misgunst,
dafs die prosaischen Schriften des Kritias ein halbes Jahrtausend verschollen
blieben und sogar ihre existenz oder ächtheit bestritten ward, weil die
schrift des Theramenes selbst verloren war, hat man die geschichten auf
die einzige autorität des Aristoteles stellen müssen, die dieser ihr ent-
lehnt hatte, das ist schon zu den zeiten geschehen, wo die biographische
compilation blühte, von der Plutarch abhängt, dagegen vor und neben
Aristoteles kennen wir zwei benutzer des Theramenes, den Xenophon,
der ein wort oder vielmehr eine gedankenreihe aus ihr citirt, vielleicht
auch sonst von ihr beeinflufst ist, und den Theopompos, der für seine
Schilderung von Kimon und Kleon züge aus ihr geborgt hat, in Wahr-
heit recht viel von der Stimmung seines excurses über die attischen dema-
gogen ihr verdankt.
Es ist nichts geringes, wenn Aristoteles uns also die möglichkeit
gibt, eine parteischrift aus dem jähre der Dreifsig zurückzugewinnen,
vielleicht nicht minder wertvoll ist es, dafs die haltung des Aristoteles
gegenüber den gröfsen der demokratie sehr viel entschuldbarer wird,
wenn er das urteil dem Theramenes entlehnt hat. dafs er diesen her-
vorzog, lag daran, dafs er bei ihm seine eigene politische Überzeugung
wiederfand, sein ideal war die TtoXirsla, eine sorte demokratie oder
aristokratie, die freilich mehr in dem gewächshause der speculation als
in dem freien lande des politischen lebens gedieh: die Ttärqiog tcoIl-
rela des Theramenes kam ihr am nächsten ; dafs sie sich nicht viel
lebenskräftiger bewiesen hatte, focht den philosophen nicht an. so sym-
pathisirte er mit den praktischen tendenzen des Theramenes und kam
zu dem urteil, dafs dieser bei eindringender betrachtung als der beste
Staatsmann anerkannt werden müfste. dann war auch seine kritik der
älteren Staatsmänner höchst beachtenswert, da er ja den richtigen mafs-
stab für die beurteilung ihrer ziele besafs. dafs er von Drakon etwas
wufste, empfahl seine kenntnisse dem forscher, dafs er daneben ver-
Atliens.
Theramenes. die politische litleratur Athens. 169
läumderisch war, sah derselbe an Solon, und da rügte er es. aber über
Themistokles und Perikles hat er ihm glauben geschenkt, diese in-
consequenz zu erklären, müssen wir noch zwei factoren in rechnung
setzen, den hafs des Aristoteles selbst gegen den demos und seine Un-
fähigkeit, die attische Reichspolitik zu verstehn. das geht nur den
Aristoteles an und gehört an einen anderen platz: hier kann ich nicht
umhin, auszuführen, was meines erachtens geeignet ist, das buch des
Theramenes begreiflich zu machen, meine Vermutung hat es doch erst
hervorgezogen; wenn sie falsch sein sollte, hat sie es erfunden, ich
will angeben, an welche stelle der litterarischen entwickelung und der
politischen kritik es gehört: ich will wenigstens stilgerecht erfunden
haben.
Die prosa ist in lonien an die stelle des epos getreten, an die Die
stelle des heldenhedes trat die prosaische bearbeitung des sagenstoffes, ^Hteraulr
wie im INorden die saga, bei uns das Volksbuch, an die stelle der
epischen dichtung über himmel und schöpfung, ferne länder und sitten,
lebensführung und lebensziel tritt das prosabuch über dieselben gegen-
stände, der epischen form bedient sich die vavriy^rj ccotQoXoyia des
s. g. Thaies und dann Kleostratos, episch sind (\\q ^Qi(.iäoneia , die
yviö(.iaL des Phokylides, die cclrj^sia des Parmenides. die physik des
Anaximandros und seiner genossen, die loTOQiri des Hekataios, der Xöyog
des Herakleilos sind ihre prosaischen nachfolger. die prosa loniens
arbeitet sich zu einer kunstform durch'") und gewinnt wie das epos (im
mutterlande auch die chorische lyrik) panhellenische geltung. es hätte
sich gewifs auch die prosaische politische rede und schrift an stelle der
politischen paraenese individueller art, wie sie Archilochos und Kalhnos
geübt hatten, nicht ohne bedeutendere nachfolger im mutterlande zu
finden , entwickelt, wenn es bei den loniern noch ein pohtisches leben
gegeben hätte, aber lonien war tot, oder vielmehr es erhielt sein leben
wo anders her, aus Athen, und deshalb ist in Athen die elegie des Solon
durch die politische schriftstellerei der Antiphon Theramenes Kritias
ersetzt worden.
Unsere tradition über den Ursprung der beredsamkeit ist von Aristo-
teles begründet, und ganz derselbe fehler, der ihn der altischen politik
gegenüber ungerecht gemacht hat, hat ihn die bedeutung der politischen
70) Eine sehr wichigte beobachtung ist die von Kaibel, dafs die lonier selbst
auf den grabsteinen und in den dedicationen die verse durch kunstmäfsige prosa
ersetzen, nicht etwa durch die schlichte tatsächlichkeit, wie in Athen oder in dem
Rom der republik.
170 I- 6- Die demago^en des fünften Jahrhunderts.
schriftstellerei der Athener unterschätzen lassen, er hat auf die technik,
wesentlich der gerichtsrede, den hauptwert gelegt, und so sehen wir die
Wurzel der beredsamkeit in dem handbuche des Teisias von Syrakus. in
Wahrheit ist die hellenische prosa die tochter der attischen prosa, und diese
ist im rathause und auf der pnyx entstanden ; und die hellenische spräche
ist die tochter der attischen Schriftsprache, die in den kanzleien Athens
entstanden ist. die sophistik loniens hat wol ammendienste getan : aber
das kind ist aus dem attischen boden entstanden, und die Jungfrau der
bürg, die herrin des Reiches, ist seine pflegerin. dafs noch heute die
Hellenen von Trapezunt bis Bova, von Odessa bis Kairo eine spräche
reden und als ein volk sich fühlen, das verdanken sie den beiden grofsen
versuchen zu der politischen einigling dieses volkes, dem reiche Athenas
und dem reiche des Alexandros; beide hat Aristoteles nicht zu würdigen
vermocht.
Zu den zeiten, da Perikles ein alter mann war, ist die attische
spräche für die schriftstellerei geschmeidig gemacht, und nun beginnen die
leute sich ihrer für politische schriftstellerei zu bedienen, natürlich auch
für andere, wie Meton für seine astronomie, aber die politischen Inter-
essen überwiegen alles andere. Perikles selbst wirkte schon durch die
rede mit bewufster kunst; es mag sich mancher als hilfe des gedäclit-
nisses manches von seiner leichenrede für die gefallenen von Samos auf-
gezeichnet haben : er selbst publicirte noch nicht, die blühende ionische
sophistik, die darauf auspruch erhob eine allerweltskunst zu sein und
gerade für das praktische leben tüchtig zu machen, grilT auch in das
pohtische gebiet über, lehrte auch die praktische beredsamkeit, und die
Athener, die bei den Sophisten lernten, folgten in vielem zunächst ihren
meistern, wenn Dämon seine musik und metrik in die form einer rede
über Jugenderziehung kleidete, so ist die berührung mit sophistischen
vortragen unverkennbar; es ist aucli wahrscheinlich, dafs Antiphon zu-
nächst musterstücke über Active fälle pubhcirt hat"') wie Thrasymachos.
71) Dahin rechne ich nicht nur die tetralogien und "vorreden und schlüfse".
die titel •itaqavöfJLCOv xaTr,YOQia, xarä novtcvecos (ehe die yQn<prj nooeSQcxi] bestand,
mufs es eine nQvxavucrj gegeben liaben: man denke an den Ti^innvts, der die Ver-
urteilung des Milliades verhinderte), neol avSonTToSia/iiov , •jisoi rrfi si? xov sXev-
d-sQov naiSa vßQecas sind gleichartig und entbehren der hindeutung auf den con-
creten fall, dabei will ich gar nicht leujrnen, dafs öfters einer zu gründe gelegen
hat, wie wir vielleicht nur von einem iniTQoniy.oe hören würden, wenn nicht ihre
mehrzahl die distinction Ti/uoy.Qärsi , KaXXiaiQÜrio gefordert hätte, aber als
musterstücke werden auch diese pubiicirt sein, und so beurteile ich auch die erste
Die politische litteratur Athens. 171
andererseits schrieb der thasische litterat Stesimbrotos 429 die erste
brochure mit einer praktisch politischen tendenz, wol auf bestellung.
die Schilderung, die Ion von den besuchen berühmter leute in seiner
heimat entwirft, nicht ohne sonst vielerlei aus seinen erlebnissen mit-
zuteilen, ist eine uns sehr modern anmutende erscheinung derselben
ionischen lorogir], die Skylax und Euthymenes zu ihren reiseberichten,
Herodot, der die politische tendenz in Athen erhielt, zu seiner 'loro-
Qir^g ccTtoöe^ig trieb.
Erst als der kämpf der jungen gegen die alten beginnt, den uns
am besten die komoedien des jungen Aristophanes zeigen, der für die
alten schreibt, wird die neue waffe mit macht geschwungen, zwar be-
ginnt die reihe ein älterer, der oligarch, der bald nach Perikles tode mit
widerwiüiger bewunderung die consequenz und die uniiberwindlichkeit
des demos darlegt, ist kein jUngling: seine belege wählt er aus den
fünfziger jähren, und er misbilligt auch die praktischen plane seiner
heifsblütigen gesinnungsgenossen.^^} j"gpnd läfst sich nicht halten.
Andokides hetzt seinen clubb wider den demos mit leidenschafthchster
persönlicher polemik. der bejahrtere Antiphon bereitet die revolution
vor, indem er sich der Reichsstädte vor dem Volksgerichte annimmt und,
ähnhch wie Ephialtes vor dem angriffe auf den Areopag, die männer
der regierung mit processen verfolgt.") man veröffentlicht jetzt vielfach
solche reden , auch wenn sie lediglich persönliches Interesse erwecken,
nicht als sophistische Schaustücke, sondern im Interesse der personen
und um politisch zu wirken.") das plaidoyer wird erst jetzt litterarisch;
nicht die fremden Sophisten, die sie schrieben , sondern die hürger die
rede, wer die titel sich überlegt (und die fragineiite daneben auch) wird nicht an-
stehn, den nohriy.ös dem politilier Antiphon zuzuschreiben trotz Hermogenes.
72) Der Verfasser der nohrsia läd'Tjvaccov gibt seine lebenserfahrung, seine
yvcöfiT], so gut wie Herakleitos. aber er gibt sie nicht ohne praktische tendenz als
material für den forscher über Verfassungen, er gibt sie für den tag, an dem er lebt,
nicht für uns spätgeborne. das hat nicht einmal Aristoteles getan, geschweige ein
mann, der so tief in das getriebe des slaales schaut, er will belehren, aus seiner
erfahrung seinen leuten die richtschnur für ihr handeln geben "conspirirt nicht wider
den demos, es nützt nichts, transigirt nicht mit dem demos : der kann nur die
Canaille brauchen", einer der klug und kalt geworden ist, aber das aneien regime
nicht verleugnen will, das er doch für verloren ansieht, mahnt die stürmische Jugend
der partei zu der resignation, die nur dem alter ansteht, die Jugend hat denn auch
damals so wenig wie zu irgend einer zeit auf solche mahnung gehört, das ist einer
der yvtÖQiuoi, wie sie bei Tanagra ihre loyalilät mit dem blute besiegelt haben.
73) Vgl. die beilage 'die zeit der Thesmophoriazusen'.
74) Vgl. die beilage 'über die rede für Polysfratos'.
172 ]. G. Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
sie hielten, haben die reden zuerst verüffenlHcht. die redegewaltigen
lehrer und Schriftsteller von beruf treten mit reden allgemeinerer haltung
auf den plan, aber einen politischen inhalt zwingt ihnen die fieberhitze
des kampfes auf, in dem sich Hellas verzehrt. Gorgias, der Chalkidier
aus dem westen, selbst heimatlos durch den bürgerkrieg geworden, ver-
kündet im epitaphios die grüfse Athens, von dem er die herstellung
seiner heimatstadt hofft: dieser stolze hymnus gibt die Stimmung wieder,
in der das volk sich für die kriegspläne des Alkibiades begeistern liefs,
und ist ohne zweifei bald nach dem Nikiasfrieden verüffenthcht. im
sommer 408 hielt er in Olympia die rede, welche Hellas mahnte, lieber
gemeinsam gegen Persien vorzugehn als um die persische gunst zu
buhlen: es war die Stimmung, die gerade damals spartanische antrüge
nach Athen führte, und die Kalhkratides bis zu seinem tode vertreten
hat.'^) Thrasymachos, ebenfalls schon längst als lehrer und verfertiger
75) Die modernen sind seltsamer weise einig in der Verwerfung der Über-
lieferung und ihrem ersatze durch Ungereimtheiten, wenn Apollodor sagt, dafs
Gorgias 109 jähr ward, so ist das für uns das wahre: 105 ist durch alten Schreib-
fehler (s' aus &') entstanden, dafs das todesjahr des berühmten mannes, der in
Thessalien als greis gelebt hatte, fest überliefert war, und er selbst für irgend einen
festen Zeitpunkt sein alter angegeben hatte, kann kein verständiger bezweifein.
Apollodor war also in der läge, genaues zu wissen, brauchte sich mit einem
epochenjahr für die axfii] nicht zu begnügen, und wenn ein Ignorant wie Olym-
piodor ein solches für die abfassungszeit einer schrift des Gorgias angibt, so mag ,
ein verständiger Chronologe diese schrift approximativ so besümmt haben, für Gorgias
selbst hat das keine bedeutung. aber wenn ein mann wie Porphyrios die ax^/J des
Gorgias selbst angibt, so bleibt zwar immer noch ein unerwünschter Spielraum von
vier Jahren, da sie nur auf die Olympiade gestellt ist (was auf die überlieferer der
notiz des Porphyrios geschoben werden mag), aber es heifst doch so viel, dafs die
blute 460—57, die geburt 500—497, der tod 391—88 fällt, das ist überliefert.
Gorgias kam als ein berühmter mann 427 als gesandter nach Athen ; vorher war er
schon im Peloponnes mit Empedokles zusammengewesen, gesandte pflegen vniQ
nEVTTixovra stt] zu sein, wenn sie nicht militärs sind. Piaton, der Gorgias immer
mit aufrichtiger persönlicher hochachtung behandelt (wer es leugnet, mufs den dialog j
nur von ferne kennen), führt ihn immer als älter denn Sokrates ein. alle Schüler •
des Gorgias (Philippos, Agathon, Polos, Menon, lason) sind im fünften Jahrhundert
gebildet, er lebte freilich, als Piaton den Gorgias schrieb, aber er war tot, als
Isokrates die Helene schrieb, und zwar gehörte er damals schon zu den leuten einer
überwundenen generation (dafs die erhaltene Helene, gegen die Isokrates polemisirt,
deshalb nicht von ihm sein kann, hat Spengel darum nicht weniger bündig be-
wiesen, dafs man ihn jetzt vergifst). es existirt einfach keine Instanz, die mit der
überlieferten Chronologie stritte, aber auch ein geistig frischer greis wird in der
litterarischen bewegung nur so stehn wie Gorgias bei Piaton. in dem kämpfe um
den Stil, den erst viele d-oioßcXoi, dann Piaton und Isokrates führen, sind die kinder-
I Die politische litteratur Athens. 173
von musterstücken berühmt, schreibt einen ov^ißovlsvTiy.ög, in dem er
auf die 411 brennende prinzipienfrage nach der TtätQiog Ttolixeia ein-
geht.'®) der Sophist Antiphon erörtert neben den physischen problemen
der sophistik auch ethische , sociale."} ihm stehen die prosaischen
spiele der gorgianischen reime längst überwunden, es ist ein unding, ihn im
vierten Jahrhundert Schriftstellern zu lassen (von den absurditäten, die mit den erhal-
tenen reden getrieben sind, zu schweigen), aber auch den Olympiakos 392 anzusetzen,
geht nicht an: sind die Hellenen zur zeit der Ekklesiazusen und der friedensrede
des Andokides für diese mahnungen gestimmt? ist der hundertjährige nach Olympia
gepilgert? 408 war dafür die rechte zeit, weil Sparta gerade kriegsmüde und gegen
Persien verstimmt war, und weil ein umsichtiger die krisis voraussehn konnte, die
dem Perserreiche bevorstand. Piaton, der den Gorgias so anschaulich schildert, wie
es autopsie gestattet, wird ihn auf dieser letzten reise gesehen haben, und Isokrates
kann doch auch nur als Jüngling in Athen ihn gehört haben, so erhält man auch
den passenden hintergrund für den platonischen dialog. es gibt gar keine Schwierig-
keit, wenn man die antike Überlieferung nur stehn und die modernen träume
fahren läfst.
76) Das grofse bruchstück bei Dionysios bricht leider ab, wo es interessant zu
werden anfängt, der redner will die beiden hadernden parteien beide ad absurdum
führen. nQCÖrov fxev t] narQios noXirsia lagayriv avxois naqixBi, gäoTri yvco-
ad'rjvai nai KOivoTaxrj TOts noXiraiS ovaa näaiv. onöca (xsv ovv inexeiva rrji
rifiEräqaS yvcöfnqs dffriv, axoveiv aväyy.rj XsyövroJv xcöv naXMioreQcov, onSaa S^
ovS' avrol inelSov oi TtQeaßvreQOi, tavra Ss TiaQa rcöv siSörcoi' nvv&dvsad'ai.
das letzte kann nur auf geschichtliche erkundung gehn, es konnte also das aller-
merkwürdigste folgen, freilich auch gemeinplätze wie im Areopagitikos des Isokrates.
aber unverkennbar ist, dafs die rede das Athen des dekeleischen krieges angeht,
und die beiden parteien die oligarchen und demokraten sind, die sich beide auf die
TiätQios TtoliTsia berufen, ziemlich aus derselben zeit ist die andere rede des Thra-
symachos, von der wir wissen, die wider Archelaos von Makedonien; die muster-
stücke für den rhetorischen unteriicht sind älter: eine wichtige parallele zu Anti-
phons schriftstellerei. wenn Piaton im Staate den Thrasymachos nicht als rhetor, son-
dern als den sophistischen Vertreter der dSixia einführt, so wird daran zwar niemand,
der mit Piaton vertraut ist, eine reproduction von gedanken suchen, die jener wirklich
vorgetragen hätte, aber einen anhält mufste er doch haben, und für die bedeutung
des mannes legt es zeugnis ab. Piaton hat in ihm den erzieher der demagogen-
generation verabscheut, gegen deren treiben er auf grund seiner frühesten jugend-
erinnerungen einen so grimmigen hafs hegte, in der tat ist ja schon der ungeratene
Bohn in Aristophanes Daitales von Thrasymachos erzogen, besonders wichtig ist,
dafs in derselben tetralogie, die mit der abfertigung des Thrasymachos anhebt,
Kritias eine so grofse und ehrenvolle rolle spielen sollte: er sollte die wahre jra-
rQio£ noXixeia Athens darstellen, nach Piatons ansieht war er also gänzlich gesondert
von den kreisen des Thrasymachos. das dürfen wir glauben; er halte ja mit So-
krates verkehrt, aber milder werden wir darum den tyrannen nicht beurteilen.
77) Sein buch negl ofiovoias will die menschen lehren, dafs der ßCos, in den
der mensch als einzelwesen gestellt ist, roh, elend, grausam, nicht lebenswert ist:
174 1. ö. Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
Schriften des Kritias nahe, der als ein in allen satteln gerechter Journalist
dem entsprechend nirgend gründlich, nirgend eigene gedanken, nirgend
consequente griindsätze vertretend, alles moghche behandelt zu haben
scheint, und in den prosaischen TtoXixelai zwar die demokratie, zumal
die heimische, vor seinen thessalischen freunden in den staub zog,
das hat er mit vö^i-fia ßa^ßaoiyd gezeigt (116. 117) und mit reichlichen proben
aus dem culturleben seiner zeit (108.109.131. 132). das leben ist kurz (133. 137),
und man kann es nicht noch einmal leben wie nach einer verlornen eine revanche-
partie spielen (106). wie töricht also, sich dies leben so einzurichten, als wollte man
erst in einem künftigen recht leben (127). das übel aber ist der egoismus: da
schmorgt sich der filz alles vom leibe, ohne seiner froh zu werden oder einem
andern zu helfen (126.128); da freuen sich die leute, wie Oknos, über jedes hinder-
nis, das ihnen einen entschlufs zu tätigem handeln erspart (110. 125). dieselbe
charakterschwache führt zuweilen zum guten, nämlich wenn sie von einer bösen tat
zurückhält: denn wie ihr die andern richtet, so sollt ihr selbst gerichtet vi'erden,
ist ein alter erfahrungssatz. deshalb soll der mensch sich und seine persönliche
leidenschaft beherrschen lernen (129; hier einmal eine mehrere gedanken ver-
knüpfende partie, die also viel für die ganze anläge lehrt): denn erst die selbst-
bezwingung, die ohne die lust der sünde nicht denkbar ist, hat sittlichen wert (130).
also in der ofxüvoia, einem altruismus, wie die leute jetzt sagen (blofs in barbarischer
rede, die gedanken sind nicht klüger geworden), liegt das heil, so kommt man zur
svSaifiovia, die der Sophist seinen schülern versprach (vit. Antiph.), nur die ge-
ordnete menschliclie gesellschaft, der staat, kann sie geben (135). der weg aber ist,
wie vom weisheitslehrer zu erwarten, die erziehung (134, und das von Wachsmuth
bei Stob. ecl. II 31, 41 nachgewiesene bruchstück). — es ordnet sich schon gut in
einander was aus der schritt citirt ist und was bei Stobaeus steht, man erkennt,
dafs alles einer gedankenfolge angehört, die im einzelnen natürlich nur zur probe
ausgeführt werden kann, dann pafst freilich hier nicht her, was Blafs mit sicherem
stilistischen takte im zwanzigsten capitel von lamblichos protreptikos der alten Atthis
zugeschrieben, aber auf Antiphon den Sophisten zurückgeführt hat (Kieler programm
1889). ich glaube, er hätte besser getan, wenn er meine ansichten über den politikos
weniger von oben herab behandelt hätte: wenn er vollends behauptet hat, dafs die
überlieferten angaben über die vier unächten euripideischen stücke, die ich für eine
tetralogie des Kritias halte, sich dieser annähme nicht fügten, so hat er allzu flüchtig
gearbeitet, aber seine entdeckung eines grofsen Stückes sophistischer prosa ist eine
wahre freude, und alle ausstellungen im einzelnen verschwinden vor einem solchen
Verdienste, ich möchte noch nicht mehr über diese sache sagen, will aber doch
darauf hinweisen, dafs bei lamblich p. 25, 26 Pist. ausgeführt wird, der mensch
brauche zur tüchtigkeit anläge und Übung, und mit der letzteren müfste man möglichst
jung anfangen, genau dieses, aber mit anderen worten, "tpvasws xal dax^ascoe
8iSuaxaXia §elrat ' • xal "dno veorr/TOS 8e d^^ufisvovS SeXv ^lavd'ävsiv" steht in
den eben so merkwürdigen wie verdorbenen und vernachlässigten resten einer
anonymen declamation, die Gramer An. Par. 1 165—72 herausgegeben und ne^l
'Innofiäxov betitelt hat. und dieser spruch wird eingeführt als stammend aus dem
iniyoacpöfievo? /uiyas Xöyos des Protagoras.
Die politische lilteralur Athens. 175
während er die lakonische erhob, aber, so viel wir erkennen können,
viel mehr das behandeile, ^vas später ßloi heifst, als die krilik oder die
darstellung der Verfassungsformen oder gar sein eigenes pohtisches
Programm''^): das wäre ehrlich ausgesprochen nichts gewesen als to
7S) Eigentliche reden hat es A^on Kiitias g;ir nicht gegeben ; das lehrt die Über-
lieferung, und seine erwähnung bei Cicero (de orat. II 93) fordert sie keineswegs.
Hermogenes aber (de id. II) bezeugt nur 8r]fir,yoQixa nQooi/xia, musterstücke wie
von Antiphon, die wol nur für den rhetor in betracht kamen, ob Dionysios, der
nirgend etwas concretes von ihm aussagt, ihn gelesen hat, ist zweifelhaft, wir
können den Sophisten nicht anders fassen als es Philostratos tut, der ihn eben in
die ßioi aocpiarcüv aufgenommen hat: die naive Vorstellung, Kritias hätte etwa wie
Philostratos selbst ßioi geschrieben, stammt von Bach, der sie damit begründet, dafs
Philostratos aus Kritias anführt, nur Homer hätte er ohne Vatersnamen aufgeführt
(während die albernen Sophisten der kaiserzeit wie Pausanias selbst nläraiv 6 ^Aoi-
axojvos sagen: wie viel väter werden damals gelogen sein!), natürlich geht das auf
eine stelle der 'O^idiat, in der auch Archilochos geladelt wird, weil er seine unedle
mutler selbst genannt hatte, das interessanteste ist, dafs wir durch Philostratos
hören, erst Herodes Attikos habe den verschollenen schriftsteiler in die mode ge-
bracht. Philostratos selbst hat ihn stark nachgeahmt, und eine glosse aaxvxQixp
ist noch für uns bei ihm nachweisbar (Dindorf im Thesaurus s. v.). indessen hatte
die lexicographie die Tiohrslai wenigstens schon vorher nicht vergessen: IHdymos
hat sicher ein citat (Harp. XvxiovQysls = Athen XI, 4S6, wo Kaibel wieder eine be-
ziehung zu Pollux aufzeigt), und auf ältere lexicographie als die hadrianische sind
wir gewohnt zurückzuführen was bei Pollux mit Hesych stimmt: das gilt von deir
Kritiasglossen äaiv'iQixp fiv^syjos cQvid'oy.ÜTiriXoe n68eia ngoacoSia im Hesych, die
zum teil verkannt sind, allerdings wird man so gut wie alles auf die nohzelai.
zurückführen, aufser den drei anführungen Galens, der für Svaavias (die verdorbene
stelle in Hippokr. epid. 3, 11, die ich in meinem Hippol. 193 verbessert habe, vgl.
Hesych. AvaavCas) den Kritias iv tm nsoi q>iaecas eocoros f; aoexwv citirt, während
Harpokration dafür Antiphon anführt, und im commentar zu x«t' iriiQsiov (XVIII''
656 Kühn), übrigens durch vermitlelung seines mitschülers "ifimavösC^) aus einem
Stoiker Simias, KQirias iv tiqu/toj äfOQiaficö (d. i. a<po^i(Tfiwv) und sv o/uihcöv
nqoxEQco, neben dem Sophisten Antiphon, dem sokratiker Aischines und rednern.
aber ein acpogiofiös ist doch wol was Dion (26, 3) von ihm anführt, dafs die Schön-
heit am knaben das weibliche, am mädchen das männliche sei (das erinnert an den
afoota/uos, hqecT.v rjSiara t« fii] yos'a von Philoxenos bei Plutarch de aud. poet.
anfang). die Homilien citirt auch Herodian diel. sol. 946 Lentz. dafs solche
sophistischen spiele ihm zuzutrauen sind, der iSicüxriS iv (piXoaöcpois, cpilöaofos iv
tSicöxais war, dürfen wir auf Piatons zeugnis hin glauben (Tim. 20 ^ mit schol.).
sehr naiv aber Märe es, wenn wir verlangten, dafs der spätere tyrann sein herz
ausgeschüttet hätte und als apostel seiner scrupellosen immoralität aufgetreten wäre:
die gottlosigkeit bekennt ja nicht er in seiner tragoedie, sondern Sisyphos, und er
gibt auch in der lehre, dafs die götler die erfindung eines Staatsmannes wären,
fremde speculation, nicht anders als in den lehren über physik und ethik, die wir
noch im Peirithoos erkennen, ich würde es für unberechtigt halten, selbst sokra-
I
176 I 6- Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
I
xov y.QSiTTOvog avf.iq)SQov, wie es in Piatons Staat die gegner der
diy.aioavvtj vertreten ; aber selbstverständlich hat selbst von den dreifsig
tische anklänge in seiner sophistischen prosa zu beanstanden, die so unbeachtet bis
zur kaiserzeit gelegen hat wie die Staka'^eis axsnrixaC. wenn Alexander von Aphro-
disias nur die i'fi/uETQoi nohrslac gelten liefs und das prosaische alles einem andern
Kritias beilegte, so ist die Übertragung des Unterschiedes der beiden Antiphon zu
verdächtig, und die not, einem aristotelischen Zeugnisse, das philosophische prosa-
schriften sichert, seinen beleg zu schaffen, die nur durch die Übertragung eines
Empedoklesverses auf Kritias befriedigt werden kann, discreditirt den kritiker vollends,
ich bezweifle also auch die prosaischen nolirsiai nicht und mufs nur finden, dafs
der Sophist sich sehr stark selbst wiederholt hat: denn nur die form kann uns dazu
bringen, ein citat lieber der elegie als der prosa zu geben, stand doch selbst, dafs
Chilon gesagt hätte fir,8ev t.yav, in den elegien (Commentar. gramm. II 6), und
Archilochos ward in prosa (Aelian V. H. X 13), Anakreon in hexametern (Athen. XIII
600) behandelt, inhaltlich haben sich also auch die TiohrsTai trotz der verschie-
denen form nahe berührt; erfindungen einzelner länder für die bequemlichkeiten des
lebens werden noch jetzt in beiden aufgezählt, über die haltung der prosaischen,
in denen man allein eine wirklich politische brochure suchen könnte, läfst Philo-
stratos wenigstens etwas erkennen, er hätte keine aocpias eniSsi^is gemacht, sondern
ßuQvrtQas enolrjae ras oXtyaoxiae SiaXsyo/uevos roiis eitel Svi'azoTs (in Thessalien)
xal xad'aTiröfisvoS fiep SrjfioxQatias unäar^S, SiaßäXlofv 8' l^d'TjvaiovS cos TtXelara
avd'Qiöncov äfiaQrdvovxae. und wir können auch das lob auf sie beziehen, dafs er
Seivcös xa&c'tTrTszai. ev anoXoyias TJ&ei. nur fragt sich in dem Zeitalter der xpöyot.
und sTtaivoi, was er verteidigte, wir hören, dafs er den thessalischen luxus tadelte
(Ath. XII 527, von diesem selbst XIV 663 wiederholt), die erzeugnisse des luxus
der verschiedensten gegenden aufzählte, in Sparta alles, sogar die Stiefel (die auch
in Athen zeitweilig mode waren) und die becher praktischer und deshalb besser
fand, ebenso den comment der trinkgelage (Ath. 463. 483. 486). im Lykurgos des
Plutarch 9 klingt offenbar ein ton nach, den Kritias angeschlagen hatte, was Athen
anlangt, so hatte er den attischen bazar mit einer kolossalen häufung von allerhand
specialisten für den und jenen artikel geschildert; die tendenz kann man nach des
oligarchen IIoX. Ad". 2, 7 sich vorstellen, das war eine fundgrube für den wortsammler,
Poll. VI 38 VII 59 78 91 108 154 177 179 196 (wo PoUux den ganzen grundstock
seiner aufzählung aus ihm zu nehmen gesteht), auch der 'wortmacher' Xoyevs, wie
er für Qr,rco^ sagt (II 122), die 'falschen zeugen (V 153), der 'pflastertreter' {aarv-
rot-ifj IX 17) die 'schmutzige geldmacherei' {QvnaQia HI 116), das 'jähr und tag
richter sein' {8i,a8i)(ät,eiv VIII 25), alles pafst in eine solche Schilderung; 8io-
Ttreieiv (von den mysterien II 58), ev^vvsaia (IX 161), SiS^axfiialoi (IV 165), ra-
X^X^^Q (II 148), SianefOQrja&ai (VI 199) fügt sich auch, das einzige bruchstück
eines satzes lautet sni röye ;^()»;<7tovs elrai "soweit brav sein" (VI 195 hinter to
^tt' avrovs ijxov, rb in' avrols. also sicher so herzustellen aus enl rö ye eni to
XQ. elv.): da steckt nirgend etwas geschichtliches oder juristisches, was wir sonst
wissen, aus der biographischen litteratur, ist die behauptung, dafs Themistokles und
Kleon viel gestohlen hätten: das stand in demselben buche, wie dafs Archilochos
töricht genug gewesen wäre, seine eigene schände durch seine verse zu verewigen,
Die politische liUeratur Athens. 177
auf der hohe ihrer frevelhaften tyrannis niemand etwas anderes behauptet,
als dafs die ißgig des -AardgaTog drj/.ios mit solchen gewaltmitteln allein
zur €vvof.iia gebracht werden könnte, also die Schlechtigkeit der andern
ihre tyrannis rechtfertigte.'^) die wilde zeit mufs in und aufser Athen
eine flut von schritten hervorgebracht haben , sowol direct über die
brennenden fragen des tages wie in der form der poütisch sophistischen
betrachtung. eine solche schrift, die eines loniers wider das attische Reich,
ist dank der Widerlegung des Isokrates noch einigermafsen kenntlich.**")
und bald werden sogar die Spartiaten dazu gedrängt, illiterat wie sie
sind, ihre Verfassungskämpfe vor dem publicum mit den Schriften ge-
dungener publicisten auszufechten, was sowol konig Pausanias wie Lysan-
dros getan haben ^*), während ein Archinos selbst die reform der Ortho-
graphie durch eine rede vor dem volke vertritt, und Lysias als rede-
schreiber von beruf die alte vornehmere sophistische redekunst in den
hintergrund drängt, der erste advocat von jener sorte, die gerne Numa
Roumestan würden, schliefslich aber auch als avkat Slus'nhr ihr Schäfchen
ins trockne bringen, auch er schreibt im anfang noch politische brochuren."-)
so wenig uns also auch von dieser litteratur kenntlich ist: die entwickelung
läfst sich doch sehr wol verfolgen, vorausgesetzt, dafs man nur nicht be-
denn Aellan excerpirt dies X 17, jenes X 13, und er pflegt so seine excerpte zu
verteilen; ich hätte nicht übel lust, das dazwischen stehende X 15 auch auf Kritias
zurückzuführen, nämlich dafs die verlobten der töchter des Aristeides ihre braute sitzen
liefsen, als deren armut durch seinen tod an den tag kam. endlich erwähnt Plutarch
im Kimon lö, dafs Kritias diesem seinen lakonismus zum vorwürfe machte, niemand
kann sagen, dafs diese exempel in den Politien eher gestanden haben müfsten als
in den Homilien oder einem Srjfi7]Y0Qixbv n^ooifiiov , und wer rasch mit diesem
namen für den oligarchischen gewährsmann des Aristoteles bei der band war, der
hat damit nur der weit gezeigt, dafs er von Kritias nicht mehr kannte als den
titel nohxeia. wo selbst Böckh die spuren eines irrgangs hinterlassen hat, hätte
man sich wirklich etwas mehr besinnen können.
79) Schol. Aisch. 1, 39 steht, dafs die oügarchen auf Kritias grab die Oligarchia
darstellten, die die Arifioy.Qaria mit einer fackel bezwingt, und dazu die Inschrift
/j-vf^fia roS' kar^ uvSqoiv ayad'cor ot tov xara^arov OT^fiov Ad'rjvaicov oXiyov XQÖ-
rov vßoios sa%ov. man braucht nicht zu beweisen, dafs dies fiction ist, aber wer an
die hUri dSiniav xoXä^ovaa der Kypseloslade denkt, wird zugeben, dafs es nicht eine
späte Schwindelei ist, sondern die huldigung eines gesinnungsgenossen, der nicht
blofs den vers, sondern das grabmal zu ihrem ehrengedächtnis gegenüber der ächtung
durch die attische allmächtige litteratur erfand, also als zeugnis für die Stimmung
ist es verwendbar.
80) Vgl. die beilage 'Isokrates paneg. 100—114'.
81) Homer. Unters. 272.
82) Vgl. das capitel 'rifiijfiara 7xaoBx,öueroi .
V. Wilamowitz, Aristoteles I. 12
178 1- 6- Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
redsamkeit , womöglich gerichtsberedsamkeit für das wiclitigsle hält, die
es nur für die Tsyvr] ist, sondern die altische publicistik, die ihren
hohepunkt in Isokrates und Demosthenes hat. in diese reihe pafst
Theramenes und seine schrift: sie ist ein ovfißovXsvTrMg wie die des
Andokides und Thrasymachos, sie teilt actenstücke mit wie die mysterien-
rede des Andokides, sie polemisirt aus praktischen rücksichten wider
Selon, den Stifter der Verfassung, wie künig Tansanias wider Lykurgos,
sie erlaubt sich personlich gehässige verläumdungen wie Stesimbrotos
oder die gerichtsrede, und sie sucht in der geschichte eine consequente
entwickelung wie Thukydides.
Aber Sie betrachtet die geschichte Athens als die einer anzahl von
(lemagogen, etwa wie später die geschichte der philosophie als eine
öiaöoxrj q)iXoo6cp(av dargestellt wird, das steht mit der pentekontaetie
des Thukydides im grellsten Widerspruche, und auch die reden des Iso-
krates wollen sich gar nicht damit reimen, und doch ist gerade darin
Theramenes viel mehr Vertreter der regel als jene beiden, und wenn
wir tagtäglich von kimonischen tenipeln und perikleischem Zeitalter hören
müssen, so hallen die so reden es mit Theramenes, nicht mit Thuky-
dides, was allerdings keine empfehlung ist.
Stesimbrotos schrieb die erste politische tendenzschrift: und wie
nennen sie die grammatiker? neq! Qei.iiGTO'/.XiovQ xai Qovxvdidov zal
neQix?Jovg. also die personen der demagogen stehn im mittelpunkt.
wenn Aristopbanes die Ursachen des krieges behandelt, so liegen sie in
Perikles Aspasia Pheidias Simaitha : die spätere geschichte folgt viel mehr
seinen spuren als denen des Thukydides. die fabel der Ritter konnte
gar nicht concipirt werden , wenn nicht die anschauung bereits fest
stand, dafs der demos seinen Vertrauensmann, der souveräne herr seinen
TTQoaräTtjg haben müfste*^), als wäre er ein weih oder ein fremder,
davon ist es kaum noch ein schritt zu der diaSoyJ] ör^/uaytoyiüv , die
dem freien Athen eine folge von herren gibt; die vergleichung mit den
liebhabern einer schönen dame trifft noch besser zu , wird auch auf
altisch gezogen (Ritt. 737); für den souverän ist sie kaum schmeichel-
hafter, und im vierten Jahrhundert ist ein gemeinplatz, den Isokrates
und Xenophon beide brauchen und beide nicht selbst gefunden haben,
otoi av OL TtQootaTai luot zoiavzag xai rag 7CoA€ig eivai. das kann
83) Plat. Staat 8, 565 olxovv iva. rtvä oel S^fws ti'cjd's SiafSQovrcos Tt^oi-
araad'ai iavxov aal rovxov r^s(psiv is xat av^eiv fiiyav ; — oTctvneQ qivrjrai XV'
oavvos, iy. Ttooaxaxixfjs Qi'QrjS y.ni ovx dXXod'ev exßXaaxävEi.
Die politische litteratur Athens. 179
dem kritiker Athens in der tat das recht geben, die geschichte der
demokratie als die der demagogen anzusehn.
Am sinnfalHgsten und eindrucksvollsten ist die athenische geschichte
als die seiner "^Vertreter' in der "^Volkskomoedie^*') des Eupolis dar-
84) Leider weifs ich sehr viel weniger jetzt von den Demen als ich vor
20 Jahren wähnte, und ich kann ihr Verständnis wesentlich nur dadurch fördern,
dafs ich sclieinwissen zerstöre und Schwierigkeiten aufzeige, vier Staatsmänner
stiegen auf, das sagt Aristides. drei von ihnen, Milliades Aristeides Perikles, stehn
fest, weil wir noch worte von ihnen haben, als vierten pflegt man Solon
zu rechnen, aber das beruht nur auf einer conjectur Valckenaers im Arislides-
^choliasten für Felcava, was die drucke haben, in mehreren handschriften habe
ich dafür die Variante Kliava gelesen, kenne aber die recensio der schollen nicht,
obwol Eupolis den lebenden Kleon mindestens so stark wie Aristophanes angegriffen
hat, konnte sein urteil über den toten sich ganz wol ändern; der aufrichtige und
energische demokrat hätte gegen die ^wcofiöxai von 41G auch gute dienste leisten
können, andererseits würde ich Solon sehr gerne neben Peisistratos sehn , der
person war (staäyei IleiaCarQarov ßaailia schol. Ar. Ach. 61). und wenn
Solon den alten haudegen Phormion, den Eupolis in den Obersten verherrlicht hatte,
als einen mann seines Schlages gelobt hätte, so wäre die sonst rätselhafte angäbe
des Schriftstellers nsQi xcof/coSov/usvcov verständlich, der aus den Demen einen
(PoQ^dcov ftETcc 2öl(ova aq^ai notirt (schol. Ar. Fried. 348). wenn nun aber Pei-
sistratos als könig auftrat, ohne doch auf die oberweit geführt zu werden, so war
die scene im Hades, wo die könige durch das scepter kenntlich zu werden pflegen,
nun sprach Perikles mit Myronides : auch dieser war längst tot, denn er war 4S0/79
bereits gesandter gewesen (Plut. Aristid. 10). es ist wunderlich, dafs er trotz-
dem dem Perikles über seinen lebenden söhn künde bringt, aber die poetische er-
findung hat eine schrankenlose freiheit; an den grenzen des menschenlebens zerren
die verlegenen pbilologen hier so vergeblich wie bei Maecius Tarpa und Caesellius
in der horazischen Ars poetica. neben Aristeides steht Nikias. der braucht dann
also auch nicht mehr gelebt zu haben, und der einzige grund fällt hin, der die
Demen vor die sicilische expedition rückte, jedermann mufs doch geneigt sein, die
angriffe auf den 'gottveifluchten Buzygen Demosiratos' auf das verhängnisvolle pse-
phisma zu beziehen, das die Athener nach Sicilien schickte, und vor 413 hat wol
schwerlich jemand gemeint, dafs Athen übermenschlicher hilfe zu seiner rettung be-
dürfte, auch der junge Perikles, der 'längst ein mann sein sollte', hat diese krilik
füglich nicht um 418 verdient gehabt, da er sonst ein altersgenosse des Alkibiades
gewesen wäre, dafs die Demen so sehr viel mehr persönliche angriffe zeigen als
Vögel Lysistrate Thesmophoriazusen, kann den ansatz der eupolideischen komoedie
unmöglich bestimmen. — die zahlreichen bruchstücke, welche die demagogen angehn,
sind alle in iambischen trimetern gehalten, gehören also, wenn man sich an die
aristophanische compositionsweise hält, in den zweiten teil des Stückes, nur fgm. 19
Mein, zeigt anapaeslische tetrameter und scheint in denselben Zusammenhang zu ge-
hören, aber die worte brauchen nicht auf die exodos selbst zu gehn, da nooaayi-
IcouEv iTtt/.d-övrae (nicht aTieL) allein überliefert ist, in dieselbe scene pafst gut
das einzige weitere bruchstüek dieses mafses, der schöne spruch jur; naiSl ra xoivä
12*
180 I- 6- l^'C demagogen des fünften Jahrhunderts.
gestellt worden, so viel wenigstens wissen wir noch, dafs aus einer
gröfseren zahl von demagogen, über die scharfe persönhclie worte fielen,
(17). aber es ist einleuctitend, dafs die eigentliche fabel des Stückes mit diesen
scenen noch gar nicht erfafst ist. die Vorbereitungen eines opfers mag man noch
mit der ävoSos der seelen vereinigen liönnen (22): aber wer ist der, in den sich,
als er noch jung war, die frau eines anderen verliebt hat (16)? wer ist das weib
die 'ihr bischen geld zusammenkratzt' (42)? vor allen dingen, wer ist der chor?
wir haben uns gewöhnt, ihn, entsprechend dem der 'Städte' aus den demen bestehn
zu lassen. aber wie sollten diese anders vertreten werden als durch ihre
eponyme, Keramos und Kephalos, Hekale und Leukonoe? das geht kaum an. sicher
ist nur, dafs der chor die ganze y.Xeiii] jichs vertrat (11). aber damit ist nicht
viel geholfen; in jeder komoedie wird der chor allmählich der Vertreter des
dichters und der gesammtheit, so gut wie der tragische, so ist immer noch das
nächstliegende, dafs Jrjfwi cos ^AQxiloxoi, Kleoßovllvai die 'Volkskomoedie' be-
deutet, für die erniittelung der fabel sind vielleicht am wichtigsten die iambisciien
tetrameter 15, denn da redet ein alter Athener, der die gute zeit handelnd, die
schlechte gegenwart leidend erfahren hat, als Strafprediger: der wäre gut zur ver-
mittelung zwischen erde und hölle. aber leider hat nur Meineke dieses bruchstück
auf die unsichere analogie des versmafses zu 16 in dieses stück gestellt, so bleibt
mir rätsei über rätsei. im einzelnen kann ich ein par dinge erläutern, fgm. 37
werden Laispodias und Damasias die 'bäume' als gegenwärtig angeredet, sie sollen
'sarnmt ihren waden' hinter dem redner hergehn. waden haben sie nämlich nicht;
sie haben beine dünn und gerade 'wie bäume', wir sagen 'wie stelzen', und auf
der bühne können sie zwar sein, aber es ist nicht nötig: das 'folgen' kann ja meta-
phorisch gemeint sein, und der redner in das publicum weisen, wo die herren sitzen,
metaphorisch als 'wunderbaum' wird Kleonymos, der feige demagoge (CIA I 40, 34)
in den Vögeln 1470 beschrieben, — der mensch mit der 'hummerfarbe' 21 ist der
dicke mysterienherold Kleokritos 36. — 18 ist für die rhetorik wichtig, rov fiev
Bv xix'ko} ys navaofiai Xoyov, y^daco Ss aoi ro nqayiia 8ia twv xcoQicov. das ist
später T« xad"^ oXov und t« xara /uegos. %ooQiov kenne ich aus alter zeit freilich
nur aus Thukydides, der die pentekontaelie ein xmqiov der Attixt] ^vyyqafrj nennt
(I 96), aber Philostratos {vit. soj/h. I 16) gebraucht von den aphorismen des Kritias
To aavvSeTcos %(OQito nQoaßaXeiv. offenbar gehört xojqlov zu tottos, neQinaios;
dies letztere steht in rhetorischem sinne auch nur vereinzelt, bei Aristophanes
Frö. 953. — unter den demagogen der Demen fehlt Kimon. es gibt eine abweisende
Charakteristik von ihm in schönen versen des Eupolis (Plut. Kim. 15), die Meineke
in die Städte gerückt hat, weil Didymos angibt, dafs in diesen Kimon wegen
Elpinikes verhöhnt ward, das ist sehr scheinbar; aber die Demen erheben auch
einen anspruch. — endlich verwirft man ganz Valer. Max. VII 2 ext. 7, dafs
Perikles bei Aristophanes aus der unterweit emporgestiegen über Alkibiades gesagt
hätte, man sollte keinen löwen in der Stadt aufziehen, die Verwechselung der
Frösche und der Demen ist unverkennbar; aber es steht in den Fröschen 1432
als ein unäcliter vers fiäXiaza fiev Xiovra /irj V ttoAe« T^itfsiv, und die Interpolation
ist ganz unverständlich, sie hört es auf zu sein , wenn den vers der Perikles des
Eupolis sprach, so dafs er eine parallele wäre, die man beigeschrieben hätte, ich
I
Die politische litteratur Athens. 181
vier ausgesucht wurden, die zur reitung der Stadt aus der unterweit
emporstiegen, da erschien der 'künig' Peisistratos; aber Athen will
keinen könig^^); Miltiades dagegen ward um des einen tages von Marathon
willen (weiter hat er wirklicli nichts getan) emporgeholt, während Themi-
stokles wegen seiner unreinen hände keine gnade fand. Aristeides selbst
sprach ihm das urteiP«) und belehrte den Nikias darüber, wie er
durch ernstes streben die ör/Mioovvr] erworben hätte; iNikias also hat
es zu dieser tugend nicht gebracht.*') dann stieg auch der 'häupthng'
Perikles auf, und der harmlose alte spott über seinen zwiebelkopf ver-
schwand vor der glänzenden Verherrlichung seiner hinreifsenden und
nachhaltig wirkenden beredsamkeit; der biedere haudegen Myronides
würde es sehr schön finden, wenn Aristophanes die warnung aus dem munde des
Perikles in den seines Aischylos übertragen hätte, mit der eben so bedeutenden wie
zeitgemäfsen änderung ^v S exr^acp^ ne, rrj (pvoEi SovXevrtov.
85) Den namen ßaffdsvs kann Eupolis dem tyrannen nur mit einer solchen
Wendung gegeben haben; denn in dem namen liegt die Unvereinbarkeit mit der
athenischen demokratie besonders stark, an zvquwos für ßaadevs sind wir aus
der tragoedie gewöhnt, an das umgekehrte nur für Gelon und Hieron. denn im
vierten Jahrhundert ist die Unterscheidung der ächten von der ausgearteten form
der monarchie ziemlich durchgedrungen, aber ganz gleichgesetzt steht beides noch
in der altattischen schrift bei lamblichos protr. p. 103, 23, 27 Pist. (lamblich fügt
daher an der zweiten stelle ^ xiqawov hinter ßaaiXia ein).
86) Plut. Arist. 4. auf die Demen zurückgeführt Herrn. XIV 183. dort habe
ich die stelle der Aristidesscholien veröffentlicht, die am deutlichsten zeigt, dal's
der commentator noch selbst die Demen besafs und nachschlug; sie waren also in
der rhetorenschule des vierten oder fünften Jahrhunderts noch bequem zugänglich.
oTiiad'ev für das was in der lectüre überwunden ist, im buche also vorher steht, ist
Kydath. 156 erklärt.
87) Eupolis läfst den Miltiades mit Worten der euripideischen Medeia reden,
den Aristeides mit solchen des euripideischen Phoinix (810): parodie darin zu sehen,
ist torheit, vielmehr reden die heroen in dem stile der tragoedie. der Phoinix, aus
dem Aischines (1, 152) eine versreihe vor gericht citirt, mufs politisch-sophistische
lehren von bedeutung enthalten haben, natürlich in der gerichtsverhandlung über
den des incestes beschuldigten söhn, aus der auch das rhetorische fragment 811
ist, das die re^firjoia als mittel nicht sowol das wahre als das wahrscheinliche zu
finden, bezeichnet, die sophistische debatte drehte sich um (piais und aanrjais als
quellen der aQExrj, im gründe also um die hauptfrage ei StSaxtov a^sr^. die fiais
ist zwar die hauptsache, denn sie läfst sich nie ersetzen, aber was er mit ihr an-
fängt, ist jedes menschen eignem willen frei gestellt, diesen zug ergänzt Eupolis.
und an seinem umgang kann man den xaaös bereits erkennen, tpvvai. usf n^cörov
del, y.cd tovio juit^ ri] Ti'/jj anoSsSoTai, ru Se in' avrqj i]8rj rcp avd'ocü'jtco räSs
elvat, ETH&vfiTjTTjv ysvtad'ai icZv y.aXwv xai ayad'wv u. s. w. sagt der Sophist bei
lamblichos protr. 95, 16 Pist. (es ist die anm. 78 citirte wichtige stelle), das sind
die gedanken, welche dann die Sokratik vertieft, Isokrates verflacht.
182 1- ^- D'^ deniagogen des fünften Jahrhunderts.
stand ilim zur seile, trat aber vor ihm zuriicii. wer der vierte der auf-
erstandenen war, ist bisher noch niclit sicher ermittelt, so wenig wie
die eigentliche fabel der komoedie: dafs die Athener aber in ihr die
ganze geschichte ihrer demokratie verkörpert in den demagogen leibhaft
vor äugen halten, und die Schöpfungen des dichters, dem es wie wenigen
gegeben war, unvergefsliche schlagworte zu prägen, und der zwar im
freien reiche der phantasie dem fluge des Arislophanes nicht folgen
kann, aber den politischen und persönlichen kämpf ungleich kühner
und patriotischer führt als jener, auf alle die, welche die Demen ge-
sehen hatten, eine macht ausübten, auch wenn sie seinem urteil über
die personen nicht folgen mochten : das ist deutlich, so wirkt die ächte
poesie, und der dichter der Demen ro yJvtqov eyKaxileLTte roig
uY.QOioi.ievoiQ.^^) mich dünkt es frappant, dafs die schrift des Theramenes
ein oligarchisches widerspiel zu den Jr^^ioL des demokratischen dichters ist.
88) Wie die leute , die doch den Eupolis (von dem radikalen Hermippos zu
schweigen) einigermafsen kennen mufsten, auf die unaussprechliche torheit haben
verfallen können, die attische komoedie wäre immer antidemokratisch gewesen,
habe ich nie begriffen; weder Arislophanes noch seine gesellen sind so armselig,
alle und immer aus demselben tone zu pfeifen, die komoedie, die dem volke ge-
fallen will, wird einerseits notwendigerweise der Stimmung des volkes nicht zu-
widerlaufen, und die Athener waren aufrichtige demokraten, Perikles und Theramenes
so gut wie Kleon undKleophon; sie verslanden nur unter der ■jiäiQioi SrjfioxQaxia
etwas verschiedenes; dem entsprechen die politischen unterschiede des Arislophanes
und Eupolis. andererseits spottet die komoedie, sie mufs also mehr oder minder
oppositionell sein, d. h. die jeweilig herrschenden und allgemein interessirenden
personen anzapfen: das sind bis 411 die demokraten. — die nachwirkung der komoedie,
sowol ihrer kunst wie ihrer poetischen erfindungen wie auch ihrer Uiteile über die
personen, ist weit bedeutender, als man sie schätzt. Piaton hat nicht ohne Selbst-
erkenntnis dem Arislophanes ein schönes epigramm und eine hervorragende rolle
in dem werke gewidmet, das am meisten von aristophanischer ;t;«C*s an sich trägt,
die Apologie zeigt auch, wie einflufsreich selbst ein so verfehltes und durchgefallenes
stück wie die Wolken für das volksurteil über Sokrates geworden war. aber
Piatons übermenschliche kunst macht sich alles was er von andern lernt völlig zu
eigen. Xenophon steht unendlich tiefer: er hat eben darum nur kenntlichere be-
ziehungen zu der komoedie. denn es braucht doch wol nur ausgesprochen zu
werden, dafs sein Symposion die ganze scenerie von dem Autolykos und den
Schmeichlern (die auch für Piatons Prolagoras wichtig sind) entlehnt hat. freilich
wollte Xenophon, wolmeinend und ungeschickt wie er ist, das renommee der dort
so schmählich verhöhnten personen rehabililiren. Autolykos, der ein opfer der
Dreifsig geworden war, mag ihm selbst nahe gestanden haben, und dafs Lykon, der
spätere ankläger des Sokrates, diesem hier das zeugnis ausstellt, der beste tugend-
lehrer zu sein, mag dem Xenophon witzig vorgekommen sein, er hat ja sogar in
die Kyropaedie (III 1, 38—40) eine parlie eingelegt, die erst versländlich wird,
Die politische litteratur Athens. 183
Bald nachdem die restaurirte demokralie den Sokrales getötet hatte,
zogen seine schüler sie zur Verantwortung. Piaton schrieh den Gorgias:
da haben wir die vier grofsen deniagogen, Miltiades und Kimon von der
partei der vornehmen, Themistokles und Perikles von den demokraten;
Aristeides wird ihnen als der einzige ehrenmann entgegengestellt. Anti-
sthenes schrieb den Politikos, der ccTiävTiov y.axa6Q0f.iriv neQÜx^i rwv
^Ad^rjvriOi örjf.iayioyidv (Herodikos bei Athen. V 220), und Aischines
verflocht Milliades und Themistokles, Perikles und Khinon in seine dialoge.
deren verlust die geschichte und die poesie viel empfindlicher getroffen
hat als die philosophie. war schon die Stellung der Sokratiker zu der
demokralie und ihren führern nicht bei allen dieselbe, so konnte nicht aus-
bleiben, dafs die rhetorik auch Verteidiger auf den plan führte: die an-
klageschrift des Polykrates hat den Sokrates als lehrer von Kritias und
Alkibiades, wovon 399 nicht die rede gewesen war, wesentlich um des
Gorgias willen angegriffen ^°), und so tobt der kämpf, der eigenthch prin-
cipien gilt, um die personen weiter, in den Philippika hat Theopompos
die entwickelung der athenischen demokralie ganz ähnlich wie Aristo-
teles in dem berufenen excurse Ttsgl tiov ^^d^rjvr]Oi dr]i.iayiüycüv ge-
geben, und noch in der schule Epikurs Idomeneus die berechtigung,
sich von dem öflentlichen leben zurückzuziehen, in einer gleichnamigen
Schrift bewiesen, die reichlichen stofl' für gehässige Verkleinerung schon
vorfand, es ist das fünfte Jahrhundert, das sich allein einer solchen
diaSoyJ] TtQooraTwv fügt, eigentlich sogar nur bis zum Nikiasfrieden.
der späteren zeit fehlen die beherrschenden personen, fehlen auch die
Parteien; es ist ja auch der ostrakismos nicht mehr durchführbar, und
die ohgarchische partei oder vielmehr jede tendenz, die radikal demo-
wenn man für die orientalischen nanien Lykon Autolykos Sokrates einsetzt, wer
die personen, auch in den Meniorabilien, mit der komoedie vergleicht, wird sehr
oft bemerken, wo der Schriftsteller, der die moderne naivetät, in den dialogen reali-
täten zu suchen, nicht ahnen konnte, seine personalien über die Zeitgenossen des
Sokrates hergenommen hat. nur das urteil über die personen hat meist die erinnerung
oder famiiienverbindung des ritters aus Herchia bestimmt, auch bei Antisthenes
und Aischines kommen komoedienfiguren vor. Isokrates, der philisler, ist dagegen
für die komoedie taub.
89) Hirzel Rh. M. 42, 250. es ergibt sich hier eine vollkommen unanfechtbare
relative Chronologie, 1, Piatons Gorgias, 2, die rede des Polykrates, 3, Piatons Menon,
Lysias für Sokrates, Isokrates Buseiris, diese letzten drei unter einander zunächst
noch nicht datirbar. aber bekannte tatsachen fixiren mehrere einzelne und damit
alle zwischen 394 und 390: sie schieben den Gorgias also höher hinauf, wessen com-
binationen sich damit nicht vertragen, der mufs sie einfach fallen lassen.
1^84 I. 6. Die demagogen des fünften Jahrhunderts.
liiatische Verfassung zu mäl'sigen, ist nach 403 erstorben, das ist aller-
dings von bedeutung; aber wenn der athenische Staat von der zeit ab,
wo wir seine parteien und deren kämpfe genauer kennen, vom tode
des Perikles ab, sich weder dem Schematismus des Aristoteles und der
modernen, die nach römischem und englischem vorbilde zwei parteien
suchen, fügt'*"), vorher ein so überwiegend einllufsreicher mann da steht,
dafs parteien höchstens unter ihm vorhanden sein können, wenn wir
weiter sehen, dafs bis dicht an die Perserkriege nicht pohtische auf Schlag-
wörter eingeschworne parteien, sondern die grofsen famiUen und ihr
anhang einander gegenüberstehen, bis auf Ephialtes aber nicht eine
partei, sondern eine politische körperschaft den ausschlag gibt, deren
Sturz dann eine andere körperschaft zur herrschaft bringt, den rat der
500 statt des areopagitischen, so mufs der moderne beurteiler zu der
für die geschichtsbetrachtung allerdings entscheidenden einsieht kommen,
dafs die ganze diadoxr] 6r]!,iaya)ywv eine vollkommen ungeschicht-
liche erfindung ist, uns äufserst wertvoll, weil die Schätzung der personen
und die politische theorie sie noch im fünften Jahrhundert aufgebracht
hat, von dem niemand eine gerechte selbstbeurteilung fordern wird, aber
um so weniger für uns verbindlich, als die urteilsvollsten männer schon
damals zu tief geblickt haben, um sich dabei zu beruhigen, hoch
erhaben über dieser kleinlichkeit steht Thukydides: seinen horizont bildet
eben nicht die pnyx, sondern das Reich, und Piaton teilt freiUch die
Ungerechtigkeit der persönlichen urteile über die Staatsmänner als Jüng-
ling; aber schon damals hat er sie, die nur volksschmeichler sind, hinter
dem Volke selbst zurücktreten lassen, bald drang er zu der tiefsinnigen
auffassung durch, dafs die Verfassungen bedingt sind durch die ganze
geistige disposition der menschen, die sie sich machen, und demgemäfs
die Veränderungen in der Volksseele den wandel der Verfassungen bedingen :
der aQiazoxQariyidg Tii.iov.QaTi'/.bg Srjf.ioy.QaTr/.dg avrjQ schafft sich seine
gesellschafts- und Staatsordnung, wir reden anders als der Sokrates der*
letzten bücher des Staates, und unserer redeweise ist die der aristoteh-
schen Politik viel näher verwandt: aber wer sich in jene ächthellenischen
90) Der gegensatz zwischen Nikias und Kleon, wie ihn Thukydides in der
beratung über die pylische Strategie dramatisch schildert, täuscht, wenn er zu
einem gegensatze von zwei parteien erweitert wird: man braucht nur Demosthenes
zu nennen oder die Ritter zu lesen, damit man sehe, dafs weder hie conservativ,
dort liberal, noch hie feldherr, dort redner, das ganze volk aufteilt, ebensowenig
repraesentiren Nikias und Aikibiades vor der sicilischen expedition die beiden
Parteien: wo blieben sonst die Hermokopiden?
Die politische litteratur Athens. 185
gedauken und bilder hineingefunden hat, wird, zumal wenn er die kritiii
der geschriebenen Verfassung im Pohtikos und die skizze einer allgemeinen
culturgeschichte in den Gesetzen dazu nimmt, nicht im zweifei sein, wo
die tiefste Offenbarung über die ethisch-pohtischen probleme, nicht sowol
der athenischen als der menschengeschichte überhaupt, zu finden ist.
Aristoteles hat diese Offenbarung noch aus des meislers munde
vernommen, schon die erste seite seiner Politik setzt sich mit Plalons
Politikos auseinander, und wo er in der Politie über Perikles spricht, hat
er den Gorgias im gedächtnis. aber die Pohtik zeigt auch, wie er in
seiner eigenen speculation immer weiter von Piaton abgeführt worden
war. darauf hatte das leben mindestens eben so stark hingewirkt, das
ihn erst in ganz andere kreise, dann in das demosthenische Athen führte,
deshalb hat er auch das Athen des Sokrates nicht mehr mit den äugen
Piatons an gesehn, woher ihm die schrift des Theramenes zugekommen
ist, können wir nicht ahnen : die platonische schule hat sie ihm jeden-
falls nicht geliefert, vielleicht war er selbst überrascht, als er hier
ansichten vertreten fand, die seiner Vorliebe für die nolLreia nahe zu
stehen schienen, jedenfalls hat er sich etwas darauf zu gute getan, den
mann zu rehabilitiren, (.li] naQiQycog a7to(paiv6f.i€vog, wie er sich selbst
das Zeugnis gibt, wir werden ihn darum nicht loben, und werden weder
ihm noch dem Theramenes folgen, aber trotz alle dem bleiben diese
capilel das fesselndste stück des aristotelischen buches, und Theramenes,
wenn er es denn war, dankt dem Aristoteles was besser ist als eine
rehabilitation, dafs er selbst seine sache vor uns führen kann.
DIE VERFASSUNG.
Die Der geschichüiche teil des buches erhält seinen abschlufs durch die
elf VBr—
fassungen. aiifzäbliing der elf Verfassungen (41), an sich eine jener langweiligen
recapitulationen, an denen die akroamatischen Schriften so reich sind, und
man möchte auch mit Aristoteles über einzelne seiner ausätze rechten/)
aber es liegt eine scharfe schweigende kritik der demokratie in der
kühlen Sachlichkeit, mit der diese liste dem attischen glauben an die
continuität der theseisch-solonischen demokratie widerspricht, sehr viel
gerechter würde die kritik freilich sein, wenn Aristoteles dargelegt hätte,
wie unendlich viel seit 403 an der Verfassung im einzelnen herum-
experimentirt war; aber das war ihm bedenklich: hatten doch gerade
in den jüngsten zeiten durch Lykurgos die einschneidendsten änderungen
stattgefunden, und schwerlich war die Verfassung von 330 der von 390
so ähnhch wie die von 460 der von 478. aber hier beschränkt sich
Aristoteles darauf, die restaurirte demokratie als eine einheit zu be-
1) Darum, dafs eine revolution sie 4 monate unterbrach, ist es doch eine
demokratie von 461 — 404: er gibt ja auch keine unterschiede an. ferner sagt er
selbst, dafs der einflufs des Areopages 480—461 nur ein factischer war, so dafs
also rechtlich damals keine andere Verfassung bestand als 507—480, und von einer
fiETaßolrj keine rede sein konnte, sonst hätte er die beiden Verbannungen des
Peisistratos eben so gut als fieraßolai zählen können wie die revolutionen von
411 und 404. in Wahrheit hat er nur 4 Verfassungen skizzirt, die älteste, immerhin
nachtheseische, die des Drakon, des Solon und die der 400: mit andern werten, er hat
seit Kleisthenes dieselbe demokratie bestehn lassen bis auf seine zeit, dann besafs
diese demokratie aber eine keinesweges verächtliche lebenskraft: was die folgenden
Jahrhunderte auch bestätigt haben. — 41, 2 scheint die verdorbene und von dem
corrector nicht geheilte stelle in so weit heilbar dafs für nqäxri — exovaat nohrsiav
ra^iv gesetzt wird e'xovaä rt nolixEias rn^is, denn Pol. B 1272'' steht i'x^i rt
Ttohrsias rj rä^is a)X ol nolixtia iaiiv. aber was dazwischen steht, fiera ravra,
vielleicht fiera ravrr^v (obwol ich das N nicht sehe), bleibt völlig unverständlich,
da es abundirend, wie später mehrfach, doch nur zu Sevrt^a gesetzt werden konnte.
Die elf Verfassungen. 187
;?eicbnen, weil ihre Veränderungen sich auf die eine tendenz zurück
führen Hefsen, dafs das plenuni der volksversammhing und die durcli
ktion dem plenum gleichgesetzten geschwornengerichte die entscheidung
n allem, grofsem und kleinem, selbst immer mehr in die hand nahmen^):
lie loxccTTj dr]/.ioxQaTla erfüllte immer mehr ihre cpvOLg, in der spräche
1er Politik zu reden, an autorität verloren hatte dadurch namentlich
i]er rat, und mit unverholenem höhne erkennt Aristoteles an, dafs diese
'Körperschaft es nicht besser verdient hätte, weil sie sich in unredlicher
ivcise beeinflussen Uefs. die illustration dieses satzes wird später an
»ielen stellen gegeben, wo der früheren weiter gehenden competenzen
les rates ervvähnung geschieht. Aristoteles hat aber durch das Studium
ler geschichte etwas billiger urteilen gelernt, denn in seinen politischen
vortragen motivirte er diese übergriffe der Volksversammlung mit der
labsucht des volkes, das die diaeten des rates selbst begehre, sobald die
inanzen es gestatteten.^) hier gibt er zu, dafs es vielmehr der mangel-
2) Die stelle 41, 2 am ende ist nicht bequem stilisirt, aber wol heil aqp' ^s
;(d. h. xa&öSov) Siaysyevrjrai fisx^i tt/S 7'vv (d. h. TioXneiae), del TtQoaEmXafißä-
i'ovffa reo Tilrjd'ei Tt]v e^ovaiav.
3) Polit. J 12991^; 1300. Z 2, 1317 1^ 30, wo Aristoteles auf die erste stelle
rerweist, die in der ti^otsqu fiE&o8os stand, d. h. in einer ganz anderen gedanken-
eihe, wie sie es denn auch tut. aber die unerträgliche umstellerei rückt sie glück-
lich in dieselbe fid&oSos. der erste teil von cap. 2 des sechsten buches ist so direct
luf Athen gemünzt und zeigt so ganz die aristotelische Stimmung gegen die demo-
.liratie, dafs ich nicht umhin kann, die gedanken hier zu reproduciren. er geht aus
Aon dem, was die radicalen redner, Demosthenes z. b., als das demokratische ideal
Siinstellen, eXevd'soia und ^fjv cos ßovlsrai tiS {eXavd'tou KeoxvQa, xdt,^ oTtov d's'XeiS,
wufste darauf schon der patriotische komiker zu erwidern), dies ideal wird durch
(folgende principien gewährleistet 1) allgemeines actives und passives Wahlrecht
[Sr;uos S^ aväaaei diaSoy^alaif ev fiä^ei, sagt schon Theseus) 2) das los als wahl-
modus (vgl. des oligarchen noXiieia 'Ad', anf.) 3) verbot der iteration der ämter und
beschränkung ihrer dauer (vgl. JJo).. 62, 3: in andern demokrallen ward selbst die
jährige amtsdauer verkürzt) 4) entscheidung aller rechtsbändel durch das aus allen
bürgern ausgeloste geschwornengericht (die sfeats sls SmaaTr,Qiov i^ djtävrcov,
Solons grofse demokratische mafsregel) 5) regierung durch das plenum der Volks-
versammlung (was wir hier eben besprochen haben) 6) diaeten in gröfstmöglicher
ausdehnung (die in Athen erreicht ist. Ho?.. 62, 2) 7) abschaffung jeder bevorzugung,
die auf abstammung, vermögen oder bildung beruht (vgl. des oligarchen IIoX. Ad:
passim. in Athen ist der vorzug des adels durch Kleisthenes beseitigt, firi cpvko-
y.Qivelv 21, 2, der census durch die tatsächliche abschaffung der solonischen classen
47, 1, der vorzug der bildung, seitdem die TxooaTaaia lov Sr^fiov an die plebejer
gekommen ist 2S, 1) 8) entwürdigung der etwa noch bestehenden lebenslänglichen
ämter. das ist ein lediglich auf den Areopag zielender zusatz, der durch das streben
nach Verallgemeinerung nicht gewonnen hat. d^ alosrüiv x'/.T]o(oroi sind die Areo-
188 I- 7. Die Verfassung. ■
hafte besuch der Volksversammlungen war, der zu der erteilung von
diaeten zwang und sogar nicht eher nachliels, als bis die diaeten eine
halbe drachme betrugen, da diese auf den finanzen schwer lastende
ausgäbe gerade in der ärmsten zeit Athens, dem Jahrzehnt nach 403^),
pagiten auf dem umwege über die archontenwahl, und ihre lebenslängliciie Stellung
iiaben sie nicht el o.Qxaius ueraßo^s, sondern e| «ex^i^j ^ber ihren einflufs sollen
sie ex jusTaßoXrjs gehabt haben (3, 6. 41, 2. 25, 2). durch diese paraphrase wird
die alhetese der beiden letzten abschnitte, die einem atistracten unhislorischen blicke
scheinbar sein kann, erledigt sein, es sei aber gestattet, kurz anzugeben, was
gegen Bekker (zweite kleine ausgäbe) am texte zu ändern ist: von ihm gehe ich
aus, um die fehler der schlechten Überlieferung vorab los zu sein. 1317 1^ 1 steht
eine der in dem buche häufigen dittographien ; beide fassungen der Begründung
rovzo yocQ — eXsvd'eQias und tovtov ya.Q — Stjfiox^aTiav sind an sich gut, und es
verschlägt wenig, welche man vorzieht. 6 ort av Sö^ri toIs nXeioaiv, lovr' e'xsiv
(slvai codd.) xui re'Äos , y.al toJt' slvat, to Sinaiov. das zweite lovro steht nicht
anaphorisch, sondern es heifst 'und in diesem prinzipe liege die gleichheit'. 23 fj-ri
Sie Tvv avTOv o-Q'/^tiv firi§sfiiav [rj uXiyäyci&] t] oXiyas s^co icüv xarn TtöXsfiov.
das ist eine dittographie, nicht eine andere fassung, sondern Schreibfehler neben
der Verbesserung, wenn Aristoteles auch jene möglichkeit hätte bezeichnen wollen,
so würde es heifsen ftr^Se/niav t} oXlyas e^co r. x. n. rj öXiyäxtS it/v avTriv. aber
jene möglichkeit hat in Athen nicht existirt. 26 Sixcit,ei.v nävTae xal ix nävTcov
[xai] neQi nävxuiv ?} neQi rcöv nleiox cov . wer jenes xal einschob, verstand nicht,
dafs Aristoteles sagen will Sixä^ovat navTss sv fielet xXtiqcotoI ovres i^ anävTcav
Ad'rivaiwv nt.ql nuvreov imv TiQay/xä'icov. 28 rrjv exxXrjaiav y.vQiav elvat, Ttävtcov
i] tav fisyCoTOJv, (iq%r.v 8e jUT]Ssftiav /irjSevls rj ort oXiyiarcov [xvgiav], so nach
anderer Vorgang; fj rcöv fj.eyiarcov ist vor dem falschen xvqLav überliefert, d. h.
was ausgefallen war, war am rande notirt, und die zeile, in der es stand, schlofs
mit dem oberen xvQiav.
4) Das rquCßoXov besteht in den Ekklesiazusen, und die einführung des
Soldes durch Agyrrhios ist bezeugt, in den schollen zu ihnen 102. aber den immer
noch kümmerlichen besuch der Volksversammlung bezeugt jenes drama eben so wie
die durch diese diaeten erzeugte finanznot. an den Herakleides der Inschrift BGH
XII 164 hatten wir auch gedacht, auch A. Wilhelm hatte an sie erinnert; aber es
gelang uns weder die ergänzung noch die deutung, die Köhler (Herrn. 27, 68) ge-
liefert hat. (z. 16 wol zu schreiben es re t«s anovSas [röi yevofiavas xal £ts]
aXXo ort s7iayyi[Xsiav; die verschiedene Schreibung des hybriden s hat in der In-
schrift selbst belege), danach fällt die Inschrift (d. h. die bürgerrechtserteilung)
einige zeit vor 391; Herakleides wird im gefolge des Konon erschienen sein, der
dialog Ion, der den Herakleides als Strategen erwähnt, kann um dessentwillen vor
anfang der achtziger jähre nicht verfafst sein, mit der Jugend des Piaton könnte
man also seine plumpheit nicht entschuldigen, die Goethe mit ehilicher entschieden-
heit gekennzeichnet hat. aber ApoUodoros von Kyzikos, der mit Herakleides als
athenischer Stratege erwähnt wird, rückt den dialog sehr viel tiefer, denn wer ist
er anders, als der Athener ApoUodoros, der 340 in den diensten des persischen
Satrapen, in dessen provinz Kyzikos lag, Perinthos entsetzt hat und der ehre eines
Die elf Verfassungen, die epliebie. 189
eingeführt war, halte Aristoteles allerdings einsehen müssen, dafs sein
früheres urteil falsch war; aber nur weil er früher die zurückdrängung
des rates mit den diaeten des Volkes combinirt hatte, steht hier über
beides eine bemerkung. denn so verständlich diese Verbindung psycho-
logisch ist, so wenig ist sie objectiv berechtigt, da eben kein zusammen-
Ihang zwischen den beiden mafsnahmen ist, die hier neben einander
stehn. wer gern interpretirt, d. h. fremden gedanken folgt, wird sich
an der stelle ein exempel nehmen : unzählige male wird in den akro-
) amatischen Schriften athetirt und umgestellt, um der dürren logik genüge
t zu schaffen; wie aber reden wir denn auf dem katheder?
I Nun geht es an den wichtigsten teil des ganzen biiches, die geltende
i Staatsordnung, und da die TtolixeLa durch die rtoklTai gebildet wird,
I steht eine defmition dieses begriffes an der spitze, natürlich die juristische,
] die er im dritten buche der Politik hinter der begrifflichen zurückstellt
! (1275''). wenn sich daran die modalitäten schliefsen , wie die bürger-
qualität des einzelnen festgestellt wird, so mag das noch her zu gehören
I scheinen, aber die ausführliche Schilderung der ephebie fällt eigentlich
! aus der Staatsordnung heraus, sie sondert sich auch durch die bequeme
; und wortreiche behandlung von der knappheit des folgenden.
Die prüfung der jungen bürger ist den alten geschlechtern und bruder- Die ephebie.
' schaffen ganz entzogen: die cpQÜxeQeg spielen schlechthin keine rolle mehr,
I wenn sich die parteien auch vor gericht auf ihr urteil noch berufen mögen.*)
I über den söhn eines Keryx haben nicht die über viele gemeinden verstreuten
Keryken, sondern die gemeinde seines vaters die entscheidung. offenbar
war die alte Organisation so verfallen, dafs die Zugehörigkeit zu einer
phratrie, ob sie gleich noch länger in den bürgerrechtsverleihungen berück-
sichtigt ward, gänzlich indifferent war. die grofse menge wird davon
grabes im Kerameikos gewürdigt ist (Pausan. I 29 10)? damit ist denn auch historisch
bewiesen, dafs der dialog unächt ist und alle seine anspielungen auf menschen
und gedichte einer ziemlich ungeschickten gelehrsamkeit verdankt, er knüpft ja auch
klärlich an Xenophons Symposion an.
5) Das geschieht noch in den reden wider Eubulides, Makartatos, Leochares,
aber es sind immer nur argumente, keine wirklichen beweise, und wenn es so zu-
gieng, wie in der letzten rede (41) berichtet wird, dafs ein phrater die eintragung
eines erwachsenen menschen zu beliebiger zeit vornehmen konnte, so tat das gericht
auch gut, diese listen gar nicht zu berücksichtigen, für das nähere vgl. die bei-
lage 'die phratrie der Demotioniden'. die alte Ordnung hatte das geschlechterfest, die
Apaturien, für die eintragung der kinder bestimmt: die prüfung und einstellung der
epheben ist einen monat vorher, mitte Boedromion , fertig, wie die lobdecrete für
die entlassenen und ihre lehrer beweisen.
190 I- "• Die Verfassung.
nichts mehr gewufst haben, wie die tnrba minula in Rom ihre curie nicht
kannte, aber auch die demenregister sind nicht mehr rechtsverbindhche
Urkunden: das treiben von gemeinden wie Hahmus hat es dahin gebracht,
dai's die diaipr^cpioig, die 346 noch eine ausnahmemalsregel war, jetzt
eine dauernde institulion ist. um die kinder kümmert sich selbst die
gemeinde nicht eher als bis der jüngling 18 jähre ist, und dafs er das
ist, wird nicht bewiesen mit einer gehurtsurkunde, sondern kraft eines
majoritätsbeschlusses der gemeinde festgestellt; wer ihnen nicht nach
18 jähren aussieht, mag übers jähr wiederkommen, vielleicht erfährt er
dann, wann er geboren ist. aber selbst darin traut man der gemeinde
nicht; der rat hat die superrevision , und wenn die gemeinde sich
nach seiner meinung über das alter getäuscht hat, zahlt sie strafe. °J
die frage nach der ächtbürtigkeit entscheidet positiv die gemeinde, nach
ihrem negativen verurteil ein gericht. doch verhert der an dieses
appellirende die freiheit, ganz ebenso wie in jedem andern processe
Beviag. so instruiren denn auch in allen diesen fällen die thesmotheten
den procefs. überlegt man sich diese bestimmungen, so sieht man, dafs
die Athener jener zeit zwar ein officielles lebensalter hatten, aber ihr
faclisches geburtsjahr keinesweges fest stand; vielleicht beherzigt das die
litteraturgeschichte. geburtstage können nur gelegenthch wie bei Epikur
und in seinem kreise geschichtlich sein ; Sokrates und Piaton haben
mythische, die frauen kommen für den Staat nicht in betracht. über
die ächtbürtigkeit seiner braut mag sich jeder selbst informiren, wichtig
wird sie erst, wenn der älteste söhn soldat werden soll, oder wenn der
mann ein amt bekleiden will, das eine vollgültige ehe fordert, es ist
eine herzlich unvollkommene Ordnung, gar nicht zu vergleichen mit der
des geschlechterstaates. aber davor war man allerdings sicher, dafs eine
aligemeine prüfung der bürgerlisten erforderlich würde: die 42 tafeln vor
dem rathause enthielten die namen der gesammten bürgerschaft zwischen 18
und 60 jähren.") aber vielleicht standen 325 noch keine 42 da: denn diese
6) Der scholiast 7u den Wespen 598 hat sich geirrt, wenn er die Soxiuaaia
TiaiSiov, an der sich die richter delecliren, mit der Aristotelesstelle erklären will,
denn nun sollte doch jeder sehen, dafs die richterliche prüfung sich nicht auf das lebens-
alter, sondern auf die ächtbürtigkeit bezog: die aiSola der knaben bekam nur der rat
zu sehn, also bleibt es dabei (Kydath. 26), dafs Aristophanes die Soxi/iaaia oqfpavLov
meint, die gleichzeitig der oligarch in seiner Hol. Ad". 3, 5 den richtern zurechnet,
und da unmöglich alle waisen vor gericht gestellt werden konnten, so wird man auch
nicht darum herum kommen, diejenigen zu verstehn, die der staat nährte und equipirte.
7) Die krüppel mögen da nicht gestanden haben; dann hatte sie aber der
rat in seinen listen.
i
Die ephebie. 191
neue Ordnung ist notwendig später als die letzte nachweisliche diaifJt]g)ioig,
346- das doTH/ndKead^ai elg avögag, das lyygacpead^at eig tb ?^rj^i-
aQxiy-bv yga/LiiiiaTelov hat freilich immer schon am eintritte in das 18
jähr stattgefunden , und zwar auch am anfange des bürgerlichen Jahres
im demos, und die scpsoig elg SixaoTrjQiov hat dem ausgeschlossenen
natürlich freigestanden, aher von einer heteiligung des rates verlautet
nichts, und Euxitheos konnte dem Eubulides nicht durch die stele vor
dem rathause den nachwcis erbringen, dafs er ein Halimusier wäre; die
Zerstörung der gemeindeacten von Hahmus hatte ihm den nachweis
seiner dokimasie unmöglich gemacht, vor allem aher, die jungen leute
wurden mit der dokimasie männer, sie verwalteten ihr vermögen und
führten processe; um nur einen zu nennen: so hat es Demosthenes
gehalten.^) die ephehenordnung, die Aristoteles schildert, verwehrt ihnen
zwei jähre lang jedes processiren, und nur darin, dafs sie für den anfall
eines erbes oder einer erbtochter oder eines priestertums mit 18 jähren
mündig sind, zeigt sich die nachwirkung des älteren rechtes.
Diese ephehenordnung ist ein wunderbares ding, ein vom volke
gewählter "ordnungswart^ an der spitze, 10 "^zuchtmeister^ unter ihm,
gewählt auch vom volke, je einer aus 3 von den Vätern aus einer phyle
durch wähl bestimmten candidaten in dem alter, das für die choregen der
'jnabenchöre erfordert war, zwei turnlehrer, je ein lehrer für die ver-
schiedenen Waffen^), erziehung in casernen, auf Staatskosten, streng von
der corruption des lebens entfernt, am anfang und ende des recruten-
jahres eine feierliche ceremonie, dann ein jähr garnisonwachtdienst und
patrouillendienst: das ist eine Institution, die grell von der iXetd^egia,
der TcaQQ)]Oiaj dem ^fjv wg av Tig ßorh^xai absticht, auf die die dema-
gogen Athens damals so stolz sind, wer über diese Institution nicht
zuerst den köpf schüttelt, dem ist das athenische leben und denken
vollkommen fremd geblieben, mag er auch dicke bücher darüber ge-
schrieben haben, noch vor wenigen jähren würde man auf den ersten
bhck sich berechtigt gehallen haben, das capitel oder das buch zu athe-
tiren , weil es eine jüngere Institution schilderte, wer sie kennt, mufs
wissen, dafs Piaton und Isokrates davon nichts gewufst haben, dafs der
8) Es genügt auf Schäfers Sammlungen Demosth. IIP zu verweisen.
9) Die jungen leute lernen mit den wafFen der schweren und der leichten
Infanterie umgehn (der schweren lanze, dem Wurfspeer des peltasten und dem
bogen) und den dienst an den geschützen. sie lernen aber nicht reiten und nichts
für den seedienst, das zeigt allein, wie sehr sich nicht nur seit dem fünften Jahr-
hundert, sondern auch seit Xenophon die Verhältnisse geändert haben.
192 !• '• ßie Verfassung.
Staat die erziehung in der hand hielt und studienräte erwählte, es lassen sich
schlecht für eine negative behauptung stellen anführen , aber man lese
den Areopagiticiis, der die sorge für die evy.ooi.iia an der alten zeit und
dem Areopage preist: konnten damals in Athen sophronisten sein? man
lese das siebente buch oder besser alle der platonischen Gesetze, die
immerfort die Jugenderziehung im äuge haben und die genauesten Vor-
schriften geben: hat Piaton auch nur eine ahnung davon, dafs in Athen
gar in besonders feierlicher weise, noch sorgsamer als die feldherrn,
beamte gewählt würden , die xocr^uorryg und ococpQOGvviq der Jugend
pflegen? ganz zu schweigen von der zeit, deren abbild in den sokra-
tischen dialogeu'") und der älteren komoedie lebt, die doch allerorten
diese Verhältnisse berühren müfsten : nur der Axiochos tut es, ein Schrift-
stück schwerlich noch des dritten Jahrhunderts, man überlege sich die
jugeudgeschichte aller bekannten personen: erst für Epikuros und
Menandros macht ihre ephebie oder besser synephebie epoche, und
ovvefprßoL wird in der neuen komoedie ein beliebter titel. aber noch
mehr: man lese Aischines gegen Timarchos, wie kratzt er aus allen
ecken der gesetze die belege für zucht und ehrbarkeit der Jugend zu-
sammen, hätte er wol A\e, •a(joq)QOVLOzaL vergessen? und wie replicirt
Demosthenes (19, 285), als er um den hosen stein des anstofses herum-
laviren will, den der process des Timarchos für ihn bildete " niclit
eure Jugend hat Aischines tugendhaft machen wollen {oiocpqovag). das
sind sie noch, gott sei dank, und möge es dem vaterlande nie so
schlecht gehn, dafs sie Aischines und seine sippe zu tugendpredigein
{oiocpQovLOTai) brauchte.^' als witz braucht er AsiS v^ovi ococpQovLOzui.
durch die moraltriefende rede ist Aischines einer geworden: damals gal)
es kein durch eine doppelwahl besetztes öflentliches amt des tilels, und
gab es überhaupt die sache nicht in Athen, und noch mehr: Aristoteles
zählt am Schlüsse des siebenten buches der Politik die ämter für er-
ziehung auf, naiöovöfxoL, yvfxvaolagxoi u. a,, die in einigen Städten,
die es sich erlauben konnten, exislirten; da ist keine spur von der
attischen ephebie und ihren organen. es gehört das buch wol zu den
ältesten teilen der Politik, aber es ist doch immer nach 338 geschrieben.
10) Z. b. Xenoph. Mem. 3, 5, dessen rat darauf hinausläuft, den Athenern die
besetzung der passe nach Boeotien, d. h. die von Oinoe Panakton Phyle durch leiclile
Infanterie zu empfehlen und die ausbildung der jungen mannschaft für diesen zweck,
das kann, wie E. Schwartz mit recht gesagt hat, erst einige zeit nach Leuklra
geschrieben sein, damals hat selbst der dienst der nsQinoXoi, den er in den JTöqoi
und die eleusinische Inschrift von 353 kennt, nicht bestanden, geschweige irgend
eine militärische ausbildung der Jugend.
Die ephebie. 193
Man kaon es Schoemann nicht verdenken, wenn er die sophronisten
der zeit des freien Athens absprach; wir können jetzt sagen, dafs die
grammatikerzeugnisse über sie einfach auf unsere Pohlie zurückgehn,
und aufser dieser existirt in der lilteratur vor Demetrios eine einzige
stelle, die auf die ephebie in dieser gestalt bezug nimmt: in einer
rede des harpalischen processes.") da ist es denn ein glück, dafs die
Inschriften jüngst zu hilfe gekommen sind, denn während Köhler 1879
immer noch keine belege aus der zeit der 10 phylen hatte'-), kennen
wir jetzt ein weihgeschenk, das die epheben der Kekropis (zweiter Jahr-
gang) unter Ktesikles (334/3) auf der bürg bei ihrem phylenheros auf-
gestellt hatten, und das die belobigungen für sie und ihren sophronisten
enthält, die ihnen vom rate, der phyle, der gemeinde Eleusis, wo sie
in garnison gelegen hatten'^), und der heimatgemeinde des sophronisten
zuerkannt waren, ihre kameraden von der Hippothontis hatten den
eleusinischen göttinnen ein entsprechendes denkmal geweiht'"*), ebenfalls
vom rate und sogar, wie es scheint, vom volke bekränzt, und auf diesem
steht ein lobdecret der Eleusinier, ausführlicher, weil ihre eigenen
jungen darunter waren. '^) damit sind wir mit der unteren grenze für
11) Deinarchos 3, 15. das volk hat in der epicheirotonie dem Strategen Philokles
die djtijus^Bia tcÜv syrjßeov abgenommen, er war arQazTjyds inl 3Iovvixcccv , wo
die eine hälfte der epheben des ersten Jahres lag. da noch ein zweiter Stratege im
Peiraieus war, hat also das volk wol diesem die fürsorge für alle übertragen, dafs
mit dem obersten polizeibeamlen die jungen leute confllcte bekamen, ihre väter in
der ekklesia lärm schlugen und der beamte gemafsregelt ward, ist leicht begreiflich:
ich könnte pikante analogieen aus der gegenwart anführen, dafs Philokles kosmet
gewesen wäre oder ein ar^aTrjybs eni lovs itpi^ßovs bestanden hätte, sind offenbare
irrtümer. — wie es nicht gar zu viel später die epheben im Peiraieus trieben,
lehrt der Eunuchus des Terenz-Menander: Chaerea und Antipho sind offenbar dort
stationirt; Chaerea darf eigentlich gar nicht in die Stadt (987).
