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Full text of "Aristoteles und Athen"

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ARIST0TELE8  UND  ATHEN 


VON 


ULRICH  VON  WILAMOWITZ-MOELLEIDOREF 


ERSTES  BAND 


m] 


BERLIN 

WEIDMANNSCHE   BUCHHANDLUNG 

1893 


JC 
1 1 

flqW 


201  TAAE  2H2  1EPH2  nOAI()2  MNHMHIA  KEI202 
2  EMON  EKMHNA2  0YMON  EP2TI  nAAT2N 


Göttingen  7  thargelion  1893 


VORWORT. 


Den  plan,  über  die  Folitie  des  Aristoteles  zn  schreiben,  habe  ich 
im  februar  1891  gefafst,  als  ich  sie  zuerst  las  und  für  vieles  sofort  die 
entscheidenden  gedanken  concipirte.  nach  der  anstrengenden  aber  ge- 
nufsreichen  arbeit,  die  Kaibel  und  ich  gemeinsam  auf  den  text  verwandten, 
schien  es  uns  noch  mögüch,  dafs  zwar  jeder  für  sich  seinen  teil  des 
buches,  das  wir  in  unserer  ausgäbe  versprachen,  schriebe,  aber  doch 
alles  zusammen  in  einem  bände  vereint  erschiene,  ich  erklärte  die  Po- 
litie  im  winter  1891/92  meinen  Studenten,  und  damals  sind  der  gröfste 
teil  der  analyse  und  einzelne  der  späteren  capitel  entstanden ;  nur  ge- 
statteten mir  vermehrte  amtsgeschäfte  nicht,  die  ausarbeitung  zu  vollenden, 
immerhin  lagen  I  1—6.  8.  9  II  3.  6.  12.  13  III  2.  3.  9  ausgearbeitet  vor,  als 
mich  andere  pflichten  zwangen,  die  Sommermonate  1892  zu  pausiren. 
dann  habe  ich  mich  daran  gehalten,  I  1 — 9  ende  Januar,  I  10,  II  1 — 6 
im  april  in  den  druck  gegeben,  und  heute  an  II  7,  das  ich  doch  schon 
1889  hatte,  schreiben  wollen,  als  letztem  capitel  den  letzten  strich  getan, 
gleichzeitig  ist  freund  Kaibel  zum  druck  geschritten,  dafs  wir  jeder 
unser  buch  für  sich  fertig  machen  müfsten,  ohne  communication,  und 
für  sich  erscheinen  lassen ,  wenn  wir  überhaupt  fertig  werden  wollten, 
war  uns  längst  klar  geworden,  wir  werden,  wie  wir  es  von  je  getan, 
gern  von  einander  lernen,  werden  uns  auch  geduldig  darein  finden,  einer 
gegen  den  andern  als  autorität  ausgespielt  zu  werden;  besser  und  mir 
jedenfalls  sehr  viel  lieber  wäre  es  gewesen,  wenn  ich  Kaibels  buch  hätte 
lesen  können,  ehe  ich  meines  schrieb,  denn  von  der  feststellung  dessen 
was  Aristoteles  geschrieben  bat  hängt  schliefslich  das  meiste  ab.  aber 
nun  berücksichtige  ich  die  einzelnen  druckbogen  während  meines  druckes 
nicht  mehr  und  halte  es  eben  so  mit  manchem  recht  wichtigen,  das 
mittlerweile  erschienen  ist  oder  erscheinen  wird,  also  auch  mit  gering- 
haltigem und  verkehrtem. 

Ich  weifs  es  selbst  am  besten,  dafs  manches  in  diesem  buche  eingeholt 
oder  überholt  ist,  ehe  es  an  das  licht  tritt,    wenn  ich  die  capitel  II  6  oder 


VI  Vorwort. 

1  1  im  herbste  1891,  als  sie  fertig  waren,  auf  den  markt  geworfen  hätte, 
so  würde  ich  meiner  person  viel  besser  gedient  haben,  aber  ich  wolHe 
ein  Vollbild  geben,  wollte  zeigen,  wie  sich  die  probleme  der  athenischen 
geschichte  und  Verfassung  darstellen,  wenn  man  sie  ganz  von  frischem 
aufgrund  dos  aristotelischen  buchcs  durchdenkt,  und  ich  wollte  versuchen, 
ob  ich  nicht  einmal  ein  tV  gehen  konnte,  das  forderte  die  geduld,  erst 
das  ganze  innerlich  fertig  zu  machen,  und  den  entschlufs,  eines  tages 
sich  zu  erklären,  nun  ist  es  fertig,  so  hoffe  ich  allerdings  ein  in  sich 
harmonisches  bild  zu  geben;  hätte  ich  immer  wieder  hier  und  da  retou- 
chirt,  so  würde  das  bild  widerspruchsvoll  geworden  sein,  widerspruchs- 
voll ist  die  wissenschaftliche  forschung;  sie  ruhet  nimmer,  ich  bin  des 
ganz  sicher,  dafs  des  falschen  und  übereiUen  nur  zu  viel  in  diesem  buche 
steht,  und  hoffe  selbst  und  durch  andere  über  vieles  hinauszukommen, 
aber  das  buch  konnte  nicht  fertig  werden,  wenn  ich  nach  der  weise  des 
Protogenes  hätte  malen  wollen,  die  schriftstellerische  aufgäbe  fordert  in  un- 
lösbarem Widerspruche  zu  der  wissenschaftlichen  forschung  einen  abschlufs. 
wir  wissen  seit  dem  Phaidros,  dafs  das  buch  überhaupt  ein  elendes  ding 
gegenüber  der  lebendigen  forschung  ist,  und  wir  sind  hoffenlHch  im 
coUeg  klüger  als  in  unsern  büchern.  aber  Piaton  hat  doch  auch  bücher 
geschrieben,  hat  jedesmal  was  er  wufste,  so  gut  ers  wufste,  frei  heraus 
zu  sagen  gewagt,  sicher  sich  selbst  das  nächste  mal  zu  widersprechen 
und  hoffentlich  zu  berichtigen,  so  meine  ich  es  verantworten  zu  können, 
wenn  ich  etwas  vorlege  was,  gerade  weil  es  etwas  fertiges  sein  will, 
überall  unfertig  ist. 

Die  beilagen  scheinen  zu  dem  ev  nicht  zu  stimmen;  es  könnten 
ihrer  sehr  viel  mehr  sein  und  auch  etliche  weniger,  dennoch  gehe  ich  sie 
allein  mit  wirklicher  freude.  denn  die  schönste  aufgäbe  der  philologie 
ist  das  interpretiren.  ein  document  voll  verstanden  ist  mehr  wert  als 
alle  aperfus  und  alle  Stoffsammlungen,  der  schätz  von  belehrung  der 
so  ans  licht  tritt,  den  zu  heben  man  freihch  ein  voUhild  vom  ganzen  in 
sich  tragen  mufs,  ist  ein  xT^f.ia  eig  ael;  unsere  historie  im  weitesten 
sinne  kann  meistens  nur  eig  %d  7caQaxQi}f.ia  von  nutzen  sein,  so  hätte 
ich  mit  der  erläuterung  von  documenten,  die  ich  zu  verstehen  glaube, 
am  liebsten  noch  lange  nicht  aufgehört,  die  fülle  der  concreten  objecte 
zog  mich,  und  die  hebe  des  philologen  zu  seinem  eigentlichen  band  werk 
liefs  mich  dem  zuge  des  herzens  nicht  widerstehen:  6/'  toüt"  eor'  aöi/.ri^i  , 
adr/.w. 

r.  ötiingen,  22.  Mai  1893. 


Inhalt  des  ersten  bandes. 


ERSTES  BUCH. 
Analyse  dei*  aristotelischen  schrift  von  der  politie  der  Athener. 

Seite 

1.  Chronologie 3 

2.  Herodotos 29 

3.  Solon 39 

4.  Drakons  Verfassung 76 

5.  Thukydides 99 

6.  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts 121 

7.  Die  Verfassung 186 

8.  Die  Ätthis 260 

9.  Nachwirkung  des  buches  in  der  späteren  zeit 291 

10.     Zweck  und  bedeutung  des  buches 308 


I 


ERSTES  BUCH. 
Analyse  der  aristotelischen  Schrift. 


V.  \Yilaniowitz,  Aristoteles. 


1. 

CHRONOLOGIE. 


Meine  absieht  in  diesem  buche  ist  es,  zu  einem  urteile  über  den 
wert  der  aristotehschen  Pohtie  zu  gelangen,  den  absoluten,  als  werk  des 
Aristoteles  für  seine  zeit  und  für  sein  volk,  und  den  relativen,  für  unsere 
forschung  nach  der  Staatsverfassung  und  geschichte  Athens,  dies  ziel 
zu  erreichen  habe  ich  keinen  andern  weg  gewufst,  als  das  buch  zu 
analysiren,  zu  fragen:  wo  weifs  Aristoteles  das  her  was  er  sagt,  weifs 
er  es  überhaupt,  oder  redet  er  es  andern  nach  ohne  geprüft  zu  haben, 
und  da  gliederte  sich  die  Untersuchung  nach  den  Schriftstellern,  be- 
nannten oder  unbenannten,  welche  Aristoteles  benutzt  hat,  oder  es 
mufsten  zusammenhängende  gleichartige  teile  seines  Werkes  einzeln  ab- 
gehandelt, auch  die  nachwirkung  des  buches  im  altertum  kurz  klargestellt 
werden,  ehe  ich  mich  getrauen  durfte  das  facit  zu  ziehen,  mochte 
ein  mehr  oder  minder  bestimmtes  meinen  auch  schon  vorher  dasselbe 
ziemlich,  nicht  ganz,  ähnhch  erfafst  haben,  allem  aber  voran  mufs  ein 
capitel  gehen,  das  das  feste  gerüst  der  Zeitrechnung  aufzeigt,  durch 
welches  der  ganze  geschichtliche  teil  zusammengehalten  wird,  die  titel 
der  capitel  lassen  vielleicht  keine  überlegte  disposition  des  Stoffes  er- 
kennen; sie  ist  aber  vorhanden,  und  wenn  ich  bitten  darf,  so  lese  man 
in  der  reihenfolge,  wie  ich  die  einzelnen  Untersuchungen  angeordnet  habe. 

Aristoteles  rechnet  ausschhefslich  nach  attischen  amtsjahren;  er  hatiV?stot'e1es!' 
selbst  eine  archontenliste  vor  sich  und  setzt  sie  in  den  bänden  oder 
dem  gedächtnisse  seiner  leser  voraus,  die  tatsache  springt  in  die  äugen, 
und  sie  ist  selbst  nicht  minder  wichtig  als  ihre  consequenzen.  nirgend 
ist  irgend  ein  datum  auf  irgend  ein  astronomisch  richtiges  jähr,  nirgend 
auf  irgend  eine  andere  Zeitrechnung  oder  jahrzählung  gestellt,  weder 
Jahreszeiten  noch  sternphasen  noch  jähre  nach  Troias  fall  noch  jähre 
olympischer  feste  kommen  vor,   was  doch  alles  bei  Thukydides  der  fall 

1* 


4  l.  Chronologie. 

ist.  an  der  Zeitbestimmung  durch  die  archontennamen  ist  für  Aristo- 
teles offenbar  gar  iiein  zweifei  möglich,  über  das  in  Athen  geltende 
jähr  bemerkt  er  gelegenthch  der  prytanen,  dafs  es  ein  mondjahr  war 
(43,  2):  es  war  das  für  ihn  bequem,  weil  er  die  Verteilung  nur 
für  das  gemeinjahr  von  354  tagen  angab  und  sich  das  eingehen  auf 
die  unsichere  praxis  im  Schaltjahre  sparen  wollte.')  da,  soviel  wir  wissen, 
in  Hellas  nirgend  ein  anderes  System  als  das  des  mondjahres  in  officieller 
geltung  war,  so  will  der  zusatz  nicht  eine  merkwürdige  tatsache  con- 
statiren,  sondern  gewissermafsen  entschuldigen,  dass  der  schriftsteiler 
von  einem  so  falschen  jähre  wie  dem  von  354  tagen  redet;  die  wahre 
Jahreslänge  war  ja  längst  bekannt  und  schon  durch  Eudoxos  der  versuch 
gemacht,  das  ägyptische  sonnenjahr  im  publicum  einzuführen,  übrigens 
stand  der  kalender  in  den  solonischen  gesetzen  so  gut  wie  in  den  zwölf 
Tafeln,  galt  für  eine  Schöpfung  des  Solon^),  und  so  ist  die  erwähnung 
des  mondjahres  in  der  auf  die  gesetze  zurückführenden  vorläge,  die  wir 
später  für  Aristoteles  mafsgebend  finden  werden,  ganz  berechtigt. 

Selbst  das  hat  Aristoteles  nicht  der  erwähnung  wert  befunden,  dafs 
der  archon  dem  jähre  den  namen  gibt;  das  hielt  er  für  selbstverständüch.^) 
er  hat  in  der  Tiergeschichte,  für  die  er  ohne  zweifei  aufzeichnungen  vieler 
leute  aus  vielen  Staaten  benutzt  hat,  nicht  wenige  angaben  auf  die  attischen 
monatsnamen  gestellt,  daneben  wol  noch  häufiger  nach  den  jahrpunkten 
und  nach  sternphasen  gerechnet,  auch  ein  par  mal  beides  vereinigt.'') 
die  erklärung  ist  ja  einfach:  das  sind  angaben,  für  die  ein  ideelles  jähr 
zu  gründe  hegt,  ein  sonnenjahr,  das  in  zwölf  monate,  d.  h.  mondumläufe, 


1)  Wollte  man  das  trotzdem  entfernen,  so  würde  Aristoteles  nur  jähre  von 
354  tagen  rechnen,  die  ausführlicheren  Fassungen  der  lehre  von  den  prytanien  bei 
Phot,  und  in  den  Platoscholien  gehören  einer  nicht  unverständigen  bearbeitung  der 
aristotelischen  kurzen  angäbe  an:  sie  haben  den  satz. 

2)  Das  sagt  schon  Aristophanes  Wölk.  1189  und  es  handelt  davon  die  Solon- 
biographie,  Flut.  25.  Diog.  1,  57.  die  aufsergewöhnlichen  Schaltungen  sind  durch 
volksbeschlufs  erfolgt,  Ar.  Wölk.  608  CIA  IV  p.  60 ;  wenn  später  die  Zeitrechnung  des 
kalenders  im  gegensatze  zu  den  natürlichen  mondphasen  xar'  äg^ovra  heifst,  in 
Athen  und  anderwärts,  so  folgt  eben  aus  dieser  über  Athen  hinausreichenden  rede- 
weise,  dafs  darin  nur  der  'kalender',  der  nach  dem  archon  zählt,  bezeichnet  ist, 
nicht  ein  aufsichtsrecht  des  archons  über  den  kalender. 

3)  Die  graniraatiker,  die  von  ihm  abhängen,  haben  es  nachgetragen  PoUux  8, 
89.     lex  Cantabr.  indvvfios. 

4)  Exmoftßaitövos  Tis^i  XQonas  ■d'SQivde  h^^t^ ,  BoT^S^Ofiicoros  fisr'  aoxrov^ov 
578*',  IJoaiSecüvos  tzqo  rQOTtwv  543^.  dafs  die  monate  als  mondumläufe  gelten, 
zeigt  'Exazofißauövos  uQxof^ivov  571*,  ^Elatprjßohtövos  fd'ivovros  571  ^  und  im  all- 
gemeinen nsoi  (p&ivcvras  rois  firjvas  582*  34. 


Das  jähr  des  Aristoteles.  5 

zerfällt  und  zugleich  mit  der  Sommersonnenwende  und  dem  neumonde 
des  hekatombaion  beginnt,  für  seine  zwecke  reichte  diese  rechnung  aus, 
und  die  Athener  wären  gänzlich  unverständig  gewesen,  wenn  sie  nicht 
unter  einem  jähre  eben  dieses  ideelle  verstanden  hätten,  aber  für  die 
Zeitbestimmung  vergangener  ereignisse  ist  nur  ein  reelles  jähr  brauch- 
bar, und  in  dem  einen  falle,  wo  Aristoteles  ein  solches  datum  zugleich 
nach  dem  ideellen  monat  und  dem  jahrpunkte  bezeichnet,  ist  es  ihm 
begegnet,  dafs  es  absolut  falsch  ist,  weil  das  von  ihm  durch  den  archon 
bezeichnete  jähr  zufällig  ein  Schaltjahr  war.^) 

Dem  Verfasser  der  Pohtien,  der  die  gesonderte  Überlieferung  so 
vieler  Städte  verarbeitete,  die  alle  ihre  eigenen  jähre  halten,  müfste  frei- 
lich die  aufgäbe  einer  einheithchen  Chronologie  von  selbst  nahe  getreten 
sein,  auf  die  alle  jene  daten  bezogen  werden  mufsten,  um  wirklich 
brauchbar  zu  werden ;  und  da  er  die  attischen  jähre  nicht  weiter  be- 
stimmt, so  liegt  es  nahe,  ihm  zuzutrauen,  dafs  er,  wenn  er  einmal  ein 
argivisches  oder  epidaurisches  datum  hat  verständUch  machen  wollen, 
es  auf  den  attischen  archon  umgerechnet  hat,  also  in  der  weise,  wie  es 
in  der  parischen  chronik  mit  dem  ausgangsjahre  geschehen  ist.  ein  aristo- 
tehsches  beispiel,  gleichsetzung  attischer  und  delphischer  archonten,  wird 
uns  noch  begegnen.®)  es  mag  an  mir  Hegen,  dafs  mir  kein  zweites 
bekannt  ist;  aber  eine  Verarbeitung  der  Politien  zu  einer  geschichte  ist 
ein  gedanke,  den  Aristoteles  niemals  gefafst  hat,  und  dafs  nicht  er  der 
vater  der  Chronologie  geworden  ist,  sondern  erst  sein  gegner  Timaios,  is 
ja  bekannt,  immerhin  ist  es  fraglich,  ob  die  bevorzugung  der  Olym- 
piaden gegen  die  attischen  archonten  ein  vorteil  war,  und  so  viel  ist  fest 
zu  halten,  dafs  alle  daten  nach  attischen  archonten  auf  das  Vorurteil 
sowol  des  höheren  alters  wie  der  ganz  besonderen  Zuverlässigkeit  an- 
spruch  haben. 


5)  inl  EvaXtovs  rov  MöXoivo?  firjvos  Pa/irjXic5vos  tieqI  roonas  ovros  tov 
■t]Xiov  xsifiEQiväs  Meteorol.  I  343''.  der  Gamelion  des  Eukles  begann  im  februar 
vgl.  Boeckh  Mondcycl.  30.  A.  Mommsen  Chronol.  387.  die  monatsbezeichnung  ist 
nicht  anders  zu  beurteilen  als  in  den  eben  citirten  stellen,  nur  hatte  hier  Aristoteles 
den  monatsnamen  überkommen  und  setzte  die  Wintersonnenwende  zu,  weil  er  die 
ansieht  bekämpft,  dafs  die  kometen  um  die  zeit  der  Sommersonnenwende  erschienen, 
davon  dafs  das  ihm  überlieferte  datum  metonisch  gewesen  wäre  oder  er  nach  dem 
metonischen  kalender  gerechnet  hätte,  kann  für  einen  unbefangen  die  stellen  nach- 
lesenden menschen  keine  rede  sein,  und  es  ist  auch  unbillig,  ihn  wegen  dieses 
misgeschickes  der  nachlässigkeit  zu  zeihen. 

6)  Dafs  er  selbst  diese  ausgleichung  bereits  in  seiner  vorläge  vorfand,  wird 
freilich  unten  wahrscheinlich  werden. 


6  1.  Chronologie. 

Denn  Aristoteles  glaubt  das  jähr  durch  den  namen  jedem  zweifei 
enthoben,  und  so  viel  irgend  bekannt  ist,  hat  auch  die  liste  der  jahr- 
beamlen  an  keiner  stelle  geschwankt:  so  etwas  wie  die  römischen  dicta- 
torenjahre,  wie  die  gefälschten  consulate  und  die  differenzen  zwischen 
'ie^  archon-  amtsjahr  und  kalenderjahr  in  Rom  gibt  es  nicht,  das  war  nur  möghch, 
wenn  eine  authentische  liste  seit  alters  bestand,  und  wenn  in  fällen,  die 
zweifei  hervorrufen  konnten,  das  gesetz  eingriff,  wir  kannten  einen 
solchen  fall,  die  bezeichnung  des  jahres  404/3  als  avag^icc,  obwol  der 
Jahresbeamte  Pythodoros  ziemlich  10  monate  amtirt  hat;  wufslen  auch, 
dafs  in  später  zeit  dieselbe  praxis  beliebt  worden  ist.  durch  Aristoteles 
lernen  wir  zu,  dafs  avaQyJa  schon  der  name  von  zwei  jähren,  589  und  584 
war;  sein  ausdruck  avag^Lav  e7toir]0av  läfst  sich  schon  grammatisch  nicht 
anders  verstehen^),  und  ob  das  jähr  der  10  archonten  581/0  einen  namen 
von  einem  derselben  trug,  bleibt  ungewifs.  suffecti  und  Usurpatoren 
werden  in  der  rechnung,  damit  sie  stimmen  kann,  nicht  berücksichtigt, 
aber  die  Überlieferung,  die  dem  Aristoteles  vorlag,  erstreckte  sich  auch 
auf  sie.  so  berichtet  er,  dafs  Damasias  die  ersten  zwei  monate  von  581/0 
factisch  regierte;  aber  das  jähr  heifst  nicht  nach  ihm,  und  das  jähr  411/10 
heifst  nach  Theopompos,  obwol  die  400  in  ihrer  viermonatlichen  herr- 
schaft  einen  Jahreswechsel  erlebt  und  einen  der  ihren,  Mnesilochos,  zum 
archon  gemacht  hatten,  der  abgesetzt  ward  (33,  1);  diesen  namen 
gibt  für  uns  Aristoteles  und  lehrt  so  eine  Urkunde  aus  jenen  zwei  monaten 
des  Mnesilochos  ergänzen  (CIA  IV  p.  162).  die  reformen  des  Kleisthenes 
fallen  auf  das  jähr  508/7,  das  nach  Isagoras  heifst,  also  nach  dem  der 
vertrieben  werden  mufste,  damit  diese  reformen  möghch  wurden,  hier 
ist  der  ersatzmann  nicht  in  die  liste  gekommen,  und  jetzt  nennt  ihn 
auch  Aristoteles  nicht,  man  kann  nicht  bezweifeln,  dafs  es  kein  anderer 
als  Kleisthenes  selbst  war,  da  der  archon  damals  der  eigentHche  exe- 
cutivbeamte  war,  und  Kleisthenes  doch  ein  amt  bekleiden  mufste,  um 
seine  gewaltsamen  neuerungen  durchzusetzen,  da  die  stelle  der  Politie 
lückenhaft  ist,  mag  es  auch  bei  Aristoteles  gestanden  haben. 

Wenn  jedes  einzelne  jähr  seinen  individualnamen  hat,  so  ist  nichts  so 
störend  wie  homonymien,  und  die  Athener  haben  sie,  obwol  die  iteration 
des  amtes  gesetzlich  verboten  war,  weder  als  sie  wählten  noch  als  sie  losten, 
zu  vermeiden  gewufst.  in  den  mittein,  die  üblen  folgen  zu  vermeiden, 
sind  sie  nicht  consequent  gewesen  und  haben  während  des  amtsjahres 
einer  person,  von  der  ein  namensvetler  kurz  vorher  ein  jähr  benannt 

7)  Vgl.  Dien  von  Prusa  21,  2  «(>'  ovv,  otcsq  l4d-i^valot,  noXXÜKis  xai  fjfiäs  XQV 
avagj^iav  avctyQuipeiv  rov  naqövra  xat^öv. 


Die  archontenliste.  7 

halte,    höchstens   in  späterer  zeit  ein   distinctiv  beigefügt,     anders  war 
das  in  den  Hsten,  wie  Diodor  eine  benutzt  hat,  und  den  Chroniken,  die 
nach  Jahren   geordnet   waren,     da   stellte  sich   die  aufgäbe:   wie  findet 
man  leicht  und  sicher  einen  gegebenen  namen?   nun  hatten  die  Chroniken 
wol  wie  die  officiellen  register,  von  denen  CIA  II  859  eine  probe  gibt, 
die   personen   mit   den   vollen   namen,   TtarqoS^ev  xat  rov  örjfiov,  be- 
nannt.*)    aber  die  listen   wurden  abgekürzt,   so  gut  wie  die  consular- 
fasten,   und   so   war   das   bequemste   den    Vorgänger   mitzunennen.     so 
heifsen   in   den   didaskalien   der  Lysistrate   und  der  Frösche  die  beiden 
Kallias  von  412/11  und  406/5  6  (.lera  KleoAQLxov  und  b  /.ist^  ^vriyhij. 
die  inschriften  der  hellenistischen  Jahrhunderte  geben  /tiovvGiog  6  (.leva 
IlaQcc/iwvov   und   ähnhches,  und  dem  entspricht  es,    dafs  Plutarch  das 
jähr  des  Solon,  um  es  genau  zu  bezeichnen,  als  das  (.isza  Oilöfißgorov 
nennt^),  nicht  aus  eigner  einsieht  in  eine  hste,  die  er  nie  benutzt  hat, 
noch  aus  dem  gebrauche  seiner  zeit,  deren  Chronographie  längst  auf  die 
Olympiaden  gebaut  war,  sondern  seiner  vorläge  folgend,  dem  Hermippos, 
der  seinerseits  die  annalistischen  quellen  des  Aristoteles  ausschrieb,    die 
bezeichnung  mit  dem   Zahlzeichen   kommt  nur  in  ältester  zeit  vor;  bei 
Damasias  583  und  582  notwendigerweise,  weil  es  dieselbe  person  war, 
die  gesetzwidrig  das  amt  behauptete;  an  einen  älteren  Damasias  von  639 
dachte  man  dabei  nicht,     ebenso  heifst  der  archon  von  490  in  der  pa- 
rischen Chronik  OalvLTtftog  ß'^°)   es  war  ihm  also  ein  namensvetter  nicht 
lange  vorhergegangen,     wenn  dies  distinctiv  weder  bei  den  Kallias  von 
412  und  406,  noch  bei  den  Demostratos  von  393  und  390  angewandt 


8)  Ps.  Plut.  Isokr.  p.  247  Avaifiäxov  MvQQirovaiov  aoxovros  Ad'rjvriai.v  436/5. 
so  stand  auch  in  der  chronik  des  Philoclioros  OsScp^aazos  'Alauvs  Dionys.  ad  Amm.  I. 
741  R.  u.  dgl.  m. 

9)  J^coTiiSTjs,  oe  fierä  ^öXcova  yi&rjvaCois  rjQ^ev  bei  Philostratos  vit.  soph,  I 
ig'  wird  dagegen  mit  zu  scharfer  interpretation  auf  das  nächste  jähr  nach  Solon 
bezogen,  es  reicht  vollkommen  hin,  dafs  der  name  irgendwo  bald  nach  Solon  in 
der  liste  stand,  sonst  müfste  man  wol  gar  <i>oqfii(ov  fisra  2:6Xcova  uQ^as  schol. 
Ar.  Fried.  347  ebenso  fassen,  die  stelle  wird  im  sechsten  kapitel  bei  den  Demen 
des  Eupolis  besprochen  werden. 

10)  Der  Kallias  von  412  war  aus  Skambonidai,  wie  sein  grabsfein  lehrt  (Jelr. 
92,  36)  KaXXias  ^-AUfißcoviSris.  r^Q^aS  Ad'TjvaCot.ai,  Jixaioavvrjv  Si  nä^eS^ov, 
KaXXia,  ixxf^aio,  Saifiova  a£fivoxazi]v.     [ex  S    ayaj&iöv  ayad'os  7iQoy[ovcov  .  .  .  v 

£(pdvd'?]S e]a[&]ko  —  hübsch,  wie  der  archon  sich  seinen  beisilzer  wählt,  gerade 

wie  der  liebreiz  Antigones  die  anordnungen  des  Kreon  brechen  soll,  als  TtdosS^os  fisyd- 
Icüv  d'Eaftcöv  (Soph.  Ant.  800).  das  abstractum  Jixaioavvrj  ist  personificirt,  weil 
die  alte  JixT]  nti^eS^os  Jios  die  handelnde,  strafende  und  schützende  gerechtigkeit 
ist;  der  archon  soll  nur  selbst  Sixaios  sein,  keine  übergriffe  machen. 


8  1.  Chronologie. 

ist,  so  hat  man  den  sicheren  beweis,  tlafs  sich  in  der  terminologie 
die  Zeiten  unterscheiden,  weil  sie  schon  sehr  früh,  fast  gleichzeitig,  fest 
geworden  war.  Aristoteles  wendet  nur  einmal  ein  distinctiv  an,  den 
demosuanien  für  den  Kalkiag  läyyflrjd-sv  von  406  (34,  1).  gerade  hier 
steht  nun  fest,  dafs  der  gebrauch  schon  im  amtsjahre  des  Kallias  vor- 
kam :  CIA  II  22  trägt  die  datirung  K]alliag  ^yysl^-Osv  rjQxsv. ")  Köhler 
mulste  es  dem  archon  KaXlmg  von  377  geben,  weil  damals  noch  die 
ionische  schrift  voreuklidische  entstehung  zu  beweisen  schien;  ein 
jetzt  beseitigter  irrtum.  es  ist  eine  nötige  und  lohnende  aufgäbe,  die 
mit  der  herstellung  der  attischen  beamtenliste  zusammenhängt,  deren 
wir  bedürfen,  dafs  man  auch  diese  diakritischen  zusätze  sammelt  und 
ordnet,  für  Aristoteles  bedürfen  wir  nichts  mehr,  als  dafs  begriffen 
wird,  dafs  er  eine  archontenliste  der  uns  bekannten  art  vor  sich  liegen 
hat.  seine  chronologischen  angaben  dürfen  also  nicht  als  vereinzelte 
so  oder  so  eingeordnet  werden,  sondern  müssen  in  ein  festes  system 
sich  fügen:  das  ist  kein  anderes,  als  die  schlechthin  feste  attische  hste, 
die  wir  von  480 — 295  durch  Diodor  und  Dionysios  {de  Dinarcho)  be- 
sitzen, und  in  der  die  Inschriften  zwar  eine  recht  grofse  anzahl  von 
verschriebenen  namen  verbessert  haben,  deren  sich  noch  einer  oder  der 
andere  zwischen  474  und  435  verbergen  mag,  aber  keine  für  die  Zeit- 
rechnung bedeutenden  fehler,  hätten  nicht  die  spätbyzantinischen  Zeiten 
die  bücher  6 — 10  Diodors  verloren  gehen  lassen,  so  würde  Aristoteles 
auch  höchstens  einen  oder  den  andern  namen  verbessern  können:  der 
chronologischen  Untersuchung  wären  wir  dann  überhoben,  die  wir  jetzt 
führen  müssen,  beginnend,  wie  sich  gebührt,  mit  dem  jähre  des  Solon. 
Dies  epochenjahr  ist  selbstverständlich  niemals  unsicher  gewesen, 
niemals  auch  die  gesetzgebung  von  ihm  getrennt,  die  ja  nur  der  archon 
Solon  durchführen  konnte,  wenn  Unbedachtsamkeit  an  dem  datum  594/3 
zu  rütteln  versucht  hat,  so  kann  freilich  Aristoteles  das  wahre  schlagend 
zeigen,  er  begnügt  sich  zur  datirung  Solons  mit  der  angäbe,  dass  er  zum 
archon  gewählt  ward  (5,  2):  das  reichte  für  seine  leser  aus,  für  die  das 
ein  epochenjahr  war,  ein  eckstein  für  das  chronologische  gebäude,  das  sie 


11)  Die  distaDZ  zwischen  dem  anfange  des  peloponnesischen  krieges  und  der 
revolution  der  400  wird  nicht  angegeben,  da  Aristoteles  für  significanter  hält,  nach 
Thukydides  die  genau  100  jähre  seit  dem  stürze  des  Hippias  anzumerken  (32,  2). 
das  würde,  wenn  nötig,  auch  jenen  letzten  posten,  432—411  durch  rechnung  finden 
lassen,  dann  folgte  der  archon  Kallias  von  Angele  406/5;  doch  ist  die  zahl  ver- 
schrieben (eßSö/jc^  für  «xT<y,  g'  für  y,  34,  1).  dann  sind  die  archonten  Alexias 
Pylhodoros  Eukleides  und  noch  Xenainetos  401/0  genau  bezeichnet. 


Die  archontenliste.  9 

im  gedächtnis  hatten,  wie  für  uns  das  jähr  der  reformation  oder  der 
französischen  revolution.  in  der  tat  knüpft  Aristoteles  an  diese  Zeit- 
bestimmung mit  der  Ordinalzahl  seine  nächste  angäbe  (13,  1),  und  so 
geht  es  mit  angaben  des  zeitlichen  abstandes  in  derselben  form  bis  zum 
jähre  des  Eukleides  durch  (39,  1),  mit  welchem  seine  historische  skizze 
schhefst.  nur  ein  ereignis,  die  BsQ^ov  argarela,  ist  eben  so  fest  im 
gedächtnis.  er  erwähnt  sie,  ohne  sie  durch  den  archon  zu  datiren 
(22,  8),  und  rechnet  dann  doch  von  ihr  ab,  gleich  als  ob  er  sie  datirt 
hätte  (23,  5  25,  1).  das  war  also  schon  damals  ein  fester  punkt,  iden- 
tisch mit  dem  jähre  des  Kallias  480/79.  so  ist  es  geblieben,  als  später 
das  weitere  datum  olymp.  75,  1  dazu  trat. 

Aus  dem  vierten  Jahrhundert  ist  nur  ein  jähr  genannt,  Kephisophon 
330/29,  das  der  allerjüngsten  Vergangenheit  angehorte,  leider  aber  fehlen 
vor  Solon  die  distanzangaben,  so  erfahren  wir  wol,  dafs  Drakon  seine 
Satzungen  unter  Aristaichmos  gegeben  hat  (4,  1),  aber  nicht,  wie 
lange  das  vor  Solon  war;  es  heifst  nur  tcoXvv  xQovov  (5,  1).  und  eben 
SO  wenig  ist  Drakon  an  den  archon  Megakles  angeschlossen,  den  Aristo- 
teles vorher  gelegentlich  des  Kylonischen  attentates  genannt  hatte  ^^), 
nicht  sovvol  zur  dalirung,  als  weil  er  die  schuld  des  mordes  trug, 
die  einsetzung  der  thesmotheten  vollends  ist  gar  nicht  auf  den  archon 
datirt,  obwol  ausdrücklich  gesagt  wird,  dafs  sie  in  später  zeit  stattfand, 
als  schon  gesetze  aufgeschrieben  wurden  und  die  ämter  jährig  waren 
(3,4);  von  konigen  erwähnt  er  Akastos  und  Medon,  ohne  sie  auch  nur 
in  ihrem  gegenseitigen  altersverhältnis  zu  bestimmen,  darin  liegt  eine 
wichtige  kritik,  Solon  macht  auch  darin  epoche,  dafs  mit  ihm  die  ge- 
schichtliche Zeitrechnung  beginnt,  auch  in  einem  platonischen  dialoge 
wird  als  probe  für  die  kraft  eines  gedächtniskünsllers  angegeben,  dafs 
er  die  archontennamen  von  Solon  ab  behalten  könnte  (Hipp.  I  285). 
Aristoteles  traute  jener  ältesten  Überlieferung  nicht  aufs  jähr.  Avenn  er 
trotzdem  jahrnamen  gab,  so  war  das  eine  inconsequenz  in  so  fern,  als 
eine  solche  datirung  durch  einen  blofsen  namen ,  wie  wir  vor  den 
steinen  nur  zu  oft  erfahren,  so  lange  wertlos  ist,  bis  der  narae  fixirt 
ist,  und  die  bearbeitungen  der  stadtgeschichlen,  die  ihm  vorlagen,  fixirten 
ihn,  da  sie  chronikform  trugen,  wir  mögen  immerhin  die  uns  über- 
lieferten daten  aus  der  älteren  zeit  mit  einer  reserve  betrachten,  die  sich 
bewufst  ist,  dafs  sie  einige  latitude  lassen  mufs;  aber  mit  dieser 
reserve  können  und  müssen  wir  ihnen  so  weit  trauen,   als  wir  an   die 

12)  Es  ergibt  sich  das  durch  vergleichung  der  epitome  des  Herakleides  mit 
Plutarchs   erzähiung  Sol.  12,   die  auf  dieselbe   quelle   wie  Aristoteles  zurückgeht. 


10  !•  Chronologie. 

anwenduüg  der  schrift  und  die  erhaltung  der  denkmäler  glauben  dürfen, 
übrigens  ist  nicbt  zu  vergessen,  dafs  ein  forscher  wie  Philochoros  erst  nach 
Aristoteles  dieses  feld  bearbeitet  hat.  wenn  also  die  gelehrte  Chrono- 
graphie noch  zuversichtlicher  vorsolonische  ereignisse  datirt,  so  ist  es 
keine  unmethodische  leichtgläubigkeit,  wenn  man  diesen  ansätzen  traut ; 
bequemer  freilich  ist  es  sie  zu  ignoriren  und  sich  darauf  zu  berufen, 
dafs  Herodot  keine  zuverlässigen  angaben  über  das  siebente  Jahr- 
hundert gibt. 

Die  jähre  Die   erste   gruppe   von  Zeitangaben  hinter  Solon  ist  heil  und  ohne 

weiteres  verständlich  (13,  1.  2).  Solon  594/3;  vier  jähre  normaler  zu- 
stand; das  fünfte  avaqxia  589/8;  nach  weiteren  vier  jähren  wieder  avaQ- 
xLa  584/3;  Damasias  583/2,  durch  Usurpation  wieder  Damasias  582/1; 
das  jähr  der  10  archonten,  von  dem  factisch  noch  die  ersten  zwei  monatc 
dem  Damasias  gehören,  581/0.  der  sprachliche  ausdruck  garantirt,  dafs 
kein  Schreibfehler  untergelaufen  ist,  und  er  ist  vollkommen  unzweideutig. 
Das  letzte  jähr  des  Damasias  ist  nun  durch  andere  angaben  seil 
langem  gesichert,  aber  durch  moderne  zweifei  vielfach  angegriffen  worden, 
die  nun  glückhch  beseitigt  werden. 

"heiler  Damasias  II  =  582/1  =  olymp.  49,  3  ist  ein  Pythienjahr.     in  die 

krieg,  zweite  Pythiade,  vier  jähre  nach  der  ersten,  die  er  ausdrücklich  mit  ol. 
48,  3  gleichsetzt,  also  auf  49,  3,  setzt  Pausanias  (X  7)  die  einfuhrung  der 
später  geltenden  festordnung,  welche  als  preis  nur  einen  lorberzweig 
aussetzt  {ayiJüv  orsqjaviTrjg).  dasselbe  jähr,  ol.  49,  3,  hat  die  quelle  des 
Eusebius  für  die  Wiedereinführung  (d.  h.  die  geschichthche  einführung) 
der  Pythien  angegeben;  denn  die  Schwankungen  seiner  Übersetzer  und 
ihrer  handschriften  erledigen  sich,  sobald  man  festhält,  dafs  das  jähr  das 
dritte  einer  Olympiade  sein  mufs.  die  parische  chronik  setzt  die  ein- 
führung eines  ayiov  yiQrii.iaT irriQ  in  Delphi  unter  den  archon  Simon 
327'^)  jähre  vor  ihr  epochenjahr,  den  ersten  aycov  OTe(faviTrjg  318'0 
jähre  vor  ihr  epochenjahr,  ccqxovtoq  JafiaGlov  zov  voteqov.    rechnet 

13)  Eine  stelle  der  hunderte  war  schon  zu  Seldens  Zeiten  auf  dem  stein  ver- 
loschen; aber  das  tut  nichts. 

14)  Die  zahl  ist  jetzt  zerstört,  aber  nicht  nur  Seiden,  sondern  auch  Chandler 
haben  sie  vollständig  gelesen,  dafs  letzterer  in  der  Umschrift  einige  der  einer  ein- 
klammert, besagt  gegenüber  seiner  maiuskelpublication  nichts,  und  wenn  Chandler 
eine  lücke  hätte,  so  würde  selbstverständlich  Seldens  zeugnis  allein  gelten,  der  den 
stein  noch  unverstümmelt  benutzt  hat.  dafs  Dopp  sich  versehen  hat,  m  eil  er  vermutlich 
die  originalpublicationen  nicht  benutzt  hat  (obwol  niemand  irre  zu  gehn  brauchte, 
da  Boeckh  alles  correct  gibt),  hat  andere  hinters  licht  geführt,  es  ist  nicht  nötig, 
dabei  zu  verweilen. 


Der  erste  heilige  krieg.  11 

man  wieder  mit  der  latsache,  dafs  beides  Pythienjahre  sein  müssen"), 
also  eigentlich  die  differenz  nur  8  jähre  betragen  dürfte,  so  ist  freihch 
der  Verfasser  der  chronik  von  einem  zählfehler  nicht  freizusprechen,  wie 
er  deren  genug  begangen  hat,  aber  es  gehört  eine  starke  Verblendung 
dazu,  ein  anderes  jähr  als  ol.  49,  3  für  Damasias  auszurechnen,  und 
nun,  wo  Aristoteles  diese  längst  gefundene,  auch  von  Boeckli  vertretene 
gleichung  bezeugt,  wo  sich  zeigt,  dafs  Jaf.iaGLov  zov  votsqov  mit  be- 
ziehung  auf  das  vorjahr  gesagt  ist,  nicht  auf  den  weit  zurückliegenden 
Damasias  von  639/8  (ol,  35,  2,  Dionys.  Halik.  3,  36),  sind  alle  zweifei  an  der 
deutung  der  chroniknotiz  aus  der  weit  geschafft,  dieselben  zwei  archonten 
Simon  und  Damasias  nennt  ebenfalls  für  aywv  XQri(.iar irrig  und  aT£q)avirr]g 
die  einleitung  zu  den  schoben  der  pythischen  lieder  Pindars.  auf  die 
einsetzung  des  ersteren  folgt  ein  krieg  von  6  jähren  und  später,  wie  es 
heifst,  die  einsetzung  des  zweiten,  beherzigt  man  nun,  dafs  die  jähre 
beide  (oder  wenigstens  das  zweite)  dritte  Olympiadenjahre  sein  müssen, 
so  ist  von  selbst  die  distanz  von  acht  jähren  zwischen  Simon  und  Da- 
masias gegeben,  d.  h.  die  Übereinstimmung  mit  der  parischen  chronik.*®) 
und  es  ist  doch  begreiflich,  dafs  die  Ampbiktionen,  wenn  der  krieg  die 
feier  im  jähre  48,  3  nicht  zuliefs,  sondern  bis  49,  1  währte,  bis  zum 
nächsten  regelmäfsigen  termin,  Bukatios-Metageitnion  49,  3,  august  582, 
gewartet  haben,   auch   wenn   sie  vielleicht  im  august  583  schon  halten 

15)  Das  gilt  freilich  streng  genommen  nur  von  der  einsetzung  des  äycov 
aT£favirr]S,  der  für  alle  zeit  mafsgebend  ward,  ob  der  xQriiiaritrjs  als  dauernde 
penteterische  feier  geplant  war  oder  als  einmaliges  siegesfest,  ist  nicht  leicht  zu 
sagen,  da  die  angeblichen  altern  agone  doch  apokryph  sind,  das  jähr  des  Simon 
ist  sonst  bisher  nicht  bestimmbar,  aber  die  rechnung  führt  hier  leichter  auf 
ol.  47,  3  als  bei  dem  jähre  des  Damasias  II  auf  49,  3.  die  feier  selbst  ist  natürlich 
Jahrhunderte  früher  begangen  worden  und  hatte  ihren  festen  platz  im  zweiten 
monate,  der  den  namen  Bovxänos  von  den  stieropfern  hat.  aber  sie  hatte  weder 
eine  feste  periode  noch  eine  bedeutung  weit  über  Hellas  hin.  denn  dafs  sie  jedes 
'grofse  jähr',  d.  h.  jedes  achte  gefeiert  wäre,  läfst  sich  nicht  beweisen. 

16)  p.  296  M'ird  in  der  ersten  fassung  berichtet,  dafs  Eurylochos  der  Thessaler 
die  Kirrhaeer  unter  archon  Simonides,  in  Delphi  unter  Gylidas,  besiegt  und  den 
aycov  ;^()7y^<aTtT7;s  feiert,  der  rest  der  Kirrhaeer  flieht  auf  die  Kirphis  und  wird 
dort  von  einer  abteilung  des  siegreichen  heeres  unter  Hippias  belagert,  fiera  Si 
XqÖvov  s^asTTJ  xaraycovKJa/jiEviov  töjv  /.isrä  rov  'Inniov  rovs  vTtoksXstfifit'vovs  tcöv 
KiQQuiwv,  STii  f^Bv  Idd'rjvrjaiv  aoyovroi  Jaf^iaalov,  ev  Ss  JeX(poXs  /IioSuqov,  vatsQOV 
xai  ars<pavixr,v  e&evTO  xato^d'cüaavTES.  in  der  dritten  fassung  der  einleitung 
steht  freilich  srei  etcrco  juera  ttjv  r?js  Kc^oas  alwaiv  dvsxi^ov^av  tq>  d'eoj  rov 
axE(pavitr]v  sni  —  Jafxaaiov:  aber  da  das  doch  nur  zwei  brechungen  desselben 
scholions  sind,  so  hat  die  recensio  das  amt,  die  glaubwürdigere,  d.  h.  die  genauere, 
als  die  zunächst  berechtigte  vorab  zu  ermitteln. 


12  !•  Chronologie. 

feiern  können,  mit  recht  hat  Bergk  so  geschlossen,  dafs  die  Pindar- 
scholien  die  Pythiade,  von  der  aus  sie  rechnen,  auf  49,  3  setzen,  so 
dafs  die  vollkommenste  harmonie  herrscht,  hat  Boeckh  wenigstens  zu- 
gegeben, trotzdem  er  die  rechnung  für  falsch  hielt,  und  seine  nacli- 
folger  geben  es  erst  recht  zu,  da  sie  schliefslich  dabei  gestrandet  sind, 
gerade  das  zeugnis  der  schollen,  welches  allein  ausdrücklich  eine  glei- 
chung  zwischen  Olympiaden  und  Pythiaden  ausspricht,  zu  ändern.") 
läfst  man  stehn  was  steht,  so  ist  der  ausgangspunkt  das  jähr  des  Dania- 
sias,  eben  das  jähr,  welches  es,  wie  Aristoteles  und  die  parische  chronik 
bezeugen,  wirklich  war.  man  darf  aber  auch  umgekehrt  schliefsen. 
wenn  für  dasselbe  factum  delphischer  geschichte  in  zwei  einander  nirgend 
widersprechenden  berichten  dieselben  attischen  beamten  genannt  sind, 
so  ist  davon  auszugehn,  dafs  das  zwei  fassungen  desselben  berichtes 
sind,  dafs  die  archonten  dieselben  jähre  bezeichnen,  beide  fassungen 
sind  somit  zunächst  zu  vereinigen,  und  was  herauskommt,  darf  als  ihre 
gemeinsame  vorläge  gelten:  in  diesem  falle  ist  also  anzuerkennen,  dal's 
wir  einen  genau  datirten  ziemlich  ausführhchen  bericht  über  den  heiligen 
krieg  spätestens  aus  dem  ersten  drittel  des  dritten  Jahrhunderts  haben, 
selbstverständlich  kann  deswegen  der  bericht  falsch,  der  chronologische 
ansatz  irrig  sein ,  und  kann  demnach  die  wahre  Zählung  der  Pythiaden 
einen  andern  ausgangspunkt  haben,  wie  das  Boeckh  angenommen  hat: 
der  meister  hat  keinen  posten  der  rechnung  verschleiert  oder  zu  seinen 
gunsten  misdeutet.  Boeckh  würde  nichts  neues  durch  den  ansatz  Damasias  | 
II  =  ol.  49,  3  =  582/1  lernen ;  aber  seine  nachfolger  in  der  Pindar- ' 
exegese  müssen  nun  aufhören,  die  grundlagen  der  rechnung  zu  gunsten 
von  Boeckhs  hypothesen  zu  verschieben. 

Auf  das  jähr  des  Damasias  (welches,  bleibt  unbekannt)  hat  Deme- 
trios  von  Phaleron  die  sieben  weisen  und  demnach  auch  den  Thaies  an- 
gesetzt.'*)    weshalb  er,  der  erste  bekannte  sammler  der  sprüche  der  sieben 


17)  Pyth.  3,  1  xa&iararai  'Isqcov  ßaaiXsvS  xarä  rrjv  sߧOfiT]yo<JTTiV  i'xrrjv 
oXv/unidSa,  t^s  «xoar^s  oySÖTjs  üvd'iäSos  tri  TTQOxsifievr]  oXv/untäSi  avyXQOVov 
ovar,e,  loaie  naviws  re  -xal  nrtvrr]  fisra  rr]v  voteqov  Uvd'iäSa  (es  waren  Pytti.  26 
und  27  erwätint)  rjris  ysyove  ne^i  riiV  eߧofiT]xoarr^v  exzrjv  'OXv^niüSa  (Pyth.  28  = 
ol,  76,  3)  avvTExäx&ai  tbv  inivtxov.  der  scholiast  nahm  an,  genau  wie  Boeckh, 
dafs  ein  pythisches  gedieht  an  einer  pythischen  feier,  wenn  auch  nicht  derselben, 
an  der  der  sieg  erfochten  war,  verfai'st  und  aufgeführt  wäre,  Zerstörung  des 
scholions  (nach  einer  Sitzlerschen  conjectur)  L.  Schmidt,  index  lectionum  von  Marburg, 
Sommer  1887. 

18)  Diogen.  I,  22  Thaies  n^cüros  aotfos  corouuad'ri  ttQx,ovTos  ^^^r^vt/ai  Jnfiaaiov 


Der  erste  heilige  krieg.  13 

tveisen,  so  verfahren  ist,  bleibt  eine  oflene  frage:  dafs  er  die  sieben  nach 
rhales  datirt  habe,  darf  man  daraus  nicht  ableiten,  dafs  Diogenes  seine 
clatirung  im  leben  des  Thaies  anführt,  denn  Diogenes  beginnt  die  ge- 
schichte  der  sieben  weisen  mit  Thaies,  unter  dem  also  das  allgemeine 
ilatnm  stehen  mufste.  für  Thaies  personlich  war  allerdings  die  von  ihm 
vorhergesagte  Sonnenfinsternis  von  586  die  bequemste  epoche,  und  dafs 
man  sich  ihrer  bedient  hat,  folgt  aus  Eusebius,  dessen  wie  gewohnlich 
verwirrte  Überlieferung  sich  auf  dies  jähr  (ol.  48,  3),  zum  mindesten 
für  seine  quelle,  zurückführen  läfst.  aber  um  so  sicherer  zeigt  Eusebius, 
dafs  diese  epoche  nicht  mit  der  Stiftung  der  Pythien,  d.  h.  mit  dem 
jalire  des  Damasias  zusammenfallen  kann,  da  diese  notiz,  wie  sich  ge- 
bührt, 3 — 4  (das  richtige  ist  4)  jähre  später  eingetragen  ist.  es  gibt 
hier  in  Wahrheit  keine  Avidersprüche  oder  Schwierigkeiten. 

Die  berichte  der  Pindarscholien  über  die  Stiftung  der  Pythien  und 
über  pylhische  siege  hat  Boeckh  auf  die  IIvd-tovtyML  des  Aristoteles 
zurückgeführt,  das  mufs  für  sehr  wahrscheinlich  gelten ,  denn  an  sich 
lag  nach  aller  analogie  dieses  buch  den  antiken  erklärern  Pindars  am 
iijicbsten;  sodann  wird  es  in  den  Pindarscholien  citirt  (zu  Isthm.  2  und  Ol. 
2,  S7.  fgm.  617  Rose),  endlich  mufs  eine  geschichtliche  darstellung,  welche 
nicht  mit  Olympiaden,  sondern  mit  attischen  und  delphischen  archonten 
rechnet,  sehr  alt  sein,  die  parische  chronik  zeigt,  dafs  dieselbe  tradition 
wirklich  in  der  zeit  des  Timaios  bestanden  hat.  ich  bezweifle  den  aristo- 
telischen Ursprung  durchaus  nicht;  nur  ist  es  nicht  der  erschlossene 
gewährsmann,  sondern  das  alter  und  die  qualität  des  berichtes,  der  diesen 
mir  glaublich  macht,  aus  sich  konnte  doch  Aristoteles  höchstens  die  aus- 
gleichung  der  delphischen  und  attischen  rechnung  vollziehen  ;  sonst  mufste 
er  eine  geschichtliche  tradition  benutzen,  und  auf  die  kommt  es  an, 
lieifse  ihr  vermittler  wie  er  wolle,  sie  trägt  in  den  jahresnamen  die 
gewähr  der  herkunft  aus  der  chronik  an  sich,  es  ist  vorwitz  an  ihr 
zu  rütteln,  die  hauptsache  ist  delphische  Überlieferung,  aber  die  atti- 
schen archonten  zeigen  die  vermittelung  eines  andern,  und  eine  ge- 
schichte  attischer  herkunft  ist  uns  aus  den  Pythioniken  des  Aristoteles 
bezeugt :  Solon  soll  nach  ihm  den  antrag  auf  die  execution  der  Kirrhaeer 
gestellt  haben  (Plut.  Sol.  11),  eine  geschichte,  welche  330  Aischines 
vor  einem  attischen  gerichte  als  bekannte  tatsache  erwähnt  (3,  108), 
von  der  jedoch,  wie  der  delphische  priester  Plutarch  aus  seinem  archiv 


xad"^  ov  xai  ol  enza  ao(poi  ey-XridT/anv,  cos  q^r/ffi  jdr]fiT]rQios  o  <Pa}.r,Q£vs  ev  zfj  räiv 


24  1-  Chronologie. 

beifügt"),  in  Delphi  nichts  iiberhefert  war,  und,  fügen  wir  hinzu,  nichtl 
wol  überliefert  sein  konnte,  da  prolokolle  über  die  Sitzungen  der 
Amphiktionen  in  der  erforderlichen  ausführlichkeit  zu  Solons  Zeiten  nicht 
wol  geführt  sein  können.^")  aber  diese  attische  tradition  pafst  vortreff- 
lich in  ein  buch,  das  die  delphische  jahresliste  mit  der  attischen  aus- 
gheh.  da  Aischines  die  geschichte  schon  kennt,  ist  sie  in  Athen  nicht 
erst  durch  Aristoteles  bekannt  geworden,  ist  also  auch  er  schwerlich 
derjenige,  der  zuerst  die  delphische  geschichte  auf  attische  jähre  stellte, 
sondern  ein  attischer  chronist,  auf  dem  er  auch  in  den  Pythioniken 
fiifste.  wer  dies  mein  buch  durchgelesen  hat,  wird  den  schlufs,  der  ihm 
jetzt  vielleicht  noch  zu  kühn  erscheint,  selbstverständlich  finden,  übrigens 
tut  es  nichts  zur  sache,  was  jenseits  Aristoteles  hegt,  bleiben  wir  also; 
dabei,  die  geschichte  des  heiligen  krieges,  wie  wir  sie  auf  der  parischen 
Chronik  und  in  den  Pindarscholien  lesen,  für  arislotehsch  zu  halten, 
ganz  wie  Boeckh. 

Aber  der  antrag  Solons  scheint  mit  den  angaben  der  Politie  un- 
vereinbar. 590  ist  Krisa  erobert,  aber  Solon  ist  gleich  nach  594/3  auf 
zehn  jähre  verreist,  wenn  das  ein  Widerspruch  ist,  so  hat  ihn  Aristo- 
teles begangen,  unbeschadet  der  herkunft  jenes  kriegsberichts,  denn  der 
antrag  des  Solon  ist  ja  ausdrücklich  auf  seinen  namen  hin  überhefei  t, 
und  der  heilige  krieg  fällt  nach  allen  nachrichten  in  das  erste  Jahr- 
zehnt nach  Solons  amtsjahr.  aber  erstens  wissen  wir  gar  nicht,  wie 
lange  der  krieg  vor  der  eroberung  Krisas  gedauert  hat,  noch  auch 
ob  die  execution  unmittelbar  nachdem  sie  beschlossen  war,  ausgeführt 
ist.^')    nach  dem  falle  von  Krisa  haben  sich  die  reste  der  Krisaeer  noch  , 


19)  Plutarch  widerlegt  eine  ansieht  des  Hermippos,  seiner  hauptquelle,  mit  der 
berufung  darauf,  dafs  Aischines  davon  schweige  und  die  Jelipav  vnofivr^fiaTa  damit 
stritten,  das  ganze  erscheint  als  einlage.  der  classische  redner,  der  den  Stilisten 
der  trajanischen  zeit  näher  lag  als  den  compilirenden  gelehrten  der  barockzeit,  und 
das  dem  Plutarchos  persönlich  unterstellte  archiv  sind  zeugen,  deren  verhör  dem 
Plutarchos  billigerweise  zugetraut  werden  darf,  und  dafs  er  gegen  seine  hauptquelle 
(deren  gewährsmann  er  mit  angibt)  sich  wendet,  spricht  auch  für  einen  zusatz  aus 
eigenen  mittein. 

20)  Die  ältesten  attischen  Volksbeschlüsse,  die  uns  auf  stein  erhalten  sind, 
nennen  den  antragsteller  nicht,  aber  Aristoteles  hat  den  mann  genannt,  der  561 
den  antrag  stellte,  dem  Peisistratos  eine  leibwache  zu  bewilligen,  Aristion  (14,  1, 
bei  Plutarch  Ariston  vgl.  cap.  8).  schwerlich  sind  die  acten  quelle,  sondern  der 
name  ist  mit  der  geschichte  von  der  Selbstverwundung  überliefert  gewesen,  der 
mann,  der  den  verhängnisvollen  antrag  stellte,  der  k^anartjoae  tov  Sijfiov,  blieb  im 
gedächtnis. 

21)  Zum  mindesten  mufsten  die  deputirten  mit  dem  Amphiktionenbeschlusse  nach 


Der  erste  heilige  krieg.  15 

6  jähre  gehalten,  andererseits  ist  es  schlechthin  undenkbar,  dafs  Solon 
unmittelbar  nachdem  er  über  sein  amt  rechnung  gelegt  hatte,  593  auf 
reisen  gegangen  ist.  im  gegenteil,  es  mufs  ihm  doch  erst  zum  be- 
wufstsein  gekommen  sein,  dafs  der  parteihader  durch  die  gesetze  mit 
nichten  beendet  war,  die  Zumutung  der  gesetzesinterpretation  mufs  ihm 
oft  gemacht  sein,  ehe  er  die  Stadt  verHefs.  die  gedichte,  in  denen  er  sein 
werk  verteidigt,  die  iamben  ,  die  trochaeen  an  Phokos,  die  elegie,  aus 
der  drii-iM  f.i£v  yaq  eöcoxa  stammt,  sind  offenbar  nach  dem  amtsjahr, 
aber  vor  der  reise  gedichtet,  also  einen  teil  der  ruhigen  jähre  593 — 90 
dürfen  wir  uns  Solon  in  Athen  denken,  und  dafs  man  ihn  nach  Delphi 
als  deputirten  schickte,  erscheint  durchaus  passend  für  den  gewesenen 
öiaXXaATtjg ,  wie  es  auch  passend  für  den  ist,  dem  kurz  darauf  diese 
rolle  übertragen  wird,  wieder  scheint  Aristoteles  zu  widersprechen,  der 
^oXoivog  aTtoörn.irjoavTog  enl  etr]  rerraga  dirjyov  ev  rjovxicc  von 
den  Jahren  593 — 90  sagt,  aber  das  ist  nur  bequeme  ausdrucksweise, 
berechtigt,  weil  die  frist  zwischen  dem  ende  des  amtes  und  dem  an- 
tritte  der  reise  sich  nicht  berechnen  liefs,  am  wenigsten  für  eine  chrono- 
logische Übersicht,  die  natürlich  immer  an  das  letzte  feste  datum  ansetzt, 
woher  wufste  denn  auch  Aristoteles  von  der  reise,  ihren  motiven  und 
ihrer  befristung?  dafür  gab  es  schlechthin  keine  Überlieferung  als 
Solons  gedichte.  gerade  so  wie  Aristoteles  die  Stimmung  der  parteien 
gegenüber  Solon  den  gedichten  nacherzählt,  die  er  zum  teil  selbst  an- 
führt (11,  2),  so  hat  ihm  ein  gedieht  vorgelegen,  in  dem  Solon  sagte 
"ich  will  als  kaufmann  und  aus  Wissensdrang  nach  Aegypten  auf  zehn 
jähre  verreisen,  denn  es  ist  nicht  recht,  dafs  ich  hier  die  gesetze  selbst 
auslege,  denen  vielmehr  jedermann  gehorchen  soll."  dieses  gedieht  para- 
phrasirt  Aristoteles  11,  1^^),   ihm   schliefst   er   mit    af,ia  öe  (11,  2)  die 


hause  gehn,  und  dann  die  aufgebote  der  einzelnen  Staaten  sich  sammeln;  darüber  ver- 
giengen  auch  432monate;  und  wenn  es,  wie  die  gewöhnliche  Überlieferung  ist,  zu 
einer  belagerung  Krisas  kam,  so  ist  wieder  nach  den  analogien  des  fünften  Jahr- 
hunderts keine  schleunige  entscheidung  zu  erwarten,  die  zehnjährige  dauer  des 
Krieges,  die  Kallisthenes  (Ath.  560'=)  berichtete,  kann  also  ganz  wol  zutreffen,  wenn 
man  sich  auch  auf  diese  zahl  bei  diesem  schriftsteiler  nicht  verlassen  kann. 

22)  Dasselbe  gedieht  paraphrasirt  ähnlich  Herodot  I  29  I^o^cov  —  'Ad-j;raioi(Tt 
vöjuove  xeXsvaaai.  Tioi-riaas  ansSrjfivoev  ersa  Se'xa  y.ara  ^scooir^s  7to6(paaiv  ixnXcoaas 
iya  Sf]  fiij  iiva  xöiv  vöuwv  avayxaad'fi  Xvaai  twv  sÜ'sto.  avroi  yo-Q  ovx  oloi 
t'  Tjoav  airo  noir.aai  lA&Tjvaloi'  OQxioiai  yä^  fisyälotai,  y.aTEixovto  Ssxa  srsa 
XQtqaEad'ai  vönoiai  tovs  äv  acpi  ZöXoiv  ^r^iai,.  darin  hat  Herodot  die  zehnjährige 
abwesenheit  Solons,  die  im  gedieht  als  seine  absieht  ausgesprochen  war,  und  die 
ebendort  stehende  Zuversicht,  dafs  die  Athener  zunächst  gehalten  wären,  sieh  in  die 


16  1-  Chronologie. 

paraplirase  anderer  gediclUe  an,  und  die  motive  der  reise  sind  sogar 
in  indirccter  rede  gegeben  {ov  yuQ  ö'iea^ai  dixaiov  elvai).  in  ähn- 
licher weise  hat  man  später  ans  den  gedichten  dargetan,  dafs  die  reise 
wirklich  nach  Aegypten  und  Kypros  gegangen  ist.^^)  aber  den  termin 
des  antritts  der  reise,  ihrer  einzelnen  etappen,  und  selbst  den  der  rilck- 
kehr  wufste  Aristoteles  nicht  und  wissen  wir  nicht,  wer  könnte  sich 
darauf  verlassen,  dafs  die  absieht  einer  zehnjährigen  ab  Wesenheit,  wenn 
sie  überhaupt  so  genau  gemeint  war,  auch  ausgeführt  ist?  ob  Solon 
zur  zeit  von  Damasias'  Usurpation  in  Athen  war,  mufs  unentschieden 
bleiben;  nichts  als  die  bare  mögUchkeit  ist  da,  dafs  die  vor  einer  tyrannis 
warnenden  verse  auf  ihn  zielen. 

Die  beteihgung  Solons  am  heiligen  kriege  so  wie  sie  Aristoteles 
berichtet  hat,  ist  also  sehr  wol  denkbar,  und  die  delphische  nachricht, 
welche  als  führer  des  attischen  contingentes  Alkmeon  nennt,  wider- 
spricht nicht  ihr,  sondern  nur  den  fabeln  von  Solons  beteiligung  an 
der  eroberung  Krisas.     etwas  anderes  ist  es,  ob  die  aristotelische  nach- 


gesetze  zu  schielten  {Sxaarov  t«  Secvra  noielv  Aristoteles)  falsch  combinirt.  das 
vermeidet  Aristoteles  und  führt  noch  mehr  aus  dem  gedichte  an:  dafs  man  nicht 
etwa  denke,  er  hänge  von  Herodot  ab.  dagegen  steht  bei  Plutarch  (Sol.  25,  4.  5)  nur 
mit  andern  und  mehr  Worten  was  Aristoteles  auch  sagt,  nur  der  eine  vers 
i'^yfiaaiv  iv  xaXandii  näaiv  aSeiv  ;^aAc7rov  ist  hinzugefügt:  wir  wissen  nun,  aus 
M'elchem  gedichte.  übrigens  kann  Srjfico  ftsv  yuQ  s'Swxa  auch  aus  demselben  sein. 
23)  Plut.  Soi.  26.  natürlich  war  jeder  chronologische  ansatz  der  reisen  auf 
die  Interpretation  der  gedichte  gebaut,  also  auf  einen  schlufs.  wer  den  besuch  bei 
Kroisos,  der  ja  bei  Herodot  an  die  aus  den  gedichten  folgende  ägyptische  reise  an- 
geschlossen war  (den  namen  des  Amasis  setzt  Herodot  ein),  nicht  aufgeben  wollte, 
rückte  natürlich  die  reise  an  das  lebensende  Solons,  und  die  Solier  wollten  natür- 
lich das  grab  ihrer  xxCair^e  besitzen,  dann  erfand  man  leicht  eine  flucht  vor  Peisi- 
stratos;  so  Diogenes  I  50  ff.  dafs  Solon  der  kaufmann  auch  in  jüngeren  jähren 
reisen  gemacht  hat,  ist  an  sich  glaublich,  aber  die  Vermutung  Nieses,  dafs  er 
nach  der  geselzgebung  in  Athen  geblieben  wäre  und  alle  reisen  vor  seine  gesetz- 
gebung  fielen,  ist  durch  das  gedieht,  dem  Aristoteles  und  Herodot  folgen,  wider- 
legt, die  gewährsmänner  Plutarchs  haben  ohne  zweifei  die  richtigen  Schlüsse  ge- 
zogen, die  verse  an  Philokypros  von  Soloi  (Plut.  26)  lassen  keine  feste  zeit  für 
den  aufenthall  Solons  daselbst  erkennen,  und  wenn  er  um  heimkehr  in  sein  Vater- 
land bittet,  so  braucht  das  keine  directe  zu  sein,  natürlich  war  er  aber  der  gefeierte 
weise  mann,  als  ihn  ein  kyprischer  stadtherr  zum  oikisten  machte,  was  doch  so  viel 
heilst,  als  dafs  er  ihm  die  gesetzliche  Ordnung  seines  Staates  anvertraute;  also  die 
reise  fällt  frühestens  in  die  achtziger  jähre,  somit  liegt  nichts  darin,  was  mit  der 
angäbe  Herodots  stritte,  der  den  söhn  von  Solons  gastfreund  Philokypros  (dessen 
name  in  dem  an  ihn  gerichteten  gedichte  notwendig  vorkam)  im  aufstände  wider 
Dareioß  fallen  läfst  (V  tl3).  der  name  Kyprasos  (vita  Arati  p.  53  Westerm.)  kann 
gegenüber  der  Übereinstimmung  zwischen  Herodot  und  Plutarch  nicht  glauben  finden. 


Der  erste  heilige  krieg.  17 

rieht  wahr  ist.  dafs  er  sie  berichtet,  kann  allein  nicht  zur  beglaubigung 
genügen,  und  der  glaube  der  Athener,  den  Aischines  wiedergibt,  auch 
nicht,  allein  dafs  es  listen  der  pylagoren  in  Athen  von  so  alter  zeit 
her  hätte  geben  können,  dafs  in  ihnen  auch  so  wichtige  dinge  wie 
ein  executionsbeschlufs  notirt  gewesen  sein  könnten,  mochte  man  noch 
vor  15  Jahren  mit  schein  bezweifeln:  jetzt  halte  ich  diese  skepsis  für 
widerlegt  durch  die  fundlatsachen,  und  halte  uns  für  verbunden,  eine  so 
alte  und  so  gut  bezeugte  Überlieferung  anzuerkennen,  ganz  dasselbe  gilt 
von  der  führung  der  Athener  durch  Alkmeon,  die  Plutarch  dem  delphischen 
archive  entnahm,  der  söhn  des  mörders  der  Kyloneer,  der  vater  des 
lYihrers  der  Paralier  wider  Peisistratos ,  pafst  der  zeit  nach  vortrefflich. 
die  Verbindung,  in  die  Alkmeous  enkel  Kleisthenes  mit  Delphi  tritt, 
erscheint  durch  das  verdienst  des  grofsvaters  gut  motivirt,  und  die  art 
unserer  Überlieferung  läfst  den  gedanken  nicht  aufkommen,  dafs  Alkmeons 
name  durch  kleisthenischen  trug  in  die  delphische  chronik  gekommen 
wäre,  wann  die  Alkraeoniden  aus  der  Verbannung  heimgekehrt  sind, 
in  welche  sie  kein  regelmäfsiges  gericht''^)  getrieben  hatte,  ist  unbekannt, 
aber  man  wird  nicht  glauben ,  dafs  Selon  sie  bei  seinem  versöhnungs- 
werke  aufser  acht  gelassen  hätte,  um  so  weniger,  als  Megakles,  Alkmeons 
söhn,  die  constitutionelle  solonische  partei  später  geführt  hat  (13,  4). 
ganz  besonders  gut  pafst  aber  die  verschwägerung  des  Alkmeon  mit 
Kleisthenes  von  Sikyon,  wenn  sie  im  heiligen  kriege  kameraden  waren: 
die  freiwerbung  um  Agariste  ist  eine  reizende  novelle,  aber  nichts  anderes 
als  das  (am  wenigsten  ein  auszug  aus  einem  pindarischen  gedichte) :  die 
famihenverbindungen,  zumal  die  über  die  einzelnen  Staaten  hinausgreifenden, 
hat  nicht  nur  zu  jener  zeit  ausschliefslich  die  politik  dictirt.  dafs  Klei- 
sthenes, der  herr  von  Sikyon,  nicht  unbeteiligt  zusehn  konnte,  wenn 
der  krisäische  golf  den  herrn  wechselte,  wird  jedem  selbstverständhch 
sein,   der  von   der  einen   zur  andern  küste  geschaut  hat.")     seine  be- 


24)  Die  bei  den  modernen  verbreitete  ansieht,  dafs  das  solonische  gesetz, 
axon  13,  gesetz  8,  die  Alkmeoniden  von  der  rehabilitirung  ausschlösse,  ist  falsch, 
denn  ausgeschlossen  sind  da  nur  die  von  den  ordentlichen  gerichten,  Areopag, 
Epheten,  Phylenkönigen  wegen  mord,  mordversuch  ohne  tödlichen  ausgang  [acpayai, 
später  TQavfia),  tyrannis  verbannten,  darunter  fällt  eine  Verbannung  durch  einen 
ausnahmegerichtshof  nicht;  auch  war  das  verbrechen  der  Alkmeoniden  aaeßsia.  die 
deutung  der  a^ayai  auf  TQavfia  ix  TtQovoias  wird  angesichts  der  aristotelischen 
Zeugnisse,  namentlich  des  amnestievertrages  39,  5,  für  mich,  der  ich  sie  schon  früher 
so  aufgefafst  hatte,  unzweifelhaft. 

25)  Es  heifst  die  Vereinzelung  der  hellenischen  Staaten  und  die  kleinheit  der 
Verhältnisse  verkennen,  wenn  man  sich  wundert,  dafs  Sparta  und  Argos  am  heiligen 

V.  Wilamowiiz,  Aristoteles.  2 


18  1.  Chronologie, 

teiligung  an  dem  nachspiele  des  krieges  mufs  bedeutend  gewesen  sein, 
da  er  von  der  beute  eine  halle  in  Sikyon  erbaute^")  und  selbst  dem 
pythischen  gotte  ein  fest  zu  hause  stiftete.^^)  in  dem  wagenrennen,  das 
erst  jetzt,  582,  ein  teil  des  pythischen  spieles  ward,  nachdem  auf  dem 
neuerworbeneo  Kirrhaeischen  felde  eine  bequeme  bahn  zur  Verfügung 
stand,  war  ein  gespann  des  Kleisthenes  sieger.'^*)  dies  ist  in  der  delphi- 
schen festchronik  überliefert;  dafs  sie  von  der  Kirrhaeischen  beute  er- 
richtet war,  wird  an  der  sikyonischen  halle  selbst  gestanden  haben;  die 
Stiftung  der  Pythien  ist  wahrscheinhch  durch  die  bekanntlich  alte  und 
im  vierten  Jahrhundert  schon  pubücirte  sikyonische  chronik  überliefert, 
so  bewährt  sich  jeder  zug  der  Überlieferung  von  mehreren  selten,  und 
man  braucht  die  novellistische  oder  gar  gefabelte  geschichte  nicht  erst 
zu  verhören,  die  übrigens  nicht  ohne  Interesse  isl.^^) 

In  dieser  darlegung  ist  bisher  Pausanias  nur  mit  dem  herangezogen 


kriege  unbeteiligt  waren,  oder  den  gegensatz  von  449  auf  590  überträgt,  aber  dafs 
Korinth  so  gar  nicht  mitspielt,  dafs  Kleisthenes  eine  flotte  hat,  ist  merkwürdig  und 
beweist,  dafs  Periandros  in  den  letzten  zeiten  seiner  herrschaft  nach  westen  wenigstens 
einflufslos  war.  die  pflanzstädte  im  ionischen  meere  waren  zwar  in  bänden  seiner 
familie,  aber  ihm  selbst  entfremdet,  auf  seinen  in  die  achtziger  jähre  fallenden  tod 
folgt  ein  ohnmächtiger  nachfolger  und  bald  die  revolution.  die  Stiftung  der  Isthmien 
wird  nach  unserer  Überlieferung  hinter  die  Pythien  gerückt,  das  ist  falsch,  da  Solon 
zwar  für  Isthmioniken,  aber  nicht  für  Pylhioniken  prämien  ausgeworfen  hat.  man 
wird  beliebt  haben,  sie  erst  von  der  zeit  der  freiheit  Korinths  zu  zählen. 

26)  Pausanias  II  9,  6. 

27)  Dionysios  von  Halikarnass  (denn  es  liegt  kein  grund  vor,  seiner  xQovixrj 
ßißXoe  diese  notiz  abzusprechen,  und  ihn  versteht  man  am  leichtesten  bei  schoiiasten 
unter  'i^Xixa^vaaasve)  im  schol.  Pindar  Nem.  9,  1.  dafs  zu  Pindars  zeiten  nicht 
der  tyrann,  sondern  der  heros  das  fest  gestiftet  hat,  ist  eben  so  selbstverständlich, 
wie  dafs  Herakles  und  nicht  Iphitos  bei  ihm  Stifter  der  Olympien  ist,  Sisyphos  der 
Isthmien  und  Apollon  der  Pythien. 

28)  Pausan.  X  7,  6. 

29)  Die  eine  tradition,  an  ein  orakel  anknüpfend,  das  bei  Aischines  3,  112  freilich 
nur  interpolirt  ist,  darf  doch  nicht  für  jünger  gelten,  denn  Diodor  IX  16  wird  wie  die 
andern  orakelgeschichten  bei  ihm  mit  Wahrscheinlichkeit  auf  Ephoros  zurückgeführt, 
dieselbe  geschichte  Paus.  X  37,  6,  Polyaen.  III  5.  sehr  viel  romantischer  ist  die  ge- 
schichte in  Thessalos'  athenischer  rede  (Hippokr.  111  834  fr.  Kühn),  schlechter  bei  Pausan. 
X  37,  7,  Polyaen.  VI  13  mit  anderen  personen.  das  ganze  klingt  nach  hellenisti- 
scher novelle,  etwa  Euphorion.  aber  das  strategem  einer  brunnenvergiftung  ist 
auf  dem  boden  von  Krisa  erdacht.  Ulrichs  hat  in  Itea  eine  stark  abführende  Salz- 
quelle gefunden  (Topogr.  v.  Delphi  79).  Euphorions  gedieht  FeQavos  ward  auch 
einem  Archytas  aus  Amphissa  beigelegt,  und  von  diesem  sind  verse  erhalten,  die 
topographika  seiner  heimat  behandeln;  daran  darf  man  wenigstens  erinnern  (Meineke 
An.  AI.  44.  353). 


'  Der  erste  heilige  krieg.  19 

was  er  über  die  feier  von  582  beibringt,  da  er  diese  auf  dasselbe  jähr 
setzt  wie  Aristoteles;  bekanntlich  nennt  er  sie  aber  die  zweite  Pythiade, 
indem  er  als  erste  den  ayihv  XQrii.iarirr^g  nimmt,  den  er  abweichend  von 
Aristoteles  auf  586  ol.  48,  3  ansetzt,  und  von  da  aus  zählt  er  die 
Pythiaden.  Boeckh  (zu  Pindar  ol.  12)  hat  nicht  nur  dieser  rechnung 
den  Vorzug  gegeben,  sondern  die  hypothese  aufgestellt,  dafs  die  in  den 
Pindarscholien  angeführten  Pythiaden  im  gegensatz  zur  absieht  der  ge- 
lehrten, die  sie  anführen,  nach  der  rechnung  des  Pausanias  verstanden 
werden  müfsten.  Boeckhs  ansieht  hat  bis  auf  Bergk  unangefochten  ge- 
herrscht und  waltet  noch  heule  vor.  ihn  hat  ausschliefslich  die  exegese 
der  pindarischen  gedichte  bestimmt,  die  er  richtiger  zu  verstehen  meinte, 
wenn  er  sie  um  vier  jähre  gegen  die  ansieht  der  alten  hinaufrückte,  davon 
ganz  abgesehen  mufs  der  bericht  des  Pausanias  zuvorderst  mit  dem  ver- 
glichen werden,  der  sich  bisher  so  gut  bewährt  hat.  er  weicht  keineswegs  blofs 
in  den  Ziffern  der  Pythiaden  oder  ihrer  geltung  ab.  nach  dem  aristotelischen 
berichte  ist  586  (ol.  48,  3)  gar  keine  feier  gewesen,  weil  keine  sein  konnte, 
weil  krieg  war.  wenn  die  leute  bald  von  der  ersten  feier  überhaupt,  bald 
von  der  ersten  der  später  geltenden  Ordnung  gezählt  hätten,  so  hefse  sich 
das  begreifen,  aber  die  feier  von  586  ist  entweder  geschichthch :  dann 
mufs  der  bericht  des  Aristoteles  verworfen  werden ;  oder  sie  ist  fiction  : 
dann  ist  es  zu  viel  verlangt,  ihr  zu  hebe  die  Pythiadenrechnung  der  scho- 
liasten  umzurechnen,  es  lag  doch  wahrlich  näher,  dafs  bei  dem  notorisch 
penteterischen  Charakter  der  Pythien  das  auf  besonderen  kriegerischen 
Verwickelungen  beruhende  achtjährige  Intervall  zwischen  dem  aytov  XQV~ 
^lar irrig  und  OTe(favLTr]g  in  Vergessenheit  geriet,  als  dafs  umgekehrt 
dies  datum  um  vier  jähre  nach  oben  verrückt  ward;  und  wenn  wir 
vollends  für  die  eine  angäbe  das  zeugnis  des  Aristoteles,  für  die  andere 
das  des  Pausanias  haben,  so  dürfte  die  zeit  und  die  Sinnesart  der  beiden 
gewährsmänner  doch  nicht  ganz  belanglos  sein.  Boeckh  sagt  mit  recht, 
dafs  Pausanias  auf  delphische  quellen  zurückgeht.^")  gewifs;  es  findet 
sich  in  dieser  partie  keine  ausgleichung  mit  attischen  jähren,  die  er 
sonst  nicht  selten  hat,  sondern  mit  Olympiaden :  das  zeigt  aber  nur,  dafs 
seine  Urquelle  beträchthch  jünger  als  Aristoteles  war.  was  aber  be- 
sonders wichtig  ist:  er  beginnt  die  geschichte  der  pythischen  spiele  mit 
Chrysothemis,  Philammon  und  consorten,  und  er  übergeht  den  anlafs 
der  wirklichen  Stiftung,  deren  daten  er  doch  gibt,  durchaus,     nicht  hier 


30)  D.  h.  am  letzten  ende,  als  den  nächsten  vor  Pausanias  hat  Maass  {de 
Sibyllis)  Alexander  Polyhistor  mit  guten  gründen  bezeichnet,  wenn  auch  die  grenzen 
seiner  benutzung  nicht  festgestellt  sind. 

2* 


20  1-  Chronologie. 

(cap.  7),  sondern  in  der  periegese  unten  (37)  erzählt  er  von  dem 
heiligen  kriege,  und  keinesfalls  hat  er  jene  erzählung  von  hier  dort- 
hin versetzt,  noch  in  der  gleich  folgenden  geschichte  der  amphiktionen 
fehlt  der  erste  heihge  krieg,  es  ist  fürwahr  eine  schwere  Zumutung,  auf 
grund  der  lücken  dieser  erzählung  den  Aristoteles  und  die  alexandrinischen 
grammatiker  zu  verwerfen,  freilich,  wenn  es  die  exegese  Pindars  ver- 
langt, müssen  wir  uns  fügen,  die  soll  hier  unberührt  bleiben^*):  nur 
die  alternative  soll  klar  gestellt  sein.  Boeckh  hat  sie  nicht  verschleiert, 
aber  wol  seine  modernen  anhänger.  ich  will  hier  nur  die  erklärung 
abgeben  oder  vielmehr  wiederholen,  dafs  mir  auch  die  gedichte,  so  weit 
sie  überhaupt  so  genaue  Zeitbestimmungen  erschliefsen  lassen,  nur  unter 
beibehaltung  der  überlieferten  daten  verständlich  sind;  allerdings  rate 
ich  dringend  jedem,  der  sich  ein  urteil  bilden  will,  zunächst  nicht  blofs 
alle  modernen  commentare  bei  seite  zu  lassen,  sondern  auch  die  drei 
ersten  pythischen  gedichte,  die  als  grundlage  der  pindarischen  odep 
hellenischen  Chronologie  unverwendbar  sind. 

Es  ist  wol  nicht  unerwünscht,  wenn  es  auch  für  Aristoteles  nichts 
mehr  ergibt,  kurz  herzusetzen,  was  als  geschichtlich  zuverlässige  tatsaclie 
über  den  ersten  heiligen  krieg  gelten  darf,  es  ist  ziemhch  das  um- 
fangreichste stück  beglaubigter  kriegsgeschichte  aus  so  alter  zeit. 

Die  lokrische  bevölkerung  von  Kirrha,  die  Delphi  vom  meere  ab- 
schlofs,  war  den  Delphern  unbequem,  weil  sie  die  pilger  belästigte,  in 
folge  dessen  stellte  der  athenische  pylagore  Solon  den  antrag  auf  amphik- 
tionische  execution;  die  führung  des  ganzen  fiel  dem  Thessaler  Eury- 
lochos  zu,  dem  es,  unbestimmt  wie  lange  nach  ausbruch  des  krieges, 
gelang  Kirrha  zu  erobern,  zu  ehren  des  sieges  hielt  er  eine  stolze 
Pythienfeier  im  august  590.  aber  die  Kirrhaeer  waren  längst  nicht 
überwunden ;  sie  hatten  sich  auf  die  Kirphis  geflüchtet,  hielten  sich  dort 
und  in  ihrem  hafenplatze,  und  ihre  Überwindung  gelang  erst  584,  wesent- 
lich durch  die  beteihgung  des  Kleisthenes  von  Sikyon;  sein  eidam,  der 
Alkmeonide  Megakles  von  Athen  führte  das  attische  contingent  (oder  hatte 
es  in  dem  vorigen  kriege  geführt),  erst  jetzt  wurden  die  Kirrhaeer 
gänzlich  ausgerottet,  ihr  land  dem  gotte  zugewiesen,  zum  teile  verflucht, 
und  582  ward  eine  penteterische  feier  zum  ersten  male  begangen,  mit 
vielen  kampfspielen,  zwar  ohne  geldpreise,  aber  doch  natürhch  nicht  ohne 
dafs  der  gott  aufwand  treiben  mufste,  zu  dem  ihm  die  neuen  einkünlie 
überwiesen    waren,     die    sieger  kehrten  mit  reicher  beute   heim,    die 


31)  Einen    positiven    beweis    für    die  richtigkeit  der  aristotelischen  Zählung 
bringt  die  beilage  'Pindars  siebentes  pythisches  lied'. 


Der  erste  heilige  krieg,     die  jähre  der  tyrannis.  21 

Kleisthenes   zu  bauten  und  zu  einer  eigenen  Pythienfeier  zu  hause  be- 
nutzte.^-) 

INicht  um  ihrer  selbst  willen  hat  die  erste  reihe  der  chronologischen 
daten,  594 — 80,  so  viele  seilen  bekommen,  das  nächste,  die  Chronologie 
der  athenischen  tyrannen  kann  kürzer  ausfallen,  obwol  sie  eigentUch  sehr 
viel  schwieriger  ist.  es  mufs  vom  sichern  ausgegangen  werden,  von  unten.  Die  jähre 
sicher  ist  das  jähr  des  Isagoras  508/7  (Arist.  21,  1),  gleichgesetzt  mit 
ol.  68,  1  von  Dionysios  von  Halikarnass  I  74;  auf  dem  parischen  marmor 
ist  die  zahl  nicht  sicher,  und  wäre  sie  es,  so  würde  die  rechnung  mindestens 
ein  jähr  spielraum  lassen,  das  ergibt  auch  nach  Aristoteles  für  die 
Vertreibung  der  Peisistratiden  511/10;  der  archon  Harpaktides  war  nicht 
bekannt,  da  er  auf  dem  parischen  marmor,  wo  die  zahl  erhalten  ist, 
weggebrochen  ist  und  nun  ergänzt  werden  kann  (Ar.  19,  6.  21,  1). 
wieder  vier  jähre  früher  setzt  Aristoteles  ohne  den  auch  sonst  unbekannten 
archon  zu  nennen  den  tod  des  Hipparchos  (19,  2),  also  514/13  =  ol. 
66,  3.  das  ist  dadurch  besonders  fest  gesichert,  dafs  die  ermordung  an 
den  Panathenaeen,  also  in  einem  dritten  olympiadenjahre  stattfand,  all 
dies  ist  längst  mit  vielen  guten  Zeugnissen  festgestellt;  es  genügt  auf 
Boeckhs  commentar  zur  parischen  chronik  zu  verweisen,  der  ausgangs- 
punkt  ist  also  sicher,  für  das  frühere  gibt  Aristoteles  zwei  summen  an : 
herrschaft  des  Peisistratos  und  seiner  söhne  49  (woraus  sich  das  citat 
dieser  stelle  in  den  schoben  der  Wespen  502  leicht  verbessert),  herrschaft 
der  söhne  allein  17  jähre  (19,  6);  und  herrschaft  des  Peisistratos  von 
der  ersten  besitzergreifung  bis  zum  tode  33,  davon  effective  herrschaft 
19  jähre  (17,  1).  die  33  jähre,  aber  daneben  17  jähre  effectiver  herr- 
schaft, gibt  Aristoteles  in  der  politik  an  (£  1315^).  statt  49  als  gesammt- 
summe  hat  Eratosthenes  50  gezählt,  ebensoviel  als  die  summe  der  aristo- 
tehschen  einzelposten  17  +  33  ergibt,  der  Chronograph  zählte  also  correcter 
das  anfangsjahr  mit.  das  sind  eben  nur  scheinbare  difl'erenzen,  bei  der 
antiken  weise  die  namen  zu  zählen  und  in  Ordinalzahlen  das  ausgangs- 
jahr  zumeist  mit  einzuschliefsen  unvermeidHch.  die  einzige  differenz, 
die  auf  den  ersten  bhck  befremdet,  17  oder  19  jähre  effectiver  herrschaft, 
tut  das  nur  deshalb,  weil  wir  die  einzelposten  nicht  mehr  sicher  kennen, 
die  Aristoteles  in  der  Politik  addirt  hatte,  denn  entstanden  sind  die  zwei 
jähre  überschufs  dadurch,  dafs  er  die  archonten,  unter  denen  Peisistratos  aus 


32)  Es  ist  ein  zeichen  für  die  ächtheit  dieser  tradition,  dafs  der  gegensatz  der 
dorischen  angeblich  kreüschen  priester  und  der  Phoker  noch  gar  nicht  hereinspielt, 
obgleich  er  schon  450/49  das  wichtigste  war.  auch  der  delphische  teil  des  homeri- 
schen ApoUonhymnus  kennt  ihn  nicht,  wenn  er  auch  über  belästigung  der  pilger  klagt. 


22  1«  Chronologie. 

seinen  beiden  Verbannungen  heimkehrt,  in  der  PoUtik  der  herrschaft': 
zurechnete,  in  der  genauem  erzählung  der  Poütie  den  Verbannungen, 
an  den  zu  gründe  hegenden  attischen  archonten jähren  ändert  das  nichts, 
die  neuen  Zeugnisse  bestätigen  also  nur,  was  wir  schon  wufsten,  erstens,  tod 
des  Peisistratos  528/7  unter  dem  archon,  der  erst  jetzt  namhaft  gemaclit 
wird,  Philoneos,  zweitens,  beginn  seiner  herrschaft  unter  archon  Korneas,  der 
mit  der  belanglosen  orthographischen  Variante  als  Komias  auch  gut  bekannt 
war,  561/60  (nicht  560/59).^^)  und  auf  den  ersten  blick  mufs  jeder 
leser  der  Politie,  der  die  Jahreszahlen  Solon  594  Peisistratos  561  im 
köpfe  hatte,  den  Schreibfehler  14,  1  berichtigt  haben,  wo  das  jähr  des 
Komeasdaszweiunddreifsigste  nach  Solon  statt  des  vierunddreifsigsten  hei)^t. 
So  weit  ist  alles  einfach,  aber  es  lehrt  wenig  neues,  die  einzel- 
posten,  die  neues  versprechen,  sind  durch  böse  Verderbnisse  entstellt, 
denn  während  die  summe  33  für  die  herrschaft  des  Peisistratos  fest- 
steht, lesen  wir  jetzt  als  einzelposten :  erste  herrschaft  5  jähre  (erei 
ey.T(i}  nach  Komeas,  unter  Hegesias),  erste  Verbannung  11  jähre  {Jerei 
öwöeyiärco  heimkehr)^''),  zweite  ganz  kurze  herrschaft  6  {ßzei  /^idhora 
kßdöfxd)'  ov  yccQ  TtoXvv  %qÖvov  KaTEGxsv),  zweite  Verbannung  10  {erei 
Ivösy.aTO)  Schlacht  bei  Pallene),  worauf  die  ruhige  letzte  herrschaft  bis 
Philoneos  528/7  folgt,  die  jeder  leser  für  die  längste  unbedingt  halten 
mufs.  das  ist  also  vollkommener  unsinn,  Avolbemerkt,  in  sich  ist  es  wider- 
spruchsvoll, und  ich  werde  mich  auf  keinen  disput  mit  einer  kritik  ein- 
lassen, die  dem  Aristoteles  zutraut,  eine  sechsjährige  herrschaft  ausdrück- 
hch  als  kurz  zu  bezeichnen,  nachdem  er  eben  eine  fünijährige  ohne 
bemerkung  hat  passiren  lassen.^^)  und  wenn  jemand  sagt,  Aristoteles  hätte 
gedankenlos  die  zahlen  aus  verschiedenen  rechnungen  vermischt,  wobei 
ihm  selbst  nicht  wol  gewesen  wäre,  so  dafs  er  die  summe  der  jähre  für 
die  Verbannungen  nicht  summirt  hätte,  so  mag  der  kritiker  sich  bei  seiner 
kritik  ja  wol  befinden,  aber  die  gedankenlosigkeit  ist  nicht  bei  Aristoteles, 
jeder  der  sich  ein  bischen  überlegt,  was  er  best,  mufs  zwei  fehler  be- 
merken, den  einen  schon  gerügten,  in  der  zahl  für  die  zweite  herrschaft, 
den  andern  in  den  elf  jähren  der  ersten  Verbannung,  sintemal  die  summe 


33)  Diese  hauptdaten  gut  festgestellt  von  Töpffer  quaest.  Pisisl,  139.  die 
Sache  ist  freilich  jetzt  viel  einfacher  geworden,  weil  schol.  Wesp.  502  erledigt  ist. 

34)  Köhler  (Sitzber.  Berl.  92,  340)  hat  durch  ein  mir  rätselhaftes  versehn  be- 
hauptet,  Aristoteles  rechne  für  dieses  exil  6  jähre. 

35)  Mögen  sich  die  kritiker  doch  einmal  überlegen,  was  yÜQ  bedeutet:  exei 
eßSofioj'  ov  yoLQ  noXvv  xqÖvov  xardaxer.  es  bedeutet  "wirklich  so  kurze  zeit  nur, 
wie  meine  zahl  angibt,  über  die  sich  jeder  leser  wundern  mufs,  denn  .  .  . 


Die  jähre  der  tyrannis.  23 

der   beiden  Verbannungen  14  sich  aus  33 — 19  notwendig  ergibt,   also 
nicht  11  -|-  10   sein   kann,     die   zweite   zahl  aber  ist  durch  Herodotos 
gesichert,  und  eben  dieser,  dem  Aristoteles  hierin  folgt,  bezeugt  auch  die 
kürze  der  zweiten  herrschaft  und  begründet  sie  durch  seine  erzählung.^®) 
es  folgt   ferner  aus  dieser  rechnung,    dafs  diese  zahl  (stsl  eßööfup)  in 
eine   möglichst  niedrige  geändert  werden  mufs,   am  besten  stsl  rqi'vip, 
da  Aristoteles  das  nächste  jähr  wol  eher  mit  no  vgtsqov  itel  als  exet 
/tdAf (TT«  ^€t;T€(><^  bezeichnet  haben  würde,     und  da  14 — 10=  vier  ist, 
so  mufs  «Vet  diodeyMrco  für  die  zweite  Verbannung  in  tis/htitw  geändert 
werden,    so  zwingt  die  rechnung;  aber  die  palaeographische  probabilität 
ist  auch  nicht  von  fern  vorhanden.     12  in  5,  7  in  3  sind  nicht  so  zu- 
fäUig  verschrieben  wie  ö'  in  ovo.    deshalb  war  uns  unbehaglich  zu  sinn, 
und  wir  Hefsen  in  der  zweiten  aufläge  die  falschen  zahlen  im  texte,    jetzt 
bin  ich  sicher,  weil  ich  bemerkt  habe,  dafs  sie  ein  böser  wille  um  einer 
falschen  rechnung  willen  so  in  die  höhe  geschraubt  hat.    denn  5  -j-  H  + 
6  +  10=  32 ;  alle  posten  aber  sind  in  Ordinalzahlen,  also  je  um  eine  stelle 
höher  gegeben,  33  ist  als  summe  der  herrschaftsjahre  genannt,  und  ein 
einzelposten  für  die  letzte  herrschaft  nicht  namhaft  gemacht,     es  hat  also 
jemand  die  irrige  ansieht  gehabt,  die  summe  33  müfste  aus  den  einzel- 
posten  resultiren  und  danach  zwei  zahlen  erhöht;   32  gab  er,   um  mit 
den  17  jähren  der  söhne  die  gegebene  summe  49  zu  erreichen,    das  war 
sehr  kurzsichtig,  denn  er  zerstörte  die  14  jähre  Verbannung:  aber  diese 
stehn  ja  nicht  im  texte,  und  wenn  ein  mann  wie  Köhler,  geblendet  durch 
eine  eigene  conjectur,  unwissentlich  aus  einer  elf  eine  sechs  machen  kann, 
so  dürfen  wir  es  auch  einem  antiken  coUegen  zutrauen,     aber  beseitigt 
mufs  diese  schlimme  conjectur  werden,  und  dann  folgt  durch  notwendige 
Schlüsse  561/60,  Komeas,  beginn  der  ersten  tyrannis,  556/5,  Hegesias, 
erste   Vertreibung,   553/2   zweite  tyrannis,   551/50    zweite  Vertreibung, 
541/40   Schlacht   bei   Pallene.     natürlich   bleibt  einige   latitude  für  die 


36)  Herod.  I  61.  es  stellt  jedem  frei,  die  geschichte  für  klatsch  zu  halten, 
dann  ist  doch  dieser  klatsch  dadurch  entstanden,  dafs  man  ein  motiv  suchte,  wes- 
halb Megakles  den  Peisistratos  erst  zurückführt  und  dann  plötzlich  wieder  vertreibt, 
also  eine  chronologische  bedeutung  hat  auch  der  klatsch,  aber  die  geschichte  ist 
durchaus  glaublich;  wenn  Peisistratos  erwachsene  eheliche  söhne  hat  und  eine  frau 
aus  Argos  jüngst  geheiratet,  so  pafst  es  ihm  schlecht,  jenen  erbberechtigten  einen 
nebenbuhler  zu  zeugen,  der  den  schütz  seiner  mütterlichen  verwandten  zum  stürze 
der  brüder  verwenden  kann,  also  avyyivsrai  rfj  Meyaxh'os  S'vyar^l  o'  xara  vöfiov, 
cf.  Genesis  38,  8.  man  kann  die  details  den  liebhabern  überlassen:  die  beleidigung 
der  frau  und  ihres  geschlechtes  ist  durchaus  glaublich,  das  benehmen  des  Peisistratos 
und  des  Megakles  auch,     parallelen  aus  moderner  geschichte  fehlen  durchaus  nicht. 


24  !•  Chronologie. 

drei  letzten  zahlen,  denn  in  wie  weit  ein  jähr  sowol  als  endjahr  in  dem 
einen  wie  als  anfangsjahr  in  dem  andern  posten  enthalten  ist,  kann  man 
nicht  ausrechnen,  da  tritt  aber  schliefslich  zum  glücke  noch  ein  helfer 
in  der  not  hervor:  in  der  chronik  des  Eusebius  steht  (oder  hat  gestanden) 
der  anfang  des  Peisistratos  richtig  zu  ol.  54,  4,  der  tod  des  Hipparchos 
zu  65,  3:  dazwischen  steht  Pisistratus  apud  Atheniemes  tyrannidem 
exercuit  zu  59,  3  oder  4,  also  542  oder  41 :  das  kann  nur  die  schlacht 
von  Pallene  meinen,  und  es  stimmt  so  gut,  wie  man  irgend  verlangen  kann, 
die  antike  Chronographie  und  Aristoteles  und  Herodot  sind  durchaus  in 
einklang,  und  wir  sind  berechtigt  diesen  wichtigen  daten  vollen  glauben 
zu  schenken,  ich  betrachte  541  als  ein  festes  datum  für  die  schlacht 
von  Pallene;  dafs  sie  auch  542  gewesen  sein  kann,  ist  für  jene  zeit 
eine  unwesentliche  difTerenz.  die  würden  wir  nur  heben  können,  wenn 
wir  mehr  archoutennamen  besäfsen  und  fixiren  könnten,  in  dieser 
richtung  gewinnen  wir  nichts  neues,  aber  wol  in  einem  punkte  eine  ent- 
scheidung,  was  auch  nicht  zu  verachten  ist.  556/5  war  Hegesias  archon, 
nicht  Euthydemos,  dem  Boeckh  dies  jähr  zugewiesen  hatte,  nach  Euthy- 
demos  ist  vielmehr  das  nächstfolgende  benannt,  555/4,  wie  Dopp  gewollt 
hat.  unter  Euthydemos,  555/4  =  ol.  56,  2,  hat  also  die  parische  chronik 
die  thronbesteigung  des  Kroisos,  Sosikrates  (Diogen.  I  68)  das  ephoren- 
jahr  des  Chilon  gesetzt.^^) 

Nach  Isagoras  508/7  ist  der  nächste  feste  punkt  Phainippos  490/89, 
der  archon  der  Marathonschlacht  (22,  3),  wie  wir  aus  der  parischen  chronik 
wissen,  der  zweite  träger  des  namens  in  der  liste,  an  dem  jähre  490 
oder  dem  eponymos  Phainippos  für  dieses  jähr  zu  zweifeln  kann  keinem 
leidlich  gesunden  verstände  beikommen:  die  liste  der  archonten  496 — 88 
ist  durch  Zeugnisse,  die  sich  gegenseitig  stützen,  längst  gesichert,  dann 
ist  aber  eine  der  zahlen  bei  Aristoteles  falsch,  welcher  nur  15  jähre 
zwischen  508  und  490  zu  zählen  scheint,  da  er  den  archon  Hermokreon 
ezei  TcifiTtTCt)  nach  Isagoras,  den  Phainippos  erst  öoDde^iärcp  nach  Hermo- 
kreon ansetzt,  und  wirklich  ist  das  jähr  504/3,  das  so  dem  Hermokreon 
gehören  müfste,  von  Akestorides  besetzt,  mit  dem  olympiadenjahre  69,  1 
von  Dionysios  (V  37)  geglichen:  Kenyon  hat  demnach  die  zahl  5  in  8 
geändert,  damit  wenigstens  die  12  bleiben  kann;  oydoo)  für  7ckf.i7tT(i) 
empfiehlt  sich  freilich  nicht  durch  leichtigkeit.  denkbar  ist  auch,  dafs 
Aristoteles  das  erste  mal  das  ausgangsjahr  nicht  rechnete,  Hermokreon 
also  503/2  zu  stehn  käme,  und  nachher  öo)de^6.rio  leichter  in  id'  ge- 


37)  Bei  Eusebius  von  ol.  50,  2  auf  3  oder  4  verschoben. 


Die  jähre  508-478.  25 

ändert  würde,    einen  sichern  platz  hat  Hermokreon  also  noch  nicht;  für 
die  ganze  rechnung  tut  es  aber  nichts. 

Nach  der  schlacht  von  Marathon  verneinten  die  Athener  zweimal 
die  Vorfrage,  ob  ostrakismos  stattfinden  sollte:  das  war  unter  Phainippos 
und  unter  Aristeides  (name  in  der  parischen  chronik  und  bei  Plut,  Ar.  5), 
in  der  sechsten  prytanie,  anfang  489  und  488;  im  dritten  jähre  verfiel 
Hipparchos  dem  ostrakismos:  anfang  487  unter  Anchises  (name  Dionys. 
Hai.  VIII,  1);  im  folgenden  jähre,  486  gieng  es  dem  Megakles  so,  unter 
Telesinos:  diesen  namen  lernen  wir  zu;  drei  jähre  wurden  tyrannenfreunde 
verbannt:  also  aufser  den  beiden  genannten  noch  ein  dritter  unbekannter 
485,  in  dem  jähre  486/5,  dessen  archon  noch  fehlt;  im  vierten  jähre  traf 
der  ostrakismos  den  Xanthippos:  also  484,  unter  Philokrates  (name  in 
der  parischen  chronik);  im  dritten  jähre  danach  unter  Nikomedes  (oder 
Mkodemos)  flottengesetz  des  Themistokles:  das  ist  483/2,  und  hier  haben 
wir  Sicherheit  durch  die  Übereinstimmung  des  Dionysios  (VIII  83),  der 
zur  controUe  das  jähr  der  Stadt  Rom  beifügt,  bis  hierher  ist  also  die 
Überlieferung  bei  Aristoteles  in  Ordnung,  aber  gleich  folgt  ein  fehler, 
denn  nach  dem  flottengesetze  des  Themistokles  heifst  es,  dafs  Aristeides 
€v  TovTOiQ  Tolg  '/.aiQolg  durch  ostrakismos  verbannt,  aber  im  vierten  jähre 
darauf  wegen  des  Xerxesznges  unter  Hypsichides  mit  allen  verbannten 
zurückgerufen  wäre,  da  der  Xerxeszug  nach  Athen  sommer  480,  in 
den  ersten  monaten  des  Kallias,  kam,  kann  die  rückberufung  der  ver- 
bannten nur  unter  den  archon  von  481/80  fallen  und  zwar  in  seine 
letzten  monate.  der  bisher  unbekannte  archon  dieses  Jahres  hiefs  also 
Hypsichides.^*)  aber  dann  ist  Aristeides  nur  genau  2  jähre  verbannt  ge- 
wesen, da  nur  eine  unzulässige  kautschukinterpretation  das  was  Aristoteles 
nach  dem  flottengesetze  von  483/2  berichtet  und  was  verfassungsmäfsig 
der  zweiten  Jahreshälfte  angehört,  in  das  jähr  vor  Nikomedes  rücken 
kann.  Iv  Tovrotg  Toig  xaiQotg  bedeutet  natürhch  mehr  als  eine  un- 
gefähre zeitliche  gleichheit:  es  ist  auch  ein  innerer  Zusammenhang  zwischen 
den  zeitlich  so  ziemhch  coincidenten  ereignissen,  der  grofstat  des  The- 
mistokles und   der  ausweisung  des  Aristeides.     die  falsche  zahl  ist  also 


38)  'TxpixiSijs,  wie  in  der  handschiift  aus  'T^'r,-/ciSr,s  verbessert  ist,  ist  ein  cor- 
rectes  patronymikon  (genülicium)  von  'Ty^ixos,  und  dies  eins  der  in  Boeotien  und 
Altathen  so  gewöhnlichen  hypokoristika.  der  voilname  war  'Ty^ixlr^s  'T-ipix^ärijs, 
so  etwas.  'Tyj7jxiSr,s  ist  falsch:  was  ist  vrpriXa  rixsiv'^  der  Lakedämonier  'TxjnjxC- 
Sas  bei  Plutarch  Sol.  10  müfste'  übrigens  schon  deswegen  in  'Ti^ixiSas  geändert 
werden,  weil  es  lakonisch  'Txpax^das  oder  'TxpifaxiSas  heifsen  würde,  gesetzt  der 
name  käme  von  uxeiv. 


26  !•  Chronologie. 

erst  rexäQTio  (22,  8),  und  hier  darf  man  wieder  mit  Zuversicht  ändern,  da 
Plutarch  Arist.  8  für  dieselbe  sache  %TEt  tqLto)  angibt,  dafs  nach  Aristo- 
teles die  riickberufung  der  landes  verwiesenen  nicht  unter  Kalhas  erst 
fallt,  ist  lediglich  ein  zeichen  der  besten  überheferung,  die  bei  Herodotos 
sagenhaft  entstellt  ist:  bei  ihm  kommt  Aristeides  erst  unmittelbar  vor  der 
schlecht  bei  Salamis  heim,  ein  solcher  beschlufs,  der  ja  auch  das  com- 
plement  der  atimie  für  alle,  die  Osthch  von  dem  hellenischen  festland 
blieben,  d.  h.  zu  den  Persern  giengen,  einschlofs,  ist  undenkbar,  wenn 
die  Athener  selbst  bereits  ihr  land  verlassen  wollten  oder  gar  verlassen 
hatten :  aber  er  kann  auch  nicht  eher  gefafst  sein,  als  Hellas  direct  be- 
droht war;  480  fällt  er  also,  aber  notwendig  unter  einen  anderen 
archon  als  die  schlacht  bei  Salamis.    . 

Die  weiteren  daten  lehren  uns  nichts  neues,  weil  die  archontenhste 
bekannt  ist,  und  sie  brauchen  nicht  besprochen  zu  werden,  weil  die 
Überlieferung  nicht  gestört  ist.  nur  auf  eines  sei  hingewiesen.  25,  1 
wird  die  Vorherrschaft  des  Areopags  auf  17  jähre  f^iera  ta  31r]diKC(  an- 
gegeben, der  Sturz  des  Areopags  fällt  unter  Konon  462/1 ;  der  anfang 
seiner  Vorherrschaft  also  unter  Timosthenes  478/7:  das  ist  in  der  tat 
das  letzterwähnte  jähr  (23,  5).  Aristoteles  konnte  also  den  ausdruck  tcc 
Mr]6iy.ä  bis  478/7  erstrecken,  und  wenn  unter  Timosthenes  die  erste 
Schätzung  und  das  "^ewige  bündnis'  der  lonier,  also  die  gründung  des 
Reiches  fällt,  wie  wir  von  ihm  lernen,  so  ist  das  sehr  wol  verständlich, 
aber  diese  neue  erkenntnis  bringt,  wie  mich  dünkt,  eine  alte  Streitfrage 
zum  austrag,  dafs  der  jetzige  abschlufs  des  herodoteischen  Werkes  nicht 
vom  Verfasser  beabsichtigt  ist,  liegt  auf  der  band  oder  sollte  es  doch 
tun.  mit  der  eroberung  von  Seslos  möchte  Herodot  allenfalls  schliefsen : 
mit  der  geschichte  von  dem  gepökelten  heros  Protesilaos  und  einer  anek- 
dote  aus  Kyros  zeit  konnte  er  es  nicht,  vor  allem  aber  ist  kein  buch 
fertig  das  kein  ende  hat,  sondern  abreifst:  das  des  Herodotos  aber  hat 
seine  einleitung  und  Ordnung  und  will  ein  kunstwerk  sein,  andererseits 
ist  Eduard  Meyer  vollkommen  im  rechte,  wenn  er  bestreitet,  dafs  Herodot 
beabsichtigt  hätte,  bis  zur  Eurymedonschlacht  oder  irgend  einem  weit 
unter  den  winter  479/8  herabführenden  ereignis  fortzufahren:  das  lehren 
seine  eigenen  angaben,  da  scheint  mir  die  gründung  des  Reiches,  der 
eidschwiir  der  lonier,  der  winter  478/7  ein  passender  schluls.  da  sind 
die  Mr]drA.a  zu  ende  und  ist  die  grofsmachtstellung  Athens  gegenüber 
den  Rarbaren  begründet,  in  der  Herodotos  das  ziel  und  den  höhepunkt 
der  geschichtlichen  entwickelung  sah.  aber  auch  Thukydides  hat  so  ge- 
urteilt,  wie  ich   es   von  Herodot  annehme,     denn  er  erzählt  I  89—97 


Die  jähre  508—478.     ergebnis.  27 

genau  das  was  zur  ergänzung  des  unfertigen  herodoleischen  Werkes  nötig 
war.  er  setzt  nach  der  schlacht  von  Mykale  ein  und  berichtet  kurz  das 
letzte  was  Herodot  ausfühdich  erzählt,  die  belagerung  von  Sestos.  darauf 
erzählt  er  selbst  ausführlich  den  Wiederaufbau  der  mauern  Athens,  winter 
479/8  unter  Xanthippos.  es  folgen  die  expeditionen  des  kriegsjahres  478 
und  der  abfall  der  lonier  von  Sparta,  der  im  frühjahr  477  perfect  wird, 
als  sie  dem  nachfolger  des  Tansanias  die  heeresfolge  weigern,  und  die 
rä^ig  cpÖQov,  die  also  in  der  zweiten  hälfte  des  Jahres  des  Timosthenes, 
ersten  hälfte  des  Jahres  477  vor  sich  gieng.  damit  ist  das  attische  Reich 
gegründet,  genauer  ol  \^^rjvaloi  rjl&ov  knl  xa  Tcqäy^axa  Iv  olg 
r]v^i]'9-rjGav.  das  ist  ein  abschlufs,  und  da  hat  auch  Thukydides  zu- 
erst inne  gehalten,  die  erzählung  der  ereignisse  von  476 — 434  hat  er 
als  excurs  erst  später  eingefügt,  mit  rücksicht  auf  die  erste  attische 
Chronik,  die  mittlerweile  Hellanikos  publicirt  hatte,  als  er  sein  werk 
entwarf,  stand  der  jüngst  publicirle  torso  des  herodoteischen  Werkes  in 
imponirender  gröfse  vor  seiner  phantasie:  ihn  hat  er  ergänzen  wollen, 
seine  ganze  archaeologie  ist  ja  eine  parallele  zu  dem  herodoteischen  werke, 
auch  sie  geht,  nur  mit  kurzer  scharfgeschlossener  argumentation,  darauf 
aus,  die  macht  Athens  in  ihrem  werden  und  ihrer  bedeutung  klar  zu 
machen :  das  ist  die  Voraussetzung  der  ereignisse,  die  er  erzählen  will,  die 
Voraussetzung  seines  erzählens  ist  das  werk  des  Herodotos:  so  hat  er 
am  besten  dessen  absieht  begriffen. 

Was  haben  wir  nun  für  Aristoteles  ermittelt?  nicht  viel,  scheint  Ergebnis, 
es.  er  hat  eine  archontenliste  gehabt,  der  er  vor  Solon  nur  bedingtes, 
von  Solon  ab  unbedingtes  vertrauen  schenkt,  auf  die  archonten  datirt 
er  so  viele  der  hauptereignisse,  dafs  sich  eine  feste  Chronologie  der 
zeit  von  594 — 403  aufbaut,  wie  viele  genau  auf  den  archon  gestellte 
angaben  diese  vorläge  enthielt,  sieht  man  am  deutlichsten,  wo  er  eine 
fabel  durch  den  hinweis  auf  ihre  chronologische  Unmöglichkeit  beseitigt: 
"man  sollte  sich  doch  überlegen,  wie  alt  Solon  und  Peisistratos  geworden 
und  unter  welchem  archon  sie  gestorben  wären"  (17,  2).  das  sagt  er 
von  Solon  gar  nicht  erst,  das  soll  der  leser  wissen,  und  diese  angäbe 
gilt  ihm  als  eine  unwidersprechhche  tatsache.  es  sind  nun  aber  mit 
diesen  datirungen  recht  häufig  die  an  sie  geknüpften  ereignisse  eng  und 
unlöslich  verbunden,  die  erste  chronologische  reihe,  von  Solon  bis 
Damasias,  besteht  im  gründe  nur  aus  den  erläuterungen  der  archonten- 
liste, und  ebenso  wird  niemand  die  knappen  angaben  über  einzelne 
ereignisse  der  jähre  507 — 480  von  den  daten  loszureifsen  gewillt  sein, 
mit  andern  Worten,  Aristoteles  hat  nicht  eine  nackte  archontenliste,  son- 


28  !•  Chronologie. 

(lern  eine  chronik  benutzt,  und  er  hat  dieser  chronik  nicht  nur  als  einer 
Zeittafel  volles  vertrauen  geschenkt,  das  ist  also  ein  buch,  das  er  für 
die  ganze  geschieh te  beständig  vor  äugen  gehabt  hat,  das  ihm  das  ge- 
rüst  seiner  arbeit  gehefert  hat.  erkannt  zu  haben,  dafs  er  eine  solche 
chronik  benutzt,  und  wie  hoch  er  sie  schätzt,  ist  allerdings  nichts  ge- 
ringes, aber  um  zu  lernen,  wie  viel  er  ihr  verdankt,  müssen  wir  zunächst 
das  absondern,  was  sich  auf  andere  nachweisbare  und  zum  teil  erhaltene, 
ja  direct  von  Aristoteles  citirte  Schriften  zurückführen  läfst.  erst  nach 
langen  und  mühsamen  umwegen  werden  wir  zu  der  chronik  zurück- 
kehren, so  oft  wir  ihrer  auch  unterwegs  ansichtig  werden. 


HEEODOTOS. 


Wenn  wir  nach  den  quellen  der  Politie  fragen,  so  geziemt  es  sich 
von  den  gewährsmännern  auszugehn  die  namenUich  angeführt  werden, 
das  war  vermutlich  Homer  (B  547),  um  mit  der  formel  örjf.wg  ^Eqsyßijos 
das  alter  der  athenischen  demokratie  zu  beweisen  (fgm.  2).  die  verse 
stammen  bekanntlich  erst  aus  der  zeit  des  Peisistratos,  aber  Aristoteles, 
der  auch  die  berufung  der  Athener  auf  dieselben  verse  im  streite  um 
Salamis  anerkennt  (Rhet.  I  15),  hat  solche  beweise  nicht  in  zweifei  ge- 
zogen, ein  anderes  ist,  ein  solches  zeugnis  suchen;  das  wird  man  ihm 
nicht  leicht  zutrauen,  das  haben  vielmehr  die  Athener  zu  tun  veranlassung 
und  neigung  gehabt;  er  kann  dieses  citat  füghch  selbst  schon  ent- 
lehnt haben. 

Eine  hauptquelle  für  ihn  sind  die  gedichte  Solons  gewesen;  was 
er  ihnen  verdankt,  wird  das  nächste  capitel  darlegen,  es  ist  praktisch, 
vorher  den  einzigen  historiker  zu  betrachten,  den  er  einer  nament- 
lichen erwähnung  (14,  4)  gewürdigt  hat,  den  Herodotos.  es  liegt  darin 
schon  eine  bedeutsame  anerkennung  des  grofsten  historikers,  der  dem 
Aristoteles  der  typus  dieser  litteraturgattung  ist  (poet.  9). 

Sein  name  steht  bei  einer  unwesentlichen  einzelheit,  der  herkunft  Geschichte 

,  des  Peisi- 

jener  frau,  die  als  Athena  den  Peisistratos  heimführte,    die  ivioi,  deren     stratos. 
angäbe  Aristoteles  dem  Herodotos  entgegenstellt,  würden  wir  noch  be- 
stimmt benennen  können,  wenn  nicht  die  stelle  bei  Athenaeus,  wo  der 
name   stand,   unheilbar  zerstört  wäre  (XHI  609).*)     es  war  der  name 


1)  Kleidemos  nennt  die  Phye  tochter  eines  Sokrates  und  macht  sie  zur  frau 
des  Hipparchos:  dann  hat  er  sie  nicht  für  eine  arsfavoTteoXls  ex  KoXXvrov  aus- 
gegeben; hetaeren  haben  selten  einen  vater  und  heiraten  keine  prinzen.  die  an- 
gaben über  sie  im  schol.  Ar.  Ritt.  449,  wo  sie  gar  des  Peisistratos  frau  wird,  sind 
wol  verwirrt,  aber  auf  grund  der  kleidemischen  angäbe,  dafs  sie  dem  Hipparchos 
zur  frau  gegeben  ward. 


30  2.  Herodotos. 

eines  Atthidographen,  denn  Kleidemos ^)  steht  daneben,  das  Herodotcitat 
beweist  an  sich,  dafs  er  in  dieser  parlie  weiter  benutzt  ist;  die  nennung 
der  'dvLOi,  dafs  er  nicht  allein  zu  gründe  liegt,  dem  entspricht  der  tat- 
bestand:  Aristoteles  erzählt  die  äufsere  geschichte  des  Peisistratos  (13, 
4 — 15,  3)  in  engem  anschlusse  an  Herodotos,  aber  mit  zahlreichen  Zu- 
sätzen, nur  zum  teil  waren  uns  die  geschichten  anderswoher  bekannt,  aber 
diese  parallelen  genügen,  ihre  herleitung  aus  der  chronik  wahrscheinlich  zu 
machen,  so  gleich  die  hübsche  geschichte,  wie  Peisistratos  sich  zum  ersten 
male  der  herrschaft  bemächtigt,  und  der  alte  Solon  seine  klugheit  und 
seinen  mut  vergeblich  dagegen  aufbietet:  sie  hängt  in  Wahrheit  mit  der 
Schilderung  von  dem  regimente  des  Peisistratos  zusammen,  das  bei  Aristo- 
teles folgt,  und  müfste  hier  eigenthch  besprochen  werden,  allein  das 
Würde  uns  gleich  von  Herodotos  weit  abführen:  so  habe  ich  es  dem 
capitel  vorbehalten,  das  nach  der  Atthis  heifst. 

Ein  wichtiges  stück,  die  Unternehmungen  des  Peisistratos  während 
seiner  zweiten  Verbannung,  ergänzt  den  bericht  Herodots,  dessen  angäbe, 
dafs  Peisistratos  aus  der  Strymongegend  geld  bezog  (I  64),  erst  jetzt  ver- 
ständhch  wird,  wo  wir  von  seinen  dortigen  erwerbungen  erfahren,  da 
Eretria  der  ausgangspunkt  des  Peisistratos  war,  konnte  jeder  folgern, 
dafs  ihn  die  dortigen  machthaber  unterstützten:  aber  dafs  es,  wie  in 
Chalkis,  ritter  waren,  ist  zwar  nach  der  analogie  und  einer  angäbe  des 
Aristoteles  (Politik  J  3)  sehr  glaubhch,  nur  aus  Herodot  war  es  nicht  zu 
entnehmen,  diese  trefflichen  angaben  machen  durchaus  den  eindruck 
schliefslich  aus  derselben  tradition  geschöpft  zu  sein,  die  auch  dem  Herodotos 
vorlag,  und  es  wäre  dem  Aristoteles  ja  auch  nicht  möglich  gewesen,  beide 
in  einander  zu  arbeiten,  wenn  sie  nicht  im  wesentlichen  gestimmt,  im 
einzelnen  einander  ergänzt  hätten,  einen  Widerspruch  in  einer  lappahe, 
wie  es  die  herkunft  der  Phye  ist,  notirt  er;  sonst  gibt  er  einfach  nur  das, 
was  ihm  das  wahre  zu  sein  scheint,  dabei  ist  es  ihm  einmal  begegnet,  dafs 
er  ein  und  dasselbe  ereignis,  weil  es  von  seinen  gewährsmännern  in 
verschiedener  beleuchtung  vorgeführt  war,  verdoppelt  hat. 

2)  Den  namen  des  Kleidemos  hier  und  IX  4JL0*  mit  Antikleides  zu  ver- 
tauschen möchte  ich  nicht  raten,  dafs  die  Atthis  unter  dem  titel  n^coroyersia 
(XIV  660 ^  dieselbe  steile  bezeichnet  die  nächste  seite  660 "^  mit  ^Axd^iSos  a)  und 
Nöaxoi,  angeführt  wird,  ist,  wie  ich  schon  früher  ausgeführt  habe,  gar  nicht  an- 
stöfsig.  denn  Kleidemos  wird  selbst  seinem  buche  gar  keinen  bestimmten  titel 
gegeben  haben,  das  'attische  buch'  und  ^Urgeschichte'  und  'geschichte  seit  Troias 
fair  sind  bezeichnungen  so  gut  wie  die  für  seines  Zeitgenossen  werke  'EXXrivixä, 
KxQov  TtaiSsla,  Kvqov  l4väßaaie,  die  letzten  beiden  ebenso  Übertragungen  vom 
ersten  teile  auf  das  ganze. 


Die  drei  parteien.  31 

Der  bericht  über  die  drei  parteien,  die  in  Athen  vor  Peisistratos  Die  drei 
bestanden,  stimmt  bei  Aristoteles  und  Herodotos  ziemlich  genau  (13,  4,  ''^'^'*'^"' 
Herod.  I  59).  aber  Aristoteles  hat  nicht  nur,  wie  natüriich,  das  ungenaue 
^7r£(>ax^fotHerodots  in  das  richtige  ölÜ/.qlol  verbessert,  sondern  er  charak- 
terisirt  auch  diese  partei  als  die  demokratische,  der  sich  die  ehemaligen 
schuldsclaven  anschlössen,  und  neben  diesen  leute  von  zweifelhafter  ächt- 
biirtigkeit.  zum  beweise  führt  er  an,  dafs  nach  der  Vertreibung  der  tyrannen 
eineprüfung  der  bürgerhsten  stattgefunden  habe,  um  diese  eindringlinge  zu 
beseitigen,  da  Kleisthenesbei  der  neuen  phylenordnung  gerade  die  entgegen- 
gesetzte tendenz  verfolgt  hat,  und  niemand  anders  als  Aristoteles  selbst  be- 
richtet, dafs  er  sogar  viele  metoken  und  freigelassene  zu  bürgern  gemacht 
habe^),  so  kann  dieser  nicht  der  urheber  jener  reactionären  mafsregel  «ein, 
sondern  sie  mufs  in  die  jähre  509  oder  508  fallen  und  von  der  partei  des 
Isagoras  ausgehn.  wirklich  berichtet  Herodol  (und  ihm  nachschreibend 
Aristoteles),  dafs  Isagoras  700  familien  vertrieb,  aber  er  nennt  es  ayrjXa- 
telv,  gleich  als  ob  sie  alle  an  der  blutschuld  der  Alkmeoniden  teilgenommen 
hätten,  während  an  der  früheren  stelle  Aristoteles  den  technischen  ausdruck 
diaiprj(piaf.i6g  anwendet,  den  wir  von  den  entsprechenden  Vorgängen 
kennen,  welche  die  gesetze  des  Perikles  von  451/50,  des  Aristophon  bald 
nach  403,  und  des  Demophilos  346/5  im  gefolge  hatten ;  es  wird  ohne  zweifei 
öfter  zu  solchen  mafsregeln  gekommen  sein.")     nun  ist  es  ganz  der  weise 


3)  Politik  7^2.  in  der  Politie  hat  die  erwähnung  nicht  gefehlt:  denn  dafs  die 
andeutung  eines  ausfalles,  den  die  Überlieferung  selbst  in  der  zerrissenen  periode 
21,  1  gibt,  nicht  durch  das  hier  wie  an  ähnlichen  stellen  von  andern  beliebte  kümmer- 
liche mittel  beseitigt  werden  darf,  die  unliebsame  partikel  zu  tilgen,  folgt  vor  allem 
aus  dem  stii.  Kleisthenes  wird  S^ftov  7iooaräTi]s,  heifst  es  20,  3,  und  was  ihn 
dazu  legitimirt,  wird  angeführt;  dann  wird  derselbe  gedanke  aufgenommen,  zov  TtXrj- 
&OVS  nQosarTjxcos  22,  1  und  an  der  stelle,  wo  die  epoche  machenden  neuerungen  ge- 
nannt werden,  das  genaue  datum  eingefügt:  da  fordern  wir  einen  allgemeinen  seine 
Wirksamkeit  zusammenfassenden  ausdruck,  dessen  ausführung  mit  notörov  fisv  oiv, 
k'neira  u.  s.  w.  folgt,  und  dem  23,  1  Stj/iorixcore^a  ayivexo  rj  nohrsia  entspricht, 
ferner,  wenn  folgt  'awtvsifie  Ttdvzas  eis  Säxa  cpvlas  avrl  rcöv  reTra^cov.  wer 
sind  die  TtävTssf  doch  wol  mehr  als  vorher  in  den  <pvXai  waren,  das  also  war 
erwähnt,  eben  das  was  die  Politik  auch  bezeugt,  aufserdem  wird  der  suffectus  fehlen, 
da  Isagoras  ja  vertrieben  war,  vgl.  oben  s,  6. 

4)  Man  ist  gewöhnt,  zwischen  dem  anfange  des  vierten  Jahrhunderts  und  345 
keine  Siarpr^tpiais  anzunehmen,  und  allerdings  ist  keine  überliefert,  aber  die  als 
demosthenisch  überlieferte  amüsante  rede  wider  Eubulides  setzt  eine  solche  voraus, 
und  es  ist  nur  mit  den  gewaltsamsten  Verrenkungen  jeder  Chronologie  möglich,  die 
rede,  in  der  'alle  historischen  beziehungen  sich  auf  den  peloponnesischen  und  korin- 
thischen krieg  beschränken'  (Schaefer  IIP'  265)  345  anzusetzen,    wer  sie  ohne  rück- 


32  2.  Herodotos. 

des  Herodotos  und  der  der  Atthis  entsprechend,  dafs  der  erste  als  einen 
persünlichen  gewaltact  mit  religiöser  färbung  hinstellt,  was  in  dieser  als 
eine  correcte  verwaltungsmafsregel  erscheint,  uns  macht  es  darum  keine 
beschwerde  beides  zu  identificiren,  und  wir  verstehn  die  revolulion  von 
510 — 7  damit  ein  gut  teil  besser:  aber  Aristoteles  hat  sich  offenbar  die 
Sache  gar  nicht  klar  gemacht. 
Die  ge-  Damit   sind   wir   schon    in    das  zweite  stück  hineingekommen,    das 

schichte  des  •  -i  r»   •  •  •  i 

Kieisthenes.  Aristotclcs  BUS  Herodot  genommen  hat,  die  Vertreibung  der  Peisistratiden 
und  die  revolulion  des  Kieisthenes  (19,  2 — 20).  obwol  der  anschlufs 
an  Herodot  V  62 — 65.  69—70  ein  enger  und  oft  worthcher  ist,  so  dafs 
sich  die  texte  gegenseitig  verbessern*),  ist  das  Verhältnis  doch  dasselbe 
wie  vorher:  es  finden  sich  einige  wichtige  und  auch  durch  die  form  der 
einlage  bedeutsame  zusätze. 

F'ür  Herodot  ist  die  übernähme  des  delphischen  tempelbaues  lediglich 
ein  act  der  munificenz  und  der  frömmigkeit,  die  wir  an  den  Alkmeoniden, 


sieht  auf  den  verfassernamen  liest,  wird  an  die  zeit  um  360  spätestens  denken,  aber 
der  Ursprung  der  rede  kann  auch  nicht  für  sehr  gut  bezeugt  gelten,  als  sie  den 
demoslhenischen  werken  einverleibt  wurde,  waren  die  verschiedenen  röfioi,  in 
welche  der  nachlafs  des  Demosthenes  wie  der  des  Isokrates  noch  jetzt  gegliedert  ist, 
schon  fest;  sie  ist  ein  nachtrag,  so  gut  wie  die  rede  ApoUodors  wider  Neaira  und 
die  auch  unter  Deinarchos  werke  eingereihte  wider  Theokrines.  wer  sich  um  die 
Überlieferung  und  die  Stellung  dieser  reden  in  den  handschriften  kümmert,  kann  das 
nicht  verkennen,  nun  war  es  ja  möglich,  dafs  eine  ächte  rede  des  Demosthenes 
bisher  übersehen  war,  und  es  kann  sein,  dafs  die  damals  irgendwo  entdeckte  hand- 
schrift  wie  den  namen  des  Sprechers  Euxitheos  (der  wie  andere  für  uns  durch 
Libanius  erhalten  ist),  so  den  des  Verfassers  trug,  aber  die  verfassernamen  der 
gerichtsreden  haben  ein  geringes  gewicht,  und  dafs  die  rede  hübsch  ist,  reicht  nicht 
aus,  sie  dem  Demosthenes  zuzuschreiben,  ich  verzichte  auf  ein  stilistisches  urteil, 
da  das  meine  hier  nur  auf  subjectivem  eindruck  beruht,  die  mangelhafte  bezeugung 
würde  ich  auch  nicht  für  ausreichend  halten:  aber  die  Chronologie  scheint  mir  jetzt 
wie  früher  durchschlagend,  ich  habe  die  rede  stets  als  pseudodemosthenisch  citirt, 
obwol  ich  mir  die  gründe  von  Schaefers  Verwerfung  durchaus  nicht  aneignen  kann. 
5)  Bei  Aristoteles  zeigt  es  unsere  ausgäbe:  namentlich  die  lücke  20,2,  die  wir 
erst  in  der  zweiten  aufläge  erkannt  nnd  gefüllt  haben,  hat  für  andere  ähnliche 
stellen  bedeutung.  es  ist  nicht  erfreulich,  dafs  diese  durch  subjectwechsel  und  ein 
jetzt  sinnloses  Satzglied  {fiex^  oXiytov)  offenkundige  und  sicher  ergänzte  lücke  noch, 
gleich  als  ob  alles  gut  und  heil  wäre,  conservirt  wird,  ja  sogar  mit  überlegner 
miene  für  die  arbeilsmethode  des  Aristoteles  verwertet  wird,  bei  Herodot  wird  der 
name  'Ayxifioloi  hergestellt,  den  ich  auf  grund  von  schol.  Lysistr.  1153  gefordert 
hatte  (bei  Stein  schol.  Ar,  Lysistr.  p.  43),  und  aufserdem  die  richtige  form  IlsXa^- 
yixo)  mit  demselben  scholion  und  einem  verachteten  codex  Urbinus  68:  R  fehlt  für 
das  fünfte  buch,  ein  neuer  beleg  dafür,  dafs  es  noch  keine  genügende  recensio  des 
Herodotos  gibt. 


Die  geschichte  des  Kleisthenes.  33 

von  denen  seine  tradition  stammt,  bewundern  sollen.  Aristoteles  erzählt 
kurz,  dafs  sie  den  bau  übernahmen,  o^€v  evrroQi^aav  ;f(»;|tmTwv.®)  das 
ist  so  kurz,  dafs  man  sich's  erst  überlegen  mufs,  wieso  die  übernähme 
einer  leistung  geld  bringen  kann,  dann  erschliefst  man  freilich,  dafs 
sie  nach  abschlufs  des  cnntractes  einen  teil  des  bedungenen  preises  als 
baufonds  erhielten  und  dies  geld  zu  der  anwerbung  des  freicorps  wider 
die  Peisistratiden  verwandten,  vollkommene  aulklärung  gibt  ein  auszug 
aus  der  attischen  chronik,  schol.  Pind.  Pyth.  7,  9  Isysrai  yag  ort  rbv 
üvO-iKov  v£(ov  l(.iTtQriod-evTa ,  log  rivEC  (dies  fügt  D  zu)  (paolv,  vrto 
röjv  UeioiOTQaTidcöv  oi  ^XY.i.iuLovidc(i  cpvyadevS-ivrsg  vn^  avTwv 
VTteGxovTO  avorAGÖo/urjOeiv  (so  D  für  -jurjoai  B),  xal  de^äf.ievoL  XQt]- 
(.lara  ymI  ovvayayövTeg  dvvai^iiv  kitid-svTO  rolg  TleiGiOigaridaig  y.at 
vfKTqoavreg  fusra  xaQiorr^QUov  (so  D  für  eiy^ag.  B)  /rksiövcov  aviO'Aodö- 
f.iiqoav  T(o  ^ecjj  ro  zf/^ievog,  ojg  0iX6xoQog  lOroQSl.  das  ist,  so  weit  es 
hierher  gehört,  die  unmittelbar  einleuchtende  Wahrheit,  die  allerdings 
dreiste  fabel,  dafs  die  hosen  Peisistratiden  den  tempel  angesteckt  hätten,  der 
548/7  verbrannte"),  während  Peisislratos  nicht  einmal  herr  Athens  war*),  hat 
Boeckh  durch  eine  conjectur  beseitigen  wollen,  die  schon  deshalb  falsch 
ist,  weil  damit  das  wg  rti'fig  q)aai  unverständlich  wird,  mit  dem  Philochoros 
seinen  zweifei  andeutet,  wir  sind  nicht  berechtigt,  weder  der  verläumdung 


6)  Wir  haben  dahinter  eine  iücke  angesetzt,  weil  tiqus  t»}*-  rcöv  Aay.ojvojv 
ßor,d'eiav  sich  überhaupt  nicht  construiren  läist.  vielleicht  ist  es  aber  richtiger, 
diese  worte  zu  beseitigen,  als  zusatz  eines  lesers,  der  sich  überlegte,  wozu  das  geld 
dienen  sollte,  ylaxoivES  neben  ^aysSaifiövioi,  das  in  derselben  zeiie  folgt,  misfällt. 
die  bestechung  der  Pythia  konnte  Aristoteles  weglassen,  in  der  tat  bedarf  es  dieser 
annähme  nicht:  Delphi  und  Kleisthenes  machten  ein  ganz  solides  geschäft  durch 
ihre  combinirte  action,  und  es  ist  beiden  gut  bekommen. 

7)  Paus.  X  5,  13  Euseb.  ehren,  ungefähr  in  der  gegend  von  ol.  58,  1,  Herod. 
II  180;  wenn  dieser  hervorhebt,  dafs  der  brand  airofidrcos  geschah,  so  ist  das  nur 
die  officielle  delphische  version;  latente  polemik  gegen  die  beschuldigung  der  Pei- 
sistratiden liegt  seiner  art  zu  erzählen  ganz  fern. 

8)  Darum,  ob  der  Synchronismus  stimmte,  hat  sich  eine  solche  geschichte  so 
wenig  gekümmert  wie  Herodot  I  56,  als  er  den  Kroisos  sich  überlegen  liefs,  ob  er 
nicht  bei  den  Athenern,  dem  hervorragendsten  ionischen  Staate,  hilfe  suchen  sollte, 
was  er  dann  wegen  des  druckes  der  tyrannis,  die  auf  Athen  lastete,  unterlassen 
habe,  das  ist  ein  schriftstellerisches  motiv,  nur  zu  dem  brauchbar  was  es  bewirkt, 
der  motivirung  eines  excurses;  es  hat  genau  so  viel  wert  wie  die  Übergänge  in 
Ovids  Metamorphosen,  dafs  Athen  damals  nicht  unter  den  tyrannen  stand,  dafs  die 
tyrannen  es  nicht  herunter,  sondern  heraufgebracht  haben,  dafs  es  um  550  eine  Stadt 
dritten  ranges  unter  den  ionischen  war,  kümmerte  alles  mit  recht  den  Herodotos 
nicht,  aber  die  modernen,  die  auf  diesen  Synchronismus  die  Peisistraüdenchrono- 
logie  bauen,  brauchen  uns  nicht  zu  kümmern. 

V.  WilamowUz,  Aristoteles.  3 


34  I.    2.  Herodotos. 

der  gegner  im  sechsten,  noch  der  tyrannenfurcht  im  fünften  Jahrhundert 
schranken  zu  setzen,  wann  immer  die  geschichte  in  die  chronik  gekommen 
ist,  für  deren  demokratischen  ton  sie  Zeugnis  ablegt,  auch  über  die  quelle 
des  Aristoteles  schwindet  so  jeder  zweifei.  das  minder  kundige  publicum 
in  Athen  hatte  die  Verpflichtung  zum  tempelbau  vergessen,  aber  dafs  die 
Alkmeoniden  mit  delphischem  gelde  ihren  befreiungszug  gemacht  hatten, 
wufste  Isokrates  in  der  Antidosis  232.') 

Verlaufen  waren  die  dinge  also  folgendermafsen.  548/47  brannte 
der  delphische  tempel  ab;  die  Amphiktionen  sammelten  für  den  neubau 
geld  bis  in  die  fernste  hellenische  diaspora.  auf  dieses  capital  hatten  es 
die  Alkmeoniden  abgesehn ,  nachdem  ihnen  der  putsch  von  Leipsydrion 
misglUckt  war,  trotz  dem  scheinbaren  zeugnis  des  Herodot  wahrscheinlich 
vor  der  ermordung  des  Hipparchos.'")  natürlich  bekamen  sie  den  Zu- 
schlag als  bauunternehmer  nur,  weil  sie  bessere  bedingungen  stellten: 
wir  dürfen  das  in  dem  ersatze  des  gewöhnlichen  bruchsteines  durch 
parischen  marmor  erblicken,   wenn  Herodot  das  auch  lediglich  als  eine 


9)  Ihn  schreibt  Demosthenes  Mid.  143  ff.  ab;  Im  übrigen  hängt  er  von  den 
reden  ab,  die  für  und  wider  den  jungen  Alkibiades  gehalten  oder  doch  geschrieben 
waren,  hier  am  stärksten  offenbart  er  seine  Unkenntnis  in  der  vaterländischen  ge- 
schichte und  seine  gleichgiltigkeit  gegen  die  geschichtliche  Wahrheit. 

10)  Herodot,  dem  Aristoteles  einfach  nacherzählt,  setzt  die  belagerung  von 
Leipsydrion  freilich  zwischen  514  und  510,  aber  nach  seiner  erzählung  würde  da 
eigentlich  auch  der  tempelbau  zu  stehn  kommen,  es  ist  zu  befürchten,  dafs  er 
hier  wie  so  oft  die  einzeln  überlieferten  ereignisse  in  einen  falschen  zeitlichen 
Zusammenhang  gerückt  hat.  denn  die  drei  jähre  513 — 11  sind  sehr  knapp  für  die 
fülle  der  ereignisse.  die  winterlichen  kämpfe  um  Leipsydrion  könnten  allerfrühestens 
513/12  fallen,  der  stürz  der  tyrannis  ist  510,  in  der  zweiten  hälfte  des  Jahres  des 
Harpaktides,  20  Ihukydideische  jähre  vor  490,  anzusetzen;  der  verfehlte  zug  des 
Anchimolos  also  511 :  denn  ein  doppeltes  (pQovQav  faivEiv  in  demselben  jähre  darf  man 
den  Spartiaten  wahrlich  nicht  zutraun.  dann  mufs  Kleisthenes  512  sich  nach  Delphi 
zurückgezogen,  die  priester  gewonnen,  den  Zuschlag  erhalten  haben,  und  die  Pythia 
niufs  die  spartanischen  orakelbesucher  in  demselben  jähre  noch  so  oft  an  die  Ver- 
treibung der  tyrannen  gemahnt  haben,  dafs  die  widerwillige  regierung  in  Sparta 
mürbe  ward,  das  ist  die  eine  Schwierigkeit,  die  andere  liegt  darin,  dafs  die  Alk- 
meoniden bei  Leipsydrion  unterlegen  sind,  weil  sie  gar  keinen  volksaufstand  er- 
regen konnten,  das  pafst  nicht  mehr,  wenn  die  schwere  zeit  der  tyrannis  nach 
Hipparchos  tode  begonnen  hatte,  das  skolion  feiert  die  Alkmeoniden  als  ävS^es 
ayad'oi  y.ai  einaT^iöai:  von  der  Schwenkung  des  hochadlichen  zum  7CQoaxärr,s  xov 
8^/uov  ist  noch  keine  rede;  eben  deshalb  war  jener  zug  misglückt.  gedichtet  kann 
das  lied  nicht  sein,  als  die  hier  beklagte  partei  siegreich  und  vollends  als  demo- 
kratische siegreich  geworden  war.  es  liegt  hoffnungslosigkeit  darin:  die  hero- 
doltische  Zeitrechnung  läfst  für  eine  solche  pause  der  Verzweiflung  gar  keinen  räum. 


Die  geschichte  des  Kleisthenes.  35 

liberalität  der  Alkmeoniden  bezeichnet,  natürlich  war  die  lange  zeit 
von  548  bis  512  nicht  ganz  untätig  gewesen,  da  ein  bauplan  bestand, 
mufs  auch  ein  architekt  da  gewesen  sein,  der  ihn  gemacht  hatte;  wir 
kennen  ihn  aus  Pausanias  (X  5)  als  Spintharos  aus  Korinth.  und  von 
dem  bau  des  Trophonios  und  Aganiedes  war  erstens  der  ganze  ungeheure 
unterbau  da  mit  der  polygonalmauer,  die  im  homerischen  ApoUonhymnus 
erwähnt  wird  (295),  und  an  die  um  504  die  Athenerhalle  angelehnt 
ward.")  auch  ist  natürlich  ein  provisorisches  gotteshaus  immer  da  ge- 
wesen, wie  die  Alkmeoniden  den  tempel  eigentlich  gebaut  haben,  welche 
künstler  sie  zuzogen,  entzieht  sich  unserer  kenntnis.  den  schmuck  der 
beiden  giebelfelder  erwähnt  am  ende  des  Jahrhunderts  Euripides  im  Ion  '^); 
Pausanias  beschreibt  ihn  unklar  und  nennt  zwei  Athener  als  verfertiger, 
von  denen  der  eine  nach  dem  tode  des  ersten  eingetreten  wäre.'^)     die 


11)  Über  deren  datirung  vgl.  die  beilage    der  erste  krieg  mit  Aigina.' 

12)  184  beschreibt  der  einziehende  chor  zunächst,  was  er  auf  dem  wege  ge- 
sehen hat,  peristyle  tempel  (sixioves  avXai  ^scöv),  Säulenhallen  wie  z.  b.  die  attische; 
wir  wissen  ja  von  der  attischen  bürg  und  Olympia  her,  wie  viele  es  deren  an 
solchem  orte  gab;  (sie  heifsen  hier  'schmuck  des  weges'  ayvidnSee  d'eoaTislai,  in 
der  Andromache  1099  neQioTvXoi  S^öfioi),  und  die  giebel  mit  ihrem  schmuck  der 
sculpturen  und  der  goldenen  schilde  und  der  bunten  bemalung  {SiSificav  n^oaiö- 
noiv  xaXXißXäcpaQov  <pcös):  beide  giebel  hat  der  chor  gesehn,  weil  der  weg  bekanntlich 
wie  in  Athen  an  der  langseite  des  tempels  vorbeiführt,  von  dem,  was  dann  die 
halbchöre  einander  zeigen,  mufs  etwas  auf  der  attischen  bühne  dargestellt  gewesen 
sein;  dafs  in  Delphi  eben  diese  gegenstände  wirklich  vorhanden  waren,  möchte  ich 
nicht  versichern,  die  scenische  anordnung  des  dramas  ist  bisher  nicht  verstanden, 
konnte  es  auch  erst,  seit  Dörpfeld  gelehrt  hat,  wie  die  bühne  aussah,  nun  löst 
sich's  überraschend  leicht  ohne  halsbrechende  archaeologenexegese,  athetesen  oder 
gar  Verrallsche  processionen.  zwischen  den  halbsäulen  des  proskenions  befinden 
sich  nur  schranken,  d-Qiyxoi  (156.  1321)  xiyxXiSes:  so  stellt  sich  die  äufsere  Säulen- 
reihe des  tempels  in  der  front  dar.  man  sieht  in  den  peristyl  des  tempels.  die 
in  das  hintere  bühnengebäude  führende  tür  entspricht  also  dem  eingange  in  den 
proneos.  in  den  tempel  gehn  Ion  Xuthos  Pythia.  der  peristyl,  den  man  also 
sieht,  heifst  d-v/iisXai  (46.  228),  ihn  will  der  chor  betreten,  um  die  dort  stehenden 
anatheme  zu  betrachten  (von  denen  einzelne  dargestellt  waren),  der  ganze  räum, 
den  man  übersieht  (die  orchestra)  gehört  zu  den  yvaXa  (76.  220),  die  mit  dem  peri- 
bolos  identificirt  werden  dürfen,  also  viel  weiter  als  man  sieht  reichen,  in  ihnen, 
aber  aufserhalb  dessen  was  man  sieht,  liegt  der  altar  für  die  blutigen  opfer,  der 
in  Delphi  wirklich  nicht  gerade  vor  der  front  lag.  sichtbar  ist  hier  aber  auch  ein 
altar,  im  centrum  der  orchestra  oder  noch  ferner  vom  tempel;  von  dem  aber  nimmt 
niemand  notiz,  als  bis  der  dichter  ihn  braucht,  1257.  mit  jtQO  vaov  420  und  nod 
So/iav  226  ist  lediglich  ein  ort  irgendwo  aufseihalb  dessen,  was  die  Zuschauer  sehn, 
bezeichnet. 

13)  X  19  4.   die  beschreibung  beider  giebelfelder  durch  .Artemis  Leto  Äpollon 

3* 


36  I.    2.  Herodotos. 

hcurteiluiif:  wird  dadurch  schwierig,  dals  die  hei  Paiisanias  vorliegende 
überhelening  ganz  vergessen  hat,  dafs  der  tempel  vor  370  so  stark  durch 
hrand  beschädigt  worden  war,  dafs  man  wieder  für  einen  neubau  sani- 
meUe  und  die  renovirung  erst  nach  dem  heihgen  kriege  zum  ahsclihifs 
kani.'^)  wie  dem  auch  sei:  die  Alkmeoniden  haben  ihren  vertrag  rasch  und 
zur  bewunderung  der  weh  erfüllt,  natürlich  mit  den  mittein,  die  ihnen 
der  politische  erfolg  in  die  band  spielte,  und  nicht  ohne  beteihgung  der 
Athener,    der  mit  Delphi  eng  verbundene  Pindaros  preist  Stadt  und  ge- 


Musen, Svais  Tf  HXiov  und  Dionysos  und  Thyiaden  ist,  wie  man  auch  abteile, 
unklar  und  unverständig,  die  künsUer  U^a^ias  fia&rixris  Kalä/.u8os,  ^AvBQoad'svr,? 
(lad'TjxrjS  EvxdBfiov  (3)  geben  auch  manchen  bedenken  räum,  dann  heilsen  die  von 
Athen  geweihten  schilde  ano  lov  eqyov  lov  Maqa&aivos :  wäre  das  wahr,  so  hätten 
wir  einen  erwünschten  terminus  ante  quem  für  die  Vollendung  des  tempels.  leider 
ist  es  falsch,  wie  die  weihinschrift  bei  Aischines  3,  116  lehrt. 

14)  Dies  ist  eine  entdeckung  Köhlers,  Herrn  26,  45  und  schon  Mitleil.  I,  17, 
gewonnen  durch  die  combination  von  CIA  II  51  mit  Aischines.  dessen  antike  er- 
klärer  wufsten  von  dem  neubau  so  wenig  wie  Pausanias  und  fabeln  von  der 
Vollendung  des  tempels  durch  Nero,  ein  anhält  für  ihre  zeit,  für  die  Aischines- 
recensio,  die  doch  endlich  einmal  jemand,  der  über  das  stemmataflechten  hinaus 
blicken  kann,  auf  grund  der  ältesten  Überlieferung  anfassen  sollte,  ist  Köhlers  nach- 
weis  äulserst  wichtig,  dafs  e^uQiaaad'ai,  3,  116  das  ächte  ist.  denn  dies  steht  jetzt 
nur  in  dem  jungen  aber  guten  k,  und  von  zweiter  band  in  dem  wegen  seiner 
scholien  in  den  Vordergrund  zu  rückenden  Vat.  64  (vom  jähre  1270).  aber  Vat. 
und  Laur.  57,  45  geben  ein  scholion,  das  trotz  dem  falschen  lemma  i^aqaaaa&ai 
die  richtige  lesart  voraussetzt,  wie  namentlich  die  schlufsworte  Ti^iv  rä  sx^vfiara 
d'vaai  beweisen,  dieselben  handschriften  geben  im  text  und  scholion  s^eiQyäad'ai 
auch:  also  ist  diese  doppellesart  älter  als  die  redaction  der  scholien  und  der  zu- 
gehörige text.  in  el,  die  sonst  meist  mit  k  gehn  und  auch  erst  aus  dem  15.  Jahr- 
hundert sind,  steht  die  antike  conjectur  i^uQaaaad'ai,  die  Harpokration  bezeugt  und 
schlecht  erklärt  (aus  ihm  in  B,  codex  Bernardi ,  übergegangen):  ihre  existenz  in 
renaissancehandschriften  wird  aus  Harpokration  oder  seinen  lexicalischen  ausschreibern 
(Suidas  z.  b.)  stammen;  im  lemma  der  scholien  ist  es  wo!  nur  Schreibfehler,  es  ist 
also  gar  kein  vorzug  von  k,  das  richtige  zu  haben;  er  gibt  die  Überlieferung  halb,  so  gut 
wie  die,  welche  nur  d^scQyäa&m  haben,  überliefert  sind  zwei  lesarten  neben  einander, 
und  die  Schätzung  der  Codices  ist  völlig  aufser  stände,  zu  sagen,  welche  mehr  gewähr 
hat:  aber  dafs  nicht  das  seltene  i^aqsaaad'ai,  sondern  das  durch  xaivos  vecös  nahe- 
gelegte iieiQyaa&ai  antike  conjectur  wäre,  hätte  man  sich  sagen  müssen,  und  ^|a- 
qäaaad'ai  ist  so  ungriechisch  im  wortgebrauch,  seine  erkiärung  so  sehr  wider  die 
griechische  religion,  dafs  es  nicht  hübsch  ist,  wenn  erst  Inschriften  kommen 
müssen,  die  Sache  zu  entscheiden,  die  kritik,  die  hier  auf  handschriftenfamilien 
schwört,  ist  durch  die  Wiener  blätter  aus  Arsinoe  bereits  ad  absurdum  geführt:  sie 
beharrt  auf  dem  überwundenen  Standpunkte,  unter  ignorirung  der  textgeschichte  mit 
den  erhaltenen  handschriften  als  Individuen  zu  kramen ,  wobei  denn  glücklich  die 
jüngsten  von  beiden  streitenden  parteien  bevorzugt  sind. 


Die  geschichte  des  Kleisthenes.     die  altischen  skolien,  37 

schlecht  deshalb  im  siebenten  pythischen  gedichte  486,  das  das  damahge 
haupt  der  Alkmeoniden  feiert,  den  neffen  des  Kleisthenes,  Megakles, 
Hippokrates  söhn  aus  Alopeke,  der  wenige  monate  vor  seinem  pythischen 
wagensiege  dem  ostrakismos  verfallen  war.'^) 

Ein  zweiter  zusatz  zu  dem  herodoteischen  berichte  über  die  Ver- 
treibung der  tyrannen  ist  von  Aristoteles  mit  derselben  stilistischen  ab- 
sieht und  Wirkung  gemacht;  er  läfst  sich  aber  zur  zeit  nicht  mehr  mit 
gleicher  Sicherheit  auf  eine  bestimmte  quelle  zurückführen,  wie  es  dank 
dem  Philochoroscitat  für  den  vorigen  möglich  war.  nach  Herodot  wird 
Sparta  zur  Intervention  in  Athen  lediglich  durch  religiöse  motive  be- 
stimmt. Aristoteles  fügt  ein:  "die  Verbindung  der  Peisistratiden  mit 
Argos  war  ein  gleich  starkes  motiv"'  (19,  4).  er  hat  über  diese  Verbindung, 
die  Peisistratos  durch  eine  heirat  schon  in  seiner  ersten  Verbannung  ge- 
schlossen hatte,  und  die  ihm  vor  der  schlacht  von  Pallene  ein  starkes 
hilfscorps  zugeführt  hatte,  schon  vorher  des  breiteren  gehandelt  (17,  4), 
kann  also  diese  Verweisung  hier  eingefügt  haben,  aber  doch  nur,  wenn 
er  dies  motiv  selbst  erst  erschlofs;  und  das  ist  nicht  wahrscheinhch,  da 
die  Argiver  in  den  jähren  510 — 7  nicht  auftreten,  wir  können  die 
nachricht  nur  nach  allgemein  politischen  erwägungen  abschätzen,  welche 
durchaus  für  ihre  richtigkeit  sprechen,  stammen  wird  sie  aber  natürhch 
eben  daher,  wo  Aristoteles  die  angaben  über  die  frau  des  Peisistratos 
aus  Argos  gefunden  hat. 

Aufserdem  fügt  er  zwei  attische  skolien  ein,  über  Leipsydrion  und  5^^^i^cheu 
über  Kedon,  beide  durch  die  form  als  zusätze  kenntlich  (19,  3.  20,  5).  äkoiieu. 
auch  wir  lesen  noch  beide  gedichte  in  der  attischen  skohensammlung, 
die  Athenaeus  XV  aufgenommen  hat;  aber  da  sie  dort  die  wol  kennt- 
liche anordnung  sprengen,  so  liegt  die  annähme  am  nächsten,  dafs 
sie  in  die  vorläge  des  Athenaeus  aus  Aristoteles  erst  eingefügt  sind.*") 
der  text  des  einen  stimmt,  abgerechnet  einen  fehler,  den  erst  die  ab- 
schreiber  des  Athenaeus  begangen  haben.")  in  dem  gedichte  auf  Lei- 
psydrion ist  am  Schlüsse  eine  Variante,  die  zugeslandenermafsen  eine  Ver- 
schlechterung ist   und  wol  als  interpolation  gelten  darf.**)     dafs  Aristo- 


15)  Vgl.  die  beilage  'Pindars  siebentes  pythisches  gediclit.' 

16)  Da  das  nicht  ganz  kurz  abzulun  war,   steht  der  nachweis   in  der  beilage 
'die  attische  skoliensammlung.' 

17)  ei  Sr^  xQh   für  ei  XQV-   ™3"   \\äi^^  Porson   die   richtige  Verbesserung  niclit 
glauben  wollen. 

18)  xiQr^aav  für  eaav.     ich  kann  nicht  behaupten,  dafs  die  Umgestaltung  des 
letzten  metrischen  gliedes  undenkbar  wäre,    aber  eine  interpolation  ist  auch  möglich: 


38  I-    2.  Herodotos. 

leles  aul  die  erzeugnisse  des  volkswitzes  wie  auf  alle  /.siipava  nakaiäg 
aowiag  mit  richligem  Verständnisse  geachtet  hat,  ist  bekannt,  die  holVait 
der  Nicolais  von  dazumal,  der  Isokrateer,  hat  ihn  wegen  seiner  neigung 
für  die  spriichvvOrler  verspottet;  seine  Politien  zeigen  noch  in  dem  kümmer- 
lichen auszuge  des  Herakieides  viele  proben  von  ähnlichen  verschen  und 
Sprüchen,  seine  schüIer  sind  ihm  auch  hierin  gefolgt;  Theophrast 
führt  versificirle  Wetterregeln  an,  Duris  und  Klearchos  sammeln  sprüch- 
worter,  und  das  meiste  was  uns  von  volkshedern  erhalten  ist,  scheint 
den  peripatetikern  verdankt  zu  werden.*^)  so  werden  wir  es  ihm  hoch 
anrechnen,  dafs  er  das  schöne  liedchen  von  Leipsydrion  aufgezeichnet  hat, 
das  durch  Herodot  unmittelbar  verständlich  wird,  woher  er  aber  gewufst 
oder  geschlossen  hat,  dafs  Kedon  ein  attentat  wider  die  Peisistratiden 
gemacht  hatte  und  dafs  er  ein  Alkmeonide  war,  ist  nicht  ersichtlich.^") 
Im  ausdrucke  hat  sich  Aristoteles  ganz  eng  an  Herodotos  angeschlossen, 
selbstverständhch  ohne  seine  schriftstellerische  eigentümlichkeit  zu  opfern, 
kürzend,  einen  deutlichem  ausdruck  wählend^'),  aber  nicht  den  eigen- 
tümlich treuherzigen  ton  des  alten  loniers  verwischend,  gerade  darauf 
beruht  die  Wirkung  seiner  eigenen  zusätze:  er  hat  offenbar  auf  leute 
gerechnet,  die  den  Herodotos  gut  kannten  und  in  ö^sv  evTtoQrjOav 
yqrif.iätiov  den  schalk  merkten. 

Et,  M.  gibt,  obwol  seine  notiz  sicher  auf  Aristoteles  zurückgeht,  e'aaiv  für  e'aav, 
was  dasselbe  mafs  ergibt  wie  nv^rjoav.  es  war  bereits  früher  fesigestellt,  dafs  unsere 
Überlieferung  bei  den  lexicographen  auf  Aristoteles  beruhte,  die  affiliation  derselben 
ist  folgende.  Suidas  und  Et.  M.  sind  auf  das  Photiusglossar  zurückzuführen  (im  Galeanus 
fehlt  die  entsprechende  partie),  da  Eustathius  zutritt,  ist  die  zurückführung  auf  den 
atticisten  Pausanias  ziemlich  sicher,  nun  treten  noch  Hesychglossen  dazu;  also  werden 
Pausanias  und  Diogenian  von  schollen  zu  Aristophanes  Lysistrate  abhängen,  und 
erst  der  scholiast  (den  Symmachos  ausschrieb)  die  Politie  selbst  gelesen  haben. 

19)  Allerdings  findet  sich  analoges  auch  bei  Ephoros,  und  der  atlhidograph 
Demon  erklärt  Sprichwörter  in  einer  weise,  die  ihn  als  geistesverwandten  der  Ghamai- 
leon  und  Klearchos  erscheinen  läfst,  was  wir  peripatelisch  zu  nennen  gewohnt 
sind,  erscheint  eben  viel  mehr  als  der  geist  einer  zeit  denn  als  der  geist  einer  schule. 

20)  Da  Kedon  einen  trunk  eingeschenkt  bekommt,  ist  er  bei  dem  Symposion 
leibhaft  gegenwärtig,  als  das  gedieht  gemacht  wird,  nachher  mag  es  mancher  zum 
gedächtnis  des  braven  gesungen  haben,  ein  'stilles  glas'  zu  ehren  der  etwa  bei  dem 
attentat  umgekommenen  ist  wider  den  antiken  glauben,  es  macht  nicht  den  ein- 
druck,  als  wäre  Kedon  ein  vornehmer  mann,  gleichberechtigt  den  zechgenossen ;  ein 
dient,  der  sich  durch  eigene  tüchtigkeit  zutritt  erfochten  hat,  mochte  so  behandelt 
werden. 

21)  JiäxQiot  für  vne^dxQiOi  ist  schon  erwähnt;  19,  3  ytei^vSQiov  to  insQ 
nä.Qvri9oi  für  A.  vnsQ  naioviTjs  Her.  5,  62.  starke  ionismen  wie  iniarm  Her. 
5,  72  werden  natürlich  durch  die  gemeinverständlichen  synonyme  ersetzt. 


3. 
SOLON. 


Wie  alle  seine  Zeitgenossen  war  der  Stifter  der  athenischen  demo- 
kratie  der  sage  anheimgefallen,  oder  der  novelle,  wie  man  das  nennen 
will,  der  weiseste  der  Sieben  lebte  eben  so  wie  Thaies  Bias  Pittakos  in 
schönen  geschichtcn  fort,  die  zum  teil  auch  seine  politische  Wirksamkeit 
zur  Voraussetzung  hatten,  zum  teil  auch  exemplificatorische  geschichten 
waren,  herausgesponnen  aus  seinen  gedichten*)  und  Sprüchen,  in  der 
heimat  selbst  war  er  aufserdem  der  begründer  der  demokratie  geworden, 
unter  der  man  die  jeweilig  bestehende  verstand,  und  von  dieser  übertrug 
sich  auf  ihn  liebe  und  hafs.  zu  Aristoteles  zeit  wetteiferten  die  redner 
aller  parteien,  den  vofioS-6rr]g  zu  preisen,  der  immer  weise  und  immer 
volksfreundlich  ein  jedes  geselz  gegeben  hatte,  dessen  moderner  Ursprung 
nicht  allzu  offenkundig  war.  trotzdem  die  elegieen  Solons  in  der  schule 
gelesen  wurden,  hatte  das  publicum  keine  Vorstellung  von  dem  was  er  wirk- 
lich gewesen  war. 

Dem  gegenüber  lag  es  vielleicht  nicht  sehr  fern,  war  aber  doch 
nicht  nur  verständig,  sondern  ein  zeichen  des  sichersten  historischen 
taktes,  wenn  Aristoteles  die  gedichte  hernahm  und  in  ihnen  ein  kriterium 
für  die  Überlieferung  und  namentlich  für  die  beurteilung  des  menschen 
und  des  Staatsmannes  Solon  fand,  er  hat  dies  bild  in  den  hauptzügen  so 
festgestellt,  wie  wir  es  kennen;  dies  aus  dem  gründe,  dafs  unsere  be- 


1)  So  ist  yriQÜanw  8'  aiei  nolla  SiSaaxofievos  erst  zu  einem  apophtliegma 
gemacht;  Solon  auf  dem  totenbette  erhebt  das  iiaupt,  zu  hören  was  die  um- 
stehenden sagen  'ut,  cum  istud  guidquid  est  de  quo  disputalis  percepei'o,  moriar , 
Valer.  Max.  Vlll  7  ext.  14:  der  vers  wird  im  eingange  selbst  übersetzt,  hübscher 
und  so,  dafs  die  entlehnung  nicht  zu  deutlich  ist,  macht  sich  das,  wenn  er  ein  lied 
der  Sappho  hört  und  lernen  will:  tV«  /uad'cov  avro  dno&ävco  Aelian.  fgm.  187.  das 
dritte  Stadium,  nicht  blofs  das  zu  glauben,  sondern  riechen  zu  können,  welches  ge- 
dieht Sapphos  das  Mar,  gehört  der  modernen  philologie  an. 


40  I-    3.  Solon. 

richterstatler,  Plutarch  Diodor  Diogenes,  auf  peripatetische  quellen  zurück- 
gelin ,  keinesweges  ausschreiber  der  Politie,  aber  schüler  der  arisloteli- 
sclien  melbode,  die  reichlicher,  als  in  seiner  kurzen  skizze  geschehen  war, 
das  ächte  niaterial  aus  dem  schachte  gruben,  den  er  gewiesen  hatte; 
nur  wenig  kennen  wir  dagegen  die  novellistisch  oder  tendenziös  entstellte 
tradilion,  die  z,  b.  Ephoros  gegeben  haben  mag. 
^^1°"*  Aus  den  gedichten  hat  Aristoteles  eigner  angäbe  nach  das  Urogramm 

gediente.  "  an  r       o 

'  entnommen,  auf  grund  dessen  Solon  zum  \ersohner^  und  zum  archon 
gewählt  ward  (cap.  5).'^)  ein  anderes  gedieht  lieferte  ihm,  wie  schon 
dem  Herodotos,  die  motive  für  Solons  abreise  (11);  und  die  verzweifelte 
Stimmung,  die  ihn  beherrschte,  als  er  sehen  mulste,  dafs  sein  versöhnungs- 
werk  gescheitert  war,  belegen  die  reichlichen  ausziige  aus  einer  anzahl 
von  gedichten,  die  um  dieselbe  zeit  verfafst  sein  müssen  (12).  ich  mufs 
eingestehn ,  dafs  diese  lange  reihe  von  cilaten  mich  abgehalten  hatte, 
das  Berliner  bruchstück  für  unmiltelbar  aristotelisch  zu  halten,  der 
fehlschlufs  kam  daher,  dafs  die  absieht  des  Aristoteles  damals  noch  nicht 
kenntUch  war.  er  zieht  die  gedichte  nicht  aus  um  eine  erzähliing  zu 
ersetzen,  sondern  sie  sind  ihm  beweisstücke,  zunächst  für  den  adel  von 
Solons  gesinnung,  dann  aber  auch,  obwol  das  der  leser  sich  selbst  sagen 
soll,  dafür,  dafs  Solons  werk  in  der  herstellung  einer  dauerhaften  ver- 
lassung nicht  bestanden  hat;  im  gegenleil,  kaum  eine  pause  in  den 
parteikämpfen  hat  er  herbeigeführt  und  ist  selbst  eben  durch  die  un- 
eigennützigkeit  seiner  amtsführuug  zu  einem  politisch  toten  manne  ge- 
worden, die  heilung  der  wirtschaftlichen  misstände  und  die  herstellung 
von  frieden  und  Ordnung  ist  erst  das  werk  des  Peisistratos.  das  wird 
durch  die  unmittelbar  auf  jene  gedichtstellen  folgenden  chroniknotizen 
über  die  anarchie  und  Damasias  ganz  deuthch;  den  bericht  über  weitere 
revolutionen  und  kriege  ersetzt  eine  allgemeine  Schilderung  der  Verwirrung 
und  parteiung,  von  der  sich  dann  die  tyrannis  des  Peisistratos  glänzend 
abhebt;  diesem  gegenüber  gesteht  Solon  seine  persönhche  ohnmacht  aus- 
drücklich ein  (13).  schriftstellerisch  ist  das  ganz  vortrefflich  aufgebaut. 
Das  aus  den  gedichten  gewonnene  bild  von  Solons  macht  und  noch 
mehr  von  seinem  Charakter  wird  ferner  benutzt,  um  zwischen  den  ver- 
schiedenen berichten  über  die  ausnutzung  der  seisachthie  durch  eigen- 
nützige freunde  Solons  zu  entscheiden  (6,  2 — 4),  eine  geschichte,  deren 

Difpositiüii  wert  nur  in  dem  lichte  besteht,  das  sie  auf  seinen  Charakter  fallen  läfst. 

bcriclfies.  Anfang  und  schlufs  des  abschnittes  über  Solon  geht  somit  auf  die 


2)  Vgl.  die  beilage  'Solons  gedichte.' 


Disposition  des  beliebtes,     die  münzreform.  41 

gedichte  zurück ;  was  dazwischen  steht,  ist  so  disponirt,  dafs  gleich  ein- 
gesetzt wird  mit  seiner  ersten  und  wichtigsten  tat,  der  seisachthie  (6,  1), 
der  wirtschaftHcheii  reform,  auf  die  die  ganze  Vorgeschichte  Athens  voraus 
wies,  dann  folgt  der  act  seiner  für  die  zukunft  feierhch  bekräftigten 
gesetzgebung,  die  also  im  prinzipe  trotz  allen  revolutionen  weiter  giltig 
ist  (7,  1.  2).  dann  sollen  wir  diese  solonische  Verfassung  kennen  lernen, 
erfahren  aber  nur  die  auf  grund  der  vier  steuerclassen  abgestuften 
bürgerlichen  rechte  (7,  3.  4),  den  wahlmodus  der  beamten,  über  die 
einiges  weitere,  auch  rückgreifend,  beigebracht  wird  (8),  endlich  als  die 
wichtigsten  demokratischen  neuerungen  die  seisachthie,  die  wir  docli 
schon  kannten,  und  zwei  volks-  und  grundrechte,  das  Ti^uoQelv  e^elvai 
TM  ßovkoi.i£v(i)  vTceg  rov  adi'Kovf.iivov  und  die  tcpsoig  eig  ör/.aOTriQLOv 
(9),  von  denen  wir  erst  hier  etwas  hören,  und  aus  denen  wir  die  einsetzung 
der  Volksgerichte  selbst  erst  erschlieJsen.  es  ist  also  das  referat  mit 
dem  beurteilenden  raison nement  vermischt,  endlich  kommt  die  änderung 
von  münze  mafs  und  gewicht  nach,  auch  lediglich  als  volksfreundliche 
mafsregel  gewürdigt  (10).  das  ist  nicht  sehr  viel,  und  loben  kann  man  die 
anordnung  schwerlich,  da  sich  der  stofl"  unter  die  disposition  nicht  fügt,  so 
dafs  die  ältere  darstellung  in  der  Politik,  so  kurz  sie  ist,  manches  schärfer 
erkennen  läfst.  so  schreibt  ein  gewiegter  stihst  nicht,  wenn  er  frei  seinen 
eignen  weg  geht,  es  erklärt  sich  vielmehr  daraus,  dafs  er  mehrere  vermut- 
lich ziemlich  ausführliche,  in  den  grundzügen  auf  derselben  primärfassung 
beruhende  erzählungen  vor  sich  hat,  die  mehr  in  dem  urteil  als  in  den 
Sachen  abweichen,  und  daneben  andere  nicht  sowol  erzählende  als  räson- 
nirende  behandlungen  der  solonischen  gesetzgebung,  auf  die  er  schon 
in  der  Politik  hingewiesen  hat.  es  läfst  sich  zur  evidenz  bringen,  dafs 
Aristoteles  hier  auch  nicht  das  mindeste  von  tatsächlichem  materiale  aus 
eigner  forschung  gegeben  hat;  eigen  ist  ihm  nur  auswahl  und  urteil, 
und  in  beiden  verdient  er  keineswegs  nur  lob.  gewifs  ist  er  kein  aus- 
schreiber,  aber  er  schreibt  hier  andere  aus. 

Beginnen  wir  mit  cap.  10,  der  reform  von  mafs  münze  und  gewicht.  ^'^^ j^iäm- 
dafs  es  nachklappt  und  für  die  disposition  nicht  nur  sehr  gut  fehlen 
könnte,  sondern  besser  fehlen  würde,  mufs  ein  aufmerksamer  leser  sofort 
sehen,  der  versuch  der  athetese  wird  gewifs  noch  gemacht  werden, 
ebenso  wie  man  in  zukunft,  wie  schon  jetzt  mehrfach,  versuchen  wird 
mit  list  oder  gewalt  die  Wahrheit  hinein  zu  bringen,  denn  was  hier 
steht,  ist  allerdings  sehr  verkehrt,  die  Wahrheit  ist  bekanntüch,  dafs 
Solon  die  aiginetische  Währung  Athens  mit  der  chalkidischen  vertauscht 
hat,  und  dafs  sich  die  chalkidische  drachme  zur  aiginetischen  wie  73 :  100 


42  I-    3.  Solon. 

verhall,  also  100  neue  drachmen  soviel  wie  73  alte  wiegen.  Solons 
zweck  war  ein  handelspolitischer;  aber  dafs  Athen  von  dem  dorischen 
zu  dem  ionischen  System  übcrgieng,  hatte  allerdings  auch  seine  grofse 
politische  bedeutung. 

Aristoteles  redet  von  einer  av^rjoig  von  mals,  gewicht  und  münze, 
und  erläutert  das  dahin,  dafs  das  mafs  gröfser  ward  als  das  vorher  ge- 
hrauchte des  Pheidon,  dafs  die  bisher  nur  70  drachmen  wiegende  mine 
jetzt  volle  100  betrug,  dafs  die  gewichte  der  münze  entsprechend  in 
allen  einzelnen  stücken  ausgebracht  wurden,  und  zwar  so,  dafs  63  minen 
auf  das  talent  giengen.  das  besagen  die  worte  für  den  der  sie  mit 
Sprachkunde  und  Unbefangenheit  best,  es  fügt  sich  auch  alles  ganz  gut 
zu  einander,  aber  leider,  leider  ist  alles  nicht  blofs  falsch,  sondern  zeigt 
eine  kaum  glaubliche  unbekanntschaft  mit  der  sache.  was  die  Währung 
anlangt,  hat  der  Verfasser  kindlich  genug  die  drachme  als  einen  absoluten 
wert  betrachtet,  so  dafs  die  mine  gröfser  ward,  wenn  mehr  drachmen 
auf  sie  giengen,  und,  wenn  er  überhaupt  nachgedacht  hat,  so  mufs  er 
wirklich  der  vorsolonischen  zeit  eine  teilung  der  mine  in  siebzigstel  oder 
so  ungefähr  zugetraut  haben,  gewifs  mochte  man  ihn  von  dem  irrtum  frei 
machen,  aber  schon  das  fatale  wort  av^rjaig,  das  ihn  getäuscht  hat, 
verbietet  das.  er  hat  es  offenbar  für  volksfreundlich  gehalten,  dafs  man 
nun  für  "^drei  eilen'  mehr  zeug,  für  *^drei  scheffel'  mehr  körn  bekam  und 
mit  "^drei  minen'  beinahe  vier  alte  hatte,  wir  lesen  bei  Plutarch^),  der 
doch  auch  kein  finanzmann  war  und  den  sachen  beträchtlich  ferner 
stand,  einen  auch  nicht  klaren,  aber  immerhin  verständlichen  und  seit 
Boeckh  verstandenen  auszug  aus  Androtions  chronik.  auch  nach  Androtion 
ist  die  mafsregel  volksfreundlich,  und  auch  er  redet  von  der  (.leTqojv 
S7tav^r]0ig  Kai  tov  vofiiof.iaTog  ti/.i^.  die  letztere  erklärt  er  richtig 
dahin,  dafs  Solon  die  mine  von  100  drachmen  jetzt  73  alten  drachmen 
gleichwiegend  machte,  und  wer  eine  auf  minen,  selbstverständlich  alte 
minen,  lautende  schuld  in  neuen  bezahlte,  hatte  dadurch  freilich  einen 
grofsen  gewinn,  denselben,  den  jetzt  die  bimetallisten  für  sich  fordern, 
die  eine  auf  gold  (das  sie  bekommen  haben)  lautende  schuld  in  minder- 
wertigem silber  bezahlen  (oder  vielmehr  verzinsen)  mochten,  der  gewiegte 
finanzmann    Androtion    (dessen    anklage    durch    Demosthenes    nur    den 


3)  Sol.  15,  4  zrjv  afia  rovrco  yevofievrjv  rdJv  re  fiirQcov  enav^rjacv  y.al  xov  vo- 
ftia/zazos  rifiijv'  exarov  yoQ  inoCriae  S^axficöv  n)v  fivnv  nQoreQOv  eßSo/ui'xovra  xal 
xQiöJv  ovaai'.  folgt  die  erläuterung,  welche  das  richtige  verdeutlicht,  dafs  73  alte 
drachmen  =  lOö  neue  waren,  also  die  werte  aller  nominale  gleichmäfsig  ver- 
ringert. 


Die  münzrefomi.  43 

advocaten  belastet)  verstand  die  saclie:  aber  er  hat  die  seisachthie  aller- 
dings misverstanden,  die  nach  Aristoteles  und  allen  andern  zeugen,  vor- 
nehmlich aber  nach  ihren  folgen,  nur  eine  revolutionäre  Schuldentilgung 
gewesen  sein  kann,  aber  auch  Androlion  redet  von  einer  €7tav^r]aig 
(lexQwv,  ganz  ebenso  wie  es  Aristoteles  tut;  von  den  ata&fid  sagt  es 
nur  dieser,  aber  die  hat  Plutarch  überhaupt  übergangen,  nach  Aristoteles 
besteht  die  Vermehrung  des  gewichtes  darin,  dafs  das  talent  63  minen 
wiegen  soll,  es  ist  schlechthin  unfafsbar,  wie  man  dafür  60  minen  durch 
conjectur  setzen  will:  dann  ist  ja  gar  nichts  geändert,  geschweige  ver- 
mehrt, sagt  vielmehr  Aristoteles  nur  in  dem  falle  etwas,  wenn  er  an- 
nahm, dafs  vor  Solon  das  talent  weniger  als  60  minen  hatte,  diese  torheit 
brauchen  wir  ihm  nicht  aufzubürden,  obwol  es  schwerlich  besser  ist, 
was  man  nicht  wegdeuten  kann ,  dafs  die  solonische  reform  des  mafses 
in  einer  vergrofserung  gegenüber  dem  des  Pheidon  gelegen  hätte,  von 
dem  Aristoteles  in  den  Verfassungen  von  Argos  und  Sikyon  gehandelt 
hatte.")  nach  allem  was  bisher  bekannt  war  und  nach  der  analogie  von 
längenmafs  hohlmafs  und  gewicht  sind  vielmehr  diese  alle  im  Pelo- 
ponnes  gröfser  als  die  solonischen  gewesen ,  und  Aristoteles  verdient 
hier  wahrlich  nicht  den  glauben,  den  Hultsch  sogar  ihm  beimifst,  dafs 
wir  nun  ein  nirgend  vorhandenes  oder  bezeugtes  mafs  dem  Pheidon  zu- 
schreiben müfsten.  hat  doch  die  genau  entsprechende,  nur  der  vergleichung 
mit  Pheidon  entbehrende  angäbe  des  Androtion  keinen  glauben  gefunden, 
wol  aber  haben  wir  den  volksbeschlufs  (das  gesetz)  über  mafs  und  ge- 
wicht CIA  II  476,  und  in  dem  wird  sowol  für  gewisse  fruchte  ein 
grofseres  hohlmafs  wie  auch  für  den  handel  ein  Zuschlag  zum  gewicht,  eine 
QO/irj,  vorgeschrieben,  dieser  Zuschlag  konnte  also  sehr  wol  als  etwas 
volksfreundliches  gellen :  der  Athener  bekam  wirklich  mehr  als  eine  metze 
feigen  oder  ein  pfund  salz,  es  ist  Ireilich  peinhch,  dafs  das  handels- 
gewicht  sehr  viel  mehr  das  münzgewichl  übertrifft  als  das  Verhältnis 
63  :  60  ergibt,  und  man  wird  nicht  leicht  daran  glauben,  dafs  etwa  eine 
weitere  erhöhung  nach  Aristoteles  eingetreten  wäre,  da  Boeckh  vielmehr 
erkannt  hat,  dafs  das  handelsgewicht  das  alte  aiginetische  blieb,  anderer- 
seits ist  die  autorilät  des  Aristoteles  hier  so  schwach  und  die  der  über- 
heferlen  Zahlzeichen  in  der  handschrift  so  gering*),  dafs  man  sich  besser 
hütet,  auf  solcher  grundlage  hypothesen  aufzubauen,    an  der  identification 


4)  Pollux  IX  77.  das  eine  mal  liatte  er  oßoXös  von  den  bratspiefsen,  das  andere 
mal  von  ofiXXetv  und  ocpeiXeiv  abgeleitet. 

5)  Die  lesung  selber  ist  zwar  schwierig,    aber  sie   ergibt  nichts  anderes,   als 
schon  im  wesentlichen  Kenyon  gelesen  halte. 


44  I-    3.  Solon. 

der  solonischen  av^i]aig  mit  dem  Zuschlag  zu  mals  und  gewicht  in 
jenem  gesetze  wird  man  deshalb  nicht  irre  zu  werden  brauchen.^)  das 
bedingt  dann  freilich  die  annähme,  dal's  Aristoteles  nicht  verstanden  hat, 
was  Androtion  meinte,  dem  er  folgte,  ja  dafs  er  die  Pheidonischen  mafse, 
von  denen  er  in  andern  Politien  berichtete,  in  ihrem  wahren  Verhältnis 
zu  den  attischen  nicht  gekannt  hat,  sich  auch  von  diesen  Sachen  schlechter- 
dings keine  Vorstellung  zu  machen  versucht  hat.  das  ist  schhmm;  aber 
die  unzweideutige  stelle  über  die  münze  zwingt  zu  diesem  Zugeständnis, 
und  wir  werden  uns  damit  abfinden,  dafs  derselbe  Aristoteles,  den  wir 
uns  fast  als  epigraphiker  dachten,  dem  Epicharm  die  erfindung  von  GX, 
dem  Simonides  die  von  HBWSl  zugeschrieben  hat  (fgm.  301  Rose 
vgl.  638).  er  hat  weder  die  gesetze  Solons  auf  den  -/.vQßeig  noch  den 
vertrag  zwischen  Lykurgos  und  Iphitos  auf  dem  diskos  selbst  gelesen. 
Selbstverständlich  ist  es  für  die  beurteilung  des  Aristoteles  bezeich- 
nend, dafs  er  hier  dem  Androtion  folgt,  ohne  ihn  zu  verstehn.  das 
kann  jeder  ausschreiber  gerade  so.  aber  von  politik  und  geschichte  ver- 
stand er  etwas;  darum  erzählt  er  dem  Androtion  nicht  nach,  dafs  die 
niederschlagung  aller  schulden  nur  eine  conversion  gewesen  wäre, 
würdigt  vielmehr  diese  hypothese  des  finanzmanns  keiner  Widerlegung, 
das  kann  ein  ausschreiber  nicht,  und  es  ist  nicht  minder  bezeichnend. 

üer  aci  der  Das  capitel  über  die  münzreform  ist  ein  nachtrag;  für  die  herkunft 

gesetz-  ^  ~ ' 

gebung.  des  hauptberichtes  beweist  es  nichts,  sehen  wir  also  diesen  an.  die 
erste  und  wichtigste  tat  Solons,  die  aufhebung  der  Schuldknechtschaft 
und  die  Schuldentilgung  wird  nur  als  factum  berichtet,  dafs  wufste 
Aristoteles  ohne  ein  buch  aufzuschlagen,  aber  stilistisch  ist  die  ganze 
frühere  darstellung   darauf  angelegt,  öavei'Ceo^ai   knl   jolg  a(v/^iaoiv, 


6)  Seitdem  dies  geschiieben  war,  tiat  Nissen  in  der  zweiten  aufläge  seiner 
metrologie  die  sactie  betiandelt;  er  hat  seine  liypothesen  auf  einen  text  gebaut,  den 
er  doch  wirklich  nicht  für  versländliches  griechisch  ausgeben  kann,  dann  ist  die 
sehr  fördernde  besprechung  von  C.  F.  Lehmann  im  Hermes  1892  erschienen,  der  über 
die  münzreform  ebenso  urteilt  wie  ich,  mit  vollem  rechte  betont  dals  zwischen  den 
pheidonischen  mafsen  und  der  aiginetischen  münzprägung  ein  unterschied  ist,  und 
als  neue  tatsache  würdigt,  dafs  das  pheidonische  mafs  in  Athen  galt,  wenn  sie 
nur  richtig  ist;  dafs  Aristoteles  'altes  mafs'  und  'pheidonisches  mafs'  ungeprüft 
gleichsetzen  konnte,  ist  ein  verdacht,  dem  ich  mich  nicht  verschlielsen  kann,  in 
betreff  der  gewichte  greift  Lehmann  zu  dem  gewaltmittel,  so  oder  so  zu  con- 
jiciren,  ohne  dafs  für  irgend  eine  conjectur  philologisch  eine  Wahrscheinlichkeit  erreicht 
würde,  das  heifst,  wir  verstehen  diesen  salz  eigentlich  noch  nicht;  das  mufs  ich 
ja  selbst  sagen,  die  erklärung,  die  Sandys  nach  Ridgeway  gibt,  geht  von  dem 
misverständnisse  aus,  dafs  der  letzte  salz  von  münzen  statt  von  gewichten  handele. 


Der  act  der  gesetzgebung.  45 

öovXsveiv  ist  das  Stichwort:  dieser  hericht  hängt  mit  der  übrigen  dar- 
stellung  zusammen,  es  folgt  die  schon  erwähnte  epikrisis  widerstreitender 
berichte  über  einen  nebenumstand,  die  bereicherung  der  falschen  freunde 
Solons.  dann  geht  die  erzählung  weiter  zu  dem  acte  der  gesetzgebung, 
7,  1.  hier  weist  schon  die  fülle  der  specifisch  athenischen  sachen  und 
werte  auf  attische  officielle  darstellung,  die  ytvQßeig.  ihre  aufstellung  in 
der  GToa  ßaaUsiog''),  die  schwurformel  der  archonten,  ihre  Vereidigung 


7)  Dafs  die  gesetze  da  standen,   war  sowol  durch  die  sclion  früher  bekannte 
Aristotelesstelie   wie   durch  das   psephisma   des   Teisamenos   bekannt,     sie  standen 
auf  xv^ßsis,  auf  'steingefügen',  wie  Kirchhof!' die  xvQßeis  der  bürg  nennt,  auf  denen 
die  sechzichstel  der  tribute  geschrieben  sind,   nach   oben   abgestumpfte  pyramiden, 
nicht  dreieckig,  sondern  viereckig,    übrigens  hat  schon  Eratosthenes  die  solonischen 
xv^ßsis  nicht  mehr  gesehn,    andere  ebenso  fundamentale  gesetze  des  Staates  standen 
auf  den  wänden  der  königshalle  selbst;   was  davon  solonisch  war  oder  nicht,  wer 
hätte  das  unterschieden  oder  auch  nur  beachtet?  für  die  publication  auf  stein  ist  auch 
später  noch  ein   besonderer   beschlufs  jedesmal   nötig,   und   auch    der   ort   der   auf- 
stellung wird  besonders  befohlen,     vor  der  königshalle  hat  man  natürlich  diejenigen 
gesetze  aufgestellt,  auf  die  man  dort  die  beamten  vereidigte,  also  de  facto  die  grund- 
gesetze  des  Staates;  so  ist  man  auch  später  verfahren,     natürlich  lernte  sie  da  auch 
der  bürger  am  besten  kennen,  dem  so  lange  zeit  diese  einzige  halle  zum  spazieren 
gehn  und  warten  zu  geböte  stand,     von  einer  aufstellung  bei  Athena  auf  der  bürg 
kann  keine  rede  sein,  sowol  nach  der  späteren  praxis,  wie  deshalb,  weil  die  ganze 
tradition  nichts  als  eine  falsche  folgerung  des  Didymos  aus  einer  rhetorischen  phrase 
des  Anaxinienes  ist  (Harp.  6  xärcod'ev  vöfios).     gesetzt,  Solon  hätte  sie  auf  der  bürg 
aufgestellt,  so  würden  die  Perser  sie  zerschlagen  haben,  Anaximenes  nichts  von  ihnen 
gewufst  haben,  aber  wir  hätten  die  bruchstücke  gefunden,    einer  besonderen  polemik 
gegen  Wachsmuth  Athen  I  535.  II  348  fg.  fühle   ich  mich  überhoben,     wichtig  aber 
ist,  dafs  auf  die  solonischen  xvgßeis  sehr  wenig  ankommt,  denn  diese  auswahl  von 
gesetzen  ist  nicht  das  original,  das  sind  die  hölzernen  ä^oves  im  prytaneion,  die  Polemon 
noch   gesehen    hat,    und   von   denen  Plutarch    noch   bruchstücke   sah.     ä^oves  sind 
aaviSes  Xsleixcofiivai ,   beiderseitig  beschrieben,  je  vier  in  einen  drehbaren  balken 
eingefalzt,   so   dafs    man   nun   in   dieser  sehr  unbehülflichen    SsXros  blätternd  lesen 
kann,     wenn  man  im  fünften  Jahrhundert  einen  solchen  a^cov  in  stein  nachgebildet 
hat  (CIA  IV  p.  125),  so  war  das  ein  sehr  unpraktischer  archaismus;  auf  den  Inhalt  des 
so  publicirten  gesetzes,  oder  was  es  war,  gestattet  das  keine  folgerung.    die  holz- 
publication,  axonelv  reo  ßovXo^iivio,  entspricht  auch  der  späteren  praxis  für  solche 
aufzeichnungen.     nach  den  numerirten   axones   und  gesetzen    citirt   das    fünfte  Jahr- 
hundert (CIAI  61)  und  unsere  besten  zeugen,  Plutarch  und  Harpokration.     sie  also 
lieferten  den  authentischen  text.     endlich  das  wort  xvQßis  zu  erklären,  so  hängt  es 
selbstverständlich  mit  xvqßaaia,  dem  hahnenkamme,  und  den  xvoßavTEi  xogrßavrss 
zusammen,    weiter  zu   demselben   stamme   xoQvfr;   xoQvnroi   y.oQvxxco    y.ögar;    (die 
schlafe,   Kooasia  ortsname)  xsgas  cormi  u.  s.  w.     das  gibt  verschiedene   Weiterbil- 
dungen,   aber    über  die  grundbedeutung    des    Stammes    kann  man  nicht  zweifeln. 
xvQßiS  ist  also  dem  wortsinne  nach  axgcarrjoiov,  aber  nicht  im  Verhältnis  zur  arriXr, 


46  I.    3.  Solon. 

"an  dem  steine",  der  hier  gar  nicht  näher  bezeichnet  wird,  ein  od-fr 
tTi  xai  vvv  ovriog  6f.ivvovGi  gesteht  in  Wahrheit  zu,  dal's  der  noch 
gegenwärtig  gehende  gehrauch  den  solonischen  erst  hat  erschHelsen 
lassen.*)  aber  den  schlul's  hat  nicht  erst  der  hier  so  kurz  redende  schrift- 
steiler gezogen,  und  es  wird  deutlich,  dafs  er  wirkUch  eine  ausführ- 
lichere vorläge  kürzt,  wenn  man  sieht,  dal's  in  dem  darstellenden  teile 
die   ceremonien   und   locale   viel  genauer  geschildert   werden.^)     finden 


so  genannt,  sondern  es  ist  schliefslich  gleich  arrj^r;,  im  Verhältnisse  zu  dem  fels- 
boden,  über  den  sich  ein  hoher  beschriebener  stein  erhebt,  man  nennt  ja  auch  eine 
einzelne  felskuppe  dx^coTi^oiov,  und  manche  trägt  eine  archaische  Inschrift.  Apol- 
lodoros  hat  schon  ganz  richtig  etymologisirt  und  erklärt,  die  Korybanten  tragen  den 
namen,  wie  ihre  vettern  die  Kureten,  von  der  hartracht;  sind  diese  die  geschornen, 
so  tragen  jene  den  hohen  wulst,  eine  tcvqßis  xvQßaaia,  den  man  auch  y.sQas  nannte; 
Aristoteles  selbst  hat  xsQa  äy^ctös  A  385  so  verstanden. 

8)  Also  sind  wir  nicht  verbunden  die  feierliche  Vereidigung  der  archonten  und 
die  formet  ihres  eides  für  solonisch  zu  halten,  sie  galt  nur  noch,  war  also  von  Solon 
auch  vorgeschrieben,  stand  sogar  vielleicht  in  seinen  gesetzen.  aber  hier  war  einmal 
ein  fall,  wo  der  Stifter  der  attischen  demokratie  für  etwas  verantwortlich  gemacht 
war,  was  nicht  jünger  sondern  älter  war.  denn  der  schwur,  des  amtes  so  zu  walten 
wie  unter  Akaslos,  ist  vorgeschrieben,  als  man  von  Akastos  noch  etwas  wufste.  die 
bufse  besteht  nicht  in  geld,  sondern  in  der  weihung  einer  'männerstatue'  {av^giäi: 
das  femininum  dazu  ist  yiöqr]  CIA  IV  p.  179.  so  müssen  wir  die  'Apollonstatuen' 
und  die  'tauten'  von  der  bürg  nennen:  das  bedeuten  sie,  nichts  anderes)  au  den 
delphischen  gott.  auch  das  ist  deutlich  vorsolonisch.  er  würde  gesagt  haben,  evd^v- 
via&ca  fivQiaai  S^ax/uf^ai.  aber  es  gab  noch  kein  geld,  als  dieser  schwur  eingeführt 
ward,  mit  dem  der  adel  seine  executivbeamlen  band,  die  unumschränkt  wie  die 
magistrate  Roms  neben  dem  rate  des  Areshügels  standen.  Solon  stellte  neben  sie 
die  gel  ich  te,  über  sie  av&vva  in  verschiedner  weise,  vor  allem  durch  den  rat:  er 
hatte  keine  veranlassung  sie  durch  blofs  moralische  mittel  zu  bändigen,  vielmehr 
schuf  er  materielle  bände  für  ihre  begehrlichkeit,  weil  die  moralischen  nicht  genügt 
hatten. 

9)  55,  5.  erst  hier  erfahren  wir  die  doppelte  Vereidigung,  auf  dem  markt  und 
auf  der  bürg  (hier  haben  auch  die  Strategen  geschworen,  Deinarch.  3,  2,  vielleicht 
auch  andere),  dann  wird  der  stein  beschrieben  als  der  "unter  dem  sich  die  schwur- 
opfer  befinden."  damit  ist  ein  bestimmter  ort  bezeichnet;  Aristoteles  hat  die  bei 
PoUux  erhaltene  genauere  angäbe  "neben  der  königshalle"  fortgelassen,  dann  sind 
das  also  nicht  die  schwuropfer  für  den  jedesmal  zu  leistenden  eid,  sonst  könnte 
man  sie  ja  unter  jeden  stein  legen,  auch  könnte  das  nicht  zä  ro^t'  iaziv  heifsen. 
was  vielmehr  ihie  dauernde  anwesenheit  fordert,  dauernd  können  keine  fleischstücke 
auf  einem  stein  liegen,  folglich  ist  die  lesart  icp'  a>  die  richtige  (Aristoteles  würde 
auch  nimmermehr  i<p^  qi  ra  r6ju,i'  iariv  e<p^  ov  xai  neben  einander  gestellt  haben), 
die  TÖfita  sind  also  ganz  bestimmte,  die  einmal  zur  ewigen  bekräftigung  auf  dem 
markte  unter  einem  steine  vergraben  sind,  der  ihr  mal  ist.  das  ist  geschehen,  als  der 
eid  zum  ersten  male  geschworen  ward,  als  die  beamten  sich  dei  gemeinde  gegenüber 


Der  act  der  gesetzgebung.  47 

wir  also  parallelerzählungen ,  die  an  einzelnen  ziigen  reicher  sind,  so 
haben  wir  ein  recht,  auch  wenn  spuren  der  benutzung  des  Aristoteles 
bei  diesen  Schriftstellern  vorhanden  sind,  nicht  sowol  erweiterungen  seiner 
darstellung  als  genauere  auszüge  derselben  vorläge  anzuerkennen,  das 
gilt   von  Plutarch'")    und  Pollux.")      endlich   ist   das  wort  xatacpaTi^io 


so  verpflichteten,  wie  es  seitdem  immer  geschehn  ist.  die  ceremonie  entspricht  der 
alten  religion.  auf  dem  Kolonos  war  ein  felsloch  {xolXoe  xquitiq),  in  dem  Theseus 
und  Perithus  ihre  niaia  ^wO'rifiaxa,  d.  h.  eben  die  ro/nia  ihres  Verbrüderungseides, 
verborgen  hatten  (Soph.  0.  K.  1596);  später  war  es  ein  tiqöjov  (Paus.  I  30,  4). 
auch  das  o^xco/uöaiov  in  der  Stadt  wird  zuerst  nichts  anderes  gewesen  sein  (Plut. 
Thes.  26.  Paus.  I  18,  4),  noch  das  a^rjri^^iov  in  Gargettos  (Kydathen  136,  Kirchner 
Attica  et  Pelopon.  5).  man  denke  auch  der  ayiXaaros  nejqa  in  Eleusis ,  wo 
Demeter  safs,  des  Steines  der  bürg,  wo  Silenos  safs  (Paus.  I  23,  5).  anderer,  profaner 
art  ist  der  stein,  von  dem  die  öffentlichen  ausrufer  zu  dem  volke  auf  dem  markte 
reden,  der  xr^Qvnos  Xi&os;  er  kommt  nur  in  der  Solonlegende  vor  (Plut.  S.  8),  um 
des  avTos  xTjQv^  fiX&ov  willen,  jener  heilige  stein  der  eidopfer  ward,  wie  wir  von 
Aristoteles  noch  hören,  von  den  diaeteten  für  die  Verkündigung  ihres  urleiles,  und 
von  den  zeugen  für  ihre  erklärung,  nichts  zu  wissen,  die  e^wfioaia,  benutzt,  dies 
letztere  auch  nur  in  den  Verhandlungen  vor  dem  Schiedsmann,  wie  die  nunmehr 
verständliche  einzige  stelle  erkennen  läfst,  die  des  Steins  bei  der  Vereidigung  eines 
zeugen,  zugleich  die  einzige,  die  ihn  bei  einem  Schiedsspruch  erwähnt,  Demosth. 
54,  26.  an  ihr  hat  die  ächte  lesart  Xid'os  nur  Harpokration  erhalten;  die  hand- 
schriften  haben  die  schlimme  Interpolation  ßwfiös.  nur  auf  diese  kann  sich  die  ver- 
kehrte ansieht  stützen,  dafs  der  lid-os  ein  altar  gewesen  wäre,  gar  der  des  Zsvs 
ayoqaZos.  eben  so  verwerflich  ist  die  heranziehung  des  Iiippiter  lapis.  dafs  für 
die  Schiedsgerichte  eine  besonders  altertümliche  religiöse  weihe  vorgesehn  ist,  obwol 
sie  als  staalsinslitut  jung  sind,  darf  nicht  befremden,  als  private  Institution  sind 
sie  uralt,  und  eben  da  suchte  man  nach  besonderer  heiligung.  bekanntlich  kommt 
es  auch  vor,  dafs  die  parteien  einen  vergleich  vor  der  Athena  auf  der  bürg  be- 
schwören. —  seitdem  dies  geschrieben  war,  ist  von  Blass  mit  Wahrscheinlichkeit 
3,  3  als  schwur  des  archons  gelesen  cos  ini  l4xdarov[Ta  og]icia  [noirj\aeiv:  nun  ist 
die  Sache  klar,  die  xo^ta  sind  dort  beim  stürze  des  königtums  vergraben;  so  alt  ist 
die  ceremonie  und  der  schwur  und  der  stein,  als  man  die  absetzung  des  königtums 
vor  Medon  rückte,  mufste  natürlich  mit  ihm  das  archontenamt  beginnen:  dies  ist 
von  dem  gelehrten  richtig  widerlegt,  der  die  schwurformel  hervorzog. 

10)  Sol.  25.  aufser  einer  erörterung  über  a^oves  und  xvQßsis,  die  er  aus  der 
Schrift  des  Didymos  über  die  ä^oves  hier  einfügt,  gibt  er  mehr  die  Vereidigung  der 
ßovXr,,  rois  HoXaivoe  vö/iovs  ifiTisSwaeiv.  das  fehlt  bei  Aristoteles  mit  fug  und 
recht,  da  er  wufste,  dafs  der  eid  des  rates,  dessen  formet  bei  Plutarch  durchklingt, 
erst  501  formulirt  war.  aber  vereidigt  auf  die  Verfassung  ist  der  rat  doch  wol,  seit 
er  bestand,  dann  soll  jeder  thesmothet  (wie  er  falsch  für  archon  sagt)  geschworen 
haben  iv  dyoQÜ  tcqIs  tw  Xi&io  xarafaTit,a}v,  tX  ri  TtaQaßaiij  ic5v  d'eafKLv  avSqi- 
ävta  xQ^f^oiv  iaofisTQTjTOv  ä.va&i'^asiv  iv  JeXcpoTs.  bei  Aiistoleles  nqds  rcp  Xi&co 
xarefäxi^ov  üvSqiävra  ;^()i;ffot'»',  iäv  Ttva  ■naQaßäai,  xüiv  vofiwv.  gerade  was 
Plutarch  anders  als  Aristoteles  hat,  wird  durch  Plalon  Phaidr.  235''  gewährleistet, 


48  !•    3.  Solon. 

ein  kräftiger  beweis,  dafs  er  nicht  mit  eignem  sprachgut  wirtschaftet, 
sondern  ein  archaisches  wort  ionischer  herkunft  herüber  nimmt'*),  das 
wol  einer  aUattischen  aufzeichnung,  auch  dem  Hellanikos  etwa,  schon 
nicht  dem  Kleidemos  oder  Androlion  wol  anstehn  mochte:  Aristoteles 
trug  es,  gewifs  mit  dem  vollen  bewufstsein,  auch  stilistisch  die  archaische 
ceremonie  richtig  zu  malen,  aus  fremder  rede  in  die  seine  hinein,  ganz 
wie  er  mit  Herodotos  verfährt. 
verfasMinc  ^'^  Schilderung  der  Verfassung  beginnt  mit  den  vier  classen"),  nach 


der  nur  scherzhaft  nvS^täs  durch  sixcüv  ersetzt,  dafs  Plutarch  selbst  aus  Piaton 
die  änderung  genommen  hätte,  ist  schon  wegen  dvS^iäs  unglaublich.  iaofierQT]ros 
heifst  bei  Piaton  'von  denselben  mafsen  wie  das  original',  die  bestimmte  person, 
deren  eUa/v  geweiht  wird,  in  dem  eide  war  eine  solche  für  den  avSgids  nicht 
vorhanden,  da  war  es  im  allgemeinen  der  dv^^,  bedeutet  also  'in  lebensgröfse'.  dafs 
der  perverse  einfall  Bergks  hat  beifall  finden  können,  ist  kaum  glaublich:  er  nimmt 
iaofi£XQr]toe\m  sinne  von 'gleich  schwer'  in  gold  wie  die  zur  bestechung  verwandte 
summe  in  silberl  nur  wer  weder  Piaton  noch  Plutarch,  sondern  ein  selbstverfertigtes 
X  zu  gründe  legt  kann  so  interpretiren.  die  weiter  von  Bergk  misbrauchten  stellen 
des  Deinarchos  1,  60,  2,  17  gehn  auf  den  regelmäfsigen,  freilich  nicht  solonischen, 
rechenschaftsprocefs  und  sind  durch  Aristoteles  54,  2  jetzt  völlig  erklärt. 

11)  8,  86.  er  hat  die  Ortsangabe  TtQos  ry  ßaaiXeCto  aroä  mehr  als  Aristoteles  55. 
sie  würde  sich  nicht  einmal  durch  combinalion  mit  7  sicher  ergeben. 

12)  Der  Thesaurus  lehrt,  dafs  (pa'iit,(o  im  jüngeren  epos,  einmal  bei  Herodotos 
(5,  58,  im  sinne  von  oroftd^siv),  bei  Sophokles  und  dem  jüngeren  Euripides  (Iph. 
Aul.  135  in  den  anapaesten  des  prologs,  und  936  in  einer  erweiterung  der  Achil- 
leusrede,  935—47,  die  ich  für  mich  schon  längst  ausgesondert  hatte)  allein  belegt 
ist;  denn  ein  s.  g.  Pythagoreer  des  Stobaeus  beweist  nichts,  es  ist  also  ganz  sicher- 
lieh ionisch,  die  beobachtung  ist  für  die  Atthis  und  ihre  benutzer  eben  so  wertvoll 
wie  für  die  tragiker. 

13)  Die  stelle  ist  in  der  handschrift  verderbt,  denn  riui']/inTn  (Blass  liest 
jetzt  rtfu^ftari,  aber  das  ist  mir  sehr  zweifelhaft  und  würde  gar  nichts  helfen:  reo 
Tiurjtari  wäre  mindestens  nötig)  SieiXsv  eis  rdrraQa  reXrj  ist  so  unsinnig,  wie  "er 
teilte  die  einschätzungen  in  vier  classen".  dafs  die  bürgerschaft  das  object  ist, 
fordert  die  logik  und  ist  durch  die  cilate  der  grammatiker  gesichert,  die  wir  bei- 
geschrieben haben;  daher  auch  die  persönlich  gefafsten  classennamen.  das  ist  ein 
fehler,  ein  anderer  steckt  am  anfange  des  nächsten  satzes,  wo  wir  mit  unrecht 
Kenyons  spuren  folgend  rns  /uev  ovv  uqx^s  dnivetfte  gesetzt  haben;  ovv  ist  falsrii 
und  hat  nicht  da  gestanden,  sondern  wie  Blass  erkannt  hat,  und  ich  jetzt  auch  sicher 
lese ,  ras  fie  .  .  .  .  ae  aQxds  mit  einem  von  oben  anschliefsenden  buchstaben  vor 
dem  a.  fisv  ist  gefordert,  aber  das  asyndeton  unmöglich,  und  doch  keine  passende 
Partikel  zu  ersinnen;  auch  kein  adjectiv  ist  bisher  gefunden,  da  das  passende  x^/;- 
Qtorös  (die  allein  aufgeführt  werden)  keinen  platz  hat.  ich  habe  wol  gedacht  an 
SiBTa^s  rrjv  jioXneiav  rövSe  {rof)  rQvnov'  (xar«  Ta)  ri(ir,ftara  SieXcov  eis  <^' 
re'Xr]  rne  fiiv  ....  nQxds  ansveifie;  aber  die  ergänzung  von  noXireia  ist  nicht  be- 
quem, und  unten  fehlt  doch  noch  ein  wort.  —  dafs  aber  nicht  eine  grofse  lücke  da 


Die  Verfassung.  49 

denen  sich  die  politischen  rechte  abstufen,  das  passive  Wahlrecht  für 
die  zu  erlosenden  beamten  kommt  den  drei  oberen  zu,  den  theten  nur 
die  teilnähme  an  der  Volksversammlung  und  an  den  gerichten.  darin 
liegt  ihr  actives  Wahlrecht  für  die  wahlbeamten,  das  in  der  Volksversamm- 
lung geübt  wird,  und  die  controlle  der  beamten,  die  von  einem  gerichte 
geprüft,  in  jeder  prytanie  vom  volke  neubestätigt  und  nach  ablauf  des 
arates,  falls  eine  beschwerde  erhoben  ist,  vor  gerichl  gestellt  werden.'") 
diese  wichtigen  sätze  führt  Aristoteles  nicht  aus,  weil  sie  nach  dem 
geltenden  allbekannten  rechte  implicite  in  der  teilnähme  der  theten  an 
jenen  beiden  körperschaften  einbegriffen  sind,  in  bestem  zusammen- 
hange mit  der  behaudlung  der  vier  classen  wird  dann  die  art  behandelt, 
wie  die  beamten  erlost  werden,  nämlich  auf  grund  einer  von  den  phylen 
durch  wähl  festgesteUten  candidatenlisle. 