12) Mitteil. IV 317, die wichtigste behandlung des gegenständes; Foucart hat
ihn kaum gefördert.
13) Bull. Corr. Hell. XIII 260 = z/^t. 89, 10.
14) Das zeigt der fundort; die weihinschrift kann ich nicht befriedigend
ergänzen, ^E(f. aQx- 90, 91. es ist bemerkenswert, dafs die dedication der Hippo-
thontis nicht an Hippothon erfolgt: das phylenheiligtum war nicht in dem orte,
vgl. II cap. 6.
15) Diese dinge gieng auch ein beschlufs des demos Peiraieus (?) an, von dem
hoffentlich noch mehr lesbar ist, als im JeXriov 1S89, 47 mitgeteilt wird, man
erkennt 2 aa)q>Qo[viar- 5 — fJiov Tsyvet oiS[s firixuvei oiSsfiiäi 6 orav] Se o eviavroe
e^läXd'T] 7 nQoyQÜipeiv tts 8 cot eviavröJi, aqyovzai 9 S7tiju£li]d'7ivat idv i{(prjßa)v'!
10 azEfävcoi Kai Sörco eis a[vaYQa(pfiv 11 ovzos eTiiftskrjd'rjVal 12 are]yavcoaäTCO
avrov 6 Srjfi{os 13 ara tcov auxfQOviaxcov 14 v ö[<7T^aT]i?yoS o E\nl,
V. Wilamowitz, Aristoteles I. 13
194 I. 7. Die Verfassung.
die einführung dieser ephebie bis auf 335 gekommen , für das gesetz
auf das verjähr, das ist so nahe an der oberen grenze, dafs ich nicht
anstehe, diese auf lange zeit ohne analogie dastehende ehrung der aus-
gedienten epheben der freude über den ersten glückhchen abschlufs
eines curses zuzuschreiben und die wichtige tatsache zu erschhefsen,
dafs die zeit der grofsen reformen im jähre von Pliihppos tode den ver-
such einer reform der Jugend, der verstaathchung des mihtärisch-sitt-
Hchen erziehungswesens, gemacht hat. die Säuberung und Sicherung
der bürgerschaft sollte bei wege mit erreicht werden, auch der antrag-
steller scheint noch kenntlich. Harpokration hat unter ^ETtL^QccTrjg nach
dem demagogen, gegen den Lysias geschrieben hat, eregog ov f.ivr]f.iov€V€i
^vxovgyog kv tm neql öioixrjoswg ksywv log la'kv.ovg lorä^rj dia
Tov v6/.wv Tov Ttegl tiov Icprjßiov, öv cpaat xexT^d^ai ralavTcov
l^ay.oGiiov ovoiav. wie Avürde sich der alte Isokrates gefreut haben,
wie merkwürdig mufste es aber auch dem Aristoteles sein: denn un-
möglich kann man verkennen , dafs es die forderungen der Sokratiker
waren, die jetzt die demagogen in ihrer weise zu erfüllen suchten.
Piatons Gesetze haben die ephebie erzeugt, das demokratische Athen
hat sie freilich nicht mehr retten können ; sie bat in wenig jähren den
obligatorischen Charakter verloren, auch ein dienstjahr eingebüfst, ist
im dritten Jahrhundert immer mehr verfallen : aber im zweiten neu-
belebt hat sie wesentUch das gedeihen Athens begründet, nicht blofs
das materielle, sondern auch seine geistige Stellung bis auf die tage
lustinians. es ist hübsch, dafs doch die leute des Lykurgischen kreises
mit band angelegt haben, den alten freistaat der Athener umzuformen
in die univer!>itätsstadt und die Stadt der freien Wissenschaft, aber die
geschichtliche bedeutung der neuerung zu beleuchten wird sich noch
eine andere gelegenheit bieten: hier ist das wichtige, dafs Aristoteles
eine vor seinen äugen neu eingeführte Institution schildert, natürlich
auf grund eigener beobacbtung. auch ist nirgend formelhafte urkunden-
sprache; das capitel klingt viel frischer und lebhafter als alles folgende.
Die darstellung der Verfassung reicht in gleichem tone von 43 — 61.
das 62 capitel bringt dann einige wichtige allgemeine punkte nach,
erstens über die art, wie die losung der beamten statt fand, zweitens
üesoi- über die besoldungen, die der Staat an einzelne beamte zahlt, drittens
das verbot der Iteration aller civilämter mit ausnähme des rates, in dem
man auch nur zweimal sitzen darf, es sind das alles fundamentalsätze
für die demokratie, wie schon die vergleichung des oben citirten capitels
der Politik zeigt, sie correspondiren auch mit der bemerkung am
düngen.
l
Besoldungen. 195
Schlüsse des historischen teiles, dafs das demokratische prinzip stätig
gewachsen wäre, wofür die hesoldung der eiiklesie ein beleg war. ohne
dal's direct darauf zurückgedeutet würde, lernen wir hier die Steigerung
von V2 drachme zu Agyrrhios zeit auf eine ganze, und für die Y.vQia
h-Alr^oLa gar 172. die beteiligung war also immer noch nicht stark
genug gewesen, und es ist sehr begreiflich, dafs man einen starken
besuch wenigstens für die Sitzungen herbeizuführen strebte, in denen
sonst eine geschickte agitation die abselzung eines beamten oder die
annähme einer tollen eisangehe mit leichtigkeit durchsetzen konnte,
wenn nur eine genügende herde Stimmvieh aufgetrieben war. aber die
Sätze sind allerdings überraschend hoch, und leider fragt man vergebhch,
seit wann sie galten.'*') das herabdrücken des rates spricht sich auch
in seinem gegen die ältere zeit um einen obol verringerten sohle aus,
und kläglich erscheint uns, dafs der konig von Athen statt der alten
yiqa auf 4 obolen gesetzt ist. die naturalverpflegung ist durchgehends
beseitigt; für die apparitores der archonten hat man sie nur bestehn
lassen, weil sie da den beamten oblag, sie bestand dagegen für die
ehrenstellen der OiTOVj.uvoL ev TtQvravsUo, sowol die dauernden wie
die gelegenthch geladenen gaste des Volkes, und es ist ein unwider-
sprechliches zeichen für die flüchtigkeit , mit der Aristoteles hier zu-
sammenstellt was ihm gerade einfällt, dafs er von dieser kategorie nur
die athlotheten nennt, die doch nur alle vier jähre 3V2 wochen gespeist
wurden, sie waren ihm von der kurz vorher gehenden Schilderung ihrer
amtsbefugnisse im gedächtnis"), und ein gleiches gilt von dem salami-
nischen archon (vorher erwähnt 54, 8), dessen erwähnung die andern
provinzialbeamten nach sich zog, ohne dafs doch auch nur deren titel
genau angegeben würden, obwol 61, 6 nur der T/c/taQxog sie ^rji-ivov
erwähnt war.'^) somit ist leider dieser paragraph weder für die be-
16) Für unerlaubt halle ich es, an dem texte zu ändern, weil die sache uns
neu ist, am wenigsten berechligung hätte ein höherer sold für die nooeSooi, die
aus den ratsherrn (den erschienenen natürlich) ausgelost werden und nicht länger
zu tun haben als jeder teilnehmer der sitzung.
17) Es scheint, dals er den satz über die athlotheten wirklich ganz unorganisch
eingeschoben hat, so dafs nun die construction zerrissen ist, die eigentlich so be-
rechnet war Xajxßavovßiv &' a^/oprss — ensir^ a.Q%wv eis ^aXnfüva — afiyixrvoves
eis JfjXov — Xafißävovai Si xai oaai anoatiXkovrai, — . indem der satz o&Xod'ixai
Ssinvovai zwischen den archon und die amphiktionen trat, verloren letztere ihr verbum
finitum und wurden die ersichtlich eine gruppe bildenden provinzialbeamten zer-
sprengt, ich möchte also Blafs darin folgen und nicht mehr den stilistischen fehler
durch conjectur beseitigen: denn der fehler der anordnung bleibt ja.
18) Nicht einmal die zahl der amphiktionen nennt er, und was bei ihnen steht,
13*
196 I- '• I*i^ Verfassung.
rechnung des budgels'^) uoch für eine Schätzung der amtseinkünfle der
allischen beamten'") zu gründe zu legen, wie grell er mil den 20 000
fehlt bei den behörden der kleruchengemeiriden, nämlich dafs die provinzialen den sold
zahlten, und doch mufs man das annehmen, denn in Lemnos zahlen die kleruchen
selbst den sold der reiter (Hypereides für Lykophr. 14). cavallerie braucht man auf der
insel nicht, vielmehr waren für die sländige garnison der insel leute aus der reiterei
ausgehoben, weil diese eine ständige truppe war; hoplilen dx xuTuXöyov mag das
vierte Jahrhundert nicht alljährlich mobil machen, dafs man auf Lemnos (und ähn-
lich auf Imbros) eine so starke besatzung brauchte, dafs ein oberst hingieng, zeugt
wol für eine bedeutende Untertanenbevölkerung. CIA II 14 ist durch die Zerstörung
leider bisher allzuwenig verständlich, die reiter von Salamis CIA II 962 können
nach Foucarts bemerkung BGH XllI 268 trotz den demotika keine attischen bürger
sein, weil Salamis damals nicht attisch war. da haben wir wieder die Schwierig-
keit, die ich Herni. 22, 245 hervorgehoben habe, und deren lösung noch nicht aufsei
zweifei steht.
19) Es fehlen alle ausgaben für den cultus, zu dem die spiele gehören, und der
ganze militärische sold, der doch z. b. für die paraden (Isokr. 7, 82) und die staats-
pferde ständig war. allerdings mufs zugegeben werden, dafs Aristoteles darüber vielleicht
in den capiteln über den Ta/jias ar^ancorixcöv und die eni to &ea>Qixcv gehandelt hatte.
20) Es ist ein empfindlicher mangel, dafs wir die factischen ertrage der ämter
nicht kennen, ja nicht einmal wissen, in wie weit das gesetz feste besoldung oder
bestimmte sportein vorsah, oder in wie weit die ertrage 'usancemäfsig' waren, wo
denn allerorten weder die pecuniäre noch die moralische scala eine feste ist. neben
den wenigen fest besoldeten einzelposten und den ratsherrn und richtern, aus denen
nicht wenige beamtencollegien genommen und entsprechend besoldet werden, stehn
z. b. die Schiedsmänner, die auf die sportein der processirenden parteien angewiesen
sind (Harp. naQÜaraais , Poll. 8, 127). unzweifelhaft einträglich und zwar auf ge-
setzliche ertrage angewiesen müssen die executivbeamten der polizei gewesen sein,
obwol wir das nähere gar nicht wissen, denn Aristoteles {Z 1322 ä) sagt ganz im
allgemeinen, dafs sich bewerber für diese notwendigen posten nur durch starken
gewinn beschaffen liefsen, und er lobt es besonders, dafs in Athen die elf nur die
leibesstrafen vollstrecken, nicht auch die geldstrafen einziehn, weil so die gehässig-
keit verteilt würde, die von uns gewöhnlich unter die beamten gezählten nqm-
Toqss, deren geschält das einziehen der geldstrafen war, kommen in der Politie nicht vor ;
sie gehören also ganz sicher zu den subalternen, herolden, flötenspielern, unterschreibern
u. s. w., die natürlich bezahlt werden, und zwar aus den bureaufonds der einzelnen
beamten oder direct von denen; und bei subalternen erkennt auch die gegenwart
das trinkgeld als eine mehr oder minder berechtigte Institution an. das gilt vollends
für die grofse schar unfreier diener {vnr/qerai), die namentlicii allen polizeibeamten
zur Verfügung standen: der rührende kerkermeister des Sokrales ist ein exempel,
und die Unterhaltungen im Kriton und Phaidon belehren am besten über die rechts-
anschauung der Athener in diesem punkte, aber das XQW"^'"' Tt^id^Eiv gieng sehr
viel weiter, und die anschauung, dafs das amt den mann nährt, mufs als die
herrschende anerkannt werden: xaQnoia&ai ttjv oq/criv ist eine hübsche wendung;
es wird einem nur etwas unbehaglich, wenn das von cassenbeamten gilt, d-eganeieiv
Besoldungen, iteration der ämter. 197
kostgängern des reiches contrastirte, die in der geschichtlichen übersieht
zusammengezählt sind, ist dem Schriftsteller nicht zum bewufstsein ge-
kommen.
Die abhandlung über die beamten schhefst mit dem grundsatze, dal's Iteration der
die iteration nur für die ratsherrn , für alle andern civilbeamten nicht
einmal sie gestattet war. Aristoteles hatte dies prinzip schon früher als
charakteristisch für die demokratie erfafst (anm. 3), darum stellt er es
an diesen bedeutsamen platz, aus seiner kenntnis, nicht aus einem gesetze.
denn schwerhch formuhrten die gesetze diese allgemeinen grundsatze, deren
es noch andere gab, die hier füglich auch stehn sollten, das verbot der
cumulirung^') und die forderung des zurückgelegten dreifsigsten lebens-
jahres.") diese bestimmungen müssen allerdings in den Verordnungen
über jedes einzelne amt gestanden baben'^), aber dafs die redner sie
Tov a(>;i;oj^Ta ist auch hübsch; zumal von den demagogen gilt es (schon in der zeit
des Reiches Thuk. 3, 11): eine proxenie hat auch das mit dem orden gemein, dafs
sie zu Zeiten geld in eine hohle band verlangt, die reden vom kränze enthüllen
da, unbeschadet der unglaubwürdigkeit in jedem einzelnen falle, eine höchst eigen-
tümliche orientalische moral. höchst naiv redet auch prooemium 55 der demosthe-
nisclien Sammlung, vgl. die beilage darüber, natürlich gab es seltsame käuze, wie
Ephialtes Lamachos Phokion, die andere begriffe hatten; aber dann ist die be-
wunderung mistrauisch: wenn Timotheos statt sein väterliches erbe zuzusetzen, mit
vollen beuteln heimgekehrt wäre, hätten die heliasten eher ein einsehen gehabt, und
Aristophanes hat für die schulden des wackern Lamachos nur spott übrig, den
oligarchen war der sold ein willkommener gegenständ des angriffs auf die demo-
kratie, und sie haben ihn 411 abgeschafft, das hiefs das kind mit dem bade aus-
schütten, und es ist eine schnöde bosheit, wenn der ältere Verfasser der UoliTeia
läd'Tjvaiiov gar sagt, die ämter wären blofs um der emolumente willen da (man
soll ihm die bosheit nicht wegschneiden 1, 3 onSaat S^ eiaiv aQ^al fiiad'ocpoQias
'dvetca xal wfeUas eis rov olxov): in Wahrheit ist ihre ganze sittliche entrüstung
unangebracht; sie wollen nur die staatlichen ämter den wolhabenden reserviren,
die dabei mit nichten zuzusetzen beabsichtigten.
21) Einen fall der cumulirung mufs die Verfassung gestattet haben, nämlich
eines jahramtes und des sitzes im rate auf dem Areshügel, sonst hätte die be-
kleidung jeder archontenstelle der politischen carriere ein ende gemacht. Themi-
stokles und Aristeides wenigstens sind als Areopagiten noch zum feldherrnamt ge-
kommen und haben viele aufserordentliche commissionen bekleidet.
22) So weit diese gegolten hat, was vieüeicht nur von den aus richtern ge-
wählten oder richtern Vorsitzenden beamten der fall war. für diese ist sie eine
zwingende folgerung.
23) So erwähnt Aristoteles die analogen bestimmungen für den Vorsitzenden
der prytanen (44, 1) und die proedren mit ihren versitzenden (44, 3). das verbot
der iteration wird bezeugt von den vTtoyoafifiariqs (sehr seltsam, da das ein stand
ist: ich kann die erforderliche distinction nicht finden) Lys. 30, 29, von den avvri-
198 '• "• Die Verfassung.
immer nur von einzelnen erwähnen, zeigt, dafs die aristotelische ab-
straclion schon mehr war, als das allgemeine bewufstsein selbst der
gesetzeskundigen enthielt.
Auch den ersten paragraphen dieses capitels sehe ich als eine selb-
ständige bemerkung des Aristoteles an. er unterscheidet darin zwei
classen von losbeamlen, die mit den archonten, er sagt nicht wo, er-
losten, die aus der ganzen phyle, d. h. wenigstens die archonten auf
praesentation der phylen''^), erlosten, und die im Theseion auf praesen-
tation der demen erlosten, für uns ist die Unterscheidung dieser classen
ungemein wichtig, er aber wollte nur die neuerung hervorheben, dafs
die letztere classe jetzt auf die ratsherrn und die Wächter beschränkt
wäre, weil die demen sich bestechen liefsen. das ist ihm wertvoll, weil
es seinen satz (41, 2) bestätigt, dafs die demokratie gezwungen war, alles
im plenum abzumachen , da die kleineren kreise unzuverlässig waren,
und weil in der. beseitigung der praesentation der candidaten eine
Stärkung des demokratischen prinzipes liegt.
Wächter. Für uns ist hiej" zunächst überraschend, dafs es eine zahlreiche
durch auslosung auf praesentation der demen bestellte wächterkörper-
schaft gegeben hat, die cpqovQoL, von denen wir gar nichts gewufst
hatten. Kenyon hat sie mit den cpqovQol vemqLojv identificirt , die in
der Übersicht der reichskostgänger für das fünfte Jahrhundert vorkommen,
aber da gerade der diakritische genetiv fehlt, so verlangt man einen
weiteren Wirkungskreis, und es geht auch hier wie meistens; sobald
man ein neues licht hat, sieht man spuren, die man vorher verkannte.
Aristoteles lobt es, dafs in Athen die gehässige aufgäbe der sicherheits-
yoQOi Demosth. 20, 152, aarvvöfioi [Dem.] prooem. 55, 3, rafiias azQartcorDcäJv
(der gemeint sein mufs) [Plutarcli] vit. Lycurg. 271 West, im riclitereide (Dem.
24, 150) stellt allerdings, als instruction für die dokimasie, sowol das verbot der
ileration wie das der cumulirung allgemein, das lebensalter beschwört der richter
für sich: so ist es wol auch bei den beamten gehalten, der eid ersetzt, wie so oft, das
document, hier die geburtsurkunde. seit die ephebenlisten bestanden, war das alter der
bürger, die eine politische carriere machen wollten, in den meisten fällen notorisch.
24) Wir Itennen das genauer nur für die archonten (8, 1), für die aus den candi-
daten, die sich bei der phyle gemeldet hatten, 10 ausgelost wurden, die sie praesentirte
(dafür ist der technische ausdruck früher nQoxQiveiv, später (piQEiv), und aus diesen
10 erloste der wahileitende beamte einen, es ist wol gestattet, dieselbe analogie
für die andern zehnercollegien der gleichen classe anzunehmen, doch mag nicht
immer die gleiche zahl praesentirt sein, bohnen scheinen erst zur zweiten losung
angewandt zu sein (übrigens auch für die losung der andern classe), denn 8, 1 ist
xXtjqovv und xva/isveiv unterschieden, bei dem ersten acte konnte spärliche
meidung von candidaten das los illusorisch machen.
Wächter. 199
polizei auf viele ämter verteilt sei, z. b. die elf die leibesstrafen voll-
strecken, die geldstrafen andere einziehen, es wäre gut, wo es epheben
oder (pQovQol gäbe, einen teil des wäcbteramtes diesen zu übertragen
(Z 1322' 28). Xenophon erwartet von seinen finanzvorschlägen (4, 52)
einen so hoben ertrag, dafs man den jungen leuten die praemien der
fackelläufe erhöhen könnte, und ol q)QovQ€lv ev xolg cpqovQLOig oi te
fcelrd^eiv xal TteQLTtoXüv ttjv xiogav Terayf-iivoi würden auch ihres
soldes sicher sein. Piaton verordnet für seinen staat (760''), dessen land
unter die 12 phylen verteilt ist, die wähl von 5 ayQov6/.ioi t] cpQovQaqxoi,
von denen wieder jeder sich 12 junge leute aus den altersclassen 25 — 30
als (fQovQoL wählen kann, die den Sicherheitsdienst und weitere, speciell
platonische, pflichten des öffentlichen Interesses auf zwei jähre zu ver-
sehen haben, diese stellen kann man nicht auf die epheben allein be-
ziehen, die erst in der späteren Ordnung, die Aristoteles schildert, zwei
jähre q^QovqovOi (42, 4), das erste im Peiraieus stationirt, das zweite
in den andern festungen und als patrouillen. denn in der Politik unter-
scheidet er sie von den cpQovQoi, und Piaton gibt ein höheres lebens-
alter an, fordert den dienst auch nicht allgemein, noch viel weniger
kann man bei Xenophon an rekruten denken, dagegen würde eine
mannschaft, ausgehoben wie es Piaton fordert und beschäftigt nur im
gebiete der phyle, keiuesweges blofs für militärische zwecke, auf das
vollkommenste zu dem passen, was man von den (pQovqoi erwartet, die
auf praesentation der demen ausgelost wurden, ein mobiles beer hat
Alben nicht aufser den rekruten ; die polizeimannschaft der ^xvd-ac spielt
im vierten Jahrhundert keine rolle mehr, die schützen zu pferde waren
sicherlich abgekommen, andererseits hat das land jetzt viel mehr grenz-
wacben nötig, seit Boeotien eine macht und auch die see nicht mehr
athenisch ist. es müssen die festungen im nordgebirge und die ostküste
hinunter, am saronischen meere aufser den grofsen platzen Eleusis und
Peiraieus noch Anapblystos, besetzt sein, und gegen Megara giengen
wenigstens patrouillen.^^) mag man dazu zunächst die rekruten ver-
25) 352 werden zu der terminirung des lieiligeii landes die nsqmö'kaQxoi, zu-
gezogen, Bull. Corr. Hell, XIII 434, 19. es fragt sich, was damals die ns^ino^-oi
waren, söIdner wie im dekeleischen kriege und vielleicht schon 424 (Thuk. IV 67
vgl. Kydathen 22), oder, wie ich früher für 424 annahm und immer noch möglich
ist, epheben. denn dafs für diese der ausdruck nicht nur überhaupt, sondern eben
in jener zeit vor der sicilischen expedition galt, zeigt schol. Aischin. 2, 167 'oiiTos
iv rols (fQOvoiois xoträJ^srai' . EimoJ.iS' 'xal rois ns^moXovs amsvats ra. <pQOVQia'
Tots sifi'ißois yaq TigoararaxTai rrjv %(jüQav fiexa röiv onXcav ■jiBQitgxead'ai., obwol
nicht zu entscheiden ist, welcher der citirten verse von Eupolis ist. nun kommt
200 '• ^' ^'^ Verfassung.
wenden, in notfällen der OTQarrjybg Inl ra onla ein aufgebot machen,
wie es Demoslhenes gegen Konon schildert, es bleibt ein mangel; die
landgensdarmen fehlen, wozu stehn über ganz Attika die warttürme, be-
stimmt feuerzeichen zu geben, zu telegraphiren , wenn keine leute da
sind, die aufpassen? wer greift den entlaufenen sclaven, den dieb oder
mürder? ist alles der Selbsthilfe oder dem guten willen der nachbarn
freigegeben? ferner, wer pafst auf die landstrafsen , die wasserläufe,
die capellen? soll auch das nur der einzelne tun oder lassen, wie er
will? denn die gemeinde hat oft genug ein dem allgemeinen entgegen-
laufendes Interesse, fängt sich gern das wasser ab und wünscht, dafs
die reisenden wegen schlechten weges Station machen, da ist eine lücke
in der attischen Organisation, es ist mir zweifelhaft, ob die Wächter sie
gut gefüllt haben, denn die demokratie denkt immer vorwiegend an die
Städter. Piaton hat erkannt, was not tat; aber er bildet nur eine
beimische inslilution weiter, es war ja auch nicht schwer, eine mäfsige
zahl aus den jüngeren Jahrgängen des katalogs auszulosen, die in den
demen, zum teil auch an warltürmen und castellen, den sicherbeitsdienst
und die aufsieht über die anlagen des Staates führten; Verteilung nach
demen und sohl waren dabei selbstverständlich, dafs wir diese leute
selten erwähnt finden , noch seltener von wirklich militärischem auf-
gebote sprechen können, ist nicht wunderbar; vielleicht findet man auch
noch mehr belege.
Zweiciassen Dafs wir zwei classen von losbeamten kennen lernen, ist noch viel
losbeamien. merkwürdiger; ich kann nicht umhin, dabei zu verweilen, die Vertretung
der demen im rate war freihch jüngst durch die prytanenlisten bekannt
geworden, aber man fragt nun, welches sind die beamten, die früher
aber die oben angeführte stelle des Xenophon in betracht, die 355/4 geschrieben
ist und schlechterdings nicht auf andere als Athener bezogen werden kann; auch
war 352 das geld viel zu knapp, als dafs man ein söldnercorps von ne^lnoXot
gehalten hätte, also sehe ich in den peripolarchen die militärischen vorgesetzten
der epheben, die natürlich nicht mehr existiren, als es sophronisten gibt, dafs den
Offizieren, die die grenzen abzupatrouilliren haben, die neuen grenzsteine gezeigt
werden, ist in der Ordnung, dagegen in der spätem zeit sind die peripolarchen
attische offizieie, unter denen fremde ar^ancörat stehn, CIA II 120S (Eleusis, dedi-
cation der Soldaten für mehrere peripolarchen) '£'gf. a^x- 88, 21 (denienbeschlufs
der Eleusinier für den peripolarchen Smikythion), diese beiden aus den zeiten der
könige Kassandros oder Demetrios, 'Eip. aQx- 91, 61 (Rhamnus, dedication der
Soldaten für einen Strategen und einen peripolarchen, aus späterer zeit des dritten
Jahrhunderts; nach diesem steine dürfte II 1208 o'ilarQaiicoxai alxetpavcoaavTes
xov ar^arriydv xai] rovs neQinoXÖQX'^'^^ [aqezris i'texa xni 8ixaioavv]T]S nved'eaav
[zolv d'eoiv zu ergänzen sein.)
Zwei classen von losbeamten. 201
ebenso bestellt wurden? zehnercollegien können es natürlich nicht ge-
wesen sein, sondern nur zahlreichere, von denen stehn jedoch nur die
vierzig niänner (früher dreifsig männer), im fünften Jahrhundert die
dreifsig logisten und etwa die lexiarchen und trittyarchen zur Verfügung:
d. h. die, in denen eigentlich die trittyen zur Vertretung kamen.^^) nur
eine kategorie, allerdings eine sehr wichtige, kann man hierherziehn ^'') :
die 6000 richter, die zu Aristoteles zeit aus den phylen genommen
wurden, aber dann in 10 abteilungen verlost, so dafs in jeder die phylen
gleicbmäfsig vertreten waren ; die richtertäfelchen tragen den demosnamen
und den abteilungsbuchstaben, auf die phyle kommt nichts an. für die
6000 lag eine praesentation durch die demen so nahe wie bei dem
rate, lag wegen des einträglichen und vielbegehrten geschäftes der ambitus
auch nahe, und die comphcirte Verteilung der richter sammt ihren
täfeichen ist ja notorisch erst im vierten Jahrhundert eingeführt, nimmt
man nun an , dafs die richter ursprünglich von den demen praesentirt
wurden, so erstreckt sich diese art der bestellung in Wahrheit noch viel
weiter, denn die festordnung der Hephaistien (CIA IV p. 64) hat ge-
lehrt, dafs für sie die hgoTtoioi aus den richtern genommen wurden,
und diese analogie darf man verfolgen, mindestens alle nur für einen
bestimmten engbegrenzten Zeitraum tätigen beamten, bleiben wir zunächst
bei den UgonoioL und den eTtifislrjzai, so weit diese nicht gewählt
wurden, dürfen als richter angesehen werden, und es ist für diese leute
damit auch die frage nach ihren diaeten erledigt, da wir aus dem
vierten Jahrhundert nichts mehr von dieser Verwendung von richtern
hören, auch nunmehr die phylen für das gericht keine rolle mehr spielen,
sondern die misbräuchhch phylen genannten abteilungen, ist diese ein-
richtung in fortfall gekommen, und sind jene behörden auf andrem wege
erlost oder gewählt, sehr passend ist auch das wahllocal für ihre auslosung.
es ist das Theseion, nicht der tempel, in dem immerhin die urnen gestanden
haben mögen, sondern der appellplatz: man bedurfte eines grofsen freien
platzes für die menschenmenge. aber nun scheinen sich Schwierigkeiten
zu erheben, erstens steht im richtereide, dafs niemand zu einem amte
zugelassen werden soll, der rechenschaft schuldete hsQag aq^r^g, /.al räiv
ivvea aQxövrcov xal rov UQO(.t.vri(.iovog /.al ooot (.isra ziov evvia
26) Vgl. das capilel Trittyen und Demen.
27) Die demen haben 487 für die erste losung der archonten 500 candi-
daten praesentirt, und 403 haben sie 500 nomotheten gewählt, aber das waren
ausnahmen, sie verlieren nur das seltsame, wenn man sich gegenwärtig hält,
dafs die demen so den rat zu allen zeiten gebildet haben.
202 !• '• Die Verfassung. ,
uQyövTiov xvaf.i€L'OVTai rfj avvj] (Reiske für ravTjj t/)) rn-isQa y.al :
xtlQV/.og y.ai Ttgsaßeiag xal owedgcov. (J. li. es ist nicht wählbar, wer
zu den heamten der ersten aristotelischen kategorie gehört, oder in i
diplomatischer niission aufserhalb^*) oder in dem in Athen sitzenden :
bundesrate-*) verwandt ist. es fehlt also die zweite kategorie. das tut '
28) Solche heiolde müssen dann eine viel gröfsere rolle spielen, sind keine
subalternen und sind nicht dauernd beschäftigt wie Eukles und sein geschlecht,
es gab vvol damals diese archaische Institution nicht mehr, die durch die gesandt-
schaften ersetzt war; aber Anlhemokritos und Melesippides dürften zeigen, dafs noch
432 die alte rituelle form der diplomatischen missionen vorkam, und für religiöse
Sendungen, wie die Verkündigung des gottesfriedens der Olympien, sind immer
herolde verwendet, hier ist die formel bewahrt wie in der geschäflsordnung des
Volkes, wie der höchste adel das heroldgeschlecht umfafst, und doch der popa auf
griechisch ein xij^v^ ist (Kleidemos bei Athen. 660), so ist es im politischen leben
sowol der fetialis wie der huissier. in der alten zeit war freilich der popa selbst
nichts geringes. AöXwv ^Evurßeos vios ariQvy.os &sioio noXvxqvaoi noXv^ctXy-os Ä! 314.
das gealterte Athen hat in dem xjjgv^ rrjs sv 14oeico näyco ßovXTJs wieder eine hohe
würde aus dem gemacht, was Euripides als XaiQsia verachtete.
29) Wenn der eid acht ist, so kann diese erklärung nicht umgangen werden,
denn aiveSgoi können als keine anderen leute genommen werden, während eine
behörde des namens in Athen existirt, und keine andere bekannt ist. es ist freilich
die herrschende meinung, der auch Busolt seine früher entgegengesetzte ansieht
gebeugt hat, Athen wäre im bundesrate nicht vertreten gewesen; aber wie will man
dem Zeugnis entgehn? ich kenne niemand, der altischer aiveSgos gewesen ist, und
räume ein, dafs die Schilderung des Aischines 2, 86, 3, 74 den eindruck erweckt,
als wären 346 keine Athener im bundesrate gewesen, andererseits ist ein ausdruck
ai'veBQoi xiöv ayfiuä^cov mehrdeutig: man kann darin die Unterscheidung von den
aiveSQOi, iwv ^Ad'rjvaCojv sehn, wenn diese 346 von der partci des Demosthenes
waren, so waren sie keine zeugen für Aischines. und der ausdruck avfifiaxoi, selbst
schliefst die Athener weder notwendig immer aus noch ein: das tut er nur in dem
munde des Atheners vor Athenern, das tut er auch in den Zeiten des Reiches; aber als
dessen awiSqiov in Delos war, mufs Athen doit vertreten gewesen sein; damals mufs
also avfifiaxoi- auch alle umfafst haben, den vorort inclusive. 346 waren nur
geringe so gut wie abhängige inseln neben Athen im bunde; aber als Theben Euboia
Giiios Rhodos u. s. w. darin waren, kann Athen unmöglich auf eine Vertretung im
bundesrate verzichtet haben: die ganze Stiftung will ja einen bund ohne vorort schaffen,
und nun sehe man in der Stiftungsurkunde (CIA II 17, 41) "wenn ein Athener in
einer bundesstadt grundbesitz erwirbt, i^elvai icö ßovXofievoit riöv av/u/iaxcov iptjvat
TiQoS ToiiS awtSgos rcöv av(i(id-/^cov, oi §s ovveSqoi anoSö/isvoi dnoSüvrcov t6 (lev
i\fivav Tüji (fqvavTi, zo 8s aXXo xoivov earco rcöv aruftäy^cov^ sollen wir da das letzte
so fassen, dafs es einen besitz der bundesgenossen exclusiv Athens gibt? soll Athen
einen bürger vor ein gericht stellen, in dem es nicht vertreten ist? in dem folgenden
Paragraphen werden freilich als richter 'AdTjvaioi xal avfifiajcoi genannt, vor die
ein verbreciien kommt, das von Athenern und bündnern eben so gut begangen
werden konnte; aber das schlägt nicht durch, denn hier handelt es sich nicht um
I
Zwei classen von losbeamten. 203
noch nichts; denn Avenn der eid acht und der rede gleichzeitig ist, so
I gab es in dieser nur rat und Wächter: wir schhefsen nur, dafs ein rats-
I herr nicht verhindert war, sich zu einem andern amle zu meklen, und
das ist correct, da er als einzelner nicht rechenschaftspflichtig ist. wir
f lernen zu, dafs die ganze auslosung an einem tage vollzogen ward, natür-
lich nur die dieser einen kategorie. zweitens wird als local der uqxul-
Qsalai die Heliaia angegeben (Bekk. An. 310). das ist auch noch nicht
schlimm, obwol der ausdruck agxaiQsolai eigentlich den directen wählen
gilt, die das volk auf der pnyx vornimmt; dem grammatiker ist der
ungenaue ausdruck wol zu verzeihen, natürlich mufs die losung der
archonten u. s. w. verstanden werden, über deren local Aristoteles
nichts sagt, und die geräumige Heliaia, in der 1500 menschen sitzen
und eine zahlreiche Corona stehn konnte, pafst gut. aus dem locale
folgt der Vorsitz der thesmotheten oder aller archonten: und das ist
bei einer procedur, die in die alte zeit hinaufreicht, auch nur das
normale, aber nun wird es schlimm. Aischines 3, 13 unterscheidet
die ämter ag oi ^eof-wd^ezai a7tozh]QoCoiv iv Orjoeio) , y.a"/,eivag ag
6 d^/iiog €uo&€ x^tQotovelv ev aQxaiQsolaig, alles andere wären com-
missionen. dafs er an die zweite aristotelische kategorie nicht denkt,
ist in der Ordnung, denn ihr gebort nur noch der rat an, und um den
handelt es sich für ihn so wenig wie für den richtereid. dafs die thes-
motheten diese losung besorgt haben, stimmt gut zu dem, was eben aus der
grammatikerstelle gefolgert ward : aber das local stimmt nicht. Aischines
nennt das Theseion für die ämter, die nach Aristoteles eben nicht dort erlost
wurden, nach jenem grammatiker in der Heliaia. da Aischines ein par jähre
vor Aristoteles, aber unter derselben Verfassung so redet, ist an irgend
welchen ausgleich nicht zu denken, so übel mir dabei zu mute ist, ich
mufs einen Irrtum des redners annehmen, wann die losung in der Heliaia
den bundesrat, und für alles ist zu bedenken, dafs was wir lesen ein attisches
psephisma ist, nicht ein bundesbeschlufs. der bundesrat verkehrt mit dem souveränen
attischen volke nicht direct sondern über den rat, natürlich, wie jeder köni^ und wie jeder
athenische beamte, aber in der blütezeit des bundes begibt sich der rat jeder materiellen
.einmischung, beschränkt sich darauf, den antrag des bundesrates auf die tagesordnung
zu setzen und ladet den bundesrat selbst in die Volksversammlung ein (CIA II 51, 11):
und da sollte Athen sich seine politik von einer körperschaft machen lassen, in der
es nicht vertreten war? gerade weil man 377 die redliche absieht hatte, nicht ein
attisches Reich zu gründen, sondern einen bundesstaat, mufste der bundesrat eine
allgemeine Vertretung sein, nur weil er in Athen seinen sitz hatte und somit der
souveräne demos trotz allem über ihm stand, ist seit 356 ein kümmerliches Reich
entstanden.
Wesen.
204 !• 1- Die Verfassung.
war, wissen wir nicht : im jähre 382 war sie erst im Skirophorion gehalten,
wofür Lysias die archonten verantwortUch macht (26, 7), und so bestätigt,
dafs sie die losung besorgten, wenn man ihm trauen dürfte, wäre der
schlufs sicher, dafs sie zur anberaumung des termines competent waren ^"X
also nicht etwa ein volksbeschlufs vorhergehen mufsle, während die directen
wählen seihst ein volksbeschlufs sind, er erinnert auch daran, dafs fälle
vorgekommen sind, in denen am ersten hekatombaion kein archon da
war.^') davon, ob diese losung mit der im Theseion oder mit den wählen
in irgend welcher zeitlicher Verbindung stünde, ist nichts bekannt.
Gerichts- Mit dem capitel 63 beginnt die beschreibung des gerichtswesens,
ein umfänglicher in sich abgeschlossener teil, der bis zum Schlüsse des
buches reicht, die Schilderung geht bis auf die kleinsten einzelheiten
ein , jedes instrument wird beschrieben , und der äufsere gang der ge-
richtsverhandlung schritt für schritt verfolgt, der contrast ist peinlich,
in dem diese redseligkeit über bagatellen zu der knappheit in dem wich-
tigen steht, der stil wird deshalb nicht gefälliger, im gegenteil, man
glaubt, trotz der Zerstörung der meisten columnen, starke härten zu
bemerken; die hiate z. b. häufen sich, zu dieser partie fehlen parallelen
bei andern darstellern der attischen Verfassung; die grammatiker haben
diese dinge offenbar nur bei Aristoteles gefunden und ihn nicht immer
genau verstanden ; es enlsteiin auch wirklich durch die grofse Um-
ständlichkeit der Schilderung Unklarheiten, historische rückblicke oder
sonstige einlagen scheinen nirgend vorzukommen, die geltende praxis
ist ersichtlich nach dem leben copirt, nicht nach dem schema des ge-
setzes. also hat Aristoteles das attische geschwornengericht wie es gerade
war beschrieben und diese beschreibung in sein buch einfach über-
nommen, unbekümmert um das schreiende misverhältnis, in das sie zu
andern stücken trat, eine ratssilzung oder Volksversammlung in dem-
selben Stile beschrieben würde auch viele selten füllen, und wir würden
30) Man erwartet eine bestimmung, wie sie den rat für die ansetzung der wählen
in der Volksversammlung band, aber selbst dann gab sie nur einen terminus ante quem
non für die auslosung der ämter für das nächste jähr, leider ist die rede des Lysias
wider Euandros ein besonders sykophantisches machwerk. erlaubt er sich doch
die Übertreibung, dafs der archon von 382/1 die aufsieht über erbtöchter und waisen
haben würde, die er selbst dazu gemacht hatte, nämlich vor 22 jähren, unter den
dreifsig (12): als ob die waisen von damals noch immer nicht mündig geworden wären.
31) Es ist sehr wichtig, dafs für den archon subsidiär der könig eintritt oder
ein andrer aus dem collegium, nicht der alte archon weiter fungirt. die con-
tinuirung des magistrates bis zum eintreffen des nachfolgers gilt also nur für die
träger des Imperiums.
Gerichtswesen. 205
sie ungleich lieber lesen und die iusignien der einzelnen beamten
lieber beschrieben hören als die leisten , auf denen die richtertäfelchen
bei der losung aufgesteckt wurden, oder die unförmlichen bronzenen
kreisel (so etwa sieht solch ein ding aus), mit denen die heliasten über
Timarchos und Demosthenes abgestimmt haben. Aristoteles der Schrift-
steller hat somit auch hier wie in allen erhaltenen Schriften bewiesen, dafs
er auf gleichformigkeit des Stiles und der composition kein gewicht legte,
vielleicht wenig gefiihl dafür hatte ; wobei es ganz gleichgiltig ist, ob er
irgend einen Studenten des peripatos auf den markt und in die heliaia
geschickt hat, um diese beschreibung für ihn anzufertigen: das werden
wir nie herausbringen, und er hat die Verantwortung selbst übernommen.
Aristoteles der politiker aber hat bewiesen, dafs er in der Überschätzung
der richterlichen tätigkeit, die für ihn zum wesen der bürgerlichen frei-
heit eines jeden Individuums gehört ^^), sich über die Vorurteile der Zeit-
genossen kaum erhob. Piaton würde keines von beiden getan haben.
Nachdem wir so das kleine oder unbedeutende beiwerk beseitigt
haben, bleibt als ein zusammenhängendes und woldisponirtes ganzes die
abhandlung über die beamten und ihre pflichten übrig 43 — 61.
32) r 1, 1275 ä 23 definirt den bürger tcü fisrexsiv xgiascos y.al aQ%i]i. daran
schliefst sich die definition der «(»ct» die hier so weit gegriffen werden soll, dafs sie
die tätigkeit des geschworenen und des teilnehmers an der Volksversammlung mit
einbegreift, also hat man geschlossen, dafs oben xQiaews yai unächt wäre, dafs dem
nicht so sein kann, zeigt das peripateüsche compendium dieser lehre bei Stobaeus ecl. II
150 Wachsm., denn da steht nicht das blofse a(>;(jjs, sondern nohTixfis a^x^i^i
formal logisch nicht gut, weil eben der 7toh'Tr;S definirt werden soll, aber dem sinne
nach gut. denn nicht jede «^/;^ macht den bürger {ccQxovai yaQ y.al d^iaacov aal
xoivcoviojv xai avfinoaico?'}, sondern nur eine die über bürgern steht, das hat
Aristoteles damit bezeichnen wollen , dafs die xQiais mit der a^xv verbunden sein
mufs, die autoritative entscheidung, wobei nicht viel darauf ankommt, ob es tiqo-
avaxQivetv oder avTOXE%rj hqIveiv ist: mit jenem geht die r,yEfiovia dixaarrjQiov
zusammen, die poetische rede würde ungleich bezeichnender xqÜtos xai aqyji
gesagt haben, genauer drückt er sich H 13261^ 14 aus, aQxovros 8' inira^is xai
xQiaii k'Qyov. — es leuchtet ein, dafs seine definition des bürgers auf Staatswesen, in
denen xqiais xai aq^ri einem höheren stände vorbehalten ist, also z. b. auf das alte
Athen des geschlechterstaates nicht mehr pafst, noch auch für das Rom, das der
plebs noch keine aedilen und tribunen zugestanden hat. den nolirrii macht das
IxBxdxeiv TtöXecos, der anteil an einem ideellen gute; dem sclaven haben die götter
dvayxtjv a/nfinrohr auferlegt (Aisch. Choeph. 75), der hat keine eigene nohs mehr:
aber die clientel, aus der auch die plebs erwachsen ist (in dem sinne wie ich Herrn. 22
236 diese dinge erläutert habe) verleih! für die verlorne ttöXis durch die woltat des
patrons einen anteil an der Stadt rj naQoixel. im natürlichen Verhältnis verleiht die
gehurt dem menschen so seine götter wie seinen staat: beides hängt ja zusammen.
206 !• '^- I^ie Verfassung.
Die Aristoteles schickt voraus, dafs er nur die regelmäfsigen Verwaltungs-
beamten; äniter aufführen wolle; wir haben also kein recht, weder über die ge-
ispoM 1 11. ggjjijj^gjj jjQpjj ijjjgj, jjg zahlreichen commissionen etwas zu erwarten.
gleichwol mufs eine wirkhche darstellung der Verwaltung betonen, dafs die
Athener ihren regelmäfsigen beamten nicht allzu viel trauten, wenn
tempelschätze zu revidiren waren , womit finanzoperationen verbunden
zu sein pflegten, wenn die mauern armirt, werften gebaut, heilige gerate
angeschafft, rückständige steuern beigetrieben werden sollten, so pflegte
man statt der erlosten beamten besondere commissionen zu wählen:
so corrigirte der wille des souveränen volkes als tyrann das prinzip der
gleichheit und des loses, es gab unter diesen inif-ikleiaL manche die
geradezu ständig geworden waren, so wichtige wie die werftbeamten,
deren Übergabeurkunden wir besitzen , und die wahrlich wichtiger sind
als die Uqwv euiozevaaral oder die oöoTtoiol. wenn sie fehlen, so hat
das lediglich den grund, dafs sie nicht zu der eyKvxliog dioUrioig ge-
hören, wenigstens formell; sie werden nicht mit den andern erlost oder mit
den Strategen gewählt worden sein, sondern jedesmal durch Specialgesetz;
mitwirkt natürhch, dafs Aristoteles auf die flotte noch weniger augen-
merk richtet als auf das beer, wie der richtereid lehrt, waren die im
diplomatischen auftrage tätigen, v.7jQVÄEg und ngsoßelai, darin den regel-
mäfsigen behörden völlig gleichgeachtet, dafs sie zu keinem andern amle
wählbar waren, von den theoren, die unter diese kategorie fallen, steht
es zufällig fest, dafs sie schon zur zeit der naukraren diäten aus
öffentlichen mittein erhielten, und sie sind keinesweges weniger ständig
als die athlotheten , die Aristoteles ausführhch behandelt, dennoch
fehlen sie und fehlt ihr sold. da wirkt wieder mit, dafs alle rein
religiösen Chargen von Aristoteles fern gehalten sind, selbst der ieQO-
f.iv7]/iuüv, wie 411 (30, 1), so im richtereide der nächste nach den
archonten. wo er fehlt, der doch politische bedeutung hatte, zumal zu
Aristoteles zeit, dürfen wir vollends rein religiöse beamte wie die eleii-
sinischen hgoTtoioi., die l^rjyrjTal und alle priester hier nicht suchen,
endlich fehlt leider jede behandlung der Verfassung und Verwaltung in
phyle und demos. das ist niemals im altertum zur darstellung gebracht,
und doch steckt das leben der besten elemente des attischen wie jedes
Staates nicht in der stadt, geschweige in den gerichten und amtsstuben,
sondern da wo der mensch in stäter berührung mit der mutter erde
die elementare volkskraft erhält und erneut, aber dafs wir viel mehr
von der Schilderung eines Staates verlangen , soll uns nicht abhalten,
dankbar das viele gute hinzunehmen, das uns hier geboten wird. \
Die einzelnen beamten; disposition. 207
Die beamten zerfallen nach der art ihrer bestellung in drei classen,
auf vier jähre gewählte, auf ein jähr gewählte und erloste, so disponirt
Aristoteles, zählt die unter die beiden ersten kategorien fallenden auf,
beginnt aber mit der dritten, in ihr hat der rat den vortritt; es schliefsen
die neun archonten ; dann klappen scheinbar nach die athlotheten (60).^^)
1 sie können an diese stelle nur gebracht sein, weil sie auf vier jähre erlost
I werden, um so den Übergang zu der ersten classe zu bilden, den auf vier
'jähre gewählten, die cap. 43 vorab aufgezählt, also versprochen sind.
\ in dem jetzigen zustande des buches ist dies versprechen nirgend erfüllt.
; wir sehen nun, wo die lücke ist, und zum glück verrät sie sich auch
darin, dafs die restirende zweite classe, die auf ein jähr erwählten, mit
XeiQOTOvoioi de Aal (61) auf y,Xi]QOvai de zal folgt. ''') wir sind durch
i den ausfall um ein besonders wertvolles stück gekommen ; zwar den
beamten der die cura aquanim hatte ^^), können wir zur not verschmerzen,
33) Wie diese Ordnung den PoUux getäuscht hat, darüber cap. 9.
34) Dies hat mittlerweile auch Weil ausgeführt, Pollux hat den text nicht
anders gelesen, sollte Aristoteles nicht mehr geschrieben haben, d. h. das buch nicht
vollendet, so würde er gerade das capitel, das er ganz selbst schreiben mufste, sich
aufgespart haben, denn eine erschöpfende Instruction gerade dieser beamten dürfte
nicht bestanden haben.
35) Da die Wasserleitungen, auch wenn persönliche munificenz sie in der alten
zeit vielleicht gestiftet hatte, immer öffentliche anlagen gewesen sein müssen, später
nur aus gemeindemitteln angelegt und unterhalten werden konnten, im wasserrechte
' principiell der vorzug des öffentlichen interesses gegen das private durchgeführt
i werden mufste, auch die Verteilung dieser lasten, bau sowol wie Unterhaltung,
j auf die phylen untunlich war, so mag eine für Athen anomale einzelbehörde
( verhältnismäfsig früh geschaffen sein: aber wir haben leider keine Sicherheit, wie
I wir auch vom wasserrecht nicht mehr wissen, als dafs es sehr alt und juristisch sehr
j merkwürdig gewesen ist (Demosth. §g. Kallikles lehrt ein bischen über vorflut,
etwas mehr läfst erschliefsen Plat. Ges. 844). ob Themistokles iSärcov sniarärrie
. wirklich gewesen ist, wie die uncontrollirbare, aber gar nicht unglaubhafte anekdote
: bei Plutarch 31 sagt, und ob diese Stellung der analog war, die Aristoteles vor
äugen hat, ob Mtrcav 6 t«s KQ-^^vas äycov (Ar. Vög. 999) beamter oder bauunter-
, nehmer Avar, bleibt ungewifs. — irgend ein komiker hatte den löwen, aus dessen
maule das wasser rann, mit dem man die klepsydren füllte, xgtjrocpiXa^ genannt,
und der erklärende grammatiker bemerkt, dafs für die füllung derselben ein egs'
vScoQ (xErayfievos), den er nicht technisch intneXr^irii nennt, ausgelost ward,
natürlich aus den heliasten. wir können das jetzt nach dem letzten teile des
Aristoteles gut verstehn, wo vielleicht der mann auch vorkam, jener grammatiker
bemerkte weiter, es hätte auch eine behörde y.Qr,voq>vlay.es gegeben: vielleicht ist
das das collegium, welches der einzelne xorjvcöv inifieXr,xr,s in lykurgischer zeit
I ersetzt hat (Poll. 8, 112 Phot. Hes. xQTjvofvXaxss). ein anderer komiker hatte die
behörde, die dem publicum das wasser zu knapp zu geben schien, xQrjväyxn ge-
208 !• "'• Die Verfassung.
aber in dem Schatzmeister der kriegscasse und dem collegiiim der Ver-
walter der spielcasse (wir können das der cura anwonae vergleichen; in
den asianischen communen der €i€Tr]Qiag) fehlen uns die gerade in der
zeit wo Aristoteles schrieb einflufsreichsten posten: Lykurgos, Mene-
saichmos, Demades^^) haben diese stellen inne gehabt, die so erst seit
338 bestehen, immerhin ist die peinliche frage nach dem srcl xf] öioi-
■/.rjoei aus der weit geschafft: er gehört erst der demokratie der 12 phylen
an. ich beabsichtige aber nicht die lücke zu füllen, was mit einer ver-
fassungsgeschichte der jähre 354 — 21 identisch sein würde.
Militärische Die militärischen ämter sind äufserst kümmerUch behandelt, die
recrutirung der infanterie kaum''}, die der flotte gar nicht '^): die der
nannt, was ein erklärer als wirklichen namen verstand (Hes. s. v.). ein aiQB&sis
£7ti ras y.^rjvas aus aristotelischer zeit ist bekannt. Uvd'eas JJcoaiSTjfiov ^AXcotie'
xrjd'ev (vielleicht der demagoge, dessen familie ich nicht kenne), er wird geehrt mit
einem kränze von 1000 drachmen am neunten Metageitnion des Nikokrates (august 333)
'Ecf>T]/u. aQx. 89, 16, als er noch nicht rechenschaft gelegt hat; die anregung zu der
ehre ist vom volke gekommen, das dem rate befohlen hat, ein probuleuma zu
machen; dieser auftrag, der doch dem jetzt anitirenden rate gegeben sein mufs, kann
nur vor den Panathenaeen erteilt sein, denn es scheint zwischen 28 hekatombaion
und 7 metageitnion keine Volksversammlung gehalten zu sein, demnach möchte
man glauben, dafs die amtsperiode des Pytheas an den panathenaeen des Niko-
krates 333 ablief, aber das waren kleine panathenaeen, denn es ist ein viertes
olynipiadenjahr. ob Pytheas zudem nicht etwa noch im amte war, ist unsicher,
da es heifst TftJ*- eV T^ ä(»;^77 inifieXelTui, xakcös: dafs aber ein so schwerer goldener
kränz beschlossen würde, um erst nach 3 jähren und mehr, wenn Pytheas für
seine amtsperiode (334—30) rechnung gelegt hat, verliehen zu werden, ist auch schwer
glaublich, so bin ich gezwungen; die aporie aufzustellen.
36) Demades war doch wol 334 — 30 rafiias ar^azicDTixcöv CIA II 739, 12, obwol
die strenge, aber auch sonst nicht durchführbare, gleichheit der zeilen vier buch-
staben vor äSovs JJaiaviäs verlangt.
37) Abgesehen von der ephebie werden die ar^arsXai xar' sneovvfiove 53, 7
erwähnt.
38) Nur die capiläne der beiden staalsschifTe stehn am Schlüsse, die den
titel Schatzmeister führen, obwol sie die Charge eines trierarchen haben und dieser
militärischen tätigkeit entsprechend durch wähl besteilt werden, da die staatsschiffe
durchaus auf kosten des Staates armirt und bemannt werden, niemals unter das
commando von liturgen treten, immer armirt und so zu sagen immer in dienst sind, '
können wir ihre regelmäfsige erwähnung in den seeurkunden nicht verlangen, und i
ist jedes schiff, das in jenen Urkunden ein trierarch commandirt, eben deshalb kein l
Staatsschiff, es hätte das bekannt sein sollen; die Überlieferung selbst ist nur un- !
wesentlich getrübt, und das richtige hatte Köhler Mitteil, VIII 165 ffg. gelehrt. — die '.
Paralos hatte sich bekanntlich aus der katastrophe am Ziegenflusse gerettet; sie ist i
demnach das einzige schiff der alten flotte, das fortexistirt (wenn wir von dem i
dreifsigruderer des Theseus absehn, der nur rarität war), die Salaminia im vierten j
Militärische ämter. der rat. 209
i reiterei unverhältnismäfsig gut, weil sie in ilie ratscompetenz fällt, ebenso
der floltenbau. wir wussten schon aus dtr Politik, dafs Aristoteles alles
I militärische vollkommen aussondert; er bleibt auf dem Standpunkte seiner
; gegenwart stehn, dafs der politiker und der feldherr immer getrennte
personen sind^^), und er hat deshalb weder den Perikles würdigen können
i noch den Philippos. er hat die condottieri seiner zeit gewifs mit recht
j für den besten Staat nicht mitgezählt, aber dem wahn gehuldigt, dafs
j der luruplatz Soldaten bildete und die rouline den feldherrn. dafs er
j in Sparta den kriegerstaat als solchen anerkennt, verdankt er dem Piaton,
! der als echter Athener, stolz auf den walTenruhm seines Volkes und seiner
! familie, den wehrstand, die cpvla-Ksg, vor allem bilden will. Aristoteles
j war offenbar ganz so unmilitärisch wie Demosthenes und Isokrates.
Die erlosten beamten sind dem Aristoteles am wichtigsten erschienen Der rat.
} und werden demzufolge zuerst abgehandelt, voran steht der rat, in der tat
I diehauptbehörde, und seine Zusammensetzung und die allgemeine geschäfts-
f Ordnung eröffnet die darstellung seiner competenzen, wobei passend die
Ijahihundeit zu erwarlen, hat niemand ein recht; sie existiit auch nicht, wann die
Ammonis gebaut ist, wird erst zeigen, wer eine feierliche beschickung des orakeis
im vierten Jahrhundert nachweist, die rede des Aristoteles zeigt, dafs sie nicht
1 coordinirt zur Paralos sieht: xafiiav rrjs üa^nkov yal äXXov rr]S rov "Afifioivoi ist
\ offenbar so stilisirt, weil zu dem ersten einzigen der zweite Schatzmeister einmal
'• zugefügt ist. dafs die Iheorie zum Amnion, der das schiff diente, gleichzeitig mit
der aufnähme des libyschen gottes in den slaatscult gestiftet ist, liegt mindestens
sehr nahe, ich verfüge aber über kein älteres zeugnis als die bekannte rechnung
über die hautgelder aus dem jähre des Nikokrates (juli 333), CIA II 741. in dem-
i selben jähre aber ist in dem heiligtum des Ammon ein brunnen (d. h. eine leitung
: der grofsen städtischen Wasserleitung) angelegt, ^Efr^i. aox. 89, 16: es dürfte alles
; dafür sprechen, dafs der cult noch nicht alt war und in der tat der initiative des
Lykurgos entstammt, dessen familie bekanntlich alte aegyptische Verbindungen hatte.
39) So foimulirt er dieses weise urteil über die gegenwart £? 1305 ^ seit dem
I kläglichen ende der syrakusischen lyrannis war die furcht wie die hoiTnung gegen-
'■ über dieser verfassungsform allgemein ziemlich still geworden, um so mehr über-
1 schätzte man die rhetoren. dafs das mililär fachkenntnisse und ein avancement von
den niedern zu den höhern stellen nötig hat, weifs Aristoteles F 1277'^ 10, wie es
Aristophanes (Ritt. 540) weifs, der nur das bild von der marine nimmt: aber den
gedanken auf den civildienst zu übertragen, liegt ihm ganz fern, in seiner Übersicht der
für jeden Staat notwendigen organe figurirt das militär {Z 1322* 32), aber es wird
so wenig wie in der Politie eingehend behandelt, und die organische Verbindung der
Wehrpflicht mit der bürgerpflicht, die das alte Athen kannte, fehlt ganz ebenso wie
die Verbindung der poteslas mit dem imiierium, die erst die volle macht eines
römischen magistrates bildet, der soldat Xenopiion hätte da den professor Aristo-
teles manches lehren können: aber er hatte auch bei könig Philippos nichts gelernt.
V. Wilamowiiz, Aristoteles I. 14
210 I- '^- Die Verfassung.
prytanen und proedren mit ihren obmännern vorgeführt werden, undl
die Verpflichtung die wählen zu bestimmtem termine beim volke erst zu
beantragen, dann abzuhalten^"), steht hier auch an passender stelle
(42, 2 — 44, 4). befremden mufs dagegen, dafs die Volksversammlungen,
in denen der souverän des Staates selbst in action tritt, nur in so weit
sie die geschäftsleitung des Vorsitzenden angehn, gegenständ der dar-
stellung geworden sind.''*)
Es folgen die allgemeinen competenzen des rates (45), jedoch in
der form, dafs angegeben wird, wozu der rat nicht mehr competent ist,
so dafs man geneigt wird, sich diesen abschnitt durch vergleichung
einer älteren darstellung der Verfassung mit der geltenden praxis ent-
standen zu denken.^^) daran schliefst sich, ohne dafs ein zusammen-
40) Die M'alil der militärischen und der andern wahibeamten gellt also nicht
anders vor sich als die der commissionen, gesandtschaften u. s. w., durch besondern
volksbeschlufs, nicht einmal in einer iev^ia ixxXrjaia. nur sind die prytanen ge-
halten diese wähl von einer bestimmten frist ab auf die tagesordnung zu setzen,
was aber an günstige Vorzeichen gebunden war, also zu zeiten eludirt werden
konnte, ebenso konnte in der Volksversammlung durch absetzen von der tages-
ordnung, wenn viel gegenstände darauf standen, schon durch procheirotonie und durch
Sioarjfiia die wähl verhindert werden, so dafs wir ohne besondere anhaltspunkte
eine bestimmte wähl nicht chronologisch fixiren können, aber wichtig i&t das princip,
dafs gerade die wähl der beamten ohne eine besondere Veranstaltung, nicht anders
als die ernennung eines proxenos, vollzogen wird, und der rat und das volk allein dabei
mitwirken, kein magistrat. unmöglich können so in alter zeit die archonten oder auch
die Strategen gewählt sein, wenn es heifst, dafs später die Volksversammlungen meist
im theater, die wählen aber auf der pnyx waren (Poll. 8, 132), so liegt darin aller-
dings eine änderung dieser Verhältnisse, man hätte doch annehmen sollen, dafs das gesetz
das einen Strategen macht, als vc/ios in' avS^i behandelt würde, also eine minimalzahl
von stimmenden und schriftliche abstimmung gefordert worden wäre, aber es ist nicht
anders, als es die Acharner 598 zeigen: drei gimpel können einen feldherrn machen
suspendiren kann ihn wenigstens nur eine xv^ia ixxXr^at'a. — scho). Ar. Ritt. 43
steht, dafs die Strategen am neumondstage gewählt wären; eine freche schwindelei.i
erträumt, weil der herr Demos sich den sclaven Paphlagon am letzten neumond ins
haus gebracht hat, was nicht mehr bedeutet, als wenn ein moderner sagte 'letzter!
Jahrmarkt', am neumond ist keine Volksversammlung, da ist ja festlag. i
41) Diese behandlung hat die unerwünschte folge gehabt, dafs auch einige be!
amte fehlen, die es zu Aristoteles zeit nachweislich gab. der Ta/jias rov Srj/xov fehlt!
der den 'allgemeinen amtsbedürfnisfonds' des volkes, ra xara frifianaia avaha'
xöfXEva T(^ Sr^f^cp (nachweisbar schon 390 CIA II 12) verwaltet, vielleicht auch di(i
casse, aus der die diaeten für den besuch der Volksversammlung genommen werden
denn auch deren Verteilung, mit der die controlle des besuches durch die avXloyr^y
Tov St^/uov und die Xr^^ia^xot zusammenhängt, ist übergangen, trotzdem die ent-
sprechenden einrichtungen der gerichte breit behandelt sind. j
42) Es entsprechen sich ^ ßovXrj nQÖreqov ftev r^v xvqia 45, l und roiroiv fii'
Der rat. 211
hang ersichtlich wäre, die sorge des rates für den hau von schiffen und
schiffshäusern ^^), und die abnähme der ölTentiichen hauten überhaupt (48).
es sind das von aUers seine pflichten, aber sie sind genau für die gegenwart
revidirt.^^)
oivai(VQÖs sariv t] ßovXrj 45, 4, wovon sich das ihr verbliebene recht des TTooßovXev/tta
wirkungsvoll abhebt, das jedoch ebenso ein allgemeines ist wie Srjaai ^rjfiimaat
43) Aus dieser stelle ist von C. Torr und Lipsius sofort die abfassungszeit des
buches richtig erschlossen, denn das volk befindet darüber, ob vierruderer oder drei-
i rüderer erbaut werden sollen, entweder, oder: oitoTEQas steht da, und zu behaupten,
i die beslimmung des volkes hätte sich auf die zahl, nicht auf die gattung bezogen
[ und danach zu ändern ist bare willkür. wenn also die werftbeamten 325 bereits
j 7 penteren übernommen haben (CIA II 809 <i 90 p. 241) und im Vorjahre noch keine
i penteren da waren, so sind sie 326 gebaut, der beschlufs also erst 327 gefafst. für
I den Schriftsteller handelt es sich gar nicht um die tatsächlichen beschlüsse der
einzelnen jähre, sondern um die möglichkeit, dafs das volk dies oder jenes modeil
1 vorschreibt, oder haben sie sich etwa verschworen, in Zukunft den bau von penteren
1 nie mehr zu beschliefsen? mit der athenischen flotte ist es seit Antipatros zu ende:
1 wir haben aus der zeit von 324—21 noch die steine 810 — 812. darin kommt noch
I eine pentere im dienst vor, 812" 35, in der aufzählung des bestandes 811 '^ 141—48
[fehlen sie allerdings, was ich nicht erklären kann, es sei denn, sie wären vorher
alle zu gründe gegangen und die später erwähnte wäre eine neuanschafTung, oder
aber sie wären gesondert geführt: vollständig sind die steine nicht. — ich streiche
hier in der correctur eine scharfe erwiderung auf die versuche, den zwang dieser
j chronologischen Schlüsse zu eludiren. ich möchte nicht durch polemik ihnen eine
bedeutung verleihen, die sie sachlich nicht besitzen,
j 44) Es heifst 46, 1 "wenn sie die schiffe nicht ihren nachfolgern fertig übergeben,
1 so können sie die belohnung (kränz und belobigungsdecret) nicht erhalten, sie
erhalten sie nämlich von dem folgenden rate", ein aufmerksames ohr hört in
dem begründenden sätzchen eine scharfe betonung dieses rechlszustandes, und man
schliefst, dafs Aristoteles eine irrige ansieht bekämpft oder eine berichtigung vor-
nimmt, so ist es. als Demosthenes die rede gegen Androtion schrieb (5 — 11),
lautete das gesetz, firj i^elvat rf} ßovXrj fir} TtoirjaufievT] ras vale airfjaai rfjv
itcoosidv. darin liegt, dafs noch unter ihrem eigenen Vorsitze die sache vor das volk
kam, wie denn auch in jenem falle geschehen war. der redner schildert anschaulich das
ekelhafte Schauspiel, wie der rat, als sich Widerspruch erhebt, um die decoraüon
: bettelt, er treibt aber ein sophistisches spiel, wenn er die bewilligung für ungesetz-
lich erklärt, weil sie anQoßovlsvxos gewesen wäre, denn er kann nicht bestreiten,
dafs es diesmal wie allemale gehalten war: einen antrag auf seine eigene bekränzung
konnte der rat nicht formuliren, sondern er erfüllte die form des gesetzes dadurch,
I dafs er den gegenständ auf die tagesordnung setzte, aber die materielle entscheidung
i dem Volke liefs. dann stellte der epistat der proedren die frage, gemeiniglich kam
! es zu keiner debatte, und man schritt zur SiaxEigorovia. diesmal war Meidias auf-
; gestanden, und es hatte einen skandal gegeben, da war das richtige nicht eine klage
■Tiaoavöutov, sondern eine änderung des gesetzes. wie wir nun lernen, ist kurz
' ' ' 14*
212 Li. Die Verfassung.
Das folgende wird zusammeogefaföt als Cooperation des rates mit den
anderen beamten (47. 48). und so steht denn hier eine lichtvolle über-
sieht der Qnanzverwaltuug. die Schatzmeister der göttin"^) übernehmen
die ihnen unterstellten schätze in gegenwart des rates; poleten und apo-
dekten walten ihres amtes ebenfalls unter seiner controlle, zumeist im
rathause, und das geld kommt unter seine äugen, sowol wenn es
ein wie wenn es ausgeht, so dafs er seine controlle (xqIvslv, wenn
nötig '^aTayiyvü)a-/,£Lv) wirksam ausüben kann, die rechnungen fast
aller behürden überhaupt führt eine ratscommission, und eine andere
ist an der rechnungsablage der beamten beteiligt.^^) das hängt auf das
trefflichste zusammen.")
Auch in dem folgenden abschnitte (49) erkennt man den leitenden
gesichlspunkt; er behandelt die dokimasien die dem rate zustehn. zuerst
steht die der cavalleriepferde, der equi publici, deren besitzer verpflegungs-
gelder erhielten , so dafs in der pferdehaltung ihre hauptpflicht lag."^)
dann die prüfung der für den cavalleriedienst ausgehobenen leute, bei
der es auch vornehmlich auf das vermögen ankam.'"') dann die prüfung
oder lange danach wirksame remedur geschafft, indem die Ordensverleihung dem
nächsten rate zu beantragen überlassen ist. Aristoteles redet offenbar im hinblick
auf den früheren zustand.
45) Aristoteles kennt die Schatzmeister der andern götter nicht mehr, die nicht
vor dem ende der vierziger jähre abgeschafft sind, vk'enn CIA II 702 mit recht auf sie
bezogen ist, was auch nach Lehner (über die athenischen schalzverzeichnisse Bonn
1890, 119) unsicher bleibt, dagegen erwähnt er als hauptstücke des heiligen Inventars ,
die goldenen Niken, die erst seit 335 wieder beschafft sind, CIA II 162 mit add. 739ffg.
erwähnt wird von ihm nur die Übergabe des Schatzes, dasselbe was unsere in- i
Schriften bezeugen, weil dabei die assistenz des rates statt hat. die Verwaltung
des Schatzes, d. h. die Vermögensverwaltung der göttin und der andern götter (so
weit es nicht immobiliarvermögen war, wo sie dem könige zustand) sieht er als eine
provincia an, die den ra/uiai durch ihre namen zufiel, in wie weit auch dabei!
der rat mitwirkte, steht dahin. i
46) Vgl. das capitel Logos und Eulhyna. I
47) Eine wichtige aufgäbe der apodekten, die Jurisdiction in Sachen der-
Steuerpächter, ist hier fortgelassen, weil sie mit dem rate nichts zu tun hatte, und]
nach 52, 3 versetzt, weil dort die eiaayioyeis abgehandelt werden, die mit den apo- !
dekten die schleunige Jurisdiction, innerhalb eines monats, teilen.
48) In diesem stücke ist die ähnlichkeit mit der altrömischen Verfassung nur I
noch deutlicher geworden, Alonimsen St. R. III 253. !
49) Die vom volke eingesetzte aushebungscommission setzt eine liste der ■
Pflichtigen auf. aber es bedarf nur der eidlichen eikiärung vor dem rate, dafs man
nicht befähigt oder nicht vermögend genug wäre, den dienst zu leisten, so kommt,
man frei, und dann mustert der rat seinerseits aus, wer ihm .aus dem einen oder)
Der rat. 213
der baiipläne^") und des peplos, der von bestimmten frauen für die
Panathenaeen gewoben ward, diese beiden letzten pflichten waren dem
rate freilich zu gunsten des gerichtcs abgenommen ; dafür hatte er aber an
den Vorbereitungen für die Panathenaeen in sofern anteil, als er neben
dem kriegsschatzmeister bei der beschaffung von Niken und paradegeräten
mitwirkte, endlich die prüfung der gesuche um armenunterstützung.^')
So wie ich das reproducirt habe, ist der Zusammenhang gut: so
steht es aber nicht da, sondern es heilst 49, 3 "früher hatte der rat die
entscheidung über baupläne und peplos. jelzt aber hat sie ein gericht.
auch an der beschaffung der Niken wirkt der rat mit", wer das list,
fragt verwundert, weshalb steht diese beseitigte competenz nicht bei den
andern beseitigten 45, 3, und die fürsorge für die Niken nicht bei der
andern gründe untauglich scheint, die zahl der pferde ist eine feste, 1000, wie
man nach Demosthenes 14, 13 und Philochoros (Hes. Imt^s, aus vollständigeren
schollen zu Ar. Ritt. 225) für diese zeit glauben darf, daraus folgt, dafs sowol der
wolstand wie die neigung der bevölkerung das bedürfnis an reiterstellen überstieg.
50) in dem sinne braucht das Mort naQÜSstyfia schon Herodotos V 61, nicht
anders als das programm der skeuothek Philons. auch das attische Staatsrecht
scheint mir zu fordern, dafs ein den staat bindendes Instrument einer ordentlichen
behörde vorgelegen hat, nicht blofs einer commission von sTtiararai oder ijtifie'
Xrjrai. sicher falsch ist die conjectur t« na^adsi-yfiata rä sie rov ndnXov, weil
es für einen mantel nicht mehrere modelle gab: xqIvsiv mit dem accusativ bedeutet
nicht die aus wähl aus einer mehrheit, sondern das probare.
51) Die grammatikerüberlieferung war verwirrt, und Böckh hatte sie nicht ganz
richtig behandelt, da nun von ihren quellen aufser Lysias 24 auch Aristoteles vor-
liegt, steht sachlich fest, dafs die Unterstützung im anfange des 4 Jahrhunderts 1,
zu Aristoteles zeit 2 obolen den tag betrug, und es folgt, dafs bei Harpokration
(aSvv.) die Worte r; oßoXöv vor ß's 'A^iar. interpolirt sind, d. h. aus einem rand-
citat, das auf Lysias beruhte, eingeschwärzt, nun bleibt noch der Widerspruch,
dafs Philochoros nach Harp. den sold auf 9 drachmen den nionat angegeben hat,
nach Lex. Seg. VI 345 auf 5 obolen, den tag, wie man erklären mufs; schol.
Aesch. 1, 103, das von Solon und dem iQimßoXov fabelt, hat Böckh beseitigt: das
ist autoschediasma. nun ist Harpokration an sich vorznziehn , und Böckh bemerkt
mit recht, dafs die berechnung nach dem monat für die zeit der 12 phylen gut
pafst, da auch zuvor der sold nach prytanien abgehoben ward (Aischin. 1, 103).
dann ist aber die geringe herabsetzung um eine drachme den monat der armen
zeit wol zuxutraun: denn 2 ob. den tag ergibt ja 10 dr. den monat. e' im lexicon
wird & gewesen sein; ehedem hatte man umgekehrt geschlossen, aber es reicht
ja diese änderung auch noch nicht. — die £<r/«T7; Sr,^oxQarla hatte nicht nur die
Unterstützungen erhöht, sondern auch die anforderungen an die bedürftigkeit erniedrigt,
denn zu Lysias zelten mufste offenbar aufser der erwerbsunfähigkeit die bedürftig-
keit schlechtweg nachgewiesen werden; jetzt galt dieser nachweis durch ein ver-
mögen unter 3 minen für erbracht.
214 I. T. Die Verfassung.
für die schiffe 46 ? nun ist die beschaffuug der Niken ein novum, nicht
äUer als 335, die Ordnung der Panathenaeen ist auch kürzhch revidirt
(CIA II 162), und erst seit den vierziger jähren hat eine neue periode
lebhafter bautätigkeit begonnen, erst wenn man sich zu der annähme
entschliefst, dafs Aristoteles auf grund dieser neuordnungen eine ältere
darstellung der ratsbefugnisse durchcorrigirt hat, wird es vollkommen
verständlich, wie er zu seiner seltsamen anordnuug gekommen ist.
Es folgt die abgerissene bemerkung, dafs der rat aus sich einen
Schatzmeister auslost: das ist erst nach 343/2 bestimmt, denn damals
waren es noch zwei.") wir möchten von den befugnissen dieses rats-
mitgliedes mehr hören, da ein rendant durch seine existenz nur eine
casse bezeugt, weiter nichts^^); aber solche wünsche steigen aller orten
auf, und dafs sie so oft unbefriedigt bleiben, mufs eine überall zutreftende
erklärung finden.
Es geht weiter "der rat cooperirt auch so ziemlich mit allen andern
beamten", worauf eine diesen abschnitt abschliefsende phrase folgt, die
zu den andern behürden, erst dem bauamt für die Unterhaltung der
öffenthchen heiligtümer, dann den poHzeibeamten überführt, jeuer satz
ist auf den ersten bhck anstöfsig, und natürlich ist schon der böse inter-
polator citirt worden. Aristoteles weist uns auf den satz zurück, der die
52) CIA II 114. der in diesem actenfascikel besonders geehrte Eudoxos aus
Sypalettos war ein gewählter beamfer und sollte die geschäftsführung des rates in
Ordnung bringen (die Sioiy.T]aie) und mit den prytanen auch für die äufsere Ordnung
sorgen (die svxoafiia, die das persönliche verhalten der mitglieder angeht), dafür
votirt ihm der rat einen kränz von 50 dr. gold : höher kann er offenbar nicht gehn,
denn der erste antragsteller wünscht dem volke anregung zu höheren ehren zu
geben; der zweite bringt aber durch, dafs die ratsherren selbst aus freiwilligen bei-
tragen das geid für einen zweiten gleich schweren kränz aufbringen. Eudoxos war
also sicherlich ein ratsherr, aber zu seiner tätigkeit durch besonderen ratsbeschlufs
gewählt als ein aufserordentlicher commissar. — beiläufig etwas grammatisches.
es heifst einmal insfieX^d'ri ttjs Sioinrjaecos vno zjjs ßovXi]S, einmal Sioixrjaecos ttj
ßovlf: also das abstracte nomen construirt nach t« Siotxoifisva. was Rümelin
von unserer spräche bemerkt hat, dafs der geschäftsstil schwerfällige nominal-
constructionen erzeugt, sehen wir hier in der attischen kanzlei; aber die unvergleich-
liche Sprache kann dem abgeleiteten nomen seine verbale kraft erhalten.
53) Zu verwalten hat dieser rendant offenbar nicht viel gehabt; die diaeten
der ratsherrn, den sold seiner unterbeamten, das was man 'den fonds für allgemeine
amtsbedürfnisse nennt, ra xara ipritpiafiaxa avaXiaxöineva rrj ßovXJj, d. h. was
der rat auf diesen fonds anzuweisen competent ist. es folgt, dafs im etat ein ent-
sprechender jährlicher posten ausgeworfen war, und dafs die competenz des rates
auch begrenzt war, z. b. also, dafs das gewicht der von ihm verliehenen kränze 50 dr.
nicht übersteigen durfte.
Der rat. 215
finanzverwaltung einleitete (47 anf.), denn er braucht dieselben worte.
anstüfsig ist nur, dafs sie hier stehn , unmittelbar vor dem formellen
absclilusse des abschnitles und ohne dafs unmittelbar vorher von einem
zusammenwirken des rates mit andern beamten die rede gewesen wäre,
was will also Aristoteles mit diesem satze hier? denken wir uns, dafs
ihm eine ausführliche darstellung der pflichten des rates vorlag, so
mufste darin unweigerlich erörtert sein, wie der rat als oberste pohzei-
behürde mit den andern Organen der execulivpolizei, als oberste ver-
wallungsbehürde mit allen beamten, die geld des volkes ausgaben oder
im auftrage des volkes handlungen vollzogen (z, b. odortoioi isqotcoloi),
endlich als der unvermeidliche Vermittler aller antrage an das volk
schlechthin mit allen beamten cooperirte. es versteht sich, dafs das meiste
sich in ein detail verlief, das für Aristoteles keine bedeutung hatte und
am ende in der allgemeinen Stellung des rates begründet erscheinen
konnte, der satz, mit dem Aristoteles darüber hinweggeht, ist nur der
ausdruck für das was er damit tut "ich unterdrücke hier noch eine
menge unwesentliches", es ist ein stilisirtes "^u. s. w.' das lehrt uns
für die Sachen nichts, aber es lehrt von neuem sehr eindringlich, dafs
Aristoteles einen auszug liefert.
Dafs diese Voraussetzung, unter der seine ganze darstellung erst
verständlich wird, wirklich zutrifl'i, bestätigt sich dadurch, dafs die
zunächst behandelten behorden eben solche sind, die, obwol Aristoteles
nichts davon sagt, notwendigerweise mit dem rate in naher berührung
standen.^") denn es folgt zunächst eine baubehörde, 10 männer für
die Unterhaltung der heiligen gebäude.^^) schon weil diese eine feste
54) Von den aiToq^vlaxss zeigt es die rede des Lysias 22. der ralsherr, der sie
liäll, sagt von einem collegium derselben sogar, sie wären ent tt;s ngoieoas ßovXrjs
im amt gewesen (9).
55) Dafs der slaat die kircliliclie baulast übernommen hat, ist eine notwendige
consequenz davon, dafs er das kirchengul in seiner Verwaltung hat und über seine
ertrage verfügt, so lange die götter eigenes vermögen hatten, konnten sie auch
für ihre gebäude selber sorgen, natürlich gilt beides für die ullot. &eoi, d. h.
weder für die besonders bevorzugten, z. b. Athena und das Eleusinische par, noch
für die nicht Stj/uorekels. der schlufs, dafs die Isocöv sniay.evaarai nicht älter sein
könnten als der schätz der andern götter, liegt nahe, würde aber nur zwingend
sein, wenn sie immer nur das ihnen unterstellte geld verbraucht hätten, wie es
Aristoteles angibt, aber in dem vöfios ßaaüJcai, den Krates bei Athen. VI 235
anführt, ist der könig für die regelmäfsige restauration des Bukoleions gehalten das
geld anzuweisen entsprechend den contracten, die von den 'uQtov eniay-evaaral ge-
schlossen waren : das ergibt Verhältnisse , die nicht die centralisirte Vermögensver-
waltung, sondern nur die Staatsaufsicht über das kirchengut voraussetzen, übrigens
216 I. 7. Die Verfassung.
summe auszugeben haben, dann aber auch, weil sie contracte ab-
schhefsen, baupläne veranlassen, endlich im falle dafs ihre etatsmäfsigen
mittel nicht zureichen, extraordinäre bewilligungen beim volke beantragen
müssen, stehn sie notwendigerweise mit dem rate in beständiger bc-
rührung. ganz dasselbe gilt von den poHzeibehörden : denn der rat, oder
vielmehr die prytanen, ist die centralstelle für die polizei; deswegen ist
dieser ausschufs in permanenz versammelt und verfügt über die skythische
Polizeiwache, wie sollten die marktaufseher und Stadtaufseher seiner
entraten können? und es bedarf nur geringer Überlegung, um ganz
denselben schlufs für die folgenden behörden zu ziehen : man mufs sich
nur die Verwaltung in tätigkeit denken.
Genaue prüfung der aristotelischen darstellung führt also darauf,
dafs er eine bereits schriftUch fixirte aber viel ausführlichere behandlung
vor äugen hat, die er für seine zwecke zusammenzieht, hier und da mit
eignen lichtem versieht, durchgehends aber auf die hohe der gegenwart
hebt, mit der sie nicht mehr völlig stimmte, auf diese Voraussetzung
hin mufs nun das übrige durchgesehen werden.
Erste reihe Die stadtaufseher haben zu sorgen , erstens dafs die f^iovaovQyol
\oBhe!xnnen.yvval'/.€g^ mit einem ionischen worte diese classe öffentlicher dirnen
zusammenzufassen, die taxe innehalten ^^), zweitens dafs die abfuhr weit
kann bei einem städtischen und so besonders heiligen gebäude wie dem der ßovxoXia,
dessen revenuen zum teil in naturalien bestehn, sehr wol diese altertümliche praxis
noch lange nachdem die ra^lai rcSv aXlwv d'scöv eingeführt waren, bestanden haben,
das gesetz setzt sehr altertümliche Ordnungen voraus, ist aber wol, wie die über
das Anakeion Hephaisteion u. a. aus der zeit zwischen 450 und 420. im eingang
ist sicher rov (^ßaaiXea tov aet) ßaaiXeiovra zu schreiben.
56) Eigentlich braucht man sie freilich zum gottesdienste, zum Symposion
zunächst nur, weil es mit einer goltesdienstlichen handlung anfängt, aber das ist
nebensache geworden, sie gehören offenkundig zu denen a't TiecpaafiEvoJS ncoXovvzat.
sie werden auch, wie die komoedie zeigl, sehr oft vom noQvoßoaxös gehalten, neben
denen die nicht ausgeschickt werden, den in^ otxTjfiaro?, oder die als ns^al sral^m
ausgehn. wahrscheinlich war diese ganze classe, oder vielmehr die mit ihnen
handelnden hauswirte, zum no^vixov tsXos eingeschätzt, und mit der concession des
gewerbes war die Steuer verbunden, also auch die aufstellung einer taxe, die elegante
Prostitution war Steuer- und taxfrei, wer die taxe erfand, galt dem souA'eränen
pöbel natürlich für ebenso volksfreundlich wie Solon, der erfinder der bordelle.
ein par jähre, ehe Aristoteles schrieb, hatte die Volksversammlung eine eisangelie,
d. i. eine majestätsklage, gegen zwei wirte angenommen, weil sie die taxe für die
flötenspielerinnen überschritten hätten (Hypereides für Euxenippos col. 19). diese
reminiscenz läfst noch deutlicher erkennen, dafs Aristoteles nicht ohne ethos diese
bestimmung des vojuoe uyo^avojuixös ausgezogen hat.
Erste reihe der losbeamten. 217
genug von der Stadt geschieht"), drittens dafs die strafsen nicht durch
vorbauten, balcons, dachrinnen, nach aufsen aufschlagende fenster un-
gangbar werden^*), endhch dafs leichen, die sich auf der strafse finden,
fortgeschafft werden. ^'*) das sind einzelheiten, mit denen die amtsprovinz
der astynomen unmogUch erschöpft sein kann, auch die Pohtik (Z1321)
behandelt sie und weist ihnen zu 1) (he wahrung des richtigen Ver-
hältnisses zwischen öffentlichem und Privatinteresse in der Stadt 2) strafsen
und gebäudepolizei 3) erhaltung der grenzen^") 4) dergleichen mehr.
57) Sie geschieiU iluicli unteinelimei, xon^o^oyoi, nicht durch Srjftoatoi e^yarai,
natürlich, weil der mist die hauptsaclie ist, der seinen wert hat. Theagenes (Ar.
Wesp. 1184) war begreiflicherweise unangenehm berührt (wie Münchhausen als
helikonischer bock über die holländische dienstmagd, die ihn aus reinlichkeit nicht
aufser äugen liefs) wenn der koprologe dem guten künden in die einsamkeit nach-
schlich (wenn man jetzt z. b. in die Eumenidenkluft einzudringen versucht, kann
es einem auch passiren, dafs einem der böse blick eines aufgestörten Kekropiden ein
cd axaii nunaCSevre enlgegenschiefst) : aber dem attischen bauern Var mistaufladen
so wenig entehrend wie jedem bauern. ob der staat für die abfuhr zahlte oder
der Unternehmer für das abzufahrende, kann ich nicht entscheiden.
58) Die türen giengen nun einmal vielfach nach aufsen auf (schon im sechsten
Jahrhundert [Ar.] oekon. 2, 4): das liefs sich nicht ändern, und wenn man nicht
dafür sorge trug, dafs sie erst innerhalb des flures standen, wie meist in Pompei,
so dafs sich ein ''vestibulum" bildete, so mufsten die leute, ehe sie sie von innen
aufschlugen, durch klopfen die passanten warnen, aber für die fenster ward also
erzwungen, dafs ihre laden, so weit sie deren hatten, nach innen schlugen, dafs
&vQiSes fenster sind, sollte doch bekannt sein.
59) Selbstverständlich tritt in solchem falle die polizei nur subsidiär ein, wenn
oder so lange die angehörigen nicht da sind oder ihre pflicht versäumen, das gesetz
gab die modalitäten genau an, und wir können es ziemlich herstellen aus der paral-
lelen Instruction der demarchen, für deren erhaltung wir dem ungeschickten redner
gg. Makartatos (57) nicht dankbar genug sein können, einmal weil die sache selbst
interesse hat, noch viel mehr aber, weil wir hier offenbar den rest einer vom volke für
alle demarchen erlassenen Ordnung besitzen, nicht die Statuten eines einzelnen demos.
eine solche lex municipalis konnte man freilich durch juristische logik sicher postu-
liren, aber urkundlich ihre existenz beweisen können ist besser, die ausdrücke im
geselze und bei Aristoteles sind dieselben, nur hat der städtische astynom sciaven
zur Verfügung, der demarch mufs die notwendige arbeit verdingen, wenn dem
demarchen für die Versäumnis der pflicht eine Ordnungsstrafe von 1000 dr. droht,
so gilt dasselbe ohne zweifei den astynomen auch, beide fliefsen in das Srjfxoaiov,
nur das eine mal in das tov Srifiov tov "A&rjvaicov , das andere mal in das der
STj/iotai. wir können für die competenz und pflicht des demarchen sagen: er übt
die pflichten der offTi'»'o/^ot in seiner gemeinde, natüilich ebenso die der lyoqavöfioi
u. s. w. wir würden die einstige Vollgewalt des aqywv ^Adr^vaiaiv ungleich besser
schätzen können, als es seine competenz, wie sie bei Aristoteles steht, erkennen läfst
wenn wir die des Sr^^aQxos kennten.