Das  ist  so  weit  ganz  schon  und  gut,  aber  was  soll  die  breite  aus- 
führung  hier,  da  wir  doch  oben  gehört  haben,  und  Aristoteles  auch  hier 
zugesteht,  dafs  die  classen  schon  zu  Drakons  Zeiten  bestanden?  auch  die  an- 
wendung  des  loses  ist  drakontisch,  und  man  wundert  sich  etwas,  dafs  Aristo- 
teles hier  erst  nachträgt,  wie  die  beamten  in  der  ältesten  zeit  bestellt  worden 
sind'^),  während  er  dies  oben  nicht  angemerkt  hat,  hier  dagegen  der 
drakontischen  Ordnung  vergifst.  unsere  Verwunderung  wächst,  wenn  wir 
weiter  vernehmen,  dafs  es  vier  phylen  und  trittyen  und  naukrarien  gab, 
denn  das  hatte  es  alles  von  anbeginn  gegeben,  und  abgesehen  von  den 
naukrarien  können  wir  noch  jetzt  nachweisen,  dafs  alles  auch  bei  Aristo- 
teles schon  vorgekommen  war.*®)    vom  rate  gibt  er  nichts  an  als  die  zahl: 


ist,  in  die  man  setzen  könnte  was  einem  beliebt,  zeigt  die  oben  gegebene  analyse 
des  zusammenlianges. 

14)  Es  ist  irrelevant,  in  wie  weit  diese  praxis  wirklich  solonisch  war,  wenn 
nur  Aristoteles  wie  seine  leser  sie  dafür  hielt,  eine  arge  verkehrheit  ist  es,  hier 
die  svd'wa  zu  vermissen  und  in  Tjvd'vpev  rovs  d/iaQxävovrae  xv^icae,  was  8,  4  als 
recht  des  Areopages  steht,  sie  zu  finden  und  so  einen  Widerspruch  mit  der  Politik 
zu  erzeugen,  äfia^ravetv  zeigt,  dafs  kein  aSixelv  verstanden  ist,  sondern  ein  ver- 
stofs  contra  bonos  mores;  die  beamten  kann  man  nur  hineinphantasiren,  und  rji&wev 
heifst,  was  es  seiner  bedeutung  nach  ursprünglich  heifst  'rectificiren'.  der  Areopag 
hat  discretionäre  Strafgewalt  wie  die  ephoren  in  Sparta. 

15)  Wir  haben  eine  interpolation  beseitigt:  wer  sie  stehn  läfst,  erträgt  einen 
unsinn,  denn  vorher  hat  Aristoteles  nicht  von  den  archonten,  sondern  von  den 
Schatzmeistern,  exemplifica torisch  für  alle  losbeamten,  gehandelt,  und  noch  ärger 
ist  es,  dafs  hiernach  vor  Solon  der  Areopag  nach  gutdünken  die  archonten  bestellt 
hat,  d.  h.  seine  eigenen  künftigen  mitglieder  cooplirt. 

16)  Über  phylen  und  phylenkönige  lehrt  es  41,  2  und  die  epitome,  über  die 
trittyen  fgm.  3. 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles.  4 


50  '•    3.  Solon. 

der  rat  aber  war  ja  schon  drakontisch.  beim  Areopage  kann  er  sogar 
nichts  weiter  tun,  als  dafs  er  seine  eignen  worte  wiederholt,  mit  denen 
er  dessen  ursprüngliche  amtsgewalt  bezeichnet  hatte  (8,4  =  3,6),  so 
dafs  er  ein  einzelnes  gesetz,  das  denselben  angeht,  besonders  als  solonisch 
hervorheben  mufs. 

Ich  mag  nicht  viele  worte  machen :  so  hat  Aristoteles  nur  schreiben 
können,  weil  er  eine  darstellung  zu  gründe  legte,  die  von  Drakon  nichts 
wufste  (so  wenig  wie  die  plutarchische  biographie  Solons)  und  die  alt- 
attische Verfassung  überhaupt  erst  unter  Solon  darstellte,  damit  fallen 
die  anstöfse  weg.  Aristoteles  hat  dieses  material  zum  teil  für  seine 
Schilderung  der  früheren  zeit  verwandt;  die  spuren  sind  in  Wieder- 
holungen stehn  geblieben,  und  er  hat  sich  durch  eine  einzige  rück- 
verweisung  damit  abzufinden  geglaubt,  dafs  Drakon  sehr  vieles  hier  als 
solonisch  gegebene  schon  eingeführt  hatte,  die  sache  dünkt  mich  evident; 
aber  es  fehlen  auch  nicht  die  beweise  dafür,  dafs  er  hier  einer  altern 
vorläge  genau  in  so  engem  anschlusse  folgt  wie  in  den  ersten  paragraphen 
des  siebenten  capitels.  was  er  über  die  bedeutung  der  classennamen 
angibt,  ist  keine  authentische  überheferung,  sondern  beruht  auf  Schlüssen, 
eine  abweichende  meinung  und  ihre  begründung,  einschUefslich  eines 
alten  epigramms,  führt  er  selbst  auf  andere  zurück,  wir  aber  verfügen 
über    einen    parallelbericht    bei  Pollux'"'),    einen    zweiten   in   Plutarchs 


17)  8,  130  TifirifiaTa  S'  rjv  xixTaqa  TtEvxaxoaiOfjbeSlfivcov  Inndcov  ^evyircL)v 
d'TjTcöv ,  Ol  fiev  ex  rov  jzevraxoaia  /jsr^a  ^rj^a  xai  vyQo.  noieXv  xXrj&ivces,  ava- 
haxov  5'  eis  ro  Srjficaiov  räkavrov.  ol  Si  rrjv  InnäSa  tbXovvtes  ix  fiev  rov 
Sivaa&ai  xQEfsiv  'innov  (i'itTtovs  vulgo)  xexXrjad'ai,  Soxovoiv ,  inoiovv  Si  fie'r^a 
TQiaxöaia,  avaXiaxov  Ss  rj fiirälavrov  (die  confusion  beider  erkläiungen  gehört 
Pollux  an).  Ol  Sf]  ro  t,evyiaiov  relovvrss  ano  Siaxoaicav  fiixQcov  xaxsXe'yovxo, 
aväXiaxov  Ss  fiväs  Sexa.  oi  Ss  xb  ■d'rjxixov  oiSsfiiav  ^QXr^v  fjgxov  ovSe  dväXiaxov 
ovSev.  ^Avd'sfiCwv  Ss  6  AifpiXov  xaXkatni'Cfixai  Si'  smy^äfifiaxoe  oxi  [aTto  xov 
■d'rjxixov  xekovs  eis  xtjv  innäSa  fisxiaxrj,  xai  aixiöv  saxiv  sv  axQOTiöXsi,  iTtnos 
avSgi  Tia^saxrjxoJS,  xai  xo  S7tiy^a/u/ua  ' ^ttpiXov  Av&Sfiiwv  [innov]  xovS^  aved'rjxs 
d'eols  d'rjxixov  avxi  xiXovs  iitTtäS^  afieiipäfisvos" .  es  ist  kein  wort  darüber  zu  ver- 
lieren, dafs  das  weder  auf  Aristoteles  noch  ausschliefslich  auf  die  evioi  zurückgeht, 
die  er  für  die  bedeutung  der  innäs  citirt.  bei  Pollux  sondert  man  die  interpolation 
iTTTTov  leicht  aus;  aber  wenn  das  pronomen  auf  das  dargestellte  pferd  gehn  soll,  so 
kann  es  kein  femininum  sein,  denn  das  reitpferd  ist  ein  hengst  (oder  wol  oft  ein 
Wallach),  und  die  kunst  kennt  nur  hengste.  wenn  xövSe  da  stand,  war  avSQiävxa 
zu  ergänzen ,  und  stand  Anthemion  da.  die  corruptel  des  Aristotelestextes  spottet 
noch  jeder  heilung.  aber  die  metrischen  und  epigraphischen  kenntnisse  fehlen  mir, 
die  so  vielen  leuten  die  berechtigung  geben  müssen,  eine  weihinschrift  des  sechsten 
Jahrhunderts  in  zwei  pentametern  zu  beanstanden,     so  viel  ich  weifs,  sind  vier  dakty- 


Die  Verfassung.  51 

Solon  18,  so  dafs  sich  ganz  dasselbe  Verhältnis  herausstellt  wie  oben  in 
betreff  des  archonteneides.  ein  sprachliches  indicium,  wie  es  dort  das  wort 
KaracpaTl^o)  war,  erscheint  hier  in  dem  berichte  über  den  Areopag,  Ttolig 
in  der  bedeutung  "^burg*  (8,  4);  dies  galt  zu  Thukydides  zeit,  war  aber  be- 
kanntlich lange  vor  Aristoteles  selbst  aus  dem  kanzleistile  verschwunden.'**) 
hier  aber  steht  es  keinesweges  in  der  wiedergäbe  eines  alten  gesetzes, 
sondern  in  der  eignen  darstellung,  die  somit  unweigerlich  auf  eine  nieder- 
schrift  zurückgeht,  die  mindestens  fünfzig  jähre  älter  war.  was  in  dieser 
schrift  stand,  war  eben  das  was  Aristoteles  auch  gibt,  eine  darstellung 
der  Verfassung. 

Die  competenz  der  naukraren  wird  sehr  vage  bestimmt,  "für  ein- 
künfte  und  ausgaben",  sio(poQai  xat  öaTiavai.  dafür  werden  ein  par 
abgerissene  citate  aus  Solons  antiquirten  gesetzen  angeführt  "zovg  vav- 
7iQ(xQ0vg  doTtgäTTEiv'^  für  die  einkünfte,  " avaXio'/.£Lv  (wenn  dies  wort 
schon  zu  dem  citate  gehört)  «x  %ov  vavy.QaQiY.ov  aQyvQiov'  ,  für  die  aus- 
gaben, das  scheint  zuerst  ein  ergebnis  aristotelischer  Urkundenforschung, 
aber  man  vergleiche  Photius  vavY.QaY.ia'  onolov  xi  ^  avfi(.iOQia  xal 
6  drjf.wg'  vav'AQaQog  de  otioIÖv  xl  o  drj/tiaQxog,  ^öXtovog  ovrcog  ovo- 
(.laoavTog,  log  Yal  '^QiororiXrjg  q)r]oi.  Yal  Iv  xolg  vofiotg  de  av 
Tig  vavYQaQtag  af.iq)Loßrirjj  Yal  "rovg  vavYQccQOvg  rovg  Yaxa  rrjv 
vavYQaQiav"  dann  folgt  die  mit  Ar.  21,  5  stimmende  ersetzung  der 
naukrarien  durch  die  demen  in  der  Kleisthenischen  Verfassung  und  zwei 
auszüge,  "Ix  Trjg  ^QiOTOtilovg  Tiolirsiag  ov  tqojtov  öiera^e  ttjv 
tiöXlv  6  ^oliüv" ,  das  ist  diese  stelle  (8,  3),  und  6  KX€iöi]f.iog  iv  rfj 
toiTj],  der  sie  mit  den  symmorien  vergleicht,  sodann  wird  in  den  schoben 
zu  den  Vögeln  1541  zur  berichtigung  einer  ansieht  des  Byzantiers  Aristo- 
phanes,  der  in  den  kolakreten  nur  die  Verwalter  des  richtersolds  gesehn 


lische  katalektische  tiimeter  zwar  merkwürdig,  aber  auf  ionischem  metrischen  gebiete 
so  wenig  anstöfsig  wie  'Iolqoov  üv^aySaios  u.  s.  w.  auf  dorischem. 

18^)  Sandys  hat  für  diesen  gebrauch  ohne  artikel  überhaupt  keinen  beleg,  der 
für  Aristoteles  auch  nur  beweiskräftig  scheinen  könnte,  er  begnügt  sich  jj  nöXis 
zu  belegen,  hier  und  zu  24,  3,  wo  wir  den  notwendig  irre  führenden  artikel  ent- 
fernt haben,  aber  er  hat  auch  nichts  als  zwei  stellen  Xenophons,  dem  aus  seiner 
Jugendzeit  die  xQVnara  ev  ti,  nölei  im  gedächtnis  haften  geblieben  waren:  der 
verbannte  hatte  den  Wechsel  der  terminologie  nicht  mit  erlebt,  aufserdem  ist  die 
Ortsbezeichnung  innerhalb  der  Stadt  für  ein  haus  öniadsv  Tr,s  nöXecos  bei  Aischines 
1,  97  allerdings  merkwürdig,  nicht  blofs  wegen  nöhs,  sondern  auch  wegen  omad'ev. 
das  ist  so  zu  sagen  ein  strafsenname;  für  Aristoteles  beweist  er  so  wenig  wie  die 
stellen  aus  Antiphon  und  aus  alten  Urkunden,  die  Sandys  seltsamerweise  anführt, 
gleich  als  ob  sie  nicht  wider  den  aristotelischen  gebrauch  zeugten. 

4* 


52  !•    3.  Solon. 

hatte,  unter  anderem  ausgeführt,  dafs  sie  ausgaben  für  heilige  zwecke 
leisteten,  und  zum  belege  aus  Androtion  cilirt  rolg  de  iovai  Ilv^iude 
■i^swQOlg  Tovg  Y.oil.a.v.qixag  öidövaL  €x  rtöv  vavy.(jaQVAuJv  {vavKlrjQiTicöv 
codd.)  £<p6öiov  agyvQia  x«t  sig  alXo  o  tl  av  öej]  avaXiöoai.  das  ist 
offenbar  keine  rede  des  Androtion,  sondern  ein  gesetzesfragment,  das 
Androtion  als  beleg  angeführt  hatte,  die  worte  selbst  sind  verdorben ; 
wie  man  sie  aber  auch  herstellt,  stehen  sie  den  von  Aristoteles  angeführten 
sehr  nahe,  wenn  sie  nicht  gar  identisch  sind.")  wie  dem  auch  sei:  dafs 
Kleidemos  und  Androtion  und  Aristoteles  alle  drei  die  solonischen  ge- 
setze  durchsuchen  und  sätzchen  excerpiren,  die  das  wort  vavy.QaQog  oder 
vavY.Q(xQiy.6g  enthielten,  ist  äufsersl  wenig  wahrscheinlich,  ungleich 
näher  liegt  es,  dafs  sich  die  atthidographen  der  gesetze  bedient  haben, 
umdiecompetenzen  verschollener  behörden  festzustellen,  wie  der  naukraren 
und  der  kolakreten  ^'),  und  dafs  Aristoteles  hier  ebenso  wie  sonst  auch 
die  beweise  mit  den  behauptungen  von  ihnen  geborgt  hat. 


18)  Die  theoren  erhalten  offenbar  geld  einmal  als  diäten  für  sich,  zweitens  zu 
sachlichen  ausgaben,  für  opfertiere,  tempelschofs  u.  s.  w.  also  steht  parallel  iipdSia 
und  eis  aXXo  o  ri  av  Serj  avaXwaai.  das  zwischenstehende  aQyvQia  ist  an  sich 
unsinnig,  man  erwartet  eine  bestimmte  summe,  die  im  citate  leicht  ausfallen  konnte, 
H  z.  b.  sie  konnte  in  dem  allgemeinen  gesetze  (SiSövai  steht  da)  auch  durch  das 
unbestimmte  d^yv^iov  ersetzt  sein,  und  demgemäfs  könnte  man  auch  bei  Aristoteles 
ix  rov  vavxQaQwov  aQyiQi[ov  ergänzen,  nur  spricht  dagegen  in  dem  scholion  die 
Wortstellung:  «(»yi;(>tov sollte  am  Schlüsse  des  satzes  stehn;  bei  Aristoteles  der  Singular: 
man  erwartet  auch  da  ix  rätv  vavxqaQixaiv.  also  dürfte  eher  im  scholion  auch  her- 
zustellen sein  ix  rov  vavxQaQtxov  aQyvQiov,  und  am  Schlüsse  ein  Zahlzeichen,  iden- 
tität  der  gesetze  ist  in  beiden  fällen  das  wahrscheinlichste. 

19)  Aristoteles  erklärt  ihren  auch  uns  unverständlichen  namen  überhaupt  nicht: 
das  ist  mit  seinen  zwecken  vereinbar,  aber  die  leser  seiner  geschichtlichen  Übersicht 
müssen  doch  den  mangel  empfinden,  dafs  Androtion  die  kolakreten  auch  sonst  be- 
handelt hat,  folgt  aus  Harp.  anoSs'xrai.  es  ist  selbstverständlich  schuld  dieses  oder 
eines  anderen  epitomators,  dafs  es  so  aussieht,  als  wären  nach  Androtion  die  apo- 
dekten  durch  Kleisthenes  an  stelle  der  kolakreten  getreten,  denn  dafs  letztere  eine 
ziemlich  zahlungsfähige  casse  bis  gegen  ende  des  5.  Jahrhunderts  hatten,  steht  fest, 
ebenso  folgt  aus  CIA  IV  53"  (p.  66),  dafs  418  die  apodekten  dieselben  com- 
petenzen  wie  in  der  aristotelischen  Politie  48  hatten,  während  Aristoteles  nur  die 
kolakreten  für  die  solonische  zeit  nennt,  also  ist  zu  schliefsen,  dafs  Androtion  das 
richtige  berichtet  hat,  nämlich  dafs  Kleisthenes  die  eincassirung  der  aus  pachten, 
Zöllen  u.  dgl.  fliefsenden  gelder  und  die  aufstellung  des  fisQiafiöe  10  apodekten 
unter  controlle  des  rates  übertragen  hat,  während  das  vorher  die  kolakreten  be- 
sorgten, dafs  aber  eine  gewisse  anzahl  einnahmen  den  kolakreten  blieben,  die  aus 
dieser  casse  auch  selbständig  ausgaben  leisteten,  was  die  apodekten  nie  tun.  die 
abschaffung  der  kolakreten  ist  403  geschehn,  aber  schon  411  hatten  die  oligarchen 
sie  in  aussieht  genommen. 


I 


Die  Verfassung.  53 

Geradezu  kümmerlich  ist,  was  Aristoteles  vom  rate  der  400  sagt,  das 
ist  doch  wirklich  ein  grundpfeiler  der  demokratie,  und  wenn  der  rat 
auch  zunächst  vielleicht  sehr  viel  weniger  zu  sagen  gehabt  hat,  insofern 
die  controlle  der  beamten  bei  den  Areopagiten  bheb,  und  auch  die  ge- 
setze  nur  den  vermerk  eöo^sv  tw  di]/.i(ü^°)  führten,  so  hat  er  doch  schon 
508  gegen  Isagoras  die  demokratie  behauptet,  bei  Plutarch  19  steht 
denn  auch,  während  die  competenz  des  Areopages  ganz  ähnhch  wie  bei 
Aristoteles  bezeichnet  wird,  wenigstens  das  gesetz  ^y^öhv  anQoßov- 
levTOv  dg  rrjv  SKKhjolav  uocpkQead^at  als  solonisch^*).  das  ist  nicht 
viel,  und  doch  mag  man  daran  nicht  leicht  zweifeln,  aber  Aristoteles  hat 
selbst  das  verschmäht,  seine  intention  ist  auch  verständlich,  was  der 
rat  jetzt  ist  und  zumal  was  er  früher  war,  steht  später  ausführlich  bei 
ihm,  und  im  allgemeinen  ist  seinen  lesern  die  bedeutung  des  rates  ge- 
läuflg.  da  wiegt  die  nennung  des  namens  schwerer  als  eine  notwendig  un- 
vollkommene und  nicht  anders  als  aus  rückschlüssen  gewonnene  definition 
der  amtsgewalt.  aber  es  contrastirt  doch  stark  mit  dieser  kürze ,  dafs 
unmittelbar  darauf  eine  einzelbestimmung,  das  gericht  des  Areopages 
über  perduellion,   herausgehoben   wird-^).     ihm   entspricht  die  einlage 

20)  Dafs  die  kürze  des  praescripts  in  den  ältesten  psepiiismen  nur  eine  stili- 
stische bedeutung  hätte,  ist  schwer  glaublich,  die  bitte  um  eine  leibwache  hat 
Peisistratos  schwerlich  im  rate  eingebracht,  sondern  auf  dem  wege  der  IxerTj^ia: 
aber  ein  beschlufs  auf  grund  derselben  wäre  später  nicht  anders  möglich  gewesen, 
als  dafs  das  volk  den  rat  beauftragte,  in  der  nächsten  sitzung  einen  entsprechenden 
antrag  zu  stellen. 

21)  Es  folgt  bei  Plutarch  die  debatte  darüber,  ob  Solen  den  rat  auf  dem  Ares- 
hügel eingesetzt  oder  vorgefunden  habe,  und  dabei  wird  als  beleg  das  berühmte  ge- 
setz, axon  13,  8,  angeführt,  das  ist  dieselbe  art  zu  schliefsen,  wie  sie  uns  eben 
begegnet  ist;  dieselbe  quelle  wie  bei  Plutarch  tritt  bei  Pollux  8,  125  hervor,  diese 
debatte  wird  also  nicht  nur  älter  als  Aristoteles  sein,  sondern  ihm  auch  vorgelegen 
haben,  aber  mit  recht  hielt  er  sich  ohne  weiteres  an  die,  welche  den  rat  auf  dem 
Areshügel  auch  als  Verwaltungsbehörde  für  uralt  hielten,  der  Irrtum  des  mannes, 
der  selbst  den  blutgerichtshof  bei  Drakon  vermifste,  ist  durch  CIA  I  61  aufgeklärt: 
da  stand  in  der  tat  in  Drakons  v6/uos  tisqI  rov  fövov  nichts  vom  Areopag,  weil 
das  gesetz  mit  tpovos  dxovaios  beginnt,  die  entsprechende  Stele,  die  auf  dem 
Areopage  stand,  hat  jener  mann  nicht  eingesehn;  vielleicht  trug  sie  auch  nicht  die 
bezeichnung  drakontischen  Ursprungs. 

22)  Die  stelle  selbst,  8,  3,  halte  ich  für  immer  noch  ungelesen.  denn  was 
Wessely  gesehn  zu  haben  glaubt,  und  Kenyon  und  Blass  billigen,  ^oXcovoe 
d'ivtos  vöfiov  siaayyslias  tvsqI  airwv  ist  viel  zu  unsicher,  als  dafs  man  es  für 
griechisch  halten  müfste.  schon  die  Wortstellung,  subject  praedicat  object  u.  s.  w. 
klingt  nach  untersecunda.  aber  man  sagt  auch  nicht  siaayyeUa  tieqI  rtvoe,  sondern 
siGayyeXksrai  ris,  und  nicht  vöfiov  etaayyeXias  d'ivros,  sondern  eiaayyt'XXead'at 
voftod'srr;aavToe  oder  xeleiovros. 


54;  !•    3.  Solon. 

einer  gesetzlichen  bestimmung  über  dieselbe  materie,  die  ganz  unorganisch 
in  der  erzählung  von  Peisislratos  steht  (16,  10).  der  über  die  mürder 
Kylons  richtende  ausnahmegerichtshof  bildet  das  erste  glied  der  ent- 
wickelung  dieses  rechtes,  das  also  den  Aristoteles  interessirt  hat,  so  dafs 
er  die  ihm  irgend  woher  bekannten  gesetze  hier  und  da  eingefügt  hat, 
nicht  ohne  dafs  wir  die  fugen  sähen,  seltsam  ist  nur,  dafs  die  letzte 
etappe  fehlt,  das  mafslos  strenge  geltende  recht,  nach  dem  der  versuch 
des  Umsturzes  der  Verfassung  oder  auch  die  mithülfe  dazu  nicht  blofs 
mit  dem  lode  geahndet  wird,  sondern  den  schuldigen  ohne  weiteres 
vogelfrei  macht,  sie  fehlt  wol  in  Wahrheit  nicht,  denn  nach  der  ana- 
logie  der  fluchformeln  der  Volksversammlung  (Aristoph.  Thesm.  338  ff.), 
dem  ratseide  von  Erythrai  (CIA  I  9)  und  dem  psephisma  des  Demophanlos 
ist  nicht  wol  zu  bezweifeln,  dafs  der  eid  der  attischen  ratsherrn  die  Ver- 
fluchung des  perducUis  enthielt,  und  dessen  einführung  im  jähre  501 
berichtet  Aristoteles  (22,  2),  ohne  den  Inhalt,  weil  der  eid  noch  alljährhch 
geschworen  wird,  anzugeben.^^)  vollends  nur  als  eine  Singularität,  die  den 
peripatetischen  philosophen  interessirt  hat,  für  den  historiker  wenig  be- 
deutet, kann  man  das  gesetz  betrachten,  das  dem  in  einer  revolution 
neutralen  die  bürgerlichen  ehrenrechte  entzieht  (8,  5).  das  hat  auch 
Cicero  (ad  Att.  X  1)  gekannt,  natürlich  aus  philosophischer  lectüre,  und 
es  eröffnet  bei  Plutarch  (Sol.  20)  die  reihe  der  seltsamen  solonischen 
gesetze,  über  deren  wert  oder  unwert  lange  disputirt  wird,  das  hat 
denn  auch  Aristoteles  aus  solchen  debatten  hier  eingelegt,    sonst  gebort 


23)  Der  foitschritt  der  entwickelung  ist  kenntlich,  zunächst  gibt  es  gegen 
den  gewaltslreich  die  gewall,  Kylon  wird  erschlagen,  dagegen  reagirt  die  in  die 
form  des  gesetzes  gekleidete  gewalt,  das  ausnahmegericht.  Solon  schafft  gesetzliche 
ahndung,  aber  er  bestimmt  nur  den  richter,  dem  die  freiheit  bleibt  festzusetzen  ö  n 
X^f]  Tta&sTv  rj  aTcorslaai.  es  folgt  eine  zeit  der  revolutionen,  in  der  notwendiger- 
weise die  parteiungen  und  gegensätze  den  areopagilischen  rat  selbst  zerklüften,  so 
dafs  die  ihm  verliehene  discretionäre  gewalt  zur  willkür  wird,  da  hilft  die  tiquÖtt^s 
der  Athener  so,  dafs  sie  als  ndrqiov  hinstellt,  die  überwundene  partei  soll  nichts 
als  die  bürgerliche  rechtsgleichheit  verlieren:  das  wird  meistens  so  viel  wie  Ver- 
bannung tatsächlich  bedeutet  haben,  aber  das  blut  ward  doch  gespart,  erst  als  die 
demokratie  siegreich  ist  und  gegen  den  ehrgeiz  ihrer  eigenen  führer  das  palliativ- 
mittel  des  ostrakismos  gesetzlich  einführt,  schreitet  sie  andererseits  zu  dem  äufsersleii, 
den  inaviaxäfievos  rvgavvsTv  und  den  avyxa&iazäe  TVQavviSa  zu  ächten,  die 
Übereinstimmung  der  formein  bei  Aristoteles  und  im  psephisma  des  Demophanlos 
(die  nicht  nur  die  Aristotelesstelle  verbessert,  sondern  auch  Andok.  1,  97  iäv  in 
TVQavvElv  inuvaaxfi  gegen  Zusätze  schützt)  hat  ganz  klar  gemacht,  was  man  schon 
früher  schloCs,  dafs  die  restauration  411  auf  die  allen  eide  von  501  zurückgegriffen 
hat.     um  so  werivoUer  ist  was  wir  dem  Andokides  danken. 


Die  Verfassung,     die  vorsolonische  zeit.  55 

ihm  persönlich  nichts  weiter  als  der  allerdings  meisterhafte  sarkasmus, 
mit  dem  er  anmerkt,  dafs  noch  jetzt  niemand  sich  als  thete  bei  der 
meidung  zu  einem  amte  bekennt,  weil  die  classen  gesetzlich  nie  abge- 
schafft sind,  und  dafs  noch  jetzt,  wenn  auch  praktisch  ganz  unwirksam, 
der  solonische  höchste  census  von  den  Schatzmeistern  gefordert  wird, 
nur  der  sarkasmus  gehört  ihm,  die  stihstische  form,  schwerheb  die 
beobachlung  der  tatsachen,  wenigstens  der  zweiten,  denn  hier  steht  sie 
in  einem  der  beweise,  die  für  die  solonischen  Institutionen  beigebracht 
werden,  ist  also  nach  der  analogie  der  übrigen  zu  beurteilen,  und 
wenn  er  in  dem  darstellenden  teile  darauf  zurückkommt  (47,1),  so  ist 
das  verdächtig,  da  es  die  einzige  stelle  dort  ist,  die  zwischen  gesetz  und 
praxis  einen  Widerspruch  notirt,  so  liegt  am  nächsten,  dafs  er  dort  ver- 
wertet, was  er  gelegentlich  aus  einer  darstellung  der  solonischen  Ver- 
fassung gelernt  hat,  die  hier  wie  sonst  häufig  durch  rückschlüsse  ein  bild 
der  alten  Institutionen  gewann,  dafs  dies  der  weg  war,  den  man  schon  zwei 
menschenalter  vor  Aristoteles  gehn  mufste,  ist  wichtig  zu  wissen :  es  gab 
also  weder  eine  geschichtliche  aufzeichnung  verlässlicher  art  noch  gerade 
diese  solonischen  gesetze  mehr,  so  viel  a^ovsg  und  y.vQßeig  auch  erhalten 
waren,  während  doch  blutrecht  und  privatrecht  und  viele  einzelne 
Satzungen  aufgezeichnet  waren,  wenn  man  bedenkt,  dafs  die  gemeinde- 
ordnung  gerade  alle  die  Verfassungsgesetze  durchgehends  umgestaltet  hatte, 
wird  man  sich  darüber  nicht  verwundern,  so  sehr  man  es  auch  be- 
dauern mufs. 

Ich  meine,  es  ist  klar  geworden,  dafs  Aristoteles  es  sich  mit  der 
bebandlung  Solons  recht  leicht  gemacht  hat.  die  person  des  gesetz- 
gebers,  wie  sie  in  den  gedichten  leibhaft  ihm  entgegentrat,  interessirte 
ihn,  und  sie  stellte  er  mittelst  dieser  unverfälschten  Zeugnisse  in  ein 
helles  und  reines  licht,  aber  das  antiquarische  detail  einer  verschollenen 
gesetzgebung  war  dem  philosopben  sehr  wenig  interessant,  er  hat  weder 
sich  selbst  noch  seinen  lesern  ein  bild  jener  Verfassung  zu  entwerfen  ver- 
sucht, sondern  sich  begnügt  eine  sehr  kurze  und  ungleichförmig  gear- 
beitete Skizze  fast  ausschliesshch  auf  grund  der  darstellungen  zu  liefern, 
die  er  bei  den  atthidographen  fand,  dagegen  hat  er  sein  äuge  schari 
auf  das  ziel  gerichtet,  die  ausgebildete  demokratie,  die  er  nachher  dar- 
stellen will:  die  hat  Solon  begründet,  schon  allein  durch  aufhebung  der 
Schuldknechtschaft;  die  weiteren  demokratischen  grundrechte  erörtert 
cap.  9.     von  denen  sogleich. 

Jetzt  sei  vorab  noch   der   eingang   der  schrift  erörtert,   über  den,  i'/«^;;»"^«!»- 
abgesehen  von  der  gesetzgebung  Drakons  (4,  2—5),  aber  einschliefslich 


56  I-   3.  Solon, 

(las  nur  in  auszügen  und  citalen  erhaltene,  ganz  ebenso  zu  urteilen  ist 
wie  über  die  gescbichte  Solons:  das  tatsächliche  stammt  aus  älteren 
bearbeitungen,  und  wenn  eine  zusammenfassende  Schilderung  der  vor- 
drakontischen  Verfassung  auch  wohl  erst  von  Aristoteles  gegeben  ist 
(worauf  die  oben  gerügten  Wiederholungen  deuten),  so  hat  doch  alles 
einzelne  ihm  bereits  dank  fremder  forschung  und  fremden  Schlüssen  vor- 
gelegen, auf  eine  mehrheit  von  gewährsmännern  verweist  er  selbst  2,  3 
gelegentlich  der  Streitfrage  über  die  zeit  der  einsetzung  des  archons. 
und  die  andern  Gr]/^i€la,  die  aus  alten  religiösen  gebrauchen,  aus  den 
competenzen  der  einzelnen  behorden  und  dgl.  gewonnen  werden ,  sind 
nicht  anders  zu  beurteilen  als  die  aus  dem  eide  der  archonten  oder  dem 
anathem  des  Anthemion  gewonnenen,  die  er  selbst  auf  fremde  zeugen 
zurückführt,  oder  die  gesetzesfragmente,  die  wir  den  Schriften  des  Androtion 
oder  Kleidemos  zu  gute  geschrieben  haben,  wie  Aristoteles  zu  diesen 
antiquarischen  fragen  stand ,  zeigt  sein  geringschätziges  tovto  (.lev  ovv 
OTtOTiQwg  Ttor  e%eL  /niyiQov  av  TtaQaXXaxTOi  rolg  XQOvoig^^)  (2,  3), 
mit  dem  er  sich  eine  entscheidung  erspart,  ohne  doch  die  zeit,  in  die 
beide  könige  fallen,  und  auf  die  etwas  ankommt,  zu  bezeichnen,  es  würde 
demnach  auch  sehr  verkehrt  sein,  wenn  man  die  parallelberichte,  die  sonst 
wo  erhalten  sind,  als  verdorbene  auszüge  aus  diesem  capitel  beiseite  werfen 
wollte,  ein  solcher  liegt  in  dem  sechsten  Bekkerschen  lexikon  449")  über 
die  amtslocale  der  archonten  vor,  übereinstimmend  in  dem  meisten,  aber 
der  polemarch  sitzt  iv  ^vxeiw  statt  am  Epilykeion  und  der  archon  bei 
den  eponymen  statt  im  prytaneion.  dafs  Aristoteles  richtigeres  berichtet, 
ist  mir  nicht  zweifelhaft;  aber  wenn  er  die  etymologie  \on  ^EtviIv-asiov 
ausführlich  gibt'^®),  so  verstehen  wir  das  erst  dann  recht,  wenn  wir  es 
als  berichtigung  der  falschen  ansieht  betrachten,  die  wir  selbst  alle  bis 
vor  kurzem  geteilt  haben,  die  jetzt  noch  zu  verbreiten  nur  durch  flüchtig- 
keit  möglich  ist.  die  angäbe  über  den  archon  ist  zwar  falsch^'),  da  es 
ja  Statuen  der  eponymen  erst  seit  508  geben  konnte  und  an  dieser  stelle 


24)  So  erkennen  wir  jetzt,  wo  es  Blass  auf  dem  papyrus  gelesen  hat,  aucti 
mit  voller  Sicherheit  auf  dem  facsimile. 

25)  Suidas  kommt  nur  als  handschrift  jenes  lexicons  in  betracht. 

26)  Der  polemarch  Epilykos  führt  einen  namen  aus  altem  adel,  der  sowol  im 
geschlechte  der  Philaiden  wie  in  dem  der  Kerykes  und  auch  sonst  vorkommt,  diesen 
träger  kann  ich  nicht  einmal  gentilicisch  bestimmen. 

27)  Man  könnte  sie  halten,  wenn  Geleon  und  seine  brüder  am  Basileion 
Statuen  gehabt  hätten,  aber  es  ist  unerlaubt,  so  oft  es  auch  geschieht,  einen 
doppelgänger  zu  erfinden,  wo  der  bekannte  träger  eines  namens  nicht  pafst. 


Die  vorsolonische  zeit,     die  Verfassung  Drakons.  57 

in  alter  zeit  schwerlich  ein  amtslocal  war.    aber  gerade  diese  angebe  kann 
durch  eine  corruptel  der  Aristotelesstelle  am  wenigsten  erklärt  werden. 

Dafs  die  erzählungen  von  der  mythischen  zeit  Athens,  Ion  und  seine 
söhne,  Pandion  und  seine  sühne,  der  demokratenkünig  Theseus,  der  auf 
Skyros  stirbt,  was  etwa  von  der  alten  gUederung  des  adels  und  aus  der 
königszeit  erzählt  war  und  dgl.  alles  aus  der  Atthis  stammt,  wird  man 
ohne  weiteres  annehmen:  verwachsen  ist  ja  auch  alles  mit  der  chronik, 
in  der  wir  die  verschollenen  könige  Akastos  und  Medon,  und  die  ar- 
chonten  des  siebenten  Jahrhunderts  Megakles  und  Aristaichmos  feste  platze 
einnehmen  sehen,  und  wenn  es  manchen  befremden  wird,  dafs  Aristo- 
teles in  Solon  zwar  den  ersten  Athener  mit  freuden  erkannt  hat,  von  dem 
sich  ein  menschliches  bild  gevrinnen  liefs,  aber  die  sicher  für  ihn  lösbare 
iiufgabe  verschmäht,  sich  von  seiner  gesetzgebung  ein  bild  zu  verschaffen, 
>o  werden  wir  es  alle  seiner  art  ganz  entsprechend  finden,  dafs  er  die 
alten  widerspruchsvollen  traditionen  weder  ganz  wegwarf  noch  im  ein- 
zelnen prüfte,  sondern  xa  {xäkiora  eiy.öra  über  sie  wiedergab,  worauf 
es  ihm  ankam,  das  war  nur  eines,  und  das  hebt  er  scharf  und  deutlich 
hervor:  der  wirtschaftliche  notstand,  der  in  den  frohnden  und  der  schuld- 
knechtschaft  des  niederen  Volkes  lag. 

Ganz  besonders  einleuchtend  wird  das  quellenverhältnis,  weil  ein  ver/assun^ 
Iremdes  stück  dazwischen  steht,  die  gesetzgebung  Drakons.  das  ist  ein  '^■^»''ons- 
stück  von  urkundlichem  Charakter  und  wird  als  solches  eingefügt,  zum 
teil  in  indirecter  rede;  wir  haben  gesehen,  nicht  ohne  misslände  inhalt- 
licher art  zu  erzeugen  (s.  49).  es  fällt  auch  chronologisch  aus  dem 
zusammenhange  heraus,  trotz  dem  archon  der  chronik,  unter  dem  natür- 
lich das  factum  der  gesetzgebung  stand,  auf  das  gericht  über  die  mörder 
Rylons,  das  so  spät  erst  gehalten  ward,  dafs  die  eigentlichen  täter  schon 
im  grabe  lagen ,  folgt  eine  lange  zeit  des  zwistes  zwischen  adel  und 
Volk  (2,1).  der  schriftsteiler  setzt  sehr  passend  an  diese  stelle  eine 
Schilderung  der  ältesten  Verfassung,  denn  sie  bedingte  die  gesellschafts- 
ordnung  die  das  volk  nicht  mehr  ertragen  konnte,  die  aber  erst  Solon 
gestürzt  hat.  man  erwartet,  dafs  nun  der  retter  auftritt,  aber  nein, 
"danach  gab  nach  verlauf  von  kurzer  zeit  Drakon  seine  gesetze"  heifsl 
es  4, 1.  f.i€TazavTa xQovov  Tivog  ov  jtoXXov  dieX&övrog:  wonach  denn? 
nach  dem  gericht  über  die  mörder  oder  nach  dem  ""langen  zwiste'  ?. 
gemeint  kann  nur  das  erste  sein,  weil  wir  wenigstens  wissen,  dafs  Alkmeon, 
der  söhn  des  zur  zeit  jenes  gerichtes  schon  verstorbenen  Megakles  um 
590  selbst  noch  rüstig  war,  aber  einen  heiratsfähigen  söhn  hatte,  aber 
aus  den  worten  wie  sie  hier  stehn,  kann  man  eben  so  gut  das  gegen- 


58  I.    3.  Solon. 

teil  folgern,  und  als  nun  Drakon  seine  Verfassung  gegeben  hat,  was 
fobt?  "die  schuldknechtscliaft  und  die  latifundieu  blieben  wie  sie  waren, 
das  Volk  erhob  sich  wider  den  adel  und  beide  parteien  standen  sich 
lange  in  bitterer  fehde  gegenüber,  bis  Solon  kam  (4.  ende,  5  anf.)." 
also  wir  sind  wo  wir  waren;  Drakons  wirken  geht  spurlos  vorüber, 
wieder  folgt  eine  lange  zeit  der  fehde.  wer  der  wissenschaftlichen  be- 
wegung  eine  weile  zugesehen  hat,  der  kann  sich  selbst  schon  sagen, 
dafs  der  versuch  nicht  ausbleibt,  an  solcher  stelle  den  bösen  mann  zu 
rufen,  dessen  interpolatorentücke  die  Wiederholung  verschuldet  hat.  ein 
solcher  appell  an  eine  mythische  person  ist  der  ausdruck  einer  em- 
pfmdung,  die  an  sich  sehr  richtig  ist.  auch  hier  ist  allerdings  die  zweite 
"lange  fehde"  eine  dublette  der  ersten,  und  es  könnte  nicht  nur  mit 
leiser  stilistischer  änderung  5,  2  auf  3  folgen,  es  geht  wirklich  der  Zu- 
sammenhang von  3  zu  5  weiter,  und  Aristoteles  hat  ihn  nur  durch  eine 
auch  für  uns  kennthche  einlage  unterbrochen,  aber  6r  hat  das  alles 
getan,  hat  ja  auch  mit  tÖG7t€Q  eiqr^'vaL  den  hauptpunkt,  die  schuldknecht- 
schaft,  von  neuem  hervorgehoben,  es  ist  sehr  wertvoll,  aber  an  sich 
gar  nicht  auffällig,  dafs  Aristoteles  irgendwoher  einen  bericht  über  Dra- 
kons Verfassung  aufgriff,  der  freilich  nicht  nur  uns  bis  zur  auffindung 
der  Politie  ganz  unbekannt  war,  der  auch  in  der  chrouik,  seiner  sonstigen 
quelle,  fehlte,  sondern  den  er  selbst  noch  nicht  gekannt  halte,  als  er 
seine  vortrage  über  die  Politik  hielt  und  das  schlufscapitel  ihres  zweiten 
buches  schrieb,  diesen  bericht  legte  er  in  die  chronik  ein;  hat  das 
allerdings  in  einer  weise  getan,  die  uns  ermöglicht,  die  zusammenfügung 
zu  erkennen,  in  der  chronik  stand  zum  archon  Aristaichmos  etwa 
Jqä:/.oiv  tovg  &€0/.iovg  ed^r]Kev,  und  Aristaichmos  folgte  bald  auf  Megakles, 
unter  dem  das  gericht  über  die  Alkmeoniden  gehalten  war,  und  den 
Aristoteles  selbst  auch  genannt  hat.  im  übrigen  waren  viele  jähre  leer, 
aber  unter  Solon  oder  vor  ihm  war  eine  Schilderung  der  oräoig  und 
ihrer  Ursachen  gegeben,  die  zu  der  seisachthie  führten,  und  gelegentlich 
der  nomothesie  Solons  wird  auch  die  abschaffung  der  gesetze  Drakons 
mit  ausnähme  des  blutrechts  angegeben  gewesen  sein ,  wie  bei  Aristo- 
teles 7,  1  und  Plutarch  17.  eine  solche  erzählung  als  grundlage  der 
aristotelischen  läfst  alles  ganz  natürlich  erscheinen,  und  wir  besitzen 
noch  eine  solche,  bei  Plutarch  folgt  auf  die  erzählung  von  dem  adels- 
gericht  und  von  Epimenides,  die  ganz  zu  Aristoteles  stimmt,  eine  Schil- 
derung der  socialen  not  mit  dem  schlagworte  der  sxrrj!.wQioi:  unmittelbar 
darauf  erscheint  Solon  und  die  seisachthie^*).  von  Drakon  kein  wort. 
28)  Dafs  Plutarch  13  aus  eigenem  iirtum  seine  Schilderung,  um  sie  lebhafter  zu 


Die  Verfassung  Drakons.     die  kritik  der  Verfassung.  59 

das  ist  der  context,  den  Aristoleles  durcli  die  einfügung  der  drakonischen 
Verfassung  gestört  hat.  natürhch  hat  er  mit  grofser  freude  dieses 
seltene  stück,  das  er  eben  erst  selbst  kennen  gelernt  hatte,  mitgeteilt, 
und  wir  werden  ihm  dafür  danken,  ganz  unbeschadet,  ob  es  bei  uns 
an  sich  mehr  glück  macht  als  im  altertum,  wo  es  niemand  beachtet 
hat.  hier  handelt  es  sich  zunächst  nur  um  die  auflosung  seines  schrift- 
stellerischen gewebes. 

Kehren  wir  nun  zu  der  beurteilung  Solons  zurück,    von  der  noch  i>'e  kiitik 

"^  der  ver- 

das  eigentUch  abschliefsende  neunte  capitel  unbesprochen  ist.  es  wägt  lassuug. 
die  hauptverdiensle  Solons  um  die  demokratie  ab,  deren  Aristoteles  drei 
zählt,  das  erste  und  für  sein  urteil  wichtigste  ist  die  aufhebung  der 
Schuldknechtschaft,  das  zweite  ist  der  grundsatz,  dafs  jeder  bürger  be- 
rechtigt sein  soll,  jedes  verbrechen  zu  verfolgen,  auch  wenn  es  ihn  per- 
sönlich gar  nichts  angeht,  das  dritte  ist  die  appellation  von  jedem  magistra- 
tischen Urteilsspruch  an  das  volksgericht.  so  wie  Aristoteles  seinen  stofi' 
disponirt  hat,  ist  dem  leser  nur  das  erste  bekannt,  über  die  beiden  andern 
punkte  hört  er  jetzt  das  erste'  wort,  nicht  als  etwas  nunmehr  neu  mit- 
geteiltes, sondern  gleich  mit  einer  kritik,  als  ob  die  facta  längst  be- 
kannt wären,  in  der  tat  waren  sie  das  für  das  publicum,  an  das  der 
Schriftsteller  denkt:  die  athenische  demokratie  ohne  die  Volksgerichte  und 
ohne  die  herrhchkeit  der  in  jedem  einzelnen  bürger  mitverlelzten  majestät 
des  Volkes,  für  die  jeder  einstehn  darf  und  soll,  ist  gar  nicht  zu  denken, 
so  erlaubt  sich  Aristoteles  die  existenz  dieser  Institutionen  vorauszusetzen, 
mit  einer  schriftstellerischen  kürze,  von  der  namentlich  sein  darstellender 
teil  in  jedem  capitel  belege  liefern  wird,  und  sofort  zur  beurteilung 
zu  schreiten. 

Aber  er  ist  nicht  der  erste,  der  diese  urteile  formulirt.  denn  in 
betreff  der  Volksgerichte  stellt  er  zwei  ansichten  einander  gegenüber, 
zwischen  denen  er  entscheidet,  die  darin  zwar  übereinstimmen,  dafs  die 
gerichte  die  säule  der  demokratie  sind,  aber  in  ihrem  wertureile  gänz- 
lich auseinander  gehn.  und  überhaupt  hat  doch  erst  ein  tiefgehendes 
politisches  raisonnement  diese  fundamentalsätze  der  demokratie  aus  den 
Institutionen  Athens,  wie  sie  in  der  ausgebildeten  demokratie  bestanden, 
entwickeln   können:    in  den  gesetzeu  standen  sie  wahrhaftig  nicht,    die 


gestalten,  dadurch  verdorben  hat,  dafs  er  neben  den  gegensatz  der  adlichen  besitzer 
und  der  frohndenden  hintersassen  den  nachsolonischen  der  drei  landschaften  gestellt 
hat,  den  er  selbst  doch  29  nach  Solen  wieder  bringen  mufs,  verschlägt  für  die  haupt- 
sache  nichts,  für  seine  schriftstellerei  ist  der  zug  charakteristisch;  so  etwas  hat  er  sehr 
oft  getan,  z.  b.  die  Verdoppelung  des  perikleischen  processes  32  und  35  ist  der  art. 


60  I-    3.  Solon. 

hatten  weder  ein  7tQOOL[.iiov  vo/nwv,  wie  die  des  Piaton  und  die  danach  ver- 
fertigten des  falschen  Zaleukos,  noch  'grundrechte'  oder 'menschenrechte\ 
es  sind  gescheidte  leute  gewesen,  die  aus  der  lebendigen  praxis  das  ins  inter- 
cedendi  und  das  tus  provocandi  entwickelt  haben;  römisches  Staatsrecht 
wird,  gott  sei  dank,  etwas  besser  begriffen  als  attisches,  so  mag  die 
laxärr]  drif.ioyiQaTia  Athens,  von  dem  philosophischen  volke  bis  in  ihre 
äusserste  logische  consequenz  ausgedacht,  die  wurzel  ihres  wesens  darin 
gefunden  haben,  dafs  jeder  Athener  sich  als  tribunus  plebi  fühlen  soll,  wo 
er  ein  unrecht  sieht,  soll  er  intercediren,  wo  ihm  ein  magistratischer 
befehl  zu  nahe  tritt,  provociren:  aber  der  populus  an  den  sich  die  pro- 
vocation  richtet,  der  auch  im  falle  der  intercession  die  entscheidung  trifft, 
ist  das  Volksgericht,  der  drjf.iog,  der  durch  Solon  richter  geworden  ist, 
ist  durch  Solon  herr  geworden :  dies  epigramm  hat  Aristoteles  selbst  also 
zugespitzt. 

Die  €q)60ig  etg  dniaor^Qiov,  die  gesetzHche  bindung  des  magistrates, 
strafen  von  einer  bestimmten  hohe  ab  nur  auf  grund  des  Spruches  von 
geschwornen,  die  er  berief,  auszusprechen,  war  allerdings  leicht  und  sicher 
aus  den  gesetzen  zu  abstrahiren,  die  sie  in  jedem  einzelfalle  bei  der 
abgrenzung  der  competenzen  jedes  beamten  angeben  mufsten.^^)  aber 
mit  dem  rLfxcoqelv  tov  ßovko/iuvov  vttsq  töjv  aör/iov/LÜviov  ist  es 
ein  eigen  ding,  das  blutrecht  kennt  nur  den  zur  klage  berechtigten 
und  verpflichteten  (tcqog^xcov).  für  die  privatprocesse  liegt  es  in  ihrem 
namen  {öixai  iLÖiai),  dafs  nur  der  geschädigte  klagen  kann,  bei  einer 
reihe  bestimmter  vergehen,  schlechter  behandlung  von  eitern  und  mün- 
dein {-/.d-Atoaig  yoveiüv  OQcpavwv  SftrAXr^Qiov),  schreibt  das  gesetz  aus- 
drückhch  vor,  dafs  jeder  klagen  darf,  und  die  ausnähme  schhefst  immer  ein, 
dafs  das  gegenteil  regel  ist.  aber  es  kann  allerdings  jeder  Athener  unmit- 
telbar intercediren,  wenn  ein  bürger  in  die  sclaverei  geschleppt  wird  {acpai- 
Q€Oig  eig  eXev^eQlav),  andererseits  einen,  der  sich  fälschlich  das  bürger- 


29)  'Sein  fufs  soll  fünf  tage  in  den  block  gespannt  werden,  falls  die  heliaia 
diese  Strafschärfung  beschliefst',  so  das  gesetz  Solons  bei  Lys.  10,  16.  da  steht 
nicht  das  princip,  dafs  der  beamte  auf  leibesstrafe  nicht  mehr  erkennen  darf,  aber 
aus  der  clausel,  die  oft  wiederkehren  mufste,  liefs  es  sich  entwickeln,  die  gesetze  sind 
formell  Instructionen  der  magistrate,  entstanden  so,  dafs  man  diese  nicht  nach  gut- 
dünken  mehr  regieren  lassen  wollte,  sondern  'das  gewohnheitsrecht',  das  herkommen, 
den  v6/ios  aufschrieb,  an  den  sie  sich  halten  sollten,  oder  'gesetze'  &sa/ioi  gab,  die 
doch  auch  meist  xaza  tä  näiQia  gesetzt  sein  wollen  oder  gesetzt,  d.  h.  schriftlich 
fixirt  sind,  dieser  für  das  Verständnis  der  gesetzgebung  und  der  form  der  gesetze 
fundamentale  tatbestand  wird  in  dem  capitel  über  die  darstellung  der  Verfassung 
erst  ganz  deutlich  werden. 


I 


Die  Kritik  der  Verfassung.  61 

recht  anmafst,  verklagen,  er  kann  sich  durch  ein  bittgesuch  bei  dem  volke, 
das  dafür  eine  bestimmte  Versammlung  angesetzt  hat,  die  freiheit  erwirken, 
vor  dem  volke  alles  was  er  gerade  will  vorzubringen,  er  kann  durch  die  ver- 
schiedenen formen  der  denuntiation  {eioayyeXLa  Tcqoßohq  cpdaig  evdei^ig, 
doayyelia)  vergehen,  die  ein  öffentUches  Interesse  verletzen,  insbesondere 
amtsvergehen,  vor  das  volk  oder  den  rat  bringen,  er  kann  auch  den  ein- 
zelnen bürger,  der  sich  persönliche  übergriffe  zu  schulden  kommen  läfst, 
wie  sie  die  Athener  schwerlich  ohne  grund  den  machthabern  in  monarchisch 
und  oligarchisch  regirten  Staaten  vorrücken,  insbesondere  ehrenkränkungen 
anderer  bürger,  vor  gericht  ziehen^"),  das  ius  intercedendi  ist  keine 
phrase,  aber  es  ist  nicht  nur  nicht  gesetzlich  formuhrt,  es  ist  auch  als 
ein  allgemeines  grundrecht  nur  durch  eine  starke  Übertreibung  aus  dem 
geltenden  rechte  zu  abstrahiren.  und  mit  Solon  läfst  es  sich  vollends 
nur  so  zusammenbringen,  dafs  er  als  der  Urheber  der  attischen  Institutionen 
anerkannt  wird,  die  es  implicite  enthalten,  der  nachweis  würde  nicht  leicht 
sein,  jedenfalls  aber  würde  Aristoteles  die  sache  nicht  ohne  jedes  wort 
der  erläuterung  oder  begründung  hingestellt  haben,  wenn  er  diese  abstrac- 
tion  erst  selbst  vorgenommen  hätte,  das  hat  er  nicht,  denn  bei  Plutarch  18 
schhefst  sich  an  die  darstellung  über  die  vier  classen,  die  mit  der  aristo- 
tehschen  parallel  geht  und  den  theten,  genau  wie  Aristoteles,  lediglich 
das  recht  der  teilnähme  au  Volksversammlung  und  gericht  zuweist,  sofort 
eine  ganz  ähnliche  beurteilung  des  gerichtes^')  und  des  rechtes,  dafs 
jeder  für  jeden  eintreten  dürfe,  dieses  mit  breiterer  begründung  aus  der 
volksfreundlichen  tendenz  Solons,  die  sich  zu  einem  apophthegma  ver- 
dichtet hat.  dagegen  fehlt  die  aufhebung  der  Schuldknechtschaft  bei  ihm : 
deren  rechte  Würdigung  ist  eben  ein  besonderes  verdienst  des  Aristoteles; 
ebenso   die   schöne  und  gerechte  abwehr  der  böswilligen  insinuationen, 


30)  Vgl.  was  im  capitel  7  über  die  y^afai  vßQscos  fwixeias  u.  dgl.  aus- 
geführt ist. 

31)  Plutarch  (18,  4)  schiebt  von  sich  aus  recht  ungeschickt  die  verse  Sr/iq?  /xev  yaQ 
ä'Swxa  hier  ein,  gleich  als  ob  in  ihnen  Solon  die  demokratie  als  sein  werk  bezeichnete, 
er  hat  zweierlei  zusammengeworfen,  dafs  Solon  durch  die  gerichte  Stifter  der  demo- 
kratie geworden  ist,  das  ist  das  urteil  der  nachweit,  und  dafs  er  der  demokratie 
nur  das  unerlässliche  hat  geben  wollen,  das  sagt  sein  vers.  das  liefs  sich 
höchstens  zu  einem  gegensatze  verwerten,  wie  es  Aristoteles  in  der  Politik  getan 
hat:  so  wie  es  bei  Plutarch  steht,  ist  es  ein  hübsches  citat  am  falschen  flecke. 
so  etwas  hat  er  oft  genug  in  allen  Schriften  gemacht,  wer  sich  bemüht,  fehlende 
mittelglieder  zu  suppliren,  oder  in  einer  praesumirten  quelle  den  Zusammenhang, 
der  hier  fehlt,  zu  suchen,  vergifst,  dafs  auch  Plutarch  zunächst  als  Plutarch  inter- 
pretiit  werden  mufs. 


62  I-    3.  Solon. 

die  man  aus  der  spräche  der  gesetze  herausgesponnen  hatte:  mit  anderen 
Worten,  was  Aristoteles  aus  sich  gibt  fehlt  bei  Phitarch;  was  er  mit 
Aristoteles  gemeinsam  hat,  überkam  also  dieser  bereits  selbst  formulirt. 
er  redigirt  mit  eignem  überlegenen  urteil,  aber  er  redigirt  fremde  urteile. 
^'chisctK'"'^  Das  Verhältnis  ist  also  in  dem  neunten  capitel  kein  anderes  als  in 

''"*"'■  den  vorigen,  und  auch  die  herkunft  dieser  urteile  wird  keine  andere 
sein,  aber  hier  werden  die  leute  bezeichnet,  deren  meinungen  Aristoteles 
wiedergibt,  es  sind  dr]/^tOTiKoi,  die  die  Verdienste  Solons  als  demokrat 
preisen,  und  ßXaocprii.i£lv  ßovk6f.isvoi,  deren  Insinuation  schön  zurück- 
gewiesen wird :  sie  wittern  absieht  in  der  unvollkommenen  spräche  der  ge- 
setze, die  allerdings  viele  processe  hervorruft,  wer  diese  letzteren  waren, 
wird  deuthch  durch  die  anecdote  in  cap.  6  von  Solons  falschen  freunden, 
die  von  der  kommenden  seisachtheia  vorher  unterrichtet  noch  rasch  grund- 
besitz  erwarben,  sicher,  dafs  sie  die  hypothekenschulden  nicht  würden  be- 
zahlen müssen,  auch  diese  geschichte  steht  bei  Plutarch  (15);  aber  da  werden 
statt  des  allgemeinen,  ausdrucks  ol  utalaLÖnXovtoi,  mit  dem  sich  Aristo- 
teles begnügt,  OL  tvsqI  Koviova  xal  KXsLviav  xal  '^iTtTtövLY.ov  genannt, 
in  den  nanien  kommt  der  pferdefufs  persönlicher  verläumdung  zum 
Vorschein,  zur  zeit  des  dekeleischen  krieges  waren  die  nachkommen  dieser 
falschen  demokraten  Konon,  der  seit  407  als  entschiedener  demokrat  in 
ehren  steht,  Alkibiades  und  sein  Schwiegervater  Kallias.  in  der  gene- 
ration  vorher  ist  das  geschlecht  Konons,  in  der  generation  nachher  sind 
die  der  Eupatriden  und  der  Keryken  ohne  poHtische  bedeutung.  über 
das  geschlecht  jener  anaphlystischen  famihe  ist  wol  nichts  bekannt^^), 
aber  die  Eupatriden  und  Keryken  sind  vom  ächtesten  adel,  und  es  kann 
nur  böswiUigkeit  sein,  die  sie  als  naXaiÖTtXovTOi  bezeichnet,  ihren 
reichtum  aber  auf  einen  betrug  solonischer  zeit  zurückführt,  aber  wol 
waren  für  die  attischen  oligarchen  404  und  vielleicht  schon  früher 
keine  gefährlicheren  gegner  vorhanden  als  Alkibiades  und  Konon;  auch 


32)  Für  alten  adel  spricht  der  undurchsichtige  kurzname  Kövcov,  den  zuerst 
der  archon  462/1  trug,  der  grofsvater  des  Siegers  von  Knidos,  wie  man  vermuten 
darf,  man  denkt  an  den  musiker  Kövvos,  dessen  name  sicher  grammatisch  her- 
gehört, an  KoveiSrjs  oder  KovviSas,  den  paedagogen  des  Theseus,  also  einen  Tro- 
zenier,  und  Anaphlystos,  wo  Konon  zu  hause  ist,  ist  selbst  söhn  des  Trozen,  endlich 
an  das  ytvos  id'aysvätv  KovtlSat,  das  wol  nicht  erst  Töpffer  (Att.  Geneal.  310), 
sondern  schon  die  quelle  des  Hesych  auf  jenen  KoveiSi}?  zurückgeführt  hat:  denn 
was  bei  jenem  so  überliefert  ist  KoveiSrj  ysvos  id'ayeveöv:  Kovei8-r}S  jiatSaycoyös 
0Tjatwe  xal  fiatarwQ  kann  eine  verderbte  und  in  zwei  zerrissene  glosse  sein, 
übrigens  ist  das  sprüchwort  Kövvov  x}j^q>os^iv  Kuqos  aiarj  Arist.  Wesp.  675  gänz- 
lich unerklärt  und  schon  von  den  Alexandrinern  vergeblich  zu  deuten  versucht. 


Eine  oligarchische  quelle.  63 

Kallias  war  nicht  so  harmlos,  wie  man  nach  den  aristophanischen  stellen 
wähnen  mag:  der  procefs  des  Andokides  und  die  unfreundliche  rück- 
sicht,  die  ihm  Xenophon  zollt,  beweist  es.  die  hauptgefahr  lag  freilich 
wol  in  seiner  familienverbindung  mit  Alkibiades.  so  führt  diese  ver- 
läiimdung  dazu,  ihre  entstehung  in  den  kreisen  der  attischen  Oligarchie 
zu  suchen,  unter  den  dreifsig.^^)  die  demokratischen  Verteidiger,  die  den 
betrug  zugeben,  aber  den  Solon  persönlich  entschuldigen,  sind  notwendig 
später  als  die  verläumder  aufgetreten  und  waren  leute  der  bekannten 
gutartigen  aber  kritiklosen  sorte,  die  statt  das  factum  zu  bestreiten  oder 
beweis  dafür  zu  fordern,  ihm  durch  eine  schwächliche  ausrede  die  spitze 
abzubiegen  versuchen.^'')  auf  die  dreifsig  weist  mit  Sicherheit  die  In- 
sinuation absichtlicher  Unklarheit  in  den  gesetzen,  um  dem  processiren 
Vorschub  zu  leisten,  denn  Aristoteles  selbst  berichtet,  dafs  die  dreifsig 
um  die  macht  der  Volksgerichte  zu  brechen,  die  clausein  der  solonischen 
gesetze  beseitigt  hätten ,  und  benutzt  dafür  dasselbe  beispiel  aus  dem 
erbrecht  (35,  2^^):   wenn    eben   dieses  bei  Plutarch  (21)  unter  den  be- 


33)  Ob  der  Spitzname  xQ^^^oniSai,  den  Plutarch  auch  gibt,  alt  ist,  mag  ich 
nicht  entscheiden,  denn  der  name  steht  in  einem  nachtrage  am  ende  des  capitels; 
er  ist  für  die  manipulation  des  Konon  und  genossen  nicht  bezeichnend,  und  xQ^oi- 
xonslv  für  'wucherzins  nehmen'  scheint  kein  altattisches  wort  zu  sein.  —  die  ent- 
deckung,  dafs  xQ^ojxoniSai,  nach  'EQfioaoniSai  gebildet  sein  müfste,  erweckt  die 
hofTnung  auf  die  überraschendsten  aufschlösse  über  attische  geschichte.  denn  Srjfio- 
xoTislv  und  ßovXoxoniSai  ist  dann  offenbar  auch  erst  mit  beziehung  auf  die  hermo- 
kopiden  gesagt,  vielleicht  auch  u^toxötzos.  umgekehrt  wird  ein  schuh  daraus,  uns 
ist  der  name  Hermokopiden  geläufig,  aber  nicht  aus  Thukydides  oder  Andokides, 
sondern  aus  Plutarch  Alkib,  20.  21,  und  der  gelehrte  gewährsmann  desselben  hat 
den  namen  aus  der  Komoedie  genommen,  in  der  wir  ihn  einmal  lesen,  Ar.  Lysistr.  1094, 
und  Philochoros  (schol.  Vög.  766)  hat  ihn  dieser  volkstümlichen  aber  spöttischen 
rede  entlehnt,  der  rhetorischen  geschichtsschreibung  ist  er  fremd,  die  Komoedie 
aber,  gewöhnt  an  bildungen  wie  anovSa^x^^""')  '^TioS^aainniSTjs ,  Nummosexpal- 
ponides  und  an  die  composita  mit  metaphorisch  gebrauchtem  xönreiv  wie 
ßovloxoniSai,  u.  dgl.,  liefs  sich  den  Scherznamen,  in  dem  xömsiv  ganz  eigentlich 
stehn  konnte,  nicht  entgehn. 

34)  Androtion  ist  hieran  unschuldig,  da  er  die  seisachthie  in  der  münzreform 
sah,  mufste  er  die  ganze  geschichte  in  jeder  form  verwerfen,  dafs  er  bei  Aristo- 
teles nicht  vorliegt,  folgt  zudem  daraus,  dafs  seine  berücksichtigung  im  zehnten 
capitel  wenig  geschickt  nachgetragen  wird. 

35)  Piaton  Ges.  XI  923  verwirft  zwar  die  solonische  Ordnung  auch,  aber  nicht 
indem  er  die  freie  Vererbung  gestattet,  wie  sein  onkel  Kritias,  sondern  indem  er 
die  Verfügung  in  ähnlicher  weise  wie  in  unsern  fideicommissen  beschränkt,  und 
wenn  er  auf  das  gesetz  (mit  den  worten  iäv  rts  ^^äs  d-coneiais  vnoSqaficüv  iv 
vöaoii   Tj  yrjoa  aaXevovras  na^a  xo  ße^naiov  SiarCd'ead'ai  rcsi&ri)  hindeutet,    um 


64  '•    3.  Solon. 

sonders  vorzüglichen  beslimmungen  Solons  figurirt  und  bei  den  rednern 
des  vierten  Jahrhunderts  bald  so  bald  so  besprochen  wird,  so  konnte 
man  bisher  nicht  ahnen ,  dafs  die  demokratie  aus  hafs  gegen  die 
30  eine  radicale  aber  der  Sachlage  entsprechende  mafsregel  redressirt 
hatte:  jetzt  wird  man  nicht  verkennen,  dafs  die  polemik  der  tyranuen 
gegen  den  Stifter  der  demokratie  in  allen  diesen  äufserungen  nachzuckt, 
und  es  steht  aufser  zweifei,  dafs  die  ansieht,  welche  die  dreifsig  in  der 
gesetzgebung  tatsächlich  befolgten,  von  ihnen  vorher  oder  gleichzeitig 
auch  in  politischen  Schriften  verfochten  worden  ist.  diese  oligarchischen 
tendenzschriften  kommen  bei  Aristoteles  zu  worte;  wir  erkennen  sie  an 
der  tendenz,  und  diese  kann  auch  dann  noch  genugsam  gewürdigt  werden, 
wenn  die  litterarische  Persönlichkeit  ihres  Verfassers  unkenntlich  geworden 
sein  sollte.  Aristoteles  hat  natürlich  sehr  wol  gewufst,  welchen  leuten  und 
Schriften  er  mit  meisterhafter  kürze  den  Stempel  aufdrückte,  der  auf  die 
prefserzeugnisse  extremer  parteien  zu  allen  zeiten  zutrifft,  wir  werden 
sehen,  dafs  er  diese  richtige  Schätzung  nicht  immer  festgehalten  hat. 
i>oiiiik  I!  12.  flier   wird    es  unvermeidhch,   die  kritik  Solons  heranzuziehen,   die 

Aristoteles  in  seinen  lehrvorträgen  früher  gegeben  hatte,  und  da  das 
schlufscapitel  des  zweiten  buches  der  Politik  auf  der  folter  tendenziöser 
interpretation  das  widersprechendste  hat  aussagen  müssen,  auch  schon 
zu  wiederholten  malen  zum  tode  verurteilt  ist,  so  wird  zwar  nicht  eine 
auseinandersetzung  mit  diesen  kritikern  (die  mögen  jetzt  die  PoHtie  athe- 
tiren),  aber  wol  eine  erklärung  nötig. 

Aristoteles  hat  in  dem  cyclus  von  vortragen,  der  in  dem  entwürfe 
eines  idealstaates  gipfeln  sollte,  die  kritik  der  bestehenden  Verfassungen 
geben  wollen,  die  im  rufe  der  €vvo/.ila  standen,  und  ebenso  die  kritik 
der  berühmtesten  theoretischen  Verfassungsentwürfe,  das  stellt  er  in 
dem  eingange  des  zweiten  buches  in  aussieht,  und  dem  entspricht  es, 
dafs  Piatons  beide  hauptwerke  nebst  einigen  geringeren  idealverfassungen 
und  danach  Sparta  Kreta  und  Karthago  besprochen  werden,  es  folgt 
ein  sehr  geistreicher  Übergang,  die  Verfassungen  der  drei  Staaten  werden 
bezeichnet  als  "mit  recht  als  wolgeordnet  berühmt",  damit  sind  wir 
angewiesen  zwar  nicht  eine  behandlung  solcher  Verfassungen  zu  er- 
warten, die  denselben  rühm  mit  unrecht  geniefsen,  aber  doch  eine  ab- 
lehnung  ihrer  behandlung.  man  denke  sich  dies  im  Lykeion  zu  Lykurgos 
zeit  gesprochen,  wo  der  rühm  des  vono^exTqg,  der  die  unverbesserliche 


nicht  die  clausel,  sondern  das  ganze  zu  beseitigen,  so  tritt  er  zu  der  Oligarchie  wie 
zu  der  demokratie  bewufst  in  gegensatz. 


Politik  B  12.  65 

demokratisclie  freiheit  und  gleichheit  begründet  haben  sollte,  allstündlich 
in  allen  gerichtshöfen  ertönte,  und  man  wird  darin  den  sarkastischen  zug 
des  nieisters  nicht  verkennen,  der  auch  in  der  Pohtie  die  stärksten 
Wirkungen  erzielt,  wenn  er  die  frappanten  tatsachen  ledighch  so  hinstellt, 
dafs  sie  durch  ihren  gegensatz  den  leser  zwingen,  die  notwendigen  folge- 
rungen  selbst  zu  ziehen,  der  lehrer  des  Alexandres  mufste  freihch  behutsam 
vorgehn,  aber  er  besafs  die  kunst,  alles  sagen  zu  können,  und  sein  zuhörer- 
kreis verstand  ihn.  er  holt  scheinbar  weit  aus  "über  politik  haben  sich  teils 
männer  verbreitet,  die  dem  öffentlichen  leben  ganz  fern  standen:  über  diese 
ist  das  nötige  bemerkt;  teils  waren  sie  politisch  tätig,  und  auch  von  diesen 
sind  manche  nur  als  gesetzgeber,  in  ihrem  eignen  oder  in  einem  fremden 
lande,  aufgetreten,  und  nur  einzelne  haben  neben  den  gesetzen  auch 
eine  Verfassung  gegeben,  wie  Lykurg  und  Solon,"  da  ist  der  name  ge- 
fallen, und  die  beurteilung  folgt,  wozu  der  umweg,  der  eine  neue  Über- 
leitung und  die  erneute  erklärung  nötig  macht,  dafs  Sparta  erledigt  wäre? 
zweierlei  wird  damit  erreicht,  erstens  wird  Solons  bedeutung  gebührend 
erhoben;  denn  er  hat  geleistet,  was  dazu  berechtigt  ihn  wirkhch  mit 
Lykurg  in  einem  atem  zu  nennen:  er  hat  eine  Verfassung  begründet. 
Aristoteles  ist  hier  klar  geworden,  was  sonst  der  hellenischen  spräche 
und  entsprechend  dem  hellenischen  denken  fern  hegt,  der  unterschied 
zwischen  einem  gesetzbuche  und  einer  Verfassung,  vo^wl  und  vo/iio- 
■d-hrjg  schliefst  gemeiniglich  und  besonders  von  Solon  gesagt  die  Ver- 
fassung d.  h.  das  Staatsgrundgesetz  ein;  auch  Aristoteles,  schon  in  der 
nächsten  zeile,  redet  so.  ja  Aristoteles  hat  so  fein  geschieden,  dafs  wir 
versucht  sind,  ihn  selbst  mit  dieser  Unterscheidung  zu  meistern :  Lykurg 
hat  wol  eine  Ttolixeta,  aber  keine  v6(.ioi  gegeben,  dies  also  dient  der 
hervorhebung  Solons.  das  zweite  ist,  dafs  andere  hochberühmte  gesetz- 
geber hiermit  von  der  berücksichtigung  ausgeschlossen  sind,  wenn  uns 
Charondas^")  und  Zaleukos  sofort  einfallen,  wie  sollte  es  den  zuhörern  des 


36)  Dafs  die  gesetze  des  Ciiarondas  in  Kos  galten,  dürfen  wir  trotz  der  neben- 
form  XaiQcövSas  dem  Herodas  2,  48  entnehmen,  die  einführung  dieser  gesetze, 
der  von  Kos,  verfügt  Lysimachos  für  Lebedos  (Dilt.  Syll.  126).  aus  Strabon  XII  539 
wissen  wir,  dafs  die  des  Charondas  in  Mazaka  galten,  wir  werden  A'ermulen  dürfen, 
dafs  Kos  der  ausgangspunkt  für  ein  nicht  unbeträchtliches  herrschaftsgeblet  dieses 
gesetzbuches  war,  und  Kos  ist  366  durch  einen  bedeutsamen  awoimcfiös  neu- 
gegründet, damals  hat  man  mit  Überlegung  ein  gesetzbuch  gewählt,  es  ist  recht 
merkwürdig,  dafs  die  Chalkidier  des  Westens  so  früh  bedeutende  codificationen 
vornehmen,  und  ein  Rheginer  wieder  bei  den  Chalkidiern  in  Thrakien  ein  rechtsbuch 
entwirft,  in  Syrakus  hat  diese  codification  durch  Diokles  413  stattgefunden  (Diodor. 
XIII  33).  etwa  ein  menschenalter  vorher  in  Rom:  um  griechisches  recht  zu 
T.  Wilamowitz,  Aristoteles.  5 


66  I.    3.  Solon, 

Aristoteles  anders  gegangen  sein?  und  sollten  die  Lesbier  Phainias  und 
Theophrast  nicht  an  ihren  Pittakos  gedacht  haben,  der  in  gleicher  Stellung 
wie  Solon  gewirkt  und  sich  auch  einen  platz  unter  den  Sieben  weisen 
errungen  hatte?  diese  mitbewerber  werden  also  mit  sicherer  band  in 
einen  tieferen  rang  verwiesen. 

Es  folgt  die  behandlung  des  Solon,  von  der  wir  nach  dieser  ein- 
leilung  erwarten,  dals  sie  eine  motivirte  ablehnung  sein  mufs.  aber  Aristo- 
teles müfste  ein  stümperhafter  schriftsteiler  sein,  wenn  er  damit  abbräche, 
denn  jene  umständliche  Überleitung  auf  Solon  ist  nur  als  7CQ07iaqaOY.evri 
berechtigt,  wenn  er  nicht  blofs  die  classe  von  gesetzgebern  unterscheidet, 
welche  keine  Verfassung  begründet  haben,  sondern  unter  diesen  wieder 
solche  die  zu  hause  und  die  in  der  fremde  gesetze  gegeben  haben ,  so 
hat  das  nur  sinn ,  wenn  die  entsprechenden  personen  nachher  namhaft 
gemacht  werden,  und  wirkhch,  es  folgen  auf  Solon  die  Westhellenen 
Charondas  und  Zaleukos  und  der  in  Theben  tätige  Korinther  Philolaos. 
es  ist  unbegreiflich,  wie  diese  namen  jemand  vertreiben  kann,  freilich 
hat  der  vortragende  poHtisch  bedeutsames  nicht  von  ihnen  zu  berichten, 
er  schätzt  sie  ja  nicht  sehr  hoch;  aber  eben  deshalb  teilt  er  geschicht- 
liches über  sie  mit,  gelegentlich  auch  ein  wenig  polemisirend.  ganz  so : 
hat  er  es  vorher  mit  Hippodamos  gehalten^^),   und  selbst  in  der  Politie  i 


erhalten,  brauchten  die  Römer  allerdings  nicht  nach  Athen  zu  schicken,  das  konnten 
sie  da  holen,  wo  sie  den  götterverein  am  forum  boarium,  Apollon  and  die  Sprüche  I 
der  Sihylla,  schrift  und  mafs  hernahmen,  aber  nach  griechischem  vorbild  sind  diel 
XII  tafeln  gemacht;  daran  wird  das  misbehagen  der  Juristen,  die  allenfalls  indo-! 
germanisch,  aber  kein  griechisch  anerkennen  mögen,  nichts  ändern,  beiläufig:  die 
namen  avyuXrjtos  und  SrjfiaQxoi  sind  neapolitanisch,  das  wissen  wir  nun,  aber  das: 
sind  nur  Übersetzungen  der  römischen  senatus  und  tribunus.  aedilis  heifst  später • 
ayoQavöfios,  aber  das  lateinische  wort  ist  seltsam  für  das  amt,  für  die  unterbeamten  i 
der  SrjfiaQxflt-  da  dürften  vielleicht  die  ionischen  vaonoioi  das  vorbild  geliefert: 
haben,  und  der  Cerestempel  eine  grofse  bedeutung  gehabt  haben,  nur  wissen  wir 
zu  wenig  von  den  italischen  Chalkidiern,  um  bei  ihnen  vaonoioi  aufzeigen  zu  können.! 
37)  B  1267'':  natürlich  fehlt  es  nicht  an  solchen,  die  dem  Aristoteles  mit  ge-j 
walt  den  pedantismus  eines  wolparagraphirten  coUegienheftes  aufzwingen,  bei  demj 
der  Zuhörer  einschläft,  das  laster  der  recapitulationen  und  der  erklärungen,  dafsl 
nachdem  nun  der  eine  gedanke  zu  ende  gedacht  wäre,  der  andere  an  die  reihe  käme,f 
hat  Aristoteles  als  vortragender  lehrer  allerdings  besessen,  aber  auch  das  ist  das! 
lastereines  redners:  als  rede  aufgefafst,  verlieren  die  akroamatischen  Schriften  sehrl 
viel  von  dem  was  den  leser  allerdings  ärgert,  aber  beredt  war  Aristoteles  offenbar' 
nur  mit  der  feder:  sonst  hätte  er  nicht  all  das  gleichgiltige  zeug  mit  aufgeschrieben., 
Antipatros,  der  an  ihm  die  nei&cö  bewunderte,  hat  damit  der  empfindung  ausdruckj 
gegeben,  die  seine  logische  unüberwindlichkeit  macht,  es  ist  nicht  die  dulcis  suadela,\ 
sondern  die  nsid'avttyxj]. 

i 


Politik  B  12.  67 

widersieht  er  der  freude  an  einer  guten  geschichte  nicht  leicht,  ganz 
eben  so  stümperhaft  wäre  es,  wenn  Aristoteles  in  diesem  zusammenhange 
Phaleas  und  Piaton  genannt  hätte,  nicht  weil  er  von  ihnen  schon  ge- 
handelt hat,  sondern  weil  sie  als  theoretiker  aus  diesem  kreise  heraus- 
fallen, und  was  von  diesen  beiden  gesagt  wird,  ist  aus  sich  heraus  gar 
nicht  verständlich:  bei  einer  "ausgleichung  des  besitzes",  die  von  Phaleas 
angeführt  wird,  kann  sich  niemand  ohne  weiteres  etwas  denken,  folg- 
lich hat  nicht  Aristoteles,  sondern  ein  leser  diese  recapitulation  (1274'' 
9 — 15)  eingefügt,  dadurch  werden  die  letzten  bemerkungen  über  Drakon, 
Pittakos  und  Androdamas  einigermafsen  mit  verdächtigt,  da  für  sie  die 
Vorbereitung  oben  nicht  mehr  zieht,  indessen  können  die  bemerkungen, 
welche  diese  drei  als  minderwertig  abtun  mit  dem  fremden  zusatze 
nicht  in  einem  zuge  geschrieben  sein,  wol  aber  mit  den  ächten  worten 
über  Philolaos  und  Charondas.  also  behaupten  die  letzten  sätze  ihren  platz, 
bis  sie  jemand  aus  sich  der  unächtheit  überführt,  man  wird  aber  nicht 
leugnen,  dafs  Drakon  und  Pittakos  ein  wort  mindestens  ebenso  ver- 
dienten wie  Philolaos,  was  von  Pittakos  erwähnt  wird,  die  ablehnung 
der  trunkenheit  als  mildernder  umstand,  ist  von  Aristoteles  in  der  Rhe- 
torik (II  25)  erwähnt;  es  war  eine  allgemein  bekannte  Singularität. 
Drakon  wird  ebenfalls  genau  so  beurteilt,  wie  es  von  der  öffenthchen 
meinung  und  der  attischen  chronik  geschah  (Plut.  Sol,  17),  der  Wider- 
spruch mit  der  Politie  ist  allerdings  vorhanden,  aber  dort  ist  seine  Ver- 
fassung eine  einlage,  und  nichts  verbietet  anzunehmen,  dafs  Aristoteles 
ein  Jahrzehnt  oder  auch  fünf  jähre  später  etwas  neues  zugelernt  habe, 
vielleicht  wird  mancher  mit  mir  die  ächtheit  dieser  sätze  besonders 
um  des  sonst  ganz  unbekannten  Androdamas  willen  glauben,  dieser 
Rheginer  hat  den  Städten  auf  der  Chalkidike  ihre  gesetze  verfafst,  der 
Stagirite  Aristoteles  war  also  unter  ihnen  aufgewachsen:  wem  lag  der 
name  näher  als  ihm,  und  wenn  gerade  gesetze  über  blutrecht  und  über 
erbtöchter  von  ihm  flüchtig  erwähnt  werden,  so  glaubt  man  die  ge- 
dankenverbindung  zu  erkennen,  die  den  Aristoteles  von  Solon  und  Drakon 
auf  Androdamas  führte,  wenn  auch  nur  um  diese  kindheitserinnerung 
mit  einem  worte  abzutun, 

Schhefshch  kommt  auf  diese  letzten  sätze  nicht  eben  viel  an,  um 
so  mehr  auf  die  beurteilung  Solons,  die  eben  so  weise  wie  klug  ge- 
schrieben ist,  weise,  weil  sie  gerecht  ist,  klug,  weil  sie  es  dem  hörer 
überläfst,  das  urteil  zu  formuliren,  das  ihm  durch  die  bilhge  abwägung 
anderer  urteile  vorbereitet  ist, 

"Einige   halten  Solon   für  einen   guten   gesetzgeber;   er  habe  eine 

5* 


68  1-3.  Solon. 

übertriebene  Oligarchie  beseitigt  und  durch  eine  richtige  mischung  der 
Verfassung  die  ächte ^*)  demokratie  begründet,  denn  der  rat  auf  dem 
Aresbügel  sei  oligarchisch ,  die  wähl  der  beamten  (d.  h.  ihre  besetzung 
durch  die  begüterten)  aristokratisch,  das  volksgericht  demokratisch",  dieses 
günstige  urteil  schränkt  Aristoteles  durch  die  tatsächliche  berichtigung  ein. 
"man  mufs  aber  als  vvahrscheinhch  betrachten,  dafs  der  Areopag  und  die 
wähl  der  beamten  schon  vor  Solon  bestanden  haben,  und  er  sie  nur  nichts 
abgeschafft  hat.  die  volksherrschaft  aber  hat  er  begründet,  indem  er  die 
geschwornen  aus  allen  Athenern  nahm",  nun  kommen  die  tadler  zu  worte. 
"denn  er  habe  alles  übrige  zerstört,  indem  er  dem  volksgericht,  das  ja  durch 
das  los  bestimmt  ward,  die  entscheidung  in  allem  verheb,  denn  als  das 
einmal  die  macht  hatte,  hätten  sie  ihm  wie  einem  tyrannen  zu  gefallen, 
die  Verfassung  zu  der  jetzigen  demokratie  gemacht. ^^)  den  areopagitischen 
rat  hätten  Ephialtes  und  Perikles"")  beschränkt,  die  diaeten  für  die  richter 


38)  SrjfioicQaTiav  xaraazTiaai  ttjv  tvcctoiov.  die  Wortstellung  hebt  das  Schlag- 
wort als  solches  hervor,  was  die  leute  wie  Theramenes  mit  diesen  biedern  demo- 
kraten  gegenüber  den  dreifsig  vereinte,  und  was  sie  von  ihnen  schied,  liegt  darin, 
dafs  sie  tt^p  när^iov  noXireiav  Sieoxovat,  vgl.  29,  3,  34,  3  und  mein  capitel  '^näxQios 
noXirsia  '. 

39)  eis  iTjv  vvv  SrjuoxqaTiav  xarsarriffav,  nicht,  wie  conjicirt  ist,  fiers- 
arrjaav:  sonst  wäre  ja  eine  Umgestaltung  der  solonischen  Verfassung  zugestanden, 
während  diese  kritiker  ihn  für  die  vvv  xardaraais  verantworlich  machen. 

40)  Die  beteiligung  des  Perikles  darf  nicht  mehr  beanstandet  werden,  da  Aristo- 
teles selbst  bezeugt  (27,  1),  dafs  er  dem  Areopag  rechte  genommen  hat,  geschweige 
denn  dafs  man  den  Themistokles  hinter  Ephialtes  einsetze;  die  anekdote  hat  Aristo- 
teles sogar  schwerlich  damals  schon  gekannt,  vielmehr  zeigt  sich,  dafs  Plutarch 
(Per.  9)  einem  wolunterrichteten  gewährsmanne  (Theopomp)  folgt,  wenn  er  unmittel- 
bar hinter  der  einführung  des  soldes  die  beschränkung  des  Areopages  durch  Perikles 
erwähnt.  Plutarch  hat  nur  selbst  Verwirrung  gestiftet,  indem  er  von  sich  aus  den 
ihm  bekannten  Ephialtes  einmischt  und  dahinter  den  ostrakismos  Kimons.  als  an- 
tragsteiler wider  den  Areopag  wird  sich  Perikles  des  Archestratos  bedient  haben, 
dessen  gesetze  die  dreifsig  cassirten  (35,  2).  das  ist  l^oxearQaros  ylvxourjSovi 
<PXvsie,  der  beim  volke  die  abschaffung  der  gerichtshoheit  der  Chalkidier  durchsetzt 
(CIA  IV  p.  11),  gegen  Poteidaia  Stratege  ist,  und  429/28  obmann  der  Schatzmeister 
Athenas  (CIA  I  122).  den  Vatersnamen,  der  auf  die  Lykomiden  deutet,  gibt  Thuky- 
dides  (I  57),  den  demos,  den  man  wünscht,  die  schalzmeisteruikunde,  wo  ein  name  von 
fünf,  wie  in  der  nächsten,  oder  von  sechs  buchstaben,  wie  in  der  übernäclii-toii 
zeile  gefordert  wird,  sein  bruder  wird  der  feidherr  KleofirSts  yivyo/u^Sovs  (Plvevi 
sein  iCIA  IV  p.  32).  ob  der  demokrat  XaiQtas  ^AQxeaxQärov ,  411  raftias  ttjs 
IJaQaXov  (Tliuk.  VllI  74),  sein  söhn  ist,  bleibt  ungewifs.  denn  einen  XaiQäas  hat 
Eupoiis  in  den  Bapten  als  IsVos  bezeichnet,  womit  der  scholiast  vergeblich  den 
XaiQEOv  viöe  erklären  will,  der  als  awr^yo^os  in  den  Wespen  687  vorkommt,  und 
den   ich   nicht  kenne,    ein  Archestratos  lebte  damals,   der   sehr  häfslich   war  und 


Politik  ß  12.  69 

Perikles  eingeführt,  und  jeder  demokratische  Staatsmann  wäre  in  dieser 
richtung  fortgeschritten  bis  zu  der  jetzigen  demokratie".  auch  das 
wird  tatsächlich  berichtigt  "es  hegt  am  tage,  dafs  diese  entwickelung  nicht 
in  der  absieht  Solons  gelegen  hat,  sondern  die  folge  von  ereignissen  ist, 
die  er  nicht  voraussehen  konnte,  das  volk  ist  durch  den  erwerb  der  see- 
herrschaft  übermütig  geworden  und  hat  sich  schlechte  führer  genommen 
trotz  dem  widerstände  der  verständigen.  Solon  selbst  hat  ja  dem  volke 
nur  die  allernotwendigste  macht  verheben,  das  active  Wahlrecht  und  die 
controlle  der  beamten ;  ein  volk,  das  nicht  einmal  so  viel  besäfse,  würde 
unfrei  und  in  folge  davon  den  herrschenden  feindhch  gesonnen  sein, 
das  passive  Wahlrecht  für  alle  ämter  gehört  nach  Solon  den  höheren 
und  begüterten  schichten  der  bürgerschaft,  den  pentakosiomedimnen,  zeu- 
giten  und  drittens  der  steuerclasse,  die  ritter  heifst.^'}  die  vierte  sind  die 
theten;  die  hatten  an  gar  keinem  amte  anteil". 

So  sind  beide  kritiken  berichtigt,  eine  eigne  wird  nicht  formuhrt, 
geschweige  denn  die  folgerung,  welche  die  Politik  praktisch  zieht,  die 
fortlassung  der  solonischen  Verfassung  aus  der  reihe  der  "mit  recht  be- 
lobten", worin  freilich  die  schärfste  kritik  liegt,  summiren  wir  also 
aus  den  einzelposten  die  aristotehsche  ansieht,  die  jetzige  demokratie, 
über  die  kein  wort  zu  verlieren  nötig  ist,  hat  Solon  weder  gewollt  noch 
geahnt;  sie  mufs  also  bei  seiner  beurteilung  unberücksichtigt  bleiben, 
die  demente,  die  nicht  demokratisch  sind,  den  rat  der  Areopagiten  und 


deshalb  'söhn  der  haubenlerche'  hiefs  {KoqvSevs  von  xo^vSaUös  gebildet,  Eupolis 
im  Goldenen  Zeitalter  4,  Komikerglosse  inteipolirt  als  Zenob.  IV  59,  daraus  im 
Hesych);  vielleicht  war  er  der  seher,  von  dem  Polemon  erzählt,  dafs  er  als  kriegs- 
gefangener  gewogen  nur  einen  obolos  wog  (Athen.  Xll  552<=),  ein  anderer  wird  als 
cumpan  der  söhne  des  Perikles  von  Anlisthenes  schmutziger  dinge  bezichtigt  (Ath. 
V  220*').  man  wird  an  die  'innoxQärovs  vrjvia  erinnert,  in  der  der  junge  Perikles 
bekanntlich  lebte,  diesen  wird  man  mit  dem  Archestratos  von  Phrear  identificiren, 
der  mit  Perikles  406/5  Stratege  war  und  vor  Mytilene  fiel  (Xen.  Hell.  I  5,  16. 
Lysias  21,  8).  ein  anderer  safs  405/4  im  rate  (Xen.  Hell.  II  2,  15).  einer  von  diesen 
gibt  ein  urteil  über  Alkibiades  ab  (Plut.  Alkib.  16,  5).  es  leuchtet  ein,  dafs  man 
die  personen  nicht  sondern  kann ,  und  schwerlich  werde  ich  alle  stellen  gesammelt 
haben. 

41)  Ist  es  schon  an  sich  eine  lediglich  von  modernem  Stilgefühl  dictirte 
forderung,  dafs  Aristoteles  die  classen  in  ihrer  richtigen  folge  nennen  soll,  so  ist 
jetzt  klar,  weshalb  er  sagt  xai  tqItov  tHovs  t^s  xalovfxsvrjs  InnäSos.  er  will 
nicht  iTtTiEcov  sagen,  weil  man  sonst  ritter  verstehn  könnte,  und  er  billigt  die  ab- 
leitung  des  namens  von  der  imioTQOfia  nicht  (vgl,  7,  4),  die  doch  andere  an- 
nahmen, deshalb  wählt  er  eine  periphrase,  und  nun  tritt  dieses  längere  glied  aus 
rücksichten  des  wolklanges  an  den  schlufs. 


70  I-    3-  Solon. 

das  passive  Wahlrecht  der  hegiiterten,  hat  er  bereits  vorgefunden;  die 
kommen  also  für  seine  beurteiliing  auch  nicht  in  betracht.  auch  das  active 
Wahlrecht  des  volkes  ist  keine  neuerung  von  ihm:  es  blieb  also  nur  x6  rag 
aQxag  (.v^vvelv,  die  controUe  der  beamten  (die  durch  ein  gericht  erfolgt), 
wie  es  an  der  einen  stelle,  die  aus  allen  bürgern  erlosten  richter,  wie  es 
umfassender  an  der  andern  heifst.  damit  erfüllte  Solon  eine  unabweisbare 
forderung  des  volkes,  aber  die  Volksgerichte,  durch  die  er  sie  erfüllte,  haben 
tatsHchlich  alle  übrigen  institutionen  sich  dienstbar  gemacht  und  zu  der 
jetzigen  demokratie  geführt,  einer  positiv  schlechten  Verfassung,  wenn 
das  wider  Solons  absieht  geschehn  ist,  so  entlastet  das  den  weisen  und 
wolwoUenden  mann  moralisch:  aber  er  kann  dann  unmöglich  ein  ge- 
setzgeber  sein,  bei  dem  ein  pohtischer  theoretiker  viel  lernen  kann,  seine 
Verfassung,  die  "rtdrQLog  7toXtTela\  mag  das  lob  einer  guten  mischung 
verschiedner  demente  immerhin  verdienen,  auch  wenn  er  selbst  ihr  diese 
demente  nicht  erst  zugeführt  hat.  aber  diese  Verfassung  ist  es  nicht, 
die  die  menschen  meinen,  welche  Solons  lob  singen ;  sie  kann  überhaupt 
nur  durch  historische  forschung  nach  Wahrscheinlichkeit  festgestellt  werden, 
und  fällt  schon  deshalb  fort,  weil  sie  controvers  ist.  rund  heraus  würde 
Aristoteles  zu  seinen  zuhörern  etwa  so  haben  sprechen  können.  "Ihr 
erwartet  hier  nun  eine  kritik  der  Verfassung,  unter  der  wir  leben,  der 
solonischen.  es  tut  mir  leid,  aber  sie  gehört  nicht  her.  die  jetzt  in 
Athen  bestehende  demokratie  meine  ich  ja  immer,  wenn  ich  von  der 
typischen  "^demokratie"  rede,  und  wir  wissen  alle,  dafs  sie  schlecht  ist. 
nun  tut  man  Solon  freilich  schweres  unrecht,  wenn  man  ihn  als  ihren 
Stifter  ansieht:  er  hat  so  etwas  wahrlich  nicht  beabsichtigt,  aber  eine 
folge,  wenn  auch  eine  unbeabsichtigte,  seiner  Schöpfung,  der  volks- 
gerichte,  ist  sie  allerdings,  und  schon  deshalb  kann  seine  wirkliche  Ver- 
fassung auch  nicht  schlechthin  gut  gewesen  sein,  übrigens  war  er  gar 
kein  schöpferischer  Organisator  auf  dem  politischen  gebiete,  und  sein 
werk  als  ganzes  hat  auch  nur  eine  ganz  kurze  zeit  bestand  gehabt, 
also  gehört  weder  er  noch  sein  werk,  wie  es  wirkhch  war,  noch  wie  es 
umgestaltet  jetzt  besteht,  hierher,  festhalten  wollen  wir  nur  das  hebeus- 
würdige  bild  des  weisen  Solon ,  das  in  seinen  gedichten  vor  uns  steht, 
und  das  wollen  wir  uns  durch  keine  mafslosigkeit  in  bewunderung  oder 
Verunglimpfung  trüben  lassen,  er  war  ein  einziger  mann:  noch  keiner 
hat  es  ihm  nachgetan,  die  macht,  die  er  in  den  bänden  hatte,  ledigHch 
zum  vorteil  des  ganzen ,  zu  einer  Verfassung  zu  verwenden ,  die  die 
rechte  mitte  zwischen  demokratie  und  aristokratie  hielt.'"^)  und  wenn 
42)  Dieses  in   dem   munde  des  verehreis  der  miltelstraCse  besonders  hohe  lob 


Politik  B  12.  71 

sein  werk  keine  dauer  gehabt  hat,  so  war  doch  was  er  gewollt  hat 
edel  und  gut,  und  zwischen  seinen  beurteilern  findet  ihr  euch  am  besten 
durch,  wenn  ihr,  wie  ich  es  hier  getan  habe,  sein  eigenes  wort  zu 
gründe  legt 

drj(.i(o  (.lev  yccQ  %dcoy.a  xöaov  y.QaTog  Öggov  Ci7iaqy.sl 
Ti/iirjg  ovT^   a(p€?^cov  ovz    krtOQeS,ä(.ievog. 

ot  d^  elxov  ßioTov  ymi  XQri(.iaOLV  ^aav  ayi]Toi, 
xa«  TOLO  scpqaoaf.ii]v  (.irjosv  aeixeg  sxsiv^). 
Die  beurteilung  der  person  und  des  Werkes  ist  an  beiden  orten 
wesenthch  dieselbe;  ihr  hauptunterschied  hegt  darin,  dafs  die  verfassungs- 
geschichte  Athens  die  wirtschafthche  reform  Solons  in  den  Vordergrund 
rückt,  die  für  die  theoretische  speculation  nicht  in  betracht  kam.  aber 
da  beide  darstellungen  unabhängig  von  einander  sind,  und  keine  ein 
volles  bild  der  solonischen  Institutionen  gibt,  so  müssen  wir  sie  ver- 
gleichen und  für  deren  Vollbild  aus  beiden  züge  nehmen,  beide  geben 
an,  dafs  der  rat  auf  dem  Areshügel  schon  vor  Solon  eine  wichtige 
Verwaltungsbehörde  war,  woran  er  nichts  änderte,  beide  legen  auf  die 
einsetzung  der  Volksgerichte  den  höchsten  wert,  aber  die  Politik,  weil 
sie  die  evd-vva  der  beamten  besorgen,  die  PoUtie,  weil  die  sg)soig  an  sie 
allgemein  gestattet  ist,  nebenher  weil  jeder  für  jeden  rechtshelfer  werden 
kann,  jene  versteht  also  unter  evd-vva  nicht  blofs  die  rechenschafts- 
abnahme,  sondern  die  controlle,  das  gerade  machen  von  OKolial  ^if.uo%eg 
der  beamten,  was  das  wort  ja  zunächst  heifst.  in  beiden  tritt  der  rat 
für  uns  auffallend  zurück,  ja  die  Politik  nennt  ihn  gar  nicht:  sie  hat 
also  seine  mitwirkung  wesenthch  in  die  controlle  der  beamten  verlegt, 
und  seit  wir  wissen,  dafs  die  euthynen  ratsherrn  sind,  poleten,  Schatz- 
meister, apodekten  (kolakreten)  unter  dem  rate  stehn,  ratsherren  die 
rechnung  für  alle  beamten  führen,  darf  uns  das  weniger  verwundern."^) 
ein  Widerspruch  scheint  dagegen  in  betreff  der  beamtenwahl  vorzuHegen. 


steht  an  späterer  stelle  (//  11,  1296 «),  und  wird  dadurch  noch  eindrucksvoller,  dafs 
Aristoteles  den  namen  nicht  nennt,  also  von  seinen  zuhörern  erwartet,  dafs  sie  den 
einzigen'  erkennen  würden. 

43)  Ganz  deutlich  liegt  dieser  spruch  zu  gründe,  wenn  Aristoteles  sagt  toixe 
Tt]V  dvctyxaiordrrjv  dnoSiSövai  reo  Srjfico  Svvafiiv,  ro  ras  o(>;^nS  aiQeXad'ai  (was 
es  schon  hatte,  1274*  2)  aal  svd'vveiv  ras  8'  doxne  ex  rcöv  yvioQificov  xai  rwv 
svTfÖQOJi/  xars'atTjae  näaai. 

44)  Gesetzt  Aristoteles  hätte  schon  damals  die  Verfassung  Drakons  gekannt, 
so  wufste  er,  dafs  Solon  den  rat  auch  übernommen  hatte,  aber  gerade  das  würde 
er  wol  hervorgehoben  haben,  denn  Solons  Verantwortung  für  die  demokratie  sinkt 
dadurch. 


72  I-    3.  Solon. 

nach  der  Politie  hat  Solon  für  die  archonten  und  eine  anzahl  anderer 
behürden,  die  vorher  vom  Areopag  besetzt  worden  waren,  die  losung 
aus  einer  durch  die  phylen  praesentirten  hste  eingeführt,  in  der  PoUtik 
gibt  er  an,  dafs  Solon  dem  volke  die  wähl  der  beamten  gab  oder 
vielmehr  liefs.  es  ist  nicht  wol  zu  glauben ,  dafs  er  seine  ansieht 
geändert  halte,  also  sind  wir  zu  dem  Schlüsse  gezwungen,  dafs  aiQelo&ai, 
tag  aQx<^S  ^^n  einem  v.XriQovv  «z  ytQoytQiTiov  auch  verstanden  werden 
kann,  und  in  der  tat  ist  das  möglich,  vor  allen  dingen  steht  bei  Aristn- 
teles  selbst  26,  2  rrjv  twv  kvvecc  aQxöwtov  ai'geotv  ovy.  emvoir, 
aXX'  —  1/  riJöv  ^svyiTCüv  eyviooav  TiQozQiveoO^at  rovg  •/.IriQwd^rjOOf.ii- 
vovg.  die  stelle  genügt  eigenthch  allein,  aber  um  der  Wichtigkeit  der 
Sache  willen  möge  hier  mehr  stehn.  Isokrates  rühmt  im  Areopagitikos 
den  wahlmodus  der  ^aTQiog  TtoXirsia  (22),  wo  sie  lebten  ovy.  k^  anav- 
Tiüv  rag  a(>x«S  y.liqQOvvT£g,  aXXa  rovg  ßelziOTOvg  yial  rovg  Ixavio- 
TccTovg  Icp'  exaoTov  rüiv  egycov  7CQoxQtvovT€g,  und  das  sogar  für  demo- 
kratischer hielten  als  das  los,  kv  /nev  yag  rij  yilrjQioosL  rijv  rv^r^v 
ßgaßeioeiv  /.al  jtolXäv.ig  XrjijJcoS-ai  rag  aQxag  rovg  oXiyaQxiccg  hci- 
^vf.wvvtag,  ev  de  tw  ngoy.Qlveiv  rovg  ETtur/ieOTccvovg  rbv  d'^/.iov 
eoeöd^aL  y.vQwv  sXiod^ai.  in  dem  Staate  der  platonischen  Gesetze  ist 
die  losung  aus  erwählten  candidaten  für  den  rat  vorgeschrieben,  und  es 
wird  ausdrücklich  hinzugefügt  rj  aigeotg  ovno  yiyvoi-ievr]  (.leoov  uv 
exoL  f.iovaQXL'/.r}g  yial  drjfioKQazurjg  noXiteiag  (756).")  im  jähre  4 1 1 
sollte  der  provisorische  rat  der  400  Ix  Tr^o-ngircov  bestehn,  ovg  av 
sXwvraL  ol  (pvXitai  (31,  1);  die  losung  aus  den  nq6%qiT0L  ist  schlau 
übergangen,  ward  aber  von  den  5000,  die  den  antrag  annahmen,  ohne 
zweifei   verstanden:    directe    nominirung   ist   eben   keine   Ttqö'/.oLOig:") 

45)  Die  platonische  stelle  hat  mit  der  isokrateischen  eine  starke  ähnlichkeit, 
namentlich  weil  sich  beide  male  eine  auseinandersetzung  über  wahre  und  falsche 
gleichheit  daran  schliefst  (zu  dieser  vgl.  auch  Plut,  Sol.  14,  2).  ich  bitte  den 
leser,  die  stellen  aufzuschlagen;  sie  sind  in  dieser  zeit,  wo  die  platonische  frage 
mit  anspielungen  gelöst  wird,  sehr  belehrend,  denn  Isokrates  kann  die  Gesetze  im 
Areopagitikos  nicht  benutzt  haben,  und  Piaton  das  sechste  buch  der  Gesetze  nicht 
wol  nach  dem  Areopagitikos  verfafst  haben,  gesetzt,  er  hätte  als  greis  bei  dem 
feindseligen  rhetor  lernen  wollen  oder  können,  die  gedenken,  die  beide  vortragen, 
waren  weder  neu  noch  ihnen  eigentümlich;  gedacht  sind  sie  von  den  führenden 
Politikern  der  ■näxQio'i  noXneia  am  ende  des  fünften  Jahrhunderts,  als  Piaton  und 
Isokrates  jung  und  empfänglich  waren,  einander  ganz  gut  kannten  und  dieselben 
politischen  anregungen  empfiengen,  die  sie  jeder  in  seiner  weise  als  männer  fort- 
gebildet haben,  selbst  dafs  Piaton  die  drakontische  Verfassung  gekannt  hat,  lasse 
ich  für  meinen  beweis  ganz  fort,  obwol  ich  es  glaube. 

46)  Diese  bestellung  des  rates  ix  n^ox^itcov  gilt  den  leuten  von  411  für  xar« 


Politik  B  12.  73 

Hypereides  (Euxen.  26)  sagt  aiged^eig  vtco  oov  und  bezeichnet  damit  die 
designation  eines  von  der  phyle  zu  wählenden  ovvrjyoQog,  wo  also  etwa 
TtQoßalXsLV  statt  aiQelGd^ai  erwartet  wird,  es  ist  in  dem  wahlmodus  des 
/.IriQOvv  £"/  7iQoy.Qiriov,  der  erlosung  aus  einer  durch  wähl  bestimmten 
liste,  Zufall  und  absieht  combinirt,  und  je  nach  dem,  auf  welchen  der 
beiden  acte  der  redende  gewicht  legt,  kann  er  das  ganze  danach  bezeichnen, 
so  stellt  Aristoteles  selbst  22,  4  die  agxovTeg  aigetoL  dem  Y.va(.iBveiv 
Ix  TiQOXQLd-hrtüv  entgegen,  und  kann  doch  rag  agxag  aiQelad^ai  von 
diesem  letzteren  wahlmodus  sagen,  aiQSla^at  ist  eben  eine  vox  media,  wo 
auf  die  directe  volkswahl  etwas  ankommt,  wie  bei  allen  militärischen 
Chargen,  ist  der  unzweideutige  ausdruck  x^iqotovsIv  feststehend,  wir 
verfügen  nicht  leicht  über  analoga,  aber  wir  betrachten  doch  den  ab- 
geordneten als  einen  gewählten,  über  den  in  der  Stichwahl  das  los  ent- 
schieden hat,  und  wenn  z.  b.  die  kreistage  fünf  candidaten  wählten,  von 
denen  einer  als  Vertreter  des  kreises  im  provinziallandtage  ausgelost 
würde,  so  könnte  dieser  sowol  als  ein  gewählter  Vertreter  angesehn 
werden,  wie  im  gegensatze  zu  dem  direct  gewählten  reichstagsabgeord- 
neten als  erlost,  erst  darin  kann  man  wirkHch  eine  Schwierigkeit  finden, 
dafs  die  wähl  der  beamten  in  der  Pohtik  vorsolonisch  heifst,  während 
nach  der  Pohtie  der  Areopag  die  meisten  stellen  bis  auf  Solon  besetzte, 
allein  das  löst  sich  so,  dafs  ja  nur  die  archonten  beamten  sind,  auf  die 
es  für  die  Verfassung  ankommt,  und  die  werden  in  der  tat  vorher  ge- 
wählt, und  zwar  TtlovTirdrjv  (3,  6).  da  also  die  erlosung  aus  einer  liste 
gewählter  candidaten,  die  einzige  neuerung  Solons,  mit  recht  oder  un- 
recht dem  Aristoteles  wie  dem  Isokrates  unwesenthch  schien,  weil  sie 
den  aristokratischen  Charakter  des  wahlmodus  nicht  beeinflufste,  so  hatte 
er  vollkommen  recht,  zu  reden  wie  er  getan  bat.") 


T«  näiQia,  und  auf  eine  von  den  demen  festgestellte  liste  von  TiQoxQid'ävte?  geht 
der  rat  immer  zurück,  aber  sie  forderten  411  den  Vorschlag  der  phyle.  ich  zweifele 
nicht,  dafs  uns  dadurch  der  wahlmodus  des  solonischen  und  drakonischen  rates 
erhalten  ist.  erstens  spricht  die  analogie  dafür,  und  dann  hat  niemand  später  die 
alten  Institutionen  so  gut  gekannt  wie  die  Antiphon,  Theramenes  und  genossen. 

47)  Dabei  habe  ich  die  Voraussetzung  festgehalten,  dafs  Aristoteles  in  der 
Politik  von  ürakons  Verfassung  nichts  wufste.  in  ihr  ist  die  wähl  der  hohen  be- 
amten nach  vermögensclassen ,  daneben  für  andere  niedere  beamte  das  los  vor- 
gesehn.  wenn  sie  mitgerechnet  wird,  ist  die  stelle  über  die  wähl  ohne  weiteres 
klar,  aber  die  Politie,  die  den  Drakon  kennt,  führt  zwar,  wie  wir  gesehen  haben, 
die  steuerclassen  als  solonisch  auf,  ganz  wie  die  Politie,  doch  mit  dem  dort  fehlenden 
Zusätze,  dafs  sie  älter  waren,  das  kann  er  nicht  wol  gewufst  haben,  als  er  die  Politik 
schrieb. 


74  I-    ^-  Solon, 

Ergebnis.  Erst  jetzt,  nachdem  das  capitel  der  Politik  inhaltlich  erklärt  ist,  kann 

es  dazu  verwandt  werden,  weshalb  seine  hesprechung  eigentlich  allein  an 
dieser  stelle  nötig  war,  die  lobredner  und  tadler  Solons  kennen  zu  lehren, 
die  letzteren  sind  ganz  offenbar  dieselben  ßXaoq)ri(.ielv  ßovX6f.uvoi,  mit 
denen  sich  die  Politie  auseinandersetzt,  denn  an  beiden  orten  wird  der- 
selbe Vorwurf  ähnlich  zurückgewiesen,  das  ist  also  die  kritik  der  oU- 
garchen,  welche  wirkHch  die  solonische  Verfassung  umgestürzt  haben, 
schritten  von  ihnen  kannte  Aristoteles  also  vielleicht  schon  eh  er  an  di( 
ausarbeitung  der  Politie  gieng,  aber  wenn  sie,  was  ich  allerdings  für  sehr 
wahrscheinlich  halte,  in  den  Atthiden,  die  Aristoteles  vorwiegend  benutzt, 
abgewiesen,  also  auch  ihre  urteile  angeführt  waren,  so  ist  für  uns  wedei 
möglich  noch  wichtig  zu  wissen,  was  Aristoteles  hier  oder  dort  ihnen 
direct  oder  indirect  verdankt,  erst  wenn  wir  mehr  auf  diese  tradition 
zurückführen  können,  mag  sich  das  aufhellen,  in  jedem  falle  vernehmen 
wir  einen  nachhall  der  leidenschaftlichen  angriffe,  welche  den  Stifter  der 
demokratie  trafen,  weil  die  oligarchische  reaction  sein  werk  beseitigen 
wollte. 

Dagegen  zeigt  die  Verteidigung  durch  die  dr]f.wTr/.oi,  von  der  die 
Politie  berichtet,  keine  Verwandtschaft  mit  seinen  lobrednern  in  der 
PoHtik.  diese  sind  gar  keine  demokraten,  denn  sie  loben  die  gute 
mischung  seiner  Verfassung,  sie  haben  geurteilt,  dafs  jede  der  drei  seit 
der  Sophistenzeit  und  schon  früher^*)  anerkannten  Verfassungsformen  ein 
gutes  teil  berechtigung  hätte,  und  darum  für  die  wirklich  gute  Verfas- 
sung eine  mischung  der  drei  demente  verlangt,  sie  haben  sie  in  der 
solonischen  und  ganz  besonders  in  der  lykurgischen  gefunden  (1265''  33), 
denn  da  reden  offenbar  dieselben  leute,  und  für  diese  beurteilung  Spartas, 
also  das  alter  dieser  theorie  zeugen  nachdrückUch  Isokrates  Panath.  153, 
und  schon  Piaton  Ges.  IV  712''.  bekanntlich  hat  dieser,  in  der  plato- 
nischen ^^)  und  aristotelischen  theorie  nicht  anerkannte  gedanke  der  mischung, 
später,  vielleicht  bei  Dikaiarchos^"},  sicher  in  der  jüngeren  Stoa^*)  und 


48)  Pindar  Pyth.  2,  87. 

49)  Piatons  ganzer  weise  mufsle  dieses  complicirte  System  zuwider  sein:  er 
hat  nur  einen  axonSs  im  gegensatze  zu  den  andern,  wie  er  es  Ges.  12,  963  aus- 
drückt, die  a^cTjJ;  der  Staat  suclit  die  SixatocvvTj.  die  reinheit  kann  keine  mischung 
vertragen,  dafs  er  in  den  Gesetzen  einzelne  bestimmungen  trifft,  die  auf  eine  /uel^is 
des  monarchischen  und  demokratischen  hinauslaufen,  und  Aristoteles  in  der  Politik 
{J  1294 •*  35  u.  ö.)  das  ev  fiefielxd'ni  rrjv  nohreiav  auch  als  ziel  hinstellt,  macht 
für  beider  tendenz  nichts  aus,  gehl  auch  zumeist  nur  kleinigkeiten  an. 

50)  Sicher  ist  das  nicht,  denn  der  Byzantiner  (Phot.  cod.  37)  der  den  patri- 
cius  Menas  mit  dem  referendarius  Thomas  ein  neues  elSos  noXizsCas  erfinden  läfst, 


Ergebnis.  75 

danach  bei  Polybios  und  nachfolgern  eine  grofse  bedeutung  erlangt,  wer 
ihn  zuerst  erdachte,  war  ein  mann,  der  nicht  nur  geistreich  zu  denken 
verstand,  sondern  auch,  seine  kritiii  Solons  zeigt  es,  mehr  gesciiichthche 
kenntnisse  und  mehr  pohtisches  urteil  besafs,  als  die  meisten  praktiker 
und  theoretiker.  aber  ich  kenne  ihn  nicht  uud  weifs  nicht,  wie  ich  ihn 
finden  sollte.  Aristoteles  hat  ihn  gekannt  aber  zu  gering  geschätzt,  in 
der  Pohtie  ist  er  nicht  berücksichtigt,  mit  fug  und  recht,  da  sie  nicht 
theoretisirt. 


o  xal  xaXsi  Sixaia^)cix6v,  und  das  eben  die  mischung  aus  den  drei  guten  Verfas- 
sungen ist,  hat  von  Dikaiarchos  nichts  gewufst,  sondern  den  'rechtsstaat'  erfunden, 
seltsam  dafs  Osanns  einfall  bei  so  vielen  beifall  gefunden  hat;  sie  müssen  bei  Photius 
gar  nicht  nachgelesen  haben.  Dikaiarchos  verdient  eine  neue  bearbeitung.  der  Byzan- 
tiner geht  am  letzten  ende  auf  Panaitios  zurück. 

51)  Vermutlich  auch  schon  der  älteren;  wenigstens  wird  in  dem  abrifs  der 
ethik  bei  Diogenes  7,  131  die  /isUis  gefordert,  und  da  gehn  die  Kynismen  der 
Politie  Zenons  unmittelbar  vorher. 


4. 
DRAKONS  VERFASSUNG.  0 


Herkunft  Anstotelcs  hat  sein  viertes  capitel  in  einen  für  ihn  bereits  gegebenen 

berichtes.  Zusammenhang  eingeschoben,  aus  dem  es  herausfälh.  die  Umgebung  stammt 
aus  der  Atthis;  diese  hat  also  nichts  von  der  drakontischen^)  Verfassung 
gewufst.  das  stimmt  dazu,  dafs  die  gesammte  tradition  sie  nicht  kennt, 
ja  Aristoteles  selbst  hat,  als  er  die  Politik  schrieb,  nur  so  viel  wie  die 
Atthis  von  Drakon  gewufst.  das  hat  sich  in  dem  vorigen  capitel  ergeben. 
er  hat  die  Verfassung  also  erst  irgendwoher  kennen  gelernt,  als  er  daran 
gieng  die  Pohtie  zu  schreiben;  dann  aber  hat  er  dieser  Überlieferung 
vollen  glauben  beigemessen. 

Neben  der  Atthis  haben  wir  als  quellen  des  Aristoteles  bereits  oli- 
garchische  parteischriften  kennen  gelernt,  und  wir  werden  später  sehen, 
dafs  sie  ihm  die  geschichte  des  fünften  Jahrhunderts  fast  ganz  gehefert 
haben,  gerade  die  actenstücke,  die  er  aus  dieser  quelle  für  das  jähr  411 
entnimmt,  stehen  mit  der  Verfassung  Drakons  in  so  naher  beziehung, 
dafs  wir  vor  dem  dilemma  stehn:  entweder  haben  die  ohgarchen  von  411 
sich  an  diese  Verfassung  Drakons  angeschlossen,  oder  aber  sie  haben  sie 
zu  gunsten  ihres  planes  als  angebhches  Vorbild  erfunden,  in  beiden 
fällen  ist  der  schlufs  unvermeidlich,   dafs  Aristoteles  seine  kenntnis  der 


1)  Ich  habe  dieses  capitel  noch  im  winter  91  geschrieben  und  nur  für  die 
drucklegung  Januar  93  stilistisch  redigirt.  nur  in  betreff  der  lesart  habe  ich  die  neue 
lesung  der  handschrift  befolgt,  die  nun  schon  wieder  durch  Sandys  in  frage  ge- 
stellt ist.  es  hat  das  aber  für  die  frage,  was  Aristoteles  geschrieben  hat,  keine 
bedeutung,  so  wenig  wie  die  mir  bekannten  erklärungsversuche  für  das  was  er  ge- 
meint hat 

2)  Man  mufs  es  den  philologen  immer  noch  einschärfen,  dafs  der  mann 
'drache'  hiefs,  und  also  nicht  wie  die  kurznamen  <PiXiov  JJifiwv  declinirt  wird,  das 
Scheusal  'drakonisch'  sollten  wir  den  Zeitungsschreibern  und  volksrednern  für  den 
metaphorischen  gebrauch  überlassen. 


Herkunft  des  berichtes.     die  bürgerschaft.  77 

drakontisclien  Verfassung  diesen  oligarchischen  gewährsmännern  ver- 
dankt, da  man  ihnen  ebensowol  die  kenntnis  einer  in  der  demokrati- 
schen Überlieferung  zu  gunsten  Solons  vergessenen  Verfassung  zutrauen 
kann  wie  den  mut  einer  tendentiösen  erfindung,  so  hilft  uns  diese  einsieht 
in  die  herkunft  des  berichtes  nicht  einmal  zu  einem  praejudiz  über 
seine  innere  glaubwürdigkeit. 

Dafs  Aristoteles  die  Verfassung  entlehnt,  zeigt  die  form  seiner  rede, 
da  er  zum  teil  im  accusativ  mit  infmitiv  spricht,  was  man  unmöglich  auf 
die  oft  entsprechend  stilisirten  gesetze  selbst  zurückführen  kann,  ein 
wirkhches  actenstück  liegt  auch  nirgend  zu  gründe,  geschweige  denn 
eins  aus  dem  siebenten  Jahrhundert,  denn  wenn  auch  die  spräche  natür- 
hch  bestes  attisch  ist,  so  fehlt  doch  nicht  nur  alles  archaische,  sondern 
selbst  eine  jede  spur,  die  so  deuthch  wie  oben  TtöXig  und  KaracpaTi^eiv 
für  das  fünfte  Jahrhundert  Zeugnis  ablegte.^)  es  ist  ja  auch  gar  nicht 
denkbar,  dafs  auf  den  geselzestafeln  Drakons,  die  bis  ans  ende  des  fünften 
Jahrhunderts  existirt  haben,  eine  solche  Sammlung  von  bestimmten  ver- 
fassungsgesetzen  vereint  gestanden  hätte,  wenn  der  bericht  auf  Wahr- 
heit beruht,  so  hat  sein  urheber  die  für  das  allgemeine  giltigen  Sätze  aus 
den  einzelbestimmungen  der  gesetze  für  die  magistrate  herausgesucht 
und  zusammengefafst.")  Aristoteles  mag  ja  gekürzt  haben;  aber  es  ist 
unter  diesen  umständen  sehr  wahrscheinlich,  dafs  er  manches  nicht  fand, 
was  er  gern  gewufst  hätte,  wir  wollen  uns  also  hüten,  ihn  zu  schelten, 
wenn  er  uns  viele  fragen  nicht  beantwortet,  die  wir  auf  den  hppen 
haben;  er  hat  wol  eher  manches  mitgeteilt,  was  er  schwerUch  selbst 
ganz  verstand,  eben  weil  die  Sachen  so  sehr  merkwürdig  waren.*) 

Am  ende  sind  wir  doch  allein  auf  die  inhaltliche  prüfung  der  Ver- 
fassung selbst  angewiesen,  dafs  die  oligarchen  von  parteiinteresse  ge- 
blendet waren ,  mag  gegen ,  dafs  Aristoteles  ihr  glauben  geschenkt  hat, 
für  dieselbe  sprechen:  schhefslich  mufs  sie  über  sich  selbst  ent- 
scheiden. 

Die  beteihgung  an  den  slaatsgeschäften  ist  auf  diejenigen  beschränkt.  Die  bürger- 

°       °  °  111  Schaft. 

die  sich  selbst  equipiren   können.^)     da   hören   wir  in   dem   ausdrucke 


3)  Selbst  das  seltene  k'roe  brauclit  Aristoteles  nicht  nur  hier,  sondern  auch  in 
der  Politik  Z  1322»  12  und  Theophrast  bei  Athenaeus  77  f.  dagegen  hat  ovaia 
zu  Drakons  zeiten  keinesfalls  schon  existirt. 

4)  Vgl.  was  im  7.  capilel  über  die  form  der  Verfassungsgesetze  gezeigt  wird. 

5)  Ganz  ebenso  hat  es  Aristoteles  mit  dem  Verzeichnis  der  20000  sold  em- 
pfangenden Athener  gehalten,  vgl.  das  capitel  '3000  hopliten  von  Acharnai'. 

6)  Das  plusquamperfectum  aneSiSoro  kann  an  sich  bedeuten,   dafs  dieser  zu- 


78  '•    4.  Drakons  Verfassung. 

öftXa  Ttagexäi-ievoi  die  terminologie  der  400 ;  sie  brauchen  wir  Drakon 
nicht  zuzutrauen,  aber  die  sache,  die  vielleicht  gar  nicht  als  seine 
neuerung  gelten  soll,  ist  beinahe  selbstverständlich,  denn  das  passive 
Wahlrecht  und  damit  die  Staatsverwaltung  ziemlich  ganz  und  gar  hat  auch 
Solon  den  bürgern  der  drei  oberen  classen  bewahrt,  auf  welche  auch 
der  kriegsdienst  mit  der  waffe  beschränkt  ist.  dafs  er  den  theten  die 
beteiligung  an  der  Volksversammlung  und  den  geschwornenstellen  er- 
öffnet, ist  eben  seine  neuerung.  und  dafs  Drakon  sie  von  der  activen 
wähl  ausgeschlossen  hat,  so  weit  diese  etwa  nach  ihm  in  anwendung 
kam,  ist  keineswegs  ganz  sicher,  wie  notwendig  jedem  Athener  diese 
begriffsbestimmung  für  die  /neTsxovreg  Tijg  TTolireiag  in  einem  guten 
Staate  erschien,  lehrt  am  besten,  dafs  Piaton  in  den  Gesetzen  753  von 
ihr  ausgeht,  man  wird  vielleicht  bei  Drakon  nicht  blofs  den  census, 
sondern  auch  den  adel  als  bedingung  für  die  teilnähme  an  der  Staats- 
verwaltung erwähnt  wünschen,  allein  die  Zugehörigkeit  zu  einer  der 
vier  adelsphylen,  also  auch  zu  einer  phratrie,  liegt  zwar  in  dem  be- 
griffe des  damaligen  bürgers,  aber  sie  schliefst  längst  nicht  mehr 
den  wirklichen  adel  ein.  in  den  curien  sind  die  plebejer  mit:  das 
soll  man  nie  vergessen,  vielleicht  erwartet  man  noch  mehr  die  gliederung 
in  die  drei  stände  erwähnt  zu  finden,  die  doch  noch  581  in  dem  archonten- 
collegium  Vertretung  gefunden  haben,  allein  schon  unter  könig  Theseus, 
der  doch  adel  bauern  und  handwerker  schied  und  dem  adel  die  ämter 
und  die  gesetzeskenntnis  vorbehielt,  ist  in  allem  übrigen  die  bürgerliche 
gleichheit  durchgeführt  (fgm.  2).  und  in  des  Aristoteles  *^ältester  Ver- 
fassung' geschieht  die  besetzung  der  ämter  nach  adel  und  reichtum  (3,  6). 
darauf  folgt  passend  die  berücksichtigung  des  census  allein  und  die  ab- 
stufung  der  berechtigung  nach  dem  gelde.  so  ist  es  bei  Solon,  wie  wir 
wufsten.  dafs  etliche  jähre  vorher  Drakon  dasselbe  verordnet  hatte,  ist 
für  uns  neu:  aber  wie  sollte  es  undenkbar  oder  auch  nur  unwahrschein- 
lich sein? 
Die  classen.  Solou   hat  die   quaüfication   zur  bekleiduug  der  ämter  nach   dem 

census  abgestuft,     wir  wissen  genauer  nur,   dafs  für  die  Schatzmeister 


stand  vor  Drakon  schon  bestand;  das  hat  zwar  Aristoteles  nicht  gesagt,  aber  er 
fügt  hier  ja  etwas  fremdes  ein  und  könnte  die  einarbeitung  nicht  vollendet  haben, 
indessen  ist  das  praeteritum  des  perfectstammes  sehr  wol  geeignet,  wenn  für  die 
Vergangenheit  geschildert  wird,  was  für  die  gegenwart  anoSiSotai  lauten  würde, 
'plusquamperfectunr)'  trifft  eben  für  diesen  gebrauch  nicht  zu.  wenn  es  ein  gesetz 
war,  so  hiefs  es  ja  cmoSeSöod'ai,  nicht  änoSiSoa&at,  also  ist  diese  auffassung, 
die  dem  Aristoteles  nichts  zumutet,  vorzuziehn. 


Die  classen.  79 

die  erste  classe,  für  die  archonten  wenn  nicht  diese,  so  doch  die  erste 
oder  zweite  gefordert  war  (so  war  es  bis  457),  für  alle  mindestens  die 
dritte,  die  vier  classen  bestanden  auch  zu  Drakons  zeit :  das  sagt  Aristo- 
teles ausdrücklich ;  dals  Drakon  sie  geschaffen  hätte,  sagt  er  nicht,  mufs 
es  aber  geglaubt  haben,  da  die  Atthis  sie  Solon  zuschrieb,  was  er  von 
Drakons  Verfassung  mitteilt,  führt  sie  jedoch  nicht  als  etwas  neues  ein. 
mit  ihren  solonischen  namen  erscheinen  sie  darin  einmal,  bei  der  ab- 
slufung  von  Ordnungsstrafen,  dagegen  werden  bei  der  qualification  der 
beamten  zwar  drei  classen  unterschieden,  aber  sie  führen  nicht  die  solo- 
nischen namen,  und  es  werden  andere  auf  das  vermögen,  nicht  auf  das 
einkommen,  begründete  sätze  angegeben,  zwar  die  unterste  stufe  ist 
im  gründe  dieselbe,  hier  ist  die  eigne  equipirung  ausdrücklich  verlangt; 
die  solonischen  hopliten  sind  die  zeugiten  tatsächhch,  und  seinem  be- 
griffe nach  bedeutet  das  wort  den  besitzer  eines  gespanns.  einem  solchen 
traut  man  zu  einmal  200  scheffel  zu  ernten,  andererseits  sich  hämisch 
Schild  und  heim  halten  zu  können,  da  ist  also  die  ausgleichung  von 
^svylrrjg  mit  drcXa  TtaQSxo/^ievog  in  demselben  drakontischen  Staats- 
wesen ganz  unbedenkhch.  schwierig  wird  es  erst  bei  den  beiden  oberen 
classen,  für  die  bestimmte  Ziffern  angegeben  werden,  und  zwar  zunächst, 
weil  eine  dieser  Ziffern  verdorben  ist.  der  Überlieferung  nach  ist  für 
archonten  und  Schatzmeister  eine  ovola  sXsv^sQa  von  10,  für  Strategen 
und  hipparchen  eine  solche  von  100  minen  gefordert,  da  ist  schon  das 
Verhältnis  1:10  schlechtweg  unglaublich;  ferner  aber  gehört  es  sich, 
dafs  die  archonten  und  Schatzmeister  den  höheren  census  nachweisen, 
denn  die  letzteren  haben  es  dem  buchstaben  des  gesetzes  nach  immer 
tun  müssen,  und  für  die  archonten  müssen  wir  es  auch  erwarten, 
während  der  feldherr  nie  an  das  vermögen  gebunden  sein  kann,  so 
lange  er  wirklich  für  den  krieg  bestimmt  ist,  und  tatsächlich  auch  ein 
census  für  die  militärischen  Chargen,  so  viel  wir  wissen,  nie  bestanden 
hat.')  nur  ein  reitpferd  mufs  der  officier  haben,  und  in  der  adelszeit, 
die  die  cavallerie  für  vornehmer  hält,  gehört  der  sport  der  iTtnorgocpLa 
dazu,  um  solche  Stellung  ausfüllen  zu  können:  es  versteht  sich  im  gründe 
von  selbst,  dafs  die  %TtnaQyfii  aus  den  iTtTirjg  genommen  werden,  und 
was  auch  die  Atthis  und  Aristoteles  sagen  mögen,  die  etymologie  ist 
zuverlässiger,   und   sie   lehrt,   dafs  die  zweite  steuerclasse  ursprünglich 


7)  Er  ist  auch  nie  geplant,  am  wenigsten  von  den  400,  die  ja  vielmehr  gerade 
10  argaTT/yoi  mit  ziemlich  unumschränkter  gewalt  einsetzten,  zu  denen  ein  gänzlich 
verschuldeter  mensch  wie  Phrynichos  gehörte. 


80  I.    4.  Drakons  Verfassung. 

die  leiite  umfasste,  die  sich  ein  pferd  halten  konnten  und  beritten  zu 
felde  zogen,  ist  also  eine  zahl  falsch,  so  fragt  sich  immer  noch,  welche. 
das  hängt  von  dem  begriffe  ovoLa  ab.  wenn  es  das  einkommen  be- 
zeichnen könnte,  so  wären  10000  dr.  zu  viel,  aber  ovaLa  heifst  eben 
nicht  einkommen,  und  kXsvd-eQog  pafst  auch  dazu  nicht,  es  ist  ein 
fehler,  dafs  wir  uns  in  unserer  ausgäbe  durch  die  analogie  der  soloni- 
schen  classen  und  die  leichtigkeit  iy.ar6v  zu  emendiren  haben  ver- 
leiten lassen,  diesen  weg  zu  gehn.  bedeutet  also  ovoia  das  vermögen, 
wie  immer,  so  ist  die  erste  zahl  verdorben,  denn  selbst  bei  20  ^/o  zinsen 
ergibt  sie  nur  ein  einkommen  von  200  dr. ,  und  dabei  soll  der  mann 
der  ersten  classe  für  eine  versäumte  sitzung  3  dr.  strafe  zahlen,  drei- 
mal so  viel  als  nach  dem  Verfassungsentwürfe  von  411,  so  dafs  dir 
ausrede,  der  wert  des  geldes  wäre  unverhältnismäfsig  höher  gewesen. 
nicht  zieht,  es  ist  also  8iy.a  verdorben,  und  die  zahl,  die  da  gestanden 
hat,  war  viel  höher  als  100.  man  erwartet  diaY.ooio}v^)',  aber  Zahlwörter 
lassen  sich  aufs  gerade  wol  schlecht  verbessern. 

Wenn  wir  so  wenigstens  im  allgemeinen  wissen,  was  die  stelle 
besagen  will,  so  erheben  sich  sofort  zwei  neue  bedenken,  konnte 
denn  Drakon  von  minen  reden ,  da  es  doch  noch  keine  attische  münze 
gab?  und  wie  kam  er  dazu,  die  classen,  deren  namen  auf  das  ein- 
kommen bezogen  sind,  auf  das  vermögen  zu  stellen?  beiden  fragen  soll 
ihre  antwort  werden. 
Die  münze.  Es  ist  wahr,  CS  gab  noch  kein  attisches  geld.     aber  das  gab  es  auch 

nicht,  als  Solon  ein  par  jähre  später  den  münzfufs  änderte,  und  selbst 
er  hat  die  attische  prägung  nicht  angefangen,  sondern  erst  Peisistratos.^) 
der  wirtschaftliche  fortschritt  liegt  ja  nicht  in  der  staatHchen  Stempelung 
der  cursirenden  melalJstücke,  sondern  in  der  einführung  des  edelmetalls 
als  des  mafsgebenden  tauschmittels  und  dem  entsprechend  eines  festen 
gewichtsystemes.  beides  hat  notorisch  lange  vor  Solon  bestanden,  denn 
er  hat  es  geändert  und  fand  die  hypothekenschulden  auf  drachmen 
normirt  vor.  er  war  selbst  ein  handelsmann  und  hatte  viele  ferne 
kUsten  befahren:  der  handel  war  längst  nicht  nur  rechnungsmäfsig  auf 
geld  gestellt,  sondern  es  cursirten  auch  münzen,  nur  noch  keine  atti- 
schen, nicht  von  ferne  also  kann  die  mine  oder  drachme  in  den  drakon- 
tischen  gesetzen  befremden;  100  minen,  wo  man  später  10000  drachmen 

8)  So   halte  mittlerweile  Weil  ebenfalls  vermutet,   dem   ich  die  priorität  der 
Veröffentlichung  gern  bezeuge. 

9)  Ich   verstehe  nichts  von   münzen,  bin  also   auf  die  aulorität  anderer  an- 
gewiesen, Head  doctr.  numin.  309  und  die  dort  citirten. 


Die  mänze.     alter  der  classen.  81 

ZU  sagen  pflegt,  klingt  sogar  altertümlich,  und  da  Solon  nicht  nach 
dem  stater,  sondern  nach  der  drachme  gerechnet  hat,  wird  man  auch 
das  hei  Drakon  nicht  anders  erwarten,  aber  wir  wissen  doch  zu- 
verlässig, dafs  Drakons  gesetze  noch  bufsen  in  homerischer  art  nach  dem 
werte  von  rindern  bemafsen.*")  aber  dieselbe  Überlieferung  berichtet, 
dal's  der  attische  herold  an  den  Delieu  die  preise  nach  rindern  berechnet 
ausrief,  während  sie  in  geld  gezahlt  wurden,  das  rind  zu  zwei  drachmen 
gerechnete")  das  sind  alte  formelhafte  ausdrücke,  die  um  600  häufiger 
gewesen  sein  werden  als  um  300,  aber  wenn  sie  es  hier  nicht  tun, 
auch  da  nicht  die  münzrechnung  ausschliefsen.  lediglich  aus  diesen 
formein  ist  die  Irrlehre  entstanden,  dafs  das  älteste  attische  münzbild  das 
rind  gewesen  wäre,  und  nicht  anders  ist  die  angäbe  des  Phalereers  zu 
beurteilen ,  dafs  zu  Solons  zeit  das  rind  fünf,  das  schaf  eine  drachme 
gegolten  hätte,  das  waren  gleichungen  wie  die  delische;  im  ernst  kann 
den  wert  des  ßovg  £QyaTr]g,  den  zu  töten  ein  frevel  war,  von  dem  ein 
joch  den  bauer  zum  hopliten  machte,  niemand  so  niedrig  schätzen.'^) 
in  der  erwähnung  der  münze  liegt  also  kein  anstofs.  gemeint  ist  natür- 
Jich  aeginäische  Währung;  aber  das  ist  für  die  hauptsache  gänzUch  be- 
langlos. 

Schwerer  wiegt  die  gleichsetzung  des  penlakosiomedimnen  mit  dem   ^'ter  der 

^  ^  o  r  classen. 

besitzer  eines  grundstückes  im  werte  von  20000  dr,  dann  mufs  der 
wert  der  500  schelTel  gleich  den  ziiisen  jenes  Vermögens  sein,  also  bei 
dem  niedrigen  Zinssätze  von  12*^/0  2400  dr.  das  ist  doch  wol  zu  viel, 
auch  wenn  man  die  gleichung  von  scheflel  und  drachme,  wie  man  mufs, 
aufgegeben  hat.  zu  viel  nämlich,  wenn  man  gerste  rechnet;  beim  weizen 
ist  es  schon  anders,  und  wenn  es  gar  öl  oder  wein  ist,  oder  sesam  oder 


10)  PoUux  9,  61  ccTtoriveiv  ety.oaißoiov. 

11)  Pollux  ebenda  ev  t^  naoa  Jr,XCois  d'sco^ia  -zbv  y.i']QV7ca  (den  atüschen 
nämlich)  y.r]ovrreiv.  diese  worte  sind  also  geschrieben,  als  es  Delier  gab,  und  Athen 
die  alte  theorie  dahin  sandte,  also  im  dritten  Jahrhundert,  also  von  Philochoros. 
das  bestätigt  sich  durch  schol.  Ar.  Vög.  1106,  wo  er  das  rind  für  den  ältesten 
Stempel  erklärt,  ganz  wie  hier,  er  wird,  wie  die  Atthis  überhaupt,  diese  prägung 
auf  Theseus  zurückgeführt  haben  (Flut.  Thes.  25).  nach  dem  dargelegten  ist  es 
müfsig  nach  münzen  mit  einem  rinde  zu  suchen,  die  in  Athen  cursirt  hätten,  oder 
das  Spruch  wort  ßovs  ini  ylwaari  heranzuziehn,  das  erst  durch  eben  dies  mis- 
verständnis  auf  bestechung  gedeutet  ist,  während  es  den  knebel  meint. 

12)  Flut.  Sol.  23.  natürlich  darf  man  nicht  an  den  marktpreis  denken,  wenn 
Opfergesetze  ein  schaf,  einen  scheffel  und  eine  drachme  gleichsetzen,  die  wirk- 
lichen summen  in  Solons  gesetzen,  1  dr.  jagdpreis  für  einen  jungen,  5  für  einen 
alten  wolf,  100  dr.  ehrensold  für  den  sieger  an  den  Isthmien,  500  für  den  an  den 
Olympien  lassen  keinesweges  einen  sehr  hohen  wert  des  geldes  erkennen. 

V.  Wilamowiiz,  Aristoteles.  6 


82  !•   4,  Drakons  Verfassung. 

feigen?  so  steht  es  vielmelir:  500  scheffel,  wie  die  leiite,  die  noch  keine 
pedanten  sind,  sagen,  (während  der  moderne  steuermensch  von  500- 
medimnen-  respective  -raetreten-einkommen  reden  würde)  repraesentiren 
überhaupt  gar  nichts,  was  sich  in  eine  feste  summe  umrechnen  hefse, 
denn  die  bodenerzeugnisse,  die  man  mifst,  sind  allzuverschiedenen  wertes, 
ganz  abgesehen  davon,  dafs  es  sich  hier  um  bruttoertnig  handelt,  während 
in  dem  drakontischen  gesetze  sehr  vorsorglich  schuldenfreies  vermögen 
gefordert  ist.  freihch,  wer  dem  Solon  die  Schöpfung  der  vier  auf  den 
bruttoertrag  gestellten  classen  zutraut,  der  kann  an  die  vermögensclassen 
Drakons  nicht  glauben,  aber  wenn  die  Atthis  und  Aristoteles  die  durch- 
sichtigen namen  iJtnEvg  und  uevyiTrjg  mit  allen  mittein  so  umdeuten, 
dafs  auch  für  sie  ein  auf  300  oder  200  medimnen  gestelltes  einkommen 
gefordert  sein  soll,  so  verraten  sie  damit,  dafs  die  classennamen  schon 
in  den  gesetzen  Solons  als  etwas  überkommenes  angewandt  worden  sind, 
ohne  eine  deünition  zu  finden,  wie  notwendig  der  fall  gewesen  wäre,  wenn 
er  sie  geschaffen  hätte,  wie  wäre  es  denn  sonst  möglich  gewesen,  dafs 
man  über  die  bedeutung  stritt?  formell  sind  sie  niemals  abgeschafft 
worden ,  sonst  hätte  ja  das  gesetz  nicht  immer  noch  die  500  scheffel 
von  den  Schatzmeistern  gefordert,  aber  das  stand  eben  nur  auf  dem 
papiere.  die  candidaten  des  archontenamtes  wurden  einfach  gefragt  *^olt 
sie  ihre  steuern  zahlten',  und  diese  waren  seit  378/7  auf  die  einschätzung, 
das  Ti/.irjf.ia,  begründet,  damit  waren  die  classen  tatsächlich  beseitigt, 
so  viel  ich  weifs,  werden  sie  zuletzt  im  frühjahr  386  erwähnt'^),  als 
die  kleruchie  Lemnos  neugeordnet  ward;  im  fünften  Jahrhundert  be- 
gegnen sie  auch  bei  einer  coloniegründung  (CIA  1  31),  aber  wie  die 
directe  Steuer,  die  eioqjoQä,  damals  eingerichtet  war,  ist  unbekannt,  zu 
den  regelmäfsigen  leistungen  gehört  sie  damals  nicht,  und  diese  sehen 
von  den  classen  ab:  nicht  die  pentakosiomedimnen,  sondern  *^die  reichsten' 
werden  zu  der  choregie  u.  dgl.  herangezogen  (56,  2).  die  doch  sonst  auf 
das  alte  möglichst  hinarbeitende  Verfassung  der  400  hat  wol  die  unlere 
grenze  der  oVr/a  7taQE%6fxEV0L,  und  zwar  ohne  absolut  fixirtes  minimal- 
einkommen  oder  minimalvermögen,  wieder  eingeführt,  aber  von  den 
classen  im  übrigen  ganz  abgesehen,  so  lebensunfähig  waren  sie  schon 
damals.")     was  sollte  man  auch  in  der  zeit  des  höchstens  reichtums  und 


13)  CIA  II  14.  dafs  der  beschlufs  aus  den  letzten  prytanien  des  Theodolos 
ist,  folgt  daraus,  dafs  er  offenbar  durch  den  Antalkidasfrieden  hervorgerufen  worden 
ist,  der  selbst  erst  3S6  fällt. 

14)  Dies  ist  ein  unwidersprechlicher  beweis  dafür,  dals  dieselben  leute  nicht 


Alter  der  classen.  83 

zugleich  der  macht  des  beweghchen  capitales  mit  einer  alten  auf  den  brutto- 
ertrag  der  landwirtschaft  gegründeten  classeneinteilung  ?  immerhin  mufs 
ja  wol  irgendwann  einmal  die  feste  scala  500  300  200  scheffel  statt  der 
älteren  einfachen,  die  die  Wörter  selbst  bezeugen,  behebt  sein ;  aber  selbst 
die  bedeutung  der  classen  war  streitig,  als  die  Atthis  schriftstellerisch 
bearbeitet  ward,  geht  man  nun  ins  sechste  Jahrhundert  hinauf,  so 
hat  Peisistratos  bekannthch  eine  reine  einkommensteuer  erhoben,  also 
viele  jähre  lang  sind  die  classen  höchstens  als  wahlqualification  in  be- 
tracht  gekommen,  so  weit  die  tyrannis  die  Wahlgesetze  functioniren 
liefs.'^)  und  dafs  sie  selbst  zu  Solons  Zeiten  durchaus  nicht  die  bedeu- 
tung gehabt  haben  können,  die  uns  durch  den  täuschenden  schein  nahe 
gelegt  wird,  weil  unsere  berichte  sie  erst  unter  ihm  erwähnen,  folgt 
am  besten  daraus,  dafs  der  nächstliegende  gedanke  niemandem  kommt, 
die  Veränderung  des  mafses  hätte  doch  eine  Verschiebung  der  staatlichen 
rechte  zur  folge  haben  müssen,  wenn  Solon  die  scheffel  grölser  machte, 
wie  Aristoteles  sagt,  so  verlangte  er  einen  höheren  census,  schlofs  also 
eine  nicht  geringe  anzahl  bürger  vom  passiven  Wahlrechte  aus;  machte 
er  aber  den  scheffel  kleiner,  wie  er  es  wirkhch  getan  hat,  so  wurde 
selbst  der  Areopag  einem  weiteren  kreise  zugänglich,  das  ist  eine  not- 
wendige folgerung.  wenn  sie  niemand  zieht,  so  war  eben  die  classen- 
teilung  594  schon  eine  nicht  mehr  den  entwickelten  Verhältnissen  an- 
gemessene ältere  institution. 

Man  mufs  doch  die  dinge  nehmen,  wie  sie  ihrer  natur  nach  sind, 
es  ist  eine  einfache  und  verständige  Ordnung,  in  der  bürgerschaft  erst 
einmal  die  arbeiter  abzusondern,  die  proletarü,  die  für  den  Staat  nichts 
weiter  schaffen  als  die  proles,  dann  die  wehrfähigen  des  fulsvolks  und 
der  reiter,  und  darüber  eine  oberste  schiebt,  die  einzige  in  Wahrheit, 
die  mehr  einnimmt  und  besitzt,  als  für  die  führung  eines  standesgemäfsen 


die   drakontischen   classen,  noch  dazu  in  der  doppelten  art  ihrer  bezeichnung,  er- 
finden konnten. 

15)  Da  die  demokratie  directe  steuern,  auch  als  gemeindesteuern,  nur  im  not- 
falle erhebt,  so  fordert  auch  sie  selbst  für  die  wahlqualification  nur  eine  ideelle 
Steuereinschätzung,  ein  fictives  rslos.  wer  sich  zum  archontenamte  meldet,  mufs 
vor  der  meidung  und  nachher,  wenn  er  erlost  ist,  sich  zu  einem  Steuersätze, 
d.  h.  zu  einem  einkommen  bekennen,  verificirt  wird  es  nur,  wenn  bei  der  wahl- 
prüfung  ein  einwand  aus  diesem  gründe  erhoben  wird:  davon  ist  mir  kein  special- 
fall bekannt,  offenbar  sind  die  höheren  stände  viel  mehr  durch  die  öffentliche 
meinung  abgegrenzt  worden,  sehr  viel  exclusiver,  als  es  durch  die  niedrigen  sätze 
der  steuern  möglich  war.  die  liturgie  aber  ist  ein  anderes  und  viel  wirksameres 
steuerprincip.     seit  sie  besteht,  kommt  auf  die  classen  nicht  mehr  viel  an. 

G* 


'g4  I.   4.  Drakons  Verfassung. 

Ii;iushaltcs  notwendig  ist.  und  es  ist  eine  einfache  und  verständige 
gliederung  dieser  stände,  dafs  der  bauer,  der  sein  land  mit  der  hilfe 
seiner  frau  und  des  Joches  ochsen  bestellt •''),  wehrhaft  ist,  weil  er  seine 
volle  rilstung  neben  seinem  herde  hängen  hat,  dafs  sich  über  dieser 
breiten  schiebt  der  hopUten  der  berittene  adel  erhebt,  dem  seine  mittel 
und  neigungen  ein  pferd  zu  halten  verstatten,  und  hervorragend  aus 
diesem  adel  eine  kleinere  schar  von  grofsgrundbesilzern,  die  sehr  äufser- 
lich,  aber  für  die  alten  Verhältnisse  zureichend  ein  ziemlich  tief  gegriffener 
bruttoertrag  ihres  ackerlandes  heraushebt,  diese  Ordnung  setzt  eine 
starke  bäuerliche  bevölkerung  voraus,  einen  von  den  bauern  nicht  eben 
stark  unterschiedenen  ländlichen  adel,  wirklich  grofse  guter  überhaupt 
noch  nicht,  sie  setzt  ferner  eine  landwirtschaft  voraus,  die  wesentlich 
auf  den  körnerbau  gerichtet  ist;  wein  mag  daneben  stehn,  aber  die 
ölproduction  und  die  gartenwirtschaft,  die  schon  um  600  in  Athen  vor- 
waltet, pafst  für  diese  classen  so  wenig  wie  die  industrie  der  Peisistra- 
tidenzeit.  der  adel,  d.  h.  die  reiterei,  ist  gegenüber  der  späteren  zeit. 
so  sportlustig  diese  war,  unverhältnismäfsig  stark:  nur  vorübergehend 
Inder  reichsten  periode,  um  445,  hat  Athen  drei  hipparchen  gehabt^'); 
411  nahm  man  die  zweizahl  zwar  für  die  zukunft  in  aussieht,  begnügte 
sich  aber  für  die  gegenwart  mit  einem  (30,  2.  31,  2).  hier  steht  der 
plural:  das  gehört  sich  für  die  ritterzeit.  die  reiterei  ist  ja  nicht  überall 
so  heruntergekommen  wie  in  Sparta,  wo  die  iTtTCElg  gar  keine  pferde 
haben,  aber  seit  statt  der  einfachen  Verpflichtung,  dafs  der  be- 
sitzer  eines  *^rittergutes'  auf  eigenem  pferde  dienen  müfste,  der  Staat 
die  equi  publici  ständig  unterhielt,  d.  h.  einer  bestimmten  zahl  pferde- 
besitzern  die  Unterhaltungskosten  zahlte,  ist  die  cavallerie  überall  an  zahl 
und  gute  gesunken;  auch  darin  trifft  die  römische  analogie  zu.  es 
wundere  sich  also  niemand  über  die  hipparchen  Drakons.  der  fand 
freihch  nicht  mehr  die  einfachen  Verhältnisse  vor,  die  allein  zu  den 
classen  pafsten.  die  meisten  bauern  waren  von  ihren  gütern  vertrieben 
oder  durch  ihre  Verschuldung  den  gröfseren  besitzern  frohnpflichtig  ge- 
worden ;  die  herrschenden  kreise  aber  hatten  einen  besitz,  der  mit  dem 
ertrage  der  500  scheffel  zum  teil  gar  nicht  getroffen  ward,  weil  er  in 
hypothekenzinsen  bestand,  zum  teil  in  folge  ihrer  gröfseren  guter  und 
intensiveren  landwirtschaft  eine  viel  höhere  steuerslufe  verlangte,  um 
die  wirkhch  ständisch  abgesonderte  obere  schiebt  zu  fassen,    was  konnten 


16)  olxov    fisv    n^iOTiara    yvvaixn    rs   ßovv  t'    a^oxr,Qa   Hesiod    Erg.  403. 
Aristoteles  Pol.  A  1252.  —  jj  ^'  aanis  iv  tcö  (peyjüXo)  x^s/u7aETai  sagt  Dikaiopolis. 

17)  Das  hat  die  insclirift  von  Nikepyrgos  ergeben,  CIA  IV  p.  184. 


Alter  der  classen.  85 

500  scheffel  den  familien  sein,  die  sich  mit  den  tyrannen  von  Sikyoo 
und  Älegara  gleichberechtigt  fühlten?  daher  zog  der  plutokratische  ge- 
setzgeber  einen  scharfen  strich  und  liefs  für  das  amt,  das  den  zutritt  zu 
der  eigenthch  regierenden  behörde,  dem  Areopage,  eröffnete,  nur  die 
grofsgrundbesitzer  zu,  indem  er  ein  schuldenfreies  starkes  vermögen 
verlangte;  den  gemeinen  ritterbürtigen  adel,  dem  die  militärischen  Chargen 
nicht  versagt  werden  konnten,  grenzte  eine  ähnliche  forderung  ab: 
darunter  aber  ward  nichts  aufser  der  rüstung  gefordert,  das  kann  liberal 
scheinen ,  war  auch  vielleicht  so  gemeint,  wer  einen  bauernhof  hatte, 
der  600  medimnen  eintrug,  aber  verschuldet  war,  hatte  für  sich  nur  100; 
mochte  er  ehedem  zur  höchsten  classe  gesteuert  haben,  jetzt  sank  er  in 
die  dritte,  behielt  aber  hier  seinen  platz,  so  lange  er  zur  muslerung  als 
hopht  antrat,  freilich  mochte  das,  zumal  wenn  er,  statt  das  feld  zu 
bebauen,  kriegsdienst  tun  mufste,  seine  Schuldenlast  nur  steigern:  das 
ist  ja  eine  zum  glück  häufige  erscheinung,  dafs  der  verarmte  adüche  die 
Standespflicht  zu  erfüllen  fortfährt,  auch  wenn  sie  seinem  vermögen  nicht 
mehr  entspricht,  aber  leider  bestätigt  die  erfahrung  auch,  dafs  er  da- 
durch nur  schneller  dem  wirtschaftlichen  ruin  verfällt,  die  drakontische 
Verfassung  hat  ja  auch  den  conflict  tatsächhch  nur  verschärft,  auf  das 
trefflichste  also  pafst  ihre  classeneinteilung  in  die  entwickelung  hinein. 
Solon  aber,  der  volksfreund,  schaffte  einfach  diese  neuerung  ab,  und  die 
alten  classen  traten  wieder  hervor,  die  hypotheken  hafte  er  durch  einen 
gewaltstreich  beseitigt,  jener  bauer,  mit  dem  ich  exemplificirte,  halte 
nun  wieder  600  scheffel  und  gehörte  zu  dem  höchsten  stände,  wie 
gewaltig  diese  revolutionäre  mafsregel  ist,  mifst  man  am  besten  an  solchen 
consequenzen,  die  sie  mit  sich  bringen  mufste.  wie  notwendig  sie  war, 
lehrt  am  besten  die  plutokratische  classenteilung  Drakons. 

Der  stand,  zu  dessen  gunsten  Drakon  die  Verfassung  gab,  war 
keine  geldaristokratie  in  unserem  sinne,  denn  ihr  reichtum  beruhte  im 
grundbesitze  oder  in  hypotheken  auf  grundstücken :  aber  '/^qrn.iara 
XQrif.iaT  civriQ  sagt  der  adel  in  Athen,  wie  meist  in  Hellas  um  600. 
sie  halten  die  formen  des  geschlechterstaates  fest,  aber  es  kommt 
ihnen  auf  Geleonten  und  Hopleten,  ja  selbst  auf  eupatriden  und  geomoren 
wenig  an.  der  grundbesitz  ist  der  einzige*  mafsstab ,  und  die  reichsten 
grundbesitzer  regieren  in  Wahrheit  allein,  denn  sie  kommen  allein 
auf  den  Areopag,  und  dieser  rat  hat  die  controlle  aller  beamten,  übt 
die  allgemeine  censur  und  ist  die  beschwerdeinstanz  wider  die  beamten- 
willkür.  gefährhch  können  natürlich  die  militärischen  ämter  werden, 
die    unmöglich    nach    dem    reichtume    vergeben   werden    konnten,     da 


36  I.    4.  Diakons  Verfassung. 

verlangt  Diakon  den  nachweis  eines  ehelichen  mindestens  zehnjährigen 
Sohnes,  singulär  ist  die  forderung  nicht,  da  formell  auch  später 
noch  eheliche  nachkommenschaft  von  dem  heamten  gefordert  worden 
ist.'^}  und  erwachsen  ist  sie  im  geschlechlerstaate,  der  für  die  erhaltung 
der  famiüen,  der  oIy.ol,  sorge  trug,  der  colonist  von  Naupaktos  darf 
nur  unbeschränkt  vorziehen,  wenn  er  einen  sehn  (oder  bruder)  auf  seinem 
landlose  zurückläfst.*^)  vollends  ein  zehnjähriger  söhn  setzt  einen  vater 
voraus,  der  über  die  jähre  hinaus  ist,  in  denen  Kylon,  der  wegen  seiner 
Schönheit  berufene  mann,  knl  zvQavviöi  ky.6(.iriOe-°),  und  später  Alki- 
biades  mit  der  tyrannis  drohte,  ein  söhn  war  auch  für  das  wolverhalten 
des  valers  eine  gute  geisel,  und  die  forderung  ehelicher  abkunft  hefs 
sich  gegen  nachkommen  wie  die  der  argoiischen  frau  des  Peisistratos 
auch  wol  verwenden,  diese  bestimmung  pafst  also,  wenn  eine,  in  die 
kylonische  zeit, 
^ie  Die  folseuden  worle  des  Aristoteles  sind  dank  den  neuen  lesungen, 

prytauen.  &  ° 

die  eine  schöne  Vermutung  von  F.  Schultefs  bestätigt  haben,  so  weit  es 

die  Überlieferung  angeht  gesichert,  aber  sie  sind  schwer,  und  die  gram- 
matische erklärung  hat,  wie  immer,  den  vortritt.  zovTOvg  dh  duyyvav-^) 
Tovg  ngvTccveig  y.al  rovg  aTQarrjyovg  y.al  roig  IfCTiäQxovg  rovg  evovg 
l-iiXQi  evd-vviöv,  eyyvt]xag  ö'  Iy.  rov  avxov  riXovg  öexo/iievovg  ovtvsq 
oi  oxQaxrjyol  -Kai  ol  XnnaQXOi.  darin  ist  rovrovg  das  subject;  das 
ist  für  jeden,  der  griechisch  kann,  das  nächsthegende.^-)  es  geht  auf 
die  Strategen  und  hipparchen,  die  zuletzt  vorher  genannt  sind;  das  ist 
selbstverständlich,  es  bestätigt  sich  dadurch,  dafs  Aristoteles  vorher 
die  classen  in  der  reihenfolge  1,  3,  2  genannt  hat,  weil  er  an  2 
etwas  weiteres  anknüpfen  wollte,  also  "die  Strategen  und  hipparchen 
sind  haftbar-^)  für  die  prytanen  und  Strategen  und  hipparchen  des  Vor- 
jahrs bis  zur  rechenschaftsablegung,  erhalten  aber  (von  denen  natürlich. 


18)  yvriaims  naiSonoisXad'ai  Deinarch  1,  71. 

19)  I  G  A.  321,  7. 

20)  Herodot.  V  71.   Pausan.  1.  28,  1. 

21)  Oder  5'  äSei  Sisyyväv,  wenn  man  mit  Blafs  die  übergescliriebenen  bucli- 
slaben  Sei  als  ergänzung  fafst,  aber  Sei  ist  wol  durch  conjectur  ergänzt,  weil  die  frei 
schwebende  indirecte  rede  anstofs  erregte,  die  neue  nicht  zum  vorigen  comple- 
mentäre  bestimmung  würde  nicht  gut  mit  einem  verbum  des  müssens  angeschlossen, 
ich  lese  auf  dem  facsimile  auch  jetzt  nur  sicher  Se  Si v,  also  das  activ  sicher. 

22)  Zu  welchem  Widersinne  die  umgekehrte  deutung  führt,  verschmähe  ich 
auszuführen. 

23)  Sieyyvav  ist  gesetzt,  weil  sie  ja  nicht  bürgschaft  leisten,  sondern  die 
vermittelnde  fürsorge  üben,  dafs  die  bürgschaft  wirksam  geleistet  wird. 


Die  prytanen.  87 

für  die  sie  haften)  vier  bürgen  aus  der  classe  der  Strategen  und  hip- 
parchen."  das  steht  da.  aber  mit  recht  hat  Schultefs  sich  dabei  nicht 
beruhigt,  vier  bürgen  werden  gestellt,  nicht  je  vier  bürgen,  diese  zahl 
kann  verständigermafsen  nur  zu  den  rechenschaftspflichtigen  in  relation 
stehn,  denn  über  die  wird  einzeln  verhandelt,  die  duyyvaivTeg  sind  als 
collegium  haftbar  für  jeden  einzelnen,  die  mafsregel  bezweckt,  dafs 
sich  die  rechenschaftspflichtigen  nicht  aus  dem  staube  machen:  dafür 
haben  die  militärischen  behürden  zu  sorgen,  an  die  sich  der  Staat  hält, 
wenn  einer  entwischt,  für  den  rechenschaftspflichtigen  selbst  bürgt 
jemand  den  er  stellt,  natürlich  nicht  blofs  für  sein  erscheinen,  sondern 
für  die  erfüllung  von  allem,  was  ein  vTtevd-vvog  zu  beobachten  hat.-"*) 
das  ergibt  so  viel  einzelverhältnisse  wie  rechenschaftspflichtige  sind, 
bürgen  sind  vier:  rechenschaftspflichtige  sind  unbestimmt  wie  viele,  aber 
sicherlich  sehr  viel  mehr  als  vier,  wenn  die  Überlieferung  richtig  ist. 
es  ist  gar  nicht  auszudenken,  wie  der  Staat  mit  dieser  bürgschaft  zu- 
frieden sein  soll,  auch  wie  mehrere  leute  denselben  bürgen  finden 
sollen,  zweitens  ist  es  ganz  unbegreiflich,  dafs  der  amtsnachfolger  für 
seinen  Vorgänger  haftbar  sein  soll,  drittens  ist  die  rechenschaft  der 
Strategen  später  immer  sache  der  thesmotheten,  und  es  ist  kaum  glaub- 
lich, dafs  dem  je  anders  war.  viertens  hegt  die  iteration  im  wesen  des 
mihtärischen  amtes,  eine  solche  mafsregel  aber  schliefst  ihre  müglich- 
keit  aus.  fünftens  erwartet  man  nicht  das  langatmige  ex  rov  avTov 
Tslovg  ovTteq  oi  argaTr^yol  y.al  oi  %7i7taQxoi,  wenn  diese  unmittelbar 
vorhergehn,  sondern  ovtveq  ovtol.  das  genügt,  sollte  ich  meftien,  die 
Streichung  von  y.al  rovg  argaTrjyovg  /.al  rovg  iTiTtccQxovg  zu  begründen, 
die  aus  der  nachbarschaft  durch  hlofses  schreiberversehn  hierherverschlagen 
sind,  denn  nun  ist  alles  klar:  die  ganze  mafsregel  gilt  lediglich  den 
prytanen.  wer  in  Athen  dies  wort  brauchte,  einerlei  ob  411  oder  326, 
•konnte  darunter  schlechterdings  nichts  anderes  verstelm  als  ein  ana- 
logou  zu  den  prytanen  des  rates,  die  es  in  Atlien  zu  seiner  zeit  gab. 
und  wirklich,  Aristoteles  schliefst  den  drakontischen  rat  unmittelbar  an. 
natürhch  mufs  man  dann  annehmen,  dafs  zu  Drakons  zeit  dieser  pry- 
tanen 4  waren,  und  das  ergibt  dann  eine  reihe  bedeutender  folgerungen. 
aber  ehe  wir  diese  ziehen,  ist  es  gut,  den  rest  des  berichtes  zu  erläutern : 
hier  nur  noch  das,  dafs  es  sich  gar  nicht  ausdenken  läfst,  wie  ein  oligar- 
chischer  falscher  zu  einer  solchen  erfindung  kommen  konnte. 


24)  Die  bekannten  vermögensrechtlichen  beschränkungen ,  die  Aischines  3,  21 
aufzählt. 


88  !•    4.  Drakons  Verfassung. 

Der  rat.  Drakons  rat  ist  eine  behorde  (ausdrücklich  wird  er  aQ^r]  genannt; 

aber  das  ist  der  attische  auch  immer  gewesen)  von  401  küpfen.-^)  die 
ungerade  zahl  ist  notwendig,  weil  hohe  Ordnungsstrafen  die  teilnähme 
aller  mitglieder  erzwingen,  der  eintritt  in  den  rat  oder  die  übrigen 
behörden  ist  ebenfalls  obligatorisch,  denn  die  iteration  ist  erst  gestattet, 
wenn  alle  berechtigten  einmal  daran  gekommen  sind,  die  behörden 
werden  alljährlich  erlost;  es  leuchtet  aber  ein,  dafs  die  zahl,  aus  der 
gelost  wird,  sich  jährhch  um  die  summe  der  vorjährigen  beamten  ver- 
ringert, während  nur  die  nun  amtsmündig  (d.  h.  30  jähre)  gewordenen 
bürger  zutreten. 

Es  ist  evident,  dafs  die  400  diese  bestimmung  vor  äugen  gehabt 
haben,  denn  sie  wollten  an  die  stelle  des  Zweikammersystems  der  demo- 
kratie,  rat  und  volk,  einen  rat  setzen,  bestehend  aus  einem  viertel  des 
Volkes,  inclusive  der  beamten  des  Jahres;  sie  haben  auch  die  Strafgelder 
beibehalten,  doch  alles  so  wesentlich  ihrer  zeit  gemäfs  modiflcirt-^),  dafs 
nur  ein  voreingenommener  zweifeln  kann,  wo  original,  wo  copie  ist. 
für  uns  waren  beide  Verfassungen  so  vollkommen  überraschend,  dafs 
man  sich  verständigermafsen  die  sache  in  ihren  consequenzen  erst  reif- 
Hch  überlegen  mufste;  dabei  dürfen  sie  nicht  mit  einander  vermischt 
werden. 

Was  Drakon  angeht,  so  mag  die  einsetzung  eines  rates  von  so  viel 
köpfen  eine  concession  an  die  masse  der  bürger  bedeuten,  er  gab  ja 
die  gesetze,  um  dem  hader  ein  ende  zu  machen,  aber  man  vergesse 
die  kehrseite  nicht,  es  durfte  freilich  jeder,  der  als  hoplit  im  ghede 
stand,  bürgerliche  rechte  ausüben;  aber  er  mufste  es  dann  auch,  in 
den  rat  oder  in  eine  der  niederen  amtsstellen  kam  er  unweigerlich,  mit 
andern  Worten,  er  mufste  in  der  läge  sein,  ein  jähr  so  ziemlich  von 
seinen  geschäften  fern  bleiben  zu  können:  jede  versäumte  sitzung  kostete 
ihn  eine  drachme.  und  dabei  hatte  er  keinesweges  das  bewufstsein, 
dafs  er  oder  sein  rat  wirkhch  die  athenische  politik  machte,  denn  der 
obere  rat,  der  ihm  sammt  den  höheren  beamtenstellen  unzugänglich 
war,  hielt  seine  starke  band  über  ihm,  auch  wenn  er  im  amte  war.  die 
stelle  als  prytan,  die  vielleicht  einflufs  bot,  war  vollends  durch  eine  wirk- 
lich drakonische  bestimmung  jedem  nicht  ganz  gefügigen  plebejer  verleidet, 
denn  wie  sollte  er  einen  bürgen  höhern  Standes  für  sein  wolverhalten 
finden?    wie   mochte   er  die  zeit  nach  ablauf  seines  amtsjahres,   die  er 

25)  Die  kleinigkeit,  401  statt  der  solonisclien  400,  sollte  eigentlich  allein  ge- 
nügen, den  gedenken  an  eine  fälschung  fern  zu  halten. 
26j  Vgl.  das  capitel  TtäxQws  noXiieia. 


Der  rat.    das  los.  89 

!  nicht  befristen  konnte,  unter  mehr  als  polizeilicher  aufsieht  stehn?    da 

mochten    viele ,    die  nicht  in  der  clientel  eines  der  stolzen  adelshäupter 

j  standen,  auf  die  bürgerlichen  rechte  heber  verzichten  und  sich  geradezu 

I  regieren    lassen,      verlange    man    doch    einmal    von    jedem    Deutschen 

nur  eine  jährliche  dienstleistung,   selbst  als  reichstagsmitglied,  aber  mit 

scharfen  strafen  für  jede  versäumte  sitzung  statt  aller  emolumente:  wie 

I  viele  von   uns  werden    auf  die   ehre  am  politischen  leben  mitzuwirken 

'  verzichten  oder  werden  sie  verwirken,     wenn  Drakon  einen  schritt  zur 

demokratie   mit  seinem   rate  tat,   so  war  es  wahrhch  kein  unbedachter 

noch  kühner. 

Aber   er   hat   das   los   für  alle   beamten  eingeführt,     so  steht  hier,    f)as  los. 
und   dals   das  am   anfange  des  capitels  gebrauchte  wort  aigelo^ac  mit 
!  dem  lose  nicht  unvereinbar  ist,  braucht  nach  dem  obigen  (s.  73)  nicht 
mehr  bewiesen  zu  werden,     beschränkt  wird  das  los  durch  den  census, 
1  der   für  die  wichtigsten  ämter  gefordert  ist.     mehr  erfahren  wir  nicht; 
!  aber  es  wäre  voreilig,   daraus  positiv  zu  folgern,   dafs  die  losung  ohne 
weiteres   aus   der  ganzen    summe   der  berechtigten   und  für  alle  ämter 
I  erfolgte,    dafs  die  mihtärischen  gewählt  wurden,  war  den  Griechen  aller- 
I  zeit    so    selbstverständlich    und   darum   so   wenig  charakteristisch,    dafs 
\  Aristoteles  diese  ausnähme  ruhig  übergehn  konnte,    dafs  aber  mindestens 
j  für  den   rat   eine   Vertretung  der  Unterabteilungen  des  Volkes,   welcher 
;  auch  immer,   statt  fand,  denen  mithin  die  praesentation  der  candidaten 
I  für  die  losung  zufiel,  ist  nach  der  analogie  des  späteren  rates  durchaus 
'■  notwendig,     und   wer   bedenkt,   dafs  wir   diesen  modus  der  besetzung, 
selbst   für  den  rat  und  die  archonten ,   direct  erst  durch  Aristoteles  er- 
fahren  haben ,  bei   dem  jedoch  über  den  rat  Solons  auch  nichts  steht, 
i  wird  sich  nicht  wundern,  dafs  diese  modalität  hier  nicht  angegeben  ist. 
1  wenn   vollends  Aristoteles   seinen    bericht   einem   schriftsteiler  verdankt, 
I  der   diese   Verfassung   nicht  zu    geschichtlicher  bclehrung,   sondern   als 
'.  exempel  für  die  praktischen  vorschlage  der  400  anführte,  so  kann  man 
gar    nicht  verlangen ,   dafs  verschollene  und  für  die  gegenwart  wertlose 
.  Verhältnisse  ausgeführt  wären. 

Aber  es  bleibt  immer  das  los.  das  hat  Selon  auch;  wer  es  dem 
zutraut,  wird  es  dem  Drakon  ein  par  jähre  früher  nicht  abzusprechen 
wagen,  es  verrät  aber  auch  sehr  wenig  geschichthche  einsieht,  wenn 
man  sich  vor  dieser  extrem  demokratischen  Institution  graut,  wenn 
die  aristokraten  jener  zeit  sich  der  freien  volkswahl  gestellt  hätten,  dann 
j  hätten  sie  durch  eine  wirklich  demokratische  einrichtung  ihre  existenz 
!   in   frage   gestellt,     dann   entfesselten    sie   den  ehrgeiz  und  den  ambitus 


90  ].   4.  Drakons  verfassungf. 

des  tyrannen ;  die  Strategie  ist  eben  deshalb  die  Staffel  zur  tyrannis  ge- 
worden, weil  sie  wahlamt  war,  keinesweges,  weil  der  feldherr  an  der 
spitze  des  biirgerheeres  die  bürger  hätte  knechten  können,  gerade 
eine  aristokratie  perhorrescirt  die  persönlichen  Vorzüge  und  die  bevor- 
zugung  des  einzelnen  standesgenossen:  ihr  pafst  das  bhnde  los,  wenn 
nur  vorgesorgt  ist,  dafs  es  an  den  stand  gebunden  ist.  das  war  hier 
erreicht,  und  da,  wo  alle  bürger  zugelassen  waren,  herrschte  in  Wahrheit 
nicht  das  los,  sondern  der  turnus.  der  zufall  schafft  keine  geschlossenen 
majoritäten;  der  rat,  den  er  bildete,  stand  dem  Areopag,  der  dem  be- 
vorrechteten Stande  gehörte,  ganz  ungefährlich  gegenüber,  das  ist  wol 
wahr,  dafs  der  drakontische  rat,  wenn  er  ihn  denn  wirklich  erst  ge- 
schaffen hat,  was  wir  im  gefühle  unserer  Unsicherheit  gelten  lassen 
müssen ,  schliefslich  der  rat  des  Ephialtes  geworden  ist,  der  eigentliche 
herr  Athens:  aber  so  wie  ihn  Drakon  erlosen  liefs,  war  er  noch  längst 
keine  gefahr,  eben  weil  er  erlost  ward. 
voiksver-  ^^  kommt  hiuzu ,   dafs  die  Volksversammlung   eine  Institution  ist, 

Sammlung.  f\\^  Homer  allerorten  kennt,  die  selbst  in  dem  verknöcherten  Sparta 
immer  zu  recht  bestanden  hat.  in  dem  berichte  über  Drakon  ist  sie  fort- 
gelassen; die  oligarchen  von  411  haben  sie  selbst  zu  gunsten  des  rates 
beseitigt,  ich  glaube  gar  nicht,  dafs  Drakon  das  auch  getan  hat;  sie 
wird  die  Strategen  auch  damals  gewählt  haben  und  die  entscheidung  in 
den  wichtigsten  sachen,  wie  über  krieg  und  frieden,  wird  man  dem 
nominellen  souverän  nicht  entzogen  haben,  aber  es  ist  doch  bezeichnend, 
dafs  sie  fortgelassen  werden  konnte,  sie  verhert  eben  an  bedeutung,  wenn 
ein  an  köpfen  so  starker  rat  da  ist,  und  wenn  dieser  gar  neu  eingesetzt 
wird ,  ist  die  beschränkung  der  Versammlungen  der  gesammtgemeinde 
ein  ganz  notwendiges  compleraent.  das  konnte  den  Areopagilen  schon 
recht  sein,  wenn  sie  auch  nur  murren  oder  klatschen  darf:  dafs  sie 
ihrer  zahl  sich  bewufst  wird,  macht  schon  allein  die  volksmasse  wider 
eine  herrschende  minderzahl  aufsässig,  es  gibt  also  eine  seile  der  be- 
trachtung,  von  der  aus  der  rat  sogar  lediglich  durch  das  wolverstandene 
oligarchische  Interesse  gefordert  erscheint. 
*'"unT^'  Es  mufs  hier   eine   allgemein   gillige   erwägung  als  ein  wichtiger 

consiiium.  factor  eingesetzt  werden,  nicht  nur  in  Athen  oder  den  hellenischen 
demokratieen,  sondern  in  ziemhch  allen  Staaten  heifst  später  die  eigent- 
lich regierende  behörde  rat,  ßovXrj.  darum  mufs  man  sich  erst  darauf 
besinnen,  dafs  in  dieser  bezeichnung  bei  dieser  macht  ein  völliger  Um- 
schwung der  Verhältnisse  ausgesprochen  ist,  der  den  namen  selbst  in  das 
volle   gegenteil  seiner  bedeutung  verkehrt  hat.     eine   behörde,    die  rat  j 


Magistrat  und  consilium.  91 

heifst,  ist  vom  "^raten'  benannt,  mwls  also  ihrer  natur  nach  eine  consul- 
tative,  keine  executive  sein,  wer  rät,  des  ist  das  handeln  nicht;  das 
ist  vielmehr  dessen  dem  er  rät.  ßovlt]  ist  consilium:  in  Rom  ist  das 
wort  nicht  denaturirt,  und  obwol  der  senat  schliefslich  auch  die  herr- 
schaft  erlangt  hat,  ist  das  ursprüngliche  Verhältnis  wenigstens  in  der 
repubUk  nie  unkenntlich  geworden,  der  weg  kann  gar  kein  anderer 
gewesen  sein ,  als  dafs  die  berufung  des  rates  zunächst  ein  freiwilliger 
act  des  executivbeamten  war:  so  beruft  der  heerkünig  Agamemnon  seinen 
rat;  dann  ward  es  herkommen,  dann  ward  es  gesetz,  schliefslich  ward 
der  executivbeamte  verpflichtet  dem  rate  zu  folgen  und  sank  zu  einem 
Organe  des  rates  hinab,  in  Athen  führt  der  ccqxcov  später  seinen  namen 
wirklich  arto  rov  /.irj  aq^eiv,  und  wenn  der  dichter  sagt  rov  dgcovrog 
kort  /.al  t6  ßovlsvsiv,  so  gilt  in  seinem  Staate  rrjg  ßovlrjg  eoti  Kai 
To  ÖQav.  diese  macht  hat  der  rat  der  500  erst  durch  Ephialtes  erlangt, 
wenn  wir  nun  von  der  zeit  reden,  die  diesen  rat  erst  schuf,  so  sind 
wir  verpflichtet  ihn  nicht  als  den  handelnden,  sondern  als  einen  ratenden 
rat  zu  denken. 

Die  entwickelung  der  gerichte  läuft  völlig  parallel,  in  Kom  und  in 
Athen,  der  könig  oder  sein  rechtsnachfolger  hat  kraft  seines  amtes  die 
findung  des  Urteils,  dixä^ei.  er  beruft,  zunächst  je  nach  beheben,  ein 
consilium,  ihm  das  urteil  finden  zu  helfen,  dann  wird  diese  berufung. 
herkommen,  vöf-ioq,  und  dieses  herkommen  wandelt  sich  zum  gesetze, 
vöfxog.  schhefsüch  wird  der  beirat  zum  diy.aGTr]g,  der  gerichtsherr 
{jiYSfxwv)  hat  nichts  zu  tun  als  das  urteil  zu  verkünden,  in  Athen  ist 
der  konig  schon  in  grauer  frühzeit  gezwungen  worden,  sich  desselben 
consiliums,  des  rates  auf  dem  Areshügel  (der  diesen  zusatz  natürlich 
erst  erhalten  hat,  als  neben  ihm  ein  anderer  rat  bestand),  für  einen 
teil  der  regierungsgeschäfLe  und  für  die  urleilsfindung  in  einer  reihe 
der  schwersten  rechtsfälle  zu  bedienen,  weil  sie  sich  die  autorität  nicht 
zutraut,  allein  über  Orestes  zu  richten,  beruft  Athena  die  Areopagiten 
und  setzt  den  rat  ein.  so  war  es  seit  unvordenklicher  zeit  geschehn, 
als  Drakon  seine  gesetze  aufzeichnete,  er  band,  schwerhch  aus  eigenem 
einfall,  den  künig  auch  in  einer  grofsen  zahl  anderer  fälle  an  den  wahr- 
spruch  von  51  adlichen  schoffen.  wenige  jähre  vorher  hatte  bereits 
ein  gericht  von  300  adlichen  über  die  mörder  Kylons  das  urteil  gefällt. 
das  war  ein  ausnahmefall.-')     aber  in  dem  volke,  das  dieses  gericht  con- 

27)  Diese  tatsache  hat  immer  in  Plutarchs  Solon  gestanden,  wie  stark  mufs 
die  Verblendung  der  modernen  theorie  gewesen  sein,  die  trotzdem  die  geschwornen- 
gerichte  erst  für  die  zeit  des  Perikles  zugeben  wollte. 


92  I-   4.  Drakons  Verfassung. 

stituirte,  war  der  gedanke  des  geschwornengerichtes  offenbar  schon  voll- 
kommen lebendig,  wir  können  gar  nicht  sagen,  ob  er  die  judicalur 
der  thesmotheten  noch  selbständig  liefs:  jedenfalls  war  es  eine  ganz 
unvermeidliche  consequenz,  dafs  Solon  auch  sie  verpflichtete,  den  spruch 
eines  gerichtes  einzuholen;  nur  in  der  besetzung  dieser  richterstellen, 
nicht  aoiOTivörjv  sondern  e§  aTtdvTiov ,  lag  der  demokratische  fort- 
schritt.  es  ist  eine  gerade  linie  der  entwickelung  von  jener  freiwilligen 
Selbstbeschränkung  Athenas  bis  zu  der  demokratie,  die  Aristoteles  die 
äufserste  nennt,  und  in  der  das  volk  -AVQiog  zrjg  iprjcpov  auch  y.vQiog 
TTJg  nolLteiag  ist.  als  neben  den  künig  der  rat  auf  dem  Areshügel 
trat,  fieng  die  herrschaft  des  ö^/^iog  'EQ^xd-rjog  an.  in  Athen  ist  der  poli- 
tische gedanke  wirklich  bis  in  seine  äufserste  consequenz  verfolgt  worden. 

Aber  die  entwickelung  hat  nicht  den  verlauf  genommen,  dafs  der 
rat  der  adlichen,  der  aus  den  beamten  hervorgeht,  sich  in  folge  der 
änderungen  der  magistratur  mit  geändert  hätte,  sondern  es  ist  neben  den 
adlichen  rat  ein  demokratischer  getreten,  der  hat  später  einmal  den 
adlichen  malt  gesetzt:  das  ist  unter  Ephialtes  geschehn.  als  er  zuerst 
in  die  erscheinung  trat,  war  das  machtverhältnis  natürhch  umgekehrt: 
so  treffen  wir  es  unter  Drakon. 

Der  Areopag  rät  dem  könige:  wem  rät  der  untere  rat?  das  ist 
die  frage,  auf  die  uns  diese  allgemeine  erwägung  hinführt,  in  ihr  liegt 
der  Schlüssel  des  Verständnisses.  Demosthenes  würde  um  die  antwort 
nicht  verlegen  sein :  dem  volke  rät  er,  dem  souverän,  das  trifft  auf  die 
demosthenische  zeit  zu;  aber  man  braucht  nicht  allgemeine  erwägungen 
anzustellen,  um  diese  antwort  als  ungeschichtlich  abzuweisen. '  man  braucht 
nur  die  Politie  des  Aristoteles  zu  lesen,  in  ihr  hat  das  volk  überhaupt 
kein  eigenes  capitel,  sondern  die  Volksversammlung  erscheint  lediglich*^ 
in  dem  amtsbereiche  der  behürde,  die  sie  beruft  und  leitet,  des  rates 
oder  vielmehr  seines  Vorstandes,  die  analogie  zu  dem  konige,  der  den 
rat  des  Areopages,  zu  den  gerichtsherren,  die  die  geschwornengericlite 
berufen  und  leiten,  ist  noch  durchaus  bewahrt:  an  der  spitze  des  rates 
und  mittelbar  des  Volkes  stehen  die  prytanen  (denn  von  der  späten  und 
unbedeutenden  neubildung  der  proedren  sieht  man  ohne  weiteres  ab). 
der  Vorsitzende  der  prytanen,  der  das  siegel  des  Staates  und  die  Schlüssel 
zu  den  staatscassen  und  archiven  führt,  ist  der  träger  der  volkssouverän i- 
tät,  auf  vier  und  zwanzig  stunden,  er  gibt  dem  tage  den  namen,  wie 
der  archon  dem  jähre. 
lauen  des  Die  prytanen  des  Kleisthenischen  rates  sind  ein  ausschufs  desselben; 

naukrari-       •  i  •.         "m  h  ,  -n      •    ,       ,  .       •         ,.  ... 

sehen  rates.  Sie  getioren  ihm  selbst  an.     das  will  sich  der  analogie,  die  wir  hier  ver- 


i 


Die  prytanen  des  naukrarischen  rates.  93 

folgen,  nicht  fügen,  das  pafst  auch  zu  dem  hochvornehmen,  dem  könige 
wenig  nachstehenden  namen  sehr  wenig,  da  tritt  nun  die  drakontische 
Verfassung  ein  und  schafft  mit  einem  schlage  licht,  in  ihr  hahen  wir 
vier  prytanen  gefunden,  offenbar  beamte,  die  Vorsitzenden,  aber  jährigen 
Vorsitzenden  des  rates.  ihnen  also  riet  dieser  rat.  sie  zu  binden ,  so 
wie  der  Areopag  die  beamten  band,  ist  der  rat  geschaffen,  die  prytanen 
sind  durch  eine  ganz  besondere  härte  der  rechenschaftsabnahme  ge- 
bunden: sie  müssen  eine  grofse,  dem  adel  gefährhche  macht  besessen 
haben,  der  census  gilt  für  sie  so  wenig  wie  für  ihren  rat.  was  haben 
I  diese  plebejischen  magistrate,  diese  tribuni,  bedeutet? 

Herodotos  sagt  in  der  erzählung  vom  tode  Kylons,  dafs  die  pry- 
tanen der  naukraren  damals  Athen  beherrschten  (5,  71).  das  ist  die  tra- 
dition  der  Alkmeoniden,  der  wir  den  glauben  in  betreff  der  schuldfrage 
versagen,  da  die  Atthis  und  Thukydides  (der  natürlich  diese  wiedergibt) 
den  archon  Megakles  verantwortlich  gemacht  hat:  das  gericht  über  die 
Alkmeoniden,  das  sie  schuldig  sprach,  mufs  auch  für  uns  entscheidend 
sein.^^)  aber  die  allgemeine  angäbe  Herodots  mufs  so  viel  gelten,  dafs 
es  prytanen  der  naukraren  gab,  und  dafs  man  diesen  eine  so  bedeutende 
machtstellung  zuschreiben  konnte,  der  drakontische  rat  stand  damals 
noch  nicht  neben  den  prytanen,  wenn  man  es  scharf  nehmen  darf, 
aber  die  naukraren  standen  doch  neben  ihnen:  welches  Verhältnis  be- 
steht zwischen  dem  rate  und  den  naukraren? 

Der  kleisthenische  rat  ist  eine  Vertretung  der  demen.  die  demarchen 
sind  damals  an  stelle  der  naukraren,  die  demen  an  die  stelle  der  nau- 
krarien  getreten,  die  analogie  führt  also  in  der  tat  darauf,  in  dem 
älteren  rate  eine  Vertretung  der  naukrarien  zu  suchen,  so  erscheint  der 
name  prytanen  der  naukraren  für  die  zeit  vor  der  Schaffung  des  rates 
nicht  unpassend,  wenn  der  zusatz  der  naukraren  auch  ohne  zweifei  nur 
von  den  gewährsmännern  Herodots  herrührt,  die  jene  alten  mächtigen 
prytanen  von  denen  ihrer  zeit  unterscheiden  wollten,  von  der  Zusammen- 
setzung des  solonischen  rates  wissen  wir  nichts  als  die  Vertretung  der 
4  phylen:  die  prytanen  Drakons  sind  4,  entsprechen  also  den  phylen, 
so  gut  wie  die  prytanencoUegien  des  späteren  rates  den  10  phylen. 

Man  soUte  meinen,  die  prytanen  gehörten  in  das  prytaneion;  man 


28)  Herodot  behauptet  übrigens  nur,  dafs  die  prytanen  dem  Kylon  und  seinen 
leuten  das  leben  versprochen  und  sie  dadurch  vermocht  hätten,  von  den  altären 
aufzustehn.  das  ist  möglich  und  glaublich,  aber  es  entlastet  den  archon  Megakles 
nicht,  führt  höchstens  darauf,  dafs  Kylon  bei  den  plebejern  sympathieen  halte. 


94  i.   i.  Diakons  Verfassung. 

sollte  auch  meinen,  sie  hätten  mit  der  rechtspflege  zu  tun  gehabt,  weil 
die  gerichtskosten  TVQvravela  heifsen.  aber  im  prytaneion  sitzt  der 
archon,  der,  so  viel  wir  wissen,  nicht  TtQvravig  geheifsen  hat  (was 
immerhin  sehr  nahe  liegt);  wird  gericht  im  prytaneion  gehalten,  so  er- 
scheint dort  der  könig,  und  neben  ihm  die  phylenkonige,  4  an  der  zalil, 
so  viel  wie  die  prytanen.  das  ist  eine  verwirrende  mannigfaltigkeit,  und 
sie  gewaltsam  zu  beseitigen ,  indem  man  etwa  mit  0.  Müller  phylen- 
konige und  prytanen  gleich  setzte,  geht  wahrhaftig  nicht  an.  es  lieyl 
vielleicht  an  der  spärlichkeit  der  überheferung,  aber  wenn  man  nur  aut 
sie  bhckt  und  den  schwalm  der  anderen  hypothesen  fahren  läfst,  so 
kann  man  doch  wol  jedem  Zeugnisse  gerecht  werden. 

Am  prytaneion  ist  später  nur  ein  scheingericht,  das  der  könig  mit 
den  4  phylenkünigen  vornimmt,  diese  hatten  damals  noch  eine  cas^e 
und  besorgten  opfer;  das  geben  auch  die  grammatiker  an,  die  ihre  walil 
oder  losung  nach  den  vier  phylen  kennen  und  den  ächten  adel  als  <  r- 
fordernis  aufstellen,  das  mochte  damals  wesenlose  form  sein:  patricisch 
war  das  amt  doch  geblieben  wie  der  rex  sacrificulus.^^)  aber  einstmals 
hatten  diese  könige  eine  sehr  viel  bedeutendere  judicatur  ausgeübt. 
Solons  dreizehnter  axon  spricht  die  amnestie  für  alle  aus,  die  wegen 
blutschuld  landflüchtig  sind,  verurteilt  vom  Areopag  oder  den  ephettn 
oder  €)t  TtQvraveLov  xaraöiyiaa&svTEg  vtio  tiov  ßaoiXeiov.  dassell)e 
steht,  oder  stand  doch,  genau  so  in  dem  psephisma  des  Patrokleides 
(Andok.  1,  78).  und  dafs  diese  könige  eben  die  vier  phylenkonige  sind, 
folgt,  von  allem  andern  abgesehn,  daraus,  dafs  ihr  eigentliches  amtshans 
das  ßaoilelov  ist  (Poll.  8,  111),  das  unweit  des  prytaneions  lag.  Drakun 
selbst  bezeugt,  dafs  die  phylenkonige  auch  über  unvorsätzlichen  mord 
das  urteil  fällten,  aber  da  waren  sie  an  den  wahrspruch  von  51  adhchcn 
Schöffen  gebunden.^")    also  sind  erst  einmal  die  vier  phylenkonige  neben 


29)  CIA  II  844.  Hesych  (pvXoß.  in  räv  ^vXwv  aiQeioi,  oi  t«s  d'vaias  i-ni- 
rsXovvTES.  besser  aus  gleicher  quelle,  am  letzten  ende  natürlich  der  Atthis,  Pollux 
8,  111  yvL  £§  svTtarQtScüv  ovtes  fiäXiGTO.  icöv  Ieqwv  enefielovvTO.  über  den  waiil- 
modus  lehren  diese  Zeugnisse  nichts  sicheres;  die  jährliche  befristung  des  amIes 
sogar  ist  nicht  überliefert,  aber  man  wird  nach  der  analogie,  z.  b.  des  naXs  dtp' 
eaxias  fivr]&eie  (Bekk.  An.  204)  an  erlosung  ex  TtQoxQircov  denken,  der  adel  ist 
sicherlich  ständisch  gedacht,  so  dafs  die  dygoMoi  und  SrjftiovQyoi ,  die  genles 
minores,  ausgeschlossen  sind,  diese  müssen  auf  den  namen  svnarQiSai  verzichten, 
nennen  sich  aber  nicht  nach  ihrem  stände,  sondern  etwa  id'aysvsls,  so  in  dem  lexicon 
Tie^l  yevwv,  das  im  Hesych  excerpirt  ist. 

30)  CIA  I  61    ia/ii   fis   \   TiQovoiai  xrat^et  rt's  zipa,   ^evyev   Stxä^ev  Se  tos 


Die  prytanen  des  naukrarischen  rates.  95 

den  konig  von  Athen  getreten ,  uugewifs  in  welcher  ausdehnung  der 
jiidicatur;  dann  sind  neben  sie  am  Palladion,  wol  auch  am  Delphinion, 
die  ephetcn  gestellt,  die  schliefslich  von  heliasten  ersetzt  werden;  da 
liefs  man  an  den  wirklichen  gerichten  die  phyleukönige  fort  und  behielt 
sie  nur  am  prytaneion,  wo  nur  noch  ein  scheingericht  war.  aber  dafs 
die  suche  nach  einem  unbekannten  morder  und  die  ermittelung  eines 
zufälhgen  Unglücksfalls,  der  ein  menschenleben  gekostet  hat,  notwendiger 
weise  ein  leeres  scheingericht  wäre,  kann  man  nicht  behaupten,  in  diesen 
fällen  schreitet  nur  vielmehr  die  polizei  ein  als  der  bluträcher  und 
der  richter.  dies  vor  Soion  sehr  stark  praktisch  eingreifende  gericht  der 
phylenkünige  ist  im  prytaneion:  da  sitzt  der  archon;  die  pohzeibehörde 
sind  später  die  prytanen.  so  wenig  klar  man  auch  sieht:  dieses  gericht, 
dieses  amtslocal,  die  Stellung  der  prytanen  des  Herodotos  und  derer  des 
Drakon   sind   wahrlich   nicht  unvereinbar  und  weisen  in  eine  richtung. 

Es  läfst  sich  das  viel  anschauhcher  dogmatisch  darlegen  als  in  der 
form  der  Untersuchung,  durch  die  es  gefunden  ist. 

Dem  geschlechterstaate  als  ganzem  entspricht  das  haupt  des  herrschenden 
geschlechtes,  der  konig.  der  geschlechterstaat  ist  einmal  in  die  vier  adels- 
stämme  gegliedert  worden :  ihnen  entsprechen  die  vier  phylenkünige,  die 
neben  dem  könige  von  Athen  stehen,  der  adel  beseitigt  die  praerogative  des 
herrschenden  geschlechtes,  setzt  neben  den  nicht  mehr  regierenden  konig 
den  "^regierenden  beamten',  hat  wol  schon  vorher  den  konig  an  das 
consilium  des  adelsrates  gebunden.'  die  sacralen,  und  so  weit  sie  sacral 
sind,  die  richterlichen  functionen  bleiben  dem  könige,  und  mit  ihm  den 
vier  königen ,  allein  es  wird  ihnen  das  consilium  des  rates  und  der 
Schöffen  zur  seite  gestellt,  das  ist  die  eine  reihe  der  entwickelung;  in 
ihr  ist  noch  alles  patricisch.  nun  drängt  sich  aber  neben  der  gentili- 
cischen  die  locale  Ordnung  unabweislich  auf.  denn  ein  sefshaftes  volk 
kann  auf  die  dauer  einer  localen  Verwaltung  nicht  entbehren,  für  das 
aufbringen  der  Steuer,  für  die  aushebung,  für  die  Unterhaltung  der 
schiffe,  für  die  frohnden.  dabei  dringen  die  plebejer  ein,  die  an  dem 
allen  teil  haben,  das  trihutum  fordert  erst  die  tribus,  dann  die  tri- 
huni.  gewifs  sind  im  heerbanne  der  Athener  auch  einmal  die  männer 
und  cHenten  eines  geschlechtes  vereinigt  zusammengetreten  mit  den 
männern  und  chenten  der  übrigen  geschlechter  dieser  bruderschaft,  und 


ßaaiXias  —  —  tos  Ss  s^sras  Siayvövui.  Plut.  Sol.  19  inirifiovs  elvat  nXfiv  oaoi 
i^  uä^eiov  Ttdyov  rj  oaoi  s§  dcpsrcijv  r;  ex  TiQvravsiov  xaraoiy.aad'ivrES  vtio  tcvv 
ßaaiXioiv  it.  T.  X.  darin  gehört  also  xaraScxaad'ivTss  auch  zu  el  efExa.v.  deshalb 
steht  zweimal  oaot. 


96  1.   4.  Drakons  Verfassung. 

dann  die  bruderschaften  zum  stamme,  cog  q^QrjTQ)]  (pgrjTQi](piv  ccqiJqj], 
(pvla  de  rpvXoiq.  aber  mit  der  zeit  ward  diese  Ordnung  unbrauchbar, 
nicht  die  Kynniden  hatten  interesse  an  einem  fahrwege  vom  cap  Zoster 
nach  der  Stadt,  sondern  die  bewohner  von  Lamptra  und  Aixone.  nicht 
die  nachkommen  des  Thymoites  waren  geeignet  einen  dreifsigruderer  zu 
bemannen,  sondern  die  bewohner  des  dorfes  der  Tiiymailaden,  wes  ge- 
schlechtes sie  auch  sein  mochten,  deshalb  schuf  man  die  Organisation 
der  naukrarien,  wie  der  name  sagt^'),  zunächst  für  die  flotte,  wie  sie 
denn  auch  noch  über  Kleisthenes  hinaus  für  die  flotte  geltung  behalten 
haben.^^)  aber  die  chronik  sagt,  dafs  die  naukrarien  überhaupt  für  das 
Steuerwesen  da  waren  und  eine  casse  hatten,  an  der  spitze  der  nau- 
krarie,  die  also  der  römischen  ortstribus  entspricht,  stehen  die  naukraren : 
das  ist  die  ortsbehörde.  die  48  naukrarien  sind,  wie  es  eben  gieng,  in 
die  vier  phylen  eingeordnet,  es  fehlt  die  staatliche  behörde,  die  ihro 
gesammtheit  zusammenhält:  diese  lücke  füllen  die  vier  prytanen,  die 
trihuni.  sie  verhalten  sich  zu  den  vier  phylenkönigen  wie  der  archon 
zum  könige,  aber  sie  sind  nicht  mehr  patricische  beamte.  das  organ,  welches 
die  frohnden  und  steuern  verteilt  und  einzieht,  ist  wol  geeignet,  eine 
starke  effective  macht  zu  erlangen,  die  prytanen,  die  mit  dem  vavv.QaQLy.bv 
agyvQLOv  zu  tun  haben ,  forderten  allerdings  eine  scharfe  überwachuni; 
bei  der  rechenschaftsabnahme  heraus,  und  wenn  der  könig  und  der 
archon  an  den  rat  auf  dem  Areshügel  gebunden  war,  so  war  es  ein  con- 
sequenter  schritt,  den  prytanen  eine  Vertretung  der  naukrarien  in  einem 
rate  zur  seile  zu  stellen,  das  war  ganz  eben  so  gut  eine  die  Iribune 
bindende  wie  die  aspirationen  der  plebs  befriedigende  mafsregel.  die 
fortentwickelung  ist  gewesen,  dafs  die  prytanen  in  den  rat  selbst  aufgiengen. 
dieser  erhielt  selbst  die  macht;  die  plebejische  magistratur  war  unnötig, 
da  der  ständische  gegensatz  doch  schon  durch  Drakon  ein  gegensatz 
des  census  geworden  war,  zumal  die  beamten  immer  mehr  an  das  volks- 
gericht  gefesselt  wurden,  die  prytanen  können  noch  nach  Solon  als 
magistrate  bestanden  haben;  er  kann  sie  auch  beseitigt  haben:  das  wissen 
wir  nicht,    was  sie  zu  Drakons  zeit  sein  mochten,  und  wie  er  dazu  ge- 


31)  vavTCQaQOi  setzen  die  alten  mit  vavxXrjQos  gleich,  dann  miils  der  rholn- 
cismus,  der  ja  in  dem  allen  attisch  anaioga  genug  hat  {nXaSos  y.QaSoe,  x^ißavoi 
y.Xißavoe,  Ktxowxp  KoconiSat  K'/.aniSat)  älter  sein  als  die  brechung  des  o.  das  isl 
der  fall,  denn  wir  können  vavxJ.aQos  noch  belegen,  CIA  IV  p.  202.  also  nicht  in 
diesem  lautwandel  Hegt  die  Schwierigkeit,  sondern  darin,  dafs  man  vavxlrjQos  in 
seiner  gewöhnlichen  bedeutung  nicht  ableiten  kann. 

32)  Vgl.  das  capitel  'Trittyen  und  Demen.' 


I 


Die  prytanen  des  naukrarischen  rates.  97 

kommen  ist,  einen  rat  zu  bilden,  ist  zwar  nicht  mit  Sicherheit  zu  sagen, 
aber  eine  Vorstellung  läfst  sich  sehr  wohl  davon  gewinnen ,  nicht  zum 
wenigsten  ist  die  neue  künde  deshalb  wertvoll,  weil  sie  nicht  völlig  ver- 
ständlich ist. 

Frage  über  frage  drängt  sich  auf,  wenn  man  den  blick  auf  die  alte 
zeit  heftet,  gab  es  Versammlungen  des  adels  neben  denen  des  Volkes? 
Versammlungen  etwa  auch,  an  der  die  freie,  aber  von  steuern  aus- 
geschlossene bevölkerung,  die  theten,  teil  nahmen?  wer  leitete  diese 
oder  jene  Versammlungen  ?  wer  selbst  die  solonischen  ?  aber  wir  dürfen 
das  noch  gar  nicht  fragen,  wir  werden  nur  dazu  verleitet,  weil  wir  dank 
den  noch  so  kärglichen  mitteihmgen  über  Drakons  Verfassung  hier  und 
da  ein  licht  in  dem  dunkel  aufleuchten  sehen ,  in  dem  die  phantasmen 
aegyptischer  kästen,  ober-eten  und  was  nicht  alles  für  nachtgevögel 
schwirrte,  die  Verfolgung  der  rechtlichen  gedanken  wird  von  der  ein- 
sieht in  das  spätere  Staatsrecht  aus  gewifs  noch  manches  erhellen,  aber 
die  erinnerung  an  die  ereignisse  und  die  persönUchkeiten  ist  nun  einmal 
verloren,  wir  vermögen  nicht  abzugrenzen,  was  Drakon  neu  schuf,  was 
er  nur  als  geltendes  recht  aufzeichnete,  noch  in  wie  weit  er  persönlich 
der  herrschenden  plutokratie  oder  dem  andringenden  demos  zu  dienen 
bestrebt  war.  die  zeit  vor  Solon  erkennen  wir  in  Drakons  gesetzen,  und 
wenn  es  auch  äufserst  wertvoll  ist,  zu  sehen,  wie  vieles  von  dem,  was  uns 
solonisch  war,  schon  im  siebenten  Jahrhundert  angestrebt  worden  ist,  so 
trifft  doch  die  aristotelische  kritik  den  nagel  auf  den  köpf,  'die  schuld- 
knechtschaft  blieb  und  das  land  blieb  in  den  bänden  weniger.'  mit 
stilistisch  wie  sachlich  gleich  grofser  berechtigung  wiederholt  Aristoteles 
nach  dieser  Verfassung  dieselbe  vernichtende  kritik,  die  er  vorher  von  den 
socialen  zuständen  gegeben  hatte,  erst  wer  diese  reformirte  war  der 
neugründer  des  attischen  Staates,  das  war  Solon,  zugleich  die  erste  in- 
dividuell kenntliche  person.  von  Drakon  glaubte  Aristoteles  wenigstens 
die  zeit  zu  wissen,  doch  auch  das  nicht  ganz  sicher,  wir  wissen  sie 
nicht.^^) 


33)  Dafs  Aiistotes  mit  reserve  zwar  den  arclion  nennt,  aber  den  abstand  von 
Solon  nicht  angibt,  ist  oben  hervorgehoben  (s.  9).  er  sagt  aber,  dafs  es  'lange 
zeit'  vor  Solon  war.  das  stimmt  zu  dem  ansatze  in  der  neununddreifsigsten  Olym- 
piade (621)  bei  Tatian  (adv.  Gr.  41,  daraus  Clem.  St.  I  366  P.)  und  Eusebius  in 
den  Canones,  der  das  jähr  gibt,  aber  xaxa  rivds  zufügt,  die  angäbe,  die  auf  Diodor 
zurückgeht  (IX  17),  47  jähre  vor  Solon,  ist  ihrer  Überlieferung  nach  ganz  unsicher; 
es  ist  auch  nicht  einmal  sicher,  dafs  der  annalist  die  distance  selbst  gezählt  hatte, 
einen  ganz  anderen  ansatz,  7  jähre  vor  Solon,  hat  schol.  Aisch.  1,  6.  dafs  wir 
y.  Wilamowitz,  Aristoteles.  ' 


98  I.   4.  Diakons  Verfassung. 

Ergebnis.  Die  attisclie  Chronik  hatte  den  Drakon  fast  ganz  vergessen,  so  weit 

nicht  seine  gesetze  in  die  Solons  aufgenommen  waren,  wo  einzelne  als  solche 
hezeichnet  waren,  sie  gab  nur  eine  skizze  der  urverfassung  des  Theseus 
und  später  der  solonischen ,  die  sie  entsprechend  ihrer  demokratischen 
tondenz  im  gründe  mit  der  bestehenden  gleich  setzte.  Drakon  traf  der 
hafs,  weil  sein  uame  sich  mit  dem  vorsolonischen  zustande  verbunden 
hatte,  diese  Unzulänglichkeit  und  ungenauigkeit  hat  Aristoteles  durch- 
schaut, ihr  hat  er  nach  kräften  abgeholfen,  indem  er  einen  bericht  über 
Drakons  Verfassung  einsetzte,  den  er  bei  den  oligarchen  von  411  ge- 
funden hatte,  die  kreise  des  Antiphon  und  Theramenes  hatten  ein  ge- 
schichtliches und  praktisches  interesse  an  der  zeit,  da  Athen  noch  nicht 
demokratisch  war,  und  damals,  wo  man  bei  der  codification  des  rechts 
auf  die  alten  gesetzestafeln  zurückgriff,  verfügte  man  auch  noch  über 
einige,  für  unsere  wünsche  freihch  längst  nicht  genügende  kenntnis 
der  alten  Satzungen,  wir  sind  beiden,  dem  Aristoteles  wie  seinen  ge- 
währsmännern ,  zu  lebhaftestem  danke  verpflichtet,  und  wenn  sie  uns 
hier  dazu  verhelfen,  die  demokratischen  fabeln  von  den  blutgeschriebenen 
drakontischen  gesetzen  durch  ächte  Überlieferung  zu  ersetzen,  so  wollen 
wir  das  in  die  wagschale  werfen,  wenn  wir  sie  ihrerseits  bei  der  Ver- 
breitung und  eründung  übler  geschichten  betreffen  werden ,  die  wider 
die  dcmokratie  gerichtet  sind,  denn  über  die  am  anfange  des  capitels 
aufgeworfene  frage,  ob  diese  drakontische  Verfassung  nicht  selbst  eine 
ohgarchische  erfindung  wäre,  brauche  ich  für  den  leser,  der  bis  hierher 
gefolgt  ist,  kein  worl  mehr  zu  verlieren. 


nicht  einhelligkeit  erzwingen  dürfen ,  lehrt  die  note  des  Eusebius.  auch  das  Ver- 
hältnis der  gesetzgebung  zu  dem  gerichte  über  die  Alkmeoniden  ist  keinesweges 
gleichniäfsig  und  sicher  überliefert,  wäre  Drakon  archon  gewesen,  so  würde  das 
datum  nicht  oder  kaum  geschwankt  haben,  aber  er  war  es  nicht.  Pausanias 
(IX  36)  sagt  in  seinem  stile  ganz  deutlich,  dafs  er  thesmothet  war,  ^qükovtos  ''Ad'r}- 
vaiois  d'eOfio-d'STrjaavios  ix  iwv  ixeivov  xaTsari]  voficov  ovS  i'yQafpev  eni  rrjs 
a^X^js.  wenn  das  auf  das  archontenamt  gedeutet  worden  ist,  so  ist  es  nicht  die  schuld 
des  Pausanias.  in  der  beamtenliste  des  Arislaiclimos  also  figurirte  er  als  thesmothet: 
dahin  setzen  einige  seine  gesetzgebung,  und  so  Aristoteles,  andere  müssen  auf  andere 
indicien  hin  anders  geschlossen  haben,  und  zwingend  ist  ja  jener  schlufs  keinesweges. 


i 


I 


5. 
THUKYmDES. 


Den  Thukydides  nennt  die  Politie  nirgend,  ich  hatte  schon  früher 
darauf  hingewiesen,  dafs  die  übrigen  Schriften  des  Aristoteles  ebenso- 
wenig wie  die  des  Piaton  oder  Isokrates  oder  Demoslhenes  eine  spur 
seiner  benutzung  zeigen,  von  der  viel  gefabelt  worden  ist  und  trotz  dem 
augenschein  gefabelt  wird.')  hier  ist  er  allerdings  benutzt,  aber  in  einer 
art,  welche  über  die  Stimmung  des  Aristoteles  ihm  gegenüber  keinen 
zweifei  läfst. 

Nacherzählt  ist  ihm  der  stürz  der  400  (cap.  33),  zuweilen  mit  wört-  geg^ifchte 
Hchem  anklang,  natürhch  unter  Währung  der  schriftstellerischen  selbst-    ^^^  ^'^'^• 
stäudigkeit^),   und   wenn   in    einigen   punkten   das   politische  urteil  des 


1)  Auszunetimen  ist  vielleicht  ein  zeugnis,  die  bewunderung  Antiphons,  wenn 
das  citat  aus  Thuliydides  bei  Cicero  Brut.  47  auf  die  awaymyr,  xexvcöv  zurückgeht, 
was  freilich  ungewifs  bleibt,  dann  würde  es  eine  benutzung  eben  derselben  capitel 
beweisen,  die  auch  in  der  Politie  benutzt  sind. 

2)  Man  lese  selbst  neben  33  Thuk.  8,  95—97  nach,  für  den  wörtlichen  an- 
schlufs  z.  b.  Ar.  t^s  Evßoias  änoaräarji  oIt/S  nlriv  ^üqsov.  Th.  95  am  ende, 
EtJßoiav  anaaav  anoarrfiavTss  (die  Lakedaimonier)  iiXiiV  ^iioeov'  ravrrjv  S  avrot 
'Ad'Tjvaloi  elxov.  die  erw ähnung  der  kleinen  Stadt  war  für  Aristoteles  ohne  belang, 
zumal  er  den  erklärenden  zusatz  fortliefs.  Thuk.  97  tovs  rerQu^oaiovs  xaranav- 
cavTE?  rolS  TCEvraiciaxi^iois  eifirjtpiaavTO  ra  nqäy^aTa  naqadovvai,  elvai  Se  avzcöv 
oTiöaoi  [xal,  was  selbst  Hude  hält,  obwol  es  in  BGE,  d.  h.  der  glaubwürdigen  Über- 
lieferung überhaupt,  fehlt]  onXa  Tiaqaxovrat,  xai  fiiad-ov  firjSira  (fSQEiv  fir]Sefiiä 
aqxji-  —  —  ''«'  oix  7]xiara  Si]  xov  itqänov  xqovov  ini  y'  i^iov  A&rivaXoi  (pai- 
vovrat  eil  noXnevaaviss.  Aristoteles  xarslvaav  rovs  rerqatcoaiovs  xal  t«  nqay- 
fiara  naqeScoxav  rols  nevraxtaxi^iois  rols  ix  rcöv  onXtov,  xprj^iaä/iisvoi,  /irjosfiiav 

aQxr^v  elvai  fiia&OipoQOv. Soxovai  Se  xaJicüe  jtoXiTEvd'TJvai.  xaza  rovrovs  rovs 

xaiQovs,  noksfiov  re  xaS'saTCÜToe  xai  ix  rcöv  onXiov  ttjs  noXireias  ovCrjs.  man  be- 
achte den  ersatz  des  veralteten  activs  noln:Ev£ivAüvc\i  das  passiv;  auch  ist  die  erläuterung 
der  xaiQoi  von  wert,  dals  man  nicht  glaube,  xaiooi  wäre  für  Aristoteles  schon 
'zeit'  gewesen,     was  er  zwischen  den  beiden  eben  abgeschriebenen  sätzen  hat,  ist 

7* 


100  I-    5-  Thukydides, 

Thukydides  wiederkehrt,  wie  namentlich  über  die  ephemere  Verfassung, 
die  unmittelbar  nach  dem  stürze  der  400  eingeführt  ward,  aber  nicht 
einmal  bis  zum  ende  des  Jahres  (unter  Theopompos,  September  411  bis 
juni  410)  in  kraft  bheb,  und  deshalb  von  Aristoteles  in  der  zahl  der 
Verfassungen  nicht  mitgerechnet  wird,  so  ist  das  nicht  eine  entlehnung, 
sondern  eine  bekräftigung  dieses  Urteils,  denn  in  den  wichtigsten 
stücken  ist  Aristoteles  ganz  anderer  meinung.  Theramenes  und  Aristo - 
krates^)  sind  beide  für  Aristoteles  überzeugte  anhänger  der  neuen  Ver- 
fassung und  ächte  patrioten ,  während  Thukydides  (8,  89)  ihre  verfas- 
sungstreue nur  für  einen  deckmantel  persönhcher  absiebten  hielt,  die 
aufzählung  der  geistigen  urheber  und  leiter  der  bewegung,  Peisandros 
Antiphon  Theramenes  (32,  2),  ist  allerdings  im  anschlusse  an  Thuky- 
dides (8,  68)  gegeben,  so  dafs  selbst  die  reihenfolge  dieselbe  ist.  aber 
Phrynichos  ist  unter  ihnen  ausgelassen,  obw'ol  er  nicht  nur  an  dieser 
stelle  bei  Thukydides  steht,  sondern  jeder  seiner  leser  eine  hauptursache 
für  den  stürz  der  400  in  der  ermordung  des  rücksichtslosesten  führers 
finden  mufs.'*) 


zum  teil  aus  Thuk.  89  genommen,  in  cap.  32  ist  nicht  nur  die  reilie  der  führer, 
sondern  auch  die  Zeitbestimmung,  100  jähre  nach  Hippias'  stürz,  aus  Thuk.  68,  das 
folgende  ol  nevxaxiaxi^ioi  Xöyco  fiovov  fjQid'rjaav  aus  Thuk.  89  rovs  Tievraxiaxi- 
Xiovs  k'Qyco  xai  firj  ovöfiari,  ;^^^vat  anodeiKvvvai,. 

3)  Aristokrates  wird  von  modernen  öfter  für  einen  aristokraten  erklärt,  weil 
Aristophanes  den  Wortwitz  schon  gemacht  hat,  doch  so  dafs  er  diese  folgerung 
geradezu  ausschliefst,  Vög.  125:  aQiaroicQareXad'ai  SrjXos  sl  ^rjrcöv.  —  sycö;  TJxiarw 
xal  rbv  ^xeXXiov  ßSeXirrofiai.  dafs  der  mann  sich  üxeUo  schrieb  (CIA  I  422),  beweist 
gegen  die  richtigkeit  des  verses  gar  nichts,  da  die  gemination  des  1  eine  unsichere 
Sache  ist,  und  die  Athener  z.  b.  in  ^OcpiXXas  ^OcpeXaz  immer  geschwankt  haben, 
natürlich,  da  ja  die  Verdoppelung  des  consonanten  in  den  kurznamen  nicht  durch- 
gedrungen ist.  also  der  vers  ist  heil,  sagt  aber  nur  dafs  dem  redenden  Aristokrates 
so  unausstehlich  ist  wie  die  aristokratie.  der  mann  aber,  der  den  Nikiasfrieden 
unterzeichnet  hat  und  nach  einer  langen  militärischen  tätigkeit  im  Arginusenprocefs 
hingerichtet  worden  ist,  hat  selbst  bei  den  radikalen  das  gedächtnis  als  ächter 
Patriot  bewahrt:  was  heifst  es  anders,  wenn  Lysias  (12,  66)  sagt,  dafs  Theramenes 
nur  aus  unlaulern  motiven  fterdaxe  rc5v  ^AQiOTOxQarovs  sQycDvl  und  noch  der 
redner  wider  Theokrines  67  kann,  obwol  er  und  sein  publicum  nichts  wirkliches 
mehr  weifs,  mit  dem  namen  Sympathien  erwecken. 

4)  Wie  Aristoteles  ihn  beurteilte,  kann  man  glücklicherweise  aus  der  Politik 
lernen,  die  ihn  als  urheber  des  Sturzes  der  400  bezeichnet,  weil  er  in  dieser  Oligar- 
chie aus  persönlichem  ehrgeiz  demagogische  künste  trieb  (V  1305'').  das  sind  die 
fpQvvlxov  TtaXaCofiara,  mit  denen  Aristophanes  die  oligarchen  von  41  ^  entschuldigt 
(Frösche  659).  da  Phrynichos  tot  war,  und  die  hochverräterischen  Verhandlungen 
mit  Sparta  den  Antiphon  und  die  andern  gesandten  rettungslos  compromittirten,  so 


Die  geschichte  der  400.  101 

Wie  überall  ist  von  Aristoteles  die  genaue  Zeitbestimmung  gegeben, 
aber  nirgend  ist  sie  so  genau  wie  hier,  am  14  Thargelion  des  Kallias 
trat  der  alte  rat  ab,  am  22  der  neue  an,  der  sich  vier  monate  hielt, 
von  denen  zwei  in  das  neue  jähr  fielen,  das  später  nach  Theopompos 
liiefs.  also  anfang  Boedromion  hat  die  Versammlung  statt  gefunden,  von 
der  Thukydides  8,  97  erzählt,  ende  Metageitnion  fiel  Euboia  nach  der 
Schlacht  bei  Eretria  ab.  das  ist  eine  sehr  wesentliche  Verschiebung 
gegenüber  der  herrschenden  ansieht,  die  den  400  reichliche  vier  monate, 
vom  Elaphebolion  des  Kallias  bis  in  den  Hekatombaion  des  Theopompos 
gab  und  geben  mufste.  denn  sie  war  genötigt,  dem  Thukydides  wesent- 
lich zu  folgen,  darin  liegt  schon,  dafs  Aristoteles  veranlassung  hatte, 
ihn  zu  berichtigen. 

F'erner  fügt  Aristoteles  die  friedensbedingungen  hinzu,  die  von  den 
400  den  Lakedaimoniern  gemacht  wurden,  das  sind  nicht  die  der  letzten 
gesandtschaft,  die  mit  fug  und  recht  als  landesverrat  angesehen  und  von 
Antiphon  und  Archeptolemos  mit  dem  tode  gebiifst  sind  (Thuk.  8,  90.  91), 
sondern  die  welche  dem  Agis  gemacht  wurden  (Th.  71)  und  von  Laispodias 
und  genossen  nach  Sparta  überbracht  werden  sollten  (Th.  86).  man 
vermifst  ihre  mitteilung  bei  Thukydides;  er  hat  sie  eben  selbst  nicht  zu- 
verlässig  erfahren.     Aristoteles  war  also  in  der  läge,   ihn  zu  ergänzen. 

Die  revolulion  der  400  selbst  erzählt  Aristoteles  eigentlich  nicht, 
sondern  er  gibt  eine  anzahl  actenstücke,  nur  ein  wenig  verkürzt  und 
stilistisch  umgeformt  und  durch  kurze  Übergänge  verbunden,  nach  einer 
kurzen  einleilung  über  die  motive,  die  das  volk  zur  annähme  der  Oli- 
garchie bewogen,  unter  denen  ebenso  wie  in  der  Politik^)  die  rücksicht 
auf  Persien  als  das  wichtigste  bezeichnet  wird,  während  über  den  von 
Thukydides  so  nachdrücklich  hervorgehobenen  terrorismus  der  clubbisten 
kein  wort  fällt,  folgt  der  erste  beschlufs  (A),  der  auf  antrag  des  Pytho- 
doros  gefafst  ward,  obwol  die  empfehlende  rede  vor  dem  volke  Melobios 


inufsten  diejenigen  der  400,  die  ihren  frieden  mit  dem  demos  machten,  also  Thera- 
menes  an  der  spitze,  auf  sie  alle  schuld  wälzen:  das  ward  also  die  officiell  an- 
genommene ansieht,  der  Aristoteles  sich  angeschlossen  hat.  aber  was  Phrynichos 
angeht,  so  wissen  wir  ja  durch  den  redner  für  Polystratos,  dafs  er  gesellschaftlich 
vom  schlage  der  Hyperbolos  und  Kleophon  war,  auch  schon  durch  geldstrafen  in 
vermögensverfali  geraten,  also  in  Aristoteles  sinne  gewifs  einer  der  schlechten 
Tiooaidrai  rov  Sriftov  sein  mufste. 

5)  V  1304'^  ncov  StJ/uov  e^r]ndTr,aav  fdaxovres  rov  ßaaiXia  xQrjfiara  naQs^siv 
•jtQos  Tov  TioXsftov  —  xpEiaäfxevoi  Se  xatixeiv  insiQmvTO  irjv  TioXneCav.  man  kann 
das  aus  Thuk.  8,  51  herleiten,  braucht  es  aber  nicht,  jedenfalls  stimmen  unsere 
gewährsmänner  überein. 


102  I-    5.  Thukydides. 

gehalten  hatte,  er  besieht  aus  dem  eigenthchen  antrage  (a),  dahin  gehend, 
dafs  (las  bereits  bestehende  collegium  der  10  probulen  (über  das  Aristo- 
teles hier  nichts  bemerkt  hat)")  zu  einem  von  30  avyyQacpi]g  ergänzt 
werden  solle,  mit  der  instruction,  antrage  ttsqI  rrjg  awTrjQiag  zu  for- 
muliren'),  und  einem  amendement  (b),  das  Aristoteles  einer  nicht  unan- 
fechtbaren kritik  unterzieht.®)  es  folgen  die  antrage  dieser  30  avyyqa- 
q)^g  (B),  der  erste  zur  geschäftsordnung,  dahin  gehend,  die  annähme 
des  zweiten  materiellen  zu  erzwingen  (a),  der  zweite,  den  ersatz  des 
Volkes  durch  die  5000  an  leib  und  gut  leistungsfähigsten  und  die  wähl 
von  100  Vertrauensmännern'')  durch  die  phylen,  die  dann  die  5ü00  zu 


6)  Wir  kennen  die  einsetzung  durch  Thuk.  8,  1 ,  die  Stellung  der  probulen 
durch  die  Lysistrate.  Aristoteles  verfügte  über  anekdotisches  niaterial,  rhet.  III  18, 
das  durchaus  glaubwürdig  klingt,  es  folgt  daraus,  was  natürlich  ist,  dafs  sie  die  ein- 
setzung der  Oligarchie  geschehen  liefsen.  sowol  Sophokles  wie  Hagnon  (Lys.  12,  65) 
der  vater  des  Theramenes,  waren  durch  alter,  vermögen  und  politische  carriere  zu 
dem  amte  berufen.    Sophokles  vertrat  die  Aigeis,  Hagnon  von  Steiria  die  Pandionis. 

7)  Es  ist  das  die  form,  mit  der  der  rat  eine  allgemeine  politische  debatte  auf 
die  tagesordnung  setzt,  sich  der  eigenen  initiative  begebend,  das  probuleuma  in  der 
form  wahrend,  eine  solche  debatte  negi  acorrjQias  ist  die  Voraussetzung  für  den 
Staatsstreich  der  Praxagora,  und  die  tagesordnung  wird  auch  ausdrücklich  angegeben 
(Ekkles.  394  i'So^e  toIs  itQviävEai  neql  acortj^ias  yvcofias  nQod'eXvai  rrje  nöXecoS 
u.  ö.).  von  derselben  zeit  sagt  Isaios  5,  37  elacpoQÜv  Toaoircov  yeysvrj/uevcop  ete 
töv  noXe/iov  y.ai  rrv  a(oxr,qiav  t^s  nölecos.  noch  im  Areopagitikos  fingirt  Iso- 
krates,  tieqI  awrrjQias  lijv  nQoaoSov  enoirjadfiriv.  es  liegt  in  der  Sache  selbst,  dafs 
das  volk  in  diesen  fällen  sehr  oft  die  äSsia  für  die  vorschlage  vorab  geben  mufste, 
schon  weil  der  antrag  auf  eine  directe  Steuer  oder  eine  anleihe  nicht  anders  gestellt 
werden  konnte. 

8)  Kleitophon  erscheint  bei  den  Verhandlungen  über  die  Lysandrische  Verfas- 
sung neben  Theramenes,  aber  auch  neben  Phorniisios  und  Archinos  als  ein  Vertreter 
der  ndxgios  noXiTsia  (34,  3).  zu  Theramenes  stellt  ihn  auch  Aristophanes  Frösche  967. 
wenn  er  411  auch  eine  prüfung  der  Kleisthenischen  Verfassung  verlangt,  die  er  für 
TiärQioi  hält,  so  braucht  das  nicht,  wie  Aristoteles  annimmt,  in  der  irrigen 
Voraussetzung  geschehn  zu  sein,  dafs  sie  keine  demokratische  gewesen  wäre, 
sondern  es  kann  ein  überzeugter  demokrat  den  machenschaften  der  oligarchen 
durch  sein  amendement  haben  abbruch  tun  wollen,  gegenüber  der  Verfassung  der 
400  ist  die  Kleisthenische  sowol  Stj/uotixi^  wie  ndzQios.  damit  will  ich  gar  nicht 
bestreiten,  dafs  Aristoteles  recht  haben  kann;  im  gegenteil,  die  einführung  des 
Kleitophon  im  platonischen  Staate  (danach  in  dem  schlechten  dialoge,  der  nach  ihm 
heifst)  spricht  dafür,  dafs  die  Platoniker  über  den  mann  mehr  wufslen;  aber  was 
Aristoteles  sagt,  und  was  wir  noch  wissen,  läfst  für  eine  andere  auffassung  räum. 

9)  Den  namen  xaraXoyEvs,  den  die  rede  für  Polysfrafns  liefert,  hat  die  Urkunde 
nicht,  vielleicht  nur  auf  das  uns  bekannte  material  gründet  sich  die  jedenfalls  nichts 
weiter  brauchbares  lehrende  glosse  xaraXoyevs,  die  in  den  brechungen  Phot.  Bekk. 
An.  270  und   190  vorliegt,  übrigens  die  y.araXoyris  und  avyyQafr]?  zusammenwirft. 


Die  geschichte  der  400.  103 

nominiren  hätten,  beantragend  (b).  dann  mufs  man  sich  ergänzen,  dafs 
die  wähl  der  100  und  durch  diese  die  conslituirimg  der  5000  statt  fand, 
diese  wiederum  eine  commission  von  100  erwählten ,  welche  eine  Ver- 
fassung auszuarbeiten  hatten:  man  ersieht  nicht,  dafs  Aristoteles  hier- 
über mehr  gewufst  hätte,  als  was  am  köpfe  des  dritten  actenstückes  ge- 
standen haben  mufs,  rade  ol  exavdv  ol  vrco  tojv  TtevTaxioxiklcov 
aiQsS^evTeg  aveyQaipav.  denn  dies  wichtigste  aktenstück  (C)  gibt  einen 
Verfassungsentwurf  für  die  zukunft  (a),  und  eine  provisorische  Verfassung, 
eben  die  des  rates  der  400  und  der  10  bevollmächtigten  Strategen  (b). 
formell  ist  auch  dieses  ein  beschlufs  des  ganzen  volkes,  denn  nur  so 
kann  man  ftkrjS^og  verstehn  (32,  1),  und  der  prytan,  der  es  zur  abstim- 
mung  brachte,  wird  genannt,  obwol  er  geschichthch  eine  ganz  indiffe- 
rente person  ist. 

Wenn  man  das  zuerst  liest,  kann  man  glauben,  Aristoteles  hätte 
im  archiv  diese  kostbaren  documente  gefunden  und  freute  sich,  sie  zu 
veröffenthchen ,  damit  sie  rein  durch  sich  wirkten,  eine  vergleichung 
der  thukydidcischen  erzählung  wird  lehren,  dafs  er  vielmehr  sich  daran 
freut,  mit  den  unanfechtbaren  actenstücken  jene  erzählung  zu  berichtigen. 

Thukydides  redet  von  einer  ersten  Volksversammlung,  die  gehalten 
wird,  als  Peisandros  in  Athen  angekommen  ist,  und  in  der  10  ovyyQa- 
(prjg  avToxQccTOQsg  gewählt  werden,  mit  der  Instruction,  auf  einen  be- 
stimmten tag  einen  antrag  vorzulegen  xad-^  o  xi  agiGza  ^  Ttohg  oi/.^- 
GExai.  dem  müfste  der  beschlufs  A  entsprechen,  aber  er  gibt  eine 
andere  zahl  von  avyyQacpfjg,  sie  sind  auch  nicht  avTOZQäTogeg^"},  es 
ist  ihnen  auch  keine  frist  gesetzt,  und  ihre  Instruction  geht  auf  die 
GioTi^Qia:  wie  sie  denn  als  erste  sehr  verständige  mafsregel  beantragen, 
alle  gelder  aussclüiefslich  für  kriegszwecke  zu  verwenden,  an  dem  fest- 
gesetzten termine,  so  erzählt  Thukydides  weiter,  ist  Versammlung  auf 
dem  Kolonos.  die  ovyygacprjg  bringen  nur  den  antrag  ein,  dafs  jeder- 
mann ungestraft  jeden  antrag  stellen  dürfte:  das  ist  eine  sehr  ungenaue 
wiedergäbe  von  Ba.  darauf  erhebt  sich  Peisandros,  kommt  mit  seinen 
antragen  vor,  alle  ämter  müfsten  geändert  werden,  alle  besoldungen  ab- 
geschafft und  5  TtQoeÖQOL  erwählt,  die  100  männer  wählen,  und  von 
denen  wieder  jeder  3  cooptiren  sollte:  diese  400  sollten  als  rat  avzo- 
'/.garogeg  regieren  und  nach  belieben  die  5000  berufen,  darin  erkennt 
man  kaum  noch  Bb,  die  fünf  TtgoeögoL  gibt  es  gar  nicht,  die  wähl  der  100 
ist  eine  ganz  andere,  von  den  400  jetzt  noch  gar  keine  rede,  vielmehr 
sind   die   5000   erst  jetzt  im  princip  eingesetzt  und  über  ihre  auswahl 

10)  Sie  sind  verwechselt  mit  den  10  aroarr^oi  avroxoärooe?  von  Cb. 


104  '•    5.  Thukydides. 

beschlossen  worden,  es  sind  also  zum  teil  anklänge  an  Cb  darin,  aber 
nicht  an  das  aclenstück,  nur  an  die  durch  dasselbe  geschaffenen  ämter 
und  competenzen.")  endlich  bat  Peisandros  keineswegs  den  antrag  ge- 
stellt, mag  er  auch  unter  den  ovyyQacprjg  gewesen  sein :  gestellt  ist  er 
als  yv(x)f.ir^  ^vyyQacpetov ,  und  diese  form  ist  uns  ja  jetzt  durch  die  in- 
schriften  '^),  und  zwar  keineswegs  als  eine  antidemokratische  geläufig,  und 
damit  man  nicht  etwa  den  einflufs  des  Peisandros  in  der  ersten  Ver- 
sammlung suche,  hat  Aristoteles  nicht  nur  den  eigentlichen  antragsteller 
Pythodoros,  sondern  auch  den  redner  in  jener  Versammlung  Melobios 
namhaft  gemacht,  ohne  zweifei  ist  der  Verfassungsentwurf  Ca  für  Ari- 
stoteles geschichtlich  und  theoretisch  vom  höchsten  werte  gewesen,  wie 
er  es  für  uns  ist,  und  vornehmlich  darum  hat  er  ihn  mitgeteilt:  aber 
er  dient  auch  der  absieht,  der  wir  die  mitteilung  der  übrigen  stücke  wol 
allein  verdanken,  der  berichtigung  des  Thukydides.  das  tut  auch  die  kurze 
feststellung  der  tatsache,  dafs  der  alte  ral  acht  tage  früher  ruhig  zurück- 
getreten war,  als  die  400  antraten.  Thukydides  (8,  69.  70)  schildert  höchst 
anschaulich,  wie  die  400  mit  dolchen  unter  dem  mantel  und  einer  be- 
waffneten schar  von  hilfstruppen  und  einer  bände,  die  sie  zu  gewalt- 
streichen organisirt  hatten,  das  rathaus  umzingeln,  während  die  wehr- 
hafte bürgerschaft  auf  den  mauern  oder  sonst  auf  Vorposten  abwesend 
ist,  wie  sie  den  also  eingeschüchterten  rat  zur  abdankung  zwingen  und 
selbst  die  geschäfte  übernehmen.  freiUch  ein  anderes  bild:  wer  es  im 
gedächtnis  bat,  spürt  in  der  kühlen  tatsächlichkeit  der  aristotehschen 
darstellung  den  bewufsten  gegensatz,  und  die  schweigende  berichtigung 
ist  auch  hier  eine  schneidendere  kritik  als  laute  polemik  es  sein  könnte. 
Was  sollen  wir  nun  aber  mit  Thukydides  anfangen?  wo  kommen 
wir  hin,  wenn  seine  Zuverlässigkeit  so  schlecht  sich  bewährt?  da  heifst 
es  kaltes  blut  behalten,  zunächst  die  schlimmsten  chronologischen  fehler 
hat  nicht  er  gemacht,  sondern  wir  modernen,  die  wir  einerseits 
dem  Thukydides  folgend  den  stürz  des  demos  möglichst  nahe  an  den 
frühhng  rücken   mufsten^^),    andererseits  die   viermonatliche   dauer  der 


11)  Genaueres  in  der  beilage  'die  rede  für  Polystratos'. 

12)  Schon  in  den  fünfziger  jalnen  liat  man  solchen  ausschufs  gewählt,  denn 
nach  der  analogie  des  s.  g.  eleusinischen  psephismas  (CIA  IV  p.  59),  wird  man  auch 
in  den  praescripten  des  milesischen  (IV  p.  6)  lesen  räSs  lioi  x]avvyYQa[fis 
XOvviyQacpaav. 

13)  Gleich  nach  frühlingsanfang  marschirt  Derkylidas  von  Milet  nach  Abydos. 
auf  die  nachricht  von  seiner  ankunft  geht  Strombichides  mit  allischen  schiffen  von 
Chios  nach  dem  Heliespont.     das  gibt  der  peloponnesischen  flotte  mut,  den  Athenern 


Die  geschichte  der  400.  105 

Oligarchie  nicht  dem  Thukydides,  sondern  einem  citate  der  aristotelischen 
Pohtie  entnahmen  (Harpokration  tstqu-moiol),  und  doch  ihre  dauer  bis 
über  den  Jahreswechsel  erstrecken  mufsten  (Diodor  XIII  36.  38).  nun 
stellt  sich  heraus,  dafs  Aristoteles  und  Thukydides  den  anfang  der  oH- 
garchie  verschieden  angesetzt  haben,  Aristoteles  auf  den  stürz  des  rates, 
Thukydides  auf  die  Sitzung,  in  der  der  beschlufs  B  gefafst  ward,  zwischen 
beiden  liegt  kein  ganz  kurzer  Zeitraum,  da  mittlerweile  die  5000  ge- 
wählt und  zusammengetreten  sind,  und  die  von  ihnen  ernannte  commis- 
sion  die  Verfassung  ausgearbeitet  hat,  diese  angenommen  ist  und  dann 
erst  die  400  gewählt  sind.")  ganz  wird  man  damit  freihch  kaum  den 
Widerspruch  beseitigen,  aber  die  Zuverlässigkeit  der  informationen,  über 
die  Thukydides  hier  verfügt,  ist  auch  wahrlich  nicht  so  grofs,  dafs  wir 
uns  auf  den  Synchronismus  verlassen  müfslen,  den  er  8,  63  gibt,  und 
den  Sturz  des  demos,  selbst  die  Versammlung  auf  dem  Kolonos  darunter 
verstanden,  vor  die  auffahrt  der  Peloponnesier  vor  Samos  ansetzen,  dafs 
die  Athener  die  schlacht  nicht  annahmen,  wird  mit  ihrem  gegenseitigen 
argwohne  motivirt.  das  müssen  wir  glauben ;  ob  aber  die  demokratie  zu 
hause  wirklich  schon  gestürzt  war,  oder  ob  sie  das  nur  glaubten  oder 
fürchteten,  das  darf  billig  dahingestellt  bleiben,  zumal  dem  vvirkHchen 
Sturze  eine  zeit  der  schwülen  Spannung  und  der  sehr  berechtigten  er- 
wartung  dieses  ereignisses  vorhergieng.  zur  zeit  läfst  sich,  so  viel  ich 
sehe,  bei  den  schwankenden  auf  die  Jahreszeiten  (nicht  die  jahrpunkte, 
wie  Chronologen  träumen)  und  vieldeutige  /^isra  ravra  gebauten  rela- 
tiven bestimmungen  des  Thukydides  hier  eine  Sicherheit  nicht  erzielen, 
nur  eins  halte  ich  für  sicher:  an  den  Dionysien  des  Kalhas  aus  Skambonidai, 
mitte  Elaphebolion  411,  befand  sich  die  attische  bürgerschaft  noch  in 
dem  zustande  der  bangen  erwartung  vor  einem  attentate  gegen  die  Ver- 
fassung und  allerhand  verräterei:  die  Stimmung  der  Thesmophoriazusen 
ist  dieselbe  wie  sie  Thukydides  8,  65.  66  schildert.'^)  anfang  Munichion 
wird   der   rat  auf  andrängen   der  probulen  die  sitzung  tieq!  Giorr]Qiag 


vor  Samos  eine  schlacht  anzubieten,  aber  diese  nehmen  sie  nicht  an,  weil  sie 
einander  mistrauen ,  vno  ya^  rov  %qÖvov  ioviov  aal  f^Sr]  nQÖxsQov  rj  iv  Ad"r}vais 
SfilioxQaxia  naiEläXvxo.  SO  Thukydides  8,  61—63.  rückgreifend  erzählt  er  dann 
von  den  machinalionen  des  Peisandros  und  seiner  leute  auf  Samos  Thasos  und  ander- 
wärts, und  dessen  ankunft  in  Athen  führt  erst  zu  der  wähl  der  10  avyyQUfTJs,  dann 
zu  der  sitzung  auf  dem  Kolonos,  wo  Peisandros  die  annähme  der  Oligarchie  erzwingt, 
dies  also  war  einige  zeit  geschehn,  ehe  die  Peloponnesier  vor  Samos  die  Seeschlacht 
anboten. 

14)  Über  die  modalität  dieser  wähl  vgl.  die  beilage  'rede  für  Polystratos'. 

15)  Vgl.  die  beilage  'die  zeit  der  Thesmophoriazusen'. 


106  I.   5-  Thukydides. 

angesetzt  haben ,  doch  wol  erst  als  die  bedrohung  der  hellespontischen 
provinz  durch  Derkylidas  bekannt  geworden  war,  und  damit  brach  der 
slurm  los.     vier  wochen  darauf  sind  die  400  gewählt  worden. 

Thukydides  hat  die  protokolle  der  Sitzungen  nicht  gekannt,  obwol 
er  von  ihrem  verlaufe  und  ihren  beschlossen  eine  gewisse  kenntnis 
hatte,  er  hat  seinen  berichterstattern  sehr  viel  mehr  glauben  ge- 
schenkt als  sie  verdienten,  daran  müssen  wir  uns  ein  exempel  nehmen, 
denn  dasselbe  dürfte  noch  öfter  passirt  sein,  aber  weder  an  der 
Wahrheitsliebe  noch  an  der  Urteilskraft  des  Thukydides  dürfen  wir 
zweifeln,  wir  wissen  ja,  dafs  er  danach  gestrebt  hat,  sich  die  acten  zu 
verschaffen,  und  ich  kann  den  nachweis  hefern,  dafs  er  eine  skizze  des 
ionischen  krieges  schon  geschrieben  hatte,  ehe  er  die  vertrage  mit  Persien 
und  durch  sie  und  mit  ihnen  neues  material  erhielt  (allerdings  nicht  von 
Alkibiades)  und  wenigstens  zum  teil  verwertete,  für  die  400  hat  er 
einen  bericht  benutzt;,  den  er  selbst  nennt,  und  den  wir  leider  ent- 
behren, obwol  er  bis  in  das  spätere  altertum  vorhanden  war,  die  Ver- 
teidigungsrede des  Antiphon,  wenn  die  hauplschuld  an  der  anzettelung  der 
ganzen  revolution  auf  Peisandros  geschoben  und  dem  Theramenes  und 
genossen  unlautere  motive  zugeschrieben  werden,  so  mag  dafür  Antiphon 
bestimmend  gewesen  sein ;  das  urteil  des  radicalen  oligarchen  gerade  über 
Theramenes  stimmte  notwendig  zu  dem  der  radicalen  demokratie.  aber 
Thukydides  verschleiert  nicht,  dafs  Antiphon  doch  wol  des  hochverrates 
schuldig  gewesen  ist.  einen  andern  gewährsmann  hat  Thukydides  gehabt, 
der  über  Phrynichos  sehr  genau  bescheid  wufste  und  zwar  schon  über 
sein  verhalten  im  feldzuge  412.  der  gewissenlose  mensch,  von  dessen 
fähigkeiten  nicht  seine  leistungen,  sondern  nur  die  Versicherungen  des 
Thukydides  einen  vorteilhaften  eindruck  macheu,  der  bauernsohn  aus 
dem  obersten  winkel  des  Potamostales,  der  ein  par  monate  lang  versucht 
hat  Alkibiades  zu  spielen,  steht  bei  Thukydides  seltsamerweise  im  Vorder- 
gründe, endhch  hat  der  historiker  gewifs  nicht  einen  sondern  viele  be- 
richte über  die  revolution  in  der  Stadt  erhalten  und  verarbeitet:  wir 
empfinden  die  Stimmungen  der  bürgerschaft  mit,  wie  sie  patriotisch  genug 
denkt,  um  für  die  rettung  des  Staates  auch  das  opfer  der  Verfassung  zu 
bringen,  wie  sie  aber  auch  ahnt,  dafs  ihr  von  denen  am  meisten  ge- 
fahren drohen,  die  sich  zu  rettern  aufwerfen,  wie  sie  schliefslich  jedes- 
mal, wenn  der  landesfeind  sich  zeigt,  gegen  diesen  sich  zusanunenschhefst, 
und  der  äufsere  erfolg  oder  mifserfolg  über  die  innere  politik  ent- 
scheidet, wir  vernehmen  auch  einiges  von  dem  treiben  der  revolutio- 
näre, wie  sie  im  geheimen  planen,  wie  sie  Stimmung  machen  durch  lügen 


Die  geschichte  der  400.  107 

und  Schwindel,  noch  mehr  durch  das  anwerben  von  banden  und  einzeln 
durch  kühne  verbrechen,  es  kommt  wirklich  nicht  viel  darauf  an,  ob 
jede  einzelheit  für  sich  richtig  erzählt  ist:  das  gesammtbild  ist  darum 
nicht  falsch,  und  wird  es  auch  nicht  durch  die  berichtigungen  des  Ari- 
stoteles, die  offlcielle  actenmäfsige  darstellung  wird  freilich  correcter  sein 
als  jede  noch  so  gewissenhaft  auf  erzähluugen  von  augenzeugen  und  ferner 
oder  näher  stehenden  teilnehmern  einer  revolution  beruhende,  aber  was 
in  solcher  zeit  wirklich  geschieht,  ist  wahrlich  nicht  mit  dem  erschöpft 
was  in  die  acten  kommt.  Thukydides  nun,  verbannt  seit  jähren, 
selbst  nur  von  den  letzten  wellen  kreisen  berührt,  welche  die  athenische 
revolution  hervorrief,  angewiesen  vornehmlich  auf  berichte  aus  feindlichem 
lager  oder  von  ausgestofsenen  wie  er  selbst  einer  war*®),  hat  seine  ge- 
schichtliche aufgäbe  nicht  leicht  gehabt,  aber  er  hat  sie  auch  nicht  leicht 
genommen.  Aristoteles  hat  ihn  berichtigt;  er  mag  auch  objectiv  im 
rechte  gewesen  sein,  wenn  er  über  die  Charaktere  der  handelnden  per- 
sonen  anders  urteilt:  aber  die  geflissentliche  constatirung  der  acten- 
mäfsigen  Wahrheit  und  die  für  den  aufmerksamen  leser,  der  auch  den 
ton  der  berichtigung  hört,  offenkundige  polemik  verrät,  dafs  es  ihm  wol 
tat,  den  Thukydides  als  unzureichend  informirt  zu  überführen,  und  dafs  es 
ihm  deshalb  wol  tat,  weil  er  vor  sich  und  andern  damit  die  berechtigung 
erwiesen  zu  haben  glaubte,  nicht  nur  einzelne  personen,  sondern  die 
ganze  attische  geschichte  und  ihre  ideale  anders  zu  beurteilen  als  es 
Thukydides  getan  hat. 

Wo  aber  hat  Aristoteles  die  actenstücke  her?  zunächst  wird  wol 
jeder  geglaubt  haben,  dafs  er  sie  im  archiv  gefunden  hätte,  denn  dafs 
der  Verfasser  der  diöao/.aliai,  vI/ml,  v6f.wi  die  archive  benutzt  hat 
(ob  selbst  oder  durch  amanuenses,  verschlägt  nichts),  glaube  ich  auch 
jetzt  noch,  auch  hat  er  den  Verfassungsentwurf  Ca  ohne  zweifei  wesent- 
hch   wegen   seiner  eminenten  Wichtigkeit  für  die  poHlische  theorie  mit- 


16)  Für  das  verfahren  des  Peisandros  in  den  Reichsstädten  ist  ihm  Thasos 
der  einzige  concrete  beleg  (64);  Andros  Tenos  Karystos  erscliliefsen  wir  erst  aus  dem 
auftreten  ihrer  contingente  in  Athen  (69,  vgl.  65).  offenbar  war  der  gutsherr  von 
Skapte  Hyle  über  die  nächste  civilisirte  Stadt  selbst  unterrichtet,  unter  den  zur 
Ordnung  ratenden  männern,  die  im  Peiraieus  nicht  den  köpf  verlieren,  als  bürger- 
krieg  droht,  tritt  der  Pharsalier  Menon,  sehn  des  Thukydides  auf  (93),  der  nicht  blofs 
zufällig  ein  namensvetter  des  historikers  war,  welcher  ja  den  vater  Menon  ebenfalls 
nennt  (2,  22).  der  kann  z.  b.  auch  ein  berichterstalter  sein,  dafs  buch  8  vor  der 
röckkehr  des  Thukydides  geschrieben  ist,  betrachte  ich  als  über  jeden  zweifei  er- 
haben, es  trägt  auch  keine  spur  der  begonnenen  letzten  Überarbeitung,  auch  keine 
spur  eines  herausgebers.    ich  kann  das  beweisen. 


108  I.    5.  Thukydides. 

geteilt;  obwol  er  ihn  weder  hier  erläutert,  noch  in  der  Politik  berück- 
sichtigt, die  actenstücke  selbst  entstammen  den  Protokollen  der  Volks- 
versammlungen, wie  die  nennung  des  eniiprjcpi^tov  ^QiaT6f.iaxos  für  G 
beweist,  und  auch  wo  der  tenor  etwas  verändert  ist,  findet  jeder  den 
ächten  stil  der  Urkunde,  es  fehlt  auch  manches  was  man  gern  wüfste, 
aber  in  den  Protokollen  freilich  niemand  finden  konnte,  namentlich  die 
ganze  Verbindung  zwischen  B  und  C.  nichtsdestoweniger  würde  man 
irren,  wenn  man  meinen  wollte,  dafs  ausschliefshch  die  Urkunden  dem 
Aristoteles  vorgelegen  hätten,  schon  den  bericht  über  die  beseitigung 
des  alten  rates  mit  den  genauen  tagesdaten,  und  die  oben  erwähnten 
friedensbedingungen,  aber  auch  die  person  dessen,  der  in  der  ersten  Volks- 
versammlung die  entscheidende  rede  hielt,  ohne  doch  als  antragsteller  in 
das  Protokoll  zu  kommen ,  konnten  die  acten  schwerlich  liefern,  das 
führt  auf  einen  vermittler,  dafs  die  chroqik,  der  der  archon  Mnesilochos 
ohne  frage  entstammt,  neben  Thukydides  eingesehen  ist,  versteht  sich  von 
selbst,  ob  sie  solche  actenstücke  auch  gehefert  hat,  mag  unsicher  bleiben : 
wahrscheinUch  kann  man  es  nicht  nennen,  man  bedenke  aber,  dafs 
Aristoteles  auch  für  das,  was  er  verwirft,  nicht  ohne  geschichtliche  Über- 
lieferung sein  konnte.")  wenn  er  den  Phrynichos  beseitigt,  den  Thera- 
menes  so  ganz  anders  als  Thukydides  beurteilt,  so  tut  er  das  im  gegen- 
satze  zu  Thukydides,  und  das  konnte  ihm  die  chronik,  so  weit  sie  chronik 
war,  sicherlich  nicht  liefern,  und  die  politische  tendenz  läuft  ihrer  demo- 
kratischen loyalität  schnurstraks  zuwider,  politisches  und  personliches 
urteil  setzt  eine  Überlieferung  durch  pohtisch  urteilsfähige  und  urteilende 
gevvährsmänner  voraus:  die  cjualität  dieses  berichtes  zeugt  für  einen 
Zeitgenossen,  die  tendenz  gebietet,  ihn  in  der  partei  des  Aristokiates 
und  Theramenes  zu  suchen,  die  mitteilung  der  documente  verleiht  ihm 
die  höchste  Wichtigkeit. 
siraMden.'  Eingesehen    hat  Aristoteles   den  Thukydides  auch  in  der  erzähking 

vom  tode  des  Hipparchos,  obwol  er  ihn  nicht  nur  nicht  nennt  und 
einen  ganz  anderen  bericht  gibt,  sondern  seine  berichtigung  scheinbar 
nur  gegen  einen  nebenumstand  und  an  eine  allgemeine  adresse  richtet, 
es  macht  das  aber  die  kritik  nur  schneidender,  wenn  ein  schriftsteiler 
gerade  in  dem,  was  er  mit  starkem  selbstbewufstsein  als  seine  bessere 
Weisheit  im  gegensatze  zu  der  öffentlichen  meinung  vorträgt,  durch  ein  6 
?.€y6f.ievog  koyog  ovy.  aXrj^rjg  koxiv  abgefertigt  wird. 


i 


17)  Antiphons  rede   hat  er   nicht  benutzt;   sie  mufste  ja  die  abfallenden  oli- 
garchen  hart  verurteilen. 


Die  Peisistratiden.  109 

}  Thukydides    erzählt,    dafs   Hippias    gleich    nach   dem    morde    seines 

I  briiders   die   gewappnet   zur  procession  erschienenen  hiirger  die  waffen 
ablegen  liefs  und  dann  die  bei  denen  sich  ein  dolch  fand  verhaltete,     das 
widerlegt  Aristoteles  schlagend  damit,   dafs  die  procession  von    bürgern 
mit  Schild  und  speer  eine  demokratische  neuerung  war,  was  aus  den  acten 
des  festes  sicher  gestellt  werden  konnte,  die  der  Verfasser  der  lyrischen 
I  didaskalien   gekannt  liat.'^)     scheinbar  trifft  das  nur  einen  nebenpunkt; 
i  die    körperliche    durchsuchung    und    die    Verhaftung    der    verdächtigen 
;  könnte    trotzdem    richtig   sein,      nun    ist   es   aber  gewifs   eine   gesunde 
jkritik,  von   zwei  Versionen    diejenige   zu   verwerfen,  in   der  ein  offen- 
kundiger  anachronismus    steckt,    und   es   ist   sehr   wol   glaublich,    dafs 
Aristoteles  mit  diesem  prüfstein  die  unzuverlässigkeit  des  thukydideischen 
berichtes  gegenüber  einem  andern,   der  ihm  vorlag,   erkannt  hat,  oder 
doch  anerkannt,   wenn  der  Irrtum  früher  gerügt  war.     aber  allerdings 
legt  Thukydides   so   grofsen   wert   gerade   auf  die  behauptung,    dafs  die 
procession   bewaffnet  war*'),   dafs   es   seine  kritik  in  schHmmem  lichte 
erscheinen    läfst,   wenn   er   sich    hierin   irrt,   und   dann    sind   die   con- 
sequenzen  grüfsere,  als  Aristoteles  direct  hervorhebt,     nach  Thukydides 
ist  die  tat  auf  dieses  fest  mit  der  berechnung  verlegt,  dafs  dann  bewaffnete 


18)  Übrigens  können  wir  dem  Aristoteles  noch  einen  beweis  zuführen,  der 
ihm  sehr  erwünscht  sein  wird,  das  skolion  ev  (ivqtov  xXaSi  ro  ^itpos  fo^rjaco. 
mir  ist  der  vers  bisher  immer  ein  wenig  phrasenhaft  erschienen:  jetzt  zeigt  sich, 
daCs  er  ganz  wahr  und  sinnlich  ist.  die  Athener  hielten  eben  nichts  als  einen 
myrtenzweig  in  der  band,  keinen  speer.  so  giengen  später  die  greise  mit  ölreisern, 
die  d'aXXotpÖQOi,  und  gieng  die  epidaunsche  procession  mit  lorbeerreisern. 

19)  Thuk.  6,  56  am  ende  und  58,  Hippias  ixeXBvaev  ctirovs  Ssi^as  ti  xaqiov 
i.TieXd'sli/  SS  avTo  avev  rcöv  onXcov.  —  s^sXsysro  sv&vs  ove  eTtTjriäro  xal  ei  t<s 
TjvQsd'Tj  eyxei.Qi8iov  excov'  fiexa  yciQ  aaniSos  xai  Sö^aros  etcöd'eaav  ras  nofinas 
noielv.  das  hat  Aristoteles  vor  äugen,  wenn  er  sagt,  6  leyöfievos  Xöyos,  ws  6 
'iTiTtias  dnoarr,aas  i(öv  onXeov  rovS  nofinsvovras  EtpWQaae  rovs  [[ra]]  eyxei,QiSt,a 
e'xovtas,  oix  aXTj&rjs  sariv  ov  ya.Q  enefinov  rozs  (.isd"  otiXcop:  ich  bemerke  erst, 
indem  ich  dieses  niederschreibe,  dafs  der  artikel  zu  tilgen  ist;  es  hat  ihn  jemand 
eingefügt,  der  die  dolche  für  die  onXa  hielt,  dafs  dagegen  der  ausdruck  ßovXo- 
fisvol  Tt  S^äaai  TtQO  rrjs  avXXrjxpecos  das  thukydideische  ßovXö/nevot,  tcqIv  ^vXXricp- 
&T]vai  S^äaavris  ri  xai  xivSvvEvaai  wiedergibt,  ist  minder  sicher,  da  es  1,  20  steht, 
in  dem  auszug,  den  Thukydides  aus  seinem  berichte  gemacht  hat:  es  müfste  denn 
die  stelle  der  einleitung  in  Aristoteles'  gedachtnis  so  fest  gehaftet  haben,  nur  ein 
schütz  der  thukydideischen  Überlieferung  vor  modernen  athetesen  ist  der  anklang 
hier  so  gut  wie  das  citat  6,  58.  aufserdem  entscheidet  Aristoteles  für  na^a  ro 
AewxoQiov  6,  57  gegen  ne^l  t.  A.  1,  20,  was  also  zu  berichtigen  ist.  —  diese 
directen  anklänge  beweisen,  was  sonst  zweifelhaft  sein  könnte,  dafs  Aristoteles  selbst 
den  Thukydides  benutzt  hat. 


110  I-    5-  Tliukydides. 

den  mürdern  zu  hilfe  kommen  konnten,  das  fällt  also  weg.  nach  seinem 
berichte  erscheint  es  so,  als  wäre  die  Zurückweisung  der  Schwester  des 
Harmodios  von  der  procession  der  korbträgerinnen  längere  zeit  vor  den 
Panathenaeen  erfolgt,  und  wäre  dann  der  anschlag  von  langer  band  vor- 
bereitet, nach  Aristoteles  geht  es  schlag  auf  schlag,  und  die  korbtragen- 
den mädchen  gehn  ja  auch  in  derselben  procession  wie  die  biirger. 
die  beleidigung  und  die  räche  folgen  so  fast  unmittelbar  auf  einander, 
die  geschichte  wird  in  sich  geschlossener,  wahrscheinlicher,  aber  noch 
mehr  als  bei  Tliukydides  erhält  sie  den  character  des  plötzlichen  und 
persönlichen,  dafür  wächst  ihre  politische  bedeutung,  da  es  in  der  tat 
auf  eine  revolution  abgesehen  war,  nicht  auf  den  austrag  eines  ehren- 
handels.  war  doch  der  beleidiger  keiner  der  tyrannen,  sondern  nur  ein 
bastardbruder  von  ihnen ,  und  der  getötete  zwar  ein  harmloser  mann, 
der  wenig  gebrauch  von  dem  anrecht  auf  die  herrschaft  machte,  aber 
immerhin  als  ächter  bruder  des  Hippias  dem  rechte  nach  sein  mitregent: 
Aristoteles  rechnet  durchaus  mit  der  herrschaft  der  Peisistratiden,  nicht 
mit  der  des  Hippias.  und  da  die  tollkühne  tat  der  tyrannenmörder  die 
Stimmung  des  Hippias  wider  die  Athener  und  andererseits  die  der  Athener 
wider  sein  haus  änderte,  haben  Harmodios  und  Aristogeiton  den  un- 
geheuren und  einzigen  ruhm^  Athen  befreit  zu  haben,  zwar  ohne  eignes 
verdienst  erhalten,  aber  den  anstofs  zum  stürze  der  tyrannis  haben  sie 
allerdings  gegeben,  wie  das  die  allgemeine  ansieht  des  altertums  gewesen 
und  geblieben  ist  trotz  Tbukydides,  und  wie  es  Aristoteles  bekanntbch  in 
der  Politik  (E  10,  1312*)  ausspricht,  ganz  im  einklang  mit  der  Pohtie 
und  mit  Piaton  (Symp.  182*'). 

Für  uns  war  die  stärkste  Überraschung,  dafs  der  liebhaber  des  Har- 
modios nicht  Hipparchos  sondern  Thessalos  gewesen  ist,  denn  dem  auszuge 
des  Herakleides,  in  dem  es  schon  stand,  hatten  wir  das  wirklich  nicht 
glauben  können,  da  sich  im  gedächtnis  der  menschen  gar  zu  leicht  die 
Wirklichkeit  so  verschieben  konnte,  dafs  der  getötete  auch  der  schuldige  ward, 
so  werden  wir  dem  Aristoteles  unbedingt  glauben,  zumal  sich  Tbukydides 
nur  auf  mündliche,  wenn  auch  von  ihm  besonders  geschätzte,  Überlieferung 
beruft  (6,  55).  aber  es  mufs  die  ganze  familiengeschichte  des  Peisistratos 
nunmehr  nachgeprüft  werden,  offenbar  ist  sich  Aristoteles  bewufst,  viel- 
fachen Irrtümern  gegenüber  die  Wahrheit  zu  sagen,  wenn  er  angibt,  dafs 
nur  Hippias  und  Hipparchos  eheliche  söhne  waren,  aufserdem  aber  noch 
zwei  bastarde  vorhanden  waren,  aus  einer  ehe  mit  Timonassa  aus  Argos, 
über  deren  abkunft  und  Vorgeschichte  er  sich  sehr  präcis  äufsert.  dafs 
die   mutter   der  späteren  tyrannen  ya/.i€Trj  heifst,   und  doch  ey}]f.LEv  l^ 


Die  Peisistratiden.  111 

"Aqyovg  Tii-iojvaaoav  folgt,  ist  kein  Widerspruch.'^^)  denn  rechtlich  waren 
die  sühne  vo&ot,  wie  auch  Herodotos  einen  von  ihnen  nennt.  Peisi- 
stratos  hat  sogar  neben  der  Timonassa  die  tochter  des  Megakles^")  ge- 
heiratet, es  ergibt  sich  das  daraus,  dafs  in  der  schlacht  bei  Pallene  (541) 
ein  söhn  der  Timonassa  ein  hilfscorps  aus  Argos  holt,  das  beweist  erstens, 
dafs  dieser  söhn  geboren  war,  ehe  der  vater  zur  dritten  ehe  schritt,  wie 
jadiegewährsmänner  des  Aristoteles  nur  schwanken,  ob  Timonassa  während 
der  ersten  tyrannis  oder  der  ersten  Verbannung  des  Peisistratos  geheiratet 
ward,  jedenfalls  560 — 57.  andererseits  war  es  zu  keinem  bruche  mit  den  ver- 
wandten in  Argos  gekommen,  also  ist  auch  keine  Scheidung  von  Timo- 
nassa erfolgt,  im  gegenteil.  die  abneigung  des  Peisistratos  gegen  die 
aufgenötigte  ehe  mit  einer  Alhenerin,  vollends  gegen  die  erzeugung 
weiterer  ehehcher  söhne,  erscheint  durch  die  ehe  zur  linken  band  mit 
Timonassa  trefflich  motivirt.  sehr  wol  verstanden  hat  das  wer  auch 
immer  den  Peisistratos  seine  ehe  mit  Timonassa  gegenüber  den  bereits 
herangewachsenen  söhnen  Hippias  und  Hipparchos  motiviren  läfst  "er 
wünsche  solche  söhne  für  sich  und  solche  bürger  für  sein  Vaterland 
mehr  zu  haben"  (Plut.  Cat.  mai.  24),  denn  er  wollte  zu  der  herodoteischen 
geschichte,  der  abneigung  gegen  mehr  söhne,  ein  pendant  hefern,  da  er 
wufste,  dafs  es  mehr  gegeben  hatte,  und  er  kannte  genau  die  zahl  und 


19^)  Mittlerweile  hat  Kaibel  evident  sntyrifiEv  verbessert;  doch  das  geht  nur 
den  stil  an. 

20)  Den  namen  Koisyra  für  diese  frau  hat  Töpffer  (Att.  geneal.  243)  mit  recht 
bezweifelt:  er  hätte  ihn  beseitigen  sollen.  xoiavQelad'ai  to  fte'ya  cpQovEiv^E^ergisls 
schol.  Ar.  Wölk.  46.  48,  xexoiavQcofievTj  ejuTtenÄey/itvT]  Hesych.  xoiavQovzat  noofieltai 
Theognost  bei  Gramer  An.  Ox.  II  21 ,  Suid.  KoiavQa  (das  andere  dort  aus  dem 
Aristophanesscholion).  weil  die  vocabel  eretrisch  ist,  heifst  das  weih,  das  Aristo- 
phanes  kyxeytoiavQCJiiEvrj,  d.  h.  unanständig  geputzt,  nennt,  eine  Eretrierin,  und  weil 
der  dichter  den  bauern  eine  hochadliche  dame  nehmen  läfst,  und  diese  deshalb  Me- 
yaxldovs  xov  MsyaKldovi  nennt,  kommt  sie  in  das  Alkmeonidengeschlecht,  als  frau 
oder  multer  eines  Megakles;  ist  sie  die  mutter  des  ersten,  so  ist  ihr  mann  dessen  vater 
Alkmeon.  das  ist  alles  nichtig,  wenn  Aristoteles  in  den  Acharnern  (614)  einen  lüderlichen 
Athener  o  Koiavqas  nennt,  so  ist  die  deutung  desselben  auf  Megakles,  den  man  nach 
Welk.  46  allenfalls  als  söhn  der  Koisyra  sich  erträumen  kann,  für  den  scholiasten 
gegeben,-  der  vorher  die  Wolken  erklärt  hat,  aber  wahrhaftig  nicht  für  Aiistophanes, 
der  an  die  Wolken  noch  gar  nicht  denkt,  allerdings  scheint  er  in  den  Acharnern  einen 
bestimmten  menschen  mit  dem  'söhne  der  Aufgedonnerten'  zu  meinen:  den  kennen 
wir  nicht,  als  er  die  Wolken  schrieb,  lebte  wirklich  ein  Meyaxkrjs  Meyay.Xdovs  rov 
'innoy.QÜTOvs  rov  MeyaxUovs  l4lco7tsxijd-er,  er  War  auch  ein  reicher  mann  (schreiber 
der  Schatzmeister  Athenas  CIA  I  122  u.  ö.),  aber  dafs  Aristophanes  auch  nur  mit 
dem  'onkel  Megakles'  (Wölk.  124.  814)  ihn  gemeint  hätte,  ist  nicht  im  mindesten 
wahrscheinlich. 


112  l.    b.  Thukydides. 

I 

die  namen  der  sühne  und  ihr  altersverliäUnis,  wie  es  bei  Aristoteles  steht. 

er  kann  also  aus  Aristoteles  geschupft  haben,  z.  b.  wenn  es  ein  philo- 

soph  war,  und  bei  Plutarch  ist  ja,  wenn  er  aus  dem  gedächlnis  anführt, 

an  einen  solclien  in  erster  linie  zu  denken,    natürlich  kann  die  angäbe 

eben  so  gut  auf  die  quellen  des  Aristoteles  zurückgehn. 

Erwachsen  waren  die  beiden  ehelichen  söhne  um  555,  der  alters- 
unterschied  wird  von  Aristoteles  für  den  damals  eben  gezeugten  Thes- 
salos  ausdrücklich  als  sehr  beträchtlich  angegeben,  aber  Hippias  soll 
490  im  beere  des  Datis  gewesen  sein:  wenn  er  es  war,  war  er  ein 
achtziger,  ich  gestehe,  dafs  ich  nicht  erst  jetzt  die  ganze  geschichte  bei 
Ilerodot  für  sage  gehalten  habe.  Hippias  träumt  den  tyrannentraum^') 
fit]TQl  fxsiyvvo^ai,  der  sich  in  wunderbarer  weise  erfüllt  (Her.  VI  107): 
das  ist  fabel;  und  er  rät  den  Persern,  bei  Marathon  zu  landen,  weil  die 
ebene  für  ihre  reiterei  vorteilhaft  sei  (Her.  102).  das  ist  noch  viel  mehr 
fabel.  denn  die  unerträgliche  debatte  über  diese  schlacht  kommt  nicht  zur 
ruhe,  so  lange  die  völlig  fabelhafte  Persische  reiterei  nicht  in  ihr  reich 
zurückverwiesen  ist.  diese  reiterei  erscheint  lediglich  bei  den  ins  un- 
geheure aufgebauschten  Vorbereitungen  (VI  95)  und  im  rate  des  Hippias, 
nirgend  im  kriegsberichte.  die  torbeit,  gegen  inseln  {ai^viaig  xal 
(.laXXov  €7tidQ0f.i0L  rjSTCEq  ^nuoLg)  mit  cavallerie  vorzugehn,  oder  mit 
cavallerie  von  Marathon  auf  Athen  zu  marschiren,  ist  den  Persern  nicht 
leicht  zuzutrauen:  am  wenigsten  konnte  ein  Athener  dazu  raten,  aber 
nicht  durch  die  erfindung  einer  neuen  tatsache,  von  der  keiner  was 
weifs,  sondern  durch  analyse  des  einzigen  schlachlberichtes  sind  die  reiter 
zu  beseitigen,  die  daneben  allein  noch  bestehende  Überlieferung,  Mikons 
gemälde,  hatte  sie  auch  nicht,  so  halte  ich  denn  auch  Hippias'  anwesen- 
heit  für  fabel:  die  Peisistratiden  in  Athen  sind  auch  490  nicht  com- 
promittirt  gewesen,  sondern  haben  ruhig  weiter  gelebt. 

Die  söhne  der  Timonassa  sind  Hegesistratos  mit  dem  beinamen  Thes- 
salos,  den  er  den  Verbindungen  seines  vaters  mit  dem  thessalischen  adel 
verdankt  haben  wird,  und  lophon.  das  ergibt  eine  doppelte  Schwierigkeit, 
einmal  hat  es  in  Athen  keinen  lophon  unter  den  Peisistratiden  gegeben;  das 
ist  sicher,  da  Thukydides  nur  die  drei  andern  auf  der  eheren  stele  gelesen 
hat,  die  das  geschlecht  verbannte  und  dabei  natürlich  die  personen  vollzählig 
nennen  mufste  (VI  55).    ferner  sagt  Herodotos,  dafs  Hegesistratos  tyrann 


21)  Soph.  0.  T.  982,  Plat.  Staat  57 1'^,  erläutert  von  Plutarch  de  pi'of.  in  virt. 
12.  nocli  Caesar  soll  den  träum  gehabt  haben  (Sueton  9),  und  die  plumpere  erfindung 
läfst  das  scheufsliche  tatsächlich  vollziehen,  so  von  Periandros  (Aristippos  n.  %al, 
TQv^TJs  hei  Diogen.  1,  96)  und  Nero. 

i: 


Die  Peisistratiden.  113 

von  Sigeion  gewesen  sei  (V  94).  es  gibt  nur  die  eine  lösung  für  beides, 
dafs  freilich  in  Athen  nur  drei  söhne  des  Peisistratos  gewesen  sind,  wie 
Aristoteles  ja  auch  als  nachfolger  des  vaters  nur  drei  nennt,  aber  der 
vierte  Sigeion  erhalten  hatte  und  nie  Athener  geworden  war.  so  stimmt 
die  attische  Urkunde  und  Thukydides  zu  Aristoteles,  aber  Herodot  mufs 
allerdings  statt  lophon  Hegesistratos  genannt  haben,  getäuscht  durch  den 
doppelnamen  des  Thessalos,  oder  aber  lophon  den  klangvollen  namen 
des  bruders  übernommen  haben,  als  jener  sich  in  Athen  Thessalos  zu 
nennen  begann.^'') 

Es  hat  noch  eine  tochter  des  Peisistratos  gegeben,  wenn  das 
patmische  scholion  zu  Demosthenes  Aristokratea  71  genau  ist.  in 
einer  wertvollen  erörterung  des  attischen  blutrechtes  heifst  es  zum  be- 
lege dafür,  dafs  auch  der  dUatog  cpovevg  nicht  in  Athen  wohnen  durfte 
(also  einer  irrigen  ansieht),  rolg  yoiiv  MvQQivTqv  Trjv  üsiaiaTQccTov  d-v- 
yarsQa  av)]Qr]K6oi  y.al  allovg  rivag  lipr^(piGavTO  TtoXiTeiav  -/.al  öto- 
Qedv'  ey.e'Aeiod-r^aav  (?'  ofiiog  Iv  ^aXa/^ilVL  or/,elv  dta  to  f^irj  e^elvai 
Tilg  ^^TTi/.rjg  STtißaheiv  tov  o?uog  cporevoavTa.  darin  stammt  die  be- 
gründung  nicht  aus  dem  psephisma,  und  die  worte  scheinen  nicht  heil. 
Myrrhine  aber  war,  wie  schon  der  erste  herausgeber  Sakkelion  gesehen 
hat,  vielmehr  die  Schwiegertochter  des  Peisistratos,  die  gattin  des  Hippias. 
so  erzählt  Thukydides  (VI  55)  auf  grund  eben  der  inschrift,  die  das  ge- 
schlecht ächtete,  das  verhilft  uns  wol  zu  der  richtigen  deutung  des 
schohons.  nicht  nach  der  ermordung  ist  das  beschlossen,  sondern  es 
ist  der  preis  auf  die  für  vogelfrei  erklärte  famihe  ausgesetzt,  daher  das 
unklare  MvqqLvv^v  xal  allovg  TLväg-^)  und  die  einschwärzung  des 
namens  Peisistratos.  die  Athener  haben  den  mordern  das  bürgerrecht 
und  nicht  eine  unbestimmte  diOQsä,  sondern  ein  landlos  auf  Salamis 
ausgesetzt,  dies  aber  nicht  aus  dem  angegebenen  rehgiosen  motive, 
sondern  weil  sie  da  verfügbare  ländereien  hatten  und  tatsächlich  zur 
selben  zeit  zu  ehrengeschenken  verwendeten  (Herod.  VIII  11).  denn 
erst  um  480  kann  diese  stele  gesetzt  sein,  durch  die  jedes  mitglied  der 


22)  Mit  luslin,  der  aus  der  ermordung  des  Hipparclios  macht  Diocles  alter  ex 
filiis  per  vim  stuprala  virgine  a  fratre  puellae  inlerficitur  (II  9,  1)  ist  nichts  an- 
znfansfen.     was  in  der  paiischen  chronik  zum  archon  Pythokritos  494/3  steht,  «95' 

ov   VE mnia |  ....  ev  '^d'/']rT](Tiv ,    ist   noch    ein    rätsei.      Boeckhs 

versuch,  einen   söhn   des  Hippias  hineinzubringen,  ist  schon    wegen   des  genetivs 
Innia  falscii. 

23)  Töpffers  änderung  y.ai  alias  k\(.%<fiaavro  Scogeäs  aai  noliTEiav  {qu. 
Pisistr.  113)  ist  an  sich  ansprechend,  aber  dann  müfste  man  an  die  vollzogene  tat- 
sache  des  mordes  glauben,  weil  die  beziehung  auf  das  landlos  nicht  mehr  vorhanden  ist. 

V.  Wllamowiiz,  Aristoteles.  8 


114  1-5.  Thukydides. 

tyrannenfamilie  für  vogelfrei  erklärt  ward,  so  lange  die  partei  der  ty- 
rannen  nicht  nur  ruhig  in  Athen  bleiben  durfte,  sondern  ihre  führer 
es  bis  zum  archon  bringen  konnten  (Hipparchos  der  söhn  des  Charmos 
495/4),  Nvar  ein  solcher  beschlufs  nicht  möglich,  wenn  507  diejenigen 
als  hochverriiter  geächtet  wurden,  die  im  gefolge  des  Kleomenes  gekommen 
waren  und  sich  in  Eleusis  auch  nach  dem  falle  der  bürg  gehalten  hatten  ^^), 
so  waren  darunter  nicht  die  tyrannen  gewesen,  denen  mit  dem  oligarchen- 
regimente  des  Isagoras  wenig  gedient  war.  gerade  diese  drohende  fremd- 
herrschaft  zugleich  und  adelsherrschaft  liefs  die  bequeme  tyrannenzeit 
wieder  im  gedächtnis  aufleben  und  den  groll  über  die  letzten  jähre  des 
Hippias  vergessen,  erst  die  steigende  demokratische  richtung,  nicht  durch 
einen  seesieg,  aber  durch  den  sieg  von  Marathon  entfesselt,  führte  zur 
beseitigung  der  dynastengeschlechter,  erst  der  Philaiden,  dann  der  Pei- 
sistratiden,  dann  der  Alkmeoniden.  487  verfiel  Hipparchos  dem  Scherben- 
gerichte, im  frühjahr  480  ward  gleichzeitig  mit  der  aul'hebung  dieser  ur- 
teile den  vom  ostrakismos  betroffenen  bei  strafe  völliger  atimie  geboten  j 
westlich  von  dem  äufsersten  westcap  von  Euboia  und  dem  der  Argolis 
zu  bleiben.")  man  fürchtete  also  ihren  anschlufs  an  Persien,  und  480 
erschienen  Peisistratiden  im  gefolge  des  Xerxes  und  nahmen  von  den  ! 
trümmern  der  bürg  besitz  (Her.  VHI  52.  54).  jetzt  hatten  sie  wirkhch  \ 
die  acht  verdient,  jetzt  erst  hat  sie  sie  getroffen,  als  das  volk  heimkehrte,  i 
hat  es  notorisch  die  statuen  der  tyrannenmörder  sofort  erneuern  lassen.^^) 
eben  damals  wird  auch  die  erztafel  aufgestellt  sein,  die  das  ganze  ge-  ' 
schlecht  des  Peisistratos  ächtete,  sollte  es  eine  ältere  gegeben  haben, 
so  war  sie  sicherlich  zerstört,  und  wenn  sie  erneuert  ward,  so  traten 
mehr  personen  jetzt  in  den  bann,  das  läfst  sich  auch  aus  Lykurgos 
rede  wider  Leokrates  117  zeigen,  er  läfst  den  volksbeschlufs  verlesen, 
in  dem  bestimmt  war,  dafs  die  statue  des  Hipparchos  Charmos'  sohn-'j, 


24)  Krateros  im  schol.  Ar.  Lysislr.  273,  vgl.  Kydalhen  71. 

25)  Ar,  22,  8.  wir  finden  das  gesetz  befolgt  von  Themistokles,  der  in  Argos, 
und  Thukydides  des  Melesias  söhn,  der  auf  Aigina  lebte,  aber  nicht  von  Hyperbolos, 
der  nach  Samos  gieng.  indessen  kann  das  unter  den  damaligen  Verhältnissen  nicht 
befremden,  seltsamer  ist,  dafs  nach  Andokides  3,  3  Kimon  in  der  Chersones  lebte, 
immerhin  lag  auch  damals  kein  anlafs  vor,  das  veraltete  gesetz  wider  den  söhn 
des  tyrannen  der  Chersones  anzuwenden,  zumal  der  krieg  ihm  den  Peloponnes 
verschlofs. 

26)  Dies  bezeugt  die  parische  chronik  für  das  jähr  des  Adeimantos  477/6. 

27)  Es  ist  mir  unverständlich,  wie  man  bei  Lykurg  "/7r7ra()/os  Tiuä^xov  dulden 
kann,    der  redner  konnte  natürlich  irren,  aber  ihm  lag  doch  hier  das  psephisma  vor, 


Die  Peisistratiden.  115 

weil  er  sich  dem  gerichte  jtQoöoaiag  nicht  gestellt  hatte,  eingeschmolzen 
und  aus  ihrem  metalle  eine  tafel  hergestellt  werde,  auf  der  die  hoch- 
verräter  verzeichnet  werden  sollten,  errichtet  kann  die  tafel  erst  sein, 
nachdem  Hipparchos  480  statt  heim  zu  kehren  verräterische  handlungen 
begieng;  errichtet  kann  sie  auch  erst  sein  nach  479,  denn  sie  stand  noch. 
es  ist  dieselbe  eherne  tafel,  auf  der  Thukydides  die  namen  der  Peisistratiden 
las,  auf  der  die  506  geächteten  oligarchen  standen,  auf  der  dann  das  urteil 
über  Arthmios  von  Zeleia  und  noch  viel  später  das  urteil  über  Diagoras  den 
Melier  und  über  Phrynichos  und  genossen  eingetragen  ist.  ich  habe  früher 
angenommen,  dafs  die  publicalion  auf  erz  für  die  beschlüsse  über  hoch- 
verräter  herkömmlich  gewesen  wäre,  und  ebenso  die  aufstellung  itaga  rov 
agxcdov  vecov.  dann  mufste  ein  neuer  lempel  vorhanden  sein,  und  so 
benutzte  ich  das  zu  einem  zeugnis  für  einen  vorpersischen  Parthenon, 
das  ist  seit  der  entdeckung  des  "^aUen  tempels\  der  bis  zur  erbauung  des 
'^Kimonischen'"  Parthenons  der  einzige  war,  nicht  mehr  mit  den  baulichen 
tatsachen  vereinbar.-^)  die  sache  löst  sich  jetzt,  die  eherne  stele  stand 
neben  dem  ag^ctlog  vecug,  aber  es  war  eine,  die  einen  katalog  der 
hochverräter  enthielt,  wie  es  anderwärts  stelen  für  die  kataloge  der 
evegyerai.  oder  TtQo^evoi  gab,  und  diese  stele  war  erst  nach  479  er- 
richtet, als  der  bau  des  neuen  tempels  südlich  von  dem  alten  beschlossene 
sache  war,  oder  wol  als  man  an  ihm  baute. 

Für  die  beurteilung  des  Thukydides  ist  die  probe,  der  wir  seine  er- 
zählung  an  der  band  des  aristotelischen  berichtes  unterziehen  können, 
zu  wichtig,  als  dafs  ich  hier  davon  schweigen  könnte,  das  mufs  zugegeben 
werden,  er  gibt  eine  erzählung  des  Vorfalls  selbst,  die  eine  ganze  anzahl 
irrtümer  enthält,  aber  er  gibt  sie  ausdrückhch  als  mündliche  Überlieferung, 
über  deren  wert  hat  er  sich  getäuscht:   die  tradition  der  Philaiden,   zu 


also  ist  sein  irrtum  nicht  wahrscheinlich,  dafs  vielmehr  unsere  elende  handschrift 
irrt,  beweist  Harpokration  aX?.os  Ss  eanv'lTtna^x^^  ^  Xd^/uov  cos  (p?]aiv  yivy.ov^yos 
Ev  tqJ  ttara  Astoy.QÜTOvs,  worauf  ein  citat  aus  Androlion  folgt,  das  mit  einem  aus 
Aristoteles  verquickt  ist.  lediglich  durch  den  richtigen  Vatersnamen,  der  ausdrück- 
lich für  Lykurg  bezeugt  wird,  hat  der  grammatiker  die  richtige  person  finden  können. 
Hipparchos  war  aus  Kollytos,  so  steht  hei  Aristoteles;  Plutarch  sagt,  aus  Cholargos 
(Nik.  11),  in  einer  Übersicht  über  den  ostrakismos.  er  oder  einer  seiner  Vorgänger 
hat  sich  in  der  liste  der  ältesten  ostrakisirten  versehn:  aus  Cholargos  war  Xan- 
thippos. 

28)  Lolling  'ExaTÜfmeSov  19,  der  die  sache  sonst  klar  stellt,  kann  sich  dem 
Zeugnis  nur  durch  den  Verzweiflungsausweg  enlziehn,  dafs  er  die  bestimmung  uQxctlos 
für  einen  zusatz  hält.  —  Kydathen  68.  der  ausdruck  aoxcüos  vecös  hat  also  in 
einem  späteren  psephisma,  das  die  früheren  urteile  zusammenfafste,  gestanden. 

8* 


116  I.    5.  Thukydides. 

deren  familie  er  sich  rechnen  durfte"),  war  nicht  hesser,  als  die  tradition 
der  Alkmeoniden,  die  wir  so  oft  hei  Herodotos  antreffen  und,  wo  wir  sie 
controlUren  können ,  auch  herichtigen.  die  ansprüche  des  Thukydides 
sind  höher,  aher  er  ist  in  dem  was  er  auf  hlofse  aY-oi]  giht,  natürhcher- 
weise  niclit  minder  wahrheitsHehend  und  nicht  minder  dem  irrtum  unter- 
worfen als  Herodotos;  üher  die  schuld  des  Hipparchos  und  mehreies  andere 
hat  er  sich  getäuscht,  dagegen  behält  er  recht  gegenüber  dem  poetischen 
glauben  des  skolions  ore  tov  zvqavvov  yiTavizrjv  iaovo/iiovg  t  ^d-rjvag 
e7ion]aö:Trjv.  Hippias  war  und  blieb  der  eigentliche  herr  Athens  trotz  den 
tyrannenmördern.  und  das  streben  nach  urkundhchen  beweisen  bleibt  auch 
ein  Vorzug  des  Thukydides,  er  hat  die  stele  der  bürg  nachgesehn,  sie 
heferte  ihm  das  Verzeichnis  der  Peisistratiden :  wer  der  liebhaber  des  Har- 
modios gewesen  war,  stand  da  nicht  zu  lesen,  dieses  document  und  die 
epigramme  auf  den  allären  des  marktes  und  im  Pythion  haben  ihm  seine 
richtigen  folgerungen  über  die  tyrannenherrschaft  bestätigt,  ein  grab- 
epigramm,  das  er  in  Lampsakos  las,  die  Verbindungen  der  Peisistratiden  mit 
den  dortigen  tyrannen.  das  sollten  wir  modernen  aber  nie  vergessen,  und 
es  wäre  hübscher  gewesen,  wenn  Thukydides  es  in  seiner  vorrede  auch 
nicht  vergessen  hätte,  dafs  Herodotos  über  die  tyrannen  und  den  tod  des 
Hipparchos  nicht  wesentlich  schlechter  als  Thukydides  unterrichtet  war. 
die  grofse  Überlegenheit,  mit  der  Thukydides  auf  seinen  gröfseren  vor- 


29)  Die  sachkundige  behandlung  der  frage  nach  dem  geschlechtsverbande  des 
Thukydides  durch  Töpffer  hat  meine  äUere  arbeit  in  mehrerem  berichtigt,  aber  in 
der  hauptsache  mufs  ich  bei  meiner  ansieht  bleiben,  dafs  ein  directer  vorfahr  des 
geschichtsclireibers  als  bruder  der  Hegesipyle  schwager  des  Miltiades  war.  entschei- 
dend ist  der  besitz  der  thrakischen  bergwerke  und  die  einflufsreiche  Stellung  des 
Thukydides  in  jener  gegend.  sein  besitz  kann  ja  gar  nicht  im  altischen  gebiete 
gelegen  haben,  denn  ein  wegen  Verrates  zum  tode  verurteilter  kann  nicht  in  Athen 
oder  cüv  'A&tjvalot  aq%ovai,  wohnen,  wie  sollte  er  zu  diesen  gütern  kommen,  wenn 
sein  vater  ein  dunkler  ehrenmann  aus  Halimus  war?  ein  hellenisirter  Thraker  hat 
sich  für  Athen  erklärt,  als  die  gegend  des  Pangaion  annectirt  ward,  weil  er  Kimons 
onkel  war,  hat  so  das  bürgerrecht  erhalten  und  seinen  söhn  nach  dem  Thukydides 
aus  Alopeke  benannt,  so  gut  wie  der  Thessaler  Menon,  der  das  bürgerrecht  oder 
vielmehr  die  atelie  für  die  hilfe  wider  Eion  erhielt  (Dem.  23,  199  vgl.  n.  awrä^ecos 
23,  dies  richtiger)  und  seinen  söhn  Thukydides  nannte  (Thuk.  8,  92,  Polemon  bei 
Marcellin  5,  32  Bekk.).  dafs  Oloros  Halimusier  ward,  nicht  Lakiade  wie  Kimon  oder 
Alopekeer  wie  Thukydides,  scheint  mir  nicht  von  belang:  das  volk  konnte  doch 
nicht  alle  solche  clientel  in  eine  gemeinde  stecken,  etwa  wie  alle  von  einem  kaiser 
zu  Römern  gemachten  leute  in  des  kaisers  tribus  kamen,  dazu  war  die  sache  in 
Athen  zu  wichtig,  dafs  aber  Oloros,  der  keine  TJ^ia  hatte,  in  die  Kificoveia  auf- 
nähme fand,  ist  nicht  wunderbar:  seine  kinder  halten  dann  da  die  rjQia. 


Die  Peisistratiden.    herkunft  des  aristotelischen  berichtes.  117 

gäüger  herabsieht,  ist  zwar  durchaus  begreiflich  und  ist  ein  charakteristischer 
zug  in  dem  bilde  des  grofsen  Sophisten,  aber  es  charakterisirt  ihn  doch  als 
Sophisten ;  er  steht  zu  Herodotos  ganz  wie  Euripides  zu  Aischylos.  die 
ganze  kluft,  die  die  neue  bildung  gerissen  hat,  trennt  diese  wenig  jüngeren 
von  den  Vorgängern,  an  die  sie  doch  anknüpfen,  weil  er  modern  ist 
wie  Aristoteles,  erscheint  uns  in  vielem  Thukydides  etwas  aristotelisches 
zu  haben,  und  ich  glaube  auch,  dafs  etwas  racenverwandtschaft  zwischen 
dem  gutsherrn  von  Skaptehyle  und  dem  Stagiriten  ist.  zu  dem  mythischen 
verhalten  sie  sich  ganz  gleich,  vollkommen  indifferent,  und  sie  sehen 
beide  in  der  Weltgeschichte  zwar  kein  spiel  des  zufalis,  aber  auch  keine 
tragoedie  von  gott  gedichtet,  vielmehr  das  kämpfen  menschlicher  leiden- 
schaft  und  menschlicher  einsieht,  in  dem  der  an  einsieht  und  Willens- 
kraft stärkere  den  sieg  behält,  nicht  die  bessere  sache.  trotzdem  ist 
Thukydides  für  Aristoteles  nicht,  was  er  auch  nur  für  unsere  modernen 
historiker  sein  kann,  der  musterhafte  historiker:  dazu  war  dieser  ein  zu 
feiner  beurteile!"  der  stilistischen  Vollkommenheit  und  konnte  schon  als 
künstler  der  attischen  prosa  in  den  thukydideischen  reden  nur  archaische 
versuche  sehen,  aber  er  hat  auch  einen  nicht  berechtigten  Widerwillen 
gegen  den  inhalt  seiner  berichte,  das  hat  lediglich  in  dem  politischen 
urleile  seinen  grund.  Aristoteles  sieht  in  dem  attischen  Reiche  nur  ein 
gebilde  der  glücklichen  habsuchl  eines  zügellosen  demos,  in  Perikles 
einen  volksverderber;  die  kriegerischen  ereignisse  sind  ihm  vollends  lang- 
weilig, wie  sollte  er  da  an  dem  werke  gefallen  finden ,  das  in  dem 
Reiche  die  bedeutendste  Schöpfung,  im  peloponnesischen  kriege  die  ge- 
waltigste erschütterung  der  hellenischen  weit,  in  Perikles  den  grüfsten 
Staatsmann  schilderte?  so  lehnt  er  das  beste  was  Thukydides  geben 
konnte  von  vorn  herein  ab.  es  blieb  seine  stolz  zur  schau  getragene 
Zuversicht,  das  wahre  zu  geben :  wer  will  es  dem  Aristoteles  verdenken,  dafs 
er  mit  genugtuung  die  gelegenheit  wahrnimmt,  wenn  ihm  zuverlässigere 
Informationen  eine  berichtigung  des  Thukydides  gestatten? 

Wo   aber  hat  Aristoteles   diese  besseren    nachrichten   her?    da   er   Herkuni't 

des  ansto- 

sowol  in  betreff  des  Zeitpunktes,  wann  Timonassa  geheiratet  ward,  wie  j|^j.fg^j|j^^^ 
über  eine  einzelheit  in  der  folterung  des  Aristogeilon  auf  einen  wider- 
streit in  den  sonst  also  übereinstimmenden  berichten  hinweist,  hat  er 
nur  das  verdienst,  die  zuverlässigen  forscher  benutzt  zu  haben,  nicht 
das  der  forschuug.  diese  schriftsteiler  sind  nach  Thukydides  hervor- 
getreten, da  dieser  sie  mit  absieht  nicht  wol  verschmäht  haben  kann; 
es  war  also  noch  im  vierten  Jahrhundert  möglich  über  ein  ereignis  des 
ausgehenden  sechsten  einen  glaubhaften  detailbericht  zu  gewinnen,  der 


118  1.    5.  Thukydides. 

einem  Thukydides  unbekaunt  geblieben  war.  wenn  Aristoteles  über 
Timonassa  von  Argos  so  viel  zu  sagen  weifs,  wobei  er  personen  nennt, 
die  für  ihn  und  seine  leser  unbekannt  und  unwesentlich  sind,  aber  not- 
wendig wolbekannt  waren,  als  man  durch  ihre  nennung  die  frau  näher 
bestimmte,  so  ist  das  eine  der  auf  Argos  bezüglichen  angaben,  die  alle 
mit  einander  zusammenhängen,  und  mit  denen  er  den  Herodotos  sowol 
in  betreff  der  schlacht  von  Pallene  wie  auch  bei  dem  stürze  des  Hippias 
ergänzt,  dies  gehört  also  alles  zusammen;  es  kann  von  den  anderen 
ergänzungen  des  herodoteischen  berichtes  über  die  tyrannis  des  Peisi- 
stratos  nicht  getrennt  werden,  mit  andern  Worten,  es  gehört  in  die  Althis: 
deren  zahlreichen  bearbeitern  steht  auch  die  mehrfach  angerufene  Viel- 
heit von  berichterstaltern  wol  an,  und  diese  haben,  auch  Hellanikos, 
später  geschrieben,  als  Thukydides  über  die  tyrannen  sein  material  sam- 
melte und  wenigstens  die  stellen  des  sechsten  buches  schrieb,  dafs  Aristo- 
geiton  auf  der  folter  die  freunde  des  Hippias  angibt,  steht  älinhch  bei 
Polyaen  (I  22).  bei  demselben  kehrt  auch  die  entwaffnung  des  Volkes 
durch  eine  list  des  Peisistratos  und  die  flottengründung  des  Themistokles 
wieder,  ziemlich  wie  Aristoteles  sie  erzählt,  auch  da  ist  also  eine  viel  aus- 
gedehntere quellengemeinschafl  vorhanden,  und  auf  die  Atthis  werden  wir 
wieder  mit  überwiegender  Wahrscheinlichkeit  geführt,  darüber  in  capitel  8. 
Ephoros,  den  wir  wol  bei  Diodor  X  17  voraussetzen  dürfen,  hat  über 
die  folterung  des  Aristogeiton  ähnlich  berichtet  wie  Aristoteles  und  Polyaen, 
im  übrigen  gibt  er  alberne  fabeln,  denn  Hippias  und  Hipparchos  treten 
als  die  gemeinen  tyrannen  der  rhetorischen  Schablone  auf,  Thessalos  da- 
gegen ist  ein  w^eiser  mann  und  durch  seine  neigungen  für  freiheit  und 
gleichheit  beliebt,  mit  andern  Worten ,  die  rollen  sind  nun  ganz  ver- 
tauscht zwischen  Hipparchos  und  Thessalos.  und  wer  als  selbstverständ- 
lich ansah,  dafs  der  tyrann  schlecht  sein  mufste,  konnte  der  Überlieferung 
niemals  glauben,  die  von  Hipparchos  überhaupt  keine  schuld  kannte; 
Ephoros  hielt  sich  also  darin  an  Thukydides.  das  nächste  war  dann 
ein  scheinbarer  schlufs,  dafs  auch  die  liberalilät  eigentlich  dem  Thessalos 
gehörte. 

Ganz  die  Charakteristik  Hipparchs  wie  hier  ist  uns  längst  geläufig 
aus  dem  sokratischen  dialoge,  den  für  platonisch  niemand  mehr  hält. 
dort  kehrt  seine  freundschaft  mit  den  dichtem  wieder,  auf  die  Aristo- 
teles als  eine  notorische  verweist:  wir  haben  in  den  versen  des  Simonides 
und  Anakreon  keine  spuren  mehr,  aber  natürlich  waren  dies  die  Zeug- 
nisse, auf  denen  der  ruf  seiner  cpiXoi-iovoLa  beruhte,  die  damit  auch  wirk- 
lich erhärtet  ist.     der  dialog  führt  aber  noch  mehr  an,  die  fürsorge  für 


I 


Herkunft  des  aristotelischen  berichles.  119 

Homer  und  die  epigramme  der  Hermen,  also  attische  monumente  und 
die  attische  feslordnung.  er  berührt  sich  mit  Aristoteles  noch  in  dem 
Schlagwort,  dafs  die  tyrannis  später  als  das  goldne  Zeitalter  zurück- 
gewünscht wäre.^")  es  ist  das  ein  Schlagwort,  das  natürlich  der  guten 
alten  zeit  oft  gegeben  worden  ist^'):  so  der  zeit  des  Arisleides  von  den 
bündnern  nach  der  Steigerung  ihrer  lasten  (Plut.  Arist.  24).  die  libera- 
lität  Kimous  fülu't  t^v  STti  KqÖvov  uv&oloyovi.ievrjv  y.0Lvcüvlav  ins  leben 
zurück  (Plut.  Kim.  10).  es  können  das,  obwol  l'ür  die  letzte  stelle  Theopompos 
als  vorläge  Plutarchs  sicher  ist,  ganz  wol  Plularchs  eigene  Wendungen 
sein,  denn  dasselbe  bild  hat  z.  b.  auch  Philon  zum  preise  der  regierung 
des  Tiberius  gebraucht  (leg,  ad.  Gaiiim  547  M).  es  ist  also  nicht  dieser 
eine  ausdruck,  der  eine  nahe  Verwandtschaft  zwischen  Aristoteles  und 
jenem  unbedeutenden  producte  der  platonischen  schule  bewiese,  die 
liegt  vielmehr  in  der  ganzen  auffassung  der  tyrannenzeit  und  speciell 
des  Hipparchos,  und  das  einzelne  wort  zeigt  nichts,  als  dafs  beiden  eine 
bereits  stilistisch  geformte  Überlieferung  vorlag,  nun  ist  doch  auch  Aristo- 
teles in  der  platonischen  schule  Jahrzehnte  lang  gewesen,  hat  enge  be- 
ziehungen  immer  mit  ihr  unterhalten,  kein  wunder,  dafs  er  sich  auch 
mit  ihren  geschichtlichen  forschungen  und  anschauungen  vertraut  zeigt: 
er  hat  sie  nicht  angeregt  oder  geführt,  aber  er  hat  wie  jeder  schul- 
genosse   auleil  daran  und  auspruch  darauf,     ob  darum  gleich  ein  buch 

30)  Die  lesart  bei  Aristoteles  ist  ganz  unsicher  Sib  xai  noXXäxis  —  —  — 
loi  1]  Ueiaiaroätov  zvoavvis  b  eni  Koovov  ßios  sotj.  im  Hipparchos  gilt  es  auch 
der  gemeinsamen  herrschaft  der  söhne  und  lautet  eyyvs  rs  s^mv  'Ad'rjvaloi  ojans^ 
änl  KqÖvov  ßaaiXevovxos  (229'').  also  weder  bezieben  sich  beide  stellen  auf  die- 
selbe zeit,  noch  könnte  Aristoteles  auf  den  Hipparchos  hin  irgend  wie  sagen,  dafs 
der  vergleich  oft  gefallen  wäre,  und  doch  lesen  manche  so  flüchtig,  dafs  sie  diese 
abhängigkeit  behaupten. 

31)  Kronos  als  Vertreter  einer  seligen  urzeit  ist  eine  junge  conception,  die  erst 
möglich  ward,  nachdem  man  den  befreiten  Titanen  das  reich  der  seligen  im  jenseits 
legieren  liels,  d.  h.  nach  dieser  orphisch  pythagoreischen  dichtung.  ursprünglicher 
ist  die  verächtliche  beurteilung  des  'grauen  altertums',  der  zeit  vor  der  civilisation. 
denn  ihr  dient  das  fest  der  K^övia,  vier  tage  vor  den  avvoixia,  die  ihrerseits  eine 
Vorbereitung  äer  navad^r/vaia  sind,  diese  reihe,  sicherlich  dem  sechsten  Jahrhundert 
angehörig,  ruft  den  Athenern  den  fortschritt  ihres  Staates,  zugleich  den  der  ganzen 
cultur,  vor  die  seele.  dafs  die  sclaven  an  den  Kronien  frei  haben,  ist  auch  nur  ein 
zug  der  'kyklopischen  zeit  ohne  gesellschaftsordnung.  es  hat  das  an  den  angeblichen 
tagen  der  anarchie  in  Persien  eine  parallele.  Kronos  ist  natürlich  immer  nur  eine 
folie  für  Zeus,  wenn  man  mit  dessen  regimente  hadert,  steigt  die  Wertschätzung 
der  zeit  des  Kronos.  aber  in  der  sophistenzeit,  als  die  komoedie  solche  bilder  oft 
bot,  kann  man  auch  in  der  attischen  Vergangenheit  ein  verlornes  paradies  ge- 
sehen haben. 


120  '•    ^'  Thukydides. 

anzunehmen  sei,  das  beiden  vorgelegen  haue,  möchte  ich  nicht  einmal 
fragen:  dazu  ^vissen  wir  zu  wenig  von  dem  schulbetriebe  und  ich  wenigstens 
von  der  genaueren  zeit,  in  der  der  Hipparchos  verfafst  ist.  ist  doch 
auch  das  ganz  wol  möglich,  dafs  die  veränderte  Schätzung  der  tyrannen, 
die  mit  der  richtigeren  beurteilung  auch  ihrer  familienverhältnisse  zu- 
sammenhängt, bereits  in  die  Atthis  eingang  gefunden  hatte,  die  sonst  in 
der  aristotelischen  Schilderung  des  Peisistratos  zu  gründe  liegt. 

Die  zeit  des  Arislophanes  und  Thukydides  sah  in  dem  getöteten 
Hipparchos  den  tyrannen,  in  dem  tyrannen  den  grausamen  wollüstigen 
gesetzlosen  zwingherrn;  vor  der  tyrannis  hatte  man  furcht:  ihr  gestirn 
stand  420  — 15  wirklich  so  dräuend  am  horizonte  wie  490.  dem  ent- 
sprechend pries  man  die  mörder  des  Hipparchos  als  befreier.  im  übrigen 
freute  man  sich  der  gegenwart  und  blickte  mitleidig  auf  das  sechste  Jahr- 
hundert, auf  Solon  so  gut  wie  auf  Peisistratos.  die  zeit  der  not  und 
der  revolutionen  beschw  or  die  schatten  von  Drakon  und  Solon ;  wie 
auch  aufgefafst  verkörperten  sie  die  gute,  leider  verscherzte,  zeit  der 
bürgertugend.  erst  als  die  neue  solonische  demokratie  nichts  herrliches 
ward,  und  auch  dann  nur  in  den  kreisen,  wo  man  die  Wahrheit  laut  zu  sagen 
vpagte,  kann  Peisistratos  rehabilitiert  sein.  Thukydides,  der  sich  aus  Solon 
nichts  machte,  hatte  dafür  vorgearbeitet.  Piaton  freilich  hat  sich  über 
die  alte  tyrannis  niemals  ausgelassen:  er  hat  auch  nur  für  den  menschen 
und  dichter  Solon  Interesse  gezeigt,  und  Isokrates  gibt  nur  einmal,  wo 
es  ihm  pafst,  das  vulgäre  bild  von  dem  druck  der  tyrannis  (Panath. 
12, 148),  aber  beiEphoros  (Diodor  X  37)  und  Theopompos  (Athen.  XU  532) 
stehen  schon  züge  von  der  milde  und  leutseligkeit  des  Peisistratos.  Hera- 
kleides (Plut.  Sol.  1)  hat  mindestens  die  freundliche  beziehung  von  ihm 
zu  Solon,  wenn  nicht  schon  die  erotische  novelle  erzählt,  auch  er  einer 
des  platonischen  kreises.  damals  hat  irgend  jemand  auch  die  forschungen 
angestellt,  die  wir  bei  Aristoteles  finden  und  die  nicht  nur  die  volks- 
lümhche  fabel,  sondern  selbst  den  Thukydides  berichtigen. 


6. 
DIE  DEMAGOGEN  DES  FÜNFTEN  JAHRHUNDERTS. 


Bisher  konnte  die  analyse  des  aristotelischen  buches  von  den  be- 
kannten und  zum  teil  benannten  Schriftstellern  ausgehn,  von  denen 
Aristoteles  abhieng,  Solon  Herodotos  Thukydides  der  attischen  chronik, 
deren  berichte  sich  wesenthch  durch  ihre  qualität  kenntlich  machten, 
das  wird  in  der  geschichte  des  fünften  Jahrhunderts  anders,  die  eine 
kurze  episode,  die  aus  Thukydides  slanimt,  ist  erledigt;  für  die  chronik 
werden  wir  aufser  den  daten  nur  noch  ein  par  sätzchen  in  anspruch 
nehmen,  im  übrigen  weht  hier  ein  ganz  anderer  geist.  von  450 — 411 
hören  wir  urteile  statt  der  tatsachen,  über  die  geschichte  der  400  liegen 
unverarbeitete  actenstücke  vor,  die  von  404/3  wird  sorgfältig  erzählt,  es 
ist  also  keine  einheitlichkeit  angestrebt;  aber  diese  art  zu  schreiben, 
die  ich  keinesweges  loben  will,  bietet  der  analyse  von  selbst  die  hand- 
habe, auf  verschiedene  vorlagen  zu  schhefsen.  wir  bringen  auch  für  das 
was  wir  erwarten  können,  die  einsieht  mit,  dafs  Aristoteles  oligarchische 
parteischriften  benutzt  hat  und  dafs  er  in  der  schule  Piatons  ansichten 
und  Stimmungen  aufgenommen  hat,  die  auch  unbewufst  sein  urteil  be- 
einflussen konnten,  die  analyse  selbst  hätte  ich  sehr  viel  kürzer  fassen 
können,  wenn  nicht  die  prüfung  der  nachrichten  auf  ihren  objectiven 
wert  bereits  an  dieser  stelle  nötig  gewesen  wäre,  denn  erst  daran  dafs 
so  überaus  viel  unwahres  oder  doch  böswillig  gefärbtes  darin  ist,  kann 
man  erkennen,  wes  geistes  kind  der  Urheber  dieser  fälschungen  Avar, 
und  weitere  Schlüsse  auf  eine  bestimmte  person  wagen. 

Von  der  revolution  der  dreifsig  bis  zu  ihrem  stürze  läuft  eine  zu-  „g5ß^^'?;,,(g 
sammenhängende  erzählung  der  ereignisse  (34,  3 — 40).    nirgend  beruft  der  dreifsig. 
Aristoteles  sich  auf  berichlerstatter,  nirgend  nolirt  er  eine  abweichende 
überheferung.      es   werden   eine    menge   von    personen    eingeführt   und 
nach   ihrer   parteistellung   tendenz   und   bedeutung   gezeichnet,     das   ist 


122  I.    6-  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

wirklich  gescliichlserzähluug.  die  parallelbericlite  des  Xenophon  und 
Lysias,  bei  Diodor  und  Plutarch  berühren  sich  natiirhch  oft  mit  ihr,  aber 
sie  weichen  nicht  minder  häufig  ab,  so  dafs  Aristoteles  durchaus  den 
wert  eines  selbständigen  zeugen  hat.  daraus  erwächst  uns  zwar  die 
aufgäbe  einer  sachlichen  prüfung  seines  berichles,  aber  die  frage  nach 
seinen  quellen  läfst  sich  zunächst  gar  nicht  aufwerfen.  es  erscheint  zwar 
auch  hier  wie  in  der  geschichte  der  400  eine  Urkunde,  der  vertrag 
zwischen  Stadt  und  hafen  (39),  allein  dies  war  ein  verüfl'entlichtes,  viel- 
gefeiertes Schriftstück,  das  dem  Aristoteles  auf  so  vielen  wegen  zukommen 
konnte,  dafs  man  darüber  gar  keine  Vermutung  wagen  wird,  und  kaum 
etwas  darauf  ankommt,  der  antragsteiler  eines  entscheidenden  volks- 
beschlusses  wird  auch  hier  einmal  erwähnt  (34,  3),  aber  wir  erfahren 
weder  worin  dieser  beschlufs  bestand,  auf  dem  doch  formell  die  herr- 
schaft  der  30  beruhte,  noch  wodurch  sie  eigentlich  die  ihnen  gewährte 
machtbefugnis  überschritten  und  zu  lyraunen  wurden  (35,  1).  also 
die  Urkunden  sind  nicht  die  grundlage  dieser  erzählung,  sie  trägt  viel- 
mehr ein  total  verschiedenes  gepräge  von  dem  aus  kaum  verbundenen 
actensLückeu  besiehenden  berichte  über  die  revolulion  von  411.  dafs 
keine  chronik  zu  gründe  hegt,  sieht  man  deutlich  an  der  Vernach- 
lässigung der  genauen  Zeitrechnung,  genannt  werden  zwar  die  ar- 
chonten  Alexias  für  die  schlacht  am  Ziegenllusse  (34,  2),  Pythodoros  für 
die  einsetzung  der  30  (35,  1),  Eukleides  für  die  Versöhnung  (39,  1). 
aber  um  ganz  verständlich  zu  sein,  hätten  die  angaben  hier  auf  die 
monate  gestellt  werden  müssen  wie  411;  Aristoteles  sieht  sich  auch 
genötigt,  nachträglich  anzugeben,  dafs  der  stürz  der  30  noch  unter 
Pythodoros  statt  fand,  dessen  andenken  später  geächtet  ward  (41,  1). 
da  lenkt  er  eben  in  die  chronik  ein,  der  er  auch  die  letzlvorhergehende 
notiz  über  die  eroberung  von  Eleusis  unter  Xenainetos  danken  wird, 
auf  einem  wege,  in  den  man  einlenkt,  ist  man  vorher  nicht  gegangen. 
Einen  geschichtsschreiber  von  autoritativer  gellung  hat  es  bekanntlich 
für  die  zeit  nach  Thukydides  nicht  gegeben,  bis  der  classicismus  der  Römer- 
zeit sich  das  armulszeugnis  ausstellte,  den  Xenophon,  das  Stilmuster  des 
acfs/.rjg  KÖyoq,  als  solchen  aufzustellen.')    wie  viel  weniger  war  Aristo- 


1)  Erst  bei  Arislides,  dessen  abhandlung  über  den  acpslrjs  Xoyos  den  Xenophon 
als  Stilmuster  aufstellt,  ist  die  trias  der  historiker  ganz  offenkundig  in  geltung.  an 
Xenophon  setzen  dann  die  demoslhenischen  reden  an;  für  Alexander  und  seine 
nachfoiger  fehlte  ein  bequemes  buch,  von  denen  weifs  man  also  blutwenig,  diesem 
mangel  sucht  der  neue  Xenophon  Arrian  abzuhelfen,  der  es  für  Alexander  erreicht; 
seine  noch  viel  zu  breite  und  zeitlich  zu  wenig  weit  erstreckte  diadochcngeschichte 


Die  geschichte  der  dreifsig.     stücke  der  chronik.  123 

leles  in  der  läge,  eiuem  bestimmten  erzähler  unbedingt  zu  folgen,  oder 
auch  nur  latent  gegen  ihn  zu  polemisiren  wie  gegen  die  beiden  grofsen 
hisloriker.  so  ist  es  gekommen ,  dafs  er  das  eine  jähr  404/3  aus  sich 
erzählt  hat,  und  zwar  ohne  jede  erwähnung  abweichender  berichte,  für 
diese  kurze  spanne  zeit  mag  er  denn  wirklich  ein  historiker  sein^);  die 
geschichthche  Verarbeitung  seines  berichtes  ist  für  die  analyse  seines 
Werkes  nicht  notwendig. 

Den    Stempel   der  chronik  trägt  offener  als  irgend  ein  anderer  teil  Stücke  der 

^  _  "  "^  clnoaik. 

die  erzähluug  von  Rleisthenes  bis  zu  den  Perserkriegen  (22),  die  aus  der 
anreihung  einzelner  unverbundener  genau  datirter  facta  besteht,  und 
zwar  sieht  man,  dafs  er  eine  reichere  darslellung  auszieht,  denn  er  gibt 
an,  dafs  während  dreier  jähre  die  tyrannenfreunde  ausgewiesen  wurden, 
gibt  aber  nur  zwei  namen  an:  der  dritte,  nach  dem  der  leser  fragen 
mufs,  ist  offenbar  fortgelassen,  weil  seine  person  nach  dem  urteile  des 
Aristoteles  ohne  Interesse  war.^)  es  liegt  hier  die  Atthis  unvermischt 
vor:  vorsichtshalber  sei  jedoch  zunächst  noch  das  schlaue  manöver,  durch 


sucht  Dexippos  zu  ersetzen,  auch  mit  wenig  erfolg:  so  ist  die  lückc  in  unserer 
tradition  zwischen  Arrian  und  Polybios  entstanden,  kurz  vor  Arlslides  schreiben 
Plularchos  und  Dion;  beide  kennen  den  Xenophon  sehr  gut,  den  Dien  als  Sokratiker 
stark  nachahmt,  aber  beiden  liegt  es  noch  ganz  fern,  die  Hellenika  Xenophons  als 
mafsgebende  historische  quelle  anzusehn.  übrigens  können  wir  uns  gratuliren,  dafs 
man  Xenophon  gewählt  hat,  nicht  Theopompos,  wenn  es  denn  nur  ein  buch  sein 
sollte,  denn  so  haben  wir  doch  wenigstens  eine  primärquelle,  zu  lesen  würde 
freilich  Theopompos  ungleich  erfreulicher  sein. 

2)  Immerhin  ist  gut  zu  notiren,  dafs  Androtion  diese  zeit  im  detail  erzählt 
hatte,  bei  ihm  kamen  die  zehn  in  der  sladt,  die  nach  den  dreifsig  gewählt  wurden, 
und  die  zehn  im  Peiraieus,  vor,  diese,  wie  es  scheint,  namentlich  aufgeführt,  Harp. 
Sa'y.n  und  MoÄniS. 

3)  Was  bei  Aristoteles  über  den  ostrakismos  des  Hipparchos  steht,  citirt  Har- 
pokration  s.v.  unter  dem  ülel^^vS^ortcov  sv  ß'.  aber  es  ist  darin  mit  nickten  die 
von  Aristoteles  einfach  abgeschriebene  vorläge  gegeben,  denn  wenn  es  heifst 
B^waxQaxiad'Tj  tov  neoi  rov  oarQaxiafjLOv  vofiov  röze  ■jiqwiov  Ted'ivroG,  so  würde 
danach  das  gesetz  488  gegeben  sein.  Aristoteles  bezeugt,  dafs  dies  gesetz  schon 
von  Kleisthenes  gegeben  war,  aber  rore  TtoäJiov  sy^qrjaavro  io)  vÖ/mm  reo  tcsqI  rov 
oar^axta/iöv ,  bi  sxäd'rj  Sia  rr,v  vno%piuv  rtüv  er  ruls  SwäusGip.  also  steht  bei 
Harpokration  ein  ungenauer  auszug,  wie  denn  auch  tatsächlich  bisher  die  Verbannung 
des  Hipparchos  507  angesetzt  worden  war.  also  darf  man  die  Worte  des  Aristoteles 
nicht  aus  Harpokration  ändern  und  darf  sie  nicht  mehr  dem  Androtion  beilegen, 
aber  allerdings  wird  Androtion  neben  Aristoteles  ursprünglich  als  zeuge  genannt 
sein,  und  auf  diesem  umwege  erreichen  wir  wieder  das  Verhältnis,  dafs  Aristoteles 
von  ihm  abhängt,  ich  bezweifele  es  durchaus  nicht;  aber  es  beruht  lediglich  auf 
unseren  rückschlüssen. 


124  '•    6'  D'ß  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

das  Themistokles  den  Athenern  zu  einer  flotte  verhilft,  als  anecdote  ab- 
gesondert. 

Weiterhin  findet  sich  nur  noch  ein  kurzes  stück,  das  als  ein  be- 
standteil  der  chronik  sich  durch  denselben  Charakter  ausweist  und  von 
seiner  Umgebung  grell  absticht,  drei  gesetze  aus  den  fünfziger  jähren 
(26,  2 — 4).  das  erste  macht  das  archontenamt  den  zeugiten  zugänglich, 
es  besteht  theoretisch  noch,  als  er  schreibt:  denn  noch  immer  gab  niemand 
auf  die  frage  nach  seiner  steuerclasse  die  antwort,  dafs  er  ein  thete  wäre 
(7,  4).  formell  war  also  niemals  die  Zulassung  aller  bürger  zu  allen 
ämtern  ausgesprochen.")  die  bestimmungen  über  die  qualiiication  zum 
archontenamte  hat  Aristoteles  vollständig  mitteilen  wollen  (55,  1),  deshalb 
steht  dieses  gesetz  hier,  das  zweite  ist  die  Wiedereinsetzung  der  demen- 
richter,  einer  schopfung  des  Peisistratos  (16,  5),  deren  zahl  nun  auf  30 
normirt  ward.  Aristoteles  kommt  auf  diese  403  geänderte  zahl  zurück, 
wo  er  ihre  competenzen  bespricht  (53,  1).  dafs  Peisistratos  mit  der 
Schaffung  dieser  richter  den  leuten  auf  dem  lande  einen  gefallen  tun 
wollte,  die  sich  so  einen  gang  in  die  Stadt  sparen  konnten,  sagt  Aristo- 
teles, dafs  seit  403  diese  bedeutung  des  rein  städtischen  amtes  ge- 
schwunden war,  wenn  auch  der  name  demenrichter  noch  bestand  (48,  3), 
folgt  aus  der  Schilderung  ihrer  competenz.  wie  Perikles  es  gehalten 
hatte,  erfahren  wir  nicht:  so  wenig  ist  Aristoteles  darauf  aus,  einblick 
in  die  Verwaltung  des  fünften  Jahrhunderts  zu  geben,  wir  müssen 
schliefsen,  dafs  Perikles  den  längst  verschollenen  namen  der  demen- 
richter nicht  von  Peisistratos  geborgt  haben  würde  (wenn  er  denn  über- 
haupt vor  der  demenordnung  bestand),  falls  er  städtische  richter  aus 
ihnen  machen  wollte,    wir  werden  dann  aber  auch  die  decentralisirende 


4)  Dafs  wir  das  bisher  geglaubt  haben,  ist  keine  schände,  so  unbegreiflich  es 
der  nächsten  generalion  schon  sein  wird,  die  unbewufst  von  dem  beherrscht  werden 
wird,  was  wir  dem  aristotelischen  buche  danken,  bis  jetzt  aber  konnte  man  dem 
Plutarch  Arist.  22  den  glauben  nicht  versagen,  der  gleich  nach  Plataiai  seinen 
beiden  'ein  psepbisma  schreiben'  läfst,  xoivrjv  slvat  ttjv  TtoXireiav  xal  rove  aQxovrai 
41  li4&T]vaio}p  anävTtov  algsla&ai.  darin  ist  alQsla&ai  ein  ungenauer  ausdruck  und 
der  erste  satz  eine  phrase,  die  in  keinem  volksbeschlusse  gestanden  hat.  aber  das 
konnte  man  dem  berichterstatter  aufladen,  vorher  geht  der  ausgezeichnete  bericht 
über  die  Siegesfeier  und  die  Institution  der  Eleutheria  in  Plataiai,  und  yqäcpsi  ifi- 
fiofia  steht  auch  da.  es  folgt  die  ganz  wertlose  anekdote  von  dem  plane  des 
Themistokles  die  flotte  zu  verbrennen,  die  unten  besprochen  ist:  also  auch  die 
analyse  der  plutarchischen  Schrift  gestattete  kein  urteil  über  die  herkunft  oder  qua- 
lität  jener  nachricht,  die  wir  jetzt  einfach  als  eine  bodenlose  erfindung  wegwerfen, 
nur  soviel  ist  an  ihr  richtig,  dafs  sie  den  Aristeides  als  nQoardrrjS  rot  Stj/hov  auffafst, 
nicht  als  führer  der  conservativen,  wie  es  trotzdem  die  modernen  meist  getan  haben. 


Stücke  der  chronik.     disposition  der  erzählung.  125 

mafsregel  dem  Perikles  hoch  anrechnen,  das  dritte  gesetz  ist  die  l)e- 
kannte  perikleische  beschränkung  des  bürgerrechtes  auf  die  von  beiden 
Seiten  ächtbürtigen.  auch  sie  ist  einer  erwähnung  gewürdigt,  weil  sie 
zur  zeit  des  Aristoteles  geltendes  recht  war  (42,  1);  aber  weder  ihre 
(rechtliche  oder  tatsächliche)  beseitigung  nach  etwa  zwei  Jahrzehnten 
noch  ihre  erneuerung  durch  Aristophon  kommt  vor,  so  dafs  man  sieht, 
wie  nötig  bei  der  benutzung  dieses  buches  es  ist,  fest  zu  halten,  dafs 
geschichtliche  Vollständigkeit  nicht  beabsichtigt  ist. 

Diese  drei  gesetze  sind  also  aus  der  chronik  aufgenommen,  weil  sie 
Institutionen  begründen,  die  zur  zeit  noch  gelten,  wir  durchschauen 
die  absieht,  aber  Aristoteles  hat  sie  ohne  ein  wort  der  erläuterung  hin- 
gestellt, und  sie  heben  sich  seltsam  von  ihrer  Umgebung  ab.  denn 
aufser  ihnen  ist  hier  von  der  urkundhchen  erzählung  der  chronik  nichts 
als  die  vereinzelten  archontennamen  zu  finden,  alles  andere  ist  nicht 
erzählung,  geschweige  urkundliche,  sondern  raisonnement.  in  dies  sind 
die  drei  gesetze  so  äufserlich  eingeordnet,  dafs  auf  das  letzte  von  ihnen, 
das  vom  jähre  des  Antidotes  451/0  ist,  folgen  kann  "darauf,  als  Perikles 
die  Volksführung  übernahm,  der  sich  zuerst  in  seiner  Jugend  bei  der  an- 
klage Kimons  ausgezeichnet  hatte  — ",  womit  also  viele  jähre  zurück- 
gegriffen wird. 

Sehen   wir  also  von  dieser  einlage  ab,   so  läfst  sich  die  ganze  be-  oispositiou 

"  °  der 

handlung  der  zeit  von  480 — 411,  der  zeit  des  Reiches,  bezeichnen  als  e^ähiung 
eine  abhandlung  ytSQi  twv  '^^rjvtjGL  ör^fiaycoyiöv.  scheinbar  dreht  es 
sich  freilich  zuerst  um  den  Areopag,  in  dessen  herrschaft  Aristoteles  den 
grund  für  die  grofsen  erfolge  Athens  sieht,  und  dessen  stürz  er  be- 
dauert, aber  den  stürz  selbst  schiebt  er  dem  Themistokles  in  die  schuhe, 
und  die  centralisirung  der  demokratie,  die  tyrannische  herrschaft  über 
die  bündner  und  die  fütterung  der  bürger  aus  fremden  taschen  hat  Ari- 
steides  zu  verantworten :  also  trägt  er  auch  mittelbar  daran  schuld,  dafs 
dies  Volk  sich  die  bevormundung  durch  den  Areopag  nicht  mehr  gefallen 
lassen  wollte,  dann  wird  das  zweite  par  von  demagogen  charakterisirt, 
Kimon  und  Perikles,  wird  eine  liste  der  Parteiführer  von  Solou  ab  ent- 
worfen, die  ihren  abschlufs  in  dem  überaus  scharfen  worte  findet  "seit 
Kleophon  haben  sich  in  der  führung  des  Volkes  unausgesetzt  die  men- 
schen abgelöst,  die  am  meisten  geneigt  waren  ohne  jede  rücksicht 
drauf  los   zu  wirtschaften^)   und   der  masse  ihren  willen  zu   tun    ohne 


5)  Unübersetzbar  für  mich  ist  dies  ol  /uähara  ßovXöfisrot  d'Qacvvea&ai,  aber 
man  versteht  es  wol:  d'Qaaos  ist  der  gegensatz  von  Säos  und  von  aiScös,  es  sind 
die  leute  "mit  dem  leichten  herzen",  zugleich  auch  die,  für  welche  jede  aiScös  ein 


126  I-    ö.  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

weiter  als  auf  den  moment  ihr  augenmerk  zu  richten",  an  der  stelle, 
Avo  dieses  wort  steht,  mag  es  mancher  übersehen,  aber  es  ist  ohne  zeit- 
liche befristung  ausgesprochen,  und  auf  die  überhaupt  unerfindlichen  per- 
sonen  kann  es  nicht  gemünzt  sein,  die  etwa  während  der  wochen  zwi- 
schen Kleophons  tod  und  der  einsetzung  der  30  auf  der  pnyx  herrschten, 
nun,  das  ist  zwar  ein  wort  der  leidenschaft  und  des  ekels,  und  Aristo- 
teles müfste  uns  wenigstens  eine  oder  die  andere  ausnähme,  wie  Archinos, 
zugestehn:  aber  hier  läfst  er  einmal  seiner  Stimmung  freien  lauf,  hier 
sagt  er  es  selbst,  was  er  von  Thrasybulos  und  Kephalos,  Kallistratos  und 
Eubulos,  Demosthenes  und  Demades  gehalten  hat.^)  im  anschlusse  an 
dieses  wort  wird  ein  Werturteil  abgegeben,  das  Nikias  und  Thnkydides'), 
von  denen  der  Schriftsteller  nicht  in  der  läge  gewesen  ist  taten  zu  be- 
richten, den  aQxaloL,  d.  h.  Solon,  Peisistratos  und  Kleisthenes,  an  die 
Seite  stellt,  und  dann  den  Theramenes,  dessen  rechtfertigung,  ganz  im 
sinne  der  aristotelischen  politischen  moral,  beigefügt  wird,  gewissermafsen 
als  anw eisung,  wie  die  folgende  erzählung  der  beiden  revolutionen  be- 
urteilt werden  solle,  so  lange  sie  auf  die  herstellung  der  närgiog  rco- 
liXEia  zielen,  sind  sie  gut,  und  so  lange  macht  sie  Theramenes  auch 
mit.  aber  er  schwenkt  ab,  sobald  sie  in  oligarchische  gewaltherrschaft 
ausarten  (32,  2.  33,  2.  34,  3.  36,  2) :  das  urteil  des  Theramenes  ist  für 
Aristoteles  mafsgebend. 

In  demselben  sinne  ist  auch  noch  der  bericht  über  die  jähre  410 
bis  406  gehalten,  denn  er  beschränkt  sich  darauf,  die  Verurteilung  der 
feldherrn    nach    der  Arginusenschlacht  als    einen   frevel  des  demos  und 


überwundener  Standpunkt  ist.    nur  hat  das  wort  keinen  beleidigenden  klang;  es  ist 
kühn  und  rücksichtslos,  aber  es  bleibt  höflich,     so  was  geht  auf  deutsch  nicht. 

6)  Es  ist  vielleicht  doch  wahrscheinlicher,  das  Aristoteles  das  wort  nicht  ge- 
prägt hat,  sondern  übernommen:  dann  hat  er  es  sich  doch  zu  eigen  gemacht  und 
mufs  es  verantworten,  denn  nur  in  dieser  kritik  liegt  die  begründung  dafür,  dafs- 
er  über  das  vierte  Jahrhundert  und  seine  demagogen  schweigt. 

7)  Ob  Aristoteles  wirklich  etwas  von  diesem  staatsmanne  hätte  berichten 
können,  ist  fraglich,  wir  wissen  jedenfalls  so  gut  wie  nichts  von  ihm.  die  haupt- 
stelle, die  ihn  auch  günstig  auffafst  (Plut.  Per.  11),  scheint  auf  Theopompos  zurück- 
zugehn,  und  der  wieder  ist  von  derselben  schrift  beeinflufst,  die  dem  Aristoteles  vorlag. 
Arislides  jiro  IV  viris  II  160  hängt  von  Plutarch  ab.  das  scholion  (III  446),  das 
den  Thukydides  axvlaxcöS?]  xai  oliyuoxLviöv  nennt,  ist  zu  wenig  verläfslich.  wie 
viel  in  den  viten  des  historikers  auf  den  namensvetter  geht,  ist  unsicher,  aber  dafs 
dieser  seinen  paten  nicht  erwähnt,  hat  auch  einige  bedeutung.  Piatons  Laches  zeigt 
nur,  dafs  er  wirklich  ein  angesehner  mann  war;  dafs  Piaton  ihn  der  ehre  würdigte, 
erwähnt  zu  werden,  dankt  er  dem  demos  Alopeke.  wie  wenig  wir  aber  die  partei- 
kämpfe der  vierziger  jähre  kennen,  sehen  wir  an  dieser  hauptperson  am  deutlichsten. 


Disposition  der  erzählung.     der  Arginusenprocefs.  127 

die  ablehnuDg  der  lakonischen  friedensbedingungen  als  eine  probe  der 
terroristischen  demagogie  Kleophons  anzuführen:  rasch  folgt  dann  in  der 
niederlage  am  Ziegenflusse  und  der  tyrannei  der  30  die  strafe,  weder 
mit  der  tragik  des  Zusammenbruches  des  Reiches  noch  mit  der  unsag- 
baren not  des  volkes  noch  auch  mit  seiner  opferwilligen  energie  hat 
der  Schriftsteller  das  geringste  mitgefühl.     er  denkt  wie  Theramenes. 

Es  ist  durchaus  berechtigt,  dafs  Aristoteles  nicht  die  Perserkriege 
und  nicht  den  peloponnesischen  krieg  hat  erzählen  wollen,  wenn  er 
einmal  die  attische  Verfassung  ganz  isoliren  wollte  und  alles  fern  hielt, 
was  über  den  kreis  der  Stadt  und  der  bürger  hiuauswies,  also  sclaven, 
metoeken  und  fremde,  die  capitulatiouen  mit  andern  Staaten,  selbst  die 
epigamie  bei  seite  liefs,  so  mag  es  entschuldigt  sein,  dafs  er  auch  den 
gerichtszwang  der  bündner  und  die  Organisation  der  kleruchien  über- 
gangen hat.  obwol  man  nur  die  schrift  des  falschen  Xenophon  zu  lesen 
braucht,  um  zu  sehen,  wie  sehr  das  Reich  und  seine  Interessen  damals 
die  der  einzelstaaten  überwog,  und  selbst  wer  diese  pohtik  verurteilte, 
ein  complement  zu  dem  capitel  über  die  20000  von  Reichs  wegen  besol- 
deten Athener  hätte  schreiben  sollen,  das  die  übertriebenen  anforderungen 
an  die  leistungen  des  volkes  als  einen  grund  für  die  kurze  dauer  dieses 
Staates  schilderte,  aber  das  fünfte  Jahrhundert  mit  der  Charakteristik 
von  einer  anzahl  demagogen  abzutun,  ist  nur  durch  eine  starke  Vorein- 
genommenheit erklärlich,  in  der  seele  des  Stagirileu  ist  diese  leiden- 
schaft  nicht  von  selbst  erwachsen :  wo  sind  die  Athener,  die  ihm  so  im- 
ponirt  haben,  dafs  er  zu  einer  solchen  Ungerechtigkeit  sich  hat  fortreifsen 
lassen,  einer  Ungerechtigkeit,  die  sich  schon  stark  genug  an  den  einzelnen 
personen,  aber  noch  viel  mehr  an  dem  Staate  und  der  Verfassung  Athens 
versündigt,  die  frage  soll  ihre  antwort  linden ;  aber  es  ist  angezeigt,  dafs  erst 
die  qualität  der  aristotelischen  angaben  geprüft  wird;  dabei  wird  manches 
einzelne  von  selbst  seine  herkunft  verraten,  an  dem  andern  aber  werden 
die  bezeichnenden  merkmale  deutlich  hervortreten. 

Fangen  wir  von  hinten  an.  "nach  der  Argiuusenschlacht  wurden  j^,.„[J,^Jse„. 
alle  zehn  feldherrn  durch  eine  abstimmung  zum  tode  verurteilt,  obwol  P'ocefs. 
einige  gar  nicht  mitgekämpft  hatten,  andere  auf  einem  fremden  schiffe 
selbst  gerettet  waren  (34,  1).''  das  ist  eine  arge  Übertreibung,  sinte- 
malen nur  acht  verurteilt  und  nur  sechs  hingerichtet  sind.^)  aber  eben 
so  notorisch  ist,  dafs  der  mitvorsitzende  prytan  jenes  tages,  Sokrates  von 
Alopeke,   vor   gericht   also   redet  ore  vf-ielg  zovg  div.a  orgaTrjyoig  — 

8)  Xenoph.  Hell.  I  7,  2.  34,  dem  gegenüber  Diodor  XUI  97.  101  nicht  auf- 
kommen kann. 


128  !•    6.  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

ißovXeod-e  ad-qoovg  y.Qiv€iv  (Plat.  apol.  32^).  und  da  die  rechtsver- 
letziing,  gegen  welche  Sokrates  protestirte,  in  der  summarischen  ab- 
urleikmg  lag,  die  dieselbe  bleibt,  mögen  es  zehn  oder  acht  sein,  ein  col- 
legiuni  aber  gar  leicht  als  eine  feste  zahl  gefafst  wird ,  deren  abgang 
im  speciellen  falle  man  nicht  rechnet^),  so  ist  Sokrates  entschuldigt, 
sein  Vorgang  aber  mag  auch  dem  Aristoteles  pardon  erwirken,  obwol  es 
nicht  schön  ist,  dafs  er  auf  der  zehnzahl  bauend  den  Athenern  einen 
besondern  Vorwurf  macht,  weil  die  unbeteihgten ,  d.  h.  Konon,  getötet 
wären,  auf  jeden  fall  konnte  er  so  reden  lediglich  auf  grund  einer  un- 
sichern  Iradition,  die  unter  den  Sokratikern  von  der  grofstat  ihres 
meisters  lebendig  sein  mufste,  und  es  ist  irrelevant,  ob  vielleicht  auch 
andere  so  geirrt  hatten. 
Auyioä.  Aus  sokratischer  tradition  stammt  eine  ohne  rücksicht  auf  die  Zeit- 

rechnung gelegentlich  der  einführung  des  richtersoldes  beigebrachte  notiz, 
Anytos  habe  zuerst  durch  bestechung  des  gerichtshofes  seine  freisprechung 
durchgesetzt,  nachdem  durch  sein  verschulden  Pylos  verloren  war  (27,  3). 
die  geschichte  steht  genauer  bei  Diodor  XIII  64,  wo  jedoch  Anytos  an 
dem  Verluste  unschuldig  ist,  und  nur  der  Verurteilung  durch  bestechung 
entgeht.'")  Plutarch  hat  sie  in  die  Coriolanbiographie  eingelegt  (14)  aus 
seiner  miscellanlecture,  zu  der  für  historische  anekdoten  peripatiker  wie 
Theophrast  das  meiste  beisteuern,  die  tradition  der  grammaliker  hängt 
von  Aristoteles  selbst  ab,  und  es  ist  nur  eine  späte  Verwechslung  zweier 
ankläger  des  Sokrates,  wenn  einmal  der  schlechte  dichter  Meletos  statt 
des  Staatsmannes  Anytos  genannt  wird  (Bekk.  An,  236  ==  Et.  M.).  seltsam 
ist,  dafs  auch  der  dritte  im  bunde,  Lykon,  einen  platz  der  Messenier, 
rs'aupaktos,  für  geld  verraten  haben  soll,  und  auch  straflos  geblieben  ist. 
dafür  liegt  ein  zeitgenössischer  komikervers  vor  (schol.  Plat.  apol,  23^). 
Piaton  und  Xenophon  haben  zwar  diese  persönlichen  recriminatiouen 
verschmäht,  aber  dafs  die  sokratische  schule  und  die  durch  dessen  tod 
aufgeregte  sophistische  litteratur  minder  wählerisch  war,  ist  man  berecli- 


9)  In  erzählungen  M'ie  der  thukydideischen  von  den  400  mag  es  auch  uns  selbst- 
verständlich sein,  dafs  'die  400'  durchweg  von  der  majorität  dieses  rates  gesagt  wird, 
für  den  Griechen  wenigstens  ist  es  eben  so  selbstverständlich,  dafs  'die  30'  so  heifsen, 
auch  nachdem  Theramenes  getötet  ist  und  Kritias  Gharikles  u.  a.  gefallen  sind,  Ar. 
37.  38.  39. 

10)  Xenoph.  Hell.  I  2,  18  hat  die  tatsache  vielleicht  auch  erzählt,  wenn  man 
die  lückenhaften  worle  ^axeSat/iovioi  tovs  eis  rl  KoQVfdaiov  rwv  EIXcÖtcov  a<pt- 
arcÜTag  ix  Maltas  vnoanSvSovs  ufTjxav  nach  Diodor  ergänzen  darf,  der  von  dem 
cntsalzheere  des  Anytos  sagt,  dafs  es  oi  Svvrjd'eis  tvv  Ma'/.iav  xäfixpai  avdTtXevaev 
eis'Ad'r^vas.  ein  anderer  beachtenswerter  ergänzungsversuch  stelitGenethl.Golting.  168. 


Anytos.     Kleon  und  Kleophon.  129 

tigt  zu  glauben ,  und  so  konnte  Aristoteles  das  überallher  wissen :  es 
würde  aber  gerechter  gewesen  sein,  wenn  er  hervorgehoben  hätte,  dafs 
zwischen  der  einfiibrung  des  richtersoldes  und  der  ersten  bestechung 
ziemlich  ein  halbes  Jahrhundert  lag,  und  Perikles  viele  jähre  tot  war, 
ehe  der  erste  fall  vorkam. 

Von  den  demagogen  werden  die  beiden  plebejer  Kleon")  und  K'eon  und 
Kleophon  wesentlich  als  solche  charakterisirt.  dafs  er  ein  mensch  ohne 
nianiei'en  ist,  ohne  erziehung,  wie  sie  die  gute  gesellschaft  jedem  der 
ihren  mitgibt,  dadurch  macht  Kleon  epoche  (28,  3).  nicht  die  erhöhung 
der  tribute  oder  die  des  richtersoldes  wird  ihm  vorgerückt,  sondern  das 
benehmen  auf  der  tribüne.  es  sind  dieselben  manieren,  die  Aischines 
an  Timarchos  tadelt  (1,  26),  und  man  vergleiche  nur  seine  statue 
mit  der  des  Demosthenes,  um  zu  sehen,  dafs  ihn  die  bildende  kunst 
mit  berechneter  absieht  in  der  keuschen  tracht  der  allen  guten  zeit 
darstellt,  seinen  mächtigeren  aber  ungraziosen  gegner  nicht  hlofs  mit 
nakten  armen,  sondern  sogar  ohne  hemde.  aber  der  verdacht  darf  nicht 
aufkommen,  dafs  die  gegcnsätze  der  demosthenischen  zeit  sich  in  der 
Schilderung  der  alten  demagogen  spiegelten,  denn  die  Ritter  werden  ja 


11)  Kleons  vater  liat  schon  in  den  sechziger  jähren  eine  choregie  übernommen 
(CIA  II  991=) ,  damals  war  die  faniilie  also  schon  bemittelt,  wie  sie  es  über  den 
peloponncsischen  krieg  hinaus  geblieben  ist  (CIA  II  553).  also  schon  Kleainetos  hat 
keine  lohe  gekocht  und  keine  ahle  geführt,  und  war  vermutlich  in  der  läge  mehr 
für  die  erziehung  seines  sohnes  aufzuwenden  als  sein  demot  Philippos  (der  ein  landlos 
auf  Aigina  erhielt)  für  die  des  Aristophanes.  aber  die  gerberei  am  Eridanos  wird 
allerdings  wol  in  der  familie  geblieben  sein,  und  es  ist  sehr  glaublich,  dafs  der  ahn 
des  hauses  erst  durch  Kleisthenes  Athener  und  Kydalhenaeer  geworden  war.  ge- 
sellschaftlich gehört  er  in  eine  andere  Sphäre  als  der  söhn  eines  'schmiedes' 
Sophokles  von  Kolonos  und  der  eines  'flötenfabricanten'  Isokrates  von  Herchia. 
der  Städter  hatte  es  bequem  auf  die  Pnyx,  und  so  hat  er  da  schon  den  Perikles 
angegriffen  (Hermippos  in  den  Moiren):  seine  politische  rolle  dagegen  datirt  vom 
jähre  des  Euthynos  (427/6),  in  dem  er  ratsherr  war  und  als  solcher  bei  der  Soxc- 
fiuaia  iTtndcav,  bei  der  t«|«s  cpö^ov  und  andern  finanzpolitischen  Ordnungen  her- 
vortrat (es  lief  die  vierjährige  etatsperiode  gerade  ab),  und  das  polizeiliche  ein- 
schreiten gegen  den  dichter  der  Babylonier  betrieb.  In  Piatons  komoedie,  die  mit 
dem  cstrakismos  des  Hyperbolos  schlofs,  kam  auch  vor,  dafs  dieser  ratsherr  ward: 
er  ist  es  wahrscheinlicii  unter  Aristion  421/20  gewesen,  CIA  I  46.  noch  Demo- 
sthenes hat  seinen  politischen  einflufs  als  ratsherr  begründet  347/46.  dagegen 
Perikles,  der  die  Strategie  continuirt,  verschmähte  eine  stelle  in  beiden  raten:  natür- 
licherweise nuifsle  er  sich  dann  anderer  antragsteiler  bedienen,  wie  des  Charinos, 
oder  in  der  Volksversammlung  den  antrag  des  rates  umwerfen,  die  dritte  möglich- 
keit,  eine  yvw^r]  axqaxriywv  in  den  rat  zu  bringen,  mag  freilich  auch  vorgekommen 
kein,  so  bei  seinem  megarischen  psephisma  (Plut.  Per.  30). 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles.  9 


130  I-    6-  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

nicht  müde  die  würdelose  haltung  und  die  polternde  und  kreischende 
beredsamkeit  des  Kleon  zu  geifseln,  wenn  auch  die  Vernachlässigung  der 
tracht  nicht  gerügt  wird,  auch  andere  verstofse  gegen  die  gute  sitte  hat 
man  dem  Kleon  aufgemutzt'^),  und  ein  artiges  Stückchen,  wie  er  die 
Sitzung  des  Volkes  aufheben  läfst,  weil  er  bei  sich  gesellschaft  geladen 
hatte,  erzählt  Theopompos'^):  darin  weht  dieselbe  luft  wie  in  der 
aristotelischen  Schilderung. 

Die  geschichte  von  Kleophon ") ,  der  gewappnet  in  die  Volksver- 
sammlung kommt  und  erklärt,  er  werde  die  annähme  des  friedens  unter 
den  angebotenen  bedingungen  nicht  gestatten,  erzählt  auch  Aischines 
(2,  76)  mit  der  kräftigeren  wendung,  dafs  Kleophon  jedem  den  hals  mit 
dem  Säbel  abschneiden  will,  während  er  bei  Aristoteles  nur  den  hämisch 
an  hat.")  aber  Aischines  verlegt  die  scene  auf  die  ersten  Verhandlungen 
nach  der  schlacht  am  Ziegenflusse,  wo  Kleophon  in  der  tat  die  bürger- 
scliaft  zum  ausharren  vermocht  hat.'")  dasselbe  hat  er  nach  der  schlacht 
bei  Kyzikos  getan,   und    damals  standen  dieselben  friedensbedingungeu 

12)  Er  wandte  in  seinem  berichte  über  den  erfolg  von  Sphakteria  als  Stratege 
die  form  des  privatbriefes  an,  die  später  allgemein  üblich  ward  (Moeris  Suidas  %ai- 
QBiv  aus  Eupolis).  wie  war  wol  die  ältere?  den  brief  des  Nikias  stilisirt  Thuky- 
dides  als  rede  an  das  volk  mit  der  anrede  ti  ^A&rivaXoi.  aber  der  schreibende 
mufste  sich  doch  nennen,  so  mufs  man  ein  Nixia?  KvSaviiSris  täSs  liyei  ev^d^nztvir 
d.  h.  ganz  wie  d>8e  Xiyei  ßaaiXsrs  Sto^r;s  Ilavaavia  Thuk.  I  129.  ßaaikevs  ßaai- 
Xscov  JaQslos  6  'Taräaneco  raScna  boilco  räSe  Xeyet  (Bull.  Corr.  Hell.  XUI  531). 
^Oq^otti  'yiyafidfirovos  emareXlei  tÜSb  ^Iipiyeveia  (Eur.  I.  T.  769).  ganz  so  wäre» 
die  Überschriften  aichaischer  bücher  gehalten,  sind  es  die  des  Herodotos  und  Thu- 
kydides  eigentlich  auch. 

13)  Plut.  Nik.  7,  schol.  Lucian.  Tim.  29.  die  torheit,  hierin  komoedie  ge- 
wittert zu  haben,  bereue  ich  schon  viele  jähre. 

14)  Statt  des  Vatersnamens,  den  Aristoteles  selbst  dem  Kleon  nicht  versagt^ 
führt  Kleophon  ständig  das  handwerk,  6  IvQonoiös;  ein  solcher  mensch  ist  ebei> 
von  gar  keiner  herkunft.  ähnlich  steht  es  mit  Hyperbolos,  dessen  vater  Anliphanes- 
wir  nur  durch  Androtion  (schol,  Lucian  Tim.  30)  kennen;  JrjfiäSrjs  Jrjfieov  ist  uns 
von  den  steinen  geläufig:  diese  drei  nennt  im  kataloge  der  aysvvels  Aelian  (V.  H» 
12,  43)  als  solche,  deren  väter  niemand  kennt,  insofern  also,  als  er  den  'menschen 
ohne  familie'  charakterisirt,  ist  der  zusatz  6  Xvqonoiös  bedeutsam. 

15)  Aristoteles  gibt  das  als  zeichen  seiner  frechheit,  und  Cobet  hat  es  sogar 
als  misverständnis  von  &wQrixd'Eis  gefafst,  das,  aber  nur  bei  loniern,  sowol  'ge- 
wappnet' wie  'betrunken'  bedeutet;  in  Wahrheit  ist  dies  der  beste  beweis  dafür,  dafs 
ein  Zeitgenosse  erzählt.  Kleophon  gehörte  zur  besatzung  der  mauer,  und  es  konnte 
den  Athenern  wol  imponiren,  dafs  er  von  der  wache  auf  die  pnyx  kam  und  in 
uniform  die  räumung  von  Dekeleia,  also  seine  eigene  befreiung  vom  Wachdienst,  ais- 
entehrend zurückwies  (Lysias  13,  12). 

16)  Lysias  13,  7.  30,  10. 

i 


Kleon  und  Kleophon.     Kritias.  131 

zur  debatte,  die  Aristoteles  für  406  angibt.")  nur  pafst  der  Status  quo 
als  angebot,  die  seeherrschaft  als  Forderung  für  das  letztere  jähr  durchaus 
nicht  mehr,  und  mit  vollem  rechte  hat  Grote'*)  dem  schon  früher  be- 
kannten Zeugnisse  des  Aristoteles  den  glauben  versagt,  hier  ist  aber 
der  Philosoph  höchst  persönlich  schuldig  zu  sprechen,  denn  die  chronik 
konnte  ihn  nicht  verführen:  er  hat  eine  drastische  beschreibung  von 
Kleophons  terrorismus,  die  ohne  festes  datum  gegeben  war,  406  an- 
gesetzt, Aischines  405,  und  hat  dabei  die  friedensbedingungen  von  410 
verwandt,  die  allerdings  Kleophon  bekämpft  hat,  Aischines  die  von  405, 
die  er  auch  bekämpft  hat.  wir  können  nur  urteilen,  dafs  die  geschichte 
entweder  410  oder  405,  aber  nicht  406  passirt  ist.  aber  auf  gleich- 
zeitige erinnerung  geht  sie  zurück,  einen  schluls  darauf,  woher  Aristo- 
teles sie  nahm,  gestattet  sie  selber  nicht;  es  kommt  auch  wenig  darauf  an. 
Der  moderne  leser  wundert  sich  vielleicht  noch  mehr  über  das  was 
Aristoteles  in  dieser  zeit  nicht  erwähnt  als  über  die  ungenauigkeiten  in 
dem  erwähnten,  die  dreifsig  bleiben  eine  ungegliederte  masse,  die 
schwarze  folie  für  das  leuchtende  bild  des  Theramenes,  und  nirgend,  Kritias. 
nicht  einmal  bei  der  schlacht  in  Munichia,  wo  er  fiel,  kommt  Kritias 
vor.  das  ist  der  verschweigung  des  Phrynichos  unter  den  400  analog, 
und  die  Pohtik  nennt  doch  die  Ultras  in  beiden  oHgarchieen  neben  einander 
(E  1305'')  als  die  demagogen,  d.  h.  die  durch  unsaubere  künste  das 
collegium  beherrschenden,  dann  waren  sie  einer  erwähnung  nicht  wert, 
allein  die  Politik  nennt  dabei  den  Charikles,  nicht  das  eigenthche  haupt, 
Kritias.  dahinter  mufs  etwas  besonderes  stecken,  die  rhetorik  (III  1416'') 
exemplificirt  mit  ihm  in  sehr  bemerkenswerter  weise:  in  einer  lobrede 
auf  Achilleus  brauche  man  seine  taten,  weil  sie  jeder  kenne,  nicht  zu 
erzählen,  wol  aber  in  einer  auf  Kritias,  ov  yag  nokXol  ^ioaGi.  in  den 
äugen  des  Aristoteles  hat  er  also  das  Kainszeichen  des  tyrannen,  das 
ihm  der  demos  aufgedrückt  hatte,  nicht  getragen,  während  niemand 
seine  zahlreichen  werke  las,  aufser  dem  Peirithoos,  den  die  falsche  flagge 
des  Euripides  schützte,  führt  Aristoteles  in  der  psychologie  (1405^)  eine 

17)  Diodor  13,53.  Philochoros  im  schol.  Eur.  Orest.  371.903.  danach  fällt 
die  Verhandlung  noch  unter  Theopompos  411/10  d.h.  in  dessen  letzte  monate.  eine 
gesandtschaft  ist  auch  unter  Euklemon  408/7  in  Athen  gewesen,  wir  wissen  aber 
nur,  dafs  sie  über  die  auswechselung  der  kriegsgefangenen  verhandelt  hat,  Androtion 
in  den  schol.  zur  Ethik,  vgl.  Usener  Fleckeis,  Jahrb.  1871,  311. 

18)  Cap.  65  anf.  Grotes  fragestellung  erzwingt  die  antwort.  der  vers  am 
Schlüsse  der  Frösche,  KXsotpwv  Sa  fiaxiad'to,  zu  dem  der  scholiast  die  Aristoteles- 
stelle angeschrieben  hat,  beweist  nichts  als  das  selbstverständliche,  dafs  Kleophon 
auf  der  seile  der  kriegspartei  stand,  also  dem  Aristophanes  zuwider  war. 

9* 


132  '•    6-  D'^  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

ansieht  von  ilim  an,  tlie  doch  in  Wahrheit  schon  empedokleisch  war, 
wie  wir  denn  wirkUch  nichts  weder  von  productivem  denken  noch  von 
zielhewufstem  handeln  in  Kritias  finden  können,  wir  werden  nicht  fehl 
yelien,  wenn  wir  hierin  die  nachwirkung  der  autorität  Piatons  sehen, 
der  mit  dem  mute  des  reinen  herzens,  der  ihn  nie  verlassen  hat,  und 
der  pietät  des  jüngeren  verwandten,  die  wir  achten  dürfen,  auch  wo  die 
magis  amica  veritas  uns  zum  Widerspruche  zwingt,  das  hild  des  geächteten 
nicht  nur  hoch  gehalten,  sondern  verklärt  und  mit  dem  schönsten  seiner 
poesie  auf  ewig  verhunden  hat.  dafs  Aristoteles  eine  lobschrift  auf  Kritias 
nicht  als  eine  tolle  Spielerei,  wie  auf  Buseiris  und  Thersites,  sondern 
als  ein  werk  angesehen  hat,  das  auf  grund  einer  genauen  kenntnis  seiner 
taten ,  also  der  geschichte  der  30  und  der  Schriften  des  Kritias  wol 
durchführbar  wäre,  gibt  zu  denken,  er  mufs  sich  mit  beiden  beschäftigt 
haben;  für  die  geschichte  lehrt  das  unser  buch  auch,  aber  der  mann, 
der  eine  lobrede  auf  Kritias  für  möglich  hielt,  hat  die  demokratie,  nicht 
blofs  die  des  Kleophon,  sondern  auch  die  des  Demosthenes  notwendiger- 
weise auf  das  schärfste  verurteilt,  das  hätten  wir  uns  längst  sagen  können. 
Aikibiades.  Noch  viel   merkwürdiger  ist  das  fehlen  des  Alkibiades.     Aristoteles 

hat  also  den  genialen  menschen  für  die  Verfassungsgeschichte  Athens 
als  bedeutungslos  betrachtet,  doch  das  konnte  er  kaum;  denn  wer  den 
siciHschen  und  den  dekeleischen  krieg  entzündet  hat,  den  abfall  von  Chios 
bewirkt  und  Persien  in  die  hellenischen  Verwickelungen  hineingezogen,  wer 
die  Institution  des  ostrakismos  unbrauchbar  gemacht  und  durch  die  be- 
seitigung  des  ventiles  die  explosionen  des  parteihasses  herbeigeführt  hat, 
der  ist,  so  weit  es  ein  sterbhcher  sein  kann,  der  demagoge  der  die 
demokratie  zerstört  hat.  alle  diese  dinge  setzt  Aristoteles  viel  mehr 
voraus,  als  dafs  er  sie  erzählte,  indessen  das  reicht  zur  erklärung  nicht, 
nur  mit  bestimmter  absieht  kann  Alkibiades  in  dem  berichte  über  die 
revolution  von  411  fehlen,  ganz  wie  Phrynichos.  folglich  hat  Aristoteles 
den  bedeutenden  mann  gleichsam  wie  einen  komelen  aus  den  kreisen, 
in  denen  sich  das  System  des  athenischen  Staates  bewegte,  ausschliefsen 
zu  dürfen  geglaubt,  und  er  hat  es  wol  deshalb  getan,  weil  er  ihm 
psychologisch  so  viel  rätsei  aufgab  wie  uns.  mitgewirkt  hat  indessen 
wol  auch  zweierlei,  die  oligarchische  schrift,  die  wir  sogleich  näher 
kennen  lernen,  hat  Alkibiades,  wenn  sie  überhaupt  viel  von  ihm  sagte, 
mit  dem  rücksichtslosesten  hasse  angegriffen;  eine  probe  haben  Avir  in 
der  geschichte  Solons  kennen  gelernt  (s.  62).  das  verwarf  Aristoteles, 
weil  er  es  durchschaute,  dann  aber  kam  auch  hier  die  platonische 
tradilion  in  betracht.     Piaton  hat  diesen  daemonischen  menschen,  viel- 


Alkibiades.    Perikles.  133 

leicht  als  einziger,  ganz  verstanden  und  demgemäfs  neben  seinen  Sokrates 
gestellt;  aber  er  liat  es  verschmäht  (und  die  armseligkeit  seiner  nach- 
ahmer  richtet  sich  schon  dadurch),  ihn  wie  jeden  behebigen  hübschen 
jungen  von  Sokrates  belehren  zu  lassen,  wie  er  seine  politische  lauf- 
bahn  beurteilte,  hat  er  nicht  verraten,  aufser  dafs  er  ihn  eben  auch  als 
ein  gestirn  ansah,  das,  geschaffen  zu  leuchten  und  leben  zu  wecken, 
aus  seiner  bahn  geworfen  sich  und  sein  Vaterland  in  wildem  feuer  ver- 
zehrte,    da  hat  auch  Aristoteles  lieber  schweigen  mögen. 

Nun  kommen  wir  endlich  zu  den  vier  männern ,  die  wirklich  Periuies. 
charakterisirt  werden,  Themistokles  und  Aristeides,  Kimon  und  Perikles. 
über  den  letzten  hören  wir  zunächst  das  allbekannte,  dafs  er  die  Ver- 
fassung immer  demokratischer  machte,  weil  er  die  ausbildung  der  see- 
herrschaft  verfolgte,  dagegen  wird  die  sonst  geläufige  Verantwortung 
für  den  peloponnesischen  krieg '^)  ihm  nicht  aufgebürdet,  bei  dem  leser 
wird  bekanntschaft  mit  dem  rechenschaftsprocesse  des  Kimon  voraus- 
gesetzt, der  uns  durch  einen  kurzen  und  guten  bericht  bei  Plutarch  be- 
kannt ist;  man  ist  gewohnt  ihn  für  theopompisch  zu  halten,  die  be- 
teiligung  des  Perikles  setzt  eine  klatschgeschichte  des  Stesimbrotos 
voraus  (Plut.  Kim.  14,  4  =  Per.  10,  5),  und  gerade  weil  der  klatsch 
nichts  weiter  wert  ist,  mufs  die  geschichte  wahr  sein,  an  die  er  sich 
angesetzt  hat.  dann  wird  die  einführung  des  richlersoldes  berichtet,  natür- 
hch  tadelnd,  diese  Verurteilung  ist  411,  als  man  jeglichen  sold  be- 
seitigte, allgemein  gewesen  und  ist  ein  Schlagwort  in  allen  kreisen  mit 
ausnähme  der  radicalen  geblieben,  wir  haben  die  in  der  handschrift 
verdorbenen  worle  aus  Piatons  Gorgias  verbessert,  den  natürhch  der 
Schüler  Piatons  wol  kannte;  allein  Piaton  selbst  nennt  als  urheber 
dieser  kritik  die  lakonisten,  naqu  raiv  %a.  wra  -AarcayoTiov^^)  ravza 
ay.oveig  lo  ^co^gareg,  sagt  sein  Kallikles.  es  war  also  eine  bald  nach 
399  bereits  in  fester  form  cursirende  kritik.  sie  ist  nicht  gehässig;  wol 
aber  ist  das  die  Insinuation  unlauterer  motive,  die  Aristoteles  ohne  be- 


19)  Es  ist  bemerkenswert,  dafs  Aristoteles  diesen  krieg  als  eine  einheit  auf- 
fafst  wie  Thukydides  und  den  Nikiasfrieden  nicht  berücksichtigt. 

20)  Protag.  342'^  cora  y.az(xyvvvrai  hi/iov/aevoi,  rovs  AaysSaifioviovs.  man 
könnte  sie  mit  den  avor,r(os  Xay.covit^ovres  Isokr.  12,  155  identificiren  wollen,  und 
darauf  weiter  bauen,  allein  Isokrates  hat  in  jener  späten  rede  eine  ausführliche 
Schrift  über  Sparta  vor  sich  (177.  1S2  u.  ö.),  die  notwendig  viel  jünger  ist,  nach 
Leuktra  verfafst.  sie  aber  wird  allerdings  diejenige  sein,  welche  die  richtige  //ej|ts 
Ttol.iTEiwv  in  Sparta  fand  (oben  s.  74),  denn  das  steht  hier  153.  natürlicii  denkt 
man  leicht  an  Dioskorides;  aber  ich  sehe  keine  möglichkeit,  den  gedanken  über  die 
bare  möglichkeit  zu  erheben. 


13i  1-6.  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

nifung  auf  fremdes  urteil  gibt.  Perikles  soll  so  die  liberalität  des  Kimon 
haben  überbieten  wollen,  und  nicht  einmal  selbst  hat  er  den  einfall 
gehabt,  sondern  Damonides  von  Oie  hat  es  ihm  geraten  "wie  er  ihm 
das  meiste  eingegeben  haben  soll "  also  selbst  die  Originalität  geht  dem 
Perikles  ab.  Damonides  gibt  den  rat  in  pointirler  form  "da  er  mit  seinem 
eigenen  gelde  zu  kurz  käme,  möchte  Perikles  doch  den  Athenern  aus 
ihrer  tasche  geschenke  geben."  das  ist  ein  recht  witziges  Schlagwort, 
nicht  von  Aristoteles  geprägt,  sondern  übernommen,  denn  nur  der  frische 
hafs  ist  es,  der  solche  Insinuationen  aufbringt  und  also  zuspitzt,  wer 
wollte  in  der  einbläserei  des  Damonides  die  parallele  des  berufenen  ein- 
flusses  verkennen,  den  auf  den  Themistokles  sein  demot  Mnesiphilos 
ausgeübt  haben  soll,  von  anderen  zu  geschweigen.  und  wie  diese  ver- 
läumdung  Thukydides  mit  einem  kräftigen  hiebe  zurückgewiesen  hal^'j, 
so  sagt  sein  Perikles  mit  emphase  von  sich  ovdevog  oi/uai  rjoatov  dvai 
yvcovai  re  xa  ösovra  yial  SQf.it,v£voai  ravta,  (pL?M7tolig  re  y.a.1  XQ^]- 
fidriov  -/.Qeiaawv  (II  60).  das  letzte  bezieht  sich  auf  seine  Verurteilung 
wegen  Unterschlagung:  mit  der  allgemeinen  Charakteristik  zielt  Thuky- 
dides zwar  nicht  in  kenntlicher  weise  auf  die  einbläserei  des  Damonides, 
aber  wol  auf  die  ganze  beurteilung  des  Perikles,  die  im  schwänge  gieng, 
als  er  schrieb,  und  eben  damals  auch  jene  fabel  erzeugt  hatte,  denn 
obwol  es  nicht  wol  angeht  den  text  des  Aristoteles  zu  ändern,  den  die 
quelle  Plutarchs  eben  so  gelesen  hat,  so  mufs  doch  dieser  Jaf.uovl8ris, 
der  den  Perikles  beeinflufst  und  dem  Scherbengerichte  erliegt,  identisch 
sein  mit  dem  Jdi^uov  Jafitovldov,  der  des  Perikles  lehrer  ist  und  dem 
Scherbengericht  erliegt,  wie  Plutarch  (4)  als  allgemeine  annähme  gibt 
und  mit  versen  des  komikers  Piaton  belegt,  die  zugleich  darauf  hin- 
deuten--),  dafs  der  poIitiker  Dämon   identisch   mit  dem  Verfasser  eines 


21)  I  138  oixsiq  ^vväasi  xai  ovxe  TtQOfiad'cöv  sis  avzi]v  ovre  ijtifiad'div  ovSäv. 
Vgl.  Herodot  8,  57.  Plut.  Th.  2.  bei  Clemens  str.  I  354  heifst  Mnesiphilos  Solons  freund 
und  ist  auf  grund  dieser  tradiüon  person  in  Plutarchs  Symposion. 

22)  2!v  yd^,  ojs  (paai,  Xiqcov  i^sd'Qexpas  IleQiiclda:  dabei  denkt  man  um  so 
mehr  an  musische  bildung,  als  Chiron  in  der  alten  komoedie  öfter  als  Vertreter  der 
musik  auftritt,  wenn  Aristoteles  irgendwo  den  Pythokleides  als  lehrer  des  Perikles 
in  der  musik  genannt  hat,  so  wird  nicht  viel  auf  diese  Variante  zu  geben  sein:  denn 
auch  Pythokleides  aus  Keos  war  sophist,  Plat.  Prot.  316«^.  zu  der  Zeitrechnung 
stimmt  allerdings  nicht  gut,  dafs  Sokrates  im  gespräche  mit  dem  älteren  Laches  den 
Dämon  rj/utre^os  sraiQos  nennt,  der,  wie  er  scherzt,  den  Nikias  unterweise  und 
selbst  bei  Prodikos  gelernt  habe  (197^):  dann  konnte  er  nicht  wol  zu  einer  zeit,  wo 
Sokrates  ein  schulknabe  war,  Nikias  ephebe,  den  Perikles  unterweisen,  während 
eine  sophistische  rede  über  die  musik  (die  ich  mir  ähnlich  den  hippokratischen  ne^i 


Perikles.    Kimon.  135 

Areopagitikos  über  rhythmus  und  musik  ist.  weder  Plutarch  noch  Aristo- 
teles haben  diesen  schlufs  gezogen:  folghch  hat  der  gewährsmann  des 
letzteren  eine  andere  namensform  gebraucht,  wie  denn  z.  b.  die  archonten 
von  480  und  479  neben  den  namen  KalXiag  und  ^ävS^iTtTtog  die  s.  g. 
patronymische  form  führen,  und  der  erste  gebort  wol  sicher  in  die 
famihe,  welche  diese  beiden  formen  anwendet.^^)  da  im  vierten  Jahr- 
hundert der  name  des  musikers  Dämon  in  dieser  form  durch  seine 
Schrift  sehr  bekannt  war,  die  erst  später  verschollen  ist,  so  wird  es 
nicht  zu  kühn  sein,  den  gewährsmann  des  Aristoteles  für  älter  zu 
halten,  von  bedeutung  ist  endhch,  dafs  Isokrates  davon  weifs,  dafs 
Perikles  wie  des  Anaxagoras  auch  Dämons  schüler  gewesen  wäre  tov  xar 
ixslvov  Tov  xQovov  (pQovificozaTov  dö^avTog  elvat  tcöv  noXiTWv.  auf 
dem  bürger  liegt  im  gegensatze  zu  dem  Klazomenier  der  ton,  und  der 
hürger  gibt  doch  wol  politische  ratschlage.^") 

Gerede  von  Zeitgenossen  ist  auch  in  dem  berichte  über  Kimon  lümon. 
unverkennbar,  denn  seine  hberalität  wird  mit  ganz  speciellen  zügen  ge- 
schildert, denen  man  doch  glauben  schenken  darf;  Theopomp  hatte  sie 
auch,  aber  in  übler  Verallgemeinerung,  offenbar  aus  derselben  quelle 
erzählt  (Alben.  533).  die  beurteilung  Kimons  ist  äufserst  ungünstig, 
und  wie  bei  Perikles  wird  sie  in  tief  verletzenden  Schlagwörtern  ab- 
gegeben, wenn  sein  vermögen  "ein  tyrannisches"  heifst,  so  klingt  das 
gehässig,  ist  aber  wenigstens  wahr,  denn  sein  vater  war  tyrann  und  seine 
mutter  eine  barbarische  fürstentochter;  nach  seinem  ostrakismos  lebte  er 
auf  seinem  besitze  in  der  Chersones  wie  später  der  verbannte  Alkibiades 
und  wie  Thukydides  am  Pangaion.  es  geschieht  dem  Kimon  schwerlich 
ein  unrecht,  wenn  man  bei  seinen  zügen  auf  der  Chersones  und  in 
Thrakien  dynastische  Interessen  mit  in  rechnung  setzt,  wie  später  bei 
Iphikrates,  nur  dafs  er  seiner  Vaterstadt  dabei  genützt  hat:  ist  er  doch 
auch  in  dem  rechenschaftsprocesse  frei  gesprochen,     dagegen  sagt  Arislo- 


fiQxairi'S  iTjroixije,  neoi  xe/,vr,s  denke)  für  den  schüler  des  Prodikos  besser  pafst  als 
für  den  lelirer  des  Perikles,  aber  die  sonderung  des  polilikers  Damonides  und  des 
musikers  Dämon,  seines  sohnes,  läfst  sich,  wie  es  scheint,  mit  unsern  Zeugnissen 
auch  nicht  vereinen.  Agariste,  die  frau  des  Alkmeonides,  yevofisvrj  Ss  xal  Ja/ucovoe, 
macht  im  Hermokopidenprocess  eine  denuntiation  (Audok.  1,  16);  sie  ist  offenbar 
selbst  mit  den  Alkmeoniden  blutsverwandt,  und  man  wird  ihren  ersten  gatten  in  dem 
geschlechte  des  Danion  oder  Damonides  suchen,    aber  man  kommt  damit  nicht  weiter. 

23)  KaXXias  KaUidSov  Stratege  Thuk.  I  61,  Kalliades  Stratege  bei  den  Arginusen. 

24)  Isokr.  15,  236.  es  handelt  sich  um  die  redekunst  der  alten  Staatsmänner; 
die  bedeutung  der  anaxagorischen  lehre  für  die  beredsamkeit  des  Perikles  entnimmt 
Isokrates  dem  Phaidros  des  Piaton. 


236  !•    6-  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

teles  kein  vvort  von  seinen  militärischen  erfolgen  am  Hellespont,  in 
Thrakien,  I'amphylien,  Kypros,  es  heifst  vielmehr,  tlafs  zu  jener  zeit  "die 
hürgerschalt  ungeheure  Verluste  erhtt,  weil  leute  ohne  jede  kriegs- 
erfahrung  lediglich  um  des  ruhmes  ihrer  väter  willen  zu  feldherrn  ge- 
wühlt wurden."  das  ist  auch  gegen  Myronides  und  Tolmides  sehr  un- 
hillig,  aber  seine  spitze  kehrt  es  gegen  den  söhn  des  siegers  von  Mara- 
thon, endlich  die  boshafte  formulirung  des  gesammturteils  "die  anständigen 
leute  hatten  überhaupt  keinen  führer,  sondern  an  ihrer  spitze  stand  Kimon, 
der  ziemlich  schwerfällig  {vwd-QOTeoog)  und  erst  spät  in  die  politische 
laulbahn  eingetreten  war."  das  letztere  stimmt  gut  zu  der  ganzen  er- 
zählung;  wenn  Kimon  erst  gegen  Ephialtes  aufgetreten  ist  (28,  2),  so 
war  die  partei  der  yviÖQif.ioi  seit  dem  tode  seines  vaters  allerdings 
führerlos,  da  Aristeides  nicht  minder  als  demokrat  aufgefafst  wird  denn 
Themistokles.  indessen  objectiv  ist  es  falsch.  Kimon  war  feldherr  schon 
unter  Timosthenes  478/77  (Plut.  Ar.  23)  und  bleibt  es  dann  jähre  lang; 
aber  schon  vor  der  schlacht  von  Plataiai  geht  er  als  gesandter  nach 
Sparta  neben  Aristeides  und  Myronides  (Krateros  bei  Plut.  Ar.  20).^^) 
dafs  die  Charakteristik  vcod-QOTSQog  zutrifft,  ist  allerdings  meine  meinung; 
nur  ist  es,  so  stark  der  comparativ  mildert,  ein  grobes  wort  und  von 
dem  euphemismus  der  attischen  eleganz  weit  entfernt.  Aristoteles  hat 
über  Philosophen  der  vorzeit  sich  nicht  gescheut  rund  heraus  seine  meinung 
zu  sagen ;  deshalb  hat  er  auch  dieses  wort  nicht  verschmäht:  aber  wahr- 
lich nicht  selbst  geprägt,  denn  ihm  fehlt  hier,  was  ihn  in  der  philosophie 
zu  eignem  urteile  berechtigt,  das  eigene  Studium,  aber  vw^QOTSQog  ist 
nicht  überliefert,  sondern  der  unsinn  veiozegog.  die  Verbesserung  ist 
von  vielen  sofort  gefunden  und  würde  evident  sein,  auch  wenn  nicht  in 
der  rhetorik  stünde,  dafs  die  sühne  von  genial  angelegten  männern  excen- 
trische  tollköpfe,  die  von  gesetzten  Charakteren  beschränkt  und  träge 
würden,  l^ioraTat  ra  evcpvä  elg  /navixcoreQa  rj^rj,  xa  de  ota&equ 
eig  aßelregiav  Aal  vcod^QÖTiqxa  (II  1390'').  für  den  ersten  satz  sind 
die   söhne  Alkibiades   und  Dionysios   belege,    für   den   zweiten    ol   anb 


25)  Auf  die  anekdote  vom  auszuge  nach  Salamis  (Plut.  Kim.  5)  will  ich  nicht 
bauen,  obwol  sie  mir  ganz  glaublich  scheint,  denn  dafs  der  ritter  vor  der  aus- 
wanderung  nach  Salamis  der  göllin  den  zäum  seines  pferdes  darbringt  und  dafür 
einen  heiligen  Schild  nimmt,  ist  ganz  im  Stile  der  altischen  religiositäl,  und  es  war 
in  der  tat  eine  demonstration ,  die  dem  volke  mut  machen  konnte  und  dem  söhne 
des  Miltiades  zustand,  es  läfst  sich  nur  die  heikunft  der  geschichte  nicht  weiter 
ermitteln  als  dafs  sie  zu  dem  grundstocke  der  vita  gehört,  die  Plutarch  durch  die 
einlagen  aus  Ion,  Stesimbrolos  u.  a.  erweitert. 


Kimon.  137 

Kl/iiiovog  'Aal  IleQixleovg  xal  ^toKQarovg.  man  werfe  nicht  ein,  dafs 
hier  ja  erst  von  Kimons  descendenz  geredet  wird,  es  wird  ja  auch  ihm 
selbst  nicht  die  volle  vLod-QOTr^g  nachgesagt,  sondern  der  ansatz  dazu. 
Aristoteles  urteilt  nun  einmal  über  den  adel  evyevelg  svrelelg,  und  das 
uralte  Philaidengeschlecht  artete  allmählich  aus.  von  Kimons  söhnen 
sind  Lakedaimonios  und  Thessalos  wenigstens  nicht  ganz  tatenlos  geblieben, 
aber  während  Aristoteles  die  Politie  schrieb,  suchte  man  einen  Lakiaden 
Miltiades  aus  seinem  ruhmlosen  dunkel  hervor,  des  namens  wegen,  als 
griinder  einer  colonie  im  westlichen  meere.^'')  dafs  dieselben  ziige  in 
minderer  stärke  schon  der  söhn  des  alten  Miltiades  getragen  habe,  pafst 
ganz  zu  der  anschauung  des  Aristoteles,  in  Wahrheit  hatte  Kimon  sogar 
schon  von  seinem  grofsvater  dieses  renommee  geerbt,  der  den  auch  sonst 
im  attischen  adel  vorkommenden  Spitznamen  KoaX€f.iog  geführt  haben 
soll  (Plut.  Kim.  4.  einleitung  der  scholien  zum  Kimon  des  Aristides). 
der  besitzer  eines  tyrannischen  reichtums  hat  auch  das  mit  den  tyrannen 
gemein  gehabt,  dafs  er  sich  einen  hofstaat  von  künstlern  und  dichtem 
hielt,  die  seine  grofstaten  und  seine  liebschaften  verherriichten.  er 
machte  sich  seine  verse  so  wenig  selbst  wie  Polykrates  und  Hieron ;  aber 
er  brauchte  verse.  wes  brot  sie  afsen,  des  lob  sangen  sie.  aber  mit 
einem  vioS-qÖteqov  rjS^og  ist  das  lob  des  Melanthios  und  Archelaos  und 
Polygnotos  wol  vereinbar.  Ion  ist  mehr  als  ein  litterat,  und  wir  dürfen 
ihm  glauben,  dafs  Kimon  es  wol  verstand,  den  wirt  zu  machen  und  beim 
rundgesang  mit  anstand  seinen  vers  vorzutragen,  das  gehörte  sich  in 
dieser  gesellschaft.  dafs  die  kleinen  leute  den  splendiden  herrn  vergötterten, 
wie  der  Schreiber,  den  Kratinos  seinen  tod  beklagen  hefs,  ist  begreiflich, 
aber  deshalb  konnte  Kimon  ein  mann  sein  wie  die  pindarischen  beiden, 
wenn  Stesimbrotos  ihm  nachsagt  "dafs  er  einen  peloponnesischen  ein- 
di'uck  gemacht  hätte",  so  ist  das  in  milder  form  dasselbe,  was  ich  mög- 
lichst objectiv,  Aristoteles  mit  unhöfhcher  deuüichkeit  ausspricht,  und 
EupoHs,  der  diesen  beiden  nicht  aus  dem  Hades  heraufbeschworen  hat, 
nennt  ihn  cpiXo7t6rr]g  y.a(.ieXrig.  der  tyrann  Kritias  rühmt  seine  {.leya- 
locfQoovvt],  d.  h.  seine  vornehme  weise  mit  dem  gelde  zu  wirtschaften, 
aber  er  wirft  ihm  vor,  das  interesse  des  Vaterlandes  seinen  lakonischen 
sympathieen  geopfert  zu  haben,  seine  taten  zeigen  auf  das  deutlichste, 
dafs  er  die  eindrücke  von  480  sein  leben  lang  festgehalten  hat,  ohne 
zuzulernen  oder  zu  vergessen,  in  der  tat  hat  er  damit  seinem  vater- 
lande im  ganzen  nur  geschadet,  am  meisten  durch  seinen  letzten  zug, 


26)  CIA  II  S09^ 


13S  I-    6.  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

luul  ruf  die  innere  politik  ist  es  wirklich  ein  bon  mot,  dafs  die  vornehmen 
unter  ilim  führerlos  waren;  wenn  wir  auch  vergehlich  fragen,  was  sich 
denn  geändert  hahe,  als  die  führung  auf  seinen  verwandten  Thukydides 
übergieng,  den  Aristoteles  so  hoch  erhebt.  Aristoteles  würde  selbst  schwer- 
lich eine  antwort  haben,  denn  er  hat  weder  das  eine  noch  das  andere 
urteil  geprägt:  das  hat  eine  zeit  getan,  welche  den  dingen  und  den  per- 
sonen  sehr  viel  näher  stand,  deshalb  aber  auch  mehr  entschuldigung  für 
ihren  irrtuni  hat  als  Aristoteles:  wie  durfte  er  den  ächten  feldherrnruhm 
des  Kimon  ganz  unterschlagen? 
Tiiemi-  Diesen   rühm  kann  Themistokles  zu  erben  scheinen,   von  dem  wir 

stokles. 

keine  mihtärische  action  kennen  '")^  nachdem  seine  erpressungen  auf  der 

27)  Zwei  fabeln,  eine  antike  und  eine  moderne,  sind  dabei  nicht  gerechnet, 
die  antike  ist  sein  plan,  die  Griechenflotle  im  hafen  von  Pagasai  zu  verbrennen 
(Plut.  Theni.  20,  Ar.  22),  oder  auch  die  lakonische  in  Gythion  (Poseidonios  bei  Cic. 
de  off.  III  49).  die  geschichle  ist  lediglich  erfunden  um  dem  tugendhaften  Aristeides 
relief  zu  geben.  Verbrennung  von  Gythion  ist  von  Tolmides  übertragen,  Pagasai 
mit  mehr  geschick  erfunden,  weil  gegen  Thessalien  Leotychides  mit  einer  Hellenen- 
flotte  wirklich  gezogen  ist.  ernsthaft  sollte  niemand  mehr  solches  exempel  nehmen, 
begangen  war  es  vielleicht  ein  themistokleisches  verbrechen,  vorher  beschwatzt  war 
es  mehr  als  ein  verbrechen,  eine  dummheit.  dumm  aber  war  Themistokles  niclit. 
minder  unverständig  ist  die  in  dieser  fabel  auch  benutzte  geschichte,  dafs  Themistokles 
die  befestigung  des  hafens  in  geheimer  Sitzung  dem  rate  vorgetragen  hätte,  denn 
so  etwas  kam  vor  (Andok.  2,  19  Arist.  Ritt.  6-18).  aber  bei  Diodor  XI  42  ist  auch  dies 
fratzenhaft  aufgeputzt,  den  modernen  glauben  an  eine  rhodische  fahrt  des  Themi- 
stokles in  den  späteren  siebziger  jähren  hat  Kirchhoff  (Herm.  XI)  widerlegt,  doch 
kann  ich  seine  exegese  der  gedichte  Timokreons  nicht  billigen,  die  dazu  führt,  die 
erzählung  Plutarchs  (Th.  21)  zu  verwerfen,  zwar  das  erste  gedieht  besagt  nichts 
andres  als  Kirchhoff  darin  findet:  Timokreon  hat  im  herbste  4S0,  als  Themistokles 
die  Inseln  zur  kriegssteuer  scharf  heranzog  und  wenigstens  bis  Paros  kam  (Herod. 
VIII  112),  gehofft  von  ihm  zurückgeführt  zu  werden,  was  Themistokles  nicht  tun 
wollte  (ov  HaxTjyev,  das  imperfect  steht  da),  weil  er  angeblich  3  talente  aus  lalysos 
erhalten  hatte  (zuzutraun  ist  ihm  das ,  aber  dem  Timokreon  nicht  zu  glauben),  so 
zog  er  ab  nXecov  es  oXsd'Qov  und  blamirte  sich  dafür  am  Isthmos  in  den  Winter- 
quartieren, wo  es  zur  Preisverteilung  kam.  gemacht  ist  dies  gedieht  aber  erst  etwa 
Winter  478/7,  als  Pausanias  noch  nicht  völlig  compromittirt  war,  Aristeides  aber 
schon  die  gröfste  popularilät  genofs.  vermutlich  hoffte  Timokreon  auf  den,  denn 
er  war  nicht  heimgekehrt,  trotzdem  eine  flotte  unter  Pausanias  in  Kypros  gewesen 
war.  die  beiden  andern  bruchstücke  gehören  in  dasselbe  gedieht,  von  dem  Plutarch 
in  guter  alter  weise  den  anfang  citirt,  damit  man  es  finden  könne,  und  auf  das  er 
mit  ovv  zurückweist,  wo  er  die  bezeichnendsten  worte  anführt,  in  diesen  steht 
nur,  dafs  Timokreon  nun  nicht  mehr  der  einzige  ist,  der  mit  den  Medern  sich  ver- 
tragen hat.  aber  Plutarch  gibt  an,  er  wäre,  wie  es  scheine  auf  betreiben  des  The- 
mistokles, wegen  landesverrat  verbannt  gewesen,  das  ist  durchaus  nicht  unglaub- 
lich,   wenn  die  Hellenen  dem  litteraten  nicht  halfen,  so  probirte  er  es  mit  der  andern 


Themistokles.  139 

inselfahrt  des  herbstes  480  viel  böses  blut  gemacht  hatten,  es  steht 
die  rhetorische  antilhese  da,  dafs  die  Athener  sich  seiner  als  feld- 
herrn,  des  Aristeides  als  berater  bedient  hätten.^*)  das  würde  nur  wahr 
sein,  wenn  die  kriegerischen  erfolge  von  Byzanlion  bis  Thasos  dem 
Themistokles  statt  dem  Kimon  gehörten,  und  wenn  sie  das  täten,  hätte 
er  auch  etwas  zu  tun  gehabt  in  der  zeit  bis  462,  die  ihn  Aristoteles 
in  Athen  sein  läfst.  aber  die  antithese  bliebe  dennoch  schielend,  da  ja 
bei  Plataiai  und  in  Byzantion  nicht  Themistokles  sondern  Aristeides  dem 
Pausanias  zur  seile  steht,  und  ist  es  nicht  seltsam,  dafs  eben  derjenige, 
der  den  feldherrn  in  Tliemistokles  so  hoch  stellt,  nur  politische  strategeme 
von  ihm  erzählt?  eines,  aus  früherer  zeit,  geht  wenigstens  die  flotten- 
grüudung  an.  aber  die  anläge  des  hafens  wird  nicht  erzählt,  die  stadt- 
erweiterung  dem  Aristeides  beigelegt,  der  mauerbau  beiden,  und  selbst 
das  verdienst  von  Salamis  wird  mit  versteckter  bosheit  geschmälert,  es 
soll  der  Areopag  gewesen  sein,  der  die  Athener  bei  der  räumung  der 
Stadt  vermochte  sich  auf  der  flotte  zu  sammeln,  indem  er  ihnen  einen 
soldvorschufs  von  8  drachmen  auf  den  köpf  zahlte  "während  die  Stra- 
tegen den  köpf  verloren  hatten  und  den  heroldsruf  "rette  sich  wer 
kann"  ausgegeben  hatten."  die  Strategen,  das  ist  Themistokles  —  der 
freilich  zugleich  auch  Areopagit  war,  so  dafs  die  fabel  auf  beiden  beinen 
hinkt,  bekanntlich  war  die  flotte  längst  mobil,  ehe  es  zur  räumung  der 
Stadt  kam,  und  wenn  man  die  erzählung  dadurch  verständlich  macht, 
dafs  man  vielmehr  an  eine  Unterstützung  der  flüchtenden  familien  denkt, 
für  die  freilich  die  feldherrn  nicht  zu  sorgen  hatten,  die  nur  verkünden 
konnten,  dafs  die  Stadt  geräumt  würde,  so  kommt  etwas  heraus,  das  man 


partei.  dann  verfiel  er  aber  der  acht,  so  gut  wie  Arthmios  von  Zeleia  oder 
die  emigranten  von  Eiylhrai,  deren  dauernde  Verbannung  die  Athener  den  Erythraeern 
auferlegen  (CIA  I  9).  dabei  konnte  er  noch  in  mancher  Griechenstadt  von  Asien, 
konnte  auch  z.  b.  in  Thessalien  leben,  es  war  ja  noch  vor  der  Eurymedonschlacht. 
und  sein  lied  trug  der  niund  der  sänger  weiter,  so  gut  wie  ehedem  die  rhapsoden 
die  verse  des  Ärchilochos  verbreitet  hatten:  es  bringt  die  neue  zeitung  vom  verrat 
des  berühmtesten  mannes  in  aller  mund.  das  ist  die  form,  wie  jetzt  die  merk- 
würdigen ereignisse  behandelt  wurden;  Solon  machte  eine  elegie,  Stesimbrotos  später 
ein  pasquiil.  natürlich  ist  das  gedieht  471/70  entstanden,  am  Perserhofe  können 
sich  dann  die  feinde  begegnet  sein,  Themistokles  als  freund  des  königs,  Timokreon 
als  clown:  ganz  den  Verhältnissen  entsprechend,  verse  verstand  der  sultan  nicht, 
aber  als  frefskünstler  bewies  ihm  auch  dieser  Hellene  die  Überlegenheit  seiner  race 
(Thrasymachos  bei  Athen.  X  416^). 

28)  Der  sinn  ist  unzweifelhaft,    die  verdorbene  stelle  scheint  mir  nicht  sicher 
geheilt  zu  sein. 


140  I.    6-  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

gern  glaiibl,  nur  hat  das  Aristoteles  nicht  gemeint,  der  den  Areopag"urheber 
der  Seeschlacht  bei  Salamis  nennt."  liest  man  dann  vollends  bei  Plutarch 
(Th.  10)  neben  dieser  aristotelischen  fassung,  dafs  Kleidemos  gerade  die 
Verteilung  dieser  wegzehrung  dem  Themistokles  zuschrieb,  der  mit  einem 
seiner  strategeme  das  nötige  geld  zu  finden  wufste,  so  ist  am  tage,  dals 
die  parteileidenschaft  das  verdienst  einer  notorisch  wirklich  segens- 
reichen mafsregel  bald  dem  Themistokles,  bald  der  Verwaltungsbehörde 
zu  vindiciren  geschäftig  gewesen  ist^®):  glauben  verdient  allein  das  factum. 
Packend  und  anschaulich  erzählt  Aristoteles  ein  strategem,  durch 
das  Themistokles  mit  hilfe  des  Ephialtes  den  Areopag  stürzt,  da  haben 
die  antiken  biographen  einmal  viel  mehr  takt  bewiesen,  indem  sie  die 
hübsche  geschichte  stillschweigend  verwarfen,  als  die  modernen,  die  sie 
als  die  grofse  rosine  in  dem  neuen  kuchen  mit  besonderem  wolbehagen 
verspeisten.^")  zeitlos  überliefert,  wie  er  sie  überkam,  hat  die  fabel  den 
Aristoteles  getäuscht;  aber  indem  er  in  der  chronik  nachsah,  wann  denn 
die  gesetze  des  Ephialtes  beschlossen  wären,  und  den  archon  Konen 
462/1  eintrug,  hat  er  sie  eigentlich  selbst  widerlegt,  er  bedurfte  eines 
festen  terniines,  da  die  Vorherrschaft  des  Areopages  für  ihn  eine  be- 
sondere phase  der  Verfassungsgeschichte  ist,  und  er  wollte  natürlich  auch 
etwas  concretes  über  die  Verfassungsänderung  haben,  was  ihm  die  anek- 
dote  nicht  lieferte,  daher  hat  er  aus  der  chronik^')  den  einen  paragraphen 
25,  2  eingefügt,  der  aus  der  fabel  ganz  herausfällt  und,  eben  durch  das 
datum,  für  sie  verhängnisvoll  wird,  denn  sie  ist  völlig  zeitlos  erfunden, 
ihre  Voraussetzungen  sind  eine  anzahl  teils  notorischer,  teils  glaubhafter 
tatsachen.  notorisch  hat  der  Areopag  das  urteil  über  landesverrat  gegen 
Themistokles  gefällt:  das  ist  nach  den  solonischen  gesetzen  und  in  an- 
betracht  der  Stellung  dieses  rates  in  jener  zeit  natürlich,  notorisch  hat 
Ephialtes  den  Areopag  gestürzt  und  auch  dieses  recht  ihm  genommen, 
höchst  glaublich  ist,  dafs  der  revolutionäre  Staatsmann  der  majoritäl  des 
collegiums,   dem  er  angehörte,  so  antipathisch  war,  wie  Appius  Caecus 


29)  Panaitios  (Cic.  de  off.  I  75)  behandelt  die  Streitfrage,  ob  kriegerischer  oder 
friedlicher  rühm  mehr  wert  hätte,  dafür  ist  ihm  Themistokles  ein  beleg,  der  sieger 
von  Salamis,  denn  er  hat  dem  Areopag  in  nichts  geholfen,  wol  aber  der  Areopag 
ihm,  est  eyiim  belhim  gesliim  consilio  sciiaitis  eins  qid  a  Soloiie  erat  constitutus. 
folglich  steht  der  friedliche  rühm  höher,  darin  ist  jede  beziehung  auf  ein  concretes 
factum  verblafst,  die  antilhese  setzt  nur  eine  Vorherrschaft  des  Areopags  in  jener 
zeit  voraus,  die  nicht  nur  von  philosophen  sondern  auch  von  Isokrates  anerkannt  war. 

30)  Nur  R.  Scholl  hat  sofort  das  exempel  für  die  furberia  des  Themistokles 
richtig  gewürdigt. 

31)  Vgl.  das  capitel  'der  Areopag  vor  Ephialtes.' 


Themistokles.  141 

dem  Senat,  da  setzt  die  fabel  ein,  die  in  ihrer  weise  pragmatisch  den 
Themistokles  bemüht,  um  etwas  revolutionäres  durchzusetzen,  weil  er 
ein  inleresse  daran  haben  mufsle  und  weil  er  ein  ausbund  von  erfinde- 
rischer Schlauheit  war.  der  jung  verstorbene,  wenig  berühmte  Ephialtes 
trat  in  der  Vorstellung  zurück  und  erschien  notwendig  als  Werkzeug:  die 
initiative  fiel  dem  hochberühmten  hochverräter  zu,  wie  man  später  Perikles 
als  den  leiter  des  Ephialtes  angesehen  hat.  so  hatte  die  geschichte  auch 
einen  befriedigenden  schlufs.  denn  auf  die  schuld  folgte,  ganz  ohne 
genauere  zeitliche  fixirung,  die  strafe:  Themistokles  mufste  zu  den  Persern 
fliehen,  Ephialtes  ward  ermordet,  wir  würden  das  noch  deuthcher  er- 
kennen, wenn  nicht  in  unserer  handschrift  eine  lücke,  die  sich  zum 
glück  durch  die  grammatische  Verknüpfung  verrät,  den  bericht  über  das 
ende  des  Themistokles  verschlungen  hätte,  wir  können  ihn  nicht  er- 
gänzen, das  ende  des  Ephialtes  wird  hier  unbestimmt  "nicht  lange 
zeit"  nach  dem  stürze  des  Areopages  angesetzt,  später  rechnet  es  Aristo- 
teles notgedrungen  noch  unter  das  jähr  des  Konon  (26,  2).  wir  können 
es  nicht  controUiren ,  haben  aber  allen  grund  ihm  nicht  zu  trauen.^^) 
ganz  ebenso  steht  es  mit  dem  namen  des  mörders,  den  Antiphon  (5,  68) 
als  unbekannt  hinstellt,  die  spätere  biographie  nur  aus  dieser  stelle  kennt 
(Plut.  Per.  10).  die  quelle  des  Aristoteles  war  allerdings  vielleicht  in 
der  läge,  um  den  mord  und  den  mörder  zu  wissen,  aber  vielleicht  nicht 
minder  geneigt,  die  Wahrheit  auf  falsche  spur  zu  locken:  jedenfalls  ist 
auf  sie  kein  verlafs. 

Die  anekdote  aus  Innern  gründen  zu  verurteilen ,  ist  bei  unserer 
geringen  kenntnis  der  personen  unmöglich,  aber  so  etwas  richtet  sich  am 
besten  durch  seine  chronologischen  consequenzen.  dafs  Themistokles  durch 
Scherbengericht  verbannt  war,  als  die  anklage  wegen  hochverrates  ihn  er- 
eilte, ist  auf  das  sicherste  bezeugt,  durch  Thukydides  und  Piaton  (Gorg.  516), 
von  andern  abgesehen:  das  ist  entweder  alles  falsch  um  dieser  anekdote 
willen,  oder  Themistokles  ist  frühestens  461  dem  Scherbengericht  erlegen, 
in  Wahrheit  später,  da  er  ja  zunächst  über  den  Areopag  siegte,  die  erste 

32)  Dafs  der  tod  des  Ephialtes  von  den  geschichtsschreibern  gleich  nach  seinem 
gesetze  erzählt  ward,  ist  natürlich,  datirt  ihn  aber  nicht,  bei  Diodor  (XI  77)  steht 
beides  unter  Phrasikleides  460/59.  der  archon  beweist  leider  nicht  viel,  sonst  möchte 
man  gerne  glauben,  dafs  hier  gesetzgebung  und  tod  nach  dem  letzteren  datirt  wären, 
denn  es  ist  historisch  durchaus  wahrscheinlich,  dafs  bei  dem  ostrakismos  im  frühjahr 
460  Ephialtes  noch  dem  Kimon  gegenüberstand,  und  seine  ermordung  ein  werk  der- 
selben oligarchischen  erbitterung  war,  die  mit  Sparta  vor  dem  feldzug  von  457 
conspirirt  hat.  vgl.  die  beilage  'der  procefs  der  Eumeniden',  und  für  die  weiteren 
Zeitansätze  'die  Chronologie  der  pentekontaetie.' 


142  !•    6.  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

anklage  also  niederschlug.^^)  die  Überlieferung,  dafs  seine  anklage  auf 
griind  der  verurleilung  des  Pausanias  durch  Sparta  erfolgte,  ist  entweder 
ganz  erfunden,  oder  aber  Pausanias  hat  etwa  bis  460  gelebt,  da  eine 
denuntiation  wegen  landesverrales  von  Sparta  nach  Athen  nur  gehn 
konnte,  so  lange  der  Hellenenbund  bestand  und  beide  Staaten  intim 
standen,  so  kann  die  Zurückweisung  Kimons  vor  Messene,  die  Sprengung 
des  Hellenenbundes  und  das  bündnis  zwischen  Athen  und  Argos  erst  längere 
zeit  nach  461  fallen,  nicht  blofs  alle  leute,  die  Themistokles  zu  Xerxes 
kommen  lassen,  sind  in  argem  irrlum,  sondern  auch  Stesimbrotos,  der  ihn 
zu  Hieron  (f  467)  fliehen  läfst,  und  Thukydides,  der  ihn  bei  der  flotte 
vorbeifahren  läfst,  die  IN'axos  belagert,  und  Artaxerxes  veiootL  könig  ge- 
worden sein  läfst,  als  Themistokles  hinkommt,  denn  wenn  er  selbst  461 
im  Scherbengericht  unterlag,  so  kann  er  wirklich  nur  für  die  unwahr- 
scheinlichkeitskrämer  unter  den  Chronologen  alles  das  erlebt  haben,  was 
bei  Thukydides  steht,  und  innerhalb  des  ersten  Jahrzehntes  des  Artaxerxes 
in  Susa  aufgetreten  sein,  das  lebensalter  von  65  jähren  (Plut.  31) 
und  die  erzeugung  einer  tochter  in  Asien,  die  danach  "Aala  hiefs, 
ist  natürhch  falsch:  denn  da  Themistokles  493/2  archon  war,  war 
er  damals  eher  über  als  unter  vierzig,  also  ein  angehender  siebziger, 
wenn  er  Athen  um  460  verhefs.^')  aber  es  wird  langweilig,  die  ab- 
surditäten  zu  häufen,  es  ist  verzeihlich,  wenn  die  hübsche  geschichte 
in  der  ersten  freude  über  die  entdeckung  einen  moment  geblendet  hat. 
wer  aber  ernsthaft  behauptet,  dafs  man  sie  irgendwie  glauben  könnte, 
verwirkt  den  anspruch,  ernsthaft  genommen  zu  werden. 

Das  ist  eigentlich  genug;  aber  die  Themistoklesgeschichte  ist  an  sich 
zu  wichtig,  und  sie  richtig  zu  beurteilen  für  die  geschichthche  methode 


33)  Allein  verläfsiich  würde  dann  die  erzählung  sein,  welche  von  zwei  denun- 
tialionen  und  zwei  processen  redet,  Diodor  XI  54.  die  einfache  interpretation  des 
Diodor  führt  freilich  vielmehr  dazu,  diese  Verdoppelung  daraus  zu  erklären,  dafs  er 
den  ausgang  des  Pausanias  sehr  viel  früher  erzählt  hat,  auf  den  doch  die  anklage 
folgen  mufs,  und  den  ostrakismos  des  Themistokles  wieder  zurückgestellt  bis 
auf  das  jähr,  in  dem  er  in  die  Verbannung  gieng.  wer  also  bei  Plutarch  (23)  nur 
eine  anklage  findet,  die  gegen  den  durch  Scherbengericht  des  landes  verwiesenen 
Themistokles  erhoben  wird,  der  wird  mit  Diodor  leicht  fertig:  wird  aber  auch 
schliefsen,  dafs  der  ostrakismos  des  Themistokles  früher  fällt  als  der  tod  des 
Pausanias. 

34)  In  Wahrheit  ist  Themistokles  allerdings  in  die  siebziger  gekommen,  die  zahl 
65  gehört  in  die  fabel  vom  Selbstmord,  in  dessen  Verbindung  sie  auftritt,  und  der  durch 
den  plan  eines  Perserzuges  gegen  Hellas  motivirt  wjrd,  also  durch  die  Vorbereitungen, 
die  zur  Schlacht  am  Eurymedon  führten,  damals  war  Themistokles  wirklich  etwa 
so  alt:  das  konnte  man  nach  seiner  oQyi]  berechnen. 


Themistokles.     die  geschichte  des  Themistokles.  '         143 

zu  folgenreich,  als  dafs  ich  an  ihr  vorbeigehn  mochte,  zumal  ich  schon 
öller  angedeutet  habe,  dafs  ich  über  sie  etwas  zu  sagen  hätte,  jetzt  ist 
das  reif,  denn  ich  bin  so  weit,  dafs  ich  jeder  antiken  Überlieferung  ihr 
recht  lassen  kann ;  von  den  modernen  darf  man  in  solchem  falle 
schweigen. 

Themistokles  spielt  nach  dem  winter  479/8,  wo  er  den  mauerbau  ^/chf/jes 
durchsetzt,  keine  für  uns  kenntliche  politische  rolle  mehr,  er  ist  noch  Py""'," 
einmal  Vertreter  Athens  bei  der  ami)hiktionie  gewesen  und  hat  da  den 
antrag  Spartas  zu  fall  gebracht,  die  Staaten,  die  479  mit  dem  Meder  ge- 
gangen waren,  zu  vernichten,  aber  wir  können  diese  tatsache  zeitlich 
so  wenig  bestimmen  wie  wir  ihre  politische  bedeutung  verstehn.^^) 
unter  Adeimantos,  friihjahr  476,  hat  er  für  Phrynichos  die  choregie  ge- 
leistet: das  ist  für  uns  das  letzte  zeichen  seiner  anwesenheit  in  der 
heimat.  unter  Menon  472  hat  Aischylos  in  den  Persern  die  verhängnis- 
volle list  des  hellenischen  mannes  gefeiert,  der  den  Xerxes  zur  schlacht 
bei  Salamis  verführte,  damals  kann  dieser  mann  nicht  als  Perserfreund 
wegen    hochverrats   verurteilt   oder   beschrieen  gewesen  sein.^'')     das  ist 


35)  Wir  kennen  sie  nur  durch  Plutarcli  Tliem.  20,  und  die  berufung  auf  das 
verzeiciinis  der  31  bundesstaalen,  d.  h.  die  sctiiangensäule,  garantirt  ihre  glaub- 
würdigkeit.  erzälilt  wird  sie  zwischen  dem  angeblich  geplanten  attentat  auf  die 
floüe  in  Pagasai  (476)  und  dem  stürze  des  Themistokles.  aber  das  ist  lediglich 
stilistische  anordnung,  da  erst  die  modernen  einen  Zusammenhang  mit  dem  zuge  des 
Leotychides  hineintragen,  die  sogar  wissen,  wo  die  nachricht  herstammt,  und  was 
die  tendenz  des  spartiatischen  antrags  war.  dieser  antrag  kann  lediglich  bedeutet 
haben,  dafs  die  Spartaner  den  eid  von  479  wahr  machen  wollten,  den,  wie  Dilten- 
berger  schön  sagt,  vicit  mansuetudo  et  misericordia  (Hallenser  index  lect.  90/91, 
wo  er  SexarsvEiv  erläutert  hat),  er  kann  beabsichtigt  haben,  die  aufgäbe  des  krieges 
in  der  ferne  herbeizuführen,  oder  auch  die  factische  aufgäbe  zu  motiviren,  zu  der 
Sparta  sich  entschlofs,  oder  etwas  anderes:  wo  sowol  die  zeit  wie  die  veranlassung 
unbekannt  sind,  ist  das  eine  rechnung  mit  zwei  unbekannten,  für  die  nur  eine  glei- 
chung  zur  Verfügung  steht. 

36)  Es  ist  Sünde  in  dieses  grofsartige  denkmal  des  reinsten  Patriotismus 
profane  Schmeicheleien  und  rankünen  hineinzutragen,  es  ist  einfach  albern,  in 
der  Schilderung  des  nahkampfes  auf  Psyttaleia  ein  compliment  für  den  officier 
zu  sehen,  der  dort  commandirte,  denn  dafs  in  jenem  nahkampfe  die  vornehmsten 
Perser  gefallen  sind,  ist  eine  tatsache,  und  von  dem  officier  steht  kein  wort 
bei  Aischylos.  auf  der  Hellenenseite  agirt  kein  einzelner  aufser  dem,  der  jenen 
listigen  rat  gab:  und  gegen  den  soll  Aischylos  parteiisch  gewesen  sein?  ebensowenig 
kann  irgend  wer  behaupten,  dafs  er  über  den  Inhalt  der  Phoinissen  des  Phiyiiichos 
(deren  aufführung  476  nicht  fest  steht)  irgend  etwas  wisse,  das  des  dichters  Sym- 
pathie für  Themistokles  oder  Aristeides  erkennen  liefse.  wenn  Themistokles  die 
choregie  für  dieses  drama  des  Phrynichos  geleistet  hat,  was  ganz  glaublich  ist  (ge- 


144  !•    6.  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

für  uns  der  sicherste  lerminus  post  quem  für  seine  flucht,  aber  sehr 
wol  kann  der  also  gefeierte  in  Argos  gelebt  haben,  ungekränkt  an  gut 
und  ehre,  zu  nutzen  seines  Vaterlandes  auf  10  jähre  des  landes  verwiesen, 
unter  Praxiergos  471/0,  ol.  77,  2,  setzt  Diodor  seine  flucht;  auf  dasselbe 
jähr  führt  die  Überlieferung  des  Eusebius,  die  seinen  tod  5  jähre  später 
ansetzt,  was  zu  der  zeit  der  schlacht  am  Eurymedon  gut  stimmt,  die  (wie 
wir  sehen  werden)  mit  dieser  fabel  in  connex  steht,  auf  dasselbe  jähr  führt 
der  ansatz  des  Cicero,  der  Themistokles  20  jähre  nach  Coriolan  setzt 
(Lael.  42).  alle  diese  ausätze  lassen  eine  gewisse  freiheit,  aber  daran 
kann  kein  zweifei  sein,  dafs  sie  alle  auf  dieselbe  feste  tradition  zurück- 
gehu,  und  nichts  andres  in  der  chronik  ApoUodors  stand,  nichts  andres 
in  allen  schulen  gelehrt  ward,  es  ist  also  schwer  diese  angäbe  zu  ver- 
werfen, da  man  doch  in  der  läge  war,  das  datum  der  Verurteilung  aus 
den  acten  zu  constatiren.  die  anklageschrift,  eine  eisangelie  von  Leobotes 
Alkmeons  söhn  aus  Agryle^^),  war  durch  Kraleros  verölTentlicht.  zunächst 
also  sind  wir  verpflichtet,  davon  auszugehn,  dafs  Themistokles  471/0  ver- 
urteilt und  aus  Argos  geflohen  ist. 

Die  anregung  zu  der  klage  auf  hochverrat  kam  durch  eine  sparta- 
nische gesandtschaft,  welche  der  verbündeten  Stadt  die  compromittirenden 


geben  mufs  es  ja  doch  zwischen  478  und  473  sein),  so  ist  das  für  seinen  inhalt 
irrelevant,  wie  soll  denn  der  dichter  ahnen,  wen  ihm  der  archon  als  choregen  zu- 
weisen wird,  wenn  er  seine  dramen  einreicht?  Aischylos  hat  bekanntlich  auch  ein- 
mal den  Perikles  zum  choregen  gehabt:  da  wiederholen  sich  die  unberechtigten 
Schlüsse  der  modernen. 

37)  Westermann  hat  aus  dem  überlieferten  AecüttjsIAqx'-^^^  ^"i  anfange  des  achten 
Themistoklesbriefes  AEcoßmxrii  'AyQvXevs  hergestellt,  und  diese  nebenform  des  de- 
niotikons  existirt  allerdings,  berechtigt  ist  die  gute  conjectur  nur,  wenn  die  daneben 
stehenden  namen  AvaavS^os  ^xafißcoviSrjs  und  ITooväTttjs  ügaaievs  auch  acht  sind, 
sie  haben  guten  attischen  klang,  und  die  möglichkeit,  dafs  der  rhetor  die  eisangelie 
las  und  in  ihr  drei  ankläger  fand,  wie  in  der  des  Sokrates,  ist  nicht  zu  bestreiten, 
dafs  er  drei  namen  erfinden  konnte,  freilich  auch  nicht,  und  'Eoxieve  liegt  näher  als 
'AyQvXsvs.  ein  leichtes  versehen  Plularchs  verschuldet  allein,  dafs  Kimon  unter  die  an- 
kläger gekommen  ist,  denn  das  steht  nicht  im  Themistokles  und  nicht  im  Kimon,  sondern 
im  Aristeides  25,  und  Plutarch,  der  ebenda  Leobotes  mit  seinem  valer  verwechselt, 
hat  seine  frühere  angäbe  im  köpf,  dafs  Kimon  den  Epikiates  von  Acharnai  verfolgt 
hat,  weil  er  dem  Themistokles  seine  schätze  nachsandte,  es  kam  ihm  nur  darauf  an 
hervorzuheben,  dafs  Aristeides  sich  an  der  Verfolgung  des  Tliemistokles  nicht  be- 
teiligte, und  das  führen  auch  mehrere  Themistoklesbriefe  aus,  ohne  dafs  Kimon  er- 
scheint, so  schön  dies  gegenstück  gepafst  hätte.  Kimon  war  proxenos  der  Spartaner, 
gewifs,  und  vielleicht  hat  einer  der  gesandten  bei  ihm  logirt;  aber  was  tut  das? 
überhaupt  wird  mit  der  proxenie  von  historikern  viel  unfug  getrieben:  in  Athen 
halten  zweifellos  eine  ganze  reihe  notabilitäten  den  spartanischen  orden. 


Die  geschichte  des  Themistokles.  145 

papiere  niilleilte,  die  in  dem  nachlasse  des  Paiisanias  gefunden  waren  ^*); 
diese  gesandtschaft  begleitete  die  attischen  Y.h]TfiQeg  in  den  Peloponnes, 
die  den  Themistokles  vor  den  Areopag  laden  sollten,  nicht  sehr  lange 
nach  dem  tode  des  Tansanias  mufs  das  geschehen  sein.  Avann  war  das? 
die  Politie  erst  hat  sicher  gestellt,  dafs  die  Vereidigung  der  bündner  durch 
Aristeides  schon  unter  Timosthenes  478/7  statt  gefunden  hat,  nachdem 
Pausanias  erst  478  Byzantion  den  Persern  entrissen  hatte,  dieses  datum 
in  die  sehr  genaue  Überlieferung  über  den  abfall  der  bündner  von  Pau- 
sanias zu  Aristeides  eingesetzte^),  stellt  aufser  zweifei,  dafs  Pausanias  im 
Winter  478/7  zum  ersten  male  nach  Sparta  zurückberufen  ist,  im  fol- 
genden friihjahre  sein  nachfolger  Dorkis  von  den  Hellenen  unter  Ari- 
steides abgewiesen  ist,  die  damals  also  noch  in  Byzantion  waren, 
unmittelbar  darauf  aber,  als  Pausanias  auf  eigne  faust  ebendahin  fuhr, 
fand  er  keinen  widerstand,  sondern  bemächtigte  sich  der  ganzen  helle- 
sponlischen  gegend.  das  war  also  frühstens,  aber  so  dafs  das  frühste 
auch  das  natürlichste  ist,  sommer  477.  die  Athener  konnten  diesen 
tyrannen  unmöglich  die  beiden  meerengen  sperren  lassen  und  mit  den 
Persern  in  Thrakien  und  Asien  conspiriren.  sie  mufsten  schleunigst  ein- 
schreiten, auch  hierüber  haben  wir  gute  berichte,  die  eine  lange  herr- 
schaft   des  Pausanias   ausschliefsen."")     dazu  stimmt  und  entscheidet  die 


38)  Der  bundesrat  des  Hellenenbundes,  der  übrigens  nur  in  kriegszeiten  zu- 
sammentrat, hat  selbstverständlich  keine  gerichlshoheit  gehabt,  wie  die  rhetorischen 
historiker  fabeln,  wol  aber  galt  das  erkenntnis  eines  bundesstaates  auf  firjSiafios 
für  den  ganzen  bund.  der  verurteilte  ward  aycöyinos  ex  ttJs  'ElXäSos.  das  hat 
Themislokles  erfahren  wie  Arthmios.  im  attischen  Reiche  hat  es  z.  b,  Diagoras  er- 
fahren, als  dann  Athen  mitglied  des  peloponnesischen  bundes  ist,  gelten  die  urteile 
der  Drei fsig  oder  des  rates,  den  sie  beherrschen,  rechtlich  für  den  ganzen  bund;  es 
erkennen  sie  nur  einige  Staaten  nicht  an. 

39)  Thuk.  I  95.  Plut.  Ar.  23.  25. 

40)  Thuk.  I  t31.  Plut.  Kim.  6.  9.  was  Sestos  anlangt,  so  hatte  es  Xanthippos 
im  Winter  479  genommen;  persisch  ist  es  dann  nicht  wieder  geworden,  aber  Kimon 
mufste  es  dem  Pausanias  abnehmen ,  der  mit  den  Persern  verbunden  war  und  per- 
sische truppen  hatte,  diesen  feldzug,  476,  hat  Ion  mitgemacht,  auf  der  chiischen 
flotte,  die  auf  grund  der  neuen  vertrage  unter  Kimon  stand.  —  Trogus  hat  in  seiner 
bekannten  weise  die  ältere  geschichte  von  Byzanz  erzählt,  als  er  gelegentlich  der 
philippischen  belagerung  auf  die  stadt  zu  sprechen  kam.  lustin  hat  in  seiner  be- 
kannten weise  daraus  einen  unsinnigen  auszug  gemacht,  haec  urbs  condita  primo 
a  Pausania  rege  Sj)artanoruvi  et  per  Septem  amios  jwssessa  fuit.  dein  Variante 
Victoria  Jiwic  Lacedaemonioi'um  nunc  Atheniensium,  iuris  habita  est  (IX  1). 
dafs  ein  solcher  excurs  mit  der  gründung  beginnt,  sollte  man  doch  wissen,  die 
niethode,   die  condita   in  capia   ändert  und  dann   zu  gunsten  der  sieben  jähre  die 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles  I.  10 


146  J-   ^-  Die  Demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

Sache,  dafs  Kimon  dem  Pausanias  Sestos  und  Byzantion  genommen  hat 
und  danach  Eion  und  Skyros.  jede  dieser  beiden  Unternehmungen  ist 
aber  durch  ein  ganz  unzweideutiges  zeugnis  auf  das  jähr  des  Phaidon 
476/5  bestimmt/*)  es  rückt  also  die  Vertreibung  des  Pausanias  aus  By- 
zantion in  den  sommer  476  etwa;   kaum   ein  jähr  hat  er  sicli  dort  ge- 


chronologie    des   Thukydides    verwirft,    steht  philologisch  und  historisch   auf  der- 
selben höhe. 