60) oqia-tai sind, wie ihr name sagt, dazu da grenzsteine zu setzen und kommen.
218 I- "?• ^^'iß Verfassung.
das sind alles allgemeine Wendungen , wahrend in der Politie die tech-
nisch allischen slehn; aher die philosophische behandluug bestrebl sich
allgemein zu fassen, was einer solchen behörde ihrem wesen nach zu-
fällt: hier werden ein par besonders interessante einzelheileu heraus-
gegriffen, das allgemeine aber bleibt fort, weil das ein Hellene mit dem
Worte aOTvv6f.ioi bereits hört, im attischen gesetze stand es natürlich:
Aristoteles kürzt.
Mit den marktwächtern steht es ebenso, sie hatten bekanntlich
die marktpolizei im weiteslen umfange*"); aber Aristoteles verzeichnet
davon nur, was etwa unserem nahrungsmittelgesetze entspricht, denn
ihre sorge für "^reine und unverfälschte waare' geht zumeist die nahrungs-
mittel an. übrigens hat er hier eine sicherlich anerkennenswerte leistuug
der demokratie hervorgehoben, denn dals im inleresse der consumenten
die polizei von amtswegen den belrügereien entgegentritl, also auch die
händler controlliren darf, ist wirklich volksfreundhch, verstöfst aber
gegen die allgemeine rechtsanschauung, die genug getan zu haben meint,
wenn der geschädigte sich recht suchen kann.
selbstversländig jedesmal als speclalcommission , in Athen und sonst nicht selten
vor. aber das öffentliche land und das der privaten occupation frei gegebene (das
ist vifiEiv) waren, wie die erhaltenen grenzsteine lehren (z. b. CIA IV p. 121), durch
ö^JtffTwt einmal geschieden; es bestanden auch acten, in denen die grenzsteine loca-
lisirt waren (z. b. Istros im schol. Soph. OK 1060, verbessert Kydath. 111), und
eine controlle war nötig, das ist also in der Stadt und dem hafcn , wo besonders
viel land der ersten classe war, sache der astyndnien, auf dem lande sache der
demarchen. daraus folgt, dafs die grenzstreitigkeiten vor die astynomen gehören,
wenn es sich um städtische grundstücke handelt; Antiphons rede TisQi oqcov, die
den Kerameikos angieng, war eine probe.
61) Die Politik gibt ihnen die snifitXeia iä.v avayy.aiwv tceqI rrjv oyoQäv,
das ist nur die deutung ihres namens, und speciell die aufsieht tibqI t« av^ßölaia
aal TTjv sixoa/uiav, wozu Theophrast das dxpavSslv iv rf, uyoQÜ fügt (Harp. s. v.).
talsächlich hatten sie viel zu tun, den unberechtigten den zutritt zum bazar wehren,
das Standgeld der dazu verpflichteten einziehn, die accise der Pflichtigen waaren
erheben und die Ordnung in jeder beziehung halten. Lipsius Alt. Proc. 101. nur
dafs sie den hetären ihre taxe vorgeschrieben hätten, ist eine lorheit, die man der
späten glosse Siäy^afifia bei Suidas (erste glosse, die zweite ist Harp. epitom. und
mit ihr und Siaygd/ufiara hängen BA 236, 241 zusammen) nicht hätte glauben
dürfen, wenn sie überhaupt attische agoranomen angehn soll, so ist es schliefslich
eine Verwechselung mit den astynomen; aber die glosse ist unbekannter herkunft
und geht wol irgendwelche aedilen an. denn in römischer zeit ist die besteuerung
der hetaeren auf grund der eigenen laxe gewöhnlich (z. b. Dessau Herm. 19, 517j.
dtäy^afi/ua im sinne von tarif ist schwerlich attisch; das würde TtftT]na sein.
Sidy^cxfifia ist 'specificirte aufslellung oder rechnung'.
Erste reihe der losbeamten. 219
An den Wächtern über mafs und gewicht war schweriich etwas
einzelnes hervorzuheben, um so mehr aber, dafs es in Athen eine solche
behörde gab, die die mafse und gewichte der händler controUirte, denn
das war gewifs nichts gewöhnliches in Hellas, wir verdanken dieser
stelle alles was wir von den metronomen wissen.^-)
An den getreideaufsehern , die den verkehr mit getreide niehl und
brot überwachen, fällt nicht die formulirung ihrer pflichten auf, die viel-
mehr ersichtlich aus dem gesetze stammt"^], aber wol die Verzeichnung
einer bedeutenden Vermehrung der zahP*), und dafs nicht einfach an-
gegeben, sondern in einem besonderen satze nach(h"iicklich noch einmal
eingeschärft wird, diesen beamten stünde die fixirung der preise und
des entsprechenden gewichtes jener waaren zu. nach der erfahrung
mit der ähnlich stilisirten angäbe über die belohnung des abtretenden
rates (oben anm. 44) vermutet man darin eine latente polemik, eine be-
richtigung. und wirklich, zu Xenophons zeit ward das gevricht des brotes
62) Die von uns zur stelle citirten granimatikerstellen (sammt ihren abschriften, die
wir weglassen) gehn auf einen mann zurück, der den aristotelischen paragraphen stili-
stisch umformte, weil das schöne alte roTs fit'rQoie xQrjad'ai Sixaiois mit seinem praedi-
cativen adjectiv ihm zu schwer schien, sonst wissen wir nur, dafs der name der
metronomen in einer deinarchischen rede (Harp. s. v. Pollux 4, 167) vorkam, das ist
ein Zeugnis derselben zeit, der berühmte volksbeschlufs über mafs und gewicht
(CIA II 476) weifs nichts mehr von metronomen; schwerlich bestanden sie noch,
überhaupt wissen wir weder, wann sie geschaffen, noch wann sie abgeschafft sind,
und ein besonnener forscher sollte sie nur als eine behörde der demosthenischen
zeit führen, die Verfassung von 322, die selbst die geschäfte der astynomen den
agoranomen auferlegte (Dilt. syll. 337), hat sie sicher nicht geschont.
63) Von sich aus würde Aristoteles weder den in Athen sonst unbelegten aus-
druck aiToe agyäs für axaxtQyaaTos, noch die nur durch die formelhafte Verwendung
desselben entschuldigte Wortstellung 6 airoe a^yöe gebraucht haben, vgl. raQQos
«(»/OS von unverarbeiteten y.confjs CIA II 809"^ 221.
64) Kenyon beharrt dabei, es stünde auf dem papyrus viJv ö^ si'y.oai ftsr, und
Blafs scheint dasselbe zu meinen, aber auf den exemplaren des facsimiles, die
wir gesehn haben, und die sehr klar sind, ist nichts als Eixoa/u{ei') zu erkennen,
und ich fürchte, dafs das angebliche iota nur etwas verwischte tinte ist. es liegt
sehr nahe, das scheinbar bequeme ei'xoai zu lesen, statt einer corruptel; es mag
aber da stehn: eine corruptel ist es doch, denn erstens ist es nicht hübsch aus
T;aav ndXai fisv Sexa zu vvv ^' eixoai das verbum substantivum zu ergänzen,
zweitens ist eine zahl 35 für eine altische behörde sehr wenig wahrscheinlich,
drittens steht bei Photion vare^ov Se r^idxovra fiev iv darei nsvre d' iv Uei^atel,
und darin die gesammtsumme 35 zu finden ist eine bedenkliche kritik, um so be-
denklicher, als in der zeile vorher TtsvzsxaiSexa an stelle von nivze steht, also
eben die zahl, die hier sowol vor /^iv wie statt ntvxe nötig ist. vielleicht hätten
wir aber besser getan vvv S' etai ).' , li fxiv herzustellen.
220 '• "• Die Verfassung.
von den agoranomen geprüft.®^) 386, d. h. zu derselben zeit, bestand
noch die zehnzahl der beamten für das getreide^''): sie sind also einmal
beträchtlich vermehrt worden, als man ihnen zur aufsieht über die ge-
treidehändler auch die über mtiUer und bäcker anvertraute, und min-
destens sehr nahe liegt es, dies geschehen zu denken, als die grofse
teuerung der ersten zwanziger jähre die Athener zu allen möghchen
mafsnahmen antrieb. nur damals begegnet uns auch die amtliche
notierung des getreidepreises, die Aristoteles hier erwähnt"''); zu Lysias
Zeiten hat sie nicht bestanden, die aLTOcpvXay.eg, das sagt ihr name,
hatten eigentlich das getreide zu beaufsichtigen, seine entfremdung und
seinen misbrauch zu verhüten,, und dem entspricht es, dafs wir sie bei
Lysias beschäftigt finden, den einkauf des getreides von den importeuren
zu überwachen, die verproviantirung der bürgerschaft. die pflichten, die
Aristoteles angibt, und die selbst beim ungemalenen körn auf den ver-
kauf an das publicum sich beschränken, sind mit dem namen gar nicht
mehr congruent, und schwerlich blofs weil Aristoteles sie unvollständig
angibt, gerade nach der bezeichnenden seite enger als bei Lysias. denn es
folgt bei Aristoteles die besondere behörde der hafeninspectoren, IfXTtoqiov
emf-ielr^rai, die aus einer commission ein ordentliches amt geworden
sind, und diesen liegt, wie er lehrt und wie sonst feststeht, gerade die
verproviantirung der Stadt ob. sie halten das eingeführte getreide fest®*),
65) Symp. 2, 22 Sokrates hat einen so dicken bauch, dafs sein Unterkörper
so viel wiegt wie sein Oberkörper, üjote xav et toIs ayoQavöfiois afpiarair^z (-<wj/S
die handschr., weil die Schreiber laräv für laravai sagten), waiisQ (xqtovs ra xäro)
TT^os la avco, ai^r;fiiov av yevea&ai. von Schenkl in schlimmer weise verdorben
zu eX TIS ayoqavöfio?, o(fia%airi aov , wo schon der unbestimmte artikel bei dem
magistratsnamen ein Sprachfehler ist.
66) Lys. 22, 8 vgl. die beilage über diese rede, der vers Mr;Tixos 8' u^tovs
enonrq, MrjXixos Se TaXtpixa (Komiker, doch wol Kratinos bei Plut. rei p. ger
praec. 15) geht also das amt des agoranomen an.
67) xad'sarrjxvTa ri/iri ist der Verkaufspreis, der so zu sagen an der getreidebörse
amtlich festgestellt wird, und zu dem in der not der Staat das getreide verkauft,
die not ist nur grofs, und der hunger zwingt ein ganz exorbitantes ennifirifia zu
zahlen, wenn die händler es verlangen, den gewaltact, den bandet mit teurerem
körn zu verbieten, wagt der Staat nicht; er wendet nur alle mittel an, um die
händler zu der liberalität zu vermögen, dafs sie zum normalpreise verkaufen, vgl.
die stellen der demosthenischen reden 34 und 56 und der steine bei Wilhelm Herrn.
24, 148 ffg.
68) Sie zwingen die grofskaufleute zwei drittel des getreides, das in den ge-
treidehafen kommt, nach der Stadt zu schaffen, natürlich nicht selbst, sondern dahin
abzusetzen, eis to airiHcv ifinvQiov hat der papyrus, und wir hielten die corrup-
telen der citate für unwert einer erwähnung; das emporium entspricht dem bazar
Erste reihe der losbeamten. 221
sorgen dafUi', dafs die attische rliederei und das in ilir angelegte capital
dem attischen getreidehandel zu gute kommt, natürlich auch für das was
ohne Zeugnis der name lehrt, Aristoteles deslialh wegläfst, für die evy.oai.iia
im emporium und die eihehung der zolle, man kann nicht anders an-
nehmen, als dafs die von Lysias erwähnte bestimmung, dafs niemand
mehr als 50 körbe getreide auf einmal kaufen durfte, ihnen zufallen
mufste, da doch das getreide im emporium lagerte. mit andern
Worten, diese behörde scheint später eingeführt zu sein und einen teil der
cpvlaxi] Tov aiTov übernommen zu haben, die aiTOcpvlaKsg bestanden
386 schon lange zeit; wie lange, ist unbekannt, die l/.i7toQiov STiifis-
krjTai sind nur aus demosthenischer zeit belegt, seit der rede gegen
Lakritos. vielleicht sind sie unter Eubulos errichtet, als der Staat die
politik verwirkhchle, für die Xenophon seine IIÖqol geschrieben hatte.*'-*)
und hat dem zufolge für die verscliiedeneii waaren verscliiedene abteilungen. aajiyicv
ist allerdings eine sehr alte Variante (BÄ. 208. 255. 288), von der uttmov (Harp.)
eine wertlose corruptel ist : denn über die schiffe auf dem meere hatten die beamten
keine gewalt, sie nach Athen statt nach Rhodos zu zwingen, aber die erklärung des
grammaükers, auf den BA 208 zurückgeht, dafs die Athener ein emporium für die
bürger und eins für die fremden gehabt hätten, ist verkehrt: die Zwischenhändler
waren ganz überwiegend metöken, und wie liefs sich die controUe durchführen,
gesetzt es hätte einen zweck gehabt, ^/s der ladung für die bürger zu reserviren?
und gieng das dritte drittel etwa an die fremden? das gesetz wollte doch nur die
Importeure zwingen, ^/s der waare in Athen abzusetzen, ^srixdv ifinoQiov wird
der grammatiker sich ausgedacht haben, die glossen 284. 208 sind aus der eiklärung
von 255 entwickelt: sehr viel hängt in diesem lexicon so zusammen.
69) Er empfiehlt, durch besondere preise die suno^iov ao^r, zur schleunigen er-
ledigung der handelsprocesse zu bestimmen (3, 3). diese processe haben die sunooiov
sTiifislriTai nie etwas angegangen, also ist es nicht wahrscheinlich, dafs Xenophnn
einen ausdruck gewählt hätte, den man speciell auf sie beziehen mufste, wenn es
sie gab. somit sind sie wahrscheinlich später eingesetzt, ganz ebenso wie man
mit recht gefolgert hat, dafs für die sfinooixai SUat vor den thesmotheten erledigung
binnen monalsfrist während der monate Boedromion bis Munichion (rede gg. Apa-
turios 23) erst nach 355 vorgeschrieben ist (Lipsius Att. Pr. 100). es war nicht
unpraktisch, den thesmotheten diese schleunigen klagen zuzuweisen, da sie auf ein
halbes jähr beschränkt waren, und diese behörde zwar sehr viele, aber sonst keine
im monat zu erledigenden klagen einzubringen hatte, die elacycoyels waren mit den
sjufijjva die sie von alters her zu erledigen hatten gerade genug belastet, und sie waren
nur fünf, die thesmotheten sechs, so dafs diese sechs gerichtshöfen an einem tage
Vorsitzen konnten, dennoch ist nicht unmöglich, dafs die analogie später auch die
ifiTtoQiy.ai als suurjvoi den slaaycoysls zugelühit hat, falls diese überhaupt noch
bestanden, oder aber Pollux 8, 101 nicht eben durch diese analogie getäuscht ist.
gerade weil wir die gerichtsverhältnisse der demostlienischen zeit gut kennen und sehr
viel Wechsel antreffen, müssen wir uns mit manchem zweifelhaften für die folgende
222 I- 7, Die Verfassung.
Diese reihe verwandter ämter wird passend beendet durch die exe-
culivpoHzei, deren organ, die elfniänner, wirklich seit Solon und länger
bestand'"') und seine feste competenz hatte, die auch hier scharf be-
stimmt wird, nur ein punkt, ihr Vorsitz in gewissen von einer denun-
tiation hervorgerufenen gerichtsverhandlungen, wird mit der nun schon
mehrfach bemerkten geflissentlichen bekräftigung, dafs eben die elf dies
zu tun hätten, hervorgehoben, die auch hier dafür Zeugnis ablegt, dafs
Aristoteles eine andere behandlung des gegenständes vor äugen hat.'")
Fassend folgen auf die polizei die richler, in attischem sinne also
die beamten, welche lediglich dazu erlost werden, gewisse rechtshändel
teils kurzer band zu erledigen, vornehmlich aber sie einem geschwornen-
gerichte vorzulegen, zuerst stehn die fünf männer für das einbringen
der schleunigen klagen, die schon um die mitte des fünften jahrhundeits
geschaffen waren, als die processe der bundesgenossen den gewohnlichen
zeit zufrieden geben, die angalie des Aristoteles zu bezweifeln, ist kein grund
vorhanden.
70) Die zahl elf zeugte von jeher genug dafür, dafs diese behörde älter als
Kleislhenes war. mit den phylen ist sie erst 306 ausgeglichen (Poll. 8, 102); wie sie
bis dahin in den elf vertreten waren, ist unbekannt, übrigens ist die verhältnismäfsig
hohe ungerade zahl in der alten zeit aus dem nämlichen gründe gewählt wie die der
51 epheten: die elf sollen als magistratscollegium richten und ein urteil durch mehr-
heit finden, es ist denaturirung, wenn sie ein volksgericht berufen, und ich möchte
nicht versichern, dafs sie es vor der perikleischen zeit getan hätten, unter den dreifsig
haben sie jedenfalls in alter weise todesurteile auch über solche die leugneten ge-
fällt und vollziehen lassen: das nur kann motiviren, dafs sie von der amnestie aus-
genommen wurden.
71) Auf diese bedeutung der stelle hat Lipsius sofort aufmerksam gemacht,
rechtlich liegt die sache so, dafs die elf da competent sind, wo das beschleunigte
verfahren der anaycoyr] statt hat, also flagrantes delict vorliegt, ob der im eigenen
oder im öffentlichen Interesse einschreitende bürger den missetäter selbst zu der
behörde bringt {coercet anayei), oder eine meidung macht (svSeixfvai), damit die
behörde ihn dingfest mache, ist für den straffall irrelevant, und nach dem rechte,
das gellen mufsle, seit die macht der magistratur zu gunsten der allgewalt des
Volkes, d. h. des gerichtes gebrochen ist, mufste in jedem falle, wo die qualität des
delictes als flagrant und manifest bestritten ward, das gericht angerufen werden,
dem folgerichtig die elf vorsafsen: oder vielmehr einer von ihnen, denn es mufste
doch einer oder vielmehr mehreie auf dem polizeibureau sein, nun ist aber auch
der rat (die prytanen) Polizeibehörde, er nimmt also auch evSsi^sis an, die er
zur aburteilung, so weit wieder ein gericht nötig wird, den thesmotheten übergibt,
wie alle seine processe. daher concurriien elf und thesmotheten in den evSei^sis.
da nun die alten magislrate immer mehr zu gunsten des rates talsächlich zurück-
traten, ist wol begreiflich, dafs jemand die evSei^sis eis tovs t'vSexa vergessen
konnte.
Erste reihe der losbeamten. 223
beamten zu viel arbeit machten , und deren bestimmung ursprünglich
nicht gewesen zu sein scheint, die schleunigen processe, sondern die
auf bestimmte monate angewiesenen bündner- und kolonistensachen zu
erledigen, was dann freilich in der vorgesehenen frist nötig warJ^) das
vierte Jahrhundert hat sie dann in seinen beschränkten Verhältnissen
für etliche schleunige Sachen verwandt, wir wissen freilich nicht, ob
sie immer fortbestanden haben, was ich nicht bezweifele, dagegen haben
die vavTodUai, die dem namen nach für die spätem ei.i7toQiY.al dUai
bestimmt gewesen sein müssen, einzeln auch so vorkommen") und mit
den eioayioysig die schleunige entscheidung teilen, nur noch kurze zeit
nach 403 bestanden, vorher aber sind ihnen sowol sachen einzelner städte
zugeteilt gewesen ^^), wie, doch wol nur in einem besondern falle,
klagen '^6viag''% die unter normalen Verhältnissen den thesmotheten gebort
72) In der zeile CIA I 37, 7 steht vor der entscheidenden erwähnung der
slaaycoyTJs der monat Mat/uaxri^^tcüv. 38* (IV p. 13) wird der rafirihcöv erwähnt;
dafs er die Eiaaywyris angehe, bleibt wahrscheinlich, obwol der stein nicht zu 38
gehören soll, in 38 werden mifielriiai erwähnt, die bestimmte Sachen efi^irjva vor
gericht bringen sollen, in dem slalut für Milet (CIA IV p. 6) gibt das stück c
folgende Zeilenanfänge t«s] §e Sinai evai Mikeaiois üa{ra. S^axfias ano röv
i7ti8txdro[v gefalle an die attische göttin, t« S]e Ttovravela ri&avrov ttqcs cd
8]s Si'xai lAd'heai ovrov ev i[5i — — yai 'Avd'EaxrjlQiövi, xnl 'EXacpsßoXiovi h
— vsfiavrES xai )tXs^c(TavTt[s — — eaayjövTOv Svo röv oiqxÖvtov x — — 6 8ä
ftiad'ds SiSöla&o toTs Sixaarsaiv ix to 7i]aQex6vTOv rb Sixaat[rjQtov nXrjoss
— — ev ro7s j-ir^oi toIs] nqosQBfitvoii t evd'vv[cad'(ov %i}.iaGi Squ^ur^at, — —
■jiooi rbs oQXOftcs TOS 'Ad'[7]vaicov — — ^A&a'vni^e toIs emuEXilrrfai — — ai
xad'änEQ TTQo rö xni ku [MiXrjiwi'l s inifiEXäa&ov hoi 7iEt[jE die nach diesem
beschlösse gewählten 5 int/uEXr/rai] ro Si]xnaTEqi,ov xad't^Ei x — — nogevo-
ftevois ivai e ol olqxovtes hot ^Ad'Eva{ioiv töS Ss hvnio /lExaröv; folgt
ein eid. hier ist wenig sicher, aber feste teimine der milesischen processe in den
Wintermonaten, die oqxovtes sind mehrdeutig; vielleicht gab es noch keine elaaycjyr,?.
73) Lys. 17, 5 vom jähre 398, dies oder das citat aus der verlornen rede
wider Alkibiades bei Haip. ist die letzte erwähnung. sie richten wider einen sfinoQoi
im Gamelion.
74) CIA I 29, 4, ein Statut für die kleruchen von Oreos und die dortige unter
tänige bevölkerung, iv tc* aliZi fiEvi hoi vnvxoSixai,; ob dazu ixdixät,Eiv zu denken
ist, ist nicht sicher, aber nach 38 glaublich.
75) Das wichtige gesetzesbruchstück steht aus Krateros bei Harp. s. v. iav
Ss TiS ^1 afifdlv ^Evoiv yEyovd.i fqarqi^j], Sicoxsiv stvai reo ßovXoftdvco ^d'rjvai'cov
ols Slxai eial, Xayxaveiv Ss ncfi i'vr] xai rsq tiqos rovs vavtoSixas. da solche
yqatfal ^Evias nur von Arislophanes in den Daitales (727) und von Kratinos in den
Chirones (S, vor Perikles tod) erwähnt werden, so mufs man das gesetz entweder
mit dem perikleischen von 451 identificiren, was mir am geratensten scheint, oder
mit einem, das es später modificirte: denn o'ftfort'qcod-fv ^s'toi blieben immer strafbar.
diaeteien
224 I- 7. Die Verfassung.
haben müssen, wie es Aristoteles angibt: denn die Sicherung der ge-
schlechter vor fremden eindringlingen ist gerade für die adelszeit ein
wichtiges ding und geht die an, die damals die rechtsprechung übten.
£)ie Die vierzigmänner, für die sich Aristoteles auch in dem geschicht-
lichen abschnitte interessirt, sind so wie sie hier erscheinen erst eine
Schöpfung der demokratischen restauration , und die Schiedsmänner hat
sie überhaupt erst zu einer staatlichen einrichtung gemacht: sie folgen also
gut auf die sioaycoyelg. die Schiedsmänner behandelt Aristoteles mit der
Sorgfalt und in dem breiten Stile, den später die darstellung des gerichts-
wesens zeigt, es interessirte ihn mit recht der geistreiche versuch, die
heliasten und beamten dadurch zu entlasten, dafs alle privatprocesse
zunächst einem schiedsmanne vorgelegt werden mufsten, der sogar ge-
hahen war, einen vergleich zu versuchen, dann aber die Verhandlung,
so weit sie Untersuchung war, abschlofs: denn kam die sache vor ein
gericht, so waren erneute beweismittel nicht mehr zulässig, sondern es
handelte sich nur um das urteil, also gab es erstens weniger processe
überhaupt, also auch viel weniger kosten für die staatscasse, denn der
Schiedsmann bekam nur sportein von den parteien , und dann mufste
die Verhandlung vor gericht eigentlich sehr viel weniger zeit kosten, da
die veinehmnng der zeugen fortfiel — da hat freilich die attische mund-
fertigkeit und die grassirende rhetorik das werk ziemlich vereitelt, und
die sechzigjährigen einzelrichter haben überhaupt geringe autorität er-
langt, weshalb man wol schon 323 die Schiedsmänner definitiv beseitigt
hat.'®) noch geistreicher ist es, wie man sich die Schiedsmänner ohne
kosten für den Staat beschaffte , nämlich indem man den letzten Jahr-
gang der miUtärpflichtigen dazu aushob"), also einen im kriege doch
den Worten oL §ixai siaiv enlspiicht in dem gesetze des vierten jahitiundeits (Apollodor
geg. Neaira 16) ols s^sanv, beides bezeichnet also nur den bürger, der processiren
darf, d. h. mündig und im genusse der vollen bürgerlichen ehre ist. dafs man für
diese eine soite processe die nautodiken heranzieht, die mit ilinen so wenig und
so viel zu tun haben wie mit den processen der Oreiten, ist ebenso wie die
fixirung der termine für solche klagen auf einen tag im monat ein charakteristischer
versuch, den geschäftsgang der gerichte zu ordnen und der unüberwindlichen masse
von rechtshändeln herr zu werden, unüberwindlich waren sie, das lehrt der oligarch
der IIoL lä&tjv. aber dafs die Athener sich mühe gegeben haben, sollen wir ge-
recht genug sein anzuerkennen.
76) Die scharfe und sehr belehrende kritik des Demetrios von Phaleron steht,
leider im Wortlaute sehr entstellt, bei Pollux 8, 126 und im lex. Cantabr. /urj oian Siyrj.
77) Man kann schwanken, ob nicht vielmehr das erste jähr nach vollendeter
militärpflicht für das schiedsmannsamt bestimmt ward, denn ols äv e^rjxoarbv sxos
fl ist zweideutig, aber die 42 eponynien entscheiden: es sind eben nur 42 tafeln,
[
Die diaeteten. 225
lieber nicht verwandten teil der bürgerschaft zu einem geschäfte heran-
j zog, für das alter und erfahriing ihn geeignet erscheinen liefsen. die
Institution zeigt den guten willen der biedern männer, die neben den
ji radicalen schreiern in der schweren zeit von 403 ab tätig zu sehen
woltut. ihre namen sind verschollen.'^)
In dem aristotelischen capitel fällt die einmischung der phylen-
eponymen auf. ist das nicht seltsame rede "wer 60 jähr alt ist, das weifs
man durch die eponyme. es gibt nämhch zwei arten eponyme, 10 der
; phylen, 42 der Jahrgänge u. s. w." wer so weit bei Aristoteles gelesen hat,
l braucht die phyleneponyme wahrlich nicht erst kennen zu lernen; als
i bekannt sind sie noch eben 48, 4 erwähnt, und im nächsten satze wird
die bronzetafel vor dem ralhause naqcc rovg e/to)vvf.iovg gestellt, ohne
dafs diese einen diakritischen zusatz erhalten, die einfiihrung der 10 epo-
I nymen, die der gott aus 100 vorgeschlagenen gewählt hatte, ist, wo sie
: hingehört, unter Kleisthenes erzählt (21, 6). woher also diese redeweise
1 hier? vergleichen wir die zweite glosse des Etym. M. E7icövvf.ioi'. öirroi
: wenn also eine neue dazu kommt, so wird eine alte cassirt und eben deshalb auf
' der neuen der name des eponymen diaeteten vermerkt, der im verjähre amtirthat:
der eponymos des Jahrgangs ist er längst nicht immer, sondern nur, wenn der nicht
mittlerweile verstorben oder zur zeit verhindert war. die diaeteten also entsprechen
nun der letzten tafel, d. h. dem ältesten der 42 Jahrgänge, d. h., da die epheben
beim eintritte 18 jähre vollendet haben, dem jahrgange derer, die 60 jähre vollendet
haben, da die tafeln mit den Jahrgängen in Athen aus holz oder bronze waren,
haben wir keine reste: aber wie die boeotischen steintafeln anzusehn sind, die die
recruten aufzählen, wissen wir nun. natürlich werden uns aber die diaetetenlisten nun
sehr wichtig, weil sie lauter sechzigjährige enthalten : so ist Hypereides nach dem
steine CIA II 941 unter Aristophon (330/29) diaetet gewesen, also 400/399 geboren,
man kann auch so sagen: da dieses jähr zu allem was wir über Hypereides wissen,
der um 360 staatsreden zu verfassen begonnen hat, trefflich stimmt, darf die Ver-
mutung als sicher gelten, dafs jener stein eine diaetetenliste gibt, freilich war
dieses geburtsjahr nicht constatirt, als er 18 jähre war, wenn die 42 tafeln erst
mit der ephebie eingeführt sein sollten (vgl. oben s. 190); aber ein katalog für die
aushebungen mufs doch immer vorhanden gewesen sein, die ephebie wird nur
die vergänglichen holztafeln durch die bronze ersetzt haben.
78) Vergleichbar ist die altspartiatische sitte, dafs die tTtnrfi (die zu den zeiten
Damonons auch noch nicht alle pferdelos gewesen sein werden) nach ablauf ihrer
dienstzeit araioi werden, und die fünf besten den titel ayad'os^yoi erhalten und
von den Ephoren , die sie auswählen, ein jähr zu geheimen Sendungen verwandt
werden. Herodot I 69 und ein zuverlässiger autor (wol Sosibios) in der rQonixTj
(oder iQayixri) Xe'^is des Didymos, auf den alle unsere grammatikerstellen zurück-
gehn, die Ruhnken zu Timaeus aya&oeoyoi (in dem die glosse interpolirt ist) gesammelt
hat. die araroi hat Usener statt sinnloser aaroC bei Herodot aus dieser Überlieferung
hergestellt, in Sparta ist also das amt ein weiteres diensljahr. es sind evocati.
V. Wilamowitz, Aristoteles I. 15
226 '• '^- Die Verfassung.
etoiv ovTOi, o'i (.lev Xeyoi-ievoi (1. liyovTai) rtov rj?u'MWi Y.al eiot
f.iß' , OL yiaXovvzai xal Irj^ecov inwvv[.iOL, ol öh öeKa, acp^ luv al
(fvlal TtQoatjyoQevd-rjGav (folgen alle zehn in richtiger Ordnung), raira
öh Tcc 8iy.a 6v6f.iaTcc ano q (Kaihel für anöqiov. die conjectur ist zu
schon, als dafs ich das %oiva rcc tcov cpUtov auf sie ausdehnen könnte),
KlaLod^ivovg ovroi öiara^af-iirov (überliefert sind nominative) to /räv
Ttliid^og eig dexa cfvlag.''^) bei Harpokration entspricht der artikel
unter demselben lemma, den man eben so gut auf diese glosse wie auf
die aristotelische stelle zurückführen kann ; unter OTgaieia 1/ rcov
ertiüvv/iitov schreibt er nur Aristoteles ab, führt ihn an und gibt am
Schlüsse die Verweisung auf das vierte buch des Philochoros* nun ist
wol deutlich, dafs jene glosse im Et. M. aus Aristoteles nicht stammt:
die Xrj^etüv encöwiioi beweisen das allein; aber es ist auch klar, dafs
die Unterweisung über die doppelten eponyme dort unanstofsig ist, bei
Aristoteles nicht, und dafs in der glosse vereinigt steht, was Aristoteles
an verschiedenen stellen hat. Aristoteles ist also in seiner Schilderung
beeinflufst von einer fremden darstellung, und diese ist freilich nicht
Philochoros, auf den Harpokration hinweist, sondern der ebenso von
Philochoros wie vorher von Aristoteles benutzte atthidograph. das Ver-
hältnis beider ist hier in der darstellung der Verfassung kein anderes
als wir es in der erzählung der geschichte gefunden haben.
Zweite reihe Das capitel 54 fängt an xlrjQovai de xal Tdoöe Tag aqxäg, und
losbeamten. wirklich ist aufscr dem lose keine Verbindung zwischen diesen beamten
und den vorher behandelten ; unter ihnen selbst aber auch nicht, denn
da stehn zuerst 5 wegebaumeister^"), die ihren platz besser vor den
astynomen haben würden, und dann die rechnungsbehörde, die angemessen
unmittelbar hinter den richtern stünde, sie ist natürhch die des vierten
Jahrhunderts und nimmt keine rücksicht auf die 30 logisten des fünften.'^)
79) Die quelle der Et. M. ist auch hier wie so oft das schöne lexicon, dessen
auszug wir das fünfte Bekkersche nennen, so weit dieses nicht zu Hesych gehört,
aber dort (243) ist nur der anfang der glosse erhalten, im Et. M. geht eine
schlechte glosse aus Photius voraus, der zweite teil jener guten auch in den
patmischen Demosthenesscholien.
80) Mr^rixos Se ras odovs (sc. enonrä) sagt schon Kratinos (anm. 66), und auf
eine ordentliche behörde durfte man auch aus Aischin. 3, 25 schliefsen. weiter weifs
ich nichts von ihnen, ihre aufgäbe ist die Unterhaltung der von staatswegen seit
der herrschaft des Hipparchos angelegten landstrafsen ; mit der Stadt, wo die
astynomen regieren, haben sie nichts zu tun; der scholiast zu Aischines hat ins
blaue geraten.
81) Vgl. das capitel Xoyos und ev&vva.
Zweite reihe der losbeamten. 227
aber wol steht hier wieder ein polemischer satz, die logisten wären
les aliein, die die rechenschaftspflichtigen vor gericht führten, wohin
' diese spitze zielt, läfst sich noch erkennen, denn hei Ilarpokration wird
die priifiing den euthynen beigelegt, und der gelehrte, von dem er
abhängt, hat sogar gefühlt, dafs Aristoteles eine verschiedene lehre gäbe.*-)
-aber ich weifs nicht, wen Aristoteles meint.
I Dann kommen die Schreiber, die uns eine Überraschung bereiten,
obwol der grofsere teil des artikels aus der grammatikerUberlieferung
richtig gewonnen war, wenn auch nicht für die 'herrschende' meinung
der handbii^cher, und obwol für jeden, der die Zeugnisse der Inschriften ver-
folgt hatte, seit einigen jähren klar sein mufste, dals es so einfach nicht
gienge, wie wir geglaubt hatten, und Aristoteles sich längst nicht mit
allen Urkunden vertrug, ich habe die Specialuntersuchung nicht gemacht,
idie erforderlich ist, obwol das material schwerlich ganz feste ergebnisse
gestatten wird, so viel aber steht fest, dafs Aristoteles keinen avTiyQc«fevg
als beamten kennt, also diese kategorie damals nichts mehr bedeutete
jals andere suhalternbeamte {vTtr]QSTat), Avas die ccvriygacpsTg meistens
'auch auf den steinen sind^^), dafs er zweitens abgesehen von dem Vorleser,
dessen bedeutung nicht mehr grofs war, zwar einen yga^tfiarsig y.ara
iTtQvraveiav aber keinen ygaf.ii.iarevg rijg ßovl^g oder Trjg ßovlfjg v.aX
Tov öijftov kennt, während die steine diese beiden titel neben dem des
yQaftftarevg -/.axu TVQvraveLav kennen, und dafür nichts von dem ItiI
Toig vöfiovg des Aristoteles wissen.^') fest steht weiter, dals der Schreiber,
82) ei&lrai (1. si&vroi , riclitig BA 257) ovofia cQyr;s nao' i4d^r,vaioiS ' i
rov otQid'fidv faav avS^eS tzuq' oii iSiSoaar oi TCoecßevaavxES r, aQ^avreS tj
Stotxr^aavTt's ri tcov Srjioalcov ras et&iras, dann wird Aristoteles citirt. die auf
dieselbe darstellung zurückgehenden glossen bei Photius und im fünften Bekkerschen
lexicon parallelisiren sie mit den logisten. Harpokration Xoyiaxai sagt auch von
diesen, wieder nicht nach Aristoteles, dafs sie tks Ei&ivas rcöv Sicoxrjfievair
exXoyi^ovrai und fügt bei, den unterschied zwischen logisten und euthynen lehre
Aristoteles, misverständlich hatte jener mann freilich geredet, der vor Aristoteles
aus den 10 ratsherrn, die die besch werden gegen die ineid'wot entgegennehmen,
um sie erforderlichen falls weiter zu geben, eine a^xr, machte, aber zu der zeit,
wo die Institution bestand, kann er nicht wol so direct falsches gesagt haben, wie
Harpokration scharf interpretirt ergibt, doch gelingt es mir nicht, etwas plausibles
zu erschliefsen. die scharfe Unterscheidung der ämter, der gesandtschaften (wie im
richtereid) und der extraordinären commissionen zeigt, dafs es kein in Athen ganz
;unerfahrener mann war.
I 83) Es ist nicht glaublich, dafs der wahlmodus gerade da geändert ist, als man
dem amte grofsere bedeutung verlieh, indem man es jährig machte, das los dürfte
früher eingeführt sein, bald nach 403.
84) CIA II 114 kann ja mit seinem ini ra t^'r^fiafiaxa den beamten meinen,
15*
228 I- "'• Die Verfassung.
der für die actenslückc verantwortlich ist und von dem Protokollführer
in den Sitzungen des rates und Volkes nicht gelrennt werden kann , 6
v.axa TtQvravelav ist, der den namcn heibehallen hat, weil er bis in die
sechziger jähre prylanienweise wechselte, wovon Aristoteles nichts mehr
sagt, das wichtigste aber und ganz neue ist, dafs es nicht der rat,
sondern das volk ist, welches diese beamten jetzt erlost, früher wählte,
wir wissen nicht bis wann.*^) Aristoteles sagt nicht das mindeste davon,
dafs sie ratsherren waren, woran doch nicht zu zweifeln ist. jedenfalls
aber gilt für dieses amt im gegensalze zu dem der ratsherrn, dafs die
Iteration untersagt ist.*^)
Nun kommen die opfermänner, zwei gleichnamige coUegien , von
denen das zweite den zusatz xar' Iviawöv trägt, der es doch von dem
ersten ebenfalls jährigen nicht unterscheiden kann, er ist ihm vielmehr
schon im fünften Jahrhundert gegeben, im gegensatze zu den zahlreichen
gleichnamigen collegien, die sei es aus dem rate, sei es aus den richtern
für einzelne feste gelegentlich ausgelost wurden.*') die jährigen opfer-
der später durch den inl rovs rofiovs ersetzt ist, aber dann ist inzwischen eint
änderung getroffen.
85) Aischines 3, 25 will zeigen, wie grol's die bedeutung der enl ro d'ecogixöi
338 war, die jetzt, seit dem gesetze des Hegemon (das vermutlich den rafua
crQaxKorixcüv geschaffen hat) geringer ist. dabei holt er in seiner praetenüösei
nianier weit aus und sagt 'für die amtspflicht, die die ml ro d'smQiitöv gehabt haben
in jeder prytanie die bilanz der Finanzen dem volke vorzulegen, hat es in frühere
zeit {nQoxsQov und Tcgärov sind alte Varianten, denn handschriften, die das falschi
TiQCürov haben, haben im scholion das richtige) einen amy^afsis gegeben, den da;
volk wählte' (in der wähl liegt schon eine Schätzung des amtes). das geht also dii
zeit vor Eubulos an. ich will nichts gegen die meinung sagen, dafs damals wirk
lieh das volk einen ratsherrn mit dieser aufgäbe betraut hat, weil sich so Demosth
22, 38 gut verstehn läfst. nur ist festzuhalten, dafs der lilel auch danial
nicht terminologisch fest geworden war, da Demosthenes in derselben rede (70
avxiyQacpevs von dem controllirenden staatssclaven braucht und überhaupt am
YQatpead'ai die controUe immer in sich schliefst.
86) Im jähre 403 ist es sehr deutlich, dafs die "ansehnlichsten und zuver
lässigsten" zu dem schreiberposten gewählt werden, Agyrrhios für die Pandionis
Kephisophon von Paiania für die Erechtheis: auch dieser ist activer Staatsmann
denn er hat, ehe er Schreiber wird, einen antrag gestellt, woraus dann folgt, daf
er im rate safs {/JbXt. 89, 26). wer mit den personen gut bescheid weifs, wir
ohne zweifei viel interessantes ermitteln können.
87) Dies hat Scholl (Müncb. Sitz. Ber. 87) richtig erkannt, während sein
übrigen aufstellungen durch Aristoteles stark berichtigt werden, das Verhältnis de
leQonoioi y.ax' iviavxöv zu den grofsen und kleinen Panathenaeen hatte Bock
richtig beurteilt, in der ergänzung der Hcphaistieninschrift (CIA IV p. 64), die mi
Kirchhoff zum teil mit minderem glück als Scholl behandelt zu haben scheint, sin;
Zweite reihe der losbeamten. 229
{männer hatten zu Aristoteles zeit mit den kleinen Panathenaeen nocli
limraer etwas zu tun, früher auch mit den grofsen^*), was nun beseitigt
iwar. ihre hauptpflicht war die ausstattung der penteterischen feste, so
Iweit sie noch bestanden und staatsfeste waren, leider ist die stelle
zerstört, die allein einen archon nennt, so dafs man nicht mehr sicher
erkennt, ob diese ganze anordnung erst durch Lykurg 329/28 getroffen
war, oder Aristoteles einen zusatz macht, der eine ganz frische Verord-
nung berücksichtigt.*^)
die wiciitigsten zeilen etwa so zu lesen 10 h]isQonoid[i §]s hoirivss his^o7ioieaoa[t
TSV ■d'vaiav Ssxa äiS^as 8i (11) a]x^£[QÖaai] ex tcv S[ixa]aTÖv lieva ix zis cpvXeS
ix tÖ[v TCQOXQiTOv, hol §s Xsxoia (12) q\x'^'' S[i,axX\eQoaävi[o%' ^/Jera rcv res ßoJ.es,
Siax?.sQoa[di^rov Se hovrot ivavri] (13) ot' rää ßoXks, hoi Sa ?.[ax]6pTes fiitxd'og-ooovzov
{xad'a.TtEQ \liot Sixaarai hios av £] (14) nijxiXovxai rovrov, [ho]i Se xoXaxoitai
\a7toSiS6vTOv airolls t6 UQyvQiov, Sia\ (15) xXeQoaäxo Se xai ha ßole a<pöv avröv
\hisoonoi6s Sixa avS{>{as liiva ix tss (pvX] (16) ei hexäares. darin ist 13 von Scholl
ider gedanke gewifs richtig mit xad'änsQ ev Sixaffrals e'cos äv emixeXcovrai, roincov
gegeben, und nur die form meine ich richtiger gefunden zu haben; KirchhofT hat
xa&ÜTteQ T[rj TtevrerrjoiSi ol iJTtifieXovTai, aber t ist mit nichten erhalten, an
welche behörde er denkt, nicht zu verstehn, und dem befehle, unter nevTsrT]Qis in
leiner Inschrift die von der penteteris der Hephaistien handelt, die Panathenaeen zu
iverstehn, wird man sich nicht fügen (auch z. 24 kann seine sonst sehr scharfsinnige
iergänzung ohne diese Seltsamkeit bestehn: 7toi6vro[v S]e hoi hi8Qo[noi,oi hovicos
[höare t]sv XaftnaSloS^Ofiiav xai] tov aXkov ayöva yiyvsad'ai xad'ä[neQ roTs IIoo-
jxrj&iois re]v &eav [ol XafindSaQx]oi noccai). wichtiger ist die frage, wer die opfer-
i männer aus den richtern auslost; der name geht auf a^x^t aus, aber für 10 leute
1150 demarchen in die Stadt zu holen, geht nicht an; (pvlaqxoi, (Herod. 5, 69, [Ar.]
;oek. 2, 4) wage ich nicht, so bleiben wol die lexiarchen, an die auch Scholl
gedacht hat, oder die tritlyarchen; eine behörde die unter dem rate steht, ist nötig,
denn die nächste zeile meine ich gut ergänzt zu haben, vgl. Ar. 47, 2. da die er-
losung der 10 aus den richtern und der 10 aus dem rate zeitlich zusammenfallen
soll, ist es passend, dafs jene auch im ralhause geschieht, ob nun lexiarchen oder
trittyarchen, das hängt davon ab, wie die Unterabteilung der 6000 richter benannt
und beschaffen war, die in ix röv — steckt, dafs man nicht 10 aus 6000 erlost
hat, ist begreiflich, aber n^ox^hcav ist nicht mehr als ein einfall, auf den ich ge-
bracht bin, weil z. 5 die demoten erwähnt waren, z. 6 eine zahl, hundert und -zig,
stand, das kann allerdings auf die teilnehmer der procession bezogen werden, die
unten vorkommen (19 exyoäfpev i[x rov nsfmovTOv]!}, nur ist dafür die zahl sehr niedrig.
88) CIA I 188, 6 aus dem Panathenaeenjahr des Glaukippos 410. an den kleinen
sind sie betheiligt CIA II 163 und heifsen isgonowi ol Sioixovvxes xd Ilavad-r^vata
xa xax' iviavxöv. es ist ein lykurgisches gesetz.
89) Die aufzählung von 4 penteteriden ist durch Pollux gesichert, aber ein
name ('HqaxleiScöv bei ihm) ist darum bedenklich, weil das fest uns unbekannt ist.
dann sind in der handschrift die Panathenaeen erwähnt, die Aristoteles eben aus-
drücklich ausgeschlossen hat. Blafs nimmt deshalb eine interpolation an, während
230 I- "'• I^'^ Verfassung.
Die andern Uqottoioi, die eitl r« ey.&vi.i(XTa, sind eigentlich eine
jener für einen einzelfall gebildeten commissionen. denn jedes der sühn-
opfer, die sie ausrichten, ist durch eine besondere äufserung des gött-
lichen willens hervorgerufen, mag diesen ein orakel oder ein seherspruch
verkünden, und nur, weil erfahrungsgemäfs der staat solche äufserungeo
alljährlich öfter empfängt oder einholt, ist einmal beliebt worden, eine
ständige behörde dafür zu schaffen, ich kann nicht angeben, wann das
geschehen ist.
EndUch sind erloste beamte noch der archon von Salamis und der
demarch des Peiraieus, von denen Aristoteles so redet, als hätten sie
lediglich spiele dort auszurichten, allein für die eine gelegenheit sind
doch keine jährigen beamten erlost, geschweige ein so hoch bezahlter
wie der archon von Salamis. Aristoteles gibt hier also wieder nur ein
par besonderheiten an, das wichtigste aber läfst er fort, weil es teils
im namen liegt, Iheils die localverwaltung angeht, die er nicht berück-
sichtigen will, der archon von Salamis erscheint später neben den an-
dern beamten, die Athen in seine auswärtigen besitzungen schickt; nur
weil Salamis längst pacificirt ist, verwaltet es ein bürgerhcher erlöster
mann, während die ferner liegenden inseln unter gewählten, zum teil
durch ihre namen als mihtärisch kenntlichen leuten stehn.^°) der archon
von Salamis, an dem Aristoteles befremdend findet, dafs er für die insel
wir durch Streichung eines xai den guten sinn erzielt haben, dafs keins der andern
feste in ein Panathenaeenjahr fällt: nach Blafs fällt jedes in ein verschiedenes, eins
also in ein Panathenaeenjahr. wüfsten wir ihre Ordnungen, so wäre die entscheidung
leicht, aber der zufall will, dafs wir nur die Delien im zweiten (V. v. Schöffer
de Delo 59) und die grofsen Eleusinien im vierten (CIA II SSl"^ 4) Olympiadenjahre
kennen, die Brauronien und ihre opfermänner werden zwar CIA II 729 erwähnt,
aber die datirung ist weggebrochen, an dem schlufssatze haben wir verzweifelt.
Blafs schlägt neuerdings sehr ansprechend vor vlv] Se ngöaxEixai {xal 'H] faia[Tta]
sTii Krjffiaofwvxo?, und nqos ist eine sehr gut mögliche lesung. nur sagt er selbst,
dafs diese Hephaistien für jene zeit unbezeugt sind: die alte penteteris, die Scholl
statt der Herakleen einsetzen wollte, kann Lykurg sehr gut erneut haben; nur
fehlt jede spur. PoUux 8, 107 stimmt wörtlich, aber er kann nicht auf Aristoteles
zurückgeführt werden, wenn dieser ein fünftes fest nannte; das glaube ich gern,
in dem falle ist bewiesen, dafs Aristoteles alles bis auf den letzten zusatz abge»
schrieben hat, was ich auch gern glaube, denn die Stellung der notiz bei PoUux scheint
mir an sich die benutzung des Aristoteles fast unbedingt auszuschliefsen.
90) Der Stratege, der für den verlust der insel 318 verantwortlich gemacht
wurde, und dessen name noch nicht sicher aus den corruptel l^axrjraSov hergestellt
ist (Pausan. I 35, 2, AiaxriräS7,s Uoo^ävov Mshzeis nennt ihn sehr wahrscheinlich
Köhler CIA II p. 142), war ein ttoos t« rtaQÖvra nqäy^aTa sxTie^inöuevos^
Zweite reihe der losbeamten. 231
«ponym ist, war offenbar schon im sechsten Jahrhundert dorthin ge-
sandt und trug seinen namen als träger des vollen imperiums wie seine
collegen in Athen, bestimmt die insel zu verteidigen und Verwaltung
und gericht über kleruchen und Untertanen zu üben, nach mehr als
zweihundert jähren mochte die insel freihch den eindruck machen, nicht
anders attisch zu sein als die tetrapolis, deren bewohner es zu den
ordentlichen behörden und gerichten der Stadt weiter hatten, da war
der archon von Salamis nur noch eine pfründe.
Dagegen lernen wir in dem staatlich ernannten demarchen des
Peiraieus eine sehr merkwürdige neuerung kennen. Aristoteles sagt von
ihm nur, dafs er, wie der archon in Salamis, Dionysien ausrichtet und
«horegen für sie bestelh, und es ist ganz logisch, dafs der Staat, wenn
er ein gemeindefest übernimmt, auch selbst den spielleitenden beamten
bestimmt, aber dafs die ländhchen Dionysien der gemeinde Peiraieus
staatsfest sind, können wir erst aus der lykurgischen zeit belegen.^') nun
kann doch aber unmögHch neben diesem von den Athenern gesetzten
demarchen noch ein von den Piraeern gesetzter bestanden haben, zumal
für die festleitung der name demarch sehr wenig pafst. der Staat hat
also hier in die Selbstverwaltung einer einzeigemeinde eingegriffen und
getan, was auch der unsere ausnahmsweise tut, den bürgermeister selbst
€rnannt. mag ihm das fest den anlafs gegeben haben, die sache hat
viel tiefere bedeutung. die hafenstadt war zu grofs und zu wichtig, als
dafs man ihre executivbeamten den gefahren der vetterschaft und der
corruption aussetzen durfte, die eine dorfwahl mit sich bringt, da der
hafen vom Staate erbaut war, die Stadt durch volksbeschlufs angelegt,
nach festem plan ihre strafsen tracirt, Wasserleitungen gebaut waren,
das ganze in den festungswerken lag, so war die polizeiverwaltung in
den bänden staatlicher behörden, Strategen, astynomen, agoranomen u.s. w.
91) CIA II 741 aus dem jähre 334/3 und den folgenden, der wol unterrichtete
Verfasser der Lykurgvita setzt nicht diese einrichtung, sondern die Stiftung eines
musischen agones für Poseidon im Peiraieus auf die rechnung seines helden; so
sind die Jiovvaia iv IleiQaiEi doch wol früher verstaatlicht, das theater in Munichia
ist alt; aber dafs die Ilaoalia dort neben Dionysos sitzen kann, deutet auf sehr alte,
uns nicht mehr kenntliche cultverbindungen (Mitteil. XIII 221). der Peiraieus und seine
«ulte (Zeus Soter, Aphrodite, Asklepios, Poseidon, Bendis, Göttermulter) sind neu,
Munichia ist alt, und zu den alten göttern gehört Dionysos: als häuser und mauern ihn
bedeckten, pflanzte man keine reben mehr an dem hügel. alt wird auch das üaicüviov
sein (Krates Orioia 2) im gegensatze zu dem Asklepieion, und vielleicht darf man dahin
die singulare glosse beziehn Bekk. An. 299, 14 Tlaiwvia rönos iv ^ d'eazQov rjv onov
aycora inejilovv. Hesych hat die kaum hergehörige enixkrjais 'Uaicövios Ji6vvaos\
232 '• ^' ^'ß Verfassung.
man kann sagen, das war mit KoUytos und Melite nicht anders, von
deren demarchen und demosverwaltung wir so gut wie nichts wissen, aher
schon weil im asty eine ganze anzahl gemeinden lagen, war hier die gefahr
geringer, und dann waren so viel mehr staatliche behürden im asty, vor
allen dingen die centralbehörde des rates, dafs es praktisch ein ganz anderes
ding war. im Peiraieus safsen sicherhch um 350 mehr andere Athener als
Piraeer und mehr metöken und fremde als Athener, und der demarch des
Peiraieus hatte doch eine mindestens concurrirende pohzeigewalt über
alle eingesessenen seiner gemeinde, man wird nicht leugnen, dafs das
richtige war, dafs er unmittelbarer Staatsbeamter ward; wir wissen nicht,
ob 6'/. Ilsigaswv oder 1^ ^^ijvaicov uTtävtcov, aber das letztere ist un-
gleich wahrscheinlicher, übrigens hat Aristoteles hier wol etwas ver-
gessen: den zehnten des getreides aus dem oropischen gebiete zieht
329/28 Ö7]f.iaQxog IlQoy.Xrg 2ovvieig ein^^): nach der analogie, die der
demarch des Peiraieus jetzt bietet, darf man das dahin verstehn, dafs
für die kleruchen, denen jenes land abgegeben war, und die ein jeder
rechtlich in seiner alten gemeinde blieben, der Staat einen demarchen
als ortsvorstand der colonie bestellte, ohne dafs doch eine wirkhche
neue gemeinde gebildet ward, der mann hatte allerdings geringe aulorität ;
etwa ein drittel so viel wie er haben die kleruchen ohne seine ver-
mittelung direct abgeUefert. es ist nicht wunderbar, dafs Aristoteles
diesen posten als unwesenthch fortliefs; hat er doch diese ganze be-
amtenreihe äufserst flüchtig behandelt.**^)
92) 'Sf. a^x- 83, 128 (« 60). ich hatte die frage Heim. 22, 243 aufgeworfen,
der Stratege, der den zehnten aus dem S^vfiog abliefert, ist nunmehr als der ini
triv ywoav ZU bezeichnen , da es den in' 'EXevaXva noch nicht gab. die lieferung
aus Salamis leistet Tijuö&eoe 'yiXconsy.rjd'ev, das ist also der archon, obwoi kein amt
dabei steht, den S^vuös halte Aristoteles in den Jiy.aicö/uaTa erwähnt {Harp. s. v.).
93) Es liegt jetzt nahe zu glauben, dafs in späterer zeit, als Eleusis eine sehr
wichtige festung war, in der ein Stratege stand, zumal weil die Stadt durch könig
Demetrios eine weile von Athen losgerissen war, auch der demarch von Eleusis ein
staatlicher beamtcr geworden sei. denn unter dem archon Pelops (fünfziger jähre
des zweiten Jahrhunderts) opfert er für rat und volk, weiber und kinder, freunde
und bundesgenossen und referirt über den ausfall an den rat, der ihn dafür belobt,
ebenso wie die demolen (Ecp. «o/. 90, 127). im vierten Jahrhunderts opfert er
ebenso, aber für gesundheit und gedeihen der demoten (Ef. dgx- 87, 193). dennoch
ist ein so scharfer schlufs in der verfallzeit unberechtigt, denn der tilel ist noch
Sr^fiao/oe 'EXevaivicüv, und der mann ist Eleusinier. es ist nur ein notabler, söhn
des archonten Archon, der kurz zuvor im amt gewesen war: der spielt sich auf,
und der rat macht ihm complimente. in dieser zeit sind die archonten wieder die
vornehmen leute; das amt kostete largitionen eben so wie die gymnasiarchie u. s. w.
und trug decorationen ein.
Zweite reihe der losbeamten. 233
Ein solches chaos gibt Aristoteles statt einer Ordnung, soll man
annehmen, er klebe einen häufen zetlel, wie sie ihm in die bände fallen,
hinter einander? sonst ist doch alles wol disponirt, und schwer war es
wahrlich nicht, eine erlrägliche reihenfolge zu finden, oder ist er von
einer vorläge abhängig? dann verschiebt sich nur die frage von Aristo-
teles auf jemand anders, sehen wir uns lieber diese reihe von äm-
tern auf ihren wahlmodus an, wie er früher gewesen sein mufs. der
prytanienschreiber ist noch über 403 hinaus gewählt worden, und ein
gewählter steht noch neben ihm. der archon von Salamis kann auch
nur gewählt worden sein, so lange er bedeutendere militärische befug-
nisse halte, der demarch ist eine neue Schöpfung und steht passend
neben diesem collegen. die ovvrjoQOt sind im fünften jahundert ohne
zweifei immer erwählt '^^), und sie mufsten es wahrhch sein, so lange
ihnen die führung der anklage wesentlich zufiel, die später die rede-
gewandtheit der politiker oder die redeschreiberei übernahm, die opfer-
männer für die sühnopfer haben nur einzelne tage zu tun, die wege-
bauer auch; man bessert doch höchstens zweimal im jähre die strafsen.
auch die andern opfermänner sind zwar für das jähr erlost, aber sie
haben doch keine perennirenden pflichten: das sind also alles behörden,
die wie dazu geschaffen sind, in der für die opfermänner der Hephai-
stien bezeugten weise aus den richtern ausgelost zu werden (oben s. 201).
die logisten waren ehedem dreifsig und entsprachen also den trittyen,
ebenso die dreifsig demenrichter. mit andern werten, es steht in der
ganzen reihe keine einzige behörde, die im fünften Jahrhundert mit den
archonten gewählt wäre, sondern es sind teils die im Theseion mit
richtern und rat erlosten, teils wahlämter. die Ordnung, die Aristo-
94) Harp. s. v. bezeugt es ausdrücklicli wenn auch mit ioixaat, und z. b.
Perikies war im rechenschaftsprotest des Kimon gewählt als awr^yaoos. sie er-
halten ja auch diaeten, eine ganze drachme (Ar. Wesp. 691 mit sciiol.). Aristophanes
klagt in den ältesten stücken (Dait. 16, Ach. 685. 716. Ritt. 1358 Holk. 13 Wesp.
482) oft, dafs die rhetorisch gebildete Jugend, die schüler des Thrasymachos und
Protagoras, wie Euathles, Kephisodemos, Alkibiades als awr/yo^oi auftreten und
die angeklagten und richter tyrannisiren. man kommt weder mit den bekannten
avvryoQot der logisten oder in anderen processen, wo das volk eigentlich partei ist,
gut aus, noch mit der annähme, dafs fürsprecher gemeint wären, wie der erste redner
für Polystratos, ApoUodor im processe gegen Neaira, Hypereides für Euxenippos. aus
Antiphon notirt die synegoren Harpokralion, ohne sicheres zu wissen: auch mir ist
nicht mehr klar, als dafs hier Verhältnisse des fünften Jahrhunderts vorausgesetzt sind,
die später nicht mehr bestanden und deshalb von unten aus nicht erklärt werden
können, das recht ftr/ Sis avvrjyoQr^aai (anm. 23) hat für diese leute im fünften
Jahrhundert unmöglich gegolten.
234 !• 7. Die Verfassung.
teles befolgt, ist also auch in diesem teile wie in der ganzen abhand-
lang auf den wahlmodus gegründet, zuerst steht der rat, die Vertre-
tung der gemeinden''^), dann die als phylenvertreler erlosten beamten,
aber unter denen treten zwischen die eloaycoyelg^'^) und die archonten
eine anzahl von beamten, die ehedem in eine andere kategorie fielen,
für den leser ist der Übergang zunächst gar nicht zu merken , und so
habe ich vorhin auch ruhig anerkannt, dafs die vierzig auf die eioa-
ycoyelg passend folgten; es sind je vier auf die phyle, eingesetzt un-
mittelbar nach den Dreifsig, also schon damals in diese classe geschoben,
den folgenden Übergang xXrjgovoi dh xal rccaös rag oQxag aber fanden
wir befremdlich: er läfst sich nur als ein nachtrag auffassen, und
schliefst so disparates wie wegebauer und logisten zusammen, wenn wir
nun erkennen, dafs diese reihe von behörden wirklich den mit den
archonten erlosten erst allmählich angefügt sind, so werden wir aufhören,
eine sachhche Ordnung zu verlangen"), haben damit aber wieder das
ergebnis erreicht, dafs Aristoteles den stoff nicht selbst geformt und
verteilt hat, sondern dafs er nur einen bereits geformten stoff redigirt.
in diesem falle ist für ihn die losordnung der beamten mafsgebend ge-
wesen: ich meine, man kann ihn billigerweise nicht tadeln.
Politik z 8. In seineu politischen vortragen hatte er schon einmal eine über-
sieht der für einen Staat notwendigen beamten gegeben, es hat be-
deutendes interesse, diesen abschnitt (Z 8) zur vergleichung heranzu-
ziehen, er fängt mit der polizei an, ayoQav6f.iOL aorvv6f.iOi ayQov6/iioi.
dann kommen die einnehmer und Verwalter der steuern, aTtodexTat und
raf.iiai. dann eine behörde, welche die acte der freiwilhgen gerichts-
barkeit aufnimmt und die privatprocesse instruirt, hQO/.ivi]!.iov6g oder
95) Die (pqovQoi hat er, sei es weil sie für die iyxvxXios 8ioixr;ffi9 zu unwesent-
lich schienen, sei es weil sie ein halb militärisches amt waren, forlgelassen.
96) Bei diesen kann man schwanken, wohin sie gehören, weil man ihre zahl
nicht kennt, die doch im fünflen Jahrhundert notwendig höher sein mufs. indessen
sind sie an die phylen gebunden und hatten das ganze jähr zu tun; somit gehören
sie zu den archonten. andererseits sind die elf die altertümlichste behörde, und
erscheinen passend für den schlufs ihrer reihe, die eiaaycayels sind aber auch eine
neuerung, wenn auch eine des fünften Jahrhunderts.
97) Unsere kenntnis (oder meine) reicht nicht dazu hin, die allmähliche ent-
wickelung, deren niederschlag wir in dieser Ordnung vor uns sehen, zu verfolgen,
und ich wage nicht, sie aus ihr zu erschliefsen. es finden sich in der ersten reihe
auch Zusätze, die aufseher des emporiums, und anderes ist fortgefallen, z. b. die Schatz-
meister der anderen götter. aber dort war leicht Ordnung zu halten, als man diese
schuf, schrieb man ihre auslosung mit den andern behörden vor (CIA I 32), in der
weise wie die Schatzmeister der göttin ausgelost wurden: damit war ihre stelle gegeben.
Politik Z 8. 235
wie sie heifst. dann die executiv- und Sicherheitspolizei, executoren,
gefängniswärter u. dgl. , wobei er der elf und der (pqovqoi Athens
gedenkt.^*) dann die militärischen beamten, der rechnungshof, endhch
der rat. damit sind die pohlischen behörden erschöpft, es folgen die
kirchhchen, denen einerseits die unterhaUung der heihgtüraer und des
kirchengutes, anderersehs das opferwesen zufällt; unter diesen figuriren
archonten und könige. ein anhang verzeichnet noch die mancher orten
vorkommenden behürden für erhaltung der guten sitte einerseits, für
öffentliche lustbarkeiten andererseits, von denen die ersteren besondern
sinn für zucht, die letzteren wolstand voraussetzen, es liegt hierin eine
bittere krilik Athens, die kaum dadurch abgeschwächt wird, dafs Aristo-
teles hinzufügt, eine beschränkung der arbeitsfreiheit von frauen und
kindern wäre mit dem demokratischen prinzipe nicht vereinbar.^'') De-
98) Dafs die stelle keinen anstofs gibt, ist oben (s. 199) wof deutlich ge-
worden, zu bessern finde ich eine kleinigkeit 1321'' 35 tps itQiasis (ras) ix rcöv
Sixaarr,Qicov. eine Interpolation aber steht am Schlüsse r^icöv S' oiacöv oQ%6i>v,
iead"' «s aiqovvrat rivis (vielmehr tos) a(>;^as ras xvgias, vo/iofvlaxcov TtQoßoiXwv
ßovXfß, et ftiv vofiofvXaxES aQiaroyQaiixöv , oXiyaQ^^ixov (?' oi TxqößovXoi,, ßovli]
8s Srjfxoiixov (1323* 7). das ist unsinn; was der Verfasser etwa sagen wollte,
würde sein tqiüv S' oiacöv noXirsicöv tiqos Ss alooivTai ras o(»;t;«s rai xvoia?,
vofiocpvXaxas u. s. w. und das wäre noch nicht scharf, er meint, die mafsgebende
behörde ist verschieden je nach den Verfassungen, und je nachdem ro^ofiXaxes oder
noößovXoi oder ßovXrj existiren, ist die Verfassung so oder so. das ist töricht, denn
der name ßovXrj tut es wahrlich nicht, und was man sonst noch einwenden kann,
aber Aristoteles ist an dem unsinn ganz unschuldig, er weifs und sagt, dafs 'ge-
setzeswächter' keine dem rate analoge behörde sind, sondern eine überhaupt nicht
organisch notwendige; sie gehören in eine reihe mit naiSovöfioi und yvvaixoröfwt
(1322'' 39). TiQÖßovXot und ßovXf, sind freilich analog (1322'' 16), aber gerade die
ersteren sind ihrem namen nach nicht befugt selbst zu entscheiden, sondern nur
vorzuberaten, sie haben nicht das riXo?, das der rat häufig besitzt, also ist es ver-
kehrt, sie als charakteristisch für die Oligarchie zu bezeichnen. 412 waren probulen
in Athen, 411 ein rat: dies historische beispiel ist schlagend, die Interpolation
ist sachlich und sprachlich so elend, dafs sie erst ganz spät sein kann, sie ist ja
auch ohne Zusammenhang am ende des buches angeflickt, ich möchte sie erst für
byzantinisch halten, der archetypus unserer handschrilten reicht nicht in das alter-
tum zurück.
99) Sein gedanke ist, die bauern und handwerker, die nicht alles durch sclaven be-
sorgen lassen können, sind in der demokratie bürger, folglich kann keine beschränkung
für die arbeit und das öfi'entliche erscheinen von bürgerfrauen und kindern durchgeführt
werden, also verlangt er, dafs dieser ganze teil der bevölkerung, der selbst arbeitet,
von der bürgerschaft ausgeschlossen wird, sein staat ist dem platonischen sehr
ähnlich, er ist lediglich für den obersten stand zugeschnitten, nicht von fern aber
bezeugt er eine kleine sclavenzahl für Athen, sondern er kennt nur frauen, die sich
236 '• '^' ^'^ Verfassung.
nietrios von Phaleron hat sich diese anregungen seines lehrers sehr zu
herzen genommen.
Wie in dem letzten satze, so spürt man die beriieksichtigung Athens
durch das ganze capitel. allein zu gründe gelegt hat Aristoteles keines-
wegs die attischen ämter, ja er zählt behürden als notwendig auf, die
in Athen gar nicht existiren , wie die hieromnemonen"") oder wie sie
sonst hiefsen, und die agronomen'"'), und er ist überall bestrebt, auch
ihr brot verdienen, wie die zweite Sprecherin in den Thesmophoriazusen und die
Halimusierin in der rede wider Eubulides.
100) Es ist dies etwas, worin andere orte sehr viel weiter gekommen waren, und
auch um der kritik Athens willen ist die Zusammenstellung Theophrasts (Stob. 94, 22)
wichtig, in Athen gibt es keine möglichkeit, den abschlufs eines rechtsgeschäftes,
z. b. den verkauf eines grundstückes oder eines sclaven durch eine für alle zeiten beweis-
kräftige öITentliche Urkunde zu sichern, auch die urteile der Schiedsmänner und ge-
richte werden nicht in authentischer form ausgefertigt, die Verhandlungen nicht proto-
koUirt, es fehlt an jedem ersatze für die tätigkeit unserer notare. darin waren andere
Staaten weiter, wie die halikarnassischen steine u. a. neben Theophrast lehren, und
die bewufst von rechtsgelehrten geschaffenen Städteordnungen wie die von Thurioi
auch; obwol die Hellenen die schrift immer unvollkommen ausgenutzt haben, nur
ein thiasos, die Mesogeer, hat in Athen seine fivTjfiovss (CIA II 603). in der Ver-
waltung der heiligen, einzeln der staatlichen besitztümer ist auch Athen weiter ge-
gangen und hat auch den Verkaufstempel als steuerquelle ausgenutzt, das bedürfnis einer
solchen Institution macht sich vielfach fühlbar, einzelne deponiren eine Schenkungs-
urkunde bei dem rate oder bei einer behörde, wie den astynomen; man verleiht den
geschäftsbüchern der bankiers den character eines juristischen beweismittels, aber
alles ist kümmerlich genug geblieben, für all und jedes ist der beweis durch privat-
urkunden zu erbringen (unter denen nie die eigenen rechnungsbücher figuriren;
labulae accepti relati hat kein hausherr und keine hausfrau geführt), oder durch
zeugen, und zeugen bestätigen auch erst die privaturkunden. daher die ungeheure
ausdehnung der Zeugenaussage und Zeugenvernehmung: der komische dichter kann
jeden mann mit Wahrscheinlichkeit von der bühne schaffen, weil er einem freunde
als zeuge dienen müsse, daher auch die gewerbsmäfsigen zeugen und die gewerbs-
mäfsige betrügerei durch falsche zeugen, die familie und die nachbarn (ysiroves,
7iT]oi, üixeToi), die von allem wissen, d. h. die ländlichen dörflichen Verhältnisse
und die Wirtschaft des bauern liegen dem attischen rechte zu gründe, und zum
bauern gehört der grofsgrundbesitzer, der adliche herr. dagegen die Römer sind
ein kaufmannsvolk, capilalisten, die in partes secant, und zum bankier gehört der
advocat. es ist nicht wunderbar, dafs die alten handelsstädte Asiens selbst und
die ihnen entstammenden Sophisten über die primitiven Verkehrsformen hinaus waren,
für die Solons gesetze geschaffen waren, aber es ist ein zeichen der gesetz-
geberischen Impotenz des vierten Jahrhunderts, dafs Athen nicht, schon um der
Stempelsteuer willen, dem vorbild loniens gefolgt ist.
101) Die Sicherheitspolizei auf dem lande sollte durch die demenpolizei, die
epheben und die tp^ovQoi (s. 198) besorgt werden, aber es hat doch keinen verantwort-
Politik Z 8. 237
andere Verhältnisse zu berücksichtigen: den Studien, deren niederschlag
die Pohtien sind, hat er längst ein äuge zugewandt, wenn er auch selbst
von den attischen Verhältnissen schwerlich schon eine volle kenntnis hat.
ausgegangen aber ist er nicht von der realität der concreten tatsachen,
sondern von Piaton, der im sechsten buche der Gesetze den anfang
einer solchen ämtertafel gegeben hat, leider unvollendet, denn 772 ^ reifst
es ab, und nirgend steht eine fortsetzung. er beginnt mit den vqi.io-
(pvlay.es eigener erfindung, dann kommen die militärischen Chargen
(genau die attischen, Strategen hipparchen, taxiarchen phylarchen), rat
und prytanen (nach athenischem vorbilde sehr praktisch abgeändert),
astynomen und agoranomen, priester und Schatzmeister, agronomen und
phrurarchen, über deren straf und amtsgewalt viel merkwürdiges bei-
gebracht wird.'°^) gerade die sorge für das land und seine bedürfnisse
ist von Piaton nicht vergessen : man merkt, dafs er auf dem väterlichen
gutshof in Iphistiadai äugen und obren aufgemacht hat. es folgt das
liehen oberbeamtcn dafür gegeben , bis der arQaTr]yds eicl xtjv %wQav diese cbarge
erhielt, trotzdem ist in Attika, so viel wir sehn, das land sicher und in Ordnung
geblieben, noch Herakleides der kritiker hat den unterschied zwischen ihm und
Boeotien stark empfunden.
102) Natürlich hat auch Piaton sich über auswärtige Verhältnisse unterrichtet;
die xQvnrsia Spartas erwähnt er 763'', und aus Sparta hat er die erlaubnis des
Obstdiebstahls, wenn er unbemerkt bleibt, und die prügelstrafen für den ertappten
845':. eindringende forschung wird aus diesen büchern noch einen unendlichen
ertrag ziehen können, an kenntnis, und was mehr wiegt, an Weisheit, denn dieser
höchstbegnadete unter den sterblichen hat nicht nur die herrlichkeit gottes und die
tiefen der menschenseele zu schauen vermocht, sein helles äuge und seine warme
liebe freut sich auch an den kleinen und teilt mit den kleinen leid und lust. wo
fände man bei dem tugendstolze der kynisch-stoischen prediger, die doch das volk
suchen, oder bei den advocaten der Corpus iuris so etwas, wie er seinen agronomen
vorschreibt: "an den ländlichen heiligtümern sollen sie das bergwasser sammeln,
auch durch unterirdische arbeiten (ßeraV.elai), und bäume sollen sie pflanzen, eine
lust dem äuge, und badstuben sollen sie einrichten und reisig sammeln: dann
kommen nach getaner arbeit die jungen bursche und spielen dort, und die alten
finden in einem warmen bade erquickung und kräftigung für die müden glieder, die
besser ist als die medicin des landarztes." der greis, der über die realität der zahl
grübelt, und in bitteren stunden selbst über den teufel (die böse weltseele), dem
alles irdische treiben ein spiel wird, hat doch seine Jugend nicht verleugnet, da der
knabe auf den hügeln des obern Kephisostales sich tummelte und unter den platanen
an den quellen von Kephisia träumte, ein landkind ist er gewesen und geblieben,
die frische edelfeige, wie sie in den gärten Kephisias gedeiht, war des bedürfnis-
losen lieblingsspeise: Diogenes afs die gerösteten erbsen, die das hökerweib am
markte feil hielt, und den tintenfisch des lazzarone; Aristoteles war auch an der
tafel weitmann, die gehören beide in die grofse Stadt.
238 '• '^- I*'6 Verfassung.
erziehungswesen, für das er eine staatliche aufsieht einführt; dann aber
verwirrt sich der faden und reifst bald ganz ab.'°^) gerade mit agoranomen,
astynomen und agronomen beginnt auch Aristoteles, gesetzeswächter und
die über der öffentlichen zucht stehenden erAvähnt er auch, so wenig sie
für seine darstellung nötig waren: dafs er von Piaton angeregt ist, ist
offenbar, ihm folgt er darin, dafs er versucht, begrifflich zu sondern,
welche ämter durch die verschiedenen notwendigen kreise der Staats-
verwaltung gefordert werden; er hat darin mit minder attischen äugen
gesehen als Piaton, und doch mit ganz hellenischen : man braucht nur auf
Rom zu blicken, wo die aussonderung der rein miUtärischen ämter, die
forderung eines rechnungshofes, der rat als träger jeder initiative nicht oder
doch nicht ursprünglich existiren. von dieser auf die abstraction des all-
gemein giltigen und notwendigen gerichteten speculation hat sich Aristoteles
abgewandt, als er die lediglich registrirende bearbeilung der Politien
vornahm, wir dürfen das bedauern, denn wie belehrend würde es sein,
wenn er so disponirt hätte: die Verwaltung des Staates erstreckt sich
über die und die gebiete, bedarf dazu der und der organe: wie ist in
Athen dem bedürfnis genügt, und wie functioniren diese organe? dafür
lesen wir nur, wie in der PoUtik so hier, zwischen den zeilen ein wort
der kritik ; aber was uns gegeben wird, ist das zuverlässigste material
für unsere eigene kritik: es redet nicht sowol Aristoteles als die gesetze
selbst, deren summe er wiedergibt, er ist unser wichtigster zeuge, aber
die Staatshaushaltung von Athen müssen wir uns selber schreiben.
Athioiheten. Wir haben noch die capitel über archonten und athlotheten zu
betrachten, um die letzten (60) vorweg abzutun , so ist schon klar
geworden, wie sie an den seltsamen platz geraten sind (s. 207). weshalb
sie Aristoteles überhaupt so breit behandelt hat, fragt man vergebens,
es mag ihn die archaische gesetzgebung und noch mehr der wider-
103) Piaton hat zwisclien der Verfassung, d. h. der lelire von der zalil und
der bestellung der ämter, und den gesetzen, d. li. der lehre von den amtspflichten
dieser beamten, ausdrücklich unterschieden (751), und wieder ein anderes sind die
gesetze, welche bestimmte handlungen verbieten und unter strafe stellen: die gibt
er später in praeciser formulirung. wer redet, als hätten die Griechen diese dinge
nicht unterscheiden können, hat Piaton nicht gelesen, und das sollte er tun, ehe er
gehör für lehren über attische Verfassung beansprucht, aber eben zu der lehre von
den ämtern gehört wie die dokimasie so die euthyna: die steht bei Plalon erst in
einem ganz andern zusammenhange 12, 945, und in einer abhandlung, die sich mit
der des sechsten buches nicht ganz verträgt, auch in sich nicht einheitlich ist.
schon deshalb ist die behandlung des sechsten buches nicht vollendet, was sicl>
übrigens von vielen seilen zeigen läfst.
Athlotheten. 239
Spruch zwischen gesetzgehung und praxis, den er anmerkt, gereizt
haben, auch sei daran erinnert, dafs die Panathenäeenfeier jüngst
durch Lykurgos neu geordnet war. die athlotheten sind beamte, denn
sie unterliegen der dokimasie ; zu tun haben sie aber mit eigener
Verantwortlichkeit wenig, sie stehn den jährigen opferherrn darin gleich,
dafs sie ein staatsfest ausrichten ohne die Oberaufsicht eines der hohen
Würdenträger, die die Lenaeen Dionysien Thargehen Mysterien be-
sorgen und denen auch eine zehnercommission zur seite steht, sogar
zum teil eine gewählte, aber sie heifsen "preissetzer", und ausgesetzt
sind allerdings hohe preise, goldne kränze, geld'°^), schilde und das be-
rühmte attische öl in den panathenäischen henkelkrügen ^*'®) ; aber diese
preise gibt, spätestens seit der officielie tarif (CIA II 965) in der ersten
hälfte des vierten Jahrhunderts aufgestellt ist, der Staat, ich denke aber
auch erst seitdem, denn es versteht sich von selbst, dafs die ud-lo^iraL
so benannt sind, weil sie a^'/.a irid^eour. und weil sie diese liturgie
leisteten, hatten sie die ehre, das fest im namen Athenas und Athens
auszurichten; Athena gab nur für die körperhchen leistungen, die von
alters her allein herkömmlichen agone, ihr öl zum preise: mit dem
sollten sich die ad-'/.riTai salben, darin ist logik. und so wird der archon
Hippokieides 566 das fest geordnet haben, mag er auch selbst athlothet
gewesen sein, zehnzahl und volkswabl sind natürlich erst kleisthenisch
oder jünger, damals war die athlothesie eine besonders vornehme liturgie.
sie belohnten die rhapsoden^^) und musiker und das volk selbst für
seine eiardgia. als der privatwolstand gebrochen war, hat man, ohne
104) Wer die officielie inschrift kennt, mufs einsehen, dafs a^yigtov y.ai yoiaä
bei Aristoteles herzustellen ist (aoyioia, überhaupt unsinn, der papyrus). es ist
nicht nötig, andere lesungen zu widerlegen.
105) Der typus Athenas auf diesen gefafsen darf also satnmt der inschrift auf
die mitte des sechsten Jahrhunderts bezogen werden.
106) \N'ie dankbar diese waren, haben sie in den versen der homerischen Boiotie
gesagt 550 — 55, die das fest verherrlichen, das lob des y.oaur^acu itzttov; xb y.ai ävegas.
laniBia-Tas, das Menestheus erhält, gilt also dem Panathenaeenzuge und der slarSgia:
es ist ein gutes motto für den Parthenonfries, fälschlich habe ich (Hom. Unt. 247)
den vers auf die schlachtreihe des kleisthenischen heeres bezogen : es ist das ein
bild, die Panathenaeen an den Panalhenaeen gefeiert. iTtnot sind wagen und reiter.
auch dafs Meneslheus hinter Nestor den Neliden zurückgestellt wird, einzig hinler
ihn, ist für Athen, dessen vornehmster adel pylisch sein wollte, nicht herabsetzend,
auf die zeit des Hippias kann der vers freilich nicht gehn: oi yag ^txeuttov tote
fied^' o7z).cor. er ist also entweder jünger oder stammt vielmehr aus den zeiten vor
derbefestigten tyrannenherrschaft, 566 — 540 etwa, deren festordnung füglich militärisch
gewesen sein kann.
240 '• "• ^^^ Verfassung.
doch der persönlichen munifizenz der athlotheten schranken zu setzen, die
preise auf den staal übernommen und konnte die beamten dann ruhig
erlösen, ganz ebenso ist an den Dionysien die direcle wähl der epimeleten
durch das los ersetzt und ihre lilurgie auf den Staat übernommen (56, 4),
und ist später die volkschoregie und agonothesie eingeführt.
Die ölpreise setzen den Staatsbesitz von oliven voraus, dieser
wieder eine starke initiative und consequenz der staatlichen landwirt-
schaft. der pflanzgarten, aus dem die jungen bäume kamen, stand in der
Akademie, wo der erste ableger des heiligen Ölbaumes gepflanzt war, den
Athena selbst zum zeichen, dafs ihr das land gehörte, auf der bürg
hatte spriefsen lassen , wo Pandrosos in ihrem garten seiner pflegte,
nichts beweist so deutlich die energische fürsorge für den ölbau wie der
Pachtvertrag des Neleusgartens, dessen formein 418, als man ihn erneute,
längst archaisch geworden waren (CIA IV p. 67). die Ölbäume gehören
Athena; ihre Schatzmeister nehmen das öl in empfang und bewahren es auf;
es wird damit handel zu gunsten des Staates getrieben."") ganz offen hegt
hier noch die Identität des Staates und der göttin, ihres Schatzes und des
Staatsschatzes: man hat sie damals noch nicht unterscheiden können, ganz
offen liegt noch die directe bewirtschafiung, so zu sagen, an stelle des
späteren pachlsystems, die in den vertragen der eKT^/noQOi ihre analogie hat.
die besilzer des landes, auf dem die bäume wachsen, müssen sie in
standhalten und 1^2 kotylen öl an Athena pacht zahlen; was sie mehr
ernten, ist ihr gewinn, es ist eine höcht ausgebildete, aber immerhin
ausschliefsliche natural Wirtschaft.'"^) der träger dieser Wirtschaftsordnung
ist der Areopag, denn er hält den executivbeamten, den archon'°") zur
107) Nacli Aristoteles mufs es scheinen, als wäre zu seiner zeit der verkauf
eingestellt; es mufs also woi damals alles öl für directe Staatsleistungen verbraucht
sein, schwerlich kann man glauben, dafs die preise der Panathenaeen es ganz
vrrbrauchten; aber dafs der Staat sonst öl brauchte (z. b. in den gymnasien, an
die man leicht denkt), ist wol nicht bezeugt, natürlich war 395 der ölerlrag im
ganzen als rslos verpachtet, Lys. 7, 2.
108) Dieselbe naturalwirtschaft erkennt man in den geselzen über die parasiten
des königs Athen. VI 235. dieser hat später die Verpachtung des domänen: sie hat
jene ältere form verdrängt, immer noch zu einer zeit, wo der könig noch ein be-
deutender beamter war, also vor 487.
109) Lysias 7, 22 nennt noch alle neun als die zunächst zur beaufsichtigung
der heiligen Ölbäume berufenen, rovs ews aq^ovras ijiriyayES tq nV.ovS rn'as
r<ov i^^y^QEiov Ttäyov. rovs ivvE äoyovxas ist auch da feste formel; Areopagiten
in ihnen sehen wird nur, wer auch räS' ovx an' aXXcoi' ayyiXoyv y.l,veiv d'iXwv bei
Sophokles dahin intcrpretirt , dafs Oedipus, der so spricht, ein böte gewesen wäre,
für die zeit, auf die wir hier zurückblicken, ist nicht wunderbar, dafs das ganze
Athlotheten. 241
sorge für die pünktliche Zahlung der pacht an , da er ihnen sonst
den eintritt in seinen kreis versagt, er schickt seine yvw7<oy£g"°) über
land, legt nachlässigen grundbesitzern Ordnungsstrafen auf {Ur^f.uai),
richtet über die anzeigen wider solche, die jeder erheben kann, und
straft den tod eines oHvenstammes an dem leben des schuldigen, dieses
'"drakonische" und sicherlich vordrakontische gesetz ist rechtlich nie be-
seitigt und konnte es nicht werden, da Athena die verletzte war; tat-
sächlich liefs man um 395 dem verurteilten dieselbe freiheit zum fliehen
wie dem morder, so dafs im bewufstsein der leute nur Verbannung und
Vermögensverlust die strafe war.'") bald darauf ist die ganze alte Ordnung
faktisch beseitigt, indem die lieferung von einer bestimmten menge öl
als reallast der grundstücke angesehen ward, auf denen heilige bäume
gestanden hatten, der grundbesitzer haftet für die Zahlung mit seinem
vermögen ; auf die bäume selbst kommt nichts mehr an."-) dafs man die
reallieferung nicht in geld umgesetzt hat, liegt daran, dafs der Staat öl
brauchte.
Als man den ölbau so einführte, war der Areopag herr in Athen,
das liegt am tage, und man könnte seine vorsolonische macht von dieser
ecke aus sicher erreichen, die schöne sage von Athenas besitzergreifung
durch das Wahrzeichen der olive ist erst auf grund dieser mafsreeel
collegium neben dem obmann erscheint. Aristoteles gibt aucli hierin eine jüngere
Ordnung.
110) yvcöfioves haben sie geheifsen, so hat der Palatlnus Lys. 7, 25 und die
gute glosse Bekk. An. 228, und der aus den or^rooixai stammende artikel im Et. M.
€7tiyvd)fJovE5 gibt Harpokration für die Lysiasstelle ohne weitere gewähr; dafs Hesych.
iTiiyvcüucov sTTOTtrr^s auf die behörde geht, ist nicht glaublich, denn eTiömris ist
überhaupt kein amtsname. dagegen stimmt Hesych yvcöfiwv zu dem anfange des
artikels in Et. M. smyvcö^icov ist, wenn die praeposition nicht bedeutsam ist wie
bei Demosthenes 37, 40, ein späterer ersatz für das einfache wort, sehr deutlich bei
Xenoph. Mem, 1, 4, 5, wo Sext. Empir. adv. phys. I 94 emyvcö/j.cov gibt, yva'^ficov
die handschriften.
111) So gleicht sich das gesetz bei Aristoteles und die rednerangabe Lys.
7, 3 u. ö. bequem aus. übrigens redet er auch von neqi rov acö/naros yCvdwoi, 26.
112) £y. Tov üTTjuaros kommt das öl. so müfste man emendiren, wenn es
nicht trotz Kenyons wiederholter Versicherung überliefert wäre, von welchem bäume
das öl herkommt, ist gleichgiltig: aber der besitzer des grundstücks, auf dem diese
reallast liegt, ist für die lieferung haftbar, zu dem gebrauche von xrr;fia vgl. z. b.
Demosthenes §§. Androt. 54. wie das religiöse denken, das in dem bäume ein
göttliches sieht, eine gespielin Athenas, über das politische, das den gott durch
den Staat ersetzt, zu dem profan juristischen wird, das nur noch den buchstaben
der steuerrolle und den klang des Silbers respeclirt, ist hier in trauriger deutlich-
keit zu sehen.