41)  Dafs  die  eroberungen  von  Eion  und  Skyros  die  ersten  rasch  auf  die  grün- 
dung  des  Reiches  folgenden  ereignisse  sind,  sagt  Thukydides  I  98.  dann  folgt  die 
eroberung  von  Karystos  und  nach  einiger  zeit  die  von  Naxos.  eine  allgemeine  Schilde- 
rung macht  den  eindruck  einige  jähre  zu  füllen,  dann  die  Eurymedonschlacht  und 
danach  einige  zeit  der  abfall  von  Thasos  und  die  Schlacht  bei  Drabeskos,  die  Thuky- 
dides (IV  112)  selbst  auf  465/4  fixirt.  den  archon  Phaidon  nennt  für  Eion  mit  vor- 
züglichstem detail  schol.  Aisch.  2,  31,  für  Skyros  Plut.  Thes.  36,  beide  aus  der 
Atthis.  es  gibt  keine  gegeninstanz.  denn  es  ist  lediglich  ein  seit  Bentley  immer 
wieder  begangenes  grammatisches  misverständnis,  wenn  man  meint,  dafs  bei  Plutarch 
Kim.  8  die  heimführung  der  gebeine  des  Theseus  auf  die  Dionysien  des  jahres  468 
(Apsephion)  gesetzt  würden,  so  lange  ich  im  banne  der  vulgala  war,  verwarf  ich 
die  geschichte,  denn  es  ist  gar  zu  widersinnig,  dafs  die  heimführung  einer  leiche  auf 
die  Dionysien,  die  heimkehr  eines  heeres  in  den  märz  fallen,  die  ehre  eines  feld- 
herrn  durch  den  archon  bestimmt  und  darin  gesucht  werden  soll,  dafs  er  über  das 
erstlingswerk  eines  jungen  menschen  ein  kunsturteil  abgibt,  aber  es  steht  etwas 
ganz  anderes  da.  "wegen  der  heimführung  des  Theseus  war  das  volk  dem  Kimon 
sehr  gewogen,  sie  behielten  aber  von  ihm  auch  im  gedächtnis  den  Urteilsspruch 
über  die  tragiker,  der  sehr  berühmt  wurde."  ed'svro  §s  eis  ftvtjf^n^v  aviov  xai  T»;f 
rcöv  xQaycoScöv  xQiaiv.  das  ist  unsinn,  wenn  die  Athener  den  Urteilsspruch  zu 
Kimons  gedächtnis  eingerichtet  haben  sollen:  man  ändert  ja  auch  schon  daran,  eis 
fivrifiriv  ■tid'ead'ai  heifst  was  es  allein  heifsen  kann,  "sie  legten  in  ihr  gedächtnis". 
der  genetiv  avrov  gehört  zu  xQiaiv.  wie  sie  dem  Kimon  nicht  vergafsen,  dafs  er 
den  Theseus  heimgeführt  hatte,  so  behielten  sie  von  ihm  in  einem  feinen  herzen,  dafs 
er  einmal  hatte  preisrichter  spielen  müssen;  das  ward  darum  merkwürdig,  weil  der 
junge  mensch,  dem  er  zum  siege  verhalf,  der  beliebteste  tragiker  geworden  ist.  so 
ist  die  Sache  glaublich  und  hübsch,  das  publicum  ist  in  aufregung,  weil  neben  dem 
grofsen  bewährten  meister  ein  neuling  auftreten  soll,  ein  jüngling  aus  begütertem 
bürgerhause  von  berufener  Schönheit  und  liebenswürdigkeit.  da  vereidigt  der  spiel- 
leitende beamte  die  10  feldherrn,  die  Vertreter  der  10  phylen,  die  zu  einem  Athena- 
opfer  auftreten  (t^  d-ecö  scheint  überliefert,  der  gott,  dem  das  opfer  galt, 
ist  mir  nicht  bekannt;  das  opfer  der  Strategen  kommt  in  den  rechnungen  über  die 
hautgelder  vor,  CIA  II  741).  die  Strategen  haben  eben  mehr  autorität  als  fünf  be- 
liebige biedermänner.  sie  haben  für  den  anfänger  entschieden,  der  nachher  nicht 
nur  ein  grofser  dichter,  sondern  sogar  ein  Stratege  geworden  ist.  zur  bestätigung 
der  geschichte  dient,  dafs  das  datum  durch  die  parische  chronik  bezeugt  wird,  für 
Kimon  folgt  daraus  nicht  mehr,  als  dafs  er  auch  unter  Apsephion  die  Oineis  im  stra- 
tegencollegium  vertrat. 


Die  geschichte  des  Themistokles.  147 

halten,  er  gieog  aber  von  Byzantion  auf  persisches  gebiet  nach  Kolonai 
in  der  Troas,  wo  er  eine  unbestimmte  zeit  bheb.  da  Sparta  im  herbst 
476  in  Leotychides  gerade  den  einzigen  künig  wegen  bestechung  ver- 
urteilen mufste^^),  wird  man  sich  zunächst  nicht  einen  zweiten  arche- 
o-etenprocess  aufgeladen  haben,  als  er  dem  rufe  nach  der  heimat  gefolgt 
war,  beeilte  man  sich  keinesw^egs  mit  seinem  processe,  und  Athen  halte 
keine  veranlassung  mehr,  auf  die  Verurteilung  des  unschädlichen  zu 
dringen,  erst  als  er  eine  verschwürung  der  Heloten  auzettelte,  ist  es 
zur  katastrophe  gekommen,  wir  wissen  nicht  wann;  aber  nichts  hindert 
uns,  sie  gemäfs  dem  processe  des  Themistokles  auf  472/1  anzusetzen ;  sie 
spricht  höchstens  dafür  diesen  so  früh  wie  möglich  zu  datiren. 

Nicht  in  der  überheferung  von  der  flucht  des  Themistokles,  son- 
dern in  der  von  seinen  weiteren  Schicksalen  liegt  für  viele  die  Ver- 
lockung tiefer  hinab  zu  gehn.  diese  Überlieferung  richtig  zu  würdigen, 
wollen  wir  uns  in  das  Hellas  der  sechziger  jähre  versetzen. 

Themistokles  wagte  nicht,  sich  dem  gerichte  zu  stellen;  wir  haben 
kein  recht  zu  bezweifeln,  dafs  er  wirklich  compromittirt  war.  natürhch 
wurde  er  nun  verurteilt;  verfehmt  war  er  im  ganzen  Hellenenlande;  sein 
vermögen  verfiel  dem  Staate;  doch  gelang  es  seinen  freunden,  einen 
grofsen  teil  des  unredlich  erworbenen  gutes  später  in  das  ausländ  zu 
retten.''^)  seine  kinder  erbten  die  ehrlosigkeit;  doch  sind  sie  irgend  wann 
restituirt^"*);   er  ist  es  rechthch  nie:    daher  die  fabeln  über  sein  grab.'^J 

42)  Über  die  jähre  der  spartanischen  Könige  hat  Busolt  Gr.  Gesch.  II  354 
richtig  geurteilt.  Diodor  befristet  die  42  jähre  des  Archidamos  zwischen  Phaidon 
und  Krates  476  und  434.  das  ist  falsch,  da  Archidamos  427  gestorben  ist,  und 
andere  seinen  regierungsantritt  469  setzen,  was  die  nötige  zahl  von  regierungsjahren 
ergibt,  aber  Diodor  kennt  auch  keine  Verbannung  des  Leotychides,  sondern  läfst 
ihn  gleich  unter  Phaidon  sterben,  folglieh  hat  er  die  zeit  der  Verbannung  nicht  ge- 
rechnet, die  in  der  tat  in  den  regierungsjahren  des  Archidamos  nicht  gezählt  ist,  hat  aber 
die  geschichte  des  Leotychides  auf  das  jähr  seiner  flucht  gesetzt,  das  damit  bestimmt 
wird,  wer  sie  mit  der  Ihronbesteigung  des  Archidamos  469  verbindet,  läfst  ende 
der  siebziger  jähre  eine  peloponnesische  flotte  in  Pagasai  sein:  eine  bare  Unmög- 
lichkeit, in  jene  jähre  fallen  offenbar  die  kriege  Spartas  mit  den  Arkadern  und 
sonstige  wirren  im  Peloponnes.    dalirbar  ist  von  ihnen  nur  der  synoikismos  von  Elis. 

43)  Dafs  Kimon  den  Epikrates  von  Acharnai  wegen  dieser  hinterziehung  belangte, 
ist  dem  Slesimbrotos  (Plut.  Them.  24)  ohne  weiteres  zu  glauben. 

44)  Zu  Sokrates  zelten  lebte  der  älteste  söhn  als  leerer  sportsman  unbehelligt 
in  Athen  (Plat.  Men.  93),  und  ein  seitenverwandter  holte  sich  aus  Magnesia  eine 
tochter  zur  ehefrau  (Plut.  32).  beides  war  ohne  einen  formellen  gnadenact  des 
Volkes  nicht  möglich. 

45)  Der  bericht  des  periegeten  Diodoros  (Plut.  32)  läfst  über  die  entstehung  der 
fabel  gar  keinen  zw  eifel.  die  schiff'er  sahen,  wenn  sie  um  die  ecke  der  Peiraieushalbinsel 

10* 


148  J-    6-  D'^  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

Aus  Argos  war  er  schleunigst  an  die  Westküste  geflohen ;  das  mufste 
man  bald  erfahren ;  von  da  nach  Kerkyra,  wo  er  auf  asyhecht  anspruch 
halte,  da  er  den  Charakter  als  €V£QyeT}]g  von  der  insel  besafs.  aber 
auch  dort  war  seines  bleibens  nicht,  da  die  insel  nicht  wünschte,  dem 
Ilellenenbunde  eine  auslieferungsforderung  abschlagen  zu  müssen,  und  nun 
war  jede  spur  von  dem  verloren,  der  zehn  jähre  früher  Hellas  gerettet 
hatte,  wie  sollte  die  phantasie  des  Volkes  sich  nicht  mit  ihm  beschäf- 
tigen, dem  listenreichen  und  gewissenlosen,  wie  sollte  sie  nicht  die  lücken 
des  Wissens  ergänzen,  die  man  peinlich  empfand?  es  war  ja  noch  die 
zeit,  wo  die  sage  ihre  ranken  um  jede  hervorragende  person  schlang, 
und  jede  ungeheure  tat  auf  die  einfach  grofsen  motive  des  epos  und  des 
dramas  zurückgeführt  ward,  damals  mufste  sich  die  Themistokleslegende 
bilden,  wer  464  erzählte,  Themistokles  sei  in  Susa,  der  fand  eben  so 
leicht  oder  schwer  glauben  wie  wenn  er  ihn  in  den  fernen  westen  ver- 
setzte, dafs  er  zu  Hieron  geflohen  wäre,  ist  noch  von  Stesimbrotos  er- 
zählt worden ,  und  da  er  den  weg  nach  westen  eingeschlagen  hatte, 
mufste  das  lange  sehr  wahrscheinlich  klingen,  endlich  ward  man  sicher, 
dafs  er  als  herr  von  Magnesia  am  Maiandros  vom  grofskönig  belehnt  war, 
mit  ansprüchen  auf  Myus  und  Lampsakos,  slädte  des  Reiches,  also  eine 
gefährHche  person,  von  der  man  sich  arger  dinge  versehen  mufste.  er 
war  wirklich  ein  tyrann  und  schlug  auf  eignen  namen  münze,  auch 
falsche,  aber  er  war  alt  und  satt,  seinem  vaterlande  tat  er  nichts  zu 
liebe  noch  zu  leide  und  liefs  die  Weltgeschichte  gehn  wie  sie  wollte, 
auch  ihm  störte  niemand  seine  kreise,  schliefslich  starb  er  irgendwann ; 
für  Hellas  war  er  lange  tot. 

Aber  seine  grofsen  taten  lebten,  und  sein  über  verdienst  dankbares 
Volk  ruhte  nicht,  bis  es  für  seine  taten  einen  andern  abschlufs  gefunden 
hatte  als  den  schrillen  misklang  der  flucht  des  geächteten  oder  den 
schlimmeren  der  faulen  pascliaexistenz.  da  er  ihnen  das  gefürchtele  leid 
nicht  antat,  erzählten  sie,  er  wäre  freiwillig  gestorben,  als  er  sich  nicht 
anders  der  forderung   des  barbaren  entziehen  konnte,   wider  Hellas  zu 


(der  axTTj)  umbogen,  unter  wasser  einen  'aitarähnlichen  felsen',  den  sie  schon  zu  des 
komikers  Piaton  zelten  als  das  grab  des  Stifters  des  hafens  begrüfsten ,  in  den  sie 
einfuhren  —  natürlich,  weil  dieser  grofse  mann  kein  grab  noch  ehrendenkmal  hatte, 
dafs  man  dann  den  ort  OefiiOTOxlelov  nannte,  ist  begreiflich,  später  gab  es  übrigens, 
wie  es  scheint  in  der  nähe  des  'alten'  thealers  und  der  anlagen  {rpvxT^aif,  irgend 
ein  lieiiiglum  o  ISoiaaro  OeuiaroxXrjS  jtQo  17]S  neQi  2at.aiäva  vavfiayias  (Inschrift 
vorsullanischer  zeit  'Etp.  uq^.  1884,  170,  24).  aber  das  alte  theater  ist  natürlich, 
wie  auch  die  Ordnung  der  Inschrift  lehrt,  das  von  Munichia. 


Die  geschichte  des  Themistokles.  149 

fechten,  das  glaubten  die  Athener  schon,  als  Perikles  starb,  jeder  der 
die  Zeiten  genug  kannte,  um  zu  wissen,  dafs  die  flucht  fünf  jähre  vor 
dem  tode  des  Xerxes  staltgefunden  hatte,  und  dafs  Xerxes  der  letzte  ge- 
wesen war,  der  einen  zug  gegen  Hellas  unternommen  hatte,  konnte  gar 
nicht  anders  als  Themistokles  zu  Xerxes  kommen  lassen,  das  ist  sogar 
die  verbreitete  ansieht  geblieben^");  es  war  ja  auch  ungleich  wirkungs- 
voller, wer  dagegen  auch  das  wufste,  das  zwischen  der  flucht  und  der 
belehnung  mit  Magnesia  jähre  lagen,  der  hatte  eine  leere  zeit,  in  welcher 
die  alten  fabeln  bequem  platz  fanden  und  für  jede  neue  räum  blieb, 
neben  der  verschönenden  liebe  schwieg  auch  der  hafs  nicht,  sowol  dem 
philosophischen  staatsmanne,  der  Samos  gegen  Athen  mit  erfolg  vertei- 
digte, wie  dem  philosophischen  freunde  des  Perikles  hängten  die  feinde 
hochverräterische  Schlechtigkeit  an,  indem  sie  erzählten,  dafs  Themistokles 
mit  ihnen  beziehungen  unterhalten  hätte,  die  oligarchen ,  die  den  er- 
bauer  des  hafens  und  der  flotte  als  Stifter  der  verfluchten  demokratie 
betrachteten,  mochten  dem  Ephialtes  womöglich  schon  bei  lebzeiten  vor- 
rücken, dafs  er  gegen  den  Areopag  nur  als  Werkzeug  des  Themistokles  sich 
erhübe,  endhch  als  der  Perser  wieder  in  Lampsakos  und  Myus  gebot,  der 
hafen  geschleift  war  und  die  demokratie  sich  mühselig  vom  tiefsten  falle 
erhob,  trat  ein  ganz  neuer  bericht  über  die  flucht  des  Themistokles  mit 
dem  entschiedensten  anspruch  auf  Wahrheit  hervor,  was  Thukydides  er- 
zählt, hat  sich  im  altertum  neben  der  legende  behauptet;  heut  zu  tage 
glaubt  man  ihm  blindlings,  darf  man  das,  und  wenn  man's  darf,  wo 
hat  Thukydides  die  Wahrheit  her? 

Jahresangaben  macht  er  nicht;  aber  er  läfst  den  Themistokles  zu 
Artaxerxes  kommen,  der  464  den  thron  bestiegen  hat:  am  kanon  der 
könige  ist  nichts  zu  deuteln,  dafs  er  die  flucht  anders  als  die  andern 
datirt  hätte,  ist  nicht  glaublich,  da  er  sie  durch  den  tod  des  Pausanias 
bedingt  werden  läfst,  den  wir  wesentlich  auf  grund  seiner  erzählung  an- 
setzen, das  gibt  also  sieben  leere  jähre,  und  trotzdem  mufs  jeder  leser 
annehmen,  dafs  Themistokles  auf  umwegen,  aber  ohne  längeren  aufent- 
halt  von  Argos  nach  Persien  geflohen  wäre,  wer  will  es  den  Ephoros 
und  Dinon  verdenken,  wenn  sie  durch  diesen  leeren  Zeitraum  mislrauisch 
wurden?  wie  sollen  wir  es  nicht  werden,  da  Thukydides  ihn  entweder 
nicht  bemerkt  oder  verheimlicht  hat?  ja,  es  ist  ein  zug  in  der  ge- 
schichte, der  sich  mit  seiner  Umgebung  schlechthin  nicht  verträgt.    The- 


46)  Für  uns  ist  der  Sokratiker  Aischines  der  erste  zeuge  (Aristides  pro  IF 
viris  II  293);  aber  Ephoros  und  Dinon  haben  natürlich  nicht  ohne  scheinbare  gewähr 
aus  allerer  schriftstellerei  dem  Thukydides  widersprochen. 


150  1-    6-  I*'^  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

mistokles  soll  beinahe  dem  heere,  das  Naxos  belagerte,  in  die  bände  ge- 
fallen sein  (I  137).  diese  belagerung  ist  von  der  eroberung  von  Skyros, 
also  friibjahr  475,  nur  durch  die  von  Karystos  getrennt,  und  niufs  bald 
auf  sie  gefolgt  sein;  erst  längere  zeit  danach  folgt  die  schlacht  am 
Eurymedon,  die  doch  noch  unter  Xerxes  fällt,  man  wird  gern  zugeben, 
dafs  Naxos  471  oder  470  erobert  ist,  als  man  auf  Themistokles  fahndete, 
wird  gern  glauben,  dafs  die  belagernden  wähnten,  ein  schiff,  das  sie  auf 
der  see  laviren  sahen  und  das  ihnen  mit  mühe  auswich,  hätte  den  hoch- 
verräter  an  bord  gehabt,  allein  mit  der  thukydideischen  Chronologie 
streitet  dieser  zug  unbedingt,  es  ist  sehr  merkwürdig,  dafs  man  ihn 
schon  im  altertum  zu  beseitigen  versucht  hat.  bei  Plutarcb  fährt 
Themistokles  von  Pydna  über  Thasos^^)  nach  Kyme.  es  handelt  sich  also 
nicht  um  eine  buchstabenänderung  im  Thukydidestext,  wo  ihn  offenbar 
der  nordwind  verschlägt,  denn  er  geht  von  Pydna  über  Naxos  nach  Ephesos; 
aber  es  ist  doch  eine  correctur  an  der  erzählung  des  Tbukydides,  be- 
stimmt, sie  mit  der  Chronologie  in  einklang  zu  bringen,  denn  die  be- 
lagerung von  Thasos  465 — 63  palst  allerdings  zu  der  ankunft  am  hofe 
des  Artaxerxes.  leider  wird  dadurch  die  leere  reihe  von  jähren  seit  der 
flucht  nur  verlängert:  so  läfst  sich  der  schaden  nicht  heilen. 

Ich  habe  mich  schon  seit  mehr  als  zehn  jähren"^)  verwundert,  wie 
sehr  den  modernen  das  etikett  über  den  Inhalt  der  flasche  gebt,  was 
im  Herodotos  steht,  auch  die  ganze  geschichte  von  479,  betrachten  sie 
als  eine  mehr  oder  minder  sagenhafte  tradition,  obwol  der  erzähler  der 
zeit  sehr  nahe  steht  und  an  auffassungsvermögen  und  Wahrheitsliebe  un- 
übertroffen ist.  aber  die  geschichte  vom  edlen  könig  Admetos,  dem 
biedern  schiffsherrn  u.  s.  w.  einschliefslich  des  briefes,  den  Themistokles 
an  Artaxerxes  schreibt"^),  halten  sie  für  so  wahr  wie  die  leitartikel  ihrer 
Heblingszeitung,    weil  Tbukydides   diese   geschichten  erzählt,     und  doch 


47)  Them.  25.  die  ächte  lesart  hat  nur  die  handschrift  von  Seitenstetten  er- 
halten, in  den  andern  haben  die  Byzantiner  Naxos  aus  Thukydides  eingesehwärzt, 
das  den  ganzen  Zusammenhang  verdirbt. 

48)  Wenn  ein  vorlauter  allerweltsrecensent  sich  wieder  über  diese  meine 
datlrung  meiner  eigenen  gedanken  aufzuhalten  neigung  haben  sollte,  so  habe  er  seinen 
spafs.  es  gibt  immer  auf  erden  leute  die  mehr  wissen  als  sie  drucken  lassen  und 
leute  die  mehr  drucken  lassen  als  sie  wissen,     und  räum  für  alle  hat  die  erde. 

49)  Den  brief  hat  wenigstene  Nöldeke  (Gesch.  Irans  50)  als  fiction  bezeichnet, 
während  er  mit  recht  die  correspondcnz  des  Pausanias  als  acht  ansieht,  diese 
war  eben  bei  Pausanias  aufgefunden,  stilisirt  hat  aber  Thukydides  auch  den  brief 
des  Xerxes  an  Pausanias.  er  hat  so  viel  realilät  wie  der  des  Nikias:  der  Themi- 
stoklesbrief  ist  freie  fiction  wie  die  meisten  reden. 


IUe  geschichle  des  Themistokles.  151 

hat  sich  von  479  bis  470  nicht  viel  geändert,  Thukydides  aber  steht  der 
zeit  beträchtlich  ferner  als  Herodotos.  ich  bin  an  dem  glauben  irre  ge- 
worden ,  weil  die  scene  am  hofe  des  Admetos  ein  altes  sagenmotiv  auf 
neue  ])ersonen  überträgt:  das  ist  Telephos  in  Argos.  ich  bezweifle 
durchaus  nicht,  dafs  Thukydides  ziemlich  so  getreu  wie  Herodotos  erzählt 
was  er  gehört  hat,  aber  er  konnte  die  sage  gar  nicht  von  der  geschichte 
sondern ,  und  dafs  der  schüler  der  Sophisten  zu  zeiten  sich  auch  ohne 
berechtigung  das  air  gibt,  über  die  volle  Wahrheit  zu  verfügen,  ist  un- 
bestreitbar; die  crmordung  des  Hipparchos  hat  dafür  ein  lehrreiches  bei- 
spiel  geliefert. 

Es  ist  und  bleibt  also  eine  offene  frage,  ob  die  geschichten  bei 
Thukydides  mehr  wert  sind  als  die  von  Nikogenes  von  Aigai,  von  Lysi- 
theides  u.  dgl.  bei  anderen  Schriftstellern,  das  geht  aber  doch  nur  eine 
anzahl  einzelner  züge  an^°}:  wie  Thukydides  mit  der  Verwerfung  des 
Selbstmordes  recht  hat,  so  wird  man  ihm  die  hauptsache,  dafs  Themi- 
stokles erst  an  den  hof  des  Artaxerxes  gekommen  ist,  glauben,  um 
so  mehr,  da  Charon  von  Lampsakos  dies  auch  erzählt  hat,  und  das  ver- 
hilft uns  wol  dazu,  seine  quelle  zu  erschliefsen.  ich  würde  es  für  über- 
eilt halten ,  wollte  man  sie  in  der  lampsakenischen  chronik  Charons 
suchen;  weder  würde  Thukydides  einem  buche  so  viel  nacherzählt  haben, 
noch  würden  die,  welche  die  Übereinstimmung  beider  in  einem  detail 
berichten,  verschwiegen  haben,  dafs  sie  durchweg  stimmten,  aber  ge- 
meinsame lampsakenische  Überlieferung  scheint  mir  vorzuhegen.  denn 
das  epigramm  eines  lampsakenischen  grabsteines  führt  Thukydides  in  seiner 
Peisistratidengeschichte  an^'),  und  Lampsakos  war  ja  dem  Themistokles 
vom  grofskönig  geschenkt  ^^);  es  ist  ihm  dort  später  ein  heroisches  fest 


50)  Ich  bezweifle  gar  nicht,  dafs  er  von  Korkyra  aus  zu  lande  an  die  oslküsle 
irgendwie  gelangt  ist;  Pydna  als  Station  ist  sehr  wahrscheinlich;  und  dafs  er  dann 
irgend  wie  das  nieer  gekreuzt  hat.  und  in  den  Städten  Asiens,  mochten  sie  auch 
zum  Reiche  gehören ,  konnte  er  sich  wol  verborgen  halten,  es  kann  auch  mehr 
wahr  sein:  nur  vermögen  wir  es  nicht  als  wahr  zu  erkennen. 

51)  6,  59.  offenbar  kannte  er  mehr  über  die  tyrannen  von  Lampsakos  als  blofs 
das  epigramm,  und  dies  ist  nicht  aus  den  famosen  'kleinen  Schriften',  die  Simonides 
edirt  haben  soll,  in  den  Thukydides  gekommen,  sondern  aus  dem  Thukydides  in  die 
späteren  Sammlungen  von  epigrammen  unter  Simonides  namen.  man  schrieb  es  ihm 
zu,  weil  er  für  die  Peisistratiden  gedichtet  hatte,  das  schien  damals  probabel  und 
kann  es  heute  scheinen,     aber  es  war  und  ist  eine  Vermutung. 

52)  Dafs  ihm  noch  mehr  orte  in  der  daskylitischen  satrapie  zugewiesen  waren 
als  Thukydides  nennt,  ist  sehr  wol  möglich,  und  ich  glaube  es  gern ;  aber  die  zeugen 
dafür  können  uns  Sicherheit  auch  nicht  geben.    Athen.  I  29  f.,  bei  Kaibel  erst  lesbar. 


152  !•   6-  Di^  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

geleiert  und  seine  familie  hat  dort  ehrenrechte  genossen  ^^};  er  mufs  sich 
also  Verdienste  um  die  Stadt,  wenn  auch  vielleicht  nur  ideelle,  erworben 
haben,  mir  scheint  trotz  der  schlechten  bezeugung  glaubhafte  Über- 
lieferung^*), dafs  Themistokles  der  Stadt,  die  er  doch  nicht  zinspflichtig 
machen  konnte,  grofsmütig  den  tribut  erliefs.  als  die  Perser  wieder- 
kamen, kann  ihr  dies  geschenk  eines  königlichen  freundes  sogar  wirk- 
lich zu  statten  gekommen  sein,  in  Lampsakos  also,  denke  ich,  hat  Charon 
und  hat  später  Thukydides  über  Themistokles  nachrichten  eingezogen, 
aus  dessen  kreisen,  wodurch  sie  ihren  wert,  freiUch  auch  ihre  beleuch- 
tung  erhielten,  damit  wird  er  auch  andere  nachrichten  verbunden  haben, 
die  ihm  glaublich  schienen,  und  wie  so  oft  hat  er  sich  im  hochgefühle 
der  Überlegenheit  hingesetzt  und  die  Irrtümer  seines  kritiklosen  Volkes 
berichtigt,  dabei  ist  er  dem  allgemeinen  geschick  des  kritikers  ver- 
fallen, dafs  er  selbst  der  kritik  eine  blofse  bot.  er  würde  verstimmt 
sein,  aber  er  mUfste  selbst  zugeben,  dafs  seine  Themistoklesgcschichte 
rolg  XQovoig  ovx  anQißrjg  ist.^^)  wir  brauchen  nur  unser  gewissen 
zu  befragen,  um  auf  den  vater  der  historischen  kritik  deshalb  keinen  stein 
zu  werfen. 

Wir  haben  die  überheferung  geprüft;  das  ergebnis  ist  meines  er- 
achtens  erfreulich,  wir  wissen  das  genügende  für  die  Chronologie  und 
die  tatsachen,  und  wir  erkennen  die  novellistischen  und  tendenziösen  be- 
standteile  als  solche,  es  ist  zeitgenössische  dichtung:  in  diese  classe 
gehört  auch  die  fabel,  die  den  Aristoteles  getäuscht  hat,  vom  stürze  des 
Areopages  durch  Themistokles.  so  wie  er  sie  erzählt,  kann  sie  freilich 
erst  gegen  ende  des  Jahrhunderts  ausgestaltet  sein :  aber  welcher  zeit 
käme  auch  der  hafs  gegen  die  demokratischen  beiden  besser  zu? 

Diesem  hafs  hat  Aristoteles  auch  über  den  das  wort  gegeben,  den 


53)  Inschrift  von  Lampsakos  (ende  3.  jahrh.)  Mitteil.  Athen  VI  103. 

54)  Themistoklesbrief  20  p.  761  Herch.  ytdfixpaxov  fiiv  ijlev&sQtoaa  xai  TiolXcp 
(pogco  ßnQvvofitvTiV  anavxos  aqpr/xa,  Mvovvxa  (^Se  pflegt  man  einzusetzen)  ttjv  iv 
Mayvrioia  nal  avifjt'  Mayvrjaidv  y.aQnoi  fxai,  wie  Myus  in  Magnesia  liegen  soll, 
verstehe  ich  nicht,  aber  die  befreiung  von  Lampsakos  konnte  der  Verfasser  nicht 
wol  sich  ausdenken,  und  sie  stimmt  zu  dem  Themistoklesfest,  das  die  inschrift  kennen 
gelehrt  hat,  gar  zu  gut.  ' 

55)  So  wendet  sich  gegen  ihn  selbst  sein  scharfes  wort  über  die  Atthis  des 
Hellanikos.  ich  meinte  früher,  dieses  bezöge  sich  eben  auf  die  Themistoklesgcschichte; 
aber  das  ist  ein  unbewiesener  einfall.  so  lange  wir  nichts  von  den  berichten  des 
Hellanikos  haben  und  ihre  Chronologie  nicht  kennen,  können  wir  den  tadel  nicht 
prüfen,  nur  zu  dem  Schlüsse  kann  ich  mich  nicht  verstehen  "dies  fragment  ist  rols 
XQÖvoie  uxQißis,  folglich  ist  es  nicht  von  Hellanikos". 


Die  geschichte  des  Themistokles.    Aristeides.  153 

nicht  nur  Timokreou  verherrlicht,  sondern  den  selbst  der  unerbittliche 
kritiker  des  Gorgias  als  den  gerechten  anerkannt  hatte ^"j,  der  auch  bei 
Aristoteles  selbst  als  unantastbarer  charakter  vorkommt  (Rhet.  2,  1398^). 
das  öo'Astv  dUaiog  gibt  er  ihm  auch  hier  freilich  zu  und  erzählt  die  Stiftung  Aristeides. 
des  Reiches  in  Übereinstimmung  mit  den  bekannten  tatsachen ;  dies  letztere, 
da  eine  Jahreszahl  dabei  steht,  vermuthch  nach  der  chronik.")  dann 
aber  tritt  der  ovf.ißovXog  vor  das  volk  und  gibt  ihm  die  Weisung  für 
seine  gesammte  politik:  seeherrschat't  und  dadurch  lohnende  beschäftigung 
für  die  bürger,  städtische  centralisalion  um  von  diesen  vorteilen  nutzen 
zu  ziehen,  das  volk  handelt  danach,  es  ist  gewissermafsen  ein  neuer 
synoikismos,  und  durch  die  ausnulzung  der  bündner  wird  erzielt,  dafs 
20000  Athener  auf  Reichskosten  leben,  über  diese  summe  wird  eine 
genaue  rechnung  aufgestellt. 

Die  rechnung  im  einzelnen  nachzuweisen ,  so  weit  der  zerrüttete 
text  es  gestattet,  verschiebe  ich  auf  später'^*),  weil  sie  hier  allzusehr  den 
Zusammenhang  zerreifsen  würde,  hier  genügt  es  zu  betonen,  dafs  sie  im 
fünften  Jahrhundert  aufgestellt  ist,  da  wieder  jtöXig  für  die  bürg  vor- 
kommt, und  dafs  sie  selbst  eingesteht  die  Verhältnisse  einer  späteren  zeit 
zu  berücksichtigen,  das  mildert  den  anachronismus,  aber  die  beurteilung 
des  Aristeides  ist  darum  nicht  minder  unrichtig  und  nicht  minder  un- 
gerecht, es  ist  wahr,  aber  in  ganz  anderem  sinne,  als  es  Aristoteles 
begriffen  hat,  dafs  die  jähre  479 — 77  die  Athener  vor  die  folgenschwersten 
entscheidungen  stellten,  und  dafs  sie  sich  so  entschieden,  dafs  ihr  Reich 
die  folge  war.  dieses  Reich  ist  auch  darum  die  bedeutendste  politische 
Schöpfung  der  Hellenen,  weil  nur  in  diesem  gebilde  ein  grofser  politischer 
gedauke  consequent  durchgeführt  ist.  nicht  Aristoteles  hat  ihn  begriffen, 
aber   wol  z.  b.   der  Verfasser  der  xenophontischen  Politie.     aber  es  ist 


5G)  Es  ist  von  belang  festzuhalten,  dafs  für  dieses  urteil  nicht  in  betracht 
kommt,  was  dem  söhne  des  Aristeides  und  dem  des  Thukydides  die  ehre  eingetragen 
hat,  von  Piaton  verewigt  zu  werden,  ihre  Zugehörigkeit  zu  dem  demos  des  Sokrates. 
wir  kennen  jene  beiden  dadurch  als  söhne  groTser  männer,  d.  h.  als  nullen,  mit 
behagen  zeichnet  sie  der  Laches  so,  der  Gorgias  sagt  ^AQiareiSr^s  yivaifiaxov,  nicht 
ji,  AXconey.tjd'Ei'. 

57)  Die  Versenkung  von  metallklumpen  auf  hohem  meere,  deren  bedeutung 
es  ist  "so  lange  soll  der  eid  halten,  bis  diese  klumpen  wieder  emportauchen ',  kehrt 
bei  Plutarch  Ar.  25  wieder,  es  scheint  da  mit  den  apophthegmen  zusammen- 
zugehören, von  denen  das  folgende  theophrastisch  ist.  Herodotos  berichtet  dieselbe 
Symbolik  auf  ewig  bindenden  eides  von  der  Phocaeorum  execrala  civitas  (I  165) 
und  nach  ihm  Kallimachos  fgm.  209. 

58)  Vgl.  das  capitel  '3000  hopliten  von  Acharnai'. 


154  J-    6-  ß'ß  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

mit  einer  solchen  schüpfung  wie  mit  einem  gedichte:  da  kommen  die 
regeln  der  poetik  auch  erst  nach  dem  poem,  in  dem  sie  erfüllt  sind, 
erwachsen  ist  das  Reich,  mit  den  politischen  concreten  aufgaben  haben 
sich  ihre  lösungeu  eingestellt,  und  damit  wieder  ist  der  politische  ge- 
danke  immer  klarer  dem  volke  zum  bewufstsein  gekommen ,  das  durch 
ihn  lebte  und  herrschte,  niemand  hat  diesen  gedanken  ausgeheckt,  es 
sei  denn  das  volk,  und  auch  das  nicht  auf  einmal  und  nicht  als  ein  Pro- 
gramm, politische  programme  haben  das  allesammt  an  sich,  dafs  sie  sich 
nicht  verwirklichen,  sie  seien  denn  nach  dem  erfolge  in  die  Vergangen- 
heit zurückprojicirt.  auch  dieser  plan  des  Aristeides  hat  nur  die  realität 
der  reden  des  Agrippa  und  Maecenas  über  den  principat  bei  Dion. 

Es  ist  ganz  besonders  schwer,  aber  auch  ganz  besonders  nötig,  dafs 
der  historiker  sich  in  die  Situation  der  Vergangenheit  so  zurückversetze, 
dafs  er  von  dem  absieht,  was  damals  Zukunft  war.  wie  lag  es  479  im 
herbst?  frei  war  nur  Hellas  bis  zu  den  Thermopylen  und  die  Perser- 
flotte war  fürs  erste  aus  dem  aegeischen  meere  vertrieben,  angriffe  waren 
nicht  zu  erwarten,  aber  der  anschliifs  der  grofsen  inseln  Lesbos,  Chios, 
Samos  an  den  Hellenenbund  forderte  auch  von  Sparta,  so  wenig  man 
dort  noch  ein  eignes  interesse  zu  verteidigen  hatte,  einige  weitere  actionen. 
Xanthippos  wagte  mehr,  er  segelte  nach  dem  Hellespont  und  nahm  Sestos. 
dem  Perser  die  Verbindung  mit  seinen  europäischen  besitzungen  bedrohen, 
das  hiefs,  diese  ihm  abnehmen  wollen,  gewifs  war  das  nötig,  wenn  man 
Asiens  küstenstädte  frei  erhalten  wollte,  was  Sparta  vergeblich  dem  drängen 
Athens  abzustreiten  versuchte,  wenn  die  attische  bürgeischaft  auf  den 
wegen  des  Xanthippos  wandeln  wollte,  so  hiefs  das  zweierlei,  fortsetzung 
des  krieges,  bis  Europa  frei  wäre,  und  Überwindung  des  peloponnesischen 
widerstrebens,  das  man  vom  frühjahr  her  kannte,  auch  gegen  Sparta 
mufste  man  sich  rüsten,  die  heimkehrenden  bürger  mochten  sich  der 
gefahr  nicht  aussetzen,  die  Stadt  wieder  räumen  zu  müssen;  die  an- 
geknüpften asiatischen  beziehungen  forderten  den  ausbau  der  flotte:  so 
zwang  der  moment  zu  der  ummauerung  der  stadt  und  des  hafens.  an 
die  langen  mauern,  die  vavTiy.rj  axoof-iia,  die  Vernachlässigung  des  atti- 
schen landes  hat  damals  niemand  gedacht,  und  doch  führt  eine  vöUig 
geradlinige  entwickelung  zu  all  dem,  was  später  die  yvcöqLf.ioL  schelten 
und  beklagen,  an  die  wirtschaftlichen  folgen  hat  man  natürlich  schon 
gedacht,  und  das  konnte  man  mit  viel  gröfserer  Sicherheit,  denn  eine 
industriestadt  war  Athen  seit  Peisistratos,  und  dafs  es  sich  auf  den  Ky- 
kladen,  an  den  meerengen  und  müudungen  der  thrakischen  flüsse  fest- 
setzen  müfste,  um   die   nordischen   rohproducte  einzuführen,   seine  in- 


Aristeides.  155 

dustrieproducte  abzusetzen,  wo  möglich  landlose  für  die  armen  bürger 
zu  erwerben,  war  sogar  schon  im  siebenten  Jahrhundert  begriffen  und 
versucht:  das  hatte  die  angriffspolitik  des  Dareios  und  die  Vertreibung 
der  tyrannen  zerstört,  um  so  weit  zu  kommen,  wie  man  vor  zwei 
nienschenaltern  gewesen  war,  mufste  der  krieg  mehr  erreichen  als  die 
befreiung  Attikas,  während  die  Peloponnesier  sich  befriedigt  fühlen  konnten. 
478  setzte  der  ehrgeiz  des  Pausanias  in  Sparta  (wo  es  keine  poli- 
tischen gedanken  in  die  ferne  gibt)  noch  durch,  dafs  man  eine  Unter- 
nehmung zur  see  mitmachte,  nach  einer  schwerlich  berechtigten  fahrt 
gegen  Kypros  setzte  er  da  ein,  wo  Xanthippos  aufgehört  hatte,  und  es  ge- 
lang ihm  auch  den  Bosporos  zu  nehmen,  damit  waren  die  europäischen  be- 
sitzungen  der  Perser  abgeschnitten,  aber  ihre  macht  stützte  sich  gerade 
hier  auf  starke  festungen  und  zuverlässige  garnisonen.  denn  nicht  der 
zug  des  Xerxes,  sondern  der  widerstand  der  Peloponnesier  gegen  ihn  war 
eine  improvisation  gewesen.  Persien  hatte  gar  keine  veranlassung  mutlos 
zu  sein,  auch  Pausanias  selbst  glaubte  besser  für  sich  zu  sorgen,  wenn 
er  seine  eroberungen  als  persischer  satrap  besäfse,  als  wenn  er  unter 
das  joch  der  ephoren  zurückkehrte  oder  mit  dutzenden  von  Vertretern 
selbständiger  gemeinden  parlamentirte.  sein  verrat  zwang  den  Aristeides 
dazu ,  den  bund  mit  den  loniern  zu  schbefsen :  da  war  noch  an  kein 
reich  zu  denken,  sie  mufsten  zu  schütz  und  trutz  zusammenstehn,  wenn 
sie  ihre  existenz  sichern  wollten,  die  selbsterhaltung  forderte  den  engen 
zusammenschlufs,  forderte  den  krieg  ohne,  vielleicht  gegen  Sparta,  sicher 
gegen  Persien,  es  ist  eine  ungeheure  summe,  460  talente,  die  sie  sich 
selbst  auferlegten ;  sie  bedeutet  damals  viel  mehr  als  man  454 — 426  auf- 
gebracht hat.  die  summe  beweist,  dafs  man  sich  nicht  scheute  zu  tun 
was  not  tat,  aber  sie  beweist  auch  die  not.  die  not  wuchs,  als  Pausanias 
zurückkehrend  sich  wieder  der  Propontis  bemächtigte,  damit  war  alles 
in  frage  gestellt,  aber  mit  raschem  schlage  und  zäher  ausdauer  gieng 
Rimon  vor:  erst  ward  Pausanias  beseitigt,  dann  gieng  er  den  Persern 
in  Europa  zu  leibe,  als  nach  einem  winterfeldzuge  und  einer  schweren 
belagerung  Eion  fiel,  da  hatten  die  Barbaren  die  Verzweiflung  gelernt^^); 
man  durfte  das  nächste  ziel  als  erreicht  ansehn. 


59)  Die  gedichte,  mit  welchen  die  Athener  drei  hermen  des  marktes  schmückten, 
sind  nicht  nur  ein  unverächtliches  denkmal  der  attischen  poesie  jener  zeit,  wenn 
sie  auch  kein  grofser  dichter  gemacht  hat  (Ion,  der  freund  des  abstrusen,  gewifs 
nicht),  sie  sind  auch  wichtig  für  die  geschichte  der  marktanlage.  475  also  gab 
Kimon  aus  seiner  rv^ai'viy.Tj  oiaia  das  geld  für  die  bepflanzung,  doch  wol  auch 
die  planirung  des  marktes,  den  die  hermen,  das  ist  doch  ihr  sinn,  begränzen.     vor 


15(5  I.    6.  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts.  ( 

> 

Aischylos,  der  einen  dieser  feldziige  in  Thrakien  mitgemacht  hat, 
konnte  mm  den  sieg  Ein-opas  über  Asien  als  entschieden  betrachten. 
Sparta,  das  noch  während  der  belagerimg  von  Eion  eine  unrühmhch 
verlaufende  expedition  gegen  Thcssahen  gemacht  hatte,  verzichtete  nun 
auf  die  see;  um  der  Perser  willen  konnte  es  das,  und  um  seiner  selbst  willen 
mufste  es  das,  weil  die  beiden  archegeten,  könig  Leotychides  und  regent 
Pausanias  ihren  Staat  so  schwer  compromittirt  hatten,  dafs  er  die  führung 
im  Hellenenbunde  nicht  mehr  beanspruchen  konnte;  und  im  Peloponne- 
sischen  bunde  erhob  sich  unbotmäfsigkeit.  man  sieht  die  not  am  besten 
daran,  dafs  Sparta  weder  den  Leotychides  abzusetzen  noch  den  Pausanias 
vor  gericht  zu  ziehen  wagt:  der  sieger  von  Plataiai  war  immer  noch 
eine  macht,  deren  man  gelegentlich  sich  zu  bedienen  hoffen  mochte,  was 
die  Verhältnisse  so  in  Sparta  erzwangen,  stellt  die  rhetorische  geschichts- 
schreibung  als  das  ergebnis  einer  Überlegung  dar  und  legt  es  als 
actionsprogramm  den  Hetoimaridas  in  den  mund/°) 


allem  aber  sind  die  verse  ein  bedeutendes  geschichtliches  document  —  wenn  man 
sie  versteht,  die  geehrten  feldherrn  "brachten  den  Medern  in  Eion  brennenden 
hunger  und  eisigen  kämpf  und  waren  so  die  ersten,  die  den  feind  bis  zur  Verzweif- 
lung zu  treiben  verstanden '.  Mrßav  niuaiv  in'  'Htcn  hfiov  r'  ai'd'cova  xqvsqov 
t'  inäyovTss  "^Qr^a  ttqcüxoi  dvOfAEvioiv  tjvqov  afirixatiriv.  wer  den  Sprachgebrauch 
der  Griechen  kennt,  ändert  ein  TtQÖJxoi  tjv^ov  nicht,  wer  sich  überlegt,  dafs  hier 
das  hervorgehoben  werden  mufs,  was  die  besondere  auszeichnung  der  feldherrn  be- 
gründet, wird  sich  nicht  wundem,  dafs  sie  etwas  zuerst  getan  haben  sollen,  wie 
man  den  Perser  schlägt,  brauchte  Kimon  nicht  erst  zu  erfinden,  das  hatte  sein  vater 
getan,  was  er  zuerst  fertig  gebracht  hat,  ist  Sva/isvicav  afir,xavir].  wenn  wir  weiter 
nichts  wüfsten,  so  würde  dies  gedieht  lehren,  dafs  hunger  und  kämpf  die  Perser  in 
Eion  zu  einer  besonders  sinnfälligen  äufserung  der  Verzweiflung  getrieben  hätten, 
das  concrete  könnte  man  nicht  erraten,  dürfte  deshalb  aber  immer  noch  nicht  ändern, 
geschweige  einen  zweiten  dativ  einführen  und  ein  rätselwort  wie  n^cöreo  Svaftsvecov, 
was  niemand  versteht,  nun  wissen  wir  aber,  dafs  der  persische  platzcommandant 
SiexuQtiQei,  eis  16  taxaiov,  und  als  sein  proviant  zu  ende  war,  baute  er  einen 
scheilei häufen,  tötete  seine  kinder  und  haremsfrauen,  versenkte  seine  schätze  und 
stürzte  sich  in  die  flammen  (Herod.  VII  109).  eine  vollkommnere  a^iri%avir]  Bva/xe- 
vEcov  kann  man  wirklich  nicht  verlangen,  und  wer  dafür  das  recept  erfunden  hatte, 
verdiente  die  gedichte.  das  hatten  die  sieger  von  Mykale  und  Plataiai  noch  nicht 
erreicht.  —  interessant  ist,  dafs  man  sich  in  der  hellenistischen  zeit,  als  die  schrift- 
stellerei  nsQl  exQrjfiärwv  blühte,  schon  bemüht  hat,  eine  concrete  antwort  zu  finden, 
was  denn  Kimon  n^ä/ros  rjiQev,  und  man  erfand  im  Widerspruch  mit  Herodot,  dafs 
er  die  lehmziegel  der  mauer  durch  ableitung  des  flusses  weggeschwemmt  hätte,  wie 
es  382  Agesipolis  mit  Mantineia  gemacht  hat.  das  erzählt  Pausanias  Vlll  8,  9,  wo 
die  beziehiing  auf  die  gedichte  in  aSoftirov  iTtd  'EXkrjrtav  deutlich  ist.  datirt  ist 
die  notiz  durch  Fabricius  (Theben  16). 

60)   Diodor   XI  50,  vgl.   Kydathen  115.     Diodor  verteilt  in   dieser   partie  die 


Aristeides.  157 

Eine  andere  aufgäbe  stellte  sich  den  Athenern,  die  dringende  ge- 
fahr  war  beseitigt:  jetzt  mufsten  andere  mächte  den  bund  zusammen- 
halten, es  war  nebensächlich,  dafs  man  ein  par  gemeinden,  die  in  seinen 
bereich  geographisch  gehörten,   mit  gewalt  zum  eintritte  zwang.''')     die 


griechische  und  sicilische  geschichte  so,  dafs  er  nach  Timosthenes  viele  jähre  blofs 
mit  ereignissen  je  eines  Schauplatzes  ausstattet,  das  reicht  hin,  die  verläfslichkeit 
seiner  jähre  zu  kennzeichnen,  die  Jahreseinschnitte  sind  zum  teil  ganz  roh  gemacht 
(vgl.  40,  4,  dessen  erzählung  41,  1  einfach  weiter  geht),  so  schliefst  sich  die  rede 
des  Hetoimaridas  in  Wahrheit  ganz  eng  an  den  stürz  des  Pausanias  und  die  grün- 
dung  des  Reiches  durch  Aristeides  an  (42.  50),  zu  welcher  der  verzieht  Spartas  das 
notwendige  complement  ist.  und  daran  wieder  fügt  sich,  wie  das  mafsgebende  Vor- 
bild des  Thukydides  lehrt,  der  stürz  des  Themistokles,  und  wieder  ist  der  anschluls 
von  54  an  5ö  deutlich,  aber  Diodor,  dem  ja  eine  Zeittafel  zur  Verfügung  stand,  hat 
sich  ein  jähr  aussuchen  müssen,  zu  dem  Themistokles  notirt  war:  das  war,  wie  zu 
erwarten,  das  jähr  der  flucht,  dafs  er  den  tod  gleich  miterzählte,  kümmerte  ihn 
nicht,  sciilimmer  hat  er  es  mit  Kinion  getrieben,  in  seiner  vorläge,  die  keine  chro- 
nologische Ordnung  suchte,  waren  Pausanias  und  Themistokles,  das  beiden-  und  ver- 
räterpar,  abgehandelt,  und  dann  erst  konnte  die  erzählung  der  feldzüge  fortgehn, 
denn  es  trat  ein  neuer  held  auf  die  bühne,  Kimon.  der  faden  wird  also  60  genau  da 
aufgenommen,  wo  er  47  fallen  gelassen  war,  und  Kimon  übernimmt  das  beer  sogar 
in  Byzanz,  wo  Aristeides  den  bund  gestiftet  hat  (wobei  freilich  die  feldzüge  478 
und  477/6  verwechselt  sind),  dann  wird  die  laufbahn  des  Kimon  bis  zu  ihrem  höhe- 
punkte,  der  schlacht  am  Eurymedon  verfolgt.  Diodor  aber  fühlt  sich  genötigt  diese 
ganze  reihe  von  ereignissen  hinter  das  jähr  zu  rücken,  das  er  sich  für  Themistokles 
gesucht  hat.  er  hat  gleich  das  nächste  jähr  gewählt  (Demotion),  zumal  seine  vor- 
läge danach  von  Athen  nach  dem  Peloponnes  übergriff  und  von  da  mancherlei  berich- 
tete, wovon  er  alles  lakonische  in  das  nächste  jähr  (Apsephion)  packte,  das  argi- 
vische  in  das  wieder  nächste  (Theagenides).  dann  verwandle  er  drei  jähre  für  sici- 
lisches  und  erreichte  nun  wieder  einen  festen  punkt,  den  thronwechsel  in  Asien. 

61)  Die  eroberung  von  Skyros  kann  lediglich  im  Interesse  der  Sicherheit  des 
nieeres  geschehen  sein,  damit  die  barbarischen  Seeräuber  die  thrakische  provinz  nicht 
belästigten,  indessen  erwarb  der  Philaide  wol  gern  seinem  volke  eine  barbarische 
insel,  um  es  seinem  ahnherrn  gleich  zu  tun,  und  da  die  freude  über  den  erwerb  von 
Eion  durch  die  schwere  niederlage  am  Strymon  vergällt  war,  mochte  er  vor  dem  volke 
sich  dadurch  entschuldigen  wollen,  dafs  er  ihm  eine  insel  mitbrachte,  und  aufserdem  die 
gebeine  des  Theseus.  es  wäre  interessant  zu  wissen,  ob  erst  damals  die  Verbindung 
des  Theseus  mit  Skyros  aufgekommen  ist,  dessen  könig  einen  namen  aus  dem  ge- 
schlechte des  Themistokles  trägt,  so  weit  möchte  ich  nicht  gehn:  aber  das  orakel 
über  die  gebeine  des  Theseus  ist  wol  erst  damals  aufgebracht.  Athen  vollzog  einen 
neuen  synoikismos  und  baute  eine  neue  Stadt:  da  war  die  huldigung  gegen  den 
könig,  der  zuerst  die  landschaft  centralisirt  hatte,  angezeigt;  auch  im  Peiraieus  hat 
man  bekanntlich  ein  0T]aelov  bei  der  aufteilung  des  landes  für  die  besiedelung 
ausgespart,  beiläufig,  in  dem  ehrendecret  CIA  II  91  mufs  man  doch  moI  lesen  rote 
T£  iy.y6]vovS  rovs  IIü^Iqov  tov  AxiX}.i]cos  v.al  ylvxOfit][Sovi  rov  ^A'/^il'llioJS  y.ai  '/c7c- 


158  '•    6.  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

liauptsache  war  seine  innere  consolidirung.  sie  hat  sich  in  dem  Jahr- 
zehnt vollzogen,  das  zwischen  der  eroberung  von  Eion  und  der  schlacht 
am  Eurymedon  hegt,  mit  vollstem  rechte  legt  Thukydides  zwischen 
beide  eine  allgemein  gehaltene  Schilderung,  wir  vermögen  aber  fast  nur 
das  resultat  zu  erkennen,  nicht  sein  werden,  und  es  ist  zu  fürchten, 
dafs  sich  darin  auch  künftig  nicht  viel  ändern  wird,  aber  schon  des- 
wegen weil  offenbar  militärische  Unternehmungen  in  grofsem  stile  nicht 
gemacht  sind,  ist  die  politische  tätigkeit  auf  das  höchste  anzuschlagen, 
viele  dutzende  von  vertragen,  wie  die  mitErythrai  und  Kolophon,  deren 
reste  wir  lesen,  müssen  in  dieser  zeit  geschlossen  worden  sein,  die  ab- 
wälzung  der  militärischen  lasten  von  den  vielen  kleinen  gemeinden  auf  den 
Vorort,  zum  entgelt  dafür  die  militärische  besetzung  vieler  städte  durch 
attische  garnisonen,  die  Verwaltung  und  einziehung  der  tribute,  die  nun 
nicht  mehr  unmittelbar  für  den  krieg  Verwendung  fanden  und  sicher- 
lich stark  herabgesetzt  wurden,  die  neuen  formen  des  rechtes,  die 
nötig  wurden  um  sowol  zwischen  den  einzelnen  gemeinden  wie  zwischen 
einzelnen  bürgern  verschiedener  gemeinden  einen  rechtsweg  zu  schaffen, 
und  die  erst  sehr  allmählich  zu  der  einführung  der  athenischen  ge- 
richtshoheit  führten ,  all  dies  und  unendlich  viel  anderes ,  was  man 
nicht  einmal  alles  ahnen  kann,  zwangen  die  Verhältnisse  zu  bedenken  i 
und  zu  beschliefsen.  niemand  konnte  sich  im  voraus  ein  bild  machen,  • 
wie  sich  die  dinge  gestalten  würden,  wenn  sich  auch  schliefslich  der 
gemeinsame  zug  der  entvvickelung  in  allem  zeigte,  immer  mehr  pflichten  ! 
für  die  athenischen  bürger  und  ihren  Staat,  also  auch  immer  gröfsere 
macht  für  sie.  dieses  eine  mal  in  der  hellenischen  geschichte  war  die 
bewegung  wirklich  eine  centripetale.®^) 


Sr/lfiov  tbv  a8e}.f\6v  tbv  yJvxo/i^8o[vs  (Köhler  hat  nur  den  Achilieus  nicht  ergänzt), 
und  die  leute  werden  Skyrier  sein. 

62)  Der  lirieg  mit  Persien  ruht  bis  zur  Eurymedonschlacht.  um  da  ein  urteil 
abzugeben,  müfste  man  wissen,  ob  Xerxes  einen  grofsen  rachezug  geplant  hat,  und 
die  Athener  durch  die  fahrt  nach  Kypros  einen  vorstofs  in  aggressiver  defensive 
machten:  dann  war  ihre  politik  und  Strategie  gleich  gut;  oder  ob  sie  nach  der  con- 
solidirung  des  Reiches  selbst  angriffen,  um  Kypros  zu  erwerben,  also  an  478  und 
500  anknüpfend,  dann  zeigten  sich  die  Athener  schon  jetzt  als  Svae'gcoTss  rwv 
änövxtov,  und  man  kann  sich  an  dem  doppelsiege  nicht  freuen,  jedenfalls  haben 
sie  unter  dem  eindruck  dieses  triumphes  sich  zu  dem  verhängnisvollen  aegyptischen 
abenleuer  verführen  lassen,  das  zuerst  wieder  dem  erwerbe  von  Kypros  galt,  die  Volks- 
versammlung, in  der  das  bündnis  mit  hiaros  beschlossen  ward,  ist  der  kritische  moment 
der  hellenischen  geschichte:  zö  /xsv  ei  noäaaetv  axo^earov  i'fv  näai  ßqoidiatv  Sax- 
rvXooeixrwv  S'  ovrie  aTtemcöv  ei^yei,  /uekäd'owv  '^u^xer'  iatXd'rjS    räSe  cpcovöiv,    das 


Aristeides.  159 

Wie  iiühistorisch  ist  dem  gegenüber  die  Vorstellung,  dal's  Aristeides 
vor  das  volk  tritt  und  ihm  erzählt  was  nachher  geworden  ist,  zum  guten 
teile  nach  seinem  tode.  aber  die  aristotelische  Schilderung  ist  noch  etwas 
schlimmeres  als  unhistorisch,  sie  ist  perfid,  was  ist  der  erfolg  der  eide, 
für  die  die  lonier  die  metallklumpen  auf  der  see  versenkten?  was  ist 
die  lockende  Zukunft,  die  Aristeides  der  gerechte  den  Athenern  vormalt 
und  verwirklicht?  20000  bürger  leben  auf  kosten  der  bündner.  der 
gemeine  profit  des  philisters  und  die  gemeine  Volksschmeichelei  des 
demagogen.  gewifs,  es  hat  auch  in  Athen  der  philister  das  ideal  mit 
dem  bauche  empfunden,  er  hat  sich  den  spruch  an  den  Erechtheussohn 
cderdg  iv  rsqeh]OL  yerrjaeai  ij/nara  ycdvra  gemütlich  so  gedeutet,  er 
sollte  in  Arkadien  für  5  obolen  den  tag  geschwornendienste  tun,"^)  aber 
der  philister  repraesenlirt  nicht  die  nation  und  am  wenigsten  ihren  poli- 
tischen führer,  der  mit  den  instincten  der  gemeinheit  rechnen  mufs,  weil 
sie  für  ihn  gegeben  sind,  der  aber  das  grofse  nur  schafft,  indem  er  den 
edeln  regungen  der  Volksseele  zur  macht  über  die  philisterinstincte  ver- 
hilft, und  dem  Aristeides  soll  kein  giftiger  witz  diesen  rühm  ver- 
kümmern, es  ist  gewifs  witzig,  aber  es  ist  auch  giftig,  dafs  die  ge- 
rechtigkeit  des  gerechtesten  schliefslich  auf  dasselbe  hinausläuft  wie  die 
Staatskunst  der  Kallikles  und  Thrasymachos,  auf  to  rov  '/.oeizTovog 
ov(.i(f£QOV.  die  scheinbare  objectivität,  mit  der  Aristoteles  redet,  macht 
das  gift  nur  ätzender,  und  es  mufs  zugestanden  werden,  dafs  es  in  seinem 
bewufstsein  und  in  seinem  munde  auch  mehr  besagt  als  in  dem  des 
oligarchen,  der  die  20000  aus  öffentlichen  mittein  gespeisten  männer 
zusammengerechnet  hat:  jener  verhöhnte  nur  das  urteil  der  öffentlichen 
meinung  über  Aristeides  den  gerechten ,  dem  schon  Timokreon  diesen 
preis  gegeben  hatte ,  und  der  als  öiy.aiog  auf  der  bühne  des  Eupolis 
erschienen  war.  Aristoteles  dagegen  hatte  den  Gorgias  im  gedächtnis, 
in  dem  sein  grofser  lehrer  zwar  Miltiades  und  Themistokles  und 
Kimon  und  Perikles  geprüft  und  verworfen  hat,  aber  in  dem  grofs- 
artigen  schlufsbilde  des  jenseits  den  Aristeides  allein  namhaft  macht  als 
einen,  dem  die  schwere  tat  gelungen,  in  einer  Stellung  gerecht  zu  bleiben, 
die  ihm  die  reichlichste  gelegenheit  bot,  ungestraft  unrecht  zu  tun,  und 
der  sich  dadurch  bei  den  Hellenen  einen  hohen  rühm  erworben  (526). 
und  die  gerechtigkeit  (um  diese  ungenügende  wiedergäbe  für  die  unübersetz- 


ist  damals  gediclitet.     die  ganze  schwere  der  Verantwortung,   die  ganze  tragik  des 
momentes  liegt  in  diesen  Worten:  das  ist  die  eclite  prophetie. 

63)  Ar.  Ritt.  797.     ist  es    niclit   niediicli,  dafs   dann  jemand  kommt  und  aus 
diesem  zeugnis  auf  arkadische  besoldete  geschwornengerichte  schliefst? 


1(50  I.    6.  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

bare  ör/.caoovv)]  Piatons  zu  braueben)  war  ja  iür  den  platonischen  Staat 
die  fundamentale  tugend,  und  er  hatte  dort  einen  schönen  vers  des 
Aischylos  leise  umformend  den  gerechten  in  dem  gefunden ,  der  ov 
doy,€lv  dUaiog  a)X  elvai  ■d'iluy*)  für  die  leser,  auf  die  Aristoteles 
lechnen  konnte,  lag  also  eine  sehr  spitze  pointe  darin,  wenn  er  von 
Arisleides    sagte    öoymv    ÖLuatoavvrj    tcov    xa^'    kavrov    öiacpegeLV.^^) 

■  64)  Staat  361.362  nach  Sieb.  592.  es  fag  nahe  genug,  danach  den  vers  auf 
den  typischen  gerechten,  Aristeides,  anzuwenden,  und  so  ist  die  anekdote  entstanden, 
dafs  die  Athener  bei  der  aufführung  der  Sieben  gleich  die  verse  auf  Aristeides  be- 
zogen hätten  (Plut.  Ar.  3).  das  glauben  die  modernen  und  bauen  chronologische 
Schlüsse  darauf,  und  doch  kommt  bei  Aischylos  das  wort,  um  das  sich  alles 
dreht,  Sixaios,  gar  nicht  vor,  sondern  er  hat  ov  Sonelv  a^iaros  geschrieben,  wie 
auch  Piaton  361  klärlich  voraussetzt,  wo  Plutarch  nicht  die  anekdote  erzählt, 
sondern  die  verse  um  ihrer  selbst  anführt,  citirt  er  selbst  richtig  {de  aud,  poet.  11). 
die  Variante  existirt  nur  in  der  anekdote  und  diese  nur  durch  die  Variante,  also 
mit  deren  historischer  realität  ist  es  nichts,  es  sind  aber  noch  zwei  Schlüsse  zu 
ziehen,  erstens  steht  in  dem  auszug  aus  der  stelle  des  plularchischen  Aristeides 
in  den  Reg:  et.  Imp.  apophih.  aQiaros,  d.  h.  ein  beweis  dafür,  dafs  dies  buch  interpolirt 
ist,  aus  dem  alle  zeit  gelesenen  drama.  zweitens  hat  der  aischyleische  Amphiaraos 
auch  dafür  zu  leiden  gehabt,  dafs  Piaton  seine  Charakteristik  für  die  des  tugend- 
haften verwandt  hatte,  wir  lesen  jetzt  609  ovtcjs  6  juäi'ne,  vlbv  Oixle'ove  Xiyto, 
[acofpQcov  Sixaios  aya&os  Evaeßrji  avTjQ\  /utyas  7iQ0q>r,xr,S  afoaioiai  avfif.uyEie  — 
avyxaü's?.xva&f](rsrai.  die  rede  des  Eteokles  schreitet  in  Wahrheit  so  vor  "wie  ein 
frommer  mann  ertrinken  mufs,  wenn  er  mit  frevlern  auf  demselben  schiffe  fährt,  und 
wie  ein  gerechter  bürger  in  einer  Stadt  von  Übeltälern  mit  umkommt,  so  geht  der 
grofse  Seher,  obwol  er  die  Zukunft  kennt,  mit  dem  beere,  das  trotzdem  auf  heimkehr 
rechnet,  zu  gründe",  da  hat  das  lob  der  moralischen  tüchtigkeit  überhaupt  keine 
Stätte,  und  die  vier  cardinaltugenden  hat  erst  ein  sokratiker  hineingebracht. 

65)  Dem  urteil  des  Aristoteles  folgend  hat  Theophrast  ausgeführt,  dafs  Aristeides 
nur  im  privatleben  gerecht  gewesen  wäre,  aber  aus  staalsraison  eine  andere  moral  zu- 
gelassen hätte  (Plut.  Ar.  25).  zum  belege  erzählt  er  die  Verlegung  des  Schatzes,  worin  wir 
nach  den  erfahrungen,  die  wir  an  Aristoteles  machen,  nicht  mehr  als  einen  groben  ana- 
chronismus  sehen  dürfen ;  vielleicht  hat  ihn  unser  oligarch  zuerst  begangen,  der  eine  an 
sich  glaubliche  zug,  dafs  Samos  den  antrag  auf  die  Verlegung  gestellt  habe,  wird  nun 
natürlich  auch  wenig  verläfslich.  der  andere  schüler  des  Aristoteles,  Demetrios  von 
Phaleron,  hat,  obwol  er  sich  der  verarmten  familie  des  Aristeides  annahm,  den  nachweis 
geführt,  dafs  dieser  nicht  unbemittelt  gewesen  sein  könnte,  was  bei  dem  archon  sicher 
ist,  obwol  die  beweise  des  Demetrios  zum  teil  durch  Panaitios  widerlegt  sind,  diese 
armut  war  eine  fahel,  die  durch  die  exislenz  der  verarmten  familie  früh  entstehen 
mufste,verbrei(ung  aber  erst  durch  den  willkürlichsten  novellisten  der  SokratikjAischines, 
fand,  er  hat  als  pikantes  gegenstück  den  reichen  Kallias  mit  Aristeides  verbunden, 
erst  nach  Demetrios,  wie  man  schliefsen  darf,  hat  man  zur  motivirung  der  Verarmung 
eine  Verurteilung  erfunden,  die  Krateros,  man  sieht  nicht  weshalb,  unbelegt  weiter 
gegeben  hat.  das  ist  also  sicher  zu  beseitigen,  aber  die  andern  traditionen  über  den 
fod  des  Aristeides  sind  deshalb  nicht  wahr,  weil  man  sie  nicht  widerlegen  kann,    wir 


Aristeides.     die  oligarchische  grundschrlft.  161 

sein  recht  war  es,  der  allgemeinen  Schätzung  des  mannes  entgegen  zu 
treten,  wenn  sie  falsch  war.  aber  dann  niufste  er  diesen  nachweis 
führen,  amicus  Plato,  magis  amica  veritas,  gewifs.  auch  in  solchem 
kämpfe  zu  irren  ist  menschlich,  aber  hier  hat  er  nicht  nach  der  Wahr- 
heit gefragt,  sondern  die  verläumdurig  ungeprüft  aufgenommen  und 
weiter  gegeben. 

Aber  der  protest  gegen  das  verfahren  des  Aristoteles  ist  hier  noch  uie  oiigar- 

.   ,  ,  ,.  .  ,  .  ....  1  1  •  cliische 

nicht   am    platze;   die    eigne    Sympathie    nötigte   ihn    mir  nur  ab.     hier     grumi- 

.,,.,.,  ,    ,  .  .  ...        sclirilt. 

fragen  wir  lediglich,  nachdem  wir  erkannt  haben,  wes  geistes  sie  sind, 
wo  Aristoteles  diese  kritiken  der  grofsen  demagogen  her  hat.  wir 
haben  schon  mehrere  stücke  auf  die  ohgarchische  tendenzschriftstellerei 
des  ausgehenden  fünften  Jahrhunderts  zurückgeführt;  einmal  die  Öfter 
auftauchende  absprechende  beurteilung  Solons,  die  Aristoteles,  dort 
unbefangen  prüfend,  den  ßXaG(piq(.ielv  ßovX6[.uvoi  beilegt;  sie  hatte  in 
der  erzählung  von  den  dreifsig  ein  zugehöriges  stück,  dann  aber  er- 
schien gleicher  herkunft  der  bericht  über  Drakon,  wahrscheinhch  auch 
das  actenmaterial,  mit  dem  die  thukydideische  darstellung  der  revolulion 
von  41 1  berichtigt  wird,  es  hat  geschichtlich  keine  grofse  bedeutung, 
ob  diese  stücke  alle  auf  dieselbe  vorläge  zurückgehen  oder  nicht;  wichtig 
ist  es  für  die  htterarische  Würdigung  der  schrift  und  die  morahsch- 
wissenschaftliche  des  Aristoteles,  entscheidend  wird  dafür  nicht  die 
gleiche  entstehungszeit  sein,  zumal  spuren  der  alten  spräche  ja  auch  in 
den  stücken  vorliegen,  die  aus  der  chronik  stammen,  aber  die  tendenz 
ist  durchaus  die  gleiche,  so  dafs  ich  immer  mehr  auf  die  annähme  einer 
einzigen  bestimmten  schrift  hingedrängt  worden  bin.  eine  art  recon- 
struction  wird  das  am  kürzesten  erkennen  lassen. 

"Man  feiert  den  Solon  als  begründer  der  attischen  demokratie.  das  ist 
er  freilich,  aber  damit  ist  gesagt,  dafs  er  der  vater  alles  übels  ist.  die  seisach- 
thie  hat  er  unternommen  um  sich  und  seine  freunde  zu  bereichern,  die 
schleunigst  ländereien  kauften,  wol  wissend,  dafs  die  hypothekenschulden 
niedergeschlagen  würden,  aus  dieser  quelle  stammt  der  reichtum  der  Kallias 
und  Alkibiades  und  Koaon,  die  sich  jetzt  gebärden,  als  repraesentirten 
sie  den  alten  und  befestigten  grundbesitz."")     die  wurzel  der  demokratie 


wissen  nur,  dafs  er  über  die  flucht  des  Themistokles  hinaus  gelebt  hat,  aber  nach 
der  einschätzung  der  bündner  keine  rolle  mehr  spielt,  die  angäbe  des  Nepos  am 
ende  der  biographie,  dafs  er  im  vierten  jähre  postquam  Themistocles  Athenis  erat 
expulsus  gestorben  wäre,  ist  schon  darum  unverwendbar,  weil  man  nicht  weifs,  ob 
der  ausgangstermin  der  ostrakismos  oder  die  flucht  des  Themistokles  sein  soll. 

66)  404,  als  Alkibiades   und  Konon  die  Intervention  Persiens  zu  gunsten  der 
V.  Wilamowitz,  Aristoteles  I.  11 


IQ2  I.    6.-  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

ist,  dafs  die  schliefsliche  entscheidung  in  allen  Sachen  bei  dem  ge- 
schwornengerichte  liegt,  zu  dem  alle  biirger  qualißcirt  sind,  und  diese 
Wurzel  ist  solonisch,  er  hat  diesen  heillosen  zustand  selbst  beabsichtigt, 
hat  er  doch  sogar  die  gesetze  absichtlich  zweideutig  gemacht,  damit  die 
leute  mehr  prozessirten,  z.  b.  die  testirfreiheit  durch  eine  menge  captiöser 
ausnalimen  beschränkt,  wie  sollte  es  anders  sein,  als  dafs  dem  herren, 
dem  in  den  gerichten  ohne  Verantwortlichkeit  schaltenden  demos,  zu  liebe 
immer  gewissenlosere  demagogen  seine  gelüste  befriedigten?  da  ist 
Themistokles,  den  sie  wegen  Salamis  verherrlichen;  nun  um  Salamis  hat 
das  eigenthche  verdienst  der  Areopag,  und  eben  den  hat  Ephialtes  auf 
den  antrieb  des  Themistokles  gestürzt,  der  aufschwung  Athens  in  jener 
zeit  hatte  in  Wahrheit  den  grund ,  dafs  der  demos  dem  Areopage  still- 
schweigend das  regiment  liefs:  hätte  man  es  ihm  nur  nicht  genommen; 
nun,  den  Urhebern  der  änderung  ist's  schlecht  genug  bekommen, 
Themistokles  ist  landflüchtig  bei  den  Persern  gestorben ,  Ephialtes 
durch  einen  Tanagraeer  meuchhngs  ermordet,  da  loien  sie  den  Ari- 
steides  als  den  gerechtesten  der  Hellenen:  aber  diese  gerechtigkeit  läuft 
darauf  hinaus,  dafs  jetzt  20000  bummler  auf  kosten  der  bündner  futter 
bekommen,  natürlich  pafst  das  den  bündnern  nicht,  und  wir  haben 
den  krieg.  schliefsHch  hat  Perikles  (übrigens  ein  mensch  ohne  eigne 
gedanken,  so  dafs  sie  ihm  Damonides  einblasen  mufste)  das  mafs  voll- 
gemacht und  den  richtern  für  ihre  staatsverderbende  tätigkeit  sold  be- 
zahlt, es  war  das  Unglück,  dafs  die  anständigen  leute  in  der  kritischen 
zeit  keinen  führer  hatten");  dem  Kimon  fehlte  es  am  besten,  um  diese 
Stellung  mehr  als  dem  namen  nach  auszufüllen,  nach  Perikles,  der  immerhin 
noch  ein  mann  aus  anständiger  familie  war,  müssen  wir  die  lohgerber 
und  lichtzieher  in  hemdsärmeln  auf  der  tribüne  schreien  und  schimpfen 
boren,  so  geht  das  nicht  weiter,  die  arge  wurzel  mufs  ausgerodet  werden, 
das  ist  mit  nichten  ein  abfall  von  den  traditionen  der  väter,  das  ist  im 
gegenteil  eine  rückkchr  zur  TidzQLog  7toliT€ia.  wie  war  es  zu  Drakons 
zeit?  da  beschränkte  sich  die  teilnähme  am  Staate  auf  die  zum  hophten- 
dienste  befähigten :  so  mufs  das  wieder  werden,  damals  waren  die  wich- 
tigsten ämter  an  einen  hohen  census  geknüpft;  das  wollen  wir  in 
diesen  schlechten  zeiten  nicht  wieder  einführen,  damals  fehlte  eine 
beschwerdeinstanz  für  jeden  übergriff  eines  beamten  keinesweges:   nur 


demokratie  Athens  in  bewegung  zu  setzen  drohten,  war  es  besonders  angezeigt,  diese 
männer  zu  discreditiren. 

67)  Jetzt  ist  das  anders,  mufste  der   hörer  sich   sagen,  und  an  den  redner 
denken,  der  diese  scharfe  kritik  vortrug. 


Die  oligaichische  grundschrift.  163 

die  verderbliche  appellation  an  das  gericht  galt  nicht,  sondern  der 
Areopag  entschied,  ein  rat,  7a\  dem  alle  berechtigt  waren,  ward  auch 
ausgelost,  aber  nicht  jetzt,  wo  die  faulpelze  sich  zu  den  diäten  drängen, 
die  anständigen  leute  sich  zurückhalten ,  kommt  das  ganze  volk  in  ihm 
zu  seinem  gleichen  rechte,  sondern  damals,  wo  jeder  in  festem  turnus 
hineinkam,  und  die  tätige  teilnähme  durch  strafen  für  die  Versäumnis 
erzwungen  ward:  das  müssen  wir  wieder  herstellen,  eine  revision  der 
bestehenden  Verfassung,  die  mit  der  rückkehr  zu  den  Ordnungen  der 
Väter  ernst  macht,  sieht  so  und  so  aus." 

An  dieser  stelle  könnte  der  Verfassungsentwurf  der  100  nomotheten 
von  411  stehn,  und  die  ganze  sclirift  würde  geeignet  sein,  ihn  zu  be- 
gründen, aber  es  ist  ein  wesentliches  moment  der  drakontischen  Ver- 
fassung, der  rat  der  400,  erst  in  der  provisorischen  Verfassung  von  411 
benutzt,  die  abschaffung  der  solonischen  beschrähkungen  der  freien  Ver- 
erbung ist  erst  von  den  30  beliebt,  endlich  hat  Aristoteles  die  ganze 
reihe  der  Urkunden  von  411  ofl'enbar  aus  deiselben  quelle,  also  ist  der 
fortgang  der  schrift  vielmehr  so  zu  denken. 

"^In  dem  sinne  haben  die  geselzgeber  von  411  die  revision  geplant, 
denn  den  Vorwurf  staatsfeindlicher  gesinnung  verdienen  sie  nicht:  die 
antrage,  auf  grund  deren  die  nomotheten  erwählt  wurden,  und  die  ledig- 
lich provisorische  eiusetzung  der  400  gibt  zu  keinen  solchen  ausstellungen 
anlafs,  man  sehe  nur  die  acten.  schlechte  leute,  wie  die  hochverräter 
Phrynichos  und  Antiphon,  haben  die  gute  Unternehmung  scheitern  lassen, 
und  die  sie  gestürzt  haben,  sind  eben  dieselben,  die  für  die  näzQiog 
Ttohrela  nachdrücklich  eingetreten  waren,  aber  zu  einer  gesetzwidrig- 
keit ihre  band  nicht  boten,  Aristokrates  und  Theramenes.  in  diese 
bahnen  müssen  wir  zurückkehren." 

Ich  habe  nur  ein  par  bindeglieder  zwischen  die  Sätze  geschoben, 
deren  herkunft  aus  ohgarchischer  quelle  sich  herausgestellt  hat,  und 
dann  die  tendenz  zum  ausdruck  gebracht,  die  ein  bindeglied  zwischen 
der  historischen  kritik  der  demokratie  und  den  Verfassungsplänen  bildet, 
das  ist  der  satz,  die  jtaxQiog  Ttolitsia  ist  das  richtige,  die  solonische 
Verfassung  mit  ihren  consequenzen  ist  das  falsche,  es  ist  nun  offenbar, 
dafs  dieser  satz  sowol  411  wie  404  das  programm  der  gemäfsigten  ge- 
wesen ist,  der  oligarchen  wie  der  demokraten.  als  Verteidiger  der 
TiaTQiog  TtoliTsia  fanden  sich  gegen  die  günstlinge  des  Lysandros  leute 
wie  Archinos  und  Phormisios  mit  Theramenes  zusammen  (34,  3).  sie 
verstanden  nur  etwas  verschiedenes  darunter.  KJeitophon  nannte  die 
gesetze    des   Kleisthenes    Ttargioi   (29,    3),    dagegen    bezeichneten    die 

11* 


X(54:  1.    6.  r^ie  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

nomolhelen  die  zahl  von  400  für  den  rat  als  vMTa  %a  rcäxqia.  der 
Verfasser  der  parleischrift  hat  in  der  Verfassung  ürakons  dem  schlag- 
worte  einen  concreten  inhalt  gegeben,  und  es  unterliegt  keinem  zweifei, 
dafs  sie  es  gewesen  ist,  die  auch  jenen  nomotheten  von  411  zum  muster 
gedient  hat.  damals  haben  erst  die  ausschreitungen  der  Ultras  die  un- 
leugbar in  der  sladt  vorhandenen  Sympathien  für  die  neue  Ordnung  ver- 
scherzt/^) 404  verhinderte  Lysandros  die  entsprechende  bewegung  aller 
ihren  fanatismus  beherrschenden  vaterlandsfreunde,  aber  sowol  unter 
den  30  wie  in  ihrem  rate  safsen  doch  eine  grüfsere  anzahl  von  an- 
hängern  der  Ttargiog  TioliTsia,  und  sie  wiederholten  unter  ungünstigeren 
Verhältnissen  das  spiel  von  411,  um  es  zu  verlieren,  zuerst  an  die  herren 
der  Situation,  die  tyrannen,  dann  an  den  demos:  so  kamen  sie  zwischen 
zwei  feuer  und  haben  definitiv  alle  bedeulung  verloren,  die  partei  hat 
403  nicht  überlebt:  schon  deshalb  mufs  die  darstellung  des  Aristoteles, 
der  ihre  ideen  durchaus  billigt,  aus  ihrem  eignen  kreise  stammen. 

Wo  er  von  der  beurteihmg  der  grofsen  demagogen  zu  der  dar- 
stellung der  letzten  jähre  des  Reiches  übergeht,  tut  er  das  mit  dem 
lobe  des  Theramenes  und  gibt  das  urteil  ab,  dafs  eine  nicht  oberfläch- 
liche betrachtung  in  diesem  den  letzten  guten  Staatsmann  anerkennen 
müsse,  er  knüpft  also  an  diesen  namen  die  Würdigung  der  oligarchi- 
schen  politik,  der  er  sich  auch  in  der  beurteilung  der  vorzeit  an- 
geschlossen hat,  mit  ausnähme  Solons:  da  stand  ihm  in  den  gedichten 
ein  sicheres  correctiv  zu  geböte;  da  scheut  er  sich  auch  nicht  die  be- 
schuldigung  der  geflissentlichen  boswilligkeit  gegen  seine  quelle  aus- 
zusprechen, der  er  doch  alle  böswilligkeiten  gegen  Perikles  und  Kimon 
nachspricht  —  doch  das  ist  vielleicht  zu  viel  gesagt:  wir  können  ja 
nicht  wissen,  wie  viel  schhmmeres  er  unterdrückt  hat.  immerhin  hat 
er  sich  genug  blasphemieen  angeeignet,  wenn  er  selbst  die  lätigkeit 
und  die  person  des  Theramenes  so  sehr  hervorhebt,   wenn  es  offen  zu 


68)  Damit  soll  keineswegs  gesagt  sein,  dafs  die  revolution  hätte  gelingen  können, 
sie  rechnete  ja  nicht  mit  der  demokratie,  die  allein  den  Reichsgedanken  geschaffen 
und  erhalten  hatte  und  jetzt  heer  und  flotte  allein  belebte,  in  der  kleinstadt  Athen 
war  die  Oligarchie  möglich  und  verständig,  aber  wer  nicht  auf  Solon  Kleisthenes 
Aristeides  Perikles  verzichten  wollte,  der  mufsle  gegen  Theramenes  sein,  aufserdem 
hatten  die  oligarchen  nur  zum  teil  mit  Alkibiades  fühlung,  und  dessen  person  war 
für  sich  allein  im  stände,  jede  regierung  in  Athen,  die  sich  ihm  nicht  fügte,  zu 
stürzen,  auch  so  weit  sie  wolmeinende  valerlandsfreunde  waren,  kann  diesen 
reactionären  der  Vorwurf  nicht  erspart  bleiben,  so  unmögliches  gewollt  zu  haben 
wie  Lykurgos  und  seine  leute  nach  338  oder  die  ehrlichen  royalisten  unter 
Ludwig  XVIII. 


Die  oligarchische  grundschrift.     Theramenes.  165 

tage  liegt,  dafs  es  durchaus  in  Theramenes  sinne  ist,  wie  er  die  ge- 
schichte  von  411  und  404  darstellt,  so  drängt  sich  dieser  name  auf 
unsere  lippen ,  sobald  wir  versuchen  den  Verfasser  jener  oligarchischen 
schrift  zu  benennen,  schwerlich  könnte  man  einen  so  geeigneten  erfinden, 
und  Kritias  z.  b.,  der  den  vorzug  hat  eine  TtoXizeLa  ^Ad^rjvaUov  ge- 
schrieben zu  haben  und  der  zeit  nach  auch  passen  könnte,  ist  weniger 
durch  seine  abweichende  beurteilung  Kimons  ausgeschlossen  als  dadurch, 
dafs  er  die  revolution  von  411  überhaupt  nicht  mitgemacht  hat  und  404 
der  führer  der  gegenpartei  war.  die  Verfassung  der  väter  ist  diesem  ge- 
sinnungslosen, der  mit  den  penesten  wider  den  adel  conspirirt,  als  demo- 
krat  den  Alkibiades  heimgerufen  und  aus  den  bänden  des  Lysandros  die 
tyrannis  angenommen  hat,  dem  dichter  des  Sisyphos  gänzlich  gleichgiltig 
gewesen,  ich  bin  kein  freund  von  der  benamsung  hypothetischer  Schrift- 
steller und  weifs  das  übergewicht  dessen  was  wir  nicht  wissen  können 
über  das  was  wir  wissen  einigermafsen  zu  schätzen:  trotzdem  wage  ich 
den  schlufs,  dafs  Aristoteles  eine  politische  schrift  des  Theramenes  be- 
nutzt hat,  die  dieser  als  programm  seiner  partei  unter  den  Dreifsig  im 
herbst  404  verfafst  hatte. 

Diesen    schlufs    wage  ich   deshalb,    weil   Aristoteles   ein   wort  des    Thera- 

menes. 

Theramenes  als  solches  anführt  36,  2.  nachdem  er  erzählt  hat,  dafs 
Theramenes  die  Dreifsig  gemahnt  hätte,  den  ßskriOTOL  an  der  Ver- 
waltung anteil  zu  geben,  und  sie  eine  liste  von  3000  aufstellen  wollten, 
geht  es  weiter  Qr^qa^iivr^g  öe  näliv  hcirif-uc  v.a.1  tovtoiq,  tcqcötov 
(lev  OTi  (iovlofievoi  {.leraöovvai  rolg  STCUiKeOL  rgioxikioig  fwvoig 
(.UTaöidöaoiv ,  log  ev  rovrco  tm  jtXrjd^EL  rrjg  aQsrrjg  WQLGf-iivrig, 
eneid-^  otl  ovo  ta  IvavTio'jtara  tvolovölv,  ßiaiov  xe  z^v  ccqx^v 
vial  tiüv  aQXOi-isvtov  rjrziü  -/MTaoxevccCovTsg.  es  kann  natürlich  die 
begründung  einer  mafsregel  als  rede  dessen  eingeführt  werden,  der  sie 
anregt;  das  ist  griechische  weise  und  geschieht  z.  b.  40,  2.  hier  zeigt 
aber  die  zugespitzte  form  des  ausdruckes,  dafs  wirkhch  worte  des  Thera- 
menes angeführt  werden,  wozu  das  praesens  gut  pafst,  obwol  es  an 
sich  gar  nichts  beweist,  es  kann  sich  immer  noch  um  ein  apo- 
phlhegma  handeln,  das  im  gedächtnis  geblieben  war.  da  tritt  nun 
aber  Xenophon  ein,  der  die  ganze  geschichte  der  tyrannenherrschaft 
als  einen  persönlichen  kämpf  zwischen  Kritias  und  Theramenes  darstellt.» 
er  jäfst  den  Theramenes  zuerst  schon  in  directer  rede  den  Kritias  vor 
gewalttaten  gegen  die  •/M?,oi  -/.aya^oi  warnen,  und  Kritias  antwortet  in 
directer  rede,  die  gewalttaten  nehmen  ihren  fortgang,  und  Theramenes 
spricht  zum   zweiten   male   und   fordert  die  Zuziehung  von  genügenden 


166  •■    ^'  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

teilnehmern  am  Staate.  Kritias  und  genossen  stellen  den  katalog  der 
3000  auf;  da  wendet  Theraraenes  auch  dagegen  ein  ort  aT07iov  öoy.oirj 
kavto)  ye  eivai  rb  tcqwxov  (.lev  ßov/^o/.ievovg  rovg  ßelriörorg  rtov 
TcoXiTCÖv  '/.oivwvovg  TtOLifjGaa&ai  %QLGyii)dovg,  iootieq  rbv  aQi^/iwv 
TOVTOV  exovTcc  Tiva  aväy/.rjv  ■na?^ovg  v.ayaS^ovg  elvat  y.al  ovt  e^io 
TovTiov  OTtovöaiovg  ovr'  evrbg  7tori]Qovg  olov  r  eir^  ysvsa-3-ai. 
ETVELia  d\  scprj,  oqlo  eyioye  ovo  f^xag  tu  evartiiÜTara  TtQatrovtag 
ßiawv  re  ti]v  ciQxi]v  y.al  rixxova  xiov  aqyoiiivtov  '/.axaazetatoi.tevovg 
(Hell.  II  3,  19).  darauf  entwaffnen  sie  die  bürgerschaft  aufser  den  3000, 
verlangen  dafs  jeder  der  30  einen  metöken  sich  nehme,  den  er  töten 
lasse  und  sein  vermögen  confiscire,  wogegen  Theramenes  wieder  eine  rede 
hält;  da  geht  Kritias  gegen  diesen  direct  vor;  es  folgen  von  beiden  lange 
reden,  und  so  geht  es  fort  in  dramatischem  stile  bis  zu  Theramenes  bekanntem 
KQixia  xcä  yiaXo).  bisher  konnte  man  natürlich  diese  ganze  darstellung  nur 
für  xenophontische  stihsirung  halten,  nun  erscheint  ein  wort  daraus  bei 
Aristoteles,  dafs  er  den  Xenophon,  den  er  mit  recht  durchweg  ignorirt 
hat,  hier  ausschrieb,  ist  nicht  denkbar:  seine  ganze  erzählung  steht  ja 
in  Widerspruch  mit  der  xeuophontischen.  auch  ist  eben  das  worin  sie 
stimmen  bei  Aristoteles  viel  schärfer  und  kürzer  ausgedrückt,  es  bleibt 
also  nur  die  erklärung  für  die  auffällige  Übereinstimmung,  dafs  beide 
schriftsteiler  dieselbe  überHeferung  vor  äugen  haben,  und  diese  kann 
nur  in  Worten  des  Theramenes  bestehn,  da  die  Übereinstimmung  sich 
auf  solche  beschränkt,  auch  ist  die  benutzung  eines  geschichtlichen  be- 
richtes  durch  Xenophon  wirklich  nicht  wol  zu  glauben,  nun  mufs  freilich 
zugestanden  werden,  dafs  sich  aus  diesen  wenigen  Worten  oder  Sätzen 
ein  klares  bild  von  der  schrift  nicht  gewinnen  läfst,  die  beiden  Schrift- 
stellern vorlag;  man  wird  aber  an  eine  gehaltene  oder  schriftlich  ver- 
breitete rede  am  ehesten  denken,  und  tut  man  das,  so  ergeben  sich 
die  weiteren  Schlüsse  fast  mit  notwendigkeit.  Aristoteles  hat  eine  schrift 
des  Theramenes  benutzt:  Aristoteles  hat  eine  ohgarchische  schrift  aus 
Theramenes  zeit  benutzt:  folglich  sind  diese  beiden  schriften  identisch. 
Aristoteles  schliefst  sich  dem  politischen  urteil  des  Theramenes  über 
dessen  zeit  an :  das  erklärt  sich  aus  der  benutzung  einer  schrift  von  ihm 
am  besten.  Aristoteles  gibt  über  die  ältere  zeit  mit  ausnähme  des  Solon 
eine  politische  ansieht  wieder,  die  nur  von  dem  Standpunkte  der  ohgarchen 
von  411  verständlich  ist,  und  gerade  bei  Solon  weist  er  eine  ansieht  ab, 
welche  eben  von  jenem  Standpunkte  allein  abgegeben  sein  kann  und 
nachweislich  um  404  abgegeben  ist:  folglich  gebort  sowol  der  Stand- 
punkt wie  die  schrift  dem  Theramenes.     Theramenes  fordert  unter  den 


f 


Theramenes.  •  167 

Dreifsig  die  beteiligung  der  iTtieuslg :  die  oligarchische  schrift  unterscheidet 
durchgehends  zwischen  dieser  partei  und  dem  demos.  er  verwirft  heftig 
die  abgrenzung  durch  die  zahl:  sowol  die  Verfassung  Drakons  wie  die 
von  411  hat  dafür  die  abgrenzung  durch  das  OTtXa  nagex^od-ai.  es 
steht  diese  Verfassung,  die  Theramenes  und  Aristoteles  gut  heifsen, 
gleichermafsen  im  gegensalze  zu  der  tyrannis  der  Dreifsig  wie  zu  der 
vollen  demokratie.  in  der  vorläge  des  Aristoteles  stand  eine  person- 
liche verläumdung  gegen  Alkibiades  und  gegen  Konon :  das  pafst  auf  404. 
Solon  ward  rückhaltlos  angegriffen:  das  liefs  sich  unter  der  demokratie 
nicht  wol  aussprechen,  ist  fast  nur  404  moghch.  die  beseitigung  des 
Areopages  hiefs  ein  frevel:  die  dreifsig  haben  die  gesetze  des  Ephialtes 
und  Perikles  beseitigt,  dafs  Athen  der  äufsersten  demokratie  verfiel, 
lag  daran  dafs  die  £7ti€i'/.elg  führerlos  waren:  Theramenes  wollte  ihnen 
die  herrschaft  verschaffen  und  natürlich  selbst  ihr  führer  sein. 

Theramenes  6  y.oi.iip6g  (Ar.  Frosch.  967)  hat  den  rühm  der  be- 
redsamkeit  bewahrt;  hat  man  ihn  doch  sogar  dem  Isokrates  zum  lehrer 
gegeben,  aber  dafs  er  reden  herausgegeben  hätte,  ist  nicht  überliefert, 
und  in  die  bibliotheken  des  3.  Jahrhunderts  nichts  unter  seinem  namen 
gekommen.*^)     wenn  also  Aristoteles  eine  schrift  von  ihm  benutzt  haben 


69)  Cicero  bezeugt  ausdrücklich  sowol  den  rühm  des  redners  wie  das  fehlen 
der  Schriften  de  orat.  II  93.  Brut.  29.  der  Suidasartikel  OrjQafiivrje  ^A&Tjvalos  hat 
auch  ursprünglich  keine  schritten  genannt:  so  steht  er  noch  in  den  Lukianscholien, 
wie  Bernhardy  angibt,  jetzt  ist  ein  litel  aus  dem  arlikel  0t]^.  Keios  hinübergesetzt, 
dieser  letztere  gibt  natürlich  halbverschämte  fälschungen  spätester  zeit,  die  dem  athe- 
nischen staatsmanne,  -wenn  nötig,  einen  doppelgänger  zur  seife  stellen  konnten. 
aber  auf  sie  kann  die  tradition  nicht  gehen,  dafs  die  rsxvr,  eines  Bötcov,  ein  für 
uns  verschollenes  buch,  eigentlich  von  Theramenes  wäre  (vita  Isoer.  247  West,), 
das  hängt  mit  der  Verbindung  des  Isokrates  mit  Theramenes  zusammen,  die  schon 
Dionysios  (Isokr.  1)  aus  der  vulgärtradition  aufnimmt,  nicht  das  buch,  das  eine  dar- 
stellung  der  rsyvT]  auf  isokratischer  grundlage  gewesen  sein  mag,  deren  es  viele  gegeben 
haben  wird  (auch  die  unter  Isokrates  namen  ist  so  zu  beurteilen),  nur  jene  tradition  ist 
der  rede  wert,  und  dafs  Theramenes  allein  das  ysvos  av/ußovXevnxdv  gepflegt  hätte, 
was  Doxopater  irgendwo  aufgelesen  hat  und  zweimal  vorbringt  (II  122.  VI  21  W.), 
stimmt  dazu,  dafs  Isokrates  zur  partei  des  Theramenes  gehört  hat,  ist  nach  seiner 
geistesrichtung  sehr  glaublich,  und  dafs  er  über  seine  erlebnisse  in  jenen  jähren 
nicht  redselig  ist,  pafst  ebenfalls;  aber  so  vag,  wie  sie  vor  uns  liegt,  gestattet  die 
tradition  nicht  weitere  Schlüsse,  wenn  ich  mit  dem  avfißovXsvrty.os  des  Theramenes 
recht  habe,  ist  allerdings  sehr  glaublich,  dafs  ein  peripatetiker,  sagen  wir  Theophrast, 
dem  Theramenes  in  der  geschichte  der  beredsamkeit  auf  dies  eine  buch  hin  seinen 
platz  anwies  und  den  Zusammenhang  mit  dem  Areopagilikos  und  der  Friedensrede, 
der  mindestens  scheinbar  ist,  constatirte.  aber  für  das  was  bewiesen  werden  soll, 
macht  eine  erwünschte  folgerung  daraus  nichts  aus. 


168  !•    6.  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

soll,  so  heifst  das,  er  besafs  was  ein  menschenalter  später  verschollen 
war.  dafür  gibt  es  analogien  genug.  Theophrastos  hat  in  seiner  ge- 
schichte  der  naturphilosophie  mehr  als  ein  buch  als  letzter  benutzt, 
dithyramben  des  Lasos  hat  Herakleides  vom  Pontos  citirt;  später  kennt  man 
nichts  achtes  mehr  von  ihm.  die  musikalische  schrift  des  Dämon  hat 
den  Chamaileon  nicht  überlebt,  die  üolLTsia  '^&rjvaitüv  hat  sich  nur 
erhalten,  weil  sie  mit  der  lakedaemonischen  des  Xenophon  verwachsen 
war;  sie  hat  allerdings  nur  in  den  katalogen  gestanden  und  ist  ein  oder 
das  andere  mal  von  einem  lexikographen  eingesehen,  denn  man  be- 
trachtete diese  Athen  feindhche  scbriftstellerei  mit  einer  solchen  misgunst, 
dafs  die  prosaischen  Schriften  des  Kritias  ein  halbes  Jahrtausend  verschollen 
blieben  und  sogar  ihre  existenz  oder  ächtheit  bestritten  ward,  weil  die 
schrift  des  Theramenes  selbst  verloren  war,  hat  man  die  geschichten  auf 
die  einzige  autorität  des  Aristoteles  stellen  müssen,  die  dieser  ihr  ent- 
lehnt hatte,  das  ist  schon  zu  den  zeiten  geschehen,  wo  die  biographische 
compilation  blühte,  von  der  Plutarch  abhängt,  dagegen  vor  und  neben 
Aristoteles  kennen  wir  zwei  benutzer  des  Theramenes,  den  Xenophon, 
der  ein  wort  oder  vielmehr  eine  gedankenreihe  aus  ihr  citirt,  vielleicht 
auch  sonst  von  ihr  beeinflufst  ist,  und  den  Theopompos,  der  für  seine 
Schilderung  von  Kimon  und  Kleon  züge  aus  ihr  geborgt  hat,  in  Wahr- 
heit recht  viel  von  der  Stimmung  seines  excurses  über  die  attischen  dema- 
gogen ihr  verdankt. 

Es  ist  nichts  geringes,  wenn  Aristoteles  uns  also  die  möglichkeit 
gibt,  eine  parteischrift  aus  dem  jähre  der  Dreifsig  zurückzugewinnen, 
vielleicht  nicht  minder  wertvoll  ist  es,  dafs  die  haltung  des  Aristoteles 
gegenüber  den  gröfsen  der  demokratie  sehr  viel  entschuldbarer  wird, 
wenn  er  das  urteil  dem  Theramenes  entlehnt  hat.  dafs  er  diesen  her- 
vorzog, lag  daran,  dafs  er  bei  ihm  seine  eigene  politische  Überzeugung 
wiederfand,  sein  ideal  war  die  TtoXirsla,  eine  sorte  demokratie  oder 
aristokratie,  die  freilich  mehr  in  dem  gewächshause  der  speculation  als 
in  dem  freien  lande  des  politischen  lebens  gedieh:  die  Ttärqiog  tcoIl- 
rela  des  Theramenes  kam  ihr  am  nächsten ;  dafs  sie  sich  nicht  viel 
lebenskräftiger  bewiesen  hatte,  focht  den  philosophen  nicht  an.  so  sym- 
pathisirte  er  mit  den  praktischen  tendenzen  des  Theramenes  und  kam 
zu  dem  urteil,  dafs  dieser  bei  eindringender  betrachtung  als  der  beste 
Staatsmann  anerkannt  werden  müfste.  dann  war  auch  seine  kritik  der 
älteren  Staatsmänner  höchst  beachtenswert,  da  er  ja  den  richtigen  mafs- 
stab  für  die  beurteilung  ihrer  ziele  besafs.  dafs  er  von  Drakon  etwas 
wufste,   empfahl  seine  kenntnisse  dem  forscher,     dafs  er  daneben  ver- 


Atliens. 


Theramenes.     die  politische  litleratur  Athens.  169 

läumderisch  war,  sah  derselbe  an  Solon,  und  da  rügte  er  es.  aber  über 
Themistokles  und  Perikles  hat  er  ihm  glauben  geschenkt,  diese  in- 
consequenz  zu  erklären,  müssen  wir  noch  zwei  factoren  in  rechnung 
setzen,  den  hafs  des  Aristoteles  selbst  gegen  den  demos  und  seine  Un- 
fähigkeit, die  attische  Reichspolitik  zu  verstehn.  das  geht  nur  den 
Aristoteles  an  und  gehört  an  einen  anderen  platz:  hier  kann  ich  nicht 
umhin,  auszuführen,  was  meines  erachtens  geeignet  ist,  das  buch  des 
Theramenes  begreiflich  zu  machen,  meine  Vermutung  hat  es  doch  erst 
hervorgezogen;  wenn  sie  falsch  sein  sollte,  hat  sie  es  erfunden,  ich 
will  angeben,  an  welche  stelle  der  litterarischen  entwickelung  und  der 
politischen  kritik  es  gehört:  ich  will  wenigstens  stilgerecht  erfunden 
haben. 

Die  prosa  ist  in  lonien  an  die  stelle  des  epos  getreten,  an  die  Die 
stelle  des  heldenhedes  trat  die  prosaische  bearbeitung  des  sagenstoffes,  ^Hteraulr 
wie  im  INorden  die  saga,  bei  uns  das  Volksbuch,  an  die  stelle  der 
epischen  dichtung  über  himmel  und  schöpfung,  ferne  länder  und  sitten, 
lebensführung  und  lebensziel  tritt  das  prosabuch  über  dieselben  gegen- 
stände, der  epischen  form  bedient  sich  die  vavriy^rj  ccotQoXoyia  des 
s.  g.  Thaies  und  dann  Kleostratos,  episch  sind  (\\q  ^Qi(.iäoneia ,  die 
yviö(.iaL  des  Phokylides,  die  cclrj^sia  des  Parmenides.  die  physik  des 
Anaximandros  und  seiner  genossen,  die  loTOQiri  des  Hekataios,  der  Xöyog 
des  Herakleilos  sind  ihre  prosaischen  nachfolger.  die  prosa  loniens 
arbeitet  sich  zu  einer  kunstform  durch'")  und  gewinnt  wie  das  epos  (im 
mutterlande  auch  die  chorische  lyrik)  panhellenische  geltung.  es  hätte 
sich  gewifs  auch  die  prosaische  politische  rede  und  schrift  an  stelle  der 
politischen  paraenese  individueller  art,  wie  sie  Archilochos  und  Kalhnos 
geübt  hatten,  nicht  ohne  bedeutendere  nachfolger  im  mutterlande  zu 
finden ,  entwickelt,  wenn  es  bei  den  loniern  noch  ein  pohtisches  leben 
gegeben  hätte,  aber  lonien  war  tot,  oder  vielmehr  es  erhielt  sein  leben 
wo  anders  her,  aus  Athen,  und  deshalb  ist  in  Athen  die  elegie  des  Solon 
durch  die  politische  schriftstellerei  der  Antiphon  Theramenes  Kritias 
ersetzt  worden. 

Unsere  tradition  über  den  Ursprung  der  beredsamkeit  ist  von  Aristo- 
teles begründet,  und  ganz  derselbe  fehler,  der  ihn  der  altischen  politik 
gegenüber  ungerecht  gemacht  hat,  hat  ihn  die  bedeutung  der  politischen 


70)  Eine  sehr  wichigte  beobachtung  ist  die  von  Kaibel,  dafs  die  lonier  selbst 
auf  den  grabsteinen  und  in  den  dedicationen  die  verse  durch  kunstmäfsige  prosa 
ersetzen,  nicht  etwa  durch  die  schlichte  tatsächlichkeit,  wie  in  Athen  oder  in  dem 
Rom  der  republik. 


170  I-    6-  Die  demago^en  des  fünften  Jahrhunderts. 

schriftstellerei  der  Athener  unterschätzen  lassen,  er  hat  auf  die  technik, 
wesentlich  der  gerichtsrede,  den  hauptwert  gelegt,  und  so  sehen  wir  die 
Wurzel  der  beredsamkeit  in  dem  handbuche  des  Teisias  von  Syrakus.  in 
Wahrheit  ist  die  hellenische  prosa  die  tochter  der  attischen  prosa,  und  diese 
ist  im  rathause  und  auf  der  pnyx  entstanden ;  und  die  hellenische  spräche 
ist  die  tochter  der  attischen  Schriftsprache,  die  in  den  kanzleien  Athens 
entstanden  ist.  die  sophistik  loniens  hat  wol  ammendienste  getan :  aber 
das  kind  ist  aus  dem  attischen  boden  entstanden,  und  die  Jungfrau  der 
bürg,  die  herrin  des  Reiches,  ist  seine  pflegerin.  dafs  noch  heute  die 
Hellenen  von  Trapezunt  bis  Bova,  von  Odessa  bis  Kairo  eine  spräche 
reden  und  als  ein  volk  sich  fühlen,  das  verdanken  sie  den  beiden  grofsen 
versuchen  zu  der  politischen  einigling  dieses  volkes,  dem  reiche  Athenas 
und  dem  reiche  des  Alexandros;  beide  hat  Aristoteles  nicht  zu  würdigen 
vermocht. 

Zu  den  zeiten,  da  Perikles  ein  alter  mann  war,  ist  die  attische 
spräche  für  die  schriftstellerei  geschmeidig  gemacht,  und  nun  beginnen  die 
leute  sich  ihrer  für  politische  schriftstellerei  zu  bedienen,  natürlich  auch 
für  andere,  wie  Meton  für  seine  astronomie,  aber  die  politischen  Inter- 
essen überwiegen  alles  andere.  Perikles  selbst  wirkte  schon  durch  die 
rede  mit  bewufster  kunst;  es  mag  sich  mancher  als  hilfe  des  gedäclit- 
nisses  manches  von  seiner  leichenrede  für  die  gefallenen  von  Samos  auf- 
gezeichnet haben :  er  selbst  publicirte  noch  nicht,  die  blühende  ionische 
sophistik,  die  darauf  auspruch  erhob  eine  allerweltskunst  zu  sein  und 
gerade  für  das  praktische  leben  tüchtig  zu  machen,  grilT  auch  in  das 
pohtische  gebiet  über,  lehrte  auch  die  praktische  beredsamkeit,  und  die 
Athener,  die  bei  den  Sophisten  lernten,  folgten  in  vielem  zunächst  ihren 
meistern,  wenn  Dämon  seine  musik  und  metrik  in  die  form  einer  rede 
über  Jugenderziehung  kleidete,  so  ist  die  berührung  mit  sophistischen 
vortragen  unverkennbar;  es  ist  aucli  wahrscheinlich,  dafs  Antiphon  zu- 
nächst musterstücke  über  Active  fälle  pubhcirt  hat"')  wie  Thrasymachos. 


71)  Dahin  rechne  ich  nicht  nur  die  tetralogien  und  "vorreden  und  schlüfse". 
die  titel  •itaqavöfJLCOv  xaTr,YOQia,  xarä  novtcvecos  (ehe  die  yQn<prj  nooeSQcxi]  bestand, 
mufs  es  eine  nQvxavucrj  gegeben  liaben:  man  denke  an  den  Ti^innvts,  der  die  Ver- 
urteilung des  Milliades  verhinderte),  neol  avSonTToSia/iiov ,  •jisoi  rrfi  si?  xov  sXev- 
d-sQov  naiSa  vßQecas  sind  gleichartig  und  entbehren  der  hindeutung  auf  den  con- 
creten  fall,  dabei  will  ich  gar  nicht  leujrnen,  dafs  öfters  einer  zu  gründe  gelegen 
hat,  wie  wir  vielleicht  nur  von  einem  iniTQoniy.oe  hören  würden,  wenn  nicht  ihre 
mehrzahl  die  distinction  Ti/uoy.Qärsi ,  KaXXiaiQÜrio  gefordert  hätte,  aber  als 
musterstücke  werden  auch  diese  pubiicirt  sein,  und  so  beurteile  ich  auch  die  erste 


Die  politische  litteratur  Athens.  171 

andererseits  schrieb  der  thasische  litterat  Stesimbrotos  429  die  erste 
brochure  mit  einer  praktisch  politischen  tendenz,  wol  auf  bestellung. 
die  Schilderung,  die  Ion  von  den  besuchen  berühmter  leute  in  seiner 
heimat  entwirft,  nicht  ohne  sonst  vielerlei  aus  seinen  erlebnissen  mit- 
zuteilen, ist  eine  uns  sehr  modern  anmutende  erscheinung  derselben 
ionischen  lorogir],  die  Skylax  und  Euthymenes  zu  ihren  reiseberichten, 
Herodot,  der  die  politische  tendenz  in  Athen  erhielt,  zu  seiner  'loro- 
Qir^g  ccTtoöe^ig  trieb. 

Erst  als  der  kämpf  der  jungen  gegen  die  alten  beginnt,  den  uns 
am  besten  die  komoedien  des  jungen  Aristophanes  zeigen,  der  für  die 
alten  schreibt,  wird  die  neue  waffe  mit  macht  geschwungen,  zwar  be- 
ginnt die  reihe  ein  älterer,  der  oligarch,  der  bald  nach  Perikles  tode  mit 
widerwiüiger  bewunderung  die  consequenz  und  die  uniiberwindlichkeit 
des  demos  darlegt,  ist  kein  jUngling:  seine  belege  wählt  er  aus  den 
fünfziger  jähren,  und  er  misbilligt  auch  die  praktischen  plane  seiner 
heifsblütigen  gesinnungsgenossen.^^}  j"gpnd  läfst  sich  nicht  halten. 
Andokides  hetzt  seinen  clubb  wider  den  demos  mit  leidenschafthchster 
persönlicher  polemik.  der  bejahrtere  Antiphon  bereitet  die  revolution 
vor,  indem  er  sich  der  Reichsstädte  vor  dem  Volksgerichte  annimmt  und, 
ähnhch  wie  Ephialtes  vor  dem  angriffe  auf  den  Areopag,  die  männer 
der  regierung  mit  processen  verfolgt.")  man  veröffentlicht  jetzt  vielfach 
solche  reden ,  auch  wenn  sie  lediglich  persönliches  Interesse  erwecken, 
nicht  als  sophistische  Schaustücke,  sondern  im  Interesse  der  personen 
und  um  politisch  zu  wirken.")  das  plaidoyer  wird  erst  jetzt  litterarisch; 
nicht  die  fremden  Sophisten,  die  sie  schrieben ,  sondern  die  hürger  die 


rede,    wer  die  titel  sich  überlegt  (und  die  fragineiite  daneben  auch)  wird  nicht  an- 
stehn,  den  nohriy.ös  dem  politilier  Antiphon  zuzuschreiben  trotz  Hermogenes. 

72)  Der  Verfasser  der  nohrsia  läd'Tjvaccov  gibt  seine  lebenserfahrung,  seine 
yvcöfiT],  so  gut  wie  Herakleitos.  aber  er  gibt  sie  nicht  ohne  praktische  tendenz  als 
material  für  den  forscher  über  Verfassungen,  er  gibt  sie  für  den  tag,  an  dem  er  lebt, 
nicht  für  uns  spätgeborne.  das  hat  nicht  einmal  Aristoteles  getan,  geschweige  ein 
mann,  der  so  tief  in  das  getriebe  des  slaales  schaut,  er  will  belehren,  aus  seiner 
erfahrung  seinen  leuten  die  richtschnur  für  ihr  handeln  geben  "conspirirt  nicht  wider 
den  demos,  es  nützt  nichts,  transigirt  nicht  mit  dem  demos :  der  kann  nur  die 
Canaille  brauchen",  einer  der  klug  und  kalt  geworden  ist,  aber  das  aneien  regime 
nicht  verleugnen  will,  das  er  doch  für  verloren  ansieht,  mahnt  die  stürmische  Jugend 
der  partei  zu  der  resignation,  die  nur  dem  alter  ansteht,  die  Jugend  hat  denn  auch 
damals  so  wenig  wie  zu  irgend  einer  zeit  auf  solche  mahnung  gehört,  das  ist  einer 
der  yvtÖQiuoi,  wie  sie  bei  Tanagra  ihre  loyalilät  mit  dem  blute  besiegelt  haben. 

73)  Vgl.  die  beilage  'die  zeit  der  Thesmophoriazusen'. 

74)  Vgl.  die  beilage  'über  die  rede  für  Polysfratos'. 


172  ].    G.  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

sie  hielten,  haben  die  reden  zuerst  verüffenlHcht.  die  redegewaltigen 
lehrer  und  Schriftsteller  von  beruf  treten  mit  reden  allgemeinerer  haltung 
auf  den  plan,  aber  einen  politischen  inhalt  zwingt  ihnen  die  fieberhitze 
des  kampfes  auf,  in  dem  sich  Hellas  verzehrt.  Gorgias,  der  Chalkidier 
aus  dem  westen,  selbst  heimatlos  durch  den  bürgerkrieg  geworden,  ver- 
kündet im  epitaphios  die  grüfse  Athens,  von  dem  er  die  herstellung 
seiner  heimatstadt  hofft:  dieser  stolze  hymnus  gibt  die  Stimmung  wieder, 
in  der  das  volk  sich  für  die  kriegspläne  des  Alkibiades  begeistern  liefs, 
und  ist  ohne  zweifei  bald  nach  dem  Nikiasfrieden  verüffenthcht.  im 
sommer  408  hielt  er  in  Olympia  die  rede,  welche  Hellas  mahnte,  lieber 
gemeinsam  gegen  Persien  vorzugehn  als  um  die  persische  gunst  zu 
buhlen:  es  war  die  Stimmung,  die  gerade  damals  spartanische  antrüge 
nach  Athen  führte,  und  die  Kalhkratides  bis  zu  seinem  tode  vertreten 
hat.'^)     Thrasymachos,  ebenfalls  schon  längst  als  lehrer  und  verfertiger 


75)  Die  modernen  sind  seltsamer  weise  einig  in  der  Verwerfung  der  Über- 
lieferung und  ihrem  ersatze  durch  Ungereimtheiten,  wenn  Apollodor  sagt,  dafs 
Gorgias  109  jähr  ward,  so  ist  das  für  uns  das  wahre:  105  ist  durch  alten  Schreib- 
fehler (s'  aus  &')  entstanden,  dafs  das  todesjahr  des  berühmten  mannes,  der  in 
Thessalien  als  greis  gelebt  hatte,  fest  überliefert  war,  und  er  selbst  für  irgend  einen 
festen  Zeitpunkt  sein  alter  angegeben  hatte,  kann  kein  verständiger  bezweifein. 
Apollodor  war  also  in  der  läge,  genaues  zu  wissen,  brauchte  sich  mit  einem 
epochenjahr  für  die  axfii]  nicht  zu  begnügen,  und  wenn  ein  Ignorant  wie  Olym- 
piodor  ein  solches  für  die  abfassungszeit  einer  schrift  des  Gorgias  angibt,  so  mag  , 
ein  verständiger  Chronologe  diese  schrift  approximativ  so  besümmt  haben,  für  Gorgias 
selbst  hat  das  keine  bedeutung.  aber  wenn  ein  mann  wie  Porphyrios  die  ax^/J  des 
Gorgias  selbst  angibt,  so  bleibt  zwar  immer  noch  ein  unerwünschter  Spielraum  von 
vier  Jahren,  da  sie  nur  auf  die  Olympiade  gestellt  ist  (was  auf  die  überlieferer  der 
notiz  des  Porphyrios  geschoben  werden  mag),  aber  es  heifst  doch  so  viel,  dafs  die 
blute  460—57,  die  geburt  500—497,  der  tod  391—88  fällt,  das  ist  überliefert. 
Gorgias  kam  als  ein  berühmter  mann  427  als  gesandter  nach  Athen ;  vorher  war  er 
schon  im  Peloponnes  mit  Empedokles  zusammengewesen,  gesandte  pflegen  vniQ 
nEVTTixovra  stt]  zu  sein,  wenn  sie  nicht  militärs  sind.  Piaton,  der  Gorgias  immer 
mit  aufrichtiger  persönlicher  hochachtung  behandelt  (wer  es  leugnet,  mufs  den  dialog  j 
nur  von  ferne  kennen),  führt  ihn  immer  als  älter  denn  Sokrates  ein.  alle  Schüler  • 
des  Gorgias  (Philippos,  Agathon,  Polos,  Menon,  lason)  sind  im  fünften  Jahrhundert 
gebildet,  er  lebte  freilich,  als  Piaton  den  Gorgias  schrieb,  aber  er  war  tot,  als 
Isokrates  die  Helene  schrieb,  und  zwar  gehörte  er  damals  schon  zu  den  leuten  einer 
überwundenen  generation  (dafs  die  erhaltene  Helene,  gegen  die  Isokrates  polemisirt, 
deshalb  nicht  von  ihm  sein  kann,  hat  Spengel  darum  nicht  weniger  bündig  be- 
wiesen, dafs  man  ihn  jetzt  vergifst).  es  existirt  einfach  keine  Instanz,  die  mit  der 
überlieferten  Chronologie  stritte,  aber  auch  ein  geistig  frischer  greis  wird  in  der 
litterarischen  bewegung  nur  so  stehn  wie  Gorgias  bei  Piaton.  in  dem  kämpfe  um 
den  Stil,  den  erst  viele  d-oioßcXoi,  dann  Piaton  und  Isokrates  führen,  sind  die  kinder- 


I  Die  politische  litteratur  Athens.  173 

von  musterstücken  berühmt,  schreibt  einen  ov^ißovlsvTiy.ög,  in  dem  er 
auf  die  411  brennende  prinzipienfrage  nach  der  TtätQiog  Ttolixeia  ein- 
geht.'®) der  Sophist  Antiphon  erörtert  neben  den  physischen  problemen 
der    sophistik    auch    ethische ,    sociale."}      ihm    stehen    die   prosaischen 


spiele  der  gorgianischen  reime  längst  überwunden,  es  ist  ein  unding,  ihn  im 
vierten  Jahrhundert  Schriftstellern  zu  lassen  (von  den  absurditäten,  die  mit  den  erhal- 
tenen reden  getrieben  sind,  zu  schweigen),  aber  auch  den  Olympiakos  392  anzusetzen, 
geht  nicht  an:  sind  die  Hellenen  zur  zeit  der  Ekklesiazusen  und  der  friedensrede 
des  Andokides  für  diese  mahnungen  gestimmt?  ist  der  hundertjährige  nach  Olympia 
gepilgert?  408  war  dafür  die  rechte  zeit,  weil  Sparta  gerade  kriegsmüde  und  gegen 
Persien  verstimmt  war,  und  weil  ein  umsichtiger  die  krisis  voraussehn  konnte,  die 
dem  Perserreiche  bevorstand.  Piaton,  der  den  Gorgias  so  anschaulich  schildert,  wie 
es  autopsie  gestattet,  wird  ihn  auf  dieser  letzten  reise  gesehen  haben,  und  Isokrates 
kann  doch  auch  nur  als  Jüngling  in  Athen  ihn  gehört  haben,  so  erhält  man  auch 
den  passenden  hintergrund  für  den  platonischen  dialog.  es  gibt  gar  keine  Schwierig- 
keit, wenn  man  die  antike  Überlieferung  nur  stehn  und  die  modernen  träume 
fahren  läfst. 

76)  Das  grofse  bruchstück  bei  Dionysios  bricht  leider  ab,  wo  es  interessant  zu 
werden  anfängt,  der  redner  will  die  beiden  hadernden  parteien  beide  ad  absurdum 
führen.  nQCÖrov  fxev  t]  narQios  noXirsia  lagayriv  avxois  naqixBi,  gäoTri  yvco- 
ad'rjvai  nai  KOivoTaxrj  TOts  noXiraiS  ovaa  näaiv.  onöca  (xsv  ovv  inexeiva  rrji 
rifiEräqaS  yvcöfnqs  dffriv,  axoveiv  aväyy.rj  XsyövroJv  xcöv  naXMioreQcov,  onSaa  S^ 
ovS'  avrol  inelSov  oi  TtQeaßvreQOi,  tavra  Ss  TiaQa  rcöv  siSörcoi'  nvv&dvsad'ai. 
das  letzte  kann  nur  auf  geschichtliche  erkundung  gehn,  es  konnte  also  das  aller- 
merkwürdigste  folgen,  freilich  auch  gemeinplätze  wie  im  Areopagitikos  des  Isokrates. 
aber  unverkennbar  ist,  dafs  die  rede  das  Athen  des  dekeleischen  krieges  angeht, 
und  die  beiden  parteien  die  oligarchen  und  demokraten  sind,  die  sich  beide  auf  die 
TiätQios  TtoliTsia  berufen,  ziemlich  aus  derselben  zeit  ist  die  andere  rede  des  Thra- 
symachos,  von  der  wir  wissen,  die  wider  Archelaos  von  Makedonien;  die  muster- 
stücke für  den  rhetorischen  unteriicht  sind  älter:  eine  wichtige  parallele  zu  Anti- 
phons schriftstellerei.  wenn  Piaton  im  Staate  den  Thrasymachos  nicht  als  rhetor,  son- 
dern als  den  sophistischen  Vertreter  der  dSixia  einführt,  so  wird  daran  zwar  niemand, 
der  mit  Piaton  vertraut  ist,  eine  reproduction  von  gedanken  suchen,  die  jener  wirklich 
vorgetragen  hätte,  aber  einen  anhält  mufste  er  doch  haben,  und  für  die  bedeutung 
des  mannes  legt  es  zeugnis  ab.  Piaton  hat  in  ihm  den  erzieher  der  demagogen- 
generation  verabscheut,  gegen  deren  treiben  er  auf  grund  seiner  frühesten  jugend- 
erinnerungen  einen  so  grimmigen  hafs  hegte,  in  der  tat  ist  ja  schon  der  ungeratene 
Bohn  in  Aristophanes  Daitales  von  Thrasymachos  erzogen,  besonders  wichtig  ist, 
dafs  in  derselben  tetralogie,  die  mit  der  abfertigung  des  Thrasymachos  anhebt, 
Kritias  eine  so  grofse  und  ehrenvolle  rolle  spielen  sollte:  er  sollte  die  wahre  jra- 
rQio£  noXixeia  Athens  darstellen,  nach  Piatons  ansieht  war  er  also  gänzlich  gesondert 
von  den  kreisen  des  Thrasymachos.  das  dürfen  wir  glauben;  er  halte  ja  mit  So- 
krates  verkehrt,     aber  milder  werden  wir  darum  den  tyrannen  nicht  beurteilen. 

77)  Sein  buch  negl  ofiovoias  will  die  menschen  lehren,  dafs  der  ßCos,  in  den 
der  mensch  als  einzelwesen  gestellt  ist,  roh,  elend,  grausam,  nicht  lebenswert  ist: 


174  1.    ö.  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

Schriften  des  Kritias  nahe,  der  als  ein  in  allen  satteln  gerechter  Journalist 
dem  entsprechend  nirgend  gründlich,  nirgend  eigene  gedanken,  nirgend 
consequente  griindsätze  vertretend,  alles  moghche  behandelt  zu  haben 
scheint,  und  in  den  prosaischen  TtoXixelai  zwar  die  demokratie,  zumal 
die    heimische,    vor    seinen    thessalischen    freunden  in   den   staub   zog, 


das  hat  er  mit  vö^i-fia  ßa^ßaoiyd  gezeigt  (116.  117)  und  mit  reichlichen  proben 
aus  dem  culturleben  seiner  zeit  (108.109.131.  132).  das  leben  ist  kurz  (133.  137), 
und  man  kann  es  nicht  noch  einmal  leben  wie  nach  einer  verlornen  eine  revanche- 
partie  spielen  (106).  wie  töricht  also,  sich  dies  leben  so  einzurichten,  als  wollte  man 
erst  in  einem  künftigen  recht  leben  (127).  das  übel  aber  ist  der  egoismus:  da 
schmorgt  sich  der  filz  alles  vom  leibe,  ohne  seiner  froh  zu  werden  oder  einem 
andern  zu  helfen  (126.128);  da  freuen  sich  die  leute,  wie  Oknos,  über  jedes  hinder- 
nis,  das  ihnen  einen  entschlufs  zu  tätigem  handeln  erspart  (110.  125).  dieselbe 
charakterschwache  führt  zuweilen  zum  guten,  nämlich  wenn  sie  von  einer  bösen  tat 
zurückhält:  denn  wie  ihr  die  andern  richtet,  so  sollt  ihr  selbst  gerichtet  vi'erden, 
ist  ein  alter  erfahrungssatz.  deshalb  soll  der  mensch  sich  und  seine  persönliche 
leidenschaft  beherrschen  lernen  (129;  hier  einmal  eine  mehrere  gedanken  ver- 
knüpfende partie,  die  also  viel  für  die  ganze  anläge  lehrt):  denn  erst  die  selbst- 
bezwingung,  die  ohne  die  lust  der  sünde  nicht  denkbar  ist,  hat  sittlichen  wert  (130). 
also  in  der  ofxüvoia,  einem  altruismus,  wie  die  leute  jetzt  sagen  (blofs  in  barbarischer 
rede,  die  gedanken  sind  nicht  klüger  geworden),  liegt  das  heil,  so  kommt  man  zur 
svSaifiovia,  die  der  Sophist  seinen  schülern  versprach  (vit.  Antiph.),  nur  die  ge- 
ordnete menschliclie  gesellschaft,  der  staat,  kann  sie  geben  (135).  der  weg  aber  ist, 
wie  vom  weisheitslehrer  zu  erwarten,  die  erziehung  (134,  und  das  von  Wachsmuth 
bei  Stob.  ecl.  II  31,  41  nachgewiesene  bruchstück).  —  es  ordnet  sich  schon  gut  in 
einander  was  aus  der  schritt  citirt  ist  und  was  bei  Stobaeus  steht,  man  erkennt, 
dafs  alles  einer  gedankenfolge  angehört,  die  im  einzelnen  natürlich  nur  zur  probe 
ausgeführt  werden  kann,  dann  pafst  freilich  hier  nicht  her,  was  Blafs  mit  sicherem 
stilistischen  takte  im  zwanzigsten  capitel  von  lamblichos  protreptikos  der  alten  Atthis 
zugeschrieben,  aber  auf  Antiphon  den  Sophisten  zurückgeführt  hat  (Kieler  programm 
1889).  ich  glaube,  er  hätte  besser  getan,  wenn  er  meine  ansichten  über  den  politikos 
weniger  von  oben  herab  behandelt  hätte:  wenn  er  vollends  behauptet  hat,  dafs  die 
überlieferten  angaben  über  die  vier  unächten  euripideischen  stücke,  die  ich  für  eine 
tetralogie  des  Kritias  halte,  sich  dieser  annähme  nicht  fügten,  so  hat  er  allzu  flüchtig 
gearbeitet,  aber  seine  entdeckung  eines  grofsen  Stückes  sophistischer  prosa  ist  eine 
wahre  freude,  und  alle  ausstellungen  im  einzelnen  verschwinden  vor  einem  solchen 
Verdienste,  ich  möchte  noch  nicht  mehr  über  diese  sache  sagen,  will  aber  doch 
darauf  hinweisen,  dafs  bei  lamblich  p.  25,  26  Pist.  ausgeführt  wird,  der  mensch 
brauche  zur  tüchtigkeit  anläge  und  Übung,  und  mit  der  letzteren  müfste  man  möglichst 
jung  anfangen,  genau  dieses,  aber  mit  anderen  worten,  "tpvasws  xal  dax^ascoe 
8iSuaxaXia  §elrat  '  •  xal  "dno  veorr/TOS  8e  d^^ufisvovS  SeXv  ^lavd'ävsiv"  steht  in 
den  eben  so  merkwürdigen  wie  verdorbenen  und  vernachlässigten  resten  einer 
anonymen  declamation,  die  Gramer  An.  Par.  1  165—72  herausgegeben  und  ne^l 
'Innofiäxov  betitelt  hat.  und  dieser  spruch  wird  eingeführt  als  stammend  aus  dem 
iniyoacpöfievo?  /uiyas  Xöyos  des  Protagoras. 


Die  politische  lilteralur  Athens.  175 

während  er  die  lakonische  erhob,  aber,  so  viel  wir  erkennen  können, 
viel  mehr  das  behandeile,  ^vas  später  ßloi  heifst,  als  die  krilik  oder  die 
darstellung  der  Verfassungsformen  oder  gar  sein  eigenes  pohtisches 
Programm''^):    das  wäre   ehrlich   ausgesprochen   nichts  gewesen   als   to 


7S)  Eigentliche  reden  hat  es  A^on  Kiitias  g;ir  nicht  gegeben ;  das  lehrt  die  Über- 
lieferung, und  seine  erwähnung  bei  Cicero  (de  orat.  II  93)  fordert  sie  keineswegs. 
Hermogenes  aber  (de  id.  II)  bezeugt  nur  8r]fir,yoQixa  nQooi/xia,  musterstücke  wie 
von  Antiphon,  die  wol  nur  für  den  rhetor  in  betracht  kamen,  ob  Dionysios,  der 
nirgend  etwas  concretes  von  ihm  aussagt,  ihn  gelesen  hat,  ist  zweifelhaft,  wir 
können  den  Sophisten  nicht  anders  fassen  als  es  Philostratos  tut,  der  ihn  eben  in 
die  ßioi  aocpiarcüv  aufgenommen  hat:  die  naive  Vorstellung,  Kritias  hätte  etwa  wie 
Philostratos  selbst  ßioi  geschrieben,  stammt  von  Bach,  der  sie  damit  begründet,  dafs 
Philostratos  aus  Kritias  anführt,  nur  Homer  hätte  er  ohne  Vatersnamen  aufgeführt 
(während  die  albernen  Sophisten  der  kaiserzeit  wie  Pausanias  selbst  nläraiv  6  ^Aoi- 
axojvos  sagen:  wie  viel  väter  werden  damals  gelogen  sein!),  natürlich  geht  das  auf 
eine  stelle  der  'O^idiat,  in  der  auch  Archilochos  geladelt  wird,  weil  er  seine  unedle 
mutler  selbst  genannt  hatte,  das  interessanteste  ist,  dafs  wir  durch  Philostratos 
hören,  erst  Herodes  Attikos  habe  den  verschollenen  schriftsteiler  in  die  mode  ge- 
bracht. Philostratos  selbst  hat  ihn  stark  nachgeahmt,  und  eine  glosse  aaxvxQixp 
ist  noch  für  uns  bei  ihm  nachweisbar  (Dindorf  im  Thesaurus  s.  v.).  indessen  hatte 
die  lexicographie  die  Tiohrslai  wenigstens  schon  vorher  nicht  vergessen:  IHdymos 
hat  sicher  ein  citat  (Harp.  XvxiovQysls  =  Athen  XI,  4S6,  wo  Kaibel  wieder  eine  be- 
ziehung  zu  Pollux  aufzeigt),  und  auf  ältere  lexicographie  als  die  hadrianische  sind 
wir  gewohnt  zurückzuführen  was  bei  Pollux  mit  Hesych  stimmt:  das  gilt  von  deir 
Kritiasglossen  äaiv'iQixp  fiv^syjos  cQvid'oy.ÜTiriXoe  n68eia  ngoacoSia  im  Hesych,  die 
zum  teil  verkannt  sind,  allerdings  wird  man  so  gut  wie  alles  auf  die  nohzelai. 
zurückführen,  aufser  den  drei  anführungen  Galens,  der  für  Svaavias  (die  verdorbene 
stelle  in  Hippokr.  epid.  3,  11,  die  ich  in  meinem  Hippol.  193  verbessert  habe,  vgl. 
Hesych.  AvaavCas)  den  Kritias  iv  tm  nsoi  q>iaecas  eocoros  f;  aoexwv  citirt,  während 
Harpokration  dafür  Antiphon  anführt,  und  im  commentar  zu  x«t'  iriiQsiov  (XVIII'' 
656  Kühn),  übrigens  durch  vermitlelung  seines  mitschülers  "ifimavösC^)  aus  einem 
Stoiker  Simias,  KQirias  iv  tiqu/toj  äfOQiaficö  (d.  i.  a<po^i(Tfiwv)  und  sv  o/uihcöv 
nqoxEQco,  neben  dem  Sophisten  Antiphon,  dem  sokratiker  Aischines  und  rednern. 
aber  ein  acpogiofiös  ist  doch  wol  was  Dion  (26,  3)  von  ihm  anführt,  dafs  die  Schön- 
heit am  knaben  das  weibliche,  am  mädchen  das  männliche  sei  (das  erinnert  an  den 
afoota/uos,  hqecT.v  rjSiara  t«  fii]  yos'a  von  Philoxenos  bei  Plutarch  de  aud.  poet. 
anfang).  die  Homilien  citirt  auch  Herodian  diel.  sol.  946  Lentz.  dafs  solche 
sophistischen  spiele  ihm  zuzutrauen  sind,  der  iSicüxriS  iv  (piXoaöcpois,  cpilöaofos  iv 
tSicöxais  war,  dürfen  wir  auf  Piatons  zeugnis  hin  glauben  (Tim.  20 ^  mit  schol.). 
sehr  naiv  aber  Märe  es,  wenn  wir  verlangten,  dafs  der  spätere  tyrann  sein  herz 
ausgeschüttet  hätte  und  als  apostel  seiner  scrupellosen  immoralität  aufgetreten  wäre: 
die  gottlosigkeit  bekennt  ja  nicht  er  in  seiner  tragoedie,  sondern  Sisyphos,  und  er 
gibt  auch  in  der  lehre,  dafs  die  götler  die  erfindung  eines  Staatsmannes  wären, 
fremde  speculation,  nicht  anders  als  in  den  lehren  über  physik  und  ethik,  die  wir 
noch  im  Peirithoos  erkennen,     ich  würde  es  für  unberechtigt  halten,  selbst  sokra- 


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176  I     6-  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 


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xov    y.QSiTTOvog   avf.iq)SQov,    wie   es  in   Piatons   Staat  die  gegner  der 
diy.aioavvtj  vertreten ;  aber  selbstverständlich  hat  selbst  von  den  dreifsig 


tische  anklänge  in  seiner  sophistischen  prosa  zu  beanstanden,  die  so  unbeachtet  bis 
zur  kaiserzeit  gelegen  hat  wie  die  Staka'^eis  axsnrixaC.  wenn  Alexander  von  Aphro- 
disias  nur  die  i'fi/uETQoi  nohrslac  gelten  liefs  und  das  prosaische  alles  einem  andern 
Kritias  beilegte,  so  ist  die  Übertragung  des  Unterschiedes  der  beiden  Antiphon  zu 
verdächtig,  und  die  not,  einem  aristotelischen  Zeugnisse,  das  philosophische  prosa- 
schriften  sichert,  seinen  beleg  zu  schaffen,  die  nur  durch  die  Übertragung  eines 
Empedoklesverses  auf  Kritias  befriedigt  werden  kann,  discreditirt  den  kritiker  vollends, 
ich  bezweifle  also  auch  die  prosaischen  nolirsiai  nicht  und  mufs  nur  finden,  dafs 
der  Sophist  sich  sehr  stark  selbst  wiederholt  hat:  denn  nur  die  form  kann  uns  dazu 
bringen,  ein  citat  lieber  der  elegie  als  der  prosa  zu  geben,  stand  doch  selbst,  dafs 
Chilon  gesagt  hätte  fir,8ev  t.yav,  in  den  elegien  (Commentar.  gramm.  II  6),  und 
Archilochos  ward  in  prosa  (Aelian  V.  H.  X  13),  Anakreon  in  hexametern  (Athen.  XIII 
600)  behandelt,  inhaltlich  haben  sich  also  auch  die  TiohrsTai  trotz  der  verschie- 
denen form  nahe  berührt;  erfindungen  einzelner  länder  für  die  bequemlichkeiten  des 
lebens  werden  noch  jetzt  in  beiden  aufgezählt,  über  die  haltung  der  prosaischen, 
in  denen  man  allein  eine  wirklich  politische  brochure  suchen  könnte,  läfst  Philo- 
stratos  wenigstens  etwas  erkennen,  er  hätte  keine  aocpias  eniSsi^is  gemacht,  sondern 
ßuQvrtQas  enolrjae  ras  oXtyaoxiae  SiaXsyo/uevos  roiis  eitel  Svi'azoTs  (in  Thessalien) 
xal  xad'aTiröfisvoS  fiep  SrjfioxQatias  unäar^S,  SiaßäXlofv  8'  l^d'TjvaiovS  cos  TtXelara 
avd'Qiöncov  äfiaQrdvovxae.  und  wir  können  auch  das  lob  auf  sie  beziehen,  dafs  er 
Seivcös  xa&c'tTrTszai.  ev  anoXoyias  TJ&ei.  nur  fragt  sich  in  dem  Zeitalter  der  xpöyot. 
und  sTtaivoi,  was  er  verteidigte,  wir  hören,  dafs  er  den  thessalischen  luxus  tadelte 
(Ath.  XII  527,  von  diesem  selbst  XIV  663  wiederholt),  die  erzeugnisse  des  luxus 
der  verschiedensten  gegenden  aufzählte,  in  Sparta  alles,  sogar  die  Stiefel  (die  auch 
in  Athen  zeitweilig  mode  waren)  und  die  becher  praktischer  und  deshalb  besser 
fand,  ebenso  den  comment  der  trinkgelage  (Ath.  463.  483.  486).  im  Lykurgos  des 
Plutarch  9  klingt  offenbar  ein  ton  nach,  den  Kritias  angeschlagen  hatte,  was  Athen 
anlangt,  so  hatte  er  den  attischen  bazar  mit  einer  kolossalen  häufung  von  allerhand 
specialisten  für  den  und  jenen  artikel  geschildert;  die  tendenz  kann  man  nach  des 
oligarchen  IIoX.  Ad".  2,  7  sich  vorstellen,  das  war  eine  fundgrube  für  den  wortsammler, 
Poll.  VI  38  VII  59  78  91  108  154  177  179  196  (wo  PoUux  den  ganzen  grundstock 
seiner  aufzählung  aus  ihm  zu  nehmen  gesteht),  auch  der  'wortmacher'  Xoyevs,  wie 
er  für  Qr,rco^  sagt  (II  122),  die  'falschen  zeugen  (V  153),  der  'pflastertreter'  {aarv- 
rot-ifj  IX  17)  die  'schmutzige  geldmacherei'  {QvnaQia  HI  116),  das  'jähr  und  tag 
richter  sein'  {8i,a8i)(ät,eiv  VIII  25),  alles  pafst  in  eine  solche  Schilderung;  8io- 
Ttreieiv  (von  den  mysterien  II  58),  ev^vvsaia  (IX  161),  SiS^axfiialoi  (IV  165),  ra- 
X^X^^Q  (II  148),  SianefOQrja&ai  (VI  199)  fügt  sich  auch,  das  einzige  bruchstück 
eines  satzes  lautet  sni  röye  ;^()»;<7tovs  elrai  "soweit  brav  sein"  (VI  195  hinter  to 
^tt'  avrovs  ijxov,  rb  in'  avrols.  also  sicher  so  herzustellen  aus  enl  rö  ye  eni  to 
XQ.  elv.):  da  steckt  nirgend  etwas  geschichtliches  oder  juristisches,  was  wir  sonst 
wissen,  aus  der  biographischen  litteratur,  ist  die  behauptung,  dafs  Themistokles  und 
Kleon  viel  gestohlen  hätten:  das  stand  in  demselben  buche,  wie  dafs  Archilochos 
töricht  genug  gewesen  wäre,  seine  eigene  schände  durch  seine  verse  zu  verewigen, 


Die  politische  liUeratur  Athens.  177 

auf  der  hohe  ihrer  frevelhaften  tyrannis  niemand  etwas  anderes  behauptet, 
als  dafs  die  ißgig  des  -AardgaTog  drj/.ios  mit  solchen  gewaltmitteln  allein 
zur  €vvof.iia  gebracht  werden  könnte,  also  die  Schlechtigkeit  der  andern 
ihre  tyrannis  rechtfertigte.'^)  die  wilde  zeit  mufs  in  und  aufser  Athen 
eine  flut  von  schritten  hervorgebracht  haben ,  sowol  direct  über  die 
brennenden  fragen  des  tages  wie  in  der  form  der  poütisch  sophistischen 
betrachtung.  eine  solche  schrift,  die  eines  loniers  wider  das  attische  Reich, 
ist  dank  der  Widerlegung  des  Isokrates  noch  einigermafsen  kenntlich.**") 
und  bald  werden  sogar  die  Spartiaten  dazu  gedrängt,  illiterat  wie  sie 
sind,  ihre  Verfassungskämpfe  vor  dem  publicum  mit  den  Schriften  ge- 
dungener publicisten  auszufechten,  was  sowol  konig  Pausanias  wie  Lysan- 
dros  getan  haben  ^*),  während  ein  Archinos  selbst  die  reform  der  Ortho- 
graphie durch  eine  rede  vor  dem  volke  vertritt,  und  Lysias  als  rede- 
schreiber  von  beruf  die  alte  vornehmere  sophistische  redekunst  in  den 
hintergrund  drängt,  der  erste  advocat  von  jener  sorte,  die  gerne  Numa 
Roumestan  würden,  schliefslich  aber  auch  als  avkat  Slus'nhr  ihr  Schäfchen 
ins  trockne  bringen,  auch  er  schreibt  im  anfang  noch  politische  brochuren."-) 
so  wenig  uns  also  auch  von  dieser  litteratur  kenntlich  ist:  die  entwickelung 
läfst  sich  doch  sehr  wol  verfolgen,  vorausgesetzt,  dafs  man  nur  nicht  be- 


denn  Aellan  excerpirt  dies  X  17,  jenes  X  13,  und  er  pflegt  so  seine  excerpte  zu 
verteilen;  ich  hätte  nicht  übel  lust,  das  dazwischen  stehende  X  15  auch  auf  Kritias 
zurückzuführen,  nämlich  dafs  die  verlobten  der  töchter  des  Aristeides  ihre  braute  sitzen 
liefsen,  als  deren  armut  durch  seinen  tod  an  den  tag  kam.  endlich  erwähnt  Plutarch 
im  Kimon  lö,  dafs  Kritias  diesem  seinen  lakonismus  zum  vorwürfe  machte,  niemand 
kann  sagen,  dafs  diese  exempel  in  den  Politien  eher  gestanden  haben  müfsten  als 
in  den  Homilien  oder  einem  Srjfi7]Y0Qixbv  n^ooifiiov ,  und  wer  rasch  mit  diesem 
namen  für  den  oligarchischen  gewährsmann  des  Aristoteles  bei  der  band  war,  der 
hat  damit  nur  der  weit  gezeigt,  dafs  er  von  Kritias  nicht  mehr  kannte  als  den 
titel  nohxeia.  wo  selbst  Böckh  die  spuren  eines  irrgangs  hinterlassen  hat,  hätte 
man  sich  wirklich  etwas  mehr  besinnen  können. 

79)  Schol.  Aisch.  1,  39  steht,  dafs  die  oügarchen  auf  Kritias  grab  die  Oligarchia 
darstellten,  die  die  Arifioy.Qaria  mit  einer  fackel  bezwingt,  und  dazu  die  Inschrift 
/j-vf^fia  roS'  kar^  uvSqoiv  ayad'cor  ot  tov  xara^arov  OT^fiov  Ad'rjvaicov  oXiyov  XQÖ- 
rov  vßoios  sa%ov.  man  braucht  nicht  zu  beweisen,  dafs  dies  fiction  ist,  aber  wer  an 
die  hUri  dSiniav  xoXä^ovaa  der  Kypseloslade  denkt,  wird  zugeben,  dafs  es  nicht  eine 
späte  Schwindelei  ist,  sondern  die  huldigung  eines  gesinnungsgenossen,  der  nicht 
blofs  den  vers,  sondern  das  grabmal  zu  ihrem  ehrengedächtnis  gegenüber  der  ächtung 
durch  die  attische  allmächtige  litteratur  erfand,  also  als  zeugnis  für  die  Stimmung 
ist  es  verwendbar. 

80)  Vgl.  die  beilage  'Isokrates  paneg.  100—114'. 

81)  Homer.  Unters.  272. 

82)  Vgl.  das  capitel  'rifiijfiara  7xaoBx,öueroi  . 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles  I.  12 


178  1-    6-  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

redsamkeit ,  womöglich  gerichtsberedsamkeit  für  das  wiclitigsle  hält,  die 
es  nur  für  die  Tsyvr]  ist,  sondern  die  altische  publicistik,  die  ihren 
hohepunkt  in  Isokrates  und  Demosthenes  hat.  in  diese  reihe  pafst 
Theramenes  und  seine  schrift:  sie  ist  ein  ovfißovXsvTrMg  wie  die  des 
Andokides  und  Thrasymachos,  sie  teilt  actenstücke  mit  wie  die  mysterien- 
rede  des  Andokides,  sie  polemisirt  aus  praktischen  rücksichten  wider 
Selon,  den  Stifter  der  Verfassung,  wie  künig  Tansanias  wider  Lykurgos, 
sie  erlaubt  sich  personlich  gehässige  verläumdungen  wie  Stesimbrotos 
oder  die  gerichtsrede,  und  sie  sucht  in  der  geschichte  eine  consequente 
entwickelung  wie  Thukydides. 

Aber  Sie  betrachtet  die  geschichte  Athens  als  die  einer  anzahl  von 
(lemagogen,  etwa  wie  später  die  geschichte  der  philosophie  als  eine 
öiaöoxrj  q)iXoo6cp(av  dargestellt  wird,  das  steht  mit  der  pentekontaetie 
des  Thukydides  im  grellsten  Widerspruche,  und  auch  die  reden  des  Iso- 
krates wollen  sich  gar  nicht  damit  reimen,  und  doch  ist  gerade  darin 
Theramenes  viel  mehr  Vertreter  der  regel  als  jene  beiden,  und  wenn 
wir  tagtäglich  von  kimonischen  tenipeln  und  perikleischem  Zeitalter  hören 
müssen,  so  hallen  die  so  reden  es  mit  Theramenes,  nicht  mit  Thuky- 
dides, was  allerdings  keine  empfehlung  ist. 

Stesimbrotos  schrieb  die  erste  politische  tendenzschrift:  und  wie 
nennen  sie  die  grammatiker?  neq!  Qei.iiGTO'/.XiovQ  xai  Qovxvdidov  zal 
neQix?Jovg.  also  die  personen  der  demagogen  stehn  im  mittelpunkt. 
wenn  Aristopbanes  die  Ursachen  des  krieges  behandelt,  so  liegen  sie  in 
Perikles  Aspasia  Pheidias  Simaitha :  die  spätere  geschichte  folgt  viel  mehr 
seinen  spuren  als  denen  des  Thukydides.  die  fabel  der  Ritter  konnte 
gar  nicht  concipirt  werden ,  wenn  nicht  die  anschauung  bereits  fest 
stand,  dafs  der  demos  seinen  Vertrauensmann,  der  souveräne  herr  seinen 
TTQoaräTtjg  haben  müfste*^),  als  wäre  er  ein  weih  oder  ein  fremder, 
davon  ist  es  kaum  noch  ein  schritt  zu  der  diaSoyJ]  ör^/uaytoyiüv ,  die 
dem  freien  Athen  eine  folge  von  herren  gibt;  die  vergleichung  mit  den 
liebhabern  einer  schönen  dame  trifft  noch  besser  zu ,  wird  auch  auf 
altisch  gezogen  (Ritt.  737);  für  den  souverän  ist  sie  kaum  schmeichel- 
hafter, und  im  vierten  Jahrhundert  ist  ein  gemeinplatz,  den  Isokrates 
und  Xenophon  beide  brauchen  und  beide  nicht  selbst  gefunden  haben, 
otoi  av  OL  TtQootaTai  luot  zoiavzag  xai  rag  7CoA€ig  eivai.     das  kann 


83)  Plat.  Staat  8,  565  olxovv  iva.  rtvä  oel  S^fws  ti'cjd's  SiafSQovrcos  Tt^oi- 
araad'ai  iavxov  aal  rovxov  r^s(psiv  is  xat  av^eiv  fiiyav ;  —  oTctvneQ  qivrjrai  XV' 
oavvos,  iy.  Ttooaxaxixfjs  Qi'QrjS  y.ni  ovx  dXXod'ev  exßXaaxävEi. 


Die  politische  litteratur  Athens.  179 

dem   kritiker   Athens  in   der  tat  das  recht  geben,   die  geschichte   der 
demokratie  als  die  der  demagogen  anzusehn. 

Am  sinnfalHgsten  und  eindrucksvollsten  ist  die  athenische  geschichte 
als   die   seiner  "^Vertreter'    in    der  "^Volkskomoedie^*')    des  Eupolis   dar- 


84)  Leider  weifs  ich  sehr  viel  weniger  jetzt  von  den  Demen  als  ich  vor 
20  Jahren  wähnte,  und  ich  kann  ihr  Verständnis  wesentlich  nur  dadurch  fördern, 
dafs  ich  sclieinwissen  zerstöre  und  Schwierigkeiten  aufzeige,  vier  Staatsmänner 
stiegen  auf,  das  sagt  Aristides.  drei  von  ihnen,  Milliades  Aristeides  Perikles,  stehn 
fest,  weil  wir  noch  worte  von  ihnen  haben,  als  vierten  pflegt  man  Solon 
zu  rechnen,  aber  das  beruht  nur  auf  einer  conjectur  Valckenaers  im  Arislides- 
^choliasten  für  Felcava,  was  die  drucke  haben,  in  mehreren  handschriften  habe 
ich  dafür  die  Variante  Kliava  gelesen,  kenne  aber  die  recensio  der  schollen  nicht, 
obwol  Eupolis  den  lebenden  Kleon  mindestens  so  stark  wie  Aristophanes  angegriffen 
hat,  konnte  sein  urteil  über  den  toten  sich  ganz  wol  ändern;  der  aufrichtige  und 
energische  demokrat  hätte  gegen  die  ^wcofiöxai  von  41G  auch  gute  dienste  leisten 
können,  andererseits  würde  ich  Solon  sehr  gerne  neben  Peisistratos  sehn ,  der 
person  war  (staäyei  IleiaCarQarov  ßaailia  schol.  Ar.  Ach.  61).  und  wenn 
Solon  den  alten  haudegen  Phormion,  den  Eupolis  in  den  Obersten  verherrlicht  hatte, 
als  einen  mann  seines  Schlages  gelobt  hätte,  so  wäre  die  sonst  rätselhafte  angäbe 
des  Schriftstellers  nsQi  xcof/coSov/usvcov  verständlich,  der  aus  den  Demen  einen 
(PoQ^dcov  ftETcc  2öl(ova  aq^ai  notirt  (schol.  Ar.  Fried.  348).  wenn  nun  aber  Pei- 
sistratos als  könig  auftrat,  ohne  doch  auf  die  oberweit  geführt  zu  werden,  so  war 
die  scene  im  Hades,  wo  die  könige  durch  das  scepter  kenntlich  zu  werden  pflegen, 
nun  sprach  Perikles  mit  Myronides :  auch  dieser  war  längst  tot,  denn  er  war  4S0/79 
bereits  gesandter  gewesen  (Plut.  Aristid.  10).  es  ist  wunderlich,  dafs  er  trotz- 
dem dem  Perikles  über  seinen  lebenden  söhn  künde  bringt,  aber  die  poetische  er- 
findung  hat  eine  schrankenlose  freiheit;  an  den  grenzen  des  menschenlebens  zerren 
die  verlegenen  pbilologen  hier  so  vergeblich  wie  bei  Maecius  Tarpa  und  Caesellius 
in  der  horazischen  Ars  poetica.  neben  Aristeides  steht  Nikias.  der  braucht  dann 
also  auch  nicht  mehr  gelebt  zu  haben,  und  der  einzige  grund  fällt  hin,  der  die 
Demen  vor  die  sicilische  expedition  rückte,  jedermann  mufs  doch  geneigt  sein,  die 
angriffe  auf  den  'gottveifluchten  Buzygen  Demosiratos'  auf  das  verhängnisvolle  pse- 
phisma  zu  beziehen,  das  die  Athener  nach  Sicilien  schickte,  und  vor  413  hat  wol 
schwerlich  jemand  gemeint,  dafs  Athen  übermenschlicher  hilfe  zu  seiner  rettung  be- 
dürfte, auch  der  junge  Perikles,  der  'längst  ein  mann  sein  sollte',  hat  diese  krilik 
füglich  nicht  um  418  verdient  gehabt,  da  er  sonst  ein  altersgenosse  des  Alkibiades 
gewesen  wäre,  dafs  die  Demen  so  sehr  viel  mehr  persönliche  angriffe  zeigen  als 
Vögel  Lysistrate  Thesmophoriazusen,  kann  den  ansatz  der  eupolideischen  komoedie 
unmöglich  bestimmen.  —  die  zahlreichen  bruchstücke,  welche  die  demagogen  angehn, 
sind  alle  in  iambischen  trimetern  gehalten,  gehören  also,  wenn  man  sich  an  die 
aristophanische  compositionsweise  hält,  in  den  zweiten  teil  des  Stückes,  nur  fgm.  19 
Mein,  zeigt  anapaeslische  tetrameter  und  scheint  in  denselben  Zusammenhang  zu  ge- 
hören, aber  die  worte  brauchen  nicht  auf  die  exodos  selbst  zu  gehn,  da  nooaayi- 
IcouEv  iTtt/.d-övrae  (nicht  aTieL)  allein  überliefert  ist,  in  dieselbe  scene  pafst  gut 
das  einzige  weitere  bruchstüek  dieses  mafses,  der  schöne  spruch  jur;  naiSl  ra  xoivä 

12* 


180  I-    6-  l^'C  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

gestellt  worden,     so   viel   wenigstens  wissen   wir  noch,  dafs  aus  einer 
gröfseren  zahl  von  demagogen,  über  die  scharfe  persönhclie  worte  fielen, 


(17).  aber  es  ist  einleuctitend,  dafs  die  eigentliche  fabel  des  Stückes  mit  diesen 
scenen  noch  gar  nicht  erfafst  ist.  die  Vorbereitungen  eines  opfers  mag  man  noch 
mit  der  ävoSos  der  seelen  vereinigen  liönnen  (22):  aber  wer  ist  der,  in  den  sich, 
als  er  noch  jung  war,  die  frau  eines  anderen  verliebt  hat  (16)?  wer  ist  das  weib 
die  'ihr  bischen  geld  zusammenkratzt'  (42)?  vor  allen  dingen,  wer  ist  der  chor? 
wir  haben  uns  gewöhnt,  ihn,  entsprechend  dem  der 'Städte'  aus  den  demen  bestehn 
zu  lassen.  aber  wie  sollten  diese  anders  vertreten  werden  als  durch  ihre 
eponyme,  Keramos  und  Kephalos,  Hekale  und  Leukonoe?  das  geht  kaum  an.  sicher 
ist  nur,  dafs  der  chor  die  ganze  y.Xeiii]  jichs  vertrat  (11).  aber  damit  ist  nicht 
viel  geholfen;  in  jeder  komoedie  wird  der  chor  allmählich  der  Vertreter  des 
dichters  und  der  gesammtheit,  so  gut  wie  der  tragische,  so  ist  immer  noch  das 
nächstliegende,  dafs  Jrjfwi  cos  ^AQxiloxoi,  Kleoßovllvai  die  'Volkskomoedie'  be- 
deutet, für  die  erniittelung  der  fabel  sind  vielleicht  am  wichtigsten  die  iambisciien 
tetrameter  15,  denn  da  redet  ein  alter  Athener,  der  die  gute  zeit  handelnd,  die 
schlechte  gegenwart  leidend  erfahren  hat,  als  Strafprediger:  der  wäre  gut  zur  ver- 
mittelung  zwischen  erde  und  hölle.  aber  leider  hat  nur  Meineke  dieses  bruchstück 
auf  die  unsichere  analogie  des  versmafses  zu  16  in  dieses  stück  gestellt,  so  bleibt 
mir  rätsei  über  rätsei.  im  einzelnen  kann  ich  ein  par  dinge  erläutern,  fgm.  37 
werden  Laispodias  und  Damasias  die  'bäume'  als  gegenwärtig  angeredet,  sie  sollen 
'sarnmt  ihren  waden'  hinter  dem  redner  hergehn.  waden  haben  sie  nämlich  nicht; 
sie  haben  beine  dünn  und  gerade  'wie  bäume',  wir  sagen  'wie  stelzen',  und  auf 
der  bühne  können  sie  zwar  sein,  aber  es  ist  nicht  nötig:  das  'folgen'  kann  ja  meta- 
phorisch gemeint  sein,  und  der  redner  in  das  publicum  weisen,  wo  die  herren  sitzen, 
metaphorisch  als  'wunderbaum'  wird  Kleonymos,  der  feige  demagoge  (CIA  I  40,  34) 
in  den  Vögeln  1470  beschrieben,  —  der  mensch  mit  der  'hummerfarbe'  21  ist  der 
dicke  mysterienherold  Kleokritos  36.  —  18  ist  für  die  rhetorik  wichtig,  rov  fiev 
Bv  xix'ko}  ys  navaofiai  Xoyov,  y^daco  Ss  aoi  ro  nqayiia  8ia  twv  xcoQicov.  das  ist 
später  T«  xad"^  oXov  und  t«  xara  /uegos.  %ooQiov  kenne  ich  aus  alter  zeit  freilich 
nur  aus  Thukydides,  der  die  pentekontaelie  ein  xmqiov  der  Attixt]  ^vyyqafrj  nennt 
(I  96),  aber  Philostratos  {vit.  soj/h.  I  16)  gebraucht  von  den  aphorismen  des  Kritias 
To  aavvSeTcos  %(OQito  nQoaßaXeiv.  offenbar  gehört  xojqlov  zu  tottos,  neQinaios; 
dies  letztere  steht  in  rhetorischem  sinne  auch  nur  vereinzelt,  bei  Aristophanes 
Frö.  953.  —  unter  den  demagogen  der  Demen  fehlt  Kimon.  es  gibt  eine  abweisende 
Charakteristik  von  ihm  in  schönen  versen  des  Eupolis  (Plut.  Kim.  15),  die  Meineke 
in  die  Städte  gerückt  hat,  weil  Didymos  angibt,  dafs  in  diesen  Kimon  wegen 
Elpinikes  verhöhnt  ward,  das  ist  sehr  scheinbar;  aber  die  Demen  erheben  auch 
einen  anspruch.  —  endlich  verwirft  man  ganz  Valer.  Max.  VII  2  ext.  7,  dafs 
Perikles  bei  Aristophanes  aus  der  unterweit  emporgestiegen  über  Alkibiades  gesagt 
hätte,  man  sollte  keinen  löwen  in  der  Stadt  aufziehen,  die  Verwechselung  der 
Frösche  und  der  Demen  ist  unverkennbar;  aber  es  steht  in  den  Fröschen  1432 
als  ein  unäcliter  vers  fiäXiaza  fiev  Xiovra  /irj  V  ttoAe«  T^itfsiv,  und  die  Interpolation 
ist  ganz  unverständlich,  sie  hört  es  auf  zu  sein ,  wenn  den  vers  der  Perikles  des 
Eupolis  sprach,  so  dafs  er  eine  parallele  wäre,  die  man  beigeschrieben  hätte,    ich 


I 


Die  politische  litteratur  Athens.  181 

vier  ausgesucht  wurden,  die  zur  reitung  der  Stadt  aus  der  unterweit 
emporstiegen,  da  erschien  der  'künig'  Peisistratos;  aber  Athen  will 
keinen  könig^^);  Miltiades  dagegen  ward  um  des  einen  tages  von  Marathon 
willen  (weiter  hat  er  wirklicli  nichts  getan)  emporgeholt,  während  Themi- 
stokles  wegen  seiner  unreinen  hände  keine  gnade  fand.  Aristeides  selbst 
sprach  ihm  das  urteiP«)  und  belehrte  den  Nikias  darüber,  wie  er 
durch  ernstes  streben  die  ör/Mioovvr]  erworben  hätte;  iNikias  also  hat 
es  zu  dieser  tugend  nicht  gebracht.*')  dann  stieg  auch  der  'häupthng' 
Perikles  auf,  und  der  harmlose  alte  spott  über  seinen  zwiebelkopf  ver- 
schwand vor  der  glänzenden  Verherrlichung  seiner  hinreifsenden  und 
nachhaltig    wirkenden    beredsamkeit;    der   biedere   haudegen    Myronides 

würde  es  sehr  schön  finden,  wenn  Aristophanes  die  warnung  aus  dem  munde  des 
Perikles  in  den  seines  Aischylos  übertragen  hätte,  mit  der  eben  so  bedeutenden  wie 
zeitgemäfsen  änderung  ^v  S    exr^acp^  ne,  rrj  (pvoEi  SovXevrtov. 

85)  Den  namen  ßaffdsvs  kann  Eupolis  dem  tyrannen  nur  mit  einer  solchen 
Wendung  gegeben  haben;  denn  in  dem  namen  liegt  die  Unvereinbarkeit  mit  der 
athenischen  demokratie  besonders  stark,  an  zvquwos  für  ßaadevs  sind  wir  aus 
der  tragoedie  gewöhnt,  an  das  umgekehrte  nur  für  Gelon  und  Hieron.  denn  im 
vierten  Jahrhundert  ist  die  Unterscheidung  der  ächten  von  der  ausgearteten  form 
der  monarchie  ziemlich  durchgedrungen,  aber  ganz  gleichgesetzt  steht  beides  noch 
in  der  altattischen  schrift  bei  lamblichos  protr.  p.  103,  23,  27  Pist.  (lamblich  fügt 
daher  an  der  zweiten  stelle  ^  xiqawov  hinter  ßaaiXia  ein). 

86)  Plut.  Arist.  4.  auf  die  Demen  zurückgeführt  Herrn.  XIV  183.  dort  habe 
ich  die  stelle  der  Aristidesscholien  veröffentlicht,  die  am  deutlichsten  zeigt,  dal's 
der  commentator  noch  selbst  die  Demen  besafs  und  nachschlug;  sie  waren  also  in 
der  rhetorenschule  des  vierten  oder  fünften  Jahrhunderts  noch  bequem  zugänglich. 
oTiiad'ev  für  das  was  in  der  lectüre  überwunden  ist,  im  buche  also  vorher  steht,  ist 
Kydath.  156  erklärt. 

87)  Eupolis  läfst  den  Miltiades  mit  Worten  der  euripideischen  Medeia  reden, 
den  Aristeides  mit  solchen  des  euripideischen  Phoinix  (810):  parodie  darin  zu  sehen, 
ist  torheit,  vielmehr  reden  die  heroen  in  dem  stile  der  tragoedie.  der  Phoinix,  aus 
dem  Aischines  (1,  152)  eine  versreihe  vor  gericht  citirt,  mufs  politisch-sophistische 
lehren  von  bedeutung  enthalten  haben,  natürlich  in  der  gerichtsverhandlung  über 
den  des  incestes  beschuldigten  söhn,  aus  der  auch  das  rhetorische  fragment  811 
ist,  das  die  re^firjoia  als  mittel  nicht  sowol  das  wahre  als  das  wahrscheinliche  zu 
finden,  bezeichnet,  die  sophistische  debatte  drehte  sich  um  (piais  und  aanrjais  als 
quellen  der  aQExrj,  im  gründe  also  um  die  hauptfrage  ei  StSaxtov  a^sr^.  die  fiais 
ist  zwar  die  hauptsache,  denn  sie  läfst  sich  nie  ersetzen,  aber  was  er  mit  ihr  an- 
fängt, ist  jedes  menschen  eignem  willen  frei  gestellt,  diesen  zug  ergänzt  Eupolis. 
und  an  seinem  umgang  kann  man  den  xaaös  bereits  erkennen,  tpvvai.  usf  n^cörov 
del,  y.cd  tovio  juit^  ri]  Ti'/jj  anoSsSoTai,  ru  Se  in'  avrqj  i]8rj  rcp  avd'ocü'jtco  räSs 
elvat,  ETH&vfiTjTTjv  ysvtad'ai  icZv  y.aXwv  xai  ayad'wv  u.  s.  w.  sagt  der  Sophist  bei 
lamblichos  protr.  95,  16  Pist.  (es  ist  die  anm.  78  citirte  wichtige  stelle),  das  sind 
die  gedanken,  welche  dann  die  Sokratik  vertieft,  Isokrates  verflacht. 


182  1-    ^-  D'^  deniagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

stand  ilim  zur  seile,  trat  aber  vor  ihm  zuriicii.  wer  der  vierte  der  auf- 
erstandenen war,  ist  bisher  noch  niclit  sicher  ermittelt,  so  wenig  wie 
die  eigentliche  fabel  der  komoedie:  dafs  die  Athener  aber  in  ihr  die 
ganze  geschichte  ihrer  demokratie  verkörpert  in  den  demagogen  leibhaft 
vor  äugen  halten,  und  die  Schöpfungen  des  dichters,  dem  es  wie  wenigen 
gegeben  war,  unvergefsliche  schlagworte  zu  prägen,  und  der  zwar  im 
freien  reiche  der  phantasie  dem  fluge  des  Arislophanes  nicht  folgen 
kann,  aber  den  politischen  und  persönlichen  kämpf  ungleich  kühner 
und  patriotischer  führt  als  jener,  auf  alle  die,  welche  die  Demen  ge- 
sehen hatten,  eine  macht  ausübten,  auch  wenn  sie  seinem  urteil  über 
die  personen  nicht  folgen  mochten :  das  ist  deutlich,  so  wirkt  die  ächte 
poesie,  und  der  dichter  der  Demen  ro  yJvtqov  eyKaxileLTte  roig 
uY.QOioi.ievoiQ.^^)  mich  dünkt  es  frappant,  dafs  die  schrift  des  Theramenes 
ein  oligarchisches  widerspiel  zu  den  Jr^^ioL  des  demokratischen  dichters  ist. 


88)  Wie  die  leute ,  die  doch  den  Eupolis  (von  dem  radikalen  Hermippos  zu 
schweigen)  einigermafsen  kennen  mufsten,  auf  die  unaussprechliche  torheit  haben 
verfallen  können,  die  attische  komoedie  wäre  immer  antidemokratisch  gewesen, 
habe  ich  nie  begriffen;  weder  Arislophanes  noch  seine  gesellen  sind  so  armselig, 
alle  und  immer  aus  demselben  tone  zu  pfeifen,  die  komoedie,  die  dem  volke  ge- 
fallen will,  wird  einerseits  notwendigerweise  der  Stimmung  des  volkes  nicht  zu- 
widerlaufen, und  die  Athener  waren  aufrichtige  demokraten,  Perikles  und  Theramenes 
so  gut  wie  Kleon  undKleophon;  sie  verslanden  nur  unter  der  ■jiäiQioi  SrjfioxQaxia 
etwas  verschiedenes;  dem  entsprechen  die  politischen  unterschiede  des  Arislophanes 
und  Eupolis.  andererseits  spottet  die  komoedie,  sie  mufs  also  mehr  oder  minder 
oppositionell  sein,  d.  h.  die  jeweilig  herrschenden  und  allgemein  interessirenden 
personen  anzapfen:  das  sind  bis  411  die  demokraten.  —  die  nachwirkung  der  komoedie, 
sowol  ihrer  kunst  wie  ihrer  poetischen  erfindungen  wie  auch  ihrer  Uiteile  über  die 
personen,  ist  weit  bedeutender,  als  man  sie  schätzt.  Piaton  hat  nicht  ohne  Selbst- 
erkenntnis dem  Arislophanes  ein  schönes  epigramm  und  eine  hervorragende  rolle 
in  dem  werke  gewidmet,  das  am  meisten  von  aristophanischer  ;t;«C*s  an  sich  trägt, 
die  Apologie  zeigt  auch,  wie  einflufsreich  selbst  ein  so  verfehltes  und  durchgefallenes 
stück  wie  die  Wolken  für  das  volksurteil  über  Sokrates  geworden  war.  aber 
Piatons  übermenschliche  kunst  macht  sich  alles  was  er  von  andern  lernt  völlig  zu 
eigen.  Xenophon  steht  unendlich  tiefer:  er  hat  eben  darum  nur  kenntlichere  be- 
ziehungen  zu  der  komoedie.  denn  es  braucht  doch  wol  nur  ausgesprochen  zu 
werden,  dafs  sein  Symposion  die  ganze  scenerie  von  dem  Autolykos  und  den 
Schmeichlern  (die  auch  für  Piatons  Prolagoras  wichtig  sind)  entlehnt  hat.  freilich 
wollte  Xenophon,  wolmeinend  und  ungeschickt  wie  er  ist,  das  renommee  der  dort 
so  schmählich  verhöhnten  personen  rehabililiren.  Autolykos,  der  ein  opfer  der 
Dreifsig  geworden  war,  mag  ihm  selbst  nahe  gestanden  haben,  und  dafs  Lykon,  der 
spätere  ankläger  des  Sokrates,  diesem  hier  das  zeugnis  ausstellt,  der  beste  tugend- 
lehrer  zu  sein,  mag  dem  Xenophon  witzig  vorgekommen  sein,  er  hat  ja  sogar  in 
die   Kyropaedie  (III  1,  38—40)   eine   parlie   eingelegt,    die  erst   versländlich   wird, 


Die  politische  litteratur  Athens.  183 

Bald  nachdem  die  restaurirte  demokralie  den  Sokrales  getötet  hatte, 
zogen  seine  schüler  sie  zur  Verantwortung.  Piaton  schrieh  den  Gorgias: 
da  haben  wir  die  vier  grofsen  deniagogen,  Miltiades  und  Kimon  von  der 
partei  der  vornehmen,  Themistokles  und  Perikles  von  den  demokraten; 
Aristeides  wird  ihnen  als  der  einzige  ehrenmann  entgegengestellt.  Anti- 
sthenes  schrieb  den  Politikos,  der  ccTiävTiov  y.axa6Q0f.iriv  neQÜx^i  rwv 
^Ad^rjvriOi  örjf.iayioyidv  (Herodikos  bei  Athen.  V  220),  und  Aischines 
verflocht  Milliades  und  Themistokles,  Perikles  und  Khinon  in  seine  dialoge. 
deren  verlust  die  geschichte  und  die  poesie  viel  empfindlicher  getroffen 
hat  als  die  philosophie.  war  schon  die  Stellung  der  Sokratiker  zu  der 
demokralie  und  ihren  führern  nicht  bei  allen  dieselbe,  so  konnte  nicht  aus- 
bleiben, dafs  die  rhetorik  auch  Verteidiger  auf  den  plan  führte:  die  an- 
klageschrift  des  Polykrates  hat  den  Sokrates  als  lehrer  von  Kritias  und 
Alkibiades,  wovon  399  nicht  die  rede  gewesen  war,  wesentlich  um  des 
Gorgias  willen  angegriffen ^°),  und  so  tobt  der  kämpf,  der  eigenthch  prin- 
cipien  gilt,  um  die  personen  weiter,  in  den  Philippika  hat  Theopompos 
die  entwickelung  der  athenischen  demokralie  ganz  ähnlich  wie  Aristo- 
teles in  dem  berufenen  excurse  Ttsgl  tiov  ^^d^rjvr]Oi  dr]i.iayiüycüv  ge- 
geben, und  noch  in  der  schule  Epikurs  Idomeneus  die  berechtigung, 
sich  von  dem  öflentlichen  leben  zurückzuziehen,  in  einer  gleichnamigen 
Schrift  bewiesen,  die  reichlichen  stofl'  für  gehässige  Verkleinerung  schon 
vorfand,  es  ist  das  fünfte  Jahrhundert,  das  sich  allein  einer  solchen 
diaSoyJ]  TtQooraTwv  fügt,  eigentlich  sogar  nur  bis  zum  Nikiasfrieden. 
der  späteren  zeit  fehlen  die  beherrschenden  personen,  fehlen  auch  die 
Parteien;  es  ist  ja  auch  der  ostrakismos  nicht  mehr  durchführbar,  und 
die   ohgarchische   partei  oder  vielmehr  jede  tendenz,   die  radikal  demo- 


wenn  man  für  die  orientalischen  nanien  Lykon  Autolykos  Sokrates  einsetzt,  wer 
die  personen,  auch  in  den  Meniorabilien,  mit  der  komoedie  vergleicht,  wird  sehr 
oft  bemerken,  wo  der  Schriftsteller,  der  die  moderne  naivetät,  in  den  dialogen  reali- 
täten  zu  suchen,  nicht  ahnen  konnte,  seine  personalien  über  die  Zeitgenossen  des 
Sokrates  hergenommen  hat.  nur  das  urteil  über  die  personen  hat  meist  die  erinnerung 
oder  famiiienverbindung  des  ritters  aus  Herchia  bestimmt,  auch  bei  Antisthenes 
und  Aischines  kommen  komoedienfiguren  vor.  Isokrates,  der  philisler,  ist  dagegen 
für  die  komoedie  taub. 

89)  Hirzel  Rh.  M.  42,  250.  es  ergibt  sich  hier  eine  vollkommen  unanfechtbare 
relative  Chronologie,  1,  Piatons  Gorgias,  2,  die  rede  des  Polykrates,  3,  Piatons  Menon, 
Lysias  für  Sokrates,  Isokrates  Buseiris,  diese  letzten  drei  unter  einander  zunächst 
noch  nicht  datirbar.  aber  bekannte  tatsachen  fixiren  mehrere  einzelne  und  damit 
alle  zwischen  394  und  390:  sie  schieben  den  Gorgias  also  höher  hinauf,  wessen  com- 
binationen  sich  damit  nicht  vertragen,  der  mufs  sie  einfach  fallen  lassen. 


1^84  I.    6.  Die  demagogen  des  fünften  Jahrhunderts. 

liiatische  Verfassung  zu  mäl'sigen,  ist  nach  403  erstorben,  das  ist  aller- 
dings von  bedeutung;  aber  wenn  der  athenische  Staat  von  der  zeit  ab, 
wo  wir  seine  parteien  und  deren  kämpfe  genauer  kennen,  vom  tode 
des  Perikles  ab,  sich  weder  dem  Schematismus  des  Aristoteles  und  der 
modernen,  die  nach  römischem  und  englischem  vorbilde  zwei  parteien 
suchen,  fügt'*"),  vorher  ein  so  überwiegend  einllufsreicher  mann  da  steht, 
dafs  parteien  höchstens  unter  ihm  vorhanden  sein  können,  wenn  wir 
weiter  sehen,  dafs  bis  dicht  an  die  Perserkriege  nicht  pohtische  auf  Schlag- 
wörter eingeschworne  parteien,  sondern  die  grofsen  famiUen  und  ihr 
anhang  einander  gegenüberstehen,  bis  auf  Ephialtes  aber  nicht  eine 
partei,  sondern  eine  politische  körperschaft  den  ausschlag  gibt,  deren 
Sturz  dann  eine  andere  körperschaft  zur  herrschaft  bringt,  den  rat  der 
500  statt  des  areopagitischen,  so  mufs  der  moderne  beurteiler  zu  der 
für  die  geschichtsbetrachtung  allerdings  entscheidenden  einsieht  kommen, 
dafs  die  ganze  diadoxr]  6r]!,iaya)ywv  eine  vollkommen  ungeschicht- 
liche erfindung  ist,  uns  äufserst  wertvoll,  weil  die  Schätzung  der  personen 
und  die  politische  theorie  sie  noch  im  fünften  Jahrhundert  aufgebracht 
hat,  von  dem  niemand  eine  gerechte  selbstbeurteilung  fordern  wird,  aber 
um  so  weniger  für  uns  verbindlich,  als  die  urteilsvollsten  männer  schon 
damals  zu  tief  geblickt  haben,  um  sich  dabei  zu  beruhigen,  hoch 
erhaben  über  dieser  kleinlichkeit  steht  Thukydides:  seinen  horizont  bildet 
eben  nicht  die  pnyx,  sondern  das  Reich,  und  Piaton  teilt  freiUch  die 
Ungerechtigkeit  der  persönlichen  urteile  über  die  Staatsmänner  als  Jüng- 
ling; aber  schon  damals  hat  er  sie,  die  nur  volksschmeichler  sind,  hinter 
dem  Volke  selbst  zurücktreten  lassen,  bald  drang  er  zu  der  tiefsinnigen 
auffassung  durch,  dafs  die  Verfassungen  bedingt  sind  durch  die  ganze 
geistige  disposition  der  menschen,  die  sie  sich  machen,  und  demgemäfs 
die  Veränderungen  in  der  Volksseele  den  wandel  der  Verfassungen  bedingen : 
der  aQiazoxQariyidg  Tii.iov.QaTi'/.bg  Srjf.ioy.QaTr/.dg  avrjQ  schafft  sich  seine 
gesellschafts- und  Staatsordnung,  wir  reden  anders  als  der  Sokrates  der* 
letzten  bücher  des  Staates,  und  unserer  redeweise  ist  die  der  aristoteh- 
schen  Politik  viel  näher  verwandt:  aber  wer  sich  in  jene  ächthellenischen 


90)  Der  gegensatz  zwischen  Nikias  und  Kleon,  wie  ihn  Thukydides  in  der 
beratung  über  die  pylische  Strategie  dramatisch  schildert,  täuscht,  wenn  er  zu 
einem  gegensatze  von  zwei  parteien  erweitert  wird:  man  braucht  nur  Demosthenes 
zu  nennen  oder  die  Ritter  zu  lesen,  damit  man  sehe,  dafs  weder  hie  conservativ, 
dort  liberal,  noch  hie  feldherr,  dort  redner,  das  ganze  volk  aufteilt,  ebensowenig 
repraesentiren  Nikias  und  Aikibiades  vor  der  sicilischen  expedition  die  beiden 
Parteien:  wo  blieben  sonst  die  Hermokopiden? 


Die  politische  litteratur  Athens.  185 

gedauken  und  bilder  hineingefunden  hat,  wird,  zumal  wenn  er  die  kritiii 
der  geschriebenen  Verfassung  im  Pohtikos  und  die  skizze  einer  allgemeinen 
culturgeschichte  in  den  Gesetzen  dazu  nimmt,  nicht  im  zweifei  sein,  wo 
die  tiefste  Offenbarung  über  die  ethisch-pohtischen  probleme,  nicht  sowol 
der  athenischen  als  der  menschengeschichte  überhaupt,  zu  finden  ist. 

Aristoteles  hat  diese  Offenbarung  noch  aus  des  meislers  munde 
vernommen,  schon  die  erste  seite  seiner  Politik  setzt  sich  mit  Plalons 
Politikos  auseinander,  und  wo  er  in  der  Politie  über  Perikles  spricht,  hat 
er  den  Gorgias  im  gedächtnis.  aber  die  Pohtik  zeigt  auch,  wie  er  in 
seiner  eigenen  speculation  immer  weiter  von  Piaton  abgeführt  worden 
war.  darauf  hatte  das  leben  mindestens  eben  so  stark  hingewirkt,  das 
ihn  erst  in  ganz  andere  kreise,  dann  in  das  demosthenische  Athen  führte, 
deshalb  hat  er  auch  das  Athen  des  Sokrates  nicht  mehr  mit  den  äugen 
Piatons  an  gesehn,  woher  ihm  die  schrift  des  Theramenes  zugekommen 
ist,  können  wir  nicht  ahnen :  die  platonische  schule  hat  sie  ihm  jeden- 
falls nicht  geliefert,  vielleicht  war  er  selbst  überrascht,  als  er  hier 
ansichten  vertreten  fand,  die  seiner  Vorliebe  für  die  nolLreia  nahe  zu 
stehen  schienen,  jedenfalls  hat  er  sich  etwas  darauf  zu  gute  getan,  den 
mann  zu  rehabilitiren,  (.li]  naQiQycog  a7to(paiv6f.i€vog,  wie  er  sich  selbst 
das  Zeugnis  gibt,  wir  werden  ihn  darum  nicht  loben,  und  werden  weder 
ihm  noch  dem  Theramenes  folgen,  aber  trotz  alle  dem  bleiben  diese 
capilel  das  fesselndste  stück  des  aristotelischen  buches,  und  Theramenes, 
wenn  er  es  denn  war,  dankt  dem  Aristoteles  was  besser  ist  als  eine 
rehabilitation,  dafs  er  selbst  seine  sache  vor  uns  führen  kann. 


DIE  VERFASSUNG. 


Die  Der  geschichüiche  teil  des  buches  erhält  seinen  abschlufs  durch  die 

elf  VBr— 

fassungen.  aiifzäbliing  der  elf  Verfassungen  (41),  an  sich  eine  jener  langweiligen 
recapitulationen,  an  denen  die  akroamatischen  Schriften  so  reich  sind,  und 
man  möchte  auch  mit  Aristoteles  über  einzelne  seiner  ausätze  rechten/) 
aber  es  liegt  eine  scharfe  schweigende  kritik  der  demokratie  in  der 
kühlen  Sachlichkeit,  mit  der  diese  liste  dem  attischen  glauben  an  die 
continuität  der  theseisch-solonischen  demokratie  widerspricht,  sehr  viel 
gerechter  würde  die  kritik  freilich  sein,  wenn  Aristoteles  dargelegt  hätte, 
wie  unendlich  viel  seit  403  an  der  Verfassung  im  einzelnen  herum- 
experimentirt  war;  aber  das  war  ihm  bedenklich:  hatten  doch  gerade 
in  den  jüngsten  zeiten  durch  Lykurgos  die  einschneidendsten  änderungen 
stattgefunden,  und  schwerlich  war  die  Verfassung  von  330  der  von  390 
so  ähnhch  wie  die  von  460  der  von  478.  aber  hier  beschränkt  sich 
Aristoteles   darauf,   die   restaurirte  demokratie  als   eine   einheit   zu   be- 


1)  Darum,  dafs  eine  revolution  sie  4  monate  unterbrach,  ist  es  doch  eine 
demokratie  von  461 — 404:  er  gibt  ja  auch  keine  unterschiede  an.  ferner  sagt  er 
selbst,  dafs  der  einflufs  des  Areopages  480—461  nur  ein  factischer  war,  so  dafs 
also  rechtlich  damals  keine  andere  Verfassung  bestand  als  507—480,  und  von  einer 
fiETaßolrj  keine  rede  sein  konnte,  sonst  hätte  er  die  beiden  Verbannungen  des 
Peisistratos  eben  so  gut  als  fieraßolai  zählen  können  wie  die  revolutionen  von 
411  und  404.  in  Wahrheit  hat  er  nur  4  Verfassungen  skizzirt,  die  älteste,  immerhin 
nachtheseische,  die  des  Drakon,  des  Solon  und  die  der  400:  mit  andern  werten,  er  hat 
seit  Kleisthenes  dieselbe  demokratie  bestehn  lassen  bis  auf  seine  zeit,  dann  besafs 
diese  demokratie  aber  eine  keinesweges  verächtliche  lebenskraft:  was  die  folgenden 
Jahrhunderte  auch  bestätigt  haben.  —  41,  2  scheint  die  verdorbene  und  von  dem 
corrector  nicht  geheilte  stelle  in  so  weit  heilbar  dafs  für  nqäxri  —  exovaat  nohrsiav 
ra^iv  gesetzt  wird  e'xovaä  rt  nolixEias  rn^is,  denn  Pol.  B  1272''  steht  i'x^i  rt 
Ttohrsias  rj  rä^is  a)X  ol  nolixtia  iaiiv.  aber  was  dazwischen  steht,  fiera  ravra, 
vielleicht  fiera  ravrr^v  (obwol  ich  das  N  nicht  sehe),  bleibt  völlig  unverständlich, 
da  es  abundirend,  wie  später  mehrfach,  doch  nur  zu  Sevrt^a  gesetzt  werden  konnte. 


Die  elf  Verfassungen.  187 

;?eicbnen,  weil  ihre  Veränderungen  sich  auf  die  eine  tendenz  zurück 
führen  Hefsen,  dafs  das  plenuni  der  volksversammhing  und  die  durcli 
ktion  dem  plenum  gleichgesetzten  geschwornengerichte  die  entscheidung 
n  allem,  grofsem  und  kleinem,  selbst  immer  mehr  in  die  hand  nahmen^): 
lie  loxccTTj  dr]/.ioxQaTla  erfüllte  immer  mehr  ihre  cpvOLg,  in  der  spräche 
1er  Politik  zu  reden,  an  autorität  verloren  hatte  dadurch  namentlich 
i]er  rat,  und  mit  unverholenem  höhne  erkennt  Aristoteles  an,  dafs  diese 
'Körperschaft  es  nicht  besser  verdient  hätte,  weil  sie  sich  in  unredlicher 
ivcise  beeinflussen  Uefs.  die  illustration  dieses  satzes  wird  später  an 
»ielen  stellen  gegeben,  wo  der  früheren  weiter  gehenden  competenzen 
les  rates  ervvähnung  geschieht.  Aristoteles  hat  aber  durch  das  Studium 
ler  geschichte  etwas  billiger  urteilen  gelernt,  denn  in  seinen  politischen 
vortragen  motivirte  er  diese  übergriffe  der  Volksversammlung  mit  der 
labsucht  des  volkes,  das  die  diaeten  des  rates  selbst  begehre,  sobald  die 
inanzen  es  gestatteten.^)    hier  gibt  er  zu,  dafs  es  vielmehr  der  mangel- 


2)  Die  stelle  41,  2  am  ende  ist  nicht  bequem  stilisirt,  aber  wol  heil  aqp'  ^s 
;(d.  h.  xa&öSov)  Siaysyevrjrai  fisx^i  tt/S  7'vv  (d.  h.  TioXneiae),  del  TtQoaEmXafißä- 
i'ovffa  reo  Tilrjd'ei  Tt]v  e^ovaiav. 

3)  Polit.  J  12991^;  1300.  Z  2,  1317 1^  30,  wo  Aristoteles  auf  die  erste  stelle 
rerweist,  die  in  der  ti^otsqu  fiE&o8os  stand,  d.  h.  in  einer  ganz  anderen  gedanken- 

eihe,  wie  sie  es  denn  auch  tut.  aber  die  unerträgliche  umstellerei  rückt  sie  glück- 
lich in  dieselbe  fid&oSos.  der  erste  teil  von  cap.  2  des  sechsten  buches  ist  so  direct 
luf  Athen  gemünzt  und  zeigt  so  ganz  die  aristotelische  Stimmung  gegen  die  demo- 
.liratie,  dafs  ich  nicht  umhin  kann,  die  gedanken  hier  zu  reproduciren.  er  geht  aus 
Aon  dem,  was  die  radicalen  redner,  Demosthenes  z.  b.,  als  das  demokratische  ideal 
Siinstellen,  eXevd'soia  und  ^fjv  cos  ßovlsrai  tiS  {eXavd'tou  KeoxvQa,  xdt,^  oTtov  d's'XeiS, 
wufste  darauf  schon  der  patriotische  komiker  zu  erwidern),  dies  ideal  wird  durch 
(folgende  principien  gewährleistet  1)  allgemeines  actives  und  passives  Wahlrecht 
[Sr;uos  S^  aväaaei  diaSoy^alaif  ev  fiä^ei,  sagt  schon  Theseus)  2)  das  los  als  wahl- 
modus  (vgl.  des  oligarchen  noXiieia  'Ad',  anf.)  3)  verbot  der  iteration  der  ämter  und 
beschränkung  ihrer  dauer  (vgl.  JJo)..  62,  3:  in  andern  demokrallen  ward  selbst  die 
jährige  amtsdauer  verkürzt)  4)  entscheidung  aller  rechtsbändel  durch  das  aus  allen 
bürgern  ausgeloste  geschwornengericht  (die  sfeats  sls  SmaaTr,Qiov  i^  djtävrcov, 
Solons  grofse  demokratische  mafsregel)  5)  regierung  durch  das  plenum  der  Volks- 
versammlung (was  wir  hier  eben  besprochen  haben)  6)  diaeten  in  gröfstmöglicher 
ausdehnung  (die  in  Athen  erreicht  ist.  Ho?..  62,  2)  7)  abschaffung  jeder  bevorzugung, 
die  auf  abstammung,  vermögen  oder  bildung  beruht  (vgl.  des  oligarchen  IIoX.  Ad: 
passim.  in  Athen  ist  der  vorzug  des  adels  durch  Kleisthenes  beseitigt,  firi  cpvko- 
y.Qivelv  21,  2,  der  census  durch  die  tatsächliche  abschaffung  der  solonischen  classen 
47,  1,  der  vorzug  der  bildung,  seitdem  die  TxooaTaaia  lov  Sr^fiov  an  die  plebejer 
gekommen  ist  2S,  1)  8)  entwürdigung  der  etwa  noch  bestehenden  lebenslänglichen 
ämter.  das  ist  ein  lediglich  auf  den  Areopag  zielender  zusatz,  der  durch  das  streben 
nach  Verallgemeinerung  nicht  gewonnen  hat.    d^  alosrüiv  x'/.T]o(oroi  sind  die  Areo- 


188  I-    7.  Die  Verfassung.  ■ 

hafte  besuch  der  Volksversammlungen  war,  der  zu  der  erteilung  von 
diaeten  zwang  und  sogar  nicht  eher  nachliels,  als  bis  die  diaeten  eine 
halbe  drachme  betrugen,  da  diese  auf  den  finanzen  schwer  lastende 
ausgäbe  gerade  in  der  ärmsten  zeit  Athens,  dem  Jahrzehnt  nach  403^), 


pagiten  auf  dem  umwege  über  die  archontenwahl,  und  ihre  lebenslängliciie  Stellung 
iiaben  sie  nicht  el  o.Qxaius  ueraßo^s,  sondern  e|  «ex^i^j  ^ber  ihren  einflufs  sollen 
sie  ex  jusTaßoXrjs  gehabt  haben  (3,  6.  41,  2.  25,  2).  durch  diese  paraphrase  wird 
die  alhetese  der  beiden  letzten  abschnitte,  die  einem  atistracten  unhislorischen  blicke 
scheinbar  sein  kann,  erledigt  sein,  es  sei  aber  gestattet,  kurz  anzugeben,  was 
gegen  Bekker  (zweite  kleine  ausgäbe)  am  texte  zu  ändern  ist:  von  ihm  gehe  ich 
aus,  um  die  fehler  der  schlechten  Überlieferung  vorab  los  zu  sein.  1317 1^  1  steht 
eine  der  in  dem  buche  häufigen  dittographien ;  beide  fassungen  der  Begründung 
rovzo  yocQ  —  eXsvd'eQias  und  tovtov  ya.Q  —  Stjfiox^aTiav  sind  an  sich  gut,  und  es 
verschlägt  wenig,  welche  man  vorzieht.  6  ort  av  Sö^ri  toIs  nXeioaiv,  lovr'  e'xsiv 
(slvai  codd.)  xui  re'Äos ,  y.al  toJt'  slvat,  to  Sinaiov.  das  zweite  lovro  steht  nicht 
anaphorisch,  sondern  es  heifst  'und  in  diesem  prinzipe  liege  die  gleichheit'.  23  fj-ri 
Sie  Tvv  avTOv  o-Q'/^tiv  firi§sfiiav  [rj  uXiyäyci&]  t]  oXiyas  s^co  icüv  xarn  TtöXsfiov. 
das  ist  eine  dittographie,  nicht  eine  andere  fassung,  sondern  Schreibfehler  neben 
der  Verbesserung,  wenn  Aristoteles  auch  jene  möglichkeit  hätte  bezeichnen  wollen, 
so  würde  es  heifsen  ftr^Se/niav  t}  oXlyas  e^co  r.  x.  n.  rj  öXiyäxtS  it/v  avTriv.  aber 
jene  möglichkeit  hat  in  Athen  nicht  existirt.  26  Sixcit,ei.v  nävTae  xal  ix  nävTcov 
[xai]  neQi  nävxuiv  ?}  neQi  rcöv  nleiox cov .  wer  jenes  xal  einschob,  verstand  nicht, 
dafs  Aristoteles  sagen  will  Sixä^ovat  navTss  sv  fielet  xXtiqcotoI  ovres  i^  anävTcav 
Ad'rivaiwv  nt.ql  nuvreov  imv  TiQay/xä'icov.  28  rrjv  exxXrjaiav  y.vQiav  elvat,  Ttävtcov 
i]  tav  fisyCoTOJv,  (iq%r.v  8e  jUT]Ssftiav  /irjSevls  rj  ort  oXiyiarcov  [xvgiav],  so  nach 
anderer  Vorgang;  fj  rcöv  fj.eyiarcov  ist  vor  dem  falschen  xvqLav  überliefert,  d.  h. 
was  ausgefallen  war,  war  am  rande  notirt,  und  die  zeile,  in  der  es  stand,  schlofs 
mit  dem  oberen  xvQiav. 

4)  Das  rquCßoXov  besteht  in  den  Ekklesiazusen,  und  die  einführung  des 
Soldes  durch  Agyrrhios  ist  bezeugt,  in  den  schollen  zu  ihnen  102.  aber  den  immer 
noch  kümmerlichen  besuch  der  Volksversammlung  bezeugt  jenes  drama  eben  so  wie 
die  durch  diese  diaeten  erzeugte  finanznot.  an  den  Herakleides  der  Inschrift  BGH 
XII  164  hatten  wir  auch  gedacht,  auch  A.  Wilhelm  hatte  an  sie  erinnert;  aber  es 
gelang  uns  weder  die  ergänzung  noch  die  deutung,  die  Köhler  (Herrn.  27,  68)  ge- 
liefert hat.  (z.  16  wol  zu  schreiben  es  re  t«s  anovSas  [röi  yevofiavas  xal  £ts] 
aXXo  ort  s7iayyi[Xsiav;  die  verschiedene  Schreibung  des  hybriden  s  hat  in  der  In- 
schrift selbst  belege),  danach  fällt  die  Inschrift  (d.  h.  die  bürgerrechtserteilung) 
einige  zeit  vor  391;  Herakleides  wird  im  gefolge  des  Konon  erschienen  sein,  der 
dialog  Ion,  der  den  Herakleides  als  Strategen  erwähnt,  kann  um  dessentwillen  vor 
anfang  der  achtziger  jähre  nicht  verfafst  sein,  mit  der  Jugend  des  Piaton  könnte 
man  also  seine  plumpheit  nicht  entschuldigen,  die  Goethe  mit  ehilicher  entschieden- 
heit  gekennzeichnet  hat.  aber  ApoUodoros  von  Kyzikos,  der  mit  Herakleides  als 
athenischer  Stratege  erwähnt  wird,  rückt  den  dialog  sehr  viel  tiefer,  denn  wer  ist 
er  anders,  als  der  Athener  ApoUodoros,  der  340  in  den  diensten  des  persischen 
Satrapen,  in  dessen  provinz  Kyzikos  lag,  Perinthos  entsetzt  hat  und  der  ehre  eines 


Die  elf  Verfassungen,     die  epliebie.  189 

eingeführt  war,   halte  Aristoteles  allerdings  einsehen  müssen,  dafs  sein 
früheres  urteil  falsch  war;  aber  nur  weil  er  früher  die  zurückdrängung 
des  rates  mit  den   diaeten  des  Volkes  combinirt  hatte,   steht  hier  über 
beides  eine  bemerkung.     denn  so  verständlich  diese  Verbindung  psycho- 
logisch ist,  so  wenig  ist  sie  objectiv  berechtigt,  da  eben  kein  zusammen- 
Ihang   zwischen    den   beiden    mafsnahmen    ist,    die   hier   neben  einander 
stehn.     wer  gern  interpretirt,   d.  h.  fremden  gedanken  folgt,  wird  sich 
an   der   stelle   ein  exempel  nehmen :    unzählige  male  wird  in  den  akro- 
)  amatischen  Schriften  athetirt  und  umgestellt,  um  der  dürren  logik  genüge 
t  zu  schaffen;  wie  aber  reden  wir  denn  auf  dem  katheder? 
I  Nun  geht  es  an  den  wichtigsten  teil  des  ganzen  biiches,  die  geltende 

i  Staatsordnung,  und  da  die  TtolixeLa  durch  die  rtoklTai  gebildet  wird, 
I  steht  eine  defmition  dieses  begriffes  an  der  spitze,  natürlich  die  juristische, 
]  die  er  im  dritten  buche  der  Politik  hinter  der  begrifflichen  zurückstellt 
!  (1275'').  wenn  sich  daran  die  modalitäten  schliefsen ,  wie  die  bürger- 
qualität  des  einzelnen  festgestellt  wird,  so  mag  das  noch  her  zu  gehören 
I  scheinen,  aber  die  ausführliche  Schilderung  der  ephebie  fällt  eigentlich 
!  aus  der  Staatsordnung  heraus,  sie  sondert  sich  auch  durch  die  bequeme 
;  und  wortreiche  behandlung  von  der  knappheit  des  folgenden. 

Die  prüfung  der  jungen  bürger  ist  den  alten  geschlechtern  und  bruder-  Die  ephebie. 
'  schaffen  ganz  entzogen:  die  cpQÜxeQeg  spielen  schlechthin  keine  rolle  mehr, 
I  wenn  sich  die  parteien  auch  vor  gericht  auf  ihr  urteil  noch  berufen  mögen.*) 
I  über  den  söhn  eines  Keryx  haben  nicht  die  über  viele  gemeinden  verstreuten 
Keryken,  sondern  die  gemeinde  seines  vaters  die  entscheidung.    offenbar 
war  die   alte   Organisation  so  verfallen,    dafs  die  Zugehörigkeit  zu  einer 
phratrie,  ob  sie  gleich  noch  länger  in  den  bürgerrechtsverleihungen  berück- 
sichtigt ward,   gänzlich    indifferent  war.     die  grofse  menge  wird  davon 


grabes  im  Kerameikos  gewürdigt  ist  (Pausan.  I  29  10)?  damit  ist  denn  auch  historisch 
bewiesen,  dafs  der  dialog  unächt  ist  und  alle  seine  anspielungen  auf  menschen 
und  gedichte  einer  ziemlich  ungeschickten  gelehrsamkeit  verdankt,  er  knüpft  ja  auch 
klärlich  an  Xenophons  Symposion  an. 

5)  Das  geschieht  noch  in  den  reden  wider  Eubulides,  Makartatos,  Leochares, 
aber  es  sind  immer  nur  argumente,  keine  wirklichen  beweise,  und  wenn  es  so  zu- 
gieng,  wie  in  der  letzten  rede  (41)  berichtet  wird,  dafs  ein  phrater  die  eintragung 
eines  erwachsenen  menschen  zu  beliebiger  zeit  vornehmen  konnte,  so  tat  das  gericht 
auch  gut,  diese  listen  gar  nicht  zu  berücksichtigen,  für  das  nähere  vgl.  die  bei- 
lage  'die  phratrie  der  Demotioniden'.  die  alte  Ordnung  hatte  das  geschlechterfest,  die 
Apaturien,  für  die  eintragung  der  kinder  bestimmt:  die  prüfung  und  einstellung  der 
epheben  ist  einen  monat  vorher,  mitte  Boedromion ,  fertig,  wie  die  lobdecrete  für 
die  entlassenen  und  ihre  lehrer  beweisen. 


190  I-    "•  Die  Verfassung. 

nichts  mehr  gewufst  haben,  wie  die  tnrba  minula  in  Rom  ihre  curie  nicht 
kannte,  aber  auch  die  demenregister  sind  nicht  mehr  rechtsverbindhche 
Urkunden:  das  treiben  von  gemeinden  wie  Hahmus  hat  es  dahin  gebracht, 
dai's  die  diaipr^cpioig,  die  346  noch  eine  ausnahmemalsregel  war,  jetzt 
eine  dauernde  institulion  ist.  um  die  kinder  kümmert  sich  selbst  die 
gemeinde  nicht  eher  als  bis  der  jüngling  18  jähre  ist,  und  dafs  er  das 
ist,  wird  nicht  bewiesen  mit  einer  gehurtsurkunde,  sondern  kraft  eines 
majoritätsbeschlusses  der  gemeinde  festgestellt;  wer  ihnen  nicht  nach 
18  jähren  aussieht,  mag  übers  jähr  wiederkommen,  vielleicht  erfährt  er 
dann,  wann  er  geboren  ist.  aber  selbst  darin  traut  man  der  gemeinde 
nicht;  der  rat  hat  die  superrevision ,  und  wenn  die  gemeinde  sich 
nach  seiner  meinung  über  das  alter  getäuscht  hat,  zahlt  sie  strafe. °J 
die  frage  nach  der  ächtbürtigkeit  entscheidet  positiv  die  gemeinde,  nach 
ihrem  negativen  verurteil  ein  gericht.  doch  verhert  der  an  dieses 
appellirende  die  freiheit,  ganz  ebenso  wie  in  jedem  andern  processe 
Beviag.  so  instruiren  denn  auch  in  allen  diesen  fällen  die  thesmotheten 
den  procefs.  überlegt  man  sich  diese  bestimmungen,  so  sieht  man,  dafs 
die  Athener  jener  zeit  zwar  ein  officielles  lebensalter  hatten,  aber  ihr 
faclisches  geburtsjahr  keinesweges  fest  stand;  vielleicht  beherzigt  das  die 
litteraturgeschichte.  geburtstage  können  nur  gelegenthch  wie  bei  Epikur 
und  in  seinem  kreise  geschichtlich  sein ;  Sokrates  und  Piaton  haben 
mythische,  die  frauen  kommen  für  den  Staat  nicht  in  betracht.  über 
die  ächtbürtigkeit  seiner  braut  mag  sich  jeder  selbst  informiren,  wichtig 
wird  sie  erst,  wenn  der  älteste  söhn  soldat  werden  soll,  oder  wenn  der 
mann  ein  amt  bekleiden  will,  das  eine  vollgültige  ehe  fordert,  es  ist 
eine  herzlich  unvollkommene  Ordnung,  gar  nicht  zu  vergleichen  mit  der 
des  geschlechterstaates.  aber  davor  war  man  allerdings  sicher,  dafs  eine 
aligemeine  prüfung  der  bürgerlisten  erforderlich  würde:  die  42  tafeln  vor 
dem  rathause  enthielten  die  namen  der  gesammten  bürgerschaft  zwischen  18 
und  60  jähren.")    aber  vielleicht  standen  325  noch  keine  42  da:  denn  diese 


6)  Der  scholiast  7u  den  Wespen  598  hat  sich  geirrt,  wenn  er  die  Soxiuaaia 
TiaiSiov,  an  der  sich  die  richter  delecliren,  mit  der  Aristotelesstelle  erklären  will, 
denn  nun  sollte  doch  jeder  sehen,  dafs  die  richterliche  prüfung  sich  nicht  auf  das  lebens- 
alter, sondern  auf  die  ächtbürtigkeit  bezog:  die  aiSola  der  knaben  bekam  nur  der  rat 
zu  sehn,  also  bleibt  es  dabei  (Kydath.  26),  dafs  Aristophanes  die  Soxi/iaaia  oqfpavLov 
meint,  die  gleichzeitig  der  oligarch  in  seiner  Hol.  Ad".  3,  5  den  richtern  zurechnet, 
und  da  unmöglich  alle  waisen  vor  gericht  gestellt  werden  konnten,  so  wird  man  auch 
nicht  darum  herum  kommen,  diejenigen  zu  verstehn,  die  der  staat  nährte  und  equipirte. 

7)  Die  krüppel  mögen  da  nicht  gestanden  haben;  dann  hatte  sie  aber  der 
rat  in  seinen  listen. 


i 


Die  ephebie.  191 

neue  Ordnung  ist  notwendig  später  als  die  letzte  nachweisliche  diaifJt]g)ioig, 
346-  das  doTH/ndKead^ai  elg  avögag,  das  lyygacpead^at  eig  tb  ?^rj^i- 
aQxiy-bv  yga/LiiiiaTelov  hat  freilich  immer  schon  am  eintritte  in  das  18 
jähr  stattgefunden ,  und  zwar  auch  am  anfange  des  bürgerlichen  Jahres 
im  demos,  und  die  scpsoig  elg  SixaoTrjQiov  hat  dem  ausgeschlossenen 
natürlich  freigestanden,  aher  von  einer  heteiligung  des  rates  verlautet 
nichts,  und  Euxitheos  konnte  dem  Eubulides  nicht  durch  die  stele  vor 
dem  rathause  den  nachwcis  erbringen,  dafs  er  ein  Halimusier  wäre;  die 
Zerstörung  der  gemeindeacten  von  Hahmus  hatte  ihm  den  nachweis 
seiner  dokimasie  unmöglich  gemacht,  vor  allem  aher,  die  jungen  leute 
wurden  mit  der  dokimasie  männer,  sie  verwalteten  ihr  vermögen  und 
führten  processe;  um  nur  einen  zu  nennen:  so  hat  es  Demosthenes 
gehalten.^)  die  ephehenordnung,  die  Aristoteles  schildert,  verwehrt  ihnen 
zwei  jähre  lang  jedes  processiren,  und  nur  darin,  dafs  sie  für  den  anfall 
eines  erbes  oder  einer  erbtochter  oder  eines  priestertums  mit  18  jähren 
mündig  sind,  zeigt  sich  die  nachwirkung  des  älteren  rechtes. 

Diese  ephehenordnung  ist  ein  wunderbares  ding,  ein  vom  volke 
gewählter  "ordnungswart^  an  der  spitze,  10  "^zuchtmeister^  unter  ihm, 
gewählt  auch  vom  volke,  je  einer  aus  3  von  den  Vätern  aus  einer  phyle 
durch  wähl  bestimmten  candidaten  in  dem  alter,  das  für  die  choregen  der 
'jnabenchöre  erfordert  war,  zwei  turnlehrer,  je  ein  lehrer  für  die  ver- 
schiedenen Waffen^),  erziehung  in  casernen,  auf  Staatskosten,  streng  von 
der  corruption  des  lebens  entfernt,  am  anfang  und  ende  des  recruten- 
jahres  eine  feierliche  ceremonie,  dann  ein  jähr  garnisonwachtdienst  und 
patrouillendienst:  das  ist  eine  Institution,  die  grell  von  der  iXetd^egia, 
der  TcaQQ)]Oiaj  dem  ^fjv  wg  av  Tig  ßorh^xai  absticht,  auf  die  die  dema- 
gogen  Athens  damals  so  stolz  sind,  wer  über  diese  Institution  nicht 
zuerst  den  köpf  schüttelt,  dem  ist  das  athenische  leben  und  denken 
vollkommen  fremd  geblieben,  mag  er  auch  dicke  bücher  darüber  ge- 
schrieben haben,  noch  vor  wenigen  jähren  würde  man  auf  den  ersten 
bhck  sich  berechtigt  gehallen  haben,  das  capitel  oder  das  buch  zu  athe- 
tiren ,  weil  es  eine  jüngere  Institution  schilderte,  wer  sie  kennt,  mufs 
wissen,  dafs  Piaton  und  Isokrates  davon  nichts  gewufst  haben,  dafs  der 


8)  Es  genügt  auf  Schäfers  Sammlungen  Demosth.  IIP  zu  verweisen. 

9)  Die  jungen  leute  lernen  mit  den  wafFen  der  schweren  und  der  leichten 
Infanterie  umgehn  (der  schweren  lanze,  dem  Wurfspeer  des  peltasten  und  dem 
bogen)  und  den  dienst  an  den  geschützen.  sie  lernen  aber  nicht  reiten  und  nichts 
für  den  seedienst,  das  zeigt  allein,  wie  sehr  sich  nicht  nur  seit  dem  fünften  Jahr- 
hundert, sondern  auch  seit  Xenophon  die  Verhältnisse  geändert  haben. 


192  !•    '•  ßie  Verfassung. 