V. Wilamowitz. Aristoteles I. 16
242 '• '• ^'^ Verfassung.
entStauden; ihre rationalistische Umbildung, dafs ehedem Athen alleiu
üliven gebaut hätte, lesen wir schon bei Herodotos 5, 82. natürhch
kannte man den wert dieser cultur und vertraute auf ihre rentabihlät,
als man sie also von Staatswegen betrieb ; es gab damals in Hellas Ölbäume
schon vieler orten, aber in Eleusis führt der Demeterhymnus ihre nymphen
als gespielinnen der Köre ein (23) : dort standen sie nicht zu hunderteu.
in Boeotien rechnet der bauer des Hesiodos nicht mit ihnen : wie alt wird
der attische ölbau sein? älter als Drakon , viel älter, nun ja, dafür
zeugt die macht des Areopages und die todesstrafe. aber wie viel?
wüssten wir, welche grundstücke mit ohven Athenas besetzt waren , so
wäre eine antwort gegeben, da sagt nun der Sprecher der Lysiasrede 7, 24
hcLoxaG&£ iv xv) nEÖUo Tto'/J.ag f.iOQiag ovoag ymI /tvQyMiäg (ustrinas)
SV lolg aXkoig rolg ifiolg xojQioig. wenn der manu blofs suburbane
grundstücke hatte, so lehrt das nichts; aber so pflegt attischer besitz
nicht zu liegen, sowol die öiqfXLÖTiQaTa wie die redner wie Piatons
Gesetze zeigen die bürger im besitze von meist weit von einander gelegnen
parzellen. standen etwa /noQiai nur im ueöiov'i"^) so waren sie gesetzt
zu einer zeit, wo den herren des burgfelsens nur das jceöiov gehorchte,
wie das attische regengebet nur diesem gilt.*") es wäre vermessen, das
behaupten zu wollen : aber in eine altersgraue zeit tun wir hier einen
blick, und die Areopagiten die die olive zum bäume Athenas machten haben
es verdient, dafs Goethes Pandora in ihrer tat die potenzirt promelheische
Schöpfung, von kunst und Wissenschaft, gefeiert hat: an der fxoqia der
Akademie hat sich die kypsele geöffnet, die weder die (xcoQia der modernen
banausen noch der Moriah der Juden je verdrängen oder ersetzen können.
Arcbonien. Den archonten sind wenigstens ein par seilen gewidmet, und doch
tritt hier ganz besonders deutlich hervor, dafs eine vorläge von Aristo-
teles zu gründe gelegt und gekürzt ist. er hat so dispouirt, dafs er
erst die formaliläten des amtsantrittes ziemhch breit beschreibt (55-.
56, 1), dann die befuguisse der einzelnen mitglieder des collegiums,
endlich die ihnen allen gleich zustehende auslosung der richter (59, 7).
113) Das gesetz, das überhaupt den Ölbaum schützt (Rede gg. Makartatos 71),
gilt natürlich für ganz Attika; es ist in der formulirung, die vorliegt, nicht alt,
durchaus profan, aber es ist an sich ein altes complement des Schutzes der heiligen
Ölbäume, und dient dem schütze der baumzuciit. gerade weil dieser schütz bestand,
konnte man die religiöse sanction fallen lassen.
114) voov vaov Ol <piXe Ztv xaza rrjs d^ot^as ir^i ^Ad'riVuicov xal iwv
TieSiwv (Marcus n^ce eavxöv 5, 7). darin ist das letzte völlig unverständlich, tov
ntSiov macht es klar: neben dem lande da der pflüg geht stehn die gärten mit öl
und wein und die steinigen ysD.rje, wo das Kleinvieh weidet.
Archonten. 243
wir haben dies letzte verkannt und den paragraphen gestrichen, weil
ziemhch dieselben worte die beschreibung der gerichte einleiten (63, 1).
aber sobald man die disposition erfasst hat, erscheint die Wiederholung
angemessen; man mufs nur den paragraphen als einen besonderen absatz
drucken."^)
Nun ist schon die gemeinsame tätigkeit und die für alle neun
gleiche competenz schwerlich mit der auslosung der richter erschöpft;
einen punkt, dafs ihnen der Zuschlag zukommt, wenn die poleten die
guter der wegen blutschuld flüchtigen versteigert haben (47, 2), hat
Aristoteles selbst erwähnt, unmöghch ist das das einzige, was die neun
schon unter Solon in demselben amtshause vereinigten gleichnamigen
beamten als coUegium zu tun hatten, zumal die sechs thesmotheten wegen
der geraden zahl unmöglich allein zu gericht gesessen haben, indessen das
mögen kleinigkeiten gewesen sein, und die allgemeinen competenzen ge-
hören eher in den abschnitt über wähl und dokimasie. man vermifst z. b.
auch die amtstracht des kranzes, da doch vom könige erzählt wird, dafs
er ihn in den blutgerichtshöfen absetzt; bei andern berichterstattern
wird er erwähnt.'"')
115) Man würde freilich lieber die Wortstellung Treevres J' ol iwia ao^ovras
xXrjqovai die Ordnung der abschnitte deutlich machen sehen, es schwebt dem Schrift-
steller wol der gegensatz zu der competenz der thesmotheten vor, die gerichtstage
und gerichtshöfe den riye/iöves Siy.aaTtjQiwv zuzuweisen, § 1. eben diese com-
petenz steht noch einmal § 5 mit den worteu xai tmalriQovai zals uQxals ovroi ia
SmaariiQia tol iSia xal t« Sr,fi6ai,a, die notwendig unächt sind, nicht blofs weil
dasselbe schon einmal gesagt war, sondern weil über die gerichtshöfe nicht das
los entscheidet, da sie verschieden grofs sind und deshalb nach bedürfnis zu-
gewiesen werden, Sovvai nennt es Aristoteles vorher, aufserdem ist unverständlich,
was XSia und Srifiöaia SinaaxrQia sein sollen, die klagen haben mit ihnen nichts
zu tun. so unerträglich demnach das überlieferte ist, so unbehaglich ist es, eine
solche interpolation als einzige in dem buche zu statuiren, deren anlafs ganz unverständ-
lich ist. aber es ist unvermeidlich, denn an jenem orte kann überhaupt nichts
anderes als was die vorstandschaft der thesmotheten in bestimmten processen angeht,
erwähnt worden sein.
116) Schol. Aisch. 1, 19, Poll. 8, 86. dessen weitere angäbe, nach der alle
archonten den unberechtigt heimkehrenden mörder hinrichten lassen, steht mit aus-
drücklichen rednerstellen in Widerspruch (Lipsius Att. Pr. 55), und es mag eine
blofse Verwechselung vorliegen, wie so oft d-eofiod-irat und äq^ovits verwechselt
werden, indessen möchte ich für die älteste zeit weder den thesmotheten eine
executive noch den sechs einen beschlufs zutrauen: eine rechtsentwickelung, die die
amtsbefugnisse des archontencoUegiums zu gunsten der einzelnen zersplitterte, ist
wol denkbar, wir haben ähnliches bei der sorge für die Ölbäume gefunden,
anm. 109,
16*
244 '• ''• I*'^ Verfassung.
Thesmo- VoD den thesniotheten (59) gibt Aristoteles nach der Verfügung über
theien. ggrichtstagc Und gerichtshüfe die vorstandschaft in folgenden procefs-
gattungen an: 1) in allen, deren einleitung auf besondern volksbeschlufs
geschieht, oder die sich auf die Verhandlungen des Volkes beziehen"');
dazu steht als corollar die rechenschaft der Strategen, weil sie sehr oft
in der form der xarax^iQOTovia verordnet ward."^) 2) die schrift-
klagen, für die ein succumbenzgeld erlegt wird. 3) wahlprüfungen und
Vorurteile der einzelgemeinden oder des rates: die analogie mit 1 ist
klar, und sie stünden besser vereinigt. 4) ein par privatklagen. 5) die
klagen auf grund der cartellverträge mit andern Staaten, deren formeller
abschlufs den thesmotheten auch noch zufiel, 6) die in areopagitischen
Processen anhängig gemachten klagen wegen falschen Zeugnisses.
Es ist auf den ersten blick klar, dafs eine classe fehlt, yQacpal
(x)v TtaQaaraGig ov zi^erai, und abgesehen von dem einen titel vßgetog,
der in einigen grammatikercitaten der aristotelischen aufzählung fälsch-
lich eingereiht zu sein scheint"^), aber vielmehr hierher gehört, genügt
ein blick in den Attischen procefs, um sich zu überzeugen, dafs Aristo-
117) Gestört ist dieser Satz zuerst nur durch eine der häufigen glossirungen, die
um der Vollständigkeit oder Übersichtlichkeit des Satzes willen ein wort wiederholten,
es war das verbum eladyovaiv voraufgenommen, weil es hinter drei accusativen
erst steht, und es war mit dem falschen zusatze eis rov Srjfiov versehn, zu dem die
erwähnung der eisangelie verleitete: Aristoteles hatte eU rb StxaaiijQiov zuzu-
setzen für überflüssig gehalten, in diesem harmlosen zustande lesen wir das glossem
in den scholien zu Piaton und Aischines. der papyrus gibt es in der weiteren Ver-
derbnis eiaayyällovaiv eis rbv Stj/iov, und so Harpokration Pholius Pollux, denen
man gern glauben möchte, aber es ergibt sich eine fülle von verstöfsen gegen die
Prinzipien des Staatsrechts, die beamten haben in der Volksversammlung nichts zu
suchen ; der verkehr mit dem volke geht über den rat. der bürger hat das recht
in dringender sache des allgemeinen woles sich direct an die gemeinde zu wenden ;
ist sie nicht versammelt, so ist ja der rat ihr Vertreter, das volk hat notorisch die
eisangelie, wenn es sie annahm, den thesmotheten zur aburteilung vor gericht über-
geben: das mufs Aristoteles sagen, das steht aber nicht da. dagegen steht da, dafs
die thesmotheten diese Sachen vor das volk brachten: das ist in keinem falle nach-
weisbar, mich dünkt es ist erfreulich, dafs sich diese rechtliche anomalie durch
eine textbehandlung erledigt, zu der uns die Überlieferung selbst die handweisung gibt.
118) Vgl. ytöyos und Evd-vva am ende.
119) Zuversichtlich rede ich deshalb nicht, weil mir unverständlich ist, wie
bei der klage wegen ehebruchs und was mit ihr zusammenhängt Traoäaraais er-
fordert sein konnte, bei vßgte nicht, einen sinn hat sie nur bei den vorhergehenden
klagen, also kann die nachlässigkeit des Aristoteles gröfser gewesen sein, nicht
sowol eine ganze gruppe fortgelassen als zweie vermischt, und ißQis und fioi^sia]
können wirklich zusammengehören.
Thesmotheten. 245
teles mehreres weggelassen hat. und wenn wir vielleicht nicht im stände
sind, dasselbe für die privatklagen zu beweisen'-"), so ist doch das ver-
trauen in die Vollständigkeit der aristotelischen angäbe notwendig gering,
fehlt doch von den allgemeinen competenzen die sehr bedeutsame, dafs
die thesmotheten die losung der beamten vornehmen (vgl. s. 203). also
dies capilel gibt nicht das ganze tatsächhche uiaterial, es gibt eine nicht
einmal in den capiteln vollständige aufzählung der klagen, für die die
thesmotheten den procefs instruiren. wir würden einem systematiker
wie diesem philosophen eher zutrauen, dafs er zwar das unwesentliche
detail verachtet hätte, aber dafür den leitenden gesichtspunkt angäbe,
das würde nicht mehr worte erfordert haben, die thesmotheten, ge-
schaffen für die gesetzgebung, haben von daher nur noch die formelle
Sanktion der cartellverträge mit fremden Staaten , aber sie haben noch
immer die auf grund derselben anhängigen klagen, sie bildeten vor
alters das recht findende collegium für die im eigenthchen sinne offent-
hchen sachen, d. h. die wo der souverän partei war. daher stehn
ihnen die klagen zu , welche auf grund eines Vorurteils von rat oder
volk gegen einzelne bürger oder gegen beamte zu entscheiden sind;
dazu gehören, wenn auch unter bestimmten beschränkungen, die rechen-
schaflsklagen gegen alle beamte, unbedingt die gegen die Strategen, und
die klagen wegen gesetzwidrigkeit in der amtsführung der mitglieder
und Vorsitzenden des rates und der Volksversammlung.*^') wenn der
120) Die ifiTioQixai , die binnen monatsfrist zu erledigen sind, liat die Spar-
samkeit der ersten restaurationsjahre den thesmotlieten erst gegeben, als sie die
nautodiken abschaffte, die fieTalliy-ai sind deshalb nicht blofse privalklagen, weil
die zu gründe liegenden Pachtverträge mit dem staat geschlossen sind, und zwar
vom rate, es ist also correct, dafs die thesmotheten Vorsitzen; nur müfste eigent-
lich eine xaroyvcoais ex ßovkiis vorhergehn. vermutlich war das ehedem der fall,
denn das ist ganz klar, dafs die zeit, welche die staayayTis und die TQiäxovxa schuf,
die thesmotheten schlechtweg von den Stxai XSiai entlastet hat. sie hatten mit
den YQatfai und den Sixai dno ^v/ußoXtZv vor 404 gerade genug zu tun. — die klage
gegen den herren eines sclaven, der einen freien gescholten hat, erscheint so als ein
rudiment ältester zeit, als man dem freien die Selbsthilfe (tvtttsiv zov SolXov, wie
der oligarch der HoL Ad: gerade heraus sagt) nahm, sagte man ihm, gehe zu den
thesmotheten, die werden den herren des sclaven dazu anhalten, die strafe zu voll-
ziehn. daraus ist nach dem gesetze der scpeais eis Sixaaxt']Qi.ov diese klage ge-
worden, die man nicht um ihretwillen, sondern um der Intervention des Staates
bei dem herren willen, nicht den tQiäxovxa zuwies, übrigens ist zu bedenken,
dafs die frechsten sclaven in Athen notwendigerweise die 8r]^i6aioi waren, so dafs
die beschwerde sich consequenterweise an die thesmotheten oder prytanen richten
mufste. und wo der staat partei ist, instruiren die thesmotheten den process.
121) a) eiaayyeliai, eis ßovXr,v xai dr^fiov, xaiaxeiQoroviai, Tiooßolai, xara-
246 ^- '• ^'^ Verfassung.
rat auf dem Areshügel oder der unlere rat in seiner geschäftsführung
auf häudel geführt wird, die richterhche entscheidung fordern, so fällt
sie consequenterweise den thesmotheten zu, ehedem zur entscheidung,
jetzt zur einleitung. von dem ersten ist jetzt nur die privatklage ge-
bliehen, die eine partei auf dem Areshügel im mordprocefs wegen
falscher Zeugnisse erhohen hat.'") die Vorurteile des rates der 500 gehn
aber noch alle an die thesmotheten; eine abzweigung sind die privat-
klagen in Sachen der vom rate verwalteten staatlichen bergwerke. die
privatprocesse mögen die rechtsetzer ehedem alle gehabt haben; seit
die demenrichter und klageeinführer geschaffen sind, sind sie sie alle
los; die Zuweisung der Sachen der grofshändler ist eine anomale neue-
rung. wol aber stehn ihnen noch wichtige schriftklagen zu. das heilige
recht ist des königs, das familienrecht des archons, die polizeiliche auf-
sieht und die Staatsfinanzen stehn bei dem rate, erst dem oberen, dann
dem unteren, und ihren organen. die meidung an die sammtgemeinde,
eigentlich nur statthaft bei laesa maiestas populi, ist nur für notfälle da.
aber nun bleiben doch noch schwere verbrechen (im antiken sinne), deren
ahndung jedem bürger zusteht, weil die gesammtheit sich geschädigt fühlt,
sie ergeben sich wesentlich dadurch, dafs ein bürger so lebt, dafs er
den friedenszustand stört, den der Staat garantirt, oder dafs er die per-
sönhche integrität an leib und gut einbüfst und nicht mehr ein gleicher
unter gleichen leben darf, in diesen fällen gehl eine meidung wider
ihn an die thesmotheten, die die -d^io/.iia bewahren yr^iog Trjv rcov naqa-
vo(iovv%(j)v ■KQLOiv (3, 4). sie haben ihn ehedem selbst gerichtet, jetzt be-
rufen sie geschworne. um leichtsinniger anrufung der behörde zu steuern,
ist für eine anzahl dieser sachen die hinterlegung eines succumbenz-
geldes gefordert, eine gruppe dieser klagen geht dahin, dafs einem
bürger die rechtsfähigkeit abgestritten wird: er soll nicht mehr zu den
^d^iqvaloi olg dixai siolv gehören; oder aber er soll sich bei dem
rechtsuchen einer dolosen handlung schuldig gemacht haben.'") man
yvcöaei£ ix ßovlrjs b) ev&vvai cap. 48, 5, evd'vvai axQarrjyoii c) naQavöfitov, vo/nov
ovx ijuxrßewv &elvai, novravinr] ijiiaratixrj tiqosSqixi^.
122) Es ist eine notwendige folgerung, dafs die xpevSofiaQxiQia von den andern
blutgerichtsliöfen so lange auch den thesmotheten zufielen, M'ie noch ächte epheten
dort richteten, seitdem es heliasten waren, die nur epheten hiefsen, brauchten diese
arten falschen Zeugnisses keine besondere art zu bilden , sondern waren einfache
Sixat i'Siai.
123) Wenn einer partei, weil sie als staatsschuldner nicht epitim wäre, die
rechtsfähigkeit abgestritten war, ergab sich, je nach dem speciellen falle, ayQafiov
yjsvSeyyQafr^e ßovf.evascoe yjevSoyJ.rjreine. wenn einer partei dolus malus vor-
Thesmotheten. 247
spürt die mühen der alten zeit, die statt der Selbsthilfe die staatshilfe
schuf, diesen neuen weg zu sichern, anderes und wichtigeres geht die
bürgerliche und sitthche qualität an. vor allem soll sich kein fremder
eindrängen : diese sachen gehören nicht in das famihenrecht, aber es
fordert sie als complement. so mufs neben dem archon das collegium
der thesmotheten stehn.'-') aber der bürger soll sich auch dem ent-
sprechend führen, der Athener, der sich zur hure macht oder je ge-
macht hat [iraiQ^oecog), der bürgerliche personen verkuppelt {rcgoa-
ytoysiag), der die familienehre des bürgers angreift (jt/o^X«^'«?? ^n welchem
der körper, die im frieden des attischen rechtes stehn, er sich vergriffen
hat und wie, ist gleichgiltig)'-^), der gegen bürger eine frevelhafte unbill
sich erlaubt (i'ßQStog, worin sie besteht ist einerlei), ist ein Verbrecher
wider das gemein wesen der Athener, auf die gesinnung, die sittliche
fuhrung des dehquenten kommt es an, deshalb ist das wesenthche bei
tler rechtsfindung, sie zu fassen; nicht die tat an sich qualiOcirt das
verbrechen, eine ohrfeige kann vßQig sein, ein dolchstich braucht es
nicht zu sein, und nicht auf die geschädigte person kommt es an.
mag ein monsieur Alphonse sehr zufrieden sein, wenn seine frau einen
jungen reichen herrn anlockt: jeder Athener kann sie beide, den kup-
pelnden ehemann und den ehebrecher vor die thesmotheten holen; aber
die ehefrau nicht, denn der Staat übt keine yvvaixovoula , so scharf
er die Standesehre der bürger wahrt, das weib ist ein teil des y.ÄrJQog
geworfen ward, um ihr die klage selbst zu entziehn, ovxofavria und Scöqcov. die
cvxofävrcov nQoßoXr; und die rlitr^ats Scoocov in der rechenschaftsverhandlung hat
hier nichts zu suchen. — Aristoteles erklärt nur ScoQo^svia?, wonach im lex. Cant.
eine richtige aber entbehrliche erklärung zu ^svias gefügt ist. die einer erläuterung
sehr bedürftigen ■xpevSsyyQacpfiS U'svSoyJ.rjrsias ayoafiov ßovXeiaecos hat ein tüchtiger
grammaüker aufgrund des gesetzlichen materials erläutert; auf ihn gehn die auszüge
bei Harpokration und im lex. Bekk. V zurück, alle in ähnlicher form gehalten,
124) Vorübergehend sind diese klagen ^evias den nautodiken gegeben um
die thesmotheten zu entlasten, vgl. oben s. 223.
125) Notwendiger weise folgt einer klage fwi^sias die umgekehrte, wenn
jemand widerrechtlich als fioi^ös behandelt ist, also die klage sloyfiov. übrigens
steht auch hier der thesmothet neben dem könige, dem die schweren fälle, die der
erlaubten Selbsthilfe gegen den ehebrecher, zufallen, als cpövos Sixaios. aber sie
giengen notwendig den beteiligten als bluträcher an; hier folgt aus der yoafrj und
deren principe, dafs jeder das recht hat ein unrecht zu ahnden, die Zulassung von
allen, und damit die qualification des ehebruchs als eines öffentlichen Verbrechens,
das alte recht ist ja überreich an analogien. aber die strafe, die das gesetz vor-
schrieb, wissen wir nicht. Tr]v S' r,).iaiav Tifiav ort XQV Tta&th' tJ anoreiffai
konnte möglicher weise genügen.
248 '• '• I*'^ Verfassung.
imd eiu teil der ehre des bürgers: ihr yiÜQiog mag sehen, wie er sie
zieht, nur die allische cpilav^QtonLa nimml sich ihrer an, wie des
fremden und des sclaven, und die aldcog der gölter schützt sie ; für den
Staat ist sie kein subject des rechtes.*-®) so straft er auch ihre laster
nicht, während die tempel sieh der ehebrecherin verschhefsen mögen
und die gesellschafthche ächtung sie ereilen mag.
Der späteren entwickelung des rechtes geht diese anschauung, die
cura morum durch den Staat, immer mehr verloren, zumal die demo-
kratie das triv wg tig ßovksrai als ihren rühm hochhält, talsächlich sind die
klagen vßqEtog abgekommen ; man hat die privatklage aixiag an ihre
stelle gesetzt, und der schmähliche Vorgang des handeis um die ohrfeige
des Demosthenes und dessen hübsche rede wider Konon lehren auf das
deutlichste , dafs die yqacpri vßgewg nur noch auf dem papiere stand ;
war doch auch die yQaqii] eTaiQtjoeiog eine rarität, und man verlangte
von den Staatsmännern vielleicht nur besonders, dafs sie darauf scharf
angesehn würden , weil nach einem witzwort schon der alten komödie
bei ihnen der verdacht besonders nahe lag. auch der ehebruch ward
nur noch als Schädigung des ehemanns oder sonstigen v.vqLog (/.loixeicc
geht ja nicht nur die ehe an) empfunden, und man hört von Schei-
dungen und ehebrüchen genug, aber kaum von klagen.'^')
So weit reicht die richterliche tätigkeil der '^rechtsetzer\ für die
Verwaltung waren sie von vorn herein nicht geschaffen, und was sie da
zu tun hallen, hängt nah zusammen mit der richterlichen function, die
ihnen bheb, seit sie das recht nur durch befragung eines geschwornen-
gerichtes fanden, sie verfügen über die locale der gerichtshöfe, das
album der geschwornen *-*) und die gerichtstage, so dafs jeder beamte,
der ein gericht berufen will, ihrer vermittelung bedarf, aus dem album
der geschwornen ward eine anzahl beamte ausgelost: sie besorgen
diese losung. sie tun dasselbe für die andern ämler, wo die phylen
ihnen die candidatenlisten übermitteln: so steht ihnen die renuntiation
der neuen archonlen zu; mit dieser hängt das examen auf die für dieses
amt geforderten qualitäten zusammen, mit dieser die dokimasie. diese
126) Die solonischen gesetze, die Aisch. 1, 183 citirt, sind eigentlich heiliges
recht, und zudem waren sie obsolet.
127) Phot. niftTirr; f&ivovxos führt aus Menander an, dafs dieser tag für die
einreichung der klagen uoixeiag bestimmt war: das gilt also erst für die zeit des
Demelrios oder spätere, damals war yvi'amovofiia eingeführt.
128) Ich kann nicht sagen, wer das album der 6000 geschwornen selbst auf
grund der demenpraesentation aufstellte.
Thesmotheten. Polemarch. 249
selbst fiel später einem gerichte zu, das der thesmothet berief; das an-
dere war eine wesenlose formel. aber beides zeigt, dafs bei dieser ge-
legenheit die thesmotheten in der alten zeit wirklich bedeutend in die
Staatsverwaltung eingriffen, die analogie hat ihnen die Instruction der
dokimasieprocesse gegeben, die eine berufung von der einzelgemeinde
an ein gericht nötig machte.
So erkennt man an dem schatten, den Aristoteles gibt, die gestalt
der alten leibhaften thesmothetenmacht.
Der polemarch hat nach der Schilderung des Aristoteles nur noch Polemarch.
die privatklageu der quasibürger (metöken, isotelen, proxenen) und das
diesen von der attischen liberalen bürgerschaft zugestandene famiUen-
recht, sammt den auf ihren personalstand bezüglichen sachen. die
privatklagen bringt er aber auch nicht vor gericht, sondern weist sie nur
den vierzigmännern zu.'^^) er hat also nicht viel zu tun, und in der
alten zeit, wo diese aus der privaten clientel erwachsene plebs unmög-
lich zahlreich gewesen sein kann, mufs er noch weniger arbeit davon
gehabt haben, die leichenopfer für die tyrannenmörder und die andern
vom vaterlande funere censorio bestatteten '^°), und die leichenspiele sind
eine Stiftung der grofsen zeit kurz nach Plataiai, die spiele stammen
wol erst aus der kleinen, als die trauerfeier selbst ihrer weihe verlustig
gegangen war.'^') das opfer an die Artemis ist vielleicht auch erst aus
129) Diese können die metökenprocesse unmöglich nach den phylen teilen,
denen die metöken und isotelen (die proxenen überhaupt nicht) angehören, denn die
Verteilung dieser leute ist nicht wie die der bürger eine gleichmäfsige, sondern hängt
von der willkür der einzelgemeinden ab. die Aiantis hätte so gut wie nichts zu tun
gehabt, die Hippothontis (TleiQuievs KoiXrj KeiQiddai ^Elevais) sich nicht zu retten
gewufst. meine aufstellungen ül)er die Verteilung der metöken sind seither durch
reiche funde stark erweitert, in einigem berichtigt, aber im ganzen hat sich die
Voraussetzung bewahrheitet, dafs das ältere material ausreichte, die grundzüge des
bildes sicher zu ziehen.
130) Was die herausgeber aufser uns veranlafst hat, dem Pollux zu liebe, der
nirgend so schlafmützig ausgeschrieben hat wie in diesem artikel, die Überlieferung
so abzuändern, dafs die leichenfeier sammt spielen nur den gefallenen gilt, dafür
aber nur die tyrannenmörder leichenopfer erhalten, weifs ich nicht zu sagen, wo
ist denn die bessere Überlieferung? und von dieser abgesehn, sollen denn die toten
des Staatsfriedhofs des cultes entbehren? als private erhalten sie ihn von den
ihren an ihren privaten riqia, so lange ihr geschlecht besteht, aber worin beruht
denn die ehre des öffentlichen grabes, wenn die geehrten der yt^a &av6vreov ent-
behren? übrigens liefern die grabreden den beweis, dafs alle für das Vaterland
gestorbenen geehrt werden sollen.
131) Dabei mufs es doch bleiben, dafs Thukydides und die Hiketlden des
Euripides (ein tragischer epitaphios) den agon nicht kennen, aber die rhetoren des
250 '• "• ^'^ Verfassung.
(Irin gelilbde des polemarchcn Kallimachos 490 crwaclisen.*^^) so bleibt
als TcÖTQiov dem kriegsberrn nichts als das unbedeutende opfer an
Enyalios.'^) mit diesem belege konnte Aristoteles scbvverlicb erhärten, dafs
der arclion jünger als der polemarch gewesen wäre, weil jener keine
TiäxQia zu besorgen hätte (3, 3). der polemarch war eben bis 487,
wo ihn das los zu besetzen begann, ein beamter ersten ranges als
kriegslierr. als ihm die Strategen die militärischen befugnisse nahmen,
war er doch wenigstens noch etwas wie der -praetor inter peregrinos,
und er mufs noch andere polizeiliche competenzen besessen haben, die
wir nicht mehr durchschauen,"'') aber die entziehung der gesammten
vierten Jahrhunderts bezeugen ihn, und ihre erzeugnisse sind um seinetwillen nicht
unächt. wie er jetzt bei Aristoteles erschienen ist, so stand er längst bei Piaton
Ges. 12, 947«.
132) A. Mommsen Heortol. 213. am Artemistag, dem sechsten BoriSQOfiicüv
•werden freilich schon von alters die wehrhaften mannen Athens einen lauf mit
lautem hurrah zu ehren der göttin des wildes und der jungen mannschaft getan
haben: aber seit ihnen dieser lauf bei Marathon die freiheit gebracht hat, und der
polemarch, der den sieg mit seinem blute besiegelt hatte, der göttin ein opfer ge-
lobt, das sie nun alljährlich einlösen, kann man unter der d'vaia lä^rsuiSi ^AyQortqq
nur diese neue Stiftung verstehn. das gelübde des Kallimachos und die dadurch
erzeugte feier hat dann, wie natürlich, die erzählung von der schlacht mit einem
solchen ßor^S^ofielr ausgestattet.
133) Die sorge für die waisen der im kriege gefallenen bürger (Schol. Dem.
24, 20) mag obsolet geworden sein, die sorge für die invaliden (Plut. Sol. 31)
mufs man nach dieser analogie auch dem polemarchen geben: aber das geld kann
er später nicht verwaltet haben, da er keine casse hat, so wenig wie seine collegen.
so werden sie wie andere aSvvaroi vom rate verpflegt sein.
134) Aristoph. Wesp. 1042, besprochen Herm. 22, 222. damals mufste ich noch
annehmen, dafs der polemarch alle Privatsachen der metöken u. s. w. selbst vor
gericht brachte. CI.\ II 11, 20 (die ^vfißoXai mit Phaseiis) weisen dem polemarchen
noch irgend welche andern processe zu. wenn einem tiqo^evos, dem sogar die
£yy.ir,ais otxias verliehen wird, die nQÖaoSos tzqos nole^iaQXOv, die ihm in folge
seiner proxenie so wie so zusteht, noch besonders attestirt wird (CIA II 42), so ist eben
wie in unzähligen Urkunden aller Staaten das allgemeine im speciellen falle aus-
gesprochen, yad'äTTEQ rols aXXois nQo^s'vois steht dabei, da nun feststeht, dafs bei
Pollux 8, 91 (d. i. Aristoteles) nichts von den fremden steht, so ist eine tatsache,
dafs ein fremder (d. i. jemand der eine andere heimat hat, also kein fisroixos "A&rjvriai)
ohne privilegirt zu sein (wie proxenen und landflüchtige Parteigänger Athens u. dgl.)
oder durch seinen stand ein Vorzugsrecht zu geniefsen {e\unoQos), oder durch ^vfi-
ßoXai seiner heimat geschützt zu sein, in Athen keinen bestimmten gerichtsstand
liat, also juristisch rechtlos ist; nur das Völkerrecht (d.i. die religlon, Zsvs ^evios)
schützt ihn: da wird immer wieder die clientel, d. i. das TtQo^svBlv eines einzelnen
Atheners subsidiär eintreten müssen, tatsächlich sind solche fälle seit dem fünften
Jahrhundert natürlich höchst selten gewesen, was das metökenrecht anlangt, so
Polemarcli. König. 251
privatprocesse der metöken macht sein bureau lediglich zu einer Sam-
melstelle gewisser klaganmeldungen für die vierzigmäuner, und nur für
die Sachen, die aus der specifisch attischen rechtsstellung der metöken
hervorgehn, bleibt er der gerichtsherr. so mag Aristoteles, obwol er in
diesem capitel so wenig gibt, doch hier am wenigsten fortgelassen haben.
Von den rehgiösen pflichten des königs greift Aristoteles nur zwei Koni
hervor, die ausrichtung der 3Iysterien und Lenaeen, läfst also sogar die
Antheslerien fort, von denen er doch einen besonders heiligen gebrauch
im anfang seines buches als beweismiltel verwendet hat, allerdings fremde
Worte reproducirend (3, 5); dann wird ihm das ganze zu langweilig,
und er macht es mit der kurzen wendung ab, dafs der könig alle fackel-
läufe und überhaupt ziemlich alle TtdtQia besorge.*'^} von der fürsorge
für die rehgion, so weit sie rechtsprechung erfordert, nennt er dann
die hauptsachen, übergeht jedoch die ganze keineswegs gleichgiltige Ver-
waltungstätigkeit, von der er doch die Verpachtung des kirchengutes
selbst vorher erwähnt hatte (47, 4). ausführlicher, aber auch sehr kurz,
streng auf seine zeit hinblickend und in einer kleinigkeit eine recht
schlechte rationalistisch verballhornte namensform anwendend '^®), behan-
delt er nur die blutprocesse. uns ist es sehr wertvoll, dafs nun fest-
steht, 330 richtet der Areopag nichts weiter als vorsätzlichen mord
eines Atheners vollzogen oder zufällig nicht bis zu ende geführt (orav
TQavoj] Irtl d^aväxo) ez TtQOvoiag), Vergiftung mit tötlichem ausgang
(hier entscheidet also der erfolg) und brandstiftung. an drei richtstätten
richten hehasten unter dem namen epheten"^), am Palladion über unvor-
kann ich mit niemandem disputiren, der statt einen gedanken zu suchen, zu verstehn
und meinethalben zu MJderlegen, mit citaten kramt, das recht fordert juristisches
denken: wenn otxcöv ifi IleiQael zu üeiQueis sich verhalten soll wie 'ansässig in
Berlin' und 'Berliner', so bitte ich, die consequenzen zu ziehn: die iyxExrr,[ih>oi,
fiiroinoi, ^ävot ano ^vfißöloäv avvoiy.ovvres (wie die Sidonier in Athen, CIA II 86),
IfiVot 7taQeniSr]/uovvres werden sich ergeben , wenn's auch von unserm modernen
rechte zum geschlechterstaat und der clientel weiter ist als von dem attischen.
135) Dies als die aufgäbe des attischen königs bezeichnet schon Piaton Polil. 290"=.
136) Statt der <pQEarrv£, die doch Demosthenes in der Aristokratea und durch
ihn die meisten grammaliker kennen, ein heros Phrealos ; wir kannten diese schale
fiction bisher schon als theophrastisch (Harp. iv <PoeaTroT). tatsächlich war diese
rechtsprechung natürlich längst obsolet.
137) Die lücke im papyrus ist gleichgiltig, denn Harpokralion cilirt die stelle,
und dafs tatsächlich die richter am Palladion seit 403 heliasten waren (Isokr.
18, 54) ändert an dem namen nichts, es ist nur die losung £| anävicov an die
stelle der wähl oder auch der losung aus einer liste von 7tQvy.oiroi. a^iffTivStjv
und mit höherem lebensalter getreten, wer den schwinde! des 'ephelenrates' nicht
252 I- ^- Die Verfassung.
sälzlichen totschlag begangen an Athenern, dies auch in dem falle, dals
der tod die unbeabsichtigte folge einer nicht von dem angeklagten eigen-
händig vollzogenen aber allerdings von ihm (rechtlich) vollzogenen und
beabsichtigten handlung war "^), endhch über mord und totschlag von nicht-
bürgern ; am Delphinion über gerechten totschlag, an der Phreattys über
den einerlei welcher bluttat geziehenen wegen blutes landflüchtigen, von
allen vier gerichtsstütten gilt, dafs die Verhandlung unter freiem himmel,
aber in heihgem bezirke vor sich geht, und dafs der konig seinen kränz
ablegt: offenbar nach der analogie der trauer.^^^) das gericht, das der
mitgemacht hat, also in ihnen immer nur richter gesehn hat, kann sich weder über
die änderung der besetzung dieser stellen noch über die beibehaltung des namens
wundern, ob die gerichtshöfe und der ephetenname übrigens 322 überdauert haben,
weifs ich nicht, nur Pausaniasschwärmer können sie durch alle Jahrhunderte schleppen.
138) So allein gestattet die logik diese ßovXsvais aufzufassen, und genau dazu
stimmt die sechste rede Antiphons, in der es sich um ein anoiaiov und um ßoilevais
handelt, und die vor dem Palladion gehalten ist: da es ävS^ss ägiaroi xai aqi,axa
ßsßiwy.özES waren, die zu gericht safsen, sind auch die schlufsworte dieser rede
ganz angebracht, die nur auf gewöhnliche heliasten nicht passen, übrigens war
der verklagte schuldig, wenn er nicht einen andern schuldigen, nämlich den,
der den knaben änty.zsivev axcov rj xet(>i a^djusvos ?] ßovXsvaas aufwies, was
er nicht wollte (15): denn der zufall entbindet eben nicht von der Verantwortung
für dy.ovaia. nur in einem so kleinen stücke ist Passows schöne darlegung über
die ßoHsvais berichtigt: die juristische logik bleibt eben stehn, und die un-
logik irrlichtelirt weiter, aber schuld hat auch Aristoteles, der so wortkarg ist,
dafs er oben sogar bei dem roav/ua keine bestimmung zusetzt, obwol doch ein
TQavfia auch eine y^aft] vßoscos und eine Sixt] ataias begründen kann, bei dieser
ßov).evais handelt es sich um ßovXevaa i^ wv andd'avev Sia fövov axovaiov. die
logik subsummirt sie zwar von selbst unter die dxovaia, aber da sich etwas be-
absichtigtes und etwas unfreiwilliges auszuschliefsen scheinen, so war die hervor-
hebung wider die sykophanten allerdings am platze.
139) Si>iät,eiv geht in dieser zeile notwendigerweise auf dieselbe dauernde
tätigkeit wie in der vorigen, der scharfsinnige schlufs Kirchhoffs, dafs der könig
auf dem Areopage mitabgestimmt und deshalb den kränz abgesetzt hätte, war also
ein fehischiufs, und die bekränzung tut nichts zu dem stimmstein der Athena. mit
den 51 epheten hat er sicher nicht mitgestimmt, sonst würde die zahl ja gerade
geworden sein, die zahl der Areopagiten war unbestimmt, also hat sich dort der
grundsatz zuerst entwickelt, vixü 6 (psvyiov -/.av taötpriffos xQid'fj. das ist legen-
darisch so ausgedrückt, dafs bei dem typischen ersten gerichte Athena mitgestimmt
und freigesprochen hätte, und dafs nun ihr stimmstein im kritischen falle mitzählt,
der erste fall ist ursprünglich gar nicht Orestes gewesen (unter Demophon!), sondern
Halirrholhios. als Aischylos die Orestessage als den ersten darstellt, mufste er
natürlich auch den stimmstein Athenas einführen, vgl. die beilage 'der procefs der
Eumeriiden'. für das absetzen des kranzes ist die beste analogie Minos (ApoUod. bibl.
3, 15, 7) und Xenoplion, die eine todesbotschaft beim opfer erhalten und den kränz
König. 253
könig in Athen mit den königen der phylen am prytaneion abhielt, macht
den schlufs; die worte sind verstümmelt.'*")
In dieser darstellung, die die spuren der kürzung überall trägt,
ist doch an zwei stellen latente polemik kenntlich, es wird betont, dafs
der konig es ist, der durch öffentliche proclamation den mordes be-
schuldigten anweist, sich von Isqu und oaia fern zu halten, dafs sich
die mordrächer selbst dieses recht vindicirten, zeigte Antiphon 6, 34 u. ö.,
ohne dafs darin eine Ungesetzlichkeit gefunden wird, also war der be-
richterstatter, den Aristoteles bekämpft, in seinem rechte, sei es dafs
die sitte mittlerweile gewechselt hatte, sei es dafs das gesetz die eigne
action des bluträchers noch weiter zu gunsten des Staates beschränkt
hatte."') ferner betont Aristoteles, dafs nur noch cpövov tgaifiarog
absetzen, das opfei vollziehn, eigentlich darf der könig sich durch den verkehr mit
dem blutbefleckten gar nicht besudeln; aber es ist ein zwang, so gut wie dafs dieser
in den heiligen bezirk tritt : diesen zwang symbolisirt das absetzen des kranzes. es ist
ein schönes symbol; so etwas ist echt attisch, wenn Demosthenes, während er selbst
noch trauer hat, sich den kränz aufsetzt, weil Philippos ermordet ist, so ist das an sich
ein ausbruch wilden hasses, unschön, unattisch, unfromm, aber in der zeit und an
dem menschen begreiflich und vielleicht entschuldbar, weil die liebe zum vaterlande
ihn einseitig beherrschte, aber keine entschuldigung verdient, wer sich gebärdet,
als wäre das ein angeblich antikes, 'heidnisches' empfinden: es ist gottlos zu allen
zelten, einerlei mit welchem namen gott gerade genannt wird ; wenn es aber wider
eine religion besonders verstöfst, so ist es nicht die der christlichen kirchen, son-
dern die welche die begriffe der vsfisais und der vß^is ausgebildet hat. Odysseus
hat es schon der Eurykleia gesagt, und Archilochos auch, der doch rechtschaffen zu
hassen wufste.
140) Es scheint dafs Blafs dem Aristoteles zutraut, gesagt zu haben orav Ss
fiTj eiSfj Tov Tioirjffavra, xü SQäaavri Xayxdvsi, Sixd^st S' 6 ßadi'/.evs xai oi cpvXo-
ßaailsls. darin mag man die auslassung der subjects im ersten satze vielleicht er-
tragen, weil es nicht indefinit ist, sondern den nächst verpflichteten bezeichnet,
aber es ist beispiellos hart, unerträglich ist, dafs der gerichtshof fehlt, und
noch ärger wird es, wenn zu den folgenden worten xat ras iwv aipvxiov xai rcöv
alloDv L,cöoiv das ganze letzte Satzglied supplirt werden soll, das interpungiren
ist hier ein sehr unantikes hilfsmittel, weil jeder zunächst praedicat und object in
eins ziehen mufs.
141) Bei (fövos aSr^kos, wo die nQÖQorjais des bluträchers, die ladung des
angeschuldigten, fortfiel, konnte natürlich der könig allein die nooayÖQevais
vornehmen, so tut könig Oidipus in seiner proclamation, die sofort verständlich
ist, sobald man dem attischen rechte folgt, und so heifst es in den trefflichen
patmischen schollen zur Aristokralea (Bull. Corr. Hell. I 139) ini nQvraveita
Sixät,STai (cod. Siad^ovrai) cpövov, "lav 6 uev ai'T]QT]/ueros Stj^-oS r, ^T]Tr^rai
{^fjTslrai. cod.) §s 6 rov (fövov Soäaas. xai aTtotpägei tj;»' ygatprjv ttqos tov ßaatXda,
xai 6 ßaaiXevS xr,ovxTEt, Sia rov xrovxos xai aTtayooevei rovSe rov dvsXovra
254 I- "• Bie Verfassung.
^ag/ua/.ov TtvQy.aiäg auf dem Areopag gerichtet ward: darin liegt, dafs
es früher mehr gab, und die klage auf Zerstörung eines heiligen Öl-
baums gibt er selbst an (60, 2). mehr als Aristoteles führt auch De-
mosthenes (23, 22) nicht an. aber dafs es früher viel mehr war und
in schwerer zeit mehr werden konnte, davon hatten sich noch jüngst
beispiele gezeigt."^) möglich, dafs Aristoteles auch im rechte war; der
altere gewährsmann, den er berichtigt, war es gewifs. damit ist aber
Aristoteles jedenfalls nicht im rechte, dafs er von einer andern tätigkeit
des Areopages gar nichts sagt als der richterhchen. das liegt aber daran,
dafs dieser rat bei ihm gar nicht mehr als ein selbständiges ghed der magi-
stratur erscheint, sondern als ein von dem könige berufenes gericht'^^), eben
so vernachlässigt, wie das volk neben den prytanen. es ist allbekannt,
dafs sich rudimente der administrativen tätigkeit des Areopages immer
erhalten hatten, und seine morahsche autorität bereitete gerade damals
die spätere Vermehrung seiner administrativen macht vor.
Archon. Dem archon ist seine erste stelle zu statten gekommen, alle die
feste, die er auszurichten hat, sind mit leidlicher genauigkeit behandelt,
auch mit rückblicken auf die frühere zeit'''^) und mit einflechtung der
liturgienordnung "*), und ebenso wird das famihenrecht, das ihm zufällt, durch
Tov Seiva fifi entßaiveiv Ieqwv xal ;^ß5^as («yooös?) L^TTtxJyS. iv reo airco Se
rovrcp Sixaarrj^üp xav ri i/nneaov narä^ri riva xal avs'Xr] xmv atpvxtov, Sixa^Brat
TOvrco xal vnspo^i^szai.
142) hl den bekannten, aber rechtlich schwer zu fassenden fällen des herbstes 338,
Lykurg. 52, Aischines 3, 252. im harpalischen processe handelt der Areopag in
speciellem auftrage, aber die aristotelische darstellung könnte niemanden ahnen
lassen, dafs ihm solch ein auftrag erteilt werden könnte.
143) Die formen des processes scheinen im letzten teile erörtert gewesen zu
sein, vgl. unsere anm. zu pag. 34, 28.
144) So haben wir über die bestellung der dionysischen choregen und chöre
in erfreulicher weise Sicherheit erhalten, und sind die aufstellungen von Lipsius,
die auf den inschriften sicher ruhten, wie nicht anders zu erwarten war, be-
stätigt, weil die komoedie sich aus dem xw/uos entwickelt hat und erst spät
vom Staate übernommen ist, bestimmen die phylen die choregen, und damals wird
der chor nicht anders als die kyklischen beschafft sein, das blieb zunächst noch,
als nach 405 die chöre sehr beschränkt wurden, aber dafür fünf komoedien gegeben,
ob 388, MO die didaskalie des Plutos zum ersten male 5 stücke zeigt, schon die
weitere Veränderung eingetreten war, dafs die 5 choregen aus allen Athenern bestimmt
wurden, kann ich nicht sagen, aber dafs einstmals auch eine zeit gewesen ist, wo
die tragoedie so bestellt ward wie die komoedie im fünften Jahrhundert, phylen-
weise, scheint mir immer noch von der analogie an die band gegeben.
145) Dabei ist denn herausgekommen, dafs die choregie die einzige behandelte
liturgie ist. das steuerwesen als solches ist eben überhaupt nicht behandelt und
Archon. 255
alle seine specialitäten "'') verfolgt, auch über die einzelnen klagen nicht
weniges zur erklärung der formulae iuris beigebracht, im nächsten capitel,
beim künige, ist das religiöse dem Aristoteles schon langweilig geworden;
bei den Strategen hat er ihre opfer ganz und gar fortgelassen, und die
namen der klagen, die der erklärung wahrhch oft bedürfen, sind nur
noch ganz vereinzelt, wie dUaiog cfövog"'') und dtuQo^sviag erklärt:
die wichtigste lituigie, die der trierarchen, der abneigung des Aristoteles gegen
die marine ganz zum opfer gefallen, diese Verhältnisse konnten freilich nicht in
den dienstinstructionen eines einzelnen beamten stehn.
146) Es fehlt die klage aoyias, die die parallelüberlieferung BA. 310 aufführt,
vielleicht durch versehn, das mancher lieber den abschreibern als dem Verfasser
zutraun wird, aber obsolet war die klage sicher, obwol der redner wider Eubulides 32
ihre existenz berührt, und sicherlich war sie nicht formell beseitigt, sie gehört
neben naoatoias, wo sie nicht blofs im Bekkeischen lexicon, sondern auch bei
Diogenes I 55 steht, und hier steht auch dabei, dafs sie a!^r;/xios reo ßovlo/iävco Siüxeiv
war, um die formet einzusetzen, sie war natürlich zunächst bestimmt, nicht das
Volk zu erziehen, sondern die erhaltung des nXr^o? zu sichern, ganz parallel der
naQavoias. dafs Drakon den tod als strafe gesetzt hätte, ist eine törichte exempli-
fication (Plut. Sol. 17), fabricirt daraus, dafs die phrase nur diese strafe bei ihm
anerkannte, und dafs er die klage o^yLas gehabt hatte, wie aus Lysias bekannt war:
so steht Lysias und die todesstrafe Drakons im lex. Cantabr. s. v., und Lysias, aber
mit anderem redelitel bei Diogenes, d. h. bei dem gewährsmanne Plutarchs. Solon
soll nach dem lex. Cant. geidstrafe darauf gesetzt haben, atimie erst nach
dreimaliger Verurteilung, mit ersterem stimmt Pollux 8, 42, gibt aber für Drakon
alimie als strafe an. die affiliation der Zeugnisse läfst sich nicht entwirren;
dafs Lysias alles das bezeugt hätte, was ihm die fassung des lex. Cant. gibt, ist
unglaublich, nur dafs das gesetz drakontisch und solonisch war, wird er gesagt
haben, denn er exemplificirte ja nur mit ihm. nicht Solon kann die dreifache klage
vorgeschrieben haben, da sie ja erziehlichen zweck hat und den müfsiggang bestraft:
das geht die zeit der Sittenpolizei, d. h. seit Demetrios, an, der wir, so unglaublich
die einzelfälle der philosophen (Menedemos, Kleanthes u. dgl.) sind, diese areopagi-
tische cura morum zutraun dürfen, was athenisches gesetz war, war auch damals
für die breite masse solonisch, und so wird es zu dem grammatiker gelangt sein,
demselben der die nomophylakes des Demetrios auf die zeit des Ephialtes über-
tragen hat. für den geschlechterstaat, dem der archon diente, pafst lediglich die
atimie: der majoratsherr wird abgesetzt, so bald er entweder unfähig oder
nicht gewillt ist, das gut zu verwalten, und mit dem besitze des majorals verliert
er die auf die wirtschaftliche Selbständigkeit gegründeten politischen rechte, an
der erhaltung des majorates aber hat jeder Standesgenosse ein Interesse, und der
stand bildet die "AdTivaloi oh s'^sanv. dafs Theophrast die klage uQyias dem
Peisislratos beilegte, liegt darin, dafs er ihn als den erzieher des Volkes zur tätig-
keit fafste, wie Aristoteles; die Lysiasrede kannte er nicht. Plutarch (Sol. 31) hat
auch dies citat nicht aus eigener lectüie, sondern von Herniippos.
147) Es hatte das eine nicht gelinge bedeutung, und dafs wir durch die
Aristokratea mit erklärern mehr erfahrern als die proben, die Aristoteles gibt, ist
256 '• ''• ^'* Verfassung-.
roavi-iarog, ßovXsvaecog, xpsvöoy.krjTslag nicht; schwerlich kann jemand
darin eine weise oder überlegte beschränkung finden, das ist die willküi-
des epitomators; aber Aristoteles ist es, der sie sich erlaubt.
Von den beisitzern sagt er überhaupt nicht, was sie zu tun haben;
das soll sich ebenso wie bei dem Schreiber der archonten aus ihrem
namen ergeben."*) recht ausführlich ist dagegen die ceremonie des
amtsantriltes beschrieben, mit einfügung vieler formein, an denen doch
auch gekürzt ist"^), und nicht nur in ihnen, sondern auch in der
Schilderung finden sich Wendungen, die Aristoteles aus sich unmöghch
gesetzt haben würde, wie das unpersönliche STtegiorä (55, 3. 4j von
der handlung des Vorsitzenden beamten , der nirgend als thesmothet
vorgestellt wird.
An diesem punkte nun ist schon in dem capitel über Solon (s. 51)
Ergeiinis. klar geworden, dafs Aristoteles von einer fremden erzählung abhängt,
und weil es hier so besonders deutlich ist, und auch das schon feststeht,
dals dieselbe erzählung hier in der schiderung und oben in der geschicht-
lichen darstellung zu gründe liegt, habe ich mir dies auf den schlufs
aufgespart, es hat für mich völhg ausgereicht, zu schliefsen, dafs die
ganze darstellung der Verfassung nichts ist als eine stark und ungleich
kürzende, einzeln natürlich besondere lichter aufsetzende, namentlich latent
polemisirende, und wie sich für einen Schriftsteller von reputation, der
in Athen schreibt, schickt, durchgehends auf den zustand des derzeit
sehr wertvoll; es waren allerdings zum teil nur noch tote formein, wie sp 6S(ö
y.ad'sXcüv, womit Oedipus sich schon nicht zu entschuldigen wagt, aber einiges
solonische war auch durch gesetz beseitigt: so kann man doch nur über die tötung
des für noctwnus urteilen, die Solon zwar nach Demosth. 24, 113 gestattet hat, die
aber beim q>övoe Sixaios vorkommen niüfste, wenn sie noch gestattet gewesen wäre,
es war aber nur noch die tötung bei notwehr gestaltet (Dem. 23, 60).
148) Dafs sie doch auch besondere pflichten hatten, lernen wir an dem einen
beispiele, der aufsieht über das Pelargikon, PoU. 8, 101 mit der ergänzung des cod.
Laur. 56, 1. es bestätigt sich dadurch, dafs ihr local, das Gea/nod'ereiov, dem
Pelargikon nahe lag, d. h. jenes wie dieses nahe der Pangrotle, wie das Köhler
sehr hübsch aus den weihungen der thesmotheten an Apollon v7tn:(QaXos , der ja
den Ion in jener grotte gezeugt hat, erschlossen hat (Mitteil. 3, 144).
149) Die letzte frage an den candidaten gibt Aristoteles t«s arQareias d
iarQarevxai, bei Poilux 8, 86 und im lex. Cant. steht ras vnsQ rijs nar^iSos
ajQareiae und bei Deinarchos, der 2, 17 dieselben formein anführt, ini^ rrjs TtoXstas.
die beiden grammaliker berufen sich allerdings auf Aristoteles, und wir haben zuerst
an ausfall gedacht; vielleicht war das in diesem falle richtiger, trotzdem forderte
das prinzip die volle strenge der recensio, mindestens bis das quellenverhältnis, das
uns freilich bekannt war, öfTenllich dargelegt wäre.
Ergebnis. 257
geltenden rechtes hin revidjrle wiedergäbe fremder arbeit, ich habe
mich der mühe nicht verdriefsen lassen, die ganze partie stück für stück
durchzusprechen, und bedaure die monotonie meiner darstellung nicht;
aber ich wufste von vorn herein, dafs das ergebnis kein anderes sein
konnte, als was das eine exempel auch schon erkennen hefs. ich kann
nicht in jedem einzelnen falle beschwören, dafs Aristoteles und nicht
ein abschreiber etwas weggelassen hat. ich kann häufig nicht ent-
scheiden, ob unsere grammatikerüberlieferung den aristotelischen be-
richt zu gründe gelegt und aus anderer paralleler Überlieferung ergänzt
hat, oder aber die grammatikerüberheferung auf dieselbe tradition direct
zurückgeht, die auch Aristoteles ausgezogen hatte, vorgekommen ist
beides.'^") ich kann fast nie sagen, ob Aristoteles die altischen gesetze
selbst benutzt hat, oder, was ich persönlich für das ziemlich immer zu-
treffende halte, wie bei der -d-EGf-iod-ercov avdxQioig eine schriftliche
Verarbeitung, ich kann keine sonderung seiner vorlagen vornehmen, und
ich hüte mich wol mit dem namen Androtion oder anderen zu spielen,
das ist alles für mich als Schriftsteller unbehaglich: aber für die sache,
die einsieht in die Verfassung Athens, ist es gleichgiltig, und so bin ich
auch zufrieden, das dagegen ist eine hauptsache von eben so grund-
legender bedeutung wie die Würdigung der atiischen chronik es für die
geschichte ist, dafs Aristoteles auch hier im Zusammenhang mit den be-
richten der Atthidographen benutzt werden mufs, von denen er abhängt,
und dafs trotz aller Verschiedenheit der personen eine feste unbedingt
zuverlässige tradition zu gründe liegt, die Urkunden, die gesetze selbst,
sie standen jedem einzelnen Atthidographen und dem Aristoteles und
seinen schülern, ja zum teile noch den grammatikern zur Verfügung; es
ist also zum glück eben so gleichgiltig wie es unmöglich ist, die be-
richterstatter zu nennen, die die gesetze wirkhch eingesehen haben.
Auf die urkundlichkeit kommt es an, und ein leidlich besonnener
wird selten in zweifei sein , wie viel er auf die gesetze zurückführen
darf, die gesetze aber sind durch ihre anordnung und ihre form für
alle diese darstellungen der attischen Verfassung mafsgebend gewesen.
in dem gesetze über die STtixsiQorovla voi-iiov (Dem. 24, 20) steht gleich
am anfang, dafs sie beginnen soll mit den ßovXevtv/.oi, dann den y.oivoi,
150) Ein beispiel des ersten ist Poll. 8, 86— 91, wo das abzeichen des myrten-
kranzes, die tötung des landflüchtigen, der den bann bricht, und die jahreseponymie
des archon dem aristotelischen excerpte eingefügt ist, ein beispiel des anderen Poll.
8, 126, 127 über die diaeteten, das ganz wie 130, 131 zu dem aristotelischen
capitel 8 steht.
V. Wilamowiiz, Aristoteles 1. 17
258 '• "^^ ^^^ Verfassung.
dann denen der neun archonteu u. s. w, in der erläuterung dieses ge-
setzes bat SchüU sehr schön dargelegt, dafs die gesetze nichts anderes sind
als Instructionen der beaniten, und dafs Solon selbst sie in dieser form und
dem entsprechend in dieser reihenfolge aufgezeichnet hatte, wir kennen
ja auch citate aus den v6f.iOL ßaoiXixoi, ayoQavofxixol u. s. w. die stellen
sind denen geläufig, die von attischer Verfassung etwas wissen, sind auch
zum teil in diesem capitel gelegenlhch angeführt, jede darstellung der
attischen Verfassung mufsle also von selbst sich gewissermafsen als ein
auszug und eine erläuterung dieser alljährhch neu revidirten, alljährhch
auch geänderten gesetze darstellen, zu Aristoteles zeit war ein eigener
secretär dafür angestellt, dies gesetzbuch, das in erster linie beamten-
instruction war , auf dem laufenden zu erhalten , und Aristoteles war
gewifs in der läge, sich eine copie zu verschaffen , oder doch das jetzt
geltende recht sicher daraus zu constatiren, wo er das für nütig hielt,
jeder advocat und redner bedurfte dieser gesetze für sein handwerk.
abschriften können gar nicht selten in Athen gewesen sein, ganz ab-
gesehen von den pubhcationen auf stein, die mancher orten standen,
aber natürlich nur teile umfafsten. eben deshalb waren die gesetze
auch von den vielen benutzt, die Athens Stadtgeschichte mit ausgiebiger
berücksichtigung seiner Institutionen geschrieben halten, was nirgend
stand, weder bei Solon noch in den acten des archivs, war das Staats-
recht, ganz wie in Rom. für die competenz des Souveräns gab es
keine gesetze; die rechtlichen gedanken, die alles beherrschten, waren nie
und nirgends codificirt. wir mögen uns frei machen von der agglutini-
renden spräche der alten darstellungen und das Staatsrecht Athens orga-
nisch entwickeln : eine geschriebene Verfassung hat es darum doch in
Athen gegeben; wozu waren denn auch Drakon und Solon aufgestanden?
und ein Staatsrecht hat es auch gegeben, obwol das nicht geschrieben
worden ist, von niemandem bis auf diesen tag. den Aristoteles wollen
wir nicht schellen, dafs er nur wieder gegeben hat, was in den gesetzen
stand, sehr viel kürzer und für unsere wünsche minder brauchbar als
z. b. Philochoros. aber erst wenn wir dieses Verhältnis erfafst haben,
können wir ihn verstehn und seine angaben richtig benutzen.
Eine probe will ich als coroUar geben, weil einmal ein Stückchen der
wirklichen gesetze erhallen ist. der sehr sykophanlische und stilistisch
wenig gewandte verfertiger der rede gegen Makartatos hat uns einen
grofsen gefallen getan, indem er nicht nur die Zeugenaussagen, wie sie
der diaetet protocollirt und in die kapsei gesteckt hatte, sondern auch
eine menge gesetze, die zum teil sehr wenig zu seiner sache gehören,
Ergebnis. 259
mit publicirt hat; diese urkundlichkeit soll über seine rabulistereien täu-
schen.'^') da steht denn auch 75 o ccqx^'JV hcijueUGd^w rcov oQcpavcöv
■/Ml növ e/ttxl7]Qwv Kai nov o'r/.tov xiov £^eQrjfiovf.ih'wv -/ml tiov yvvai-
■Aiov oGai (.livovGLV iv Tolg oXy.otg tcuv avögcöv [rcJj^] Ted-vriwriov
cpccoxovGai KvslV tovriov hcL(.ieX£Gd-(.o -Kcd f.ii\ icctw vßQiCeiv fir^deru
Ttegl TOVTOvg ' eav öe rig vßQiU] r^ rcoifj il /caQavo/iiov, KVQiog egtio
eTttßäXleLv '/.axa rb reXog' eav de /iiel'^ovog Crj/niag öoxfj a^iog elvai,
7tQOG'/,aXeGaf.i€vog nQOTtei.iicTa -/.al rifir^fia €7tiyQa\pdf.ievog ort av doxf
avTCü, UGayayirio elg zrjv rjhaiav, eav ös akco, Ti^iaTüi rj rjXiaia tceqI
rov aXövrog 6 ti xqtj avTov nad^elv r] anoTElGaL' und 54 über die
erbtüchter; ich schreibe nur den schlufs aus, eav de (.u] ex/] 6 iyyv-
rärco yevovg rj firj exdip, o ag^cov e/cavayKa^e'tto rj avrov ex^iv rj
e'/.dovvai' eav de i-trj eTcavayxdojj 6 agy^iov , ocpeilerco xiXi,ag öqay-
/.idg legdg rfj Hga' drcoyoücpexco de rov f.irj Ttoiovvra ravTa 6 ßov-
X6(.ievog rcQog rov aQyovxa. dazu halte man was Aristoteles gibt eni-
fieXeiTai de y.ul rcöv ogcpavSv v.ai twv e7tiy.XrjQ(jJv xal twv yvvai-
'/.cöv , oGat av TelevTijGavrog rov avÖQog G7.rjn:TiovTai Tivelv' '/.a\
■/.VQLog eGTL Tolg dSizouGiv emßdlXeiv ^ elGoyeiv eig ro 6i'/.aGTi]-
Qtov. und vorher gehn die klagformeln 0Q(paviuv y.ay.wGewg, e/cr/.Xi]Qov
■/MxcuGewg, of/Mv oQcpavr/.ov zaxcüGecog mit kurzen erklärungen. es ist
offenbar, dafs das aristotelische capitel ein summarium der v6f.wi ag-
XovTog ist. aber nicht er erst hat sie ausgezogen , denn das verbuni
GxrjTtTeG^ai ist ein technisches des attischen rechtes, das man im index
Aristotelicus weder erwarten noch finden kann, es steht hier bei ihm,
aber es steht nicht in dem gesetze. zwischen dem gesetze und Aristo-
teles steht also ein unbekannter vermittler, der sich des attischen Wortes
bedient hat.
151) Es ist also nicht einmal so viel richtig, dafs diese einlagen des oralo-
rischen Zweckes entbehren; wenn man nur bedenkt, dafs diese sorte reden niciit
für Schulmeister der Stilistik publicirt sind, wie Hermogenes oder Menander. solche
rhetorische einseitigkeit hat vielmehr die Urkunden in der ausgäbe unterdrückt, die
wir durch ^ kennen: grammatiker haben so etwas nicht begangen, sondern rlietoren.
bekanntlich kennt auch die grammatikerüberlieferung die Urkunden, freilich auch die
falschen.
17'
DIE ATTHIS.
Unsere Untersuchung hat gleich damit hegonnnen, das chrono-
logische gerippe der aristotelischen erzählung auf die attische chronik
zurückzuführen, und in jedem capitel ist nach ausscheidung eines be-
stimmten autors, dem wir gerade nachgiengen, ein rest gebheben, der
jedesmal wieder derselben chronik zuüel. sie hat also wirklich dem
Aristoteles den grundstock seiner erzählung gehefert. die ganze älteste
zeit, ausschüefshch der Verfassung Drakons, die sachlich bedeutendsten
stücke über Solon (6, 1. 7 — 10), die erzählung der jähre 594 — 80
(13) und 507 — 480 (22), die den trocknen stil des Jahrbuches an sich
trägt, sind ihr ganz zugefallen; später freilich aufser einer kurzen ein-
lege (26, 2 — 4) mit Sicherheit kaum noch etwas über die Chronologie
hinaus, anders stellte es sich in der geschichte der Peisistratiden und
des Kleisthenes, wo zwar eine anzahl wertvoller tatsachen aus ihr nach-
getragen sind, aber sie den einschlag bildet, Herodotos den zettel. und
einiges, namenthch in der geschichte des Peisistratos haben wir oben
(s. 30) mit absiebt auf diesen platz * aufgespart, diese reste sollen zu-
nächst erledigt werden, dann wollen wir uns diese hauptquelle des Aristo-
teles selbst ansehn, in wie weit sie eine einheit ist: die hoffnung, dafs
wir einen autornamen finden werden, bitte ich jedoch den leser von
vorn berein fern zu hallen,
i'eisisiraios Wir beginnen also mit der erzählung, wie Peisistratos erst eine
leibwache, dann die herrschaft sich verschafft (14, 1. 2). zu gründe
liegt Herodotos (1 59), aber Aristoteles übertrifft ihn erstens durch die
genauen Zeitangaben : die zeugen genugsam für ihre herkunft; sodann durch
den namen des antragslellers Aristion. dieser mitsamt der ganzen ge-
schichte kehrt in IMutarchs Solon wieder (30), mit der minderwertigen
Variante Ariston. Plutarch ist schon deshalb von Aristoteles unabhängig,
weil er die stärke der leibwache auf fünfzig knüttelträger angibt, sehr
Peisistratos und Solon. 261
glaublich, während weder Herodotos noch Aristoteles eine zahl nennen.')
der name des antragstellers wird schwerlich in den protokoUen ge-
standen haben, wenigstens fehlt er auf den publicirten volksbeschlüssen
der ältesten zeit, die wir kennen, es liegt mir auch fern, an die er-
haltung oder benutzung der acten des Jahres 561 zu glauben, aber
dafs der name des mannes, der den verhängnisvollen antrag gestellt
hatte, im gedächtnis blieb, ist um so mehr glaublich, weil er sicher-
lich ein mann von gewicht und ein freund der tyrannen war, der die
folgen seiner tat in lohn und strafe getragen haben wird, ich glaube,
wir kennen den mann sehr gut von seinem grabstein. die stele des
Aristion hat auf einem grofsen vornehmen grabe in Velanideza gestan-
den, nicht weit nördlich von Brauron, der Peisistratidenburg. der wehr-
hafte Aristion war also ein begüterter Diakrier, verstorben unter Pei-
sistratos späterer regierung: zeit, name, gegend stimmt, aber wie dem
auch sei: erhalten konnte sich der name nur in attischer tradition; er
gehört in die chronik.
Das verhalten des greisen Solon bei dieser gelegenheit ist von Ari-
stoteles als anekdote durch ein leyeraL gekennzeichnet, aber er erzählt
es doch, und er hat die anekdote ebendaher entnommen, wo er den
Aristion fand, denn sie stehn in der parallelerzählung Plutarchs bei
einander, die vergleichung der Varianten dieser geschichte ist recht
belehrend.
Aristoteles berichtet, dals Solon dem gesuche des Peisistratos vor
dem Volke vergeblich widersprach, dann seine kritik in einem scharf
zugespitzten worte zusammenfafste, nach hause gieng und, da sein greisen-
alter ihm tätigen widerstand verbot, doch dazu aufforderte, indem
er seine rüstung vor die tür stellte, wie Peisistratos sich dazu verhielt,
wird nicht ausdrückhch gesagt, aber man ergänzt es mit Sicherheit daraus,
dafs unmittelbar darauf hervorgehoben wird, wie wenig er den tyrannen
gespielt hätte, auf diese Charakteristik greift Aristoteles zurück, nach-
dem er die äufsere geschichte seiner herrschaften, wesentlich nach He-
rodot erzählt hat (16, 1) und nochmals (16, 8), am Schlüsse der schil-
1) Das sichert die Überlieferung bei Herodotos gegen jene kümmerliche texl-
kritik, die historische differenzen mit der eonjectur beseitigen will, sie macht aus
einem xoirovs, das Herodotos mit der gesunden nonchalance der ionischen rede
auf das vorhergehende collective (pvlay.ri bezogen hat, rQir]y.oaiovs, um den an-
schlufs an die secundäre Überlieferung (Polyaen 1 21, aufserdem schol. Fiat. Rep.
8, 566^) zu erreichen. 300 trabanten wären die offene tyrannis gewesen: 50, wie
Plutarch hat, ist so bescheiden, dafs es nicht nach erfindung aussieht, ich hallt'
für methodisch geboten, es zu beurteilen wie den antragsteller Aristion.
262 J- 8. Die Atthis.
dening seiner herrschaft, wobei als letztes exempel nachgetragen wird,
dafs er einer ladung wegen mordes auf den Areopag folge leistete,
diese letzte gescliichte kehrt auch in der Politik (E 1 1) wieder.
Am nächsten dieser erzählung steht ein capitel Aelians (V. H. 8, 16),
über dessen quelle sich nichts sagen läfst.^j der untergeordnete scribent
verwässert seinen bericht, aber dieser ist vortrefflich, er gibt über So-
Ions verhallen bei jener gelegenheit genau dasselbe an und ergänzt
die aristotelische erzählung sehr gut, indem er hinzufügt, dafs Peisistratos
dem Solon nichts zu leide tat, aus respect, oder auch vielleicht weil er
vor Jahren sein geliebter gewesen war. kurze zeit darauf starb Solon,
man errichtete ihm eine statue auf dem markte und begrub ihn an der
mauer rechts vom eingang in das Stadttor; das grab ist vermauert.^)
Dies alles dürfen wir so ziemlich der vorläge des Aristoteles zu-
rechnen, denn er sagt selbst, das Solon 561 hochbetagt war, kannte
sein todesjahr und weist eben damit die fabel scharf zurück, dafs Peisi-
stratos zu Solon in einem liebesverbältnisse gestanden hätte (17, 2).
wir kennen das todesjahr Solons, 560/59 aus Phainias bei Plutarch,
der den archon nennt (Sol. ende): mit dem jähre haben wir die chronik
als quelle erreicht.
Ebendieselbe erschliefsen wir für das letzte stück der aelianischen
erzählung, zu dem freilich bei Aristoteles keine parallele vorhegt, denn
die berufuug auf zwei attische monumente, statue und grab am tor,
führt auf localattische tradition , allerdings schwerlich voraristotelische,
denn eine statue hat Solon erst von der restaurirten demokratie des
vierten Jahrhunderts erhalten.*) früher konnte man sich füghch auch
2) Ein kümmerlicher geselle, wie er ist, zerteilt Aelian seine excerpte, um
mehr 'nummern' zu bekommen; so auch hier: 8, 10 steht ein bischen über Solons
amtsjahr, 7, 19 über die erwerbung von Salamis, beides wird hierzu gehören, lehrt
jedoch nichts: haarscharfes interpretiren ist bei dem Praenesliner, der eine ihm
fremde spräche elegant schreiben will, um so weniger angebracht, als wir sein
buch nicht unverkürzt besitzen,
3) i'd'axpav avrov Sr,[.ioaia no-QO. tols mkaS n^oS i(ö telyet, iv Ss^cq eiaiöv-
tcov xai 7is^Koy.oSöfiT]ro 6 rätpos. das plusquamperfect hinter dem aorist kann
selbst Aelian nicht gesetzt haben, wenn er eine action bezeichnen wollte, die dem
d^dnxaiv ganz gleich stand oder ein begleitender umstand war. auch kann man
sich bei nsQioixoSo/uBJv läfov nichts denken : bustiim levi materia consaepire, woran
Perizonius erinnert, geht eben die brandslätte, nicht das grab an. daher meine ich
mit Sicherheit nsQiojxoSofiTjrai zu schreiben: so erklärt der Verfasser, weshalb
niemand dort, wo er es ansetzt, von dem grabe Solons etwas weifs.
4) [Ücmosth.] 26, 23. sie erwähnt auch Pausanias I 16, 1, der von dem grabe,
auch dem ummauerten, nichts weifs.
Peisistratos und Solon. 263
nicht darüber wundern, dafs er einer ehre entbehrte, die beinahe uner-
hört war.^) aber darüber wunderte man sich längst, dafs Solons grab
verschollen war, und die sage, dafs seine asche um Salamis ins meer
zerstreut wäre, hat wol schon gegolten , als man den Staatsfriedhof am
Dipylon einrichtete: so würde sich gut erklären, weshalb dort zwar
Kleisthenes und die tyrannenmörder, aber nicht Solon ein grab hat.®)
erwähnt hat die sage schon Kralinos, und auch bei Aristoteles hat sie
irgendwo gestanden, eine minder naive zeit hat später dasselbe problem
mit dem autoschediasma beantwortet, das bei Aelian steht: begraben ist
Solon freilich im Kerameikos, nur findet man das grab nicht mehr, weil
es in den türmen an der mauer verbaut ist. dafs auf diese weise wirklich
viele gräber zugleich unkenntlich gemacht und erhalten sind, weifs nicht
nur jeder besucher Roms vom bäcker Eurysaces und knaben Sulpicius
Maximus, sondern es lehrt auch am Dipylon selbst der augenschein. die
antiquarischen forschungen 7t€Qi i^iv7]i.taTtov sind von Diodoros') höchstens
5) Ich habe zwar von den archaeologen mil besonderer fieude gelernt, dafs
es ehrenstatuen gab, und dafs man sogar gruppen oben auf eine säule setzte (Är-
chaeol. Jahrb. II 140) und den x"-^-^ov'^ axQazrjySs vor dem tore des Dionysosbezirks
iv aarsi (Andok. 1, 38) möchte ich gern kennen: aber die gruppen Miltiades und
Themistokles mit je einem gefangenen barbaren , die im theater in Athen (das es
noch gar nicht gab) gestanden haben sollen, sind die erfindung eines rhetors aus
dem 4 oder 5 Jahrhundert nach Christo (dem solche barbarendarstellungen nahe lagen),
herausgetüftelt aus der stelle die er erklären sollte, aber nicht verstand, Aristides
pro IFvij'is II 216 mit schol. III 536. die richtige erläuterung gibt ein anderes
scholion. wer die stellen wirklich nachliest und der spräche so weit mächtig ist,
sie zu verstehn, mufs die fiction sofort erkennen.
6) Denkbar ist auch, dafs Solon um 477 wirklich ein ehrengrab erhielt dicht
am tore, und dafs es wirklich bei den erweiterungen des Dipylons verbaut ward,
so dafs es später nicht mehr bestand, dann wäre die notiz bei Aelian ganz wahr
und stammte aus achter zeitgenössischer chronik. aber es scheint nicht, dafs der
Staatsfriedhof dicht an der mauer begann.
7) Ich will von seinem buche ein weiteres citat gelegentlich aufzeigen, schol.
Plat. Menex. über Aspasia avtri "A^icxov Milriaia yvvrj üsQrAsovs na^a ^wx^drsc
7is<piXoao(pT]xvla, cüs JiöSco^os iv reo neol /xvr,fiäTcav {MiXrjxov codd) avyy^a/ifiari.
dafs hier ein unbekannter autor über Milet angeführt wäre, ist gar nicht glaublich;
in Milet war über die hetäre auch schwerlich etwas zu erfahren, die corruptel
dagegen ist nicht schwer {31 lyi H = MNJI mil dem nächsten buchstaben darüber
und abkürzungszeichen). das ganze scholion ist besonders deshalb wertvoll, weil
es ein excerpt aus derselben quelle ist, der Plutarch Per. 24 sein citatennest über
Aspasia entnommen hat: wer diese kostbaren stücke, kenntlich an citaten der
komoedie und philosophischer dialoge, verfafst hat, und in was für lexica sie ge-
raten sind, aus denen sie die Platonscholien und sogar noch Lukianscholien ge-
nommen haben, weifs ich nicht; die gattung ist aber sehr gut kenntlich (schol.
26.J. I. 8. Die Atthis.
2ü jähre nach Aristoteles als specialitüt betrieben, damals, als man das
erab des Themistokles suchte (was auch nicht so kindisch war, wie
wenn nian's jetzt tut), war man auch berechtigt nach dem des Solon
zu fragen, und wer fragt, erhält eine antwort.
Von derselben tradition der Atthis, die hei Aristoteles und Aelian
vorhegt, gibt Plutarch (30) eine Weiterbildung, er erzählt den anschlag
des Peisistratos und den antrag Aristions eben so wie Aristoteles; Solon
widerspricht (im sinne seiner verse, fügt Plutarch hinzu und führt etliche
an) und geht dann unter abgäbe des bekannten apophthegmas nach
hause. Peisistratos wird tyrann , die Alkmeoniden fliehen , Solon geht
noch einmal auf den markt und hält wieder eine rede, die in Wahrheit
nur eine paraphrase von anderen versen ist (das ist also eine Verdoppe-
lung desselben motivs^) ohne wert), geht wieder nach hause und setzt
die wafTen vor die tür (was nun eine zwecklose demonslration ist, da
es zum bewafl'neten widerstände zu spät ist), aber er flieht nicht, macht
auch noch immer scheltverse (von denen eine probe mitgeteilt wird),
und erklärt so zu handeln im vertrauen auf sein alter. Peisistratos
schont seiner, hält sich überhaupt sehr gesetzhch, so dafs er selbst einer
Plat. Apologie, 'Avvtos, Mekr^ros, lä^iarofavTjS, ylvxcov). man denkt an aojjxco-
Sovfcevoi. auch für Plutarch ist mir die vermittelung dieser gelehrsamkeit eben so
unklar, wie sie wichtig ist. das einsehen von biographischen lexicis ist eben so wol
möglich wie andererseits schon die alexandrinische biographie solches material
sammelte (Satyros lä^Mißiä§?js Kydathen 74). aber was bezeugt eigenllich Diodor
über Aspasia? bei Plutarch entspricht ort MiXrioia 7]v "A^iöxov d'vyä.Trjo, OfioloysTrai.
und der vater, bei der hetäre etwas besonderes, bedurfte allerdings eines beweises,
der denn also authentisch erbracht sein mufs. und das pafst für Diodor. ich denke,
er hat einen grabstein gefunden ''Aa-jtaaia ^A^i6%ov Mihiaia (IJsQixXeovs ywr] glaube
ich schon nicht mehr), ich will die Identification wegen des ofioloyslrM nicht in
frage stellen, so viele Milesierinnen in attischen bordeilen auch den tiiidus ^Aanaala
geführt haben werden.
8) OTC xai 10 fivrjiiioi>ev6 fiBvo%> sinsv, cös tiqcÖtjv /xev fjv eifiaoiajsoov avroTs
xo xtü/.vaai rr^v rvQavviSa avviOTaiutvTjv, vvv Se /usl^öv sari xai Xti/^TtQoreoov
ixxoyjctc xal avelelv aweazcocjav ri§r] xal {s/jCyns(pvxvlav. Solon bei Diodor IX 20
eis Ob fj.ovÜQ-/,ov Srj/uos diS^eir] SovXoavvr^v eneasv. — Airiv S^ e^ü^avr' ov qäSiov
iari xaraa/,£lv varsQov (oder wie das gelautet haben mag). — avxoi yäo tovtovs
rjiiriaarE Qv/iara Sövtes u. s. w. hier können wir also die Verdoppelung desselben
raolivs, um einen neuen zug zu verwerten, mit den bänden greifen, dieselbe er-
scheinung ist im epos überaus häufig, aber da sträuben sich die menschen, weil
nur die analyse der erzählung die cinlage erkennen läfst, die veranlassung aber,
hier Solons verse, so wenig zu fassen ist, wie sie es hier wäre, wenn blofs Plutarch
vorläge.
Peisistratos und Solon. 265
ladiing auf den Areopag folge leistet, und bildet die solonischen gesetze
weiter aus.^) Solon aber stirbt schon im nächsten jähre.
Die erotische Verbindung zwischen Solon und Peisistratos ist von
Plutarch schon im ersten capitel behandelt, auch nur auf evioi zurück-
geführt, wie bei Aristoteles, aber in feiner weise dadurch glaublich ge-
macht, dafs erstens ihr Verhältnis im alter doch noch dafür zeugte,
dafs "^die flamme unter der asche weiterglomm'' , und dafs Solons verse
seine erotische empfänglichkeit belegten , wie denn auch Peisistratos
einen gehebten Charmos gehabt habe.'") diese gelehrsamkeit und auch
die psychologische ünesse ist nicht Plutarchs eigentum, sondern es ge-
hurt alles zusammen demjenigen an, der auf grund vornehmlich der
solonischen gedichte ein "^portrait' Solons zu entwerfen versuchte: es ist
ein stück der peripatetischen psychologischen geschichtsschreibung, die
man sehr unbilliger weise verachtet, so wird denn auch Phainias citirt,
für den archon, unter dem Solon starb: also nur durch diese peripate-
tische vermittelung ist die Althis benutzt, auch Theophrast wird citirt
und gegen den Pontiker Herakleides polemisirt, der von der Verbindung
der beiden alten Athener mehr hatte wissen wollen und Solon noch
lange unter Peisistratos leben liefs.'^) es liegt also eine durchgreifende
Überarbeitung der erzählung der chronik vor, und daneben zeigt sich
die autorität des Aristoteles, nicht indem sein buch benutzt wird, son-
dern sein beispiel wirkt in der noch ausgiebigeren Verwertung der solo-
nischen gedichte.
9) Die paitie über die Atlantis (31, 3 — 32, 2), die Plutarch hierher rückt, mufs
man für die geschichte aussondern.
10) Peisistratos soll den Erosaltar der Akademie geweiht haben, das ist falsch,
denn das epigramm selbst nannte den Charmos als Stifter (Kleidemos bei Athen.
XIII 609, Pausan. I 30), der polemarch gewesen war, und der Schwiegervater des
Hippias gewesen sein soll, was falsch ist. dessen frau Myrrhine war tochter eines
Kallias TTieQSxiSov, oder wol richtiger 'TTisQOxiSov , Thuk. VI 55. den Charmos
macht demnach Kleidemos zum liebhaber des Hippias. natürlich mufste der weihende
der liebende sein, aber wen er liebte, hat er nicht verraten, da Charmos seinen
söhn Hipparchos genannt hat, war er wol vielmehr ein eidam des Hippias oder auch
des Peisistratos.
11) Danach liegt es nahe, dem Herakleides zuzutrauen, dafs er unbekümmert
um die Zeitrechnung das erotische Verhältnis angenommen habe: die scharfe ab-
fertigung des Aristoteles würde sich so sehr gut erklären, denn er hat den lieb-
lingsschüler Piatons nicht geliebt, bei Plutarch stchn aber die evioi, die jenes Ver-
hältnis berichten, dem Herakleides entgegengesetzt, und wenn das auch ganz gut
sich so erklären würde, dafs dieser selbst es als die ansieht einiger gab, die er nur
wahrscheinlich zu machen versuchte, so können wir doch seinen bericht nicht mehr
sicher stellen.
266 '• ^- ^'^ Alibis.
Eine noch stärkere verschlechleriing der geschichtc, aber auch noch
mehr solonische verse liefern Diogenes 1 49. 50. 52*^) und Diodor IX 21 '*),
von charakterlosen Wiederholungen einzelner züge (z. b. bei Aristides
41, 765 Ddf.) zu scinveigen.
Überblickt man das ganze, so kann kein zweifei bleiben, dafs AriT
stoleles bereits eine ausführliche lebensvolle erzählung vor sich hatte,
die von der benutzung der solonischen verse ganz frei war, aber apo-
phthegmen lieferte, deren eines er mitteilt, während er das schönere
tivi TtLordeig; rcj) yr^Qq'^''), wegläfst. in diesem berichte folgte auf
den chronologisch genau fixirten tod Solons eine zusammenfassende
Schilderung der regierungsart des Peisistratos, die Aristoteles nur durch
den einscbub der äufsern geschichte seiner herrschaft unterbrochen hat.
das apophthegma, das er mit leyerai absondert, gehörte mit zu dem
bestände; wir werden gleich sehen, dafs es mit den anderen geschichten
aus Peisistratos zeit eben so steht, nur sei vorher noch etwas behandelt,
das für Solon von belang ist.
12) Wer nachlist, wird finden, dafs so der ursprüngliche fortgang der vila ist.
eine schlechte einlage ist die Verbannung oder flucht Solons vor Peisistratos, die
erst um des gefälschten briefes willen entstanden ist, angeknüpft freilich an diese
alle geschichte (Solon legt die waffen vor das strategenhaus und reist ab, 50. 53.
54). und nachdem die reise einmal hierher gelegt war, fand die Kroisosnovelle
sogar eine chronologische rechlfertigung und steht deshalb 50. 51: wirft man diese
Zusätze weg, so stebn die citate der gedichle bei einander, und es folgt 55, jetzt
ganz sinnlos, 2!6Xcop oqov av&Qconivov ßiov (pr^aiv ezt] eßSofir^xovrn: das ist wieder
ein gedieht, das über die zehn liebdomaden des lebens, und diese betrachtung über
das mats des menschenlebens gehört zu dem apophthegma yr^Qq Tziareico.
13) So einfach liegt also das quellenverhältnis nicht, dafs Plutarch Diogenes
und Diodor alle drei direct auf Hermippos zurückgiengen. diesen selbst hat nur
Plutarch gehabt, Diogenes repraesentirt den ström der philosophenbiographie, wie
er etwa zu Plutarchs zeit (der seine vorläge angehört, die mindestens im ersten
buche nicht Apollonides von Nikaia ist) sich darstellte; Diodor hat, vielleicht nicht
unmittelbar, aus demselben ströme 150 jähre früher geschöpft, aber dieser slrom ist
derselbe, die tradition von den 7 weisen, keineswegs die von Solon allein; Ephoros
als quelle Diodors ist für jeden, der die parallelüberlieferung kennt, undenkbar.
14) Dies z, b. noch bei Plutarch an seni sit ger. i'.p. 21 (mit der vita stimmend)
und Cicero Cat. 72, wo sogleich auch auf Solons elegie an Mimnermos angespielt
Mird (fgm. 21), die Plutarch in der comparatio citirt. Cicero gibt die pointirtere
fassnng wie Diodor, dafs Solon direct dem Peisistratos antwortet; er übersetzt das
solonische distichon am schlusse des ersten buclies der Tusculanen. um so weniger
möciite ich eine bestimmte vorläge nennen: es ist die philosophische chrie, ein
wichtiger bach der -Überlieferung, aus der eigentlich geschichtlichen tradition zumeist
«rhon im drillen Jahrhundert, zuweilen im zweiten abgeleitet.
Die erwerbung von Salamis. 267
Dafs Peisistratos sich in dem kriege wider Megara sein persün- Die
liches anselin erworben hat, erzählt Aristoteles 14, 1 nach Herodotos «'"''^^'J,""^
1,59. aber er erklärtes für einen lächerlichen verstofs wider die zeit- '^'''^""'•
n'chniing, wenn man ihm die Strategie in dem kriege mit Megara um
Salamis zutrauen wollte (17, 2). er verwarf also die geschichte, die
IMutarch Sol. 8 als drjf.aüör]g löyog erzählt, nach der Peisistratos der
ist, den des jungen Solon elegie Salamis vor allen zu kühner tat und
zu der erwerbung der insel entflammt, aber diese erwerbung und die
solonische elegie hat er in das siebente Jahrhundert gerückt, die um-
sichtige Prüfung der reichlich vorliegenden Iradition hat nun bekannt-
lich viele verständige menschen dazu geführt, als geschichthch anzunehmen,
dafs Salamis, ursprünglich entweder selbständig (KvxQ&vg) oder aeginetisch
(^tag), im siebenten Jahrhundert in Megaras bänden war, als demos
KvvooovQa (oder KoXovga, ^bundeschwanz^ und "^ Stumpfschwanz', beides
pafst für die dem Peiraieus zugewandte spitze) megarischen kleruchen
übergeben, seit den Athenern Eleusis gehörte, werden sie oft genug
versuche gemacht haben, den für ihre na^aVia unentbehrlichen besitz zu
erwerben ; aber gelungen ist das erst, als Peisistratos durch einen hand-
streich Msaia genommen hatte, und die entscheid ung hat ein Schieds-
gericht von 5 Spartiaten gegeben, deren uamen, wie manches gute
detail, die chronik bewahrt hatte, das ist um 570 gewesen, aufserdem
gab es eine solonische elegie, welche die Athener in lebhaftester weise
anfeuerte ihre insel (wenn sie sie haben wollten , wie hätten sie nicht
geschworen, dafs sie von alters und rechts wegen die ihre wäre) nicht
fahren zu lassen, da Sülou in diesem gedichte sich einen herold nannte,
nahm man das worthch, erzählte, er hätte sie vom heroldstein herab
hergesagt, und wenn er 'den schmuck der verse, poesie statt der an-
spräche' bot, sollte die anspräche verboten gewesen sein, und da er
irgendwo seinen "^w-ahnsinn' erwähnte'^), so ward die erheuchelung des
Wahnsinns daraus: das ende mufste natürlich der triumph des volks-
freundlichen dichters und die befreiung von Salamis sein, diese novelle
ist vollkommen zeitlos, sobald man die unerfreuliche geschichtliche wahr-
heil mit ihr zu combiniren begann , dafs erst Peisistratos die insel er-
obert hatte, war man gezwungen, entweder den Peisistratos blofs als
helfer Solon s auftreten zu lassen, wobei dieser doch um den besten teil
seines ruhmes kam, und sein lebensalter störend ward, oder aber man
15) Der vers, in dem er dies tat, wird von Diogenes I 49 auf die tyrannis des
Peisistratos bezogen, wir können es nicht controUiren, aber auch wenn es richtig
sein sollte, stand der sage frei, die äufserungen verschiedener gedichte zu combiniren.