Staat  die  erziehung  in  der  hand  hielt  und  studienräte  erwählte,  es  lassen  sich 
schlecht  für  eine  negative  behauptung  stellen  anführen ,  aber  man  lese 
den  Areopagiticiis,  der  die  sorge  für  die  evy.ooi.iia  an  der  alten  zeit  und 
dem  Areopage  preist:  konnten  damals  in  Athen  sophronisten  sein?  man 
lese  das  siebente  buch  oder  besser  alle  der  platonischen  Gesetze,  die 
immerfort  die  Jugenderziehung  im  äuge  haben  und  die  genauesten  Vor- 
schriften geben:  hat  Piaton  auch  nur  eine  ahnung  davon,  dafs  in  Athen 
gar  in  besonders  feierlicher  weise,  noch  sorgsamer  als  die  feldherrn, 
beamte  gewählt  würden ,  die  xocr^uorryg  und  ococpQOGvviq  der  Jugend 
pflegen?  ganz  zu  schweigen  von  der  zeit,  deren  abbild  in  den  sokra- 
tischen  dialogeu'")  und  der  älteren  komoedie  lebt,  die  doch  allerorten 
diese  Verhältnisse  berühren  müfsten :  nur  der  Axiochos  tut  es,  ein  Schrift- 
stück schwerlich  noch  des  dritten  Jahrhunderts,  man  überlege  sich  die 
jugeudgeschichte  aller  bekannten  personen:  erst  für  Epikuros  und 
Menandros  macht  ihre  ephebie  oder  besser  synephebie  epoche,  und 
ovvefprßoL  wird  in  der  neuen  komoedie  ein  beliebter  titel.  aber  noch 
mehr:  man  lese  Aischines  gegen  Timarchos,  wie  kratzt  er  aus  allen 
ecken  der  gesetze  die  belege  für  zucht  und  ehrbarkeit  der  Jugend  zu- 
sammen, hätte  er  wol  A\e,  •a(joq)QOVLOzaL  vergessen?  und  wie  replicirt 
Demosthenes  (19,  285),  als  er  um  den  hosen  stein  des  anstofses  herum- 
laviren  will,  den  der  process  des  Timarchos  für  ihn  bildete  "  niclit 
eure  Jugend  hat  Aischines  tugendhaft  machen  wollen  {oiocpqovag).  das 
sind  sie  noch,  gott  sei  dank,  und  möge  es  dem  vaterlande  nie  so 
schlecht  gehn,  dafs  sie  Aischines  und  seine  sippe  zu  tugendpredigein 
{oiocpQovLOTai)  brauchte.^'  als  witz  braucht  er  AsiS  v^ovi  ococpQovLOzui. 
durch  die  moraltriefende  rede  ist  Aischines  einer  geworden:  damals  gal) 
es  kein  durch  eine  doppelwahl  besetztes  öflentliches  amt  des  tilels,  und 
gab  es  überhaupt  die  sache  nicht  in  Athen,  und  noch  mehr:  Aristoteles 
zählt  am  Schlüsse  des  siebenten  buches  der  Politik  die  ämter  für  er- 
ziehung auf,  naiöovöfxoL,  yvfxvaolagxoi  u.  a,,  die  in  einigen  Städten, 
die  es  sich  erlauben  konnten,  exislirten;  da  ist  keine  spur  von  der 
attischen  ephebie  und  ihren  organen.  es  gehört  das  buch  wol  zu  den 
ältesten  teilen  der  Politik,  aber  es  ist  doch  immer  nach  338  geschrieben. 

10)  Z.  b.  Xenoph.  Mem.  3,  5,  dessen  rat  darauf  hinausläuft,  den  Athenern  die 
besetzung  der  passe  nach  Boeotien,  d.  h.  die  von  Oinoe  Panakton  Phyle  durch  leiclile 
Infanterie  zu  empfehlen  und  die  ausbildung  der  jungen  mannschaft  für  diesen  zweck, 
das  kann,  wie  E.  Schwartz  mit  recht  gesagt  hat,  erst  einige  zeit  nach  Leuklra 
geschrieben  sein,  damals  hat  selbst  der  dienst  der  nsQinoXoi,  den  er  in  den  JTöqoi 
und  die  eleusinische  Inschrift  von  353  kennt,  nicht  bestanden,  geschweige  irgend 
eine  militärische  ausbildung  der  Jugend. 


Die  ephebie.  193 

Man  kaon  es  Schoemann  nicht  verdenken,  wenn  er  die  sophronisten 
der  zeit  des  freien  Athens  absprach;  wir  können  jetzt  sagen,  dafs  die 
grammatikerzeugnisse  über  sie  einfach  auf  unsere  Pohlie  zurückgehn, 
und  aufser  dieser  existirt  in  der  lilteratur  vor  Demetrios  eine  einzige 
stelle,  die  auf  die  ephebie  in  dieser  gestalt  bezug  nimmt:  in  einer 
rede  des  harpalischen  processes.")  da  ist  es  denn  ein  glück,  dafs  die 
Inschriften  jüngst  zu  hilfe  gekommen  sind,  denn  während  Köhler  1879 
immer  noch  keine  belege  aus  der  zeit  der  10  phylen  hatte'-),  kennen 
wir  jetzt  ein  weihgeschenk,  das  die  epheben  der  Kekropis  (zweiter  Jahr- 
gang) unter  Ktesikles  (334/3)  auf  der  bürg  bei  ihrem  phylenheros  auf- 
gestellt hatten,  und  das  die  belobigungen  für  sie  und  ihren  sophronisten 
enthält,  die  ihnen  vom  rate,  der  phyle,  der  gemeinde  Eleusis,  wo  sie 
in  garnison  gelegen  hatten'^),  und  der  heimatgemeinde  des  sophronisten 
zuerkannt  waren,  ihre  kameraden  von  der  Hippothontis  hatten  den 
eleusinischen  göttinnen  ein  entsprechendes  denkmal  geweiht'"*),  ebenfalls 
vom  rate  und  sogar,  wie  es  scheint,  vom  volke  bekränzt,  und  auf  diesem 
steht  ein  lobdecret  der  Eleusinier,  ausführlicher,  weil  ihre  eigenen 
jungen   darunter  waren. '^)     damit  sind  wir  mit  der  unteren  grenze  für 


11)  Deinarchos  3,  15.  das  volk  hat  in  der  epicheirotonie  dem  Strategen  Philokles 
die  djtijus^Bia  tcÜv  syrjßeov  abgenommen,  er  war  arQazTjyds  inl  3Iovvixcccv ,  wo 
die  eine  hälfte  der  epheben  des  ersten  Jahres  lag.  da  noch  ein  zweiter  Stratege  im 
Peiraieus  war,  hat  also  das  volk  wol  diesem  die  fürsorge  für  alle  übertragen,  dafs 
mit  dem  obersten  polizeibeamlen  die  jungen  leute  confllcte  bekamen,  ihre  väter  in 
der  ekklesia  lärm  schlugen  und  der  beamte  gemafsregelt  ward,  ist  leicht  begreiflich: 
ich  könnte  pikante  analogieen  aus  der  gegenwart  anführen,  dafs  Philokles  kosmet 
gewesen  wäre  oder  ein  ar^aTrjybs  eni  lovs  itpi^ßovs  bestanden  hätte,  sind  offenbare 
irrtümer.  —  wie  es  nicht  gar  zu  viel  später  die  epheben  im  Peiraieus  trieben, 
lehrt  der  Eunuchus  des  Terenz-Menander:  Chaerea  und  Antipho  sind  offenbar  dort 
stationirt;  Chaerea  darf  eigentlich  gar  nicht  in  die  Stadt  (987). 

12)  Mitteil.  IV  317,  die  wichtigste  behandlung  des  gegenständes;  Foucart  hat 
ihn  kaum  gefördert. 

13)  Bull.  Corr.  Hell.  XIII  260  =  z/^t.  89,  10. 

14)  Das  zeigt  der  fundort;  die  weihinschrift  kann  ich  nicht  befriedigend 
ergänzen,  ^E(f.  aQx-  90,  91.  es  ist  bemerkenswert,  dafs  die  dedication  der  Hippo- 
thontis nicht  an  Hippothon  erfolgt:  das  phylenheiligtum  war  nicht  in  dem  orte, 
vgl.  II  cap.  6. 

15)  Diese  dinge  gieng  auch  ein  beschlufs  des  demos  Peiraieus  (?)  an,  von  dem 
hoffentlich  noch  mehr  lesbar  ist,  als  im  JeXriov  1S89,  47  mitgeteilt  wird,  man 
erkennt  2  aa)q>Qo[viar-  5  —  fJiov  Tsyvet  oiS[s  firixuvei  oiSsfiiäi  6  orav]  Se  o  eviavroe 
e^läXd'T]  7  nQoyQÜipeiv  tts  8  cot  eviavröJi,  aqyovzai  9  S7tiju£li]d'7ivat  idv  i{(prjßa)v'! 
10  azEfävcoi  Kai  Sörco  eis  a[vaYQa(pfiv  11  ovzos  eTiiftskrjd'rjVal  12  are]yavcoaäTCO 
avrov  6  Srjfi{os    13   ara  tcov  auxfQOviaxcov    14  v  ö[<7T^aT]i?yoS  o  E\nl, 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles  I.  13 


194  I.    7.  Die  Verfassung. 

die  einführung  dieser  ephebie  bis  auf  335  gekommen ,  für  das  gesetz 
auf  das  verjähr,  das  ist  so  nahe  an  der  oberen  grenze,  dafs  ich  nicht 
anstehe,  diese  auf  lange  zeit  ohne  analogie  dastehende  ehrung  der  aus- 
gedienten epheben  der  freude  über  den  ersten  glückhchen  abschlufs 
eines  curses  zuzuschreiben  und  die  wichtige  tatsache  zu  erschhefsen, 
dafs  die  zeit  der  grofsen  reformen  im  jähre  von  Pliihppos  tode  den  ver- 
such einer  reform  der  Jugend,  der  verstaathchung  des  mihtärisch-sitt- 
Hchen  erziehungswesens,  gemacht  hat.  die  Säuberung  und  Sicherung 
der  bürgerschaft  sollte  bei  wege  mit  erreicht  werden,  auch  der  antrag- 
steller  scheint  noch  kenntlich.  Harpokration  hat  unter  ^ETtL^QccTrjg  nach 
dem  demagogen,  gegen  den  Lysias  geschrieben  hat,  eregog  ov  f.ivr]f.iov€V€i 
^vxovgyog  kv  tm  neql  öioixrjoswg  ksywv  log  la'kv.ovg  lorä^rj  dia 
Tov  v6/.wv  Tov  Ttegl  tiov  Icprjßiov,  öv  cpaat  xexT^d^ai  ralavTcov 
l^ay.oGiiov  ovoiav.  wie  Avürde  sich  der  alte  Isokrates  gefreut  haben, 
wie  merkwürdig  mufste  es  aber  auch  dem  Aristoteles  sein:  denn  un- 
möglich kann  man  verkennen ,  dafs  es  die  forderungen  der  Sokratiker 
waren,  die  jetzt  die  demagogen  in  ihrer  weise  zu  erfüllen  suchten. 
Piatons  Gesetze  haben  die  ephebie  erzeugt,  das  demokratische  Athen 
hat  sie  freilich  nicht  mehr  retten  können ;  sie  bat  in  wenig  jähren  den 
obligatorischen  Charakter  verloren,  auch  ein  dienstjahr  eingebüfst,  ist 
im  dritten  Jahrhundert  immer  mehr  verfallen :  aber  im  zweiten  neu- 
belebt hat  sie  wesentUch  das  gedeihen  Athens  begründet,  nicht  blofs 
das  materielle,  sondern  auch  seine  geistige  Stellung  bis  auf  die  tage 
lustinians.  es  ist  hübsch,  dafs  doch  die  leute  des  Lykurgischen  kreises 
mit  band  angelegt  haben,  den  alten  freistaat  der  Athener  umzuformen 
in  die  univer!>itätsstadt  und  die  Stadt  der  freien  Wissenschaft,  aber  die 
geschichtliche  bedeutung  der  neuerung  zu  beleuchten  wird  sich  noch 
eine  andere  gelegenheit  bieten:  hier  ist  das  wichtige,  dafs  Aristoteles 
eine  vor  seinen  äugen  neu  eingeführte  Institution  schildert,  natürlich 
auf  grund  eigener  beobacbtung.  auch  ist  nirgend  formelhafte  urkunden- 
sprache;  das  capitel  klingt  viel  frischer  und  lebhafter  als  alles  folgende. 
Die  darstellung  der  Verfassung  reicht  in  gleichem  tone  von  43 — 61. 
das  62  capitel  bringt  dann  einige  wichtige  allgemeine  punkte  nach, 
erstens  über  die  art,  wie  die  losung  der  beamten  statt  fand,  zweitens 
üesoi-  über  die  besoldungen,  die  der  Staat  an  einzelne  beamte  zahlt,  drittens 
das  verbot  der  Iteration  aller  civilämter  mit  ausnähme  des  rates,  in  dem 
man  auch  nur  zweimal  sitzen  darf,  es  sind  das  alles  fundamentalsätze 
für  die  demokratie,  wie  schon  die  vergleichung  des  oben  citirten  capitels 
der   Politik    zeigt,      sie    correspondiren    auch    mit    der  bemerkung  am 


düngen. 


l 


Besoldungen.  195 

Schlüsse  des  historischen  teiles,  dafs  das  demokratische  prinzip  stätig 
gewachsen  wäre,  wofür  die  hesoldung  der  eiiklesie  ein  beleg  war.  ohne 
dal's  direct  darauf  zurückgedeutet  würde,  lernen  wir  hier  die  Steigerung 
von  V2  drachme  zu  Agyrrhios  zeit  auf  eine  ganze,  und  für  die  Y.vQia 
h-Alr^oLa  gar  172.  die  beteiligung  war  also  immer  noch  nicht  stark 
genug  gewesen,  und  es  ist  sehr  begreiflich,  dafs  man  einen  starken 
besuch  wenigstens  für  die  Sitzungen  herbeizuführen  strebte,  in  denen 
sonst  eine  geschickte  agitation  die  abselzung  eines  beamten  oder  die 
annähme  einer  tollen  eisangehe  mit  leichtigkeit  durchsetzen  konnte, 
wenn  nur  eine  genügende  herde  Stimmvieh  aufgetrieben  war.  aber  die 
Sätze  sind  allerdings  überraschend  hoch,  und  leider  fragt  man  vergebhch, 
seit  wann  sie  galten.'*')  das  herabdrücken  des  rates  spricht  sich  auch 
in  seinem  gegen  die  ältere  zeit  um  einen  obol  verringerten  sohle  aus, 
und  kläglich  erscheint  uns,  dafs  der  konig  von  Athen  statt  der  alten 
yiqa  auf  4  obolen  gesetzt  ist.  die  naturalverpflegung  ist  durchgehends 
beseitigt;  für  die  apparitores  der  archonten  hat  man  sie  nur  bestehn 
lassen,  weil  sie  da  den  beamten  oblag,  sie  bestand  dagegen  für  die 
ehrenstellen  der  OiTOVj.uvoL  ev  TtQvravsUo,  sowol  die  dauernden  wie 
die  gelegenthch  geladenen  gaste  des  Volkes,  und  es  ist  ein  unwider- 
sprechliches  zeichen  für  die  flüchtigkeit ,  mit  der  Aristoteles  hier  zu- 
sammenstellt was  ihm  gerade  einfällt,  dafs  er  von  dieser  kategorie  nur 
die  athlotheten  nennt,  die  doch  nur  alle  vier  jähre  3V2  wochen  gespeist 
wurden,  sie  waren  ihm  von  der  kurz  vorher  gehenden  Schilderung  ihrer 
amtsbefugnisse  im  gedächtnis"),  und  ein  gleiches  gilt  von  dem  salami- 
nischen  archon  (vorher  erwähnt  54,  8),  dessen  erwähnung  die  andern 
provinzialbeamten  nach  sich  zog,  ohne  dafs  doch  auch  nur  deren  titel 
genau  angegeben  würden,  obwol  61,  6  nur  der  T/c/taQxog  sie  ^rji-ivov 
erwähnt   war.'^)     somit   ist   leider   dieser   paragraph   weder   für  die  be- 

16)  Für  unerlaubt  halle  ich  es,  an  dem  texte  zu  ändern,  weil  die  sache  uns 
neu  ist,  am  wenigsten  berechligung  hätte  ein  höherer  sold  für  die  nooeSooi,  die 
aus  den  ratsherrn  (den  erschienenen  natürlich)  ausgelost  werden  und  nicht  länger 
zu  tun  haben  als  jeder  teilnehmer  der  sitzung. 

17)  Es  scheint,  dals  er  den  satz  über  die  athlotheten  wirklich  ganz  unorganisch 
eingeschoben  hat,  so  dafs  nun  die  construction  zerrissen  ist,  die  eigentlich  so  be- 
rechnet war  Xajxßavovßiv  &'  a^/oprss  —  ensir^  a.Q%wv  eis  ^aXnfüva  —  afiyixrvoves 
eis  JfjXov  —  Xafißävovai  Si  xai  oaai  anoatiXkovrai,  — .  indem  der  satz  o&Xod'ixai 
Ssinvovai  zwischen  den  archon  und  die  amphiktionen  trat,  verloren  letztere  ihr  verbum 
finitum  und  wurden  die  ersichtlich  eine  gruppe  bildenden  provinzialbeamten  zer- 
sprengt, ich  möchte  also  Blafs  darin  folgen  und  nicht  mehr  den  stilistischen  fehler 
durch  conjectur  beseitigen:  denn  der  fehler  der  anordnung  bleibt  ja. 

18)  Nicht  einmal  die  zahl  der  amphiktionen  nennt  er,  und  was  bei  ihnen  steht, 

13* 


196  I-    '•  I*i^  Verfassung. 

rechnung  des  budgels'^)  uoch  für  eine  Schätzung  der  amtseinkünfle  der 
allischen  beamten'")  zu  gründe  zu  legen,     wie  grell  er  mil  den  20  000 


fehlt  bei  den  behörden  der  kleruchengemeiriden,  nämlich  dafs  die  provinzialen  den  sold 
zahlten,  und  doch  mufs  man  das  annehmen,  denn  in  Lemnos  zahlen  die  kleruchen 
selbst  den  sold  der  reiter  (Hypereides  für  Lykophr.  14).  cavallerie  braucht  man  auf  der 
insel  nicht,  vielmehr  waren  für  die  sländige  garnison  der  insel  leute  aus  der  reiterei 
ausgehoben,  weil  diese  eine  ständige  truppe  war;  hoplilen  dx  xuTuXöyov  mag  das 
vierte  Jahrhundert  nicht  alljährlich  mobil  machen,  dafs  man  auf  Lemnos  (und  ähn- 
lich auf  Imbros)  eine  so  starke  besatzung  brauchte,  dafs  ein  oberst  hingieng,  zeugt 
wol  für  eine  bedeutende  Untertanenbevölkerung.  CIA  II  14  ist  durch  die  Zerstörung 
leider  bisher  allzuwenig  verständlich,  die  reiter  von  Salamis  CIA  II  962  können 
nach  Foucarts  bemerkung  BGH  XllI  268  trotz  den  demotika  keine  attischen  bürger 
sein,  weil  Salamis  damals  nicht  attisch  war.  da  haben  wir  wieder  die  Schwierig- 
keit, die  ich  Herni.  22,  245  hervorgehoben  habe,  und  deren  lösung  noch  nicht  aufsei 
zweifei  steht. 

19)  Es  fehlen  alle  ausgaben  für  den  cultus,  zu  dem  die  spiele  gehören,  und  der 
ganze  militärische  sold,  der  doch  z.  b.  für  die  paraden  (Isokr.  7,  82)  und  die  staats- 
pferde  ständig  war.  allerdings  mufs  zugegeben  werden,  dafs  Aristoteles  darüber  vielleicht 
in  den  capiteln  über  den  Ta/jias  ar^ancorixcöv  und  die  eni  to  &ea>Qixcv  gehandelt  hatte. 

20)  Es  ist  ein  empfindlicher  mangel,  dafs  wir  die  factischen  ertrage  der  ämter 
nicht  kennen,  ja  nicht  einmal  wissen,  in  wie  weit  das  gesetz  feste  besoldung  oder 
bestimmte  sportein  vorsah,  oder  in  wie  weit  die  ertrage  'usancemäfsig'  waren,  wo 
denn  allerorten  weder  die  pecuniäre  noch  die  moralische  scala  eine  feste  ist.  neben 
den  wenigen  fest  besoldeten  einzelposten  und  den  ratsherrn  und  richtern,  aus  denen 
nicht  wenige  beamtencollegien  genommen  und  entsprechend  besoldet  werden,  stehn 
z.  b.  die  Schiedsmänner,  die  auf  die  sportein  der  processirenden  parteien  angewiesen 
sind  (Harp.  naQÜaraais ,  Poll.  8,  127).  unzweifelhaft  einträglich  und  zwar  auf  ge- 
setzliche ertrage  angewiesen  müssen  die  executivbeamten  der  polizei  gewesen  sein, 
obwol  wir  das  nähere  gar  nicht  wissen,  denn  Aristoteles  {Z  1322  ä)  sagt  ganz  im 
allgemeinen,  dafs  sich  bewerber  für  diese  notwendigen  posten  nur  durch  starken 
gewinn  beschaffen  liefsen,  und  er  lobt  es  besonders,  dafs  in  Athen  die  elf  nur  die 
leibesstrafen  vollstrecken,  nicht  auch  die  geldstrafen  einziehn,  weil  so  die  gehässig- 
keit  verteilt  würde,  die  von  uns  gewöhnlich  unter  die  beamten  gezählten  nqm- 
Toqss,  deren  geschält  das  einziehen  der  geldstrafen  war,  kommen  in  der  Politie  nicht  vor ; 
sie  gehören  also  ganz  sicher  zu  den  subalternen,  herolden,  flötenspielern,  unterschreibern 
u.  s.  w.,  die  natürlich  bezahlt  werden,  und  zwar  aus  den  bureaufonds  der  einzelnen 
beamten  oder  direct  von  denen;  und  bei  subalternen  erkennt  auch  die  gegenwart 
das  trinkgeld  als  eine  mehr  oder  minder  berechtigte  Institution  an.  das  gilt  vollends 
für  die  grofse  schar  unfreier  diener  {vnr/qerai),  die  namentlicii  allen  polizeibeamten 
zur  Verfügung  standen:  der  rührende  kerkermeister  des  Sokrales  ist  ein  exempel, 
und  die  Unterhaltungen  im  Kriton  und  Phaidon  belehren  am  besten  über  die  rechts- 
anschauung  der  Athener  in  diesem  punkte,  aber  das  XQW"^'"'  Tt^id^Eiv  gieng  sehr 
viel  weiter,  und  die  anschauung,  dafs  das  amt  den  mann  nährt,  mufs  als  die 
herrschende  anerkannt  werden:  xaQnoia&ai  ttjv  oq/criv  ist  eine  hübsche  wendung; 
es  wird  einem  nur  etwas  unbehaglich,  wenn  das  von  cassenbeamten  gilt,    d-eganeieiv 


Besoldungen,     iteration  der  ämter.  197 

kostgängern  des  reiches  contrastirte,  die  in  der  geschichtlichen  übersieht 
zusammengezählt  sind,  ist  dem  Schriftsteller  nicht  zum  bewufstsein  ge- 
kommen. 

Die  abhandlung  über  die  beamten  schhefst  mit  dem  grundsatze,  dal's  Iteration  der 
die  iteration  nur  für  die  ratsherrn ,  für  alle  andern  civilbeamten  nicht 
einmal  sie  gestattet  war.  Aristoteles  hatte  dies  prinzip  schon  früher  als 
charakteristisch  für  die  demokratie  erfafst  (anm.  3),  darum  stellt  er  es 
an  diesen  bedeutsamen  platz,  aus  seiner  kenntnis,  nicht  aus  einem  gesetze. 
denn  schwerhch  formuhrten  die  gesetze  diese  allgemeinen  grundsatze,  deren 
es  noch  andere  gab,  die  hier  füglich  auch  stehn  sollten,  das  verbot  der 
cumulirung^')  und  die  forderung  des  zurückgelegten  dreifsigsten  lebens- 
jahres.")  diese  bestimmungen  müssen  allerdings  in  den  Verordnungen 
über  jedes   einzelne   amt   gestanden   baben'^),    aber  dafs  die  redner  sie 


Tov  a(>;i;oj^Ta  ist  auch  hübsch;  zumal  von  den  demagogen  gilt  es  (schon  in  der  zeit 
des  Reiches  Thuk.  3,  11):  eine  proxenie  hat  auch  das  mit  dem  orden  gemein,  dafs 
sie  zu  Zeiten  geld  in  eine  hohle  band  verlangt,  die  reden  vom  kränze  enthüllen 
da,  unbeschadet  der  unglaubwürdigkeit  in  jedem  einzelnen  falle,  eine  höchst  eigen- 
tümliche orientalische  moral.  höchst  naiv  redet  auch  prooemium  55  der  demosthe- 
nisclien  Sammlung,  vgl.  die  beilage  darüber,  natürlich  gab  es  seltsame  käuze,  wie 
Ephialtes  Lamachos  Phokion,  die  andere  begriffe  hatten;  aber  dann  ist  die  be- 
wunderung  mistrauisch:  wenn  Timotheos  statt  sein  väterliches  erbe  zuzusetzen,  mit 
vollen  beuteln  heimgekehrt  wäre,  hätten  die  heliasten  eher  ein  einsehen  gehabt,  und 
Aristophanes  hat  für  die  schulden  des  wackern  Lamachos  nur  spott  übrig,  den 
oligarchen  war  der  sold  ein  willkommener  gegenständ  des  angriffs  auf  die  demo- 
kratie, und  sie  haben  ihn  411  abgeschafft,  das  hiefs  das  kind  mit  dem  bade  aus- 
schütten, und  es  ist  eine  schnöde  bosheit,  wenn  der  ältere  Verfasser  der  UoliTeia 
läd'Tjvaiiov  gar  sagt,  die  ämter  wären  blofs  um  der  emolumente  willen  da  (man 
soll  ihm  die  bosheit  nicht  wegschneiden  1,  3  onSaat  S^  eiaiv  aQ^al  fiiad'ocpoQias 
'dvetca  xal  wfeUas  eis  rov  olxov):  in  Wahrheit  ist  ihre  ganze  sittliche  entrüstung 
unangebracht;  sie  wollen  nur  die  staatlichen  ämter  den  wolhabenden  reserviren, 
die  dabei  mit  nichten  zuzusetzen  beabsichtigten. 

21)  Einen  fall  der  cumulirung  mufs  die  Verfassung  gestattet  haben,  nämlich 
eines  jahramtes  und  des  sitzes  im  rate  auf  dem  Areshügel,  sonst  hätte  die  be- 
kleidung  jeder  archontenstelle  der  politischen  carriere  ein  ende  gemacht.  Themi- 
stokles  und  Aristeides  wenigstens  sind  als  Areopagiten  noch  zum  feldherrnamt  ge- 
kommen und  haben  viele  aufserordentliche  commissionen  bekleidet. 

22)  So  weit  diese  gegolten  hat,  was  vieüeicht  nur  von  den  aus  richtern  ge- 
wählten oder  richtern  Vorsitzenden  beamten  der  fall  war.  für  diese  ist  sie  eine 
zwingende  folgerung. 

23)  So  erwähnt  Aristoteles  die  analogen  bestimmungen  für  den  Vorsitzenden 
der  prytanen  (44,  1)  und  die  proedren  mit  ihren  versitzenden  (44,  3).  das  verbot 
der  iteration  wird  bezeugt  von  den  vTtoyoafifiariqs  (sehr  seltsam,  da  das  ein  stand 
ist:  ich  kann  die  erforderliche  distinction  nicht  finden)  Lys.  30,  29,  von  den  avvri- 


198  '•    "•  Die  Verfassung. 

immer  nur  von  einzelnen  erwähnen,  zeigt,  dafs  die  aristotelische  ab- 
straclion  schon  mehr  war,  als  das  allgemeine  bewufstsein  selbst  der 
gesetzeskundigen  enthielt. 

Auch  den  ersten  paragraphen  dieses  capitels  sehe  ich  als  eine  selb- 
ständige bemerkung  des  Aristoteles  an.  er  unterscheidet  darin  zwei 
classen  von  losbeamlen,  die  mit  den  archonten,  er  sagt  nicht  wo,  er- 
losten, die  aus  der  ganzen  phyle,  d.  h.  wenigstens  die  archonten  auf 
praesentation  der  phylen''^),  erlosten,  und  die  im  Theseion  auf  praesen- 
tation  der  demen  erlosten,  für  uns  ist  die  Unterscheidung  dieser  classen 
ungemein  wichtig,  er  aber  wollte  nur  die  neuerung  hervorheben,  dafs 
die  letztere  classe  jetzt  auf  die  ratsherrn  und  die  Wächter  beschränkt 
wäre,  weil  die  demen  sich  bestechen  liefsen.  das  ist  ihm  wertvoll,  weil 
es  seinen  satz  (41,  2)  bestätigt,  dafs  die  demokratie  gezwungen  war,  alles 
im  plenum  abzumachen ,  da  die  kleineren  kreise  unzuverlässig  waren, 
und  weil  in  der.  beseitigung  der  praesentation  der  candidaten  eine 
Stärkung  des  demokratischen  prinzipes  liegt. 
Wächter.  Für  uns  ist  hiej"  zunächst  überraschend,    dafs  es  eine  zahlreiche 

durch  auslosung  auf  praesentation  der  demen  bestellte  wächterkörper- 
schaft  gegeben  hat,  die  cpqovQoL,  von  denen  wir  gar  nichts  gewufst 
hatten.  Kenyon  hat  sie  mit  den  cpqovQol  vemqLojv  identificirt ,  die  in 
der  Übersicht  der  reichskostgänger  für  das  fünfte  Jahrhundert  vorkommen, 
aber  da  gerade  der  diakritische  genetiv  fehlt,  so  verlangt  man  einen 
weiteren  Wirkungskreis,  und  es  geht  auch  hier  wie  meistens;  sobald 
man  ein  neues  licht  hat,  sieht  man  spuren,  die  man  vorher  verkannte. 
Aristoteles  lobt  es,  dafs  in  Athen  die  gehässige  aufgäbe  der  sicherheits- 


yoQOi  Demosth.  20,  152,  aarvvöfioi  [Dem.]  prooem.  55,  3,  rafiias  azQartcorDcäJv 
(der  gemeint  sein  mufs)  [Plutarcli]  vit.  Lycurg.  271  West,  im  riclitereide  (Dem. 
24,  150)  stellt  allerdings,  als  instruction  für  die  dokimasie,  sowol  das  verbot  der 
ileration  wie  das  der  cumulirung  allgemein,  das  lebensalter  beschwört  der  richter 
für  sich:  so  ist  es  wol  auch  bei  den  beamten  gehalten,  der  eid  ersetzt,  wie  so  oft,  das 
document,  hier  die  geburtsurkunde.  seit  die  ephebenlisten  bestanden,  war  das  alter  der 
bürger,  die  eine  politische  carriere  machen  wollten,  in  den  meisten  fällen  notorisch. 
24)  Wir  Itennen  das  genauer  nur  für  die  archonten  (8,  1),  für  die  aus  den  candi- 
daten, die  sich  bei  der  phyle  gemeldet  hatten,  10  ausgelost  wurden,  die  sie  praesentirte 
(dafür  ist  der  technische  ausdruck  früher  nQoxQiveiv,  später  (piQEiv),  und  aus  diesen 
10  erloste  der  wahileitende  beamte  einen,  es  ist  wol  gestattet,  dieselbe  analogie 
für  die  andern  zehnercollegien  der  gleichen  classe  anzunehmen,  doch  mag  nicht 
immer  die  gleiche  zahl  praesentirt  sein,  bohnen  scheinen  erst  zur  zweiten  losung 
angewandt  zu  sein  (übrigens  auch  für  die  losung  der  andern  classe),  denn  8,  1  ist 
xXtjqovv  und  xva/isveiv  unterschieden,  bei  dem  ersten  acte  konnte  spärliche 
meidung  von  candidaten  das  los  illusorisch  machen. 


Wächter.  199 

polizei  auf  viele  ämter  verteilt  sei,  z.  b.  die  elf  die  leibesstrafen  voll- 
strecken, die  geldstrafen  andere  einziehen,  es  wäre  gut,  wo  es  epheben 
oder  (pQovQol  gäbe,  einen  teil  des  wäcbteramtes  diesen  zu  übertragen 
(Z  1322'  28).  Xenophon  erwartet  von  seinen  finanzvorschlägen  (4,  52) 
einen  so  hoben  ertrag,  dafs  man  den  jungen  leuten  die  praemien  der 
fackelläufe  erhöhen  könnte,  und  ol  q)QovQ€lv  ev  xolg  cpqovQLOig  oi  te 
fcelrd^eiv  xal  TteQLTtoXüv  ttjv  xiogav  Terayf-iivoi  würden  auch  ihres 
soldes  sicher  sein.  Piaton  verordnet  für  seinen  staat  (760''),  dessen  land 
unter  die  12  phylen  verteilt  ist,  die  wähl  von  5  ayQov6/.ioi  t]  cpQovQaqxoi, 
von  denen  wieder  jeder  sich  12  junge  leute  aus  den  altersclassen  25 — 30 
als  (fQovQoL  wählen  kann,  die  den  Sicherheitsdienst  und  weitere,  speciell 
platonische,  pflichten  des  öffentlichen  Interesses  auf  zwei  jähre  zu  ver- 
sehen haben,  diese  stellen  kann  man  nicht  auf  die  epheben  allein  be- 
ziehen, die  erst  in  der  späteren  Ordnung,  die  Aristoteles  schildert,  zwei 
jähre  q^QovqovOi  (42,  4),  das  erste  im  Peiraieus  stationirt,  das  zweite 
in  den  andern  festungen  und  als  patrouillen.  denn  in  der  Politik  unter- 
scheidet er  sie  von  den  cpQovQoi,  und  Piaton  gibt  ein  höheres  lebens- 
alter  an,  fordert  den  dienst  auch  nicht  allgemein,  noch  viel  weniger 
kann  man  bei  Xenophon  an  rekruten  denken,  dagegen  würde  eine 
mannschaft,  ausgehoben  wie  es  Piaton  fordert  und  beschäftigt  nur  im 
gebiete  der  phyle,  keiuesweges  blofs  für  militärische  zwecke,  auf  das 
vollkommenste  zu  dem  passen,  was  man  von  den  (pQovqoi  erwartet,  die 
auf  praesentation  der  demen  ausgelost  wurden,  ein  mobiles  beer  hat 
Alben  nicht  aufser  den  rekruten ;  die  polizeimannschaft  der  ^xvd-ac  spielt 
im  vierten  Jahrhundert  keine  rolle  mehr,  die  schützen  zu  pferde  waren 
sicherlich  abgekommen,  andererseits  hat  das  land  jetzt  viel  mehr  grenz- 
wacben  nötig,  seit  Boeotien  eine  macht  und  auch  die  see  nicht  mehr 
athenisch  ist.  es  müssen  die  festungen  im  nordgebirge  und  die  ostküste 
hinunter,  am  saronischen  meere  aufser  den  grofsen  platzen  Eleusis  und 
Peiraieus  noch  Anapblystos,  besetzt  sein,  und  gegen  Megara  giengen 
wenigstens   patrouillen.^^)     mag   man    dazu    zunächst   die   rekruten  ver- 

25)  352  werden  zu  der  terminirung  des  lieiligeii  landes  die  nsqmö'kaQxoi,  zu- 
gezogen, Bull.  Corr.  Hell,  XIII  434,  19.  es  fragt  sich,  was  damals  die  ns^ino^-oi 
waren,  söIdner  wie  im  dekeleischen  kriege  und  vielleicht  schon  424  (Thuk.  IV  67 
vgl.  Kydathen  22),  oder,  wie  ich  früher  für  424  annahm  und  immer  noch  möglich 
ist,  epheben.  denn  dafs  für  diese  der  ausdruck  nicht  nur  überhaupt,  sondern  eben 
in  jener  zeit  vor  der  sicilischen  expedition  galt,  zeigt  schol.  Aischin.  2,  167  'oiiTos 
iv  rols  (fQOvoiois  xoträJ^srai' .  EimoJ.iS'  'xal  rois  ns^moXovs  amsvats  ra.  <pQOVQia' 
Tots  sifi'ißois  yaq  TigoararaxTai  rrjv  %(jüQav  fiexa  röiv  onXcav  ■jiBQitgxead'ai.,  obwol 
nicht  zu   entscheiden  ist,   welcher  der  citirten  verse  von  Eupolis  ist.     nun  kommt 


200  '•    ^'  ^'^  Verfassung. 

wenden,  in  notfällen  der  OTQarrjybg  Inl  ra  onla  ein  aufgebot  machen, 
wie  es  Demoslhenes  gegen  Konon  schildert,  es  bleibt  ein  mangel;  die 
landgensdarmen  fehlen,  wozu  stehn  über  ganz  Attika  die  warttürme,  be- 
stimmt feuerzeichen  zu  geben,  zu  telegraphiren ,  wenn  keine  leute  da 
sind,  die  aufpassen?  wer  greift  den  entlaufenen  sclaven,  den  dieb  oder 
mürder?  ist  alles  der  Selbsthilfe  oder  dem  guten  willen  der  nachbarn 
freigegeben?  ferner,  wer  pafst  auf  die  landstrafsen ,  die  wasserläufe, 
die  capellen?  soll  auch  das  nur  der  einzelne  tun  oder  lassen,  wie  er 
will?  denn  die  gemeinde  hat  oft  genug  ein  dem  allgemeinen  entgegen- 
laufendes Interesse,  fängt  sich  gern  das  wasser  ab  und  wünscht,  dafs 
die  reisenden  wegen  schlechten  weges  Station  machen,  da  ist  eine  lücke 
in  der  attischen  Organisation,  es  ist  mir  zweifelhaft,  ob  die  Wächter  sie 
gut  gefüllt  haben,  denn  die  demokratie  denkt  immer  vorwiegend  an  die 
Städter.  Piaton  hat  erkannt,  was  not  tat;  aber  er  bildet  nur  eine 
beimische  inslilution  weiter,  es  war  ja  auch  nicht  schwer,  eine  mäfsige 
zahl  aus  den  jüngeren  Jahrgängen  des  katalogs  auszulosen,  die  in  den 
demen,  zum  teil  auch  an  warltürmen  und  castellen,  den  sicherbeitsdienst 
und  die  aufsieht  über  die  anlagen  des  Staates  führten;  Verteilung  nach 
demen  und  sohl  waren  dabei  selbstverständlich,  dafs  wir  diese  leute 
selten  erwähnt  finden ,  noch  seltener  von  wirklich  militärischem  auf- 
gebote  sprechen  können,  ist  nicht  wunderbar;  vielleicht  findet  man  auch 
noch  mehr  belege. 
Zweiciassen  Dafs  wir  zwei  classen  von  losbeamten  kennen  lernen,  ist  noch  viel 

losbeamien. merkwürdiger;  ich  kann  nicht  umhin,  dabei  zu  verweilen,  die  Vertretung 
der  demen  im  rate  war  freihch  jüngst  durch  die  prytanenlisten  bekannt 
geworden,   aber  man  fragt  nun,   welches  sind  die  beamten,  die  früher 


aber  die  oben  angeführte  stelle  des  Xenophon  in  betracht,  die  355/4  geschrieben 
ist  und  schlechterdings  nicht  auf  andere  als  Athener  bezogen  werden  kann;  auch 
war  352  das  geld  viel  zu  knapp,  als  dafs  man  ein  söldnercorps  von  ne^lnoXot 
gehalten  hätte,  also  sehe  ich  in  den  peripolarchen  die  militärischen  vorgesetzten 
der  epheben,  die  natürlich  nicht  mehr  existiren,  als  es  sophronisten  gibt,  dafs  den 
Offizieren,  die  die  grenzen  abzupatrouilliren  haben,  die  neuen  grenzsteine  gezeigt 
werden,  ist  in  der  Ordnung,  dagegen  in  der  spätem  zeit  sind  die  peripolarchen 
attische  offizieie,  unter  denen  fremde  ar^ancörat  stehn,  CIA  II  120S  (Eleusis,  dedi- 
cation  der  Soldaten  für  mehrere  peripolarchen)  '£'gf.  a^x-  88,  21  (denienbeschlufs 
der  Eleusinier  für  den  peripolarchen  Smikythion),  diese  beiden  aus  den  zeiten  der 
könige  Kassandros  oder  Demetrios,  'Eip.  aQx-  91,  61  (Rhamnus,  dedication  der 
Soldaten  für  einen  Strategen  und  einen  peripolarchen,  aus  späterer  zeit  des  dritten 
Jahrhunderts;  nach  diesem  steine  dürfte  II  1208  o'ilarQaiicoxai  alxetpavcoaavTes 
xov  ar^arriydv  xai]  rovs  neQinoXÖQX'^'^^  [aqezris  i'texa  xni  8ixaioavv]T]S  nved'eaav 
[zolv  d'eoiv  zu  ergänzen  sein.) 


Zwei  classen  von  losbeamten.  201 

ebenso  bestellt  wurden?  zehnercollegien  können  es  natürlich  nicht  ge- 
wesen sein,  sondern  nur  zahlreichere,  von  denen  stehn  jedoch  nur  die 
vierzig  niänner  (früher  dreifsig  männer),  im  fünften  Jahrhundert  die 
dreifsig  logisten  und  etwa  die  lexiarchen  und  trittyarchen  zur  Verfügung: 
d.  h.  die,  in  denen  eigentlich  die  trittyen  zur  Vertretung  kamen.^^)  nur 
eine  kategorie,  allerdings  eine  sehr  wichtige,  kann  man  hierherziehn  ^'') : 
die  6000  richter,  die  zu  Aristoteles  zeit  aus  den  phylen  genommen 
wurden,  aber  dann  in  10  abteilungen  verlost,  so  dafs  in  jeder  die  phylen 
gleicbmäfsig  vertreten  waren ;  die  richtertäfelchen  tragen  den  demosnamen 
und  den  abteilungsbuchstaben,  auf  die  phyle  kommt  nichts  an.  für  die 
6000  lag  eine  praesentation  durch  die  demen  so  nahe  wie  bei  dem 
rate,  lag  wegen  des  einträglichen  und  vielbegehrten  geschäftes  der  ambitus 
auch  nahe,  und  die  comphcirte  Verteilung  der  richter  sammt  ihren 
täfeichen  ist  ja  notorisch  erst  im  vierten  Jahrhundert  eingeführt,  nimmt 
man  nun  an ,  dafs  die  richter  ursprünglich  von  den  demen  praesentirt 
wurden,  so  erstreckt  sich  diese  art  der  bestellung  in  Wahrheit  noch  viel 
weiter,  denn  die  festordnung  der  Hephaistien  (CIA  IV  p.  64)  hat  ge- 
lehrt, dafs  für  sie  die  hgoTtoioi  aus  den  richtern  genommen  wurden, 
und  diese  analogie  darf  man  verfolgen,  mindestens  alle  nur  für  einen 
bestimmten  engbegrenzten  Zeitraum  tätigen  beamten,  bleiben  wir  zunächst 
bei  den  UgonoioL  und  den  eTtifislrjzai,  so  weit  diese  nicht  gewählt 
wurden,  dürfen  als  richter  angesehen  werden,  und  es  ist  für  diese  leute 
damit  auch  die  frage  nach  ihren  diaeten  erledigt,  da  wir  aus  dem 
vierten  Jahrhundert  nichts  mehr  von  dieser  Verwendung  von  richtern 
hören,  auch  nunmehr  die  phylen  für  das  gericht  keine  rolle  mehr  spielen, 
sondern  die  misbräuchhch  phylen  genannten  abteilungen,  ist  diese  ein- 
richtung  in  fortfall  gekommen,  und  sind  jene  behörden  auf  andrem  wege 
erlost  oder  gewählt,  sehr  passend  ist  auch  das  wahllocal  für  ihre  auslosung. 
es  ist  das  Theseion,  nicht  der  tempel,  in  dem  immerhin  die  urnen  gestanden 
haben  mögen,  sondern  der  appellplatz:  man  bedurfte  eines  grofsen  freien 
platzes  für  die  menschenmenge.  aber  nun  scheinen  sich  Schwierigkeiten 
zu  erheben,  erstens  steht  im  richtereide,  dafs  niemand  zu  einem  amte 
zugelassen  werden  soll,  der  rechenschaft  schuldete  hsQag  aq^r^g,  /.al  räiv 
ivvea    aQxövrcov   xal    rov    UQO(.t.vri(.iovog   /.al    ooot   (.isra    ziov    evvia 


26)  Vgl.  das  capilel  Trittyen  und  Demen. 

27)  Die  demen  haben  487  für  die  erste  losung  der  archonten  500  candi- 
daten  praesentirt,  und  403  haben  sie  500  nomotheten  gewählt,  aber  das  waren 
ausnahmen,  sie  verlieren  nur  das  seltsame,  wenn  man  sich  gegenwärtig  hält, 
dafs  die  demen  so  den  rat  zu  allen  zeiten  gebildet  haben. 


202  !•    '•  Die  Verfassung.  , 

uQyövTiov   xvaf.i€L'OVTai   rfj    avvj]   (Reiske   für  ravTjj   t/))   rn-isQa   y.al  : 
xtlQV/.og  y.ai  Ttgsaßeiag  xal  owedgcov.    (J.  li.  es  ist  nicht  wählbar,  wer 
zu    den   heamten    der   ersten   aristotelischen    kategorie    gehört,    oder   in  i 
diplomatischer    niission    aufserhalb^*)   oder   in   dem   in   Athen   sitzenden  : 
bundesrate-*)  verwandt  ist.     es  fehlt  also  die  zweite  kategorie.     das  tut  ' 


28)  Solche  heiolde  müssen  dann  eine  viel  gröfsere  rolle  spielen,  sind  keine 
subalternen  und  sind  nicht  dauernd  beschäftigt  wie  Eukles  und  sein  geschlecht, 
es  gab  vvol  damals  diese  archaische  Institution  nicht  mehr,  die  durch  die  gesandt- 
schaften  ersetzt  war;  aber  Anlhemokritos  und  Melesippides  dürften  zeigen,  dafs  noch 
432  die  alte  rituelle  form  der  diplomatischen  missionen  vorkam,  und  für  religiöse 
Sendungen,  wie  die  Verkündigung  des  gottesfriedens  der  Olympien,  sind  immer 
herolde  verwendet,  hier  ist  die  formel  bewahrt  wie  in  der  geschäflsordnung  des 
Volkes,  wie  der  höchste  adel  das  heroldgeschlecht  umfafst,  und  doch  der  popa  auf 
griechisch  ein  xij^v^  ist  (Kleidemos  bei  Athen.  660),  so  ist  es  im  politischen  leben 
sowol  der  fetialis  wie  der  huissier.  in  der  alten  zeit  war  freilich  der  popa  selbst 
nichts  geringes.  AöXwv  ^Evurßeos  vios  ariQvy.os  &sioio  noXvxqvaoi  noXv^ctXy-os  Ä!  314. 
das  gealterte  Athen  hat  in  dem  xjjgv^  rrjs  sv  14oeico  näyco  ßovXTJs  wieder  eine  hohe 
würde  aus  dem  gemacht,  was  Euripides  als  XaiQsia  verachtete. 

29)  Wenn  der  eid  acht  ist,  so  kann  diese  erklärung  nicht  umgangen  werden, 
denn  aiveSgoi  können  als  keine  anderen  leute  genommen  werden,  während  eine 
behörde  des  namens  in  Athen  existirt,  und  keine  andere  bekannt  ist.  es  ist  freilich 
die  herrschende  meinung,  der  auch  Busolt  seine  früher  entgegengesetzte  ansieht 
gebeugt  hat,  Athen  wäre  im  bundesrate  nicht  vertreten  gewesen;  aber  wie  will  man 
dem  Zeugnis  entgehn?  ich  kenne  niemand,  der  altischer  aiveSgos  gewesen  ist,  und 
räume  ein,  dafs  die  Schilderung  des  Aischines  2,  86,  3,  74  den  eindruck  erweckt, 
als  wären  346  keine  Athener  im  bundesrate  gewesen,  andererseits  ist  ein  ausdruck 
ai'veBQoi  xiöv  ayfiuä^cov  mehrdeutig:  man  kann  darin  die  Unterscheidung  von  den 
aiveSQOi,  iwv  ^Ad'rjvaCojv  sehn,  wenn  diese  346  von  der  partci  des  Demosthenes 
waren,  so  waren  sie  keine  zeugen  für  Aischines.  und  der  ausdruck  avfifiaxoi,  selbst 
schliefst  die  Athener  weder  notwendig  immer  aus  noch  ein:  das  tut  er  nur  in  dem 
munde  des  Atheners  vor  Athenern,  das  tut  er  auch  in  den  Zeiten  des  Reiches;  aber  als 
dessen  awiSqiov  in  Delos  war,  mufs  Athen  doit  vertreten  gewesen  sein;  damals  mufs 
also  avfifiaxoi-  auch  alle  umfafst  haben,  den  vorort  inclusive.  346  waren  nur 
geringe  so  gut  wie  abhängige  inseln  neben  Athen  im  bunde;  aber  als  Theben  Euboia 
Giiios  Rhodos  u.  s.  w.  darin  waren,  kann  Athen  unmöglich  auf  eine  Vertretung  im 
bundesrate  verzichtet  haben:  die  ganze  Stiftung  will  ja  einen  bund  ohne  vorort  schaffen, 
und  nun  sehe  man  in  der  Stiftungsurkunde  (CIA  II  17,  41)  "wenn  ein  Athener  in 
einer  bundesstadt  grundbesitz  erwirbt,  i^elvai  icö  ßovXofievoit  riöv  av/u/iaxcov  iptjvat 
TiQoS  ToiiS  awtSgos  rcöv  av(i(id-/^cov,  oi  §s  ovveSqoi  anoSö/isvoi  dnoSüvrcov  t6  (lev 
i\fivav  Tüji  (fqvavTi,  zo  8s  aXXo  xoivov  earco  rcöv  aruftäy^cov^  sollen  wir  da  das  letzte 
so  fassen,  dafs  es  einen  besitz  der  bundesgenossen  exclusiv  Athens  gibt?  soll  Athen 
einen  bürger  vor  ein  gericht  stellen,  in  dem  es  nicht  vertreten  ist?  in  dem  folgenden 
Paragraphen  werden  freilich  als  richter  'AdTjvaioi  xal  avfifiajcoi  genannt,  vor  die 
ein  verbreciien  kommt,  das  von  Athenern  und  bündnern  eben  so  gut  begangen 
werden  konnte;   aber  das  schlägt  nicht  durch,   denn  hier  handelt  es  sich  nicht  um 


I 


Zwei  classen  von  losbeamten.  203 

noch  nichts;  denn  Avenn  der  eid  acht  und  der  rede  gleichzeitig  ist,  so 
I  gab  es  in  dieser  nur  rat  und  Wächter:  wir  schhefsen  nur,  dafs  ein  rats- 
I  herr  nicht  verhindert  war,  sich  zu  einem  andern  amle  zu  meklen,  und 
das  ist  correct,  da  er  als  einzelner  nicht  rechenschaftspflichtig  ist.  wir 
f  lernen  zu,  dafs  die  ganze  auslosung  an  einem  tage  vollzogen  ward,  natür- 
lich nur  die  dieser  einen  kategorie.  zweitens  wird  als  local  der  uqxul- 
Qsalai  die  Heliaia  angegeben  (Bekk.  An.  310).  das  ist  auch  noch  nicht 
schlimm,  obwol  der  ausdruck  agxaiQsolai  eigentlich  den  directen  wählen 
gilt,  die  das  volk  auf  der  pnyx  vornimmt;  dem  grammatiker  ist  der 
ungenaue  ausdruck  wol  zu  verzeihen,  natürlich  mufs  die  losung  der 
archonten  u.  s.  w.  verstanden  werden,  über  deren  local  Aristoteles 
nichts  sagt,  und  die  geräumige  Heliaia,  in  der  1500  menschen  sitzen 
und  eine  zahlreiche  Corona  stehn  konnte,  pafst  gut.  aus  dem  locale 
folgt  der  Vorsitz  der  thesmotheten  oder  aller  archonten:  und  das  ist 
bei  einer  procedur,  die  in  die  alte  zeit  hinaufreicht,  auch  nur  das 
normale,  aber  nun  wird  es  schlimm.  Aischines  3,  13  unterscheidet 
die  ämter  ag  oi  ^eof-wd^ezai  a7tozh]QoCoiv  iv  Orjoeio) ,  y.a"/,eivag  ag 
6  d^/iiog  €uo&€  x^tQotovelv  ev  aQxaiQsolaig,  alles  andere  wären  com- 
missionen.  dafs  er  an  die  zweite  aristotelische  kategorie  nicht  denkt, 
ist  in  der  Ordnung,  denn  ihr  gebort  nur  noch  der  rat  an,  und  um  den 
handelt  es  sich  für  ihn  so  wenig  wie  für  den  richtereid.  dafs  die  thes- 
motheten diese  losung  besorgt  haben,  stimmt  gut  zu  dem,  was  eben  aus  der 
grammatikerstelle  gefolgert  ward :  aber  das  local  stimmt  nicht.  Aischines 
nennt  das  Theseion  für  die  ämter,  die  nach  Aristoteles  eben  nicht  dort  erlost 
wurden,  nach  jenem  grammatiker  in  der  Heliaia.  da  Aischines  ein  par  jähre 
vor  Aristoteles,  aber  unter  derselben  Verfassung  so  redet,  ist  an  irgend 
welchen  ausgleich  nicht  zu  denken,  so  übel  mir  dabei  zu  mute  ist,  ich 
mufs  einen  Irrtum  des  redners  annehmen,    wann  die  losung  in  der  Heliaia 


den  bundesrat,  und  für  alles  ist  zu  bedenken,  dafs  was  wir  lesen  ein  attisches 
psephisma  ist,  nicht  ein  bundesbeschlufs.  der  bundesrat  verkehrt  mit  dem  souveränen 
attischen  volke  nicht  direct  sondern  über  den  rat,  natürlich,  wie  jeder  köni^  und  wie  jeder 
athenische  beamte,  aber  in  der  blütezeit  des  bundes  begibt  sich  der  rat  jeder  materiellen 
.einmischung,  beschränkt  sich  darauf,  den  antrag  des  bundesrates  auf  die  tagesordnung 
zu  setzen  und  ladet  den  bundesrat  selbst  in  die  Volksversammlung  ein  (CIA  II  51,  11): 
und  da  sollte  Athen  sich  seine  politik  von  einer  körperschaft  machen  lassen,  in  der 
es  nicht  vertreten  war?  gerade  weil  man  377  die  redliche  absieht  hatte,  nicht  ein 
attisches  Reich  zu  gründen,  sondern  einen  bundesstaat,  mufste  der  bundesrat  eine 
allgemeine  Vertretung  sein,  nur  weil  er  in  Athen  seinen  sitz  hatte  und  somit  der 
souveräne  demos  trotz  allem  über  ihm  stand,  ist  seit  356  ein  kümmerliches  Reich 
entstanden. 


Wesen. 


204  !•    1-  Die  Verfassung. 

war,  wissen  wir  nicht :  im  jähre  382  war  sie  erst  im  Skirophorion  gehalten, 
wofür  Lysias  die  archonten  verantwortUch  macht  (26,  7),  und  so  bestätigt, 
dafs  sie  die  losung  besorgten,  wenn  man  ihm  trauen  dürfte,  wäre  der 
schlufs  sicher,  dafs  sie  zur  anberaumung  des  termines  competent  waren  ^"X 
also  nicht  etwa  ein  volksbeschlufs  vorhergehen  mufsle,  während  die  directen 
wählen  seihst  ein  volksbeschlufs  sind,  er  erinnert  auch  daran,  dafs  fälle 
vorgekommen  sind,  in  denen  am  ersten  hekatombaion  kein  archon  da 
war.^')  davon,  ob  diese  losung  mit  der  im  Theseion  oder  mit  den  wählen 
in  irgend  welcher  zeitlicher  Verbindung  stünde,  ist  nichts  bekannt. 
Gerichts-  Mit  dem   capitel  63   beginnt   die  beschreibung  des  gerichtswesens, 

ein  umfänglicher  in  sich  abgeschlossener  teil,  der  bis  zum  Schlüsse  des 
buches  reicht,  die  Schilderung  geht  bis  auf  die  kleinsten  einzelheiten 
ein ,  jedes  instrument  wird  beschrieben ,  und  der  äufsere  gang  der  ge- 
richtsverhandlung  schritt  für  schritt  verfolgt,  der  contrast  ist  peinlich, 
in  dem  diese  redseligkeit  über  bagatellen  zu  der  knappheit  in  dem  wich- 
tigen steht,  der  stil  wird  deshalb  nicht  gefälliger,  im  gegenteil,  man 
glaubt,  trotz  der  Zerstörung  der  meisten  columnen,  starke  härten  zu 
bemerken;  die  hiate  z.  b.  häufen  sich,  zu  dieser  partie  fehlen  parallelen 
bei  andern  darstellern  der  attischen  Verfassung;  die  grammatiker  haben 
diese  dinge  offenbar  nur  bei  Aristoteles  gefunden  und  ihn  nicht  immer 
genau  verstanden ;  es  enlsteiin  auch  wirklich  durch  die  grofse  Um- 
ständlichkeit der  Schilderung  Unklarheiten,  historische  rückblicke  oder 
sonstige  einlagen  scheinen  nirgend  vorzukommen,  die  geltende  praxis 
ist  ersichtlich  nach  dem  leben  copirt,  nicht  nach  dem  schema  des  ge- 
setzes.  also  hat  Aristoteles  das  attische  geschwornengericht  wie  es  gerade 
war  beschrieben  und  diese  beschreibung  in  sein  buch  einfach  über- 
nommen, unbekümmert  um  das  schreiende  misverhältnis,  in  das  sie  zu 
andern  stücken  trat,  eine  ratssilzung  oder  Volksversammlung  in  dem- 
selben Stile  beschrieben  würde  auch  viele  selten  füllen,  und  wir  würden 


30)  Man  erwartet  eine  bestimmung,  wie  sie  den  rat  für  die  ansetzung  der  wählen 
in  der  Volksversammlung  band,  aber  selbst  dann  gab  sie  nur  einen  terminus  ante  quem 
non  für  die  auslosung  der  ämter  für  das  nächste  jähr,  leider  ist  die  rede  des  Lysias 
wider  Euandros  ein  besonders  sykophantisches  machwerk.  erlaubt  er  sich  doch 
die  Übertreibung,  dafs  der  archon  von  382/1  die  aufsieht  über  erbtöchter  und  waisen 
haben  würde,  die  er  selbst  dazu  gemacht  hatte,  nämlich  vor  22  jähren,  unter  den 
dreifsig  (12):  als  ob  die  waisen  von  damals  noch  immer  nicht  mündig  geworden  wären. 

31)  Es  ist  sehr  wichtig,  dafs  für  den  archon  subsidiär  der  könig  eintritt  oder 
ein  andrer  aus  dem  collegium,  nicht  der  alte  archon  weiter  fungirt.  die  con- 
tinuirung  des  magistrates  bis  zum  eintreffen  des  nachfolgers  gilt  also  nur  für  die 
träger  des  Imperiums. 


Gerichtswesen.  205 

sie  ungleich  lieber  lesen  und  die  iusignien  der  einzelnen  beamten 
lieber  beschrieben  hören  als  die  leisten ,  auf  denen  die  richtertäfelchen 
bei  der  losung  aufgesteckt  wurden,  oder  die  unförmlichen  bronzenen 
kreisel  (so  etwa  sieht  solch  ein  ding  aus),  mit  denen  die  heliasten  über 
Timarchos  und  Demosthenes  abgestimmt  haben.  Aristoteles  der  Schrift- 
steller hat  somit  auch  hier  wie  in  allen  erhaltenen  Schriften  bewiesen,  dafs 
er  auf  gleichformigkeit  des  Stiles  und  der  composition  kein  gewicht  legte, 
vielleicht  wenig  gefiihl  dafür  hatte ;  wobei  es  ganz  gleichgiltig  ist,  ob  er 
irgend  einen  Studenten  des  peripatos  auf  den  markt  und  in  die  heliaia 
geschickt  hat,  um  diese  beschreibung  für  ihn  anzufertigen:  das  werden 
wir  nie  herausbringen,  und  er  hat  die  Verantwortung  selbst  übernommen. 
Aristoteles  der  politiker  aber  hat  bewiesen,  dafs  er  in  der  Überschätzung 
der  richterlichen  tätigkeit,  die  für  ihn  zum  wesen  der  bürgerlichen  frei- 
heit  eines  jeden  Individuums  gehört ^^),  sich  über  die  Vorurteile  der  Zeit- 
genossen kaum  erhob.  Piaton  würde  keines  von  beiden  getan  haben. 
Nachdem  wir  so  das  kleine  oder  unbedeutende  beiwerk  beseitigt 
haben,  bleibt  als  ein  zusammenhängendes  und  woldisponirtes  ganzes  die 
abhandlung  über  die  beamten  und  ihre  pflichten  übrig  43 — 61. 


32)  r  1,  1275 ä  23  definirt  den  bürger  tcü  fisrexsiv  xgiascos  y.al  aQ%i]i.  daran 
schliefst  sich  die  definition  der  «(»ct»  die  hier  so  weit  gegriffen  werden  soll,  dafs  sie 
die  tätigkeit  des  geschworenen  und  des  teilnehmers  an  der  Volksversammlung  mit 
einbegreift,  also  hat  man  geschlossen,  dafs  oben  xQiaews  yai  unächt  wäre,  dafs  dem 
nicht  so  sein  kann,  zeigt  das  peripateüsche  compendium  dieser  lehre  bei  Stobaeus  ecl.  II 
150  Wachsm.,  denn  da  steht  nicht  das  blofse  a(>;(jjs,  sondern  nohTixfis  a^x^i^i 
formal  logisch  nicht  gut,  weil  eben  der  7toh'Tr;S  definirt  werden  soll,  aber  dem  sinne 
nach  gut.  denn  nicht  jede  «^/;^  macht  den  bürger  {ccQxovai  yaQ  y.al  d^iaacov  aal 
xoivcoviojv  xai  avfinoaico?'},  sondern  nur  eine  die  über  bürgern  steht,  das  hat 
Aristoteles  damit  bezeichnen  wollen ,  dafs  die  xQiais  mit  der  a^xv  verbunden  sein 
mufs,  die  autoritative  entscheidung,  wobei  nicht  viel  darauf  ankommt,  ob  es  tiqo- 
avaxQivetv  oder  avTOXE%rj  hqIveiv  ist:  mit  jenem  geht  die  r,yEfiovia  dixaarrjQiov 
zusammen,  die  poetische  rede  würde  ungleich  bezeichnender  xqÜtos  xai  aqyji 
gesagt  haben,  genauer  drückt  er  sich  H  13261^  14  aus,  aQxovros  8'  inira^is  xai 
xQiaii  k'Qyov.  —  es  leuchtet  ein,  dafs  seine  definition  des  bürgers  auf  Staatswesen,  in 
denen  xqiais  xai  aq^ri  einem  höheren  stände  vorbehalten  ist,  also  z.  b.  auf  das  alte 
Athen  des  geschlechterstaates  nicht  mehr  pafst,  noch  auch  für  das  Rom,  das  der 
plebs  noch  keine  aedilen  und  tribunen  zugestanden  hat.  den  nolirrii  macht  das 
IxBxdxeiv  TtöXecos,  der  anteil  an  einem  ideellen  gute;  dem  sclaven  haben  die  götter 
dvayxtjv  a/nfinrohr  auferlegt  (Aisch.  Choeph.  75),  der  hat  keine  eigene  nohs  mehr: 
aber  die  clientel,  aus  der  auch  die  plebs  erwachsen  ist  (in  dem  sinne  wie  ich  Herrn.  22 
236  diese  dinge  erläutert  habe)  verleih!  für  die  verlorne  ttöXis  durch  die  woltat  des 
patrons  einen  anteil  an  der  Stadt  rj  naQoixel.  im  natürlichen  Verhältnis  verleiht  die 
gehurt  dem  menschen  so  seine  götter  wie  seinen  staat:  beides  hängt  ja  zusammen. 


206  !•    '^-  I^ie  Verfassung. 

Die  Aristoteles  schickt  voraus,  dafs  er  nur  die  regelmäfsigen  Verwaltungs- 

beamten;   äniter  aufführen  wolle;   wir  haben  also  kein  recht,  weder  über  die  ge- 
ispoM  1  11.  ggjjijj^gjj    jjQpjj  ijjjgj,   jjg   zahlreichen   commissionen   etwas   zu  erwarten. 

gleichwol  mufs  eine  wirkhche  darstellung  der  Verwaltung  betonen,  dafs  die 
Athener  ihren  regelmäfsigen  beamten  nicht  allzu  viel  trauten,  wenn 
tempelschätze  zu  revidiren  waren ,  womit  finanzoperationen  verbunden 
zu  sein  pflegten,  wenn  die  mauern  armirt,  werften  gebaut,  heilige  gerate 
angeschafft,  rückständige  steuern  beigetrieben  werden  sollten,  so  pflegte 
man  statt  der  erlosten  beamten  besondere  commissionen  zu  wählen: 
so  corrigirte  der  wille  des  souveränen  volkes  als  tyrann  das  prinzip  der 
gleichheit  und  des  loses,  es  gab  unter  diesen  inif-ikleiaL  manche  die 
geradezu  ständig  geworden  waren,  so  wichtige  wie  die  werftbeamten, 
deren  Übergabeurkunden  wir  besitzen ,  und  die  wahrlich  wichtiger  sind 
als  die  Uqwv  euiozevaaral  oder  die  oöoTtoiol.  wenn  sie  fehlen,  so  hat 
das  lediglich  den  grund,  dafs  sie  nicht  zu  der  eyKvxliog  dioUrioig  ge- 
hören, wenigstens  formell;  sie  werden  nicht  mit  den  andern  erlost  oder  mit 
den  Strategen  gewählt  worden  sein,  sondern  jedesmal  durch  Specialgesetz; 
mitwirkt  natürhch,  dafs  Aristoteles  auf  die  flotte  noch  weniger  augen- 
merk  richtet  als  auf  das  beer,  wie  der  richtereid  lehrt,  waren  die  im 
diplomatischen  auftrage  tätigen,  v.7jQVÄEg  und  ngsoßelai,  darin  den  regel- 
mäfsigen behörden  völlig  gleichgeachtet,  dafs  sie  zu  keinem  andern  amle 
wählbar  waren,  von  den  theoren,  die  unter  diese  kategorie  fallen,  steht 
es  zufällig  fest,  dafs  sie  schon  zur  zeit  der  naukraren  diäten  aus 
öffentlichen  mittein  erhielten,  und  sie  sind  keinesweges  weniger  ständig 
als  die  athlotheten ,  die  Aristoteles  ausführhch  behandelt,  dennoch 
fehlen  sie  und  fehlt  ihr  sold.  da  wirkt  wieder  mit,  dafs  alle  rein 
religiösen  Chargen  von  Aristoteles  fern  gehalten  sind,  selbst  der  ieQO- 
f.iv7]/iuüv,  wie  411  (30,  1),  so  im  richtereide  der  nächste  nach  den 
archonten.  wo  er  fehlt,  der  doch  politische  bedeutung  hatte,  zumal  zu 
Aristoteles  zeit,  dürfen  wir  vollends  rein  religiöse  beamte  wie  die  eleii- 
sinischen  hgoTtoioi.,  die  l^rjyrjTal  und  alle  priester  hier  nicht  suchen, 
endlich  fehlt  leider  jede  behandlung  der  Verfassung  und  Verwaltung  in 
phyle  und  demos.  das  ist  niemals  im  altertum  zur  darstellung  gebracht, 
und  doch  steckt  das  leben  der  besten  elemente  des  attischen  wie  jedes 
Staates  nicht  in  der  stadt,  geschweige  in  den  gerichten  und  amtsstuben, 
sondern  da  wo  der  mensch  in  stäter  berührung  mit  der  mutter  erde 
die  elementare  volkskraft  erhält  und  erneut,  aber  dafs  wir  viel  mehr 
von  der  Schilderung  eines  Staates  verlangen ,  soll  uns  nicht  abhalten, 
dankbar  das  viele  gute  hinzunehmen,  das  uns  hier  geboten  wird.  \ 


Die  einzelnen  beamten;  disposition.  207 

Die  beamten  zerfallen  nach  der  art  ihrer  bestellung  in  drei  classen, 

auf  vier  jähre  gewählte,  auf  ein  jähr  gewählte  und  erloste,    so  disponirt 

Aristoteles,    zählt   die   unter  die  beiden  ersten  kategorien  fallenden  auf, 

beginnt  aber  mit  der  dritten,    in  ihr  hat  der  rat  den  vortritt;  es  schliefsen 

die  neun  archonten ;  dann  klappen  scheinbar  nach  die  athlotheten  (60).^^) 

1  sie  können  an  diese  stelle  nur  gebracht  sein,  weil  sie  auf  vier  jähre  erlost 

I  werden,  um  so  den  Übergang  zu  der  ersten  classe  zu  bilden,  den  auf  vier 

'jähre   gewählten,   die   cap.  43   vorab  aufgezählt,   also  versprochen  sind. 

\  in  dem  jetzigen  zustande  des  buches  ist  dies  versprechen  nirgend  erfüllt. 

;  wir  sehen  nun,  wo  die  lücke  ist,  und  zum  glück  verrät  sie  sich  auch 

darin,  dafs  die  restirende  zweite  classe,  die  auf  ein  jähr  erwählten,  mit 

XeiQOTOvoioi  de  Aal  (61)  auf  y,Xi]QOvai  de  zal  folgt. ''')    wir  sind  durch 

i  den   ausfall  um  ein   besonders   wertvolles  stück   gekommen ;    zwar  den 

beamten  der  die  cura  aquanim  hatte ^^),  können  wir  zur  not  verschmerzen, 


33)  Wie  diese  Ordnung  den  PoUux  getäuscht  hat,  darüber  cap.  9. 

34)  Dies  hat  mittlerweile  auch  Weil  ausgeführt,  Pollux  hat  den  text  nicht 
anders  gelesen,  sollte  Aristoteles  nicht  mehr  geschrieben  haben,  d.  h.  das  buch  nicht 
vollendet,  so  würde  er  gerade  das  capitel,  das  er  ganz  selbst  schreiben  mufste,  sich 
aufgespart  haben,  denn  eine  erschöpfende  Instruction  gerade  dieser  beamten  dürfte 
nicht  bestanden  haben. 

35)  Da  die  Wasserleitungen,  auch  wenn  persönliche  munificenz  sie  in  der  alten 
zeit  vielleicht  gestiftet  hatte,  immer  öffentliche  anlagen  gewesen  sein  müssen,  später 
nur  aus  gemeindemitteln  angelegt  und  unterhalten  werden  konnten,  im  wasserrechte 

'  principiell   der  vorzug   des   öffentlichen   interesses   gegen  das  private  durchgeführt 

i  werden  mufste,    auch   die  Verteilung   dieser  lasten,  bau   sowol   wie  Unterhaltung, 

j  auf    die    phylen    untunlich    war,    so    mag    eine    für  Athen   anomale   einzelbehörde 

(  verhältnismäfsig   früh  geschaffen  sein:   aber  wir  haben  leider  keine  Sicherheit,   wie 

I  wir  auch  vom  wasserrecht  nicht  mehr  wissen,  als  dafs  es  sehr  alt  und  juristisch  sehr 

j  merkwürdig    gewesen    ist  (Demosth.  §g.   Kallikles    lehrt    ein    bischen  über  vorflut, 

etwas  mehr  läfst  erschliefsen  Plat.  Ges.  844).     ob  Themistokles  iSärcov  sniarärrie 

.  wirklich  gewesen  ist,  wie  die  uncontrollirbare,  aber  gar  nicht  unglaubhafte  anekdote 

:  bei  Plutarch  31   sagt,  und  ob   diese   Stellung  der  analog  war,   die  Aristoteles   vor 

äugen   hat,   ob  Mtrcav   6  t«s  KQ-^^vas  äycov  (Ar.  Vög.  999)  beamter  oder  bauunter- 

,  nehmer  Avar,   bleibt  ungewifs.  —  irgend  ein  komiker  hatte  den  löwen,  aus  dessen 

maule  das  wasser  rann,  mit  dem  man  die  klepsydren  füllte,  xgtjrocpiXa^  genannt, 

und  der  erklärende   grammatiker  bemerkt,  dafs  für  die  füllung  derselben   ein   egs' 

vScoQ    (xErayfievos),    den    er    nicht    technisch    intneXr^irii   nennt,    ausgelost    ward, 

natürlich    aus    den    heliasten.     wir    können  das  jetzt  nach  dem   letzten  teile   des 

Aristoteles  gut  verstehn,  wo  vielleicht  der  mann  auch  vorkam,    jener  grammatiker 

bemerkte  weiter,   es  hätte  auch  eine  behörde  y.Qr,voq>vlay.es  gegeben:  vielleicht  ist 

das  das   collegium,   welches   der  einzelne  xorjvcöv  inifieXr,xr,s  in  lykurgischer  zeit 

I   ersetzt  hat  (Poll.  8,  112  Phot.  Hes.  xQTjvofvXaxss).     ein  anderer  komiker  hatte  die 

behörde,   die  dem   publicum   das  wasser  zu  knapp  zu  geben  schien,  xQrjväyxn  ge- 


208  !•    "'•  Die  Verfassung. 

aber  in  dem  Schatzmeister  der  kriegscasse  und  dem  collegiiim  der  Ver- 
walter der  spielcasse  (wir  können  das  der  cura  anwonae  vergleichen;  in 
den  asianischen  communen  der  €i€Tr]Qiag)  fehlen  uns  die  gerade  in  der 
zeit  wo  Aristoteles  schrieb  einflufsreichsten  posten:  Lykurgos,  Mene- 
saichmos,  Demades^^)  haben  diese  stellen  inne  gehabt,  die  so  erst  seit 
338  bestehen,  immerhin  ist  die  peinliche  frage  nach  dem  srcl  xf]  öioi- 
■/.rjoei  aus  der  weit  geschafft:  er  gehört  erst  der  demokratie  der  12  phylen 
an.  ich  beabsichtige  aber  nicht  die  lücke  zu  füllen,  was  mit  einer  ver- 
fassungsgeschichte  der  jähre  354 — 21  identisch  sein  würde. 
Militärische  Die  militärischen   ämter  sind   äufserst  kümmerUch   behandelt,    die 

recrutirung  der  infanterie  kaum''},   die  der  flotte  gar  nicht '^):    die  der 

nannt,  was  ein  erklärer  als  wirklichen  namen  verstand  (Hes.  s.  v.).  ein  aiQB&sis 
£7ti  ras  y.^rjvas  aus  aristotelischer  zeit  ist  bekannt.  Uvd'eas  JJcoaiSTjfiov  ^AXcotie' 
xrjd'ev  (vielleicht  der  demagoge,  dessen  familie  ich  nicht  kenne),  er  wird  geehrt  mit 
einem  kränze  von  1000  drachmen  am  neunten  Metageitnion  des  Nikokrates  (august  333) 
'Ecf>T]/u.  aQx.  89,  16,  als  er  noch  nicht  rechenschaft  gelegt  hat;  die  anregung  zu  der 
ehre  ist  vom  volke  gekommen,  das  dem  rate  befohlen  hat,  ein  probuleuma  zu 
machen;  dieser  auftrag,  der  doch  dem  jetzt  anitirenden  rate  gegeben  sein  mufs,  kann 
nur  vor  den  Panathenaeen  erteilt  sein,  denn  es  scheint  zwischen  28  hekatombaion 
und  7  metageitnion  keine  Volksversammlung  gehalten  zu  sein,  demnach  möchte 
man  glauben,  dafs  die  amtsperiode  des  Pytheas  an  den  panathenaeen  des  Niko- 
krates 333  ablief,  aber  das  waren  kleine  panathenaeen,  denn  es  ist  ein  viertes 
olynipiadenjahr.  ob  Pytheas  zudem  nicht  etwa  noch  im  amte  war,  ist  unsicher, 
da  es  heifst  TftJ*- eV  T^  ä(»;^77  inifieXelTui,  xakcös:  dafs  aber  ein  so  schwerer  goldener 
kränz  beschlossen  würde,  um  erst  nach  3  jähren  und  mehr,  wenn  Pytheas  für 
seine  amtsperiode  (334—30)  rechnung  gelegt  hat,  verliehen  zu  werden,  ist  auch  schwer 
glaublich,     so  bin  ich  gezwungen;  die  aporie  aufzustellen. 

36)  Demades  war  doch  wol  334 — 30  rafiias  ar^azicDTixcöv  CIA  II  739,  12,  obwol 
die  strenge,  aber  auch  sonst  nicht  durchführbare,  gleichheit  der  zeilen  vier  buch- 
staben  vor  äSovs  JJaiaviäs  verlangt. 

37)  Abgesehen  von  der  ephebie  werden  die  ar^arsXai  xar'  sneovvfiove  53,  7 
erwähnt. 

38)  Nur    die   capiläne   der   beiden   staalsschifTe  stehn   am   Schlüsse,    die  den 
titel  Schatzmeister  führen,  obwol  sie  die  Charge  eines  trierarchen  haben  und  dieser 
militärischen  tätigkeit  entsprechend  durch  wähl  besteilt  werden,     da  die  staatsschiffe 
durchaus   auf  kosten  des   Staates  armirt  und   bemannt  werden,  niemals  unter  das 
commando  von  liturgen  treten,  immer  armirt  und  so  zu  sagen  immer  in  dienst  sind,  ' 
können  wir  ihre  regelmäfsige  erwähnung  in  den  seeurkunden  nicht  verlangen,  und  i 
ist  jedes  schiff,  das  in  jenen  Urkunden  ein  trierarch  commandirt,  eben  deshalb  kein  l 
Staatsschiff,     es  hätte  das  bekannt  sein  sollen;  die  Überlieferung  selbst  ist  nur  un-  ! 
wesentlich  getrübt,  und  das  richtige  hatte  Köhler  Mitteil,  VIII  165  ffg.  gelehrt.  —  die  '. 
Paralos  hatte  sich  bekanntlich  aus  der  katastrophe  am  Ziegenflusse  gerettet;  sie  ist  i 
demnach   das  einzige  schiff  der   alten   flotte,   das   fortexistirt  (wenn  wir  von  dem  i 
dreifsigruderer  des  Theseus  absehn,  der  nur  rarität  war),    die  Salaminia  im  vierten  j 


Militärische  ämter.     der  rat.  209 

i  reiterei  unverhältnismäfsig  gut,  weil  sie  in  ilie  ratscompetenz  fällt,  ebenso 
der  floltenbau.  wir  wussten  schon  aus  dtr  Politik,  dafs  Aristoteles  alles 
I  militärische  vollkommen  aussondert;  er  bleibt  auf  dem  Standpunkte  seiner 
;  gegenwart  stehn,  dafs  der  politiker  und  der  feldherr  immer  getrennte 
personen  sind^^),  und  er  hat  deshalb  weder  den  Perikles  würdigen  können 
i  noch  den  Philippos.  er  hat  die  condottieri  seiner  zeit  gewifs  mit  recht 
j  für  den  besten  Staat  nicht  mitgezählt,  aber  dem  wahn  gehuldigt,  dafs 
j  der  luruplatz  Soldaten  bildete  und  die  rouline  den  feldherrn.  dafs  er 
j  in  Sparta  den  kriegerstaat  als  solchen  anerkennt,  verdankt  er  dem  Piaton, 
!  der  als  echter  Athener,  stolz  auf  den  walTenruhm  seines  Volkes  und  seiner 
!  familie,  den  wehrstand,  die  cpvla-Ksg,  vor  allem  bilden  will.  Aristoteles 
j  war  offenbar  ganz  so  unmilitärisch  wie  Demosthenes  und  Isokrates. 

Die  erlosten  beamten  sind  dem  Aristoteles  am  wichtigsten  erschienen    Der  rat. 
}  und  werden  demzufolge  zuerst  abgehandelt,    voran  steht  der  rat,  in  der  tat 
I  diehauptbehörde,  und  seine  Zusammensetzung  und  die  allgemeine  geschäfts- 
f  Ordnung  eröffnet  die  darstellung  seiner  competenzen,  wobei  passend  die 


Ijahihundeit  zu  erwarlen,  hat  niemand  ein  recht;  sie  existiit  auch  nicht,     wann  die 
Ammonis  gebaut  ist,   wird  erst  zeigen,  wer  eine  feierliche  beschickung  des  orakeis 
im  vierten  Jahrhundert  nachweist,     die  rede   des  Aristoteles   zeigt,  dafs  sie  nicht 
1  coordinirt  zur  Paralos  sieht:  xafiiav  rrjs  üa^nkov  yal  äXXov  rr]S  rov  "Afifioivoi  ist 
\  offenbar  so   stilisirt,   weil   zu  dem  ersten  einzigen  der  zweite  Schatzmeister  einmal 
'•  zugefügt  ist.     dafs  die  Iheorie  zum  Amnion,   der  das  schiff  diente,  gleichzeitig  mit 
der  aufnähme   des  libyschen  gottes  in  den  slaatscult  gestiftet  ist,  liegt  mindestens 
sehr  nahe,     ich   verfüge   aber  über  kein  älteres  zeugnis  als  die  bekannte  rechnung 
über  die  hautgelder  aus  dem  jähre  des  Nikokrates  (juli  333),  CIA  II  741.     in  dem- 
i  selben  jähre  aber  ist  in  dem  heiligtum  des  Ammon  ein  brunnen  (d.  h.  eine  leitung 
:  der  grofsen  städtischen  Wasserleitung)  angelegt,  ^Efr^i.  aox.  89,  16:  es  dürfte  alles 
;  dafür  sprechen,   dafs  der  cult  noch  nicht  alt  war  und  in  der  tat  der  initiative  des 
Lykurgos  entstammt,  dessen  familie  bekanntlich  alte  aegyptische  Verbindungen  hatte. 
39)  So  foimulirt  er  dieses  weise  urteil  über  die  gegenwart  £?  1305 ^     seit  dem 
I  kläglichen  ende  der  syrakusischen  lyrannis  war  die  furcht  wie  die  hoiTnung  gegen- 
'■  über   dieser  verfassungsform  allgemein  ziemlich  still  geworden,     um  so  mehr  über- 
1  schätzte  man  die  rhetoren.     dafs  das  mililär  fachkenntnisse  und  ein  avancement  von 
den  niedern  zu  den  höhern  stellen  nötig  hat,  weifs  Aristoteles  F  1277'^  10,  wie  es 
Aristophanes  (Ritt.  540)    weifs,   der  nur  das  bild  von  der  marine  nimmt:   aber  den 
gedanken  auf  den  civildienst  zu  übertragen,  liegt  ihm  ganz  fern,   in  seiner  Übersicht  der 
für  jeden  Staat  notwendigen  organe  figurirt  das  militär  {Z  1322*  32),  aber  es  wird 
so  wenig  wie  in  der  Politie  eingehend  behandelt,  und  die  organische  Verbindung  der 
Wehrpflicht  mit  der  bürgerpflicht,  die  das  alte  Athen  kannte,  fehlt  ganz  ebenso  wie 
die  Verbindung   der  poteslas   mit   dem  imiierium,  die  erst  die   volle  macht  eines 
römischen   magistrates  bildet,     der  soldat  Xenopiion  hätte  da  den  professor  Aristo- 
teles manches  lehren  können:  aber  er  hatte  auch  bei  könig  Philippos  nichts  gelernt. 
V.  Wilamowiiz,  Aristoteles  I.  14 


210  I-    '^-  Die  Verfassung. 

prytanen  und  proedren  mit  ihren  obmännern  vorgeführt  werden,  undl 
die  Verpflichtung  die  wählen  zu  bestimmtem  termine  beim  volke  erst  zu 
beantragen,  dann  abzuhalten^"),  steht  hier  auch  an  passender  stelle 
(42,  2 — 44,  4).  befremden  mufs  dagegen,  dafs  die  Volksversammlungen, 
in  denen  der  souverän  des  Staates  selbst  in  action  tritt,  nur  in  so  weit 
sie  die  geschäftsleitung  des  Vorsitzenden  angehn,  gegenständ  der  dar- 
stellung  geworden  sind.''*) 

Es  folgen  die  allgemeinen  competenzen  des  rates  (45),  jedoch  in 
der  form,  dafs  angegeben  wird,  wozu  der  rat  nicht  mehr  competent  ist, 
so  dafs  man  geneigt  wird,  sich  diesen  abschnitt  durch  vergleichung 
einer  älteren  darstellung  der  Verfassung  mit  der  geltenden  praxis  ent- 
standen zu   denken.^^)     daran    schliefst   sich,   ohne  dafs  ein  zusammen- 


40)  Die  M'alil  der  militärischen  und  der  andern  wahibeamten  gellt  also  nicht 
anders  vor  sich  als  die  der  commissionen,  gesandtschaften  u.  s.  w.,  durch  besondern 
volksbeschlufs,  nicht  einmal  in  einer  iev^ia  ixxXrjaia.  nur  sind  die  prytanen  ge- 
halten diese  wähl  von  einer  bestimmten  frist  ab  auf  die  tagesordnung  zu  setzen, 
was  aber  an  günstige  Vorzeichen  gebunden  war,  also  zu  zeiten  eludirt  werden 
konnte,  ebenso  konnte  in  der  Volksversammlung  durch  absetzen  von  der  tages- 
ordnung, wenn  viel  gegenstände  darauf  standen,  schon  durch  procheirotonie  und  durch 
Sioarjfiia  die  wähl  verhindert  werden,  so  dafs  wir  ohne  besondere  anhaltspunkte 
eine  bestimmte  wähl  nicht  chronologisch  fixiren  können,  aber  wichtig  i&t  das  princip, 
dafs  gerade  die  wähl  der  beamten  ohne  eine  besondere  Veranstaltung,  nicht  anders 
als  die  ernennung  eines  proxenos,  vollzogen  wird,  und  der  rat  und  das  volk  allein  dabei 
mitwirken,  kein  magistrat.  unmöglich  können  so  in  alter  zeit  die  archonten  oder  auch 
die  Strategen  gewählt  sein,  wenn  es  heifst,  dafs  später  die  Volksversammlungen  meist 
im  theater,  die  wählen  aber  auf  der  pnyx  waren  (Poll.  8,  132),  so  liegt  darin  aller- 
dings eine  änderung  dieser  Verhältnisse,  man  hätte  doch  annehmen  sollen,  dafs  das  gesetz 
das  einen  Strategen  macht,  als  vc/ios  in'  avS^i  behandelt  würde,  also  eine  minimalzahl 
von  stimmenden  und  schriftliche  abstimmung  gefordert  worden  wäre,  aber  es  ist  nicht 
anders,  als  es  die  Acharner  598  zeigen:  drei  gimpel  können  einen  feldherrn  machen 
suspendiren  kann  ihn  wenigstens  nur  eine  xv^ia  ixxXr^at'a.  —  scho).  Ar.  Ritt.  43 
steht,  dafs  die  Strategen  am  neumondstage  gewählt  wären;  eine  freche  schwindelei.i 
erträumt,  weil  der  herr  Demos  sich  den  sclaven  Paphlagon  am  letzten  neumond  ins 
haus  gebracht  hat,  was  nicht  mehr  bedeutet,  als  wenn  ein  moderner  sagte  'letzter! 
Jahrmarkt',     am  neumond  ist  keine  Volksversammlung,  da  ist  ja  festlag.  i 

41)  Diese  behandlung  hat  die  unerwünschte  folge  gehabt,  dafs  auch  einige  be! 
amte  fehlen,  die  es  zu  Aristoteles  zeit  nachweislich  gab.  der  Ta/jias  rov  Srj/xov  fehlt! 
der  den  'allgemeinen  amtsbedürfnisfonds'  des  volkes,  ra  xara  frifianaia  avaha' 
xöfXEva  T(^  Sr^f^cp  (nachweisbar  schon  390  CIA  II  12)  verwaltet,  vielleicht  auch  di(i 
casse,  aus  der  die  diaeten  für  den  besuch  der  Volksversammlung  genommen  werden 
denn  auch  deren  Verteilung,  mit  der  die  controlle  des  besuches  durch  die  avXloyr^y 
Tov  St^/uov  und  die  Xr^^ia^xot  zusammenhängt,  ist  übergangen,  trotzdem  die  ent- 
sprechenden einrichtungen  der  gerichte  breit  behandelt  sind.  j 

42)  Es  entsprechen  sich  ^  ßovXrj  nQÖreqov  ftev  r^v  xvqia  45,   l   und  roiroiv  fii' 


Der  rat.  211 

hang  ersichtlich  wäre,  die  sorge  des  rates  für  den  hau  von  schiffen  und 
schiffshäusern  ^^),  und  die  abnähme  der  ölTentiichen  hauten  überhaupt  (48). 
es  sind  das  von  aUers  seine  pflichten,  aber  sie  sind  genau  für  die  gegenwart 
revidirt.^^) 


oivai(VQÖs  sariv  t]  ßovXrj  45,  4,  wovon  sich  das  ihr  verbliebene  recht  des  TTooßovXev/tta 
wirkungsvoll   abhebt,   das  jedoch   ebenso   ein  allgemeines  ist  wie  Srjaai  ^rjfiimaat 

43)  Aus  dieser  stelle  ist  von  C.  Torr  und  Lipsius  sofort  die  abfassungszeit  des 

buches  richtig  erschlossen,     denn  das  volk  befindet  darüber,  ob  vierruderer  oder  drei- 

i  rüderer  erbaut  werden  sollen,  entweder,  oder:  oitoTEQas  steht  da,  und  zu  behaupten, 

i  die  beslimmung  des  volkes  hätte  sich  auf  die  zahl,    nicht  auf  die  gattung  bezogen 

[  und  danach   zu    ändern  ist  bare  willkür.     wenn  also  die  werftbeamten  325  bereits 

j  7  penteren  übernommen  haben  (CIA  II  809  <i  90  p.  241)  und  im  Vorjahre  noch  keine 

i  penteren  da  waren,  so  sind  sie  326  gebaut,  der  beschlufs  also  erst  327  gefafst.     für 

I  den  Schriftsteller   handelt   es   sich    gar   nicht   um   die   tatsächlichen   beschlüsse  der 

einzelnen  jähre,  sondern  um  die  möglichkeit,  dafs  das  volk  dies  oder  jenes  modeil 

1  vorschreibt,     oder  haben  sie  sich  etwa  verschworen,  in  Zukunft  den  bau  von  penteren 

1  nie  mehr  zu  beschliefsen?    mit  der  athenischen  flotte  ist  es  seit  Antipatros  zu  ende: 

1  wir  haben  aus  der  zeit  von  324—21  noch  die  steine  810  —  812.     darin  kommt  noch 

I  eine  pentere  im  dienst  vor,  812"  35,  in  der  aufzählung  des  bestandes  811 '^  141—48 

[fehlen  sie  allerdings,   was  ich  nicht  erklären  kann,   es  sei  denn,  sie  wären  vorher 

alle  zu  gründe  gegangen  und  die  später  erwähnte  wäre  eine  neuanschafTung,   oder 

aber  sie  wären  gesondert  geführt:  vollständig  sind  die  steine  nicht.  —  ich  streiche 

hier  in   der  correctur  eine  scharfe  erwiderung  auf  die  versuche,   den  zwang  dieser 

j  chronologischen   Schlüsse   zu  eludiren.     ich  möchte  nicht  durch  polemik  ihnen  eine 

bedeutung  verleihen,  die  sie  sachlich  nicht  besitzen, 
j  44)  Es  heifst  46,  1  "wenn  sie  die  schiffe  nicht  ihren  nachfolgern  fertig  übergeben, 

1  so    können   sie  die   belohnung  (kränz  und    belobigungsdecret)   nicht   erhalten,     sie 
erhalten    sie    nämlich    von  dem   folgenden   rate",     ein   aufmerksames  ohr  hört  in 
dem  begründenden  sätzchen  eine  scharfe  betonung  dieses  rechlszustandes,  und  man 
schliefst,  dafs  Aristoteles  eine  irrige  ansieht  bekämpft  oder  eine  berichtigung  vor- 
nimmt,    so   ist   es.     als  Demosthenes  die  rede   gegen  Androtion  schrieb  (5  —  11), 
lautete    das   gesetz,   firj   i^elvat   rf}  ßovXrj   fir}   TtoirjaufievT]  ras  vale   airfjaai  rfjv 
itcoosidv.     darin  liegt,  dafs  noch  unter  ihrem  eigenen  Vorsitze  die  sache  vor  das  volk 
kam,  wie  denn  auch  in  jenem  falle  geschehen  war.   der  redner  schildert  anschaulich  das 
ekelhafte  Schauspiel,   wie  der  rat,  als  sich  Widerspruch  erhebt,  um  die  decoraüon 
:  bettelt,     er  treibt  aber  ein  sophistisches  spiel,  wenn  er  die  bewilligung  für  ungesetz- 
lich erklärt,  weil  sie  anQoßovlsvxos  gewesen  wäre,     denn  er  kann  nicht  bestreiten, 
dafs  es  diesmal  wie  allemale  gehalten  war:  einen  antrag  auf  seine  eigene  bekränzung 
konnte  der  rat  nicht  formuliren,  sondern  er  erfüllte  die  form  des  gesetzes  dadurch, 
I  dafs  er  den  gegenständ  auf  die  tagesordnung  setzte,  aber  die  materielle  entscheidung 
i  dem  Volke  liefs.     dann  stellte  der  epistat  der  proedren  die  frage,  gemeiniglich  kam 
!  es  zu  keiner  debatte,  und  man  schritt  zur  SiaxEigorovia.    diesmal  war  Meidias  auf- 
;  gestanden,  und  es  hatte  einen  skandal  gegeben,    da  war  das  richtige  nicht  eine  klage 
■Tiaoavöutov,  sondern   eine   änderung   des  gesetzes.     wie   wir  nun  lernen,   ist  kurz 
'       '       '  14* 


212  Li.  Die  Verfassung. 

Das  folgende  wird  zusammeogefaföt  als  Cooperation  des  rates  mit  den 
anderen  beamten  (47.  48).  und  so  steht  denn  hier  eine  lichtvolle  über- 
sieht der  Qnanzverwaltuug.  die  Schatzmeister  der  göttin"^)  übernehmen 
die  ihnen  unterstellten  schätze  in  gegenwart  des  rates;  poleten  und  apo- 
dekten  walten  ihres  amtes  ebenfalls  unter  seiner  controlle,  zumeist  im 
rathause,  und  das  geld  kommt  unter  seine  äugen,  sowol  wenn  es 
ein  wie  wenn  es  ausgeht,  so  dafs  er  seine  controlle  (xqIvslv,  wenn 
nötig  '^aTayiyvü)a-/,£Lv)  wirksam  ausüben  kann,  die  rechnungen  fast 
aller  behürden  überhaupt  führt  eine  ratscommission,  und  eine  andere 
ist  an  der  rechnungsablage  der  beamten  beteiligt.^^)  das  hängt  auf  das 
trefflichste  zusammen.") 

Auch  in  dem  folgenden  abschnitte  (49)  erkennt  man  den  leitenden 
gesichlspunkt;  er  behandelt  die  dokimasien  die  dem  rate  zustehn.  zuerst 
steht  die  der  cavalleriepferde,  der  equi  publici,  deren  besitzer  verpflegungs- 
gelder  erhielten ,  so  dafs  in  der  pferdehaltung  ihre  hauptpflicht  lag."^) 
dann  die  prüfung  der  für  den  cavalleriedienst  ausgehobenen  leute,  bei 
der  es  auch  vornehmlich  auf  das  vermögen  ankam.'"')     dann  die  prüfung 


oder  lange  danach  wirksame  remedur  geschafft,  indem  die  Ordensverleihung  dem 
nächsten  rate  zu  beantragen  überlassen  ist.  Aristoteles  redet  offenbar  im  hinblick 
auf  den  früheren  zustand. 

45)  Aristoteles  kennt  die  Schatzmeister  der  andern  götter  nicht  mehr,  die  nicht 
vor  dem  ende  der  vierziger  jähre  abgeschafft  sind,  vk'enn  CIA  II  702  mit  recht  auf  sie 
bezogen  ist,  was  auch  nach  Lehner  (über  die  athenischen  schalzverzeichnisse  Bonn 
1890,  119)  unsicher  bleibt,    dagegen  erwähnt  er  als  hauptstücke  des  heiligen  Inventars  , 
die  goldenen  Niken,  die  erst  seit  335  wieder  beschafft  sind,  CIA  II  162  mit  add.  739ffg. 
erwähnt  wird  von   ihm   nur   die  Übergabe   des   Schatzes,   dasselbe   was  unsere  in-  i 
Schriften  bezeugen,   weil  dabei   die  assistenz  des  rates  statt  hat.     die  Verwaltung 
des  Schatzes,  d.  h.  die  Vermögensverwaltung   der  göttin  und  der  andern  götter  (so 
weit  es  nicht  immobiliarvermögen  war,  wo  sie  dem  könige  zustand)  sieht  er  als  eine 
provincia   an,   die   den  ra/uiai  durch  ihre  namen  zufiel,     in  wie  weit  auch  dabei! 
der  rat  mitwirkte,  steht  dahin.  i 

46)  Vgl.  das  capitel  Logos  und  Eulhyna.  I 

47)  Eine  wichtige  aufgäbe  der  apodekten,  die  Jurisdiction  in  Sachen  der- 
Steuerpächter,  ist  hier  fortgelassen,  weil  sie  mit  dem  rate  nichts  zu  tun  hatte,  und] 
nach  52,  3  versetzt,  weil  dort  die  eiaayioyeis  abgehandelt  werden,  die  mit  den  apo- ! 
dekten  die  schleunige  Jurisdiction,  innerhalb  eines  monats,  teilen. 

48)  In  diesem  stücke  ist  die  ähnlichkeit  mit  der  altrömischen  Verfassung  nur  I 
noch  deutlicher  geworden,  Alonimsen  St.  R.  III  253.  ! 

49)  Die    vom    volke    eingesetzte    aushebungscommission    setzt    eine    liste  der  ■ 
Pflichtigen  auf.     aber  es  bedarf  nur  der  eidlichen  eikiärung  vor  dem  rate,  dafs  man 
nicht  befähigt  oder  nicht  vermögend  genug  wäre,   den  dienst  zu  leisten,  so  kommt, 
man   frei,  und  dann  mustert  der  rat  seinerseits  aus,    wer  ihm  .aus  dem  einen  oder) 


Der  rat.  213 

der  baiipläne^")  und  des  peplos,  der  von  bestimmten  frauen  für  die 
Panathenaeen  gewoben  ward,  diese  beiden  letzten  pflichten  waren  dem 
rate  freilich  zu  gunsten  des  gerichtcs  abgenommen ;  dafür  hatte  er  aber  an 
den  Vorbereitungen  für  die  Panathenaeen  in  sofern  anteil,  als  er  neben 
dem  kriegsschatzmeister  bei  der  beschaffung  von  Niken  und  paradegeräten 
mitwirkte,  endlich  die  prüfung  der  gesuche  um  armenunterstützung.^') 
So  wie  ich  das  reproducirt  habe,  ist  der  Zusammenhang  gut:  so 
steht  es  aber  nicht  da,  sondern  es  heilst  49,  3  "früher  hatte  der  rat  die 
entscheidung  über  baupläne  und  peplos.  jelzt  aber  hat  sie  ein  gericht. 
auch  an  der  beschaffung  der  Niken  wirkt  der  rat  mit",  wer  das  list, 
fragt  verwundert,  weshalb  steht  diese  beseitigte  competenz  nicht  bei  den 
andern  beseitigten  45,  3,  und  die  fürsorge  für  die  Niken  nicht  bei  der 


andern  gründe  untauglich  scheint,  die  zahl  der  pferde  ist  eine  feste,  1000,  wie 
man  nach  Demosthenes  14,  13  und  Philochoros  (Hes.  Imt^s,  aus  vollständigeren 
schollen  zu  Ar.  Ritt.  225)  für  diese  zeit  glauben  darf,  daraus  folgt,  dafs  sowol  der 
wolstand  wie  die  neigung  der  bevölkerung  das  bedürfnis  an  reiterstellen  überstieg. 

50)  in  dem  sinne  braucht  das  Mort  naQÜSstyfia  schon  Herodotos  V  61,  nicht 
anders  als  das  programm  der  skeuothek  Philons.  auch  das  attische  Staatsrecht 
scheint  mir  zu  fordern,  dafs  ein  den  staat  bindendes  Instrument  einer  ordentlichen 
behörde  vorgelegen  hat,  nicht  blofs  einer  commission  von  sTtiararai  oder  ijtifie' 
Xrjrai.  sicher  falsch  ist  die  conjectur  t«  na^adsi-yfiata  rä  sie  rov  ndnXov,  weil 
es  für  einen  mantel  nicht  mehrere  modelle  gab:  xqIvsiv  mit  dem  accusativ  bedeutet 
nicht  die  aus  wähl  aus  einer  mehrheit,  sondern  das  probare. 

51)  Die  grammatikerüberlieferung  war  verwirrt,  und  Böckh  hatte  sie  nicht  ganz 
richtig  behandelt,  da  nun  von  ihren  quellen  aufser  Lysias  24  auch  Aristoteles  vor- 
liegt, steht  sachlich  fest,  dafs  die  Unterstützung  im  anfange  des  4  Jahrhunderts  1, 
zu  Aristoteles  zeit  2  obolen  den  tag  betrug,  und  es  folgt,  dafs  bei  Harpokration 
(aSvv.)  die  Worte  r;  oßoXöv  vor  ß's  'A^iar.  interpolirt  sind,  d.  h.  aus  einem  rand- 
citat,  das  auf  Lysias  beruhte,  eingeschwärzt,  nun  bleibt  noch  der  Widerspruch, 
dafs  Philochoros  nach  Harp.  den  sold  auf  9  drachmen  den  nionat  angegeben  hat, 
nach  Lex.  Seg.  VI  345  auf  5  obolen,  den  tag,  wie  man  erklären  mufs;  schol. 
Aesch.  1,  103,  das  von  Solon  und  dem  iQimßoXov  fabelt,  hat  Böckh  beseitigt:  das 
ist  autoschediasma.  nun  ist  Harpokration  an  sich  vorznziehn ,  und  Böckh  bemerkt 
mit  recht,  dafs  die  berechnung  nach  dem  monat  für  die  zeit  der  12  phylen  gut 
pafst,  da  auch  zuvor  der  sold  nach  prytanien  abgehoben  ward  (Aischin.  1,  103). 
dann  ist  aber  die  geringe  herabsetzung  um  eine  drachme  den  monat  der  armen 
zeit  wol  zuxutraun:  denn  2  ob.  den  tag  ergibt  ja  10  dr.  den  monat.  e'  im  lexicon 
wird  &  gewesen  sein;  ehedem  hatte  man  umgekehrt  geschlossen,  aber  es  reicht 
ja  diese  änderung  auch  noch  nicht.  —  die  £<r/«T7;  Sr,^oxQarla  hatte  nicht  nur  die 
Unterstützungen  erhöht,  sondern  auch  die  anforderungen  an  die  bedürftigkeit  erniedrigt, 
denn  zu  Lysias  zelten  mufste  offenbar  aufser  der  erwerbsunfähigkeit  die  bedürftig- 
keit schlechtweg  nachgewiesen  werden;  jetzt  galt  dieser  nachweis  durch  ein  ver- 
mögen unter  3  minen  für  erbracht. 


214  I.    T.  Die  Verfassung. 

für  die  schiffe  46  ?  nun  ist  die  beschaffuug  der  Niken  ein  novum,  nicht 
äUer  als  335,  die  Ordnung  der  Panathenaeen  ist  auch  kürzhch  revidirt 
(CIA  II  162),  und  erst  seit  den  vierziger  jähren  hat  eine  neue  periode 
lebhafter  bautätigkeit  begonnen,  erst  wenn  man  sich  zu  der  annähme 
entschliefst,  dafs  Aristoteles  auf  grund  dieser  neuordnungen  eine  ältere 
darstellung  der  ratsbefugnisse  durchcorrigirt  hat,  wird  es  vollkommen 
verständlich,  wie  er  zu  seiner  seltsamen  anordnuug  gekommen  ist. 

Es  folgt  die  abgerissene  bemerkung,  dafs  der  rat  aus  sich  einen 
Schatzmeister  auslost:  das  ist  erst  nach  343/2  bestimmt,  denn  damals 
waren  es  noch  zwei.")  wir  möchten  von  den  befugnissen  dieses  rats- 
mitgliedes  mehr  hören,  da  ein  rendant  durch  seine  existenz  nur  eine 
casse  bezeugt,  weiter  nichts^^);  aber  solche  wünsche  steigen  aller  orten 
auf,  und  dafs  sie  so  oft  unbefriedigt  bleiben,  mufs  eine  überall  zutreftende 
erklärung  finden. 

Es  geht  weiter  "der  rat  cooperirt  auch  so  ziemlich  mit  allen  andern 
beamten",  worauf  eine  diesen  abschnitt  abschliefsende  phrase  folgt,  die 
zu  den  andern  behürden,  erst  dem  bauamt  für  die  Unterhaltung  der 
öffenthchen  heiligtümer,  dann  den  poHzeibeamten  überführt,  jeuer  satz 
ist  auf  den  ersten  bhck  anstöfsig,  und  natürlich  ist  schon  der  böse  inter- 
polator  citirt  worden.     Aristoteles  weist  uns  auf  den  satz  zurück,  der  die 


52)  CIA  II  114.  der  in  diesem  actenfascikel  besonders  geehrte  Eudoxos  aus 
Sypalettos  war  ein  gewählter  beamfer  und  sollte  die  geschäftsführung  des  rates  in 
Ordnung  bringen  (die  Sioiy.T]aie)  und  mit  den  prytanen  auch  für  die  äufsere  Ordnung 
sorgen  (die  svxoafiia,  die  das  persönliche  verhalten  der  mitglieder  angeht),  dafür 
votirt  ihm  der  rat  einen  kränz  von  50  dr.  gold :  höher  kann  er  offenbar  nicht  gehn, 
denn  der  erste  antragsteller  wünscht  dem  volke  anregung  zu  höheren  ehren  zu 
geben;  der  zweite  bringt  aber  durch,  dafs  die  ratsherren  selbst  aus  freiwilligen  bei- 
tragen das  geid  für  einen  zweiten  gleich  schweren  kränz  aufbringen.  Eudoxos  war 
also  sicherlich  ein  ratsherr,  aber  zu  seiner  tätigkeit  durch  besonderen  ratsbeschlufs 
gewählt  als  ein  aufserordentlicher  commissar.  —  beiläufig  etwas  grammatisches. 
es  heifst  einmal  insfieX^d'ri  ttjs  Sioinrjaecos  vno  zjjs  ßovXi]S,  einmal  Sioixrjaecos  ttj 
ßovlf:  also  das  abstracte  nomen  construirt  nach  t«  Siotxoifisva.  was  Rümelin 
von  unserer  spräche  bemerkt  hat,  dafs  der  geschäftsstil  schwerfällige  nominal- 
constructionen  erzeugt,  sehen  wir  hier  in  der  attischen  kanzlei;  aber  die  unvergleich- 
liche Sprache  kann  dem  abgeleiteten  nomen  seine  verbale  kraft  erhalten. 

53)  Zu  verwalten  hat  dieser  rendant  offenbar  nicht  viel  gehabt;  die  diaeten 
der  ratsherrn,  den  sold  seiner  unterbeamten,  das  was  man  'den  fonds  für  allgemeine 
amtsbedürfnisse  nennt,  ra  xara  ipritpiafiaxa  avaXiaxöineva  rrj  ßovXJj,  d.  h.  was 
der  rat  auf  diesen  fonds  anzuweisen  competent  ist.  es  folgt,  dafs  im  etat  ein  ent- 
sprechender jährlicher  posten  ausgeworfen  war,  und  dafs  die  competenz  des  rates 
auch  begrenzt  war,  z.  b.  also,  dafs  das  gewicht  der  von  ihm  verliehenen  kränze  50  dr. 
nicht  übersteigen  durfte. 


Der  rat.  215 

finanzverwaltung  einleitete  (47  anf.),  denn  er  braucht  dieselben  worte. 
anstüfsig  ist  nur,  dafs  sie  hier  stehn ,  unmittelbar  vor  dem  formellen 
absclilusse  des  abschnitles  und  ohne  dafs  unmittelbar  vorher  von  einem 
zusammenwirken  des  rates  mit  andern  beamten  die  rede  gewesen  wäre, 
was  will  also  Aristoteles  mit  diesem  satze  hier?  denken  wir  uns,  dafs 
ihm  eine  ausführliche  darstellung  der  pflichten  des  rates  vorlag,  so 
mufste  darin  unweigerlich  erörtert  sein,  wie  der  rat  als  oberste  pohzei- 
behürde  mit  den  andern  Organen  der  execulivpolizei,  als  oberste  ver- 
wallungsbehürde  mit  allen  beamten,  die  geld  des  volkes  ausgaben  oder 
im  auftrage  des  volkes  handlungen  vollzogen  (z,  b.  odortoioi  isqotcoloi), 
endlich  als  der  unvermeidliche  Vermittler  aller  antrage  an  das  volk 
schlechthin  mit  allen  beamten  cooperirte.  es  versteht  sich,  dafs  das  meiste 
sich  in  ein  detail  verlief,  das  für  Aristoteles  keine  bedeutung  hatte  und 
am  ende  in  der  allgemeinen  Stellung  des  rates  begründet  erscheinen 
konnte,  der  satz,  mit  dem  Aristoteles  darüber  hinweggeht,  ist  nur  der 
ausdruck  für  das  was  er  damit  tut  "ich  unterdrücke  hier  noch  eine 
menge  unwesentliches",  es  ist  ein  stilisirtes  "^u.  s.  w.'  das  lehrt  uns 
für  die  Sachen  nichts,  aber  es  lehrt  von  neuem  sehr  eindringlich,  dafs 
Aristoteles  einen  auszug  liefert. 

Dafs  diese  Voraussetzung,  unter  der  seine  ganze  darstellung  erst 
verständlich  wird,  wirklich  zutrifl'i,  bestätigt  sich  dadurch,  dafs  die 
zunächst  behandelten  behorden  eben  solche  sind,  die,  obwol  Aristoteles 
nichts  davon  sagt,  notwendigerweise  mit  dem  rate  in  naher  berührung 
standen.^")  denn  es  folgt  zunächst  eine  baubehörde,  10  männer  für 
die   Unterhaltung   der   heiligen   gebäude.^^)     schon    weil   diese  eine  feste 


54)  Von  den  aiToq^vlaxss  zeigt  es  die  rede  des  Lysias  22.  der  ralsherr,  der  sie 
liäll,  sagt  von  einem  collegium  derselben  sogar,  sie  wären  ent  tt;s  ngoieoas  ßovXrjs 
im  amt  gewesen  (9). 

55)  Dafs  der  slaat  die  kircliliclie  baulast  übernommen  hat,  ist  eine  notwendige 
consequenz  davon,  dafs  er  das  kirchengul  in  seiner  Verwaltung  hat  und  über  seine 
ertrage  verfügt,  so  lange  die  götter  eigenes  vermögen  hatten,  konnten  sie  auch 
für  ihre  gebäude  selber  sorgen,  natürlich  gilt  beides  für  die  ullot.  &eoi,  d.  h. 
weder  für  die  besonders  bevorzugten,  z.  b.  Athena  und  das  Eleusinische  par,  noch 
für  die  nicht  Stj/uorekels.  der  schlufs,  dafs  die  Isocöv  sniay.evaarai  nicht  älter  sein 
könnten  als  der  schätz  der  andern  götter,  liegt  nahe,  würde  aber  nur  zwingend 
sein,  wenn  sie  immer  nur  das  ihnen  unterstellte  geld  verbraucht  hätten,  wie  es 
Aristoteles  angibt,  aber  in  dem  vöfios  ßaaüJcai,  den  Krates  bei  Athen.  VI  235 
anführt,  ist  der  könig  für  die  regelmäfsige  restauration  des  Bukoleions  gehalten  das 
geld  anzuweisen  entsprechend  den  contracten,  die  von  den  'uQtov  eniay-evaaral  ge- 
schlossen waren :  das  ergibt  Verhältnisse ,  die  nicht  die  centralisirte  Vermögensver- 
waltung, sondern  nur  die  Staatsaufsicht  über  das  kirchengut  voraussetzen,     übrigens 


216  I.    7.  Die  Verfassung. 

summe  auszugeben  haben,  dann  aber  auch,  weil  sie  contracte  ab- 
schhefsen,  baupläne  veranlassen,  endlich  im  falle  dafs  ihre  etatsmäfsigen 
mittel  nicht  zureichen,  extraordinäre  bewilligungen  beim  volke  beantragen 
müssen,  stehn  sie  notwendigerweise  mit  dem  rate  in  beständiger  bc- 
rührung.  ganz  dasselbe  gilt  von  den  poHzeibehörden :  denn  der  rat,  oder 
vielmehr  die  prytanen,  ist  die  centralstelle  für  die  polizei;  deswegen  ist 
dieser  ausschufs  in  permanenz  versammelt  und  verfügt  über  die  skythische 
Polizeiwache,  wie  sollten  die  marktaufseher  und  Stadtaufseher  seiner 
entraten  können?  und  es  bedarf  nur  geringer  Überlegung,  um  ganz 
denselben  schlufs  für  die  folgenden  behörden  zu  ziehen :  man  mufs  sich 
nur  die  Verwaltung  in  tätigkeit  denken. 

Genaue  prüfung  der  aristotelischen  darstellung  führt  also  darauf, 
dafs  er  eine  bereits  schriftUch  fixirte  aber  viel  ausführlichere  behandlung 
vor  äugen  hat,  die  er  für  seine  zwecke  zusammenzieht,  hier  und  da  mit 
eignen  lichtem  versieht,  durchgehends  aber  auf  die  hohe  der  gegenwart 
hebt,  mit  der  sie  nicht  mehr  völlig  stimmte,  auf  diese  Voraussetzung 
hin  mufs  nun  das  übrige  durchgesehen  werden. 
Erste  reihe  Die   stadtaufseher  haben    zu    sorgen ,    erstens  dafs  die  f^iovaovQyol 

\oBhe!xnnen.yvval'/.€g^   mit   einem    ionischen    worte    diese   classe  öffentlicher  dirnen 
zusammenzufassen,  die  taxe  innehalten  ^^),  zweitens  dafs  die  abfuhr  weit 


kann  bei  einem  städtischen  und  so  besonders  heiligen  gebäude  wie  dem  der  ßovxoXia, 
dessen  revenuen  zum  teil  in  naturalien  bestehn,  sehr  wol  diese  altertümliche  praxis 
noch  lange  nachdem  die  ra^lai  rcSv  aXlwv  d'scöv  eingeführt  waren,  bestanden  haben, 
das  gesetz  setzt  sehr  altertümliche  Ordnungen  voraus,  ist  aber  wol,  wie  die  über 
das  Anakeion  Hephaisteion  u.  a.  aus  der  zeit  zwischen  450  und  420.  im  eingang 
ist  sicher  rov  (^ßaaiXea  tov  aet)  ßaaiXeiovra  zu  schreiben. 

56)  Eigentlich  braucht  man  sie  freilich  zum  gottesdienste,  zum  Symposion 
zunächst  nur,  weil  es  mit  einer  goltesdienstlichen  handlung  anfängt,  aber  das  ist 
nebensache  geworden,  sie  gehören  offenkundig  zu  denen  a't  TiecpaafiEvoJS  ncoXovvzat. 
sie  werden  auch,  wie  die  komoedie  zeigl,  sehr  oft  vom  noQvoßoaxös  gehalten,  neben 
denen  die  nicht  ausgeschickt  werden,  den  in^  otxTjfiaro?,  oder  die  als  ns^al  sral^m 
ausgehn.  wahrscheinlich  war  diese  ganze  classe,  oder  vielmehr  die  mit  ihnen 
handelnden  hauswirte,  zum  no^vixov  tsXos  eingeschätzt,  und  mit  der  concession  des 
gewerbes  war  die  Steuer  verbunden,  also  auch  die  aufstellung  einer  taxe,  die  elegante 
Prostitution  war  Steuer-  und  taxfrei,  wer  die  taxe  erfand,  galt  dem  souA'eränen 
pöbel  natürlich  für  ebenso  volksfreundlich  wie  Solon,  der  erfinder  der  bordelle. 
ein  par  jähre,  ehe  Aristoteles  schrieb,  hatte  die  Volksversammlung  eine  eisangelie, 
d.  i.  eine  majestätsklage,  gegen  zwei  wirte  angenommen,  weil  sie  die  taxe  für  die 
flötenspielerinnen  überschritten  hätten  (Hypereides  für  Euxenippos  col.  19).  diese 
reminiscenz  läfst  noch  deutlicher  erkennen,  dafs  Aristoteles  nicht  ohne  ethos  diese 
bestimmung  des  vojuoe  uyo^avojuixös  ausgezogen  hat. 


Erste  reihe  der  losbeamten.  217 

genug  von  der  Stadt  geschieht"),  drittens  dafs  die  strafsen  nicht  durch 
vorbauten,  balcons,  dachrinnen,  nach  aufsen  aufschlagende  fenster  un- 
gangbar werden^*),  endhch  dafs  leichen,  die  sich  auf  der  strafse  finden, 
fortgeschafft  werden. ^'*)  das  sind  einzelheiten,  mit  denen  die  amtsprovinz 
der  astynomen  unmogUch  erschöpft  sein  kann,  auch  die  Pohtik  (Z1321) 
behandelt  sie  und  weist  ihnen  zu  1)  (he  wahrung  des  richtigen  Ver- 
hältnisses zwischen  öffentlichem  und  Privatinteresse  in  der  Stadt  2)  strafsen 
und   gebäudepolizei    3)   erhaltung  der  grenzen^")    4)  dergleichen  mehr. 

57)  Sie  geschieiU  iluicli  unteinelimei,  xon^o^oyoi,  nicht  durch  Srjftoatoi  e^yarai, 
natürlich,  weil  der  mist  die  hauptsaclie  ist,  der  seinen  wert  hat.  Theagenes  (Ar. 
Wesp.  1184)  war  begreiflicherweise  unangenehm  berührt  (wie  Münchhausen  als 
helikonischer  bock  über  die  holländische  dienstmagd,  die  ihn  aus  reinlichkeit  nicht 
aufser  äugen  liefs)  wenn  der  koprologe  dem  guten  künden  in  die  einsamkeit  nach- 
schlich (wenn  man  jetzt  z.  b.  in  die  Eumenidenkluft  einzudringen  versucht,  kann 
es  einem  auch  passiren,  dafs  einem  der  böse  blick  eines  aufgestörten  Kekropiden  ein 
cd  axaii  nunaCSevre  enlgegenschiefst) :  aber  dem  attischen  bauern  Var  mistaufladen 
so  wenig  entehrend  wie  jedem  bauern.  ob  der  staat  für  die  abfuhr  zahlte  oder 
der  Unternehmer  für  das  abzufahrende,  kann  ich  nicht  entscheiden. 

58)  Die  türen  giengen  nun  einmal  vielfach  nach  aufsen  auf  (schon  im  sechsten 
Jahrhundert  [Ar.]  oekon.  2,  4):  das  liefs  sich  nicht  ändern,  und  wenn  man  nicht 
dafür  sorge  trug,  dafs  sie  erst  innerhalb  des  flures  standen,  wie  meist  in  Pompei, 
so  dafs  sich  ein  ''vestibulum"  bildete,  so  mufsten  die  leute,  ehe  sie  sie  von  innen 
aufschlugen,  durch  klopfen  die  passanten  warnen,  aber  für  die  fenster  ward  also 
erzwungen,  dafs  ihre  laden,  so  weit  sie  deren  hatten,  nach  innen  schlugen,  dafs 
&vQiSes  fenster  sind,  sollte  doch  bekannt  sein. 

59)  Selbstverständlich  tritt  in  solchem  falle  die  polizei  nur  subsidiär  ein,  wenn 
oder  so  lange  die  angehörigen  nicht  da  sind  oder  ihre  pflicht  versäumen,  das  gesetz 
gab  die  modalitäten  genau  an,  und  wir  können  es  ziemlich  herstellen  aus  der  paral- 
lelen Instruction  der  demarchen,  für  deren  erhaltung  wir  dem  ungeschickten  redner 
gg.  Makartatos  (57)  nicht  dankbar  genug  sein  können,  einmal  weil  die  sache  selbst 
interesse  hat,  noch  viel  mehr  aber,  weil  wir  hier  offenbar  den  rest  einer  vom  volke  für 
alle  demarchen  erlassenen  Ordnung  besitzen,  nicht  die  Statuten  eines  einzelnen  demos. 
eine  solche  lex  municipalis  konnte  man  freilich  durch  juristische  logik  sicher  postu- 
liren,  aber  urkundlich  ihre  existenz  beweisen  können  ist  besser,  die  ausdrücke  im 
geselze  und  bei  Aristoteles  sind  dieselben,  nur  hat  der  städtische  astynom  sciaven 
zur  Verfügung,  der  demarch  mufs  die  notwendige  arbeit  verdingen,  wenn  dem 
demarchen  für  die  Versäumnis  der  pflicht  eine  Ordnungsstrafe  von  1000  dr.  droht, 
so  gilt  dasselbe  ohne  zweifei  den  astynomen  auch,  beide  fliefsen  in  das  Srjfxoaiov, 
nur  das  eine  mal  in  das  tov  Srifiov  tov  "A&rjvaicov ,  das  andere  mal  in  das  der 
STj/iotai.  wir  können  für  die  competenz  und  pflicht  des  demarchen  sagen:  er  übt 
die  pflichten  der  offTi'»'o/^ot  in  seiner  gemeinde,  natüilich  ebenso  die  der  lyoqavöfioi 
u.  s.  w.  wir  würden  die  einstige  Vollgewalt  des  aqywv  ^Adr^vaiaiv  ungleich  besser 
schätzen  können,  als  es  seine  competenz,  wie  sie  bei  Aristoteles  steht,  erkennen  läfst 
wenn  wir  die  des  Sr^^aQxos  kennten. 

60)  oqia-tai  sind,  wie  ihr  name  sagt,  dazu  da  grenzsteine  zu  setzen  und  kommen. 


218  I-    "?•  ^^'iß  Verfassung. 

das  sind  alles  allgemeine  Wendungen ,  wahrend  in  der  Politie  die  tech- 
nisch allischen  slehn;  aher  die  philosophische  behandluug  bestrebl  sich 
allgemein  zu  fassen,  was  einer  solchen  behörde  ihrem  wesen  nach  zu- 
fällt: hier  werden  ein  par  besonders  interessante  einzelheileu  heraus- 
gegriffen, das  allgemeine  aber  bleibt  fort,  weil  das  ein  Hellene  mit  dem 
Worte  aOTvv6f.ioi  bereits  hört,  im  attischen  gesetze  stand  es  natürlich: 
Aristoteles  kürzt. 

Mit  den  marktwächtern  steht  es  ebenso,  sie  hatten  bekanntlich 
die  marktpolizei  im  weiteslen  umfange*");  aber  Aristoteles  verzeichnet 
davon  nur,  was  etwa  unserem  nahrungsmittelgesetze  entspricht,  denn 
ihre  sorge  für  "^reine  und  unverfälschte  waare'  geht  zumeist  die  nahrungs- 
mittel  an.  übrigens  hat  er  hier  eine  sicherlich  anerkennenswerte  leistuug 
der  demokratie  hervorgehoben,  denn  dals  im  inleresse  der  consumenten 
die  polizei  von  amtswegen  den  belrügereien  entgegentritl,  also  auch  die 
händler  controlliren  darf,  ist  wirklich  volksfreundhch,  verstöfst  aber 
gegen  die  allgemeine  rechtsanschauung,  die  genug  getan  zu  haben  meint, 
wenn  der  geschädigte  sich  recht  suchen  kann. 


selbstversländig  jedesmal  als  speclalcommission ,  in  Athen  und  sonst  nicht  selten 
vor.  aber  das  öffentliche  land  und  das  der  privaten  occupation  frei  gegebene  (das 
ist  vifiEiv)  waren,  wie  die  erhaltenen  grenzsteine  lehren  (z.  b.  CIA  IV  p.  121),  durch 
ö^JtffTwt  einmal  geschieden;  es  bestanden  auch  acten,  in  denen  die  grenzsteine  loca- 
lisirt  waren  (z.  b.  Istros  im  schol.  Soph.  OK  1060,  verbessert  Kydath.  111),  und 
eine  controlle  war  nötig,  das  ist  also  in  der  Stadt  und  dem  hafcn ,  wo  besonders 
viel  land  der  ersten  classe  war,  sache  der  astyndnien,  auf  dem  lande  sache  der 
demarchen.  daraus  folgt,  dafs  die  grenzstreitigkeiten  vor  die  astynomen  gehören, 
wenn  es  sich  um  städtische  grundstücke  handelt;  Antiphons  rede  TisQi  oqcov,  die 
den  Kerameikos  angieng,  war  eine  probe. 

61)  Die  Politik  gibt  ihnen  die  snifitXeia  iä.v  avayy.aiwv  tceqI  rrjv  oyoQäv, 
das  ist  nur  die  deutung  ihres  namens,  und  speciell  die  aufsieht  tibqI  t«  av^ßölaia 
aal  TTjv  sixoa/uiav,  wozu  Theophrast  das  dxpavSslv  iv  rf,  uyoQÜ  fügt  (Harp.  s.  v.). 
talsächlich  hatten  sie  viel  zu  tun,  den  unberechtigten  den  zutritt  zum  bazar  wehren, 
das  Standgeld  der  dazu  verpflichteten  einziehn,  die  accise  der  Pflichtigen  waaren 
erheben  und  die  Ordnung  in  jeder  beziehung  halten.  Lipsius  Alt.  Proc.  101.  nur 
dafs  sie  den  hetären  ihre  taxe  vorgeschrieben  hätten,  ist  eine  lorheit,  die  man  der 
späten  glosse  Siäy^afifia  bei  Suidas  (erste  glosse,  die  zweite  ist  Harp.  epitom.  und 
mit  ihr  und  Siaygd/ufiara  hängen  BA  236,  241  zusammen)  nicht  hätte  glauben 
dürfen,  wenn  sie  überhaupt  attische  agoranomen  angehn  soll,  so  ist  es  schliefslich 
eine  Verwechselung  mit  den  astynomen;  aber  die  glosse  ist  unbekannter  herkunft 
und  geht  wol  irgendwelche  aedilen  an.  denn  in  römischer  zeit  ist  die  besteuerung 
der  hetaeren  auf  grund  der  eigenen  laxe  gewöhnlich  (z.  b.  Dessau  Herm.  19,  517j. 
dtäy^afi/ua  im  sinne  von  tarif  ist  schwerlich  attisch;  das  würde  TtftT]na  sein. 
Sidy^cxfifia  ist  'specificirte  aufslellung  oder  rechnung'. 


Erste  reihe  der  losbeamten.  219 

An  den  Wächtern  über  mafs  und  gewicht  war  schweriich  etwas 
einzelnes  hervorzuheben,  um  so  mehr  aber,  dafs  es  in  Athen  eine  solche 
behörde  gab,  die  die  mafse  und  gewichte  der  händler  controUirte,  denn 
das  war  gewifs  nichts  gewöhnliches  in  Hellas,  wir  verdanken  dieser 
stelle  alles  was  wir  von  den  metronomen  wissen.^-) 

An  den  getreideaufsehern ,  die  den  verkehr  mit  getreide  niehl  und 
brot  überwachen,  fällt  nicht  die  formulirung  ihrer  pflichten  auf,  die  viel- 
mehr ersichtlich  aus  dem  gesetze  stammt"^],  aber  wol  die  Verzeichnung 
einer  bedeutenden  Vermehrung  der  zahP*),  und  dafs  nicht  einfach  an- 
gegeben, sondern  in  einem  besonderen  satze  nach(h"iicklich  noch  einmal 
eingeschärft  wird,  diesen  beamten  stünde  die  fixirung  der  preise  und 
des  entsprechenden  gewichtes  jener  waaren  zu.  nach  der  erfahrung 
mit  der  ähnlich  stilisirten  angäbe  über  die  belohnung  des  abtretenden 
rates  (oben  anm.  44)  vermutet  man  darin  eine  latente  polemik,  eine  be- 
richtigung.  und  wirklich,  zu  Xenophons  zeit  ward  das  gevricht  des  brotes 


62)  Die  von  uns  zur  stelle  citirten  granimatikerstellen  (sammt  ihren  abschriften,  die 
wir  weglassen)  gehn  auf  einen  mann  zurück,  der  den  aristotelischen  paragraphen  stili- 
stisch umformte,  weil  das  schöne  alte  roTs  fit'rQoie  xQrjad'ai  Sixaiois  mit  seinem  praedi- 
cativen  adjectiv  ihm  zu  schwer  schien,  sonst  wissen  wir  nur,  dafs  der  name  der 
metronomen  in  einer  deinarchischen  rede  (Harp.  s.  v.  Pollux  4,  167)  vorkam,  das  ist 
ein  Zeugnis  derselben  zeit,  der  berühmte  volksbeschlufs  über  mafs  und  gewicht 
(CIA  II  476)  weifs  nichts  mehr  von  metronomen;  schwerlich  bestanden  sie  noch, 
überhaupt  wissen  wir  weder,  wann  sie  geschaffen,  noch  wann  sie  abgeschafft  sind, 
und  ein  besonnener  forscher  sollte  sie  nur  als  eine  behörde  der  demosthenischen 
zeit  führen,  die  Verfassung  von  322,  die  selbst  die  geschäfte  der  astynomen  den 
agoranomen  auferlegte  (Dilt.  syll.  337),  hat  sie  sicher  nicht  geschont. 

63)  Von  sich  aus  würde  Aristoteles  weder  den  in  Athen  sonst  unbelegten  aus- 
druck  aiToe  agyäs  für  axaxtQyaaTos,  noch  die  nur  durch  die  formelhafte  Verwendung 
desselben  entschuldigte  Wortstellung  6  airoe  a^yöe  gebraucht  haben,  vgl.  raQQos 
«(»/OS  von  unverarbeiteten  y.confjs  CIA  II  809"^  221. 

64)  Kenyon  beharrt  dabei,  es  stünde  auf  dem  papyrus  viJv  ö^  si'y.oai  ftsr,  und 
Blafs  scheint  dasselbe  zu  meinen,  aber  auf  den  exemplaren  des  facsimiles,  die 
wir  gesehn  haben,  und  die  sehr  klar  sind,  ist  nichts  als  Eixoa/u{ei')  zu  erkennen, 
und  ich  fürchte,  dafs  das  angebliche  iota  nur  etwas  verwischte  tinte  ist.  es  liegt 
sehr  nahe,  das  scheinbar  bequeme  ei'xoai  zu  lesen,  statt  einer  corruptel;  es  mag 
aber  da  stehn:  eine  corruptel  ist  es  doch,  denn  erstens  ist  es  nicht  hübsch  aus 
T;aav  ndXai  fisv  Sexa  zu  vvv  ^'  eixoai  das  verbum  substantivum  zu  ergänzen, 
zweitens  ist  eine  zahl  35  für  eine  altische  behörde  sehr  wenig  wahrscheinlich, 
drittens  steht  bei  Photion  vare^ov  Se  r^idxovra  fiev  iv  darei  nsvre  d'  iv  Uei^atel, 
und  darin  die  gesammtsumme  35  zu  finden  ist  eine  bedenkliche  kritik,  um  so  be- 
denklicher, als  in  der  zeile  vorher  TtsvzsxaiSexa  an  stelle  von  nivze  steht,  also 
eben  die  zahl,  die  hier  sowol  vor  /^iv  wie  statt  ntvxe  nötig  ist.  vielleicht  hätten 
wir  aber  besser  getan  vvv  S'  etai  ).' ,  li  fxiv  herzustellen. 


220  '•    "•  Die  Verfassung. 

von  den  agoranomen  geprüft.®^)  386,  d.  h.  zu  derselben  zeit,  bestand 
noch  die  zehnzahl  der  beamten  für  das  getreide^''):  sie  sind  also  einmal 
beträchtlich  vermehrt  worden,  als  man  ihnen  zur  aufsieht  über  die  ge- 
treidehändler  auch  die  über  mtiUer  und  bäcker  anvertraute,  und  min- 
destens sehr  nahe  liegt  es,  dies  geschehen  zu  denken,  als  die  grofse 
teuerung  der  ersten  zwanziger  jähre  die  Athener  zu  allen  möghchen 
mafsnahmen  antrieb.  nur  damals  begegnet  uns  auch  die  amtliche 
notierung  des  getreidepreises,  die  Aristoteles  hier  erwähnt"'');  zu  Lysias 
Zeiten  hat  sie  nicht  bestanden,  die  aLTOcpvXay.eg,  das  sagt  ihr  name, 
hatten  eigentlich  das  getreide  zu  beaufsichtigen,  seine  entfremdung  und 
seinen  misbrauch  zu  verhüten,,  und  dem  entspricht  es,  dafs  wir  sie  bei 
Lysias  beschäftigt  finden,  den  einkauf  des  getreides  von  den  importeuren 
zu  überwachen,  die  verproviantirung  der  bürgerschaft.  die  pflichten,  die 
Aristoteles  angibt,  und  die  selbst  beim  ungemalenen  körn  auf  den  ver- 
kauf an  das  publicum  sich  beschränken,  sind  mit  dem  namen  gar  nicht 
mehr  congruent,  und  schwerlich  blofs  weil  Aristoteles  sie  unvollständig 
angibt,  gerade  nach  der  bezeichnenden  seite  enger  als  bei  Lysias.  denn  es 
folgt  bei  Aristoteles  die  besondere  behörde  der  hafeninspectoren,  IfXTtoqiov 
emf-ielr^rai,  die  aus  einer  commission  ein  ordentliches  amt  geworden 
sind,  und  diesen  liegt,  wie  er  lehrt  und  wie  sonst  feststeht,  gerade  die 
verproviantirung  der  Stadt  ob.    sie  halten  das  eingeführte  getreide  fest®*), 

65)  Symp.  2,  22  Sokrates  hat  einen  so  dicken  bauch,  dafs  sein  Unterkörper 
so  viel  wiegt  wie  sein  Oberkörper,  üjote  xav  et  toIs  ayoQavöfiois  afpiarair^z  (-<wj/S 
die  handschr.,  weil  die  Schreiber  laräv  für  laravai  sagten),  waiisQ  (xqtovs  ra  xäro) 
TT^os  la  avco,  ai^r;fiiov  av  yevea&ai.  von  Schenkl  in  schlimmer  weise  verdorben 
zu  eX  TIS  ayoqavöfio?,  o(fia%airi  aov ,  wo  schon  der  unbestimmte  artikel  bei  dem 
magistratsnamen  ein  Sprachfehler  ist. 

66)  Lys.  22,  8  vgl.  die  beilage  über  diese  rede,  der  vers  Mr;Tixos  8'  u^tovs 
enonrq,  MrjXixos  Se  TaXtpixa  (Komiker,  doch  wol  Kratinos  bei  Plut.  rei  p.  ger 
praec.  15)  geht  also  das  amt  des  agoranomen  an. 

67)  xad'sarrjxvTa  ri/iri  ist  der  Verkaufspreis,  der  so  zu  sagen  an  der  getreidebörse 
amtlich  festgestellt  wird,  und  zu  dem  in  der  not  der  Staat  das  getreide  verkauft, 
die  not  ist  nur  grofs,  und  der  hunger  zwingt  ein  ganz  exorbitantes  ennifirifia  zu 
zahlen,  wenn  die  händler  es  verlangen,  den  gewaltact,  den  bandet  mit  teurerem 
körn  zu  verbieten,  wagt  der  Staat  nicht;  er  wendet  nur  alle  mittel  an,  um  die 
händler  zu  der  liberalität  zu  vermögen,  dafs  sie  zum  normalpreise  verkaufen,  vgl. 
die  stellen  der  demosthenischen  reden  34  und  56  und  der  steine  bei  Wilhelm  Herrn. 
24,  148  ffg. 

68)  Sie  zwingen  die  grofskaufleute  zwei  drittel  des  getreides,  das  in  den  ge- 
treidehafen  kommt,  nach  der  Stadt  zu  schaffen,  natürlich  nicht  selbst,  sondern  dahin 
abzusetzen,  eis  to  airiHcv  ifinvQiov  hat  der  papyrus,  und  wir  hielten  die  corrup- 
telen   der   citate  für  unwert  einer  erwähnung;   das  emporium  entspricht  dem  bazar 


Erste  reihe  der  losbeamten.  221 

sorgen  dafUi',  dafs  die  attische  rliederei  und  das  in  ilir  angelegte  capital 
dem  attischen  getreidehandel  zu  gute  kommt,  natürlich  auch  für  das  was 
ohne  Zeugnis  der  name  lehrt,  Aristoteles  deslialh  wegläfst,  für  die  evy.oai.iia 
im  emporium  und  die  eihehung  der  zolle,  man  kann  nicht  anders  an- 
nehmen, als  dafs  die  von  Lysias  erwähnte  bestimmung,  dafs  niemand 
mehr  als  50  körbe  getreide  auf  einmal  kaufen  durfte,  ihnen  zufallen 
mufste,  da  doch  das  getreide  im  emporium  lagerte.  mit  andern 
Worten,  diese  behörde  scheint  später  eingeführt  zu  sein  und  einen  teil  der 
cpvlaxi]  Tov  aiTov  übernommen  zu  haben,  die  aiTOcpvlaKsg  bestanden 
386  schon  lange  zeit;  wie  lange,  ist  unbekannt,  die  l/.i7toQiov  STiifis- 
krjTai  sind  nur  aus  demosthenischer  zeit  belegt,  seit  der  rede  gegen 
Lakritos.  vielleicht  sind  sie  unter  Eubulos  errichtet,  als  der  Staat  die 
politik  verwirkhchle,  für  die  Xenophon  seine  IIÖqol  geschrieben  hatte.*'-*) 


und  hat  dem  zufolge  für  die  verscliiedeneii  waaren  verscliiedene  abteilungen.  aajiyicv 
ist  allerdings  eine  sehr  alte  Variante  (BÄ.  208.  255.  288),  von  der  uttmov  (Harp.) 
eine  wertlose  corruptel  ist :  denn  über  die  schiffe  auf  dem  meere  hatten  die  beamten 
keine  gewalt,  sie  nach  Athen  statt  nach  Rhodos  zu  zwingen,  aber  die  erklärung  des 
grammaükers,  auf  den  BA  208  zurückgeht,  dafs  die  Athener  ein  emporium  für  die 
bürger  und  eins  für  die  fremden  gehabt  hätten,  ist  verkehrt:  die  Zwischenhändler 
waren  ganz  überwiegend  metöken,  und  wie  liefs  sich  die  controUe  durchführen, 
gesetzt  es  hätte  einen  zweck  gehabt,  ^/s  der  ladung  für  die  bürger  zu  reserviren? 
und  gieng  das  dritte  drittel  etwa  an  die  fremden?  das  gesetz  wollte  doch  nur  die 
Importeure  zwingen,  ^/s  der  waare  in  Athen  abzusetzen,  ^srixdv  ifinoQiov  wird 
der  grammatiker  sich  ausgedacht  haben,  die  glossen  284.  208  sind  aus  der  eiklärung 
von  255  entwickelt:  sehr  viel  hängt  in  diesem  lexicon  so  zusammen. 

69)  Er  empfiehlt,  durch  besondere  preise  die  suno^iov  ao^r,  zur  schleunigen  er- 
ledigung  der  handelsprocesse  zu  bestimmen  (3,  3).  diese  processe  haben  die  sunooiov 
sTiifislriTai  nie  etwas  angegangen,  also  ist  es  nicht  wahrscheinlich,  dafs  Xenophnn 
einen  ausdruck  gewählt  hätte,  den  man  speciell  auf  sie  beziehen  mufste,  wenn  es 
sie  gab.  somit  sind  sie  wahrscheinlich  später  eingesetzt,  ganz  ebenso  wie  man 
mit  recht  gefolgert  hat,  dafs  für  die  sfinooixai  SUat  vor  den  thesmotheten  erledigung 
binnen  monalsfrist  während  der  monate  Boedromion  bis  Munichion  (rede  gg.  Apa- 
turios  23)  erst  nach  355  vorgeschrieben  ist  (Lipsius  Att.  Pr.  100).  es  war  nicht 
unpraktisch,  den  thesmotheten  diese  schleunigen  klagen  zuzuweisen,  da  sie  auf  ein 
halbes  jähr  beschränkt  waren,  und  diese  behörde  zwar  sehr  viele,  aber  sonst  keine 
im  monat  zu  erledigenden  klagen  einzubringen  hatte,  die  elacycoyels  waren  mit  den 
sjufijjva  die  sie  von  alters  her  zu  erledigen  hatten  gerade  genug  belastet,  und  sie  waren 
nur  fünf,  die  thesmotheten  sechs,  so  dafs  diese  sechs  gerichtshöfen  an  einem  tage 
Vorsitzen  konnten,  dennoch  ist  nicht  unmöglich,  dafs  die  analogie  später  auch  die 
ifiTtoQiy.ai  als  suurjvoi  den  slaaycoysls  zugelühit  hat,  falls  diese  überhaupt  noch 
bestanden,  oder  aber  Pollux  8,  101  nicht  eben  durch  diese  analogie  getäuscht  ist. 
gerade  weil  wir  die  gerichtsverhältnisse  der  demostlienischen  zeit  gut  kennen  und  sehr 
viel  Wechsel  antreffen,  müssen  wir  uns  mit  manchem  zweifelhaften  für  die  folgende 


222  I-    7,  Die  Verfassung. 

Diese  reihe  verwandter  ämter  wird  passend  beendet  durch  die  exe- 
culivpoHzei,  deren  organ,  die  elfniänner,  wirklich  seit  Solon  und  länger 
bestand'"')  und  seine  feste  competenz  hatte,  die  auch  hier  scharf  be- 
stimmt wird,  nur  ein  punkt,  ihr  Vorsitz  in  gewissen  von  einer  denun- 
tiation  hervorgerufenen  gerichtsverhandlungen,  wird  mit  der  nun  schon 
mehrfach  bemerkten  geflissentlichen  bekräftigung,  dafs  eben  die  elf  dies 
zu  tun  hätten,  hervorgehoben,  die  auch  hier  dafür  Zeugnis  ablegt,  dafs 
Aristoteles   eine    andere   behandlung  des  gegenständes  vor  äugen  hat.'") 

Fassend  folgen  auf  die  polizei  die  richler,  in  attischem  sinne  also 
die  beamten,  welche  lediglich  dazu  erlost  werden,  gewisse  rechtshändel 
teils  kurzer  band  zu  erledigen,  vornehmlich  aber  sie  einem  geschwornen- 
gerichte  vorzulegen,  zuerst  stehn  die  fünf  männer  für  das  einbringen 
der  schleunigen  klagen,  die  schon  um  die  mitte  des  fünften  jahrhundeits 
geschaffen  waren,  als  die  processe  der  bundesgenossen  den  gewohnlichen 


zeit  zufrieden   geben,     die  angalie  des   Aristoteles   zu  bezweifeln,  ist  kein   grund 
vorhanden. 

70)  Die  zahl  elf  zeugte  von  jeher  genug  dafür,  dafs  diese  behörde  älter  als 
Kleislhenes  war.  mit  den  phylen  ist  sie  erst  306  ausgeglichen  (Poll.  8,  102);  wie  sie 
bis  dahin  in  den  elf  vertreten  waren,  ist  unbekannt,  übrigens  ist  die  verhältnismäfsig 
hohe  ungerade  zahl  in  der  alten  zeit  aus  dem  nämlichen  gründe  gewählt  wie  die  der 
51  epheten:  die  elf  sollen  als  magistratscollegium  richten  und  ein  urteil  durch  mehr- 
heit  finden,  es  ist  denaturirung,  wenn  sie  ein  volksgericht  berufen,  und  ich  möchte 
nicht  versichern,  dafs  sie  es  vor  der  perikleischen  zeit  getan  hätten,  unter  den  dreifsig 
haben  sie  jedenfalls  in  alter  weise  todesurteile  auch  über  solche  die  leugneten  ge- 
fällt und  vollziehen  lassen:  das  nur  kann  motiviren,  dafs  sie  von  der  amnestie  aus- 
genommen wurden. 

71)  Auf  diese  bedeutung  der  stelle  hat  Lipsius  sofort  aufmerksam  gemacht, 
rechtlich  liegt  die  sache  so,  dafs  die  elf  da  competent  sind,  wo  das  beschleunigte 
verfahren  der  anaycoyr]  statt  hat,  also  flagrantes  delict  vorliegt,  ob  der  im  eigenen 
oder  im  öffentlichen  Interesse  einschreitende  bürger  den  missetäter  selbst  zu  der 
behörde  bringt  {coercet  anayei),  oder  eine  meidung  macht  (svSeixfvai),  damit  die 
behörde  ihn  dingfest  mache,  ist  für  den  straffall  irrelevant,  und  nach  dem  rechte, 
das  gellen  mufsle,  seit  die  macht  der  magistratur  zu  gunsten  der  allgewalt  des 
Volkes,  d.  h.  des  gerichtes  gebrochen  ist,  mufste  in  jedem  falle,  wo  die  qualität  des 
delictes  als  flagrant  und  manifest  bestritten  ward,  das  gericht  angerufen  werden, 
dem  folgerichtig  die  elf  vorsafsen:  oder  vielmehr  einer  von  ihnen,  denn  es  mufste 
doch  einer  oder  vielmehr  mehreie  auf  dem  polizeibureau  sein,  nun  ist  aber  auch 
der  rat  (die  prytanen)  Polizeibehörde,  er  nimmt  also  auch  evSsi^sis  an,  die  er 
zur  aburteilung,  so  weit  wieder  ein  gericht  nötig  wird,  den  thesmotheten  übergibt, 
wie  alle  seine  processe.  daher  concurriien  elf  und  thesmotheten  in  den  evSei^sis. 
da  nun  die  alten  magislrate  immer  mehr  zu  gunsten  des  rates  talsächlich  zurück- 
traten, ist  wol  begreiflich,  dafs  jemand  die  evSei^sis  eis  tovs  t'vSexa  vergessen 
konnte. 


Erste  reihe  der  losbeamten.  223 

beamten  zu  viel  arbeit  machten ,  und  deren  bestimmung  ursprünglich 
nicht  gewesen  zu  sein  scheint,  die  schleunigen  processe,  sondern  die 
auf  bestimmte  monate  angewiesenen  bündner-  und  kolonistensachen  zu 
erledigen,  was  dann  freilich  in  der  vorgesehenen  frist  nötig  warJ^)  das 
vierte  Jahrhundert  hat  sie  dann  in  seinen  beschränkten  Verhältnissen 
für  etliche  schleunige  Sachen  verwandt,  wir  wissen  freilich  nicht,  ob 
sie  immer  fortbestanden  haben,  was  ich  nicht  bezweifele,  dagegen  haben 
die  vavTodUai,  die  dem  namen  nach  für  die  spätem  ei.i7toQiY.al  dUai 
bestimmt  gewesen  sein  müssen,  einzeln  auch  so  vorkommen")  und  mit 
den  eioayioysig  die  schleunige  entscheidung  teilen,  nur  noch  kurze  zeit 
nach  403  bestanden,  vorher  aber  sind  ihnen  sowol  sachen  einzelner  städte 
zugeteilt  gewesen ^^),  wie,  doch  wol  nur  in  einem  besondern  falle, 
klagen  '^6viag''%  die  unter  normalen  Verhältnissen  den  thesmotheten  gebort 


72)  In  der  zeile  CIA  I  37,  7  steht  vor  der  entscheidenden  erwähnung  der 
slaaycoyTJs  der  monat  Mat/uaxri^^tcüv.  38*  (IV  p.  13)  wird  der  rafirihcöv  erwähnt; 
dafs  er  die  Eiaaywyris  angehe,  bleibt  wahrscheinlich,  obwol  der  stein  nicht  zu  38 
gehören  soll,  in  38  werden  mifielriiai  erwähnt,  die  bestimmte  Sachen  efi^irjva  vor 
gericht  bringen   sollen,     in   dem  slalut  für   Milet  (CIA  IV  p.  6)  gibt  das  stück  c 

folgende  Zeilenanfänge  t«s]  §e  Sinai  evai  Mikeaiois  üa{ra. S^axfias  ano  röv 

i7ti8txdro[v  gefalle  an  die  attische  göttin,  t«  S]e  Ttovravela  ri&avrov  ttqcs cd 

8]s   Si'xai  lAd'heai   ovrov   ev   i[5i  —  —  yai  'Avd'EaxrjlQiövi,   xnl  'EXacpsßoXiovi   h 

—  vsfiavrES   xai   )tXs^c(TavTt[s  —  —    eaayjövTOv  Svo  röv  oiqxÖvtov  x  —   —  6  8ä 
ftiad'ds  SiSöla&o  toTs  Sixaarsaiv  ix  to 7i]aQex6vTOv  rb  Sixaat[rjQtov  nXrjoss 

—  —    ev    ro7s  j-ir^oi   toIs]    nqosQBfitvoii    t   evd'vv[cad'(ov   %i}.iaGi   Squ^ur^at,   —   — 
■jiooi    rbs   oQXOftcs    TOS  'Ad'[7]vaicov   —    —    ^A&a'vni^e   toIs    emuEXilrrfai   —    —  ai 

xad'änEQ  TTQo  rö  xni  ku  [MiXrjiwi'l s  inifiEXäa&ov  hoi  7iEt[jE  die  nach  diesem 

beschlösse  gewählten  5  int/uEXr/rai] ro  Si]xnaTEqi,ov  xad't^Ei  x  —  —  nogevo- 

ftevois  ivai  e ol  olqxovtes  hot  ^Ad'Eva{ioiv töS  Ss  hvnio  /lExaröv;   folgt 

ein  eid.     hier  ist  wenig  sicher,  aber  feste  teimine  der  milesischen  processe  in  den 
Wintermonaten,   die  oqxovtes  sind  mehrdeutig;  vielleicht  gab  es  noch  keine  elaaycjyr,?. 

73)  Lys.  17,  5  vom  jähre  398,  dies  oder  das  citat  aus  der  verlornen  rede 
wider  Alkibiades  bei  Haip.  ist  die  letzte  erwähnung.  sie  richten  wider  einen  sfinoQoi 
im  Gamelion. 

74)  CIA  I  29,  4,  ein  Statut  für  die  kleruchen  von  Oreos  und  die  dortige  unter 
tänige  bevölkerung,  iv  tc*  aliZi  fiEvi  hoi  vnvxoSixai,;  ob  dazu  ixdixät,Eiv  zu  denken 
ist,  ist  nicht  sicher,  aber  nach  38  glaublich. 

75)  Das  wichtige  gesetzesbruchstück  steht  aus  Krateros  bei  Harp.  s.  v.  iav 
Ss  TiS  ^1  afifdlv  ^Evoiv  yEyovd.i  fqarqi^j],  Sicoxsiv  stvai  reo  ßovXoftdvco  ^d'rjvai'cov 
ols  Slxai  eial,  Xayxaveiv  Ss  ncfi  i'vr]  xai  rsq  tiqos  rovs  vavtoSixas.  da  solche 
yqatfal  ^Evias  nur  von  Arislophanes  in  den  Daitales  (727)  und  von  Kratinos  in  den 
Chirones  (S,  vor  Perikles  tod)  erwähnt  werden,  so  mufs  man  das  gesetz  entweder 
mit  dem  perikleischen  von  451  identificiren,  was  mir  am  geratensten  scheint,  oder 
mit  einem,  das  es  später  modificirte:  denn  o'ftfort'qcod-fv  ^s'toi  blieben  immer  strafbar. 


diaeteien 


224  I-    7.  Die  Verfassung. 

haben   müssen,  wie   es  Aristoteles  angibt:   denn  die  Sicherung  der  ge- 
schlechter vor  fremden    eindringlingen   ist  gerade  für  die  adelszeit  ein 
wichtiges  ding  und  geht  die  an,   die  damals  die  rechtsprechung  übten. 
£)ie  Die  vierzigmänner,  für  die  sich  Aristoteles  auch  in  dem  geschicht- 

lichen abschnitte  interessirt,  sind  so  wie  sie  hier  erscheinen  erst  eine 
Schöpfung  der  demokratischen  restauration ,  und  die  Schiedsmänner  hat 
sie  überhaupt  erst  zu  einer  staatlichen  einrichtung  gemacht:  sie  folgen  also 
gut  auf  die  sioaycoyelg.  die  Schiedsmänner  behandelt  Aristoteles  mit  der 
Sorgfalt  und  in  dem  breiten  Stile,  den  später  die  darstellung  des  gerichts- 
wesens  zeigt,  es  interessirte  ihn  mit  recht  der  geistreiche  versuch,  die 
heliasten  und  beamten  dadurch  zu  entlasten,  dafs  alle  privatprocesse 
zunächst  einem  schiedsmanne  vorgelegt  werden  mufsten,  der  sogar  ge- 
hahen  war,  einen  vergleich  zu  versuchen,  dann  aber  die  Verhandlung, 
so  weit  sie  Untersuchung  war,  abschlofs:  denn  kam  die  sache  vor  ein 
gericht,  so  waren  erneute  beweismittel  nicht  mehr  zulässig,  sondern  es 
handelte  sich  nur  um  das  urteil,  also  gab  es  erstens  weniger  processe 
überhaupt,  also  auch  viel  weniger  kosten  für  die  staatscasse,  denn  der 
Schiedsmann  bekam  nur  sportein  von  den  parteien ,  und  dann  mufste 
die  Verhandlung  vor  gericht  eigentlich  sehr  viel  weniger  zeit  kosten,  da 
die  veinehmnng  der  zeugen  fortfiel  —  da  hat  freilich  die  attische  mund- 
fertigkeit  und  die  grassirende  rhetorik  das  werk  ziemlich  vereitelt,  und 
die  sechzigjährigen  einzelrichter  haben  überhaupt  geringe  autorität  er- 
langt, weshalb  man  wol  schon  323  die  Schiedsmänner  definitiv  beseitigt 
hat.'®)  noch  geistreicher  ist  es,  wie  man  sich  die  Schiedsmänner  ohne 
kosten  für  den  Staat  beschaffte ,  nämlich  indem  man  den  letzten  Jahr- 
gang der   miUtärpflichtigen    dazu   aushob"),   also  einen  im  kriege  doch 

den  Worten  oL  §ixai  siaiv  enlspiicht  in  dem  gesetze  des  vierten  jahitiundeits  (Apollodor 
geg.  Neaira  16)  ols  s^sanv,  beides  bezeichnet  also  nur  den  bürger,  der  processiren 
darf,  d.  h.  mündig  und  im  genusse  der  vollen  bürgerlichen  ehre  ist.  dafs  man  für 
diese  eine  soite  processe  die  nautodiken  heranzieht,  die  mit  ilinen  so  wenig  und 
so  viel  zu  tun  haben  wie  mit  den  processen  der  Oreiten,  ist  ebenso  wie  die 
fixirung  der  termine  für  solche  klagen  auf  einen  tag  im  monat  ein  charakteristischer 
versuch,  den  geschäftsgang  der  gerichte  zu  ordnen  und  der  unüberwindlichen  masse 
von  rechtshändeln  herr  zu  werden,  unüberwindlich  waren  sie,  das  lehrt  der  oligarch 
der  IIoL  lä&tjv.  aber  dafs  die  Athener  sich  mühe  gegeben  haben,  sollen  wir  ge- 
recht genug  sein  anzuerkennen. 

76)  Die  scharfe  und  sehr  belehrende  kritik  des  Demetrios  von  Phaleron  steht, 
leider  im  Wortlaute  sehr  entstellt,  bei  Pollux  8,  126  und  im  lex.  Cantabr.  /urj  oian  Siyrj. 

77)  Man  kann  schwanken,  ob  nicht  vielmehr  das  erste  jähr  nach  vollendeter 
militärpflicht  für  das  schiedsmannsamt  bestimmt  ward,  denn  ols  äv  e^rjxoarbv  sxos 
fl  ist  zweideutig,     aber  die  42  eponynien  entscheiden:    es  sind  eben  nur  42  tafeln, 


[ 


Die  diaeteten.  225 


lieber  nicht  verwandten  teil  der  bürgerschaft  zu  einem  geschäfte  heran- 
j  zog,   für  das  alter  und  erfahriing  ihn  geeignet  erscheinen  liefsen.     die 

Institution  zeigt  den  guten  willen  der  biedern  männer,  die  neben  den 
ji  radicalen   schreiern   in   der  schweren   zeit  von    403   ab  tätig  zu  sehen 

woltut.     ihre  namen  sind  verschollen.'^) 

In    dem   aristotelischen   capitel  fällt  die   einmischung  der  phylen- 

eponymen  auf.    ist  das  nicht  seltsame  rede  "wer  60  jähr  alt  ist,  das  weifs 

man  durch  die  eponyme.  es  gibt  nämhch  zwei  arten  eponyme,  10  der 
;  phylen,  42  der  Jahrgänge  u.  s.  w."  wer  so  weit  bei  Aristoteles  gelesen  hat, 
l  braucht  die  phyleneponyme  wahrlich  nicht  erst  kennen  zu  lernen;  als 
i  bekannt  sind  sie  noch  eben  48,  4  erwähnt,  und  im  nächsten  satze  wird 

die  bronzetafel  vor  dem  ralhause  naqcc  rovg  e/to)vvf.iovg  gestellt,  ohne 

dafs  diese  einen  diakritischen  zusatz  erhalten,  die  einfiihrung  der  10  epo- 
I  nymen,  die  der  gott  aus  100  vorgeschlagenen  gewählt  hatte,  ist,  wo  sie 
:  hingehört,  unter  Kleisthenes  erzählt  (21,  6).  woher  also  diese  redeweise 
1  hier?    vergleichen  wir  die  zweite  glosse  des  Etym.  M.  E7icövvf.ioi'.  öirroi 

:  wenn  also  eine  neue  dazu  kommt,  so  wird  eine  alte  cassirt  und  eben  deshalb  auf 
'  der  neuen  der  name  des  eponymen  diaeteten  vermerkt,  der  im  verjähre  amtirthat: 
der  eponymos  des  Jahrgangs  ist  er  längst  nicht  immer,  sondern  nur,  wenn  der  nicht 
mittlerweile  verstorben  oder  zur  zeit  verhindert  war.  die  diaeteten  also  entsprechen 
nun  der  letzten  tafel,  d.  h.  dem  ältesten  der  42  Jahrgänge,  d.  h.,  da  die  epheben 
beim  eintritte  18  jähre  vollendet  haben,  dem  jahrgange  derer,  die  60  jähre  vollendet 
haben,  da  die  tafeln  mit  den  Jahrgängen  in  Athen  aus  holz  oder  bronze  waren, 
haben  wir  keine  reste:  aber  wie  die  boeotischen  steintafeln  anzusehn  sind,  die  die 
recruten  aufzählen,  wissen  wir  nun.  natürlich  werden  uns  aber  die  diaetetenlisten  nun 
sehr  wichtig,  weil  sie  lauter  sechzigjährige  enthalten :  so  ist  Hypereides  nach  dem 
steine  CIA  II  941  unter  Aristophon  (330/29)  diaetet  gewesen,  also  400/399  geboren, 
man  kann  auch  so  sagen:  da  dieses  jähr  zu  allem  was  wir  über  Hypereides  wissen, 
der  um  360  staatsreden  zu  verfassen  begonnen  hat,  trefflich  stimmt,  darf  die  Ver- 
mutung als  sicher  gelten,  dafs  jener  stein  eine  diaetetenliste  gibt,  freilich  war 
dieses  geburtsjahr  nicht  constatirt,  als  er  18  jähre  war,  wenn  die  42  tafeln  erst 
mit  der  ephebie  eingeführt  sein  sollten  (vgl.  oben  s.  190);  aber  ein  katalog  für  die 
aushebungen  mufs  doch  immer  vorhanden  gewesen  sein,  die  ephebie  wird  nur 
die  vergänglichen  holztafeln  durch  die  bronze  ersetzt  haben. 

78)  Vergleichbar  ist  die  altspartiatische  sitte,  dafs  die  tTtnrfi  (die  zu  den  zeiten 
Damonons  auch  noch  nicht  alle  pferdelos  gewesen  sein  werden)  nach  ablauf  ihrer 
dienstzeit  araioi  werden,  und  die  fünf  besten  den  titel  ayad'os^yoi  erhalten  und 
von  den  Ephoren ,  die  sie  auswählen,  ein  jähr  zu  geheimen  Sendungen  verwandt 
werden.  Herodot  I  69  und  ein  zuverlässiger  autor  (wol  Sosibios)  in  der  rQonixTj 
(oder  iQayixri)  Xe'^is  des  Didymos,  auf  den  alle  unsere  grammatikerstellen  zurück- 
gehn,  die  Ruhnken  zu  Timaeus  aya&oeoyoi  (in  dem  die  glosse  interpolirt  ist)  gesammelt 
hat.  die  araroi  hat  Usener  statt  sinnloser  aaroC  bei  Herodot  aus  dieser  Überlieferung 
hergestellt,  in  Sparta  ist  also  das  amt  ein  weiteres  diensljahr.  es  sind  evocati. 
V.  Wilamowitz,  Aristoteles  I.  15 


226  '•    '^-  Die  Verfassung. 

etoiv  ovTOi,  o'i  (.lev  Xeyoi-ievoi  (1.  liyovTai)  rtov  rj?u'MWi  Y.al  eiot 
f.iß' ,  OL  yiaXovvzai  xal  Irj^ecov  inwvv[.iOL,  ol  öh  öeKa,  acp^  luv  al 
(fvlal  TtQoatjyoQevd-rjGav  (folgen  alle  zehn  in  richtiger  Ordnung),  raira 
öh  Tcc  8iy.a  6v6f.iaTcc  ano  q  (Kaihel  für  anöqiov.  die  conjectur  ist  zu 
schon,  als  dafs  ich  das  %oiva  rcc  tcov  cpUtov  auf  sie  ausdehnen  könnte), 
KlaLod^ivovg  ovroi  öiara^af-iirov  (überliefert  sind  nominative)  to  /räv 
Ttliid^og  eig  dexa  cfvlag.''^)  bei  Harpokration  entspricht  der  artikel 
unter  demselben  lemma,  den  man  eben  so  gut  auf  diese  glosse  wie  auf 
die  aristotelische  stelle  zurückführen  kann ;  unter  OTgaieia  1/  rcov 
ertiüvv/iitov  schreibt  er  nur  Aristoteles  ab,  führt  ihn  an  und  gibt  am 
Schlüsse  die  Verweisung  auf  das  vierte  buch  des  Philochoros*  nun  ist 
wol  deutlich,  dafs  jene  glosse  im  Et.  M.  aus  Aristoteles  nicht  stammt: 
die  Xrj^etüv  encöwiioi  beweisen  das  allein;  aber  es  ist  auch  klar,  dafs 
die  Unterweisung  über  die  doppelten  eponyme  dort  unanstofsig  ist,  bei 
Aristoteles  nicht,  und  dafs  in  der  glosse  vereinigt  steht,  was  Aristoteles 
an  verschiedenen  stellen  hat.  Aristoteles  ist  also  in  seiner  Schilderung 
beeinflufst  von  einer  fremden  darstellung,  und  diese  ist  freilich  nicht 
Philochoros,  auf  den  Harpokration  hinweist,  sondern  der  ebenso  von 
Philochoros  wie  vorher  von  Aristoteles  benutzte  atthidograph.  das  Ver- 
hältnis beider  ist  hier  in  der  darstellung  der  Verfassung  kein  anderes 
als  wir  es  in  der  erzählung  der  geschichte  gefunden  haben. 
Zweite  reihe  Das  capitel  54  fängt  an  xlrjQovai  de  xal  Tdoöe  Tag  aqxäg,  und 

losbeamten.  wirklich  ist  aufscr  dem  lose  keine  Verbindung  zwischen  diesen  beamten 
und  den  vorher  behandelten ;  unter  ihnen  selbst  aber  auch  nicht,  denn 
da  stehn  zuerst  5  wegebaumeister^"),  die  ihren  platz  besser  vor  den 
astynomen  haben  würden,  und  dann  die  rechnungsbehörde,  die  angemessen 
unmittelbar  hinter  den  richtern  stünde,  sie  ist  natürhch  die  des  vierten 
Jahrhunderts  und  nimmt  keine  rücksicht  auf  die  30  logisten  des  fünften.'^) 


79)  Die  quelle  der  Et.  M.  ist  auch  hier  wie  so  oft  das  schöne  lexicon,  dessen 
auszug  wir  das  fünfte  Bekkersche  nennen,  so  weit  dieses  nicht  zu  Hesych  gehört, 
aber  dort  (243)  ist  nur  der  anfang  der  glosse  erhalten,  im  Et.  M.  geht  eine 
schlechte  glosse  aus  Photius  voraus,  der  zweite  teil  jener  guten  auch  in  den 
patmischen  Demosthenesscholien. 

80)  Mr^rixos  Se  ras  odovs  (sc.  enonrä)  sagt  schon  Kratinos  (anm.  66),  und  auf 
eine  ordentliche  behörde  durfte  man  auch  aus  Aischin.  3,  25  schliefsen.  weiter  weifs 
ich  nichts  von  ihnen,  ihre  aufgäbe  ist  die  Unterhaltung  der  von  staatswegen  seit 
der  herrschaft  des  Hipparchos  angelegten  landstrafsen ;  mit  der  Stadt,  wo  die 
astynomen  regieren,  haben  sie  nichts  zu  tun;  der  scholiast  zu  Aischines  hat  ins 
blaue  geraten. 

81)  Vgl.  das  capitel  Xoyos  und  ev&vva. 


Zweite  reihe  der  losbeamten.  227 

aber  wol  steht  hier  wieder  ein   polemischer   satz,   die  logisten  wären 

les  aliein,    die    die  rechenschaftspflichtigen  vor  gericht  führten,     wohin 

'  diese  spitze  zielt,  läfst  sich  noch  erkennen,  denn  hei  Ilarpokration  wird 

die   priifiing   den    euthynen   beigelegt,   und   der  gelehrte,   von  dem  er 

abhängt,  hat  sogar  gefühlt,  dafs  Aristoteles  eine  verschiedene  lehre  gäbe.*-) 

-aber  ich  weifs  nicht,  wen  Aristoteles  meint. 

I  Dann  kommen  die  Schreiber,  die  uns  eine  Überraschung  bereiten, 
obwol  der  grofsere  teil  des  artikels  aus  der  grammatikerUberlieferung 
richtig  gewonnen  war,  wenn  auch  nicht  für  die  'herrschende'  meinung 
der  handbii^cher,  und  obwol  für  jeden,  der  die  Zeugnisse  der  Inschriften  ver- 
folgt hatte,  seit  einigen  jähren  klar  sein  mufste,  dals  es  so  einfach  nicht 
gienge,  wie  wir  geglaubt  hatten,  und  Aristoteles  sich  längst  nicht  mit 
allen  Urkunden  vertrug,  ich  habe  die  Specialuntersuchung  nicht  gemacht, 
idie  erforderlich  ist,  obwol  das  material  schwerlich  ganz  feste  ergebnisse 
gestatten  wird,  so  viel  aber  steht  fest,  dafs  Aristoteles  keinen  avTiyQc«fevg 
als  beamten  kennt,  also  diese  kategorie  damals  nichts  mehr  bedeutete 
jals  andere  suhalternbeamte  {vTtr]QSTat),  Avas  die  ccvriygacpsTg  meistens 
'auch  auf  den  steinen  sind^^),  dafs  er  zweitens  abgesehen  von  dem  Vorleser, 
dessen  bedeutung  nicht  mehr  grofs  war,  zwar  einen  yga^tfiarsig  y.ara 
iTtQvraveiav  aber  keinen  ygaf.ii.iarevg  rijg  ßovl^g  oder  Trjg  ßovlfjg  v.aX 
Tov  öijftov  kennt,  während  die  steine  diese  beiden  titel  neben  dem  des 
yQaftftarevg  -/.axu  TVQvraveLav  kennen,  und  dafür  nichts  von  dem  ItiI 
Toig  vöfiovg  des  Aristoteles  wissen.^')   fest  steht  weiter,  dals  der  Schreiber, 

82)  ei&lrai  (1.  si&vroi ,  riclitig  BA  257)  ovofia  cQyr;s  nao'  i4d^r,vaioiS  '  i 
rov  otQid'fidv  faav  avS^eS  tzuq'  oii  iSiSoaar  oi  TCoecßevaavxES  r,  aQ^avreS  tj 
Stotxr^aavTt's  ri  tcov  Srjioalcov  ras  et&iras,  dann  wird  Aristoteles  citirt.  die  auf 
dieselbe  darstellung  zurückgehenden  glossen  bei  Photius  und  im  fünften  Bekkerschen 
lexicon  parallelisiren  sie  mit  den  logisten.  Harpokration  Xoyiaxai  sagt  auch  von 
diesen,  wieder  nicht  nach  Aristoteles,  dafs  sie  tks  Ei&ivas  rcöv  Sicoxrjfievair 
exXoyi^ovrai  und  fügt  bei,  den  unterschied  zwischen  logisten  und  euthynen  lehre 
Aristoteles,  misverständlich  hatte  jener  mann  freilich  geredet,  der  vor  Aristoteles 
aus  den  10  ratsherrn,  die  die  besch werden  gegen  die  ineid'wot  entgegennehmen, 
um  sie  erforderlichen  falls  weiter  zu  geben,  eine  a^xr,  machte,  aber  zu  der  zeit, 
wo  die  Institution  bestand,  kann  er  nicht  wol  so  direct  falsches  gesagt  haben,  wie 
Harpokration  scharf  interpretirt  ergibt,  doch  gelingt  es  mir  nicht,  etwas  plausibles 
zu  erschliefsen.  die  scharfe  Unterscheidung  der  ämter,  der  gesandtschaften  (wie  im 
richtereid)  und  der  extraordinären  commissionen  zeigt,  dafs  es  kein  in  Athen  ganz 
;unerfahrener  mann  war. 

I  83)  Es  ist  nicht  glaublich,  dafs  der  wahlmodus  gerade  da  geändert  ist,  als  man 

dem  amte  grofsere  bedeutung  verlieh,  indem  man  es  jährig  machte,    das  los  dürfte 
früher  eingeführt  sein,  bald  nach  403. 

84)  CIA  II  114  kann  ja  mit  seinem  ini  ra  t^'r^fiafiaxa  den  beamten  meinen, 

15* 


228  I-    "'•  Die  Verfassung. 

der  für  die  actenslückc  verantwortlich  ist  und  von  dem  Protokollführer 
in  den  Sitzungen  des  rates  und  Volkes  nicht  gelrennt  werden  kann ,  6 
v.axa  TtQvravelav  ist,  der  den  namcn  heibehallen  hat,  weil  er  bis  in  die 
sechziger  jähre  prylanienweise  wechselte,  wovon  Aristoteles  nichts  mehr 
sagt,  das  wichtigste  aber  und  ganz  neue  ist,  dafs  es  nicht  der  rat, 
sondern  das  volk  ist,  welches  diese  beamten  jetzt  erlost,  früher  wählte, 
wir  wissen  nicht  bis  wann.*^)  Aristoteles  sagt  nicht  das  mindeste  davon, 
dafs  sie  ratsherren  waren,  woran  doch  nicht  zu  zweifeln  ist.  jedenfalls 
aber  gilt  für  dieses  amt  im  gegensalze  zu  dem  der  ratsherrn,  dafs  die 
Iteration  untersagt  ist.*^) 

Nun  kommen  die  opfermänner,  zwei  gleichnamige  coUegien ,  von 
denen  das  zweite  den  zusatz  xar'  Iviawöv  trägt,  der  es  doch  von  dem 
ersten  ebenfalls  jährigen  nicht  unterscheiden  kann,  er  ist  ihm  vielmehr 
schon  im  fünften  Jahrhundert  gegeben,  im  gegensatze  zu  den  zahlreichen 
gleichnamigen  collegien,  die  sei  es  aus  dem  rate,  sei  es  aus  den  richtern 
für  einzelne  feste  gelegentlich  ausgelost  wurden.*')     die  jährigen  opfer- 

der  später  durch  den  inl  rovs  rofiovs  ersetzt  ist,  aber  dann  ist  inzwischen  eint 
änderung  getroffen. 

85)  Aischines  3,  25  will  zeigen,  wie  grol's  die  bedeutung  der  enl  ro  d'ecogixöi 
338  war,  die  jetzt,  seit  dem  gesetze  des  Hegemon  (das  vermutlich  den  rafua 
crQaxKorixcüv  geschaffen  hat)  geringer  ist.  dabei  holt  er  in  seiner  praetenüösei 
nianier  weit  aus  und  sagt  'für  die  amtspflicht,  die  die  ml  ro  d'smQiitöv  gehabt  haben 
in  jeder  prytanie  die  bilanz  der  Finanzen  dem  volke  vorzulegen,  hat  es  in  frühere 
zeit  {nQoxsQov  und  Tcgärov  sind  alte  Varianten,  denn  handschriften,  die  das  falschi 
TiQCürov  haben,  haben  im  scholion  das  richtige)  einen  amy^afsis  gegeben,  den  da; 
volk  wählte'  (in  der  wähl  liegt  schon  eine  Schätzung  des  amtes).  das  geht  also  dii 
zeit  vor  Eubulos  an.  ich  will  nichts  gegen  die  meinung  sagen,  dafs  damals  wirk 
lieh  das  volk  einen  ratsherrn  mit  dieser  aufgäbe  betraut  hat,  weil  sich  so  Demosth 
22,  38  gut  verstehn  läfst.  nur  ist  festzuhalten,  dafs  der  lilel  auch  danial 
nicht  terminologisch  fest  geworden  war,  da  Demosthenes  in  derselben  rede  (70 
avxiyQacpevs  von  dem  controllirenden  staatssclaven  braucht  und  überhaupt  am 
YQatpead'ai  die  controUe  immer  in  sich  schliefst. 

86)  Im  jähre  403  ist  es  sehr  deutlich,  dafs  die  "ansehnlichsten  und  zuver 
lässigsten"  zu  dem  schreiberposten  gewählt  werden,  Agyrrhios  für  die  Pandionis 
Kephisophon  von  Paiania  für  die  Erechtheis:  auch  dieser  ist  activer  Staatsmann 
denn  er  hat,  ehe  er  Schreiber  wird,  einen  antrag  gestellt,  woraus  dann  folgt,  daf 
er  im  rate  safs  {/JbXt.  89,  26).  wer  mit  den  personen  gut  bescheid  weifs,  wir 
ohne  zweifei  viel  interessantes  ermitteln  können. 

87)  Dies  hat  Scholl  (Müncb.  Sitz.  Ber.  87)  richtig  erkannt,  während  sein 
übrigen  aufstellungen  durch  Aristoteles  stark  berichtigt  werden,  das  Verhältnis  de 
leQonoioi  y.ax'  iviavxöv  zu  den  grofsen  und  kleinen  Panathenaeen  hatte  Bock 
richtig  beurteilt,  in  der  ergänzung  der  Hcphaistieninschrift  (CIA  IV  p.  64),  die  mi 
Kirchhoff  zum  teil  mit  minderem  glück  als  Scholl  behandelt  zu  haben  scheint,  sin; 


Zweite  reihe  der  losbeamten.  229 

{männer  hatten  zu  Aristoteles  zeit  mit  den  kleinen  Panathenaeen  nocli 
limraer  etwas  zu  tun,  früher  auch  mit  den  grofsen^*),  was  nun  beseitigt 
iwar.  ihre  hauptpflicht  war  die  ausstattung  der  penteterischen  feste,  so 
Iweit  sie  noch  bestanden  und  staatsfeste  waren,  leider  ist  die  stelle 
zerstört,  die  allein  einen  archon  nennt,  so  dafs  man  nicht  mehr  sicher 
erkennt,  ob  diese  ganze  anordnung  erst  durch  Lykurg  329/28  getroffen 
war,  oder  Aristoteles  einen  zusatz  macht,  der  eine  ganz  frische  Verord- 
nung berücksichtigt.*^) 


die  wiciitigsten  zeilen  etwa  so  zu  lesen  10  h]isQonoid[i  §]s  hoirivss  his^o7ioieaoa[t 
TSV  ■d'vaiav  Ssxa  äiS^as  8i  (11)  a]x^£[QÖaai]  ex  tcv  S[ixa]aTÖv  lieva  ix  zis  cpvXeS 
ix  tÖ[v  TCQOXQiTOv,  hol  §s  Xsxoia  (12)  q\x'^''  S[i,axX\eQoaävi[o%'  ^/Jera  rcv  res  ßoJ.es, 
Siax?.sQoa[di^rov  Se  hovrot  ivavri]  (13)  ot'  rää  ßoXks,  hoi  Sa  ?.[ax]6pTes  fiitxd'og-ooovzov 
{xad'a.TtEQ  \liot  Sixaarai  hios  av  £]  (14)  nijxiXovxai  rovrov,  [ho]i  Se  xoXaxoitai 
\a7toSiS6vTOv  airolls  t6  UQyvQiov,  Sia\  (15)  xXeQoaäxo  Se  xai  ha  ßole  a<pöv  avröv 
\hisoonoi6s  Sixa  avS{>{as  liiva  ix  tss  (pvX]  (16)  ei  hexäares.  darin  ist  13  von  Scholl 
ider  gedanke  gewifs  richtig  mit  xad'änsQ  ev  Sixaffrals  e'cos  äv  emixeXcovrai,  roincov 
gegeben,  und  nur  die  form  meine  ich  richtiger  gefunden  zu  haben;  KirchhofT  hat 
xa&ÜTteQ  T[rj  TtevrerrjoiSi  ol  iJTtifieXovTai,  aber  t  ist  mit  nichten  erhalten,  an 
welche  behörde  er  denkt,  nicht  zu  verstehn,  und  dem  befehle,  unter  nevTsrT]Qis  in 
leiner  Inschrift  die  von  der  penteteris  der  Hephaistien  handelt,  die  Panathenaeen  zu 
iverstehn,  wird  man  sich  nicht  fügen  (auch  z.  24  kann  seine  sonst  sehr  scharfsinnige 
iergänzung  ohne  diese  Seltsamkeit  bestehn:  7toi6vro[v  S]e  hoi  hi8Qo[noi,oi  hovicos 
[höare  t]sv  XaftnaSloS^Ofiiav  xai]  tov  aXkov  ayöva  yiyvsad'ai  xad'ä[neQ  roTs  IIoo- 
jxrj&iois  re]v  &eav  [ol  XafindSaQx]oi  noccai).  wichtiger  ist  die  frage,  wer  die  opfer- 
i männer  aus  den  richtern  auslost;  der  name  geht  auf  a^x^t  aus,  aber  für  10  leute 
1150  demarchen  in  die  Stadt  zu  holen,  geht  nicht  an;  (pvlaqxoi,  (Herod.  5,  69,  [Ar.] 
;oek.  2,  4)  wage  ich  nicht,  so  bleiben  wol  die  lexiarchen,  an  die  auch  Scholl 
gedacht  hat,  oder  die  tritlyarchen;  eine  behörde  die  unter  dem  rate  steht,  ist  nötig, 
denn  die  nächste  zeile  meine  ich  gut  ergänzt  zu  haben,  vgl.  Ar.  47,  2.  da  die  er- 
losung  der  10  aus  den  richtern  und  der  10  aus  dem  rate  zeitlich  zusammenfallen 
soll,  ist  es  passend,  dafs  jene  auch  im  ralhause  geschieht,  ob  nun  lexiarchen  oder 
trittyarchen,  das  hängt  davon  ab,  wie  die  Unterabteilung  der  6000  richter  benannt 
und  beschaffen  war,  die  in  ix  röv  —  steckt,  dafs  man  nicht  10  aus  6000  erlost 
hat,  ist  begreiflich,  aber  n^ox^hcav  ist  nicht  mehr  als  ein  einfall,  auf  den  ich  ge- 
bracht bin,  weil  z.  5  die  demoten  erwähnt  waren,  z.  6  eine  zahl,  hundert  und  -zig, 
stand,  das  kann  allerdings  auf  die  teilnehmer  der  procession  bezogen  werden,  die 
unten  vorkommen  (19  exyoäfpev  i[x  rov  nsfmovTOv]!},  nur  ist  dafür  die  zahl  sehr  niedrig. 

88)  CIA  I  188,  6  aus  dem  Panathenaeenjahr  des  Glaukippos  410.  an  den  kleinen 
sind  sie  betheiligt  CIA  II  163  und  heifsen  isgonowi  ol  Sioixovvxes  xd  Ilavad-r^vata 
xa  xax'  iviavxöv.     es  ist  ein  lykurgisches  gesetz. 

89)  Die  aufzählung  von  4  penteteriden  ist  durch  Pollux  gesichert,  aber  ein 
name  ('HqaxleiScöv  bei  ihm)  ist  darum  bedenklich,  weil  das  fest  uns  unbekannt  ist. 
dann  sind  in  der  handschrift  die  Panathenaeen  erwähnt,  die  Aristoteles  eben  aus- 
drücklich ausgeschlossen  hat.    Blafs  nimmt  deshalb  eine  interpolation  an,  während 


230  I-    "'•  I^'^  Verfassung. 

Die  andern  Uqottoioi,  die  eitl  r«  ey.&vi.i(XTa,  sind  eigentlich  eine 
jener  für  einen  einzelfall  gebildeten  commissionen.  denn  jedes  der  sühn- 
opfer,  die  sie  ausrichten,  ist  durch  eine  besondere  äufserung  des  gött- 
lichen willens  hervorgerufen,  mag  diesen  ein  orakel  oder  ein  seherspruch 
verkünden,  und  nur,  weil  erfahrungsgemäfs  der  staat  solche  äufserungeo 
alljährlich  öfter  empfängt  oder  einholt,  ist  einmal  beliebt  worden,  eine 
ständige  behörde  dafür  zu  schaffen,  ich  kann  nicht  angeben,  wann  das 
geschehen  ist. 

EndUch  sind  erloste  beamte  noch  der  archon  von  Salamis  und  der 
demarch  des  Peiraieus,  von  denen  Aristoteles  so  redet,  als  hätten  sie 
lediglich  spiele  dort  auszurichten,  allein  für  die  eine  gelegenheit  sind 
doch  keine  jährigen  beamten  erlost,  geschweige  ein  so  hoch  bezahlter 
wie  der  archon  von  Salamis.  Aristoteles  gibt  hier  also  wieder  nur  ein 
par  besonderheiten  an,  das  wichtigste  aber  läfst  er  fort,  weil  es  teils 
im  namen  liegt,  Iheils  die  localverwaltung  angeht,  die  er  nicht  berück- 
sichtigen will,  der  archon  von  Salamis  erscheint  später  neben  den  an- 
dern beamten,  die  Athen  in  seine  auswärtigen  besitzungen  schickt;  nur 
weil  Salamis  längst  pacificirt  ist,  verwaltet  es  ein  bürgerhcher  erlöster 
mann,  während  die  ferner  liegenden  inseln  unter  gewählten,  zum  teil 
durch  ihre  namen  als  mihtärisch  kenntlichen  leuten  stehn.^°)  der  archon 
von  Salamis,  an  dem  Aristoteles  befremdend  findet,  dafs  er  für  die  insel 


wir  durch  Streichung  eines  xai  den  guten  sinn  erzielt  haben,  dafs  keins  der  andern 
feste  in  ein  Panathenaeenjahr  fällt:  nach  Blafs  fällt  jedes  in  ein  verschiedenes,  eins 
also  in  ein  Panathenaeenjahr.  wüfsten  wir  ihre  Ordnungen,  so  wäre  die  entscheidung 
leicht,  aber  der  zufall  will,  dafs  wir  nur  die  Delien  im  zweiten  (V.  v.  Schöffer 
de  Delo  59)  und  die  grofsen  Eleusinien  im  vierten  (CIA  II  SSl"^  4)  Olympiadenjahre 
kennen,  die  Brauronien  und  ihre  opfermänner  werden  zwar  CIA  II  729  erwähnt, 
aber  die  datirung  ist  weggebrochen,  an  dem  schlufssatze  haben  wir  verzweifelt. 
Blafs  schlägt  neuerdings  sehr  ansprechend  vor  vlv]  Se  ngöaxEixai  {xal  'H]  faia[Tta] 
sTii  Krjffiaofwvxo?,  und  nqos  ist  eine  sehr  gut  mögliche  lesung.  nur  sagt  er  selbst, 
dafs  diese  Hephaistien  für  jene  zeit  unbezeugt  sind:  die  alte  penteteris,  die  Scholl 
statt  der  Herakleen  einsetzen  wollte,  kann  Lykurg  sehr  gut  erneut  haben;  nur 
fehlt  jede  spur.  PoUux  8,  107  stimmt  wörtlich,  aber  er  kann  nicht  auf  Aristoteles 
zurückgeführt  werden,  wenn  dieser  ein  fünftes  fest  nannte;  das  glaube  ich  gern, 
in  dem  falle  ist  bewiesen,  dafs  Aristoteles  alles  bis  auf  den  letzten  zusatz  abge» 
schrieben  hat,  was  ich  auch  gern  glaube,  denn  die  Stellung  der  notiz  bei  PoUux  scheint 
mir  an  sich  die  benutzung  des  Aristoteles  fast  unbedingt  auszuschliefsen. 

90)  Der  Stratege,  der  für  den  verlust  der  insel  318  verantwortlich  gemacht 
wurde,  und  dessen  name  noch  nicht  sicher  aus  den  corruptel  l^axrjraSov  hergestellt 
ist  (Pausan.  I  35,  2,  AiaxriräS7,s  Uoo^ävov  Mshzeis  nennt  ihn  sehr  wahrscheinlich 
Köhler  CIA  II  p.  142),  war  ein  ttoos  t«  rtaQÖvra  nqäy^aTa  sxTie^inöuevos^ 


Zweite  reihe  der  losbeamten.  231 

«ponym  ist,  war  offenbar  schon  im  sechsten  Jahrhundert  dorthin  ge- 
sandt und  trug  seinen  namen  als  träger  des  vollen  imperiums  wie  seine 
collegen  in  Athen,  bestimmt  die  insel  zu  verteidigen  und  Verwaltung 
und  gericht  über  kleruchen  und  Untertanen  zu  üben,  nach  mehr  als 
zweihundert  jähren  mochte  die  insel  freihch  den  eindruck  machen,  nicht 
anders  attisch  zu  sein  als  die  tetrapolis,  deren  bewohner  es  zu  den 
ordentlichen  behörden  und  gerichten  der  Stadt  weiter  hatten,  da  war 
der  archon  von  Salamis  nur  noch  eine  pfründe. 

Dagegen  lernen  wir  in  dem  staatlich  ernannten  demarchen  des 
Peiraieus  eine  sehr  merkwürdige  neuerung  kennen.  Aristoteles  sagt  von 
ihm  nur,  dafs  er,  wie  der  archon  in  Salamis,  Dionysien  ausrichtet  und 
«horegen  für  sie  bestelh,  und  es  ist  ganz  logisch,  dafs  der  Staat,  wenn 
er  ein  gemeindefest  übernimmt,  auch  selbst  den  spielleitenden  beamten 
bestimmt,  aber  dafs  die  ländhchen  Dionysien  der  gemeinde  Peiraieus 
staatsfest  sind,  können  wir  erst  aus  der  lykurgischen  zeit  belegen.^')  nun 
kann  doch  aber  unmögHch  neben  diesem  von  den  Athenern  gesetzten 
demarchen  noch  ein  von  den  Piraeern  gesetzter  bestanden  haben,  zumal 
für  die  festleitung  der  name  demarch  sehr  wenig  pafst.  der  Staat  hat 
also  hier  in  die  Selbstverwaltung  einer  einzeigemeinde  eingegriffen  und 
getan,  was  auch  der  unsere  ausnahmsweise  tut,  den  bürgermeister  selbst 
€rnannt.  mag  ihm  das  fest  den  anlafs  gegeben  haben,  die  sache  hat 
viel  tiefere  bedeutung.  die  hafenstadt  war  zu  grofs  und  zu  wichtig,  als 
dafs  man  ihre  executivbeamten  den  gefahren  der  vetterschaft  und  der 
corruption  aussetzen  durfte,  die  eine  dorfwahl  mit  sich  bringt,  da  der 
hafen  vom  Staate  erbaut  war,  die  Stadt  durch  volksbeschlufs  angelegt, 
nach  festem  plan  ihre  strafsen  tracirt,  Wasserleitungen  gebaut  waren, 
das  ganze  in  den  festungswerken  lag,  so  war  die  polizeiverwaltung  in 
den  bänden  staatlicher  behörden,  Strategen,  astynomen,  agoranomen  u.s.  w. 


91)  CIA  II  741  aus  dem  jähre  334/3  und  den  folgenden,  der  wol  unterrichtete 
Verfasser  der  Lykurgvita  setzt  nicht  diese  einrichtung,  sondern  die  Stiftung  eines 
musischen  agones  für  Poseidon  im  Peiraieus  auf  die  rechnung  seines  helden;  so 
sind  die  Jiovvaia  iv  IleiQaiEi  doch  wol  früher  verstaatlicht,  das  theater  in  Munichia 
ist  alt;  aber  dafs  die  Ilaoalia  dort  neben  Dionysos  sitzen  kann,  deutet  auf  sehr  alte, 
uns  nicht  mehr  kenntliche  cultverbindungen  (Mitteil.  XIII  221).  der  Peiraieus  und  seine 
«ulte  (Zeus  Soter,  Aphrodite,  Asklepios,  Poseidon,  Bendis,  Göttermulter)  sind  neu, 
Munichia  ist  alt,  und  zu  den  alten  göttern  gehört  Dionysos:  als  häuser  und  mauern  ihn 
bedeckten,  pflanzte  man  keine  reben  mehr  an  dem  hügel.  alt  wird  auch  das  üaicüviov 
sein  (Krates  Orioia  2)  im  gegensatze  zu  dem  Asklepieion,  und  vielleicht  darf  man  dahin 
die  singulare  glosse  beziehn  Bekk.  An.  299,  14  Tlaiwvia  rönos  iv  ^  d'eazQov  rjv  onov 
aycora  inejilovv.    Hesych  hat  die  kaum  hergehörige  enixkrjais  'Uaicövios  Ji6vvaos\ 


232  '•    ^'  ^'ß  Verfassung. 

man  kann  sagen,  das  war  mit  KoUytos  und  Melite  nicht  anders,  von 
deren  demarchen  und  demosverwaltung  wir  so  gut  wie  nichts  wissen,  aher 
schon  weil  im  asty  eine  ganze  anzahl  gemeinden  lagen,  war  hier  die  gefahr 
geringer,  und  dann  waren  so  viel  mehr  staatliche  behürden  im  asty,  vor 
allen  dingen  die  centralbehörde  des  rates,  dafs  es  praktisch  ein  ganz  anderes 
ding  war.  im  Peiraieus  safsen  sicherhch  um  350  mehr  andere  Athener  als 
Piraeer  und  mehr  metöken  und  fremde  als  Athener,  und  der  demarch  des 
Peiraieus  hatte  doch  eine  mindestens  concurrirende  pohzeigewalt  über 
alle  eingesessenen  seiner  gemeinde,  man  wird  nicht  leugnen,  dafs  das 
richtige  war,  dafs  er  unmittelbarer  Staatsbeamter  ward;  wir  wissen  nicht, 
ob  6'/.  Ilsigaswv  oder  1^  ^^ijvaicov  uTtävtcov,  aber  das  letztere  ist  un- 
gleich wahrscheinlicher,  übrigens  hat  Aristoteles  hier  wol  etwas  ver- 
gessen: den  zehnten  des  getreides  aus  dem  oropischen  gebiete  zieht 
329/28  Ö7]f.iaQxog  IlQoy.Xrg  2ovvieig  ein^^):  nach  der  analogie,  die  der 
demarch  des  Peiraieus  jetzt  bietet,  darf  man  das  dahin  verstehn,  dafs 
für  die  kleruchen,  denen  jenes  land  abgegeben  war,  und  die  ein  jeder 
rechtlich  in  seiner  alten  gemeinde  blieben,  der  Staat  einen  demarchen 
als  ortsvorstand  der  colonie  bestellte,  ohne  dafs  doch  eine  wirkhche 
neue  gemeinde  gebildet  ward,  der  mann  hatte  allerdings  geringe  aulorität ; 
etwa  ein  drittel  so  viel  wie  er  haben  die  kleruchen  ohne  seine  ver- 
mittelung  direct  abgeUefert.  es  ist  nicht  wunderbar,  dafs  Aristoteles 
diesen  posten  als  unwesenthch  fortliefs;  hat  er  doch  diese  ganze  be- 
amtenreihe  äufserst  flüchtig  behandelt.**^) 

92)  'Sf.  a^x-  83,  128  («  60).  ich  hatte  die  frage  Heim.  22,  243  aufgeworfen, 
der  Stratege,  der  den  zehnten  aus  dem  S^vfiog  abliefert,  ist  nunmehr  als  der  ini 
triv  ywoav  ZU  bezeichnen ,  da  es  den  in'  'EXevaXva  noch  nicht  gab.  die  lieferung 
aus  Salamis  leistet  Tijuö&eoe  'yiXconsy.rjd'ev,  das  ist  also  der  archon,  obwoi  kein  amt 
dabei  steht,    den  S^vuös  halte  Aristoteles  in  den  Jiy.aicö/uaTa  erwähnt  {Harp.  s.  v.). 

93)  Es  liegt  jetzt  nahe  zu  glauben,  dafs  in  späterer  zeit,  als  Eleusis  eine  sehr 
wichtige  festung  war,  in  der  ein  Stratege  stand,  zumal  weil  die  Stadt  durch  könig 
Demetrios  eine  weile  von  Athen  losgerissen  war,  auch  der  demarch  von  Eleusis  ein 
staatlicher  beamtcr  geworden  sei.  denn  unter  dem  archon  Pelops  (fünfziger  jähre 
des  zweiten  Jahrhunderts)  opfert  er  für  rat  und  volk,  weiber  und  kinder,  freunde 
und  bundesgenossen  und  referirt  über  den  ausfall  an  den  rat,  der  ihn  dafür  belobt, 
ebenso  wie  die  demolen  (Ecp.  «o/.  90,  127).  im  vierten  Jahrhunderts  opfert  er 
ebenso,  aber  für  gesundheit  und  gedeihen  der  demoten  (Ef.  dgx-  87,  193).  dennoch 
ist  ein  so  scharfer  schlufs  in  der  verfallzeit  unberechtigt,  denn  der  tilel  ist  noch 
Sr^fiao/oe  'EXevaivicüv,  und  der  mann  ist  Eleusinier.  es  ist  nur  ein  notabler,  söhn 
des  archonten  Archon,  der  kurz  zuvor  im  amt  gewesen  war:  der  spielt  sich  auf, 
und  der  rat  macht  ihm  complimente.  in  dieser  zeit  sind  die  archonten  wieder  die 
vornehmen  leute;  das  amt  kostete  largitionen  eben  so  wie  die  gymnasiarchie  u.  s.  w. 
und  trug  decorationen  ein. 


Zweite  reihe  der  losbeamten.  233 

Ein  solches  chaos  gibt  Aristoteles  statt  einer  Ordnung,  soll  man 
annehmen,  er  klebe  einen  häufen  zetlel,  wie  sie  ihm  in  die  bände  fallen, 
hinter  einander?  sonst  ist  doch  alles  wol  disponirt,  und  schwer  war  es 
wahrlich  nicht,  eine  erlrägliche  reihenfolge  zu  finden,  oder  ist  er  von 
einer  vorläge  abhängig?  dann  verschiebt  sich  nur  die  frage  von  Aristo- 
teles auf  jemand  anders,  sehen  wir  uns  lieber  diese  reihe  von  äm- 
tern  auf  ihren  wahlmodus  an,  wie  er  früher  gewesen  sein  mufs.  der 
prytanienschreiber  ist  noch  über  403  hinaus  gewählt  worden,  und  ein 
gewählter  steht  noch  neben  ihm.  der  archon  von  Salamis  kann  auch 
nur  gewählt  worden  sein,  so  lange  er  bedeutendere  militärische  befug- 
nisse  halte,  der  demarch  ist  eine  neue  Schöpfung  und  steht  passend 
neben  diesem  collegen.  die  ovvrjoQOt  sind  im  fünften  jahundert  ohne 
zweifei  immer  erwählt '^^),  und  sie  mufsten  es  wahrhch  sein,  so  lange 
ihnen  die  führung  der  anklage  wesentlich  zufiel,  die  später  die  rede- 
gewandtheit  der  politiker  oder  die  redeschreiberei  übernahm,  die  opfer- 
männer  für  die  sühnopfer  haben  nur  einzelne  tage  zu  tun,  die  wege- 
bauer auch;  man  bessert  doch  höchstens  zweimal  im  jähre  die  strafsen. 
auch  die  andern  opfermänner  sind  zwar  für  das  jähr  erlost,  aber  sie 
haben  doch  keine  perennirenden  pflichten:  das  sind  also  alles  behörden, 
die  wie  dazu  geschaffen  sind,  in  der  für  die  opfermänner  der  Hephai- 
stien  bezeugten  weise  aus  den  richtern  ausgelost  zu  werden  (oben  s.  201). 
die  logisten  waren  ehedem  dreifsig  und  entsprachen  also  den  trittyen, 
ebenso  die  dreifsig  demenrichter.  mit  andern  werten,  es  steht  in  der 
ganzen  reihe  keine  einzige  behörde,  die  im  fünften  Jahrhundert  mit  den 
archonten  gewählt  wäre,  sondern  es  sind  teils  die  im  Theseion  mit 
richtern  und  rat  erlosten,   teils  wahlämter.     die  Ordnung,   die  Aristo- 


94)  Harp.  s.  v.  bezeugt  es  ausdrücklicli  wenn  auch  mit  ioixaat,  und  z.  b. 
Perikies  war  im  rechenschaftsprotest  des  Kimon  gewählt  als  awr^yaoos.  sie  er- 
halten ja  auch  diaeten,  eine  ganze  drachme  (Ar.  Wesp.  691  mit  sciiol.).  Aristophanes 
klagt  in  den  ältesten  stücken  (Dait.  16,  Ach.  685.  716.  Ritt.  1358  Holk.  13  Wesp. 
482)  oft,  dafs  die  rhetorisch  gebildete  Jugend,  die  schüler  des  Thrasymachos  und 
Protagoras,  wie  Euathles,  Kephisodemos,  Alkibiades  als  awr/yo^oi  auftreten  und 
die  angeklagten  und  richter  tyrannisiren.  man  kommt  weder  mit  den  bekannten 
avvryoQot  der  logisten  oder  in  anderen  processen,  wo  das  volk  eigentlich  partei  ist, 
gut  aus,  noch  mit  der  annähme,  dafs  fürsprecher  gemeint  wären,  wie  der  erste  redner 
für  Polystratos,  ApoUodor  im  processe  gegen  Neaira,  Hypereides  für  Euxenippos.  aus 
Antiphon  notirt  die  synegoren  Harpokralion,  ohne  sicheres  zu  wissen:  auch  mir  ist 
nicht  mehr  klar,  als  dafs  hier  Verhältnisse  des  fünften  Jahrhunderts  vorausgesetzt  sind, 
die  später  nicht  mehr  bestanden  und  deshalb  von  unten  aus  nicht  erklärt  werden 
können,  das  recht  ftr/  Sis  avvrjyoQr^aai  (anm.  23)  hat  für  diese  leute  im  fünften 
Jahrhundert  unmöglich  gegolten. 


234  !•   7.  Die  Verfassung. 

teles  befolgt,  ist  also  auch  in  diesem  teile  wie  in  der  ganzen  abhand- 
lang auf  den  wahlmodus  gegründet,  zuerst  steht  der  rat,  die  Vertre- 
tung der  gemeinden''^),  dann  die  als  phylenvertreler  erlosten  beamten, 
aber  unter  denen  treten  zwischen  die  eloaycoyelg^'^)  und  die  archonten 
eine  anzahl  von  beamten,  die  ehedem  in  eine  andere  kategorie  fielen, 
für  den  leser  ist  der  Übergang  zunächst  gar  nicht  zu  merken ,  und  so 
habe  ich  vorhin  auch  ruhig  anerkannt,  dafs  die  vierzig  auf  die  eioa- 
ycoyelg  passend  folgten;  es  sind  je  vier  auf  die  phyle,  eingesetzt  un- 
mittelbar nach  den  Dreifsig,  also  schon  damals  in  diese  classe  geschoben, 
den  folgenden  Übergang  xXrjgovoi  dh  xal  rccaös  rag  oQxag  aber  fanden 
wir  befremdlich:  er  läfst  sich  nur  als  ein  nachtrag  auffassen,  und 
schliefst  so  disparates  wie  wegebauer  und  logisten  zusammen,  wenn  wir 
nun  erkennen,  dafs  diese  reihe  von  behörden  wirklich  den  mit  den 
archonten  erlosten  erst  allmählich  angefügt  sind,  so  werden  wir  aufhören, 
eine  sachhche  Ordnung  zu  verlangen"),  haben  damit  aber  wieder  das 
ergebnis  erreicht,  dafs  Aristoteles  den  stoff  nicht  selbst  geformt  und 
verteilt  hat,  sondern  dafs  er  nur  einen  bereits  geformten  stoff  redigirt. 
in  diesem  falle  ist  für  ihn  die  losordnung  der  beamten  mafsgebend  ge- 
wesen: ich  meine,  man  kann  ihn  billigerweise  nicht  tadeln. 
Politik  z  8.  In  seineu  politischen  vortragen  hatte   er  schon   einmal  eine  über- 

sieht der  für  einen  Staat  notwendigen  beamten  gegeben,  es  hat  be- 
deutendes interesse,  diesen  abschnitt  (Z  8)  zur  vergleichung  heranzu- 
ziehen, er  fängt  mit  der  polizei  an,  ayoQav6f.iOL  aorvv6f.iOi  ayQov6/iioi. 
dann  kommen  die  einnehmer  und  Verwalter  der  steuern,  aTtodexTat  und 
raf.iiai.  dann  eine  behörde,  welche  die  acte  der  freiwilhgen  gerichts- 
barkeit  aufnimmt  und   die  privatprocesse  instruirt,    hQO/.ivi]!.iov6g  oder 

95)  Die  (pqovQoi  hat  er,  sei  es  weil  sie  für  die  iyxvxXios  8ioixr;ffi9  zu  unwesent- 
lich schienen,  sei  es  weil  sie  ein  halb  militärisches  amt  waren,  forlgelassen. 

96)  Bei  diesen  kann  man  schwanken,  wohin  sie  gehören,  weil  man  ihre  zahl 
nicht  kennt,  die  doch  im  fünflen  Jahrhundert  notwendig  höher  sein  mufs.  indessen 
sind  sie  an  die  phylen  gebunden  und  hatten  das  ganze  jähr  zu  tun;  somit  gehören 
sie  zu  den  archonten.  andererseits  sind  die  elf  die  altertümlichste  behörde,  und 
erscheinen  passend  für  den  schlufs  ihrer  reihe,  die  eiaaycayels  sind  aber  auch  eine 
neuerung,  wenn  auch  eine  des  fünften  Jahrhunderts. 

97)  Unsere  kenntnis  (oder  meine)  reicht  nicht  dazu  hin,  die  allmähliche  ent- 
wickelung,  deren  niederschlag  wir  in  dieser  Ordnung  vor  uns  sehen,  zu  verfolgen, 
und  ich  wage  nicht,  sie  aus  ihr  zu  erschliefsen.  es  finden  sich  in  der  ersten  reihe 
auch  Zusätze,  die  aufseher  des  emporiums,  und  anderes  ist  fortgefallen,  z.  b.  die  Schatz- 
meister der  anderen  götter.  aber  dort  war  leicht  Ordnung  zu  halten,  als  man  diese 
schuf,  schrieb  man  ihre  auslosung  mit  den  andern  behörden  vor  (CIA  I  32),  in  der 
weise  wie  die  Schatzmeister  der  göttin  ausgelost  wurden:  damit  war  ihre  stelle  gegeben. 