268 I- 8. Die Atthis.
imifsle die geschichte müglichst in Solons jugentl schieben, wobei not-
gedrungen irgendwie ein späterer verlust von Salamis eingeschoben
werden niufste. dafs beides versucht ist, spürt man in den verschiedenen
berichten; schon der eine Plutarch zeigt es genugsam. Aristoteles be-
trachtet seinerseits als sicher, dafs die geschichte in Solons Jugend fällt,
und weist demnach die beteiligung des Peisistratos zurück: die also auch
schon erzählt war. dies schliefst in sich, dafs er die ganze novelle ernst
genommen hat. dies nun hier zu finden ist für die, welche es auch
früher schon bei ihm gelesen hatten , nicht überraschend, er operirt
mit Solons Wahnsinn in den Homerischen fragen, bei Porphyrios zu
B 183. aber die sich durch seine autorität früher nicht haben beirren
lassen, werden es nun erst recht nicht tun, wo am tage liegt, dafs er
einfach von der Atthis abhängig ist. diese kann auf keine höhere gel-
tung anspruch machen als ihr niederschlag , die geschichten, wie sie
z. b. Demosthenes erzählt, weil sie hier ja nicht mit festen daten und
schlichten facten operirt, sondern eine ausdeutung eines gedichtes liefert,
die wir durchschauen und damit beseitigen, es bleibt nach wie vor die
frage, wann hat Solon jenes gedieht gemacht? und die einfache ant-
wort, damals als die Athener um Salamis stritten, als greis, ist nicht
um ein atom unwahrscheinhcher geworden, soll etwa nicht ein dichter
sagen 'wolan denn, ziehen wir in den kämpf', auch wenn er selbst
nicht mehr den hämisch tragen wird? und wer weifs denn, ob er
15 jähre ehe er nur die rüstung vor die tür stellte, nicht zu felde zog
wie Nestor oder 411 Polystratos? das Stilgefühl, zehn versen anzuriechen,
dafs sie nur ein jüngling geschrieben haben könne, ist etwas was ich
auch nur von den göttern zu erbitten für überhebung halten würde,
aber ich weifs, wie das vermeintliche Stilgefühl die urkundhche Über-
lieferung hat zerstören wollen, weil der Oedipus auf Kolonos nicht das
werk eines neunzigjährigen sein sollte, und ich weifs, dafs kriegslieder
anders klingen als selbstbetrachtungen. so bleibt es denn dabei : in
Solons Jugend, wo Athen an den schwersten classenkämpfen krankt,
Megara mächtig dasteht, pflanzstädte in beide meere sendet, wo im ver-
trauen auf Megaras hilfe Kylon nach der gewaltherrschaft Athens strebt,
bat Athen Salamis noch nicht erworben, erst mit seinem wirtschaft-
lichen aufschwunge hat es sich energisch daran gemacht; nach Solon.
die kämpfe mit Megara (in denen dieses Eleusis gern erworben hätte; in
dessen Verteidigung ist Tellos"*) gefallen) haben Athens kraft gestärkt;
16) Herodot I 30 TeXXos kürzester kurzname wie Telrj? mit der boeotischen
Verdoppelung des schlufsconsonanten. der vollnanie ist TeXeaC-SQOfioi oder so etwas.
Die erwerbung von Salamis, das strategem des Peisistratos. 269
aber dem der Salamis erwarb fiel die tyrannis zu. was den Aristoteles
angeht, so ist sein jieQLqxxvcog Xr]Qovai etwas übereilt. Peisistratos ist
wirklich Stratege im megarischen kriege um Salamis gewesen, und wes-
halb Solon den vierzig jähre jüngeren Peisistratos nicht hätte lieben
können, wie Euripides den Agathon oder Piaton den "^Aster' oder, um
in minder reine regionen hinabzusteigen, Anakreon den Bathyllos, ist auch
nicht abzusehen.
Über die erziüilung von der dreimaligen tyrannis des Peisistratos Das
ist schon bei verschiedenen gelegenheiten gehandelt, sie verarbeitet des
Herodotos mit einer anderen an wertvollen daten reichen Überlieferung,
und die archontennamen lassen an der chronik keinen zweifei. es steht
aber noch eine hübsche anekdote darin, wie Peisistratos das volk ent-
waffnet (15, 4). dieselbe findet sich wesenthch gleich bei Polyaen (I
21, 2). nur das heiligtum ist verschieden, in dem die musterung statt-
findet, die dem tyran'nen die waffen in die bände spielt, bei Polyaen
ist es das Anakeion, bei Aristoteles das Theseion.''') dem entspricht es,
dafs die waffen bei diesem in die gebäude in der nähe des Theseions
gebracht werden , bei Polyaen in das Agraulion. gemeinsam aber ist
beiden, dafs Peisistratos das volk auffordert, ihm hinauf bis an das
äufsere burglor zu folgen, um seine anspräche besser zu vernehmen,
dieser zug ist topographisch von belang, sie gehn offenbar auf den
grofsen platz, der schon aus rücksicht auf die Verteidigung vor der
mündung der "^neun pforten' frei sein mufste^*); dafs die alte bürg sich
in der einsattelung zwischen bürg und Areshügel Öffnete, entsprechend
dem terrain und dem gange der feststrafsen und der läge der alten
regierungsgebäude bestätigt sich wieder, wie immer, sonst sind beide
localisirungen an sich möglich, das heiligtum der Anakes, noch später
der appellplatz für die reiterei'^), war für eine musterung vorzüglich
sein gedäclitnis war durcli das grab erhalten, das Herodot erwähnt, auch Kleobis
und Biton hatten in Delphi statuen, und ihre geschichte, die auch einen zug aus
der sage von Trophonios und Agamedes enthält, stammt wol aus Delphi, oder ist
von dort doch dem Herodot zugekommen, so lernt man , dafs er die grofse rede
Solons selbst frei componirt hat.
17) Der bestimmten erklärung derer die den papyrus gesehen haben, dafs in
ihm p. 6, 3 am zeilenende hinter rät (das ich bei hellem lichte oft im facsimile
gelesen habe) leerer räum sei, mufs ich mich fügen, und wenn das richtig ist, mufs
ich die zeichen am anfange der folgenden zeile S-rja statt vax lesen, was ich nie
für unmöglich gehalten habe.
18) Vgl. Herm. 26, 238 über das "A^ifiov vor dem inneren tore der Kadmeia.
19) Andok. I 45, Thuk. YIII 93. ein volksbeschlufs zu gunsten der einnahmen
270 '• 8. Die Atthis.
-■eeignet. das heiligtuni der Agraulos, wo die rekruten den fahneneid
schworen, stiefs südlich daran, und dorthin die waffen zu bringen war
um so geschickter, als bekanntlich damals noch ein gang von dort auf
die hurg führte, die Peisistratos besetzt hielt, aber möglich ist auch
die aristotelische fassung, und wie sollte er in Athen etwas erzählen,
was die attischen ürtlichkeiten ausgeschlossen hätten ? Aristoteles würde
also die Identification des "^s. g. Theseions' mit dem wirkhchen nach 475
erbauten Theseustempel ausschUefsen , wenn diese nicht bereits durch
das, was über das alter des erhaltenen tempels und seiner sculpturen er-
mittelt ist, beseitigt wäre.'^") das Theseion lag, wie die reihenfolge in der
beschreibung des Pausanias lehrt, unterhalb des Anakeions; räum für die
musterung der hophten bot es auch, da es ebenfalls als appellplatz benutzt
worden ist (Thuk. 6, 61), und viele buden auf seinem areale standen,
die hier als xa Ttlr^oLov tov Qr]0£iov oiy.rii.iara bezeichnet werden, der
einzige unterschied ist, dafs Peisistratos von hier sehr viel weiter mit
seiner corona hinaufgehen mui'ste als vom Anakeion. mich wenigstens
beirrt der einwand nicht, dafs Theseus erst 475 ein heiligtum erhalten
habe.^') denn an sich ist eben so möglich, dafs man die gebeine des
dieses heiligtumes CIA IV p. 63. das snißaTiKÖv a 12 dürfte eher eine abgäbe für
die occupation von heiligem grund und boden (Standgeld für buden) gewesen sein,
als die imßdrai angehn.
20) Mich wenigstens haben die archaeoiogen vollkommen überzeugt, dafs der
tempel den Parthenon voraussetzt; wer aber sein herr war, weifs ich immer noch
nicht. Theseus war es nicht, von Herakles in Melite zu reden ist Verstocktheit, die
ich keiner Widerlegung würdige, von Ares redet niemand mehr. ApoUon und noch
mehr Hephaistos haben einige anspräche, aber bewiesen ist nichts.
21) Plut. Thes. 36 erweckt freilich diesen verdacht; aber 23 sagt er, nachdem
die oschophorien nach Demon geschildert sind , £^i]oed'rj Si xai ts/ievos avräi xal
zove ano twv naQaaxövTCOv rov Sea/iov oi'xcov exa^av (so für sza^sv der vulgala
zu schreiben; damit sind die zweifei und conjecturen bei TöpfTer Att. Geneal. 251
erledigt) eis d'vaCav aircö teXeIv anocpooüs, xai rrjs d'vaias snsfisXovvio 'PurnkiSai,
Otjadcüs anoSövTos airols afioißr]v rrfi (fiXo^evias. das ist die tempellegende, und
die beteiligung bestimmter geschlechter garantirt ihr alter, diese o^yewves, die
sich zum culte des Theseus vereinen, sind es, die den trozenischen heros in die
Stadt eingeführt haben, sie motiviren ihre beteiligung so, dafs ein ahnherr oder
eine ahnfrau von ihnen von Theseus aus dem labyrinthe gerettet seien, in den
namen der 14 kinder auf der Fran^oisvase und bei den mythographen kann also
gute gentilicische tradition stecken, die oschophorien bringen die zweige dem
Dionysos und der Ariadne, also nach Limnai. wenn der sumpf wirklich am Eri-
danos lag, so war er dem Theseion nahe, dies Mar zuerst ein garten wie der des
Neleus, südlich und oberhalb stiefs an ihn der exercierplatz der Anakes, dem das
Epilykeion nahe lag, wo der kriegsherr safs. seit wir dessen wohnung kennen, ist
Das stiategem des Peisistralos. 27 l
heros in dem bezirke beisetzte, den der stadtgründer nicht wol entbehrt
haben kann, seit er zu dieser würde erhoben war"-'-); und wer das dem
sechsten Jahrhundert trolz den sagen, z. b. der oschophorienlegende,
absprechen wollte, den widerlegen die vasenbiider. auch die erlosuiig
von bestimmten beamten, insbesondere des rates, im Theseion stehe ich
nicht an für so alt zu halten wie die erlosung überhaupt, da diese demo-
kratische Ordnung zu dem könig, der zuerst ayiovere lew gerufen hat,
vorzüghch pafst. so will ich denn nicht unbedingt entscheiden, welche
localisirung jener geschichte den Vorzug verdient, aber ich gestehe mich
selbst viel mehr zu der bei Polyaen hingezogen zu fühlen, deien locale
näher bei einander liegen und altertümlicher sind, insbesondere meine
ich, dafs die oi/.rj/iiara jtXr^oiov tov Qr^oeiov viel eher nach dem vierten
auch der exeicierplatz verständlich, und in seiner Verwendung zum appellplatz in
den veränderten Verhältnissen des fünften Jahrhunderts dauert die alte sitte. am
nordabhange der bürg, östlich vom Agraulion, lag das prytaneion, westlich das
thesmothetenhaus, unterhalb der ApoUongrottc. dieses ganze gebiet also war öfTent-
licher grund, der privaten bebauung entzogen, noch in der Jugend des Peisistratos
mögen die mädchen y.u&ctQov ydvoi 'HoiSäroio geschöpft haben, der zwischen
gärten flofs (Strab. 397). dann zog sich das politische leben nach dem markte
westwärts, auf dem heiligen terrain siedelten sich die buden an (Herrn. 22, 119),
und die gerbereien der Kydathenaeer machten das wasser des Eridanos selbst für
das vieh ungeniefsbar. eine spätere zeit (zweite hälfte des dritten Jahrhunderts) hat
durch grofse neubauten für ihre zwecke den alten öffentlichen grund besetzt und so die
Physiognomie dieses Stadtteils von neuem geändert. Theseus hatte an seinem tempel
genug, die Anakes, die ziemlich verschollene gölter waren, erst recht, da baute
man neben dem unterirdisch geführten Eiidanos auf dem alten Theseusgrunde das
gymnasium des Ptolemaios, weiter östlich das Diogenesgymnasium, wieder etliche
generationeu später v^ard das alte gewirr der buden durch den römischen markt
mit seinen hallen und toren und der uhr ersetzt, endlich errichtete Hadrian seinen
riesenbau weiter nördlich; da war der Eridanos schon ganz vergessen, und sein
name sjpukte nur noch in den büchern. unter Theseion und Anakeion verstand man
die terjipel, den burgaufgang durch das Agraulion, den noch die Diogenesbriefe (30)
erwä)inen, kannte man auch nicht mehr.
— ^ 22) Wenn eine legende den Theseus alle TSfiEvrj, die er als lohn für den
Kretazug erhielt, dem Herakles abtreten liefs, so will sie freilich erläutern, wieso
Herakles so viel, Theseus so wenig heiiigtümer hat, und sie redet, wie sich für
eine wirkungsvolle geschiclite ziemt, ohne eine ausnähme zu gunsteu des städtischen
Theseions zu machen, aber deswegen beabsichtigt sie dies weder für ein altes
Heraklesheiligtum noch für jung zu erklären, erst wenn die forschung sich auf die
legende erstreckt, mufste man eins von beiden tun, die bestehenden Theseien für
jung erklären, oder ausnahmen von der Schenkung zugeben, wirklich ist Philochoros
so verfahren (Plut. 35). er hat vier alte Theseien ausgenommen: wir werden ihm
folgen und das städtische vor allen darunter suchen.
272 '• 8. Die Althis.
als dem sechsten jahrluiiulert aussehen, das aher ist klar: die geschichle
ist eine gute und specifisch stadtathenische.
Das dreXis DJc schihlcrung von dem milden regimente des Peisislratos führt,
y/oQiov. wie (]ie Wiederholung der allgemeinen Charakteristik lehrt (16, 1 = 14, 3),
die erziihlung von seiner ersten herrschaft fort, und dafs die günstige
heurteilung des tyrannen auf die forschung der letzten gencration vor
Aristoteles zurückzuführen ist, hat sich oben gezeigt (s. 120). aber diese
bedurfte doch selbst der beweise, und sie fand sie in einzelnen zügon,
die unbeschadet der tyrannenfurchl und des lyrannenhasses im volke
fortgelebt hatten, das hatte man selbst zu Aristophanes Zeiten nicht ver-
gessen, dafs Peisistratos dahin drängte, das volk bei ländlichen sitten zu
erhalten, nur dafs man darin eine knechtung sah.^^) Aristoteles begründet
das mit der geschichte vom areXeg x^qLov am Hymeltos, die er zwar
durch cpaoi als anekdote kennzeichnet, aber mit yäq anschliefst, weil
sie wirklich begründet, wir lesen die geschichte bei Diodor (IX 37),
wo sie auf eine andere probe von der leutseligkeit des tyrannen folgt,
der beide male lacht, als man einen ausdruck seines Unwillens erwartet.
(Me Verbindung hat der excerptor beseitigt, allein, wenn wir lesen diarco-
Q€vö/iuv6g Tioxe öia rrjg ;f(J(>ag, so werden wir an eine inspections-
reise denken wie bei Aristoteles, der bauer, der in seinen steinen gräbt,
gibt als seinen ertrag an YMKccg odvvag, aXX^ ovösv avrw (.ieIelv.
TOVTtov yccQ zb (.dgog neioiOTQaTco didövai. sehr viel besser als bei
Aristoteles oaa y,ay.a zai oövvai ' y.al tovtcov töjv yiaxiov '/.al odv-
rtöv neiGiGTQaTOv Sei Xaßelv rrjv dexärrjv, wo der witz gar nicht
herauskommt, der doch in der anlwort liegt "nichts als plackerei; i>t
mir aber ganz recht: der herr bekommt seinen teil davon", ein vor-
23) Er nennt das volk unter Hippias yarioraxae q>OQOvvras Lysistr. 1153,
während ihm die demokratie die xlaiva anzieht. Poll. 7, 68 erklärt das wort, und
):agt, die Peisistratiden hätten diese tracht für das landvolk eingeführt, damit dies
sich schämte, in die Stadt zu gehn. das ist die ausnutzung dieser notiz in dem
sinne des Aristoteles, der rock, der unten mit Schafpelz besetzt ist, ist wie die
lederjacke (Ar. Wölk. 72, Wesp. 444) ländliche altvaterische tracht; Eumaios hat
eine växr] (| 530), und später tragen sie bedürfnislose philosophen wie Telauges
(Aischines der Sokraliker bei Athen. V 220, denn mit Kaibel an einen rhetor zu
denken, kann ich mich nicht entschliefsen. die nicht ganz spärlichen sonstigen
notizen, die G. F. Hermann de Aeschin. Soor. 25 zusammenstellt, lassen viel eher einen
Ttv&ayoQiffTi^e erkennen, und er führt den namen von dem söhne des Pythagoras).
den namen xaTMva>eof6^oi gibt Theopompos der unfreien bevölkerung, die in
Sikyon von Kieisthenes in die bürgerschaft aufgenommen ward: so ist das zeugnis
bei Athen. VI 271 f. zu verstehn, wenn man es am orte list, wo es steht, nicht in
den fragni. bist. Gr.; ein cilat der sikyonischen chronik steht daneben.
Das «Tfi^.ib yaoiov. einzelne züge der tyrannis. 273
wiirf wegen der erlragssleuer und zugleich eine krilik des 'tyrannen-
glückes'. aber die ächte fassung ist selbst das noch nicht; Diodor ver-
rät sie, indem er auf ein sprüchwort verweist /.al 0(pä/.eloL jiolovolv
arehiav. dies sprüchwort mit derselben geschichte und dem apoph-
thegma in der verstümmelten form odvvag ymI O(pa-ailovg ' /mI toutcov
de/MTtjv IletoiaTQarog cpeQEi, steht im inlerpolirlen Zenobius IV 76,
stand im ächten II 4, d. h. in der reihe, die Crusius mit Sicherheit auf
den atthidographen Demon zurückgeführt hat.^') es ist natürlich ver-
kehrt die fassungen des Aristoteles oder Diodor durch conjectur mit
den ocpazsÄoL auszustatten oder sonst auszugleichen, die geschichte ist
veranlassung sowol zu dem namen des x^^qLov ccreXeg wie zu dem sprüch-
worle y.ai ocpäy.eXoL notovoiv ateXeiav, und nur die zweite bedarf in der
anlwort des bauern der acpäv.Ekoi. von dem sprüchwort weifs Aristoteles
nichts, die combinalion beider wird dem geboren, der zugleich althidograph
und paroemiograph ist, und bei Diodor ist die contamination der ge-
schichte in der fassung ohne ocpÜAeloi, wie sie Aristoteles hat, mit der
Demons noch wahrnehmbar, für die freihch Ephoros nicht verantwort-
lich gemacht werden darl, ^^) aber dafs er und Aristoteles gemeinsam
auf einen autor zurückgehn, und dafs dies eine ältere Atthis ist, die
Demon verbessert hat, indem er das sprüchwort heranzog, ist unabweis-
bar, die geschichte haftete an dem bestimmten arekeg xojqlov, das auf
den allerdings sehr steinigen westlichen abhängen des Hymettos lag;
sie erklärte dessen namen, entweder aus glaubhafter tradition, wie ich
annehme, oder aus aetiologischer dichlung, die aber schwerlich einen
Icutsehgen tyrannen eingeführt haben würde.
Die andern belege für die leutseligkeit des Peisistratos sind, dafs er Einzelne
züge der
einer Vorladung auf den Areopag folge leistete: das hat Aristoteles aus der tyrannis.
ihm mit Plularch gemeinsamen quelle; dafs er die demenrichter ein-
führte: deren herstellung durch Perikles ist 26, 3 aus der Atthis ge-
nommen; endlich das apophthegma von dem kronischen Zeitalter, das
oben (s. 119) besprochen ist. so wird unbeschadet des politischen und
24) Eine weitere fassung der geschichte bei Prokop von Gaza wird im näch-
sten capitel auf Aristoteles selbst zurückgeführt werden.
25) Ob Diodor diese Vereinigung vorgenommen iiat, ist mir allerdings sehr
zweifelhaft, es ist gar zu verkehrt, ein sprüchwort zuzufügen, ohne die form des
witzwortes so zu fassen, wie dieses verlangt, ich glaube also, dafs sei es in dem
Diodortext, den die compilatoren des Porphyrogennetos vorfanden, sei es erst in
ihrem texte das sprüchwort als parallelstelle beigefügt worden ist, in jedem falle
erst in byzantinischer zeit, denn Zenobius und seine auszüge waren ja damals sehr
verbreitet, und dies sprüchwort steht auch im Suidas.
V. VVilamowilz, Aristoteles I. 18
274 '• S. Die Attliis.
Hersünlicheu uileils der eigentliche erzählungssloff in der geschichte des
Peisistratos der Attliis zugerechnet werden dürlen. nicht anders steht
es mit dem berichte über die ermordung des Hipparchos (vgl. oben 109).
auch hier steht zu einem zuge der aristotelischen erzählung eine parallele
bei Polyaen (I 22). Aristogeiton nennt auf der foller freunde des Hip-
pias und gesteht dem tyrannen höhnisch seinen trug, nachdem dieser
die angeschuldigten getötet hat.^^) Aristoteles gibt den letzten teil in
einer noch viel packenderen, aber deshalb nicht glaubwürdigeren fassung,
nach der Hippias selbst den Aristogeiton niederstöfst. ob die ange-
schuldigten tyrannenfreunde wirklich so unschuldig waren, wie sie bei
Polyaen erscheinen, ist ihm dagegen zweifelhaft; er nennt das die demo-
kratische tradition, der er eine andere gegenüberstellt, die er bevorzugt
hat.^') allerdings schwindet der nimbus der freiheitshelden , wenn sie
mit vielen leuten aus der Umgebung der tyrannen verschworen waren;
aber da sie notorisch selbst zu deren gesellschaft gehört hallen, ist die
auswahl, die Aristoteles aus verschiedenen berichten getroffen hat, richtig,
vorausgesetzt dafs wir diese ganze geschichle acceptiren. das ist mir
bedenkhch: aber was dem Aristoteles vorlag, waren hier ganz oflenbar
eine reihe nur im detail abweichender brechungen einer volkstümUchen
Überlieferung.
Der In der geschichte vom stürze des Hippias und der reform des
i^rä^iMien'. Kleisthencs überwiegt Herodotos, aber es sind doch schon einige züge
der Atthis ausgesondert (s. 32 und 37), ebendahin gehört siciier die
befestigung Munichias (19, 2), da sie ihre überraschende bestätigung
dadurch erhalt, dafs die Sprüche des Epimenides vor einem solchen unter-
langen warnten, Hermippos aber, der dies überliefert (bei Plutarch Sol.
12, Diogen. 1 114), wie für das dritte Jahrhundert natürlich war, das
urakel erst durch die Makedonen erfüllt glaubt; seine wirkliche ver-
anlassung war ihm unbekannt, um so sicherer ist sie geschichtlich und
26) Der schlufs ist so zu schreiben tot« S^ 6 ^Agiaioysircov coveiSiasv avtcD
t6 a^iQaiTjyrj/ia [raiv ^iXcov], der versuch der abschriften, durch einschub eines
y-axä die letzten worte in schick zu bringen, darf nicht beirren, ganz ebenso 2, 36
ev fiiv xüJv axQaTTjyrjf^iäiwv TiaQiax^v avroXs zi]v ei'aoSov, sre^co Se siasXd'mv
i^QT/Oaxo. SO ist es richtig, die handschrift hat iv ftsv xfj xcöv axQaxi]yriftäxu>v
ßaXavayqwv 7iaqia%sv. d. h. es war xa.v ßalavnyQÜJv als interlinearglosse ein-
gefügt. Maasvicius hatte svi /uev xcö cxonxrjyT^uaxi xcöv ßaX. geschrieben.
27) Was Blafs zuerst gelesen hat pag. 7, 2ü (cap. 18, 2) fiExexövxcov noXXcör,
habe ich trotz längerem sträuben nach vieler mühe auch erkannt und halte es für
sicher, also hat Aristoteles an eine grofse Verschwörung geglaubt, also denen ge-
traut, die die deswegen hingerichteten für schuldig hielten.
Der Sturz der tyrannen. das strategem des Themistokles. 275
dann eines Schlages mit den übrigen vortrefflichen Zusätzen zu Hero-
dotos. auch von dem berichte über die einsetzung und benennung der
neuen phylen und demen läfst sich die herleitung aus der chronik
feststellen.-") damit ist der anschlufs an das grofse stück, die jähre
507 — 480, erreicht, das mit am reinsten den stil der einfachen chronik
trägt, lauter kurze sachliche einzelangaben, und doch eine anekdote
darunter, die flottengründung des Themistokles. sie steht ziemlich iden- Das
,,,.,,. . strategoin
tisch, doch nur nn allgememen auf den aeginetischen krieg, nicht wie tißs Themi-
stoklcs.
hier auf einen archon datiert, bei Polyaen (I 30, 6), bei dem sich also
ein nicht verächtliches quantum von geschichten der chronik erkennen
läfst.^^) diese anekdote selbst ist nun freiUch sehr ohne grund auf treu
und glauben als wahr angenommen worden. Themistokles läfst sich
vom Volke ohne seine absieht zu verraten 100 talente übergeben, sollten
die Athener den bänden des Themistokles wirklich so viel vertraut haben ?
er gibt dann den hundert reichsten bürgern je ein talent und läfst sie
dafür eine triere bauen , auf das risico hin , sie zu behalten , wenn der
Staat sie ihnen nicht abnähme, was sollten sie in dem falle mit dem
kriegsschiffe anfangen? piraten wollten sie doch nicht werden, von den
ausrüstungsgegenständen und der bemannung wird klüglich geschwiegen,
man braucht die geschichte nur in die realilät umgesetzt zu denken,
um ihre Unmöglichkeit einzusehen; aber es ist eine unerlaubte be-
handlung einer guten geschichte, wenn man sie als real behandelt, was
sie soll, tut sie sehr gut, sie illustrirt die überlegne klugheit des The-
mistokles. und sie ist, auch wenn man sie nicht überschätzt, keines-
28) Vgl. s. 225 und das capitel 'Trittyen und demen'.
29) Natürlich gibt er vieles, was trotz starker entstellung auf Herodotos (I
21, 1. 24. 26. 30, 1 — 4. 7) und Thukydides (30, 5. 8) zurückgeht, sonst hat er
aus der altattischen geschichte die legende des attischen Palladions (I 5) den helden-
tod des Kodros (18), die list des Melanthos (19), die Hellanikos in den Atthis schon
erzählt hatte, Solons gedieht Salamis und seine kriegslist, die die insel erwirbt (20);
dies kann auf Plutarch (Sol. 8) zurückgehn, auch wol die erste tyrannis des Pei-
sistratos (21, 3). aber es ist so stark verwandt mit den berichten, die wir eben
behandelt haben (21, 2. 22. 30, 6), dafs es geraten ist, alles dies altattische, zu
dem noch der Zweikampf Phrynons mit Pittakos (25) gerechnet werden darf, auf
eine chronik zurückzuführen, natürlich am letzten ende: denn der geschmacklose
rhetor (dessen rhetorische reste bei Stobaeus stehn und von einem herausgeber wol
hätten gesammelt und beigegeben werden sollen; entscheidend ist, dafs der Verfasser
der strategeme sich einen Makedonen nennt, und der rhetor die provinz Makedonien
in einer Steuersache vertritt) schöpft natürlich aus älteren Sammlungen von strate-
gemen, sehr viel wertvoller sind die singulären stücke allpeloponncsischer geschichte
(1 6—11. 15): sie sind nach analogie der attischen zu beurteilen.
18*
276 '• 8. Die Atthis.
v,e"e» wertlos, dazu braucht man nur Herodots bericht hinzuzunehmen,
den er in einem excurse 7, 144 gelegentHch der themistokleischen orakel-
deutung von 480 nachträgt, da steht freiHch nichts von der anekdote,
sondern Themistokles bestimmt das volk, die Überschüsse statt zu ver-
teilen zum Schiffsbau zu verwenden, und das ist dasselbe richtige, was
sich unter der anekdote der Atthis verbirgt, dafür hefert diese die ge-
naue Zeitbestimmung während Herodot nur allgemein an den aegi-
netischen krieg anknüpft, und die richtige zahl von 100 Irieren statt 200
bei Herodot, der auf die übertriebene zahl durch die stärke der flotte
von 480 gekommen ist, aus der nur folgt, ganz ebenso wie aus der
gründung des kriegshafens, dafs Athen die flottengründung viel früher
ins äuge gefafst und begonnen hat als 482, wo Themistokles, den Perser-
krieg im äuge, die Pachtgelder für eine aufserordenthche Vermehrung
der flotte zu verwenden durchsetzte, so verliert die geschichte, die
Aristoteles erzählt, ihren wert für uns keinesweges, wenn wir das anek-
dotenhafte gewand ihr abstreifen ; es ist allerdings zu fürchten, dafs ihn
gerade dieses gereizt hat.
Krpebnis. Die aualyse ist vollendet, und es ist ein sehr beträchthcher teil der
aristotelischen nachricbten auf die Atthis oder die chronik, welches wort
mir gerade in die feder kam, zurückgeführt, die beweise sind nur zum
teil durch parallele benannte citate geliefert, von denen noch dazu einige
aus jüngeren Chronisten, Demon und Philochoros, genommen waren,
zum grüfseren teile dagegen lediglich durch die qualität der berichte, es
erhebt sich nun die frage, was waren das für bücher die dem Aristoteles
vorlagen, bücher waren es, nicht ein buch: das ist das erste, denn
er beruft sich auf Ttleiovg und sviol (3, 3. 7, 4) oder auf evioi (14, 4
im gegensatze zu Herodotos), dr^/^ioTixot und evioi (18, 5), oi (xiv- ot
de (17, 4); 6, 2 drii.iorLy.oi und ßlaoqir^i^ielv ßovXof.iEVOL, wo das letzte
die oligarchische tendenzschrift meint; auch ein (paolv und d'iovxul
Tiv€g (9) geht auf diese gruppen, während in andern fällen ein Isyetai
oder cpaai nur die Verantwortung des Schriftstellers selbst für eine anek-
dote ablehnt (14, 1. 16, 6). was ein solcher ausdruck bedeutet, mufs
in jedem einzelnen falle besonders untersucht werden, ist doch selbst
Thukydides unter einem Xsyofievog loyog verborgen (18, 4). aus allem
dem folgt unweigerlich, dafs Aristoteles das was wir unter dem allge-
meinen namen der Atthis notgedrungen zusammenfassen, aus einer mehr-
zahl von büchern genommen hat. bei dem stände unserer kenntnis ist
es vollkommen aussichtslos nach namen zu suchen oder mit den uns
bekannten älteren atthidograpben zu operiren. unzweifelhaft ist, was
Ergebnis, urkundlichkeit der Althis. 277
auch ohne beweis angenommen werden müfste, dafs Aristoteles die jüngste
und stiUstisch anspruchsvollste Atlhis des Androtiou benutzt hat, nicht
ohne eigne schwere irrtümer, aber auch nicht ohne berechtigte kritik.
es ist verlockend aber gefiihrhch, den weiteren anteil Androtions zu
verfolgen, dafs die Atthiden, die ja alle in dem demokratischen Athen
geschrieben waren, die nationale, also demokratische färbung trugen,
ist natürlich, daher nennt sie Aristoteles 'die demokraten', hat zu ihrer
ergänzung parteischriflen anderer richtung herangezogen und seiner
pohtischen Überzeugung gemäfs für die geschichte nach 480 fast aus-
schhefshch zu gründe gelegt.
Die differenzen, die Aristoteles notirt, gehn immer nur nebendinge
an; in den hauptsachen und ganz besonders in der Chronologie, die in
Chroniken das fundament ist, meint er auf völhg sicherem boden zu
stehn, wenigstens von Solon an; die einzige Schwankung geht die königs-
zeit an und macht nach dem eignen geständnis des Aristoteles wenig
aus. aber auch mit Herodotos hat sich diese keinesweges von ihm ab-
hängige tradition ganz bequem vereinigen lassen, ich wüfste mir das
schlechterdings nicht zu erklären, wenn nicht in den verschiedenen be-
arbeitungen ein gemeinsames, eben das feste chronologische gerüst vor-
handen war. und deshalb bedeutet es freihch häufig nur die jeweilen
benutzte bearbeitung, häufig jedoch die meiner ansieht nach allen zu
gründe liegende Urschrift, wenn ich den uamen Atthis brauche, es ist
die frage nach der existenz solcher Urschrift, die das höchste Interesse
hat. aber stellen wir sie zunächst noch einmal bei seile und sehen wir
uns die qualilät der geschichtlichen nachrichten an , die wir den atlhi-
dographen verdanken, deren ältester, der ausländer Hellanikos, doch erst
nach 404 geschrieben hat.
Gewifs befanden sich in den archiven des rates und der beamten so rrkundiich-
viele Urkunden, dafs em historiker mit rleifs und methode daraus unend- Auhis.
lieh kostbares entnehmen konnte, die überheferung über die dramati-
schen spiele, deren reste uns vorliegen, genügt zu dem beweise, man mag
geneigt sein, auf diese Urkunden alles zurückzuführen, was wir für die zeit
nach 480 den atlhidographen verdanken, das ist nicht wenig, denn dafs
z. b. gerade das wertvollste, was Ephoros über Thukydides hinaus über
diese zeit, selbst den archidamischen krieg, bietet, auf die Alibis zurück-
geht, ist wol zugestanden oder mufs doch zugestanden werden, auch
die biographische htteratur, auf die uns Plutarch zurückweist, hat sehr
stark aus dieser quelle geschöpft, ich gestehe indessen, dafs ich mir
die anschauliche Schilderung des erdbebens in Sparta, die genauen daten
278 ^- 8. Die AUhis.
l'ür den tod des Simonides und Aiscliylos, den fall eines meteorsteins
am Ziegenflusse und der Sonnenfinsternis von 463 ohne eine gleich-
zeitige schriftliche aufzeichnung nicht denken kann, der ausweg einer
aufseraltischen Überlieferung ist für manches, aber durchaus nicht für
alles vorhanden, eine Ulteratur aber gab es damals noch nicht in Athen,
nun aber die ostrakismen der achtziger jähre und die angäbe, dafs ihnen
kein anderer vorhergegangen war, während das gesetz doch älter war:
soll die jemand aus den ratsprotokoUen der sämmtlichen sechsten pry-
tanien geholt haben? noch viel weniger kann die genealogie und die
Chronologie des Peisistratos , das todesjahr Solons, die tyrannis des
Damasias, das Schiedsgericht der fünf Spartiaten über Salamis, das adels-
gericht der 300 und der ankläger Myron von Phlya in den acten ge-
standen haben, wer seine äugen nicht selbst zumacht, kann hier die
gleichzeitigen aufzeichnungen nicht verkennen, für den geschichtlichen
wert macht es wenig aus, ob man nun eine mehrheit solcher aufzeich-
nungen annimmt oder den grundstock einer chronik: und über den
wert entscheidet die Chronologie, die namenliste in ihrer einheitlichkeit
und Zuverlässigkeit, dafs es nur misverständnisse und die trägheit des
Vorurteils sind, die an dieser rütteln, hat sich bisher schon jedesmal
gezeigt, und die beilage über die Chronologie der pentekontaetie wird
weitere belege bieten, und keinesvveges blols die beamten, die dem
jähre den namen gaben, waren bekannt, die strategenhste von 441/0
gibt uns Androtion noch. Plutarchs gewährsmann konnte angeben, dafs
I'erikles nie ein archou gewesen ist, vmd Kleidemos bezeichnet den
tyrannenfreund Charmos als 6 Ttolef-iaQXTqoag (Athen. XIII 609).^°) wie
denkt man sich das eigentlich, dafs eine solche beamtenliste existirt und
ihr keine geschichthchen angaben beigefügt sein sollen? wenn sie es
waren, auch nur in der ausdehnung, wie wir es bei Aristoteles für die
jähre 590 — SO lesen, was ist das anders als eine chronik von Athen?
Es kommen nun iudicien hinzu, die eine gewisse schriftstellerische
haltung erkennen lassen, erst unter Solon fand Aristoteles eine Schil-
derung der Verfassung, zum teil auf rückschlüsse aufgebaut, und sie
ignorirte die Verfassung Drakons, Solon aber war der grofse volksmann.
das hat seine bedeutung, einmal negativ: die zeitgenössische chronik
gab für ihn noch bitter wenig, was wir wol beherzigen müssen; zum
30) Der polemarch Epilykos, der das haus dieses beamten vor Solon neu baute,
mag seinen namen und sein amt angeschrieben haben; deshalb nenne ich ihn nicht
mit als beleg für eine beamtenliste des siebenten Jahrhunderts.
Urkundlichkeit der Atlhis. 279
andern positiv: die Atthis steht auf dem demokratischen Standpunkt der
zeit, in der ihre litterarischen verarbeiter leben, was freilich so wenig
befremden sollte, als dafs die römische chronik, die es doch im anschlufs
an priesterliche zusätze zur beamtenliste gegeben hat, den politischen
Standpunkt der scipionischeu und dann der suUanischen zeit, je nach
den bearbeilern, trägt. Solon und Kleisthenes, das sind die grofsen
namen der Atthis, und in der vorzeit der demokratenkönig Theseus.
sonst ist sie dem königtum entschieden feindselig, die legenden von
Melanthos und Rodros, die der Institution und dem geschlechte der
köuige ungünstig sind, werden bevorzugt, aber auch adelsfeindlich ist
die Atlhis. sie gibt zwar die Stammbäume einzelner schon in Solons
zeit bedeutender häuser wie der Philaiden und des hauses, aus dem
Andokides stammte, aber die personen und die familien des adels und,
was mehr ist, die ganze Organisation des geschlechterstaates sind in ganz
auffälliger weise in den hintergrund gedrängt, alle hundert namen
waren verzeichnet, aus denen der gott 507 die 10 phylenheroen wählte,
aber, das können wir dem schweigen der grammatiker mit bestimmtheit
entnehmen, keine einzige phratrie: die hätten die atthidographen, zwar
kaum noch im dritten, aber sicher am anfang des vierten Jahrhunderts
aus dem lebendigen gebrauche nehmen können, auch die doch noch
über Kleisthenes hinaus geltenden naukrarieu^') und selbst die verkümmert
fortlebenden trittyen scheinen nicht aufgezeichnet worden zu sein, und
noch eins ist greifbar: die chronik ist städtisch, nur die königsnamen
der Stadt sind in ihre liste gekommen, und man hat heber nach fictionen
gegriffen, als die zahlreichen traditionen der andern orte zu verwerten,
namen wie Kolainos Porphyrion Munichos verdanken wir ihr oder ein-
zelnen ihrer bearbeiter freilich, aber was will das besagen gegenüber
der fülle von lebendiger Überlieferung, die z. b. in Marathon vorhanden
gewesen sein mufs. und ganz besonders fällt ins äuge, dafs zwar der
krieg wider Eleusis geschichtlich nicht mehr vorkommt, aber der eleu-
siuische cult und adel geflissentlich vernachlässigt ist: die Eumolpiden
und Kerykes hätten wahrlich etwas zu berichten gehabt, das ist um so
auffäUiger, als die chronik sich ganz besonders angelegen sein liefs, die
altertümer des städtischen cultes im weitesten sinne zu fixiren und,
meist durch aetiologische sagen, zu erläutern, weitaus das meiste was
wir von ihr besitzen gehört ja dieser kategorie an. wer sich dies alles
31) Ich kenne nur eine naukrarie Kcohds aus Bekk. An. 274. über die trittyen
vgl, das capitel des namens.
280 I- 8. Die Atthis.
üherlogt, mag noch so viel auf die litteraturgaUiing schieben, mag auch
die allerdings bemerkbare differenz der einzelnen Schriftsteller noch so
hoch veranschlagen: wodurch hat sich denn der bestimmte Charakter
dieser litteraturgattung anders gebildet, als indem einer ein schema fiir
sie schuf? von den bekannten atthidographen hat keiner dazu das zeug
gehabt: wo steckt er also?
Der exeget. Gerade diese ganz eben so sehr die erläuterung der TtdtQia wie
die heimische geschichte verfolgende tendenz der chronik weist uns,
wie ich meine, dahin, wo wir ihre entstehung zu suchen haben, dafs
sie officiell war, in dem sinne, dafs ein beamter den auftrag hatte, sie
zu führen, ist undenkbar: daran wäre das gedächtnis nicht verloren,
unwillkürlich richtet man seinen blick nach den heiligtümern , da doch
der Zeus von Olympia, die Hera von Argos, der Apollon Karneios von
Sikyon und Sparta die Chronisten des Peloponneses sind, aber in Athen
wohnt kein solcher gott. die göttin ist zwar mit dem Staate identisch,
aber ihr heiligtiim ist eben deshalb in den bänden staatlicher beamten.
die güttermutter hat später das archiv erhaben, aber sie hat überhaupt
keinen einflufs. wer wacht in Athen über den jtätQia, wo stecken
die 'pontifices Athens? das sind die exegeten, insbesondere die e^rjyrjTal
6^ EvTtaTQidcöv, denn die eumolpidischen fallen hier sicher fort, die
pythischen haben, seit der directe verkehr mit dem gotte regel war,
wenig bedeutet, ich weifs nicht, ob ich U. Köhler unrecht tue, wenn
\ ich auch bei ihm (Herm. 26, 45) den gedanken voraussetze, dafs die
iBrjyrjOig ziov TtaTQitov zu der aufzeichnung und erläuterung der /targia
geführt hat und so zu zu der Atthis, aber ich wünschte sehr, dafs meine
freude mich nicht getäuscht hätte, und ich auf einige Übereinstimmung mit
meiner ansieht daraus schliefsen dürfte, dafs er die tatsache betont, dafs
die Chronisten Kleidemos Antikleides Philochoros exegeten gewesen sind,
ich füge hinzu, dafs es sogar auch Androtion vielleicht gewesen ist^-),
dafs Demon über opfer geschrieben hat, Melanthios über mysterien. der
exeget, Lampon der genösse des Perikles, um einen bekannten namen
zu nennen , hat zunächst die fragen zu beantworten , die ihm die ge-
wissensangst des einzelnen oder des volkes stellt, also z. b. über pro-
32) Schol. Hesiod. Erg. 888 (aus Plutarcli) tJs fPdöxogos keyei xal lävS^oiiiov
(so Enlhoven, de lone Eur. these, ufifOTSQos codd.), e^7]y7jTai zeöv naxQicov avS^se.
die conjectur ist palaeograpliisch ansprechend, und Plutaich wenigstens möchte ich
eine misbräuciiliche anwendung des für Philochoros notorisch im eigenliichen sinne
zulreflenden Wortes nicht zutraun, die ich für Aristides ;;ro If^ vir. 276 zugeben
niufs. aber freilich, sicherheil gewährt dieses Zeugnis nicht.
Der exeget. 281
digien. er pflegt in seinem bescheide opfer an die grollenden gölter
oder daemonen vorzuschreiben; aber es kommen auch wirkliche ge-
wissensfragen vor, wie die von Piaton im Euthyphron vom Standpunkte
einer überlegenen Sittlichkeit beleuchtete, so weist ihn sein geschäft an
die götter und lieben vorfahren, und dafs einige kenntnis der vater-
ländischen geschichte erfordert war, leuchtet ein. von da bis zu der
führung einer chronik, zunächst zum gebrauche für sich und die nach-
folger im amte, ist noch ein weiter weg. aber dafs es die sorge für
das heilige recht gewesen ist, die aucli in Athen zur annalistik geführt
hat, darauf scheint mir sowol die lebensstellung der späteren atthido-
graphen wie die qualität ihrer bücher zu deuten.
Ich habe wenigen, aber wertvollen beifall und vielen Widerspruch
und spott, nicht blofs von leuten, wo er mir lieber als beifall ist, ge-
erntet, als ich vor jähren die attische chronik als eine und zwar die
beste quelle der athenischen geschichte hinstellte, damals stand sie noch
völlig im schatten der grofsen Schriftsteller so ganz anderer art, des
Herodotos und Thukydides. nun hat sich das geändert, denn Aristoteles
bringt sie uns ganz anders nahe, und es wird nicht mehr lange dauern,
bis sie zu den trivialsten tatsachen der 'quellenkunde' gehören wird,
es gibt freilich unter den historikern eine richtung, der alle und jede
griechische annahstische Überlieferung ein greuel ist, und mit dieser
mufs ich leider auf eine verständignng verzichten, denn ich sehe,- wie
überaus bequem es sich ihr consequenlester und scharfsinnigster Ver-
treter macht, das unbequeme buch des Aristoteles zu beseitigen, damit
der noch viel bequemere glaube bestehen bleibe, dafs am anfange Homer
steht, an den sich Herodotos und Thukydides schliefsen, neben denen
das übrige so ziemlich Schwindel ist. Niese hat die beiden wichtigsten
Chroniken des Hellanikos, die von Argos und Athen, einer besprechung
unterzogen, die, wenn ich ihn richtig verstehe, zeigen soll, dafs das er-
zeugnisse ihres Verfassers waren, nicht anders als das buch des Herodot
diesem gehört, und in ihnen die s. g. mythische zeit sehr ausführlich
auf grund der poeten behandelt war. das sind für IXiese wertlose
nkäoi.ia%a tcjv TtqoTSQtov, die jüngste Vergangenheit auf grund münd-
licher erkundigung des Verfassers, etwa wie Herodot, zum teil nach
Herodot, alles in eine annalistische form gebracht, auf die Niese nicht
viel zu geben scheint. ^^) in der tat ist was wir von Hellanikos haben
33) Für Niese ist überaus wichtig, dafs die chronik A"on Argos bei Hellanikos
speeifisch attische dinge berichtet hätte, natürlich weil sonst nichts zu berichten
28^
I. S. Die Atthis.
so wenig und so zertrümmert, dafs es keine grofse mühe ist, es völlig
zu zerkrümeln, mit den resten von Melanlhios, Kleidemos u. s. w. ge-
traue ich mich es auf verlangen ebenso zu machen, aber ich habe es
nicht so o-emacht und halte die ganze methode für falsch, was mich
zur annähme einer wirklichen altischen annalistik, einer urkundlichen
Überlieferung bis in sehr hohe zeit hinauf veranlafst, steht teils hier,
teils durch die meisten capitel dieses buches zerstreut, was mir aber
noch wichtiger ist, die ansieht, die ich mir über die ganze Überlieferung
und das ganze litteraturleben der Hellenen bis Aristoteles und über ihn
hinaus gebildet habe, weil ich das ganze vor dem einzelnen zu verstehn
trachte, ist in dem eingangscapitel des nächsten buches dargelegt, hier
nur noch die wenigen worte, die ich angesichts unserer traurigen Über-
lieferung von den einzelnen Atthiden zu sagen wage,
oiß So lange die Athener geschichte machten, hatten ihre politiker keine
*]„"j',"o." zeit, sie zu schreiben, und ihre schriftstellerischen talente hatten keine
graphen. ^^^^ dazu , SO lange die tragoedie lebte, so ist es gekommen, dafs der
fremde litlerat Hellanikos die erste attische chronik geschrieben hat. da
er mehrere andere chroniken, namentlich die von Argos, vorher schon
behandelt hatte, war er auf Synchronismen aus, und es kann sein, dafs
er die entscheidenden punkte, den fall von IHos und die erste Olympiade
gewesen wäre, er will das beweisen mit einem verwirrten arlikel des Stephanus
Byz. XaiQUJVEia, wo auf das cilat '.EAAawxos iv ß' 'le^eicöv "Hoas worte folgen,
die offenbar den attischen feldzug des Tolmides von 447 angehn. es ist nur nicht
abzusehn , weshalb man genötigt wäre die worte so zu verbinden, wie 0. Müller
und Meineke wollen: XaiQwveia nöhs iv rol? uoois <Peo>{i§os, cilat dafür aus
Hekataios; xixkTjrat anb Xaigcovos, citat aus dem Boeoter Aristophanes, rovrov Se
fivd'oXoyovaiv l^nölXwvos xal OrjQovs, cus 'Eklävi-MS. was dann fehlt, ist deutlich
zu sehen (iiv Ss 'OQxof-iEvicov cvs 6 Selvay, und das citat, in dem der ausdruck
Tiöhe 'OQ/ofievicov vorkommt, dann der alte name Arne, und Homercitat. also
für eine mythische genealogie ist Hellanikos zeuge, und dafs er den Chairon in der
chronik von Argos erwähnen konnte, ist nicht wunderbar: galt doch der haupt-
cult Chaironeias dem scepter Agamemnons. Niese schliefst dann gar aus den
Worten "yi/uTTQnyiäJTat y.ai oi fiex' aviötv Xäovsi xal ^Hnsigwxai (Steph. Xaovia)
auf eine erzähJung des amphilochischen krieges: das würde ich mich nicht getrauen,
aber dafs die geschicke des amphilochischen Argos in einer chronik der inachischen
mutterstadt vorkamen, ist schliefslich nicht schlimmer, als dafs die gründung der
asiatischen pflanzstädte in der Atthis vorkam (Harpokr. 'Eovd'QaToi). die urteile auf
dem Areopag hat Hellanikos allerdings gelegentlich des letzten über Orestes in
einem excurse eingefügt, eben aus chronologischen rücksichten, weil es noch keine
Alibis gab. vgl. über dies wichtigste bruchstück (schol. Eur. Or. 1644), was ich
Cumm. fi7-amm. IV 11 gegen NMese, nur nicht scharf genug ablehnend, gesagt habe.
Die einzelnen Atthidographen. 283
bereits in der attischen namenreihe fixirt liat, letzteres natürhch nur in
(lern falle, dafs Hippias die olympischen listen vorher edirt halte, jedenfalls
ist nachher gar kein attisches Jahrbuch denkbar, das nicht diese feste
Verbindung zu der allgemeinen Chronologie geschlagen hätte; sie mufs
einmal durch rechnung gefunden sein, und zwar sehr früh, da es
nennenswerte Schwankungen nicht gibt, das reich der chronologischen
Spielerei der einzelnen beginnt erst, wenn es gilt die epochenjahre,
Ilios fall unter könig Demophon, ionische Wanderung unter Neleus, zu
einander und zu dem festen unteren datum, erste Olympiade im zweiten
jähre des konigs Aischylos, in Verbindung zu setzen, denn da mufs die
attische rechnung der allgemeinen Chronologie folgen, und selbstverständ-
lich ist in der periode von erschaffung der weit bis auf lUos fall alles
dem belieben jedes einzelnen Schriftstellers freigegegen. da die Hellenen
an hohen Ziffern, Zahlenschematismus und leeren namen nur eine
mäfsige freude empfunden haben, so hatten Juden und andere Orientalen
hier das hochgefühl, ihren herren weit über zu sein, es bildet das ein
stehendes capitel bei den christhchen apologeten, das sie den Juden
danken, und so finden wir es denn am gelehrtesten ausgeführt bei Jo-
sephus (c. Apion. I 6 — 23), der mit voller berechtigung der starren con-
sequenz seiner nationalen Schwindelchronologie die Widersprüche der
attischen und argolischen listen gegenüber stellt: natürlich gilt das der
zeit von Ogygos und Phoroneus bis auf Troias fall oder allenfalls bis
auf die erste Olympiade, einer periode, für die wir so wenig nach zahlen
verlangen wie für die zeit vor David bei den Hebräern; mag auch der
Jude den mund sehr voll nehmen und in demselben atem die kritische
polemik des Ephoros und Timaios nennen, d. h. die hellenische Wissen-
schaft gegenüber der barbarischen dumpfheit herabsetzen.^*)
Hellanikos hat seine erkundigungen natürhch in Athen eingezogen,
hat die Stammbäume der Eumolpiden (Harp. i€QOCfavTt;g) und Andokiden
34) Wenn er dann den Hellenen entgegenhält, wie jung die schrift bei ihnen
wäre und wie spät die officiellen aufzeichnungen begonnen hätten, so möchten wir
weiden einsichtigen Griechen kennen, den er abschreibt; dafs in Athen die drakon-
tischen gesetze das älteste erhaltene document waren, wissen wir eben so gut,
aber wir wissen auch, dafs selbst im staatsieben die schrift lange vorher in gebrauch
war, und der Jude hat mit geschickler Unredlichkeit den Drakon "einen menschen,
der kurz vor Peisistratos lebte" genannt; die erwähnung der Olympionikenliste
würde ihm die kreise unerfreulich gestört haben. — auf die recensio und emcndatio
des traurig entstellten texles, die noch recht viel arbek fordert, will ich hier nicht
eingehn.
284 '• 8- 1^'e AUhis.
(wenn ich mir den namen erlauben darf, Plut. Alk. 25) aufgezeichnet,
lial die legende vom konig Munichos vielleicht um des ersten attischen
Olympioniken Pantakles willen gegeben (Munichos war söhn eines Pan-
lakles, Harp. 3Iovvvxlce)- das ist eine forschung mit anderer tendenz
als die des Herodotos, aber sie ist ihr analog, ebenso mag man über
die notwendigerweise auf directer erkundung beruhende darstellung
der jüngsten Vergangenheit urteilen, von welcher wir kaum ein par
Splitter haben, nur die annalistische form macht einen charakteristischen
unterschied, und sie, sollte man meinen, konnte er ohne die benutzung
der archontenliste, weiter hinauf der königshsle, nicht herstellen, aber
da liegt ja die bittere kritik des Thukydides vor, der seine Zeitrechnung
gerade in der jüngsten Vergangenheit ungenau fand, da uns gerade
für die entscheidenden zeiten, vom archon Kreon etwa bis zum archon
Konon, daten des Hellanikos fehlen, ist es müfsig, in dieser richtung
etwas sagen zu wollen, ob er also bereits Zugang zu dem exegeten und
seinen aufzeichnungen hatte, mufs um so mehr dahinstehn, als eine er-
läuterung alter attischer Institutionen, religiöser sowol wie politischer,
so gut wie ganz fehlt, die gründungssage des Areopages und die ge-
riclite über Kephalos, Orestes u. s. w. auf demselben konnte er wol
ziemHch von jedei'mann in Athen erfahren, auf keinen fall ist Hella-
nikos derjenige gewesen, der an Solons geselzgebung eine darstellung
der TiäxQLog noXwEia knüpfte.
Erst ein Athener, und zwar ein Athener der restaurirten demo-
kratie hat das tun können, und diesen nehme ich für den herausgeber
der exegetenchronik in anspruch. das ist schon etwas grofses, aber ich
will ihn deshalb keinesweges für ihren Verfasser ausgeben, schon die
sprachlichen indicien, wie nöXic, und 'AaTacpaTi^co noch bei Aristoteles,
scheinen mir höher hinauf zu weisen, und ich bin geneigt, mir in seiner
vorläge, den v7io(.ivrii.iara des exegeten, schon sehr viel mehr auch von
ausgeführten, zum teil ganz novellistischen erzählungen zu denken, dafs
das nicht als etwas ungeheuerhches erscheine, erinnere ich an eine
hauptquelle des Herodotos. wer ihn kennt, dem müssen die vTto/nvi]-
uara des delphischen orakels eine bekannte gröfse sein, eine Sammlung
von Sprüchen des gottes mit den zugehörigen erzählungen, die sowol
die veranlassung wie die erfüllung der einzelnen orakel enthielt, ein
wunderbarer schätz geschichtlicher und religiöser belehrung, über die
ganze hellenische weit und noch darüber hinaus sich erstreckend, ge-
mäfs der macht des gottes, die gewaltigsten katastrophen der Welt-
geschichte, wie den stürz des Kroisos, und die geschicke merkwürdiger
Die einzelnen Atthidographen. 285
menschen, wie des Spartialen Glaukos, der seinen gastfreund betrog,
umfassend, das ist das Surrogat für eine delphische chronik. Ilerodotos
hat aus dieser quelle das herrlichste geschöpft, aber auch Ephoros, oder
wer zuerst die orakel über die westhellenischen gründungen, über Sparta,
ja schon über die dorische Wanderung in die litteratur eingeführt hat,
ist im Stande gewesen , sehr viel von dort zu nehmen : ein grofser teil
unserer vulgären tradition trägt dieses delphische gepräge. es ist freilich
eine melhodelosigkeit sonder gleichen , wenn man den priestern sich
darin unterwirft, dafs man den delphischen golt zum herren oder besser
zum pabst von Hellas macht; um sie zu verwerten mufs man diesen
geschichten ihre apprctur in maiorem dei gJoriam auswaschen: aber eine
exegetenüberlieferung , der Atthis analog, ein buch von unschätzbarem
geschichtlichem und poetischem werte, und doch kein edirtes buch, ist
hier vollkommen kenntlich.^^) der attische exeget hatte nicht so weit
über die weit zu blicken und konnte nicht viel für die religiöse er-
bauung tun. um so mehr lieferte er für die vaterländische geschichte.
hinter Apollon steht eine priesterschaft, hinter Athena ein Staat.
So erschien denn also in den tagen des Piaton und des Isokrates,
die beide schon in sich zu fertig waren, um stark mit ihr zu rechnen,
die erste wirklich attische chronik und erschlofs dem publicum eine
reiche fülle ächter Überlieferung und anmutiger erzählung und gelehrter
construction : alles ist darin, nur mufs man die gelehrsamkeit und die
conslruction billig nach dem wollen und können der zeit abschätzen,
eine solche forschung, wie ich sie oben allzuhberal den feinden der
echten alten chronik zugestand, die aus den archiven die beamtenlisten
35) Auch der einzelne seber hatte seine spiüche, und die erklärende beigäbe,
analog der delphischen, hat nicht gefehlt, die Spruchsammlungen von Bakis oder
Musaios mögen blofs als verse in den bänden der menschen gewesen sein, bestimmt
oder doch dazu verwandt, je nach bedarf sich immer von neuem zu erfüllen wie
die apokalypsen der Juden und Christen, aber die seher hüteten ihre schätze, von
denen sie lebten, erzählten dagegen gern von ihren kunststücken und heldentaten.
wie viel Herodotos dem lamiden Teisamenos verdankt, habe ich bei anderer ge-
legenheit gezeigt, hier sei noch eine stelle angeführt. 5, 72 erzählt er, dafs die
Athener, als sie Kleomenes von der bürg vertrieben, unter andern auch einen
delphischen seber Timasitheos griffen und töteten, "von dem ich die gewaltigsten
leistungen tatkräftigen mutes erzählen könnte". auch in der schlackt von
Pallene (I, 62) spielt ein seher mit seinem Spruche eine rolle, die seber, ihre
Schicksale und sprüche, sind, wie die dichter und die Olympioniken, träger der
wertvollsten, sowol geschichtlichen wie novellistischen Überlieferung, schon für
den vater der geschichte und so für uns.
286 ^- S. Die Atthis.
zusanimenslellt, tue antragsteiler und die gesetze aufstöbert und Stamm-
bäume aulbaut, ist um 380 wahrlich nicht zu erwarten, gerade darum
mufs jener erste atthidograph über ein älteres material verfügt haben,
wir dürfen uns wol zutrauen, dafs wir über Solons Verfassung etwas
zuverlässigeres aus den ratsacten und den a^oveg und den Inschriften
der künigshalle, des Areopages und anderer orte hätten zusammenstellen
können, als wir jetzt bei Aristoteles lesen, die erste Alibis blieb deshalb
auch nur kurze zeit die einzige, und ich zweifle durchaus nicht, dafs
es viel mehr bearbeilungen gegeben hat, als uns zufällig namen bekannt
sind, aber der grundslock isl derselbe geblieben: das ist die weise des
hellenischen handwerkes; und wenn wir vielleicht am hebsten das älteste
buch lesen möchten , so isl dabei immer zu beherzigen , dafs die neu-
bearbeitungen alle keineswegs blofs eine stilistische Umformung in livia-
uischer weise oder gar eine durchgreifende lendenzfälschung, wie die
herren Antias und Macer, vorgenommen haben, obwol auch stücke der art
eingang finden mochten, zumal anekdolen , sondern neues urkundliches
material erschlossen , an dem in den tempeln aller orten kein mangel
war. so hat denn auch dies werk, wie es die bedeutenden zu tun
pflegen , seinen meister in den schatten gestellt, ich kenne ihn nicht.
Pausanias bezeichnet allerdings den Kleidemos, oder vi'ie er schreibt
Kleitodemos, als den ältesten atlhidographen , aber wir wissen nicht,
welche gewähr das hat, können auch seine zeit nicht genauer bestim-
men : aber dem volke hat er allerdings zu danke geschrieben, denn sie
haben ihm, wie ehedem dem Herodotos, ein ehrengeschenk verliehen.^®)
neben ihm, dem exegeten, der auch über seine kunsl eine an-
weisung schrieb, ist noch Melanlhios in die erste hälfte des vierten
Jahrhunderts zu setzen, der von den modernen vergessen zu werden
36) Pausan. X 15. das ehrengeschenk, das ihm den tod vor fieude bereitet
haben soll, berichtet Soran bei Tertullian de anima 52 (hervorgezogen von Rohde
Rh. M. 37, 467). mit einem physiker Kleidemos, den Aristoteles und Theophrastos
öfter citiren, kann man den atlhidographen nicht wol gleichsetzen, seine Atthis
wird auch unter dem namen it^coxoyovia oder voarot angeführt; die buchziffern
sind verwirrt, denn im dritten der Idz&is soll Kleisthenes vorkommen (Phot.
vavy.QaQia) , im achten der Nöaroi die faroilie des Hippias. gelesen ist das buch
später wenig, doch stehn glossen aus ihm bei Hesych (Kydathen 173). für seine
zeit hat man nur den anhält, dafs er symmorien erwähnte, nur weifs man nicht,
wann es deren 100 gab, wie er zählt, Böckh Seeurk. 182. ich möchte am ehesten
an die zeit der ersten versuche einer neubildung der flotte, 394—80 denken, auf
seine Zugehörigkeit zur Aiantis deutet die bevorzugiing dieses regimentes in seinen
berichten über die Perserkriege.
Die einzelnen Atthidographen. 287
pflegt ^^); vielleicht auch Phanodemos.-'*) einen sehr bedeutenden fort-
schritt bedeutete es, dafs der praktische Staatsmann Androtion von Gar-
37) Er ist bei Susemihl (Alex. Litt. Gesch. I 622) in das dritte Jahrhundert
geraten, aber das einzige bruchstück der Atthis (Harp. y^vnaviov, etwas anders die
epitome, diese im Et. M. benutzt) wird wegen einer ganz archaischen form {k'yQvnev
ri yfj) angeführt, in der Schrift über die mysterien citirte er von der bronzetafel
der bürg, die die namen der hochverräter enthielt, den volksbeschlufs über Diagoras
von Melos in ganzer ausdehnung. eine andere brechung des scholions, ohne die
scharfe und ächte gesetzessprache, citirt für dasselbe den Krateros, mit lazoosl, nicht
mit TiQocptQeTat xr^e aiijXrjs uvtiyQa^ov , wie es von Melanlhios lautet, hier ist
also Melanlhios von Krateros benutzt, nicht etwa umgekehrt, im schol. Plut. 845
erläutert Melanlhios ein eleusinisches ■jtäiQiov; bei Athen. VI 325'= führt ihn der
Athener Apollodor für die opfer der eleusinischen Hekate an. alles trägt den
Stempel der ächlheit und des alters, zu sondern sind zwei andere träger des namens,
einer, vielleicht ein vorfahr von diesem, freund Kimons, für den er elegien dichtet,
von Aristophanes im Frieden 804—16, auch Yog. 151, wegen schlemmerei und schmutz
verspottet, er halte kurz vorher eine trilogie gedichtet, und vielleicht eine Medeia
darin, auf die die schollen den vers Fried. 1012 durch Vermutung beziehn: die war
also verloren, dagegen hat Plutarch bei irgend einem stoiker den einzigen vers
des Melanlhios gefunden, den es gibt; er führt ihn oft an und auch in einer
Umbildung, die Nauck fälschlich als adesp. 390 davon gesondert hat. dafs
Melanlhios ein bruder des Morsimos gewesen vtäre, ist ein Irrtum des Fabricius,
der trotz Elnisley (zur Med. 96) noch zuweilen spukt, von diesem Melanlhios
unterschieden ist ein parasit des Alexandios von Pherai (Plut. de adul. et am. 3),
von dem es viele gute witze gibt, über den Olympiakos des Gorgias (Plut. conjug.
praec. 43), einen redner Archippos (symp. qu. II 1, 19), den tragiker Diogenes
(de audiendo 7), einen nicht genannten komiker (symp. qu. II 1, 4) und die dema-
gogen überhaupt (quom. adtil. poet. aud. 4). das pafst alles für die zeit des
Alexandros von Pherai und einen von der classe der atiischen evqwsls, deren witze
Philippos sich sammeln liefs und Aristoteles in der rhetorik häufig anführt, in
ähnlicher weise dürften diese zu Plutarch gelangt sein, den fehler, diesen Melan-
lhios mit dem tragiker zu verwechseln, haben Elmsley und Welcker (gr. trag.
HI 1030) nicht vermieden, und wol Klearchos schon hat so geirrt (Athen. 1 6% ent-
stellt Xil 549): dafs es ein Irrtum ist, liegt auf der band, den atthidographen
möchte ich selbst mit dem dichter nicht identificiren. — beiläufig, in dem psephisma
über Diagoras (schol. Vög. 1073) mufs es natürlich heifsen i^ex/^^v^av {snex. codd.) xal
avTov xal rovs (^rj) ixdli'Tas Ile/luvaii: sie hatten ihn ja nicht, damit haben wir eine
Verwickelung zwischen Alben und Pellana. ich weifs davon wenig, aber es sei darauf
hingewiesen, dafs Pellana allein schon 432 zu Sparta hält (Thuk. II 9), und die
lakonischen gesandten fordern es Lysislr. 996, wo die schollen nichts wissen; die
zote, die allerdings auch darin sein mufs, veislehe ich nicht, die schollen aber auch
nicht, vielleicht kann jemand mit dieser neuen aporie eher die alte lösen, wann
eigentlich Diagoras geächtet ist: ich bin dazu nicht im stände.
38) Bei diesem überwiegt in der Überlieferung so stark das hieratische, dafs
man ohne die anführungen Plutarchs (Them. 13, Kim. 12, 19) kaum glauben würde,
288 '• 8. Die Atthis.
<'t'llos die unfreiwillige miilse seiner Verbannung in Megara dazu be-
niitzle, die chronik mit entschiedener bevorzugung des politischen
teiles^-') und in dem rhetorischen geschmacke der zeit zu schreiben,
frühestens in den vierziger jähren, so stand diese Überlieferung, als
Aristoteles und Ephoros beide sie für ihre zwecke ausgenutzt haben,
dann ist noch Demon gekommen, bei welchem jedoch das Interesse
weit über Athen sich ausdehnt und die aetiologische erfmdung sich breit
macht; die politische tendenz tritt auffallend zurück, den würdigen
abschlufs hat endlich der exeget Philochoros seiner vaterländischen chronik
gegeben, gelehrter als alle Vorgänger, zuweilen selbst mit kritik, aber
immer mit jener edelen liebe zur heimat, ihren gottern und ihrer freiheit,
die er im leben und im sterben bewährt hat.
Verhältnis Es konnte natürlich nicht ausbleiben, dafs der geschichthche Inhalt
^Hotos!' der chronik sich in vielem mit dem wissen von der eigenen Vergangen-
heit deckte oder nahe berührte, das die unterrichteten Athener jeweilig
besafsen. später mufsle die veröffentlichte chronik den lernbegierigen
selbst dieses wissen vermitteln, das erste gilt vom fünften Jahrhundert,
was Herodotos über die Peisistratiden und Kleisthenes erzählt (I 59 — 64,
V 55—57. 62—66. 69—78) hat der Atthis ohne zweifei sehr nahe
gestanden: sonst hätte ja Aristoteles nicht so bequem beide zusammen
arbeiten können, was Aristoteles aussondert, sind meistens dinge, die
den Stempel der tendenz au sich tragen, wie die bemäkelung des adels
der Gephyraeer und des Isagoras, oder es hängt mit Sehersprüchen
zusammen, die Aristoteles von sich fern hält, dagegen z. b. was über
dafs er auch die geschichte erzählt hätte, dafs er Delos auch herangezogen hat
(Harp. 'ExäxTjs vrjaos, Athen. 392 '^), weist auf das vierte Jahrhundert, wo die insel
attisch war. der älteste benutzer von ihm ist, so viel ich weifs, Demetrios von
Skepsis (p. 33 Gaede). — auch die pseudepigraphe chronik des eleusinischea sehers
Amelesagoras, die Antigonos von Karystos (parad. 12) citirt, mag noch in das vierte
Jahrhundert reichen: was er aus ihr nimmt ist eine schöne ächtathenische sage,
der name aber kann nur durch spolt aus Melriaayöoas gemacht sein, das ist ein
name wie MeXrjatyerrjS MeXi\aavS()OS , gebildet wie U^a^ayö^aS n()d^avS^oi;
MeXrißimtos ist vielleicht auch noch oj inncov ueXei, vielleicht ist auch das ritter-
pferd unorganisch daran geflickt; MeXTjaius, wol auch MiXqtoi gehören als ab-
kürzungen dazu, aber ein name von a/ueX.slv und ayoQÜ ist ein onomaloiogisches
ungeheuer, mufs also mit besonderer absieht fingirt sein.
39) Schon im zweiten buche war die kleisthenische Verfassung behandelt; das
dritte reichte bis zum jähre des Eukleides. dafs die buphonienlegende im vierten
stand, ist weit weniger wahrscheinlich, als dafs im schol. Ar. Wölk. 985 S' in a
zu ändern ist.
Verhältnis zu Herodotos. Verhältnis zu Thukydides. 289
die kleisthenischen retormen bei Herodot steht, nimmt sich fast wie
der auszug eines fremden aus dem aristotehschen berichte aus; er hat
wirkhch nur wiedergegeben, was er in Athen von leuten hurte, die
so sachverständig waren wie der exeget. geschichten dagegen, wie die
erste Usurpation des Peisistratos mit dem greisen Solon als hauptactcur,
oder das gericht über die Alkmeoniden könnten zwar eben so gut bei
ihm stehn; er hat sie aber nicht gehurt oder verschmäht: wir müssen
sie genau so beurteilen wie seine hübschen erzählungen aus dem sech-
sten Jahrhundert, nur ein tor kann sich einbilden, Herodot hätte all dieses
material erschöpft gehabt, und was später aufgezeichnet wäre, müfste als
erfindiing weggeworfen werden.
Das attentat Kylons erzählt Thukydides in seinem stile, aber so Verhältnis
dafs der Charakter der geschichten nicht wesentlich anders ist. und sein kydides'
excurs über Rekrops, Theseus und den ovvoixio/iiog (II 15) trägt in
allem den Stempel derselben historischen methode sogar wie die be-
richte der atthidographen über die urzeit. dem Sophisten lagen Anthe-
sterien und Diasien eigentlich fern: die exegelen lebten in ihnen,
deshalb habe ich schon früher diesen bericht für die chronik in au-
spruch genommen, obwol ich keinen. Chronisten der zeit kenne, e^rj-
yovvTO de zavra oi oacpeöTara ra rcov ^S-rjvaiwv siöoreg, müsste er
antworten , wenn man ihn nach seinen gewährsmännern fragte, auch
hier kann ich keinerlei sinn darin finden, sich vor seiner historischen
methode zu verbeugen und eben dieselbe gering zu achten, wenn sie
Kleidemos übt.
Die wilden politischen kämpfe von 412—400 haben die vaterlän-
dische geschichte auch als waffe gebraucht; wir haben das im sechsten
capitel verfolgt, aber glücklicherweise hat das die chronik nicht beein-
flufst: erst Aristoteles leitet jenen schlammigen ström in ihr ruhiges
bette, auch die rhetorischen fictionen schwirrten in der luft: während
die Athener vor dem throne des Artaxerxes mit Thebanern und Spar-
tanern um die wette krochen, erfand zu hause die renommage mehr als die
Sehnsucht nach einer grofsen und bessern Vergangenheit die fabeln vom
eide bei Plataiai und vom frieden des Kimon.'"') aber auch sie herrsch-
ten viel mehr in der rhetorenschule als in den Chroniken, den Klei-
demos beschenkten die Athener, aber sehr viel scheinen sie ihn nicht
40) Der name Kimons und die demütigung Persiens sind fabeln; den vertrag
des Kallias und seine Urkunde deshalb zu verdächtigen, fällt wol keinem verstän-
digen mehr ein.
V. Wilamowitz, Aristoteles I. 19
290
J. 8. Die Atthis.
«^elesen zu haben, selbst Lykurgos der Eteobutade zieht es vor, die
fabeln nachzuschwatzen; nur bei Aischines haben wir einige spuren des
Studiums der Atthis getroffen, die advocaten regieren, und sie ver-
flüchtigen Solon zu dem patron ihrer geliebten freiheit und gleichheit,
ü.eid^eqia und jtaQQi]Gia, die ihnen gestattete, ihr unsauberes hand-
werk zu treiben, den demos zu lenken [ßovy.oXelv rb dri(iLOv) und
jeden harmlosen bürger zu schinden und zu schröpfen, so lange bis
einer kam, der ihnen, gefühllos auch für die alte gröfse der attischen
demokratie, dies handwerk legte, Antipatros, der freund des Aristoteles.
9.
DIE GELTUNG DES BUCHES IN DER SPÄTEREN ZEIT.
Der Londoner papyrus ist eine abschritt zu privatem gebrauche, Die
die ein Student sich auf der rückseite ausrangirter acten teils selbst eLmpiare"
geschrieben hat, teils hat schreiben lassen und dann selbst revidirt. dafs
es ein Student war, folgt daraus, dafs er auf einem der biälter schon
ein colleg über die Midiana nachzuschreiben oder abzuschreiben ange-
fangen halte, das exemplar, das er abschreiben hefs, hatte einen guten
texl, aber der anfang war abgerissen/) er hat wert auf seinen besitz
gelegt, denn er hat es mit ins grab genommen.
Die beiden Berliner blätter sind der irgendwie in den kehricht
geratene rest eines buches, eines für den handel hergestellten exemplares.
es war in buchform und konnte sich um die regeln für papyrusrollen
gar nicht kümmern ; die blätter gehörten einem quinio an.-) ich kann
1) Der rifs gieng quer durch mehrere zeilen, daher kommt es, dafs sich der
erste satz, trotzdem der sinn durch Plutarch bekannt ist, nicht herstellen läfst,
ohne dafs man mehrere lücken annimmt, es hiefs etwa iSixa^ov 8i xarriyoqovv-
xo'i\M.vQüivoi\\TQiax,öaioi\ xad'^ Ieqcuv ofioaavjes^ [reXeicov aiQed'iv'ces] aQiaiivSriv'^.
darum, weil der arme mensch kein vollständiges exemplar bekommen konnte,
zu wähnen, es halte damals gar keine mehr gegeben, ist eine starke naivetät.
dafs der auszug des Herakleides und die darstellung der attischen altertümer, aus
der unser fgm. 3 ist, älter wären als die erhaltene handschrift, ist weder beweisbar,
noch auch nur wahrscheinlicher als das gegenteil. fgm. 4 steht nur von junger
band in einer Euripideshandschrift, gehört also keinesweges dem alten stock der
schollen an , sondern ist ein nachtrag ganz so unbekannter herkunft wie die unten
besprochenen Plutosscholien.
2) Wir haben ein auf beiden selten beschriebenes blatt eines buches, also die
reste von vier selten, die erste enthält noch s. 11, 10—12, 9 unserer ausgäbe; ihre
rückseite 11, 27—12, 20. die dritte 23, 17—24, 6, ihre rückseite 24, 16—25, 10.
da die länge der zeilen, der ausfall zwischen dem schlufs der vorder- und dem
anfange der rückseite, endüch auch das gegeben ist, was zwischen 2 und 3 fehlt,
ist es lediglich eine sache des zählens, festzustellen, dafs 8 solcher selten zwischen
19*
292 I. 9. Die geltung des buclies in der späteren zeit.
das alter palaeograpliisch nicht schätzen und habe sehr wenig vertrauen
zu solchen Schätzungen ; das buch mag also in die zeit zwischen Marcus
und Theodosius I fallen.
Von einem dritten exemplare in Aegypten wissen wir durch den
Zindealschen katalog.^)
Erhaltung Dafs die Aristoteliker bis in das sechste Jahrhundert die Politien
Bjiaminei- besessen haben, ist nach ihren klaren und verständigen angaben nicht
^*"' zu bezweifeln.''} zu derselben zeit hat einige von ihnen der sophist
Sopaler excerpirt.^) in der lobrede auf den kaiser Anastasius hat der sophist
Prokopius von Gaza die geschichte des arelhg xtoQtov dem Aristoteles
nacherzählt.") damals oder auch ein par Jahrhunderte früher mag ein
gewisser Herakleides den auszug gemacht haben, den wir noch ver-
einigt mit einem auszuge aus den Miscellaneen des Aelian besitzen.^)
2 und 3 fehlen ; mithin besitzen wir die äufserste läge eines quinio, oder die zweite
eines senio, wenn jemandem das mehr behagt. — die debatten über die anordnung
der Fragmente und die gestalt des buches, dem sie angehörten, sind nun gegen-
standslos, aber zu beherzigen ist, dafs diejenigen im rechte waren die für die an-
ordnung der selten die Chronologie befolgten, und daneben die welche wegen des
falzes in der mitte der buchform trauten, die der augenschein ergab, die finessen
der buch- und schreib Wissenschaft haben nur irregeführt.
3) Rhein. Mus. 1866, 432.
4) Die stellen bei Rose (1886) 259.
5) Phot. cod. 181 p. 1041^ ende.
6) Ich verdanke diese wertvolle notiz der grofsen liebenswürdigkeit von
W. A. Paton. ich schreibe die stelle aus Villoison Anecd. Gr. II 40 ab, nur mit
der interpunction, die diese texte verlangen, seit W.Meyer ihren rhythmus entdeckt
hat oe (Peisistiatos) Sexärriv riöv sh rrje %(OQas yevofiivwv (poQOvs ra^as rols lAd'rj-
i'aiois, inecSr] naoa rov 'Tfirjxxov Sie^x^fievos, ^Arr ixov slSe TTQsaßvrrji', Tterqav
toya^öfievoi' , xal rols növois dnsi^Tjxora , neitovd'EV cos sixbs en avTC^. xai
Tie/ix/jns TjQiora, livas avrq xaQnovs ri nsz^a xofii^oi. o 8s xal Xlav arsvd^ae,
vSivae i'^Tj xai xaxcüv nXfj&os; (dies kolon mit absieht arrhythmisch, als wären
es die bäuerischen worte selbst) xal tovtojv trjv Ssxärtjv Sei yersad-ai tcü Heiai-
axQurco. sine na^elvat tov xvqavvov dyvocäv. xai sie UeiaiarQarov, ijXd'Ev 6
/.oyos, xai d'avfii'aas txelvos, t^S xaQxeQiae, fiiya xi voui^cov ScoQEla&ai,, dxEArj
XTjv nix^av aqfijxs, xcö yewQycä, xni loS eis fivriftrjv , (rjys) dQExrji, dxeXes s^
ixeivov , xo iwqiov i7icovofidt,exo. Paton hat selbst bemerkt, dafs diese Fassung
auf die paroemiographen nicht zurückgeführt werden kann, sondern den Aristoteles
paraphrasirt. für den text (16, 6) beweist sie die fassung iSoav yaQ xiva, dann
ein adverbium wie näw <piXo7i6vcos, das wort ist noch zu finden, nax^ae axänxovxa
(einen einzelnen felsen kann man nicht graben; dafs man mit einem pflocke gräbt, ist
nur ein possierlicher einfall) xai iQyai^ö^ievov 8ia xo d^arfiäoai (was wir gestrichen
liatten)To»' nalba ixt'Xevsv tQtad'ai xi yiyvBxai (nicht nsQiyivsxat) ix xov x(OQiov u. S. w.
7) Übrigens dürften die capitel über ylvxioi TvqqtjvoI Aevxavoi aus den
rö/itfia ßu()ßuQtxd stammen.
Erhaltung in der Byzantinerzeit. 293
denn da nun offenbar ist, dafs das erste capitel rein aristotelisch ist, so
hat die ansieht gevvifsheit erlangt, die in diesem büchlein die wenn auch
bis auf die gröfste armseligkeit zusammengestrichene gelehrsamkeit des
Aristoteles sah. es ist eine miserable ausflucht, dafs möglicherweise in
andern capiteln fremdartige Zusätze stehen könnten: nichts steht darin,
das als solches auf spätere zeit wiese, eben so gegenstandslos sind aber
auch die an sich windigen Vermutungen geworden, dafs einer oder der
andere der bekannten träger des gewöhnlichen namens Herakleides der
excerptor wäre, übrigens kommt auf den menschen nichts an, der doch
nur die bedeulung einer schere hat, und auch darauf nicht, ob mehrere
scheren bei der Verstümmelung beteiligt gewesen sind: das vielmehr
ist das wichtige, dafs ein auszug aus vielen Politien sich immer erhal-
ten hat.
Hieraus folgt, dafs wir mit der moglichkeit rechnen dürfen, selbst
in späterer byzantinischer zeit noch auszüge aus den Pohtien zu finden.*)
und speciell für die athenische liegt ein merkwürdiges stück bei Michael
Psellus vor, in einem kleinen tractat über staatsrechtliche Wörter der
alten, der sonst wenig gelehrsamkeit, namenthch keine abhängigkeit von
den geläufigen rhetorischen lexica, zeigt, so dafs die aristotelische an-
gäbe von den modernen verworfen werden mufste.'') wie Psellus zu ihr
8) Ich wage eine Vermutung, die älter ist als der fund der Politie. Theodorus
Metochita p. 668 bezeichnet sehr richtig die aesymneten als Seanöras inl ^tjtoIs
ävevd'ivovs xal rvQavvnii]v imaraaiav ßs),xia'iu)v dvSocöv y.ax d^er-^v ixXoylfiwv,
und führt als belege neben Piltakos und Periandros an ^oißias ev ^ä/uco aal tF]
nara^l6viov''Ano}.lo}viq XaiQrj/xaiv. die männer kenne ich nicht und weifs'nichts
über sie zu sagen; aber erfunden hat Theodorus sie gevvifs nicht, die lehre von
der aesymnetie ist aristotelisch , und die Politik ist von Theodorus ausgiebig be-
nutzt, aber Chairemon steht nicht darin, so stark sie die geschichte der helleni-
schen Städte am ionischen meere bevorzugt, ich bin also auf den gedanken gekommen,
dem Theodorus die benutzung irgend eines irgend wie erhaltenen excerptes aristo-
telischer gelehrsamkeit zuzutrauen, und jetzt scheinf mir das nur noch wahrschein-
licher. Theodorus hat noch mehr unbekanntes gehabt, auch ein par dichterfragmente,
z. b. von Pindar, die Boeckh aufgefunden hat; dafs er den Pindar gelesen hätte,
ist behauptet worden, ich behaupte, dafs wer das sagt, den Theodorus nicht gelesen
hat. übrigens ist die einzige ausgäbe (eine zweite verdient er kaum) miserabel,
eine Untersuchung auf seine quellen verdient aber Theodorus. allerdings ist er kein
mann, der lexikalische gelehrsamkeit liebt; systematiker, philosophen, populäre
zumal wie Plutarch, auch historiker hat er mit verliebe benutzt, und so ist eine Über-
lieferung der aristotelischen oder sonst peripatelischen notizen auf diesem wege
eben so gut möglich; so wird er auch zu den par versen gekommen sein.
9) "Wir haben die stelle (in Boissonades ausgäbe von de operatione dacmonum
103) noch in unserer zweiten aufläge zu cap. 21, 3 anführen können, ich hatte
glossen.
294. I. 9. Die geltung des buches in der späteren zeit.
bekommen ist, entzieht sich meiner kenntnis. ein wirkUches citat und
daneben durch unverständiges gerede ganz unbrauchbar gemachte aus-
züge aus dem schlufsteile über die gerichtsverfassung sind in der Aristo-
phanesausgabe Giuntas (zu Plut. 277. 278) veröffenthcht; sie fehlen in
den ahen handschriften der scholien gänzUch, zu denen sie auch nicht
gehören, und scheinen überhaupt noch nicht handschriftlich wiederge-
funden zu sein, solche funde darf man also noch erhoffen.
Hesjch- Ein Schulbuch ist die Politie niemals gewesen; es hat sich also an
sie keine gelehrsamheit angesetzt, weder von antiquarischem noch von
rhetorischem gehalte: es hat keine schohen zu ihr gegeben, die nicht
ganz geringe zahl eingeschwärzter Wörter, die zum teil nur verschiedene
lesarten sind, stammen nicht aus dem schulbetriebe, hätten wir eine
anzahl unabhängiger handschriften, so würden wir diese leservermerke
leicht entfernen; es gibt ja stellen, wo das schon mit unsern geringen
mittein möglich ist.'°) sehr sonderbar ist es, dafs sich in dem lexicon
des Hesychius ein par artikel vorfinden, die eigentlich nichts sind als
Sätze der Pohtie, die unter ein lemma gestellt sind, ein Schlagwort, das
nach dem Verständnis des excerptors aus dem zusammenhange irgend
wie erklärt wird, der art sind sÖQai ßovlrjg ai eyivovro xara tvbv-
Tarji.i£QOv (30, 4 im Verfassungsentwürfe von 411), das als probe genügt,
Jiovvoov yd/nog (3, 5), s/^iTtTJycTrjg (p. 37)"), 6ioaycoy^g (52, 2), ;(«A-
sie bei C. Fr. Hermann Staatsaltert. 111, 5 gefunden, dem der rühm nachdrücklich
gewahrt werden mul's, diese angebe richtig geschätzt und vervv'ertet zu haben,
natürlich habe ich dann im Psellus mich vielfach umgesehen, aber vergeblich.
10) 26, 2 ist ein ind rcov Srificov vom corrector getilgt. 21, 1 zeigt die cor-
rectur, dafs dasselbe wort eingeschwärzt ist. 2, 1 ist es ein glossem zu ro nXrjd'os,
das niemand ertragen kann, dasselbe gilt von 41, 1. 59, 2 zeigen citate eine
Variante die eben so unsinnig ist wie was wir lesen und andere im altertum ge-
lesen haben. 16, 10 weist ein citat desselben gesetzes eine Interpolation aus.
13, 2. 23, 2 wird in völlig sinnstörender weise die gleichzeitigkeit bezeichnet, man
weifs nicht wovon noch womit, es hatte also ein leser sich "zur selben zeit"
an den rand gesetzt; das eine mal geht die epoche Solons, das andere die der
Perserkriege vorher.
11) Dies auch Bekk. An. 258; die erklärung ist unsinnig 6 üsofwd'ETTjs, aber
so mochte man gerade gegenüber dem texte des Aristoteles irren, da im fünften
Seguerianer wirklich sehr viel Diogenian oder Hesych (d. h. entstellter Diogenian)
ist, so kann man diese glosse hierher ziehn; nach einer der rhetorischen lexica
sieht sie nicht gerade aus, aber es läfst sich nicht ganz abweisen, die glosse
K/M'Qofiivios- oiiToe 'UoaxhiSrje 6 KXa^OjUEVios 6 xal ßaaiXevs (tc xai ßavS cod.)
y-aXovfievos, die Houtsma aus Aristoteles verbessert hat, geht klärlich, wie Meineke
nilt recht angenommen hat, auf einen komikervers, wo nur KXa^ofiivioe stand, was
der grammatiker erläutert, ob dieser seine gelehrsamkeit aus Aristoteles genommen
Hesychglossen. Pollux, 295
Kovv Ttiväxiov (63, 4), die beiden letzten erst jetzt aus der Politie ver-
bessert, mit den rhetoriscben glossen, die zur erläuterung technischer
Wörter bei den rednern aristotehsche gelehrsamkeit verwenden , haben
diese nichts zu tun; sie sind aber von jenen nicht immer leicht zu son-
dern , weil die rhetorischen glossen in diesem lexicon so jämmerlich
verstümmelt sind, selbst sie gehören nicht zu dem ursprünglichen
diogenianischen bestände (was fälschUch meist geglaubt wird), sondern zu
den Zusätzen des Hesych oder wer immer das CyrilUcxicon (das aufser
sehr viel christlichem zu der Bibel Clemens protrepticus, Gregor von
ISazianz u. a., römische juristische Wörter, Homer- und Euripidesglossen
geliefert hat) die Schimpfwörter aus Sueton, die sprUchvvörter aus Zeno-
bius und vielerlei sonst eingefügt hat. also irgend wer hat in später
zeit aus einem exemplar der Politie eine anzahl Wörter, die ihm be-
deutsam schienen, diesem grofsen lexicon eingefügt.
So ist das buch in der kaiserzeit ein verbreitetes gewesen, und es
ist offenbar die reiche fülle antiquarischer belehrung bei kleinem um-
fange gewesen , die es den kreisen des atticismus empfahl, die grofse
masse der citate steckt eben in den rhetorischen Wörterbüchern, deren
mafsgebeude grundbücher im zweiten Jahrhundert verfafst sind, von
Telephus, Aelius Dionysius, Tansanias, Harpokration , Pollux an. ich
glaube zu bemerken , dafs namentlich im fünften Bekkerschen lexicon
sich eine darstellung der attischen ämter und gerichtseinrichtungen in
einzelne artikel zerteilt befindet, die auf Aristoteles aufgebaut ist, aus
combination, aber auch aus anderer guter Überlieferung erweiternd und
stilistisch natürlich durch modernisirung verderbend, aber da das für
Aristoteles nichts ausgibt, habe ich die Untersuchung nicht zu ende ge-
führt, es ist für sie wie überhaupt wichtig zu wissen , dafs nicht nur
diese leute, sondern noch ihre viel späteren compilatoren, die schwerlich
mehr in der läge waren Androtion oder Philochoros einzusehen, den
Aristoteles gehabt haben können, aber es ist weder möghch noch wich-
tig für das einzelne citat den zu benennen der es ausgehoben hat. selbst
die früher so bedeutende frage, wie viel von der darstellung des Pollux
auf Aristoteles zurückgehe, ist mit dem augenblicke für die sache ziem-
lich geringfügig geworden, wo sie gelöst ist. für Pollux ist das ergebnis
allerdings im höchsten grade bezeichnend.
Er hat den Aristoteles selbst gehabt, denn wenn er 8, 87 den i'oiiux.
archonten beilegt y.h^Qovv dinaoräg nal ad^Xod^ijag eva yiaza (pvXrjv
hat oder aus der Überlieferung, der auch Aristoteles folgt, ist gänzlich ungewifs.
wir haben deshalb mit bedacht die stelle nicht unter die testinionia aufgenommen.
296 I- 9. Die gellung des buches in der späteren zeit.
l/.aorrjV y.al azQaTriyovg xeiQoroveiv e^ aTtavrcov /.al y.ad^ t/MOTrjv
/iQVTaveiav tTteQiorccv ei öoy.sl /a/wg agy^eLV anaOTog {rbv ö' ccizo-
X€iQOTOVt]d^hTa xQivovoiv) -/Ml iTtTtäqxovQ dt'O -Aal cpv/MQxovg öiy.a y.at
raBioQxovg öey.a ' so ist dieser unsinn so enlstandeo, dafs er Ar. 59, 7
das losen der richter als befugnis aller arcbonlen las*^), und nun sie
als subject von yclrjQovat aS^lod^erag ösyia 60, 1 xeigorovoiiGL OTQa-
rt]yovg (61, 1) ta^Lägxovg (3) IftrcäQxovg (4) cpvlccQxovg (5) töricbter
weise nabm; die noch viel törichter eingei'ügte epicheirotonie nahm er
aus 61, 2. eine blofse folge von redaclionellem Ungeschick ist es, dafs
92 die angäbe über die beisilzer der arcbonlen aus 56, 1 vorangestellt
ist, die angäbe über die dokimasie der archonten und des Schreibers der
thesmotheten aber (55, 2) so angeschlossen, dafs man das subject avrovg
notwendig auf die beisitzer beziehen mufste. auch die vollkommen un-
verständliche darstellung der Jurisdiction des polemarcheu (91) ist le-
diglich durch den gedankenlosen Unverstand des Pollux hervorgerufen,
und die entdeckung des originales (Ar. 58) überhebt uns aller bes-
serungsversuche. anderwärts hat Pollux durch das hineinarbeiten an-
derer angaben Verwirrung angestiftet, so hat er die aristotelische be-
handlung der schreiber (54, 3. 4) dadurch verdorben, dafs er den aus-
druck avTiyQarpezai aufgriff und eine fremde bemerkung einmischte,
die wir auch in der form avTiyqacpelg ovo rjoav, o [xhv T^g ßovXrjg,
o de Trjg ötoixrioetog vielleicbt noch nicht richtig aussondern ; es kann
auch blofs einen avTiygacpevg Ti~g ÖLOiy^oecog gegeben haben, natür-
lich seit es die stelle eTtl t?; öioiy.i]a€i gab, d. h. seit 306, und die
avTLyQacpelg können zu Aristoteles zeit subalterne gewesen sein, weshalb
er sie nicht erwähnt.
Pollux verfügte also über anderes material, das zum teil den De-
metrios von Phaleron, zum teil die zeit der 12 phylen angieng. aber selbst
w-o solche zeitlichen kennzeichen vorhanden sind, ist die entscheidung
keinesweges immer leicht, z. b. 102 oi evöeyia- elg acp^ ey.doTrjg q)vXrjg
eyivero y.al yQa/.if.iaTevg avrolg ovvr]Qi^iLielTO, also nach 307, vo(.io-
(pvXa/.eg de y.axa tov (Dalrjgea (xeT(j}vo[.ida^riOav. danach mit Aristo-
teles (52, 1) stimmend eine darstellung ihrer wichtigsten competenz.
rov öe vo/xocpvkaxlov S^vqa (.tia yaqdiveiov eyalelzo, Öl' i^g rrjv eTtl
^aväxoj aTctjyovTO. das ist eine alticistenglosse, die ebenso bei Hesych,
inlerpoürt als Zenob. Vi 41, verwebt in eine längere durchaus nicht
12) Er las also den letzten satz von 59, den wir mit unrecht athetiert haben,
und er las nichts über die einjährigen ämter, fand also die liicke vor 61 vor.
Pollux. 297
antiquarisch gelehrte auseinandersetzung über den Areopag in dem com-
mentar zum Panathenaikos des Aristides (III 65 Ddf.) steht, da hätten
wir also drei vorlagen des Pollux, und die letzte, die lexicalische, halte
er ja immer zur hand. aus ihr hat er in diesen abschnitten z. b. die
fehlerhafte angäbe, dafs die frau des königs ßaoUiooa heifse (90). ob
aber die angäbe über die competenz der elfmänner aus Aristoteles ge-
nommen ist, oder der gewährsmann, der über sie zur zeit der 12
phylen berichtete, dieselben amtlichen quellen wie Aristoteles benutzt
hatte, können wir nicht mehr entscheiden, es ist auch nach dem was
im siebenten capitel ausgeführt ist, sacliHch ohne bedeutung. hier ist
beides gleich möglich; aber von § 100 x^'^^ot xßt öia-/.6oioi an ist
das meiste unzweifelhaft nicht aristotehsch, konnte aufser dem Stückchen
über die elfmänner sogar nur noch der artikel über die IeqotioloL (107)
aristotelisch sein.") 87 — 100 jerTaQaxovTa kommt man einiger-
mafsen so aus, dafs der grundstock aristotelisch sei, mit gröfseren und
kleineren Zusätzen, ganzen artikeln, vof.iocpv?.ax€g (94) yiiolaKQirai (97)
aTvoOToXelg (98), einigermafsen selbs-tändigen Stückchen (über den Vor-
sitzenden der poleten 99, die eponymie des archons 89 am ende) aber
auch ganz kleinen erweiterungen. so sagt Aristoteles vom archon nur
dafs er den einer blutschuld bezichtigten heifst tLQyeod^ai tcov ro/.il-
/iiiüv , bei Pollux steht (90) /.ivGTrjQiiov xai riov a/J.iov vo[.iL(.io)v. in
der Schilderung der -/.vgla €/.yih]oia sagt Aristoteles unbestimmt, dafs
der katalog der confiscirten grundstücke verlesen werde (43, 4): bei
Pollux tun das ol ngog ralg öiYMig, in dieser form mindestens etwas
ganz unverständliches, gleich darauf ist die angäbe, dafs in der zweiten
ekklesie jeder, der als biltflehender auftritt, jeden gegenständ vor das
Volk bringen kann, durch den einschub eines an sich passenden adeaig
erweitert.") dafs die dreifsig demenrichter nach der Oligarchie der 30
auf vierzig erhöht sind, sagt Aristoteles so schlicht (53, 1) und läfst
den grund erraten, den Pollux 100 mit f.iia€i rov aQi&f.iov ausspricht,
dem entspricht in einem schönen scholion zu Aischines 1, 39 ovzcog
13) siaaycoysls 101 ist es trotz einigen berührungen nicht, erstens weil hier
fälschlich auch die ifinoQixal Sixai ihnen zugewiesen sind, die bei Aristoteles die
thesmotheten haben (57, 5), zweitens weil aus Aristoteles der erste artikel (93)
über sie stammt, denn die dubletten erklären sich durch die doppelte vorläge,
tkiosSqol 92 aristotelisch, 101 (wo der name des amtes aus codex Laur. 56. 1
ergänzt wird, Maafs Herrn. 16, 619) unaristotelisch.
14) Schol. Aisch. 1, 104 schreibt den Pollux aus. wir haben uns mühe ge-
geben, in unserer adnotatio citate dieser art zu meiden und sehr viel unterdrückt,
was wir zuerst excerpirt hatten.
298 '• 9. Die gellung des buches in der späteren zeit.
luiorOEV o dii/nog roig V ojore aal Ttqbg zijv ovo/.taoiav tov agid^-
iiov dvoxsQaLveLV. vereinzelt können mehrere dieser stellen zu der
annähme verführen, dafs unser Aristotelestext lückenhaft wäre; wenn man
sie alle überblickt, kommt man davon zurück, endlich die paragraphen
85. 86 berühren sich zwar ganz eng mit Ar. 55, allein es steht manches
anders da, manches hat Aristoteles an anderm orte (8), endlich hat er
das amtsinsigne des kranzes als unwesentlich, das recht der archonten,
einen der einen verbotenen ort betritt zu töten, ohne zweifei deshalb
übergangen, weil es obsolet war; mindestens die ecpeaig sig dixaan']-
Qiov konnte nicht ausgeschlossen sein, hier also ist vielmehr der fall
zu constatiren , dafs die beiden vorlagen des Pollux im wesentlichen
stimmten, weil sie dasselbe officielle material verarbeiteten.
Die Professoren der rhetorik, wie Pollux einer war, deren aufgäbe
es war, die liebe Jugend mit dem griechisch und den attischen antiqui-
täten bekannt zu machen, deren sie bedurfte, um im Zeitgeschmack zu
reden und zu schreiben, hatten den Aristoteles in ihrer bibliothek. aber
wer es selbst als productiver "^redner und Schriftsteller^ zu etwas brachte,
brauchte sich mit diesem wie mit jedem über die phrase und den stil
hinausgehenden wissen nicht zu bemühen, selbst bei leuten wie Lucian,
den Philostraten, Aelian^^), fehlen seine spuren, classisch war das
buch doch nicht geworden, der gefeierteste aller Sophisten, Aristides,
hat allerdings einmal hineingesehen und eine phrase über Solon in die
rede für die vier Staatsmänner hinübergenommen'®), ohne doch beim
Themistokles mit einem worte auf Aristoteles zu deuten, und als er die
für seine bornirte eitelkeit vielleicht bezeichnendste rede über das
selbstlob (rt£Qi %ov naQacpi^^eyi-iaTog) schrieb, fiel ihm ein, dafs an eben
der stelle solonischeverse stünden, die er als ein selbstlob auffassen durfte,
da hat er denn eine ganze reihe citate aus cap. 12 abgeschrieben.")
15) Gellius II 12 gebärdet sich, als übersetzte er eine stelle der Politie. aber
was er gibt, verwaschenes weitläufiges gerede statt einer praecisen gesetzesformel,
zeigt, dafs er irgend welche elende Überarbeitung von einem phrasenhaften mittels-
mann überkommen hatte.
16) II 360 Ddf. aus Ar. 11, 2 nachgewiesen von Mayor bei Kenyon.^ schon
auf der nächsten seite, wo die elegie Salamis berührt wird, ist eine andere
quelle benutzt, z. b. Plutarch. aber hier ist die Übereinstimmung des ausdrucks
schlagend.
17) II 536 Ddf. da er nur verse anführt, die bei Aristoteles stehn, und sie
in derselben reihenfolge anführt, kann ich die sache nur so auffassen, bei Plu-
tarch stehen sie nicht alle, und dafs Aristides aus den gedichten just dasselbe wie
Aristoteles gegriffen hätte, wäre gar zu sonderbar.
PoUux. Plutardi. 299
aber das ist auch alles — wenigstens habe ich bei wiederholter durch-
sieht nichts gefunden.
Von Plutarch behauptet Kenyon und behaupten die meisten ebenso, piutarcii.
dafs er ganz offenbar die Pohtie benutzt hälte.'^) ganz offenbar ist das
gegenteil der fall: er hat sie nie gesehen, als er also nach 100 mit
wirkhch höchst anerkennenswertem eifer das beste material für seine
lebensbeschreibungen zusammentrug, war dieses buch in seinen kreisen
nicht geläußg. Ion Stesimbrotos Krateros Panaitios Didymos, sehr gern
auch Theophrastos hat er herangezogen, und gerade von dem sind in seiner
theoretisch poHtischen schriftslellerei zahlreiche spuren vorhanden, wenn
Plutarch also die Politie nicht benutzt hat, so ist ihre geltung um
100 n. Chr. gewifs nach dieser probe zu bemessen, es lohnt also die
mühe eines beweises.
Sofort klar ist es im Themistokles. zwei solche prachtstücke wie
die strategeme für die flotte und wider den Areopag würde ein ethiker
wie er mit besonderer freude aufgenommen haben, aber es würde auch
in der aufzählung der historiker, die Themistokles zu Xerxes oder Arta-
xerxes kommen liefsen , der berühmte name nicht fehlen, so figurirt
einzig das citat über das verdienst des rates um den auszug nach Sala-
mis neben dem entgegenstehenden Zeugnisse des Kleidemos, hinter einer
auf ein trozenisches und ein attisches actenstück zurückgehenden er-
zählung.'^) das ist also ein sehr wertvolles und gelehrtes stück, aber
solche nester von gelehrten citaten geboren niemals leuten vom schlage
des Plutarch.^")
Im Aristeides ist überhaupt nichts aristotelisches, und wo sein poh-
tischer Charakter ähnlich beurteilt wird (23), steht als zeuge der name
des Theophrast.
18) Mittlerweile ist mit recht vielfach Widerspruch erhoben, ich habe den nach-
weis also stark gekürzt; aber ich Mar nicht in der läge, mich bei jenen im resultate
mit mir stimmenden ausführungen zu beruhigen.
19) Krech {de Cratero 43) hat an Krateros als gewährsmann dieser psephismen
gedacht, was gewifs nahe liegt, und dafs auch das ächte psephisma des Themistokles,
das den auszug nach Salamis beschlofs, durchklingt, hat Krech dargetan, aber, wie
er selbst zeigt, war dieses eine auch zur rednerzeit bekannte Urkunde, und die
trozenische beweist nichts für Krateros. meines erachtens haben wir kein mittel,
zu entscheiden , ob Krateros oder ein anderer ernsthafter forscher die actenstücke
herangezogen hat. nur will es mir einfacher scheinen, denselben mann die psephismen,
den Aristoteles und den Kleidemos benutzen zu lassen, also z. b. an Phainias
möchte ich denken, der so stark im Themistokles benutzt ist,
20) Es folgt die geschichte vom hunde des Xanthippos, die aristotelischen
Ursprunges ist, vgl. fgm. 12 unserer ausgäbe.
300 !• 9. Die gellung des buches in der späteren zeit.
Im KimoD (10) wird dessen liberalität geschildert, und zwar nach-
weislich nach Theoponipos (Athen. XII 533^); daneben wird für einen
nebenumstand eine Variante aus Aristoteles beigebracht, es folgen be-
stati<Tende urteile aus Gorgias Kratinos Kritias. da haben wir wieder
ein citatennest, und gerade die aristotelische fassung der geschichte war
durch Theophrastos verbreitet (Cic. de off. II 64). in wahiheit ganz
dieselbe Schilderung Kimons steht im Perikles (9), und daran schliefst
sich, wie dieser um ihn zu übertrumpfen auf die besoldungen der ämter
geriet, das stimmt im allgemeinen zu dem gedankengange des Aristoteles ;
aber es stammt nicht aus ihm, denn die liberalität Kimons trägt die
färben der Iheopompischen Übertreibung, und neben dem richtersolde
steht das theorikou, von dem Aristoteles nichts sagt, wie denn überhaupt
hier viel mehr und recht wertvolles steht, und wieder erscheint ein citat
aus Aristoteles über Damonides als eine einlage. unmüghch kann man
es anders beurteilen als das im Kimon. Plutarch hat offenbar einen
und denselben historischen bericht mit Varianten und citaten in beiden
biographien zu gründe gelegt, natürlich aber jedesmal nur für seinen
beiden das nebenwerk mit herangezogen, solche historischen vorlagen
sind in den biographien der Griechen oft bei ihm kenntlich, am besten
im Themistokles, wo wir im Thukydides die grundschrift besitzen, (Herrn.
XIV, 152); hier ist sie Theopomp gewesen, man konnte vermuten, dafs
die Varianten in Plutarchs exemplaren als schoben am rande standen;
aber spuren von solchen schoben sind in den historikern sehr rar (Herod,
III 61, Thuk. nur zur archäologie), und die analogie der mythographischen
Überlieferung weist vielmehr auf gelehrte Verarbeitungen: das ist bio-
graphische btteratur. der Perikles liefert noch zwei belege derselben art.
über den tod des Ephialtes steht (10) erst die version des Idomeneus,
die verworfen wird, dann die des Aristoteles, dafs die oligarchen ihn
durch Arislodikos umbringen Hefsen: aber Aristoteles nennt zwar die
namen, aber von einer schuld der obgarchen sagt er nichts, da hat also
Plutarch die Varianten mit dem hauplberichte ungeschickt verschmolzen,
und in einem citatenneste (4) wird nach Aristoteles Pythokleides lehrer
des Perikles genannt, was immerhin aristotelisch sein mag, nur steht es
nicht in der Politie, zwei citate über den samischen krieg (26. 28), in
denen das letztere eine schaudergeschichte des Duris mit dem schweigen
von Thukydides Ephoros Aristoteles widerlegt, sind schon von Rose mit
recht auf die Politie der Samier bezogen worden, deren benutzung mag
glauben, wer will: für die athenische würde sie nichts beweisen. Plutarch,
wie er ist, würde sowol im Kimon wie im Perikles gerade das gesammt-
Plutarch. 301
urteil des philosophen über die männer angeführt haben, wenn er ihn
gelesen hätte.
Im Nikias (2) stellt er das lob des Aristoteles (28, 5) an die spitze,
und es klingen die worte der Pohtie durch, trotzdem stammt das citat
nicht direct daher, denn , mag man auch darüber hinwegsehen , dafs
Plutarch den schein erweckt, als hätte Aristoteles den Nikias dem The-
ramenes vorgezogen, weil das vielleicht nicht beabsichtigt ist, auch bei
flüchtiger einsieht der Politie leicht einem leser zutreffend scheinen konnte,
so mufs man doch nach aller analogie das Aristotelescitat eben so be-
urteilen wie die folgenden, das sind komikerstellen, mit denen sofort das
urteil des Aristoteles über Theramenes eingeschränkt wird, und von denen
eine anzahl auch über Nikias beigebracht wird, ferner ein so rares buch
wie ein dialog des Pasiphon^') und inschriften, darunter delische, die zu
Plutarchs zeiten längst nicht mehr zugänglich waren, so geht es fort
bis zu der eigentlichen erzählung (6, 2), die aus Thukydides stammt.
Plutarch hat also hier ein citatennest stilistisch etwas ausgeführt und
umgearbeitet.
[m Theseus (25) wird die aristotelische Schilderung der ältesten
demokratie nacherzählt, niemand kann bezweifeln, dafs Plutarch diese
ganze biographie, die voll von citaten steckt, die eben so gelehrt sind
wie seinem Studienkreise fern liegen, der compilatorischen gelehrsamkeit
der Alexandriner verdankt.
Von hoher bedeutung ist die ganze frage nur für die biographie
Solons, die sich mit Aristoteles in so überaus vielen stücken berührt,
ihn für eine vocahel, -Avgßeig, ersichtlich nach Didymos (25) und für
einen zug nennt, der nicht in der Politie steht, die ausstreuung der
asche (32), aufserdem die Pythioniken, ersichtlich aus Hermippos, anführt,
da hat nun unsere Untersuchung an den verschiedensten stellen bereits
das Verhältnis festgestellt, und es erübrigt nur die summe zu ziehen.
Es berühren sich ganz nah Plut. 15 und Ar. 6, der betrug von Solons
freunden bei der seisachthie. aber Plutarch ist reicher, und zu seinem
berichte gehört ein citat aus Polyzelos von Rhodos, der ohne frage jünger
als Aristoteles ist. es steht die abschaffung der drakontischen gesetze bei
beiden (Plut. 17, Ar. 7, 1), und wie sollte sie fehlen? aber von Drakons
Verfassung weifs Plutarch nichts, und wie hätte er (19) die ältere existenz
des Areopages als fraglich hinstellen können, wenn er die Politie vor sich
gehabt hätte? das ganze achtzehnte capitel führt das aristotelische urteil
21) D. h. ein dialog, der meist auf den namen des Aischines gieng, aber von
Persaios dem Pasiphon zugeschrieben war. Diogen. 2, 61, aus Panaitios.
302 '• 9. Die geltung des buches in der späteren zeit.
nicht nur über die classen, sondern auch über die hauptstücke der soloni-
schen demoKratie aus, einschliefslich des ohgarchischen Vorwurfs, dafs Solon
die gesetze mit absieht dunkel geschrieben hätte, und es unterliegt keinem
zweifei, dafs die aristotelische doctrin für diese darstellung mafsgebend
gewesen ist. aber wie der Wortlaut sich viel weiter von Aristoteles ent-
fernt, als denkbar wäre, wenn Plutarch die Politie selbst vor äugen gehabt
haben sollte, so ist auch hier ein plus auf selten Plutarchs anzuerkennen,
der brave delphische priester war wirklich nicht im stände, aus l^elvai
Tiy ßovXo(.iivio TifxcoQslv VTtEQ xlüv aduovf^ivcov (Ar. 9, 1) zu machen
TtavTt Xaßüv dUr^v v/cIq tov xcixiog Tceitovd^ÖToq, sdioy.ev ' xaf yaQ Ttlrj-
yivTog ireQOv y.al ßiaod-ivTog i]- ßXaßevcog i^rjv rv) dvvaf.iev(p v.aX
ßovXo^dvio yqäcptöd^ai xov adv/.ovvta v.aX öico-aeiv, oder von selbst auf
den guten gedanken zu geraten , dafs Solon die ämter den bemittelten
hätte bewahren wollen, rrjv d* a)JajV f-isl^ai noXireiav, und darum die
classen eingeführt hätte, sobald der census mafsgebend ist, haben die
ständischen unterschiede aufgehört, im gegensatze dazu hat Theseus
keine /^ief.iEiyf.i€V)] dr^{.ioy.QaTia gestiftet, sondern die drei stände x(joQ\g
ano'A.QLv<xg hingestellt (Ar. fragm. 2). es fügt sich also der gedanke, den
Plutarch vorträgt, gut in den aristotelischen gedankenkreis: nur hat
Aristoteles diesen gedanken weder ausgesprochen noch gehabt, sintemalen
er wufste, dafs die classen nicht eist von Solon geschaffen waren.
Die Vereidigung der archonten (25, 2) stammt sicher mit Aristoteles
aus derselben quelle (vgl, oben s. 47), ebenso das verhallen Solons zu
Peisistratos (30, vgl. oben s. 264). der bericht über die ermordung
Kylons und das gericht über seine mörder (12) steht dem Aristoteles
sehr nahe, ist aber um die ohne zweifei ungeschichtUche Intervention
Solons erweitert, es ist monoton, an jeder kleinigkeit dasselbe auf-
zuzeigen, und wenn hier oder da bei Plutarch kein kenntliches plus vor-
handen sein sollte, so entscheidet die masse. nur über die solonischen
gedichte noch ein wort. Plutarch hat in seinen quellen, sagen wir nur
ruhig bei seinem hauptgewährsmann Hermippos, viele verse vorgefunden,
und darunter viele die auch Aristoteles gibt (15, 5. 16, 2. 18, 4; auch 14, 2
mufs die Widerlegung des Phainias durch einen solonischen vers, den
Aristoteles 5, 3 gibt, hermippisch sein), aber er citirt ja viel mehr verse,
darunter nicht wenige, die die vorläge gab (2, 2. 8, 2. 26. 30), was zum
teil die parallelen bei Diodor und Diogenes erhärten, er hat aber auch
selbst die gedichte nachgesehen, wie von einem manne seiner bildung
und seiner sinnesart nicht anders erwartet werden konnte, so ist er in
der läge, die Zeilenzahl der elegie Salamis anzugeben sammt ihrem an-
Plutarch. geringe beuutzung in älterer zeit. 303
fange, wie eben bibliographisch genaue citale im alterlum lauten müssen,
und eine bcurteilung ihres poetischen Stiles beizufügen (8); und ebenso
citirt er mit dem titel die trochaeeu an Phokos (14), die er dann aus-
giebig benutzt, für ihn also macht die Übereinstimmung solonischer
citate mit Aristoteles gar nichts aus.^^) seine quelle, die peripatetische
biographie, ist dagegen von der Politie in der auswahl der verse und
sonst stark beeinflufst worden, hat also die aristotelische skizze vielfähig
erweitert, namentlich aus der chronik, die auch Aristoteles selbst zu
gründe gelegt hatte, wenn also gerade der Solon trotz ausgedehntester
berührung mit der Politie ohne sie verfafst ist, so kann man gar nicht
anders schliefsen, als dafs Plutarch weder diese noch irgend eine ihrer
Schwestern jemals gelesen hat.
Das aber ist das bedeutsame, dafs Plutarch die Pohtien überhaupt Geringe be-
sieh nicht verschafft hat, trotzdem unter unzähligen andern büchern äiterer°lei't.
auch sie in den biographischen quellen, von denen er jedesmal ausgeht,
einzeln citirt waren, und die Verfasser jener biographischen grundbücher
haben eine sehr berechtigte Zurückhaltung namentlich gegen die oligar-
chische tendenz der attischen Pohlie geübt: eist bei einem rhetor der
allerspätesten zeit ist eine spur der schlimmsten Themistoklesanekdote.
aber so stehn überhaupt die hellenistischen Jahrhunderte zu diesem
aristotehschen buche. Cicero und Dionysios von Halikarnafs und Ciceros
philosophische gewährsmänner haben ihr pohtisches raisonnement von
Theophrastos und anderen peripatetikern zumeist geborgt, aber die
athenische Politie kennen sie nicht, weder bei Panaitios noch bei
Polybios ist eine spur von ihr. Apollodoros von Athen, dessen historische
gelehrsamkeit nach dem strabonischen auszuge sich gut schätzen läfst,
22) Für die recensio der solonisclien gedichte ist also Plutarch ein zeuge so
gut wie Aristoteles, Aristides dagegen nicht, es ist das wichtig für den vers, den
Aristoteles (5, 1) und Plutarch (14, 2) citiren, dieser aber in prosa aufgelöst
SsSoixcus TW»' fiiv xi]v (p i,),o%qi]fxax iav rcov Se xtjv vnEqT](paviav, wobei ihm passirt
ist disjuncliv zu fassen und auf zwei parteien zu beziehen, was nur dem adel galt
(vgl. Solon fgm. 5, 8. 12): das war bei directer benutzung sei es Solons, sei es
des Aristoteles nicht möglich, nun ist in dem papyrus das wort, das bei Plutarch
als (pü.ox,Qrif.iaTia steht, verloschen, aber man könnte -atiav lesen und am anfang
führen die spuren auf (f. nur der räum reicht nicht, und die Verbindung te ie
lehrt, dafs Aristoteles citirt hat. da nun der Zusammenhang den begriff TtXeovE^ia
fordert {axQrjuaria ist genau das gegenteil des verlangten), Plutarch denselben be-
zeugt, so werden nicht nur Aristoteles und Solon geschrieben haben, sondern trotz
dem vor lav sichtbaren bindestrich auch der papyrus enthalten haben, was bei Kenyon
und uns steht (fihaqyv^iav.
304: •• 9- Pie geltung des buclies in der späteren zeit.
hatte von der attischen Politie keine veranlassung zu reden, vornehmlich
deshalb, weil er die Atthis selbst zu rate zog; aber auch die kretische
hat er so wenig herangezogen wie Polybios-Panaitios, sondern Ephoros
ist ihr gewährsmann. die lokrische hat die angriffe des Timaios erfahren
und deshalb die Verteidigung des Polybios, und es konnte nicht aus-
bleiben, dafs einzelne nummern der grofsen Sammlung nicht durch
reichere oder bequemere concurrenzbücher in den schatten gestellt
wurden, und hie und da mancherlei aus ihnen angeführt ward, im
ganzen jedoch sind die Polilien als fundgrube der alten localgeschichte
noch einigermafsen, ihre staatsrechtlichen teile und die aus ihnen abzu-
leitenden politischen gedanken kaum irgendwo, die der attischen nirgend
benutzt worden.
Dies erklärt sich freilich von selbst für jene Jahrhunderte, wo die
grofsen künigreiche und dann die gröfsere römische republik dem prakti-
schen Politiker ungleich bedeutendere objecte der forschung oder betrach-
tung boten, die politische theorie aber in den bahnen des kosmopolilismus
oder der negation des Staates, sei es vom epikureischen, sei es vom ky-
nischen Standpunkte aus sich bewegte, ist aber die Wirkung des buches
unmittelbar nach seinem erscheinen stärker gewesen? das buch läfst
sich von der lehre nicht trennen, und die lehre des Aristoteles hat
durch Antipatros und Demetrios gerade in Athen selbst triumphirt. die
Politik aber und die Politien und die Barbarensitten haben in der peri-
patetischen schriftstellerei der nächsten generation ihre fortsctzung und
Umbildung erfahren , und insofern ist ihre Wirkung ungeheuer, allein
ein so epochemachendes ereignis wie das erscheinen der grofsen werke
von Herodotos Hellanikos Thukydides Ephoros sind sie nicht gewesen,
vor dem publicum hat ersichtlich die isokrateische schule über die peri-
patetische auf dem gebiete der historiographie den sieg davongetragen,
die zusammenfassende Weltgeschichte über die monographieen. im 2.
Jahrhundert n. Chr. verschwindet- Ephoros ziemlich gleichzeitig mit dem
aufkommen der Politien ; leider kann man darin nicht einen sieg der
wissenschafilichkeit sehen, da es vielmehr der matte archaismus ist, dem
Ephoros zu voluminös für die schule war.
Gerade das Verhältnis der Politien zu Ephoros ist in diametral
entgegengesetztem sinne mit gleich apodiktischer Sicherheit mehrfach be-
urteilt worden, die entdeckung der Politie der Athener läfst auch in
dieser Streitfrage ein urteil zu, über die ich noch kurz zuvor auf dem
kalheder ein entschiedenes l/rfi/w gesprochen hatte, weil ich nicht blofs
eine jiartei gehört halte.
Verhältnis zu Ephoros. 305
Für die einen ist es ausgemacht, dafs Ephoros von Aristoteles ab- Veiiiäitois
hängt, z. D. soll er die kretische politie ziemlich ungenirt ausgeschrieben
haben, es war das eine notwendige folge der hohen meinung, die wir
(ich mufs mich mit einrechnen) von der historischen Forschung des
Aristoteles hatten , und von der misachtung der Isokrateer. Usener ist
sogar so weit gegangen, sicli den jungen Aristoteles durch seine histo-
risch-philosophischen tendenzen anregend auf den greisen Piaton zu
denken , weil dessen Gesetze in der tat nicht ohne ein fundament ge-
schichtlicher Studien denkbar sind, gerade hierin liegt ein hauptunter-
schied zwischen seiner Schätzung der Akademie und der meinen, ich
habe nie begriffen, wie gerade er so urteilen konnte, der die einschläg-
lichen unächlen dialoge Minos und Hipparchos doch noch dem schul-
regimente des Speusippos zuschreibt, diese ganze ansieht ist nun nicht
mehr zu halten, seitdem es feststeht, dafs die Politie der Athener, von
der nur willkür ihre Schwestern trennen kann , ebenso wie die politi-
schen vortrage und die ^ixaito/^iaTa-^) der letzten lebenszeit des Aristo-
teles angehören, denn gesetzt auch, dafs Ephoros noch in den zwan-
ziger Jahren geschrieben hätte, so kann man seine ersten bücher doch
unmöglich so spät ansetzen, und er konnte auch wahrlich nicht auf die
publicaliou aus dem feindhchen lager warten, um aus ihr material für
seine eigene arbeit zu gewinnen, übrigens kenne ich in seinen resten
nichts was auf die zeit Alexanders mit Sicherheit führte.
Da scheint nun die entgegengesetzte ansieht die oberhand zu ge-
winnen, die in Ephoros die oder eine hauptquelle für die geschichtlichen
angaben der Pohtik sieht, gerade die kretische Verfassung hat man auch
dafür als beleg angeführt, und wer die auszüge beider vergleicht, mufs
zugestehen, dafs der augenschein eher für eine abhängigkeit des Aristo-
teles spricht, nun ist freilich Ephoros in der athenischen Politie nicht
benutzt;- aber das erklärt sich aus dem gegensatze der politischen partei-
stellung, und ein anderer Isokrateer, Androtion, hat dem Aristoteles ver-
mutlich sehr viel mehr geliefert als wir noch beweisen können, ich
23) Diese erwähnen den italischen zug des Molotters Alexandros (fgm. 614
Rose): der gewährsmann ist auch ein gelehrter der hadrianischen zeit, der Byblier
Philon. auf desselben mannes oficöwfioi nöleis dürfte ein zweites citat derselben
Schrift (Steph. Byz. 'ß^wjros) zurückgehn; doch kann dessen doublette {TävayQo)
auch apollodorisch sein, die dritte stelle steht bei Harpokration. die benutzer sind
also dieselben wie bei den Politien. die letzten zwei Fragmente beziehen sich auf die
grenzfehden zwischen Athen und Boeotien; über Oropos hat Philippos 338 zu
gunsten Athens entschieden: Aristoteles hat das umgekehrt beurteilt, denn Graia,
das er mit Oropos gleich setzt, gehört bei Homer zu Boeotien.
V. Wilamowiiz, Aristoteles I. 20
306 !• 9- Die geltung des buches in der späteren zeit.
niüchle es nicht von vorn herein als unmöglich bezeichnen, dafs Aristo-
teles für irgend eine Pohlie oder für ein historisches exempel seiner
vortrüge das dickleibige buch des Ephoros eingesehen habe, glaube aber
persönlich vielmehr, dafs er es gar nicht gelesen haben wird, und mit
einer gewissen gruppe unserer historiker den forscher in Ephoros zu
sehen, in Aristoteles den ausschreiber, halte ich allerdings nach wie vor
für noch weniger denkbar als das umgekehrte Verhältnis, der grund,
dächte ich, müfsle einleuchten, hier die Pohtien, eine summe von ein-
zelheiten, dort die Universalgeschichte: was ist das frühere, nicht der
zeit nach, sondern das TtqöreQOv cpvOEil hat Aristoteles und der Peri-
patos das gewebe des Ephoros aufgedröselt, oder hat Ephoros die menge
der einzelgeschichten zu seinem werke verwoben? die attische Politie
des Aristoteles liefert nun aber keine eigene forschung, sondern ver-
arbeitet gegebenes material. wir können die andern nur nach dieser
probe beurteilen, da das material vorhanden war, bedurfte Ephoros
der Politien nicht. Aristoteles war kein forscher gewesen, aber den
Ephoros werden wir nun doch nicht dazu machen und ihm die lob-
sprüche zuerkennen, die wir früher dem Aristoteles nur zu bereit-
willig gespendet haben, gerade der Universalhistoriker stöbert nicht
nach alten inschriftsteinen in den fufsböden der tempeP^), sammelt
keine sprüchwörter und macht keine topographischen Studien, nicht nur
weil er keine zeit hat, sondern weil seine geistesrichtung ins weile geht,
und Ephoros war noch dazu ein rhetor. aber wozu bedurfte er auch
der eignen forschung? dasselbe mateiial, das der Peripatos verarbeitete,
stand auch ihm zur Verfügung, mit der erkenntnis, dafs die aristote-
lische Pohtie der Athener eine compilation aus vorhandenem litterarischem
materiale ist, haben wir auch das material kennen gelernt, aus dem der
Isokrateer sein gebäude errichtet hat. was wir für die Atthis gelernt
haben, ist damit für KqrirL/.a Milrjaiayicc ^af-iiaxd auch gesagt, die
bedeutung der localen Überlieferung und der localhistorie wächst ganz
ungemein, während die der grofsen werke sinkt, in denen diese locale
Überlieferung verarbeitet worden ist. oder vielmehr dafs sie sänke, ist
zu viel gesagt; sie wird nur richtiger geschätzt, denn ohne das sam-
meln und verarbeiten des Peripatos und der Isokrateer würde aus dem
chaos der localliteratur wenig erhalten geblieben sein. Ephoros und
24) Darüber höhnt Polybios gegenüber dem polyhistor Tiniaios, XII 11, 2 o
T«fi onia&oSöfiovB (omad'oyQÖtpovs, oder wie sagte man dafür im alterlum? der
bei^rifl scheint nötig) aTr,Xus xai räe iv tals cpXiali xiöv veötv noo^evias e^evQTjxcos
Tifiaioi ioTiv.
Verhältnis zu Ephoros. 307
Aristoteles stehn zu ihr wie die sammler und redactoren , die die un-
endliche fülle der alten epen seit dem sechsten Jahrhundert umformend
erhalten, Ephoros wie der letzte bearheiter der Odyssee oder der der
Eoeen, Aristoteles wie der sammler des xii/Ao?, wenn es einen gegeben
haben sollte.
Doch diese namentlich für die methode unserer geschichtlichen for-
schung fundamental wichtigen gedanken fordern eine gesonderte betrach-
tung, der im nächsten buche ein eigener abschnitt gewidmet ist. hier kam
es darauf an, zu zeigen, dals das altertum die PoHtie gemäls dem werte,
den das büchlein wirklich hat, so lange geschätzt hat, als es noch seine
andern schätze zu nutzen wufste. erst als der wissenschaftliche sinn
abstirbt, haben der geringe umfang und daneben der hochberühmte ver-
fassername zusammengewirkt, ihm eine geltung zu verschaffen, die uns
verleiten mufste, mehr zu erwarten, als nicht nur geleistet ist, sondern
auch als Aristoteles wollte und konnte.
20*
10.
ZWECK UND BEDEUTUNG DES AßISTOTELISCHEN
BUCHES.
Politie '?
Was ist die Wir halten uns in unsern träumen dieses buch gewünscht, auf dafs
wir eine authentische belehrung darüber erhielten, was der athenische
Staat gewesen sei. wir mufsten so oft mehrdeutige auszüge daraus als
die beste Überlieferung anerkennen, wir waren gewohnt, in Aristoteles den
unvergleichlichen an wissen und an urteil zu verehren, dafs der wünsch
sich mit notwendigkeit einstellte: o dafs er doch zu uns spi'echen könnte,
der träum ist Wahrheit geworden : er spricht zu uns. als das neue licht
erschien, mufste jeder zunächst geblendet sein; bald aber, unheimlich
bald, wui'den die verschiedensten urteile laut, sie waren durch drei fac-
loren gebildet, alle von einem stark subjectiven Charakter, den eindruck
des neuen buches, die autorität des verfassernamens und die Vorstellung,
die sich der urteilende von der attischen geschichte vorher gebildet
hatte, durch die combination so variabler factoren lassen sich noch
eine anzahl anderer wahrsprtiche über das neue buch gewinnen ; aber
die vorliegenden könnten genügen , um einem von fern herantretenden
das ganze buch zu verekeln, was sowol als eitel gold wie als eitel kot
bezeichnet weiden kann, wird wol überhaupt nichts besonderes sein,
dem gegenüber verlangte die Wissenschaft zunächst, das buch wie es
ist zu verstehen, der erste text konnte nur ein provisorischer sein ;
die erste Übersetzung war es noch mehr: trotzdem formulirten schnell-
fertige historiker ihr urteil, was auf solchem boden errichtet wird,
braucht man nicht erst anzugreifen, das fällt von selbst ein. also die
lexlkrilik war die erste aufgäbe, dann kam die zweite, die berichte des
Aristoteles auf ihre herkunfl zu untersuchen, womit die frage nach
ihrer qualität nicht notwendig, aber tatsächlich verbunden ist. denn
es zeigte sich bald, dafs in diesem buche wirklich geschichtliche for-
schung so gut wie gar nicht steckt, also nicht Aristoteles, sondern
Was ist die Politie? 309
seine gewährsmänner die Verantwortung für den inhalt tragen, er nur
für die auswahl jener gewährsmänner, und es sind deren darunter,
die es mit der Wahrheit leicht genommen haben, die er also nicht
hätte heranziehen dürfen, wenn er es mit der geschichthchen forschung
ernster genommen hätte, gerade das was so sehr neu und über-
raschend in dem buche ist, ist es zumeist deshalb für uns gewesen,
weil ihm schon die schüler des Aristoteles wegen seiner herkunft oder
seines inhaltes nicht getraut haben, die arbeit der analyse ist nun auch
geschehen, es könnte scheinen, als wären wir fertig und ich brauchte
höchstens stihstisch noch eine recapitulation. vielleicht machte es sich
gut, mit einem überlegenen ""du hast nichts als eine compilation ge-
liefert; du bist gewogen und zu leicht befunden: ein historiker bist du
nicht' den grofsen philosophen zu entlassen wie einen schulknaben. ge-
wifs, es ist wichtig und ist wahr, dafs er kein historiker gewesen ist,
in dem sinne wie Herodotos oder Thukydides oder Polybios diesen namen
verdienen, gewifs gilt fortan die regel, du sollst auch bei einer aristo-
tehschen nachricht nach ihrem wirklichen gewährsmann fragen, sein
urteil ist durchaus nicht entscheidend, aber mit dem buche sind wir
mit nichten zu ende, man braucht es doch nur zu lesen, wieder einmal
frisch sich dem erquickenden sprudel dieses silberklaren periodenstromes
hinzugeben, um recht bescheiden von dem zu denken, was die quellen-
analyse eigentlich von dem schriftstellerruhme abbricht, dies buch will
etwas und wirkt etwas; meiner empfindung nach erreicht es das auch.
es will in dem leser ein urteil über die Verfassung erzeugen, die es be-
schreibt, und zwar um überhaupt pohtisches urteil in ihm zu erzeugen,
die geschichtliche belehrung ist nicht der zweck: sonst würde doch etwas
mehr davon geboten sein ; es wird vielmehr vorausgesetzt, dafs der leser
von der geschichte im ganzen unterrichtet sei, den Herodotos kenne
und latente polemik gegen ihn und Thukydides verstehe, eine dogmatik
der Verfassung ist auch nicht der zweck: sonst würde nicht so viel des
wichtigsten fehlen, wenn von sehr vielen beamten der kreis ihrer Ob-
liegenheiten gar nicht angegeben wird, oder ein par unwesentliche, aber
aus irgend einem gründe bemerkenswerte punkte allein angeführt werden,
so liegt darin, dafs auf leser gerechnet wird, für die der name des amtes
genügt, um seine bedeutung in das gedächtnis zu rufen, auf einen
solchen leserkreis ist das buch berechnet, und diesen kreis denkt sich
Aristoteles sehr weit, denn der umlang und die stilistische form des
buches zeigen , dafs es für alle gebildeten geschrieben ist. wir haben
uns geirrt, wenn wir früher nur eine Stoffsammlung in den Politien such-
310 I- 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
ten'): dies ist kein 'hypomnema', kein hilfsmiltel für das gedächtnis, son-
dern stilisirte, meisterhaft stilisirte rede, und es fehlt die ganze termi-
nologie der schule, es fehlt das specifisch peripatetische , ja sogar das
sokralische. der Verfasser will also im grofsen publicum durch dieses
buch das seiner ansieht nach richtige urteil über die athenische Verfas-
sung erwecken, er formulirt dieses urteil nirgend; trotzdem kann ein
aufmerksamer leser die winke nicht übersehen, die mit kalter Sicherheit
gelegeuthch gegeben werden, auch heute genügt das, um einen schlufs
auf die politische Überzeugung des Aristoteles zu machen, dieser aber
schreibt für einen leser, der in der läge ist dutzende ähnlicher bücher
neben diesem vor sich zu haben , also sich über so gut wie alle helle-
nischen Staaten ebenso sicher zu unterrichten, er wird dann wissen,
was er von ihnen zu halten hat, und er wird etwas besseres besitzen
als tausend einzelheiten aus der Verfassungsgeschichte, ein aus der fülle
des concreten lebens geschöpftes pohtisches urteil, wol ihm und seinem
vaterlande, wenn er darnach handelt.
Auf der hübe seiner irdischen Wirksamkeit, nicht als greis, was er
nie geworden ist, wol aber als der hochberühmte Schriftsteller und als haupt
der einflufsreichsten wissenschafthchen genossenschaft ist Aristoteles auf-
getreten als pohtischer lehrer der nation: das ist das neue, was die
Politie uns für Aristoteles gelehrt hat. wie eine jede wirkhch grofse
entdeckung hat auch diese unser meinen und vermuten in seiner Un-
zulänglichkeit gezeigt, und statt dessen was wir erwarteten etwas un-
gleich bedeutenderes offenbart, in jedem solchen falle steht ein sinn
der in der gewohnheit eingerostet ist ratlos, schmählt die beschämte eitel-
keit, die immer recht gehabt haben will: die Wissenschaft aber tut was
ihres amles ist: sie ergibt sich willig dem neuen, um ihr urteil zu
befreien.
Aristoteles als person tritt nirgend hervor; er schreibt mit einer
so vornehmen Überlegenheit, dafs er das nicht nötig hat. aber der hier
zu den Hellenen redet ist doch der lehrer des Lykeions, der erzieher
des königs, der in den fabelländern des Ostens auf den bahnen des
Dionysos wandelt, der freund des Statthalters Antipatros. für das publicum
ist der Verfasser des buches mit nichten irrelevant: und er müfste nicht
der mann gewesen sein, der wirken konnte und wollte, wenn er nicht
mit der autorität seines namens gerechnet hätte, in anderem sinne noch
1) Bergk und Dümmler haben diesen punkt richtiger beurteilt, als es ge-
meiniglich und so auch von mir geschah.
Was ist die Politie? leben des Aristoteles, herkunft und heimat. 311
rechnen wir mit der person des Verfassers, wir wollen über ihm stehen,
vieles von dem was ihm latsache schien ist nicht wahr, viele seiner
urteile sind ungerecht, und wenn es für uns auch unschätzbaren wert
hat, zu wissen wie ein Aristoteles über Athen geurteilt hat, so sind das
doch zwei ganz verschiedene dinge, die Verfassung und geschichte Athens,
und ihr abbild in der secle des Aristoteles, auch für unser politisches
urteil ist es, wenn wir uns wirkUch eins erarbeitet haben, unschätzbar
zu wissen, wie ein Aristoteles vom Staate gedacht hat; aber auch da
wollen und müssen wir selbständig dastehen und fragen, wie ist er zu
seiner ansieht gelangt?
So werden wir vor die aufgäbe gestellt, das persönhche moment für
dieses buch zu erwägen, die gewährsmänner seiner berichte haben wir:
damit haben wir das buch noch lange nicht, nur bücher die mit kleister-
topf und schere gemacht werden, sind durch eine quellenanalyse erledigt,
in so tiefem ränge stehen weder die dialoge Ciceros noch die biographien
Plutarchs, geschweige ein werk eines Aristoteles, das ist sein kind und
bleibt sein kind: den vater müssen wir uns ansehn, den Aristoteles,
den die Scholastik verehrt und die candidaten verfluchen, die sein system
sich aus dürren compendien einpauken, den fürsten der logik und den
Vollender der althellenischen physik, den erfinder jener famosen natur-
erklärung, die in den bänden geistloser nachfolger mit warm und kalt
und trocken und feucht und fünf elementen auf jede frage eine antwort
oder vielmehr eine ganze reihe von [.nqTtoTS zur Verfügung hat, den
Aristoteles des rb ri i^r slvai und der andern formein des terminolo-
gischen hüllenzwanges brauchen wir hier freilich nicht, wol aber einen
Aristoteles, der für die Scholastik und die candidaten und das system
nebensache ist, den söhn des INikomachos aus Stagira. und da ich
nun einmal glaube, dafs die zeit vor der a/^/y uns sterbliche bestimmt,
so mufs ich viele jähre zurückgreifen, um verständüch zu machen, wie
er dies buch so hat schreiben können.
Aristoteles war ein sprofs von heroischen ahnen, Asklepiade von Leben des
, . , 1 «• 1 1 ■ r Aristoteles.
Vaters und von mutters seite; der vater hatte otienbar der sitte gemäJs heikunit
eine verwandte aus gleichem hause geheiratet.'') der name.Nikomachos
bezeugt die herleitung dieser Asklepiaden aus Messene, denn in Pharai
ist der söhn Machaons Nikomachos mit seinem bruder Gorgasos zu
hause ^), und es ist evident, dafs eben nur durch diesen localcult der
2) So die vita Marciana. Dionysios gibt die herkunft von einem der chalki-
disclien giünder von Slagira daneben an; das schliefst sich keineswegs aus.
3) Pausanias IV 3 vgl. Isyllos 54.
312 !• 10- Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
nanie des seinem wesen nach im kämpfe und nicht wider die krankheit
siegenden heros in die Asklepiadengenealogie geraten ist. da hegt es
nahe, den ahn des Aristoteles in einem jener Messenier zu sehen, die als
letzte der vordorischen hevolkerung vor den Dorern Spartas wichen und
sich über die ganze Hellenenwelt verbreiteten, so weit sie nicht zu Sparta
hielt, am liebsten aber zu stammesverwandten flohen, die nun schon den
loniernamen führten, also nach Chalkis so gut wie nach Athen, das war
ende des achten oder im siebenten Jahrhundert. Aristoteles hat seinen
unehelichen söhn Nikomachos genannt; aber auf sein geschlecht hat er
nichts gehalten, ganz anders als Piaton, der nie aufgehört hat, sich als
Kekropide und Nelide zu fühlen, ist er ein entschiedener feind des ge-
burtsadels und der heroischen genealogie. kein wort in seinem letzten
willen gilt seinem geschlechte; keine briefstelle, keinen vers von ihm
haben seine biographen beibringen können, er will kein Asklepiade sein.
Aber ein Stagirite war er und ist er immer geWieben. er hat
seinen ererbten besitz in dem kleinen Städtchen behalten, und sein
dortiges bürgerrecht mit keinem anderen vertauschen mögen, und der
boden, auf dem sie wuchs, ist auch für diese edele pflanze von bedeutung.
Stagiros oder, wie man damals schon sagte, Stagira, fuhrt einen thra-
kischen namen. an der nordostecke der Chalkidike gelegen blickt es
auf das Stryniontal, das erst die macht des attischen Kelches den
Thrakern abgerungen hat, und auf die thasische see; hafenlos, wie es
ist, hat es nie eine gröfsere bedeutung erlangt, und der nordwind, dem
es ausgesetzt ist, brachte die kalten winter, über die Aristoteles in seinen
briefen klagte, in der ganzen Chalkidike war auf thrakischem Unter-
gründe aus euboeischen, inselgriechischen und andern colonisten eine
hellenische hevolkerung erwachsen, die zwar die unterschiede der abstam-
mung ihrer bürger verwischt hatte, aber keine neue charakteristische
eigenart entwickelt. Thasos, hinter dessen bergen den Stagiriten die sonne
aufgeht, halte bis an das ende des fünften Jahrhunderts eine bedeutende
rolle im geistesleben der nation gespielt; die Übermacht Athens hatte
seine kraft gebrochen , und die wirren , die der stürz dieser macht im
gefolge hatte, den niedergang vollendet, die insel hat kaum noch etwas
zu bedeuten. Poteidaia, das die energie Korinths als ein streng dorisches
reis in den kränz der chalkidischen städte eingedrängt hatte, war von
Athen zerstört und hatte sein Dorerlum definitiv verloren, am wich-
tigsten für Stagiros war die attische neugründung von 437 am Strymon,
Amphipolis, wohin sich gerade Hellenen der umgegend viel gezogen
hatten. Brasidas halte diese günstig gelegene stadl freilich d,en Athenern
Leben des Aristoteles, herkunft und heimat. 313
abwendig gemacht, und sie blieb selbständig, während Stagiros, das dem
abfalle gefolgt war, sich wieder fügen miifste. aber auch für Amphi-
pohs war die freiheit mit der ohnmacht identisch, die abneigung gegen
die athenische herrschaft war in den slädten der Chalkidike vielleicht
besonders kurzsichtig, sicherlich aber besonders stark gewesen, als sie
von ihr loskamen , versuchten sie notgedrungen eine art von Staaten-
bund zu gründen, in dem Olynthos die führerrolle zufiel; aber Spartas
intervention trat ihnen herrisch entgegen, und einen wirkhchen bundes-
staat hat Olynthos selbst in den bescheidenen grenzen, die die Chal-
kidike verstattete, nie erzielt, die einzelnen gemeinden werden in ihren
Verfassungen nur Spielarten desselben typus dargestellt haben; ihr recjjt
führt Aristoteles selbst auf einen alten gesetzgeber Androdamas von
Rhegion zurück^); auch ihre spräche wird sich zu einem gemeinsamen
dialekte, einem ionisch von euboeischem oder auch nesiotischem typus
abgeschliffen haben : sie waren doch als einzelne Staatswesen unfähig zum
leben, ermangelnd der airaQ-Atia, in der einst Aristoteles die haupt-
bedingung des Staates sehen sollte, unfähig aber gleichermafsen zu dem
enlschlusse, sich zusammenzuschliefsen oder unterzuordnen, wir können
nicht anders sagen, als sie warteten auf einen herren, und werden be-
dauern, dafs Athen es nicht verstanden hat, dieser herr zu bleiben, der
knabe, der 384/3^) in Stagira geboren ward, wuchs unter den Vorur-
teilen dieser chalkidischen verkommenden kleinstaaterei auf. den verfall
mufste er sehen; wenn sie ihm aber von älteren besseren zeiten erzählten,
so waren die Athener und ihr reich nicht die woltäter, denen man jene
Zeiten dankte, sondern die väter alles übels. abneigung und argwöhn
gegen Athen , furcht hafs und widerstand , als die flotten des zweiten
Seehundes in jene gewässer kamen, hat er in seiner heimat allein sehen
können.
Die thrakische bevölkerung nicht nur auf der Chalkidike selbst,
sondern überhaupt landeinwärts zwischen den flufstälern des Axios und
Strymon bösafs kein kräftiges Volkstum mehr; vermuthch war sie
schon so gut wie ganz verschwunden, aufgesogen hier von den Hellenen,
dort von den Makedon en. schon erschien das ganze hinterland den
4) Politik B ende, vgl. oben s. 67.
5) Seine geburt ist nicht weiter datirbar als auf den archon Diotrephes. die
künste, durch rechnungen mit ordinal- und cardinalzahlen den geburtstag auf eine
Jahreshälfte zu beschränken, verkennen, dafs Apollodor nur mit attischen jähren,
deren jedes einer viertelolympiade gleichgesetzt ist, rechnen konnte und ge-
rechnet hat. und auch seine data waren ihm in keiner anderen rechnung gegeben.
314 1. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buclies.
llcUeuen makedonisch, und obwol nicht nur der adel dieses Volkes sich
rasch hellcnisirle, so dafs es eine makedonische schrift- und geschäfls-
sprache gar nicht gab, so sahen die Hellenen und vollends die näch-
sten nachharn in den kriegerischen und ihrer nationahtät frohen Make-
doueu ein fremdes volk. Aristoteles ist zu nah an Makedonien aufge-
wachsen, um nicht die Vorurteile mit der muttermilch einzusaugen, die
eine hoher civilisirte bevölkerung von älterer cultur doppelt stark gegen
den nachbar nährt, wenn dessen frischere und rohere volkskraft sich ihrer
materiellen Überlegenheit bewufst wird, der vater des Aristoteles, Niko-
machos, ist als leibarzt am hofe des Amyntas IL gewesen, wann und
wo das war, wie nah die beziehungen waren, sind wir aufser stände
zu schätzen.®) als der söhn des Nikomachos von dem söhne des Amyntas
berufen ward und dem rufe folgte, wird dieser präcedenzfall so oder so
mitgespielt haben, allein jene berufung ist auch ohne ihn sehr erklär-
lich, nicht nach Makedonien, sondern nach Stagira gehört die Jugend
des Aristoteles, seines vaters gedenkt weder er in seinem testamente,
noch wissen seine hiographen mehr von ihm zu erzählen, wol aber dafs
nicht er die erziehung des sohnes bestimmt und dessen dank geerntet
hat. auch dieser grofse mann hat nichts erkennbares von seinem vater
an sich, das Makedonien aber, das er in seiner knabenzeit sehen
konnte , war von allen greueln der barbarenhöfe und der bürgerkriege
verwüstet, er hat höchstens eine so starke aversion dagegen mit in
das leben genommen, dafs er später die unvergleichliche gelegenheit
versäumt hat, einblick in den staat und das volksieben Makedoniens
zu tun.
KiDdheii. Nach dem herkommen der Asklepiaden hätte Aristoteles zum arzt
ausgebildet werden sollen; da wäre das erste die handwerksmäfsige an-
leitung in der klinik (dem irjzgelov) des vaters gewesen, wo denn die
handreichungen und dienste des gehilfen, auch das '^pillendrehen'' (qxxQ-
luaxa TQißsLv) für ihn eben so wenig entwürdigend sein konnten, wie
für seinen heroischen ahn Machaon , den assistenten {t7tr]Q€Tr^g) seines
vaters Asklepios. es war für einen Hellenen so selbstverständlich, dafs
der söhn des arztes dem vater folgte und zur band gieng, dafs Epikuros
und Timaios nur mit gehässiger Übertreibung ihn "eine apotheke halten''
6) Dafs der knabe Aristoteles am hofe geboren und erzogen wäre, ist eine
willkürliche folgerung der modernen, wenn er vorsichtig war, brachte Nikomachos
wenigstens ende der achtziger jähre frau und kind nicht nach Pella, oder wo
sonst Amyntas wohnte, was kein mensch sagen kann.
Kindheit. 315
und dann *^eine obscure arztstube zumacben' lassen'), womit sie die wahr-
heil aussprechen, dafs er dem ererbten berufe untreu geworden ist.
damit ist die tradition niclit gerechtfertigt, dafs er ihn je begonnen hat.
und wenn seine naturwissenschaftUchen Studien ihn selbst zur ana-
tomie getrieben haben, so haben wir leider keinen anhält, zu er-
kennen, ob er schon als knabe solche beschäftigungen getrieben oder
gesehen hat oder erst in der scimle Piatons auf sie geführt ist, wo die
anregung ihm sicher geboten ward. eben so wenig können wir
uns vermessen, die gerechte Würdigung des Demokritos auf jugendein-
drücke zurückzuführen, jedenfalls aber war der siebzehnjährige willens
alles andere eher zu werden als arzt, und zogen ihn viehnehr die geistes-
wissenschaften an, denn er gieng nach Athen: für den Studenten der
medicin war da nicht viel zu holen.
INikomachos war damals lange tot; ob auch die mutter, ist fraglich;
geschwister aber lebten noch, die Verantwortung für die erziehung des
Aristoteles, also auch für die erlaubnis zu der entscheidenden reise, hat
ein gewisser Proxenos getragen, dem sein mündel die volle dankbarkeit
eines sohnes bewahrt hat. er verordnet in seinem testamente für Pro-
xenos wie für seine mutter, seinen ohne descendenz vor ihm verstorbenen
bruder und seine frau Stiftungen zu ihrem ehrenden gedächtnis (für
seinen vater nicht), vor allem aber hat er dem söhne des Proxenos,
Nikanor, die band seiner einzigen ehelichen tochter, die damals noch
nicht mannbar war, bestimmt, das sollte für diese eine sichere Ver-
sorgung sein und jenem das vermögen zusichern, beides sofort, nicht
erst nach der hochzeit und mit den beschränkungen, welche frauengut
und gar erbtochtergut mit sich bringt, deshalb hat Aristoteles die fiction
gewählt, dafs er Nikanor für diesen fall adoptirte. er hat das offen-
bar mit ihm abgemacht, und zwar juristisch bindend abgemacht^), als
jener im sommer 324 vom hoflager des konigs nach Hellas gekommen
war. denn er war ein officier bereits in hoher Stellung, natiü'licb auch
kein jünghng mehr, da er der söhn von Aristoteles' vormund war, be-
7) Epikur fgm. 171, Aiistokles bei Euseb. pr. ev. XV 791, Polybios XII 7.
übrigens stehn bei beiden noch mehr verläunidungen, die keines wortes mehr
bedürfen, irgend welche anhaltspunkte werden sie ja gehabt haben, wenn sie auch
von einem kriegsdienste des Aristoteles erzählen, aber was das war, wissen wir
nicht und brauchen schwerlich traurig darüber zu sein, übrigens ist kaum denkbar,
dafs einer der beiden sehr ungleichen Zeitgenossen von dem anderen abgehangen hätte.
8) Darum verbreitet sich darüber das offenbar unmittelbar vor dem tode in
Chalkis verfafste testament, das wir lesen, nicht mehr.
316 J- 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
sonders orgeben der familie des Anlipatros, und dieser als freund und
testanienlsvüUstrecker des Aristoteles hat offenbar das etwas coniplicirte
rechtsgeschäft vermittelt, das mit attischem familienrechte nicht gemessen
werden darf, dem Aristoteles lag daran, seine unmündige tochter zu
versorgen; sie bedurfte eines starken Schutzes, den die familie selbst ihr
nicht geben konnte; aufserdem war die concubine Herpyllis zu befrie-
digen, der Aristoteles alles gute gönnte, deren söhn er aber nicht im
entferntesten gewillt war zu legitimiren, da er sonst Pythias schwer be-
einträchtig hätte, zu bieten hatte er ein offenbar recht ansehnliches
vermögen, das er gern dem söhne des Proxenos zuwandte, der ehr-
geizige ofßcier ist auf das in der tat beiden teilen vorteilhafte geschäft
eingegangen, das auch allen beteiligten durchaus wol ansteht; man mufs
nur mit antiken begriffen vertraut sein.
INikanor war Stagirit: das ist unanfechtbar gesichert; die heimat
ist für diesen träger des damals nicht seltenen namens das kennzeichen.
folglich ist es sein vater auch gewesen , was ja auch das Verhältnis der
beiden familien am nächsten legt, folglich ist eine in sich bedenkliche
nachricht falsch, die ihn mit Atarneus in Verbindung bringt.^) man möchte
am liebsten glauben, dafs Proxenos die verwittwete Phaislias geheiratet
hätte; jedenfalls ist er ein getreuer Vormund gewesen. Aristoteles hat sein
lebtag nahrungssorgen nicht gekannt, sich seinem Studium mit aller
kraft und in voller freiheit hingeben können, und hat sowol seiner
schule in seinem wissenschaftlichen nachlasse wie seiner tochter etwas
ansehnliches hinterlassen, er war offenbar von klein auf an eine be-
queme lebensführung gewöhnt, mit viel bedienung, solidem hausrat und
guter Verpflegung; und er bheb dabei, trotzdem er ein philosoph ward,
und in Athen die lebensführunor im allgemeinen bescheidener war als
9) In der vita, deren brechungen bei Rose s. 426. 437. 442 stehn, hiefs es
etwa fiexa Se Trjv TeXevrrjv Nixofiäxov xai <PatariSos aväyerai naQo. ÜQO^ivto
AiagvEi, ov xai ttJS rQoy>fjs Siafiefivrjfiäpos lov vlöv Niyiüvoqa ed'^srpsv xal ejiaiSevaev
xai viov otxelov inon^aaTo u. s. w. darin ist IdxuQval formell unverständlich und
schon deshalb durfte Bernays (Ges. Abh. I 167), dem üsener sich anschliefst, nicht
eine Jugendzeit des Aristoteles in Atarneus annehmen, die freundschaft mit Hermias
ist durch die platonische schule vermillelt und in Athen geschlossen; das sagt ein
guter zeuge, Strabon 610, und es bestätigt sich dadurch, dafs dieselbe freundschaft
den Xenokrates umschliefst. entscheidend tritt das Vaterland Nikanors hinzu, wenn
Bernays die beurleilung der barbaren in der Politik auf die asiatischen eindrücke
des Aristoteles zurückführt, so stünde nichts im wege, ihn diese erst 346 gewinnen
zu lassen, aber Aristoteles gibt über den nationalcharakter nichts eigenes oder
eine frühe berülirung mit dem Oriente beweisendes.
Kindheit, auf der hohen schule. 317
bei den loniern. den spott und die Verleumdung, die ihm daraus er-
wachsen ist, konnte er verachten , und wenn ihm die hundephilosophie
und das schmierige Pythagoristentum zeitlebens zuwider gewesen sind,
so trug dazu das meiste seine höhere anschauung von der menschlichen
gesellschaft und ihrer gesittung und Wissenschaft bei. aber es gehört
zu dem bilde des menschen, dafs wir ihn zwar den adel des blutes
und des geldes verachten sehen, aber in seinen lebensgewohnheiten und
seiner lebensführung, dem entsprechend auch in der mafsvollen Schätzung
der guter dieser weit, niemals den mann verleugnen, der mit den grofsen
der weit und des praktischen, politischen und militärischen lebens wie
mit seines gleichen verkehrt.
So kam der blutjunge Student 368/7 nach Athen, in die grofse Auf
Stadt, in die grofse weit, er hat später erzählt, wie sie bei ihm zu 'scinüe^"
hause das Pythion befragten, und dieses ihm den weg zu der philosophie
wies: wir sehen die familie den reiseplan erwägen und in alter weise
die entscheidung suchen, wenn ein Jüngling fragte, el Xt^ov y.al
afisivoi eXr] ^Adrivate n:Xeiv cpiXoaorprjaovra, so mufste der gott wol
ja sagen ; aber er dachte dabei schwerlich an die gedanken des aristo-
telischen protreptikos, ebenso wäre es sehr verkehrt sich vorzustellen,
dafs der jungling deshalb als Student der philosophie nach Athen ge-
zogen sein müfste, weil er der grofse philosoph geworden ist. die hohe
schule bezog er freilich um Ttatdeia und q^ilooocpLa zu treiben, aber
was er werden sollte, war damit keinesweges gesagt, sein Vormund wird
wol eher an eine politisch-diplomatische zukunft gedacht haben, eine
carriere, wie sie sein eigner söhn Nikanor nachmals gemacht hat. rede-
und federgewandte Hellenen fanden allerorten, zumal aber an den
kleinen hofen in Thrakien und Makedonien einträgliche und einflufs-
reiche Stellungen, die eminente begabung und allseitige tüchtigkeit
seines miindels wird Proxenos erkannt haben: die mittel zu der besten
ausbildung waren vorhanden, und der einsichtige mann knauserte nicht
mit ihnen, in Stagira oder überhaupt in dem chalkidischen winkel ver-
kümmern , die von der hippokratischen Wissenschaft längst überholte
väterliche praxis treiben wollte und sollte Aristoteles nicht, darum sollte
er sich in Athen der fpiXooorpla bemächtigen.
Es war die zeit, wo man nicht mehr darüber stritt, ob der junge
mann mehr lernen sollte, als die schule ihm bis zum ephebenalter dar-
bot, hatte die alte nationale bildung der Hellenen weiter nur noch für
die körperliche ausbildung gesorgt, weil der söhn der herrschenden classe
Soldat sein mufste, sonst aber nur der beruf und das erwerbsieben den
318 '• 10- Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
landniann oder kaufmann oder industriellen in ihren engen kreisen er-
zo<yen, so war jetzt zwar die militärische ausbildnng selbst in Athen ver-
kümmert (Aristoteles hat sein lebtag weder neigung noch Verständnis
dafür erlangt), aber der mahnruf der Sophisten und der sokratiker "denkt an
die seelen eurer kinder" ward nachgerade von allen höher strebenden
befolgt, um tüchtig zu sein, bedarf man des wissens, zur a^etr] gehört
die oocfia, und die menschen, zumal die Jugend, haben cpilooocpelv nötig,
um ctQETri oder y.aloy.ayad-ia zu erlangen, das war ein anerkannter salz,
er scblofs aber keineswegs in sich, dafs diese philosophie mehr als ein
mittel zum zweck sein sollte, geschweige dafs sie das leben füllen könnte,
und über den inhalt dessen was eigentlich zu treiben und zu lernen
wäre, war das publicum völlig im unklaren, denn es waren sehr ver-
schiedene waaren die sich unter dasselbe etikett stellten, und ein jeg-
licher, der sie vertrieb, behauptete natürlich die einzig ächte waare zu
liefern.
Uns erscheint der gegensatz der damals in ewig vorbildlicher weise
(ganz wie gerade heute wieder) mit einander ringenden mächte un-
verkennbar, hier philosophie, dort rhetorik, hier die ächte bildung der
menschenseele für die ewigkeit, dort die abrichtung für die weit des
tages, hier Wissenschaft, dort allgemeine bildung, hier Piaton, dort Isokrates.
aber das verdict, das die geschichte gesprochen hat, konnten die mit-
lebenden nicht ahnen: scheint es doch für die mächtigen des heutigen
tages auch vergebens gesprochen zu sein, und dann begehen wir selbst
nur zu leicht den fehler, zu wähnen, die philosophie hätte gleich von
vorn herein sich dabei bescheiden wollen, im schatten der hallen und
gärten einzelne zu erwecken, die weit aber ihrem Schicksale anheim zu
geben, als Aristoteles den boden Athens betrat, bekannten sich grofse
massen, und gerade auch politisch und praktisch leitende männer zu der
'philosophie^ die Isokrates als die allein für das leben geeignete zu lehren
verstand, die Akademie aber sah den morgen der neuen zeit, wo sie
höchst real die herrschaft in dem mächtigsten hellenischen reiche an-
treten wollte, gerade anbrechen, denn Dionysios I starb im winter 368/7.
Piaton selbst brach nach Syrakus auf; wenn ihn Aristoteles noch vor-
her kennen gelernt hat, so ist doch in der nächsten zeit eine Unter-
brechung in ihrem verkehre eingetreten, und Aristoteles hat sich selbst
helfen müssen oder andere lebrcr gesucht,
isokrates Wenn er unterriebt bei Isokrates genommen halte, so würden das
uud die .
iihctorik. dessen schüler, zumal Kephisodoros, so nachdrücklich in ihren Streitschriften
hetfint haben, dafs wir es hören würden, aber studirt hat er ihn aller-
Isokrates und die Rhetorik. 319
dings sehr eifrig und hat alles wirklich bedeutende, was der rhetor
lehren konnte, in sich aufgenommen, das ist jetzt ganz unverkennbar,
nicht der dialog Piatons, sondern die isokrateische rede hat dem Verfasser
der Pohtie die feder so flüssig gemacht, und der theoretiker der Rhe-
torik hat den grofsten meister künstlicher rede immer vor äugen; der
Panegyrikos und die Helene sind die musterstücke, die er auch später
mit Vorliebe anführt: sie konnte er schon 368 studiren.
Aristoteles brachte aus Stagira ein entartetes ionisch mit; dafs seine
zunge, wenn er ihr freien lauf liefs, immer im Wortschätze auf vulgär
ionisches zurück griff, lehren seine schriften, so weit er sie nicht stili-
sirt hat. die oberflächliche manier, die ihn unter die hellenistischen Schrift-
steller lieber als unter die Attiker rechnet und auf sein griechisch schilt,
verkennt, dafs die Hellenen, und zumal die des ionischen Sprachgebietes,
unmöglich reden konnten wie die attischen autochthoneu, oder wie jeder
stilistisch gebildete schrieb, auch der Syrakusier Philistos und der Aeoler
Alkidamas. wenn er sich gehen läfst, schreibt Aristoteles eben wie die
gebildeten lonier, die die wortformen des attischen zumeist angenommen
halten, aber im Wortschätze sich die prüde und wählerische attische
manier gar nicht aufzwängen konnten.'") aber um so mehr mufs Ari-
stoteles stihstisch und rhetorisch gearbeitet haben, da er ein Schriftsteller
von höchster Vollkommenheit und der wissenschaftliche begründer der
rhetorik geworden ist. dazu hat er sich an Isokrates gebildet, was der
konnte und lehrte war mehr als die rede glatt machen und hiate ver-
meiden: er lehrte eine tektonik des löyoq, wol vergleichbar und mit
recht verghchen der architektonik ; er lehrte stil. es war auch eine gei-
stige disciplin darin, den eigenen gedanken so lange zu drehen und zu
wenden, bis er in seine teile gesondert und diese in eine feste und doch
nicht schematische Ordnung gebracht waren.") aber Wissenschaft war
10) Was wir als lierodoteisclie und hippokratische anklänge bei Aristoteles
bezeichnen können, ist dieser allgemeine ionische Untergrund; was er mit der s. g.
Koivri gemein hat, ist es auch, denn die xolvti ist aus dieser las erwachsen, in
den naturwissenschaftlichen schriften wird aber natürlich auch die spräche seiner
ionischen vorlagen sehr stark nachwirken: den grofsen stiikünstler Demokritos würden
wir gewifs eben so sicher herauserkennen wie wir es mit Herodotos in der Politie
tun. in Demokritos fehlt uns, das dürfen wir nie vergessen, ein sogar an Piaton
heranreichender stillst, der höhepunkt der las. die ethischen bruchstücke bestätigen
die urteile der allen kunstrichter; die modernen sind freilich klüger und athetiren
was lediglich um der sprachlichen form willen nicht älter und nicht jünger als Demokrit
sein kann.
11) Spengels unvergänglicher aufsatz über Isokrates und Piaton gibt noch
320 I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
freilich etwas was Isokrates weder lehrte noch überhaupt begriff, son-
dern inslinctiv hassen mufste, weil sie einer andern weit angehört, als
die er allein kannte und für die einzige hielt. Piaton hatte alle rhetorik
kurzer band verworfen, wenn er stilistische kunstwerke schuf, die dem
rhetorischen gemachte überlegen waren wie die centifolie der georgine,
so schuf er sie als dichter, wenn es ihm gerade einfiel, konnte er auch
dem rhetor seine künste nachmachen, aber auch das tat er als meister
der i.di.ü]OLg. allein so durfte nur der überlegene schöpferische künstler
bandeln, der wissenschaftliche fortschrilt war erst dann gesichert, wenn
aus der routine eine methode ward, wenn die Analytik, die Topik, die
Rhetorik so geschrieben wurden , wie es Aristoteles getan hat. gewifs
hat er die platonische dialektik dazu nötig gehabt, und hat sie ihm das
beste geliefert; die oocpiarixol eleyxoi zeigen, dafs er auch die eristik,
mit der Isokrates so gern die Sokratik zusammenwirft, zu beachten nicht
unter seiner würde gehalten hat: aber es ist eine einseitige und unge-
rechte auffassung, wenn man verkennt, dafs Isokrates der nächste und
der bedeutendste Vorgänger des Aristoteles gewesen ist. gewifs steht
dieser unendlich höher, aber er steht auf jenes schultern, der leiden-
schaftliche hafs des Kephisodoros lehrt, wie tief die rhetorische schule
sich verwundet fühlte; aber auch darin zeigt sich der wahre Zusammen-
hang, ohne zweifei hat Aristoteles auch die ccTtoQQrjra 'looKQarovg, die
esoterische lehre, für die man den teuren cursus bezahlte'-), einiger-
mafsen gekannt, an die logik angegliedert ist die rhetorik erst durch das
werk, das Aristoteles auf der höhe des lebens in unsern beiden ersten
büchern schrieb, also bat er in den vortragen, die er dem Theodektes
zur herausgäbe überUefs, sich noch viel näher an Isokrates gehalten,
und der gemeinsame freund bildete auch persönUch ein bindeghed zwi-
immer die besten und fast einzigen fingerzeige zu einer mehr als äufserlichen
Schätzung der isokrateischen lehre, es ist noch nicht zu spät für eine Sammlung
von 'L. Spengels Schriften zur griechischen rhetorik': sie würden wol im stände
sein nützliche forlarbeit hervorzurufen.
12) Von dem lehrer, der von den honoraren des Unterrichtes neben dem er-
trage seiner schriflstellerei lebte, ist gar nicht zu erwarten, dafs er seine Weisheit
dem publicum vortrüge, abgesehn von der techne, die für eine publication des
Isokrates niemand hallen darf, soll man auch nicht die Überlieferung anschuldigen,
wenn das progranim seiner athenischen schule, die rede wider die Sophisten, nur
aus einer polemischen einleitung besteht, so viel konnte er eben veröffentlichen:
er nimmt Stellung zu den concurrenten, zu denen auch Piaton nach seiner auffassung
von (ptXoaofia gehört, und von dem er Phaidros und Gorgias, wie sich gebührte,
berücksichtigt, und dann verkündet er, was bei ihm schönes zu holen wäre, damit
ist es aus: wer das schöne haben will, komme, lerne, zahle.
Isokrates und die Rhetorik, attische poesie und die poetik. 321
sehen dem greisen rhetor und dem aufstrebenden Plaloniker: zu einem
conflicte zwischen diesen beiden ist es nicht gekommen.^^)
Theodektes war dichter und rhetor, und vielleicht noch mehr als Attische
die prosa stand damals die hohe poesie unter dem einflusse des Isokrates. die Poetik.
Aristoteles hat diese rhetorische tragodie, die nur ein ephemeres leben
geführt hat, hoch geschätzt; ihm fast allein danken wir die verse die
wir noch lesen, er findet nichts dabei, dafs die tragiker statt der
unübersehbaren fülle der Stoffe, die Sophokles und Euripides behandelt
hatten, nur noch ein par vorwürfe immer wieder vornehmen, lauter
grelle grausame sujets, muttermord, kindermord, Wahnsinn, blutschande.
die kunst des dichters war also eine fast nur formale: das dramatische
konnte gar nicht mehr die tragodie machen, macht es ja auch nicht in
der theorie des Aristoteles, aber ein fester stil war da, wie wir nach
der analogie der prosa gern glauben, mit höchstem raffinement aus-
gebildet, dieser stil zog den Aristoteles an. einen ganz anderen , der
logischen strenge und verständigen klarheit der rhetorischen poesie ab-
sichthch entgegengesetzten, hatte die lyrik der zeit, der dilhyrambus,
ausgebildet, neben den lediglich die sinne reizenden effecten der musik
und des tanzes wirkte aber auch hier der stil, keinesweges der Inhalt :
auch den dilhyrambus hat Aristoteles als etwas gegebenes und berech-
tigtes seiner aufmerksamkeit gewürdigt, er kam aus einem thrakischen
Winkel in die capitale, und er war blutjung: es war nur recht, dafs er
die genüsse des attischen theaters nicht verschmähte: die Wirkung der
tragodie hat er an sich selbst erlebt. Homer und Archilochos, auch wol
Simonides kannte er aus den schulen seiner heimat; Alkman und Pindar,
von den dorischen weiblein zu schweigen , sind ihm zeitlebens fremd
gebheben, er hatte sehr starke aesthetische neigungen, wie wir das
nennen, und istdadurch zum begründer der htteraturgeschichte geworden,
zu der er in seinem dialoge über die dichter die grundlinien gezogen .
hat. ") allein die geschichte war ihm auch hier nur mittel zum zwecke,
der theorie des Stiles, es ist ihm nicht eingefallen, als gesetzgeber auf-
13) Hypothesen, die mit den apoUodoiischen angaben über das leben des
Aristoteles streiten, hätten gar nicht aufgestellt werden sollen; jedenfalls braucht
man sie nicht zu widerlegen, so leicht es wäre.
14) Die ansätze zu philologischer exegese in den homerischen, archilochi-
schen u. a. Fragen sind nichts für ihn charakteristisches; sie war von kynikern
und Sophisten ganz ähnlich getrieben, aber wol hat ihn die poetik zur grammatik
wie die rhetorik zur logik geführt; das heifst auf den weg. denn er hat die
grammatik als wissenschaftliche disciplin weder begrifflich erfafst noch tatsächlich
begründet.
V. Wilamowitz, Aristoteles I. 21
322 I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
zutreten, sonst hätte er nicht die gattungen der poesie hinnehmen können,
wie sie eben geschichthch, das heifst mehr oder minder zufällig, für ihn
gegeben waren, und seine Poetik sogar nur auf die zur zeit gepflegten
dichtungsarten beschränken können, er hat den bedeutenden schritt
des überlegenen Verstandes getan und die theorie des Stiles, die Isokrates
für die prosa vollendet hatte, auf alle menschliche rede, also auch die
poesie ausgedehnt, er geht auch hier so vor, dafs er die dem dichter
praktisch gestellten aufgaben'^) und die vorhandenen losungen derselben,
die poetische litteratur, zur grundlage nimmt; für ihre beurteilung hat
er, wie für alles menschhche tiolüv und TtQÜTieLv die richtigen ge-
sichtspunkte gefunden, er fragt nach eQyov und oQyava, nach ov evsyca
und ÖL lov. gevvifs ist dabei etwas bedeutendes herausgekommen, allein
das spürt man auch noch in der Poetik, dafs ihn der slil, die grenzen
zwischen poesie und prosa und zwischen den einzelnen gattungen, zu-
erst überwiegend beschäftigt hatten ") ; es ist das seinen fortschreitenden
15) Zu diesen gehörte das epos nicht mehr, indem Aristoteles den stofF
Homers, die sage, überhaupt verkannte, hat er vielleicht mit verschuldet, dafs
Alexander, weil er heroisches vollbrachte, einem epiker Stoff zu schaffen wähnte,
aber er selbst ist doch durch Piaton daran gewöhnt, epos und tragoedie wesentlich
zusammen zu behandeln, das epos ist Homer, der einzige unübertreffliche; das ist
etwas fertiges und liegt abgeschlossen vor. aber die tragoedie denkt er sich immer
noch gepflegt, und er kommt im letzten capitel der poetik dem buchdrama sehr
nahe, ich finde es durchaus recht, dafs der verständigste in Atlien 360 — 30
so urteilte, aber wer selbst ein dichter war und das gefühl für das wirklich
lebenskräftige und lebenswürdige besafs, sah auch hier, was dem verstände des
verständigen entgieng. Piaton hat die ganze schar der tragischen eintagsfliegen
verachtet: er schrieb ja dialoge, weil das drama in versen 406 gestorben war. aber
er beachtele in Antimachos den ionischen an sich schwerlich irgendwie erfreulichen
neuerer, der die an färben und duft gleich prächtige episch-elegische poesie des
Hellenismus vorbereitete, wenn die poesie nun einmal buchpoesie werden mufste,
und sie mufs es unter complicirten culturbedingungen immer werden, so gebührten
ihr die formen der erzählenden poesie, wie sie in voller freiheit (als fisixjov yevos
nach späterer terminologie) lonien bereits ausgebildet hatte: sie mufsten nur durch
die höchste bewufste kunst in spräche und versbau der neuen cultur angepafst
werden, und sie durften weder homerisch noch athenisch sein, der Athener Piaton
ist grofs genug gewesen, auch das zu würdigen, er hat auch den Parmenides trotz
seinen sclilechten versen und den halbilaliker Sophron gewürdigt, dagegen für
den trotz allem künstt In eigner kraft entbehrenden Empedokles hat Aristoteles eben
wegen der einzelnen künste eine Vorliebe, die Piaton nicht teilt.
16) Daher die feinen betrachtungen im eingange der Poetik über Empedokles
Sophron u. a. der dialog über die dichter hatte dieses breiter ausgeführt, da war
auch die herkunft des dialoges besprochen und zugegeben, dafs Piatons rede in die
poesie überspielte, das hat Aristoteles als reifer mann nicht mehr gebilligt, denn
Attische poesie und die Poetik. 323
rhetorischen Studien analog, und schwerlich würde so viel ganz unaristo-
tehsches und ungriechisches in die Poetik hineingelegt worden sein,
wenn die aesthetiker an die elsot des Thrasyniachos und die Wirkung
des Xoyog der stilkiinstler gedacht hätten, die mit dem zauber von Sirenen
Kirke und Gorgo oft genug vergHchen wird.
Wer die stilistischen formen so hoch schätzt und so feines gefühl
für sie besitzt, der hat sich auch selbst in ihnen zu bewegen versucht,
nur die eigene übung lehrt verstehen, wie es gemacht wird, wenn die
vortrage des Aristoteles neben den tagebüchern des Hippokrates für uns
die ersten proben einer griechischen rede gehen, die wirklich nur zeichen
für den gedanken ist, so enthalten sie doch auch schon fast die ganze
Skala der darstellungsarten, die ein Vortrag durchlaufen kann, bis zu der
grofsen schlichten erhabenheit, z. b. im letzten buche der Elhik, die zu
den schwersten aufgaben gebort, grofse partien, z. b. der Tiergeschichte,
geben in ihrer vornehmen einfachheit ein muster wissenschaftlicher dar-
stellung, zu dem ich wieder nur hippokratische werke als Vorläufer an-
führen kann, auch ein höchstes und schwerstes der Stilistik, das ist der
echte Aristoteles, wie er auf eigenen füfsen steht, nicht minder tut es
der einfach aber kunstvoll erzählende Verfasser der Politie. sehr ver-
schiedene und meist fremde töne hat der Jüngling angeschlagen, er
hat mit Piaton wetteifern wollen, und zwar dem Piaton des Phaidros,
und er hat sich auch in den formen der poesie versucht *^j : wir merken
überall den klugen des Stiles sicheren kunstrichter, freuen uns an dem
menschen und bewundern die hellenische Muse, die es den ihren leicht
machte, zu sagen was sie litten, aber ein dichter ist Aristoteles nicht
gewesen, wie er es ja nicht hat sein wollen, ein gedieht, wie Piatons
epigramme auf Dion oder Aster ist ihm nicht gelungen.
Neben Isokrates stand die eigentlich advocatische beredsamkeit, die
specifisch attische, die in Lysias ihren begründer hatte, einen wahrhaft
bewundernswerten meister in Hypereides finden sollte, für manche und
wahrhch unverächthche kunstrichter ist dieser stil, der durch seine
er meidet es: in seinen Jugendschriften hatte ihn das Vorbild des meisters ver-
lockt, die fragmente des Eudemos zeigen eine sogar sehr starke, wie mich dünkt,
nicht gelungene poeüsche diction. schwerlich ist der dialog über die dichter ein
jugendwerk, die ansieht, dafs er die dialoge alle als Jüngling geschrieben hätte,
ist unbewiesen, und die Politie hat uns auch nach dieser seile die bahn frei ge-
macht, er konnte noch als schulhaupt vollkommen classisch schreiben und schrieb
auch damals für das grofse publicum.
17) Vgl. die beilage 'die gedieh te des Aristoteles'.
21*
321 I. lü. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
scheinbare einfachheit und Schmucklosigkeit wirkt, ungleich geuiefsbarer
als die aufdringliche pracht des Isokrates. aber weil sie fester regeln
und strenger technik entbehrt, hat Aristoteles sich wenig für sie in-
teressirt. inhaltUch konnte sie ihm überhaupt nichts bieten, die ko-
nioedie, die er als junger mann spielen sah, war nicht mehr die grofs-
arlig phantastische des Aristophanes und war noch nicht das bürgerliche
lustspiel, das vielmehr erst durch die scharfe menschen- und charakter-
beobachtung, die er selbst lehren sollte, zu seiner vollen entfaltung ge-
langt ist. wer dem Menandros den weg geebnet hat wird für Aristo-
phanes wenig neigung besessen haben, so ist es. Aristoteles fand an
den grobiauischen späfsen gar kein gefallen , und das leichtfertige spiel
der Phantasie, das seine glänzendsten erfmdungen plötzlich irgend einem
andern einfalle preis gibt, das weder eine handlung noch einen charakter
durchzuführen sich bemüht, das mit voller Virtuosität die verschiedensten
töne anschlägt, aber keinen eigenen besitzt, es sei denn die acht attische
XaQiQ, die freilich über allem schwebt : das alles bildete zwar für Piaton
trotz seiner asketischen moral den gegenständ vollster bewuuderung,
aber Aristoteles, verfügend über den feinen witz des mannes von weit,
war zwar für die einzelne glücküche Situation oder das einzelne witz-
wort empfänglich: im ganzen vermifst er eben den slil, und so hat er
mehr wie Isokrates denn wie Piaton zur alten komoedie gestanden, die
reste seiner theoretischen betrachtung geben sehr vieles über das lächer-
liche, aber gar nichts über die komoedie als ganzes, und schwerlich
liegt das blofs an der Unfähigkeit der excerptoren. '*) wir aber dürfen
wol sagen, dafs wer in der allen komoedie blofs zoten und possen,
zuweilen eine gelungene Situationskomik und viele glückliche worte an-
erkennt, aber ihre persönliche polemik als iafißixrj Idia ganz verwirft
und dafür ganz unempfänghch ist, dafs dieser zauberspiegel das glän-
zende bild einer grofsen zeit und eines ganzen Volkslebens fest gehalten
hat, auch für diese zeit und ihr Volksleben kein verständnifs besessen
haben kann.