Politik  Z  8.  235 

wie  sie  heifst.  dann  die  executiv-  und  Sicherheitspolizei,  executoren, 
gefängniswärter  u.  dgl. ,  wobei  er  der  elf  und  der  (pqovqoi  Athens 
gedenkt.^*)  dann  die  militärischen  beamten,  der  rechnungshof,  endhch 
der  rat.  damit  sind  die  pohlischen  behörden  erschöpft,  es  folgen  die 
kirchhchen,  denen  einerseits  die  unterhaUung  der  heihgtüraer  und  des 
kirchengutes,  anderersehs  das  opferwesen  zufällt;  unter  diesen  figuriren 
archonten  und  könige.  ein  anhang  verzeichnet  noch  die  mancher  orten 
vorkommenden  behürden  für  erhaltung  der  guten  sitte  einerseits,  für 
öffentliche  lustbarkeiten  andererseits,  von  denen  die  ersteren  besondern 
sinn  für  zucht,  die  letzteren  wolstand  voraussetzen,  es  liegt  hierin  eine 
bittere  krilik  Athens,  die  kaum  dadurch  abgeschwächt  wird,  dafs  Aristo- 
teles hinzufügt,  eine  beschränkung  der  arbeitsfreiheit  von  frauen  und 
kindern  wäre  mit  dem  demokratischen  prinzipe  nicht  vereinbar.^'')    De- 

98)  Dafs  die  stelle  keinen  anstofs  gibt,  ist  oben  (s.  199)  wof  deutlich  ge- 
worden, zu  bessern  finde  ich  eine  kleinigkeit  1321''  35  tps  itQiasis  (ras)  ix  rcöv 
Sixaarr,Qicov.  eine  Interpolation  aber  steht  am  Schlüsse  r^icöv  S'  oiacöv  oQ%6i>v, 
iead"'  «s  aiqovvrat  rivis  (vielmehr  tos)  a(>;^as  ras  xvgias,  vo/iofvlaxcov  TtQoßoiXwv 
ßovXfß,  et  ftiv  vofiofvXaxES  aQiaroyQaiixöv ,  oXiyaQ^^ixov  (?'  oi  TxqößovXoi,,  ßovli] 
8s  Srjfxoiixov  (1323*  7).  das  ist  unsinn;  was  der  Verfasser  etwa  sagen  wollte, 
würde  sein  tqiüv  S'  oiacöv  noXirsicöv  tiqos  Ss  alooivTai  ras  o(»;t;«s  rai  xvoia?, 
vofiocpvXaxas  u.  s.  w.  und  das  wäre  noch  nicht  scharf,  er  meint,  die  mafsgebende 
behörde  ist  verschieden  je  nach  den  Verfassungen,  und  je  nachdem  ro^ofiXaxes  oder 
noößovXoi  oder  ßovXrj  existiren,  ist  die  Verfassung  so  oder  so.  das  ist  töricht,  denn 
der  name  ßovXrj  tut  es  wahrlich  nicht,  und  was  man  sonst  noch  einwenden  kann, 
aber  Aristoteles  ist  an  dem  unsinn  ganz  unschuldig,  er  weifs  und  sagt,  dafs  'ge- 
setzeswächter'  keine  dem  rate  analoge  behörde  sind,  sondern  eine  überhaupt  nicht 
organisch  notwendige;  sie  gehören  in  eine  reihe  mit  naiSovöfioi  und  yvvaixoröfwt 
(1322'' 39).  TiQÖßovXot  und  ßovXf,  sind  freilich  analog  (1322''  16),  aber  gerade  die 
ersteren  sind  ihrem  namen  nach  nicht  befugt  selbst  zu  entscheiden,  sondern  nur 
vorzuberaten,  sie  haben  nicht  das  riXo?,  das  der  rat  häufig  besitzt,  also  ist  es  ver- 
kehrt, sie  als  charakteristisch  für  die  Oligarchie  zu  bezeichnen.  412  waren  probulen 
in  Athen,  411  ein  rat:  dies  historische  beispiel  ist  schlagend,  die  Interpolation 
ist  sachlich  und  sprachlich  so  elend,  dafs  sie  erst  ganz  spät  sein  kann,  sie  ist  ja 
auch  ohne  Zusammenhang  am  ende  des  buches  angeflickt,  ich  möchte  sie  erst  für 
byzantinisch  halten,  der  archetypus  unserer  handschrilten  reicht  nicht  in  das  alter- 
tum  zurück. 

99)  Sein  gedanke  ist,  die  bauern  und  handwerker,  die  nicht  alles  durch  sclaven  be- 
sorgen lassen  können,  sind  in  der  demokratie  bürger,  folglich  kann  keine  beschränkung 
für  die  arbeit  und  das  öfi'entliche  erscheinen  von  bürgerfrauen  und  kindern  durchgeführt 
werden,  also  verlangt  er,  dafs  dieser  ganze  teil  der  bevölkerung,  der  selbst  arbeitet, 
von  der  bürgerschaft  ausgeschlossen  wird,  sein  staat  ist  dem  platonischen  sehr 
ähnlich,  er  ist  lediglich  für  den  obersten  stand  zugeschnitten,  nicht  von  fern  aber 
bezeugt  er  eine  kleine  sclavenzahl  für  Athen,  sondern  er  kennt  nur  frauen,  die  sich 


236  '•    '^'  ^'^  Verfassung. 

nietrios  von  Phaleron  hat  sich  diese  anregungen  seines  lehrers  sehr  zu 
herzen  genommen. 

Wie  in  dem  letzten  satze,  so  spürt  man  die  beriieksichtigung  Athens 
durch  das  ganze  capitel.  allein  zu  gründe  gelegt  hat  Aristoteles  keines- 
wegs die  attischen  ämter,  ja  er  zählt  behürden  als  notwendig  auf,  die 
in  Athen  gar  nicht  existiren ,  wie  die  hieromnemonen"")  oder  wie  sie 
sonst  hiefsen,  und  die  agronomen'"'),  und  er  ist  überall  bestrebt,  auch 


ihr  brot  verdienen,  wie  die  zweite  Sprecherin  in  den  Thesmophoriazusen  und  die 
Halimusierin  in  der  rede  wider  Eubulides. 

100)  Es  ist  dies  etwas,  worin  andere  orte  sehr  viel  weiter  gekommen  waren,  und 
auch  um  der  kritik  Athens  willen  ist  die  Zusammenstellung  Theophrasts  (Stob.  94,  22) 
wichtig,  in  Athen  gibt  es  keine  möglichkeit,  den  abschlufs  eines  rechtsgeschäftes, 
z.  b.  den  verkauf  eines  grundstückes  oder  eines  sclaven  durch  eine  für  alle  zeiten  beweis- 
kräftige öITentliche  Urkunde  zu  sichern,  auch  die  urteile  der  Schiedsmänner  und  ge- 
richte  werden  nicht  in  authentischer  form  ausgefertigt,  die  Verhandlungen  nicht  proto- 
koUirt,  es  fehlt  an  jedem  ersatze  für  die  tätigkeit  unserer  notare.  darin  waren  andere 
Staaten  weiter,  wie  die  halikarnassischen  steine  u.  a.  neben  Theophrast  lehren,  und 
die  bewufst  von  rechtsgelehrten  geschaffenen  Städteordnungen  wie  die  von  Thurioi 
auch;  obwol  die  Hellenen  die  schrift  immer  unvollkommen  ausgenutzt  haben,  nur 
ein  thiasos,  die  Mesogeer,  hat  in  Athen  seine  fivTjfiovss  (CIA  II  603).  in  der  Ver- 
waltung der  heiligen,  einzeln  der  staatlichen  besitztümer  ist  auch  Athen  weiter  ge- 
gangen und  hat  auch  den  Verkaufstempel  als  steuerquelle  ausgenutzt,  das  bedürfnis  einer 
solchen  Institution  macht  sich  vielfach  fühlbar,  einzelne  deponiren  eine  Schenkungs- 
urkunde bei  dem  rate  oder  bei  einer  behörde,  wie  den  astynomen;  man  verleiht  den 
geschäftsbüchern  der  bankiers  den  character  eines  juristischen  beweismittels,  aber 
alles  ist  kümmerlich  genug  geblieben,  für  all  und  jedes  ist  der  beweis  durch  privat- 
urkunden  zu  erbringen  (unter  denen  nie  die  eigenen  rechnungsbücher  figuriren; 
labulae  accepti  relati  hat  kein  hausherr  und  keine  hausfrau  geführt),  oder  durch 
zeugen,  und  zeugen  bestätigen  auch  erst  die  privaturkunden.  daher  die  ungeheure 
ausdehnung  der  Zeugenaussage  und  Zeugenvernehmung:  der  komische  dichter  kann 
jeden  mann  mit  Wahrscheinlichkeit  von  der  bühne  schaffen,  weil  er  einem  freunde 
als  zeuge  dienen  müsse,  daher  auch  die  gewerbsmäfsigen  zeugen  und  die  gewerbs- 
mäfsige  betrügerei  durch  falsche  zeugen,  die  familie  und  die  nachbarn  (ysiroves, 
7iT]oi,  üixeToi),  die  von  allem  wissen,  d.  h.  die  ländlichen  dörflichen  Verhältnisse 
und  die  Wirtschaft  des  bauern  liegen  dem  attischen  rechte  zu  gründe,  und  zum 
bauern  gehört  der  grofsgrundbesitzer,  der  adliche  herr.  dagegen  die  Römer  sind 
ein  kaufmannsvolk,  capilalisten,  die  in  partes  secant,  und  zum  bankier  gehört  der 
advocat.  es  ist  nicht  wunderbar,  dafs  die  alten  handelsstädte  Asiens  selbst  und 
die  ihnen  entstammenden  Sophisten  über  die  primitiven  Verkehrsformen  hinaus  waren, 
für  die  Solons  gesetze  geschaffen  waren,  aber  es  ist  ein  zeichen  der  gesetz- 
geberischen Impotenz  des  vierten  Jahrhunderts,  dafs  Athen  nicht,  schon  um  der 
Stempelsteuer  willen,  dem  vorbild  loniens  gefolgt  ist. 

101)  Die  Sicherheitspolizei  auf  dem  lande  sollte  durch  die  demenpolizei,  die 
epheben  und  die  tp^ovQoi  (s.  198)  besorgt  werden,    aber  es  hat  doch  keinen  verantwort- 


Politik  Z  8.  237 

andere  Verhältnisse  zu  berücksichtigen:  den  Studien,  deren  niederschlag 
die  Pohtien  sind,  hat  er  längst  ein  äuge  zugewandt,  wenn  er  auch  selbst 
von  den  attischen  Verhältnissen  schwerlich  schon  eine  volle  kenntnis  hat. 
ausgegangen  aber  ist  er  nicht  von  der  realität  der  concreten  tatsachen, 
sondern  von  Piaton,  der  im  sechsten  buche  der  Gesetze  den  anfang 
einer  solchen  ämtertafel  gegeben  hat,  leider  unvollendet,  denn  772  ^  reifst 
es  ab,  und  nirgend  steht  eine  fortsetzung.  er  beginnt  mit  den  vqi.io- 
(pvlay.es  eigener  erfindung,  dann  kommen  die  militärischen  Chargen 
(genau  die  attischen,  Strategen  hipparchen,  taxiarchen  phylarchen),  rat 
und  prytanen  (nach  athenischem  vorbilde  sehr  praktisch  abgeändert), 
astynomen  und  agoranomen,  priester  und  Schatzmeister,  agronomen  und 
phrurarchen,  über  deren  straf  und  amtsgewalt  viel  merkwürdiges  bei- 
gebracht wird.'°^)  gerade  die  sorge  für  das  land  und  seine  bedürfnisse 
ist  von  Piaton  nicht  vergessen :  man  merkt,  dafs  er  auf  dem  väterlichen 
gutshof  in  Iphistiadai   äugen    und   obren   aufgemacht  hat.     es  folgt  das 


liehen  oberbeamtcn  dafür  gegeben ,  bis  der  arQaTr]yds  eicl  xtjv  %wQav  diese  cbarge 
erhielt,  trotzdem  ist  in  Attika,  so  viel  wir  sehn,  das  land  sicher  und  in  Ordnung 
geblieben,  noch  Herakleides  der  kritiker  hat  den  unterschied  zwischen  ihm  und 
Boeotien  stark  empfunden. 

102)  Natürlich  hat  auch  Piaton  sich  über  auswärtige  Verhältnisse  unterrichtet; 
die  xQvnrsia  Spartas  erwähnt  er  763'',  und  aus  Sparta  hat  er  die  erlaubnis  des 
Obstdiebstahls,  wenn  er  unbemerkt  bleibt,  und  die  prügelstrafen  für  den  ertappten 
845':.  eindringende  forschung  wird  aus  diesen  büchern  noch  einen  unendlichen 
ertrag  ziehen  können,  an  kenntnis,  und  was  mehr  wiegt,  an  Weisheit,  denn  dieser 
höchstbegnadete  unter  den  sterblichen  hat  nicht  nur  die  herrlichkeit  gottes  und  die 
tiefen  der  menschenseele  zu  schauen  vermocht,  sein  helles  äuge  und  seine  warme 
liebe  freut  sich  auch  an  den  kleinen  und  teilt  mit  den  kleinen  leid  und  lust.  wo 
fände  man  bei  dem  tugendstolze  der  kynisch-stoischen  prediger,  die  doch  das  volk 
suchen,  oder  bei  den  advocaten  der  Corpus  iuris  so  etwas,  wie  er  seinen  agronomen 
vorschreibt:  "an  den  ländlichen  heiligtümern  sollen  sie  das  bergwasser  sammeln, 
auch  durch  unterirdische  arbeiten  (ßeraV.elai),  und  bäume  sollen  sie  pflanzen,  eine 
lust  dem  äuge,  und  badstuben  sollen  sie  einrichten  und  reisig  sammeln:  dann 
kommen  nach  getaner  arbeit  die  jungen  bursche  und  spielen  dort,  und  die  alten 
finden  in  einem  warmen  bade  erquickung  und  kräftigung  für  die  müden  glieder,  die 
besser  ist  als  die  medicin  des  landarztes."  der  greis,  der  über  die  realität  der  zahl 
grübelt,  und  in  bitteren  stunden  selbst  über  den  teufel  (die  böse  weltseele),  dem 
alles  irdische  treiben  ein  spiel  wird,  hat  doch  seine  Jugend  nicht  verleugnet,  da  der 
knabe  auf  den  hügeln  des  obern  Kephisostales  sich  tummelte  und  unter  den  platanen 
an  den  quellen  von  Kephisia  träumte,  ein  landkind  ist  er  gewesen  und  geblieben, 
die  frische  edelfeige,  wie  sie  in  den  gärten  Kephisias  gedeiht,  war  des  bedürfnis- 
losen lieblingsspeise:  Diogenes  afs  die  gerösteten  erbsen,  die  das  hökerweib  am 
markte  feil  hielt,  und  den  tintenfisch  des  lazzarone;  Aristoteles  war  auch  an  der 
tafel  weitmann,     die  gehören  beide  in  die  grofse  Stadt. 


238  '•   '^-  I*'6  Verfassung. 

erziehungswesen,  für  das  er  eine  staatliche  aufsieht  einführt;  dann  aber 
verwirrt  sich  der  faden  und  reifst  bald  ganz  ab.'°^)  gerade  mit  agoranomen, 
astynomen  und  agronomen  beginnt  auch  Aristoteles,  gesetzeswächter  und 
die  über  der  öffentlichen  zucht  stehenden  erAvähnt  er  auch,  so  wenig  sie 
für  seine  darstellung  nötig  waren:  dafs  er  von  Piaton  angeregt  ist,  ist 
offenbar,  ihm  folgt  er  darin,  dafs  er  versucht,  begrifflich  zu  sondern, 
welche  ämter  durch  die  verschiedenen  notwendigen  kreise  der  Staats- 
verwaltung gefordert  werden;  er  hat  darin  mit  minder  attischen  äugen 
gesehen  als  Piaton,  und  doch  mit  ganz  hellenischen :  man  braucht  nur  auf 
Rom  zu  blicken,  wo  die  aussonderung  der  rein  miUtärischen  ämter,  die 
forderung  eines  rechnungshofes,  der  rat  als  träger  jeder  initiative  nicht  oder 
doch  nicht  ursprünglich  existiren.  von  dieser  auf  die  abstraction  des  all- 
gemein giltigen  und  notwendigen  gerichteten  speculation  hat  sich  Aristoteles 
abgewandt,  als  er  die  lediglich  registrirende  bearbeilung  der  Politien 
vornahm,  wir  dürfen  das  bedauern,  denn  wie  belehrend  würde  es  sein, 
wenn  er  so  disponirt  hätte:  die  Verwaltung  des  Staates  erstreckt  sich 
über  die  und  die  gebiete,  bedarf  dazu  der  und  der  organe:  wie  ist  in 
Athen  dem  bedürfnis  genügt,  und  wie  functioniren  diese  organe?  dafür 
lesen  wir  nur,  wie  in  der  PoUtik  so  hier,  zwischen  den  zeilen  ein  wort 
der  kritik ;  aber  was  uns  gegeben  wird,  ist  das  zuverlässigste  material 
für  unsere  eigene  kritik:  es  redet  nicht  sowol  Aristoteles  als  die  gesetze 
selbst,  deren  summe  er  wiedergibt,  er  ist  unser  wichtigster  zeuge,  aber 
die  Staatshaushaltung  von  Athen  müssen  wir  uns  selber  schreiben. 
Athioiheten.  Wir  haben   noch    die   capitel   über   archonten   und   athlotheten  zu 

betrachten,  um  die  letzten  (60)  vorweg  abzutun ,  so  ist  schon  klar 
geworden,  wie  sie  an  den  seltsamen  platz  geraten  sind  (s.  207).  weshalb 
sie  Aristoteles  überhaupt  so  breit  behandelt  hat,  fragt  man  vergebens, 
es  mag  ihn   die   archaische   gesetzgebung  und   noch   mehr  der  wider- 


103)  Piaton  hat  zwisclien  der  Verfassung,  d.  h.  der  lelire  von  der  zalil  und 
der  bestellung  der  ämter,  und  den  gesetzen,  d.  li.  der  lehre  von  den  amtspflichten 
dieser  beamten,  ausdrücklich  unterschieden  (751),  und  wieder  ein  anderes  sind  die 
gesetze,  welche  bestimmte  handlungen  verbieten  und  unter  strafe  stellen:  die  gibt 
er  später  in  praeciser  formulirung.  wer  redet,  als  hätten  die  Griechen  diese  dinge 
nicht  unterscheiden  können,  hat  Piaton  nicht  gelesen,  und  das  sollte  er  tun,  ehe  er 
gehör  für  lehren  über  attische  Verfassung  beansprucht,  aber  eben  zu  der  lehre  von 
den  ämtern  gehört  wie  die  dokimasie  so  die  euthyna:  die  steht  bei  Plalon  erst  in 
einem  ganz  andern  zusammenhange  12,  945,  und  in  einer  abhandlung,  die  sich  mit 
der  des  sechsten  buches  nicht  ganz  verträgt,  auch  in  sich  nicht  einheitlich  ist. 
schon  deshalb  ist  die  behandlung  des  sechsten  buches  nicht  vollendet,  was  sicl> 
übrigens  von  vielen  seilen  zeigen  läfst. 


Athlotheten.  239 

Spruch  zwischen  gesetzgehung  und  praxis,  den  er  anmerkt,  gereizt 
haben,  auch  sei  daran  erinnert,  dafs  die  Panathenäeenfeier  jüngst 
durch  Lykurgos  neu  geordnet  war.  die  athlotheten  sind  beamte,  denn 
sie  unterliegen  der  dokimasie ;  zu  tun  haben  sie  aber  mit  eigener 
Verantwortlichkeit  wenig,  sie  stehn  den  jährigen  opferherrn  darin  gleich, 
dafs  sie  ein  staatsfest  ausrichten  ohne  die  Oberaufsicht  eines  der  hohen 
Würdenträger,  die  die  Lenaeen  Dionysien  Thargehen  Mysterien  be- 
sorgen und  denen  auch  eine  zehnercommission  zur  seite  steht,  sogar 
zum  teil  eine  gewählte,  aber  sie  heifsen  "preissetzer",  und  ausgesetzt 
sind  allerdings  hohe  preise,  goldne  kränze,  geld'°^),  schilde  und  das  be- 
rühmte attische  öl  in  den  panathenäischen  henkelkrügen  ^*'®) ;  aber  diese 
preise  gibt,  spätestens  seit  der  officielie  tarif  (CIA  II  965)  in  der  ersten 
hälfte  des  vierten  Jahrhunderts  aufgestellt  ist,  der  Staat,  ich  denke  aber 
auch  erst  seitdem,  denn  es  versteht  sich  von  selbst,  dafs  die  ud-lo^iraL 
so  benannt  sind,  weil  sie  a^'/.a  irid^eour.  und  weil  sie  diese  liturgie 
leisteten,  hatten  sie  die  ehre,  das  fest  im  namen  Athenas  und  Athens 
auszurichten;  Athena  gab  nur  für  die  körperhchen  leistungen,  die  von 
alters  her  allein  herkömmlichen  agone,  ihr  öl  zum  preise:  mit  dem 
sollten  sich  die  ad-'/.riTai  salben,  darin  ist  logik.  und  so  wird  der  archon 
Hippokieides  566  das  fest  geordnet  haben,  mag  er  auch  selbst  athlothet 
gewesen  sein,  zehnzahl  und  volkswabl  sind  natürlich  erst  kleisthenisch 
oder  jünger,  damals  war  die  athlothesie  eine  besonders  vornehme  liturgie. 
sie  belohnten  die  rhapsoden^^)  und  musiker  und  das  volk  selbst  für 
seine  eiardgia.     als  der  privatwolstand  gebrochen  war,  hat  man,  ohne 


104)  Wer  die  officielie  inschrift  kennt,  mufs  einsehen,  dafs  a^yigtov  y.ai  yoiaä 
bei  Aristoteles  herzustellen  ist  (aoyioia,  überhaupt  unsinn,  der  papyrus).  es  ist 
nicht  nötig,  andere  lesungen  zu  widerlegen. 

105)  Der  typus  Athenas  auf  diesen  gefafsen  darf  also  satnmt  der  inschrift  auf 
die  mitte  des  sechsten  Jahrhunderts  bezogen  werden. 

106)  \N'ie  dankbar  diese  waren,  haben  sie  in  den  versen  der  homerischen  Boiotie 
gesagt  550  —  55,  die  das  fest  verherrlichen,  das  lob  des  y.oaur^acu  itzttov;  xb  y.ai  ävegas. 
laniBia-Tas,  das  Menestheus  erhält,  gilt  also  dem  Panathenaeenzuge  und  der  slarSgia: 
es  ist  ein  gutes  motto  für  den  Parthenonfries,  fälschlich  habe  ich  (Hom.  Unt.  247) 
den  vers  auf  die  schlachtreihe  des  kleisthenischen  heeres  bezogen :  es  ist  das  ein 
bild,  die  Panathenaeen  an  den  Panalhenaeen  gefeiert.  iTtnot  sind  wagen  und  reiter. 
auch  dafs  Meneslheus  hinter  Nestor  den  Neliden  zurückgestellt  wird,  einzig  hinler 
ihn,  ist  für  Athen,  dessen  vornehmster  adel  pylisch  sein  wollte,  nicht  herabsetzend, 
auf  die  zeit  des  Hippias  kann  der  vers  freilich  nicht  gehn:  oi  yag  ^txeuttov  tote 
fied^'  o7z).cor.  er  ist  also  entweder  jünger  oder  stammt  vielmehr  aus  den  zeiten  vor 
derbefestigten  tyrannenherrschaft,  566  —  540  etwa,  deren  festordnung  füglich  militärisch 
gewesen  sein  kann. 


240  '•    "•  ^^^  Verfassung. 

doch  der  persönlichen  munifizenz  der  athlotheten  schranken  zu  setzen,  die 
preise  auf  den  staal  übernommen  und  konnte  die  beamten  dann  ruhig 
erlösen,  ganz  ebenso  ist  an  den  Dionysien  die  direcle  wähl  der  epimeleten 
durch  das  los  ersetzt  und  ihre  lilurgie  auf  den  Staat  übernommen  (56,  4), 
und  ist  später  die  volkschoregie  und  agonothesie  eingeführt. 

Die  ölpreise  setzen  den  Staatsbesitz  von  oliven  voraus,  dieser 
wieder  eine  starke  initiative  und  consequenz  der  staatlichen  landwirt- 
schaft.  der  pflanzgarten,  aus  dem  die  jungen  bäume  kamen,  stand  in  der 
Akademie,  wo  der  erste  ableger  des  heiligen  Ölbaumes  gepflanzt  war,  den 
Athena  selbst  zum  zeichen,  dafs  ihr  das  land  gehörte,  auf  der  bürg 
hatte  spriefsen  lassen ,  wo  Pandrosos  in  ihrem  garten  seiner  pflegte, 
nichts  beweist  so  deutlich  die  energische  fürsorge  für  den  ölbau  wie  der 
Pachtvertrag  des  Neleusgartens,  dessen  formein  418,  als  man  ihn  erneute, 
längst  archaisch  geworden  waren  (CIA  IV  p.  67).  die  Ölbäume  gehören 
Athena;  ihre  Schatzmeister  nehmen  das  öl  in  empfang  und  bewahren  es  auf; 
es  wird  damit  handel  zu  gunsten  des  Staates  getrieben."")  ganz  offen  hegt 
hier  noch  die  Identität  des  Staates  und  der  göttin,  ihres  Schatzes  und  des 
Staatsschatzes:  man  hat  sie  damals  noch  nicht  unterscheiden  können,  ganz 
offen  liegt  noch  die  directe  bewirtschafiung,  so  zu  sagen,  an  stelle  des 
späteren  pachlsystems,  die  in  den  vertragen  der  eKT^/noQOi  ihre  analogie  hat. 
die  besilzer  des  landes,  auf  dem  die  bäume  wachsen,  müssen  sie  in 
standhalten  und  1^2  kotylen  öl  an  Athena  pacht  zahlen;  was  sie  mehr 
ernten,  ist  ihr  gewinn,  es  ist  eine  höcht  ausgebildete,  aber  immerhin 
ausschliefsliche  natural  Wirtschaft.'"^)  der  träger  dieser  Wirtschaftsordnung 
ist  der  Areopag,  denn  er  hält  den  executivbeamten,  den  archon'°")  zur 

107)  Nacli  Aristoteles  mufs  es  scheinen,  als  wäre  zu  seiner  zeit  der  verkauf 
eingestellt;  es  mufs  also  woi  damals  alles  öl  für  directe  Staatsleistungen  verbraucht 
sein,  schwerlich  kann  man  glauben,  dafs  die  preise  der  Panathenaeen  es  ganz 
vrrbrauchten;  aber  dafs  der  Staat  sonst  öl  brauchte  (z.  b.  in  den  gymnasien,  an 
die  man  leicht  denkt),  ist  wol  nicht  bezeugt,  natürlich  war  395  der  ölerlrag  im 
ganzen  als  rslos  verpachtet,  Lys.  7,  2. 

108)  Dieselbe  naturalwirtschaft  erkennt  man  in  den  geselzen  über  die  parasiten 
des  königs  Athen.  VI  235.  dieser  hat  später  die  Verpachtung  des  domänen:  sie  hat 
jene  ältere  form  verdrängt,  immer  noch  zu  einer  zeit,  wo  der  könig  noch  ein  be- 
deutender beamter  war,  also  vor  487. 

109)  Lysias  7,  22  nennt  noch  alle  neun  als  die  zunächst  zur  beaufsichtigung 
der  heiligen  Ölbäume  berufenen,  rovs  ews  aq^ovras  ijiriyayES  tq  nV.ovS  rn'as 
r<ov  i^^y^QEiov  Ttäyov.  rovs  ivvE  äoyovxas  ist  auch  da  feste  formel;  Areopagiten 
in  ihnen  sehen  wird  nur,  wer  auch  räS'  ovx  an'  aXXcoi'  ayyiXoyv  y.l,veiv  d'iXwv  bei 
Sophokles  dahin  intcrpretirt ,  dafs  Oedipus,  der  so  spricht,  ein  böte  gewesen  wäre, 
für  die  zeit,   auf  die  wir  hier  zurückblicken,  ist  nicht  wunderbar,   dafs  das  ganze 


Athlotheten.  241 

sorge  für  die  pünktliche  Zahlung  der  pacht  an  ,  da  er  ihnen  sonst 
den  eintritt  in  seinen  kreis  versagt,  er  schickt  seine  yvw7<oy£g"°)  über 
land,  legt  nachlässigen  grundbesitzern  Ordnungsstrafen  auf  {Ur^f.uai), 
richtet  über  die  anzeigen  wider  solche,  die  jeder  erheben  kann,  und 
straft  den  tod  eines  oHvenstammes  an  dem  leben  des  schuldigen,  dieses 
'"drakonische"  und  sicherlich  vordrakontische  gesetz  ist  rechtlich  nie  be- 
seitigt und  konnte  es  nicht  werden,  da  Athena  die  verletzte  war;  tat- 
sächlich liefs  man  um  395  dem  verurteilten  dieselbe  freiheit  zum  fliehen 
wie  dem  morder,  so  dafs  im  bewufstsein  der  leute  nur  Verbannung  und 
Vermögensverlust  die  strafe  war.'")  bald  darauf  ist  die  ganze  alte  Ordnung 
faktisch  beseitigt,  indem  die  lieferung  von  einer  bestimmten  menge  öl 
als  reallast  der  grundstücke  angesehen  ward,  auf  denen  heilige  bäume 
gestanden  hatten,  der  grundbesitzer  haftet  für  die  Zahlung  mit  seinem 
vermögen ;  auf  die  bäume  selbst  kommt  nichts  mehr  an."-)  dafs  man  die 
reallieferung  nicht  in  geld  umgesetzt  hat,  liegt  daran,  dafs  der  Staat  öl 
brauchte. 

Als  man  den  ölbau  so  einführte,  war  der  Areopag  herr  in  Athen, 
das  liegt  am  tage,  und  man  könnte  seine  vorsolonische  macht  von  dieser 
ecke  aus  sicher  erreichen,  die  schöne  sage  von  Athenas  besitzergreifung 
durch   das  Wahrzeichen   der  olive   ist  erst  auf  grund  dieser  mafsreeel 


collegium  neben   dem   obmann  erscheint.     Aristoteles  gibt  aucli  hierin  eine  jüngere 
Ordnung. 

110)  yvcöfioves  haben  sie  geheifsen,  so  hat  der  Palatlnus  Lys.  7,  25  und  die 
gute  glosse  Bekk.  An.  228,  und  der  aus  den  or^rooixai  stammende  artikel  im  Et.  M. 
€7tiyvd)fJovE5  gibt  Harpokration  für  die  Lysiasstelle  ohne  weitere  gewähr;  dafs  Hesych. 
iTiiyvcüucov  sTTOTtrr^s  auf  die  behörde  geht,  ist  nicht  glaublich,  denn  eTiömris  ist 
überhaupt  kein  amtsname.  dagegen  stimmt  Hesych  yvcöfiwv  zu  dem  anfange  des 
artikels  in  Et.  M.  smyvcö^icov  ist,  wenn  die  praeposition  nicht  bedeutsam  ist  wie 
bei  Demosthenes  37,  40,  ein  späterer  ersatz  für  das  einfache  wort,  sehr  deutlich  bei 
Xenoph.  Mem,  1,  4,  5,  wo  Sext.  Empir.  adv.  phys.  I  94  emyvcö/j.cov  gibt,  yva'^ficov 
die  handschriften. 

111)  So  gleicht  sich  das  gesetz  bei  Aristoteles  und  die  rednerangabe  Lys. 
7,  3  u.  ö.  bequem  aus.    übrigens  redet  er  auch  von  neqi  rov  acö/naros  yCvdwoi,  26. 

112)  £y.  Tov  üTTjuaros  kommt  das  öl.  so  müfste  man  emendiren,  wenn  es 
nicht  trotz  Kenyons  wiederholter  Versicherung  überliefert  wäre,  von  welchem  bäume 
das  öl  herkommt,  ist  gleichgiltig:  aber  der  besitzer  des  grundstücks,  auf  dem  diese 
reallast  liegt,  ist  für  die  lieferung  haftbar,  zu  dem  gebrauche  von  xrr;fia  vgl.  z.  b. 
Demosthenes  §§.  Androt.  54.  wie  das  religiöse  denken,  das  in  dem  bäume  ein 
göttliches  sieht,  eine  gespielin  Athenas,  über  das  politische,  das  den  gott  durch 
den  Staat  ersetzt,  zu  dem  profan  juristischen  wird,  das  nur  noch  den  buchstaben 
der  steuerrolle  und  den  klang  des  Silbers  respeclirt,  ist  hier  in  trauriger  deutlich- 
keit  zu  sehen. 

V.  Wilamowitz.  Aristoteles    I.  16 


242  '•    '•  ^'^  Verfassung. 

entStauden;  ihre  rationalistische  Umbildung,  dafs  ehedem  Athen  alleiu 
üliven  gebaut  hätte,  lesen  wir  schon  bei  Herodotos  5,  82.  natürhch 
kannte  man  den  wert  dieser  cultur  und  vertraute  auf  ihre  rentabihlät, 
als  man  sie  also  von  Staatswegen  betrieb ;  es  gab  damals  in  Hellas  Ölbäume 
schon  vieler  orten,  aber  in  Eleusis  führt  der  Demeterhymnus  ihre  nymphen 
als  gespielinnen  der  Köre  ein  (23) :  dort  standen  sie  nicht  zu  hunderteu. 
in  Boeotien  rechnet  der  bauer  des  Hesiodos  nicht  mit  ihnen :  wie  alt  wird 
der  attische  ölbau  sein?  älter  als  Drakon ,  viel  älter,  nun  ja,  dafür 
zeugt  die  macht  des  Areopages  und  die  todesstrafe.  aber  wie  viel? 
wüssten  wir,  welche  grundstücke  mit  ohven  Athenas  besetzt  waren ,  so 
wäre  eine  antwort  gegeben,  da  sagt  nun  der  Sprecher  der  Lysiasrede  7,  24 
hcLoxaG&£  iv  xv)  nEÖUo  Tto'/J.ag  f.iOQiag  ovoag  ymI  /tvQyMiäg  (ustrinas) 
SV  lolg  aXkoig  rolg  ifiolg  xojQioig.  wenn  der  manu  blofs  suburbane 
grundstücke  hatte,  so  lehrt  das  nichts;  aber  so  pflegt  attischer  besitz 
nicht  zu  liegen,  sowol  die  öiqfXLÖTiQaTa  wie  die  redner  wie  Piatons 
Gesetze  zeigen  die  bürger  im  besitze  von  meist  weit  von  einander  gelegnen 
parzellen.  standen  etwa  /noQiai  nur  im  ueöiov'i"^)  so  waren  sie  gesetzt 
zu  einer  zeit,  wo  den  herren  des  burgfelsens  nur  das  jceöiov  gehorchte, 
wie  das  attische  regengebet  nur  diesem  gilt.*")  es  wäre  vermessen,  das 
behaupten  zu  wollen :  aber  in  eine  altersgraue  zeit  tun  wir  hier  einen 
blick,  und  die  Areopagiten  die  die  olive  zum  bäume  Athenas  machten  haben 
es  verdient,  dafs  Goethes  Pandora  in  ihrer  tat  die  potenzirt  promelheische 
Schöpfung,  von  kunst  und  Wissenschaft,  gefeiert  hat:  an  der  fxoqia  der 
Akademie  hat  sich  die  kypsele  geöffnet,  die  weder  die  (xcoQia  der  modernen 
banausen  noch  der  Moriah  der  Juden  je  verdrängen  oder  ersetzen  können. 
Arcbonien.  Den  archonten  sind  wenigstens  ein  par  seilen  gewidmet,  und  doch 

tritt  hier  ganz  besonders  deutlich  hervor,  dafs  eine  vorläge  von  Aristo- 
teles zu  gründe  gelegt  und  gekürzt  ist.  er  hat  so  dispouirt,  dafs  er 
erst  die  formaliläten  des  amtsantrittes  ziemhch  breit  beschreibt  (55-. 
56,  1),  dann  die  befuguisse  der  einzelnen  mitglieder  des  collegiums, 
endlich  die  ihnen  allen  gleich  zustehende  auslosung  der  richter  (59,  7). 

113)  Das  gesetz,  das  überhaupt  den  Ölbaum  schützt  (Rede  gg.  Makartatos  71), 
gilt  natürlich  für  ganz  Attika;  es  ist  in  der  formulirung,  die  vorliegt,  nicht  alt, 
durchaus  profan,  aber  es  ist  an  sich  ein  altes  complement  des  Schutzes  der  heiligen 
Ölbäume,  und  dient  dem  schütze  der  baumzuciit.  gerade  weil  dieser  schütz  bestand, 
konnte  man  die  religiöse  sanction  fallen  lassen. 

114)  voov  vaov  Ol  <piXe  Ztv  xaza  rrjs  d^ot^as  ir^i  ^Ad'riVuicov  xal  iwv 
TieSiwv  (Marcus  n^ce  eavxöv  5,  7).  darin  ist  das  letzte  völlig  unverständlich,  tov 
ntSiov  macht  es  klar:  neben  dem  lande  da  der  pflüg  geht  stehn  die  gärten  mit  öl 
und  wein  und  die  steinigen  ysD.rje,  wo  das  Kleinvieh  weidet. 


Archonten.  243 

wir  haben  dies  letzte  verkannt  und  den  paragraphen  gestrichen,  weil 
ziemhch  dieselben  worte  die  beschreibung  der  gerichte  einleiten  (63,  1). 
aber  sobald  man  die  disposition  erfasst  hat,  erscheint  die  Wiederholung 
angemessen;  man  mufs  nur  den  paragraphen  als  einen  besonderen  absatz 
drucken."^) 

Nun  ist  schon  die  gemeinsame  tätigkeit  und  die  für  alle  neun 
gleiche  competenz  schwerlich  mit  der  auslosung  der  richter  erschöpft; 
einen  punkt,  dafs  ihnen  der  Zuschlag  zukommt,  wenn  die  poleten  die 
guter  der  wegen  blutschuld  flüchtigen  versteigert  haben  (47,  2),  hat 
Aristoteles  selbst  erwähnt,  unmöghch  ist  das  das  einzige,  was  die  neun 
schon  unter  Solon  in  demselben  amtshause  vereinigten  gleichnamigen 
beamten  als  coUegium  zu  tun  hatten,  zumal  die  sechs  thesmotheten  wegen 
der  geraden  zahl  unmöglich  allein  zu  gericht  gesessen  haben,  indessen  das 
mögen  kleinigkeiten  gewesen  sein,  und  die  allgemeinen  competenzen  ge- 
hören eher  in  den  abschnitt  über  wähl  und  dokimasie.  man  vermifst  z.  b. 
auch  die  amtstracht  des  kranzes,  da  doch  vom  könige  erzählt  wird,  dafs 
er  ihn  in  den  blutgerichtshöfen  absetzt;  bei  andern  berichterstattern 
wird  er  erwähnt.'"') 


115)  Man  würde  freilich  lieber  die  Wortstellung  Treevres  J'  ol  iwia  ao^ovras 
xXrjqovai  die  Ordnung  der  abschnitte  deutlich  machen  sehen,  es  schwebt  dem  Schrift- 
steller wol  der  gegensatz  zu  der  competenz  der  thesmotheten  vor,  die  gerichtstage 
und  gerichtshöfe  den  riye/iöves  Siy.aaTtjQiwv  zuzuweisen,  §  1.  eben  diese  com- 
petenz steht  noch  einmal  §  5  mit  den  worteu  xai  tmalriQovai  zals  uQxals  ovroi  ia 
SmaariiQia  tol  iSia  xal  t«  Sr,fi6ai,a,  die  notwendig  unächt  sind,  nicht  blofs  weil 
dasselbe  schon  einmal  gesagt  war,  sondern  weil  über  die  gerichtshöfe  nicht  das 
los  entscheidet,  da  sie  verschieden  grofs  sind  und  deshalb  nach  bedürfnis  zu- 
gewiesen werden,  Sovvai  nennt  es  Aristoteles  vorher,  aufserdem  ist  unverständlich, 
was  XSia  und  Srifiöaia  SinaaxrQia  sein  sollen,  die  klagen  haben  mit  ihnen  nichts 
zu  tun.  so  unerträglich  demnach  das  überlieferte  ist,  so  unbehaglich  ist  es,  eine 
solche  interpolation  als  einzige  in  dem  buche  zu  statuiren,  deren  anlafs  ganz  unverständ- 
lich ist.  aber  es  ist  unvermeidlich,  denn  an  jenem  orte  kann  überhaupt  nichts 
anderes  als  was  die  vorstandschaft  der  thesmotheten  in  bestimmten  processen  angeht, 
erwähnt  worden  sein. 

116)  Schol.  Aisch.  1,  19,  Poll.  8,  86.  dessen  weitere  angäbe,  nach  der  alle 
archonten  den  unberechtigt  heimkehrenden  mörder  hinrichten  lassen,  steht  mit  aus- 
drücklichen rednerstellen  in  Widerspruch  (Lipsius  Att.  Pr.  55),  und  es  mag  eine 
blofse  Verwechselung  vorliegen,  wie  so  oft  d-eofiod-irat  und  äq^ovits  verwechselt 
werden,  indessen  möchte  ich  für  die  älteste  zeit  weder  den  thesmotheten  eine 
executive  noch  den  sechs  einen  beschlufs  zutrauen:  eine  rechtsentwickelung,  die  die 
amtsbefugnisse  des  archontencoUegiums  zu  gunsten  der  einzelnen  zersplitterte,  ist 
wol  denkbar,  wir  haben  ähnliches  bei  der  sorge  für  die  Ölbäume  gefunden, 
anm.  109, 

16* 


244  '•   ''•  I*'^  Verfassung. 

Thesmo-  VoD  den  thesniotheten  (59)  gibt  Aristoteles  nach  der  Verfügung  über 

theien.  ggrichtstagc  Und  gerichtshüfe  die  vorstandschaft  in  folgenden  procefs- 
gattungen  an:  1)  in  allen,  deren  einleitung  auf  besondern  volksbeschlufs 
geschieht,  oder  die  sich  auf  die  Verhandlungen  des  Volkes  beziehen"'); 
dazu  steht  als  corollar  die  rechenschaft  der  Strategen,  weil  sie  sehr  oft 
in  der  form  der  xarax^iQOTovia  verordnet  ward."^)  2)  die  schrift- 
klagen, für  die  ein  succumbenzgeld  erlegt  wird.  3)  wahlprüfungen  und 
Vorurteile  der  einzelgemeinden  oder  des  rates:  die  analogie  mit  1  ist 
klar,  und  sie  stünden  besser  vereinigt.  4)  ein  par  privatklagen.  5)  die 
klagen  auf  grund  der  cartellverträge  mit  andern  Staaten,  deren  formeller 
abschlufs  den  thesmotheten  auch  noch  zufiel,  6)  die  in  areopagitischen 
Processen  anhängig  gemachten  klagen  wegen  falschen  Zeugnisses. 

Es  ist  auf  den  ersten  blick  klar,  dafs  eine  classe  fehlt,  yQacpal 
(x)v  TtaQaaraGig  ov  zi^erai,  und  abgesehen  von  dem  einen  titel  vßgetog, 
der  in  einigen  grammatikercitaten  der  aristotelischen  aufzählung  fälsch- 
lich eingereiht  zu  sein  scheint"^),  aber  vielmehr  hierher  gehört,  genügt 
ein  blick  in  den  Attischen  procefs,  um  sich  zu  überzeugen,  dafs  Aristo- 

117)  Gestört  ist  dieser  Satz  zuerst  nur  durch  eine  der  häufigen  glossirungen,  die 
um  der  Vollständigkeit  oder  Übersichtlichkeit  des  Satzes  willen  ein  wort  wiederholten, 
es  war  das  verbum  eladyovaiv  voraufgenommen,  weil  es  hinter  drei  accusativen 
erst  steht,  und  es  war  mit  dem  falschen  zusatze  eis  rov  Srjfiov  versehn,  zu  dem  die 
erwähnung  der  eisangelie  verleitete:  Aristoteles  hatte  eU  rb  StxaaiijQiov  zuzu- 
setzen für  überflüssig  gehalten,  in  diesem  harmlosen  zustande  lesen  wir  das  glossem 
in  den  scholien  zu  Piaton  und  Aischines.  der  papyrus  gibt  es  in  der  weiteren  Ver- 
derbnis eiaayyällovaiv  eis  rbv  Stj/iov,  und  so  Harpokration  Pholius  Pollux,  denen 
man  gern  glauben  möchte,  aber  es  ergibt  sich  eine  fülle  von  verstöfsen  gegen  die 
Prinzipien  des  Staatsrechts,  die  beamten  haben  in  der  Volksversammlung  nichts  zu 
suchen ;  der  verkehr  mit  dem  volke  geht  über  den  rat.  der  bürger  hat  das  recht 
in  dringender  sache  des  allgemeinen  woles  sich  direct  an  die  gemeinde  zu  wenden ; 
ist  sie  nicht  versammelt,  so  ist  ja  der  rat  ihr  Vertreter,  das  volk  hat  notorisch  die 
eisangelie,  wenn  es  sie  annahm,  den  thesmotheten  zur  aburteilung  vor  gericht  über- 
geben: das  mufs  Aristoteles  sagen,  das  steht  aber  nicht  da.  dagegen  steht  da,  dafs 
die  thesmotheten  diese  Sachen  vor  das  volk  brachten:  das  ist  in  keinem  falle  nach- 
weisbar, mich  dünkt  es  ist  erfreulich,  dafs  sich  diese  rechtliche  anomalie  durch 
eine  textbehandlung  erledigt,  zu  der  uns  die  Überlieferung  selbst  die  handweisung  gibt. 

118)  Vgl.  ytöyos  und  Evd-vva  am  ende. 

119)  Zuversichtlich  rede  ich  deshalb  nicht,  weil  mir  unverständlich  ist,  wie 
bei  der  klage  wegen  ehebruchs  und  was  mit  ihr  zusammenhängt  Traoäaraais  er- 
fordert sein  konnte,  bei  vßgte  nicht,  einen  sinn  hat  sie  nur  bei  den  vorhergehenden 
klagen,  also  kann  die  nachlässigkeit  des  Aristoteles  gröfser  gewesen  sein,  nicht 
sowol  eine  ganze  gruppe  fortgelassen  als  zweie  vermischt,  und  ißQis  und  fioi^sia] 
können  wirklich  zusammengehören. 


Thesmotheten.  245 

teles  mehreres  weggelassen  hat.  und  wenn  wir  vielleicht  nicht  im  stände 
sind,  dasselbe  für  die  privatklagen  zu  beweisen'-"),  so  ist  doch  das  ver- 
trauen in  die  Vollständigkeit  der  aristotelischen  angäbe  notwendig  gering, 
fehlt  doch  von  den  allgemeinen  competenzen  die  sehr  bedeutsame,  dafs 
die  thesmotheten  die  losung  der  beamten  vornehmen  (vgl.  s.  203).  also 
dies  capilel  gibt  nicht  das  ganze  tatsächhche  uiaterial,  es  gibt  eine  nicht 
einmal  in  den  capiteln  vollständige  aufzählung  der  klagen,  für  die  die 
thesmotheten  den  procefs  instruiren.  wir  würden  einem  systematiker 
wie  diesem  philosophen  eher  zutrauen,  dafs  er  zwar  das  unwesentliche 
detail  verachtet  hätte,  aber  dafür  den  leitenden  gesichtspunkt  angäbe, 
das  würde  nicht  mehr  worte  erfordert  haben,  die  thesmotheten,  ge- 
schaffen für  die  gesetzgebung,  haben  von  daher  nur  noch  die  formelle 
Sanktion  der  cartellverträge  mit  fremden  Staaten ,  aber  sie  haben  noch 
immer  die  auf  grund  derselben  anhängigen  klagen,  sie  bildeten  vor 
alters  das  recht  findende  collegium  für  die  im  eigenthchen  sinne  offent- 
hchen  sachen,  d.  h.  die  wo  der  souverän  partei  war.  daher  stehn 
ihnen  die  klagen  zu ,  welche  auf  grund  eines  Vorurteils  von  rat  oder 
volk  gegen  einzelne  bürger  oder  gegen  beamte  zu  entscheiden  sind; 
dazu  gehören,  wenn  auch  unter  bestimmten  beschränkungen,  die  rechen- 
schaflsklagen  gegen  alle  beamte,  unbedingt  die  gegen  die  Strategen,  und 
die  klagen  wegen  gesetzwidrigkeit  in  der  amtsführung  der  mitglieder 
und   Vorsitzenden   des   rates   und   der  Volksversammlung.*^')      wenn   der 


120)  Die  ifiTioQixai ,  die  binnen  monatsfrist  zu  erledigen  sind,  liat  die  Spar- 
samkeit der  ersten  restaurationsjahre  den  thesmotlieten  erst  gegeben,  als  sie  die 
nautodiken  abschaffte,  die  fieTalliy-ai  sind  deshalb  nicht  blofse  privalklagen,  weil 
die  zu  gründe  liegenden  Pachtverträge  mit  dem  staat  geschlossen  sind,  und  zwar 
vom  rate,  es  ist  also  correct,  dafs  die  thesmotheten  Vorsitzen;  nur  müfste  eigent- 
lich eine  xaroyvcoais  ex  ßovkiis  vorhergehn.  vermutlich  war  das  ehedem  der  fall, 
denn  das  ist  ganz  klar,  dafs  die  zeit,  welche  die  staayayTis  und  die  TQiäxovxa  schuf, 
die  thesmotheten  schlechtweg  von  den  Stxai  XSiai  entlastet  hat.  sie  hatten  mit 
den  YQatfai  und  den  Sixai  dno  ^v/ußoXtZv  vor  404  gerade  genug  zu  tun.  —  die  klage 
gegen  den  herren  eines  sclaven,  der  einen  freien  gescholten  hat,  erscheint  so  als  ein 
rudiment  ältester  zeit,  als  man  dem  freien  die  Selbsthilfe  (tvtttsiv  zov  SolXov,  wie 
der  oligarch  der  HoL  Ad:  gerade  heraus  sagt)  nahm,  sagte  man  ihm,  gehe  zu  den 
thesmotheten,  die  werden  den  herren  des  sclaven  dazu  anhalten,  die  strafe  zu  voll- 
ziehn.  daraus  ist  nach  dem  gesetze  der  scpeais  eis  Sixaaxt']Qi.ov  diese  klage  ge- 
worden, die  man  nicht  um  ihretwillen,  sondern  um  der  Intervention  des  Staates 
bei  dem  herren  willen,  nicht  den  tQiäxovxa  zuwies,  übrigens  ist  zu  bedenken, 
dafs  die  frechsten  sclaven  in  Athen  notwendigerweise  die  8r]^i6aioi  waren,  so  dafs 
die  beschwerde  sich  consequenterweise  an  die  thesmotheten  oder  prytanen  richten 
mufste.     und  wo  der  staat  partei  ist,  instruiren  die  thesmotheten  den  process. 

121)  a)  eiaayyeliai,  eis  ßovXr,v  xai  dr^fiov,   xaiaxeiQoroviai,   Tiooßolai,  xara- 


246  ^-    '•  ^'^  Verfassung. 

rat  auf  dem  Areshügel  oder  der  unlere  rat  in  seiner  geschäftsführung 
auf  häudel  geführt  wird,  die  richterhche  entscheidung  fordern,  so  fällt 
sie  consequenterweise  den  thesmotheten  zu,  ehedem  zur  entscheidung, 
jetzt  zur  einleitung.  von  dem  ersten  ist  jetzt  nur  die  privatklage  ge- 
bliehen, die  eine  partei  auf  dem  Areshügel  im  mordprocefs  wegen 
falscher  Zeugnisse  erhohen  hat.'")  die  Vorurteile  des  rates  der  500  gehn 
aber  noch  alle  an  die  thesmotheten;  eine  abzweigung  sind  die  privat- 
klagen in  Sachen  der  vom  rate  verwalteten  staatlichen  bergwerke.  die 
privatprocesse  mögen  die  rechtsetzer  ehedem  alle  gehabt  haben;  seit 
die  demenrichter  und  klageeinführer  geschaffen  sind,  sind  sie  sie  alle 
los;  die  Zuweisung  der  Sachen  der  grofshändler  ist  eine  anomale  neue- 
rung.  wol  aber  stehn  ihnen  noch  wichtige  schriftklagen  zu.  das  heilige 
recht  ist  des  königs,  das  familienrecht  des  archons,  die  polizeiliche  auf- 
sieht und  die  Staatsfinanzen  stehn  bei  dem  rate,  erst  dem  oberen,  dann 
dem  unteren,  und  ihren  organen.  die  meidung  an  die  sammtgemeinde, 
eigentlich  nur  statthaft  bei  laesa  maiestas  populi,  ist  nur  für  notfälle  da. 
aber  nun  bleiben  doch  noch  schwere  verbrechen  (im  antiken  sinne),  deren 
ahndung  jedem  bürger  zusteht,  weil  die  gesammtheit  sich  geschädigt  fühlt, 
sie  ergeben  sich  wesentlich  dadurch,  dafs  ein  bürger  so  lebt,  dafs  er 
den  friedenszustand  stört,  den  der  Staat  garantirt,  oder  dafs  er  die  per- 
sönhche  integrität  an  leib  und  gut  einbüfst  und  nicht  mehr  ein  gleicher 
unter  gleichen  leben  darf,  in  diesen  fällen  gehl  eine  meidung  wider 
ihn  an  die  thesmotheten,  die  die  -d^io/.iia  bewahren  yr^iog  Trjv  rcov  naqa- 
vo(iovv%(j)v  ■KQLOiv  (3,  4).  sie  haben  ihn  ehedem  selbst  gerichtet,  jetzt  be- 
rufen sie  geschworne.  um  leichtsinniger  anrufung  der  behörde  zu  steuern, 
ist  für  eine  anzahl  dieser  sachen  die  hinterlegung  eines  succumbenz- 
geldes  gefordert,  eine  gruppe  dieser  klagen  geht  dahin,  dafs  einem 
bürger  die  rechtsfähigkeit  abgestritten  wird:  er  soll  nicht  mehr  zu  den 
^d^iqvaloi  olg  dixai  siolv  gehören;  oder  aber  er  soll  sich  bei  dem 
rechtsuchen   einer  dolosen   handlung  schuldig  gemacht  haben.'")     man 

yvcöaei£  ix  ßovlrjs  b)  ev&vvai  cap.  48,  5,  evd'vvai  axQarrjyoii  c)  naQavöfitov,  vo/nov 
ovx  ijuxrßewv  &elvai,  novravinr]  ijiiaratixrj  tiqosSqixi^. 

122)  Es  ist  eine  notwendige  folgerung,  dafs  die  xpevSofiaQxiQia  von  den  andern 
blutgerichtsliöfen  so  lange  auch  den  thesmotheten  zufielen,  M'ie  noch  ächte  epheten 
dort  richteten,  seitdem  es  heliasten  waren,  die  nur  epheten  hiefsen,  brauchten  diese 
arten  falschen  Zeugnisses  keine  besondere  art  zu  bilden ,  sondern  waren  einfache 
Sixat  i'Siai. 

123)  Wenn  einer  partei,  weil  sie  als  staatsschuldner  nicht  epitim  wäre,  die 
rechtsfähigkeit  abgestritten  war,  ergab  sich,  je  nach  dem  speciellen  falle,  ayQafiov 
yjsvSeyyQafr^e    ßovf.evascoe    yjevSoyJ.rjreine.      wenn    einer    partei    dolus    malus   vor- 


Thesmotheten.  247 

spürt  die  mühen  der  alten  zeit,  die  statt  der  Selbsthilfe  die  staatshilfe 
schuf,  diesen  neuen  weg  zu  sichern,  anderes  und  wichtigeres  geht  die 
bürgerliche  und  sitthche  qualität  an.  vor  allem  soll  sich  kein  fremder 
eindrängen :  diese  sachen  gehören  nicht  in  das  famihenrecht,  aber  es 
fordert  sie  als  complement.  so  mufs  neben  dem  archon  das  collegium 
der  thesmotheten  stehn.'-')  aber  der  bürger  soll  sich  auch  dem  ent- 
sprechend führen,  der  Athener,  der  sich  zur  hure  macht  oder  je  ge- 
macht hat  [iraiQ^oecog),  der  bürgerliche  personen  verkuppelt  {rcgoa- 
ytoysiag),  der  die  familienehre  des  bürgers  angreift  (jt/o^X«^'«??  ^n  welchem 
der  körper,  die  im  frieden  des  attischen  rechtes  stehn,  er  sich  vergriffen 
hat  und  wie,  ist  gleichgiltig)'-^),  der  gegen  bürger  eine  frevelhafte  unbill 
sich  erlaubt  (i'ßQStog,  worin  sie  besteht  ist  einerlei),  ist  ein  Verbrecher 
wider  das  gemein wesen  der  Athener,  auf  die  gesinnung,  die  sittliche 
fuhrung  des  dehquenten  kommt  es  an,  deshalb  ist  das  wesenthche  bei 
tler  rechtsfindung,  sie  zu  fassen;  nicht  die  tat  an  sich  qualiOcirt  das 
verbrechen,  eine  ohrfeige  kann  vßQig  sein,  ein  dolchstich  braucht  es 
nicht  zu  sein,  und  nicht  auf  die  geschädigte  person  kommt  es  an. 
mag  ein  monsieur  Alphonse  sehr  zufrieden  sein,  wenn  seine  frau  einen 
jungen  reichen  herrn  anlockt:  jeder  Athener  kann  sie  beide,  den  kup- 
pelnden ehemann  und  den  ehebrecher  vor  die  thesmotheten  holen;  aber 
die  ehefrau  nicht,  denn  der  Staat  übt  keine  yvvaixovoula ,  so  scharf 
er  die  Standesehre  der  bürger  wahrt,    das  weib  ist  ein  teil  des  y.ÄrJQog 


geworfen  ward,  um  ihr  die  klage  selbst  zu  entziehn,  ovxofavria  und  Scöqcov.  die 
cvxofävrcov  nQoßoXr;  und  die  rlitr^ats  Scoocov  in  der  rechenschaftsverhandlung  hat 
hier  nichts  zu  suchen.  —  Aristoteles  erklärt  nur  ScoQo^svia?,  wonach  im  lex.  Cant. 
eine  richtige  aber  entbehrliche  erklärung  zu  ^svias  gefügt  ist.  die  einer  erläuterung 
sehr  bedürftigen  ■xpevSsyyQacpfiS  U'svSoyJ.rjrsias  ayoafiov  ßovXeiaecos  hat  ein  tüchtiger 
grammaüker  aufgrund  des  gesetzlichen  materials  erläutert;  auf  ihn  gehn  die  auszüge 
bei  Harpokration  und  im  lex.  Bekk.  V  zurück,  alle  in  ähnlicher  form  gehalten, 

124)  Vorübergehend  sind  diese  klagen  ^evias  den  nautodiken  gegeben  um 
die  thesmotheten  zu  entlasten,  vgl.  oben  s.  223. 

125)  Notwendiger  weise  folgt  einer  klage  fwi^sias  die  umgekehrte,  wenn 
jemand  widerrechtlich  als  fioi^ös  behandelt  ist,  also  die  klage  sloyfiov.  übrigens 
steht  auch  hier  der  thesmothet  neben  dem  könige,  dem  die  schweren  fälle,  die  der 
erlaubten  Selbsthilfe  gegen  den  ehebrecher,  zufallen,  als  cpövos  Sixaios.  aber  sie 
giengen  notwendig  den  beteiligten  als  bluträcher  an;  hier  folgt  aus  der  yoafrj  und 
deren  principe,  dafs  jeder  das  recht  hat  ein  unrecht  zu  ahnden,  die  Zulassung  von 
allen,  und  damit  die  qualification  des  ehebruchs  als  eines  öffentlichen  Verbrechens, 
das  alte  recht  ist  ja  überreich  an  analogien.  aber  die  strafe,  die  das  gesetz  vor- 
schrieb, wissen  wir  nicht.  Tr]v  S'  r,).iaiav  Tifiav  ort  XQV  Tta&th'  tJ  anoreiffai 
konnte  möglicher  weise  genügen. 


248  '•    '•  I*'^  Verfassung. 

imd  eiu  teil  der  ehre  des  bürgers:  ihr  yiÜQiog  mag  sehen,  wie  er  sie 
zieht,  nur  die  allische  cpilav^QtonLa  nimml  sich  ihrer  an,  wie  des 
fremden  und  des  sclaven,  und  die  aldcog  der  gölter  schützt  sie ;  für  den 
Staat  ist  sie  kein  subject  des  rechtes.*-®)  so  straft  er  auch  ihre  laster 
nicht,  während  die  tempel  sieh  der  ehebrecherin  verschhefsen  mögen 
und  die  gesellschafthche  ächtung  sie  ereilen  mag. 

Der  späteren  entwickelung  des  rechtes  geht  diese  anschauung,  die 
cura  morum  durch  den  Staat,  immer  mehr  verloren,  zumal  die  demo- 
kratie  das  triv  wg  tig  ßovksrai  als  ihren  rühm  hochhält,  talsächlich  sind  die 
klagen  vßqEtog  abgekommen ;  man  hat  die  privatklage  aixiag  an  ihre 
stelle  gesetzt,  und  der  schmähliche  Vorgang  des  handeis  um  die  ohrfeige 
des  Demosthenes  und  dessen  hübsche  rede  wider  Konon  lehren  auf  das 
deutlichste ,  dafs  die  yqacpri  vßgewg  nur  noch  auf  dem  papiere  stand ; 
war  doch  auch  die  yQaqii]  eTaiQtjoeiog  eine  rarität,  und  man  verlangte 
von  den  Staatsmännern  vielleicht  nur  besonders,  dafs  sie  darauf  scharf 
angesehn  würden ,  weil  nach  einem  witzwort  schon  der  alten  komödie 
bei  ihnen  der  verdacht  besonders  nahe  lag.  auch  der  ehebruch  ward 
nur  noch  als  Schädigung  des  ehemanns  oder  sonstigen  v.vqLog  (/.loixeicc 
geht  ja  nicht  nur  die  ehe  an)  empfunden,  und  man  hört  von  Schei- 
dungen und  ehebrüchen  genug,  aber  kaum  von  klagen.'^') 

So  weit  reicht  die  richterliche  tätigkeil  der  '^rechtsetzer\  für  die 
Verwaltung  waren  sie  von  vorn  herein  nicht  geschaffen,  und  was  sie  da 
zu  tun  hallen,  hängt  nah  zusammen  mit  der  richterlichen  function,  die 
ihnen  bheb,  seit  sie  das  recht  nur  durch  befragung  eines  geschwornen- 
gerichtes  fanden,  sie  verfügen  über  die  locale  der  gerichtshöfe,  das 
album  der  geschwornen  *-*)  und  die  gerichtstage,  so  dafs  jeder  beamte, 
der  ein  gericht  berufen  will,  ihrer  vermittelung  bedarf,  aus  dem  album 
der  geschwornen  ward  eine  anzahl  beamte  ausgelost:  sie  besorgen 
diese  losung.  sie  tun  dasselbe  für  die  andern  ämler,  wo  die  phylen 
ihnen  die  candidatenlisten  übermitteln:  so  steht  ihnen  die  renuntiation 
der  neuen  archonlen  zu;  mit  dieser  hängt  das  examen  auf  die  für  dieses 
amt  geforderten  qualitäten  zusammen,   mit  dieser  die  dokimasie.     diese 


126)  Die  solonischen  gesetze,  die  Aisch.  1,  183  citirt,  sind  eigentlich  heiliges 
recht,  und  zudem  waren  sie  obsolet. 

127)  Phot.  niftTirr;  f&ivovxos  führt  aus  Menander  an,  dafs  dieser  tag  für  die 
einreichung  der  klagen  uoixeiag  bestimmt  war:  das  gilt  also  erst  für  die  zeit  des 
Demelrios  oder  spätere,    damals  war  yvi'amovofiia  eingeführt. 

128)  Ich  kann  nicht  sagen,  wer  das  album  der  6000  geschwornen  selbst  auf 
grund  der  demenpraesentation  aufstellte. 


Thesmotheten.    Polemarch.  249 

selbst  fiel  später  einem  gerichte  zu,  das  der  thesmothet  berief;  das  an- 
dere war  eine  wesenlose  formel.  aber  beides  zeigt,  dafs  bei  dieser  ge- 
legenheit  die  thesmotheten  in  der  alten  zeit  wirklich  bedeutend  in  die 
Staatsverwaltung  eingriffen,  die  analogie  hat  ihnen  die  Instruction  der 
dokimasieprocesse  gegeben,  die  eine  berufung  von  der  einzelgemeinde 
an  ein  gericht  nötig  machte. 

So  erkennt  man  an  dem  schatten,  den  Aristoteles  gibt,  die  gestalt 
der  alten  leibhaften  thesmothetenmacht. 

Der  polemarch  hat  nach  der  Schilderung  des  Aristoteles  nur  noch  Polemarch. 
die  privatklageu  der  quasibürger  (metöken,  isotelen,  proxenen)  und  das 
diesen  von  der  attischen  liberalen  bürgerschaft  zugestandene  famiUen- 
recht,  sammt  den  auf  ihren  personalstand  bezüglichen  sachen.  die 
privatklagen  bringt  er  aber  auch  nicht  vor  gericht,  sondern  weist  sie  nur 
den  vierzigmännern  zu.'^^)  er  hat  also  nicht  viel  zu  tun,  und  in  der 
alten  zeit,  wo  diese  aus  der  privaten  clientel  erwachsene  plebs  unmög- 
lich zahlreich  gewesen  sein  kann,  mufs  er  noch  weniger  arbeit  davon 
gehabt  haben,  die  leichenopfer  für  die  tyrannenmörder  und  die  andern 
vom  vaterlande  funere  censorio  bestatteten  '^°),  und  die  leichenspiele  sind 
eine  Stiftung  der  grofsen  zeit  kurz  nach  Plataiai,  die  spiele  stammen 
wol  erst  aus  der  kleinen,  als  die  trauerfeier  selbst  ihrer  weihe  verlustig 
gegangen  war.'^')    das  opfer  an  die  Artemis  ist  vielleicht  auch  erst  aus 

129)  Diese  können  die  metökenprocesse  unmöglich  nach  den  phylen  teilen, 
denen  die  metöken  und  isotelen  (die  proxenen  überhaupt  nicht)  angehören,  denn  die 
Verteilung  dieser  leute  ist  nicht  wie  die  der  bürger  eine  gleichmäfsige,  sondern  hängt 
von  der  willkür  der  einzelgemeinden  ab.  die  Aiantis  hätte  so  gut  wie  nichts  zu  tun 
gehabt,  die  Hippothontis  (TleiQuievs  KoiXrj  KeiQiddai  ^Elevais)  sich  nicht  zu  retten 
gewufst.  meine  aufstellungen  ül)er  die  Verteilung  der  metöken  sind  seither  durch 
reiche  funde  stark  erweitert,  in  einigem  berichtigt,  aber  im  ganzen  hat  sich  die 
Voraussetzung  bewahrheitet,  dafs  das  ältere  material  ausreichte,  die  grundzüge  des 
bildes  sicher  zu  ziehen. 

130)  Was  die  herausgeber  aufser  uns  veranlafst  hat,  dem  Pollux  zu  liebe,  der 
nirgend  so  schlafmützig  ausgeschrieben  hat  wie  in  diesem  artikel,  die  Überlieferung 
so  abzuändern,  dafs  die  leichenfeier  sammt  spielen  nur  den  gefallenen  gilt,  dafür 
aber  nur  die  tyrannenmörder  leichenopfer  erhalten,  weifs  ich  nicht  zu  sagen,  wo 
ist  denn  die  bessere  Überlieferung?  und  von  dieser  abgesehn,  sollen  denn  die  toten 
des  Staatsfriedhofs  des  cultes  entbehren?  als  private  erhalten  sie  ihn  von  den 
ihren  an  ihren  privaten  riqia,  so  lange  ihr  geschlecht  besteht,  aber  worin  beruht 
denn  die  ehre  des  öffentlichen  grabes,  wenn  die  geehrten  der  yt^a  &av6vreov  ent- 
behren? übrigens  liefern  die  grabreden  den  beweis,  dafs  alle  für  das  Vaterland 
gestorbenen  geehrt  werden  sollen. 

131)  Dabei  mufs  es  doch  bleiben,  dafs  Thukydides  und  die  Hiketlden  des 
Euripides  (ein  tragischer  epitaphios)  den  agon  nicht  kennen,     aber  die  rhetoren  des 


250  '•    "•  ^'^  Verfassung. 

(Irin  gelilbde  des  polemarchcn  Kallimachos  490  crwaclisen.*^^)  so  bleibt 
als  TcÖTQiov  dem  kriegsberrn  nichts  als  das  unbedeutende  opfer  an 
Enyalios.'^)  mit  diesem  belege  konnte  Aristoteles  scbvverlicb  erhärten,  dafs 
der  arclion  jünger  als  der  polemarch  gewesen  wäre,  weil  jener  keine 
TiäxQia  zu  besorgen  hätte  (3,  3).  der  polemarch  war  eben  bis  487, 
wo  ihn  das  los  zu  besetzen  begann,  ein  beamter  ersten  ranges  als 
kriegslierr.  als  ihm  die  Strategen  die  militärischen  befugnisse  nahmen, 
war  er  doch  wenigstens  noch  etwas  wie  der  -praetor  inter  peregrinos, 
und  er  mufs  noch  andere  polizeiliche  competenzen  besessen  haben,  die 
wir   nicht  mehr  durchschauen,"'')     aber  die  entziehung  der  gesammten 


vierten  Jahrhunderts  bezeugen  ihn,  und  ihre  erzeugnisse  sind  um  seinetwillen  nicht 
unächt.  wie  er  jetzt  bei  Aristoteles  erschienen  ist,  so  stand  er  längst  bei  Piaton 
Ges.  12,  947«. 

132)  A.  Mommsen  Heortol.  213.  am  Artemistag,  dem  sechsten  BoriSQOfiicüv 
•werden  freilich  schon  von  alters  die  wehrhaften  mannen  Athens  einen  lauf  mit 
lautem  hurrah  zu  ehren  der  göttin  des  wildes  und  der  jungen  mannschaft  getan 
haben:  aber  seit  ihnen  dieser  lauf  bei  Marathon  die  freiheit  gebracht  hat,  und  der 
polemarch,  der  den  sieg  mit  seinem  blute  besiegelt  hatte,  der  göttin  ein  opfer  ge- 
lobt, das  sie  nun  alljährlich  einlösen,  kann  man  unter  der  d'vaia  lä^rsuiSi  ^AyQortqq 
nur  diese  neue  Stiftung  verstehn.  das  gelübde  des  Kallimachos  und  die  dadurch 
erzeugte  feier  hat  dann,  wie  natürlich,  die  erzählung  von  der  schlacht  mit  einem 
solchen  ßor^S^ofielr  ausgestattet. 

133)  Die  sorge  für  die  waisen  der  im  kriege  gefallenen  bürger  (Schol.  Dem. 
24,  20)  mag  obsolet  geworden  sein,  die  sorge  für  die  invaliden  (Plut.  Sol.  31) 
mufs  man  nach  dieser  analogie  auch  dem  polemarchen  geben:  aber  das  geld  kann 
er  später  nicht  verwaltet  haben,  da  er  keine  casse  hat,  so  wenig  wie  seine  collegen. 
so  werden  sie  wie  andere  aSvvaroi  vom  rate  verpflegt  sein. 

134)  Aristoph.  Wesp.  1042,  besprochen  Herm.  22,  222.  damals  mufste  ich  noch 
annehmen,  dafs  der  polemarch  alle  Privatsachen  der  metöken  u.  s.  w.  selbst  vor 
gericht  brachte.  CI.\  II  11,  20  (die  ^vfißoXai  mit  Phaseiis)  weisen  dem  polemarchen 
noch  irgend  welche  andern  processe  zu.  wenn  einem  tiqo^evos,  dem  sogar  die 
£yy.ir,ais  otxias  verliehen  wird,  die  nQÖaoSos  tzqos  nole^iaQXOv,  die  ihm  in  folge 
seiner  proxenie  so  wie  so  zusteht,  noch  besonders  attestirt  wird  (CIA  II  42),  so  ist  eben 
wie  in  unzähligen  Urkunden  aller  Staaten  das  allgemeine  im  speciellen  falle  aus- 
gesprochen, yad'äTTEQ  rols  aXXois  nQo^s'vois  steht  dabei,  da  nun  feststeht,  dafs  bei 
Pollux  8,  91  (d.  i.  Aristoteles)  nichts  von  den  fremden  steht,  so  ist  eine  tatsache, 
dafs  ein  fremder  (d.  i.  jemand  der  eine  andere  heimat  hat,  also  kein  fisroixos  "A&rjvriai) 
ohne  privilegirt  zu  sein  (wie  proxenen  und  landflüchtige  Parteigänger  Athens  u.  dgl.) 
oder  durch  seinen  stand  ein  Vorzugsrecht  zu  geniefsen  {e\unoQos),  oder  durch  ^vfi- 
ßoXai  seiner  heimat  geschützt  zu  sein,  in  Athen  keinen  bestimmten  gerichtsstand 
liat,  also  juristisch  rechtlos  ist;  nur  das  Völkerrecht  (d.i.  die  religlon,  Zsvs  ^evios) 
schützt  ihn:  da  wird  immer  wieder  die  clientel,  d.  i.  das  TtQo^svBlv  eines  einzelnen 
Atheners  subsidiär  eintreten  müssen,  tatsächlich  sind  solche  fälle  seit  dem  fünften 
Jahrhundert  natürlich   höchst  selten   gewesen,     was  das  metökenrecht  anlangt,   so 


Polemarcli.     König.  251 

privatprocesse  der  metöken  macht  sein  bureau  lediglich  zu  einer  Sam- 
melstelle gewisser  klaganmeldungen  für  die  vierzigmäuner,  und  nur  für 
die  Sachen,  die  aus  der  specifisch  attischen  rechtsstellung  der  metöken 
hervorgehn,  bleibt  er  der  gerichtsherr.  so  mag  Aristoteles,  obwol  er  in 
diesem  capitel  so  wenig  gibt,  doch  hier  am  wenigsten  fortgelassen  haben. 

Von  den  rehgiösen  pflichten  des  königs  greift  Aristoteles  nur  zwei  Koni 
hervor,  die  ausrichtung  der  3Iysterien  und  Lenaeen,  läfst  also  sogar  die 
Antheslerien  fort,  von  denen  er  doch  einen  besonders  heiligen  gebrauch 
im  anfang  seines  buches  als  beweismiltel  verwendet  hat,  allerdings  fremde 
Worte  reproducirend  (3,  5);  dann  wird  ihm  das  ganze  zu  langweilig, 
und  er  macht  es  mit  der  kurzen  wendung  ab,  dafs  der  könig  alle  fackel- 
läufe  und  überhaupt  ziemlich  alle  TtdtQia  besorge.*'^}  von  der  fürsorge 
für  die  rehgion,  so  weit  sie  rechtsprechung  erfordert,  nennt  er  dann 
die  hauptsachen,  übergeht  jedoch  die  ganze  keineswegs  gleichgiltige  Ver- 
waltungstätigkeit, von  der  er  doch  die  Verpachtung  des  kirchengutes 
selbst  vorher  erwähnt  hatte  (47,  4).  ausführlicher,  aber  auch  sehr  kurz, 
streng  auf  seine  zeit  hinblickend  und  in  einer  kleinigkeit  eine  recht 
schlechte  rationalistisch  verballhornte  namensform  anwendend '^®),  behan- 
delt er  nur  die  blutprocesse.  uns  ist  es  sehr  wertvoll,  dafs  nun  fest- 
steht, 330  richtet  der  Areopag  nichts  weiter  als  vorsätzlichen  mord 
eines  Atheners  vollzogen  oder  zufällig  nicht  bis  zu  ende  geführt  (orav 
TQavoj]  Irtl  d^aväxo)  ez  TtQOvoiag),  Vergiftung  mit  tötlichem  ausgang 
(hier  entscheidet  also  der  erfolg)  und  brandstiftung.  an  drei  richtstätten 
richten  hehasten  unter  dem  namen  epheten"^),  am  Palladion  über  unvor- 


kann  ich  mit  niemandem  disputiren,  der  statt  einen  gedanken  zu  suchen,  zu  verstehn 
und  meinethalben  zu  MJderlegen,  mit  citaten  kramt,  das  recht  fordert  juristisches 
denken:  wenn  otxcöv  ifi  IleiQael  zu  üeiQueis  sich  verhalten  soll  wie  'ansässig  in 
Berlin'  und  'Berliner',  so  bitte  ich,  die  consequenzen  zu  ziehn:  die  iyxExrr,[ih>oi, 
fiiroinoi,  ^ävot  ano  ^vfißöloäv  avvoiy.ovvres  (wie  die  Sidonier  in  Athen,  CIA  II  86), 
IfiVot  7taQeniSr]/uovvres  werden  sich  ergeben ,  wenn's  auch  von  unserm  modernen 
rechte  zum  geschlechterstaat  und  der  clientel  weiter  ist  als  von  dem  attischen. 

135)  Dies  als  die  aufgäbe  des  attischen  königs  bezeichnet  schon  Piaton  Polil.  290"=. 

136)  Statt  der  <pQEarrv£,  die  doch  Demosthenes  in  der  Aristokratea  und  durch 
ihn  die  meisten  grammaliker  kennen,  ein  heros  Phrealos ;  wir  kannten  diese  schale 
fiction  bisher  schon  als  theophrastisch  (Harp.  iv  <PoeaTroT).  tatsächlich  war  diese 
rechtsprechung  natürlich  längst  obsolet. 

137)  Die  lücke  im  papyrus  ist  gleichgiltig,  denn  Harpokralion  cilirt  die  stelle, 
und  dafs  tatsächlich  die  richter  am  Palladion  seit  403  heliasten  waren  (Isokr. 
18,  54)  ändert  an  dem  namen  nichts,  es  ist  nur  die  losung  £|  anävicov  an  die 
stelle  der  wähl  oder  auch  der  losung  aus  einer  liste  von  7tQvy.oiroi.  a^iffTivStjv 
und  mit  höherem  lebensalter  getreten,     wer  den  schwinde!  des  'ephelenrates'  nicht 


252  I-    ^-  Die  Verfassung. 

sälzlichen  totschlag  begangen  an  Athenern,  dies  auch  in  dem  falle,  dals 
der  tod  die  unbeabsichtigte  folge  einer  nicht  von  dem  angeklagten  eigen- 
händig vollzogenen  aber  allerdings  von  ihm  (rechtlich)  vollzogenen  und 
beabsichtigten  handlung  war  "^),  endhch  über  mord  und  totschlag  von  nicht- 
bürgern ;  am  Delphinion  über  gerechten  totschlag,  an  der  Phreattys  über 
den  einerlei  welcher  bluttat  geziehenen  wegen  blutes  landflüchtigen,  von 
allen  vier  gerichtsstütten  gilt,  dafs  die  Verhandlung  unter  freiem  himmel, 
aber  in  heihgem  bezirke  vor  sich  geht,  und  dafs  der  konig  seinen  kränz 
ablegt:  offenbar  nach  der  analogie  der  trauer.^^^)     das  gericht,  das  der 

mitgemacht  hat,  also  in  ihnen  immer  nur  richter  gesehn  hat,  kann  sich  weder  über 
die  änderung  der  besetzung  dieser  stellen  noch  über  die  beibehaltung  des  namens 
wundern,  ob  die  gerichtshöfe  und  der  ephetenname  übrigens  322  überdauert  haben, 
weifs  ich  nicht,  nur  Pausaniasschwärmer  können  sie  durch  alle  Jahrhunderte  schleppen. 

138)  So  allein  gestattet  die  logik  diese  ßovXsvais  aufzufassen,  und  genau  dazu 
stimmt  die  sechste  rede  Antiphons,  in  der  es  sich  um  ein  anoiaiov  und  um  ßoilevais 
handelt,  und  die  vor  dem  Palladion  gehalten  ist:  da  es  ävS^ss  ägiaroi  xai  aqi,axa 
ßsßiwy.özES  waren,  die  zu  gericht  safsen,  sind  auch  die  schlufsworte  dieser  rede 
ganz  angebracht,  die  nur  auf  gewöhnliche  heliasten  nicht  passen,  übrigens  war 
der  verklagte  schuldig,  wenn  er  nicht  einen  andern  schuldigen,  nämlich  den, 
der  den  knaben  änty.zsivev  axcov  rj  xet(>i  a^djusvos  ?]  ßovXsvaas  aufwies,  was 
er  nicht  wollte  (15):  denn  der  zufall  entbindet  eben  nicht  von  der  Verantwortung 
für  dy.ovaia.  nur  in  einem  so  kleinen  stücke  ist  Passows  schöne  darlegung  über 
die  ßoHsvais  berichtigt:  die  juristische  logik  bleibt  eben  stehn,  und  die  un- 
logik  irrlichtelirt  weiter,  aber  schuld  hat  auch  Aristoteles,  der  so  wortkarg  ist, 
dafs  er  oben  sogar  bei  dem  roav/ua  keine  bestimmung  zusetzt,  obwol  doch  ein 
TQavfia  auch  eine  y^aft]  vßoscos  und  eine  Sixt]  ataias  begründen  kann,  bei  dieser 
ßov).evais  handelt  es  sich  um  ßovXevaa  i^  wv  andd'avev  Sia  fövov  axovaiov.  die 
logik  subsummirt  sie  zwar  von  selbst  unter  die  dxovaia,  aber  da  sich  etwas  be- 
absichtigtes und  etwas  unfreiwilliges  auszuschliefsen  scheinen,  so  war  die  hervor- 
hebung  wider  die  sykophanten  allerdings  am  platze. 

139)  Si>iät,eiv  geht  in  dieser  zeile  notwendigerweise  auf  dieselbe  dauernde 
tätigkeit  wie  in  der  vorigen,  der  scharfsinnige  schlufs  Kirchhoffs,  dafs  der  könig 
auf  dem  Areopage  mitabgestimmt  und  deshalb  den  kränz  abgesetzt  hätte,  war  also 
ein  fehischiufs,  und  die  bekränzung  tut  nichts  zu  dem  stimmstein  der  Athena.  mit 
den  51  epheten  hat  er  sicher  nicht  mitgestimmt,  sonst  würde  die  zahl  ja  gerade 
geworden  sein,  die  zahl  der  Areopagiten  war  unbestimmt,  also  hat  sich  dort  der 
grundsatz  zuerst  entwickelt,  vixü  6  (psvyiov  -/.av  taötpriffos  xQid'fj.  das  ist  legen- 
darisch so  ausgedrückt,  dafs  bei  dem  typischen  ersten  gerichte  Athena  mitgestimmt 
und  freigesprochen  hätte,  und  dafs  nun  ihr  stimmstein  im  kritischen  falle  mitzählt, 
der  erste  fall  ist  ursprünglich  gar  nicht  Orestes  gewesen  (unter  Demophon!),  sondern 
Halirrholhios.  als  Aischylos  die  Orestessage  als  den  ersten  darstellt,  mufste  er 
natürlich  auch  den  stimmstein  Athenas  einführen,  vgl.  die  beilage  'der  procefs  der 
Eumeriiden'.  für  das  absetzen  des  kranzes  ist  die  beste  analogie  Minos  (ApoUod.  bibl. 
3,  15,  7)  und  Xenoplion,  die  eine  todesbotschaft  beim  opfer  erhalten  und  den  kränz 


König.  253 

könig  in  Athen  mit  den  königen  der  phylen  am  prytaneion  abhielt,  macht 
den  schlufs;  die  worte  sind  verstümmelt.'*") 

In  dieser  darstellung,  die  die  spuren  der  kürzung  überall  trägt, 
ist  doch  an  zwei  stellen  latente  polemik  kenntlich,  es  wird  betont,  dafs 
der  konig  es  ist,  der  durch  öffentliche  proclamation  den  mordes  be- 
schuldigten anweist,  sich  von  Isqu  und  oaia  fern  zu  halten,  dafs  sich 
die  mordrächer  selbst  dieses  recht  vindicirten,  zeigte  Antiphon  6,  34  u.  ö., 
ohne  dafs  darin  eine  Ungesetzlichkeit  gefunden  wird,  also  war  der  be- 
richterstatter,  den  Aristoteles  bekämpft,  in  seinem  rechte,  sei  es  dafs 
die  sitte  mittlerweile  gewechselt  hatte,  sei  es  dafs  das  gesetz  die  eigne 
action  des  bluträchers  noch  weiter  zu  gunsten  des  Staates  beschränkt 
hatte."')     ferner   betont  Aristoteles,   dafs   nur  noch  cpövov  tgaifiarog 


absetzen,  das  opfei  vollziehn,  eigentlich  darf  der  könig  sich  durch  den  verkehr  mit 
dem  blutbefleckten  gar  nicht  besudeln;  aber  es  ist  ein  zwang,  so  gut  wie  dafs  dieser 
in  den  heiligen  bezirk  tritt :  diesen  zwang  symbolisirt  das  absetzen  des  kranzes.  es  ist 
ein  schönes  symbol;  so  etwas  ist  echt  attisch,  wenn  Demosthenes,  während  er  selbst 
noch  trauer  hat,  sich  den  kränz  aufsetzt,  weil  Philippos  ermordet  ist,  so  ist  das  an  sich 
ein  ausbruch  wilden  hasses,  unschön,  unattisch,  unfromm,  aber  in  der  zeit  und  an 
dem  menschen  begreiflich  und  vielleicht  entschuldbar,  weil  die  liebe  zum  vaterlande 
ihn  einseitig  beherrschte,  aber  keine  entschuldigung  verdient,  wer  sich  gebärdet, 
als  wäre  das  ein  angeblich  antikes,  'heidnisches'  empfinden:  es  ist  gottlos  zu  allen 
zelten,  einerlei  mit  welchem  namen  gott  gerade  genannt  wird ;  wenn  es  aber  wider 
eine  religion  besonders  verstöfst,  so  ist  es  nicht  die  der  christlichen  kirchen,  son- 
dern die  welche  die  begriffe  der  vsfisais  und  der  vß^is  ausgebildet  hat.  Odysseus 
hat  es  schon  der  Eurykleia  gesagt,  und  Archilochos  auch,  der  doch  rechtschaffen  zu 
hassen  wufste. 

140)  Es  scheint  dafs  Blafs  dem  Aristoteles  zutraut,  gesagt  zu  haben  orav  Ss 
fiTj  eiSfj  Tov  Tioirjffavra,  xü  SQäaavri  Xayxdvsi,  Sixd^st  S'  6  ßadi'/.evs  xai  oi  cpvXo- 
ßaailsls.  darin  mag  man  die  auslassung  der  subjects  im  ersten  satze  vielleicht  er- 
tragen, weil  es  nicht  indefinit  ist,  sondern  den  nächst  verpflichteten  bezeichnet, 
aber  es  ist  beispiellos  hart,  unerträglich  ist,  dafs  der  gerichtshof  fehlt,  und 
noch  ärger  wird  es,  wenn  zu  den  folgenden  worten  xat  ras  iwv  aipvxiov  xai  rcöv 
alloDv  L,cöoiv  das  ganze  letzte  Satzglied  supplirt  werden  soll,  das  interpungiren 
ist  hier  ein  sehr  unantikes  hilfsmittel,  weil  jeder  zunächst  praedicat  und  object  in 
eins  ziehen  mufs. 

141)  Bei  (fövos  aSr^kos,  wo  die  nQÖQorjais  des  bluträchers,  die  ladung  des 
angeschuldigten,  fortfiel,  konnte  natürlich  der  könig  allein  die  nooayÖQevais 
vornehmen,  so  tut  könig  Oidipus  in  seiner  proclamation,  die  sofort  verständlich 
ist,  sobald  man  dem  attischen  rechte  folgt,  und  so  heifst  es  in  den  trefflichen 
patmischen  schollen  zur  Aristokralea  (Bull.  Corr.  Hell.  I  139)  ini  nQvraveita 
Sixät,STai  (cod.  Siad^ovrai)  cpövov,  "lav  6  uev  ai'T]QT]/ueros  Stj^-oS  r,  ^T]Tr^rai 
{^fjTslrai.  cod.)  §s  6  rov  (fövov  Soäaas.  xai  aTtotpägei  tj;»'  ygatprjv  ttqos  tov  ßaatXda, 
xai    6    ßaaiXevS    xr,ovxTEt,   Sia    rov    xrovxos   xai  aTtayooevei   rovSe   rov    dvsXovra 


254  I-   "•  Bie  Verfassung. 

^ag/ua/.ov  TtvQy.aiäg  auf  dem  Areopag  gerichtet  ward:  darin  liegt,  dafs 
es  früher  mehr  gab,  und  die  klage  auf  Zerstörung  eines  heiligen  Öl- 
baums gibt  er  selbst  an  (60,  2).  mehr  als  Aristoteles  führt  auch  De- 
mosthenes  (23,  22)  nicht  an.  aber  dafs  es  früher  viel  mehr  war  und 
in  schwerer  zeit  mehr  werden  konnte,  davon  hatten  sich  noch  jüngst 
beispiele  gezeigt."^)  möglich,  dafs  Aristoteles  auch  im  rechte  war;  der 
altere  gewährsmann,  den  er  berichtigt,  war  es  gewifs.  damit  ist  aber 
Aristoteles  jedenfalls  nicht  im  rechte,  dafs  er  von  einer  andern  tätigkeit 
des  Areopages  gar  nichts  sagt  als  der  richterhchen.  das  liegt  aber  daran, 
dafs  dieser  rat  bei  ihm  gar  nicht  mehr  als  ein  selbständiges  ghed  der  magi- 
stratur  erscheint,  sondern  als  ein  von  dem  könige  berufenes  gericht'^^),  eben 
so  vernachlässigt,  wie  das  volk  neben  den  prytanen.  es  ist  allbekannt, 
dafs  sich  rudimente  der  administrativen  tätigkeit  des  Areopages  immer 
erhalten  hatten,  und  seine  morahsche  autorität  bereitete  gerade  damals 
die  spätere  Vermehrung  seiner  administrativen  macht  vor. 
Archon.  Dem  archon   ist   seine  erste   stelle  zu  statten  gekommen,     alle  die 

feste,  die  er  auszurichten  hat,  sind  mit  leidlicher  genauigkeit  behandelt, 
auch  mit  rückblicken  auf  die  frühere  zeit'''^)  und  mit  einflechtung  der 
liturgienordnung  "*),  und  ebenso  wird  das  famihenrecht,  das  ihm  zufällt,  durch 


Tov  Seiva  fifi  entßaiveiv  Ieqwv  xal  ;^ß5^as  («yooös?)  L^TTtxJyS.  iv  reo  airco  Se 
rovrcp  Sixaarrj^üp  xav  ri  i/nneaov  narä^ri  riva  xal  avs'Xr]  xmv  atpvxtov,  Sixa^Brat 
TOvrco  xal  vnspo^i^szai. 

142)  hl  den  bekannten,  aber  rechtlich  schwer  zu  fassenden  fällen  des  herbstes  338, 
Lykurg.  52,  Aischines  3,  252.  im  harpalischen  processe  handelt  der  Areopag  in 
speciellem  auftrage,  aber  die  aristotelische  darstellung  könnte  niemanden  ahnen 
lassen,  dafs  ihm  solch  ein  auftrag  erteilt  werden  könnte. 

143)  Die  formen  des  processes  scheinen  im  letzten  teile  erörtert  gewesen  zu 
sein,  vgl.  unsere  anm.  zu  pag.  34,  28. 

144)  So  haben  wir  über  die  bestellung  der  dionysischen  choregen  und  chöre 
in  erfreulicher  weise  Sicherheit  erhalten,  und  sind  die  aufstellungen  von  Lipsius, 
die  auf  den  inschriften  sicher  ruhten,  wie  nicht  anders  zu  erwarten  war,  be- 
stätigt, weil  die  komoedie  sich  aus  dem  xw/uos  entwickelt  hat  und  erst  spät 
vom  Staate  übernommen  ist,  bestimmen  die  phylen  die  choregen,  und  damals  wird 
der  chor  nicht  anders  als  die  kyklischen  beschafft  sein,  das  blieb  zunächst  noch, 
als  nach  405  die  chöre  sehr  beschränkt  wurden,  aber  dafür  fünf  komoedien  gegeben, 
ob  388,  MO  die  didaskalie  des  Plutos  zum  ersten  male  5  stücke  zeigt,  schon  die 
weitere  Veränderung  eingetreten  war,  dafs  die  5  choregen  aus  allen  Athenern  bestimmt 
wurden,  kann  ich  nicht  sagen,  aber  dafs  einstmals  auch  eine  zeit  gewesen  ist,  wo 
die  tragoedie  so  bestellt  ward  wie  die  komoedie  im  fünften  Jahrhundert,  phylen- 
weise,  scheint  mir  immer  noch  von  der  analogie  an  die  band  gegeben. 

145)  Dabei  ist  denn  herausgekommen,  dafs  die  choregie  die  einzige  behandelte 
liturgie  ist.    das  steuerwesen  als  solches  ist  eben   überhaupt  nicht  behandelt  und 


Archon.  255 

alle  seine  specialitäten  "'')  verfolgt,  auch  über  die  einzelnen  klagen  nicht 
weniges  zur  erklärung  der  formulae  iuris  beigebracht,  im  nächsten  capitel, 
beim  künige,  ist  das  religiöse  dem  Aristoteles  schon  langweilig  geworden; 
bei  den  Strategen  hat  er  ihre  opfer  ganz  und  gar  fortgelassen,  und  die 
namen  der  klagen,  die  der  erklärung  wahrhch  oft  bedürfen,  sind  nur 
noch  ganz  vereinzelt,   wie  dUaiog  cfövog"'')   und    dtuQo^sviag  erklärt: 

die  wichtigste  lituigie,  die  der  trierarchen,  der  abneigung  des  Aristoteles  gegen 
die  marine  ganz  zum  opfer  gefallen,  diese  Verhältnisse  konnten  freilich  nicht  in 
den  dienstinstructionen  eines  einzelnen  beamten  stehn. 

146)  Es  fehlt  die  klage  aoyias,  die  die  parallelüberlieferung  BA.  310  aufführt, 
vielleicht  durch  versehn,  das  mancher  lieber  den  abschreibern  als  dem  Verfasser 
zutraun  wird,  aber  obsolet  war  die  klage  sicher,  obwol  der  redner  wider  Eubulides  32 
ihre  existenz  berührt,  und  sicherlich  war  sie  nicht  formell  beseitigt,  sie  gehört 
neben  naoatoias,  wo  sie  nicht  blofs  im  Bekkeischen  lexicon,  sondern  auch  bei 
Diogenes  I  55  steht,  und  hier  steht  auch  dabei,  dafs  sie  a!^r;/xios  reo  ßovlo/iävco  Siüxeiv 
war,  um  die  formet  einzusetzen,  sie  war  natürlich  zunächst  bestimmt,  nicht  das 
Volk  zu  erziehen,  sondern  die  erhaltung  des  nXr^o?  zu  sichern,  ganz  parallel  der 
naQavoias.  dafs  Drakon  den  tod  als  strafe  gesetzt  hätte,  ist  eine  törichte  exempli- 
fication  (Plut.  Sol.  17),  fabricirt  daraus,  dafs  die  phrase  nur  diese  strafe  bei  ihm 
anerkannte,  und  dafs  er  die  klage  o^yLas  gehabt  hatte,  wie  aus  Lysias  bekannt  war: 
so  steht  Lysias  und  die  todesstrafe  Drakons  im  lex.  Cantabr.  s.  v.,  und  Lysias,  aber 
mit  anderem  redelitel  bei  Diogenes,  d.  h.  bei  dem  gewährsmanne  Plutarchs.  Solon 
soll  nach  dem  lex.  Cant.  geidstrafe  darauf  gesetzt  haben,  atimie  erst  nach 
dreimaliger  Verurteilung,  mit  ersterem  stimmt  Pollux  8,  42,  gibt  aber  für  Drakon 
alimie  als  strafe  an.  die  affiliation  der  Zeugnisse  läfst  sich  nicht  entwirren; 
dafs  Lysias  alles  das  bezeugt  hätte,  was  ihm  die  fassung  des  lex.  Cant.  gibt,  ist 
unglaublich,  nur  dafs  das  gesetz  drakontisch  und  solonisch  war,  wird  er  gesagt 
haben,  denn  er  exemplificirte  ja  nur  mit  ihm.  nicht  Solon  kann  die  dreifache  klage 
vorgeschrieben  haben,  da  sie  ja  erziehlichen  zweck  hat  und  den  müfsiggang  bestraft: 
das  geht  die  zeit  der  Sittenpolizei,  d.  h.  seit  Demetrios,  an,  der  wir,  so  unglaublich 
die  einzelfälle  der  philosophen  (Menedemos,  Kleanthes  u.  dgl.)  sind,  diese  areopagi- 
tische  cura  morum  zutraun  dürfen,  was  athenisches  gesetz  war,  war  auch  damals 
für  die  breite  masse  solonisch,  und  so  wird  es  zu  dem  grammatiker  gelangt  sein, 
demselben  der  die  nomophylakes  des  Demetrios  auf  die  zeit  des  Ephialtes  über- 
tragen hat.  für  den  geschlechterstaat,  dem  der  archon  diente,  pafst  lediglich  die 
atimie:  der  majoratsherr  wird  abgesetzt,  so  bald  er  entweder  unfähig  oder 
nicht  gewillt  ist,  das  gut  zu  verwalten,  und  mit  dem  besitze  des  majorals  verliert 
er  die  auf  die  wirtschaftliche  Selbständigkeit  gegründeten  politischen  rechte,  an 
der  erhaltung  des  majorates  aber  hat  jeder  Standesgenosse  ein  Interesse,  und  der 
stand  bildet  die  "AdTivaloi  oh  s'^sanv.  dafs  Theophrast  die  klage  uQyias  dem 
Peisislratos  beilegte,  liegt  darin,  dafs  er  ihn  als  den  erzieher  des  Volkes  zur  tätig- 
keit  fafste,  wie  Aristoteles;  die  Lysiasrede  kannte  er  nicht.  Plutarch  (Sol.  31)  hat 
auch  dies  citat  nicht  aus  eigener  lectüie,  sondern  von  Herniippos. 

147)  Es  hatte  das  eine  nicht  gelinge  bedeutung,  und  dafs  wir  durch  die 
Aristokratea  mit  erklärern  mehr  erfahrern  als  die  proben,  die  Aristoteles  gibt,  ist 


256  '•    ''•  ^'*  Verfassung-. 

roavi-iarog,  ßovXsvaecog,  xpsvöoy.krjTslag  nicht;  schwerlich  kann  jemand 
darin  eine  weise  oder  überlegte  beschränkung  finden,  das  ist  die  willküi- 
des  epitomators;  aber  Aristoteles  ist  es,  der  sie  sich  erlaubt. 

Von  den  beisitzern  sagt  er  überhaupt  nicht,  was  sie  zu  tun  haben; 
das  soll  sich  ebenso  wie  bei  dem  Schreiber  der  archonten  aus  ihrem 
namen  ergeben."*)  recht  ausführlich  ist  dagegen  die  ceremonie  des 
amtsantriltes  beschrieben,  mit  einfügung  vieler  formein,  an  denen  doch 
auch  gekürzt  ist"^),  und  nicht  nur  in  ihnen,  sondern  auch  in  der 
Schilderung  finden  sich  Wendungen,  die  Aristoteles  aus  sich  unmöghch 
gesetzt  haben  würde,  wie  das  unpersönliche  STtegiorä  (55,  3.  4j  von 
der  handlung  des  Vorsitzenden  beamten ,  der  nirgend  als  thesmothet 
vorgestellt  wird. 

An  diesem  punkte  nun  ist  schon  in  dem  capitel  über  Solon  (s.  51) 
Ergeiinis.  klar  geworden,  dafs  Aristoteles  von  einer  fremden  erzählung  abhängt, 
und  weil  es  hier  so  besonders  deutlich  ist,  und  auch  das  schon  feststeht, 
dals  dieselbe  erzählung  hier  in  der  schiderung  und  oben  in  der  geschicht- 
lichen darstellung  zu  gründe  liegt,  habe  ich  mir  dies  auf  den  schlufs 
aufgespart,  es  hat  für  mich  völhg  ausgereicht,  zu  schliefsen,  dafs  die 
ganze  darstellung  der  Verfassung  nichts  ist  als  eine  stark  und  ungleich 
kürzende,  einzeln  natürlich  besondere  lichter  aufsetzende,  namentlich  latent 
polemisirende,  und  wie  sich  für  einen  Schriftsteller  von  reputation,  der 
in  Athen  schreibt,  schickt,    durchgehends   auf  den   zustand   des  derzeit 


sehr  wertvoll;  es  waren  allerdings  zum  teil  nur  noch  tote  formein,  wie  sp  6S(ö 
y.ad'sXcüv,  womit  Oedipus  sich  schon  nicht  zu  entschuldigen  wagt,  aber  einiges 
solonische  war  auch  durch  gesetz  beseitigt:  so  kann  man  doch  nur  über  die  tötung 
des  für  noctwnus  urteilen,  die  Solon  zwar  nach  Demosth.  24,  113  gestattet  hat,  die 
aber  beim  q>övoe  Sixaios  vorkommen  niüfste,  wenn  sie  noch  gestattet  gewesen  wäre, 
es  war  aber  nur  noch  die  tötung  bei  notwehr  gestaltet  (Dem.  23,  60). 

148)  Dafs  sie  doch  auch  besondere  pflichten  hatten,  lernen  wir  an  dem  einen 
beispiele,  der  aufsieht  über  das  Pelargikon,  PoU.  8,  101  mit  der  ergänzung  des  cod. 
Laur.  56,  1.  es  bestätigt  sich  dadurch,  dafs  ihr  local,  das  Gea/nod'ereiov,  dem 
Pelargikon  nahe  lag,  d.  h.  jenes  wie  dieses  nahe  der  Pangrotle,  wie  das  Köhler 
sehr  hübsch  aus  den  weihungen  der  thesmotheten  an  Apollon  v7tn:(QaXos ,  der  ja 
den  Ion  in  jener  grotte  gezeugt  hat,  erschlossen  hat  (Mitteil.  3,  144). 

149)  Die  letzte  frage  an  den  candidaten  gibt  Aristoteles  t«s  arQareias  d 
iarQarevxai,  bei  Poilux  8,  86  und  im  lex.  Cant.  steht  ras  vnsQ  rijs  nar^iSos 
ajQareiae  und  bei  Deinarchos,  der  2,  17  dieselben  formein  anführt,  ini^  rrjs  TtoXstas. 
die  beiden  grammaliker  berufen  sich  allerdings  auf  Aristoteles,  und  wir  haben  zuerst 
an  ausfall  gedacht;  vielleicht  war  das  in  diesem  falle  richtiger,  trotzdem  forderte 
das  prinzip  die  volle  strenge  der  recensio,  mindestens  bis  das  quellenverhältnis,  das 
uns  freilich  bekannt  war,  öfTenllich  dargelegt  wäre. 


Ergebnis.  257 

geltenden  rechtes  hin  revidjrle  wiedergäbe  fremder  arbeit,  ich  habe 
mich  der  mühe  nicht  verdriefsen  lassen,  die  ganze  partie  stück  für  stück 
durchzusprechen,  und  bedaure  die  monotonie  meiner  darstellung  nicht; 
aber  ich  wufste  von  vorn  herein,  dafs  das  ergebnis  kein  anderes  sein 
konnte,  als  was  das  eine  exempel  auch  schon  erkennen  hefs.  ich  kann 
nicht  in  jedem  einzelnen  falle  beschwören,  dafs  Aristoteles  und  nicht 
ein  abschreiber  etwas  weggelassen  hat.  ich  kann  häufig  nicht  ent- 
scheiden, ob  unsere  grammatikerüberlieferung  den  aristotelischen  be- 
richt  zu  gründe  gelegt  und  aus  anderer  paralleler  Überlieferung  ergänzt 
hat,  oder  aber  die  grammatikerüberheferung  auf  dieselbe  tradition  direct 
zurückgeht,  die  auch  Aristoteles  ausgezogen  hatte,  vorgekommen  ist 
beides.'^")  ich  kann  fast  nie  sagen,  ob  Aristoteles  die  altischen  gesetze 
selbst  benutzt  hat,  oder,  was  ich  persönlich  für  das  ziemlich  immer  zu- 
treffende halte,  wie  bei  der  -d-EGf-iod-ercov  avdxQioig  eine  schriftliche 
Verarbeitung,  ich  kann  keine  sonderung  seiner  vorlagen  vornehmen,  und 
ich  hüte  mich  wol  mit  dem  namen  Androtion  oder  anderen  zu  spielen, 
das  ist  alles  für  mich  als  Schriftsteller  unbehaglich:  aber  für  die  sache, 
die  einsieht  in  die  Verfassung  Athens,  ist  es  gleichgiltig,  und  so  bin  ich 
auch  zufrieden,  das  dagegen  ist  eine  hauptsache  von  eben  so  grund- 
legender bedeutung  wie  die  Würdigung  der  atiischen  chronik  es  für  die 
geschichte  ist,  dafs  Aristoteles  auch  hier  im  Zusammenhang  mit  den  be- 
richten der  Atthidographen  benutzt  werden  mufs,  von  denen  er  abhängt, 
und  dafs  trotz  aller  Verschiedenheit  der  personen  eine  feste  unbedingt 
zuverlässige  tradition  zu  gründe  liegt,  die  Urkunden,  die  gesetze  selbst, 
sie  standen  jedem  einzelnen  Atthidographen  und  dem  Aristoteles  und 
seinen  schülern,  ja  zum  teile  noch  den  grammatikern  zur  Verfügung;  es 
ist  also  zum  glück  eben  so  gleichgiltig  wie  es  unmöglich  ist,  die  be- 
richterstatter  zu  nennen,  die  die  gesetze  wirkhch  eingesehen  haben. 

Auf  die  urkundlichkeit  kommt  es  an,  und  ein  leidlich  besonnener 
wird  selten  in  zweifei  sein ,  wie  viel  er  auf  die  gesetze  zurückführen 
darf,  die  gesetze  aber  sind  durch  ihre  anordnung  und  ihre  form  für 
alle  diese  darstellungen  der  attischen  Verfassung  mafsgebend  gewesen. 
in  dem  gesetze  über  die  STtixsiQorovla  voi-iiov  (Dem.  24,  20)  steht  gleich 
am  anfang,  dafs  sie  beginnen  soll  mit  den  ßovXevtv/.oi,  dann  den  y.oivoi, 


150)  Ein  beispiel  des  ersten  ist  Poll.  8,  86— 91,  wo  das  abzeichen  des  myrten- 
kranzes,  die  tötung  des  landflüchtigen,  der  den  bann  bricht,  und  die  jahreseponymie 
des  archon  dem  aristotelischen  excerpte  eingefügt  ist,  ein  beispiel  des  anderen  Poll. 
8,  126,  127  über  die  diaeteten,  das  ganz  wie  130,  131  zu  dem  aristotelischen 
capitel  8  steht. 

V.  Wilamowiiz,  Aristoteles  1.  17 


258  '•    "^^  ^^^  Verfassung. 

dann  denen  der  neun  archonteu  u.  s.  w,  in  der  erläuterung  dieses  ge- 
setzes  bat  SchüU  sehr  schön  dargelegt,  dafs  die  gesetze  nichts  anderes  sind 
als  Instructionen  der  beaniten,  und  dafs  Solon  selbst  sie  in  dieser  form  und 
dem  entsprechend  in  dieser  reihenfolge  aufgezeichnet  hatte,  wir  kennen 
ja  auch  citate  aus  den  v6f.iOL  ßaoiXixoi,  ayoQavofxixol  u.  s.  w.  die  stellen 
sind  denen  geläufig,  die  von  attischer  Verfassung  etwas  wissen,  sind  auch 
zum  teil  in  diesem  capitel  gelegenlhch  angeführt,  jede  darstellung  der 
attischen  Verfassung  mufsle  also  von  selbst  sich  gewissermafsen  als  ein 
auszug  und  eine  erläuterung  dieser  alljährhch  neu  revidirten,  alljährhch 
auch  geänderten  gesetze  darstellen,  zu  Aristoteles  zeit  war  ein  eigener 
secretär  dafür  angestellt,  dies  gesetzbuch,  das  in  erster  linie  beamten- 
instruction  war ,  auf  dem  laufenden  zu  erhalten ,  und  Aristoteles  war 
gewifs  in  der  läge,  sich  eine  copie  zu  verschaffen ,  oder  doch  das  jetzt 
geltende  recht  sicher  daraus  zu  constatiren,  wo  er  das  für  nütig  hielt, 
jeder  advocat  und  redner  bedurfte  dieser  gesetze  für  sein  handwerk. 
abschriften  können  gar  nicht  selten  in  Athen  gewesen  sein,  ganz  ab- 
gesehen von  den  pubhcationen  auf  stein,  die  mancher  orten  standen, 
aber  natürlich  nur  teile  umfafsten.  eben  deshalb  waren  die  gesetze 
auch  von  den  vielen  benutzt,  die  Athens  Stadtgeschichte  mit  ausgiebiger 
berücksichtigung  seiner  Institutionen  geschrieben  halten,  was  nirgend 
stand,  weder  bei  Solon  noch  in  den  acten  des  archivs,  war  das  Staats- 
recht, ganz  wie  in  Rom.  für  die  competenz  des  Souveräns  gab  es 
keine  gesetze;  die  rechtlichen  gedanken,  die  alles  beherrschten,  waren  nie 
und  nirgends  codificirt.  wir  mögen  uns  frei  machen  von  der  agglutini- 
renden  spräche  der  alten  darstellungen  und  das  Staatsrecht  Athens  orga- 
nisch entwickeln :  eine  geschriebene  Verfassung  hat  es  darum  doch  in 
Athen  gegeben;  wozu  waren  denn  auch  Drakon  und  Solon  aufgestanden? 
und  ein  Staatsrecht  hat  es  auch  gegeben,  obwol  das  nicht  geschrieben 
worden  ist,  von  niemandem  bis  auf  diesen  tag.  den  Aristoteles  wollen 
wir  nicht  schellen,  dafs  er  nur  wieder  gegeben  hat,  was  in  den  gesetzen 
stand,  sehr  viel  kürzer  und  für  unsere  wünsche  minder  brauchbar  als 
z.  b.  Philochoros.  aber  erst  wenn  wir  dieses  Verhältnis  erfafst  haben, 
können  wir  ihn  verstehn  und  seine  angaben  richtig  benutzen. 

Eine  probe  will  ich  als  coroUar  geben,  weil  einmal  ein  Stückchen  der 
wirklichen  gesetze  erhallen  ist.  der  sehr  sykophanlische  und  stilistisch 
wenig  gewandte  verfertiger  der  rede  gegen  Makartatos  hat  uns  einen 
grofsen  gefallen  getan,  indem  er  nicht  nur  die  Zeugenaussagen,  wie  sie 
der  diaetet  protocollirt  und  in  die  kapsei  gesteckt  hatte,  sondern  auch 
eine  menge  gesetze,  die  zum   teil  sehr  wenig  zu  seiner  sache  gehören, 


Ergebnis.  259 

mit  publicirt  hat;  diese  urkundlichkeit  soll  über  seine  rabulistereien  täu- 
schen.'^') da  steht  denn  auch  75  o  ccqx^'JV  hcijueUGd^w  rcov  oQcpavcöv 
■/Ml  növ  e/ttxl7]Qwv  Kai  nov  o'r/.tov  xiov  £^eQrjfiovf.ih'wv  -/ml  tiov  yvvai- 
■Aiov  oGai  (.livovGLV  iv  Tolg  oXy.otg  tcuv  avögcöv  [rcJj^]  Ted-vriwriov 
cpccoxovGai  KvslV  tovriov  hcL(.ieX£Gd-(.o -Kcd  f.ii\  icctw  vßQiCeiv  fir^deru 
Ttegl  TOVTOvg '  eav  öe  rig  vßQiU]  r^  rcoifj  il  /caQavo/iiov,  KVQiog  egtio 
eTttßäXleLv  '/.axa  rb  reXog'  eav  de /iiel'^ovog  Crj/niag  öoxfj  a^iog  elvai, 
7tQOG'/,aXeGaf.i€vog  nQOTtei.iicTa  -/.al  rifir^fia  €7tiyQa\pdf.ievog  ort  av  doxf 
avTCü,  UGayayirio  elg  zrjv  rjhaiav,  eav  ös  akco,  Ti^iaTüi  rj  rjXiaia  tceqI 
rov  aXövrog  6  ti  xqtj  avTov  nad^elv  r]  anoTElGaL'  und  54  über  die 
erbtüchter;  ich  schreibe  nur  den  schlufs  aus,  eav  de  (.u]  ex/]  6  iyyv- 
rärco  yevovg  rj  firj  exdip,  o  ag^cov  e/cavayKa^e'tto  rj  avrov  ex^iv  rj 
e'/.dovvai'  eav  de  i-trj  eTcavayxdojj  6  agy^iov ,  ocpeilerco  xiXi,ag  öqay- 
/.idg  legdg  rfj  Hga'  drcoyoücpexco  de  rov  f.irj  Ttoiovvra  ravTa  6  ßov- 
X6(.ievog  rcQog  rov  aQyovxa.  dazu  halte  man  was  Aristoteles  gibt  eni- 
fieXeiTai  de  y.ul  rcöv  ogcpavSv  v.ai  twv  e7tiy.XrjQ(jJv  xal  twv  yvvai- 
'/.cöv ,  oGat  av  TelevTijGavrog  rov  avÖQog  G7.rjn:TiovTai  Tivelv'  '/.a\ 
■/.VQLog  eGTL  Tolg  dSizouGiv  emßdlXeiv  ^  elGoyeiv  eig  ro  6i'/.aGTi]- 
Qtov.  und  vorher  gehn  die  klagformeln  0Q(paviuv  y.ay.wGewg,  e/cr/.Xi]Qov 
■/MxcuGewg,  of/Mv  oQcpavr/.ov  zaxcüGecog  mit  kurzen  erklärungen.  es  ist 
offenbar,  dafs  das  aristotelische  capitel  ein  summarium  der  v6f.wi  ag- 
XovTog  ist.  aber  nicht  er  erst  hat  sie  ausgezogen ,  denn  das  verbuni 
GxrjTtTeG^ai  ist  ein  technisches  des  attischen  rechtes,  das  man  im  index 
Aristotelicus  weder  erwarten  noch  finden  kann,  es  steht  hier  bei  ihm, 
aber  es  steht  nicht  in  dem  gesetze.  zwischen  dem  gesetze  und  Aristo- 
teles steht  also  ein  unbekannter  vermittler,  der  sich  des  attischen  Wortes 
bedient  hat. 


151)  Es  ist  also  nicht  einmal  so  viel  richtig,  dafs  diese  einlagen  des  oralo- 
rischen  Zweckes  entbehren;  wenn  man  nur  bedenkt,  dafs  diese  sorte  reden  niciit 
für  Schulmeister  der  Stilistik  publicirt  sind,  wie  Hermogenes  oder  Menander.  solche 
rhetorische  einseitigkeit  hat  vielmehr  die  Urkunden  in  der  ausgäbe  unterdrückt,  die 
wir  durch  ^  kennen:  grammatiker  haben  so  etwas  nicht  begangen,  sondern  rlietoren. 
bekanntlich  kennt  auch  die  grammatikerüberlieferung  die  Urkunden,  freilich  auch  die 
falschen. 


17' 


DIE  ATTHIS. 


Unsere  Untersuchung  hat  gleich  damit  hegonnnen,  das  chrono- 
logische gerippe  der  aristotelischen  erzählung  auf  die  attische  chronik 
zurückzuführen,  und  in  jedem  capitel  ist  nach  ausscheidung  eines  be- 
stimmten autors,  dem  wir  gerade  nachgiengen,  ein  rest  gebheben,  der 
jedesmal  wieder  derselben  chronik  zuüel.  sie  hat  also  wirklich  dem 
Aristoteles  den  grundstock  seiner  erzählung  gehefert.  die  ganze  älteste 
zeit,  ausschüefshch  der  Verfassung  Drakons,  die  sachlich  bedeutendsten 
stücke  über  Solon  (6,  1.  7  — 10),  die  erzählung  der  jähre  594  —  80 
(13)  und  507 — 480  (22),  die  den  trocknen  stil  des  Jahrbuches  an  sich 
trägt,  sind  ihr  ganz  zugefallen;  später  freilich  aufser  einer  kurzen  ein- 
lege (26,  2 — 4)  mit  Sicherheit  kaum  noch  etwas  über  die  Chronologie 
hinaus,  anders  stellte  es  sich  in  der  geschichte  der  Peisistratiden  und 
des  Kleisthenes,  wo  zwar  eine  anzahl  wertvoller  tatsachen  aus  ihr  nach- 
getragen sind,  aber  sie  den  einschlag  bildet,  Herodotos  den  zettel.  und 
einiges,  namenthch  in  der  geschichte  des  Peisistratos  haben  wir  oben 
(s.  30)  mit  absiebt  auf  diesen  platz  *  aufgespart,  diese  reste  sollen  zu- 
nächst erledigt  werden,  dann  wollen  wir  uns  diese  hauptquelle  des  Aristo- 
teles selbst  ansehn,  in  wie  weit  sie  eine  einheit  ist:  die  hoffnung,  dafs 
wir  einen  autornamen  finden  werden,  bitte  ich  jedoch  den  leser  von 
vorn  berein  fern  zu  hallen, 
i'eisisiraios  Wir  beginnen   also  mit  der  erzählung,   wie  Peisistratos   erst  eine 

leibwache,  dann  die  herrschaft  sich  verschafft  (14,  1.  2).  zu  gründe 
liegt  Herodotos  (1  59),  aber  Aristoteles  übertrifft  ihn  erstens  durch  die 
genauen  Zeitangaben :  die  zeugen  genugsam  für  ihre  herkunft;  sodann  durch 
den  namen  des  antragslellers  Aristion.  dieser  mitsamt  der  ganzen  ge- 
schichte kehrt  in  IMutarchs  Solon  wieder  (30),  mit  der  minderwertigen 
Variante  Ariston.  Plutarch  ist  schon  deshalb  von  Aristoteles  unabhängig, 
weil   er  die  stärke  der  leibwache  auf  fünfzig  knüttelträger  angibt,  sehr 


Peisistratos  und  Solon.  261 

glaublich,  während  weder  Herodotos  noch  Aristoteles  eine  zahl  nennen.') 
der  name  des  antragstellers  wird  schwerlich  in  den  protokoUen  ge- 
standen haben,  wenigstens  fehlt  er  auf  den  publicirten  volksbeschlüssen 
der  ältesten  zeit,  die  wir  kennen,  es  liegt  mir  auch  fern,  an  die  er- 
haltung  oder  benutzung  der  acten  des  Jahres  561  zu  glauben,  aber 
dafs  der  name  des  mannes,  der  den  verhängnisvollen  antrag  gestellt 
hatte,  im  gedächtnis  blieb,  ist  um  so  mehr  glaublich,  weil  er  sicher- 
lich ein  mann  von  gewicht  und  ein  freund  der  tyrannen  war,  der  die 
folgen  seiner  tat  in  lohn  und  strafe  getragen  haben  wird,  ich  glaube, 
wir  kennen  den  mann  sehr  gut  von  seinem  grabstein.  die  stele  des 
Aristion  hat  auf  einem  grofsen  vornehmen  grabe  in  Velanideza  gestan- 
den, nicht  weit  nördlich  von  Brauron,  der  Peisistratidenburg.  der  wehr- 
hafte Aristion  war  also  ein  begüterter  Diakrier,  verstorben  unter  Pei- 
sistratos späterer  regierung:  zeit,  name,  gegend  stimmt,  aber  wie  dem 
auch  sei:  erhalten  konnte  sich  der  name  nur  in  attischer  tradition;  er 
gehört  in  die  chronik. 

Das  verhalten  des  greisen  Solon  bei  dieser  gelegenheit  ist  von  Ari- 
stoteles als  anekdote  durch  ein  leyeraL  gekennzeichnet,  aber  er  erzählt 
es  doch,  und  er  hat  die  anekdote  ebendaher  entnommen,  wo  er  den 
Aristion  fand,  denn  sie  stehn  in  der  parallelerzählung  Plutarchs  bei 
einander,  die  vergleichung  der  Varianten  dieser  geschichte  ist  recht 
belehrend. 

Aristoteles  berichtet,  dals  Solon  dem  gesuche  des  Peisistratos  vor 
dem  Volke  vergeblich  widersprach,  dann  seine  kritik  in  einem  scharf 
zugespitzten  worte  zusammenfafste,  nach  hause  gieng  und,  da  sein  greisen- 
alter  ihm  tätigen  widerstand  verbot,  doch  dazu  aufforderte,  indem 
er  seine  rüstung  vor  die  tür  stellte,  wie  Peisistratos  sich  dazu  verhielt, 
wird  nicht  ausdrückhch  gesagt,  aber  man  ergänzt  es  mit  Sicherheit  daraus, 
dafs  unmittelbar  darauf  hervorgehoben  wird,  wie  wenig  er  den  tyrannen 
gespielt  hätte,  auf  diese  Charakteristik  greift  Aristoteles  zurück,  nach- 
dem er  die  äufsere  geschichte  seiner  herrschaften,  wesentlich  nach  He- 
rodot  erzählt  hat  (16,  1)  und  nochmals  (16,  8),  am  Schlüsse  der  schil- 

1)  Das  sichert  die  Überlieferung  bei  Herodotos  gegen  jene  kümmerliche  texl- 
kritik,  die  historische  differenzen  mit  der  eonjectur  beseitigen  will,  sie  macht  aus 
einem  xoirovs,  das  Herodotos  mit  der  gesunden  nonchalance  der  ionischen  rede 
auf  das  vorhergehende  collective  (pvlay.ri  bezogen  hat,  rQir]y.oaiovs,  um  den  an- 
schlufs  an  die  secundäre  Überlieferung  (Polyaen  1  21,  aufserdem  schol.  Fiat.  Rep. 
8,  566^)  zu  erreichen.  300  trabanten  wären  die  offene  tyrannis  gewesen:  50,  wie 
Plutarch  hat,  ist  so  bescheiden,  dafs  es  nicht  nach  erfindung  aussieht,  ich  hallt' 
für  methodisch  geboten,  es  zu  beurteilen  wie  den  antragsteller  Aristion. 


262  J-    8.  Die  Atthis. 

dening  seiner  herrschaft,  wobei  als  letztes  exempel  nachgetragen  wird, 
dafs  er  einer  ladung  wegen  mordes  auf  den  Areopag  folge  leistete, 
diese  letzte  gescliichte  kehrt  auch  in  der  Politik  (E   1 1)  wieder. 

Am  nächsten  dieser  erzählung  steht  ein  capitel  Aelians  (V.  H.  8, 16), 
über  dessen  quelle  sich  nichts  sagen  läfst.^j  der  untergeordnete  scribent 
verwässert  seinen  bericht,  aber  dieser  ist  vortrefflich,  er  gibt  über  So- 
Ions  verhallen  bei  jener  gelegenheit  genau  dasselbe  an  und  ergänzt 
die  aristotelische  erzählung  sehr  gut,  indem  er  hinzufügt,  dafs  Peisistratos 
dem  Solon  nichts  zu  leide  tat,  aus  respect,  oder  auch  vielleicht  weil  er 
vor  Jahren  sein  geliebter  gewesen  war.  kurze  zeit  darauf  starb  Solon, 
man  errichtete  ihm  eine  statue  auf  dem  markte  und  begrub  ihn  an  der 
mauer  rechts  vom  eingang  in  das  Stadttor;  das  grab  ist  vermauert.^) 

Dies  alles  dürfen  wir  so  ziemlich  der  vorläge  des  Aristoteles  zu- 
rechnen, denn  er  sagt  selbst,  das  Solon  561  hochbetagt  war,  kannte 
sein  todesjahr  und  weist  eben  damit  die  fabel  scharf  zurück,  dafs  Peisi- 
stratos zu  Solon  in  einem  liebesverbältnisse  gestanden  hätte  (17,  2). 
wir  kennen  das  todesjahr  Solons,  560/59  aus  Phainias  bei  Plutarch, 
der  den  archon  nennt  (Sol.  ende):  mit  dem  jähre  haben  wir  die  chronik 
als  quelle  erreicht. 

Ebendieselbe  erschliefsen  wir  für  das  letzte  stück  der  aelianischen 
erzählung,  zu  dem  freilich  bei  Aristoteles  keine  parallele  vorhegt,  denn 
die  berufuug  auf  zwei  attische  monumente,  statue  und  grab  am  tor, 
führt  auf  localattische  tradition ,  allerdings  schwerlich  voraristotelische, 
denn  eine  statue  hat  Solon  erst  von  der  restaurirten  demokratie  des 
vierten  Jahrhunderts  erhalten.*)     früher  konnte  man   sich   füghch  auch 


2)  Ein  kümmerlicher  geselle,  wie  er  ist,  zerteilt  Aelian  seine  excerpte,  um 
mehr  'nummern'  zu  bekommen;  so  auch  hier:  8,  10  steht  ein  bischen  über  Solons 
amtsjahr,  7,  19  über  die  erwerbung  von  Salamis,  beides  wird  hierzu  gehören,  lehrt 
jedoch  nichts:  haarscharfes  interpretiren  ist  bei  dem  Praenesliner,  der  eine  ihm 
fremde  spräche  elegant  schreiben  will,  um  so  weniger  angebracht,  als  wir  sein 
buch  nicht  unverkürzt  besitzen, 

3)  i'd'axpav  avrov  Sr,[.ioaia  no-QO.  tols  mkaS  n^oS  i(ö  telyet,  iv  Ss^cq  eiaiöv- 
tcov  xai  7is^Koy.oSöfiT]ro  6  rätpos.  das  plusquamperfect  hinter  dem  aorist  kann 
selbst  Aelian  nicht  gesetzt  haben,  wenn  er  eine  action  bezeichnen  wollte,  die  dem 
d^dnxaiv  ganz  gleich  stand  oder  ein  begleitender  umstand  war.  auch  kann  man 
sich  bei  nsQioixoSo/uBJv  läfov  nichts  denken :  bustiim  levi  materia  consaepire,  woran 
Perizonius  erinnert,  geht  eben  die  brandslätte,  nicht  das  grab  an.  daher  meine  ich 
mit  Sicherheit  nsQiojxoSofiTjrai  zu  schreiben:  so  erklärt  der  Verfasser,  weshalb 
niemand  dort,  wo  er  es  ansetzt,  von  dem  grabe  Solons  etwas  weifs. 

4)  [Ücmosth.]  26,  23.  sie  erwähnt  auch  Pausanias  I  16,  1,  der  von  dem  grabe, 
auch  dem  ummauerten,  nichts  weifs. 


Peisistratos  und  Solon.  263 

nicht  darüber  wundern,  dafs  er  einer  ehre  entbehrte,  die  beinahe  uner- 
hört war.^)  aber  darüber  wunderte  man  sich  längst,  dafs  Solons  grab 
verschollen  war,  und  die  sage,  dafs  seine  asche  um  Salamis  ins  meer 
zerstreut  wäre,  hat  wol  schon  gegolten ,  als  man  den  Staatsfriedhof  am 
Dipylon  einrichtete:  so  würde  sich  gut  erklären,  weshalb  dort  zwar 
Kleisthenes  und  die  tyrannenmörder,  aber  nicht  Solon  ein  grab  hat.®) 
erwähnt  hat  die  sage  schon  Kralinos,  und  auch  bei  Aristoteles  hat  sie 
irgendwo  gestanden,  eine  minder  naive  zeit  hat  später  dasselbe  problem 
mit  dem  autoschediasma  beantwortet,  das  bei  Aelian  steht:  begraben  ist 
Solon  freilich  im  Kerameikos,  nur  findet  man  das  grab  nicht  mehr,  weil 
es  in  den  türmen  an  der  mauer  verbaut  ist.  dafs  auf  diese  weise  wirklich 
viele  gräber  zugleich  unkenntlich  gemacht  und  erhalten  sind,  weifs  nicht 
nur  jeder  besucher  Roms  vom  bäcker  Eurysaces  und  knaben  Sulpicius 
Maximus,  sondern  es  lehrt  auch  am  Dipylon  selbst  der  augenschein.  die 
antiquarischen  forschungen  7t€Qi  i^iv7]i.taTtov  sind  von  Diodoros')  höchstens 


5)  Ich  habe  zwar  von  den  archaeologen  mil  besonderer  fieude  gelernt,  dafs 
es  ehrenstatuen  gab,  und  dafs  man  sogar  gruppen  oben  auf  eine  säule  setzte  (Är- 
chaeol.  Jahrb.  II  140)  und  den  x"-^-^ov'^  axQazrjySs  vor  dem  tore  des  Dionysosbezirks 
iv  aarsi  (Andok.  1,  38)  möchte  ich  gern  kennen:  aber  die  gruppen  Miltiades  und 
Themistokles  mit  je  einem  gefangenen  barbaren ,  die  im  theater  in  Athen  (das  es 
noch  gar  nicht  gab)  gestanden  haben  sollen,  sind  die  erfindung  eines  rhetors  aus 
dem  4  oder  5  Jahrhundert  nach  Christo  (dem  solche  barbarendarstellungen  nahe  lagen), 
herausgetüftelt  aus  der  stelle  die  er  erklären  sollte,  aber  nicht  verstand,  Aristides 
pro  IFvij'is  II  216  mit  schol.  III  536.  die  richtige  erläuterung  gibt  ein  anderes 
scholion.  wer  die  stellen  wirklich  nachliest  und  der  spräche  so  weit  mächtig  ist, 
sie  zu  verstehn,  mufs  die  fiction  sofort  erkennen. 

6)  Denkbar  ist  auch,  dafs  Solon  um  477  wirklich  ein  ehrengrab  erhielt  dicht 
am  tore,  und  dafs  es  wirklich  bei  den  erweiterungen  des  Dipylons  verbaut  ward, 
so  dafs  es  später  nicht  mehr  bestand,  dann  wäre  die  notiz  bei  Aelian  ganz  wahr 
und  stammte  aus  achter  zeitgenössischer  chronik.  aber  es  scheint  nicht,  dafs  der 
Staatsfriedhof  dicht  an  der  mauer  begann. 

7)  Ich  will  von  seinem  buche  ein  weiteres  citat  gelegentlich  aufzeigen,  schol. 
Plat.  Menex.  über  Aspasia  avtri  "A^icxov  Milriaia  yvvrj  üsQrAsovs  na^a  ^wx^drsc 
7is<piXoao(pT]xvla,  cüs  JiöSco^os  iv  reo  neol  /xvr,fiäTcav  {MiXrjxov  codd)  avyy^a/ifiari. 
dafs  hier  ein  unbekannter  autor  über  Milet  angeführt  wäre,  ist  gar  nicht  glaublich; 
in  Milet  war  über  die  hetäre  auch  schwerlich  etwas  zu  erfahren,  die  corruptel 
dagegen  ist  nicht  schwer  {31  lyi H  =  MNJI  mil  dem  nächsten  buchstaben  darüber 
und  abkürzungszeichen).  das  ganze  scholion  ist  besonders  deshalb  wertvoll,  weil 
es  ein  excerpt  aus  derselben  quelle  ist,  der  Plutarch  Per.  24  sein  citatennest  über 
Aspasia  entnommen  hat:  wer  diese  kostbaren  stücke,  kenntlich  an  citaten  der 
komoedie  und  philosophischer  dialoge,  verfafst  hat,  und  in  was  für  lexica  sie  ge- 
raten sind,  aus  denen  sie  die  Platonscholien  und  sogar  noch  Lukianscholien  ge- 
nommen  haben,   weifs  ich   nicht;    die  gattung  ist   aber  sehr  gut  kenntlich  (schol. 


26.J.  I.    8.  Die  Atthis. 

2ü  jähre  nach  Aristoteles  als  specialitüt  betrieben,  damals,  als  man  das 
erab  des  Themistokles  suchte  (was  auch  nicht  so  kindisch  war,  wie 
wenn  nian's  jetzt  tut),  war  man  auch  berechtigt  nach  dem  des  Solon 
zu  fragen,  und  wer  fragt,  erhält  eine  antwort. 

Von  derselben  tradition  der  Atthis,  die  hei  Aristoteles  und  Aelian 
vorhegt,  gibt  Plutarch  (30)  eine  Weiterbildung,  er  erzählt  den  anschlag 
des  Peisistratos  und  den  antrag  Aristions  eben  so  wie  Aristoteles;  Solon 
widerspricht  (im  sinne  seiner  verse,  fügt  Plutarch  hinzu  und  führt  etliche 
an)  und  geht  dann  unter  abgäbe  des  bekannten  apophthegmas  nach 
hause.  Peisistratos  wird  tyrann ,  die  Alkmeoniden  fliehen ,  Solon  geht 
noch  einmal  auf  den  markt  und  hält  wieder  eine  rede,  die  in  Wahrheit 
nur  eine  paraphrase  von  anderen  versen  ist  (das  ist  also  eine  Verdoppe- 
lung desselben  motivs^)  ohne  wert),  geht  wieder  nach  hause  und  setzt 
die  wafTen  vor  die  tür  (was  nun  eine  zwecklose  demonslration  ist,  da 
es  zum  bewafl'neten  widerstände  zu  spät  ist),  aber  er  flieht  nicht,  macht 
auch  noch  immer  scheltverse  (von  denen  eine  probe  mitgeteilt  wird), 
und  erklärt  so  zu  handeln  im  vertrauen  auf  sein  alter.  Peisistratos 
schont  seiner,  hält  sich  überhaupt  sehr  gesetzhch,  so  dafs  er  selbst  einer 


Plat.  Apologie,  'Avvtos,  Mekr^ros,  lä^iarofavTjS,  ylvxcov).  man  denkt  an  aojjxco- 
Sovfcevoi.  auch  für  Plutarch  ist  mir  die  vermittelung  dieser  gelehrsamkeit  eben  so 
unklar,  wie  sie  wichtig  ist.  das  einsehen  von  biographischen  lexicis  ist  eben  so  wol 
möglich  wie  andererseits  schon  die  alexandrinische  biographie  solches  material 
sammelte  (Satyros  lä^Mißiä§?js  Kydathen  74).  aber  was  bezeugt  eigenllich  Diodor 
über  Aspasia?  bei  Plutarch  entspricht  ort  MiXrioia  7]v  "A^iöxov  d'vyä.Trjo,  OfioloysTrai. 
und  der  vater,  bei  der  hetäre  etwas  besonderes,  bedurfte  allerdings  eines  beweises, 
der  denn  also  authentisch  erbracht  sein  mufs.  und  das  pafst  für  Diodor.  ich  denke, 
er  hat  einen  grabstein  gefunden  ''Aa-jtaaia  ^A^i6%ov  Mihiaia  (IJsQixXeovs  ywr]  glaube 
ich  schon  nicht  mehr),  ich  will  die  Identification  wegen  des  ofioloyslrM  nicht  in 
frage  stellen,  so  viele  Milesierinnen  in  attischen  bordeilen  auch  den  tiiidus  ^Aanaala 
geführt  haben  werden. 

8)  OTC  xai  10  fivrjiiioi>ev6 fiBvo%>  sinsv,  cös  tiqcÖtjv  /xev  fjv  eifiaoiajsoov  avroTs 
xo  xtü/.vaai  rr^v  rvQavviSa  avviOTaiutvTjv,  vvv  Se  /usl^öv  sari  xai  Xti/^TtQoreoov 
ixxoyjctc  xal  avelelv  aweazcocjav  ri§r]  xal  {s/jCyns(pvxvlav.  Solon  bei  Diodor  IX  20 
eis  Ob  fj.ovÜQ-/,ov  Srj/uos  diS^eir]  SovXoavvr^v  eneasv.  —  Airiv  S^  e^ü^avr'  ov  qäSiov 
iari  xaraa/,£lv  varsQov  (oder  wie  das  gelautet  haben  mag).  —  avxoi  yäo  tovtovs 
rjiiriaarE  Qv/iara  Sövtes  u.  s.  w.  hier  können  wir  also  die  Verdoppelung  desselben 
raolivs,  um  einen  neuen  zug  zu  verwerten,  mit  den  bänden  greifen,  dieselbe  er- 
scheinung  ist  im  epos  überaus  häufig,  aber  da  sträuben  sich  die  menschen,  weil 
nur  die  analyse  der  erzählung  die  cinlage  erkennen  läfst,  die  veranlassung  aber, 
hier  Solons  verse,  so  wenig  zu  fassen  ist,  wie  sie  es  hier  wäre,  wenn  blofs  Plutarch 
vorläge. 


Peisistratos  und  Solon.  265 

ladiing  auf  den  Areopag  folge  leistet,  und  bildet  die  solonischen  gesetze 
weiter  aus.^)     Solon  aber  stirbt  schon  im  nächsten  jähre. 

Die  erotische  Verbindung  zwischen  Solon  und  Peisistratos  ist  von 
Plutarch  schon  im  ersten  capitel  behandelt,  auch  nur  auf  evioi  zurück- 
geführt, wie  bei  Aristoteles,  aber  in  feiner  weise  dadurch  glaublich  ge- 
macht, dafs  erstens  ihr  Verhältnis  im  alter  doch  noch  dafür  zeugte, 
dafs  "^die  flamme  unter  der  asche  weiterglomm'' ,  und  dafs  Solons  verse 
seine  erotische  empfänglichkeit  belegten ,  wie  denn  auch  Peisistratos 
einen  gehebten  Charmos  gehabt  habe.'")  diese  gelehrsamkeit  und  auch 
die  psychologische  ünesse  ist  nicht  Plutarchs  eigentum,  sondern  es  ge- 
hurt alles  zusammen  demjenigen  an,  der  auf  grund  vornehmlich  der 
solonischen  gedichte  ein  "^portrait'  Solons  zu  entwerfen  versuchte:  es  ist 
ein  stück  der  peripatetischen  psychologischen  geschichtsschreibung,  die 
man  sehr  unbilliger  weise  verachtet,  so  wird  denn  auch  Phainias  citirt, 
für  den  archon,  unter  dem  Solon  starb:  also  nur  durch  diese  peripate- 
tische  vermittelung  ist  die  Althis  benutzt,  auch  Theophrast  wird  citirt 
und  gegen  den  Pontiker  Herakleides  polemisirt,  der  von  der  Verbindung 
der  beiden  alten  Athener  mehr  hatte  wissen  wollen  und  Solon  noch 
lange  unter  Peisistratos  leben  liefs.'^)  es  liegt  also  eine  durchgreifende 
Überarbeitung  der  erzählung  der  chronik  vor,  und  daneben  zeigt  sich 
die  autorität  des  Aristoteles,  nicht  indem  sein  buch  benutzt  wird,  son- 
dern sein  beispiel  wirkt  in  der  noch  ausgiebigeren  Verwertung  der  solo- 
nischen gedichte. 


9)  Die  paitie  über  die  Atlantis  (31,  3  — 32,  2),  die  Plutarch  hierher  rückt,  mufs 
man  für  die  geschichte  aussondern. 

10)  Peisistratos  soll  den  Erosaltar  der  Akademie  geweiht  haben,  das  ist  falsch, 
denn  das  epigramm  selbst  nannte  den  Charmos  als  Stifter  (Kleidemos  bei  Athen. 
XIII  609,  Pausan.  I  30),  der  polemarch  gewesen  war,  und  der  Schwiegervater  des 
Hippias  gewesen  sein  soll,  was  falsch  ist.  dessen  frau  Myrrhine  war  tochter  eines 
Kallias  TTieQSxiSov,  oder  wol  richtiger  'TTisQOxiSov ,  Thuk.  VI  55.  den  Charmos 
macht  demnach  Kleidemos  zum  liebhaber  des  Hippias.  natürlich  mufste  der  weihende 
der  liebende  sein,  aber  wen  er  liebte,  hat  er  nicht  verraten,  da  Charmos  seinen 
söhn  Hipparchos  genannt  hat,  war  er  wol  vielmehr  ein  eidam  des  Hippias  oder  auch 
des  Peisistratos. 

11)  Danach  liegt  es  nahe,  dem  Herakleides  zuzutrauen,  dafs  er  unbekümmert 
um  die  Zeitrechnung  das  erotische  Verhältnis  angenommen  habe:  die  scharfe  ab- 
fertigung  des  Aristoteles  würde  sich  so  sehr  gut  erklären,  denn  er  hat  den  lieb- 
lingsschüler  Piatons  nicht  geliebt,  bei  Plutarch  stchn  aber  die  evioi,  die  jenes  Ver- 
hältnis berichten,  dem  Herakleides  entgegengesetzt,  und  wenn  das  auch  ganz  gut 
sich  so  erklären  würde,  dafs  dieser  selbst  es  als  die  ansieht  einiger  gab,  die  er  nur 
wahrscheinlich  zu  machen  versuchte,  so  können  wir  doch  seinen  bericht  nicht  mehr 
sicher  stellen. 


266  '•    ^-  ^'^  Alibis. 

Eine  noch  stärkere  verschlechleriing  der  geschichtc,  aber  auch  noch 
mehr  solonische  verse  liefern  Diogenes  1  49.  50.  52*^)  und  Diodor  IX  21  '*), 
von  charakterlosen  Wiederholungen  einzelner  züge  (z.  b.  bei  Aristides 
41,  765  Ddf.)  zu  scinveigen. 

Überblickt  man  das  ganze,  so  kann  kein  zweifei  bleiben,  dafs  AriT 
stoleles  bereits  eine  ausführliche  lebensvolle  erzählung  vor  sich  hatte, 
die  von  der  benutzung  der  solonischen  verse  ganz  frei  war,  aber  apo- 
phthegmen  lieferte,  deren  eines  er  mitteilt,  während  er  das  schönere 
tivi  TtLordeig;  rcj)  yr^Qq'^''),  wegläfst.  in  diesem  berichte  folgte  auf 
den  chronologisch  genau  fixirten  tod  Solons  eine  zusammenfassende 
Schilderung  der  regierungsart  des  Peisistratos,  die  Aristoteles  nur  durch 
den  einscbub  der  äufsern  geschichte  seiner  herrschaft  unterbrochen  hat. 
das  apophthegma,  das  er  mit  leyerai  absondert,  gehörte  mit  zu  dem 
bestände;  wir  werden  gleich  sehen,  dafs  es  mit  den  anderen  geschichten 
aus  Peisistratos  zeit  eben  so  steht,  nur  sei  vorher  noch  etwas  behandelt, 
das  für  Solon  von  belang  ist. 


12)  Wer  nachlist,  wird  finden,  dafs  so  der  ursprüngliche  fortgang  der  vila  ist. 
eine  schlechte  einlage  ist  die  Verbannung  oder  flucht  Solons  vor  Peisistratos,  die 
erst  um  des  gefälschten  briefes  willen  entstanden  ist,  angeknüpft  freilich  an  diese 
alle  geschichte  (Solon  legt  die  waffen  vor  das  strategenhaus  und  reist  ab,  50.  53. 
54).  und  nachdem  die  reise  einmal  hierher  gelegt  war,  fand  die  Kroisosnovelle 
sogar  eine  chronologische  rechlfertigung  und  steht  deshalb  50.  51:  wirft  man  diese 
Zusätze  weg,  so  stebn  die  citate  der  gedichle  bei  einander,  und  es  folgt  55,  jetzt 
ganz  sinnlos,  2!6Xcop  oqov  av&Qconivov  ßiov  (pr^aiv  ezt]  eßSofir^xovrn:  das  ist  wieder 
ein  gedieht,  das  über  die  zehn  liebdomaden  des  lebens,  und  diese  betrachtung  über 
das  mats  des  menschenlebens  gehört  zu  dem  apophthegma  yr^Qq  Tziareico. 

13)  So  einfach  liegt  also  das  quellenverhältnis  nicht,  dafs  Plutarch  Diogenes 
und  Diodor  alle  drei  direct  auf  Hermippos  zurückgiengen.  diesen  selbst  hat  nur 
Plutarch  gehabt,  Diogenes  repraesentirt  den  ström  der  philosophenbiographie,  wie 
er  etwa  zu  Plutarchs  zeit  (der  seine  vorläge  angehört,  die  mindestens  im  ersten 
buche  nicht  Apollonides  von  Nikaia  ist)  sich  darstellte;  Diodor  hat,  vielleicht  nicht 
unmittelbar,  aus  demselben  ströme  150  jähre  früher  geschöpft,  aber  dieser  slrom  ist 
derselbe,  die  tradition  von  den  7  weisen,  keineswegs  die  von  Solon  allein;  Ephoros 
als  quelle  Diodors  ist  für  jeden,  der  die  parallelüberlieferung  kennt,  undenkbar. 

14)  Dies  z,  b.  noch  bei  Plutarch  an  seni  sit  ger.  i'.p.  21  (mit  der  vita  stimmend) 
und  Cicero  Cat.  72,  wo  sogleich  auch  auf  Solons  elegie  an  Mimnermos  angespielt 
Mird  (fgm.  21),  die  Plutarch  in  der  comparatio  citirt.  Cicero  gibt  die  pointirtere 
fassnng  wie  Diodor,  dafs  Solon  direct  dem  Peisistratos  antwortet;  er  übersetzt  das 
solonische  distichon  am  schlusse  des  ersten  buclies  der  Tusculanen.  um  so  weniger 
möciite  ich  eine  bestimmte  vorläge  nennen:  es  ist  die  philosophische  chrie,  ein 
wichtiger  bach  der -Überlieferung,  aus  der  eigentlich  geschichtlichen  tradition  zumeist 
«rhon  im  drillen  Jahrhundert,  zuweilen  im  zweiten  abgeleitet. 


Die  erwerbung  von  Salamis.  267 

Dafs  Peisistratos  sich  in  dem  kriege  wider  Megara  sein  persün-  Die 
liches  anselin  erworben  hat,  erzählt  Aristoteles  14,  1  nach  Herodotos  «'"''^^'J,""^ 
1,59.  aber  er  erklärtes  für  einen  lächerlichen  verstofs  wider  die  zeit-  '^'''^""'• 
n'chniing,  wenn  man  ihm  die  Strategie  in  dem  kriege  mit  Megara  um 
Salamis  zutrauen  wollte  (17,  2).  er  verwarf  also  die  geschichte,  die 
IMutarch  Sol.  8  als  drjf.aüör]g  löyog  erzählt,  nach  der  Peisistratos  der 
ist,  den  des  jungen  Solon  elegie  Salamis  vor  allen  zu  kühner  tat  und 
zu  der  erwerbung  der  insel  entflammt,  aber  diese  erwerbung  und  die 
solonische  elegie  hat  er  in  das  siebente  Jahrhundert  gerückt,  die  um- 
sichtige Prüfung  der  reichlich  vorliegenden  Iradition  hat  nun  bekannt- 
lich viele  verständige  menschen  dazu  geführt,  als  geschichthch  anzunehmen, 
dafs  Salamis,  ursprünglich  entweder  selbständig  (KvxQ&vg)  oder  aeginetisch 
(^tag),  im  siebenten  Jahrhundert  in  Megaras  bänden  war,  als  demos 
KvvooovQa  (oder  KoXovga,  ^bundeschwanz^  und  "^ Stumpfschwanz',  beides 
pafst  für  die  dem  Peiraieus  zugewandte  spitze)  megarischen  kleruchen 
übergeben,  seit  den  Athenern  Eleusis  gehörte,  werden  sie  oft  genug 
versuche  gemacht  haben,  den  für  ihre  na^aVia  unentbehrlichen  besitz  zu 
erwerben ;  aber  gelungen  ist  das  erst,  als  Peisistratos  durch  einen  hand- 
streich  Msaia  genommen  hatte,  und  die  entscheid ung  hat  ein  Schieds- 
gericht von  5  Spartiaten  gegeben,  deren  uamen,  wie  manches  gute 
detail,  die  chronik  bewahrt  hatte,  das  ist  um  570  gewesen,  aufserdem 
gab  es  eine  solonische  elegie,  welche  die  Athener  in  lebhaftester  weise 
anfeuerte  ihre  insel  (wenn  sie  sie  haben  wollten ,  wie  hätten  sie  nicht 
geschworen,  dafs  sie  von  alters  und  rechts  wegen  die  ihre  wäre)  nicht 
fahren  zu  lassen,  da  Sülou  in  diesem  gedichte  sich  einen  herold  nannte, 
nahm  man  das  worthch,  erzählte,  er  hätte  sie  vom  heroldstein  herab 
hergesagt,  und  wenn  er  'den  schmuck  der  verse,  poesie  statt  der  an- 
spräche' bot,  sollte  die  anspräche  verboten  gewesen  sein,  und  da  er 
irgendwo  seinen  "^w-ahnsinn'  erwähnte'^),  so  ward  die  erheuchelung  des 
Wahnsinns  daraus:  das  ende  mufste  natürlich  der  triumph  des  volks- 
freundlichen dichters  und  die  befreiung  von  Salamis  sein,  diese  novelle 
ist  vollkommen  zeitlos,  sobald  man  die  unerfreuliche  geschichtliche  wahr- 
heil  mit  ihr  zu  combiniren  begann ,  dafs  erst  Peisistratos  die  insel  er- 
obert hatte,  war  man  gezwungen,  entweder  den  Peisistratos  blofs  als 
helfer  Solon s  auftreten  zu  lassen,  wobei  dieser  doch  um  den  besten  teil 
seines  ruhmes  kam,  und  sein  lebensalter  störend  ward,   oder  aber  man 


15)  Der  vers,  in  dem  er  dies  tat,  wird  von  Diogenes  I  49  auf  die  tyrannis  des 
Peisistratos  bezogen,  wir  können  es  nicht  controUiren,  aber  auch  wenn  es  richtig 
sein  sollte,  stand  der  sage  frei,  die  äufserungen  verschiedener  gedichte  zu  combiniren. 


268  I-    8.  Die  Atthis. 

imifsle  die  geschichte  müglichst  in  Solons  jugentl  schieben,  wobei  not- 
gedrungen irgendwie  ein  späterer  verlust  von  Salamis  eingeschoben 
werden  niufste.  dafs  beides  versucht  ist,  spürt  man  in  den  verschiedenen 
berichten;  schon  der  eine  Plutarch  zeigt  es  genugsam.  Aristoteles  be- 
trachtet seinerseits  als  sicher,  dafs  die  geschichte  in  Solons  Jugend  fällt, 
und  weist  demnach  die  beteiligung  des  Peisistratos  zurück:  die  also  auch 
schon  erzählt  war.  dies  schliefst  in  sich,  dafs  er  die  ganze  novelle  ernst 
genommen  hat.  dies  nun  hier  zu  finden  ist  für  die,  welche  es  auch 
früher  schon  bei  ihm  gelesen  hatten ,  nicht  überraschend,  er  operirt 
mit  Solons  Wahnsinn  in  den  Homerischen  fragen,  bei  Porphyrios  zu 
B  183.  aber  die  sich  durch  seine  autorität  früher  nicht  haben  beirren 
lassen,  werden  es  nun  erst  recht  nicht  tun,  wo  am  tage  liegt,  dafs  er 
einfach  von  der  Atthis  abhängig  ist.  diese  kann  auf  keine  höhere  gel- 
tung  anspruch  machen  als  ihr  niederschlag ,  die  geschichten,  wie  sie 
z.  b.  Demosthenes  erzählt,  weil  sie  hier  ja  nicht  mit  festen  daten  und 
schlichten  facten  operirt,  sondern  eine  ausdeutung  eines  gedichtes  liefert, 
die  wir  durchschauen  und  damit  beseitigen,  es  bleibt  nach  wie  vor  die 
frage,  wann  hat  Solon  jenes  gedieht  gemacht?  und  die  einfache  ant- 
wort,  damals  als  die  Athener  um  Salamis  stritten,  als  greis,  ist  nicht 
um  ein  atom  unwahrscheinhcher  geworden,  soll  etwa  nicht  ein  dichter 
sagen  'wolan  denn,  ziehen  wir  in  den  kämpf',  auch  wenn  er  selbst 
nicht  mehr  den  hämisch  tragen  wird?  und  wer  weifs  denn,  ob  er 
15  jähre  ehe  er  nur  die  rüstung  vor  die  tür  stellte,  nicht  zu  felde  zog 
wie  Nestor  oder  411  Polystratos?  das  Stilgefühl,  zehn  versen  anzuriechen, 
dafs  sie  nur  ein  jüngling  geschrieben  haben  könne,  ist  etwas  was  ich 
auch  nur  von  den  göttern  zu  erbitten  für  überhebung  halten  würde, 
aber  ich  weifs,  wie  das  vermeintliche  Stilgefühl  die  urkundhche  Über- 
lieferung hat  zerstören  wollen,  weil  der  Oedipus  auf  Kolonos  nicht  das 
werk  eines  neunzigjährigen  sein  sollte,  und  ich  weifs,  dafs  kriegslieder 
anders  klingen  als  selbstbetrachtungen.  so  bleibt  es  denn  dabei :  in 
Solons  Jugend,  wo  Athen  an  den  schwersten  classenkämpfen  krankt, 
Megara  mächtig  dasteht,  pflanzstädte  in  beide  meere  sendet,  wo  im  ver- 
trauen auf  Megaras  hilfe  Kylon  nach  der  gewaltherrschaft  Athens  strebt, 
bat  Athen  Salamis  noch  nicht  erworben,  erst  mit  seinem  wirtschaft- 
lichen aufschwunge  hat  es  sich  energisch  daran  gemacht;  nach  Solon. 
die  kämpfe  mit  Megara  (in  denen  dieses  Eleusis  gern  erworben  hätte;  in 
dessen  Verteidigung   ist  Tellos"*)  gefallen)   haben  Athens  kraft  gestärkt; 

16)  Herodot  I  30   TeXXos  kürzester  kurzname  wie   Telrj?  mit  der  boeotischen 
Verdoppelung  des  schlufsconsonanten.   der  vollnanie  ist  TeXeaC-SQOfioi  oder  so  etwas. 


Die  erwerbung  von  Salamis,     das  strategem  des  Peisistratos.  269 

aber  dem  der  Salamis  erwarb  fiel  die  tyrannis  zu.  was  den  Aristoteles 
angeht,  so  ist  sein  jieQLqxxvcog  Xr]Qovai  etwas  übereilt.  Peisistratos  ist 
wirklich  Stratege  im  megarischen  kriege  um  Salamis  gewesen,  und  wes- 
halb Solon  den  vierzig  jähre  jüngeren  Peisistratos  nicht  hätte  lieben 
können,  wie  Euripides  den  Agathon  oder  Piaton  den  "^Aster'  oder,  um 
in  minder  reine  regionen  hinabzusteigen,  Anakreon  den  Bathyllos,  ist  auch 
nicht  abzusehen. 

Über  die  erziüilung  von  der  dreimaligen  tyrannis  des  Peisistratos  Das 
ist  schon  bei  verschiedenen  gelegenheiten  gehandelt,  sie  verarbeitet  des 
Herodotos  mit  einer  anderen  an  wertvollen  daten  reichen  Überlieferung, 
und  die  archontennamen  lassen  an  der  chronik  keinen  zweifei.  es  steht 
aber  noch  eine  hübsche  anekdote  darin,  wie  Peisistratos  das  volk  ent- 
waffnet (15,  4).  dieselbe  findet  sich  wesenthch  gleich  bei  Polyaen  (I 
21,  2).  nur  das  heiligtum  ist  verschieden,  in  dem  die  musterung  statt- 
findet, die  dem  tyran'nen  die  waffen  in  die  bände  spielt,  bei  Polyaen 
ist  es  das  Anakeion,  bei  Aristoteles  das  Theseion.''')  dem  entspricht  es, 
dafs  die  waffen  bei  diesem  in  die  gebäude  in  der  nähe  des  Theseions 
gebracht  werden ,  bei  Polyaen  in  das  Agraulion.  gemeinsam  aber  ist 
beiden,  dafs  Peisistratos  das  volk  auffordert,  ihm  hinauf  bis  an  das 
äufsere  burglor  zu  folgen,  um  seine  anspräche  besser  zu  vernehmen, 
dieser  zug  ist  topographisch  von  belang,  sie  gehn  offenbar  auf  den 
grofsen  platz,  der  schon  aus  rücksicht  auf  die  Verteidigung  vor  der 
mündung  der  "^neun  pforten'  frei  sein  mufste^*);  dafs  die  alte  bürg  sich 
in  der  einsattelung  zwischen  bürg  und  Areshügel  Öffnete,  entsprechend 
dem  terrain  und  dem  gange  der  feststrafsen  und  der  läge  der  alten 
regierungsgebäude  bestätigt  sich  wieder,  wie  immer,  sonst  sind  beide 
localisirungen  an  sich  möglich,  das  heiligtum  der  Anakes,  noch  später 
der   appellplatz   für   die   reiterei'^),   war  für  eine  musterung  vorzüglich 


sein  gedäclitnis  war  durcli  das  grab  erhalten,  das  Herodot  erwähnt,  auch  Kleobis 
und  Biton  hatten  in  Delphi  statuen,  und  ihre  geschichte,  die  auch  einen  zug  aus 
der  sage  von  Trophonios  und  Agamedes  enthält,  stammt  wol  aus  Delphi,  oder  ist 
von  dort  doch  dem  Herodot  zugekommen,  so  lernt  man ,  dafs  er  die  grofse  rede 
Solons  selbst  frei  componirt  hat. 

17)  Der  bestimmten  erklärung  derer  die  den  papyrus  gesehen  haben,  dafs  in 
ihm  p.  6,  3  am  zeilenende  hinter  rät  (das  ich  bei  hellem  lichte  oft  im  facsimile 
gelesen  habe)  leerer  räum  sei,  mufs  ich  mich  fügen,  und  wenn  das  richtig  ist,  mufs 
ich  die  zeichen  am  anfange  der  folgenden  zeile  S-rja  statt  vax  lesen,  was  ich  nie 
für  unmöglich  gehalten  habe. 

18)  Vgl.  Herm.  26,  238  über  das  "A^ifiov  vor  dem  inneren  tore  der  Kadmeia. 

19)  Andok.  I  45,  Thuk.  YIII  93.   ein  volksbeschlufs  zu  gunsten  der  einnahmen 


270  '•    8.  Die  Atthis. 

-■eeignet.  das  heiligtuni  der  Agraulos,  wo  die  rekruten  den  fahneneid 
schworen,  stiefs  südlich  daran,  und  dorthin  die  waffen  zu  bringen  war 
um  so  geschickter,  als  bekanntlich  damals  noch  ein  gang  von  dort  auf 
die  hurg  führte,  die  Peisistratos  besetzt  hielt,  aber  möglich  ist  auch 
die  aristotelische  fassung,  und  wie  sollte  er  in  Athen  etwas  erzählen, 
was  die  attischen  ürtlichkeiten  ausgeschlossen  hätten  ?  Aristoteles  würde 
also  die  Identification  des  "^s.  g.  Theseions'  mit  dem  wirkhchen  nach  475 
erbauten  Theseustempel  ausschUefsen ,  wenn  diese  nicht  bereits  durch 
das,  was  über  das  alter  des  erhaltenen  tempels  und  seiner  sculpturen  er- 
mittelt ist,  beseitigt  wäre.'^")  das  Theseion  lag,  wie  die  reihenfolge  in  der 
beschreibung  des  Pausanias  lehrt,  unterhalb  des  Anakeions;  räum  für  die 
musterung  der  hophten  bot  es  auch,  da  es  ebenfalls  als  appellplatz  benutzt 
worden  ist  (Thuk.  6,  61),  und  viele  buden  auf  seinem  areale  standen, 
die  hier  als  xa  Ttlr^oLov  tov  Qr]0£iov  oiy.rii.iara  bezeichnet  werden,  der 
einzige  unterschied  ist,  dafs  Peisistratos  von  hier  sehr  viel  weiter  mit 
seiner  corona  hinaufgehen  mui'ste  als  vom  Anakeion.  mich  wenigstens 
beirrt  der  einwand  nicht,  dafs  Theseus  erst  475  ein  heiligtum  erhalten 
habe.^')     denn  an  sich  ist  eben  so  möglich,    dafs  man  die  gebeine  des 


dieses  heiligtumes  CIA  IV  p.  63.  das  snißaTiKÖv  a  12  dürfte  eher  eine  abgäbe  für 
die  occupation  von  heiligem  grund  und  boden  (Standgeld  für  buden)  gewesen  sein, 
als  die  imßdrai  angehn. 

20)  Mich  wenigstens  haben  die  archaeoiogen  vollkommen  überzeugt,  dafs  der 
tempel  den  Parthenon  voraussetzt;  wer  aber  sein  herr  war,  weifs  ich  immer  noch 
nicht.  Theseus  war  es  nicht,  von  Herakles  in  Melite  zu  reden  ist  Verstocktheit,  die 
ich  keiner  Widerlegung  würdige,  von  Ares  redet  niemand  mehr.  ApoUon  und  noch 
mehr  Hephaistos  haben  einige  anspräche,  aber  bewiesen  ist  nichts. 

21)  Plut.  Thes.  36  erweckt  freilich  diesen  verdacht;  aber  23  sagt  er,  nachdem 
die  oschophorien  nach  Demon  geschildert  sind ,  £^i]oed'rj  Si  xai  ts/ievos  avräi  xal 
zove  ano  twv  naQaaxövTCOv  rov  Sea/iov  oi'xcov  exa^av  (so  für  sza^sv  der  vulgala 
zu  schreiben;  damit  sind  die  zweifei  und  conjecturen  bei  TöpfTer  Att.  Geneal.  251 
erledigt)  eis  d'vaCav  aircö  teXeIv  anocpooüs,  xai  rrjs  d'vaias  snsfisXovvio  'PurnkiSai, 
Otjadcüs  anoSövTos  airols  afioißr]v  rrfi  (fiXo^evias.  das  ist  die  tempellegende,  und 
die  beteiligung  bestimmter  geschlechter  garantirt  ihr  alter,  diese  o^yewves,  die 
sich  zum  culte  des  Theseus  vereinen,  sind  es,  die  den  trozenischen  heros  in  die 
Stadt  eingeführt  haben,  sie  motiviren  ihre  beteiligung  so,  dafs  ein  ahnherr  oder 
eine  ahnfrau  von  ihnen  von  Theseus  aus  dem  labyrinthe  gerettet  seien,  in  den 
namen  der  14  kinder  auf  der  Fran^oisvase  und  bei  den  mythographen  kann  also 
gute  gentilicische  tradition  stecken,  die  oschophorien  bringen  die  zweige  dem 
Dionysos  und  der  Ariadne,  also  nach  Limnai.  wenn  der  sumpf  wirklich  am  Eri- 
danos  lag,  so  war  er  dem  Theseion  nahe,  dies  Mar  zuerst  ein  garten  wie  der  des 
Neleus,  südlich  und  oberhalb  stiefs  an  ihn  der  exercierplatz  der  Anakes,  dem  das 
Epilykeion  nahe  lag,  wo  der  kriegsherr  safs.    seit  wir  dessen  wohnung  kennen,  ist 


Das  stiategem  des  Peisistralos.  27  l 

heros  in  dem  bezirke  beisetzte,  den  der  stadtgründer  nicht  wol  entbehrt 
haben  kann,  seit  er  zu  dieser  würde  erhoben  war"-'-);  und  wer  das  dem 
sechsten  Jahrhundert  trolz  den  sagen,  z.  b.  der  oschophorienlegende, 
absprechen  wollte,  den  widerlegen  die  vasenbiider.  auch  die  erlosuiig 
von  bestimmten  beamten,  insbesondere  des  rates,  im  Theseion  stehe  ich 
nicht  an  für  so  alt  zu  halten  wie  die  erlosung  überhaupt,  da  diese  demo- 
kratische Ordnung  zu  dem  könig,  der  zuerst  ayiovere  lew  gerufen  hat, 
vorzüghch  pafst.  so  will  ich  denn  nicht  unbedingt  entscheiden,  welche 
localisirung  jener  geschichte  den  Vorzug  verdient,  aber  ich  gestehe  mich 
selbst  viel  mehr  zu  der  bei  Polyaen  hingezogen  zu  fühlen,  deien  locale 
näher  bei  einander  liegen  und  altertümlicher  sind,  insbesondere  meine 
ich,  dafs  die  oi/.rj/iiara  jtXr^oiov  tov  Qr^oeiov  viel  eher  nach  dem  vierten 


auch  der  exeicierplatz  verständlich,  und  in  seiner  Verwendung  zum  appellplatz  in 
den  veränderten  Verhältnissen  des  fünften  Jahrhunderts  dauert  die  alte  sitte.  am 
nordabhange  der  bürg,  östlich  vom  Agraulion,  lag  das  prytaneion,  westlich  das 
thesmothetenhaus,  unterhalb  der  ApoUongrottc.  dieses  ganze  gebiet  also  war  öfTent- 
licher  grund,  der  privaten  bebauung  entzogen,  noch  in  der  Jugend  des  Peisistratos 
mögen  die  mädchen  y.u&ctQov  ydvoi  'HoiSäroio  geschöpft  haben,  der  zwischen 
gärten  flofs  (Strab.  397).  dann  zog  sich  das  politische  leben  nach  dem  markte 
westwärts,  auf  dem  heiligen  terrain  siedelten  sich  die  buden  an  (Herrn.  22,  119), 
und  die  gerbereien  der  Kydathenaeer  machten  das  wasser  des  Eridanos  selbst  für 
das  vieh  ungeniefsbar.  eine  spätere  zeit  (zweite  hälfte  des  dritten  Jahrhunderts)  hat 
durch  grofse  neubauten  für  ihre  zwecke  den  alten  öffentlichen  grund  besetzt  und  so  die 
Physiognomie  dieses  Stadtteils  von  neuem  geändert.  Theseus  hatte  an  seinem  tempel 
genug,  die  Anakes,  die  ziemlich  verschollene  gölter  waren,  erst  recht,  da  baute 
man  neben  dem  unterirdisch  geführten  Eiidanos  auf  dem  alten  Theseusgrunde  das 
gymnasium  des  Ptolemaios,  weiter  östlich  das  Diogenesgymnasium,  wieder  etliche 
generationeu  später  v^ard  das  alte  gewirr  der  buden  durch  den  römischen  markt 
mit  seinen  hallen  und  toren  und  der  uhr  ersetzt,  endlich  errichtete  Hadrian  seinen 
riesenbau  weiter  nördlich;  da  war  der  Eridanos  schon  ganz  vergessen,  und  sein 
name  sjpukte  nur  noch  in  den  büchern.  unter  Theseion  und  Anakeion  verstand  man 
die  terjipel,  den  burgaufgang  durch  das  Agraulion,  den  noch  die  Diogenesbriefe  (30) 
erwä)inen,  kannte  man  auch  nicht  mehr. 

— ^  22)  Wenn  eine  legende  den  Theseus  alle  TSfiEvrj,  die  er  als  lohn  für  den 
Kretazug  erhielt,  dem  Herakles  abtreten  liefs,  so  will  sie  freilich  erläutern,  wieso 
Herakles  so  viel,  Theseus  so  wenig  heiiigtümer  hat,  und  sie  redet,  wie  sich  für 
eine  wirkungsvolle  geschiclite  ziemt,  ohne  eine  ausnähme  zu  gunsteu  des  städtischen 
Theseions  zu  machen,  aber  deswegen  beabsichtigt  sie  dies  weder  für  ein  altes 
Heraklesheiligtum  noch  für  jung  zu  erklären,  erst  wenn  die  forschung  sich  auf  die 
legende  erstreckt,  mufste  man  eins  von  beiden  tun,  die  bestehenden  Theseien  für 
jung  erklären,  oder  ausnahmen  von  der  Schenkung  zugeben,  wirklich  ist  Philochoros 
so  verfahren  (Plut.  35).  er  hat  vier  alte  Theseien  ausgenommen:  wir  werden  ihm 
folgen  und  das  städtische  vor  allen  darunter  suchen. 


272  '•    8.  Die  Althis. 

als  dem  sechsten  jahrluiiulert  aussehen,  das  aher  ist  klar:  die  geschichle 
ist  eine  gute  und  specifisch  stadtathenische. 
Das  dreXis  DJc  schihlcrung  von  dem  milden  regimente  des  Peisislratos  führt, 
y/oQiov.  wie  (]ie  Wiederholung  der  allgemeinen  Charakteristik  lehrt  (16,  1  =  14,  3), 
die  erziihlung  von  seiner  ersten  herrschaft  fort,  und  dafs  die  günstige 
heurteilung  des  tyrannen  auf  die  forschung  der  letzten  gencration  vor 
Aristoteles  zurückzuführen  ist,  hat  sich  oben  gezeigt  (s.  120).  aber  diese 
bedurfte  doch  selbst  der  beweise,  und  sie  fand  sie  in  einzelnen  zügon, 
die  unbeschadet  der  tyrannenfurchl  und  des  lyrannenhasses  im  volke 
fortgelebt  hatten,  das  hatte  man  selbst  zu  Aristophanes  Zeiten  nicht  ver- 
gessen, dafs  Peisistratos  dahin  drängte,  das  volk  bei  ländlichen  sitten  zu 
erhalten,  nur  dafs  man  darin  eine  knechtung  sah.^^)  Aristoteles  begründet 
das  mit  der  geschichte  vom  areXeg  x^qLov  am  Hymeltos,  die  er  zwar 
durch  cpaoi  als  anekdote  kennzeichnet,  aber  mit  yäq  anschliefst,  weil 
sie  wirklich  begründet,  wir  lesen  die  geschichte  bei  Diodor  (IX  37), 
wo  sie  auf  eine  andere  probe  von  der  leutseligkeit  des  tyrannen  folgt, 
der  beide  male  lacht,  als  man  einen  ausdruck  seines  Unwillens  erwartet. 
(Me  Verbindung  hat  der  excerptor  beseitigt,  allein,  wenn  wir  lesen  diarco- 
Q€vö/iuv6g  Tioxe  öia  rrjg  ;f(J(>ag,  so  werden  wir  an  eine  inspections- 
reise  denken  wie  bei  Aristoteles,  der  bauer,  der  in  seinen  steinen  gräbt, 
gibt  als  seinen  ertrag  an  YMKccg  odvvag,  aXX^  ovösv  avrw  (.ieIelv. 
TOVTtov  yccQ  zb  (.dgog  neioiOTQaTco  didövai.  sehr  viel  besser  als  bei 
Aristoteles  oaa  y,ay.a  zai  oövvai  '  y.al  tovtcov  töjv  yiaxiov  '/.al  odv- 
rtöv  neiGiGTQaTOv  Sei  Xaßelv  rrjv  dexärrjv,  wo  der  witz  gar  nicht 
herauskommt,  der  doch  in  der  anlwort  liegt  "nichts  als  plackerei;  i>t 
mir   aber   ganz  recht:    der  herr  bekommt  seinen  teil  davon",   ein  vor- 


23)  Er  nennt  das  volk  unter  Hippias  yarioraxae  q>OQOvvras  Lysistr.  1153, 
während  ihm  die  demokratie  die  xlaiva  anzieht.  Poll.  7,  68  erklärt  das  wort,  und 
):agt,  die  Peisistratiden  hätten  diese  tracht  für  das  landvolk  eingeführt,  damit  dies 
sich  schämte,  in  die  Stadt  zu  gehn.  das  ist  die  ausnutzung  dieser  notiz  in  dem 
sinne  des  Aristoteles,  der  rock,  der  unten  mit  Schafpelz  besetzt  ist,  ist  wie  die 
lederjacke  (Ar.  Wölk.  72,  Wesp.  444)  ländliche  altvaterische  tracht;  Eumaios  hat 
eine  växr]  (|  530),  und  später  tragen  sie  bedürfnislose  philosophen  wie  Telauges 
(Aischines  der  Sokraliker  bei  Athen.  V  220,  denn  mit  Kaibel  an  einen  rhetor  zu 
denken,  kann  ich  mich  nicht  entschliefsen.  die  nicht  ganz  spärlichen  sonstigen 
notizen,  die  G.  F.  Hermann  de  Aeschin.  Soor.  25  zusammenstellt,  lassen  viel  eher  einen 
Ttv&ayoQiffTi^e  erkennen,  und  er  führt  den  namen  von  dem  söhne  des  Pythagoras). 
den  namen  xaTMva>eof6^oi  gibt  Theopompos  der  unfreien  bevölkerung,  die  in 
Sikyon  von  Kieisthenes  in  die  bürgerschaft  aufgenommen  ward:  so  ist  das  zeugnis 
bei  Athen.  VI  271  f.  zu  verstehn,  wenn  man  es  am  orte  list,  wo  es  steht,  nicht  in 
den  fragni.  bist.  Gr.;  ein  cilat  der  sikyonischen  chronik  steht  daneben. 


Das  «Tfi^.ib  yaoiov.    einzelne  züge  der  tyrannis.  273 

wiirf  wegen  der  erlragssleuer  und  zugleich  eine  krilik  des  'tyrannen- 
glückes'.  aber  die  ächte  fassung  ist  selbst  das  noch  nicht;  Diodor  ver- 
rät sie,  indem  er  auf  ein  sprüchwort  verweist  /.al  0(pä/.eloL  jiolovolv 
arehiav.  dies  sprüchwort  mit  derselben  geschichte  und  dem  apoph- 
thegma  in  der  verstümmelten  form  odvvag  ymI  O(pa-ailovg  '  /mI  toutcov 
de/MTtjv  IletoiaTQarog  cpeQEi,  steht  im  inlerpolirlen  Zenobius  IV  76, 
stand  im  ächten  II  4,  d.  h.  in  der  reihe,  die  Crusius  mit  Sicherheit  auf 
den  atthidographen  Demon  zurückgeführt  hat.^')  es  ist  natürlich  ver- 
kehrt die  fassungen  des  Aristoteles  oder  Diodor  durch  conjectur  mit 
den  ocpazsÄoL  auszustatten  oder  sonst  auszugleichen,  die  geschichte  ist 
veranlassung  sowol  zu  dem  namen  des  x^^qLov  ccreXeg  wie  zu  dem  sprüch- 
worle  y.ai  ocpäy.eXoL  notovoiv  ateXeiav,  und  nur  die  zweite  bedarf  in  der 
anlwort  des  bauern  der  acpäv.Ekoi.  von  dem  sprüchwort  weifs  Aristoteles 
nichts,  die  combinalion  beider  wird  dem  geboren,  der  zugleich  althidograph 
und  paroemiograph  ist,  und  bei  Diodor  ist  die  contamination  der  ge- 
schichte in  der  fassung  ohne  ocpÜAeloi,  wie  sie  Aristoteles  hat,  mit  der 
Demons  noch  wahrnehmbar,  für  die  freihch  Ephoros  nicht  verantwort- 
lich gemacht  werden  darl,  ^^)  aber  dafs  er  und  Aristoteles  gemeinsam 
auf  einen  autor  zurückgehn,  und  dafs  dies  eine  ältere  Atthis  ist,  die 
Demon  verbessert  hat,  indem  er  das  sprüchwort  heranzog,  ist  unabweis- 
bar, die  geschichte  haftete  an  dem  bestimmten  arekeg  xojqlov,  das  auf 
den  allerdings  sehr  steinigen  westlichen  abhängen  des  Hymettos  lag; 
sie  erklärte  dessen  namen,  entweder  aus  glaubhafter  tradition,  wie  ich 
annehme,  oder  aus  aetiologischer  dichlung,  die  aber  schwerlich  einen 
Icutsehgen  tyrannen  eingeführt  haben  würde. 

Die  andern  belege  für  die  leutseligkeit  des  Peisistratos  sind,  dafs  er    Einzelne 

züge  der 

einer  Vorladung  auf  den  Areopag  folge  leistete:  das  hat  Aristoteles  aus  der   tyrannis. 
ihm    mit  Plularch   gemeinsamen    quelle;   dafs   er   die   demenrichter  ein- 
führte:  deren   herstellung   durch  Perikles  ist  26,  3  aus  der  Atthis  ge- 
nommen;  endlich   das   apophthegma  von  dem  kronischen  Zeitalter,   das 
oben  (s.  119)  besprochen  ist.    so  wird  unbeschadet  des  politischen  und 

24)  Eine  weitere  fassung  der  geschichte  bei  Prokop  von  Gaza  wird  im  näch- 
sten capitel  auf  Aristoteles  selbst  zurückgeführt  werden. 

25)  Ob  Diodor  diese  Vereinigung  vorgenommen  iiat,  ist  mir  allerdings  sehr 
zweifelhaft,  es  ist  gar  zu  verkehrt,  ein  sprüchwort  zuzufügen,  ohne  die  form  des 
witzwortes  so  zu  fassen,  wie  dieses  verlangt,  ich  glaube  also,  dafs  sei  es  in  dem 
Diodortext,  den  die  compilatoren  des  Porphyrogennetos  vorfanden,  sei  es  erst  in 
ihrem  texte  das  sprüchwort  als  parallelstelle  beigefügt  worden  ist,  in  jedem  falle 
erst  in  byzantinischer  zeit,  denn  Zenobius  und  seine  auszüge  waren  ja  damals  sehr 
verbreitet,  und  dies  sprüchwort  steht  auch  im  Suidas. 

V.  VVilamowilz,  Aristoteles  I.  18 


274  '•    S.  Die  Attliis. 

Hersünlicheu  uileils  der  eigentliche  erzählungssloff  in  der  geschichte  des 
Peisistratos  der  Attliis  zugerechnet  werden  dürlen.  nicht  anders  steht 
es  mit  dem  berichte  über  die  ermordung  des  Hipparchos  (vgl.  oben  109). 
auch  hier  steht  zu  einem  zuge  der  aristotelischen  erzählung  eine  parallele 
bei  Polyaen  (I  22).  Aristogeiton  nennt  auf  der  foller  freunde  des  Hip- 
pias  und  gesteht  dem  tyrannen  höhnisch  seinen  trug,  nachdem  dieser 
die  angeschuldigten  getötet  hat.^^)  Aristoteles  gibt  den  letzten  teil  in 
einer  noch  viel  packenderen,  aber  deshalb  nicht  glaubwürdigeren  fassung, 
nach  der  Hippias  selbst  den  Aristogeiton  niederstöfst.  ob  die  ange- 
schuldigten tyrannenfreunde  wirklich  so  unschuldig  waren,  wie  sie  bei 
Polyaen  erscheinen,  ist  ihm  dagegen  zweifelhaft;  er  nennt  das  die  demo- 
kratische tradition,  der  er  eine  andere  gegenüberstellt,  die  er  bevorzugt 
hat.^')  allerdings  schwindet  der  nimbus  der  freiheitshelden ,  wenn  sie 
mit  vielen  leuten  aus  der  Umgebung  der  tyrannen  verschworen  waren; 
aber  da  sie  notorisch  selbst  zu  deren  gesellschaft  gehört  hallen,  ist  die 
auswahl,  die  Aristoteles  aus  verschiedenen  berichten  getroffen  hat,  richtig, 
vorausgesetzt  dafs  wir  diese  ganze  geschichle  acceptiren.  das  ist  mir 
bedenkhch:  aber  was  dem  Aristoteles  vorlag,  waren  hier  ganz  oflenbar 
eine  reihe  nur  im  detail  abweichender  brechungen  einer  volkstümUchen 
Überlieferung. 
Der  In    der   geschichte    vom  stürze   des  Hippias  und   der  reform    des 

i^rä^iMien'.  Kleisthencs  überwiegt  Herodotos,  aber  es  sind  doch  schon  einige  züge 
der  Atthis  ausgesondert  (s.  32  und  37),  ebendahin  gehört  siciier  die 
befestigung  Munichias  (19,  2),  da  sie  ihre  überraschende  bestätigung 
dadurch  erhalt,  dafs  die  Sprüche  des  Epimenides  vor  einem  solchen  unter- 
langen warnten,  Hermippos  aber,  der  dies  überliefert  (bei  Plutarch  Sol. 
12,  Diogen.  1  114),  wie  für  das  dritte  Jahrhundert  natürlich  war,  das 
urakel  erst  durch  die  Makedonen  erfüllt  glaubt;  seine  wirkliche  ver- 
anlassung war  ihm  unbekannt,    um  so  sicherer  ist  sie  geschichtlich  und 


26)  Der  schlufs  ist  so  zu  schreiben  tot«  S^  6  ^Agiaioysircov  coveiSiasv  avtcD 
t6  a^iQaiTjyrj/ia  [raiv  ^iXcov],  der  versuch  der  abschriften,  durch  einschub  eines 
y-axä  die  letzten  worte  in  schick  zu  bringen,  darf  nicht  beirren,  ganz  ebenso  2,  36 
ev  fiiv  xüJv  axQaTTjyrjf^iäiwv  TiaQiax^v  avroXs  zi]v  ei'aoSov,  sre^co  Se  siasXd'mv 
i^QT/Oaxo.  SO  ist  es  richtig,  die  handschrift  hat  iv  ftsv  xfj  xcöv  axQaxi]yriftäxu>v 
ßaXavayqwv  7iaqia%sv.  d.  h.  es  war  xa.v  ßalavnyQÜJv  als  interlinearglosse  ein- 
gefügt.    Maasvicius  hatte  svi  /uev  xcö  cxonxrjyT^uaxi  xcöv  ßaX.  geschrieben. 

27)  Was  Blafs  zuerst  gelesen  hat  pag.  7,  2ü  (cap.  18,  2)  fiExexövxcov  noXXcör, 
habe  ich  trotz  längerem  sträuben  nach  vieler  mühe  auch  erkannt  und  halte  es  für 
sicher,  also  hat  Aristoteles  an  eine  grofse  Verschwörung  geglaubt,  also  denen  ge- 
traut, die  die  deswegen  hingerichteten  für  schuldig  hielten. 


Der  Sturz  der  tyrannen.     das  strategem  des  Themistokles.  275 

dann  eines  Schlages  mit  den  übrigen  vortrefflichen  Zusätzen  zu  Hero- 
dotos.  auch  von  dem  berichte  über  die  einsetzung  und  benennung  der 
neuen  phylen  und  demen  läfst  sich  die  herleitung  aus  der  chronik 
feststellen.-")  damit  ist  der  anschlufs  an  das  grofse  stück,  die  jähre 
507 — 480,  erreicht,  das  mit  am  reinsten  den  stil  der  einfachen  chronik 
trägt,  lauter  kurze  sachliche  einzelangaben,  und  doch  eine  anekdote 
darunter,  die  flottengründung  des  Themistokles.    sie  steht  ziemlich  iden-      Das 

,,,.,,.  .      strategoin 

tisch,  doch  nur  nn  allgememen  auf  den  aeginetischen  krieg,  nicht  wie  tißs  Themi- 

stoklcs. 

hier  auf  einen  archon  datiert,  bei  Polyaen  (I  30,  6),  bei  dem  sich  also 
ein  nicht  verächtliches  quantum  von  geschichten  der  chronik  erkennen 
läfst.^^)  diese  anekdote  selbst  ist  nun  freiUch  sehr  ohne  grund  auf  treu 
und  glauben  als  wahr  angenommen  worden.  Themistokles  läfst  sich 
vom  Volke  ohne  seine  absieht  zu  verraten  100  talente  übergeben,  sollten 
die  Athener  den  bänden  des  Themistokles  wirklich  so  viel  vertraut  haben  ? 
er  gibt  dann  den  hundert  reichsten  bürgern  je  ein  talent  und  läfst  sie 
dafür  eine  triere  bauen ,  auf  das  risico  hin ,  sie  zu  behalten ,  wenn  der 
Staat  sie  ihnen  nicht  abnähme,  was  sollten  sie  in  dem  falle  mit  dem 
kriegsschiffe  anfangen?  piraten  wollten  sie  doch  nicht  werden,  von  den 
ausrüstungsgegenständen  und  der  bemannung  wird  klüglich  geschwiegen, 
man  braucht  die  geschichte  nur  in  die  realilät  umgesetzt  zu  denken, 
um  ihre  Unmöglichkeit  einzusehen;  aber  es  ist  eine  unerlaubte  be- 
handlung  einer  guten  geschichte,  wenn  man  sie  als  real  behandelt,  was 
sie  soll,  tut  sie  sehr  gut,  sie  illustrirt  die  überlegne  klugheit  des  The- 
mistokles.    und  sie  ist,  auch  wenn  man  sie  nicht  überschätzt,    keines- 


28)  Vgl.  s.  225  und  das  capitel  'Trittyen  und  demen'. 

29)  Natürlich  gibt  er  vieles,  was  trotz  starker  entstellung  auf  Herodotos  (I 
21,  1.  24.  26.  30,  1  —  4.  7)  und  Thukydides  (30,  5.  8)  zurückgeht,  sonst  hat  er 
aus  der  altattischen  geschichte  die  legende  des  attischen  Palladions  (I  5)  den  helden- 
tod  des  Kodros  (18),  die  list  des  Melanthos  (19),  die  Hellanikos  in  den  Atthis  schon 
erzählt  hatte,  Solons  gedieht  Salamis  und  seine  kriegslist,  die  die  insel  erwirbt  (20); 
dies  kann  auf  Plutarch  (Sol.  8)  zurückgehn,  auch  wol  die  erste  tyrannis  des  Pei- 
sistratos  (21,  3).  aber  es  ist  so  stark  verwandt  mit  den  berichten,  die  wir  eben 
behandelt  haben  (21,  2.  22.  30,  6),  dafs  es  geraten  ist,  alles  dies  altattische,  zu 
dem  noch  der  Zweikampf  Phrynons  mit  Pittakos  (25)  gerechnet  werden  darf,  auf 
eine  chronik  zurückzuführen,  natürlich  am  letzten  ende:  denn  der  geschmacklose 
rhetor  (dessen  rhetorische  reste  bei  Stobaeus  stehn  und  von  einem  herausgeber  wol 
hätten  gesammelt  und  beigegeben  werden  sollen;  entscheidend  ist,  dafs  der  Verfasser 
der  strategeme  sich  einen  Makedonen  nennt,  und  der  rhetor  die  provinz  Makedonien 
in  einer  Steuersache  vertritt)  schöpft  natürlich  aus  älteren  Sammlungen  von  strate- 
gemen,  sehr  viel  wertvoller  sind  die  singulären  stücke  allpeloponncsischer  geschichte 
(1  6—11.  15):  sie  sind  nach  analogie  der  attischen  zu  beurteilen. 

18* 


276  '•    8.  Die  Atthis. 

v,e"e»  wertlos,  dazu  braucht  man  nur  Herodots  bericht  hinzuzunehmen, 
den  er  in  einem  excurse  7,  144  gelegentHch  der  themistokleischen  orakel- 
deutung  von  480  nachträgt,  da  steht  freiHch  nichts  von  der  anekdote, 
sondern  Themistokles  bestimmt  das  volk,  die  Überschüsse  statt  zu  ver- 
teilen zum  Schiffsbau  zu  verwenden,  und  das  ist  dasselbe  richtige,  was 
sich  unter  der  anekdote  der  Atthis  verbirgt,  dafür  hefert  diese  die  ge- 
naue Zeitbestimmung  während  Herodot  nur  allgemein  an  den  aegi- 
netischen  krieg  anknüpft,  und  die  richtige  zahl  von  100  Irieren  statt  200 
bei  Herodot,  der  auf  die  übertriebene  zahl  durch  die  stärke  der  flotte 
von  480  gekommen  ist,  aus  der  nur  folgt,  ganz  ebenso  wie  aus  der 
gründung  des  kriegshafens,  dafs  Athen  die  flottengründung  viel  früher 
ins  äuge  gefafst  und  begonnen  hat  als  482,  wo  Themistokles,  den  Perser- 
krieg im  äuge,  die  Pachtgelder  für  eine  aufserordenthche  Vermehrung 
der  flotte  zu  verwenden  durchsetzte,  so  verliert  die  geschichte,  die 
Aristoteles  erzählt,  ihren  wert  für  uns  keinesweges,  wenn  wir  das  anek- 
dotenhafte gewand  ihr  abstreifen ;  es  ist  allerdings  zu  fürchten,  dafs  ihn 
gerade  dieses  gereizt  hat. 
Krpebnis.  Die  aualyse  ist  vollendet,  und  es  ist  ein  sehr  beträchthcher  teil  der 

aristotelischen  nachricbten  auf  die  Atthis  oder  die  chronik,  welches  wort 
mir  gerade  in  die  feder  kam,  zurückgeführt,  die  beweise  sind  nur  zum 
teil  durch  parallele  benannte  citate  geliefert,  von  denen  noch  dazu  einige 
aus  jüngeren  Chronisten,  Demon  und  Philochoros,  genommen  waren, 
zum  grüfseren  teile  dagegen  lediglich  durch  die  qualität  der  berichte,  es 
erhebt  sich  nun  die  frage,  was  waren  das  für  bücher  die  dem  Aristoteles 
vorlagen,  bücher  waren  es,  nicht  ein  buch:  das  ist  das  erste,  denn 
er  beruft  sich  auf  Ttleiovg  und  sviol  (3,  3.  7,  4)  oder  auf  evioi  (14,  4 
im  gegensatze  zu  Herodotos),  dr^/^ioTixot  und  evioi  (18,  5),  oi  (xiv-  ot 
de  (17,  4);  6,  2  drii.iorLy.oi  und  ßlaoqir^i^ielv  ßovXof.iEVOL,  wo  das  letzte 
die  oligarchische  tendenzschrift  meint;  auch  ein  (paolv  und  d'iovxul 
Tiv€g  (9)  geht  auf  diese  gruppen,  während  in  andern  fällen  ein  Isyetai 
oder  cpaai  nur  die  Verantwortung  des  Schriftstellers  selbst  für  eine  anek- 
dote ablehnt  (14,  1.  16,  6).  was  ein  solcher  ausdruck  bedeutet,  mufs 
in  jedem  einzelnen  falle  besonders  untersucht  werden,  ist  doch  selbst 
Thukydides  unter  einem  Xsyofievog  loyog  verborgen  (18,  4).  aus  allem 
dem  folgt  unweigerlich,  dafs  Aristoteles  das  was  wir  unter  dem  allge- 
meinen namen  der  Atthis  notgedrungen  zusammenfassen,  aus  einer  mehr- 
zahl  von  büchern  genommen  hat.  bei  dem  stände  unserer  kenntnis  ist 
es  vollkommen  aussichtslos  nach  namen  zu  suchen  oder  mit  den  uns 
bekannten   älteren   atthidograpben   zu   operiren.     unzweifelhaft  ist,   was 


Ergebnis,     urkundlichkeit  der  Althis.  277 

auch  ohne  beweis  angenommen  werden  müfste,  dafs  Aristoteles  die  jüngste 
und  stiUstisch  anspruchsvollste  Atlhis  des  Androtiou  benutzt  hat,  nicht 
ohne  eigne  schwere  irrtümer,  aber  auch  nicht  ohne  berechtigte  kritik. 
es  ist  verlockend  aber  gefiihrhch,  den  weiteren  anteil  Androtions  zu 
verfolgen,  dafs  die  Atthiden,  die  ja  alle  in  dem  demokratischen  Athen 
geschrieben  waren,  die  nationale,  also  demokratische  färbung  trugen, 
ist  natürlich,  daher  nennt  sie  Aristoteles 'die  demokraten',  hat  zu  ihrer 
ergänzung  parteischriflen  anderer  richtung  herangezogen  und  seiner 
pohtischen  Überzeugung  gemäfs  für  die  geschichte  nach  480  fast  aus- 
schhefshch  zu  gründe  gelegt. 

Die  differenzen,  die  Aristoteles  notirt,  gehn  immer  nur  nebendinge 
an;  in  den  hauptsachen  und  ganz  besonders  in  der  Chronologie,  die  in 
Chroniken  das  fundament  ist,  meint  er  auf  völhg  sicherem  boden  zu 
stehn,  wenigstens  von  Solon  an;  die  einzige  Schwankung  geht  die  königs- 
zeit  an  und  macht  nach  dem  eignen  geständnis  des  Aristoteles  wenig 
aus.  aber  auch  mit  Herodotos  hat  sich  diese  keinesweges  von  ihm  ab- 
hängige tradition  ganz  bequem  vereinigen  lassen,  ich  wüfste  mir  das 
schlechterdings  nicht  zu  erklären,  wenn  nicht  in  den  verschiedenen  be- 
arbeitungen  ein  gemeinsames,  eben  das  feste  chronologische  gerüst  vor- 
handen war.  und  deshalb  bedeutet  es  freihch  häufig  nur  die  jeweilen 
benutzte  bearbeitung,  häufig  jedoch  die  meiner  ansieht  nach  allen  zu 
gründe  liegende  Urschrift,  wenn  ich  den  uamen  Atthis  brauche,  es  ist 
die  frage  nach  der  existenz  solcher  Urschrift,  die  das  höchste  Interesse 
hat.  aber  stellen  wir  sie  zunächst  noch  einmal  bei  seile  und  sehen  wir 
uns  die  qualilät  der  geschichtlichen  nachrichten  an ,  die  wir  den  atlhi- 
dographen  verdanken,  deren  ältester,  der  ausländer  Hellanikos,  doch  erst 
nach  404  geschrieben  hat. 

Gewifs  befanden  sich  in  den  archiven  des  rates  und  der  beamten  so  rrkundiich- 
viele  Urkunden,  dafs  em  historiker  mit  rleifs  und  methode  daraus  unend-  Auhis. 
lieh  kostbares  entnehmen  konnte,  die  überheferung  über  die  dramati- 
schen spiele,  deren  reste  uns  vorliegen,  genügt  zu  dem  beweise,  man  mag 
geneigt  sein,  auf  diese  Urkunden  alles  zurückzuführen,  was  wir  für  die  zeit 
nach  480  den  atlhidographen  verdanken,  das  ist  nicht  wenig,  denn  dafs 
z.  b.  gerade  das  wertvollste,  was  Ephoros  über  Thukydides  hinaus  über 
diese  zeit,  selbst  den  archidamischen  krieg,  bietet,  auf  die  Alibis  zurück- 
geht, ist  wol  zugestanden  oder  mufs  doch  zugestanden  werden,  auch 
die  biographische  htteratur,  auf  die  uns  Plutarch  zurückweist,  hat  sehr 
stark  aus  dieser  quelle  geschöpft,  ich  gestehe  indessen,  dafs  ich  mir 
die  anschauliche  Schilderung  des  erdbebens  in  Sparta,  die  genauen  daten 


278  ^-    8.  Die  AUhis. 

l'ür  den  tod  des  Simonides  und  Aiscliylos,  den  fall  eines  meteorsteins 
am  Ziegenflusse  und  der  Sonnenfinsternis  von  463  ohne  eine  gleich- 
zeitige schriftliche  aufzeichnung  nicht  denken  kann,  der  ausweg  einer 
aufseraltischen  Überlieferung  ist  für  manches,  aber  durchaus  nicht  für 
alles  vorhanden,  eine  Ulteratur  aber  gab  es  damals  noch  nicht  in  Athen, 
nun  aber  die  ostrakismen  der  achtziger  jähre  und  die  angäbe,  dafs  ihnen 
kein  anderer  vorhergegangen  war,  während  das  gesetz  doch  älter  war: 
soll  die  jemand  aus  den  ratsprotokoUen  der  sämmtlichen  sechsten  pry- 
tanien  geholt  haben?  noch  viel  weniger  kann  die  genealogie  und  die 
Chronologie  des  Peisistratos ,  das  todesjahr  Solons,  die  tyrannis  des 
Damasias,  das  Schiedsgericht  der  fünf  Spartiaten  über  Salamis,  das  adels- 
gericht  der  300  und  der  ankläger  Myron  von  Phlya  in  den  acten  ge- 
standen haben,  wer  seine  äugen  nicht  selbst  zumacht,  kann  hier  die 
gleichzeitigen  aufzeichnungen  nicht  verkennen,  für  den  geschichtlichen 
wert  macht  es  wenig  aus,  ob  man  nun  eine  mehrheit  solcher  aufzeich- 
nungen annimmt  oder  den  grundstock  einer  chronik:  und  über  den 
wert  entscheidet  die  Chronologie,  die  namenliste  in  ihrer  einheitlichkeit 
und  Zuverlässigkeit,  dafs  es  nur  misverständnisse  und  die  trägheit  des 
Vorurteils  sind,  die  an  dieser  rütteln,  hat  sich  bisher  schon  jedesmal 
gezeigt,  und  die  beilage  über  die  Chronologie  der  pentekontaetie  wird 
weitere  belege  bieten,  und  keinesvveges  blols  die  beamten,  die  dem 
jähre  den  namen  gaben,  waren  bekannt,  die  strategenhste  von  441/0 
gibt  uns  Androtion  noch.  Plutarchs  gewährsmann  konnte  angeben,  dafs 
I'erikles  nie  ein  archou  gewesen  ist,  vmd  Kleidemos  bezeichnet  den 
tyrannenfreund  Charmos  als  6  Ttolef-iaQXTqoag  (Athen.  XIII  609).^°)  wie 
denkt  man  sich  das  eigentlich,  dafs  eine  solche  beamtenliste  existirt  und 
ihr  keine  geschichthchen  angaben  beigefügt  sein  sollen?  wenn  sie  es 
waren,  auch  nur  in  der  ausdehnung,  wie  wir  es  bei  Aristoteles  für  die 
jähre  590 — SO  lesen,  was  ist  das  anders  als  eine  chronik  von  Athen? 
Es  kommen  nun  iudicien  hinzu,  die  eine  gewisse  schriftstellerische 
haltung  erkennen  lassen,  erst  unter  Solon  fand  Aristoteles  eine  Schil- 
derung der  Verfassung,  zum  teil  auf  rückschlüsse  aufgebaut,  und  sie 
ignorirte  die  Verfassung  Drakons,  Solon  aber  war  der  grofse  volksmann. 
das  hat  seine  bedeutung,  einmal  negativ:  die  zeitgenössische  chronik 
gab  für  ihn  noch  bitter  wenig,   was  wir  wol  beherzigen  müssen;    zum 


30)  Der  polemarch  Epilykos,  der  das  haus  dieses  beamten  vor  Solon  neu  baute, 
mag  seinen  namen  und  sein  amt  angeschrieben  haben;  deshalb  nenne  ich  ihn  nicht 
mit  als  beleg  für  eine  beamtenliste  des  siebenten  Jahrhunderts. 


Urkundlichkeit  der  Atlhis.  279 

andern  positiv:  die  Atthis  steht  auf  dem  demokratischen  Standpunkt  der 
zeit,  in  der  ihre  litterarischen  verarbeiter  leben,  was  freilich  so  wenig 
befremden  sollte,  als  dafs  die  römische  chronik,  die  es  doch  im  anschlufs 
an  priesterliche  zusätze  zur  beamtenliste  gegeben  hat,  den  politischen 
Standpunkt  der  scipionischeu  und  dann  der  suUanischen  zeit,  je  nach 
den  bearbeilern,  trägt.  Solon  und  Kleisthenes,  das  sind  die  grofsen 
namen  der  Atthis,  und  in  der  vorzeit  der  demokratenkönig  Theseus. 
sonst  ist  sie  dem  königtum  entschieden  feindselig,  die  legenden  von 
Melanthos  und  Rodros,  die  der  Institution  und  dem  geschlechte  der 
köuige  ungünstig  sind,  werden  bevorzugt,  aber  auch  adelsfeindlich  ist 
die  Atlhis.  sie  gibt  zwar  die  Stammbäume  einzelner  schon  in  Solons 
zeit  bedeutender  häuser  wie  der  Philaiden  und  des  hauses,  aus  dem 
Andokides  stammte,  aber  die  personen  und  die  familien  des  adels  und, 
was  mehr  ist,  die  ganze  Organisation  des  geschlechterstaates  sind  in  ganz 
auffälliger  weise  in  den  hintergrund  gedrängt,  alle  hundert  namen 
waren  verzeichnet,  aus  denen  der  gott  507  die  10  phylenheroen  wählte, 
aber,  das  können  wir  dem  schweigen  der  grammatiker  mit  bestimmtheit 
entnehmen,  keine  einzige  phratrie:  die  hätten  die  atthidographen,  zwar 
kaum  noch  im  dritten,  aber  sicher  am  anfang  des  vierten  Jahrhunderts 
aus  dem  lebendigen  gebrauche  nehmen  können,  auch  die  doch  noch 
über  Kleisthenes  hinaus  geltenden  naukrarieu^')  und  selbst  die  verkümmert 
fortlebenden  trittyen  scheinen  nicht  aufgezeichnet  worden  zu  sein,  und 
noch  eins  ist  greifbar:  die  chronik  ist  städtisch,  nur  die  königsnamen 
der  Stadt  sind  in  ihre  liste  gekommen,  und  man  hat  heber  nach  fictionen 
gegriffen,  als  die  zahlreichen  traditionen  der  andern  orte  zu  verwerten, 
namen  wie  Kolainos  Porphyrion  Munichos  verdanken  wir  ihr  oder  ein- 
zelnen ihrer  bearbeiter  freilich,  aber  was  will  das  besagen  gegenüber 
der  fülle  von  lebendiger  Überlieferung,  die  z.  b.  in  Marathon  vorhanden 
gewesen  sein  mufs.  und  ganz  besonders  fällt  ins  äuge,  dafs  zwar  der 
krieg  wider  Eleusis  geschichtlich  nicht  mehr  vorkommt,  aber  der  eleu- 
siuische  cult  und  adel  geflissentlich  vernachlässigt  ist:  die  Eumolpiden 
und  Kerykes  hätten  wahrlich  etwas  zu  berichten  gehabt,  das  ist  um  so 
auffäUiger,  als  die  chronik  sich  ganz  besonders  angelegen  sein  liefs,  die 
altertümer  des  städtischen  cultes  im  weitesten  sinne  zu  fixiren  und, 
meist  durch  aetiologische  sagen,  zu  erläutern,  weitaus  das  meiste  was 
wir  von  ihr  besitzen  gehört  ja  dieser  kategorie  an.    wer  sich  dies  alles 


31)  Ich  kenne  nur  eine  naukrarie  Kcohds  aus  Bekk.  An.  274.    über  die  trittyen 
vgl,  das  capitel  des  namens. 


280  I-    8.  Die  Atthis. 

üherlogt,  mag  noch  so  viel  auf  die  litteraturgaUiing  schieben,  mag  auch 
die  allerdings  bemerkbare  differenz  der  einzelnen  Schriftsteller  noch  so 
hoch  veranschlagen:  wodurch  hat  sich  denn  der  bestimmte  Charakter 
dieser  litteraturgattung  anders  gebildet,  als  indem  einer  ein  schema  fiir 
sie  schuf?  von  den  bekannten  atthidographen  hat  keiner  dazu  das  zeug 
gehabt:  wo  steckt  er  also? 
Der  exeget.  Gerade   diese   ganz   eben    so  sehr  die  erläuterung  der  TtdtQia  wie 

die  heimische  geschichte  verfolgende  tendenz  der  chronik  weist  uns, 
wie  ich  meine,  dahin,  wo  wir  ihre  entstehung  zu  suchen  haben,  dafs 
sie  officiell  war,  in  dem  sinne,  dafs  ein  beamter  den  auftrag  hatte,  sie 
zu  führen,  ist  undenkbar:  daran  wäre  das  gedächtnis  nicht  verloren, 
unwillkürlich  richtet  man  seinen  blick  nach  den  heiligtümern ,  da  doch 
der  Zeus  von  Olympia,  die  Hera  von  Argos,  der  Apollon  Karneios  von 
Sikyon  und  Sparta  die  Chronisten  des  Peloponneses  sind,  aber  in  Athen 
wohnt  kein  solcher  gott.  die  göttin  ist  zwar  mit  dem  Staate  identisch, 
aber  ihr  heiligtiim  ist  eben  deshalb  in  den  bänden  staatlicher  beamten. 
die  güttermutter  hat  später  das  archiv  erhaben,  aber  sie  hat  überhaupt 
keinen  einflufs.  wer  wacht  in  Athen  über  den  jtätQia,  wo  stecken 
die  'pontifices  Athens?  das  sind  die  exegeten,  insbesondere  die  e^rjyrjTal 
6^  EvTtaTQidcöv,  denn  die  eumolpidischen  fallen  hier  sicher  fort,  die 
pythischen  haben,  seit  der  directe  verkehr  mit  dem  gotte  regel  war, 
wenig  bedeutet,  ich  weifs  nicht,  ob  ich  U.  Köhler  unrecht  tue,  wenn 
\  ich  auch  bei  ihm  (Herm.  26,  45)  den  gedanken  voraussetze,  dafs  die 
iBrjyrjOig  ziov  TtaTQitov  zu  der  aufzeichnung  und  erläuterung  der  /targia 
geführt  hat  und  so  zu  zu  der  Atthis,  aber  ich  wünschte  sehr,  dafs  meine 
freude  mich  nicht  getäuscht  hätte,  und  ich  auf  einige  Übereinstimmung  mit 
meiner  ansieht  daraus  schliefsen  dürfte,  dafs  er  die  tatsache  betont,  dafs 
die  Chronisten  Kleidemos  Antikleides  Philochoros  exegeten  gewesen  sind, 
ich  füge  hinzu,  dafs  es  sogar  auch  Androtion  vielleicht  gewesen  ist^-), 
dafs  Demon  über  opfer  geschrieben  hat,  Melanthios  über  mysterien.  der 
exeget,  Lampon  der  genösse  des  Perikles,  um  einen  bekannten  namen 
zu  nennen ,  hat  zunächst  die  fragen  zu  beantworten ,  die  ihm  die  ge- 
wissensangst  des  einzelnen  oder  des  volkes  stellt,   also  z.  b.  über  pro- 


32)  Schol.  Hesiod.  Erg.  888  (aus  Plutarcli)  tJs  fPdöxogos  keyei  xal  lävS^oiiiov 
(so  Enlhoven,  de  lone  Eur.  these,  ufifOTSQos  codd.),  e^7]y7jTai  zeöv  naxQicov  avS^se. 
die  conjectur  ist  palaeograpliisch  ansprechend,  und  Plutaich  wenigstens  möchte  ich 
eine  misbräuciiliche  anwendung  des  für  Philochoros  notorisch  im  eigenliichen  sinne 
zulreflenden  Wortes  nicht  zutraun,  die  ich  für  Aristides  ;;ro  If^  vir.  276  zugeben 
niufs.     aber  freilich,  sicherheil  gewährt  dieses  Zeugnis  nicht. 


Der  exeget.  281 

digien.  er  pflegt  in  seinem  bescheide  opfer  an  die  grollenden  gölter 
oder  daemonen  vorzuschreiben;  aber  es  kommen  auch  wirkliche  ge- 
wissensfragen  vor,  wie  die  von  Piaton  im  Euthyphron  vom  Standpunkte 
einer  überlegenen  Sittlichkeit  beleuchtete,  so  weist  ihn  sein  geschäft  an 
die  götter  und  lieben  vorfahren,  und  dafs  einige  kenntnis  der  vater- 
ländischen geschichte  erfordert  war,  leuchtet  ein.  von  da  bis  zu  der 
führung  einer  chronik,  zunächst  zum  gebrauche  für  sich  und  die  nach- 
folger  im  amte,  ist  noch  ein  weiter  weg.  aber  dafs  es  die  sorge  für 
das  heilige  recht  gewesen  ist,  die  aucli  in  Athen  zur  annalistik  geführt 
hat,  darauf  scheint  mir  sowol  die  lebensstellung  der  späteren  atthido- 
graphen  wie  die  qualität  ihrer  bücher  zu  deuten. 