18) Bernays liat aus dem späten traktate das aristotelische zwar sehr schön
herausgeschält, allein es wird nicht klar, wie der excerptor dazu gekommen ist, die
definilion der komoedie und vieles andere zu schwindeln, wenn er das acht aristo-
telische eben da finden konnte, wo er die behandlung des ys^-olov hernahm, der
Standpunkt, dafs aristotelisch und weise und wahr so ziemlich identisch wäre,
kann nicht wol der richtige sein, die spätere kunsllehre, die Bernays (Zwei Ab-
handlungen 146 anm.) viel zu gering schätzt (vgl. Usener, ein altes lehrgebäude der
Philologie 620), bedarf dringend einer behandlung.
\
Attische poesie und die Poetik. Piaton und das M-ahre lebensideal. 325
Für seine poetik verdankt Aristoteles überhaupt so ziemlich alle
bedeutenden grundgedanken dem Piaton '^j, insbesondere den frucht-
barsten der /idf^ir^aig] nur das stilkritische und alles was die Xe^ig an-
geht, halte jener verschmäht, für die rhetorik hatte Isokrates selbst
schon, so viel in seinen köpf gieng, aus dem Phaidros gelernt, mehr
noch aus dem verkehre mit dem ihm damals geneigten Verfasser.^") dann
aber konnte Aristoteles die isokrateische routine nur dadurch wissen-
schafthch machen , dafs er aus der platonischen begriffsphilosophie eine
wirkliche logik entwickelte: was denn doch wol für alle zeiten sein
gröfstes absolutes verdienst bleiben wird, denn weil er diese schuf, ward
er der vater aller wissenschaftlichen methode.
Piatons lehre ist es also, ohne die selbst auf diesen gebieten, zu piaton und
denen er ihn nicht direct geführt hat, Aristoteles seine erfolge gar nicht iebenshiea\
hätte erringen können, es ist der in Wahrheit entscheidende moment
in seinem leben gewesen, als dieses lehrers rede sein junges herz er-
weckte : er vernahm die stimme die ihn berief, er gelobte sich dem be-
rufe, und er hat das gelübde gehalten, schwerlich hat ein zweites mal
auf dieser erde ein solcher meister einen solchen jünger geworben, was
jener moment für die menschheit bedeutet: dafür genügt es Raffaels
schule von Athen zu betrachten, aber es geziemt sich auch zu bedenken,
was er für die beiden grofsen' und guten menschen bedeutet hat. ver-
gebens fragen wir, ob Piatons seele von Eros zu Aristoteles hin-
gezogen worden ist: Aristoteles hat sich von dem munde des meisters
nicht wieder losreifsen können, so lange noch ein wort und ein atem-
zug diese lippen bewegte, er fand bei Piaton nicht nur die lehre sieg-
reich behauptet, dafs der mensch nur glücklich ist, wenn er gut ist, dafs
er aber, wenn er gut ist auch glücklich ist: dies hohe wort sah er in
19) Die dissertation von Ch. Beiger de Aristotele etiam in arte poetica Pia-
tonis discijndo Berlin 72 führt das so gut aus, wie eine erstlingsarbeit es kann,
aber ein mann, der die poesie und die poetik weiter übersieht, wird noch viel zu
tun finden.
20) Wenn Praxiphanes als fiction eines dialoges einführen konnte, dafs Iso-
krates bei Piaton auf seinem landgute am obern Kephisos einkehrte, und die beiden
sich über die dichlkunst unterhielten (Diogen. III S), so kann das auf ihrem notorischen
verkehre in der Jugendzeit aufgebaut sein, indessen halten sie z. b. in Timolheos
Konons söhn einen bedeutenden gemeinsamen bekannten, und sie waren beide männer
von atiischer Urbanität und an die schärfe der wissenschaftlichen polemik gewöhnt,
die nur die feigen und indifferenten nicht vertragen, weil sie nicht einsehen, dafs
die Sache über der person steht, sie können in den jähren 3S0 — 60 sehr wol
persönlich ohne gene mit einander verkehrt haben.
326 I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
IMatons persou wahr gemacht, wenn ApoUon geschwankt hatte, als
Lvkurgos sein haus betrat, ob er ihn als gott oder menschen begrüfsen
sollte, wenn Piaton seinem sterbenden meister den besitz des vollen,
auf dem frieden mit gott und dem eigenen gewissen beruhenden glückes
zugesprochen hatte, so schaute der junge Aristoteles zu Piaton in der
tat als zu einem gotte auf.") damit hatte er auch für sein eigenes leben
den inhalt und das ziel gefunden: der Inhalt eitel arbeit und mühe für
die Wissenschaft, das ziel die wonne, das ewige anzuschauen und das gött-
liche in der eigenen seele frei und mächtig werden zu lassen, selbst
Piaton hat für die würde des ^£ioQr]Tiy.dg ßiog keine eindringhcheren
Worte heiliger begeisterung gefunden als Aristoteles am Schlüsse der
Ethik: die Ttsid^avceyy.r] des unwiderleglichen logikers erreicht dasselbe
wie das hehre dichterwort de« propheten. sie würden es aber beide nicht
erreichen, wenn wir nicht die guten und grofsen menschen darin zu
uns reden hörten, die also gelebt, entsagungsvoll gearbeitet haben und
glücklich geworden sind, doch dies unser wort sagt zu viel und zu
wenig: evöaifxoveg sind sie geworden, obwol die evrvxia ihnen in vielem
gefehlt hat.
Als Aristoteles sich für die Wissenschaft entschied und in den verein
des Piaton eintrat, entschied er für sein leben, mit planen, wie sie
sein Vormund etwa gehabt haben mochte, mit einem leben voll ansehn
macht ehren reichtum und genüssen, wie es die weit suchte und Iso-
krates es allein begriff, hatte er gebrochen, er hatte am Scheidewege ge-
standen und sich für den schmalen pfad entschieden, das hat er, der
verständige, mit dem vollsten bewufstsein seines Schrittes getan, und in
einer seiner Jugendschriften hat er davon rechenschaft gegeben, ist es
doch das schöne recht des jünghngs, für das ideal, das er sich gewählt
hat, zu werben: so schrieb denn Aristoteles seinen 'Mahnruf zur Wissen-
schaft , seinen 7tQ0TQe7itiy.bg eig cpiXoaoq)iav. dies buch zu lesen
sehnt sich am meisten, wer zu Aristoteles ein persönliches Verhältnis
gewonnen hat: hier redete hinreifsend der apostel des platonischen gottes-
reiches, und die unvergänglichen gedanken haben ihre macht trotz allen
nietamorphosen der worle bewiesen an den verschiedensten menschen-
seelen.
Als Marcus Cicero die Unzulänglichkeit des cpilÖTifxog ßiog fühlte
und sein warmes und edeles herz an der rhetorik kein genüge mehr
land, da hat er dem worte willig sein ohr geliehen, das ihn zu höherem
21) Vgl. die beilage 'die gedichte des Aristoteles'.
Piaton und das wahre lebensideal. 327
und reinerem streben rief, er hat das aristotelische gold umgemünzt
für sein volk und seine zeit, und in dieser form hat es den Augustinus
zur einkehr in sich selbst gebracht, hat es den Boethius im kerker ruhig
sterben gelehrt, und wie vielen herzen haben diese beiden vermitteler
kraft und trost gespendet, indem sie ihnen den letzten nachhall der
aristotelischen rede zuführten, wie ganz anders würden auf uns die
vollen tone der echten rede wirken.
Aristoteles hatte die form einer rede an einen kleinen und obscuren
kyprischen fürsten Themison gewählt.^^) das war keine platonische form,
sondern eine isokrateische, und so wird uns offenbar, dafs er in der tat
die concurrenz mit Isokrates gesucht hat. denn an den kyprischen
fürsten Nikokles hatte jener seine hochgefeierle rede über die aufgäbe
des königtums gerichtet, die zugleich das wesentliche von dem entwickelte,
was der rhetor als moral begriffen hatte und verkündete, dafs die pla-
tonische schule, die selbst auf die mächtigen der erde rechnete, den
Isokrates auf diesem gebiete überbieten mochte, ist verständlich. Aristo-
teles aber konnte aus den erfahrungen seiner eigenen seele die Über-
windung des niedern lebensideals durch das höchste des wissenschaft-
lichen lebens schildern, er tat es durchaus in der Verfolgung platonischer
gedanken und mit der nämlichen Übertreibung, die Piaton praktisch
oder auch unpraktisch in SiciHen betätigt hatte, als er auf den tischen
des jungen Dionysios, die sonst von wein schwammen, mathematische
figuren zeichnete, im glauben, so den ächten fürsten zu erziehen.
Denn so fern auch ihre ganze geistesrichtung und arbeit dem poli-
tischen leben zu liegen scheinen mag, die philosophen dachten darüber
anders: die könige sollten philosophen werden, auf dafs die menschen
gut und glückhch würden, sie wollten wirkhch bekehren: herrschen
wollten sie nicht selbst, aber doch herrschen lehren. Aristoteles hat es
mit angesehen, wie Piaton die ganze morahsche und auch die materielle
macht der Akademie aufbot, um erst durch, dann gegen Dionysios II Syrakus
für seine politischen plane zu erobern, die trümmerhafte Überlieferung
versagt uns gerade die Vorbereitung der expeditionen Dions zu über-
schauen, aber dieser hat unmogHch in Athen seine rüstungen machen,
Athener und andere wider eine vom Staate Athen anerkannte regierung
22) Gerade die sorgfältige besprechung der reste des Protreptikos von Hartlich
(Leipz. stud. 11) hat mich in dem glauben befestigt, dafs R. Hirzel (Herrn. 10), den
jener bekämpft, den Protreptikos mit recht für eine rede, nicht für einen dialog
erklärt hat. denn die einwürfe der gegner werden reproducirt, nicht im wirklichen
gespräche gegeben.
328 I- 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
anwerben, ja nur als prinz und praetendent dort leben können, obne
dafs der Staat Athen davon notiz nahm, von dessen seile duldung schon
eine mächtige Unterstützung war. in der tat wäre es für die macht-
stellung des athenischen Staates etwas ungeheures gewesen, wenn in
Syrakus eine herrschaft sich festgesetzt hätte, die ihre moralische stütze
in Athen hatte, es war keine Wiederholung der expedition des Alkibiades,
aber man konnte doch hofTnungen hegen, die sich zu denen von 416
verhielten wie der seehund von 365 zu dem attischen Reiche, so liefsen
denn Kallistratos und Timotheos den Dion und den Piaton gewähren,
so hoch die hofTnungen geflogen waren, so tief war der fall. Piaton
hat an den glänzenden aber blendenden mann, den er als letzten am
heifsesten gehebt hatte, den glauben nicht verloren: aber er ist ver-
düstert und verbittert worden, fast möchte man sagen, er hat lieber den
glauben an die allmacht des guten verlieren wollen.
Freund- Aristoteles hatte durch den verlust eines zärthch geliebten persön-
liebe. liehen freundes, des Kypriers Eudemos, der in Syrakus fiel, eine erschütte-
rung seiner seele zu erfahren, die uns besonders wertvoll geworden ist,
weil sie uns wieder einen einblick in das empfindungsieben des jüngHngs
verstaltet. Eudemos war mit todesahnungen in den krieg gezogen, und
Aristoteles hat den wundern geheimnisvoller seelenkraft nicht nur nicht
den glauben versagt, sondern den schmerz zugleich und den trost, den
ihm sein platonischer glaube gewährte, in einem ergreifenden buche nieder-
gelegt, seinem hohen hede von dem göttlichen adel der menschenseele. so
dringt doch ein hauch zu uns von jenem unendhch reichen leben ge-
mütstiefer Jünglingsfreundschaft und mannestreue, das in dem garten
um den Erosaltar keusch und still geblüht hat. man mufs freilich
hellenisch und sokratisch zu empfinden gelernt haben, wenn man das
würdigen soll, man wird es' ja nicht beschönigen , dafs es ein miston
ist, wenn wir Aristoteles später aus pietät gegen einen verstorbenen
freund und aus mitleid ein weih nehmen sehen, dem er das zeugnis
ausstellt, 'sie wäre übrigens auch brav und gut'-^), und ein weiterer
miston, wenn wir am Sterbebette des grofsen mannes eine concubine
finden, die er auch für den fall, dafs sie heiraten wolle, im testament
bedenkt, die aber mit ihrem und seinem söhne nichts mehr zu tun
haben wird, es ist das die Stellung des weibes in der weit des Aristo-
23) Damit ist aXXois fiiv aaxpQOva xai dyad'rjv ovanv nicht voll ausge-
schöpft, falls wir die werte des briefes an Antipatros (663 F.), die Aristokles
eriialten hat, im streng philosophischen sinne nehmen, aber das sollen wir auch
schwerlich.
freundschaft und liebe, bestreitung der ideenlehre. 329
teles.^^) aber die menschliche seele fordert sich ihr recht zu lieben und
zu schwärmen und dadurch zu leiden, so hat sie es auch in dem kreise
der Akademie getan , anders und doch ähnlich wie in den hallen und
auf den ringplätzen nebenan, und menschlich näher rückt uns der
übermenschliche weisheitslehrer, wenn wir ihn die regungen der niaien-
zeit des Seelenlebens auch erfahren sehen.-^)
Und nun erlebte er was ihn zum manne machte, den EudemosHestreiiung
der idcen~
hatte noch der gläubige jünger Piatons geschrieben; bald aber kam eine lehre.
krisis für seine wissenschaftliche Überzeugung: er ward an der ideen-
lehre irre, er fand, dafs er sie widerlegen könnte, und, wie seine pflicht
war, widerlegte er sie. es war sein gutes recht, wenn er trotzdem nicht
aufhörte, Platoniker zu sein und sein zu wollen, so wenig Piaton den
Sokrates verleugnet hatte, weil er ihn überwand, aber es war doch für
die Akademie ein aufstand im eigenen lagcr, und wie hätte es an kleinen
geistern fehlen sollen, die zum mindesten über pietätlosigkeit schrien?
wenn Aristoteles noch im Protreptikos selbst die erwartung ausgesprochen
hatte, die philosophie würde binnen kurzem abgeschlossen sein (ein
allerdings für die Jugendlichkeit des Verfassers mehr als alles andere be-
weisendes wort), so war jetzt, Avenn die realität der ideen fiel, die meta-
24) Piaton ist darüber allerdings weit hinweggeschritten; aber er hat die
frau doch nur dadurch zu ihrer würde emporheben können, dafs er sie dem manne
völlig gleichstellte, also durch die anerkennung ihrer seele, aber die leugnung ihres
geschlechtes, der dichter, der seinen Eros von einer frau verkünden läfst, hat
freilich dafür gesorgt, dafs ihm das weibliche geschlecht nicht zürnen darf, wie
dem Aristoteles, aber Diotima ist eine hehre priesterin, und die heiligkeit und
reinhelt und das übermenschliche der avTct^xeia hatte der Hellene und zumal der
Athener schon längst in der himmlischen Jungfrau weiblich gedacht und als weib
angebetet, sein späteres leben hat allerdings den Piaton den kreisen der Weiblich-
keit allzu fern gehalten: dafs er aber früher auch gelegenheit gehabt hat, sehr
feine psychologische Studien zu machen , lehrt die überraschend m ahre Schilderung
des einflusses der ehrgeizigen weiber in dem Staate des 'Strebertums' (Staat 549).
25) Die freundschaft ist in der Ethik unverhältnismäfsig breit behandelt, sie
hatte damals für die reifen männer eine bedeutung, die uns auch nicht mehr unmittel-
bar verständlich ist. aber sie steht nicht unter der gewalt des Eros; von den weich-
lichen überschwenglichkeiten Epikurs, der den sokratischen Eros nicht kennt, hält
sich natürlich Aristoteles fern, die freundschaft ist, wie der wände! in der be-
deutung von ifiXoi lehrt, eigentlich ein Surrogat der familie, des geschlechtes: das
hat mit dem herzen wenig zu tun. Verhältnisse wie Piaton zu Dion, Aristoteles zu
Eudemos nennen wir freundschaft; das ist ungriechisch; ich halte es auch für un-
richtig, das ist Eros, wie Goethe nach Schillers tode über diesen redet, das offen-
bart für uns am besten diesen Eros, es offenbart zugleich, dafs Goethes seele
hellenisch geworden war.
330 I- 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
physik neu zu machen: wer diese negalion wagte, zog damit einen
Wechsel auf die zukunft, in der er etwas besseres an ihre stelle setzen
würde, er konnte nur entweder der nachfolger Piatons werden oder
eine neue schule gründen: so sehen wir es an. die leidenschaften der
gegenwart werden minder klar und ruhig und gerecht geurteilt haben,
und namentlich er selbst fühlte sich menschlich dem greisen lehrer viel
zu tief verbunden, als dafs er einen bruch für möglich gehalten hätte.
Der Das letzte Jahrzehnt Piatons mufs jedem der ihn liebt ins herz
a OD. gpjjjjgjjgjj_ wenn der jüngHng seine blütenträume welken sieht, so lernt
er durch leiden, auf dafs er ein mann werde, aber wenn der greis
irre wird an dem besten was er selbst sieghaft erstritten hat, was trotz
seinem abfalle bestand haben wird, nur weil er nicht mehr die kraft
hat, einen schlag zu verwinden, der doch nur das irdisch vergänghche
seines lebenswerkes getroffen hat, so beweist das einen herberen leidens-
kelch, als der schierhng des Sokrates war. Piaton hat es lernen müssen,
dafs das reich, das er gestiftet hatte, nicht von dieser weit war. wie
das ende des Dion und des Kalhppos war, konnte man ihm nicht ver-
denken, wenn er statt an die idee des guten an die herrschaft des
radikalen bösen im menschen geglaubt hätte, welchen schwall von höhn
und gemeinheit und wolweisheit die weit draufsen über die Akademie
ausgegossen haben mag, die sich vermessen hatte politik zu machen,
kann man sich denken: ohne den vergleich weiter gelten zu lassen,
braucht man nur an die beurteilung zu denken, die das immer strebend
sich bemühende geschlecht der Staatsmänner von gestern und heute
für die hohe und reine Vaterlandsliebe der professoren in der Pauls-
kirche hat. wie schal und flach und unerquicklich ist doch das ganze
treiben dieser weit: so klagt Hamlet, weil er nicht die energie in sich
fühlt, die weit in ihre fugen einzurichten, wie er müfste. Piaton hatte
es versucht, und hatte es nicht vermocht, was wunders, dafs ihm der
heraklitische spruch in den sinn kam, das weltenregiment ist das eines
spielenden kindes, ahov nalg eOTi Tialtcov ueaoevtov, naidog tj ßaoiXfjii.
spiel ist unser erdenleben : lasset uns nur dafür sorgen , dafs wir gott
wolgeftillig spielen, so sagt er nun mehr als einmal, oder es steigt
ihm auch der gedanke auf, dafs neben der idee des guten nicht blofs
die tote und in ihrer trägheit widerstrebende materie stünde, sondern
eine negativ wirkende kraft, eine böse seele der weit: das gespenst des
teufeis erscheint dem höchsten propheten der alimacht des guten.^")
26) Gewifs liegt nicht weniger in der annähme der bösen weltseele, und sie
müfste eigentlich das ganze System zerstören. aber es ist unerlaubte ver-
Per alte Piaton. 331
oder es flüchtet sich die speculation immer tiefer in das reich des
abstractesten deokens; die abstrusen wahngebilde der Pythagoreer, die
reahtät der zahlen, drängen sich vor die reahtät der form, des begrifl's:
das hexeneinmaleins, der tiefsinn des absurden, steigt wie eine schwarze
wölke an dem aetherklaren himmel dieses attischen geistes auf. dazwischen
aber rafl"t er sich wieder empor, schaut der Wahrheit klar ins äuge, dafs
er zu hoch gestrebt, der weit zu viel zugemutet habe, und nun mit
bescheideneren formen und in engeren grenzen den neubau versuchen
müfste. so versucht er den neuen Staat, auf neuem lande will er ihn
bauen, wie die entsagenden Auswanderer Goethes; aber er schliefst sich
doch dem altheimisch gegebenen weit enger an als vorher, die gesetze
der eigenen Vaterstadt studirt er jetzt und findet gar vieles, das er bei-
behalten kann; liebevoll versenkt er sich in die bedürfnisse des lebens,
auch der geringen und der kleinen, sinnt über die kleinkinderschule,
über das lesebuch und den mathematischen Unterricht der kinder, pflanzt'
bäume und umfriedigt quellen , und verbietet fischefangen und vogel-
stellen, weil es manchen guten gesellen verdirbt, auch über das höchste
sinnt er: die Weltgeschichte vermag er als eine fortschreitende ent-
wickelung auch aus der art und läge der siedelungen zu betrachten,
und die beiden wurzeln der gottesverehrung, das rätsei des Seelenlebens
und die wunder der gesetzmäfsigen naturerscheinungen , werden ihm
offenbar,^') so lebt er weiter, lehrt er weiter, schreibt er weiter, es
ist greisenhaft: yfJQag, yrjQag 6^ öi^aog "^O^nqQov würde der Schriftsteller
gewalügung, wenn man deswegen die stellen der Gesetze auf rechnung des Phi-
lippos schiebt, hat der keine ehre zu verlieren? sollen wir einen unbescholtenen
zu einem falscher machen, um dem greisen Piaton einen Widerspruch zu nehmen,
einen von vielen? die entstehung des bösen konnte er nun doch einmal nicht
erklären, und den schönen mut, es zu negiren, hatte er nicht immer, wenn er im
Staate (379) sich begnügt zu sagen, dafs der Urheber aller übel jemand oder viel-
mehr etwas anderes als gott sein müsse, so rechnet der Politikos (2G9) das übel schon
gewissermafsen als die der materie innewohnende schwere, die den pendel zurück-
schwingen läfst, wenn die kraft, gottes, die ihn in bewegung gesetzt hat, nach-
läfst. das drückt noch sehr schön das negative aus; aber die materie ist doch schon
etwas reales geworden, wenn nun das wirklich reale und bewegende seele sein
mufs, so führt die consequenz des denkens auf eine ungöttliche, also böse welt-
seele. Piaton scheute sich vor diesem gedanken, aber wie sollte er ihm nicht ge-
kommen sein? und zuweilen gewann er macht über ihn: dafür sind die partien
der Gesetze ein document, sehr traurig, aber trotz alledem unschätzbar.
27) Ges. XII 966. das hat Aristoteles aufgenommen und kürzer und klarer
gesagt, in dem dialog negi (piXoaocpias 10 Rose, natürlich gibt das keine dati-
rung für den dialog: aber er ist schwerlich ein Jugend werk.
332 I- 1*^' Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
vom Erhabnen sagen, Piaton weifs es selbst, es ist /.wd^okoyla, ein
gott wolgefalliges spiel mit märcben. weit gefehlt, dafs das realität
werden könnte oder sollte: die künstlerische kraft, vielleicht sogar der
wille ist nicht mehr vorhanden, diese skizzen zu einer einheit oder dem
scheine einer einheit zu formen, er schreibt nur weiter und weiter,
bis ihm der tod die feder aus der band nimmt, wir aber ehren und
lieben auch des greises werk als ein heiliges Vermächtnis; in seinen
Sprüngen Widersprüchen und Wunderlichkeiten können wir den greis
nicht verkennen, und wenn auch hier goldes genug vorhanden ist um
dutzende von armen schachern reich zu machen: der Piaton, der uns
den weg zum himmel weiset^ ist der des Staates, nicht der der Gesetze.
So hat auch Aristoteles geurteilt, der sogar den Gesetzen, so viel
anregung für das einzelne sie ihm gegeben haben, im ganzen vielleicht
weniger Studium zugewandt hat, als sie verdienen ^^); sie erschienen ja
auch erst, als er von Athen schon entfernt war, und für die leute die
damals in der Akademie geboten, hatte er wenig übrig, aber so lange
Piaton lebte, hat er treuUch ausgehalten, unbeirrt dadurch, dafs er die
ganze letzte phase von Piatons philosophiren innerlich nicht mitmachen
konnte, und je mehr er seiner selbst sich bewufst ward, auch das durch-
schaute, was ihn zu seinem lehrer in gegensatz stellt.-^) seine logik
28) Wenigstens hat er ihre Widerlegung in der Politik so oberflächlich ge-
halten, dafs er den Vorwurf der flüchtigkeit nicht abweisen kann, dafs er ein ganz
anderes buch vor äugen gehabt hätte, ist nur einer der tollen einfalle, die ein an-
fänger gehabt zu haben sich nie zu schämen braucht, und dafs solche windeln auf
die zäune kommen, ist auch berechtigt, aber man kann es der sonne überlassen,
sie zu trocknen.
29) Dieser gegensatz der beiden einander ergänzenden naturen hat verschuldet,
dafs Aristoteles dem dichter in Piaton nicht ganz hat folgen können, das würde
nichts schaden, wenn nicht die späteren bis auf den heutigen tag sieh allzusehr
dieses Interpreten bedienten, was mythos ist, ist poesie, und gerade wenn der
dichter sagt 'so ist's, ich weifs es ganz bestimmt', so ist es am wenigsten erlaubt,
ihn als philosophen beim worte zu nehmen, dichtung, nichts als eine grofsarlige
dichtung, ist die weltschöpfung, mögen auch die Christen sich ihren glauben
daraus verfertigt haben; dichtung sind die Schilderungen des erdinnern im Phaidon,
sind die verschiedenen eschatologien , mögen wieder die Christen sie als realitäten
behandelt haben, was sich der Wissenschaft entzieht oder noch entzieht, darüber
weifs der dichter allerdings das beste zu sagen, der phüosoph kann sich, mufs
sich vielmehr bescheiden: aber er tut unrecht, wenn er gegen die dichtung gleich
als ob sie wissenschaftliche behauptungen gäbe, polemisirt, nicht anders als
wer sie im glauben als bare münze nimmt, der gegensatz zwischen Piaton und
Aristoteles über den anfang der weit ist eigentlich gegenstandslos; aber Xenokrates
hat den Timaios richtiger beurteilt als Aristoteles, der demiurg schafft im gründe
Der alte Piaton. Piatons tod. 333
bewahrte ihn vor der zahlenspielerei und der mystik; seine kräftige
männlichkeit fühlte sich nur zu weiterem und immer weiterem forschen
durch alle reiche der natur angeregt, erfafste das problem des lebens
aller wesen von den sternengottern bis zum niedrigsten wurme nur um
so energischer, wenn die politischen plane gescheitert waren, die Wissen-
schaft hatte ja keine niederlage erlitten, und er war dabei ihre grund-
festeu neu und sicherer zu legen, so hat er die letzten jähre bereits
als ein stern von eignem lichte neben dem meister gestanden, wir erfahren
(aufser dummem klatsch) auch über diese jähre nichts : aber die latsache,
dafs er aushielt, legt für des Jüngers treue pietät das schönste zeugnis ab.
Als Piaton 347 starb , folgte ihm sein neue Speusippos als schul- piaions tod.
haupt. Aristoteles und Xeuokrates folgten der einladung eines schul-
genossen, des tyrannen Hermias von Aterneus. der asketische welt-
flüchtige Xenokrates hat mit Aristoteles seiner ganzen natur nach
wenig gemein gehabt, und je mehr sie sich entwickelten, je ferner
sind sie einander innerhch gekommen ; Piaton selber hatte schon be-
merkt, dafs an der wiege des Xenokrates die Grazien ausgeblieben
waren. Speusippos war in die sicihschen dinge am tiefsten ver-
wickelt gewesen und wol den beiden, die 347 fortgiengen, gleich wenig
angenehm. Herakleides, so glänzend begabt und so vielseitig inter-
essirt er war, kam von der philosophie immer weiter ab; vielleicht selbst
von der ernsten Wissenschaft, denn der wahre entdecker des heho-
centrischen systemes ist zugleich der Verfasser wundersüchtiger romane.
an Ursachen der reibung fehlte es wahrlich nicht: trotzdem ist in dieser
generation die eintracht vor der Öffentlichkeit gewahrt geblieben ; erst
Aristoteles hat unter seinen schülern in Aristoxenos einen unwürdigen ge-
habt, der den schulklatsch hervorzog und mit dem was er andeutete viel-
leicht am giftigsten verläumdete. einen wirklichen einflufs auf Aristoteles
hat von seinen genossen wol nur der geograph und astronom Eudoxos ge-
habt, den er als gefeierten Schriftsteller wenigstens noch in seinen ersten
Jahren gekannt haben mufs, wenn er dessen ethische lehren berück-
sichtigt, die doch nicht eben bedeutend sind, so findet das wol nur
durch die persönliche beziehung eine erklärung. Eudoxos aber war der
rechte mann, dem Aristoteles die naturwissenschaft der lonier zuzuführen:
und einen solchen vermittler suchen wir doch, wenn wir das lebens-
werk des Aristoteles als ganzes überschauen.^")
die weit nur aus dem poetischen gründe, aus dem Homer den Hephaistos den Schild
machen läfst, statt den fertigen wie Vergil zu beschreiben.
30) In der vita Marciana steht ein unverständlicher satz, zu dessen controUe
334 I- 10. Zweck und bedeulung des aristotelischen buches.
Bei Die lehrjahre waren vorüber; die wanderjahre begannen, bei
Hermias. jj^^j.jjjjgg j^gj gj^^jj AHstoteles oflenbar sehr wol gefühlt; er schätzte
den mann und hat ihm, als er der neu sich aufraffenden energie des
Perserreiches zum opfer fiel, die freundschaft vergolten, indem er
sich seiner pflegelochter annahm, die er später geheiratet hat.^') gelebt
hat Aristoteles nicht in Atarneus, sondern in Assos, der aeolischen Stadt
am südfufse des Ida.^^) und so hat er wol hier die Verbindungen an-
geknüpft, die ihm bei der Katastrophe des Hermias in Mytilene nicht nur
einen Zufluchtsort gewährten, sondern eine statte für seine eigene lätig-
keit. die beziehungen der platonischen schule wirkten überall mit. wenn
wir Hermias seine macht bis an den Ida erstrecken sehen, so ist zu be-
denken, dafs in Skepsis zwei vertraute jünger Piatons, Erastos und Koriskos,
lebten, deren Verbindungen mit Hermias und Aristoteles auch noch von
ferne kenntlich sind.^^) auf Lesbos konnte Theophrastos, vielleicht auch
Phainias, dem berühmten schulgenossen den boden bereiten : wenigstens
der erstere gehörte der Akademie an.^^j die insel litt wie alle andern
die lateinische Übersetzung vorhanden ist, ohne zu fördern, oix ä^a [ovv], eis
avToi (1. ol) avxocpaviovPTts q:aaiv, rsaaa^axovroviTjs Aq. (poirq IlXäxoJvt kni
EiSoiov, als ob das ein archon wäre, ich weifs das nicht aufzuhellen.
31) Der einzige sprofs dieser ehe, Pythias, war 322 nicht mannbar, hat auch
in ihrer ersten ehe mit Nikanor (f 318) nicht geboren, sie war also frühestens
334 geboren, ihre mutter wird nicht viel später in Athen verstorben sein, da
Hermias 345/4 getötet ist, erscheint es unwahrscheinlich, dafs sie schon damals in
die ehe getreten wäre, auch ist durch Aristokles ein stück des briefes erhalten,
in dem Aristoteles seine Verheiratung dem Antipatros anzeigt, den er doch erst nach
343/2 kennen gelernt hat.
32) Strabon 610: dieser ist, wie gewöhnlich, am genauesten unterrichtet.
33) Strab. (512. Neleus, der besitzer der famosen kellerbibliothek, ist söhn
des Koriskos und freund des Theophrastos. in der Sammlung der platonischen
briefe ist ein stück (6), das die brüder von Skepsis mit Hermias zusammenführen
will ; Piaton bietet sich für den fall von zwistigkeiten zum vermittler an. aus dem
antwortschreiben der Skepsier citirt PoUux 10, 150 eine erwähnung des assischen
li&os oaQy.oföyos. es macht den eindruck, als wären die Skepsier auch mehr
oder minder ihrer Stadt mächtig; in jener gegend haben die Perser immer unter-
tänige, oft unbotmäfsige, hellenische dynasten geduldet. Aristoteles und Eudemos
verwenden den namen Ko^iaxos öfter exemplificatorisch wie J^coxQcirTjs KXicov
'A/.xißidS7]S, oder wie die spätem Jicov und 0icov. ein apophthegma des greisen
Koriskos steht Stob. fl. 7, 53, genommen aus einer Sammlung mit dem ähnlichen
des Assiers Kleanlhes 54 und des Kleitomachos 55, wol auch des Sokrates 56 und
Erasistralos 57. den platonischen brief könnte ich sehr wol für acht halten.
34) Mehr liegt vielleicht nicht darin, dafs Theophrastos den Piaton noch ge-
hört haben soll, seine Verbindung mit Aristoteles mufs aus früher zeit herrühren,
da jener für Eresos sich noch bei Philippos verwandt hat.
Bei Hermias. Erziehung Alexanders. 335
darunter, dafs keine mächtige vormacht über ihr stand; tyrannen und
Oligarchien stritten sich, und Athen, die beschützerin der demokratien,
sah sich genötigt mit den tyrannen mehr als einmal zu transigiren. für
Eresos, die heimat seiner jungen freunde, hat Aristoteles später hei
Philippos intervenirt: wir wissen ja durch die steine, wie heillos gerade
dort die Verhältnisse zerrüttet waren, so war denn Lesbos, so hoch wir
auch die geistige regsamkeit der Aeoler schätzen müssen, die eine unver-
hältnismäfsig grofse zahl von philosophen gestellt haben ^^) , aus äufseren
gründen kein günstiger boden für eine schule, wie sie Aristoteles plante,
das erleichterte ihm den enlschlufs, als konig Philippos ihn 343/2
aufforderte die erziehung seines dreizehnjährigen sohnes zu übernehmen,
durch die ervverbung der Chalkidike war Phihppos der landesherr des
Aristoteles geworden, und seine herrschaft war keine leichte für die
Chalkidier ^^) ; bei seiner liebe zur heimat mochte dieser gern auch für sie
etwas gutes tun, hat es ja auch versucht und auch undank geerntet.^')
eine dauernde Stellung konnte das hofmeisleramt nicht werden ; anderer-
seits suchte Philippos seinen hof auf jede weise der bildung, die er
schätzte, zu öffnen, wie er denn sein volk energisch hellenisirte: hier
konnte ein feld für eine tätigkeit im sinne der Akademie sich eröffnen.
so nahm Aristoteles die berufung an, obgleich es wahrlich unter seiner
würde lag, knabenunterricht zu erteilen.
So war die Situation , wie sie 343/2 den beteihgten erscheinen A^ieMuderl
35) Auch Epikuros hatte einen freundeskreis in Mytilene. da auch die
ionischen und dorischen Städte auf der südküste der Propontis an dem interesse
für Philosophie, namentlich physik und astronomie, teilnehmen (vgl. Antig. Kar. 153),
so darf man von einem hellespontischen culturkreise reden, während es nur ein
beweis von gänzlichem mangel an einsieht in die geschichte ist, wenn die archaeo-
logen eine nordgriechische kunst erfinden: Thessalien, die Chalkidike, Thasos, Abdera
haben nur auf der karte nahe beziehungen. jene hellespontische bevölkerung ist
aber in ihrer grundlage aeolisch: das ionische und dorische liegt fast allerorten
auf einer solchen unterläge, bis in späte zeit ist der unterschied dieser Hellenen
von denen der ionischen zwölfstädte nicht verwischt, sondern teilt sich dem helle-
nisirten hinterlande mit. dafs die Bilhyner frischeres blut hatten als die Phryger
hat allerdings dazu auch mitgewirkt.
36) Dafs die Zerstörung der chalkidischen städte eine demosthenische Über-
treibung ist, hat Köhler (Berl. Sitz. Ber. 28 Mai 1891) sehr belehrend gezeigt, aber
das ist nicht zu bestreiten, dafs die Chalkidike für die cultur verschwindet; selbst
die versuche des Kassandros und seines tollen bruders Ale\archos haben daran nichts
geändert, die einverleibung in Makedonien bedeutet eben das aufgeben des helleni-
nischen städtischen sonderlebens.
37) Dion von Prusa 47, 9ffg., nicht ohne Irrtümer, aber unter berücksich-
tigung der aristotelischen briefe.
336 '• 1^' Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
niufste. ein hervorragender scliüler Piatons, ein glänzender Schriftsteller,
aber immerhin noch kein berühmter mann, der in der weit trotz seinen
40 Jahren noch keine Stellung hatte, übernahm den Unterricht eines
makedonischen prinzen. dieser Avar der erbe des künigreiches; aber das
erbrecht hatte in Makedonien sehr selten auch den besitz garantirt. das
künigreich war durch die energie des Philippos der mächtigste Staat
Europas; aber es war keine Sicherheit vorhanden, dafs seine gröfse auf
mehr als auf den beiden äugen stand, und die entscheidenden gänge mit
den hellenischen Staaten und mit Persien standen noch aus. dafs könig
Philippos seinen erben so gut wie möglich zu erziehen bestrebt war,
ehrt ihn gewifs; aber kein junge von vierzehn jähren braucht den ersten
gelehrten der zeit zum erzieher, ja es pflegt der gelehrte für dieses
lebensalter nicht der rechte lehrmeister zu sein.
Da safsen sie nun und lasen mit einander Homer und Euripides,
der trotzige künigssohn mit dem ungebändigten löwenhare und lüwen-
herzen und der lehrer, der gerade auf der höhe der ay.f.irj stand, der
überlegene dialektiker, der feind jeder Übertreibung, dem jegliche fügend
ein richtiger mittelweg schien, wie haben sie zu einander gestanden?
was hat der knabe gelernt? unsere phantasie kann unmöglich davon
absehen, was beide damals noch nicht waren, aber wenig jähre darauf
geworden sind, uns erscheint in ihnen eine Wiedergeburt der schönen
gruppe Chiron und Achilleus. der zukunflkundige söhn des Kronos be-
müht sich durch die töne seiner laute und seiner Weisheit die helden-
seele des halbgottes zu sänfligen und zu bändigen und facht damit nur
das feuer der begeisterung an, das diesen hinauslockt in den frühen tod,
in das ewige leben, zur ad-dvarog aQsrrj. hier stand der erhabene
prophct der sehgkeit des -d-scoQrjTixog ßiog vor einem scliüler, der sich
das evaugelium in seine spräche übersetzte und dabei blieb '^im anfang
war die tat', so ist er hinausgestürmt auf die pfade des Achilleus und
Dionysos, hat der weit neue bahnen gewiesen und sich mitten in einem
verständigen und aufgeklärten Jahrhundert den eingang erfochten in das
reich der wunder und der märchen. das hat der lehrer nicht gewollt;
so stand es nicht in seinem Protreptikos, und wenn er auch seinen jugend-
Uberschwang stark gemildert hatte, so ist Alexandros doch wahrlich nicht
der konig geworden, den die Akademie oder der Peripatos wünschte, und
doch sind seiner seele die flügel gewachsen durch die lehre der Weis-
heit: zu diesem adlersjüngling redete sie nicht wie eine taube, das
ungeheure streben zum göttlichen, den ovqävLog tqojg, hat ihm der
Schüler Plalons mitgegeben:
Erziehung Alexanders. . Verhältnis zu Alexander. 337
Aoera /tolvf^ioyße yivet ßqoxeuo
■d-^Qa/iia vmX'Lloxov ßiv),
Gag TtSQL Ttccgd-eve /iiOQq^ag
y.al d^avelv Lr]?.ioT6g ev 'Elladt TtÖTf-iog.
Aber in ihrem persönlichen Verhältnisse hat Eros nicht gewaltet; Verhältnis
unmöglich konnten sie einander versteh n. sobald Alexandros den thron Alexander,
bestieg, zog Aristoteles aus dem unmittelbaren machtgebiete des königs
fort in eine Stadt, die ihm das freie wort und die einwirkung auf das
ganze publicum, also statt der erziehung des königs die erziehung seiner
nation am besten gestattete, äufserlich freilich ist niemals ein bruch er-
folgt; dazu waren beide männer viel zu feinfühlig und kannten auch
die formen und riicksichten der gesellschaft viel zu gut. sie haben
sogar einen briefwechsel unterhalten, aber je höher beide stiegen, je
mehr sie ihre eigenste natur zur geltung brachten, je weiter kamen sie
innerhch von einander ab. das ist das Schicksal der gröfsten männer;
sie müssen vereinsamen, dafs ein entfernter verwandter des Aristoteles,
Kallisthenes, sich in eine Verschwörung wider das leben des königs ein-
gelassen hatte und einer grausamen strafe verfiel, hat dazu kaum etwas
getan, dafs Alexandros für seine person gottliche Verehrung forderte,
erscheint den philistern von heute ganz entsetzlich, und sie geraten in
entzücken über die Opposition der philister von Athen : Aristoteles hat
sich eben den officier, der diese königliche Verordnung nach Hellas
brachte, zum eidam ausgesucht, er wird die mafsregel nicht für politisch
gehalten haben, aber entrüsten konnte sie ihn so wenig wie irgend
einen hellenisch empfindenden menschen.^*) der gegensatz lag vielmehr
38) Es ist beschämend, dafs die modernen den richtigen augenpunkt für diese
mafsregel so gar nicht finden wollen, sie gehen so weit, die existenz eines Ammon-
schiffes in Athen mit der göttlichkeit Alexanders zu verbinden, das heifst so viel,
als die Hellenen wären vom könige angewiesen worden, in ihren katechismus einen
arükel aufzunehmen, der die erzeugung Alexanders durch den widderköpfigen gott
ausspräche, etwa nach dem Pseudokallisthenes: als ob es sich um die anerkennung
eines historischen factums gehandelt hätte, um die erzeugung, um die menschwerdung
des neuen gottes, als ob Alexander ein gott halte sein wollen, weil er von Amnion, nicht
von Philippos erzeugt wäre, nein, weil er ein gott war, wuchs der mythos von seiner
erzeugung nach, auf den gar nichts ankommt, ein gott aber war er, weil er gött-
liches vollbrachte, weil er das reich und die kraft und den rühm besafs. dsös ist
doch ein praedicatsbegriff. verstorbene nicht als solche, sondern als götter zu ver-
ehren, war längst sitte, und dafs Asklepios, Herakles, Dionysos menschen gewesen
waren und gestorben und doch götter auch schon bei lebzeiten gewesen waren,
galt ebenfalls, als Telamon in llios einen altar 'JlocwXtl xalhrixco weihte, begieng
er keinen frevel, wie oft steht in der llias d-ehs §' cos riero 8r]uco. der d'slos
V. Wilaraowitz, Aristoteles I. 22
338 !• 10. Zweck und bedeutung des aiistotelischen buches.
tiefer, das reich, das Alexandros gründen wollte, erschien dem Aristo-
teles, der die Politik geschrieben hat, notwendigerweise chimärisch, und
wo es sich um die Wahrheit handelte, kannte er keine rücksicht. er
mag seine bedenken in privatbriefen geäufsert haben ; davon wissen wir
nichts: er hat sie aber auch vor dem publicum in einem offenen briefe
dargelegt, da sprach der, der nunmehr unbestritten der erste schrift-
steiler der nation war, die forderung des Vorranges der Hellenen vor
den barbaren, den protest gegen die auf eine Verschmelzung der nationen
gerichteten plane des königs aus, und er sprach der weitaus über-
wiegenden majorität von Hellenen und Makedonen aus der seele, aber
dem grofsen konige war es auch um die sache zu tun, und so sehr er
geneigt sein mochte, die person davon zu sondern, mufste er um so
avTjQ wird zum d'sos clvtjq, der schritt ist klein genug, es ist ja keine kluft be-
festigt zwischen golt und mensch, d-sov yevaad'ai ist kein dSvraTOv, so wenig wie
EtSaiuova yeve'a&ai. der träger der cultur, der Hellene, gegenüber den barbaren
erscheint als d'soe iv &t]^iois; er selbst wird einem sterblichen, den er durch gött-
liche eigenschaften sich überlegen sieht, gegenüber die empfindung haben, dies
göttliche verehren zu müssen, gott ist der vater dem kinde, der lehrer dem Schüler,
der könig dem volke: denn die autorilät in ihnen allen ist gott. ob heute jemand so
empfinden kann oder mag, ist seine sache, denn gefühl ist alles; aber wenn er ver-
kennt, dafs die Hellenen so empfunden haben, so soll er über sie nicht mitreden.
Lysandros hat sich notorisch von den samischen oligarclien als gott vereliren lassen,
der praecedenzfall ist wenig schmeichelhaft für Alexander, aber es ist doch einer,
und schmeichelhafter ist, dafs Eudemos dem Piaton ßco/iov iS^iaaro: Piaton erschien
keinem geringeren als dem Aristoteles als gott. die erzeugungsgeschichle, die
Speusippos erzählt hat, tut nichts dazu noch nimmt sie etwas davon, erst wenn
der glaube an die wirkliche, d. h. wirkende göttlichkeit verloren ist, klammern
sich die menschen an die angeblichen facta, die sie beweisen sollen, und gesetzt
sie wären wahr, nur eine gewesene gottheit beweisen könnten, also nicht in dem
was er verlangte, liegt die vßgis Alexanders, sondern darin dafs er etwas verlangte,
was kein könig erzwingen kann, gefühl, glauben, doch darüber wird er sich keine
Illusionen gemacht haben; er brauchte die form des gefühls für sein einiges reich,
so kluge und so mächtige und wahrlich ihrer freiheit eingedenke männer wie die
Rhodier fanden auch nichts dabei; die phrasen der attischen patrioten erzielten auch
nichts als einen momentanen beifall bei dem pöbel und eine Verstimmung des königs
gegen Athen, die diesem teuer zu stehen gekommen sein würde, die weitsichtigeren
Staatsmänner selbst der demokratenpartei waren keinesweges gewillt, die glaubens-
bedenken der ekklesie zu respecliren. der cultus des herrschers ist bald darauf
anstandslos überall die Staatsreligion geworden; das Christentum, gebaut auf den ächt-
hellenischen glauben an die göttlichkeit eines menschen, weil er göttliches wirkte
und wirkt, hat daran nur wenig geändert, in gutem und in schlimmem, und viele,
die wider Alexanders oder Caesars göttlichkeit hochtönend geredet haben, haben den
königscult, der von einer wirklichen monarchie nicht zu trennen ist, mit dem herzen
und den lippen bekannt.
Verhältnis zu Alexander, verhällnis zu Antipatros. 339
empfindlicher verletzt werden, weil er mit Worten und gründen nicht
erwidern konnte, er fuhr in seinen taten unbeirrt, vielleicht leidenschaft-
licher und hastiger fort; dann verhinderte sein tod den austrag des sach-
lichen und des persönlichen zwistes. aber dafs Aristoteles das geistige
haupt der Opposition gewesen war, die Makedouen und Hellenen ihm
gemacht hatten, war so bekannt, dafs Olympias bald darauf die lüge
verbreiten konnte, Aristoteles hätte das gift gemischt, das loUas, der
söhn des Antipatros, dem könige gereicht hätte.^^)
Olympias wollte mit dieser erfindung nicht den toten philosophen, Verhältnis
sondern den Antipatros und seine famijie treffen und zog deshalb dessen Antipatros.
freund hinein, diese freundschaft ist das wertvollste was Aristoteles in
Makedonien gefunden hat. der nüchterne, besonnen wägende aber dann
rücksichtslos handelnde Staatsmann hat zu dem jüngeren philosophen
ein auf der inneren Verwandtschaft ihres wesens begründetes herzHches
Verhältnis gewonnen, das bis zu ihrem tode ungetrübt geblieben ist,
und das beide ehrt, dafs der freund des Aristoteles während der ganzen
zeit, die diesem als schulhaupt zu wirken vergönnt war, der herr der
Hellenen war und mit wunderbarem geschicke Ordnung und ruhe fast
überall und immer zu erhalten wufste, hat notwendiger weise auch die
äufsere Stellung des philosophen gehoben, trotz der gegensätze, die
zwischen Alexandros und Antipatros entstanden waren , mufste sich die
39) Die beurteilung dieser dinge wird erschwert durch die kärgliche und leider
zum teil apokryphe Überlieferung, ein iyy.cö^iov 'Ale^ävÖQov war unächt: dazu
reicht die probe hin, die der atüsche rhetor Gorgias mit so viel anderen falschen
stücken erhalten hat (649 R.). über die arabisch erhaltene schritt über das königtum
an Alexander halte ich nicht für nötig die Verurteilung erst auszusprechen: worte
ohne gedanken machte Aristoteles nicht, sie gehört in eine kategorie mit den
secreta secretorum. am Schlüsse der dialoge stehn aber in der schriftentafel lA)^-
^nvSoos r, Tisoi cinoiacov und tibqI ßaat/.sias, und aus einer dieser ächten Schriften
führt Eratosthencs die berühmten worte über Hellenen und barbaren an (65S, von
Rose falsch eingeordnet), dies wort kann erst 324 gesprochen sein, als der könig
seine plane ins werk zu setzen begonnen hatte, von den privatbriefen ist freilich
der über die akroamatischen Schriften dumm gefälscht, aber er wird aus Aristonikos,
nicht aus der Sammlung des Artemon citirt (662). natürlich fällt aber zumal auf
die in späten citaten vorliegenden stellen aus den briefen einiger verdacht, dagegen
trägt alles was aus den briefen an Antipatros erhalten ist den Stempel der echtheit.
dazu gehört das schöne und dem vertrauten briefe angemessene wort, dak ne^i rcüv
&ecör a Sei So^ä^siv eben SO hohes Selbstgefühl verleihe, wie dem Alexandros die
Weltherrschaft (664). das ist das a&avara (poovEiv, das doppelte, die überhebung
über das menschliche, und das emporstreben über das menschliche, wie es das
Sprichwort verbietet, der Platoniker Aristoteles fordert, aber für den philosophen
fordert (Eth. X 11771').
22*
340 I. 10- Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
eniporuug, die der tod des küoigs weckte, in Hellas wider Antipatros
richten, und eben deshalb auch wider Aristoteles, so kommt das rück-
sichtslose Strafgericht, das Antipatros über Athen verhängte, auch für
die beurteilung des Aristoteles in betracht, obwol er es nicht mehr er-
lebt hat. beide mänuer haben ohne zweifei von einander gelernt; aber
fertige männer waren sie, als sie sich kennen lernten, und sie besafsen
beide zu viel eigenes, als dafs sie nicht geblieben wären, was sie waren,
Makedone und Hellene, Staatsmann und gelehrter.
Yeriiäiinis König PhiUppos hatte zu viel zu tun , um sich dem hofmeister
riiiiippos. seines sohnes nähern zu können, die ungezügelte Sinnlichkeit, der
er im gegensatze zu Antipatros fröhnte, die lärmende und zum teil
wirklich schlechte gesellschaft, in der er sich wol fühlte, und die Theo-
pompos trotz aller bewunderung des königs gebrandmarkt hat, die
soldatische natur des Makedonen überhaupt konnte den Aristoteles nur
abstofsen. trotz aller väterlichen sorge für den söhn wufste der vater
auch zu diesem kein Verhältnis zu gewinnen, weil er dessen mutter in
ihren frauenrechteu kränkte, die schuld war vielleicht mehr auf der
Seite der herrschsüchtigen und adelsstolzen frau aus dem stamme des
Achilleus, und sicherlich hat Alexandros noch mehr als kronprinzen
überhaupt und selbst als geniale kronprinzen dürfen die pietät ver-
letzt, aber in solcher nähe, wie der erzieher sie sieht, gesehen zerstören
diese famihenverhältnisse nur zu leicht die achtung vor den hochgestellten
personen, zumal wenn keine eingebornen loyalitätsgefühle mitsprechen,
so hat denn tatsächhch Aristoteles von dem makedonischen hofe nur eine
anzahl häfslicher anekdoten mitgebracht, der Staat Makedonien ist ihm
vielleicht ganz fremd geblieben; wenigstens sein politisches urteil trägt
keine spuren davon, dafs er das wesen einer feudalmonarchie oder auch
nur die Organisation des land- und hofadels, der garde, des cadetten-
corps u. dgl. beachtet hätte, so viel er im grofsen und kleinen davon
hätte brauchen können, auch seine politisch-geschichtlichen und selbst
seine naturwissenschaftlichen werke scheinen nicht zu beweisen, dafs
er seine kenntnisse durch die makedonischen jähre stark erweitert hätte,
wol aber hat er zum denken und arbeiten ohne zweifei sehr viel mufse
gehabt, gerade in den jähren, wo sein Zögling für tiefere Studien reif
gewesen wäre, ward dieser in die kriege und die politik, zuletzt sogar
in üble palastintriguen gezogen; ob Aristoteles damals überhaupt noch
am hofe war, ist gar nicht einmal sicher, die freie arbeitszeit war jetzt
das einzig angenehme in seiner Stellung; aber er war nun 48 jähre alt:
er war auch des wanderns und lernens müde, er wollte handeln, das
Verhältnis zu Philippos. gründung der schule. 341
hiefs für ihn, lehren, so gieng er nach Athen und gründete die schule
im Lykeion, sobald Alexandros den thron bestiegen hatte, die meister-
jahre begannen.
Vorträge hatte Aristoteles schon zu Piatons zeit gehalten, das hätte Gründung
er auch neben Xenokrates in der Akademie tun können ; er würde selbst ^^ **='^"'^-
als nachfolger Piatons dort nicht anders zu reden gebraucht haben, als
er im Lykeion getan hat. wenn er einen neuen wissenschaftlichen
verein gebildet hat, so liegt darin trotz aller pietät für Piaton und aller
rücksicht gegen Xenokrates, dafs er den beruf zum schulhaupt in sich
fand und der ansieht war, die Akademie genüge nicht mehr für die
bedürfnisse der Wissenschaft und der nation. zwar der Wissenschaft
hätte sie ja sicherhch wieder genügt, wenn Aristoteles nur in ihre hallen
zurückgekehrt wäre. Zoologie und botanik, dialektik und metaphysik
konnte er auch dort lehren; mathematik und astronomie ist so wie so
mehr dort als unter ihm getrieben worden, aber seit dem scheitern
der sicilischen plane war die Akademie dem praktischen leben ent-
fremdet, mehr noch als der greise Piaton, der doch immer Athener
blieb, war der Cbalkedonier Xenokrates gesonnen, nunmehr sich in der
reinen sphaere der Wissenschaft zu halten und die weit draufsen ihren
Sünden und lüsten zu überlassen, er lebte selbst als loyaler schiitz-
verwandter des Staates Athen, geachtet als charakter und gelehrter, aber
er war keine macht im öffentlichen leben und wollte es nicht sein,
zwei menschenalter hat die Akademie diesen klösterlichen charakter be-
wahrt^"), das lärmende und nervöse volk des marktes erkannte wol
einen stolz der Stadt auch darin, dafs ein par tausend schritt vor dem
Stadttore in einem der gärten des ölwaldes eine anzahl seltsamer greise
und männer wohnten, die man kaum je auf der strafse oder im theater
sah, und die eine fabelhafte Weisheit und frömmigkeit besafsen , gute
leute, die jedes verlaufene rebhuhn pflegten und schützten und für
jedermann schöne worte des trostes und der erbauung halten, aus den
fernsten ländern kamen die Jünglinge um sie zu hören, und auch die
athenischen väter hatten es gern, wenn ihre söhne eine weile an den
disputirübungen und vortragen der Akademie teil nahmen, denn da war
viel unnützes aber nichts schädliches zu lernen, aber das war alles:
40) Die gewaltige Wirkung, die es hatte, als einmal das schulhaupt der Akademie
aus seiner clause herauskam und zu gunsten Athens bei könig Pyrrhos intervenirte,
habe ich erläutert Antig. Kar. 207. dafs Xenokrates 338 oder 322 das gleiche getan
hätte, ist eine fabel, aber ihre existenz lehrt am besten, wie man die Stellung der
Akademie beurteilte.
342 I. It^- Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
es «ar eben niemand da, der mit mund und feder zu seineu Athenern
und seinen Hellenen zu reden vermocht hätte wie Platon oder aucli
Ilerakleides und Aristoteles als junge Akademiker."^) und wenn in
der diadocheuzeit diese abkehr von der weit vielleicht berechtigt scheinen
konnte, (wo denn ein par schritte weiter der garten des Epikuros dem
weltflüchtigen einen eben so sichern hafen bot): in der demosthenischen
zeit war weder Athen noch Hellas so klein und so schwach, dafs eine
Philosophie die würdige fortsetzerin der Platonischen Akademie hätte
scheinen dürfen, die Sokrates, den mann des lebens und des tages, den
biirger und den ratsherrn , vüllig verläugnete. das war nur die hälfte
der Sokratik: die andere gehörte dann dem hunde Diogenes, der die
Wissenschaft preis gab, auch den Staat preis gab, aber dafür unter das
volk des marktes sich mischte, als arzt der kranken seelen und gewissen,
als prediger der tugend auf der gasse.
Zwischen beide, über beide trat als ächter erbe Piatons Aristoteles
und seine schule, in der Theophraslos und Demetrios, Aristoxenos und
Dikaiarchos, Duris und Menandros gebildet sind, er hat freilich für die
ewigkeit vornehmhch durch die streng wissenschaftliche specifisch philo-
sophische forschung gearbeitet, die "^grundlegende Wissenschaft', wie er
es nannte, metaphysik, wie wir es in übeler umkehrung des Verhält-
nisses nennen und betreiben, und die daran sich schhefsende physik
und logik: aber für die absiebten und die erfolge des Aristoteles in
seiner zeit und unter seinem volke ist dem mindestens gleichwertig, was
er politik nennt, der sich ethik und rhetorik unterordnen, er erzieht
eben die menschen für das leben, und das leben im Staate gebort für
ihn zum menschen seiner natur nach, auch das individuum, das sich
den Wonnen des anschauens, dem ^€cüQi]Tr/.dg ßiog ergibt, braucht als
hintergrund den Staat, und ist kein ganzer mensch, wenn es sich ^t^tw
diesen indilTerent verhält, von der mannestugend ist die bürgertugend
ein teil, zu den menschenrechten gehört mit der freiheit auch die teil-
nähme an dem staatlichen leben: ethik und politik gehören zusammen,
der lehrer, der seinen schülern den weg zur ri&r/.r] ctgsTri weist, mufs
ihn auch zur TtoXirixr] aQsrr] weisen, die ethik kommt vom 'j^-d^og
41) In die zeit nach Platon und vor Arkesilaos müssen ziemlich alle die dialoge
fallen, die wir jetzt mit unrecht unter Piatons werken lesen, nur in dem anhange
unserer ausgäbe stehn auch spätere erzeugnisse. es ist natürlich, dafs nur unbe-
deutende werke einen verfassernanien entweder nie gehabt oder verloren haben,
es ist aber allerdings von bedeutung, dafs vor Krantor kein werk mehr aus der
Akademie hervorgegangen ist, das einen litterarischen erfolg gehabt hätte.
f
Gründung der schule. Verhältnis zu Athen. Athen 370—50. 343
her, das ist dem menschen individuell eigen; aber der mensch steht in
der gcmeinschaft, der jiölig, ist ?} avd-Qionog auch TtolLrr^g. und weil
das ganze gegenüber dem teile TtQÖreQov cpvGei ist, geht die poHtische,
die bürgertüchtigkeit, der ethischen, der individuellen charaklertüchtig-
keit voraus und ist ihr übergeordnet., die tüchligkeit des bürgers, des
TtoXLTrjg, ist bedingt durch die qualität der gemeinschaft, der Ttohg,
der er angehört, wer also vollkommene menschen schauen will, mufs
vollkommene bürger schaffen, wer vollkommene bürger, einen voll-
kommenen Staat, das sind zwingende Schlüsse, die jeder, der die elhik
und politik griechisch lesen kann und bei griechischen Worten die grie-
chische, nicht die abgeblafste philosophische bedeutung, in der wir sie
anwenden, hört, dem Aristoteles zugeben mufs. dann erwuchs aber
für den lehrer der menschen und der nation die aufgäbe, zum politi-
schen urteilen und handeln zu erziehen, ganz von selbst, das erbe
Piatons schlofs sie ebenfalls in sich. Aristoteles wirkt durch die poli-
tische Iheorie nicht um der Iheorie allein, sondern auch um der praxis
willen, so gewifs er die menschen nicht blofs das wesen der tugend er-
fassen, sondern tugendhaft handeln lehrt.
Er lehrt in Athen, der geistigen capitale von Hellas, der capitale Verhältnis
der demokratie. dorthin kehrt er 335 zurück, nach zwölfjähriger ab-
wesenheit, die ihn nirgend heimisch gemacht hat, an den ort, wo er
zwanzig jähre, vom zarten Jünglingsalter bis zur mannesreife gelebt
hatte, es könnte gar nicht anders sein, als dafs das politische leben,
das er in theorie und praxis hier vor äugen gehabt hatte, das ihn nun
wieder umgab, von der grüfsten bedeutung für sein eigenes urteil ge-
worden wäre, dafs er als fremder niemals auch nur in die Ver-
suchung geführt werden konnte, in dieses leben einzugreifen, eine Ver-
suchung, der Piaton nur mit Selbstüberwindung stand gehalten hat,
konnte ihm wenigstens subjectiv die Zuversicht gewähren, dafs er ganz
unbefangen urteilen könnte.
Das Athen der sechziger und fünfziger jähre hat ihm zuerst eine Athen
ganz erbärmliche ideenlose und kraftlose Staatsverwaltung gezeigt, der
achtungswerte aufschwung, den Athen bald nach der schände des königs-
friedens nimmt, und dessen litterarischer ausdruck derpanegyrikos des Iso-
krates ist, hatte nur etwa bis zur schlacht von Leuktra vorgehalten, als
Epaminondas einen thebanischen Staat bildet und bald die peloponne-
sische machtstellung Spartas zertrümmert, verlor die athenische poUtik
gänzlich die bussole. wer eingeschworen war auf den glauben an die
landmacht Sparta und die Seemacht Athen, wie Isokrates, und über die
344 J- 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
schatten der ^velt seiner Jugend nicht herr werden konnte, der sah in
Theben den feind und trieb die reactionäre politik, die in der hilfs-
sendung nacli Mantincia ihren deulHchsten ausdruck gefunden hat. das
zwang Theben zu dem versuche einer flottengründung, zum anschlusse
an Persien und der bedrohung des attischen bundes. die boeolische
partei in Athen empfieng in Wahrheit ihren inipuls von dem über-
legenen genie des Epaminondas und blieb fast immer in der Oppo-
sition. Theben selbst aber kam auch zu keiner festen Stellung gegen-
über Athen, mit recht, da es diese macht zunächst nur möglichst aufser
action halten mufsle. der tag von Manlineia zeigte, dafs in den Boeotern
die eigene kraft nicht wohnte, die dominirende Stellung, die sie einem
grofsen manne verdankten, zu behaupten, die internationalen Verhältnisse
der hellenischen Staaten versumpften, der hoffnungsvolle anfang des
attischen bundes war unterdessen so wenig zielbewufst fortgesetzt worden,
Athen hatte so wenig verstanden, entweder die bundespolitik von 378 oder
die reichspoUtik des fünften Jahrhunderts, die sich einander ausschlössen,
rein zu verfolgen, hatte die pflicht, die hellenischen Städte des Ostens vor
den barbaren nach aufsen, vor den tyrannen nach innen zu schützen,
so arg versäumt, dafs die schmachvolle katastrophe des bundesgenossen-
krieges eben da eintrat, als Athen vom festlande her freie band hatte,
was nach dem frieden von 355 blieb, war kein wirklicher bund mehr,
sondern eine anzalil abhängiger, zum teil wirklich so verwalteter inseln
und etliche allerdings wichtige kolonien, die Athen die Verpflichtung
auferlegten, eine flotte zur Sicherung des meeres zu halten, und daneben
an allen ecken die gefahr schwerer kriegerischer Verwickelungen mit
sich brachten, dabei stand der Staat vor dem bankerott, die namhaften
feldherren und demagogen schieden fast alle, zum teil durch schwere
processe, aus dem politischen leben: man war wieder einmal so weit,
dafs man genau wufsle, so gienge es nicht weiter, anders müfste es
werden, aber wie es werden sollte, wohin der staat seinen curs nehmen
sollte, das wufste im gründe niemand.
Isoki-ates, der doch der beredte herold der politik des neuen bundes
im Panegyrikos gewesen war, gab sich dazu her, die neue richtung in
der Friedensrede (eigentlich dem av[xf.iaxLy.6g, wie ihn auch Aristoteles
nennt) und dem Areopagitikos zu verteidigen, mit andern Worten zu
lästern was er 25 jähre früher gepriesen hatte, sein alter dorfgenosse
Xenophon, der mehr als den alten hafs gegen Theben innerlich mit
ihm gemein hatte, traute sich zu, praktische volkswirtschaftliche vor-
schlage machen zu können, die Staatsmänner, die ans rüder kamen.
Athen 370—50. 345
Eubulos an der spitze, verfügten über das ehrliche streben, landwirt-
schaft, industrie und handel trotz der krisis zu erhalten und die Finanzen
zu reorganisiren, was ihnen auch gelungen ist. es fehlte ihnen nicht
an der einsieht, dafs dazu eine zurückhaltende politik notig wäre: ver-
gebens versuchten es die radikalen, Alben für die demokraten von Rhodos,
für Megalopolis oder Phokis zu engagiren. sie sahen auch ein, dafs
der herkömmliche schlendrian in der Verwaltung des Schatzes und der
steuern abgestellt werden müfste, was den radikalen ein eingriff in
das heihge recht der demokratie schien, das Cr^v log rig ßovlerai.
aber so sehr Avir anerkennen müssen, dafs diese zeit die arsenale gebaut
und gefüllt hat, die schiffe armirt und die schätze gesammelt, mit denen
Demosthenes krieg geführt hat, und dafs sie auch dem Lykurgos für
seine bautäligkeit vorgearbeitet hat: eine lialbheit war diese politik
dennoch und mufste sie bleiben, der rest des bundes war für Athen viel
mehr eine last als ein vorteil, und selbst die wichtigsten auswärtigen
besilzungen, die Chersones und Samos, hätte Athen mit vorteil aufgeben
können , wenn dafür die Unterhaltung der kriegsflolte überflüssig ge-
w'orden wäre, die tausende von talenten, die diese mit allem was dazu
gehört von 355 bis 322 verschlungen hat, sind tatsächlich doch verloren
gewesen, so besafs Athen weiter nur den schatten und die aspiralionen
seiner alten Stellung, und die radikalen hatten nur zu oft gelegenheit,
zumal seit Philipp die küsten vor seinem reiche zu unterwerfen begann,
forderungen zu erheben, die sehr schon noch 365 gepafst hätten, jetzt
aber mit den tatsächlichen machtverhältnissen in schreiendem Wider-
spruche standen. Eubulos hätte indessen gar nicht die macht gehabt,
gesetzt es wäre ihm in den sinn gekommen, die herrschaft des vom
Staate beköstigten städtischen pöbeis zu beseitigen : er konnte sich nur
halten, indem er dem volke die Überschüsse der friedlichen politik und
der energischen finanzverwaltung als Spielgelder in den allezeit begehr-
lichen rächen warf, die radikalen fanden, so weit sie wirkliche palrioten
waren wie Demosthenes, auch das schädlich und schändlich, aber sie
hüteten sich wol, daran zu rütteln, der demos herrschte und wollte
etwas davon haben ; mit dem rühme und dem einflusse draufsen war es
knapp geworden, von den schönen phrasen ward er nicht satt, und die
Spielgelder und löhne für ratsherrn, gerichte und Volksversammlung
waren auch keinesweges blofs den wirklich mittellosen, sondern einem
guten teile von denen angenehm und fast bedürfnis, die im kriegsfalle
als hoplilen hätten dienen sollen, wenn es nicht längst abgekommen
gewesen wäre, die dienstpflicht wirklich zu leisten.
346 !• 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
So viele unterschiede auch durch die kleineren Verhältnisse, die
gesunkene volkskraft und die immer mehr abgebrauchten phrasen hervor-
gerufen werden: die ähnlichkeit der Situation mit 412 nach dem
abfalle der louier läfst sich nicht verkennen, damals fand sich eine
menge meist wirklich patriotischer männer darin zusammen, dafs sie
frieden und erhaltung der Stadt und der landschaft auch um den
preis eines Verzichtes auf die grofsmachtstellung herbeiführen wollten,
dafs sie dazu eine starke beschränkung der ausgaben, ins besondere
der besüldungen , und eine Vereinfachung der finanzverwaltung für
nötig hielten, was eine entschiedene einschränkung der demokralie
notwendiger weise in sich schlofs. das hat man damals ausgesprochen
und auszuführen versucht, wenn auch vergeblich, man tat es unter
dem rufe, rückkehr zur Verfassung der väter, zu Solon und ürakon.
man war ehrlich genug eine Verfassungsänderung zu fordern und
zu versuchen, und man wufste genau genug, dafs die demokratie
der Väter, die doch Solon selber und Homer auch eine demokratie ge-
nannt hatten, von der zur zeit geltenden Verfassung recht weit ver-
schieden gewesen war. das wufsten die Athener um 355 nur noch sehr
ungenau, wenn auch die Vorstellungen in ihren umrissen und nament-
hch die schlagworte dem Isokrates wenigstens nicht entschwunden sein
konnten, der selbst zur parlei des Theramenes gehört hatte, den mut,
direct dahin zu drängen, dafs die Verfassung auch nur auf den zustand
von 403 zurückgeführt würde, hatte niemand, welch geheul der ent-
riistung würde die radicale meute erhoben haben , wenn man die be-
soldungen auch nur für die Volksversammlung hätte beseitigen wollen,
wo die abschaffung der persönlichen Steuerfreiheit für athenische bürger,
eines misbrauches, der um so schreiender war, als das privileg oft erb-
lich verliehen ward, auf die stärkste Opposition stiefs. dennoch ist der
gedanke, ob nicht eine beschränkung der demokratie im sinne der
altvordern angezeigt wäre, selbst dem Isokrates gekommen, und wenn
er ihn, wie zaghaft auch immer, im Areopagitikos behandelt, so kann
man sicher sein, dafs der beifall weiter kreise dem redner sicher
war, und in der Unterhaltung werden diese, wie man sagte, oli-
garchischen gelüste sich sehr viel offener hervorgewagt haben als in
der brochüre eines litleraten, der manchmal mit der unterströmung,
aber nie gegen den vollen ström der offen thchen meinung schwamm.
Diese zeit hat Aristoteles in Athen erlebt; dafs er auf das öffent-
liche leben, die gerichtsveihandlungen und Volksversammlungen sehr
wol geachtet und die politischen brochuren des Isokrates studirt hat.
Athen 370-50. 347
lehrt seine Rhetorik."-) er hat daneben die Stimmungen seiner heimat
mitgebracht und die traditionen und urteile der i)latonischen schule in
sich aufgenommen, diese verschiedenen anregungen führten alle zu
dem einen ergebnis, der Verurteilung des Reichsgedankens, des grofs-
staates, sowol theoretisch und geschichthch ^vie für die praktische politik
der gegenvpart. was er sah und was er liürle mufste ihn ferner zu der
Verwerfung der attischen demokratie führen, hohe diaeten, um die be-
teiligung derjenigen an der über alles wichtige entscheidenden Volks-
versammlung zu bewirken, die schlechterdings nichts davon verstanden
noch verstehen konnten , waren ein so schreiender Widersinn, dafs ihn
füglich jeder halbwegs urteilsfähige durchschauen mufste; sie exislirten ja
auch erst seit Agyrrhios. aber sie waren die unvermeidhche consequenz
der gleichberechtigung aller Athener und waren nur mit dieser zu be-
seitigen, das konnte vielleicht kein Staatsmann Athens planen, jeden-
falls nicht laut sagen: für den philosophen und fremden war es eine
selbstverständliche forderung. das dritte war der hinweis auf die ältere
attische Verfassung, von der der rat auf dem Areshügel, mochte er auch
jetzt nur noch ein gerichtshof sein, in seinem namen immer noch zeugnis
für jedermann ablegte, aber auch Isokrates erzählte von der guten alten
zeit, wo der Areopag für die guten gesetze und guten sitten gesorgt
hätte, und wenn das auch meist nur allgemeine phrasen waren: die
anregung, nach der altattischen Verfassung zu forschen, lag darin, diese
Untersuchung und die eigene Überzeugung, dafs eine einschränkung des
bUrgerrechtes und ein verzieht auf die seeherrschaft und ihr Instrument,
die Seemacht, die Vorbedingungen für das gedeihen Athens wären, führten
nun wieder beide auf die beschäftigung mit den planen und versuchen
der partei, die am ende des fünften Jahrhunderts die demokratie hatte
beseitigen wollen und sich dafür eben auf die altattische Verfassung
berufen halte, die platonische schule hatte das andenken des Kritias
und des Theramenes keinesweges geächtet; das harmonirte hiermit, so
müssen wir sagen, dafs Aristoteles bereits als jüngUng eben in den
Jahren der bildsamkeit alle die anregungen und eindrücke in sich auf-
42) Ins besondere hat er den reden des Iphikrates, die später irrtümlich unter
den werken des Lysias standen, sein augenmerk zugewandt; sie müssen ihm mehr
geliefert haben als ein par glückliche schlagworte. Iphikrates ist der feldherr und
Politiker auf eigene band, nods rois y.nioovs, für den das Vaterland, so groFse
dienste er ihm gelegentlich geleistet bat, doch erst in zweiter linie kommt, ein manu
vom schlage der Alkibiades und Gbaridemos, wie der zeit, so dem wesen und der
bedeutung nach zwischen ihnen stehend.
348 I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
"enommen hat, die für seine beurteilung der attischen geschichte und
Verfassung mafsgebend geworden sind.
Bei alier abneigung gegen die demol<ratie hat er ein anderes poli-
tisches leben als das der athenischen demokratie überhaupt nicht gekannt,
in den lebensunfähigen nestern der Chalkidike oder an dem tyrannen-
hofe in Assos war keins, Lesbos war im zustande der revolution, und
in Makedonien hat Aristoteles nur das regiment über ein e&vog, ein
noch nicht zum politischen leben fortgeschrittenes volk gefunden, es
gehurt eben die n6?ug zur Ttohreia, davon Ireifst sie. da nun aber
der mensch seiner natur nach zum politischen leben befähigt und be-
rufen ist, also zu einem vollkommenen leben der Staat gehört, und zwar
ein Staat, an dem jeder bürger tätigen anteil hat, so kann nur ein Staats-
wesen, das diese Voraussetzungen erfüllt, für Aristoteles überhaupt diesen
namen verdienen, und menschlicherweise konnte es nicht ausbleiben,
dafs der Staat, in dem er, wenn auch als fremder, gelebt hat, weil er
der einzige war, den er aus eigner anschauung kannte, mit seinen
Prinzipien und seinen institutionen mehr oder weniger identisch mit
dem Staate überhaupt für ihn werden mufste. das gilt für den Stagi-
riten Aristoteles mindestens eben so sehr wie für den Athener Piaton:
zu seiner noUrüa hat die nolireia '^d-r]vaiiov noch mehr modell ge-
standen, als zu Piatons vofxot die v6f.ioi ^Ad-i]vaUov. unbewufst steht
er im banne der attischen Vorstellungen , ungleich stärker noch, als er
bewufst ein feind der attischen demokratie ist."^)
Athen Als er 335 nach Athen zurückkehrte, waren die Würfel über die
grofsmachtspolitik des Demosthenes gefallen, gerade während der jähre,
die wir dank den politischen reden dieses demagogen genau kennen,
war Aristoteles teils fern, teils im feindlichen lager gewesen, das letzte
was er noch kurz vor Piatons tode erlebt hatte, war die annexion seiner
chalkidischen heimatsprovinz an Makedonien gewesen, die Demosthenes
mit aller macht einer bisher unerhörten redekunst abzuwenden versucht
hatte, das war das Vorspiel zu dem letzten versuche gewesen, den Athen
mit der grofsmachtspolitik machte, die Aristoteles schon vorher zu ver-
dammen gelernt halte, jetzt war es mit dieser ein für alle mal vorbei.
43) Hug (Studien aus dem classischen allertum) liat die politische theorie des
Demosthenes dargestellt und mit recht die ähnlichkeit betont, die sich sehr oft mit
den lehren der aristotelischen Politik zeigt, aber das liegt nicht an einer geistes-
verwandtschaft beider, sondern es beweist nur, dafs für sie und die anderen publi-
cislen der zeit eine gewisse summe von Vorstellungen und gedanken durch die
öfTcnlliche meinung über politisches gegeben war.
Athen 338—323. 349
die ereignisse hatten den theoretikern recht gegehen. das verblendete
und von den demagogen misleitete volk (mit der aristotelischen Politie
zu sprechen) hatte einen schweren fehler gemacht, den es mit dem Ver-
luste der letzten bundesstädte und dem einlrilte in die gefolgschaft
Makedoniens bezahlen mufste. aber Athen war autonom und befand
sich 335 in Wahrheit viel hesser als 355. auch das stimmte zu der
theorie. die jähre 347 — 338, die für uns durch die beredsamkeit des
Demosthenes hell beleuchtet von der fast nur durch trübe historische
berichte bekannten Umgebung so glänzend sich abheben, sind in Wahr-
heit nur eine kurze episode, und dem mitlebenden mufsten sie noch
mehr so erscheinen. Aristoteles hat es für einen fehlschlufs gehalten,
dafs die politik des Demosthenes an dem unheil von Chaironeia schuld
sein sollte."*) die modernen, die den demagogen in den himmel er-
heben, weil der redner allerdings über jedem vergleiche steht, sollten das
eigentlich bestreiten; jedenfalls hat Aristoteles nicht damit sagen wollen,
dafs die demosthenische poHtik berechtigt gewesen und nur durch die
Ungunst der Verhältnisse gescheitert wäre, es ist nur ein gerechtes
wort, das die Überschätzung der persönlichen bedeutung des demagogen
nach der guten seite eben so einzuschränken geeignet ist, wie es ihn
vor unberechtigter Verantwortung schützt, gern wüfsten wir, wie Ari-
stoteles den Demosthenes moralisch beurteilt hat; aber darauf erhalten
wir keine antwort.'*^) die Rhetorik aber zeigt das eine ganz deutlich,
44) Rhet. 2, 1401'^ als beleg für die Verwechselung von j^ost hoc und propter
hoc Clav cos o JT]fiäSi]S zrjv Jtjfioad'srovs Tiolireiav nävTcov twv y.av.üiv aiTiov
f.ieT exeivT]v yaQ avvißrj o 7iöXef.ios.
45) Eine stelle 2, 139T^ 8 ist von bedeutenden forschem auf einen rechtsfall
bezogen, der nach den angaben seiner gegner den Demosthenes schwer belastet,
die ermordung des Nikodemos von Aphidna durch Aristarchos, den vertrauten des
Demosthenes. das würde in sich schliefsen, dafs Aristoteles statt Nikodemos Nikanor
geschrieben hätte, denn den text kann man hierin nicht ändern, wenigstens den
namen bezeugt Dionysios (adAmm.l), den man sonst besser von dieser frage fern
hält, aber der rechtsfall selbst stimmt nicht, der Zusammenhang bei Aristoteles
fordert folgendes: Nikanor ist widerrechtlich getötet, da das gericht aber die
mörder freisprach, begeht man den fehlschlufs, dafs er den tod verdient hätte, was
Demosthenes damit zu tun hatte, wird durcli den ausdruck ?; ne^i Jr^/uoa&evovs
SixT] y.ai rdJi' äno>cTsivävrcov NixävoQa nicht klar, ein fall von (povos Sixaios
nach attischem rechte liegt hier nicht vor, es handelt sich überhaupt nicht um das
juristische, sondern das moralische Sixaiov. wer fcrco Siy.aico getötet ist, hat in
den meisten fällen den tod sicherlicii verdient, oder es ist (wie bei dem lodschlag
im kriege) gar kein moralisches moment vorhanden, jener Aristarchos hatte den
Nikodemos erschlagen und verstümmelt, war vielieiciit nicht verurteilt, aber sicher-
lich nicht freigesprochen, denn er blieb landflüchtig. Mas Schaefer (Dem. 11=^ 104)
350 !• 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buclies.
(Jal's Aristolcles die bercdsamkeit seiner Zeitgenossen nicht mehr ein-
gehend studirt hat, weder Demosthenes noch Aischines, weder Demades
noch Uvpcreides. er war eben innerhch fertig, Isokrates und Piaton
idieben für ihn die niuster, an die seine stillehre und sein eigener
Stil anknüpfte, die rhetorik ist voll von einzelnen Schlagwörtern, die
weit mehr aus der mündlichen tradition, aus den parlamentarischen
deballen so zu sagen, genommen sind als aus den flugschriften. er
gibt deren auch viele aus den jähren seiner abwesenheit und sogar aus
der gegenwart: selbst gesellen wie Moirokles und Polyeuktos erscheinen,
das lehrt uns das sehr beherzigenswerte, dafs die Unterhaltungen des
Lykeions von dem notiz nahmen, was auf dem markte und im rathause
vorgieng. aber die mafsgebenden personen, Lykurgos Demades Phokion
Demosthenes erscheinen kaum je '"^) und nie für irgend etwas bedeutendes.
vorbringt, ist juristisch non sense: auf gerechtem totschlag soll Verbannung ge-
standen haben, aber es berückt ihn unbewufst der wünsch, seinen beiden von der
immerhin häfslichen geschichte weifs zu waschen, für diesen ist das wichtigste,
dafs er selbst nach der angäbe seines feindes mit dem tode des Nikodemos nicht
so viel zu tun gehabt hat wie die aristotelische angäbe verlangen würde, wir
kennen also jenen Nikanor nicht, der name ist gut makedonisch und stagiritisch,
und es mag auf einen handel gehen, der dem Aristoteles persönlich viel interessanter
war als der geschichte. Demosthenes hat z. b, wirkliche oder angebliche Spione
genug aufgreifen und töten lassen, das galt in Athen für eine berechtigte hand-
lung, während es doch für die wirkliche schuld der getöteten ein höchst trügerisches
praejudiz abgab,
40) Demosthenes erscheint einmal 3, 1407* 5 ri Jrjfi. (eixcov) eis tov Srj/uov
vTi ofioiüs iari rols ev rdls nXoiois vavxicüaiv, es verschlägt nichts, dafs das
bild in den reden nicht steht. Demosthenes hat die kühnen bilder, die Aischines
ihm aufsticht, auch nicht schriftlich gebraucht, die schollen führen ein par sätze
an, die offenbar das Demosthenescitat liefern wollen (fgm. 30 Sauppe); aber darin
stecken zwei gröbste hiate, also ist das fragment nicht acht, wenn es aus einer
rede stammte, so hätte Aristoteles eine falsche citirt, was sehr seltsam wäre und
viele consequenzen nach sich zöge, aber es kann, so viel ich von diesen schollen
verstehe, die eine Untersuchung nötig haben, nicht für unglaublich gelten, dafs die
schollen das cilat erfunden haben, schlimmer ist, dafs das cilat in der Rhetorik selbst
befremden erregt, es geht nicht lange vorher rj eis rov 8r,(iov ort ofioios vavy.Xr]Q(o
t(j-/vQiü (liv vnoxo'xfcp Se. hier kann kein autorname stehen, obwol die geringeren
liand>.cliriften auch hier Demosthenes haben, unten dagegen ist er nötig, das zeigt der
Zusammenhang, aber zwei gleichnisse über das volk, beide aus dem Seewesen, in
derselben reihe, das erregt bedenken, und ob wir wirklich auf den text dieses
buches so fest bauen dürfen? beispiele treten gar zu leicht zu. — das wäre freilich
etwas grofses, wenn Aristoteles die leichenrede des Demosthenes citirt hätte und
das wort aufbewahrt, dafs die hellenische fieiheit bei Chaironeia ins grab gesunken
wäre, das hat Scholl behauptet (Münch. Sitz. Ber. 1889 II 38). er hat auch zu-
Athen 338—323. 351
darin hat allerdings wol die rücksicbt auf die eigene Stellung als fremder
und makedonischer Untertan den freimut des Aristoteles gebunden, aber
wie der beredsamkeit, so spürt man auch dem altischen Staate gegen-
über, dafs er als ein fertiger mann mit fertigen urteilen 335 zurück-
gekehrt war. er hat höchstens noch ein äufserliches äuge für die neu-
bildungen des politischen lebens um sich her gehabt, und doch bot die
lykurgische zeit, in der er lebte, gerade für den theoretiker der Ver-
fassung Athens des merkwürdigen ungleich mehr als die ideenarme zeit
des Kallistratos und Aristophon.
Es ist dies nicht der ort und ich wäre auch nicht genügend vor-
bereitet die restaurationspolitik zu schildern, die 338 anhebt; es wird
eine eben so anziehende wie lohnende aufgäbe sein, die einzelnen züge
die man den inschriften massenweise entnehmen kann, zu einem vollen
bilde zu vereinen. Athen hatte seine grofsmachtstellung verloren, aber
wenn es aus sich selbst noch die kraft schöpfen konnte, auf eine solche
berechtigten anspruch zn erheben, so war ihm dazu der weg nicht ver-
legt, die makedonische partei in Athen hat weder 338 selbst noch
nachher je das heft in die bände bekommen; Demades ist mit nichten
blofs ein söldling der könige, so wenig wie Demosthenes ein Söldling
Persiens ist, von wo er geld genug bekommen hat. aber auch die radikalen
Patrioten wurden nicht nur 338 beiseite geschoben, sondern auch weiter-
hin niedergehalten, selbstverständlich mochte man sie nicht preisgeben,
denn patriotisch war auch die regierung; aber sie war besonnen genug,
sich auf den boden der vertrage zu stellen und die kräfle zu wägen,
nur besafs sie nicht die macht, das souveräne volk zu verhindern,
sich an den grofsen Worten zu berauschen, und so gab es immer
wieder krisen , und in der letzten, nach Alexandros tod, ist der
Staat zu gründe gegangen, die politik der restauration ist weder von
Phokion und Aischines noch von Demosthenes und Hypereides ge-
stimmung gefunden, und stellt meiner deutung der stelle 1411^ 31 das prognostikon,
dafs sie das nicht tun werde, das werde ich ertragen, wenn sie nur so richtig ist
wie die Schölls ungeheuerlich, ich habe allerorten die Überlieferung gehalten: Scholl
ändert bei dem falschen Lysias, ändert bei Aristoteles, er läfst den Aristoteles eine
rede citiren, die er nicht gehört hat und die nicht publicirt worden ist, und citiren
wie er bücher citirt, iv reo inirafico, gleich als ob dieser epitaphios der par
excellence gewesen wäre, das ist eine seltsame Sorte von probabitilät. aber für
noch viel stärker halte ich es, dafs er so den Aristoteles dem demagogen eine
huldigung erweisen läfst, die nur unter geschichtlichen Voraussetzungen möglich
wäre, von denen denn doch die spuren kenntlich sein müCsten, die wahrhaftig eben
so unerfindlich sind wie der demosthenische epitaphios.
352 I- 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
niaclit uorden. inshesonderc Deniosthenes ist seit 338 ein stummer
mann; eine macht für sich, tief verflochten in alle unterirdische arbeit
wider Makedonien, aber weder in der magistratur noch publicistisch
tätig. "^j die rogierung sammelte die materiellen kräfte Athens natürlich
in der hoffnung, sie zur zurückeroberung der verlorenen macht der-
einst zu verwenden, sie füllte die arsenale und brachte die flotte auf
eine höhe, wie sie seit den zeiten des Reiches nie erhört gewesen war.
Persiens stürz und das fehlen einer ebenbürtigen makedonischen See-
macht mufste allerdings den gedanken wecken, mit den ionischen Städten
und dem Pontes, dessen südküste auch noch nicht makedonisch war, die
alten beziehuugen aufzunehmen, ein Miltiades fährt gar in ein fernes
meer zur gründung einer colonie. auf die Vergangenheit war der blick
gerichtet, auf eine fernere noch als die zeit des Periklcs, mit der die im-
ponirende bautätigkeit und die Organisation der tempelschätze wetteiferte,
die reslauration war eine religiöse: unsere Urkunden über attische heilig-
tümer und feste pflegen entweder aus der zeit des Perikles oder der
des Lykurgos zu stammen, die göttinnen von Eleusis, der neu erworbene
Amphiaraos von Oropos, der Dionysos der stadt, der Poseidon des hafens,
Zeus Amnion und Athena beschäftigen rat und volk. ja selbst in Do-
dona, unter den äugen der Olympias, erhebt sich ein weihgeschenk Athens
wie zu den zeiten des Tolmides."") auch im staatsieben sucht man gern
die alten feierlichen formen auf. wenn ein kümmerlicher lohnschreiber,
noch dazu ein fremder, wie Deinarchos, seine bombastischen brandreden
mit den obsoleten eidschwüren der archontenprüfung und den eben so
obsoleten erfordernissen für die Strategie zu schmücken meint, so äfl't
er selbst nur nach, was bei dem Eteobuladen Lykurgos acht war, der
mit Vorliebe Streitfragen des heiligen rechtes bearbeitete, acht freilich war
es auch da nur, insofern dem catonischen manne diese religion herzens-
sache war: im übrigen war es die rehgiüsität der restauration, die die
schalen heiligt, weil sie den wert des kernes zu würdigen weifs, der
nun doch einmal verschwunden ist. das ist eine richtung, die wol eine
zeit lang wichtig war, aber für die Aristoteles so wenig wie Demosthe-
nes empfänglich waren ; beide durchaus moderne menschen , der eine
indifl'erent, der andere erhaben über die alte religion. aber auch im
Staate ist die umkehr zu dem alten hie und da bemerkbar, die Isokrates
47) Man kann sich kaum vorstellen, dafs das plötzliche abbrechen seiner
schriflsiclicrei ganz freiwillig gewesen wäre. Phiiippos und Alexandros haben iiin
geschont: mindestens tatsächlich hat er durch sein schweigen den preis dafür gezahlt.
4S) Hypereides für Euxenippos; IGA 5.
Athen 338-323. 353
im Areopagitikos mit allgemeinen redensarten gepredigt halte, der nim-
bus der heiligkeit und unsträflichkeit, der jenen alten rat umschwebte,
gewann in zeiten tiefer erregung stärkeren glänz, man erwartete und
ertrug, ja man forderte sein eingreifen, gleich als ob er noch die ver-
fassungsmäfsigen rechte hätte wie 480, und der Areopagit Autolykos
mufste es bitter biifsen, dass er nicht die persönhche haltung in der
stunde der gefahr bewährt hatte, die man von dem hohen rate verlangte,
die Sitten der altvordern mufsten wiederkehren, das ahnte man, wenn
taten erwachsen sollten, die die alte herrlichkeit zurückführten, die
restauratoren werden es oft schwer empfunden haben, dafs die demokra-
tischen Prinzipien eine energische siltencontrolle und scharfe luxusgesetze
nicht verstatteten, und dem Lykurgos kam der wünsch nach einer derben
peitsche für den demos über die lippen. auf einem gebiete brachte
man es aber zu einer wirklichen reform, und da trug man sogar der
Sokratik rechnung. der Staat organisirte die erziehung der epheben. er
belastete das budget mit ihrer Unterhaltung, casernirte sie, stellte lehrer
für sie an uud suchte die väter selbst an dem erziehungswerke zu in-
teressiren; es ist als ob sie, wenn nicht gerade den ächten Platou, so doch
den Kleitophon gelesen hätten. atocpQoveg sollen die attischen Jünglinge
werden , es soll nicht mehr zugehn , wie es Demoslhenes in der rede
wider Konon von einer militärischen übung erzählt: deshalb werden
ö(.ü(pQOVLGraL angestellt. y.6o[.uoL sollen sie werden, wie es historiker
und Philosophen von den dorischen jünglingsherden rühmten: deshalb
wird ein xooiiir]Trjg gewählt, aber im dienste der heimischen götter
soll es geschehen, nicht wie der sophisl Sokrates mit neuen göttern die
Jünglinge verdarb und einen Kritias erzog: der zweijährige dienst be-
ginnt mit einer besichtigung der öffentlichen heiligtümer. es ist Ari-
stoteles, dem wir die Schilderung dieser Institution verdanken: er hat sie
in die Politie eingelegt; aber in der Politik kommt sie nicht vor, einen
wert hat er ihr also nicht beigemessen, das praktisch bedeutungsvollste
jedoch waren neuordnungen der magistratur, die sich von den altdemo-
kratischen traditionen sehr weit entfernten, man brach mit der jährigen
befristung für die eigentlich entscheidenden finanzämter, die Verwalter
der Spielgelder und den Schatzmeister der kriegscasse, und dafs dieser
nur einer war, schliefst den noch viel bedeutenderen bruch mit der colle-
giahtät in sich, man gab für diese stellen das los in jeder form
auf, erwählte sie vielmehr ganz wie die Offiziere, diese beamlen coope-
rirten aber mit dem rate; sie hatten bei der Verpachtung der zolle steuern
und bergwerke mitzuwirken, der Schatzmeister auch bei den neuan-
V. Wilamowiiz, Aristoteles. I. 23
354 '• 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
schafl'ungen für den goldenen schmuck der gottin und die goldenen
preise der Panatiienaeen. wer vier jähre im amte hlieb, mufste die factisch
ausschlaggehende stimme erhalten, der durch das los hestimmte jährige rat
war somit auf dem gebiete der üuanzen durch die magistratur ebenso
beschränkt, wie er es in der sonstigen Verwaltung und zumal der hohen
polilik durch das plenum der Volksversammlung und ihre leiter, die redner,
war. das waren in der tat Verordnungen, die äufserst weitgehende conse-
quenzen in sich schlössen : wenn der Schatzmeister zugleich der leitende
demagoge war, so konnte einerseits diese letztere formlose Vertrauens-
stellung eine wirkliche magistratur werden, andererseits in Athen ein ein-
zelner mann kraft seines amtes das heft des Staates in die band bekommen:
der keim nicht sowol zur tyrannis als zum prinzipate war vorhanden,
die späteren haben in der tat von einer zwülfjährigen herrschaft des
LykurgüS (oder auch Demades) ähnhch wie von der herrschaft des Phale-
reers Demelrios geredet, das ist eine Übertreibung, vergleichbar der
vierzigjährigen oder fünfzehnjährigen herrschaft des Perikles, aber etwas
wahres liegt all diesem zu gründe : die dauernde vorstandschaft bestimmter
personen, die dem Staate schon wegen der stätigkeit regelmäfsig gut be-
kommt, jetzt aber versuchten die regierenden diese tätigkeit durch gesetz
zu sichern, wir können von dem demokratischen Standpunkte aus wol be-
greifen, wie die Opposition über den druck klagte, den eine kleine
gruppe ausübte."^) wir können uns andererseits nicht verhehlen, dafs
alle solche versuche so lange prekär bleiben mufsten, als die alimacht
der Volksversammlung und der gerichte bestehen blieb; was für tolle
Sprünge das volk machen konnte, dafür liefert Hypereides in der
rede für Euxenippos gleich zu anfang ein par grelle beispiele. aber ge-
rade für den theoretiker hätten diese versuche in Wahrheit wol das
gleiche Interesse haben sollen wie die niemals in kraft getretene Ver-
fassung der 400. Aristoteles hat ihnen in der theorie keinerlei berück-
49) Aischin. 3, 234 inl rcöv vvvi aaiQcöv ol noXXol rols o/.iyois n^oiead'e
tu. T/;s dTjfwy.ouTias iayjvQct, worauf er übertreibend wie die ganze rednergeseilschaft
gleich mit dem schreckbiide der Dreifsig droht, aber seine ganze rede ist durch-
zogen von dem geiste, dafs die demokratie von einer clique terrorisiert würde, und
ich kann nicht leugnen, dafs er diese Vorstellung geschickt zu wecken und zu
unterhalten weifs ; ich kann auch nicht zugeben, dafs er das nicht geglaubt hätte,
oder dafs er von seinem Standpunkte aus unrecht gehabt hätte, mit seinem willen
ist es doch nicht geschehen, dafs der procefs acht jähre verschleppt war, und dafs
er nun gerade, wo die wählen der vierjährigen beamten die bisherige regierung
eben befestigt hatten, zur Verhandlung kam. und mit rechten dingen hat es auch
nicht geschehen können.
Athen 338-323. die Politik. 355
sichtigUDg gegönnt; für seine Vorstellung gehören annuität und collegialität
unweigerlich zu dem beamten des rechtsstaates. in der Politie, wenigstens
wie wir sie lesen, ist an der stelle, wo die vierjährigen beamten be-
handelt werden sollten, eine liicke.
Athen ist für ihn die demokratie par excellence geblieben, und dafs
es mit der nicht gienge, stand ihm fest, dafs Athen keine grofsmacht
mehr war, überhaupt in Hellas nirgend mehr eine einzelne Stadt eine
nennenswerte herrschaft über andere Städte ausübte, konnte dem Poli-
tiker nur recht sein, der in der kleinen autonomen Stadt den Staat fand,
die Suprematie Makedoniens beinträchtigte rechtlich und faktisch die
städtische autonomie zunächst viel weniger als die Athener und Lake-
daimonier auf der höhe ihrer macht das getan hatten; von den Ver-
pflichtungen, die sie auferlegte, konnte der theoretiker füglich absehen,
aber die erschütterung, die durch die Verschiebungen der grofsmächte
hervorgerufen wurde und sich über die ganze hellenische weit verbrei-
tete, legte dem lehrer der nation die aufgäbe doppelt an das herz,
die frage nach dem besten und bestmöglichen Staate zu behandeln.
Wir dürften geneigt sein der frage eine andere formuhrung zu Die Politik,
geben, allein Piatons vorbild hatte sie nun einmal so abstract formulirt,
und Aristoteles hielt sich zunächst an seinen lehrer. er hat die vor-
trage über Politik öfter gehalten, selbstverständlich erst seit er überhaupt
vortrage hielt, und der zustand, in dem wir seine aufzeichnungen lesen, ge-
stattet nicht, die einzelnen schichten scharf zu sondern, noch auch die Zeit-
bestimmungen zu verallgemeinern, die sich aus einzelnen stellen ergeben,
aber das allgemeine ist deutlich, dafs wir einen gemeinsamen unterbau
haben (ABF), auf dem sich zwei selbständige lehrgebäude erheben, die
darstellung von dem wesen, den unterschieden und den wandelungen
i^iETaßolai) der Verfassungen (AEZ), und die lehre vom besten Staate.
(H0). beide Untersuchungen sind nicht im entferntesten bis zum ab-
schlusse geführt, ihre reihenfolge ist nicht von grofser bedeutung, da
sie eben in Wahrheit neben einander stehen, dafs Aristoteles die über-
lieferte Ordnung beabsichtigt hat, bezeugt er selbst, wenn er den schlufs
der Ethik geschrieben hat, und sollte er das nicht getan haben, so
würde immer noch der herausgeber der Ethik, also sein söhn Niko-
machos, die Ordnung für die mitterweile herausgegebene PoHtik bezeugen,
und auch dann wäre die Umstellung, in der unsere ausgaben die bücher
vorlegen, schlechthin verwerflich. =") auch in diesem falle ist die gewalt
50) So hat mit vollem rechte Dümmler (Rh. M. 42, 180) geschlossen, während
die Umstellung von ^6> eine gewisse herechtigung hat, ist die vertauschung von
23*
356 I- 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
oine schlechte lüsung für die Schwierigkeiten, die in der Überlieferung
aufgezeigt zu haben Spengels bleibendes verdienst ist. im grofsen ganzen
erklärt sich das befremdliche Verhältnis dadurch, dafs Aristoteles zuerst
unmittelbar nach erledigung der grundlegenden fragen zu der haupt-
aufgnbe, dem besten Staate, fortschritt, später aber vor diesem eine
eingehende behandlung der bestehenden typen des Staates und auf den
Voraussetzungen des bestehenden teils empirische teils theoretische regeln
gab, wobei er denn, wie es bei Vorlesungen zu gehen pflegt, zu dem
besten Staate gar nicht mehr gekommen, ja nicht einmal mit diesem
zweiten teile fertig geworden ist. zeitlich also ist HO das frühere, und
es ist geschrieben um an ABF (in dem zustande, den diese bücher da-
mals hatten, und der nur in F sehr stark geändert ist) anzusetzen.
Der beste Die skizze des besten Staates (H0) ist in sich einheitlich, verständ-
lich und glatt geschrieben, zum teil wunderschön und ersichtlich für
die publication, aber freilich gänzlich unfertig, dafs Aristoteles kaum
irgendwo sonst so sehr Platoniker ist wie hier, ist mit recht bemerkt
worden, wie er denn trotz B wieder in die auseinandersetzung mit
Piaton hineingerät, er construirt sich seine Stadt xar siyjiV, ze
wünsche, aber er construirt auch sehr ins blaue, man möchte kaum
glauben, dafs er bereits die umfassenden geschichtlichen Studien ge-
macht hätte, auf denen AEZ fufsen ^^) ; dagegen liegen ihm seine aesthe-
tischen und rhetorischen speculationen im sinne und drängen sich vor.
Staat.
BZ schlechthin verwerflich, eine kritik, die sY^r^rai noÖTsgov in sQovfiev voteqov
ändern und den Zusammenhang zwischen Z und E durch eine grofse lücke her-
stellen muTs, richtet sich selbst, die Unebenheiten, die die abhandlung JEZ dar-
bietet, sowol überhaupt hie und da, wie gegenüber der disposition (// 1289''), sind
unleugbar, aber sie sind nicht ärger als in A und namentlich F, entstanden durch
eigene nachtrage und Überarbeitungen und durch die unfertigkeit des ganzen, ich
halte für wahi scheinlich, vielleicht sogar für streng beweisbar, dafs einige stücke,
z. b. die Übersicht der notwendigen beamten // 8, älter sind, also in der gestalt
von r standen, die dieses hatte, als der beste Staat unmittelbar darauf folgte,
ähnlich ist es, dafs ein grofses stück von A beseitigt werden müfste, sobald die
Oekonomik als selbständige disciplin behandelt würde, was Aristoteles selbst wol
noch nicht getan hat.
51) Das schliefst die benutzung historischer bücher natürlich nicht aus, wie
z. b. des Antiochos über die syssitien der Oinotrer {H 10), wo denn auch das
excerpt viel ausführlicher ist als in den kurzen andeutungen, welche EZ machen
dürfen, weil die Politien vorliegen, die kritik Sparlas und Kretas in B mufste
natürlich immer in der einleitung der vortrage gegeben werden, weil die ansieht
verbreitet war, dafs diese Verfassungen selbst der gesuchte beste Staat wären, und
^*cil Piaton eben deshalb ihre Vertreter in den Gesetzen eingeführt hatte.
Der beste Staat. 357
was wir hier lesen, ist der platonische Staat, der in Piatons Gesetzen
schon einmal auf das unter den gegebenen Verhältnissen mögliche herab-
gestimmt war, und hier noch einmal einer solchen procedur unterzogen
wird, wir sehen die grofse und die bevölkerung, oder vielmehr die
zahl der bürger fixirt; es kommt ein kümmerlicher kleinstaat heraus,
wir sehen die familie durch die reguhrung der ehe und der kinder-
zeugung reglementirt, nur weit abstol'sender als bei Piaton, weil jener
mit einem menschengeschlechte rechnen darf, das über das fleischliche
VüUig herr geworden ist. wir sehen das eigentum durch einen halben
commiinismus beseitigt und daneben weiter bestehend, und sehen die
consequenz rücksichtslos gezogen, dafs um der auserwählten willen, die
sich der übung der tugend und der glückseligkeit in müsse ausschliefs-
lich hingeben, eine unbestimmte masse von sclaven und rechtlosen freien
in einem unwürdigen zustande beharren und arbeiten müssen ; selbst der
ackerbau ist kein bürgerlicher beruf mehr.") wie diese untergeordnete
bevölkerung sowol im zustande des gehorsams wie in dem der unwür-
digkeit gehalten werden soll, wird dagegen mit nichlen klar, die Vor-
bedingungen der läge und des klimas werden nach Hippokrates und
Piaton des näheren erörtert und der mittehveg gesucht, der zwar die
Verbindung mit dem meere gestatte, aber die schädhchen folgen des
handeis und der seefahrt ausschliefse. hier gibt er geradezu an, was
noch ein par mal durchleuchtet, dafs er selbst für dieses erzeugnis seiner
freien phantasie eine bestimmte anlehnung an das existirende gesucht
hat, an das pontische Herakleia.^^j scbhefslicb verliert sich der gesetz-
52) Überhaupt hat er die bedeutung des ackerbaus unterschätzt, er steht
völlig in dem banne der damaligen demokralie und sieht mit der Überlegenheit des
Städters, des aaTvxQixp , auf den bauer hinunter, ganz wie der moderne doclrinäre
liberalismus. ihm gefällt ja an der bauerndemokratie, dafs sie conservativ ist, aber
er betrachtet sie doch als eine unvollkommene culturstufe. er lobt die tyrannen,
die für das landvolk sorgen, aber dadurch soll es eben dem staatlichen leben
fern gehalten werden, das aristophanische Atlien und vollends Rom zeigen hierin
eine ungleich gesundere politische einsieht. Aristoteles hat aber auch persönlich
am landleben keinen reiz gefunden, wie nicht nur Xenophon, sondern auch Piaton.
das liegt tief in seiner natur. er hat kein poetisches naturgefühl wie Piaton noch
ein kindlich naives wie Xenophon. er glaubt zwar an die sterngötter, aber an der
pracht des Sternes freut er sich nicht, sondern er freut sich seines ewig gleichen
wandelns. er fragt beim stern, wann geht er auf, beim bäum, wie wächst er und
beim fische, wann laicht er. sein herz glüht für Wissenschaft und tugend; aber
diese Wissenschaft und diese lugend sind kalt, er fragt ja auch beim gedichte
nicht, was steht darin, welche seele weht uns daraus an, sondern wie wirkt das
auf mich und wie wird das gemacht.
53) H 6 lobt er nicht nur, dafs die Herakleoten aus der menge ihrer unter-
358 I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
pi'Iicr in an sich interessantes detail über die erziehung, was den leser
aber doch nicht darüber trösten kann, dafs er von der eigentlichen
Verfassung des musterstaates gar nichts erfährt, so schön diese
l)iicher geschrieben sjnd, dürften sie als ganzes doch ziemlich das
unbefriedigendste sein, was wir von ihm lesen, es ist eben eine
hafsliche halbheit, diese wunschstadt. wünschen mufs man mehr, mög-
lich ist auch dies nicht, ja wahrhaftig nicht wert, dafs man sichs wünsche,
welche consequenz hegt darin, dafs dieser Staat die zahl der geburten
normiren wird, aber die ausübung unzüchtiger culte nicht zu verbieten
wagt? in Wahrheit hat Aristoteles es gar nicht ernsthaft angefafst.
sich einen festen plan für eine in der phantasie einheitliche stadt
zu entwerfen, ihm fiel der an das mögliche mahnende verstand
immer wieder in den arm, wenn er zu einem kräftigen zuge ansetzen
wollte, wie ihn die consequenz der ideellen Voraussetzungen forderte,
er versuchte sich hier an einer aufgäbe, für die er weder seiner begabung
noch seiner methode nach geschaffen war. den versuch aber machte
er lediglich, weil Piaton, der dichter, diese form für die politische spe-
culation gewählt hatte, aber schon die Gesetze selbst tun keine reine
Wirkung, weil das contagium der materie ihnen anhaftet, das reich,
das Piaton stiftete, durfte nicht von dieser weit sein, es war die ßaoi-
kela Tov &SOV. er hatte diese weit zerschlagen, der mächtige, und
baute sie prächtiger in seinem busen wieder auf. zu dem Staate und
der gesellschaft wie sie war, stand er schlechthin verneinend, ohne die
illusion des Demosthenes, die reaction des Theramenes, die biedermän-
nische kurzsichtigkeit des Isokrates und Xenophon. er möchte nicht die
schwerkranke gesellschaft bestehen lassen und nur als arzt dem einzelnen
tänigen bauern leicht die nötigen rüderer ausheben könnten, sondern sagt geradezu,
daTs ihre Stadt die angemessenste gröfse hätte, was notwendig auch dem Verhält-
nisse der regierenden und Untertanen gilt, so lernt man, dafs er auch H 9 und
r 3 (1275'') an Herakleia denkt, wenn er als das wünschenswerteste andeutet, dafs
die untertänige bevölkerung aus einer andern untergeordneten race bestehe als die
herrschenden Hellenen: das waren eben die gutmütigen ackerbautreibenden Marian-
dyner, die den Herakieoten zinsten, ScoQotpoQoi. die Stadt war freilich günstig ge-
legen, aufser contact mit hellenisclien übermächtigen nachbarn, selbst von Alexandras
noch so gut wie frei, die entwickelung von der megarisch-boeotischen Oligarchie
zur demokralie und tyrannis hatte sie durchgemacht und für das geistige leben der
nation ansehnliche leute gestellt, aber sie war doch nur als Vorposten einer über-
legenen heimiscJien cullur existenzfähig, selbst keine statte für neue geistige Pro-
duktion, die platonische wie die isokrateische schule hatten mit Herakleia beziehungen
unterhalten; wer dem Aristoteles seine günstige meinung erweckt hat, würde man
gern erfahren.
Der beste Staat, der schlufs der Ethik. 359
sich nahen, menschenfreiindhch aber im dunkel der persönliclien über-
legenen herablassung, wie die kyniker, noch sich davon nehmen, was
dem eigenen wolbefinden genügte, selbstsüchtig ausscheidend wie die
hedoniker. er fühlte sich dem Staate wie er war gegenüber so fremd
wie der philosoph des Theaetet, aber sein herz schlug warm von menschen-
liebe und Vaterlandsliebe, er fühlte sich als der wissende, der nicht
helfen darf, als der Steuermann , der das schiff nicht retten darf, weil
man ihn nicht an das rüder läfst. so rief er der weit sein ^sravoüre
zu und schuf eine gesellschaft, in der eine seele, eine reine seele, seine
seele wohnen sollte, nach seinem bilde, frei aus seinem geiste, das ist
ein %v geworden, wie es werden sollte; das schwebt und leuchtet, wie
die Sternengötter droben, im reinen aether mit ewig jungem glänze,
so etwas läfst sich nicht nachmachen, aber es erträgt, ja es fordert
neben sich die ergänzung durch die beobachtung, prüfung und Würdi-
gung des bestehenden, diese ergänzung zu liefern war Aristoteles der
rechte mann, und darum kam er erst in sein rechtes fahrwasser, als er
die fülle der gegebenen erscheinungen überschaute, verglich und nach
dem mafsstabe der grundlegenden begriffsbestimmungen abschätzte, mit
andern Worten , er mufste die Politien schreiben oder doch den stoff
für sie sammeln und auf diesem materiale die Untersuchungen anstellen,
die in den büchern AEZ vorhegen : dafs diese die Politien voraussetzen,
zeigen sie selbst auf schritt und tritt, wir müssen nur nie vergessen,
dafs einmal auch hier ältere partien, in ABF auch jüngere stehen, und
dafs die Vorlesungen mit dem als voihanden rechnen, was für die schule
vorhanden ist, deshalb aber noch nicht auch für das publikum vorhanden
zu sein brauchte.
Sowol über dieses Verhältnis zwischen den Politien und der Politik
wie über das was er mit beiden leisten wollte unterrichtet uns der
schlufs der Ethik mit aller wünschenswerten bestimmtheit. die erürte- Der schiuis
rungen, die er mit dem namen ethik umfafst, haben ihn schliefslich zu
dem gesländnis geführt, dafs es eigentlich doch auf das sittliche handeln
ankomme, wie aber wird das erzielt? dazu braucht man die zucht
des Staates, der gesetze. wer also das volk zur Sittlichkeit und dem-
nach auch zum glücke führen will, mufs sich darauf verstehen gesetze
zu geben, mufs ein vojnod-eTr/.ög sein. Aiistoteles hätte gleich sagen können,
er müfsle ein no).iTr/.6g sein, wenn er nicht eine scharf polemische
auseinandersetzung mit zwei anderen richtungen neben sich in sinne
hätte, deshalb fährt er vielmehr sofort: "man sollte annehmen, gesetze
zu geben, könnte man bei den bcrufspolitikern, den ^ohrixot, lernen.
3(50 I- 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
aber dagegen spricht die erfalirung, die den anomalen zustand constatirt
liat, dafs die politiker zwar die praxis, aber nicht die theorie verstehn.
sonst hJitten sie, wie alle andern die ein metier treiben, ihre kunst
auf ihre Idnder vererbt, was notorisch nicht der fall ist (die alte seit
Sokrates und den Sophisten erhobene klage und anklage) und hätten
auch über sie geschrieben, was doch mehr wert wäre als ihre staats-
nnd procppsreden (hier ist ein Seitenblick auf Demosthenes und die
anderen politiker der restauration unverkennbar), die sophisten dagegen
(d. i. wie Spengel gesehen hat, Isokrates) erheben zwar den anspruch,
polilik lehren zu können, aber ihnen fehlt erstens die praktische er-
fahrung, die notorisch eine unerläfsliche bedingung ist, zweitens unter-
schätzen sie die politik, da sie sie entweder mit der rhetorik identifi-
ciren oder gar tiefer stellen, drittens bilden sie sich ein, es wäre leicht
gesetze zu geben , man brauchte ja nur die vorhandenen zu sammeln
und die besten auszuwählen (Tsokr. 15, 83): als ob nicht gerade ein
fertiges urteil bereits gebildet sein müfste, um diese auswahl treffen zu
können, die Sammlungen von gesetzen und Verfassungen haben ihren
wirklichen nutzen also erst für den der bereits politisches urteil besitzt,
ihre lectüre allein kann ein solches nicht gewähren, wenn sie auch wol
das Verständnis der politik vorbereitet und erleichtert, so ist denn also
die aufgäbe noch ungelöst, die gesetzgebung oder besser die politik
überhaupt wissenschaftlich zu untersuchen und zu lehren'', zu dieser
also wendet sich Aristoteles "um so den schlufsstein zu dem gebäude
der Wissenschaft von den menschlichen dingen zu legen". ^'')
Dies selbstzeugnis ist wol wert, dafs man es sich überlege, erstens
bezeugt es die existenz der Politien als eine Vorbedingung der poli-
tischen vortrage, darin liegt zwar nicht die Vollendung und herausgäbe
der ganzen Sammlung; es werden ja auch die Gesetze daneben genannt.
54) So weit gibt der zusamitienliang der gedanken eine schlechthin sichere
garantie für die ächtheit aller einzelnen sätze. wer den letzten athetirt schlägt
drr ganzen deduction den köpf ab, denn Aristoteles konnte wahrlich nicht mit der
behandiung der methoden schliefsen, die nicht zur gesetzgebung befähigen, diese
falschen können vielmehr nur als Vorbereitung auf die richtige methode behandelt
sein, die folgenden, von mir nicht mehr paraphrasirten sätze könnten an sich
fehlen, aber wie hätte Nikomachos auf den einfall geraten können, eine disposition
der Politik an das ende der Ethik zu setzen? als bücher waren sie ja gesondert,
mochte sie Aristoteles auch in den Vorlesungen einmal unmittelbar vereinigt haben,
übrigens macht es nicht viel aus; wenn auch hier allein \on den avr?]yfiivai noh-
ti'uu geradezu geredet wird, läfst doch auch das frühere keinen zweifei, dafs eine
Sammlung wirklich schon gemacht war.
Der schlufs der Ethik. 361
die erst Theophrast vollendet hat; aber liir die wissenschaftliche arbeit
ist die schlufsredaction und Veröffentlichung von geringer bedeutung.
sodann warnt Aristoteles davor, dafs diese materialien an sich schon
genügten um das pohtische urteil zur reife zu bringen, also vor einer
Überschätzung ihres wertes; aber er meint mit diesem Zugeständnisse
seiner autorenbescheidenheit sicherlich so viel, dafs sie allerdings geeig-
net wären, dem wissenschaftlich, d. i. philosophisch gebildeten zu einem
solchen urteile zu verhelfen, wenn er das in ihnen imphcite enthaltene sich
nur selbst zu entwickeln vermöge, mit nichten als geschichtliches material,
sondern als substrat der politischen speculation mit wesentlich prak-
tischer tendenz hat er seine Polilien verfafsl: er hat also anspruch darauf,
sie dem entsprechend beurteilt zu sehen, er hat aber diese grofse arbeit
aufgewandt, um das inductive material für seine politische theorie zu
gewinnen , oder vielmehr (denn diese theorie stand ihm ja vorher fest,
und sie war nichts absolut neues) um seine schüler zu vo(.iod^eTiY.oL zu
machen, sie zu befähigen, in dem praktisch pohtischen leben die ge-
eigneten mafsnahmen zu treffen, auf dafs die lehren der Ethik über
tugend und glückseligkeit in die leibhafte erscheinung übergeführt
würden, mit andern worten, er wollte ein geschlecht heranziehen,
das unter den tausendfach verschiedenen bedingungeh, welche die helle-
nischen Staaten boten, durch die wissenschaftliche einsieht in das wesen,
die aufgäbe und die erscheinungsformen des Staates befähigt wäre, im
rechten sinne praktisch zu wirken, wer das leistete, eben in einer zeit
des politischen Umschwunges, der erfüllte was die sophistik hundert
jähre vorher trügerisch und vergeblich versprochen hatte, daran hat
Aristoteles seine kraft gesetzt, und er dachte nicht gering von seiner
leistung. er sah dies als etwas vollkommen neues an, denn er machle
gegen politiker und Sophisten front, nicht gegen Piaton, von dem sein bester
Staat doch gänzlich abhieng. wir werden nicht bestreiten dürfen, dafs
er seine Originalität sehr weit überschätzt hat^^), aber da er sich eben erst
von der speculation über den Staat des Wunsches mühselig auf den boden
der realität und geschichte selbst den rückweg erarbeitet hatte, steht
ilim subjectiv diese Selbstüberschätzung an. als ergänzung zu Platon preisen
55) Wie überaus stark Piatons Schriften auf alle teile seines politischen denkens
gewirkt haben, auch in stücken, die gemeiniglich für specifisch aristotelisch gelten,
zeigt in ziemlich befriedigender weise die von Teichmüller angeregte Dorpaler
dissertation von Lutoslavski, 'Einteilung und Untergang der Staatsverfassungen nach
Plato, Aristoteles und Macchiavelli'. es liefse sich das, namentlich was den Polilikos
angeht, noch viel weiter ausdehnen.
362 1- 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
ja auch wir die Politik, die ihn freilich sehr oft durch das ergänzt, was
in Wahrheit die praxis des allischen Verfassungslebens an politischer
Iheorie erzeugt hatte, in höherem sinne dürfen wir sogar sagen, dafs
Aristoteles erst jetzt, wo er ihm innerlich ganz frei gegenüberstand, der
rechte nachfolger Piatons geworden ist, der ja auch nicht blofse gelehrte
oder gar philosophen hatte bilden wollen.
Praktische Der erfolg ist nicht ausgeblieben, trotzdem in den diadochenslaaten
Wirkungen. ^^^^ grofsartigc politische bildungen entstanden, die er nicht geahnt
halte, und die seine kleinstädtchen zertrümmerten, seine eigene schule
ist freilich dem fanatiker des ■dstogipizog ßlog anheimgefallen, dem Theo-
phraslos, der trotz seiner pohtischen schriftstellerei nur ein mann des
katheders ist. aber ihm steht der Vertreter des TtgaKTixog ßlog als
aristotelischer schüler ebenbürtig zur seile, Dikaiarchos, der die macht
der konigshöfe für die Wissenschaft nutzbar macht, ganz besonders
aber hat Athen die praktische anwendung der aristotelischen Politik
erfahren, sein freund Antipalros schlägt die demokratie nieder; sie
hatte ihn selbst zu dieser execulion gezwungen, dann aber greift er
energisch, ja wir müssen sagen grausam, durch, mit vollkommener Scho-
nung des privateigentumes, aber mit der einführung eines ceusus für
das elTective bürgerrecht. eine aristotelische forderuug, die zugleich die
des Theramenes und Phormisios gewesen war, wird erfüllt, dafs der Staat
den besitzenden , den onXa 7vaQSx6f.i£voL oder anders ausgedrückt den
. za TL(.tri(.iaTa 7taQey6(.uvoL gehören soll, die bisherigen kustgänger des
Staates, die gründlinge der Volksversammlung und der gerichle, sind
damit freilich dem elend preisgegeben, o/.ärcTSLv yog ovx e/tiGTavrai.
diese radicale reaclion erwies sich auch dieses mal als undurchführbar, und
man wird angesichts des elends der masse über die grauenvollen Zuckungen
der nächsten jähre milder urteilen, slätigkeit kommt erst in die Verhält-
nisse, als Demetrios von Phaleron den Staat in die bände bekommt. ^^) da
wird nur die niederste schiebt der bürger ausgeschlossen, indem der census
liefer gegriffen wird, gesetzesw ächter werden als eine nach ansieht des
Aristoteles oligarchische behörde eingesetzt, und das archontenamt, das
Ilernelrios selbst bekleidet, soll wieder etwas bedeuten, also auch der
Areopag wieder ein wirklicher rat werden; luxusgesetze ergehen und die
zuchl der frauen und kinder nimmt der Staat in die band, das kostspielige
und gefährliche schofskind der demokratie, die flotte, verfällt allerdings,
56) Der zufall fügte es, dafs wieder Stadt und hafen im gegensatze standen
wie 403, aber Demetrios liat wol bewufst die ähnlichkeit gesucht, die das iob-
'1<'kret der Aixoiieer CIA 11 584 andeutet.
Praklische Wirkungen. Die noLrsia des Aristoteles. 363
und der Staat ist nicht einmal in stände Delos zu behaupten, aber er soll ja
keine macht aufser landes mehr anstreben, und im innern herrscht Ord-
nung, frieden und wolstand. so über Athen zu herrschen hat Demetrios
bei Aristoteles gelernt: er ist der voj-ioO-errMg avt]Q, den die Politik
erzogen hat. gerade an Athen hat sie ihre praktische probe bestanden,
wüfsten wir nur mehr über die Verfassung und Verwaltung des Deme-
trios, so würden wir das noch im einzelnen verfolgen können, aber für
jeden, der nicht durch phrasen geblendet ist oder auf ein modernes
politisches credo eingeschworen, gibt die würdelosigkeit des Volkes und
seiner demagogen, die vor den füfsen des Demetrios Poliorketes hündisch
schwänzeln, der schmutz mit dem der elende Demochares das gedächtnis
des Piaton und Aristoteles bewirft und das elend der neunziger jähre
eine folie ab, dunkel genug, dafs sich auch bei dem trüben liebte
unserer überheferung die segensreiche Verwaltung des Demetrios deut-
lich abhebt.
Wenn wir nun Polilien und Politik zusammenhalten, w^e sie zu pie
einander gehören und im ganzen gleichzeitig verfafst sind"), so wird das '^"del""
urteil ohne zweifei dadurch etwas einseitig ausfallen , dafs wir ja nur A"ä'°'^^®^-
das erste buch der Pohtien lesen, allein Athen ist und bleibt doch die
hauptsache. gewifs hat sich Aristoteles ein sehr grofses verdienst dadurch er-
worben, dafs er die spartanische legende, die auf Piaton und Xenophon
eine so starke macht ausgeübt hatte, mitleidslos zerstört hat, das sehen
wir auch noch genügend in der Politik, aber davon war der ertrag, dafs
die pohtische Iheorie begriff, von Sparta positiv so gut wie nichts lernen
zu können. Athen dagegen hat dem Aristoteles unbewufst fast immer vor-
geschwebt, keinesweges blofs, wo er von der loxäTTj dr^i.ioy.Qaria redet,
der Staat, den er im äuge hat, wenn wir von dem seines Wunsches ab-
sehen, ist der nach seinem urteil über die geschichte und die Verfassung
Athens umgeformte athenische, königtum und aristokratie figuriren
nur noch gleichsam als Überschriften, weil das überheferte System sie
fordert: das buch der weit hat diese capitel verloren. Oligarchie und
demokratie sind die einzigen tatsächlich noch vorkommenden gattungen
(von der schlechthin verwerflichen und niemals dauernden tyrannis ab-
gesehen), die Ttolireia ist die rechte mitte zwischen ihnen, so pafst es
zumal dem ethiker, der auch darin die alte volksmoral codificirl, navtl
f.Uoo) To '/.QÜTog d-ecQ WTzaasv. in diesem sinne kann er auch von einer
57) Ob in der angäbe der vita (431. 440. 449 R.), dafs die Politien in Alexandeis
zeit fielen, gute Überlieferung steckt, ist nicht sicher zu sagen, da fabelhaftes ein-
gemischt ist. wir brauchen auch kein äufseres zeugnis mehr.
gg4 1. 10. Zweck und bedeutnng des aristotelischen buches.
ricliti^on miscluing oligarchischer und demokratischer institutionell reden,
diese boten ihm die Polilien in reichster fülle, aber der Untergrund aller
seiner speculationen ist und bleibt doch der Staat, in dem er lebt, der
das reichste leben und die meisten Verfassungsänderungen durchgemacht
hat, Athen.
Die wirtschaftliche freiheit des bürgers und seines eigentumes ist
überall vorausgesetzt, nirgend wird der versuch gemacht, den grund-
besitz zu binden oder zu beschränken, noch auch das bürgerrecht auf
ihm aufzubauen. Athen war eben kein bauernstaat mehr, und Aristo-
teles rechnete praktisch nicht mehr mit der bauernrepublik , er preist
Solon als den befreier der hörigen und Zerstörer des grofsgrundbesitzes,
er verwirft jede beschränkung der freien Vererbung.^*) er preist ihn auch
als den Vertreter des mittelstandes; dieser aber ist für ihn durch den besitz
gebildet, die mitte zwischen arm und reich; da das schon bei Euripides
steht, war es ein altsophistisches Schlagwort, welcher art der besitz aber
ist, darauf läfst er sich nicht viel ein : die leute sollen doch im wesent-
lichen von ihren Zinsen leben können, die ßavavooL, die körperliche
arbeit tun, um zu leben, schliefst er von dem Staate prinzipiell aus, ob-
wol er in praxi wie über alles auch über ihre abgrenzuug mit sich
reden läfst. was er hier will, ist die forderung der attischen ohgarchen.
denn einen eigentUchen census wollten sie so wenig wie er, und wer
bürger ist hat nach beiden das recht oder vielmehr die pflicht sich am
Staatsleben zu beteihgen. darin liegt, dafs eigentlich keinerlei sold ge-
zahlt werden kann, auch da wird er billig sein; unerfreuliche ämter,
wie die der executoren und gefängnisaufseher, wird er durch sold an-
nehmlich machen, vielleicht auch unbemittelten bürgern, die er doch als
solche halten und heranziehen wird, diaeten bewiUigen, andererseits die
beteiligung der höheren stände durch geldstrafen erzwingen (was er von
den 400 gelernt hat); aber das sind ausnahmen, die den eigentlichen
typus nicht verändern, seine Tcohrela hat eine 7c6hg: darin liegt die
städtische ceutralisirung des lebens, wie er es kannte, eine folge der demo-
kratie. er versucht das nicht zu redressiren, obwol er die tyrannen lobt,
58) Charakteristisch ist dem gegenüber, dafs die attische restauration den neu-
bürgern, die durch Specialgesetz zahlreich geschaffen wurden, den erwerb von grund-
besitz nur in beschränktem mafse noch zugestand: sie wollte also der aulochthonen
bevölkerung das land erhalten; in der Stadt (tyxrr,ais oixCas) war die beschränkung
noch viel stärker: hier war den kleinbüigeni mit ihren kümmerlichen bauschen
offenbar die concurrenz der reichen händler, die sich das bürgerrecht verschafften,
schon sehr fühlbar geworden.
Die noXireia des Aristoteles. 365
die dagegen angestrebt halten, und den Aristeides tadelt, der die grofssladt
Athen geschaffen haben sollte, aber es Avar für seine praktischen plane
eben etwas gegebenes; er selbst fiihlle sich als moderner mensch in
der grofsen Stadt wol. sein Staat hat natürlich geschriebene Verfassung
und geschriebene gesetze. souverän ist die bürgerschaft, und jeder bürger
hat auf seinen teil der herrschaft anspruch. wähl und rechenschafts-
abnahme der beamten stehen notwendigerweise bei dem volke. es wird
auch kein rat gefehlt haben , und die beamten werden so ziemlich den
attischen entsprochen haben, nur mit freier bewegung innerhalb ihrer
Sphäre, etwas über das athenische hinausgebendes sind nur die beamten,
die über die sitte und erziehung wachen, es ist freilich schwer, sich die
aristotelische noXiTeia zu construiren, da er ja nirgend dieses bild neben
seine wunschstadt gestellt hat, und jeder einzelne zug, den man sich
aufsucht, nur eine relative giltigkeit beanspruchen kann, die hauptsache
bleibt, dafs man beim lesen der Politik fortwährend an Athen und seine
publicisten, bald an Isokrates, bald an Demoslhenes oder Aischines denkt,
wer einem gerade von ihnen im sinne liegt, ohne dafs doch diese an-
klänge jemals mehr bedeuteten, als dafs Aristoteles sich aus dem gedanken-
kreise der athenischen oder überhaupt der hellenisch-demokratischen
politik nicht loszuwinden vermag, halte man dagegen seine behandlung
des konigtums: wie blafs und abslract ist sie, weil er seine con-
creten beispiele eigentlich nur bei Homer finden kann, da er Kyros ver-
schmäht, an Philippos und gar Alexandros wird man nie und nirgend
erinnert, das gibt für seine politische bildung und für seine tendenz
den ausschlag.
Diese TtolLtsia kann in beliebig vielen Städten nebeneinander be-
stehen und kann es auch in beliebig vielen Spielarten , je nach den
bedingungen der läge und der wirtschaftlichen Verhältnisse und den tra-
ditionen, bald mehr demokratisch, bald mehr oligarchisch ; darauf kommt
es dem realpolitiker nicht an. Hellas wird eben, wenn es von Arislo-
telikern regirt wird, eine summe solcher Politien bilden, die einander
nichts zu leide tun, zu gute allerdings auch nichts, denn sie sind zwar
wehrhaft, so dafs sie sich ihre existenz sichern können, aber sie streben
über den zustand des "guten lebens' {rov ei 'Qr^v) nicht hinaus, das ihnen
die TCoUxEla unter den richtigen /cohri/.ol gewährt, auf diesem ge-
meinsamen niveau werden sich Athen und Megara, Theben und Plataiai,
Amphipolis und Stagira vertragen und wol befinden.
Es ist ein mildes urteil, wenn man dieses Hellas gegenüber dem
attischen Reiche und dem reiche Alexanders kümmerlich nennt, wie hat
ggg I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
nur (itT universelle denker bei etwas so kümmerlichem trotz beiden be-
luHTiMi können? von den subjectiven gründen ist genug geredet; die
Wurzel seines tlieoretischen Irrtums mufs man in der tiefe suchen, dafs
selbst dieser philosoph, der dem juristischen denken näher als ein anderer
Hellene gekommen ist, kein Jurist war, erklärt schon vieles, er hat
darum den begriff des Staatsrechtes gar nicht gefafst, geschweige eins
feschrieben, so sind ihm denn die concreten Verfassungsformen in
seinem Staate ganz nebensächlich gegenüber dem geiste, der in ihnen
leben soll, mehr noch hat es zu besagen, dafs er kein historiker war.
wenn er selbst es für der mühe wertgehalten hätte, zu forschen, so würde
er in der läge gewesen sein, ein biid von der Verfassung des Kleisthe-
nes oder auch nur der um 432 geltenden zu entwerfen, wir würden
lesen : damals gab es die und die ämter noch gar nicht, wurden die ge-
schäfle talsäclüich so und so geführt, und die und die misstände der
jetzigen demokratie vermieden, wir würden die ansätze zu einer aus-
dehnung des bürgerrechtes auf weitere kreise und die abstufungen der
rechte und pflichten im Reiche lesen: die gerechtigkeit des Aristoteles
würde dann auch zu anderen urteilen gelangt sein, so aber misachtet
er schlechthin die Verhältnisse der nichtbürgerlichen bevölkerung in der
Politie, sieht also nur die Staaten vereinzelt und folgt in betreff der
geschichte des fünften Jahrhunderts tendenziösen urteilen und Vorurteilen,
aber ganz besonders bedeutsam erscheint mir ein bestimmter punkt.
list man die Politie, so fällt am meisten auf, dafs er die organische glie-
derung des attischen Staates kaum einer beachtung würdigt, von den
resten des geschlechterstaates mag man absehen: ihm ist trotz allen
l'olitien dieser typus des althellenischen Staates gar nicht als solcher
klar geworden ; aber die phyle war doch der träger äufserst wichtiger
staatlicher functionen, und der demos war es noch viel mehr, die demoten
und demarchen hatten wahrlich mehr zu tun als die epheben zu prüfen,
das einzige was er von ihnen sagt, noch immer war der rat eine Ver-
tretung der demen und die zehnstelligen collegien eine Vertretung der
phylen. ohne diese gliederung hätte Attika, das doch weit mehr bürger
zählte als die idealstadt des Aristoteles, gar nicht verwaltet werden
können, und ohne diese Vertretung würde entweder der regionahsmus
Oller der gegensatz zwischen stadt und land das parteileben Athens be-
stimmt haben, erst die kleisthenische gemeindeordnung hat Attika von
diesen übeln befreit, die es im sechsten Jahrhundert schwer heimgesucht
hallen, es ist wahr, die entwickelung namenlHch des vierten Jahrhunderts
li.iiic .li<. centralisirung so weit getrieben, dafs die organe jener sinn-
Die TioXiTsia des Aristoteles. 367
reichen Verfassung und namentlich das repraesentative prinzip verkümmert
waren, aber den theoretiker konnte dieses prinzip wahrhaftig etwas
grofses lehren: die müglichkeit eines Staates, der über den krähwinkel-
zustand hinauskommt, wo jeder bürger jeden bürger persönlich kennt,
das hat er aber nicht gesehen und dem entsprechend in seiner theorie
nicht beachtet.
Wir können nicht anders als staunen und bedauern, dafs weder
die Verfassung des attischen Reiches noch die des zweiten bundes
irgendwie in der Polilie beachtung findet, das geht aber weiter,
so viel wir wissen hat weder die delische noch die pythische amphik-
tionie eine behandlung in den Politien gefunden, die gemeinsame
arkadische Verfassung stand freilich darin, aber das war auch eine ge-
schriebene von Epaminondas künstlich gemachte, sonst waren die Kotvai
7toXirelai zumeist solche von ed^vr} wie Thessalern und Lykiern, also
nach Aristoteles unvollkommene Vorstufen des pohtischen lebens. die
Politik bestätigt auch hier, dafs er den gedanken schlechthin abgewiesen
hat, die Vereinigung selbständiger glicder zu einem gröfseren ganzen zu
verfolgen, man sollte meinen, bundesstaat und Staatenbund hätten dem
Hellenen wahrlich nahe genug gelegen: die geschichte Boeotiens und
die bedeutende gestalt eines Epaminondas hätte doch schon den ober-
flächlich die geschichte überlegenden darauf bringen sollen, und war der
bestehende rechtszustand, der friede in Hellas, in dessen schütze Aristo-
teles selbst lebte, nicht durch einen Staatenbund begründet? er dagegen
hat kein woit und keinen blick dafür, weder in Politik noch Pohtie. es
leuchtet ein, dafs es dieselbe beschränktheit ist hie und da, die ihn
die gliederung des Staates nach unten und seine angliederung an gleich
selbständige Staaten zu einem bunde schlechthin übersehen läfst. wahr-
lich die Politiker Kleisthenes und Aristeides oder auch Epaminondas
und Phihppos sind dem philosophen sehr überlegen, er zeigt zwar die
Stufenleiter von der famihe zum Staate auf, aber er benutzt sie nur zu
seiner geschichtlichen und begriHlichen ableitung des Staates, der
Staat wie er ist bleibt für ihn, es kurz zu sagen, ein y.oLvöv, ein
EQcivoq. die mitglieder sind zusammengetreten um für sich das gedeihliche
leben zu finden; frauen und kinder und sclaven und hörige sind nur
um der mitglieder willen da und werden behandelt, wie es der zweck
der genossenschaft verlangt, es ist eine vergröfserte nachbildung der
Akademie, in solcher genossenschaft hat Aristoteles gelebt, er selbst
hat eine solche gestiftet: das ist für ihn bestimmend gewesen, auch
wenn er gesetze für Stagira gegeben haben sollte, sind es doch nicht
ggg I. 10. Zweck und bedeiitung des aristotelischen buches.
diese, ilbrigens wenig ermiUigenden , erfahrungen, sondern die in der
Akademie und im Lykeion gewesen, welche er statt der mangelnden
wirklich politischen erfahrung befolgt hat.^')
Er war kein rhetor, aber sehr empfänglich für die künste der
rhetoren, er verachtete die taschenspielerkünste der eristiker nicht, son-
dern er überwand sie nur: so war er zwar kein Staatsmann, aber es
imponirte ihm doch die praktische geschicklichkeit der Staatsmänner, auch
wenn sie die hohen ziele seiner lebensanschauung nicht verstanden oder
nicht anstrebten, und so wird der Staatsmann seiner Pohtik etwas sehr
verschiedenes von dem königlichen herrscher, den seine iibermenscliHche
Weisheit und gute über das gesetz erhebt, wie ihn der platonische dialog
des namens darstellt, an dem sich wol ein Alexandros begeistern konnte,
er ist auch nicht ein Staatsmann, wie wir ihn in Rleisthenes und Ari-
steides bewundern und seihst in Kleon und Eubulos anerkennen müssen,
das Werkzeug oder der Werkmeister, wie man das ansehen will, für ein
bestimmtes und notwendiges stück in der geschichte seines volkes: er
hat keine mission zu erfüllen, sondern er besitzt und übt eine kunst,
die Ttohriv.}] riyyr]. er ist der virtuose, der diese virtu besitzt, und er-
innert allerdings an die Zöglinge der sophistik oder der renaissance.
so hat denn Aristoteles selbst freude an den kunststücken der politik,
wie er sie von Themistokles erzählt, ohne rücksicht auf ihre sittliche
berechtigung, und da es ihm auf das exempel allein ankommt, auch ohne
])rüfung ihrer geschichtlichen Wahrheit, das ist die politik nqog Tovg
y.aiQovg, die mit seinem raateriale Theophrastos bearbeitet hat, und die
von solchen exempeln voll war. auch die zweite Oekonomik ist für die peri-
patetische Politik immerhin ein sehr belehrendes document. gerade nach
dieser seite hat der Peripatos auf die praktische politik der diadochen
stark eingewirkt: Mkanor, der Schwiegersohn des Aristoteles, und Kas-
sandros, der söhn seines nächsten freundes, und Duris der tyrann von
Samos, verlangen neben Dikaiarchos und Demetrios auch ihre erwähnung.
es hilft schon nichts, wir müssen zugestehn, dafs auf dem boden der ari-
stotelischen Politik eine Staatskunst wachsen kann, die wir macchiavellistisch
zu nennen gewohnt sind, und es sind eben die partien des Principe, gegen
59) Ich weifs wol, dafs lustus Moser geradezu den staat mit einer actien-
gesellschaft vergleicht, ein grofser und auch ein realistischer denker. aber Mosers
acüe ist der xlrj^oe, das bauerngut. sie läfst sich also sehr gut griechisch be-
zeichnen, und mit dem einsetzen dieses adaequalen griechischen begriffes ist sofort
gesagt, dafs wir Mosers staat in Wahrheit in den zeiten der griechischen adels-
herrschafl zu suchen haben.
Die TTohTEia des Aristoteles. 369
die der jugendliche Friedrich seine stark rhetorische polemik riclitet,
welche an Aristoteles gemahnen, ohne zweifei darf man die künsle der
tyrannis weder dem hellenischen noch dem florenlinerdenker zum vorwürfe
machen, ohne zweifei ist das sitthche ideal des Hellenen das unendlich
höhere: aber es gibt doch einen gesichtspunkt, von dem aus der Italiener
die anerkennung fordert, wärmer empfunden und höher gedacht zu haben.
Macchiavelli ist ein patriot, seines Vaterlandes, Italiens, einheit, freiheit
und gröfse hat er vor äugen, und diese glühende liebe macht ihn dem
grofsen könige, der ihn bekämpft hat, ähnlicher als dem philosophen.
Aristoteles zeigt genug von stolz und selbst von hochmut als Hellene;
ungleich anspruchsvoller tritt der Stagirite auf als der athenische eu-
patride Piaton, hat er sich doch durch seine Verachtung der barbaren
sogar mit Alexandros entzweit, racenhochmut ist wahrlich nicht minder
häfslich als geschlechtsstolz, aber eine politische bedeulung hat sein
nationalgefühl nicht. Hellas ist ihm lediglich ein etlinographischer
begriff, und er würde ganz befriedigt sein, wenn seine kleinstaaten
in ihrer Selbstgenügsamkeit {avTaQxsia} neben einander exislirten,
y.vy.?.co7iLy.cüg , sein eigenes wort zu brauchen, es kommt ihm nicht
in den sinn, dafs die höhere culturstufe höhere anforderungen an
die staatliche gemeinschaft stellt, dafs der mafsstab für das ev Lrjv,
den zweck des Staates, steigt, und dafs somit die materiellen mittel des
Staates steigen müssen, aber ganz abgesehen von dem wissenschaftlich
unvollkommenen seiner lehre: es fehlt an dem gefühle im herzen, ihm
hat es nicht höher geschlagen, als der hellenische speer in Susa und
in Memphis gebot; der barbar ist ihm immer der sclave: der feind ist
er ihm nur in der conventioneilen phrase des epigrammes. hätte es
ihn gelüstet in den rhetorischen wettkampf mit Isokrates einzutreten,
so würde er die heroen von Salamis und Plataiai auch aufgeboten haben,
als rhetorischen schmuck; aber der begriff der nation , der nationalen
macht und ehre spielt in seiner Politik keine rolle, so steht er auch
zu der vaterländischen geschichte. er hat sie stückweise in den Pohtien
erzählen müssen, aber das ganze ist dem Stagiriten nie zu herzen ge-
drungen, wir sind vielleicht, da wir in einer zeit der Übertreibung des
nationalen momentes in jeder richtung leben, leicht dem ausgesetzt, zu
hart über die söhne anders gearteter zeiten zu urteilen, aber Piaton
und Demosthenes und Alexandros lebten doch in derselben zeit, und
der Makedone Antipatros kann diese gesinnung seines freundes doch
nur als etwas ihm fremdes, hellenisches, angesehen haben, begreiflich
ist es an dem vaterlandslosen, denn Stagira war keines, so wenig eine
V. Wilamowitz, Aristoteles I. 24
370 '• 10« Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
aristotelische stadt es sein würde; aber traurig ist es auch, und es
diene uns hier dazu, die häfsliche Ungerechtigkeit der PoHtie gegen die
grofse zeit Athens, den höhepuukt der griechischen geschichte, leider
als ganz besonders aristotelisch zu begreifen, wer die vereinzelten klein-
staaten zum ideale hatte, der konnte ja gegenüber den einheitsbestrebungen
schlechthin kein anderes gefühl als hafs empfinden, die geschichte
halte sie ja auch gerichtet, so Avähnte er: dafs sich vielmehr vor seinen
äugen das werk Athens durch seine Vollendung rechtfertigte, sah er
nicht und wollte er nicht sehen, aber die geschichte ist gröfser und
gerechter als selbst ein Aristoteles, und so ist es ein gebot der ge-
rechtigkeit, dafs wir die hellenische geschichte, die Völker und die raänner,
die sie gemacht haben, nicht mit den äugen des Aristoteles betrachten,
dieses gebot hat die antike historie erfüllt, denn die Polilie der Athener
hat talsächlicii in der beurteilung der personen das urteil der nachweit
nicht bestimmt.
Die bedeu- Wir haben den weg der persönlichen betrachtung durchmessen und
lUDp der Ol o
poiiiucben sind ZU dem ausgangspunkte zurückgekehrt, um dem gebäude seiner
'^menschenwissenschatt' den schlufsstein aufzulegen, behandelt Aristoteles
die politik: so sagt er selbst, um nicht blofs philosophen und gelehrte
zu ziehen, sondern um die menschen zu der tugend und dem glücke zu
führen, das er theoretisch erfafst hat, hält er diese vortrage, die wirk-
liche pohtiker erziehen sollen, als material für seine auf dem boden
des gegebeneu beginnende forschung über die Verfassungen und die
wahre Verfassung bedurfte er der kenntnis der gewesenen oder be-
stehenden Verfassungen , geselze, gebrauche, Schiedssprüche, nicht um
ihrer selbst willen, sondern als ein hilfsmittel brauchte er die geschichte.
aber er tat auch den weiteren schritt und schrieb die Politien, nicht
für die schule, sondern für das pubHcum, nicht um über die tatsachen
zu belehren, auch nicht weil er, wie Isokrates gewähnt halte, dem der
gedanke einer Sammlung der gesetze schon gekommen war, dadurch
unmittelbar urteilsfähige politiker erziehen wollte, aber allerdings in der
sichern erwarlung, dafs das Verständnis der Pohtik, die er ohne zweifei
auch zu schreiben gedachte, erleichtert und vorbereitet würde, auch
das sagt er selbst, wahrlich, es ist eine gewaltige zeit, und Aristoteles
steht in ihr als ein gewalliger mann, fern in Susa feiert der junge
herr der weit seine hochzeit mit Rhoxane, das symbol des friedens und
der Versöhnung des alten völkerzwistes, den Homer und Herodot ge-
schildert hallen, es ist für den wiedergebornen Achilleus die hochzeit
mit Polyxene. aber der junge tag des Hellenismus bricht dennoch an:
Die bedeutung der politischen lehre. 371
das kind aus dieser ehe der Völker ist das Christentum geworden, fern
aus Athen dagegen dringt die unerschrockene stimme des weisen und doch
in seiner Weisheit kleingläubigen, der die moglichkeit dieser Vereinigung
leugnet und die Überlegenheit der hellenischen race rücksichtslos wider
die barbaren und den makedonischen konig behauptet, in Athen selbst
und in ganz Hellas liegt der aipdruck auf allen vaterlandshebenden ge-
mütern, dafs die lieben alten kleinen heimatsstädte nun aufhören sollen
die weit zu bedeuten, mit doppelter wärme empfinden sie die heiligkeit
ihrer heimischen gotter und sitten und einrichlungen, gedenken sie all
des grofsen, das die väter mit diesen und durch diese geleistet haben,
ganz besonders aber wird in Athen die demokratie, die freiheit des
Staates und des einzelnen, die stolze freiheit des Wortes und des lebens
empfunden gegenüber dem makedonisch-barbarischen grofsstaate mit
hufischem ceremoniell, mit uniformen, Subordination und soldatenarro-
ganz, mit dem culte des allmächtigen konigs. da könnte Aristoteles ein
Wortführer dieser gefiihle scheinen, so weit sie hellenisch sind, teilt er
sie, aber nicht so weit sie athenisch oder boeotisch oder megarisch,
demokratisch oder oligarchisch sind, und auch das führt er mit frei-
mütiger Überlegenheit dem publicum vor, das die Politien zu lesen be-
kommt, die Staatswesen wie sie sind bestehn die prüfung nicht, die
Staatsmänner die sie geschaffen haben noch weniger, die grofse Ver-
gangenheit, die nationale grofse erhält nicht einmal einen warmen nachruf.
der weise steht unbeirrt von dem fernen grolle des königs wie von dem
nahen toben der menge auf dem festen gründe seiner wissenschaftlichen
Überzeugung, grofs fürwahr und erhaben, aber auch kalt, vor lauter
klugheit irrend und ungerecht nach beiden seilen, man niufs das äuge
der phantasie mühsam zwingen, die läge der weit und der personcn
für das jähr 325 genügend isoirrt von der nächsten zukunft zu schauen :
denn wenige jähre später ist der grofse könig tot und mit ihm das weit-
reich, ist die athenische demokratie zertrümmert und hat Aristoteles den
hafs der demokratie erfahren, für die er als antwort nur einen überlegnen
spott hatte, die grausame strafe aber, die sein freund über die stadt ver-
hängte, die trotz allem seine zweite heimat geworden war, brauchte er nicht
mehr mit anzusehen. Antipalros hatte in den tagen, da er Athen nieder-
warf und die todesurteile über Demosthenes und die andern demagogen
aussprach, das testament seines eben verstorbenen freundes Aristoteles
zu vollstrecken, in der zeillichkeit schlössen sie einander aus, die
nationale demokratie Athens, das völkerversöhnende weitreich des Ale-
xandros und die Wissenschaft des Aristoteles, für uns aber ist es ein
24*
372 •• 10. Zweck und bedeutuiig des aristotelischen buches.
«ebot der pietät und der Wissenschaft, sie alle neben einander zu be-
•M-eifcn und zu verehren: denn erst in ihrer Vereinigung offenbart sich
die ganze politische gröfse des hellenischen Volkes, die wahrlich in dem
reichlum der formen und der gedanken die sie erzeugt hat unvergleich-
bar dasteht bis auf den heutigen tag, mag auch die einseitigkeit allein
befähigt sein, irdisch dauerhaftes zu erzeugen.
Die bedeutung eines solchen mannes auch nur nach einer seite
seines wesens im Verhältnis zu wiederum so ungeheuren grüfsen wie
die hellenische cultur des vierten Jahrhunderts und Athen und Alexandros
genügend darzustellen geht in Wahrheit über jedes menschen kraft,
hier zumal galt es besonders auch die unvoUkommenheiten hervorzuheben,
die das subject und die zeit dem werke mitgegeben haben, da sie für
die Politie, die gewürdigt werden sollte, besonders wichtig sind, für
meine auffassung des Aristoteles und seines Verhältnisses zur hellenischen
geschichte®") war es unmittelbar einleuchtend, dafs ganz derselbe geist,
der sehr besondere geist dieses mannes, in der Politie wehe wie in der
Politik, so etwas beweist niemand mit zwei drei Übereinstimmungen,
so wenig wie zwei drei Widersprüche im einzelnen dagegen etwas aus-
machen."') denn auf etwas ganzes, das gesammte politische und ge-
schichtliche urteil kommt es an; das sieht überhaupt nur, wer ra xa^^
o).ov zu erkennen gelernt hat, mit Aristoteles zu reden, mit der klein-
krämerei gegen einander über gedruckter stellen ist es nicht getan, auf
ovviöslv und ovv€lvat kommt es an : ich kann das nur auf griechisch
scharf bezeichnen, das brachte mich, der ich doch das aristotelische
in der Politie zeigen sollte und mufste, in arge Verlegenheit, so lebhaft
ich es empfand, so habe ich wieder bei dem meister der methode an-
gefragt uiul darzustellen versucht, wie Aristoteles zu der politischen und
historischen Überzeugung gekommen ist, die er in der Politie nieder-
gelegt hat, damit so zur klarheit komme, welches diese Überzeugung
und dafs sie aristotelisch sei. darin liegt die überhebung, dafs ich so
60) Ich würde, um die schranken der aristotelischen auffassung deutlich zu
machen, die parallele seines Verhältnisses zum epos und drama , zur heldensage,
durchführen, wenn ich das nicht in meinem Herakles getan hätte, nicht ohne die
parallele zu seiner politik in kürze zu ziehn (I 111).
61) Dahin gehört eine flüchtigkeit in der Politik, F 1284« 40, Athen hätte,
sobald es sein reich befestigt hatte, Lesbos Chios Samos niedergedrückt, bekanntlich
war das gegenleil der fall: nur diese drei Staaten sind vollkommen selbständig ge-
blieben, so steht es auch bei Thuk. I 19 und in der Politie 24, 2. Aristoteles hat
also die ausnahmen, weil sie feste namen hatten und im gedächlnis hafteten, mit
der masse der andern städle verwechselt.
Die bedeutung des buclies für die histoiie. 373
tun mufste, als verstünde ich den Aristoteles ganz: sie liegt mir wahr-
haftig fern, und auch für den schein hitle ich um vergehung. aber
ich wufste das was ich verstand schlechterdings auf keine andere weise
darzustellen: und der grofse mann wird damit eher zufrieden sein, als
wenn ich statt des waldes ein par bäume gesehen und gezeigt hätte.
Von dem buche und der person des Aristoteles darf ich nun wol
abschied nehmen, er hat vielleicht etwas von seiner unheimlichen gröfse
verloren, weil er fortan nicht mehr als historiker gelten <larf, und für
manchen wird es auch ein Verlust erscheinen, dafs der philosoph nicht
nur mitverstrickt in die tagespolitik, sondern auch in die Vorurteile
seiner zeit erschienen ist. dagegen dürfte es doch nicht an solchen
fehlen , die den grofsen und edlen mann , gerade weil er menschlicher
erscheint, weil wir ihn auch irren sehen, nun besser begreifen und
nicht minder verehren werden, alle aber, die so viel griechisch können,
werden als einen bleibenden gewinn rechnen, dafs wir ein so schönes
buch lesen können, zu künstlerischem genusse; die chance, einen solchen
frischen Zuwachs des lesenswerten und zugleich künstlerisch befriedigen-
den zu erhalten, ist heute zu tage immer noch gröfser, wenn man in
den gräbern Aegyptens sucht, als wenn man den mefskatalog durchsieht.
Aber ich bin noch die antwort auf die andere frage schuldig, nach Liedeutung
dem relativen werte des buches für unsere kenntnis von der geschichte '^itir'd'je^^
und der Verfassung Athens, auch da ist von Wichtigkeit zunächst der
methodische fortschritt, dafs Aristoteles kein geschichtlicher forscher ist;
allein das kann zunächst vielmehr ein rückschlag scheinen, dafür ist
die Atthis ungleich deutlicher geworden, und der wert der art von Über-
lieferung, die in Athen Atthis heifst, aber entsprechend in den meisten
hellenischen Städten vorhanden war, ist in ungleich helleres licht gerückt
und damit ein fortschritt der methode getan, der zu sehr reichen posi-
tiven ergebnissen führen mufs. diese folgerung ist mir so wichtig er-
schienen, dafs ich ihr einen eigenen abschnitt gewidmet habe (II 1).
Dafs wir so viel absolut neues erfahren, liegt nicht an dem absoluten
werte der Politie. wenn wir Androtion und Philochoros lesen könnten,
so würden wir in den wichtigsten partien die Politie nicht als quelle
rechnen, so wenig wir es in dem tun, was sie dem Herodotos und
Thukydides entnommen hat. wir würden sie dann behandeln, wie die
forschung der hellenistischen zeit es getan hat. aber für uns ist es schon
ein gewaltiger gewinn, dafs wir die masse der grammatikercitate über
die attischen ämter einfach fortwerfen können, weil wir ihr original
besitzen, und wenn die erweiterte bearbeilung der attischen altertümer,
historie.
gy^ I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
die in der kaiserzeit auf grund der Politie in einen onomastikon ge-
fertigt ist, erst wieder hergestellt sein wird (was wieder erst durch die
entdockuug der Politie möglich geworden ist), so werden wir erst recht
'^ewahr werden, wie unvergleichlich viel sicherer der hoden unter unseren
filfsen geworden ist. es ist auch kein geringer fortschritt, dafs eine
nien"e irrlehren, die trotz allen Widerlegungen immer wieder einmal
spukten, nun definitiv beseitigt sind, wenigstens wird man nunmehr
von niemandem mehr notiz zu nehmen brauchen, der von den vierkasten-
pliylen, dem ephetenrate, der kleisthenischen einführung des loses, der
perikk'ischen der geschwornengerichte , der ekklesie der reifen männer,
der doppelten lesung, dem ra(.uag r^g xoivrjg tzqooÖöov u. dgl. redet,
aber auch positiv steht für uns so viel neues bei Aristoteles, und wirkt
die Überraschung, eine Verfassungsgeschichte Athens von seiner band zu
lesen, an sich so stark, dafs jeder, der wirklich über Athen und über
die Politie mitreden will, sich nicht sowol auf grund als im kämpfe mit
Aristoteles ein eigenes bild dieser Verfassungsgeschichte entwerfen mufs,
und wenn er's tut, wird er erst recht fühlen, wie viel er dem neuen
buche verdankt, so habe ich es denn auch getan und stelle die skizze
meiner Verfassungsgeschichte Athens (II 2 — 4) ueben Aristoteles, ver-
einigt mit den folgenden einzelabhandlungen, deren noch unübersehbar
viele geschrieben werden müssen, uuter dem gemeinsamen titel von
Untersuchungen auf grund des aristotelischen buches. das will mehr
besagen, als das subjective Verhältnis, dafs mir Aristoteles den anstofs
gegeben hat, sie zu führen oder doch zu vollenden: ich hätte sie gar
nicht oder doch nicht so schreiben können ohne das was ich ihm
danke, sowol an positiver wie namentlich an methodischer belehrung.
das gilt mit nichten blofs subjectiv von meiner person: die entdeckung
der Politie raufs überhaupt in der attischen geschichtsforschung epoche
machen.
Dafs dem so sein würde, war unsere erwartung, ehe wir sie wieder
halten, sie war es auch noch in der ersten freude. wenn man aber
die historiker reden hört, so ist das ein Irrtum gewesen, sollten sie
recht behalten, ihre art die geschichte zu treiben mafsgebend für die
Wissenschaft bleiben oder vielmehr werden, so hätte das buch freilich
in dem grabe seines besitzers weiter schlummern sollen; die letzten 20
capitel scheinen ja auch für jene kritiker noch nicht entdeckt zu sein.
in Wahrheit wird die Politie dadurch epoche machen, dafs die sorte
historie, die nichts mit ihr anzufangen weifs, überwunden wird, wenn
die hauieute den stein verwerfen, so wird die jcetqü oy.avöälov ihnen
Wege und ziele der griechischen historie. 375
Tthqa TtQooy.öi^if^iaTog; aber es werden andere kommen, die sie zum
ecksteine eines neuen gehäudes nehmen.
Als Niehuhr die romische geschichle begründet hatte, erschien zur
rechten zeit der Gaius und Cicero de republica: als Boeckh die altische
geschichte begründet hatte, erschien erst die menge der attischen steine
und nun die aristotelische Politie. das gefiilil ist mir oft gekommen " hätte
doch der grofse meister noch dieses buch lesen können", diesen wünsch
erzeugte die pietät und die bewunderung des einzelnen grofsen mannes,
der allerdings ein ganz anderer historiker gewesen ist als Aristoteles.
es geschieht nicht ohne dankbare und fromme gefiihle, aber mit der
Sicherheit das einfach wahre zu sagen, wenn ich erkläre: für die Wissen-
schaft erscheint die Politie jetzt genau zur rechten zeit.
Vor Boeckh hat es gar keine hellenische geschichtsforschung ge- wege und
ziclß der
geben, wer heute an ihr teil nimmt, wird ohne zweifei den ersten griechischen
versuch einer nolnEia ''^^■r]vaUov mit Interesse betrachten, und er
möge beherzigen, dafs es die beschäfligung mit dem römischen Staate
und dem römischen rechte war, die den Sigonius zu diesem versuche
angetrieben hat. Sigonius machte sich sofort daran, ein Verzeichnis
der demen und ihrer Verteilung auf die phylen anzulegen: so scharf
sah er, dafs er etwas bedeutendes bemerkte, das Aristoteles verkannt
hatte, erfreulich und belehrend ist es auch, dafs es ein freier Friese,
Ubbo Emmius, war, der sich zuerst zu den noXitüai der freien kleinen
gemeinwesen der Hellenen hingezogen fühlte, die französische philologie
zeigt noch in der zeit, da sie sich von dem hellenischen abzukehren
beginnt, ihre universelle wissenschaftlichkeit darin, dafs G. Herault und
Cl. Saumaise sich über fragen des attischen rechtes streiten, aber das
sind doch alles nur noch curiositäten. weder Scaliger noch ßentley,
weder H. Stephanus noch T. Hemsterhuys, ja selbst weder Dodwell noch
Perizonius kommen für die griechische geschichte heute noch in hetracht.
die citatenschachteln des alten Meursius sind sehr nützlich gewesen und
vorbildlich für die sorte 'altertümer', die eine schachte! citate für ein
buch hält, aber wer könnte besser lehren als Aristoteles, dafs es damit
nicht getan ist. die typische bedeutung, welche die beiden der grie-
chischen geschichle oder besser die beiden Plutarchs für das Zeitalter
der aufklärung und der revolution gewannen, ist für jene zeit sehr
charakteristisch und für die schriftstellerische kunst Plutarchs sehr ehren-
voll, den Goethe etwas richtiger schätzte als die historiker, die ihre
Schüler auf die quellensuche geschickt haben: aber um Phokions und
der Athener willen braucht man die litteratur nicht aufzustöbern, die
376 I- 10. Zweck und bedeutunj des aiislotelischen buches.
ßernays zu seinem letzten bilclilein anlals gegeben hat, in dem er denn
auch jener uiorahsirenden und tendenziösen geschichtsbetrachtung selbst
verfallen ist. erst mit Mebuhr und ßoeckh beginnt die wirklich wissen-
schaliliclie hislorie der Griechen.
Niebuhr wirkt überhaupt und namentlich hier wesentlich durch
das ethos seiner ganzen person. weil er ein ganzer mann ist, gibt er
sich willig der Wirkung eines ganzen mannes hin, einem Thukydides
und Demosthenes. weil er ein guter bürger ist und ein Staatsmann
dazu, erkennt er das grofse auch in dem Staate der Athener, so fern er
auch selbst den demokratischen tendenzen steht, und er erhebt die forde-
rungen auch des attischen Staates auf die mitarbeit seiner sühne als ein
recht des Staates, so wagt er es denn mitten in der matten zeit, da
die erschlaffende romantik und die verknöchernde philosophie mit der
reaction transigirt, den Piaton keinen guten, den Xenophon einen
schlechten bürger zu nennen, den Staatsgedanken wirft der geschichts-
schreiber Roms in die geschichte von Hellas hinüber, die seiner über
den künsten und philosophemen, dem cultus des schönen und der idee
der freien menschlichkeit gänzlich vergessen hatte, das problem war
gestellt; aber zu seiner losung war es noch nicht an der zeit.
Boeckh gieng an die schwere arbeit, die zunächst getan werden
mufste. ein langes und reiches leben hat er ihr gewidmet, aber das
entscheidende war doch, was er bis zur ay.{.iri vollbrachte oder begann,
die Überlieferung bietet uns nun einmal einen unendlichen reichtum
von Zügen für alle erscheinungen des lebens, aber sie bietet uns weder
einen rahmen für das gesammtbild noch feste gesichtspunkte, die Züge
zu diesem zu ordnen, es fehlt eine centralisirle Überlieferung, wie die
romische chronik, ein System des rechtes, es fehlen Chronologie und
metrologie und was man sich sonst von sog. hilfsdisciphnen construiren
mag. mochte in diesen Boeckh zuweilen bis zur Systematik fortschreiten,
zumeist hielt er sich an das, was der stand der Überlieferung zunächst
forderte und allein gestattete, die in Wahrheit unendlich schwierigere
aufgäbe, das leben, wie es in der summe der einzelerscheinungen sich
ollenbart, zu erfassen, eine maschine in der arbeit darzustellen, deren
construction er nicht kannte und die erst aus dieser darstellung er-
schlossen werden sollte. Staatshaushaltung der Athener hat er mit
recht sein buch über den Staat der Athener genannt, und die preisfrage
nach <lcm attischen rechte formulirte er richtig als die frage nach dem
allischen processe. unzählige male aber griff er die concrete aufgäbe
an, die ein einzelnes Zeugnis ihm stellte, mochte es nun ein pindarisches
Wege und ziele der griechischen hislorie. 377
gedieht oder eine inschrift oder ein gewichtslück sein, und erstrebte ihre
volle lösung: die erschüpfung des geschichtlichen Inhaltes.
Griechenland ward frei; der alte boden selbst begann jene belehriing
zu geben, die Italien stets wenigstens den Italienern geboten hatte, und
seinem schofse entstiegen und entsteigen noch immer reichlicher die
Zeugnisse in so verwirrender menge, in so blendender frische und um
so viel reicher an problemen denn an losungen, dafs die arbeit nicht
nur in der weise Boeckhs, sondern selbst die ganz gedankenlose Sammlung
und registrirung schon unerläfshch und verdienstlich ist und bleibt, es
wäre nur wünschenswert, dafs sich nachgerade eine Organisation dieser
registrirenden arbeit nach dem muster dessen ausbildete, was für Rom
erzielt ist.
Aber die im engeren sinne politische geschichte kommt darüber
leicht zu kurz; Boeckh selbst hat über die wichtigsten phasen der alti-
schen Verfassungsgeschichte und die bedeutendsten personen kein ent-
schiedenes noch entscheidendes urteil gesprochen, wer die kurzen
einleitungen Droysens zu seiner Aristophanesübersetzung mit der über-
reichen erklärung vergleicht, die Boeckh den Olympien und Pythien
Pindars hat angedeihen lassen, kann sich leicht überzeugen, wo der
mann mit wirklich politischem blicke redet, der geschichtsschreiber
Alexanders und der preufsischen politik hatte für das attische Reich
freilich in ganz anderer art das innere Verständnis, das ihm die
anteilnahme an dem Staatsgedanken des eigenen gemeinwesens verlieh,
obwol beträchtlich später erschienen ist die griechische geschichte von
E. Curtius dennoch gerade in dem was sie wirksam gemacht hat der
ausdruck der Stimmung, mit dem das vormärzliche Deutschland die grie-
chische geschichte ansah, es ist ein werk der isokrateischen Stilrichtung,
welche die geschichte unter die epideiktische beredsamkeit zählt, bestimmt
das edle zu loben, das schlechte zu tadeln, und zu dieser panegyrischen
haltung gesellt sich ein weicher oft elegischer ton, die leise trauer um
die verlorne Schönheit, und da diese Stimmung, der vergleichbar, wie
sie die ruinenstätten in uns wecken, acht ist, wirklich gewonnen auf dem
alten boden , dessen durchforschung ernstlich in angriff genommen zu
haben das höhere verdienst des Verfassers ist, da ferner die stilistischen
mittel bedeutende sind, so dafs der leser, der überhaupt diesen ton ver-
trägt (und hoffenthch ist das jeder jücgling) nicht müde wird, so hat
das werk sehr stark auf die Vorstellungen eingewirkt, die in Deutsch-
land und weit darüber hinaus von der hellenischen geschichte herrschen;
wo denn freihch die mittlerweile selbst sehr stark von politischen leiden-
378 I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
scharten und kämpfen erregte jüngere generation geneigt geworden ist
über die Hellenen und ihre Staaten die achseln zu zucken, wie sie es
über die vormärzliche zeit tut, obgleich beide es nicht verdienen, den
sehr notwendigen schritt, von einem energisch festgehaltenen politischen
Standpunkte die griechische geschichte zu prüfen, tat ein Engländer,
der nicht nur als solcher die bürgerpflichten kannte, die die selbst-
re"ierung des volkes verlangt, sondern überhaupt aufserhalb der ge-
lehrten zunft stand, offenbar war er so für das wesentliche seiner
leistung vortrefflich vorbereitet, und es tut ihr wenig abbruch, dafs
er kein gelehrter forscher war. G. Grote nahm die Überlieferung,
wie sie ihm von den alten historikern und der deutschen gelehr-
samkeit bequem geboten war, brachte von sich einen sehr gesunden
menschenverstand und daneben einen unbedingten glauben an die doclrin
des liberalismus mit und mafs daran die griechische geschichte, die er
nach landesart in wolgefälliger breite nacherzählte, es war ein plumper
und den Hellenen selbst fremder mafsstab, aber es war doch einer,
weder die cmpündung für das individuelle, ohne die sich selbst die
dichter, die doch sagen können, was sie leiden und verlangen, dem Ver-
ständnis entziehen, noch die empfindung für das allgemeine, die allein
in der weit der sage, der religion und des rechtes zu atmen ermöglicht,
war ihm gegeben; aber- er besafs, ganz naiv und daher niemals un-
liebenswürdig, trotzdem die kühnheit sich über alles dieses, selbst über
die gütter und über Homer und Piaton weitläuftig zu verbreiten, dafs
selbst diese in Wahrheit gänzlich ungenügenden teile, in Deutschland
zumal, zwar kaum auf die Wissenschaft einflufs erhielten, aber im publicum,
das sich damals noch für die hellenischen dinge interessirte, weite Ver-
breitung fanden, lag daran, dafs sich auch diese gebiete dem politischen
sinne unterordneten, von dem aus das publicum mit recht geschichte
beurteilt wissen will. Avirklichen wert hat fast nur die geschichte der
athenischen demokratie, deshalb weil sie hier als das erscheint was sie
ist, das rückgrat der griechischen geschichte. es war die rettung, die
rehabilitirung dieser demokratie ziemlich in allen stücken und in allen
Zeilen, demzufolge ward auch eine entwickelung der Verfassung ge-
geben, mit gewalttätiger band, radikal und im feineren sinne unhistorisch,
wie dieser liberalismus vorzugehn pflegt, gerade in der unerschrockenen
consequenz lag der fortschritt. und niemand darf leugnen, dafs gegen-
über der minder von IMutarch als von Cornelius Nepos eingegebenen
klage über den undankbaren demos und überhaupt der platt morali-
sirenden manier, aber auch gegenüber der Vorstellung von einem
Wege und ziele der griechischen hislorie. 379
Griechenland schöner und hochgesinnter niänner und knahen, die sich
im culte der schönlieit ergehn und den träum des schönsten lehens
träumen, während über ihnen der ewighlaue himmel lacht, auch gegen-
über den romantischen gemahlen von biderber Dorerweisheit und tugend
die grausame realität des leidenschaftlichsten politischen kampl'es, ja
die berechtigung dieser leidenschaften mit recht zu worte kam. aber
das kann jetzt auch niemand mehr leugnen, dafs die philologie, die fest
auf ihren Zeugnissen stand und die Überlieferung der gewaltsamen con-
struction nicht preis gab, recht behalten hat. dazu brauchte Aristoteles
nicht zu erscheinen; aber wie unangenehm er den radikaleren nach-
fahrern Grotes ist, hat ihr zorn wider sein buch gezeigt.
Grotes werk wird abgesehen von den partien , wo es wesentlich
eine raison nirende wiedergäbe der antiken erzähhingen ist und für das
Verständnis des Herodot, Xenophon, Diodor bedeutendes beiträgt, bald
nur noch wenig benutzt werden ; der adel der künstlerischen form war
ihm wie dem Polybios versagt, mit dem er manche Verwandtschaft hat.
aber der anstofs, den er der Wissenschaft gegeben hat, wird fortwirken,
welche bahnen sie auch immer einschlagen wird.®-)
Ein menschenalter reich an arbeit und auch an ertrag ist hin-
gegangen, und das bedürfnis einer neuen darstellung der griechischen ge-
schichte und der griechischen '^ altertümer' wird nun sehr lebhaft em-
pfunden, es erscheinen auch bearbeitungen von beiden, nützliche und
unnütze, aber die altertümer sind immer noch im wesentlichen Samm-
lungen von einzelheiten, und die geschichte läuft gefahr, das auch zu
werden, das sind gewifs nötige und nützhche dinge, aber jtovlv(.iad^ü^
vöov ov diddo-ASi. schlimmer ist es, wenn die historie sich selbst
zerstört, die mühlsteine der kritik drehen sich auch hier, genau wie
sie es in der textkritik getan haben, mit aller wucht weiter, ohne dafs
körn nachgeschüttet wird, wie soll's da mehl geben? wenn das er-
gebnis der kritik ist, dafs es keine Verfassungsgeschichte Athens gibt,
so sollte man doch meinen, dafs es sehr überflüssig wäre, athenische
62) Das kann man von dem eine weile bewunderten werke M. Dunckers nicht
sagen, er weifs zwar sehr genau, was Themistokles unter den oder jenen ihm von
Duncker gegebenen Verhältnissen gedacht und getan hat, aber raisonnement füllt
nun einmal nicht die lücken der Überlieferung, und es ist viel schlimmer, dafs
Duncker sich so viel wissen zu können zugetraut hat, als dafs seine aufstellungen
zumeist falsch sind und sein wissen überall aus zweiter band, der mann, für den
seine anmutige biographie menschlich warme Sympathie erweckt, war nun einmal
als historiker genau wie als politiker: der xat^üs war ein daemon, mildem ersieh
in keiner seiner bedeutungen zu stellen gewufst hat.
2gQ I. 10. Zweck und bedeutung des aristotelischen buches.
tjeschiclite zu treiben, wenn wir blofs Herodot und Tliukydides haben,
so wollen wir die lieber selber lesen. Kleon war so lange ein rothariger
theaterbüsewicht und Demosthenes ein idealmensch; das kann man auch
umdrehen und Perikles von dem Standpunkte eines sommerlieutenants
um den leldherrnruhm bringen, Alexander den Grofsen einen trunkenen
tyrannen oder eine bestie schimpfen oder in Aischines einen retter
Athens erblicken, mühsam ist das nicht, es läfst sich auch mit einigem
geschicke ganz plausibel darstellen, aber was ist es anders als sophistik?
Warum ist es nicht so auf dem römischen gebiete? weil das
Staatsrecht da ist. die Institutionen selbst tragen ihre logik in sich,
und diese verbietet die sophistischen Spielereien, die livianischen annalen
geben keine geschichte (aufser wo sie Polybios übersetzen), und doch
dürfen wir uns schmeicheln, dafs die zeit der adelsherrschaft uns richtiger
bekannt ist als dem Cicero, von der kaiserzeit gibt es seit dem ende
des Tacitus bis ins vierte Jahrhundert hinein nur eine jämmerliche Über-
lieferung, und doch wissen wir, wie es zu Hadrians und Severus zeit
im romischen reiche aussah, besser als es irgend ein mitlebender dar-
gestellt hat. auch da ist eine überfülle der mittelbaren geschichthchen
Zeugnisse vorhanden, aber das recht, dag Staatsrecht wie das civilrecht,
liefert die ordnenden gedanken.
Eine rechtswissenschaft fehlt den Athenern und den Hellenen über-
haupt freilich, während die mittelbar geschichtliche Überlieferung um so
viel ergiebiger ist als die reden des Demosthenes und Hypereides über
Aristides und Fronto stehn , und die attischen psephismen über den
römischen ehreninschriften. das recht der Hellenen steckt in der philo-
sophie. und da tritt die Pohtie nun zur rechten zeit ein: die logik des
rechtes mufs die ordnenden gedanken schaffen für die stoffmassen der
anti(|uitälen, und sie mufs im Staate und seinem leben ein würdigeres
object dem historischen urteile geben als die schuld des Thukydides
oder die Unschuld des Demosthenes. die Politie selbst ist dazu freilich
kaum allein im stände; sie krankt selbst nur zu tief an der Verwechselung
des Staates und der demagogen. aber sie zwingt doch dazu, den Staat
der Athener als ein organisches und gewordenes ganzes zu betrachten,
und vor allem, sie weist, richtig aufgefafst, auf die Politik und die Ge-
setze Piatons, die beiden forsten der philosophie haben die demokratie
Athens in ihrer geschichtlichen bedeutung und berechtigung verkannt:
sie sind dazu bestimmt, dem spätgebornen geschlechte, das gerecht
abwägen imd würdigen kann und soll, die besten mittel dazu zu ge-
währen, indem sie uns lehren, was der antike Staat sein wollte und
Wege und ziele der griechischen historie. 381
war. das rümische vorbild wird der forschung auch, zu liilfe kommen;
schon ertönen die angstrufe, dafs man die römische folgcrichtigkeit in
Hellas verlange, weil es dann mit den irrlichteliren aus ist. aber der
unterschied mul's allerdings bleiben : was für Rom die logik des rechtes,
das ist für Hellas die der philosophie; die juristische speculalion der
sophistenzeit hat nun einmal diese wege eingeschlagen, wer in grie-
chischer geschichte zu hause sein will, der mufs, was die alte zeit an-
langt, in Homer und Pindar, was die spätere anlangt, in Piaton und
Aristoteles zu hause sein: bei denen lernt er denken und empfinden
wie die leute, deren Staat und geschichte er verstehn soll, die nächsten
aufgaben stellen sich von selbst: die Verfassungsgeschichte von 403 — 322
vermittelst der logik, die Aristoteles lehrt, aus den Inschriften und rednern
gewinnen, die übrigen Politien, so gut es mit allen mittein geht,
restituiren, und von ihnen vorwärts, von der Römerzeit rückwärts
schliefsend die Verfassung und Verwaltung der hellenistischen königreiche
wenigstens in den umrissen feststellen, dazu kann Aristoteles nicht sehr
viel helfen; aber die gräber und Schutthalden Aegyptens und die trümmer-
stätten Asiens liefern auch dazu die documente; die römische forschung,
auch die des rechtes, wie das schöne werk von Mitteis zeigt, reicht die
fördernde band: wenn sie nur die arbeit daransetzt und den xaiQog
bei der locke fafst, so kann's der griechischen historie nicht fehlen:
eine neue epoche mufs beginnen, eine epoche vorbereitender arbeit
wird es immer noch sein: der geschichtsschreiber der Hellenen, der
dann erst mit dem römischen prinzipate aufhören wird, kann noch nicht
wol geboren sein, wir die wir ihm die Werksteine brechen und be-
hauen müssen uns bescheiden zu arbeiten im anschlusse und in der
weise der aristotelischen Politien , die auch keine geschichte gewesen
sind, mögen wir an Aristoteles lernen was mehr ist als der blofse stoff,
zu denken und zu urteilen, unsere 7T0v?.i\ua^ii] hat sein buch nicht
befriedigt, aber vöov cpvst: dazu wollen wir's gebrauchen.
Druck von .1. B. Hirschfeld in Leipzig
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JC
71
A7W5
Bd.l
Wilamowitz-Moellendorff ,
Ulrich von
Aristoteles und Athen
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