Ich  habe  wenigen,  aber  wertvollen  beifall  und  vielen  Widerspruch 
und  spott,  nicht  blofs  von  leuten,  wo  er  mir  lieber  als  beifall  ist,  ge- 
erntet, als  ich  vor  jähren  die  attische  chronik  als  eine  und  zwar  die 
beste  quelle  der  athenischen  geschichte  hinstellte,  damals  stand  sie  noch 
völlig  im  schatten  der  grofsen  Schriftsteller  so  ganz  anderer  art,  des 
Herodotos  und  Thukydides.  nun  hat  sich  das  geändert,  denn  Aristoteles 
bringt  sie  uns  ganz  anders  nahe,  und  es  wird  nicht  mehr  lange  dauern, 
bis  sie  zu  den  trivialsten  tatsachen  der  'quellenkunde'  gehören  wird, 
es  gibt  freilich  unter  den  historikern  eine  richtung,  der  alle  und  jede 
griechische  annahstische  Überlieferung  ein  greuel  ist,  und  mit  dieser 
mufs  ich  leider  auf  eine  verständignng  verzichten,  denn  ich  sehe,-  wie 
überaus  bequem  es  sich  ihr  consequenlester  und  scharfsinnigster  Ver- 
treter macht,  das  unbequeme  buch  des  Aristoteles  zu  beseitigen,  damit 
der  noch  viel  bequemere  glaube  bestehen  bleibe,  dafs  am  anfange  Homer 
steht,  an  den  sich  Herodotos  und  Thukydides  schliefsen,  neben  denen 
das  übrige  so  ziemlich  Schwindel  ist.  Niese  hat  die  beiden  wichtigsten 
Chroniken  des  Hellanikos,  die  von  Argos  und  Athen,  einer  besprechung 
unterzogen,  die,  wenn  ich  ihn  richtig  verstehe,  zeigen  soll,  dafs  das  er- 
zeugnisse  ihres  Verfassers  waren,  nicht  anders  als  das  buch  des  Herodot 
diesem  gehört,  und  in  ihnen  die  s.  g.  mythische  zeit  sehr  ausführlich 
auf  grund  der  poeten  behandelt  war.  das  sind  für  IXiese  wertlose 
nkäoi.ia%a  tcjv  TtqoTSQtov,  die  jüngste  Vergangenheit  auf  grund  münd- 
licher erkundigung  des  Verfassers,  etwa  wie  Herodot,  zum  teil  nach 
Herodot,  alles  in  eine  annalistische  form  gebracht,  auf  die  Niese  nicht 
viel  zu  geben  scheint. ^^)     in  der  tat  ist   was  wir  von  Hellanikos  haben 


33)  Für  Niese  ist  überaus  wichtig,  dafs  die  chronik  A"on  Argos  bei  Hellanikos 
speeifisch  attische  dinge  berichtet  hätte,  natürlich   weil  sonst  nichts  zu   berichten 


28^ 


I.    S.  Die  Atthis. 


so  wenig  und  so  zertrümmert,  dafs  es  keine  grofse  mühe  ist,  es  völlig 
zu  zerkrümeln,  mit  den  resten  von  Melanlhios,  Kleidemos  u.  s.  w.  ge- 
traue ich  mich  es  auf  verlangen  ebenso  zu  machen,  aber  ich  habe  es 
nicht  so  o-emacht  und  halte  die  ganze  methode  für  falsch,  was  mich 
zur  annähme  einer  wirklichen  altischen  annalistik,  einer  urkundlichen 
Überlieferung  bis  in  sehr  hohe  zeit  hinauf  veranlafst,  steht  teils  hier, 
teils  durch  die  meisten  capitel  dieses  buches  zerstreut,  was  mir  aber 
noch  wichtiger  ist,  die  ansieht,  die  ich  mir  über  die  ganze  Überlieferung 
und  das  ganze  litteraturleben  der  Hellenen  bis  Aristoteles  und  über  ihn 
hinaus  gebildet  habe,  weil  ich  das  ganze  vor  dem  einzelnen  zu  verstehn 
trachte,  ist  in  dem  eingangscapitel  des  nächsten  buches  dargelegt,  hier 
nur  noch  die  wenigen  worte,  die  ich  angesichts  unserer  traurigen  Über- 
lieferung von  den  einzelnen  Atthiden  zu  sagen  wage, 
oiß  So  lange  die  Athener  geschichte  machten,  hatten  ihre  politiker  keine 

*]„"j',"o."  zeit,  sie  zu  schreiben,  und  ihre  schriftstellerischen  talente  hatten  keine 
graphen.  ^^^^  dazu ,  SO  lange  die  tragoedie  lebte,  so  ist  es  gekommen,  dafs  der 
fremde  litlerat  Hellanikos  die  erste  attische  chronik  geschrieben  hat.  da 
er  mehrere  andere  chroniken,  namentlich  die  von  Argos,  vorher  schon 
behandelt  hatte,  war  er  auf  Synchronismen  aus,  und  es  kann  sein,  dafs 
er  die  entscheidenden  punkte,  den  fall  von  IHos  und  die  erste  Olympiade 


gewesen  wäre,  er  will  das  beweisen  mit  einem  verwirrten  arlikel  des  Stephanus 
Byz.  XaiQUJVEia,  wo  auf  das  cilat '.EAAawxos  iv  ß'  'le^eicöv  "Hoas  worte  folgen, 
die  offenbar  den  attischen  feldzug  des  Tolmides  von  447  angehn.  es  ist  nur  nicht 
abzusehn  ,  weshalb  man  genötigt  wäre  die  worte  so  zu  verbinden,  wie  0.  Müller 
und  Meineke  wollen:  XaiQwveia  nöhs  iv  rol?  uoois  <Peo>{i§os,  cilat  dafür  aus 
Hekataios;  xixkTjrat  anb  Xaigcovos,  citat  aus  dem  Boeoter  Aristophanes,  rovrov  Se 
fivd'oXoyovaiv  l^nölXwvos  xal  OrjQovs,  cus  'Eklävi-MS.  was  dann  fehlt,  ist  deutlich 
zu  sehen  (iiv  Ss  'OQxof-iEvicov  cvs  6  Selvay,  und  das  citat,  in  dem  der  ausdruck 
Tiöhe  'OQ/ofievicov  vorkommt,  dann  der  alte  name  Arne,  und  Homercitat.  also 
für  eine  mythische  genealogie  ist  Hellanikos  zeuge,  und  dafs  er  den  Chairon  in  der 
chronik  von  Argos  erwähnen  konnte,  ist  nicht  wunderbar:  galt  doch  der  haupt- 
cult  Chaironeias  dem  scepter  Agamemnons.  Niese  schliefst  dann  gar  aus  den 
Worten  "yi/uTTQnyiäJTat  y.ai  oi  fiex'  aviötv  Xäovsi  xal  ^Hnsigwxai  (Steph.  Xaovia) 
auf  eine  erzähJung  des  amphilochischen  krieges:  das  würde  ich  mich  nicht  getrauen, 
aber  dafs  die  geschicke  des  amphilochischen  Argos  in  einer  chronik  der  inachischen 
mutterstadt  vorkamen,  ist  schliefslich  nicht  schlimmer,  als  dafs  die  gründung  der 
asiatischen  pflanzstädte  in  der  Atthis  vorkam  (Harpokr.  'Eovd'QaToi).  die  urteile  auf 
dem  Areopag  hat  Hellanikos  allerdings  gelegentlich  des  letzten  über  Orestes  in 
einem  excurse  eingefügt,  eben  aus  chronologischen  rücksichten,  weil  es  noch  keine 
Alibis  gab.  vgl.  über  dies  wichtigste  bruchstück  (schol.  Eur.  Or.  1644),  was  ich 
Cumm.  fi7-amm.  IV  11  gegen  NMese,  nur  nicht  scharf  genug  ablehnend,  gesagt  habe. 


Die  einzelnen  Atthidographen.  283 

bereits  in  der  attischen  namenreihe  fixirt  liat,  letzteres  natürhch  nur  in 
(lern  falle,  dafs  Hippias  die  olympischen  listen  vorher  edirt  halte,  jedenfalls 
ist  nachher  gar  kein  attisches  Jahrbuch  denkbar,  das  nicht  diese  feste 
Verbindung  zu  der  allgemeinen  Chronologie  geschlagen  hätte;  sie  mufs 
einmal  durch  rechnung  gefunden  sein,  und  zwar  sehr  früh,  da  es 
nennenswerte  Schwankungen  nicht  gibt,  das  reich  der  chronologischen 
Spielerei  der  einzelnen  beginnt  erst,  wenn  es  gilt  die  epochenjahre, 
Ilios  fall  unter  könig  Demophon,  ionische  Wanderung  unter  Neleus,  zu 
einander  und  zu  dem  festen  unteren  datum,  erste  Olympiade  im  zweiten 
jähre  des  konigs  Aischylos,  in  Verbindung  zu  setzen,  denn  da  mufs  die 
attische  rechnung  der  allgemeinen  Chronologie  folgen,  und  selbstverständ- 
lich ist  in  der  periode  von  erschaffung  der  weit  bis  auf  lUos  fall  alles 
dem  belieben  jedes  einzelnen  Schriftstellers  freigegegen.  da  die  Hellenen 
an  hohen  Ziffern,  Zahlenschematismus  und  leeren  namen  nur  eine 
mäfsige  freude  empfunden  haben,  so  hatten  Juden  und  andere  Orientalen 
hier  das  hochgefühl,  ihren  herren  weit  über  zu  sein,  es  bildet  das  ein 
stehendes  capitel  bei  den  christhchen  apologeten,  das  sie  den  Juden 
danken,  und  so  finden  wir  es  denn  am  gelehrtesten  ausgeführt  bei  Jo- 
sephus  (c.  Apion.  I  6 — 23),  der  mit  voller  berechtigung  der  starren  con- 
sequenz  seiner  nationalen  Schwindelchronologie  die  Widersprüche  der 
attischen  und  argolischen  listen  gegenüber  stellt:  natürlich  gilt  das  der 
zeit  von  Ogygos  und  Phoroneus  bis  auf  Troias  fall  oder  allenfalls  bis 
auf  die  erste  Olympiade,  einer  periode,  für  die  wir  so  wenig  nach  zahlen 
verlangen  wie  für  die  zeit  vor  David  bei  den  Hebräern;  mag  auch  der 
Jude  den  mund  sehr  voll  nehmen  und  in  demselben  atem  die  kritische 
polemik  des  Ephoros  und  Timaios  nennen,  d.  h.  die  hellenische  Wissen- 
schaft gegenüber  der  barbarischen  dumpfheit  herabsetzen.^*) 

Hellanikos  hat  seine  erkundigungen  natürhch  in  Athen  eingezogen, 
hat  die  Stammbäume  der  Eumolpiden  (Harp.  i€QOCfavTt;g)  und  Andokiden 


34)  Wenn  er  dann  den  Hellenen  entgegenhält,  wie  jung  die  schrift  bei  ihnen 
wäre  und  wie  spät  die  officiellen  aufzeichnungen  begonnen  hätten,  so  möchten  wir 
weiden  einsichtigen  Griechen  kennen,  den  er  abschreibt;  dafs  in  Athen  die  drakon- 
tischen  gesetze  das  älteste  erhaltene  document  waren,  wissen  wir  eben  so  gut, 
aber  wir  wissen  auch,  dafs  selbst  im  staatsieben  die  schrift  lange  vorher  in  gebrauch 
war,  und  der  Jude  hat  mit  geschickler  Unredlichkeit  den  Drakon  "einen  menschen, 
der  kurz  vor  Peisistratos  lebte"  genannt;  die  erwähnung  der  Olympionikenliste 
würde  ihm  die  kreise  unerfreulich  gestört  haben.  —  auf  die  recensio  und  emcndatio 
des  traurig  entstellten  texles,  die  noch  recht  viel  arbek  fordert,  will  ich  hier  nicht 
eingehn. 


284  '•    8-  1^'e  AUhis. 

(wenn  ich  mir  den  namen  erlauben  darf,  Plut.  Alk.  25)  aufgezeichnet, 
lial  die  legende  vom  konig  Munichos  vielleicht  um  des  ersten  attischen 
Olympioniken  Pantakles  willen  gegeben  (Munichos  war  söhn  eines  Pan- 
lakles,  Harp.  3Iovvvxlce)-  das  ist  eine  forschung  mit  anderer  tendenz 
als  die  des  Herodotos,  aber  sie  ist  ihr  analog,  ebenso  mag  man  über 
die  notwendigerweise  auf  directer  erkundung  beruhende  darstellung 
der  jüngsten  Vergangenheit  urteilen,  von  welcher  wir  kaum  ein  par 
Splitter  haben,  nur  die  annalistische  form  macht  einen  charakteristischen 
unterschied,  und  sie,  sollte  man  meinen,  konnte  er  ohne  die  benutzung 
der  archontenliste,  weiter  hinauf  der  königshsle,  nicht  herstellen,  aber 
da  liegt  ja  die  bittere  kritik  des  Thukydides  vor,  der  seine  Zeitrechnung 
gerade  in  der  jüngsten  Vergangenheit  ungenau  fand,  da  uns  gerade 
für  die  entscheidenden  zeiten,  vom  archon  Kreon  etwa  bis  zum  archon 
Konon,  daten  des  Hellanikos  fehlen,  ist  es  müfsig,  in  dieser  richtung 
etwas  sagen  zu  wollen,  ob  er  also  bereits  Zugang  zu  dem  exegeten  und 
seinen  aufzeichnungen  hatte,  mufs  um  so  mehr  dahinstehn,  als  eine  er- 
läuterung  alter  attischer  Institutionen,  religiöser  sowol  wie  politischer, 
so  gut  wie  ganz  fehlt,  die  gründungssage  des  Areopages  und  die  ge- 
riclite  über  Kephalos,  Orestes  u.  s.  w.  auf  demselben  konnte  er  wol 
ziemHch  von  jedei'mann  in  Athen  erfahren,  auf  keinen  fall  ist  Hella- 
nikos derjenige  gewesen,  der  an  Solons  geselzgebung  eine  darstellung 
der  TiäxQLog  noXwEia  knüpfte. 

Erst  ein  Athener,  und  zwar  ein  Athener  der  restaurirten  demo- 
kratie  hat  das  tun  können,  und  diesen  nehme  ich  für  den  herausgeber 
der  exegetenchronik  in  anspruch.  das  ist  schon  etwas  grofses,  aber  ich 
will  ihn  deshalb  keinesweges  für  ihren  Verfasser  ausgeben,  schon  die 
sprachlichen  indicien,  wie  nöXic,  und  'AaTacpaTi^co  noch  bei  Aristoteles, 
scheinen  mir  höher  hinauf  zu  weisen,  und  ich  bin  geneigt,  mir  in  seiner 
vorläge,  den  v7io(.ivrii.iara  des  exegeten,  schon  sehr  viel  mehr  auch  von 
ausgeführten,  zum  teil  ganz  novellistischen  erzählungen  zu  denken,  dafs 
das  nicht  als  etwas  ungeheuerhches  erscheine,  erinnere  ich  an  eine 
hauptquelle  des  Herodotos.  wer  ihn  kennt,  dem  müssen  die  vTto/nvi]- 
uara  des  delphischen  orakels  eine  bekannte  gröfse  sein,  eine  Sammlung 
von  Sprüchen  des  gottes  mit  den  zugehörigen  erzählungen,  die  sowol 
die  veranlassung  wie  die  erfüllung  der  einzelnen  orakel  enthielt,  ein 
wunderbarer  schätz  geschichtlicher  und  religiöser  belehrung,  über  die 
ganze  hellenische  weit  und  noch  darüber  hinaus  sich  erstreckend,  ge- 
mäfs  der  macht  des  gottes,  die  gewaltigsten  katastrophen  der  Welt- 
geschichte, wie  den  stürz  des  Kroisos,  und  die  geschicke  merkwürdiger 


Die  einzelnen  Atthidographen.  285 

menschen,  wie  des  Spartialen  Glaukos,  der  seinen  gastfreund  betrog, 
umfassend,  das  ist  das  Surrogat  für  eine  delphische  chronik.  Ilerodotos 
hat  aus  dieser  quelle  das  herrlichste  geschöpft,  aber  auch  Ephoros,  oder 
wer  zuerst  die  orakel  über  die  westhellenischen  gründungen,  über  Sparta, 
ja  schon  über  die  dorische  Wanderung  in  die  litteratur  eingeführt  hat, 
ist  im  Stande  gewesen ,  sehr  viel  von  dort  zu  nehmen :  ein  grofser  teil 
unserer  vulgären  tradition  trägt  dieses  delphische  gepräge.  es  ist  freilich 
eine  melhodelosigkeit  sonder  gleichen ,  wenn  man  den  priestern  sich 
darin  unterwirft,  dafs  man  den  delphischen  golt  zum  herren  oder  besser 
zum  pabst  von  Hellas  macht;  um  sie  zu  verwerten  mufs  man  diesen 
geschichten  ihre  apprctur  in  maiorem  dei  gJoriam  auswaschen:  aber  eine 
exegetenüberlieferung ,  der  Atthis  analog,  ein  buch  von  unschätzbarem 
geschichtlichem  und  poetischem  werte,  und  doch  kein  edirtes  buch,  ist 
hier  vollkommen  kenntlich.^^)  der  attische  exeget  hatte  nicht  so  weit 
über  die  weit  zu  blicken  und  konnte  nicht  viel  für  die  religiöse  er- 
bauung  tun.  um  so  mehr  lieferte  er  für  die  vaterländische  geschichte. 
hinter  Apollon  steht  eine  priesterschaft,  hinter  Athena  ein  Staat. 

So  erschien  denn  also  in  den  tagen  des  Piaton  und  des  Isokrates, 
die  beide  schon  in  sich  zu  fertig  waren,  um  stark  mit  ihr  zu  rechnen, 
die  erste  wirklich  attische  chronik  und  erschlofs  dem  publicum  eine 
reiche  fülle  ächter  Überlieferung  und  anmutiger  erzählung  und  gelehrter 
construction :  alles  ist  darin,  nur  mufs  man  die  gelehrsamkeit  und  die 
conslruction  billig  nach  dem  wollen  und  können  der  zeit  abschätzen, 
eine  solche  forschung,  wie  ich  sie  oben  allzuhberal  den  feinden  der 
echten  alten  chronik  zugestand,  die  aus  den  archiven  die  beamtenlisten 


35)  Auch  der  einzelne  seber  hatte  seine  spiüche,  und  die  erklärende  beigäbe, 
analog  der  delphischen,  hat  nicht  gefehlt,  die  Spruchsammlungen  von  Bakis  oder 
Musaios  mögen  blofs  als  verse  in  den  bänden  der  menschen  gewesen  sein,  bestimmt 
oder  doch  dazu  verwandt,  je  nach  bedarf  sich  immer  von  neuem  zu  erfüllen  wie 
die  apokalypsen  der  Juden  und  Christen,  aber  die  seher  hüteten  ihre  schätze,  von 
denen  sie  lebten,  erzählten  dagegen  gern  von  ihren  kunststücken  und  heldentaten. 
wie  viel  Herodotos  dem  lamiden  Teisamenos  verdankt,  habe  ich  bei  anderer  ge- 
legenheit  gezeigt,  hier  sei  noch  eine  stelle  angeführt.  5,  72  erzählt  er,  dafs  die 
Athener,  als  sie  Kleomenes  von  der  bürg  vertrieben,  unter  andern  auch  einen 
delphischen  seber  Timasitheos  griffen  und  töteten,  "von  dem  ich  die  gewaltigsten 
leistungen  tatkräftigen  mutes  erzählen  könnte".  auch  in  der  schlackt  von 
Pallene  (I,  62)  spielt  ein  seher  mit  seinem  Spruche  eine  rolle,  die  seber,  ihre 
Schicksale  und  sprüche,  sind,  wie  die  dichter  und  die  Olympioniken,  träger  der 
wertvollsten,  sowol  geschichtlichen  wie  novellistischen  Überlieferung,  schon  für 
den  vater  der  geschichte  und  so  für  uns. 


286  ^-    S.  Die  Atthis. 

zusanimenslellt,  tue  antragsteiler  und  die  gesetze  aufstöbert  und  Stamm- 
bäume aulbaut,  ist  um  380  wahrlich  nicht  zu  erwarten,  gerade  darum 
mufs  jener  erste  atthidograph  über  ein  älteres  material  verfügt  haben, 
wir  dürfen  uns  wol  zutrauen,  dafs  wir  über  Solons  Verfassung  etwas 
zuverlässigeres  aus  den  ratsacten  und  den  a^oveg  und  den  Inschriften 
der  künigshalle,  des  Areopages  und  anderer  orte  hätten  zusammenstellen 
können,  als  wir  jetzt  bei  Aristoteles  lesen,  die  erste  Alibis  blieb  deshalb 
auch  nur  kurze  zeit  die  einzige,  und  ich  zweifle  durchaus  nicht,  dafs 
es  viel  mehr  bearbeilungen  gegeben  hat,  als  uns  zufällig  namen  bekannt 
sind,  aber  der  grundslock  isl  derselbe  geblieben:  das  ist  die  weise  des 
hellenischen  handwerkes;  und  wenn  wir  vielleicht  am  hebsten  das  älteste 
buch  lesen  möchten ,  so  isl  dabei  immer  zu  beherzigen ,  dafs  die  neu- 
bearbeitungen  alle  keineswegs  blofs  eine  stilistische  Umformung  in  livia- 
uischer  weise  oder  gar  eine  durchgreifende  lendenzfälschung,  wie  die 
herren  Antias  und  Macer,  vorgenommen  haben,  obwol  auch  stücke  der  art 
eingang  finden  mochten,  zumal  anekdolen ,  sondern  neues  urkundliches 
material  erschlossen ,  an  dem  in  den  tempeln  aller  orten  kein  mangel 
war.  so  hat  denn  auch  dies  werk,  wie  es  die  bedeutenden  zu  tun 
pflegen ,  seinen  meister  in  den  schatten  gestellt,  ich  kenne  ihn  nicht. 
Pausanias  bezeichnet  allerdings  den  Kleidemos,  oder  vi'ie  er  schreibt 
Kleitodemos,  als  den  ältesten  atlhidographen ,  aber  wir  wissen  nicht, 
welche  gewähr  das  hat,  können  auch  seine  zeit  nicht  genauer  bestim- 
men :  aber  dem  volke  hat  er  allerdings  zu  danke  geschrieben,  denn  sie 
haben  ihm,  wie  ehedem  dem  Herodotos,  ein  ehrengeschenk  verliehen.^®) 
neben  ihm,  dem  exegeten,  der  auch  über  seine  kunsl  eine  an- 
weisung  schrieb,  ist  noch  Melanlhios  in  die  erste  hälfte  des  vierten 
Jahrhunderts   zu   setzen,   der  von    den   modernen  vergessen  zu  werden 


36)  Pausan.  X  15.  das  ehrengeschenk,  das  ihm  den  tod  vor  fieude  bereitet 
haben  soll,  berichtet  Soran  bei  Tertullian  de  anima  52  (hervorgezogen  von  Rohde 
Rh.  M.  37,  467).  mit  einem  physiker  Kleidemos,  den  Aristoteles  und  Theophrastos 
öfter  citiren,  kann  man  den  atlhidographen  nicht  wol  gleichsetzen,  seine  Atthis 
wird  auch  unter  dem  namen  it^coxoyovia  oder  voarot  angeführt;  die  buchziffern 
sind  verwirrt,  denn  im  dritten  der  Idz&is  soll  Kleisthenes  vorkommen  (Phot. 
vavy.QaQia) ,  im  achten  der  Nöaroi  die  faroilie  des  Hippias.  gelesen  ist  das  buch 
später  wenig,  doch  stehn  glossen  aus  ihm  bei  Hesych  (Kydathen  173).  für  seine 
zeit  hat  man  nur  den  anhält,  dafs  er  symmorien  erwähnte,  nur  weifs  man  nicht, 
wann  es  deren  100  gab,  wie  er  zählt,  Böckh  Seeurk.  182.  ich  möchte  am  ehesten 
an  die  zeit  der  ersten  versuche  einer  neubildung  der  flotte,  394—80  denken,  auf 
seine  Zugehörigkeit  zur  Aiantis  deutet  die  bevorzugiing  dieses  regimentes  in  seinen 
berichten  über  die  Perserkriege. 


Die  einzelnen  Atthidographen.  287 

pflegt ^^);   vielleicht  auch  Phanodemos.-'*)     einen   sehr  bedeutenden  fort- 
schritt  bedeutete  es,  dafs  der  praktische  Staatsmann  Androtion  von  Gar- 


37)  Er  ist  bei  Susemihl  (Alex.  Litt.  Gesch.  I  622)  in  das  dritte  Jahrhundert 
geraten,  aber  das  einzige  bruchstück  der  Atthis  (Harp.  y^vnaviov,  etwas  anders  die 
epitome,  diese  im  Et.  M.  benutzt)  wird  wegen  einer  ganz  archaischen  form  {k'yQvnev 
ri  yfj)  angeführt,  in  der  Schrift  über  die  mysterien  citirte  er  von  der  bronzetafel 
der  bürg,  die  die  namen  der  hochverräter  enthielt,  den  volksbeschlufs  über  Diagoras 
von  Melos  in  ganzer  ausdehnung.  eine  andere  brechung  des  scholions,  ohne  die 
scharfe  und  ächte  gesetzessprache,  citirt  für  dasselbe  den  Krateros,  mit  lazoosl,  nicht 
mit  TiQocptQeTat  xr^e  aiijXrjs  uvtiyQa^ov ,  wie  es  von  Melanlhios  lautet,  hier  ist 
also  Melanlhios  von  Krateros  benutzt,  nicht  etwa  umgekehrt,  im  schol.  Plut.  845 
erläutert  Melanlhios  ein  eleusinisches  ■jtäiQiov;  bei  Athen.  VI  325'=  führt  ihn  der 
Athener  Apollodor  für  die  opfer  der  eleusinischen  Hekate  an.  alles  trägt  den 
Stempel  der  ächlheit  und  des  alters,  zu  sondern  sind  zwei  andere  träger  des  namens, 
einer,  vielleicht  ein  vorfahr  von  diesem,  freund  Kimons,  für  den  er  elegien  dichtet, 
von  Aristophanes  im  Frieden  804—16,  auch  Yog.  151,  wegen  schlemmerei  und  schmutz 
verspottet,  er  halte  kurz  vorher  eine  trilogie  gedichtet,  und  vielleicht  eine  Medeia 
darin,  auf  die  die  schollen  den  vers  Fried.  1012  durch  Vermutung  beziehn:  die  war 
also  verloren,  dagegen  hat  Plutarch  bei  irgend  einem  stoiker  den  einzigen  vers 
des  Melanlhios  gefunden,  den  es  gibt;  er  führt  ihn  oft  an  und  auch  in  einer 
Umbildung,  die  Nauck  fälschlich  als  adesp.  390  davon  gesondert  hat.  dafs 
Melanlhios  ein  bruder  des  Morsimos  gewesen  vtäre,  ist  ein  Irrtum  des  Fabricius, 
der  trotz  Elnisley  (zur  Med.  96)  noch  zuweilen  spukt,  von  diesem  Melanlhios 
unterschieden  ist  ein  parasit  des  Alexandios  von  Pherai  (Plut.  de  adul.  et  am.  3), 
von  dem  es  viele  gute  witze  gibt,  über  den  Olympiakos  des  Gorgias  (Plut.  conjug. 
praec.  43),  einen  redner  Archippos  (symp.  qu.  II  1,  19),  den  tragiker  Diogenes 
(de  audiendo  7),  einen  nicht  genannten  komiker  (symp.  qu.  II  1,  4)  und  die  dema- 
gogen  überhaupt  (quom.  adtil.  poet.  aud.  4).  das  pafst  alles  für  die  zeit  des 
Alexandros  von  Pherai  und  einen  von  der  classe  der  atiischen  evqwsls,  deren  witze 
Philippos  sich  sammeln  liefs  und  Aristoteles  in  der  rhetorik  häufig  anführt,  in 
ähnlicher  weise  dürften  diese  zu  Plutarch  gelangt  sein,  den  fehler,  diesen  Melan- 
lhios mit  dem  tragiker  zu  verwechseln,  haben  Elmsley  und  Welcker  (gr.  trag. 
HI  1030)  nicht  vermieden,  und  wol  Klearchos  schon  hat  so  geirrt  (Athen.  1  6%  ent- 
stellt Xil  549):  dafs  es  ein  Irrtum  ist,  liegt  auf  der  band,  den  atthidographen 
möchte  ich  selbst  mit  dem  dichter  nicht  identificiren.  —  beiläufig,  in  dem  psephisma 
über  Diagoras  (schol.  Vög.  1073)  mufs  es  natürlich  heifsen  i^ex/^^v^av  {snex.  codd.)  xal 
avTov  xal  rovs  (^rj)  ixdli'Tas  Ile/luvaii:  sie  hatten  ihn  ja  nicht,  damit  haben  wir  eine 
Verwickelung  zwischen  Alben  und  Pellana.  ich  weifs  davon  wenig,  aber  es  sei  darauf 
hingewiesen,  dafs  Pellana  allein  schon  432  zu  Sparta  hält  (Thuk.  II  9),  und  die 
lakonischen  gesandten  fordern  es  Lysislr.  996,  wo  die  schollen  nichts  wissen;  die 
zote,  die  allerdings  auch  darin  sein  mufs,  veislehe  ich  nicht,  die  schollen  aber  auch 
nicht,  vielleicht  kann  jemand  mit  dieser  neuen  aporie  eher  die  alte  lösen,  wann 
eigentlich  Diagoras  geächtet  ist:  ich  bin  dazu  nicht  im  stände. 

38)  Bei  diesem   überwiegt  in  der  Überlieferung  so  stark  das  hieratische,   dafs 
man  ohne  die  anführungen  Plutarchs  (Them.  13,  Kim.  12,  19)  kaum  glauben  würde, 


288  '•   8.  Die  Atthis. 

<'t'llos  die  unfreiwillige  miilse  seiner  Verbannung  in  Megara  dazu  be- 
niitzle,  die  chronik  mit  entschiedener  bevorzugung  des  politischen 
teiles^-')  und  in  dem  rhetorischen  geschmacke  der  zeit  zu  schreiben, 
frühestens  in  den  vierziger  jähren,  so  stand  diese  Überlieferung,  als 
Aristoteles  und  Ephoros  beide  sie  für  ihre  zwecke  ausgenutzt  haben, 
dann  ist  noch  Demon  gekommen,  bei  welchem  jedoch  das  Interesse 
weit  über  Athen  sich  ausdehnt  und  die  aetiologische  erfmdung  sich  breit 
macht;  die  politische  tendenz  tritt  auffallend  zurück,  den  würdigen 
abschlufs  hat  endlich  der  exeget  Philochoros  seiner  vaterländischen  chronik 
gegeben,  gelehrter  als  alle  Vorgänger,  zuweilen  selbst  mit  kritik,  aber 
immer  mit  jener  edelen  liebe  zur  heimat,  ihren  gottern  und  ihrer  freiheit, 
die  er  im  leben  und  im  sterben  bewährt  hat. 
Verhältnis  Es  konnte  natürlich  nicht  ausbleiben,  dafs  der  geschichthche  Inhalt 

^Hotos!'  der  chronik  sich  in  vielem  mit  dem  wissen  von  der  eigenen  Vergangen- 
heit deckte  oder  nahe  berührte,  das  die  unterrichteten  Athener  jeweilig 
besafsen.  später  mufsle  die  veröffentlichte  chronik  den  lernbegierigen 
selbst  dieses  wissen  vermitteln,  das  erste  gilt  vom  fünften  Jahrhundert, 
was  Herodotos  über  die  Peisistratiden  und  Kleisthenes  erzählt  (I  59 — 64, 
V  55—57.  62—66.  69—78)  hat  der  Atthis  ohne  zweifei  sehr  nahe 
gestanden:  sonst  hätte  ja  Aristoteles  nicht  so  bequem  beide  zusammen 
arbeiten  können,  was  Aristoteles  aussondert,  sind  meistens  dinge,  die 
den  Stempel  der  tendenz  au  sich  tragen,  wie  die  bemäkelung  des  adels 
der  Gephyraeer  und  des  Isagoras,  oder  es  hängt  mit  Sehersprüchen 
zusammen,   die  Aristoteles  von  sich  fern  hält,     dagegen  z.  b.  was  über 


dafs  er  auch  die  geschichte  erzählt  hätte,  dafs  er  Delos  auch  herangezogen  hat 
(Harp.  'ExäxTjs  vrjaos,  Athen.  392 '^),  weist  auf  das  vierte  Jahrhundert,  wo  die  insel 
attisch  war.  der  älteste  benutzer  von  ihm  ist,  so  viel  ich  weifs,  Demetrios  von 
Skepsis  (p.  33  Gaede).  —  auch  die  pseudepigraphe  chronik  des  eleusinischea  sehers 
Amelesagoras,  die  Antigonos  von  Karystos  (parad.  12)  citirt,  mag  noch  in  das  vierte 
Jahrhundert  reichen:  was  er  aus  ihr  nimmt  ist  eine  schöne  ächtathenische  sage, 
der  name  aber  kann  nur  durch  spolt  aus  Melriaayöoas  gemacht  sein,  das  ist  ein 
name  wie  MeXrjatyerrjS  MeXi\aavS()OS ,  gebildet  wie  U^a^ayö^aS  n()d^avS^oi; 
MeXrißimtos  ist  vielleicht  auch  noch  oj  inncov  ueXei,  vielleicht  ist  auch  das  ritter- 
pferd  unorganisch  daran  geflickt;  MeXTjaius,  wol  auch  MiXqtoi  gehören  als  ab- 
kürzungen  dazu,  aber  ein  name  von  a/ueX.slv  und  ayoQÜ  ist  ein  onomaloiogisches 
ungeheuer,  mufs  also  mit  besonderer  absieht  fingirt  sein. 

39)  Schon  im  zweiten  buche  war  die  kleisthenische  Verfassung  behandelt;  das 
dritte  reichte  bis  zum  jähre  des  Eukleides.  dafs  die  buphonienlegende  im  vierten 
stand,  ist  weit  weniger  wahrscheinlich,  als  dafs  im  schol.  Ar.  Wölk.  985  S'  in  a 
zu  ändern  ist. 


Verhältnis  zu  Herodotos.     Verhältnis  zu  Thukydides.  289 

die  kleisthenischen  retormen  bei  Herodot  steht,  nimmt  sich  fast  wie 
der  auszug  eines  fremden  aus  dem  aristotehschen  berichte  aus;  er  hat 
wirkhch  nur  wiedergegeben,  was  er  in  Athen  von  leuten  hurte,  die 
so  sachverständig  waren  wie  der  exeget.  geschichten  dagegen,  wie  die 
erste  Usurpation  des  Peisistratos  mit  dem  greisen  Solon  als  hauptactcur, 
oder  das  gericht  über  die  Alkmeoniden  könnten  zwar  eben  so  gut  bei 
ihm  stehn;  er  hat  sie  aber  nicht  gehurt  oder  verschmäht:  wir  müssen 
sie  genau  so  beurteilen  wie  seine  hübschen  erzählungen  aus  dem  sech- 
sten Jahrhundert,  nur  ein  tor  kann  sich  einbilden,  Herodot  hätte  all  dieses 
material  erschöpft  gehabt,  und  was  später  aufgezeichnet  wäre,  müfste  als 
erfindiing  weggeworfen  werden. 

Das  attentat  Kylons  erzählt  Thukydides  in  seinem  stile,  aber  so  Verhältnis 
dafs  der  Charakter  der  geschichten  nicht  wesentlich  anders  ist.  und  sein  kydides' 
excurs  über  Rekrops,  Theseus  und  den  ovvoixio/iiog  (II  15)  trägt  in 
allem  den  Stempel  derselben  historischen  methode  sogar  wie  die  be- 
richte der  atthidographen  über  die  urzeit.  dem  Sophisten  lagen  Anthe- 
sterien  und  Diasien  eigentlich  fern:  die  exegelen  lebten  in  ihnen, 
deshalb  habe  ich  schon  früher  diesen  bericht  für  die  chronik  in  au- 
spruch  genommen,  obwol  ich  keinen. Chronisten  der  zeit  kenne,  e^rj- 
yovvTO  de  zavra  oi  oacpeöTara  ra  rcov  ^S-rjvaiwv  siöoreg,  müsste  er 
antworten ,  wenn  man  ihn  nach  seinen  gewährsmännern  fragte,  auch 
hier  kann  ich  keinerlei  sinn  darin  finden,  sich  vor  seiner  historischen 
methode  zu  verbeugen  und  eben  dieselbe  gering  zu  achten,  wenn  sie 
Kleidemos  übt. 

Die  wilden  politischen  kämpfe  von  412—400  haben  die  vaterlän- 
dische geschichte  auch  als  waffe  gebraucht;  wir  haben  das  im  sechsten 
capitel  verfolgt,  aber  glücklicherweise  hat  das  die  chronik  nicht  beein- 
flufst:  erst  Aristoteles  leitet  jenen  schlammigen  ström  in  ihr  ruhiges 
bette,  auch  die  rhetorischen  fictionen  schwirrten  in  der  luft:  während 
die  Athener  vor  dem  throne  des  Artaxerxes  mit  Thebanern  und  Spar- 
tanern um  die  wette  krochen,  erfand  zu  hause  die  renommage  mehr  als  die 
Sehnsucht  nach  einer  grofsen  und  bessern  Vergangenheit  die  fabeln  vom 
eide  bei  Plataiai  und  vom  frieden  des  Kimon.'"')  aber  auch  sie  herrsch- 
ten viel  mehr  in  der  rhetorenschule  als  in  den  Chroniken,  den  Klei- 
demos beschenkten  die  Athener,   aber  sehr  viel  scheinen   sie  ihn  nicht 


40)  Der  name  Kimons  und  die  demütigung  Persiens  sind  fabeln;  den  vertrag 
des  Kallias  und  seine  Urkunde  deshalb  zu  verdächtigen,  fällt  wol  keinem  verstän- 
digen mehr  ein. 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles  I.  19 


290 


J.    8.  Die  Atthis. 


«^elesen  zu  haben,  selbst  Lykurgos  der  Eteobutade  zieht  es  vor,  die 
fabeln  nachzuschwatzen;  nur  bei  Aischines  haben  wir  einige  spuren  des 
Studiums  der  Atthis  getroffen,  die  advocaten  regieren,  und  sie  ver- 
flüchtigen Solon  zu  dem  patron  ihrer  geliebten  freiheit  und  gleichheit, 
ü.eid^eqia  und  jtaQQi]Gia,  die  ihnen  gestattete,  ihr  unsauberes  hand- 
werk  zu  treiben,  den  demos  zu  lenken  [ßovy.oXelv  rb  dri(iLOv)  und 
jeden  harmlosen  bürger  zu  schinden  und  zu  schröpfen,  so  lange  bis 
einer  kam,  der  ihnen,  gefühllos  auch  für  die  alte  gröfse  der  attischen 
demokratie,  dies  handwerk  legte,  Antipatros,  der  freund  des  Aristoteles. 


9. 
DIE  GELTUNG  DES  BUCHES  IN  DER  SPÄTEREN  ZEIT. 


Der  Londoner  papyrus  ist  eine  abschritt  zu  privatem  gebrauche,  Die 
die  ein  Student  sich  auf  der  rückseite  ausrangirter  acten  teils  selbst  eLmpiare" 
geschrieben  hat,  teils  hat  schreiben  lassen  und  dann  selbst  revidirt.  dafs 
es  ein  Student  war,  folgt  daraus,  dafs  er  auf  einem  der  biälter  schon 
ein  colleg  über  die  Midiana  nachzuschreiben  oder  abzuschreiben  ange- 
fangen halte,  das  exemplar,  das  er  abschreiben  hefs,  hatte  einen  guten 
texl,  aber  der  anfang  war  abgerissen/)  er  hat  wert  auf  seinen  besitz 
gelegt,  denn  er  hat  es  mit  ins  grab  genommen. 

Die  beiden  Berliner  blätter  sind  der  irgendwie  in  den  kehricht 
geratene  rest  eines  buches,  eines  für  den  handel  hergestellten  exemplares. 
es  war  in  buchform  und  konnte  sich  um  die  regeln  für  papyrusrollen 
gar  nicht  kümmern ;  die  blätter  gehörten  einem  quinio  an.-)     ich  kann 


1)  Der  rifs  gieng  quer  durch  mehrere  zeilen,  daher  kommt  es,  dafs  sich  der 
erste  satz,  trotzdem  der  sinn  durch  Plutarch  bekannt  ist,  nicht  herstellen  läfst, 
ohne  dafs  man  mehrere  lücken  annimmt,  es  hiefs  etwa  iSixa^ov  8i  xarriyoqovv- 
xo'i\M.vQüivoi\\TQiax,öaioi\  xad'^  Ieqcuv  ofioaavjes^  [reXeicov  aiQed'iv'ces]  aQiaiivSriv'^. 
darum,  weil  der  arme  mensch  kein  vollständiges  exemplar  bekommen  konnte, 
zu  wähnen,  es  halte  damals  gar  keine  mehr  gegeben,  ist  eine  starke  naivetät. 
dafs  der  auszug  des  Herakleides  und  die  darstellung  der  attischen  altertümer,  aus 
der  unser  fgm.  3  ist,  älter  wären  als  die  erhaltene  handschrift,  ist  weder  beweisbar, 
noch  auch  nur  wahrscheinlicher  als  das  gegenteil.  fgm.  4  steht  nur  von  junger 
band  in  einer  Euripideshandschrift,  gehört  also  keinesweges  dem  alten  stock  der 
schollen  an ,  sondern  ist  ein  nachtrag  ganz  so  unbekannter  herkunft  wie  die  unten 
besprochenen  Plutosscholien. 

2)  Wir  haben  ein  auf  beiden  selten  beschriebenes  blatt  eines  buches,  also  die 
reste  von  vier  selten,  die  erste  enthält  noch  s.  11,  10—12,  9  unserer  ausgäbe;  ihre 
rückseite  11,  27—12,  20.  die  dritte  23,  17—24,  6,  ihre  rückseite  24,  16—25,  10. 
da  die  länge  der  zeilen,  der  ausfall  zwischen  dem  schlufs  der  vorder-  und  dem 
anfange  der  rückseite,  endüch  auch  das  gegeben  ist,  was  zwischen  2  und  3  fehlt, 
ist  es  lediglich  eine  sache  des  zählens,  festzustellen,  dafs  8  solcher  selten  zwischen 

19* 


292  I.    9.  Die  geltung  des  buclies  in  der  späteren  zeit. 

das  alter  palaeograpliisch  nicht  schätzen  und  habe  sehr  wenig  vertrauen 
zu  solchen  Schätzungen ;  das  buch  mag  also  in  die  zeit  zwischen  Marcus 
und  Theodosius  I  fallen. 

Von  einem  dritten  exemplare   in  Aegypten  wissen   wir  durch   den 
Zindealschen  katalog.^) 
Erhaltung  Dafs  die  Aristoteliker  bis   in   das  sechste  Jahrhundert  die  Politien 

Bjiaminei- besessen  haben,  ist  nach  ihren  klaren  und  verständigen  angaben  nicht 
^*"'  zu  bezweifeln.''}  zu  derselben  zeit  hat  einige  von  ihnen  der  sophist 
Sopaler  excerpirt.^)  in  der  lobrede  auf  den  kaiser  Anastasius  hat  der  sophist 
Prokopius  von  Gaza  die  geschichte  des  arelhg  xtoQtov  dem  Aristoteles 
nacherzählt.")  damals  oder  auch  ein  par  Jahrhunderte  früher  mag  ein 
gewisser  Herakleides  den  auszug  gemacht  haben,  den  wir  noch  ver- 
einigt mit  einem   auszuge   aus   den   Miscellaneen   des  Aelian   besitzen.^) 

2  und  3  fehlen ;  mithin  besitzen  wir  die  äufserste  läge  eines  quinio,  oder  die  zweite 
eines  senio,  wenn  jemandem  das  mehr  behagt.  —  die  debatten  über  die  anordnung 
der  Fragmente  und  die  gestalt  des  buches,  dem  sie  angehörten,  sind  nun  gegen- 
standslos, aber  zu  beherzigen  ist,  dafs  diejenigen  im  rechte  waren  die  für  die  an- 
ordnung der  selten  die  Chronologie  befolgten,  und  daneben  die  welche  wegen  des 
falzes  in  der  mitte  der  buchform  trauten,  die  der  augenschein  ergab,  die  finessen 
der  buch-  und  schreib  Wissenschaft  haben  nur  irregeführt. 

3)  Rhein.  Mus.  1866,  432. 

4)  Die  stellen  bei  Rose  (1886)  259. 

5)  Phot.  cod.  181  p.  1041^  ende. 

6)  Ich  verdanke  diese  wertvolle  notiz  der  grofsen  liebenswürdigkeit  von 
W.  A.  Paton.  ich  schreibe  die  stelle  aus  Villoison  Anecd.  Gr.  II  40  ab,  nur  mit 
der  interpunction,  die  diese  texte  verlangen,  seit  W.Meyer  ihren  rhythmus  entdeckt 
hat  oe  (Peisistiatos)  Sexärriv  riöv  sh  rrje  %(OQas  yevofiivwv  (poQOvs  ra^as  rols  lAd'rj- 
i'aiois,  inecSr]  naoa  rov  'Tfirjxxov  Sie^x^fievos,  ^Arr ixov  slSe  TTQsaßvrrji',  Tterqav 
toya^öfievoi' ,  xal  rols  növois  dnsi^Tjxora ,  neitovd'EV  cos  sixbs  en  avTC^.  xai 
Tie/ix/jns  TjQiora,  livas  avrq  xaQnovs  ri  nsz^a  xofii^oi.  o  8s  xal  Xlav  arsvd^ae, 
vSivae  i'^Tj  xai  xaxcüv  nXfj&os;  (dies  kolon  mit  absieht  arrhythmisch,  als  wären 
es  die  bäuerischen  worte  selbst)  xal  tovtojv  trjv  Ssxärtjv  Sei  yersad-ai  tcü  Heiai- 
axQurco.  sine  na^elvat  tov  xvqavvov  dyvocäv.  xai  sie  UeiaiarQarov,  ijXd'Ev  6 
/.oyos,  xai  d'avfii'aas  txelvos,  t^S  xaQxeQiae,  fiiya  xi  voui^cov  ScoQEla&ai,,  dxEArj 
XTjv  nix^av  aqfijxs,  xcö  yewQycä,  xni  loS  eis  fivriftrjv ,  (rjys)  dQExrji,  dxeXes  s^ 
ixeivov ,  xo  iwqiov  i7icovofidt,exo.  Paton  hat  selbst  bemerkt,  dafs  diese  Fassung 
auf  die  paroemiographen  nicht  zurückgeführt  werden  kann,  sondern  den  Aristoteles 
paraphrasirt.  für  den  text  (16,  6)  beweist  sie  die  fassung  iSoav  yaQ  xiva,  dann 
ein  adverbium  wie  näw  <piXo7i6vcos,  das  wort  ist  noch  zu  finden,  nax^ae  axänxovxa 
(einen  einzelnen  felsen  kann  man  nicht  graben;  dafs  man  mit  einem  pflocke  gräbt,  ist 
nur  ein  possierlicher  einfall)  xai  iQyai^ö^ievov  8ia  xo  d^arfiäoai  (was  wir  gestrichen 
liatten)To»' nalba  ixt'Xevsv  tQtad'ai  xi yiyvBxai  (nicht  nsQiyivsxat)  ix  xov  x(OQiov  u.  S.  w. 

7)  Übrigens  dürften  die  capitel  über  ylvxioi  TvqqtjvoI  Aevxavoi  aus  den 
rö/itfia  ßu()ßuQtxd  stammen. 


Erhaltung  in  der  Byzantinerzeit.  293 

denn  da  nun  offenbar  ist,  dafs  das  erste  capitel  rein  aristotelisch  ist,  so 
hat  die  ansieht  gevvifsheit  erlangt,  die  in  diesem  büchlein  die  wenn  auch 
bis  auf  die  gröfste  armseligkeit  zusammengestrichene  gelehrsamkeit  des 
Aristoteles  sah.  es  ist  eine  miserable  ausflucht,  dafs  möglicherweise  in 
andern  capiteln  fremdartige  Zusätze  stehen  könnten:  nichts  steht  darin, 
das  als  solches  auf  spätere  zeit  wiese,  eben  so  gegenstandslos  sind  aber 
auch  die  an  sich  windigen  Vermutungen  geworden,  dafs  einer  oder  der 
andere  der  bekannten  träger  des  gewöhnlichen  namens  Herakleides  der 
excerptor  wäre,  übrigens  kommt  auf  den  menschen  nichts  an,  der  doch 
nur  die  bedeulung  einer  schere  hat,  und  auch  darauf  nicht,  ob  mehrere 
scheren  bei  der  Verstümmelung  beteiligt  gewesen  sind:  das  vielmehr 
ist  das  wichtige,  dafs  ein  auszug  aus  vielen  Politien  sich  immer  erhal- 
ten hat. 

Hieraus  folgt,  dafs  wir  mit  der  moglichkeit  rechnen  dürfen,  selbst 
in  späterer  byzantinischer  zeit  noch  auszüge  aus  den  Pohtien  zu  finden.*) 
und  speciell  für  die  athenische  liegt  ein  merkwürdiges  stück  bei  Michael 
Psellus  vor,  in  einem  kleinen  tractat  über  staatsrechtliche  Wörter  der 
alten,  der  sonst  wenig  gelehrsamkeit,  namenthch  keine  abhängigkeit  von 
den  geläufigen  rhetorischen  lexica,  zeigt,  so  dafs  die  aristotelische  an- 
gäbe von  den  modernen  verworfen  werden  mufste.'')     wie  Psellus  zu  ihr 


8)  Ich  wage  eine  Vermutung,  die  älter  ist  als  der  fund  der  Politie.  Theodorus 
Metochita  p.  668  bezeichnet  sehr  richtig  die  aesymneten  als  Seanöras  inl  ^tjtoIs 
ävevd'ivovs  xal  rvQavvnii]v  imaraaiav  ßs),xia'iu)v  dvSocöv  y.ax  d^er-^v  ixXoylfiwv, 
und  führt  als  belege  neben  Piltakos  und  Periandros  an  ^oißias  ev  ^ä/uco  aal  tF] 
nara^l6viov''Ano}.lo}viq  XaiQrj/xaiv.  die  männer  kenne  ich  nicht  und  weifs'nichts 
über  sie  zu  sagen;  aber  erfunden  hat  Theodorus  sie  gevvifs  nicht,  die  lehre  von 
der  aesymnetie  ist  aristotelisch ,  und  die  Politik  ist  von  Theodorus  ausgiebig  be- 
nutzt, aber  Chairemon  steht  nicht  darin,  so  stark  sie  die  geschichte  der  helleni- 
schen Städte  am  ionischen  meere  bevorzugt,  ich  bin  also  auf  den  gedanken  gekommen, 
dem  Theodorus  die  benutzung  irgend  eines  irgend  wie  erhaltenen  excerptes  aristo- 
telischer gelehrsamkeit  zuzutrauen,  und  jetzt  scheinf  mir  das  nur  noch  wahrschein- 
licher. Theodorus  hat  noch  mehr  unbekanntes  gehabt,  auch  ein  par  dichterfragmente, 
z.  b.  von  Pindar,  die  Boeckh  aufgefunden  hat;  dafs  er  den  Pindar  gelesen  hätte, 
ist  behauptet  worden,  ich  behaupte,  dafs  wer  das  sagt,  den  Theodorus  nicht  gelesen 
hat.  übrigens  ist  die  einzige  ausgäbe  (eine  zweite  verdient  er  kaum)  miserabel, 
eine  Untersuchung  auf  seine  quellen  verdient  aber  Theodorus.  allerdings  ist  er  kein 
mann,  der  lexikalische  gelehrsamkeit  liebt;  systematiker,  philosophen,  populäre 
zumal  wie  Plutarch,  auch  historiker  hat  er  mit  verliebe  benutzt,  und  so  ist  eine  Über- 
lieferung der  aristotelischen  oder  sonst  peripatelischen  notizen  auf  diesem  wege 
eben  so  gut  möglich;  so  wird  er  auch  zu  den  par  versen  gekommen  sein. 

9)  "Wir  haben  die  stelle  (in  Boissonades  ausgäbe  von  de  operatione  dacmonum 
103)  noch   in   unserer  zweiten   aufläge   zu  cap.  21,  3  anführen  können,     ich  hatte 


glossen. 


294.  I.    9.  Die  geltung  des  buches  in  der  späteren  zeit. 

bekommen  ist,  entzieht  sich  meiner  kenntnis.  ein  wirkUches  citat  und 
daneben  durch  unverständiges  gerede  ganz  unbrauchbar  gemachte  aus- 
züge  aus  dem  schlufsteile  über  die  gerichtsverfassung  sind  in  der  Aristo- 
phanesausgabe  Giuntas  (zu  Plut.  277.  278)  veröffenthcht;  sie  fehlen  in 
den  ahen  handschriften  der  scholien  gänzUch,  zu  denen  sie  auch  nicht 
gehören,  und  scheinen  überhaupt  noch  nicht  handschriftlich  wiederge- 
funden zu  sein,  solche  funde  darf  man  also  noch  erhoffen. 
Hesjch-  Ein  Schulbuch  ist  die  Politie  niemals  gewesen;  es  hat  sich  also  an 

sie  keine  gelehrsamheit  angesetzt,  weder  von  antiquarischem  noch  von 
rhetorischem  gehalte:  es  hat  keine  schohen  zu  ihr  gegeben,  die  nicht 
ganz  geringe  zahl  eingeschwärzter  Wörter,  die  zum  teil  nur  verschiedene 
lesarten  sind,  stammen  nicht  aus  dem  schulbetriebe,  hätten  wir  eine 
anzahl  unabhängiger  handschriften,  so  würden  wir  diese  leservermerke 
leicht  entfernen;  es  gibt  ja  stellen,  wo  das  schon  mit  unsern  geringen 
mittein  möglich  ist.'°)  sehr  sonderbar  ist  es,  dafs  sich  in  dem  lexicon 
des  Hesychius  ein  par  artikel  vorfinden,  die  eigentlich  nichts  sind  als 
Sätze  der  Pohtie,  die  unter  ein  lemma  gestellt  sind,  ein  Schlagwort,  das 
nach  dem  Verständnis  des  excerptors  aus  dem  zusammenhange  irgend 
wie  erklärt  wird,  der  art  sind  sÖQai  ßovlrjg  ai  eyivovro  xara  tvbv- 
Tarji.i£QOv  (30,  4  im  Verfassungsentwürfe  von  411),  das  als  probe  genügt, 
Jiovvoov  yd/nog  (3,  5),  s/^iTtTJycTrjg  (p.  37)"),  6ioaycoy^g  (52,  2),  ;(«A- 

sie  bei  C.  Fr.  Hermann  Staatsaltert.  111,  5  gefunden,  dem  der  rühm  nachdrücklich 
gewahrt  werden  mul's,  diese  angebe  richtig  geschätzt  und  vervv'ertet  zu  haben, 
natürlich  habe  ich  dann  im  Psellus  mich  vielfach  umgesehen,  aber  vergeblich. 

10)  26,  2  ist  ein  ind  rcov  Srificov  vom  corrector  getilgt.  21,  1  zeigt  die  cor- 
rectur,  dafs  dasselbe  wort  eingeschwärzt  ist.  2,  1  ist  es  ein  glossem  zu  ro  nXrjd'os, 
das  niemand  ertragen  kann,  dasselbe  gilt  von  41,  1.  59,  2  zeigen  citate  eine 
Variante  die  eben  so  unsinnig  ist  wie  was  wir  lesen  und  andere  im  altertum  ge- 
lesen haben.  16,  10  weist  ein  citat  desselben  gesetzes  eine  Interpolation  aus. 
13,  2.  23,  2  wird  in  völlig  sinnstörender  weise  die  gleichzeitigkeit  bezeichnet,  man 
weifs  nicht  wovon  noch  womit,  es  hatte  also  ein  leser  sich  "zur  selben  zeit" 
an  den  rand  gesetzt;  das  eine  mal  geht  die  epoche  Solons,  das  andere  die  der 
Perserkriege  vorher. 

11)  Dies  auch  Bekk.  An.  258;  die  erklärung  ist  unsinnig  6  üsofwd'ETTjs,  aber 
so  mochte  man  gerade  gegenüber  dem  texte  des  Aristoteles  irren,  da  im  fünften 
Seguerianer  wirklich  sehr  viel  Diogenian  oder  Hesych  (d.  h.  entstellter  Diogenian) 
ist,  so  kann  man  diese  glosse  hierher  ziehn;  nach  einer  der  rhetorischen  lexica 
sieht  sie  nicht  gerade  aus,  aber  es  läfst  sich  nicht  ganz  abweisen,  die  glosse 
K/M'Qofiivios-  oiiToe  'UoaxhiSrje  6  KXa^OjUEVios  6  xal  ßaaiXevs  (tc  xai  ßavS  cod.) 
y-aXovfievos,  die  Houtsma  aus  Aristoteles  verbessert  hat,  geht  klärlich,  wie  Meineke 
nilt  recht  angenommen  hat,  auf  einen  komikervers,  wo  nur  KXa^ofiivioe  stand,  was 
der  grammatiker  erläutert,     ob  dieser  seine  gelehrsamkeit  aus  Aristoteles  genommen 


Hesychglossen.    Pollux,  295 

Kovv  Ttiväxiov  (63,  4),  die  beiden  letzten  erst  jetzt  aus  der  Politie  ver- 
bessert, mit  den  rhetoriscben  glossen,  die  zur  erläuterung  technischer 
Wörter  bei  den  rednern  aristotehsche  gelehrsamkeit  verwenden ,  haben 
diese  nichts  zu  tun;  sie  sind  aber  von  jenen  nicht  immer  leicht  zu  son- 
dern ,  weil  die  rhetorischen  glossen  in  diesem  lexicon  so  jämmerlich 
verstümmelt  sind,  selbst  sie  gehören  nicht  zu  dem  ursprünglichen 
diogenianischen  bestände  (was  fälschUch  meist  geglaubt  wird),  sondern  zu 
den  Zusätzen  des  Hesych  oder  wer  immer  das  CyrilUcxicon  (das  aufser 
sehr  viel  christlichem  zu  der  Bibel  Clemens  protrepticus,  Gregor  von 
ISazianz  u.  a.,  römische  juristische  Wörter,  Homer-  und  Euripidesglossen 
geliefert  hat)  die  Schimpfwörter  aus  Sueton,  die  sprUchvvörter  aus  Zeno- 
bius  und  vielerlei  sonst  eingefügt  hat.  also  irgend  wer  hat  in  später 
zeit  aus  einem  exemplar  der  Politie  eine  anzahl  Wörter,  die  ihm  be- 
deutsam schienen,  diesem  grofsen  lexicon  eingefügt. 

So  ist  das  buch  in  der  kaiserzeit  ein  verbreitetes  gewesen,  und  es 
ist  offenbar  die  reiche  fülle  antiquarischer  belehrung  bei  kleinem  um- 
fange gewesen ,  die  es  den  kreisen  des  atticismus  empfahl,  die  grofse 
masse  der  citate  steckt  eben  in  den  rhetorischen  Wörterbüchern,  deren 
mafsgebeude  grundbücher  im  zweiten  Jahrhundert  verfafst  sind,  von 
Telephus,  Aelius  Dionysius,  Tansanias,  Harpokration ,  Pollux  an.  ich 
glaube  zu  bemerken ,  dafs  namentlich  im  fünften  Bekkerschen  lexicon 
sich  eine  darstellung  der  attischen  ämter  und  gerichtseinrichtungen  in 
einzelne  artikel  zerteilt  befindet,  die  auf  Aristoteles  aufgebaut  ist,  aus 
combination,  aber  auch  aus  anderer  guter  Überlieferung  erweiternd  und 
stilistisch  natürlich  durch  modernisirung  verderbend,  aber  da  das  für 
Aristoteles  nichts  ausgibt,  habe  ich  die  Untersuchung  nicht  zu  ende  ge- 
führt, es  ist  für  sie  wie  überhaupt  wichtig  zu  wissen ,  dafs  nicht  nur 
diese  leute,  sondern  noch  ihre  viel  späteren  compilatoren,  die  schwerlich 
mehr  in  der  läge  waren  Androtion  oder  Philochoros  einzusehen,  den 
Aristoteles  gehabt  haben  können,  aber  es  ist  weder  möghch  noch  wich- 
tig für  das  einzelne  citat  den  zu  benennen  der  es  ausgehoben  hat.  selbst 
die  früher  so  bedeutende  frage,  wie  viel  von  der  darstellung  des  Pollux 
auf  Aristoteles  zurückgehe,  ist  mit  dem  augenblicke  für  die  sache  ziem- 
lich geringfügig  geworden,  wo  sie  gelöst  ist.  für  Pollux  ist  das  ergebnis 
allerdings  im  höchsten  grade  bezeichnend. 

Er  hat   den  Aristoteles   selbst  gehabt,     denn  wenn   er  8,  87  den     i'oiiux. 
archonten  beilegt  y.h^Qovv  dinaoräg  nal  ad^Xod^ijag  eva  yiaza  (pvXrjv 

hat    oder  aus  der  Überlieferung,  der  auch  Aristoteles  folgt,   ist  gänzlich  ungewifs. 
wir  haben   deshalb  mit  bedacht  die  stelle  nicht  unter  die  testinionia  aufgenommen. 


296  I-    9.  Die  gellung  des  buches  in  der  späteren  zeit. 

l/.aorrjV  y.al  azQaTriyovg  xeiQoroveiv  e^  aTtavrcov  /.al  y.ad^  t/MOTrjv 
/iQVTaveiav  tTteQiorccv  ei  öoy.sl  /a/wg  agy^eLV  anaOTog  {rbv  ö'  ccizo- 
X€iQOTOVt]d^hTa  xQivovoiv)  -/Ml  iTtTtäqxovQ  dt'O  -Aal  cpv/MQxovg  öiy.a  y.at 
raBioQxovg  öey.a '  so  ist  dieser  unsinn  so  enlstandeo,  dafs  er  Ar.  59,  7 
das  losen  der  richter  als  befugnis  aller  arcbonlen  las*^),  und  nun  sie 
als  subject  von  yclrjQovat  aS^lod^erag  ösyia  60,  1  xeigorovoiiGL  OTQa- 
rt]yovg  (61,  1)  ta^Lägxovg  (3)  IftrcäQxovg  (4)  cpvlccQxovg  (5)  töricbter 
weise  nabm;  die  noch  viel  törichter  eingei'ügte  epicheirotonie  nahm  er 
aus  61,  2.  eine  blofse  folge  von  redaclionellem  Ungeschick  ist  es,  dafs 
92  die  angäbe  über  die  beisilzer  der  arcbonlen  aus  56,  1  vorangestellt 
ist,  die  angäbe  über  die  dokimasie  der  archonten  und  des  Schreibers  der 
thesmotheten  aber  (55,  2)  so  angeschlossen,  dafs  man  das  subject  avrovg 
notwendig  auf  die  beisitzer  beziehen  mufste.  auch  die  vollkommen  un- 
verständliche darstellung  der  Jurisdiction  des  polemarcheu  (91)  ist  le- 
diglich durch  den  gedankenlosen  Unverstand  des  Pollux  hervorgerufen, 
und  die  entdeckung  des  originales  (Ar.  58)  überhebt  uns  aller  bes- 
serungsversuche.  anderwärts  hat  Pollux  durch  das  hineinarbeiten  an- 
derer angaben  Verwirrung  angestiftet,  so  hat  er  die  aristotelische  be- 
handlung  der  schreiber  (54,  3.  4)  dadurch  verdorben,  dafs  er  den  aus- 
druck  avTiyQarpezai  aufgriff  und  eine  fremde  bemerkung  einmischte, 
die  wir  auch  in  der  form  avTiyqacpelg  ovo  rjoav,  o  [xhv  T^g  ßovXrjg, 
o  de  Trjg  ötoixrioetog  vielleicbt  noch  nicht  richtig  aussondern ;  es  kann 
auch  blofs  einen  avTiygacpevg  Ti~g  ÖLOiy^oecog  gegeben  haben,  natür- 
lich seit  es  die  stelle  eTtl  t?;  öioiy.i]a€i  gab,  d.  h.  seit  306,  und  die 
avTLyQacpelg  können  zu  Aristoteles  zeit  subalterne  gewesen  sein,  weshalb 
er  sie  nicht  erwähnt. 

Pollux  verfügte  also  über  anderes  material,  das  zum  teil  den  De- 
metrios  von  Phaleron,  zum  teil  die  zeit  der  12  phylen  angieng.  aber  selbst 
w-o  solche  zeitlichen  kennzeichen  vorhanden  sind,  ist  die  entscheidung 
keinesweges  immer  leicht,  z.  b.  102  oi  evöeyia-  elg  acp^  ey.doTrjg  q)vXrjg 
eyivero  y.al  yQa/.if.iaTevg  avrolg  ovvr]Qi^iLielTO,  also  nach  307,  vo(.io- 
(pvXa/.eg  de  y.axa  tov  (Dalrjgea  (xeT(j}vo[.ida^riOav.  danach  mit  Aristo- 
teles (52,  1)  stimmend  eine  darstellung  ihrer  wichtigsten  competenz. 
rov  öe  vo/xocpvkaxlov  S^vqa  (.tia  yaqdiveiov  eyalelzo,  Öl'  i^g  rrjv  eTtl 
^aväxoj  aTctjyovTO.  das  ist  eine  alticistenglosse,  die  ebenso  bei  Hesych, 
inlerpoürt  als  Zenob.  Vi  41,   verwebt  in    eine   längere  durchaus  nicht 


12)  Er  las  also  den  letzten  satz  von  59,  den  wir  mit  unrecht  athetiert  haben, 
und  er  las  nichts  über  die  einjährigen  ämter,  fand  also  die  liicke  vor  61  vor. 


Pollux.  297 

antiquarisch  gelehrte  auseinandersetzung  über  den  Areopag  in  dem  com- 
mentar  zum  Panathenaikos  des  Aristides  (III  65  Ddf.)  steht,  da  hätten 
wir  also  drei  vorlagen  des  Pollux,  und  die  letzte,  die  lexicalische,  halte 
er  ja  immer  zur  hand.  aus  ihr  hat  er  in  diesen  abschnitten  z.  b.  die 
fehlerhafte  angäbe,  dafs  die  frau  des  königs  ßaoUiooa  heifse  (90).  ob 
aber  die  angäbe  über  die  competenz  der  elfmänner  aus  Aristoteles  ge- 
nommen ist,  oder  der  gewährsmann,  der  über  sie  zur  zeit  der  12 
phylen  berichtete,  dieselben  amtlichen  quellen  wie  Aristoteles  benutzt 
hatte,  können  wir  nicht  mehr  entscheiden,  es  ist  auch  nach  dem  was 
im  siebenten  capitel  ausgeführt  ist,  sacliHch  ohne  bedeutung.  hier  ist 
beides  gleich  möglich;  aber  von  §  100  x^'^^ot  xßt  öia-/.6oioi  an  ist 
das  meiste  unzweifelhaft  nicht  aristotehsch,  konnte  aufser  dem  Stückchen 
über  die  elfmänner  sogar  nur  noch  der  artikel  über  die  IeqotioloL  (107) 
aristotelisch  sein.")  87 — 100  jerTaQaxovTa  kommt  man  einiger- 
mafsen  so  aus,  dafs  der  grundstock  aristotelisch  sei,  mit  gröfseren  und 
kleineren  Zusätzen,  ganzen  artikeln,  vof.iocpv?.ax€g  (94)  yiiolaKQirai  (97) 
aTvoOToXelg  (98),  einigermafsen  selbs-tändigen  Stückchen  (über  den  Vor- 
sitzenden der  poleten  99,  die  eponymie  des  archons  89  am  ende)  aber 
auch  ganz  kleinen  erweiterungen.  so  sagt  Aristoteles  vom  archon  nur 
dafs  er  den  einer  blutschuld  bezichtigten  heifst  tLQyeod^ai  tcov  ro/.il- 
/iiiüv ,  bei  Pollux  steht  (90)  /.ivGTrjQiiov  xai  riov  a/J.iov  vo[.iL(.io)v.  in 
der  Schilderung  der  -/.vgla  €/.yih]oia  sagt  Aristoteles  unbestimmt,  dafs 
der  katalog  der  confiscirten  grundstücke  verlesen  werde  (43,  4):  bei 
Pollux  tun  das  ol  ngog  ralg  öiYMig,  in  dieser  form  mindestens  etwas 
ganz  unverständliches,  gleich  darauf  ist  die  angäbe,  dafs  in  der  zweiten 
ekklesie  jeder,  der  als  biltflehender  auftritt,  jeden  gegenständ  vor  das 
Volk  bringen  kann,  durch  den  einschub  eines  an  sich  passenden  adeaig 
erweitert.")  dafs  die  dreifsig  demenrichter  nach  der  Oligarchie  der  30 
auf  vierzig  erhöht  sind,  sagt  Aristoteles  so  schlicht  (53,  1)  und  läfst 
den  grund  erraten,  den  Pollux  100  mit  f.iia€i  rov  aQi&f.iov  ausspricht, 
dem   entspricht  in    einem   schönen  scholion   zu  Aischines  1,  39  ovzcog 

13)  siaaycoysls  101  ist  es  trotz  einigen  berührungen  nicht,  erstens  weil  hier 
fälschlich  auch  die  ifinoQixal  Sixai  ihnen  zugewiesen  sind,  die  bei  Aristoteles  die 
thesmotheten  haben  (57,  5),  zweitens  weil  aus  Aristoteles  der  erste  artikel  (93) 
über  sie  stammt,  denn  die  dubletten  erklären  sich  durch  die  doppelte  vorläge, 
tkiosSqol  92  aristotelisch,  101  (wo  der  name  des  amtes  aus  codex  Laur.  56.  1 
ergänzt  wird,  Maafs  Herrn.  16,  619)  unaristotelisch. 

14)  Schol.  Aisch.  1,  104  schreibt  den  Pollux  aus.  wir  haben  uns  mühe  ge- 
geben, in  unserer  adnotatio  citate  dieser  art  zu  meiden  und  sehr  viel  unterdrückt, 
was  wir  zuerst  excerpirt  hatten. 


298  '•    9.  Die  gellung  des  buches  in  der  späteren  zeit. 

luiorOEV  o  dii/nog  roig  V  ojore  aal  Ttqbg  zijv  ovo/.taoiav  tov  agid^- 
iiov  dvoxsQaLveLV.  vereinzelt  können  mehrere  dieser  stellen  zu  der 
annähme  verführen,  dafs  unser  Aristotelestext  lückenhaft  wäre;  wenn  man 
sie  alle  überblickt,  kommt  man  davon  zurück,  endlich  die  paragraphen 
85.  86  berühren  sich  zwar  ganz  eng  mit  Ar.  55,  allein  es  steht  manches 
anders  da,  manches  hat  Aristoteles  an  anderm  orte  (8),  endlich  hat  er 
das  amtsinsigne  des  kranzes  als  unwesentlich,  das  recht  der  archonten, 
einen  der  einen  verbotenen  ort  betritt  zu  töten,  ohne  zweifei  deshalb 
übergangen,  weil  es  obsolet  war;  mindestens  die  ecpeaig  sig  dixaan']- 
Qiov  konnte  nicht  ausgeschlossen  sein,  hier  also  ist  vielmehr  der  fall 
zu  constatiren ,  dafs  die  beiden  vorlagen  des  Pollux  im  wesentlichen 
stimmten,  weil  sie  dasselbe  officielle  material  verarbeiteten. 

Die  Professoren  der  rhetorik,  wie  Pollux  einer  war,  deren  aufgäbe 
es  war,  die  liebe  Jugend  mit  dem  griechisch  und  den  attischen  antiqui- 
täten  bekannt  zu  machen,  deren  sie  bedurfte,  um  im  Zeitgeschmack  zu 
reden  und  zu  schreiben,  hatten  den  Aristoteles  in  ihrer  bibliothek.  aber 
wer  es  selbst  als  productiver  "^redner  und  Schriftsteller^  zu  etwas  brachte, 
brauchte  sich  mit  diesem  wie  mit  jedem  über  die  phrase  und  den  stil 
hinausgehenden  wissen  nicht  zu  bemühen,  selbst  bei  leuten  wie  Lucian, 
den  Philostraten,  Aelian^^),  fehlen  seine  spuren,  classisch  war  das 
buch  doch  nicht  geworden,  der  gefeierteste  aller  Sophisten,  Aristides, 
hat  allerdings  einmal  hineingesehen  und  eine  phrase  über  Solon  in  die 
rede  für  die  vier  Staatsmänner  hinübergenommen'®),  ohne  doch  beim 
Themistokles  mit  einem  worte  auf  Aristoteles  zu  deuten,  und  als  er  die 
für  seine  bornirte  eitelkeit  vielleicht  bezeichnendste  rede  über  das 
selbstlob  (rt£Qi  %ov  naQacpi^^eyi-iaTog)  schrieb,  fiel  ihm  ein,  dafs  an  eben 
der  stelle  solonischeverse  stünden,  die  er  als  ein  selbstlob  auffassen  durfte, 
da   hat  er  denn   eine   ganze   reihe   citate  aus  cap.  12  abgeschrieben.") 


15)  Gellius  II  12  gebärdet  sich,  als  übersetzte  er  eine  stelle  der  Politie.  aber 
was  er  gibt,  verwaschenes  weitläufiges  gerede  statt  einer  praecisen  gesetzesformel, 
zeigt,  dafs  er  irgend  welche  elende  Überarbeitung  von  einem  phrasenhaften  mittels- 
mann  überkommen  hatte. 

16)  II  360  Ddf.  aus  Ar.  11,  2  nachgewiesen  von  Mayor  bei  Kenyon.^  schon 
auf  der  nächsten  seite,  wo  die  elegie  Salamis  berührt  wird,  ist  eine  andere 
quelle  benutzt,  z.  b.  Plutarch.  aber  hier  ist  die  Übereinstimmung  des  ausdrucks 
schlagend. 

17)  II  536  Ddf.  da  er  nur  verse  anführt,  die  bei  Aristoteles  stehn,  und  sie 
in  derselben  reihenfolge  anführt,  kann  ich  die  sache  nur  so  auffassen,  bei  Plu- 
tarch stehen  sie  nicht  alle,  und  dafs  Aristides  aus  den  gedichten  just  dasselbe  wie 
Aristoteles  gegriffen  hätte,  wäre  gar  zu  sonderbar. 


PoUux.     Plutardi.  299 

aber  das  ist  auch  alles  —  wenigstens  habe  ich  bei  wiederholter  durch- 
sieht nichts  gefunden. 

Von  Plutarch  behauptet  Kenyon  und  behaupten  die  meisten  ebenso,  piutarcii. 
dafs  er  ganz  offenbar  die  Pohtie  benutzt  hälte.'^)  ganz  offenbar  ist  das 
gegenteil  der  fall:  er  hat  sie  nie  gesehen,  als  er  also  nach  100  mit 
wirkhch  höchst  anerkennenswertem  eifer  das  beste  material  für  seine 
lebensbeschreibungen  zusammentrug,  war  dieses  buch  in  seinen  kreisen 
nicht  geläußg.  Ion  Stesimbrotos  Krateros  Panaitios  Didymos,  sehr  gern 
auch  Theophrastos  hat  er  herangezogen,  und  gerade  von  dem  sind  in  seiner 
theoretisch  poHtischen  schriftslellerei  zahlreiche  spuren  vorhanden,  wenn 
Plutarch  also  die  Politie  nicht  benutzt  hat,  so  ist  ihre  geltung  um 
100  n.  Chr.  gewifs  nach  dieser  probe  zu  bemessen,  es  lohnt  also  die 
mühe  eines  beweises. 

Sofort  klar  ist  es  im  Themistokles.  zwei  solche  prachtstücke  wie 
die  strategeme  für  die  flotte  und  wider  den  Areopag  würde  ein  ethiker 
wie  er  mit  besonderer  freude  aufgenommen  haben,  aber  es  würde  auch 
in  der  aufzählung  der  historiker,  die  Themistokles  zu  Xerxes  oder  Arta- 
xerxes  kommen  liefsen ,  der  berühmte  name  nicht  fehlen,  so  figurirt 
einzig  das  citat  über  das  verdienst  des  rates  um  den  auszug  nach  Sala- 
mis neben  dem  entgegenstehenden  Zeugnisse  des  Kleidemos,  hinter  einer 
auf  ein  trozenisches  und  ein  attisches  actenstück  zurückgehenden  er- 
zählung.'^)  das  ist  also  ein  sehr  wertvolles  und  gelehrtes  stück,  aber 
solche  nester  von  gelehrten  citaten  geboren  niemals  leuten  vom  schlage 
des  Plutarch.^") 

Im  Aristeides  ist  überhaupt  nichts  aristotelisches,  und  wo  sein  poh- 
tischer  Charakter  ähnlich  beurteilt  wird  (23),  steht  als  zeuge  der  name 
des  Theophrast. 

18)  Mittlerweile  ist  mit  recht  vielfach  Widerspruch  erhoben,  ich  habe  den  nach- 
weis  also  stark  gekürzt;  aber  ich  Mar  nicht  in  der  läge,  mich  bei  jenen  im  resultate 
mit  mir  stimmenden  ausführungen  zu  beruhigen. 

19)  Krech  {de  Cratero  43)  hat  an  Krateros  als  gewährsmann  dieser  psephismen 
gedacht,  was  gewifs  nahe  liegt,  und  dafs  auch  das  ächte  psephisma  des  Themistokles, 
das  den  auszug  nach  Salamis  beschlofs,  durchklingt,  hat  Krech  dargetan,  aber,  wie 
er  selbst  zeigt,  war  dieses  eine  auch  zur  rednerzeit  bekannte  Urkunde,  und  die 
trozenische  beweist  nichts  für  Krateros.  meines  erachtens  haben  wir  kein  mittel, 
zu  entscheiden ,  ob  Krateros  oder  ein  anderer  ernsthafter  forscher  die  actenstücke 
herangezogen  hat.  nur  will  es  mir  einfacher  scheinen,  denselben  mann  die  psephismen, 
den  Aristoteles  und  den  Kleidemos  benutzen  zu  lassen,  also  z.  b.  an  Phainias 
möchte  ich  denken,  der  so  stark  im  Themistokles  benutzt  ist, 

20)  Es  folgt  die  geschichte  vom  hunde  des  Xanthippos,  die  aristotelischen 
Ursprunges  ist,  vgl.  fgm.  12  unserer  ausgäbe. 


300  !•    9.  Die  gellung  des  buches  in  der  späteren  zeit. 

Im  KimoD  (10)  wird  dessen  liberalität  geschildert,  und  zwar  nach- 
weislich nach  Theoponipos  (Athen.  XII  533^);  daneben  wird  für  einen 
nebenumstand  eine  Variante  aus  Aristoteles  beigebracht,  es  folgen  be- 
stati<Tende  urteile  aus  Gorgias  Kratinos  Kritias.  da  haben  wir  wieder 
ein  citatennest,  und  gerade  die  aristotelische  fassung  der  geschichte  war 
durch  Theophrastos  verbreitet  (Cic.  de  off.  II  64).  in  wahiheit  ganz 
dieselbe  Schilderung  Kimons  steht  im  Perikles  (9),  und  daran  schliefst 
sich,  wie  dieser  um  ihn  zu  übertrumpfen  auf  die  besoldungen  der  ämter 
geriet,  das  stimmt  im  allgemeinen  zu  dem  gedankengange  des  Aristoteles ; 
aber  es  stammt  nicht  aus  ihm,  denn  die  liberalität  Kimons  trägt  die 
färben  der  Iheopompischen  Übertreibung,  und  neben  dem  richtersolde 
steht  das  theorikou,  von  dem  Aristoteles  nichts  sagt,  wie  denn  überhaupt 
hier  viel  mehr  und  recht  wertvolles  steht,  und  wieder  erscheint  ein  citat 
aus  Aristoteles  über  Damonides  als  eine  einlage.  unmüghch  kann  man 
es  anders  beurteilen  als  das  im  Kimon.  Plutarch  hat  offenbar  einen 
und  denselben  historischen  bericht  mit  Varianten  und  citaten  in  beiden 
biographien  zu  gründe  gelegt,  natürlich  aber  jedesmal  nur  für  seinen 
beiden  das  nebenwerk  mit  herangezogen,  solche  historischen  vorlagen 
sind  in  den  biographien  der  Griechen  oft  bei  ihm  kenntlich,  am  besten 
im  Themistokles,  wo  wir  im  Thukydides  die  grundschrift  besitzen,  (Herrn. 
XIV,  152);  hier  ist  sie  Theopomp  gewesen,  man  konnte  vermuten,  dafs 
die  Varianten  in  Plutarchs  exemplaren  als  schoben  am  rande  standen; 
aber  spuren  von  solchen  schoben  sind  in  den  historikern  sehr  rar  (Herod, 
III  61,  Thuk.  nur  zur  archäologie),  und  die  analogie  der  mythographischen 
Überlieferung  weist  vielmehr  auf  gelehrte  Verarbeitungen:  das  ist  bio- 
graphische btteratur.  der  Perikles  liefert  noch  zwei  belege  derselben  art. 
über  den  tod  des  Ephialtes  steht  (10)  erst  die  version  des  Idomeneus, 
die  verworfen  wird,  dann  die  des  Aristoteles,  dafs  die  oligarchen  ihn 
durch  Arislodikos  umbringen  Hefsen:  aber  Aristoteles  nennt  zwar  die 
namen,  aber  von  einer  schuld  der  obgarchen  sagt  er  nichts,  da  hat  also 
Plutarch  die  Varianten  mit  dem  hauplberichte  ungeschickt  verschmolzen, 
und  in  einem  citatenneste  (4)  wird  nach  Aristoteles  Pythokleides  lehrer 
des  Perikles  genannt,  was  immerhin  aristotelisch  sein  mag,  nur  steht  es 
nicht  in  der  Politie,  zwei  citate  über  den  samischen  krieg  (26.  28),  in 
denen  das  letztere  eine  schaudergeschichte  des  Duris  mit  dem  schweigen 
von  Thukydides  Ephoros  Aristoteles  widerlegt,  sind  schon  von  Rose  mit 
recht  auf  die  Politie  der  Samier  bezogen  worden,  deren  benutzung  mag 
glauben,  wer  will:  für  die  athenische  würde  sie  nichts  beweisen.  Plutarch, 
wie  er  ist,  würde  sowol  im  Kimon  wie  im  Perikles  gerade  das  gesammt- 


Plutarch.  301 

urteil  des  philosophen  über  die  männer  angeführt  haben,  wenn  er  ihn 
gelesen  hätte. 

Im  Nikias  (2)  stellt  er  das  lob  des  Aristoteles  (28,  5)  an  die  spitze, 
und  es  klingen  die  worte  der  Pohtie  durch,  trotzdem  stammt  das  citat 
nicht  direct  daher,  denn ,  mag  man  auch  darüber  hinwegsehen ,  dafs 
Plutarch  den  schein  erweckt,  als  hätte  Aristoteles  den  Nikias  dem  The- 
ramenes  vorgezogen,  weil  das  vielleicht  nicht  beabsichtigt  ist,  auch  bei 
flüchtiger  einsieht  der  Politie  leicht  einem  leser  zutreffend  scheinen  konnte, 
so  mufs  man  doch  nach  aller  analogie  das  Aristotelescitat  eben  so  be- 
urteilen wie  die  folgenden,  das  sind  komikerstellen,  mit  denen  sofort  das 
urteil  des  Aristoteles  über  Theramenes  eingeschränkt  wird,  und  von  denen 
eine  anzahl  auch  über  Nikias  beigebracht  wird,  ferner  ein  so  rares  buch 
wie  ein  dialog  des  Pasiphon^')  und  inschriften,  darunter  delische,  die  zu 
Plutarchs  zeiten  längst  nicht  mehr  zugänglich  waren,  so  geht  es  fort 
bis  zu  der  eigentlichen  erzählung  (6,  2),  die  aus  Thukydides  stammt. 
Plutarch  hat  also  hier  ein  citatennest  stilistisch  etwas  ausgeführt  und 
umgearbeitet. 

[m  Theseus  (25)  wird  die  aristotelische  Schilderung  der  ältesten 
demokratie  nacherzählt,  niemand  kann  bezweifeln,  dafs  Plutarch  diese 
ganze  biographie,  die  voll  von  citaten  steckt,  die  eben  so  gelehrt  sind 
wie  seinem  Studienkreise  fern  liegen,  der  compilatorischen  gelehrsamkeit 
der  Alexandriner  verdankt. 

Von  hoher  bedeutung  ist  die  ganze  frage  nur  für  die  biographie 
Solons,  die  sich  mit  Aristoteles  in  so  überaus  vielen  stücken  berührt, 
ihn  für  eine  vocahel,  -Avgßeig,  ersichtlich  nach  Didymos  (25)  und  für 
einen  zug  nennt,  der  nicht  in  der  Politie  steht,  die  ausstreuung  der 
asche  (32),  aufserdem  die  Pythioniken,  ersichtlich  aus  Hermippos,  anführt, 
da  hat  nun  unsere  Untersuchung  an  den  verschiedensten  stellen  bereits 
das  Verhältnis   festgestellt,   und  es   erübrigt  nur   die  summe  zu  ziehen. 

Es  berühren  sich  ganz  nah  Plut.  15  und  Ar.  6,  der  betrug  von  Solons 
freunden  bei  der  seisachthie.  aber  Plutarch  ist  reicher,  und  zu  seinem 
berichte  gehört  ein  citat  aus  Polyzelos  von  Rhodos,  der  ohne  frage  jünger 
als  Aristoteles  ist.  es  steht  die  abschaffung  der  drakontischen  gesetze  bei 
beiden  (Plut.  17,  Ar.  7,  1),  und  wie  sollte  sie  fehlen?  aber  von  Drakons 
Verfassung  weifs  Plutarch  nichts,  und  wie  hätte  er  (19)  die  ältere  existenz 
des  Areopages  als  fraglich  hinstellen  können,  wenn  er  die  Politie  vor  sich 
gehabt  hätte?    das  ganze  achtzehnte  capitel  führt  das  aristotelische  urteil 

21)  D.  h.  ein  dialog,  der  meist  auf  den  namen  des  Aischines  gieng,  aber  von 
Persaios  dem  Pasiphon  zugeschrieben  war.     Diogen.  2,  61,  aus  Panaitios. 


302  '•    9.  Die  geltung  des  buches  in  der  späteren  zeit. 

nicht  nur  über  die  classen,  sondern  auch  über  die  hauptstücke  der  soloni- 
schen  demoKratie  aus,  einschliefslich  des  ohgarchischen  Vorwurfs,  dafs  Solon 
die  gesetze  mit  absieht  dunkel  geschrieben  hätte,  und  es  unterliegt  keinem 
zweifei,  dafs  die  aristotelische  doctrin  für  diese  darstellung  mafsgebend 
gewesen  ist.  aber  wie  der  Wortlaut  sich  viel  weiter  von  Aristoteles  ent- 
fernt, als  denkbar  wäre,  wenn  Plutarch  die  Politie  selbst  vor  äugen  gehabt 
haben  sollte,  so  ist  auch  hier  ein  plus  auf  selten  Plutarchs  anzuerkennen, 
der  brave  delphische  priester  war  wirklich  nicht  im  stände,  aus  l^elvai 
Tiy  ßovXo(.iivio  TifxcoQslv  VTtEQ  xlüv  aduovf^ivcov  (Ar.  9,  1)  zu  machen 
TtavTt  Xaßüv  dUr^v  v/cIq  tov  xcixiog  Tceitovd^ÖToq,  sdioy.ev '  xaf  yaQ  Ttlrj- 
yivTog  ireQOv  y.al  ßiaod-ivTog  i]-  ßXaßevcog  i^rjv  rv)  dvvaf.iev(p  v.aX 
ßovXo^dvio  yqäcptöd^ai  xov  adv/.ovvta  v.aX  öico-aeiv,  oder  von  selbst  auf 
den  guten  gedanken  zu  geraten ,  dafs  Solon  die  ämter  den  bemittelten 
hätte  bewahren  wollen,  rrjv  d*  a)JajV  f-isl^ai  noXireiav,  und  darum  die 
classen  eingeführt  hätte,  sobald  der  census  mafsgebend  ist,  haben  die 
ständischen  unterschiede  aufgehört,  im  gegensatze  dazu  hat  Theseus 
keine  /^ief.iEiyf.i€V)]  dr^{.ioy.QaTia  gestiftet,  sondern  die  drei  stände  x(joQ\g 
ano'A.QLv<xg  hingestellt  (Ar.  fragm.  2).  es  fügt  sich  also  der  gedanke,  den 
Plutarch  vorträgt,  gut  in  den  aristotelischen  gedankenkreis:  nur  hat 
Aristoteles  diesen  gedanken  weder  ausgesprochen  noch  gehabt,  sintemalen 
er  wufste,  dafs  die  classen  nicht  eist  von  Solon  geschaffen  waren. 

Die  Vereidigung  der  archonten  (25,  2)  stammt  sicher  mit  Aristoteles 
aus  derselben  quelle  (vgl,  oben  s.  47),  ebenso  das  verhallen  Solons  zu 
Peisistratos  (30,  vgl.  oben  s.  264).  der  bericht  über  die  ermordung 
Kylons  und  das  gericht  über  seine  mörder  (12)  steht  dem  Aristoteles 
sehr  nahe,  ist  aber  um  die  ohne  zweifei  ungeschichtUche  Intervention 
Solons  erweitert,  es  ist  monoton,  an  jeder  kleinigkeit  dasselbe  auf- 
zuzeigen, und  wenn  hier  oder  da  bei  Plutarch  kein  kenntliches  plus  vor- 
handen sein  sollte,  so  entscheidet  die  masse.  nur  über  die  solonischen 
gedichte  noch  ein  wort.  Plutarch  hat  in  seinen  quellen,  sagen  wir  nur 
ruhig  bei  seinem  hauptgewährsmann  Hermippos,  viele  verse  vorgefunden, 
und  darunter  viele  die  auch  Aristoteles  gibt  (15,  5.  16,  2.  18,  4;  auch  14,  2 
mufs  die  Widerlegung  des  Phainias  durch  einen  solonischen  vers,  den 
Aristoteles  5,  3  gibt,  hermippisch  sein),  aber  er  citirt  ja  viel  mehr  verse, 
darunter  nicht  wenige,  die  die  vorläge  gab  (2,  2.  8,  2.  26.  30),  was  zum 
teil  die  parallelen  bei  Diodor  und  Diogenes  erhärten,  er  hat  aber  auch 
selbst  die  gedichte  nachgesehen,  wie  von  einem  manne  seiner  bildung 
und  seiner  sinnesart  nicht  anders  erwartet  werden  konnte,  so  ist  er  in 
der  läge,  die  Zeilenzahl  der  elegie  Salamis  anzugeben  sammt  ihrem  an- 


Plutarch.     geringe  beuutzung  in  älterer  zeit.  303 

fange,  wie  eben  bibliographisch  genaue  citale  im  alterlum  lauten  müssen, 
und  eine  bcurteilung  ihres  poetischen  Stiles  beizufügen  (8);  und  ebenso 
citirt  er  mit  dem  titel  die  trochaeeu  an  Phokos  (14),  die  er  dann  aus- 
giebig benutzt,  für  ihn  also  macht  die  Übereinstimmung  solonischer 
citate  mit  Aristoteles  gar  nichts  aus.^^)  seine  quelle,  die  peripatetische 
biographie,  ist  dagegen  von  der  Politie  in  der  auswahl  der  verse  und 
sonst  stark  beeinflufst  worden,  hat  also  die  aristotelische  skizze  vielfähig 
erweitert,  namentlich  aus  der  chronik,  die  auch  Aristoteles  selbst  zu 
gründe  gelegt  hatte,  wenn  also  gerade  der  Solon  trotz  ausgedehntester 
berührung  mit  der  Politie  ohne  sie  verfafst  ist,  so  kann  man  gar  nicht 
anders  schliefsen,  als  dafs  Plutarch  weder  diese  noch  irgend  eine  ihrer 
Schwestern  jemals  gelesen  hat. 

Das  aber  ist  das  bedeutsame,  dafs  Plutarch  die  Pohtien  überhaupt  Geringe  be- 
sieh nicht  verschafft  hat,  trotzdem  unter  unzähligen  andern  büchern  äiterer°lei't. 
auch  sie  in  den  biographischen  quellen,  von  denen  er  jedesmal  ausgeht, 
einzeln  citirt  waren,  und  die  Verfasser  jener  biographischen  grundbücher 
haben  eine  sehr  berechtigte  Zurückhaltung  namentlich  gegen  die  oligar- 
chische  tendenz  der  attischen  Pohlie  geübt:  eist  bei  einem  rhetor  der 
allerspätesten  zeit  ist  eine  spur  der  schlimmsten  Themistoklesanekdote. 
aber  so  stehn  überhaupt  die  hellenistischen  Jahrhunderte  zu  diesem 
aristotehschen  buche.  Cicero  und  Dionysios  von  Halikarnafs  und  Ciceros 
philosophische  gewährsmänner  haben  ihr  pohtisches  raisonnement  von 
Theophrastos  und  anderen  peripatetikern  zumeist  geborgt,  aber  die 
athenische  Politie  kennen  sie  nicht,  weder  bei  Panaitios  noch  bei 
Polybios  ist  eine  spur  von  ihr.  Apollodoros  von  Athen,  dessen  historische 
gelehrsamkeit   nach   dem    strabonischen   auszuge  sich  gut  schätzen  läfst, 


22)  Für  die  recensio  der  solonisclien  gedichte  ist  also  Plutarch  ein  zeuge  so 
gut  wie  Aristoteles,  Aristides  dagegen  nicht,  es  ist  das  wichtig  für  den  vers,  den 
Aristoteles  (5,  1)  und  Plutarch  (14,  2)  citiren,  dieser  aber  in  prosa  aufgelöst 
SsSoixcus  TW»'  fiiv  xi]v  (p i,),o%qi]fxax iav  rcov  Se  xtjv  vnEqT](paviav,  wobei  ihm  passirt 
ist  disjuncliv  zu  fassen  und  auf  zwei  parteien  zu  beziehen,  was  nur  dem  adel  galt 
(vgl.  Solon  fgm.  5,  8.  12):  das  war  bei  directer  benutzung  sei  es  Solons,  sei  es 
des  Aristoteles  nicht  möglich,  nun  ist  in  dem  papyrus  das  wort,  das  bei  Plutarch 
als  (pü.ox,Qrif.iaTia  steht,  verloschen,  aber  man  könnte  -atiav  lesen  und  am  anfang 
führen  die  spuren  auf  (f.  nur  der  räum  reicht  nicht,  und  die  Verbindung  te  ie 
lehrt,  dafs  Aristoteles  citirt  hat.  da  nun  der  Zusammenhang  den  begriff  TtXeovE^ia 
fordert  {axQrjuaria  ist  genau  das  gegenteil  des  verlangten),  Plutarch  denselben  be- 
zeugt, so  werden  nicht  nur  Aristoteles  und  Solon  geschrieben  haben,  sondern  trotz 
dem  vor  lav  sichtbaren  bindestrich  auch  der  papyrus  enthalten  haben,  was  bei  Kenyon 
und  uns  steht  (fihaqyv^iav. 


304:  ••    9-  Pie  geltung  des  buclies  in  der  späteren  zeit. 

hatte  von  der  attischen  Politie  keine  veranlassung  zu  reden,  vornehmlich 
deshalb,  weil  er  die  Atthis  selbst  zu  rate  zog;  aber  auch  die  kretische 
hat  er  so  wenig  herangezogen  wie  Polybios-Panaitios,  sondern  Ephoros 
ist  ihr  gewährsmann.  die  lokrische  hat  die  angriffe  des  Timaios  erfahren 
und  deshalb  die  Verteidigung  des  Polybios,  und  es  konnte  nicht  aus- 
bleiben, dafs  einzelne  nummern  der  grofsen  Sammlung  nicht  durch 
reichere  oder  bequemere  concurrenzbücher  in  den  schatten  gestellt 
wurden,  und  hie  und  da  mancherlei  aus  ihnen  angeführt  ward,  im 
ganzen  jedoch  sind  die  Polilien  als  fundgrube  der  alten  localgeschichte 
noch  einigermafsen,  ihre  staatsrechtlichen  teile  und  die  aus  ihnen  abzu- 
leitenden politischen  gedanken  kaum  irgendwo,  die  der  attischen  nirgend 
benutzt  worden. 

Dies  erklärt  sich  freilich  von  selbst  für  jene  Jahrhunderte,  wo  die 
grofsen  künigreiche  und  dann  die  gröfsere  römische  republik  dem  prakti- 
schen Politiker  ungleich  bedeutendere  objecte  der  forschung  oder  betrach- 
tung  boten,  die  politische  theorie  aber  in  den  bahnen  des  kosmopolilismus 
oder  der  negation  des  Staates,  sei  es  vom  epikureischen,  sei  es  vom  ky- 
nischen  Standpunkte  aus  sich  bewegte,  ist  aber  die  Wirkung  des  buches 
unmittelbar  nach  seinem  erscheinen  stärker  gewesen?  das  buch  läfst 
sich  von  der  lehre  nicht  trennen,  und  die  lehre  des  Aristoteles  hat 
durch  Antipatros  und  Demetrios  gerade  in  Athen  selbst  triumphirt.  die 
Politik  aber  und  die  Politien  und  die  Barbarensitten  haben  in  der  peri- 
patetischen  schriftstellerei  der  nächsten  generation  ihre  fortsctzung  und 
Umbildung  erfahren ,  und  insofern  ist  ihre  Wirkung  ungeheuer,  allein 
ein  so  epochemachendes  ereignis  wie  das  erscheinen  der  grofsen  werke 
von  Herodotos  Hellanikos  Thukydides  Ephoros  sind  sie  nicht  gewesen, 
vor  dem  publicum  hat  ersichtlich  die  isokrateische  schule  über  die  peri- 
patetische  auf  dem  gebiete  der  historiographie  den  sieg  davongetragen, 
die  zusammenfassende  Weltgeschichte  über  die  monographieen.  im  2. 
Jahrhundert  n.  Chr.  verschwindet-  Ephoros  ziemlich  gleichzeitig  mit  dem 
aufkommen  der  Politien ;  leider  kann  man  darin  nicht  einen  sieg  der 
wissenschafilichkeit  sehen,  da  es  vielmehr  der  matte  archaismus  ist,  dem 
Ephoros  zu  voluminös  für  die  schule  war. 

Gerade  das  Verhältnis  der  Politien  zu  Ephoros  ist  in  diametral 
entgegengesetztem  sinne  mit  gleich  apodiktischer  Sicherheit  mehrfach  be- 
urteilt worden,  die  entdeckung  der  Politie  der  Athener  läfst  auch  in 
dieser  Streitfrage  ein  urteil  zu,  über  die  ich  noch  kurz  zuvor  auf  dem 
kalheder  ein  entschiedenes  l/rfi/w  gesprochen  hatte,  weil  ich  nicht  blofs 
eine  jiartei  gehört  halte. 


Verhältnis  zu  Ephoros.  305 

Für  die  einen  ist  es  ausgemacht,  dafs  Ephoros  von  Aristoteles  ab-  Veiiiäitois 
hängt,  z.  D.  soll  er  die  kretische  politie  ziemlich  ungenirt  ausgeschrieben 
haben,  es  war  das  eine  notwendige  folge  der  hohen  meinung,  die  wir 
(ich  mufs  mich  mit  einrechnen)  von  der  historischen  Forschung  des 
Aristoteles  hatten ,  und  von  der  misachtung  der  Isokrateer.  Usener  ist 
sogar  so  weit  gegangen,  sicli  den  jungen  Aristoteles  durch  seine  histo- 
risch-philosophischen tendenzen  anregend  auf  den  greisen  Piaton  zu 
denken ,  weil  dessen  Gesetze  in  der  tat  nicht  ohne  ein  fundament  ge- 
schichtlicher Studien  denkbar  sind,  gerade  hierin  liegt  ein  hauptunter- 
schied zwischen  seiner  Schätzung  der  Akademie  und  der  meinen,  ich 
habe  nie  begriffen,  wie  gerade  er  so  urteilen  konnte,  der  die  einschläg- 
lichen unächlen  dialoge  Minos  und  Hipparchos  doch  noch  dem  schul- 
regimente  des  Speusippos  zuschreibt,  diese  ganze  ansieht  ist  nun  nicht 
mehr  zu  halten,  seitdem  es  feststeht,  dafs  die  Politie  der  Athener,  von 
der  nur  willkür  ihre  Schwestern  trennen  kann ,  ebenso  wie  die  politi- 
schen vortrage  und  die  ^ixaito/^iaTa-^)  der  letzten  lebenszeit  des  Aristo- 
teles angehören,  denn  gesetzt  auch,  dafs  Ephoros  noch  in  den  zwan- 
ziger Jahren  geschrieben  hätte,  so  kann  man  seine  ersten  bücher  doch 
unmöglich  so  spät  ansetzen,  und  er  konnte  auch  wahrlich  nicht  auf  die 
publicaliou  aus  dem  feindhchen  lager  warten,  um  aus  ihr  material  für 
seine  eigene  arbeit  zu  gewinnen,  übrigens  kenne  ich  in  seinen  resten 
nichts  was  auf  die  zeit  Alexanders  mit  Sicherheit  führte. 

Da  scheint  nun  die  entgegengesetzte  ansieht  die  oberhand  zu  ge- 
winnen, die  in  Ephoros  die  oder  eine  hauptquelle  für  die  geschichtlichen 
angaben  der  Pohtik  sieht,  gerade  die  kretische  Verfassung  hat  man  auch 
dafür  als  beleg  angeführt,  und  wer  die  auszüge  beider  vergleicht,  mufs 
zugestehen,  dafs  der  augenschein  eher  für  eine  abhängigkeit  des  Aristo- 
teles spricht,  nun  ist  freilich  Ephoros  in  der  athenischen  Politie  nicht 
benutzt;-  aber  das  erklärt  sich  aus  dem  gegensatze  der  politischen  partei- 
stellung,  und  ein  anderer  Isokrateer,  Androtion,  hat  dem  Aristoteles  ver- 
mutlich  sehr   viel   mehr   geliefert   als  wir    noch   beweisen  können,     ich 


23)  Diese  erwähnen  den  italischen  zug  des  Molotters  Alexandros  (fgm.  614 
Rose):  der  gewährsmann  ist  auch  ein  gelehrter  der  hadrianischen  zeit,  der  Byblier 
Philon.  auf  desselben  mannes  oficöwfioi  nöleis  dürfte  ein  zweites  citat  derselben 
Schrift  (Steph.  Byz.  'ß^wjros)  zurückgehn;  doch  kann  dessen  doublette  {TävayQo) 
auch  apollodorisch  sein,  die  dritte  stelle  steht  bei  Harpokration.  die  benutzer  sind 
also  dieselben  wie  bei  den  Politien.  die  letzten  zwei  Fragmente  beziehen  sich  auf  die 
grenzfehden  zwischen  Athen  und  Boeotien;  über  Oropos  hat  Philippos  338  zu 
gunsten  Athens  entschieden:  Aristoteles  hat  das  umgekehrt  beurteilt,  denn  Graia, 
das  er  mit  Oropos  gleich  setzt,  gehört  bei  Homer  zu  Boeotien. 

V.  Wilamowiiz,  Aristoteles  I.  20 


306  !•    9-  Die  geltung  des  buches  in  der  späteren  zeit. 

niüchle  es  nicht  von  vorn  herein  als  unmöglich  bezeichnen,  dafs  Aristo- 
teles für  irgend  eine  Pohlie  oder  für  ein  historisches  exempel  seiner 
vortrüge  das  dickleibige  buch  des  Ephoros  eingesehen  habe,  glaube  aber 
persönlich  vielmehr,  dafs  er  es  gar  nicht  gelesen  haben  wird,  und  mit 
einer  gewissen  gruppe  unserer  historiker  den  forscher  in  Ephoros  zu 
sehen,  in  Aristoteles  den  ausschreiber,  halte  ich  allerdings  nach  wie  vor 
für  noch  weniger  denkbar  als  das  umgekehrte  Verhältnis,  der  grund, 
dächte  ich,  müfsle  einleuchten,  hier  die  Pohtien,  eine  summe  von  ein- 
zelheiten,  dort  die  Universalgeschichte:  was  ist  das  frühere,  nicht  der 
zeit  nach,  sondern  das  TtqöreQOv  cpvOEil  hat  Aristoteles  und  der  Peri- 
patos  das  gewebe  des  Ephoros  aufgedröselt,  oder  hat  Ephoros  die  menge 
der  einzelgeschichten  zu  seinem  werke  verwoben?  die  attische  Politie 
des  Aristoteles  liefert  nun  aber  keine  eigene  forschung,  sondern  ver- 
arbeitet gegebenes  material.  wir  können  die  andern  nur  nach  dieser 
probe  beurteilen,  da  das  material  vorhanden  war,  bedurfte  Ephoros 
der  Politien  nicht.  Aristoteles  war  kein  forscher  gewesen,  aber  den 
Ephoros  werden  wir  nun  doch  nicht  dazu  machen  und  ihm  die  lob- 
sprüche  zuerkennen,  die  wir  früher  dem  Aristoteles  nur  zu  bereit- 
willig gespendet  haben,  gerade  der  Universalhistoriker  stöbert  nicht 
nach  alten  inschriftsteinen  in  den  fufsböden  der  tempeP^),  sammelt 
keine  sprüchwörter  und  macht  keine  topographischen  Studien,  nicht  nur 
weil  er  keine  zeit  hat,  sondern  weil  seine  geistesrichtung  ins  weile  geht, 
und  Ephoros  war  noch  dazu  ein  rhetor.  aber  wozu  bedurfte  er  auch 
der  eignen  forschung?  dasselbe  mateiial,  das  der  Peripatos  verarbeitete, 
stand  auch  ihm  zur  Verfügung,  mit  der  erkenntnis,  dafs  die  aristote- 
lische Pohtie  der  Athener  eine  compilation  aus  vorhandenem  litterarischem 
materiale  ist,  haben  wir  auch  das  material  kennen  gelernt,  aus  dem  der 
Isokrateer  sein  gebäude  errichtet  hat.  was  wir  für  die  Atthis  gelernt 
haben,  ist  damit  für  KqrirL/.a  Milrjaiayicc  ^af-iiaxd  auch  gesagt,  die 
bedeutung  der  localen  Überlieferung  und  der  localhistorie  wächst  ganz 
ungemein,  während  die  der  grofsen  werke  sinkt,  in  denen  diese  locale 
Überlieferung  verarbeitet  worden  ist.  oder  vielmehr  dafs  sie  sänke,  ist 
zu  viel  gesagt;  sie  wird  nur  richtiger  geschätzt,  denn  ohne  das  sam- 
meln und  verarbeiten  des  Peripatos  und  der  Isokrateer  würde  aus  dem 
chaos   der  localliteratur   wenig   erhalten   geblieben  sein.     Ephoros  und 

24)  Darüber  höhnt  Polybios  gegenüber  dem  polyhistor  Tiniaios,  XII  11,  2  o 
T«fi  onia&oSöfiovB  (omad'oyQÖtpovs,  oder  wie  sagte  man  dafür  im  alterlum?  der 
bei^rifl  scheint  nötig)  aTr,Xus  xai  räe  iv  tals  cpXiali  xiöv  veötv  noo^evias  e^evQTjxcos 
Tifiaioi  ioTiv. 


Verhältnis  zu  Ephoros.  307 

Aristoteles  stehn  zu  ihr  wie  die  sammler  und  redactoren ,  die  die  un- 
endliche fülle  der  alten  epen  seit  dem  sechsten  Jahrhundert  umformend 
erhalten,  Ephoros  wie  der  letzte  bearheiter  der  Odyssee  oder  der  der 
Eoeen,  Aristoteles  wie  der  sammler  des  xii/Ao?,  wenn  es  einen  gegeben 
haben  sollte. 

Doch  diese  namentlich  für  die  methode  unserer  geschichtlichen  for- 
schung  fundamental  wichtigen  gedanken  fordern  eine  gesonderte  betrach- 
tung,  der  im  nächsten  buche  ein  eigener  abschnitt  gewidmet  ist.  hier  kam 
es  darauf  an,  zu  zeigen,  dals  das  altertum  die  PoHtie  gemäls  dem  werte, 
den  das  büchlein  wirklich  hat,  so  lange  geschätzt  hat,  als  es  noch  seine 
andern  schätze  zu  nutzen  wufste.  erst  als  der  wissenschaftliche  sinn 
abstirbt,  haben  der  geringe  umfang  und  daneben  der  hochberühmte  ver- 
fassername  zusammengewirkt,  ihm  eine  geltung  zu  verschaffen,  die  uns 
verleiten  mufste,  mehr  zu  erwarten,  als  nicht  nur  geleistet  ist,  sondern 
auch  als  Aristoteles  wollte  und  konnte. 


20* 


10. 

ZWECK  UND  BEDEUTUNG  DES  AßISTOTELISCHEN 

BUCHES. 


Politie '? 


Was  ist  die  Wir  halten  uns  in  unsern  träumen  dieses  buch  gewünscht,  auf  dafs 

wir  eine  authentische  belehrung  darüber  erhielten,  was  der  athenische 
Staat  gewesen  sei.  wir  mufsten  so  oft  mehrdeutige  auszüge  daraus  als 
die  beste  Überlieferung  anerkennen,  wir  waren  gewohnt,  in  Aristoteles  den 
unvergleichlichen  an  wissen  und  an  urteil  zu  verehren,  dafs  der  wünsch 
sich  mit  notwendigkeit  einstellte:  o  dafs  er  doch  zu  uns  spi'echen  könnte, 
der  träum  ist  Wahrheit  geworden :  er  spricht  zu  uns.  als  das  neue  licht 
erschien,  mufste  jeder  zunächst  geblendet  sein;  bald  aber,  unheimlich 
bald,  wui'den  die  verschiedensten  urteile  laut,  sie  waren  durch  drei  fac- 
loren  gebildet,  alle  von  einem  stark  subjectiven  Charakter,  den  eindruck 
des  neuen  buches,  die  autorität  des  verfassernamens  und  die  Vorstellung, 
die  sich  der  urteilende  von  der  attischen  geschichte  vorher  gebildet 
hatte,  durch  die  combination  so  variabler  factoren  lassen  sich  noch 
eine  anzahl  anderer  wahrsprtiche  über  das  neue  buch  gewinnen ;  aber 
die  vorliegenden  könnten  genügen ,  um  einem  von  fern  herantretenden 
das  ganze  buch  zu  verekeln,  was  sowol  als  eitel  gold  wie  als  eitel  kot 
bezeichnet  weiden  kann,  wird  wol  überhaupt  nichts  besonderes  sein, 
dem  gegenüber  verlangte  die  Wissenschaft  zunächst,  das  buch  wie  es 
ist  zu  verstehen,  der  erste  text  konnte  nur  ein  provisorischer  sein ; 
die  erste  Übersetzung  war  es  noch  mehr:  trotzdem  formulirten  schnell- 
fertige historiker  ihr  urteil,  was  auf  solchem  boden  errichtet  wird, 
braucht  man  nicht  erst  anzugreifen,  das  fällt  von  selbst  ein.  also  die 
lexlkrilik  war  die  erste  aufgäbe,  dann  kam  die  zweite,  die  berichte  des 
Aristoteles  auf  ihre  herkunfl  zu  untersuchen,  womit  die  frage  nach 
ihrer  qualität  nicht  notwendig,  aber  tatsächlich  verbunden  ist.  denn 
es  zeigte  sich  bald,  dafs  in  diesem  buche  wirklich  geschichtliche  for- 
schung  so  gut  wie   gar   nicht  steckt,   also   nicht  Aristoteles,   sondern 


Was  ist  die  Politie?  309 

seine  gewährsmänner  die  Verantwortung  für  den  inhalt  tragen,  er  nur 
für  die  auswahl  jener  gewährsmänner,  und  es  sind  deren  darunter, 
die  es  mit  der  Wahrheit  leicht  genommen  haben,  die  er  also  nicht 
hätte  heranziehen  dürfen,  wenn  er  es  mit  der  geschichthchen  forschung 
ernster  genommen  hätte,  gerade  das  was  so  sehr  neu  und  über- 
raschend in  dem  buche  ist,  ist  es  zumeist  deshalb  für  uns  gewesen, 
weil  ihm  schon  die  schüler  des  Aristoteles  wegen  seiner  herkunft  oder 
seines  inhaltes  nicht  getraut  haben,  die  arbeit  der  analyse  ist  nun  auch 
geschehen,  es  könnte  scheinen,  als  wären  wir  fertig  und  ich  brauchte 
höchstens  stihstisch  noch  eine  recapitulation.  vielleicht  machte  es  sich 
gut,  mit  einem  überlegenen  ""du  hast  nichts  als  eine  compilation  ge- 
liefert; du  bist  gewogen  und  zu  leicht  befunden:  ein  historiker  bist  du 
nicht'  den  grofsen  philosophen  zu  entlassen  wie  einen  schulknaben.  ge- 
wifs,  es  ist  wichtig  und  ist  wahr,  dafs  er  kein  historiker  gewesen  ist, 
in  dem  sinne  wie  Herodotos  oder  Thukydides  oder  Polybios  diesen  namen 
verdienen,  gewifs  gilt  fortan  die  regel,  du  sollst  auch  bei  einer  aristo- 
tehschen  nachricht  nach  ihrem  wirklichen  gewährsmann  fragen,  sein 
urteil  ist  durchaus  nicht  entscheidend,  aber  mit  dem  buche  sind  wir 
mit  nichten  zu  ende,  man  braucht  es  doch  nur  zu  lesen,  wieder  einmal 
frisch  sich  dem  erquickenden  sprudel  dieses  silberklaren  periodenstromes 
hinzugeben,  um  recht  bescheiden  von  dem  zu  denken,  was  die  quellen- 
analyse  eigentlich  von  dem  schriftstellerruhme  abbricht,  dies  buch  will 
etwas  und  wirkt  etwas;  meiner  empfindung  nach  erreicht  es  das  auch. 
es  will  in  dem  leser  ein  urteil  über  die  Verfassung  erzeugen,  die  es  be- 
schreibt, und  zwar  um  überhaupt  pohtisches  urteil  in  ihm  zu  erzeugen, 
die  geschichtliche  belehrung  ist  nicht  der  zweck:  sonst  würde  doch  etwas 
mehr  davon  geboten  sein ;  es  wird  vielmehr  vorausgesetzt,  dafs  der  leser 
von  der  geschichte  im  ganzen  unterrichtet  sei,  den  Herodotos  kenne 
und  latente  polemik  gegen  ihn  und  Thukydides  verstehe,  eine  dogmatik 
der  Verfassung  ist  auch  nicht  der  zweck:  sonst  würde  nicht  so  viel  des 
wichtigsten  fehlen,  wenn  von  sehr  vielen  beamten  der  kreis  ihrer  Ob- 
liegenheiten gar  nicht  angegeben  wird,  oder  ein  par  unwesentliche,  aber 
aus  irgend  einem  gründe  bemerkenswerte  punkte  allein  angeführt  werden, 
so  liegt  darin,  dafs  auf  leser  gerechnet  wird,  für  die  der  name  des  amtes 
genügt,  um  seine  bedeutung  in  das  gedächtnis  zu  rufen,  auf  einen 
solchen  leserkreis  ist  das  buch  berechnet,  und  diesen  kreis  denkt  sich 
Aristoteles  sehr  weit,  denn  der  umlang  und  die  stilistische  form  des 
buches  zeigen ,  dafs  es  für  alle  gebildeten  geschrieben  ist.  wir  haben 
uns  geirrt,  wenn  wir  früher  nur  eine  Stoffsammlung  in  den  Politien  such- 


310  I-    10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

ten'):  dies  ist  kein  'hypomnema',  kein  hilfsmiltel  für  das  gedächtnis,  son- 
dern stilisirte,  meisterhaft  stilisirte  rede,  und  es  fehlt  die  ganze  termi- 
nologie  der  schule,  es  fehlt  das  specifisch  peripatetische ,  ja  sogar  das 
sokralische.  der  Verfasser  will  also  im  grofsen  publicum  durch  dieses 
buch  das  seiner  ansieht  nach  richtige  urteil  über  die  athenische  Verfas- 
sung erwecken,  er  formulirt  dieses  urteil  nirgend;  trotzdem  kann  ein 
aufmerksamer  leser  die  winke  nicht  übersehen,  die  mit  kalter  Sicherheit 
gelegeuthch  gegeben  werden,  auch  heute  genügt  das,  um  einen  schlufs 
auf  die  politische  Überzeugung  des  Aristoteles  zu  machen,  dieser  aber 
schreibt  für  einen  leser,  der  in  der  läge  ist  dutzende  ähnlicher  bücher 
neben  diesem  vor  sich  zu  haben ,  also  sich  über  so  gut  wie  alle  helle- 
nischen Staaten  ebenso  sicher  zu  unterrichten,  er  wird  dann  wissen, 
was  er  von  ihnen  zu  halten  hat,  und  er  wird  etwas  besseres  besitzen 
als  tausend  einzelheiten  aus  der  Verfassungsgeschichte,  ein  aus  der  fülle 
des  concreten  lebens  geschöpftes  pohtisches  urteil,  wol  ihm  und  seinem 
vaterlande,  wenn  er  darnach  handelt. 

Auf  der  hübe  seiner  irdischen  Wirksamkeit,  nicht  als  greis,  was  er 
nie  geworden  ist,  wol  aber  als  der  hochberühmte  Schriftsteller  und  als  haupt 
der  einflufsreichsten  wissenschafthchen  genossenschaft  ist  Aristoteles  auf- 
getreten als  pohtischer  lehrer  der  nation:  das  ist  das  neue,  was  die 
Politie  uns  für  Aristoteles  gelehrt  hat.  wie  eine  jede  wirkhch  grofse 
entdeckung  hat  auch  diese  unser  meinen  und  vermuten  in  seiner  Un- 
zulänglichkeit gezeigt,  und  statt  dessen  was  wir  erwarteten  etwas  un- 
gleich bedeutenderes  offenbart,  in  jedem  solchen  falle  steht  ein  sinn 
der  in  der  gewohnheit  eingerostet  ist  ratlos,  schmählt  die  beschämte  eitel- 
keit,  die  immer  recht  gehabt  haben  will:  die  Wissenschaft  aber  tut  was 
ihres  amles  ist:  sie  ergibt  sich  willig  dem  neuen,  um  ihr  urteil  zu 
befreien. 

Aristoteles  als  person  tritt  nirgend  hervor;  er  schreibt  mit  einer 
so  vornehmen  Überlegenheit,  dafs  er  das  nicht  nötig  hat.  aber  der  hier 
zu  den  Hellenen  redet  ist  doch  der  lehrer  des  Lykeions,  der  erzieher 
des  königs,  der  in  den  fabelländern  des  Ostens  auf  den  bahnen  des 
Dionysos  wandelt,  der  freund  des  Statthalters  Antipatros.  für  das  publicum 
ist  der  Verfasser  des  buches  mit  nichten  irrelevant:  und  er  müfste  nicht 
der  mann  gewesen  sein,  der  wirken  konnte  und  wollte,  wenn  er  nicht 
mit  der  autorität  seines  namens  gerechnet  hätte,    in  anderem  sinne  noch 


1)  Bergk   und  Dümmler  haben  diesen   punkt   richtiger  beurteilt,   als   es   ge- 
meiniglich und  so  auch  von  mir  geschah. 


Was  ist  die  Politie?    leben  des  Aristoteles,     herkunft  und  heimat.        311 

rechnen  wir  mit  der  person  des  Verfassers,  wir  wollen  über  ihm  stehen, 
vieles  von  dem  was  ihm  latsache  schien  ist  nicht  wahr,  viele  seiner 
urteile  sind  ungerecht,  und  wenn  es  für  uns  auch  unschätzbaren  wert 
hat,  zu  wissen  wie  ein  Aristoteles  über  Athen  geurteilt  hat,  so  sind  das 
doch  zwei  ganz  verschiedene  dinge,  die  Verfassung  und  geschichte  Athens, 
und  ihr  abbild  in  der  secle  des  Aristoteles,  auch  für  unser  politisches 
urteil  ist  es,  wenn  wir  uns  wirkUch  eins  erarbeitet  haben,  unschätzbar 
zu  wissen,  wie  ein  Aristoteles  vom  Staate  gedacht  hat;  aber  auch  da 
wollen  und  müssen  wir  selbständig  dastehen  und  fragen,  wie  ist  er  zu 
seiner  ansieht  gelangt? 

So  werden  wir  vor  die  aufgäbe  gestellt,  das  persönhche  moment  für 
dieses  buch  zu  erwägen,  die  gewährsmänner  seiner  berichte  haben  wir: 
damit  haben  wir  das  buch  noch  lange  nicht,  nur  bücher  die  mit  kleister- 
topf und  schere  gemacht  werden,  sind  durch  eine  quellenanalyse  erledigt, 
in  so  tiefem  ränge  stehen  weder  die  dialoge  Ciceros  noch  die  biographien 
Plutarchs,  geschweige  ein  werk  eines  Aristoteles,  das  ist  sein  kind  und 
bleibt  sein  kind:  den  vater  müssen  wir  uns  ansehn,  den  Aristoteles, 
den  die  Scholastik  verehrt  und  die  candidaten  verfluchen,  die  sein  system 
sich  aus  dürren  compendien  einpauken,  den  fürsten  der  logik  und  den 
Vollender  der  althellenischen  physik,  den  erfinder  jener  famosen  natur- 
erklärung,  die  in  den  bänden  geistloser  nachfolger  mit  warm  und  kalt 
und  trocken  und  feucht  und  fünf  elementen  auf  jede  frage  eine  antwort 
oder  vielmehr  eine  ganze  reihe  von  [.nqTtoTS  zur  Verfügung  hat,  den 
Aristoteles  des  rb  ri  i^r  slvai  und  der  andern  formein  des  terminolo- 
gischen hüllenzwanges  brauchen  wir  hier  freilich  nicht,  wol  aber  einen 
Aristoteles,  der  für  die  Scholastik  und  die  candidaten  und  das  system 
nebensache  ist,  den  söhn  des  INikomachos  aus  Stagira.  und  da  ich 
nun  einmal  glaube,  dafs  die  zeit  vor  der  a/^/y  uns  sterbliche  bestimmt, 
so  mufs  ich  viele  jähre  zurückgreifen,  um  verständüch  zu  machen,  wie 
er  dies  buch  so  hat  schreiben  können. 

Aristoteles   war   ein   sprofs   von    heroischen  ahnen,  Asklepiade  von  Leben  des 

,  .  ,  1  «•      1  1  ■  r    Aristoteles. 

Vaters  und  von  mutters  seite;    der  vater  hatte  otienbar  der  sitte  gemäJs    heikunit 
eine  verwandte  aus  gleichem  hause  geheiratet.'')     der  name.Nikomachos 
bezeugt  die  herleitung  dieser  Asklepiaden  aus  Messene,  denn  in  Pharai 
ist  der   söhn   Machaons   Nikomachos    mit   seinem    bruder   Gorgasos    zu 
hause ^),    und  es  ist  evident,   dafs  eben    nur  durch  diesen   localcult  der 

2)  So  die  vita  Marciana.  Dionysios  gibt  die  herkunft  von  einem  der  chalki- 
disclien  giünder  von  Slagira  daneben  an;  das  schliefst  sich  keineswegs  aus. 

3)  Pausanias  IV  3  vgl.  Isyllos  54. 


312  !•    10-  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

nanie  des  seinem  wesen  nach  im  kämpfe  und  nicht  wider  die  krankheit 
siegenden  heros  in  die  Asklepiadengenealogie  geraten  ist.  da  hegt  es 
nahe,  den  ahn  des  Aristoteles  in  einem  jener  Messenier  zu  sehen,  die  als 
letzte  der  vordorischen  hevolkerung  vor  den  Dorern  Spartas  wichen  und 
sich  über  die  ganze  Hellenenwelt  verbreiteten,  so  weit  sie  nicht  zu  Sparta 
hielt,  am  liebsten  aber  zu  stammesverwandten  flohen,  die  nun  schon  den 
loniernamen  führten,  also  nach  Chalkis  so  gut  wie  nach  Athen,  das  war 
ende  des  achten  oder  im  siebenten  Jahrhundert.  Aristoteles  hat  seinen 
unehelichen  söhn  Nikomachos  genannt;  aber  auf  sein  geschlecht  hat  er 
nichts  gehalten,  ganz  anders  als  Piaton,  der  nie  aufgehört  hat,  sich  als 
Kekropide  und  Nelide  zu  fühlen,  ist  er  ein  entschiedener  feind  des  ge- 
burtsadels  und  der  heroischen  genealogie.  kein  wort  in  seinem  letzten 
willen  gilt  seinem  geschlechte;  keine  briefstelle,  keinen  vers  von  ihm 
haben  seine  biographen  beibringen  können,  er  will  kein  Asklepiade  sein. 
Aber  ein  Stagirite  war  er  und  ist  er  immer  geWieben.  er  hat 
seinen  ererbten  besitz  in  dem  kleinen  Städtchen  behalten,  und  sein 
dortiges  bürgerrecht  mit  keinem  anderen  vertauschen  mögen,  und  der 
boden,  auf  dem  sie  wuchs,  ist  auch  für  diese  edele  pflanze  von  bedeutung. 
Stagiros  oder,  wie  man  damals  schon  sagte,  Stagira,  fuhrt  einen  thra- 
kischen  namen.  an  der  nordostecke  der  Chalkidike  gelegen  blickt  es 
auf  das  Stryniontal,  das  erst  die  macht  des  attischen  Kelches  den 
Thrakern  abgerungen  hat,  und  auf  die  thasische  see;  hafenlos,  wie  es 
ist,  hat  es  nie  eine  gröfsere  bedeutung  erlangt,  und  der  nordwind,  dem 
es  ausgesetzt  ist,  brachte  die  kalten  winter,  über  die  Aristoteles  in  seinen 
briefen  klagte,  in  der  ganzen  Chalkidike  war  auf  thrakischem  Unter- 
gründe aus  euboeischen,  inselgriechischen  und  andern  colonisten  eine 
hellenische  hevolkerung  erwachsen,  die  zwar  die  unterschiede  der  abstam- 
mung  ihrer  bürger  verwischt  hatte,  aber  keine  neue  charakteristische 
eigenart  entwickelt.  Thasos,  hinter  dessen  bergen  den  Stagiriten  die  sonne 
aufgeht,  halte  bis  an  das  ende  des  fünften  Jahrhunderts  eine  bedeutende 
rolle  im  geistesleben  der  nation  gespielt;  die  Übermacht  Athens  hatte 
seine  kraft  gebrochen ,  und  die  wirren ,  die  der  stürz  dieser  macht  im 
gefolge  hatte,  den  niedergang  vollendet,  die  insel  hat  kaum  noch  etwas 
zu  bedeuten.  Poteidaia,  das  die  energie  Korinths  als  ein  streng  dorisches 
reis  in  den  kränz  der  chalkidischen  städte  eingedrängt  hatte,  war  von 
Athen  zerstört  und  hatte  sein  Dorerlum  definitiv  verloren,  am  wich- 
tigsten für  Stagiros  war  die  attische  neugründung  von  437  am  Strymon, 
Amphipolis,  wohin  sich  gerade  Hellenen  der  umgegend  viel  gezogen 
hatten.    Brasidas  halte  diese  günstig  gelegene  stadl  freilich  d,en  Athenern 


Leben  des  Aristoteles,     herkunft  und  heimat.  313 

abwendig  gemacht,  und  sie  blieb  selbständig,  während  Stagiros,  das  dem 
abfalle  gefolgt  war,  sich  wieder  fügen  miifste.  aber  auch  für  Amphi- 
pohs  war  die  freiheit  mit  der  ohnmacht  identisch,  die  abneigung  gegen 
die  athenische  herrschaft  war  in  den  slädten  der  Chalkidike  vielleicht 
besonders  kurzsichtig,  sicherlich  aber  besonders  stark  gewesen,  als  sie 
von  ihr  loskamen ,  versuchten  sie  notgedrungen  eine  art  von  Staaten- 
bund zu  gründen,  in  dem  Olynthos  die  führerrolle  zufiel;  aber  Spartas 
intervention  trat  ihnen  herrisch  entgegen,  und  einen  wirkhchen  bundes- 
staat  hat  Olynthos  selbst  in  den  bescheidenen  grenzen,  die  die  Chal- 
kidike verstattete,  nie  erzielt,  die  einzelnen  gemeinden  werden  in  ihren 
Verfassungen  nur  Spielarten  desselben  typus  dargestellt  haben;  ihr  recjjt 
führt  Aristoteles  selbst  auf  einen  alten  gesetzgeber  Androdamas  von 
Rhegion  zurück^);  auch  ihre  spräche  wird  sich  zu  einem  gemeinsamen 
dialekte,  einem  ionisch  von  euboeischem  oder  auch  nesiotischem  typus 
abgeschliffen  haben :  sie  waren  doch  als  einzelne  Staatswesen  unfähig  zum 
leben,  ermangelnd  der  airaQ-Atia,  in  der  einst  Aristoteles  die  haupt- 
bedingung  des  Staates  sehen  sollte,  unfähig  aber  gleichermafsen  zu  dem 
enlschlusse,  sich  zusammenzuschliefsen  oder  unterzuordnen,  wir  können 
nicht  anders  sagen,  als  sie  warteten  auf  einen  herren,  und  werden  be- 
dauern, dafs  Athen  es  nicht  verstanden  hat,  dieser  herr  zu  bleiben,  der 
knabe,  der  384/3^)  in  Stagira  geboren  ward,  wuchs  unter  den  Vorur- 
teilen dieser  chalkidischen  verkommenden  kleinstaaterei  auf.  den  verfall 
mufste  er  sehen;  wenn  sie  ihm  aber  von  älteren  besseren  zeiten  erzählten, 
so  waren  die  Athener  und  ihr  reich  nicht  die  woltäter,  denen  man  jene 
Zeiten  dankte,  sondern  die  väter  alles  übels.  abneigung  und  argwöhn 
gegen  Athen ,  furcht  hafs  und  widerstand ,  als  die  flotten  des  zweiten 
Seehundes  in  jene  gewässer  kamen,  hat  er  in  seiner  heimat  allein  sehen 
können. 

Die  thrakische  bevölkerung  nicht  nur  auf  der  Chalkidike  selbst, 
sondern  überhaupt  landeinwärts  zwischen  den  flufstälern  des  Axios  und 
Strymon  bösafs  kein  kräftiges  Volkstum  mehr;  vermuthch  war  sie 
schon  so  gut  wie  ganz  verschwunden,  aufgesogen  hier  von  den  Hellenen, 
dort  von   den   Makedon en.     schon    erschien   das  ganze  hinterland   den 


4)  Politik  B  ende,  vgl.  oben  s.  67. 

5)  Seine  geburt  ist  nicht  weiter  datirbar  als  auf  den  archon  Diotrephes.  die 
künste,  durch  rechnungen  mit  ordinal-  und  cardinalzahlen  den  geburtstag  auf  eine 
Jahreshälfte  zu  beschränken,  verkennen,  dafs  Apollodor  nur  mit  attischen  jähren, 
deren  jedes  einer  viertelolympiade  gleichgesetzt  ist,  rechnen  konnte  und  ge- 
rechnet hat.     und  auch  seine  data  waren  ihm  in  keiner  anderen  rechnung  gegeben. 


314  1.    10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buclies. 

llcUeuen  makedonisch,  und  obwol  nicht  nur  der  adel  dieses  Volkes  sich 
rasch  hellcnisirle,  so  dafs  es  eine  makedonische  schrift-  und  geschäfls- 
sprache  gar  nicht  gab,  so  sahen  die  Hellenen  und  vollends  die  näch- 
sten nachharn  in  den  kriegerischen  und  ihrer  nationahtät  frohen  Make- 
doueu  ein  fremdes  volk.  Aristoteles  ist  zu  nah  an  Makedonien  aufge- 
wachsen, um  nicht  die  Vorurteile  mit  der  muttermilch  einzusaugen,  die 
eine  hoher  civilisirte  bevölkerung  von  älterer  cultur  doppelt  stark  gegen 
den  nachbar  nährt,  wenn  dessen  frischere  und  rohere  volkskraft  sich  ihrer 
materiellen  Überlegenheit  bewufst  wird,  der  vater  des  Aristoteles,  Niko- 
machos,  ist  als  leibarzt  am  hofe  des  Amyntas  IL  gewesen,  wann  und 
wo  das  war,  wie  nah  die  beziehungen  waren,  sind  wir  aufser  stände 
zu  schätzen.®)  als  der  söhn  des  Nikomachos  von  dem  söhne  des  Amyntas 
berufen  ward  und  dem  rufe  folgte,  wird  dieser  präcedenzfall  so  oder  so 
mitgespielt  haben,  allein  jene  berufung  ist  auch  ohne  ihn  sehr  erklär- 
lich, nicht  nach  Makedonien,  sondern  nach  Stagira  gehört  die  Jugend 
des  Aristoteles,  seines  vaters  gedenkt  weder  er  in  seinem  testamente, 
noch  wissen  seine  hiographen  mehr  von  ihm  zu  erzählen,  wol  aber  dafs 
nicht  er  die  erziehung  des  sohnes  bestimmt  und  dessen  dank  geerntet 
hat.  auch  dieser  grofse  mann  hat  nichts  erkennbares  von  seinem  vater 
an  sich,  das  Makedonien  aber,  das  er  in  seiner  knabenzeit  sehen 
konnte ,  war  von  allen  greueln  der  barbarenhöfe  und  der  bürgerkriege 
verwüstet,  er  hat  höchstens  eine  so  starke  aversion  dagegen  mit  in 
das  leben  genommen,  dafs  er  später  die  unvergleichliche  gelegenheit 
versäumt  hat,  einblick  in  den  staat  und  das  volksieben  Makedoniens 
zu  tun. 
KiDdheii.  Nach  dem  herkommen  der  Asklepiaden  hätte  Aristoteles   zum   arzt 

ausgebildet  werden  sollen;  da  wäre  das  erste  die  handwerksmäfsige  an- 
leitung  in  der  klinik  (dem  irjzgelov)  des  vaters  gewesen,  wo  denn  die 
handreichungen  und  dienste  des  gehilfen,  auch  das  '^pillendrehen''  (qxxQ- 
luaxa  TQißsLv)  für  ihn  eben  so  wenig  entwürdigend  sein  konnten,  wie 
für  seinen  heroischen  ahn  Machaon ,  den  assistenten  {t7tr]Q€Tr^g)  seines 
vaters  Asklepios.  es  war  für  einen  Hellenen  so  selbstverständlich,  dafs 
der  söhn  des  arztes  dem  vater  folgte  und  zur  band  gieng,  dafs  Epikuros 
und  Timaios  nur  mit  gehässiger  Übertreibung  ihn  "eine  apotheke  halten'' 


6)  Dafs  der  knabe  Aristoteles  am  hofe  geboren  und  erzogen  wäre,  ist  eine 
willkürliche  folgerung  der  modernen,  wenn  er  vorsichtig  war,  brachte  Nikomachos 
wenigstens  ende  der  achtziger  jähre  frau  und  kind  nicht  nach  Pella,  oder  wo 
sonst  Amyntas  wohnte,  was  kein  mensch  sagen  kann. 


Kindheit.  315 

und  dann  *^eine  obscure  arztstube  zumacben'  lassen'),  womit  sie  die  wahr- 
heil  aussprechen,  dafs  er  dem  ererbten  berufe  untreu  geworden  ist. 
damit  ist  die  tradition  niclit  gerechtfertigt,  dafs  er  ihn  je  begonnen  hat. 
und  wenn  seine  naturwissenschaftUchen  Studien  ihn  selbst  zur  ana- 
tomie  getrieben  haben,  so  haben  wir  leider  keinen  anhält,  zu  er- 
kennen, ob  er  schon  als  knabe  solche  beschäftigungen  getrieben  oder 
gesehen  hat  oder  erst  in  der  scimle  Piatons  auf  sie  geführt  ist,  wo  die 
anregung  ihm  sicher  geboten  ward.  eben  so  wenig  können  wir 
uns  vermessen,  die  gerechte  Würdigung  des  Demokritos  auf  jugendein- 
drücke zurückzuführen,  jedenfalls  aber  war  der  siebzehnjährige  willens 
alles  andere  eher  zu  werden  als  arzt,  und  zogen  ihn  viehnehr  die  geistes- 
wissenschaften  an,  denn  er  gieng  nach  Athen:  für  den  Studenten  der 
medicin  war  da  nicht  viel  zu  holen. 

INikomachos  war  damals  lange  tot;  ob  auch  die  mutter,  ist  fraglich; 
geschwister  aber  lebten  noch,  die  Verantwortung  für  die  erziehung  des 
Aristoteles,  also  auch  für  die  erlaubnis  zu  der  entscheidenden  reise,  hat 
ein  gewisser  Proxenos  getragen,  dem  sein  mündel  die  volle  dankbarkeit 
eines  sohnes  bewahrt  hat.  er  verordnet  in  seinem  testamente  für  Pro- 
xenos wie  für  seine  mutter,  seinen  ohne  descendenz  vor  ihm  verstorbenen 
bruder  und  seine  frau  Stiftungen  zu  ihrem  ehrenden  gedächtnis  (für 
seinen  vater  nicht),  vor  allem  aber  hat  er  dem  söhne  des  Proxenos, 
Nikanor,  die  band  seiner  einzigen  ehelichen  tochter,  die  damals  noch 
nicht  mannbar  war,  bestimmt,  das  sollte  für  diese  eine  sichere  Ver- 
sorgung sein  und  jenem  das  vermögen  zusichern,  beides  sofort,  nicht 
erst  nach  der  hochzeit  und  mit  den  beschränkungen,  welche  frauengut 
und  gar  erbtochtergut  mit  sich  bringt,  deshalb  hat  Aristoteles  die  fiction 
gewählt,  dafs  er  Nikanor  für  diesen  fall  adoptirte.  er  hat  das  offen- 
bar mit  ihm  abgemacht,  und  zwar  juristisch  bindend  abgemacht^),  als 
jener  im  sommer  324  vom  hoflager  des  konigs  nach  Hellas  gekommen 
war.  denn  er  war  ein  officier  bereits  in  hoher  Stellung,  natiü'licb  auch 
kein  jünghng  mehr,  da  er  der  söhn  von  Aristoteles'  vormund  war,  be- 


7)  Epikur  fgm.  171,  Aiistokles  bei  Euseb.  pr.  ev.  XV  791,  Polybios  XII  7. 
übrigens  stehn  bei  beiden  noch  mehr  verläunidungen,  die  keines  wortes  mehr 
bedürfen,  irgend  welche  anhaltspunkte  werden  sie  ja  gehabt  haben,  wenn  sie  auch 
von  einem  kriegsdienste  des  Aristoteles  erzählen,  aber  was  das  war,  wissen  wir 
nicht  und  brauchen  schwerlich  traurig  darüber  zu  sein,  übrigens  ist  kaum  denkbar, 
dafs  einer  der  beiden  sehr  ungleichen  Zeitgenossen  von  dem  anderen  abgehangen  hätte. 

8)  Darum  verbreitet  sich  darüber  das  offenbar  unmittelbar  vor  dem  tode  in 
Chalkis  verfafste  testament,  das  wir  lesen,  nicht  mehr. 


316  J-    10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

sonders  orgeben  der  familie  des  Anlipatros,  und  dieser  als  freund  und 
testanienlsvüUstrecker  des  Aristoteles  hat  offenbar  das  etwas  coniplicirte 
rechtsgeschäft  vermittelt,  das  mit  attischem  familienrechte  nicht  gemessen 
werden  darf,  dem  Aristoteles  lag  daran,  seine  unmündige  tochter  zu 
versorgen;  sie  bedurfte  eines  starken  Schutzes,  den  die  familie  selbst  ihr 
nicht  geben  konnte;  aufserdem  war  die  concubine  Herpyllis  zu  befrie- 
digen, der  Aristoteles  alles  gute  gönnte,  deren  söhn  er  aber  nicht  im 
entferntesten  gewillt  war  zu  legitimiren,  da  er  sonst  Pythias  schwer  be- 
einträchtig hätte,  zu  bieten  hatte  er  ein  offenbar  recht  ansehnliches 
vermögen,  das  er  gern  dem  söhne  des  Proxenos  zuwandte,  der  ehr- 
geizige ofßcier  ist  auf  das  in  der  tat  beiden  teilen  vorteilhafte  geschäft 
eingegangen,  das  auch  allen  beteiligten  durchaus  wol  ansteht;  man  mufs 
nur  mit  antiken  begriffen  vertraut  sein. 

INikanor  war  Stagirit:  das  ist  unanfechtbar  gesichert;  die  heimat 
ist  für  diesen  träger  des  damals  nicht  seltenen  namens  das  kennzeichen. 
folglich  ist  es  sein  vater  auch  gewesen  ,  was  ja  auch  das  Verhältnis  der 
beiden  familien  am  nächsten  legt,  folglich  ist  eine  in  sich  bedenkliche 
nachricht  falsch,  die  ihn  mit  Atarneus  in  Verbindung  bringt.^)  man  möchte 
am  liebsten  glauben,  dafs  Proxenos  die  verwittwete  Phaislias  geheiratet 
hätte;  jedenfalls  ist  er  ein  getreuer  Vormund  gewesen.  Aristoteles  hat  sein 
lebtag  nahrungssorgen  nicht  gekannt,  sich  seinem  Studium  mit  aller 
kraft  und  in  voller  freiheit  hingeben  können,  und  hat  sowol  seiner 
schule  in  seinem  wissenschaftlichen  nachlasse  wie  seiner  tochter  etwas 
ansehnliches  hinterlassen,  er  war  offenbar  von  klein  auf  an  eine  be- 
queme lebensführung  gewöhnt,  mit  viel  bedienung,  solidem  hausrat  und 
guter  Verpflegung;  und  er  bheb  dabei,  trotzdem  er  ein  philosoph  ward, 
und  in  Athen  die  lebensführunor   im    allgemeinen   bescheidener  war    als 


9)  In  der  vita,  deren  brechungen  bei  Rose  s.  426.  437.  442  stehn,  hiefs  es 
etwa  fiexa  Se  Trjv  TeXevrrjv  Nixofiäxov  xai  <PatariSos  aväyerai  naQo.  ÜQO^ivto 
AiagvEi,  ov  xai  ttJS  rQoy>fjs  Siafiefivrjfiäpos  lov  vlöv  Niyiüvoqa  ed'^srpsv  xal  ejiaiSevaev 
xai  viov  otxelov  inon^aaTo  u.  s.  w.  darin  ist  IdxuQval  formell  unverständlich  und 
schon  deshalb  durfte  Bernays  (Ges.  Abh.  I  167),  dem  üsener  sich  anschliefst,  nicht 
eine  Jugendzeit  des  Aristoteles  in  Atarneus  annehmen,  die  freundschaft  mit  Hermias 
ist  durch  die  platonische  schule  vermillelt  und  in  Athen  geschlossen;  das  sagt  ein 
guter  zeuge,  Strabon  610,  und  es  bestätigt  sich  dadurch,  dafs  dieselbe  freundschaft 
den  Xenokrates  umschliefst.  entscheidend  tritt  das  Vaterland  Nikanors  hinzu,  wenn 
Bernays  die  beurleilung  der  barbaren  in  der  Politik  auf  die  asiatischen  eindrücke 
des  Aristoteles  zurückführt,  so  stünde  nichts  im  wege,  ihn  diese  erst  346  gewinnen 
zu  lassen,  aber  Aristoteles  gibt  über  den  nationalcharakter  nichts  eigenes  oder 
eine  frühe  berülirung  mit  dem  Oriente  beweisendes. 


Kindheit,     auf  der  hohen  schule.  317 

bei  den  loniern.  den  spott  und  die  Verleumdung,  die  ihm  daraus  er- 
wachsen ist,  konnte  er  verachten  ,  und  wenn  ihm  die  hundephilosophie 
und  das  schmierige  Pythagoristentum  zeitlebens  zuwider  gewesen  sind, 
so  trug  dazu  das  meiste  seine  höhere  anschauung  von  der  menschlichen 
gesellschaft  und  ihrer  gesittung  und  Wissenschaft  bei.  aber  es  gehört 
zu  dem  bilde  des  menschen,  dafs  wir  ihn  zwar  den  adel  des  blutes 
und  des  geldes  verachten  sehen,  aber  in  seinen  lebensgewohnheiten  und 
seiner  lebensführung,  dem  entsprechend  auch  in  der  mafsvollen  Schätzung 
der  guter  dieser  weit,  niemals  den  mann  verleugnen,  der  mit  den  grofsen 
der  weit  und  des  praktischen,  politischen  und  militärischen  lebens  wie 
mit  seines  gleichen  verkehrt. 

So  kam  der  blutjunge  Student  368/7  nach  Athen,  in  die  grofse  Auf 
Stadt,  in  die  grofse  weit,  er  hat  später  erzählt,  wie  sie  bei  ihm  zu  'scinüe^" 
hause  das  Pythion  befragten,  und  dieses  ihm  den  weg  zu  der  philosophie 
wies:  wir  sehen  die  familie  den  reiseplan  erwägen  und  in  alter  weise 
die  entscheidung  suchen,  wenn  ein  Jüngling  fragte,  el  Xt^ov  y.al 
afisivoi  eXr]  ^Adrivate  n:Xeiv  cpiXoaorprjaovra,  so  mufste  der  gott  wol 
ja  sagen ;  aber  er  dachte  dabei  schwerlich  an  die  gedanken  des  aristo- 
telischen protreptikos,  ebenso  wäre  es  sehr  verkehrt  sich  vorzustellen, 
dafs  der  jungling  deshalb  als  Student  der  philosophie  nach  Athen  ge- 
zogen sein  müfste,  weil  er  der  grofse  philosoph  geworden  ist.  die  hohe 
schule  bezog  er  freilich  um  Ttatdeia  und  q^ilooocpLa  zu  treiben,  aber 
was  er  werden  sollte,  war  damit  keinesweges  gesagt,  sein  Vormund  wird 
wol  eher  an  eine  politisch-diplomatische  zukunft  gedacht  haben,  eine 
carriere,  wie  sie  sein  eigner  söhn  Nikanor  nachmals  gemacht  hat.  rede- 
und  federgewandte  Hellenen  fanden  allerorten,  zumal  aber  an  den 
kleinen  hofen  in  Thrakien  und  Makedonien  einträgliche  und  einflufs- 
reiche  Stellungen,  die  eminente  begabung  und  allseitige  tüchtigkeit 
seines  miindels  wird  Proxenos  erkannt  haben:  die  mittel  zu  der  besten 
ausbildung  waren  vorhanden,  und  der  einsichtige  mann  knauserte  nicht 
mit  ihnen,  in  Stagira  oder  überhaupt  in  dem  chalkidischen  winkel  ver- 
kümmern ,  die  von  der  hippokratischen  Wissenschaft  längst  überholte 
väterliche  praxis  treiben  wollte  und  sollte  Aristoteles  nicht,  darum  sollte 
er  sich  in  Athen  der  fpiXooorpla  bemächtigen. 

Es  war  die  zeit,  wo  man  nicht  mehr  darüber  stritt,  ob  der  junge 
mann  mehr  lernen  sollte,  als  die  schule  ihm  bis  zum  ephebenalter  dar- 
bot, hatte  die  alte  nationale  bildung  der  Hellenen  weiter  nur  noch  für 
die  körperliche  ausbildung  gesorgt,  weil  der  söhn  der  herrschenden  classe 
Soldat  sein  mufste,  sonst  aber  nur  der  beruf  und  das  erwerbsieben  den 


318  '•    10-  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

landniann  oder  kaufmann  oder  industriellen  in  ihren  engen  kreisen  er- 
zo<yen,  so  war  jetzt  zwar  die  militärische  ausbildnng  selbst  in  Athen  ver- 
kümmert (Aristoteles  hat  sein  lebtag  weder  neigung  noch  Verständnis 
dafür  erlangt),  aber  der  mahnruf  der  Sophisten  und  der  sokratiker  "denkt  an 
die  seelen  eurer  kinder"  ward  nachgerade  von  allen  höher  strebenden 
befolgt,  um  tüchtig  zu  sein,  bedarf  man  des  wissens,  zur  a^etr]  gehört 
die  oocfia,  und  die  menschen,  zumal  die  Jugend,  haben  cpilooocpelv  nötig, 
um  ctQETri  oder  y.aloy.ayad-ia  zu  erlangen,  das  war  ein  anerkannter  salz, 
er  scblofs  aber  keineswegs  in  sich,  dafs  diese  philosophie  mehr  als  ein 
mittel  zum  zweck  sein  sollte,  geschweige  dafs  sie  das  leben  füllen  könnte, 
und  über  den  inhalt  dessen  was  eigentlich  zu  treiben  und  zu  lernen 
wäre,  war  das  publicum  völlig  im  unklaren,  denn  es  waren  sehr  ver- 
schiedene waaren  die  sich  unter  dasselbe  etikett  stellten,  und  ein  jeg- 
licher, der  sie  vertrieb,  behauptete  natürlich  die  einzig  ächte  waare  zu 
liefern. 

Uns  erscheint  der  gegensatz  der  damals  in  ewig  vorbildlicher  weise 
(ganz  wie  gerade  heute  wieder)  mit  einander  ringenden  mächte  un- 
verkennbar, hier  philosophie,  dort  rhetorik,  hier  die  ächte  bildung  der 
menschenseele  für  die  ewigkeit,  dort  die  abrichtung  für  die  weit  des 
tages,  hier  Wissenschaft,  dort  allgemeine  bildung,  hier  Piaton,  dort  Isokrates. 
aber  das  verdict,  das  die  geschichte  gesprochen  hat,  konnten  die  mit- 
lebenden nicht  ahnen:  scheint  es  doch  für  die  mächtigen  des  heutigen 
tages  auch  vergebens  gesprochen  zu  sein,  und  dann  begehen  wir  selbst 
nur  zu  leicht  den  fehler,  zu  wähnen,  die  philosophie  hätte  gleich  von 
vorn  herein  sich  dabei  bescheiden  wollen,  im  schatten  der  hallen  und 
gärten  einzelne  zu  erwecken,  die  weit  aber  ihrem  Schicksale  anheim  zu 
geben,  als  Aristoteles  den  boden  Athens  betrat,  bekannten  sich  grofse 
massen,  und  gerade  auch  politisch  und  praktisch  leitende  männer  zu  der 
'philosophie^  die  Isokrates  als  die  allein  für  das  leben  geeignete  zu  lehren 
verstand,  die  Akademie  aber  sah  den  morgen  der  neuen  zeit,  wo  sie 
höchst  real  die  herrschaft  in  dem  mächtigsten  hellenischen  reiche  an- 
treten wollte,  gerade  anbrechen,  denn  Dionysios  I  starb  im  winter  368/7. 
Piaton  selbst  brach  nach  Syrakus  auf;  wenn  ihn  Aristoteles  noch  vor- 
her kennen  gelernt  hat,  so  ist  doch  in  der  nächsten  zeit  eine  Unter- 
brechung in  ihrem  verkehre  eingetreten,  und  Aristoteles  hat  sich  selbst 
helfen  müssen  oder  andere  lebrcr  gesucht, 
isokrates  Wenn  er  unterriebt  bei  Isokrates  genommen  halte,  so  würden  das 

uud  die  . 

iihctorik.    dessen  schüler,  zumal  Kephisodoros,  so  nachdrücklich  in  ihren  Streitschriften 
hetfint  haben,  dafs  wir  es  hören  würden,    aber  studirt  hat  er  ihn  aller- 


Isokrates  und  die  Rhetorik.  319 

dings  sehr  eifrig  und  hat  alles  wirklich  bedeutende,  was  der  rhetor 
lehren  konnte,  in  sich  aufgenommen,  das  ist  jetzt  ganz  unverkennbar, 
nicht  der  dialog  Piatons,  sondern  die  isokrateische  rede  hat  dem  Verfasser 
der  Pohtie  die  feder  so  flüssig  gemacht,  und  der  theoretiker  der  Rhe- 
torik hat  den  grofsten  meister  künstlicher  rede  immer  vor  äugen;  der 
Panegyrikos  und  die  Helene  sind  die  musterstücke,  die  er  auch  später 
mit  Vorliebe  anführt:  sie  konnte  er  schon  368  studiren. 

Aristoteles  brachte  aus  Stagira  ein  entartetes  ionisch  mit;  dafs  seine 
zunge,  wenn  er  ihr  freien  lauf  liefs,  immer  im  Wortschätze  auf  vulgär 
ionisches  zurück  griff,  lehren  seine  schriften,  so  weit  er  sie  nicht  stili- 
sirt  hat.  die  oberflächliche  manier,  die  ihn  unter  die  hellenistischen  Schrift- 
steller lieber  als  unter  die  Attiker  rechnet  und  auf  sein  griechisch  schilt, 
verkennt,  dafs  die  Hellenen,  und  zumal  die  des  ionischen  Sprachgebietes, 
unmöglich  reden  konnten  wie  die  attischen  autochthoneu,  oder  wie  jeder 
stilistisch  gebildete  schrieb,  auch  der  Syrakusier  Philistos  und  der  Aeoler 
Alkidamas.  wenn  er  sich  gehen  läfst,  schreibt  Aristoteles  eben  wie  die 
gebildeten  lonier,  die  die  wortformen  des  attischen  zumeist  angenommen 
halten,  aber  im  Wortschätze  sich  die  prüde  und  wählerische  attische 
manier  gar  nicht  aufzwängen  konnten.'")  aber  um  so  mehr  mufs  Ari- 
stoteles stihstisch  und  rhetorisch  gearbeitet  haben,  da  er  ein  Schriftsteller 
von  höchster  Vollkommenheit  und  der  wissenschaftliche  begründer  der 
rhetorik  geworden  ist.  dazu  hat  er  sich  an  Isokrates  gebildet,  was  der 
konnte  und  lehrte  war  mehr  als  die  rede  glatt  machen  und  hiate  ver- 
meiden: er  lehrte  eine  tektonik  des  löyoq,  wol  vergleichbar  und  mit 
recht  verghchen  der  architektonik ;  er  lehrte  stil.  es  war  auch  eine  gei- 
stige disciplin  darin,  den  eigenen  gedanken  so  lange  zu  drehen  und  zu 
wenden,  bis  er  in  seine  teile  gesondert  und  diese  in  eine  feste  und  doch 
nicht  schematische    Ordnung  gebracht  waren.")     aber  Wissenschaft  war 


10)  Was  wir  als  lierodoteisclie  und  hippokratische  anklänge  bei  Aristoteles 
bezeichnen  können,  ist  dieser  allgemeine  ionische  Untergrund;  was  er  mit  der  s.  g. 
Koivri  gemein  hat,  ist  es  auch,  denn  die  xolvti  ist  aus  dieser  las  erwachsen,  in 
den  naturwissenschaftlichen  schriften  wird  aber  natürlich  auch  die  spräche  seiner 
ionischen  vorlagen  sehr  stark  nachwirken:  den  grofsen  stiikünstler  Demokritos  würden 
wir  gewifs  eben  so  sicher  herauserkennen  wie  wir  es  mit  Herodotos  in  der  Politie 
tun.  in  Demokritos  fehlt  uns,  das  dürfen  wir  nie  vergessen,  ein  sogar  an  Piaton 
heranreichender  stillst,  der  höhepunkt  der  las.  die  ethischen  bruchstücke  bestätigen 
die  urteile  der  allen  kunstrichter;  die  modernen  sind  freilich  klüger  und  athetiren 
was  lediglich  um  der  sprachlichen  form  willen  nicht  älter  und  nicht  jünger  als  Demokrit 
sein  kann. 

11)  Spengels    unvergänglicher    aufsatz  über  Isokrates  und  Piaton  gibt  noch 


320  I.    10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

freilich  etwas  was  Isokrates  weder  lehrte  noch  überhaupt  begriff,  son- 
dern inslinctiv  hassen  mufste,  weil  sie  einer  andern  weit  angehört,  als 
die  er  allein  kannte  und  für  die  einzige  hielt.  Piaton  hatte  alle  rhetorik 
kurzer  band  verworfen,  wenn  er  stilistische  kunstwerke  schuf,  die  dem 
rhetorischen  gemachte  überlegen  waren  wie  die  centifolie  der  georgine, 
so  schuf  er  sie  als  dichter,  wenn  es  ihm  gerade  einfiel,  konnte  er  auch 
dem  rhetor  seine  künste  nachmachen,  aber  auch  das  tat  er  als  meister 
der  i.di.ü]OLg.  allein  so  durfte  nur  der  überlegene  schöpferische  künstler 
bandeln,  der  wissenschaftliche  fortschrilt  war  erst  dann  gesichert,  wenn 
aus  der  routine  eine  methode  ward,  wenn  die  Analytik,  die  Topik,  die 
Rhetorik  so  geschrieben  wurden ,  wie  es  Aristoteles  getan  hat.  gewifs 
hat  er  die  platonische  dialektik  dazu  nötig  gehabt,  und  hat  sie  ihm  das 
beste  geliefert;  die  oocpiarixol  eleyxoi  zeigen,  dafs  er  auch  die  eristik, 
mit  der  Isokrates  so  gern  die  Sokratik  zusammenwirft,  zu  beachten  nicht 
unter  seiner  würde  gehalten  hat:  aber  es  ist  eine  einseitige  und  unge- 
rechte auffassung,  wenn  man  verkennt,  dafs  Isokrates  der  nächste  und 
der  bedeutendste  Vorgänger  des  Aristoteles  gewesen  ist.  gewifs  steht 
dieser  unendlich  höher,  aber  er  steht  auf  jenes  schultern,  der  leiden- 
schaftliche hafs  des  Kephisodoros  lehrt,  wie  tief  die  rhetorische  schule 
sich  verwundet  fühlte;  aber  auch  darin  zeigt  sich  der  wahre  Zusammen- 
hang, ohne  zweifei  hat  Aristoteles  auch  die  ccTtoQQrjra  'looKQarovg,  die 
esoterische  lehre,  für  die  man  den  teuren  cursus  bezahlte'-),  einiger- 
mafsen  gekannt,  an  die  logik  angegliedert  ist  die  rhetorik  erst  durch  das 
werk,  das  Aristoteles  auf  der  höhe  des  lebens  in  unsern  beiden  ersten 
büchern  schrieb,  also  bat  er  in  den  vortragen,  die  er  dem  Theodektes 
zur  herausgäbe  überUefs,  sich  noch  viel  näher  an  Isokrates  gehalten, 
und  der  gemeinsame  freund  bildete  auch  persönUch  ein  bindeghed  zwi- 

immer  die  besten  und  fast  einzigen  fingerzeige  zu  einer  mehr  als  äufserlichen 
Schätzung  der  isokrateischen  lehre,  es  ist  noch  nicht  zu  spät  für  eine  Sammlung 
von  'L.  Spengels  Schriften  zur  griechischen  rhetorik':  sie  würden  wol  im  stände 
sein  nützliche  forlarbeit  hervorzurufen. 

12)  Von  dem  lehrer,  der  von  den  honoraren  des  Unterrichtes  neben  dem  er- 
trage seiner  schriflstellerei  lebte,  ist  gar  nicht  zu  erwarten,  dafs  er  seine  Weisheit 
dem  publicum  vortrüge,  abgesehn  von  der  techne,  die  für  eine  publication  des 
Isokrates  niemand  hallen  darf,  soll  man  auch  nicht  die  Überlieferung  anschuldigen, 
wenn  das  progranim  seiner  athenischen  schule,  die  rede  wider  die  Sophisten,  nur 
aus  einer  polemischen  einleitung  besteht,  so  viel  konnte  er  eben  veröffentlichen: 
er  nimmt  Stellung  zu  den  concurrenten,  zu  denen  auch  Piaton  nach  seiner  auffassung 
von  (ptXoaofia  gehört,  und  von  dem  er  Phaidros  und  Gorgias,  wie  sich  gebührte, 
berücksichtigt,  und  dann  verkündet  er,  was  bei  ihm  schönes  zu  holen  wäre,  damit 
ist  es  aus:  wer  das  schöne  haben  will,  komme,  lerne,  zahle. 


Isokrates  und  die  Rhetorik,    attische  poesie  und  die  poetik.  321 

sehen  dem  greisen  rhetor  und  dem  aufstrebenden  Plaloniker:  zu  einem 
conflicte  zwischen  diesen  beiden  ist  es  nicht  gekommen.^^) 

Theodektes  war  dichter  und  rhetor,  und  vielleicht  noch  mehr  als  Attische 
die  prosa  stand  damals  die  hohe  poesie  unter  dem  einflusse  des  Isokrates.  die  Poetik. 
Aristoteles  hat  diese  rhetorische  tragodie,  die  nur  ein  ephemeres  leben 
geführt  hat,  hoch  geschätzt;  ihm  fast  allein  danken  wir  die  verse  die 
wir  noch  lesen,  er  findet  nichts  dabei,  dafs  die  tragiker  statt  der 
unübersehbaren  fülle  der  Stoffe,  die  Sophokles  und  Euripides  behandelt 
hatten,  nur  noch  ein  par  vorwürfe  immer  wieder  vornehmen,  lauter 
grelle  grausame  sujets,  muttermord,  kindermord,  Wahnsinn,  blutschande. 
die  kunst  des  dichters  war  also  eine  fast  nur  formale:  das  dramatische 
konnte  gar  nicht  mehr  die  tragodie  machen,  macht  es  ja  auch  nicht  in 
der  theorie  des  Aristoteles,  aber  ein  fester  stil  war  da,  wie  wir  nach 
der  analogie  der  prosa  gern  glauben,  mit  höchstem  raffinement  aus- 
gebildet, dieser  stil  zog  den  Aristoteles  an.  einen  ganz  anderen ,  der 
logischen  strenge  und  verständigen  klarheit  der  rhetorischen  poesie  ab- 
sichthch  entgegengesetzten,  hatte  die  lyrik  der  zeit,  der  dilhyrambus, 
ausgebildet,  neben  den  lediglich  die  sinne  reizenden  effecten  der  musik 
und  des  tanzes  wirkte  aber  auch  hier  der  stil,  keinesweges  der  Inhalt : 
auch  den  dilhyrambus  hat  Aristoteles  als  etwas  gegebenes  und  berech- 
tigtes seiner  aufmerksamkeit  gewürdigt,  er  kam  aus  einem  thrakischen 
Winkel  in  die  capitale,  und  er  war  blutjung:  es  war  nur  recht,  dafs  er 
die  genüsse  des  attischen  theaters  nicht  verschmähte:  die  Wirkung  der 
tragodie  hat  er  an  sich  selbst  erlebt.  Homer  und  Archilochos,  auch  wol 
Simonides  kannte  er  aus  den  schulen  seiner  heimat;  Alkman  und  Pindar, 
von  den  dorischen  weiblein  zu  schweigen ,  sind  ihm  zeitlebens  fremd 
gebheben,  er  hatte  sehr  starke  aesthetische  neigungen,  wie  wir  das 
nennen,  und  istdadurch  zum  begründer  der  htteraturgeschichte  geworden, 
zu  der  er  in  seinem  dialoge  über  die  dichter  die  grundlinien  gezogen  . 
hat. ")  allein  die  geschichte  war  ihm  auch  hier  nur  mittel  zum  zwecke, 
der  theorie  des  Stiles,    es  ist  ihm  nicht  eingefallen,  als  gesetzgeber  auf- 

13)  Hypothesen,  die  mit  den  apoUodoiischen  angaben  über  das  leben  des 
Aristoteles  streiten,  hätten  gar  nicht  aufgestellt  werden  sollen;  jedenfalls  braucht 
man  sie  nicht  zu  widerlegen,  so  leicht  es  wäre. 

14)  Die  ansätze  zu  philologischer  exegese  in  den  homerischen,  archilochi- 
schen  u.  a.  Fragen  sind  nichts  für  ihn  charakteristisches;  sie  war  von  kynikern 
und  Sophisten  ganz  ähnlich  getrieben,  aber  wol  hat  ihn  die  poetik  zur  grammatik 
wie  die  rhetorik  zur  logik  geführt;  das  heifst  auf  den  weg.  denn  er  hat  die 
grammatik  als  wissenschaftliche  disciplin  weder  begrifflich  erfafst  noch  tatsächlich 
begründet. 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles  I.  21 


322  I.    10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

zutreten,  sonst  hätte  er  nicht  die  gattungen  der  poesie  hinnehmen  können, 
wie  sie  eben  geschichthch,  das  heifst  mehr  oder  minder  zufällig,  für  ihn 
gegeben  waren,  und  seine  Poetik  sogar  nur  auf  die  zur  zeit  gepflegten 
dichtungsarten  beschränken  können,  er  hat  den  bedeutenden  schritt 
des  überlegenen  Verstandes  getan  und  die  theorie  des  Stiles,  die  Isokrates 
für  die  prosa  vollendet  hatte,  auf  alle  menschliche  rede,  also  auch  die 
poesie  ausgedehnt,  er  geht  auch  hier  so  vor,  dafs  er  die  dem  dichter 
praktisch  gestellten  aufgaben'^)  und  die  vorhandenen  losungen  derselben, 
die  poetische  litteratur,  zur  grundlage  nimmt;  für  ihre  beurteilung  hat 
er,  wie  für  alles  menschhche  tiolüv  und  TtQÜTieLv  die  richtigen  ge- 
sichtspunkte  gefunden,  er  fragt  nach  eQyov  und  oQyava,  nach  ov  evsyca 
und  ÖL  lov.  gevvifs  ist  dabei  etwas  bedeutendes  herausgekommen,  allein 
das  spürt  man  auch  noch  in  der  Poetik,  dafs  ihn  der  slil,  die  grenzen 
zwischen  poesie  und  prosa  und  zwischen  den  einzelnen  gattungen,  zu- 
erst überwiegend  beschäftigt  hatten  ") ;  es  ist  das  seinen  fortschreitenden 

15)  Zu  diesen  gehörte  das  epos  nicht  mehr,  indem  Aristoteles  den  stofF 
Homers,  die  sage,  überhaupt  verkannte,  hat  er  vielleicht  mit  verschuldet,  dafs 
Alexander,  weil  er  heroisches  vollbrachte,  einem  epiker  Stoff  zu  schaffen  wähnte, 
aber  er  selbst  ist  doch  durch  Piaton  daran  gewöhnt,  epos  und  tragoedie  wesentlich 
zusammen  zu  behandeln,  das  epos  ist  Homer,  der  einzige  unübertreffliche;  das  ist 
etwas  fertiges  und  liegt  abgeschlossen  vor.  aber  die  tragoedie  denkt  er  sich  immer 
noch  gepflegt,  und  er  kommt  im  letzten  capitel  der  poetik  dem  buchdrama  sehr 
nahe,  ich  finde  es  durchaus  recht,  dafs  der  verständigste  in  Atlien  360  —  30 
so  urteilte,  aber  wer  selbst  ein  dichter  war  und  das  gefühl  für  das  wirklich 
lebenskräftige  und  lebenswürdige  besafs,  sah  auch  hier,  was  dem  verstände  des 
verständigen  entgieng.  Piaton  hat  die  ganze  schar  der  tragischen  eintagsfliegen 
verachtet:  er  schrieb  ja  dialoge,  weil  das  drama  in  versen  406  gestorben  war.  aber 
er  beachtele  in  Antimachos  den  ionischen  an  sich  schwerlich  irgendwie  erfreulichen 
neuerer,  der  die  an  färben  und  duft  gleich  prächtige  episch-elegische  poesie  des 
Hellenismus  vorbereitete,  wenn  die  poesie  nun  einmal  buchpoesie  werden  mufste, 
und  sie  mufs  es  unter  complicirten  culturbedingungen  immer  werden,  so  gebührten 
ihr  die  formen  der  erzählenden  poesie,  wie  sie  in  voller  freiheit  (als  fisixjov  yevos 
nach  späterer  terminologie)  lonien  bereits  ausgebildet  hatte:  sie  mufsten  nur  durch 
die  höchste  bewufste  kunst  in  spräche  und  versbau  der  neuen  cultur  angepafst 
werden,  und  sie  durften  weder  homerisch  noch  athenisch  sein,  der  Athener  Piaton 
ist  grofs  genug  gewesen,  auch  das  zu  würdigen,  er  hat  auch  den  Parmenides  trotz 
seinen  sclilechten  versen  und  den  halbilaliker  Sophron  gewürdigt,  dagegen  für 
den  trotz  allem  künstt  In  eigner  kraft  entbehrenden  Empedokles  hat  Aristoteles  eben 
wegen  der  einzelnen  künste  eine  Vorliebe,  die  Piaton  nicht  teilt. 

16)  Daher  die  feinen  betrachtungen  im  eingange  der  Poetik  über  Empedokles 
Sophron  u.  a.  der  dialog  über  die  dichter  hatte  dieses  breiter  ausgeführt,  da  war 
auch  die  herkunft  des  dialoges  besprochen  und  zugegeben,  dafs  Piatons  rede  in  die 
poesie  überspielte,    das  hat  Aristoteles  als  reifer  mann  nicht  mehr  gebilligt,   denn 


Attische  poesie  und  die  Poetik.  323 

rhetorischen  Studien  analog,  und  schwerlich  würde  so  viel  ganz  unaristo- 
tehsches  und  ungriechisches  in  die  Poetik  hineingelegt  worden  sein, 
wenn  die  aesthetiker  an  die  elsot  des  Thrasyniachos  und  die  Wirkung 
des  Xoyog  der  stilkiinstler  gedacht  hätten,  die  mit  dem  zauber  von  Sirenen 
Kirke  und  Gorgo  oft  genug  vergHchen  wird. 

Wer  die  stilistischen  formen  so  hoch  schätzt  und  so  feines  gefühl 
für  sie  besitzt,  der  hat  sich  auch  selbst  in  ihnen  zu  bewegen  versucht, 
nur  die  eigene  übung  lehrt  verstehen,  wie  es  gemacht  wird,  wenn  die 
vortrage  des  Aristoteles  neben  den  tagebüchern  des  Hippokrates  für  uns 
die  ersten  proben  einer  griechischen  rede  gehen,  die  wirklich  nur  zeichen 
für  den  gedanken  ist,  so  enthalten  sie  doch  auch  schon  fast  die  ganze 
Skala  der  darstellungsarten,  die  ein  Vortrag  durchlaufen  kann,  bis  zu  der 
grofsen  schlichten  erhabenheit,  z.  b.  im  letzten  buche  der  Elhik,  die  zu 
den  schwersten  aufgaben  gebort,  grofse  partien,  z.  b.  der  Tiergeschichte, 
geben  in  ihrer  vornehmen  einfachheit  ein  muster  wissenschaftlicher  dar- 
stellung,  zu  dem  ich  wieder  nur  hippokratische  werke  als  Vorläufer  an- 
führen kann,  auch  ein  höchstes  und  schwerstes  der  Stilistik,  das  ist  der 
echte  Aristoteles,  wie  er  auf  eigenen  füfsen  steht,  nicht  minder  tut  es 
der  einfach  aber  kunstvoll  erzählende  Verfasser  der  Politie.  sehr  ver- 
schiedene und  meist  fremde  töne  hat  der  Jüngling  angeschlagen,  er 
hat  mit  Piaton  wetteifern  wollen,  und  zwar  dem  Piaton  des  Phaidros, 
und  er  hat  sich  auch  in  den  formen  der  poesie  versucht  *^j :  wir  merken 
überall  den  klugen  des  Stiles  sicheren  kunstrichter,  freuen  uns  an  dem 
menschen  und  bewundern  die  hellenische  Muse,  die  es  den  ihren  leicht 
machte,  zu  sagen  was  sie  litten,  aber  ein  dichter  ist  Aristoteles  nicht 
gewesen,  wie  er  es  ja  nicht  hat  sein  wollen,  ein  gedieht,  wie  Piatons 
epigramme  auf  Dion  oder  Aster  ist  ihm  nicht  gelungen. 

Neben  Isokrates  stand  die  eigentlich  advocatische  beredsamkeit,  die 
specifisch  attische,  die  in  Lysias  ihren  begründer  hatte,  einen  wahrhaft 
bewundernswerten  meister  in  Hypereides  finden  sollte,  für  manche  und 
wahrhch    unverächthche    kunstrichter    ist  dieser  stil,    der  durch  seine 


er  meidet  es:  in  seinen  Jugendschriften  hatte  ihn  das  Vorbild  des  meisters  ver- 
lockt, die  fragmente  des  Eudemos  zeigen  eine  sogar  sehr  starke,  wie  mich  dünkt, 
nicht  gelungene  poeüsche  diction.  schwerlich  ist  der  dialog  über  die  dichter  ein 
jugendwerk,  die  ansieht,  dafs  er  die  dialoge  alle  als  Jüngling  geschrieben  hätte, 
ist  unbewiesen,  und  die  Politie  hat  uns  auch  nach  dieser  seile  die  bahn  frei  ge- 
macht, er  konnte  noch  als  schulhaupt  vollkommen  classisch  schreiben  und  schrieb 
auch  damals  für  das  grofse  publicum. 

17)  Vgl.  die  beilage  'die  gedieh te  des  Aristoteles'. 

21* 


321  I.    lü.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

scheinbare  einfachheit  und  Schmucklosigkeit  wirkt,  ungleich  geuiefsbarer 
als  die  aufdringliche  pracht  des  Isokrates.  aber  weil  sie  fester  regeln 
und  strenger  technik  entbehrt,  hat  Aristoteles  sich  wenig  für  sie  in- 
teressirt.  inhaltUch  konnte  sie  ihm  überhaupt  nichts  bieten,  die  ko- 
nioedie,  die  er  als  junger  mann  spielen  sah,  war  nicht  mehr  die  grofs- 
arlig  phantastische  des  Aristophanes  und  war  noch  nicht  das  bürgerliche 
lustspiel,  das  vielmehr  erst  durch  die  scharfe  menschen-  und  charakter- 
beobachtung,  die  er  selbst  lehren  sollte,  zu  seiner  vollen  entfaltung  ge- 
langt ist.  wer  dem  Menandros  den  weg  geebnet  hat  wird  für  Aristo- 
phanes wenig  neigung  besessen  haben,  so  ist  es.  Aristoteles  fand  an 
den  grobiauischen  späfsen  gar  kein  gefallen ,  und  das  leichtfertige  spiel 
der  Phantasie,  das  seine  glänzendsten  erfmdungen  plötzlich  irgend  einem 
andern  einfalle  preis  gibt,  das  weder  eine  handlung  noch  einen  charakter 
durchzuführen  sich  bemüht,  das  mit  voller  Virtuosität  die  verschiedensten 
töne  anschlägt,  aber  keinen  eigenen  besitzt,  es  sei  denn  die  acht  attische 
XaQiQ,  die  freilich  über  allem  schwebt :  das  alles  bildete  zwar  für  Piaton 
trotz  seiner  asketischen  moral  den  gegenständ  vollster  bewuuderung, 
aber  Aristoteles,  verfügend  über  den  feinen  witz  des  mannes  von  weit, 
war  zwar  für  die  einzelne  glücküche  Situation  oder  das  einzelne  witz- 
wort  empfänglich:  im  ganzen  vermifst  er  eben  den  slil,  und  so  hat  er 
mehr  wie  Isokrates  denn  wie  Piaton  zur  alten  komoedie  gestanden,  die 
reste  seiner  theoretischen  betrachtung  geben  sehr  vieles  über  das  lächer- 
liche, aber  gar  nichts  über  die  komoedie  als  ganzes,  und  schwerlich 
liegt  das  blofs  an  der  Unfähigkeit  der  excerptoren. '*)  wir  aber  dürfen 
wol  sagen,  dafs  wer  in  der  allen  komoedie  blofs  zoten  und  possen, 
zuweilen  eine  gelungene  Situationskomik  und  viele  glückliche  worte  an- 
erkennt, aber  ihre  persönliche  polemik  als  iafißixrj  Idia  ganz  verwirft 
und  dafür  ganz  unempfänghch  ist,  dafs  dieser  zauberspiegel  das  glän- 
zende bild  einer  grofsen  zeit  und  eines  ganzen  Volkslebens  fest  gehalten 
hat,  auch  für  diese  zeit  und  ihr  Volksleben  kein  verständnifs  besessen 
haben  kann. 


18)  Bernays  liat  aus  dem  späten  traktate  das  aristotelische  zwar  sehr  schön 
herausgeschält,  allein  es  wird  nicht  klar,  wie  der  excerptor  dazu  gekommen  ist,  die 
definilion  der  komoedie  und  vieles  andere  zu  schwindeln,  wenn  er  das  acht  aristo- 
telische eben  da  finden  konnte,  wo  er  die  behandlung  des  ys^-olov  hernahm,  der 
Standpunkt,  dafs  aristotelisch  und  weise  und  wahr  so  ziemlich  identisch  wäre, 
kann  nicht  wol  der  richtige  sein,  die  spätere  kunsllehre,  die  Bernays  (Zwei  Ab- 
handlungen 146  anm.)  viel  zu  gering  schätzt  (vgl.  Usener,  ein  altes  lehrgebäude  der 
Philologie  620),  bedarf  dringend  einer  behandlung. 


\ 


Attische  poesie  und  die  Poetik.     Piaton  und  das  M-ahre  lebensideal.      325 

Für  seine  poetik  verdankt  Aristoteles  überhaupt  so  ziemlich  alle 
bedeutenden  grundgedanken  dem  Piaton '^j,  insbesondere  den  frucht- 
barsten der  /idf^ir^aig]  nur  das  stilkritische  und  alles  was  die  Xe^ig  an- 
geht, halte  jener  verschmäht,  für  die  rhetorik  hatte  Isokrates  selbst 
schon,  so  viel  in  seinen  köpf  gieng,  aus  dem  Phaidros  gelernt,  mehr 
noch  aus  dem  verkehre  mit  dem  ihm  damals  geneigten  Verfasser.^")  dann 
aber  konnte  Aristoteles  die  isokrateische  routine  nur  dadurch  wissen- 
schafthch  machen ,  dafs  er  aus  der  platonischen  begriffsphilosophie  eine 
wirkliche  logik  entwickelte:  was  denn  doch  wol  für  alle  zeiten  sein 
gröfstes  absolutes  verdienst  bleiben  wird,  denn  weil  er  diese  schuf,  ward 
er  der  vater  aller  wissenschaftlichen  methode. 

Piatons  lehre  ist  es  also,  ohne  die  selbst  auf  diesen  gebieten,  zu  piaton  und 
denen  er  ihn  nicht  direct  geführt  hat,  Aristoteles  seine  erfolge  gar  nicht  iebenshiea\ 
hätte  erringen  können,  es  ist  der  in  Wahrheit  entscheidende  moment 
in  seinem  leben  gewesen,  als  dieses  lehrers  rede  sein  junges  herz  er- 
weckte :  er  vernahm  die  stimme  die  ihn  berief,  er  gelobte  sich  dem  be- 
rufe, und  er  hat  das  gelübde  gehalten,  schwerlich  hat  ein  zweites  mal 
auf  dieser  erde  ein  solcher  meister  einen  solchen  jünger  geworben,  was 
jener  moment  für  die  menschheit  bedeutet:  dafür  genügt  es  Raffaels 
schule  von  Athen  zu  betrachten,  aber  es  geziemt  sich  auch  zu  bedenken, 
was  er  für  die  beiden  grofsen'  und  guten  menschen  bedeutet  hat.  ver- 
gebens fragen  wir,  ob  Piatons  seele  von  Eros  zu  Aristoteles  hin- 
gezogen worden  ist:  Aristoteles  hat  sich  von  dem  munde  des  meisters 
nicht  wieder  losreifsen  können,  so  lange  noch  ein  wort  und  ein  atem- 
zug  diese  lippen  bewegte,  er  fand  bei  Piaton  nicht  nur  die  lehre  sieg- 
reich behauptet,  dafs  der  mensch  nur  glücklich  ist,  wenn  er  gut  ist,  dafs 
er  aber,  wenn  er  gut  ist  auch  glücklich  ist:    dies  hohe  wort  sah  er  in 


19)  Die  dissertation  von  Ch.  Beiger  de  Aristotele  etiam  in  arte  poetica  Pia- 
tonis discijndo  Berlin  72  führt  das  so  gut  aus,  wie  eine  erstlingsarbeit  es  kann, 
aber  ein  mann,  der  die  poesie  und  die  poetik  weiter  übersieht,  wird  noch  viel  zu 
tun  finden. 

20)  Wenn  Praxiphanes  als  fiction  eines  dialoges  einführen  konnte,  dafs  Iso- 
krates bei  Piaton  auf  seinem  landgute  am  obern  Kephisos  einkehrte,  und  die  beiden 
sich  über  die  dichlkunst  unterhielten  (Diogen.  III  S),  so  kann  das  auf  ihrem  notorischen 
verkehre  in  der  Jugendzeit  aufgebaut  sein,  indessen  halten  sie  z.  b.  in  Timolheos 
Konons  söhn  einen  bedeutenden  gemeinsamen  bekannten,  und  sie  waren  beide  männer 
von  atiischer  Urbanität  und  an  die  schärfe  der  wissenschaftlichen  polemik  gewöhnt, 
die  nur  die  feigen  und  indifferenten  nicht  vertragen,  weil  sie  nicht  einsehen,  dafs 
die  Sache  über  der  person  steht,  sie  können  in  den  jähren  3S0  —  60  sehr  wol 
persönlich  ohne  gene  mit  einander  verkehrt  haben. 


326  I.  10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

IMatons  persou  wahr  gemacht,  wenn  ApoUon  geschwankt  hatte,  als 
Lvkurgos  sein  haus  betrat,  ob  er  ihn  als  gott  oder  menschen  begrüfsen 
sollte,  wenn  Piaton  seinem  sterbenden  meister  den  besitz  des  vollen, 
auf  dem  frieden  mit  gott  und  dem  eigenen  gewissen  beruhenden  glückes 
zugesprochen  hatte,  so  schaute  der  junge  Aristoteles  zu  Piaton  in  der 
tat  als  zu  einem  gotte  auf.")  damit  hatte  er  auch  für  sein  eigenes  leben 
den  inhalt  und  das  ziel  gefunden:  der  Inhalt  eitel  arbeit  und  mühe  für 
die  Wissenschaft,  das  ziel  die  wonne,  das  ewige  anzuschauen  und  das  gött- 
liche in  der  eigenen  seele  frei  und  mächtig  werden  zu  lassen,  selbst 
Piaton  hat  für  die  würde  des  ^£ioQr]Tiy.dg  ßiog  keine  eindringhcheren 
Worte  heiliger  begeisterung  gefunden  als  Aristoteles  am  Schlüsse  der 
Ethik:  die  Ttsid^avceyy.r]  des  unwiderleglichen  logikers  erreicht  dasselbe 
wie  das  hehre  dichterwort  de«  propheten.  sie  würden  es  aber  beide  nicht 
erreichen,  wenn  wir  nicht  die  guten  und  grofsen  menschen  darin  zu 
uns  reden  hörten,  die  also  gelebt,  entsagungsvoll  gearbeitet  haben  und 
glücklich  geworden  sind,  doch  dies  unser  wort  sagt  zu  viel  und  zu 
wenig:  evöaifxoveg  sind  sie  geworden,  obwol  die  evrvxia  ihnen  in  vielem 
gefehlt  hat. 

Als  Aristoteles  sich  für  die  Wissenschaft  entschied  und  in  den  verein 
des  Piaton  eintrat,  entschied  er  für  sein  leben,  mit  planen,  wie  sie 
sein  Vormund  etwa  gehabt  haben  mochte,  mit  einem  leben  voll  ansehn 
macht  ehren  reichtum  und  genüssen,  wie  es  die  weit  suchte  und  Iso- 
krates  es  allein  begriff,  hatte  er  gebrochen,  er  hatte  am  Scheidewege  ge- 
standen und  sich  für  den  schmalen  pfad  entschieden,  das  hat  er,  der 
verständige,  mit  dem  vollsten  bewufstsein  seines  Schrittes  getan,  und  in 
einer  seiner  Jugendschriften  hat  er  davon  rechenschaft  gegeben,  ist  es 
doch  das  schöne  recht  des  jünghngs,  für  das  ideal,  das  er  sich  gewählt 
hat,  zu  werben:  so  schrieb  denn  Aristoteles  seinen  'Mahnruf  zur  Wissen- 
schaft ,  seinen  7tQ0TQe7itiy.bg  eig  cpiXoaoq)iav.  dies  buch  zu  lesen 
sehnt  sich  am  meisten,  wer  zu  Aristoteles  ein  persönliches  Verhältnis 
gewonnen  hat:  hier  redete  hinreifsend  der  apostel  des  platonischen  gottes- 
reiches, und  die  unvergänglichen  gedanken  haben  ihre  macht  trotz  allen 
nietamorphosen  der  worle  bewiesen  an  den  verschiedensten  menschen- 
seelen. 

Als  Marcus  Cicero  die  Unzulänglichkeit  des  cpilÖTifxog  ßiog  fühlte 
und  sein  warmes  und  edeles  herz  an  der  rhetorik  kein  genüge  mehr 
land,  da  hat  er  dem  worte  willig  sein  ohr  geliehen,  das  ihn  zu  höherem 


21)  Vgl.  die  beilage  'die  gedichte  des  Aristoteles'. 


Piaton  und  das  wahre  lebensideal.  327 

und  reinerem  streben  rief,  er  hat  das  aristotelische  gold  umgemünzt 
für  sein  volk  und  seine  zeit,  und  in  dieser  form  hat  es  den  Augustinus 
zur  einkehr  in  sich  selbst  gebracht,  hat  es  den  Boethius  im  kerker  ruhig 
sterben  gelehrt,  und  wie  vielen  herzen  haben  diese  beiden  vermitteler 
kraft  und  trost  gespendet,  indem  sie  ihnen  den  letzten  nachhall  der 
aristotelischen  rede  zuführten,  wie  ganz  anders  würden  auf  uns  die 
vollen  tone  der  echten  rede  wirken. 

Aristoteles  hatte  die  form  einer  rede  an  einen  kleinen  und  obscuren 
kyprischen  fürsten  Themison  gewählt.^^)  das  war  keine  platonische  form, 
sondern  eine  isokrateische,  und  so  wird  uns  offenbar,  dafs  er  in  der  tat 
die  concurrenz  mit  Isokrates  gesucht  hat.  denn  an  den  kyprischen 
fürsten  Nikokles  hatte  jener  seine  hochgefeierle  rede  über  die  aufgäbe 
des  königtums  gerichtet,  die  zugleich  das  wesentliche  von  dem  entwickelte, 
was  der  rhetor  als  moral  begriffen  hatte  und  verkündete,  dafs  die  pla- 
tonische schule,  die  selbst  auf  die  mächtigen  der  erde  rechnete,  den 
Isokrates  auf  diesem  gebiete  überbieten  mochte,  ist  verständlich.  Aristo- 
teles aber  konnte  aus  den  erfahrungen  seiner  eigenen  seele  die  Über- 
windung des  niedern  lebensideals  durch  das  höchste  des  wissenschaft- 
lichen lebens  schildern,  er  tat  es  durchaus  in  der  Verfolgung  platonischer 
gedanken  und  mit  der  nämlichen  Übertreibung,  die  Piaton  praktisch 
oder  auch  unpraktisch  in  SiciHen  betätigt  hatte,  als  er  auf  den  tischen 
des  jungen  Dionysios,  die  sonst  von  wein  schwammen,  mathematische 
figuren  zeichnete,  im  glauben,  so  den  ächten  fürsten  zu  erziehen. 

Denn  so  fern  auch  ihre  ganze  geistesrichtung  und  arbeit  dem  poli- 
tischen leben  zu  liegen  scheinen  mag,  die  philosophen  dachten  darüber 
anders:  die  könige  sollten  philosophen  werden,  auf  dafs  die  menschen 
gut  und  glückhch  würden,  sie  wollten  wirkhch  bekehren:  herrschen 
wollten  sie  nicht  selbst,  aber  doch  herrschen  lehren.  Aristoteles  hat  es 
mit  angesehen,  wie  Piaton  die  ganze  morahsche  und  auch  die  materielle 
macht  der  Akademie  aufbot,  um  erst  durch,  dann  gegen  Dionysios  II  Syrakus 
für  seine  politischen  plane  zu  erobern,  die  trümmerhafte  Überlieferung 
versagt  uns  gerade  die  Vorbereitung  der  expeditionen  Dions  zu  über- 
schauen, aber  dieser  hat  unmogHch  in  Athen  seine  rüstungen  machen, 
Athener  und  andere  wider  eine  vom  Staate  Athen  anerkannte  regierung 


22)  Gerade  die  sorgfältige  besprechung  der  reste  des  Protreptikos  von  Hartlich 
(Leipz.  stud.  11)  hat  mich  in  dem  glauben  befestigt,  dafs  R.  Hirzel  (Herrn.  10),  den 
jener  bekämpft,  den  Protreptikos  mit  recht  für  eine  rede,  nicht  für  einen  dialog 
erklärt  hat.  denn  die  einwürfe  der  gegner  werden  reproducirt,  nicht  im  wirklichen 
gespräche  gegeben. 


328  I-  10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

anwerben,  ja  nur  als  prinz  und  praetendent  dort  leben  können,  obne 
dafs  der  Staat  Athen  davon  notiz  nahm,  von  dessen  seile  duldung  schon 
eine  mächtige  Unterstützung  war.  in  der  tat  wäre  es  für  die  macht- 
stellung  des  athenischen  Staates  etwas  ungeheures  gewesen,  wenn  in 
Syrakus  eine  herrschaft  sich  festgesetzt  hätte,  die  ihre  moralische  stütze 
in  Athen  hatte,  es  war  keine  Wiederholung  der  expedition  des  Alkibiades, 
aber  man  konnte  doch  hofTnungen  hegen,  die  sich  zu  denen  von  416 
verhielten  wie  der  seehund  von  365  zu  dem  attischen  Reiche,  so  liefsen 
denn  Kallistratos  und  Timotheos  den  Dion  und  den  Piaton  gewähren, 
so  hoch  die  hofTnungen  geflogen  waren,  so  tief  war  der  fall.  Piaton 
hat  an  den  glänzenden  aber  blendenden  mann,  den  er  als  letzten  am 
heifsesten  gehebt  hatte,  den  glauben  nicht  verloren:  aber  er  ist  ver- 
düstert und  verbittert  worden,  fast  möchte  man  sagen,  er  hat  lieber  den 
glauben  an  die  allmacht  des  guten  verlieren  wollen. 
Freund-  Aristoteles  hatte  durch  den  verlust  eines  zärthch  geliebten  persön- 

liebe.  liehen  freundes,  des  Kypriers  Eudemos,  der  in  Syrakus  fiel,  eine  erschütte- 
rung  seiner  seele  zu  erfahren,  die  uns  besonders  wertvoll  geworden  ist, 
weil  sie  uns  wieder  einen  einblick  in  das  empfindungsieben  des  jüngHngs 
verstaltet.  Eudemos  war  mit  todesahnungen  in  den  krieg  gezogen,  und 
Aristoteles  hat  den  wundern  geheimnisvoller  seelenkraft  nicht  nur  nicht 
den  glauben  versagt,  sondern  den  schmerz  zugleich  und  den  trost,  den 
ihm  sein  platonischer  glaube  gewährte,  in  einem  ergreifenden  buche  nieder- 
gelegt, seinem  hohen  hede  von  dem  göttlichen  adel  der  menschenseele.  so 
dringt  doch  ein  hauch  zu  uns  von  jenem  unendhch  reichen  leben  ge- 
mütstiefer Jünglingsfreundschaft  und  mannestreue,  das  in  dem  garten 
um  den  Erosaltar  keusch  und  still  geblüht  hat.  man  mufs  freilich 
hellenisch  und  sokratisch  zu  empfinden  gelernt  haben,  wenn  man  das 
würdigen  soll,  man  wird  es'  ja  nicht  beschönigen ,  dafs  es  ein  miston 
ist,  wenn  wir  Aristoteles  später  aus  pietät  gegen  einen  verstorbenen 
freund  und  aus  mitleid  ein  weih  nehmen  sehen,  dem  er  das  zeugnis 
ausstellt,  'sie  wäre  übrigens  auch  brav  und  gut'-^),  und  ein  weiterer 
miston,  wenn  wir  am  Sterbebette  des  grofsen  mannes  eine  concubine 
finden,  die  er  auch  für  den  fall,  dafs  sie  heiraten  wolle,  im  testament 
bedenkt,  die  aber  mit  ihrem  und  seinem  söhne  nichts  mehr  zu  tun 
haben  wird,     es  ist  das  die  Stellung  des  weibes  in  der  weit  des  Aristo- 

23)  Damit  ist  aXXois  fiiv  aaxpQOva  xai  dyad'rjv  ovanv  nicht  voll  ausge- 
schöpft, falls  wir  die  werte  des  briefes  an  Antipatros  (663  F.),  die  Aristokles 
eriialten  hat,  im  streng  philosophischen  sinne  nehmen,  aber  das  sollen  wir  auch 
schwerlich. 


freundschaft  und  liebe,     bestreitung  der  ideenlehre.  329 

teles.^^)  aber  die  menschliche  seele  fordert  sich  ihr  recht  zu  lieben  und 
zu  schwärmen  und  dadurch  zu  leiden,  so  hat  sie  es  auch  in  dem  kreise 
der  Akademie  getan ,  anders  und  doch  ähnlich  wie  in  den  hallen  und 
auf  den  ringplätzen  nebenan,  und  menschlich  näher  rückt  uns  der 
übermenschliche  weisheitslehrer,  wenn  wir  ihn  die  regungen  der  niaien- 
zeit  des  Seelenlebens  auch  erfahren  sehen.-^) 

Und   nun    erlebte   er  was  ihn  zum  manne  machte,     den  EudemosHestreiiung 

der  idcen~ 

hatte  noch  der  gläubige  jünger  Piatons  geschrieben;  bald  aber  kam  eine  lehre. 
krisis  für  seine  wissenschaftliche  Überzeugung:  er  ward  an  der  ideen- 
lehre irre,  er  fand,  dafs  er  sie  widerlegen  könnte,  und,  wie  seine  pflicht 
war,  widerlegte  er  sie.  es  war  sein  gutes  recht,  wenn  er  trotzdem  nicht 
aufhörte,  Platoniker  zu  sein  und  sein  zu  wollen,  so  wenig  Piaton  den 
Sokrates  verleugnet  hatte,  weil  er  ihn  überwand,  aber  es  war  doch  für 
die  Akademie  ein  aufstand  im  eigenen  lagcr,  und  wie  hätte  es  an  kleinen 
geistern  fehlen  sollen,  die  zum  mindesten  über  pietätlosigkeit  schrien? 
wenn  Aristoteles  noch  im  Protreptikos  selbst  die  erwartung  ausgesprochen 
hatte,  die  philosophie  würde  binnen  kurzem  abgeschlossen  sein  (ein 
allerdings  für  die  Jugendlichkeit  des  Verfassers  mehr  als  alles  andere  be- 
weisendes wort),  so  war  jetzt,  Avenn  die  realität  der  ideen  fiel,  die  meta- 


24)  Piaton  ist  darüber  allerdings  weit  hinweggeschritten;  aber  er  hat  die 
frau  doch  nur  dadurch  zu  ihrer  würde  emporheben  können,  dafs  er  sie  dem  manne 
völlig  gleichstellte,  also  durch  die  anerkennung  ihrer  seele,  aber  die  leugnung  ihres 
geschlechtes,  der  dichter,  der  seinen  Eros  von  einer  frau  verkünden  läfst,  hat 
freilich  dafür  gesorgt,  dafs  ihm  das  weibliche  geschlecht  nicht  zürnen  darf,  wie 
dem  Aristoteles,  aber  Diotima  ist  eine  hehre  priesterin,  und  die  heiligkeit  und 
reinhelt  und  das  übermenschliche  der  avTct^xeia  hatte  der  Hellene  und  zumal  der 
Athener  schon  längst  in  der  himmlischen  Jungfrau  weiblich  gedacht  und  als  weib 
angebetet,  sein  späteres  leben  hat  allerdings  den  Piaton  den  kreisen  der  Weiblich- 
keit allzu  fern  gehalten:  dafs  er  aber  früher  auch  gelegenheit  gehabt  hat,  sehr 
feine  psychologische  Studien  zu  machen ,  lehrt  die  überraschend  m  ahre  Schilderung 
des    einflusses  der  ehrgeizigen  weiber  in  dem  Staate  des  'Strebertums'  (Staat  549). 

25)  Die  freundschaft  ist  in  der  Ethik  unverhältnismäfsig  breit  behandelt,  sie 
hatte  damals  für  die  reifen  männer  eine  bedeutung,  die  uns  auch  nicht  mehr  unmittel- 
bar verständlich  ist.  aber  sie  steht  nicht  unter  der  gewalt  des  Eros;  von  den  weich- 
lichen überschwenglichkeiten  Epikurs,  der  den  sokratischen  Eros  nicht  kennt,  hält 
sich  natürlich  Aristoteles  fern,  die  freundschaft  ist,  wie  der  wände!  in  der  be- 
deutung von  ifiXoi  lehrt,  eigentlich  ein  Surrogat  der  familie,  des  geschlechtes:  das 
hat  mit  dem  herzen  wenig  zu  tun.  Verhältnisse  wie  Piaton  zu  Dion,  Aristoteles  zu 
Eudemos  nennen  wir  freundschaft;  das  ist  ungriechisch;  ich  halte  es  auch  für  un- 
richtig, das  ist  Eros,  wie  Goethe  nach  Schillers  tode  über  diesen  redet,  das  offen- 
bart für  uns  am  besten  diesen  Eros,  es  offenbart  zugleich,  dafs  Goethes  seele 
hellenisch  geworden  war. 


330  I-  10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

physik  neu  zu  machen:  wer  diese  negalion  wagte,  zog  damit  einen 
Wechsel  auf  die  zukunft,  in  der  er  etwas  besseres  an  ihre  stelle  setzen 
würde,  er  konnte  nur  entweder  der  nachfolger  Piatons  werden  oder 
eine  neue  schule  gründen:  so  sehen  wir  es  an.  die  leidenschaften  der 
gegenwart  werden  minder  klar  und  ruhig  und  gerecht  geurteilt  haben, 
und  namentlich  er  selbst  fühlte  sich  menschlich  dem  greisen  lehrer  viel 
zu  tief  verbunden,  als  dafs  er  einen  bruch  für  möglich  gehalten  hätte. 
Der  Das   letzte  Jahrzehnt   Piatons   mufs   jedem   der   ihn   liebt   ins   herz 

a  OD.  gpjjjjgjjgjj_  wenn  der  jüngHng  seine  blütenträume  welken  sieht,  so  lernt 
er  durch  leiden,  auf  dafs  er  ein  mann  werde,  aber  wenn  der  greis 
irre  wird  an  dem  besten  was  er  selbst  sieghaft  erstritten  hat,  was  trotz 
seinem  abfalle  bestand  haben  wird,  nur  weil  er  nicht  mehr  die  kraft 
hat,  einen  schlag  zu  verwinden,  der  doch  nur  das  irdisch  vergänghche 
seines  lebenswerkes  getroffen  hat,  so  beweist  das  einen  herberen  leidens- 
kelch,  als  der  schierhng  des  Sokrates  war.  Piaton  hat  es  lernen  müssen, 
dafs  das  reich,  das  er  gestiftet  hatte,  nicht  von  dieser  weit  war.  wie 
das  ende  des  Dion  und  des  Kalhppos  war,  konnte  man  ihm  nicht  ver- 
denken, wenn  er  statt  an  die  idee  des  guten  an  die  herrschaft  des 
radikalen  bösen  im  menschen  geglaubt  hätte,  welchen  schwall  von  höhn 
und  gemeinheit  und  wolweisheit  die  weit  draufsen  über  die  Akademie 
ausgegossen  haben  mag,  die  sich  vermessen  hatte  politik  zu  machen, 
kann  man  sich  denken:  ohne  den  vergleich  weiter  gelten  zu  lassen, 
braucht  man  nur  an  die  beurteilung  zu  denken,  die  das  immer  strebend 
sich  bemühende  geschlecht  der  Staatsmänner  von  gestern  und  heute 
für  die  hohe  und  reine  Vaterlandsliebe  der  professoren  in  der  Pauls- 
kirche hat.  wie  schal  und  flach  und  unerquicklich  ist  doch  das  ganze 
treiben  dieser  weit:  so  klagt  Hamlet,  weil  er  nicht  die  energie  in  sich 
fühlt,  die  weit  in  ihre  fugen  einzurichten,  wie  er  müfste.  Piaton  hatte 
es  versucht,  und  hatte  es  nicht  vermocht,  was  wunders,  dafs  ihm  der 
heraklitische  spruch  in  den  sinn  kam,  das  weltenregiment  ist  das  eines 
spielenden  kindes,  ahov  nalg  eOTi  Tialtcov  ueaoevtov,  naidog  tj  ßaoiXfjii. 
spiel  ist  unser  erdenleben :  lasset  uns  nur  dafür  sorgen ,  dafs  wir  gott 
wolgeftillig  spielen,  so  sagt  er  nun  mehr  als  einmal,  oder  es  steigt 
ihm  auch  der  gedanke  auf,  dafs  neben  der  idee  des  guten  nicht  blofs 
die  tote  und  in  ihrer  trägheit  widerstrebende  materie  stünde,  sondern 
eine  negativ  wirkende  kraft,  eine  böse  seele  der  weit:  das  gespenst  des 
teufeis    erscheint   dem    höchsten    propheten   der  alimacht  des  guten.^") 

26)  Gewifs  liegt  nicht  weniger  in  der  annähme  der  bösen  weltseele,   und  sie 
müfste    eigentlich    das    ganze    System    zerstören.      aber    es    ist    unerlaubte    ver- 


Per  alte  Piaton.  331 

oder  es  flüchtet  sich  die  speculation  immer  tiefer  in  das  reich  des 
abstractesten  deokens;  die  abstrusen  wahngebilde  der  Pythagoreer,  die 
reahtät  der  zahlen,  drängen  sich  vor  die  reahtät  der  form,  des  begrifl's: 
das  hexeneinmaleins,  der  tiefsinn  des  absurden,  steigt  wie  eine  schwarze 
wölke  an  dem  aetherklaren  himmel  dieses  attischen  geistes  auf.  dazwischen 
aber  rafl"t  er  sich  wieder  empor,  schaut  der  Wahrheit  klar  ins  äuge,  dafs 
er  zu  hoch  gestrebt,  der  weit  zu  viel  zugemutet  habe,  und  nun  mit 
bescheideneren  formen  und  in  engeren  grenzen  den  neubau  versuchen 
müfste.  so  versucht  er  den  neuen  Staat,  auf  neuem  lande  will  er  ihn 
bauen,  wie  die  entsagenden  Auswanderer  Goethes;  aber  er  schliefst  sich 
doch  dem  altheimisch  gegebenen  weit  enger  an  als  vorher,  die  gesetze 
der  eigenen  Vaterstadt  studirt  er  jetzt  und  findet  gar  vieles,  das  er  bei- 
behalten kann;  liebevoll  versenkt  er  sich  in  die  bedürfnisse  des  lebens, 
auch  der  geringen  und  der  kleinen,  sinnt  über  die  kleinkinderschule, 
über  das  lesebuch  und  den  mathematischen  Unterricht  der  kinder,  pflanzt' 
bäume  und  umfriedigt  quellen ,  und  verbietet  fischefangen  und  vogel- 
stellen, weil  es  manchen  guten  gesellen  verdirbt,  auch  über  das  höchste 
sinnt  er:  die  Weltgeschichte  vermag  er  als  eine  fortschreitende  ent- 
wickelung  auch  aus  der  art  und  läge  der  siedelungen  zu  betrachten, 
und  die  beiden  wurzeln  der  gottesverehrung,  das  rätsei  des  Seelenlebens 
und  die  wunder  der  gesetzmäfsigen  naturerscheinungen ,  werden  ihm 
offenbar,^')  so  lebt  er  weiter,  lehrt  er  weiter,  schreibt  er  weiter,  es 
ist  greisenhaft:  yfJQag,  yrjQag  6^  öi^aog  "^O^nqQov  würde  der  Schriftsteller 


gewalügung,  wenn  man  deswegen  die  stellen  der  Gesetze  auf  rechnung  des  Phi- 
lippos  schiebt,  hat  der  keine  ehre  zu  verlieren?  sollen  wir  einen  unbescholtenen 
zu  einem  falscher  machen,  um  dem  greisen  Piaton  einen  Widerspruch  zu  nehmen, 
einen  von  vielen?  die  entstehung  des  bösen  konnte  er  nun  doch  einmal  nicht 
erklären,  und  den  schönen  mut,  es  zu  negiren,  hatte  er  nicht  immer,  wenn  er  im 
Staate  (379)  sich  begnügt  zu  sagen,  dafs  der  Urheber  aller  übel  jemand  oder  viel- 
mehr etwas  anderes  als  gott  sein  müsse,  so  rechnet  der  Politikos  (2G9)  das  übel  schon 
gewissermafsen  als  die  der  materie  innewohnende  schwere,  die  den  pendel  zurück- 
schwingen läfst,  wenn  die  kraft,  gottes,  die  ihn  in  bewegung  gesetzt  hat,  nach- 
läfst.  das  drückt  noch  sehr  schön  das  negative  aus;  aber  die  materie  ist  doch  schon 
etwas  reales  geworden,  wenn  nun  das  wirklich  reale  und  bewegende  seele  sein 
mufs,  so  führt  die  consequenz  des  denkens  auf  eine  ungöttliche,  also  böse  welt- 
seele.  Piaton  scheute  sich  vor  diesem  gedanken,  aber  wie  sollte  er  ihm  nicht  ge- 
kommen sein?  und  zuweilen  gewann  er  macht  über  ihn:  dafür  sind  die  partien 
der  Gesetze  ein  document,  sehr  traurig,  aber  trotz  alledem  unschätzbar. 

27)  Ges.  XII  966.  das  hat  Aristoteles  aufgenommen  und  kürzer  und  klarer 
gesagt,  in  dem  dialog  negi  (piXoaocpias  10  Rose,  natürlich  gibt  das  keine  dati- 
rung  für  den  dialog:  aber  er  ist  schwerlich  ein  Jugend  werk. 


332  I-  1*^'  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

vom  Erhabnen  sagen,  Piaton  weifs  es  selbst,  es  ist  /.wd^okoyla,  ein 
gott  wolgefalliges  spiel  mit  märcben.  weit  gefehlt,  dafs  das  realität 
werden  könnte  oder  sollte:  die  künstlerische  kraft,  vielleicht  sogar  der 
wille  ist  nicht  mehr  vorhanden,  diese  skizzen  zu  einer  einheit  oder  dem 
scheine  einer  einheit  zu  formen,  er  schreibt  nur  weiter  und  weiter, 
bis  ihm  der  tod  die  feder  aus  der  band  nimmt,  wir  aber  ehren  und 
lieben  auch  des  greises  werk  als  ein  heiliges  Vermächtnis;  in  seinen 
Sprüngen  Widersprüchen  und  Wunderlichkeiten  können  wir  den  greis 
nicht  verkennen,  und  wenn  auch  hier  goldes  genug  vorhanden  ist  um 
dutzende  von  armen  schachern  reich  zu  machen:  der  Piaton,  der  uns 
den  weg  zum  himmel  weiset^  ist  der  des  Staates,  nicht  der  der  Gesetze. 
So  hat  auch  Aristoteles  geurteilt,  der  sogar  den  Gesetzen,  so  viel 
anregung  für  das  einzelne  sie  ihm  gegeben  haben,  im  ganzen  vielleicht 
weniger  Studium  zugewandt  hat,  als  sie  verdienen ^^);  sie  erschienen  ja 
auch  erst,  als  er  von  Athen  schon  entfernt  war,  und  für  die  leute  die 
damals  in  der  Akademie  geboten,  hatte  er  wenig  übrig,  aber  so  lange 
Piaton  lebte,  hat  er  treuUch  ausgehalten,  unbeirrt  dadurch,  dafs  er  die 
ganze  letzte  phase  von  Piatons  philosophiren  innerlich  nicht  mitmachen 
konnte,  und  je  mehr  er  seiner  selbst  sich  bewufst  ward,  auch  das  durch- 
schaute,   was   ihn    zu   seinem   lehrer   in   gegensatz  stellt.-^)     seine  logik 


28)  Wenigstens  hat  er  ihre  Widerlegung  in  der  Politik  so  oberflächlich  ge- 
halten, dafs  er  den  Vorwurf  der  flüchtigkeit  nicht  abweisen  kann,  dafs  er  ein  ganz 
anderes  buch  vor  äugen  gehabt  hätte,  ist  nur  einer  der  tollen  einfalle,  die  ein  an- 
fänger  gehabt  zu  haben  sich  nie  zu  schämen  braucht,  und  dafs  solche  windeln  auf 
die  zäune  kommen,  ist  auch  berechtigt,  aber  man  kann  es  der  sonne  überlassen, 
sie  zu  trocknen. 

29)  Dieser  gegensatz  der  beiden  einander  ergänzenden  naturen  hat  verschuldet, 
dafs  Aristoteles  dem  dichter  in  Piaton  nicht  ganz  hat  folgen  können,  das  würde 
nichts  schaden,  wenn  nicht  die  späteren  bis  auf  den  heutigen  tag  sieh  allzusehr 
dieses  Interpreten  bedienten,  was  mythos  ist,  ist  poesie,  und  gerade  wenn  der 
dichter  sagt  'so  ist's,  ich  weifs  es  ganz  bestimmt',  so  ist  es  am  wenigsten  erlaubt, 
ihn  als  philosophen  beim  worte  zu  nehmen,  dichtung,  nichts  als  eine  grofsarlige 
dichtung,  ist  die  weltschöpfung,  mögen  auch  die  Christen  sich  ihren  glauben 
daraus  verfertigt  haben;  dichtung  sind  die  Schilderungen  des  erdinnern  im  Phaidon, 
sind  die  verschiedenen  eschatologien ,  mögen  wieder  die  Christen  sie  als  realitäten 
behandelt  haben,  was  sich  der  Wissenschaft  entzieht  oder  noch  entzieht,  darüber 
weifs  der  dichter  allerdings  das  beste  zu  sagen,  der  phüosoph  kann  sich,  mufs 
sich  vielmehr  bescheiden:  aber  er  tut  unrecht,  wenn  er  gegen  die  dichtung  gleich 
als  ob  sie  wissenschaftliche  behauptungen  gäbe,  polemisirt,  nicht  anders  als 
wer  sie  im  glauben  als  bare  münze  nimmt,  der  gegensatz  zwischen  Piaton  und 
Aristoteles  über  den  anfang  der  weit  ist  eigentlich  gegenstandslos;  aber  Xenokrates 
hat  den  Timaios  richtiger  beurteilt  als  Aristoteles,     der  demiurg  schafft  im  gründe 


Der  alte  Piaton.     Piatons  tod.  333 

bewahrte  ihn  vor  der  zahlenspielerei  und  der  mystik;  seine  kräftige 
männlichkeit  fühlte  sich  nur  zu  weiterem  und  immer  weiterem  forschen 
durch  alle  reiche  der  natur  angeregt,  erfafste  das  problem  des  lebens 
aller  wesen  von  den  sternengottern  bis  zum  niedrigsten  wurme  nur  um 
so  energischer,  wenn  die  politischen  plane  gescheitert  waren,  die  Wissen- 
schaft hatte  ja  keine  niederlage  erlitten,  und  er  war  dabei  ihre  grund- 
festeu  neu  und  sicherer  zu  legen,  so  hat  er  die  letzten  jähre  bereits 
als  ein  stern  von  eignem  lichte  neben  dem  meister  gestanden,  wir  erfahren 
(aufser  dummem  klatsch)  auch  über  diese  jähre  nichts :  aber  die  latsache, 
dafs  er  aushielt,  legt  für  des  Jüngers  treue  pietät  das  schönste  zeugnis  ab. 

Als  Piaton  347  starb ,  folgte  ihm  sein  neue  Speusippos  als  schul-  piaions  tod. 
haupt.  Aristoteles  und  Xeuokrates  folgten  der  einladung  eines  schul- 
genossen, des  tyrannen  Hermias  von  Aterneus.  der  asketische  welt- 
flüchtige Xenokrates  hat  mit  Aristoteles  seiner  ganzen  natur  nach 
wenig  gemein  gehabt,  und  je  mehr  sie  sich  entwickelten,  je  ferner 
sind  sie  einander  innerhch  gekommen ;  Piaton  selber  hatte  schon  be- 
merkt, dafs  an  der  wiege  des  Xenokrates  die  Grazien  ausgeblieben 
waren.  Speusippos  war  in  die  sicihschen  dinge  am  tiefsten  ver- 
wickelt gewesen  und  wol  den  beiden,  die  347  fortgiengen,  gleich  wenig 
angenehm.  Herakleides,  so  glänzend  begabt  und  so  vielseitig  inter- 
essirt  er  war,  kam  von  der  philosophie  immer  weiter  ab;  vielleicht  selbst 
von  der  ernsten  Wissenschaft,  denn  der  wahre  entdecker  des  heho- 
centrischen  systemes  ist  zugleich  der  Verfasser  wundersüchtiger  romane. 
an  Ursachen  der  reibung  fehlte  es  wahrlich  nicht:  trotzdem  ist  in  dieser 
generation  die  eintracht  vor  der  Öffentlichkeit  gewahrt  geblieben ;  erst 
Aristoteles  hat  unter  seinen  schülern  in  Aristoxenos  einen  unwürdigen  ge- 
habt, der  den  schulklatsch  hervorzog  und  mit  dem  was  er  andeutete  viel- 
leicht am  giftigsten  verläumdete.  einen  wirklichen  einflufs  auf  Aristoteles 
hat  von  seinen  genossen  wol  nur  der  geograph  und  astronom  Eudoxos  ge- 
habt, den  er  als  gefeierten  Schriftsteller  wenigstens  noch  in  seinen  ersten 
Jahren  gekannt  haben  mufs,  wenn  er  dessen  ethische  lehren  berück- 
sichtigt, die  doch  nicht  eben  bedeutend  sind,  so  findet  das  wol  nur 
durch  die  persönliche  beziehung  eine  erklärung.  Eudoxos  aber  war  der 
rechte  mann,  dem  Aristoteles  die  naturwissenschaft  der  lonier  zuzuführen: 
und  einen  solchen  vermittler  suchen  wir  doch,  wenn  wir  das  lebens- 
werk  des  Aristoteles  als  ganzes  überschauen.^") 

die  weit  nur  aus  dem  poetischen  gründe,  aus  dem  Homer  den  Hephaistos  den  Schild 
machen  läfst,  statt  den  fertigen  wie  Vergil  zu  beschreiben. 

30)  In   der  vita  Marciana  steht  ein  unverständlicher  satz,   zu  dessen  controUe 


334  I-  10.  Zweck  und  bedeulung  des  aristotelischen  buches. 

Bei  Die    lehrjahre    waren    vorüber;    die    wanderjahre   begannen,      bei 

Hermias.  jj^^j.jjjjgg  j^gj  gj^^jj  AHstoteles  oflenbar  sehr  wol  gefühlt;  er  schätzte 
den  mann  und  hat  ihm,  als  er  der  neu  sich  aufraffenden  energie  des 
Perserreiches  zum  opfer  fiel,  die  freundschaft  vergolten,  indem  er 
sich  seiner  pflegelochter  annahm,  die  er  später  geheiratet  hat.^')  gelebt 
hat  Aristoteles  nicht  in  Atarneus,  sondern  in  Assos,  der  aeolischen  Stadt 
am  südfufse  des  Ida.^^)  und  so  hat  er  wol  hier  die  Verbindungen  an- 
geknüpft, die  ihm  bei  der  Katastrophe  des  Hermias  in  Mytilene  nicht  nur 
einen  Zufluchtsort  gewährten,  sondern  eine  statte  für  seine  eigene  lätig- 
keit.  die  beziehungen  der  platonischen  schule  wirkten  überall  mit.  wenn 
wir  Hermias  seine  macht  bis  an  den  Ida  erstrecken  sehen,  so  ist  zu  be- 
denken, dafs  in  Skepsis  zwei  vertraute  jünger  Piatons,  Erastos  und  Koriskos, 
lebten,  deren  Verbindungen  mit  Hermias  und  Aristoteles  auch  noch  von 
ferne  kenntlich  sind.^^)  auf  Lesbos  konnte  Theophrastos,  vielleicht  auch 
Phainias,  dem  berühmten  schulgenossen  den  boden  bereiten :  wenigstens 
der  erstere  gehörte  der  Akademie  an.^^j     die  insel  litt  wie  alle  andern 

die  lateinische  Übersetzung  vorhanden  ist,  ohne  zu  fördern,  oix  ä^a  [ovv],  eis 
avToi  (1.  ol)  avxocpaviovPTts  q:aaiv,  rsaaa^axovroviTjs  Aq.  (poirq  IlXäxoJvt  kni 
EiSoiov,  als  ob  das  ein  archon  wäre,     ich  weifs  das  nicht  aufzuhellen. 

31)  Der  einzige  sprofs  dieser  ehe,  Pythias,  war  322  nicht  mannbar,  hat  auch 
in  ihrer  ersten  ehe  mit  Nikanor  (f  318)  nicht  geboren,  sie  war  also  frühestens 
334  geboren,  ihre  mutter  wird  nicht  viel  später  in  Athen  verstorben  sein,  da 
Hermias  345/4  getötet  ist,  erscheint  es  unwahrscheinlich,  dafs  sie  schon  damals  in 
die  ehe  getreten  wäre,  auch  ist  durch  Aristokles  ein  stück  des  briefes  erhalten, 
in  dem  Aristoteles  seine  Verheiratung  dem  Antipatros  anzeigt,  den  er  doch  erst  nach 
343/2  kennen  gelernt  hat. 

32)  Strabon  610:  dieser  ist,  wie  gewöhnlich,  am  genauesten  unterrichtet. 

33)  Strab.  (512.  Neleus,  der  besitzer  der  famosen  kellerbibliothek,  ist  söhn 
des  Koriskos  und  freund  des  Theophrastos.  in  der  Sammlung  der  platonischen 
briefe  ist  ein  stück  (6),  das  die  brüder  von  Skepsis  mit  Hermias  zusammenführen 
will ;  Piaton  bietet  sich  für  den  fall  von  zwistigkeiten  zum  vermittler  an.  aus  dem 
antwortschreiben  der  Skepsier  citirt  PoUux  10,  150  eine  erwähnung  des  assischen 
li&os  oaQy.oföyos.  es  macht  den  eindruck,  als  wären  die  Skepsier  auch  mehr 
oder  minder  ihrer  Stadt  mächtig;  in  jener  gegend  haben  die  Perser  immer  unter- 
tänige, oft  unbotmäfsige,  hellenische  dynasten  geduldet.  Aristoteles  und  Eudemos 
verwenden  den  namen  Ko^iaxos  öfter  exemplificatorisch  wie  J^coxQcirTjs  KXicov 
'A/.xißidS7]S,  oder  wie  die  spätem  Jicov  und  0icov.  ein  apophthegma  des  greisen 
Koriskos  steht  Stob.  fl.  7,  53,  genommen  aus  einer  Sammlung  mit  dem  ähnlichen 
des  Assiers  Kleanlhes  54  und  des  Kleitomachos  55,  wol  auch  des  Sokrates  56  und 
Erasistralos  57.     den  platonischen  brief  könnte  ich  sehr  wol  für  acht  halten. 

34)  Mehr  liegt  vielleicht  nicht  darin,  dafs  Theophrastos  den  Piaton  noch  ge- 
hört haben  soll,  seine  Verbindung  mit  Aristoteles  mufs  aus  früher  zeit  herrühren, 
da  jener  für  Eresos  sich  noch  bei  Philippos  verwandt  hat. 


Bei  Hermias.    Erziehung  Alexanders.  335 

darunter,  dafs  keine  mächtige  vormacht  über  ihr  stand;  tyrannen  und 
Oligarchien  stritten  sich,  und  Athen,  die  beschützerin  der  demokratien, 
sah  sich  genötigt  mit  den  tyrannen  mehr  als  einmal  zu  transigiren.  für 
Eresos,  die  heimat  seiner  jungen  freunde,  hat  Aristoteles  später  hei 
Philippos  intervenirt:  wir  wissen  ja  durch  die  steine,  wie  heillos  gerade 
dort  die  Verhältnisse  zerrüttet  waren,  so  war  denn  Lesbos,  so  hoch  wir 
auch  die  geistige  regsamkeit  der  Aeoler  schätzen  müssen,  die  eine  unver- 
hältnismäfsig  grofse  zahl  von  philosophen  gestellt  haben  ^^) ,  aus  äufseren 
gründen  kein  günstiger  boden  für  eine  schule,  wie  sie  Aristoteles  plante, 
das  erleichterte  ihm  den  enlschlufs,  als  konig  Philippos  ihn  343/2 
aufforderte  die  erziehung  seines  dreizehnjährigen  sohnes  zu  übernehmen, 
durch  die  ervverbung  der  Chalkidike  war  Phihppos  der  landesherr  des 
Aristoteles  geworden,  und  seine  herrschaft  war  keine  leichte  für  die 
Chalkidier  ^^) ;  bei  seiner  liebe  zur  heimat  mochte  dieser  gern  auch  für  sie 
etwas  gutes  tun,  hat  es  ja  auch  versucht  und  auch  undank  geerntet.^') 
eine  dauernde  Stellung  konnte  das  hofmeisleramt  nicht  werden ;  anderer- 
seits suchte  Philippos  seinen  hof  auf  jede  weise  der  bildung,  die  er 
schätzte,  zu  öffnen,  wie  er  denn  sein  volk  energisch  hellenisirte:  hier 
konnte  ein  feld  für  eine  tätigkeit  im  sinne  der  Akademie  sich  eröffnen. 
so  nahm  Aristoteles  die  berufung  an,  obgleich  es  wahrlich  unter  seiner 
würde  lag,  knabenunterricht  zu  erteilen. 

So   war  die   Situation ,    wie   sie   343/2   den   beteihgten   erscheinen  A^ieMuderl 

35)  Auch  Epikuros  hatte  einen  freundeskreis  in  Mytilene.  da  auch  die 
ionischen  und  dorischen  Städte  auf  der  südküste  der  Propontis  an  dem  interesse 
für  Philosophie,  namentlich  physik  und  astronomie,  teilnehmen  (vgl.  Antig.  Kar.  153), 
so  darf  man  von  einem  hellespontischen  culturkreise  reden,  während  es  nur  ein 
beweis  von  gänzlichem  mangel  an  einsieht  in  die  geschichte  ist,  wenn  die  archaeo- 
logen  eine  nordgriechische  kunst  erfinden:  Thessalien,  die  Chalkidike,  Thasos,  Abdera 
haben  nur  auf  der  karte  nahe  beziehungen.  jene  hellespontische  bevölkerung  ist 
aber  in  ihrer  grundlage  aeolisch:  das  ionische  und  dorische  liegt  fast  allerorten 
auf  einer  solchen  unterläge,  bis  in  späte  zeit  ist  der  unterschied  dieser  Hellenen 
von  denen  der  ionischen  zwölfstädte  nicht  verwischt,  sondern  teilt  sich  dem  helle- 
nisirten  hinterlande  mit.  dafs  die  Bilhyner  frischeres  blut  hatten  als  die  Phryger 
hat  allerdings  dazu  auch  mitgewirkt. 

36)  Dafs  die  Zerstörung  der  chalkidischen  städte  eine  demosthenische  Über- 
treibung ist,  hat  Köhler  (Berl.  Sitz.  Ber.  28  Mai  1891)  sehr  belehrend  gezeigt,  aber 
das  ist  nicht  zu  bestreiten,  dafs  die  Chalkidike  für  die  cultur  verschwindet;  selbst 
die  versuche  des  Kassandros  und  seines  tollen  bruders  Ale\archos  haben  daran  nichts 
geändert,  die  einverleibung  in  Makedonien  bedeutet  eben  das  aufgeben  des  helleni- 
nischen  städtischen  sonderlebens. 

37)  Dion  von  Prusa  47,  9ffg.,  nicht  ohne  Irrtümer,  aber  unter  berücksich- 
tigung  der  aristotelischen  briefe. 


336  '•  1^'  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

niufste.  ein  hervorragender  scliüler  Piatons,  ein  glänzender  Schriftsteller, 
aber  immerhin  noch  kein  berühmter  mann,  der  in  der  weit  trotz  seinen 
40  Jahren  noch  keine  Stellung  hatte,  übernahm  den  Unterricht  eines 
makedonischen  prinzen.  dieser  Avar  der  erbe  des  künigreiches;  aber  das 
erbrecht  hatte  in  Makedonien  sehr  selten  auch  den  besitz  garantirt.  das 
künigreich  war  durch  die  energie  des  Philippos  der  mächtigste  Staat 
Europas;  aber  es  war  keine  Sicherheit  vorhanden,  dafs  seine  gröfse  auf 
mehr  als  auf  den  beiden  äugen  stand,  und  die  entscheidenden  gänge  mit 
den  hellenischen  Staaten  und  mit  Persien  standen  noch  aus.  dafs  könig 
Philippos  seinen  erben  so  gut  wie  möglich  zu  erziehen  bestrebt  war, 
ehrt  ihn  gewifs;  aber  kein  junge  von  vierzehn  jähren  braucht  den  ersten 
gelehrten  der  zeit  zum  erzieher,  ja  es  pflegt  der  gelehrte  für  dieses 
lebensalter  nicht  der  rechte  lehrmeister  zu  sein. 

Da  safsen  sie  nun  und  lasen  mit  einander  Homer  und  Euripides, 
der  trotzige  künigssohn  mit  dem  ungebändigten  löwenhare  und  lüwen- 
herzen  und  der  lehrer,  der  gerade  auf  der  höhe  der  ay.f.irj  stand,  der 
überlegene  dialektiker,  der  feind  jeder  Übertreibung,  dem  jegliche  fügend 
ein  richtiger  mittelweg  schien,  wie  haben  sie  zu  einander  gestanden? 
was  hat  der  knabe  gelernt?  unsere  phantasie  kann  unmöglich  davon 
absehen,  was  beide  damals  noch  nicht  waren,  aber  wenig  jähre  darauf 
geworden  sind,  uns  erscheint  in  ihnen  eine  Wiedergeburt  der  schönen 
gruppe  Chiron  und  Achilleus.  der  zukunflkundige  söhn  des  Kronos  be- 
müht sich  durch  die  töne  seiner  laute  und  seiner  Weisheit  die  helden- 
seele  des  halbgottes  zu  sänfligen  und  zu  bändigen  und  facht  damit  nur 
das  feuer  der  begeisterung  an,  das  diesen  hinauslockt  in  den  frühen  tod, 
in  das  ewige  leben,  zur  ad-dvarog  aQsrrj.  hier  stand  der  erhabene 
prophct  der  sehgkeit  des  -d-scoQrjTixog  ßiog  vor  einem  scliüler,  der  sich 
das  evaugelium  in  seine  spräche  übersetzte  und  dabei  blieb  '^im  anfang 
war  die  tat',  so  ist  er  hinausgestürmt  auf  die  pfade  des  Achilleus  und 
Dionysos,  hat  der  weit  neue  bahnen  gewiesen  und  sich  mitten  in  einem 
verständigen  und  aufgeklärten  Jahrhundert  den  eingang  erfochten  in  das 
reich  der  wunder  und  der  märchen.  das  hat  der  lehrer  nicht  gewollt; 
so  stand  es  nicht  in  seinem  Protreptikos,  und  wenn  er  auch  seinen  jugend- 
Uberschwang  stark  gemildert  hatte,  so  ist  Alexandros  doch  wahrlich  nicht 
der  konig  geworden,  den  die  Akademie  oder  der  Peripatos  wünschte,  und 
doch  sind  seiner  seele  die  flügel  gewachsen  durch  die  lehre  der  Weis- 
heit: zu  diesem  adlersjüngling  redete  sie  nicht  wie  eine  taube,  das 
ungeheure  streben  zum  göttlichen,  den  ovqävLog  tqojg,  hat  ihm  der 
Schüler  Plalons  mitgegeben: 


Erziehung  Alexanders.  .  Verhältnis  zu  Alexander.  337 

Aoera  /tolvf^ioyße  yivet  ßqoxeuo 

■d-^Qa/iia  vmX'Lloxov  ßiv), 

Gag  TtSQL  Ttccgd-eve  /iiOQq^ag 

y.al  d^avelv  Lr]?.ioT6g  ev  'Elladt  TtÖTf-iog. 
Aber  in  ihrem  persönlichen  Verhältnisse  hat  Eros  nicht  gewaltet;  Verhältnis 
unmöglich  konnten  sie  einander  versteh n.  sobald  Alexandros  den  thron  Alexander, 
bestieg,  zog  Aristoteles  aus  dem  unmittelbaren  machtgebiete  des  königs 
fort  in  eine  Stadt,  die  ihm  das  freie  wort  und  die  einwirkung  auf  das 
ganze  publicum,  also  statt  der  erziehung  des  königs  die  erziehung  seiner 
nation  am  besten  gestattete,  äufserlich  freilich  ist  niemals  ein  bruch  er- 
folgt; dazu  waren  beide  männer  viel  zu  feinfühlig  und  kannten  auch 
die  formen  und  riicksichten  der  gesellschaft  viel  zu  gut.  sie  haben 
sogar  einen  briefwechsel  unterhalten,  aber  je  höher  beide  stiegen,  je 
mehr  sie  ihre  eigenste  natur  zur  geltung  brachten,  je  weiter  kamen  sie 
innerhch  von  einander  ab.  das  ist  das  Schicksal  der  gröfsten  männer; 
sie  müssen  vereinsamen,  dafs  ein  entfernter  verwandter  des  Aristoteles, 
Kallisthenes,  sich  in  eine  Verschwörung  wider  das  leben  des  königs  ein- 
gelassen hatte  und  einer  grausamen  strafe  verfiel,  hat  dazu  kaum  etwas 
getan,  dafs  Alexandros  für  seine  person  gottliche  Verehrung  forderte, 
erscheint  den  philistern  von  heute  ganz  entsetzlich,  und  sie  geraten  in 
entzücken  über  die  Opposition  der  philister  von  Athen :  Aristoteles  hat 
sich  eben  den  officier,  der  diese  königliche  Verordnung  nach  Hellas 
brachte,  zum  eidam  ausgesucht,  er  wird  die  mafsregel  nicht  für  politisch 
gehalten  haben,  aber  entrüsten  konnte  sie  ihn  so  wenig  wie  irgend 
einen  hellenisch  empfindenden  menschen.^*)     der  gegensatz  lag  vielmehr 


38)  Es  ist  beschämend,  dafs  die  modernen  den  richtigen  augenpunkt  für  diese 
mafsregel  so  gar  nicht  finden  wollen,  sie  gehen  so  weit,  die  existenz  eines  Ammon- 
schiffes  in  Athen  mit  der  göttlichkeit  Alexanders  zu  verbinden,  das  heifst  so  viel, 
als  die  Hellenen  wären  vom  könige  angewiesen  worden,  in  ihren  katechismus  einen 
arükel  aufzunehmen,  der  die  erzeugung  Alexanders  durch  den  widderköpfigen  gott 
ausspräche,  etwa  nach  dem  Pseudokallisthenes:  als  ob  es  sich  um  die  anerkennung 
eines  historischen  factums  gehandelt  hätte,  um  die  erzeugung,  um  die  menschwerdung 
des  neuen  gottes,  als  ob  Alexander  ein  gott  halte  sein  wollen,  weil  er  von  Amnion,  nicht 
von  Philippos  erzeugt  wäre,  nein,  weil  er  ein  gott  war,  wuchs  der  mythos  von  seiner 
erzeugung  nach,  auf  den  gar  nichts  ankommt,  ein  gott  aber  war  er,  weil  er  gött- 
liches vollbrachte,  weil  er  das  reich  und  die  kraft  und  den  rühm  besafs.  dsös  ist 
doch  ein  praedicatsbegriff.  verstorbene  nicht  als  solche,  sondern  als  götter  zu  ver- 
ehren, war  längst  sitte,  und  dafs  Asklepios,  Herakles,  Dionysos  menschen  gewesen 
waren  und  gestorben  und  doch  götter  auch  schon  bei  lebzeiten  gewesen  waren, 
galt  ebenfalls,  als  Telamon  in  llios  einen  altar  'JlocwXtl  xalhrixco  weihte,  begieng 
er  keinen  frevel,  wie  oft  steht  in  der  llias  d-ehs  §'  cos  riero  8r]uco.  der  d'slos 
V.  Wilaraowitz,  Aristoteles  I.  22 


338  !•    10.  Zweck  und  bedeutung  des  aiistotelischen  buches. 

tiefer,  das  reich,  das  Alexandros  gründen  wollte,  erschien  dem  Aristo- 
teles, der  die  Politik  geschrieben  hat,  notwendigerweise  chimärisch,  und 
wo  es  sich  um  die  Wahrheit  handelte,  kannte  er  keine  rücksicht.  er 
mag  seine  bedenken  in  privatbriefen  geäufsert  haben ;  davon  wissen  wir 
nichts:  er  hat  sie  aber  auch  vor  dem  publicum  in  einem  offenen  briefe 
dargelegt,  da  sprach  der,  der  nunmehr  unbestritten  der  erste  schrift- 
steiler der  nation  war,  die  forderung  des  Vorranges  der  Hellenen  vor 
den  barbaren,  den  protest  gegen  die  auf  eine  Verschmelzung  der  nationen 
gerichteten  plane  des  königs  aus,  und  er  sprach  der  weitaus  über- 
wiegenden majorität  von  Hellenen  und  Makedonen  aus  der  seele,  aber 
dem  grofsen  konige  war  es  auch  um  die  sache  zu  tun,  und  so  sehr  er 
geneigt  sein   mochte,   die  person  davon  zu  sondern,   mufste  er  um  so 

avTjQ  wird  zum  d'sos  clvtjq,  der  schritt  ist  klein  genug,  es  ist  ja  keine  kluft  be- 
festigt zwischen  golt  und  mensch,  d-sov  yevaad'ai  ist  kein  dSvraTOv,  so  wenig  wie 
EtSaiuova  yeve'a&ai.  der  träger  der  cultur,  der  Hellene,  gegenüber  den  barbaren 
erscheint  als  d'soe  iv  &t]^iois;  er  selbst  wird  einem  sterblichen,  den  er  durch  gött- 
liche eigenschaften  sich  überlegen  sieht,  gegenüber  die  empfindung  haben,  dies 
göttliche  verehren  zu  müssen,  gott  ist  der  vater  dem  kinde,  der  lehrer  dem  Schüler, 
der  könig  dem  volke:  denn  die  autorilät  in  ihnen  allen  ist  gott.  ob  heute  jemand  so 
empfinden  kann  oder  mag,  ist  seine  sache,  denn  gefühl  ist  alles;  aber  wenn  er  ver- 
kennt, dafs  die  Hellenen  so  empfunden  haben,  so  soll  er  über  sie  nicht  mitreden. 
Lysandros  hat  sich  notorisch  von  den  samischen  oligarclien  als  gott  vereliren  lassen, 
der  praecedenzfall  ist  wenig  schmeichelhaft  für  Alexander,  aber  es  ist  doch  einer, 
und  schmeichelhafter  ist,  dafs  Eudemos  dem  Piaton  ßco/iov  iS^iaaro:  Piaton  erschien 
keinem  geringeren  als  dem  Aristoteles  als  gott.  die  erzeugungsgeschichle,  die 
Speusippos  erzählt  hat,  tut  nichts  dazu  noch  nimmt  sie  etwas  davon,  erst  wenn 
der  glaube  an  die  wirkliche,  d.  h.  wirkende  göttlichkeit  verloren  ist,  klammern 
sich  die  menschen  an  die  angeblichen  facta,  die  sie  beweisen  sollen,  und  gesetzt 
sie  wären  wahr,  nur  eine  gewesene  gottheit  beweisen  könnten,  also  nicht  in  dem 
was  er  verlangte,  liegt  die  vßgis  Alexanders,  sondern  darin  dafs  er  etwas  verlangte, 
was  kein  könig  erzwingen  kann,  gefühl,  glauben,  doch  darüber  wird  er  sich  keine 
Illusionen  gemacht  haben;  er  brauchte  die  form  des  gefühls  für  sein  einiges  reich, 
so  kluge  und  so  mächtige  und  wahrlich  ihrer  freiheit  eingedenke  männer  wie  die 
Rhodier  fanden  auch  nichts  dabei;  die  phrasen  der  attischen  patrioten  erzielten  auch 
nichts  als  einen  momentanen  beifall  bei  dem  pöbel  und  eine  Verstimmung  des  königs 
gegen  Athen,  die  diesem  teuer  zu  stehen  gekommen  sein  würde,  die  weitsichtigeren 
Staatsmänner  selbst  der  demokratenpartei  waren  keinesweges  gewillt,  die  glaubens- 
bedenken  der  ekklesie  zu  respecliren.  der  cultus  des  herrschers  ist  bald  darauf 
anstandslos  überall  die  Staatsreligion  geworden;  das  Christentum,  gebaut  auf  den  ächt- 
hellenischen glauben  an  die  göttlichkeit  eines  menschen,  weil  er  göttliches  wirkte 
und  wirkt,  hat  daran  nur  wenig  geändert,  in  gutem  und  in  schlimmem,  und  viele, 
die  wider  Alexanders  oder  Caesars  göttlichkeit  hochtönend  geredet  haben,  haben  den 
königscult,  der  von  einer  wirklichen  monarchie  nicht  zu  trennen  ist,  mit  dem  herzen 
und  den  lippen  bekannt. 


Verhältnis  zu  Alexander,    verhällnis  zu  Antipatros.  339 

empfindlicher  verletzt  werden,  weil  er  mit  Worten  und  gründen  nicht 
erwidern  konnte,  er  fuhr  in  seinen  taten  unbeirrt,  vielleicht  leidenschaft- 
licher und  hastiger  fort;  dann  verhinderte  sein  tod  den  austrag  des  sach- 
lichen und  des  persönlichen  zwistes.  aber  dafs  Aristoteles  das  geistige 
haupt  der  Opposition  gewesen  war,  die  Makedouen  und  Hellenen  ihm 
gemacht  hatten,  war  so  bekannt,  dafs  Olympias  bald  darauf  die  lüge 
verbreiten  konnte,  Aristoteles  hätte  das  gift  gemischt,  das  loUas,  der 
söhn  des  Antipatros,  dem  könige  gereicht  hätte.^^) 

Olympias  wollte  mit  dieser  erfindung  nicht  den  toten  philosophen,  Verhältnis 
sondern  den  Antipatros  und  seine  famijie  treffen  und  zog  deshalb  dessen  Antipatros. 
freund  hinein,  diese  freundschaft  ist  das  wertvollste  was  Aristoteles  in 
Makedonien  gefunden  hat.  der  nüchterne,  besonnen  wägende  aber  dann 
rücksichtslos  handelnde  Staatsmann  hat  zu  dem  jüngeren  philosophen 
ein  auf  der  inneren  Verwandtschaft  ihres  wesens  begründetes  herzHches 
Verhältnis  gewonnen,  das  bis  zu  ihrem  tode  ungetrübt  geblieben  ist, 
und  das  beide  ehrt,  dafs  der  freund  des  Aristoteles  während  der  ganzen 
zeit,  die  diesem  als  schulhaupt  zu  wirken  vergönnt  war,  der  herr  der 
Hellenen  war  und  mit  wunderbarem  geschicke  Ordnung  und  ruhe  fast 
überall  und  immer  zu  erhalten  wufste,  hat  notwendiger  weise  auch  die 
äufsere  Stellung  des  philosophen  gehoben,  trotz  der  gegensätze,  die 
zwischen  Alexandros  und  Antipatros  entstanden  waren ,  mufste  sich  die 

39)  Die  beurteilung  dieser  dinge  wird  erschwert  durch  die  kärgliche  und  leider 
zum  teil  apokryphe  Überlieferung,  ein  iyy.cö^iov  'Ale^ävÖQov  war  unächt:  dazu 
reicht  die  probe  hin,  die  der  atüsche  rhetor  Gorgias  mit  so  viel  anderen  falschen 
stücken  erhalten  hat  (649  R.).  über  die  arabisch  erhaltene  schritt  über  das  königtum 
an  Alexander  halte  ich  nicht  für  nötig  die  Verurteilung  erst  auszusprechen:  worte 
ohne  gedanken  machte  Aristoteles  nicht,  sie  gehört  in  eine  kategorie  mit  den 
secreta  secretorum.  am  Schlüsse  der  dialoge  stehn  aber  in  der  schriftentafel  lA)^- 
^nvSoos  r,  Tisoi  cinoiacov  und  tibqI  ßaat/.sias,  und  aus  einer  dieser  ächten  Schriften 
führt  Eratosthencs  die  berühmten  worte  über  Hellenen  und  barbaren  an  (65S,  von 
Rose  falsch  eingeordnet),  dies  wort  kann  erst  324  gesprochen  sein,  als  der  könig 
seine  plane  ins  werk  zu  setzen  begonnen  hatte,  von  den  privatbriefen  ist  freilich 
der  über  die  akroamatischen  Schriften  dumm  gefälscht,  aber  er  wird  aus  Aristonikos, 
nicht  aus  der  Sammlung  des  Artemon  citirt  (662).  natürlich  fällt  aber  zumal  auf 
die  in  späten  citaten  vorliegenden  stellen  aus  den  briefen  einiger  verdacht,  dagegen 
trägt  alles  was  aus  den  briefen  an  Antipatros  erhalten  ist  den  Stempel  der  echtheit. 
dazu  gehört  das  schöne  und  dem  vertrauten  briefe  angemessene  wort,  dak  ne^i  rcüv 
&ecör  a  Sei  So^ä^siv  eben  SO  hohes  Selbstgefühl  verleihe,  wie  dem  Alexandros  die 
Weltherrschaft  (664).  das  ist  das  a&avara  (poovEiv,  das  doppelte,  die  überhebung 
über  das  menschliche,  und  das  emporstreben  über  das  menschliche,  wie  es  das 
Sprichwort  verbietet,  der  Platoniker  Aristoteles  fordert,  aber  für  den  philosophen 
fordert  (Eth.  X  11771'). 

22* 


340  I.    10-  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

eniporuug,  die  der  tod  des  küoigs  weckte,  in  Hellas  wider  Antipatros 
richten,  und  eben  deshalb  auch  wider  Aristoteles,  so  kommt  das  rück- 
sichtslose Strafgericht,  das  Antipatros  über  Athen  verhängte,  auch  für 
die  beurteilung  des  Aristoteles  in  betracht,  obwol  er  es  nicht  mehr  er- 
lebt hat.  beide  mänuer  haben  ohne  zweifei  von  einander  gelernt;  aber 
fertige  männer  waren  sie,  als  sie  sich  kennen  lernten,  und  sie  besafsen 
beide  zu  viel  eigenes,  als  dafs  sie  nicht  geblieben  wären,  was  sie  waren, 
Makedone  und  Hellene,  Staatsmann  und  gelehrter. 
Yeriiäiinis  König  PhiUppos   hatte  zu  viel  zu  tun ,    um   sich   dem  hofmeister 

riiiiippos.  seines  sohnes  nähern  zu  können,  die  ungezügelte  Sinnlichkeit,  der 
er  im  gegensatze  zu  Antipatros  fröhnte,  die  lärmende  und  zum  teil 
wirklich  schlechte  gesellschaft,  in  der  er  sich  wol  fühlte,  und  die  Theo- 
pompos  trotz  aller  bewunderung  des  königs  gebrandmarkt  hat,  die 
soldatische  natur  des  Makedonen  überhaupt  konnte  den  Aristoteles  nur 
abstofsen.  trotz  aller  väterlichen  sorge  für  den  söhn  wufste  der  vater 
auch  zu  diesem  kein  Verhältnis  zu  gewinnen,  weil  er  dessen  mutter  in 
ihren  frauenrechteu  kränkte,  die  schuld  war  vielleicht  mehr  auf  der 
Seite  der  herrschsüchtigen  und  adelsstolzen  frau  aus  dem  stamme  des 
Achilleus,  und  sicherlich  hat  Alexandros  noch  mehr  als  kronprinzen 
überhaupt  und  selbst  als  geniale  kronprinzen  dürfen  die  pietät  ver- 
letzt, aber  in  solcher  nähe,  wie  der  erzieher  sie  sieht,  gesehen  zerstören 
diese  famihenverhältnisse  nur  zu  leicht  die  achtung  vor  den  hochgestellten 
personen,  zumal  wenn  keine  eingebornen  loyalitätsgefühle  mitsprechen, 
so  hat  denn  tatsächhch  Aristoteles  von  dem  makedonischen  hofe  nur  eine 
anzahl  häfslicher  anekdoten  mitgebracht,  der  Staat  Makedonien  ist  ihm 
vielleicht  ganz  fremd  geblieben;  wenigstens  sein  politisches  urteil  trägt 
keine  spuren  davon,  dafs  er  das  wesen  einer  feudalmonarchie  oder  auch 
nur  die  Organisation  des  land-  und  hofadels,  der  garde,  des  cadetten- 
corps  u.  dgl.  beachtet  hätte,  so  viel  er  im  grofsen  und  kleinen  davon 
hätte  brauchen  können,  auch  seine  politisch-geschichtlichen  und  selbst 
seine  naturwissenschaftlichen  werke  scheinen  nicht  zu  beweisen,  dafs 
er  seine  kenntnisse  durch  die  makedonischen  jähre  stark  erweitert  hätte, 
wol  aber  hat  er  zum  denken  und  arbeiten  ohne  zweifei  sehr  viel  mufse 
gehabt,  gerade  in  den  jähren,  wo  sein  Zögling  für  tiefere  Studien  reif 
gewesen  wäre,  ward  dieser  in  die  kriege  und  die  politik,  zuletzt  sogar 
in  üble  palastintriguen  gezogen;  ob  Aristoteles  damals  überhaupt  noch 
am  hofe  war,  ist  gar  nicht  einmal  sicher,  die  freie  arbeitszeit  war  jetzt 
das  einzig  angenehme  in  seiner  Stellung;  aber  er  war  nun  48  jähre  alt: 
er   war  auch  des  wanderns  und  lernens  müde,   er  wollte  handeln,   das 


Verhältnis  zu  Philippos.     gründung  der  schule.  341 

hiefs  für  ihn,  lehren,  so  gieng  er  nach  Athen  und  gründete  die  schule 
im  Lykeion,  sobald  Alexandros  den  thron  bestiegen  hatte,  die  meister- 
jahre  begannen. 

Vorträge  hatte  Aristoteles  schon  zu  Piatons  zeit  gehalten,  das  hätte  Gründung 
er  auch  neben  Xenokrates  in  der  Akademie  tun  können ;  er  würde  selbst  ^^  **='^"'^- 
als  nachfolger  Piatons  dort  nicht  anders  zu  reden  gebraucht  haben,  als 
er  im  Lykeion  getan  hat.  wenn  er  einen  neuen  wissenschaftlichen 
verein  gebildet  hat,  so  liegt  darin  trotz  aller  pietät  für  Piaton  und  aller 
rücksicht  gegen  Xenokrates,  dafs  er  den  beruf  zum  schulhaupt  in  sich 
fand  und  der  ansieht  war,  die  Akademie  genüge  nicht  mehr  für  die 
bedürfnisse  der  Wissenschaft  und  der  nation.  zwar  der  Wissenschaft 
hätte  sie  ja  sicherhch  wieder  genügt,  wenn  Aristoteles  nur  in  ihre  hallen 
zurückgekehrt  wäre.  Zoologie  und  botanik,  dialektik  und  metaphysik 
konnte  er  auch  dort  lehren;  mathematik  und  astronomie  ist  so  wie  so 
mehr  dort  als  unter  ihm  getrieben  worden,  aber  seit  dem  scheitern 
der  sicilischen  plane  war  die  Akademie  dem  praktischen  leben  ent- 
fremdet, mehr  noch  als  der  greise  Piaton,  der  doch  immer  Athener 
blieb,  war  der  Cbalkedonier  Xenokrates  gesonnen,  nunmehr  sich  in  der 
reinen  sphaere  der  Wissenschaft  zu  halten  und  die  weit  draufsen  ihren 
Sünden  und  lüsten  zu  überlassen,  er  lebte  selbst  als  loyaler  schiitz- 
verwandter  des  Staates  Athen,  geachtet  als  charakter  und  gelehrter,  aber 
er  war  keine  macht  im  öffentlichen  leben  und  wollte  es  nicht  sein, 
zwei  menschenalter  hat  die  Akademie  diesen  klösterlichen  charakter  be- 
wahrt^"), das  lärmende  und  nervöse  volk  des  marktes  erkannte  wol 
einen  stolz  der  Stadt  auch  darin,  dafs  ein  par  tausend  schritt  vor  dem 
Stadttore  in  einem  der  gärten  des  ölwaldes  eine  anzahl  seltsamer  greise 
und  männer  wohnten,  die  man  kaum  je  auf  der  strafse  oder  im  theater 
sah,  und  die  eine  fabelhafte  Weisheit  und  frömmigkeit  besafsen ,  gute 
leute,  die  jedes  verlaufene  rebhuhn  pflegten  und  schützten  und  für 
jedermann  schöne  worte  des  trostes  und  der  erbauung  halten,  aus  den 
fernsten  ländern  kamen  die  Jünglinge  um  sie  zu  hören,  und  auch  die 
athenischen  väter  hatten  es  gern,  wenn  ihre  söhne  eine  weile  an  den 
disputirübungen  und  vortragen  der  Akademie  teil  nahmen,  denn  da  war 
viel  unnützes  aber  nichts   schädliches   zu   lernen,     aber  das  war  alles: 


40)  Die  gewaltige  Wirkung,  die  es  hatte,  als  einmal  das  schulhaupt  der  Akademie 
aus  seiner  clause  herauskam  und  zu  gunsten  Athens  bei  könig  Pyrrhos  intervenirte, 
habe  ich  erläutert  Antig.  Kar.  207.  dafs  Xenokrates  338  oder  322  das  gleiche  getan 
hätte,  ist  eine  fabel,  aber  ihre  existenz  lehrt  am  besten,  wie  man  die  Stellung  der 
Akademie  beurteilte. 


342  I.    It^-  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

es  «ar  eben  niemand  da,  der  mit  mund  und  feder  zu  seineu  Athenern 
und  seinen  Hellenen  zu  reden  vermocht  hätte  wie  Platon  oder  aucli 
Ilerakleides  und  Aristoteles  als  junge  Akademiker."^)  und  wenn  in 
der  diadocheuzeit  diese  abkehr  von  der  weit  vielleicht  berechtigt  scheinen 
konnte,  (wo  denn  ein  par  schritte  weiter  der  garten  des  Epikuros  dem 
weltflüchtigen  einen  eben  so  sichern  hafen  bot):  in  der  demosthenischen 
zeit  war  weder  Athen  noch  Hellas  so  klein  und  so  schwach,  dafs  eine 
Philosophie  die  würdige  fortsetzerin  der  Platonischen  Akademie  hätte 
scheinen  dürfen,  die  Sokrates,  den  mann  des  lebens  und  des  tages,  den 
biirger  und  den  ratsherrn ,  vüllig  verläugnete.  das  war  nur  die  hälfte 
der  Sokratik:  die  andere  gehörte  dann  dem  hunde  Diogenes,  der  die 
Wissenschaft  preis  gab,  auch  den  Staat  preis  gab,  aber  dafür  unter  das 
volk  des  marktes  sich  mischte,  als  arzt  der  kranken  seelen  und  gewissen, 
als  prediger  der  tugend  auf  der  gasse. 

Zwischen  beide,  über  beide  trat  als  ächter  erbe  Piatons  Aristoteles 
und  seine  schule,  in  der  Theophraslos  und  Demetrios,  Aristoxenos  und 
Dikaiarchos,  Duris  und  Menandros  gebildet  sind,  er  hat  freilich  für  die 
ewigkeit  vornehmhch  durch  die  streng  wissenschaftliche  specifisch  philo- 
sophische forschung  gearbeitet,  die  "^grundlegende  Wissenschaft',  wie  er 
es  nannte,  metaphysik,  wie  wir  es  in  übeler  umkehrung  des  Verhält- 
nisses nennen  und  betreiben,  und  die  daran  sich  schhefsende  physik 
und  logik:  aber  für  die  absiebten  und  die  erfolge  des  Aristoteles  in 
seiner  zeit  und  unter  seinem  volke  ist  dem  mindestens  gleichwertig,  was 
er  politik  nennt,  der  sich  ethik  und  rhetorik  unterordnen,  er  erzieht 
eben  die  menschen  für  das  leben,  und  das  leben  im  Staate  gebort  für 
ihn  zum  menschen  seiner  natur  nach,  auch  das  individuum,  das  sich 
den  Wonnen  des  anschauens,  dem  ^€cüQi]Tr/.dg  ßiog  ergibt,  braucht  als 
hintergrund  den  Staat,  und  ist  kein  ganzer  mensch,  wenn  es  sich  ^t^tw 
diesen  indilTerent  verhält,  von  der  mannestugend  ist  die  bürgertugend 
ein  teil,  zu  den  menschenrechten  gehört  mit  der  freiheit  auch  die  teil- 
nähme an  dem  staatlichen  leben:  ethik  und  politik  gehören  zusammen, 
der  lehrer,  der  seinen  schülern  den  weg  zur  ri&r/.r]  ctgsTri  weist,  mufs 
ihn    auch   zur  TtoXirixr]  aQsrr]    weisen,      die    ethik    kommt   vom   'j^-d^og 

41)  In  die  zeit  nach  Platon  und  vor  Arkesilaos  müssen  ziemlich  alle  die  dialoge 
fallen,  die  wir  jetzt  mit  unrecht  unter  Piatons  werken  lesen,  nur  in  dem  anhange 
unserer  ausgäbe  stehn  auch  spätere  erzeugnisse.  es  ist  natürlich,  dafs  nur  unbe- 
deutende werke  einen  verfassernanien  entweder  nie  gehabt  oder  verloren  haben, 
es  ist  aber  allerdings  von  bedeutung,  dafs  vor  Krantor  kein  werk  mehr  aus  der 
Akademie  hervorgegangen  ist,  das  einen  litterarischen  erfolg  gehabt  hätte. 


f 


Gründung  der  schule.     Verhältnis  zu  Athen.     Athen  370—50.  343 

her,  das  ist  dem  menschen  individuell  eigen;  aber  der  mensch  steht  in 
der  gcmeinschaft,  der  jiölig,  ist  ?}  avd-Qionog  auch  TtolLrr^g.  und  weil 
das  ganze  gegenüber  dem  teile  TtQÖreQov  cpvGei  ist,  geht  die  poHtische, 
die  bürgertüchtigkeit,  der  ethischen,  der  individuellen  charaklertüchtig- 
keit  voraus  und  ist  ihr  übergeordnet.,  die  tüchligkeit  des  bürgers,  des 
TtoXLTrjg,  ist  bedingt  durch  die  qualität  der  gemeinschaft,  der  Ttohg, 
der  er  angehört,  wer  also  vollkommene  menschen  schauen  will,  mufs 
vollkommene  bürger  schaffen,  wer  vollkommene  bürger,  einen  voll- 
kommenen Staat,  das  sind  zwingende  Schlüsse,  die  jeder,  der  die  elhik 
und  politik  griechisch  lesen  kann  und  bei  griechischen  Worten  die  grie- 
chische, nicht  die  abgeblafste  philosophische  bedeutung,  in  der  wir  sie 
anwenden,  hört,  dem  Aristoteles  zugeben  mufs.  dann  erwuchs  aber 
für  den  lehrer  der  menschen  und  der  nation  die  aufgäbe,  zum  politi- 
schen urteilen  und  handeln  zu  erziehen,  ganz  von  selbst,  das  erbe 
Piatons  schlofs  sie  ebenfalls  in  sich.  Aristoteles  wirkt  durch  die  poli- 
tische Iheorie  nicht  um  der  Iheorie  allein,  sondern  auch  um  der  praxis 
willen,  so  gewifs  er  die  menschen  nicht  blofs  das  wesen  der  tugend  er- 
fassen, sondern  tugendhaft  handeln  lehrt. 

Er  lehrt  in  Athen,  der  geistigen  capitale  von  Hellas,  der  capitale  Verhältnis 
der  demokratie.  dorthin  kehrt  er  335  zurück,  nach  zwölfjähriger  ab- 
wesenheit,  die  ihn  nirgend  heimisch  gemacht  hat,  an  den  ort,  wo  er 
zwanzig  jähre,  vom  zarten  Jünglingsalter  bis  zur  mannesreife  gelebt 
hatte,  es  könnte  gar  nicht  anders  sein,  als  dafs  das  politische  leben, 
das  er  in  theorie  und  praxis  hier  vor  äugen  gehabt  hatte,  das  ihn  nun 
wieder  umgab,  von  der  grüfsten  bedeutung  für  sein  eigenes  urteil  ge- 
worden wäre,  dafs  er  als  fremder  niemals  auch  nur  in  die  Ver- 
suchung geführt  werden  konnte,  in  dieses  leben  einzugreifen,  eine  Ver- 
suchung, der  Piaton  nur  mit  Selbstüberwindung  stand  gehalten  hat, 
konnte  ihm  wenigstens  subjectiv  die  Zuversicht  gewähren,  dafs  er  ganz 
unbefangen  urteilen  könnte. 

Das  Athen  der  sechziger  und  fünfziger  jähre  hat  ihm  zuerst  eine  Athen 
ganz  erbärmliche  ideenlose  und  kraftlose  Staatsverwaltung  gezeigt,  der 
achtungswerte  aufschwung,  den  Athen  bald  nach  der  schände  des  königs- 
friedens  nimmt,  und  dessen  litterarischer  ausdruck  derpanegyrikos  des  Iso- 
krates  ist,  hatte  nur  etwa  bis  zur  schlacht  von  Leuktra  vorgehalten,  als 
Epaminondas  einen  thebanischen  Staat  bildet  und  bald  die  peloponne- 
sische  machtstellung  Spartas  zertrümmert,  verlor  die  athenische  poUtik 
gänzlich  die  bussole.  wer  eingeschworen  war  auf  den  glauben  an  die 
landmacht  Sparta  und  die  Seemacht  Athen,  wie  Isokrates,  und  über  die 


344  J-    10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

schatten  der  ^velt  seiner  Jugend  nicht  herr  werden  konnte,  der  sah  in 
Theben  den  feind  und  trieb  die  reactionäre  politik,  die  in  der  hilfs- 
sendung  nacli  Mantincia  ihren  deulHchsten  ausdruck  gefunden  hat.  das 
zwang  Theben  zu  dem  versuche  einer  flottengründung,  zum  anschlusse 
an  Persien  und  der  bedrohung  des  attischen  bundes.  die  boeolische 
partei  in  Athen  empfieng  in  Wahrheit  ihren  inipuls  von  dem  über- 
legenen genie  des  Epaminondas  und  blieb  fast  immer  in  der  Oppo- 
sition. Theben  selbst  aber  kam  auch  zu  keiner  festen  Stellung  gegen- 
über Athen,  mit  recht,  da  es  diese  macht  zunächst  nur  möglichst  aufser 
action  halten  mufsle.  der  tag  von  Manlineia  zeigte,  dafs  in  den  Boeotern 
die  eigene  kraft  nicht  wohnte,  die  dominirende  Stellung,  die  sie  einem 
grofsen  manne  verdankten,  zu  behaupten,  die  internationalen  Verhältnisse 
der  hellenischen  Staaten  versumpften,  der  hoffnungsvolle  anfang  des 
attischen  bundes  war  unterdessen  so  wenig  zielbewufst  fortgesetzt  worden, 
Athen  hatte  so  wenig  verstanden,  entweder  die  bundespolitik  von  378  oder 
die  reichspoUtik  des  fünften  Jahrhunderts,  die  sich  einander  ausschlössen, 
rein  zu  verfolgen,  hatte  die  pflicht,  die  hellenischen  Städte  des  Ostens  vor 
den  barbaren  nach  aufsen,  vor  den  tyrannen  nach  innen  zu  schützen, 
so  arg  versäumt,  dafs  die  schmachvolle  katastrophe  des  bundesgenossen- 
krieges  eben  da  eintrat,  als  Athen  vom  festlande  her  freie  band  hatte, 
was  nach  dem  frieden  von  355  blieb,  war  kein  wirklicher  bund  mehr, 
sondern  eine  anzalil  abhängiger,  zum  teil  wirklich  so  verwalteter  inseln 
und  etliche  allerdings  wichtige  kolonien,  die  Athen  die  Verpflichtung 
auferlegten,  eine  flotte  zur  Sicherung  des  meeres  zu  halten,  und  daneben 
an  allen  ecken  die  gefahr  schwerer  kriegerischer  Verwickelungen  mit 
sich  brachten,  dabei  stand  der  Staat  vor  dem  bankerott,  die  namhaften 
feldherren  und  demagogen  schieden  fast  alle,  zum  teil  durch  schwere 
processe,  aus  dem  politischen  leben:  man  war  wieder  einmal  so  weit, 
dafs  man  genau  wufsle,  so  gienge  es  nicht  weiter,  anders  müfste  es 
werden,  aber  wie  es  werden  sollte,  wohin  der  staat  seinen  curs  nehmen 
sollte,  das  wufste  im  gründe  niemand. 

Isoki-ates,  der  doch  der  beredte  herold  der  politik  des  neuen  bundes 
im  Panegyrikos  gewesen  war,  gab  sich  dazu  her,  die  neue  richtung  in 
der  Friedensrede  (eigentlich  dem  av[xf.iaxLy.6g,  wie  ihn  auch  Aristoteles 
nennt)  und  dem  Areopagitikos  zu  verteidigen,  mit  andern  Worten  zu 
lästern  was  er  25  jähre  früher  gepriesen  hatte,  sein  alter  dorfgenosse 
Xenophon,  der  mehr  als  den  alten  hafs  gegen  Theben  innerlich  mit 
ihm  gemein  hatte,  traute  sich  zu,  praktische  volkswirtschaftliche  vor- 
schlage  machen   zu   können,     die   Staatsmänner,   die   ans  rüder  kamen. 


Athen  370—50.  345 

Eubulos  an  der  spitze,  verfügten  über  das  ehrliche  streben,  landwirt- 
schaft,  industrie  und  handel  trotz  der  krisis  zu  erhalten  und  die  Finanzen 
zu  reorganisiren,  was  ihnen  auch  gelungen  ist.  es  fehlte  ihnen  nicht 
an  der  einsieht,  dafs  dazu  eine  zurückhaltende  politik  notig  wäre:  ver- 
gebens versuchten  es  die  radikalen,  Alben  für  die  demokraten  von  Rhodos, 
für  Megalopolis  oder  Phokis  zu  engagiren.  sie  sahen  auch  ein,  dafs 
der  herkömmliche  schlendrian  in  der  Verwaltung  des  Schatzes  und  der 
steuern  abgestellt  werden  müfste,  was  den  radikalen  ein  eingriff  in 
das  heihge  recht  der  demokratie  schien,  das  Cr^v  log  rig  ßovlerai. 
aber  so  sehr  Avir  anerkennen  müssen,  dafs  diese  zeit  die  arsenale  gebaut 
und  gefüllt  hat,  die  schiffe  armirt  und  die  schätze  gesammelt,  mit  denen 
Demosthenes  krieg  geführt  hat,  und  dafs  sie  auch  dem  Lykurgos  für 
seine  bautäligkeit  vorgearbeitet  hat:  eine  lialbheit  war  diese  politik 
dennoch  und  mufste  sie  bleiben,  der  rest  des  bundes  war  für  Athen  viel 
mehr  eine  last  als  ein  vorteil,  und  selbst  die  wichtigsten  auswärtigen 
besilzungen,  die  Chersones  und  Samos,  hätte  Athen  mit  vorteil  aufgeben 
können ,  wenn  dafür  die  Unterhaltung  der  kriegsflolte  überflüssig  ge- 
w'orden  wäre,  die  tausende  von  talenten,  die  diese  mit  allem  was  dazu 
gehört  von  355  bis  322  verschlungen  hat,  sind  tatsächlich  doch  verloren 
gewesen,  so  besafs  Athen  weiter  nur  den  schatten  und  die  aspiralionen 
seiner  alten  Stellung,  und  die  radikalen  hatten  nur  zu  oft  gelegenheit, 
zumal  seit  Philipp  die  küsten  vor  seinem  reiche  zu  unterwerfen  begann, 
forderungen  zu  erheben,  die  sehr  schon  noch  365  gepafst  hätten,  jetzt 
aber  mit  den  tatsächlichen  machtverhältnissen  in  schreiendem  Wider- 
spruche standen.  Eubulos  hätte  indessen  gar  nicht  die  macht  gehabt, 
gesetzt  es  wäre  ihm  in  den  sinn  gekommen,  die  herrschaft  des  vom 
Staate  beköstigten  städtischen  pöbeis  zu  beseitigen :  er  konnte  sich  nur 
halten,  indem  er  dem  volke  die  Überschüsse  der  friedlichen  politik  und 
der  energischen  finanzverwaltung  als  Spielgelder  in  den  allezeit  begehr- 
lichen rächen  warf,  die  radikalen  fanden,  so  weit  sie  wirkliche  palrioten 
waren  wie  Demosthenes,  auch  das  schädlich  und  schändlich,  aber  sie 
hüteten  sich  wol,  daran  zu  rütteln,  der  demos  herrschte  und  wollte 
etwas  davon  haben ;  mit  dem  rühme  und  dem  einflusse  draufsen  war  es 
knapp  geworden,  von  den  schönen  phrasen  ward  er  nicht  satt,  und  die 
Spielgelder  und  löhne  für  ratsherrn,  gerichte  und  Volksversammlung 
waren  auch  keinesweges  blofs  den  wirklich  mittellosen,  sondern  einem 
guten  teile  von  denen  angenehm  und  fast  bedürfnis,  die  im  kriegsfalle 
als  hoplilen  hätten  dienen  sollen,  wenn  es  nicht  längst  abgekommen 
gewesen  wäre,  die  dienstpflicht  wirklich  zu  leisten. 


346  !•    10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

So  viele  unterschiede  auch  durch  die  kleineren  Verhältnisse,  die 
gesunkene  volkskraft  und  die  immer  mehr  abgebrauchten  phrasen  hervor- 
gerufen werden:  die  ähnlichkeit  der  Situation  mit  412  nach  dem 
abfalle  der  louier  läfst  sich  nicht  verkennen,  damals  fand  sich  eine 
menge  meist  wirklich  patriotischer  männer  darin  zusammen,  dafs  sie 
frieden  und  erhaltung  der  Stadt  und  der  landschaft  auch  um  den 
preis  eines  Verzichtes  auf  die  grofsmachtstellung  herbeiführen  wollten, 
dafs  sie  dazu  eine  starke  beschränkung  der  ausgaben,  ins  besondere 
der  besüldungen ,  und  eine  Vereinfachung  der  finanzverwaltung  für 
nötig  hielten,  was  eine  entschiedene  einschränkung  der  demokralie 
notwendiger  weise  in  sich  schlofs.  das  hat  man  damals  ausgesprochen 
und  auszuführen  versucht,  wenn  auch  vergeblich,  man  tat  es  unter 
dem  rufe,  rückkehr  zur  Verfassung  der  väter,  zu  Solon  und  ürakon. 
man  war  ehrlich  genug  eine  Verfassungsänderung  zu  fordern  und 
zu  versuchen,  und  man  wufste  genau  genug,  dafs  die  demokratie 
der  Väter,  die  doch  Solon  selber  und  Homer  auch  eine  demokratie  ge- 
nannt hatten,  von  der  zur  zeit  geltenden  Verfassung  recht  weit  ver- 
schieden gewesen  war.  das  wufsten  die  Athener  um  355  nur  noch  sehr 
ungenau,  wenn  auch  die  Vorstellungen  in  ihren  umrissen  und  nament- 
hch  die  schlagworte  dem  Isokrates  wenigstens  nicht  entschwunden  sein 
konnten,  der  selbst  zur  parlei  des  Theramenes  gehört  hatte,  den  mut, 
direct  dahin  zu  drängen,  dafs  die  Verfassung  auch  nur  auf  den  zustand 
von  403  zurückgeführt  würde,  hatte  niemand,  welch  geheul  der  ent- 
riistung  würde  die  radicale  meute  erhoben  haben ,  wenn  man  die  be- 
soldungen  auch  nur  für  die  Volksversammlung  hätte  beseitigen  wollen, 
wo  die  abschaffung  der  persönlichen  Steuerfreiheit  für  athenische  bürger, 
eines  misbrauches,  der  um  so  schreiender  war,  als  das  privileg  oft  erb- 
lich verliehen  ward,  auf  die  stärkste  Opposition  stiefs.  dennoch  ist  der 
gedanke,  ob  nicht  eine  beschränkung  der  demokratie  im  sinne  der 
altvordern  angezeigt  wäre,  selbst  dem  Isokrates  gekommen,  und  wenn 
er  ihn,  wie  zaghaft  auch  immer,  im  Areopagitikos  behandelt,  so  kann 
man  sicher  sein,  dafs  der  beifall  weiter  kreise  dem  redner  sicher 
war,  und  in  der  Unterhaltung  werden  diese,  wie  man  sagte,  oli- 
garchischen  gelüste  sich  sehr  viel  offener  hervorgewagt  haben  als  in 
der  brochüre  eines  litleraten,  der  manchmal  mit  der  unterströmung, 
aber   nie  gegen  den   vollen   ström  der  offen thchen  meinung  schwamm. 

Diese  zeit  hat  Aristoteles  in  Athen  erlebt;  dafs  er  auf  das  öffent- 
liche leben,  die  gerichtsveihandlungen  und  Volksversammlungen  sehr 
wol  geachtet   und   die   politischen   brochuren   des  Isokrates  studirt  hat. 


Athen  370-50.  347 

lehrt  seine  Rhetorik."-)  er  hat  daneben  die  Stimmungen  seiner  heimat 
mitgebracht  und  die  traditionen  und  urteile  der  i)latonischen  schule  in 
sich  aufgenommen,  diese  verschiedenen  anregungen  führten  alle  zu 
dem  einen  ergebnis,  der  Verurteilung  des  Reichsgedankens,  des  grofs- 
staates,  sowol  theoretisch  und  geschichthch  ^vie  für  die  praktische  politik 
der  gegenvpart.  was  er  sah  und  was  er  liürle  mufste  ihn  ferner  zu  der 
Verwerfung  der  attischen  demokratie  führen,  hohe  diaeten,  um  die  be- 
teiligung  derjenigen  an  der  über  alles  wichtige  entscheidenden  Volks- 
versammlung zu  bewirken,  die  schlechterdings  nichts  davon  verstanden 
noch  verstehen  konnten ,  waren  ein  so  schreiender  Widersinn,  dafs  ihn 
füglich  jeder  halbwegs  urteilsfähige  durchschauen  mufste;  sie  exislirten  ja 
auch  erst  seit  Agyrrhios.  aber  sie  waren  die  unvermeidhche  consequenz 
der  gleichberechtigung  aller  Athener  und  waren  nur  mit  dieser  zu  be- 
seitigen, das  konnte  vielleicht  kein  Staatsmann  Athens  planen,  jeden- 
falls nicht  laut  sagen:  für  den  philosophen  und  fremden  war  es  eine 
selbstverständliche  forderung.  das  dritte  war  der  hinweis  auf  die  ältere 
attische  Verfassung,  von  der  der  rat  auf  dem  Areshügel,  mochte  er  auch 
jetzt  nur  noch  ein  gerichtshof  sein,  in  seinem  namen  immer  noch  zeugnis 
für  jedermann  ablegte,  aber  auch  Isokrates  erzählte  von  der  guten  alten 
zeit,  wo  der  Areopag  für  die  guten  gesetze  und  guten  sitten  gesorgt 
hätte,  und  wenn  das  auch  meist  nur  allgemeine  phrasen  waren:  die 
anregung,  nach  der  altattischen  Verfassung  zu  forschen,  lag  darin,  diese 
Untersuchung  und  die  eigene  Überzeugung,  dafs  eine  einschränkung  des 
bUrgerrechtes  und  ein  verzieht  auf  die  seeherrschaft  und  ihr  Instrument, 
die  Seemacht,  die  Vorbedingungen  für  das  gedeihen  Athens  wären,  führten 
nun  wieder  beide  auf  die  beschäftigung  mit  den  planen  und  versuchen 
der  partei,  die  am  ende  des  fünften  Jahrhunderts  die  demokratie  hatte 
beseitigen  wollen  und  sich  dafür  eben  auf  die  altattische  Verfassung 
berufen  halte,  die  platonische  schule  hatte  das  andenken  des  Kritias 
und  des  Theramenes  keinesweges  geächtet;  das  harmonirte  hiermit,  so 
müssen  wir  sagen,  dafs  Aristoteles  bereits  als  jüngUng  eben  in  den 
Jahren    der  bildsamkeit  alle  die  anregungen  und  eindrücke  in  sich  auf- 


42)  Ins  besondere  hat  er  den  reden  des  Iphikrates,  die  später  irrtümlich  unter 
den  werken  des  Lysias  standen,  sein  augenmerk  zugewandt;  sie  müssen  ihm  mehr 
geliefert  haben  als  ein  par  glückliche  schlagworte.  Iphikrates  ist  der  feldherr  und 
Politiker  auf  eigene  band,  nods  rois  y.nioovs,  für  den  das  Vaterland,  so  groFse 
dienste  er  ihm  gelegentlich  geleistet  bat,  doch  erst  in  zweiter  linie  kommt,  ein  manu 
vom  schlage  der  Alkibiades  und  Gbaridemos,  wie  der  zeit,  so  dem  wesen  und  der 
bedeutung  nach  zwischen  ihnen  stehend. 


348  I.    10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

"enommen  hat,  die  für  seine  beurteilung  der  attischen  geschichte  und 
Verfassung  mafsgebend  geworden  sind. 

Bei  alier  abneigung  gegen  die  demol<ratie  hat  er  ein  anderes  poli- 
tisches leben  als  das  der  athenischen  demokratie  überhaupt  nicht  gekannt, 
in  den  lebensunfähigen  nestern  der  Chalkidike  oder  an  dem  tyrannen- 
hofe  in  Assos  war  keins,  Lesbos  war  im  zustande  der  revolution,  und 
in  Makedonien  hat  Aristoteles  nur  das  regiment  über  ein  e&vog,  ein 
noch  nicht  zum  politischen  leben  fortgeschrittenes  volk  gefunden,  es 
gehurt  eben  die  n6?ug  zur  Ttohreia,  davon  Ireifst  sie.  da  nun  aber 
der  mensch  seiner  natur  nach  zum  politischen  leben  befähigt  und  be- 
rufen ist,  also  zu  einem  vollkommenen  leben  der  Staat  gehört,  und  zwar 
ein  Staat,  an  dem  jeder  bürger  tätigen  anteil  hat,  so  kann  nur  ein  Staats- 
wesen, das  diese  Voraussetzungen  erfüllt,  für  Aristoteles  überhaupt  diesen 
namen  verdienen,  und  menschlicherweise  konnte  es  nicht  ausbleiben, 
dafs  der  Staat,  in  dem  er,  wenn  auch  als  fremder,  gelebt  hat,  weil  er 
der  einzige  war,  den  er  aus  eigner  anschauung  kannte,  mit  seinen 
Prinzipien  und  seinen  institutionen  mehr  oder  weniger  identisch  mit 
dem  Staate  überhaupt  für  ihn  werden  mufste.  das  gilt  für  den  Stagi- 
riten  Aristoteles  mindestens  eben  so  sehr  wie  für  den  Athener  Piaton: 
zu  seiner  noUrüa  hat  die  nolireia  '^d-r]vaiiov  noch  mehr  modell  ge- 
standen, als  zu  Piatons  vofxot  die  v6f.ioi  ^Ad-i]vaUov.  unbewufst  steht 
er  im  banne  der  attischen  Vorstellungen ,  ungleich  stärker  noch,  als  er 
bewufst  ein  feind  der  attischen  demokratie  ist."^) 
Athen  Als   er  335   nach  Athen  zurückkehrte,   waren  die  Würfel  über  die 

grofsmachtspolitik  des  Demosthenes  gefallen,  gerade  während  der  jähre, 
die  wir  dank  den  politischen  reden  dieses  demagogen  genau  kennen, 
war  Aristoteles  teils  fern,  teils  im  feindlichen  lager  gewesen,  das  letzte 
was  er  noch  kurz  vor  Piatons  tode  erlebt  hatte,  war  die  annexion  seiner 
chalkidischen  heimatsprovinz  an  Makedonien  gewesen,  die  Demosthenes 
mit  aller  macht  einer  bisher  unerhörten  redekunst  abzuwenden  versucht 
hatte,  das  war  das  Vorspiel  zu  dem  letzten  versuche  gewesen,  den  Athen 
mit  der  grofsmachtspolitik  machte,  die  Aristoteles  schon  vorher  zu  ver- 
dammen gelernt  halte,    jetzt  war  es  mit  dieser  ein  für  alle  mal  vorbei. 


43)  Hug  (Studien  aus  dem  classischen  allertum)  liat  die  politische  theorie  des 
Demosthenes  dargestellt  und  mit  recht  die  ähnlichkeit  betont,  die  sich  sehr  oft  mit 
den  lehren  der  aristotelischen  Politik  zeigt,  aber  das  liegt  nicht  an  einer  geistes- 
verwandtschaft  beider,  sondern  es  beweist  nur,  dafs  für  sie  und  die  anderen  publi- 
cislen  der  zeit  eine  gewisse  summe  von  Vorstellungen  und  gedanken  durch  die 
öfTcnlliche  meinung  über  politisches  gegeben  war. 


Athen  338—323.  349 

die  ereignisse  hatten  den  theoretikern  recht  gegehen.  das  verblendete 
und  von  den  demagogen  misleitete  volk  (mit  der  aristotelischen  Politie 
zu  sprechen)  hatte  einen  schweren  fehler  gemacht,  den  es  mit  dem  Ver- 
luste der  letzten  bundesstädte  und  dem  einlrilte  in  die  gefolgschaft 
Makedoniens  bezahlen  mufste.  aber  Athen  war  autonom  und  befand 
sich  335  in  Wahrheit  viel  hesser  als  355.  auch  das  stimmte  zu  der 
theorie.  die  jähre  347 — 338,  die  für  uns  durch  die  beredsamkeit  des 
Demosthenes  hell  beleuchtet  von  der  fast  nur  durch  trübe  historische 
berichte  bekannten  Umgebung  so  glänzend  sich  abheben,  sind  in  Wahr- 
heit nur  eine  kurze  episode,  und  dem  mitlebenden  mufsten  sie  noch 
mehr  so  erscheinen.  Aristoteles  hat  es  für  einen  fehlschlufs  gehalten, 
dafs  die  politik  des  Demosthenes  an  dem  unheil  von  Chaironeia  schuld 
sein  sollte."*)  die  modernen,  die  den  demagogen  in  den  himmel  er- 
heben, weil  der  redner  allerdings  über  jedem  vergleiche  steht,  sollten  das 
eigentlich  bestreiten;  jedenfalls  hat  Aristoteles  nicht  damit  sagen  wollen, 
dafs  die  demosthenische  poHtik  berechtigt  gewesen  und  nur  durch  die 
Ungunst  der  Verhältnisse  gescheitert  wäre,  es  ist  nur  ein  gerechtes 
wort,  das  die  Überschätzung  der  persönlichen  bedeutung  des  demagogen 
nach  der  guten  seite  eben  so  einzuschränken  geeignet  ist,  wie  es  ihn 
vor  unberechtigter  Verantwortung  schützt,  gern  wüfsten  wir,  wie  Ari- 
stoteles den  Demosthenes  moralisch  beurteilt  hat;  aber  darauf  erhalten 
wir   keine   antwort.'*^)     die  Rhetorik   aber  zeigt  das  eine  ganz  deutlich, 

44)  Rhet.  2,  1401'^  als  beleg  für  die  Verwechselung  von  j^ost  hoc  und  propter 
hoc  Clav  cos  o  JT]fiäSi]S  zrjv  Jtjfioad'srovs  Tiolireiav  nävTcov  twv  y.av.üiv  aiTiov 
f.ieT     exeivT]v  yaQ  avvißrj  o  7iöXef.ios. 

45)  Eine  stelle  2,  139T^  8  ist  von  bedeutenden  forschem  auf  einen  rechtsfall 
bezogen,  der  nach  den  angaben  seiner  gegner  den  Demosthenes  schwer  belastet, 
die  ermordung  des  Nikodemos  von  Aphidna  durch  Aristarchos,  den  vertrauten  des 
Demosthenes.  das  würde  in  sich  schliefsen,  dafs  Aristoteles  statt  Nikodemos  Nikanor 
geschrieben  hätte,  denn  den  text  kann  man  hierin  nicht  ändern,  wenigstens  den 
namen  bezeugt  Dionysios  (adAmm.l),  den  man  sonst  besser  von  dieser  frage  fern 
hält,  aber  der  rechtsfall  selbst  stimmt  nicht,  der  Zusammenhang  bei  Aristoteles 
fordert  folgendes:  Nikanor  ist  widerrechtlich  getötet,  da  das  gericht  aber  die 
mörder  freisprach,  begeht  man  den  fehlschlufs,  dafs  er  den  tod  verdient  hätte,  was 
Demosthenes  damit  zu  tun  hatte,  wird  durcli  den  ausdruck  ?;  ne^i  Jr^/uoa&evovs 
SixT]  y.ai  rdJi'  äno>cTsivävrcov  NixävoQa  nicht  klar,  ein  fall  von  (povos  Sixaios 
nach  attischem  rechte  liegt  hier  nicht  vor,  es  handelt  sich  überhaupt  nicht  um  das 
juristische,  sondern  das  moralische  Sixaiov.  wer  fcrco  Siy.aico  getötet  ist,  hat  in 
den  meisten  fällen  den  tod  sicherlicii  verdient,  oder  es  ist  (wie  bei  dem  lodschlag 
im  kriege)  gar  kein  moralisches  moment  vorhanden,  jener  Aristarchos  hatte  den 
Nikodemos  erschlagen  und  verstümmelt,  war  vielieiciit  nicht  verurteilt,  aber  sicher- 
lich nicht  freigesprochen,  denn  er  blieb  landflüchtig.     Mas  Schaefer  (Dem.  11=^  104) 


350  !•   10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buclies. 

(Jal's  Aristolcles  die  bercdsamkeit  seiner  Zeitgenossen  nicht  mehr  ein- 
gehend studirt  hat,  weder  Demosthenes  noch  Aischines,  weder  Demades 
noch  Uvpcreides.  er  war  eben  innerhch  fertig,  Isokrates  und  Piaton 
idieben  für  ihn  die  niuster,  an  die  seine  stillehre  und  sein  eigener 
Stil  anknüpfte,  die  rhetorik  ist  voll  von  einzelnen  Schlagwörtern,  die 
weit  mehr  aus  der  mündlichen  tradition,  aus  den  parlamentarischen 
deballen  so  zu  sagen,  genommen  sind  als  aus  den  flugschriften.  er 
gibt  deren  auch  viele  aus  den  jähren  seiner  abwesenheit  und  sogar  aus 
der  gegenwart:  selbst  gesellen  wie  Moirokles  und  Polyeuktos  erscheinen, 
das  lehrt  uns  das  sehr  beherzigenswerte,  dafs  die  Unterhaltungen  des 
Lykeions  von  dem  notiz  nahmen,  was  auf  dem  markte  und  im  rathause 
vorgieng.  aber  die  mafsgebenden  personen,  Lykurgos  Demades  Phokion 
Demosthenes  erscheinen  kaum  je '"^)  und  nie  für  irgend  etwas  bedeutendes. 


vorbringt,  ist  juristisch  non  sense:  auf  gerechtem  totschlag  soll  Verbannung  ge- 
standen haben,  aber  es  berückt  ihn  unbewufst  der  wünsch,  seinen  beiden  von  der 
immerhin  häfslichen  geschichte  weifs  zu  waschen,  für  diesen  ist  das  wichtigste, 
dafs  er  selbst  nach  der  angäbe  seines  feindes  mit  dem  tode  des  Nikodemos  nicht 
so  viel  zu  tun  gehabt  hat  wie  die  aristotelische  angäbe  verlangen  würde,  wir 
kennen  also  jenen  Nikanor  nicht,  der  name  ist  gut  makedonisch  und  stagiritisch, 
und  es  mag  auf  einen  handel  gehen,  der  dem  Aristoteles  persönlich  viel  interessanter 
war  als  der  geschichte.  Demosthenes  hat  z.  b,  wirkliche  oder  angebliche  Spione 
genug  aufgreifen  und  töten  lassen,  das  galt  in  Athen  für  eine  berechtigte  hand- 
lung,  während  es  doch  für  die  wirkliche  schuld  der  getöteten  ein  höchst  trügerisches 
praejudiz  abgab, 

40)  Demosthenes  erscheint  einmal  3,  1407*  5  ri  Jrjfi.  (eixcov)  eis  tov  Srj/uov 
vTi  ofioiüs  iari  rols  ev  rdls  nXoiois  vavxicüaiv,  es  verschlägt  nichts,  dafs  das 
bild  in  den  reden  nicht  steht.  Demosthenes  hat  die  kühnen  bilder,  die  Aischines 
ihm  aufsticht,  auch  nicht  schriftlich  gebraucht,  die  schollen  führen  ein  par  sätze 
an,  die  offenbar  das  Demosthenescitat  liefern  wollen  (fgm.  30  Sauppe);  aber  darin 
stecken  zwei  gröbste  hiate,  also  ist  das  fragment  nicht  acht,  wenn  es  aus  einer 
rede  stammte,  so  hätte  Aristoteles  eine  falsche  citirt,  was  sehr  seltsam  wäre  und 
viele  consequenzen  nach  sich  zöge,  aber  es  kann,  so  viel  ich  von  diesen  schollen 
verstehe,  die  eine  Untersuchung  nötig  haben,  nicht  für  unglaublich  gelten,  dafs  die 
schollen  das  cilat  erfunden  haben,  schlimmer  ist,  dafs  das  cilat  in  der  Rhetorik  selbst 
befremden  erregt,  es  geht  nicht  lange  vorher  rj  eis  rov  8r,(iov  ort  ofioios  vavy.Xr]Q(o 
t(j-/vQiü  (liv  vnoxo'xfcp  Se.  hier  kann  kein  autorname  stehen,  obwol  die  geringeren 
liand>.cliriften  auch  hier  Demosthenes  haben,  unten  dagegen  ist  er  nötig,  das  zeigt  der 
Zusammenhang,  aber  zwei  gleichnisse  über  das  volk,  beide  aus  dem  Seewesen,  in 
derselben  reihe,  das  erregt  bedenken,  und  ob  wir  wirklich  auf  den  text  dieses 
buches  so  fest  bauen  dürfen?  beispiele  treten  gar  zu  leicht  zu.  —  das  wäre  freilich 
etwas  grofses,  wenn  Aristoteles  die  leichenrede  des  Demosthenes  citirt  hätte  und 
das  wort  aufbewahrt,  dafs  die  hellenische  fieiheit  bei  Chaironeia  ins  grab  gesunken 
wäre,     das  hat  Scholl  behauptet  (Münch.  Sitz.  Ber.  1889  II  38).     er  hat  auch  zu- 


Athen  338—323.  351 

darin  hat  allerdings  wol  die  rücksicbt  auf  die  eigene  Stellung  als  fremder 
und  makedonischer  Untertan  den  freimut  des  Aristoteles  gebunden,  aber 
wie  der  beredsamkeit,  so  spürt  man  auch  dem  altischen  Staate  gegen- 
über, dafs  er  als  ein  fertiger  mann  mit  fertigen  urteilen  335  zurück- 
gekehrt war.  er  hat  höchstens  noch  ein  äufserliches  äuge  für  die  neu- 
bildungen  des  politischen  lebens  um  sich  her  gehabt,  und  doch  bot  die 
lykurgische  zeit,  in  der  er  lebte,  gerade  für  den  theoretiker  der  Ver- 
fassung Athens  des  merkwürdigen  ungleich  mehr  als  die  ideenarme  zeit 
des  Kallistratos  und  Aristophon. 

Es  ist  dies  nicht  der  ort  und  ich  wäre  auch  nicht  genügend  vor- 
bereitet die  restaurationspolitik  zu  schildern,  die  338  anhebt;  es  wird 
eine  eben  so  anziehende  wie  lohnende  aufgäbe  sein,  die  einzelnen  züge 
die  man  den  inschriften  massenweise  entnehmen  kann,  zu  einem  vollen 
bilde  zu  vereinen.  Athen  hatte  seine  grofsmachtstellung  verloren,  aber 
wenn  es  aus  sich  selbst  noch  die  kraft  schöpfen  konnte,  auf  eine  solche 
berechtigten  anspruch  zn  erheben,  so  war  ihm  dazu  der  weg  nicht  ver- 
legt, die  makedonische  partei  in  Athen  hat  weder  338  selbst  noch 
nachher  je  das  heft  in  die  bände  bekommen;  Demades  ist  mit  nichten 
blofs  ein  söldling  der  könige,  so  wenig  wie  Demosthenes  ein  Söldling 
Persiens  ist,  von  wo  er  geld  genug  bekommen  hat.  aber  auch  die  radikalen 
Patrioten  wurden  nicht  nur  338  beiseite  geschoben,  sondern  auch  weiter- 
hin niedergehalten,  selbstverständlich  mochte  man  sie  nicht  preisgeben, 
denn  patriotisch  war  auch  die  regierung;  aber  sie  war  besonnen  genug, 
sich  auf  den  boden  der  vertrage  zu  stellen  und  die  kräfle  zu  wägen, 
nur  besafs  sie  nicht  die  macht,  das  souveräne  volk  zu  verhindern, 
sich  an  den  grofsen  Worten  zu  berauschen,  und  so  gab  es  immer 
wieder  krisen ,  und  in  der  letzten,  nach  Alexandros  tod,  ist  der 
Staat  zu  gründe  gegangen,  die  politik  der  restauration  ist  weder  von 
Phokion    und   Aischines    noch    von   Demosthenes    und  Hypereides  ge- 


stimmung gefunden,  und  stellt  meiner  deutung  der  stelle  1411^  31  das  prognostikon, 
dafs  sie  das  nicht  tun  werde,  das  werde  ich  ertragen,  wenn  sie  nur  so  richtig  ist 
wie  die  Schölls  ungeheuerlich,  ich  habe  allerorten  die  Überlieferung  gehalten:  Scholl 
ändert  bei  dem  falschen  Lysias,  ändert  bei  Aristoteles,  er  läfst  den  Aristoteles  eine 
rede  citiren,  die  er  nicht  gehört  hat  und  die  nicht  publicirt  worden  ist,  und  citiren 
wie  er  bücher  citirt,  iv  reo  inirafico,  gleich  als  ob  dieser  epitaphios  der  par 
excellence  gewesen  wäre,  das  ist  eine  seltsame  Sorte  von  probabitilät.  aber  für 
noch  viel  stärker  halte  ich  es,  dafs  er  so  den  Aristoteles  dem  demagogen  eine 
huldigung  erweisen  läfst,  die  nur  unter  geschichtlichen  Voraussetzungen  möglich 
wäre,  von  denen  denn  doch  die  spuren  kenntlich  sein  müCsten,  die  wahrhaftig  eben 
so  unerfindlich  sind  wie  der  demosthenische  epitaphios. 


352  I-   10.   Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

niaclit  uorden.  inshesonderc  Deniosthenes  ist  seit  338  ein  stummer 
mann;  eine  macht  für  sich,  tief  verflochten  in  alle  unterirdische  arbeit 
wider  Makedonien,  aber  weder  in  der  magistratur  noch  publicistisch 
tätig. "^j  die  rogierung  sammelte  die  materiellen  kräfte  Athens  natürlich 
in  der  hoffnung,  sie  zur  zurückeroberung  der  verlorenen  macht  der- 
einst zu  verwenden,  sie  füllte  die  arsenale  und  brachte  die  flotte  auf 
eine  höhe,  wie  sie  seit  den  zeiten  des  Reiches  nie  erhört  gewesen  war. 
Persiens  stürz  und  das  fehlen  einer  ebenbürtigen  makedonischen  See- 
macht mufste  allerdings  den  gedanken  wecken,  mit  den  ionischen  Städten 
und  dem  Pontes,  dessen  südküste  auch  noch  nicht  makedonisch  war,  die 
alten  beziehuugen  aufzunehmen,  ein  Miltiades  fährt  gar  in  ein  fernes 
meer  zur  gründung  einer  colonie.  auf  die  Vergangenheit  war  der  blick 
gerichtet,  auf  eine  fernere  noch  als  die  zeit  des  Periklcs,  mit  der  die  im- 
ponirende  bautätigkeit  und  die  Organisation  der  tempelschätze  wetteiferte, 
die  reslauration  war  eine  religiöse:  unsere  Urkunden  über  attische  heilig- 
tümer  und  feste  pflegen  entweder  aus  der  zeit  des  Perikles  oder  der 
des  Lykurgos  zu  stammen,  die  göttinnen  von  Eleusis,  der  neu  erworbene 
Amphiaraos  von  Oropos,  der  Dionysos  der  stadt,  der  Poseidon  des  hafens, 
Zeus  Amnion  und  Athena  beschäftigen  rat  und  volk.  ja  selbst  in  Do- 
dona,  unter  den  äugen  der  Olympias,  erhebt  sich  ein  weihgeschenk  Athens 
wie  zu  den  zeiten  des  Tolmides."")  auch  im  staatsieben  sucht  man  gern 
die  alten  feierlichen  formen  auf.  wenn  ein  kümmerlicher  lohnschreiber, 
noch  dazu  ein  fremder,  wie  Deinarchos,  seine  bombastischen  brandreden 
mit  den  obsoleten  eidschwüren  der  archontenprüfung  und  den  eben  so 
obsoleten  erfordernissen  für  die  Strategie  zu  schmücken  meint,  so  äfl't 
er  selbst  nur  nach,  was  bei  dem  Eteobuladen  Lykurgos  acht  war,  der 
mit  Vorliebe  Streitfragen  des  heiligen  rechtes  bearbeitete,  acht  freilich  war 
es  auch  da  nur,  insofern  dem  catonischen  manne  diese  religion  herzens- 
sache  war:  im  übrigen  war  es  die  rehgiüsität  der  restauration,  die  die 
schalen  heiligt,  weil  sie  den  wert  des  kernes  zu  würdigen  weifs,  der 
nun  doch  einmal  verschwunden  ist.  das  ist  eine  richtung,  die  wol  eine 
zeit  lang  wichtig  war,  aber  für  die  Aristoteles  so  wenig  wie  Demosthe- 
nes  empfänglich  waren ;  beide  durchaus  moderne  menschen ,  der  eine 
indifl'erent,  der  andere  erhaben  über  die  alte  religion.  aber  auch  im 
Staate  ist  die  umkehr  zu  dem  alten  hie  und  da  bemerkbar,  die  Isokrates 


47)  Man  kann  sich  kaum  vorstellen,  dafs  das  plötzliche  abbrechen  seiner 
schriflsiclicrei  ganz  freiwillig  gewesen  wäre.  Phiiippos  und  Alexandros  haben  iiin 
geschont:  mindestens  tatsächlich  hat  er  durch  sein  schweigen  den  preis  dafür  gezahlt. 

4S)  Hypereides  für  Euxenippos;  IGA  5. 


Athen  338-323.  353 

im  Areopagitikos  mit  allgemeinen  redensarten  gepredigt  halte,  der  nim- 
bus  der  heiligkeit  und  unsträflichkeit,  der  jenen  alten  rat  umschwebte, 
gewann  in  zeiten  tiefer  erregung  stärkeren  glänz,  man  erwartete  und 
ertrug,  ja  man  forderte  sein  eingreifen,  gleich  als  ob  er  noch  die  ver- 
fassungsmäfsigen  rechte  hätte  wie  480,  und  der  Areopagit  Autolykos 
mufste  es  bitter  biifsen,  dass  er  nicht  die  persönhche  haltung  in  der 
stunde  der  gefahr  bewährt  hatte,  die  man  von  dem  hohen  rate  verlangte, 
die  Sitten  der  altvordern  mufsten  wiederkehren,  das  ahnte  man,  wenn 
taten  erwachsen  sollten,  die  die  alte  herrlichkeit  zurückführten,  die 
restauratoren  werden  es  oft  schwer  empfunden  haben,  dafs  die  demokra- 
tischen Prinzipien  eine  energische  siltencontrolle  und  scharfe  luxusgesetze 
nicht  verstatteten,  und  dem  Lykurgos  kam  der  wünsch  nach  einer  derben 
peitsche  für  den  demos  über  die  lippen.  auf  einem  gebiete  brachte 
man  es  aber  zu  einer  wirklichen  reform,  und  da  trug  man  sogar  der 
Sokratik  rechnung.  der  Staat  organisirte  die  erziehung  der  epheben.  er 
belastete  das  budget  mit  ihrer  Unterhaltung,  casernirte  sie,  stellte  lehrer 
für  sie  an  uud  suchte  die  väter  selbst  an  dem  erziehungswerke  zu  in- 
teressiren;  es  ist  als  ob  sie,  wenn  nicht  gerade  den  ächten  Platou,  so  doch 
den  Kleitophon  gelesen  hätten.  atocpQoveg  sollen  die  attischen  Jünglinge 
werden ,  es  soll  nicht  mehr  zugehn ,  wie  es  Demoslhenes  in  der  rede 
wider  Konon  von  einer  militärischen  übung  erzählt:  deshalb  werden 
ö(.ü(pQOVLGraL  angestellt.  y.6o[.uoL  sollen  sie  werden,  wie  es  historiker 
und  Philosophen  von  den  dorischen  jünglingsherden  rühmten:  deshalb 
wird  ein  xooiiir]Trjg  gewählt,  aber  im  dienste  der  heimischen  götter 
soll  es  geschehen,  nicht  wie  der  sophisl  Sokrates  mit  neuen  göttern  die 
Jünglinge  verdarb  und  einen  Kritias  erzog:  der  zweijährige  dienst  be- 
ginnt mit  einer  besichtigung  der  öffentlichen  heiligtümer.  es  ist  Ari- 
stoteles, dem  wir  die  Schilderung  dieser  Institution  verdanken:  er  hat  sie 
in  die  Politie  eingelegt;  aber  in  der  Politik  kommt  sie  nicht  vor,  einen 
wert  hat  er  ihr  also  nicht  beigemessen,  das  praktisch  bedeutungsvollste 
jedoch  waren  neuordnungen  der  magistratur,  die  sich  von  den  altdemo- 
kratischen traditionen  sehr  weit  entfernten,  man  brach  mit  der  jährigen 
befristung  für  die  eigentlich  entscheidenden  finanzämter,  die  Verwalter 
der  Spielgelder  und  den  Schatzmeister  der  kriegscasse,  und  dafs  dieser 
nur  einer  war,  schliefst  den  noch  viel  bedeutenderen  bruch  mit  der  colle- 
giahtät  in  sich,  man  gab  für  diese  stellen  das  los  in  jeder  form 
auf,  erwählte  sie  vielmehr  ganz  wie  die  Offiziere,  diese  beamlen  coope- 
rirten  aber  mit  dem  rate;  sie  hatten  bei  der  Verpachtung  der  zolle  steuern 
und   bergwerke   mitzuwirken,    der  Schatzmeister   auch   bei  den   neuan- 

V.  Wilamowiiz,  Aristoteles.    I.  23 


354  '•   10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

schafl'ungen  für  den  goldenen  schmuck  der  gottin  und  die  goldenen 
preise  der  Panatiienaeen.  wer  vier  jähre  im  amte  hlieb,  mufste  die  factisch 
ausschlaggehende  stimme  erhalten,  der  durch  das  los  hestimmte  jährige  rat 
war  somit  auf  dem  gebiete  der  üuanzen  durch  die  magistratur  ebenso 
beschränkt,  wie  er  es  in  der  sonstigen  Verwaltung  und  zumal  der  hohen 
polilik  durch  das  plenum  der  Volksversammlung  und  ihre  leiter,  die  redner, 
war.  das  waren  in  der  tat  Verordnungen,  die  äufserst  weitgehende  conse- 
quenzen  in  sich  schlössen :  wenn  der  Schatzmeister  zugleich  der  leitende 
demagoge  war,  so  konnte  einerseits  diese  letztere  formlose  Vertrauens- 
stellung eine  wirkliche  magistratur  werden,  andererseits  in  Athen  ein  ein- 
zelner mann  kraft  seines  amtes  das  heft  des  Staates  in  die  band  bekommen: 
der  keim  nicht  sowol  zur  tyrannis  als  zum  prinzipate  war  vorhanden, 
die  späteren  haben  in  der  tat  von  einer  zwülfjährigen  herrschaft  des 
LykurgüS  (oder  auch  Demades)  ähnhch  wie  von  der  herrschaft  des  Phale- 
reers  Demelrios  geredet,  das  ist  eine  Übertreibung,  vergleichbar  der 
vierzigjährigen  oder  fünfzehnjährigen  herrschaft  des  Perikles,  aber  etwas 
wahres  liegt  all  diesem  zu  gründe  :  die  dauernde  vorstandschaft  bestimmter 
personen,  die  dem  Staate  schon  wegen  der  stätigkeit  regelmäfsig  gut  be- 
kommt, jetzt  aber  versuchten  die  regierenden  diese  tätigkeit  durch  gesetz 
zu  sichern,  wir  können  von  dem  demokratischen  Standpunkte  aus  wol  be- 
greifen, wie  die  Opposition  über  den  druck  klagte,  den  eine  kleine 
gruppe  ausübte."^)  wir  können  uns  andererseits  nicht  verhehlen,  dafs 
alle  solche  versuche  so  lange  prekär  bleiben  mufsten,  als  die  alimacht 
der  Volksversammlung  und  der  gerichte  bestehen  blieb;  was  für  tolle 
Sprünge  das  volk  machen  konnte,  dafür  liefert  Hypereides  in  der 
rede  für  Euxenippos  gleich  zu  anfang  ein  par  grelle  beispiele.  aber  ge- 
rade für  den  theoretiker  hätten  diese  versuche  in  Wahrheit  wol  das 
gleiche  Interesse  haben  sollen  wie  die  niemals  in  kraft  getretene  Ver- 
fassung der  400.    Aristoteles  hat  ihnen  in  der  theorie  keinerlei  berück- 


49)  Aischin.  3,  234  inl  rcöv  vvvi  aaiQcöv  ol  noXXol  rols  o/.iyois  n^oiead'e 
tu.  T/;s  dTjfwy.ouTias  iayjvQct,  worauf  er  übertreibend  wie  die  ganze  rednergeseilschaft 
gleich  mit  dem  schreckbiide  der  Dreifsig  droht,  aber  seine  ganze  rede  ist  durch- 
zogen von  dem  geiste,  dafs  die  demokratie  von  einer  clique  terrorisiert  würde,  und 
ich  kann  nicht  leugnen,  dafs  er  diese  Vorstellung  geschickt  zu  wecken  und  zu 
unterhalten  weifs ;  ich  kann  auch  nicht  zugeben,  dafs  er  das  nicht  geglaubt  hätte, 
oder  dafs  er  von  seinem  Standpunkte  aus  unrecht  gehabt  hätte,  mit  seinem  willen 
ist  es  doch  nicht  geschehen,  dafs  der  procefs  acht  jähre  verschleppt  war,  und  dafs 
er  nun  gerade,  wo  die  wählen  der  vierjährigen  beamten  die  bisherige  regierung 
eben  befestigt  hatten,  zur  Verhandlung  kam.  und  mit  rechten  dingen  hat  es  auch 
nicht  geschehen  können. 


Athen  338-323.     die  Politik.  355 

sichtigUDg  gegönnt;  für  seine  Vorstellung  gehören  annuität  und  collegialität 
unweigerlich  zu  dem  beamten  des  rechtsstaates.  in  der  Politie,  wenigstens 
wie  wir  sie  lesen,  ist  an  der  stelle,  wo  die  vierjährigen  beamten  be- 
handelt werden  sollten,  eine  liicke. 

Athen  ist  für  ihn  die  demokratie  par  excellence  geblieben,  und  dafs 
es  mit  der  nicht  gienge,  stand  ihm  fest,  dafs  Athen  keine  grofsmacht 
mehr  war,  überhaupt  in  Hellas  nirgend  mehr  eine  einzelne  Stadt  eine 
nennenswerte  herrschaft  über  andere  Städte  ausübte,  konnte  dem  Poli- 
tiker nur  recht  sein,  der  in  der  kleinen  autonomen  Stadt  den  Staat  fand, 
die  Suprematie  Makedoniens  beinträchtigte  rechtlich  und  faktisch  die 
städtische  autonomie  zunächst  viel  weniger  als  die  Athener  und  Lake- 
daimonier  auf  der  höhe  ihrer  macht  das  getan  hatten;  von  den  Ver- 
pflichtungen, die  sie  auferlegte,  konnte  der  theoretiker  füglich  absehen, 
aber  die  erschütterung,  die  durch  die  Verschiebungen  der  grofsmächte 
hervorgerufen  wurde  und  sich  über  die  ganze  hellenische  weit  verbrei- 
tete, legte  dem  lehrer  der  nation  die  aufgäbe  doppelt  an  das  herz, 
die  frage  nach  dem  besten  und  bestmöglichen  Staate  zu  behandeln. 

Wir  dürften  geneigt  sein  der  frage  eine  andere  formuhrung  zu  Die  Politik, 
geben,  allein  Piatons  vorbild  hatte  sie  nun  einmal  so  abstract  formulirt, 
und  Aristoteles  hielt  sich  zunächst  an  seinen  lehrer.  er  hat  die  vor- 
trage über  Politik  öfter  gehalten,  selbstverständlich  erst  seit  er  überhaupt 
vortrage  hielt,  und  der  zustand,  in  dem  wir  seine  aufzeichnungen  lesen,  ge- 
stattet nicht,  die  einzelnen  schichten  scharf  zu  sondern,  noch  auch  die  Zeit- 
bestimmungen zu  verallgemeinern,  die  sich  aus  einzelnen  stellen  ergeben, 
aber  das  allgemeine  ist  deutlich,  dafs  wir  einen  gemeinsamen  unterbau 
haben  (ABF),  auf  dem  sich  zwei  selbständige  lehrgebäude  erheben,  die 
darstellung  von  dem  wesen,  den  unterschieden  und  den  wandelungen 
i^iETaßolai)  der  Verfassungen  (AEZ),  und  die  lehre  vom  besten  Staate. 
(H0).  beide  Untersuchungen  sind  nicht  im  entferntesten  bis  zum  ab- 
schlusse  geführt,  ihre  reihenfolge  ist  nicht  von  grofser  bedeutung,  da 
sie  eben  in  Wahrheit  neben  einander  stehen,  dafs  Aristoteles  die  über- 
lieferte Ordnung  beabsichtigt  hat,  bezeugt  er  selbst,  wenn  er  den  schlufs 
der  Ethik  geschrieben  hat,  und  sollte  er  das  nicht  getan  haben,  so 
würde  immer  noch  der  herausgeber  der  Ethik,  also  sein  söhn  Niko- 
machos,  die  Ordnung  für  die  mitterweile  herausgegebene  PoHtik  bezeugen, 
und  auch  dann  wäre  die  Umstellung,  in  der  unsere  ausgaben  die  bücher 
vorlegen,  schlechthin  verwerflich.  =")    auch  in  diesem  falle  ist  die  gewalt 

50)  So  hat  mit  vollem  rechte  Dümmler  (Rh.  M.  42,  180)  geschlossen,  während 
die  Umstellung  von  ^6>  eine   gewisse  herechtigung   hat,  ist  die  vertauschung  von 

23* 


356  I-  10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

oine  schlechte  lüsung  für  die  Schwierigkeiten,  die  in  der  Überlieferung 
aufgezeigt  zu  haben  Spengels  bleibendes  verdienst  ist.  im  grofsen  ganzen 
erklärt  sich  das  befremdliche  Verhältnis  dadurch,  dafs  Aristoteles  zuerst 
unmittelbar  nach  erledigung  der  grundlegenden  fragen  zu  der  haupt- 
aufgnbe,  dem  besten  Staate,  fortschritt,  später  aber  vor  diesem  eine 
eingehende  behandlung  der  bestehenden  typen  des  Staates  und  auf  den 
Voraussetzungen  des  bestehenden  teils  empirische  teils  theoretische  regeln 
gab,  wobei  er  denn,  wie  es  bei  Vorlesungen  zu  gehen  pflegt,  zu  dem 
besten  Staate  gar  nicht  mehr  gekommen,  ja  nicht  einmal  mit  diesem 
zweiten  teile  fertig  geworden  ist.  zeitlich  also  ist  HO  das  frühere,  und 
es  ist  geschrieben  um  an  ABF  (in  dem  zustande,  den  diese  bücher  da- 
mals hatten,  und  der  nur  in  F  sehr  stark  geändert  ist)  anzusetzen. 
Der  beste  Die  skizze  des  besten  Staates  (H0)  ist  in  sich  einheitlich,  verständ- 

lich und  glatt  geschrieben,  zum  teil  wunderschön  und  ersichtlich  für 
die  publication,  aber  freilich  gänzlich  unfertig,  dafs  Aristoteles  kaum 
irgendwo  sonst  so  sehr  Platoniker  ist  wie  hier,  ist  mit  recht  bemerkt 
worden,  wie  er  denn  trotz  B  wieder  in  die  auseinandersetzung  mit 
Piaton  hineingerät,  er  construirt  sich  seine  Stadt  xar  siyjiV,  ze 
wünsche,  aber  er  construirt  auch  sehr  ins  blaue,  man  möchte  kaum 
glauben,  dafs  er  bereits  die  umfassenden  geschichtlichen  Studien  ge- 
macht hätte,  auf  denen  AEZ  fufsen  ^^) ;  dagegen  liegen  ihm  seine  aesthe- 
tischen  und  rhetorischen  speculationen  im  sinne  und  drängen  sich  vor. 


Staat. 


BZ  schlechthin  verwerflich,  eine  kritik,  die  sY^r^rai  noÖTsgov  in  sQovfiev  voteqov 
ändern  und  den  Zusammenhang  zwischen  Z  und  E  durch  eine  grofse  lücke  her- 
stellen muTs,  richtet  sich  selbst,  die  Unebenheiten,  die  die  abhandlung  JEZ  dar- 
bietet, sowol  überhaupt  hie  und  da,  wie  gegenüber  der  disposition  (//  1289''),  sind 
unleugbar,  aber  sie  sind  nicht  ärger  als  in  A  und  namentlich  F,  entstanden  durch 
eigene  nachtrage  und  Überarbeitungen  und  durch  die  unfertigkeit  des  ganzen,  ich 
halte  für  wahi scheinlich,  vielleicht  sogar  für  streng  beweisbar,  dafs  einige  stücke, 
z.  b.  die  Übersicht  der  notwendigen  beamten  //  8,  älter  sind,  also  in  der  gestalt 
von  r  standen,  die  dieses  hatte,  als  der  beste  Staat  unmittelbar  darauf  folgte, 
ähnlich  ist  es,  dafs  ein  grofses  stück  von  A  beseitigt  werden  müfste,  sobald  die 
Oekonomik  als  selbständige  disciplin  behandelt  würde,  was  Aristoteles  selbst  wol 
noch  nicht  getan  hat. 

51)  Das  schliefst  die  benutzung  historischer  bücher  natürlich  nicht  aus,  wie 
z.  b.  des  Antiochos  über  die  syssitien  der  Oinotrer  {H  10),  wo  denn  auch  das 
excerpt  viel  ausführlicher  ist  als  in  den  kurzen  andeutungen,  welche  EZ  machen 
dürfen,  weil  die  Politien  vorliegen,  die  kritik  Sparlas  und  Kretas  in  B  mufste 
natürlich  immer  in  der  einleitung  der  vortrage  gegeben  werden,  weil  die  ansieht 
verbreitet  war,  dafs  diese  Verfassungen  selbst  der  gesuchte  beste  Staat  wären,  und 
^*cil  Piaton  eben  deshalb  ihre  Vertreter  in  den  Gesetzen  eingeführt  hatte. 


Der  beste  Staat.  357 

was  wir  hier  lesen,  ist  der  platonische  Staat,  der  in  Piatons  Gesetzen 
schon  einmal  auf  das  unter  den  gegebenen  Verhältnissen  mögliche  herab- 
gestimmt war,  und  hier  noch  einmal  einer  solchen  procedur  unterzogen 
wird,  wir  sehen  die  grofse  und  die  bevölkerung,  oder  vielmehr  die 
zahl  der  bürger  fixirt;  es  kommt  ein  kümmerlicher  kleinstaat  heraus, 
wir  sehen  die  familie  durch  die  reguhrung  der  ehe  und  der  kinder- 
zeugung  reglementirt,  nur  weit  abstol'sender  als  bei  Piaton,  weil  jener 
mit  einem  menschengeschlechte  rechnen  darf,  das  über  das  fleischliche 
VüUig  herr  geworden  ist.  wir  sehen  das  eigentum  durch  einen  halben 
commiinismus  beseitigt  und  daneben  weiter  bestehend,  und  sehen  die 
consequenz  rücksichtslos  gezogen,  dafs  um  der  auserwählten  willen,  die 
sich  der  übung  der  tugend  und  der  glückseligkeit  in  müsse  ausschliefs- 
lich  hingeben,  eine  unbestimmte  masse  von  sclaven  und  rechtlosen  freien 
in  einem  unwürdigen  zustande  beharren  und  arbeiten  müssen ;  selbst  der 
ackerbau  ist  kein  bürgerlicher  beruf  mehr.")  wie  diese  untergeordnete 
bevölkerung  sowol  im  zustande  des  gehorsams  wie  in  dem  der  unwür- 
digkeit  gehalten  werden  soll,  wird  dagegen  mit  nichlen  klar,  die  Vor- 
bedingungen der  läge  und  des  klimas  werden  nach  Hippokrates  und 
Piaton  des  näheren  erörtert  und  der  mittehveg  gesucht,  der  zwar  die 
Verbindung  mit  dem  meere  gestatte,  aber  die  schädhchen  folgen  des 
handeis  und  der  seefahrt  ausschliefse.  hier  gibt  er  geradezu  an,  was 
noch  ein  par  mal  durchleuchtet,  dafs  er  selbst  für  dieses  erzeugnis  seiner 
freien  phantasie  eine  bestimmte  anlehnung  an  das  existirende  gesucht 
hat,  an  das  pontische  Herakleia.^^j     scbhefslicb  verliert  sich  der  gesetz- 

52)  Überhaupt  hat  er  die  bedeutung  des  ackerbaus  unterschätzt,  er  steht 
völlig  in  dem  banne  der  damaligen  demokralie  und  sieht  mit  der  Überlegenheit  des 
Städters,  des  aaTvxQixp ,  auf  den  bauer  hinunter,  ganz  wie  der  moderne  doclrinäre 
liberalismus.  ihm  gefällt  ja  an  der  bauerndemokratie,  dafs  sie  conservativ  ist,  aber 
er  betrachtet  sie  doch  als  eine  unvollkommene  culturstufe.  er  lobt  die  tyrannen, 
die  für  das  landvolk  sorgen,  aber  dadurch  soll  es  eben  dem  staatlichen  leben 
fern  gehalten  werden,  das  aristophanische  Atlien  und  vollends  Rom  zeigen  hierin 
eine  ungleich  gesundere  politische  einsieht.  Aristoteles  hat  aber  auch  persönlich 
am  landleben  keinen  reiz  gefunden,  wie  nicht  nur  Xenophon,  sondern  auch  Piaton. 
das  liegt  tief  in  seiner  natur.  er  hat  kein  poetisches  naturgefühl  wie  Piaton  noch 
ein  kindlich  naives  wie  Xenophon.  er  glaubt  zwar  an  die  sterngötter,  aber  an  der 
pracht  des  Sternes  freut  er  sich  nicht,  sondern  er  freut  sich  seines  ewig  gleichen 
wandelns.  er  fragt  beim  stern,  wann  geht  er  auf,  beim  bäum,  wie  wächst  er  und 
beim  fische,  wann  laicht  er.  sein  herz  glüht  für  Wissenschaft  und  tugend;  aber 
diese  Wissenschaft  und  diese  lugend  sind  kalt,  er  fragt  ja  auch  beim  gedichte 
nicht,  was  steht  darin,  welche  seele  weht  uns  daraus  an,  sondern  wie  wirkt  das 
auf  mich  und  wie  wird  das  gemacht. 

53)  H  6  lobt  er  nicht  nur,  dafs  die  Herakleoten  aus  der  menge  ihrer  unter- 


358  I.  10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

pi'Iicr  in  an  sich  interessantes  detail  über  die  erziehung,  was  den  leser 
aber  doch  nicht  darüber  trösten  kann,  dafs  er  von  der  eigentlichen 
Verfassung  des  musterstaates  gar  nichts  erfährt,  so  schön  diese 
l)iicher  geschrieben  sjnd,  dürften  sie  als  ganzes  doch  ziemlich  das 
unbefriedigendste  sein,  was  wir  von  ihm  lesen,  es  ist  eben  eine 
hafsliche  halbheit,  diese  wunschstadt.  wünschen  mufs  man  mehr,  mög- 
lich ist  auch  dies  nicht,  ja  wahrhaftig  nicht  wert,  dafs  man  sichs  wünsche, 
welche  consequenz  hegt  darin,  dafs  dieser  Staat  die  zahl  der  geburten 
normiren  wird,  aber  die  ausübung  unzüchtiger  culte  nicht  zu  verbieten 
wagt?     in   Wahrheit    hat  Aristoteles    es    gar   nicht  ernsthaft   angefafst. 


sich  einen  festen  plan  für  eine  in  der  phantasie  einheitliche  stadt 
zu  entwerfen,  ihm  fiel  der  an  das  mögliche  mahnende  verstand 
immer  wieder  in  den  arm,  wenn  er  zu  einem  kräftigen  zuge  ansetzen 
wollte,  wie  ihn  die  consequenz  der  ideellen  Voraussetzungen  forderte, 
er  versuchte  sich  hier  an  einer  aufgäbe,  für  die  er  weder  seiner  begabung 
noch  seiner  methode  nach  geschaffen  war.  den  versuch  aber  machte 
er  lediglich,  weil  Piaton,  der  dichter,  diese  form  für  die  politische  spe- 
culation  gewählt  hatte,  aber  schon  die  Gesetze  selbst  tun  keine  reine 
Wirkung,  weil  das  contagium  der  materie  ihnen  anhaftet,  das  reich, 
das  Piaton  stiftete,  durfte  nicht  von  dieser  weit  sein,  es  war  die  ßaoi- 
kela  Tov  &SOV.  er  hatte  diese  weit  zerschlagen,  der  mächtige,  und 
baute  sie  prächtiger  in  seinem  busen  wieder  auf.  zu  dem  Staate  und 
der  gesellschaft  wie  sie  war,  stand  er  schlechthin  verneinend,  ohne  die 
illusion  des  Demosthenes,  die  reaction  des  Theramenes,  die  biedermän- 
nische kurzsichtigkeit  des  Isokrates  und  Xenophon.  er  möchte  nicht  die 
schwerkranke  gesellschaft  bestehen  lassen  und  nur  als  arzt  dem  einzelnen 

tänigen  bauern  leicht  die  nötigen  rüderer  ausheben  könnten,  sondern  sagt  geradezu, 
daTs  ihre  Stadt  die  angemessenste  gröfse  hätte,  was  notwendig  auch  dem  Verhält- 
nisse der  regierenden  und  Untertanen  gilt,  so  lernt  man,  dafs  er  auch  H  9  und 
r  3  (1275'')  an  Herakleia  denkt,  wenn  er  als  das  wünschenswerteste  andeutet,  dafs 
die  untertänige  bevölkerung  aus  einer  andern  untergeordneten  race  bestehe  als  die 
herrschenden  Hellenen:  das  waren  eben  die  gutmütigen  ackerbautreibenden  Marian- 
dyner,  die  den  Herakieoten  zinsten,  ScoQotpoQoi.  die  Stadt  war  freilich  günstig  ge- 
legen, aufser  contact  mit  hellenisclien  übermächtigen  nachbarn,  selbst  von  Alexandras 
noch  so  gut  wie  frei,  die  entwickelung  von  der  megarisch-boeotischen  Oligarchie 
zur  demokralie  und  tyrannis  hatte  sie  durchgemacht  und  für  das  geistige  leben  der 
nation  ansehnliche  leute  gestellt,  aber  sie  war  doch  nur  als  Vorposten  einer  über- 
legenen heimiscJien  cullur  existenzfähig,  selbst  keine  statte  für  neue  geistige  Pro- 
duktion, die  platonische  wie  die  isokrateische  schule  hatten  mit  Herakleia  beziehungen 
unterhalten;  wer  dem  Aristoteles  seine  günstige  meinung  erweckt  hat,  würde  man 
gern  erfahren. 


Der  beste  Staat,     der  schlufs  der  Ethik.  359 

sich  nahen,  menschenfreiindhch  aber  im  dunkel  der  persönliclien  über- 
legenen herablassung,  wie  die  kyniker,  noch  sich  davon  nehmen,  was 
dem  eigenen  wolbefinden  genügte,  selbstsüchtig  ausscheidend  wie  die 
hedoniker.  er  fühlte  sich  dem  Staate  wie  er  war  gegenüber  so  fremd 
wie  der  philosoph  des  Theaetet,  aber  sein  herz  schlug  warm  von  menschen- 
liebe  und  Vaterlandsliebe,  er  fühlte  sich  als  der  wissende,  der  nicht 
helfen  darf,  als  der  Steuermann ,  der  das  schiff  nicht  retten  darf,  weil 
man  ihn  nicht  an  das  rüder  läfst.  so  rief  er  der  weit  sein  ^sravoüre 
zu  und  schuf  eine  gesellschaft,  in  der  eine  seele,  eine  reine  seele,  seine 
seele  wohnen  sollte,  nach  seinem  bilde,  frei  aus  seinem  geiste,  das  ist 
ein  %v  geworden,  wie  es  werden  sollte;  das  schwebt  und  leuchtet,  wie 
die  Sternengötter  droben,  im  reinen  aether  mit  ewig  jungem  glänze, 
so  etwas  läfst  sich  nicht  nachmachen,  aber  es  erträgt,  ja  es  fordert 
neben  sich  die  ergänzung  durch  die  beobachtung,  prüfung  und  Würdi- 
gung des  bestehenden,  diese  ergänzung  zu  liefern  war  Aristoteles  der 
rechte  mann,  und  darum  kam  er  erst  in  sein  rechtes  fahrwasser,  als  er 
die  fülle  der  gegebenen  erscheinungen  überschaute,  verglich  und  nach 
dem  mafsstabe  der  grundlegenden  begriffsbestimmungen  abschätzte,  mit 
andern  Worten ,  er  mufste  die  Politien  schreiben  oder  doch  den  stoff 
für  sie  sammeln  und  auf  diesem  materiale  die  Untersuchungen  anstellen, 
die  in  den  büchern  AEZ  vorhegen :  dafs  diese  die  Politien  voraussetzen, 
zeigen  sie  selbst  auf  schritt  und  tritt,  wir  müssen  nur  nie  vergessen, 
dafs  einmal  auch  hier  ältere  partien,  in  ABF  auch  jüngere  stehen,  und 
dafs  die  Vorlesungen  mit  dem  als  voihanden  rechnen,  was  für  die  schule 
vorhanden  ist,  deshalb  aber  noch  nicht  auch  für  das  publikum  vorhanden 
zu  sein  brauchte. 

Sowol  über  dieses  Verhältnis  zwischen  den  Politien  und  der  Politik 
wie  über  das  was  er  mit  beiden  leisten  wollte  unterrichtet  uns  der 
schlufs  der  Ethik  mit  aller  wünschenswerten  bestimmtheit.  die  erürte-  Der  schiuis 
rungen,  die  er  mit  dem  namen  ethik  umfafst,  haben  ihn  schliefslich  zu 
dem  gesländnis  geführt,  dafs  es  eigentlich  doch  auf  das  sittliche  handeln 
ankomme,  wie  aber  wird  das  erzielt?  dazu  braucht  man  die  zucht 
des  Staates,  der  gesetze.  wer  also  das  volk  zur  Sittlichkeit  und  dem- 
nach auch  zum  glücke  führen  will,  mufs  sich  darauf  verstehen  gesetze 
zu  geben,  mufs  ein  vojnod-eTr/.ög  sein.  Aiistoteles  hätte  gleich  sagen  können, 
er  müfsle  ein  no).iTr/.6g  sein,  wenn  er  nicht  eine  scharf  polemische 
auseinandersetzung  mit  zwei  anderen  richtungen  neben  sich  in  sinne 
hätte,  deshalb  fährt  er  vielmehr  sofort:  "man  sollte  annehmen,  gesetze 
zu  geben,  könnte  man  bei  den  bcrufspolitikern,  den  ^ohrixot,  lernen. 


3(50  I-  10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

aber  dagegen  spricht  die  erfalirung,  die  den  anomalen  zustand  constatirt 
liat,  dafs  die  politiker  zwar  die  praxis,  aber  nicht  die  theorie  verstehn. 
sonst  hJitten  sie,  wie  alle  andern  die  ein  metier  treiben,  ihre  kunst 
auf  ihre  Idnder  vererbt,  was  notorisch  nicht  der  fall  ist  (die  alte  seit 
Sokrates  und  den  Sophisten  erhobene  klage  und  anklage)  und  hätten 
auch  über  sie  geschrieben,  was  doch  mehr  wert  wäre  als  ihre  staats- 
nnd  procppsreden  (hier  ist  ein  Seitenblick  auf  Demosthenes  und  die 
anderen  politiker  der  restauration  unverkennbar),  die  sophisten  dagegen 
(d.  i.  wie  Spengel  gesehen  hat,  Isokrates)  erheben  zwar  den  anspruch, 
polilik  lehren  zu  können,  aber  ihnen  fehlt  erstens  die  praktische  er- 
fahrung,  die  notorisch  eine  unerläfsliche  bedingung  ist,  zweitens  unter- 
schätzen sie  die  politik,  da  sie  sie  entweder  mit  der  rhetorik  identifi- 
ciren  oder  gar  tiefer  stellen,  drittens  bilden  sie  sich  ein,  es  wäre  leicht 
gesetze  zu  geben ,  man  brauchte  ja  nur  die  vorhandenen  zu  sammeln 
und  die  besten  auszuwählen  (Tsokr.  15,  83):  als  ob  nicht  gerade  ein 
fertiges  urteil  bereits  gebildet  sein  müfste,  um  diese  auswahl  treffen  zu 
können,  die  Sammlungen  von  gesetzen  und  Verfassungen  haben  ihren 
wirklichen  nutzen  also  erst  für  den  der  bereits  politisches  urteil  besitzt, 
ihre  lectüre  allein  kann  ein  solches  nicht  gewähren,  wenn  sie  auch  wol 
das  Verständnis  der  politik  vorbereitet  und  erleichtert,  so  ist  denn  also 
die  aufgäbe  noch  ungelöst,  die  gesetzgebung  oder  besser  die  politik 
überhaupt  wissenschaftlich  zu  untersuchen  und  zu  lehren'',  zu  dieser 
also  wendet  sich  Aristoteles  "um  so  den  schlufsstein  zu  dem  gebäude 
der  Wissenschaft  von  den  menschlichen  dingen  zu  legen". ^'') 

Dies  selbstzeugnis  ist  wol  wert,  dafs  man  es  sich  überlege,  erstens 
bezeugt  es  die  existenz  der  Politien  als  eine  Vorbedingung  der  poli- 
tischen vortrage,  darin  liegt  zwar  nicht  die  Vollendung  und  herausgäbe 
der  ganzen  Sammlung;  es  werden  ja  auch  die  Gesetze  daneben  genannt. 


54)  So  weit  gibt  der  zusamitienliang  der  gedanken  eine  schlechthin  sichere 
garantie  für  die  ächtheit  aller  einzelnen  sätze.  wer  den  letzten  athetirt  schlägt 
drr  ganzen  deduction  den  köpf  ab,  denn  Aristoteles  konnte  wahrlich  nicht  mit  der 
behandiung  der  methoden  schliefsen,  die  nicht  zur  gesetzgebung  befähigen,  diese 
falschen  können  vielmehr  nur  als  Vorbereitung  auf  die  richtige  methode  behandelt 
sein,  die  folgenden,  von  mir  nicht  mehr  paraphrasirten  sätze  könnten  an  sich 
fehlen,  aber  wie  hätte  Nikomachos  auf  den  einfall  geraten  können,  eine  disposition 
der  Politik  an  das  ende  der  Ethik  zu  setzen?  als  bücher  waren  sie  ja  gesondert, 
mochte  sie  Aristoteles  auch  in  den  Vorlesungen  einmal  unmittelbar  vereinigt  haben, 
übrigens  macht  es  nicht  viel  aus;  wenn  auch  hier  allein  \on  den  avr?]yfiivai  noh- 
ti'uu  geradezu  geredet  wird,  läfst  doch  auch  das  frühere  keinen  zweifei,  dafs  eine 
Sammlung  wirklich  schon  gemacht  war. 


Der  schlufs  der  Ethik.  361 

die  erst  Theophrast  vollendet  hat;  aber  liir  die  wissenschaftliche  arbeit 
ist  die  schlufsredaction  und  Veröffentlichung  von  geringer  bedeutung. 
sodann  warnt  Aristoteles  davor,  dafs  diese  materialien  an  sich  schon 
genügten  um  das  pohtische  urteil  zur  reife  zu  bringen,  also  vor  einer 
Überschätzung  ihres  wertes;  aber  er  meint  mit  diesem  Zugeständnisse 
seiner  autorenbescheidenheit  sicherlich  so  viel,  dafs  sie  allerdings  geeig- 
net wären,  dem  wissenschaftlich,  d.  i.  philosophisch  gebildeten  zu  einem 
solchen  urteile  zu  verhelfen,  wenn  er  das  in  ihnen  imphcite  enthaltene  sich 
nur  selbst  zu  entwickeln  vermöge,  mit  nichten  als  geschichtliches  material, 
sondern  als  substrat  der  politischen  speculation  mit  wesentlich  prak- 
tischer tendenz  hat  er  seine  Polilien  verfafsl:  er  hat  also  anspruch  darauf, 
sie  dem  entsprechend  beurteilt  zu  sehen,  er  hat  aber  diese  grofse  arbeit 
aufgewandt,  um  das  inductive  material  für  seine  politische  theorie  zu 
gewinnen  ,  oder  vielmehr  (denn  diese  theorie  stand  ihm  ja  vorher  fest, 
und  sie  war  nichts  absolut  neues)  um  seine  schüler  zu  vo(.iod^eTiY.oL  zu 
machen,  sie  zu  befähigen,  in  dem  praktisch  pohtischen  leben  die  ge- 
eigneten mafsnahmen  zu  treffen,  auf  dafs  die  lehren  der  Ethik  über 
tugend  und  glückseligkeit  in  die  leibhafte  erscheinung  übergeführt 
würden,  mit  andern  worten,  er  wollte  ein  geschlecht  heranziehen, 
das  unter  den  tausendfach  verschiedenen  bedingungeh,  welche  die  helle- 
nischen Staaten  boten,  durch  die  wissenschaftliche  einsieht  in  das  wesen, 
die  aufgäbe  und  die  erscheinungsformen  des  Staates  befähigt  wäre,  im 
rechten  sinne  praktisch  zu  wirken,  wer  das  leistete,  eben  in  einer  zeit 
des  politischen  Umschwunges,  der  erfüllte  was  die  sophistik  hundert 
jähre  vorher  trügerisch  und  vergeblich  versprochen  hatte,  daran  hat 
Aristoteles  seine  kraft  gesetzt,  und  er  dachte  nicht  gering  von  seiner 
leistung.  er  sah  dies  als  etwas  vollkommen  neues  an,  denn  er  machle 
gegen  politiker  und  Sophisten  front,  nicht  gegen  Piaton,  von  dem  sein  bester 
Staat  doch  gänzlich  abhieng.  wir  werden  nicht  bestreiten  dürfen,  dafs 
er  seine  Originalität  sehr  weit  überschätzt  hat^^),  aber  da  er  sich  eben  erst 
von  der  speculation  über  den  Staat  des  Wunsches  mühselig  auf  den  boden 
der  realität  und  geschichte  selbst  den  rückweg  erarbeitet  hatte,  steht 
ilim  subjectiv  diese  Selbstüberschätzung  an.  als  ergänzung  zu  Platon  preisen 


55)  Wie  überaus  stark  Piatons  Schriften  auf  alle  teile  seines  politischen  denkens 
gewirkt  haben,  auch  in  stücken,  die  gemeiniglich  für  specifisch  aristotelisch  gelten, 
zeigt  in  ziemlich  befriedigender  weise  die  von  Teichmüller  angeregte  Dorpaler 
dissertation  von  Lutoslavski,  'Einteilung  und  Untergang  der  Staatsverfassungen  nach 
Plato,  Aristoteles  und  Macchiavelli'.  es  liefse  sich  das,  namentlich  was  den  Polilikos 
angeht,  noch  viel  weiter  ausdehnen. 


362  1-    10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

ja  auch  wir  die  Politik,  die  ihn  freilich  sehr  oft  durch  das  ergänzt,  was 
in  Wahrheit  die  praxis  des  allischen  Verfassungslebens  an  politischer 
Iheorie  erzeugt  hatte,  in  höherem  sinne  dürfen  wir  sogar  sagen,  dafs 
Aristoteles  erst  jetzt,  wo  er  ihm  innerlich  ganz  frei  gegenüberstand,  der 
rechte  nachfolger  Piatons  geworden  ist,  der  ja  auch  nicht  blofse  gelehrte 
oder  gar  philosophen  hatte  bilden  wollen. 
Praktische  Der  erfolg  ist  nicht  ausgeblieben,  trotzdem  in  den  diadochenslaaten 

Wirkungen.  ^^^^  grofsartigc  politische  bildungen  entstanden,  die  er  nicht  geahnt 
halte,  und  die  seine  kleinstädtchen  zertrümmerten,  seine  eigene  schule 
ist  freilich  dem  fanatiker  des  ■dstogipizog  ßlog  anheimgefallen,  dem  Theo- 
phraslos, der  trotz  seiner  pohtischen  schriftstellerei  nur  ein  mann  des 
katheders  ist.  aber  ihm  steht  der  Vertreter  des  TtgaKTixog  ßlog  als 
aristotelischer  schüler  ebenbürtig  zur  seile,  Dikaiarchos,  der  die  macht 
der  konigshöfe  für  die  Wissenschaft  nutzbar  macht,  ganz  besonders 
aber  hat  Athen  die  praktische  anwendung  der  aristotelischen  Politik 
erfahren,  sein  freund  Antipalros  schlägt  die  demokratie  nieder;  sie 
hatte  ihn  selbst  zu  dieser  execulion  gezwungen,  dann  aber  greift  er 
energisch,  ja  wir  müssen  sagen  grausam,  durch,  mit  vollkommener  Scho- 
nung des  privateigentumes,  aber  mit  der  einführung  eines  ceusus  für 
das  elTective  bürgerrecht.  eine  aristotelische  forderuug,  die  zugleich  die 
des  Theramenes  und  Phormisios  gewesen  war,  wird  erfüllt,  dafs  der  Staat 
den  besitzenden  ,  den  onXa  7vaQSx6f.i£voL  oder  anders  ausgedrückt  den 
.  za  TL(.tri(.iaTa  7taQey6(.uvoL  gehören  soll,    die  bisherigen  kustgänger  des 

Staates,  die  gründlinge  der  Volksversammlung  und  der  gerichle,  sind 
damit  freilich  dem  elend  preisgegeben,  o/.ärcTSLv  yog  ovx  e/tiGTavrai. 
diese  radicale  reaclion  erwies  sich  auch  dieses  mal  als  undurchführbar,  und 
man  wird  angesichts  des  elends  der  masse  über  die  grauenvollen  Zuckungen 
der  nächsten  jähre  milder  urteilen,  slätigkeit  kommt  erst  in  die  Verhält- 
nisse, als  Demetrios  von  Phaleron  den  Staat  in  die  bände  bekommt.  ^^)  da 
wird  nur  die  niederste  schiebt  der  bürger  ausgeschlossen,  indem  der  census 
liefer  gegriffen  wird,  gesetzesw ächter  werden  als  eine  nach  ansieht  des 
Aristoteles  oligarchische  behörde  eingesetzt,  und  das  archontenamt,  das 
Ilernelrios  selbst  bekleidet,  soll  wieder  etwas  bedeuten,  also  auch  der 
Areopag  wieder  ein  wirklicher  rat  werden;  luxusgesetze  ergehen  und  die 
zuchl  der  frauen  und  kinder  nimmt  der  Staat  in  die  band,  das  kostspielige 
und  gefährliche  schofskind  der  demokratie,  die  flotte,  verfällt  allerdings, 

56)  Der  zufall  fügte  es,  dafs  wieder  Stadt  und  hafen  im  gegensatze  standen 
wie  403,  aber  Demetrios  liat  wol  bewufst  die  ähnlichkeit  gesucht,  die  das  iob- 
'1<'kret  der  Aixoiieer  CIA  11  584  andeutet. 


Praklische  Wirkungen.     Die  noLrsia  des  Aristoteles.  363 

und  der  Staat  ist  nicht  einmal  in  stände  Delos  zu  behaupten,  aber  er  soll  ja 
keine  macht  aufser  landes  mehr  anstreben,  und  im  innern  herrscht  Ord- 
nung, frieden  und  wolstand.  so  über  Athen  zu  herrschen  hat  Demetrios 
bei  Aristoteles  gelernt:  er  ist  der  voj-ioO-errMg  avt]Q,  den  die  Politik 
erzogen  hat.  gerade  an  Athen  hat  sie  ihre  praktische  probe  bestanden, 
wüfsten  wir  nur  mehr  über  die  Verfassung  und  Verwaltung  des  Deme- 
trios, so  würden  wir  das  noch  im  einzelnen  verfolgen  können,  aber  für 
jeden,  der  nicht  durch  phrasen  geblendet  ist  oder  auf  ein  modernes 
politisches  credo  eingeschworen,  gibt  die  würdelosigkeit  des  Volkes  und 
seiner  demagogen,  die  vor  den  füfsen  des  Demetrios  Poliorketes  hündisch 
schwänzeln,  der  schmutz  mit  dem  der  elende  Demochares  das  gedächtnis 
des  Piaton  und  Aristoteles  bewirft  und  das  elend  der  neunziger  jähre 
eine  folie  ab,  dunkel  genug,  dafs  sich  auch  bei  dem  trüben  liebte 
unserer  überheferung  die  segensreiche  Verwaltung  des  Demetrios  deut- 
lich abhebt. 

Wenn  wir  nun  Polilien  und  Politik  zusammenhalten,  w^e  sie  zu  pie 
einander  gehören  und  im  ganzen  gleichzeitig  verfafst  sind"),  so  wird  das  '^"del"" 
urteil  ohne  zweifei  dadurch  etwas  einseitig  ausfallen ,  dafs  wir  ja  nur  A"ä'°'^^®^- 
das  erste  buch  der  Pohtien  lesen,  allein  Athen  ist  und  bleibt  doch  die 
hauptsache.  gewifs  hat  sich  Aristoteles  ein  sehr  grofses  verdienst  dadurch  er- 
worben, dafs  er  die  spartanische  legende,  die  auf  Piaton  und  Xenophon 
eine  so  starke  macht  ausgeübt  hatte,  mitleidslos  zerstört  hat,  das  sehen 
wir  auch  noch  genügend  in  der  Politik,  aber  davon  war  der  ertrag,  dafs 
die  pohtische  Iheorie  begriff,  von  Sparta  positiv  so  gut  wie  nichts  lernen 
zu  können.  Athen  dagegen  hat  dem  Aristoteles  unbewufst  fast  immer  vor- 
geschwebt, keinesweges  blofs,  wo  er  von  der  loxäTTj  dr^i.ioy.Qaria  redet, 
der  Staat,  den  er  im  äuge  hat,  wenn  wir  von  dem  seines  Wunsches  ab- 
sehen, ist  der  nach  seinem  urteil  über  die  geschichte  und  die  Verfassung 
Athens  umgeformte  athenische,  königtum  und  aristokratie  figuriren 
nur  noch  gleichsam  als  Überschriften,  weil  das  überheferte  System  sie 
fordert:  das  buch  der  weit  hat  diese  capitel  verloren.  Oligarchie  und 
demokratie  sind  die  einzigen  tatsächlich  noch  vorkommenden  gattungen 
(von  der  schlechthin  verwerflichen  und  niemals  dauernden  tyrannis  ab- 
gesehen), die  Ttolireia  ist  die  rechte  mitte  zwischen  ihnen,  so  pafst  es 
zumal  dem  ethiker,  der  auch  darin  die  alte  volksmoral  codificirl,  navtl 
f.Uoo)  To  '/.QÜTog  d-ecQ  WTzaasv.    in  diesem  sinne  kann  er  auch  von  einer 

57)  Ob  in  der  angäbe  der  vita  (431.  440.  449  R.),  dafs  die  Politien  in  Alexandeis 
zeit  fielen,  gute  Überlieferung  steckt,  ist  nicht  sicher  zu  sagen,  da  fabelhaftes  ein- 
gemischt ist.     wir  brauchen  auch  kein  äufseres  zeugnis  mehr. 


gg4  1.    10.  Zweck  und  bedeutnng  des  aristotelischen  buches. 

ricliti^on  miscluing  oligarchischer  und  demokratischer  institutionell  reden, 
diese  boten  ihm  die  Polilien  in  reichster  fülle,  aber  der  Untergrund  aller 
seiner  speculationen  ist  und  bleibt  doch  der  Staat,  in  dem  er  lebt,  der 
das  reichste  leben  und  die  meisten  Verfassungsänderungen  durchgemacht 
hat,  Athen. 

Die  wirtschaftliche  freiheit  des  bürgers  und  seines  eigentumes  ist 
überall  vorausgesetzt,  nirgend  wird  der  versuch  gemacht,  den  grund- 
besitz  zu  binden  oder  zu  beschränken,  noch  auch  das  bürgerrecht  auf 
ihm  aufzubauen.  Athen  war  eben  kein  bauernstaat  mehr,  und  Aristo- 
teles rechnete  praktisch  nicht  mehr  mit  der  bauernrepublik ,  er  preist 
Solon  als  den  befreier  der  hörigen  und  Zerstörer  des  grofsgrundbesitzes, 
er  verwirft  jede  beschränkung  der  freien  Vererbung.^*)  er  preist  ihn  auch 
als  den  Vertreter  des  mittelstandes;  dieser  aber  ist  für  ihn  durch  den  besitz 
gebildet,  die  mitte  zwischen  arm  und  reich;  da  das  schon  bei  Euripides 
steht,  war  es  ein  altsophistisches  Schlagwort,  welcher  art  der  besitz  aber 
ist,  darauf  läfst  er  sich  nicht  viel  ein :  die  leute  sollen  doch  im  wesent- 
lichen von  ihren  Zinsen  leben  können,  die  ßavavooL,  die  körperliche 
arbeit  tun,  um  zu  leben,  schliefst  er  von  dem  Staate  prinzipiell  aus,  ob- 
wol  er  in  praxi  wie  über  alles  auch  über  ihre  abgrenzuug  mit  sich 
reden  läfst.  was  er  hier  will,  ist  die  forderung  der  attischen  ohgarchen. 
denn  einen  eigentUchen  census  wollten  sie  so  wenig  wie  er,  und  wer 
bürger  ist  hat  nach  beiden  das  recht  oder  vielmehr  die  pflicht  sich  am 
Staatsleben  zu  beteihgen.  darin  liegt,  dafs  eigentlich  keinerlei  sold  ge- 
zahlt werden  kann,  auch  da  wird  er  billig  sein;  unerfreuliche  ämter, 
wie  die  der  executoren  und  gefängnisaufseher,  wird  er  durch  sold  an- 
nehmlich machen,  vielleicht  auch  unbemittelten  bürgern,  die  er  doch  als 
solche  halten  und  heranziehen  wird,  diaeten  bewiUigen,  andererseits  die 
beteiligung  der  höheren  stände  durch  geldstrafen  erzwingen  (was  er  von 
den  400  gelernt  hat);  aber  das  sind  ausnahmen,  die  den  eigentlichen 
typus  nicht  verändern,  seine  Tcohrela  hat  eine  7c6hg:  darin  liegt  die 
städtische  ceutralisirung  des  lebens,  wie  er  es  kannte,  eine  folge  der  demo- 
kratie.    er  versucht  das  nicht  zu  redressiren,  obwol  er  die  tyrannen  lobt, 


58)  Charakteristisch  ist  dem  gegenüber,  dafs  die  attische  restauration  den  neu- 
bürgern, die  durch  Specialgesetz  zahlreich  geschaffen  wurden,  den  erwerb  von  grund- 
besitz  nur  in  beschränktem  mafse  noch  zugestand:  sie  wollte  also  der  aulochthonen 
bevölkerung  das  land  erhalten;  in  der  Stadt  (tyxrr,ais  oixCas)  war  die  beschränkung 
noch  viel  stärker:  hier  war  den  kleinbüigeni  mit  ihren  kümmerlichen  bauschen 
offenbar  die  concurrenz  der  reichen  händler,  die  sich  das  bürgerrecht  verschafften, 
schon  sehr  fühlbar  geworden. 


Die  noXireia  des  Aristoteles.  365 

die  dagegen  angestrebt  halten,  und  den  Aristeides  tadelt,  der  die  grofssladt 
Athen  geschaffen  haben  sollte,  aber  es  Avar  für  seine  praktischen  plane 
eben  etwas  gegebenes;  er  selbst  fiihlle  sich  als  moderner  mensch  in 
der  grofsen  Stadt  wol.  sein  Staat  hat  natürlich  geschriebene  Verfassung 
und  geschriebene  gesetze.  souverän  ist  die  bürgerschaft,  und  jeder  bürger 
hat  auf  seinen  teil  der  herrschaft  anspruch.  wähl  und  rechenschafts- 
abnahme  der  beamten  stehen  notwendigerweise  bei  dem  volke.  es  wird 
auch  kein  rat  gefehlt  haben ,  und  die  beamten  werden  so  ziemlich  den 
attischen  entsprochen  haben,  nur  mit  freier  bewegung  innerhalb  ihrer 
Sphäre,  etwas  über  das  athenische  hinausgebendes  sind  nur  die  beamten, 
die  über  die  sitte  und  erziehung  wachen,  es  ist  freilich  schwer,  sich  die 
aristotelische  noXiTeia  zu  construiren,  da  er  ja  nirgend  dieses  bild  neben 
seine  wunschstadt  gestellt  hat,  und  jeder  einzelne  zug,  den  man  sich 
aufsucht,  nur  eine  relative  giltigkeit  beanspruchen  kann,  die  hauptsache 
bleibt,  dafs  man  beim  lesen  der  Politik  fortwährend  an  Athen  und  seine 
publicisten,  bald  an  Isokrates,  bald  an  Demoslhenes  oder  Aischines  denkt, 
wer  einem  gerade  von  ihnen  im  sinne  liegt,  ohne  dafs  doch  diese  an- 
klänge jemals  mehr  bedeuteten,  als  dafs  Aristoteles  sich  aus  dem  gedanken- 
kreise  der  athenischen  oder  überhaupt  der  hellenisch-demokratischen 
politik  nicht  loszuwinden  vermag,  halte  man  dagegen  seine  behandlung 
des  konigtums:  wie  blafs  und  abslract  ist  sie,  weil  er  seine  con- 
creten  beispiele  eigentlich  nur  bei  Homer  finden  kann,  da  er  Kyros  ver- 
schmäht, an  Philippos  und  gar  Alexandros  wird  man  nie  und  nirgend 
erinnert,  das  gibt  für  seine  politische  bildung  und  für  seine  tendenz 
den  ausschlag. 

Diese  TtolLtsia  kann  in  beliebig  vielen  Städten  nebeneinander  be- 
stehen und  kann  es  auch  in  beliebig  vielen  Spielarten ,  je  nach  den 
bedingungen  der  läge  und  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  und  den  tra- 
ditionen,  bald  mehr  demokratisch,  bald  mehr  oligarchisch ;  darauf  kommt 
es  dem  realpolitiker  nicht  an.  Hellas  wird  eben,  wenn  es  von  Arislo- 
telikern  regirt  wird,  eine  summe  solcher  Politien  bilden,  die  einander 
nichts  zu  leide  tun,  zu  gute  allerdings  auch  nichts,  denn  sie  sind  zwar 
wehrhaft,  so  dafs  sie  sich  ihre  existenz  sichern  können,  aber  sie  streben 
über  den  zustand  des  "guten  lebens'  {rov  ei  'Qr^v)  nicht  hinaus,  das  ihnen 
die  TCoUxEla  unter  den  richtigen  /cohri/.ol  gewährt,  auf  diesem  ge- 
meinsamen niveau  werden  sich  Athen  und  Megara,  Theben  und  Plataiai, 
Amphipolis  und  Stagira  vertragen  und  wol  befinden. 

Es  ist  ein  mildes  urteil,  wenn  man  dieses  Hellas  gegenüber  dem 
attischen  Reiche  und  dem  reiche  Alexanders  kümmerlich  nennt,    wie  hat 


ggg  I.  10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

nur  (itT  universelle  denker  bei  etwas  so  kümmerlichem  trotz  beiden  be- 
luHTiMi  können?  von  den  subjectiven  gründen  ist  genug  geredet;  die 
Wurzel  seines  tlieoretischen  Irrtums  mufs  man  in  der  tiefe  suchen,  dafs 
selbst  dieser  philosoph,  der  dem  juristischen  denken  näher  als  ein  anderer 
Hellene  gekommen  ist,  kein  Jurist  war,  erklärt  schon  vieles,  er  hat 
darum  den  begriff  des  Staatsrechtes  gar  nicht  gefafst,  geschweige  eins 
feschrieben,  so  sind  ihm  denn  die  concreten  Verfassungsformen  in 
seinem  Staate  ganz  nebensächlich  gegenüber  dem  geiste,  der  in  ihnen 
leben  soll,  mehr  noch  hat  es  zu  besagen,  dafs  er  kein  historiker  war. 
wenn  er  selbst  es  für  der  mühe  wertgehalten  hätte,  zu  forschen,  so  würde 
er  in  der  läge  gewesen  sein,  ein  biid  von  der  Verfassung  des  Kleisthe- 
nes  oder  auch  nur  der  um  432  geltenden  zu  entwerfen,  wir  würden 
lesen :  damals  gab  es  die  und  die  ämter  noch  gar  nicht,  wurden  die  ge- 
schäfle  talsäclüich  so  und  so  geführt,  und  die  und  die  misstände  der 
jetzigen  demokratie  vermieden,  wir  würden  die  ansätze  zu  einer  aus- 
dehnung  des  bürgerrechtes  auf  weitere  kreise  und  die  abstufungen  der 
rechte  und  pflichten  im  Reiche  lesen:  die  gerechtigkeit  des  Aristoteles 
würde  dann  auch  zu  anderen  urteilen  gelangt  sein,  so  aber  misachtet 
er  schlechthin  die  Verhältnisse  der  nichtbürgerlichen  bevölkerung  in  der 
Politie,  sieht  also  nur  die  Staaten  vereinzelt  und  folgt  in  betreff  der 
geschichte  des  fünften  Jahrhunderts  tendenziösen  urteilen  und  Vorurteilen, 
aber  ganz  besonders  bedeutsam  erscheint  mir  ein  bestimmter  punkt. 
list  man  die  Politie,  so  fällt  am  meisten  auf,  dafs  er  die  organische  glie- 
derung  des  attischen  Staates  kaum  einer  beachtung  würdigt,  von  den 
resten  des  geschlechterstaates  mag  man  absehen:  ihm  ist  trotz  allen 
l'olitien  dieser  typus  des  althellenischen  Staates  gar  nicht  als  solcher 
klar  geworden ;  aber  die  phyle  war  doch  der  träger  äufserst  wichtiger 
staatlicher  functionen,  und  der  demos  war  es  noch  viel  mehr,  die  demoten 
und  demarchen  hatten  wahrlich  mehr  zu  tun  als  die  epheben  zu  prüfen, 
das  einzige  was  er  von  ihnen  sagt,  noch  immer  war  der  rat  eine  Ver- 
tretung der  demen  und  die  zehnstelligen  collegien  eine  Vertretung  der 
phylen.  ohne  diese  gliederung  hätte  Attika,  das  doch  weit  mehr  bürger 
zählte  als  die  idealstadt  des  Aristoteles,  gar  nicht  verwaltet  werden 
können,  und  ohne  diese  Vertretung  würde  entweder  der  regionahsmus 
Oller  der  gegensatz  zwischen  stadt  und  land  das  parteileben  Athens  be- 
stimmt haben,  erst  die  kleisthenische  gemeindeordnung  hat  Attika  von 
diesen  übeln  befreit,  die  es  im  sechsten  Jahrhundert  schwer  heimgesucht 
hallen,  es  ist  wahr,  die  entwickelung  namenlHch  des  vierten  Jahrhunderts 
li.iiic   .li<.   centralisirung  so  weit  getrieben,   dafs  die  organe  jener  sinn- 


Die  TioXiTsia  des  Aristoteles.  367 

reichen  Verfassung  und  namentlich  das  repraesentative  prinzip  verkümmert 
waren,  aber  den  theoretiker  konnte  dieses  prinzip  wahrhaftig  etwas 
grofses  lehren:  die  müglichkeit  eines  Staates,  der  über  den  krähwinkel- 
zustand hinauskommt,  wo  jeder  bürger  jeden  bürger  persönlich  kennt, 
das  hat  er  aber  nicht  gesehen  und  dem  entsprechend  in  seiner  theorie 
nicht  beachtet. 

Wir  können  nicht  anders  als  staunen  und  bedauern,  dafs  weder 
die  Verfassung  des  attischen  Reiches  noch  die  des  zweiten  bundes 
irgendwie  in  der  Polilie  beachtung  findet,  das  geht  aber  weiter, 
so  viel  wir  wissen  hat  weder  die  delische  noch  die  pythische  amphik- 
tionie  eine  behandlung  in  den  Politien  gefunden,  die  gemeinsame 
arkadische  Verfassung  stand  freilich  darin,  aber  das  war  auch  eine  ge- 
schriebene von  Epaminondas  künstlich  gemachte,  sonst  waren  die  Kotvai 
7toXirelai  zumeist  solche  von  ed^vr}  wie  Thessalern  und  Lykiern,  also 
nach  Aristoteles  unvollkommene  Vorstufen  des  pohtischen  lebens.  die 
Politik  bestätigt  auch  hier,  dafs  er  den  gedanken  schlechthin  abgewiesen 
hat,  die  Vereinigung  selbständiger  glicder  zu  einem  gröfseren  ganzen  zu 
verfolgen,  man  sollte  meinen,  bundesstaat  und  Staatenbund  hätten  dem 
Hellenen  wahrlich  nahe  genug  gelegen:  die  geschichte  Boeotiens  und 
die  bedeutende  gestalt  eines  Epaminondas  hätte  doch  schon  den  ober- 
flächlich die  geschichte  überlegenden  darauf  bringen  sollen,  und  war  der 
bestehende  rechtszustand,  der  friede  in  Hellas,  in  dessen  schütze  Aristo- 
teles selbst  lebte,  nicht  durch  einen  Staatenbund  begründet?  er  dagegen 
hat  kein  woit  und  keinen  blick  dafür,  weder  in  Politik  noch  Pohtie.  es 
leuchtet  ein,  dafs  es  dieselbe  beschränktheit  ist  hie  und  da,  die  ihn 
die  gliederung  des  Staates  nach  unten  und  seine  angliederung  an  gleich 
selbständige  Staaten  zu  einem  bunde  schlechthin  übersehen  läfst.  wahr- 
lich die  Politiker  Kleisthenes  und  Aristeides  oder  auch  Epaminondas 
und  Phihppos  sind  dem  philosophen  sehr  überlegen,  er  zeigt  zwar  die 
Stufenleiter  von  der  famihe  zum  Staate  auf,  aber  er  benutzt  sie  nur  zu 
seiner  geschichtlichen  und  begriHlichen  ableitung  des  Staates,  der 
Staat  wie  er  ist  bleibt  für  ihn,  es  kurz  zu  sagen,  ein  y.oLvöv,  ein 
EQcivoq.  die  mitglieder  sind  zusammengetreten  um  für  sich  das  gedeihliche 
leben  zu  finden;  frauen  und  kinder  und  sclaven  und  hörige  sind  nur 
um  der  mitglieder  willen  da  und  werden  behandelt,  wie  es  der  zweck 
der  genossenschaft  verlangt,  es  ist  eine  vergröfserte  nachbildung  der 
Akademie,  in  solcher  genossenschaft  hat  Aristoteles  gelebt,  er  selbst 
hat  eine  solche  gestiftet:  das  ist  für  ihn  bestimmend  gewesen,  auch 
wenn  er  gesetze  für  Stagira  gegeben   haben  sollte,   sind  es  doch  nicht 


ggg  I.  10.  Zweck  und  bedeiitung  des  aristotelischen  buches. 

diese,  ilbrigens  wenig  ermiUigenden ,  erfahrungen,  sondern  die  in  der 
Akademie  und  im  Lykeion  gewesen,  welche  er  statt  der  mangelnden 
wirklich  politischen  erfahrung  befolgt  hat.^') 

Er  war  kein  rhetor,  aber  sehr  empfänglich  für  die  künste  der 
rhetoren,  er  verachtete  die  taschenspielerkünste  der  eristiker  nicht,  son- 
dern er  überwand  sie  nur:  so  war  er  zwar  kein  Staatsmann,  aber  es 
imponirte  ihm  doch  die  praktische  geschicklichkeit  der  Staatsmänner,  auch 
wenn  sie  die  hohen  ziele  seiner  lebensanschauung  nicht  verstanden  oder 
nicht  anstrebten,  und  so  wird  der  Staatsmann  seiner  Pohtik  etwas  sehr 
verschiedenes  von  dem  königlichen  herrscher,  den  seine  iibermenscliHche 
Weisheit  und  gute  über  das  gesetz  erhebt,  wie  ihn  der  platonische  dialog 
des  namens  darstellt,  an  dem  sich  wol  ein  Alexandros  begeistern  konnte, 
er  ist  auch  nicht  ein  Staatsmann,  wie  wir  ihn  in  Rleisthenes  und  Ari- 
steides  bewundern  und  seihst  in  Kleon  und  Eubulos  anerkennen  müssen, 
das  Werkzeug  oder  der  Werkmeister,  wie  man  das  ansehen  will,  für  ein 
bestimmtes  und  notwendiges  stück  in  der  geschichte  seines  volkes:  er 
hat  keine  mission  zu  erfüllen,  sondern  er  besitzt  und  übt  eine  kunst, 
die  Ttohriv.}]  riyyr].  er  ist  der  virtuose,  der  diese  virtu  besitzt,  und  er- 
innert allerdings  an  die  Zöglinge  der  sophistik  oder  der  renaissance. 
so  hat  denn  Aristoteles  selbst  freude  an  den  kunststücken  der  politik, 
wie  er  sie  von  Themistokles  erzählt,  ohne  rücksicht  auf  ihre  sittliche 
berechtigung,  und  da  es  ihm  auf  das  exempel  allein  ankommt,  auch  ohne 
])rüfung  ihrer  geschichtlichen  Wahrheit,  das  ist  die  politik  nqog  Tovg 
y.aiQovg,  die  mit  seinem  raateriale  Theophrastos  bearbeitet  hat,  und  die 
von  solchen  exempeln  voll  war.  auch  die  zweite  Oekonomik  ist  für  die  peri- 
patetische  Politik  immerhin  ein  sehr  belehrendes  document.  gerade  nach 
dieser  seite  hat  der  Peripatos  auf  die  praktische  politik  der  diadochen 
stark  eingewirkt:  Mkanor,  der  Schwiegersohn  des  Aristoteles,  und  Kas- 
sandros,  der  söhn  seines  nächsten  freundes,  und  Duris  der  tyrann  von 
Samos,  verlangen  neben  Dikaiarchos  und  Demetrios  auch  ihre  erwähnung. 
es  hilft  schon  nichts,  wir  müssen  zugestehn,  dafs  auf  dem  boden  der  ari- 
stotelischen Politik  eine  Staatskunst  wachsen  kann,  die  wir  macchiavellistisch 
zu  nennen  gewohnt  sind,  und  es  sind  eben  die  partien  des  Principe,  gegen 


59)  Ich  weifs  wol,  dafs  lustus  Moser  geradezu  den  staat  mit  einer  actien- 
gesellschaft  vergleicht,  ein  grofser  und  auch  ein  realistischer  denker.  aber  Mosers 
acüe  ist  der  xlrj^oe,  das  bauerngut.  sie  läfst  sich  also  sehr  gut  griechisch  be- 
zeichnen, und  mit  dem  einsetzen  dieses  adaequalen  griechischen  begriffes  ist  sofort 
gesagt,  dafs  wir  Mosers  staat  in  Wahrheit  in  den  zeiten  der  griechischen  adels- 
herrschafl  zu  suchen  haben. 


Die  TTohTEia  des  Aristoteles.  369 

die  der  jugendliche  Friedrich  seine  stark  rhetorische  polemik  riclitet, 
welche  an  Aristoteles  gemahnen,  ohne  zweifei  darf  man  die  künsle  der 
tyrannis  weder  dem  hellenischen  noch  dem  florenlinerdenker  zum  vorwürfe 
machen,  ohne  zweifei  ist  das  sitthche  ideal  des  Hellenen  das  unendlich 
höhere:  aber  es  gibt  doch  einen  gesichtspunkt,  von  dem  aus  der  Italiener 
die  anerkennung  fordert,  wärmer  empfunden  und  höher  gedacht  zu  haben. 
Macchiavelli  ist  ein  patriot,  seines  Vaterlandes,  Italiens,  einheit,  freiheit 
und  gröfse  hat  er  vor  äugen,  und  diese  glühende  liebe  macht  ihn  dem 
grofsen  könige,  der  ihn  bekämpft  hat,  ähnlicher  als  dem  philosophen. 
Aristoteles  zeigt  genug  von  stolz  und  selbst  von  hochmut  als  Hellene; 
ungleich  anspruchsvoller  tritt  der  Stagirite  auf  als  der  athenische  eu- 
patride  Piaton,  hat  er  sich  doch  durch  seine  Verachtung  der  barbaren 
sogar  mit  Alexandros  entzweit,  racenhochmut  ist  wahrlich  nicht  minder 
häfslich  als  geschlechtsstolz,  aber  eine  politische  bedeulung  hat  sein 
nationalgefühl  nicht.  Hellas  ist  ihm  lediglich  ein  etlinographischer 
begriff,  und  er  würde  ganz  befriedigt  sein,  wenn  seine  kleinstaaten 
in  ihrer  Selbstgenügsamkeit  {avTaQxsia}  neben  einander  exislirten, 
y.vy.?.co7iLy.cüg ,  sein  eigenes  wort  zu  brauchen,  es  kommt  ihm  nicht 
in  den  sinn,  dafs  die  höhere  culturstufe  höhere  anforderungen  an 
die  staatliche  gemeinschaft  stellt,  dafs  der  mafsstab  für  das  ev  Lrjv, 
den  zweck  des  Staates,  steigt,  und  dafs  somit  die  materiellen  mittel  des 
Staates  steigen  müssen,  aber  ganz  abgesehen  von  dem  wissenschaftlich 
unvollkommenen  seiner  lehre:  es  fehlt  an  dem  gefühle  im  herzen,  ihm 
hat  es  nicht  höher  geschlagen,  als  der  hellenische  speer  in  Susa  und 
in  Memphis  gebot;  der  barbar  ist  ihm  immer  der  sclave:  der  feind  ist 
er  ihm  nur  in  der  conventioneilen  phrase  des  epigrammes.  hätte  es 
ihn  gelüstet  in  den  rhetorischen  wettkampf  mit  Isokrates  einzutreten, 
so  würde  er  die  heroen  von  Salamis  und  Plataiai  auch  aufgeboten  haben, 
als  rhetorischen  schmuck;  aber  der  begriff  der  nation ,  der  nationalen 
macht  und  ehre  spielt  in  seiner  Politik  keine  rolle,  so  steht  er  auch 
zu  der  vaterländischen  geschichte.  er  hat  sie  stückweise  in  den  Pohtien 
erzählen  müssen,  aber  das  ganze  ist  dem  Stagiriten  nie  zu  herzen  ge- 
drungen, wir  sind  vielleicht,  da  wir  in  einer  zeit  der  Übertreibung  des 
nationalen  momentes  in  jeder  richtung  leben,  leicht  dem  ausgesetzt,  zu 
hart  über  die  söhne  anders  gearteter  zeiten  zu  urteilen,  aber  Piaton 
und  Demosthenes  und  Alexandros  lebten  doch  in  derselben  zeit,  und 
der  Makedone  Antipatros  kann  diese  gesinnung  seines  freundes  doch 
nur  als  etwas  ihm  fremdes,  hellenisches,  angesehen  haben,  begreiflich 
ist  es  an  dem  vaterlandslosen,  denn  Stagira  war  keines,  so  wenig  eine 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles  I.  24 


370  '•  10«  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

aristotelische  stadt  es  sein  würde;  aber  traurig  ist  es  auch,  und  es 
diene  uns  hier  dazu,  die  häfsliche  Ungerechtigkeit  der  PoHtie  gegen  die 
grofse  zeit  Athens,  den  höhepuukt  der  griechischen  geschichte,  leider 
als  ganz  besonders  aristotelisch  zu  begreifen,  wer  die  vereinzelten  klein- 
staaten  zum  ideale  hatte,  der  konnte  ja  gegenüber  den  einheitsbestrebungen 
schlechthin  kein  anderes  gefühl  als  hafs  empfinden,  die  geschichte 
halte  sie  ja  auch  gerichtet,  so  Avähnte  er:  dafs  sich  vielmehr  vor  seinen 
äugen  das  werk  Athens  durch  seine  Vollendung  rechtfertigte,  sah  er 
nicht  und  wollte  er  nicht  sehen,  aber  die  geschichte  ist  gröfser  und 
gerechter  als  selbst  ein  Aristoteles,  und  so  ist  es  ein  gebot  der  ge- 
rechtigkeit,  dafs  wir  die  hellenische  geschichte,  die  Völker  und  die  raänner, 
die  sie  gemacht  haben,  nicht  mit  den  äugen  des  Aristoteles  betrachten, 
dieses  gebot  hat  die  antike  historie  erfüllt,  denn  die  Polilie  der  Athener 
hat  talsächlicii  in  der  beurteilung  der  personen  das  urteil  der  nachweit 
nicht  bestimmt. 
Die  bedeu-  Wir  haben  den  weg  der  persönlichen  betrachtung  durchmessen  und 

lUDp  der  Ol  o 

poiiiucben  sind  ZU  dem  ausgangspunkte  zurückgekehrt,  um  dem  gebäude  seiner 
'^menschenwissenschatt'  den  schlufsstein  aufzulegen,  behandelt  Aristoteles 
die  politik:  so  sagt  er  selbst,  um  nicht  blofs  philosophen  und  gelehrte 
zu  ziehen,  sondern  um  die  menschen  zu  der  tugend  und  dem  glücke  zu 
führen,  das  er  theoretisch  erfafst  hat,  hält  er  diese  vortrage,  die  wirk- 
liche pohtiker  erziehen  sollen,  als  material  für  seine  auf  dem  boden 
des  gegebeneu  beginnende  forschung  über  die  Verfassungen  und  die 
wahre  Verfassung  bedurfte  er  der  kenntnis  der  gewesenen  oder  be- 
stehenden Verfassungen ,  geselze,  gebrauche,  Schiedssprüche,  nicht  um 
ihrer  selbst  willen,  sondern  als  ein  hilfsmittel  brauchte  er  die  geschichte. 
aber  er  tat  auch  den  weiteren  schritt  und  schrieb  die  Politien,  nicht 
für  die  schule,  sondern  für  das  pubHcum,  nicht  um  über  die  tatsachen 
zu  belehren,  auch  nicht  weil  er,  wie  Isokrates  gewähnt  halte,  dem  der 
gedanke  einer  Sammlung  der  gesetze  schon  gekommen  war,  dadurch 
unmittelbar  urteilsfähige  politiker  erziehen  wollte,  aber  allerdings  in  der 
sichern  erwarlung,  dafs  das  Verständnis  der  Pohtik,  die  er  ohne  zweifei 
auch  zu  schreiben  gedachte,  erleichtert  und  vorbereitet  würde,  auch 
das  sagt  er  selbst,  wahrlich,  es  ist  eine  gewaltige  zeit,  und  Aristoteles 
steht  in  ihr  als  ein  gewalliger  mann,  fern  in  Susa  feiert  der  junge 
herr  der  weit  seine  hochzeit  mit  Rhoxane,  das  symbol  des  friedens  und 
der  Versöhnung  des  alten  völkerzwistes,  den  Homer  und  Herodot  ge- 
schildert hallen,  es  ist  für  den  wiedergebornen  Achilleus  die  hochzeit 
mit  Polyxene.     aber  der  junge  tag  des  Hellenismus  bricht  dennoch  an: 


Die  bedeutung  der  politischen  lehre.  371 

das  kind  aus  dieser  ehe  der  Völker  ist  das  Christentum  geworden,  fern 
aus  Athen  dagegen  dringt  die  unerschrockene  stimme  des  weisen  und  doch 
in  seiner  Weisheit  kleingläubigen,  der  die  moglichkeit  dieser  Vereinigung 
leugnet  und  die  Überlegenheit  der  hellenischen  race  rücksichtslos  wider 
die  barbaren  und  den  makedonischen  konig  behauptet,  in  Athen  selbst 
und  in  ganz  Hellas  liegt  der  aipdruck  auf  allen  vaterlandshebenden  ge- 
mütern,  dafs  die  lieben  alten  kleinen  heimatsstädte  nun  aufhören  sollen 
die  weit  zu  bedeuten,  mit  doppelter  wärme  empfinden  sie  die  heiligkeit 
ihrer  heimischen  gotter  und  sitten  und  einrichlungen,  gedenken  sie  all 
des  grofsen,  das  die  väter  mit  diesen  und  durch  diese  geleistet  haben, 
ganz  besonders  aber  wird  in  Athen  die  demokratie,  die  freiheit  des 
Staates  und  des  einzelnen,  die  stolze  freiheit  des  Wortes  und  des  lebens 
empfunden  gegenüber  dem  makedonisch-barbarischen  grofsstaate  mit 
hufischem  ceremoniell,  mit  uniformen,  Subordination  und  soldatenarro- 
ganz,  mit  dem  culte  des  allmächtigen  konigs.  da  könnte  Aristoteles  ein 
Wortführer  dieser  gefiihle  scheinen,  so  weit  sie  hellenisch  sind,  teilt  er 
sie,  aber  nicht  so  weit  sie  athenisch  oder  boeotisch  oder  megarisch, 
demokratisch  oder  oligarchisch  sind,  und  auch  das  führt  er  mit  frei- 
mütiger Überlegenheit  dem  publicum  vor,  das  die  Politien  zu  lesen  be- 
kommt, die  Staatswesen  wie  sie  sind  bestehn  die  prüfung  nicht,  die 
Staatsmänner  die  sie  geschaffen  haben  noch  weniger,  die  grofse  Ver- 
gangenheit, die  nationale  grofse  erhält  nicht  einmal  einen  warmen  nachruf. 
der  weise  steht  unbeirrt  von  dem  fernen  grolle  des  königs  wie  von  dem 
nahen  toben  der  menge  auf  dem  festen  gründe  seiner  wissenschaftlichen 
Überzeugung,  grofs  fürwahr  und  erhaben,  aber  auch  kalt,  vor  lauter 
klugheit  irrend  und  ungerecht  nach  beiden  seilen,  man  niufs  das  äuge 
der  phantasie  mühsam  zwingen,  die  läge  der  weit  und  der  personcn 
für  das  jähr  325  genügend  isoirrt  von  der  nächsten  zukunft  zu  schauen : 
denn  wenige  jähre  später  ist  der  grofse  könig  tot  und  mit  ihm  das  weit- 
reich, ist  die  athenische  demokratie  zertrümmert  und  hat  Aristoteles  den 
hafs  der  demokratie  erfahren,  für  die  er  als  antwort  nur  einen  überlegnen 
spott  hatte,  die  grausame  strafe  aber,  die  sein  freund  über  die  stadt  ver- 
hängte, die  trotz  allem  seine  zweite  heimat  geworden  war,  brauchte  er  nicht 
mehr  mit  anzusehen.  Antipalros  hatte  in  den  tagen,  da  er  Athen  nieder- 
warf und  die  todesurteile  über  Demosthenes  und  die  andern  demagogen 
aussprach,  das  testament  seines  eben  verstorbenen  freundes  Aristoteles 
zu  vollstrecken,  in  der  zeillichkeit  schlössen  sie  einander  aus,  die 
nationale  demokratie  Athens,  das  völkerversöhnende  weitreich  des  Ale- 
xandros   und   die  Wissenschaft  des  Aristoteles,     für  uns  aber  ist  es  ein 

24* 


372  ••    10.  Zweck  und  bedeutuiig  des  aristotelischen  buches. 

«ebot  der  pietät  und  der  Wissenschaft,  sie  alle  neben  einander  zu  be- 
•M-eifcn  und  zu  verehren:  denn  erst  in  ihrer  Vereinigung  offenbart  sich 
die  ganze  politische  gröfse  des  hellenischen  Volkes,  die  wahrlich  in  dem 
reichlum  der  formen  und  der  gedanken  die  sie  erzeugt  hat  unvergleich- 
bar dasteht  bis  auf  den  heutigen  tag,  mag  auch  die  einseitigkeit  allein 
befähigt  sein,  irdisch  dauerhaftes  zu  erzeugen. 

Die  bedeutung  eines  solchen  mannes  auch  nur  nach  einer  seite 
seines  wesens  im  Verhältnis  zu  wiederum  so  ungeheuren  grüfsen  wie 
die  hellenische  cultur  des  vierten  Jahrhunderts  und  Athen  und  Alexandros 
genügend  darzustellen  geht  in  Wahrheit  über  jedes  menschen  kraft, 
hier  zumal  galt  es  besonders  auch  die  unvoUkommenheiten  hervorzuheben, 
die  das  subject  und  die  zeit  dem  werke  mitgegeben  haben,  da  sie  für 
die  Politie,  die  gewürdigt  werden  sollte,  besonders  wichtig  sind,  für 
meine  auffassung  des  Aristoteles  und  seines  Verhältnisses  zur  hellenischen 
geschichte®")  war  es  unmittelbar  einleuchtend,  dafs  ganz  derselbe  geist, 
der  sehr  besondere  geist  dieses  mannes,  in  der  Politie  wehe  wie  in  der 
Politik,  so  etwas  beweist  niemand  mit  zwei  drei  Übereinstimmungen, 
so  wenig  wie  zwei  drei  Widersprüche  im  einzelnen  dagegen  etwas  aus- 
machen."') denn  auf  etwas  ganzes,  das  gesammte  politische  und  ge- 
schichtliche urteil  kommt  es  an;  das  sieht  überhaupt  nur,  wer  ra  xa^^ 
o).ov  zu  erkennen  gelernt  hat,  mit  Aristoteles  zu  reden,  mit  der  klein- 
krämerei  gegen  einander  über  gedruckter  stellen  ist  es  nicht  getan,  auf 
ovviöslv  und  ovv€lvat  kommt  es  an :  ich  kann  das  nur  auf  griechisch 
scharf  bezeichnen,  das  brachte  mich,  der  ich  doch  das  aristotelische 
in  der  Politie  zeigen  sollte  und  mufste,  in  arge  Verlegenheit,  so  lebhaft 
ich  es  empfand,  so  habe  ich  wieder  bei  dem  meister  der  methode  an- 
gefragt uiul  darzustellen  versucht,  wie  Aristoteles  zu  der  politischen  und 
historischen  Überzeugung  gekommen  ist,  die  er  in  der  Politie  nieder- 
gelegt hat,  damit  so  zur  klarheit  komme,  welches  diese  Überzeugung 
und   dafs  sie  aristotelisch  sei.     darin  liegt  die  überhebung,   dafs  ich  so 


60)  Ich  würde,  um  die  schranken  der  aristotelischen  auffassung  deutlich  zu 
machen,  die  parallele  seines  Verhältnisses  zum  epos  und  drama ,  zur  heldensage, 
durchführen,  wenn  ich  das  nicht  in  meinem  Herakles  getan  hätte,  nicht  ohne  die 
parallele  zu  seiner  politik  in  kürze  zu  ziehn  (I  111). 

61)  Dahin  gehört  eine  flüchtigkeit  in  der  Politik,  F  1284«  40,  Athen  hätte, 
sobald  es  sein  reich  befestigt  hatte,  Lesbos  Chios  Samos  niedergedrückt,  bekanntlich 
war  das  gegenleil  der  fall:  nur  diese  drei  Staaten  sind  vollkommen  selbständig  ge- 
blieben, so  steht  es  auch  bei  Thuk.  I  19  und  in  der  Politie  24,  2.  Aristoteles  hat 
also  die  ausnahmen,  weil  sie  feste  namen  hatten  und  im  gedächlnis  hafteten,  mit 
der  masse  der  andern  städle  verwechselt. 


Die  bedeutung  des  buclies  für  die  histoiie.  373 

tun  mufste,  als  verstünde  ich  den  Aristoteles  ganz:  sie  liegt  mir  wahr- 
haftig fern,  und  auch  für  den  schein  hitle  ich  um  vergehung.  aber 
ich  wufste  das  was  ich  verstand  schlechterdings  auf  keine  andere  weise 
darzustellen:  und  der  grofse  mann  wird  damit  eher  zufrieden  sein,  als 
wenn    ich   statt   des   waldes   ein   par   bäume  gesehen  und  gezeigt  hätte. 

Von  dem  buche  und  der  person  des  Aristoteles  darf  ich  nun  wol 
abschied  nehmen,  er  hat  vielleicht  etwas  von  seiner  unheimlichen  gröfse 
verloren,  weil  er  fortan  nicht  mehr  als  historiker  gelten  <larf,  und  für 
manchen  wird  es  auch  ein  Verlust  erscheinen,  dafs  der  philosoph  nicht 
nur  mitverstrickt  in  die  tagespolitik,  sondern  auch  in  die  Vorurteile 
seiner  zeit  erschienen  ist.  dagegen  dürfte  es  doch  nicht  an  solchen 
fehlen ,  die  den  grofsen  und  edlen  mann ,  gerade  weil  er  menschlicher 
erscheint,  weil  wir  ihn  auch  irren  sehen,  nun  besser  begreifen  und 
nicht  minder  verehren  werden,  alle  aber,  die  so  viel  griechisch  können, 
werden  als  einen  bleibenden  gewinn  rechnen,  dafs  wir  ein  so  schönes 
buch  lesen  können,  zu  künstlerischem  genusse;  die  chance,  einen  solchen 
frischen  Zuwachs  des  lesenswerten  und  zugleich  künstlerisch  befriedigen- 
den zu  erhalten,  ist  heute  zu  tage  immer  noch  gröfser,  wenn  man  in 
den  gräbern  Aegyptens  sucht,  als  wenn  man  den  mefskatalog  durchsieht. 

Aber  ich  bin  noch  die  antwort  auf  die  andere  frage  schuldig,  nach  Liedeutung 
dem  relativen  werte  des  buches  für  unsere  kenntnis  von  der  geschichte  '^itir'd'je^^ 
und  der  Verfassung  Athens,  auch  da  ist  von  Wichtigkeit  zunächst  der 
methodische  fortschritt,  dafs  Aristoteles  kein  geschichtlicher  forscher  ist; 
allein  das  kann  zunächst  vielmehr  ein  rückschlag  scheinen,  dafür  ist 
die  Atthis  ungleich  deutlicher  geworden,  und  der  wert  der  art  von  Über- 
lieferung, die  in  Athen  Atthis  heifst,  aber  entsprechend  in  den  meisten 
hellenischen  Städten  vorhanden  war,  ist  in  ungleich  helleres  licht  gerückt 
und  damit  ein  fortschritt  der  methode  getan,  der  zu  sehr  reichen  posi- 
tiven ergebnissen  führen  mufs.  diese  folgerung  ist  mir  so  wichtig  er- 
schienen, dafs  ich  ihr  einen  eigenen  abschnitt  gewidmet  habe  (II  1). 

Dafs  wir  so  viel  absolut  neues  erfahren,  liegt  nicht  an  dem  absoluten 
werte  der  Politie.  wenn  wir  Androtion  und  Philochoros  lesen  könnten, 
so  würden  wir  in  den  wichtigsten  partien  die  Politie  nicht  als  quelle 
rechnen,  so  wenig  wir  es  in  dem  tun,  was  sie  dem  Herodotos  und 
Thukydides  entnommen  hat.  wir  würden  sie  dann  behandeln,  wie  die 
forschung  der  hellenistischen  zeit  es  getan  hat.  aber  für  uns  ist  es  schon 
ein  gewaltiger  gewinn,  dafs  wir  die  masse  der  grammatikercitate  über 
die  attischen  ämter  einfach  fortwerfen  können,  weil  wir  ihr  original 
besitzen,  und  wenn  die  erweiterte  bearbeilung  der  attischen  altertümer, 


historie. 


gy^  I.    10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

die  in  der  kaiserzeit  auf  grund  der  Politie  in  einen  onomastikon  ge- 
fertigt ist,  erst  wieder  hergestellt  sein  wird  (was  wieder  erst  durch  die 
entdockuug  der  Politie  möglich  geworden  ist),  so  werden  wir  erst  recht 
'^ewahr  werden,  wie  unvergleichlich  viel  sicherer  der  hoden  unter  unseren 
filfsen  geworden  ist.  es  ist  auch  kein  geringer  fortschritt,  dafs  eine 
nien"e  irrlehren,  die  trotz  allen  Widerlegungen  immer  wieder  einmal 
spukten,  nun  definitiv  beseitigt  sind,  wenigstens  wird  man  nunmehr 
von  niemandem  mehr  notiz  zu  nehmen  brauchen,  der  von  den  vierkasten- 
pliylen,  dem  ephetenrate,  der  kleisthenischen  einführung  des  loses,  der 
perikk'ischen  der  geschwornengerichte ,  der  ekklesie  der  reifen  männer, 
der  doppelten  lesung,  dem  ra(.uag  r^g  xoivrjg  tzqooÖöov  u.  dgl.  redet, 
aber  auch  positiv  steht  für  uns  so  viel  neues  bei  Aristoteles,  und  wirkt 
die  Überraschung,  eine  Verfassungsgeschichte  Athens  von  seiner  band  zu 
lesen,  an  sich  so  stark,  dafs  jeder,  der  wirklich  über  Athen  und  über 
die  Politie  mitreden  will,  sich  nicht  sowol  auf  grund  als  im  kämpfe  mit 
Aristoteles  ein  eigenes  bild  dieser  Verfassungsgeschichte  entwerfen  mufs, 
und  wenn  er's  tut,  wird  er  erst  recht  fühlen,  wie  viel  er  dem  neuen 
buche  verdankt,  so  habe  ich  es  denn  auch  getan  und  stelle  die  skizze 
meiner  Verfassungsgeschichte  Athens  (II  2 — 4)  ueben  Aristoteles,  ver- 
einigt mit  den  folgenden  einzelabhandlungen,  deren  noch  unübersehbar 
viele  geschrieben  werden  müssen,  uuter  dem  gemeinsamen  titel  von 
Untersuchungen  auf  grund  des  aristotelischen  buches.  das  will  mehr 
besagen,  als  das  subjective  Verhältnis,  dafs  mir  Aristoteles  den  anstofs 
gegeben  hat,  sie  zu  führen  oder  doch  zu  vollenden:  ich  hätte  sie  gar 
nicht  oder  doch  nicht  so  schreiben  können  ohne  das  was  ich  ihm 
danke,  sowol  an  positiver  wie  namentlich  an  methodischer  belehrung. 
das  gilt  mit  nichten  blofs  subjectiv  von  meiner  person:  die  entdeckung 
der  Politie  raufs  überhaupt  in  der  attischen  geschichtsforschung  epoche 
machen. 

Dafs  dem  so  sein  würde,  war  unsere  erwartung,  ehe  wir  sie  wieder 
halten,  sie  war  es  auch  noch  in  der  ersten  freude.  wenn  man  aber 
die  historiker  reden  hört,  so  ist  das  ein  Irrtum  gewesen,  sollten  sie 
recht  behalten,  ihre  art  die  geschichte  zu  treiben  mafsgebend  für  die 
Wissenschaft  bleiben  oder  vielmehr  werden,  so  hätte  das  buch  freilich 
in  dem  grabe  seines  besitzers  weiter  schlummern  sollen;  die  letzten  20 
capitel  scheinen  ja  auch  für  jene  kritiker  noch  nicht  entdeckt  zu  sein. 
in  Wahrheit  wird  die  Politie  dadurch  epoche  machen,  dafs  die  sorte 
historie,  die  nichts  mit  ihr  anzufangen  weifs,  überwunden  wird,  wenn 
die  hauieute  den  stein  verwerfen,  so  wird  die  jcetqü  oy.avöälov  ihnen 


Wege  und  ziele  der  griechischen  historie.  375 

Tthqa  TtQooy.öi^if^iaTog;  aber  es  werden  andere  kommen,  die  sie  zum 
ecksteine  eines  neuen  gehäudes  nehmen. 

Als  Niehuhr  die  romische  geschichle  begründet  hatte,  erschien  zur 
rechten  zeit  der  Gaius  und  Cicero  de  republica:  als  Boeckh  die  altische 
geschichte  begründet  hatte,  erschien  erst  die  menge  der  attischen  steine 
und  nun  die  aristotelische  Politie.  das  gefiilil  ist  mir  oft  gekommen  "  hätte 
doch  der  grofse  meister  noch  dieses  buch  lesen  können",  diesen  wünsch 
erzeugte  die  pietät  und  die  bewunderung  des  einzelnen  grofsen  mannes, 
der  allerdings  ein  ganz  anderer  historiker  gewesen  ist  als  Aristoteles. 
es  geschieht  nicht  ohne  dankbare  und  fromme  gefiihle,  aber  mit  der 
Sicherheit  das  einfach  wahre  zu  sagen,  wenn  ich  erkläre:  für  die  Wissen- 
schaft erscheint  die  Politie  jetzt  genau  zur  rechten  zeit. 

Vor  Boeckh   hat   es   gar   keine  hellenische  geschichtsforschung  ge-  wege  und 

ziclß  der 

geben,  wer  heute  an  ihr  teil  nimmt,  wird  ohne  zweifei  den  ersten  griechischen 
versuch  einer  nolnEia  ''^^■r]vaUov  mit  Interesse  betrachten,  und  er 
möge  beherzigen,  dafs  es  die  beschäfligung  mit  dem  römischen  Staate 
und  dem  römischen  rechte  war,  die  den  Sigonius  zu  diesem  versuche 
angetrieben  hat.  Sigonius  machte  sich  sofort  daran,  ein  Verzeichnis 
der  demen  und  ihrer  Verteilung  auf  die  phylen  anzulegen:  so  scharf 
sah  er,  dafs  er  etwas  bedeutendes  bemerkte,  das  Aristoteles  verkannt 
hatte,  erfreulich  und  belehrend  ist  es  auch,  dafs  es  ein  freier  Friese, 
Ubbo  Emmius,  war,  der  sich  zuerst  zu  den  noXitüai  der  freien  kleinen 
gemeinwesen  der  Hellenen  hingezogen  fühlte,  die  französische  philologie 
zeigt  noch  in  der  zeit,  da  sie  sich  von  dem  hellenischen  abzukehren 
beginnt,  ihre  universelle  wissenschaftlichkeit  darin,  dafs  G.  Herault  und 
Cl.  Saumaise  sich  über  fragen  des  attischen  rechtes  streiten,  aber  das 
sind  doch  alles  nur  noch  curiositäten.  weder  Scaliger  noch  ßentley, 
weder  H.  Stephanus  noch  T.  Hemsterhuys,  ja  selbst  weder  Dodwell  noch 
Perizonius  kommen  für  die  griechische  geschichte  heute  noch  in  hetracht. 
die  citatenschachteln  des  alten  Meursius  sind  sehr  nützlich  gewesen  und 
vorbildlich  für  die  sorte  'altertümer',  die  eine  schachte!  citate  für  ein 
buch  hält,  aber  wer  könnte  besser  lehren  als  Aristoteles,  dafs  es  damit 
nicht  getan  ist.  die  typische  bedeutung,  welche  die  beiden  der  grie- 
chischen geschichle  oder  besser  die  beiden  Plutarchs  für  das  Zeitalter 
der  aufklärung  und  der  revolution  gewannen,  ist  für  jene  zeit  sehr 
charakteristisch  und  für  die  schriftstellerische  kunst  Plutarchs  sehr  ehren- 
voll, den  Goethe  etwas  richtiger  schätzte  als  die  historiker,  die  ihre 
Schüler  auf  die  quellensuche  geschickt  haben:  aber  um  Phokions  und 
der  Athener  willen    braucht   man  die  litteratur  nicht  aufzustöbern,    die 


376  I-   10.  Zweck  und  bedeutunj  des  aiislotelischen  buches. 

ßernays  zu  seinem  letzten  bilclilein  anlals  gegeben  hat,  in  dem  er  denn 
auch  jener  uiorahsirenden  und  tendenziösen  geschichtsbetrachtung  selbst 
verfallen  ist.  erst  mit  Mebuhr  und  ßoeckh  beginnt  die  wirklich  wissen- 
schaliliclie  hislorie  der  Griechen. 

Niebuhr  wirkt  überhaupt  und  namentlich  hier  wesentlich  durch 
das  ethos  seiner  ganzen  person.  weil  er  ein  ganzer  mann  ist,  gibt  er 
sich  willig  der  Wirkung  eines  ganzen  mannes  hin,  einem  Thukydides 
und  Demosthenes.  weil  er  ein  guter  bürger  ist  und  ein  Staatsmann 
dazu,  erkennt  er  das  grofse  auch  in  dem  Staate  der  Athener,  so  fern  er 
auch  selbst  den  demokratischen  tendenzen  steht,  und  er  erhebt  die  forde- 
rungen  auch  des  attischen  Staates  auf  die  mitarbeit  seiner  sühne  als  ein 
recht  des  Staates,  so  wagt  er  es  denn  mitten  in  der  matten  zeit,  da 
die  erschlaffende  romantik  und  die  verknöchernde  philosophie  mit  der 
reaction  transigirt,  den  Piaton  keinen  guten,  den  Xenophon  einen 
schlechten  bürger  zu  nennen,  den  Staatsgedanken  wirft  der  geschichts- 
schreiber  Roms  in  die  geschichte  von  Hellas  hinüber,  die  seiner  über 
den  künsten  und  philosophemen,  dem  cultus  des  schönen  und  der  idee 
der  freien  menschlichkeit  gänzlich  vergessen  hatte,  das  problem  war 
gestellt;  aber  zu  seiner  losung  war  es  noch  nicht  an  der  zeit. 

Boeckh  gieng  an  die  schwere  arbeit,  die  zunächst  getan  werden 
mufste.  ein  langes  und  reiches  leben  hat  er  ihr  gewidmet,  aber  das 
entscheidende  war  doch,  was  er  bis  zur  ay.{.iri  vollbrachte  oder  begann, 
die  Überlieferung  bietet  uns  nun  einmal  einen  unendlichen  reichtum 
von  Zügen  für  alle  erscheinungen  des  lebens,  aber  sie  bietet  uns  weder 
einen  rahmen  für  das  gesammtbild  noch  feste  gesichtspunkte,  die  Züge 
zu  diesem  zu  ordnen,  es  fehlt  eine  centralisirle  Überlieferung,  wie  die 
romische  chronik,  ein  System  des  rechtes,  es  fehlen  Chronologie  und 
metrologie  und  was  man  sich  sonst  von  sog.  hilfsdisciphnen  construiren 
mag.  mochte  in  diesen  Boeckh  zuweilen  bis  zur  Systematik  fortschreiten, 
zumeist  hielt  er  sich  an  das,  was  der  stand  der  Überlieferung  zunächst 
forderte  und  allein  gestattete,  die  in  Wahrheit  unendlich  schwierigere 
aufgäbe,  das  leben,  wie  es  in  der  summe  der  einzelerscheinungen  sich 
ollenbart,  zu  erfassen,  eine  maschine  in  der  arbeit  darzustellen,  deren 
construction  er  nicht  kannte  und  die  erst  aus  dieser  darstellung  er- 
schlossen werden  sollte.  Staatshaushaltung  der  Athener  hat  er  mit 
recht  sein  buch  über  den  Staat  der  Athener  genannt,  und  die  preisfrage 
nach  <lcm  attischen  rechte  formulirte  er  richtig  als  die  frage  nach  dem 
allischen  processe.  unzählige  male  aber  griff  er  die  concrete  aufgäbe 
an,  die  ein  einzelnes  Zeugnis  ihm  stellte,  mochte  es  nun  ein  pindarisches 


Wege  und  ziele  der  griechischen  hislorie.  377 

gedieht  oder  eine  inschrift  oder  ein  gewichtslück  sein,  und  erstrebte  ihre 
volle  lösung:  die  erschüpfung  des  geschichtlichen  Inhaltes. 

Griechenland  ward  frei;  der  alte  boden  selbst  begann  jene  belehriing 
zu  geben,  die  Italien  stets  wenigstens  den  Italienern  geboten  hatte,  und 
seinem  schofse  entstiegen  und  entsteigen  noch  immer  reichlicher  die 
Zeugnisse  in  so  verwirrender  menge,  in  so  blendender  frische  und  um 
so  viel  reicher  an  problemen  denn  an  losungen,  dafs  die  arbeit  nicht 
nur  in  der  weise  Boeckhs,  sondern  selbst  die  ganz  gedankenlose  Sammlung 
und  registrirung  schon  unerläfshch  und  verdienstlich  ist  und  bleibt,  es 
wäre  nur  wünschenswert,  dafs  sich  nachgerade  eine  Organisation  dieser 
registrirenden  arbeit  nach  dem  muster  dessen  ausbildete,  was  für  Rom 
erzielt  ist. 

Aber  die  im  engeren  sinne  politische  geschichte  kommt  darüber 
leicht  zu  kurz;  Boeckh  selbst  hat  über  die  wichtigsten  phasen  der  alti- 
schen Verfassungsgeschichte  und  die  bedeutendsten  personen  kein  ent- 
schiedenes noch  entscheidendes  urteil  gesprochen,  wer  die  kurzen 
einleitungen  Droysens  zu  seiner  Aristophanesübersetzung  mit  der  über- 
reichen erklärung  vergleicht,  die  Boeckh  den  Olympien  und  Pythien 
Pindars  hat  angedeihen  lassen,  kann  sich  leicht  überzeugen,  wo  der 
mann  mit  wirklich  politischem  blicke  redet,  der  geschichtsschreiber 
Alexanders  und  der  preufsischen  politik  hatte  für  das  attische  Reich 
freilich  in  ganz  anderer  art  das  innere  Verständnis,  das  ihm  die 
anteilnahme  an  dem  Staatsgedanken  des  eigenen  gemeinwesens  verlieh, 
obwol  beträchtlich  später  erschienen  ist  die  griechische  geschichte  von 
E.  Curtius  dennoch  gerade  in  dem  was  sie  wirksam  gemacht  hat  der 
ausdruck  der  Stimmung,  mit  dem  das  vormärzliche  Deutschland  die  grie- 
chische geschichte  ansah,  es  ist  ein  werk  der  isokrateischen  Stilrichtung, 
welche  die  geschichte  unter  die  epideiktische  beredsamkeit  zählt,  bestimmt 
das  edle  zu  loben,  das  schlechte  zu  tadeln,  und  zu  dieser  panegyrischen 
haltung  gesellt  sich  ein  weicher  oft  elegischer  ton,  die  leise  trauer  um 
die  verlorne  Schönheit,  und  da  diese  Stimmung,  der  vergleichbar,  wie 
sie  die  ruinenstätten  in  uns  wecken,  acht  ist,  wirklich  gewonnen  auf  dem 
alten  boden ,  dessen  durchforschung  ernstlich  in  angriff  genommen  zu 
haben  das  höhere  verdienst  des  Verfassers  ist,  da  ferner  die  stilistischen 
mittel  bedeutende  sind,  so  dafs  der  leser,  der  überhaupt  diesen  ton  ver- 
trägt (und  hoffenthch  ist  das  jeder  jücgling)  nicht  müde  wird,  so  hat 
das  werk  sehr  stark  auf  die  Vorstellungen  eingewirkt,  die  in  Deutsch- 
land und  weit  darüber  hinaus  von  der  hellenischen  geschichte  herrschen; 
wo  denn  freihch  die  mittlerweile  selbst  sehr  stark  von  politischen  leiden- 


378  I.    10.  Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

scharten  und  kämpfen  erregte  jüngere  generation  geneigt  geworden  ist 
über  die  Hellenen  und  ihre  Staaten  die  achseln  zu  zucken,  wie  sie  es 
über  die  vormärzliche  zeit  tut,  obgleich  beide  es  nicht  verdienen,  den 
sehr  notwendigen  schritt,  von  einem  energisch  festgehaltenen  politischen 
Standpunkte  die  griechische  geschichte  zu  prüfen,  tat  ein  Engländer, 
der  nicht  nur  als  solcher  die  bürgerpflichten  kannte,  die  die  selbst- 
re"ierung  des  volkes  verlangt,  sondern  überhaupt  aufserhalb  der  ge- 
lehrten zunft  stand,  offenbar  war  er  so  für  das  wesentliche  seiner 
leistung  vortrefflich  vorbereitet,  und  es  tut  ihr  wenig  abbruch,  dafs 
er  kein  gelehrter  forscher  war.  G.  Grote  nahm  die  Überlieferung, 
wie  sie  ihm  von  den  alten  historikern  und  der  deutschen  gelehr- 
samkeit  bequem  geboten  war,  brachte  von  sich  einen  sehr  gesunden 
menschenverstand  und  daneben  einen  unbedingten  glauben  an  die  doclrin 
des  liberalismus  mit  und  mafs  daran  die  griechische  geschichte,  die  er 
nach  landesart  in  wolgefälliger  breite  nacherzählte,  es  war  ein  plumper 
und  den  Hellenen  selbst  fremder  mafsstab,  aber  es  war  doch  einer, 
weder  die  cmpündung  für  das  individuelle,  ohne  die  sich  selbst  die 
dichter,  die  doch  sagen  können,  was  sie  leiden  und  verlangen,  dem  Ver- 
ständnis entziehen,  noch  die  empfindung  für  das  allgemeine,  die  allein 
in  der  weit  der  sage,  der  religion  und  des  rechtes  zu  atmen  ermöglicht, 
war  ihm  gegeben;  aber- er  besafs,  ganz  naiv  und  daher  niemals  un- 
liebenswürdig, trotzdem  die  kühnheit  sich  über  alles  dieses,  selbst  über 
die  gütter  und  über  Homer  und  Piaton  weitläuftig  zu  verbreiten,  dafs 
selbst  diese  in  Wahrheit  gänzlich  ungenügenden  teile,  in  Deutschland 
zumal,  zwar  kaum  auf  die  Wissenschaft  einflufs  erhielten,  aber  im  publicum, 
das  sich  damals  noch  für  die  hellenischen  dinge  interessirte,  weite  Ver- 
breitung fanden,  lag  daran,  dafs  sich  auch  diese  gebiete  dem  politischen 
sinne  unterordneten,  von  dem  aus  das  publicum  mit  recht  geschichte 
beurteilt  wissen  will.  Avirklichen  wert  hat  fast  nur  die  geschichte  der 
athenischen  demokratie,  deshalb  weil  sie  hier  als  das  erscheint  was  sie 
ist,  das  rückgrat  der  griechischen  geschichte.  es  war  die  rettung,  die 
rehabilitirung  dieser  demokratie  ziemlich  in  allen  stücken  und  in  allen 
Zeilen,  demzufolge  ward  auch  eine  entwickelung  der  Verfassung  ge- 
geben, mit  gewalttätiger  band,  radikal  und  im  feineren  sinne  unhistorisch, 
wie  dieser  liberalismus  vorzugehn  pflegt,  gerade  in  der  unerschrockenen 
consequenz  lag  der  fortschritt.  und  niemand  darf  leugnen,  dafs  gegen- 
über der  minder  von  IMutarch  als  von  Cornelius  Nepos  eingegebenen 
klage  über  den  undankbaren  demos  und  überhaupt  der  platt  morali- 
sirenden    manier,    aber    auch    gegenüber    der    Vorstellung    von    einem 


Wege  und  ziele  der  griechischen  hislorie.  379 

Griechenland  schöner  und  hochgesinnter  niänner  und  knahen,  die  sich 
im  culte  der  schönlieit  ergehn  und  den  träum  des  schönsten  lehens 
träumen,  während  über  ihnen  der  ewighlaue  himmel  lacht,  auch  gegen- 
über den  romantischen  gemahlen  von  biderber  Dorerweisheit  und  tugend 
die  grausame  realität  des  leidenschaftlichsten  politischen  kampl'es,  ja 
die  berechtigung  dieser  leidenschaften  mit  recht  zu  worte  kam.  aber 
das  kann  jetzt  auch  niemand  mehr  leugnen,  dafs  die  philologie,  die  fest 
auf  ihren  Zeugnissen  stand  und  die  Überlieferung  der  gewaltsamen  con- 
struction  nicht  preis  gab,  recht  behalten  hat.  dazu  brauchte  Aristoteles 
nicht  zu  erscheinen;  aber  wie  unangenehm  er  den  radikaleren  nach- 
fahrern Grotes  ist,  hat  ihr  zorn  wider  sein  buch  gezeigt. 

Grotes  werk  wird  abgesehen  von  den  partien ,  wo  es  wesentlich 
eine  raison nirende  wiedergäbe  der  antiken  erzähhingen  ist  und  für  das 
Verständnis  des  Herodot,  Xenophon,  Diodor  bedeutendes  beiträgt,  bald 
nur  noch  wenig  benutzt  werden ;  der  adel  der  künstlerischen  form  war 
ihm  wie  dem  Polybios  versagt,  mit  dem  er  manche  Verwandtschaft  hat. 
aber  der  anstofs,  den  er  der  Wissenschaft  gegeben  hat,  wird  fortwirken, 
welche  bahnen  sie  auch  immer  einschlagen  wird.®-) 

Ein  menschenalter  reich  an  arbeit  und  auch  an  ertrag  ist  hin- 
gegangen, und  das  bedürfnis  einer  neuen  darstellung  der  griechischen  ge- 
schichte  und  der  griechischen  '^  altertümer'  wird  nun  sehr  lebhaft  em- 
pfunden, es  erscheinen  auch  bearbeitungen  von  beiden,  nützliche  und 
unnütze,  aber  die  altertümer  sind  immer  noch  im  wesentlichen  Samm- 
lungen von  einzelheiten,  und  die  geschichte  läuft  gefahr,  das  auch  zu 
werden,  das  sind  gewifs  nötige  und  nützhche  dinge,  aber  jtovlv(.iad^ü^ 
vöov  ov  diddo-ASi.  schlimmer  ist  es,  wenn  die  historie  sich  selbst 
zerstört,  die  mühlsteine  der  kritik  drehen  sich  auch  hier,  genau  wie 
sie  es  in  der  textkritik  getan  haben,  mit  aller  wucht  weiter,  ohne  dafs 
körn  nachgeschüttet  wird,  wie  soll's  da  mehl  geben?  wenn  das  er- 
gebnis  der  kritik  ist,  dafs  es  keine  Verfassungsgeschichte  Athens  gibt, 
so   sollte  man  doch  meinen,   dafs  es  sehr  überflüssig  wäre,   athenische 


62)  Das  kann  man  von  dem  eine  weile  bewunderten  werke  M.  Dunckers  nicht 
sagen,  er  weifs  zwar  sehr  genau,  was  Themistokles  unter  den  oder  jenen  ihm  von 
Duncker  gegebenen  Verhältnissen  gedacht  und  getan  hat,  aber  raisonnement  füllt 
nun  einmal  nicht  die  lücken  der  Überlieferung,  und  es  ist  viel  schlimmer,  dafs 
Duncker  sich  so  viel  wissen  zu  können  zugetraut  hat,  als  dafs  seine  aufstellungen 
zumeist  falsch  sind  und  sein  wissen  überall  aus  zweiter  band,  der  mann,  für  den 
seine  anmutige  biographie  menschlich  warme  Sympathie  erweckt,  war  nun  einmal 
als  historiker  genau  wie  als  politiker:  der  xat^üs  war  ein  daemon,  mildem  ersieh 
in  keiner  seiner  bedeutungen  zu  stellen  gewufst  hat. 


2gQ  I.    10.   Zweck  und  bedeutung  des  aristotelischen  buches. 

tjeschiclite  zu  treiben,  wenn  wir  blofs  Herodot  und  Tliukydides  haben, 
so  wollen  wir  die  lieber  selber  lesen.  Kleon  war  so  lange  ein  rothariger 
theaterbüsewicht  und  Demosthenes  ein  idealmensch;  das  kann  man  auch 
umdrehen  und  Perikles  von  dem  Standpunkte  eines  sommerlieutenants 
um  den  leldherrnruhm  bringen,  Alexander  den  Grofsen  einen  trunkenen 
tyrannen  oder  eine  bestie  schimpfen  oder  in  Aischines  einen  retter 
Athens  erblicken,  mühsam  ist  das  nicht,  es  läfst  sich  auch  mit  einigem 
geschicke  ganz  plausibel  darstellen,    aber  was  ist  es  anders  als  sophistik? 

Warum  ist  es  nicht  so  auf  dem  römischen  gebiete?  weil  das 
Staatsrecht  da  ist.  die  Institutionen  selbst  tragen  ihre  logik  in  sich, 
und  diese  verbietet  die  sophistischen  Spielereien,  die  livianischen  annalen 
geben  keine  geschichte  (aufser  wo  sie  Polybios  übersetzen),  und  doch 
dürfen  wir  uns  schmeicheln,  dafs  die  zeit  der  adelsherrschaft  uns  richtiger 
bekannt  ist  als  dem  Cicero,  von  der  kaiserzeit  gibt  es  seit  dem  ende 
des  Tacitus  bis  ins  vierte  Jahrhundert  hinein  nur  eine  jämmerliche  Über- 
lieferung, und  doch  wissen  wir,  wie  es  zu  Hadrians  und  Severus  zeit 
im  romischen  reiche  aussah,  besser  als  es  irgend  ein  mitlebender  dar- 
gestellt hat.  auch  da  ist  eine  überfülle  der  mittelbaren  geschichthchen 
Zeugnisse  vorhanden,  aber  das  recht,  dag  Staatsrecht  wie  das  civilrecht, 
liefert  die  ordnenden  gedanken. 

Eine  rechtswissenschaft  fehlt  den  Athenern  und  den  Hellenen  über- 
haupt freilich,  während  die  mittelbar  geschichtliche  Überlieferung  um  so 
viel  ergiebiger  ist  als  die  reden  des  Demosthenes  und  Hypereides  über 
Aristides  und  Fronto  stehn ,  und  die  attischen  psephismen  über  den 
römischen  ehreninschriften.  das  recht  der  Hellenen  steckt  in  der  philo- 
sophie.  und  da  tritt  die  Pohtie  nun  zur  rechten  zeit  ein:  die  logik  des 
rechtes  mufs  die  ordnenden  gedanken  schaffen  für  die  stoffmassen  der 
anti(|uitälen,  und  sie  mufs  im  Staate  und  seinem  leben  ein  würdigeres 
object  dem  historischen  urteile  geben  als  die  schuld  des  Thukydides 
oder  die  Unschuld  des  Demosthenes.  die  Politie  selbst  ist  dazu  freilich 
kaum  allein  im  stände;  sie  krankt  selbst  nur  zu  tief  an  der  Verwechselung 
des  Staates  und  der  demagogen.  aber  sie  zwingt  doch  dazu,  den  Staat 
der  Athener  als  ein  organisches  und  gewordenes  ganzes  zu  betrachten, 
und  vor  allem,  sie  weist,  richtig  aufgefafst,  auf  die  Politik  und  die  Ge- 
setze Piatons,  die  beiden  forsten  der  philosophie  haben  die  demokratie 
Athens  in  ihrer  geschichtlichen  bedeutung  und  berechtigung  verkannt: 
sie  sind  dazu  bestimmt,  dem  spätgebornen  geschlechte,  das  gerecht 
abwägen  imd  würdigen  kann  und  soll,  die  besten  mittel  dazu  zu  ge- 
währen,   indem    sie   uns   lehren,    was   der  antike  Staat  sein  wollte  und 


Wege  und  ziele  der  griechischen  historie.  381 

war.  das  rümische  vorbild  wird  der  forschung  auch,  zu  liilfe  kommen; 
schon  ertönen  die  angstrufe,  dafs  man  die  römische  folgcrichtigkeit  in 
Hellas  verlange,  weil  es  dann  mit  den  irrlichteliren  aus  ist.  aber  der 
unterschied  mul's  allerdings  bleiben :  was  für  Rom  die  logik  des  rechtes, 
das  ist  für  Hellas  die  der  philosophie;  die  juristische  speculalion  der 
sophistenzeit  hat  nun  einmal  diese  wege  eingeschlagen,  wer  in  grie- 
chischer geschichte  zu  hause  sein  will,  der  mufs,  was  die  alte  zeit  an- 
langt, in  Homer  und  Pindar,  was  die  spätere  anlangt,  in  Piaton  und 
Aristoteles  zu  hause  sein:  bei  denen  lernt  er  denken  und  empfinden 
wie  die  leute,  deren  Staat  und  geschichte  er  verstehn  soll,  die  nächsten 
aufgaben  stellen  sich  von  selbst:  die  Verfassungsgeschichte  von  403 — 322 
vermittelst  der  logik,  die  Aristoteles  lehrt,  aus  den  Inschriften  und  rednern 
gewinnen,  die  übrigen  Politien,  so  gut  es  mit  allen  mittein  geht, 
restituiren,  und  von  ihnen  vorwärts,  von  der  Römerzeit  rückwärts 
schliefsend  die  Verfassung  und  Verwaltung  der  hellenistischen  königreiche 
wenigstens  in  den  umrissen  feststellen,  dazu  kann  Aristoteles  nicht  sehr 
viel  helfen;  aber  die  gräber  und  Schutthalden  Aegyptens  und  die  trümmer- 
stätten  Asiens  liefern  auch  dazu  die  documente;  die  römische  forschung, 
auch  die  des  rechtes,  wie  das  schöne  werk  von  Mitteis  zeigt,  reicht  die 
fördernde  band:  wenn  sie  nur  die  arbeit  daransetzt  und  den  xaiQog 
bei  der  locke  fafst,  so  kann's  der  griechischen  historie  nicht  fehlen: 
eine  neue  epoche  mufs  beginnen,  eine  epoche  vorbereitender  arbeit 
wird  es  immer  noch  sein:  der  geschichtsschreiber  der  Hellenen,  der 
dann  erst  mit  dem  römischen  prinzipate  aufhören  wird,  kann  noch  nicht 
wol  geboren  sein,  wir  die  wir  ihm  die  Werksteine  brechen  und  be- 
hauen müssen  uns  bescheiden  zu  arbeiten  im  anschlusse  und  in  der 
weise  der  aristotelischen  Politien ,  die  auch  keine  geschichte  gewesen 
sind,  mögen  wir  an  Aristoteles  lernen  was  mehr  ist  als  der  blofse  stoff, 
zu  denken  und  zu  urteilen,  unsere  7T0v?.i\ua^ii]  hat  sein  buch  nicht 
befriedigt,  aber  vöov  cpvst:  dazu  wollen  wir's  gebrauchen. 


Druck  von  .1.  B.  Hirschfeld  in  Leipzig 


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JC 
71 

A7W5 
Bd.l 


Wilamowitz-Moellendorff , 
Ulrich  von 

Aristoteles  und  Athen 


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